Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang 9783525521960, 3525521960, 9783525521977, 3525521979

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Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang
 9783525521960, 3525521960, 9783525521977, 3525521979

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BERNHARD LOHSE

Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang

VANDENHOECK & RUPRECHT IN GÖTTINGEN

96. 23847

Die Deutsche Bibliothek — CIP-Einheitsaufiiahme Lohse, Bernhard: Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang / Bernhard Lohse. Göttingen: Vandenhoeck und Ruprecht, 1995 ISBN 3-525-52197-9 kart. ISBN 3-525-52196-0 Gewebe

© 1995 Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen Printed in Germany. - Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fiir Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Gesamtherstellung: Hubert & Co., Göttingen

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Bayerische

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Vorwort Seit langem hatte ich mir vorgenommen, eine Darstellung von Luthers Theologie abzufassen. Es war Paul Althaus, der, als ich an meiner Untersuchung »Ratio und Fides. Eine Untersuchung über die ratio in der Theologie Luthers« (1958) arbeitete, mir in einem Gespräch im Oktober 1955 nahelegte, später einmal gerade aus der Sicht eines Kirchenhistorikers ein solches Buch zu schreiben. Seit den späten sechziger Jahren habe ich in Vorlesungen mehrfach Luthers Theologie behandelt, wobei die Schilderung der Entstehung und der weiteren Ausbildung von Luthers reformatorischer Theologie stets einen Schwerpunkt darstellte. Die Beanspruchungen durch die Entwicklung an den deutschen Universitäten seit 1968 sowie insbesondere auch die Tatsache, daß ich seit 1969 ohne Assistenten war und auch für Korrekturarbeiten seither auf jede Hilfe verzichten mußte, haben die Verwirklichung meines Planes immer wieder hinausgezögert. Erst nach meiner Emeritierung im Frühjahr 1992 habe ich endlich mit ganzer Kraft die Ausarbeitung dieser Darstellung in Angriff nehmen können. Gegenüber den bisherigen Darstellungen von Luthers Theologie, wie sie insbesondere in den sechziger Jahren überwiegend von systematischen Theologen vorgelegt worden sind, hat diese Darstellung eine Besonderheit insofern, als hier zunächst Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung, sodann in ihrem systematischen Zusammenhang gewürdigt wird. Dabei wird, was die Entwicklung betrifft, sowohl auf die Auseinandersetzungen Luthers mit den für ihn wichtigen Traditionen als auch auf die weitere Ausbildung seiner Theologie in Verbindung mit den verschiedenen Kontroversen bis hin zu dem Streit mit den Antinomern eingegangen. Was die systematische Würdigung angeht, so folgt diese einem verhältnismäßig konservativen Aufbau. Mit dieser doppelten Erörterung von Luthers Theologie ist hier der Ansatz wieder aufgenommen worden, den einst Julius Köstlin mit seiner Darstellung von Luthers Theologie (zuerst 1863) befolgt hatte. Eine weitere Besonderheit hat diese Darstellung darin, daß hier zum ersten Mal im Rahmen einer Gesamtwürdigung von Luthers Theologie auch seine Stellung zu den Juden geschildert wird. Nach den furchtbaren Judenverfolgungen während des Dritten Reiches sowie auf Grund der intensiven Erörterung von Luthers Haltung zu den Juden in den letzten Jahrzehnten schien es mir eine unabweisbare Aufgabe zu sein, dieses Thema hier mit zu behandeln. Wenn dies am Schluß des Buches in Gestalt eines Exkurses geschieht, dann sollte damit zum Ausdruck gebracht werden, daß für Luther selbst die Haltung zu den Juden, wie es scheint, eher eine Randfrage der Theologie ist, daß sie aber keineswegs zu den zentralen Themen gehört.

6

Vorwort

Während der abschließenden Durchsicht des Manuskriptes ist einige wichtige Literatur erschienen, die nicht mehr eingearbeitet werden konnte. Auf zwei Werke sei hier wenigstens hingewiesen. Es handelt sich einmal um die Ausgabe: Cajetan et Luther en 1518. Edition, traduction et commentaire d'Augsbourg de Cajetan, von Charles MOREROD O P , in: Cahiers oecumeniques 26, 2 Bde., Fribourg 1994; sodann um Leif GRANE. Martinus Noster. Luther in the German Reform Movement 1518-1521, in: VIEG 155, Mainz 1994. Was das Buch von Morerod betrifft, so freue ich mich, mit ihm in der Deutung des Verhörs Luthers durch Cajetan im wesentlichen einig zu sein. Und was Granes wichtige Untersuchungen angeht, so ist Luther hier im Kreise seiner Freunde und Mitarbeiter neu gewürdigt worden. Bei den Abkürzungen ist das Buch von Schwertner zugrundegelegt: Siegfried SCHWERTNER, Internationales Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete, Berlin/New York 1974. Ergänzend sei erwähnt, daß die Abkürzung »HdBDThG« bezeichnet: Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, hg. von Carl ANDRESEN, 3 Bde., Göttingen 1980-1984. Hamburg, im Dezember 1994

Bernhard Lohse

Inhalt

/.

//.

Einleitung: Vorerwägungen und Voraussetzungen Luthers Theologie

für eine Darstellung

von 13

1) Kriterien für eine Darstellung v o n Luthers T h e o l o g i e a) Überblick über bisherige Darstellungen der Theologie Luthers . . . b) Die Alternative: histonsch-genensche oder systematische Darstellung c) Der Versuch einer Verbindung von historisch-genetischer und systematischer Darstellung

13 14 17

2) D i e kirchliche Lage u m 1500 a) Verfall und Reform b) Scholastik und Humanismus c) Wychf und Huß d) Neue Fragestellungen und Ansätze

22 22 24 26 27

3) D i e theologische Lage u m 1500, b e s o n d e r s in Erfurt u n d Wittenberg a) Der Ockhamismus in Erfurt b) Der Humanismus in Erfurt und in Wittenberg c) Die für Luther bedeutsamen Traditionen

29 30 33 35

4) Luthers persönlicher W e r d e g a n g a) Das Elternhaus b) Die Schulzeit in Magdeburg und Eisenach c) Luther als Student d) Der Eintritt ins Kloster

41 41 42 45 46

5) D i e Eigenart v o n Luthers T h e o l o g i e a) »Eine Theologie, die den Kern der N u ß erforscht« b) »Theologia crucis« c) »Die Erkenntnis Gottes und des Menschen«

47 48 49 52

Luthers Theologie in ihrer historischen Entuncklung

55

1) T h e o l o g i s c h e G r u n d g e d a n k e n in Luthers R a n d b e m e r k u n g e n zu Augustin u n d Petrus Lombardus ( 1 5 0 9 / 1 5 1 0 ) a) Traditionelles und Neues. Die Auffassung von der Sünde b) Glaube und Nachfolge c) Kritik an Theologie und Kirche

55 57 59

19

8

Inhalt

2) Die frühe reformatorische T h e o l o g i e in der ersten P s a l m e n v o r l e s u n g (1513—1515) a) Die neue Hermeneutik b) Die Auffassung von der Sünde c) Die Auffassung von der Gnade d) Die Sakramente e) Der Glaube f) Heilig, selig »in spe«/»in re« g) Die Kirche h) Kirchenkritik

61 61 64 66 68 71 73 75 77

3) D e r Ausbau der reformatorischen T h e o l o g i e in der Zeit der Paulusexegese ( 1 5 1 5 - 1 5 1 8 ) a) Die Zielsetzung der Vorlesungen über den Römerbrief (1515/1516), den Galaterbnef (1516/1517) und den Hebräerbnef (1517/1518) b) Die Auffassung von der Sünde c) Die Auffassung von der Gnade d) Die Gerechtigkeit Gottes und die Rechtfertigung des Menschen . . e) Die Sakramente 0 Die Kirche g) Kirchenkntik 4) D i e reformatorische E n t d e c k u n g a) Das Problem b) Z u m Stand der Forschung c) Luthers Anfechtungen d) Luthers Selbstzeugnis (1545) e) Der Befund in den frühen Vorlesungen f) Luthers reformatorische Erkenntnis im Lichte der Tradition

. . . .

80

80 82 85 86 91 93 94 97 98 100 102 104 107 109

5) Luthers Kritik a m A b l a ß ( 1 5 1 7 / 1 5 1 8 ) a) Luthers W e g in die Öffentlichkeit b) Luthers 95 Thesen über den Ablaß. Anlaß und Absicht c) Buße, Vergebung sowie Kirche und Amt in den 95 Thesen . . . . d) Die »Resolutiones« zu den Ablaßthesen (1518) e) Die Heidelberger Disputation (1518) f) Der »Dialogus de potestate papae« des Silvester Prienas (1518) . . .

110 111 115 117 120 122 123

6) Luthers A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t Cajetan ü b e r R e c h t f e r t i g u n g , Glaube u n d K i r c h e n a u t o r i t ä t a) Die Zuspitzung des Konfliktes zwischen Luther und R o m b) Cajetan c) Luthers Verhör vor Cajetan d) Luthers Appellation an den Papst und an ein Konzil

125 126 127 128 132

Inhalt

9

7) Luthers Auseinandersetzung mit E c k ü b e r die A u t o r i t ä t v o n Papst u n d Konzil (1519) a) Die Vorbereitung der Leipziger Disputation b) Die Leipziger Disputation c) Die Nachwirkung der Leipziger Disputation

134 134 138 141

8) Luthers Auseinandersetzung m i t d e r S a k r a m e n t s l e h r e seiner Z e i t (1519/1520) a) Luthers Sakramentssermone von 1519 b) Der »Sermon von dem Neuen Testament« (1520) c) Die Schrift »De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium« (1520) .

143 144 150 152

9) Luthers Auseinandersetzung mit d e m M ö n c h s i d e a l ( 1 5 2 0 / 1 5 2 1 ) a) Die Dringlichkeit der Frage der Mönchsgelübde in den Jahren 1520/1521 b) Luthers »Themata de votis« (1521) c) Luthers Schnft »De votis monasticis iudicium« (1521)

.

10) Luthers Auseinandersetzung m i t d e n W i t t e n b e r g e r R e f o r m e r n a) Die Wittenberger Reformen und die Frage der Autorität der Schrift b) Luthers Haltung zu den Reformen in Wittenberg c) Luthers weitere Entfaltung seiner Lehre von der Hl. Schrift, von Gesetz und Evangelium sowie seiner Auffassung von der Obrigkeit . . . . 11) Luthers Auseinandersetzung mit radikalen R i c h t u n g e n z u r »Rechten« u n d zur »Linken«. D i e U n t e r s c h e i d u n g z w i s c h e n zwei R e i c h e n u n d R e g i m e n t e n a) Der Wechsel der Frontstellung b) Luthers Schnft »Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« (1523) c) Die Unterscheidung zwischen zwei Reichen und zwei Regimenten . d) Luthers Haltung zu den aufständischen Bauern 12) Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus a) Die »Diatnbe de libero arbitrio« des Erasmus (1524) b) Luthers Entgegnung »De servo arbitrio« (1525) c) Zentrale Themen in »De servo arbitno« 13) Luthers Auseinandersetzung m i t Z w i n g l i : d e r Streit u m das Abendmahl a) Das Hervortreten inncrevangelischer Differenzen b) Die Weiterentwicklung von Luthers Position während des Abendmahlsstreits c) Das Marburger Religionsgespräch (1529)

154 154 157 158

161 162 164 166

168 169 170 172 175 178 178 181 181

187 187 190 194

10

Inhalt 14) Luthers A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t den A n t i n o m e r n a) Die Frage der Buße in der reformatorischen Theologie b) Der Streit um Gesetz und Evangelium c) Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium in Auseinandersetzung mit den Antinomern

///.

195 196 199 200

Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

204

1) Sola scriptura a) Die Autontat der Schnft b) Christus als die Mitte der Schrift. Wort und Geist c) Altes und Neues Testament. Gesetz und Evangelium d) Die Klarheit der Schrift

204 204 207 209 211

2) Vernunft u n d G l a u b e a) Die Vernunft b) Der Glaube c) Die Aufgabe theologischer Erkenntnis

214 214 218 221

3) D i e G o t t e s a n s c h a u u n g a) Luthers Stellung zum überkommenen Dogma b) Gottes Gottheit c) »Deus absconditus« und »Deus rcvelatus«

223 223 227 232

4) D i e C h r i s t o l o g i e a) Luthers Stellung zum überkommenen Dogma b) Christi Werk c) Luthers Weiterbildung der altkirchlichen Chnstologie

235 235 239 245

5) Spiritus C r e a t o r a) Luthers Stellung zum überkommenen Dogma b) Das Wirken des Hl. Geistes

248 249 252

6) D e r M e n s c h als G e s c h ö p f G o t t e s a) Die Erschaffung der Welt b) Der Mensch in der Welt

256 257 259

7) D i e S ü n d e a) Die Erkenntnis der Sünde b) Das Wesen der Sünde c) Die Erbsünde d) Der Teufel e) Der unfreie Wille

264 264 266 268 270 272

8) D i e R e c h t f e r t i g u n g a) Die theologische Funktion der Rechtfertigungslehre b) Die Zurechnung der »fremden Gerechtigkeit« c) Rechtfertigung und neues Sein d) Glaube und Werke

274 274 277 278 281

Inhalt 9) Gesetz u n d Evangelium a) Die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium b) »Duplex usus legis«/Der zwiefache Brauch des Gesetzes c) Natürliches Gesetz und Mosegesetz d) Der »tertius usus legis«/der »dritte Brauch des Gesetzes«

11 283 284 287 291 293

10) D i e K i r c h e a) Das Wesen der Kirche b) Wahre und falsche Kirche c) Die »notae ecclesiae«

294 295 299 301

11) A m t u n d O r d i n a t i o n a) Der Ansatz von Luthers Amtsverständnis b) Das allgemeine Priestertum c) Das geistliche Amt d) Das Bischofsamt

304 305 308 310 315

12) D i e Taufe a) Der Ansatz von Luthers Tauftheologie b) Einsetzung und Wesen der Taufe c) Die Kindertaufe

316 317 319 321

13) Das A b e n d m a h l a) Einsetzungsworte und Realpräsenz b) Die »unio sacramentalis« sowie »geistliches« und »leibliches« Essen . c) Das Abendmahl als Knstallisaaonspunkt von Christologie und Glaube

324 325 327 331

14) D i e L e h r e v o n d e n zwei R e i c h e n a) Z u m historischen und theologischen Ort der Unterscheidung zwischen zwei Reichen oder zwei Regimenten b) Zur Traditionsgeschichte der Lehre von den zwei Reichen . . . . c) Luthers Neuansatz in seiner Unterscheidung der beiden Reiche und Regimente d) Der Ansatz der Ethik e) Die Unterscheidung zwischen den drei Ständen

333

15) D i e Eschatologie a) Tod und Jüngstes Gericht b) Der Tod im Licht von Gesetz und Evangelium c) Das Ziel der Geschichte

345 345 349 353

16) Exkurs: Luthers H a l t u n g zu d e n J u d e n a) Die Juden im Abendland in der Zeit um 1500 b) Luthers frühe Haltung zu den Juden c) Luthers spätere Haltung zu den Juden

356 357 359 362

Register

334 336 338 340 342

369

I. N a m e n

369

IL Sachen

376

I. Einleitung: Vorerwägungen und Voraussetzungen für eine Darstellung von Luthers Theologie 1) Kriterien für eine Darstellung von Luthers Theologie Lit.: Theodosius HAUNACK, Luthers Theologie mit besonderer Beziehung auf seine Versöhnung;-und Erlösungslehre, 2 Bde., Erlangen 1862-1886, Neudr. München 1927. Julius KÖSTLIN, Luthers Theologie in ihrer geschichtlichen Entwicklung und ihrem inneren Z u sammenhange, 2 Bde., Stuttgart 1863, 2. Aufl. 1901, Neudr. Darmstadt 1968. Reinhold SEEBERC, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 4, 1. Teil: Die Entstehung des protestantischen Lehrbegnffs, (ursprünglich Leipzig 1898), 4. Aufl. Leipzig 1933, Neudr. Darmstadt 1953 u . ö . Karl HOLL, Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 1: Luther, Tübingen 1921, 7. Aufl. 1948. Ench SEEBERC, Luthers Theologie. Motive und Ideen. Bd. 1: Die Gottesanschauung, Göttingen 1929; Bd. 2: Christus. Wirklichkeit und Urbild, Stuttgart 1937. Erich SEEBERC, Luthers Theologie in ihren Grundzügen, Stuttgart 1940, Neudr. 1950. Philip S.WATSON, Let God be God. An Interpretation of the Theology of Martin Luther, London 1947; dt. von Gerhard GLOECE: Um Gottes Gottheit. Eine Einführung in Luthers Theologie, Berlin 1952, 2. Aufl. 1967. Emanuel HIRSCH, Lutherstudien, 2 Bde., Gütersloh 1954. Ernst WOLF, Peregnnatio [I|. Studien zur reformatorischen Theologie und zum Kirchenproblem, München 1954, 2. Aufl. 1962. Gerhard EBELING, Luther, II. T h e o logie, in: R G G 4, 3. Aufl. 1960, 495-520. Paul ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, Gütersloh 1962, 6. Aufl. 1983. Gerhard EBELING, Luther. Einführung in sein Denken, T ü bingen 1964, 4. Aufl. 1982. Lennart PINOMAA, Sieg des Glaubens. Grundlinien der T h e o logie Luthers, bearb. u. hrsg. von Horst BEINTKER, Berlin/Göttingen 1964. Fnednch G o cARTEN, Luthers Theologie, Tübingen 1967. Rudolf HERMANN, Luthers Theologie, hrsg. von Horst BEINTKER, Göttingen 1967 (= Rudolf Hermann, Gesammelte und nachgelassene Werke 1). Hans Joachim IWAND, Luthers Theologie, hrsg. von Johann HAAR, München 1974 (= Hans Joachim Iwand, Nachgelassene Werke 5). Reinhold WEIER, Das Theologieverständnis Martin Luthers, in: KKTS 36, Paderborn 1976. Gerhard EBELING, Lutherstudicn Band II: Disputatio de Homine. 3 Teile, Tübingen 1977-1989. Jaroslav PELIKAN, The Christian Tradition. A History of the Development of Doctrine. Vol. 4: Reformation of Church and Dogma, Chicago 1984. Ulnch ASENDORF, Die Theologie Martin Luthers nach seinen Predigten, Göttingen 1988. Albrecht PETERS, Kommentar zu Luthers Katechismen, hrsg. von Gottfried SEEBASS, 5 Bde., Göttingen 1990-1994. Alistcr E. MCGRATH, Luthcr's Theology of the Cross. Martin Luther's Thcological Breakthrough, Oxford 1990. Karl-Heinz zur MÜHLEN, Art. Martin Luther (1483-1546). II. Theologie, in: T R E 2 1 , 1991, 530-567. Scott HENDRIX, Art. Luthers Theologie, in: EKL, 3. Aufl., 3, 1992, 2 1 1 220.

14

Einleitung

a) Überblick über bisherige Darstellungen der Theologie Luthers Der Versuch, die Theologie eines bedeutenden Menschen der Vergangenheit darzustellen, bedarf einiger Vorerwägungen über die Möglichkeiten und die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens; denn ein solcher Versuch steht leicht in der Gefahr, dem Denken des darzustellenden Theologen eine Systematik beizulegen, die eher derjenigen des Interpreten als derjenigen des zu Interpretierenden entspricht. Daß eine solche Gefahr in der Tat droht, läßt sich allein durch die Beobachtung zeigen, daß die Wiedergaben der Theologie eines Menschen der Vergangenheit nicht selten so erheblich voneinander abweichen, daß man wohl fragen möchte, ob wirklich jeweils derselbe Theologe geschildert worden ist. Man braucht nur einige Darstellungen der Theologie etwa eines Ongenes oder eines Augustin oder eines Thomas von Aquin miteinander zu vergleichen, um sich die Schwierigkeiten und auch die Gefahren eines solchen Unternehmens zu vergegenwärtigen. Was Luther betrifft, so weichen die verschiedenen Darstellungen seiner Theologie zuweilen so erheblich voneinander ab, daß sich hier die Frage geradezu aufdrängt, ob nicht der Interpret gegenüber Luther in einer besonderen Gefahr steht, eine dem Reformator unangemessene Systematik zugrundezulegen und diese ebenso unreflektiert wie unkritisch dem Reformator zuzuschreiben. Gegen eine solche Gefahr ist grundsätzlich niemand gefeit. Es ist freilich notwendig, daß derjenige, der die Theologie eines anderen wiedergeben will, sich dieser Probleme bewußt ist und daß er außerdem die Voraussetzungen, von denen der Darzustellende ausgegangen ist, sowie auch die Voraussetzungen seiner selbst bei der Wiedergabe sich deutlich macht. Ein kurzer Überblick über Voraussetzungen und Ansätze einiger bekannter Wiedergaben von Luthers Theologie kann die Schwierigkeit der Aufgabe und die Gefahr der Verzeichnung von Luthers Theologie belegen. Große Gesamtdarstellungen von Luthers Theologie sind seit der frühen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts vorgelegt worden. Theodosius Harnack war damals der Erste, der einen solchen Versuch unternommen hat. Wenn Harnack bei seiner Darstellung besonders die Versöhnungs- und Erlösungslehre herausarbeiten wollte, so hat er damit ohne Zweifel zu Recht einen Schwerpunkt in Luthers Denken hervorgehoben. Andererseits hat er in seinem konservativen Luthertum, wie er es in seiner baltischen Heimat kennengelernt hatte, dabei indirekt zugleich gegen manche Auflösungstendenzen in der Dogmatik seiner Zeit, wie er sie jedenfalls diagnostizierte, angehen wollen. In dem Vorwort des zweiten Bandes seiner Darstellung hat er sich ausführlich mit der Berufung auf Luther bei Albrecht Ritschi auseinandergesetzt und auf den Wesensunterschied hingewiesen, der jedenfalls nach Harnacks Meinung zwischen Luther und Ritschi besteht. So zeigt schon der erste Versuch einer Gesamtdarstellung, daß die Wiedergabe von Luthers Theologie kaum unabhängig von den theologischen Bewegungen und Auseinandersetzungen, in welche sich der Interpret hineingestellt sieht, vorgenommen werden kann.

Kriterien für eine Darstellung von Luthers Theologie

15

Nicht immer ist der zeitkritische Bezug einer solchen Darstellung so deutlich gegeben wie bei Theodosius Harnack. Gleichwohl ist, wie kein Zweifel sein kann, wohl jede Darstellung der Theologie Luthers zumindest mit einer oft sehr persönlichen Aussageintention des jeweiligen Autors verbunden, so daß manche dieser Darstellungen geradezu eine persönliche Konfession des Autors sind.1 Hierin spricht sich auch die Tatsache aus, daß viele evangelische Theologen ihren eigenen Standpunkt als Christen und als Theologen wesentlich bei der Beschäftigung mit Luthers reformatorischer Theologie gewonnen haben. Infolgedessen kann bei manchem von ihnen nur schwer zwischen dem eigenen Standpunkt und dem Bild von Luthers Theologie unterschieden werden. Auch Reinhold Seeberg kam, wie Harnack, aus dem baltischen Luthertum und war wesentlich durch eine antirationalistische, »positive« Haltung zum reformatonschen Erbe geprägt. Die Sicht der Reformation ist bei ihm eingebettet in das Gesamtbild, das er von der Dogmengeschichte gezeichnet hat. Seeberg hat sich über die dogmen- und religionsgeschichdiche Stellung der Reformation Rechenschaft abgelegt und darauf hingewiesen, daß es sich bei dem Kampf zwischen Luther und R o m letztlich um einen Konflikt zwischen dem germanischen Geist und dem katholischen Romanismus handle; insofern sei die Schwerpunktverlagerung gegenüber der gnechischen und lateinischen alten Kirche, die bereits mit dem germanischen Mittelalter eingesetzt habe, erst mit der Reformation voll zum Abschluß gekommen. In Seebergs Wiedergabe von Luthers Theologie kommt diese Sicht immer wieder zum Vorschein. Auf der anderen Seite hat Seeberg eine Darstellung vorgelegt, die sich eng an den Quellen orientiert und deswegen noch heute ihren Wert hat. Der Beginn der neueren Lutherforschung wird allgemein mit den wichtigen Untersuchungen von Karl Holl zu Beginn des 20. Jahrhunderts datiert. Die Bedeutung der Holischen Lutherforschung und Lutherdeutung besteht zunächst darin, daß Holl bei seinen Untersuchungen als Erster in großem Umfang auf die seit dem späten 19. Jahrhundert nach und nach veröffentlichten frühen Vorlesungen Luthers aus den Jahren seit 1513 zurückgegriffen hat. Besonders die frühe T h e o logie Luthers konnte nunmehr wesentlich intensiver erforscht werden, als das vorher möglich gewesen war. Sodann hat Holl aber mit der Wahl der Themen seiner verschiedenen Aufsätze ganz bewußt zugleich auch immer in bestimmten Tagesauseinandersetzungen des frühen 20. Jahrhunderts Stellung bezogen, und zwar besonders während des Ersten Weltkriegs sowie in den Jahren nach 1918. 2

1 Siehe Ernst BIZER, Neue Darstellungen der Theologie Luthers, in: T h R N F 3 1 , 1965/1966, 316—349; siehe auch Bernhard LOHSE, Zur Struktur von Luthers Theologie. Kriterien einer Darstellung der Theologie Luthers, (1985), in: (B LOHSE) Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, hg. von Leif GRANL, Bernd MOELLER und O t t o Hermann PESCH, Göttingen 1988, 237-249. 2 Siehe Bernhard LOHSE, Martin Luther. Eine Einführung in sein Leben und sein Werk, 2. Aufl. München 1982,234-236.

16

Einleitung

Besonders deutlich ist die Verbindung von Lutherbild und eigener theologischer Position bei den Darstellungen, die von Systematikern wie Paul Althaus, Friedrich Gogarten, Rudolf Hermann oder Hans Joachim Iwand vorgelegt worden sind. Althaus und Gogarten haben ihre Darstellungen noch selbst zum Druck bringen können, während bei Hermann und Iwand die nachgelassenen Manuskripte von Herausgebern in einem gewissen Umfang bearbeitet werden mußten. In dem je verschiedenen Ansatz der Lutherdeutung sowie besonders bei Fragen wie Gesetz und Evangelium, der Zwei-Reiche-Lehre oder der politischen Ethik, aber auch bei der Gewichtung der dogmatischen Tradition für Luther lassen sich bei jedem dieser Deutungsversuche unschwer die Verbindungslinien zur theologischen und politischen Zeitgeschichte ziehen. Bei Gogarten ist der Zusammenhang mit dem Aufbruch der frühen dialektischen Theologie unverkennbar, bei Althaus die Nähe zu seiner Auffassung von der »Uroffenbarung«, bei Hermann die Bemühung um die Klärung systematischer Grundbegriffe und bei Iwand die Gemeinsamkeit mit Barths theologischem Ansatz bei einer doch unterschiedlichen Auffassung von Gesetz und Evangelium. Dabei haben diese Systematiker je in ihrer Weise durchaus zwischen ihrer Sicht Luthers und ihrer eigenen theologischen Position zu unterscheiden gesucht. Auch bei den Kirchenhistonkern ist, wie schon für Karl Holl festgestellt wurde, die Nähe zu der eigenen theologischen Position in ihrer jeweiligen Lutherdeutung unverkennbar. Dies gilt besonders für Emanuel Hirsch und Ernst Wolf, die ihre Lutherforschung beide als Kirchenhistoriker begonnen haben, um dann später wohl nicht zuletzt unter dem Einfluß ihrer Begegnung mit Luthers reformatorischer Theologie — in das Fach der systematischen Theologie überzuwechseln. Das Erstaunliche ist dabei, daß einerseits Hirsch sich für seine letztlich die religiöse Erfahrung angesichts der abgründigen Rätsel des Schicksals betonende Lutherdeutung und daß andererseits Wolfsich für seine die Christusverkündigung in das Zentrum rückende Wiedergabe von Luthers Theologie jeweils auf Luther berufen konnten. Man möchte fragen, wie denn das möglich sei, daß zwei so außerordentlich verschiedene theologische Positionen sich beide in gewisser Weise dem Reformator Martin Luther verdanken können. Dabei muß zugegeben werden, daß Hirsch wie Wolf beide nicht nur als Systematiker, sondern auch als Lutherforscher einen besonderen Rang einnehmen. Gerade diese Tatsache sollte zur Vorsicht mahnen, vorschnell dem Reformator eine Systematik zu unterstellen, ohne sich über die Gründe Rechenschaft abzulegen. Eine eigene Würdigung verdient der Versuch von Reinhold Weier, Luthers Theologieverständnis darzustellen. Weier hat sein Thema nicht systematisch, sondern kirchenhistonsch in Angriff genommen, wobei er zeigen möchte, daß Luther manche wichtigen Aspekte mit der Tradition gemeinsam habe, daß aber Themen wie die Anfechtungen oder auch die theologia crucis von Luther neu behandelt und für das gesamte Theologieverständnis fruchtbar gemacht worden seien. So begrüßenswert ein solcher Versuch an sich ist, Luthers Theologieverständnis zu erörtern, so muß doch gesagt werden, daß der im einzelnen sehr schwierige Ver-

Kriterien für eine Darstellung von Luthers Theologie

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gleich mit älteren wie mit zeitgenössischen Positionen wesentlich ausführlichere Untersuchungen erfordern würde, als sie bei Weier angestellt worden sind. 3 Es scheint, daß auf der einen Seite die Gemeinsamkeit, welche Luther mit der Tradition verbindet, erheblich ist, daß auf der anderen Seite jedoch die kritische Haltung Luthers gegenüber vielen älteren wie auch gegenüber zeitgenösssischen Positionen ebenfalls in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden kann. b) Die Alternative: historisch-genetische oder systematische Darstellung In den bisher vorgelegten Darstellungen ist entweder eine systematische oder eine historisch-genetische Würdigung von Luthers Theologie gegeben worden. Die ganz überwiegende Zahl der Forscher hat sich für die erste Methode entschieden; die zweite ist nur vereinzelt befolgt worden. Was eine systematische Darbietung betrifft, so findet sich eine solche bei T h e o dosius Harnack, Reinhold Seeberg, Erich Seeberg, Philip S. Watson, Paul Althaus, Gerhard Ebeling in seinem Buch »Luther. Einfuhrung in sein Denken«, Lennart Pinomaa, Friedrich Gogarten, Rudolf Hermann, Hans Joachim Iwand, Ulrich Asendorf und Karl-Heinz zur Mühlen. Das Eigenartige ist dabei, daß kein einziger dieser Autoren auch nur den Versuch unternommen hat, die von ihm Luther zugeschriebene Systematik irgendwie zu begründen oder von anderen Wiedergaben der Theologie Luthers kritisch abzugrenzen. Dabei wird mit einer überraschenden Selbstverständlichkeit die jeweils Luther zugeschriebene Systematik als die einzig angemessene statuiert, ohne daß Gründe für die getroffene Entscheidung genannt werden. Andererseits kann schon ein flüchtiger Blick auf die ganz unterschiedlich strukturierte Systematik der verschiedenen Darstellungen zeigen, daß kaum zwei Wiedergaben auch nur in den Grundfragen miteinander übereinstimmen. Die Differenzen bei der Würdigung von Luthers Theologie betreffen nicht nur den jeweiligen Ansatz, sondern auch den Rang und die Einordnung wichtiger theologischer Lehrkomplexe. Einige Fragen, die sich hier stellen, seien genannt. Daß der reformatorische Durchbruch Luthers und demzufolge die reformatorische Rechtfertigungslehre auch bei einer Darstellung von Luthers Theologie im ganzen eine bedeutsame Stelle einnehmen müssen, dürfte unbestritten sein. Soll man jedoch die Rechtfertigungslehre als Ausgangspunkt nehmen und von ihr aus alle anderen Fragen in eine Systematik einfügen, oder handelt es sich bei der Rechtfertigungslehre zwar auch um ein wichtiges Lehrstück, im Grunde aber eher um den entscheidenden Skopus der Heilsfrage, der bei der Behandlung aller theologischen T h e men immer neu in das Zentrum gerückt werden muß? Oder, welchen Rang hat das tnnitarische und das christologische Dogma der alten Kirche für Luther? Daß Luther an den Konzilsentscheidungen der alten Kirche festgehalten hat, steht fest; er hat sie nicht nur in einem formalen Sinne, sondern auch inhaltlich 3

Zu Weiers Buch siehe meine Rezension: ThLZ 103, 1978, 125-127

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voll rezipiert. Daß in den verschiedenen Kontroversen, vor allem in dem R o m Konflikt, Fragen der Trinitätslehre und der Christologie in den Hintergrund getreten sind, ist ebenfalls nicht zu bestreiten. Auf der anderen Seite hat Luther jedoch bei verschiedenen Gelegenheiten die Artikel von der Trinität und der Christologie als grundlegend oder als zentral bezeichnet. Welches Gewicht haben solche Äußerungen für den Versuch, Luther eine bestimmte Systematik zuzuschreiben? Oder, daß Luther seine zahlreichen Schriften, Kritiken, Stellungnahmen und auch Abhandlungen fast ausnahmslos in bestimmten Kontroversen abgefaßt hat, ist nicht zu bezweifeln. Muß jedoch der Versuch einer systematischen Wiedergabe seiner Theologie im ganzen der Thematik dieser Kontroversen folgen, oder muß berücksichtigt werden, daß hinter den jeweiligen Tagesfragen bestimmte Grundentscheidungen stehen, die nicht immer erörtert, wohl aber stets vorausgesetzt werden? Oder noch grundsätzlicher gefragt: welches Gewicht hat die Lehre neben der Verkündigung? Daß für Luther die Frage der Heilsgewißheit und demzufolge die Verkündigung im Mittelpunkt gestanden hat, ist sicher. Darf jedoch darüber das lehrhafte Moment in seiner Theologie außer Acht gelassen werden, das zudem von ihm in bestimmten Situationen nachdrücklich herausgestellt worden ist?4 Historisch-genetische Darstellungen der Theologie Luthers gibt es demgegenüber nur in sehr geringer Zahl. Beachtlich ist auch heute noch die umfangreiche Wiedergabe von Luthers Theologie bei Julius Köstlin, die im ersten Teil Luthers Theologie »in ihrer geschichtlichen Entwicklung« und im zweiten dann »in ihrem inneren Zusammenhange« behandelt. In dem ersten Teil liegt der Schwerpunkt auf dem Konflikt Luthers mit R o m , woraufhin dann noch in einer knappen Übersicht »weitere Fortschritte in Luthers Lehre seit dem Wartburgaufenthalt«, also die innerevangelischen Kontroversen, dargestellt werden. Gerhard Ebeling hat in seinem RGG-Artikel »Luthers Theologie« historisch-genetisch geschildert, ohne daß hier noch der Versuch einer systematischen Gesamtdeutung gemacht worden wäre. Für beide Möglichkeiten, Luthers Theologie zu schildern, sprechen gewichtige Argumente. Die systematische Zusammenschau kann, gerade wo Luther selbst keine Gesamtdarstellung seiner Theologie vorgelegt hat, wie sie etwa von M e lanchthon in den späteren Auflagen seiner »Loci Praecipui Theologici« oder von Calvin in seiner »Institutio Christianae Religionis« gegeben worden ist, die Z u sammengehörigkeit der verschiedenen Lehrstücke und die innere Dynamik von Luthers Theologie herausarbeiten. Freilich muß man sich hier hüten, vorschnell eine Systematik zu konstruieren, die dann Luther einfach unterstellt wird. Die historisch-genetische Darstellung hingegen hat den Vorzug, daß sie Luther viel stärker im Rahmen seiner Zeit und seiner Auseinandersetzungen sieht. Insbesondere dürfte eine solche Wiedergabe besser geeignet sein, den Ansatz von 4 Siehe hierzu besonders Karl Gerhard STECK, Lehre und Kirche bei Luther, in: FGLP 10, XXVII, München 1963.

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Luthers Theologie präzise zu bestimmen. Hier dürfte es freilich nicht genügen, die Entwicklung der verschiedenen Kontroversen und den Wechsel der Streitfragen nachzuzeichnen; vielmehr muß auch hier die Frage nach der systematischen Zusammenschau gestellt werden. Aus diesen Gründen dürfte es sich empfehlen, beide Methoden miteinander zu verbinden. c) Der Versuch einer Verbindung von historisch-genetischer und systematischer Darstellung Wenn hier die historisch-genetische mit der systematischen Methode verbunden wird, dann kommt es bei der ersteren besonders auf die Frühzeit Luthers an, damit die Frühtheologie Luthers sowie der beginnende Streit mit R o m möglichst genau nachgezeichnet werden. Aber auch die weiteren Kontroversen in dem R o m Konflikt, also hauptsächlich in den Jahren von 1517 bis 1521, müssen geschildert werden, weil hierbei einerseits der Dissens zwischen Luther und R o m weiter vertieft wurde, andererseits wichtige Aspekte in der Ekklesiologie oder im Verständnis von Gesetz und Evangelium von Luther näher geklärt und entfaltet wurden. Bevor Luthers frühe Theologie geschildert werden kann, muß freilich einiges über die kirchlich-theologische Situation in der Zeit um 1500 gesagt werden. Dabei müssen nicht nur die für Luther bedeutsamen Traditionen umrissen werden, sondern es muß auch die Veränderung des kirchlichen und theologischen »Klimas« in der Zeit um 1500 umrissen werden. Nicht zuletzt ist es wichtig, daß Luther in einer Zeit Theologe wurde, die durch den Umbruch von der Scholastik zum Humanismus gekennzeichnet ist. Schließlich muß auch Luthers persönlicher Werdegang umrissen werden, damit sein theologischer Ausgangspunkt deudich werden kann. Neben dem Rom-Konflikt müssen aber auch die wichtigsten inner-reformatorischen Auseinandersetzungen geschildert werden, weil diese ebenfalls zu weiterer Klärung und näherer Entfaltung, teilweise auch zu manchen Akzentverschiebungen in Luthers Theologie geführt haben. Diese Klärungen und näheren Entfaltungen betreffen u.a. die Auffassung von Gesetz und Evangelium, die Bestimmung des Verhältnisses von Buchstaben und Geist sowie im Zusammenhang damit das sogenannte reformatorische Schriftprinzip, weiter die Auffassung von der weltlichen Obngkeit und schließlich vor allem die Sakramentslehre überhaupt sowie die Auffassung vom Abendmahl im besonderen. Gewiß kann nach dem heutigen Stand der Forschung wohl in keinem dieser Fälle bei Luther von einem Bruch gesprochen werden, der durch diese Auseinandersetzungen eingetreten wäre. Früher nicht selten unternommene Versuche, zwischen dem »jungen« und dem »alten« Luther 1 einen schroffen Trennungsstrich zu ziehen, wobei freilich die genaue Datierung der Unterscheidung zwischen dem jungen und dem alten Luther ein Problem für sich ist, sind heute allgemein aufgegeben worden. Im ganzen liegt s

Hierzu siehe Bernhard LOHSE, Martin Luther, (wie Anm. 2), 152-154

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vielmehr bei Luther eine höchst beachtliche Konsequenz und Kontinuität der Auffassungen vor. Gleichwohl sind Weiter-Entwicklungen, Präzisierungen, Klärungen und Abgrenzungen in vielen Fällen offenkundig zu beobachten. Zuweilen hat Luther in diesen Kontroversen auch neue Themen angeschnitten, die vorher von ihm j e denfalls nicht ausdrücklich behandelt worden waren. So hat Luther etwa erst in seinem Konflikt mit Erasmus die Unterscheidung zwischen dem »verborgenen« und dem »offenbaren« Gott ausdrücklich getroffen und zugleich näher behandelt. In dem Abendmahlsstreit mit Zwingli hat Luther auch seine Christologie weiter entwickelt, indem er die sogen. Ubiquitätslehre erörterte, d.h. die Auffassung von der Allgegenwart von Jesu Christi erhöhter menschlicher Natur. Oder, in den Auseinandersetzungen mit den sogen. Antinomern hat Luther in den späten dreißiger Jahren des 16. Jahrhunderts manche Aspekte seiner Unterscheidung von Gesetz und Evangelium näher behandelt oder genauer entfaltet. Luther hat demnach seine Theologie in ganz besonderem Maße jeweils in bestimmten Auseinandersetzungen dargelegt. Kaum jemals hat Luther eine Schrift fernab von den Tageskonflikten entwerfen und ausarbeiten können. Luther hat vielmehr die kritische Prüfung von Verkündigung und Lehre als eine entscheidende Aufgabe seiner eigenen theologischen Bemühungen angesehen. Für eine Darstellung von Luthers Theologie im ganzen kann diese Tatsache in ihrer Bedeutung kaum überschätzt werden. In keiner Zeit zuvor hat ein Theologe sich derart kritisch mit anderen Positionen befaßt, wie Luther dies im 16. Jahrhundert getan hat. Daß die Theologie eine kritische Funktion für Lehre und Verkündigung der Kirche hat, ist zum ersten Mal in der Refomiation deutlich geworden. In ihrer Weise hat sich auch die altgläubige Theologie dieser veränderten Situation stellen und sich in den Tageskampf der Meinungen begeben müssen. N u n genügt es aber nicht, Luthers Theologie inmitten der verschiedenen Kontroversen darzustellen; vielmehr muß beachtet werden, daß Luther seine Auffassung stets von einem sehr durchdachten und systematisch reflektierten Standpunkt aus entwickelt hat. Zudem hat Luther, auch wenn er keine Dogmatik vorgelegt hat, etwa in seinem »Großen Katechismus« von 1529 eine Art »Dogmatik im Grundriß« veröffentlicht. Auch in Schriften wie in derjenigen »Von den Konzilns und Kirchen« von 1539 oder in der stark polemisch gehaltenen Schnft »Wider Hans Worst« von 1541 sind wenigstens bestimmte Lehrstücke relativ erschöpfend behandelt worden. Für eine Wiedergabe von Luthers Theologie muß also auch der Versuch einer systematischen Gesamtschau unternommen werden. Dabei kann die Bedeutung, welche die Lehre für Luther hat, kaum überschätzt werden. In seinem »Sermon von dem Sakrament des Leibes und Blutes Christi wider die Schwarmgeister« von 1526 hat Luther die Bedeutung der Lehre geradezu exemplarisch herausgestellt. Hier führt er aus, daß man beim Abendmahl zwei Dinge wissen und predigen solle: zum ersten das, was man glauben solle, nämlich das objectum fidei, d.h. das Werk oder Ding, das man glaubt oder daran man hangen soll; zum anderen den Glauben selbst oder den Brauch, wie man

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nämlich das, was man glaubt, recht brauchen soll. Das erste sei außer dem Herzen und werde uns äußerlich vor Augen gehalten, nämlich das Sakrament, von dem wir glauben, daß im Brot und Wein wahrhaftig Christi Leib und Blut sei. Das andere sei inwendig im Herzen, könne nicht herauskommen und stehe darin, wie sich das Herz gegen das äußere Sakrament halten solle. Luther fährt dann mit den Worten fort: »Nu habe ich bissher von dem ersten stuck nicht viel geprediget, sondern alleine das andere, wilchs auch das beste ist, gehandelt. Weil aber itzt das selbige von vilen angefochten wird und sich die prediger, die auch für die besten gehalten sind, darüber spalten und rotten ...: wil es die zeit foddern, davon auch etwas zu sagen.«6 In diesem Text bestätigt Luther einmal, daß er seine Theologie in der Tat stets in Beziehung und Auseinandersetzung mit den vielfältigen Fragen seiner Zeit entfaltet hat. Zugleich aber macht er hier deutlich, daß man immer auch auf das achten muß, was zwar nicht ausgesprochen, wohl aber vorausgesetzt wird und infolgedessen als Grundlage der kontroverstheologischen Argumentation von erheblichem Gewicht ist. Bei dem Versuch einer systematischen Wiedergabe von Luthers Theologie müssen deshalb auch diese Voraussetzungen bedacht und angemessen gewichtet werden. Diese Feststellung hat, wie es scheint, besondere Bedeutung für das Gewicht, welches dem altkirchlichen Dogma, also der Tnnitätslehre und der Christologie, zukommt. Das altkirchliche Dogma ist im ganzen zwischen Luther und R o m zu keiner Zeit strittig gewesen, auch wenn hier und da die Akzente etwas unterschiedlich gesetzt wurden. Eine systematische Darstellung muß also schon bei der Bemühung, die Struktur von Luthers Theologie deutlich zu machen, unter Umständen Themen und Aspekte stärker herausstellen, als es nach Luthers Schriften auf den ersten Blick als angebracht erscheinen könnte. Zugespitzt formuliert: würde Luther nicht, falls er wie Melanchthon oder Calvin eine Dogmatik verfaßt hätte, in der Frage des Aufbaus und der Anordnung des Stoffes vermutlich ähnlich wie diese vorgegangen sein? Oder gibt es Gründe für die Vermutung, daß Luther einer solchen Dogmatik eine ganz andere Struktur gegeben hätte? Es hat den Anschein, daß eine Dogmatik von Luthers Hand, wenn es sie gäbe, sich nicht in Struktur und Aufbau, wohl aber bei der Behandlung der einzelnen Lehrstücke von anderen Entwürfen unterschieden hätte. Infolgedessen dürfte es angebracht sein, zunächst die Fragen des Schriftverständnisses und der Relation von Vernunft und Glaube und sodann in einer ziemlich »konservativen« Disposition die Hauptstücke der Dogmatik zu erörtern.

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2) Die kirchliche Lage um 1500 Lit.: Bernd MOELLER, Spätmittelalter, in: K1G 2, H, Göttingen 1966. Martin Anton SCHMIDT, Die Zeit der Scholastik, in: HdBDThG 1, hg. von Carl ANDRESEN, Göttingen 1982, 567-754. A . G . W E I L E R , Heinnch von Gorkum (gest. 1431). Seine Stellung in der Philosophie und der Theologie des Spätmittelalters, Hilversum/Einsiedeln/Zünch/Köln 1962. Denis R . J A N Z , Luther on Thomas Aquinas. The Angehe Doctor in the Thought of the Reformer, in: VIEG 140, Stuttgart 1989. Erwin ISERLOH, Gnade und Euchanstie in der philosophischen Theologie des Wilhelm von Ockham. Ihre Bedeutung für die Ursachen der Reformation, in: VIEG 8, Wiesbaden 1956. Wilhelm ERNST, Gott und Mensch am Vorabend der Reformation. Eine Untersuchung zur Moralphilosophie und -theologie bei Gabriel Biel, in: EThSt 28, Leipzig 1972. Heiko A. OBERMAN, Spätscholastik und R e formation. Der Herbst der mittelalterlichen Theologie, Zürich 1965. Euch KLEINEIDAM, Universitas Studn ErfFordensis. Überblick über die Geschichte der Universität Erfurt im Mittelalter 1392-1521, Bd. 1, in: EThSt 14, Leipzig 1964, 2. Aufl. 1985; Bd. 2, in: EThSt 22, Leipzig 1969. AUCUSTINE, the Harvest, and Theology (1300-1650). Essays dedicated to Heiko Augustinus OBERMAN in Honor of his sixtieth birthday, hg. von Kenneth HAGEN, Leiden 1990. GREGOR von Rimini. Werk und Wirkung bis zur Reformation, hg. von Heiko A. OBERMAN, in: Spätmittelalter und Reformation 20, Berlin/New York 1981. Bcmdt HAMM, Frömmigkeitstheologie am Anfang des 16. Jahrhunderts. Studien zu Johannes von Paltz und seinem Umkreis, in: BHTh 65, Tübingen 1982. Markus WRIEDT, Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther, in: VIEG 141, Mainz 1991.

a) Verfall u n d R e f o r m D i e kirchliche Lage u m 1500 w a r in vielfacher Hinsicht eine andere als in d e r Z e i t etwa u m 1450 o d e r u m 1400. D a für j e m a n d e n , der im frühen 16. J a h r h u n dert T h e o l o g e w u r d e , das kirchliche u n d geistige Klima zweifellos v o n g r ö ß e r e m G e w i c h t war, als das i m h o h e n o d e r späten Mittelalter der Fall g e w e s e n war, u n d da nicht w e n i g e T h e o l o g e n in d e r einen oder anderen Weise auf die Zeitfragen e i n g i n g e n , m u ß hier kurz dieser zeitgeschichtliche H i n t e r g r u n d skizziert w e r d e n . D a b e i k a n n zunächst die Frage unberücksichtigt bleiben, o b L u t h e r ü b e r alle R i c h t u n g e n u n d Gestalten, die hier e r w ä h n t w e r d e n , selbst informiert w a r . In etlichen Fällen läßt sich zeigen, 7 daß Luther eigene Kenntnisse hatte. In a n d e r e n Fällen dürfte er d o c h wenigstens manches gehört haben, u m jedenfalls gewisse Kenntnisse zu besitzen. Vergleicht m a n die Z e i t u m 1500 mit derjenigen u m 1400 i m H i n b l i c k auf die allgemeine kirchliche Lage, d a n n fallen m a n c h e gravierenden V e r ä n d e r u n g e n auf, an d e n e n die T h e o l o g i e i m 16. J a h r h u n d e r t nicht v o r ü b e r g e h e n k o n n t e . D a s Papstschisma, das n a c h d e r B e e n d i g u n g des avignonesischen Exils entstanden w a r 7 Siehe vor allem die Registerbande der WA: WA 62 (Ortsregister); WA 63 (Personen- und Z i tatenregister). Die Register zeigen im ganzen, in welch erstaunlichem Umfang Luther über frühere und zeitgenössische Strömungen im Bilde war.

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(1378), war durch das Konstanzer Konzil (1414—1418) endlich überwunden worden (1415). Damit war der schlimmste Schaden der abendländischen Christenheit geheilt worden. Freilich gab es nach wie vor eine Fülle von Mißständen in der abendländischen Kirche, die zwar in den einzelnen Ländern in unterschiedlicher Intensität festzustellen waren, die aber doch als ein Grundschaden der damaligen Christenheit empfunden wurden. Die Gravamina 8 wegen dieser Mißstände waren zuerst in Konstanz 1417 vorgebracht und dann auf dem Baseler Konzil (1431— 1449) erneut vorgetragen worden. In den Jahren danach wurden sie einerseits durch einzelne Theologen und Kirchenfuhrer, aber auch durch Humanisten weiter verbreitet; andererseits wurden sie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auf den deutschen Reichstagen immer wieder verhandelt. Entsprechend der Struktur des deutschen Reiches betrafen die Gravamina der deutschen Nation sowohl kirchliche als auch weltliche Fragen; der hauptsächliche Akzent lag jedoch auf den Beschwerden über kirchliche Mißstände. Die umfangreichste Sammlung solcher Gravamina wurde auf dem Reichstag zu Worms 1521 zusammengestellt und in den Reichstagsabschied aufgenommen, ohne daß die inzwischen anhängige »Luthersache« diese Sammlung von Kritiken und Reformforderungen direkt beeinflußt hätte. In den Jahren nach dem Wormser Reichstag haben die Gravamina, wie sie bis dahin formuliert worden waren, insofern an Bedeutung verloren, als nun die Auseinandersetzung um die inzwischen entstandene reformatorische Bewegung die Reichstage beschäftigte. Bei diesen Verhandlungen haben die früheren Gravamina im ganzen nur insoweit noch Gewicht gehabt, als sie durch die reformatorische Bewegung aufgenommen worden waren. Die Kritik an Mißständen in der Kirche, aber auch im weltlichen Bereich war also im frühen 16. Jahrhundert sehr weit verbreitet und wurde teilweise auch an den Universitäten aufgenommen. Nicht minder wichtig waren die verschiedenen Reformkräfte oder Reformtendenzen, die sich um Abhilfe mühten. Noch immer lebendig war der Konziliarismus, dessen Anfänge weit in das hohe Mittelalter zurückreichten. 9 Der Konziliarismus, der lange Zeit sein theologisches Zentrum an der Universität Paris gehabt hatte, war es gewesen, der entscheidend zur Überwindung des Papstschismas beigetragen, dafür aber auch die Reserve der Päpste gegenüber dem Instrument von Reformkonzilien hervorgerufen hatte. Im frühen 16. Jahrhundert waren vom Konziliarismus freilich keine nennenswerten Impulse zur Kirchenreform mehr zu erwarten; allenfalls gab es bei ihm noch ein gewisses Potential an Kritik und Reformwünschen. 10 Reformkräfte gab es sonst 8 Bruno GEBHARDT, Die Gravamina der deutschen Nation gegen den römischen Hof, 2. Aufl. Breslau 1895, Heinz SCHEIBLE, Die Gravamina, Luther und der Wormser Reichstag 1521, in: Ebernburg-Hefte 5, 1971, 58-74, sowie in: BPfKG 39, 1972, 167-183. 9 Hierzu siehe Brian TlERNEY, Foundations of the Conciliar Theory, Cambridge 1955. Siehe auch die für die Theologiegeschichte wichtige Arbeit von John B. MORFALL, Gerson and the great Schism, Manchester 1960. 10 Remigius BAUMER, Nachwirkungen des konziliaren Gedankens in der Theologie und Kanonistik des frühen 16. Jahrhunderts, in: R G S T 100, Münster 1971.

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hauptsächlich im Humanismus, die sich nicht nur an der Kritik beteiligten, sondern auch für ein erneuertes und vennnerlichtes Christentum eintraten. Doch hatten die humanistischen Kreise nur begrenzte Einflußmöglichkeiten. Am ehesten konnten weltliche Herrscher bestimmte politische und kirchliche Reformmaßnahmen durchsetzen, wie es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts auch in nicht wenigen Fällen geschah. Nur war es so, daß die weltlichen Herrscher bei allem Reformeifer in der Regel doch darauf bedacht waren, ihren Einfluß auf die Kirche auszudehnen. Konkret ging es dabei meist um die Besetzung wichtiger Stellen sowie um die Einkünfte von Bistümern, Stiften und Klöstern. Zusammenfassend muß man sagen, daß der nicht zu bestreitende Verfall wesentlicher Teile der Kirche allgemein im Bewußtsein war und daß es auch an Reformkräften nicht fehlte; aber es war nirgends deutlich, welche dieser Kräfte die Fähigkeit zur Durchsetzung haben würden.

b) Scholastik und Humanismus Das geistige Leben in der Zeit um 1500 zeichnete sich durch eine größere Mannigfaltigkeit aus, als es sie bis dahin jemals gegeben hatte. An den Universitäten hatte seit Jahrhunderten die Scholastik geherrscht. Im 13. Jahrhundert war es zur Bildung der beiden großen philosophisch-theologischen Richtungen der Dominikaner und der Franziskaner gekommen, die auch noch im frühen 16. Jahrhundert vertreten waren. Doch hatten beide Schulen inzwischen mannigfache Wandlungen durchgemacht. Im Thomismus wurden manche Positionen, die Thomas von Aquin einst formuliert hatte, nicht mehr vertreten, da sie entweder aus philosophischen Gründen nicht mehr haltbar zu sein schienen oder mit Rücksicht auf bestimmte, inzwischen aufgekommene Weiterentwicklungen in radikaleren Kreisen wie bei Wyclif mißverständlich zu sein schienen. In der Zeit um 1500 wurde, aufs ganze gesehen, der Thomismus nur an manchen Universitäten vertreten; lediglich eine Minderheit der Theologen folgte ihm. Umso wichtiger war die Franziskaner-Theologie, die vor allem von Wilhelm von Ockham (ca. 1285—1349) weiter entwickelt worden war; sie beherrschte seit dem späteren 14. Jahrhundert das Feld. Es ist nicht zu viel gesagt, wenn man behauptet, daß die Fragen, mit denen man sich in Philosophie und Theologie im ausgehenden Mittelalter befaßte, und weithin auch die Antworten von Ockham bestimmt waren. Den Problemen, die sich aus seiner Unterscheidung zwischen Gottes »potentia absoluta« (seiner absoluten Allmacht) und seiner »potentia ordinata« (seiner in Schöpfung und Erlösung geordneten, d.h. begrenzten Allmacht) sowohl für die Gotteslehre als auch für die Heilsordnung ergaben, konnte niemand ausweichen, selbst wenn man versuchte, eher einer anderen Richtung als der ockhamistischen zu folgen. So ist es kein Wunder, daß auch Thomisten und selbst Augustiner in bestimmten Bereichen von Philosophie und Theologie entweder Ockham folgten oder zumindest auf seine Fragestellungen eingingen.

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Was weiter den Einfluß Augustins im ausgehenden Mittelalter angeht, so war Augustin auch damals, wie schon im frühen und im hohen Mittelalter, bei weitem der bedeutendste und einflußreichste Theologe. Bei Theologen aller Richtungen findet man im Zweifelsfall mehr Zitate von Augustin als von irgendeiner anderen Autorität. Darüber hinaus kann man für das Spätmittelalter in bestimmtem Sinne auch von einer Augustin-Renaissance sprechen, die selbst manche Aspekte der Sünden- und Gnadenlehre betrifft. Theologen wie Gregor von Rimini (ca. 13001358) waren in Fragen der Sünden- und Gnadenlehre Anhänger Augustins, o b wohl Gregor in der Philosophie im ganzen Ockham folgte. Die Spannungen, die sich von daher ergaben, blieben ungelöst; vielleicht wurden sie nicht einmal bemerkt. Auch sonst findet sich im ausgehenden Mittelalter eigentlich nirgends ein reiner Augustinismus, sondern eher eine Verbindung von bestimmten augustinischen Gedankengängen mit anderen, vorwiegend ockhamistischen Anschauungen. Selbst in der Sünden- und Gnadenlehre ergaben sich von Ockhams Gotteslehre aus Folgerungen, die im Grunde mit Augustins Theologie nicht vereinbar waren. Gerade die Theologie von Johannes Paltz (ca. 1445—1511), der bis 1505 in dem Augustinereremitenkloster in Erfurt wirkte und wohl auch noch Luther unterrichtet hat, verrät zwar an einigen Stellen augustinischen Einfluß, ist aber doch durchweg von anderen Gedanken und Interessen bestimmt gewesen. Im ganzen zeigt sich also in der Theologie des ausgehenden Mittelalters eine größere Mannigfaltigkeit als jemals vorher. Es gab zwar gemeinsame Traditionen, die für alle Schulen wichtig waren; im einzelnen waren jedoch die Unterschiede erheblich, auch wenn der überragende Einfluß Ockhams auf Schritt und Tntt zu spüren war. Die Mannigfaltigkeit der philosophischen und theologischen Richtungen wurde nun schon im späten Mittelalter durch das Aufkommen des Humanismus noch größer. Im Verlauf des 15. Jahrhunderts drangen humanistische Tendenzen mehr und mehr über die Alpen nach Mittel- und Nordeuropa vor. Sie finden sich teils in den für den Humanismus typischen kleinen Zirkeln von Freunden und Gesinnungsgenossen, teils aber auch schon an den Universitäten. Dabei ist es wichtig, daß die frühhumanistischen Tendenzen im 15. Jahrhundert weithin zu der vorherrschenden Scholastik noch nicht in Gegensatz traten. Vielmehr gab es anfangs ein schiedlich-friedliches Neben- und Miteinander von Scholastikern und H u manisten, das erst im beginnenden 16. Jahrhundert durch Konfrontationen und Rivalitäten abgelöst wurde: erst jetzt strebten die Humanisten nach einer Universitätsreform, durch welche die bis dahin herrschende Scholastik ersetzt und die Bemühung um die Wiederbelebung des klassischen Lateins durchgesetzt werden sollte. In der Theologie sollten dabei die scholastischen Lehrbücher durch die Lektüre der Kirchenväter und der Bibel abgelöst werden.

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c) Wyclif und Huß Das Bild von dem ausgehenden Mittelalter wird noch bunter, wenn man sich vergegenwärtigt, daß es zwei bedeutende Theologen gegeben hat, die von der Kirche verurteilt waren, deren Widerspruch gegen bestimmte Mißbräuche und Lehren aber im 16. Jahrhundert nach wie vor lebendig war: John Wyclif (ca. 1320-1384) und Johann Huß (ca. 1369-1415); Huß war sogar auf dem Konstanzer Konzil als Häretiker hingerichtet worden. Luther hat sich zwar mit Huß erst näher befaßt, als er selbst im Konflikt mit R o m stand. Gewisse Kenntnisse über ihn dürfte er aber schon früh gehabt haben. In Luthers Erfurter Augustinereremitenkloster war Johannes Zachariae, der als derjenige galt, der auf dem Konstanzer Konzil Huß überwunden hatte, vor dem Altar im Chor beigesetzt; eine große Grabplatte weist noch heute auf diesen »Sieg« hin. Allein diese Tatsache dürfte — neben der Erinnerung an die Hussitenkriege, die gerade in Mittel-Deutschland noch zu Luthers Zeit verbreitet war — das Gedächtnis an Huß und seine Anfragen lebendig erhalten haben. Es ist eine Unterschätzung der Bedeutung von Wyclif und Huß, wenn man in ihnen nur Vertreter ihrer Nationen, also der Engländer und der Böhmen, sieht." Zwar ist es richtig, daß Wyclif wie Huß auch die Interessen ihrer Nationen vertraten; im Kern aber sind beide doch als Reformtheologen oder gar schon als Reformatoren anzusehen, die von einem neuen Schriftverständnis aus gegen bestimmte Mißbräuche und problematische Lehren auftraten und die nicht mehr bereit waren, sich wider besseres Wissen der Autorität der Kirche zu unterwerfen. Das Beachtliche ist dabei, daß die von ihnen ausgelösten Bewegungen weder mit Überredungskunst noch mit Gewalt in die Botmäßigkeit gegenüber R o m zurückgeführt werden konnten. Die Hussiten wurden damit im Abendland das erste Beispiel einer von R o m unabhängigen Kirche, die sich schließlich sogar einer gewissen Duldung erfreute. Wyclif wie Huß hatten zahlreiche Mißstände in der Kirche ihrer Zeit angegriffen: von den Ablässen und der Veräußerlichung der Frömmigkeit bis hin zu der finanziellen Aussaugung ihrer Länder durch R o m und sogar auch bis zu dem weltlichen Machtstreben des Papsttums. Über manche dieser Fragen hatte es schon früher lebhafte Auseinandersetzungen gegeben. Besonders heftig war im deutschen Reich der sogenannte Armutsstreit zwischen Kaiser Ludwig dem Bayern (1314-1347) und Papst Johannes XXII. (1316-1334) gewesen. In diesen Streit hatten insbesondere auch Marsilius von Padua (ca. 1275—1342 oder 1343) und Wilhelm von Ockham eingegriffen. Die von ihnen vorgebrachte Kritik an den Päpsten konnte an Schärfe kaum noch überboten werden. Vorwärtsweisend war auch der von ihnen vertretene Kirchenbegriff, wonach die Kirche die Gesamtheit der Gläubigen ist. Auch die von ihnen vorgetragene antiklerikale Staatsauffassung

11 So Karl August FINK, in: Handbuch der Kirchengeschichte, hg. von Hubert Jedin, Bd. III/2, Freiburg/Basel/Wien 1968, 539-545, der für beide von »nationalen Irrlehren« spricht.

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wies in die Zukunft. Allerdings hatte Ockham solche radikalen Ansichten nur in seinen kirchenpolitischen Streitschnften vertreten, nicht jedoch in seinen philosophischen und theologischen Werken. Infolgedessen wurden im spätmittelalterhchen Ockhamismus diese papst- und kirchenkritischen Ideen kaum behandelt. Was Wyclif und Huß betrifft, so findet sich bei ihnen vor allem eine stärkere Betonung der Hl. Schrift im Vergleich mit der scholastischen Theologie ihrer Zeit. Die Schrift galt ihnen als das »göttliche Gesetz«, dem die Kirche zu folgen hat und an dem sie sich gegebenenfalls auch kritisch messen lassen muß. Damit war im Kern bereits der reformatorische Grundsatz »sola scriptura« aufgestellt und auch kritisch auf die Kirche jener Zeit angewendet worden. Allerdings besteht zwischen Wyclif und Huß einerseits und Luther andererseits hier insofern ein Unterschied, als für sie die Schrift vorwiegend das Gesetz ist, nicht jedoch zugleich das freisprechende Evangelium. Auch bei dem Kirchenbegriff waren Wyclif und H u ß neue Wege gegangen. Von Augustin her erblickten beide in der Kirche letztlich die Zahl der von Gott zum Heil erwählten Menschen; nicht aber verstanden sie die Kirche wesentlich von ihrer Funktion als Heilsmittlerin her. So führte auch diese Ekklesiologie zu ganz anderen Konsequenzen, als es bis dahin innerhalb der abendländischen Christenheit zu beobachten war. Das Hussitentum war im frühen 16. Jahrhundert nach wie vor eine unerledigte, kritische Anfrage an die abendländische Chnstenheit. d) Neue Fragestellungen und Ansätze Neben den kirchlichen und theologischen Entwicklungen im engeren Sinne waren für jemand, der im frühen 16. Jahrhundert lebte und theologisch arbeitete, zahlreiche weitere Richtungen, Gestalten und Ereignisse von Bedeutung, die in mehr oder weniger unmittelbarer Weise auch in die Theologie hineinwirkten. Zunächst müssen neben den Schulbildungen der Scholastik des ausgehenden Mittelalters sowie neben den humanistischen Strömungen und den kirchenkritischen Richtungen auch die zahlreichen Bemühungen um die Frömmigkeit im weitesten Sinne berücksichtigt werden. In der Zeit u m 1500 zählten hierzu etwa der große Einfluß, den noch immer Bernhard von Clairvaux (1090—1153) mit seiner Christusfrömmigkeit und seiner Betonung der Nachfolge ausgeübt hat. Dieser Einfluß ist nicht nur über Bernhards Predigten und andere Schriften erfolgt, sondern mehr noch indirekt durch den Geist Bernhards, der bis hinein in die Darstellungen des leidenden Christus aufzahlreichen Altarbildern reichte. In der Frömmigkeit haben aber auch ganz andere Gestalten gewirkt wie etwa Johannes Paltz, der im ganzen einfach eine massive Manenfrömmigkeit in Verbindung mit einer Propagierung von Mönchtum und Ablaß vertrat — ganz das Gegenstück zu der auf Christus konzentrierten Bernhardschen Spintualität. In der gelebten Frömmigkeit der Klöster, aber auch der Laien-Bruderschaften und der Gemeinden konnte man ebenso sehr eine Konzentration auf den Christus am Kreuz wie eine im Grunde abergläubische Bemühung um gute Werke finden. Auch theologisch

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wurde das eine wie das andere vertreten und begründet. Selbst der noch immer nachhaltige Einfluß Augustins führte kaum je zu einer Kritik abergläubischer Vorstellungen oder Praktiken. Ganz offenbar konnten solche abergläubischen Haltungen ebenso gut mit Gedanken der augustimschen wie der thomistischen oder der franziskanischen Schule verbunden werden, ohne daß man hier irgendeine Spannung empfand. So sehr es Kritik an Mißständen in Kirche und Frömmigkeit gab, so betraf diese doch gleichsam nur die Außenseite, nicht aber den Kern der spätmittelalterlichen Frömmigkeit. Neben solchen Richtungen und Einflüssen in der Frömmigkeit ist aber die Zeit um 1500 durch eine zunehmende Differenzierung des allgemeinen Lebens und auch der geistigen Richtungen charakterisiert. Im 15. und im 16. Jahrhundert lebten und wirkten ganz unterschiedliche Gestalten. Da ist zu nennen etwa N i kolaus von Kues (1401-1464), der sich als Bischof und Kardinal für die Kirchenreform einsetzte, der aber vor allem im philosophisch-theologischen Bereich um die »coincidentia oppositorum« besorgt war, ohne daß Nikolaus in irgendeine der damaligen Schulen eingeordnet werden könnte; oder Niccolö Machiavelli (1469— 1527), der in seinem Werk »il principe« (entstanden 1513) die Bedingungen der Macht untersuchte und sich dabei in seiner Staatstheorie von der christlich-metaphysischen Ethik entfernte, um eine an der Antike orientierte Ethik zu propagieren; oder ein Gelehrter wie Johannes Reuchlin (1455—1522), einer der bedeutendsten Humanisten, der sich vor allem für die Bewahrung der hebräischen Literatur einsetzte und durch sein Buch »De rudunentis hebraicis libn tres« (1506) die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Alten Testament entscheidend förderte; oder ein Humanist wie Agrippa von Nettesheim (1486—1535), der sich gegen die Scholastik ebenso wie gegen Intoleranz und Tyrannei kirchlicher Würdenträger wandte, andererseits aber auch naturphilosophische und okkulte Ansichten propagierte; oder etwa Theophrastus Paracelsus (1493—1541), ein Polyhistor, der vor allem dadurch wirkte, daß er den Menschen als Abbild des Makrokosmos sah und durch seine mystisch-naturphilosophischen Schriften auf manche Gestalten des »linken Flügels« der Reformation und später noch des deutschen Pietismus Einfluß ausübte. 12 Das Bild von der Zeit um 1500 wird noch bunter, wenn man sich vergegenwärtigt, daßjene Epoche durch manche Entdeckungen charakterisiert ist, die man zwar weithin wohl zur Kenntnis nahm, deren Gewicht aber noch auf lange hinaus kaum irgendwo wirklich ermessen wurde. Nikolaus Kopernikus (1473-1543) stellte das ptolemäische, geozentrische Weltbild in Frage. Die Entdeckung Amerikas 1492 wirkte sich zwar in wirtschaftlicher Hinsicht recht schnell aus, wurde aber in ihrer Bedeutung kaum irgendwo wirklich erfaßt.13 12

Siehe hierzu besonders Hans SCHNEIDER, Johann Arndts Studienzeit, m : J G N K G 89, 1991, 1 3 3 -

175. 15 Luther sagt gelegentlich, daß »newlich viel inseln und land funden« sind. Siehe WA 101,1,21,16; 10 III, 139,20; 53,169.

Die theologische Lage um 1500

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Schließlich m u ß auch e r w ä h n t w e r d e n , daß die gesellschaftlichen V o r a u s s e t z u n g e n d e r kirchlichen H i e r a r c h i e in d e r Z e i t u m 1500 e i n e m P r o z e ß nachhaltiger V e r ä n d e r u n g e n unterlagen, weil die Stellung d e r Laien in d e r W e l t sich w a n d e l t e . H a t t e n i m h o h e n Mittelalter Adel u n d Klerus die e n t s c h e i d e n d e n P o s i t i o n e n i n n e g e h a b t , so gab es i m a u s g e h e n d e n Mittelalter studierte, h o c h g e b i l d e t e B ü r g e r , die als Juristen bei weltlichen u n d geistlichen Fürsten oft ü b e r m a ß g e b e n d e n E i n fluß verfügten u n d die Politik ihrer H e r r e n b e s t i m m t e n . Das A u f k o m m e n der Laien besonders i m 15. J a h r h u n d e r t ist eine w e s e n t l i c h e V o r a u s s e t z u n g für die R e f o r m a t i o n gewesen. N o c h war dies theologisch nicht reflektiert o d e r a u c h n u r zur K e n n t n i s g e n o m m e n w o r d e n . D e r Sache n a c h aber k a n n m a n in m a n c h e r Hinsicht bereits für das Spätmittelalter v o n e i n e m praktizierten a l l g e m e i n e n P r i e s t e r t u m der Getauften sprechen.

3) Die theologische Lage um 1500, besonders in Erfurt und Wittenberg Lit.: Z u m Ockhamismus in Erfurt: Helmar JUNCHANS, Ockham im Lichte der neueren Forschung, in: AGTL 21, Berlin/Hamburg 1968. Wilhelm ERNST, Gott und Mensch am Vorabend der Reformation. Eine Untersuchung zur Moralphilosophie und -theologie bei Gabnel Biel, in: EThSt 28, Leipzig 1972. Erich KLEINEIDAM, Umversitas Studii Erffordensis ..., Bd. 1, Leipzig 2. Aufl. 1985; Bd. 2, Leipzig 1969. Wolfgang URBAN, Die >via moderna< an der Universität Erfurt am Vorabend der Reformation, in: GREGOR von Rimini. Werk und Wirkung bis zur Reformation, hg. von Heiko A. OBERMAN, in: Spätmittelalter und Reformation. Texte und Untersuchungen 20, Berlin/ New York 1981, 311-330 (s. dazu die Rezension von Leif GRANE, in: ThLZ 108, 1983, 276-279). Zum Humanismus in Wittenberg und bei Luther: Helmar JUNCHANS, Der Einfluß des Humanismus auf Luthers Entwicklung bis 1518, in: LuJ 37, 1970, 3 7 - 1 0 1 . Maria GROSSMANN, Humanismus in Wittenberg, 1486-1517, in: LuJ 39, 1972, 11-30. Dies., Humamsm in Wittenberg 1485- 1517, in: Bibliotheca humanistica & reformatorica 11, Nicuwkoop 1975. Helmar JUNCHANS, Der junge Luther und die Humanisten, Weimar 1984 (s. dazu Bernd MOELLER, in: ThLZ 111, 1986, 602-604). Zu den für Luther bedeutsamen Traditionen: zu Ockham s.o. - Zu Augustin: Adolf HAMEL, Der junge Luther und Augustin: Ihre Beziehungen in der Rechtfertigungslehrc nach Luthers ersten Vorlesungen 1509-1518 untersucht, 2 Bde., Gütersloh 1934/1935, Neudr. Hildesheim/New York 1980. Bernhard LOHSE, Die Bedeutung Augustins für den jungen Luther, (1965) m (B.LOHSE): Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, hg. von Leif GRANE, Bernd MOELLER und Otto Hermann PESCH, Göttingen 1988, 11-30. Dorothea DEMMER, Lutherus interpres: Der theologische Neuansatz in seiner Römerbnefexegese unter besonderer Berücksichtigung Augustins, in: UKG 4, Witten 1968. Leif GRANE, Modus loquendi theologicus. Luthers Kampf um die Erneuerung der Theologie (1515-1518), in: AThD 12, Leiden 1975. Bernhard LOHSE, Z u m Wittenberger Augustinismus. Augustins Schrift De Spiritu et Littera in der Auslegung bei Staupitz, Luther und Karlstadt, in: AUCUSTINE, the Harvest, and Theology (1300-1650). Essays dedicated to Heiko Augustinus OBERMAN in Honor of his Sixtieth Birthday, ed. by Kenneth

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HAGEN, Leiden 1990, 89-109. VIA AUGUSTINI. Augustine in the later Middle Ages, R e naissance and Reformation. Essays in Honor of Damasus TRAPP, OSA, ed. by Heiko A. OBERMAN and Frank A.JAMES, Leiden 1991. - Z u m Humanismus: s.o. - Zu Staupitz: Ernst W O L F , Staupitz und Luther. Em Beitrag zur Theologie des Johannes von Staupitz und deren Bedeutung für Luthers theologischen Werdegang, in: Q F R G 9, Leipzig 1927 David C. STEINMETZ, Luther and Staupitz. An Essay in the intcllectual Origins of the Protestant Reformation, in: Duke Monographs in Mcdieval and Renaissance Studies 4, Durham, N . C. 1980. Lothar Graf zu DOHNA, Staupitz and Luther: Continuify and Breakthrough at the Bcginning of the Reformation, in: VIA AUGUSTINI. Augustine in the Later Middle Ages, Renaissance and Reformation. Essays in Honor of Damasus TRAPP O.S.A., hg. von Heiko A. OBERMAN und Frank A.JAMES, Leiden 1991, 116-129. Markus WRIEDT, Gnade und Erwählung. Eine Untersuchung zu Johann von Staupitz und Martin Luther, in: VIEG 141, Mainz 1991. - Zur Mystik: Ench VOCELSANC, Luther und die Mystik, in: LuJ 19, 1937, 32-54. Arthur R Ü H L , Der Einfluß der Mystik auf Denken und Entwicklung des jungen Luther, Diss.Theol. Marburg 1960. Heiko A. OBERMAN, Simul gemitus et raptus: Luther und die Mystik, (1967) in (OBERMAN): Die Reformation. Von Wittenberg nach Genf, Göttingen 1986, 45-89 (im Blick auf manche Mißverständnisse, die auf Grund dieses Titels entstanden sind, muß betont werden: die Formel »simul gemitus et raptus« findet sich nicht m den Quellen, sondern stellt eine Begnffsbildung Obermans dar, welche seine These über den Einfluß der Mystik auf Luther zusammenfassen soll). Bengt R. HOFFMAN, Luther and the Mystics. A reexamination of Luther's Spiritual expenence and his rclationship to the Mystics, Minneapohs, M N 1976. Reinhard SCHWARZ, Martin Luther (14831546), in: GROSSE MYSTIKER. Leben und Wirken, hg. von Gerhard RUHBACH und Josef SUDBRACK, München 1984, 185-202. 375-380. - Zu Bernhard von Clairvaux: Erich KLEINEIDAM, Ursprung und Gegenstand der Theologie bei Bernhard von Clairvaux und Martin Luther, in: DIENST der Vermittlung. FS zum 25jährigen Bestehen des philosophischtheologischen Studiums im Priesterseminar Erfurt, in: EThSt 37, Leipzig 1977, 221-247. Theo BELL, Divus Bernhardus. Bernhard von Clairvaux in Martin Luthers Schnften, (holl. 1989), in: VIEG 148, Mainz 1993. Franz POSSET, StBernard's Influence on two Reformers: John von Staupitz and Martin Luther, in: Cistercian Studies 25, 1990, 175-187. Ders., Bernhard von Clairvauxs Sermone zur Wcihnachts-, Fasten- und Osterzeit als Quellen Luthers, in: LuJ 6 1 , 1994, 93-116. Bernhard LOHSE, Luther und Bernhard von Clairvaux, in: BERNHARD von Clairvaux. Rezeption und Wirkung im Mittelalter und in der Neuzeit, hg. von Kaspar ELM, in: Wolfcnbüttcler Mittelalter-Studien 6, Wiesbaden 1994, 271-301.

a) D e r O c k h a m i s m u s in Erfurt Als L u t h e r M ö n c h w u r d e u n d bald danach T h e o l o g i e studierte, sah er sich nicht n u r einer vielschichtigen kirchlichen Situation g e g e n ü b e r , s o n d e r n w a r auch in philosophisch-theologischer H i n s i c h t keineswegs lediglich d e m Einfluß einer e i n zigen R i c h t u n g ausgesetzt. Das G e w i c h t , w e l c h e s diese verschiedenen R i c h t u n gen für L u t h e r h a t t e n , w a r freilich recht unterschiedlich. A n der Universität Erfurt u n d a u c h in d e m d o r t i g e n A u g u s t i n e r - E r e m i t e n k l o ster, in w e l c h e s L u t h e r 1505 eintrat, herrschte in philosophischer u n d t h e o l o g i scher H i n s i c h t d e r O c k h a m i s m u s vor. Freilich weist der Erfurter O c k h a m i s m u s b e s t i m m t e B e s o n d e r h e i t e n auf, die sorgfältig b e a c h t e t w e r d e n müssen.

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Was zunächst Ockham selbst betrifft, so wird von ihm noch immer ein ganz unterschiedliches Bild gezeichnet. Wilhelm von Ockham gilt als der Begründer der »via moderna«. In der wichtigen Frage der Beziehung zwischen Philosophie und Theologie hat Ockham die verschiedenen Erkenntnisbereiche auf das schärfste voneinander unterschieden. Die ausgewogene Synthese, um die sich einst T h o mas von Aquin (1225-1274) bemüht hatte, war inzwischen schon durch Duns Scotus (ca. 1265—1308) einer scharfen Kritik unterzogen worden. Gegen Ockham ist bereits im ausgehenden Mittelalter und teilweise auch in der modernen Forschung der Vorwurf erhoben worden, er vertrete eine »doppelte Wahrheit«: was in der Philosophie als wahr gelte, brauche nicht auch in der Theologie wahr zu sein, und umgekehrt. Auch ist ihm häufig ein erkenntnistheoretischer Skeptizismus vorgehalten worden. Tatsächlich hat Ockham jedoch wohl nur das aristotelische Wissenschaftsprinzip kritischer angewandt als Frühere und zwischen der Philosophie, die auf Grund von Axiomen und Beweisen evidente Erkenntnisse gewinnen kann, und der Theologie, die sich auf Offenbarung beruft und insofern nur durch die Autorität der Schrift und der Kirche zu Aussagen kommen kann, unterschieden. Immerhin führt seine Ablehnung des Realismus und seine Bevorzugung des Nominalismus zu der Auflassung, daß die Allgemeinbegriffe lediglich »termini« sind und außerhalb des menschlichen Geistes nicht existieren. Für Ockham ist es unmöglich, daß die Vernunft Übersinnliches erkennen kann. Die Folge dieser Auffassung war, daß sich die philosophische Bemühung stärker dem Einzelding zuwandte. Da theologische Aussagen für Ockham nicht beweisbar sind, können kirchliche Entscheidungen als »willkürlich« bezeichnet werden. Die gewisse Hinwendung zur Hl. Schrift führte bei Ockham jedoch im ganzen nicht zu einer kritischen Entgegensetzung von Schrift und Kirchenlehre. Allerdings ist die gegenüber der Hochscholastik stärkere Berücksichtigung der Hl. Schrift im Blick auf Luther von erheblicher Bedeutung. Nicht minder wichtig ist, daß gerade w e gen der erkenntnistheoretischen Skepsis auch die Erfahrung an Gewicht gewann. Dafür traten die spekulativen Züge der Hochscholastik im ausgehenden Mittelalter ganz zurück. In der Gotteslehre hat Ockham vor allem durch seine Bestimmung des Unterschiedes zwischen Gottes »absoluter Macht« und seiner »geordneten Macht« Bedeutung gewonnen. 14 Diese Unterscheidung sollte keineswegs einer Spaltung der göttlichen Allmacht dienen; vielmehr wollte Ockham bei der einen Macht Gottes unterscheiden zwischen dem, was Gott in absoluter Weise tun kann und tut, und dem, was Gott in der von ihm selbst gestifteten Begrenzung in Schöpfung und Erlösung tun kann und tut.' 3 Im Ergebnis konnte freilich diese Distinktion zu einer gewissen »Zweigleisigkeit« führen, indem theologische Probleme einmal im Rahmen der »potentia Dei absoluta«, sodann im Rahmen der »potentia Dei or14 Siehe Klaus BANNACH, Die Lehre von der doppelten Macht Gottes bei Wilhelm von Ockham Problemgeschichtliche Voraussetzungen und Bedeutung, in: VIEG 75, Wiesbaden 1975. " Siehe H.JUNCHANS, Ockham im Lichte der neueren Forschung ..., 1968, 233-243.

