Luther und Müntzer: Ihre Auseinandersetzung über Obrigkeit und Widerstandsrecht [2 ed.] 3110012332, 9783110012330

Die seit 1925 erscheinenden Arbeiten zur Kirchengeschichte bilden eine der traditionsreichsten historischen Buchreihen i

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German Pages 198 [196] Year 1971

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Polecaj historie

Luther und Müntzer: Ihre Auseinandersetzung über Obrigkeit und Widerstandsrecht [2 ed.]
 3110012332, 9783110012330

Table of contents :
Inhaltsübersicht
Einleitung
Erstes Kapitel
Zweites Kapitel
Drittes Kapitel

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ARBEITEN

ZUR

K I R CH E N G E S CH I CH T E

B e g r ü n d e t v o n K a r l Holl f und Hans L i e t z m a n n f Herausgegeben von Kurt Aland, Walther Eltester und Hanns Rückert 29

LUTHER UND MÜNTZER IHRE A U S E I N A N D E R S E T Z U N G ÜBER OBRIGKEIT UND WIDERSTANDSREGHT VON

CARL HINRICHS

ZWEITE, UNVERÄNDERTE

AUFLAGE

W A L T E R D E G R U Y T E R & CO. vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung - J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung Georg Reimer - Karl J . Trübner — Veit & Comp.

Berlin 1962

Nachdruck 1971

I S B N 3 11 001233 2 1962 by Walter de G r u y t e r & C o . , vormals G . J . Göschen'sche Verlagshandlung • J . Guttentag, Verlagsbuchhandlung • G e o r g Reimer • K a r l J . T r ü b n e r • Veit & Comp. Berlin 30 (Printed in G e r m a n y )

© A l l e Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. O h n e ausdrückliche G e n e h m i g u n g des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem W e g e (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen.

Gerhard in Verehrung

Kitter gewidmet

Inhaltsübersicht Einleitung W i t t e n b e r g und A l l s t e d t Allstedt als Gegen-Wittenberg. S. i . — 'Geist'-Prinzip und Schriftprinzip oder "Bund* und Universität. S. 2. — Müntzer, Paracelsus und die münsterischen Wiedertäufer. S. 3.

Seite

1-4

Erstes Kapitel Müntzers ' F ü r s t e n p r e d i g t ' über das zweite K a p i t e l D a n i e l i s : Die O b r i g k e i t als Organ einer l e g a l e n R e v o l u t i o n des E v a n g e l i u m s Müntzer in Allstedt. S. 5. — Sein Zusammenstoß mit dem Grafen von Mansfeld. S. 6. — Müntzer tritt dadurch in den Gesichtskreis seiner Landesherrschaft. S. 7ff. — Der Bildersturm von Mallerbach und die Begründung des 'Bundes der A u s e r w ä h l t e n S . u f f . — Die Bundesartikel. S. 19ff. — Erstes Einschreiten der Obrigkeit und Aufruhr in Allstedt. S. 26ff. — Innere Unsicherheit der kursächsischen Obrigkeit. S. 28 ff. — Friedrich der Weise. S. 28 ff. — Herzog Johann, Wolfgang Stein und Jakob Strauß. S. 3of. — Kurprinz Johann Friedrich und Luther. S. 31 ff. — Luthers Auffassung der weltlichen Obrigkeit nach Rom. 13. S. 33. — Begründung eines Widerstandsrechtes durch Müntzer aus Röm. 13. S. 35f. — Innerer und äußerer Anlaß zur 'Fürstenpredigt' Müntzers. S. 36f. — Entstehung der .Fürstenpredigt'. S. 37f. — Erklärung der Wahl des Textes. S. 39 ff. — Luthers und Müntzers Geschichtsauffassung. S. 39. — Bedeutung des Buches Daniel für die Auffassung der Universalgeschichte. S. 40. — Bedeutung von Dan. 2 für Müntzers Deutung der historischen Situation. S. 42 ff. — Luthers und Müntzers Kirchenbegriff als primäre soziologische Kategorie. S. 44. — Das Ideal der urchristlichen Gesellschaft bei Müntzer. S. 45. — Die Idee des Verfalls dieser Gesellschaft bei Müntzer. S. 46. — Verfallsidee und danielisches Geschichtsschema. S. 46t. — Der "Geist' Christi als Ende der Geschichte. S. 47f. — Revolutionärer Charakter dieses 'Geistes'. S. 48. — Dieser revolutionäre "Geist" fehlt sowohl der katholischen wie der lutherischen Kirche. S. 48ff. — E r wird ohne Schriftvermittlung erfahren. S. 50. — Das Hören des .innerlichen Wortes'. S. 51. — Verschmelzung von Müntzers Geistestheologie und seiner Ge-

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VI

Erstes und Zweites Kapitel

schichtsauffassung. S. 51 ff. — Müntzers Puritanismus. S. 52. — Letztes Ziel der evangelischen Revolution Müntzers: Die apostolische Menschheit. S. 53. — Apokalyptik. S. 54. — Prophetischer Geist als Kennzeichen der Endzeit. S. 55 f. — Die weltgeschichtlichen Perioden nach Müntzer. S. 57. — Aufforderung an die kursächsische Obrigkeit, die Folgen aus der historischen Situation zu ziehen und sich an die Spitze der evangelischen Revolution zu stellen. S. 58 ff. — Müntzer will an Stelle Luthers die Führung übernehmen. S. 59. — Den Fürsten ist das Schwert zur Herstellung des Gottesreiches verliehen. S. 6off. — Wenn sie es nur im konservativen Sinne verwenden, wird es ihnen genommen werden. S. 62. — Die aktive Anwendung des Schwertes widerspricht nicht dem Barmherzigkeitsbegriff. S. 63 f. — Verhalten der Obrigkeit zu Müntzers "Fürstenpredigt'. S. 64f. — Müntzers Lehrschreiben an Zeiss. S. 65ff. — Müntzers 'Bundespredigt'. S. 6gff. — Sein Lehrschreiben für die Obrigkeit. S. 7of. — Er fordert Auflösung des Obrigkeitsstaates in einen geistlichen 'Bund*. S. 71. — Popularität der sächsischen Fürsten wird in Rechnung gestellt. S. 71 f. — Die Frage der Abgaben und Frohnden. S. 73. — Müntzers Verhör in Weimar. S. 7 5 !

Seit«

Zweites Kapitel D i e ' A u s ge d r ü c k t e E n t b l ö ß u n g des f a l s c h e n G l a u b e n s ' u n d d a s ' G e z e u g n i s des e r s t e n C a p i t e l s des E v a n g e l i o n s L u c a e ' : R e v o l u t i o n im B u n d e o d e r im K a m p f mit der O b r i g k e i t ? Der Verlauf des Weimarer Verhörs Müntzers. S. 77ff. — Seine Bedeutung für die Haltung Herzog Johanns in der Müntzerfrage. S. 81 ff. — Zwangslage des Herzogs infolge des widerspruchslosen Anhörens der 'Fürstenpredigt'. S. 82f. — Unsicherheit des Herzogs gegenüber Müntzer. S. 83 f. — Einfluß von Jakob Strauß. S. 84. — Die Soziallehren Jakob Strauß'. S. 86ff. — Karlstadt und Müntzer. S. 89f. — Auseinandersetzung Müntzers mit seinen Allstedter Anhängern nach dem Verhör. S. 91 ff. — Müntzer versucht, die Folgen des Verhörs abzuwenden. S. 92 f. — Müntzer an den Kurfürsten. S. 93 f. — Erste Verteidigung gegen Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen wider den aufrührerischen Geist'. S. 94f. — Müntzer über seine und Luthers Theologie. S. 9 4 ! — Die Frage einer Disputation mit Luther. S. g6ff. — Müntzers 'Unterricht' für Herzog Johann. S. 99f. — Revolution im Bunde oder im Kampf mit der Obrigkeit? S. 100f. — Das Verhältnis der 'AusgedrücktenEntblößung' zum'Gezeugnis des ersten Capitels des Evangelions Lucä'. S. i o i f f . — Analyse der 'Ausge-

77 —14a

Inhaltsübersicht

VII Seite

drückten Entblößung*. S. l o i f f . — Ihr revolutionärer Charakter. S. 101. — Das wahre Wort Gottes ist an sich revolutionär. S. 102. — Der wahre Glaube ist für den kreatürlichen Menschen ein unmögliches Ding. S. 103. — Der erfahrene und erlittene Glaube im Gegensatz zum Buchstabenglauben. S. 105. — Der unerfahrene Glaube der lutherischen Schriftgelehrten. S. 105 f. — Er sucht den gemeinen Mann vom wahren, revolutionären Glauben fernzuhalten. S. 105 f. — 'Geist* und Buchstabe. S. ioöff. — Müntzers Bekenntnisbegriff. S. 107. — Die politische Konsequenz von Müntzers Glaubensbegriff. S. 108. — Die Spannung zwischen echtem Glauben und der Gesellschaftsordnung. S. logff. — Neue Interpretation von Rom. 13. S. i n f f . — Ursprung der weltlichen Obrigkeit nach Müntzer. S. n i f . — Revolution als Wiederherstellung der Gottesherrschaft gegenüber der kreatürlichen Fürstenherrschaft. S. 113. — 'Legaler' Charakter des "Gezeugnisses des ersten Capitels des Evangelions Lucä*. S. H 4 f . — Das Problem der Gnadenwahl bei Müntzer. S. 115ff. — Glaube und Reichtum. S. 117. — Glaube und Armut. S. Ii7f. — Der Kampf für die Armen und Unterdrückten widerspricht nicht der Kreuzestheologie. S. 119. — Reichtum und Armut als Hemmnisse des wahren Glaubens. S. 120ff. — Das Volk und die Heiden als prädestinierte 'Auserwählte*. S. 122ff. — Absage Müntzers auch an die sächsischen Fürsten. S. I24f. — Das 'Gezeugnis* enthält diese Absage noch nicht. S. 125 f. — Motive zu Müntzers Flucht aus Allstedt. S. I 2 6 f f . — Müntzers Flucht bedeutet die Entscheidung für die Revolution. S. 130. — Müntzers Abschiedsschreiben an die Allstedter. S. i3off. — Müntzer und Hans Hut. S. 135. — Druck der 'Ausgedrückten Entblößung*. S. 135. — Müntzer in Mühlhausen. S. 136. — Stellungnahme der ernestinischen Fürsten. S. I3öf. — Drohende Haltung des Herzogs Georg gegen die Ernestiner. S. 137. — Wittenbergs Druck auf die Landesherrschaft in der Müntzerfrage. S. 138. — Vermittlungsversuch von Jakob Strauß: Vorschlag einer großen Disputation zwischen Luther, Melanchthon, Müntzer, Karlstadt und Strauß. S. 138ff. — Müntzers Ablehnung und Luthers Sieg. S. i/joff. Drittes

Kapitel

'Wider das geistlose s a n f t l e b e n d e Fleisch z u W i t t e n berg': Die endgültige Wendung Müntzers zur Revolution 143 — 187 Zeitliches Verhältnis von Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' zu Müntzers 'Fürstenpredigt'. S. 143ff. — Luthers

VIII

Drittes Kapitel

'Brief an die Fürsten zu Sachsen'. S. I45ff. — Luthers Haltung zur Frage revolutionärer Gewaltanwendung und ihr eschatologischer Hintergrund. S. i4Öff. — Staat und Reformation nach Luthers Auffassung. S. I49f. — Teufelsanschauung und Geschichtsauffassung bei Luther. S. 1 5 1 ff. — Ihre Konsequenzen für seine negative Haltung zum Widerstandsrecht. S. 153 ff. — Bedeutung des Bildersturms für die Beurteilung Müntzers durch Luther. S. 156 f. — Luthers Kenntnis der Theorien Müntzers. S. 158ff. — Müntzers .Sendbrief an die Berggesellen'. S. I59ff. — Der Begriff des Aufruhrs bei Müntzer. S. 162. — Luthers Quellen für die Beurteilung Müntzers. S. i63f. — Analyse von Müntzers 'Schutzrede'. S. 164 ff. — Christusherrschaft an Stelle der Fürstenherrschaft. S. 164 f. — Herrschaft der Schriftgelehrten als Teufelsherrschaft. S. i66ff. — Apokalyptische Symbolik in Müntzers Scheltregister gegen Luther. S. 169ff. — Angriff auf Luthers Rechtfertigungslehre. S. 172 ff. — Gesetz und Gnade bei Luther und Müntzer. S. 172 ff. — Müntzers Gesetzesbegriff. S. I74ff. — Seine sozialen Konsequenzen. S. I76ff. — Gesetz und Eigentumsbegriff. S. I77ff. — Gesetz und 'Volkssouveränität'. S. 179. — Das Problem des freien Willens bei Müntzer. S. i8of. — Persönliche Polemik. S. i 8 i f f . — Datierung der "Schutzrede'. S. 1 8 5 I — Druck und Beschlagnahme der 'Schutzrede'. S. 187.

Einleitung Die drei Studien über Thomas Müntzer, die hier vorgelegt werden, beschäftigen sich mit der entwicklungsgeschichtlich wichtigsten Phase dieses stürmischen, aber sich mit großer Folgerichtigkeit entfaltenden Geistes, den Karl Holl 1 und Heinrich Boehmer 2 übereinstimmend als die neben Luther stärkste Potenz der Entscheidungsjahre der deutschen Reformation bezeichnet haben, jenes Geistes, von dem die große geistesgeschichtliche Erscheinung des Täufertums und des Spiritualismus recht eigentlich ihren Ausgang nimmt, und in dem nach Holl 'der Gegensatz zu Luther zuerst zum deutlichen Bewußtsein über sich selbst gelangte' 3 . Es handelt sich bei dieser Phase um den deutlichen Versuch Müntzers, sich 1523/24 mit der politisch-geographischen Basis Luthers, des Kurfürstentums Sachsen, auch der Führerstellung innerhalb der noch alle Möglichkeiten in sich bergenden reformatorischen Bewegung zu bemächtigen. Müntzer wollte das kleine Ackerstädtchen Allstedt, das einst eine Residenz der sächsischen Kaiser gewesen war, und dessen Magistrat ihn gegen Ostern 1523 zum Prediger gewählt hatte, zu einem mit dem Evangelium nach seiner Auffassung wirklich Ernst machenden religiös-politischen Zentrum, zu einem Gegen-Wittenberg machen, von dem aus nicht nur die Volksmassen, sondern — durch Überzeugung sowohl, wie durch den Druck eben dieser Volksbewegung — auch die kursächsische Obrigkeit für eine 1

V g l . K a r l H o l l , L u t h e r u n d die S c h w ä r m e r , i n : G e s a m m e l t e A u f -

sätze zur Kirchengeschichte, 8

Heinrich Boehmer,

land, in:

Gesammelte

Tübingen

1932, I , S. 425.

Thomas Müntzer und das jüngste

Aufsätze,

Gotha

1927,

S. 222.

U r t e i l B o e h m e r s a n , o h n e m i c h m i t allen seinen ü b r i g e n zu

Anschauungen

identifizieren. * a. a. O .

S. 425.

H i n r i c h s , L u t h e r u n d Müntzer

Deutsch-

I c h f ü h r e dieses

j

2

Wittenberg und Allstedt

gewaltsame Umgestaltung aller Lebensverhältnisse nach Maßgabe des von Müntzer ausgelegten Wortes Gottes gewonnen werden sollten. Und von dieser eroberten kursächsischen Basis aus sollte dann schließlich die religiöse und soziale Revolutionierung ganz Deutschlands ausgehen, wobei das Beispiel und die Macht, sowie das Ansehen, das die ernestinischen Fürsten, besonders der Kurfürst Friedrich der Weise selber, auch beim 'gemeinen Mann' besaßen, zweifellos mit in Rechnung gestellt wurden. Wenn Müntzer von Luther und den Wittenbergern sagt, sie wollten 'das Gezeugnis des Geistes Jesu auf die hohe Schule bringen' 1 , so bedeutet das eine deutliche Wendung gegen den lutherischen Begriff des 'Wortes' und der 'reinen Lehre', mit andern Worten, eine Wendung gegen die Wittenberger Universität als Pflanzstätte des neuen geistlichen Standes und Organ der lutherischen Reformation, der Müntzer in Allstedt eine ganz andere, das Programm des allgemeinen Priestertums radikal verwirklichende Gründung entgegengestellt hat. Das Organ s e i n e r Reformation ist ein geistlich-revolutionärer Bund von wahren 'Auserwählten' ohne Rücksicht auf Herkunft, Beruf und Vorbildung, die den 'Geist Christi' als einen menschen- und weltumgestaltenden Geist unmittelbar, ohne Buchstaben, Schrift und Lehre, aus der Erfahrung des Leidens, des Kreuzes, in einem einmaligen, abschließenden Akt — einem Durchbruch, der schon die spätere pietistisch'e 'Erweckung' und die ganze spätere Kritik an der lutherischen Rechtfertigungslehre vorwegnimmt — in sich erzeugen und dadurch zum Werkzeug einer wahrhaften, endgültigen Reformation werden. Diese revolutionäre Sekte mit ihrem 'freiheitlichen', gegenüber jeder auf Tradition und Schrift gegründeten Autoritätskirche als Sprengmittel wirkenden, weil zu beständigen Umwälzungen und seelischen Erneuerungen drängenden Prinzip, dem Prinzip des sog. 'inneren Geistes', des 'inneren Lichtes' oder auch des 'inneren Wortes', 1 T h o m a s M ü n t z e r , Aussgetrückte Emplössung des falschen Glaubens etc. (1524) Vgl. T h o m a s M ü n t z e r , Politische Schriften mit Kommentar hrsg. von Carl Hinrichs (Hallische Monographien, hrsg. von Otto EiBfeld, Nr. 17), Halle, 1950. Nach dieser Ausgabe werden fortan Müntzers politische Schriften unter Angabe der Zeilenzahl zitiert.

Wittenberg und Allstedt

3

dieser Bund hatte seinen Ursprung und Mittelpunkt in Allstedt. So stehen sich Universität und Bund, Wittenberg und Allstedt gegenüber wie das Prinzip der 'Schrift' und der 'reinen Lehre' auf der einen, das Prinzip des 'Geistes' und seiner unmittelbaren Erfahrung und Inspiration auf der andern Seite. E s ist ein Gegensatz, der auch auf anderen Gebieten des so viel versprechenden deutschen Lebens dieser Zeit sichtbar wird, ein kühner freiheitlich-demokratischer, traditionsund autoritätsfeindlicher Zug, dem auch ein in lutherischen Traditionen wurzelnder Historiker wie Ranke bei Gelegenheit einer Erscheinung wie der des Paracelsus wohl gerecht werden konnte. »Im hohen Gebirg aufgewachsen«, sagt Ranke von Paracelsus 1 , »wo sich mancherlei sonst verschwundene Kenntnisse erhalten hatten, im Umgang mit Geistlichen von geheimnisvoller Erfahrung, mit Freunden chemischer Versuche wie Siegmund Fugger zu Schwaz, in stetem Verkehr mit Bergleuten, Hüttenarbeitern, dem gemeinen Mann überhaupt, hatte Paracelsus nicht allein Mittel kennen gelernt und durch glückliche Kuren erprobt, sondern sich auch Weltansichten gebildet, die allem widersprachen, was auf den hohen Schulen galt. Als er 1527 zu Basel auftrat, erklärte er zuvörderst, daß er nichts auf fremde Autorität lehren werde . . . er wollte von nichts als von der Natur hören: denn nur die Bücher seien wahrhaft und ohne Falsch, welche Gott geschrieben, die Elemente müsse man studieren, der Natur nachgehen von Land zu Land, da jedes einzelne nur ein Blatt des großen Buches sei; die Augen, 'die an der Erfahrenheit Lust haben', die seien die wahren Professoren, und wie er sonst seinen Widerwillen gegen die Schriftgelehrsamkeit ausspricht . . . D i e m ü n t z e r i s c h e n I n s p i r a t i o n e n , die s o z i a l i s t i s c h e n V e r s u c h e d e r W i e d e r t ä u f e r u n d die p a r a c e l s i s c h e n T h e o r i e n entsprechen einander sehr gut; vereinigt hätten sie die W e l t u m g e s t a l t e t 2 . » Das demokratische Prinzip der autonomen Gemeinde, die frei von sich aus Verfassung 1

L . v. R a n k e , Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Ausgabe der Deutschen Akademie, München, 1926, V . S. 379t. 2 Ranke fügt jedoch auch hinzu, daß sie 'den großen welthistorischen Gang der Kultur' unterbrochen haben würden.

4

Wittenberg und Allstedt

und Kultus bestimmt und auch in die Fragen des sozialen Bereichs hinübergreift, ein Prinzip, das Luthers Lehre vom allgemeinen Priestertum und seine großen an eine christliche Obrigkeit, den 'christlichen Adel deutscher Nation', gerichteten Reformprogramme unmittelbar, von unten, zu realisieren sucht — womit Karlstadt 1522 in Wittenberg gescheitert war — die Verwirklichung dieses Prinzips hat Müntzer 1523 in Allstedt mit räumlich und inhaltlich umfassenderer Zielsetzung aufs neue in Angriff genommen und durch Abschaffung der lateinischen Sprache im Gottesdienst, durch die Neugestaltung aller kirchlichen Handlungen und der Messe, durch sein 'Deutsches Kirchenamt', seine 'Deutsch-evangelische Messe' einen tatsächlichen historischen Vorsprung vor Wittenberg gewonnen. Der neuen volkstümlichen gottesdienstlichen Feier, die Müntzer zum sinnbildlichen Ausdruck seiner Ideen umgestaltet, tritt nicht minder wirkungsmächtig sein gesprochenes und gedrucktes Wort an die Seite. Allstedt strebte tatsächlich ein zweites, selbständiges Zentrum der Reformation zu werden. Und so wurde die Machtprobe zwischen Allstedt und Wittenberg, zwischen Müntzer und Luther, unvermeidlich. Ihren Verlauf, der Müntzer nicht nur schrittweise zur abschließenden Formulierung seiner Prinzipien, sondern auch in den Bauernkrieg führte, wollen die nachfolgenden Studien an Hand einer geschichtlichen und geistesgeschichtlichen Deutung seiner drei letzten Schriften darlegen.

Erstes Kapitel In die fünf Vierteljahre von Ostern 1523 bis zum 8. August 1524, während welcher Thomas Müntzer als Prediger an der Johanniskirche in Allstedt wirkte, ist der größte und wichtigste Teil seiner geistigen Produktivität zusammengedrängt; bis auf die Kampfschrift gegen Luther, die, in Allstedt wenigstens noch begonnen, in Mühlhausen unmittelbar nach der Flucht aus Allstedt vollendet wurde, sind hier alle seine entscheidenden Schriften entstanden, in denen sich seine schon vorher in den Grundzügen fertige Lehre voll entfaltet. Dagegen erscheint seine mit einem äußeren Mißerfolg endende unmittelbare politische Tätigkeit in Allstedt, so interessant und kühn sie in ihrer Zielsetzung ist, letzten Endes doch erst als ein Vorspiel dessen, was danach kommen sollte. Beides zusammen, Lehre und politische Aktion, war aber einer der Höhepunkte seines Wirkens in Allstedt: die kühne Predigt über das zweite Kapitel des Propheten Daniel, die er im Juli 1524 vor dem einen seiner beiden Landesherren, dem Mitregenten und Bruder des Kurfürsten Friedrich, Herzog Johann von Sachsen, und dessen Sohn, dem Kurprinzen Johann Friedrich, auf dem Allstedter Schloß gehalten hat 1 . Müntzer war von dem Allstedter Stadtrat zum Prediger der Hauptkirche gewählt worden, ohne daß er dem Kurfürsten, 1 Auslegung des zweiten Kapitels Daniels' (1524), a . a . O . S. 5 ff. — Bis in die jüngste Müntzer-Literatur hat sich die irrtümliche Ansicht hindurchgeschleppt, als habe Müntzer seine Predigt vor dem Kurfürsten Friedrich und dem Herzog Johann gehalten, obwohl bereits Georg Mentz 1903 im 1. Bande seiner Biographie Johann Friedrichs des Großmütigen, S. 3 7 den aktenmäßigen Nachweis gebracht hatte, daß am 1. und 1 3 . Juli 1 5 2 4 nur Herzog Johann und Kurprinz Johann Friedrich in Allstedt weilten. Schon der Titel der Predigt, wo nur von den ' H e r z o g e n und Vorstehern zu Sachsen'die Rede ist, hätte vor diesem Irrtum bewahren sollen, ganz abgesehen davon, daß es schwer vorstellbar ist, der vorsichtige Kurfürst, der während seines ganzen Lebens nicht einmal Luther gehört hat, sollte eine Predigt Müntzers angehört haben.

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Zusammenstoß mit dem Grafen von Mansfeld

dem das Patronatsrecht an der Johanniskirche zustand, präsentiert und von ihm bestätigt worden w a r 1 ; der Rat hat offenbar erklärt, ihn zunächst nur 'versuchsweise' annehmen zu wollen. Der Kurfürst ist auf den neuen, kühnen, geistesmächtigen und redegewaltigen Prediger in Allstedt erst im September 1523 aufmerksam geworden, als Müntzer seinen ersten politischen Zusammenstoß mit dem Grafen Ernst von Mansfeld gehabt hatte, der seinen Untertanen den Besuch von Müntzers 'ketzerischer' Messe und Predigt in Allstedt verboten hatte, worauf ihn Müntzer am 13. September auf offener Kanzel für einen 'ketzerischen Schalk' und eine 'Schindfessel' (Kriegsknecht, Räuber, Leuteschinder) erklärt hatte. Der Graf 2 hatte darauf vom Allstedter Rat die Verhaftung Müntzers verlangt, die jener unter Überreichung einer 'Verteidigungsschrift' Müntzers (vom 22. September 3 ) ablehnte. Müntzer erklärte hierin dem Grafen, alles das, worüber er sich beklagt habe, habe er gesagt, denn er, der Graf, maße sich an, 'das heilige Evangelium zu verbieten': 'Und Ihr sollt wissen, daß ich in solchen mächtigen und rechten Sachen auch die ganze Welt nicht fürchte.' Der Graf wolle mehr als Gott gefürchtet sein, wie sein Mandat gegen seine Predigt beweise. Am Schluß seines Schreibens schleuderte Müntzer dem Grafen die Drohung entgegen: 'Knackt nicht (d. h. seid stille), der alte Rock möchte sonst reißen', mit anderen Worten: die bisherige Ordnung möchte sonst umgestürzt werden. Der Graf hatte sich nunmehr an den Kurfürsten gewandt 4 : Thomas Müntzer, ein Pfarrer auf der Neustadt zu Allstedt, habe dort 'eine Neuerung mit Haltung der Messe und sonst' vorgenommen, so daß er, der Graf, auf Grund des kaiserlichen Mandats, das die Obrigkeiten dafür verantwortlich mache, daß keine Neue1

Kurfürst Friedrich an Herzog Johann, 1 1 . Aug. 1524 [C. E . Förstemann], Zur Gesch. des Bauernkriegs. Neue Mitteilungen a. d. Gebiet hist.-antiquarischer Forschungen X I I (1869) S. 195. 2 Graf zu Mansfeld an den Schößer und R a t zu Allstedt, 2 1 . Sept. 1 5 2 3 . Neues Urkundenbuch zur Gesch. d. evang. Kirchen-Reformation I (1842), S. 228. 3 Thomas Müntzer an Graf Ernst zu Mansfeld, 22. Sept. 1 5 2 3 . Thomas Müntzers Briefwechsel, hrg. v. Heinrich Boehmer u. Paul Kirn (1931). S. 47. 4 Graf Ernst zu Mansfeld an Kurfürst Friedrich, 24. Sept. 1 5 2 3 . Neues Urkundenbuch I. S. 230.

H a l t u n g Friedrichs des Weisen

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rangen eingeführt würden, seinen Untertanen den Besuch der Messe und Predigt in Allstedt verboten habe. Er überreichte dem Kurfürsten die Antworten des Allstedter Stadtrates und Müntzers und bat den Kurfürsten zur Wiederherstellung seiner Ehre um die Verhaftung des Predigers. Damit war Müntzer in den Gesichtskreis seines Staatsoberhauptes getreten. Der Kurfürst schrieb an seinen Amtmann in Allstedt, den Schösser Hans Zeiß, und an den Magistrat, er mißbillige die Scheltworte gegen den Grafen, doch verlange er zunächst näheren Bericht über die Angelegenheit, sowie darüber, wer Müntzer zum Pfarrer in Allstedt befördert und bestallt habe. Er halte es 'nicht für ungut', den Prediger einstweilen dermaßen festzusetzen, daß der Graf sein gebührliches and ordentliches Recht von ihm bekommen möge 1 . Das brauchte nun keineswegs als ein direkter Befehl aufgefaßt zu werden und war auch wohl nicht als solcher gemeint. Denn an den Grafen von Mansfeld schrieb der Kurfürst am gleichen Tage 2 , er habe sich 'dieser Ding mit den Geistlichen bisanher nicht angenommen, sondern es bei eines jeden Verantwortung beruhen lassen', daher möge der Graf selbst beurteilen, ob es dem Kurfürsten anstehe, Müntzer als eine geistliche Person festzunehmen. Dieser Satz wurde allerdings in dem wirklich abgegangenen Schreiben dahin abgeschwächt, daß es dem Kurfürsten 'beschwerlich' sei, sich in solche Sachen einzumischen, doch wolle er über die Angelegenheit und den Pfarrer Erkundigungen einziehen. Über die Forderung der Verhaftung schwieg sich der Kurfürst dem Grafen gegenüber vollständig aus; wenn er sie in der Form einer Empfehlung nach Allstedt gelangen ließ, so wollte er damit wohl seinem Beamten und dem Magistrat Müntzer gegenüber ein Druckmittel in die Hand geben, um ihn zu einer gütlichen Regelung zu bringen. Der Kurfürst verfuhr hier also ganz in den Bahnen seiner vorsichtigen Politik, die er auch in der Angelegenheit Luthers dem Papst und dem Kaiser gegenüber eingeschlagen hatte: 1 K u r f ü r s t Friedrich an den Schößer und R a t zu Allstedt. 28. Sept. 1523. Neues U r k u n d e n b u c h I, S. 231. 2 Kurfürst Friedrich an Graf Ernst zu Mansfeld, 28. Sept 1523. Neues U r k u n d e n b u c h I, S. 232.

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Müntzer und der Kurfürst

als Laie erklärte er sich für unzuständig, 'über christliche Lehrfragen zu urteilen, mahnte aber ernstlich, alles zu vermeiden, woraus Zwiespältigkeit, Aufruhr und Beschwerung erfolgen könnte' 1 . E r verband mit einer angeborenen Friedfertigkeit und Langsamkeit in der Bildung von Meinungen und Entschlüssen eine religiöse Scheu, in geistliche Fragen einzugreifen und so womöglich der Wahrheit und dem Willen Gottes vorzugreifen, die sich in den großen geistigen Auseinandersetzungen ans Licht ringen wollten. Schon bei den Wittenberger Unruhen von 1522, die durch Zwickauer Gesinnungsgenossen Thomas Müntzers mit hervorgerufen worden waren, hatte er sich gänzlich abwartend verhalten : das sei ein großer Handel, den er als Laie nicht verstehe, ehe er aber mit Wissen wider Gott handeln möchte, wolle er lieber einen Stab nehmen und aus dem Lande gehen 2 . Kurz vor seinem Tode, im April 1525, meinte er angesichts der ersten Stürme des Bauernkrieges: 'Will es Gott also haben, so wird es also hinausgehen, daß der gemeine Mann regieren soll' 3 . Auch mochte er sich an einen Bericht seiner Räte über das erste Auftreten Müntzers in Zwickau aus dem Jahre 1 5 2 1 erinnern, in dem jene meldeten, als sie Müntzer hätten zur Rechenschaft ziehen wollen, hätten sich Rat und Gemeinde derartig hinter ihn gestellt, daß sie, um keinen Aufruhr zu erregen, hätten müssen 'stille stehen', bis die Stadt seiner von selbst überdrüssig geworden sei und ihn entlassen habe 4 . Der Kurfürst mochte auch in Allstedt auf einen derartigen Ausgang rechnen, der ihn des Handelns überheben würde. Man muß diese ganze Haltung des Kurfürsten im Auge haben, um zu verstehen, daß Müntzer auf den Gedanken kommen konnte, das ernestinische Fürstenhaus für die Revolution zu gewinnen. Auch die mit Müntzer sympathisierenden Behörden in Allstedt wußten die in der Haltung des Kurfürsten liegenden Möglichkeiten zu handhaben, um den Konflikt ohne Nachteil für ihren Prediger aus der Welt zu schaffen. Müntzer 1 2 3 4

Paul Kirn, Ebenda, S. Ebenda, S. Ebenda, S.

Friedrich der Weise und die Kirche (1926), S. 144. 23. 162. 182.

Müntzer und der Kurfürst

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mußte ihnen mit Handschlag geloben, daß er der Worte halber, deren er sich gegen den Grafen von Mansfeld bedient hatte, sich vor 'aller Christenheit' und dem Kurfürsten zum Verhör stellen und sein Urteil erwarten wolle 1 . Eine Verantwortung Müntzers vor dem Kurfürsten erfolgte denn auch unterm 4. Oktober, aber schriftlich und in einer kühnen Weise, in der Ton und Gedanken der 'Fürstenpredigt' bereits deutlich enthalten sind 2 . Nachdem Gott ihn zum ernsten Prediger gemacht habe, so beginnt Müntzer, pflege er auch die lauten, bewegenden Posaunen zu blasen, daß sie erhallen von dem Eifer der "Kunst Gottes', ohne einen Menschen auf dieser Erde zu verschonen, der dem Wort Gottes widerstrebe. Deshalb sei sein Name den 'Weltklugen' grausam verhaßt und untauglich: 'er ist aber dem armen dürftigen Häuflein ein süßer Geruch des Lebens und den wollüstigen Menschen ein mißfallender Greuel des geschwinden Verderbens'. E r habe 'hin und her gedacht', wie er sich als eine eiserne Mauer den Bedürftigen vorwerfen möchte und gesehen, daß es keine andere Rettung der Christenheit 'aus dem Munde des wütenden Löwen gebe', als daß man das lautere reine Wort Gottes hervortue und seine Wahrheit vor den Kleinen und denGroßen bekenne. Trotzdem habe der Graf von Mansfeld schon vor dem Erscheinen des kaiserlichen Mandats — es datierte vom 6. März 1523 und war vom Kurfürsten Ende Mai versandt worden 3 — das Verbot ausgehen lassen, worauf er, Müntzer, den Grafen aufgefordert habe, mit den Ordinarien dieses Bistums in Allstedt zu einer Disputation zu erscheinen und ihm zu beweisen, daß seine Lehre ketzerisch sei. Wo nicht, so wolle er ihn für einen Schalk und Buben, Türken und Heiden achten. Wenn der Graf ihn in der Disputation überwunden hätte, dann hätte er ihn beim Kurfürsten verklagen und seinen Leuten Müntzers Predigt verbieten können. Wenn es sich aber darum handele, daß man mit menschlichen Geboten das Evangelium 1 Kurfürst Friedrich an Graf Ernst zu Mansfeld, 1 1 . Okt. 1 5 2 3 . Neues Urkundenbuch I, S. 234. 2 Thomas Müntzer an Kurfürst Friedrich, 4. Oktober 1 5 2 3 . Briefwechsel, S. 48. 3 P. Kirn, Friedrich der Weise, S. 1 5 3 f., 156.

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Müntzer und der Kurfürst

aufhalten wolle, so werde man das Volk aufbringen. 'Und dann wird das Schwert den Fürsten genommen werden und dem wütenden Volk gegeben werden zum Untergange der Gottlosen.' Die revolutionäre Drohung gegenüber dem Grafen von Mansfeldwird also in dieser denkwürdigen 'Verantwortungsschrift', die ihrerseits zum Angriff übergeht, in sehr viel präziserer Form wiederholt. 'O hoch geborener, gnädiger Kurfürst', ruft Müntzer seinem Landesherrn zu, 'hier ist Eifer anzuwenden, damit unser Heiland zur Rechten Gottes am Tage seines Grimms (wenn er die Schafe selber weiden und die wilden Tiere von der Herde vertreiben will) gnädiglich zerbreche die Könige'. Dabei soll auch der Kurfürst mitwirken: Müntzer fordert ihn auf, 'auch hier keck zu sein', sehe er doch, daß Gott unaufhörlich von Anbeginn bei ihm gestanden habe —• d. h. was er scheinbar mit Luther glücklich begonnen, soll er mit Müntzer vollenden. Müntzers kühne 'Verantwortung' hatte kein anderes Ergebnis, als das, daß er vom Kurfürsten ermahnt wurde, sich auf dem Predigtstuhl aller Worte zu enthalten, 'die zu Gottes Ehre und christlicher Unterweisung des Volkes nicht dienlich' seien1, eine so weitgefaßte Vorschrift, daß sie Müntzer völlige Freiheit gab, sie nach eigenem Ermessen auszulegen. Als einen Ersatz für das Verhör, zu dem Müntzer sich durch Handschlag hatte erbieten müssen, haben weder der Kurfürst noch Müntzer das Verantwortungsschreiben angesehen, jener gibt ausdrücklich der Hoffnung Ausdruck, daß Müntzer sich an sein Versprechen halten würde. Das Verhör Müntzers seiner Lehre wegen wird seitdem zu einer Frage, die bei allen Wendungen seiner Sache wieder auftaucht und durch die Verhandlungen geht. Auch die Frage der Bestätigung Müntzers in seinem Predigeramt, auf die der Schösser Zeiß und der Magistrat offenbar ebensowenig wie Müntzer selbst eingegangen waren, blieb weiterhin unberührt — auch hier ließ der Kurfürst in seiner Art alles offen und in der Schwebe. Feststand dagegen, daß Müntzer über den Grafen von Mansfeld einen vollständigen Sieg davongetragen hatte. Er, der 1 Kurfürst Friedrich an Graf Ernst zu Mansfeld, n . Okt. 1 5 2 3 . Neues Urkundenbuch I, S. 234.

Müntzers Machtstellung

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immer noch ein nur auf Probe angenommener Prediger war, begann nunmehr in Allstedt und seiner Umgebung eine Macht zu werden. Bereits diese erste Kraftprobe zeigte, welchen Einfluß er nicht nur auf die breite Bevölkerung, sondern auch auf den kurfürstlichen Schösser Zeiß, den Stadtschultheißen Nickel Rückert und auf den Rat gewonnen hatte: sie alle hatten sich hinter ihn gestellt. Mochte die Haltung von Zeiß und Rückert auch zu einem guten Teil von der Furcht vor der rings um sie aufsteigenden revolutionären Gewalt diktiert sein, so hat doch andererseits zum mindesten Zeiß, den Müntzer durch zahlreiche Lehrschreiben unermüdlich auch innerlich zu gewinnen suchte, sich einer tieferen Beeinflussung nicht zu entziehen vermocht. Um allerdings zu einem eindeutigen Für oder Wider zu gelangen, dazu war er offenbar ein zu schwacher Charakter und ein zu unselbständiger Geist. Bis zum Frühjahr 1524 sehen wir Müntzers Machtstellung vollendet. Sein Einfluß reicht weit über die Stadt hinaus, das Landvolk, die Untertanen der ringsum wohnenden adligen Grundherren, besonders aber die Häuer und Knappen des Mansfelder Bergbaureviers als ein besonders aktives und geschlossenes Element, strömen zu seinen Predigten in Allstedt zusammen — im Frühjahr 1524 will man 2000 auswärtige Menschen in Allstedt gezählt haben 1 — und bilden mit den städtischen Ackerbürgern und Handwerkern eine Gefolgschaft, die Müntzer den Mut gibt, die ihm zuströmenden Massen zu einer revolutionären Organisation zusammenzufassen. Vor den Toren Allstedts, in Mallerbach, befand sich eine zum Nonnenkloster Naundorf gehörige Kapelle, in der sich ein angeblich wundertätiges Marienbild befand, zu dem das Volk zu wallfahrten pflegte, um dort wächserne Votivbilder geheilter Gliedmaßen aufzuhängen. Müntzer bekämpfte diesen Aberglauben von der Kanzel aus, er nannte die Kapelle eine Spelunke, die Marienverehrung eine Abgötterei 2 . Überdies mußten die 1

Schösser, Schultheiß und R a t zu Allstedt an Kurfürst Friedrich, 1 1 . April 1524. Akten zur Geschichte des Bauernkrieges in Mitteldeutschland, hrg. v. Walther Peter Fuchs, II, S. 30. 2 Nach Müntzers eigenen Worten in seinem Bekenntnis vom 16. Mai 1 5 2 5 . Briefwechsel, S. 163.

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Der 'Burid der Auserwählten'

Allstedter dem Kloster Abgaben und Zinsen entrichten. Der Kampf gegen die Mallerbacher Marienverehrung, der im übrigen ganz in der Linie der vorjährigen bilderstürmerischen Wittenberger Unruhen lag, ist für Müntzer aber nur der Hebel für die Begründung einer eigenen revolutionären Organisation, des 'Bundes der Auserwählten'. Denn das 'Verbündnis' einer aus ungefähr dreißig Teilnehmern bestehenden Versammlung, die eines unbekannten Tages in dem trockenen Bett des Allstedter Stadtgrabens zusammentrat, lautete: 'Bei dem Evangelio zu stehen, Mönchen und Normen keinen Zins mehr zu geben und dieselben helfen zerstören und vertreiben 1 .' Wenn es also dazu kam, daß am 24. März im Beisein Müntzers2 die Kapelle zerstört wurde und in Flammen aufging, so ist hier unschwer die erste Aktion jenes neugegründeten Bundes zu erkennen, der also offenbar kurz vor dem 24. begründet sein dürfte und eine revolutionäre Entwicklung einleitete, die erst nach mehr als Jahresfrist in der Schlacht bei Frankenhausen im Blut erstickt werden sollte. Natürlich wandten sich die Naundorfer Nonnen klagend an den Kurfürsten, und die Obrigkeit geriet aufs neue in Bewegung. Aufs neue erwies sich aber auch, daß Schösser, Schultheiß und Rat hinter Müntzer standen, obgleich sie schwerlich schon alle seinem Bund als Mitglieder angehörten. Sie beantworteten eine Anfrage des Kurfürsten mit einem Schreiben 3 , an dessen Abfassung offenbar auch Müntzer beteiligt war, und das die Schuld an der Zerstörung des 'bösen Hauses' dem Kloster selber zuschob, das den Allstedter Ketzern etwas habe anhängen wollen, im übrigen aber wieder zum Gegenangriff überging und mit einer neuen revolutionären Drohimg schloß. Im Hinblick auf das 1 Protokoll der Vernehmung des Hans Reichart und Klaus Rautenzweig vom 10. Juni 1 5 2 5 . Neue Mitt. X I I . S. 2 1 5 . 2 Nach dem Bekenntnis Thomas Müntzers vom 16. Mai 1 5 2 5 Briefw. S. 163. Die Aussage Müntzers ist offenbar glaubwürdig, da die gleichzeitig gemachte Aussage, der Klausner der Kapelle sei vorher ermahnt worden, wegzuziehen, durch das Schreiben von Schösser, Schultheiß und R a t zu Allstedt vom 1 1 . April 1 5 2 4 (Akten z. Gesch. d. Bauernkrieges in Mitteldeutschl. II, S. 29) bestätigt wird. 3 Schösser, Schultheiß und R a t zu Allstedt an Kurfürst Friedrich, 1 1 . April 1524. s. vor. Anm.