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dinata« reflektiert wurden; die dabei erreichten Ergebnisse standen oft genug in erheblicher Spannung zueinander. Nicht anders verhält es sich in der Sünden- und Gnadenlehre Ockhams. Auch hier läßt sich bei Ockham eine gewisse Zweigleisigkeit beobachten, die auf bestimmte Aspekte der Gotteslehre Ockhams zurückgeht. In Ockhams Gotteslehre und in seiner Auffassung sowohl von der Sünde als auch von der Gnade spielt der Begriff der »acceptatio divina«, der göttlichen Annahme oder des göttlichen Geltenlassens, eine besondere Rolle. Ockham betrachtet die Erbsünde weniger unter dem Gesichtspunkt der Schwere der Verfehlung der ersten Menschen, wie es einst besonders Anselm von Canterbury (1033-1109) getan hatte, als vielmehr von der Erwägung aus, daß Gott die Verfehlung der ersten Menschen allen folgenden Menschengeschlechtern gleichsam zugerechnet hat: Gott wollte, daß die Menschen wegen jener ersten Verfehlung von ihm nicht akzeptiert werden. Insofern kann das Wesen der Erbsünde als die »non-acceptatio divina« bezeichnet werden. Hatte die ältere Scholastik die Erbsünde als den »Mangel an Urstandsgerechtigkeit« (»carentia mstitiae onginalis«) verstanden, so wird diese Auffassung von Ockham zwar nicht eigentlich abgelehnt, im Grunde jedoch nicht geteilt. Was die einzelnen Sünden betrifft, so werden sie von Ockham als Willensakte verstanden, die den Menschen nach der göttlichen Ordnung schuldig machen und ihn deshalb der kommenden Strafe unterstellen. Die Sünde hat dabei jedoch keine Realität; sie ist vielmehr ein Begriff. Der Sündenbegriff Ockhams hat gegenüber früheren Auffassungen den Vorteil, daß die Erbsünde nicht im biologischen Sinne als vererbt angesehen wird, sondern daß ein von dem Menschen nicht zu enträtselnder göttlicher Wülensentscheid hinter dem Sünden- und Schuldverhängnis der Menschen steht. Allerdings hat Ockham dafür in Kauf nehmen müssen, daß inhaltlich das Wesen der Sünde in der Schwebe bleibt. Diese Fassung der Erbsünden- und Sündenlehre hat nun die wichtige Konsequenz, daß Ockham die Meinung vertritt, der Mensch sei auf Grund seiner natürlichen Kräfte an sich in der Lage, die Gebote Gottes zu erfüllen. Wenn faktisch der natürliche Mensch den geforderten Gehorsam doch nicht leistet, dann hat das seine Ursache dann, daß Gott die Werke des natürlichen Menschen nicht akzeptiert. Für die Lehre von der Gnade ergibt sich ferner, daß die Gnade wesentlich dann besteht, daß Gott den Menschen akzeptiert. Maßgebend ist also nicht ein besonderer »habitus« (Beschaffenheit) des Menschen, wie Thomas und andere Hochscholastiker gelehrt hatten, sondern die götdiche Willensentscheidung zugunsten des Menschen. Die Gefahr ist dabei freilich gegeben, daß diese göttliche Willensentscheidung als willkürlich erscheinen kann. N u n ist freilich diese Auffassung Ockhams schon im späten Mittelalter teilweise gemildert worden. Besonders Gabriel Biel (ca. 1410-1495), der bedeutende T ü binger Theologieprofessor, hat zwar Ockhams Auffassungen aufgenommen, sie jedoch mit traditionellen Ansichten verbunden. So hat Biel gerade bei der Lehre von der Erbsünde und von der Sünde die alte Auffassung von der Bedeutung der Begierde bei der Weitergabe der Erbsünde mit Ockhams Gedanken verbunden.

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In Erfurt ist in dieser Frage wie auch bei anderen wichtigen Lehrstücken im ganzen nicht der »echte«, sondern der durch Biels Interpretation der Tradition angenäherte Ockham gelehrt worden. Immerhin gab es auch noch bei diesem durch Biel gemilderten Ockham selbst in der Universität Erfurt genügend Punkte, wo die gefährliche Sprengkraft der ockhamistischen Theologie wirksam werden konnte. Ist demnach schon in der Theologie im engeren Sinne in Erfurt nur ein gemäßigter Ockhamismus gelehrt worden, so gilt Entsprechendes erst recht für Ockhams kirchenpolitische Auffassungen: sie dürften in Erfurt weithin nicht einmal bekannt gewesen sein.16 Ockham war nämlich nicht nur der wohl bedeutendste systematische Theologe des späten Mittelalters, sondern darüber hinaus auch ein kirchenpohtischer Schriftsteller von hohem Rang. 1 7 Bei weitem am wichtigsten ist hier Ockhams Schrift »Dialogus inter magistrum et discipulum de imperatorum et pontificum potestate«, mit der Ockham im Armutsstreit für Kaiser Ludwig den Bayern und gegen Papst Johannes XXII. Stellung nahm. Ockham hat hier, wie auch in manchen anderen Schriften, schärfste Kritik am Amtsmißbrauch des Papstes geübt, hat den Papst für häretisch erklärt und insbesondere auch die Eigenständigkeit der kaiserlichen Autorität gegenüber derjenigen des Papstes verteidigt. In Erfurt sind freilich im frühen 16. Jahrhundert diese kirchenpolitischen Ansichten Ockhams anscheinend nicht aufgenommen worden. Luther hat auf Ockhams Papstkritik weder in seiner Frühzeit noch auch bei seiner Auseinandersetzung mit R o m Bezug genommen. 18 Dabei hätte Luther, wären ihm diese Äußerungen Ockhams bekannt gewesen, sich wohl kaum einen Hinweis auf Ockhams Papstkritik entgehen lassen. Diese Feststellung schließt freilich nicht aus, daß Ockhams Theologie für den jungen Luther in einer Reihe wichtiger Punkte von erheblichem Gewicht war. b) Der Humanismus in Erfurt und in Wittenberg Bis etwa 1970 wurde in der Lutherforschung überwiegend die Ansicht vertreten, daß der Humanismus für Luthers geistigen Werdegang ohne eigentliche Bedeutung gewesen sei. Luther unterscheide sich gerade darin von anderen Reformatoren wie Zwingli oder Bucer, daß er nicht nennenswert vom Humanismus geprägt worden sei. Diese Ansicht kann heute so nicht mehr vertreten werden, da sowohl für die Universität Erfurt als auch für die Universität Wittenberg eine eigene humanistische Bewegung in der Zeit vor Luther nachgewiesen ist.' 9 Wich-

16

Siehe hierzu E. KLEINEIDAM, Universitas Studii ErfFordensis, Bd. 2, 1969, passim. Siehe hierzu Wilhelm KÖLMEL, Wilhelm Ockham und seine kirchenpohtischen Schriften, Essen 1962. JUNCHANS, op c i t , 256-279, befaßt sich mit der Frage, ob man bei Ockham von seinen papstkritischen Äußerungen auf eine grundsätzliche, antipäpstliche Einstellung schließen könne. 18 Siehe W A 63 (Personen- und Zitatenregistcr), 456. " Siehe außer E KLEINEIDAM, Universitas Studii ErfTordensis, Bd. 2, 1969, vor allem die Arbeiten 17

von JUNCHANS.

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tig ist dabei, daß bis in die Zeit um 1500 kein eigentlicher Gegensatz zwischen der Spätscholastik und dem Humanismus vorhanden war. Humanistische Tendenzen gab es in Erfurt seit der Mitte des 15. Jahrhunderts. Sie wurden nicht nur durch humanistische Wanderpoeten, sondern auch durch Universitätslehrer getragen. Die Zeit des friedlichen Miteinander von Spätscholastik und Frühhumanismus ging in Erfurt zu Ende, als Nikolaus Marschalk im Jahre 1500 mit der Edition der Schrift »De Arte Grammatica Liber« des Martianus Minius Felix Capella die Scholastik angriff.20 Im Jahre 1502 wechselte Marschalk an die damals neugegründete Universität Wittenberg und trat seither auch dort für den Humanismus sowie gegen die Scholastik auf. In Erfurt setzten andere seine Bemühungen fort. Interessant ist dabei, daß von den Befürwortern des Humanismus nicht nur das Studium der antiken Schriftsteller propagiert, sondern auch manche Mißstände wie das ungeistliche Leben der Mönche und der Reliquienkult angegriffen wurden. Humanistische Bestrebungen lassen sich auch bei einigen von Luthers philosophischen und theologischen Lehrern wie Jodokus Trutfetter und Bartholomäus Arnoldi aus Usingen feststellen: Trutfetter befürwortete ein friedliches Nebeneinander von Scholastik und Humanismus, während Usingen zeitweilig ganz zum Humanismus überging, um nach Beginn von Luthers Romkonflikt freilich wieder vorsichtiger zu werden. Von beträchtlichem Einfluß auf den Erfurter Humanismus war in den ersten Jahren des 16. Jahrhunderts Konrad Mutianus Rufus. In den Jahren nach 1511 begann die eigentliche Blütezeit des Erfurter Humanismus. Nunmehr wurde Erasmus zum Vorbild der humanistischen Bestrebungen. Damals weilte Luther freilich bereits in Wittenberg. Verglichen mit Erfurt, sind die humanistischen Tendenzen in Wittenberg weniger umfangreich und intensiv. 21 Unter den Wittenberger Universitätslehrern, die den Humanismus propagierten, war anfangs Marschalk wohl der bedeutendste; Marschalk verließ Wittenberg jedoch bereits 1505. Bedeutsam war ferner Martin Pollich aus Mellerstedt, der erste Rektor der Universität Wittenberg, aber auch Johannes von Staupitz (ca. 1465—1524). Staupitz hat zwar manches zur Förderung humanistischer Bestrebungen getan, ist dabei allerdings literarisch nicht hervorgetreten. Die Satzungen der Universität vom 1. Oktober 1508, die aus der Feder von Christoph Scheurl stammten, weisen manche humanistischen Redewendungen auf. Die Theologische Fakultät hatte den »divus Paulus« als Schutzpatron. In den Satzungen dieser Fakultät wurde Augustin zudem als »gymnasii nostri tutelans deus« bezeichnet. Allerdings darf diese Berufung auf Paulus und Augustin nicht darüber hinwegtäuschen, daß damit noch keineswegs ein Hinweis auf die bald auftretenden reformatorischen Tendenzen, die mit Luthers Wirken 1513 einsetzten, gegeben war. Im Wittenberger Humanismus fehlte auch Kritik an manchen Frömmigkeitsformen nicht. 20 21

Siehe H. JUNCHANS, Der junge Luther und die Humanisten, 1984, 31-49. Siehe H JUNGHANS, o p . c i t , 56-62

Die theologische Lage um 1500

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Welche Bedeutung haben nun diese humanistischen Tendenzen im Blick auf die reformatorische Theologie Luthers? Zunächst sind sie insofern wichtig, als in Erfurt wie in Wittenberg die Scholastik nicht mehr unangefochten vorherrschte, sondern daneben die damals neue Bewegung des Humanismus anwuchs und nach 1500 die Scholastik angnff. Sodann sind durch die humanistischen Kreise die Studien der alten Sprachen gefördert worden; damit wurden die Voraussetzungen für eine vertiefte Bemühung um den Sinn des biblischen Textes geschaffen. Schließlich sind bereits durch den Humanismus Paulus und Augustin als besondere Automaten herausgestellt worden, auch wenn dabei noch nicht reformatonsche Gesichtspunkte von Bedeutung waren. Die Tatsache, daß Luther in Erfurt wie in Wittenberg mit humanistischen Kräften in Berührung kam, hat also Erhebliches zur Auflockerung der geistigen Situation beigetragen. c) Die für Luther bedeutsamen Traditionen Die Frage, welche Traditionen für Luther in seinen Erfurter Jahren sowie in der ersten Zeit in Wittenberg von Einfluß waren, kann heute im ganzen recht präzise beantwortet werden. Allerdings ist im einzelnen das Gewicht, welches diese Traditionen für Luther gehabt haben, umstritten. An erster Stelle ist zweifellos der Erfurter Ockhamismus zu nennen. Trutfetter hat Ockham als den bedeutendsten neueren Philosophen bezeichnet. 22 Luther hat sich diese Ansicht seines Lehrers zu eigen gemacht und sie auch noch in der Zeit seines Streites mit R o m vertreten. 23 Wichtig war für Luther der Ockhamismus mit Sicherheit in den Fragen der Erkenntnistheorie, des aristotelischen Weltbildes, des Verhältnisses von Philosophie und Theologie, aber auch in bestimmten theologischen Bereichen wie etwa der Christologie in Verbindung mit der Abendmahlslehre 24 und nicht zuletzt in der Sünden- und Gnadenlehre. Manche Forscher werfen Ockham vor, mit seinen scharfen Distinktionen im Grunde eine Zersetzung der Theologie herbeigeführt zu haben. 23 Die Mehrzahl der Forscher lehnt jedoch heute eine solche Deutung Ockhams ab. Es kann freilich kaum bestritten werden, daß Luther von Ockham her eine ebenso scharfe wie kritische Schule des Geistes erhalten hat.

22

Gustav PLITT, Jodokus Trutfetter von Eisenach der Lehrer Luthers, Erlangen 1876, 29. WA 6,183,3f. »Nonne Vuilhelmus Occam, Scholasticorum doctorum sine dubio prineeps et ingeniosissimus ...?« 24 Die Bedeutung Ockhams für Luthers Chnstologie und Abendmahlslehre ergibt sich aus Luthers RtickgrifTauf ockhamistische Argumentationen im Abendmahlsstreit mit Zwingh. Siehe W A 26,335— 338. Siehe u. 245. 25 So insbesondere Joseph LORTZ, Die Reformation in Deutschland, Freiburg 1. Aufl. 1939/1940, 6. Aufl. 1982. Siehe etwa Bd. 1, 172-174. S. 173: das »System des Ockhamismus ist wurzelhaft unkathohsch«; S. 174: »Dieser Ockhamismus war, von der hochmittclalterlichen Schule her gesehen, kein >SystemBarmherzig< wegen der rechtfertigenden Gnade, >erbannend< wegen der erlassenen Schuld.« Für diese In53

WA 3,175,8 «... in fide Christi remittuntur peccata ...« WA 3,175,9-11. 55 WA 3,174,21-23 (Sch.Ps.31,1) »Faciunt autem Heretici idem, quod i 11 i pharisei: quia licet credant, quod per solum Christum peccata auferantur, et in eum credant: tamen quia non habent eum vere, eo quod sustineant consilium eius, ideo manent in peccatis.« " WA 4,336,29-31 (Sch.Ps. 118,65) »Igitur Chnsti adventus est bonitas nostra: quia penas, que sunt mala nostra, abstulit a conscientia primum, deinde etiam auferet a corpore, et sie perfecte ent bonitas nostra.« cf. WA 3,478,4-6 (Sch.Ps.72,1). 54

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Luthers Theologie in ihrer histonschen Entwicklung

terpretation beruft Luther sich wieder auf Paulus, nämlich auf Römer 4 Vers 25 (»Jesus Christus, welcher ist um unserer Sünden willen dahingegeben und um unserer Gerechtigkeit willen auferweckt«).57 In der Scholastik hatte man darüber gestritten, ob die Sündenvergebung der Rechtfertigung vorangehe oder wie sich beide zueinander verhalten. Zu dieser Frage äußert Luther sich in der ersten Psalmenvorlesung nicht. Vielmehr setzt er auch hier in sachlichem Anschluß an Paulus die unlösliche Zusammengehörigkeit von Sündenvergebung und Rechtfertigung voraus. Bei der Auslegung von Psalm 25 Vers 11 sagt er: »Nimm das Böse fort und schenke Gutes, nimm die Sünden fort und gib Gnade, das heißt geformt< (formatum), welches den Eindruck erwecken soll, der Mensch (animam) sei vor und nach dem Geschenk der Liebe derselbe und könne allein dadurch, daß eine >Form< in der Handlung hinzukommt, [Gutes] wirken, wo der Mensch doch vielmehr sterben und ein anderer werden muß, ehe er die Liebe >anzieht< und [Gutes] wirken kann.« Insgesamt setzt Luther sich von der ockhamistischen Sündenauffassung 120 scharf ab, insbesondere von der Ansicht, daß der Mensch mit seinen natürlichen Kräften die Gebote Gottes erfüllen könne. Dagegen Luther: »Deshalb ist es reiner Wahnsinn, wenn man behauptet, der Mensch könne aus eigenen Kräften Gott über alle Dinge lieben und die gebotenen Werke tun, >ihrem Inhalt nach, nicht aber nach der Meinung des Gesetzgeber, weil er sie nicht im Stande der Gnade tue. O [ihr] Toren, o Sawtheologen!«121 Luthers eigene Gedanken über die Sünde weisen in eine andere Richtung. Grundsätzlich muß dabei bedacht werden, daß Luther bei seinen Darlegungen über die Sünde zwar natürlich auch bestimmte, einzelne Sünden im Blick hat; im ganzen will Luther jedoch vor allem dartun, daß der Mensch nicht nur Sünden begeht, sondern selbst Sünder ist. Die Sünde ist also nicht nur ein Mangel oder ein Fehler oder eine Schwäche. Sie hat ihren Sitz vielmehr im Herzen des Menschen; sie verkehrt seine schöpfungsmäßige Beschaffenheit von Grund auf. Von daher kann Luther von der Sünde als der »radikalen Sünde« sprechen. Damit meint er die Sünde, die wie eine Wurzel (radix) alles prägt, was aus ihr hervorwächst: was mit der Konkupiszenz gemeint ist, ist also im Grunde das »peccatum radicale«. Dabei setzt Luther dieses »peccatum radicale« sogar mit der Begierlichkeit (»consupiscentia ad malum«) gleich, was für die mittelalterliche Scholastik nicht nachvollziehbar gewesen wäre. 122 In ähnlicher Weise hat Luther auch später noch neue Begriffe für das Wesen der Sünde gebildet. Vor allem aber hat Luther auch inhaltlich das Wesen der Sünde näher bestimmt und dabei die scholastischen Distinktionen hinter sich gelassen. Sünde ist ihrem Wesen nach der Versuch, die eigene Gerechtigkeit vor Gott aufzurichten. Eine andere, ebenfalls gegenüber der Tradition neue Bestimmung der Sünde besteht dann, daß Luther von dem »in sich selbst verkrümmten Menschen« spricht: »Unsere Natur ist durch die Schuld der ersten Sünde so tief auf sich selbst hin

" ' WA 56,337,18-21 (Sch.Röm. 7,6). Im Kolleg hat Luther sich wesendich vorsichtiger gegenüber den Scholastikern ausgedrückt: WA 57 1,183,1-3. 120 Siehe oben 32. 121 WA 56,274,11-14 (Sch.Röm. 4,7). Die »Sautheologen« finden sich wiederum nicht im Diktat; cf. WA 57 1,163-166. 122 WA 56,277,5-13 (Sch.Röm. 4,7).

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Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung

verkrümmt, daß sie nicht nur die besten Gaben Gottes an sich reißt und genießt (wie man es an den Selbstgerechten und den Heuchlern sieht), ja auch Gott selbst dazu gebraucht, jene Gaben zu erlangen, sondern das auch nicht einmal merkt, daß sie gotrwidrig, verkrümmt und verkehrt alles, ja sogar Gott selbst..., nur um ihrer selbst willen sucht.« 123 Näher bestimmt Luther diese »curvitas« bei der Auslegung von R ö m e r 8 Vers 3: »Wenn man sagt, die menschliche Natur kenne und wolle im ganzen das Gute, sie irre jedoch im Einzelfall, so müßte man besser sagen, daß sie im Einzelfall das Gute kennt und will, daß sie es aber im ganzen nicht kennt und nicht will. Der Grund ist dieser: sie kennt nur ihr eigenes Gute, d.h. was für sie gut und ehrenhaft und nützlich ist, nicht aber, was für Gott und die anderen gut ist. Deshalb kennt und will sie das Gute im Besonderen, für sich allein. Das stimmt mit der Schrift überein (cf. Jesaja 2,9—22), die den Menschen als so sehr in sich selbst verkrümmt beschreibt, daß er nicht nur die leiblichen, sondern auch die geistlichen Dinge auf sich selbst hin wendet und in allem sich selbst sucht.« 124 Weiter setzt Luther die Ursünde mit dem »fomes peccati« (Zündstoff der Sünde) gleich: »Jene Ursünde ist nichts anderes als der >ZunderTut Buße« [Mt. 4,17], wollte er, daß das ganze Leben der Gläubigen [nichts als] Buße sei« (These 1). Aber schon die zweite These zeigt, daß es zumindest eine Spannung zwischen dieser vom Neuen Testament geprägten Bußauffassung und dem kirchlichen Bußsakrament gibt: »Dieses Wort kann nicht von der sakramentalen Buße (d. h. von Beichte und Genugtuungsleistung, die von dem Amt der Priester verwaltet wird,) verstanden werden.« Luther weist also auf die Spannung zwischen dem schriftgemäßen Bußverständnis und dem kirchlichen Bußsakrament hin. Diese Spannung ist auch für die Frage des Ablasses von Bedeutung. Vom Neuen Testament her ergibt sich für Luther, daß Buße und Glaube geradezu Synonyma sind: ein Glaube, der nicht auch die Buße einschließt, ignoriert die Radikalität des Sünderseins; eine Buße, die nicht mit dem Glauben untrennbar verbunden ist, wird zur »Leistung« und führt damit zur »Werkgerechtigkeit«. Auch bei der Vergebung sowohl der Schuld als auch der Strafe zeigt sich eine ähnliche Spannung zwischen Luthers Gedanken, die sich auf das Neue Testament stützen, und der damaligen kirchlichen Praxis. Die Thesen 5 bis 7 lauten: »(5) Der Papst will und kann keine anderen Strafen erlassen außer denen, die er entweder nach seiner eigenen oder nach der kanonischen Bestimmung auferlegt hat. (6) Der Papst kann keine Schuld anders erlassen als durch die [nachträgliche] Erklärung und Bestätigung, daß sie von Gott [bereits] erlassen ist; außerdem kann er gewiß Fälle, die ihm vorbehalten sind, erlassen; würde dies verachtet, so würde die Schuld unvergeben bleiben. (7) Gott vergibt überhaupt niemandem die Schuld, ohne ihn zugleich in allem dem Priester als seinem Stellvertreter zu unterwerfen.« Diese Sätze zeigen freilich auch, daß Luther bestrebt war, die kirchlichen Einrichtungen und Regelungen nicht in Frage zu stellen. Aber die Ansicht, daß der Papst nur die von ihm selbst verhängten Strafen erlassen könne, stand in Widerspruch mindestens zu der Praxis des Ablasses für Fegefeuerstrafen sowie für Verstorbene. Auch wenn die Ablaßlehre damals offiziell noch nicht definiert war, konnte kein Zweifel sein, daß Luther sich gegen eine seit etwa 300 Jahren geübte und auch von Päpsten in zahlreichen Ablaßbullen vorausgesetzte kirchliche Sitte wandte. Luther war damals noch nicht so weit, daß er den Ablaß vollkommen verwarf. Allerdings bestritt er, daß der Ablaß sich auch auf die Fegefeuerstrafen erstrecke, weiter lehnte er auch die Rechtmäßigkeit des »Ablasses von Schuld und Strafe« und schließlich den Ablaß für Verstorbene ab. Lediglich den Ablaß für zeitliche Kirchenstrafen konnte er noch anerkennen. Freilich wies Luther daraufhin, daß derjenige, der es mit dem Bußsakrament ernst meint, niemals eine Ermäßigung der ihm auferlegten Strafen suchen wird. Umgekehrt gilt: »Jeder Christ, der wahrhaft Reue empfindet, hat [bereits jetzt] völlige Vergebung von Strafe und Schuld, die ihm auch ohne Ablaßbriefe gebührt« (These 36). Damit war indirekt das gesamte Ablaßinstitut in Frage gestellt.

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Besonders wichtig sind zwei Thesen, welche die Akzente gegenüber der damals verbreiteten Auffassung von dem Heil zurechtrücken: »(58) [Die Schätze der Kirche] sind nicht die Verdienste Christi und der Hedigen; denn diese bewirken immer, auch ohne den Papst, Gnade für den inneren Menschen, Kreuz, Tod und Hölle für den äußeren Menschen. (62) Der wahre Schatz der Kirche ist das hochheilige Evangelium der Ehre und Gnade Gottes«. Mit beiden Thesen wandte sich Luther gegen die theologische Begründung für die päpstliche Vollmacht bei der Gewährung von Ablässen. Diese Begründung bestand in der im 13. Jahrhundert — übrigens in Verbindung mit der Weiterentwicklung der Fegefeuerlehre - aufgekommenen Lehre von dem »Thesaurus Ecclesiae« (Schatz der Kirche). Danach sollen die überschüssigen Verdienste Christi und der Heiligen gleichsam einen himmlischen Schatz büden, aus welchem der Papst den noch für die Sündenstrafen Büßenden HUfe zuteil werden lassen kann — gegen entsprechende finanzielle Beiträge hier auf Erden. Mit dem »Schatz der Kirche« im scholastischen Sinne mußte im Grunde auch der Ablaß insgesamt fallen. Weiter grenzt Luther hier aber auch die päpstliche Gewalt ein. Gegenüber diesen kritischen Gedanken, deren Konsequenzen sich Luther hier ebensowenig wie bei der Bußauffassung als solcher vergegenwärtigte, muten die einzelnen kritischen Anfragen gegen den Ablaß in den Thesen 81 bis 90 vergleichsweise als zweitrangig an. Da weist Luther daraufhin, daß es auch für gelehrte Männer nicht leicht sei, angesichts der unverschämten Ablaßpredigt die Ehrfurcht vor dem Papst zu retten (81). In These 82 fomiuliert Luther eine Frage von Laien: »Warum befreit der Papst nicht aus dem Fegefeuer allein wegen der heiligsten Liebe und der höchsten Not der Seelen — das ist doch der wichtigste Grund -, wenn er doch unzählig viele Seelen befreit wegen des unseligen Geldes zum Bau der Peterskirche — also aus einem ganz unbedeutenden Grund?« Die 95 Thesen sind noch keineswegs eine abschließende Erörterung der mit dem Ablaß verbundenen Fragen. Ihre Bedeutung besteht jedoch in einem Mehrfachen. Einmal, unter den zahlreichen Theologen seiner Zeit sah Luther als Einziger sich durch die in manchen Punkten als blasphemisch zu bezeichnende »Instructio summaria« in seiner Eigenschaft als von der Kirche bestellter Lehrer gefordert. Mit den 95 Thesen nahm er die der Theologie gestellte Aufgabe, die Lehre der Kirche mitverantwortlich und kritisch zu begleiten, wahr. Sodann, Luther kritisiert im entscheidenden den Ablaß nicht, wie es bis dahin von manchen Seiten geschehen war, von bestimmten Mißbräuchen her, sondern auf der Grundlage seiner neuen, besonders aus Paulus und Augustin gewonnenen Theologie. Schließlich, an einigen Stellen kündigt sich an, daß Schnftautorität und Kirchenautorität — insbesondere die Papstautontät — nicht mehr zur Übereinstimmung gebracht werden können. Es ging Luther letztlich darum, daß das Wort Christi die alleinige Richtschnur für Lehren und Handeln der Kirche ist. Insofern spürt man im Hintergrund der 95 Thesen ein Beben, dessen Folgen damals ganz unabsehbar waren.

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d) Die »Resolutiones« zu den Ablaßthesen (1518) Die Entwicklung nahm alsbald einen Verlauf, den Luther überhaupt nicht erwartet hatte. In den sehr schnell erscheinenden Reaktionen altgläubiger Kirchenmänner und Theologen wurde die Frage des Ablasses kaum behandelt. Umso ausführlicher und schärfer ging man auf Luthers Äußerungen über die päpstliche Gewalt ein. Albrecht von Mainz schickte die 95 Thesen bereits am 13. Dezember 1517 an den Papst in der Erwartung weiter, »päpstliche Heüigkeit werden also zur Sache greifen und tun, daß solchem Irrsa] zeitlich nach Gelegenheit und Notdurft widerstanden werde.« 2 ^ Albrecht meinte, daß Luther die päpstliche Gewalt einschränke. Er strebte keine Verdammung Luthers, sondern eine Zurechtweisung an. Weiter gingen da die 106 Thesen von Johannes Tetzel und Konrad Wimpina — dieser, damals Rektor der Universität Frankfurt an der Oder, war der Verfasser —, über die am 20. Januar 1518 in der Universität Frankfurt an der Oder disputiert wurde. 246 Unter Heranziehung der »Instructio summaria« wurden hier Ablaßpraxis und Ablaßlehre in zugespitzter Weise gegen Luther verteidigt. Gegen zahlreiche Argumente Luthers wurde der in den Ketzerprozessen bedeutsame Vorwurf des »Intums« oder gar der Lästerung 247 erhoben, so insbesondere gegen Luthers Eingrenzung der päpstlichen Gewalt und gegen seine faktische Infragestellung des Fegefeuers. In dem Schlußwort unterwerfen Tetzel und Wimpina ihre Sätze der Entscheidungsgewalt des apostolischen Stuhles, den Ortsbischöfen und den »Inquisitoren der Verkehrtheit«. 248 Im Anschluß an diese Disputation beschloß das Domimkanerkapitel, Luther in R o m wegen Ketzerei anzuklagen. 249 In den von ihm allein verfaßten »Fünfzig Positiones«, die im April oder Mai 1518 gedruckt wurden, bringt Tetzel Luthers Position in der Ablaßfrage mit derjenigen von H u ß in Verbindung. 2 ' 0 In ähnlicher Weise trug auch Johannes Eck, der gelehrte Ingolstädter Theologe, zu einer Verschärfung des Konfliktes bei, wenn er in seinen »Obelisci«, die im Januar oder Februar 1518 verfaßt, damals aber nur handschriftlich verbreitet wurden, nicht nur gegen Luther scharf polemisiert, sondern der Sache nach gegen ihn sogar den Vorwurf erhob, »den böhmischen Virus zu verbreiten«. 23 ' Auch Eck hält Luther in scharfer Form zahlreiche »Irrtümer« vor. In seinen »Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute«, die im August 1518 erschienen, die aber im Manuskript wohl schon im Februar 1518 fertiggestellt waren, hat Luther gegenüber den 95 Thesen manche Gedanken präzi-

245 W A Br 1, p 115. Siehe B. LOHSE. Albrecht von Brandenburg und Luther, in: Erzbischof Albrecht . . . . 1991, 76f. Die einschlägigen Quellen finden sich in: CCath 41, 1988, 293-309. 246 Siehe CCath 4 1 , 1988, 310-337. 242 So in These 105 (gegen Luthers These 78); CCath 41, 334. 248 CCath 41, 337. 249 Siehe Helmar JUNGHANS, in: Studicnausgabe, Bd. 1, 1979, 186. 250 Siehe CCath 4 1 , 372, These 14 und Anm. 10. 251 CCath 41,430f.

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siert oder auch stärker zugespitzt. So wird der neutestamentliche Grund seiner Bußauffassung hier deutlicher als in den Thesen. 232 Die Aussagen über die Begrenzung der päpstlichen Gewalt sind schärfer.233 Klarer sind die Darlegungen über den Glauben: »Also werden wir durch den Glauben gerechtfertigt, durch den Glauben gelangen wir zum Frieden, nicht durch Werke oder Buße oder Beichte.« 234 Gegen die Behauptung, die Sakramente des neuen Bundes gewähren denjenigen, die »keinen Riegel vorschieben«, die Gnade, sagt Luther: »Nicht das Sakrament, sondern der Glaube an das Sakrament rechtfertigt.«"33 Gegenüber der Lehre vom Fegefeuer zeigen sich bei Luther erste Zweifel. 236 Die Verschärfung der Situation zeigt sich dann, daß Luther an zwei Stellen äußert, er habe nach Meinung seiner Gegner wegen seiner Behauptung, der Papst habe keine Gewalt über das Fegefeuer, als Häretiker den Tod verdient. 237 Anders als in den Thesen, wendet Luther sich jetzt unter Zitierung gegen Albrechts Aussage über die »erste Hauptgnade«, nennt allerdings den Namen des Erzbischofs nicht. Nach Luther ist diese Aussage die schlimmste Häresie, die jemals ausgesprochen worden ist.238 Faktisch erhebt Luther jetzt den Vorwurf, mit seinen Behauptungen im Rahmen der Ablaßpraxis stelle der Papst neue Glaubensartikel auf. Dagegen Luther: »Sache des Papstes ist es nicht, neue Glaubensartikel aufzustellen, sondern Glaubensfragen gemäß den bereits festgesetzten Glaubensartikeln zu beurteden und zu entscheiden.« 239 Luther schließt mit einem Hinweis auf die Notwendigkeit einer Reformation: »Die Kirche bedarf einer Reformation. Das ist nicht Sache eines Menschen, des Papstes oder vieler Kardinäle, sondern allein Gottes. Die Zeit aber für diese Reformation kennt allein der, der die Zeiten geschaffen hat. Inzwischen können wir freilich so offenkundige Fehler nicht leugnen. Die Schlüsselgewalt wird mißbraucht und muß der Geldgier und dem Ehrgeiz dienen. Die Flut hat sich in Bewegung gesetzt; es steht nicht in unserer Macht, sie aufzuhalten. »Unsere Missetaten haben es verdient« [Jeremia 14,7], und einen jeden belastet seine eigene Rede.« 260 Luthers Haltung gegenüber dem Papst hat sich also offenkundig verschärft: er grenzt hier die Autorität des Papstes gegenüber den Thesen auf eine kirchenrechthche Entscheidungsbefugnis ein. Daß Luther aber in diesem Rahmen noch bereit ist, dem Papst zu folgen, zeigt sich in dem Widmungsbrief an Leo X., der den »Resolutiones« vorangestellt ist. Hier sagt Luther einerseits: »Revocare non possum«.261 Damit meint er wohl nicht, daß er die Thesen nicht mehr »zurückholen« 252

W A 1,530,19-531,18.

253

WA 254 WA 2,5 WA 2 " WA

1,537,29-32. 1,544,7 f. 1,544,40 f. 1,561,28-38.

257

1,572,27-34; 605,17-21. 1,589,16-27; cf. oben bei Anm 239 1,582,37-39. 1,627,27-34. 1,529,3.

258

"' 260 261

WA WA WA WA WA

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könne, 2 6 2 sondern: »Widerrufen kann ich nicht.« Andererseits unterwirft Luther sich dem Papst: »Heiliger Vater, ich lege mich deiner Heiligkeit mit allem, was ich bin und habe, zu Füßen. Mache lebendig, töte, rufe, widerrufe, billige, verwirf, wie es gefällt: ich werde deine Stimme als die Stimme Christi anerkennen, der in dir regiert und spricht. Wenn ich den Tod verdient habe, werde ich mich nicht weigern zu sterben. Dem Herrn gehört die Erde und ihre Fülle, er ist gepriesen in Ewigkeit.« 263 e) Die Heidelberger Disputation (1518) Neben dem sich zuspitzenden Streit um Ablaß und Papstautorität nahm auch der Konflikt zwischen der Wittenberger Theologie als ganzer und der Scholastik an Schärfe und Intensität zu, der mit der Disputation gegen die scholastische T h e o logie schon einen ersten Höhepunkt erreicht hatte. Es war für Luther eine Ehre, daß Staupitz ihn für das 1518 in Heidelberg stattfindende Kapitel des Ordens der Augustinereremiten zur Abhaltung einer Disputation aufforderte. Diese Disputation fand am 26. April 1518 nicht, wie man früher meinte, im Heidelberger Augustinereremitenkloster, sondern im Lehrgebäude der philosophischen Fakultät statt. Unter den Zuhörern saßen außer Professoren und Studenten auch manche Bürger und sogar Vertreter des kurpfälzischen Hofes, so daß Luther hier eine breite Öffentlichkeit erreichte. Der Rahmen dieser Disputation muß als bewußter Versuch Luthers und einiger Gesinnungsfreunde gewertet werden, die Wittenberger Universitätsreform, die ja nicht nur die theologische, sondern auch die phüosophische Fakultät betraf, auch anderswo zu vertreten. 264 Der Inhalt der 28 theologischen und der 12 philosophischen Thesen - über letztere wurde offenbar nicht disputiert - entsprach dem Rahmen voll und ganz. Ähnlich wie in der Disputation gegen die scholastische Theologie, so wendet sich Luther auch in der Heidelberger Disputation 263 gegen die scholastische Theologie im ganzen. Auf Ablaß und Papsttum ging er nicht ein - ein Zeichen dafür, daß er diese Streitfragen im Grunde für zweitrangig hielt, und darüber hinaus eine Bestätigung dafür, daß es Luther um die Reformation der Lehre ging. Der Teil »Contra Scholasticorum Sententiam« 266 war eine erste Vorarbeit, an der teilweise auch Bartholomäus Bernhardi beteiligt war. In den Conclusiones spitzte Luther seine radikale Sünden- und Gnadenlehre auf das schärfste zu. Das Gesetz Gottes, das an sich als heüsame Lehre für das Leben gegeben ist, vermag doch nicht den 262 So u.a. Karl August MEISSINCER und Erwin ISEKLOH, ebenso Remigius BÄUMER. Siehe BÄUMER, Martin Luther und der Papst, in: KLK 30, Münster 2. Aufl. 1970, 21-26.

263 244

WA 1,529,23-27

Siehe Heinz SCHEIBLE, Die Universität Heidelberg und Luthers Disputanon, in: Z G O 131 (N.F. 92), 1983, 309-329; Gottfried SEEBASS, Die Heidelberger Disputation, in: Hdjb XXVII, 1983, 77-88. 265 Der beste Text ist durch Helmar JUNCHANS besorgt worden: Martin Luther Studienausgabe, Bd. 1, 1979, 186-218; sonst: WA 1, 350-374; WA 59, 405-426. 2 " Studienausgabe 1, 188. Text: 190,1-200,3.

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Menschen zur Gerechtigkeit zu bringen, sondern steht hier im Wege. Viel w e niger können die Werke der Menschen mit Hilfe des »naturale dictamen« (natürliche Vernunft) den Menschen zur Gerechtigkeit führen. »Die Werke der Menschen, wie schön auch immer sie sein mögen und wie gut sie auch zu sein scheinen, sind doch sicher Todsünden. Die Werke Gottes, wie unförmig sie auch immer sein mögen und wie schlecht sie zu sein scheinen, sind trotzdem wahrhaftig unsterbliche Verdienste.«267 »Der freie Wille ist nach dem Sündenfall nur ein blosser Begriff; wer tut, was in seinen Kräften steht, begeht eine Todsünde.« 268 Auch die Entgegensetzung des »Theologus glonae« und des »Theologus crucis« findet sich in den Conclusiones. 269 In den Thesen »ex theologia« sind nur die vorangestellten Leitsätze, nicht die Begründungen gegeben. In den Thesen »ex philosophia« hat Luther besonders für die Phüosophie Konsequenzen gezogen: »Wer ohne Gefahr in Aristoteles Philosophie treiben will, der muß in Christus töricht werden [cf. 1. Kor. 3,18]. So wie nur der Verheiratete die Begierde recht gebraucht, so philosophiert nur der »Tor«, das heißt der Chnst. Für Aristoteles war es leicht, die Welt für ewig zu halten, wenn die menschliche Seele nach seiner Meinung sterblich ist.«270 Die Heidelberger Disputation machte auf die Zuhörer großen Eindruck. Martin Bucer berichtet als Augen- und Ohrenzeuge, daß Luther in allem mit Erasmus übereinstimme, daß Luther jedoch anders als dieser frei und offen lehre. 271 Durch die Art seines Argumentierens gewann Luther viele neue Freunde und Anhänger, die später bei der Reformation in Südwest-Deutschland mitwirkten. In der T h e o logie jedoch stieß er bei den Vertretern der Scholastik auf scharfe Ablehnung. Besonders seine früheren Erfurter Lehrer wollten von dem, was Luther in Heidelberg vorgetragen hatte, nichts wissen. 272 Das aber bedeutete, daß nicht nur im engeren kirchlichen Bereich, sondern auch in dem der theologischen Wissenschaft die Konfrontation immer schärfer wurde: alles wies auf einen bevorstehenden Bruch hin, der nach Lage der Dinge unheilbar sein mußte. f) Der »Dialogus de potestate papae« des Silvester Priems (1518) 273 SUvestro Mazzolini, üblicherweise Silvester Prierias genannt, gehörte der römischen Kommission an, die im Frühjahr 1518 mit der Einleitung des kanonischen Prozesses gegen Luther betraut wurde. Der Dialogus ist von ihm als Gutachten für diese Kommission im Frühjahr 1518 ausgearbeitet und möglicherweise schon 2 7

Studienausgabe, 201,2f. 17f; WA 1,356,16f. 33f. (Concl 3 und 4) Concl. 13. Studienausgabc 1,205,12 f; WA 1,359,33f.: »Liberum arbitnum post pcccatum, res est de solo titulo, (et) dum facit, quod in se est, peccat mortaliter.« 269 Concl 21. Studienausgabe 1,208,20f; WA 1,362,21 f. 270 Phil. Thesen 29-31. Studienausgabe 1 , 2 1 6 , 1 6 - 2 1 ; WA 1,355,2-7. 271 Bucer an Beatus Rhenanus: WA 9,161-169, hier 162,8-10. 272 Siehe Luthers Brief an Spalatin vom 18.5.1518; WA Br 1 Nr. 75. 273 Dieser Text liegt jetzt vor in: CCath 41, 1988, 33-107. '

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im April oder Mai 1518 vorgelegt worden. 2 7 4 Luther erhielt diesen Dialogus zusammen mit der Vorladung, sich persönlich in R o m wegen des Häresieverdachts zu verantworten, am 7. August 1518. Dieser Dialogus kann zwar nicht als eine theologisch besonders glanzwürdige Abhandlung über das Papsttum angesehen werden. Als Beleg für die damals in R o m herrschende Auffassung vom Papsttum sowie wegen der Verschärfung, die durch den Dialogus in Luthers Streit herbeigeführt wurde, hat diese Schrift gleichwohl eine Bedeutung, die kaum überschätzt werden kann. Man kann hier sehen, wie die in R o m tonangebenden Männer über Kirche und Papstamt gedacht haben und was sie an Luther vor allem auszusetzen hatten. Prierias hat zunächst vier Fundamentalsätze über die Kirche vorangestellt, welche die Grundlage seiner Auseinandersetzung mit Luther darstellen. Sie lauten: 1) »Die Gesamtkirche ist ihrem Wesen nach (essentialiter) die Versammlung aller Christgläubigen zum Gottesdienst. Die Gesamtkirche ist aber ihrer Kraft nach (virtualiter) die römische Kirche, das Haupt aller Kirchen, und der Papst. Die römische Kirche ist ihrer Vertretung nach (repraesentative) das Kardinalskollegium, ihrer Kraft nach (virtualiter) aber der Papst, freilich in anderer Weise als Christus.« 2) »Wie die Gesamtkirche nicht irren kann, wenn sie über den Glauben oder die Sitten entscheidet, so kann auch ein wahres Konzil, wenn es tut, was in seinen Kräften steht, um die Wahrheit zu verstehen, nicht irren, wenigstens nicht im Endergebnis (finaliter) — und das verstehe ich unter Einschluß des Hauptes [des Papstes]. Denn auch ein Konzil kann sich anfänglich täuschen, solange der Prozeß der Wahrheitssuche andauert; ja, manchmal hat sich ein KonzU getäuscht, wenngleich es schließlich mit Hilfe des Heiligen Geistes die Wahrheit erkannt hat. Ebenso kann auch die römische Kirche und kann auch der Papst nicht inen, wenn er in seiner Eigenschaft als Papst eine Entscheidung trifft, das heißt, wenn er sein Amt wahrnimmt und tut, was in seinen Kräften steht, um die Wahrheit zu erkennen.« 3) »Wer sich nicht an die Lehre der römischen Kirche und des Papstes hält als die unfehlbare Glaubensregel, von der auch die Heüige Schrift ihre Kraft und ihre Autorität bezieht, ist ein Häretiker.« 4) In dem letzten Fundamentalsatz wird die »Gewohnheit« an Bedeutung den Entscheidungen der Kirche gleichgestellt. Als Corollanum folgt der Satz: »Wer betreffs der Ablässe sagt, die römische Kirche könne nicht tun, was sie faktisch tut, ist ein Häretiker.« 273 Diese Fundamentalsätze stellen die Grundlage für die folgende Einzelauseinandersetzung des Prierias mit Luthers 95 Thesen dar. Prierias hat somit nicht nur die im ausgehenden Mittelalter von manchen vorgetragene Unfehlbarkeitsauffassung vertreten, sondern mit seinem dritten Satz ge-

274

CCath 4 1 , 1988,38. CCath 41, 1988, 53—56. Der dntte Satz lautet: »Quicunque non lnnititur doctnnc Romane ecclesie, ac R o m a n i pontificis, tanquam regule fidei infallibili, a qua etiam Sacra scriptura robur trahit et auctontatem, hereticus est.« Der Satz in dem Corollanum lautet: » Q u i circa indulgentias dicit, ecclesiam R o m a n a m non posse facere ld quod de facto facit, hereticus est.« 275

Luthers Auseinandersetzung mit Cajetan

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radezu die r ö m i s c h e K i r c h e ü b e r die Schrift gestellt. 2 7 6 In d e m C o r o l l a r i u m hat er z u d e m j e d e O p p o s i t i o n auch n u r g e g e n die r ö m i s c h e Ablaßpraxis als häretisch bezeichnet. Einseitiger u n d zugespitzter ließ sich d e r r ö m i s c h e S t a n d p u n k t in d e r Ablaßfrage nicht z u r G e l t u n g b r i n g e n . Als Luther diesen »Dialogus« zur K e n n t n i s n a h m , entstand in i h m die Ü b e r z e u g u n g , daß der Papst d e r Antichrist sei. H a t t e n für L u t h e r bei d e r Abfassung der 95 T h e s e n Schriftautorität u n d Papstautorität n u r in S p a n n u n g z u e i n a n d e r gestanden, so traten b e i d e j e t z t in e i n e n u n v e r s ö h n l i c h e n Gegensatz. 2 7 7 Z u d e m gelangte L u t h e r offensichtlich auf G r u n d des »Dialogus« zu der Ü b e r z e u g u n g , d a ß Papst u n d Konzil irren k ö n n e n . 2 7 8 O b L u t h e r d a m i t zu F o l g e r u n g e n g e d r ä n g t w u r d e , die in s e i n e m u r s p r ü n g l i c h e n Ansatz bereits v o r h a n d e n w a r e n , o d e r o b d u r c h diese Eskalation eine m ö g l i c h e a n d e r e W e i t e r e n t f a l t u n g seiner e k k l e s i o l o gischen G r u n d g e d a n k e n v e r h i n d e r t w u r d e , ist eine nicht leicht zu b e a n t w o r t e n d e Frage. Faktisch ist jedenfalls die u n ü b e r w i n d b a r e K o n f r o n t a t i o n z w i s c h e n L u t h e r u n d R o m erst d u r c h d e n »Dialogus« des Prierias herbeigeführt w o r d e n . H i e r b e i ist allerdings auch die A u s e i n a n d e r s e t z u n g mit Cajetan v o n B e d e u t u n g g e w e s e n .

6) Luthers Auseinandersetzung mit Cajetan über Rechtfertigung, Glaube und Kirchenautorität Lit.: zu Cajetan: Erwin ISERLOH/Barbara HALLENSLEBEN, Art. Cajetan, in: T R E 7, 1981, 538-546. Barbara HALLENSLEBEN, Communicatio. Anthropologie und Gnadenlchrc bei Thomas de Vio Cajetan, in: R G S T 123, Münster 1985 (dazu B. LOHSE, in: T h R v 83, 1987, 286-289). Ulrich HORST, Thomas de Vio Cajetan (1469-1534), in: KLASSIKER der Theologie, 1. Bd. Von Irenäus bis Martin Luther, hg. von Heinrich FRIES und Georg KRETSCHMAR, München 1981, 269-282. 415f. 430-432. Zu der Begegnung zwischen Cajetan und Luther: Gerhard HENNIC, Cajetan und Luther. Ein histonscher Beitrag zur Begegnung von Thomismus und Reformation, in: AzTh 11,7, Stuttgart 1966. Irmgard Höss, Georg Spalatin 1484-1545. Ein Leben in der Zeit des H u manismus und der Reformation, (1956) 2. Aufl. Weimar 1989, 127-143. Kurt-Victor SELCE, Die Augsburger Begegnung von Luther und Kardinal Cajetan im Oktober 1518, in: JHKV 20, 1969, 37-54. Otto Hermann PESCH, »Das heißt eine neue Kirche bauen.« Luther und Cajetan in Augsburg, in: BEGEGNUNG. Beiträge zu einer Henncneutik des theologischen Gesprächs, hg. von Max SECKLER, Otto Hermann PESCH, Johannes BROSSEDER und Wolfhart PANNENBERG, Graz/Wien/Köln 1972, 645-661. Jared WICKS, Thomism between Renaissance and Reformation: The Case of Cajetan, in: A R G 68, 1977, 9-32. Ders., C a -

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Siehe B. LOHSE, Cajetan und Luther, in: (Lohse) Evangelium in der Geschichte, 1988, 44—63,, hier 46f. Siehe auch Jared WICKS, Luther's Reform. Studies on Conversion and the Church, in: VIEG Bcih.35, Mainz 1992, 156f. Es ist allerdings zweifelhaft, ob Cajetans Ekklesiologie wirklich so anders war als diejenige des Prienas. 277 1969, 335. 340. Siehe H OBERMAN, Wittenbergs Zweifrontenkrieg 278 So auch die Herausgeber P. FABISCH und E. ISERLOH, CCath 41, 40f

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Luthers Theologie m ihrer historischen Entwicklung

jetan Responds. A Reader in Reformation Controversy, Washington, D.C., 1978. Ders., Cajetan und die Anfänge der Reformation, in: KLK, 43, Münster 1983. Bernhard LOHSE, Cajetan und Luther. Zur Begegnung von Thomismus und Reformation, (1986) in: (Lohse), Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 44—63. Jared WICKS, Luther's Reform. Studies on Conversion and the Church, in: VIEG Beih.35, Mainz 1992.

a) Die Zuspitzung des Konfliktes zwischen Luther und R o m Der Konflikt zwischen Luther und R o m spielte sich seit dem Frühjahr 1518 gleichsam auf mehreren Ebenen ab. Die durch die 95 Thesen sowie die »Resolutiones« zu den Ablaßthesen angeschnittenen Fragen wurden einmal in den verschiedenen literarischen Kontroversen weiter behandelt, wobei die beiderseitigen Standpunkte näher geklärt und präzisiert wurden. Sodann hatte die Vorbereitung des kanonischen Prozesses gegen Luther begonnen, wodurch sich naturgemäß Rückwirkungen sowohl auf die Position Luthers als auch auf den literanschen Konflikt ergaben. Schließlich kam es seit dem Sommer 1518 auch zu einer Beschäftigung der weltlichen Obrigkeiten mit Luthers Sache. Einerseits schaltete sich der alte Kaiser Maximüian während des Reichstags zu Augsburg 1518 noch in die Lutherfrage ein: am 5. August 1518 informierte er brieflich den Papst über die Gefahr, die von Luther für die Einheit des Glaubens ausgehe, und erklärte seine Bereitschaft, bei der Durchführung kirchlicher Maßnahmen gegen Luther im deutschen Reich zu helfen. 279 Andererseits wurde auch der sächsische Kurfürst mit der Sache befaßt. Luther erhielt die Aufforderung, in R o m zu erscheinen, am 7. August 1518; am 8. August appellierte er an seinen Kurfürsten, die Verlegung des Verfahrens nach Deutschland zu erwirken, da in R o m ein faires Verfahren nicht zu erwarten sei. Fragen des Verhältnisses zur Obrigkeit, aber auch der kirchlichen Amtsauffassung und insofern selbst der Ekklesiologie wurden durch diese Entwicklung mit berührt — und das zu einer Zeit, wo für Luther das päpstliche Amt immer problematischer wurde. Als Luther Anfang August 1518 den »Dialogus« des Prierias erhielt, ließ er diese Schrift ohne jegliche Kommentierung nachdrucken. Luther war der Meinung, daß diese Schrift derart problematisch sei, daß sie sich selbst richte. 280 Kurze Zeit darauf, als der Nachdruck vergriffen war, verfaßte er eine Entgegnung. 281 Hier äußerte Luther zum ersten Mal unverblümt, daß Papst und Konzil inen können. 282 Allerdings meinte Luther, daß die römische Kirche bislang nicht geirrt habe und auch nicht vom wahren Glauben abgewichen sei. 283 Aber das Urteü über das Papsttum verschärfte sich bei Luther weiter. Ende des Jahres 1518 äußerte Luther

279 2.0 2.1 2.2 283

Maximilians Brief ist jetzt ediert in: CCath 42, Münster 1991, 37-44 Siehe W A 1,644-646. W A 1,647-686. W A 1,656,30-33. W A 1,662,31-38.

Luthers Auseinandersetzung mit Cajetan

127

zum ersten Mal die Ansicht, daß der Papst womöglich der Antichrist sei. 284 Inzwischen hatte freilich das Verhör vor Cajetan stattgefunden, das im Ergebnis ebenfalls zu Luthers schärfer werdendem UrteU über das Papsttum beitrug. b) Cajetan Am 23. August 1518 beauftragte Leo X. den päpsdichen Legaten Cajetan, der damals anläßlich des Reichstags in Augsburg wedte, Luther als notorischen Ketzer nach Augsburg zu laden. Cajetan hatte Vollmacht, Luther im Fall seines Widenufs in Gnaden anzunehmen und ihn im Fall seiner Opposition für gebannt zu erklären. 285 Doch Luthers Kurfürst setzte sich für seinen Professor ein und erreichte von Cajetan die Zusage, er werde Luther »mit väterlicher Milde« verhören und ihm die Rückkehr nach Wittenberg gestatten. Angesichts des römischen Wunsches, auf jeden Fall die Wahl Karls von Habsburg zum deutschen Kaiser zu verhindern, akzeptierte man in Rom die Abmachung zwischen Cajetan und Friednch dem Weisen, ohne daß deswegen die Anweisung vom 23. August 1518 aufgehoben wurde. Cajetan verfügte also über zwei unterschiedliche Aufträge Roms im Blick auf das bevorstehende Verhör. So problematisch diese Begleitumstände des Augsburger Verhörs waren, so hätte die Kurie doch im Grunde keinen fähigeren Theologen als Cajetan mit dem Verhör Luthers betrauen können. Cajetan war damals wohl der bedeutendste Theologe überhaupt. Als Dominikaner hatte er intensiv Thomas von Aquin studiert und einen Kommentar zu dessen »Summa Theologiae« verfaßt, der im frühen 16. Jahrhundert die wichtigste Leistung der Thomas—Interpretation war und die Thomasdeutung bis in das 20. Jahrhundert beeinflussen sollte. Im übrigen war Cajetan seit langem ein Vertreter der papalistischen Richtung gegen die konziliaristische; er war sogar ein Anhänger der päpsdichen Unfehlbarkeit, obwohl er wenigstens die Möglichkeit zugestand, daß auch ein Papst Häretiker werden könne. Trotzdem war Cajetan von seinen theologischen Voraussetzungen her nicht ohne Verständnis für die schroffe Sünden- und Gnadenlehre Luthers. Auch Luthers Kritik am Ablaß konnte er bis zu einem gewissen Grade verstehen. Es ist interessant, daß Cajetan sich ungefähr gleichzeitig wie Luther mit der Frage des Ablasses beschäftigt hat. Sein Traktat über den Ablaß wurde am 8. Dezember 1517 fertiggestellt.286 Hier hat Cajetan in typisch scholastischer Weise zunächst das Wesen des Ablasses definiert und dann vor allem darzulegen versucht, was man mit Sicherheit über den Ablaß sagen könne. Gegenüber Ausführungen zum Ablaß bei anderen wie etwa Johannes Paltz sind Cajetans Darlegungen vorsichtig und maßvoll. Im Kern hat Cajetan freilich an der Rechtmäßigkeit des Ablasses und auch an der besonderen Vollmacht des Papstes, den Gläubigen aus 284 285 286

WABr 1 Nr. 121,11-14 (Bncfan Linck vom 18.12.1518). WA 2,23-25 Siehe hierzu B. LOHSE, a.a.O , 49 f.

128

Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung

dem Schatz der Kirche Satisfaktion zu gewähren, festgehalten. Bei Luthers Verhör sind Fragen des Ablasses nur insofern zur Sprache gekommen, als es um den Schatz der Kirche sowie um die päpstliche Vollmacht ging. Cajetan hat sich im September und Oktober 1518 sorgfältig auf das Verhör Luthers vorbereitet. Von Luthers Schnften hat er außer den 95 Thesen einmal den »Sermo de poenitentia« (1518), zum anderen die »Resolutiones disputationum de indulgentiarum virtute« (1518) gründlich gelesen; bei den Verhandlungen mit Luther sind vor allem die »Resolutiones« von Bedeutung gewesen. Cajetans Vorbereitungen auf das Verhör haben ihren Niederschlag in seinen 15 »Augsburger Traktaten« gefunden. 287 Wichtig ist, daß Cajetan hier wie auch bei dem Verhör Luther zwar vorhält, er vertrete neue Lehren, daß er aber nicht den Vorwurf der Häresie gegen Luther erhoben hat. Offenbar wurde die wichtige Frage, ob Luther Häretiker sei, damals in führenden römischen Kreisen noch unterschiedlich beantwortet. c) Luthers Verhör vor Cajetan 288 Das Verhör Luthers vor Cajetan fand vom 12. bis 14. Oktober 1518 in Augsburg statt. Cajetan hielt sich an die Zusage, mit Luther väterlich und milde umzugehen. Die sachlichen Differenzen kamen vermutlich gerade deswegen in aller Deutlichkeit zum Vorschein. Die Tatsache, daß es in allen wichtigen Punkten nicht zu einer Annäherung kam, trug zu einer weiteren Eskalation des Streites bei. Cajetan wollte vor allem Luther zum Widerruf veranlassen: »1. Bereue deine Irrtümer und widerrufe sie. 2. Versprich, sie nicht mehr zu lehren. 3. Enthalte dich aller Umtriebe, durch die [der Friede der] Kirche gestört werden könnte.« 289 Luther war jedoch nicht bereit, seine Ansichten ohne weiteres zu widerrufen; er bestand vielmehr auf einer inhaltlichen Erörterung der strittigen Fragen, die der Kardinal gern vermieden hätte. Bei diesen Sachfragen ging es hauptsächlich um zwei Punkte: einmal um den Schatz der Kirche, wobei hier die Bulle »Unigenitus« von Clemens VI. von 1343 im Mittelpunkt stand; sodann um Luthers Satz, daß nicht das Sakrament, sondern der Glaube an das Sakrament rechtfertige. 290 Im Hintergrund standen bei diesen Streitfragen während des ganzen, nicht sehr sy-

2,7

Zu diesen Augsburger Traktaten siehe G. HLNNIG, aaO, sowie B LOHSE, Cajetan und Luther, in: Evangelium in der Geschichte, 1988, bes. 50-60. 288 Über das Verhör gibt es im wesendichen folgende Quellen: 1) Luthers Bericht in den »Acta Augustana« (1518); WA 2,1-26. 2) Luthers • Appellatio M. Luthen a Caietano ad Papam« (1518); WA 2,27-33. 3) Luthers »Appellatio F. Martini Luther ad Concilium« (1518); W A 2,34-40. 4) Cajetans Brief an Kurfürst Friedrich vom 25.10.1518; WA Br 1 Nr. 110, p. 233-235. 5) Luthers Bnef an Kurfürst Friedrich wohl vom 21.11. 1518 unter Bezugnahme auf Cajetans Brief; WA Br 1 Nr. 110, p. 236-246. Darstellung bei M. BRECHT, Martin Luther, (Bd. 1], 1981, 237-255. 289

WA 2,7,22-26.

"0 Siehe oben 121 bei Anm. 255 (WA 1,544, 40f).

Luthers Auseinandersetzung mit Cajetan

129

stematisch geführten Gesprächs letzdich die Ekklesiologie, wobei dem Papstamt besondere Bedeutung zukam, sowie die Bedeutung der Hl. Schnft für die Lehre der Kirche. In keiner dieser Fragen kam es zu einer Annäherung der Standpunkte. Was zunächst die Auseinandersetzung über die Bulle »Unigemtus« betrifft, so berief sich Cajetan auf sie, um die päpstliche Auffassung über den Schatz der Kirche zu begründen. Luther entgegnete, daß er diese Bulle gut kenne, ebenso auch diejenige von Sixtus IV. von 1476 über den Ablaß für die Verstorbenen. 291 Luther verwies aber darauf, daß die Bulle von 1343 die Hl. Schrift mißbrauche und sie entgegen deren Sinn heranziehe; infolgedessen müsse die Autorität dieser Bulle hinter derjenigen der Hl. Schrift zurückstehen. 292 Cajetan vermutete anscheinend, daß Luther die Autorität des Papstes derjenigen des Konzils unterordne und darin den Konzihansten, insbesondere Johannes Gerson, folge. Daraufhin begann Cajetan, die »potestas papae« herauszustellen, ja den Papst über das Konzil, über die Hl. Schrift und über die Kirche zu erheben. 293 Tatsächlich ergibt sich aus den »Augsburger Traktaten«, daß Cajetan die Autorität des Papstes im Grunde ähnlich verstanden hat wie Prierias.294 Auch für Cajetan ist der eigentliche Differenzpunkt zu Luther in der Stellung zur päpstlichen Autorität zu suchen. Dabei ist Cajetan allerdings ebenso wie Prierias über die offiziell festgelegte Kirchenlehre weit hinausgegangen und hat jeden Widerspruch gegen die papalistische Deutung von vornherein als verdammenswert zurückgewiesen. Für die Frage nach dem Schatz der Kirche ergibt sich von daher, daß die Autorität des Papstes sich auch auf diesen erstreckt. Dabei kam es allerdings zu einem erneuten Konflikt. Cajetan berief sich aufjene Bulle von 1343 für die Lehre vom Kirchenschatz. Luther ging dagegen davon aus, »daß die Verdienste Christi, die im Geist [erworben sind,] nicht Menschen übergeben werden können,« 293 sowie, daß es absolut sicher sei, »daß nur derjenige gerecht ist, der an Gott glaubt.«296

2.1

H g von W KÖHLER, DOKUMENTE zum Ablaßstreit ..., 37-39.

2.2

WA 2,8,1-9.

293 W A 2 . 8 , 1 0 - 1 6 ; WA T R 5 Nr.5523,23-25. J. WICKS, Luther's Reform . . . . 1992, 179 u.ö., bestreitet, daß die wichtigste Differenz zwischen Luther und Cajetan bei der Frage der Autorität Roms gelegen habe. Zur Begründung verweist er auf WA 2,32,24-30, wo Luther sich nach dem Augsburger Verhör bei seiner Appellation von Cajetan an den Papst noch in Augsburg dem Urteil des Papstes unterwirft und dabei ähnliche Worte verwendet wie in seiner Widmung der »Resolutiones disputationum de indulgcntiarum virtute« an Leo X. von Ende Mai 1518. Für Luthers Augsburger Appellation an den Papst m u ß freilich die damalige Situation beachtet werden. Das »väterliche« Verhör hatte kein irgend befriedigendes Resultat erbracht. Damit war der »Haftbefehl« wieder von Bedeutung, der ja zu keiner Zeit aufgehoben worden war. Noch in Augsburg, befand Luther sich in beträchtlicher Gefahr. Bezeichnenderweise hat Luther nach seiner Rückkehr nach Wittenberg gleich an ein Konzil appelliert. Man kann die Augsburger Appellation nicht behandeln, als wäre sie ohne massiven äußeren Druck und bei freier Entscheidung erfolgt: eine solche Deutung verkennt die Rcpressionsmethoden des Papsttums. 2

" Siehe B LOHSE, Evangelium in der Geschichte ..., 1988, 57-59.

295 296

WA 2,9,29-34 WA2.13,12f

130

Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung

Dabei verwies Luther auch auf die Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus in Antlochien und besonders auf die Zurechtweisung, die sich Petrus hat gefallen lassen müssen. 297 Die Tatsache, daß aus dem Verhör und der bloßen Aufforderung zum Widerruf mehr und mehr ein Streitgespräch wurde, wozu Cajetan nicht autorisiert war und wozu er an sich auch nicht bereit war, führte zu einer erheblichen Gereiztheit auf beiden Seiten. Bei der zweiten Thematik, wo es um die Heüsnotwendigkeit des Glaubens für den Sakramentsempfang ging, verlief die Debatte nicht erfolgreicher. Zu Luthers Satz, daß nicht das Sakrament, sondern der Glaube an das Sakrament rechtfertigt, 298 hat Cajetan in seinen Augsburger Traktaten gesagt: »Das heißt eine neue Kirche bauen;« denn das bedeute, die drei für das Bußsakrament konstitutiven Teile der Beichte, der Reue und der Satisfaktion durch einen vierten Teil, eben die »certa fides« auf der Seite des das Bußsakrament Empfangenden, zu ergänzen. Insofern bedürfe Luthers Satz nicht einer Antwort, sondern der Konektur. 2 9 9 Auch bei der Frage der Sakramente hat Cajetan auf die Autorität Roms verwiesen und damit deutlich gemacht, daß die Frage des Papsttums teils offen, teils versteckt das gesamte Verhör Luthers behenscht hat. Cajetan hat nämlich in seinen Augsburger Traktaten geschrieben, »daß es bei den Sakramenten niemandem erlaubt sei, von dem, was die römische Kirche tut und verkündet, abzuweichen: dies muß man also glauben und es nicht in Zweifel ziehen.« Cajetan zieht aus dieser Feststellung gleich die nötige Folgerung für den Schatz der Ablässe: was die römische Kirche hierzu vertrete, sei nicht erträumt oder erdacht, sondern stütze sich auf die Autontat der Hl. Schrift und die Lehrmeinung der heiligen Kirchenlehrer. 300 Cajetan hatte von seinem Ausgangspunkt her nicht die Voraussetzung, um Luthers Position in der Frage der Notwendigkeit des Heilsglaubens auch nur zu verstehen. Daß ein Mensch von der Sorge um das persönliche Angenommen-Sein durch Gott umgetrieben ist, war für ihn in seiner Theologie ohne Belang. In dem Verhör hat Cajetan offenbar nicht gesagt, daß Luther eine neue Kirche bauen wolle, wohl aber, daß er eine »neue und irrige Theologie« vertrete. 301 Dagegen hat Luther die pauhnischen Aussagen über den Glauben und die Glaubensgerechtigkeit angeführt, aber auch auf verschiedene Berichte der Evangelien verwiesen,

297

WA 2,10,7-17.

298

W A 1,544,40f O b Cajetan während des Verhörs tatsächlich die zweite Widcrrufsforderung hat fallen lassen, wie K.-V SELCE vermutet (ARG 60, 1969, 273), scheint mir fraglich. Dagegen spricht m.E. eindeutig der Bericht Luthers in WA 2,16,22-26; vorsichtig gegenüber Selges Vermutung auch J. W I C K S , Cajetan und die Anfänge der Reformation, 1983, 103 Anm. 90. 299 Ausführliches Zitat des Cajetan-Textes sowie Näheres bei O.H. PESCH, »Das heißt eine neue Kirche bauen«, ebd, 646 f. Anm. 5. 300 Cajetan, Opuscula Omnia, Lyon 1581, 113a,30-36. Daß die Ablässe sich auf die Hl. Schrift stützen, ist natürlich eine bloße Behauptung, für die Cajetan nicht einmal den Versuch einer Begründung unternommen hat. Siehe LOHSE, op.cit., 57. 301

WA 2,13,10.

Luthers Auseinandersetzung mit Cajetan

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aus denen ebenfalls die Heüswirksamkeit des Glaubens hervorgehe. 302 Besonders interessant ist, daß Luther sich darüber hinaus auch auf Augustin und Bernhard stützt. Augustin habe gesagt: »»Accedit verbum ad elementum, et fit sacramentum, non quia fit, sed quia creditur« (Das Wort tritt zum Element hinzu, und es entsteht das Sakrament, nicht weü es so geschieht, sondern weil es geglaubt wird). 3 0 3 N e ben Augustin nennt Luther auch Bernhard von Clairvaux, der ebenfalls den Heilsglauben betont hat: »Es ist nämlich notwendig, als erstes von allem zu glauben, daß du die Vergebung der Sünden nur durch das Verzeihen Gottes haben kannst. Doch fuge noch hinzu, daß du das auch glaubst, daß dir durch ihn die Sünden vergeben werden. Das ist das Zeugnis, welches der Hl. Geist in deinem Herzen gibt, indem er sagt »Dir sind deine Sünden vergeben«. So nämlich meint der Apostel, daß der Mensch umsonst durch den Glauben gerechtfertigt wird.« 304 Unter Verweis auf diese beiden Zeugen sowie auf weitere, von ihm nicht namentlich angeführte Autoritäten bat Luther Cajetan, nicht auf der Forderung nach Widerruf zu bestehen, weü er diesen nicht leisten könne. »Angesichts dieser Autoritäten kann ich nichts anderes tun [als sagen,] daß ich Gott mehr gehorchen muß als den Menschen.« 30 ' Cajetan behame jedoch auf der Widerrufsforderung und ließ sich durch Luthers Argumente aus der Hl. Schrift nicht beeindrucken. Damit stieß er bei Luther naturgemäß nur auf verstärkten Widerstand. Luther berichtet dann weiter: »Als er sah, daß ich die Fündlein der scholastischen Denker verwerfe, erklärte er, daß er gegen mich mit der Hl. Schrift und dem Kirchenrecht vorgehen werde.« Luther weiß allerdings nicht, wie er das tun wolle, da er in dem ganzen Verhör nichts aus der Hl. Schrift gegen Luther vorgebracht habe. 306 Damit war der Versuch Cajetans, den Streit um Luther beizulegen, gescheitert. Gewiß hatte dieser Versuch durch den doppelten Auftrag, den Cajetan hierfür erhalten hatte, unter keinem guten Stern gestanden. Luther hatte auf Grund der Initiative Friedrichs des Weisen auf ein sachliches Gespräch gehofft; der Kardinal war jedoch allenfalls zu einem väterlichen Verhör bereit gewesen. Darüber hinaus hatte Cajetan nicht die Fähigkeit gehabt, auf Luthers neues theologisches Fragen einzugehen. Luthers Abkehr von der Scholastik, seine sich auf die Hl. Schrift und besonders auf Paulus, aber auch auf einige der wichtigsten Väter der lateinischen Kirche stützende Theologie sowie seine Kntik am Ablaß, am Schatz der Kirche und an dem päpstlichem Anspruch, Ablässe gewähren zu können, hatten den Graben zwischen beiden Seiten sehr tief werden lassen.

302

WA 2,13,11-15,27. WA 2,15,28f. Luther hat hier die Ausfühningen Augustins in geraffter Form zitiert. Siehe Augustin, In Iohannis Euangelium Tractatus 8 0 , 3 ; CCSL 3 6 , 5 2 9 , 5 - 1 1 304 WA 2 , 1 5 , 3 5 - 1 6 , 3 . cf oben 39; B LOHSL, Luther und Bernhard von Clairvaux, in: BERNHARD VON CLAIRVAUX. Rezeption und Wirkung in Mittelalter und Neuzeit, in: Wolfenbütteler Mittelalter-Studien 6, hg. von Kaspar ELM, Wiesbaden 1994, 271-301 305 WA 2,16,11 f. 306 WA 2 , 1 6 , 3 1 - 1 7 , 6 . 303

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Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung

d) Luthers Appellation an den Papst und an ein Konzil Die beiden Appellationen Luthers nach dem Augsburger Verhör können hier deswegen zusammen gewürdigt werden, weü sie einmal das Scheitern der kirchlichen Vermitdungsversuche auf deutschem Boden, zum anderen aber die Weiterentwicklung in Luthers Stellung zu Kirche und Amt deutlich machen. In der Augsburger Appellation an den Papst vom 16./22. Oktober 1518 war Luther bestrebt, die unmittelbar drohenden, schweren Folgen des gescheiterten Verhörs vor Cajetan abzuwenden. Von sich aus hätte er diesen Schritt kaum getan; doch beugte er sich dem Rat anderer. 307 In dieser Appellation schildert er aus seiner Sicht den Hergang des Ablaßstreites, beruft sich darauf, daß der Papst über seine Angelegenheit nicht gut informiert sei, und macht geltend, daß die bislang bestellten Richter als Thomisten und Dominikaner parteiisch gewesen seien. Er bittet um die Bestellung unparteiischer, gelehrter Richter. Zudem betont Luther, daß er in der ganzen Angelegenheit nur »disputiert« habe und daß obendrein, was den gesamten Komplex der Ablässe betreffe, bislang nur verschiedene und unsichere Meinungen vertreten würden. Die Ergebenheit gegenüber dem Papst und die Bereitschaft, dessen Urteil als »Stimme Christi« zu hören, ist im Grunde nur die fast wörtliche Übernahme aus dem Brief von Ende Mai an Leo X. 308 Vermutlich hat man Luther den Rat gegeben, diesen Passus hier zu wiederholen. Nach den Diskussionsrunden mit Prierias und mit Cajetan hätte Luther diese Ergebenheit gegenüber dem Papst eigentlich nicht mehr in der gleichen Weise wie vorher zum Ausdruck bringen können. Es ist deshalb kein Wunder, daß Luther alsbald nach seiner Rückkehr in Wittenberg eine ganz andere Appellation ausgehen ließ. Luthers Appellation an ein KonzU, die er nach seiner Rückkehr in Wittenberg am 28. November 1518 vornahm, weist demgegenüber einen anderen Tenor auf. Bereits am 10. Oktober 1518 hatte Luther Spalatin brieflich mitgeteilt, er werde gewiß an das künftige KonzU appellieren, falls Cajetan eher mit Gewalt als mit Urteilskraft (magis vi quam iudicio) vorgehen werde. 309 In Kursachsen konnte Luther sich, obwohl gerade im Herbst 1518 auch hier sein Verbleiben alles andere als sicher war, frei äußern, in Augsburg im Grunde nicht. Ohne daß die Augsburger Appellation deswegen einfach als taktisch bedingt anzusehen wäre, wird man eher in der Wittenberger Appellation seine eigentliche Meinung ausgedrückt finden. In dieser Appellation hielt Luther sich formal an das Vorbild der Appellation der Sorbonne vom 27. März 1518 gegen das Konkordat von 1516, durch welches etliche Freiheiten der französischen Kirche für aufgehoben erklärt worden waren. 310 Luther bezieht sich hier auf die Beschlüsse des Konstanzer Konzds, daß 307

W A 2,27; M. BRECHT, Martin Luther, |Bd. 1], 248f. W A 2 , 3 2 , 2 4 - 2 7 ; cf. WA 1,529.22-25. 309 W A B r 1 Nr.97,59-61. 310 Siehe Hans-Jürgen BECKER, Die Appellation vom Papst an ein allgemeines Konzil: historische Entwicklung und kanomstische Diskussion im späten Mittelalter und in der frühen Neuzeit, in: F K R G 17, Köln 1988. 308

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das rechtmäßig versammelte, die ganze katholische Kirche repräsentierende Konzil über dem Papst stehe. 3 " Es ist Luther, wie aus seinen Aussagen indirekt hervorgeht, offenkundig bekannt gewesen, daß die Päpste im ausgehenden Mittelalter mehrfach die Appellation an ein KonzU verboten hatten. Weiter verwahrt Luther sich gegen die UntersteUung, er habe gegen die gesamte Kirche oder gegen die Autorität des Papstes etwas schreiben wollen. Allerdings erinnert er daran, daß auch der Papst ein Mensch ist und daß selbst Petrus, wie aus Galater 2 Vers 14 hervorgehe, zuweilen schwach gewesen sei und sich von Paulus habe korrigieren lassen müssen. Luther bezieht sich darauf, daß »wir Gläubigen« auf Grund dieses Beispiels dahin unterwiesen werden, daß man dem Papst, falls er etwas gegen die göttlichen Gebote anordnet, nicht nur nicht gehorchen dürfe, sondern ihm zusammen mit dem Apostel Paulus »ins Angesicht« widerstehen müsse. 312 In diesem Sinne prangert Luther die »unsinnigen, häretischen und gotteslästerlichen« Ablaßpredigten an, durch die das einfache Kirchenvolk verführt wird; Luther betont dabei, daß durch diese Predigten auch das päpstliche Amt zum Gespött wird. Gegen den Dialog des SUvester Prierias macht er geltend, daß die Gewalt des Papstes »non contra nee supra sed pro et infra scripturae et veritatis maiestatem« (nicht gegen oder über die Majestät der Schrift und der Wahrheit, sondern für sie und unterhalb ihrer) sei. 3 ' 3 Deshalb appeUiert Luther an ein künftiges KonzU, das an einem sicheren Ort tagen kann und zu dem auch Luther oder ein anderer Vertreter seiner Sache freien Zugang haben kann. Die Frage, wie diese KonzilsappeUation zu beurteilen ist und welche Konsequenzen sich von ihr für das BUd von Luthers Ekklesiologie ergeben, ist nicht leicht zu beantworten. Auf der einen Seite knüpft Luther hier zweifeUos an wesentliche Tendenzen des spätmittelalterlichen KonzUiarismus an, wie die Berufung auf die Beschlüsse von Konstanz und Basel über die Unterordnung der päpstlichen Gewalt unter die Konzilisautorität beweisen. Auf der anderen Seite ist aber der Unterschied zwischen Luther und dem Konziliarismus unübersehbar: nach Luther steht auch ein Konzil »unter der Schrift«; seine Beschlüsse müssen es sich gefallen lassen, daß sie an der Hl. Schrift überprüft werden. 3 1 4 Es ist gleichwohl nicht 311 Siehe den Beschluß des Konstanzer Konzils vom 6. Apnl 1415 in: QUELLEN zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, hg. von Carl MiRBt und Kurt ALAND, 6. Aufl. T ü bingen 1967, Bd. 1, Nr. 767: »Et p n m o declarat [saneta synodus Constantiensis], quod ipsa in Spintu saneto legitime congregata, generale concilium faciens, et ecclesiam cathoheam militantem repraesentans, potestatem a Christo immediate habet, cui quihbet cuiuscumque Status vel dignitatis, etiam si papalis exsistat, obedire tenetur in his quae pertinent ad fidem et exstirpationem dicti schismatis, ac generalem reformationem dietae ecclesiae Dei in capite et in membns.« cf. den ähnlich lautenden Beschluß des Baseler Konzils vom 16. Mai 1439, ebd Nr. 776. Luther hat diese Beschlüsse nicht ganz wörtlich, in manchem jedoch sogar in zugespitzter Wiedergabe erwähnt: W A 2 , 3 6 , 2 2 - 3 2 . 312 WA 2,37,12-28. 313 W A 2,39,31 f. 3U Dies ist mit Recht herausgestellt worden von Christa TECKLENBURCJOHNS, Luthers Konzilsidee in ihrer histonschen Bedingtheit und ihrem reformatorischen Neuansatz, in: T B T 10, Berlin 1966, 133-143.

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berechtigt, deswegen Luthers KonzilsappeUation lediglich als ein »Manöver« h i n zusteUen. 3 , : > Für Luthers Position gab es kein direktes VorbUd in d e r V e r g a n g e n heit. A m ehesten k o n n t e er sich allerdings mit b e s t i m m t e n G e d a n k e n des K o n zUiansmus identifizieren; das hat er hier getan, dabei aber zugleich seinen a b w e i c h e n d e n S t a n d p u n k t deutlich g e m a c h t .

7) Luthers Auseinandersetzung mit Eck über die Autorität von Papst und Konzil (1519) Quellen: W A 59, 427-605 (Text der Leipziger Disputation). Lit.: Joseph LORTZ, Die Leipziger Disputation, in: BZThS 3, 1926, 12-37. Ernst KAHLER, Beobachtungen zum Problem von Schrift und Tradition in der Leipziger Disputation von 1519, in: HÖREN und Handeln. FS Ernst W O L F , hg. von Helmut GOLLWITZER und Hellmut

TRAUB, München 1962, 214-229. Folkert RICKERS, Das Petrusbild Luthers. Ein Beitrag zu seiner Auseinandersetzung mit dem Papsttum, Diss.theol.(Masch) Heidelberg 1967. Remigius BÄUMER, Martin Luther und der Papst, in: KLK 30, 2. Aufl. Münster 1971, 4 9 53. Kurt-Victor SELCE, Der Weg zur Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck im Jahr 1519, in: BLEIBENDES im Wandel der Kirchengeschichte. Kirchenhistorische Studien, hg. von Bernd MOELLER und Gerhard RUHBACH, Tübingen 1973, 169- 210. Ders., Die Leipziger Disputation zwischen Luther und Eck, in: ZKG 86, 1975,26-40. Martin BRECHT, Martin Luther. Sein Weg zur Reformation, [Bd. 1|, Stuttgart 1981, 285-332. Kurt ALAND, Luther und die römische Kirche, (1984) in (Aland): Supplementa zu den Neutestamentlichen und den Kirchengeschichtlichen Entwürfen. Zum 75. Geburtstag hg. von Beate K ö STER, Hans-Udo ROSENBAUM und Michael WELTE, Berlin/New York 1990, 2 2 6 - 2 7 3 .

a) D i e V o r b e r e i t u n g d e r Leipziger Disputation D i e Leipziger Disputation steUt zweifeUos einen w e i t e r e n H ö h e p u n k t in d e r früh e n Reformationsgeschichte dar. A u f ihr w u r d e n die beiderseitigen S t a n d p u n k t e in d e r Frage d e r Konzils- u n d der Papstautorität schärfer als z u v o r formuliert. A u ß e r d e m w u r d e der V o r w u r f d e r Häresie gegen L u t h e r m i t g r ö ß e r e m N a c h d r u c k als v o r h e r e r h o b e n . Ferner hat Luther auch seine Auffassung ü b e r die A u torität d e r H l . Schrift näher entfaltet. Z u g l e i c h m u ß aber auch beachtet w e r d e n , daß L u t h e r d u r c h die Z u s p i t z u n g des Konfliktes veranlaßt w u r d e , seine E k k l e s i o logie in einer Weise zu akzentuieren, w i e er es an sich nicht beabsichtigt hatte. D i e fortschreitende Eskalation d e r Auseinandersetzung hat L u t h e r hier zu K o n s e q u e n z e n gedrängt, die er i m G r u n d e w o h l gern v e r m i e d e n hätte; d a m i t sind z u d e m b e s t i m m t e , z u v o r g e g e b e n e M ö g l i c h k e i t e n ausgeschlossen w o r d e n . Für die Interpretation ist es dabei w i c h t i g , d e n Disput nicht n u r als einen rein a k a d e -

315

So Hubert JEDIN, Das Konzil von Tnent, Bd. 1, 2. Aufl. Freiburg 1951,143. cf. auch Remigius BAUMLR, Martin Luther und der Papst, in: KLK 30, 2. Aufl. Münster 1971, 36—42

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misch-theologischen zu werten, sondern den Bezug zu der Ablaßfrage und dem Verhalten der Hierarchie in dem Ablaßstreit zu beachten. Durch Ecks »Obehsci« vom Frühjahr 1518 316 fühlte sich Luthers KoUege Andreas Bodenstein von Karlstadt (1486-1541) 3 ' 7 mit betroffen. Gegen Eck veröffentlichte Karlstadt im Mai 1518 seine »Apologeticae conclusiones«, in denen er Eck namentlich angriff und nicht nur die Autorität der Hl. Schrift verteidigte, sondern die Unfähigkeit des menschlichen Willens zum Guten sowie die Passivität des Menschen gegenüber der Gnade vertrat. Auf Grund dieses Schlagabtausches entstand der Plan für eine Disputation, für welche Eck Leipzig als Ort vorschlug. 318 In den ursprünglich 12 Thesen, welche Eck für die geplante Disputation veröffentlichte, wandte er sich hauptsächlich gegen Luther. 319 Die 12. These Ecks, die in der bald folgenden erweiterten Ausgabe dann die 13. These wurde, betraf das brisante Problem der VonangsteUung Roms. Hier griff Eck die Position Luthers an, die er folgendennaßen umschrieb: »Wir bestreiten, daß die römische Kirche vor der Zeit von Silvester [L, 314—335] den anderen Kirchen übergeordnet war, aber wir haben den, der den Stuhl des heiligen Petrus und den Glauben gehabt hat, immer als den Nachfolger des Petrus und den allgemeinen SteUvertreter C h n sti anerkannt.« 320 Hatte Luther auf die zunächst 12 Thesen Ecks mit 12 Gegenthesen geantwortet, so veröffentlichte er gegen die nunmehr 13 Thesen Ecks seine 13 Gegenthesen. 321 Luthers 13. Gegenthese lautet: »Daß die römische Kirche über allen anderen steht, wird bewiesen aus den eiskalten Dekreten der römischen Päpste in den letzten 400 Jahren, gegen welche die bewährte Geschichte der ersten 1100 Jahre, der Text der Hl. Schrift und der Beschluß des Nizänischen Konzils, des heiligsten von allen, steht.« 322 Von besonderer Bedeutung wurde im Vorfeld der Leipziger Disputation die umfangreiche Erläuterung Luthers zu seiner 13. These, »Resolutio Lutheriana super propositione sua decima tertia de potestate papae«, die Luther auf Grund m-

3

" Siehe oben 120. Siehe Ulrich BUBENHEIMER, Art. Karlstadt, in: T R E 17, 1988, 649-657 311 Zur Vorgeschichte der Leipziger Disputanon siehe M. BRECHT, ebd, 285-295; U. BUBENHEIMER, ebd, 650. 3 " Eck hatte ursprünglich 12 Thesen veröffentlicht (WA 9,208-210), auf die Luther mit 12 Thesen antwortete. Dann schob Eck eine neue 7. These ein, in der er Karlstadt angriff, damit es nicht den Anschein habe, als wende er sich nur gegen Luther. 320 W A 9,209f: »Romanam ecclesiam non fuisse supenorem alus ecclesns ante tempora Sylvestn negamus, sed eum. qui scdcm beatissimi Petn habuit et fidem, successorem Petn et vicanum Christi generalem semper agnovimus.« Eck bezog sich dabei auf eine Äußerung Luthers in seinen »Resolutiones« zu den Ablaßthesen, daß die römische Kirche zur Zeit Gregors I (590-604) noch nicht den anderen Kirchen übergeordnet gewesen sei; W A 1,571,16-20. 321 Siehe WA 2,160 f. 322 W A 2,161,35-39: »Romanam Ecclesiam esse omnibus aliis supenorem, probatur ex frigidissimis Romanorum Pontificum decretis intra C C C C annos natis, contra quae sunt histonae approbatae M C annorum, textus senpturae divinae et decretum Niceni Concilii omnium sacratissimi.« 3,7

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tensiver kirchenhistorischer Studien im Juni 1519 erscheinen ließ, so daß diese Abhandlung bei Beginn der Leipziger Disputation bereits vorlag. Bald nach der Disputation ließ Luther sie in einer etwas erweiterten Ausgabe erneut veröffentlichen. Zu keiner anderen Zeit hat Luther sich in ähnlich starkem Maße mit kirchenhistorischen Fragen befaßt wie damals bei der Vorbereitung der Leipziger Disputation. Ohne diese Vorarbeiten hätte Luther kaum während der Disputation selbst in Detailfragen seinem Gegner so kenntnisreich und sicher begegnen können, wie er es tat. Diese Schrift hat gegenüber der Disputation den Vorzug, daß Luther hier weitaus systematischer seine Auffassung vom Papsttum entfalten konnte, als es in der Disputation möglich war. Im Blick auf die weitere Ausbildung der reformatorischen Theologie hat diese Schrift vor allem in folgenden Fragen Bedeutung. Zunächst, Luther betont hier in einem ersten Teil 323 die entscheidende Autorität der Hl. Schrift für die Klärung sämtlicher Glaubensfragen stärker als vorher. Was die Autorität des Papsttums betrifft, die in der Kontroverse um Luther ganz in den Vordergrund gerückt war, so will Luther allein die Hl. Schrift als Richter akzeptieren. In ihrem Licht müssen daher auch die Zeugnisse der Kirchenväter sowie kirchliche Entscheidungen aUer Art gesehen werden. 324 Diese FeststeUung schließt für Luther ein, daß der Sinn bestimmter TextsteUen, die zur Begründung der päpstlichen Gewalt herangezogen werden, auf das sorgfältigste untersucht werden muß. In dieser Schrift zeigt sich deutlicher als zuvor das sogenannte refonnatorische Schriftprinzip. Dabei ist es wichtig, daß Luther sich dagegen verwahrt, er sei gegen das Papsttum oder er bestreite, daß es das Papsttum gegeben habe oder gebe. Luther gibt auch zu, daß es ohne Gottes WiUen schwerlich zur Ausbildung des Papsttums gekommen wäre; diese FeststeUung gilt selbst dann, wenn es für das Papsttum keinen hinreichenden Schriftgrund gibt. Vielmehr geht es ihm um die Begründung, die für das Papsttum gegeben wird. 323 Der Streit betrifft also wichtigere Fragen als die der äußeren Anerkennung des Papsttums. Luther kann hierzu sogar sagen, daß man sich nicht vom Papsttum trennen dürfe, weil damit auch die geistliche Einheit aufgegeben würde. 3 2 6 FreUich: er begründet die Akzeptanz des Papsttums mit dem Gebot, im Sinne von Römer 13 der Obngkeit untenan zu sein, 327 also nicht von Matthäus 16 Vers 18 f. her. Die bisher gegebenen Begründungen des Papsttums hält Luther nicht für stichhaltig. 328 323

Die Schnft hat folgende drei Teile: W A 2 , 1 8 7 , 3 6 - 1 9 7 , 4 2 ; 198,1-225,28; 225,29-239,35. Siehe besonders W A 2 , 1 8 4 , 1 - 3 . 325 WA 2,185,13-186,14. 326 WA 2 , 1 8 6 , 2 8 - 3 0 . 327 WA 2,186,38—187,7. In ähnlicher Weise hatte Luther vorher schon in seinen »Resolutiones disputationum de mdulgentiarum virtute« (1518) den Gehorsam gegenüber Papst und Bischöfen mit R o m . 13 begründet: WA 1,618,24—28. Siehe hierzu Johannes HECKEL, Initia iuris ecclesiastici Protestantium, in: SBAW.PH 1949 H . 5 , München 1950, besonders 35-39; 60-70. 328 W A 2,187,33-35. 324

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Die Einzelargumentation ist hier insofern von Interesse, als Luther bei seiner Auslegung von Matthäus 16 Vers 18 f. hervorhebt, daß Jesus dem Petrus hier nicht die Schlüssel übergibt, sondern ihm verheißt, daß er dies tun werde; die ErfüUung sei im Johannes-Evangelium cap. 20 Vers 22 f. berichtet, wonach aber eben alle Apostel die Vollmacht der Sündenvergebung erhalten haben. Anders gesagt: die Schlüssel sind der Gemeinschaft der HeUigen, also der Kirche übergeben, die ihrerseits die Schlüssel einem Einzelnen übertragen kann. 329 Wer dagegen den Text Matthäus 16 Vers 18 f. auf den römischen Stuhl und damit auf den Papst bezieht, tut diesem Text Gewalt an. So ergibt sich, daß weder Matthäus 16 Vers 18 f. noch Johannes 20 Vers 22 f. für die Frage, wie sich das Papsttum vom Neuen Testament her begründen läßt, etwas austragen. Sodann geht Luther im zweiten Ted dieser Schrift auf die Dekrete des Kirchenrechts ein, um sie freilich ebenfalls am Neuen Testament zu überprüfen. Dabei betont Luther, daß er die Dekrete nicht ablehnt. 330 Aber wenn man sagt, daß Matthäus 16 Vers 18 f. die römische Kirche meint, ergibt sich die Folgerung, daß dann die Urkirche nicht Kirche gewesen ist.331 Obendrein kritisiert Luther, daß in der lateinischen Kirche alle Bischöfe durch den Bischof von R o m ordiniert werden. 332 Von der Kirchengeschichte her äußert er, daß es einfach nicht stimmt, daß KonzUsbeschlüsse erst durch die römische Bestätigung in Kraft getreten sein soUen.333 Ein anderer wichtiger Punkt, den Luther bei der Überprüfung der Aussagen des Kirchenrechts hervorhebt: das weltliche Schwert untersteht — entgegen dem römischen Anspruch — nicht der Verfügungsgewalt des Papstes. 334 Schließlich erörtert Luther in einem dritten Teil die Gründe, die aus dem Kirchenrecht oder auch sonst zur Bekräftigung des Papsttums beigebracht zu werden pflegen. Luther räumt hier zwar ein, daß R o m faktisch gegenüber den meisten Kirchen einen Vorrang gehabt hat, macht aber geltend, daß diese FeststeUung nicht für die Kirchen in Griechenland, Afrika und Asien gdt: hier hat R o m , wie sich aus der Geschichte erweisen läßt, niemals Bischöfe bestätigt oder eingesetzt. 335 Weiter hebt Luther hervor, daß in den letzten Jahrhunderten immer mehr Gesetze erlassen worden seien, um die Autorität Roms durchzusetzen, daß dabei aber die Kirche immer mehr in Verfall geraten sei. Luther bringt weitere Argumente aus der Geschichte bei: in der alexandrinischen Kirche hätten die Presbyter jeweils einen aus ihrer Mitte erwählt und ihn zum Bischof erhoben, so wie etwa ein Heer jemanden zum Feldherrn ernannt habe. 336 Damit aber werde ein römischer Primatsanspruch ad absurdum geführt. 329 330

331 332

W A 2,194,5-8. W A 2,199,8.

WA 2,202,24-28. WA 2,210,18-32.

333

W A 2,216,16-25.

334

WA 2,222,11-223,18. WA 2,225,35-38. WA 2,228,22-25.

335 336

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Luther gesteht, er wisse nicht, ob der christliche Glaube es zulasse, daß es außer Christus für die universale Kirche noch ein anderes Haupt gebe. 337 Weiter, Luther lehnt es ab, das Papsttum noch als »iure divino« (göttlichen Rechtes) zu bezeichnen. 338 Als eine Größe menschlichen Rechtes ist Luther noch bereit, den Papst anzuerkennen. Schließlich, Luther macht mit Nachdruck geltend, daß angesichts des Todes oder in einer Notlage jeder Priester die VoUmacht habe, die sich sonst die Bischöfe und der Papst zuschreiben: auch von dieser unbestrittenen Praxis der Kirche her wird der iure divino-Charakter des Papsttums widerlegt. 339 In dieser Schrift hat Luthers Art, Theologie zu treiben, eine neue Qualität erreicht. Hatte er zunächst als Exeget begonnen, dann bei der Wittenberger Universitätsrefonn mitgewirkt und den Weg erst in die akademische, bald auch in die allgemeine Öffentlichkeit angetreten, wobei er um die theologische Klärung offener und strittiger Fragen bemüht war, so hat er hier eine Streitschrift vorgelegt, welche die Fundamente der spätmittelalterhchen Kirche angriff. Luther hätte eine solche Auseinandersetzung gern vermieden; er sah sich aber durch die Positionen von Prierias, Cajetan und Eck dazu gezwungen, in seiner Kritik weiterzugehen, als er es an sich vorgehabt hatte. Mit exegetischen, kirchenhistonschen und allgemeinen Argumenten wird hier der Anspruch auf göttliches Recht für das Papsttum widerlegt. Die Tatsache, daß Luther das Papsttum als bloß menschliche Größe noch anerkennt, zeigt, wie Luther bemüht ist, die Folgen seiner Kritik nach Möglichkeit zu mildern; aber sie ändert nichts an der radikalen Konsequenz seiner Theologie. b) Die Leipziger Disputation Aufschlußreich für die Haltung zu den Streitfragen sind die verschiedenen »Protestationes«, welche Karlstadt, Eck und Luther zu Beginn der Disputation abgaben. Was Karlstadt betrifft, so erklärte er, daß er niemals von der katholischen Kirche habe abweichen wollen. Allerdings hob er zugleich die Autorität der Schrift hervor, ohne die er nichts behaupten woUe. 340 Eck bekräftigte, daß er nichts behaupten woUe, was gegen die Schrift oder die heilige Mutter Kirche sei. Er sei bereit, sich durch den apostolischen Stuhl komgieren zu lassen.341 Luther schließlich machte sich zunächst die Protestationes der beiden anderen zu eigen, fugte dann aber hinzu, daß er aus Ehrfurcht vor dem Papst und der römischen Kirche den Disputationsgegenstand, der zudem »nicht notwendig« sei, gern übergangen hätte, wenn er nicht durch Ecks Thesen genötigt worden wäre, darauf einzugehen. Er bedauerte, daß diejenigen, welche ihn als Häretiker verdächtigt hätten, nicht zu-

337 338 339 340 341

WA2,239,23f W A 2,227,28-31. W A 2,239,36-240,4. W A 59,433,18-30. W A 59,433,31-434,38

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gegen seien.342 Auch hier zeigt sich also, daß Luther die Kontroverse um die Papstautorität nicht für zentral und nicht für entscheidend hielt. Doch der Streit zwang ihn, sich hierauf einzulassen. Luther ist auch in der Leipziger Disputation noch weit davon entfernt, das Papsttum schlechthin abzulehnen. Wie in der vorher erschienenen »Resolutio« zur 13. These, so grenzt er auch hier die Bedeutung Roms ein. Als Mutter aller Kirchen hat Jerusalem zu gelten; auch die römische Kirche ist von Jerusalem aus entstanden. Gleich zu Beginn sagt Luther, daß man nicht sagen könne, daß R o m »das Haupt und die Herrin aller Kirchen« ist; eher könnte man dies sonst für Jerusalem behaupten. 343 Weiter wiederholt Luther hier sein Argument, daß nach Hieronymus der Titel »Presbyter« das gleiche bedeute wie der des »Bischofs«.344 Von daher ergibt sich, daß Petrus zwar der Erste unter den Aposteln war, daß er aber keine Prärogative der »potestas«, sondern des »honor« hatte. 345 Interessant ist, daß Eck sich bei seiner Verteidigung des päpstlichen Primats als göttlichen Rechtes nicht zuletzt auf die berühmte BuUe »Unam sanetam« von Papst Bonifatius VIII. aus dem Jahre 1302 beruft, in der sich nicht nur die »ZweiSchwerter-Theorie« in besonders ausgeprägter Form findet, sondern auch die Heilsnorwendigkeit des päpstlichen Primats scharf behauptet wird. 346 Dabei verweist Eck ausdrücklich darauf, daß die Sätze von Wyclif und H u ß , die sich gegen diese BuUe richteten, verdammt worden sind. 347 Eck hat ganz offenbar mit Überlegung dieses Thema angeschnitten, um Luther zu einer entgegengesetzten Äußerung zu provozieren. Tatsächlich hat Luther kurz darauf erklärt, daß unter den Artikeln von Huß oder von den Böhmen viele höchst christliche und evangelische gewesen sind, welche die universale Kirche nicht verurteüen kann, wie etwa jener Satz, daß es nur eine universale Kirche gibt. 348 Zu den höchst christlichen Sätzen rechnet Luther auch jenen Satz von Huß, daß es nicht heilsnotwendig sei zu glauben, daß die römische Kirche den anderen Kirchen übergeordnet ist, wobei Luther barsch

342

WA 59,434,39-49. W A 59,439,194-197. 344 W A 59,439,215-440,218. 345 W A 59,447,458—460 »Hoc sane fateor, apostolum Petrum fuissc p n m u m in numero apostolorum et ei deberi honoris praerogativam, sed non potestatis.« 346 Siehe QUELLEN zur Geschichte des Papsttums und des römischen Katholizismus, Bd. 1, 6. Aufl. hg. von Kurt ALAND, Tübingen 1967, Nr. 746. Zu den beiden Schwertern heißt es hier: »Uterque ergo est in potestate ecclesiae, spintualis scihcet gladius et matenalis. Sed is quidem pro ecclesia, ille vero ab ecclesia exercendus« (Beide Schwerter sind also in der Hand der Kirche, das geistliche und das weltliche. Dieses ist für die Kirche, jenes aber von der Kirche zu handhaben). Zu der Heilsnotwcndigkeit des Papstamtes heißt es ohne jede Einschränkung: »Porro subesse R o m a n o Pontifici o m nino humanae creaturac declaramus, dicimus, diffinimus et pronunciamus o m n i n o esse de necessitate salutis« (Im übrigen erklären, sagen, bestimmen und verkünden wir, daß es für jeden Menschen heilsnotwendig ist, dem Papst Untertan zu sein). 343

347 348

W A 59,461,880-891; cf. DS 1191 W A 59,466,1048-1051.

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hinzufügt, es sei ihm gleichgültig, ob das ein Satz von Wyclif oder von Huß sei. Zur Begründung verweist Luther darauf, daß auch Kirchenväter wie Basilius, Gregor von Nazianz, Epiphanius und zahlreiche andere diesen Artikel nicht beachtet hätten. 349 Hier entspann sich ein Dialog über die Folgerungen, welche aus der Geschichte der alten Kirche für die Frage des Primates gezogen werden können. Während Luther zu Recht geltend machen konnte, daß viele bedeutende Kirchenväter von einem Primat Roms nichts gewußt hätten, konnte Eck ebenfalls zu Recht darauf verweisen, daß etwa im christologischen Streit der Konstantinopeler Patnarch Flavian an Leo I. appeUiert habe, um entsprechend früheren Entscheidungen die Zwei-Naturen-Lehre beizubehalten, und daß Flavian sich nicht zuletzt dank der Unterstützung von R o m habe behaupten können. Auch Flavians Wiedereinsetzung in sein Patriarchenamt durch das KonzU von Chalkedon sei mit durch die Haltung R o m s zustandegekommen. 3:>0 Ja, Eck bemühte sich sogar um den Nachweis, daß auch Athanasius bereits an R o m appeUiert habe; 331 diese Behauptung läßt sich freilich nicht halten. Von grundsätzlicher Bedeudung sind dann Luthers Worte: »Es liegt nicht in der Gewalt des römischen Papstes oder eines Inquisitors der Häresie, neue Glaubensartikel zu schaffen, vielmehr [ist es ihre Aufgabe,] gemäß den bestehenden Glaubensartikeln zu urteden. Kein gläubiger Christ kann über die Hl. Schrift hinaus [zum Glauben an einen Artikel] gezwungen werden, die in eigentlichem Sinne göttliches Recht ist, es sei denn, daß eine neue und bewährte Offenbarung hinzukommt.« 332 Wie schon früher in seiner »Resolutio« zu der 13. These, so beruft Luther sich auch jetzt für diese HeraussteUung der Schriftautorität auf Johannes Gerson sowie besonders auf Augustins Wort: »Ich habe gelernt, allen denjenigen Büchern diese Ehre zuzubilligen, die als die kanonischen gelten.« 333 Eck hat Luther daraufhin wegen seiner Weigerung, den Vorrang Roms als heilsnotwendig zu akzeptieren, als Patron der Böhmen hingesteUt.354 Von den weiteren Diskussionsgängen ist für die theologische Argumentation Luthers besonders wichtig, daß Luther sich für seine Behauptung, daß KonzUien irren können, auf Panormitanus beruft. Nikolaus von Tudeschi (1386-1445), meist Panormitanus genannt, gUt als der letzte bedeutende Kirchenrechtslehrer des Mittelalters und hat auch in seiner Zeit als Erzbischof von Palermo (14351445) durch Gutachten und Kirchenrechtskommentierungen besonders den Weg des Konzils von Basel/Ferrara (1431—1449) begleitet. Im 16. Jahrhundert war er bei Altgläubigen wie Evangelischen geachtet, wenn auch jeweils für unterschied349

W A 59,466,1055-1059. W A Br 1 N r . 1 9 2 p. 482,130-135 (Bnef Ecks an Fnedrich den Weisen vom 8.11.1519); cf. p. 483,142-144; 484,212-485,215. 351 W A Br 1 Nr. 192 p. 485,223 (Eck an Fnednch den Weisen am 8.11.1519). 352 W A 59,466,1059-1062. 353 W A 59,466,1064^*67,1070; Augustin, e p . 8 2 , 3 ; cf. oben 40, Anm. 42. 354 W A 59,472,1230-1247. 350

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liehe Ansichten. 333 Für seine Ansicht über die Irrtumsfähigkeit von KonzUien konnte Luther sich zu Recht auf Panormitanus berufen 336 — ein weiteres Zeichen dafür, daß sowohl bei der Schnftautontät als auch bei der Konzilsautontät Traditionshnien des Mittelalters ebenso zu reformatorischen wie zu antireformatonschen Positionen des 16. Jahrhunderts führen. Folgende Ansicht Luthers ist allerdings nicht mehr durch Panormitanus vorbereitet, daß nämlich das KonzU »ein Geschöpf des Wortes« ist.337 Auch die Verbindung von Schriftautorität und Behauptung der Irrtumsfähigkeit von Konzilien läßt sich durch Panormitanus nicht belegen. Allerdings hat Luther seine Ansicht über die Irrtumsfähigkeit von KonzUien im weiteren Verlauf insofern relativiert, als er einräumte, daß nach seiner Ansicht weder ein Konzil noch die Kirche im ganzen in Glaubensfragen ine; bei anderen Fragen sei es ja auch nicht notwendig, daß die Kirche irrtumsfrei sei. 358 Für die Frage der Schriftautorität im reformatorischen Verständnis muß noch hervorgehoben werden, daß Luther auf der Leipziger Disputation zum ersten Mal einen deutlichen Unterschied macht zwischen den kanonischen Schriften im eigentlichen Sinne und den »Apokryphen«, d. h. denjenigen Schriften, die nicht im hebräischen, sondern im griechischen Alten Testament enthalten sind. Bei der Frage des Fegefeuers wurde üblicherweise 2. Makkabäer 12 Vers 46 — »Darum hat er [Judas Maccabaeus] auch für die Toten gebeten, daß ihnen die Sünde vergeben würde« - als Beleg herangezogen. Luther hat hierzu gesagt: »Es ist jedoch meine Meinung, daß in der ganzen Schrift das Gedächtnis an das Fegefeuer nicht so begegnet, daß es im Falle der Bestreitung bestehen und überzeugend geltend gemacht werden könnte. Denn was das Buch der Makkabäer betrifft, so ist es, da es nicht im Kanon steht, zwar für die Gläubigen beweiskräftig, vermag jedoch nichts gegen die Hartnäckigen.« 339 Damit hat Luther deutlich gemacht, daß das Gewicht einzelner Aussagen in der Bibel durchaus geprüft werden muß: die Schriftautorität muß von der sachlichen Mitte der Schrift her verstanden werden. c) Die Nachwirkung der Leipziger Disputation So wichtig auch die Folgen der Leipziger Disputation für den kanonischen Prozeß gegen Luther waren, 360 so hat die Disputation auch für Luthers eigene Theologie wichtige Konsequenzen gehabt, die verschiedene Fragen betreffen. 355

Melanchthon hat ihn in Apol. 11,8 (65) zitiert: BSLK 251,25-29. Siehe WA 59,480 Anm. 280. 357 W A 59,479,1465. 338 WA 59,547,3577—3579 »Et ut meo sensu loquar, credo concilium et ecclesiam nunquam errare in his quae sunt fidei; in caetens non est neecsse non errare.« 359 W A 59,527,2936-528,2939. Siehe hierzu B. LOHSE, Die Entscheidung der lutherischen R e formation über den Umfang des alttestamenthchen Kanons (1987), in: (Lohse) Evangelium in der Geschichte Studien zu Luther und der Reformation, Göttingen 1988, 211-236, hier 2 1 9 f 360 Zu diesen Aspekten siehe vor allem M. B R I C H T , Martin Luther, [Bd 1,] 307-332. 356

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Luthers Theologie in ihrer histonschen Entwicklung

Zunächst, Luther blieb nicht dabei stehen, daß er nur etliche Artikel von Huß, die in Konstanz verurteUt worden waren, für chnstlich und evangelisch hielt. Auf Grund der sich nunmehr anbahnenden Kontakte zwischen böhmischen Theologen und Luther sowie nach Lektüre einiger Schriften von Huß gelangte Luther zu der Erkenntnis, daß in allen wesentlichen Fragen bereits Huß »evangelisch« gelehrt und dafür den Märtyrertod erlitten habe. Luther urteUte also bald über die Hussiten wesentlich positiver als in Leipzig.361 Die Kntik an den Hussiten trat hingegen ganz zurück. Bereits im Juni 1520 forderte Luther in der Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung«, daß ernsthafte Verhandlungen mit den Böhmen geführt werden soUen mit dem Ziel, nach Möglichkeit die Kirchenspaltung zu überwinden. Luther hat dabei über bestimmte Sonderlehren der Böhmen überraschend vorsichtig und differenziert geurteUt. 362 Sodann, die Frage der Schriftautorität bedurfte weiterer Klärung. Luther hat zwar auch nach 1519 nicht selten geradezu den Buchstaben oder bestimmte Verse der Bibel im Sinne einer absoluten Autorität betonen können; aber er hat doch andererseits von nun an stärker differenziert und in gewissem Sinne auch sachkritische Erwägungen ansteUen können. Die Schnft darf nicht wie ein Gesetzbuch oder wie ein Nachschlagewerk gebraucht werden, um anstehende Fragen zu beantworten, sondern muß stets unter Berücksichtigung ihres zentralen Inhaltes interpretiert werden. Auch diese Differenzierung ist, so sehr sie bei Luther schon früher angelegt ist, doch erst im Verlauf des Ablaßstreites erfolgt. Weiter hat die Leipziger Disputation auch für Luthers Kirchenbegriff wichtige Konsequenzen mit sich gebracht. In seinen frühen Vorlesungen hatte Luther bei der Kirche ganz das geistliche Moment betont und in der Kirche letztlich die Zahl der Gläubigen erblickt. Weder das Papsttum noch die Hierarchie waren für ihn anfangs ein Problem gewesen. 363 Einen besonderen Schwerpunkt hatte Luthers Ekklesiologie in der GegenübersteUung von »Geistlich« und »Leiblich« gehabt. Alle diese Gedanken sind von Luther in den Kontroversen des Jahres 1519 keineswegs aufgegeben worden. In den Vordergrund treten jedoch einmal die Kontroversfragen, sodann aber unweigerlich auch gewisse neue Akzente, die sich von ihnen aus für Luthers eigene Ekklesiologie ergeben. Die Terminologie »Geistlich« und »Weltlich« wird allmählich durch die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche abgelöst. Der Grund für diese Veränderung besteht dann, daß die kirchlichen Verurteilungen nicht mehr ohne weiteres übernommen werden können. Vielmehr wird

361

Siehe Jaroslav PELIKAN, Obedient Rcbels. Cathohc Substance and Protestant Pnnciple in Luther's Reformation, London 1964; B LOHSE, Luther und H u ß (1965), in: (Lohse) Evangelium in der Geschichte, 1988, 65-79; Scott H. HENDRIX, »We are all Hussites«? Hus and Luther Revisited, in: A R G 65, 1974, 134-161 342 Siehe besonders W A 6,454,17-457,27 363 Siehe o. 75 f.

Luthers Auseinandersetzung mit der Sakramentslehre seiner Zeit

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mit der Revision des Urteils über die Hussiten die Selbstverständlichkeit bei der Gleichsetzung von katholischer Kirche und wahrer Christenheit problematisch: Luther kann der Erkenntnis nicht ausweichen, daß es auch außerhalb der katholischen Kirche Chnsten gibt, ja daß ediche von diesen Christen außerhalb der abendländischen Kirche exkommuniziert worden sind, obwohl sie in mancher Hinsicht mit mehr Recht als Christen angesprochen werden können als die Glieder der katholischen Kirche. Was »chnsdich« ist, kann nicht ohne weiteres von der Zugehörigkeit zur Kirche, sondern muß von der Hl. Schrift und vom Glauben her beurteilt werden. Ferner ist aber auch wichtig, daß die von Luther damals mehrfach pnvatim vorgenommene Gleichsetzung des Papsttums mit dem Antichnst dazu führt, daß apokalyptische Elemente in Luthers Theologie stärkere Berücksichtigung finden. Diese Gedanken finden sich weniger in der Leipziger Disputation als vielmehr in Luthers zweiter Psalmenvorlesung, die er wohl 1519 begonnen hat. 364 Auch die Aufnahme derartiger Gedanken hängt offenbar mit dem Romkonflikt auf das engste zusammen; sie dürfte weniger in bestimmten Ansätzen begründet sein, die sich in Luthers Frühzeit finden, in der die AntichnstvorsteUung ganz offenbar noch ohne größere Bedeutung gewesen ist. Hand in Hand mit der Rezeption mancher apokalyptischen VorsteUungen hat Luther zudem auch sein Geschichtsverständnis weiter entfaltet. Schließlich ist der Konflikt mit Cajetan, aber auch derjenige mit Eck selbstverständlich auch für die weitere Entwicklung von Luthers Sakramentsauffassung von Gewicht gewesen. Die Tatsache, daß die Notwendigkeit des persönlichen Glaubens für den Empfang der Sakramentsgnade strittig war, mußte Luther dazu veranlassen, über diese Frage weiter nachzudenken. Insofern läßt sich sagen, daß durch den Romkonflikt der Jahre 1517 bis 1519 die Weichen gesteUt worden sind für den weiteren Ausbau von Luthers Theologie. Wenig später haben dann inner-evangelische Auseinandersetzungen hier ebenfalls Bedeutung gewonnen.

8) Luthers Auseinandersetzung mit der Sakramentslehre seiner Zeit (1519/1520) Lit.: E r i c h R O T H , S a k r a m e n t nach L u t h e r , Berlin 1 9 5 2 . E r w i n ISERLOH, D e r K a m p f u m die Messe in d e n ersten J a h r e n der A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t L u t h e r , in: KLK 10, M ü n s t e r 1952.

364

H a n s G R A S S , D i e A b e n d m a h l s l e h r c bei L u t h e r u n d Calvin, in: B F C h r T h 11,47,

Siehe AWA 1-3. Zur Datierung der »Operationes in Psalmos« siehe Gerhard HAMMER, ebd 1,107-116. Zu apokalyptischen Gedanken sowie zur Entwicklung der Antichnst-Vorstellung beim jungen Luther siehe die Arbeit von Tarald RASMUSSEN, Inimici Ecclesiae: das ekklesiologische Feindbild in Luthers »Dictata super Psaltenum« (1513-1515) im Honzont der theologischen Tradition, in: S M R T 44, Leiden 1989

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Luthers Theologie in ihrer histonschen Entwicklung

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a) Luthers Sakramentssermone v o n 1519 D i e Auseinandersetzung, w e l c h e in der Folge v o n Luthers 95 T h e s e n entstanden war, w e i t e t e sich i m m e r m e h r aus. W a r zunächst durch die P o l e m i k v o n Luthers altgläubigen G e g n e r n die Frage der Papstautorität in d e n M i t t e l p u n k t der K o n troverse gerückt, so w u r d e bald auch die Lehre v o n d e n S a k r a m e n t e n intensiv erörtert. L u t h e r hatte in seinen »Resolutiones disputationum de i n d u l g e n t i a r u m virtute« (1518) geäußert, daß nicht das Sakrament, s o n d e r n der G l a u b e rechtfertige, u n d Cajetan hatte bei d e m Augsburger V e r h ö r diesen Satz beanstandet. 3 6 1 Es kann nicht ü b e n a s c h e n , daß bald die Frage der Sakramente verstärkt diskutiert wurde. Tatsächlich hat L u t h e r sich bald nach d e m V e r h ö r v o r Cajetan ausführlich u n d gründlich mit der Sakramentslehre befaßt. Dabei hat er d e n gewissen Neuansatz, der sich bereits in seinen frühen Vorlesungen b e o b a c h t e n l i e ß , 3 6 6 weitergeführt. Luther hat die Frucht seiner E r w ä g u n g e n in verschiedenen »Sennonen« 1519 u n d auch n o c h 1520 vorgetragen u n d damit eine literarische G a t t u n g gewählt, die er schon 1518 für einige teils lateinische, teUs deutsche Schriften v e r w e n d e t hatte. Es versteht sich dabei v o n selbst, daß die v o n Luther bereits i m Ablaßstreit mit z u n e h m e n d e m N a c h d r u c k b e t o n t e alleinige Autorität der H l . Schrift auch für die E r ö r t e r u n g der Sakramentslehre maßgebliche B e d e u t u n g hatte. W i e bei d e r Frage der Autorität v o n Papst u n d KonzU, so war Luther n u n auch bei der Sakra3 3

" WA 1,544,40f; WA 2,7,35^H). 13,6-16,12. cf. oben 128 ff. " Siehe oben 68ff.;91ff.

Luthers Auseinandersetzung mit der Sakramentslehre seiner Zeit

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mentslehre nicht mehr bereit, bestimmten kirchlichen Entscheidungen unkritisch zu folgen; vielmehr überprüfte er solche Entscheidungen an den Aussagen der Schrift, wobei er fredich in dieser frühen Phase seiner Sakramentslehre noch nicht die mittelalterlichen Entscheidungen in der Sakramentslehre offen angriff. Aus dem Jahr 1519 liegen drei Sakramentssermone von Luther vor: »Ein Sermon von dem Sakrament der Buße«, »Ein Sermon von dem heUigen hochwürdigen Sakrament der Taufe« und »Ein Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heUigen wahren Leichnams Christi und von den Bruderschaften«. Luther hat in diesen Sermonen nirgends begründet, warum er nur diese drei Sakramente behandelte. In einem Brief an Spalatin vom 18. Dezember 1519 äußert er jedoch, daß niemand von ihm Sermone über die anderen Sakramente erwarten dürfe, da er diese nicht als Sakramente anerkennen könne. In diesem Brief sagt Luther zudem, daß man nur dort von einem Sakrament sprechen könne, wo ausdrücklich eine göttliche Verheißung gegeben werde, da Gott mit uns niemals ohne das verheißende Wort und den empfangenden Glauben handle. 367 Diese bnefliche Bemerkung zeigt, daß Luther in seiner Sakramentslehre im Grunde bereits schon zu weitergehenden Ansichten gelangt war, als es aus seinen Sakramentssermonen hervorgeht. Luther war in den frühen Jahren seines Romkonfliktes gerade in seinen deutschsprachigen Schriften oft vorsichtiger als in seinen lateinischen oder als in seinen brieflichen Äußerungen. 368 Trotz dieser gewissen Spannung zwischen seiner veröffentlichten Auffassung über die drei Sakramente und seiner weiter entwickelten eigendichen Meinung haben diese Sermone ihre besondere und in gewisser Weise auch bleibende Bedeutung. Gewidmet sind diese drei Sermone der Herzoginwitwe Margarethe von Braunschweig-Lüneburg. Luther war von verschiedenen Seiten aufgefordert worden, sich zu den Sakramenten zu äußern, weil es offenbar viele betrübte und geängstigte Gewissen gebe, »die der heiligen und voUer gnaden sacrament nit erkennen, noch zu prauchen wissen«, wie es Luther auch an sich selbst erfahren habe. 369 Luther hat also ganz offenbar nicht nur theologisch, sondern auch für sich persönlich inzwischen ein neues Verhältnis zum Sakrament gefunden, wobei ihm das Sakrament eben als Gnadenmittel und Glaubensstärkung inmitten seiner Anfechtungen wichtig geworden ist. Die Äußerungen in der Hebräerbriefvorlesung von 1517/1518 370 hatten zum ersten Mal einen Neuansatz in dieser Richtung deutlich werden lassen. Jetzt ist Luther in diesem Punkt noch weitergekommen. In allen drei Sermonen gibt Luther eine eigenartige Definition für das Sakra367 W A Br 1 Nr. 231,19-24 »De alns sacramentis non est, quod tu vel ullus hominum ex me sperct aut exspectet ullum sermoncm, donec doccar, quo loco queam lila probare. Non enim ullum mihi reliquum est sacramentum, quod sacramentum non Sit, nisi ubi expressa detur promissio divina, que fidem exerccat, cum sine verbo promittentis & fide suscipientis nihil possit nobis esse cum Deo negotii.« 368 Siehe hierzu Wilhelm MAURER, Von der Freiheit eines Chnstenmenschcn. Zwei Untersuchungen zu Luthers Reformationsschriften 1520/1521, Göttingen 1949. * ' W A 2,713,20-23. " ° Siehe oben 92 f.

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Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung

ment, für die es in der gesamten Tradition kein Vorbild gibt. Nach Luther sind zu unterscheiden einmal das Sakrament oder das Zeichen, sodann die Bedeutung und drittens der Glaube. 371 Besonders auffällig ist, daß der Glaube hier in die Definition des Sakraments aufgenommen worden ist. In den Augen von Luthers Gegnern ist damit die Objektivität der Heilsgabe der Sakramente gefährdet; für Luther kommt hierin jedoch die wechselseitige Relation von verheißendem Wort und empfangendem Glauben zum Ausdruck. Was das Bußsakrament betrifft, so steht im Mittelpunkt die Vergebung der Schuld durch Gott sowie der Glaube, »das die Absolutio und wort des pnesters seyn war, yn der krafft der wort Christi >was du lösest, soU loß seyn etc.««372 Was Luther der Sache nach gegen Cajetan vertreten hatte, bringt er hier auf die scharfe Fonnel: »Folget weyter, das die vorgebung der schult auch nit steht Widder yn Bapsts, bischoffs, priesters, noch yrgend eyns menschen ampt adder gewalt auff erden, sondern alleyn auff dem wort Christi und deynem eygen glauben, dan er hatt nit woUen unßern trost, unßere Seligkeit, unßer zuvorsicht auff menschen wort adder that bawen, sondern allein auff sich selb, auff seyne wort und that.« 373 Zum ersten Mal wird die reformatorische Auffassung vom allgemeinen Priestertum aller Getauften deutlich geäußert, wenn es heißt, daß ein Papst oder Bischof in diesem Sakrament nicht mehr tut als ein Priester, »ia wo eyn pnester nit ist, eben ßovil thut eyn iglich Christen mensch, ob es schon eyn weyb oder kind 174

were.« In dem Taufsermon hebt Luther in ähnlicher Weise besonders die Bedeutung und den Glauben hervor. Hatte Luther bei dem Sermon über die Buße gleich mit der Erörterung der Vergebung eingesetzt - ganz offenbar hatte Luther Schwierigkeiten, bei diesem Sakrament von dem »Zeichen« zu sprechen - , so heißt es hier: »Die Tauff ist eyn eußerlich zeychen odder loßung, die unß abßondert von allen ungetaufften menschen, das wir dar bey erkennet werden eyn volck Christi unßers hertzogen, under wilchs panier (das ist das heyhg Creutz) wir stetighch streyten Widder die sund.« 373 Das Zeichen besteht in der Taufe im Namen des dreieinigen Gottes. Die Bedeutung ist »eyn seliglich sterbenn der sund und aufferstheung yn gnaden gottis, das der alt mensch, der yn sunden empfangen Wirt und geporen, do erseufft wirt, und ein newer mensch erauß geht und auff steht, yn gnaden geporen.« 376 Der konkrete VoUzug dieses seligen Sterbens dauert bis zum leiblichen Tod des Menschen. Erst im Tod wird der Mensch recht »yn die tauff gesenckt, unnd geschieht, was die tauff bedeut.« 377 »Alßo ist eyns Christen 371 W A 2,715,21-39 (Sermon von der Buße): W A 2,727,20-29 (Semion von der Taufe); WA 2,742,5-14 (Sermon von dem hochwürd. Sakr. des Leichnams Christi). 372 WA2,715,29f 373 W A 2,716,13—18 374 WA 2,716,25-28. 375 W A 2,727,20-23. 376 W A 2,727,30-33 377 W A 2,728,15f.

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menschens leben nit anders, dan eyn anheben, sehglich zu sterben von der Tauff an biß ynß grab, Dan gott wiU yhn anders machen von new auff am Jüngsten tag.« 378 In diesem Zusammenhang spncht Luther der Sache nach von der göttlichen Verheißung, die dem Menschen in der Taufe zuteil wird, oder mit einem hier bevorzugten BUd von dem Bund, daß »sich gott daselbs mit dyr vorpindet und mit dyr eyns wird eyns gnedigen trostlichen bunds.« 379 Der Mensch verspricht bei diesem Bund, daß er immer mehr die Sünde töten und sich mit vielen guten Werken sowie mit mancherlei Leiden üben wUl. Was das dritte Stück der Taufe betrifft, »das ist der glaub, das ist, das man diß alles festiglich glaub, das das sacrament nit allein bedeut den todt unnd auffersteeung am Jüngsten tag, durch wilche der mensch new werd ewiglich an sund zu leben, ßondern das es auch gewißlich dasselb anhebe und wirck und unß mit gott vorpyndet, das wir woUen biß ynn den tod die sund todten und widder sie streyten .. .«38° Einige Aspekte in dem Taufsermon verdienen besondere Hervorhebung. Einmal, hatte Luther schon in seiner Römerbnefvorlesung den Christen als »simul peccator et mstus« bezeichnet, 381 so nimmt er diesen Gedanken hier der Sache nach in einer allgemeinverständlichen Weise auf. Luther wendet sich gegen die Meinung, als sei nach der Taufe gar keine Sünde mehr vorhanden. Vielmehr sagt er in einer reichlich ungeschützten Redeweise, daß »unßer fleysch, die weyl es hye lebt, natürlich böß und sundhafftig ist.«382 Ähnlich unbesorgt um Fehlinterpretationen ist an anderer SteUe die Bezugnahme auf Augustins Wort von den »natürlichen sundlichen begirden«. 383 Hier klingt freilich zugleich auch ein asketischer Ton mit an. Sodann, eine asketische Fassung hat ebenfalls der von Luther geäußerte Gedanke, daß man gegebenenfalls Mönch werden soUe: »Wer aber mehr leyden sucht und durch vUl ubung wiU kurtzlich sich zum tod bereyten und seyne tauf werck bald erlangen, der pind sich an die keuscheyt odder geystlichen orden, dann eyn geystlicher stand, wenn er recht steht, ßo sol er voU leyden und marter seyn, das er mehr ubung seyner tauff hab, dann der ehliche stand, und durch solche marter sich bald gewene den tod frolich zu empfahenn, und alßo seyner tauff end ubirkome.« 384 Über den Mönchs- oder Ordensstand steUt Luther in diesem Zusammenhang noch den regierenden Stand im geistlichen Regiment, der sich ebenfalls mit geistlichen Leiden und Werken »zum Tode« üben soU. Allerdings schärft Luther ein, daß bei diesen Übungen nicht das rechte Maß vergessen werden darf.

37

» W A 2,728,27-29. W A 7,730,21 f. 380 W A 2,732,2-6. 381 Siehe oben 88 f. 382 WA2,729,24f. 383 W A 2,730,11. 384 WA 2.736,12-18. Siehe hierzu Bernhard LOHSE, Mönchtum und Reformation, Göttingen 1963,332-335. 379

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Bemerkenswert ist immerhin, daß der monastische Weg hier, wie es von Luther bereits in der ersten Psalmenvorlesung gesagt worden war, 383 nur im Zeichen der ErfüUung des Taufbundes empfohlen wird, nicht jedoch als eine Überbietung des für die durchschnittlichen Christen gültigen Weges angesehen wird. Der »Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des heUigen wahren Leichnams Chnsti ...« schließlich weist ähnlich wie der Taufsermon eine sowohl gegenüber der Tradition als auch gegenüber Luthers späterer Abendmahlslehre unverwechselbare Eigenart auf. Als das Zeichen nennt Luther die Form und Gestalt des Brotes und des Weines, als die Bedeutung oder das Werk dieses Sakraments die Gemeinschaft aller HeUigen, wofür Luther sich auch auf den Namen der »Communio« beruft, 386 und bei dem Glauben geht es um den wirklichen, persönlichen Heilsglauben. Hatte bei dem Taufsermon schon der Gedanke des »Bundes« eine zentrale RoUe gespielt, so ist der Abendmahlssermon ganz von dem Gedanken der »Gemeinschaft« durchzogen, von der her und auf die hin alle anderen Themen der Abendmahlsauslegung bestimmt sind. Die »Communio« erläutert Luther mit der Bemerkung, »das Christus mit allen heyhgen ist eyn geystlicher corper, gleych wie einer stat volck eyn gemeyn und corper ist, eyn yglicher burger des andern glydmas und der gantzen statt. Alßo alle heyligen seyn Christi und der Kirchen glid, die eyn geystheh ewige gottis Stadt ist, und wer yn die selben Stadt genommen wirt, der heyst yn die gemeyne der heyligen genommen und mit Christus geystlichem corper vorleybet und seyn glyd gemacht.« 387 Von diesem Gedanken der Gemeinschaft her bezeichnet Luther die Sündenvergebung als die besondere Gabe des Abendmahls: » . . . das Chnstus und seyne heyligen für unß treten für gott, das unß die sund nit werde gerechnet nach dem gestrengen urteyU gottis.«3 In diesem Sinne ist das Abendmahl für den einzelnen verzagten Christen Stärkung seines sündigen Gewissens. »WiU er der selben [Sünden] loß seyn, ßo gehe er nur frölich zum sacrament des altars, und lege seyn leyd yn die gemeyn, und such hulffe bey dem gantzen hauffen des geysthehen corpers, Zu gleych als wan eyn burger auff dem land eyn schaden odder unfaU von seynen feynden erlitten, seynen rad herren und mit burger das clagt und umb hulff anruffet.«389 Es versteht sich von selbst, daß dabei, wie Luther gegen Cajetan betont hatte, der persönliche HeUsglaube unerläßlich ist. Auch die Einsetzungsworte werden von Luther unter dieser Devise der Gemeinschaft herangezogen. Chnstus, so heißt es, habe mit ihnen sagen woUen, »ich bin das heupt, ich wiU der erst sein, der sich für euch gibt, wiU ewr leyd und unfaU

3,5

Siehe oben 70-72 " WA 2.743,9 3,7 WA 2,743,11-17 3M WA 2,744,23-25 389 WA 2,745,2-7. 3

Luthers Auseinandersetzung mit der Sakramentslehre seiner Zeit

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mir gemeyn machen und für euch tragen, auff das yhr auch widderumb mir und untereynander ßo thut und alles last yn mir und mit mir gemeyn seyn.« 390 Auch die von Luther schon früh aus der Tradition übernommenen Vorstellungen über »sacramentum« und »exemplum« 391 werden nunmehr von dem Gemeinschaftsgedanken her interpretiert: »WiU er es auch darumb viU mal gepraucht haben, das wir seyn gedencken und seynem exempeU nach unß üben yn solcher gemeynschafft. Dan wo das exempeU nit mehr wurdt furgehalten, wurd die gemeynschafft auch bald vergessen, als wir itzt leyder sehen, das viU messen gehalten werden, und doch die Christliche gemeynschafft . . . gantz untergeht.« Selbst das Thema der Wandlung wird von Luther nur im Rahmen des Gemeinschaftsgedankens aufgegnffen. »Dan zu gleych als auß vielen kornlin, zusammen gestossen, das brot gemacht wirt, und vieler korner leybe eyns brots leyb werden, daryn eyn lglich kornleyn seyn leyb und gestalt vorleuret und den gemeynen leyb des brots an sich nympt, . . . Alßo soUen und seyn wir auch, ßo wir diß sacrament recht prauchen: Christus mit allen heyligen durch seyne liebe nympt unßer gestalt an, streit mit uns Widder die sund, tod und alles ü b e l . . . Widderumb soUen wir durch die selb heb unß auch wandelnn und unßer lassen seyn aller ander Christen geprechen und yhr gestalt und notdurfft an uns nehmen, und yhr laßen seyn alles, was wir gutis vormugen . . . Alßo werden wir ynn eynander vorwandelt und gemeyn durch die hebe, an wUche keyn wandell nit geschehen mag.« 393 Kritik an der Transsubstantiationslehre äußert Luther hier noch nicht. Er setzt sogar die Gegenwart von Christi >wahrhaftigem, natürlichem Fleisch« und seinem matürlichem, wahrhaftigem Blut« voraus. 394 Aber die Einbindung der Wandlung in den Gemeinschaftsgedanken setzt doch einen neuen Akzent. Nimmt man hinzu, daß die OpfervorsteUung nirgends erwähnt wird — Kritik an ihr äußert Luther hier freilich auch noch nicht -, dann wird deutlich, in wie starkem Maße Luther hier im Kern eine neue Abendmahlstheologie entworfen hat. Wesentliche Elemente dieser neuen Abendmahlstheologie hat Luther von Augustin übernommen: sowohl den Gedanken der Communio mit Chnstus und der Kirche als auch die starke Betonung des corpus Christi-Gedankens und der Z u gehörigkeit zur »Stadt Gottes«, also zur civitas Dei. 3 9 ' Freilich sind diese Gedanken hier stärker als bei Augustin akzentuiert, wie zugleich andere Elemente der augustinischen Abendmahlsauffassung von Luther übergangen worden sind. 3.0

W A 2,745,38-746,1. Siehe oben besonders 58. 3.2 W A 2,747,4-9. 3.3 W A 2,748,8-26. 3.4 W A 2,749,7-10. 395 Eine neuere Gesamtdarstellung von Augustins Lehre über die Euchanstie fehlt. Die Untersuchung von Wilhelm GESSEL, Euchanstische Gemeinschaft bei Augustinus, in: Cass. 2 1 , Würzburg 1966, hilft nur sehr begrenzt; siehe Rudolf LORENZ, in: T h L Z 9 5 , 1 9 7 0 , 2 8 2 . Für den ekklesiologischen Hintergrund ist noch immer wichtig Joseph RATZINCER, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, in: MThS 11,7, München 1954. 3.1

150

Luthers Theologie in ihrer histonschcn Entwicklung

Beachtenswert ist, daß Luther gegen die VorsteUung von dem »opus operatum« polemisiert. FreUich setzt Luther hierbei nicht die ursprüngliche Absicht bei diesem scholastischen Lehrstück voraus, daß nämlich die Sakramentshandlung, wenn sie korrekt im Sinne der Kirche voUzogen wird, aus sich heraus und nicht auf Grund des persönlichen Heilsstandes des Priesters heUskräftig ist. Vielmehr meint Luther, es handle sich hierbei darum, daß dieses »opus« »von yhm selb gott woUgefeUet, ob schon die nit gefallen, die es thun.« 396 Insofern trifft Luthers Polemik hier nicht die scholastische Lehrmeinung. Im übrigen sprach Luther sich dafür aus, daß durch ein Konzil bei der Communion auch die Austeilung des Kelches an die Laien wiederhergesteUt werden soUe.397 b) Der »Sermon von dem Neuen Testament« (1520) Im Frühjahr 1520 verfaßte Luther dann seinen »Sermon von dem Neuen Testament« , der gegenüber den drei Sakramentssermonen von 1519 in mehrfacher Hinsicht bereits eine neue Stufe bei der Weiterentwicklung seiner Sakramentslehre, besonders hinsichtlich des Abendmahls, darsteUt. Dabei ist schon der Titel aufschlußreich: Luther handelt von dem »Testament«, also von dem letzten WiUen Jesu, wie er in den Einsetzungsworten zum Ausdruck gekommen ist. Luther beginnt seine Ausführungen deshalb auch nicht mehr mit einer Definition für das Sakrament, der dann die Behandlung des Abendmahls subsumiert würde; im Mittelpunkt stehen vielmehr die Einsetzungsworte und deren sorgfältige Auslegung. Auch der Gemeinschaftsgedanke, der durchaus noch beibehalten ist, wird von Luther dieser neuen Thematik untergeordnet. Verschiedene Aspekte verdienen dabei Hervorhebung. Zunächst, Luther rückt den Gedanken in den Vordergrund, daß Christus sich >ein angenehmes Volk« habe bereiten woUen; 398 damit wird der ekklesiologische Bezug etwas anders formuliert als bei dem früher zentralen Gemeinschaftsgedanken. Sodann, Luther steUt den Grundsatz auf, den er von nun an auch immer wieder betont hat und dem später die reformatorischen Kirchenordnungen zu folgen bestrebt waren: »Jhe neher nu unßere meße der ersten meß Christi sein, yhe besser sie on zweyffel sein, und yhe weytter davon, yhe ferlicher.«399 Dieser Grundsatz folgt aus dem reformatorischen Schriftprinzip. Zugleich ist mit ihm die scharfe

3,6

W A 2,751,18-21. W A 2.742,24—31 »Es ist aber bey mir für gut angesehen, das die kirch yn eynem gemeyn Concilio widderumb vorordenete, das man allen menschen beydet gestalt gebe, wie den pnestern, Nit darumb, das eyne gestalt nit gnug sey, . Sondernn das es zimlich und feyn were, ßo des sacraments gestalt und forme odder zeychen nit stucklich eyns teyls, sondern gantz geben wurden.« 3,8 W A 6,354,18 f. 399 W A 6,355,3 f. Besonders in der »Babylonica« hat Luther diesen Gedanken aufgenommen: WA 6,523,25-29. 397

Luthers Auseinandersetzung mit der Sakramentslehre seiner Zeit

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Kritik an allen »Zusätzen« gegeben, die höchstens die Einsetzung und damit die ursprüngliche Absicht Jesu verfälschen. Weiter, von den Einsetzungsworten gilt, daß »darynnen ligt die meß gantz mit all yhrem weßen, werck, nutz und frucht, on wUche nichts von der meß empfangen wirt.« 400 »Diße wort muß ein yglicher Christen in der meß für äugen haben und fest dran hangen, als an dem haubtstück der meß, yn wilchen auch die recht grund gutte bereytung zur meß und dem sacrament geleret wirt.« 401 Bei der Auslegung der Einsetzungsworte steUt Luther nun die beiden Aspekte der Verheißung und des Glaubens in den Mittelpunkt, die er in allgemeiner Hinsicht zuerst in seiner Römerbriefvorlesung hervorgehoben hatte. 402 »Wen der mensch soU mit gott zu werck kummen und von yhm etwas empfahen, ßo muß es also zugehen, das nit der mensch anheb und den ersten steyn lege, sondern gott allein on alles ersuchen und begeren des menschen muß zuvor kummen und yhm ein zusagung thun.« Allein der Glaube ist die angemessene Antwort auf diese Verheißung, >weil er Gott die Ehre tut«. Was die Verheißung betrifft, so interpretiert Luther sie, entsprechend dem Terminus »Testament«, von Jesu letztem Willen her, wie er in den Einsetzungsworten ausgedrückt ist. Das Testament hat zum Inhalt die Vergebung der Sünden und das ewige Leben. Im Blick auf diese Gaben hat Jesus den Tod auf sich genommen. Diesem Gedanken sind hier nun die sogenannten Elemente, also Brot und Wein, subsumiert: sie sind »sigül und zeychen an und in die wort gehenckt, das ist sein eygen warhafftig fleysch und blut unter dem brot und weyn.« 404 Mit den Wörtern »unter«, »darunter« oder auch debendiges Wort und Zeichen« 403 u m schreibt Luther die Relation zwischen Brot und Wein sowie Leib und Blut Christi. Man hat diese Auffassung als »Konsubstantiation« bezeichnet, d. h. daß Brot und Leib Christi sowie Wein und Blut Christi, ohne daß von einer Verwandlung (Transsubstantiation) gesprochen wird, beide nebeneinander und doch unlöslich miteinander verbunden im Abendmahl gegenwärtig sind. Die Wandlungslehre hat Luther hier noch nicht kritisiert. Allerdings wendet Luther sich gegen verschiedene Mißbräuche wie besonders gegen die Praxis, die Einsetzungsworte leise zu zitieren, so daß die Gemeinde sie nicht hören kann, oder gegen die mangelnde Betonung des Glaubens oder gegen den Opfergedanken, den Luther scharf ablehnt. Angesichts der Verfälschung vonJesu letztem Willen in der katholischen Messe erklärt Luther hier, daß der Papst ein Tyrann und »wider chnst« sei. 400

W A 6,355,26-28. W A 6,355.33-356,1. 402 Siehe besonders WA 56,46,15 f. (RGI.Röm.4,17) »fides ratificat promissioncm Et promissio fidem requirit in co, cui fit.« 403 W A 6,356,3-6. 404 W A 6,359,5-7. 405 W A 6,359,21. 4M WA 6,374,30. 401

152

Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung

c) Die Schrift »De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium« (1520) Inzwischen hatte in Leipzig Luthers altgläubiger Gegner Augustin von Afveldt gegen Luthers Befürwortung des Laienkelchs in dem Abendmahlssermon von 1519 eine eigene Schrift unter dem Titel »Tractatus de commumone sub utraque specie« (Juni 1520) veröffentlicht, in welcher er die Austeilung nur der Hostie verteidigte; 407 Luther woUte zunächst auf diese Schrift nicht antworten. Hinzu kamjedoch eine Schrift des italienischen Dominikaners Isidoro Isolani bereits von 1519 gegen Luther 408 , die Luther ebenfalls zu einer Entgegnung veranlaßte. So faßte Luther den Plan einer größeren Behandlung der Sakramentslehre. 409 Das Ergebnis liegt in seiner großen Abhandlung »De captivitate Babylonica ecclesiae praeludium« vor. Luther verfaßte diese Schrift in lateinischer Sprache, da sie vorwiegend für Gelehrte bestimmt war und auch zahlreiche theologische Fachkenntnisse voraussetzte. Andererseits ist schon der Titel beißend-polemisch fonnuliert: was Luther hier bietet, soll ein Vorspiel zu dem von ihm zu erwartenden Widerruf sein. Luther bestreitet hier zum ersten Mal öffentlich die Siebenzahl der Sakramente. Was seine eigene Position betrifft, so ist er sich nicht sicher, ob es drei Sakramente gibt - Taufe, Buße und Abendmahl —, wie er zu Beginn der Schrift sagt, oder im Grunde nur ein einziges Sakrament und drei sakramentale Zeichen. 410 Am Schluß der Schrift erwägt er, nur Taufe und Abendmahl als Sakramente gelten zu lassen; bei der Buße fehle das Zeichen, das zum Sakrament unbedingt dazugehöre. 411 Nicht minder scharf als die Kritik an der Siebenzahl der Sakramente ist Luthers Einzelkritik an der Sakramentslehre. Der Kritik an der Messe kommt dabei besondere Bedeutung zu. Luther spricht hier von drei »Gefangenschaften«. Er beanstandet einmal den Kelchentzug. Dabei ist sein Hauptargument die Anfrage, woher die Kirche eigentlich das Recht genommen habe, in diesem Punkt die Einsetzung Christi eigenmächtig zu ändern. Luther urteilt hier also, veranlaßt durch die weitere Eskalation der Auseinandersetzung, wesentlich schärfer als ein Jahr zuvor in dem Abendmahlssermon. 412 Sodann wendet er sich gegen die Transsubstantiationslehre, die er ebenfalls 1519 noch nicht angegriffen hatte. Zu U n recht erklärt Luther Thomas für den Urheber der Wandlungslehre, wobei er zugleich darauf hinweist, daß er als Student von der Kritik dAUlys an der Transsubstantiationslehre erfahren habe. 413 Allerdings muß man hinzufügen, daß Luthers Kritik im Grunde nicht die eigentliche Intention der Transsubstantiations407 Zu Alveldt und zu diesem Traktat siehe Heribert SMOLINSKY, Augustin von Alveldt und Hieronymus Emser. Eine Untersuchung zur Kontroverstheologie der frühen Reformationszeit im Herzogtum Sachsen, in: R G S T 122, Münster 1983, besonders 107-119. 408 Isolani, Revocatio [=Zurückrufung] Martini Luthcni Augustiniani ad sanetam sedem, 1519. 409 Angedeutet hat Luther diese Absicht bereits in seiner Schrift »An den christlichen Adel«, WA 6,469,1-4. cf. im übrigen W A Br 2 N r . 3 2 4 , 1 7 f (Brief an Spalatin vom 5.8.1520). 410 WA 6,501,33-38. 411 WA 6,572,11-22. 412 Siehe oben bei Anm. 397. 413 W A 6 , 5 0 8 , 7 - 2 6 . cf. oben 36.

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lehre trifft.414 Luther erblickte in dieser Lehre einen Erklärungsversuch für die Gegenwart von Christi Leib und Blut, der nicht hätte verbindlich gemacht werden dürfen. Als dritte Gefangenschaft bezeichnet Luther schließlich den »Mißbrauch der Messe«, wie er besonders in dem Opferverständnis zum Ausdruck komme. Seine eigene Abendmahlslehre entfaltet Luther, ähnlich wie in dem »Sermon von dem Neuen Testament«, von den Leitbegriffen des Testaments bzw. der Verheißung und des Glaubens aus. Stärker noch als in dem »Sermon von dem Neuen Testament« ordnet Luther dabei die Verheißung selbst dem »Zeichen« vor: » . . . in qualibet promissione dei duo proponi, verbum et signum, ut verbum inteUigamus esse testamentum, signum vero esse sacramentum, ut in Missa verbum Christi est testamentum, panis et vinum sunt sacramentum« (in jeder Verheißung Gottes werden zwei Dinge vorgelegt, nämlich Wort und Zeichen, so daß wir verstehen, daß das Wort das Testament, das Zeichen aber das Sakrament ist, wie in der Messe das Wort Christi das Testament ist, Brot und Wein das Sakrament sind). 41 ' Luther fügt hinzu, daß dem Wort bzw. dem Zeichen oder dem Testament größere Kraft zukomme als dem Sakrament, so daß der Mensch sogar das Wort bzw. das Testament ohne das Zeichen bzw. das Sakrament haben könne; dafür beruft er sich auf das bekannte Wort Augustins »Crede et manducasti« (Glaube, so hast du schon gegessen).416 Allerdings dürfte es nicht Luthers Absicht gewesen sein, den Empfang des Abendmahls in Frage zu stellen; vielmehr woUte er die zentrale Bedeutung von Verheißung und Glaube herausstellen. Was die Taufe betnfft, so ist Luthers Kritik an der Sakramentslehre der spätmittelalterlichen Kirche wesentlich weniger scharf als bei der Messe: Gott habe wenigstens dieses einzige Sakrament in der Kirche unversehrt gelassen. Auch bei der Taufe stellt Luther die göttliche Verheißung und den Glauben in den Mittelpunkt seiner Ausführungen, nicht mehr die Verleihung eines neuen »habitus«. Die Buße erscheint, wie im Grunde schon in den 95 Thesen, als Rückkehr zur Taufe.417 Das im Mittelalter häufig gebrauchte Bild, die Buße sei gleichsam nach einem Schiffbruch »das zweite Brett«, an das man sich halten könne, wird von Luther als ganz unangemessen abgelehnt, da hier vorausgesetzt werde, daß die Wirkung der Taufe vergangen sei.418 Die Taufe bedeutet vielmehr Tod und Auferstehung;

414 Siehe hierzu vor allem Hans J(JHISSEN, Die Entfaltung der Transsubstantiationslehre bis zum Beginn der Hochscholastik, Münster 1965; Edward SCHILLEBEECKX, Die euchanstische Gegenwart. Zur Diskussion über die Realpräsenz, Düsseldorf 1968; Alexander GERKEN, Theologie der Eucharistie, München 1973. 415 WA 6 , 5 1 8 , 1 4 - 1 8 . 4 " W A 6,518,18f. Augustin, In Iohannis Evangelium tract. 25,12; CCSL 36,254,8f. Ähnliche Aussagen finden sich bei Augustin öfter. Luther hatte diese Stelle bereits in seinem Abendmahlssermon 1519 zitiert, allerdings ohne den kntischen Nebenton wie in der »Babylonica« (WA 2,742,27-29). Auch die Bezugnahme auf diese Stelle in Luthers »Sermon von dem N e u e n Testament« von 1520 ist hier noch vorsichtiger (WA 6,372,15-22). 417 WA 6,528,8-19. 418 WA 6,529,35-530,10.

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beides muß während des ganzen Lebens im Glauben nachvoUzogen werden. Luther erörtert dabei auch kurz die Mönchsgelübde. Dabei warnt er davor, über die Taufe hinaus ein solches Gelübde abzulegen, da durch ein Gelübde die in der Taufe geschenkte Freiheit gefährdet werde. 419 Auf die übrigen Sakramente geht Luther nur kurz ein. Hier setzt er sich im wesentlichen kritisch mit der Frage auseinander, ob sie überhaupt als Sakramente anerkannt werden können. Mit seiner großen Abhandlung »De captivitate Babylonica ecclesiae« hat Luther nun auch in der Sakramentslehre den Bruch mit der Kirche seiner Zeit voUzogen. Veranlaßt dazu sah er sich durch die Antikritik seiner altgläubigen Gegner. Luthers Ablehnung der Sakramentslehre seiner Zeit hatte sich zwar in manchem bereits in seinen Sakramentssermonen von 1519 angedeutet; aber erst durch die weitergehende Eskalation des Konflikts entwickelte sich daraus die scharfe Abrechnung, wie Luther sie dann 1520 vornahm.

9) Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal (1520/1521) Lit.: Rene-H. ESNAULT, Le »De votis monasticis« de Martin Luther, in: ETR 31, 1956, H. 1, 19-56; H. 3, 58-91. Bernhard LOHSE, Luthers Kntik am Mönchtum, in: EvTh 20,1960, 413-432. Ders., Mönchtum und Reformation. Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönchsideal des Mittelalters, in: FKDG 12, Göttingen 1963. Rene-H. ESNAULT, Luther et le Monachisme aujourd'hui. Lccture actuelle du De votis monasticis Judicium, Genf 1964. Heinz-Meinolf STAMM, Luthers Stellung zum Ordcnsleben, in: VIEG 101, Wiesbaden 1980. Klaus REBLIN, Freund und Feind. Franziskus im Spiegel der protestantischen Theologiegeschichte, in: KiKonf 27, Göttingen 1988. a) Die Dnnglichkeit der Frage der Mönchsgelübde in den Jahren 1520/1521 Die nachhaltige Umprägung in der Theologie des Mönchtums hatte bei Luther bis zum Jahre 1519 noch nicht zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Mönchsgelübde geführt. Im Gegenteil, gerade indem Luther bereits in seiner ersten Psalmenvorlesung die Mönchsgelübde von dem Taufbund her verstand, konnte sich für ihn ein neuer Zugang zum monastischen Weg ergeben. Noch in seinem »Sermon von dem Sakrament der Taufe« (1519) konnte Luther in diesem Sinne den monastischen Weg empfehlen. Die durch die Taufe gesteUte Aufgabe, die Sünde zu töten, werde durch Leiden und Sterben real voUzogen. »Wer aber mehr leyden sucht und durch vül ubung wUl kurtzlich sich zum tod bereyten und seyne tauf werck bald erlangen, der pind sich an die keuscheyt odder geysthchen orden, dann eyn geysdicher stand, wen er recht steht, ßo sol er voU leyden und marter seyn, das er mehr ubung seyner tauff hab, dann der ehliche stand.«420 4

" WA 6,538,26-539,25 WA 2,736,12-16.

420

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In der Zeit der beginnenden Konflikte um Luther wurden auch Fragen des Mönchtums in die Diskussion mit einbezogen. Zu nennen sind hier einmal die Auseinandersetzungen zwischen den Franziskanern in Jüterbog und dem damals noch als Anhänger Luthers geltenden Thomas Müntzer im Frühjahr 1519, 421 sodann die sogenannte Franziskanerdisputation, die zwischen verschiedenen Vertretern der sächsischen Franziskaner und einigen Mitgliedern der theologischen Fakultät der Universität Wittenberg am 3. und 4. Oktober 1519 in Wittenberg abgehalten wurde. 4 2 2 Bereits auf dieser Disputation äußerte Luther manche Gedanken, die einer grundsätzlichen Kritik am Mönchtum nahekamen, so etwa, wenn er auf den Unterschied zwischen Jesu Verhalten nach den Benchten der Evangelien und der franziskanischen Armutsforderung hinwies, 423 oder wenn er bestntt, daß der Orden des Franz letztlich von Gott gestiftet sei. 424 Auch die Kontroversen um Papsttum und Schriftautorität spielten in diese Disputation mit hinein. Im Zusammenhang mit der Kontroverse über die Autontat der Hl. Schrift in ihrer Bedeutung für die Kritik an kirchlichen Zuständen sowie für etwaige R e formen war verschiedentlich auch schon die Frage der Ehelosigkeit von Priestern und Mönchen mit behandelt worden. Zwar war im ganzen das Problem der Ehelosigkeit in den Auseinandersetzungen, die seit 1517 über den Ablaß, das Papsttum und die Kirchenautontät geführt wurden, zunächst zurückgetreten. In seiner Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« (1520) hatte Luther dann jedoch im Rahmen seiner zahlreichen R e formvorschläge geäußert, daß man es den Priestern freisteUen soUe, ob sie heiraten oder ehelos bleiben woUen. Den Kandidaten des Priesteramts riet er, das geforderte Gelübde der Ehelosigkeit nicht zu leisten und den Bischof darauf hinzuweisen, daß er von der Hl. Schrift her kein Recht habe, das Gelübde der Ehelosigkeit zu verlangen. 425 Was das Mönchtum betrifft, so hatte Luther sich in der Schrift »An den christlichen Adel« allerdings vorsichtiger ausgesprochen. Hier meinte er, daß viele etwas geloben, aber nur wenige ihr Gelübde halten. Luther beanstandet, daß es zu viele Orden gebe; ihre Zahl müsse reduziert werden. Im übngen soUten Stifte und Klöster wieder wie zur Zeit der Apostel und noch lange danach frei sein, so daß es jedem freistünde, sich in einen Orden zu begeben oder diesen wieder zu ver421 Siehe Manfred BENSINC und Winfried TRILLITZSCH, Bernhard Dappens »Amculi .. contra Lutheranos« Zur Auseinandersetzung der Jüterboger Franziskaner mit Thomas Müntzer und Franz Günther 1519, in: Jahrbuch für Regionalgeschichte 2,1967, 113-147; ferner Bernhard LOHSE, Thomas Müntzer in neuer Sicht. Müntzer im Licht der neueren Forschung und die Frage nach dem Ansatz seiner Theologie, in: Berichte aus den Sitzungen der Joachimjungius-Gesellschaft der Wissenschaften e.V., Hamburg, Jg. 9, 1991, H. 2, 81-89. 422 W A 59,606-697. 423 W A 59,684,16-31. 424 W A 5 9 , 6 8 6 , 2 9 f u.ö 425 W A 6,440,15-443,24.

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lassen. Daß dabei Gelübde gefordert werden, sei ein »ewiges Gefängnis«; dieses müsse abgeschafft werden. 426 Allerdings nahm Luther zu der Frage, ob ein schon geleistetes Gelübde bleibend verpflichte, nicht SteUung. Luther meinte nur: »Ich wolt gerne ydennan geholffen sein, und nit fangen lassen Christliche seelen durch menschliche eygene erfunden weysze und gesetz.«427 In der Schrift »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche« (1520) fügte Luther hinzu, daß das Leben unter den Gelübden für die Kirche als solche gefährlich sei, weil die Gelübde lediglich auf menschlicher Überlieferung beruhten und sich nicht auf die Hl. Schrift stützten. 428 Im übngen diene das Mönchtum jedenfalls in der damaligen Gegenwart nur der Selbstrechtfertigung.429 Im Zuge der Eskalation des Romkonfliktes erklärte Luther in seiner Polemik gegen Hieronymus Emser 1521 unter Berufung auf 1. Timotheus 4 Vers 3 das Verbot der Priesterehe für »Teufelslehre«. Die Priester forderte Luther auf, in dieser Frage dem Papst ungehorsam zu sein. 430 Im Blick auf das Mönchtum war Luther hier freilich noch zurückhaltend, wurde doch das Keuschheitsgelübde von den Mönchen und Nonnen frerwUlig geleistet. In der Tat konnte die Frage der Ehelosigkeit von Pnestern und Mönchen theologisch nicht mit den gleichen Argumenten erörtert werden. Die Frage des Mönchtums wurde allerdings deswegen brisant, weU zahlreiche Mönche und Nonnen unter dem Eindruck der refonnatonschen Kritik ihre Klöster verließen. Solche Fälle wurden besonders 1521 immer zahlreicher, als Luther auf der Wartburg weilte und sich nicht in Wittenberg persönlich um eine Regelung bemühen konnte. Im Mai 1521 heirateten die ersten Priester. Die kirchlichen Behörden waren bestrebt, »ausgelaufene« Mönche und Nonnen sowie verheiratete Priester wieder in die kirchliche Botmäßigkeit zurückzuführen, und erbaten dafür in aller Regel die Hilfe der weltlichen Fürsten. Auch setzten unter den Wittenberger Theologen Bemühungen ein, die Frage des Mönchtums von der refonnatonschen Theologie aus anzugehen. Dabei wurden freilich recht unterschiedliche Argumente vorgebracht. Am 20. Juni 1521 veröffentlichte Karlstadt Thesen über das Mönchtum für eine Disputation, die am 28. Juni 1521 in Wittenberg abgehalten wurde. Hier äußerte Karlstadt unter anderem, daß ein Mönch, der Brunst leidet, das Recht habe, sein Keuschheitsgelübde zu brechen und zu heiraten; damit sündige er zwar, aber diese Sünde sei leichter als die Sünde der Brunst. 431 Melanchthon, der sich schon etwas früher als Karlstadt mit diesem Problem befaßt hatte, fand an dieser Argumentation 426

WA 6.438,14—440.14. WA 6,440,12-14. 428 WA 6,539,33-540,10. 42 ' WA 6,539,5-10. 410 WA 7,674,3-675,26. 411 Karlstadt, De Coelibatu, Monachatu et Viduitate, Wittenberg 1521 Siehe hierzu Bernhard LOHSE, Die Knnk am Mönchtum bei Luther und Melanchthon (1961), in: (Lohse), Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 80-96, hier 92 427

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Karlstadts nichts auszusetzen. In seinen »Loci communes« von 1521 erörterte er die Mönchsgelübde unter dem Gesichtspunkt der Freiheit, die auch gegenüber allen menschlichen Überlieferungen gelte. 432 Sowohl gegenüber Karlstadts als auch gegenüber Melanchthons Argumentation empfand Luther eine starke R e serve. Nach Luthers Meinung muß zunächst bedacht werden, daß Mönche und Nonnen ihr Gelübde aus freien Stücken abgelegt haben. Sodann könne man aber von der Schwierigkeit, die Gelübde einzuhalten, nicht auf deren Unverbindlichkeit schließen; anderenfalls könne man sich ja auch von dem Gehorsam gegenüber den zehn göttlichen Geboten dispensieren. 433 b) Luthers »Themata de votis« (1521) Unter dem Eindruck sowohl der sich zuspitzenden Lage wie der bislang unzureichenden theologischen Argumentation verfaßte Luther im September 1521 zwei Thesenreihen unter dem Titel »Themata de votis«. Hier finden sich bereits die Gnindgedanken, die Luther wenig später in seiner großen Schrift über die Mönchsgelübde darlegen soUte.434 In der ersten Thesenreihe 435 setzte Luther bei dem Satz aus dem Römerbrief 14 Vers 23 ein: »Alles, was nicht aus dem Glauben kommt, ist Sünde.« 436 Luther deutet dieses Wort auf den rechtfertigenden Glauben. Wenn man bestimmte Werke tut, um durch sie die Gerechtigkeit vor Gott zu erlangen, sündigt man gegen die Gebote der ersten Tafel. Entscheidend ist also der Geist, in dem die Gelübde geleistet werden. Für Luther folgt von hier aus keineswegs zwingend, daß Mönche und Nonnen das Kloster zu verlassen hätten. Abgelegt werden muß gegebenenfalls die falsche Meinung (»abusus«), mit welcher die Gelübde geleistet worden sind. In einem zweiten Gedankengang betrachtet Luther die Gelübde unter dem Gesichtspunkt des Gesetzes. Die Gelübde sind ein Gesetz, das die Gewissen bindet. Infolgedessen gelten die Worte des Paulus über die Aufhebung des Gesetzes auch für die Gelübde: falls die Gelübde ohne Glauben geleistet worden sind, muß man sie brechen. In der zweiten Thesenreihe 437 setzt Luther bei dem Gedanken der chnstlichen Freiheit ein: »Die christliche Freiheit ist göttlichen Rechtes.« 438 Nach einer kurzen Darlegung über den Sinn der christlichen Freiheit nach dem Neuen Testament sagt Luther, »daß die Gelübde derart sein müssen, daß sie dieser Freiheit nicht widerstreiten;« sie würden aber dieser Freiheit entgegen sein, wenn sie nicht stets 452 Siehe Melanchthon, Studienausgabe, Bd. 1,1,2. Aufl Gütersloh 1978, 52-54, hierzu B LOHSE, Evangelium in der Geschichte, 1988, 90-93. 4 " WA Br 2 Nr. 424,1-50 (Brief Luthers an Melanchthon vom 1.8.1521). 4,4 Siehe hierzu B. LOHSE, Mönchtum und Reformation, 1963, 356-362. 4 " WA 8,323-329. 4 " WA 8,323,6. 457 WA 8,330-335. 438 WA 8,330,3.

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frei sind. 439 Nach Luther kann der Rat des Paulus, nach Möglichkeit unverheiratet zu bleiben, nicht zur Begründung ewig verpflichtender Gelübde herangezogen werden; denn entscheidend sei nicht, was gut oder was besser sei, sondern was geschehen darf und was nicht. 440 Zu dieser Freiheit haben wir uns bei der Taufe verpflichtet; diese Freiheit kann durch kein späteres Gelübde aufgehoben werden. 441 Gott erkennt ein Gelübde, das der evangelischen Freiheit widerstreitet, überhaupt nicht an; der Mensch kann die ihm in der Taufe zugesagte Freiheit nicht aufgeben, auch wenn er es woUte. Luther hat mit diesen Thesen nicht die Absicht verbunden, das Mönchtum vöUig aufzuheben. Vielmehr sagt er ausdrücklich: »Die Gelübde sind frei, sie sind nicht verdammt; sie können sowohl zeitlich als auch ewig beobachtet werden.« 443 Allerdings muß dabei doch immer die christliche Freiheit gewahrt bleiben, wenn die Gelübde nicht zu einem »Werk« werden sollen. c) Luthers Schrift »De votis monasticis iudicium« (1521) Luther hat diese Schrift im November 1521 auf der Wartburg in anderthalb W o chen abgefaßt. 444 Das Wort »iudicium« im Titel besagt, daß es sich hier um ein Gutachten handelt, mit dem Luther zu der Frage des eventueUen Austritts aus dem Kloster SteUung nehmen will. Luther verstand diese Abhandlung, die stärker als irgendeine andere Veröffentlichung von ihm streng systematisch aufgebaut ist, trotz ihrer teilweise scharfen Polemik nicht als Streitschrift, sondern als eine U n terweisung der Gewissen. Ein Gewissensrat war damals in der Tat dringend vonnöten. Anfang November 1521 hatte in Luthers Wittenberger Augustinereremitenkloster der Prediger Gabriel ZwUling seine Mit-Brüder zum Verlassen des Klosters aufgefordert; bis zum 12. November 1521 hatten bereits 13 Mönche diesem AppeU Folge geleistet. Weil Spalatin wegen des radikalen Inhalts von Luthers Gutachten Bedenken hatte, erschien diese Schrift erst im Februar 1522. Luther widmete diese Schrift seinem Vater,44:> womit er zugleich Stellung nahm zu dessen einst geäußerten Bedenken gegen Luthers Entschluß, Mönch zu werden. Wie schon in seinen beiden Thesenreihen, so argumentiert Luther auch hier nicht, wie Karlstadt und Melanchthon es getan hatten, von der Frage der Schwierigkeit her, die Gelübde einzuhalten, sondern unter dem Gesichtspunkt, welche

4

" WA 8,330,12-20. WA 8 , 3 3 0 , 2 5 - 2 8 . 441 WA 8,331,6—9 »XXVII Ad haec in baptismo universi pnmario voto huic libertati nos astnnximus. XXVIII. Quare non est, ut aho voto illud irritare, fraudare, superordinare possimus « 442 W A 8,332,9-18. 443 WA 8 , 3 3 5 , 1 8 f »Summa: Vota libera sunt, non damnata, tum temporaliter, tum perpetuo servabilia.« 444 W A 8,564. 445 W A 8,573-576. 440

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Gelübde Gott wohlgefällig sind und welche als gottlos anzusehen sind. Die Folgerung des notwendigen Gehorsams gegenüber den Gelübden läßt sich dann leicht ziehen: die Gott wohlgefälligen Gelübde hat man selbstverständlich einzuhalten; die gottlosen Gelübde jedoch muß man im Gehorsam gegen Gott brechen. 446 Von hier aus geht Luther sodann in fünf Abschnitten auf verschiedene Aspekte ein: 447 »I. Die Gelübde stützen sich nicht auf Gottes Wort, sondern widerstreiten ihm vielmehr. IL Die Gelübde widerstreiten dem Glauben. III. Die Gelübde widerstreiten der evangelischen Freiheit. IV. Die Gelübde widerstreiten den Geboten Gottes. V. Das Mönchtum widerstreitet der ratio.« In diesen Abschnitten geht Luther jeweils streng auf das angegebene Thema ein, ohne dabei auf früher vorgetragenen Argumentationen aufzubauen. Der Charakter der Schrift als Gutachten wird somit streng gewahrt. Im ersten Abschnitt setzt Luther mit der FeststeUung ein: »Ohne Frage ist das Mönchsgelübde schon darum eine gefährliche Sache, weil die Schrift es nicht befürwortet und auch kein Beispiel dafür gibt; aber auch die frühe Kirche und das Neue Testament kennen in keiner Weise den Brauch, etwas zu geloben.« 448 Hier zeigt sich, wie Luther die Autorität der Hl. Schrift kritisch anwendet: Luther bestreitet nicht etwa in biblizistischer Weise die Möglichkeit, in der Kirche Einrichtungen zu haben, für die es keinen unmittelbaren Schriftbeleg gibt; allerdings sind solche Einrichtungen »gefährlich« und müssen sich eine kritische Überprüfung gefallen lassen. Nicht nur gefährlich, sondern geradezu gegen die Schrift gerichtet sind freilich solche Dinge, die ohne Schriftgrundlage als verbindlich hingesteUt werden. Darum gUt: »Alles, was es an Regeln, Statuten, Orden und Sekten gibt, was ohne, außer und über Christus einhergeht, sei es auch durch Engel vom Himmel überliefert oder gar durch gewaltige Wunder bestätigt, ist zu verdammen.« 449 Im einzelnen wendet Luther sich gegen die im späten zweiten Jahrhundert aufgekommene und seitdem allenthalben rezipierte Unterscheidung zwischen Geboten und evangelischen Räten sowie gegen die Redeweise von einem Stand der UnvoUkommenheit und einem Stand der VoUkommenheit: damit werde verleugnet, daß das Evangelium allen Christen gemeinsam sei und die sogenannten Räte allen aufgetragen seien. Was der Mönch gelobt — nämlich Gehorsam, Annut und Keuschheit —, sei im neutestamenthehen Sinne für alle Christen verbindlich, ohne daß hierbei an besonders heUige Werke zu denken sei: Gehorsam als die Demut, welche im Evangelium überliefert ist; Armut als die Verwendung der eigenen Habe zum Nutzen des Nächsten sowie Keuschheit im Sinne der HeUigung des Leibes. Aus diesen evangelischen Forderungen lassen sich keine besonderen monastischen Tugenden machen.