Revolutionäre Erregung in Allstedt

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Kloster und die benachbarten adligen Grundherren hieß es: 'Wir müssen täglich von unsern Widersachern um das Evangelium hören, sie wollen uns verbrennen, zerstören, wegführen, gefangen nehmen. Sollten wir so oft klagen als uns gedrohet, E.kurfürstliche Gnaden hätten Tag und Nacht nicht Frieden. Geben sie niemandem Ursache, so tut ihnen niemand etwas. Daß sie aber das Evangelium Ketzerei heißen, das leiden fromme Leut, die die Wahrheit Heben, nicht mehr1.' Die Räte in Weimar ahnten schwerlich, daß hinter diesen 'frommen Leuten' sich die Anfänge einer folgenreichen revolutionären Organisation verbargen. Am 9. Mai erhielten Schösser, Schultheiß und Rat in Weimar, wohin sie vor die Kanzlei Herzog Johanns geladen waren, den Auftrag", innerhalb von 14 Tagen die Täter ausfindig zu machen und zur Verantwortung zu ziehen2. Während dieser Frist nahm die revolutionäre Erregung in Allstedt ihren ersten Anstieg. Am Pfingstsonntag, dem 15. Mai, am Tage nach der Rückkehr der Delegation aus Weimar, richtete Müntzer von der Kanzel aus einen scharfen Angriff gegen den Kurfürsten 3 , 'den alten Graubart', der 'das Evangelium' nicht verstehe, es auch nicht annehme, seiner auch nicht wert sei. 'Er will Sachen richten und urteilen und versteht es selber nicht.' Noch radikaler äußerte sich am Pfingstmontag sein Kollege an der Wipertikirche auf der Altstadt, Simon Haferitz 4 : 'Ihr, liebes Volk, Ihr seht, was unsre Herrn tun, sie sind von Anbeginn diejenigen gewesen, die Klöster und Kirchen, möchte wohl sagen, Hurenhäuser und Mordgruben, gestiftet haben und auch noch jetzt schützen und handhaben. Derwegen seid Ihr blind und toll, daß Ihr sie für Herrn haltet. Ihr sollt ihnen absagen. Geborene Fürsten tun nimmermehr kein Gutes. Darum wählet selbst einen Fürsten und verleugnet die Fürsten von Sachsen, Eure Erbherren. Erwählet euch selbst einen Herrn. Die geborenen Fürsten tun nicht mehr als daß sie Euch schinden und schaben; 1

Desgl. Schösser, Schultheiß und R a t zu Allstedt an Herzog Johann, 17. Mai 1 5 2 4 . Neue Mitt. X I I , S. 1 5 5 . 3 Aufzeichnung nach dem 16. Mai 1524. Neue Mitt, X I I , S. 154. 4 Ebenda. s

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Revolutionäre Erregung in Allstedt

dennoch seid Ihr so blind und haltet sie für Fürsten. Saget ihnen ab, und wenn Ihr ihnen schreibet, so sollt Ihr ihnen nicht schreiben von Gottes Gnaden Herzogen zu Sachsen, sondern, aus Gottes Ungnaden, Herzogen zu Sachsen und nicht unser Herr.' Am folgenden Tage schrieben Schösser, Schultheiß und Rat an den Herzog Johann 1 , ihre Ermittlungen hätten noch zu keinem Ergebnis geführt und baten um weitere zwei bis drei Wochen Frist. Sie müßten mit großer Vorsicht verfahren, denn sollten sie sich an einem Unschuldigen vergreifen, so würde 'ein großer Aufruhr und Empörung unter unserer Gemein entstehn' und vermutlich eine noch ärgere Irrung entsprießen. Zeiß und Rückert standen zweifellos unter dem Druck des 'Bundes'. In einem persönlichen Schreiben, das Zeiß am 29. Mai 1524 an den Herzog richtete2, läßt er das deutlich genug durchblicken, indem er behauptet, daß wenig Amtleute zu Allstedt eines natürlichen Todes gestorben, sondern erschossen und erstochen seien, 'dessen ich dann nach dem Willen Gottes oder wie mirs Gott zuschickt, auch gewarten muß. Da kräht kein Hahn noch Henne nach; da würde vielleicht kein Schwert gezückt, kein Gerichtsstab zerbrochen. Wer liegt, der liegt.' Darum möge der Herzog um solch jämmerlicher Gefahr willen auch an ihn, seinen armen Diener, denken. 'Allmächtiger Gott! ist doch diese Sache gar so wichtig nicht.' Dennoch wolle er mit göttlicher Hilfe so verfahren, daß männiglich erfahren solle, wie wenig lieb es ihm sei, daß solch ein Zwischenfall in seinem Amt vorgekommen sei 3 . Der drohende Groll des Herzogs Johann ließ denn auch dem verlegenen Amtmann wenig Möglichkeit, sich einem ernsthafteren Vorgehen noch weiter zu entziehen. Nachdem wiederholte Aufforderungen an Bürgermeister und Rat, dem kurfürstlichen Befehl nachzukommen, auf passiven Widerstand gestoßen waren, schritt Zeiß am 4. Juni zur Verhaftung eines Ratsmitgliedes, Ziliax Knautens, den er auf dem Schloß 'in den Stock' legte4. Sogleich tat Müntzer einen neuen Schritt 1

Vgl. Anm. 2 auf der vorigen Seite. Neue Mitt. X I I , S. 1 5 7 . 3 Ebenda. 4 Schösser Hans Zeiß an Herzog Johann, 19. Juni 1524, und an Kurfürst Friedrich, 26. Juni 1524. Neue Mitt. X I I , S. 1 6 1 u. 164. 2

Bildersturm bei Allstedt

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vorwärts. E r entwarf ein Schreiben des Rats und der Gemeinde zu Allstedt an den Herzog Johann 1 , in dem mit aggressiver Offenheit die Zerstörung der Mallerbacher Kapelle durch die Allstedter nicht mehr geleugnet, sondern als ein Akt des in der heiligen Schrift anbefohlenen Kampfes gegen Gottlosigkeit und Abgötterei dargestellt wurde, eines Kampfes, dem die Obrigkeit das ihr verliehene Schwert zur Verfügung zu stellen habe. Im einzelnen führte Müntzer aus: Wenn der Herzog sich der Klagen des Klosters Naundorf annehme, so könnten die armen Leute zu Allstedt vor Gott nicht verantworten, daß sie sollten dazu helfen, Gotteslästerung zu erhalten und zu verteidigen, 'denn es öffentlich und kund ist, daß die armen Leute aus Unverstand zur Zeit unbewußt den Teufel zu Mallerbach unter dem Namen Maria geehret und angebetet haben. So nun derselbige Teufel zerstöret ist durch gutherzige fromme Leute, wie sollten wir dann dazu helfen, daß solche um des Teufels willen sollten angenommen (verhaftet) werden und gefänglich gesetzet?' Dem Kurfürsten und dem Herzog wird zwar eine Loyalitätserklärung gegeben: dem 'gemeinen Nutzen' ist durch die Unsrigen kein sonderlicher Schaden zugefügt, wie ja auch dem Kurfürsten Pflicht und Gehorsam gehalten wird; ihren beiden Regenten wollen die armen Leute in keiner Weise Eintrag tun, es sei denn, sie wollten Menschen mehr denn Gott fürchten. Aber aus dem Zeugnis des Apostels Paulus wissen sie, daß den Fürsten das Schwert zur Rache an den Übeltätern und Gottlosen und zur Ehre und zum Schutz der Frommen gegeben ist. 'Deshalb bitten wir um Gottes willen, Euer Gnaden wollten als ein christlicher löblicherFürst betrachten und beherzigen, was Gott unser Schöpfer selber sagt durch den frommen Moses Exodi am 23.: Den Gottlosen sollst du nicht verteidigen. Weil aber nun der ganzen Welt kund ist, daß Mönche und Nonnen abgöttische Menschen sind, wie mögen sie dann von frommen christlichen Fürsten verteidigt werden mit Billigkeit? Wir wollen E . G. und unserm löblichen Kurfürsten alles tun mit Leib und Gut, das uns billig aufgelegt wird. Daß wir aber weiter den Teufel zu Mallerbach sollten anbeten, indem wir gestatten, daß unsere Brüder 1

E t w a 7. Juni 1524. Briefw. S. 58.

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Haltung der Regierung

ihm überantwortet werden zum Opfer, wollen wir ebensowenig tun, wie dem Türken untertänig sein. Geschieht uns darüber etwa Gewalt, so weiß doch die Welt und sonderlich die frommen Auserwählten Gottes, warum wir leiden und daß wir Christo Jesu gleichförmig werden, der Euer Gnaden bewahre in der rechten Furcht Gottes.' Die bestehende Obrigkeit wird nach diesem Schreiben also im Grunde nur noch insoweit anerkannt, als sie bereit ist, mit ihren Machtmitteln auf die Seite Müntzers zu treten. Kein Wunder daher, wenn Zeiß und Rückert doch Bedenken trugen, dieses Schreiben mit zu unterzeichnen, wenn es ihnen überhaupt vorgelegt worden ist. Der Rat stand allein, aber er unterzeichnete dafür zugleich zum ersten Male im Namen der 'ganzen Gemeine'. Vom Herzog Johann ist dieses Schreiben an seinen Bruder, den Kurfürsten, weitergegeben worden, und dieser hat erst am 27. Juni den Absendern geantwortet 1 . Er bekundete seinen Unwillen darüber, daß sie die Täter zu bestärken suchten und ihnen Beifall gäben. Das sei mit ihren Eiden und Pflichten, auch mit der Gnade, die er, der Kurfürst, ohne sich rühmen zu wollen, ihnen immer habe angedeihen lassen, nicht zu vereinbaren. Er verwies ihnen 'bei hoher Strafe' und bei Vermeidung seiner Ungnade, 'solch und dergleichen mutwillig und frevelig Unternehmen zu üben' oder anderen zu gestatten. 'Denn ist die Lehre und Unterweisung bei Euch aus Gott, so wird das, so ihr mit Gewalt zu dämpfen und niederzudrücken vermeint, aus Gottes Gnaden, Kraft und Verdienst von selbst, ohn menschliche Gewalt, Hand und Unterdrückung wohl untergehen.' Dieser Satz ist von dem kurfürstlichen Geheimsekretär Spalatin in das Konzept eingefügt worden; es ist ein Standpunkt, den er schon ein Jahr zuVor in einer politischhistorischen Denkschrift für den Kurfürsten über die Auseinandersetzungen der Päpste mit den deutschen Kaisern des Mittelalters entwickelt hatte: 'Wo man nun allein das göttlich Wort lieb, ehrlich und wohl hielte und das Vertrauen zu Gott stellte, so würden die römischen Wasserblasen von sich selbst ohne alles Schwert und Beschwerung zergehn . . . Denn es 1 Kurfürst Friedrich an R a t 1524. Neue Mitt. X I I , S. 167.

und Gemeine zu Allstedt, 27. Juni

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Einfluß Luthers darauf

stehet Danielis am achten: Der Gottlose wird ohne Hände zermalmt werden 1 .' In diesen Worten Spalatins lag eine Wendung gegen die zögernde Haltung des Kurfürsten auch gegenüber solchen Richtungen beschlossen, die den aktiven Widerstand predigten. Es ist dies genau der Standpunkt Luthers, den dieser demnächst in seinem 'Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührerischen Geist' weiter ausführen sollte. Luther, voller Verdruß über die zögernde Haltung seiner Landesherren, stand schon längst in Verbindung mit Spalatin, um zu erreichen, daß man 'dem Allstedtischen Geist' energischer entgegentreten möge2. Das von Müntzer verfaßte Schreiben der Allstedter ist wahrscheinlich von Spalatin auch Luther zugänglich gemacht worden. Denn wenn Luther in seinen 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' davon spricht, daß nach Daniel 'der Endchrist soll ohn Hand zerstöret werden'3, wenn er weiterhin von der 'rechten Weise' spricht, 'den Teufel und Aergernisse zu vertreiben — nämlich das Wort Gottes und damit die Herzen abzuwenden', wodurch 'von sich selbst wohl der Teufel mit aller seiner Pracht und Gewalt' fallen würde,4 so läßt das alles vermuten, daß zwischen Luther und Spalatin auf Grund des Müntzerischen Schreibens über den 'Teufel von Mallerbach' ein Gedankenaustausch stattgefunden hat, der seinen Niederschlag in Luthers Brief an die sächsischen Fürsten gegen Müntzer fand 5 . Es ist nicht ausgeschlossen, daß die schärfere Haltung des kurfürstlichen Schreibens vom 27. Juni schon auf den Einfluß Luthers zurückzuführen ist. Als Spalatin das Kurfürstliche Schreiben am 27. Juni nach Allstedt abschickte, war es dort schon längst durch neue Er1

P. Kirn, Friedrich der Weise, S. 189. Vgl. Martin Luther, Wider die himmlischen Propheten von den Bildern und Sakrament, Weimarer Ausgabe (W. A.) X V I I I , S. 8 5 : ' W o h l ists wahr, daß ich durch M. Spalatinum oft geschrieben habe, und anhielt, sonderlich daß man dem Allstedtischen Geist sollt wehren. Aber ich richtet nichts aus, also, daß michs auch hoch verdroß auf den Kurfürsten . . . ' s

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W. A . X V , S. 219. W A . X V , S. 220. 5 Georg Berbig, Spalatin u. s. Verhältnis zu Martin Luther (1906), S. 244 ff. 4

Hinrichs» Luther und Müntzer

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Erweiterung des 'Bundes'

eignisse überholt worden. Das erste war der Ausbau der Müntzerischen Parteiorganisation, des 'Bundes', sowie eine neue 'Ordnung', zu der sich Rat und Gemeinde schriftlich vereinigten1. Es handelte sich hierbei um eine militärische Organisation und Einteilung der Bürgerschaft, die fortan auf bestimmte Zeichen hin mit ihrer Rüstung — Harnisch und Speer —, 'in ihre Ordnung treten' sollte, wenn es nötig wäre, 'unrechter Gewalt zu widerstehen'. Dagegen war der B u n d als eine Organisation gedacht, die weit über die Grenzen des kleinen Ackerstädtchen, das halb zufällig der Sitz der revolutionären Bewegung geworden war, hinausreichen sollte. Wir wissen nicht, wann die zweite und jetzt schon sehr große konstituierende Versammlung des 'Bundes' auf dem Allstedter Ratskeller, bei dem sich über 500 Mitglieder, darunter mindestens 300 Auswärtige, einschreiben ließen, stattgefunden hat. 2 Da das bei dieser Versammlung Beschworene bei den Ereignissen des 13. und 14. Juni zum ersten Male praktisch ausgeübt wurde, muß die Konstituierung vor diesem Datum liegen, während die Verhaftung des Ratmannes Ziliax Knaute am 4. Juni die obere Zeitgrenze bilden dürfte. Am Morgen des 13. Juni, als in Allstedt noch Ruhe herrschte, hat Zeiß zu Schultheiß Rückert gesagt, 'daß sich etliche viel Gesellen zu Allstedt zusammengeworffen hätten' 3 , — ein Beweis dafür, daß das zweite 'Verbündnis' unmittelbar vor dem 13. Juni stattgefunden hat. Jene 'Gesellen' sind die Mansfelder Berggesellen, die 300 Auswärtigen, die auf dem Ratskeller dem Bunde beitraten und sich in das Register der 'Bundgenossen' einschreiben ließen. Hatte bei dem ersten Zusammentreten des Bundes im Allstedter Stadtgraben Hans Reichart als Schreiber fungiert und die Schwurformel vorgesprochen, so trat ihm jetzt als Vertreter der Berg1 Schultheiß, Rat und Gemeinde zu Allstedt an den Schösser Hans Zeiß, 13. Juni 1524. Schösser Hans Zeiß an Kurfürst Friedrich, 26. Juni 1524. Neue Mitt. X I I , S. 159 u. 165. 8 Müntzers u. der Allstedter Verhör zu Weimar, 1. August 1524. Verhör des Claus Rautenzweig, 9. Juni 1525. Verhör des Hans Reichart und Claus Rautenzweig, 10. Juni 1525. Neue Mitt. X I I , S. 185, 213, 215. 8 Schösser Hans Zeiß an Kürfürst Friedrich, 26. Juni 1524. Neue Mitt. X I I , S. 164.

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Der Bundesschwur

gesellen Peter Behr zur Seite 1 . Nach der Einschreibung schwuren die Bundgenossen 'mit aufgereckten Fingern', 'bei den Worten Gottes zu stehen' 2 . Es wurde ein Abschied gemacht, daß 'die Berggesellen sollten zu Mansfeld und sonst, soviel sie in den Bund bekommen könnten, verzeichnen' 3 . Peter Warmuth, der später in der Schlacht bei Frankenhausen fiel, beantragte, daß, wer dem Bunde nicht beitreten wollte, aus Allstedt ziehen müsse4. Das Register der Bundgenossen hatte der Gerber Bartel Krumpe in Verwahrung, der mit dem Glaser Balzer Stübner einer der beiden ersten Mitglieder des Müntzerschen Bundes gewesen war 5 . Auf der Versammlung fungierten fünf 'Bundmeister', über ihnen Thomas Müntzer, von dem ausdrücklich gesagt wird, daß er sich bei den Bundmeistern befand, als selbstverständliches und stillschweigend anerkanntes geistiges Oberhaupt 8 . Es fragt sich, ob mit der Verpflichtung, 'bei den Worten Gottes zu stehen', der Inhalt des Bundesschwurs der zweiten Versammlung schon erschöpft ist. Bei der Untersuchung der Bundesartikel müssen wir uns mit einer Ausnahme auf lauter Aussagen stützen, die nach der Katastrophe von Frankenhausen von früheren Bundgenossen gemacht worden sind und die naturgemäß nach Möglichkeit alles in den Augen der Sieger Belastende verschweigen. Hat doch der nach der Schlacht bei Frankenhausen in Allstedt eingesetzte kurfürstliche Befehlshaber, Bernhardin Walde, der der Nachfolger von Zeiß wurde und der die Untersuchung gegen die Allstedter Bundgenossen durchführte, gemeint, daß 'keiner der Bundgenossen außerhalb peinlicher Frage die Wahrheit des Bunds, wie sie zu handeln im Vorhaben gewest und worauf ihr Bund gestanden', gestehen würde 7 . Auf seine unmißverständliche Anfrage, wie Verhör des Claus Rautenzweig, g. Juni 1525. Neue Mitt. X I I , S.211. Verhör des Hans Reichart u. Claus Rautenzweig, 10. Juni 1525. Neue Mitt. XII, S. 215. 8 Ebenda. 4 Ebenda. 5 Bekenntnis Thomas Müntzers vom 16. Mai 1525. Briefw. S. 162. * Verhör des Hans Reichart und Claus Rautenzweig, 10. Juni 1525. Neue Mitt. X I I , S. 215. 7 Bernhardin Walde an die Kurf. Räte zu Weimar, 9. Juni 1525. Neue Mitt. X I I , S. 213. 1

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2*

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Politisch-soziales Programm des 'Bundes'

er deshalb weiter verfahren sollte, ist die Weimarer Regierung nicht eingegangen. So ist Thomas Müntzer selbst offenbar der einzige geblieben, der peinlich befragt worden ist. Er hat über die Artikel, die die Bundgenossen hätten 'auf die Wege richten wollen', also über das Programm, ausgesagt 1 : 'Omnia sunt communia, und sollte einem jeden nach seiner Notdurft ausgeteilt werden nach Gelegenheit. Welcher Fürst, Graf oder Herre das nit hätte tun wollen und des erstlich erinnert (d. h. nach vorheriger Erinnerung, Ermahnung), denen sollt man die Köpfe abschlagen oder hängen.' Müntzer hat damit offenbar eine vorhergehende Aussage erläutert, die dahin ging, er habe die Empörung darum gemacht, ,daß die Christenheit sollt alle gleich werden' 2 . Obgleich es sich hier um Aussagen handelt, die unter Gewaltanwendung erpreßt sind, leuchten sie doch nach Form und Inhalt als Zubehör, als notwendige Konsequenz und Schlußstein des ganzen Denkens Müntzers derartig ein, daß man sie als Zeugnis nicht wird verwerfen dürfen. Für Müntzer war alles, was sich über Zweck und Ziel des Bundes der auserwählten wahren Gläubigen aussagen ließ, in einigen Versen der Apostelgeschichte enthalten 3 , deren Vulgatatext in seiner Aussage noch deutlich zu erkennen ist: 'Omnes etiam qui credebant, e r a n t p a r i t e r et h a b e b a n t o m n i a c o m m u n i a . Possessiones et substantias vendebant e t d i v i d e b a n t i l l a o m n i b u s p r o u t c u i q u e o p u s e r a t . — Multitudinis autem credentium erat cor unum et anima una, nec quicquam eorum, quae possidebat, aliquid suum esse dicebat, s e d e r a n t illis omnia communia. . . dividebatur autem singulis, p r o u t c u i q u e o p u s e r a t . ' 'Alle aber, die glaubten', 'die Menge der Gläubigen' — das sind die, welche schwören, 'bei den Worten Gottes zu stehen', wie sie Thomas Müntzer auslegt und verkündet, alle die, welche den 'ungedichteten Glauben' haben: das ist mit anderen Worten der B u n d , der auf der wahren Erneuerung des Evangeliums beruht. In diesem Bund der in gleichem Glauben verbundenen Auserwählten kann nur völlige Gleichheit und Gütergemeinschaft herrschen, eine 1 2 3

T h o m a s M ü n t z e r s B e k e n n t n i s v o m 16. M a i 1525, B r i e f w . S. 165. E b e n d a , S. 164. A p o s t e l g e s c h . 2, 44 — 45. 4, 32 — 35.

Politisch-soziales Programm des 'Bundes'

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Brüderlichkeit, die Reiche und Bedürftige nicht nebeneinander duldet. Und das nicht etwa, weil es die Autorität der Schrift so verlangt, sondern weil der bewährte, ungedichtete Glaube, anders als der selbstsüchtige, ungeprüfte Schein- und Larvenglaube der 'Gottlosen', der aus Buchstaben der Schrift zurechtgemacht ist, und zur Sicherung der bestehenden Verhältnisse dient, sich nicht neben den Ordnungen der Welt einrichtet, um sie auf sich beruhen zu lassen, sondern weil er als ein unmittelbar von Gott bewirkter Glaube auch eine neue Wirklichkeit im Zusammenleben der Menschen hervorruft. Die Schrift bestätigt nur die aus dem neuen wahren Glauben sich von selbst ergebende Sozialverfassung, sie zeigt an, daß sich dieser Glaube der Auserwählten in Ubereinstimmung befindet mit der Liebes- und Brüderlichkeitsgesinnung des noch unverfälschten ersten Christenglaubens, daß er also wie dieser wirklich von Gott ist. Gott aber will, daß sein Reich verwirktlicht werde, d. h. daß ausschließlich der Bund auf Erden herrscht. Alle Menschen haben die Möglichkeit, zum wahren Glauben und damit zum Bund zu kommen, weil jener Glaube nach Müntzer drinnen im Herzen geschrieben steht. Dazu gehört aber Geringachtung von Wohlleben und Besitz, auf den man zu verzichten, den man gewissermaßen zu 'verkaufen' imstande sein muß. Das gilt auch für die Fürsten, die, wenn sie der Mahnung von Müntzers Predigt folgen, als einfache Mitglieder des Bundes mit ihren Brüdern gleichberechtigt sein werden. Ja, Müntzer will ihnen, wenn sie bekehrt sind, als Beauftragten des Volkes sogar gewissermaßen noch kleine aus ihrem A m t sich ergebende Ehrenrechte zugestehen: die Fürsten sollen mit acht, die Grafen mit vier, und ein Edelmann mit zwei Pferden reiten dürfen 1 . Hier ist deutlich der Einfluß Eberlins von Günzburg zu spüren, der in der elften seiner als 'Bundesgenossen* titulierten Flugschriften die politische Organisation des demokratischen Gemeinwesens 'Wolfaria' beschrieben hatte, in der Fürsten, Grafen, Edelleute Vollzugsorgane der vom Dorf bis zum Fürstentum aufsteigenden Volksversammlungen sind und 'nach Größe ihrer Arbeit' besoldet werden. Auch in der Bart-

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Briefw. S. 162.

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Einfluß Eberlin von Günzburgs

tracht der Mitglieder des Müntzerschen Bundes ist der Einfluß der Gedanken dieser Flugschrift Eberlins festzustellen, welche die Forderung aufgestellt hatte: 'Alle Mann sollen bei großer Pein lange Bärt tragen, keiner soll sein Angesicht glatt haben wie ein Weib' 1 . Schlagen die Fürsten aber die Ermahnung Müntzers in den Wind und wollen sie an Besitz und Herrschaft festhalten, so sind sie als Gottlose, als Feinde Gottes und seines Reiches zu vernichten. Ist nun dieses politisch-soziale Programm schon das Programm des Allstedter Bundes gewesen und gehört es weiterhin der großen Versammlung an, die zwischen dem 4. und 13. Juni 1524 stattgefunden hat ? Wir haben eine Aussage, allerdings auch erst aus der Zeit nach der Katastrophe von Frankenhausen, die trotz ihrer Dürftigkeit direkt darauf hinzudeuten scheint. Der Bundesgenosse Klaus Rautenzweig aus Allstedt antwortete am 9. Juni 1525 auf die Frage nach dem Wortlaut des in jener Versammlung beschworenen Bundesprogrammes, er habe nur soviel verstanden, 'denn daß sie Brüder sein sollen und sich lieben wie die Brüder' 2 . Dem Befehlshaber Bernhardin Walde war das zu allgemein, und bei dieser Gelegenheit war es, daß er meinte, ohne peinliche Befragung werde man wohl nichts aus diesen Leuten herausbekommen. Wäre er ein wenig hellhörig gewesen, so hätte er wohl weiterkommen können, zumal das Verhör Müntzers vom 16. Mai ihm zweifellos schon vorlag. Handgreiflich hat hier Klaus Rautenzweig eine möglichst wenig konkrete, nur die Brüderlichkeits- und Liebesgesinnung des urchristlichen Zeugnisses wiedergebende Umschreibung des Müntzerschen Programms gegeben, das in ihr aber deutlich genug zu erkennen ist. Darüber hinaus war aber die ganze bevorstehende Fürstenpredigt ein Stück programmatischen Handelns, das jenes Programm schon voraussetzt: nämlich nichts anderes als eine einzige öffentliche vorherige Ermahnung an die Fürsten, auf die Seite des Bundes zu treten, andernfalls ihnen das Schwert vom Volke genommen werden würde, ganz wie sie nach Müntzers 1 Johann Eberlin von Günzburg, Ausgewählte Schriften, S. 122H. ( F l u g s c h r i f t e n a. d. R e f o r m a t i o n s z e i t X I , 1896). * N e u e M i t t . X I I , S. 2 1 1 .

B d . I,

Der 'Bund' und die Fürsten

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Aussage dem Vernichtungskampf gegen die Fürsten vorausgehen sollte und wie er es bereits in seiner 'Verantwortung' vom 3. Oktober 1523 gegenüber dem Kurfürsten angedeutet hatte. Mit dem eigentlich Sozialrevolutionären Bestandteil seiner Lehre brauchte Müntzer demnach öffentlich, außerhalb des Bundes, erst hervorzutreten, als sich die Fürsten seinem Appell versagt hatten, wie es denn auch folgerichtig in seinen auf die Danielpredigt folgenden Schriften geschieht, wo den Fürsten der offene Kampf angesagt wird. Denn wenn Müntzer die Fürsten überzeugt hätte, daß er die 'reine Lehre' vertrat, so hätten sie als Bundgenossen ihr Schwert zur Durchführung des dem Bunde bekannten Programmes zur Verfügung gestellt und eine weitere Konkretisierung und Propagierung des sozialrevolutionären Programms war in diesem Falle theoretisch unnötig, weil die Verwirklichung des 'Gottesreiches' dann unmittelbar praktisch in Angriff genommen werden konnte. Erst als es nötig wurde, offen gegen die Fürsten aufzutreten, wurde auch d a s mit diesem K a m p f verfolgte Sozialrevolutionäre

Ziel laut. Demnach spricht auch der Gedanke der 'vorherigen Erinnerung' der Fürsten, der bereits im Oktober 1523 auftritt, durchaus dafür, daß das Allstedter Bundesprogramm vom Juni 1524 bereits alle die revolutionären Elemente enthalten hat, zu denen Müntzer sich vor seinem Tode bekannt hat. Und schließlich bildet schon seit Müntzers erster selbständiger Schrift, dem Prager Anschlag von 1 5 2 1 1 , seine Anschauung von der ursprünglichen Reinheit und gesellschaftlichen Vollkommenheit der urchristlichen Gemeinde den Hauptbestandteil seiner kirchengeschichtlichen und das heißt zugleich seiner 'sozialgeschichtlichen' Anschauungen. Im Prager Anschlag wie in der Danielpredigt2 sagt Müntzer unter Berufung auf Euseb und Hegesipp, daß die neue, rechte, reine Christenheit nur bis zum Tode der Apostelschüler eine 'unbefleckte Jungfrau' geblieben sei, um dann zur 'Hure' oder 'Ehebrecherin' zu werden. Im Prager Anschlag wird dieser Abfall von der ursprünglichen Vollkommenheit dadurch bewirkt, daß das Volk sich der Wahl seiner Priester, d. h. im weiteren Sinne — da hier Kirche, 1 8

Briefw. S. 1 3 9 ff. Auslegung, 42 ff.

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Schutzgelöbnis der Bundgenossen

Staat und Gesellschaft dasselbe bedeuten — seiner Amtsträger, begeben hat. Die Danielpredigt läßt diesen Abfall von der Vollkommenheit der ersten 'demokratisch-sozialistischen' Gesellschaft, als welche das Urchristentum Müntzer erscheint, durch die Regenten herbeigeführt werden 1 . In beiden Fällen ist es das Eindringen des undemokratischen, herrschaftlichen Elementes in die von Christus gestiftete gleiche und eigentumlose Gesellschaft. In diesem Sinne hatte auch Simon Haferitz am Pfingstmontag predigen können, daß die Fürsten 'von Anbeginn' diejenigen gewesen seien, die Kirchen und Klöster, d. h. diejenigen Institutionen gestiftet und geschützt hätten, die den reinen Gemeinschafts- und Brüderlichkeitsgeist der ersten Christenheit zerstört hätten. Im übrigen klingt in den beiden Pfingstpredigten von Müntzer und Haferitz der Ton der 'Hochverursachten Schutzrede' mit ihrem unbedingten Kampf gegen die Fürstengewalt bereits deutlich vor: man rechnete nicht durchaus damit, die Fürsten überzeugen zu können. Wir sehen also die Vorstellung eines im Urchristentum zuerst verwirklichten Ideals einer 'demokratisch-sozialistischen' Gesellschaft von Anfang an in Thomas Müntzers Denken vorhanden und auch in der Allstedter Zeit öffentlich vertreten: auch von hier aus muß es als sicher gelten, daß dieses Ideal in den Bundesartikeln der zweiten großen Versammlung vom Juni 1524 seinen Niederschlag gefunden hat. Schließlich aber hat sich der Bundesschwur wohl auch noch auf die konkrete Situation in Allstedt bezogen, insofern als sich die Allstedter und auswärtigen Bundgenossen gegenseitigen Schutz zusagten für den Fall, daß sie von ihren Obrigkeiten überfallen werden sollten. Schultheiß und Rat von Allstedt haben den Wortlaut eines solchen 'Verbündnisses' bei ihrem Verhör in Weimar am 1. August 1524 bekannt: 'Wo die aus der Grafschaft oder die Pflege diejenigen, so dem Evangelio anhängig, überfallen wollten, daß sie Leib und Leben bei einander lassen und zusetzen wollten'2. Wenn sich nun auch dieser Wortlaut wahrscheinlich auf eine erneute Erweiterung des Bundes vom Juli bezieht, so muß ein solches Verbündnis 1 2

Auslegung, 40. Neue Mitt. X I I , S. 182.

Werbung für den 'Bund'

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doch auch schon bei der Juniversammlung beschworen worden sein, ein Schwur, der dann bei jedem neuen Massenbeitritt wiederholt wurde. Denn die Ereignisse des 13. und 14. Juni sind nichts anderes als die Ausführung eines solchen vorher geschlossenen Verbündnisses zwischen den Allstedtern und den Mansfelder Berggesellen: diese und andere auswärtige Bundgenossen erschienen am 14. Juni in Allstedt, um zu sehen, wie es heißt, ob etwa Müntzer und die Allstedter 'ums Evangeliums willen' von ihren Widersachern durch einen Einfall (Überfall) betrübt würden 1 . Dieses gegenseitige Schutz- und Hilfegelöbnis erlaubt uns nun aber auch wieder einen Rückschluß auf den frühesten Termin der Juniversammlung. Wenn es wahrscheinlich ist, daß ein solches 'Verbündnis' durch ein Ereignis ausgelöst werden mußte, das als eine akute Bedrohung erschien, so kann es sich nur um die am 4. Juni erfolgte Verhaftung des Ratsmitgliedes Ciliax Knaute durch Zeiß gehandelt haben, denn der Konflikt mit dem Grafen von Mansfeld lag schon zu weit zurück und er war gegenüber den Berggesellen zur Zeit offenbar ohnmächtig, während andere Herren der Nachbarschaft erst demnächst in Aktion treten sollten. Natürlich hat die bei diesen und dem Mansfelder Grafen herrschende Stimmung gegen ihre Untertanen trotzdem mitgewirkt, aber der äußere unmittelbare Anlaß zu dem Verbündnis liegt bei der Verhaftung Knautes. Es bleibt also bei der Ansetzung der zweiten, entscheidenden Versammlung des Bundes auf die Tage zwischen dem 4. und 13. Juni 1524. Wie schon mit den Mansfelder Berggesellen ausgemacht war, sollte für den Bund eifrig geworben werden. Zu diesem Zweck wurden auch 'Landläufer' ausgesandt, von denen Luther im August schrieb, sie gingen 'nicht zu der Tür hinein' und wollten 'nicht ans Licht' 2 . Bereits Mitte Juli teilte Müntzer seinen Anhängern in Sangerhausen, die Untertanen des katholischen Herzogs von Sachsen waren, mit, es bestünden bereits mehr als dreißig 'Anschläge und Verbündnisse der Auserwählten', und 1 Schultheiß u. R a t zu Allstedt an den Schösser Hans Zeiß, 14. Juni 1 5 2 4 . Neue Mitt. X I I , S. 160. * W . A . X V , S. 239. — O. Merx, Thomas Müntzer und Heinrich Pfeiffer 1 5 2 3 - 1 5 2 5 . (1889), S. 3 1 .

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Werbung für den 'Bund'

fügte hinzu: 'In allen Landen will sich das Spiel machen' 1 . Um seine Propaganda und seine Emissäre mit dem nötigen gedruckten Material seiner Predigten und Schriften versehen zu können, stellte er in der Person seines uns schon bekannten Bundesschriftführers Hans Reichart einen eigenen Drucker an, indem er den Magistrat bewog, Reichart ein Darlehen von ioo Gulden zu gewähren, wofür er der Stadt Amtsbücherformulare drucken sollte2. So war Müntzer gerüstet, sowohl zur Verteidigung wie zur aktiven Durchführung seines Programms. Am 13. Juni sollte er die Probe darüber ablegen. Nachdem Zeiß am 4. Juni ein Mitglied des Stadtrates festgenommen hatte, waren die Dinge äußerlich in der Schwebe geblieben, aber wenn Müntzer seitdem nicht untätig geblieben war, so mußte Zeiß im Hinblick auf seine fürstlichen Vorgesetzten wohl oder übel auch einen weiteren Schritt tun 3 . Er lud am 13. Juni den Stadtschultheißen Nickel Rückert zu sich aufs Schloß und forderte : hn auf, auch die anderen Mitschuldigen am Mallerbacher Kapellensturm festnehmen zu lassen. Rückert schwur hoch und heilig, dazu außerstande zu sein; er hätte vom Rat keine Hilfe, und wo er sich dessen unterstünde, würde er Schaden nehmen. Nach langem Überlegen kamen Zeiß und Rückert zu dem Ergebnis, daß Zeiß am Abend einige handfeste Leute von den Dörfern aufs Schloß kommen lassen und dann Rückert samt dem Rat zu sich bestellen wollte, um sie zu fragen, ob sie dem herzoglichen Befehl, der auf Dingfestmachung der Täter lautete, nachkommen wollten oder nicht. Da der Schultheiß ihm gesagt habe, daß man die Täter nicht gutwillig bekommen würde, wolle er, der 1 Thomas Müntzer an die Gottesfürchtigen zu Sangerhausen, 15 JuK 1524. Briefw. S. 162. 2 Kurfürst Friedrich an Herzog Johann, 9. Juli 1524. Müntzers und der Allstedter Verhör zu Weimar, 1. August 1524. Neue Mitt. X I I , S. 170. 186. Daß der hier nicht genannte Drucker Hans Reichart war, geht aus Müntzers Schreiben an Zeiß vom 22. Juli 1524 (Briefw. S. 70) hervor. 8 Das Folgende nach den Berichten von Zeiß an Herzog Johann vom 19. Juni 1524 und an den Kurfürsten Friedrich vom 26. Juni 1524. Neue Mitt. X I I , S. 1 6 1 , 164.

Erstes Einschreiten der Obrigkeit

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Schösser, den Rat mit seiner Hilfstruppe in die Stadt begleiten, um die Verhaftungen vorzunehmen. Der Schultheiß ging zur Stadt zurück, auf Zeiß' Anforderung kamen die Dorfleute und am Abend schrieb er der Verabredung gemäß an Schultheiß und Rat, sie möchten sich aufs Schloß verfügen. Aber ehe noch sein Bote aus der Stadt zurück war, 'da gingen alle Glocken zu Allstedt zu Sturm'. Es war Müntzer selber, der die Sturmglocke läutete 1 und die Bürgerschaft mit Spieß und Harnisch 'in ihre Ordnung' treten ließ. Ohne seinen ausdrücklichen Befehl erschienen sogar 'etlich durstig Weiber samt Jungfrauen' mit Forken und Mistgabeln bewaffnet 2 . Auch der Bund wurde in Bewegung gesetzt: am andern Morgen erschienen die Mansfelder Berggesellen, um ihren Allstedter Bundgenossen beizustehen3. Die Allstedter Bürger blieben die ganze Nacht und den folgenden Tag unter Waffen, und Zeiß mußte sich aufs Pariamentieren verlegen. Schultheiß, Rat und Gemeindemitglieder erschienen am 14. nicht eher bei ihfn auf dem Schloß, als bis er ihnen einen Geleitsbrief ausgestellt hatte. Hier teilten sie ihm mit, sie hätten am Abend viele Reiter vor ihren Toren erblickt, weswegen man in der Befürchtung eines Überfalles auf die Stadt Sturm geläutet habe. Rückert sagte, das Sturmläuten sei ihm zuvorgekommen, bevor er dem Rat von der mit Zeiß getroffenen Verabredung habe Kenntnis geben können. Schließlich gab der Rat Zeiß noch zu verstehen, es komme ihm vor, als ob er ihm nachtrachte, zumal er schon einen seiner Ratsfreunde im Stock liegen hätte. Solcher Gefahr und Gewalt gewärtig zu sein, fiele ihm fast schwer1. Damit war die ganze Verhaftungsaktion gescheitert und Zeiß eilte am folgenden Tage nach Weimar, um Herzog Johann persönlich Bericht zu 1 Müntzers u. der Allstedter Verhör zu Weimar vom 1. August 1524. Neue Mitt. X I I , S. 184. 2 Schösser Hans Zeiß an Herzog Johann, 28. Juli 1524. Neue Mitt. X I I , S. 180. 3 Für diese und die folgenden Vorgänge vgl. außer den in Anm. 3 der vorigen Seite zitierten Berichten die Schreiben von Schultheiß, Rat und Gemeine zu Allstedt an Hans Zeiß vom 13. und 14. Juni 1524. Neue Mitt. X I I , S. isgit. 4 Nach dem Bericht von Zeiß an den Kurfürsten vom 26. Juni 1524. Neue Mitt. X I I , S. 166.

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Aufruhr in Allstedt

erstatten. Er riet von allen weiteren Maßnahmen ab und erreichte sogar, daß er den verhafteten Ciliax Knaute wieder freilassen durfte 1 . Der Sieg Müntzers und seines Bundes war vollkommen. Dem Kurfürsten schrieb Zeiß überdies, er müsse gegen das Kloster Naundorf vorgehen und Thomas Müntzer vor öffentlicher Versammlung und Gelehrten über seine Lehre verhören lassen: sei seine Lehre recht und nicht zu bestreiten, so müsse nach ihr verfahren werden, wo nicht, sei der Prediger auszuweisen. Müntzer werde vom gemeinen Mann mit seiner Lehre 'die so mächtig angehet, einen solchen Anhang erlangen, daß es Mühe und Arbeit haben will'. Ohne eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit von Müntzers Lehre werde ein solcher Aufruhr entstehen, daß er, Zeiß, seinem Amt nicht länger vorstehen könne und er um seinen Abschied bitten müsse2. Wir sehen also den kurfürstlichen Beamten durchaus schwanken und fast mehr der Sache Müntzers geneigt als der der Obrigkeit. Kein Wunder, wenn Herzog Johann seinem Bruder gegenüber meinte, der ganze Aufruhr sei von Zeiß, dem Schultheißen und dem Rat angestiftet 3 , wie es ja auch keineswegs für undenkbar zu halten ist, daß Zeiß mit Nickel Rückert nicht nur die Aktion zur Verhaftung der Kapellenstürmer, sondern auch die Gegenaktion der Allstedt er verabredet hat, um der Obrigkeit sowohl seinen guten Willen wie seine Ohnmacht zu beweisen und sich nach beiden Seiten hin zu salvieren. Daß Müntzer Zeiß nach wie vor für zu beeinflussen und zu gewinnen hielt, zeigen noch seine wiederholten Lehrschreiben für Zeiß vom Juli, wie ja auch Zeiß sich keineswegs darüber sicher ist, ob nicht Thomas Müntzer doch das lautere Evangelium lehrt. Wir bemerken eine solche innere Unsicherheit aber nicht nur bei Zeiß, sondern bis zu einem gewissen Grade auch bei seinen Landesherren. Luther hat im Jahre 1523 die Stellung Friedrichs des Weisen zu den großen Auseinandersetzungen der ersten Reformationsjähre dahin umschrieben, daß er die Sache 1

Ebenda. Ebenda. 3 Herzog Johann an Kurfürst Friedrich, 22. Juni 1524. Neue Mitt. X I I , S. 163. a

Innere Unsicherheit der Landesherrn

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der neuen Lehre weder verurteilen noch rechtfertigen wolle und als Laie auch nicht könne, doch sei er bereit, der siegenden Wahrheit zu weichen — 'paratus cedere veritati victrici' 1 . Die Erschütterung der jahrhundertealten Grundlagen des gesamten Lebens durch Luther hatte nun aber auch Kräfte freigemacht, die wohl im Negativen, in der Ablehnung des Alten, mit ihm übereinstimmten, über die neu einzuschlagenden Wege aber ihre eigenen Einsichten zu besitzen glaubten. Alle aber traten mit dem ausschließlichen Anspruch auf, Gottes Wort und Willen als die einzige und letzte Richtschnur alles menschlichen Handelns allein zweifelsfrei zu deuten und zu verstehen. Der Theologe war die letzte Instanz der menschlichen Gesetzgebung, als Ausleger der als Beurkundung des göttlichen Willens betrachteten Schrift formulierte er die letzten Prinzipien des menschlichen Zusammenlebens, und die bestehenden Gewalten waren, teils aus Sorge um ihr Seelenheil, teils auch aus massiveren Gründen, weitgehend bereit, ihnen zu folgen. Aber wer besaß die Wahrheit ? Wie war sie zu ermitteln und zu einer causa victrix zu machen, wenn Glaube gegen Glaube, Überzeugung gegen Uberzeugung stand? Zeiß steht durchaus auf dem Boden der Anschauungen aller Zeitgenossen, wenn er darauf drängt, daß Müntzer Gelegenheit gegeben werden müsse, seine Lehren vor einer öffentlichen Versammlung und vor Gelehrten, d. h. vor Weltlichen und Geistlichen, zu verfechten und daß man nach ihr verfahren müsse, wenn sie ihm nicht zu widerlegen sei. Die öffentliche Disputation ist die allgemein rezipierte, traditionelle Form für die Austragung solcher geistigen Kämpfe, der Ort für die Ermittlung der rechten Lehre. Müntzer hatte sich schon im Herbst 1523 während des Konfliktes mit dem Grafen von Mansfeld zu einem solchen 'Verhör' über seine Lehre erbieten müssen, und er hatte damals die Formulierung "vor aller Christenheit und dem Kurfürsten' gewählt, um die Öffentlichkeit zu gewährleisten,wußte er doch seit einer Unterredung, die Zeiß im Sommer 1523 mit Luther gehabt hatte, daß dieser eine Aussprache mit Müntzer in 1 Bedenken Luthers vom 8. Febr. 1523. Dr. Martin Luthers Briefwechsel, hrg. v. Enders IV, S. 76 f.

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Herzog Johann

Wittenberg wünschte, um ihrer beider Lehren 'zu vergleichen' 1 . Müntzer hatte nicht abgelehnt2, aber betrachtete offenbar eine nicht öffentliche Aussprache nur mit Luther und den Wittenberger Theologen als ungenügend. Solange aber eine solche Disputation nicht stattgefunden hatte, stand für das Bewußtsein der Zeit nicht fest, wessen Lehre die rechte sei. Das galt auch für den Herzog Johann, der überdies offensichtlich an den religiösen Fragen innerlich viel beteiligter war als der politisch kühler berechnende Bruder, Kurfürst Friedrich, den Luther einmal als den 'princeps dissimulans et ferians' bezeichnet. Die Verurteilung der Vorgänge in Allstedt, die Johann gegenüber seinem kurfürstlichen Bruder, dem er im übrigen die Entscheidimg zuschiebt, blicken läßt, läßt in auffälliger Weise Müntzer gänzlich aus dem Spiel; nur Zeiß, Schultheiß und Rat haben sich deswegen zu verantworten und sie verdächtigt er als die eigentlichen Anstifter, niemals wird von ihm in diesem Zusammenhang der Name Müntzers genannt. Die Erlaubnis zur Freilassung des verhafteten Ciliax Knaute zeigt deutlich genug, wie unsicher der Herzog im Grunde war. Gerade zu diesem wichtigen Zeitpunkt, im Juni 1524, erkennen wir das auch an einem bezeichnenden inneren Konflikt Herzog Johanns 3 . Sein Weimarer Hofprediger, Magister Wolfgang Stein, vertrat unter dem Einfluß Karlstadts und des Eisenacher Predigers Jakob Strauß 4 die Lehre, daß die kaiserlichen Gesetze als unrecht und unchristlich aufgehoben und die Welt nach dem mosaischen Gesetz regiert und umgestaltet werden müsse, daß insbesondere auf dem Gebiete der Wirtschaft, wie in der Frage des Zinses, das bisherige weltliche 1 Johannes Becker, Kurfürst Johann von Sachsen und seine Beziehungen zu Luther. Phil. Diss. Leipzig 1890, S. 27. 2 Luther an den Kurprinzen Johann Friedrich, 18. Juni 1524. W. A. Briefw. III, S. 305. 3 Für das Folgende vgl. G. Mentz, Johann Friedrich d. Großmütige Bd. I, S. 36f. — Luther an Kurprinz Johann Friedrich, 18. Juni 1524, Kurprinz Johann Friedrich an Luther, 24. Juni 1524. W. A. Briefw. III, S. 305 u. 309. 4 Über Strauß vgl. H e r m a n n B a r g e , Jakob Strauß, in: Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte Nr. 162, Leipzig 1937.