446

W A 8,577,22-27. Z u m Aufbau dieser Schrift siehe B. LOHSE, Luthers Kritik am Mönchrum, EvTh 1960, 4 1 3 432; Mönchtum und Reformation, 1963, 363—370. 448 WA 8 , 5 7 8 , 6 - 8 . 449 WA 8,579,1-4. 447

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Im zweiten Abschnitt wendet Luther sich besonders gegen den ewig bindenden Charakter der Gelübde. Die Gelübde erlegen ein Gesetz auf, das sich nicht auf die Hl. Schrift stützt. WeU die Gelübde dem Glauben widerstreiten, sind sie vor Gott nuU und nichtig und können nicht nur, sondern müssen sogar gebrochen werden. In dem dritten Abschnitt greift Luther Gedanken auf, die er zuerst in seiner Römerbriefvorlesung, 450 dann vor allem in seinen refonnatorischen Hauptschriften des Jahres 1520 ausgeführt hatte. Die Freiheit, die uns in der Taufe verliehen ist, kann durch keine kirchliche Einrichtung oder Anordnung außer Kraft gesetzt werden. Luther will damit das Mönchtum nicht vöUig abgeschafft wissen, aber er macht doch die Einschränkung, daß man sich für den monastischen Weg allenfalls im Sinne einer »Übung« entscheiden kann. Ein Gelübde, das in diesem Sinne geleistet wird, würde etwa so lauten: »Siehe, Gott, ich gelobe dir diese Lebensfonn, nicht daß ich der Meinung wäre, dies sei der Weg zur Gerechtigkeit und zum Heil oder zur Genugtuung für die Sünden. Davor bewahre mich deine Barmherzigkeit . . . Aber das strebe ich an: solange wir im Fleisch leben und da wir nicht müßig sein soUen, möchte ich diese Lebensfonn ergreifen, um meinen Leib zu üben, dem Nächsten zu dienen, um dein Wort zu meditieren, so wie ein anderer die Landwirtschaft oder ein Handwerk sich erwählt .. .« 4D1 Das Leben als Mönch oder als Nonne wird damit zu einem Beruf der sich grundsätzlich nicht von irgendeinem anderen weldichen Beruf unterscheidet. Die Sakralisierung eines besonders heUigen Weges ist damit theologisch auf dem Boden der Refonnation an ihr Ende gelangt. In dem vierten Abschnitt legt Luther hauptsächlich dar, daß das Mönchtum wegen seines besonderen Anspruches gegen das erste Gebot gerichtet ist. Das erste Gebot fordert nicht mehr und nicht weniger als den voUen Glauben; da ist für eine besondere Heiligkeit kein Platz. Das Mönchtum richtet sich nach Luther aber auch gegen das Gebot der Nächstenliebe, weil oft genug Menschen sich durch den Eintritt ins Kloster von Aufgaben im Rahmen der Nächstenliebe dispensieren. Auch beim Gehorsam wird durch die Mönchsgelübde der vom Neuen Testament her gebotene Gehorsam in unzulässiger Weise eingeengt. In dem fünften Abschnitt argumentiert Luther schließlich von der ratio her. Dieser Abschnitt gehört — neben der späten Disputation »De homine« (1536)4:>2 — zu den wichtigsten Ausführungen Luthers über die Fähigkeiten und Aufgaben der menschlichen Vernunft. 4 ' 3 Von besonderer Bedeutung sind vor allem folgende Sätze: »Auch wenn die ratio von sich aus nicht an das Licht und die Werke Gottes heranreicht, so daß ihr Urteil bei >positiven Aussagen« (wie sie sagen) u n -

450

Siehe oben 96f. WA 8,604,9-23. 452 WA 39 1,174—180; siehe hierzu die ausführliche Kommentierung durch Gerhard EBELING, Lutherstudien, Band II: Disputatio de homine, 3 Bände, Tübingen 1977—1989. 453 Siehe hierzu Bernhard LOHSE, Ratio und Fides. Eine Untersuchung über die ratio in der T h e o logie Luthers, in: FKDG 8, Göttingen 1958. 451

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zuverlässig ist, so ist ihr UrteU d o c h bei >negativen Aussagen« g e w i ß . D e n n die ratio erfaßt n i c h t , was G o t t ist; trotzdem erfaßt sie m i t S i c h e r h e i t , was G o t t nicht ist.« 4 ' 4 L u t h e r weist hier u n t e r anderem d a r a u f h i n , daß bei j e d e m G e l ü b d e d e r Fall d e r U n m ö g l i c h k e i t a u s g e n o m m e n sei, u n d stellt die Frage, w a r u m lediglich bei d e m Z ö l i b a t k e i n Dispens gegeben w e r d e , w o d o c h die Bibel k e i n e e w i g bindenden Gelübde kenne. Verglichen m i t d e n Ä u ß e r u n g e n v o n Karlstadt u n d M e l a n c h t h o n , zeichnet sich Luthers Schrift ü b e r die M ö n c h s g e l ü b d e e i n m a l d u r c h d i e zentrale FragesteUung aus, die v o n i h m radikal durchgeführt w o r d e n ist; s o d a n n d u r c h die H e r a u s a r b e i t u n g des Gegensatzes zwischen der H l . Schrift u n d e w i g b i n d e n d e n G e l ü b d e n ; u n d schließlich d u r c h die A r g u m e n t a t i o n m i t Hilfe d e r ratio. D a b e i darf n i c h t vergessen w e r d e n , daß Luther unter der Voraussetzung, d a ß die evangelische Freiheit gewahrt bleibt, die Möglichkeit der G e l ü b d e u n d a u c h ein M ö n c h t u m i m S i n n e eines w e l t l i c h e n Berufes gelten läßt. Faktisch hat j e d o c h L u t h e r s Schrift wesentlich dazu beigetragen, daß das M ö n c h t u m auf d e m B o d e n d e r R e f o r m a t i o n ein E n d e fand.

10) Luthers Auseinandersetzung mit den Wittenberger Reformern Lit.: Hermann BÄRGE, Andreas Bodenstein von Karlstadt, 2 Bde., Leipzig 1905. Karl HOLL, Luther und die Schwärmer, in: (Holl) Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte, Bd. 1, 7. Aufl. Tübingen 1948, 420-467. Nikolaus MÜLLER, Die Wittenberger Bewegung 1521 und 1522, 2. Aufl. Leipzig 1911. Fncdel KRIECHBAUM, Grundzüge der Theologie Karlstadts, in: ThF 43, Hamburg-Bergstcdt 1967. Helmar JUNCHANS, Freiheit und Ordnung bei Luther während der Wittenberger Bewegung und der Visitationen, in: T h L Z 97, 1972, 95-104. Ronald J. SIDER, Andreas Bodenstcin von Karlstadt. The Development of his Thought 1517-1525, in: S M R T 11, Leiden 1974. Ulnch BUBENHEIMER, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Junst zwischen Scholastik und Reformation, in: JusEcc 24, München 1977. Bernhard LOHSE, Luther und der Radikalismus, in: LuJ 44, 1977, 7-27. Andreas Bodenstein von KARLSTADT 1480-1541. FS der Stadt Karlstadt zum Jubiläumsjahr 1980, Karlstadt 1980. Ulrich BUBENHEIMER, Luthers Stellung zum Aufruhr in Wittenberg 1520-1522 und die frühreformatonschen Wurzeln des landesherrlichen Kirchenregiments, in: Z S R G . K 7 1 , 1985, 147-214. Martin BRECHT, Martin Luther, Bd. 2: Ordnung und Abgrenzung der Reformation 1 5 2 1 1532, Stuttgart 1986. Ders., Luther und die Wittenberger Reformation während der Wartburgzeit, in: Martin Luther, Leben, Werk, Wirkung, hg. von Günter VOGLER, Berlin 1986,

454

WA 8,629,23—27 »Quinto comparemus institutum istud etiam ad rationem naturalem, hoc est, ad crassum lllud lumen naturae, quae tametsi lucem et opera dei non attingat per sese, ita ut in affirmativis (quod aiunt) fallax sit eius iudicium, in negativis tamen est certum. Non enim capit ratio, quid Sit deus, cemssime tarnen capit, quid non Sit deus.«i

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73-90. Ulrich BUBENHEIMER, Art., Karlstadt, in: TRE 17, 1988, 649-657. Bernhard LOHSE, Zum Wittenberger Augustinismus. Augustins Schnft De Spintu et Littera in der Auslegung bei Staupitz, Luther und Karlstadt, in: Augustine, the Harvest, and Theology (1300-1650). FS Heiko A. OBERMAN, ed. Kenneth HACEN, Leiden 1990, 89-109. a) Die Wittenberger Reformen und die Frage der Autorität der Schrift Der Kreis Wittenberger Theologen, die sich seit 1516 um eine Reform des T h e o logiestudiums sowie auch der gesamten Universität bemüht hatten und dabei humanistische Ziele mit einer reformatorischen Erneuerung verbanden, war zu keiner Zeit ganz homogen gewesen. In den Jahren der scharfen Kritik an der Scholastik waren die Unterschiede innerhalb dieses Kreises zurückgetreten. Je weiter freUich die Universitätsreform vorankam und je schärfer Luthers Konflikt mit R o m wurde, umso mehr traten jedoch Differenzen hervor, die bis dahin in der Tiefe geschlummert hatten. Auch zwischen Luther und seinem Freund M e lanchthon gab es in manchen Fragen Differenzen, wie schon bei der Behandlung der Mönchsgelübde deutlich geworden war. Bedeutsamer waren freilich Meinungsunterschiede zwischen Luther und Karlstadt sowie etwas später zwischen Luther und Müntzer. Während der heftigen Kontroversen mit altgläubigen T h e o logen wurde man auf diese Differenzen erst allmählich aufmerksam. Dann aber zeigte sich bald, daß diese Unterschiede den Kern der reformatorischen Theologie betrafen, nämlich die Auffassung von der Hl. Schrift als Norm und Richtschnur kirchlichen Lebens sowie Rechtfertigung und Heiligung des Menschen. Damit wurde deutlich, daß die reformatorische Bewegung, deren Initiator und Repräsentant Luther nach wie vor war, keine in sich geschlossene, sondern eine plunfonne Bewegung war. Unterschiede zwischen Luther und Karlstadt gab es schon bei der AugustinRezeption, besonders bei der Auswertung von dessen Schrift »De Spintu et Littera«. 4 " Während Luther in »De Spintu et Littera« eine Bestätigung seiner neuen Auffassung von der Gerechtigkeit Gottes und der Rechtfertigung des Menschen erblickte, dabei aber teUweise über Augustins Aussagen hinausging, blieb Karlstadt bei Augustins Thema - eben dem »Geist« und dem »Buchstaben« - , entwickelte aber Augustins Geistverständnis weiter und betonte nicht wie Luther die »Zurechnung« der fremden Gerechtigkeit, sondern die durch die Gabe des Geistes ennöglichte ErfüUung des Gesetzes. Unterschiede und auch schon Spannungen traten zwischen Luther und Karlstadt während der Leipziger Disputation hervor. Sogar Eck wurde bereits vor der Disputation auf Differenzen zwischen Karlstadt und Luther in der Frage der Rechtfertigung aufmerksam; Eck meinte, sich mit Karlstadt einigen zu können. 4 3 6 Seit der Leipziger Disputation kam es zwischen Luther und Karlstadt zu einer Entfremdung. Karlstadt wandte sich dem Studium der Hl. Schrift zu und veröf455 454

Siehe B LOHSE, FS Oberman, 1990, 89-109. Siehe U. BUBENHEIMER, T R E 17, 1988, 650,11-19

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fenthchte 1521 seine bedeutsame Abhandlung »De canonicis scnptuns hbeUus«. Hier distanzierte er sich von Luthers Kritik amjakobusbnef. Karlstadts Auffassung, daß die Evangelien, die Paulusbriefe und die übngen neutestamentlichen Schriften eine abgestufte Autorität hätten, unterschied sich durchaus von Luthers Kanonsverständnis und seiner Bereitschaft zu einer Sachkritik. 437 Die unterschiedliche Beurteilung des Jakobusbriefes wies auf Differenzen nicht nur in dem Schriftverständnis, sondern auch in der Auffassung von Rechtfertigung und Heiligung hin. Als Luther nach dem Wormser Reichstag für längere Zeit auf der Wartburg weilte, fiel die Führung der reformatorischen Bewegung in Wittenberg fast von selbst Karlstadt zu, war Melanchthon damals doch erst 24 Jahre alt. Bereits bei der Behandlung der Mönchsgelübde 4:,K hatte sich gezeigt, daß Karlstadt an der buchstäblichen Geltung alttestamentlicher Vorschriften festhielt, dabei aber in eigentümlicher Weise die Wirksamkeit des Hl. Geistes maßgebend sein ließ. Bezeichnender Weise korrespondierte Luther damals überhaupt nicht mit Karlstadt, sondern mit Melanchthon, ignorierte also die führende Position, die Karlstadt in Wittenberg im Laufe des Jahres 1521 gewann. Im Zusammenhang mit der unterschiedlichen Auffassung über das Mönchtum, die Geltung der Gelübde, die Freiheit zum Verlassen der Klöster sowie die Priesterehe entwickelte Karlstadt seine Ansicht über Geist und Buchstaben sowie Fleisch und Geist, Luther jedoch seine Auffassung von dem äußeren Wort der Schrift sowie seine Lehre von Gesetz und Evangelium. Die Refonnen, welche Karlstadt in Wittenberg Ende 1521 sowie im Januar 1522 durchführte - Melanchthon war zwar verunsichert, opponierte aber nicht gegen Karlstadt —, dienten der Durchsetzung kirchlicher und sozialer Ziele. Z u m neuralgischen Punkt wurde dabei die Frage der Entfernung der Bilder aus den Kirchen. Nach Karlstadt ist das alttestamenthche Gesetz in gewissem Sinne auch für Christen verbindlich. Daß Luther etwas später Mose als der Juden Sachsenspiegel bezeichnen konnte, 4 ' 9 war für Karlstadt ein schwerer Anstoß. Karlstadt ließ Luthers Auffassung, das alttestamenthche Gesetz sei nur insoweit für Christen verbindlich, als es durch Christus bestätigt worden ist, nicht gelten. Nach Karlstadt bindet vielmehr das Bilderverbot auch die Kirche. Dabei verwies Karlstadt nicht zuletzt auf die Gefahren, welche die BUderverehrung für die Reinheit des Glaubens mit sich bringt, sowie auf die Notwendigkeit, gerade hier die einfachen Christen vor Versuchungen zu bewahren. Zudem seien die Chnsten auf Grund der Gnade und der Geistwirksamkeit ja auch dazu in der Lage, das Gesetz zu erfüllen. Bereits 1517 hatte Karlstadt gesagt, daß die Gnade uns zu Freunden und Tätern des Gesetzes macht. 460 Für Karlstadt ist es so, daß sich der christliche Glaube im

4 " B. LOHSE, Evangelium in der Geschichte. Göttingen 1988, 222-224. "« Siehe oben 156 f. 4 " WA 16,378,11 (Predigt 1525); 18,81,14f. (Wider die himmlischen Propheten 1525); cf. H e i n rich BORNKAMM, Luther und das Alte Testament, Tübingen 1948, 103-107 463 Ernst KAHLER. Karlstadt und Augustin: der Kommentar des Andreas Bodenstein von Karlstadt

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Gehorsam bewähren muß. Die Rechtfertigung muß zur Heiligung führen, die christliche Freiheit muß sich in neuen Formen auch der Sozialgestaltung ausprägen. Karlstadt steht damit für eine im Grunde »puritanische« Form des reformatorischen Christentums. 461 Der Unterschied zwischen Karlstadt und Luther betraf nicht nur Fragen einer verschiedenen Strategie, 462 sondern Grundaspekte der reformatorischen Theologie. b) Luthers Haltung zu den Reformen in Wittenberg Luther war anfangs mit den Refonnen, die unter Karlstadts Führung in Wittenberg durchgeführt wurden, voll und ganz einverstanden. Als Luther Anfang D e zember 1521 insgeheim in Wittenberg weilte, äußerte er: »Alles, was ich sehe und höre, gefällt mir sehr.«463 Gewisse Bedenken hatte Luther aUerdings vorher gegen einige tumultuansche Szenen geäußert, 464 so daß Luther anscheinend nicht ohne Vorbehalte gewesen ist. Im Januar 1522 äußerte Luther noch Zustimmung zu Karlstadts Eheschließung. 463 Daß Luther bald darauf gegen die Wittenberger Bewegung zunehmend kritisch wurde, hatte verschiedene Ursachen. Entscheidend dürften die Vorgänge um die sogenannten Zwickauer Propheten 466 gewesen sein. Diese Propheten waren Ende Dezember 1521, angelockt von Nachrichten über die dortigen Vorgänge, nach Wittenberg gekommen und hatten sich gegenüber Melanchthon auf göttliche Offenbarungen berufen. Sie woUten die Refonnen dort vorantreiben. Außerdem äußerten sie Zweifel an dem Recht zur Kindertaufe. Melanchthon war ihnen gegenüber unsicher und ängstlich.467 Gegen die Ansprüche der Zwickauer hob Luther hervor, daß diese ihre Berufung erst beweisen müßten, habe doch Gott noch niemals jemanden berufen, der nicht entweder durch Menschen oder durch Zeichen ausgewiesen sei — nicht einmal seinen eigenen Sohn. Wenn die Zwikkauer behaupteten, sie seien durch eine »nuda revelatio« berufen, so sei das ohne Vorbild in der Hl. Schrift. Im übrigen soUe Melanchthon feststeUen, ob die

zu Augustins Schrift De spintu et litera, in: H M 19, Halle 1952, 25*: »Gratia facit nos legis dilectores et factores«' (151 Thesen vom 26. April 1517). 4M Siehe Gordon RuPP, Andrew Karlstadt and Reformation Puntanism, in: JThS NS 10, 1959, 308-326. 462 Gegen R. SIDER, aaO, 201. 463 WA Br 2 Nr. 443,18 (Luther an Spalann ca. am 5.12.1521). 464 W A B r 2 Nr.438,16-35 (Luther an Spalatin am 11.11.1521). 4 " WA Br 2 Nr. 449,45-47 (Bnef Luthers an Amsdorf vom 13.1.1522). 4 " Zu den Zwickauer Propheten siehe vor allem Abraham FRIESEN, Thomas Muentzer, a Destroyer of the Godless. The making of a sixteenth-century religious revolutionary, Berkeley/Los Angeles/Oxford 1990, 73-99; Susan C. KARANT-NUNN, Zwickau in Transition, 1500-1547: T h e R e formation as an Agent of Changc, Columbus, Ohio 1987. 467 Siehe WA Br 2 Nr. 450 (Luther an Melanchthon am 13.1 1522). Zur Frage der Kindertaufe ebdZ.98-116.

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Zwickauer bei ihren Offenbarungen Anfechtungen gehabt hätten. Wenn alles ruhig und scheinbar fromm einhergehe, seien die Offenbarungen nicht zu akzeptieren: so rede Gott nicht mit Menschen. Was die Kindertaufe betrifft, so lehnte Luther die Schriftinterpretation der Zwickauer Propheten ab. Neben dem Gegensatz zu den Zwickauer Propheten war für Luther weiter wichtig, daß das Reichsregiment nach einer Anzeige von Herzog Georg von Sachsen am 20. Januar 1522 ein Mandat zur Bekämpfung der »Neuerungen wider den hergebrachten christlichen Brauch« verabschiedete. 468 Was daraus folgen würde, war noch nicht abzusehen. Es schien möglich, daß man in Wittenberg den Schutz und die stiUschweigende Duldung des sächsischen Kurfürsten verlieren würde. Zudem stand zu befürchten, daß die Wittenberger Bewegung außer KontroUe geraten und dadurch ein Konflikt mit der Obngkeit riskiert würde. Dabei war Luther schon damals der Überzeugung, daß Refonnen auf keinen Fall gegen die Obrigkeit eingeführt werden dürften. In den Invokavit-Predigten hat Luther hierzu gesagt: »Du sprichst: es [die Reformen] ist recht auß der schriefft; jch bekenn es auch, aber wo bleybt die ordenung? dann es ist in eym frevel gescheen on alle Ordnung, mit ergernyß des nechsten; wann man solt gar mit ernste zuvor dar umb gebetten haben und die obersten darzu genommen haben, so wüste mann, das es auß gott geschehen were.« 469 Luther hatte zwar schon früh eine sehr positive Meinung von der weltlichen Obrigkeit gehabt; 470 doch derart prononciert hat Luther sich hier zum ersten Mal über den göttlichen Auftrag der Obrigkeit auch in Fragen der Kirchenrefonn geäußert. Die Frage, wie Luther zu dieser außerordentlich positiven Sicht der RoUe der Obngkeit gelangt ist, muß letztlich offen bleiben. Schließlich hat aber die Entwicklung der Wittenberger Reformbewegung selbst bei Luther zu einer ablehnenden Haltung geführt. Was anfangs noch als freie Entfaltung reformatorischer Ansätze aussah, wurde mit der »Ordnung der Stadt Wittenberg« vom 24. Januar 1522 festgeschrieben: das Verbot des Betteins, auch von Mönchen; die Entfernung der BUder und Altäre - bis auf drei — aus den Kirchen; die neue Meßordnung, welche vorschrieb, daß die Priester den Kommunikanten die Hostie und den Kelch in die Hände geben. Für Luther wurde mit diesen detaiUierten Regelungen die evangelische Freiheit preisgegeben und die päpsdiche Zwangsordnung nur durch eine reformatorische Ordnung, die nicht minder strikt war, ersetzt. Insbesondere beanstandete Luther auch, daß man dabei keine Rücksicht auf die »Schwachen« nahm, die noch an der alten Ordnung hingen und sich an den Änderungen stießen. Die Reformer hatten es hier an der nötigen Geduld und Liebe fehlen lassen. Luther erblickte in der Tätigkeit der Wittenberger Reformer letztlich das gleiche Wirken des Satan, der bislang sich

4M

Luther deutet hierauf selbst vorsichtig hin: WA 10 11,25,1-3 (Von beider Gestalt des Sakraments zu nehmen 1522). 4 " WA 10 111,9,9-13. 4 '° Siehe oben 94-96.

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der Papisten bedient hatte; aber Luther ist gewiß, daß Christus ihn »unter unsere Füße« geben wird. 471 Entgegen dem kurfürstlichen Rat kehrte Luther von der Wartburg nach Wittenberg zurück. In seinen Invokavit- Predigten, die er vom 9. bis 16. März 1522 hielt, wandte Luther sich gegen die Wittenberger Reformer und brachte die entstandene Enegung schneU zur Ruhe. c) Luthers weitere Entfaltung seiner Lehre von der Hl. Schrift, von Gesetz und Evangelium sowie seiner Auffassung von der Obrigkeit Der Konflikt mit den Wittenberger Reformern führte bei Luther zu einer Präzisierung und teUweise auch zu einer Modifizierung zahlreicher wichtiger Auffassungen und damit zu einer bleibenden Abgrenzung von seinen »linken« Gegnern. Es ist kein Zweifel, daß Luther sich bis 1521 teilweise ähnlich hatte äußern können wie die Wittenberger Reformer, obwohl Luthers Überzeugungen sich im Kern von denjenigen Karlstadts schon längere Zeit unterschieden hatten. Noch in seiner Auslegung des »Magnificat« von 1521 konnte Luther sagen: »Es mag memant got noch gottes wort recht vorstehen, er habs denn on mittel von dem heyligen geyst. Niemant kansz aber von dem heUigenn geist habenn, er erfaresz, vorsuchs und empfinds denn, unnd yn der selben erfarung leret der heylig geyst alsz ynn seiner eygenen schule, auszer wilcher wirt nichts geleret, denn nur schein wort unnd geschwetz.«472 Nach den Erfahrungen mit den Wittenberger Reformern ist Luther hier vorsichtiger geworden. Jetzt betont er die Notwendigkeit des äußeren Wortes, wie es in der Schrift zu finden ist und jeweils neu gepredigt werden muß; der Geist wirkt nicht unabhängig von dem äußeren Wort, sondern stets in Verbindung mit ihm. Das äußere Wort ist zugleich das Kriterium, um etwaige innere Eingebungen zu beurteilen. In seiner Schrift »Wider die himmlischen Propheten« (1525) hat Luther hierzu gesagt: »So nu Gott seyn heyliges Euangelion hat auslassen gehen, handelt er mit uns auff zweyerley weyse. Eyn mal eusserhch, das ander mal ynnerlich. Eusserlich handelt er mit uns durchs mündliche wort des Euangelij und durch leypliche zeychen, alls do ist Tauffe und Sacrament. Ynnerlich handelt er mit uns durch den heyligen geyst und glauben sampt andern gaben. Aber das alles, der massen und der ordenung, das die eusserlichen stucke soUen und müssen vorgehen.« 473 Weiter arbeitet Luther nunmehr deutlicher als früher sowohl den Unterschied von Gesetz und Evangelium als auch deren Zusammengehörigkeit heraus. Wenn Karlstadt das alttestamenthche Bilderverbot in seinem buchstäblichen Sinn einschärft, so findet sich bei Luther hier eine differenzierte Sicht: die eherne Schlange, welche Mose auf der Wüstenwanderung enichtete, ist nach Luther im Grunde "

l

472

*n

W A Br 2 Nr. 450,117-120 (13.1 1522) W A 7,546,24-29. W A 18,136,9-15.

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auch ein Bild; verboten ist nicht das Anfertigen von Bildern als solches, sondern das Anbeten der Bilder. Im übrigen macht Luther geltend, daß Mose die Menschen nicht mit Gewalt von den Bildern ferngehalten, sondern sie vor ihnen gewarnt habe. 474 Die buchstäbliche Durchsetzung des BUderverbots ist darum in Gefahr, aus der christlichen Freiheit gegenüber den BUdern ein Gesetz zu machen und damit zugleich den Glauben zu veräußerlichen. Ferner weist Luther nunmehr stärker daraufhin, daß das Gesetz auch ein bleibendes Strafamt hat, was die Wittenberger Reformer faktisch in Abrede steUten. Noch 1521 sagt Luther: »Und ob wir schon ym newen testament synd und des geysts predigen nur haben soften, doch weyl wir noch ym fleysch und blutt leben, ists nott auch den buchstaben predigen, das man die leutte zum ersten durchs gesetz tödte und alle yhr vormessenheyt zu nichte mache, damit sie sich erkennen, geysthünrig und gnaddürstig werden . . . , das er Christo das volck bereyttet mit predigung der puß . . . und als dan sie zu Christo furett.«473 In der AdventspostiUe für den dritten Advent 1522 setzt Luther zum ersten Mal ausführlich den Unterschied zwischen Gesetz und Evangelium auseinander. 476 Schließlich entfaltet Luther aber auch seine Auffassung von der Obrigkeit weiter. Das früheste Zeugnis für die nunmehr weiter entwickelte Auffassung von der Obrigkeit findet sich in Luthers Bnef an Melanchthon vom 13. Juli 1521. Hier legt er dar, daß die weltliche Gewalt notwendig ist für die Aufrechterhaltung der äußeren Ordnung; ohne diese könnte auch die Kirche keinen Bestand haben. Weiter beruft Luther sich auf Römer 13 und 1. Petrus 2 und sagt: »Die weltliche Gewalt ist von Gott, und wer der weltlichen Gewalt widersteht, widersteht der Anordnung Gottes.« 477 Ferner heißt es hier: »Da Christus also im Evangelium die göttlichen und himmlischen Dinge anordnen soUte, was ist es da wunder, wenn er nicht das Schwert eingesetzt hat, das [zudem] leicht von den Menschen geordnet werden kann, und es trotzdem so behandelt, daß, wenn es nicht dem Evangelium entgegen ist, es nach seinem Wülen eingesetzt ist.«478 Diese relativ ausführliche Darlegung macht deutlich, daß Luther die wesentlichen Gesichtspunkte seiner Obrigkeitsauffassung entworfen hatte, bevor sich die Entwicklung in Wittenberg radikalisierte und in Spannung oder Gegensatz zur weltlichen Obrigkeit zu geraten schien. Luthers Obrigkeitsauffassung ist also nicht erst die Reaktion auf die Entwicklung in Wittenberg, sondern umgekehrt, seine Haltung zu den

474

W A 10 111,27,1-29,10 u . ö . W A 7,658,26-33 (Auf das überchrisdich Buch . . . Emsers Antwort 1521). 476 W A 10 I 2,147-170; besonders 155,21-159,4. Zur Ausbildung von Luthers Lehre von Gesetz und Evangelium in dieser Zeit siehe Gerhard EBELINC, Zur Lehre vom tnplex usus legis in der reformatorischen Theologie, in: (Ebeling) Wort und Glaube, (1960) 2. Aufl. Tübingen 1962, 50-68. 477 W A Br 2 Nr. 418,32-107; dieses Zitat Z. 69f: »Potestas a Deo est, et ordinationi Dei resistit, qui potestati resistit.« cf. M. BRECHT, Luther und die Wittenberger Reformation in der Wartburgzeit, in: Luther. Leben, Werk, Wirkung, 1986, 74 f. 478 Ebd Z. 88-92. 475

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W i t t e n b e r g e r R e f o n n e r n resultierte nicht zuletzt aus seiner schon v o r h e r in d e n G r u n d z ü g e n fertigen Obngkeitsauffassung. D i e o b e n 4 7 9 zitierte Aussage ü b e r die N o t w e n d i g k e i t , bei d e n in W i t t e n b e r g d u r c h g e f ü h r t e n K i r c h e n r e f o r m e n die O b r i g k e i t — »die obersten« — zu beteiligen, stellt eine zwar zugespitzte, aber im G r u n d e d o c h bei Luther schon i n j e n e m Brief v o m 13. Juli 1521 v o r h a n d e n e Auffassung dar. Andererseits hat L u t h e r aus seiner B e j a h u n g des v o n G o t t erteUten Auftrags an die O b n g k e i t zu keiner Z e i t die K o n s e q u e n z g e z o g e n , daß er n u n e t w a unkritisch allen A n o r d n u n g e n der O b r i g keit Folge zu leisten hätte. Allein s c h o n Luthers Entschluß, gegen den R a t u n d WiUen des Kurfürsten v o n der W a r t b u r g nach W i t t e n b e r g z u r ü c k z u k e h r e n , w ü r de eine solche B e h a u p t u n g w i d e r l e g e n . 4 8 0

11) Luthers Auseinandersetzung mit radikalen Richtungen zur »Rechten« und zur »Linken«. Die Unterscheidung zwischen zwei Reichen und Regimenten Lit.: Zu Luthers Obngkeitsauffassung im ganzen: Ernst KINDER, Gottesreich und Weltreich bei Augustin und bei Luther. Erwägungen zu einer Vergleichung der »Zwei-Reiche«-Lehre Augustins und Luthers, in: Gedenkschnft für D. Werner ELERT. Beiträge zur historischen und systematischen Theologie, hg. von Friedrich HÜBNER, Berlin 1955, 24—42. Gustaf TORNVALL, Geistliches und weltliches Regiment bei Luther. Studien zu Luthers Weltbild und Gescllschaftsverständnis, in: FGLP 10, II, München 1947. Heinnch BORNKAMM, Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie, Gütersloh 1958. Gottfried FORCK, Die Königsherrschaft Jesu Chnsti bei Luther. (1959) Mit einem Beitrag von Bernhard LOHSE, 2. Aufl. Berlin 1988. Gerta SCHARFFENORTH, Römer 13 in der G e schichte des politischen Denkens. Ein Beitrag zur Klärung der politischen Traditionen in Deutschland seit dem 15. Jahrhundert, Diss. phil. Heidelberg 1962. Johannes HECKEL, Lex charitatis. Eine junstische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, in: ABAW.PH 36, (1953), München 1963, 2. Aufl. hg. von Martin HECKEL, Köln 1973. Paul ALTHAUS, Die Ethik Martin Luthers, Gütersloh 1965. LUTHER und die Obrigkeit, hg. von Günther W O L F , in: W d F 85, Darmstadt 1972. Ulnch DUCHROW, Christenheit und Wcltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichclehre, (1970) 2. Aufl. Stuttgart 1983. Karl TRÜDINCER, Luthers Briefe und Gutachten an weltliche Obngkeiten zur Durchführung der Reformation, in: R G S T 111, Münster 1975. Elke WOLCAST, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen, in: Q F R G 47, Gütersloh 1977. Hans-Joachim

479

Siehe bei Anm. 469. Siehe hierzu auch Luthers Brief an den sächsischen Kurfürsten vom 5.3.1522; WA Br 2 Nr 455 cf. auch Luthers Brief an den Kurfürsten vom 7(8.?)3. 1522; ebd Nr. 456, bes. 17-19 »Denn wiewohl nicht allzeit der menschlichen Oberkeit zu gehorchen ist, nämlich wenn sie etwas wider Gottes Gebot furnimpt, so ist sie doch nimmer zu verachten, sondern zu ehren.« 480

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GANSSLER, Evangelium und weltliches Schwert: Hintergrund, Entstehungsgeschichte und Anlaß von Luthers Scheidung zweier Reiche oder Regimentc, in: VIEG 109, Wiesbaden 1983. Zu Luthers Haltung im Baucrnkneg: Paul ALTHAUS, Luthers Haltung im Bauernkrieg (1925), Tübingen 1952. Martin GRESCHAT, Luthers Haltung im Bauemkneg, in: ARG 56, 1965, 31—17. Eric W. GRITSCH, Martin Luther and Violence: A Reappraisal ofa Neuralgie Thcme, in: SCJ 3, 1972, Nr. 1, 37-55. Johannes WALLMANN, Ein Friedensappell - Luthers letztes Wort im Bauernkrieg, in: DER WIRKLICHKEITSANSPRUCH von Theologie und Religion. FS Ernst STEINBACH, hg. von Dieter HENKE, Günter KEHRER und Gunda SCHNEIDER-

FIUME, Tübingen 1976, 57-75. Hennann DÖRRIES, Luther nach dem Bauemkneg, in: E C CLESIA und Res Publica. FS Kurt Dietrich SCHMIDT,

hg. von Georg KRETSCHMAR und

Bernhard LOHSE, Göttingen 1961, 113-124.

a) Der Wechsel der FrontsteUung Gewisse Grundgedanken, die später auch in der Unterscheidung zwischen den beiden Reichen wiederkehren, lassen sich schon früh bei Luther nachweisen. Von Atigustins großem Werk »De civitate Dei« her war es ihm geläufig, daß die Kirche letztlich mit dem »Gottesstaat«4 gleichzusetzen sei. 482 Angesichts der vielfältigen Verfallserscheinungen in der spätmittelalterlichen Kirche hatte Luther schon früh mehr Zutrauen zur staatlichen als zur weldichen Verwaltung gefaßt. 483 Wenn Luther sich mit seiner Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« (1520) an die weltlichen Obrigkeiten wandte und sie aufforderte, sie soUten wegen des offenkundigen Versagens der geistlichen Autoritäten umfangreiche Reformmaßnahmen im weltlichen wie im kirchlichen Bereich ergreifen, so steht im Hintergrund die Auffassung von der Eigenständigkeit der weltlichen Obrigkeit, die ihren besonderen Auftrag von Gott erhalten hat und die nicht der kirchlichen Autorität untergeordnet ist. Diese Auffassung ist nicht einfach mit der spätmittelalterlichen Theorie identisch, wonach Kaiser und Papst im Bedarfsfall sich gegenseitig vertreten können, 4 8 4 oder auch mit kaiserlichen Positionen etwa im H.Jahrhundert gegenüber dem Papsttum; immerhin mag Luther von hierher manche Anregungen empfangen haben. Die Tatsache, daß Luther, seit er in Wittenberg weilte, von Seiten seines kursächsischen Landeshenn immer wieder verständnisvoUe Förderung und vor allem auch die Zusage des weltlichen Schutzes erhielt, kann für die weitere Entwicklung seines Obrigkeitsverständnisses kaum überschätzt werden. Besonders kritisch war 481 Zur Schwierigkeit, den Begriff »civitas Dei« zu übersetzen, siehe Wilhelm KAMLAH, Chnstentum und Geschichtlichkeit. Untersuchungen zur Entstehung des Christentums und zu Augustins »Bürgerschaft Gottes«, 2. Aufl. Stuttgart - Köln 1951, 155-190. 4,2 Siehe WA 55 1,378 (ZGl.Ps.47,2); 55 1,596 (ZG1. Ps.86,3); 55 1,814.816 (Titel und ZGl.Ps. 121,4); 4,402,38 (Sch.Ps. 121,4: »Ecclesia . . . edificatur ut civitas«). 483 Siehe oben 95 f 484 Siehe etwa Wilhelm KÖLMEL, Wilhelm Ockham und seine kirchcnpolirischen Schriften, Essen 1962.

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Luthers Situation im Herbst 1518, nachdem das Verhör vor Cajetan gescheitert war und nun der päpstliche Haftbefehl gegen Luther wieder in Kraft trat. Daß Friednch damals nur kurze Zeit schwankte, ob er Luther werde schützen können, und sich sehr bald zu einem Schutzversprechen entschloß, sicherte Luther und der reformatorischen Bewegung die weitere Wirkungsmöglichkeit. 483 Weder damals noch später ist Friedrich Luthers Ideen einfach gefolgt. Es hat auch nicht an Spannungen zwischen dem Kurfürsten und seinem Professor gefehlt. Doch ist Friedrich immer verständnisvoU und differenziert auf den in seinen Augen stürmischen Gottesmann eingegangen. Niemals hat er Luther ein kompromißloses Nein zuteU werden lassen. Von daher ist es kaum übenaschend, daß aus Luthers frühem Zutrauen zur weldichen Obngkeit mehr und mehr eine Auffassung über die Eigenständigkeit der weltlichen Gewalt wurde. Anders als Luther, ließ Karlstadt Ende 1521 und Anfang 1522 gerade die notwendige Rücksicht auf den Kurfürsten vermissen, welche dieser angesichts seiner Zusage, Luther zu schützen, sehr wohl erwarten konnte. In seinem Brief an Melanchthon vom 13. Juli 1521 4 8 6 entfaltete Luther von seinen Voraussetzungen aus zum ersten Mal seine Grundgedanken über Wesen und Auftrag der weltlichen Obrigkeit. War es Luther gegenüber R o m darum gegangen, die Eigenständigkeit der weltlichen Gewalt herauszusteUen, so mußte er nun gegenüber den radikaleren R e formern die Notwendigkeit der weltlichen Ordnung hervorheben. Dieser Frontwechsel setzte während der Entwicklung der Wittenberger Reformation unter Karlstadt 1521/1522 ein, gewann aber bald noch größere Bedeutung, als revolutionäre Kräfte die gewaltsame Umgestaltung der Verhältnisse und die Emchtung einer angeblichen Gotteshenschaft anstrebten. Die von Luther bis dahin nur in ersten Ansätzen vorgetragene Auffassung über geisdiche und weltliche Gewalt mußte deshalb bald näher reflektiert und weiter ausgebaut werden. Es versteht sich dabei im Blick auf Luther von selbst, daß die biblischen Aussagen auch hier für ihn entscheidende Bedeutung haben mußten. b) Luthers Schrift »Von weltlicher Obrigkeit, 487 wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« (1523) Den Gedanken an eine Abhandlung über die Obrigkeit hat Luther offenbar schon im Sommer 1522 gefaßt. Im Spätsommer 1522 hat Luther bei Predigten über den 1. Petrusbrief auch den dort enthaltenen Abschnitt über die Obrigkeit - 1. Petrus 2 Vers 13—17 — ausgelegt.488 Hier finden sich bereits gewisse Grundgedanken seiner sogenannten Zwei-Reiche-Lehre, insbesondere auch die Begriffe »geistliches« 485 Siehe Ingetraut LUDOLPHY, Fnednch der Weise - Kurfürst von Sachsen 1463-1525, Göttingen 1984,397-444. 486 Siehe oben 167 f. u7 Luther spncht von »Oberkeit«, nicht von «Obngkeit». In diesem Sprachgebrauch zeigt sich, daß Luther weniger an eine Institution als an die «Oberen» denkt, denen Gewalt übertragen ist. 488 WA 12,327-335.

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und »weltliches Regiment«. Auch die Grenzen des Gehorsams gegenüber der O b ngkeit sind von Luther hier angesprochen worden. Im Oktober 1522 hat Luther in verschiedenen Predigten in Weimar auch Fragen des geistlichen und weldichen Regiments behandelt. Besonders wichtig sind dabei die beiden Predigten in der Weimarer Schloßkirche vom 24. und 25. O k tober 1522 in Gegenwart von Herzog Johann. 489 Luther hat hier Matthäus 3 Vers 2 »Bekehrt und bessert euch, denn das Reich Gottes ist nahe« ausgelegt. In diesen beiden Predigten verwendet Luther ebenfalls die Begriffe »Reich Chnsti« und »geistliches Regiment« wie andererseits »weltliche Obngkeit« oder »weltliches Regiment«. Diese verschiedenen Begriffe stehen dabei gleichgewichtig nebeneinander. Wesen und Auftrag beider Reiche und Regimente werden von Luther dabei klar umschrieben. Damit hat Luthers sogenannte Zwei-Reiche-Lehre bereits hier ihre unverwechselbare Eigenart gewonnen. Wenig später, nändich am 3. November 1522, schreibt Luther über die Predigt vom 25. Oktober an Spalatin, er habe das Reich Gottes und die weltliche Gewalt erörtert; aus diesem Brief ergibt sich zugleich, daß Herzog johann um die Veröffentlichung gebeten hat. 490 Spalatin gegenüber äußert Luther weiter, daß er »schon längst«491 den Plan gehabt habe, diese Predigt zu einer Schrift auszuarbeiten. Etwas später sagt Luther, daß er »von beiden Gewalten« (de utraque potestate) handle. 492 Der Grund, warum er diese Predigt der geplanten Schrift zugrundelegen woUte, dürfte sicher dann bestehen, daß Luther selbst mit Recht das Gefühl hatte, in dieser wichtigen Frage hier zu neuer Klarheit gelangt zu sein. Tatsächlich gab es neben diesen Predigten noch einen weiteren Anlaß zur Abfassung einer Schnft über die Obrigkeit. Im September 1522 hatte Luther über den kursächsischen Rat Philipp von FeUitzsch ein Buch des bekannten Juristen und Politikers Johann Freihen von Schwarzenberg erhalten, für das Luther sich am 21. September 1522 bedankte. 493 Leider ist dieses Buch verschoUen. Möglicherweise handelt es sich um ein Manusknpt, zu dem Schwarzenberg Luthers UrteU haben woUte. Luther sagte zu, seine Bemerkungen in das Buch einzutragen. 494 Auf jeden Fall kündigt Luther hier auch an: »Von weltlichem Schwert, wie das mit dem Euangelio übereinkäme, will ich schier [= bald] . . . ein Buchlin sonderlich aus lassen gehen;« 493 damit ist die Obrigkeitssschrift gemeint. Schwar-

489

WA 10 111,371-379; 379-385. WA Br 2 Nr. 546,9—12 «... Vimarie semel de regno & potestate scculari dixi, quod rogatus sum edere, ahoqui lam diu edendi cupidus & Studiosus eiusdem. Exibit autem sub nomine pnncipis lohannis Senions statim.« 4.1 Ebd. 4.2 WA Br 2 Nr. 560,15 (Brief vom 20.12.1522 an Wolfgang Stein). 4,J WA Br 2 Nr. 538. Zu Schwarzenberg siehe Erik WOLF, Große Rechtsdenker der deutschen Geistesgeschichte, 4. Aufl. Tübingen 1963, 102-137. 4,4 Ebd Z. 2 8 - 3 3 . cf. hierzu die Einleitung zu »Von weldicher Obngkeit« in: Martin Luther. Studicnausgabe, B d . 3 , Berlin 1983, 27f. (Siegbert Mühlmann). 4,s Ebd Z. 24-26. 4.0

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zenberg, Verfasser der Bambergischen Halsgenchtsordnung, hat in der Reichstagskommission mitgewirkt, die wesentlich zur Vereinheitlichung der Strafrechtspflege beitrug. Gegenüber Luther war er zu allen Zeiten sehr freundlich eingesteUt. Verstärkt wurde die Dnnglichkeit einer solchen Abhandlung durch die Maßnahmen Herzog Georgs von Sachsen und anderer streng altgläubiger Fürsten gegen den Verkauf von Luthers Übersetzung des Neuen Testaments. Herzog Georg ließ die Exemplare konfiszieren, allerdings unter Erstattung des Kaufpreises. Ähnliche Maßnahmen wurden auch in anderen Territorien ergriffen. Für Luther steUte sich von daher die Frage, ob die weltliche Obngkeit in dieser Weise in geistliche Belange eingreifen dürfe. 496 Luther hat wohl erst Mitte Dezember 1522 die Obrigkeitsschrift ausarbeiten können. Das Datum des Widmungsbriefs an Herzog Johann ist der Neujahrstag 1523. Im Druck erschien die Schrift Anfang März 1523. Allein der Titel setzt gegenüber den früheren Predigten über dieselbe Materie insofern einen besonderen Akzent, als Luther ausdrücklich auch auf die Grenzen des Gehorsams gegenüber der Obngkeit eingeht. Aus Luthers Widmungsbnef ergibt sich, daß Luther auch von vielen anderen um die Veröffentlichung dieser Schrift gebeten worden ist, da sie bewegt seien von dem Wort Christi, daß man dem Übel nicht widerstreben, sondern dem Widersacher willfährig sein soUe (Mt. 5,39). Luther äußert weiter: »Ich hoff aber, das ich die fursten und weUtliche uberkeyt alßo wolle unternchten, das sie Chnsten und Christus eyn herr bleyben soUen und dennoch Christus gepott umb yhren wiUen nicht zu redten machen dürffe.««497 c) Die Unterscheidung zwischen zwei Reichen und zwei Regimenten Die außerordentlich umfangreiche Literatur zu Luthers Obrigkeitsauffassung darf nicht den Blick versteUen für die historische Situation der Entstehung dieser kleinen Abhandlung und für ihren ursprünglichen Sinn. Insbesondere dürfte es nicht berechtigt sein, die Grundgedanken Luthers als einen Entwurf von außergewöhnlicher systematischer Konsequenz zu interpretieren. 498 Bereits die Zusammenfassung von Luthers Gedanken unter dem Begriff der Zwei-Reiche-Lehre ist problematisch. Dieser Terminus ist offenbar zuerst von Karl Barth 1922 verwendet worden; 499 er eignet sich deswegen kaum zur Bezeichnung von Luthers Gedanken, weU er eine Systematik und eine Konsequenz bei der Anwendung unterstellt, die sich bei Luther einfach nicht belegen lassen. Mit dieser FeststeUung soU fredich nicht bestntten werden, daß hinter Luthers Obrigkeitsschrift eine tiefe exegetische 4.6

cf. W A 11,267,14-29. W A 11,246,6-8. 4.8 Dieser Gefahr dürfte insbesondere J. HtCKEL erlegen sein 4 " K. BARTH, in seiner Rezension des Buches von Paul ALTHAUS, Religiöser Sozialismus Grundfragen der christlichen Sozialcthik, Gütersloh 1921, in: Das Neue Werk 4, 1922, 461-472, abgedr. in: ANFÄNGE der dialektischen Theologie, Teil 1, hg. von Jürgen MOLTMANN, in: TB 17, München 1962, 152-165, bes. 154-156. 4.7

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und systematische Reflexion steht. Allerdings ist es für Luther stets eine hohe Kunst gewesen, diese Unterscheidung in der jeweiligen konkreten Situation anzuwenden. Die Schrift gliedert sich in drei TeUe. In dem ersten Ted geht es Luther darum, »das weUthch recht und schwerd wol [zu] gründen, das nicht yemand dran zweyffel, es sey von Gottis wiUen und Ordnung ynn der weUt.«'00 Diese Worte machen deutlich, daß Luther sich hier gegen diejenigen wendet, die die Obrigkeit für überflüssig halten oder ihr keinen göttlichen Auftrag zuerkennen. In diesem ersten Teil finden sich die wichtigen grundsätzlichen Gedanken. Luther stützt sich dabei wiederum hauptsächlich auf Römer 13 und 1, Petrusbnef 2 Vers 13 f., aber auch auf Aussagen wie Genesis 4 Vers 14f; 9 Vers 6 sowie Exodus 21, Vers 14 und 23 ff. Daraus ergibt sich, daß das »Schwert« von Anfang der Welt an dagewesen ist.501 Christi Wort, man soUe nicht dem Übel widerstehen (Matthäus 5,38f.), bedeutet keine Aufhebung des Mose-Gesetzes; vielmehr muß bedacht werden, an wen Christus sich jeweils wendet. In diesem Zusammenhang fallen die Worte: »Hie müssen wyr Adams kinder und alle menschen teylen ynn zwey teyU: die ersten zum reych Gottis, die andern zum reych der weit. Die zum reych Gottis gehören, das sind alle recht glewbigen ynn Christo unnd unter Christo. Denn Christus ist der könig unnd herr ym reych Gottis . . . diße leutt dürffen keyns weUtlichen schwerdts noch rechts. Und wenn alle weit rechte Christen, das ist, recht glewbigen weren, so were keyn fürst, könig, herr, schwerd noch recht nott odder nütze . . . Zum reych der weUt oder unter das gesetz gehören alle, die nicht Christen sind. Denn syntemal wenig glewben und das weniger teyl sich heUt nach Christlicher art, das es nicht widderstrebe dem übel, Ya das es nicht selb übel thue, hat Gott den selben ausser dem Christlichen stand unnd Gottis reych eyn ander regiment verschafft unnd sie unter das schwerd geworffen, das, ob sie gleych gerne woUten, doch nicht thun künden yhr boßheyt.« 502 Von da aus warnt Luther davor, die Welt mit dem Evangelium regieren zu woUen. 303 Ein solcher Versuch hieße, die bösen Tiere loszulassen; damit würde nur die evangelische Freiheit mißbraucht. Es bleibt wahr, »das Christen umb yhr selbs willen keynem recht noch schwerd unterthan sind noch seyn bedürften.« Aber die Welt und die Menge bleiben »Unchnsten«, auch wenn sie getauft sind und Christen heißen. 304 Sodann spricht Luther von den beiden Regimenten: man muß »dise beyde regiment mit vleyß scheyden und beydes bleyben lassen: Eyns das frum macht, Das ander das eusserlich frid schaffe und bösen wercken weret. Keyns ist on das

500 501 502 503 504

WA WA WA WA WA

11,247,21-23. 11,247,31. 11,249,24-250,1; 251,1-7 11,251,22. 11,251,32-37.

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ander gnug ynn der weUt.«Dtb Kein Regiment kann also ohne das andere ausgeübt werden: gäbe es nur das weltliche Regiment, fehlte es an dem Hl. Geist im Herzen, der die Menschen fromm macht; gäbe es nur das geisdiche, wäre der Bosheit Tür und Tor geöffnet. Ja, Christus hat das Schwert nicht nur nicht verboten, sondern hat es bestätigt, so wie er auch den ehelichen Stand nicht aufgehoben, sondern bestätigt hat.1106 Von daher sagt Luther sogar, daß die Gewalt und das Schwert ein »Gottis dienst« sei. 507 In dem zweiten Teil geht Luther auf die Frage ein, wie weit sich die weltliche Oberkeit erstrecke. Das Wichtigste ist, daß die weltliche Gewalt »sich nicht zu weytt strecke unnd Gott ynn seyn reych und regiment greiffe.«308 »Denn über die seele kan und wiU Gott niemant lassen regirn denn sich selbs alleyne.« 309 Der Glaube ist ein »frei Ding« und läßt sich nicht erzwingen. In diesem Zusammenhang geißelt Luther den Amtsmißbrauch vieler weltlicher Fürsten. VieUeicht wolle Gott gar ein Ende mit ihnen machen. Ihr »Schinden und Schaben« ist unerträglich geworden. »Und solt wissen, das von anbegynn der weUt gar eyn seltzam vogel ist umb eyn klugen fursten, noch viel seltzamer umb eyn frumen fursten.« 3 ' 0 Da der Glaube freiwillig ist, kann man gegen Ketzerei nicht gewaltsam vorgehen ein Grundsatz, den Luther selbst in späteren Jahren nicht streng befolgt hat. »Denn ob man gleych alle Juden unnd ketzer mit gewallt verbrennet, ßo ist und wirtt doch keyner da durch überwunden noch bekeret . . . Die Bischoff... soUen den weltlichen fursten befelhen, das die selben mitt dem schwerdt daselbs regirn. «° n Von da aus geht Luther dazu über, das Amt der weltlichen und der geistlichen Autoritäten zu umschreiben. Im weltlichen Regiment gibt es eine Oberkeit oder Gewalt, im geistlichen »ein dienst und ampt.« Im dritten Ted schließlich findet sich eine Art Fürstenspiegel. Hier gibt Luther Ratschläge, wie ein Fürst seine Aufgaben zu verstehen hat. Er soU nach Möglichkeit nicht herrschen noch mit Gewalt eingreifen, vielmehr mit Vernunft und Besonnenheit vorgehen. Luther kann den Fürsten an sich keine Anweisungen geben, sondern nur ihr »Herz« unterweisen. Vor allem soU ein Fürst sich den Schutz seiner Untertanen angelegen sein lassen. Hier wie bei anderen Ausführungen hat man den Eindruck, Luther habe das Vorbild seines Kurfürsten Friedrich vor Augen, zumal wenn Luther mahnt, Kriege zu vermeiden und auf die Wahrung des Friedens bedacht zu sein. Bedenkt man den zeitgeschichtlichen Zusammenhang, so erscheint es als fraglich, ob man in Luthers Obrigkeitsschrift tatsächlich »die Summe seiner politischen 505 504 507 508 509 5,0 511 512

WA 11,252,12-14 WA 11,258,32-34 WA 11,260,32. WA 11,261,30f WA 11,262,9 f. WAll,267,30f WA 11,269,29-35 WA 11,271,12.

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Ethik« erblicken darf.3'3 Es ist zwar nchtig, daß Luther die grundsätzliche Unterscheidung zwischen geistlichem und weltlichem Regiment sowie zwischen Gottes Reich bzw. Reich Christi und Reich der Welt seit seiner Obrigkeitsschrift beibehalten und immer wieder von neuem eingeschärft hat. Insofern sind hier tatsächlich Grundzüge von Luthers politischer Ethik, aber auch wesentliche Aspekte seiner Ekklesiologie niedergelegt. Andererseits ist jedoch die Anwendung dieser Grundsätze auf konkrete Fragen in der Obrigkeitsschrift ganz durch die damals akuten Fragen bestimmt und insofern eng begrenzt. Mit der Betonung der U n terscheidung zwischen »geisdich« und »weltlich« sowie mit der HeraussteUung des eigenen göttlichen Auftrags an die Obrigkeit wendet Luther sich gegen R o m und gegen die radikalen Reformer. Hieran hat Luther später nichts zu ändern gefunden; aber er hat doch erfahren müssen, daß von diesen Grundsätzen aus bei weitem nicht alle wesentlichen Fragen der politischen Verantwortung von Christen überhaupt angemessen beurteilt werden konnten. Selbst die strenge Unterscheidung zwischen Fragen, welche den Leib angehen, und anderen, die die Seele betreffen, ließ sich nicht immer durchhalten. In dieser Hinsicht sind Luthers spätere Gutachten zu politischen Fragen insbesondere der ständischen Politik außerordentlich aufschlußreich; 3 ' 4 es müßte aber auch seine Haltung zu den verschiedensten Problemen des öffentlichen Lebens sowie die Geltendmachung von Gesichtspunkten, die »christlich« geboten sind, mit bedacht werden. d) Luthers Haltung zu den aufständischen Bauern Die Haltung, welche Luther im Bauernkrieg 5 ' 5 sowohl gegenüber den aufständischen Bauern als auch gegenüber den Fürsten eingenommen hat, entspricht im ganzen durchaus den Grundgedanken in der Schrift »Von weltlicher Obrigkeit«. Allerdings sind manche Akzente von ihm dabei noch stärker gesetzt worden als während der Auseinandersetzungen mit den Wittenberger Reformern in den Jahren 1521/1522. 5 ' 6 Waren Luther und Karlstadt bereits uneins im Blick auf die Frage, ob aus dem Evangelium unmittelbar Konsequenzen für das soziale und politische Gemeinwesen gezogen werden dürften, so hatte Karlstadt doch ganz wie Luther die Anwendung von Gewalt bei seinen Reformen abgelehnt; auch von einer Errichtung der Gottesherrschaft kann bei Karlstadt nicht gesprochen werden. Dagegen benefen sich die Bauern für ihre Forderungen nicht nur auf das Evangelium, sondern grif-

513

So H. BORNKAMM, Luthers Lehre .., 12. Hierzu siehe E. WOLCAST, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände, 1977. " s Siehe Gottfried MARON, Art Bauemkneg, in: T R E 5, 1980, 319-338. ' " Zu Luthers Schriften im Zusammenhang mit dem Bauernkrieg siehe die ausführliche Würdigung bei Heinrich BORNKAMM, Martin Luther in der Mitte seines Lebens Das Jahrzehnt zwischen dem Wormser und dem Augsburger Reichstag, hg von Kann BORNKAMM, Göttingen 1 9 7 9 , 3 1 4 - 3 5 3 . 514

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fen selbst zu den Waffen. Die Tatsache, daß Thomas Müntzer 3 ' 7 mit seiner apokalyptisch-revolutionären Predigt die Sache der Bauern unterstützte, gab der Auseinandersetzung zwischen Luther und den Bauern erst die ganze theologische Schärfe und Brisanz. Die Bauern haben sich freUich viele von Müntzers Ideen nicht zu eigen gemacht, obwohl sie seine Unterstützung durchaus begrüßten. Luther warf den Bauern vor allem Folgendes vor: einmal, sie soUten sich nicht eine »christliche Rotte oder Vereinigung« nennen und den Anspruch erheben, »nach göttlichem Recht« vorzugehen; sodann, sie dürfen nicht Richter in eigener Sache sein; und schließlich, allein die Tatsache, daß sie als Erste zu den Waffen gegriffen haben, macht ihre Sache ungerecht. 3 ' 8 Damit woUte Luther keineswegs bestreiten, daß den Bauern in mancher Hinsicht von den Obngkeiten unrecht geschehen sei und daß einige ihrer Forderungen berechtigt seien. Die meisten ihrer Forderungen lehnte er allerdings scharf ab. Ihm ging es jedoch darum, die Gewissen darüber zu unterrichten, was für einen Chnsten legitim sei und was nicht. Ins Positive gewendet, schärfte Luther es sowohl den Obrigkeiten als auch den Bauern ein, daß die Wahrung des Friedens die erste und entscheidende Aufgabe aller BeteUigten sei. Diesen Standpunkt hat Luther auch während des Bauernkriegs strikt durchgehalten. 3 ' 9 In dieser Hinsicht hat Luther seine frühere Auffassung durchaus beibehalten. Im übrigen fürchtete Luther, daß der offene Konflikt zwischen Bauern und Fürsten drei schwere Konsequenzen nach sich ziehen würde: er würde dazu führen, daß »beyde reiche vntergehen, das widder weUdich regiment noch gottlich wort bleyben;« 320 weiter würde Deutschland verwüstet und alles verderbt werden; und schließlich würden beide Seiten, die Herren wie die Bauern, ihr SeelenheU aufs Spiel setzen. 321 Es versteht sich von selbst, daß Luther, was den Auftrag der Obngkeit betrifft, sich im Zusammenhang mit der Bauernerhebung erheblich schärfer und zugespitzter ausgedrückt hat. Hatte Luther in der »Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben« noch nach beiden Seiten hin gesprochen und die Fürsten und Herren vor falscher Sicherheit gewarnt und sie als die Unache des göttlichen Zorns bezeichnet, 322 so hat er, nachdem die Bauern zu den Waffen gegnffen hatten, die Obrigkeit aufgerufen, mit aller Härte gegen

5,7

Zu Müntzers Theologie siehe vor allem: DER THEOLOGE Thomas Müntzer Untersuchungen zu seiner Entwicklung und Lehre, hg von Siegfried BRÄUER und Helmar JUNCHANS, Berlin 1989; dazu Bernhard LOHSE, Thomas Müntzer, der Prophet mit dem Schwert, in: Luther 6 1 , 1990, 1-20. 518 Siehe W A 18,291-334 (Ermahnung zum Fneden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben 1525), besonders 301,14—304,8; Gottfned MARON, »Niemand soll sein eigener Richter sein«. Eine Bemerkung zu Luthers Haltung im Bauernkrieg, in: Luther 46, 1975, 60-75. 519 Siehe hierzu vor allem die Untersuchung von J. WALLMANN, aaO. 520 W A 18,292,16f. 521 W A 1 8 , 3 2 9 , 2 - 1 2 ; 3 3 2 , 3 - 1 7 . cf. H BORNKAMM, Martin Luther in der Mitte seines Lebens, 1979, 323f 522 W A 18,293,10-294,16.

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die aufrührerischen Bauern vorzugehen. Mit dem größten Nachdruck hob Luther hervor, daß die Bauern aus drei Gründen den T o d verdient haben: einmal haben sie ihren der Obrigkeit geleisteten Treueid gebrochen und sich darum gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit - Luther beruft sich hier auf R ö m e r 13 - aufgelehnt; sodann haben sie mit ihrem Aufruhr und ihrem Rauben und Plündern sich als öffentliche Straßenräuber und Mörder erwiesen; schließlich haben sie ihr Vorgehen mit dem Evangelium gedeckt und damit die Sünde der Gotteslästerung begangen. »Da sihe, wilch eyn mechtiger fürst der teuffel ist, wie er die weUt ynn henden hat und ynneynander mengen kan, Der so bald so viel tausent bawrn fangen, verfüren, verblenden, verstocken und empören kan und mit yhn machen, was seyn aller wütigester grym für nympt.« 323 Die letzten Worte machen deutlich, daß der Bauernkrieg für Luther auch eine apokalyptische Bedeutung hat: der Teufel droht, seine Henschaft auszudehnen; die Obrigkeit soU in dieser bedrohten Lage das Hereinbrechen des endzeitlichen Chaos verhindern. Gerade angesichts dieser Lage hat Luther sich verstärkt mit den Aufgaben der weltlichen Obngkeit und den verschiedenen Diensten im weltlichen Bereich befaßt. Die Schrift »Ob Kriegsleute auch in seligem Stande sein können«, 324 die Luther noch unter dem Eindruck des Bauernkriegs (1526) verfaßt hat, ist dafür ein beredtes Zeugnis; aber auch manche der späten Disputationen bezeugen diese Akzentverschiebung wie besonders die »Zirkulardisputation über das Recht des Widerstands gegen den Kaiser (Mt.19,21)«. 323 Hingegen hat Luther seit dem Bauernkrieg die Rechte und Wirkungsmöglichkeiten der Untertanen sehr viel weniger herausgesteUt als vorher. Der Grundsatz des allgemeinen Priestertums aller Getauften, der von Luther 1520 gegen R o m vertreten worden war, war bereits in der Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« keineswegs streng durchgeführt oder gar zur Grundlage eines neuen Kirchenkonzeptes gemacht worden. 326 Noch 1523 konnte Luther eine Schrift veröffentlichen, »Daß eine chrisdiche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen. Grund und Ursach aus der Schnft«. 327 Nach dem Bauernkrieg hat Luther solche Gedanken nicht mehr vertreten. Auch in den lutherischen Kirchenordnungen ist ein solcher Grundsatz nicht aufgenommen worden. Somit zeigt sich auch hierbei Luther eine Akzentverlagerung in der Zeit seit der Bauernerhebung.

S2J

W A 18,357,21-358,32. WA 19,623-662. " ' WA 39 11,34-91 526 Siehe Bernd MOELLER, Klerus und Antiklcrikalismus in Luthers Schnft An den christlichen Adel Deutscher Nation von 1520, in: ANTICLERICALISM in late Medieval and early Modern Europe, hg. von Peter A. DYKEMA und Heiko A. OBERMAN, Leiden - N e w York - Köln 1993, 353-365. " 7 W A 11,408-416. 524

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12) Luthers Auseinandersetzung mit Erasmus Lit.: Zu Erasmus. Text: Erasmus, De libero arbitno Diatnbe sive Collatio, in: ERASMUS von Rotterdam. Ausgewählte Schriften, hg. von Winfried LESOWSKY, Bd. 4, Darmstadt 1969. Roland H. BAINTON, Erasmus. Reformer zwischen den Fronten, Göttingen 1972. Robert STUFTERICH, Erasmus von Rotterdam und seine Welt, Berlin/New York 1977. Conielis AUCUSTIJN, Art. Erasmus, Desiderius, in: T R E 10, 1982, 1-18. Ders., Erasmus von Rotterdam. Leben, Werk, Wirkung, München 1986. Oskar Johannes MEHL, Erasmus contra Luther, in: LuJ 29, 1962, 52-64. Ernst-Wilhelm KOHLS, Die Theologie des Erasmus, 2 Bde., Basel 1966. Ders., Die theologische Position und der Traditionszusammenhang des Erasmus mit dem Mittelalter in »De libero arbitno«, in: HUMANITAS - Chnstianitas. FS Walther v. LOEWENICH, hg. von Karlmann BEYSCHLAC, Gottfried M A R O N und Eberhard

WÖLFEL, Witten 1968, 32-46. Manfred HOFFMANN. Erkenntnis und Verwirklichung der wahren Theologie nach Erasmus von Rotterdam, in: BHTh 44, Tübingen 1972. Heinz HOLECZEK, Die Haltung des Erasmus zu Luther nach dem Scheitern seiner Vermittlungspohtik 1520/1521, in: ARG 64, 1973, 85-112. Zu Luthers Schnft »De servo arbitrio«. Karl ZICKENDRAHT, Der Streit zwischen Luther und Erasmus über die Willensfreiheit, Leipzig 1909. Martin DOERNE, Gottes Ehre am gebundenen Willen. Evangelische Grundlagen und theologische Spitzensätzc in De servo arbitno, in: LuJ 20, 1938, 45-92. Gerhard ROST, Der Prädestinationsgedanke in der T h e o logie Martin Luthers, Berlin 1966. Harry J. MCSORLEY, Luthers Lehre vom unfreien Willen nach Luthers De servo arbitno im Lichte der biblischen und kirchlichen Tradition, in: B O T 1, München 1967. Bernhard LOHSE, Luther und Erasmus, in: (Lohse) Lutherdeutung heute, in: VR 276, Göttingen 1968, 47-60. Klaus SCHWARZWÄLLER, Sibboleth. Die Interpretation von Luthers Schnft De servo arbitrio seit Theodosius Harnack. Ein systematischkritischer Überblick, in: T E H 153, München 1969. Ders., Theologia crucis. Luthers Lehre von Prädestination nach De servo arbitno 1525, in: FGLP 10,XXXIX, München 1970. Bernhard LOHSE, Marginalien zum Streit zwischen Erasmus und Luther, (1975) in: (Lohse) Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 118-137. Frednk BROSCHE, Luther on Predestination. The Antinomy and the Unity between Love and Wrath in Luther's C o n cept of God, in: AUU SDCU 18, Uppsala 1978. Wolfgang BEHNK, Contra Liberum Arbitrium pro Gratia Dei. Willenslehre und Christuszeugnis bei Luther und ihre Interpretation durch die neuere Lutherforschung. Eine systcmatisch-theologicgeschichtliche Untersuchung, in: Europäische Hochschulschnften XXIII/188, Frankfurt/M 1982. a) D i e »Diatribe d e libero arbitno« des Erasmus (1524) W ä h r e n d n o c h die Auseinandersetzung u m die R e f o r m e n geführt w u r d e u n d Luther seine Auffassung ü b e r d i e weltliche O b n g k e i t g e g e n ü b e r d e n G e g n e r n »zur Linken« u n d »zur R e c h t e n « näher entwickelte, k a m es zu d e m nächsten g r o ßen Streit, nämlich zu demjenigen zwischen Erasmus u n d Luther. Diese A u s e i n andersetzung betraf d e n Ausgangspunkt der reformatorischen T h e o l o g i e , nämlich die radikale Auffassung v o n d e r S ü n d e u n d v o n d e r Unfreiheit des m e n s c h l i c h e n WiUens gegenüber d e r G n a d e , d i e eigenartiger Weise bis dahin verhältnismäßig am R a n d e behandelt w o r d e n w a r . 3 2 8 In der Auseinandersetzung m i t Erasmus hat Eine Rolle haue die Frage der Willensfreiheit in den Verurteilungen der Universitäten Löwen

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Luther seine Auffassung von der Sünde, vom Willen, aber auch seine Gottesanschauung in mancher Hinsicht weiter entfaltet und besonders zugespitzt. Ohne den Konflikt zwischen Erasmus und Luther wären die letzten Tiefen von Luthers reformatonscher Position verborgen geblieben. Andererseits darf nicht übersehen werden, daß Luther auf manche dieser von ihm entfalteten Ansichten später niemals wieder zurückgekommen ist. Er dürfte sie schwerlich aufgegeben haben, aber doch wohl der Ansicht gewesen sein, daß sie ein Letztes darsteUen, das weder in der Verkündigung noch in der Lehre unbedingt behandelt werden soUte. So viel Luther und die reformatorische Bewegung dem Humanismus insgesamt und auch Erasmus, nicht zuletzt den von ihm besorgten Kirchenväter-Ausgaben, 3 2 9 verdankten, so schlummerten in der Tiefe Gegensätze, die aber einstweUen von beiden nicht an die Öffentlichkeit gebracht wurden. 330 Erasmus trat für ein an der Bergpredigt erneuertes Christentum ein. Nicht die zahlreichen kirchlichen Normen und Vorschriften, schon gar nicht die Spitzfindigkeiten der Scholastik soUten Lehre und Verkündigung der Kirche bestimmen, sondern Demut und Nachfolge. Erasmus hielt etliche Fragen, mit denen man sich in Phüosophie und Theologie beschäftigte, für zu komplex, als daß er sie in der Öffentlichkeit erörtert wissen woUte; zu ihnen zählte er auch das Problem der Wülensfreiheit. Wenn Erasmus nach intensivem Drängen schließlich in seiner »Diatnbe« die WiUensfreiheit behandelte, so griff er damit denjenigen Punkt heraus, an dem er sich trotz aller sonstigen Differenzen mit Luthers altgläubigen Gegnern einig w u ß te. Hierbei ist freilich zu bedenken einmal, daß es damals schon seit Laurentius Valla und Pico deUa Mirandola eine Diskussion über die WiUensfreiheit gegeben hatte, die für Erasmus und auch für Luther durchaus von Bedeutung war; 331 sodann, daß Erasmus mit der Gattung der »Diatribe« sich der deliberativen Rhetorik bediente, 332 die eine Entscheidung venneidet und statt dessen auf Besonnenheit und Mäßigung ausgerichtet ist. Im übrigen muß hervorgehoben werden, daß Erasmus im Unterschied zu den früheren Erörterungen die WiUensfrage nicht als philosophisches Problem behandelt, sondern zahlreiche einschlägige biblische Aussagen heranzieht und auswertet. Erasmus folgt damit in methodischer Hinsicht Luund Köln 1519 gespielt, wobei auf Laurentius Valla und Pico Bezug genommen worden war. Dagegen äußerte sich Luther 1520; siehe WA 6,183,19—36. Wichtig wurde weiter die Bannandrohungsbulle gegen Luther sowie die Schrift »Assertio omnium articulorum M. Luthen per bullam Leonis X. novissimam damnatorum« (1520), WA 7,91-151. 529 Besonders wichtig sind unter den zahlreichen Kirchenvätcrausgaben des Erasmus diejenigen von Hieronymus (9 Bände) und Augustin (10 Bände). 530 Siehe meinen knappen Überblick im Handbuch der Dogmen- und Theologiegeschichte, hg. von Carl ANDRLSEN, Bd. 2, Göttingen 1980, 33-35 531 Siehe hierzu B. LOHSE, Marginalien zum Streit zwischen Erasmus und Luther ..., 118—137. 532 Siehe hierzu Manfred HOFFMANN. Erasmus im Streit mit Luther, in: HUMANISMUS und Reformation. Martin Luther und Erasmus von Rotterdam in den Konflikten ihrer Zeit, hg. von Otto Hermann PESCH, in: Schriftenreihe der Katholischen Akademie der Erzdiözese Freiburg, München-Zürich 1985, 91—118, hier 107. Siehe ferner dens., R h e t o n c and Theology. The Hermeneutic of Erasmus, Toronto/Buffalo/London 1994

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ther. der, wie Erasmus betont, ja außer der Hl. Schrift weder den Konzilien noch der kirchlichen Tradition maßgebliche Autorität zuerkennt. Bedeutsam ist die Definition, welche Erasmus für die Willensfreiheit gibt: »Unter dem freien WiUen verstehen wir die Kraft des menschlichen WiUens, mit welcher der Mensch sich demjenigen, was zum ewigen HeU führt, zuwenden oder von ihm abwenden kann.« 333 Erasmus weist darauf hin, daß sowohl in der Hl. Schrift als auch bei alten wie neueren Gelehrten verschiedene Ansichten über die WiUensfreiheit vertreten werden. Gegen Luther betont er, daß die Bestreitung der WiUensfreiheit leicht der Gottlosigkeit Tür und Tor öffne.334 Da das Neue Testament oft von Lohn spreche, könne es keine reine Notwendigkeit geben. 333 Erasmus läßt offen, ob Gott als primäre Ursache allen Geschehens einiges nur durch sekundäre Ursachen wirkt oder ob er allwirksam ist.336 Für seine Verteidigung einer begrenzten WiUensfreiheit zieht er auch die scholastische Unterscheidung zwischen »necessitas consequentis« und »necessitas consequentiae« (unbedingte bzw. bedingte Notwendigkeit) heran. 337 Vor allem wendet er sich gegen die VorsteUung, daß Gott das Herz eines Menschen verstocken soU.33s Im übrigen betont er, daß wir Gott »das ganze Werk verdanken, ohne den wir nichts vennögen, und daß das, was der freie Wille an Wirkung vermag, überaus gering und eben göttliches Geschenk ist.«339 Als Zusammenfassung seiner Position kann die Auffassung gelten, daß die Gnade Gottes die Erstursache und der WiUe des Menschen die Zweitursache bei der Erlangung des HeUs ist.3 Erasmus gab sich in seiner »Diatnbe« allerdings einige unnötige Blößen. Am problematischsten ist dabei seine Aussage über die Skepsis: »Ich habe so wenig Freude an festen Behauptungen (assertiones), daß ich leicht geneigt bin, mich auf die Seite der Skeptiker zu begeben, wo immer es durch die unverletzliche Autorität der Hl. Schrift und die Entscheidungen der Kirche erlaubt ist, denen ich meine Überzeugung überall gern unterwerfe, ob ich nun verstehe, was sie vorschreibt, oder ob ich es nicht verstehe.« 34 ' Hiergegen hat Luther in aller Schärfe gesagt: »Spiritus sanctus non est Scepticus« (der Hl. Geist ist kein Skeptiker). 342 Was Erasmus allerdings mit seiner ungeschützten Aussage meinte, hat er in seinem 533 Erasmus, de libero arbitrio IblO (p.36): »liberum arbitnum hoc loco senrimus vim humanac voluntatis, qua se possit homo applicarc ad ea, quae perdueunt ad aeternam salutem, aut ab nsdem avertere.«* 534 Erasmus, ebd Ia10 (p.18). 535 Erasmus, ebd IIb2 (p.74/76). 536 Erasmus, ebd IIIa8 (p.100). 537 Erasmus, ebd IIIa9 (p. 102). 538 Erasmus, ebd IIIa2 (p.92). 539 Erasmus, ebd I V 7 ( p . l 7 0 ) . 540 Erasmus, ebd IV8 (p.172). 541 Erasmus, ebd Ia4 (p.6): »Et adeo non delcctor assertionibus, ut facile in Scepticorum pedibus discessurus sim, ubicumque per divinarum senpturarum inviolabilem auetontatem et ecclesiae decreta liceat, quibus meum sensum ubique hbens submitto, sive assequor, quod praescnbit, sive non assequor.« 542 W A 18,605,32.

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»Hyperaspistes« verdeutlicht: es gehe nicht um Indifferenz, sondern um Zurückhaltung gegenüber vorschnellen Festlegungen, so wie auch die alte Kirche lange überlegt habe, bevor sie Definitionen getroffen habe etwa in der Lehre vom Hl. Geist. 343 Gerade an dieser SteUe zeigt sich, in wie starkem Maße Erasmus und Luther einander mißverstanden haben. b) Luthers Entgegnung »De servo arbitrio« (1525) Luther hat sich für die Ausarbeitung seiner Gegenschrift gegen Erasmus mehr Zeit genommen als für irgendeine andere Streitschrift gegen seine zahlreichen altgläubigen Gegner. Zwar empfand er Widerwillen, auf das »so ungebUdete Buch eines so gelehrten Mannes« antworten zu müssen; 344 aber die Schrift »De servo arbitno« ist dann doch eine der wichtigsten Veröffendichungen Luthers überhaupt geworden. Dabei muß bedacht werden, daß Luther, als er 1525 diese Schrift ausarbeitete, gleichzeitig mit den Problemen des Bauernkrieges, der Entgegnung gegen Müntzers revolutionäres Geistchristentum sowie dem beginnenden Abendmahlsstreit beschäftigt war — zu schweigen von seinem persönlichen Weg, der sich inmitten aU dieser Verwicklungen durch die Heirat und die Begründung eines eigenen, großen Hausstandes im Juni 1525 erheblich verändert hatte. Hauptsächlich im Herbst 1525 hat Luther »De servo arbitrio« verfaßt. Ende Dezember 1525 lag diese Schrift gedruckt vor. Für die Interpretation von Luthers Schrift muß ihr Charakter als Streitschrift berücksichtigt werden. Hatte Erasmus mit der Form der deliberativen Rhetorik ein genus gewählt, das ihm eigene Festlegungen ersparen und eine inhaltliche Kontroverse vermeiden oder erschweren soUte, so hat Luther versucht, Erasmus gleichsam beim Wort zu nehmen und seine »Diatribe« wie einen dogmatischen Traktat zu behandeln. Erasmus und Luther argumentieren insofern also auf verschiedenen Ebenen; ein eigentlicher Sachdialog ist darum gar nicht zustandegekommen. Im übrigen folgt Luther den einzelnen Argumentationen des Erasmus Schritt für Schritt. So bedeutsam dabei Luthers Ausführungen sind, so muß allein von dieser Kontroverssituation her davor gewarnt werden, Luthers Entgegnung als eine systematische Abhandlung im strengen Sinne zu betrachten. Im Folgenden soUen einige wichtige Grundlinien und Argumentationsketten in »De servo arbitrio« kurz gewürdigt werden. c) Zentrale Themen in »De servo arbitrio« Was zunächst den theologiegeschichtlichen Zusammenhang betrifft, so sind sich Erasmus wie Luther dessen bewußt gewesen, daß ihr Streit eine Frage betnfft, die im Spätmittelalter wiederholt und mit unterschiedlichem Ergebnis erörtert worden war. Während Erasmus mehrfach eine gewisse Distanzierung von Laurentius Erasmus, Hyperaspistes I (ebd p.252). W A B r 3 Nr.789,29-31 (Briefan Spalatin am 1.11.1524)

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Valla zum Ausdruck gebracht hat, 343 hat Luther sich seinerseits auf diesen Renaissance-Phdosophen berufen. 346 Diese Tatsache ist auch insofern bemerkenswert, als Valla die Freiheit des menschlichen Willens nicht einfach ausschließt, obwohl er sie sehr stark eingeschränkt hat. 347 Mit mehr Recht hat Luther Wyclif für seine Position herangezogen. 348 Angesichts der Tatsache, daß Luther sowohl Valla als auch Wyclif nur sehr selten überhaupt nennt, 349 zeigt diese Bezugnahme, daß Luther offenbar über den theologisch-phUosophischen Streit um die Willensfreiheit im Spätmittelalter hinreichend informiert war. Seinen eigenen Konflikt mit Erasmus hat er jedenfalls in diesen Zusammenhang eingeordnet. Schließlich muß für den theologiegeschichthchen Zusammenhang vor allem auch die Wald des Titels dieser Schrift bedacht werden, über die Luther nicht Rechenschaft ablegt, über deren Hintergründe damals die Gelehrten aber ganz sicher im BUde waren. Augustin hatte ein einziges Mal von dem »servum arbitrium« (unfreier WUle) gesprochen. 330 Mit diesem Titel wiU Luther somit deutlich machen, daß er sich als Verteidiger der augustinischen Sünden- und Gnadenlehre gegen alte und neue Pelagianer versteht. Luther beruft sich also mit diesem Augustin-Zitat auf die Kirchenväter-Tradition. Hatte Erasmus mit seiner Wahl der deliberativen Rhetorik eine entschiedene SteUungnahme in der Sachfrage zu vermeiden gesucht, so hat Luther dagegen gleich zu Beginn betont, daß die »assertio«, also die feste Behauptung oder das Bekenntnis, zum Glauben dazugehört: »Das ist nicht die Art eines christlichen Herzens, keine Freude an verbindlichen Aussagen (assertiones) zu haben, im GegenteU, ein Christ muß Freude an verbindlichen Aussagen haben, oder er wird kein Christ sein. Eine verbindliche Aussage aber nenne ich — um nicht mit Worten zu spielen: beständig an etwas festhangen, bejahen, bekennen, bewahren und ein unüberwindliches Beharren.« 331 Dabei greift Luther die Aussage des Erasmus über die Skepsis 332 auf, um zwischen Glaube und Skepsis eine schroffe Alternative aufzusteUen: »Mögen fern von uns Christen Skeptiker und Akademiker sein, nahe hingegen, die doppelt so hartnäckige Bekenner als die Stoiker sind.«333 In diesem Zusammenhang fällt dann der Satz: »Der Heilige Geist ist kein Skeptiker.« 534 Weiter erörtert Luther die theologische Voraussetzung seiner Auffassung über

543 Hierzu B. LOHSE, Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 124. Im »Hyperaspistes» (p 562) hat Erasmus gesagt, daß Luther sich nicht unbedingt zu Recht auf Valla berufen könne. 346 WA 18,640,6-10. 547 Siehe B. LOHSE, ebd, 123f "« W A 18,640,6-10. " ' Siehe die Stellen in W A 63 Register. 330 Augustin, Contra Iulianum II, 8,23: siehe hierzu Harry MCSORLEY, Luthers Lehre vom unfreien Willen, 1967, 9 1 - 9 3 . 331 W A 18,603,10-13 352 Siehe oben bei Anm. 541 bis 543. 333 W A 18,603,22f. 334 W A 18,605,32.