Herzog Johann

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Recht nicht mehr gelten dürfte. Es sind Anschauungen, die den Lehren Müntzers grundsätzlich verwandt sind. Der Weimarer Magister nun gewann einen solchen Einfluß auf den Herzog, daß er von der Richtigkeit seiner Lehre vollkommen überzeugt war und seinen Sohn, den Kurprinzen Johann Friedrich, und den Kanzler Brück, die eich dagegen wandten, geradezu für 'Widersteher göttlichs Worts' hielt. Der Kurprinz mußte sich an Luther um Beistand wenden, und Luther antwortete am 18. Juni in einem langen Schreiben, in welchem er die Theorien Steins und Strauß' ablehnte. Er benutzte diese Gelegenheit zu einem neuen Vorstoß gegen den gefährlichsten Herd aller dieser Anschauungen, gegen Müntzer; er bittet den Kurprinzen, es dahin zu bringen, daß Müntzer zur Verantwortung seiner Lehre nach Wittenberg kommen müsse. Luther beklagt sich darüber, daß Müntzer sich der von ihm, Luther, erstrittenen Freiheit bedient, um dann seine eigenen Wege zu gehen: 'Es ist ja nicht fein, daß er unsers Schattens, unsers Sieges und alle unsers Vorteils, ohn ihr Zutun erstritten durch uns, wider uns braucht, sitzen auf unser Mist und uns anbellen, ist ein schlechter Geist; er fahr hin einmal, wie ich getan hab und wage es außer diesem Fürstentum vor andern Fürsten, laß da sehen, wo sein Geist ist', — alles Gedanken, in denen sich wiederum der Brief an die Fürsten zu Sachsen gegen Müntzer ankündigt. Der Kurprinz hoffte, mit Luthers Schreiben seinen Vater 'zum Teil' von seinen Anschauungen abbringen zu können. Von Strauß und Stein wünschte er, daß sie zu Wittenberg vor Luther und Melanchthon ihre Behauptungen 'mit göttlicher Schrift' beweisen möchten, wozu aber Strauß offensichtlich i ebensowenig Neigung verspürte wie Müntzer. Auf den Vorschlag eines Verhörs Müntzers vor Luther geht der Kurprinz überhaupt nicht ein, aber er meint, die Bewegungen der Schwärmer, deren es, Gott sei es geklagt, nur allzu viel gebe, könnten nicht besser gestillt werden als dadurch, daß Luther im Fürstentum von einer Stadt zur anderen ziehe und prüfe, mit was für Predigern die Städte versehen wären: 'Welche Prediger denn nicht tauglich, hättet ihr mit Hülf der Obrigkeit zu entsetzen.'

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Kurprinz Johann Friedrich

Trotz der schwachen Anläufe zum Handeln, die wir vor allem auf das Wirken Spalatins und im Hintergrunde auch auf das Luthers zurückführen müssen, und deren Scheitern mit einer gewissen ratlosen Langmut hingenommen wird, sehen wir also auf der Seite der Regierenden nichts als Unsicherheit, Schwanken und Gegensätzlichkeit. Der alte Kurfürst ist äußerlich noch dem alten Glauben zugetan und verhält sich allen Neuerungen in seinem Lande gegenüber nach dem Grundsatz der Neutralität in Glaubensdingen, die nichts befördert und nichts hemmt, auch wo die Neuerer in Konflikt mit benachbarten Gewalten geraten. Sein Bruder und Mitregent, Herzog Johann, hat sich zwar schon entschieden vom Alten abgewandt, und Klöster und Mönche wissen, daß sie von ihm nichts mehr zu erwarten haben, aber wo die neue Wahrheit liegt, ist ihm noch durchaus unklar: er ist auch Einflüssen zugänglich, die weit über die Linie Luthers hinausgehen. Der einzige, der schon einen entschiedenen Standpunkt einnimmt, ist der jüngste der drei ernestinischen Fürsten, der Kurprinz Johann Friedrich, der bereits ein fester Anhänger Luthers ist und ihm alleinige Autorität zugestehen will, in Glaubensfragen zu entscheiden und die Prediger in Stadt und Land zu beurteilen, ob sie zu dulden sind. Aber auch er meint einschränkend zu seinem Vorschlag einer Kirchenvisitation durch Luther: 'Es müssen aber dem Spruch Pauli nach falsche Propheten sein, auf daß die guten bewähret werden', also wieder der Gedanke, daß die Wahrheit aus dem Aufeinandertreffen der Meinungen hervorgehen muß, wie ihn Luther ebenfalls demnächst in seiner Schrift gegen Müntzer formulieren wird. Nach alledem können wir einigermaßen beurteilen, wie der Gedanke des Herzogs Johann, mit seinem Sohne, dem Kurprinzen, selbst eine Predigt Müntzers in Allstedt anzuhören, entstanden ist. Dieser Gedanke muß aus den Disputen zwischen Vater und Sohn über die politisch-gesellschaftlichen Theorien von Wolfgang Stein und Jakob Strauß herrühren. Mit diesen beiden hatte ja Luther in seinem Antwortschreiben an den Kurprinzen, mit dem dieser seinen Vater von den umstrittenen Ideen abbringen wollte, und das die Grundlage ihrer weiteren Diskussion bildete, auch Müntzer verknüpft. So floß das ganze

Luther über die weltliche Obrigkeit

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Problem in eins zusammen: bei Gelegenheit des Streites wegen Strauß und Stein ist über die ganze sozialreformerische und revolutionäre Richtung gesprochen worden, der der Herzog Johann innerlich so unsicher gegenüberstand. Dazu kommt noch ein Weiteres. Wolfgang Stein war es gewesen, auf dessen Anregung hin Luther im Herbst 1522 am Weimarer Hofe vor Herzog Johann zwei Predigten über die weltliche Obrigkeit und Gewalt gehalten hatte. Aus diesen Predigten ist wiederum auf Drängen Steins und des Herzogs Luthers berühmte Schrift 'Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei' entstanden, die Anfang 1523 erschien und dem Herzog Johann gewidmet war 1 . Der Anstoß für Luther, sich mit der Staatsgewalt und ihren Grenzen zu beschäftigen, hatte in dem Verbot gelegen, das zahlreiche deutsche Obrigkeiten wie Bayern, Brandenburg, das albertinische Sachsen gegen die Verbreitung seiner Übersetzung des Neuen Testamentes erlassen hatten. Hieraus erklärt sich die scharfe Sprache gegen die Fürsten, die sich vermessen, 'auch in Gottes Stuhl sich zu setzen und die Gewissen und Glauben zu meistern'. Wenn Luther davon spricht, daß die Fürsten 'nicht anders meinen, sie könnten tun und gebieten ihren Untertanen, was sie nur wollen (und die Untertanen auch irren und glauben, sie seien schuldig dem allem zu folgen)'; wenn er weiterhin sagt, die Fürsten könnten nicht mehr, 'denn schinden und schaben, einen Zoll auf dem andern, einen Zins über den andern setzen, da einen Bären, hier einen Wolf auslassen, dazu kein Recht, Treue noch Wahrheit bei ihnen lassen gefunden werden . . . und ihr weltlich Regiment ja so tief darniederliegt, als der geistlichen Tyrannen Regiment: Darum verkehret Gott ihren Sinn auch, daß sie zufahren widersinnisch und wollen geistlich über Seelen regieren, gleichwie jene wollen weltlich regieren' — so mußte dieser dem Herzog Johann gewidmete Appell, wenn er überhaupt Eindruck machte, auch Müntzer zugutekommen. Und ein Fürst, der die Widmung einer mit derartigen Wendungen gespickten Schrift entgegennahm, konnte nicht für ganz unzugänglich für neue Ideen gehalten werden — diesen 1

Vgl. w. A. XI, s. 230ff.

Hinrichs,

Luther und

Müntzer

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Müntzers entgegengesetzter Standpunkt

Eindruck muß auch Müntzer von ihm gehabt haben, um ihm eine so kühne Predigt wie die über das 2. Kapitel Danielis zu halten. Aber Luthers Schrift über die Obrigkeit enthielt neben den scharfen Angriffen auf die Fürsten, sofern sie in die Gewissen und Seelen greifen, doch auch wieder eine Rechtfertigung der bestehenden Gewalten, sofern sie in ihren weltlichen Schranken bleiben. Denn das Reich der Welt ist das ausschließliche Herrschaftsgebiet des Schwertes, das die bösen Unchristen in Zaum und Schranken hält, während die rechtgläubigen Christen seiner nicht bedürfen. Aber sie sind in der hoffnungslosen Minderheit, so daß sich mit dem Evangelium die Welt nicht regieren läßt: wer das versuchen wollte, würde 'den wilden bösen Tieren die Bande und Ketten auflösen'. So stehen das durch Liebe, Brüderlichkeit und Gewaltlosigkeit regierte Reich Gottes der wahren Christen und das durch Gewalt, Zwang und Schwert regierte Reich der bösen Welt nebeneinander und doch verbunden dadurch, daß dieses Reich der Welt der Raum ist, in dem der Christ sich durch Stand und Beruf zur Aufrechterhaltung einer friedlichen Gesellschaftsordnung bewährt. Der höchste Beruf aber ist das Fürstenamt, dem Gott das Schwert, ohne das die böse Welt nun einmal nicht zu regieren ist, verliehen hat, und dem als göttlicher Stiftung Gehorsam gebührt — nach Römer 13, 1 — 2 : 'Eine jegliche Seele sei der Gewalt der Obrigkeit Untertan; denn es ist keine Gewalt ohne von Gott' usw. Daß die christliche Minderheit einmal zur Mehrheit werden könnte, in der dann 'kein Fürst, König, Herr, Schwert und Recht not oder nütze' mehr wäre, hält Luther angesichts des wahren Zustandes der Welt für unmöglich: Gottes Reich ist nicht von dieser Welt. Seine christlich-pessimistische Grundansicht über die menschliche Natur führt Luther zur Sanktionierung des Bestehenden als einer Ordnung, die gottgewollt ist, da ohne sie die Welt 'wüste werden' würde. Gegenüber dieser ihm gewidmeten lutherischen Staatslehre lagen nun bis zu diesem Zeitpunkt — Juni 1524 — in Weimar dem Herzog, der, wie wir sahen, noch keineswegs fest auf dem Boden Luthers stand, zwei ausdrückliche Repliken vor. Die eine war Thomas Müntzers Schreiben an den Kurfürsten

Begründung d e s Widerstandsrechtes durch Müntzer

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Friedrich vom 4. Oktober 1 5 2 3 d a s dem Herzog Johann als dem eigentlich Zuständigen für die Allstedter Angelegenheiten zweifellos vorgelegen hat, die andere das von Müntzer konzipierte Schreiben von Rat und Gemeinde zu Allstedt vom ca. 7. Juni 1524 2 . Es handelte sich hierbei noch keineswegs um die volle Entwicklung und Ausführung einer Gegenansicht, aber doch um den deutlich erkennbaren entscheidenden Ansatzpunkt dazu, der den Herzog, der durch Wolfgang Stein und Jakob Strauß ohnehin schon über die lutherische Linie hinausgeführt war, gewiß hat aufhorchen lassen. In beiden Schreiben zitiert Müntzer ebenfalls das 13. Kapitel des Römerbriefs, aber nicht den 1. und 2. Vers, von denen Luther ausgegangen war, und die die Gehorsamspflicht 'jeder Seele' gegen die von Gott gesetzte Obrigkeit proklamieren, sondern allein den 3. und 4. Vers, die den Gedanken enthalten, daß die Herrschenden ein Schrecken sind nicht für die Täter guter Werke, sondern nur für die Übeltäter, daß die Obrigkeit ist Gottes Dienerin den Frommen zugut, aber zum Zorngericht über den Missetäter. Hieraus entwickelt nun seinerseits Müntzer seine Stellung gegenüber den herrschenden Gewalten: der in Vers 1 und 2 proklamierte Gehorsam gilt nur, wenn die Obrigkeit die in Vers 3 und 4 statuierten Aufgaben des Schutzes der Frommen und der Rache an den Gottlosen erfüllt. Das ist schon in dem Brief an Friedrich den Weisen deutlich entwickelt: Das Volk soll die Fürsten mehr lieben als fürchten, wie es Rom. 13 heißt: die Fürsten sind den Frommen nicht schrecklich. Oder wie Müntzer es in dem Schreiben an Herzog Johann formuliert: 'Wissen wir doch durch das Zeugnis des heiligen Apostels Paulus, daß Euer Gnaden das Schwert zur Rache der Uebeltäter und Gottlosen gegeben ist und zur Ehre und Schutz der Frommen.' 'Und', so lautet es in entscheidender Wendung weiter in dem Brief an Friedrich dem Weisen, 'wenn sich das wird umkehren, so wird das Schwert ihnen (den Fürsten) genommen werden und wird dem wütenden Volke gegeben werden zum Untergange der Gottlosen'. Müntzer hatte damit aus demselben Römerbriefkapitel, das der traditionelle religiöse 1

Briefw. S. 48. * Ebenda, S. 58. 3*

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Anlaß zur 'Fürstenpredigt'

Argument für die gottgewollte Unterordnung unter die Obrigkeit war und auch den Ausgangspunkt für Luthers Staatslehre bildete, das revolutionäre Widerstandsrecht des Volkes interpretiert, das zugleich zu dem Gedanken der Souveränität des Volkes hinleitet. Denn ihm 'zugut', zu seinem Schutz, hat Gott den Fürsten das Schwert gegeben; kehren sie das Verhältnis um, werden sie gewissermaßen vor Gott vertragbrüchig, indem sie auf die Seite der Bösen und Gottlosen treten, so übergibt Gott das Schwert dem Volke direkt zur Bekämpfung der Gottlosen und damit auch der Fürsten. Von einem unmittelbaren Herrschaftsvertrag zwischen Volk und Fürsten ist bei Müntzer zwar noch keine Rede, beide sind noch Gott zum Vollzug seines Willens untergeordnet; die Alternative, ob Fürsten- oder reine Volksregierung hängt von der Erfüllung der Bedingungen ab, die Gott an die Verleihung des Schwertes geknüpft hat: an dem Verhalten der Fürsten muß sich zeigen, ob Gottes Wille durch sie oder besser unmittelbar durch das Volk vollstreckt wird. Aber zum souveränen Träger des Gotteswillens wird das Volk in jedem Fall. Denn das Volk sind für Müntzer ja zunächst nur die nach seiner Lehre unmittelbar, ohne Schrift und Tradition Erleuchteten, in denen Gottes Wille unmittelbar wirksam ist, in weiterem Sinne der 'Bund'. Bekehren sich nun zu diesem Bund, durch Müntzers Lehre erweckt und ebenfalls erleuchtet, auch die Fürsten, so gehen sie in das Volk ein, indem sie gemeinsam mit diesem den Willen Gottes vollziehen, der in der Ausrottung der Gottlosen und der in einer neuen Sozialordnung sich manifestierenden Gottesherrschaft auf Erden besteht. Das Volk der Auserwählten ist der Träger von Gottes Souveränität: das ist die Form in der der Gedanke der Volkssouveränität bei Müntzer auftritt. Die Herleitung einer der lutherischen Auffassung gänzlich entgegengesetzten politischen Lehre aus derselben Bibelstelle konnte in einem durch politisch-religiöse Diskussionen und Gegensätze ohnehin aufnähme bereiten Kreise, der sich, wie der Streit um die Geltung des mosaischen Gesetzes zeigt, um den wahren Sinn der Schrift bemühte und aus deren Verständnis auch vor radikalen Konsequenzen nicht zurückschreckte, seinen Eindruck nicht verfehlen. Müntzer mußte in

Anlaß zur 'Fürstenpredigt'

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den Augen der beiden Parteien — des Herzogs Johann, Wolfgang Steins und Jakob Strauß' auf der einen, des Kurprinzen Johann Friedrich, Spalatins und des Kanzlers Brück auf der anderen Seite — als mächtigster Antrieb der über Luther hinausführenden Tendenzen innerhalb der Neugläubigen sichtbar werden. Sei es nun, daß der Kurprinz seinen Vater von der Gefährlichkeit Müntzers hat überzeugen wollen, sei es, daß Herzog Johann nach der ihm gewidmeten und von ihm mit veranlaßten Schrift Luthers über die Obrigkeit eine ausführlichere Begründung des entgegengesetzten Standpunktes hat vernehmen wollen, sei es endlich, daß Wolfgang Stein wie im Falle Luthers die Anregung zu einer Predigt Müntzers über seinen Obrigkeitsbegriff vor den beiden Fürsten gegeben hat — ersichtlich ist nur soviel, daß der Entschluß, Müntzer selber anzuhören, durch Herzog Johann etwa in der letzten Juniwoche 1524, nach dem Eintreffen von Luthers Brief vom 18. Juni an den Kurprinzen, muß gefaßt worden sein. Die Frage, warum die Fürsten Müntzer nicht wie Luther haben in Weimar predigen lassen, ist dahin zu beantworten, daß auch Luther 1522 nur auf der Durchreise von Erfurt in Weimar predigte, eine Gelegenheit, die bei Müntzer nicht vorlag. Darüber hinaus hatte man einen bequemen Vorwand, eine Predigt Müntzers in Allstedt anzuhören: er war noch nicht von seiner Landesherrschaft in seinem Predigeramt bestätigt, und dazu bedurfte es einer Probepredigt. Endlich bestand gewiß die Absicht, sich über die Verhältnisse in Allstedt an Ort und Stelle ein Bild zu machen. Am 1. Juli trafen die beiden Fürsten in Allstedt ein 1 . Müntzer hat nun aber offenbar seine Predigt, die für ihn nicht nur eine so wichtige Gelegenheit zur Entwicklung seiner politischen Gedanken, sondern auch ein Glied seines politischen Handelns war, nicht aus dem Stegreif halten wollen. Jedenfalls gibt es mangels aller Nachrichten keine andere Erklärung für den zweiten Besuch der beiden Fürsten in Allstedt am 13. Juli 2 . Daß Müntzer aber seine Predigt an diesem Tage und nicht schon am 1. Juli gehalten hat, dürfen wir wohl aus einem Schreiben 1 Vgl. G. Mentz, a. a. O. S. 37, Anm. 3. * Ebenda.

Entstehung der 'Fürstenpredigt'

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von Zeiß an Spalatin vom 20. Juli 1 schließen, in dem Zeiß von dem Sermon spricht, den Müntzer 'nächst', d. h. in nächster Vergangenheit, vor den beiden Fürsten gehalten habe, wobei Zeiß als ein gleichzeitiges Faktum erwähnt, Müntzer habe versprochen, nichts mehr ohne vorherige Zensur drucken zu lassen. Dies schriftliche Versprechen aber ist vom 13. Juli datiert 2 . Nun könnte man noch einwenden, Herzog Johann sei deswegen noch einmal nach Allstedt gereist, um Müntzer dieses Versprechen abzunehmen. Denn unterm 9. Juli hatte der Kurfürst an seinen Bruder geschrieben3, er habe gehört, daß Müntzer in Allstedt eine eigene Druckerei eingerichtet habe, so daß man in Konflikt mit dem kaiserlichen Büchermandat kommen könnte. Auch in Wittenberg werde nichts ohne vorherige Prüfung durch den Rektor und andere dazu bestellte Personen gedruckt, Müntzer solle daher alles, was er zu drucken beabsichtige, vorher Luther und der Wittenberger Universität zur Prüfung vorlegen. Diese Sätze sind schließlich in dem Konzept dieses Schreibens wieder gestrichen und durch die Aufforderung ersetzt, Müntzer zu veranlassen, seine Schriften zuvor dem Kurfürsten oder dem Herzog zur Zensur vorzulegen. Das Schreiben des Kurfürsten ist nun aber keineswegs die Ursache des zweiten Besuchs des Herzogs in Allstedt gewesen, wie der Brief Johanns an seinen Bruder vom 6. August 4 zeigt, aus dem hervorgeht, daß jener das Schreiben des Kurfürsten erst erhalten hat, als er 'von Halberstadt wiederum gegen Allstedt gekommen' war. Es dürfte sich also so verhalten, daß am 1. Juli zwischen dem Herzog und Müntzer verabredet worden ist, daß Müntzer bei einer demnächstigen zweiten Anwesenheit der beiden Fürsten in Allstedt seine Probepredigt halten sollte. Die Ausarbeitung der Predigt würde also in die Zeit zwischen dem 1. und dem 13. Juli fallen. Der Ort, an dem sie gehalten wurde, ist nicht die Johanniskirche, sondern das Allstedter Schloß gewesen8. Die Zuhörer waren Herzog Johann, Kurprinz 1 2 3 4 ä

Akten z. Gesch. d. Bauernkrieges in Mitteldeutsch!. II, S. 941. Thomas Müntzer an Herzog Johann, 13. Juli 1524. Briefw. S. 61. Neue Mitt. X I I , S. 170. Ebenda, S. 188. Das geht aus dem Titelblatt der Predigt hervor.

Luthers und Müntzers Geschichtsauffassung

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Johann Friedrich, Dr. Gregor Brück, genannt Pontanus, der Kanzler des Kurfürstentums Sachsen, Dr. Hans von Grefendorf, kursächsischer Rat, der Schösser Hans Zeiß, sowie Schultheiß und Rat von Allstedt 1 . Was nun zunächst den der Predigt zugrundegelegten Text anbetrifft, so drängt sich sogleich die Frage auf, warum, wie nach dem Vorangegangenen vielleicht zu erwarten gewesen wäre, nicht auch Müntzer zur Entwicklung seines politischen Gedankengebäudes von Rom. 1 3 und zwar in der von ihm gefundenen antilutherischen Auslegung, ausgegangen ist und statt dessen das 2. Kapitel Danielis gewählt hat. Die Antwort führt uns auf die letzten Voraussetzungen von Müntzers historisch-politischem Denken, in denen die eigentlich entscheidende Trennung von Luther liegt: auf sein besonderes eschatologisch-dialektisches Element. Für Luther ist die Geschichte 2 das Chaos eines fortwährenden Auf und Ab von Gewalten und Mächten, in denen sich Gott verbirgt und sein 'Puppenspiel' treibt, das aber irgend eine gesetzmäßige Entwicklung und ein menschlich faßbares Ziel nicht aufweist, sondern höchstens als Kampfplatz zwischen Gott und Teufel zu erkennen ist, so daß alle Epochen sowohl Gutes wie Schlechtes enthalten: der Sinn des Ganzen wird sich erst beim übersinnlichen Ende aller Geschichte, das als ein jenseitiges Reich in lumine gloriae gedacht ist, enthüllen. Luthers Geschichtsauffassung korrespondiert in der Verbindung von realistischen und transzendenten Motiven mit seiner Staatsauffassung: von dieser Verbindung erhalten beide ihren 'statischen' bzw 'konservativen' Charakter. Ebenso korrespondiert Müntzers revolutionäre politische Lehre vom Widerstandst echt mit .-einer dynamischen Auffassung einer Zielgerichtetheit der Geschichte die erst dem vom Widerstandsrecht legitimieren politischen 1 Die Anwesenheit von Brück und Grefendorf ist in dem Schreiben Herzog Johanns an Kurfürst Friedrich vom 6. August 1524 Neue Mitt X I I , S. 188, bezeugt. Die Anwesenheit von Zeiß, des Schultheißen und des Rats darf man aus dem formellen Charakter der Predigt als einer Probepredigt schließen. Übrigens erinnert Müntzer in seinem Brief vom 22. Juli 1 5 2 4 Zeiß selbst an den Inhalt der Predigt (Briefw S 74) 2 Vgl. Hanns Lilje, Luthers Geschichtsanschauung (1932).

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Das Buch Daniel

Handeln seine letzte Orientierung gibt. Wie Müntzer nun das Widerstandsrecht aus Rom. 13 entwickelt hatte, so fand er die Auffassung der Weltgeschichte als eines auf ein Endziel hin gerichteten gegliederten Ganzen im Buche Daniel. Das aus der Auseinandersetzung des Judentums mit dem Hellenismus in der ersten Hälfte des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts entstandene, einem sagenhaften Propheten Daniel untergelegte Buch ist dadurch grundlegend geworden für die ganze spätere Universalgeschichtsschreibung, daß es die bisherige Grundauffassung des altisraelitischen Prophetismus von dem Abschluß der irdischen Geschichte durch einen neuen vollkommenen Aeon, das Gottesreich, mit der antiken, in Griechenland, Iran und Indien nachweisbaren Anschauung von vier zumeist durch Metalle versinnbildlichten Weltaltern verband. Dadurch hat es sowohl die prophetischen wie die antiken Anschauungen in grundlegender, zukunftsträchtiger Weise umgebildet: die antiken, indem es den immer wieder von neuem beginnenden Kreislauf von der goldenen zur eisernen Weltperiode zur geraden Linie umbog, und in den zeitlos-vollkommenen Endzustand der Propheten einmünden ließ, also der sich ewig wiederholenden Geschichte eine einmalige Entwicklungsrichtung gab und sie dadurch erst wirklich zur Geschichte machte — die prophetischen, indem es den neuen Aeon, das göttliche Zukunftsreich, auf das sich das Interesse der Propheten vornehmlich konzentriert hatte, in eine innere gesetzmäßige Verbindung brachte mit dem notwendigen vorherigen Ablauf der in aufeinanderfolgenden zusammenhängenden Perioden sich entfaltenden alten Aera, die erst bestimmte Entwicklungsstadien durchlaufen haben muß, bevor der Umschlag erfolgt und Gott die Vollendung herbeiführen kann. Diese Verbindung von gesetzmäßiger Periodenfolge der menschlichen Geschichte mit den prophetischen Endreichsgedanken erscheint wie das erste Auftauchen einer historischen Dialektik: 'Im Buche Daniel rückt', nach einer Bemerkung Wellhausens, 'die Weltgeschichte wider Willen dem Ziel umso näher, je weiter sie sich mit Willen davon entfernt' 1 . 1

s.

J . Wellhausen,

305.

Israelitische

und

jüdische

Geschichte 4

(1901)

Müntzer und Daniel 2

41

Die danielische Geschichtsvision ist in verschiedener Form, aber mit dem gleichen Sinn in dem zweiten und siebenten Kapitel des Buches enthalten. Im siebenten Kapitel sieht Daniel aus dem Chaos des Urmeeres nacheinander vier gewaltige Tiere, eines immer schrecklicher als das andere heraufsteigen: sie verkörpern das babylonische, niedische, persische und das von allen diesen verschiedene und sie doch umfassende hellenistische Weltreich, den Höhepunkt des Widergöttlichen, in dem der Verfasser des Danielbuches lebt und mit seinen jüdischen Landsleuten leidet. Dann sieht der Seher weiter, wie unter dem Vorsitz eines ehrwürdigen 'Hochbetagten' ein Gericht über das vierte und letzte Tier abgehalten und es getötet wird. Ehre und Reich und alle Völk'er, Nationen und Zungen werden aber einem übergeben, 'der einem Menschen glich', oder, wie es erläuternd in Vers 27 heißt: 'Und das Reich und die Macht und die Größe der Reiche unter dem ganzen Himmel wird dem Volk der Heiligen des Höchsten verliehen.' Hier fand Müntzer die geschichtliche Berufung seines 'Bundes der Auserwählten', der das Widerstandsrecht als Gericht übei die Gottlosen handhabt. Und so finden wir schon in Müntzers Schreiben an den Kurfürsten Friedrich vom 4. Oktober 1523 unmittelbar neben Rom. 13 Daniel 7 gestellt. Wir brauchen uns aber nur den Inhalt von Daniel 2 zu vergegenwärtigen, um zu begreifen, warum Müntzer in dem Augenblick, als sein Landesherr in Allstedt erschien und ihn zu einer Predigt aufforderte, zu diesem Text griff. Hier wird erzählt: dem babylonischen König Nebucadnezar, unter dessen jüdischen Gefangenen sich auch der treu zur Religion seines Volkes haltende Daniel befindet, stiegen einst auf seinem Lager Gedanken darüber auf, was zukünftig geschehen würde, und er hatte einen Traum, der ihn in tiefe Unruhe und Ungewißheit versetzte. Er beruft die Zeichendeuter, Wahrsager, Beschwörer und Chaldäer, und um sie auf die Probe zu stellen, ob sie ihm eine echte, aus übermenschlicher Sphäre stammende Deutung seines Traumes zu geben vermögen, verlangt er von ihnen, daß sie ihm zugleich den Inhalt und die Deutung seines Traumes sagen, andernfalls er sie alle als Lügner und Charlatane hinrichten lassen werde. Die Weisen beteuern dem König, daß

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Müntzer und Daniel 2

dazu kein Mensch auf Erden imstande sei: das könnten nur die Götter, die aber keinen Umgang mit den Menschen hätten. So ergeht denn der Befehl zur Hinrichtung, der auch Daniel mit seinen Gefährten betrifft, der sich auf Gesichte und Träume jeder Art versteht. Daniel nun erbittet und erhält vom König einen Aufschub, er fleht zu Gott um Erleuchtung, und die Überlegenheit des wahren Gottes der Juden erweist sich nun darin, daß er Daniel in einem Nachtgesicht sowohl Nebukadnezars Traum wie seine Deutung enthüllt. So kann Daniel vor den König treten und ihm seinen Traum erzählen: der König sah ein gewaltiges Standbild, dessen Haupt war von Gold, dessen Brust und Arme von Silber, dessen Bauch und Lenden von Erz, dessen Schenkel von Eisen, dessen Füße teils von Eisen, teils von Ton. Da riß sich auf einmal ohne Zutun von Menschenhand ein Stein von einem Berge los, traf das Bild auf seine eisernen und tönernen Füße, daß es zusammenbrach und seine Teile wie Spreu im Winde verweht wurden. Der Stein aber, der das Bild zerschlagen hatte, wurde zu einem großen Berg und erfüllte die ganze Erde. Die Deutung aber lautet wiederum: es wird vier sich immer mehr verschlechternde und verhärtende Weltperioden geben — der Verfasser des Danielbuches meint wieder das babylonische, medische, persische und griechische Reich, dessen Ausgang, die Diadochenzeit, als ein 'nicht zusammenhaltendes' Reich durch die Füße aus Eisen und Ton versinnbildlicht wird. In dieser letzten Epoche findet nun die ganze Folge von Weltreichen ihr Ende, indem Gott ein Reich aufrichtet, das alle jene Reiche zertrümmern, selbst aber in Ewigkeit bestehen wird. Nachdem Nebukadnezar dies gehört hat, preist er den Gott Daniels als den Gott der Götter und Herrn der Könige, der allein Geheimnisse offenbaren kann, und er setzt Daniel über alle Weisen und übergibt ihm die ganze Provinz Babel zu seiner Verwaltung. Auf Bitten Daniels wird diese jedoch seinen Gefährten übertragen und Daniel bleibt — gewiß als der ausschlaggebende Berater — am königlichen Hofe. In diesem Text fand Müntzer nicht nur wie im 7. Kapitel das Ausdrucksmittel für seine zielgerichtete Geschichtsauffassung, sondern zugleich seine konkrete Situation wieder. Auf

Müntzer und Daniel 2

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der einen Seite der ratlose und unsichere Herrscher, dessen Weisen — Luther und seine Partei — ihm nicht den richtigen Weg zeigen können, weil sie nicht an eine Erleuchtung unmittelbar durch den 'Geist' glauben und sich nur auf menschliche Auslegungskunst — die 'geistlose' Wissenschaft der überlieferten 'Schrift' — verstehen; auf der anderen Seite DanielMüntzer, der unmittelbaren Kontakt mit der noch immer wirksamen Offenbarung hat und daher imstande ist, eine wahre Deutung der geschichtlichen Situation zu geben. In diesem Zusammenhang gab der von Gesichten und Träumen handelnde Text Müntzer zugleich die Gelegenheit, die historisch-eschatologische Bedeutimg seines 'Geist'-Begriffs, seiner Anschauung des von Tradition und Schrift unabhängigen 'inneren Worts' hervortreten zu lassen, indem er sie in den großen Zusammenhang der Weltgeschichte und ihres Endziels stellte: das Auftreten des wahren 'Geistes', der echten Erkenntnis, ist das Kennzeichen des anbrechenden vollkommenen Endzustandes. Der 'Geist', den Gott nach einer von Müntzer in seiner Predigt ebenfalls angezogenen Joelstelle (3, 1—4) 'danach', d. h. nach Müntzers Auffassung am Ende der bisherigen Geschichte, 'über jedermann' — 'und auch über die Sklaven und Sklavinnen' — ausgießen wird, bewirkt darüber hinaus bei allen gleichmäßig die Kenntnis und Beobachtung von Gottes wahrem Willen und damit die von Müntzer als Ziel der Geschichte gesehene 'klassenlose' Einheit des menschlichen Geschlechts. So erhält Müntzers ganze bisherige 'Geistestheologie' in dieser Predigt ihre letzte historische Selbstausdeutung und Verankerung. Im übrigen bot sich in dem Bilde des rollenden Steines, der die Abfolge der Weltreiche zum Abschluß bringt, und darauf zu einem die ganze Erde erfüllenden Berg anwächst, ein gewissermaßen 'immanantes' Symbol dar für die Funktion des 'Geistes' und seiner siegreichen Alleinherrschaft, ein Symbol, das für Müntzer besser und vielseitiger zu verwerten war als die Szene des Gerichts im 7. Kapitel. Schließlich kommt in diesem Text sogar der Aufschub vor, um den Müntzer gleich Daniel seinen Herrscher wahrscheinlich für seine Predigt hat bitten müssen, und endlich als Letztes aber nicht Unwichtigstes die Bekleidung des Geistbegabten mit

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Luthers Kirchenbegriff

der Stelle des ersten Beraters, die Müntzer seinem Fürsten gegen Luther mit der Predigt abgewinnen wollte. Bevor wir aber auf den eigentlichen Inhalt der einzelnen Abschnitte der Predigt eingehen, müssen wir noch einen Blick werfen auf die von Müntzer gleich im ersten Abschnitt bezeichnete 'soziologische Kategorie' l , in der er das menschliche Gemeinschaftsleben auffängt, und deren historischen Ort innerhalb der Weltentwicklung er hier bestimmt. Diese soziologische Kategorie für das menschliche Gemeinschaftsleben ist für Müntzer wie für Luther primär die 'Kirche'. Aber für Müntzer bedeutet dieser Begriff etwas ganz anderes als für Luther. Luther hat durch sein 'demokratisches' Prinzip des allgemeinen Priestertums die als sichtbares, hierarchisches, politisch-juristisches Gemeinwesen organisierte katholische Anstalts- und Autoritätskirche aus den Angeln gehoben. Die Kirche ist nunmehr die freie Versammlung aller Christgläubigen auf Erden, die unsichtbare Gemeinschaft der im Glauben und in der Liebe Verbundenen. Gäbe es nur sie, so wäre keine menschliche politische Veranstaltung, keine Herrschaft, Staat, Gesetz und Organisation mehr vonnöten. Diese Gemeinschaft wird aber nicht aus den einzelnen Individuen heraus erzeugt und erhalten, sondern von etwas Objektivem außer und über ihnen: vom 'Wort' der überlieferten Schrift, und um dieses recht zu lehren und zu predigen, ist nun doch wieder eine Institution, eine äußere sichtbare Kirche nötig, in deren Rahmen die wahre unsichtbare Kirche existiert. Neben der Wortverkündigung der äußeren Kirche gibt es nur noch einen Gottesdienst: den Dienst und die Arbeit in den Ordnungen des natürlichen Lebens, in Beruf und Staat, Ehe und Familie. Diese Ordnungen des natürlichen Lebens werden also gewissermaßen mit in den Begriff der Kirche hineingezogen, der so wieder in zugleich realistischer und transzendenter Weise das ganze menschliche Gemeinschaftsleben umspannt. Diese Differenzierung des Kirchenbegriffes ist bei Müntzer nicht vorhanden. Sein Begriff der 'Kirche' als primäre soziologische Kategorie für das menschliche Gemeinschaftsleben, 1 Nach dem Ausdruck von Erich Seeberg, Luthers Theologie in ihren Grundzügen (1940), S. 193.

Müntzers Kirchenbegriff

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der seine historischen Vorläufer bei den Waldensern, Wicliffiten und Hussiten, seine Nachfahren bei den Täufern, Spiritualisten und Quäkern hat, ist einheitlich und einschichtig. Er beruht nicht auf dem objektiven Zentralbegriff des den einzelnen Christen machenden und formenden 'Wortes', sondern auf der subjektiven Erfahrung des 'Geistes', der vor und über aller Schriftüberlieferung im Individuum schlummert und erweckt werden muß. Dahinter steht nicht wie bei Luther die Vorstellung einer historischen einmaligen Offenbarung, die in der heiligen Schrift beurkundet ist, so daß es lediglich auf deren rechtes Verständnis ankommt, sondern die Vorstellung gewissermaßen einer immanenten Urreligion, die seit der Erschaffung des Menschen, bevor es noch eine Schrift gegeben hat, im menschlichen Herzen existiert, deren Geist in den Patriarchen und Propheten, in Christus und seinen Aposteln zwar immer reiner zum Ausdruck gekommen ist, aber auch in jedem gegenwärtigen Menschen ganz unabhängig von dieser Überlieferung wieder zum Durchbruch kommen kann und muß. In dieser ihnen allen eingeborenen Möglichkeit des Besitzes des echten 'Geistes', dieser Zugehörigkeit zu der einen wahren Urreligion gleichen sich alle Menschen, sie geht durch alle Klassen- und nationalen Unterschiede hindurch. Das Aktuellwerden dieses in allen Menschen latenten Geistes bedeutet die Überwindung aller jener Unterschiede, und zwar nicht nur die formale 'Gleichheit vor Gott', sondern die reale, weil der echte Geistbesitz durch den Zusammenschluß der durch ihn 'Auserwählten' sogleich eine vollkommen neue soziale Wirklichkeit schafft, wie sich der Geist Christi und seiner Apostel nach Müntzers Auffassung in einer klassen- und eigentumslosen Gemeinschaft manifestiert hat. Eben diese klassen- und eigentumslose Gemeinschaft der durch den Besitz des 'Geistes' 'Auserwählten' ist für Müntzer die 'Kirche' — ein durch ein herkömmliches Wort ausgedrückter Begriff für etwas Neues: für ein 'Gesellschafts'-Ideal, in dem Staat, Klassen, Eigentum aufgehoben sind. Die urchristliche Gemeinde ist für Müntzer der Prototyp dieses Ideals. Der allen Menschen immanente, gleiche, von Schrift und Überlieferung unabhängige 'Geist' ist ein Prinzip der Einheitlichkeit allen Lebens und fordert daher auch die

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Seine Verbindung mit der Verfallsidee

einheitliche Regelung des gesamten gesellschaftlichen Lebens nach dem einen, allen Menschen unmittelbar zugänglichen Willen Gottes: daher kann es für Müntzer Luthers dualistisches Neben- und Ineinander von innerer und äußerer Kirche auf der einen, Staat und Gesellschaft auf der anderen Seite nicht geben. 'Kirche' ist für ihn der Zusammenschluß der durch die unmittelbare Erfahrung von Gottes Geist und Willen Auserwählten und der dadurch hier auf Erden realisierte, die bisherige Geschichte abschließende vollkommene Staat- und eigentumslose Endzustand der Menschheit. Dieser Kirchenbegriff, der gleich auf der ersten Seite der Predigt unter den Bezeichnungen 'die Gemeinde der Auserwählten Gottes', oder 'rechte reine Christenheit' oder 'neue Christenheit' erscheint, verbindet sich nun im ersten Abschnitt mit der aus der mittelalterlichen Sektenüberlieferung stammenden Verfallsidee, für die die Kirchengeschichte der Prozeß einer, ständigen Verschlechterung eines ursprünglich reinen Idealzustandes ist. Christus, seine Apostel und vor ihm die heiligen Propheten, sagt Müntzer, haben wohl eine rechte reine Christenheit a n g e f a n g e n , aber ihre Nachfolger seit dem Tode der Apostelschüler sind faule und nachlässige Diener der Kirche gewesen, die es am rechten Eifer haben fehlen lassen, um das Angefangene zu Ende zu führen, so daß die 'angefangene Kirche' bald baufällig geworden ist 1 . Diese Anschauung von einem bald wieder rückläufig gewordenen neuen Anfang der Menschheit im Urchristentum fügt Müntzer nun in das danielische Weltgeschichtsschema ein. Dieses war bereits in einer für das ganze Mittelalter maßgebenden Weise durch Hieronymus dahin umgebildet worden, daß das vierte, durch das Eisen symbolisierte Weltreich auf das römische Reich umgedeutet wurde, das als die letzte Monarchie bis zum Ende aller Dinge bestehen sollte, wobei später nach dem Ende des Römerreichs die Fiktion seines Weiterbestehens durch den Gedanken der translatio imperii ad Germanos hergestellt wurde. Diese Theorie bildet nun Müntzer wieder in charakteristischer Weise weiter. Christus ist für ihn der Berg der danielischen Geschichtsvision, von dem sich ohne Zutun von Menschenhand 1

Auslegung, 28 ff.

Weiterbildung des danielischen Geschichtsschemas durch Müntzer

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der Stein loslöst 1 , der dazu bestimmt ist, mit der Zerstörung des letzten Reiches der Geschichte diese zu beenden: der Stein ist der 'Geist' Christi, der seitdem durch die Endepoche der Geschichte rollt. Christus, der Berg, aber ist in einem charakteristischen Moment der Weltgeschichte geboren, nämlich zu einer Zeit, da, wie es in diesem ersten Abschnitt heißt, 'die Hauptschalkheit im Schwange ging', d. h. Sklaverei herrschte, zu den Zeiten Octavians, da die ganze Welt in Bewegung war und 'geschätzt', d.h. ausgebeutet wurde: 'da hat ein Ohnmächtiger im Geist, ein elender Drecksack, wollen die ganze Welt haben, die ihm doch nirgend zunutze war, denn zu Pracht und Hoffahrt. Ja, er ließ sich dünken, er wär allein groß' 2 . Dagegen auf der anderen Seite: 'O wie gar klein ist da der Eckstein Jesus Christus gewesen in der Menschen Augen, er ward verwiesen in den Viehstall wie ein Auswurf der Menschen3' Modern ausgedrückt: Christus ward auf dem Höhepunkt des römischen Imperialismus geboren als sein absolutes Widerspiel. Der von ihm ausgesandte Geist, der Stein vom Berge, den Müntzer hier zugleich nach Psalm 118, 22 als den 'Eckstein' bezeichnet, hat damals noch nicht seine Mission der Vernichtung der letzten Monarchie erfüllen können, er hat, wie Müntzer sich hier ausdrückt, die Welt noch nicht ganz erfüllen können4, weil, als er noch klein gewesen ist, d. h. nach dem von Müntzer angeführten Zeugnis des Hegesipp und Euseb, nach dem Tode der Apostelschüler, der Eifer seiner Diener, die nur das Ihre gesucht haben, erlahmt ist. Die Folge davon ist gewesen, daß der rollende Stein aufgehalten werden konnte, und zwar durch die Fürsten. Dadurch ist nun in Müntzers Augen eine neue — fünfte — Geschichtsepoche eingeleitet worden, die in besonderer Weise das Stigma des Verfalls, des Ubergangs und der Zwiespältigkeit trägt, weil an ihrem Anfang schon einmal das Vollkommene sichtbar geworden war. Diese für ihn letzte Epoche der Weltgeschichte nennt Müntzer hier 'die Zeit der zertrennten Welt' 5 — er wird sie im letzten 1

Auslegung, Auslegung, 3 Auslegung, * Auslegung, 5 Auslegung, 2

65. 66ff. 7 1 ff. 3 7 f. 41

48

D e r revolutionäre C h a r a k t e r des 'Geistes'

Christi

Abschnitt durch die aus Eisen und Ton gemischten Füße dt Standbildes Daniels symbolisieren. 'Die Zeit der zertrennten Welt' ist die Zeit der Zerreißung der Christenheit in die beiden Gewalten Kirche und Staat und der Verbindung *der Kirche mit der weltlichen Gewalt. Seitdem ist mit Christi Geist 'die Passion gespielt' und er ist 'zum reinen phantastischen Götzen' gemacht worden 1 . Der Geist Christi, der dazu bestimmt ist, das Ende der Geschichte herbeizuführen und die Welt umzugestalten, wird in seinem Ernst und in seiner wirklichen Bedeutung jämmerlich verspottet . . . mit dem teuflischen Messehalten, mit abgöttischem Predigen, Zeremonien und (mönchischem) Leben 2 . So hat man die armen Bauern über die wahre Bedeutung des Geistes Christi getäuscht, indem man 'an seine Statt einen hübschen feinen güldenen Herrgott gesetzt hat', vor dem es der unwissende Bauer sich nun wohl sein läßt 3 . Diese in der Zeit der zertrennten Welt entstandene abgöttische katholische Kirche verdummt das Volk und enthält ihm den 'wahren gekreuzigten Christus' vor: einem 'abgöttischen hölzernen Pfaffen' entspricht 'ein grobes, tölpelisches und knotiges Volk, welches doch das allergeringste Urteil von Gott nicht fassen kann, ist das nicht ein Jammer, Sünde und Schande' ? 4 So haben die 'Tiere des Bauches' den 'edlen Stein' ganz und gar, soviel sie vermocht haben, mit Füßen getreten, so daß er zum 'Fußhader' der ganzen Welt geworden ist 5 . Durch dies alles will Müntzer zum Ausdruck bringen, daß durch die Verbindung der Kirche mit dem Staat die ursprünglich reine Kirche sich hat zu der Funktion erniedrigen lassen, die herrschende Staats- und Besitzordnung aufrecht zu erhalten, indem sie durch die Vergötzung Christi, ihren ganzen magischen Bilder- und Zeremonienkult, gerade vor den Armen und Unterdrückten den wahren, nämlich revolutionären Charakter des Geistes Christi verborgen hält. Müntzer wird hiermit gleich am Anfang der Predigt seinen Fürsten auch die Bedeutung eines 1

Auslegung, 75 ff.