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die »assertio« als notwendige Form des christlichen Glaubens: diese Voraussetzung besteht in der Klarheit der Hl. Schrift. Erasmus hatte zwar ebenfalls sagen können, daß die Hl. Schrift in den wesentlichen Fragen klar sei, und zu diesen wesentlichen Fragen gehörte für ihn auch die eng begrenzte Freiheit des menschlichen Wülens; aber er hatte doch auch daraufhingewiesen, daß in der Hl. Schnft etliche Fragen für uns dunkel sind, so wie auch Gott für uns in wesentlichen Punkten unerforschlich sei. 333 Luther weist dagegen auf den zentralen Inhalt der Hl. Schrift hin, nämlich auf Christus: »Nimm Chnstus aus der Schrift, was wirst du sonst noch in ihr finden?« Luther unterscheidet dabei eine doppelte Klarheit (clantas), wie es auch eine doppelte Dunkelheit (obscuntas) gibt. 337 Luther sagt: »Es gibt eine doppelte Klarheit der Schrift, so wie auch eine doppelte Dunkelheit, eine äußerliche im Dienst des Wortes gesetzte und eine andere, in der Erkenntnis des Herzens gelegene. Wenn du von der inneren Klarheit sprichst, nimmt kein Mensch auch nur ein Jota in der Schrift wahr, wenn er nicht den Geist Gottes hat . . . Wenn du aber von der äußeren Klarheit sprichst, so bleibt ganz und gar nichts Dunkles und Zweideutiges übrig, sondern alles, was auch immer in der Schrift steht, ist durch das Wort in das gewisseste Licht gesteUt und aller Welt öffentlich verkündigt.« 338 Man kann für »äußere« und »innere« Klarheit wohl gleichbedeutend auch »objektive« und »subjektive« Klarheit sagen:339 bei der objektiven Klarheit geht es um die Eindeutigkeit insbesondere des Christuszeugnisses, bei der subjektiven um die innere Klarheit des Herzens beim Hörer oder Leser des biblischen Zeugnisses. Was die äußere Klarheit betrifft, so ist die Schrift eindeutig: »Was kann an Erhabenem in der Schrift verborgen bleiben, nachdem die Siegel gebrochen, der Stein von des Grabes Tür gewälzt und damit jenes höchste Geheimnis preisgegeben ist: Christus, der Sohn Gottes, sei Mensch geworden, Gott sei dreifaltig und einer, Christus habe für uns gelitten und werde auf ewig herrschen?« 560 Mit seinen Ausführungen über die doppelte Klarheit der Schrift verteidigt Luther das sogenannte Schriftprinzip der Reformation, daß nämlich die Schrift in sich selbst klar ist und daß es nicht der verbindlichen Auslegung durch das römische Lehramt bedarf, um eventueUe Unklarheiten zu überwinden. Die Klarheit 333

Siehe hierzu Bernhard LOHSE, Lutherdeutung heute, 1968, 55 f. WA 18,606,29: »Tolle Christum c senptuns, quid amplius in illis invenies?« 337 Siehe hierzu besonders Rudolf HERMANN, Von der Klarheit der Heiligen Schnft. Untersuchungen und Erörterungen über Luthers Lehre von der Schrift, Berlin 1958; Friedrich BEISSER, Clantas Scnpturae bei Martin Luther, in: FKDG 18, Göttingen 1966; Ernst W O L F , Über »Klarheit der Heiligen Schnft« nach Luthers »De servo arbitrio«, in: ThLZ 92, 1967, 721-730. 338 WA 18,609,4-14. Die gleiche Thematik von Klarheit und Dunkelheit der Schnft wird von Luther auch p 653-656 erörtert 339 So Paul ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, 6. Aufl. Gütersloh 1983, 76 f. 360 WA 18,606,24—28 »Quid enim potest in scriptuns augustius latere rcliquum, postquam fractis signacuhs et voluto ab hostio sepulchn lapide, illud summum mystenum proditum est, Christum fihum Dei factum hominem, Esse Deum trinum et unum, Chnstum pro nobis passum et regnaturum aeternahtcr?« 336

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der Schnft ergibt sich also von der »Sache« her, um die es in der Schrift geht. Sie besagt nicht, daß es keine Spannungen oder auch Widersprüche im Einzelnen in der Schrift gibt. Neben den Erörterungen über die »assertiones« und die »claritas scnpturae« hat auch der Abschnitt besonderes Gewicht, in welchem Luther zwischen dem »Deus absconditus« (verborgener Gott) und dem »Deus revelatus« (offenbarer Gott) unterscheidet. 361 Anlaß für diese Ausführungen ist die umstrittene Interpretation von Hesekiel 18 Vers 23 »Meinst du, daß ich Gefallen habe am Tode des Gottlosen, spricht der Herr, und nicht vielmehr daran, daß er sich bekehre von seinem Wesen und lebe?« Unter den zahlreichen SchnftsteUen, die Erasmus zu seinen Gunsten angeführt hatte, war Hesekiel 18 wohl der bedeutsamste Text; mit ihm woUte er die begrenzte Freiheit auch des Sünders verteidigen. 562 Luther setzt ein mit der FeststeUung, daß es als sinnlos erscheine, mit der »Diatribe« zu behaupten, daß Gott den Tod seines Volkes beklage, den er doch selbst wirke. Dagegen sagt Luther: »Man muß anders über Gott oder den Willen Gottes, der uns gepredigt, offenbart, angeboten, verehrt wird, und anders über Gott, der nicht gepredigt, nicht offenbart, nicht angeboten, nicht verehrt wird, disputieren. Soweit sich nun Gott verbirgt und von uns nicht erkannt werden wiU, geht er uns nichts an. Denn hier gilt in der Tat jenes Wort: >Was über uns ist, geht uns nichts an.««363 Im Folgenden vertieft Luther diese Distinktion noch: »Man muß also Gott in seiner Majestät und in seinem Wesen lassen; denn so haben wir nichts mit ihm zu schaffen, auch hat er es nicht gewoUt, daß wir so mit ihm zu tun haben. Aber soweit er sich durch sein Wort, durch das er sich uns anbietet, umkleidet und bekannt gemacht hat, haben wir mit ihm zu schaffen.« Mit folgenden Worten gerät Luther freilich in die Nähe einer Spaltung des Gottesbegriffs: »So sagen wir: Der gerechte Gott beklagt nicht den Tod seines Volkes, den er in ihm wirkt, sondern er beklagt den Tod, den er im Volk vorfindet und den er zu beseitigen sich bemüht . . . Denn darauf geht der gepredigte Gott aus, daß Sünde und Tod beseitigt und wir gerettet werden . . . Dagegen der in seiner Majestät verborgene Gott beklagt weder den Tod, noch hebt er ihn auf, sondern wirkt Leben, Tod und alles in allem. Denn da hat er sich nicht durch sein Wort definiert«, sondern hat die Freiheit seiner selbst über alles behalten.« 364 Die außerordentlich stark von einander abweichenden Deutungen dieses Abschnittes können hier nicht näher gewürdigt werden. Sie reichen von der Auffassung, daß Luthers Unterscheidung zwischen dem »Deus absconditus« und dem »Deus revelatus« an Marcions Zweigötterlehre erinnere, 363 über die Ansicht, daß

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WA 18,683,11-691,39. Erasmus, ebd IIa 15 f. 363 WA 18,685,1-7. 344 W A 18,685,14—24. Der besonders zugespitzte letzte Satz lautet: »Neque enim tum verbo suo definivit sese, sed liberum sese reservavit super omnia.« 363 So Otto RITSCHL, Dogmengeschichte des Protestantismus, Bd. 3, Göttingen 1926, 16. 362

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Luther hier an die nominalistische Unterscheidung zwischen der »potentia Dei absoluta« und der »potentia Dei ordinata«366 anknüpfe, 367 bis hin zu verschiedenen Versuchen, die Einheitlichkeit von Luthers Gottesbegriff herauszusteUen. Die nominalistische Distinktion zwischen den beiden »potentiae« hatte freUich einen anderen Sinn als Luthers Unterscheidung zwischen dem »Deus absconditus« und dem »Deus revelatus«: hinterjener steht das Bemühen, die göttliche Allmacht und die göttliche Offenbarung zusammenzubinden; hinter Luthers Unterscheidung dagegen steht die abgründige Erfahrung der Anfechtung und Verlassenheit, der freilich die göttliche Barmherzigkeit und Gnade entgegenwirkt. Man soUte Luthers Spitzensätze weder überbetonen noch vorschneU harmonisieren: sie sind eine äußerste Aussage, die durch den exegetischen Streit mit Erasmus veranlaßt ist, auf die Luther jedoch in dieser Form niemals wieder zurückgekommen ist und die er keineswegs zum Ausgangspunkt seiner Gottesaussagen gemacht hat. Angesichts der zentralen SteUung, die Jesus Christus in Luthers gesamter Theologie hat, ist aufjeden Fall der Vorwurf einer Spaltung des Gottesbegriffes sicher unberechtigt. Gegen einen solchen Vorwurf spricht auch der Schlußabschnitt. 568 Nicht zuletzt steht natürlich die Frage der Willensfreiheit des Menschen im Mittelpunkt dieser Schrift. Auf dieses Hauptthema geht Luther immer wieder ein. Er hält es für einfach unerträglich, daß Erasmus diese Frage zu den Dingen zählt, die im Grunde überflüssig und nicht notwendig zu wissen sind. Erasmus habe diese Frage ohne Rücksicht auf Christus erörtert. Er habe das Wesen des C h n stentums so beschrieben, daß man sich mit ganzer Kraft der Buße unterziehen und auf die Barmherzigkeit Gottes hoffen soUe, ohne welche der menschliche WiUe nichts erreichen könne, und daß niemand an der göttlichen Vergebung zweifeln soUe.369 Damit vermeide Erasmus eine SteUungnahme zu der Frage, wie weit unsere Kräfte reichen, was wir vermögen und was nicht. 370 Seinerseits äußert Luther, daß der Mensch frei ist nur hinsichtlich der Dinge, die unter ihm sind, nicht aber gegenüber solchen, die über ihm sind. An einem wichtigen Punkt geht Luther freilich über Augustin, auf den er sich weithin zu Recht gegen Erasmus beruft, hinaus: für Luther ist die Unfreiheit des menschlichen WUlens gegenüber Gott und dem HeU nicht mehr wie für Augustin und die gesamte Tradition erst eine Folge des Sündenfalles; sie resultiert vielmehr bereits aus der Geschöpflichkeit des Menschen. An manchen SteUen streift Luther die deterministische Auffassung, daß der Mensch auch in den äußeren Dingen des Lebens keine Freiheit hat, sondern von Gott gelenkt wird. Luther nimmt dabei auch auf die scholastische Unterscheidung zwischen »necessitas consequentis« (un-

" ' Hierzu siehe oben 24; 31 f. So Reinhold SEEBERC, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. IV, 1, Neudr Darmstadt 1953, 182. 3 " Hierzu siehe unten 186. 3 " WA 18,609,15-611,24. 570 WA 18,613,1-14. 367

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bedingte Notwendigkeit) und »necessitas consequentiae« (bedingte Notwendigkeit) Bezug, die freilich dazu hatte dienen soUen, sowohl die Alleinwirksamkeit Gottes als auch die begrenzte Entscheidungsfreiheit des Menschen festzuhalten. 371 Auf der anderen Seite wahrt Luther durchaus die Grenze zum Determinismus. Dies wird vor allem bei seiner Behandlung des Beispiels von Judas deudich. Bei der bereits im Mittelalter immer wieder erörterten Frage, ob Judas den Venat Jesu begehen mußte, sagt Luther, daß er zwar mit Notwendigkeit, aber nicht gezwungen, vielmehr mit Willen gehandelt habe. 372 Auch Luthers Berufung auf Laurentius Valla373 macht, wenn man V alias differenzierte SteUung zur Frage von Willensfreiheit und Determinismus berücksichtigt, deutlich, daß Luther die Gefahr zu venneiden suchte, ausnahmslos jegliche Freiheit des menschlichen WUlens zu leugnen. Schließlich ist in »De servo arbitrio« der Schlußabschnitt zu beachten, der vermutlich von ausschlaggebender Bedeutung für die Interpretation der gesamten Schrift ist. Während Luther vorher in »De servo arbitrio« stets der Argumentation des Eramus gefolgt war, hat er in dem kurzen Schlußabschnitt seine eigene Auffassung in fünf Leitsätzen zusammengefaßt. Der erste dieser Sätze lautet: »Wenn wir glauben, daß es wahr ist, daß Gott alles vorher weiß und vorher ordnet, dann kann er sich in seinem Vorherwissen und Vorherbestimmen nicht täuschen noch kann er daran gehindert werden; es kann sodann auch nichts geschehen, es sei denn nach seinem Willen. Das muß selbst die Vernunft zugeben, indem zugleich die Vernunft selbst bezeugt, daß kein freier Wille im Menschen oder in einem Engel oder in irgendeiner Kreatur sein kann.« Und im fünften Leitsatz heißt es: »Im ganzen: wenn wir glauben, daß Christus die Menschen durch sein Blut erlöst hat, dann müssen wir zugeben, daß der ganze Mensch verloren gewesen ist; anderenfalls werden wir Christus entweder überflüssig oder zum Erlöser des geringsten Teds machen, was gotteslästerlich und frevlerisch wäre.« 574 Bedeutsam ist dieser Schlußabschnitt vor allem für die Frage, auf Grund welcher Voraussetzungen Luther gegen Erasmus argumentiert. Der Schlußabschnitt macht stärker deutlich als die Einzelauseinandersetzungen, daß Luther von der Grundlage des Glaubens her seine scharfen Aussagen macht. Die Verlorenheit des Menschen

371 Siehe hierzu H. MCSORLEY, Luthers Lehre vom unfreien Willen, 1967, 141-156. Luther, WA 18,616,13-617,22; 6 3 4 , 1 4 - 3 6 (zum Problem des Necessitansmus); 720,28-722,29. 372 W A 1 8 , 7 1 5 , 1 7 - 7 1 6 , 1 . Der wichngste Satz lautet: »Si praescivit Deus, ludam fore proditorem. necessano Iudas fiebat proditor nee erat in manu ludae aut ullius creaturae, ahter facere aut voluntatem mutare, licet id fecerit volendo non coactus« (Wenn Gott vorhergesehen hat, daß Judas der Verräter sein werde, dann wurde Judas notwendig zum Verräter, und es lag nicht in der Hand des Judas oder eines anderen Geschöpfes, anders zu handeln oder den Willen zu ändern, obwohl er das [den Verrat] mit Willen, nicht gezwungen, getan hat). 573 Siehe oben bei Anm. 546 und 547. 374 WA 18,786,3-7.17-20.

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ist dabei k e i n e Aussage, d i e allein auf G r u n d d e r E r f a h r u n g g e m a c h t w e r d e n k ö n n te, s o n d e r n ergibt sich letzdich v o n d e r E r l ö s u n g i n C h r i s t u s h e r . 3 7 3 I m Lichte dieser Basis e r s c h e i n e n m a n c h e Spitzensätze in »De servo arbitrio« e h e r v e r s t ä n d lich u n d b e r e c h t i g t . A u c h d i e schroffe Aussage Luthers ü b e r d i e Unfreiheit des m e n s c h l i c h e n W i l l e n s m u ß letztlich sicher v o n d e r christologischen G r u n d l a g e h e r gesehen w e r d e n .

13) Luthers Auseinandersetzung mit Zwingli: der Streit um das Abendmahl Lit.: siehe die Lit. zu II 8. Ferner: Walther KÖHLER, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen. Bd. 1: Die religiöse und politische Entwicklung bis zum Marburger Rehgionsgespräch, in: Q F R G 6, Leipzig 1924; Bd. 2: Vom Beginn der Marburger Verhandlungen 1529 bis zum Abschluß der Wittenberger Konkordie von 1536, ebd 7, Gütersloh 1953. Paul W . GENNRICH, Die Chnstologie Luthers im Abendmahlsstreit 1524—1529, Königsberg 1929. D A S MARBURCER R E L I CIONSCESPRÄCH 1529. Versuch einer Rekonstruktion, hg. von Walther KÖHLER, in: SVRG 148, Leipzig 1929. Ernst SOMMERLATH, Der Sinn des Abendmahls nach Luthers Gedanken über das Abendmahl 1527/1529, Leipzig 1930. Franz HILDEBRANDT, Est. Das lutherische Pnnzip, Göttingen 1931. Hans GRASS, Die Abendmahlsichre bei Luther und Calvin, (1940), in: BFchrTh II, 47, 2. Aufl. Gütersloh 1954. Ernst KINDER, »Realpräsenz« und »Repräsentation«. Feststellungen zu Luthers Abendmahlslehre, in: T h L Z 84, 1959, 881-894. Hermann SASSE, This is my body. Luther's Contention for the Real Presence in the Sacrament of the Altar, Minneapolls 1959. Albrecht PETERS, Realpräsenz. Luthers Zeugnis von Christi Gegenwart im Abendmahl, in: AGTL 5, (1960), 2. Aufl. Berlin 1966. Susi HAUSAMMANN, Die Marburger Artikel - eine echte Konkordie? in: ZKG 77, 1966, 2 8 8 321. Dies., Realpräsenz in Luthers Abendmahlsichre, in: Studien zur Geschichte und T h e o logie der Reformation; FS Ernst BIZER, hg. von Luise ABRAMOWSKI und J.F. Gerhard G O E TERS, Neukirchen-Vluyn 1969, 157-173. D A S MARBURCER RELICIONSCESPRÄCH 1529, hg.

von Gerhard M A Y , in: T K T G 13, Gütersloh 1970. Marc LIENHARD, Martin Luthers chnstologisches Zeugnis. Entwicklung und Grundzüge seiner Chnstologie, Göttingen 1980, 146-184. Bernhard LOHSE, in: H d B D T h G , hg. von Carl ANDRESEN, Bd. 2, Göttingen 1980, 46-64. a) Das H e r v o r t r e t e n innerevangelischer Differenzen In den J a h r e n v o n e t w a 1517 bis 1520, als Luthers A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t R o m ihren absoluten H ö h e p u n k t erreichte, w a r e n innerevangelische U n t e r s c h i e d e in der Sakramentslehre nicht b e m e r k t w o r d e n . D e r Streit m i t d e n altgläubigen G e g nern hatte alle a n d e r e n G e s i c h t s p u n k t e in d e n H i n t e r g r u n d t r e t e n lassen. Erst aus

373

Siehe hierzu Kl SCHWARZWALLER, Theologia crucis

der Geschichte, 1988, 131-134.

., 1970, 57f; B. LOHSE, Evangelium in

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späterer Sicht ist deutlich geworden, daß schon bei der Kritik an der spätmittelalterhchen Meßopferlehre und Meßpraxis unterschiedliche Argumente vorgebracht wurden, die in die Richtung der späteren Differenzen weisen. 376 Die Fragen, welche später innerhalb der reformatorischen Bewegung kontrovers wurden, waren bei dem Streit mit R o m durchweg überhaupt nicht weiter behandelt worden, nämlich insbesondere nicht die Realpräsenz. Gemeinsam hatte man den O p fergedanken angegnffen, die Einmaligkeit des Kreuzesopfers Christi herausgesteUt und die Notwendigkeit des Glaubens betont; aber die Einsetzungsworte selbst wurden teilweise bereits unterschiedlich gedeutet. Hinzu kommt, daß bei ziendich allen, die sich an dem bald ausbrechenden Abendmaidsstreit beledigten, in den Jahren seit etwa 1517/1518 mehr oder weniger gravierende Entwicklungen der eigenen Position zu beobachten sind. Luther war ursprünglich von dem Gemeinschaftsgedanken ausgegangen377 und hatte dann immer stärker die Einsetzungsworte in das Zentrum seiner Abendmahlsbetrachtung gerückt. Umgekehrt hatte Zwingli anfangs zwar den Gedanken der Realpräsenz noch nicht aufgegeben, aber doch schon früh den geistlichen Charakter des Abendmahls hervorgehoben. 378 Für den Abendmahlsstreit wurde es von erheblicher Bedeutung, daß Karlstadt der erste war, der in der Sakramentslehre öffentlich eine andere Auffassung vortrug als Luther. Nach Karlstadt hat Jesus, als er die Einsetzungsworte sprach, auf seinen eigenen Leib hingewiesen; diese Deutung der Worte »Das ist mein Leib« ist nicht von Karlstadt erfunden worden, sondern bereits seit dem 13. Jahrhundert nachweisbar. 379 Für Karlstadt steht also der geistliche Aspekt im Zentrum. Der Kommunikant muß dabei bereits vor dem Empfang des Abendmahls der Erlösung versichert sein; das Abendmahl selbst dient dann dem Gedächtnis. 380 Karlstadt hat diese Auffassung in verschiedenen Schriften vertreten, besonders in seiner »Außlegung dieser wort Christi. Das ist meyn leyb / welcher für euch gegeben würt. Das ist mein bluth / welches für euch vergossen würt ...« (1524). Dabei war schon von verschiedenen anderen Seiten vor Karlstadt die Frage des Abendmahls angeschnitten worden. Der niederländische Humanist Cornelius H o nius (Hoen) hatte, angeregt durch den Traktat »De sacramento Euchanstiae« von Wessel Gansfort (gest. 1489). aber auch durch Erasmus, in einem wohl 1522 verfaßten Brief die in niederländischen Humanistenkreisen auch sonst verbreitete Auffassung vorgetragen, die Einsetzungsworte seien in signifikativem Sinne zu

376 Siehe hierzu vor allem Eberhard GRÖTZINCER, Luther und Zwingli. Die Kritik an der mittelalterlichen Lehre von der Messe als Wurzel des Abcndmahlsstreites, Zünch/Köln/Gütcrsloh 1980. 377 Siehe oben 144 f. 378 Siehe B. LOHSE, in: H d B D T h G II, 1980, 51-55; Gottfried W . LOCHER, Zwingli in neuer Sicht. Zehn Beiträge zur Theologie der Zürcher Reformation, Zürich/Stuttgart 1969, 250-265. 379 Siehe U. BUBENHEIMER, Art. Karlstadt, in: T R E 17, 1988, 652,32-36 380 Siehe Fnedel KRIECHBAUM, Grundzüge der Theologie Karlstadts, Hamburg-Bergstedt 1967, 102-104.

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verstehen: Brot und Wein »bedeuten« also den Leib und das Blut Christi, aber sie »sind« es nicht. 381 Sodann hatten die Kontakte, die sich nach der Leipziger Disputation (1519) zwischen Luther und den Böhmen entwickelt hatten, bei Luther auch zu einer Beschäftigung mit der eigentümlichen Abendmahlslehre der böhmischen Brüder geführt. 382 Die Brüder lehnten die scholastische Transsubstantiationslehre und deswegen auch die Anbetung Christi in den Abendmahlselementen ab. Andererseits lehrten sie, daß Christi Leib und Blut im Abendmahl gegenwärtig sei. Sie sprachen sogar von »Christi wahrem Leib«, verstanden diese Gegenwart jedoch »geistlich« in der Weise einer »anderen Existenz«. Luther hatte gegen diese Abendmahlslehre zwar manche Einwände, machte aber durchaus einen Unterschied zwischen der Auffassung der Brüder, die eben an der Gegenwart Christi im Abendmahl festhielten, und der Deutung der Einsetzungsworte im Sinne eines »sigmficat«. Luther befaßte sich sowohl mit der Auffassung von Honius als auch mit der Lehre der Brüder in seiner Schrift »Von Anbeten des Sakraments des hl. Leichnams Christi« (1523). In dieser Schrift hat Luther zum ersten Mal die Realpräsenz von Leib und Blut Christi in den Abendmahlselementen deudich vertreten. Dabei geht Luther auch jetzt, wie er es seit 1520 getan hatte, von den Einsetzungsworten aus: »An dißen wortten ligt es gantz und gar.«383 Auch jetzt noch sagt Luther, daß »an dißen wortten [weit mehr] gelegen ist denn an dem sacrament selbs«.384 Man soUe diese Worte »für eyn lebendig ewig almechtig wort« halten, »das dich kan lebendig, von allen sunden und todt frey machen.« 383 Aber dann heißt es weiter, daß dieses Wort »bringe mit sich alles, was es deuttet, nemlich Christum mit seym fleysch und blutt und alles was er ist und hatt. Denn es ist eyn solch wort, das solchs aUes vermag unnd thutt, darumb wiUs auch dafür gehallten seyn.« 386 In den Jahren des Romkonfliktes hatte Luther bei den Einsetzungsworten die Worte »für euch« in den Mittelpunkt gerückt. Nunmehr wird für ihn auch das »Ist« zentral. Gegen Honius sagt er: »Wo man solchen frevel an eynem ortt zu liesse, das man on grund der schnfft möcht sagen, das wortlin >Ist< heisse ßo viel als das wortlin >Bedeut«, ßo kund mans auch an keynen andern ortt weren, unnd wurde die gantze schrifft zu nichte, syntemal keyn ursach were, warumb solcher frevel an eynem ortt guUte und nicht an allen örtten. Szo möcht man denn sagen: Das Maria ist Jungfraw und gottis mutter, sey ßo viel gesagt: Maria bedeutt ein jungfraw und gottis mutter. Item: Christus ist gott und mensch, das ist, Christus bedeutt gott unnd mensch.« 387 3.1

Näheres bei B. LOHSE, in: H d B D T h G II, 53 f. Hierzu Jaroslav PELIKAN, Obedient Rebeis. Cathohc Substance and Protestant Pnnciple in Luther's Reformation, London 1964. 3.3 WA 11,432,19. 3.4 W A ll,432,25f. 3,3 W A 11,433,25-27 " * W A 11,433,27-30. 3,7 W A 11,434,30-435,3. 3.2

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Luthers Theologie in ihrer histonschen Entwicklung

Damit nackt die Realpräsenz mit in das Zentrum von Luthers Abendmahlslehre. Darüber hinaus hat Luther zunächst in der Schrift »Wider die himmlischen Propheten« (1525) gegen Karlstadt, später in verschiedenen anderen Schriften besonders gegen Zwingli das Abendmahl auch als Gnadenmittel verteidigt. b) Die Weiterentwicklung von Luthers Position während des Abendmaidsstreits Im Verlauf der Abendmahlskontroverse, 388 die hauptsächlich zwischen Luther und Zwingli ausgetragen wurde, an der aber auf beiden Seiten zahlreiche weitere Theologen teUnahmen, die zuweUen eigene Akzente setzten, hat nicht nur Zwingli seinen Standpunkt weiter entfaltet und teUweise modifiziert, sondern auch Luther. Zwar haben beide Kontrahenten ihren Ausgangspunkt im wesentlichen beibehalten; aber durch die Auseinandersetzung waren sie doch gezwungen, ihre Position näher zu entfalten und dabei auch auf die gegnerischen Gesichtspunkte Rücksicht zu nehmen. Was seinen Ausgangspunkt betrifft, so blieb Zwingli dabei, daß der Glaube sich auf nichts Kreatürliches stützen könne. Jesu Wort, das Fleisch sei nichts nütze (Johannes 6 Vers 63), gelte auch für das Abendmahl. Von Hoen übernahm Zwingli die signifikative Interpretation des »est« der Einsetzungsworte. Zwingli lehnte ohne nähere Differenzierung sowohl die Wandlungslehre als auch die RealpräsenzvorsteUung ab. Diejenigen, welche lehren, daß im Abendmahl Christi Leib gegessen werde, werden von Zwingli als Menschenfresser oder Fleischfresser bezeichnet. 389 Für Zwingli steUt das Abendmahl eine »commemoratio« dar, »durch welche diejenigen, die fest glauben, daß sie durch Christi Tod und Blut mit dem Vater versöhnt sind, diesen lebenspendenden Tod verkünden.« 590 Luther hat im Abendmahlsstreit seine eigene Position vor allem in kritischer Auseinandersetzung mit Zwingli weiter entfaltet. Die Kritik an Zwingli hat dabei erhebliches Gewicht. Berief Zwingli sich für seine signifikative Deutung auf Johannes 6 Vers 63, so bestritt Luther, daß Johannes 6 überhaupt für die Abendmahlslehre herangezogen werden dürfe. Diese Auffassung hatte Luther übrigens schon längst vor dem Abendmahlsstreit vertreten. 391 Gegen Zwingli verteidigte Luther vor allem den einfachen Sinn der Einsetzungsworte: das Wort »ist« kann hier nicht »bedeutet« meinen. Luther ging dabei ausführlich auf hermeneutische Fragen ein. 392 Dabei handelte es sich für Luther nicht nur um spezieUe Probleme der Lehre vom Abendmahl, sondern letztlich um die Grundfrage von Gottes Ge388 389 3.0 3.1

Siehe hierzu die Übersicht bei B. LOHSE, in: H d B D T h G II, 1980, 56-60. Zwingli, C R 90,789,3f; 794,23 (»De vera et falsa religione Commentarius Hier spielt auch das Gewissen eine RoUe, weil es der Ort ist, wo der Mensch die durch das Naturgesetz

20 21 22 23 24 25

WA WA WA WA WA WA

10 I 1,181,24-182,1 (Kirchcnpostille 1522). DB 8,12,5-8 (Vorrede zum A T 1523). 39 1,448,10-450,14 (2. Disputation gegen die Antinomer 1538) 16,378.11; WA 18,81,14f 18,76,2-5 (Wider die himmlischen Propheten 1525). 11,279,19 f. (Von weldicher Obrigkeit 1523).

Sola scriptura

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gegebene Verpflichtung gegenüber Gott spürt. In der dritten Antinomerdisputation (1538) hat Luther auf das gegnerische Argument »Das Gesetz ist einem bestimmten Volk gegeben, also den Juden. Wir sind keine Juden. Also geht uns das Gesetz nicht an«26 erwidert: »Ich fühle im Herzen, daß ich dies [die ErfüUung der Gebote] Gott schulde, nicht weil der Dekalog im Blick auf uns überliefert und geschneben ist, sondern weü wir wissen, daß wir diese Gesetze mit uns in die Welt gebracht haben.« 27 In diesem Zusammenhang hat Luther die Ansicht vertreten, daß Mose nicht der Urheber, sondern gewissermaßen nur der Ausleger der Gesetze gewesen sei, die den Menschen ins Herz geschrieben sind: er hat das Gesetz den Menschen verdeutlicht und erläutert. Luther wdl mit diesen Erwägungen keineswegs in Abrede steUen, daß das Mosegesetz auch in seinen für die Juden gültigen Teilen nicht selten von VorbUd auch für die Gesetze anderer Völker sein kann. Worum es ihm geht, ist die Klärung der Frage der Verbindlichkeit des alttestamentlichen Gesetzes für die Christen. Hier hat die Unterscheidung zwischen der bleibenden Funktion des Gesetzes und dem Wort von Christus als dem Ende des Gesetzes (Römer 10 Vers 4) ihre Bedeutung. d) Die Klarheit der Schrift Die Auffassung, daß die Hl. Schnft sich selbst auslegt, aber auch die Ansicht, daß Christus der entscheidende Inhalt der Schnft ist, steUt die Voraussetzung für Luthers Überzeugung dar, daß die Schrift »klar« ist. Auch diese Auffassung ist von Luther in seiner Auseinandersetzung mit R o m zuerst offen vertreten worden, obwohl sie sich der Sache nach bereits in seinen frühen Vorlesungen ankündigt. 29 Luther hat für die Sache, die er mit der »Klarheit« der Schrift bezeichnet, unterschiedliche Begriffe verwenden können. In der Auseinandersetzung mit Latomus (1521) hat Luther diese Sache zuerst kurz thematisiert und dabei die Begriffe »synceritas« und »simplicitas« gebraucht; dabei wirft er den scholastischen Theo26

W A 39 I,539,4f W A 39 1,540,10-12 »... sentio in corde, mc certe hoc dcbere Deo, non quia traditus et scnptus decalogus Sit nobis, sed quod scimus vel leges has nobiscum in mundum attulimus.« 28 WA 39 I 454,4-16 (2. Disputation gegen die Antinomer 1538): »Neque tamen Moses autor fuit decalogi. Sed a condito mundo decalogus fuit insenptus omnium hominum mentibus . . . Nam nulla natio unquam sub sole tarn crudelis aut barbara fuit ac inhumana, quin sensent Deum colendum, diligendum esse atque eius nomen laudibus ferendum . Moses fuit tantum quasi interpres et illustrator legum senptarum in mentibus omnium hominum, ubieunque terrarum sub sole sint.« 29 In der Römerbriefvorlesung betont Luther mehrfach, daß die ganze Schrift von Christus handelt. Siehe etwa WA 56,414,15-18 (Sch.Röm. 10,6) »... Quod vniuersa Scriptura de solo Chnsto est vbique . . . omnia in Christum sonant.« Diese Auslegung auf Christus hin und von ihm her überlagert schon in der ersten Psalmenvorlesung, besonders deutlich dann aber in dem Römerbnefkolleg die von Luther damals noch beibehaltenen mittelalterlichen exegetischen Methoden. Sie führt u.a. auch zur Kirchcnkntik und setzt dabei die »Klarheit« der Schrift voraus. 27

212

Luthers Theologie m ihrem systematischen Zusammenhang

logen vor, daß sie mit ihren Ausführungen zur Anthropologie und zur Gnadenlehre die Klarheit der Schnft beiseitelassen und auf diese Weise das Verständnis der Sachfrage (»inteUigentia rerum«) verdunkeln. Sehr viel ausführlicher hat Luther sich dann in »De servo arbitno« mit der Frage der Klarheit der Hl. Schrift befaßt. Dabei hat Luther sich ausdrücklich gegen die Ansicht des Erasmus gewandt, daß die Schrift in wichtigen Fragen unklar sei und infolgedessen der Auslegung durch die Tradition bedürfe. In seiner »Diatnbe de libero arbitno« hatte Erasmus gleich zu Beginn dieses Problem erörtert und geltend gemacht, daß uns nach dem WiUen Gottes manche Dinge, von denen die Schrift berichtet, unzugänglich sind. Nach Erasmus hat die Dunkelheit derartiger Schnft steUen sogar einen tiefen Sinn: sie soU uns nämlich dazu anleiten, die unerforschhche Erhabenheit der götdichen Weisheit sowie die Schwäche des menschlichen Geistes zu erkennen. Erasmus weist aber daraufhin, daß wir dereinst nicht mehr nur wie durch einen Spiegel oder in einem dunklen Wort erkennen werden, sondern die Herrlichkeit des Henn mit unverhüUtem Auge schauen werden. 31 Mit diesen Erwägungen hat Erasmus keineswegs behaupten woUen, daß die »Klarheit« der Schrift etwa »die logisch-systematische Übereinstimmung der einzelnen Aussagen und SteUen« der Schrift bedeuten soUe.32 Vielmehr hat Erasmus auch hier den Gedanken der göttlichen »eruditio« zum Ausdruck gebracht, der seine gesamte Theologie durchzieht und dem auf selten des Menschen die Bemühung um Nachfolge sowie die Haltung der Demut entsprechen. Luther und Erasmus waren hier in manchem gar nicht so weit voneinander entfernt. Am Schluß von »De servo arbitrio« hat Luther seinerseits »drei Lichter« (»tria lumina«) unterschieden. Hier heißt es, daß es angesichts des »lumen naturae« unlösbar sei, wie es gerecht sein soUe, daß es oft dem Guten schlecht und dem Bösen gut ergehe; daß es weiter angesichts des »lumen gratiae« unlösbar sei, warum Gott denjenigen verurteile, der aus seinen eigenen Kräften weiter nichts tun könne als sündigen; daß aber das »lumen glonae« einst die Lösung bringen werde: im »lumen glonae« werden wir erfahren, daß Gott hier doch stets »mit der gerechtesten und offenkundigsten Gerechtigkeit« handle, daß er also auch angesichts des »lumen naturae« und des »lumen gratiae« nicht ungerecht sei.33 Auch Luther sieht also das Nicht-Begreifen wichtiger Fragen, die sowohl in der Hl. Schrift als auch im Leben unlösbar zu sein scheinen, hineingespannt in einen göttlichen Plan. Doch kann die gewisse Gemeinsamkeit zwischen Erasmus und Luther nicht den wichtigen Dissens verdecken, der dann besteht, daß für Luther die Gerechtigkeit J0

WA 8,112,21-31 (Ratioms Latomianae confutatio 1521). Erasmus. Diatnbe Ia7: »Sunt enim in divinis litens adyta quaedam, in quae deus noluit nos altius pcnetrare, et si pcnctrare conemur, quo fuenmus altius ingressi, hoc magis ac magis caligamus, quo vel sie agnosceremus et divinae sapientiae maiestatem impervestigabilem et humanae mentis lmbecillitatem .. .Kirche«. Gesammelte Aufsätze, hg. von Siegfried GKUNDMANN, Köln/Graz 1964, 111-131. Paul ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, (1962), 6. Aufl. Gütersloh 1983, 248-278. Wolfgang HÖHNE, Luthers Anschauungen über die Kontinuität der Kirche, in: AGTL XII, Berlin/Hamburg 1963. Peter STEINACKER, Die Kennzeichen der Kirche. Eine Studie zu ihrer Einheit, Heiligkeit, Katholizität und Apostolizität, in: TI3T 38, Berlin 1982. Carl Axel AURELIUS, Verborgene Kirche. Luthers Kirchenverständnis aufgrund seiner Streitschnften und Exegese 1519-1521, in: AGTL N F 4, Hannover 1983. Michael BEYER, Luthers Ekklesiologie, in: LEBEN und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, hg. von Helmar JUNCHANS, Berlin/Göttingen 1983, Bd. 1, 93-118; B d . 2 , 755-765. Vilmos VAJTA, Die Kirche als geistlich-sakramentale communio mit Chnstus und seinen Heiligen bei Luther, in: LuJ 51, 1984, 10-62. Inge

381 WA 40 1,527,21-27 (Großer Galaterbriefkommentar 1535, Druckfassung) »Sic pulchre distinguit Paulus tempus legis et gratiae. Discamus et nos recte distmguere utnusque tempus, non verbis sed atTectu, id quod est omnium difhcilhmum. Quanquam enim distinctissima sunt illa duo. tarnen etiam coniunctissima sunt etiam in eodem corde. Nihil magis coniunctum est quam timor et fiducia, Lex et Evangelium, peccatum et gratia; tarn coniuncta enim sunt, ut alterum ab altero absorbeatur Ideo nulla Mathematica coniunctio potest dan quae esset huic simihs.« In der Nachschnft sind die entsprechenden Ausführungen erheblich kürzer; die Druckfassung dürfte hier jedoch die Intentionen Luthers richtig wiedergeben. 382 WA 39 II. 142,5 f. (Promotionsdisputanon Joachim Mörlin 1540) »Paulus dicit de lege damnante: quando venenmus ad coelum, tunc non amphus praedicabimus legem.n 383 WA 39 1,431,5-10 (2 Antinomerdisputation). 384 WA 39 1,350,3 f. (Thesen gegen die Anrinomer 1537) »Quarc lex nunquam in aeternum tollitur, sed manebit vel implenda in damnatis, vel impleta in beatis.«

Die Kirche

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LÖNNINC, Luther und die Kirche. Das blinde Wort und die verborgene Wirklichkeit, in: LuJ 52, 1985, 94—112; siehe auch die weiteren Beiträge in demselben Band LuJ 52 von O t t o Hennann PESCH, Scott H. HENDRIX, Bernhard LOHSE und Daniel OLIVIER. Konrad HAMMANN, Ecclesia Spintualis. Luthers Kirchenverständnis in den Kontroversen mit Augustin von Alveldt und Ambrosius Cathannus, in: FKDG 44, Göttingen 1989; siehe die Rezension von Michael BEYER, in: LuJ 58, 1991, 113-116. Marc LIENHARD, L'Evangile et L'Eglise chez Luther, Paris 1989. Hans Theodor GOEBEL, Notae Ecclesiae: zum Problem der Unterscheidung der wahren Kirche von der falschen, in: EvTh 50, 1990, 222-241. Jürgen LUTZ, Unio und Communio. Zum Verhältnis von Rechtfertigungslehre und Kirchenverständnis bei Martin Luther, in: KKTS 55, Paderborn 1990; siehe die Rezension von Bernhard LOHSE, in: T h R v 87, 1991, 400-402. a) Das W e s e n d e r K i r c h e F ü r die W ü r d i g u n g v o n Luthers Ekklesiologie m ü s s e n einige P u n k t e b e s o n d e r s beachtet w e r d e n . Z u n ä c h s t , i m Mittelalter ist die Ekklesiologie i m ganzen nicht eigens thematisiert w o r d e n . N a t ü r l i c h w u r d e n in a n d e r e n d o g m a t i s c h e n Z u s a m m e n h ä n g e n auch Fragen d e r Ekklesiologie erörtert. A b e r erst i m Spätmittelalter h a b e n v o r allem J o h n W y c l i f u n d J o h a n n e s H u ß eigene A b h a n d l u n g e n »De E c clesia« verfaßt, in d e n e n sich nicht zuletzt ihre eigene Kritik an d e r damaligen Kirche widerspiegelt. 3 8 3 E i n e in sich geschlossene, theologisch reflektierte E k k l e siologie ist i m späten Mittelalter j e d o c h nicht e n t w o r f e n w o r d e n . I m m e r h i n läßt sich sagen, daß teds papalistische, teils konziliaristische G e d a n k e n v o r h e r r s c h e n d waren. Sodann, in seinen frühen Vorlesungen steht bei Luthers ekklesiologischen Ä u ß e r u n g e n ganz d e r G e d a n k e im M i t t e l p u n k t , daß es in d e r K i r c h e auf das H ö r e n des W o r t e s a n k o m m t . 3 8 6 Schließlich, d u r c h die v e r s c h i e d e n e n K o n t r o v e r s e n seit 1517 sind n a t u r g e m ä ß die Fragen der Autorität d e r K i r c h e u n d b e s o n d e r s des Papsttums sowie die Auffassung v o m allgemeinen P r i e s t e r t u m in d e n V o r d e r g r u n d getreten. Für eine G e s a m t w ü r d i g u n g v o n Luthers Ekklesiologie m u ß d e m g e g e n über allerdings b e d a c h t w e r d e n , daß L u t h e r zeitlebens, a u c h i n m i t t e n d e r K o n troversen, an f u n d a m e n t a l e n Aspekten der traditioneUen Ekklesiologie festgehalten hat. D i e Tatsache, daß L u t h e r w ä h r e n d der A u s e i n a n d e r s e t z u n g m i t R o m besonders in den Jahren 1517 bis e t w a 1524 die einschlägigen Fragen häufig in p o l e m i s c h e r Weise aufgegriffen hat, b e d i n g t , daß die V e r s u c h e , Luthers Ekklesiologie zu w ü r digen, zu recht v e r s c h i e d e n e n Ergebnissen gelangt sind. T e d s w i r d v o r allem d e r geistliche C h a r a k t e r d e r K i r c h e im Sinne d e r » c o m m u n i o sanetorum« h e r a u s g e steUt; 387 teUs w e r d e n aber a u c h beträchtliche Ü b e r e i n s t i r n r n u n g e n m i t der tradi385

Siehe hierzu Fnednch MERZBACHER, Wandlungen des Kirchenbegriffs im Spätmittclalter, in: ZSRG K 39, 1953, 274-361; Hubert JEDIN, Ekklesiologie um Luther, in: FuH 18, Berlin/Hamburg 1968, 9-29; Bernhard LOHSE, in: LuJ 52, 1985, 145-147. M Siehe oben 75 f. und 93 f. 38 ' P. ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, 249, sagt: »In Luthers Beschreibungen der >Kirche< fehlt .. zunächst jedes institutionelle Moment.« Diese Tatsache erklart sich von daher, daß Luther

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

tioneUen Ekklesiologie besonders im Sinne Augustins herausgearbeitet, wobei allerdings die Frage ist, ob es sich hierbei lediglich um beibehaltene katholische »Reste« handelt oder ob diese katholischen Wesenszüge auch für Luthers Ekklesiologie essentieU sind. Beachtlich ist insbesondere auch der Nachweis von V. Vajta, daß Luther in seinen ekklesiologischen Aussagen die Anrufung der HeUigen kennt, obwohl er andererseits den HeUigenkult scharf angegriffen hat. 388 Ferner ist wichtig, daß Luthers ekklesiologische Äußerungen einen nicht unerheblichen Wandel durchgemacht haben. In seinen frühen Vorlesungen hatte Luther einerseits die Kirche ganz von dem verkündigten und geglaubten Wort her gesehen, andererseits aber noch keine nennenswerten Vorbehalte gegen die traditioneUe, allerdings dogmatisch noch nicht wirklich reflektierte Auffassung von der Kirche vorgebracht. 389 Mit dem Ablaßstreit begann die Kontroverse um das Papstamt. Es versteht sich von daher im Grunde von selbst, daß bei der Auseinandersetzung mit R o m die spintueUen Aspekte in den Vordergrund getreten sind. 390 Freilich wäre es einseitig, Luthers Ekklesiologie nur auf der Grundlage seiner in dieser Zeit verfaßten Schriften zu würdigen. Ebenso muß bedacht werden, daß Luther, sobald die Lage es möglich machte, konkrete Schritte unternahm, um die Kirche zu reformieren. 391 Weiter ist im Auge zu behalten, daß Luther mehrfach versucht hat, ein evangelisches Bischofsamt einzuführen. Das Gewicht dieser Tatsache wird auch nicht dadurch vermindert, daß diese Versuche damals aus mancherlei Gründen erfolglos blieben und die bischöflichen Funktionen im ganzen den Landeshenen zufielen. Ein Versuch, Luthers Ekklesiologie insgesamt zu würdigen, muß also ebenso die geistlichen Aspekte berücksichtigen, wie er auch der Tatsache gerecht werden muß, daß die evangelischen Gemeinden auf Grund neuer Kirchenordnungen als die rechte und wahre Kirche konstituiert wurden. Was sich dabei durchhält und was zugleich die eigentliche Klammer um die zuzeiten verschieden akzentuierten ekklesiologischen Aussagen Luthers darsteUt, das ist der unbedingte Vonang des Wortes und die Bestimmung der Kirche als der Gemeinschaft derer, die das Wort hören. Aussagen wie die, daß die Kirche die Zahl oder der Haufe der Glaubenden sei, finden sich in gewissen Variationen

von der Thematik seiner frühen Vorlesungen her auf das Institutionelle gar nicht einzugehen hatte, daß aber seit 1517 eben die Institution fragwürdig wurde. Nur sollte aus diesem Tatbestand nicht geschlossen werden, daß für den jungen Luther das institutionelle Moment bei der Kirche unwichtig gewesen wäre. 388 V. VAJTA, op.cit. 389 Siehe oben 76 und 94. 3.0 Dies ist von C A . AURELIUS und K HAMMANN in ihren Untersuchungen herausgearbeitet worden. 3.1 M. BEYER, in: Leben und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, Bd. 1, 93, sagt mit Recht, daß Luthers Ekklesiologie »sich zusammen mit den anderen Elementen seines theologischen Denkens in stetiger Vermittlung mit seiner immer stärker werdenden Kirchenkritik und theologischer Horizonterweiterung ausformte.«

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zu allen Zeiten bei Luther. Sachlich bedeutet dies, daß die Rechtfertigungslehre die Grundlage auch für Luthers Ekklesiologie ist.392 In den »Schmalkaldischen Artikeln« von 1537 heißt es: »Es weiß gotdob ein Kind von 7 Jahren, was die Kirche sei, nämlich die heUigen Gläubigen und die >Schäflin, die ihres Hirten Stimme hören« [Joh. 10,3]; denn also beten die Kinder: >Ich glaube [an die] eine heilige christliche Kirche.««393 Allerdings fügt Luther sogleich hinzu: »Diese Heiligkeit stehet nicht in Chorhembden, Platten, langen Rocken und andern ihren Zeremonien, durch sie über die heilige Schrift errichtet, sondern im Wort Gottes und rechtem Glauben.« 394 Gegenüber dem Wort »Kirche« hat Luther erhebliche Reserve: »Dis wort Kirche ist . . . undeudsch und gibt den sinn oder gedancken nicht, den man aus dem Artickel nemen mus.« 393 Statt dessen sagt er, die Kirche sei die »Gemeinschafft der Heiligen, das ist ein hauffe oder samlung solcher Leute, die Christen und hedig sind, das heisst ein Christlicher heiliger hauffe oder Kirchen.« 396 Andere Begriffe, die Luther ebenfalls bevorzugt, sind »communio«, »Versammlung« oder auch die »Gemeinschaft«. Bei der Gemeinschaft denkt Luther an die gemeinsame Tednahme oder auch TeUhabe. Der lateinische Begriff »communio sanctorum« bedeutet ja entweder die Gemeinschaft der Hedigen oder die Gemeinschaft am Heiligen, nändich am Abendmahl. Die zweite Auffassung, die aus der alten Kirche stammt, 397 wird von Luther nicht vertreten. Unter der »communio sanctorum« versteht Luther also die »Gütergemeinschaft der Gläubigen«, 398 also das wechselseitige Füreinander-Eintreten sowohl bei leiblichen als auch bei geistlichen Gütern. In diesem Sinne hat Luther vor allem in den frühen Sakramentssermonen die Kirche verstanden: es geht um die »eyn leybung mit Christo und allen heyligen, Gleych ob mann eynem burger ein zeychen, handschrifft odder sonst eyn loßung gebe, das er gewiß sey, er soU der Stadt burger, der selben gemeyn glydmas seyn . . . Dyße gemeynschafft steht darynne, das alle geystlich guter Christi unnd seyner heyligen mit geteyUet und gemeyn werden dem, der dyß sacrament [sed. das Abendmahl] empfängt, widderumb alle leyden und sund auch gemeyn werden, und alßo liebe gegen hebe antzundet wirdt und voreynigt.« 399 Folgende Motive sind demnach in Luthers Ekklesiologie bestimmend: Erstens, von fundamentaler Bedeutung ist, daß Luther mit dem größten Nachdruck betont, daß Christus das Haupt der Kirche ist. Luther hat dies zu allen 3.2

So u.a. M. BEYER, op.cit., 94. Siehe auch die Untersuchung von Jürgen LUTZ, a.a.O. BSLK 459,20^,60,2. 3.4 BSLK 460,2-5. 3,3 WA 50,624,18-20 (Von Konziliis und Kirchen 1539). 3 * W A 50,624,15-18 (ebd). 3.7 Siehe Werner ELERT, Abendmahl und Kirchengemeinschaft in der alten Kirche, hauptsächlich des Ostens, Berlin 1954. 3.8 P. ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, 255. 3 " W A 2,743,21-30 (Sermon von dem hochwürdigen Sakrament des hl. wahren Leichnams . . . 1519). 3.3

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

Zeiten gesagt.400 Aber in der Auseinandersetzung mit R o m seit 1517 hat dieser Gedanke natürlich besondere Bedeutung gewonnen. 401 Daß Christus das Haupt der Kirche ist, ist natürlich eine Auffassung, die in der ganzen Tradition vertreten worden ist. Aber erst bei Wyclif und H u ß hatte dieser Gedanke eine antipäpstliche und romkritische Bedeutung gewonnen. Luther hat offenkundig keine nähere Kenntnis von der Ekklesiologie bei Wyclif und H u ß besessen. Immerhin ist diese antirömische Aussage bei ihm wesendich verstärkt: wenn Christus das Haupt der Kirche ist, dann kann der Papst nicht auch das Haupt der Kirche sein. Luther hat diesen Gedanken der Hauptschaft Christi vor allem in seiner Schrift »Von dem Papsttum zu Rom wider den hochberühmten Romanisten zu Leipzig« (1520) herausgearbeitet: 402 »Christus ist wol einn her aller dinge, der frumen und der boszen, der engel unnd der teuffei, der junpfrawen und der hurn, aber er ist nit ein heubt, dan allein der frumen, gleubigen Christen, in dem geist vorsandet: dan ein heubt musz eingeleibet sein seinem corper .. .« 403 Es könnte scheinen, daß diese Gedanken manchen Auffassungen der »Schwärmer« nahestehen; doch hat Luther bereits in dem zitierten Satz deutlich gemacht, daß er aus der Hauptschaft Christi nicht ein Programm der Weltgestaltung machen will. Zweitens, wie Luther die Kirche als den Leib Christi versteht, so sieht er sie auch als das besondere Werk des Hl. Geistes. Im »Großen Katechismus« sagt er: »Wo man nicht von Christo predigt, da ist kein heiliger Geist, welcher die christliche Kirche machet, berufet und zusammen bringet, außer welcher niemand zu dem H e n n Christo kommen kann.« 404 Hier zeigt sich einmal wieder die Bedeutung der Trinitätslehre für Luthers gesamte Theologie: die Kirche ist das Werk des trinitarischen Gottes. Sodann nimmt Luther hier den berühmten Satz Cypnans, daß es außerhalb der Kirche kein Heil gibt, 40 ' mit eigener Akzentsetzung auf: es geht darum, »zu dem Herrn Christus zu kommen.« Drittens, es ist sachlich das Gleiche, obschon wieder mit eigenem Akzent formuliert, wenn Luther die Kirche als das »Geschöpf des Evangeliums« bezeichnet ...: »Ecclesia . . . creatura est Euangelii, incomparabUiter minor ipso« (= die Kirche ist das Geschöpf des Evangeliums, unvergleichlich geringer als dieses). 406 Wort

400 Für die Zeit der ersten Psalmenvorlesung hat dies vor allem Holsten FACERBERG, Die Kirche in Luthers Psalmenvorlesungen 1513-1515, in: Gedenkschrift für D. Werner ELERT, hg. von Fnednch HÜBNER, Berlin 1955, 109-118, hier 113, nachgewiesen. 401 Siehe Bernhard LOHSE, Luthers Christologie im Ablaßstrcit, (1960) in: (Lohse) Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 287-299. 402 W A 6,277-324; siehe besonders etwa p.297,36-299,14. Zu dem von Luther hier angegnffenen Augustin von Alveldt siehe Heribert SMOLINSKY, Augustin von Alveldt und Hieronymus Emscr, in: R G S T 122, Münster 1983. 403 W A 6,301,30-302,4 (ebd) 404 BSLK 655,29-33 403 Cypnan, ep. 73,21: »Salus extra ecclesiam non est.« 406 W A 2,430,6f. (Resolutiones Luthcrianae super propositionibus suis Lipsiac disputatis 1519).

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und Sakrament sind dabei zugleich die einzigen Kennzeichen der Kirche: »Die zeychen, da bey man euszerhch mercken kan, wo die selb kirch in der weit ist, sein die tauff, sacrament und das Evangelium, unnd nit Rom, disz odder der ort.« 407 Luther denkt dabei an das verkündigte Wort. 408 Viertens, Gottes Wort und Gottes Volk gehören untrennbar zusammen. In der Schrift »Von den KonzUns und Kirchen« (1539) hat Luther die scharfe Formel geprägt: »Gottes wort kan nicht on Gottes volck sein, widerumb Gottes Volck kan nicht on Gottes wort sein.«409 Wie stark das Bewußtsein, daß die Kirche nicht das Werk von Menschen ist, Luther auch persönlich bestimmt und inmitten von Anfechtungen gestärkt hat, zeigt das bekannte Wort in der kleinen Schrift »Wider die Antinomer« (1539): »Wir sind es doch nicht, die da kündten die Kirche erhalten, unser Vorfarn sind es auch nicht gewesen, Unser nachkommen werdens auch nicht sein, Sondern der ists gewest, Ists noch, wirds sein, der da spricht: Ich bin bey euch bis zur weit Ende [Matth.28, 20], wie Ebre. am 13. [Hebr. 13,8] stehet: Jhesus Christus heri et hodie et in secula .. ,« 410 Fünftens, Gottes erlösendes und rechtfertigendes Handeln geschieht in der Kirche und durch die Kirche. Mag sich in Luthers Frage nach dem gnädigen Gott in neuer Weise der Einzelne artikulieren, so findet sich doch der Individualismus, den man oft für typisch protestantisch erklärt hat, nicht bei Luther. Ganz im Gegented, Christ sein kann man nach Luther nur in der Gemeinschaft der Kirche. Damit ist keine Heilsmittlerschaft der Kirche gemeint, wohl aber die Tatsache zum Ausdruck gebracht, daß Jesus Christus nicht nur Einzelne erlöst hat, sondern ein neues Volk in seine Nachfolge berufen hat. Die Kirche ist also das neue Gottesvolk oder, mit einem anderen Bild, der Leib Christi. Der Einzelne wird durch die Botschaft des Evangeliums in diese Gemeinschaft hineingesteUt. Daß man ohne Verbindung zur Kirche Christ sein könnte, ist für Luther unvorsteUbar gewesen. b) Wahre und falsche Kirche Bedingt durch die heftigen Auseinandersetzungen einmal mit R o m , zum anderen mit den »Schwärmern« ist die Frage nach der wahren oder der falschen Kirche von außerordentlicher Bedeutung nicht nur für die Ekklesiologie Luthers, sondern auch für die ekklesiologischen Auffassungen sowohl auf altgläubiger Seite als auch bei anderen Reformatoren. So groß aus heutiger Sicht die Gemeinsamkeiten waren, welche Katholiken und Protestanten trotz der sich vertiefenden Spaltung auch in der Auffassung von der Kirche hatten, so hat man reformatonscherseits damals die Differenzen als Trennlinie zwischen wahrer und falscher Kirche oder zwischen der Kirche Chnsti und der Kirche des Papstes gesehen und die Altgläubigen mit 4

° ' WA 6 , 3 0 1 , 3 - 5 (Von dem Papsttum zu R o m . . . 1520). Siehe W A 11,408,8-10 (Daß ein chnstliche Versammlung . . . 1523) »Da bey aber soll man die Christlich gemeyne gewißlich erkennen: wo das lautter Euangelion gepredigt wirt.« 40 » WA 50,629,34f. 410 WA 5 0 , 4 7 6 , 3 1 - 3 5 . 408

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den schärfsten Urteilen verdammt. Die Differenzen reichten dabei bis in die p o litische Existenz hinein: von dem jeweils gültigen Bekenntnis der einzelnen Territorien hing auch die bürgerliche Sicherheit ab; politische und konfessioneUe Abgrenzungen gegeneinander waren praktisch überhaupt nicht voneinander zu trennen. Man muß sich diese Situation und zugleich den Wandel der Perspektive in der Gegenwart verdeutlichen, um die Härte der damaligen FragesteUung, zugleich aber auch die Konsequenz von Luthers reformatorischer Ekklesiologie zu verstehen. Anders gesagt: Luther bestritt »Rom« rundweg den Anspruch, überhaupt Kirche zu sein. Als der Papst Luther exkommuniziert hatte, hat Luther seinerseits den Papst und aUe, die ihm anhängen, in den Bann getan: »Wie sie mich entsprechend ihrer gottlosen Häresie exkommunizieren, so exkommuniziere ich sie entsprechend der heUigen Wahrheit Gottes. Christus der Richter wird sehen, welche Exkommunikation bei ihm gilt.«411 Man kann sich den beiderseitigen Ernst bei diesen Exkommunikationen nicht groß genug vorsteUen. Dafür waren die Auffassungen über den Ablaß, über die »Werke«, die Autorität des Papstes oder die Sakramente viel zu unterschiedlich. Luthers Überzeugung, der Papst sei der Antichrist, 412 soUte nicht den Papst persönlich diffamieren, sondern gründete sich auf Luthers Vorwurf, daß der Papst sich mit seinem Anspruch auf VoUmacht auch über die Seelen im Fegefeuer an die SteUe Chnsti setze. Von daher sprach Luther R o m das Kirche-Sein ab: »Wir gestehen ihn nicht, daß sie die Kirche sein, und sind's auch nicht«. 413 Umgekehrt beanspruchte Luther für die eigene Kirche die voUe Schrift- und Christusgemäßheit: »Unsere Kirche ist von Gottes Gnaden der Aposteln Kirche am nähesten und ähnlichsten; denn wir haben die reine Lehre, den Katechismum, die Sacrament recht, wie es Christus gelehret und eingesetzt hat, auch wie man Welt- und Hausregiment brauchen soU.«414 Luther denkt also bei der Kirche der Reformation nicht an eine Konfessionskirche, erst recht nicht an eine »lutherische« Kirche. Vielmehr ging es für ihn ebenso wie für die Altgläubigen oder auch für die anderen reformatonschen Richtungen darum, wer den Anspruch erheben kann, die rechte, wahre, apostolische und christliche Kirche zu sein. Maßstab für das Urteil war dabei auf selten der Reformation allein die Schrift, die freilich verschieden ausgelegt wurde.

4,1

W A 6,612,21-23 (Adversus execrabilem Antichnsti bullam 1520) »Et sicut ipsi me exeommumeant pro sacrilega haeresi sua, ita eos rursus ego excommumco pro sancta ventate dei. Christus Iudex vident, utra exeommunicatio apud eum valeat, Amen.« 412 Hierzu siehe Ernst BlZER, Luther und der Papst, in: T E H 69, München 1958. Hans-Günter LEDER, Ausgleich mit dem Papst? in: AzTh 1. Reihe H. 38, Stuttgart 1969. Remigius BAUMLR, Martin Luther und der Papst, in: KLK 30, 2. Aufl. Münster 1971. Gerhard MÜLLER, Martin Luther und das Papsttum, in: Das Papsttum in der Diskussion, hg von Georg DENZLER. Regensburg 1974, 7 3 - 1 0 1 . Kurze Hinweise bei Gottfned SEEBASS, Art. Antichrist, in: T R E 3, 1978, bes. 28-32; ders., Art. Apokalyptik, bes. ebd 280 f. 413 BSLK 459,18f (Schmalkaldische Artikel 1537). 414 W A T R 4 Nr. 4172 p. 179,9-11

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Die Unterscheidung zwischen wahrer und falscher Kirche ist auch für Luthers Haltung zur Autorität von KonzUien wichtig. 41 ' So wie Luther die Kirche letztlich von dem Hören des Wortes her versteht, so ist auch die Autorität der KonzUien davon abhängig, ob man sich bei den Konzilsentscheidungen zum Wort Gottes bekannt hat oder ob sich menschliche Interpretationen durchgesetzt haben. Die Autorität von Konzilien kann also nicht formal begründet oder bewiesen werden, sondern nur von dem Inhalt ihrer Beschlüsse her. Auf der anderen Seite sind KonzUien die höchsten Repräsentationsorgane der gesamten Chnstenheit. Von daher ist es kein Widerspruch, wenn Luther einerseits in den Jahren seit 1518 immer wieder an ein künftiges Konzil appeUiert hat, andererseits aber nicht bereit war, eventueUe KonzUsentscheidungen in seiner Sache unkritisch zu akzeptieren. Dieser Standpunkt kommt insbesondere auch in seiner »Disputatio de potestate concdii« (1536?) zum Ausdruck: 416 das Konzil ist selbst nicht wesenhaft »Kirche«, sondern es »repräsentiert« nur die Kirche. 417 c) Die »notae ecclesiae« In seiner Auseinandersetzung mit dem Donatismus hatte Augustin die Auffassung entwickelt, daß die wahre Kirche durch vier Kennzeichen charakterisiert sei: die Einheit (»unitas«), die Heiligkeit (»sanctitas«), die Katholizität (»catholicitas«) im Sinne der die ganze Welt umspannenden, aber auch die Zeiten überdauernden Gemeinschaft sowie die Apostolizität (»apostolicitas«) im Sinne der Herkunft von den Aposteln sowie der Bewahrung des apostolischen Charakters. Im Mittelalter hat man sich im wesentlichen an diese Kriterien gehalten. Waren bei Augustin neben diesen »notae« noch andere Aspekte für die Ekklesiologie wichtig wie insbesondere die Unterscheidung zwischen den Erwählten und der äußeren Gemeinschaft der Sakramente oder die Frage der Sichtbarkeit bzw. Unsichtbarkeit der Kirche oder nicht zuletzt die Gleichsetzung der Kirche mit der »civitas Dei«, 418 so hat man im Mittelalter, soweit ekklesiologische Fragen behandelt wurden, im

415 Hierzu siehe vor allem Chnsta TECKLENBURC JOHNS, Luthers Konzilsidee in ihrer historischen Bedingtheit und ihrem reformatorischen Neuansatz, in: T B T 10. Berlin 1966. Friedrich Wilhelm KANTZENBACH, Auftrag und Grenze eines christlichen Konzils in der Sicht Luthers, in: T h Z 23, 1967, 108-134. M. BEYER, op.cit., 111-114.

416 4

WA 39 1,181-197.

" WA 39 1,186,24-32 »19. Hoc recte dieunt, quod representent [seil, die Konzilien] Ecclesiam universalem, Non enim necessano sunt Ecclesia, sed saepius repraesentant Ecclesiam tantum. 20. Et si tantum representant Ecclesiam, tunc sunt Ecclesia, sicut homo pictus est homo, id est, tantum repraesentans.« 418 Zu Augustins Ekklesiologie siehe vor allem Fntz HOFMANN, Der Kirchenbegnff des heiligen Augustinus in seinen Grundlagen und in seiner Entwicklung, München 1933, Neudr. 1978 (noch immer grundlegend) Joseph RATZINCER, Volk und Haus Gottes in Augustins Lehre von der Kirche, in: MThS.S II, 7, München 1954. Zur Relation zwischen Kirche und »civitas Dei« siehe Bernhard LOHSE, Zur Eschatologie des älteren Augustin, in: VigChr 21, 1967, 221-240.

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ganzen an den augustinischen »notae« festgehalten, sie aber teUweise näher interpretiert. Dies gUt insbesondere für die Autorität des Papsttums, die naturgemäß gleich für mehrere »notae« von Bedeutung war. Luther hat an die Unterscheidung verschiedener »notae Ecclesiae« angeknüpft, diese aber in charakteristischer Weise neu bestimmt. Auf der einen Seite hat Luther das Wort als das einzige unfehlbare Kennzeichen der Kirche bezeichnet: »Unica enim perpetua et lnfalhbilis Ecclesiae nota semper fuit Verbum.« 419 Auf der anderen Seite hat Luther eine größere Anzahl von Kennzeichen der Kirche nennen können. In der Frühzeit der Kontroverse mit R o m hat Luther zeitwedig drei Kennzeichen der Kirche unterschieden. So heißt es in der Schnft »Von dem Papsttum zu Rom« (1520): »Die zeichenn, da bey man euszerlich mercken kan, wo die selb kirch in der weit ist, sein die tauff, sacrament [seil, das Abendmahl] und das Evangelium, unnd nit Rom, disz odder der ort.« 420 In diesem Zusammenhang unterscheidet Luther auch »die zwo kirchen«: »Drumb umb mehres vorstandts und der kurtz wdlenn woUen wir die zwo kirchen nennen mit unterscheydlichen namen. Die erste, die natürlich, grundtlich, wesentlich unnd warhafftig ist, woUen wir heyssen ein geysdiche, ynnerhehe Christenheit, die andere, die gemacht und eusserheh ist, woUen wir heyssen ein leypliche, euszerlich Chnstenheit, nit das wir sie vonn einander scheydenn woUen, sondern zu gleich als wen ich von einem menschen rede und yhn nach der seelen ein geistlichen, nach dem leyp ein leyplichen menschen nenne .. ,«421 Da Luther trotz der beißenden Schärfe seiner Polemik gegen R o m hier selbst davor warnt, die beiden Kirchen voneinander zu scheiden, soUte ein solcher Versuch auch bei der Wiedergabe von Luthers Ekklesiologie nicht unternommen werden. 422 Gerade bei der Durchsetzung der Reformation und in den reformatonschen Kirchenordnungen ist ja doch der Weg beschritten worden, der geistlich verstandenen Christenheit auch die gehönge äußere Gestalt zu geben. So nennt er in der Schrift »Von den KonzUiis und Kirchen« (1539) sieben Kennzeichen: 1) das Wort Gottes; 2) das Sakrament der Taufe; 3) das heilige Sakrament des Altars; 4) die Schlüsselgewalt; 5) die Berufung und Ordination von Pfarrern und Bischöfen; 6) das Gebet sowie das Lob und den Dank gegen Gott; 7) das Erleiden des Kreuzes sowie die Anfechtung. 423 Wichtig ist dabei, »das ein Christlich hedig Volck auff erden sein und bleiben müsse bis an der weit ende, denn es

419 WA 25,97,32f. (Vorlesung über Jcsaja 1527/ 29; nach Druck B. Siehe ebd p.84 86). Weitere Belege bei P. ALTHAUS, op.cit., 250f 420 W A 6,301,3-5. Ähnlich auch WA 7,721,9-14 (Ad librum eximiii Magistri nostn Ambrosn Cathanni 1521). cf. M. BEYER, op.cit. 97f 421 W A 6,296,37-297.5 (Von dem Papsttum zu R o m 1520) 422 Eine weitgehende Systematisierung dieser Unterscheidung h a t j . HECKEL, op.cit., vorgenommen. 423 W A 50,628,16-642,21.

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ist ein Artickel des glaubens, der nicht kan auffhören, bis da körnet, das er gleubet, wie Christus verheisst: >Ich bin bey euch bis zur weit ende.««424 In der Schrift »Wider Hans Worst« (1541) unterscheidet Luther folgende elf Kennzeichen der Kirche: 1) die hedige Taufe; 2) das hedige Sakrament des Altars; 3) die Schlüsssei; 4) das Predigtamt und Gottes Wort; 5) das apostolische Glaubensbekenntnis; 6) das Vaterunser; 7) die der weltlichen Herrschaft gegenüber geschuldete Ehre; 8) der Lobpreis des Ehestandes; 9) das Leiden der rechten Kirche; 10) der Verzicht auf Rache für die Verfolgung. 11) VieUeicht läßt sich auch dieses Kennzeichen unterscheiden, daß nach Luther bei den Evangelischen das Fasten in neuer Gestalt zu finden ist: »Aber yemand mocht sagen. Es feilet noch an einem, nendich am fasten Denn yhr ketzer fastet nicht sprechen sie Ah h e n got Ist ein stuck an vns von der alten kirchen so ists leider die fasten Ist ein stuck an den Papisten von der newen kirchen so ists das sie nicht fasten vnd ym sause leben auch auff den fastagen . . . Ja wir fasten nicht aUein, sondern leiden (mit S Paulo) hunger, welchs wir wol an vnsern armen Pfanherrn, yhren weiblin vnd kindlin teghch sehen vnd andern viel armen .. ,« 425 Bei diesen Aufzählungen ist vor allem Folgendes hervorzuheben. Einmal, der unbedingte Vorrang des Wortes ist hier beim alten Luther ebenso wie in seiner Frühzeit gegeben. Sodann, Luther macht deutlich, daß die Kirche, so sehr sie eine geistliche Größe ist, doch in der Sichtbarkeit und Leibhchkeit existiert. Das Vorhandensein der rechten, wahren Kirche ist an der evangeliumsgemäßen Verkündigung, aber auch an dem gelebten Glauben, besonders auch an dem Verzicht auf Rache, zu erkennen. Schließlich, beide Listen dienen insbesondere auch dazu, der römisch-katholischen Kirche ihr Kirche-Sein abzusprechen. »Hiemit haben wir nü beweiset, das wir die rechte alte kirche sind mit der gantzen heiligen Christlichen kirchen ein Corper vnd eine gemeine der Heiligen Beweiset nü auch yhr Papisten, das yhr die rechte alte Kirche oder yhr gleich seid.« Dinge wie der Ablaß zeigen, »das yhr die newe falsche kirche seid, die ymer von der alten rechten kirchen abtrünnig, des teuffels hure vnd schule wird.« Dabei weiß Luther, daß in der römischen Kirche die Tradition bewahrt worden ist und daß die Evangelischen die rechte Tradition von daher überkommen haben: »Wir bekennen ..., das unter dem Bapsttum viel Christliches gutes, ja alles Christlich gut sey, Und auch daselbs herkomen sey an uns, Nendich wir bekennen, das ym Bapsttum die rechte heUige schrifft sey, rechte taufte, recht Sacrament des altars, rechte schlussel zur Vergebung der sunde, recht predig ampt, rechter Catechismus, als das Vater unser, Zehen gebot, die artickel des glawbens . . . Ich sage, das unter dem Bapst die rechte Christenheit ist, ia der rechte ausbund der Christenheit . . . so mus sie werhch Christus leib und glied sein, Ist sie sein leib, so hat 424

W A 50,628,16-19. W A 51,486,6-12. Die ganze Liste der »notae«: p.479,4-487,2. 426 WA 51,487,3-8 (ebd). Siehe auch ebd p.513,28f; 515,27 (Druckbearbeitung) u ö , w o Luther die Papstkirche die »Teufelskirche« nennt. 423

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sie r e c h t e n geist, Euangelion, glauben, taufte, Sacrament, Schlüssel, predig a m p t , gebet, heilige schrifft u n d alles was die Christenheit h a b e n sol. Sind w i r d o c h auch n o c h alle u n t e r d e m Bapsttum u n d h a b e n solche Christen g u t e r davon.« 4 2 7 L u t h e r beanstandet i m Blick auf R o m nicht das Fehlen e i n e r fundamentalen »nota Ecclesiae«, s o n d e r n das E i n d r i n g e n menschlicher Z u s ä t z e . Luthers Urteil über das Kirche-Sein der römische n Kirche ist d a r u m ambivalent: auf der e i n e n Seite b e k e n n t Luther, daß die römische Kirche voU u n d g a n z Kirche ist, daß ihr also nichts v o n demjenigen fehlt, was die Kirche ausmacht; auf d e r a n d e r e n Seite ist aber die Kirche in R o m nach Luthers Urteil zur Teufelskirche g e w o r d e n .

11) Amt und Ordination Lit.: Vilmos VAJTA, Die Theologie des Gottesdienstes bei Luther, (1954) in: FKDG 1, 3.Aufl. Göttingen 1958, 196-222. Klaus TUCHEL, Luthers Auffassung vom geistlichen Amt, in: LuJ 25, 1958, 61-98. Wilhelm BRUNOTTE, Das geistliche Amt bei Luther, Berlin 1959. Regin PRENTER, Die göttliche Einsetzung des Predigtamtes und das allgemeine Pnestertum bei Luther, in: ThLZ 86, 1961, 321-332. Paul ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, (1962) 6. Aufl. Gütersloh 1983, 279-287. Heinz BRUNOTTE, Das Amt der Verkündigung und das Pnestertum aller Gläubigen, in: Luthertum 26, Berlin 1962. Hellmut LIEBERC, Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon, in: FKDG 11, Göttingen 1962. Bernhard LOHSE, Das Verständnis des leitenden Amtes in lutherischen Kirchen in Deutschland von 1517 bis 1918, (1968) in (Lohse): Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, hg. von Leif GRANE, Bernd MOELLER und Otto Hermann PESCH, Göttingen 1988. 337-356. Jan AARTS, Die Lehre Martin Luthers über das Amt in der Kirche. Eine genetisch-systematische Untersuchung seiner Schnften von 1512 bis 1525, in: SLAG A 15, Helsinki 1972. Peter MANNS, Amt und Euchanstie in der Theologie Martin Luthers, (1973) in: (Manns) Vater im Glauben. Studien zur Theologie Martin Luthers. Festgabe zum 65. Geburtstag, hg. von Rolf DECOT, in: VIEG 131, Stuttgart 1988, 111-216. Wolfgang STEIN, Das kirchliche Amt bei Luther, in: VIEG 73, Wiesbaden 1974. Bernhard L O H SE, Zur Ordination in der Reformation, in: Ordination und kirchliches Amt, hg. von R e i n hard M U M M , Paderborn/Bielefeld 1976, 11-18. Hans-Martin BARTH, Einander Pnester sein. Allgemeines Pnestertum in ökumenischer Perspektive, in: KiKonf 29, Göttingen 1990, besonders 27-53. Martin LUTHER und das Bischofsamt, hg. von Martin BRECHT, Stuttgart 1990 (dann besonders folgende Beiträge: Markus WRIEDT, Luthers Gebrauch der Bischofstitulatur in seinen Bnefen, 73-100; Rolf DECOT, Luthers Kompromißvorschlag an die Bischöfe auf dem Augsburger Reichstag 1530, 109-119; Irmgard Höss, Luther und die Bischofseinsetzungen in Merseburg und Kammin, 123-130; Hans-Ulnch DELIUS, Das Naumburger Bischofsexpenment und Martin Luther, 131-140). Wolfhart PANNENBERC, Das kirchliche Amt in der Sicht der luthenschen Lehre, in: Lehrverurteilungen - kirchentrennend? Bd. 3 Matenalien zur Lehre von den Sakramenten und vom kirchlichen Amt, in: Dialog der Kirchen 6, Frciburg/Göttingen 1990, 286-305. Gerhard EBELINC, Luthers Gebrauch der Wortfamilie »Seelsorge«, in: LuJ 61, 1994, 7—44.

427

WA 26,147,13-40 (Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrheim 1528)

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a) Der Ansatz von Luthers Amtsverständnis Seit über hundert Jahren ist die Deutung von Luthers Aussagen über das geisdiche Amt und das allgemeine Priestertum, aber auch über die Ordination und nicht zuletzt über das Bischofsamt außerordentlich kontrovers diskutiert worden. Die Fronten, die sich bereits in der konfessioneUen Theologie des 19. Jahrhunderts beobachten lassen, bestehen im wesentlichen bis heute fort. Im 19. Jahrhundert war insbesondere J. W. F. Höfling (1802—1853) für die sogenannte Übertragungstheone eingetreten; er hatte also das geistliche Amt aus dem allgemeinen Priestertum abgeleitet. In gewisser Weise sind Amt und allgemeines Priestertum demnach identisch. 428 Dagegen hatten andere wie Theodor Kliefoth (1810-1895), Friedrich Julius Stahl (1802-1861) und besonders August Friedrich Chnstian VUmar (18001868) nachdrücklich die Eigenständigkeit des geistlichen Amtes gegenüber der Gemeinde und dem allgemeinen Priestertum hervorgehoben. 429 Diese beiden Deutungen werden im wesentlichen auch heute noch vertreten. W. Brunotte gibt zwar zu, daß es bei Luther in den verschiedenen Auseinandersetzungen jeweds bestimmte Zuspitzungen gibt, betont aber doch die »Einheit in Luthers Auffassung«, die in der »Eigenständigkeit des geistlichen Amtes neben dem allgemeinen Priestertum . . . in der Frühzeit .. .wie in der späteren Zeit« gegeben sei. 430 Nach Brunotte leitet Luther niemals die VoUmacht des Amtsträgers aus dem allgemeinen Priestertum ab. H. Lieberg spricht dagegen von einer »Zweipoligkeit« in Luthers Amtslehre. 431 Diese Zweipoligkeit bestehe dann, daß das Amt einmal aus dem allgemeinen Priestertum, sodann aus der Stiftung Christi begründet werde; jenem Gedanken entspreche die Vokation durch die Gemeinde, diesem die Ordination als Amtsübertragung. 432 Eine wichtige Ergänzung steUt der Nachweis von P. Manns dar, daß Luther selbst in den stürmischen Anfangsjahren der Reformation sich allen Wünschen widersetzt habe, für evangelische Christen in einer überwiegend katholischen Gegend eine Hauskommunion zu ermöglichen; statt dessen habe er die Feier des Abendmahls streng an Amt und Gemeinde gebunden. 433 Angesichts dieser Forschungslage dürfte es wenig sinnvoU sein, lediglich die eine oder die andere Deutung mit Nachdruck zu vertreten. Vielmehr ist es gerade bei der Frage von Amt und Ordination wichtig, die jewedige Situation zu be-

428 Johann Wilhelm Friedrich HÖFLING, Grundsätze evangelisch-lutherischer Kirchenverfassung, (1850), 3. Aufl. Erlangen 1853 Siehe Manfred KlESSlc.Johann Wilhelm Fnednch Höfling. Leben und Werk, in: Die Luthensche Kirche. Geschichte und Gestalten 14, Gütersloh 1991, besonders 138-159. Kießig bemüht sich um eine vorsichtig differenzierende Deutung der Auffassung Höflings. 429 Siehe Näheres bei Holsten FACERBERG, Kirche und Amt in der deutschen konfessionellen T h e o logie des 19. Jahrhunderts, Uppsala/Wiesbaden 1952. 430 Wilhelm BRUNOTTE, op.cit., 112 ff; 114. 431 Hellmut LIEBERG, o p . c i t , 235 ff 432 Hellmut LIEBERG, 235. 433 Peter MANNS, op.cit., besonders 115-125.

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denken, in welcher Luther bestimmte Gedanken geäußert hat. Der Konflikt mit R o m betraf zwar von Haus aus, jedenfalls in Luthers Sicht, nicht das Amt, sogar nicht einmal das Papstamt. Allerdings war es unvermeidlich, daß Luther mit hohen Amtsträgern in Streit geriet. Dabei stellte sich naturgemäß auch bald die Frage nach Auftrag und Wesen des Amtes und nach seinen verschiedenen Ausprägungen. Es wäre voUkommen unrealistisch, von Luther auf dem Höhepunkt seines frühen Rom-Konfliktes eine abgewogene Konzeption über die Amtsfrage zu erwarten. Die oben schon wiederholt betonte Tatsache, daß Luther gerade in den scharfen Auseinandersetzungen stiUschweigend manche Voraussetzungen gemacht hat, die nicht weiter ausgeführt wurden, die aber gleichwohl für seine gesamte Theologie von Bedeutung sind, muß auch für die Amtsfrage berücksichtigt werden. Erst in späteren Jahren hat Luther sich umfassender zu Wesen und Auftrag des Amtes geäußert. Dabei ist es wichtig, daß sowohl in der Schrift »Von den Konzihis und Kirchen« (1539) als auch in »Wider Hans Worst« (1541) das Amt zu den Kennzeichen der Kirche gezählt wird. In »Von Konzihis und Kirchen« heißt es: »Zum fünfften kennet man die Kirche eusserlich da bey, das sie Kirchen diener weihet oder berufft oder empter hat, die sie besteUen sol, Denn man mus Bisschove, Pfarrher oder Prediger haben, die öffentlich und sonderlich die obgenanten vier stück odder heilthum [das Gotteswort, die Taufe, das Abendmahl und die Sündenvergebung in der Beichte] geben, reichen und üben, von wegen und im namen der Kirchen, viel mehr aber aus einsetzung Christi.« 434 Bemerkenswert ist es auch, daß Luther zu keiner Zeit das Bischofsamt grundsätzlich in Frage gesteUt hat; hier hat er durchaus deutlich zwischen Papstamt und Bischofsamt u n terschieden. AUerdings muß mit Nachdruck betont werden, daß Luther sowohl in den Jahren der scharfen Auseinandersetzung mit R o m als auch später immer den unbedingten Vorrang des Gotteswortes herausgesteUt hat: wie es in der Kirche vor allem um die Verkündigung des Wortes geht, so ist diese Verkündigung der eigentliche Auftrag des geistlichen Amtes. Zur Verkündigung gehört dabei die Wortverkündigung und die Sakramentsverwaltung. Eine der wichtigsten Neuerungen ist naturgemäß die Lehre vom allgemeinen Priestertum aller Getauften. Diese Auffassung, die unten weiter zu würdigen ist, ist bei Luther sehr früh schon in Ansätzen vorhanden. Bereits in der RömerbnefVorlesung von 1515/1516 hat Luther gesagt: »Jedes Wort, welches aus dem Munde eines Oberen der Kirche oder eines frommen und heiligen Mannes hervorgeht, ist Christi Wort, der da spncht: >Wer euch hört, der hört mich« (Luk.10,16).«43:> Aber erst 1520 hat Luther die Auffassung vom allgemeinen Priestertum aller Getauften vertreten, nämlich deutlich zuerst in seiner Schrift »Sermon von dem Neuen Testament«: »So wirts klar, das nit allein der priester die meß opffert, ßondern 434 433

WA 50,632,35-633,3; cf. WA 51,481,7-16. Siehe oben 302 f. WA 56,251,25f (Sch.Röm. 3,22).

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eynis yglichen solcher eygener glaub, der ist das rechtt priesterlich ampt, durch wdchs Christus wirt für gott geopfert, wdchs ampt der pnester mit den euserlichen geperden der meß bedeuttet, und sein alßo alsampt gleych geystliche priester für gott.« 436 Es dürften im wesentlichen folgende Phasen bei Luthers Äußerungen zu Fragen von Amt und Ordination deutlich zu unterscheiden sein: 1. Die Zeit von 1517 bis 1520, in welcher Luther an den kirchlichen Autoritäten irre wird und die Auffassung vom allgemeinen Priestertum aller Getauften entwickelt. 2. Die Zeit von Herbst 1520/Anfang 1521 bis 1523, in welcher Luther seine antirömische Auffassung aufs äußerste zuspitzt und andererseits gegen den radikalen Flügel der Reformation in neuer Weise die Notwendigkeit des geordneten Amtes heraussteUt. 3. Die Zeit von 1524 bis 1529, in welcher Luther im Gegensatz zu den »Schwärmern« die Zusammengehörigkeit von Wirken des Hl. Geistes und Verkündigung durch das geistliche Amt näher entfaltet. 4. Die Zeit seit 1530, in welcher im Zuge der Neuordnung evangelischer Landeskirchen das geistliche Amt immer festere Konturen erhält und auch mehrfach Versuche zur Einsetzung evangelischer Bischöfe unternommen werden. Ferner ist zu bedenken, daß die vöUig unsichere Lage in den Anfangsjahren der Reformation dazu führte, daß manche Notlösungen getroffen wurden, die zwar theologisch hinreichend begründet werden konnten, die aber doch in den Zeiten geordneter Verhältnisse nicht beibehalten wurden. Da im deutschen Reich kein Bischofsich der Reformation anschloß, da außerdem nur zu Beginn der Auseinandersetzungen zahlreiche Pfarrer zur Reformation übergingen, wurde bald die Versorgung der Gemeinden mit ordinierten Amtsträgern zu einem akuten Problem. Manche Erwägungen Luthers aus der Frühzeit müssen aus dieser Notsituation heraus verstanden werden. Noch bei Beginn der Bildung evangelischer Landeskirchen hat Luther sich auf das Notrecht berufen. Je fester das evangelische Bündnis wurde und je sorgfältiger die landeskirchliche Ordnung etabliert wurde, umso mehr trat die Berufung auf das Notrecht zurück. Zudem muß beachtet werden, daß die BUdung evangelischer Landeskirchen nicht nach einem festen Plan erfolgte, sondern von manchen lokalen Bedingungen und Gegebenheiten abhing, auf die insbesondere Bugenhagen bei der Abfassung von Kirchenordnungen Rücksicht nahm. Luthers Auffassung hätte es am ehesten entsprochen, wenn die Kirchen durch synodal verfaßte Bischofsämter geleitet würden. Eine solche Verfassung war aber damals aus vielen Gründen nicht erreichbar. So kam es zu mancherlei Kompromissen, die Luther theologisch zwar für vertretbar, jedoch kaum für die erstrebenswerte Lösung hielt.