2

Auslegung, 8 6 f f .

3

Auslegung, 82.

4

Auslegung, 88 ff.

5

Auslegung, 91 ff.

49

Auch Luther kennt diesen 'Geist' nicht

bilderstürmerischen Aktes wie sie die Zerstörung der Mallerbacher Marienkapelle gewesen war, haben klarmachen wollen. Es steht für Müntzer fest — und hierbei wendet er sich denn auch zum ersten Mal in direkter Anrede an seine fürstlichen Zuhörer als seine 'teuren Brüder' —, daß die Christenheit 'aus diesem Unflat erstehen' muß, daß 'solche unaussprechliche Bosheit zu strafen und zu schwächen' ist. Die 'große mächtige Stärke' aber, die dazu vonnöten ist, ist die 'allerklarste Weisheit Gottes', die hier synonym gebraucht wird für den 'Geist Christi', und die das Wissen von Gottes wahrem Willen bedeutet 1 . Sie entsprießt jedoch nur aus der 'reinen ungedichteten Furcht Gottes', mit deren Anwünschung Müntzer schon seine Schreiben an den Kurfürsten und den Herzog vom Oktober 1523 und vom Juni 1524 eröffnet hatte, und die er im nächsten Abschnitt näher erläutern wird. 'Dieselbige (Furcht Gottes) muß uns allein mit gewaltiger Hand wappnen zur Rache wider die Feinde Gottes mit dem höchsten Eifer zu Gott' 2 . Hier klingt schon die Mahnung an die Fürsten an, daß ihnen das Schwert nach Rom. 13 verliehen ist zur Rache an den Gottlosen. Im zweiten Abschnitt3 führt Müntzer seine Betrachtung über die Verachtung und Verfälschung des 'Steines' weiter und zeigt, daß dieser 'Gräuel' nicht nur das Kennzeichen der alten, katholischen, Kirche ist, sondern auch ihrer neuen Gegner, der spitzfindigen Schriftgelehrten von der Art Luthers4. Um das wirklich zu erkennen, muß man der gegenwärtigen, täglichen Offenbarung Gottes gewiß sein, deren Voraussetzung die ganze und reine Furcht Gottes ist 6 . Sie ist das Erlebnis des Ernstes und der Strenge Gottes und der unbedingten Forderung seines Gesetzes, das 'Entsetzen' der menschlichen Seele über ihren Zustand der Verstrickung in die Welt, das sie empfänglich macht für die Offenbarung seines Willens und den alleinigen Gehorsam gegen ihn. Sie ist nur dann rein, wenn sie jegliche 1 2 8 1 5

Auslegung, Auslegung, Auslegung, Auslegung, Auslegung,

99 ff. 103. 1 1 1 ff. ii4ff., I33ff. 1 1 2 ff., 1 1 7 .

Hinrichs, Luther und Müntzer

4

50

A u c h Luther kennt diesen 'Geist'

nicht

Furcht vor Menschen oder Kreaturen auslöscht, die den Vollzug von Gottes Willen verhindern wollen 1 . In diesem Sinne ruft Müntzer seinen Fürsten zu 2 , es sei nötig, in diesen 'ganz gefährlichen Tagen' den höchsten Eifer anzuwenden, dem 'hinterlistigen Übel' der Menschen- und Kreaturenfurcht zu begegnen. Denn die Zeit i s t jetzt gefährlich und die Tage sind böse. Warum? Weil die 'armen groben Menschen' wiederum verführt werden, und zwar durch die 'heillosen Schriftgelehrten' und ihr 'Geschwätz', 'die da lehren und sagen, daß Gott seinen lieben Freunden seine göttlichen Geheimnisse nicht mehr offenbare durch rechte Gesichte oder sein mündliches Wort . . . und machen von den Menschen, die mit der Offenbarung Gottes umgehen, ein Gespött', indem.sie mit großem Hohn und Spott fragen: 'Hör, hat dir Gott auch neulich zugesprochen ? oder hast du den Mund Gottes neulich gefraget und mit ihm geratschlagt? Hast du den Geist Christi?' 3 Die Gefährlichkeit der Zeit, vor der Müntzer die Fürsten warnen will, liegt also darin, daß Luthers 'unerfahrener' Buchstabenglaube als das Neue passiert und das wahrhaft Neue, die von Müntzer gelehrte unmittelbare Erfahrung des 'Geistes Christi' mit all ihren revolutionären Konsequenzen wiederum verspottet und verhindert wird. Müntzer vergleicht die Lutherischen Schriftgelehrten hier mit den Weisen Nebukadnezars, die dem König keine Auskunft geben konnten, weil sie nicht an Gott und seine unmittelbaren Offenbarungen glaubten: 'es waren gottlose Heuchler und Schmeichler, die da redeten, was die Herren gern hören, gleichwie jetzt zu unserer Zeit die Schriftgelehrten tun, die da gern fette Bissen essen bei Hofe' 4 . Die Verwerfung der unmittelbaren, von der Schrift unabhängigen Offenbarung, durch die lutherischen Schriftgelehrten, die gleichwohl alle Welt unterrichten wollen und alles was ihrem unerfahrenen Verstände nicht gemäß ist, vom Teufel herleiten, führt Müntzer darauf zurück, daß Luther und seine Anhänger ihr negatives Urteil über Offenbarungen und Gesichte nach den "ganz ver1

Auslegung,

120.

2

Auslegung,

12.7 ff.

3

Auslegung,

135 ff.

1

Auslegung,

173 ff.

D a s 'innerliche

51

Wort'

fluchten und vergifteten Mönchträumen', den Betrügereien der Mönche mit ihren Visionen, gebildet haben 1 . Aber sie unterscheiden das Gute nicht vom Bösen, das nur eine scheinbare Ähnlichkeit mit dem Wahren hat. Im dritten Abschnitt entwickelt Müntzer in Kürze gemäß der in seinen bisherigen Schriften vorgetragenen Theologie seine Anschauung vom Hören des 'innerlichen Wortes' im 'Abgrund der Seele', ohne das kein Mensch etwas Begründetes von Gott sagen kann, 'wenn er gleich hunderttausend Bibeln hätte gefressen'®. Aber ebenso wie er hier den 'Geist' von Überlieferung und Schrift abgrenzt, unterscheidet er ihn von dem bloßen natürlichen Verstand. Der natürliche Verstand muß bis an die äußerste Grenze seiner Erkenntnisfähigkeit gelangen, bevor er sich in die Dienstbarkeit des Glaubens ergibt und einsieht, daß der Mensch 'mit dem Kopf durch den Himmel nit laufen kann' 3 . Das wahre 'Wort' steckt weder im Buchstaben der Schrift, noch im 'natürlichen Licht' der Vernunft, sondern im menschlichen Herzen, und der Mensch wird seiner nur gewahr, wenn ihm Gott die 'Bewegung' ins Herz sendet, worunter Müntzer, wie wir aus seinen früheren Schriften wissen, Kreuz, Not und Bekümmernis versteht: durch diese 'Bewegung' tötet Gott alle 'Wollust des Fleisches', sondert den Menschen von aller 'Kurzweil', d. h. von aller Zerstreuung und Verstrickung in den bloßen Weltgenuß ab und gibt ihm einen 'ernsten Mut zur Wahrheit'. 'Denn ein tierischer Mensch vernimmt nicht, was Gott in die Seele redet' 4 . Wir sind damit zum vierten und Hauptabschnitt der Predigt gelangt, in dem Müntzers ganze bisherige Geistestheologie mit seiner Geschichtsauffassung verschmilzt und ihre politischrevolutionäre Anwendung findet. Alle Motive seines Denkens gelangen hier zur Synthese. Wir müssen versuchen, sie aus der beziehungsreichen Verschlingung seiner Gedanken herauszulösen. Zunächst führt Müntzer den Gedanken weiter, daß kein t wollüstiger Mensch' das Wort Gottes, das in seinem Innern 1

Auslegung,

2

Auslegung, 250 ff.

190 ff.

3

Auslegung, 221 ff.

4

Auslegung, 255 ff. 4*

Müntzers Puritanismus

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laut werden will, vernehmen kann 1 . 'Denn die Disteln und Dornen, das sind die Wollüste dieser Welt, . . . unterdrücken alle Wirkung des Worts, das Gott in die Seele redet. Drum, wenn Gott schon sein heiliges Wort in die Seele spricht, so kann es der Mensch nicht hören, wenn er ungeübt ist, denn er tut keine Einkehr oder Einsehen in sich selber und in den Abgrund seiner Seele. Der Mensch will sein Leben nit kreuzigen mit seinen Lastern und Begierden, wie Paulus lehret . - . drum bleibet der Acker des Worts Gottes voller Disteln und Dornen und voll großer Stauden, welche alle weg müssen zu diesem Werk Gottes, auf daß der Mensch nit nachlässig und faul befunden werde.' Natürlich sind die 'Wollüste dieser Welt' hier nicht nur im engeren (geschlechtlichen) Sinne zu verstehen, sondern auch in dem weiteren Sinne von Reichtum und Pracht, weltlicher Ehre, Macht und Ansehen. Müntzer hat im ersten Abschnitt der Predigt den 'Geist Christi' als den 'wahren Stein' bezeichnet, 'der vom großen Berge ins Meer der prächtigen Üppigkeit dieser Welt geworfen wird' 2 . Zum näheren Verständnis dieses hier wohl zum ersten Male in Deutschland in so prägnanter Form auftretenden Ideals (außermönchischer) puritanischer Strenge der Lebensführung ziehen wir hier auch die nächste, auf die Predigt folgende große Schrift Müntzers, 'Die ausgedrückte Entblößung des falschen Glaubens' von Juli 1524, heran. Hier behauptet Müntzer von Luther, er wolle 'seine Pracht und Reichtum beibehalten und gleichwohl einen bewährten Glauben haben' 3 . Das bedeutet für Müntzer aber keineswegs, daß Armut und Bedürftigkeit ohne weiteres den wahren 'Geist' verbürgen. Nicht nur die Besitzenden und Herrschenden werden durch ihre Weltlichkeit am wahren Glauben verhindert, dasselbe gilt auch für das Volk. Auch das Volk, so heißt es in der eben zitierten Schrift, muß 'ganz hart gestraft (d. h. getadelt) werden, um der unordentlichen Lüste wegen, die also üppig die Zeit verkurzweilen ohn allen einbleibenden Mut (d. h. beharrliche Neigung) zur ernsten Betrachtung des Glaubens' 4 . Aber beim Volk kommt nun noch etwas anderes hinzu, wodurch es an der wahren Seligkeit ver1 3

Auslegung, 275 ff. Ausgedr. Entbl., 239ff.

2 4

Auslegung, 63ff. Ausgedr. Entbl. 543fi.

Letztes Ziel der sozialen Revolution

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hindert wird: das ist der harte Druck, der infolge der Pracht und des Reichtums der Besitzenden auf ihm liegt, so daß der arme Mann 'vor Bekümmernis der Nahrung' nicht einmal Zeit hat, lesen zu lernen 1 , womit ihm der Weg zur neuen Lehre versperrt ist. Deshalb muß man die 'wuchersüchtigen Bösewichter' beseitigen, damit auch das 'arme gemeine Volk' des 'Geistes' innewerden kann, indem es 'seufzen' lernt 2 , d. h. jenseits der äußeren Not auch die innere Not, die 'Furcht Gottes', das Erschrockensein des Menschen über sich selber, erfährt. Die Beseitigung des Druckes, der auf den unteren Klassen lastet, ihre Befreiung aus ihrer elenden Lage ist also für Müntzer nicht Selbstzweck, seine soziale Revolution hat emen über das Materielle hinausreichenden letzten Sinn e?n positives Ziel, das er hier im vierten Abschnitt seiner Predigt mit folgenden Worten bezeichnet: 'Dann wird der Mensch erst gewahr, daß er Gottes und des heiligen Geistes Wohnung sei in der Länge seiner Tage. J a , daß er wahrhaftig geschaffen sei allem (aus) der Ursach, daß er Gottes Gezeugnis in seinem Leben erforschen soll.' 3 Der Sinn der Revolution ist, den Menschen seiner wahren Bestimmung zuzuführen. Diese erblickt Müntzer in seiner tiefen Religiosität in einem Leben mit und in Gott. Die Umwälzung der bisherigen politisch-sozialen Verhältnisse soli die Möglichkeit schaffen zur Erlösung der Menschheit vom Bosen. Die äußere Erneuerung der menschlichen Lebensverhältnisse zielt auf die innere. 'So die Christenheit ni: sollt apostolisch werden' fragt Müntzer, 'warum sollt man dmn predigen' 4 Die e r seiner letzten Bestimmung sowie des Weges zu ihr wird der Mensch gewahr wie Mümzer in freier, die Stelle im Sinne -¡einer Lehre auslegender Übersetzung von i. Kor. 13, 12 sagt, 'bald . . . in den Teilen durch bildreiche Weise, bald auch im Ganzen im Abgrund des Herzend 5 E r will damit die Offenbarung Gottes in der Seele als d". ganze Erkenntnis und die 1 Ausgedr. Entbl 1 3 6 ff '•' Ausged- E n t b l , 474ff 8 Auslegung, 285 ff 4 Auslegung, 365 ff 5 Auslegung 188 ff.

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Apokalyptik

durch den Predigttext nahegelegten 'Träume und Gesichte' mit ihren 'Figuren' und 'Gleichnissen' als die stückweise Erkenntnis unterscheiden. Müntzer verdeutlicht das durch den Satz: 'Wenn der Mensch das klare Wort Gottes in der Seele nicht vernommen hat, so muß er Gesichte haben' 1 . Mit dem Glauben an Träume und Gesichte ist Müntzer ein Kind seiner Zeit. Agricola erzählt 2 , Müntzer habe beständig zwei Leute bei sich gehabt, einen Alten und einen Jungen, damit sie ihm ihre Träume berichteten. Offenbar hat er gerade auf Träume und Gesichte einfacher Leute Wert gelegt aus Gründen, die wir noch kennenlernen werden. Gerade aus der Zeit der Predigt, dem Juli oder August 1524, besitzen wir noch die für ihn gemachte Aufzeichnung von vier Träumen eines Bauern namens Herold aus Liedersdorf bei Sangerhausen 3 . Hier tritt auch bei Müntzer wiederum der apokalyptische Zug zutage, der durch das ganze deutsche Leben dieser aufgewühlten Jahrzehnte geht, und den er mit einem Geist vom Range Albrecht Dürers teilt 4 . Wir denken hier nicht nur an Dürers gewaltige Holzschnittfolge der Apokalypse, sondern auch an die bekannte Tatsache, daß Dürer bis an sein Lebensende von Gesichten und Träumen erschüttert worden ist, wie auch die bekannte Pinselzeichnung von 1523 zeigt, auf der er eine solche nächtliche Vision von einer ungeheuren Wassersflut festgehalten hat 5 , einen Angsttraum, den Wölfflin als 'ein Stück Apokalypse' bezeichnet hat 6 . Immerhin will Müntzer nur mit der größten Vorsicht mit solchen Visionen verfahren wissen. Einmal müssen sie mit allen ihren Umständen in der Bibel bezeugt sein, d. h. sich mit Hilfe der Bibel deuten und kontrollieren l a s s e n S o d a n n dürfen sie nicht durch menschliche Veranstaltungen — Müntzer denkt hier an die Methoden der klösterlichen Visionsasketik — herbei1 Auslegung, 329 ff. * Johann Agricola, Auslegung des 19. Psalms Blatt B V v . Vgl. Thomas Müntzers Briefwechsel, S. 82, Anm. 1. * Briefw. S. 82. 4 Wilh. Waetzold, Dürer und seine Zfeit (1935), S. 81. 6 Reproduktion bei Waetzold, Abb. 175. * Nach dem Zitat bei Waetzold, S. 81. 7 Auslegung, 290 ff.

D a s E n d e der Geschichte

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gezwungen werden, sondern ungekünstelt nach Gottes Willen herfließen 1 , und schließlich darf wegen ihrer richtigen Deutung nicht das kleinste Detail von ihnen verloren gehen 2 . Das Hauptkennzeichen ist aber wieder, daß Gott 'die rechten Gesichte und Träume seinen geliebten Freunden am allermeisten in ihrer höchsten Betrübnis' zeigt 3 . ' J a , es ist ein rechter apostolischer, patriarchischer und prophetischer Geist, auf die Gesichte zu warten und zu ihnen mit schmerzlicher Betrübnis zu gelangen, drum ists nit wunder, daß sie Bruder Mastschwein und Bruder Sanftleben' — damit ist Luther gemeint — 'verwirft' 4 . Gerade 'rechte Prediger, Herzoge und Regenten' können bei den weitläufigen und gefährlichen Sachen, die ihnen obliegen, der Offenbarung Gottes nicht entraten, um sicher und vorwurfsfrei zu handeln. 'Deshalb waren die Apostel der Gesichte ganz und gar gewohnt' 5 . Das Entscheidende für Müntzer ist, daß in den echten Gesichten und Träumen wieder der prophetische Geist wirkt, der die jeweiligen nächsten Absichten Gottes in der Geschichte offenbart. Denn das Auftreten des prophetischen Geistes ist das untrügliche Kennzeichen für die bevorstehende 'Veränderung der Welt' — zumal wenn er bei den Verachteten und Geringen, überhaupt in der breiten Masse des Volkes auftritt. Müntzer führt dafür als das ausschlaggebende Schriftwort die Stelle Joel 2, 27—32 (nach der Einteilung der Vulgata) an 6, die er in der Predigt in seiner eigenen Übersetzung zweifellos vollständig zitiert hat, wenn der Druck auch mittendrin mit einem 'etcetera' abbricht. Sie lautet: 'Er (Gott) will sie (die Welt) von ihrer Schande entledigen und will seinen Geist über alles Fleisch ausgießen; und unsere Söhne und Töchter sollen weissagen und sollen Träume und Gesichte haben. . . . Auch will ich zu derselbigen Zeit über Sklaven und Sklavinnen meinen Geist ausgießen. Und ich werde Wunderzeichen geben 1 1 3 1 5 8

Auslegung, 294 ff. Auslegung, 2 9 7 ff. Auslegung, 3 0 7 ff. Auslegung, 3 2 6 ff. Auslegung, 3 4 6 ff. Auslegung, 3 6 0 ff.

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Das Ende der Geschichte

im Himmel und auf Erden, nämlich Blut, Feuer und Rauchdampf. Die Sonne soll in Finsternis und der Mond in Blut verwandelt werden ehe denn der große und schreckliche Tag des Herrn kommt.' Das war für Müntzer die Vision der sozialen Revolution, geboren aus dem von keiner Tradition gefesselten 'Geist' und seiner Ausbreitung über 'alles Fleisch', über jedermann. Die zentrale Bedeutung dieser Stelle für Müntzers Denken geht auch daraus hervor, daß er sie sogleich mit Apostelgeschichte 2, 17—21, wo sie wörtlich ebenfalls als Zeugnis der nahen Endzeit angeführt ist, nochmals zitiert 1 . Aber nicht zur Zeit der Apostel, im Urchristentum, ist das Ende der Geschichte eingetreten, weil, wie Müntzer schon im ersten Abschnitt ausgeführt hat, ihre Nachfolger nachlässig und weltlich geworden sind, so daß der Geist nicht 'über alles Fleisch' gelangen konnte. Der entscheidende Augenblick ist vielmehr erst jetzt, in dem gegenwärtigen Moment der Geschichte, gekommen: Und um dies zu zeigen, tritt Müntzer nun in die ausführlichere Erläuterung der Geschichtsperioden ein, wie sie ihm durch das Schema Daniels an die Hand gegeben sind Die bei Joel als Voraussetzung des Eintritts des Endes der bisherigen Geschichte aufgezeigte Verbreitung des 'Geistes' über 'Jedermann' wird zeitlich fixiert durch die Ausdeutung der danielischen Geschichtsperiodisierung. Was ist also der Sinn, der Inhilt dieser die große Wende ankündigenden Offenbarung des 'G-istes', der 'Träume und Gesichte' ? 'Es ist wahr, und ich weiß fürwahr', antwortet Müntzer, 'daß der Geist Gottes j^tzt vielen auserwählten frommen Menschen offenbart eine treffliche (d. h. entscheidende) unüberwindliche Reformation von großen Nöten (zu) sein und es muß vollführet werden, es wehre sich gleich ein jeglicher wie er will' 2 . Und daß jetzt der historische Moment dafür gekommen ist, zeigt eben Daniel: 'Es ist dieser Text Danielis also klar wie die helle Sonne', nämlich, 'daß das Werk geht jetzt im rechten Schwange', d. h. daß der Prozeß jetzt in vollem Gang ist 'vom Ende des fünften Reichs der Welt' 3 . So sieht 1 s 3

Auslegung, 366 ff. Auslegung, 367 ff. Auslegung, 3 7 2 f f

Die Perioden der Weltgeschichte nach Müntzer

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Müntzer seine Zeit: als den Augenblick des Durchbruchs der wahren Erkenntnis, deren Ausbreitung in rapidem Gange ist und die letzte Geschichtsperiode vor dem Anbrechen des neuen Weltalters beenden wird. Er holt nun aus, um den Ablauf der einzelnen Perioden zu beschreiben 1 , wobei er um so selbständiger und konkreter wird, je näher er der Gegenwart kommt. Das erste Reich ist versinnbildlicht durch das goldene Haupt und war das Reich zu Babel. Das zweite, durch die silberne Brust und Arme dargestellt, war das Reich der Meder und Perser. Das dritte war das Reich der Griechen, das bekannt wurde durch seine 'Klugheit', d. h. Wissenschaft, angezeigt durch das (tönende) Erz. Das vierte war das römische Reich, 'welches mit dem Schwert gewonnen ist und ein Reich des Zwingens gewesen'. Damit ist das 'eiserne Zeitalter' des römischen Imperialismus und Absolutismus ebenso kurz wie deutlich charakterisiert. Für Daniel waren nun mit der eisernen Periode die Weltalter zu Ende, die Füße, aus Ton und Eisen gemischt, waren nur ein Zubehör zu dem eisernen (bei ihm griechischen) Reich, die innerlich dazugehörige Zeit der Diadochenstaaten. Müntzer dagegen macht aus diesem Teil der symbolischen Statue noch ein fünftes Reich Wir kennen es bereits aus dem ersten Abschnitt als die Zeit der 'zertrennten Welt', der Verbindung von Kirche und Staat, modern gesprochen die kirchlich-feudale Epoche. Müntzer sagt hierüber 2 : 'Aber das fünfte ist dies, das wir vor Augen haben, das auch von Eisen ist und wollte gern zwingen, aber es ist mit Kote geflickt.' Mit anderen Worten: der gegenwärtige Staat ist im Grunde ebenso ein Zwangsstaat wie der römische Staat, aber er ist mit angeblich geistlich-christlichen Elementen versetzt: 'wie wir vor Augen sehen eitel Anschläge der Heuchelei, die da sich krümmet und wimmelt auf dem ganzen Erdreich'. Die Vermischung von Weltlichem und Geistlichem versinnbildlicht Müntzer in einem Bild von schauderhafter Anschaulichkeit, das geradezu aus einem Traum stammen könnte: Er sieht Aale und Schlangen auf einem Haufen zu1 2

Auslegung, 374 ff. Auslegung, 3 79 ff.

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Die politische Nutzanwendung

sammen Unzucht treiben 1 . 'Die Pfaffen und alle bösen Geistlichen sind Schlangen . . . und die weltlichen Herren und Regenten sind Aale.' Hier wird der Herr hübsch mit einer eisernen Stange aufräumen. Und nun kommt Müntzer zur politischen Nutzanwendung für seine sächsischen Landesherren, indem er zugleich den Anlauf nimmt, um Luthers moralische Position bei ihnen zu erschüttern 2 . Seine 'allerteuersten liebsten Regenten' sollen sich das Urteil Gottes über die geschichtliche Situation wohl zu Herzen nehmen und sich nicht durch ihre 'heuchlerischen Pfaffen' — gemeint ist Luther — verführen und 'mit gedichteter Geduld und Güte' aufhalten lassen, nämlich gegen das Alte gewaltsam vorzugehen: 'Denn der Stein ohne Hände, vom Berge gerissen, ist groß geworden, die armen Laien und Bauern sehen ihn viel schärfer an, denn ihr' 3 . Eben darin liegt die Gewißheit, daß der Prozeß vom Ende des fünften Reiches der Welt, des hierarchisch-feudalen Zeitalters, im vollen Gange ist, daß der 'Stein', mit anderen Worten der rechte 'Geist', der im Anfange der Christenheit von den Regenten verworfen ist, nun vom Volke angenommen wird, so daß die Regenten ohnmächtig sind. Darin liegt zugleich eine Ermutigung und eine Drohung für die sächsischen Fürsten: 'Ja, Gott sei gelobt, er (der Stein) ist so groß geworden, wenn Euch andere Herren oder Nachbarn schon um des Evangeliums willen wollten verfolgen, so würden sie von ihrem eigenen Volk vertrieben werden, das weiß ich fürwahr. Ja, der Stein ist groß, da hat sich die blöde Welt lange vor gefürchtet, er hat sie überfallen, da er noch klein war — was sollen wir denn tun, nachdem er so groß und mächtig ist geworden' ? 4 Mit dem Selbstbewußtsein des Revolutionärs, der seiner Sache und seiner Gefolgschaft sicher ist, fordert Müntzer seine Fürsten auf, die Sache des zerschmetternden Steines zu der ihren zu machen. Es ruft ihnen z u 6 : 'Drum, Ihr teuren Regenten von Sachsen, tretet keck 1 2 3 4 8

Auslegung, Auslegung, Auslegung, Auslegung, Auslegung,

383 ff. 389 ff. 392 ff. 394 ff. 400 ff.

Die politische Nutzanwendung

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auf den Eckstein . . . und sucht die rechte Beständigkeit göttlichen Willens (d. h. die Standhaftigkeit, den Mut, den der göttliche Wille verleiht), er wird Euch wohl erhalten auf dem Stein. . . . Denn Gott stehet so nahe bei Euch, daß Ihrs nicht glaubt, warum wollt Ihr Euch denn vor dem Gespenst des Menschen entsetzen.' Nebukadnezar tat recht daran, daß er seine Gelehrten töten lassen wollte, weil sie ihm seinen Traum, die Zeichen der Zeit, nicht deuten konnten 1 . 'Sie wollten sein ganzes Reich mit ihrer Klugheit regieren und konnten es nicht, wozu sie doch gesetzt wären. Solchermaßen sind auch jetzt unsere Geistlichen' — wobei die Fürsten natürlich in erster Linie an Luther denken sollten. Müntzer ist davon überzeugt, wenn die Fürsten den wahren Zustand der Christenheit richtig erkennen und zu Herzen nehmen würden, so würden sie in einen solchen Zorn geraten, wie der König Jehu, ein Unterbefehlshaber, der in einer blutigen Revolution auf Anstiften der Propheten, besonders des Elisa, die dem Baalsdienst ergebenen Dynastien von Israel und Juda ausrottete, oder wie das Buch der Apokalypse von den Zornesschalen spricht, die vor der Endzeit über die Menschheit ausgegossen werden. Die Fürsten würden sich dann nur mit größter Mühe enthalten können, dem Schwert seinen Lauf zu lassen2. Dieser aus der wahren Erkenntnis des erbärmlichen Verderbens der heiligen Christenheit herrührende Zorn der Fürsten muß sich mit dem Zorn des ergrimmten Volkes verbinden: um das zu bewirken, muß ein 'neuer Daniel' aufstehen und den Fürsten ihre 'Offenbarung auslegen', d. h. ihnen die Zeichen der Zeit deuten. 'Und der selbige muß vorn . . . an der Spitze gehen' 3 . Daß Müntzer hier sich selber meint, der die Autorität Luthers im verstärkten Maße übernehmen will, geht klar daraus hervor, daß nunmehr der direkte Angriff auf Luthers Staatslehre und Obrigkeitsbegriff folgt 4 . Die 'falschen Geistlichen''haben die Fürsten 'genarrt', sie seien 'heidnische Leute ihres Amts halben, sie sollten nichts anderes denn bürgerliche Einigkeit 1 ! 3 4

Auslegung, Auslegung, Auslegung, Auslegung,

407 ff. 411 ff. 4i7ff. 428 ff.

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Angriff auf Luthers Obrigkeitsbegriff

erhalten'. Damit zielt Müntzer in das Zentrum der Staatsauffassung Luthers. Für Luther hat der Staat, dessen Notwendigkeit auf dem sündhaft-unvollkommenen Charakter des Menschen beruht, einen primär weltlichen — Müntzer sagt "heidnischen' — Charakter, wenn auch der Dienst in und an ihm für den Christen eine gottgebotene Pflicht ist, es ist nicht Sache des Staates, das Evangelium auszubreiten und Christen zu machen, sondern nur, die bestehende Ordnung und den Frieden aufrechtzuerhalten. Luthers Staat soll nicht die Zustände und Menschen verändern und verbessern, sondern lediglich erhaltend wirken, weil der eigentliche Schwerpunkt des Menschen im Geistlichen und Innerlichen liegt, das bei einer Lockerung der Zügel Gefahr laufen würde, von den bösen Instinkten der Überzahl der Unbekehrten erdrückt zu werden. Müntzer meint dazu, solche aus der menschlichen Vernunft hergeleiteten Theorien werde der 'große Stein' bald 'zu Boden schmeißen'. Das Schwert, das der Obrigkeit von Gott gegeben ist hat keine bloß abwehrende, die Übertreter des äußeren Gesetzes strafende, sondern eine aktive, umgestaltende Aufgabe, nämlich 'die Bösen, die das Evangelium verhindern, weg(zu)tun und ab(zu)sondern'1. Erst damit bewährt sich die Obrigkeit als Dienerin Gottes wie Paulus sie Rom. 13 nennt andernfalls ist sie die Dienerin des Bösen. Müntzer fordert seine Fürsten auf, das Regiment 'recht bei der Wurzel anzufassen', indem sie Christi Feinde von den Auserwählten vertreiben, denn sie seien das Instrument dazu2. Die Fürsten sollen aber keine leeren Phrasen vorbringen, daß 'die Kraft Gottes' es tun soll, ohne daß sie das Schwert hinzutun3. Zweifellos denkt Müntzer hier an das von Spalatir konzipierte Schreiben des Kurfürsten vom 27. Juni an dei. Allstedter Magistrat4, welches der Meinung war, daß, sofern die dortige Verkündigung wirklich aus Gott sei, ihre Gegner schon 'aus Gottes Gnaden, Kraft und Verdienst von selbst, ohne menschliche Gewalt, Hand und Unterdrückung wohl 1 2 3 4

Auslegung, Auslegung, Auslegung, Neue Mitt

428 ff. 458 ff. 460 ff. X I I , S. 167.

D i e A u s r o t t u n g der

'Gottlosen'

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untergehen' würden, wenn er jetzt dazu übergeht, eine solche Meinung als irrig zu bekämpfen. Er sagt mit dürren Worten 1 'ein Gottloser hat kein Recht zu leben, wo er die Frommen verhindert'. Das ist wiederum seine antilutherische Auslegung des hier abermals zitierten 13. Kapitels des Römerbriefs, nach dem die Obrigkeit das Schwert trägt den Frommen zugute und zur Rache an den Gottlosen. Allerdings werden die Fürsten großes Kreuz und Anfechtung deswegen erleiden müssen, aber das ist es ja gerade, was zur Erlangung des wahren Glaubens unbedingte Voraussetzung ist. Wenn der fromme David auch durch Absalom zeitweilig von seinem Schloß vertrieben wurde, so kam er doch wieder darauf, als Absalom erhangen und erstochen ward. 'Drum, Ihr teuren Väter von Sachsen, Ihr müßt es wagen um des Evangeliums willen' 2 . Wahrscheinlich aber, meint Müntzer weiter 3 , 'werden mir unsere Gelehrten die Gütigkeit Christi vorhalten', mit welcher sie ihre Kriecherei vor der bestehenden Macht begründen. Aber sie sollen dagegen auch den Zorn Christi ansehen, wie er im 2. Kapitel Johannis bei der Tempelreinigung bezeugt- ist, als er die 'Wurzeln der Abgötterei' — die Wechslertische mit dem Geld — zerstörte. Hätte Paulus seine Lehre bei den Athenern konsequent durchführen können, so hätte er dort ohne Zweifel die Abgötterei ganz zu Boden geworfen, wie Gott durch Moses befohlen hatte: 'Ihr seid ein heiiges Volk, Ihr sollet Euch nit erbarmen über die Abgöttischen, zerbrecht ihre Altäre, zerschmeißet ihre Bilder und verbrennet sie, auf daß Ich mit Euch nicht zürne. . . . Diese Worte hat Christus nicht aufgehoben, sondern er will sie uns helfen erfüllen' 4 . Wenn aber die Gelehrten schreiben, der Antichrist solle 'ohne Hand' zerstört werden, so hat es damit folgende Bewandtnis: So spricht der Antichrist, weil er schon verzagt ist, wie nach Jos. 5, 1 die Kanaaniter verzagt waren, als die Auserwählten ins gelobte Land wollten. Trotzdem hat Josua sie mit der Schärfe des Schwertes nicht verschont. Die Aus1 2

Auslegung,

470.

Auslegung, 4 7 6 f f .

3

Auslegung, 487 ff.

1

Auslegung, 492 ff.

62

Das Schwert der Obrigkeit im Dienst der Revolution

erwählten haben das Land nicht durch das Schwert gewonnen, sondern allerdings durch die Kraft Gottes, 'aber das Schwert war das Mittel; wie uns Essen und Trinken ein Mittel ist, zu leben, also nötig ist auch das Schwert, die Gottlosen zu vertilgen' 1 . Zum dritten Male zieht Müntzer hier Rom. 13 an 2 , um das Schwertamt der Obrigkeit im Sinne der Vertilgung der 'Gottlosen' auszulegen: 'Daß aber dasselbige nun redlicher Weise und rechtmäßig geschehe, so sollen das unsere teuren Väter, die Fürsten, tun, die Christum mit uns bekennen.' Bekennen sie ihn aber nur mit Worten und leugnen sie ihn mit der Tat, d. h. weigern sie sich, ihr Schwert zugunsten der frommen 'Auserwählten' gegen die 'Bösen', d. h. im Sinne der Umgestaltung der menschlichen Lebensverhältnisse, zu gebrauchen, wie es nach Müntzers Auslegung von Rom. 13 die Bedingung der Übertragung des Schwertes an sie ist, 'so wird ihnen das Schwert genommen werden'3. Müntzer denkt sich das Vorgehen der von ihm gewonnenen Fürsten im einzelnen so, daß sie den 'Feinden' des Evangeliums zunächst den Frieden anbieten, d. h. sie gütlich an das wahre Wort Gottes erinnern und sie zu gewinnen suchen sollen4. Wollen sie der Offenbarung Gottes nicht zuwider sein, so sollen sie verschont werden, wenn sie aber 'das Widerspiel treiben', soll man sie ohne alle Gnade erwürgen, wie Hiskia, Josias, Cyrus, Daniel und Elias die Pfaffen Baals zerstört haben: 'anders mag die christliche Kirche zu ihrem Ursprung nicht wieder kommen'5. Hier haben wir den ganzen Müntzer, wie er auch in seinem letzten Bekenntnis auf der Folter erscheint: sein Ziel erblickt er unter dem Bilde der Rückkehr der Menschheit zu einem gesellschaftlichen Zustand, der schon einmal, wenn auch zahlenmäßig beschränkt und nur vorübergehend, vollkommen dagewesen ist: zu dem urchristlichen 'Liebeskommunismus', und diesem Ziel müssen alle Widersacher, nachdem man ihnen noch einmal eine Chance gegeben hat, 1 2 3 4 5

Auslegung, Auslegung, Auslegung, Auslegung, Auslegung,

5 1 5 ff. 523. 5 2 3 ff. 5 2 8 ff. 5 3 1 ff.

Revolution und Gnade

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geopfert werden. 'Man muß', so ruft er aus, 'das Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte, dann wird der schöne rote Weizen beständige Wurzeln gewinnen und recht aufgehen. Die Engel aber, welche ihre Sicheln dazu schärfen, sind die ernsten Knechte Gottes, die den Zorn göttlicher Weisheit vollführen' 1 . Die Revolution vollzieht, weltlich gesprochen, einen geschichtlichen Auftrag, oder in der Sprache Müntzers: es ist der 'schreckliche Tag des Herrn' gekommen, die Erntezeit, das Ende der bisherigen Geschichte, an dem die vom 'Geist' Erfüllten das Gericht Gottes vollstrecken. So hat wenig mehr als hundert Jahre später in der englischen Revolution Cromwells junger Neffe Walton auf dem Schlachtfelde von Marston Moor seine Todeswunde beklagt, weil Gott ihm durch sie nicht ferner vergönne, der Vollstrecker seines Strafgerichts an seinen Feinden zu sein. Müntzer will die Revolution, nicht die Evolution 'ohne Hand', wie sie Luther und die Seinen predigen. Das Kurfürstentum Sachsen ist der Hort des Neuen, Müntzer will es zum Zentrum der revolutionären Bewegung für ganz Deutschland machen. Der Sturz der alten Kirche soll nicht dem 'Wort' allein überlassen bleiben, und aus ihrem gewaltsamen Sturz soll eine wirkliche gesellschaftliche Neuordnung entstehen. Darum verlangt das göttliche Gesetz, 'daß man die gottlosen Regenten, sonderlich Pfaffen und Mönche töten soll, die uns das heilige Evangelium Ketzerei schelten' 2 . Zwar nehmen jetzt über die Massen viel Menschen das Evangelium (Luthers) mit großen Freuden an, 'weil es also fein freundlich zugeht'. Aber wenn Gott solche Leute auf das Feuer der Bewährung setzen will, so nehmen sie Anstoß. So werden auch viele an Müntzer Ärgernis nehmen, und die 'heuchlische gedichtete Gütigkeit' wird 'über die Massen ergrimmet und erbittert und will die Gottlosen verteidigen, indem sie sagt, Christus habe niemanden getötet' 3 . Hiergegen führt Müntzer wiederum an, daß es sich um die Endzeit handelt und beweist aus 2. Tim. 3, 5, daß 'in den letzten Tagen' gerade die 'Liebhabet der Lüste', 1 2 3

Auslegung, 5 3 4 ff. Auslegung, 5 4 9 ff. Auslegung, 5 4 1 ff.

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Müntzer als Führer der Revolution

d. h. im weiteren Sinne die Prächtigen, Reichen, Herrschenden, 'wohl eine Gestalt der Gütigkeit haben, aber sie werden verleugnen ihre Kraft' 1 , d. h. im eigenen Interesse predigen sie und tragen sie Gütigkeit zur Schau, aber deren Wesen verleugnen sie, denn das Wesen, die Kraft der wahren Gütigkeit ist die Menschenliebe der Revolutionäre. Darum sind alle Winkel voll von Heuchlern, unter denen keiner so kühn ist, daß er die rechte Wahrheit sagen möchte. Damit aber die Wahrheit möchte recht an den Tag gebracht werden, müssen die Fürsten sich nach dem Schluß des Predigtkapitels verhalten, wo Nebukadnezar Daniel zum Amtmann einsetzt, damit er gute rechte Entscheidungen ausführt, wie sie der heilige Geist eingibt2. Müntzer weist damit auf sich selbst als den Führer der Revolution, der das Schwert der sächsischen Fürsten dirigieren muß. Müntzer schließt seine Predigt mit dem Aufruf an seine Zuhörer: 'So wir nun Gott fürchten warum wollen wir uns vor losen untüchtigen Menschen entsetzen? Seid nur keck, der will das Regiment selber haben, dem alle Gewalt ist gegeben im Himmel und auf Erden' 3 . Es ist uns keine Zeile darüber überliefert, welchen unmittelbaren Eindruck Müntzer mit seiner für fürstliche Ohren gewiß merkwürdigen Predigt auf seine Zuhörer gemacht hat. Wahrscheinlich wird man sich überhaupt nicht geäußert haben. Gewiß scheint jedenfalls, daß kein Wort der Mißbilligung gefallen ist. Dafür sprechen verschiedene Umstände. Die Predigt lag bereits nach einer Woche gedruckt vor, Zeiß konnte sie bereits am 20. Juli an Spalatin übersenden4. Am Tage der Predigt, am 13. Juli, aber hatte Müntzer dem Kanzler Brück mündlich5, sowie dem Herzog Johann schriftlich6 das Versprechen gegeben, nichts ohne vorherige Zensur seiner Landesobrigkeit in den Druck zu geben. Es ist ausgeschlossen, daß 1

Auslegung, 5 5 5 ff. Auslegung, 559 ff. 3 Auslegung, 567 ff. 4 Zeiß an Spalatin, 20. Juli 1524. Akten zur Gesch. d. Bauernkrieges in Mitteldeutschl. II, S. 941. 6 Herzog Johann an Kurfürst Friedrich, 6. Aug. 1 5 2 4 . NeueMitt. X I I , S. 188. 6 Thomas Müntzer an Herzog Johann, 13. Juli 1524, Briefw. S. 6 1 . 2

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Verhalten der Obrigkeit zu Müntzers P r e d i g t

Müntzer dieses Versprechen gegenüber seinen Landesherren, die er doch gewinnen wollte, gleich bei der vor ihnen gehaltenen Predigt gebrochen haben sollte. Er muß sich der Erlaubnis zum Druck noch am Tage der Anwesenheit seiner Fürsten und ihrer hohen Beamten versichert haben. Entweder hat sie ihm der Kanzler Brück bei seiner Unterredung ausdrücklich erteilt, oder das Anhören der Predigt wurde von beiden Seiten stillschweigend als Zensur angesehen. In keinem Falle ist dann aber ein Protest gegen den Inhalt der Predigt denkbar. Es ist auch nicht gut vorstellbar, daß Zeiß mit dem gleichen Schreiben, in dem er Spalatin Mitteilung von dem Versprechen Müntzers macht, sich der Zensur zu unterwerfen, eine ohne Erlaubnis gedruckte Predigt Müntzers übersandt haben sollte, ohne wenigstens darauf hinzuweisen, daß hier bereits ein Verstoß gegen die Zensur vorliege. Aber auch das Verhalten Müntzers bei den Ereignissen der beiden auf die Predigt folgenden Wochen zeigt, daß er für sein Ziel, die Machtmittel des ernestinischen Fürstenhauses für die Revolution zu gewinnen, keine unmittelbare Entmutigung, allerdings auch nicht das Gegenteil davon, gefunden hat. Bei diesen Ereignissen handelte es sich um die Vertreibung von Anhängern Müntzers aus Sangerhausen und anderen Orten, die unter der Herrschaft des katholischen Herzogs Georg von Sachsen von der albertinischen Linie standen, sowie um das bewaffnete Vorgehen des Ritters Friedrich von Witzleben auf Schönewerda gegen seine Untertanen, die ebenfalls Müntzeranhänger waren. Die Flüchtigen versammelten sich in Allstedt, und hier gingen die Wogen wieder hoch. In den Tagen vom 22. bis 25. Juli hat Müntzer deswegen an Zeiß drei lange, sehr aufschlußreiche Schreiben 1 gerichtet und am 24. Juli eine neue minder nicht wichtige Predigt gehalten 2 , deren Wortlaut leider nicht erhalten ist, nachdem er bereits am 15. Juli seine Anhänger in Sangerhausen mit jenem Hinweis ermutigt hatte, daß schon mehr als dreißig 'Anschläge und Verbündnisse der 1

T h o m a s Müntzer an H a n s Zeiß, 22. Juli 1524, B r i e f w . S. 70. Desgl.

Briefw. S. 73. Desgl. 25. Juli 1524. Briefw. S. 74. 2

V g l . T h o m a s Müntzer an H a n s Zeiß, 25. Juli 1524. Briefw. S. 74.

H a n s Zeiß an Herzog Johann, 28. Juli 1524. N e u e M i t t . X I I , S. 180. Hinrichs,

Luther und

Müntzer

5

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Verhalten der Obrigkeit zu Müntzers Predigt

Auserwählten' gemacht worden seien: 'In allen Landen will sich das Spiel machen. Kurzum, wir müssen ausbaden, wir sind eingesessen. Laßt Euch das Herz nicht entsinken, wie es den Tyrannen allen entfallen ist' 1 . Bei den Schreiben Müntzers an Zeiß handelt es sich zunächst um die Behauptung, der Amtmann von Sangerhausen werde nach Allstedt kommen und man müsse ihm die Flüchtlinge ausliefern. Müntzers Drucker Hans Reichardt wollte einen solchen Befehl von Zeiß gehört haben. Das konnte natürlich nicht ohne Einwilligung der kursächsischen Obrigkeit geschehen, und vor Müntzer erhob sich die Frage, ob seine Fürsten sich bereits wenige Tage nach dem Anhören seiner Predigt auf die Seite der 'gottlosen Tyrannen' stellen wollten. Müntzer reagierte heftig. Er rief aus, es wäre wohl billig, wenn die Regenten nicht wider den Christenglauben handelten. 'Nun sie aber nicht alleine wider den Glauben, sondern auch wider ihre natürlichen Rechte handeln, so muß man sie erwürgen wie die Hunde.' Und an Zeiß schrieb er: 'Und wenn Ihr Amtleute in allen Pflegen das nicht werdet öffentlich klagen, daß Euer Nachbar zu Schönewerda zum ersten Mal den gemeinen Frieden hat aufgehoben und ein Räuber seiner eigenen Untersassen geworden ist, so werdet Ihr in kurzer Zeit wohl sehen, wie es Euch wird gehen. Drum rate ich Euch von Herzen, mein lieber Bruder, daß Ihr wollet betrachten, was draus werden will.' Müntzer demonstriert Zeiß noch einmal warnend seine Auffassung vom Widerstandsrecht und vom Übergang der höchsten Gewalt an das Volk, wenn die Obrigkeit auf die Seite der Feinde des Evangeliums tritt. 'Ihr müßt Euch nit mehr halten nach dem Gebrauch (und) andern Ämtern willfahren. Denn es ist klärlich am Tage, daß sie vom Christenglauben ganz und gar nichts halten. Da hat ihre Gewalt auch ein Ende, sie wird in kurzer Zeit dem gemeinen Volk gegeben werden.' Zeiß soll so handeln, daß er keine Gefahr läuft, droht Müntzer, man werde 'den Buben zu willen' die Christen nicht gefangensetzen, wo das Evangelium im Gange ist. Die Kernfrage für Müntzer ist aber, wie seine Fürsten sich zu dem Vorgehen der benachbarten Obrigkeiten 1 Thomas Müntzer an die Gottesfürchtigen zu Sangerhausen, 15. Juli 1524. Briefw. S. 61.

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Auseinandersetzung, mit Zeiß

stellen; hier liegt der Prüfstein, ob sie nach seiner Auslegung von Rom. 13 das Schwert noch zu Recht, d. h. zum Schutz der Frommen, tragen. In diesem Sinne schreibt er an Zeiß: 'Wie ich dem Fürsten mit eigener Handschrift zugesagt, will ich (es) herzlich gerne halten, aber ich will wahrlich keine Kramanzen (Flausen) haben. Wo mich der Geist Gottes treibt, sollt ich sie erdulden zu meinen Richtern im Christenglauben, wenn sie Euch vielleicht befohlen haben, die Leute zu fangen, die ums Evangelium flüchtig werden ? Wenn ich das in der Wahrheit wüßte, so wollte ich ihm wieder abschreiben.' Müntzer hat hier seine schriftliche Erklärung an den Herzog Johann vom 13. Juli, dem Tage der Fürstenpredigt, im Auge, in der er sich zu einem Glaubens verhör, allerdings nicht 'vor denen von Wittenberg allein', und zur Vorlage seiner Schriften zur Zensur erboten hatte. Wir sehen also, daß Müntzer diese Erklärung als eine Art Loyalitäts- und Verbindlichkeitserklärung für den Herzog betrachtete. Hatte doch der Schlußsatz dieser Erklärung den Herzog geradezu mit Müntzer auf denselben Boden seiner Lehre gestellt und Müntzers Loyalität letzten Endes abhängig gemacht von der inneren Übereinstimmung zwischen dem Prediger und dem Fürsten: 'Was Euch die Offenbarung Gottes erinnern (innewerden läßt), das will ich mich mit Euch halten in Christo Jesu, unserm Heiland, der Euch Allerliebsten bewahre mit Euerm Volk, Amen.' Auf diesen Satz ist die Erklärung an Zeiß genau abgestimmt, deren Sinn ist: Wo mich der Geist Gottes treibt, während die Fürsten durch einen Befehl zur Auslieferung der Flüchtlinge das Gegenteil bezeugen würden, könnte ich sie nicht mehr als meine Richter im Christenglauben dulden. Wenn ich über einen solchen Befehl Gewißheit hätte, würde ich meine Loyalitätserklärung zurückziehen. Müntzer fordert Zeiß weiterhin auf, 'an die Fürsten selber zu schreiben . . . von dem Erzräuber Friedrich von Witzleben, daß er den gemeinen Frieden aufgehoben hat, womit er denn aller Tyrannen Sinnbild und Ursprung aller Empörung ist. Wo er nicht drum von andern Herrn gestraft wird, so wird der gemeine Friede auch untergehen. Denn es wird nun fortan kein Volk seinem eigenen Herrn glauben, also kann auch das Volk dem Herrn und der Herr 5

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Auseinandersetzung mit Zeiß

dem Volk nicht helfen.' Wiederum deutet Müntzer mit diesem Satz an, daß eine Position seiner Fürstenpredigt vielleicht nicht zu halten ist, nämlich der Gedanke, daß Fürst und Volk zusammenwirken bei der Durchführung der Revolution des Evangeliums, daß der Zorn der Fürsten gegen die alte Kirche und die falschen Schriftgelehrten sich unter der Führung eines neuen Daniel mit dem ergrimmten Volk verbindet. An Zeiß' persönliche Adresse richcet Müntzer schließlich noch die Worte: 'Wer ein Stein der neuen Kirche sein will, der wage seinen Hals, sonst wird er durch die Bauleut verworfen werden. Gedenkt, lieber Bruder, wer in dieser gefährlichen Zeit seinen Hals nit wagen wird, der wird auch nicht bewähret im Glauben. E r will's alles verglimpfen (beschönigen), damit er nicht zu leiden braucht. Drum muß er ums Teufels willen gar manche Fährlichkeit tragen und zuschanden vor allen Auserwählten werden und zuletzt dem Teufel zu Willen sterben, da Euch Gott vor behüte. Amen.' Das waren Sätze, die nicht dazu geeignet waren, daß der kurfürstliche Beamte sich behaglicher in seiner Haut fühlte. Zeiß muß denn auch gleich nach Empfang des Schreibens bei Müntzer nach der konkreten Bedeutung einiger seiner Wendungen zurückgefragt haben, denn Müntzer versichert in einem zweiten Schreiben vom gleichen Tage, daß er mit den Regenten, die man wie die Hunde erwürgen müsse, nur den Amtmann von Sangerhausen 'und andere Tyrannen', die nach Allstedt kommen wollten, gemeint habe. 'Daß ich aber fromme Amtleute sollte mit dem Zorn des gemeinen Volkes überladen, das soll weit von mir sein. Hab ich doch in allen Predigten gesagt, daß noch fromme Diener Gottes am Herrenhofe seien.' E r erinnert Zeiß aber insbesondere an seine Fürstenpredigt vom 13. Juli mit ihrer Deutung der geschichtlichen Situation: ' E s ist von des Witzleben Sache viel ein ander Urteil zu halten zu diesen Zeiten . . . gedenkt auf die Veränderung der Welt, jetzt vor der Tür, Danielis 2.' In einer Nachschrift beruhigt er Zeiß auch über die Aufrechterhaltung seines Loyalitätsversprechens: 'Ich will den Fürsten halten (sc. das Versprechen), es hat keine Not, denn allein zukünftigen Schaden (zu) bedenken.'

Die 'Bundespredigt'

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Zwei Tage nach diesen beiden Schreiben, am 24. Juli, hielt Müntzer vor seiner Allstedter Gemeinde und den dort zusammengeströmten Flüchtlingen eine neue bedeutsame Predigt, deren Wortlaut uns leider nicht erhalten ist, über deren Inhalt uns aber einige wichtige Hinweise von Müntzer selbst 1 und von Zeiß 2 vorliegen. Als Text legte Müntzer der Predigt 2. Kön. 22 und 23 zugrunde, dessen Inhalt er selbst mit den Worten umschreibt : er handele 'vom heiligen Josia, da der Priester Hilkias gefunden hat das Buch des Gesetzes, da hat er hingeschickt nach den Ältesten in J u d a und Jerusalem, und er ging mit allem Volk in den Tempel und machte einen] Bund mit Gott, welchem die ganze Gemeinde stattgegeben hat, auf daß ein jeder Auserwählter möchte die Gezeugnisse Gottes mit ganzer Seele und Herzen bewahren und erkunden'. E s handelte sich also um den Gedanken des revolutionären 'Bundes', den Müntzer in dieser Predigt nach dem Bericht von Zeiß gedeutet und von dem er habe beweisen wollen, 'daß er von Gott nachgelassen (zugelassen) sei'. Die Wahl des Textes, in dem Priester, König und Volk gemeinsam den Bund vor Gott schließen, um nach den Geboten und Satzungen des wiedergefundenen Gesetzes zu leben, zeigt, daß Müntzer noch immer in der Vorstellung des gemeinsamen Handelns mit seinen sächsischen Landesherren lebt. Das hindert nicht, daß Müntzer mit scharfen Worten ihr Zögern und ihre 'Nachlässigkeit' tadelt. Nach Zeiß' Bericht hat Müntzer gesagt, 'er wolle öffentlicher Feind sein aller Tyrannen, die sich wider das Evangelium setzen, und man sehe öffentlich, daß sich etliche Herrn wider das Evangelium und den christlichen Glauben setzen, denselben gern wollten austilgen ', wobei er das Volk heftig ermahnte, 'sich zusammen zu verbinden', und, 'wo die Gewalt ihr Schwert zöge', dagegen auch mit dem Schwert zu rücken und es zu zeigen. Außer mit Daniel ist die Situation mit Hilfe von Ezechiel 34 gedeutet, wo Gott Gericht hält sowohl über die pflichtvergessenen Hirten, die mit Härte regierten und mit Tyrannei, wie über die einzelnen Schafe. Wir hören Müntzer die gewaltigen Worte des altisraelitischen Propheten zitieren: 'Also spricht der Herr Gott: 1

Thomas Müntzer an Hans Zeiß, 25. Juli 1524. Briefw. S. 74. * Hans Zeiß an Herzog Johann, 28. Juli 1 5 2 4 . Neue Mitt. X I I , S. 180.

Die 'Bundespredigt'

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siehe, ich will an die Hirten, ich will meine Herde von ihrer Hand zurückfordern und ich will ein Ende machen mit ihnen, daß sie nicht mehr sollen Hirten sein und sollen sich nicht mehr selbst weiden, sondern ich will ihnen meine Schafe aus dem Munde reißen, daß sie ihnen hinfort nicht mehr zur Speise dienen werden. . . . Ihr aber, meine Schafe, dies spricht der Herr Gott: Siehe, ich will richten zwischen Schaf und Schaf, und zwischen Widdern und Böcken — Sieh, ich will richten zwischen den fetten und mageren Schafen, weil ihr alle schwachen Tiere mit Seiten und Schultern wegdrängtet und mit euren Hörnern stießet, bis ihr sie zerstreut ha,ttet, und ich will meiner Herde helfen, daß sie nicht zur Beute werden soll. . . . Und ich will einen Bund des Friedens mit ihnen machen und alle bösen Tiere aus dem Lande ausrotten, daß sie ruhig in der Wüste wohnen und in den Wäldern schlafen können.' Daß diese 'Zeit der Veränderung . . . hart vor der Türe sei', wird wiederum aus dem Danielbuch bewiesen. Die Anknüpfung an die Gedankengänge der Fürstenpredigt liegt darin, daß Müntzer sagt, er sehe, daß bei dieser 'Veränderung' kein Fürst oder Herr mitwirken wolle, sondern daß sie dawider seien. Nur seine sächsischen Landesherren nimmt er auch jetzt noch aus: 'Allein beide Fürsten von Sachsen, die lassen zu, daß man das Evangelium predigt, wollen aber nichts mehr dabei tun.' Diesen Gedanken, daß die sächsischen Fürsten mit ihrer Duldung der freien Predigt nicht genug tun, sondern im Sinne des Bundes h a n d e l n müssen, hat Müntzer, sicherlich unter Verwendung von Sätzen aus seiner 'Bundespredigt', in einem dritten Schreiben an Zeiß vom 25. J u l i 1 noch weiter ausgeführt. Müntzer drückt hier den Wunsch aus, daß 'unsere Landesfürsten' nicht so zurückhaltend sein möchten 'bei dieser Sache*. Ihre bisherige Haltung beim Durchbruch der lutherischen Reformation findet seine volle Anerkennung: 'Das Volk sieht wohl, daß sie mit großer Gefahr ihren Namen und weltlichen Ruhm auf die wilde Woge gesetzt und gestellt haben. Aber es möchte in solcher Gefahr in sich selbst verwirrt werden und also unüberwindliche Scheu gewinnen, wenn sie (die Fürsten) nicht mehr dazu tun wollen, denn allein durch die Finger sehen, 1

Bri"fw, S. 74.

Die Fürsten sollen dem 'Bund' beitreten

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keine rechten Priester in ihrem Fürstentum verordnen, die Bösen beschützen und ganz und gar keine Anschläge nach Gottes allerliebstem Willen machen. Ist es doch offenbar, daß die gottlosen Regenten den Frieden des Landes selber aufheben, stocken und blocken die Leute ums Evangeliums willen, und es schweigen unsere Fürsten dazu ganz und gar stille. Meinen, die Sache habe keinen Mangel, nachdem sie vielleicht durch die ungetreuen Schriftgelehrten verführt sind. . . . Ich sage es Euch bei der Liebe und Wahrheit Gottes, es ist unaussprechlich hoch vonnöten, daß Ihr dies den Landesfürsten mit großem Ernste vorhaltet und ohne alle Scheu getreulich entdecket und Sie warnet, daß sie mit ihrer Nachlässigkeit ihr eigen Volk nicht scheu machen, sondern gedenken in der Zeit (beizeiten) allem Argen (zu)vorzukommen, dieweil ihnen das Volk noch vertrauet. Ich sage es von ganz getreuem Herzen, wenn sie zu lange sich werden versäumen, so werden sie viel mehr verachtet werden denn die andern Fürsten. Da wird man sagen: Ecce homo, qui non posuit deum adiutorem sibi, da Gott vor sei: Dann würde es Mühe und Arbeit werden, da würde das deutsche Land viel ärger werden denn eine Mordgrube, derhalben daß der Geiz (Habsucht) der Menschen jetzt im höchsten Schwange geht.' Und nun kommt Müntzer mit dem hervor, was er eigentlich von seinen Fürsten fordert — es klingt wieder deutlich an die Gedankengänge der Fürstenpredigt an, nur daß es konkreter und präziser ausgedrückt ist: die Fürsten müssen das bisherige Verhältnis, in dem sie zu ihrem Volk stehen — Müntzer nennt es 'Pflicht und Eide der Heidenschaft', d. h. den römisch-rechtlich fundierten Obrigkeitsstaat — 'verwandeln in einen getreulichen Bund göttlichen Willens, auf daß ihr Volk mit sichtigen Augen sehe, daß sie etwas dabei tun, so wird der unzählige Haufe der Gottlosen also ganz jämmerlich erschrecken'. Müntzer weiß um die Popularität der sächsischen Fürsten, insbesondere Friedrichs des Weisen, als der Beschirmer der Sache der Reformation und Luthers, dessen Ansehen auch beim gemeinen Mann vorm Bauernkrieg noch nicht erschüttert war. Im Volk ging das Gerücht, Kursachsen begünstige auch die Sache der Bauern. Die fälschlich Müntzer zugeschriebene süd-

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Versuch, die Fürsten für die Revolution zu gewinnen

deutsche Revolutionsschrift 'An die Versammlung gemeiner Bauernschaft in hochdeutscher Nation und viel anderer Ort', in der die Erbitterung gegen Fürsten und Herren in geradezu vulkanischer Weise zum Ausdruck kommt, nimmt ausdrücklich den sächsischen Kurfürsten aus1. Der Schösser Hans Zeiß hat am 5. Mai 1525 von dem Frankenhäuser Bauernhaufen geschrieben: 'keinen Fürsten . . . wollen sie bleiben lassen, allein den Kurfürsten, wo er anders die Beschwerung selber abtun will und in die Artikel verwilligen'2. Als Zeiß zur selben Zeit seinen Bruder zu Verhandlungen mit dem Frankenhäuser Haufen absandte, erhielt er von dessen Hauptleuten den Bescheid: 'Wir wissen auch wohl, daß unser g.Herr, der Kurfürst, das Evangelion vor allen Fürsten und Herrn angenommen und in seinem Fürstentum ohne Scheu predigen lassen. Derhalben wir nicht bedacht, Seiner kurfürstlichen Gnaden Amt einigerlei Schaden zuzufügen. . . ,' 3 Dieses Kapital an Anhänglichkeit und Ansehen mußte für die Sache Müntzers ein Gewinn sein, um dessenwillen er auch noch mit den letzten Zielen des Bundes, so fest sie ihm standen, zurückhalten konnte. Diese Zurückhaltung war nicht nur Taktik. Müntzer hat ganz offensichtlich, trotz seiner in seinen Predigten vertretenen Uberzeugung, daß das Ende aller bisherigen Geschichte ganz nahe bevorstehe, auch gelegentliche Zweifel gehabt, ob die Christenheit schon revolutionsreif sei. Einen solchen Zweifel hat er gerade in dem Brief an Zeiß vom 25. Juli durchblicken lassen, in welchem es heißt: die Christenheit sei noch zur Zeit 'ungeschickt, ihr Blut ums Glaubens willen zu vergießen.' Der Grund ist: 'sie klebet also hart an den Kreaturen', d. h. sie fürchtet sich vorm Leiden, sie will nicht Leben und Gut aufs Spiel setzen. Uberhaupt betont Müntzer Zeiß gegenüber, daß der Bund mit den Fürsten nicht 'um Erhaltung der Kreatur willen', 1 Friedrich v. Bezold, Gesch. d. deutschen Reformation (1890), S. 496. 1 Hans Zeiß an Christoph Meinhart, 5. Mai 1 5 2 5 . Akten z. Gesch. d. Bauernkrieges in Mitteldeutschl. II, S. 203. * Werbung des Bruders von Hans Zeiß, dem Schosser zu Allstedt, bei den Hauptleuten des Frankenhäuser Haufens, 6. Mai 1525. Ebenda. S. 214.

Die Frage der Abgaben und Frohnden

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d. h. um wirtschaftlicher Ziele willen begründet werden soll. Er stellt ihn jetzt überhaupt nur als ein Mittel zur Verteidigung der auserwählten Frommen hin: 'Wenn Ihr Amtleute den Frieden erhalten wollt, so muß ein Schwert das andere in der Scheide halten . . . es muß ein beschiedner (d. h. auf verabredeten Artikeln begründeter) Bund gemacht werden in solcher Gestalt, daß sich der gemeine Mann mit frommen Amtleuten verbinde alleine ums Evangelion willen.' Der Bund soll lediglich eine Bedrohung der Gottlosen sein, 'daß sie stillhalten mit ihrem Wüten, bis daß die Auserwählten Gottes Kunst und Weisheit, mit allem Gezeugnis ihnen zuständig, erforschen mögen'. Unter dem Schutz des Bundes soll sich der 'Geist' ausbreiten, bis die Christenheit ganz revolutionsreif geworden ist. Es ist, als ob Müntzer nunmehr taktisch zwei Wege vorschwebten: ein langsamerer und sicherer, eben der Bund mit den sächsischen Fürsten, unter dessen Schirm Müntzer seine Lehre bis zur Revolutionsreife der Christenheit verbreiten kann, und ein unbedingt revolutionärer, wenn sich seine Fürsten auch diesem friedlichen Bunde versagen und auf die Seite der Gottlosen treten. Aber hatte nicht Müntzer seinen Fürsten schon am 13. Juli den offensiven Gebrauch des Schwertes zur Ausrottung der Gottlosen gepredigt ? Gewiß bleibt das das Fernziel seines Bundes mit den sächsischen Fürsten, aber da er darauf von ihnen kein Echo vernommen hat, steckt er zunächst sein Ziel zurück. Deshalb lehnt er auch die Verweigerung von Steuern und Abgaben, auch gegenüber den Verfolgern seiner Anhänger, ab, denn das würde der Möglichkeit des Bundes mit den Fürsten sogleich den Boden entziehen: 'Auch müßte das sonderlich der Frohnden halben im Bunde hoch verfaßt werden, daß die Bundgenossen nit dürfen denken, daß sie durch das sollten befreiet werden, ihren Tyrannen nichts zu geben.' Bezeichnend ist aber, daß Müntzer das mit Matth. 17, 24—27 belegt. Hier fragt Jesus Simon Petrus, von wem die Könige auf Erden Zoll oder Zins nehmen, von ihren Kindern oder von den Fremden ? Und er entgegnet, als Petrus meint, von den Fremden: 'So sind die Kinder frei.' Aber um keinen Anstoß zu erregen, heißt er ihn dennoch, die Steuer zu entrichten: Müntzer will damit sagen, daß er an

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Die Frage der Abgaben und Frohnden

seiner grundsätzlichen Stellung, daß es unter der ausschließlichen Herrschaft der 'Kinder des Bundes' keine Frohnden geben kann, festhält, aber um des 'Anstoßes' willen, d. h. aus taktischen Gründen, diese Forderung zurückstellt. Der Bund ist nunmehr nichts anderes 'denn eine Notwehr, welche niemandem verweigert wird nach dem natürlichen Urteil aller vernünftigen Menschen'. Wenn aber Buben und Schälke darunter wären, die solchen Bund mißbrauchen wollten, so soll man sie ihren Tyrannen überantworten oder sie selbst nach Gelegenheit der Sache richten. So glaubt Müntzer dem Bunde alles genommen zu haben, was ihn in den Augen der Fürsten gefährlich machen könnte, und in dieser defensiven Form ist er sein letzter Versuch, seine Landesobrigkeit für seine Ideen zu gewinnen. Daß er gleichwohl den direkten revolutionären Weg keinen Augenblick aus den Augen ließ, dafür zeugt eine Stelle in seiner'Bundespredigt'vom 24. Juli, die zugleich ein interessantes Zeugnis dafür ist, wie Müntzer die in der Fürstenpredigt behandelten 'Gesichte und Träume' als ein dem Geisteszustand der damaligen Massen angepaßtes Agitationsmittel benutzt. Er sagte in jener Predigt, 'daß ein gottfürchtiger Mensch neulich ein Gesicht gesehen habe, daß die Fürsten,Tyrannen und alle, die wider das Evangelium streben, ganz feige und erschrocken sind, und hat gesehen, daß ihr Herz schwarz im Leibe sei, voll eitel Feigheit. Darum sollen sie getrost sein, die Zeit der Veränderung sei hart vor der Türe' 1 . Müntzer hat Zeiß gebeten, den Inhalt seines Schreibens vom 25. Juli über den defensiven Charakter des mit dem Fürsten zu errichtenden Bundes dem Herzog Johann vorzutragen, und Zeiß hat dieses Schreiben am 28. Juli dem Herzog in Weimar überreicht2. Zeiß hat dabei erneut darauf gedrungen, daß Müntzer zu einer öffentlichenVerantwortung über die Rechtmäßigkeit seiner Lehre geladen werde. Er bat den Herzog um Prüfung, 'ob sie von Gott sei, wie der Prediger auch ohne alle Scheu öffentlich ausschreit, daß es Gott also in dieser Zeit schickt, und der werd es auch trotz allerGegenwehr, Vermögens und Zutun nicht hindern lassen'. Zeiß fügt hinzu: 'Wo dem also wäre, könnt noch sollt 1 s

Hans Zeiß an Herzog Johann, 28. Juli 1524. Neue Mitt. X I I , S. 181. Ebenda, S. 180.

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Müntzers Verhör

man wider Gott nit streben. Wo aber vermerkt, daß es nicht Gottes Will sei, dabei auch zu tun, soviel sich gebührt, damit die Ding nach göttlichem Willen allein geordnet' würden. 1 Was aber die Fürstenpredigt nicht bewirkt hatte, das bewirkte die Bundespredigt, die der Landesherrschaft zum ersten Male die Augen öffnete über das Bestehen einer für sie gefährlichen Organisation: der Herzog Johann reagierte, und zwar in einer Weise, die Müntzer aller Hoffnungen, die er auf einen 'legalen' Weg gesetzt hatte, berauben mußte. Müntzer wurde auf den i. August mit Zeiß, dem Schultheißen und zwei Ratsmitgliedern zu einem Verhör nach Weimar entboten 2 . Zuerst wurde Müntzer vorgenommen. Es wurde ihm vorgehalten, er habe, wie dem Kurfürsten und dem Herzog berichtet worden sei, das Volk öffentlich ermahnt und angereizt, sich zu verbinden und Bündnisse wider die Gottlosen, wie er sie nennen täte, zu machen, wobei er ausgeführt habe, daß solche Bündnisse in der Schrift gegründet sein sollten. Herzog Johann glaube aber, daß das von ihm mit der Schrift nicht bekräftigt werden könnte. Müntzer antwortete darauf, daß er dafür hielte, 'sie möchten ein ziemlich (zulässig) Bündnis, damit ihnen ungewehret sein möchte, das Evangelium zu hören, wohl machen'. Weiter wurden ihm die unstatthaften Worte vorgehalten, die er in seiner Pfingstpredigt gegen den Kurfürsten gebraucht habe, und die man von einem Zettel verlas, der dem Kurfürsten erst vor wenigen Tagen zugeschickt sei. Müntzer behauptete, 'daß er solche oder dergleichen Worte nit geredet'. Endlich erbot er sich, wegen seiner Lehre sich 'vor einer christlichen ungefährlichen Gemeinde' zu verantworten. v

Ebenda,

* Das

S. 182.

Verhörsprotokoll

vom

1. A u g . 1524

Neue Mitt. X I I ,

S. 182.

E s h a n d e l t sich hierbei offenbar nicht u m die Originalniederschrift des Protokolls,

sondern

um

eine

Zusammenfassung,

die

Herzog

Johann

seinem B e r i c h t an den K u r f ü r s t e n v o m 6. A u g u s t 1524 (Neue M i t t . X I I , S. 188) als A n l a g e b e i g e f ü g t hat. E i n B r u c h s t ü c k des Originalprotokolls ist vielleicht in dem A u s z u g erhalten, den V e i t L u d w i g von Seckendorff in seinem Commentarius de Lutheranismo 2 (1694) I, S. 305 a u s einem n i c h t mehr a u f f i n d b a r e n A k t e n s t ü c k des Weimarer A r c h i v s (Reg. N . lit. G n. 38. 39. fol. 101) mitteilt. E s handelt sich u m A u s s a g e n Müntzers über den ' B u n d ' , für dessen B e r e c h t i g u n g er hier ebenso wie in d e m zuerst g e n a n n t e n Protokoll eintritt. Neue M o m e n t e ergeben sich hieraus nicht.

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Müntzers Verhör

Sodann kamen Zeiß und die Allstedter daran. Ihnen wurden der Bund, die Säumigkeit in der Verfolgung der Mallerbacher Attentäter, sowie der Aufruhr vom 13. und 14. Juni vorgeworfen. Und nun wurde Müntzer von den Allstedter Honoratioren im Angesicht der hohen Obrigkeit völlig preisgegeben. Sie sagten aus, der Prediger habe das Volk öffentlich mit vielen ungestümen Worten ermahnt, es solle sich wider die Gottlosen verbünden und die Weiber und Jungfrauen sollten sich mit Gabeln und Forken zur Wehr setzen. Die Worte, die Müntzer gegen den Kurfürsten gerichtet haben sollte, wollten sie allerdings nicht gehört haben, denn es war ihnen zuvor zur Last gelegt worden, daß sie diese Worte geduldet und nicht zur Anzeige gebracht hätten. Aber sie setzten hinzu, es sei nicht ohne, daß der Magister zuweilen etwas heftig wäre. Das Sturmläuten am 13. Juni habe der Prediger angeordnet, und soviel sie wüßten, hätte er die Sturmglocke selber geläutet. Wegen des Bundes kam bei diesem Verhör an den Tag, daß nach der Bundespredigt Müntzers am 24. Juli der ganze Rat nebst der ganzen Bürgerschaft und den nach Allstedt geflüchteten Fremden, dem Müntzerschen Bund beigetreten waren. Das Protokoll der Vernehmung bemerkt dazu: 'Solchs ist unserm gnädigen Herrn fremde gewest, von den armen ungeschickten Leuten zu vernehmen und ist ihnen mit Ernst allerlei angezeigt und gesagt, sich des vermeinten Bündnisses zu entäußern. . . . Sie wüßten, daß Ihre Kurfürstliche und fürstliche Gnaden ihren Untertanen nit wehrten, das Evangelium zu hören, wollt nur Gott, daß es überall recht und rein gepredigt würde. Darum sie ja kein Ursache zu solchem Bündnis hätten.' Die Allstedter entgegneten darauf, sie wären arme unverständige Leute, was sie täten oder getan, dazu hätte sie dei Prediger beredet. Schließlich wurde ihnen noch eröffnet, 'dieweil die Sachen also gelegen', sollten sie schleunigst den Buchdrucker abschaffen. Müntzer wurde bedeutet, der Herzog werde über seine Sache dem Kurfürsten berichten und ihm demnächst ihren gemeinsamen Beschluß, nachdem er sich zu halten haben werde, mitteilen lassen. Bis dahin solleer sich friedlich verhalten. Damit war ein neuer Abschnitt in der Entwicklung Müntzers auf dem Wege zur Revolution eingeleitet.

Zweites Kapitel Nachdem der von Müntzer geführte mitteldeutsche Bauernaufstand in der Schlacht bei Frankenhausen zusammengebrochen war, ist in Wittenberg noch im Jahre 1525 eine lutherische Propagandaschrift gegen die Müntzersche Bewegung erschienen, zwischen deren offensichtlich tendenziösen Ausführungen doch auch einige brauchbare Nachrichten eines wohlunterrichteten Augenzeugen stecken, die sich anderweitig kontrollieren lassen. E s handelt sich bei dieser Schrift um einen Dialog zwischen einem Müntzeranhänger namens Wolff Schwärmer und einem 'evangelischen frommen Bauern", der die Anschauungen Wittenbergs vertritt. In diesem 'Gesprächbüchlein' 1 ist auch von dem Verhör Thomas Müntzers in Weimar am 1. August 1524 die Rede, und die beiden Gesprächspartner unterhalten sich darüber auf folgende Weise 2 : » S c h w ä r m e r : Sollt er (Müntzer) denn gar unrecht sein, ward er doch in vergangnem Jahre zu Weimar vor den Fürsten verhört, und ließen ihn bleiben, wie er war, wär er unrecht gewesen, sie hätten ihn wohl gestraft. B a u e r : J a , lieber Gesell, wie stund er aber da! War er doch wie ein stummer Mensch vor den Fürsten und Räten gestanden. S c h w ä r m e r : Wovon weißt du das? B a u e r : Sollt ichs nicht wissen und war auf die Zeit ein Wagenknecht zu Weimar auf dem Schloß und hab ihn aus und eingehen sehen, und er war nicht anders denn als ein toter Mensch gestalt, als er aus der Kanzlei ging. 1 ' E i n nutzlicher Dialogus odder gesprechbuchlein zwischen einem Muntzerschen Schwermer vnd einem Evangelischen frumen Bawern. Die straff der der auffrurischen Schwermer zu Franckenhausen geschlagen I belangende'. Wittenberg 1 5 2 5 . * Bl. Biij b .

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Das Weimarer Verhör

S c h w ä r m e r : Ei, was soll ich immer mehr sagen, und ich hab von ihm gehört, er wäre wohl bestanden. B a u e r : Ja, gleich wie Butter an der Sonne. S c h w ä r m e r : Das sollt der Schösser und der Schultheiß von Allstedt wohl wissen, die waren ja mit ihm da. B a u e r : Ich stund im Hof und machte einen Wagen zu, da hört ich, daß der Schösser den Müntzer fragte, als er aus der Kanzlei ging, von den Fürsten und Räten, wie es ihm gegangen wäre, aber der Müntzer war unter seinem Angesicht so gelb wie ein toter Mensch und sprach zum Schösser: 'Ei, wie soll es gehen, es geht also, daß ich ein ander Fürstentum besuchen muß' und er war gar verzaget. S c h w ä r m e r : Hat er denn so gar kalt gestanden, und er rühmet sich doch viel als er heim gen Allstedt wieder kam, wie er die Fürsten gescholten hätt und war herrlich bestanden.« Die Tendenz, Müntzer auch bei Gelegenheit des Weimarer Verhörs als Maulhelden darzustellen, der sich im Ernstfälle, als Feigling entpuppt, ist deutlich zu erkennen. Das Protokoll aber zeigt uns, daß Müntzer ruhig und fest seinen Standpunkt vertreten und sich keineswegs etwas vergeben hat. Und doch blitzt an einer Stelle ein Stückchen Wahrheit, ein wichtiger Hinweis auf den Hergang auf. Es ist die Stelle, wo der Schösser Zeiß Müntzer, als er aus der herzoglichen Kanzlei kommt, fragt, wie es ihm ergangen sei. Hier wird ein wichtiger Umstand deutlich, den das Protokoll nicht erkennen läßt: Zeiß, samt Schultheiß und Rat auf der einen und Müntzer auf der anderen Seite sind nicht der eine in Gegenwart der anderen, sondern unabhängig voneinander und getrennt verhört worden. Müntzer wußte bei seiner Abfertigung nicht, was seine Allstedter ausgesagt hatten, und Zeiß seinerseits konnte wohl begierig sein, zu erfahren, wie es Müntzer nach den Aussagen der Allstedter, bei denen er, Zeiß, zugegen gewesen war, ergangen sei. Prüfen wir nun daraufhin die anderen Quellen, so finden wir den Hinweis auf die beiden getrennten Verhöre bestätigt. Das Protokoll besagt in seinem Eingang nur, daß der Prediger von Allstedt am Montag nach Jacobi ( i . August) verhört worden sei. Nach Verzeichnung der Antworten Müntzers geht

Der Vorgang beim Verhör

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der Text sodann ohne Anführung eines neuen Datums zu dem Verhör der Allstedter über, das mit dem ihnen erteilten ausführlichen Abschied endigt. Diesem ist endlich am Schluß des ganzen Protokolls der Müntzer erteilte kurze Abschied angefügt. Wir haben uns den ganzen Hergang also so zu denken, daß zuerst Müntzer verhört worden ist, um sodann vor den Allstedtern hinausgeschickt zu werden. Diesen wurde nach Beendigung ihres Verhörs sogleich der Abschied erteilt, worauf nach ihrer Entlassung Müntzer wieder hereingerufen wurde, um seinerseits seinen Abschied zu erhalten. Der Abschied für die Allstedter enthielt einmal das Verbot jeglicher Verbindung mit Auswärtigen und jeglicher Widersetzlichkeit gegenüber den Befehlen der Obrigkeit, besonders bezüglich der Strafverfolgung der Mallerbacher Kapellenstürmer; dieser Teil wurde auf Wunsch des Rates auch schriftlich ausgefertigt. Mündlich wurde sodann noch das Verbot des Buchdruckers hinzugefügt. Der Abschied für Müntzer enthielt von alledem nur einen tadelnden Hinweis auf die Predigt, in der er das Volk zum Abschluß des Bundes aufgefordert hatte; darüber hinaus wurde ihm nur eröffnet, der Herzog werde sich mit dem Kurfürsten seinetwegen beraten und das Ergebnis werde ihm mitgeteilt werden. Daß der Hauptgegenstand dieser Beratung die Frage einer Verantwortung Müntzers über seine Lehre sein würde, war nach dem Vorangegangenen unschwer zu vermuten und findet sich in dem weiteren Briefwechsel der beiden regierenden Brüder bestätigt. Dieser Abschied enthielt also nichts Niederdrückendes für Müntzer, und er hatte keinen Grund, wie ein 'toter Mensch' die herzogliche Kanzlei zu verlassen, besonders wenn er keine Ahnung hatte, was die Allstedter ausgesagt hatten und was ihnen aufgetragen war. Daß er davon wirklich nichts wußte und nichts wissen konnte, dafür haben wir noch weitere Zeugnisse. Merkwürdig ist zunächst, daß Schösser, Schultheiß und Rat zu Allstedt in ihrem Schreiben an den Kurfürsten vom 3. August 1524 sagen 1 , sie seien am S o n n t a g nach Jacobi (also am 31. Juli) in Weimar zum Verhör erschienen, während das Protokoll als einziges Datum beim Verhör Müntzers den Montag nach Jacobi 1

Neue Mitt. X I I , S. 186.

Haltung Herzog Johannes in der Müntzerfrage

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(i. August) angibt. Demnach erscheint es sogar als möglich, daß die Allstedter und Müntzer an zwei verschiedenen Tagen verhört worden sind, wie denn auch das Protokoll sich nicht als eine Originalniederschrift der Verhöre erweist, sondern als eine zusammenfassende Redaktion beider, die Herzog Johann seinem Bericht an seinen Bruder vom 6. August beigefügt hat. Allerdings sagt der Herzog in diesem selben Bericht, er habe den Schösser, den Schultheiß, zwei vom Rat und den Prediger am vergangenen M o n t a g verhört und ihnen gemäß dem beigefügten Protokoll das Nötige vorgehalten, und zwar, was das für uns Wichtigste ist, ' u n t e r s c h e i d e n t l i c h u n d j e d e m i n s o n d e r h e i t ' 1 . E s hat den Anschein, als ob der Herzog auf diesen Umstand geradezu besonders hinweisen möchte. Über das Datum der Verhöre haben sich also entweder der Herzog oder die Allstedter in der Erinnerung getäuscht, aber daß sie getrennt vor sich gegangen sind, ist erwiesen; die Wittenberger Tendenzschrift hat in diesem Punkte also eine richtige Überlieferung bewahrt. Müntzer erfuhr in Weimar nicht einmal davon, daß seine Buchdruckerei in Allstedt aufgelöst werden sollte, wie aus verschiedenen Umständen hervorgeht. Denn er übergab nach dem Verhör einer uns unbekannten Vertrauensperson eine neue Schrift zur Aushändigung an die herzogliche Kanzlei, zweifellos, um sie gemäß seinem Versprechen vom 13. Juli vor dem Druck zur Zensur vorzulegen. Dieser Ansicht war auch der Herzog. Er schrieb seinem Bruder, dem Kurfürsten, Müntzer habe 'eine geschriebene Materie' hinterlassen, und obwohl er nicht dabei habe sagen lassen, daß er sie der obrigkeitlichen Begutachtung vorlegen wolle, so sei es doch wohl in dieser Absicht geschehen. Der Herzog wundert sich darüber, denn der Schösser und die Allstedter könnten Müntzer das Druckverbot doch nicht verschwiegen haben. Müntzer hat also direkt, von Seiten des Herzogs, von dem Verbot nichts gehört; daß es ihm aber überhaupt erst nach seiner Rückkehr in Allstedt eröffnet worden ist, geht aus dem ganzen weiteren Verlauf hervor. Bei der hinterlassenen Schrift handelte es sich um das 'Ge1

Ebenda, S. 188.

Haltung Herzog Johanns in der Müntzerfrage

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zeugnis des ersten Capitels des Evangelions Lucae', das nichts anderes ist als eine für die Zensur vorgenommene Bearbeitung der 'Ausgedrückten Entblößung des falschen Glaubens der ungetreuen Welt, durchs Gezeugnis des Evangelions Lucae vorgetragen der elenden erbärmlichen Christenheit usw.'. Beide, Urschrift und Bearbeitung, waren in der zweiten Julihälfte, zwischen der Fürstenpredigt und dem Weimarer Verhör, entstanden. Bei der sorgfältigen Trennung der beiden Verhöre und Abschiede handelt es sich nun keineswegs nur um eine Polizeitechnik (das würde die eingehende Untersuchung darüber kaum rechtfertigen), sondern sie ist nach verschiedenen Richtungen hin bedeutsam und aufschlußreich für die Haltung des Herzogs Johann in der ganzen Müntzerfrage. Der Zweck des ganzen Vorgehens bei den Verhören ist zunächst einmal, die rein 'bürgerlichen' oder 'politischen' Angelegenheiten, für die die Obrigkeit sich zuständig fühlte und in denen sie ihre Autorität glaubte wahren zu müssen, als da waren die Ausschreitungen in Mallerbach, der passive Widerstand und der Aufstand samt dem 'Verbündnis' in Allstedt, säuberlich zu trennen von den 'geistlichen' Angelegenheiten des Predigers, in die die Obrigkeit als solche nicht eingreifen wollte. In den ersteren wurde in Weimar eine Entscheidung gefällt und den Allstedter Behörden eröffnet, die letzteren wurden bis auf eine Beratung der beiden Regenten — zweifellos über ein anzustellendes Religionsverhör — vertagt. E s wurde die Fiktion aufrechterhalten, als habe Müntzer als Geistlicher mit den politischen Vorgängen in Allstedt wenig oder nichts zu tun, und das alles, obgleich die Geständnisse der Allstedter über seine führende Rolle dabei nichts zu wünschen übrig ließen. Als äußerste Maßnahme wurde über ihn nur verhängt, daß er sich zunächst einmal still verhalten sollte, bis die Frage seiner Rechtgläubigkeit geklärt sei. Weshalb also eröffneten der Herzog und seine Räte nicht Müntzer selbst die den Allstedtern auferlegten Maßnahmen, die doch in erster Linie ihn betrafen, sondern ließen ihn erst durch den Schösser und den Allstedter Magistrat darüber ins Bild setzen ? Zweifellos mit deshalb, weil sich der Herzog in einer Zwangslage befand. E r fühlte sich durch das Hinrichs,

L u t h e * und M ü n t z e r

6

Haltung Herzog Johanns in der Müntzerfrage

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widerspruchslose Anhören von Thomas Müntzers revolutionärer Fürstenpredigt kompromittiert, eine Situation, die durch den soeben erfolgten Druck der Predigt, in der er deutlich als Zuhörer bezeichnet war, noch verschärft wurde. Um eine weitere Verbreitung der Fürstenpredigt nun doch noch zu verhindern, wurde deshalb auch die Stillegung der Allstedter Druckerei verfügt. War doch außerdem inzwischen der an des Herzogs und des Kurfürsten Adresse gerichtete offene Brief Luthers über den 'aufrührerischen Geist' in Allstedt erschienen, der Müntzer vor seiner Obrigkeit und aller Welt als Empörer und Aufwiegler brandmarkte. Der Herzog suchte das Gesicht zu wahren, als habe er nur die 'Probepredigt' eines neuen Geistlichen angehört und nicht zu Füßen eines sozialen Empörers gesessen. Hätte er Müntzer jetzt unmittelbar zur Verantwortung gezogen wegen des Mallerbacher Bildersturms und der Allstedter Empörung, die doch alle v o r der Predigt geschehen und zu seiner Kenntnis gelangt waren, so hätte er sich noch nachträglich wegen des Anhörens der Predigt selbst verurteilt und seine ganze Unsicherheit und Unzuverlässigkeit hätten vor Kaiser, Reichsregiment und Mitständen in voller Beleuchtung dagestanden. Nein, die Sache des Predigers mußte weiterhin nach außen hin als eine rein 'geistliche' behandelt und die Autorität in Allstedt gewissermaßen stillschweigend und unter der Hand wiederhergestellt werden. Natürlich durfte man, wenn man gegen Müntzer nicht direkt vorgehen wollte, ihm im Interesse der obrigkeitlichen Autorität auch gar nicht zeigen, daß man über seine volle Verantwortung für die Allstedter Vorgänge informiert war. Daß die 'Fürstenpredigt' Müntzers für Herzog Johann in den Augen der öffentlichen Meinung eine harte Nuß war und blieb, das zeigt wiederum das Wittenberger 'Gesprächbüchlein' von 1525, in dem sich Schwärmer und Bauer über die Predigt folgendermaßen unterhalten 1 : » S c h w ä r m e r : Ei, hat er doch zu Allstedt öffentlich auff dem Schloß vor den Fürsten von Sachsen gepredigt und sie recht wohl gescholten. 1

Bl. B 4 b .