436

WA 6,370,7-11

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

b) Das allgemeine Priestertum Wie schon erwähnt, hat Luther zuerst in seinem »Sermon von dem Neuen T e stament« (1520) seine Auffassung vom allgemeinen Priestertum aller Getauften vorgetragen. Sehr viel ausführlicher und zugleich mit starker Polemik gegen die römische Auffassung hat Luther seine Ansicht kurz darauf in der Schnft »An den christlichen Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung« (1520) dargelegt. Hierbei muß der Zusammenhang beachtet werden. Nach Luthers Vorwurf haben die »Romanisten« drei Mauern um sich gezogen, »damit sie sich biszher beschützt, das sie niemant hat mugenn refonnierenn, dadurch die gantz Christenheit grewlich gefallen ist.«437 Die erste Mauer besage: wenn man sie mit der weltlichen Gewalt drängt, entgegnen die Romanisten, die weltliche Gewalt habe kein Recht über sie, vielmehr stehe die geistliche Gewalt höher als die weltliche. Die zweite Mauer bedeute: wenn man sie mit der Hl. Schrift strafen will, so setzen sie dagegen, es gebühre niemandem, die Bibel auszulegen, als dem Papst. Die dritte Mauer schließlich meine: wenn man ihnen mit einem Konzil droht, so erdichten sie, es könne niemand ein KonzU einberufen als der Papst.438 Hiergegen steUt Luther seine Auffassung vom allgemeinen Priestertum: »Man hats erfunden, das Bapst, Bischoff, Priester, Kloster volck wirt der geystlich stand genent, Fursten, Hern, handtwercks und ackerleut der weltlich stand, wilchs gar ein feyn Comment und gleyssen ist, doch soU niemant darub schuchter werden, unnd das ausz dem grund: Dan alle Christen sein warhafftig geysthchs Stands, unnd ist unter yhn kein unterscheyd, denn des ampts halben allein.«439 Der polemische Ton kann hier nicht übersehen werden. Das gilt auch für die folgenden Worte: »Dan was ausz der tauff krochen ist, das mag sich nimen, das es schon priester, Bischoff und Bapst geweyhet sey, ob wol nit einem yglichen zympt, solch ampt zu üben.« 440 Im Lateinischen wird deutlicher als im Deutschen, was Luther meint. Luther gebraucht durchweg den Begriff »sacerdos«/»sacerdotes« (Priester) für das allgemeine Pnestertum aller Getauften, während der Terminus »minister«/»ministn« in der Regel für den Pfarrer verwendet wird. Luther hat offenbar niemals den Begriff »mimsterium« für das allgemeine Priestertum verwendet. Den Terminus »sacerdotium« hat er anscheinend nach 1520 nur ganz vereinzelt zur Bezeichnung der Pfaner gebraucht. In seiner Schrift »De instituendis ministris Ecclesiae« (1523) sagt er einmal: »Der Priester ist nicht dasselbe wie der Alteste oder Diener [Amtsträger]; jener wird [in der Taufe durch Wasser und Geist] geboren, dieser wird

437

WA WA «* W A 440 WA Luther sich 438

6,406,21-23. 6,406,23-29. 6,407,10-15. 6 , 4 0 8 , 1 1 - 1 3 . Hans-Martin BARTH, op.cit., 27ff, hat die einschlägigen Texte, in denen zum allgemeinen Priestertum äußert, näher analysiert.

Amt und Ordination

309

[durch die vocatio zum Amtsträger] gemacht.« 441 Noch deutlicher ist eine Äußerung aus dem Jahre 1530: »Es ist war, alle Christen sind priester, Aber nicht alle Pfaner. Denn über das, das er Chnsten und priester ist, mus er auch ein ampt und ein befolhen kirchspiel haben. Der beruft" und befelh macht Pfarher und Predi442

ger.« 4 ^ Die Aussagen über das allgemeine Priestertum besagen demnach, daß es zwischen Gott und Mensch nicht der Vermittlung durch einen Pnester bedarf. Der Heilsstand des Christen ist auf eine solche Vermittlung durch einen besonderen Priester nicht angewiesen. Vielmehr sind alle Getauften im Sinne des Neuen Testaments Priester, haben also im Glauben freien Zugang zu Gott. Sie können von daher als Priester anderen Christen die Sündenvergebung zusprechen und haben so alle Güter des Evangeliums. Freilich muß zugleich der polemische Zusammenhang beachtet werden, in welchem Luther diese Gedanken entfaltet: die Aussagen über das allgemeine Priestertum dienen stets auch zu dem Zweck, die Abwehr der katholischen Hierarchie und besonders des Papsttums gegen Reformforderungen als haltlos zu widerlegen. Luther bricht hier mit der mittelalterlichen VorsteUung von der Ständehierarchie, wonach also der geistliche Stand über dem weltlichen Stand steht, während dem Papst der Platz an der Spitze der Hierarchie zukommt. Dagegen betont Luther die Eigenständigkeit des weltlichen Standes, der seinen eigenen Auftrag von Gott hat und für dessen ErfüUung nicht dem geistlichen Stand gehorsam sein muß. Was die Begründung seiner Auffassung betrifft, so deutet Luther das allgemeine Priestertum entweder von der Taufe oder vom Glauben her. In den sogenannten reformatorischen Hauptschriften des Jahres 1520 verweist Luther auf die Taufe, durch die jeder Christ zugleich zum Priester geweiht sei. Luther kann das allgemeine Priestertum aber auch einfach mit dem Glauben an Christus begründen oder auch den Glauben als das rechte priesterliche Amt bezeichnen. So sagt Luther bereits in dem »Sermon von dem Neuen Testament«: »Der glaub muß allis thun. Er ist allein das recht priesterlich ampt, und lesset auch niemant anders seyn; darumb seyn all Christen man pfaffen, alle weyber pffeffyn, es sey junck oder alt, h e n oder knecht, fraw oder magd, geleret oder leye. Hie ist kein unterscheid^ es sey denn der glaub ungleych.« 443 Etwas später sagt Luther in einer Predigt: »So ich nun glaub, so bin ich auch ein pnster, wer wd mir das laucken? Wen uns die platten zum prister macht, so köntten wir so wol ein gans und esel auch zum pnster machen . . . Darumb brengt der glaub die pristerschafft mit im, Es ist gar ein grosser gewalt, das wir alle prister mögen sein, es geht den Bischoffen nit wol ein .. ,«444 Ja, Luther kann sagen, daß »alleyne die das heylige und geystliche prie-

441

WA 12,178,9f. »Sacerdotem non esse quod presbyterum vel ministrum; lllum nasci, hunc

fieri.« 442 443 444

WA 31 1,211,17-20 (Der 82. Psalm ausgelegt 1530). W A 6,370,24-28. WA 10 111,398,24-29 (Predigt 1522)

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sterthum [sind], wilche rechte Christen und auff den steyn gebawet sind«, d.h. an Christus glauben.44D Oder es heißt noch schärfer: »Wer da nicht glewbt, keyn pnester ist.« Es ergibt sich von da aus, daß das allgemeine Priestertum nicht einfach als die »objektive« Taufgabe zu verstehen ist, sondern daß es hier auf das Verhältnis von Taufe und Glaube ankommt. Allerdings hat Luther auch in der Zeit von 1520, als er sich über das allgemeine Priestertum am schärfsten äußerte, stets an dem besonderen Auftrag des geisdichen Amtes festgehalten. Es bleibt fredich undeutlich, welche ekklesiologischen Konsequenzen Luther aus seiner Auffassung vom allgemeinen Pnestertum ziehen wollte. 447 Sicher ist lediglich, daß Luther jedem Getauften die VoUmacht zum Hören der Beichte und zur Sündenvergebung zugestand. Auch meinte er jedenfalls in der Frühzeit, »daß eine christliche Versammlung oder Gemeine Recht und Macht habe, alle Lehre zu urteilen und Lehrer zu berufen, ein- und abzusetzen«. 448 Hingegen hat Luther die reformatonsche Auffassung über das allgemeine P n e stertum nicht zur Grundlage für den Aufbau einer evangelischen Kirchenverfassung gemacht. Vielmehr beschränkte er sich auf die theologische Begründung des allgemeinen Pnestertums und die grundsätzliche Gleichwertigkeit der verschiedenen Berufe und Stände in Kirche und Welt. Kongregationalistische Konsequenzen hat Luther zu keiner Zeit aus seiner Lehre vom allgemeinen Priestertum gezogen. Immerhin machen Luthers Aussagen aus der Frühzeit deutlich, daß die Gestaltung der evangelischen Kirchenverfassung grundsätzlich in sehr verschiedener Weise möglich gewesen wäre. In seinen späteren Jahren hat Luther sich seltener und weniger prononciert über das allgemeine Priestertum ausgesprochen. 449 c) Das geistliche Amt Luthers Aussagen über das geistliche Amt weisen in den zeidichen Phasen, die sich hier beobachten lassen, verschiedene Akzente auf. In der Frühzeit hat Luther sich in einer Weise äußern können, die die Vermutung nahelegt, er woUe das geistliche Amt aus dem allgemeinen Priestertum ableiten. So sagt er in der Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation«: »Drumb ist des Bischoffs weyhen nit anders, den als wen er an stat und person der gantzen sandung eynen ausz dem häuften nehme, die alle gleiche gewalt haben, und yhm befilh, die selben gewalt 443

W A 12,307,22 f. (Auslegung des 1. Petrusbriefs 1523). W A 12,316,26 f. (ebd). 447 Siehe hierzu Hans-Mamn BARTH, op.cit , 37ff Barth, 46-48, stellt bei Luther einige «Unscharfen und Unklarheiten« in den Aussagen über das allgemeine Pnestertum fest und weist auf eine gewisse Widersprüchhchkcit der reformatonschen Praxis hin. 448 W A 11,408-416. Auch bei dieser Schrift mit ihren weitreichenden Vorschlägen zur Begrenzung der bischöflichen Gewalt müssen die besonderen Verhältnisse in Leisnig, die Anlaß zur Abfassung waren, berücksichtigt werden, cf außer der Einleitung W A 11,401 f. auch WA 1 2 , 1 - 8 . 449 BARTH, op.cit., 48. 44

'

Amt und Ordination

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für die andern ausztzurichten, gleich als wen tzehen bruder, kuniges kinder, gleich erben, einen erweleten, das erb für sie zuregieren, sie weren yhe alle kunige und gleicher gewalt, und doch einem zuregieren befolen wirt. Und das ichs noch klerer sag. W e n ein heufflin fromer Christen leyen wurden gefangen unnd in ein wusteney gesetzt, die nit bey sich heften einen geweyheten pnester von einem Bischoff, unnd wurden alda der Sachen eynisz, erweleten eynen unter yhn, er were ehlich odder nit, und befilhen ym das ampt zu teuften, mesz halten, absolvieren und predigenn, der wer warhafftig ein priester, als ob yhn alle Bischoffe unnd Bepste hetten geweyhet. Daher kumpts, das in der not ein yglicher teuften und absolvieren kan, das nit muglich were, wen wir nit alle priester weren.« 450 Aus diesem Text ließe sich für Luthers Amtsauffassung zu dieser Zeit geradezu ein demokratisches Delegationsprinzip ableiten. Allerdings muß der polemische Zusammenhang beachtet werden. Zudem wird hier im Grunde doch nicht das Amt als solches aus dem allgemeinen Priestertum abgeleitet, sondern lediglich die Einsetzung eines bestimmten Inhabers auf der Grundlage des allgemeinen Pnestertums empfohlen. Offen muß schließlich bleiben, ob es sich für Luther dabei lediglich um ein Notrecht handelt. In der Schrift »Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche« (1520) bestreitet Luther, daß die Ordination Sakrament sei; dies sei von der Kirche des Papstes erfunden worden. 4D1 Im Verlaufseiner Auseinandersetzung mit der römischen Auffassung beruft Luther sich auch auf das allgemeine Priestertum: »Die sogenannten Priester sind Diener, von uns gewählt, die in unserem Namen alles tun soUen. Dabei ist das Priestertum nichts anderes als ein Dienst.« 4 ' 2 Auch hier steUt Luther jedoch die göttliche Stiftung des geistlichen Amtes nicht in Frage. Luther lehnt lediglich die göttliche Stiftung des Weihesakraments ab. Was die göttliche Stiftung des Amtes betrifft, so hat Luther sie 1520 deutlich ausgesprochen. In der Schrift »An den chnstlichen Adel deutscher Nation« sagt er: »Ich wil reden von dem pfan stand, den got eingesetzt hat, der ein gemeyn mit predigen unnd sacramenten regierenn musz, bey yhnen wonen und zeytlich hausz halten .. .«4:>3 Diese FeststeUung steht recht unverbunden neben dem Argument, daß das Amt um der Ordnung wiUen notwendig sei. Luther selbst hat offenbar zwischen beiden Begründungen keinen Gegensatz, ja nicht einmal eine Spannung erblickt.

4,0 W A 6.407,29-408,2. Siehe auch W A 6,566,26-30 (De captivitate Babylonica 1520) »Esto itaque certus et sese agnoscat quicunque se Chnstianum esse cognoverit, omnes nos acqualiter esse sacerdotes, hoc est, eandem in verbo et sacramcnto quocunque habere potestatem, verum non beere quenquam hac ipsa uti nisi consensu communitatis aut vocatione maioris (Quod enim omnium est communiter, nullus singulantcr potest sibi arrogare, donec vocetur).«

431

WA6,560,20f.

432

W A 6,564,11—13 »Sacerdotes vero quos vocamus ministn sunt ex nobis electi, qui nostro nomine omnia faciant, et sacerdotium aliud nihil est quam ministerium.« 433

WA 6,441,24-26.

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

Auf Grund der Erfahrungen mit dem sogenannten linken Flügel der Reformation und in Übereinstimmung mit den neuen Kirchenordnungen hat Luther seit der Mitte der zwanziger Jahre des 16. Jahrhunderts die Notwendigkeit der Ordnung stärker hervorgehoben. In der Schrift »Von den Konzihis und Kirchen« (1539) heißt es: »[Die Ämter der Bischöfe und Pfarrer oder Prediger müssen sein]. Denn der hauffe gantz [= als ganzer] kan solchs nicht thun, sondern müssens einem befelhen oder lassen befolhen sein. Was wolt sonst werden, wenn ein jglicher reden oder reichen wolt, und keiner dem andern weichen. Es mus einem allein befolhen werden, und allein lassen predigen, Teuften, Absolvirn und Sacrament reichen, die andern alle des zufrieden sein und drein wiUigen. W o du nu solchs sihest, da sey gewis, das da Gottes Volck und das Christlich heilig Volck sey.«4 Unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Akzentuierungen in den verschiedenen Phasen sowie der sich durchhaltenden Grundauffassung lassen sich für Luthers Amtsauffassung folgende Aspekte für den besonderen Auftrag des geistlichen Amtes herausstellen. 1. Bei dem geisdichen Amt oder dem Amt der Verkündigung geht es um die öffentliche Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Obwohl grundsätzlich zwischen der BevoUmächtigung im Rahmen des allgemeinen Priestertums und im Rahmen des geistlichen Amtes kein Unterschied besteht, verlangt der Öffentlichkeitscharakter des »ministerium«, daß der Inhaber des Amtes auf Grund der Zustimmung der Kirche seine Funktionen ausübt. Öffentlichkeit bedeutet für Luther einmal, daß das Amt »coram ecclesia« (vor der Kirche) und »in nomine ecclesiae« (im Namen der Kirche) wahrgenommen wird, sodann aber auch, daß das geistliche Amt stets auf eine konkrete Gemeinde bezogen ist. 4 " 2. Das geistliche Amt ist um der Ordnung willen da. Würden alle Christen auf Grund ihrer BevoUmächtigung durch das allgemeine Priestertum den Anspruch erheben, die ihnen an sich zustehenden Rechte auch auszuüben, so würde es in den Gemeinden ein heiUoses Durcheinander geben. Dem einzelnen Christen ist der Auftrag zur öffentlichen Verkündigung nicht gegeben. In diesem Sinne dient das geistliche Amt der Ordnung in der Gemeinde wie in der ganzen Kirche.

454 433

WA 50,632,36-633,11.

Hellmut LIEBERG, Amt und Ordination bei Luther und Melanchthon, 69-74, hat diesen Gesichtspunkt der Öffentlichkeit des geistlichen Amtes herausgearbeitet. Siehe WA 12,189,17-25 (De instituendis ministns Ecclesiae 1523) »Nam cum omnium Chnstianorum haec sint omnia ... communia, nulli licet in medium prodire autontate propna et sibi arripere soli, quod omnium est .. Verum haec communio luns cogit, ut unus, aut quotquot placuerint communitati, eligantur vel aeeeptentur, qui vice et nomine omnium, qui idem iuris habent, exequantur officia ista publice, ne turpis Sit confusio in populo d e i . . . « (Denn obwohl alle Chnsten diese [Rechte] gemeinsam haben, ist es doch niemandem erlaubt, kraft eigener Autorität in die Mitte zu treten und für sich allein das an sich zu reißen, was allen zukommt . . Vielmehr erzwingt es diese Gemeinschaft des Rechtes, daß einer oder [mehrere], wie es der Gemeinde gut scheint, erwählt oder angenommen werden, die anstelle und im Namen aller, die das gleiche Recht haben, diese Dienste öffentlich wahrnehmen sollen, damit nicht im Volk Gottes ein schimpfliches Durcheinander entsteht).

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3. Unbeschadet der Tatsache, daß Luther zuweden das »ministerium« aus dem »sacerdotium« begründen kann und dessen wesendiche Funktion in der ordnungsgemäßen Auferbauung der Gemeinde sieht, hat Luther stets an der göttlichen Stiftung des geistlichen Amtes festgehalten. Im Epheserbnef 4 Vers 11 heißt es: »Christus hat einige als Apostel, einige als Propheten, einige als Evangelisten, einige als Hirten und Lehrer eingesetzt.« In diesem Text, aber auch in anderen neutestamentlichen Worten erblickte Luther die Schriftgrundlage dafür, daß C h n stus die Amter, also das geistliche Amt, eingesetzt hat. Diese Einsetzung gUt nicht nur für die erste Generation, sondern, da die Kirche bis zum Ende der Welt bleiben soU, für alle Zeiten. 4. Die primären Aufgaben des geistlichen Amtes sind Wortverkündigung und Sakramentsverwaltung. Darüber hinaus rechnet Luther insbesondere auch die Seelsorge und die Gemeindeleitung zu den Aufgaben des Pfarrers. In der Schrift »An den christlichen Adel deutscher Nation« heißt es, daß Gott den »pfan stand . . . eingesetzt hat, der ein gemeyn mit predigen unnd sacramenten regierenn musz, bey yhnen wonen und zeytlich hausz halten.«4 5. Das geistliche Amt ist das Amt schlechthin, und zwar in seiner Form als Pfarramt. Luther hat hier, ebenso wie die anderen Reformatoren, auf die Verhältnisse in der frühen Kirche zurückgegriffen, als es noch keinen Unterschied zwischen Bischof und Pfarrer gab. Der Pfarrer ist im Grunde der Bischofseiner Gemeinde, oder der Bischof ist der Pfaner eines größeren Bezirks. Es gibt also keinen Unterschied der Weihegewalt, auch keine besondere Ordination für Bischöfe, sondern nur Unterschiede bestimmter Amtsfunktionen. Aber auch im Verhältnis zu anderen Ämtern ist für Luther das geisdiche Amt das eigentliche Amt. Der Gnind besteht in der göttlichen Stiftung des Amtes. 6. Weil das Amt keine höhere Seinsqualität verleiht, sondern der Ausübung bestimmter Funktionen dient, steht und fäUt es damit, daß diese Funktionen auch tatsächlich wahrgenommen werden. Geschieht dies nicht — sei es, daß Amtsträger keine Funktionen ausüben, sei es, daß sie nicht mehr gemäß dem Auftrag und der Einsetzung Chnsti handeln, sei es, daß sie Irrlehrer werden —, so hat die Gemeinde das Recht, den Amtsträger abzusetzen; ja, sie hat sogar die Pflicht dazu. Hierbei darf es jedoch zu keinen wiUkürlichen Maßnahmen kommen. Das Vorgehen der Gemeinde in einem solchen Fall muß im Gehorsam gegen den Auftrag Christi geschehen, dem auch der Amtsträger verpflichtet ist. Im übrigen kann auch der Pfarrer von sich aus zurücktreten; er ist dann wieder Gemeindeghed wie die anderen auch. 4 ' 7 7. Es macht die Würde des Pfarrers aus, daß er seine Tätigkeit im Dienst Gottes ausübt. Der Amtsträger hat deswegen aber auch ganz hinter seiner Aufgabe zurückzustehen. In der Schrift »Wider Hans Worst« (1541) hat Luther einmal gesagt, daß ein Pfaner für das, was er predigt, nicht um Vergebung der Sünden bitten 454

WA 6,441,24-27.

457

Siehe WA 41,209,11-14. (Der 110. Psalm gepredigt und ausgelegt 1539 1535)

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soU. Vielmehr soU er sagen: »Hec dixit Dominus Das hat Gott selbs gesagt Et iterum Ich bin ein Apostel vnd prophet Jessu Chnsti gewest ynn dieser predigt Hie ist nicht not, ia nicht gut Vergebung der sunde zu bitten, als were es vnrecht geleret, Denn es ist Gottes vnd nicht mein wort.« 438 8. »Vocatio« (Berufung) in eine bestimmte Gemeinde und »Ordinatio« sind für Luther nicht synonym. Während Bugenhagen bei seiner Neuordnung des Kirchenwesens an sich jede Ordination in der berufenden Gemeinde vornehmen lassen woUte, setzte Luther sich dafür ein, daß die Ordination in Wittenberg als dem kirchlich-theologischen Mittelpunkt der Reformation stattfand; gelegentlich hat Luther geäußert, daß in späterer Zeit die Ordination in den einzelnen Gemeinden vorgenommen werden könnte. Praktiziert worden ist die Ordination in Wittenberg seit 1525. Bis dahin hatte man genügend ordinierte Priester, die zur Reformation übergegangen waren, so daß sich die Frage der Ordination zunächst noch nicht steUte. Der Erste, der in Wittenberg von Luther ordiniert wurde, war Magister Georg Rörer; er wurde am 14. Mai 1525 in einem Gemeindegottesdienst als Diaconus mit Gebet und Handauflegung ordiniert. 4 ' 9 In den folgenden Jahren kam es nur vereinzelt zu Ordinationen, zumal es noch offen war, ob nicht durch eine umfassende Refonn die Kircheneinheit bewahrt werden könnte. Nach dem Reichstag zu Augsburg 1530 mit seiner Verfestigung der Fronten wurde die Ordination in Wittenberg häufiger praktiziert. 1535 wurde durch einen Erlaß des sächsischen Kurfürsten Johann Friedrich die Ordination des Pfanernachwuchses in Wittenberg eingeführt, und zwar mit Gebet und Handauflegung in einem Gemeindegottesdienst. 9. Die Ordination 4 6 0 hat für Luther den Sinn, die Wahl und die Berufung zum geistlichen Amt zu verwirklichen. Sie bestätigt die rechtmäßige Berufung; sie ist Sendung in das Amt der Kirche — nicht nur der Gemeinde — und ist Segnung für dieses Amt. 461 Unter dem Gebet der Gemeinde gibt die Ordination den Ordinanden den Hl. Geist, »der sie in reiner Lehre erhält, sie rechte Evangelisten sein und treu und fest bleiben läßt gegen den Teufel, die Welt und ihr eigenes Fleisch.«462 So wenig Luther also einen »character indelebilis« kennt, der durch die Weihe dem Pnester übertragen werden soU, so sehr ist er doch der Überzeugung, daß dem Ordinanden die VoUmacht und die Kraft für die Ausübung seines Amtes übertragen werden. Insofern ist die Ordination die effektive Übertragung des geistlichen Amtes. 10. Aus der Auffassung über das geisdiche Amt ergibt sich für Luther, daß die Ordination nicht wiederholbar ist.

43(1 m 460 461 442

WA 51,517,5-13. Siehe LIEBERC, ebd, 182. Hierzu siehe die ausführliche Untersuchung bei LIEBERG, o p . c i t , 168—234. cf. H LIEBERG, op.cit., 196f. LIEBERG, op.cit., 200f.

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d) Das Bischofsamt 463 Luthers Auffassung vom Bischofsamt kann knapp gewürdigt werden, da das Bischofsamt für Luther lediglich einen Sonderfall des geisdichen Amtes darsteUt. Was Luther betnfft, so ist wichtig, daß er bei aller Kritik am Papstamt, die er sowohl vom Neuen Testament als auch von der kirchengeschichtlichen Entwicklung her übte, das Bischofsamt niemals grundsätzlich in Frage gesteUt hat. Der Grund dafür besteht darin, daß im Neuen Testament an verschiedenen SteUen deutlich vom Bischofsamt gesprochen wird. Die neutestamentlichen Aussagen sind zugleich die Grundlage für Luthers eigene Auffassung vom Bischofsamt, wie Luther sie hauptsächlich in der Schrift »Exempel, einen rechten chrisdichen Bischof zu weihen« (1542) entfaltet hat. 464 Aus den Aussagen 1. Timotheusbrief 3 Ven 2 und Titusbnef 1 Vers 7 und 9 ergibt sich nach Luther, »das ein Bischoff sol heilig sein, Predigen, Teuffen, binden und lösen die Sünde, trösten und helffen den Seelen zum ewigen Leben.« 463 Die Aufgaben des Bischofs sind also im wesentlichen die gleichen wie die des Pfaners. Luther lenkt damit zurück zu der Praxis der frühen Kirche, für die das Bischofsamt gemeindebezogen und grundsätzlich mit dem Pfarramt identisch war. Eine Besonderheit besteht lediglich insofern, als der Bischof auch die Pfarrer beaufsichtigen soU. Daraus ergibt sich allerdings nicht eine eigene Jurisdiktionsgewalt des Bischofs. Luther wirft der römischen Kirche vor, daß sie solche Bischöfe nicht hat; vielmehr sei das Bischofsamt in ihr bis zur Unkenntlichkeit entsteUt. Dabei ist Luther zu gewissen Konzessionen bereit. Zwar hält er es an sich für notwendig, daß der Bischof auch die Aufgabe der Predigt wahrnimmt. Doch will er es mit tragen, falls die Bischöfe geeignete andere Personen mit der Predigtaufgabe betrauen, wie einst auch Bischof Valenus dem jungen Pnester Augustin das Predigen überlassen habe. Luther betont, daß er auch nicht die Absicht habe, die Domstifte aufzuheben, sondern sie zu reformieren und zu rechter Amtsführung anzuhalten. Daß die evangelischen Landeshenen angesichts der ReformunwiUigkeit der katholischen Bischöfe weithin die vakant gewordenen Bistümer übernahmen und in der reformatorisch umgestalteten Kirche als »Summus episcopus« fungierten, steUte für Luther durchaus eine Notlösung dar, wie denn Luther auch den Begriff »Notbischof« hierfür gebildet hat. 466 Die Versuche, bei frei gewordenen Bischofs463 Außer der oben genannten Literatur siehe Bernhard LOHSE, Die Stellung zum Bischofsamt in der Concessio Augustana, in: EVANGELIUM - Sakramente - Amt und die Einheit der Kirche, hg. von Karl LEHMANN und Edmund SCHLINK, in: Dialog der Kirchen 2, Freiburg/ Göttingen 1982, 80-108. 464 WA 53, (219) 231-260; hierzu siehe die kurze Würdigung bei Martin BRECHT, in: Martin LUTHER und das Bischofsamt, 1990, 141-143. 463 WA 53,253,6-8. 4 " Siehe WA 53,255,5-8 «Müssen doch unsere weltliche Herrschafften jtzt Not Bischove sein und uns Pfarherr und Prediger (Nach dem der Bapst und sein R o t t e nicht dazu, sondern da wider thut) schützen und helffen, das wir predigen, Kirchen und Schulen dienen können.« Ebd 2 5 6 , 1 - 3 »Denn sie [die Landcsfürsten] haben solchs gethan und wol thun müssen als Patronen des Stiffts, die

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sitzen e i n e n evangelischen T h e o l o g e n als n e u e n Bischof einzusetzen, w i e Luther sie b e s o n d e r s in N a u m b u r g u n d M e r s e b u r g u n t e r n o m m e n hat, 4 6 7 zeigen, daß L u ther bestrebt w a r , zu einer e i g e n e n Gestaltung des evangelischen Bischofsamtes zu g e l a n g e n u n d die N o t l ö s u n g der fürstlichen HUfe nicht zur D a u e r e i n r i c h t u n g w e r d e n zu lassen. D i e s e V e r s u c h e sind d a m a l s j e d o c h angesichts d e r V e r q u i c k u n g v o n politischen u n d konfessioneUen Fragen gescheitert.

12) Die Taufe Lit.: Reinhold SEEBERC, Lehrbuch der Dogmcngeschichte, Bd. IV,1, (1933) 5. Aufl. D a n n stadt 1953, 377-396. Werner JETTER, Die Taufe beimjungen Luther. Eine Untersuchung über das Werden der reformatorischen Sakraments- und Taufanschauung, in: BHTh 18, Tübingen 1954. Karl BRINKEL, Die Lehre Luthers von der fides mfantium bei der Kindertaufe, in: ThA 7, Berlin 1958; dazu Paul ALTHAUS, in: ThLZ 84, 1959, 866-869. Paul ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, (1962) 6. Aufl. Gütersloh 1983, 303-317. John S. OYER, Lutheran Reformers against Anabaptists: Luther, Melanchthon, Menius and the Anabaptists of central Germany, T h e Hague 1964. EberhardJÜNCEL, Das Sakrament - was ist das? in: EvTh 26, 1966, 320—336. Lorenz GRÖNVIK, Die Taufe in der Theologie Martin Luthers, in: AAAbo A 3 6 / 1 , Abo/Göttingen/Zünch 1968. Franz LAU, Luther und Balthasar Hubmaier, in: HUMANITAS - Christianitas. FS Walther von LOEWENICH, hg. von Karlmann BEYSCHLAC, Gottfned MARON und Eberhard WÖLFEL, Witten 1968, 63-73. Martin FEREL, Gepredigte Taufe. Eine homiletische Untersuchung zur Taufpredigt bei Luther, in: H U T h 10, Tübingen 1969. Horst KASTEN, Taufe und Rechtfertigung bei Thomas von Aquin und Martin Luther, in: FGLP 10, XLI, München 1970. Gottfried SEEBASS, Die Vorgeschichte von Luthers Verwerfung der Konditionaltaufe nach einem bisher unbekannten Schreiben Andreas Oslanders an Georg Spalatin vom 26. Juni 1531, in: A R G 62, 1971, 193-206. Karl-Heinz zur MÜHLEN, Zur Rezeption der Augustinischen Sakramcntsformel »Accedit verbum ad elementum, et fit sacramentum« in der Theologie Luthers, in: ZThK 70, 1973, 50-76. Chnstof WINDHORST, Täufensches Taufverständnis: Balthasar Hubmaiers Lehre zwischen traditioneller und reformatonscher Theologie, in: S M R T 16, Leiden 1976. Wolfgang SCHWAB, Entwicklung und Gestalt der Sakramententheologie bei Martin Luther, in: EHS.T Reihe XXIII, 79, Frankfurt/ Bern 1977, 303-364. Ursula STOCK, Die Bedeutung der Sakramente in Luthers Semionen von 1519, in: S H C T 27, Leiden 1982. KarlHeinz zur MÜHLEN, Luthers Tauflehre und seine Stellung zu den Täufern, in: LEBEN und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, hg. von Helmar JUNCHANS, Göttingen 1983, Bd. 1, 119-138; B d . 2 , 765-770. Albrecht PETERS, Kommentar zu Luthers Katechismen, Band 4: Die Taufe. Das Abendmahl, Göttingen 1993.

Kirchen des Stiffts bey dem heiligen Euangelio und erkandten Warheit zu erhalten, als rechte Not Bischove in solchem fall.« Siehe Karl HOLL. Luther und das landesherrliche Kirchenregiment, in: (Holl) Gesammelte Aufsätze zur Kirchengeschichte. Bd. 1. 7. Aufl. Tübingen 1948, 326-380. Hans-Walter KRUMWIEDE, Zur Entstehung des landesherrlichen Kirchenregiments in Kursachsen und Braunschweig-Wolfenbüttel, in: SKGNS 16, Göttingen 1967. 4 " Siehe die Untersuchungen von I Höss und H.-U. DELIUS, aaO.

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a) Der Ansatz von Luthers Tauftheologie Die Ausbildung einer neuen, reformatorischen Tauftheologie hing bei Luther auf das engste zusammen mit seiner gesamten theologischen Entwicklung besonders in der Zeit der ersten Psalmen- und der Römerbriefvorlesung. 468 Die Konzentration auf Fragen wie Gericht und Evangelium, Gerechtigkeit und Glaube oder göttliche Verheißung und menschliche Zuversicht führte auch bei der Behandlung der Sakramente zu einem neuen Ansatz und zu wichtigen Konsequenzen: der maßgebliche Skopus, unter dem Luther die Taufe behandelte, wurde der Taufgebrauch. Anders gesagt, die Relation zwischen Taufe und Leben unter dem Gesichtspunkt der Annahme des göttlichen Urteils, wie es in der Taufe zugesprochen wird, trat in den Vordergrund. 469 Da Luther das Wesen der Sünde radikaler verstand als die Theologie der Spätscholastik, konnte Luther nicht mehr die Ansicht teden, die Taufe tilge die Erbsünde, von der nur ein »Zunder« (fomes) übrigbleibe, gegen dessen Verlockungen der Getaufte sich grundsätzlich erfolgreich behaupten könne. Vielmehr verstand Luther die Taufe total: »Sie [die Christen] sind getauft >in den Tod«, d.h. auf diesen Tod hin, d.h. sie haben erst begonnen, sich darum zu bemühen, daß sie diesen Tod erlangen und dieses ihr Ziel erreichen. So wie sie, mögen sie auch auf das ewige Leben und das Himmelreich hin getauft werden, es doch nicht gleich in seiner FüUe besitzen, sondern sie haben angefangen, sich dämm zu bemühen, daß sie dorthin gelangen — die Taufe ist nändich dazu eingesetzt, daß sie uns zu diesem Tod und durch ihn hindurch zum Leben führe.« 470 Dieser Satz enthält im Grunde schon die Quintessenz von Luthers späterer Tauftheologie, deren wichtigstes Merkmal eben die Relation von Taufe und Leben im Zeichen des Glaubens ist. Luther wurde dann seit dem Beginn des Rom-Konfliktes jeweils durch verschiedene Anlässe dazu gebracht, sich näher mit Fragen der Taufe und ihres rechten Verständnisses zu befassen. Die Kontroverse über den Ablaß und die Buße gab den Anlaß zur Abfassung der verschiedenen Sakramentssermone 1519/1520, wobei der Taufsennon die erste eigene Abhandlung Luthers zur Taufe ist.471 Die Wittenberger Unruhen in der Zeit von Herbst 1521/Frühjahr 1522 berührten die Frage der Sakramente überhaupt, wobei allerdings mehr das Abendmahl als die Taufe kontrovers war. 472 Die Frage der Taufe wurde jedoch zentral, als sich in Zürich in der Zeit von 1524/1525 die Täuferbewegung mit ihrer Verwerfung der Kindertaufe und ihrem Eintreten für die »Glaubenstaufe«, also die Erwachsenentaufe, entwickelte. Fortan hat Luther stärker betont, daß die Taufe nicht auf

"* Siehe oben 68-71 und 91-93. 4 " Dies ist vor allem von W . JETTLR, op.cit., passim, herausgearbeitet worden. 473 W A 56,324,17-22 (Sch.R.6,4). 4 " «Ein Sermon von dem heiligen hochwürdigen Sakrament der Taufe« (1519); W A 2,727-737. 471 Siehe vor allem Luthers Schrift »Sermon von dem Sakrament des Leibes und Blutes Christi wider die Schwarmgeister« 1526; W A 19,482-523.

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den Glauben des Täuflings hin, sondern auf Grund der Stiftung und Anordnung Gottes erfolgt. Neben diesen Akzentverlagerungen innerhalb der reformatorischen Neubesinnung auf das Wesen der Taufe müssen ferner auch bestimmte terminologische Änderungen in der Sakramentslehre im allgemeinen sowie bei der Taufe im besonderen beachtet werden. Augustin hatte einst die benähmt gewordene Formel geprägt: »Accedit uerbum ad elementum, et fit sacramentum, etiam ipsum tamquam uisibile uerbum« (Das Wort tritt zum Element hinzu, und es entsteht ein Sakrament, gleichsam ein sichtbares Wort). 4 7 3 In der Scholastik hatte man unter dem Einfluß der anstotelischen Phdosophie statt von »Element« und »Wort« von »materia« und »forma« gesprochen. Luther ist hier schon früh zu dem augustinischen Sprachgebrauch zurückgekehrt. Dann kommt zum Ausdruck, daß er die Lehre von den Sakramenten exegetisch entfaltet und dabei auch Begriffe vermeidet, die keinen Grund im neutestamentlichen Sprachgebrauch haben. Folgende Punkte sind dabei besonders wichtig: 1) Luther geht kaum auf eine allgemeine Lehre von den Sakramenten ein, um dann etwa die Deutung der einzelnen Sakramente abzuleiten; vielmehr entfaltet er die Auffassung von den Sakramenten je unter Rückgriff auf das Neue Testament. 2) Zeitweilig, nämlich 1519/1520, hat Luther zwar noch eine ganz eigene D e finition für »Sakrament« verwendet, nämlich unter den Begriffen »Zeichen, Bedeutung und Glaube«. 474 Seit 1520 hat Luther eine solche Definition nicht mehr gegeben, allerdings an dem Neben- und Miteinander von Wort und Sakrament festgehalten. 3) Seit 1520 hat Luther in seinen Aussagen über Taufe und Abendmahl sowie bei der Behandlung anderer von der damaligen Kirche gelehrten Sakramente die Doppelheit von »Verheißung« (promissio) und »Glaube« (fides) in den Vordergrund genickt. 4) Auf Grund der Bestreitung der Kindertaufe durch die Täufer und wegen der verschiedenen symbolischen Deutungen der Abendmahlselemente bei Karlstadt, Zwingli und anderen hat Luther die Einsetzung oder Stiftung der Sakramente Taufe und Abendmaid hervorgehoben. Die Akzentuierung des Glaubens blieb dabei durchaus gewahrt; sie trat nicht in Konkurrenz zu dem Stiftungscharakter von Taufe und Abendmahl. 5) Was die Terminologie sacramentum/Sakrament angeht, so muß beachtet werden, daß Luther nebeneinander einen engeren und einen weiteren Sprachgebrauch hat. Sacramentum/Sakrament kann von ihm, vor allem in der Frühzeit, gleichbedeutend mit signum/Zeichen verwendet werden. Daneben kann Sacra473

Augustin, Tract in Joh. L X X X . 3 ; CCSL 36, 529,5—7. Zu Luthers Rezeption dieser Formel siehe K.-H. zur MÜHLEN, Z T h K 70, 1973, 50-76. Zur Mühlen zeigt, daß Luther durch sein neues W o n - und Glaubensverständnis dieser Formel teilweise einen neuen Sinn gibt (ebd 56 f.). 474 Siehe oben 144-150.

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mentum/Sakrament auchjeweUs die gesamte Handlung von Taufe oder Abendmahl ausdrücken. 473 Mit diesem doppelten Sprachgebrauch folgt Luther Augustin. 476 6) Wenn Luther zuweilen das Wort »Zeichen« gebraucht, so darf dies - besonders in der Abendmahlslehre - nicht im Sinne Zwinglis gedeutet werden. Eine nur »symbolische« Auffassung ist damit bei Luther niemals beabsichtigt. Luther hat also seinen refomiatonschen Neuansatz in der Sakramentslehre im Laufe der verschiedenen Phasen seines Wirkens und Denkens konsequent beibehalten. Aber er hat dabei bestimmte Voraussetzungen, die auch in der Frühzeit von ihm gemacht wurden, in der Auseinandersetzung mit »Schwännern« und Täufern nach und nach reflektiert und insofern seine Betonung von Verheißung und Glaube gegen mögliche Mißverständnisse abgesichert. b) Einsetzung und Wesen der Taufe In der Spätphase, also seit der Auseinandersetzung mit den Täufern, hat Luther mit großem Nachdruck die göttliche Einsetzung der Taufe betont. So beginnt er im Großen Katechismus die Ausführungen über die Sakramente damit, daß er betont, sie seien »von Christo eingesetzt, davon auch ein iglicher Christ zum wenigsten ein gemeinen kurzen Untemcht haben soU, weil ohn dieselbigen kein Christen sein kann, wiewohl man leider bisher nichts darvon gelehret hat.« 477 Für die Einsetzung der Taufe durch Christus beruft Luther sich vor allem auf Matthäus 28 Vers 19: »Gehet hin in alle Welt, lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des HeUigen Geistes;« aber auch das Wort am Schluß des Markusevangeliums (16 Vers 16) ist für ihn Beleg: »Wer da glaubt und getauft wird, der wird selig werden; wer aber nicht glaubt, der wird verdammt werden.« Hierzu sagt Luther: »In diesen Worten soUt Du zum ersten merken, daß hie stehet Gottes Gebot und Einsetzung, des [— woran] man nicht zweifele, die Taufe sei ein göttlich Ding, nicht von Menschen erdacht noch erfunden. Denn so wohl als ich sagen kann, die zehen Gebot, Glauben und Vaterunser hat kein Mensch aus seinem Kopf gespunnen [= ersonnen], sondern sind von Gott selbs offenbaret und gegeben, so kann ich auch rühmen, daß die Taufe kein Menschentand sei, sondern von Gott selbs eingesetzt, darzu ernstlich und streng geboten,

475 476

Siehe hierzu W SCHWAB, op.cit., 320f cf. Ekkehard MÜHLENBERG, in: H d B D T h G , hg. Carl ANDRESEN, Bd 1, Göttingen 1982, 4 2 0 -

424. 477 BSLK 691,5—11. Zu Luthers Kritik an der früher fehlenden Behandlung der Einsetzung der Taufe siehe BSLK 554 Anm.8: »Vgl Mathesius, Luthers Leben in Predigten, 129,13-16: >Auf der Kanzel kann ich mich nicht erinnern, daß ich in meiner Jugend, der ich doch bis in 25. Jahr meines Alters 815299 im Bapsttumb leider bin gefangen gelegen, die zehen Gebot, Symbolum, Vaterunser oder Taufe gehöret hätte. In Schulen läse man in der Fasten von der Beicht und einerlei Gestalt« (des Abendmahls].« Als historisches Urteil über die Sakramentslehre der Scholastik ist Luthers Aussage freilich entschieden zu hart

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daß wir uns müssen taufen lassen oder soUen nicht selig werden.« 478 Die Tatsache, daß die Taufe von Christus eingesetzt ist, schließt ein, daß die neutestamentlichen Aussagen über die Taufe und ihre Bedeutung sorgfältig ausgelegt und beachtet werden müssen. Was das Wesen der Taufe betrifft, so hat Luther im Kleinen Katechismus die knappe Definition gegeben: »Die Taufe ist nicht allein schlecht [= bloßes] Wasser, sondern sie ist das Wasser, in Gottes Gebot gefasset und mit Gottes Wort verbunden.« 479 Ähnlich heißt es im Großen Katechismus: Die Taufe ist »ein Wasser, in Gottes Wort und Gepot gefasset und dadurch geheUigt, daß nicht anders ist denn ein Gotteswasser, nicht daß das Wasser an ihm selbs edler sei denn ander Wasser, sondern daß Gottes Wort und Gepot dazu kömmpt.« 480 Gegen diejenigen, welche die Taufe gering achten, sagt Luther, daß man die Taufe nicht nach der äußeren »Larve« ansehen dürfe, sondern darauf achten müsse, »wie Gottes Wort darein geschlossen ist.« 48 ' Hinsichtlich des Nutzens der Taufe äußert Luther sich in engem Anschluß an die von ihm genannten Schriftbelege für die Einsetzung der Taufe, zieht aber auch andere Texte des Neuen Testaments heran. Wie Luther in beiden Katechismen, aber auch an unzähligen anderen SteUen ausführt, besteht der Nutzen der Taufe einmal in der Tötung des alten Menschen, sodann in der Auferstehung des neuen Menschen. Im Großen Katechismus sagt er: »Diese zwei Stück, unter das Wasser sinken und wieder erauskommen, deutet die Kraft und Werk der Taufe, welchs nichts anders ist denn die Tötung des alten Adams, darnach die Auferstehung des neuen Menschens, welche beide unser Leben lang in uns gehen [= vor sich gehen] soUen, also daß ein christlich Leben nichts anders ist denn eine tägliche Taufe, einmal angefangen und immer dann gegangen.« 482 In der Frülizeit hatte Luther den Begriff des Bundes verwendet, um den besonderen Charakter der göttlichen Verheißung, wie sie in der Taufe zuteil wird, zu verdeutlichen. 483 Später tritt dieser Begriff bei Luther in seinen Taufaussagen zurück. Statt dessen hält Luther sich stärker im Rahmen der Begriffe, wie sie sich im Taufbefehl sowie besonders in den Ausführungen des Paulus im Römerbrief cap. 6 finden, ohne daß deswegen sachlich die BundesvorsteUung von Luther aufgegeben worden wäre. So sehr Luther also einerseits die Einmaligkeit und Unwiederholbarkeit der Taufe hervorhebt, so sehr betont er andererseits den lebenslangen »Taufbrauch« oder den realen VoUzug dessen, was in der Taufe gleichnishaft geschehen ist. Hier zeigt sich, daß Luther seine Tauftheologie in enger Verbindung mit seiner Recht-

478

BSLK 691,22-692,9. ' BSLK 515,25-27 480 BSLK 693,33-39. 481 BSLK 694,40-42 482 BSLK 704,27-35. 481 WA 2,730,18-22; 732,9-16. cf. U. STOCK, op.cit., passim. 47

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fertigungslehre sowie mit seiner Auffassung über den Christen als »simul peccator et iustus« entfaltet. Es ist kein Zweifel, daß Luther hier gegenüber Paulus eine eigene Akzentsetzung vornimmt. Für Paulus ist, wie aus Römer 6 Vers 4 deutlich wird, das Sterben und Auferstehen ein bereits geschehener Vorgang: »Wir sind mit ihm [Christus] durch die Taufe begraben in den Tod, damit, wie Christus von den Toten auferweckt ist durch die Henhchkeit des Vaters, so auch wir in der Neuheit des Lebens wandeln.« Für Paulus ist also der alte Mensch in der Taufe bereits getötet, der neue ist schon auferstanden. Was bei Paulus ein Geschehen ist, das an sich schon vollendet ist, zu dem sich der Christ allerdings immer neu bekennen soU, das ist von Luther mit HUfe seiner Erwägungen über die Bedeutung der Taufe als etwas immer neu zu VoUziehendes hingesteUt worden: der alte Adam »soU« ersäuft werden. Bei Luther tritt also der paulinische Gedanke, daß der Mensch durch die Taufe mit Christus bereits den Tod gestorben ist, zurück. Anders gesagt, Paulus betont stärker den »Indikativ«, also das Geschehen-Sein, Luther hingegen den »Imperativ«, den Gebrauch der Taufe. 484 Allerdings muß man, um diesen Unterschied zu werten, die jeweilige Situation von Paulus und Luther mit berücksichtigen: Paulus spricht zu jungen Christen, welche die entscheidende Wende ihres Lebens eben erfahren haben, Luther redet zu einer träge gewordenen Christenheit. c) Die Kindertaufe Die Kindertaufe war bis zur Reformationszeit praktisch die einzige Form, in der die Taufe gespendet wurde. Wie auch immer die Taufpraxis in der Anfangszeit der Kirche gewesen sein mag, ob also neben der Erwachsenentaufe bei Neubekehrten auch die Kleinkindtaufe schon in der Frühzeit gespendet worden ist oder nicht: sowohl die kirchliche Praxis als auch die theologische Reflexion setzte die Kindertaufe als fraglos gültig voraus. Maßgebend waren dabei die Einsetzung der Taufe durch Chnstus, die Auffassung von dem »durch sich selbst wirksamen Sakrament« (»ex opere operato«) sowie die lange und aufs ganze gesehen unbestrittene Tradition der Kindertaufpraxis. Der in der alten Kirche zeitwedig gewünschte Taufaufschub hatte seine Ursache gehabt in der Unsicherheit hinsichtlich der Vergebungsmöglichkeit für schwere Sünden, die nach der Taufe begangen werden; von wenigen Ausnahmen abgesehen, hatte sich die Kirche gegen einen Taufaufschub gewandt. In der Reformation ergab sich hier eine vöUig neue Situation. Mit seiner Betonung der engen Korrelation von Taufe und Glaube setzte Luther gegenüber der traditioneUen Tauftheologie einen neuen Akzent, obwohl er diese im ganzen nicht angriff. Allerdings hatte Luther bei dieser neuen Akzentsetzung nicht sagen wollen, daß der Glaube die Voraussetzung der Taufe sei, vielmehr, daß der Glaube Siehe P ALTHAUS, op.cit., 306f.

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der allein richtige Gebrauch der Taufe sei. 485 Immerhin hat auch Luther gelegentlich gesagt, daß man kein Kind ohne Glauben taufen soUe.486 Allerdings hat Luther weder damals noch später die Folgerung gezogen, daß man die Kindertaufe ablehnen dürfe oder könne. Im Gegenteil, das Recht der Kindertaufe stand ihm fraglos fest. Trotzdem gUt auch im Blick auf Luther, daß in der Zeit von 1523 das Problem von Taufe und Glaube oder von Glaube und Taufe gleichsam in der Luft lag. Tatsächlich ging die in Zürich in der Zeit von 1523 bis 1525 aufkommende Täuferbewegung aus dem innersten Kern der dortigen reformatorischen Kreise hervor. FreUich stellte sich nur zu bald heraus, daß mit dem Problem der Kinderoder der Erwachsenentaufe zahlreiche weitere Fragen verbunden waren. Das wichtigste Problem war zwar die Frage, ob die Kindertaufpraxis, die im Neuen Testament nicht direkt bezeugt ist, beibehalten werden kann, ob also in der Kirche nur solche Riten gefeiert werden dürfen, die durch das Neue Testament belegt sind, oder ob lediglich jene Riten geändert werden müssen, welche neutestamentlichen Aussagen widersprechen. Jene Position wurde von den Täufern vertreten, diese von Luther, im ganzen aber auch von Zwingli und den Reformierten. Verbunden mit diesem Problem war aber auch die weitere Frage, ob die Kirche überhaupt als FreiwiUigen-Gemeinde organisiert werden soUe und damit die enge Bindung an den Staat aufgegeben werden müsse. Luther hat verschiedene Gründe zugunsten der Kindertaufe geltend gemacht. 1) Luther verweist auf die Tradition der gesamten Kirche. Die Kindertaufe sei seit den Anfängen geübt worden. Luther hat zuweilen durchaus zugegeben, daß die Kindertaufe im Neuen Testament nicht direkt bezeugt und auch nicht geboten ist. Entsprechend seiner im ganzen konservativen Haltung ließ er jedoch solche Traditionen gelten, die nicht in direktem Widerspruch zur Schrift stehen. Zudem meinte Luther, daß Gott eine unrechte Sache nicht so lange hätte in Geltung stehen lassen. 2) Luther hat daraufhingewiesen, daß viele, die als Kinder getauft worden sind, sich später als Christen bewährt haben, so daß man offenbar schließen muß: sie haben den Hl. Geist gehabt. Im Großen Katechismus heißt es hierzu: »Daß die Kindertaufe Christo gefalle, beweiset sich gnugsam aus seinem eigenen Werk, nämlich daß Gott deren viel hedig machet und den heiligen Geist gegeben hat, die also getauft sind, und heutigs Tags noch viel sind, an denen man spüret, daß sie den heiligen Geist haben, beide der Lehre und [des] Lebens halben.« 487 3) Gegen die täufensche Position verweist Luther darauf, daß es, falls die Täufer

485

Hieraufhat mit Recht W SCHWAB, op.cit., 317, hingewiesen. " ' Siehe W A 1 1 , 4 5 2 , 2 9 - 3 3 (Von Anbeten des Sakraments 1523) »Da hab ich gesagt, Es were besser, gar überall keyn kind teuffen denn on glawben teuffen, Syntcmal daselbs das sacrament und gottis heyliger name vergebens wirtt gebraucht, wilchs myr eyn grosses ist. Denn die sacrament sollen und künden on glawben nicht empfangen werden odder werden tzu grosserm schaden empfangen.« 487 BSLK 7 0 0 , 3 9 - 4 6 .

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recht hätten, über tausend Jahre keine Christenheit gegeben hätte, weU es ja keine gültige Taufe gegeben hätte. Eine solche Behauptung würde jedoch dem dritten Glaubensartikel widersprechen, in dem es heißt: »Ich glaube eine hedige christliche Kirche.« Die Täufer brechen also nach Luther mit der gesamten Tradition der Kirche. Hierzu sagt Luther: »Man sol nichts umbstossen odder endern . . . Gott ist wunderlich ynn seinen wercken, Was er nicht haben wil, da zeuget er genugsam von ynn der schnfft, was er daselbs nicht zeuget, das las man gehen als sein werck, wir sind entschuldiget; Er wird uns nicht verfuren.« 488 4) Obwohl Luther zugibt, daß im Neuen Testament die Kindertaufe nicht direkt bezeugt ist, gibt es nach seiner Meinung doch SteUen, welche die Kindertaufe nahelegen. Dies gilt von der Perikope über die Kindersegnung (Markus 10 Vers 13—16), sowie von dem Wort »Verachtet nicht einen dieser Kleinen« (Matthäus 18 Vers 10) und schließlich ganz besonders von dem Taufbefehl (Matthäus 28 Vers 19). 5) Ein spezieUes Problem ist die Frage des Kinderglaubens (»fides infantium«). Luther hat sich hierzu verschieden geäußert. In den frühen Jahren vor der Kontroverse über die Kindertaufe hat er gesagt, daß die Kinder auf den steUvertretenden Glauben der Paten getauft werden. 489 1522 sagte Luther jedoch, daß niemand durch den Glauben eines anderen selig werden könne, sondern allein durch seinen eigenen. 490 Daraus zog Luther allerdings die problematische Folgerung, daß die unmündigen Kinder bei ihrer Taufe glauben oder doch der Glaube ihnen bei der Taufe eingegossen werde. Luther hat jedoch das Recht der Kindertaufe nicht mit dieser problematischen These begründet. W o es um Recht oder Unrecht der Kindertaufe geht, hat Luther letztlich immer von der göttlichen Einsetzung der Taufe her argumentiert. Dabei hat Luther sich von der traditioneUen Ansicht abgesetzt, die Kinder würden auf den Glauben der Kirche getauft. 1525 sagt Luther: »Also sagen wyr auch hie, das die kinder nicht werden ym glauben der paten odder der kirchen getauffet. Sondern der paten und der Christenheyt glaube bittet und erwirbet yhnen den eygen glauben, ynn wUchem sie getaufft werden und für sich selbs gleuben.« In späteren Jahren hat Luther sich etwas zurückhaltender geäußert und mit der Möglichkeit gerechnet, daß der Glaube erst später eintritt, also bei der Kindertaufe noch nicht da ist. Im »Großen Katechismus« von 1529 heißt es: »Also tuen wir nu auch mit der Kindertaufe; das Kind tragen wir erzu der Meinung und Hoffnung, daß es glaube, und bitten, daß ihm Gott den Glauben gebe, aber darauf taufen wir's nicht, sondern allein darauf, daß Gott befohlen hat. Warümb das? Darumb, daß wir wissen, daß Gott nicht leugt, ich und mein Nähister und Summa

WA 26,167,11-16 (Von der Wiedertaufe an zwei Pfarrherrn 1528) Siehe WA 7,321,15-18 (Grund und Ursach aller Artikel 1521). WA 10 111,304-312 (Predigt 1522), besonders 3 1 0 , 1 5 - 1 8 . WA 17 11,83,9-12 (Fastenposnlle 1525).

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alle M e n s c h e n m ü g e n feden u n d t n e g e n , aber Gottes W o r t k a n n nicht feden.« 4 9 2 L u t h e r stellt sogar d e n G r u n d s a t z auf: » W e n n das W o r t bei d e m Wasser ist, so ist die Taufe recht, o b s c h ö n d e r Glaube nicht dazu k ö m m p t ; d e n n m e i n Glaube m a c h e t nicht die T a u f e , s o n d e r n empfähet die Taufe. N u w i r d die Taufe d a v o n nicht u n r e c h t , o b sie gleich nicht recht empfangen oder g e b r a u c h t wird«. 4 9 3 T r o t z d e m gibt es auch bei d e m alten Luther Belege dafür, daß er an seiner Auffassung v o n d e r »fides infantium« festgehalten hat. Für die B e u r t e d u n g v o n Luthers H a l t u n g zur Kindertaufe sind w e i t e r w i c h t i g die K r i t i k e n , w e l c h e er d e n Täufern entgegengebracht hat. Das wichtigste A r g u m e n t lautet: w e n n m a n die Taufe v o m G l a u b e n abhängig m a c h t , w i r d m a n k a u m jemals zur G e w i ß h e i t k o m m e n , o b m a n e i n e n h i n r e i c h e n d e n G l a u b e n hat u n d o b demzufolge die Taufe auch recht g e w e s e n ist. W e i t e r hält L u t h e r d e n T ä u f e r n W e r k g e r e c h t i g k e i t oder gar A b g ö t t e r e i v o r , da d e r Täufling g e z w u n g e n w e r d e , d e n G l a u b e n gewissermaßen in sich selbst h e r v o r z u b r i n gen, u m auf diese Leistung h i n getauft zu w e r d e n . Schließlich w a r n t L u t h e r , gerade auf G r u n d seiner e i g e n e n Anfechtungserfahrungen, v o r der steten Selbstreflexion. Statt dessen weist die Taufe d a r a u f h i n , daß das HeU allein v o n G o t t k o m m t .

13) Das Abendmahl Lit.: Walther KÖHLER, Zwingli und Luther. Ihr Streit über das Abendmahl nach seinen politischen und religiösen Beziehungen, Bd. 1, in: Q F R G 6, Leipzig 1924; Bd.2, in: Q F R G 7, Gütersloh 1953. Hans GRASS, Die Abendmahlslehrc bei Luther und Calvin, in: B F C h T h II, 47, (1940) 2. Aufl. Gütersloh 1954. Vilmos VAJTA, Die Theologie des Gottesdienstes bei Luther, in: FKDG 1, (1952) 3. Aufl. Göttingen 1958. Hermann SASSE, This IS My Body. Luther's Contention for the Real Presence in the Sacrament of the Altar, Minncapolis 1959. Albrecht PETERS, Realpräsenz. Luthers Zeugnis von Chnsti Gegenwart im Abendmahl, in: AGTL 5, (1960) 2. Aufl. Berlin 1966. Paul ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, (1962), 6. Aufl. Gütersloh 1983,318-338. Susi HAUSAMMANN, Realpräsenz in Luthers Abendmahlslehrc, in: STUDIEN zur Geschichte und Theologie der Reformation. FS Ernst BIZER, hg. von Luise ABRAMOWSKI und J.F. Gerhard GOETERS, Neukirchen-Vluyn 1969, 157-173. Carl Fr. WISLÖFF, Abendmahl und Messe. Die Kntik Luthers am Meßopfer, in: AGTL 22, Berlin/Hamburg 1969. Hartmut HILCENFELD, Mittelalterlich-traditionelle Elemente in Luthers Abendmahlsschnften, in: SDGSTh 29, Zünch 1971. Fndo MANN, Das Abendmahl beimjungen Luther, in: B O T 5, München 1971. Gottfned HOFFMANN, Sententiae Patrum. Das patnstische Argument in der Abendmahlskontroverse zwischen Ockolampad, Zwingli, Luther und Melanchthon, Diss.theol. Heidelberg 1972. Wolfgang SCHWAB, Entwicklung und Gestalt der Sakramententheologie bei Martin Luther, in: EHS. T Reihe XXIII, 79, Frankfurt/Bern 1977. Eberhard GRÖTZINCER, Luther und Zwingli. Die Kritik an der mittelalterlichen Lehre von der Messe als Wurzel des Abendmahlsstreites,

4,2 4,5

BSLK 702,44-703,3. BSLK 701,39^15 (ebd)

Das Abendmahl

325

Zürich/ Köln/ Gütersloh 1980. Bernhard LOHSE, Dogma und Bekenntnis in der Reformation: Von Luther bis zum Konkordienbuch, in: HdBDThG, hg. von Carl ANDRESEN, Bd. 2, Göttingen 1980, 46-64. Ulnch KÜHN, Luthers Zeugnis vom Abendmahl in Unterweisung, Vcnnahnung und Beratung, in: LEBEN und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, hg. von HelmarJUNCHANS, Berlin/Göttingen 1983, Bd. 1, 139-152; Bd. 2, 771-775. Tom G.A. HARDT, Venerabilis et Adorabilis Eucharistia. Eine Studie über die Lutherische Abendmahlslehre, in: FKDG 42, Göttingen 1988. Albrecht PETERS, Kommentar zu Luthers Katechismen. Bd. 4: Die Taufe. Das Abendmahl, Göttingen 1993. a) Einsetzungsworte und Realpräsenz Die DarsteUung der verschiedenen Phasen von Luthers Entfaltung der Sakramentslehre im ganzen sowie von seiner Abendmaldslehre im besonderen 494 hat deutlich gemacht, in welch starkem Maße sich die Akzente bei Luther geändert haben. Hatte Luther in der Zeit von 1519/1520, aufbauend auf Augustins Sakramentslehre, mit seiner Unterscheidung von Zeichen, Bedeutung und Glaube eine ganz eigenständige Definition von Sakrament gegeben, so waren seit 1520 beim Abendmahl die Einsetzungsworte und bei der Taufe die Stiftung in den Vordergrund getreten. Seit 1523 und besonders während der Auseinandersetzung mit Zwingli hatte Luther dann die Realpräsenz von Leib und Blut Christi in den Abendmahlselementen hervorgehoben. Angesichts dieser Veränderungen steUt sich im Blick auf Luthers Abendmahlslehre ganz besonders die Frage nach der Kontinuität seiner Auffassung. FreUich muß hier vor einem schneUen UrteU gewarnt werden. Die Tatsache, daß bestimmte Lehrartikel wie vor allem die Trinitätslehre, aber auch manche Grunddaten der Ekklesiologie nachweislich für Luther eine fundamentale Bedeutung gehabt haben, die bei oberflächlicher Betrachtung leicht übersehen wird, soUte davor warnen, in der Realpräsenz eine Auffassung zu erblicken, die von Luther lediglich deswegen stärker hervorgehoben wurde, wed sie von anderen bestritten wurde. Vielmehr dürfte es eher so sein, daß mit der Herausarbeitung der Realpräsenzlehre bestimmte Motive von Luthers Theologie und auch von seiner Glaubenserfahrung ihre lehrmäßige Formulierung erhalten haben, die in dem Ansatz seiner refomiatorischen Anschauungen tief verankert sind. Insofern läßt sich sagen, daß Luthers refonnatorische Theologie in dem Abendmahlsstreit mit Zwingli eine besonders wichtige Ausformung erhalten hat. Tatsächlich geht es für Luther bei der Bedeutung der Abendmahlsworte im Grunde von seiner Frühzeit an um einen komplexen, aber sachlich notwendigen Zusammenhang zwischen Christi Stiftung oder Einsetzung, dem Zeichen für die unter Brot und Wein vermittelte Gegenwart des gekreuzigten und auferstandenen Herrn sowie der Bedeutung oder der Zusage/Verheißung für den Einzelnen, die im Glauben ergriffen wird. Anfangs war bei Luther das Verhältnis zwischen Christi am Kreuz zur Vergebung der Sünden hingegebenem Leib und Blut, den EinsetSiehe oben 143-154 und 187-195

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

zungsworten und der Gegenwart von Christi Leib und Blut »unter« den Elementen ungeklärt.4i>3 Die spätere Betonung der Realpräsenz konnte dann diesen vorher bereits vorausgesetzten Zusammenhang verdeutlichen und absichern. Gewiß fand damit eine neue Akzentsetzung statt; aber im Grunde wurde der Abendmahlslehre, wie sie von Luther zunächst entfaltet worden war, nicht etwas Neues hinzugefügt, vielmehr wurde ihre Zielsetzung nur konsequent vertreten. An der zentralen Stellung der Einsetzungsworte hat sich damit ebenfalls nichts geändert. Anders gesagt: die Einsetzungsworte bleiben im Mittelpunkt von Luthers Abendmahlslehre, wobei Luther seit 1523 nicht nur die Worte »für euch«, sondern auch die vorangehenden Worte »Dies ist mein Leib, dies ist mein Blut« in ihrer ganzen Tragweite auslegt. Neben den Einsetzungsworten ist für Luthers Abendmahlslehre auch die Aussage im 1. Konntherbnef 10 Vers 16 - »Der gesegnete Kelch, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi? Das Brot, das wir brechen, ist das nicht die Gemeinschaft des Leibes Christi?« — von besonderem Gewicht. Von diesem Wort sagt Luther, es sei »eyn donneraxt auff D. Carlstads kopff und aller seyner rotten.« 496 Wie Luther immer wieder betont, handelt es sich nach diesem Text um die Gemeinschaft des Leibes Christi. 497 Dieser Text schließt eine lediglich symbolische Deutung ebenso aus, wie dies die Einsetzungsworte selbst tun. »Also stehet nu dieser spruch Pauli wie eyn fels und erzwingt mit gewallt, das alle die, so dis brod brechen, essen und empfahen, den leyb Christi empfahen und des selben teylhafftig werden. Und das kan nicht seyn geystlich, wie gesagt ist, so mus es leyblich sein.« 498 Die Einsetzungsworte wie auch der Text 1. Konntherbnef 10 machen die Realpräsenz für Luther absolut sicher: »Ich sehe hie dürre, heUe, gewalltige wort Gotts, die mich zwingen zu bekennen, das Christus leyb und blut ym Sacrament sey.« Demgegenüber haben alle Erwägungen, wie dies möglich sei, zurückzustehen: »Da soUt man auff antworten, und spotten die weyl lassen. Wie Christus yns Sacrament bracht werde odder uns müsse auffpffeyffen, weys ich nicht, Das weys ich aber wol, das Gottes wort nicht liegen kan, wUchs da sagt, Es sey Chnstus leyb und blut ym Sacrament.« 499 Selbst Heiden oder Ungläubige müßten, wenn sie diese Texte lesen, zugeben, daß in ihnen die Realpräsenz von Leib und Blut Christi ausgesagt sei.DÜ0

4.5 So Ernst SOMMERLATH, Der Sinn des Abendmahls nach Luthers Gedanken über das Abendmahl 1527/1529, Leipzig 1930, 104ff; P. ALTHAUS, op.cit., 321; W. SCHWAB, op.cit., 233. 4.6 WA 18,166,32-34 (Wider die himmlischen Propheten 1525) 4.7 Siehe etwa W A 18,168,16—20 (ebd) »Das gebrochen odder mit stucken ausgeteylet brod ist die gemeynschafft des leybs Christi .. Was ist die gemeynschafft aber des leybs Christi? Es mag nicht anders seyn, denn das die jenigen, so das gebrochen brod, eyn iglicher seyn stuck, nemen, ynn dem selben den leyb Chnsti nemen.« 4.8 W A 1 8 , 1 7 2 , 1 2 - 1 5 (ebd) 4 " W A 1 8 , 1 6 6 , 8 - 1 3 (ebd). 500 W A 2 6 , 4 0 6 , 9 - 4 0 7 , 1 ; 4 9 6 , 3 4 - 4 9 7 , 1 (Vom Abendmahl Chnsti 1528).

Das Abendmahl

327

Gegenargumente ließ Luther nicht gelten. Der eine Einwand, der von Karlstadt und Zwingli gegen Luther erhoben wurde, stützte sich auf Johannes 6 Vers 63 »Der Geist ist's, der lebendig macht; das Fleisch ist nichts nütze.« Luther hatte schon früh bestritten, daß dieser Text überhaupt auf das Abendmahl zu beziehen sei. 301 Zudem sei der Begriff »Fleisch« hier im Sinne der Sündhaftigkeit des natürlichen Menschen gemeint. M2 Der andere Einwand stützte sich auf die Aussage über Jesu Himmelfahrt und sein »Sitzen zur Rechten Gottes«: damit sei die Gegenwart des Herrn nach seiner erhöhten menschlichen Natur im Sakrament ausgeschlossen. Auch dieses Argument wies Luther glatt zurück. Selbst wenn diese VorsteUung über den erhöhten Herrn berechtigt wäre — was Luther mit seiner »Ubiquitätslehre« bestritt« 303 , so könnte damit doch der Wortlaut der von Luther angeführten BibelsteUen nicht außer Kraft gesetzt werden. Insgesamt erblickte Luther in solchen Gegenargumenten nur »menschliche Weisheit« oder Einwände der »eigenmächtigen Vernunft«, denen man nicht folgen dürfe. Neben den Schriftzeugnissen, die Luther für seine Auffassung anführt, dürfte aber auch die gesamte Tradition für Luther hier von Bedeutung gewesen sein. Zwar hat Luther seit 1520 die Transsubstantiationslehre nachdrücklich verworfen; aber er hat das doch nicht deswegen getan, wed er die theologische Zielsetzung dieser Lehre abgelehnt hätte, sondern weil er in der Wandlungslehre lediglich eine Theorie erblickte, die nicht hätte verbindlich gemacht werden dürfen. Hinsichtlich des theologischen Gehalts ist Luthers Auffassung von der Realpräsenz gar nicht so weit von der Transsubstantiationslehre entfernt gewesen. Im übrigen ist es interessant, daß Luther sich von Berengar von Tours (gest. 1088), der im 11. Jahrhundert eine symbolisch-spiritualistische Abendmahlslehre vertreten hatte, distanzierte und sogar die päpstlichen Verwerfiingsurteile gegen Berengar ausdrücklich billigte. 504 b) Die »unio sacramentahs« sowie »geisdiches« und »leibliches« Essen Luther hat sich nicht damit begnügt, gegen die verschiedenen symbolischen und signifikativen Deutungen der Abendmahlsworte deren einfachen, unverfälschten Sinn hervorzuheben, sondern hat systematisch-theologisch seine Position reflektiert, um die Realpräsenz-Auffassung verständlich zu machen und abzusichern. Dabei dürfte wichtiger als die von ihm weiter entwickelte RaumvorsteUung 503 seine Auffassung über die »unio sacramentahs« sein. Diese Auffassung steUt gleich-

501 WA 6,502,7-17 (De captivitate Babylonica ecclesiae 1520). Luther folgt mit dieser Auffassung der scholastischen Tradition, siehe H. HILCENFELD, op. cit., 440—444. 402 WA 23,167,28-205,31 (Daß diese Wort ... 1527). 50> Siehe oben 192 f. 504 W A 26,442,39^143,3 (»Vom Abendmahl Christi« 1528); W A 2 9 , 1 9 5 , 1 2 - 1 9 6 , 1 (Predigt 1529). 5W Siehe zur Ubiquitätslehre oben 191-194.

328

Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

sam die Verbindung zwischen den verschiedenen anderen Lehrfragen in der Abendmahlslehre dar. Luther hat die »unio sacramentahs« hauptsächlich in seiner Schrift »Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis« (1528) erörtert. Gegen die Deutung des »est« der Einsetzungsworte im Sinne eines »significat«, wie sie zunächst von Cornelius Honius (Hoen) vertreten worden war,' 0 6 hatte Luther zunächst nur betont, daß >zwei Dinge ineinander sein können«.* 7 Luther begnügte sich also damit, die Möglichkeit des Mit- und Ineinander von Brot und Leib Christi sowie von Wein und Blut Christi zu statuieren, ohne sich näher darüber zu äußern. Spekulationen darüber, wie dieses Mit- und Ineinander möglich sei und wirklich stattfinde, lehnte Luther anfangs ab. In der Schrift »Vom Abendmahl Christi« (1528) ging Luther hier weiter. Gegen die These, die »praedicatio identica de diversis naturis« (gemeinsame Bezeichnung für zwei verschiedene Naturen/Wesen) 3 " 8 widerspreche sowohl der Hl. Schrift als auch der menschlichen Vernunft, führt Luther aus, daß die Bibel wie auch die Sprache derartige Identitätsaussagen machen. 509 Besonders gelte dies von christlichen Gottesaussagen. So zeige man auf den Menschen Christus und sage, dieser Mensch ist Gottes Sohn. In ähnlicher Weise spreche man in der Tnnitätslehre von dem Vater, dem Sohn und dem Hl. Geist, und doch ist ein jeglicher der einige Gott; unterschiedliche Personen sollen also ein Wesen sein. Damm könne es nicht der Schrift widersprechen, wenn man sagt, zwei unterschiedliche Dinge seien einerlei oder ein Wesen, wie eben das Brot und der Leib Christi. Die Einheit zwischen Brot und Leib wird von Luther dabei als »unio sacramentalis«/»sakramenthche Einigkeit« bezeichnet. 3 , ° Der Begriff der »sakramentlichen Einigkeit« oder der »unio sacramentahs« ist besser geeignet, Luthers Abendmahlslehre zu bezeichnen als derjenige der »Konsubstantiation«. Luther selbst hat nicht ein einziges Mal von »Konsubstantiation« gesprochen. Dieser Begriff begegnet vielmehr erst in den 60iger Jahren des 16. Jahrhunhunderts; mit ihm wollten reformierte Theologen die lutherische Abendmahlslehre kennzeichnen. 3 ' 1 Neben der »unio sacramentahs« ist sodann die Unterscheidung zwischen »geistlichem« und »leiblichem« Essen für die Abendmahlslehre Luthers seit der Kontroverse mit Zwingli wichtig, wobei für Luther das geistliche Essen keineswegs

50

» Siehe oben 190 ff. Siehe WA 18,186,22-24 (Wider die himmlischen Propheten 1525) unter Aufnahme des alten Topos vom »feurigen Eisen«: »Wie nu eysscn fcur ist und feur eyssen nach eynfeltiger art der spräche und die zweyerley ynneynander und gleich eyn ding sind, doch eyn iglich seyn wesen für sich hellt, Also hetten sie sich hie auch leichthch mügen demütigen ...« 508 Bei der »praedicatio identica« geht es darum, daß zwei verschiedene Subjekte durch ein einziges Prädikat identifiziert werden können, da ihnen etwas Gemeinsames zugrundehegt. cf. WA 6 , 5 0 8 , 1 1 22; Stud.-Ausg. 4,176 Anm. 2291. 509 Siehe den Zusammenhang W A 26,440-445 507

510

WA 26,442 f.

511

Siehe H. HILCENFELD, op.cit., 467ff. W. SCHWAB, op.cit., 262 Anm. 27.

Das Abendmahl

329

von dem leiblichen getrennt werden darf. Vielmehr gehören beide Fonnen des Essens für ihn zusammen; dabei hat Luther die leibliche Speisung auf Grund der Auseinandersetzungen zeitweise außerordendich stark hervorgehoben. 3 1 2 Die Notwendigkeit des geistlichen Essens hatte Luther schon früh betont. Luther hat diese Terminologie aus der Brotrede Jesu nach Johannes 6 übernommen. Auch wenn Luther Johannes 6 nicht auf das Abendmahl bezog und insbesondere Johannes 6 Vers 63 als Beleg für die Abwertung des leiblichen Essens nicht akzeptierte, so übernahm er doch die BUdrede, daß geistliches Essen und Glauben im Grunde das gleiche seien. Für die Frühzeit bedarf es bei Luther keiner Belege, um die Betonung des Glaubens als geistliches Essen darzutun. Wichtig ist jedoch, daß Luther an diesem geistlichen Essen auch seit dem Streit mit Zwingli festgehalten hat. In einer Wochenpredigt über Johannes 6 Vers 52f. von 1531 sagt Luther: »Der glaube ist der esser, der do isset undt gleubet an Christum. Die Seele aber undt der glaube hat nicht ein maul, zeene, hals undt bauch, wie der leib hat, Sondern hat ein maul, bauch undt ohren, die heissen Sinn, wille, muth, verstandt, lust oder vernunfft.« 3 ' 3 Sowie: »Also auch der glaube mus nicht allein ein gedencken von unsenn herrgott sein, den gedancken thuns nicht, wie den des Bapsts glaube ist, das ehr meinet, ehr müsse von gott nur dencken, Sondern mein hertz mus den Christum fassen undt greiften undt an sein fleisch undt blutt mich hengen undt sagen: doran hange ich, dabei wil ich bleiben, undt las leib undt leben drueber, es gehe mir auch wie der hebe gott will.« 3 ' 4 Von solchen Aussagen her wird es verständlich, daß Luther mit voUem Recht bei den Marburger Verhandlungen 1529 dem Begriff des »geistlichen Essens« zustimmen konnte, ohne irgendwie seiner eigenen Position untreu zu werden. 3 ' 3 Die Betonung des leiblichen Essens soUte keineswegs die Notwendigkeit des geistlichen Genusses relativieren. Neben dem geistlichen Essen hat Luther aber in den Kontroversen seit 1523 zunehmend das leibliche Essen betont. Besonders wichtig sind hierfür die Ausführungen in seiner Schrift »Daß diese Wort Christi >Das ist mein Leib« noch fest stehen« (1527). Hier heißt es: »Abermal frage ich: Wie, wenn ich Christus fleisch ym abendmal leiblich esse, also das ich es zu gleich auch geistlich esse, wolt yhr myr denn nicht zugeben, das Christus fleisch ym abendmal fast [= sehr] nütze sey? Wie kan aber das sein? Also kans sein: Ich wil seinen leib mit dem brod leiblich essen und ym hertzen dennoch zu gleich gleuben, das es sey der leib, der für mich gegeben wird zur Vergebung der sunden, wie die wort lauten: >Das ist mein leib, für euch gegeben«, Welchs yhr doch selbst heisst geistlich essen. Ist nu geistlich essen da, so kan das leibliche essen nicht schaden, sondern mus auch nütze sein

512 Zu diesem zwiefachen Essen siehe Friedrich GOGARTEN, Luthers Theologie, 1967, 114-121; W . SCHWAB, op.cit., 292-298, mit der berechngten Kritik an A. PETERS. 5,1 WA 33,178,21-28 (H). 514 WA 33,199,7-19 (H) Ms Siehe oben 192-195.

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

umb des geistlichen essens willen.« 3 ' 6 Hier sind vor allem auch die Akzente von Luther sorgfältig und überlegt gesetzt worden: »um des geistlichen Essens willen« ist das leibliche Essen notwendig und nützlich. Tatsächlich hat aber das leibliche Essen bei Luther im Laufe der Auseinandersetzungen fast ein Eigengewicht bekommen. In derselben Schrift »Daß diese Worte ...« (1 527) hat Luther das leibliche und das geistliche Essen nahezu ineinsgesetzt, wenn er sagt: »Der mund isset den leib Chnsti leiblich, Denn er kann die wort nicht fassen noch essen und weis nicht was er isset, schmeckt yhm gleich, als esse er etwas anders denn Christus leib. Aber das hertz fasset die wort ym glauben und isset eben dasselbige geistlich, das der mund leiblich isset, Denn das hertz sihet wol, was der unverstendige mund leiblich isset . . . Und ist doch einerley leib Christi, den beide mund und hertz isset, ein lghchs auff seine masse und weise, Das hertz kans nicht leiblich essen, so kans der mund nicht geistlich essen.« 3 ' 7 Der Zusammenhang, in welchem Luther diese Bemerkungen macht, zeigt freilich, daß Luther bei der Unterscheidung von geistlichem und leiblichem Essen nicht an zwei, parallel miteinander erfolgende Speisungen denkt, vielmehr den geistlichen Gebrauch des leiblichen Essens im Auge hat, wie andererseits dieser geistliche Gebrauch nicht unabhängig von dem leiblichen Vorgang möglich ist. Luther verweist nämlich insbesondere auf Maria, die das Wort des Engels im Herzen empfing und, als sie dieses Wort im Glauben annahm, schwanger wurde. Oder er führt als Beispiel die Hirten auf dem Felde zu Bethlehem an, die dann das Kind in der Krippe »sahen«, denen dieses Sehen aber nur deswegen nützlich war, weil sie glaubten. 518 Ebenso soUten gelegentliche Äußerungen Luthers über den besonderen Nutzen des leiblichen Essens nicht einseitig betont werden. Ohne Zweifel hat Luther sich zuweilen so äußern können, als sei das Abendmahl gewissermaßen ein »Hedmittel zur Unsterblichkeit«. 3 ' 9 Solche Äußerungen finden sich ganz überwiegend in der Schrift »Daß diese Worte ...« (1527). So heißt es etwa: »Wed aber der mund des hertzens gliedmas ist, mus er endlich auch ynn ewigkeit leben, umb des hertzen willen, welchs durchs wort ewiglich lebt, weil er hie auch leiblich isset die selbige ewige speyse, die sein hertz mit yhm geisdich isset.«320 Oder: »Aber die seele sihet und verstehet wol, das der leib müsse ewiglich leben, weil er eine ewige speyse zu sich nympt, die yhn nicht lassen wird ym grabe odder staub verfaulet und verweset.« 321 Oder: »Also wir, so wir Christus fleisch essen leiblich und geistlich, ist die speise so starck, das sie uns ynn sich wandelt und aus fleischlichen sundlichen sterblichen menschen geistliche heUige lebendige menschen macht, wie wir denn

5

" W A 2 3 , 1 7 9 , 7 - 1 5 (Druck). W A 23,191,11-20. "« W A 2 3 , 1 8 4 , 3 0 - 1 8 5 , 2 9 . Siehe W . SCHWAB, op.cit., 294 519 c(. Ignatius von Antiochien, Eph. 20,2. " ° W A 23,181,11-15. 521 W A 23,191,25-28. 517

Das Abendmahl

331

auch bereid sind, aber doch verborgen ym glauben und hoffnung, Und ist noch nicht offenbar. Am Jüngsten tage werden wirs sehen.« 322 A. Peters möchte aus solchen SteUen die Folgerung ziehen: »Das Zentrale, so darf man einmal ein wenig überspitzt sagen ..., ist für Luther nicht die Sündenvergebung, sondern die unio mit Christus.« 323 Dagegen ist jedoch mit dem Kleinen Katechismus zu betonen, daß nach Luther im Abendmahl »Vergebung der Sunde, Leben und Seligkeit durch solche Wort gegeben wird; denn wo Vergebung der Sunde ist, da ist auch Leben und Seligkeit.«324 Die Aussagen über das leibliche Essen sollen bei Luther eigentlich nur die VorsteUung der Realpräsenz absichern. 323 Auf den Äußerungen über die leiblichen Folgen des Abendmahlsgenusses liegt kein eigener Akzent. Diese FeststeUung dürfte auch für Luthers Stellung zur Frage der sogenannten »manducatio indignorum« (Speisung der Unwürdigen) oder zur »manducatio impiorum« (Speisung der Gottlosen) gelten. Im Verlauf der Abendmahlskontroverse hat Luther auf Grund von 1. Konnther 11 Vers 27 — »Wer unwürdig von diesem Brot ißt oder aus dem Kelch des Herrn trinkt, der wird schuldig sein am Leib und Blut des Henn« — die Speisung der Unwürdigen oder gar der Gottlosen und Bösen betont. 326 Damit hat er deutlich gemacht, daß es gegenüber der Gabe des Abendmahls keine Neutralität gibt, sondern daß hier das Heil entweder im Glauben angenommen oder zurückgewiesen wird. Luther hat zwar darauf insistiert, daß die Aussage 1. Konnther 11 Vers 27 der Sache nach aufgenommen wird, aber er blieb bei der näheren Formulierung beweglich. So hat er es gelten lassen, daß in der »Wittenberger Konkordie« von 1536 327 gesagt wird, »das auch den vnwirdigen warhafftig dargereicht werde der leib vnd das blut Christi vnd die vnwirdigen warhafftig dasselb empfahen, so man des herrn Christi einsetzung vnd befelh heUt«328 — nur eben zum Gericht. Zu einem eigenen Topos hat Luther somit die Aussagen über die Folgen des leiblichen Genusses des Abendmahls weder im positiven noch im negativen Sinne ausgebaut. c) Das Abendmahl als Knstallisationspunkt von Christologie und Glaube Die Entwicklung von Luthers Sakramentslehre im allgemeinen und von seiner Abendmahlslehre im besonderen sowie sein Eintreten für die Realpräsenz gegen Karlstadt, Zwingli und andere machen deutlich, welch zentrale SteUung das 522 WA 23,205,20-25. Ähnliche Aussagen finden sich noch: p. 2 4 3 , 3 4 - 2 4 4 , 2 ; 251,20-25; 255.24-28; 259,4-10; 261,33-35. Weitere Belege bei A. PETERS, ebd, 144f. 52)

524

PETERS, ebd,

147

BSLK 520,26-30. " s Siehe die Auseinandersetzung mit PETERS bei W. SCHWAB, ebd, 292-298. " * Siehe etwa W A 26,288,13-19; 26,506,21-29; 30 1,26,16 f, 30 1,118,2-5 u.ö; 5 4 , 1 5 3 , 3 - 9 ; BSLK 450, 13-451,2. 527 Hierzu B. LOHSE, in: HdBDThG 2, 96 f 528 WA Br 12 Nr 4261 Beil. 1,21-23.