H a l t u n g Herzogs Johanns in der Müntzer/rage

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B a u e r : Es ist den Fürsten und Herren nicht seltsam (d. h. nichts besonderes), daß sie von Narren gescholten werden. S c h w ä r m e r : Warum griffen sie ihn denn auf selbig Mal nicht an, er dürft ihnen doch Kalk in die Kurschen (Pelzröcke) geben und sprach, wenn sie die Gottlosen nicht wollten mit dem Schwert töten, so müßt man ihnen in die Scheide weiß nicht was tun. B a u e r : Die Fürsten und Herren sind wohl so redlich und sonderlich in solchem Fall, daß sie einem bösen Buben können eine Zeche borgen bis auf eine andere Zeit, wenn der Müntzer ein redlicher Mann wäre gewesen, und irgend eine göttliche Furcht in seinem Herzen gewesen, er hätt sich wohl solcher Wort in sein Herz geschämt.« Die Tendenz, den Herzog noch nachträglich wegen des kritiklosen Anhörens der Predigt zu rechtfertigen, ist deutlich. Aber diese Kompromittierung des Herzogs ist es nicht allein, die sein Verhalten erklärt. Den Allstedter Prediger einfach davonzujagen, bedeutete sowohl eine Beeinträchtigung des Rufes der sächsischen Fürsten als Schützer der Freiheit des Evangeliums, wie auch vielleicht bei der starken Anhängerschaft, über die Müntzer verfügte, eine Gefahr. Auf diese hatte Zeiß unermüdlich aufmerksam gemacht und verlangt, daß der Prediger nicht ohne vorherige Disputation hinweggetan werde. Aber auch damit ist die merkwürdig rücksichtsvolle Behandlung Müntzers noch immer nicht vollständig erklärt. Den Herzog muß eine Scheu vor ihm erfüllt haben 1 , die aus einer zweifellos immer noch bestehenden Unsicherheit darüber herrührte, ob nicht auch in Müntzers mit religiöser Autorität vorgetragener Lehre Gottes Wille in dieser Zeit der Wandlung sich ankündige. Es kann kein Zweifel darüber herrschen, daß Herzog Johann von den in seinem Lande konzentrierten reformatorischen Kräften wirklich innerlich ergriffen und in ernste Zweifel über seinen Regentenberuf gestürzt worden ist. Wir besitzen eine 1

A u c h L u t h e r ermahnt in seinem 'Brief an die Fürsten zu Sachsen'

seine Landesherrn, daß sie 'sich nicht scheuen noch säumen vor diesem Geist.' W . A . X V , S. 215. Müntzer selbst spricht noch in einem Schreiben v o m 3. Sept. 1524 (Briefw. S. 91) in B e z u g auf den Herzog Johann ' v o n F u r c h t und Scheu . . . die er h a t vor mir.' 0*

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Müntzer und Strauß

charakteristische Äußerung von ihm, die eine deutliche Bezugnahme auf Müntzer erkennen läßt: 'Gott hat mich zu einem Fürsten gemacht, daß ich mit vielen Pferden reiten kann: will er mich nicht also bleiben lassen, will ich gern mit vieren, ja nur mit zweien reiten: will er mich schützen, so kann mich niemand überwältigen, wo nicht, so kann ich auch wohl ein einfacher Mann sein'1. Diese Äußerung entspricht dem Wort seines Bruders, daß, wenn Gott es also haben wolle, es dahin kommen werde, 'daß der gemeine Mann regieren soll'. Diese im Mittelpunkt einer unübersehbaren religiös-geistigen Umwälzung lebenden und von ihr mit religiöser Skrupelhaftigkeit erfüllten ernestinischen Fürsten besaßen kein selbstverständliches und ungebrochenes Standes- und Herrschaftsbewußtsein mehr. Wir wissen sogar, daß der Herzog zur Zeit des Verhörs Müntzers noch oder wieder unter dem Einfluß von Jakob Strauß stand. Müntzers eigenes peinliches Verhör nach der Schlacht bei Frankenhausen verrät uns, daß Strauß in Weimar war, als Müntzer auf Schreiben des Herzogs dort erscheinen mußte, und daß Müntzer damals mit Strauß in Verbindung getreten ist 2 . Müntzer sagt, er habe Strauß in Weimar 'an1 Daniel Friedrich Janus, Augusta MemoriaJoannis Ducis etc. (1731), S. 15. Vgl. W. A. Tischreden I, S. 78. 2 Bekenntnis Thomas Müntzers vom 16. Mai 1525. Briefw. S. 162. Da H e r r n . B a r g e , J a k . Strauß, S . 3 6 dies Zusammentr«ffen Müntzers mit Strauß auf die Ende November/Anfang Dezember 1522 in Weimar zwischen dem Hofprediger Stein und den dortigen Franziskanermöncheu stattgefundene Disputation bezieht, zu der Herzog Johann auch andere Geistliche wie Strauß und Müntzer eingeladen habe, bedarf die obige Interpretation des Bekenntnisses Müntzers, auf das auch Barge sich stützt, einer eingehenderen Begründung. Aussage 8 des Bekenntnisses, auf die es hier ankommt, beschäftigt sich mit Müntzers Beziehungen zu Strauß. Nach meiner Auslegung dieses Abschnitts handelt es sich dabei um dreierlei: 1. Müntzer 'sagt das er (sc. Müntzer) doctor Strauß habe zu Weymar angeredt (bzw. angeregt) do er (sc. Müntzer) uff schrift, herzogk Johans zu Sachsen etc. erschinen". 2. 'Dozumahel, als Strauß mit den barfüsern disputirt, habe er (Müntzer) sich vornemen lassen zu den bruedern: Woe dye Luderischen nichts anders ausrichten wolten, dan das sye dye leute vexirten, monch und pfaffen, hetten sye es gleych so mer underlassen.' 3. (Strauß) 'habe syder der zeyt widder ine (sc. Müntzer) geschriben an eynen Johans Koler zu Molhawsen: Woe ine

Münster und Strauß

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(sc. S t r a u ß ) des weges nit verdrösse mocht er woll gegen Mollhawsen komen und ine (sc. Müntzer) vortreyben; sey villeycht dorumb gescheen, das er (sc. Strauß) gerne selber do gewest were'. Barge inpretiert nun so: Müntzer hat Doktor Strauß zu Weimar angeredet, als Strauß auf Einladung Herzog Johanns etc. erschienen. Dazumal, als Strauß mit den Barfüßern disputiert, habe er (Strauß) sich zu den Brüdern (sc. den Barfüßern) vernehmen lassen: 'während die Lutherischen zuerst nur darauf ausgegangen wären, die Mönche und P f a f f e n bloßzustellen, hätten sie es gleichwohl weiterhin unterlassen' (Barge, S. 36). Punkt 1 und 2 der Aussage Müntzers bezieht Barge also auf denselben Gegenstand, nämlich die Disputation von 1522. Nach meiner Deutung handelt es sich aber um zwei verschiedene Dinge, nämlich bei 1 um das Weimarer Verhör Müntzers vom 1 . August 1524, bei 2 um die Disputation von 1522, wobei aus der Aussage keineswegs zwingend hervorgeht, daß Müntzer an ihr teilgenommen hat. Barge hat diesen zweiten Satz der Aussage Müntzers m. E . gänzlich mißverstanden. Nicht Strauß hat die angeführte Äußerung zu den 'Brüdern'-Barfüßern getan, sondern Müntzer hat sich so zu s e i n e n Brüdern, d. h. seinen Anhängern und Bundgenossen, geäußert. So heißt es in Aussage 1 2 des 'Bekenntnisses': ' E r Apels von Ebeleben haus ist von bruedern zu Molhawsen geplündert und zerbrochen": auch hier bedeutet 'Brüder' soviel wie Anhänger Müntzers (und Pfeiffers), den sog. Mühlhauser Haufen (vgl. Jordan, Die Züge des sog. Mühlhauser Haufens nach Osten [1525] in: Mühlhäuser Geschichtsblätter X I I [ 1 9 1 1 / 1 2 ] , S. 69ff). Daß Strauß nicht eine solche Äußerung zu seinen Gegnern, den Barfüßermönchen, getan haben kann, wird ganz deutlich, wenn man sie im Gegensatz zu Barge r i c h t i g ins Neuhochdeutsche übersetzt. Dann lautet sie nämlich: 'Wo die Lutherischen nichts anders ausrichten wollten, denn daß sie die Leute — Mönche und P f a f f e n — verspotten, hätten sie es ebensogut unterlassen (können)' (vgl. A. Goetze, Frühneuhochdeutsches Glossar, s. v. gleich so mer = ebensogut, S. 108). Diese Äußerung ist echt müntzerisch und bezieht sich sicherlich nicht auf das, was Müntzer selbst bei der Disputation gehört hat, sondern sie bezieht sich lediglich auf die von Strauß besorgte Veröffentlichung der Akten der Disputation von 1522, in deren Vorrede es heißt: Die Schrift offenbare, 'daß weder Holzschuhen, Strick, Kappen noch beschorenem Kopf, auch keinen irrigen Sekten oder Orden zu vertrauen' sei, und er, Strauß, habe die Dokumente der Disputation zum Druck befördert, ' damit die elenden Sophisten in ihrer eigenen Hoffart baß ersaufen' etc. (Barge, S. 37f.). Das ist das Vexieren, das bloße Wortgefecht, das Müntzer an Leuten wie Luther und Strauß gegenüber seinen 'Brüdern' als ungenügend tadelt. Wie hätte auch Strauß während der Disputation eine solche Äußerung zu den Barfüßern tun können, wenn er diese in der Vorrede zum Druck dieser Disputation derartig haranguiert 1 Müntzer kennt aber die Disputation so gut wie sicher nicht aus eigener Anwesenheit, sondern nur aus dem von Strauß besorgten Druck, befand er sich doch i. J . 1522 ohne festen Aufenthaltsort als Agitator dauernd unter-

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Die Sozialanschauungen von Jakob Strauß

g e r e g t ' 1 , w a s s o v i e l h e i ß t w i e : in B e w e g u n g g e s e t z t . V i e l l e i c h t ist S t r a u ß a u c h d e r j e n i g e g e w e s e n , d e m M ü n t z e r seine n e u e Schrift zur Aushändigung

a n die h e r z o g l i c h e

Kanzlei

über-

geben hat. W e l c h e R o l l e S t r a u ß d a m a l s t a t s ä c h l i c h in W e i m a r g e s p i e l t h a t , d a r ü b e r f e h l e n u n s j e d o c h alle N a c h r i c h t e n .

Erschließen

l ä ß t s i c h a b e r s o v i e l , d a ß er o f f e n b a r s c h o n d a m a l s m i t einer Vermittlungsaktion

e i n s e t z t e , die er b a l d d a r a u f

fortführen

sollte. Zum

Verständnis

dieser Z u s a m m e n h ä n g e

müssen

wir

an

dieser S t e l l e e i n e n B l i c k a u f die A n s c h a u u n g e n

von

Strauß

w e r f e n , m i t d e n e n er einen solchen E i n d r u c k auf

den Herzog

wegs, eine Tatsache, die allein schon genügt, um eine Einladung Müntzers zur Disputation durch Herzog Johann unwahrscheinlich zu machen. Die Äußerung über das bloße Vexieren der Mönche und Pfaffen durch die Lutheraner liegt ganz in der Linie des Satzes aus der 'Hochverursachten Schutzrede' Zeile 384ff,: 'Du waist aber wol wen du solt lestern, die armen Münch und pfaffen und kauffleuth, können sich nit weren, darumb hast du sye wol zuscheiten. Aber die gottlosen Regenten soll nyemant richten. . . . ' Müntzer hat also in Punkt 2 von Nr. 8 seines Verhörs aussagen wollen, daß ihm Strauß auf Grund der Disputation von 1522 als nicht radikal genug erschienen ist. Und nun erhält auch Punkt 1, daß er Strauß in Weimar, als er dort zum Verhör erscheinen mußte, 'angeredet' oder 'angeregt', d. h. mehr in revolutionäre Bewegung zu setzen versucht habe, erst die richtige Beleuchtung. Denn so bekommt die ganze Aussage Müntzers, richtig interpretiert, folgenden Sinn: Müntzer sagt, er habe Doktor Strauß zu Weimar in stärkere Bewegung zu setzen versucht, als er (Müntzer) auf Schreiben Herzog Johanns (das etc. bedeutet wahrscheinlich 'wegen der Allstedter Angelegenheiten') zum Verhör erschienen. Dazumal nämlich, d. h. zu einem anderen früheren Zeitpunkt, als Strauß mit den Barfüßern disputiert, habe er, Müntzer, zu seinen Anhängern gesagt: Wenn die Lutheraner es beim Vexieren der Pfaffen und Mönche bewenden lassen wollen, hätten sie erst garnicht anzufangen brauchen. Müntzer hat m. a. W. Strauß 1524 in Weimar im Sinne seiner 'Fürstenpredigt' beeinflussen wollen. Bloße Aussagen über die Disputation von 1522 und Strauß' Äußerungen dabei konnten bei dem peinlichen Verhör Müntzers niemanden inter essieren, wohl aber die Stellung Müntzers zu Strauß. 1 'angeregt' steht in der Marburger Handschrift (M) und dem Leipziger Druck (L) des Bekenntnisses von 1525. Die Dresdner Handschrift (Dr) hat 'angeredt.' Obgleich Dr im allgemeinen die bessere Überlieferung darstellt, geben wir im vorliegenden Falle, von unserer Auffassung der Zusammenhänge her, M und L den Vorzug.

Die Sozialanschauungen von Jakob Strauß

87

machte. Die Hauptquelle dafür sind die 'Hauptstück und Artikel Christlicher Lehr wider den unchristlichen Wucher* von 1 5 2 3 S t r a u ß sieht in der Einrichtung des Kapitalzinses und des Geldgeschäftes, die er als 'Wucher' bezeichnet, die Hauptwurzel, den Nährboden aller sozialen Ungerechtigkeit. Der 'Wucher' ist ein starker Grund des 'unersättlichen Geizes' der Pfaffen und Mönche. Der Wucherzins ist auch die Grundlage des Müßiggangs des geborenen Adels und der gemeinen Bürgerschaft, worin sie vom Papst eine Bekräftigung haben. Christus hat allen Reichtum ungerechtfertigt genannt, daher müssen der Christen Güter, die aus dem Wucher herrühren, als geraubt, gestohlen und unehrenhaft erkannt werden. Alle Wucher-Handlung, d. h. Zins geben oder nehmen 'verwirft ganz gröblich das Kreuz und das Leben unseres Herren Christi': in dieser Wendung berührt sich Strauß am innigsten mit Müntzer. Worin sich beide aber grundsätzlich unterscheiden, ist, daß Strauß jegliche revolutionäre Gewaltanwendung verwirft. 'Hüt dich, frommer Christ, daß du nit gedenkest, Gewalt mit Gewalt zu dämpfen. Du hast hier keine Wehr, denn Gottes Wort mit Geduld.' Der Widerstand besteht vielmehr darin, daß ein Christ lieber Not leidet als Geld gegen Zinsen annimmt oder ausleiht. Kein König, Fürst oder Herr soll seine Untertanen zum Zinsgeben zwingen oder beim Zinsnehmen beschützen, 'sie wollen denn offenbar. . . (als) Tyrannen wider den Glauben und Gottes Wort erfunden werden'. Alle Gewalten und Richter, die dem gemeinen Mann den Zinszwang aufdringen, können Gottes Reich nicht besitzen. Der arme einfältige Mann, der infolge der Lehre der Pfaffen, Doktoren und Mönche des Widerchrists vom Evangelium nichts weiß, soll jetzt, wo er der Wahrheit Erkenntnis gewinnt, 'um kein Gebot noch Gewalt den Wucher bezahlen'. Das Ziel von Strauß war also eine allgemeine Verweigerung der Rentenund Zinszahlungen, modern ausgedrückt die Verhinderung arbeitlosen Einkommens mit Beihilfe einer dafür zu gewinnenden Obrigkeit. Diese sollte Herzog Johann von Sachsen sein. 1 Abgedruckt in Miscellaneen Literarischen Inhalts hrg. von Georg Theodor Strobel, Dritte Sammlung (1780), S. 11 ff. Vgl. S. 38ff. und H. Barge, a. a. O. S. 61 ff.

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l a e Sozialanschaungen von Jakob Strauß

Im Gegensatz zu Müntzer, der aufs Grundsätzliche ging, hat Strauß den Ansatz zu einem detaillierten wirtschaftlichen Programm aufzuweisen. Luther hatte es, wir wissen es bereits, verworfen. E s ist möglich, daß Luthers Schrift 'Von Kaufshandlung und Wucher' von 1524 mit auf den durch Jakob Strauß verursachten Streit über den Zins zurückgeht 1 . In der Frage der Obrigkeit war Strauß gemäß seiner Verwerfung revolutionären Widerstandsrechtes konservativer als Müntzer, aber mit unverkennbarer und unbedingter sozialer Einstellung. Der Staat 2 ist ihm ein Körper, dessen Haupt die Fürsten, dessen Augen und Hände die 'Weltgelehrten und Gewaltigen bei den Fürsten' sind, dessen Füße aber, 'die das Haupt und ganzen Leib tragen müssen', die armen Arbeiter sind. Diese aber sind 'verachtet und ganz gering geschätzt'. Strauß mächt dafür in erster Linie die fürstlichen Ratgeber, die 'Augen und Hände', verantwortlich, die allein ihrem Eigennutz folgen: Sie haben es nur darauf abgesehen, daß das Regiment und die Gewalt ausschließlich in ihre Hände gerät und daß die Fürsten inzwischen 'ihren zarten alten Adam wohl pflegen und nach überflüssiger Pracht und Wollust leben'. Wenn sie dann die Fürsten dahin gebracht haben, daß sie das 'wunderbarlich köstlich und edel Amt fürstlicher Regierung mit dem geringsten Finger gründlich und tüchtig nit anrühren, sondern daß es ihnen und ihrem Eigennutz anbefohlen wird, so werden die 'Füße und Beine' schmerzhaft und verwundet' ja auch ganz 'gliedbrüchig und verderbt'. Und dann muß nach der ewigen Weisheit Lehre ein jeglich Reich veruneinigt werden und durch die Eigennützigen zugrundegehen. Denn die Fürsten werden durch solche Leute zur Ungnade gegen die armen Untertanen immer mehr gereizt und ergrimmt, 'demnach auch die armen verlassenen Untertanen . . . in Unwillen und Widerspenstigkeit geführt'. 1

Vgl. H. Barge, a. a. O. S. g i f . Ebenda, S. 62f. u. S. 8off. Luthers Stellung in der Zins- und Wucherfrage, auf die näher einzugehen in unserem Zusammenhange nicht nötig ist. 8 F ü r das Folgende vgl. Jacob Strauß' Schrift: Auffrur, Zwitracht vnd Vneinigkeyt zwischen woren Euangelischen Christen furzukommen etc. 1 5 2 5 . Einen Auszug daraus gibt Strobel in seinen 'Miscellaneen', S. 1 8 f f . Vgl. Barge, a. a. O. S. H 4 f f .

Karlstadt und Müntzer

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Strauß war eine vermittelnde Natur: symbolisch ist dafür sein Schicksal im Bauernkriege: die Bauern wollten ihn in die Werra werfen, während die Fürsten ihn enthaupten wollten, wovor ihn nur Luthers Einspruch bewahrt hat 1 . Strauß war aber auch ein praktischer Kopf, jedoch kein Theologe von Bedeutung. In dieser Eigenschaft stand Müntzer dagegen ein anderer Luthergegner näher, ja theologisch geradezu in Abhängigkeit von ihm: Andreas Bodenstein von Karlstadt. Karlstadt hat von Müntzer die ganze 'Geistestheologie' die Lehre von der unmittelbaren, von Schrift und Wort unabhängigen Inspiration übernommen, jedoch ohne aus dieser antitraditionalistischen Grundauffassung Sozialrevolutionäre Konzequenzen zu ziehen. Er ist infolge seiner kontemplativen Grundhaltung in der theologischen Sphäre geblieben, er hat die Konsequenzen seiner Theologie nur für sich persönlich gezogen, indem er vom Wittenberger Universitätsprofessor zum handarbeitenden Bauern geworden ist, der sich von seinen Nachbarn 'Meister Endres' nennen ließ und wie sie einen grauen Bauernkittel trug. Daneben wirkte er als unbestätigter Prediger in Orlamünde im Sinne einer radikalen bilderstürmerischen Reform des Gottesdienstes und des freien Gemeindelebens. Luther identifizierte ihn ohne weiteres mit Müntzer, mit dem Karlstadt schon seit 1522 in fortwährendem Gedankenaustausch stand2 Die ersten Täufer, Konrad Grebel und seine Genossen, bekannten 1524 3 , daß Müntzer und Karlstadt mehr täten als alle Predikanten aller Nationen. Beide seien bei ihnen 'für die reinsten Auskünder und Prediger des reinsten göttlichen Wortes geachtet'. Auch von Jakob Strauß erwarteten sie viel Gutes und von etlichen anderen, 'die wenig geachtet werden bei den hinlässigen Schriftgelehrten und Doctoren zu Wittenberg'. Wenn Müntzer, Karlstadt, Jakob Strauß und der Mansfelder Apokalyptiker Michael Stiefel nicht so gar rein bemüht sein sollten, wäre wohl 'ein elend Evangelium in die Welt kommen'. 1 Vgl. Strobels Miscellaneen, S. iyi., S. 20. Barge, a. a. O. S. 102 u. 109. s Vgl. Thomas Müntzers Briefwechsel, Register. * Konrad Grebel und Genossen an Müntzer, 5. Sept. 1524. Ebenda, S. 92.

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Die Täufer, Karlstadt und Müntzer

Dieses Zeugnis aus der Frühzeit des Täufertums zeigt deutlich, wie man außerhalb Kursachsens den Verlauf der geistigen Fronten innerhalb des Zentrums der Reformation beurteilte. Auch diese Täufer verwarfen die revolutionäre Gewaltanwendung, die Müntzer vertrat, und hofften ihn in die sozialreformerische Linie der Karlstadt und Strauß einschwenken zu sehen. Müntzer dagegen hatte bereits im Juli 1524, auf dem Höhepunkt seines Allstedter Wirkens, Karlstadt und seine Orlamünder Gemeinde für seine Revolutionspläne zu gewinnen versucht. Aber, wie es heißt, Karlstadts 'Geblüt erkaltete' vor Schreck 1 . Die Orlamünder mußten einen offenen Brief an Müntzer schreiben, der überdies in Wittenberg gedruckt wurde: 'Der von Orlemund Schrift an die zu Allstedt, wie man christlich fechten soll' 2 . Hierin verwarfen sie alle revolutionäre Gewaltanwendung, ebenso wie Karlstadt an Müntzer schrieb 3 : 'Ich wundere mich über jene Vermessenheit und verabscheue sie.' Wenn Luther trotz der öffentlichen Absage Karlstadts eigensinnig daran festhielt, daß Karlstadt und Müntzer von einer Farbe seien, so lag dem die Erkenntnis von dem 'freiheitlichen' Charakter des beiden gemeinsamen theologischen Prinzips zugrunde. Heinrich Pfeiffer, die stärkste revolutionäre Kraft des mitteldeutschen Bauernkrieges neben Müntzer, hat nach seiner Gefangennahme ausgesagt, 'er sei mit Luther und Straußen nit eins, Carlstadt hab er nit gesehen, aber seiner Lehr sei er anhängig gewest' 4 . Karlstadt und Orlamünde bereiteten Luther und der Obrigkeit um diese Zeit ähnliche Sorgen wie Müntzer und Allstedt. Strauß stand zwischen den Parteien in der Mitte mit seiner starken sozialen Tendenz auf der einen, seiner Fürstentreue auf der anderen Seite. Diese Konstellation muß man sich vor Augen halten, um die Richtung seiner Pläne mit dem Herzog Johann und Müntzer zu verstehen. 1

Herrn. Barge, Andreas Bodenstein von Karlstadt (1905) II, S. 1 1 4 . Ebenda, S. 1 1 5 . 8 19. Juli 1 5 2 4 . Briefw. S. 68. 4 Heinrich Pfeiffers Urgicht [vor 27. Mai] 1 5 2 5 . Akten z. Gesch. d. Bauernkrieges in Mitteldeutschland, II. S. 383. 2

Auseinandersetzung Müntzers mit den Alltstedtern

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Zunächst aber müssen wir uns nach Allstedt zurückwenden. Müntzer war kaum nach seinem Amtssitz zurückgekehrt, als er, am 3. August, von Zeiß und der Stadtbehörde auf das Schloß vorgeladen wurde 1 . Anwesend waren außer Zeiß der Stadtschultheiß Nickel Rückert und die Ratsmitglieder Hans Bosse und Hans Reichart, Müntzers Drucker, die allesamt mit ihm in Weimar gewesen waren, sowie der übrige Rat und einige Gemeindemitglieder. Und hier erst erfuhr Müntzer, daß diese seine Allstedter Bundgenossen ihn im Angesicht der Obrigkeit preisgegeben hatten. Müntzer hat nämlich erklärt, der Erzjudas Ischarioth Nickel Rückert, Bosse und Reichart — Zeiß hat er immer ausgenommen — hätten ihn verraten und 'dem Fürsten zu den Heiligen geschworen', ihn um den Hals zu bringen und sich nicht geschämt, sich dessen auf dem Schloß ihm ins Angesicht zu bekennen 2 . E r habe gesehen, daß die Eide und Pflichten, die sie 'dem armen Menschen' nämlich dem Fürsten, getan, ihnen viel mehr gälten, denn der Bund Gottes. Auch in der Schrift gegen Luther ist er darauf zurückgekommen: 'Ich sah mit meinen sichtigen Augen, daß sie viel mehr ihre Eide und Pflichten denn Gottes Wort achteten.' Die Allstedter eröffneten Müntzer den Befehl zur Verabschiedung des Druckers und zur Auflösung des Bundes, wie es ihnen in Weimar aufgegeben war 3 . Daß Müntzer diese Eröffnung unerwartet kam, zeigt die große Erregung, in die er geriet. Am meisten traf ihn offenbar die Schließung der Druckerei. Er sagte, daß man ihm die Druckerei in dem Augenblick versperre, wo Martinus Luther ein Schmähbüchlein wider ihn habe ausgehen lassen, so daß man ihm verwehre, sich L Schösser, Schultheiß und R a t zu Allstedt an den Kurfürsten Friedrich, 3. August 1 5 2 4 . Neue Mitt. X I I , S. 186. 2 Dieses 'auf dem Schloß' hat die bisherige Müntzerforschung stets auf das Weimarer Schloß bezogen, während Müntzer tatsächlich das Allstedter Schloß meint. Abgesehen von den oben entwickelten Gründen geht das auch aus dem Schlußabsatz der ' Hoch verursachten Schutzrede' hervor, wo es heißt: ' D a ich heimkam von der Verhörung zu Weimar . . . da kamen meine Ratsherren und wollten mich den höchsten Feinden des Evangelii überantworten . . . ich sah mit , meinen sichtigen Augen, daß sie viel mehr ihre Eide und Pflichten, denn Gottes Wort achteten.' 8 Vgl. Anm. 1.

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Müntzer gewinnt von neuem Boden

dagegen zu verantworten. Er bat 'mit großem Eifer', an dem Drucker festzuhalten. Als man ihm darauf erklärte, man könne den Drucker gegen den Willen der Regierung nicht halten, geriet Müntzer in großen Zorn und verlor einen Augenblick die kühle Besinnung. Er rief aus: 'Wenn die Fürsten von Sachsen mir meine Hände also binden wollen, und nicht gestatten, meine Notdurft wider Luther auszuschreiben, so will ich ihnen das Ärgste tun, was ich kann oder vermag.' Nun waren aber die Allstedter bereits in Weimar gerüffelt worden, daß sie die Ausfälle Müntzers auf der Kanzel gegen den Kurfürsten hatten hingehen lassen, und sie antworteten ihm, solche Worte könnten sie weder dulden noch verschweigen. Müntzer faßte sich und sagte, er hätte es nicht so gemeint, es sei seine Absicht gewesen, es 'der Christenheit zu klagen', und die würde den Fürsten von Sachsen das Ärgste antun, was sie könnte und vermöchte. Die Allstedter bestanden aber auf den ersten Worten und sagten, es betreffe ihre Pflichten, sie könnten jene Worte dem Kurfürsten nicht vorenthalten. Sie stehen denn auch in dem Bericht, den Schösser, Schultheiß und Rat zu Allstedt am 3. August an den Kurfürsten abgelassen haben. Mit großer Mühe brachten sie Müntzer endlich soweit, daß er den Anwesenden gelobte, Allstedt nicht zu verlassen, sondern, wenn er vor den Kurfürsten gefordert werde, sich jener Worte wegen zu verantworten. Auch gab er dem Drucker einen 'gütlichen Abschied' und versprach, den Bund nicht aufrechtzuerhalten und alle Bundgenossen von ihrer Mitgliedschaft zu entbinden. Soweit waren die Allstedter den in Weimar erhaltenen Weisungen nachgekommen, und soweit geht der erste Teil ihres Berichts. Der zweite Teil erweckt nun aber nach dem Vorangegangenen doch einiges Erstaunen und läßt vermuten, daß Müntzer doch noch einiges mehr, das sich auf seine Machtstellung und seine große Gefolgschaft im Volke bezog, gesagt hat, als in dem ersten Teil enthalten ist und daß er damit auf einen Teil der Zuhörer Eindruck gemacht hat. Daß zu diesem Teil der Anwesenden vor allem Zeiß gehört hat, ist schon daraus zu erschließen, daß Müntzer in der Folgezeit niemals Zeiß zu den

Müntzer an den Kurfürsten

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'Verrätern' gezählt hat. Darüber hinaus wird wiederum der Gedanke eines Glaubensverhörs Müntzers mit denselben Argumenten vertreten, die Zeiß schon mehrmals vor seinen Fürsten geäußert hatte. Dieser Teil des Berichts beginnt mit einem großen 'Aber', das gewissermaßen nach dem sachlichen Bericht über die Ausführung der Weimarer Anweisungen die eigene Meinung der Berichterstatter oder wenigstens eines Teils von ihnen einleitet, und diese Meinung lautet: Weil Luther gegen 'unseren Prediger' schreibt, so muß ja billig sein, daß er auch darauf antworten kann: Damit traten sie trotz ihrer entgegengesetzten Haltung im ersten Teil des Berichts doch wieder für die Beibehaltung des Buchdruckers ein. Die Absender bitten den Kurfürsten inständig, Müntzer unverhört nicht zu verdammen, sondern aufs baldigste verhören zu lassen. Damit war natürlich kein Polizeiverhör, sondern eine Disputation gemeint. Wenn es der Kurfürst nicht bald tun wird, so wird ein großer Aufruhr und Blutvergießen daraus entsprießen, da manches gequälte Gewissen Müntzers Lehre annimmt und nicht anders weiß, als daß seine Lehre den rechten Christenglauben mehr denn die Lehre Luthers herstellt und anzeigt. 'Denn wo er ohne Verhör sollte weg weichen, möchte manch Gewissen darinnen beunruhigt und vom rechten Wege der Seligkeit abgerissen werden.' Es wird hier schon angedeutet, welche Möglichkeit Müntzer in der Hand hatte, durch eine Flucht aus Allstedt, die leicht den Eindruck einer Vertreibung erwecken konnte, den Kurfürsten in den Augen vieler seiner evangelischen Untertanen ins Unrecht zu setzen. Der Bericht schließt mit den Worten: 'Darum wollen Euer Kurf. Gnaden nicht des Predigers, sondern unser armen Leute Seligkeit bedenken und je eher je besser dazutun; denn es ist in unserm Vermögen sonst nicht, Aufruhr zu erwehren.' Die gehorsamen Allstedter schlössen unversehens schon wieder fast mit einer Drohung. Der Bericht der Allstedter Behörden war von einem persönlichen Schreiben Müntzers an den Kurfürsten begleitet 1 . Er hat es offenbar gleich auf dem Schloß diktiert, denn die Aus1

Müntzer an Kurfürst Friedrich, 3. August 1524. Briefw. S. 84.

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Müntzer an den Kurfürsten

fertigung ist nicht wie die anderen Schreiben Müntzers an Friedrich den Weisen eigenhändig. Das alles zeigt, daß er auf dem Schloß doch schon wieder etwas Oberwasser bekam. Das Schreiben Müntzers geht genau auf die Punkte ein, die der zweite Teil des Berichtes der Allstedter enthielt: die Druckerei und die Disputation; es ist dazu bestimmt, jene Argumente zu verstärken, aber auch zu erläutern. Müntzer erklärt: die arme zerfallende Christenheit ist nicht bloß teilweise zu tadeln, sondern ganz und gar bei der Wurzel anzugreifen, wie das Gott schon zum Teil an etlichen Orten — gemeint ist vor allem Allstedt — getan hat. Es treibt aber jetzt der Satan die gottlosen Gelehrten zu ihrem Untergang wie zuvor Mönche und Pfaffen, denn sie lassen ihren Schalk hervorgucken, indem sie den heiligen Geist Christi aufs verächtlichste zum Spottvogel machen und ihn in vielen Auserwählten einen Teufel schelten, wie jetzt der verlogene Luther tut in seinem Schandbrief an die Herzoge zu Sachsen, der wider Müntzer ausgegangen ist, worin er so grimmig und gehässig einherplatzt als ein prächtiger Tyrann ohne alle brüderliche Vermahnung. Deshalb soll der Kurfürst ernstlich erwägen, was für ein 'Scherz' daraus entstehen möchte, wenn Müntzer ihm sein Lästermaul vergelten wollte, was er jedoch nicht beabsichtigt, wenn er auch wegen des Ärgernisses der frommen Leute aus fremden Ländern und Städten, die seine Lehre gehört haben, solches schwerlich unbeantwortet lassen kann. 'Derhalben bitte ich treulich, Eure tätige Güte wollen mir nit wehren oder verbieten, der armen Christenheit zu Frommen zu predigen und zu schreiben.' Aber was für eine Predigt wird das sein ? Müntzer antwortet: 'Ich predige einen solchen Christenglauben, der mit dem Luther nit einstimmt, sondern der da in allen Herzen der Auserwählten auf Erden gleichförmig ist.' Und selbst ein geborener Türke, fährt Müntzer fort, hat doch den 'Anfang', d. h. den Keim desselben gleichen allgemeinen Glaubens in sich, nämlich die Möglichkeit, durch den 'Geist' bewegt und erweckt zu werden, wie von dem römischen Hauptmann Cornelius in der Apostelgeschichte geschrieben steht. Müntzer gibt hier einen Gedankengang aus seiner kurz zuvor verfaßten 'Ausgedrückten Entblößung' wieder, mit dem er sich aufs schärfste von Luther

Müntzer über seine Theologie

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absetzt. Nach Luthers Auffassung kann man, meint Müntzer, zum rechten, wahren Glauben der wiederum das ganze gesellschaftliche Handeln des Menschen bestimmt, nur durch die Bibel kommen, deren Verständnis zu erschließen das ausschließliche A m t der gelehrten Theologen ist, die aber nach Müntzers Auffassung allein im Dienste der herrschenden Mächte zur Aufrechterhaltung der sozialen Ungleichheit stehen. 'Unsere Gelehrten wollten gern das Zeugnis des Geistes Jesu auf die Hohe Schule b r i n g e n ' d a m i t der gemeine Mann ihnen durch die Lehre nicht gleich werde. Müntzers Lehre dagegen enthält eben dieses Prinzip der Gleichheit, er will auf den 'Geist' zurückgehen, der auch die Bibel hervorgebracht hat, und der noch jetzt wie vom Augenblick der Schöpfung an in jedem Menschen jeden Standes und jeder Nation schlummert und keiner Bibel, überhaupt keiner traditionellen Lehre, sondern nur der echten Erfahrung des Leidens bedarf, um aktuell zu werden. Die Bindung des rechten Glaubens an die in den Händen der gelehrten Theologen monopolisierte Auslegung der Bibel ist in den Augen Müntzers nur ein neues Mittel, das Volk in geistiger Unmündigkeit zu erhalten. Dagegen bedeutet Müntzers Begriff des in jedem Menschenherzen schlummernden 'Geistes', der unabhängig von überlieferter Lehre und Schrift durch bestimmte echte Erfahrungen bewußt gemacht wird, ein freiheitliches umwälzendes Element, sein Begriff des 'heiligen Geistes' ist ein demokratisches und revolutionäres Prinzip, das alle die zusammenschließt, die zum Leiden und zum Widerstreben gegen die Üppigkeit der Welt bereit sind. Das Erkennungsmittel der durch diesen Geist 'Auserwählten' ist, daß sie Rechenschaft, d. h. Bekenntnis ablegen können darüber, wie sie auf unabhängige, selbsterfahrene Weise zu ihrem Glauben gelangt sind. So heißt es in der 'Ausgedrückten Entblößung': 'Wenn einer nun sein Leben lang die Bibel weder gehört noch gesehen hat, könnte er wohl für sich durch die richtige Lehre des Geistes einen unbetrüglichen Christenglauben haben, wie alle die gehabt, die ohne alle Bücher die heilige Schrift geschrieben haben' 2 . Aber er muß über seinen 1 1

Ausgedr. Entbl., 43 ff. Ausgedr. Entbl., i 6 7 f f .

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Schrift und unmittelbare Offenbarung

Glauben Rechenschaft ablegen 'vor den Menschen, die auch einen bewährten ungedichteten Glauben haben . . . wie das Gold im Feuer des allerhöchsten Herzeleides bewährt' 1 . Müntzer meint, daß es unter allen Nationen und Religionen 'Auserwählte' gibt, die, obwohl unter 'Ungläubigen' aufgewachsen, die 'rechte Wirkung und die Lehre Gottes ohne alle Bücher erfahren' haben 2 . Aber die Schriftgelehrten behaupten, nur die Schrift kann den Glauben geben, 'und die gottlosen Weichlinge wissen doch keinen entscheidenden Beweggrund, warum die heilige Schrift anzunehmen oder zu verwerfen sei, als allein den, daß sie von altem Herkommen und also durch viele Menschen angenommen ist' 3 . Aber war mit einer solchen Grundauffassung, die den Menschen von jeher überlieferten Autorität befreite und alles auf das persönliche Erlebnis stellte, das allerdings bei allen Menschen gleichförmig sein sollte, überhaupt ein Religionsgespräch im herkömmlichen Sinne möglich ? Konnte man mit jemandem disputieren, der diese Erfahrung nicht kannte und sie leugnete ? Luther würde auf Grund der Schrift disputieren wollen, Müntzer auf Grund der persönlichen Erfahrung des 'Geistes'. Luther würde den Bibelbuchstaben zum Zeugnis anrufen, Müntzer konnte nur das Zeugnis anderer 'Auserwählter', die vom 'Geist' bewegt waren, heranziehen, und je unabhängiger von der Schrift dieser Geist in ihnen zum Durchbruch gelangt war, desto beweiskräftiger mußte es sein. So schrieb Müntzer denn wegen des Glaubensverhörs am 3. August auf dem Allstedter Schloß an Friedrich den Weisen: 'Drum, wenn ich sollt verhöret werden vor der Christenheit, so müßt man entbieten, kundtun und zuschreiben allen Nationen der Menschen, die im Glauben unüberwindliche Anfechtung erduldet hätten, ihre Verzweiflung des Herzens erfahren und durch dieselbe allenthalben erinnert wären. Solche Leut möcht ich zu Richtern erdulden. Darum will ich den Winkel zu meinen Verhören meiden, darauf mich die Schriftgelehrten dringen.' Mit dem 'Winkel' ist eine nicht öffentliche Disputation mit 1 Ausgedr. Entbl., 1 7 2 ff. ' Ausgedr. Entbl., 1 8 3 f f . ' Ausgedr. Entbl., 202 ff.

Die Frage der Disputation

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Luther und den Wittenberger Theologen gemeint. Es ist vielfach behauptet worden, Müntzer sei aus Feigheit einem Gespräch mit Luther ausgewichen. Denkbar ist, daß Müntzer sich an dialektischer Gewandtheit Luther unterlegen fühlte — er hatte Gelegenheit gehabt, ihn auf der Leipziger Disputation mit Eck zu beobachten —, aber das Entscheidende war doch die Erkenntnis, daß sich bei ihm und Luther zwei unversöhnliche Prinzipien gegenüberstanden, zwischen denen mit dem traditionellen Mittel eine Disputation keine Entscheidung herbeizuführen war. So hatte er auch schon in seiner Erklärung für den Herzog Johann vom 13. Juli geschrieben: 'Wollt Ihrs haben, ich soll vor den von Wittenberg allein verhört werden, das bin ich nicht geständig. Ich will die Römer, Türken, den Heiden, dabei haben.' Herzog Johann hatte zu dieser Erklärung bemerkt, er verstehe nicht, was Müntzer damit meine 1 . Als der Schösser Zeiß Ende Juli an den Herzog berichtet hatte, daß Müntzer sich täglich erbiete, er wolle vor einer 'gemeinen Versammlung' sich über seine Lehre verhören lassen, hatte einer der Weimarer Beamten an den Rand geschrieben: 'Was soll das für eine Versammlung sein' ? 2 Jetzt in seinem Schreiben an Friedrich den Weisen gab Müntzer die eigentliche Antwort. Freilich, das Ausschreiben an alle Nationen, die Einladung von Römern, Türken und Heiden zu dem großen Religionsgespräch war mehr rhetorisch, als Ausdruck des universalen Anspruchs von Müntzers Lehre, zu verstehen. In dieser gegenwärtigen konkreten Situation trat für diese Vertreter der ganzen Menschheit zunächst etwas anderes ein. Müntzer schreibt: 'Christus wollt vorm Hannas nit sich selbst beschuldigen, sondern sagte: Was fragst du mich, frage die, die meine Lehre gehört haben. Da hat er den gottlosen Regenten an das Volk gewiesen.' Ähnlich, mit derselben Schriftstelle, steht es in der kurz zuvor geschriebenen 'Ausgedrückten Entblößung', 3 während deren für die Zensur ge1

Herzog Johann an Kurfürst Friedrich, 6. August 1524. NeueMitt. XII, S. 189. ! Ebenda, S. 181, Anm. 2. ' Ausgedr. Entbl., 38ff. Hinrichs.

Lutherund

Müntzer

7

Die Frage der Disputation

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kürzte Fassung nur von seiner berechtigten Scheu vor dem 'Gefährlichen Winkel' spricht 1 . Dieser Ausdruck führt uns nun noch auf ein anderes, äußeres Argument, weshalb Müntzer das Volk bei einer Disputation dabei haben wollte. Umschreiben wir zunächst noch einmal die inneren Gründe: die Wahrheit und Rechtmäßigkeit seiner Lehre gegenüber der Luthers war nach Müntzers Auffassung mit den Mitteln theologischer Gelehrsamkeit und Schriftauslegung überhaupt nicht zu erweisen, sie war Sache des Bekenntnisses und des Zeugnisses von der Gewißheit einer inneren Erfahrung. Trat er allein mit einem solchen Bekenntnis auf, so würde man ihm sogleich den Einwand der Subjektivität machen. Er mußte zeigen, daß der 'Geist', von dem er zeugte, etwas in den Herzen der Menschen 'Gleichförmiges' sei, daß viele Menschen die gleiche 'Rechenschaft' — dies ist Müntzers Ausdruck für 'Bekenntnis' — ablegen konnten. Und diese Menschen glaubte er in den Massen zu sehen, die ihm seit seinem Auftreten in Allstedt zugeströmt waren. Von ihnen glaubte er sich verstanden, ihre 'Erweckung' durch den 'Geist' war ihm zugleich die Gewähr dafür, daß die 'Veränderung der Dinge', das Ende der bisherigen Geschichte bevorstand. Soweit die inneren Gründe, aus denen heraus er nur in Anwesenheit des Volkes, an seiner Spitze gleichsam als Vertreter eines anderen Wissens als der Buch- und Schriftgelehrsamkeit, 'disputieren' wollte. Dazu nun aber die äußeren Gründe: der 'gefährliche Winkel', dem Müntzer beim Verhör vom i . August auch die Forderung nach einem Glaubensverhör vor einer 'ungefährlichen Gemeinde' entgegengestellt hatte, deutet darauf hin, daß Müntzer in einem Glaubensverhör durch Luther in Wittenberg eine persönliche Gefahr erblickt hat. Möglicherweise hat er geglaubt, daß er bei einer nichtöffentlichen Auseinandersetzung mit Luther gleich zum Ketzer gemacht und der weltlichen Gerichtsbarkeit überliefert werden würde. Darauf weisen auch folgende Wendungen seines Schreibens hin: 'Wie mag ich ihnen denn im Winkel vertrauen ? Wie käm ich dazu, daß sie meine Geduld zu ihrem Schanddeckel nutzen sollten? Es wär gleich, wie sie jetzt sagen: Die 1

Gezeugnis, 19 ff.

Legaler oder revolutionärer Weg?

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Christen sollen leiden und sich martern lassen und sich nit wehren. Das wäre aber den Tyrannen eine große Güte, daß sie derunter ihre Schande wohl decken und üben möchten.' Auch aus diesem Grund wollte er das Volk dabei haben, waren doch auch Luther, Karlstadt und Melanchthon 1519 zur Leipziger Disputation in Begleitung bewaffneter Wittenberger Studenten erschienen, was Müntzer als Augenzeuge erlebt hatte. Ob noch weitergehende Absichten dabei in Müntzer lebten, nämlich seinen Gegner Luther seinerseits durch das Aufgebot seiner Anhänger in Gefahr zu bringen oder wenigstens einzuschüchtern, steht dahin. Auf die Verwirklichung seiner Forderung konnte er kaum rechnen, aber sie lag in der Konsequenz seiner Lehre. Am Schluß seines Schreibens fordert Müntzer noch einmal Freiheit der Lehre und des Druckes. Er habe zwar dem Herzog Johann gelobt, seine Bücher vorm Druck der Zensur vorzulegen, aber, so fährt er fort, 'ich will das giftige und prächtige (hochfahrende) Urteil der Schriftgelehrten nit allein erdulden, sondern auch dessen, der des Glaubens Ankunft (Ursprung) aus zerknirschtem Herzen berechnet (bekennt). Derhalben, wo Ihr mein günstiger Herr und Fürst sein wollt, so will ich bemeldeten Christenglauben am hellen Tage vor der ganzen Welt mündlich und schriftlich lassen ausgehn und aufs allertreulichste eröffnen. Wo aber solches Erbieten bei Eurer Güte nit würd stattfinden, habt Ihr zu bedenken die Scheu und Verzagung des gemeinen Volks gegen Euch und die andern. Denn das Volk großes Verhoffens zu Euch ist und Euch auch Gott vor andern Herrn und Fürsten viel Vorsichtigkeit (Voraussicht) gegeben hat. Wo ihr der aber würdet hieran mißbrauchen (d. h. wo ihr von der aber würdet hierbei einen falschen Gebrauch machen), so würde von Euch gesagt werden: Sieh, dieser Mensch ist, der Gott nit hat wollen zum Schutz haben, sondern er hat sich auf weltliche Üppigkeit (Eitelkeit, Ubermut) verlassen. Drum hab ich Eurem Herrn Bruder die Auslegung des Evangelion Lucä und einen Unterricht durch unseren Schösser schriftlich getan, wie man gütlicher Weise zukünftigem Aufruhr begegnen soll. Ich verhoff, Ihr werdet es halten weil Euch die Welt noch so ehrlich hält, auf daß an Euch nit erfüllet werde Josua am 11., wer den Rat des Dürftigen verachtet, 7*

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Müntzers Lehrschreiben für Herzog Johann

dessen Trost doch Gott selbst ist, der Euch mit all den Euren bewahr nach seinem allerliebsten Willen.' Wir sehen Müntzer also trotz des Weimarer Verhörs und dessen Folgen noch immer an der 'legalen' Linie eines Bundes mit den sächsischen Fürsten festhalten. Daß er in diesem Punkte am 3. August sich noch keineswegs entmutigt und hoffnungslos zeigt, dazu hat gewiß auch die Tatsache beigetragen, daß das Verbot des Bundes und der Druckerei nicht ihm persönlich eröffnet worden war. Der Bund war ein Bestandteil seiner Lehre und über diese war bei seinen Fürsten noch keineswegs das letzte Wort gesprochen. Müntzer hat die Entscheidung zwischen dem 'legalen' und dem revolutionären Weg noch immer nicht endgültig getroffen. Er steht noch auf dem Standpunkt seines Schreibens vom 25. Juli an Hans Zeiß, in dem er dargelegt hatte, daß die sächsischen Fürsten neben ihrer Duldung der freien Predigt noch etwas dazutun müßten, nämlich das bisherige Herrschaftsverhältnis zu ihren Unterr tanen — 'Pflicht und Eide der Heidenschaft' — in einen freien Bund verwandeln zur Verteidigung der Auserwählten gegen die Gottlosen, 'um allem Argen zuvorzukommen, dieweil ihnen (den Fürsten) das Volk noch vertrauet'. Müntzer hat Zeiß zur Weitergabe dieses Lehrschreibens an Herzog Johann veranlaßt, den er mit denselben Worten ermahnte wie jetzt seinen Bruder: 'Ecce homo, qui non posuit deum adiutorem sibi." Und auf eben dieses Lehrschreiben an Zeiß, das tatsächlich zur Weitergabe an die Adresse des Herzogs gerichtet war, hat sich Müntzer auch in seinem Schreiben an den Kurfürsten vom 3. August berufen: es ist n i c h t s a n d e r e s als der d o r t g e n a n n t e ' U n t e r r i c h t , durch unsern Schösser s c h r i f t l i c h g e t a n , wie man g ü t l i c h e r W e i s e z u k ü n f t i g e m A u f r u h r b e g e g n e n soll', dessen V e r l u s t die g a n z e b i s h e r i g e M ü n t z e r - L i t e r a t u r b e d a u e r t , ohne zu erk e n n e n , d a ß er m i t dem S c h r e i b e n v o m 25. J u l i an Z e i ß i d e n t i s c h ist. — Mit der Berufung auf diese Schrift deutet Müntzer an, daß er seinen damaligen Standpunkt trotz des Weimarer Verhörs weder verschärft noch ermäßigt hat. Er betrachtet das Verbot des Bundes und der Druckerei noch nicht als endgültig, er-

Müntzers Lehrschreiben für Herzog Johann

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mutigt offenbar durch die zwiespältige Haltung des Herzogs Johann beim Weimarer Verhör, und mit ihm zum mindesten ein Teil der Allstedter, darunter Zeiß, auf die der zweite Teil ihres Schreibens an den Kurfürsten vom 3. August zurückgeht. Wie stand es aber mit der von Müntzer gleichzeitig mit dem 'Unterricht' erwähnten 'Auslegung des Evangelion Lucä', oder, wie der genaue Titel lautet, dem 'Gezeugnis des ersten Capitels des Evangelions Lucä', das er dem Herzog Johann in Weimar zurückgelassen hatte? Wir wissen schon, daß sie offenbar eine für die Zensur bearbeitete Fassung der 'Ausgedrückten Entblößung des falschen Glaubens' darstellt, die aber auch, wie wir aus dem Schreiben an den Kurfürsten vom 3. August ersehen, dazu bestimmt war, zugleich mit dem 'Unterricht' auf den Herzog zu wirken. Das Letztere setzt voraus, daß das 'Gezeugnis' auf eine Linie mit dem 'Unterricht' gebracht war. Repräsentierte demnach die 'Ausgedrückte Entblößung' die revolutionäre Linie, so daß sie folgerichtig erst nach dem endgültigen Bruch mit den Fürsten gedruckt werden konnte, dann müßte sich also schon in der Tatsache, daß das 'Gezeugnis' zur Zensur vorgelegt wurde, sein 'legaler' Charakter offenbaren. Zur Beantwortung dieser Fragen treten wir zunächst in die Analyse der 'Ausgedrückten Entblößung' ein. Schon die Prophetenworte, die auf der Vorder- und Rückseite des Titelblattes stehen, deuten auf den revolutionären Inhalt der Schrift hin. Auf der Vorderseite heißt es 1 : 'Lieben Gesellen, laßt uns auch das Loch weiter machen, auf daß alle Welt sehen und greifen mög, wer unsere großen Hänse sind, die Gott also lästerlich zum gemalten Männlein (d. h. Götzen) gemacht haben.' Es ist dies eine sehr freie Übersetzung Müntzers von Hes. 8, 7—10. Dies Zitat konnte sich immerhin noch allein auf die falschen Geistlichen einschließlich Luthers beziehen lassen; es steht daher auch als einziges an der Spitze des für die Zensur bestimmten 'Gezeugnisses', allerdings in der gekürzten Form: 'Mach das Loch weiter und laß sie alle sehen, wer die großen Hänse sind' 2 , so daß es dem Leser überlassen 1 2

Thomas Müntzer, Polit. Schriften, a. a. O. Ebenda S. 30.

S. 29.

102

Die 'Ausgedrückte Entblößung'

blieb, zu entscheiden, ob auch weltliche oder nur geistliche Würdenträger gemeint seien. Im übrigen bedeutet der Ausdruck 'Große Hänse' im damaligen Sprachgebrauch noch nicht allzuviel an Schärfe; es kommt selbst in der Korrespondenz des Kurfürsten mit seinen Beamten vor 1 . Anders steht es schon mit den übrigen Zitaten, die allein an der Spitze der 'Ausgedrückten Entblößung' stehen. Zur Erklärung der Verfasserbezeichnung 'Thomas Müntzer mit dem Hammer' zitiert Müntzer Jer. 23, 29: 'Ist mein Wort nicht wie ein Feuer, spricht der Herr, und wie ein Hammer, der Felsen zerschmeißt ?' Damit deutet Müntzer voraus auf den Grundgedanken seiner Schrift, daß das wahre Wort Gottes, wie er es versteht und verkündet, an sich schon revolutionären Charakter hat. Eindeutig kommt dieser sodann zum Ausdruck in den beiden Jeremiaszitaten auf der Rückseite des Titelblattes2. Das erste (1, 9—10) lautet in Müntzers Übersetzung: 'Nimm wahr, ich habe meine Wort in deinen Mund gesetzt, ich habe dich heut über die Leut und über die Reich gesetzt, auf daß du auswurzelest, zerbrechst, zerstreuest und verwüstest und bauest und pflanzest.' Das zweite (1, 18—19) ist wieder ziemlich frei, aber nicht sinnwidrig übersetzt: 'Eine eiserne Mauer wider die Könige, Fürsten und Pfaffen und wider das Volk ist dargestellet, sie müssen streiten, der Sieg ist wunderlich (wunderbar) zum Untergang der starken gottlosen Tyrannen.' Die Schrift selbst gibt sich äußerlich als eine Auslegung des Lukasevangeliums mit dem ausdrücklichen Zweck, den falschen Glauben der ungetreuen Welt zu entblößen, zu enthüllen: das ist der Sinn des Titels 'Ausgedrückte Entblößung des falschen Glaubens der ungetreuen Welt durchs Gezeugnis des Evangelions Lucae etc.' Der Titel spricht vom ganzen Lukasevangelium, während die vorliegende Schrift nur das 1. Kapitel behandelt, wie sich auch das Zensurexemplar als 'Gezeugnis des ersten C a p i t e l s des Evangelions Lucae' ausgibt. Aber 1 Vgl. Hans von der Planitz an Kurfürst Friedrich, Juni/Juli 1 5 2 4 : " . . . das vill leut von geistlichen und weltlichen Großhansen mit im spill seyn sollen . . . " Neues Urkundenbuch z. Gesch. d. ev. Kirchen-Reformation I, S. 197. 2 Ausgedr. Entbl., i f f .

Müntzers Glaubensbegriff

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Müntzer sagt in der Vorrede, daß er ein Kapitel nach dem andern ausgehen lassen und dadurch allen seinen Widersachern Raum und Zeit zur Äußerung geben wolle 1 : er hat also die Absicht gehabt, nach und nach das ganze Lukasevangelium auszulegen, wie er auch den Hauptteil seiner Schrift mit der Aussage beginnt, das g a n z e Evangelium des Lukas gebe der Christenheit zu erkennen, daß der heilige Christenglaube ein fremdes und seltenes Ding geworden sei 2 . Müntzer 'entblößt' den falschen Glauben durch die Entwicklung seines eigenen Glaubensbegriffs. Dessen Kern ist die 'Unmöglichkeit' oder das 'unmögliche Werk Gottes', d. h. der wahre Glaube hat für den natürlichen Menschen den Charakter des Unmöglichen: erst in der 'Zerknirschung' dieses natürlichen oder kreatürlichen Menschen im Leiden gebiert die 'Kraft des Allerhöchsten' in der von Lüsten leer gewordenen Seele jenes 'unmögliche Werk Gottes', den Glauben, indem die 'Umschattung' des heiligen Geistes, die nun eintreten kann, als die echte Erkenntnis allen 'gedichteten', 'heimlichen', 'unerfahrenen' Unglauben 'entdeckt', 'entblößt' und verwirft. Das ist 'die Weisheit des Kreuzes, mit welcher Gott seine Auserwählten grüßet' 3 . Dieser 'englische Gruß' ist nach Müntzers spiritualistischer Deutung der Inhalt des ersten Lukaskapitels mit seinen zwei 'Verkündigungen' des Erzengels Gabriel an Zacharias und Maria, die Gottesmutter. Beide 'entsetzen' sich und verhalten sich ungläubig zu der Rede des Engels, die ihnen einen Sohn, den Propheten Johannes und den Messias, verheißt; Zacharias, weil sein Weib alt und unfruchtbar ist, Maria, weil sie 'von keinem Manne weiß'. Dieses furchtsame, ungläubige Verhalten des natürlichen Menschen, gesteigert bis zum 'Entsetzen' vor dem, was sich da ankündigen will, bis dieses im Untergange der bisherigen Persönlichkeit zum Durchbruch kommt, ist, wie Müntzer im ersten Abschnitt ausführt, das Muster dafür, 'wie der Unglaub 1

Ausgedr. Entbl., 36ff. Ausgedr. Entbl., 54ff. 3 Ausgedr. Entbl., 8off., io6ff., 2i9ff., 233ff., 245ff., 32öff., 337ff., 395ff-, 567ff.. 643ff-. 815. 2

104-

Der Kampf des Glaubens mit dem Unglauben

entdeckt wird in allen Auserwählten'. 'Zacharias hat den wahren Worten des Engels Gabriel nit glauben wollen um der Unmöglichkeit der Zusag', und auch Maria, 'die Gebärerin unseres Heilands . . . hat wollen gute Ankunft und Bescheid haben. Sie haben ihren Glauben nit erlangt, wie jetzt die unsinnige Welt glaubet in einer gefärbten Weis. Sie sind nit also zugefahren: ja, ich will nur glauben, Gott wirds wohl machen. Mit solcher leichtfertigen Ankunft (Ursprung) dichtet die trunkene Weit einen vergifteten Glauben, der da viel ärger ist, denn der Türken, Heiden und Juden Glaube. Aber Maria und Zacharias haben sich in der Furcht Gottes entsetzt, bis daß der Glaub des Senfkorns den Unglauben überwunden hat, welches denn mit großem Zittern und Bekümmernis erfunden (erfahren) w i r d ' M ü n t z e r führt aus der Schrift noch mehrere Zeugnisse dafür an, 'wie der Glaub mit dem Unglauben ganz unerhörten Zank anrichtet' 2 . Von ganz besonderer biographischer Bedeutung für Müntzer ist dabei das hier angeführte Beispiel Gideons aus dem Buch der Richter (6,13 und 7, 7). Gideon, sagt Müntzer3, hatte einen solchen festen, starken Glauben, 'daß er mit ihm eine unzählige große Welt durch dreihundert Mann überwand'. Und dennoch sprach er zu dem Engel, der ihm seine Kampfessendung ankündigte, als wolle er ihn Lügen strafen: 'Wie kann das sein, wenn wir soviel Unglück müssen leiden?' So fragt der 'ungeübte Glaube', der sich vor dem 'Unmöglichen' im göttlichen Willen fürchtet. Aber gerade diese 'Furcht Gottes' ist es, die dem heiligen Geist stattgibt, mit der der Auserwählte 'umschattet' werden muß 4 , wie Gabriel auf ihre ungläubige Frage zu Maria sprach: 'Der heilige Geist wird über Dich kommen und die Kraft des Höchsten wird dich umschatten.' Gerade die, die nicht leichthin glauben, in denen vielmehr der Glaube mit dem Unglauben kämpfen muß, erfahren den wirklichen, nicht bloß gedichteten Glauben, der nicht wie bei Luther ein bloßes Fürwahrhalten des überlieferten Bibelbuchstabens, sondern die Kraft zum Ausgedr. Ausgedr. ' Ausgedr. 4 Ausgedr. 1

2

Entbl., Entbl., Entbl., Entbl.,

66 ff. 94. 95 ff. 104.

D e r 'unerfahrene' Glaube der lutherischen

Schriftgelehrten

105

Unmöglichen ist, die alle Menschen- und Kreaturenfurcht überwunden hat. Dieser erfahrene und erlittene, im Feuer der Bewährung geprüfte Glaube ist im Gegendsatz zu jenem überlieferten Buchstabenglauben, der alles beim Alten läßt, der eigentlich weltumgestaltende Glaube, der Glaube Gideons, der sich mit einer kleinen Schar einer ganzen 'unzählig großen' Welt entgegenstellt. So hat Müntzer seine Manifeste aus der Zeit des offenen Kampfes als 'Thomas Müntzer mit dem Schwert Gideonis' unterzeichnet 1 , und als er am 7. Mai 1525 an der Spitze von rund 300 Mann, dem Kern seines alten Allstedter Bundes, von Mühlhausen aufbrach, um zu dem Bauernheer bei Frankenhausen zur letzten Entscheidung zu stoßen, da hat er sich gewiß von jenem Glauben Gideons als einer Kraft zum Unmöglichen getragen geglaubt. Diese Ausführungen über den Glauben stehen auch in dem in Weimar zurückgelassenen Zensurexemplar, dagegen fehlt das eigentliche Kernstück der nun folgenden Ausführungen über den 'unerfahmen' Glauben der lutherischen Schriftgelehrten, der im Gegensatz zu dem an sich revolutionären wahren Glauben Müntzers — als der Kraft zum Unmöglichen — mit seiner Abhängigkeit von der gelehrten Schriftdeutung nur ein Kunstgriff ist, um die Armen und Ungelehrten zu beherrschen2. Die lutherischen Schriftgelehrten 'tun das dünne Zünglein hervor' und sprechen: 'Erforschet die Schrift', denn dadurch werdet Ihr Eure Seligkeit erlangen. Auf diese Weise werden die armen, dürftigen Leute aufs höchste betrogen 3 . Der Betrug liegt darin, daß die Schriftgelehrten sagen: nur aus der Schrift kann man selig werden, und daß sie doch alles tun, 'daß der arm Mann nicht lesen lerne vor Bekümmernis der Nahrung (Broterwerb), und sie predigen unverschämt, der arm Mann soll sich von den Tyrannen lassen schinden und schaben — wann will er denn lernen die Schrift lesen?' 4 Nur die Schriftgelehrten sollen schöne Bücher lesen und der Bauer soll ihnen zuhören, denn, so sagen sie, der Glaube kommt durchs Gehör. 1

V g l . Briefwechsel, S. 119, 123,

2

Ausgedr. E n t b l . ,

1 1 4 ff.

8

Ausgedr. E n t b l . ,

131 f f .

4

Ausgedr. E n t b l . ,

135 ff.

124.

'Geist' und Buchstabe

106

Dieser Kunstgriff würde noch ärgere Buben an die Stelle der katholischen Pfaffen und Mönche setzen 1 . Im gleichen Sinne hatte Müntzer schon in der Vorrede zu unserer Schrift ausgeführt, unsere Schriftgelehrten wollten gern 'das Zeugnis des Geistes Jesu' auf die Hoheschule bringen, denn sie seien nicht darum gelehrt, daß ihnen der gemeine Mann durch die Lehre gleich werden solle, sondern sie wollten allein über den Glauben entscheiden mit ihrer 'gestohlenen Schrift', wo sie doch ganz und gar keinen Glauben, weder bei Gott noch vor den Menschen hätten. 'Denn es siehet und greift ein jeder, daß sie nach Ehren und Gütern streben, deshalb mußt Du, gemeiner Mann, selber gelehret werden, auf daß du nicht länger verführet werdest. Das helf Dir derselbige Geist Christi, welcher unsern Gelehrten muß zu ihrem Untergang ein Spottvogel sein'2. Dieser 'Geist' ist also in doppelter Hinsicht revolutionär: einmal in seiner Unabhängigkeit von Tradition, Schrift und Gelehrsamkeit, so daß er ein Geist für 'jedermann' ist, eine Gleichheit erzeugende Lehre; zum anderen als Erwecker der Kraft zum Unmöglichen, jener Kraft, die nur von dem 'erfahrenen' Glauben, der mit seinem absoluten Gottesgehorsam alle Menschenfurcht hinwegschmilzt, im Gegensatz zum 'gestohlenen' und 'gedichteten' Glauben erzeugt wird. Auf das Verhältnis des echten Glaubens zur Schrift, das Verhältnis von 'Geist' und 'Buchstaben' geht Müntzer nun näher ein, jetzt wieder in weitgehender Übereinstimmung mit dem Zensurexemplar. Der Sohn Gottes hat gesagt: die Schrift gibt 'Gezeugnis', d. h. nur Bestätigung des selbsterfahrenen und selbsterrungenen Glaubens — die Schriftgelehrten sagen: sie gibt den Glauben selbst 3 . Mit dieser Antithese fixiert Müntzer seine Stellung zur Schrift, und fährt fort: 'Also ist der arme Haufen (d. h. die Masse der Besitzlosen) verführet durch die hoffärtigen Bachanten (Gaukler, Schwätzer)' 4 — ein Satz, der im Zensurexemplar bezeichnenderweise wiederum 1 2 3 4

Ausgedr. Entbl., Ausgedr. Entbl., Ausgedr. Entbl., Ausgedr. Entbl.,

I38ff. 43ff. I55f. I58ff.

Müntzers Bekenntnisbegriff

107

fehlt. In welcher Weise gibt nun aber die Schrift die Bestätigung, daß der unabhängig von ihr errungene Glaube der wahre Glaube ist? Müntzer antwortet 1 : Wenn ein Christ 'unter dem armen Haufen' (im Zensurexemplar steht stattdessen: 'in der gemeinen Christenheit' 2 ) spricht, daß er den Christenglauben von Gott selber gelernt hätte, so soll man ihm nicht glauben, wenn er durch sein 'Berechen' (Rechenschaftsablegung, Bekenntnis) mit der Schrift nicht übereinstimmte in der Methode, wie alle Auserwählten von Gott allein gelehrt werden sollen. Also: aus der Schrift lernt man den Weg zum Glauben, nicht den Glauben selber. Über diesen Weg, das innere Fegefeuer, wodurch er zu seinem Glauben gelangt ist, muß jeder Gläubige ein Bekenntnis ablegen. Müntzer führt das weiter aus 3 : 'Wenn einer sein Lebenlang die Bibel weder gehört noch gesehen hat, könnte er wohl für sich durch die rechte Lehre des Geistes einen unbetrüglichen Christenglauben haben, wie alle die gehabt, die ohne alle Bücher die heilige Schrift geschrieben haben.' Also die Schrift, auf die die lutherischen Schriftgelehrten allein den Glauben begründen wollen, ist auch einmal von Menschen ohne Bücher in direktem Kontakt mit dem Geist geschrieben worden, und sie kann in echter Weise nur wieder verstanden werden durch den erneuten Kontakt mit dem noch immer und ewig wirksamen Geist, der alle selbstsüchtige, verstandesmäßige, fleischliche Schriftauslegung der im Klasseninteresse arbeitenden Schriftgelehrten zunichte macht. Der Mensch kann ohne jede Schriftkenntnis unmittelbar und unabhängig von jeder Theologenherrschaft zum Glauben gelangen; der Prüfstein für die Echtheit dieses Glaubens ist sein Bekenntnis über seinen Glaubenskampf, das er vor denen ablegen muß, die bereits einen bewährten, ungedichteten Glauben haben; diese sind die alleinige Instanz, die über den Glauben urteilen kann. Jenes Bekenntnis aber schließt alle die zusammen, die 'wie das Gold im Feuer des allerhöchsten Herzeleides bewähret sind'. Als eine Hauptstelle für diesen durch das Bekenntnis zusammengeschlossenen Bund, in dem 1

Ausgedr. E n t b l . ,

2

Gezeugnis,

3

Ausgedr. E n t b l . ,

i6off.

103. 167ff.

108

Die politische Konsequenz von Müntzers Glaubensbegriff

es kein theologisches Monopol mehr gibt, sondern die Demokratie des 'Geistes' herrscht, führt Müntzer1 Jer. 3 1 , 33—34 an: 'Aber dies wird der Bund sein, den ich mit dem Hause Israel machen will nach dieser Zeit, spricht der Herr: Ich will mein Gesetz in ihr Inneres legen und es in ihr Herz schreiben . . . Und wird hinfort keiner den anderen, noch ein Bruder den andern lehren und sagen: Erkenne den Herrn, sondern sie sollen mich alle kennen vom Geringsten bis zum Größten, spricht der Herr.' Die Unmittelbarkeit des 'Geistes', der gleichförmig in jedes Menschen Herzen schlummert, gibt Freiheit und Gleichheit. Müntzer geht hoch einen Schritt weiter: der wahre Glaube ist nicht an das Christentum gebunden, der 'Geist' konstituiert unabhängig vom Christentum eine allgemeine, gleiche Menschheitsreligion. Die Christen müssen übereinstimmen 'mit allen Auserwählten (unter allen Zertrennungen oder Geschlechtern (d. h. Nationen) allerlei Glaubens': das ist aber nur möglich, wenn wir wissen, wie einem zumute ist, 'der unter den Ungläubigen von Jugend auf erzogen ist, der (aber) das rechte Werk und die Lehre Gottes ohne alle Bücher erfahren hat' 2 . Die Unmittelbarkeit der Glaubenserfahrung, deren Möglichkeit und Gesetz in jedes Menschen Herz geschrieben steht, und das Bekenntnis darüber, wie ein jeder zu ihr gelangt ist, sind das Band, das alle Menschen, seien es Christen oder Heiden, verbindet. Die Bibel dient nur dazu, die Geister zu bewähren, ob sie von Gott oder dem Teufel sind, d. h. zu kontrollieren, ob die Glaubenserfahrung des Einzelnen mit der der großen Zeugen der Bibel — 'Maria und Zacharias, Abraham, Joseph, Moses und edle Patriarchen, die sich nach dem Anregen des heiligen Geists gehalten im Abgrund des Herzens'3 übereinstimmt. Die gottlosen Schrift gelehrten wissen dagegen keinen anderen Beweggrund, weshalb die heilige Schrift anzunehmen oder zu verwerfen sei als allein den, 'daß sie vom alten Herkommen und also durch viel Menschen angenommen ist' 4 . Dem Traditionalismus und dem 1 2 8 4

Ausgedr. Ausgedr. Ausgedr. Ausgedr.

Entbl., Entbl., Entbl., Entbl.,

164. i8off. 207ff. 202ff.

Der wahre Glaube ist an sich revolutionär

109

Autoritätsdenken der Schriftgelehrten steht hier — um es nochmals zu sagen — Müntzers Prinzip der freien menschenund weltumgestaltenden Glaubenserfahrung gegenüber. Im zweiten Teil seiner Schrift 1 bringt Müntzer die eigentliche politische Nutzanwendung und Konsequenz seines Glaubensbegriffs. Der Ausgangspunkt ist wieder der Gedanke, daß der Glaube dem natürlichen fleischlichen Menschen ein "unmögliches Ding' ist. Wie für Maria ihrem natürlichen Menschen nach die Botschaft des Engels 'ein unmögliches, ungedachtes, unerhörtes Ding' war, worüber sie sich entsetzte, so muß es uns allen bei der 'Ankunft des Glaubens' widerfahren, wenn 'wir fleischlichen irdischen Menschen sollen Götter werden durch die Menschwerdung Christi', d. h. 'mit ihm Gottes Schüler sein, von ihm selber gelehrt werden und vergottet sein . . . auf daß sich das irdische Leben schwenke in den Himmel' 2 . Hier kommt wieder der ganze religiöse Enthusiasmus Müntzers zum Durchbruch, der das letzte Ziel der von ihm gepredigten Revolution, d. h. der gewaltsamen Beseitigung aller, die den wahren Glauben verhindern, in der durch diesen Glauben bewirkten Verwandlung des irdischen Lebens in den Zustand 'himmlischer' Vollkommenheit erblickt. Als Beispiel der Unvereinbarkeit dieses wahren weltumgestaltenden Glaubens mit der natürlichen fleischlichen Natur des Menschen führt Müntzer Luther an, den er hier zum ersten Male 'Bruder Sanftleben und Vater Leisentritt' nennt 3 . Luther, so behauptet Müntzer, will alle seine 'vorgenommenen Lüste' verwirklichen, seine Pracht und Reichtümer beibehalten 'und gleichwohl einen bewährten Glauben haben' 4 . Man kann aber nicht Gott gehorsam sein, wie es die 'reine Furcht Gottes' verlangt, und zugleich 'den Reichtümern' dienen. Wer sich von weltlichen Ehren und Gütern besitzen läßt, 'der muß zuletzt ewig von Gott leer gelassen werden', d. h. er kann nicht zum wahren Glauben gelangen 5 . Reichtum und Ehren Ausgedr. Ausgedr. * Ausgedr. 4 Ausgedr. ' Ausgedr.

1

2

Entbl., Entbl., Entbl., Entbl., Entbl.,

219ff. 2i9ff., 226ff. 239. 240 ff. 246ff.

HO

Die Spannung zwischen Glauben und Gesellschaftsordnung

sind der stärkste Ausdruck der Kreatürlichkeit des natürlichen Menschen, die zerbrochen werden muß, um den wahren 'Seelenabgrund' zu entblößen, aus dem der weltverwandelnde Glaube hervorwächst. Diese Kreatürlichkeit muß im einzelnen Menschen wie in der Gesamtheit gebrochen werden; in der Gesamtheit aber wird die Kreatürlichkeit am stärksten durch die Besitzenden und die Herrschenden repräsentiert, die durch ihr 'Anhangen' an der bestehenden Gesellschafts- und BesitzOrdnung, dem Inbegriff der menschlichen Kreatürlichkeit, nicht nur sich selbst, sondern auch ihre Mitmenschen am wahren Glauben verhindern. Der aus der reinen Furcht Gottes entsprießende wahre Glaube ist also an sich revolutionär und er ist nur wahr, wenn er revolutionär ist. So sagt Müntzer im Anschluß an das 'Magnificat' des i. Lukaskapitels: ' . . . und darüber müssen die gewaltigen, eigensinnigen, ungläubigen Menschen vom Stuhl gestoßen werden, darum, daß sie den heiligen wahrhaftigen Christenglauben in sich und in der ganzen Welt verhindern, wenn er will mit allem seinem wahrhaftigen Ursprung aufgehen' 1 . Es ist daher allemal geradezu ein Beweis dafür, daß der wahrhaftige Christenglaube aufgehen will, wenn der Glaube in stärkster Spannung zu der herrschenden Gesellschafts- und Staatsordnung steht, denn wenn diese Staats- und Gesellschaftsordnung auf einen Gipfelpunkt der Unterdrückung gelangt, macht sie eben dadurch das Vorhandensein ihres absoluten Gegensatzes, des wirklichen Christenglaubens, sichtbar, wie umgekehrt dieser die ganze Ungerechtigkeit jener Mächte sichtbar macht. 'Das alleredelste höchste Gut', sagt Müntzer, wird 'mit dem Gegenteil des Gottlosen . . . erkläret' 2 . Müntzer erläutert diesen Gedanken auch konkret-geschichtlich nach dem i. Lukaskapitel 3 . Als die Gnade Gottes durch die Geburt Johannes des Täufers und die Empfängnis Christi verkündigt ward, regierte Herodes, 'das fromme Blut, das dem Adel dieser Welt aus dem Sack träuft'. Daß aber Gott zu unsern Zeiten wiederum sein Licht in die Welt schickt, wird 1

Ausgedr. Entbl., 24gff.

s

Ausgedr. Entbl., 255. Ausgedr. Entbl., 253ff.

8

Die Spannung zwischen Glauben und Gesellschaftsordnung

Hl

bewiesen durch der gottlosen, unsinnigen Menschen Regiment und Obrigkeit 'nach allem Mutwillen, mit allem äußerlichen Toben und Wüten aufs allerhöchste wider Gott und seine Gesalbten, so daß auch jetzt etliche erst recht anfangen, ihr Volk zu stocken und zu blocken, schinden und schaben und bedrohen dazu die ganze Christenheit und peinigen und töten schmählich die Ihren und Fremden aufs allerschärfste'. Hier haben wir den Niederschlag der Vorgänge in und um Allstedt in der zweiten Julihälfte, als die 'Ausgedrückte Entblößung' niedergeschrieben wurde. Müntzer ist nun auf dem Wege dazu, die Fürstenherrschaft unbedingt zu verwerfen. Er gewinnt eine neue Interpretation von Rom. 13, die über die Auslegung der Fürstenpredigt hinausgeht. Für Müntzer ist es offenbar von höchster Bedeutung, daß in seinem Text Maria, als sie nach anfänglichem Entsetzen und Unglauben die Verkündigung des Engels angenommen hat und darob von ihrer Verwandten Elisabeth seliggepriesen worden ist, jenen Lobpreis anstimmt, in dem die Worte vorkommen: 'Er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen, die Hungrigen füllet er mit Gütern und läßt die Reichen leer.' Müntzer sieht darin die Bestätigung seiner Auffassung, daß, wenn der Glaube im Einzelmenschen den natürlichen Unglauben niedergerungen hat, dieser Glaube sogleich sich revolutionär äußern muß. Denn dieser echte Glaube muß sogleich in Konflikt geraten mit den Gewaltigen, die sich anmaßen, den Christenglauben zu regieren und ihn von obrigkeitswegen einzurichten, ohne seinen wahren Ursprung zu lernen oder anderen zu gestatten, ihn zu lernen. Durch diesen Konflikt wird dann endlich 'die rechte Art Herodis, des weltlichen Regiments, erklärt' 1 . Müntzer sieht den Ursprung der weltlichen Obrigkeit darin, daß das Volk vom Willen Gottes, dessen unmittelbarer Herrschaft die ursprüngliche Gleichheit entspricht, und seiner Furcht abgefallen ist 2 . So hat Samuel auf Wunsch der Ältesten dem Volk einen König geben müssen, weil das Volk Gott verworfen hatte, daß er nicht sollte König über sie sein (1. Sam. 1 2

Ausgedr. Entbl., 273ff. Ausgedr. Entbl., 283 ff., 286 ff.

112

Der Ursprung der weltlichen Obrigkeit nach Müntzer

8, 5ff.). Und so sagt Müntzer nach Hosea 13, 1 1 : 'Gott hat die Herren und Fürsten in seinem Grimm der Welt gegeben und er will sie in der Erbitterung wieder weg tun.' Wenn Gott in seinem Grimm über den Abfall der Menschen zur Kreatürlichkeit Fürsten und Herren zur Regierung von Kreaturen zulassen mußte, so muß die Wiedergeburt der reinen Gottesfurcht, die Wiederherstellung der unmittelbaren Gottesherrschaft, bewirkt durch seinen in aller Menschen Herz schlummernden 'heiligen Geist', sich sogleich als Empörung gegen die Fürsten und Herren auswirken. 'Darum, daß der Mensch von Gott zu den Kreaturen gefallen ist', sagt Müntzer, 'ist es über die Maßen billig gewesen, daß er die Kreatur zu seinem Schaden mehr denn Gott muß fürchten' 1 . Die Furcht vor der Obrigkeit, die Untertänigkeit, ist Folge des Mangels an Gottesfurcht. Hieran nun knüpft Müntzer seine neue, radikalere Auslegung von Rom. 13. Er sagt 2 : 'Derhalben saget Paulus zun Römern am dreizehenten Capitel, daß die Fürsten sind nicht um der Furcht des guten Werks, sondern um der hängerischen Furcht des bösen. Darum sind sie nichts anderes denn Henker und Büttel, das ist ihr ganzes Handwerk. Welches ist nun anders das böse Werk, denn daß man die Kreatur Gott vorsetzt mit Ehrfurcht und Würdigkeit?' Das ist eine neue, die Fürstenherrschaft unbedingt verwerfende Interpretation. Der Standpunkt der Fürstenpredigt war noch gewesen, daß der Obrigkeit unter gewissen Bedingungen der Rom. 13 geforderte Gehorsam gebühre, nämlich, wenn sie die Frommen schütze und die Bösen strafe, d. h. wie Müntzer es auslegte, auf die Seite seines Bundes der Auserwählten trat. Das war auch schon kein absoluter Gehorsam im Sinne Luthers mehr, sondern machte die Fürsten zu Vollzugsorganen des Volkes und des das Volk repräsentierenden Bundes. Jetzt sagt Müntzer: Die ganze Fürstenherrschaft und weltliche Obrigkeit ist eine Angelegenheit der kreatürlichen Menschen. Kreaturen müssen notwendig Kreaturen als Beherrscher haben, sie fürchten und ihnen gehorchen. Die Wurzel des Bösen, um dessen willen die Fürsten als Henker und Büttel da sind, ist der Mangel an der 1 8

Ausgedr. Entbl., 286Ö. Ausgedr. Entbl., z88ff.

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Verwerfung der Fürstenherrschaft

reinen Furcht Gottes, die als Wegbereiterin des wahren Glaubens alles Kreatürliche im Menschen zerbricht und ihn damit auch von der Herrschaft der Kreatur im Inneren und Äußeren befreit. Der Durchbruch des wahren Glaubens bedeutet die Entwurzelung der Fürstenherrschaft von ihren innersten Bedingungen her. Merkwürdig genug ist es, daß Müntzer damit im Grunde, nur mit umgekehrtem Vorzeichen, wieder auf den Boden Luthers gelangt ist, wie ja auch Luther in seiner Schrift 'Von weltlicher Obrigkeit' die Fürsten bereits 'hochgeborne, reiche Henker und Büttel' genannt, in diesem Zusammenhang ebenfalls Hosea 13, 1 1 zitiert und über das Verhältnis der kreatürlichen Untertanen zu ihren kreatürlichen Herrschern bündig erklärt hatte: 'Frösche müssen Störche haben' 1 . Auch für Luther ist der bestehende Staat eine Organisation der Sünde, die keine Macht über den wahren Christen hat, der sich nur äußerlich dem Staat und seinen Gehorsamspflichten unterwirft, in Wahrheit, in seinem Innern, aber frei und nur Gott Untertan ist. Der entscheidende Unterschied zu Müntzer bleibt aber dennoch bestehen: und zwar darin, daß Luther den kreatürlichen Staat als eine unverrückbare und dauernde göttliche Ordnung ansieht, an der auch der Christ erhaltend und fördernd mitzuarbeiten hat, weil er wegen des sündhaften Charakters der Welt nicht daran glaubt, daß die echten Christen, für die jene Staatsordnung überflüssig wäre, je zur Macht und Herrschaft gelangen könnten. Müntzer aber will sich nicht mit der innerlichen Freiheit des Christenmenschen und dem leidenden Gehorsam begnügen. Wenn der Staat das Werk der Kreatur ist, und wenn der echte Glaube, anders als der Scheinund Larvenglaube der Schriftgelehrten, wirklich eine Überwindung der Kreatur, eine 'Vergottung' des Menschen, bedeutet, so kann dieser Glaube sich gar nicht in der bestehenden Staatsordnung einrichten und die Spannung zwischen Christlichkeit und Staat in der gewissenhaften Berufserfüllung auflösen, sondern Glaube und bestehender Staat müssen in unversöhnlichen Gegensatz zueinander treten. Die reine Furcht 1

W A . X I , S. 268.

Hinrichs, Luther und Müntzer

8

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Abschwächung für die Zensur

Gottes als Quintessenz des wahren Glaubens und die Furcht und Ehrfurcht vor der bestehenden Obrigkeit schließen sich aus. Bemerkenswert ist es endlich, daß jene Ausführungen über Rom. 13 scheinbar im wesentlichen auch in dem Zensurexemplar stehen 1 . Damit wird eine Antwort auf die früher gestellte Frage nach dem Verhältnis der 'Ausgedrückten Entblößung' zu dem Zensurexemplar notwendig. In diesem ist die Auslegung der Römerbriefstelle zu zwei Sätzen zusammengeschrumpft: 'Darum sagt Paulus Rom. 13, daß die Fürsten sind nicht aus der Furcht des guten Werks, sondern um der Furcht des bösen Werks. Welches ist anders das böse Werk, denn daß man die Kreatur Gott vorsetzt ?' Es fehlen hier zwei wichtige Glieder: einmal der Zwischensatz: "Darum sind sie nichts anderes, denn Henker und Büttel, das ist ihr ganzes Handwerk', sodann am Schluß der ganzen Stelle die Worte: 'mit Ehrfurcht und Würdigkeit'. Obgleich der Grundgedanke nicht angetastet scheint, ist er in Wahrheit nur zu erkennen, wenn man die 'Ausgedrückte Entblößung' kennt. In dieser Form läßt die Stelle sogar eine harmlose, traditionelle Deutung zu, nämlich im wörtlichen Sinne von Rom. 13, 3: 'Denn die Gewaltigen sind nicht den guten Werken, sondern den bösen zu fürchten.' Und die Kreatur Gott vorsetzen, heißt dann eben ganz allgemein: sündigen, böse Werke tun, sich nicht an Gottes und der Obrigkeit Vorschriften — das gute Werk — halten. Dagegen hat die vollständige Stelle in der 'Ausgedrückten Entblößung' einen ganz spezifischen Sinn, nämlich den, daß das 'böse Werk' im falschen, gedichteten, von materiellen Interessen diktierten Glauben besteht, der sich daran verrät, daß er nicht revolutionär ist, sondern die Kreatur 'mit Ehrfurcht und Würdigkeit' Gott vorsetzt. Durch diesen Zusatz wird deutlich, daß mit der 'Kreatur' die Fürsten und Herren gemeint sind, die nur existieren können, weil es einen unechten, materiellen, nicht-revolutionären Glauben gibt, und die deshalb in der Tat nichts anderes als Büttel und Henker, das absolute Widerspiel des wahren Glaubens, sein können. Auch hier also sind dem Zensurexemplar die eigentlich revolutionären Zähne ausgebrochen, jedenfalls, wie schon bei den Eingangs1

Gezeugnis, 195 ff.

115

Das Problem der Gnadenwahl bei Müntzer

zitaten und wie wir noch an weiteren Beispielen sehen werden, alle direkten Anspielungen auf die Fürsten vermieden. E i n e Stelle scheint auf den ersten Blick eine Ausnahme zu bilden: Müntzer sagt im weiteren Verlauf seiner Ausführungen, indem er die Unvereinbarkeit des wahren Glaubens mit dem bestehenden weltlichen Regiment scharf betont: 'Die ganz unsinnige, phantastische Welt bringt hervor einen falschen glossierten Weg und saget mit einem spitzen Zünglein: Ei, man mag wohl das Evangelion predigen, Gott allein fürchten und auch die unvernünftigen Regenten in Ehren halten, wiewohl sie wider alle Billigkeit streben und Gottes Wort nit annehmen'1. Diese Stelle steht auch im Zensurexemplar2 — bis auf den mit 'wiewohl' beginnenden Nachsatz, der durch die Wendung: 'und in allen Sachen gehorsam sein' ersetzt ist. Diese Worte bedeuten aber eine entscheidende Änderung des Sinnes. Es ist klar, daß im ersteren Falle mit den in Ehren gehaltenen unvernünftigen Regenten, die Gottes Wort nicht annehmen, alle Regenten im Sinne der vom falschen Glauben Gott vorgesetzten 'Kreatur' gemeint sind, während im zweiten Falle nur gesagt ist, daß man Regenten, sofem sie unvernünftig sind, nicht in allen Stücken gehorsam zu sein braucht, nämlich in Glaubenssachen : wiederum ein rein lutherischer Standpunkt. Der Unterschied wird noch deutlicher, wenn man allein in der 'Ausgedrückten Entblößung' weiterliest3: 'Ach, um Gottes Willen, man soll ihnen in allen Sachen, den guten Junkern, gehorsam sein: ei, willkommen, Du Verteidiger der Gottlosen, wie fein, fein muß das stehn, daß man also löblich zweien Herren, die widereinanderstreben, dienen könnt, wie der Regenten Rät tun.' Wir haben hier nebenbei offenbar eine Anspielung auf Luther und Spalatin vor uns. Müntzer kommt nunmehr zu einer Frage, die für seine Glaubens- und Revolutionslehre von zentraler Bedeutung ist, zu der schweren Frage, mit der alle Reformatoren sich auseinandersetzen mußten, deren Beantwortung aber für keinen von ihnen ein dringenderes und praktischeres Erfordernis war 1

Ausgedr. Entbl., 3 3 9 f f . Gezeugnis, 236 ff. • Ausgedr. Entbl., 343 ff. J

8*

116

Glaube und Reichtum

als für Müntzer: der Frage nach den Kennzeichen der Auserwählten und der Verworfenen. Wer, wie Müntzer, predigte, daß das Ende der bisherigen Geschichte bevorstehe und daß dieses auf dem Wege der Ausrottung der Gottlosen durch die Auserwählten herbeigeführt werden würde, der mußte auch Gewißheit darüber besitzen, wodurch sich die Auserwählten von den Gottlosen unterscheiden. So mußte sich Müntzer das alte theologische Problem der Gnadenwahl auf ganz besondere Weise darstellen. Zu seiner Lösung geht er aus von Matth. 13, 38—39: 'Der Acker ist die Welt. Der gute Same sind die Kinder des Reichs. Das Unkraut sind die Kinder der Bosheit. Der Feind, der sie sät, ist der Teufel. Die Ernte' ist das Ende der Welt. Die Schnitter sind die Engel.' Dieser Stelle, sagt Müntzer, wollen die 'unversuchten Schriftgelehrten' nicht stattgeben 1 . Sie deuten das Ende der Welt auf den Jüngsten Tag, an dem 'die Engel mit den langen Spießen' die Guten von den Bösen zum Weltgericht absondern sollen2. Für Müntzer dagegen handelt es sich hierbei nicht um einen transzendenten, sondern um einen geschichtlichen, wenn auch alle bisherige Geschichte abschließenden Vorgang. Schon in der Fürstenpredigt hatte er das mit dem Satze angedeutet: 'Man muß das Unkraut ausraufen aus dem Weingarten Gottes in der Zeit der Ernte, dann wird der schöne rote Weizen beständige Wutzeln gewinnen und recht aufgehen. Die Engel aber, welche ihre Sicheln dazu schärfen, sind die ernsten Knechte Gottes, die den Zorn göttlicher Weisheit vollführen' 3 . Die 'ernsten Knechte Gottes' bedeuten konkret offenbar den besonders aktiven Teil der 'Auserwählten', die im 'Bund' zusammengeschlossen sind. Um so wichtiger war es aber, die untrüglichen Kennzeichen der Auserwählten und der Gottlosen zu wissen. Auch hier verlegen nach der Meinung Müntzers die Schriftgelehrten das Problem wieder in die Transzendenz, statt in die geschichtliche Wirklichkeit. Diese 'vielglaubwürdigen Leute' sagen: es kann niemand wissen, wer auserwählt oder verdammt sei, Gott offen1 2 3

Ausgedr. Entbl., 362ff. Ausgedr. Entbl., 364t. Auslegung, 534 ff.