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

Abendmahl für Luther persönlich wie auch in seiner Theologie eingenommen hat. Im Abendmahl kreuzen sich zahlreiche zentrale Motive von Luthers Theologie und von seiner Frömmigkeit. Was die Frömmigkeit, also den gelebten Glauben, betnfft, so hält sich bei Luther durch alle Fortbildungen seiner Auffassungen das Leitmotiv durch, daß mit dem Empfang des Abendmahls der »selige Tausch« stattfindet: Christus wird unser, uns wird die Sünde nicht mehr zugerechnet; oder, wie es von ihm seit 1520 formuliert wird, das Wort der Verheißung »... für euch« wird allein im Glauben ergriffen. Daß die Realpräsenz dann seit 1523 in den Vordergrund tritt, ist zwar einerseits eine erhebliche Weiterentwicklung; andererseits entspricht dieser neue Akzent letzten Motiven in Luthers Theologie, wie sie sich seit den Anfängen finden. Zu verweisen ist insbesondere auf die Gedanken, daß Gott allenthalben gegenwärtig ist, daß er verborgen wirkt, daß wir Gott allein in Jesus Christus erkennen, daß Gott nur in ihm für uns zum HeU gegenwärtig ist, oder etwa auch, daß es gilt, die Theologie des Kreuzes gegen die Theologie der Herrlichkeit zu vertreten. Weiter ist wichtig, daß Luther »Fleisch« und »Geist« in Übereinstimmung mit Paulus und nicht im Sinne der griechischen Antike versteht, daß also das »Geistliche« kein Gegensatz zum »Leiblichen«, wohl aber zum »Fleischlichen« ist. Das »Für euch« kommt gerade im Abendmahl besonders deutlich zum Ausdruck. Was die zentrale SteUung des Abendmahls in Frömmigkeit und Theologie angeht, so ist aber noch auf weitere Aspekte zu verweisen. In den verschiedenen Auseinandersetzungen über Messe und Abendmahl zunächst mit der römischen Kirche, dann mit Karlstadt und Zwingli sowie auch bei den Konflikten im eigenen Bereich wegen des Rückgangs der Bereitschaft zum Abendmahlsempfang geht es Luther letztlich immer um das Gleiche, nämlich um das Abendmahl als Gottes gnädige Zuwendung zu dem Menschen, die jede »Werkgerechtigkeit« ausschließt, die aber nicht ungestraft zurückgewiesen oder ignonert werden darf. In allen Wandlungen seiner Argumentation im einzelnen hält sich seine tiefe Abendmahlsffömmigkeit und sein Bemühen, theologisch das Abendmahl als Gottes Heilsgabe darzusteUen, durch. Das Abendmahl gibt Trost und Hdfe inmitten aller Anfechtungen. Wer das Abendmahl empfängt, kann sagen: »... ich hab das sacrament empfangen, ynn welchem mir meyn herr Chnstus durch seyn wort trostlich zusaget, das sein leib unnd blut meyn sey, das glaube ich, nicht alleyn so fern wie du, das es sein fleisch und blut sey, Sunder das mir alles gerchenckt sey, was die wort ynn sich haben. Darumb setz ich disen glauben wider dich [seil, den Teufel] unnd all ungluck und stehe vest uff den Worten, die werden mir nit liegen, den es synd Gottis wort unnd Gottis zeichen.« Darüber hinaus hat das Abendmahl nach Luther Bedeutung für das christliche Leben. Die alte, auf Augustin zurückgehende Formel »sacramentum — exemplum«

" 9 WA 12,482,5-11 (Predigt 1523. Text B)

Die Lehre von den zwei Reichen

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( S a k r a m e n t - Vorbild für die Nachfolge) ist v o n Luther zeitlebens beibehalten w o r d e n . 3 3 0 U n d auch der B e z u g auf die gesamte Kirche sowie auf die K i r c h e n gemeinschaft ist v o n L u t h e r in seiner A b e n d m a h l s l e h r e durchaus gesehen w o r den.531

14) Die Lehre von den zwei Reichen Lit.: Franz LAU, »Äußerliche Ordnung« und »weltlich Ding« in Luthers Theologie, Göttingen 1933. Harald DIEM, Luthers Lehre von den zwei Reichen, untersucht von seinem Verständnis der Bergpredigt aus, in: BEvTh 5, München 1938. Ernst KINDER, Geistliches und weltliches Regiment nach Luther, in: SLG 12, Weimar 1940. Gustaf TORNVALL, Geistliches und weltliches Regiment bei Luther. Studien zu Luthers Weltbild und Gesellschaftsverständnis, (schwed. 1940) in: FGLP 10, II, München 1947. Hermann DIEM, Luthers Predigt in den zwei Reichen, in: TEH NF 6, München 1947. Johannes HECKEL, Lex Charitatis. Eine juristische Untersuchung über das Recht in der Theologie Martin Luthers, in: ABAW.PPH NF 36, München 1953; 2. überarb. u. erw. Aufl. hg. von Martin HECKEL, Köln 1973 (hier wird die 1. Aufl. zitiert). Franz LAU, Luthers Lehre von den beiden R e i chen, Berlin 1953. Gunnar HILLERDAL, Gehorsam gegen Gott und Menschen. Luthers Lehre von der Obngkeit und die moderne evangelische Staatsethik, Göttingen 1955. Paul ALTHAUS, Luthers Lehre von den beiden Reichen im Feuer der Kritik, in: LuJ 24, 1957, 40-68. Johannes HECKEL, Im Irrgarten der Zwci-Reiche-Lehre, in: T E H NF 55, München 1957. Heinnch BORNKAMM, Luthers Lehre von den zwei Reichen im Zusammenhang seiner Theologie, (1958) 3. Aufl. Gütersloh 1969. Gottfried FORCK, Die Königsherrschaft Jesu Christi bei Luther, (1959) mit einem Beitrag von Bernhard LOHSE, 2. Aufl. Berlin 1988. Gerhard EBELINC, Die Notwendigkeit der Lehre von den zwei Reichen, (1960) in: (Ebeling) Wort und Glaube, 2. Aufl. Tübingen 1962, 407-428. Ernst WOLF, Königsherrschaft Christi und lutherische Zwei-Reiche-Lehre, (1964), in: (Wolf) Peregrinatio II, München 1965, 207-229. Paul ALTHAUS, Die Ethik Martin Luthers, Gütersloh 1965. Hermann D Ö R RIES, Luther und das Widerstandsrecht, in: (Domes) Wort und Stunde, Bd. 3, Göttingen 1970, 195-270. Ulnch DUCHROW, Christenheit und Weltverantwortung. Traditionsgeschichte und systematische Struktur der Zweireichelehre, (1970), 2. Aufl. Stuttgart 1983. LUTHER und die Obngkeit, hg. von Günther WOLF, in: WdF 85, Darmstadt 1972. Hermann KUNST, Evangelischer Glaube und politische Verantwortung. Martin Luther als politischer Berater seiner Landeshcmi und seine Teilnahme an den Fragen des öffentlichen Lebens, Stuttgart 1976. Elke WOLCAST, Die Wittenberger Theologie und die Politik der evangelischen Stände. Studien zu Luthers Gutachten in politischen Fragen, in: Q F R G 47, G ü tersloh 1977. Martin HONECKER, Zur gegenwärtigen Interpretation der Zweireichelehre,

530 Siehe Erwin ISERLOH, Sacramentum et exemplum. Ein augustinisches Thema lutherischer Theologie, (1965), in: (Iserloh) Kirche - Ereignis und Institution. Aufsätze und Vorträge, Bd.2: Geschichte und Theologie der Reformation, Münster 1985, 107-124. 531 Hierzu Jürgen LUTZ, Unio und Communio. Zum Verhältnis von Rechtfertigungslehre und Kirchenverständnis bei Martin Luther. Eine Untersuchung zu ekklesiologisch relevanten Texten der Jahre 1519-1528, in: KKTS 55, Paderborn 1990, dazu freilich meine Rezension: ThRv 87, 1991, 400-402.

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

in: ZKG 89, 1978, 150—162. Reinhard SCHWARZ, Luthers Lehre von den drei Ständen und die drei Dimensionen der Ethik, in: LuJ 45, 1978, 15-34. GOTTES Wirken in seiner Welt. Zur Diskussion um die Zweireichelehre, hg. von Niels HASSELMANN, 2 Bde., in: Zur Sache 19. 20, Hamburg 1980. Karl Dictnch ERDMANN, Luther über Obngkeit, Gehorsam und Widerstand, in: LUTHER und die Folgen, hg. von Hartmut LÖWE und Hans-Jürgen ROEPKE,

München 1983, 28-59. Hans-Joachim GÄNSSLER, Evangelium und weltliches Schwert. Hintergrund, Entstehungsgeschichte und Anlaß von Luthers Scheidung zweier Reiche oder Regimcnte, in: VIEG 109, Wiesbaden 1983. Gerhard MÜLLER, Luthers Beziehungen zu Reich und Rom, in: LEBEN und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, hg. von Helmar JUNCHANS, Göttingen 1983, Bd. 1, 369-402; Bd. 2, 849-860. LUTHER und die politische Welt. Wissenschaftliches Symposium in Worms vom 27.-29.X.1983, hg. von Erwin ISERLOH und Gerhard MÜLLER, redigiert von Johannes KOCH, in: Histonsche Forschungen IX, Stuttgart 1984 (mit verschiedenen Beiträgen).

a) Zum historischen und theologischen Ort der Unterscheidung zwischen zwei Reichen oder zwei Regimenten Bei der Würdigung der frühen AusbUdung von Luthers Unterscheidung zwischen zwei Reichen und Regimenten 532 war bereits darauf hingewiesen worden, daß diese Distinktion sowohl traditionsgeschichtlich als auch im Zuge von Luthers Romkonflikt gewürdigt werden muß. Traditionsgeschichtlich steUt diese Unterscheidung eine Neuformulierung des alten, zuerst durch Augustin entfalteten T h e mas der beiden civitates dar, also der Unterscheidung zwischen »civitas Dei« und »civitas tenena«, die im Mittelalter in mancherlei Variationen aufgenommen und weiter entwickelt worden war. Im Hintergrund der lutherschen Unterscheidung müssen aber auch die zahlreichen Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst im Mittelalter gesehen werden, insbesondere auch die scharfen Kämpfe im späteren Mittelalter samt der kaiserlichen Propaganda gegen die päpstlichen Weltherrschaftsansprüche. Nicht zuletzt sind aber auch Luthers persönliche Erfahrungen als Universitätsprofessor sowie bei seinen verschiedenen Auseinandersetzungen mit seinen kirchlichen und theologischen Gegnern von Bedeutung. Die Tatsache, daß Luther als Professor an der von Friedrich dem Weisen gegründeten Universität Wittenberg, modern ausgedrückt, kurfürstlicher Beamter war, also nicht an einer päpstlichen Universität lehrte, hat Bedeutung nicht nur für seine Auseinandersetzung mit der römischen Kirche überhaupt und seine rechtliche SteUung, sondern insbesondere auch für seine Zwei-Reiche-Lehre. Allerdings muß davor gewarnt werden, Luthers Konzeption in systematisch-theologischer Hinsicht oder auch von ihrer Wirkungsgeschichte her zu überfordern, wie es in den letzten Jahrzehnten zuweilen geschehen ist. Diese Warnung gilt zunächst insofern, als die Unterscheidung zweier Reiche und Regimente nicht eigentlich eine »Lehre« oder gar der Entwurf einer für die evangelische Sache grundsätzlich gültigen politischen Ethik gewesen ist. Bereits Siehe oben 168-177

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der Begriff der Zwei-Reiche-Lehre ist problematisch. Erst Karl Barth hat diesen Begriff gebildet. 333 Wie auch immer man die politische Ethik lutherischer Theologen im 19. und 20. Jahrhundert beurteilen mag, es geht schlechterdings nicht an, die von Lutheranern im Laufe derjahrhunderte vertretenen Auffassungen über Staat und Kirche einfach auf Luther selbst zurückzuführen und Luther im guten oder im unguten Sinne für die Geschichte lutherischer politischer Ethik verantwortlich zu machen. Eine solche Betrachtung wäre unhistorisch und würde weder Luther in seiner historischen Situation noch den luthenschen Theologen und den Problemen, welchen sie konfrontiert waren, gerecht. Die Zwei-Reiche-Lehre ist bei aller Bedeutung, die ihr zweifeUos zukommt, nicht das Zentrum von Luthers Theologie, so sehr sie freilich mit diesem Zentrum, eben mit der Rechtfertigungslehre, zusammenhängt. Deshalb muß die Zwei-Reiche-Lehre, wenn denn dieser Begriff mangels eines besseren beibehalten werden soU, in ihrem angemessenen SteUenwert gesehen werden. Neuere Versuche, den aus der Barthschen Theologie übernommenen Begriff der Königsherrschaft Christi der Sache nach auch bei Luther wiederzufinden, haben insofern ein gewisses Recht, als damit die These einer »Eigengesetzlichkeit« des Reiches der Welt bestritten wird. 334 Es muß allerdings gesagt werden, daß sowohl terminologisch als auch systematisch der Gedanke der Königsherrschaft Christi bei Luther offenkundig nicht im Zentrum seiner ZweiReiche-Lehre oder seiner politischen Ethik steht. Der Sinn der Unterscheidung zwischen zwei Reichen oder zwei Regimenten - beide Distinktionen begegnen bei Luther nebeneinander —333 ist es vielmehr, zwischen der Existenz des Menschen »vor Gott« (coram Deo) und »vor der Welt« (coram mundo) zu unterscheiden und insofern Geistliches und Weltliches sowohl in ihrer gegenseitigen Zuordnung als auch in ihrer Unterschiedlichkeit scharf zu erfassen. Dabei ist es wichtig, daß zum Reich der Welt keineswegs nur die O b ngkeit oder der Staat gehört, sondern schlechterdings alles, was zur Erhaltung und Fortführung des Lebens in der Welt notwendig ist. Die Unterscheidung zwischen beiden Reichen oder Regimenten entspricht also der Distinktion zwischen Gesetz und Evangelium, ohne daß beide Begnffspaare miteinander identisch wären. Sowohl die Unterscheidung zwischen Gesetz und Evangelium als auch diejenige zwischen den beiden Reichen oder Regimenten soUen die Reinheit des Evangeliums und des Glaubens sichern helfen; sie sollen insbesondere dazu dienen, daß Geistliches geistlich und Weltliches weltlich bleibt, daß also Geistliches und Weltliches nicht miteinander vermischt werden. Vor einer unzulässigen Überschätzung dieser Distinktion muß insbesondere aber auch insofern gewarnt werden, als es keineswegs so gewesen ist, daß Luther seine Zwei-Reiche-Lehre zunächst prinzipiell entworfen und dann jeweUs auf bestimmte Situationen angewandt hätte. Eine solche Interpretation würde vöUig 333 534 535

Siehe oben 172. Siehe vor allem G. FORCK, op.cit. Siehe oben 170-175.

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die sich immer wieder wandelnden ProblemsteUungen in den verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen Luther und anderen verkennen. Vielmehr müssen neben der Distinktion als solcher immer auch Luthers konkrete Wahrnehmung seiner politischen Verantwortung in seiner Beratertätigkeit und seine stets neuen Bemühungen um eine theologisch und auch politisch verantwortliche SteUungnahme gewürdigt werden. Luthers jeweUiges politisches Verhalten steUt dabei stets den »Kommentar« zu seiner Unterscheidung zwischen den beiden Reichen oder Regimenten dar. Konkret besagt diese FeststeUung, daß bereits die Schrift »Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei« nur im Zusammenhang der verschiedenen Konflikte von 1521 und 1522 verstanden werden kann. Mit diesen Bemerkungen soU keineswegs bestritten werden, daß die Unterscheidung zwischen zwei Reichen und zwei Regimenten eine außergewöhnliche Bedeutung hat und in mancherlei Hinsicht auch in der Geschichte der politischen Theorie eine neue Epoche eingeleitet hat. b) Zur Traditionsgeschichte der Lehre von den zwei Reichen Augustin war, wie erwähnt, der erste, der die Beziehungen zwischen Staat und Kirche immer wieder reflektiert und mit seiner begrifflichen Unterscheidung zwischen der »civitas Dei« und der »civitas tenena« den Grund für alle späteren theologischen Bemühungen um die Beziehungen zwischen der Kirche in der Welt und der staatlichen Ordnung gelegt hat. Die Bedeutung dieser Tatsache kann kaum überschätzt werden. Augustin hat bereits in seiner Schrift »De catechizandis rudibus« (verfaßt etwa 399/400) die Grundzüge seiner civitas-Konzeption entworfen. 336 Aber erst auf Grund der zahlreichen Fragen, die sich nach dem Fall Roms im Jahre 410 steUten, hat er sein großes Werk »De civitate Dei« (413—426) verfaßt, in dem er die Kirche als den irdischen Ted der »civitas Dei« gegen die Vorwürfe der Bürger der »civitas terrena« verteidigte, die Christen seien schuld an dem Fall Roms. Die neuere Forschung dürfte deutlich gemacht haben, daß Augustin mit seiner civitas-Konzeption weder eine christliche Geschichtstheologie entwerfen noch eine christliche Staatsauffassung entwickeln woUte. 537 Vielmehr hatte er eine seelsorgerlichparänetische Zielsetzung im Auge 338 und woUte insbesondere die Christen nach" ' D e cat. nid. 19,31 Siehe Bernhard LOHSE, Augustins Wandlung in seiner Beurteilung des Staates, in: StPatr VI ( = T U 81), Berlin 1962, 447-475. 537 In der älteren Forschung hat man, besonders auf römisch-katholischer Seite, aus Augustin eine christliche Staatsauffassung abzuleiten versucht, wobei man stillschweigend Augustin im Sinne der Scholastik eines Thomas interpretierte. Am weitesten ist in dieser Richtung gegangen der katholische Theologe Otto SCHILLING, Die Staats- und Soziallehre des hl Augustinus, Freiburg 1910, der mit seiner Thematik freilich einer Anregung von Reinhold Seeberg folgte. 538 So insbesondere Ernst KINDER, Gottesreich und Weltreich bei Augusnn und bei Luther. Erwägungen zu einer Vergleichung der »Zwei-Reiche«-Lehre Augustins und Luthers, in: Gedenkschrift für D. Werner ELERT, hg. von Fnednch HÜBNER, Berlin 1955, 24-42.

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drücklich daran ennnern, daß die Kirche letzdich Ted der »civitas Dei« ist, ihre Heimat also nicht auf Erden, sondern im Himmel hat. 339 In der mittelalterlichen Rezeption der augustinischen civitas-Konzeption 340 ist diese augustimsche Konzeption vor allem in der Weise weiter entwickelt worden, daß aus der dialektischen Beziehung zwischen beiden »civitates« eine Überordnung der »civitas Dei« und somit des Papstes über die »civitas tenena«, also über den Kaiser, abgeleitet wurde. In anderen Punkten hat man freilich auch im Mittelalter wichtige Elemente der augustinischen civitas-Konzeption beibehalten. Das gilt insbesondere für die eschatologische Komponente, die bei Augustin selbst von maßgeblicher Bedeutung war und die auch noch für die mittelalterliche Geschichtsschreibung letztlich den Rahmen der Betrachtung abgab. 341 Eine außerordentlich wichtige Weiterentwicklung sowohl der Grundkonzeption als solcher wie auch der Auffassungen über Staat und Kirche resultierte aus den mancherlei Konflikten zwischen Kaiser und Papst, aber auch aus innerkirchlichen Kontroversen. Wichtig wurde hier nicht zuletzt auch die sogenannte Subsidiantätstheorie, die besagt, daß im NotfaU Kaiser und Papst und insofern geradezu Staat und Kirche sich gegenseitig vertreten können. Ursprünglich war diese Theorie von Kirchenrechtlern entwickelt worden, um bestimmte Notsituationen bewältigen zu können. 342 Im späten Mittelalter wurden jedoch im Zuge der Auseinandersetzungen zwischen Kaiser und Papst solche Gedanken besonders bei Wilhelm von Ockham und Marsilius von Padua weiter entwickelt zu ganz neuen politischen Theorien und auch zu neuen ekklesiologischen Entwürfen. Auch wenn Luther kaum eine genauere Kenntnis der Geschichte der politischen und ekklesiologischen Theorien im Mittelalter gehabt hat, 543 so war doch manches von den im späten Mittelalter entwickelten Auffassungen mehr oder w e niger bewußt in die Politik der Landesfürsten übergegangen und insofern mittelbar doch auch einem breiteren Kreis bekannt geworden. Auf jeden Fall hat Luther bereits bei der Abfassung der Adelsschrift ein erhebliches Problembewußtsein für die einschlägigen Fragen gehabt. " ' Siehe Bernhard LOHSE, Zur Eschatologie des älteren Augustin, in: VigChr 2 1 , 1967, 221-240. Die wichtigste Gesamtdarstellung hat U. DUCHROW, op. cit., geliefert Allerdings reicht es nicht aus, die Geschichte der Zwei-Reiche-Lehre nur ideengeschichtlich zu würdigen; vielmehr muß daneben immer auch die konkrete geschichtliche Situation berücksichtigt werden. Einige Hinweise zur Traditionsgeschichte finden sich auch bei H.-J. GÄNSSLER, op.cit., obwohl hier im ganzen nur die unmittelbare, zeitgeschichtliche Einbettung von Luthers Äußerungen untersucht wird. Einige Texte zur Traditionsgeschichte finden sich in: DIE VORSTELLUNC von Zwei Reichen und Regimenten bis Luther, hg. von Ulrich D U C H R O W und Heiner HOFFMANN, in: T K T G 17, Gütersloh 1972. 541 Siehe Herbert GRUNDMANN, Geschichtsschreibung im Mittelalter. Gattungen, Epochen, Eigenart, (1957), in: KVR 209/210, 2. Aufl. Göttingen 1965. O T T O BISCHOF VON FREISINC, Chronik oder Die Geschichte der zwei Staaten, übers, von Adolf SCHMIDT, hg von Walther LAMMERS, in: FSGA 16, 4. Aufl. Darmstadt 1980, bes. XLIV-LI (Lammers). 5,1 Siehe Bnan TIERNEY, Foundations of the Concihar Theory, Cambridge 1955. 343 So findet sich bei ihm u.a keine nähere Kenntnis des mittelalterlichen Widerstandsrechts. Siehe E. WOLCAST, op cit; Bernhard LOHSE, Die Bedeutung des Rechtes bei der Frage des Widerstandes in der frühen Reformation, in: FS Horst RABE, im Druck. 510

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Umso bedeutsamer ist es gerade angesichts dieser Situation, daß Luther mit seiner Unterscheidung zwischen zwei Reichen und Regimenten keineswegs einfach die von Ockham und MarsUius entwickelten Theorien aufgenommen oder fortgeschrieben hat. Ganz im Gegented, Luthers Erörterung dieses alten Themas weist in mehrfacher Hinsicht eine neue Struktur und eine neue Zielsetzung auf. c) Luthers Neuansatz in seiner Unterscheidung der beiden Reiche und Regimente Die Unterscheidung zwischen den beiden Reichen sowie diejenige zwischen den beiden Regimenten müssen als gleichgewichtig angesehen werden. 344 Diese FeststeUung hat für die Würdigung von Luthers Position die Konsequenz, daß jeder Versuch, Luthers Konzeption entweder nur von den beiden Reichen oder nur von den beiden Regimenten her darzusteUen, notwendigerweise einseitig ist und Luther nicht wirklich gerecht werden kann. 343 Zwar ist es richtig, daß bis zu einem gewissen Grade die beiden Reiche und die beiden Regimente mehr oder weniger als gleichbedeutend angesehen werden können; jedoch ist der Blickpunkt, von dem aus die beiden Distinktionen getroffen sind, jeweils ein anderer. H. Bornkamm hat den Unterschied zwischen den »Reichen« und den »Regimenten« treffend dahin wiedergegeben, daß mit dem »Reich« der »Henschaftsbereich« gemeint sei, mit dem Regiment hingegen die »Herrschaftsweise«.346 Bornkamm hat weiter darauf hingewiesen, daß Luthers Originalität in der Z u sammenordnung beider Betrachtungsweisen liege. Nach Bornkamm muß dabei die dreidimensionale Orientierung der Zwei-Reiche-Lehre beachtet werden: sie betreffe einmal das Verhältnis von Kirche und Staat, sodann das Verhältnis von geistlich zu weltlich oder von Reich Christi zum Reich der Welt überhaupt; schließlich gebe sie Orientierung für das Handeln des Christen sowohl für sich als auch für andere. 3 Auch bei der Bestimmung der Unterschiede zwischen Augustin und Luther dürfte Bornkamm Zustimmung verdienen. Demnach bestehen diese Unterschiede einmal darin, daß der Staat bei Augustin stärker ontologisch von der Natur her, bei Luther hingegen im Rahmen des göttlichen Handelns gesehen wird. Sodann denke Augustin in hohem Maße asketisch und eher weltflüchtig, während Luther stärker über das Handeln des Christen reflektiere und dabei zwischen dem Wirken für sich und für andere unterscheide. Schließlich habe Augustin ohne Bedenken 344

Siehe oben 170-175. Mit dieser Feststellung werden zahlreiche Entwürfe als einseitig kritisiert. Allein schon die fast ausschließliche Redeweise von den zwei Reichen muß, wenn man Luther deuten will, als verfehlt angesehen werden; andererseits geht es auch nicht an, nur von den beiden Regimenten im Sinne Luthers zu reden. Das Besondere bei Luther besteht vielmehr in der Verbindung beider Betrachtungsweisen. 346 H. BORNKAMM, op.cit, 15. 34 ' BORNKAMM, o p . c i t , 14-16. 343

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die Macht des Staates gegen die Ketzer angerufen, wohingegen Luther besonders die Problematik des »chrisdichen« Staates erkannt habe. 348 Immerhin sind sich Augustin und Luther auch nach Bornkamm eimg in ihrer letztlich eschatologischen Sicht des Kampfes zwischen Weltreich und Gottesreich. 349 Die besondere historische Leistung von Luthers Unterscheidung zwischen den beiden Reichen und den beiden Regimenten besteht zunächst darin, daß Luther in der Welt des ausgehenden Mittelalters den entscheidenden denkerischen Beitrag zur Entwirrung der damals hoffnungslos miteinander verquickten geistlichen und weltlichen Interessen geliefert hat. Luther hat mit seiner Zwei-Reiche-Lehre die mittelalterliche Uberordnung der geistlichen Macht über die weldiche von der Theologie her in umwälzender Weise in Frage gestellt. Andererseits hat er die mittelalterliche Theorie und Praxis keineswegs einfach auf den Kopf gesteUt, sondern die Unterschiedlichkeit von »geistlich« und »wehlich« scharf herausgearbeitet. Damit hat er die Eigenständigkeit des weltlichen Arms theologisch begründet und entfaltet. Zugleich hat er mit seiner Zwei-Reiche-Lehre die Forderung erhoben und ebenfalls theologisch begründet, daß die Kirche auf weltliche Macht verzichten muß. »Das Schwert« gehört zum Reich der Welt, Sache der Kirche ist »das Wort«. Es ist richtig, daß Luther diesen Grundsatz in seinem eigenen politischen Verhalten keineswegs immer strikt durchzuhalten vennochte. Besonders bei seiner Auseinandersetzung mit den sogenannten Schwärmern sowie in dem Streit mit den aufständischen Bauern hat er doch die HUfe des weldichen Arms angerufen. Was ihn dazu veranlaßte, war allerdings nicht mehr die VorsteUung, daß ein Territorium konfessioneU in sich geschlossen sein müßte, sondern die Tatsache, daß insbesondere Thomas Müntzer zu einem allgemeinen Umsturz aufrief und damit die Auseinandersetzung mit ihm nicht nur theologisch, sondern auch politisch und militärisch geführt werden mußte. Gegenüber Müntzer Toleranz zu üben, hätte sowohl für die Kirche in Kursachsen als auch für die Herrschaft des Kurfürsten geradezu die Selbstaufgabe bedeutet. Mit seiner Zwei-Reiche-Lehre hat Luther gegen Müntzer und dessen revolutionäres Geistchristentum gerade die »Vernünftigkeit«, die Rechtlichkeit und die Ordnungsfunktion der weltlichen Macht mit voUem, sachlichem Recht herausgesteUt. Anders war freilich die Situation gegenüber manchen sogenannten Schwärmern wie insbesondere Karlstadt, aber auch gegenüber den Täufern. Hier hätte Luther von seinen eigenen Voraussetzungen aus auf die Anrufung der weltlichen Gewalt verzichten müssen. Daß er das nicht getan hat, dürfte daran liegen, daß er von der Lehre dieser »Schwärmer« Gefahren für die öffentliche Ordnung befürchte-

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BORNKAMM, op.cit., 18-20. Dieser Gesichtspunkt ist vor allem auch von E KINDER, a.a.O. (1955), herausgearbeitet worden. Das ist ein Aspekt, der sonst in vielen Untersuchungen zu Luthers Zwci-Reiche-Lehre zu kurz kommt. 345

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te. 33 ° Vielleicht war die lange Zeit übliche Praxis der weltlichen Ketzerverfblgung auch einfach eine zu verbreitete Tradition, als daß Luther hiermit konsequent brechen woUte. Neben dieser Unterscheidung zwischen geistlichen und weltlichen Aufgaben hat die Distinktion zwischen beiden Regimenten sodann ihre besondere Funktion darin, daß Luther nicht nur die Kirche, sondern auch die Welt streng unter der göttlichen Regierung sieht. Gerade mit diesem Gedanken unterscheidet Luther sich von Augustin, der die »civitas Dei« und die »civitas tenena« im ganzen einander schroff entgegengesetzt hatte; seine Auffassung hebt sich aber auch von den verschiedenen mittelalterlichen Konzeptionen des »corpus chnstianum« ab. Die Zusammengehörigkeit, ja »die Einheit der beiden Regimente«, 3 3 ' gründet dann, daß Gott beide Regimente verordnet hat, wobei das weltliche Regiment für den äußeren Frieden sorgen und das geistliche Christen sowie »fromme Menschen« machen soU.552 Von daher kann Luther auf keinen Fall das Reich der Welt als »civitas diaboli« werten. Im Gegenteil, so groß der Unterschied zwischen beiden Reichen ist und so sehr eine Vermischung zwischen ihnen vermieden werden muß, so ist doch Gott in beiden mit seiner Güte und Barmherzigkeit am Werk. Luther kann das Reich der Welt auch als ein Reich des Zorns bezeichnen. 333 Doch steht für Luther über dem Zorn stets der göttliche Erhaltungs- und LiebeswiUe. Insofern wäre es ganz unangemessen, für Luther das Reich der Welt allein von dem Motiv des göttlichen Zorns her zu deuten. d) Der Ansatz der Ethik Für die Ethik des Christen ergeben sich von da aus wichtige Folgerungen, die hier wenigstens angedeutet seien. 334 Grundsätzlich gilt, daß nach Luther der Christ Bürger in beiden Reichen ist 330 Siehe Heinrich BORNKAMM, Die Frage der Obngkeit im Rcformationszeitalter, in: (Bornkamm), Das Jahrhundert der Reformation. Gestalten und Kräfte, 2. Aufl. Göttingen 1966, 291-315. Bernhard LOHSE, Luther und der Radikalismus, in: LuJ 44, 1977, 7 - 2 7 . 551 So Paul ALTHAUS, Die Ethik Martin Luthers, Gütersloh 1965, 59. 332 WA 11,251,15-18 (Von weltlicher Obrigkeit 1523) »Darumb hatt Gott die zwey regiment verordnet, das geystliche, wilchs Christen unnd frum leutt macht durch den heyligen geyst unter Christo, unnd das welltliche, wilchs den unchnsten und bößen weret, daß sie eußerlich müssen fnd hallten und still seyn ...« 333 Besonders scharf etwa WA 18,389,31-36 (Sendbrief von dem harten Büchlein wider die Bauern 1525): »Das weltliche reich, wilchs ist nichts denn Göttlichs zorns diener über die bösen und eyn rechter vorlaufft der hellen und ewiges todtes, soll nicht barmhertzig, sondern strenge, emst und zornig seyn ynn seynem ampt und werck. Denn seyn handzeug ist nicht eyn rosenkrantz odder eyn blümhn von der liebe, sondern eyn blos schwerd, Eyn schwerd aber ist eyn zeychen des zorns .« Freilich m u ß gerade hier der zeitgeschichtliche Zusammenhang dieses Sendbriefs bedacht werden. Von daher verbietet sich jede Systematisicrung dieses Gedankens, wie sie vor allem J. HECKEL, Lex chantatis, 1953, 41 f., vorgenommen hat. 334

Siehe die knappe, gute Skizze bei P ALTHAUS, Die Ethik Martin Luthers, 1965, 67-84.

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und auch in beiden Ordnungen Verantwortung trägt. Versuche, Luther hier Augustin anzunähern und in seinem Sinne den Christen lediglich als Bürger des R e i ches Chnsti zu bezeichnen, 333 sind gescheitert. Man muß sogar sagen, daß auch der Christ zunächst Bürger des Reiches der Welt ist und sodann erst Bürger des Reiches Gottes oder Christi. In gleicher Weise gilt, daß der Christ unter beiden Regimenten steht. Da Gott auch im weltlichen Regiment am Werk ist, gibt es letztlich keinen Konflikt, wed der göttliche Wille in beiden Reichen und in beiden Regimenten maßgebend ist. Probleme gibt es nun fredich im Ansatz der Ethik insofern, als der Chnst, so sehr beide Reiche und Regimente von Gott her zu sehen sind, doch unterschiedlichen Herren untenan ist. Luther hat ja gegen die »Schwärmer« immer wieder hervorgehoben, daß man die Welt nicht mit dem Evangelium regieren kann, sondern daß es des Rechtes und auch des »Schwertes« bedarf, um die äußere Ordnung aufrechtzuerhalten. Anders gesagt: auf der einen Seite ist der Christ wie alle anderen Menschen auch zur Einhaltung der zehn Gebote verpflichtet, die in der zweiten Tafel zugleich die Gnindordnung für das Reich der Welt darsteUen; auf der anderen Seite ist er zur Einhaltung der Bergpredigt mit ihrer radikalen »pazifistischen« Ethik verpflichtet, die gleichsam das Grundgesetz des neuen Äons ist. Wie kann beides zusammengehen? Wird der Christ hier nicht in eine Zerreißprobe hineingesteUt, die seine Möglichkeiten überschreitet? Luther hat die Probleme, welche sich hier ergeben, scharf und konsequent durchdacht. Um die doppelte Verpflichtung deutlich zu machen, die für den Christen gegeben ist, spricht er davon, daß der Christ gleichsam »zwei Personen« ist, nämlich Christperson und Weltperson. 356 Es ist beachtlich, daß sich diese Unterscheidung bei Luther vornehmlich in Predigten, also bei der Auslegung hierfür relevanter Texte sowie unter Berücksichtigung konkreter Lebenssituationen, findet. Dabei hebt Luther hervor, daß hier die Tatsache von Bedeutung ist, daß der Christ stets »in relatione« und damit also in Beziehung zu anderen Menschen lebt. Wo der Christ in dieser Weise Pflichten und Aufgaben gegenüber den ihm an-

333 Am weitesten ist in dieser Richtung J. HECKEL, Lex Chantaus, 1953 gegangen Heckel hat dabei aber mit Recht lebhaften Widerspruch erhalten. Siehe besonders Franz LAU, Leges Charitatis. Drei Fragen an Johannes Heckel, in: K u D 2, 1956, 7 6 - 8 9 . 336 W A 3 2 , 3 1 6 , 1 8 - 2 3 (Wochenpredigten über Mt. 5-7 1532) »Denn hie werden gleich zwo unterschiedliche person jnn einem menschen. Eine dann wir geschaffen und geboren sind, nach welcher wir alle unternander gleich sind, man, weib, kind, j u n g alt. etc. Aber wenn wir nu geboren sind, so kleidet und schmückt dich Gott zu einer andern person, machet dich zu einem kind, mich zum vater, einen zum herrn, den andern zum knecht ...« Mit Bezug auf den Christen als Weltperson und Chnstpcrson ebd. p. 3 9 0 , 8 - 1 8 (ebd). p. 390,30—32 »Ein Christ bistu für deine person, aber gegen deinem knecht bistu ein ander person und schuldig jn zu schützen.« Ähnlich WA 34 1,121,10-13 (Predigt 1531). Für den geistesgeschichthchen Hintergrund ist es wichtig, daß die Vorstellung einer »duplex persona« im Mittelalter durchaus geläufig war, nämlich vor allem im Blick auf die Funktionen eines Herrschers; siehe das monumentale Werk von Emst KANTOROWICZ, The King's two Bodies. A Study in Medieval Political Theology, Pnnceton, N . J . 1957.

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vertrauten Menschen hat, da ist von ihm nicht gefordert, daß er sich dem Bösen nicht widersetzt, vielmehr muß er seinen Nächsten schützen. 337 Diese Unterscheidung zwischen Christperson und Weltperson sowie die Berücksichtigung der konkreten Beziehung zu anderen Menschen darf nicht dahin mißverstanden werden, als gelte die spezifisch christliche Ethik allein im inneren Bereich, während für den äußeren Bereich die allgemeine Ethik des Dekalogs gelte. Es handelt sich vielmehr um eine Unterscheidung auf Grund des jeweUigen Amtes oder Auftrages oder Standes, in welchem der Christ gegenüber anderen Menschemteht: gegenüber demselben Menschen kann der Christ gefordert sein einmal als »Amtsperson«, sodann als »Christperson«. Anders gesagt: »Es ist zu unterscheiden zwischen dem Handeln (und Leiden) in eigener Sache bzw. im privaten Gegenüber zu meinem Nächsten einerseits, dem Handeln (und Leiden) im Amte, in der Verantwortung meines Standes für andere andererseits.« 338 Diese Unterscheidung zwischen einem Handeln in eigener Sache oder in der Verantwortung für andere ist im Grunde ein genereUes ethisches Phänomen, also nicht nur ein besonderes Problem der christlichen Ethik. In der christlichen Ethik spitzen sich lediglich auf Grund des Nonnenkonfliktes, wie Luther ihn sieht, manche Fragen besonders zu, die aber letztlich jeder verantwortlichen ethischen Besinnung vertraut sind. Bei der kritischen Würdigung von Luthers Zwei-ReicheLehre dürfte deshalb nicht so sehr diese Distinktion als solche kritikwürdig sein. Eher muß bei Luthers konkreten politischen Äußerungen gefragt werden, ob die Komplexität der Lage jeweils hinreichend zur Kenntnis genommen worden ist.

e) Die Unterscheidung zwischen den drei Ständen Für Luthers ethischen Ansatz ist keineswegs nur die Unterscheidung zwischen den beiden Reichen und Regimenten wichtig, sondern auch die Unterscheidung zwischen »drei Ständen«. Die Redeweise von drei Ständen bei Luther hat nicht die gleiche Aufmerksamkeit gefunden wie die Zwei-Reiche-Lehre; sie kann aber als eine wichtige Ergänzung gelten, zumal sie, ähnlich wie die Distinktion zwischen beiden Regimenten, geeignet ist, möglichen Mißverständnissen zu wehren. Mit den drei Ständen sind gemeint der Priesterstand, der Ehestand sowie die weltliche Obngkeit. Was die Terminologie betrifft, so kann Luther im Lateinischen von »ordo« oder von »hierarchia« sprechen. Im Deutschen finden sich vornehmlich die Begriffe »Stand«, »Hierarchie«, »Orden«, aber auch das Wort »Amt«. Der Sprachgebrauch ist also erheblich weiter und weniger präzise als bei der U n 337 Siehe WA 3 2 , 3 9 0 , 3 3 - 3 8 »Sihe so reden wirjtzt von einem Christen in relatione nicht als von einem Christen, sondern gebunden j n n diesem leben an ein ander person, so er unter odder ober jm odder auch neben j m hat, als herrn, frawen, weib, kind, nachbar etc. da einer dem andern schuldigjst zu verteidigen, schützen und schirmen wo er kan. Darumb were nicht recht, das man hie wolt leren den andern backen herhalten und den rock zum mantel wegwerffen.« 338 P. ALTHAUS, Die Ethik Martin Luthers, 1965, 74.

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terscheidung zwischen zwei Reichen und zwei Regimenten. Es ist jedoch üblich, von Luthers Drei-Stände-Lehre zu sprechen. Der traditionsgeschichthche Hintergrund der Lehre von den drei Ständen ist weniger eindeutig zu bestimmen, als dies für die Zwei-Reiche-Lehre möglich ist. Nach W. Maurer ist »Luthers Dreiständelehre . . . aus der katechetischen Unterweisung des Mittelalters erwachsen«, wozu nach Maurer auch die damalige Volkspredigt gehörte. 339 Daneben sei aber für die Verwendung des Begriffs »Hierarchie« auch der Einfluß des Dionysius Areopagita und seines Werkes »Über die himmlische Hierarchie« wichtig gewesen. R . Schwarz hat darüber hinaus betont, daß außerdem einmal die sozialen Strukturen aus Luthers eigener Zeit, nicht zuletzt aber auch die übliche Einteilung der Ethik in drei unterschiedliche Bereiche für Luthers Drei-Stände-Lehre einflußreich gewesen sei; besonders wichtig sei dabei die aristotelische Moralphdosophie gewesen. 560 Freilich dürfte gegenwärtig noch offen sein, wo die im Grunde bestimmende Tradition zu suchen ist, ohne daß deswegen die Bedeutung der anderen Traditionshnien bestritten werden soUte. Wichtig ist allerdings der Hinweis, daß Luther zunächst ganz überwiegend von »Ständen« oder »Ämtern« spricht, daß er jedoch den Begriff der »Hierarchien« erst spät und auch dann nur vergleichsweise selten verwendet. 361 Die wesentlichen Aussagen über die drei Stände werden jedoch durch diesen terminologischen Wandel nicht berührt. Eine wichtige Äußerung über die drei Stände findet sich in der Schnft »Vom Abendmahl Christi. Bekenntnis« (1528). In dem Abschnitt über die Klöster und Stifte, die nach Luthers Meinung höchstens als Ausbildungsstätten beibehalten werden soUten, spricht er in einem längeren Zusammenhang 3 6 2 von den drei »Orden« oder »Stiften«, die — anders als es für die monastischen Einrichtungen gUt — Gott selbst gestiftet hat. Es handelt sich um den Priesterstand, den Ehestand und die weltliche Obrigkeit. Jeder, der in einem dieser »Orden« ist, lebt in einem Gott wohlgefälligen »Orden«. Wer dagegen Mönch ist, befindet sich in einem selbst gewählten, nicht von Gott eingerichteten Stand. Die Stände sollen der Bewahrung und Erhaltung der Schöpfung dienen. Sie führen also nicht zur Seligkeit, die vielmehr allein im Glauben empfangen wird. An einigen SteUen macht Luther noch weitere Aussagen über die Stände und ihre Bedeutung. Eine etwas andere Bestimmung der drei Stände ist mit den lateinischen Begriffen »ecclesia«, »oeconomia« und »politia« gegeben. In der »Genesisvorlesung« (1535—1545), die auf Grund der Überlieferung nur mit Vorbehalt herangezogen werden kann, wird aus dem Gebot Genesis 2 Vers 16 und 17 (»Gott der H e n gebot dem Menschen: Du darfst essen von allen Bäumen im Garten,

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Wilhelm MAURER, Luthers Lehre von den drei Hierarchien und ihr mittelalterlicher Hintergrund, in: SBAW.PPH 1974, 4, München 1970, 9. 360 R SCHWARZ, op.cit, besonders 19f. 361 W . MAURER, op.cit., 39; R . SCHWARZ, op.cit., 17. 362 W A 26,504 f.

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aber von dem Baum der Erkenntnis des Guten und Bösen soUst du nicht essen«) die Einsetzung der Stände »Ecclesia«, »Oeconomia« und »Pohtia« abgeleitet. Als erstes sei die Kirche, obschon ohne allen Pomp, gestiftet. Mit der Erschaffung der Frau als Gefährtin des Mannes sei die »Oeconomia« begründet. Die »Politia« sei vor dem Sündenfall nicht nötig gewesen, dann aber als äußeres Zuchtmittel gegen die Folgen der Sünden gestiftet worden. Insofern könne man die »Politia« zu Recht als »regnum peccati« (Reich der Sünde) bezeichnen. 3 Besonders bedeutsam ist schließlich die »Zirkulardisputation über das Recht des Widerstandes gegen den Kaiser« vom 9. Mai 1539, die bereits in ihrem Titel den Begnff der »Hierarchien« verwendet: »Septuaginta Propositiones disputandae, de tnbus Hierarchijs, Ecclesiastica, Politica, Oeconomica, et quod Papa sub nuUa istarum fit, sed omnium pubheus hostis« (= 70 Schlußreden über die drei Hierarchien, die kirchliche, die politische und die wirtschaftliche, sowie daß der Papst zu keiner von diesen gehört, sondern der öffentliche Feind aller ist). 364 Bereits dieser Titel macht deutlich, daß auch hier noch der Gegensatz zu R o m im Hintergrund der Unterscheidung zwischen den Hierarchien steht. Tatsächlich spielt hier, ähnlich wie schon in der Schnft »Vom Abendmahl Christi«, die Polemik gegen das Mönchtum und das Papsttum eine maßgebliche RoUe. Sachlich führen die Ausführungen hier nicht über das früher von Luther Gesagte hinaus. Der angestrebte Nachweis, daß für das Papsttum in keiner der drei Hierarchien Platz ist, dürfte das zentrale Anliegen Luthers gewesen sein. Deshalb sei Widerstand gegen das Papsttum geboten. Keinesfalls kann der geforderte Gehorsam gegenüber dem Papst durch Berufung auf Römer 13 begründet werden. Ebenso ist Widerstand gegen Diebe und Räuber notwendig. Gegenüber der Obrigkeit ist gewaltsamer Widerstand strikt verboten. So, wie die Obrigkeit für die Wahrung des Friedens zu sorgen hat, so darfein Einzelner niemals gewaltsam der Obrigkeit widerstehen. Wichtig ist die Betonung, daß in allen drei Hierarchien der Christ verantwortlich zu handeln hat, besonders also auch im Bereich der Wirtschaft. 363 Die Redeweise von den drei Hierarchien ist nicht zuletzt deswegen wichtig, wed sie noch einmal deutlich macht, daß es für Luther bei dem Reich der Welt oder dem weltlichen Regiment keineswegs nur um die Obngkeit oder den Staat geht, sondern schlechterdings um alle Dinge, die für das Leben in der Welt notwendig sind. Zugleich vermeidet Luther mit dieser Lehre das Mißverständnis, das in seinen frühen Äußerungen nicht immer ausgeschlossen war, als lebte der Christ nur im Reich Christi. Die Tatsache, daß auch der Christ sein Leben in der Welt führt, wird also in der Hierarchienlehre stärker zum Ausdruck gebracht als in der Zwei-Reiche-Lehre. 363 WA 42,79,1-19. Ähnlich immerhin WA 40 111,646,17-21 (Vorlesung über Jesaja 9 1543/1544). 364 WA 39 II, (34) 3 9 - 9 1 ; der Titel nach den ersten Druckausgaben Zu dieser Disputation siehe Rudolf HERMANN, Luthers Zirkulardisputation über Matthäus 19.21, (1941), in: (Hermann), Gesammelte Studien zur Theologie Luthers und der Reformation, Göttingen 1960, 206—250. 363 Hierzu siehe Hans-Jürgen PRIEN, Luthers Wirtschaftsethik, Göttingen 1992.

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15) Die Eschatologie Lit.: Zur Eschatologie: Paul ALTHAUS, Die letzten Dinge. Lehrbuch der Eschatologie, (1922) 5. Aufl. Gütersloh 1949. Ders., Die Theologie Martin Luthers, (1962), 6. Aufl. G ü tersloh 1983. Ole MODALSLI, Das Gencht nach den Werken. Ein Beitrag zu Luthers Lehre vom Gesetz, in: FKDG 13, Göttingen 1963. Ulnch ASENDORF, Eschatologie bei Luther, Göttingen 1967. George W. FORELL, Rechtfertigung und Eschatologie bei Luther, in: R E FORMATION 1517-1967, hg. von Ernst KAHLER, Berlin 1968, 145-156. Fritz HEIDLER, Die biblische Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Sterben, Tod, ewiges Leben im Aspekt lutherischer Anthropologie, in: FSÖT 45, Göttingen 1983. D e n . , Luthers Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, in: Ratzeburger Hefte 1, Erlangen 1983. Ole MODALSLI, Luther über die Letzten Dinge, in: LEBEN und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546. Festgabe zu seinem 500. Geburtstag, hg. von Helmar JUNCHANS, Göttingen 1983, Bd. 1, 331-345; Bd. 2, 834—839. Werner THIEDE, Auferstehung der Toten - Hoffnung ohne Attraktivität? in: FSÖT 65, Göttingen 1991. Ders., Nur ein ewiger Augenblick. Luthers Lehre vom Seelenschlaf zwischen Tod und Auferweckung, in: Luther 64, 1993, 112-125. Zur Geschichtsauffassung: Emst SCHÄFER, Luther als Kirchenhistonker, Gütersloh 1897. Walther KÖHLER, Luther und die Kirchengeschichte nach seinen Schnften zunächst bis 1521, Bd. I, 1, Erlangen 1900 (weitere Teile sind nicht erschienen). Hanns LILJE, Luthers Geschichtsanschauung, in: FurSt 2, Berlin 1932. Hermann Wolfgang BEYER, Gott und die Geschichte nach Luthers Auslegung des Magnificat, in: LuJ 21, 1939, 110-134. Heinnch BORNKAMM, Gott und die Geschichte nach Luther, (1946), in: (Bornkamm) Luthers geistige Welt (1947), 4. Aufl. Gütersloh 1960, 199-219. Hans-Walter KRUMWIEDE, Glaube und Geschichte in der Theologie Luthers. Zur Entstehung des geschichtlichen Denkens in Deutschland, in: FKDG 2, Göttingen 1952. Heinz ZAHRNT, Luther deutet Geschichte, München 1952. John M. HEADLEY, Luther's View of Church History, New Haven/London 1963. Martin SCHMIDT, Luthers Schau der Geschichte, in: LuJ 30, 1963, 17-69. Hermann DÖRRIES, Luthers Verständnis der Geschichte, in: (Dörries) Wort und Stunde, Bd.3, Göttingen 1970, 1-83. Gottfried SEEBASS, Art. Antichrist IV: Reformations- und Neuzeit, in: T R E 3, 1978, 28-43. Reinhard SCHWARZ, Die Wahrheit der Geschichte im Verständnis der Wittenberger Reformation, in: ZThK 76, 1979,159-190. Gustav AdolfBENRATH, Art. Geschichte/Geschichtsschreibung/Gcschichtsphilosophie, in: T R E 12, 1984, 630-643. Gerhard MAY, »Je länger, je ärger«? Das Ziel der Geschichte im Denken Martin Luthers, in: Z W 60, 1989, 208-218. a) T o d u n d Jüngstes Gericht D e r G e d a n k e an d e n T o d u n d an das Jüngste Gericht ist für L u t h e r s o w o h l in seinem eigenen L e b e n als auch in seiner gesamten T h e o l o g i e stets präsent. D i e Frage, w i e er i m Gericht v o r Gott bestehen k ö n n e , hatte in seiner Biographie eine e n t s c h e i d e n d e RoUe gespielt. D i e reformatorische E r k e n n t n i s über die G e rechtigkeit Gottes u n d die R e c h t f e r t i g u n g des M e n s c h e n ist o h n e den Z u s a m m e n h a n g m i t d e r Eschatologie nicht verständlich. 3 6 6 In Luthers R e c h t f e r t i g u n g s lehre ist der G e d a n k e an d e n T o d u n d an das Jüngste Gericht v o n fundamentaler Siehe oben 274-283

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Bedeutung: es geht um die Rechtfertigung, die zwar hier und jetzt empfangen wird, die aber ihre voUe Verwirklichung erst in der Stunde des Gerichts vor dem ewigen Gott erhalten wird. Tod und Jüngstes Gericht sind von daher auch für seine Anthropologie, aber natürlich auch für seine Geschichtsauffassung stets zu berücksichtigen. Daß der Mensch Geschöpf ist und sich selbst in seiner kreatürlichen Bedingtheit sehen muß, wenn er nicht der Hybns verfallen wiU, schließt ein, daß er um das Ende weiß, das ihm bevorsteht. Die Stellung zu Tod und Gencht ist darum für Luther sowohl in seiner Biographie als auch in seiner T h e o logie gleichsam der Prüfstein für die Wahrheit und Echtheit aller Aussagen. Eine Theologie, welche diesen Honzont der Endzeit nicht in ihre Reflexionen einbezieht, verfehlt sowohl die Wahrheit des Evangeliums als auch die Wirklichkeit der menschlichen Existenz. Gewiß verdankt Luther mit einer solchen Auffassung der Welt des ausgehenden Mittelalters viel, weil damals die Allmacht und AUgegenwärtigkeit des Todes mit ungeheurer Intensität erfahren und reflektiert wurde. 3 6 7 Ohne Zweifel hat Luther von den damals herrschenden Ansichten über Tod und Gericht, Antichrist und Endzeiterwartung etliches übernommen; besonders in seiner Frühzeit lassen sich hier Einflüsse des späteren Mittelalters bei ihm nachweisen. Und doch hat er von seiner reformatorischen Theologie her die verschiedenen Fragen und Aspekte neu durchdacht und auf diese Weise Beiträge geliefert, die weit über die damals verbreiteten VorsteUungen hinausweisen. Charakteristisch ist dabei für Luther die enge Verbindung, die er zwischen dem Tod des Einzelnen und dem Jüngsten Gericht sieht. Dabei kann er allerdings durchaus unterschiedliche Gedanken äußern, ähnlich wie auch in der Bibel und zumal bei Paulus keine strenge Einheitlichkeit der Todes- und JenseitsvorsteUungen vorliegt. Eine Besonderheit weist Luthers Eschatologie jedoch vor allem darin auf, daß sie auf das engste mit der reformatorischen Auffassung von Gesetz und Evangelium verbunden ist. Luther teUt mit der Tradition die dualistische Ansicht, daß beim Tod die Seele vom Leib getrennt wird, obwohl Luther hier auch manche Rückfragen formuliert. In der Promotionsdisputation des Petrus Hegemon von 1545 sagt Luther: »[Im Tode] kehrt der Geist zum Herrn zurück. Das lehrt die ganze Kirche, daß im Tode die Seele vom Leib getrennt wird. Doch ist es eine andere Frage, ob der Körper und die Seele [ganz] getrennte Dinge sind.« 368 Luther vertritt dabei die Ansicht, daß die Seele des Toten gleichsam »zwischen Himmel und Erde« schläft und dann am Jüngsten Tage neu erweckt wird. 369 Dabei meint er, daß die dereinst 367

Siehe Hans PREUSS, Die Vorstellungen vom A n n e h m t im späteren Mittelalter, bei Luther und in der konfessionellen Polemik. Ein Beitrag zur Theologie Luthers und zur Geschichte der Frömmigkeit, Leipzig 1906. 368 W A 39 11,354,10-15 »Spiritus redit ad dominum Hoc tota ecclesia dicit, et quod in morte separatur amma a corpore. Sed aha quaestio est, an corpus et amma sint distinctae res ...« 369 Statt vieler Belege, die sich hier anführen ließen, sei nur verwiesen auf Luthers ausfuhrlichere und besonders durchdachte Darlegung in WA Br 2 Nr. 449, 27-44 (Brief an Amsdorfvom 13.1.1521; besonders Z. 29-31).

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Aufwachenden gar nicht wissen, wie lange sie geschlafen haben und wo sie gewesen sind: »Drumb heyst auch der tod ynn der schrifft eyn schlaff. Denn gleich wie der nicht weys, wie yhm geschieht, wer eynschlefft und kompt zu morgen unversehens, wenn er auffwacht. Also werden wyr plötzlich aufferstehen amjüngsten tage, das wyr nicht wissen, wie wyr ynn den tod und durch den tod komen sind.« 570 Dabei kann kein Zweifel bestehen, daß Luther die Unsterblichkeit der Seele vertritt. 371 Allerdings hat Luther die Unsterblichkeit der Seele anders als die Scholastik begründet, die in dieser Frage dem antiken Weltbdd folgte. Luthers Argumentation für die Unsterblichkeit der Seele ist vielmehr eine streng theologische. So sagt Luther etwa: »... die da glewben und erkennen den, von dem sie leben, sterben nymmermehr, ßondernn das naturlich leben wirt gestreckt ynß ewige leben, das es den todt nymmermehr schmeckt, wie er sagt Joh.8 [Vers 52]: >Wer meyn wort heUt, der wirt den todt nymmermehr schmecken« . . . «372 Oder er kann in folgender Weise argumentieren: »Wenn wir tot sind, dann sind wir ihm [Gott] doch nicht tot. Denn er ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Gott Abrahams usw., die leben, wie es Matthäus 22 [Vers 32] heißt, sie sind nicht tot, sondern leben mir.« 373 Oder Luther äußert, daß Gott die Seele im Mutterleib als unsterblich erschafft.374 Oder es heißt: »Er [Gott] redet aUein mit dem Menschen. Wo also und mit w e m auch immer Gott redet, sei es im Zorn sei es in Gnade, der ist gewiß unsterblich. Die Person des redenden Gottes und das Wort machen deutlich, daß wir solche Geschöpfe sind, mit denen Gott bis in Ewigkeit und unsterblicher Weise reden wiU.«37-3 Luther ist also der Überzeugung, daß, weil Gott den Menschen erschaffen hat, die Beziehung zwischen Gott und Mensch niemals zu Ende ist. Luther kann sich freilich auch in ganz anderer Weise als mit Hdfe der Vorstellung vom Seelenschlaf äußern. Aus der Perikope vom reichen Mann und armen Lazarus (Lukas 16, 19—31) schließt Luther gelegentlich, daß Gott Verstorbene zeitweilig aus dem Schlaf erwecken kann; er fügt jedoch hinzu, daß »keyn gewiß 370

WA 17 11,235,16-20 (Fastenpostille 1525). Der Nachweis hierzu ist u.a. zuletzt durch W . THIEDE, op.cit. (1993), erbracht worden. 372 W A 10 1,1,200,6-8 (Kirchenpostille 1522). 373 W A 37,149,19—21 (Predigt 1533) »Quando sumus mortui, non sumus mortui coram eo. Quia ipsc non est deus m o n u o r u m , sed deus Abrahae etc. qui vivunt, ut Matth. 22 q.d. non sunt mortui, sed vivunt mihi.« 374 WA 39 11,401,4—8 (Promotionsdisputation von Petrus Hegemon 1545). Zur Besonderheit von Luthers Auffassung über die Unsterblichkeit der Seele siehe Gerhard EBELINC, Lutherstudien, Bd II, Disputatio de Homine, 2. Teil: Die philosophische Definition des Menschen. Tübingen 1982, 6 0 - 1 8 3 . Ebeling arbeitet insbesondere die unterschiedliche Stellung zu Aristoteles bei Luther im Vergleich mit der spätscholastischen Theologie heraus; siehe 136-145. 373 WA 43,481,32—35 (Genesisvorlesung 1535-1545) «Cum solo homine loquitur Ubi igitur et cum quoeunque loquitur Deus, sive in ira, sive in gratia loquitur, is certo est immortalis. Persona Dei loquentis et verbum significant nos tales creaturas esse, cum quibus velit loqui Deus usque in aeternum et immortaliter.« 371

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regel hyrauff gestellet werden mag.« 376 In der großen Genesisvorlesung (1535— 1545) vergleicht Luther einmal den Schlaf des Menschen in der Nacht mit dem Schlaf der Seele nach dem Tod. Während auf Erden der Leib des Menschen schläft und seine Seele zugleich wach ist und dabei Visionen erleidet oder die Gespräche zwischen Gott und den Engeln hört, schläft nach dem Tode auch die Seele des Menschen; aber Gott wacht dann und bewahrt die ruhende Seele. Luther fügt hinzu, daß wir nicht wissen, wie dies geschehen könne. 3 Besonders wichtig ist die Bemerkung zum Tode des Urbanus Rhegius, die sich in Luthers Vorrede zu dessen Werk »Prophetiae vetens testamenti de Christo« (1542) findet und die eine ganz andere VorsteUung über die Zeit nach dem Tode voraussetzt: »Deshalb soUen wir wissen, daß unser Urbanus, der beständig in der wahren Anrufung Gottes und im Glauben an Christus gelebt und treu der Kirche gedient und das Evangelium mit der Keuschheit und Frömmigkeit seines Wandels geehrt hat, selig ist und ewiges Leben sowie ewige Freude in der Gemeinschaft mit Christus und der himmlischen Kirche hat, in der erjetzt das offenkundig lernt, wahrnimmt und hört, was er hier in der Kirche gemäß dem Wort Gottes dargelegt hat.« 378 Diese wichtige Äußerung über die Gemeinschaft mit Christus unmittelbar nach dem Tode steht in erheblicher Spannung zu der Behauptung eines Seelenschlafs; sie ist mit dieser im Grunde unvereinbar. Luther mag dabei insbesondere an die Aussage des Paulus im Philipperbrief 1 Vers 23 gedacht haben: »Ich habe Lust, aus der Welt zu scheiden und bei Christus zu sein, was auch viel besser wäre.« Auf Grund einer solchen Aussage ist es fraglich, ob die gewiß zahlreicheren Worte über den Seelenschlaf wirklich in den Rang einer »Lehre Luthers« erhoben werden können. 3 7 9 Auf der anderen Seite ist es ebenso wenig vertretbar, für Luther den Gedanken eines Seelenschlafs abzulehnen. 380 Es muß vielmehr festgesteUt werden, daß Luther, wie schon Paulus, sich verschieden äußern kann. Man soUte nicht den Versuch machen, die eine oder die andere VorsteUung für Luthers eigentliche Meinung zu halten. Luther wiU vielmehr mit seinen verschiedenen Gedanken die Aussagen der Bibel wiedergeben. Im Zentrum steht dabei die Ansicht, daß die Gemeinschaft mit Gott und mit Christus durch den Tod nicht aufhört, und zwar nicht darum, weil die Seele des Menschen eine ewige Wesenheit wäre, sondern weil Gott den Menschen geschaffen hat und mit ihm redet. Neben den verschiedenen VorsteUungen über den Zustand nach dem Tod ist sodann die Verbindung von Tod und Gericht von Bedeutung. 376

WA 10 111,194,10-21 (Predigt 1522) W A 4 3 , 3 6 0 , 2 4 - 3 3 mit Bezug auf den T o d Abrahams (Genesis 25, 7-10). 378 W A 53,400,14—19 »Quare et Urbanum nostrum, qui in vera invocatione Dei et fide Chnsti assidue vixit et fideliter servivit Ecclesiae et Euangehum castitate et pietate morum ornavit, sciamus beatum esse et habere vitam et laeticiam aeternam in societate Christi et Ecclesiae coclestis, in qua nunc ea coram discit, cemit et audit, de quibus hie in Ecclesia iuxta verbum Dei disseruit.« Dem Zitat geht voran der Verweis auf Apokalypse 14 Vers 13 »Selig die Toten, die in dem Herrn sterben«« 379 So der Titel des Aufsatzes von W THIEDE, op.cit. (1993). 3,0 So F. HEIDLER in seinen verschiedenen Arbeiten; siehe HEIDLER, Die biblische Lehre . . . , 1983, 18u.ö. 377

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Auf der einen Seite teUt Luther mit der Tradition die Erwartung des Jüngsten Tages am Ende der Geschichte. Hatte er in seinen Anfechtungen einst vor dem Gericht Angst und Grauen empfunden, 381 so kann er später sich auf den Jüngsten Tag freuen und beten: »Kom, [lieber jüngster] Tag, Amen.« 382 Auf Grund von Johannes 3 Vers 18 »Wer an ihn glaubt, der wird nicht gerichtet« ist Luther überzeugt, daß derjenige, der an Christus glaubt, schon »aus dem Gerichte« ist. »Wen wir das kundten in unser hertz fassen, welch eine freude wurden wir drinnen anrichten, das man das jüngste Gerichte nicht fürchten wurde.« 583 Auf der anderen Seite kann Luther jedoch sagen, daß jeder Einzelne den Jüngsten Tag bereits nach seinem Tode erfahrt. Dabei betont Luther des öfteren, daß alle ZeitvorsteUungen, die wir hier auf Erden haben, im Blick auf die Situation nach dem Tode unangemessen sind. »Denn hie muß man die zeytt auß dem synn thun unnd wissen, das ynn yhener weUt nicht zeytt noch stund sind, ßondernn alles eyn ewiger augenblick.« 584 »Vor Gott ist Adam so gegenwärtig wie der letzte Mensch . . . Wenn Adam und die anderen auferstehen werden, werden sie meinen, sie seien eben erst in derselben Stunde gestorben . . . Wenn wir tot sind, wird jeder seinen jüngsten Tag haben.« 383 Dabei ist es wichtig, daß Luther von der Aufhebung der Zeit nicht nur im Blick auf das subjektive Empfinden des Menschen redet, sondern auch im Blick auf Gottes Ewigkeit. 586 Luther bringt mit diesen Worten der Sache nach bereits die Auffassung zum Ausdnick, daß R a u m und Zeit Kategorien unseres Denkens und unserer Welt sind, daß diese Kategorien aber im Angesicht von Gottes Ewigkeit nicht gültig sind. Daraus ergibt sich, daß der Jüngste Tag ein Ereignis ist, welches einerseits am Ende der Tage, andererseits jedoch für jeden Einzelnen bereits nach seinem Tode eintritt. b) Der Tod im Licht von Gesetz und Evangelium Die reformatonsche Sicht des Todes und des Jüngsten Gerichtes tritt besonders deutlich darin hervor, daß Luther den Tod im Licht von Gesetz und Evangelium sieht. Für diese neue Interpretation des Todes ist Luthers Vorlesung über Psalm 381

Siehe das »Selbstzeugnis«, W A 5 4 , 1 7 9 , 3 1 - 3 3 (1545). WA Br 9 Nr. 3512,17 (Brief an seine Frau vom 16.7.1540). 383 WA 47,102,19-33 (Auslegung des 3. und 4. Kapitels Johannis 1538-1540). 384 WA 10 111,194,10-12 (Predigt 1522). 3,3 W A 1 4 , 7 0 , 8 - 7 1 , 5 (Die ander Epistel S. Petri und S. Judas ausgelegt 1523/24) »Coram deo Adam tarn praesens ut ultimus est . . . Adam et ceteri cum resurgent, putabunt se iam p n m u m et in eadem hora mortuos esse quando mortui sumus, quisque suum habebit extremum diem.« Ähnlich WA 12,596,26-30 (Predigt 1523) »Und wenn man auffersteen wirt, so wurde es Adam und den alten vetem werden, gleich als weren sie vor einer halben stundt noch im leben gewest. Dort ist kain zcyt, derhalben kan auch kam besunder ort sein und seind weder tag noch nacht.« W A 3 6 , 3 4 9 , 8 - 1 2 (Predigt 1532). WA 40 III, 525,5f. (Vorlesung über Psalm 90 1534/35) »quando Adam excitabitur, ent ut 1 hora« ( a wenn Adam auferweckt werden wird, wird es sein, als wäre eine Stunde vergangen). 382

386

So mit Recht P. ALTHAUS, Die Theologie Martin Luthers, 348 Anm. 52.

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90 von 1534/1535 ganz besonders wichtig. Allerdings ist bei diesem Text die Uberheferungsproblematik zu beachten. In den Deutungen von W. Elert 387 und P. Althaus 388 ist im wesentlichen die Druckbearbeitung durch Veit Dietrich zugrundegelegt worden, in welcher Luthers Gedanken in starkem Maße verändert worden sind. U m Luthers ursprüngliche Ansicht zu erheben, können allein die Nachschriften herangezogen werden. 389 Das Bild, welches sich dann ergibt, ist erheblich anders als bei Elert und Althaus. Sowohl der Inhalt von Psalm 90 als auch Luthers damals angeschlagene Gesundheit gaben Veranlassung, auf das Problem des Todes näher einzugehen. Ein zweites zentrales Thema dieser Vorlesung steUt die Unterscheidung von Gesetz und Evangelium dar, die fredich von Luther selbst streng von den Textaussagen her, aber in Beziehung zu Tod und Auferstehung getroffen wird, während Veit Dietrich in seiner Druckbearbeitung diese Thematik lehrmäßig ausgebaut hat. Das Beachtliche ist jedoch, daß das eigentliche Thema weder der Tod und die menschlichen Leiden noch die Frage von Gesetz und Evangelium ist, sondern das Leben. Luther macht dafür verschiedene Argumente geltend. Eine henneneutische Regel, die Luther bei der Auslegung des Titels dieses Psalms »Gebet des Mose« aufsteUt, lautet, daß Mose hier gleichsam als »publica persona dei«, als »Organum dei« zu nehmen sei, dessen Worte und Taten also von Gott selbst eingegeben sind. Mose muß hier also in seinem Amt als »minister legis« (Diener des Gesetzes) gesehen werden. 390 Dieser Gedanke ist aber nur der eine Teil von Luthers henneneutischer Regel. Der andere Teil ist die Ergänzung, die Luther von seiner Lehre von Gesetz und Evangelium her, aber auch auf Grund seiner Exegese dieses Psalms so formuliert: »Es ist die Regel und ein fester Kanon: wo auch immer in der Schrift vom ersten Gebot gehandelt wird, da ist Christus hinzuzunehmen, der nach Matthäus [22 Vers 32] sagt: >Gott ist nicht ein Gott der Toten[, sondern der Lebendigen]«.«591 Besonders eindrücklich ist es, daß Luther von daher bei der Interpretation des ersten Verses dieses Psalms von seiner früheren und von der augustinischen Auffassung abrückt, wonach Gott in diesem Psalm als die Zuflucht bezeichnet werden soU. Ganz offenbar hat Luther sich inzwischen erneut nicht nur mit dem hebräi-

387 Siehe Werner ELERT, Morphologie des Luthertums, Bd. 1, (1931) 2. Aufl. München 1952, besonders 15-25. 388 Paul ALTHAUS, Luthers Wort vom Ende und Ziel des Menschen, in: Luther 28, 1957, 97-108. Kritisch dazu Bernhard LOHSE, Gesetz, Tod und Sünde in Luthers Auslegung des 90 Psalms, (1968) in: (B.Lohse) Evangelium in der Geschichte. Studien zu Luther und der Reformation, hg. von Leif GRANE, Bernd MOELLER und Otto Hermann PESCH, Göttingen 1988, 379-394. 389 Ausführlicher Nachweis bei Matthias SCHLICHT, Luthers Vorlesung über Psalm 90 - Überlieferung und Theologie, in: FKDG 55, Göttingen 1994

3.0 3.1

WA 40 111,490,4.

W A 40 III, 492,11—493,1 »Regula et certus Canon: In quocunque loco senpturae agitur de 1. praeeepto, quod appheandus est Christus, qui dicit Matth 22: >Non est Deus mortuorum« ...«

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sehen Text, sondern auch mit der Psalterübersetzung des Hieronymus befaßt, mit dem Ergebnis, daß er hier Hieronymus gegen Augustin recht geben muß. Hieronymus hatte an dieser Stelle das hebräische Wort »maon« mit »habitaculum«, also »Wohnung« oder »Bleibe«, wiedergegeben. Gegen seine eigene Bibelübersetzung lehnt Luther hier die Interpretation durch das Wort »Zuflucht« ab. Aufs ganze gesehen, ist es ein seltener Fall, daß Luther von einer Position abgeht, die er von dem großen afrikanischen Kirchenvater Augustin übernommen hatte, 392 um sich einer Meinung anzuschließen, die der von ihm weniger geschätzte Hieronymus vertreten hatte. Luther zieht aus seiner komgierten Übersetzung gewichtige Konsequenzen: »Wenn Gott die >Wohnung< der Menschen ist, dann ist es notwendig, daß die >Menschen< >leben«.«595 Oder: »Gott ist unser Haus, unser Beschützer.« Daraus ergibt sich, »daß es Hoffnung auf das ewige Leben gibt, daß alle, die [so] beten dürfen, wissen soUen, daß sie nicht vergeblich sterben, leiden, leben, sondern daß es eine gewisse Wohnung gibt, wo wir leben werden.« 394 In dieser Weise verbindet Luther hier die Problematik des Todes mit der reformatorischen Thematik von Gesetz und Evangelium. Im Licht des Gesetzes steht also der Tod unter dem Zorn Gottes. Weil das so ist, kann der Mensch den Tod nicht als ein natürliches Phänomen hinnehmen, sondern geht dem Tod voUer Angst und Furcht entgegen, da sich für ihn mit dem Tode das Gericht verbindet. Luther teilt mit der Tradition die Auffassung, daß der Tod an sich nicht sein sollte, sondern erst wegen der Sünde der Menschen als Strafe verhängt worden ist. An sich soUte es keinen Tod geben, »sondern das Leben. Und jene gewaltige Todesfurcht im Menschen bedeutet, daß der Tod des Menschen etwas ganz anderes ist als der Tod der Tiere, und es heißt, daß kein Tier eine solche Todesfurcht hat wie der Mensch, und zwar zum Zeichen dafür, daß der Mensch zum Leben erschaffen ist.«393 Der Tod »bnngt auch sunde vnd gesetze mit sich«.596 Tod, Sünde und Gesetz SteUen die furchtbare Trias dar, die uns stets anficht. Weil der Christ um das Gesetz und die Sünde weiß, spürt er die Schrecken des Todes stärker als andere Menschen. Im Licht des Evangeliums tritt jedoch dieser Schrecken des Todes zurück; der Tod nimmt eine andere Gestalt an. Der Tod bleibt das Gericht Gottes über den sündig gewordenen Menschen. Und doch ist verborgen unter der Maske des Ge-

3.2 Siehe Augustin, Enarr. in Ps. 89,2; CCSL X X X I X , 1245,1 f: »>Dominc,unquit, >refugium factus es nobis in generatione et generatione«.« Schon in seiner ersten Psalmcnvorlesung folgte Luther hier Augustin. Siehe WA 55 I,620,4f. (ZGl.Ps. 89,1) »>Domine< Ihesu Chnste >refugium« extra te enim non nisi afflictio est etiam in bonis >factus es« ...«

3

" WA 40 III,497,6f.

3,4

WA 40 111,498,2-5 »Deus . . . Domus est nostra, tutela, .. ut Sit spes vitae aeternae, ut omnes, qui debent orare, sciant se non frustra mon, pati, vivere, sed esse certissimum habitaculum, ubi vivemus.« 3.3 WA 39 11,367,20-24 (Promotionsdisputation von Petrus Hegemon 1545; eigene Übers). 3% WA 31 1,146,17 (Auslegung des 118. Psalms 1529/1530).

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nchtes die Gnade da. Der Christ kann nun spüren, »das j h m Gott zu schicke solchen tod«; der Tod soU nun »die vaters rute und kinds straffe sein.«597 Die enge Verbindung der beiden Deutungen des Todes vom Gesetz und vom Evangelium her kommt besonders in Luthers Tauftheologie zum Ausdruck. In dem Taufsermon von 1519 heißt es hierzu: »Die bedeutung, und sterben odder ersäuften der sund, geschieht nit volnkomen, yn dißem leben, biß der mensch auch leyphch sterb und gantz vorweße zu pulver. Das sacrament odder tzeychen der tauff ist bald geschechen, wie wir vor äugen sehen, aber die bedeutung, die geystliche tauff, die erseuftung der sund, weret die weyl wir leben, und wirt aller erst ym tod volnbracht, da wirt der mensch recht yn die tauff gesenckt, unnd geschieht, was die tauff bedeut. Drumb ist diß gantz leben nit anders, dan eyn geystlich tauften an unterlaß biß yn denn todt.« 398 In diesem Sinne kann der Christ den Tod hinnehmen in der Hoffnung, dann von seiner Sünde befreit zu werden. 599 In diesem Sinne kann der Christ den Tod und damit zugleich das ewige Leben geradezu begehren. 600 So kann Luther auch das alte Motiv der »felix culpa« aufnehmen, also die Auffassung, daß die Schuld insofern »glückselig« geworden ist, als sie durch Christi Erlösungswerk vergeben ist: »Also haben wyr auch keyn grösser schrecken denn von sund und tod, doch kan uns Gott also darynn trösten, das wir uns durften rhümen, wie S. Paul [Römer 5 Vers 20 f.] sagt, das die sund eben darzu gedienet hab, das wir rechtfertig wurden, und das wyr auch gerne wolten tod sein und begeren zu sterben.«601 So kann es dann geschehen, daß, wie Luther das Lied des greisen Simeon - Lukas 2 Vers 29 »Herr, nun lassest du deinen Diener in Frieden fahren, wie du gesagt hast« — interpretiert: »der tod ist meyn schlaff worden.« Luther bringt diesen Gedanken, daß der Tod, wenn er im Glauben angenommen wird, seinen Charakter ändert, in einer FüUe verschiedener Bilder zum Ausdruck. In dem »Sermon von der Bereitung zum Sterben« von 1519 heißt es: Man soU sich hinwenden »alleyn zu gott . . . , da der weg des Sterbens sich auch hin keret und unß füret. Und hie hebt an die enge pforte, der schmale steyg zum leben« - vergleichbar dem engen Weg in dieses Leben bei der Geburt. 603 Oder Luther faßt seine Ansicht von dem im Glauben angenommenen Sterben in seiner Vorlesung über Psalm 90 dahin zusammen, daß das Gesetz sagt: »Mitten wir im

3.7

WA 31 1,160,20-24 (ebd) W A 2,728,10-17. >n WA 10 111,76,8-10 (Predigt 1 5 2 2 ) . . . . das wir der sünd loß werden. Aber das ist das beste des Sterbens, das sich der will darein geb. Dann der leyb ist bald gestorben, so sich der gayst darein ergeben hatt.« 600 WA 6,14,12-14 (Eine kurze Form, das Paternoster zu verstehen und zu beten 1519) »Hilff uns auß disem sundtlichen ferlichen leben. Hilff unns jhenes leben begeren und disem feyndt werden. Hilff uns den todt nit forchten, sonder begeren.« 601 WA 12,410,31-34 (Predigt 1523). 602 WA 35,439,2 in dem Lied »Myt fnd und freud ich far do hyn«; AWA 4, 1985, 78.229-231. 603 W A 2,685,20-26. 3.8

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Leben sind von dem Tod umfangen«, daß aber das Evangelium diesen Satz umkehrt: »Mitten wir im Tode sind, von dem Leben umfangen, weü wir die Vergebung der Sünden haben.« 604

c) Das Ziel der Geschichte Nicht nur jeder einzelne Mensch, sondern auch die Geschichte als solche geht dem Ende entgegen. Die Erwartung der Endzeit gehört seit dem Neuen Testament wesenhaft zum christlichen Glauben hinzu. 603 Allerdings hat die futurische Eschatologie im Laufe der Kirchengeschichte sehr unterschiedliche Ausprägungen erfahren. Sowohl in der alten als auch in der mittelalterlichen Kirche hat es Zeiten mit einer ausgeprägten apokalyptischen Erwartung gegeben, während in anderen Epochen die Enderwartung zurücktrat zugunsten einer eher präsentischen Eschatologie. Das ausgehende Mittelalter sowie die frühe Reformationszeit sind durch eine tedweise außerordentlich starke Apokalyptik gekennzeichnet. Dies gilt sicher in gewissen Grenzen für Luther selbst, vor allem aber etwa für Thomas Müntzer 606 und erhebliche Teile der Bauernbewegung, 607 aber auch für breite Kreise der verschiedenen Richtungen des »linken Flügels der Reformation«, also der Täufer und vor aUem auch der Anhänger eines Melchior Hoffman. Die apokalyptische Erwartung verband sich teilweise mit einem ausgeprägten Chiliasmus. Es ist umstritten, wie stark auch Luther von apokalyptischen Erwartungen bestimmt war. Während einige Forscher der Apokalyptik bei Luther eine erhebliche Bedeutung zuschreiben, 609 wird von anderen das Gewicht der Apokalyptik bei Luther für geringer gehalten. 610 So sehr Luther immer wieder auf die bald hereinbrechende Endzeit hingewiesen hat, so fehlt es doch nicht an Zeugnissen dafür,

604 W A 40 III. 496,4f. »Das ist vox legis: Mitten: Vox Euangelii: Media etc., quia remissionem peccatorum habemus.« cf. die hier sachlich korrekte Bearbeitung durch Dietnch, ebd 496,16f. 603 Siehe hierzu insbesondere P. ALTHAUS, Die letzten Dinge, 1949. 606 Siehe Hans-Jürgen GOERTZ, Thomas Müntzer. Mystiker, Apokalyptiker, Revolutionär, M ü n chen 1989; Abraham FRIESEN, Thomas Muentzer, a Destroyer of the Godless. The Making of a Sixtccnth-Century Religious Revolutionary, Berkeley/Los Angelcs/Oxford 1990; Bernhard LOHSE, Thomas Müntzer in neuer Sicht. Müntzer im Licht der neueren Forschung und die Frage nach dem Ansatz seiner Theologie, in: Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungtus-Gesellschaft der Wissenschaften e.V., Hamburg, Jg. 9, 1991 H. 2, Göttingen 1991. 607 Siehe etwa Heiko A. OBERMAN, Tumultus rusticorum: Vom »Klosterkneg« zum Fürstensieg. Der deutsche Bauemkneg aus der Nähe betrachtet, (1974) in: (Oberman) Die Reformation — Von Wittenberg nach Genf, Göttingen 1986, 144-161. 608 Siehe Klaus DEPPERMANN, Melchior Hoffman. Soziale Unruhen und apokalyptische Visionen im Zeitalter der Reformation, Göttingen 1979. **" So besonders Heiko A. OBERMAN, Luther. Mensch zwischen Gott und Teufel, Berlin 1981; ders., Martin Luther: Vorläufer der Reformation, (1982), in: (Oberman) Die Reformation - Von Wittenberg nach Genf, Göttingen 1986, 162-188. 610 Bernhard LOHSE, Luthers Selbsteinschätzung, (1985), in: (Lohse) Evangelium in der Geschichte, Göttingen 1988, 158-175, besonders 165 f.

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

daß Luther noch mit einer längeren geschichtlichen Entwicklung gerechnet hat. 61 ' Was ihn die Nähe des Endes erwarten läßt, ist vor allem die Herrschaft des Papstes in der Kirche, in dem er den Antichrist erblickt. Daraus folgt aber auch, daß die Leiden der Frommen in dieser letzten Zeit zunehmen. Solche Gedanken finden sich bei Luther seit seinem frühen Romkonflikt; durch das Auftreten der sogenannten Schwärmer sah Luther sich in solchen Endzeiterwartungen bestärkt. Der Papst, so meint Luther, läßt Christus und sein Wort nicht gelten. Luther ist überzeugt, daß damit der Antichrist in der Kirche selbst vorhanden ist, wie es nach Luther bereits in der Bibel geweissagt ist. War bereits in der spätmittelalterlichen Polemik gegen R o m der Papst oft als der Antichrist bezeichnet worden, so ist bei Luther die Begründung neu, daß der Papst über dem Wort Gottes stehen will. 612 Auf der anderen Seite ist sich Luther vöUig darüber im klaren, daß die wahre Kirche zu allen Zeiten angefochten ist. Epochen, die scheinbar ruhig und gefestigt sind, können gerade Zeiten der schwersten Versuchung sein. Wie auch immer man Luthers eigene apokalyptische Erwartung werten mag, wichtig ist vor allem, daß er es aus theologischen Gründen stets abgelehnt hat, den Zeitpunkt des Endes der Welt berechnen zu woUen. Mag es auch Ereignisse geben, die Vorboten der endzeitlichen Katastrophe zu sein scheinen, so ist es doch dem Chnsten verboten, über den Zeitpunkt des Endes zu spekulieren. 613 Luther hat darum die Bemühungen, das Weltende zu berechnen, nicht gebiUigt und seinerseits bewußt nicht mitgemacht, auch wenn in seiner engsten Umgebung versucht wurde, das Weltende zu bestimmen. Dem widersprechen auch nicht seine Berechnungen über die Epoche der »tausend Jahre« in der Schrift »Supputatio annorum mundi« (1541. 1545). 614 Was den Chiliasmus betrifft, so deutete Luther den hierfür maßgebenden Text Apokalypse 20 Vers 3—7 — hier ist von den tausendjahren und der ersten Auferstehung die Rede — nicht auf die Endzeit, sondern auf die Kirchengeschichte, wie gerade die »Supputatio« belegt. Damit war allen Spekulationen über ein tausendjähriges Reich, das dem Jüngsten Gericht vorangehen soU, die biblische Grundlage entzogen. Luther folgte mit dieser Interpretation Augustin, der diesen Text ebenfalls auf die Zeit der Kirche gedeutet hatte. 613

611

Siehe Luthers Brief an Herzog Georg von Sachsen vom 16.5 1519; WA Br 1 Nr. 177,21 f. • . ich weyß wol, das vor myr vnnd nach myr die Welt an meyn disputiren bliben ist vnnd bleybenn wirdt ...« 612 So mit Recht G. MAY, op.cit., 213 " 3 Siehe etwa W A 10 I 2 , 9 3 , 2 1 - 2 8 (Adventspostille 1522) »Zum ersten ist tzu wissen, das diße tzeychen des jüngsten tages, ob sie wol manchfeltig und groß sind, werden sie doch vollnbracht werdenn, das niemant odder gar wenig sie achten und für solche tzeychen hallten wirt. D e n n diße tzwey werden und müssen beyde geschehen mit eynander, sind auch beyde mit eynander von Christo und den Aposteln vorkundigt, das ent, das viel und grosse tzeychen komen sollen. Das ander, das denn och der jungst tag alßo unvorsehens k o m e , das sich seyn die wellt von anbegynn nie weniger vorsehen hatt, denn eben tzu der tzeyt wenn er für der thur ist.« 614 613

WA 53,152-154. Siehe hierzu Karl-Heinz zur MÜHLEN, Art. Luther, in: T R E 2 1 , hier 560 Siehe Augustin, de civitatc Dei 2 0 , 9 .

Die Eschatologie

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Endzeitliche Erwartungen legten sich auch von der Türkengefahr her nahe. Im Herbst 1529 stand zum ersten Mal ein türkisches Heer vor Wien. Der Abwehrkampf gegen die Türken und die stets schwierigen Bemühungen um die nötigen Steuerbewilligungen für den Türkenkneg waren eine Hauptsorge der kaiserlichen Politik in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Luther hat einerseits in dem Vordringen der Türken eine Strafe Gottes, ja ein Aufgebot Satans in dem endzeitlichen Kampf erblickt. So hat er das Papsttum und die Türken zusammenschauen können: »Der Papst ist der Geist des Antichrist, und der Türke ist das Fleisch des Antichrist. Sie helfen beide einander [beim] Töten, dieser leiblich und mit dem Schwert, jener durch die Lehre und geistlich.« 616 Andererseits hat er sich gegen den Gedanken eines Kreuzzugs gegen die Türken gewandt. Es kann eben sein, daß mit den Türken das Ende der Welt kommt. SoUte dies so sein, so würde damit auch das Ende der Türken kommen. Man soU nun nicht Gottes heimlichen Ratschluß erforschen wollen, vielmehr soU man das tun, was einem aufgetragen ist. Geschieht dies im rechten Glauben, dann braucht man sich auch vor den apokalyptischen Feinden - dem Papst und den Türken — nicht zu fürchten. 617 Wie für den Christen der Tod, wenn er im Glauben hingenommen wird, sein Grauen verliert und zum »Schlaf« wird, so verliert auch der Jüngste Tag für den Christen seinen drohenden Charakter: er wird zum lieben jüngsten Tag. Daß der Tag des drohenden Gerichtes in dieser Weise zum Tag des kommenden Heils wird, gründet letztlich wiederum in der Rechtfertigung, die hier einmal mehr ihre zentrale Funktion für sämtliche Themen der Theologie unter Beweis steUt.618 Wie Luther seine Rechtfertigungslehre im Horizont des ewigen Gerichtes entfaltet hatte, so wird nun das Gericht durch das mit der Rechtfertigung anhebende neue Gottesverhältnis umgewandelt. Allerdings wird in der letzten Zeit, die dem Ende vorangeht, die Bosheit des Bösen und die Anfechtung der Frommen auf die Spitze getrieben. Wie Luther es aus dem Neuen Testament meinte entnehmen zu können, erfolgt zunächst die Demaskierung des Antichristen. Da Luther glaubte, daß der Antichrist im Papsttum schon da sei, erhielt sein eigener Kampf gegen das Papsttum, aber auch die damit verbundene geschichtstheologische Deutung eine apokalyptische Note. Allerdings unterschied Luther zwischen der Demaskierung des Antichristen einerseits und der Wiederkunft Christi andererseits. Gewiß meinte Luther, den Schluß ziehen zu können, daß auch die Parusie nicht mehr lange auf sich werde warten lassen. »ICH aber für mich lasse mir dar an genügen, das der Jüngste tag für der Thür sein mus, D E N n die Zeichen, so Christus verkündigt, vnd die Apo-

616 W A T R 1 Nr. 330 «papa est spintus Antichnsti, et Turca est caro Antichnsti. Sie helffen beyde einander würgen, hie corpore et gladio, llle doctnna et spintu.« 617 Knapp hierzu G. M A Y , op.cit., 214f. Femer Martin BRECHT, Martin Luther, Bd 3: Die Erhaltung der Kirche 1532-1546, Stuttgart 1987, 347 f; Hartmut BOBZIEN, Martin Luthers Beitrag zur Kenntnis und Kritik des Islam, in: N Z S T h 27, 1985, 262-289. *18 Hierzu siehe G. FORELL, op.cit.

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

stel Petrus v n d Paul, sind n u fast alle geschehen. U N d die B e w m e schlahen aus, die Schrifft g r ü n e t v n d blüet. O b wir d e n T a g nicht so eben wissen k ö n n e n , ligt nicht dran, E i n ander m a c h e es besser. Es ist gewisshch alles a m Ende.« 6 1 9 Diese W o r t e e n t h a l t e n freilich zugleich w i e d e r die Z u r ü c k h a l t u n g g e g e n ü b e r allen V e r s u c h e n , d e n Z e i t p u n k t des Endes genauer wissen zu woUen. W a s die G e s c h i c h t e i m g r o ß e n betrifft, so lehnt Luther auch hier Spekulationen ü b e r die Art u n d W e i s e der V o U e n d u n g ab. Er ist vielmehr v o n der G e w i ß h e i t geleitet, daß m i t d e m E n d e auch der K a m p f seinen Abschluß findet, der sich d u r c h d i e v e r s c h i e d e n e n E p o c h e n h i n d u r c h z i e h t u n d der das eigendiche T h e m a des g e schichtlichen Lebens u n d der E n t w i c k l u n g ist. Luther deutet zuweilen an, daß die M e n s c h h e i t zu seiner Zeit gewissermaßen in ihr Greisenalter eingetreten sei. V o n daher sei es k e i n W u n d e r , daß die D i n g e »je elter j e kerger, j h e lenger j e erger« seien u n d die W e l t »ein alter greys« g e w o r d e n sei. 6 2 0 A b e r auch solche Ä u ß e r u n gen w e r d e n d o c h eher verhalten vorgetragen. Es bleibt dabei, daß wir M e n s c h e n ü b e r das E n d e u n d ü b e r die dann h e r e i n b r e c h e n d e Ewigkeit k a u m etwas sagen können.

16) Exkurs: Luthers Haltung zu den Juden Lit.: Reinhold LEWIN: Luthers SteUung zu den Juden. Ein Beitrag zur Geschichte der Juden in Deutschland während des Rcformationszeitalters, in: NSGTK 10, (Berlin 1911) Neudr. Aalen 1973. Kurt MEIER, Zur Interpretation von Luthers Judenschriften, in (Meier): Kirche und Judentum. Die Haltung der evangelischen Kirche zur Judenpohtik des Dritten Reiches, in: AGK. E 7, Göttingen 1968, 127-153. Joachim ROCCE, Luthers Stellung zu den Juden, in: Luther 40, 1969, 13-24. Johannes BROSSEDER, Luthers Stellung zu den Juden im Spiegel seiner Interpreten. Interpretation und Rezeption von Luthers Schriften und Äußerungen zum Judentum im 19. und 20. Jahrhundert vor allem im deutschsprachigen Raum, in: B O T 8, München 1972 (grundlegend). Emest Gordon R U P P , Marnn Luther and the Jews, London 1972. Ders., Martin Luther and the Jews, in: NedThT 31, 1977, 121-135. Johannes Peter BOENDERMAKER, Der Graben war noch sehr tief. Martin Luthers zwiespältiges Verhältnis zum Judentum, in: LM 18, 1979, 585-589. Heiko A OBERMAN, Wurzeln des Antisemitismus. Chnstenangsi und Judenplage im Zeitalter von Humanismus und Reformation, Berlin 1981. Ders., Luthers Beziehungen zu den Juden: Ahnen und Geahndete, in: LEBEN und Werk Martin Luthers von 1526 bis 1546, hg. von Helmar JUNCHANS, Göttingen 1983, Bd. 1, 519-530; Bd. 2, 894-904. Peter von der OSTEN-SACKEN, Katechismus und Siddur. Aufbrüche mit Martin Luther und den Lehrern Israels, in: Veröffentlichungen aus dem Institut Kirche und Judentum 15, Berlin/München 1984. Johannes BROSSEDER, Lutherbilder in der neuesten Literatur zum Thema: Martin Luther und die Juden, in: E U ROPA in der Knse der Neuzeit. Martin Luther: Wandel und Wirkung seines Bildes, hg. von Susanne HEINE, Wien/Köln/Graz 1986, 89-111. Johannes WALLMANN, Luthers Stellung zu Judentum und Islam, in: Luther 57, 1986, 49-60. ' " WA DB 11 11,124,15-20 (Vonede über den Propheten Daniel 1541) So WA 29.6l9,10f (Predigt 1529).

620

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a) Die Juden im Abendland in der Zeit um 1500 Die oft plakativ und verkürzt dargesteUten Außemngen Luthers über die Juden können nur dann unvoreingenommen gewürdigt werden, wenn einmal die Situation der Juden im Abendland am Vorabend der Reformation berücksichtigt wird und wenn zum anderen der Zusammenhang gewürdigt wird, in dem Luther seine Äußerungen getan hat. Werden diese beiden Voraussetzungen nicht bedacht, wird der Zugang für ein historisches Verständnis und auch für eine fundierte Kritik von Luthers Position verbaut. Der Versuch, Luthers Position vorschnell mit späteren Entwicklungen in Verbindung zu bringen, muß notwendig zu Verzeichnungen führen. Was die Stellung der Juden in der Zeit um 1500 betrifft, so ist genereU zu sagen, daß es den Juden in weiten TeUen Europas damals schlechter ging als in früheren Jahrhunderten. Hinzu kommt, daß die literarische Auseinandersetzung mit den Juden damals schärfer und nachdrücklicher geführt wurde als in früheren Zeiten. Ausweisungen von Juden waren im ganzen späten Mittelalter gängige Praxis. Pogrome fanden immer wieder statt, häufig aus irgendwelchen mehr oder weniger nichtigen Anlässen. In England hatte bereits König Eduard I. (1272-1307) 1290 die Vertreibung der Juden aus seinem Königreich veranlaßt. Als viele der aus England vertriebenen Juden nach Frankreich gingen, hat König Phdipp der Schöne (1285—1314) deren Ausweisung aus seinem Lande angeordnet; diese Maßnahme trafjedoch nicht nur die aus England stammenden Juden, sondern auch die schon lange in Frankreich ansässigen Juden. Die judenfeindliche Politik in Frankreich war so erfolgreich, daß kein Geringerer als Erasmus 1517 Frankreich deswegen loben konnte, weil es im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern »judenrein« sei. Frankreich sei der reinste und blühendste Ted der Christenheit, weil nur Frankreich nicht mit Ketzern, böhmischen Schismatikern, mit Juden und halbjüdischen Mananos infiziert sei.621 1492 wurden die Juden aus Spanien vertrieben. Als ediche der spanischen Juden sich in Portugal niederließen, wurden sie 1497 auch dort ausgewiesen. So kam es gerade am Vorabend der Reformation zu einer erheblichen Wanderungsbewegung der jüdischen Minderheit in vielen europäischen Ländern, wodurch begreiflicherweise manche VorurteUe gegen die Juden neue Nahrung erhielten. Demnach haben die judenfeindlichen Maßnahmen in Westeuropa im Spätmittelalter zu einer verschärft antijüdischen EinsteUung auch im deutschen Reich geführt. Eine rechtliche Absicherung gab es hier für Juden allenfalls bei dem Kaiser sowie bei den Tenitonalfürsten, die sich freilich die Gewährung von Privilegien durch Sondersteuern gut bezahlen ließen.

621 Erasmus, Brief an Richard Barthohnus vom 10.3.1517; ed. Allen 2, N r . 5 4 9 , p. 501,9-14: • Chnstianus orbis aduersus Chnstianae ditionis punssimam ac florentissimam partem conspirabit? Sola Gallia nee haereticis est infeeta nee Bohemis schismaticis nee ludeis nee semnudeis Maranis, nee Turcarum confinio afflata; quemadmodum aliae quas et citra nomenclaturam suo quisque animo agnoscit.«

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Was das deutsche Reich betrifft, so sind judenfeindliche Maßnahmen im späten Mittelalter nicht von den Fürsten, sondern durchweg von der Bevölkerung ausgegangen. Immer wieder kam es zu einzelnen Pogromen, die nicht selten zahlreiche Morde mit sich brachten. Diese faktische Unsicherheit trotz einer gewissen rechtlichen Absicherung hielt, aufs ganze gesehen, auch in der frühen Reformationszeit an. Während der Pestepidemie in der Mitte des 14. Jahrhunderts wurden mancherorts die Juden als angeblich Schuldige ermordet oder zum Selbstmord gezwungen; man warf ihnen vor, sie hätten durch Brunnenvergiftung die Seuche heraufbeschworen. In vielen deutschen Städten gab es im frühen 16. Jahrhundert keine Juden mehr. Doch wurden noch in der Zeit um 1520, als die reformatonsche Bewegung ihren Höhepunkt eneichte, mancherorts Maßnahmen ergriffen, um die Juden zu vertreiben. Besonders bekannt sind die Ereignisse in Regensburg von 1519. Hier wirkte der Domprediger Balthasar Hubmaier mit, der damals noch katholischer Pnester war, bald aber erst Anhänger Luthers und danach einer der bedeutenden Täufertheologen wurde. 622 Hubmaier warf den Juden hauptsächlich Zins und Wucher vor. Tatsächlich betätigten sich etliche Juden, da ihnen andere Berufe verschlossen blieben, als Geldgeber und standen damit im Gegensatz zu dem kirchlichen Zinsverbot. Hier zeigt sich, daß Judenfeindschaft ohne Unterschied bei den »Altgläubigen« wie bei den Anhängern Luthers begegnete. Die verschiedenen Maßnahmen gegen Juden wurden begleitet von einer verbreiteten Polemik, an welcher sich auch führende Theologen des ausgehenden Mittelalters beledigten. 623 An dieser Auseinandersetzung wirkten Vertreter sehr verschiedener Richtungen und nicht zuletzt auch führende Repräsentanten des Humanismus mit. Es wäre weit gefehlt zu vermuten, daß etwa die Humanisten als Vorkämpfer einer freieren Geisteshaltung grundsätzlich und insbesondere gegenüber den Juden für eine gewisse Toleranz eingetreten wären. Nicht die Humanisten, sondern nach wie vor die konservativen Kräfte wie Kaiser und Fürsten waren, wenn überhaupt, die Garanten einer gewissen Rechtssicherheit der Juden. Was Erasmus betrifft,624 so hing er einem tief eingewurzelten, maßlosen Judenhaß an. 623 So richtig es ist, daß Erasmus für »Eintracht« (concordia) und »Fneden« (pax) eintrat, so meinte er doch, daß diese Ideale höchstens in der Gemeinschaft der Christen verwirklicht werden könnten. Für Juden wäre dabei kein Platz vorhanden. War dies die Meinung des führenden Humanisten jener Zeit, so übenascht es kaum, daß Johannes Eck (1486-1543), der führende altgläubige Theologe im Kampf gegen Luther, sich sogar in die Niederungen des vulgären AntiJudaismus 6,2 Siehe Torsten BERCSTEN, Balthasar Hubmaier. Seine Stellung zu Reformation und Täufcrtum 1521-1528, in: AUU. Studia Histonco-Ecclesiastica Upsaliensia 3, Kassel 1961, 76-86. 62J Siehe hierzu Heiko A. OBERMAN, Wurzeln des Antisemitismus, 1981, 2 3 - 8 3 . 624 Siehe Guido KISCH, Erasmus' Stellung zu Juden und Judentum, Tübingen 1969. " 5 KISCH, ebd, 29. Eine etwas andere Sich: vertritt Corr.elis AUCUSTHN, Erasmus und die Juden, in: NAKG 60, 1980, 22-38. Augustijn macht zwar mit Recht geltend, daß mit den »Juden« zuweilen gesetzlich denkende Chnsten gemeint seien. Diese Feststellung ändert jedoch nichts an den zweifellos heftigen antyüdischen Aussagen des Erasmus.

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begab. Im Jahre 1541 erschien seine Schnft »Ainsjudenbüechlins Verlegung« [Widerlegung], mit der sich Eck gegen Oslanders Zurückweisung des Vorwurfs des Ritualmords wandte und seinerseits die primitivsten VonirteUe und Verdächtigungen gegen Juden verteidigte. 626 Eck nahm keinen Anstand, sogar Belege für die Richtigkeit des Vorwurfs des Ritualmords gegen Juden beizubringen. Er behauptete, aus eigener Kenntnis über tatsächlich begangene Ritualmorde berichten zu können. 627 Bei alledem wirkte es sich verhängnisvoU aus, daß der bekannte Jude Johannes Pfefferkorn (1469-1522/23) nach seiner Taufe im Jahre 1505 zahlreiche antijüdische Traktate verfaßt hatte, die von Polemik und Verunglimpfung seiner früheren Glaubensgenossen geradezu strotzten. Pfefferkorn hatte dabei etliche Vorschläge gemacht, wie die christlichen Obrigkeiten mit denjuden umgehen soUten. Besonders gravierend war sein Vorschlag, daß alle hebräischen Bücher mit Ausnahme des Alten Testaments beschlagnahmt und verbrannt werden soUten. Darüber hinaus regte er die Ausweisung der Juden aus den deutschen Städten sowie regelmäßige Predigten gegen die Juden an. Das Ziel derartiger Zwangsmaßnahmen soUte die Bekehrung der Juden sein. In dem durch Pfefferkorn ausgelösten Streit um die hebräische Literatur hatte Reuchlin es zwar erreichen können, 628 daß die jüdischen Schriften erhalten blieben. Gleichwohl sind durch die breite literarische Fehde, die Pfefferkorn ausgelöst hatte, allenthalben VonirteUe, die es schon lange gegen die Juden gegeben hatte, bekräftigt und neue hervorgerufen worden. Pfefferkorn kommt ein zweifelhaftes Verdienst daran zu, daß sich die Auseinandersetzung mit denjuden im frühen 16. Jahrhundert verschärfte und daß darüber auch Pogrome stattfanden. Dabei muß freUich stets berücksichtigt werden, daß der Streit zwischen Juden und Christen damals weder ein nationaler noch ein rassischer, sondern ausschließlich ein religiöser war. Sobald ein Jude Christ wurde, fielen alle VonirteUe und Vorwürfe in sich zusammen. Abgelehnt wurden die Juden als »Gottesmörder« und wegen ihres Festhaltens am jüdischen Gesetz, von dem die Christenheit seit Paulus überzeugt war, daß es durch Jesus an sein Ende gekommen sei. b) Luthers frühe Haltung zu denjuden Die FeststeUung, daß der Gegensatz zwischen Juden und Christen im 16. Jahrhundert ausschließlich ein religiöser war, gilt ohne Einschränkung auch für Luthers Äußerungen zum Judentum sowohl in seiner Frühzeit als auch in der Spätphase 626

Zur Entstehungsgeschichte dieser Schnft siehe H.A. OBERMAN, ebd, 45f. Siehe Brigitte HÄCLER, Die Chnsten und die »Judenfragc«: am Beispiel der Schriften Oslanders und Ecks zum Ritualmordvorwurf, Erlangen 1992. 628 Siehe REUCHLIN und die Juden, hg. von Arno HERZIG und Julius H. SCHOEPS, in: Pforzheimer Reuchlinschriften 3, Sigmaringen 1993; darin besonders Mananne AWERBUCH, Über Juden und Judentum zwischen Humanismus und Reformation: zum Verständnis der Motivation von Reuchlins Kampf für das jüdische Schrifttum, 189-200. 627

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seines Wirkens. Dabei muß freilich sofort hinzugefügt werden, daß sich durch die neuen Auseinandersetzungen und Konflikte um Luthers Theologie bestimmte traditionelle Argumente verschoben und das Judentum teds in etwas freundlicherem Lichte erschien, teds aber auch mit noch schärferer Polemik bedacht wurde, als sie bis dahin geübt worden war. Insbesondere muß auch der Zusammenhang in Rechnung gesteUt werden, der für Luther zwischen Juden und anderen Gruppen oder Richtungen besteht. Schon in seinen frühen Vorlesungen hat Luther die Juden häufig wegen ihrer Gesetzesreligion und ihrer Eigengerechtigkeit angegriffen. Die Vorwürfe, welche hier erhoben werden, betreffen den Versuch, die eigene Gerechtigkeit vor Gott aufzurichten, das falsche Vertrauen auf die eigenen Werke, den »Hochmut«, der die notwendige »Demut« verweigert, oder auch den Versuch, der eigenen Heiligkeit nachzustreben. 629 Allerdings hat Luther die Juden hier häufig in eine Reihe gesteUt mit Häretikern und Schismatikern, wobei Luther eigens die »Böhmen« nennt, aber auch mit der strengen Richtung der Observanten in den spätmittelalterlichen Orden, oder sogar auch mit Christen, die vor Gott auf ihre eigene Gerechtigkeit vertrauen, statt daß sie ihr HeU allein von Gott erhoffen. Auch der Vorwurf, Anhänger des Antichrist zu sein, wird in diesem Zusammenhang erhoben. 630 Daß die Juden hier in eine solche Reihe hineingesteUt werden, entsprach der Tradition; ähnliche Aussagen finden sich bereits gelegentlich bei Augustin. 631 Nicht diese Einordnung der Juden als solche, wohl aber die Zuspitzung des Vorwurfs der »Eigengerechtigkeit« macht die Besonderheit von Luthers Polemik aus. Luthers Bild von denjuden kann also nur dann gezeichnet werden, wenn zugleich seine Auffassung von Häretikern, Schismatikern und »falschen Christen« mit einbezogen wird. Mit der AusbUdung der reformatorischen Theologie mußte sich diese Polemik verschärfen; andererseits verband man in manchen jüdischen Kreisen mit Luthers Auftreten große Hoffnungen auf einen Wandel in den Beziehungen zu den Christen. Solche Hoffnungen waren im Grunde ganz unberechtigt, so sehr sie angesichts der damaligen Not der Juden auch verständlich sein mochten. Weitgehende Erwartungen hegte auf der anderen Seite auch Luther, sofern er meinte, daß den Juden bislang gar nicht das rechte Evangelium verkündigt worden sei; wenn nun aber das wieder entdeckte Evangelium laut würde, dann würde es womöglich auch die Juden endlich eneichen. Im Jahre 1523 erschien Luthers Schnft »Daß Jesus Christus ein gebornerjude sei«.632 Häufig ist die Ansicht geäußert worden, Luther habe sich hier sehr aufge629 Belege hierfür bei B LOHSE, Mönchtum und Reformation, in: FKDG 12, Göttingen 1963, 267-272. 630 Eine nähere Übersicht über diese Vorwürfe gegen die Juden in der ersten Psalmenvorlesung findet sich Dei OBERMAN, in: LEBEN und Werk Martin Luthers, B d . 2 , 1983, 522f. wl Siehe Bernhard BLUMENKRANZ, Die Judenpredigt Augustins: ein Beitrag zur Geschichte der jüdisch-christlichen Beziehungen in den ersten Jahrhunderten, Basel 1946, 194—198. 632 WA 11,(307)314-336.

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schlössen gegenüber denjuden erzeigt, während er sich dann in seinem Alter zu heftigsten Äußerungen habe hinreißen lassen. Eine Berücksichtigung der Entstehungsgeschichte sowie der Intention dieser Schrift führt jedoch zu einem differenzierteren Bild. 633 Anlaß für die Abfassung dieser Schrift war eine Nachricht, die Luther wohl Anfang Januar 1523 eneichte, daß Erzherzog Ferdinand, der Bruder des Kaisers, ihn eines neuen Irrtums beschuldige: Luther lehre angeblich, Christus sei Abrahams Same. Zunächst habe er diesen Vorwurf für einen Scherz gehalten. Offenbar müsse er sich nun aber doch dagegen verteidigen. 634 Dieser Vorwurf ist an sich in der Tat unsinnig. Gemeint kann nur sein, daß nach Luther Jesus Christus lediglich aus dem Samen Abrahams stamme. Er impliziert also offenbar den weiteren Vorwurf, daß Luther die Jungfräulichkeit der Maria leugne und Joseph als den leiblichen Vater Jesu ansehe. Luther woUte sich nun aber nicht nur mit diesem unsinnigen Vorwurf auseinandersetzen, sondern auch etwas Nützliches schreiben. Aus diesem Grunde will er darlegen, warum er glaubt, daß Jesus ein geborener Jude sei. Seine Absicht dabei ist: «... ob ich viUeicht auch der Juden etthche mocht tzum Chnsten glauben reytzen.« 63 ' Luther kritisiert die Art und Weise, wie man bislang mit denjuden umgegangen sei: »Denn unsere nanen die Bepste, Bischoff, Sophisten und Munche, die groben esels köpfte, haben bis her also mit denjuden gefaren, das, wer eyn gütter Christ were geweßen, hette wol mocht eyn Jude werden. Und wenn ich eyn Jude gewesen were und hette solche tolpeU und knebel gesehen den Christen glauben regirn und leren, so were ich ehe eyn saw worden denn eyn Christen.« 636 Die Schrift gliedert sich von daher in zwei Teile. In dem ersten Teil weist Luther den gegen ihn erhobenen Vorwurf zurück; in dem zweiten sucht er die bisherige Auseinandersetzung mit denjuden auf eine neue und bessere Grundlage zu steUen. Wichtig ist fredich, daß diese Schrift primär eine Verteidigungsschrift ist, welche an Altgläubige gerichtet ist. Sekundär steUt sie eine innerchnstliche Besinnung auf den Umgang mit denjuden dar. Beim Judentum denkt Luther an diejenigen Juden, welche in christlichen Ländern leben. Luther rechnet offenbar allenfalls damit, daß »etliche« dieser Juden sich gegebenenfalls zum Christentum bekehren. 637 Dabei ist interessant, daß solche Juden, die sich zum Christentum bekehren, nach Luther damit »widder tzu yhrer vetter, der Propheten unnd Patriarchen glauben tretten.« 638 Tatsächlich war Luther immer der Meinung daß die Frommen des alten Bundes letzdich Christen gewesen seien. Die Juden würden also nur 633

Siehe hierzu insbesondere J. BROSSEDER, Luthers Stellung zu denjuden, 1972, 345-355. WA Br 3 Nr. 574,26-31. Der gleiche Vorwurf ist damals offenbar auch von anderen gegen Luther erhoben worden; siehe ebd p. 20 Anm.18. 634

635 636 437 438

WA 1l,3l4,27f WA 11,314,28-315,2 So BROSSEDER, Luthers Stellung zu denjuden, 1972, 350f. WA 11,315,16f.

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Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

ihren eigendichen Glauben wieder übernehmen. Die neue reformatorische Sicht des Glaubens kann dazu helfen. »Wenn die Apostel, die auch Juden waren, also hetten mit uns heyden gehandelt, wie wyr heyden mit den Juden, es were nie keyn Christen unter den heyden geworden.« 63 Trotzdem ist diese Schrift Luthers keine eigentliche Missionsschrift. Sie hat zwar eine apologetisch-missionarische Tendenz, 640 dient aber letztlich nur der innerchristlichen Verständigung über den freundlicheren Umgang mit denjuden. Darüber hinaus sind in dieser Schnft bestimmte Themen von Luther überhaupt nicht berührt worden, die er ohne Unterschied vorher und nachher bei der Auseinandersetzung mit d e n j u d e n immer wieder erörtert hat. Zu diesen Themen zählen insbesondere die d e n j u d e n zugeschriebene Gesetzlichkeit sowie ihre »Werkgerechtigkeit«, aber auch die Verstockung der Juden, wobei Luther sich hier insbesondere auf R ö m e r 9 bis 11 stützte. Luther hat diese Fragen hier nicht behandelt, da er in dieser Schnft keineswegs eine voUständige Erörterung der jüdisch-christlichen Probleme beabsichtigte. Aus methodischen Gründen dürfen aber Luthers Ansichten zu diesen anderen Fragen hier nicht außer Betracht bleiben; als Voraussetzungen, die Luther ständig machte, müssen sie zu den direkten Darlegungen in der Schrift von 1523 hinzugenommen werden. Von daher ergibt sich, daß solche Deutungen, die in der Schrift von 1523 den Beginn einer vöUig neuen Auffassung über das Verhältnis zwischen Juden und Christen sehen, weder der Absicht dieser Schnft noch Luthers theologischer Überzeugung gerecht werden. Luther hat 1523 nicht gehofft, daß sich die Juden insgesamt oder auch nur zu einem großen Teil demjetzt reformatorisch verstandenen Evangelium öffnen werden; immerhin hat er mit der Bekehrung »etlicher« von ihnen gerechnet. Allerdings bleibt der Vorschlag beachtlich, daß man mit den Juden freundlicher umgehen soUe. c) Luthers spätere Haltung zu denjuden Die zahlreichen Äußerungen Luthers aus den 20er und 30er Jahren des 16. Jahrhunderts über die Juden müssen hier übergangen werden. Statt dessen soUen die Spätschriften kurz gewürdigt werden, in denen Luther sich, wie es scheint, ganz anders über die Juden ausgesprochen hat. Die Haltung des alten Luther gegenüber denjuden ist aus verschiedenen Gründen nicht mehr einfach die gleiche wie die frühere. Wichtig wurde zunächst, daß der sächsische Kurfürst Johann Friedrich im August 1536 ein Edikt erließ, durch welches denjuden der Aufenthalt und die Arbeit in Kursachsen verboten wurde; selbst die Durchreise wurde ihnen untersagt. Es ist offen, ob Luther auf die Ab439

W A 11,315,19-21 So Wilhelm MAURER, Die Zeit der Reformation, in: KIRCHE und Synagoge. Handbuch zur Geschichte von Christen u n d j u d c n , Bd 1, hg. von Karl Heinnch RENCSTORF und Siegfried v. KORTZFLEISCH, Stuttgart 1968, 3 6 3 - 4 5 2 , hier 3 7 8 - 3 9 1 ; femer J. BROSSEDER, Luthers Stellung zu d e n j u d e n , 1972,354. 440

Exkurs: Luthers Haltung zu denjuden

363

fassung dieses Edikts Einfluß genommen hat; auf jeden Fall dürfte er über die Gründe für dieses Edikt informiert gewesen sein. 641 In dieser Situation bemühte sich einer der herausragenden Vertreter des damaligen Judentums, Josel von Rosheim im Unterelsaß, 642 um eine Intervention bei dem sächsischen Kurfürsten. Zu diesem Zweck hat der Straßburger Rat Josel ein Empfehlungsschreiben an den Kurfürsten übergeben. Außerdem wandte sich der Straßburger Reformator Wolfgang Capito am 26. April 1537 brieflich an Luther mit der Bitte, Luther möge Josel Gelegenheit zu einem Gespräch geben oder zumindest dessen Gesuch lesen und nach Möglichkeit an den Kurfürsten weitergeben. 643 Luther reagierte ablehnend. In seinem Brief an Josel vom 11. Juni 1537 äußert Luther sich zwar sehr freundlich: »Mein lieber Jesel! Ich woUt wohl gerne gegen meinem gnädigsten H e n e n für Euch handeln, beide mit Worten und Schriften, wie denn auch mein Schrift [«Daß Jesus Christus ein gebornerjude sei» 1523] der ganzen Jüdischheit gar viel gedienet hat.« Dann aber heißt es: »Dieweil die Euren solchs meines Diensts so schändlich mißbrauchen und solche Ding fürnehmen, die uns Christen von ihnen nicht zu leiden sind, haben sie selbs damit mir genommen alle Forderung, die ich sonst hätte bei Fürsten und Herrn können tun.« 644 Luther verweist darauf, daß er stets für eine freundliche Behandlung der Juden eingetreten sei, »der Meinung, ob sie Gott dermaleins woUt gnädiglich ansehen und zu ihrem Messia bringen.« 643 Luther kündigt eine eigene Schrift an. 646 Der Schluß des Briefes läßt aber auch eine Verschärfung von Luthers Position anklingen: »Solchs woUet von mir freundlich annehmen, Euch zu Euer Vermahnung. Denn ich umb des gekreuzigten Jüdens willen, den mir niemand nehmen soU, Euch Juden allen gerne das Beste tun woUte, ausgenommen, daß Ihr meiner Gunst zu Euer Verstockung brauchen soUt.«647 Nach einer Äußerung in den Tischreden hat Luther zwar Joseis Gesuch gelesen, dann aber geantwortet: »Was soll man den buben vergunnen, die die leut beschedigen« und mit ihrem Aberglauben manche Christen zum Abfall bringen? Luther verwies auf Berichte, wonach in Mähren Juden viele Christen beschmtten hätten und ihnen nun den Namen »Sabbather« gaben. 648 Bei diesen Vorkommnissen ist festzuhalten einmal, daß Luther der Meinung ist, die Juden betrieben eine Mission unter Christen, und daß er zum anderen fürchtet, die Freundlichkeit, die er bislang für den Umgang mit denjuden favo-

441 442 443 444 445 444 447 448

WA 54,24 Zur Person Joseis siehe WA Br 8 Nr 3152 WABr 8 Nr.3152. WABr 8 Nr.3157,2-8. WABr8Nr.3157,10f. Es handelt sich wohl um »Wider die Sabbather« (1538); WA 50, (309) 312-337. WABr 8 Nr. 3157,56-59. WA TR 3 Nr. 3597, p. 442,4-12.

364

Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

nsiert habe, werde von ihnen ausgenutzt, so daß ihre »Verstocktheit« noch schlimmer werde. 649 Von hier aus kommt Luther dann zu scharfen Äußerungen in seiner wichtigen Spätschrift »Von d e n j u d e n und ihren Lügen« (1543). In dieser recht umfangreichen Schrift650 will Luther zunächst auf den »falschen Rhum und den Hohmut der Juden« hinweisen. 6:i1 Zu diesem Zweck erörtert er die Abstammung von den Vätern, die Beschneidung, das Gesetz des Mose vom Sinai und den Besitz des Landes Kanaan, Jerusalems und des Tempels. Bei allen diesen Fragen gesteht Luther zwar zu, daß Gott die Juden auserwählt hat; aber er betont auch, daß die Juden sich nicht selbst rühmen dürfen. Was die Beschneidung betrifft, so hat diese ihre Bedeutung verloren, weil die Juden die Propheten und damit »Gott selbs, des Wort sie predigten«, verfolgten.652 So gilt nun: »Für war, Gott hatte sie hoch geehret durch die Beschneittung, das er für allen Völckern auff erden mit jnen redet, und sein Wort vertrawet. Und solch sein Wort bey jnen zu erhalten, gab er jnen ein sonderlich Land ein, thet grosse wunder durch sie, Setzet Könige und Regiment, Überschüttet sie mit Propheten, die jnen nicht allein gegenwertiger zeit das beste sagten, Sondern auch den künfftigen Messia verhiessen, der weit Heiland, umb welches willen er solchs alles jnen beweisete, und hies sie auff den selbigen harren und sich desselbigen gewislich versehen, unverzüglich, Denn umb desselbigen wiUen ists Gott alles zu thun gewest, umb des wiUen ist Abraham beruften, die Beschneittung gegeben und das Volck Israel so hoch erhaben, Auff das alle Welt wissen künde, aus welchem Volck, aus welchem Lande, zu welcher zeit, ja aus welchem Stam, Geschlecht, Stad, Person er komen solt, damit er nicht von den Teufeln und Menschen getaddelt möcht werden, Als kerne er aus einem finstern winckel oder unbekanten vorfaren, Sondern seine vorfaren müssen sein grosse Ertzveter, herrliche Könige, Treffliche Propheten, die von j m zeugen.« 653 Sodann geht Luther auf das »Heubtstück« ein und setzt sich mit der Bitte der Juden an Gott um den Messias auseinander: »Hie sind sie erst die rechten Hedigen und frome Kinder, Hie wollen sie warhch nicht Lügener noch Lesterer, Sondern gewisse Propheten sein, das Messia nicht komen sey, Sondern noch komen solle. " ' Siehe W A 53,417,2-12. 450 Neuerdings sind Zweifel an ihrer Echtheit vorgebracht worden Siehe den Bericht »Ist Luthers >Juden«-Schnft eine Fälschung?« von Monika Beck in der New Yorker Zeitung »Aufbau« von Fnday, January 1, 1993, p. 6. Hier wird von den Forschungen der Oxforder Dozentin Eva Berndt benchtet, die offenbar mit beachtlichen Gründen dafür eintntt, daß diese Schnft nicht von Luther stammen könne. Der wichtigste Grund ist anscheinend, »daß dieser Druck wortwörtlich bereits 1536 (Beginn des Prozesses gegen Agricola) als von Luther stammend . . . zitiert . . . wird« (ebd p. 6 col. 3). Andererseits muß daraufhingewiesen werden, einmal daß die Druckzeugnisse für diese Lutherschnft keinen Anlaß zu Echtheitsbedenken geben, sodann, daß der Inhalt dieser Schrift mit entsprechenden anderen Aussagen des alten Luther übereinstimmt. Einstweilen muß daher nach wie vor von der Echtheit dieser Schrift ausgegangen werden. 451 WA 5 3 , 4 4 9 , 1 . 452 WA 53,436,6f. 453 WA 53,438,15-29.

Exkurs: Luthers Haltung zu denjuden

365

Wer wil sie hie straffen, das sie j n e n oder feden? Wenn alle Engel und Gott selbs auff dem Berge Sinai oder zu Jerusalem im Tempel öffentlich sprechen, Das Messia lengest komen, und nu mehr sein nicht zu harren were, So müste Gott selbs der Teufel, und alle Engel eitel Teufel sein. So gewis sind diese HeUigsten, warhafftigsten Propheten, Das Messia nicht komen sey, Sondern noch komen sol. Viel weniger werden sie uns hören, wie sie bisher gethan und nochjmer fort thun, So sie doch durch viel feiner gelerter Leute, auch aus jrem Geschlecht, so statheh [= kräftig] überwunden sind, das auch stein und holtz, wo sie halbe vernunfft hetten, solchs müsten bekennen, Und sie doch wissendich wider erkante warheit wüten. Aberjre verdampte Rabinen, so es wol anders wissen, jr arme Jugent und gemeinen Man so mutwiUiglich vergifften, und von der warheit abwenden.« 634 An diesem Text ist bedeutsam, daß nach Luthers Überzeugung die Rabbinen wissentlich und wUlenthch die Wahrheit verdrehen und dem jüdischen Volk die Erkenntnis vorenthalten, daß Jesus der Messias sei. Die eigentliche Absicht Luthers ist es daher, gegen die jüdische Auslegung der messianischen Weissagungen des Alten Testaments das sachliche Recht der christlichen Deutung des Alten Testaments auf Christus darzulegen. Damit aber geraten die Juden in die Nähe der christlichen Häretiker und insbesondere auch der sogenannten Schwärmer, mit denen Luther sie ja so oft in Verbindung gebracht hatte: ihnen allen ist nach Luther gemeinsam, daß sie wider besseres Wissen die Wahrheit entsteUen. Seit 1500 Jahren haben die Juden die rechte Wahrheit gehört und haben diese doch abgelehnt. So sind sie nicht entschuldigt: »Das ist: ein siebenfeltige schuld verdienen.« 63 Auf Grund dieses Urteils gelangt Luther nun zu seinen harten Vorschlägen: (1) Man soUe die Synagogen mit Feuer anstecken; denn Mose (Deuteronomium 13, Off.) habe geschrieben, daß man eine Stadt, die Abgötterei treibe, mit Feuer zerstören solle. (2) Man solle die Häuser der Juden ebenfalls zerstören, weil in ihnen genauso wie in ihren Schulen Abgötterei getrieben werde. (3) Man soUe ihnen ihre »Betbüchlein und Thalmudisten, darin solche Abgötterey, lügen, fluch und lesterung geleret wird,« nehmen. (4) Man soUe ihren Rabbinen »bey leib und leben« verbieten, weiterhin zu lehren; denn sie haben ihr Amt wegen ihrer Iniehre verloren. (5) Man soUe denjuden die Zusicherung des Geleites und der sicheren Reise entziehen. »Denn sie haben nichts auff dem Lande zu schaffen, weU sie nicht Herrn noch Amptleute noch Hendeler, oder des gleichen sind, Sie soUen da heime bleiben.« (6) Man soUe ihnen den Wucher verbieten und ihnen alle Barschaft und Kleinod an SUber und Gold nehmen und es »beiseit . . . verwaren«; denn die Juden hätten ihren Reichtum durch Wucher gewonnen. (7) Man soUe den Juden Werkzeuge in die Hand geben, damit sie Handwerker werden und ihren Lohn im Schweiße ihres Angesichts verdienen. 636 Auf diese Weise soUen die Juden ihre Rechte verlieren, die sie bisher gehabt hätten. WA 53,449,3-18. WA 53,537,18-28. WA 53,523,1-526,6.

366

Luthers Theologie in ihrem systematischen Zusammenhang

Zu diesen Vorschlägen ist vor dem Hintergrund der Situation im 16. Jahrhundert zu sagen einmal, daß Luther hier Anregungen aufgreift, die von anderer Seite längst gemacht worden waren. 637 Luthers Vorschläge sind weder ongineU noch sind sie schärfer als das, was andere damals quer durch alle kirchlichen und geistigen Richtungen hindurch gesagt haben. Im übrigen muß man diese Vorschläge vergleichen mit den Strafen, welche einen Häretiker erwarteten, nämlich in der Regel eben die Todesstrafe. Schließlich muß im Hintergrund dieser Vorschläge die damals von allen geteilte Überzeugung berücksichtigt werden, daß in einem Gemeinwesen nur eine einzige Religion öffentlich ausgeübt werden könne, weil sonst der gemeine Friede und der Segen Gottes gefährdet wären. Das Nebeneinander verschiedener Religionen in einer Stadt oder in einem Territorium bedrohte nach damaliger Überzeugung den öffentlichen Frieden, ja es würde den Zorn Gottes hervorrufen. Mit diesen Hinweisen soUen Luthers Vorschläge weder relativiert noch entschuldigt werden. Nach den furchtbaren Judenverfolgungen des 20. Jahrhunderts muß auch in den christlichen Kirchen selbstkritisch nach den Ursachen und den geistigen Wegbereitern des furchtbaren Antisemitismus gefragt werden. Dabei muß aber zunächst Verständnis aufgebracht werden für die Voraussetzungen und Begrenzungen, welche in früheren Zeiten gegeben waren. Bei einer kritischen Rückfrage an Luther hinsichtlich seiner SteUung zu den Juden müssen sehr verschiedene Erwägungen angesteUt werden, die hier nur noch genannt werden sollen, ohne daß eine Einzelabwägung erfolgen kann. An erster SteUe ist die unbedingte Notwendigkeit zu religiöser Toleranz zu nennen, die es im 16. Jahrhundert noch nirgends gegeben hat, die vielmehr erst in einem langen und äußerst schmerzlichen Prozeß in der Neuzeit als ein unbedingtes Erfordernis anerkannt und langsam durchgesetzt worden ist. An zweiter SteUe müssen aber auch theologische Rückfragen an Luthers Argumentation gesteUt werden. Was man hier aufjeden Fall bei Luther vermißt, ist die selbstkritische Frage, ob denn das Bild, welches er von der jüdischen Religion zeichnet, wirklich zutrifft, oder ob hjer nicht manche Vorurteile beibehalten sind, die bei einer unvoreingenommenen Überprüfung hätten korrigiert werden müssen. Da Luther aus eigener Erfahrung sowie auf Grund seiner kirchengeschichtlichen Studien hinreichend wußte, welche verhängmsvoUe Bedeutung Vorurteile haben können, und da er sich selbst immer wieder darüber beklagt hatte, daß man römischerseits ihm kein faires Gehör gegeben habe, ist es nicht unbillig, von Luther größere Vorsicht gegenüber festgefahrenen Meinungen oder Vorurteilen zu erwarten. Andererseits paßte das BUd, welches er sich von der Gesetzlichkeit der jüdischen Religion machte, so gut in seine Polemik gegen die »Werkgerechtigkeit«, daß »die Juden« einfach zur Chiffre für den sich selbst rechtfertigenden M e n schen wurden. Wie dem auch sein mag, Luther hat die Urteile gegenüber den

Hierzu etwaJ. BROSSEDER, Luthers Stellung zu d e n j u d e n , 1972, 370-377

Exkurs: Luthers Haltung zu d e n j u d e n

367

Juden nicht kritisch überprüft; er ist hier in den Ansichten seiner Zeit befangen geblieben. Allerdings ist er über die zeitbedingten Urteile auch nicht hinausgegangen. Schließlich vermißt man auch einen inhaltlichen Dialog mit dem jüdischen Glauben. Zu einem solchen Dialog ist es im 16. Jahrhundert nirgends gekommen. In neueren Arbeiten sind hier einige beachtliche Versuche unternommen worden. 638 Diesen Dialog aufzunehmen und intensiv zu pflegen, ist eine wichtige Aufgabe, wie denn überhaupt ein solcher Dialog in jedem Fall zu einer selbständigen Rezeption hinzugehört.

f Bayerische J I Staatsbibliothek j l München I

Dies gilt besonders für J. BROSSEDER, Luthers Stellung zu den Juden . . . , 1972.

370 BIEL, Gabnel

Register 32f; 36; 40; 59; 113f; 192;

BIZER, Emst

244

76; 113; 298

15; 58; 80; 86; 89; 91; 97;

101; 107ff;144; 195

DECOT, Rolf 304 DELIUS, Hans-Ulnch

BLUHM, Heinz 204 BLUMENKRANZ, Bernhard BOBZIEN, Hartmut 355 BÖHMER, Heinrich 95

360

DENIFLE, Heinrich

38; 273; 275

BONEMILCH, Johann, von Lasphc BONIFATIUS VIII., Papst 139 BORNKAMM, Heinrich

50; 273; 304; 316

DEMMER, Dorothea

BOENDERMAKER, Johannes Peter 356 BONAVENTURA

CRUCIGER, Caspar

CYPRIAN, Thascius Caecilius

247 f

39

50; 97; 106; 110;

163; 168; 175; 176; 194; 204; 291; 333; 338f;340;345 BORNKAMM, Kann 175 BORTH, Wilhelm 111 BRÄUER, Siegfried 176 BRANDENBURG, Albert 61; 63 f; 68; 285 f BRAUN, Johannes 44; 48 BRAUNISCH, Reinhard 283 BRECHT, Martin 37; 41; 42; 45 f; 98; 103;

108; 111; 113; 116; 128; 132; 134; 135; 141; 144; 161 f; 167; 194; 216; 304; 315

29; 80 110

DENZLER, Georg 300 DEPPERMANN, Klaus 353 DIEM, Harald 333 DIEM, Hermann 333 DIETRICH, Veit 54; 229 f; 243; 350; 353 DIONYSIUS Areopagita 38; 343 DOERNE, Martin 178 DÖRR, Wilhelm 111 DÖRRIES, Hermann 169; 333; 345

DOHNA, Lothar Graf zu

30

DUCHROW, Ulrich 168; 333; 337 DUNS Scotus 31; 59; 114; 269 DYKEMA, Peter A. 177 EBELINC, Gerhard

13; 17; 18; 47; 49; 54;

61; 63; 160; 167; 190; 202f; 204; 208; 214; 221 f; 249; 257; 260; 264; 266 f; 270; 284; 285; 287 f; 304; 333; 347 ECK, Johannes 120; 134-141; 162; 205; 358 f

BRIEGER, Theodor 111 BRING, Ragnar 195f; 204 BRINKEL, Karl 316 BROSCHE, Frednk 178

ECKERMANN, Willigis

BROSSEDER, Johann«

EDUARD I., König von England

125; 356; 361 f; 366f

BRUNOTTE, Heinz 304 BRUNOTTE, Wilhelm 304 f BUBENHEIMER, Ulnch 135; 161 f; 188 BUCER, Martin 123 BUGENHAGEN, Johannes 198; 307; 314 BURGER, Chnstoph 53 BURROWS, Mark S. 53

CAJETAN, Jakob de Vio 125 f; 127-132; 138; 144; 146; 148; 170 CALVIN, Johannes

18; 21

CAPELLA, Martianus Minius Felix CHENU, Marie-Dominique

CICERO, Marcus Tullius CLEMENS VI., Papst

220

34

ELERT, Werner

297; 350 ELM, Kaspar

36

357

196; 202; 274; 283; 294;

30; 131

ELZE, Martin 237 EMSER, Hieronymus 152; 156 ENCELLAND, Hans 279 EPIPHANIUS von Salamis 140 ERASMUS von Rotterdam 34; 37 f; 50;

113; 178-187; 188; 199; 207; 212f; 216; 232;233f;273;357f ERDMANN, Karl Dietrich 334 ERNST, Wilhelm 22; 29; 40 ESNAULT, R e n e - H . 154

37

128f

COTTA, Familie in Eisenach COURTENAY, William J. 40 CROTUS, Rubeanus 112

44

FASER, Johannes 225 FABISCH, Peter 110 f; 125 FABRICIUS, Theodor 246; 271 FACERBERG, Holsten

75; 298; 305

371

Register FEILITZSCH, Philipp von

GRUNDMANN, Siegfried

171

FERDINAND, Erzherzog FEREL, Martin 316

GRUNDMANN, Walter

361

FEUERBACH, Ludwig 221 FICKER, Johannes 89

HAAR, Johann 13 HÄCCLUND, Bengt

FINK, Karl August 26 FLAVIAN, Patnarch von Konstantinopel FORCK, Gottfried FORELL,

140

345; 355

FRANZ von Assisi 155 FRIEDENSBURC, Walter 111

FRIES, Heinrich 125 FRIESEN, Abraham 164; 353 FÜHRER, Wemer 204

165; 172

GERDES, Hayo 196; 248 f; 284 GERKEN, Alexander 153 GERRISH, Bnan A. 214

53; 140

GESSEL, Wilhelm 149 GIESE, Ernst 112 GLOEGE, Gerhard 13

295

GOERTZ, Hans-Jürgen 353 GOETERS.J. F. Gerhard 187; 324

GOGARTEN, Fnednch

359 98 22; 29f; 75; 87; 93; 106;

HALLENSLEBEN, Barbara 125 HAMEL, Adolf 29; 89 H A M M , Berndt 22; 52; 65; 70 HAMMANN, Konrad 295; 296 HAMMER, Gerhard 106; 143 HARDT, T o m G. A.

GANSSLER, Hans-Joachim 168 f; 334; 337 GANSFORT, Wessel 188 GARIJO-GUEMBE, Miguel M. 144 GEBHARDT, Bruno 23 GENNRICH, Paul W. 187

GOEBEL, Hans Theodor

HACLER, Brigitte HÄRLE, Wilfried HAGEN, Kenneth

162; 204

FRIEDRICH der Weise, Kurfürst 96; 112; 126 f; 131; 165 f; 168; 169f; 174

GERSON, Johannes (Jean)

60; 196; 202; 204;

206; 214; 256 f; 261

168; 333; 335

GEORG von Sachsen, Herzog

294 80; 218; 237

13; 16; 17; 328f

GOLLWITZER, Helmut 134 GRANE, Leif 15; 29; 50; 80; 114; 196; 224;

304; 350 GRASS, Hans 143f; 187; 235; 324 GREGOR von Nazianz 113; 140 GREGOR von Rimini 25 GRESCHAT, Martin 169; 196 GRILLMEIER, Aloys 247 GRITSCH, Eric W . 169 GRÖNVIK, Lorenz 316 GRÖTZINGER, Eberhard 144; 188; 324 f GROSSMANN, Mana 29 GRUNDMANN, Herbert 337

325

HARNACK, Theodosius 13; 14; 17; 244 HASSELMANN, Niels 334 HAUSAMMANN, Susi 187; 324 HEADLEY, John M. 345

HECKEL, Johannes

136; 168; 172; 283f;

294; 302; 333; 340 f HECKEL, Martin 168;283f;333 HEGEMON, Petrus 217; 225; 346; 351 HEIDLER, Fritz 345; 348 HEINE, Susanne 356 HEINRICH, Herzog 271 HEINTZE, Gerhard 249; 252; 284 HENDRIX, Scott H . 13; 75; 142; 295 HENNIC, Gerhard 125; 128 HERMANN, Rudolf 13; 16; 17; 183; 196;

204; 264; 274; 344 HERMS, Eilert 98; 249 HERZIG, Arno 359 HEUBACH, Joachim 249 HIERONYMUS

40; 70; 92; 351

HILARIUS von Poitiers 40; 113 HILDEBRANDT, Franz 187 HILCENFELD, Hartmut 144; 324; 327; 328 HILLERDAL, Gunnar 333 HILTEN, Johann 44 HIRSCH, Emanuel 13; 16; 223; 226

HÖFLING, Johann Wilhelm Fnednch HÖHNE, Wolfgang

Höss, Irmgard

294

125; 304; 316

HOFFMAN, Bengt R. HOFFMAN, Melchior

30 353

305

372

Register

HOFFMANN, Gottfried 324 HOFFMANN, Heiner 337

KAMLAH, Wilhelm 169 KANTOROWICZ, Ernst 341

HOFFMANN, Manfred 178; 179 HOFMANN, Fntz 301 HOFMANN, Hans-Ulnch 44

KANTZENBACH, Fnednch Wilhelm K A R A N T - N U N N , Susan C. KARL V., Kaiser

301

164

127; 218; 361

HOLL, Karl 13; 15; 89; 100; 161; 279; 316 HONECKER, Martin 333 f

KARLSTADT, Andreas Bodenstein aus Karlstadt 135; 138; 156f; 158; 161-164; 166; 170; 175; 188; 208 f; 318; 326 f; 339

HONIUS (Hoen), Cornelius

KASTEN, Horst

HOLECZEK, Heinz

HORST, Ulnch

178

188f; 328

125

HÜBNER, Fnednch 75; 168; 298; 336 HUBMAIER, Balthasar 358

Huss, Johann (auch: Böhmen, böhmische Brüder) 26f;75; 139fF; 141 fF; 189; 206; 295; 298; 360 HÜTTEN, Ulrich von

112

316

KATTENBUSCH, Ferdinand 294 KAWERAU, Gustav 107; 195; 199 KEHRER, Günter 169 KIESSIG, Manfred 305 KINDER, Ernst 168; 187; 333; 336; 339 KISCH, Guido 358 KJELDCAARD-PEDERSEN, Steffen 196; 197;

237 ICNATIUS von Antiochien 194 INNOZENZ I., Papst 113 IRENAUS von Lyon 113 ISERLOH, Erwin 22; 35; 58; HOf;

KLEINEIDAM, Ench

122;

125; 192; 239; 242; 247; 333; 334 ISIDORO, Isolani

13; 16; 17; 212; 274

JACOBS, Manfred 248 JAMES, Frank A. 30 JANSEN, Reiner 223 JANZ, Denis R . 22 JEDIN, Hubert 134; 295 JETTER, Werner 55; 58; 6 1 ; 68 f; 80; 9 1 ;

316; 317 JOEST, Wilfried

270

K O C H , Emst 81; 196; 197 K O C H , Johannes 334 KÖHLER, Walther 110; 129; 187; 2 4 1 ;

324; 345

152

IWAND, Hans Joachim

22; 29 f; 33; 39

KNUTH, Hans Christian

196; 260; 264; 280; 283; 293

JOHANN, Herzog, 1525 Kurfürst JOHANNES XXII., Papst 26; 33 JOHANN Fnednch, 1532 Kurfürst 314; 362f

171 f 37; 199;

JORISSEN, Hans 153 JOSEL von Rosheim 363 JUDAS Ischanoth 186 JÜNCEL, Eberhard 316 JÜRCENSMEIER, Fnedhelm 111 JUNGHANS, Helmar 29; 3 1 ; 33 f; 47 f; 50 f;

6 3 f ; 9 7 ; 111; 112; 334; 345; 356 KAHLER, Emst 111; 134; 163f; 345 KÄSEMANN, Ernst 109

KOLMEL, Wilhelm 33; 169 KÜSTER, Beate 134 KOSTLIN, Julius 13; 18 KOHLS, Ernst-Wilhelm 178 KOOPMANS, Jan

223;

224

KOPERNIKUS, Nikolaus 28 KORTZFLEISCH, Siegfried von 362 KRETSCHMAR, Georg 125; 169 KRIECHBAUM, Fnedel 161; 188 KROEGER, Matthias 80; 97; 108; 277 KRUMWIEDE, Hans-Walter 316; 345 K Ü H N , Ulnch 325 KUNST, Hennann 333 LAMMERS, Walther 337 LANG, Johannes 49 f; 112; 113 LATOMUS

LAU, Franz

211 f

262; 316; 333

LECLERCQ, Jean, OSB 48 LEDER, Hans-Günter 300 LEHMANN, Karl 315

LEO I., Papst 140 LEO X., Papst 115; 178f LESOWSKY, Winfried

178

373

Register LESSINC, Gotthold Ephraim

240

LEWIN, Reinhold 356 LIEBERG, Hellmut 304; 305; 312; 314 LIENHARD, Marc 47 f; 187; 223; 235; 236;

239; 244; 249; 295 LILJE, Hanns 345 LINCK, Wenzeslaus 127 LINDBERC, Carter 111 LIVIUS, Tinas 37 LOCHER, Gottfried W . 188; 191 LÖFCREN, David 256; 257; 258; 264

LÖNNING, Inge

294f

LÖWE, Hartmut 334 LOEWENICH, Walther von

47; 204; 218;

235; 236 f; 281 LOHSE, Bernhard

15; 17; 19; 29f; 36; 39;

41; 50; 55; 59; 60; 6 1 ; 64; 66; 70; 77 f; 80; 87; 96; 97 f; 99; 100; 104; 105 f; 117; 120; 125; 126; 127-131; U l f ; 147; 154; 155; 156 f; 159; 160; 161 f; 163; 169; 176; 178; 179; 182; 187; 188-190; 194 f; 196 f; 204; 214; 217; 221; 223; 228; 234; 235; 236; 242; 256; 2 6 1 ; 264; 270; 283; 295; 298; 301; 304; 315; 325; 3 3 1 ; 333; 336; 340; 350; 353; 360

MAURER, Wilhelm

47; 75; 78 f; 145; 237;

263; 343; 362 MAY, Gerhard 187; 345; 3 5 4 f MAYER, Petrus 36 MAXIMILIAN, Kaiser 126 M C G R A T H , Allster E. 13 MCSORLEY, HarryJ. 178; 182; 186; 232

MEHL, Oskar Johannes

178

MEHLHAUSEN, Joachim 98 MEIER, Kurt 97; 204; 356 MEINHOLD, Peter 204; 208 f

MEISSINC.ER, Karl August

121 f

MELANCHTHON, Philipp

18; 2 1 ; 36; 37;

140 f; 156f; 158; 162f; 164-166; 170; 197-203; 243; 278 f; 287-291; 293 MERZBACHER, Friednch METZKE, Erwin 209

295

MEYER, Hans Bernhard

144

MEYER, Johannes 226; 270 MIRBT, Carl 133 MODALSLI, Ole

97; 108; 274; 281 f; 345

MOELLER, Bernd

15; 22; 29; 117; 134;

177; 304; 350 MORLIN, Joachim 294 MOLTM ANN, Jürgen 172

LOOFS, Fnedrich 274 LORENZ, Rudolf 149 LORTZ, Josef 35; 134 LUDOLPHY, Ingetraut 97; 170; 204

MoRRALL.John B. 23

LUDWIG der Bayer, Kaiser

MÜHLENBERG, Ekkehard 227; 250; 319 MÜHLMANN, Siegbert 171 MÜLLER, Gerhard 75; 79; 93; 98; 274;

26; 33

LUNN, Arnold 214 LUTHER, Katharina 349 LUTZ, Jürgen 295; 297; 333 MACCHIAVELLI, Niccolö 28 MAJOR, Georg 225 MALTER, Rudolf 214 M A N N , Frido 144; 324 MANNERMAA, T u o m o 237 MANNS, Peter 304; 305 MARBACH, Johann 265 MARGARETHE von Braunschweig-Lüne-

burg, Herzogin MARIA

13; 17; 50; 80;

81; 111; 214; 235; 283; 316; 318; 354

300; 334 MÜLLER, Nikolaus MÜNTZER, Thomas M U M M , Reinhard

161 155; 162; 208; 339; 353 304

MUTIANUS, Konrad Mutianus Rufiis

34

NEUSER, Wilhelm H. 196 NIKOLAUS von Kues 28; 234 NILSSON, Kjell Ove 235 N O P P , Hieronymus 282

145

189; 228 f; 268 f; 361

MARON, Gottfried

MOSTERT, Walter 204 ZUR MÜHLEN, Karl-Heinz

175f; 178; 316

MARSCHALK, Nikolaus 34 MARSILIUS von Padua 26 f; 337 f

OBENDIEK, Hartmannus 270 OBERMAN, Heiko A. 22; 29f; 36; 40; 42;

65; 75; 99; 111; 125; 177; 192; 247; 270; 353; 356; 358 f

374

Register

OCKHAM, Wilhelm von 24f; 26f; 30-33; 35 f; 192; 231 f; 247 f; 269; 337 f OLIVIER, Daniel OLYMPIUS ORICENES

111; 295

POST, Regnerus Richardus

113

PRATZNER, Ferdinand

14

ÖSTERCAARD-NIELSEN, Harald OSIANDER, Andreas

PRENTER, Regln

204

PREUSS, Hans

359

VON DER OSTEN-SACKEN, Peter

OVID, Publius Ovidius Naso

PACHOMIUS

43

144

97; 248f; 252; 304

346

PRIEN, Hans-Jürgen

356

344

PRIERIAS, Silvester (Silvestro 123-125; 126; 129; 132f

O T T O von Freising 337 O T T O , Rudolf 248; 249

OYER, John S.

PLITT, Gustav 35 POLLICH, Martin 34 POSSET, Franz 30; 39; 235

Mazzolim)

37

316

RAEDER, Siegfried 204 RAPACELANUS, Stanislaus 246; 271 RASMUSSEN, Tarald 143 RATZINGER, Joseph 149; 301 REBLIN, Klaus 154

70

PALLADIUS, Perms 251; 275 PALTZ, Johannes 25; 27; 70; 127 PANNENBERC, Wolfhart 104; 125;

250;

RENCSTORF, Karl Heinrich

362

304 PANORMITANUS, Nikolaus von Tudeschi 141 PARACELSUS, Theophrastus von H o h e n heim 28 PAULUS 34; 56 f; 64-66; 67 f; 80-97; 99; 104-107; 109f; 113f; 131; 133; 218f; 264-266; 273; 277 f; 283; 321; 348; 359

REUCHLIN,Johannes 28; 112f; 359 REUTER, Fntz 214 RHECIUS, Urbanus 348 RHENANUS, Beatus 123

PAULUS, Nikolaus

RITTER, Adolf Martin

PELAGIUS

111

275

PELIKAN, Jaroslav 13; 142; 189; 190; 204 PERLER, Othmar 63

PESCH, Otto Hermann 15; 29; 53; 97 f; 101; 125 f; 130; 179; 242; 274; 277; 284; 286; 295; 304; 350 PETERS, Albrecht

13; 97; 187; 193; 223;

226; 235; 249; 252; 257-259; 274; 276; 281; 316; 325; 329; 331 PETRUS

130; 133; 135; 137

PETRUS d'Ailly 36; 152 PETRUS Lombardus 55 ff; 66; 250; 275 PEURA, Simo 237 PFEFFERKORN, Johannes 359 PFEIFFER, Gerhard 97 PHILIPP DER SCHÖNE, König von Frankreich

357 PH'L1 D P, Landgraf von Hessen 194 Pico della Mirandola, Giovanni 178 f PINOMAA, Lennart 13; 17 PLATHOW, Michael 249

R(H)ETICIUS

113

RICKERS, Folkert 134 RITSCHL, Albert 14; 244 f RITSCHL, Otto 184

245

RITTER, Joachim 63 ROEPKE, Hans-Jürgen 334 RÖRER, Georg 216; 243; 247; 314 R O C C E , Joachim 196; 199 f; 356

RoHLS.Jan

144

ROSENBAUM, Hans-Udo 134 R O S T , Gerhard 178 R O T H , Erich 143 R O T H , Stephan 247 R O T H E N , Bernhard 204 R Ü H L , Arthur 30 RUHBACH, Gerhard 30; 134

R U P P , Emest Gordon

SASSE, Hermann

164; 356

187; 324

SCHÄFER, Emst 345 SCHÄFER, Rolf 97; 249 SCHÄFFRDIEK, Knut 98

SCHALBE, Familie in Eisenach

44

SCHARFFENORTH, Gerta 168 SCHEEL, Otto 36; 41; 44; 55; 97; 99; 105 f

375

Register SCHEIBLE, Heinz

23; 122

SCHEURL, Chnstoph

34; 49f

SCHILLEBEECKX, Edward

153

SCHILLING, Johannes 112 SCHINDLER, Alfred 63; 224 SCHINZER, Reinhard

98

SCHLICHT, Matthias

350

SCHLINK, Edmund

111; 214; 315 196; 284

SCHMAUS, Michael 250 SCHMIDT, Adolf 337

SCHMIDT, Kurt Dietrich

248; 252; 256

345

SCHMIDT, Martin Anton

22; 57; 227; 250

SCHMIDT-LAUBER, Gabnele 80; 81 SCHNEIDER, Hans 28 SCHNEIDER-FIUME, Gunda 169 SCHOEPS, Julius H. 359 SCHOTT, Erdmann 111; 268 SCHÜSSLER, Hermann 40 SCHWAB, Wolfgang 144; 316; 319; 322;

324; 326; 328-331 SCHWAGER, Raymund 241 SCHWARZ, Reinhard 30; 55; 57; 58; 61;

63; 64; 71; 73; 80; 92; 98; 223; 263; 334; 343; 345 SCHWARZENBERG, Johann Frhr. von 171 f SCHWARZWÄLLER, Klaus SECKLER, Max

178; 187; 249

125

SEEBASS, Gottfned 13; 122; 300; 316; 345 SEEBERC, Erich 13; 47; 235; 248; 249; 264;

265 SEEBERG, Reinhold

154 34; 37; 49 f; 122;

18; 224

STEIN, Wolfgang 304 STEINACKER, Peter 294 STEINMETZ, David C. 30 STEINMETZ, Max

111

111

STOCK, Ursula 144; 316; 320 STRACKE, Ernst 97 STREIFF, Stefan 235 STUHLMACHER, Peter 109 STUPPERICH, Robert 178; 196 SUDBRACK, Josef 30

TAULER, Johannes

38

TECKLENBURG JOHNS, Christa

133; 301

TETZEL, Johannes 116; 120 THIEDE, Werner 345; 347 f THOMAS von Aquin 14; 31; 32; 53; 127;

152f; 275 TIERNEY, Bnan 23; 337 TIILILÄ, O s m o A. 245 TILEMANN

251; 275

TORNVALL, Gustaf 168; 333 TRAUB, Hellmut 134 TRILLITZSCH, Winfried 155 TRÜDINGER, Karl 168 TRUTFETTER, Jodocus 34; 40 TUCHEL, Klaus 304 VAJTA, Vilmos

75; 196; 294; 296; 304;

13; 15; 17; 185; 192;

324 VALERIUS, Bischof von Hippo Regius

75; 78; 111; 125; 130;

VALLA, Laurentius

316 SELGE, Kurt-Victor

197 STECK, Karl Gerhard

STERN, Leo

SCHLISSKE, O t t o 252 SCHLOEMANN, Martin

SCHMIDT, Martin

STAMM, Heinz-Memolf STAUPITZ, Johannes von

134; 214 SlDER, Ronald J. 161; 164 SicciNS, Ian D. Kingston 235 SIXTUS I V , Papst 129 SMOLINSKY, Henbert 152; 298 SOMMERLATH, Ernst 187; 326 SPALATIN, Georg 112; 123; 132; 145; 158;

164; 171; 181 STAATS, Reinhart 98 STACKMANN, Karl 117 STAEDTKE, Joachim 144

VERCRUYSSE, Jos. E.

50f; 52; 75; 111

VERGIL, Publius Vergilius Maro VOGELSANC, Ench

37

30; 6 1 ; 63; 97; 100f;

107; 235; 239 VOGLER, Günter 161 f VOLZ, Hans 224 VORLÄNDER, Dorothea 223; 235 VOSSBERG, Herbert 95 WALLMANN, Johannes WALTHER, Wilhelm

315

178 f; 181 f; 186

169; 176; 356 204

376

Register

WATSON, Philip S. 13; 17 WEIER, Reinhold 13; 17; 47; 48; 234 WEILER, A. G.

WOLF, Emst

13; 16; 30; 47; 183; 204; 235;

237; 274; 275; 284; 294; 333 WOLF, Günther

22

168; 333

WEISS, Albert M. 110 WELTE, Michael 134

WOLFF, Paul

W E N Z , Günther

WRIEDT, Markus

44

WOLCAST, Elke

144

WESSEL, Klaus 245 WICKS, Jared 51; 52; 55; 60; 125; 126;

WYCLIF, John

168; 175; 333; 337

22; 30; 37; 223f; 304

24; 26 f; 139; 182; 295; 298

129 f; 214 ZACHARIAE, Johannes 26 ZAHRNT, Heinz 345 ZERFOSS, Daniel E. 40 ZICKENDRAHT, Karl 178

WIMPINA, Konrad 120 WINDHORST, Chnstof 316 WINGREN, Gustaf 264 WISLÖFF, Carl Fr. 144; 324 WITZEL, Georg 199 WÖLFEL, Eberhard 178; 316 W O L F , Erik 171

ZWICKAUER PROPHETEN

164f

ZWINGLI, Ulnch 20; 190ff; 206; 2 3 1 ; 235f; 247; 318f; 322; 325; 327; 328f

II. Sachen Abendmahl, Messe, Euchanstie 68 f; 9 1 93; 148-154; 187-195; 206; 224f; 236; 245-248; 318 f; 324-333 - manducatio impiorum/indignorum 331 - Marburger Religionsgespräch 194 f - Wittenberger Konkordie 195 Ablaß 26; 77; 100; 103; 111; 115-119; 120-122; 124f; 127f; 132-134; 317 Amt, geistliches, Ordination 304-316 Anfechtung 46f; 102-104; 299 Anthropologie 256-264 - Gottesebenbildlichkeit 260 Antichnst 126f; 143; 151; 345 f; 355 f; 360 ff Antinomer 20; 195-203; 209; 234; 250; 255; 258; 267; 271; 280; 284 f; 287; 2 8 9 291; 292 f; 299 Apokalyptik 143; 177; 353 f Aufklärung 218 Augustinismus 24 f; 36; 53 f Auslegung der Hl. Schnft, Hermeneutik 61-64; 71 f; 190-194 Bauern, Luthers Haltung zum Bauemkneg 175-177; 181 Beruf 160; 259-264

Bilderfrage, Bilderverehrung 163 f; 166 f Bischof, Bischofsamt 137; 138f; 146; 306 f; 310-314; 315 f Buße 117-119; 152; 153 f; 196-199 Chnstologie 67 ff; 190-195; 222 f,; 2 3 5 248 - Chnsti Werk 239-245 - Enhypostasie 246 f - Entäußerung 245-247 - sacramentum/cxemplum 58; 92; 239 - Ubiquitätslehre 191-194; 245-248 concupiscentia 56 f; 66; 8 3 ; 147 f; 268 f cooperatio zwischen Gott und Mensch in der Welt 230; 259 Dogma, tnnitansches/chnstologisches 223-227; 235-239; 241; 249-252 Donatismus 301 Dunkelmännerbnefe 112

17 f;

Fegefeuer 118f; 141 Freiheit, chnstliche 96f; 157 f, 160; 16V165 Geist/Buchstabe 62 f; 208 f Geist, Hl. 166; 248-256

377

Register Gemeinschaft, communio 148 f; 150 Gerechtigkeit Gottes 80-82; 86-90; 9 8 110; 274-283 Geschichtsauffassung 78; 143; 354-356 Gesetz, Gebote 96 f; 154-157; 160; 163 f. (»der Juden Sachsenspiegel«); 165-167; 196-198; 199-203 (Gesetz und Evangelium; zweifacher Brauch des Gesetzes, tertius usus legis); 209f. (»der Juden Sachsenspiegel«); 287-291 (zweifacher Brauch des Gesetzes); 291-293 (natürliches Gesetz/Mosegesetz); 293 f. (tertius usus legis) Gesetz und Evangelium 163 f; 166ff;1 9 5 203; 209-211; 222; 255 f; 283-294; 346; 349-353 Gewissen 218; 275; 288 Glaube 57-59; 71-73; 117-120; 135; 147 f; 157; 218-221; 241; 274-283; 309; 318 f; 321-324 Gnade 66-68; 85-90; 274-283 Gort 24; 31 f; 50-52; 52-54; 63 f; 64 f; 81; 86-90: 184 f. (Deus absconditus/revelatus); 216-218; 223-256 Gravamina der deutschen Nation 22 f habitus 32; 57; 64 f; 81 f; 153; 278 f Häretiker 77 f; 365 f Heilige 119; 147 f; 154-161 Humanismus 24 f; 33-35; 111-113; 114; 178-187; 358f

Juden 77-79; 356-367 Kirche 75 f; 93 f; 133 f; 142 f; 150 f; 294-304 - Kirche als »creatura Evangelii« 298 - notae ecclesiae 301-304 - »Die zwo Kirchen« 302 Kirchenkritik 77-79; 94-97; 110-125 Konzil 124f; 126f; 129; 132-134; 140f; 150; 205 f; 220; 225; 245; 250; 301; 308 Konziliansmus 23; 129; 132-134; 140f; 295 Konzilien: - Basel (1431-149) 23 - Konstanz (1414-1418) 23; 26 - Nicäa (325) 225

Laienkelch

150; 152

Marburger Religionsgespräch siehe Abendmahl Mönchtum, Mönchsgelübde, Observanten 60; 70f; 77; 96 f; 147f; 153f; 154-161; 163; 343 Mystenentheologie 237 Mystik 38; 90; 230f Obrigkeit, zwei Regimente, zwei Reiche 95 f; 165; 167 f; 168-177; 230; 261; 3 3 3 344 Ockhamismus siehe Ockham Papsttum 75; 77; 94; 95; U2f; 118; 121 f; 126 f; 129 f; 132-134; 134-143; 146; 155; 169; 205; 220; 295 f; 299 f; 306; 309; 311; 315; 327; 329; 344; 353 f; 361 Prädestination 102-104; 184-187; 215— 217; 232-235 Rechtfertigung 17; 60 f; 67 f; 71-73; 8 0 82; 85-90; 274-283 - imputare/reputare (zurechnen) 32; 67; 87; 277 f Sakramente 68-71; 91-93; 130f; 1 4 3 154; 187-195; 302; 311; 317-324; 3 2 5 333 Satisfaktionsthcorie 241-245 Schöpfung 226 f; 227-229; 257-264 - Schöpfungsordnungen 262—264 - »Stände«, »Hierarchien« 262-264 Scholastik 24f; 39f; 48-52; 59-61; 114f; 115-125; 179; 192-194; 229f; 245-248; 273; 275; 336-338 Schrift, Hl. 27; 61-64; 113f; 117-119; 123-125; 129; 136; 144 f; 155 ff; 159; 162f; 166-168; 183f (äußere/innere Klarheit); 204-213 - äußeres/inneres Wort 208 Sünde 32; 55-57; 64-66; 82-84; 263f; 264-273 - Erbsünde 265 f; 268 f - »homo meurvatus in se ipsum« 83 f; 267 f Sukzession, apostolische 75 f; 94; 315 f

378

Register

Taufe 68-71; 91; 146-148; 153; 154-161; 308-310; 316-324 - K i n d e r t a u f e 164f; 318f; 321-324 Teufel 42; 78 f; 176 f; 238; 240; 241 f; 247;258f; 268; 270-272; 287f; 303; 353-355 Theologia deutsch 38 Theologie 47-54 - Theologia crucis 49-52 - »Frömmigkeitstheologie« 52 Tod, Jüngstes Gericht 102-107; 274-277; 345-356 Transsubstantiation, Konsubstan tiation 149; 151; 152f; 327-329; siehe auch Abendmahl

Tnnität Türken

18; 183; 213; 222; 223-235; 298; 325 355

Vergottung, Theosis, deificatio 237 Vernunft 160f; 205; 214-223; 261 f; 271; 339 Wille, menschlicher, Willensfreiheit 56; 64-66; 82-84; 122f; 178-187; 272f - necessitas consequentis/consequentiae 180; 185 f - aptitudo passiva (passive Fähigkeit) 273 Zwei Reiche, zwei Regimente Obngkeit

siehe

Studien zur Reformation von Bernhard Lohse

Evangelium in der Geschichte Studien zu Luther und der Reformation. Zum 60. Geburtstag des Autors herausgegeben von Leif Grane, Bernd Moeller und Otto Hermann Pesch. 1988. 446 Seiten, kart. ISBN 3-525-58151-3

Durch ihre unbestechliche, detailgenaue Arbeit an den Quellen helfen diese Studien zu nüchternem Umgang mit der Geschichte des christlichen Denkens. Sie dienen dem offenen und lernbereiten Gespräch in Theologie und Kirche und dem ökumenischen Dialog zwischen den Kirchen und ihren Theologien. So schärfen sie den Blick für den Weg des Evangeliums in der Geschichte.

Thomas Müntzer in neuer Sicht Müntzer im Licht der neueren Forschung und die Frage nach dem Ansatz seiner Theologie. (Berichte aus den Sitzungen der Joachim Jungius-Gesellschaft, Jg. 9/1991, Heft 2). 1991. 117 Seiten, kart. ISBN 3-525-86251-2

Die Müntzerforschung hat sich in den letzten Jahrzehnten erheblich intensiviert und beträchtlich gewandelt. In dieser Untersuchung verfolgt B. Lohse den Gang der Müntzerforschung von den Anfängen bis 1990. Dabei wird deutlich, daß im Westen wie im Osten Müntzer mehr und mehr als Theologe gesehen wird, dessen Platz innerhalb der Kirchen-

und Theologiegeschichte noch immer ganz unterschiedlich bestimmt wird. Weiter zeigt Lohse, daß Müntzers Ausgangspunkt weniger in seiner Anknüpfung an die Mystik oder auch an die Taboriten zu sehen ist, sondern in seiner besonders radikalen Kirchenkritik.

Mönchtum und Reformation Luthers Auseinandersetzung mit dem Mönehsideal des Mittelalters. (Forschungen zur Kirchen- und Dogmengeschichte 12). 1963. 379 Seiten, kart. ISBN 3-525-55115-0

Luther war Mönch in der katholischen Kirche, als er zu seiner reformatorischen Auffassung von der Gerechtigkeit Gottes und der Rechtfertigung des Menschen gelangte. Schon aus diesem Gmnd kommt der Frage, wie sich seine Stellung zum monastischen Ideal des Mittelalters entwickelt hat, besondere Bedeutung zu. Die Auswahl der hier behandelten Mönchstheologen des Mittelalters ermöglicht es, die profilierten theologischen Anschauungen über das monastische Ideal als Gegenüber für die Theologie des jungen Luther zu umreißen.

V&R

Vandenhoeck &. Ruprecht