Glaube und Reichtum

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bart niemandem seine Urteile, er allein weiß, wer ihm zuständig ist 1 . Sie berufen sich dabei auf 2. Tim. 2, 19: 'Der Herr kennt die Seinen', ohne in ihrer 'stückwerkischen Weise' die Fortsetzung des Textes zu berücksichtigen, in der es heißt: 'Der den Namen Gottes sucht, der weichet von der Missetat.' Hierin nun glaubt Müntzer das Unterscheidungsmerkmal der Auserwählten und der Gottlosen gefunden zu haben: Der Auserwählte mag ein Sünder sein, aber sein Gewissen weist ihn von den Sünden, sobald er 'in der Betrübnis' die 'Bewegung' seines Innersten durch den 'Geist' erfährt. 'Das tut das Gewissen des Gottlosen n i c h t . . . Er trachtet stets auf Unzucht und auf Geiz und Hoffahrt, es mag ihm keine Schalkheit zuviel werden . . . auch kann er der Bosheit nimmermehr feind werden, wiewohl er auch mit Judas in der Marterwoche (Karwoche) eine Galgenreue hat. Er trachtet aber im Grunde seines Herzens nach nichts anderem denn wie der reiche Mann in diesem Evangelio (Luk. 12) nach einem langen wollüstigen Leben und er will immer einen guten Mut (Stimmung) haben. Er meinet nicht anders, denn daß er dazu geschaffen sei' 2 . Habsucht und Reichtum, Üppigkeit und Genußsucht als Lebensinhalt sind demnach das Kennzeichen der Verworfenen, Während es das Erfordernis der Auserwählten ist, 'daß wir Gott ohn Furcht der Menschen mögen dienen in Heiligkeit und Gerechtigkeit, das ist in einem unbetrüglichen, erfahrenen Glauben'3. Wie dieser Glaube das absolute Widerspiel der Fürstenheirschaft ist, so auch des Reichtums. Damit ist aber keineswegs gesagt, daß die Armen ohne weiteres zu den Auserwählten gehören. Müntzer sagt: 'Das arme Volk kann vor dem Gift der Gottlosen in sich nicht kommen. Es stehet ein jeder noch draußen vorm Tempel und erwartet, wenns doch will einmal gut werden'4. Das Volk glaubt noch immer, die Pfaffen wissen den Glauben, weil sie so viel schöne große Bücher gelesen haben. Die Pfaffen und 1 J 8 4

Ausgedr. Entbl., Ausgedr. Entbl., Ausgedr. Entbl., Ausgedr. Entbl.,

3 7 1 ff. 3 8 1 ff. 409f. 4i9ff.

118

Glaube und Armut

Schriftgelehrten, auf die sich das Volk ganz und gar verlassen hat, wissen aber von Gott weniger als ein Eichenblock oder Kieselstein 1 . Die Pfaffen auf der einen Seite, das 'Geschäft der Nahrung', d. h. die Not des Broterwerbs auf der anderen Seite, verhindern das Volk, seinen Unglauben zu erkennen und 'in sein Herz zu kommen' 2 . "Ach Gott, die Bauern sind arbeitselige Leute, sie haben ihr Leben mit der ganz sauren Nahrung zugebracht, auf daß sie den erzgottlosen Tyrannen den Hals gefüllt haben — was sollte das arm grob Volk wissen?' 3 Aber 'man muß die Wahrheit sagen: Wir sind viel gröber nach (im Verhältnis zu) dem Adel unsrer Seelen denn die unvernünftigen Tiere, hat doch schier keiner Verstand denn vom Wucher und von den Tücken dieser Welt' 4 . Darum: 'So anders die Christenheit soll recht aufgerichtet werden, so muß man die wuchersüchtigen Bösewichter wegtun und sie alle zu Hundeknechten machen, da sie denn kaum zu dienen, und sollen Prälaten der christlichen Kirche sein' 5 . Dagegen muß das arme gemeine Volk des Geistes inne werden und also lernen seufzen und bitten und blicken auf einen neuen Johannes, auf einen gnadenreichen Prediger, der den Glauben durch und durch erfahren hat; es muß einer aufstehen, der die Menschen auf die Offenbarung des 'ewigen Wortes' weist*. 'So die heilige Kirche', so heißt es an anderer Stelle 7 , 'soll durch die bittere Wahrheit erneuert werden, so muß ein gnadenreicher Knecht Gottes hervortreten im Geist Elia . . . und muß alle Ding in den rechten Schwang bringen. Wahrlich, ihrer werden viel müssen erweckt werden, auf daß sie mit dem allerhöchsten Eifer durch brünstigen Ernst die 1 Ausgedr. Entbl., 422 ff. * Ausgedr. Entbl., 430 ff. * Ausgedr. Entbl., 442 ff. Diese Stelle ist im Zensurexemplar (320 ff.) am wenigsten abgeschwächt. Sie lautet hier: »Ach got, die pauern seint arme leute, sie haben ir leben mit der narung zupracht, auf das sie den tirannen den hals gefult«. Mit den Tyrannen können hier aber auch die Pfaffen gemeint sein. 4 Ausgedr. Entbl., 461 ff. • Ausgedr. Entbl., 474 ff. • Ausgedr. Entbl., 477 ff. 7 Ausgedr. Entbl., 538 ff.

Kampf gegen die Armut widerspricht nicht der Kreuzestheologie 119

Christenheit fegen von den gottlosen Regenten' — ein Satz der wiederum im Zensurexemplar fehlt. Hier haben wir den Sinn des Jeremiaszitats von der Titelseite: Der revolutionäre Prophet und Führer, als der Müntzer sich fühlte, ist 'eine eiserne Mauer wider die Könige, Fürsten und Pfaffen', aber auch, wie es dort weiter heißt, 'wider das Volk'. Denn auch das arme bedürftige Volk ist, wie wir sahen, nach Müntzers Auffassung durch die bloße Tatsache der Armut und Bedrückung noch keineswegs 'auserwählt' und rechtgläubig. 'Zuvor', d. h. bevor die Christenheit von den gottlosen Regenten gefegt werden kann, muß auch das Volk 'ganz hart getadelt werden um der unordentlichen Lüste wegen, die also üppig die Zeit verkurzweilen ohne dauerhafte Neigung zur ernsten Betrachtung des Glaubens' 1 . Hier drängt sich die Frage auf: wenn in Thomas Müntzers 'Kreuzestheologie' Not und Bekümmernis eine so entscheidende Stelle einnehmen als Brecher und Zerstörer des kreatürlichen Menschen und Triebkräfte des wahren Glaubens, hieß es dann nicht g e g e n den Glauben arbeiten, wenn er Armut und Not beseitigen wollte ? Mußte der Mensch, der zum Glauben gelangen wollte, nicht vielmehr unter solchen Voraussetzungen Armut und Not geradezu suchen und lieben? Hieß es nicht dem gepredigten 'Kreuz' ausweichen, wenn man Armut und Not verschmähte, und liegt hier nicht ein Widerspruch in Müntzers Lehre verborgen ? Das ist keineswegs der Fall. Der Weg der freiwilligen Armut war der mittelalterliche Weg der franziskanischen Mystik, der Armutsbewegung der Laienkreise und der Bettelorden gewesen. Dieses Ideal der freiwilligen Armut hat Müntzer mit der ganzen Reformation überwunden. Jene Bewegungen waren weltflüchtig, Müntzer steht wie alle Reformatoren in der Welt. Zwar sagt er: Der Mensch muß seinen gestohlenen, gedichteten Christenglauben zu Trümmern zerstoßen durch mächtig hoch Herzeleid und schmerzliche Betrübnis und unabweisbares Verlangen 2 , aber Herzeleid und Betrübnis sind nicht ä u ß e r e Not, es ist das Gewissen des Menschen, 'das Treiben des heiligen Geistes, der ihn nimmer zufrieden läßt, ihn zu weisen 1 1

Ausgedr. Entbl., 543ff. Ausgedr. Entbl., 511 ff.

120

Reichtum und Armut als Hemmnisse des Glaubens

zum ewigen G u t ' 1 . Dieses ewige Gut kann der heilige Geist einem 'groben Menschen nicht zu verstehen geben als nach den allergröbsten rohesten Sünden, da der Ungeschliffene die beißenden, fressenden Stacheln ohn Unterlaß vernimmt . . . da muß er sich zu Gott umkehren von den Sünden und ihnen feind werden' 2 . Durch die Sünden wird der Unglaube gespürt, so daß der Mensch nach dem Arzt schreit: das ist der Ursprung alles Guten 3 . Die Befreiung des Menschen, sein Durchbruch zum Glauben erfolgt in der inneren Not und Qual des Gewissens, nicht durch den äußeren Druck von Armut und materieller Sorge. Die Welt, die überwunden werden muß, sagt Müntzer, ist 'im Herzen viel tausendfältiger denn auswendig' 4 . Und dennoch haben Reichtum und Armut eine entscheidende Stellung in Müntzers Lehre. Sie sind der gesellschaftliche Komplex, der das Aufkommen des wahren Glaubens, der die Menschen und die Welt umgestalten würde, verhindern. Reichtum und soziale Ehre sind ebenso ein Hindernis des Glaubens wie Armut und soziale Niedrigkeit, und das eine erzeugt das andere. Die Mächtigen und Reichen verhindern nicht nur sich, sondern auch die von ihnen Unterdrückten am wahren Glauben, und mit ihnen im Bunde stehen die falschen Schriftgelehrten. Aber während es mit den Mächtigen und Reichen, wie es ihr Verhalten gegenüber dem wahren Glauben des Geistes anzeigt, hoffnungslos steht, während sie gar nicht selig werden k ö n n e n , ist es mit dem Volke ganz anders: es beginnt schon, wie sich in Allstedt gezeigt hat, auf die Wahrheit aufmerksam zu werden, wenn es zum großen Teil durch 'die böswichtischen Schriftgelehrten' auch noch 'hoch verstockt' ist 6 . Die Sorge um den Broterwerb, die 'ganz saure Nahrung', weit entfernt, im Sinne von innerer Not und Prüfung zu wirken, lenken den gemeinen Mann im Gegenteil nur von seinem Inneren ab, sie geben ihm keine Zeit, Ausgedr. * Ausgedr. 3 Ausgedr. 4 Ausgedr. 1 Ausgedr.

1

Entbl., Entbl., Entbl., Entbl., Entbl.,

562 f. 563 ff. 568 ff. 578. 491.

Äußere und innere Not

121

zu einer wirklichen selbständigen inneren Glaubenserfahrung zu gelangen, die ihn von der Bevormundung der herrschenden Theologie und ihres gelehrten Monopols befreien würde 1 . Die Gottlosen, sagt Müntzer, hängen durch ihren 'wuchersüchtigen Wandel', d. h. durch ihre gewinnsüchtige Praxis, ineinander 'wie Krötenlaich' 2 , d. h. sie bilden eine,durch Profitinteressen verfilzte Schicht, die sich über den unteren Klassen lagert, so daß 'vor dem Wucher und vorm Schoß und Zinsen niemand zum Glauben kommen' kann 3 . Eben darum, sagt er, muß man die 'wuchersüchtigen Bösewichter' beseitigen und die Christenheit fegen von den gottlosen Regenten 4 . Übrigens ergibt ein Vergleich mit dem Zensurexemplar wieder dessen vollständige Abschwächung zu einem fast rein theologischen Traktat ohne revolutionäre Nutzanwendung. Die Gottlosen hängen hier zwar auch zusammen 'wie Krötenlaich', aber nicht durch ihren 'wuchersüchtigen Wandel', sondern durch ihren 'erdichteten Glauben' 6 . Die herrschende Sozialordnung ist also ein inneres und äußeres Widerspiel und Hemmnis der echten Glaubenserfahrung. Während sich die Gottlosen 'aufbrüsten und hoch aufmutzen', 'versinkt' der Auserwählte in seinem Glaubenskampf; er wird sehr klein und wird sich vor seinen eigenen Augen verächtlich in seiner Gewissensnot um seiner Sünden willen. Dadurch aber kann er 'Gott erheben und groß machen' und in Wirklichkeit über die äußere prächtige Größe der Gottlosen emporwachsen8. Müntzer meint, daß das Volk durch die echte Glaubenserfahrung und die Reinigung von seinen Sünden zuerst innerlich über die Großen dieser Welt hinaus gelangen muß. Das innerliche Klein werden vor den Forderungen des göttlichen Gesetzes macht den Menschen in Wahrheit groß, nämlich zum Auserwählten vor den Gottlosen, den Reichen und Großen, die sich Gottes Gesetz nicht beugen Ausgedr. Entbl., Ausgedr. Entbl., 8 Ausgedr. Entbl., 4 Ausgedr. Entbl., 6 Gezeugnis, 418. * Ausgedr. Entbl., 1

J

437ff., 474ff., 525ff. 587! 589 f. 475, 541 f. 5i3ff.

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Das Volk zur Wahrheit prädestiniert

und sich nicht demütigen wollen. 'Da muß das Große dem Kleinen weichen und vor ihm zuschanden werden. Ach, wüßten das die armen verworfenen Bauern, es wäre ihnen ganz nütz' 1 . Der äußere soziale Gegensatz vom Klein und Groß muß also zugleich zu einem inneren, sittlichen Gegensatz werden: dem 'wollüstigen' Lebenswandel der Großen, von denen Müntzer sagt: 'sie haben ihr Leben zugebracht mit tierischem Fressen und Saufen, von Jugend auf zum allerzärtlichsten erzogen, haben ihr Leben lang keinen bösen Tag gehabt, wollen und gedenken noch keinen anzunehmen um der Wahrheit willen (und) einen Heller an ihren Zinsen nachzulassen'2 — diesem üppigen Leben der 'Tiere des Bauchs' muß das puritanisch reine Leben der äußerlich und innerlich Kleinen entgegentreten mit jenem Ernst, 'den die tapfere Nüchternheit gebiert' und 'der sich zur Entfremdung der Lüste erstreckt' 3 . Unter solchen Voraussetzungen gilt der Satz: 'Gott verachtet die großen Hansen als den Herodem und Caipham, Hannam und nahm auf zu seinem Dienst die Kleinen als Mariam, Zachariam und Elisabeth, denn das ist Gottes Werk, er tut (bis) auf den heutigen Tag nicht anders' 4 . Während die 'wollüstigen Weichlinge' 'viel härter sind als Diamantenstein, die Wahrheit anzunehmen'6, fangen 'die elenden, wüsten irrenden Herzen der Gottesfürchtigen jetzt an, nach der Wahrheit zu blicken' 6 . Aus dieser Gegenüberstellung ergibt sich, wen Müntzer als 'gottfürchtig' zur 'Auserwähltheit' prädestiniert sieht: das Volk. Das Wort des i. Lukaskapitels 'Es werden sich seiner viel freuen', das sich auf Johannes den Täufer, den Prediger in der Wüste, bezieht, glaubt Müntzer auch auf sich als einen der 'rechten Prediger' anwenden zu dürfen, die 'Gott zu unserer Zeit auf die Erde geben will, auf daß das rechte Zeugnis des Glaubens an den Tage komme' 7 . Müntzer glaubt offenbar, Ausgedr. Ausgedr. s Ausgedr. 4 Ausgedr. 6 Ausgedr. * Ausgedr. 7 Ausgedr.

1

8

Entbl., Entbl., Entbl., Entbl., Entbl., Entbl., Entbl.,

517a. 531 ff. 645. 52off. 676, 679. 685 ff.

Auch die Heiden sind prädestinierte 'Auserwählte'

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daß sich seine Lehre unter den' Vielen' rapide ausbreiten wird, denn er prophezeit: 'Es wird in kurzer Zeit dazu kommen, über den Glauben so Abrechnung zu halten, wie ein jeder dazu gekommen ist' 1 . Dieser Tag der Abrechnung ist der Tag der Absonderung der Gottlosen von den Auserwählten, den die falschen Schriftgelehrten ins Jenseits verlegen. Es wird also in Kürze jedermann gezwungen werden, über seinen Glauben und wie er dazu gekommen ist, Rechenschaft abzulegen. Das Kennzeichen der Gottlosen wird dann sein, daß sie vom rechten Glauben nichts zu sagen wissen, weil 'sie durch den Unglauben nie traurig geworden sind und ihn auch nie erkannt haben'. Der echte Glaube setzt ein 'bewährtes Leben' voraus; man wird den 'gedichteten', geheuchelten Scheinglauben auf Grund eines solchen Bekenntnisses sogleich entlarven und damit den Maßstab dafür gewinnen, wer zu den Gottlosen gehört und wer nicht. Diese Absonderung der Gottlosen von den Auserwählten wird dann die 'rechte Christliche Kirche' schaffen. Diese rechte christliche Kirche als ausschließliche Gemeinschaft und Herrschaft der Auserwählten auf Erden, gegen die die jetzige Kirche nur 'eine alte Hure' ist, 'soll noch mit dem inbrünstigen Eifer angerichtet werden, wenn nun das Unkraut muß die Wurfschaufel erdulden2. Die Zeit aber der Ernte ist allweg da.' Mag auch das Unkraut jetzt an allen Orten schreien, die Ernte sei noch nicht gekommen (sondern hege erst im Jenseits), so verrät sich der Verräter damit nur selber3. Neben dem Volk erblickt Müntzer auch in den Heiden prädestinierte 'Auserwählte' und gibt damit seiner Lehre den ökumenischen, universalen Charakter. Im 8. Kapitel des Matthäusevangeliums spricht Jesus von dem heidnischen Hauptmann von Kapernaum die Worte: 'Bei niemandem habe ich solchen Glauben gefunden in Israel. Aber ich sage euch: Viele vom Osten und Westen werden kommen und mit Abraham und Isaak und Jakob zu Tische liegen im Himmelreich, die Söhne des Reichs aber werden hinausmüssen in die Finsternis draußen; da wird sein Heulen und Zähneklappern.' Dieses 1 Ausgedr. Entbl., 701 ff. * Ausgedr. Entbl., 7o6ff. * Ausgedr. Entbl., 709ff.

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Auch die Heiden sind prädestinierte 'Auserwählte'

Schriftwort, sagt Müntzer, 'wird viel höher ins Wesen kommen denn zu den Zeiten der Apostel. 1 Es werden von vielen Landen und fremden Nationen mannigfaltige Auserwählte uns faulen nachlässigen Christen hoch überlegen sein. Sie werden oft hoch bestürzet durch übervernünftige Bekümmernis und also versichert, daß sie zum ewigen Leben geneigt und verordnet sind'. Es gebricht ihnen, wie uns allen, nur am rechten Zeugnis des Glaubens, 'sonst würden unzählig viel Heiden und Türken Christen werden'. Das ist leicht an der Tatsache zu erkennen, daß, wenn ein Jude oder Türke unter uns sein und durch den Glauben, den wir noch zur Zeit haben, gebessert werden sollte, so würde er wohl weniger Gewinn davontragen als eine Mücke auf ihrem Schwanz wegführen kann. 'Denn es ist kein Volk unter der Sonne, das sein eigenes Gesetz also erbärmlich verketzert und verunehret, wie die jetzigen Christen und sonderlich die buchstabischen Bösewichter.' Sie geben vollgewichtige Ursache zum Allerschlimmsten und wollen doch alle Welt 'rechtfertigen' (sc. durch ihren Begriff des sola fide). Und doch ist dieser ihr Glaube so beschaffen, daß sie nicht glauben, Gott vermöchte ihnen auch nur für den Wert eines Hellers Gutes bescheren oder geben. 'Darum sind alle Winkel voll Wucherer und Verräter' 2 . Und nun kommt Müntzers eindeutige und endgültige Absage auch an die Fürsten zu Sachsen: 'Und die der Christenheit sollten am allerhöchsten vorstehen, darum sie auch Fürsten heißen, beweisen am allerhöchsten ihren Unglauben mit allen Sachen und Anschlägen, daß sie sich vor ihren Gesellen fürchten, recht zu tun. Sie meinen, sie würden vertrieben, wenn sie bei der Wahrheit stünden, die sie nur zum Schein angenommen haben, dieweil keine Verfolgung auf sie gefallen, wollen auch die allerchristlichsten genannt sein und gaukeln hin und her, die Gottlosen, ihre Gesellen zu verteidigen und sprechen aus dem Bart: sie wollen nit wehren, wenn ihre Untertanen von ihren Nachbarn ums Evangelion verfolget werden, sie wollen nur schlicht Diebhenker und gute prächtige Büttel sein. Die frommen Leut, ihre Pfaffen, die ihnen das Evangelion predigen, 1 2

Ausgedr. Entbl., 7i4ff. Ausgedr. Entbl., 731 ff.

Müntzers Absage an die Fürsten zu Sachsen

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freien alte Weiber mit großen Reichtümern, denn sie haben Sorg, sie müssen am Ende nach Brot gehen . . Müntzer ist endgültig zu der Überzeugung gekommen, daß die sächsischen Fürsten, trotz ihrer freundlichen Haltung gegenüber der Reformation, nicht den echten bewährten Glauben, sondern nur einen Scheinglauben besitzen, daß sie bloße Henker und Büttel, Kreaturen für Kreaturen, sind. Denn sie haben nicht die alleinige 'Furcht Gottes', die sie von der Kreaturenfurcht befreien würde, kraft deren sie aus Angst vor ihren Standesgenossen und um ihre Stellung die Verfolgung der Müntzeranhänger durch ihre Nachbarn zugelassen haben. Diese Stelle muß um die gleiche Zeit geschrieben sein, in die die erregten Briefe an Zeiß vom 22. bis 25. Juli wegen der in Allstedt sich sammelnden Flüchtlinge fallen. In diesen Briefen sehen wir eine Kurve sich neigen von erster unbedingter Empörung gegen alle Fürstengewalt bis zu einem letzten Versuch, durch einen durch Zeiß zu bewerkstelligenden 'Unterricht' doch noch die sächsischen Fürsten zu gewinnen. In diese Linie gehört auch, wie wir wissen, das in Weimar zurückgelassene Zensurexemplar. Und in der Tat ist in ihm die entscheidende Stelle gegen die ernestinischen Fürsten wieder bis zur Unkenntlichkeit abgeschwächt. Sie lautet hier: 'Und die der Christenheit sollten am allerhöchsten vor sein, beweisen am allerhöchsten ihren Unglauben mit allen Sachen und Anschlägen, daß sie sich fürchten vor den Tyrannen, recht zu tun. Sie meinen, daß sie werden vertrieben, wenn sie bei der Wahrheit stünden. Die Pfaffen freien alte Weiber ums Gelds halben, denn sie haben Sorge, sie müssen zuletzt nach Brot gehen' 2 . Daß hier Fürsten und besonders die sächsischen Fürsten gemeint sind, ist keineswegs mehr zu erkennen. An die Stelle des 'vorstehen' ist ein 'vor sein' getreten, das die Bedeutung der Fürsorge hat; der erläuternde Nebensatz: 'darum sie auch Fürsten heißen', ist weggefallen, die Furcht 'vor ihren Gesellen', also vor ihresgleichen, ist ersetzt durch die Furcht 'vor ihren 1 2

Ausgedr. Entbl., 746ff. Gezeugnis, 509 ff.

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Müntzers Entscheidung für die Revolution

Tyrannen', also vor Übergeordneten. Der große Passus über den Scheinglauben, die Verfolgungen, die Diebhenker und Büttel ist ganz gestrichen, und statt von ihren Pfaffen ist nur noch von den Pfaffen die Rede. Auf die Pfaffen unevangelischer Fürsten muß denn auch ein unvorbereiteter Leser die ganze Stelle beziehen. So ist es denn ganz deutlich geworden: Das Weimarer Zensurexemplar der Auslegung des i. Lukaskapitels liegt mit dem durch Zeiß dem Herzog vermittelten 'Unterricht, wie man gütlicher Weise zukünftigem Aufruhr begegnen soll' auf der Linie der Politik der Fürstenpredigt, die die sächsischen Fürsten für die Revolution gewinnen will, eine Linie, in die Müntzer im Bunde mit Zeiß auch nach seiner Rückkehr von dem Weimarer Verhör zunächst wieder einschwenken zu können glaubte, obgleich die Alternative in Gestalt der 'Ausgedrückten Entblößung' bereits vorlag. Diese konnte nur außerhalb Allstedts und des Kurfürstentums gedruckt werden; sich für sie und damit für die unbedingt revolutionäre Linie entscheiden, bedeutete die Flucht aus Allstedt. Wodurch diese Entscheidung in den Tagen zwischen dem 3. und 7. August herbeigeführt worden ist, darüber wissen wir nichts Bestimmtes. Müntzer ist entgegen seinem Versprechen, nicht aus Allstedt zu weichen, in der Nacht vom 7. auf den 8. August in Begleitung eines Goldschmieds aus Nordhausen über die Stadtmauer gestiegen und davongegangen1. Aus den dürftigen Nachrichten, die wir besitzen, geht soviel hervor, daß Müntzer für seine persönliche Sicherheit gefürchtet hat. In der 'Hochverursachten Schutzrede' heißt es: 'Da ich heimkam von der Verhörung zu Weimar, meinte (beabsichtigte) ich, zu predigen das ernste Wort Gottes, da kamen meine Ratsherren und wollten mich den höchsten Feinden des Evangelii überantworten. Da ich das vernahm, war meines Bleibens nimmer, ich wischte meine Schuh von ihrem Staub, denn ich sah mit meinen sichtigen Augen, daß sie viel mehr ihre Eide und Pflichten denn Gottes Wort achteten'2. In dem Brief, den 1

Hans Zeiß an Herzog Johann, 25. August 1524. Neue Mitt. X I I , S. 202. 2 Schutzrede, 536 ff.

Motive zu Müntzers Flucht aus Allstedt

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Müntzer am 15. August von Mühlhausen aus an die Allstedter gerichtet hat 1 , sagt er dem Sinne nach dasselbe: 'Vielleicht sollte ichs lassen über mich gehen und leiden den Tod, auf daß die Gottlosen an mir durch meine Geduld möchten ihren Mutwillen treiben, und danach wollten sie sagen, sie hätten einen Satanam erwürgt? Nein, nicht also! Die Furcht Gottes in mir wird eines andern Frechheit keine Statt geben. Ich hab solche Furcht in Euch gesehen nach Erinnerung Eurer Eide und Pflicht, daß ich mit euch nicht konnte sein, euch weiter (zu) belästigen, denn ich würde meinen Lippen nichts verboten haben, Gottes Gerechtigkeit auszureden.' Auch in dem Wittenberger 'Gesprächbüchlein' von 1525 ist von einer Bedrohung der persönlichen Sicherheit Müntzers die Rede. Hier sagt der lutherische Bauer: 'Ist das nicht närrisch genug, daß er zu Allstedt die Nacht zuvor ehe denn er weglief, Harnisch, Eisenhut, Krebs und Hellebarde nahm und im Fleck Allstedt in der Nacht wie ein toller rasender Hund umlief?' Worauf der Schwärmer antwortet: ' J a , man wollt ihn greifen, und da mußt er sich zur Wehr stellen'2. So ist es nun aber keineswegs gewesen, daß sich Müntzer mit G e w a l t einer drohenden Verhaftung hat widersetzen wollen, sondern er ist bei Nacht und Nebel heimlich entwichen. Vielleicht kommen wir der Lösung des Problems am nächsten, wenn wir berücksichtigen, daß der 7. August ein Sonntag war, der erste Sonntag nach dem Weimarer Verhör. Es waren zwei Wochen vergangen, seitdem Müntzer zum letzten Male in der 'Bundespredigt', die eine enthusiastische Vergrößerung seines Bundes durch Massenbeitritt zur Folge gehabt hatte, zu seiner Gemeinde und seinen Anhängern gesprochen hatte. An dem dazwischen liegenden Sonntag, dem 31. Juli, war Müntzer in Weimar gewesen und an seiner Stelle hatte sein 'Nebenprediger' und Gesinnungsgenosse Simon Haferitz gepredigt und für den Bund geworben: das Volk solle den Fürsten, Grafen und Edelleuten, den Bösewichtern, geben, was sie haben wollten, und wer dem Bunde beitreten wolle, der möge zu ihm 1 1

Briefw. S. 89. Bl. C.

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Motive zu Müntzers Flucht aus Allstedt

kommen und es werde ein solches Blutvergießen geben, daß noch Kindeskinder dessen gedenken würden 1 . Es liegt auf der Hand, daß Müntzer mit allen Fibern danach drängen mußte, am 7. August wieder zu predigen. Er durfte vor seinen Anhängern in Stadt und Land, die er mit dem Überschwang revolutionärer Glaubensgewißheit erfüllt hatte, nach dem Weimarer Verhör nicht als Geschlagener dastehen, er durfte sich ihnen gegenüber nicht die Blöße einer Schwäche geben. Auch die 'legale' Linie der Fürstenpredigt setzt die Weiterexistenz des Bundes voraus. Zwar hatte er am 3. August gelobt, auf jedes 'Verbündnis' zu verzichten und jeden Angehörigen von der Mitgliedschaft zu entledigen, aber in Wirklichkeit verhielt es sich damit, wie mit der Druckerei: während er dem Drucker einen 'gütlichen Abschied' erteilte, vermochte er gleichzeitig einen Teil des Allstedter Magistrats dazu, beim Kurfürsten f ü r die Beibehaltung des Druckers einzutreten. Und wenn er gleichzeitig in seinem eigenen Schreiben an den Kurfürsten diesen auf den 'Unterricht, wie man gütlicher Weise zukünftigem Aufruhr begegnen soll', nämlich durch den Beitritt der Fürsten zum Bund, hinwies, so zeigte das deutlich genug, daß er auch das Verbot des Bundes nicht als etwas Endgültiges hinnehmen wollte. Eine Unterbrechung, eine Pause in der Agitation, dürfte es nicht geben. Schwieg Müntzer nach dem Weimarer Verhör, so gab er damit seinen Anhängern zu erkennen, daß er sich den Fürsten unterworfen habe und damit wäre der Kredit seiner revolutionären Führerschaft aufs schwerste gefährdet gewesen. Predigte er dagegen, so konnte er darauf rechnen, daß er den Boden, den er am 3. August bei der Auseinandersetzung auf dem Allstedter Schloß bereits wieder errungen hatte, verbreitern und befestigen konnte, schon dadurch, daß er zeigte, daß er noch immer die Massen hinter sich hatte, während im anderen Falle die Gegenkräfte, deren Exponent der Stadtschultheiß Nickel Rückert war, gewonnenes Spiel hatten. Die Frage, ob Müntzer am 7. August predigen sollte oder nicht, wurde so zu einer Machtprobe, deren 1 Kurfürst Friedrich an Hans Zeiß, 9. Aug. 1524. Hans Zeiß an Kurfürst Friedrich, 34. Aug. 1524. Neue Mitt. X I I , S. 193 u. 201.

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Motive zu Müntzers Flucht aus Allstedt

Ausgang für Müntzers weitere Taktik von entscheidender Bedeutung werden mußte. Daß die Gegenseite alles aufbieten mußte, um ein Auftreten Müntzers solange zu verhindern, bis der endgültige Spruch der Obrigkeit vorlag, ist nicht weniger klar. Ein absolutes Predigtverbot war nicht ausgesprochen worden, aber Müntzer hatte sich am 3. August auf dem Schloß dazu verpflichten müssen, nicht zum Aufruhr und sonderlichen Verbündnis' zu predigen. Jedoch er hatte es höchst widerwillig getan und es hatte 'große Schwierigkeit und Mühe' gekostet, ihn dazu zu vermögen. Es war sicher, daß er in einer neuen Predigt doch wieder revolutionäre Töne anschlagen würde, und auch gar nicht anders konnte, weil eine zahme Predigt dasselbe bedeutet haben würde wie gar keine Predigt. Die Verantwortung für die Zulassung einer solchen Predigt aber wäre auf den Magistrat gefallen, und dem wollte sich dessen zum Gehorsam zurückgekehrter Teil auf keinen Fall aussetzen. Unter solchen Voraussetzungen erscheint es keineswegs als ausgeschlossen, daß die Allstedter Honoratioren Müntzer mit Verhaftung gedroht haben, falls er eine Predigt wagen würde. Sie hatten noch eine besondere Veranlassung, eine Predigt Müntzers zu fürchten: er konnte ihr Verhalten beim Weimarer Verhör enthüllen und sie vor allem Volk als Verräter an der Sache des Bundes brandmarken. Handhaben zu einer Verhaftung hatte man genug: Da war einmal die noch unausgemachte Sache Müntzers mit dem Grafen von Mansfeld, in der noch der alte, wenn auch damals nicht ernst gemeinte Befehl des Kurfürsten vorlag, Müntzer einstweilen festzusetzen, damit der Graf von ihm sein Recht bekommen möge. Müntzers Behauptung, daß die Allstedter Ratsherren ihn 'den höchsten Feinden des Evangelii' hätten ausliefern wollen, könnte auf den Mansfelder Grafen hindeuten. Der Graf hat noch im gleichen Monat August an Zeiß das Ansinnen gestellt, ihm den Allstedter Stadtschreiber und diejenigen, die sich beim Bund hätten einschreiben lassen, auszuliefern, ein Beweis dafür, daß er sich noch keineswegs beruhigt hatte. Sodann war dem Magistrat in Weimar befohlen worden, die Mallerbacher Kapellenstürmer zur Rechenschaft und Strafe zu ziehen: daß H i n r i c h s , Luther und Müntzer

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Müntzer und die Allstedter

zu diesen auch Müntzer gehörte, daß er sogar der eigentliche intellektuelle Urheber war, war in Allstedt nur allzuwohl bekannt. Nach alledem kann es nicht ohne weiteres von der Hand gewiesen werden, daß der Magistrat Müntzer durch die Drohung, ihn zu verhaften, zum Verzicht auf seine Predigt gezwungen hat. Wenn dem aber so war, so war Müntzer zum Handeln gezwungen, um bei seinen Anhängern sein revolutionäres Ansehen zu wahren. Mit gebundenen Händen stillsitzen und das Urteil seiner Landesobrigkeit abwarten, das womöglich doch auf Ausweisung lauten würde, durfte er nicht. Besser war es, Allstedt, wo seine Stellung unhaltbar geworden schien, als Revolutionszentrum aufzugeben und ein neues zu suchen, das sich nicht allzu weit in der von sozialen Kämpfen erschütterten freien Reichsstadt Mühlhausen darbot. Dann konnte er sogar seine Landesherren dadurch, daß er um seiner persönlichen Sicherheit willen ohne das angebotene Glaubensverhör aus Allstedt hatte fliehen müssen, ins Unrecht setzen, gegenüber seinen Anhängern als Verfolgter erscheinen und sie dadurch in Spannung und bei der Stange halten. Der endgültige Bruch mit den sächsischen Fürsten war damit erfolgt, der Weg der Revolution eindeutig beschritten. Müntzer ließ 'seinen Brüdern den Ratsherrn zu Allstedt, zu lesen in Beisein des Schössers' ein Schreiben 1 zurück, in dem er mitteilte, er habe über Land in seinen Angelegenheiten zu tun und man möge sein Fortgehen nicht falsch deuten. Trotz der Durchsichtigkeit seiner Entschuldigung sah Zeiß sich nicht veranlaßt, etwas zu unternehmen und das Verschwinden des Predigers seiner Regierung zu melden. Müntzer gelang es dadurch seiner Absicht gemäß, Nachforschungen zu verzögern. Mit dem eigentlichen Absagebrief an die Allstedter nahm er sich Zeit. Das erste, verworfene Konzept 2 ist von großer Schärfe. Es ist das Schreiben, in dem er Nickel Rückert als 'Erzjudas Ischarioth' und Hans Bosse und Hans Reichart als Verräter bezeichnet, die dem Fürsten geschworen hätten, ihn um den Hals zu bringen. 'Ihr wollt die Gerechtigkeit Gottes und Wege seines heiligen Bundes erkunden wie ein Volk, das Müntzer an die Allstedter, 8. August 1524. Briefw. S. 86. » Briefw. S. 87. 1

Müntzer und die Allstedter

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große Lust dazu hätte, und Ihr wisset doch viel zu guter Maßen, wie Ihr mich aufs Kreuze hattet dargegeben.' Er schließt: 'Rühret, rühret, Heben Herren, lasset den Dreck wohl stinken. Ich hoff, ihr werdet ein fein Bier draus brauen, Ihr sauft doch gerne den Unflat. Ich weiß euch weder zu raten, noch zu helfen, nachdem ich mit meinen Ohren von Euch gehört hab, daß Ihr sagt, meine Lehre sei vom Teufel.' Dieser Entwurf ist ein Zeugnis für die Stimmung, in der Müntzer Allstedt verlassen hat. Auch der zweite Entwurf 1 ist nicht abgegangen. In ihm hat Müntzer seine Stimmung bereits völlig gemeistert. Es hat den Ton eines ruhigen Lehrschreibens, in dem er sich über den Begriff der wahren 'Besserung' ergeht, die die Gottlosen als Empörung ausschreien. Die Feinde des göttlichen Bundes verstehen unter Besserung Fried und Freude, Bequemlichkeit und wuchersüchtigen Wandel, darum fürchten sie sich vor der rechten Besserung, die eintritt, wenn die Christenheit sich vom Anbeten der gezierten Bösewichter abwendet. Darum sollen die Allstedter sich nicht an dem Ärgernis der Gottlosen kehren: es ist nicht anders als damals, als die Gottlosen Christus fangen wollten aus Sorge, es möchte eine Empörung entstehen, in der man den Großen heimzahlt dafür, daß sie nicht recht tun und nicht recht tun wollen: darum sind sie der Empörung feind, die sie mit allen ihren Gedanken, Worten und Werken verursachen. Wenn man ihren Fratzen widerstrebt, sagen sie, man sei aufrührerisch. Müntzer stellt die Allstedter auf eine Stufe mit den Orlamündern, die aus Furchtsamkeit den Bund Gottes verleugnen. Er meint, um seinetwillen brauchten sie diese Furcht nicht zu hegen, wüßten sie doch wohl, daß sein Schreiben gegen keine 'Herrschaft', sondern allein 'wider die unverschämte Tyrannei' gerichtet sei. Durch diese Stelle fällt vielleicht ein weiteres Licht auf die Vorgänge in Allstedt zwischen dem 3. und 7. August. Zeiß hat am 25. August dem Herzog Johann berichtet 2 , Müntzer habe an die Bergleute im Mansfeldischen eine 'grausamliche Schrift' gerichtet, in der er sie aufgefordert habe, keck zu sein, er wolle 1 E b e n d a S. 88. ' Neue Mitt. X I I , S. 203.

9'

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Müntzer und die Allstedter

mit ihnen ihre Hände im Blut der Tyrannen waschen. Es ist möglich, daß Müntzer diese Schriit in seinem Entwurf im Auge hat, woraus sich das Bild ergeben würde, daß jene verloren gegangene Schrift an die Mansfelder Bergleute in den kritischen Tagen vor Müntzers Flucht in Allstedt bekannt geworden oder gar erst entstanden ist und den fürstentreuen Teil des Magistrats mit neuer Sorge um Müntzers Absichten erfüllt und ihr Teil dazu beigetragen hat, die Verhinderung einer neuen Predigt Müntzers um jeden Preis als geboten erscheinen zu lassen. Der ganze Tenor des zweiten Entwurfs ist also darauf abgestellt, den Allstedtern nachträglich zu beweisen, daß er keine Empörung im Sinne gehabt habe; wenn die Herrschenden nur die geringsten Abweichungen von ihren Idealen spüren, fürchten sie gleich eine Empörung: 'Da wird die Welt mit aller Furcht der verzweifelten Gottlosen erfüllet, denn so sie hören ein Blättlein am Baume rauschen, meinen sie, es sei ein geharnischter Mann da.' Zwei völlig entgegengesetzte Schreiben! In dem einen bittere Vorwürfe wegen Verrats, in dem andern der Versuch, die Furcht der Allstedter wegen Müntzers Gefährlichkeit als übertrieben hinzustellen. In dem einen wird das Tischtuch völlig zerschnitten, in dem anderen die Verbindung aufrecht zu erhalten versucht. Das dritte aus Mühlhausen am 15. August wirklich abgegangene Schreiben1 stellt eine Synthese des vorwurfsvollen und des versöhnlichen Schreibens dar. Müntzer sagt darin, er habe als Prediger in Allstedt aufs allerbitterste die 'Tyrannen christlichen Glaubens' schelten müssen, die unter dem Deckmantel des Regiments die Leute stocken und blocken, um sie zu zwingen, das Evangelium zu verleugnen, wobei er auch habe die angreifen müssen, die sich unterwinden, solche gottlosen Menschen zu verteidigen. Er habe in der Hauptsache nichts anders gesagt, als daß ein Christ den andern nicht also ganz jämmerlich auf die Fleischbank opfern solle, und wenn die großen Hänse das nicht lassen wollten, solle man ihnen 1

Briefw. s . 89.

Müntzer und die Allstedter

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das Regiment nehmen. Mehr habe er nicht tun können, als dies der Christenheit mit Ernst vorzuhalten. Wir gehen wohl nicht fehl mit der Deutung, daß Müntzer hier den Allstedtern zu verstehen gibt, welche Richtung seine Predigt am 7. August eingeschlagen haben würde, nämlich das zu wiederholen, was er in der letzten Juliwoche anläßlich der Forderungen des Sangerhäuser Amtmannes und der Ausschreitungen des Ritters von Witzleben insbesondere in seinen Schreiben an Zeiß vom 22. und 25. Juli geäußert hatte. Der Inhalt dieser Schreiben stimmt bis ins Wörtliche mit der Darstellung überein, die Müntzer von seinem Standpunkt in seinem Abschiedsbrief an die Allstedter vom 15. August gibt. Und diesen Standpunkt, welcher der des 'Unterrichts' an Herzog Johann war, habe er, sagt Müntzer, nicht als 'stummer Hund' verschweigen können, wenn er weiter bei den Allstedtern 'vom Altar' hätte leben wollen. Aber die Rolle des 'stummen Hundes' war ja gerade das, was der Allstedter Magistrat ihm nach dem Weimarer Verhör zumuten wollte. Als die andere Möglichkeit stellt Müntzer sodann hin: nicht wie ein stummer Hund schweigen, aber dafür das Martyrium erleiden. Das würde scheinbar sogar seiner Lehre von der Furcht Gottes entsprechen, deren wichtigste Erscheinungsform die Furchtlosigkeit vor Kreaturen ist. Aber Müntzer sagt: 'Die Furcht Gottes in mir wird eines andern Frechheit nicht stattgeben.' Müntzers Gottesfurcht als menschliche Furchtlosigkeit ist ausgesprochen aktiv gefaßt; sie kennt nicht die Leidensseligkeit des 'Widerstehe nicht dem Bösen'. Er will nicht, daß die Gottlosen an ihm dank seiner 'Geduld* ihren Mutwillen treiben. Dieses Bemühen Müntzers, seine Flucht aus Allstedt als das Vermeiden eines sinnlosen Martyriums um seiner Predigt willen zu rechtfertigen, erscheint wiederum als Stütze unserer Hypothese über die Ereignisse, die zu seiner Flucht führten. Den Allstedtern dagegen wirft Müntzer Kreaturenfurcht vor; sie hätten nur von der Obrigkeit an ihre Eide und Pflichten erinnert zu werden brauchen, um dieser Furcht zu erliegen. Sie hätten die Anfechtung vermeiden wollen, was doch unmöglich sei bei denen, die zu unserer Zeit recht tun sollen.

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Müntzer und die AUstedter

Solch Predigen, wie es Müntzer treiben muß, kann ohne 'das allerhöchste Ärgernis' nicht geschehen. 'Es muß diese unsinnige kluge Christenheit viel mehr geärgert werden denn vom Anbeginn, um der unüberwindlichen Besserung wegen.' Diese Besserung sollen die Allstedter aber nicht, wie die Welt es tut, in ihrer Ruhe erblicken. Diese Stelle weist wiederum auf die beabsichtigte Predigt als Ursache des Konflikts hin. Dennoch streckt Müntzer die Hand zur Versöhnung aus: Derhalben will ich auf dies Mal mich freundlich und holdselig abscheiden der Gelegenheit (Umstände) halber von Euch und willfährig sein aufs allertreulichste Euch zu dienen mit ungespartem Fleiß.' Doch kann er es sich nicht versagen, noch einmal auf ihre Drohungen gegen ihn zurückzukommen. Es hat eben dadurch ihre Menschenfurcht an den Tag kommen müssen, 'auf daß ich ja greifen möchte, wie Ihr also ganz (und) gar Euch (durch) einen Menschen lasset scheu machen, welches Euch an der Erkenntnis göttlichen Willens über die Maßen verhindert. Dasselbige habe ich also heftig mit wunderlicher Weise (Verwunderung) Euch zu erkennen gegeben und hervorgebracht Euch zugute. Ich will Euch auf das allerfreundlichste sein, wollt Ihrs von mir annehmen. Wo aber nicht (da Gott vor sei in Ewigkeit!) so muß ich ihm um seines Namens willen die Rache geben über die Bösen zur Innerung (Mahnung) der Guten'. Der Versöhnlichkeit des ganzen Schreibens entsprechen die Bitten, die Müntzer zum Schluß ausspricht. Er bittet um Übersendung der Meß- und Vesperbücher nach Mühlhausen. Er will mit allem Eifer seine Sache fördern, 'denn das Volk ist willfährig, solches anzunehmen'. Deshalb sollen sich auch die Allstedter überwinden und sich vertragen und ihn auch anderen Leuten gönnen, 'bis dass die Kirche durch das Feuer des Ärgernisses erregt werde'. Zuletzt bittet Müntzer, seinem Weibe, das er in Allstedt zurückgelassen hatte, 'eine kleine Zehrung' zu geben, 'so es Euch nit ärgert. Wie Ihr wollet, ich hab Euch um Gelds willen nicht gepredigt, sondern Gottes Namen zu suchen, welcher Euch alle ewig bewahre, Amen'. Zeiß hat nach seiner Angabe Müntzers Schreiben vom 15. August erst um den 22. erhalten und erst am 24. dem Kur-

Müntzer und die Allstedter

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fürsten und am 25. dem Herzog Anzeige von der Flucht Müntzers erstattet 1 . Daß ein Schreiben von Mühlhausen nach Allstedt eine Woche unterwegs gewesen sein sollte, erscheint als so wenig wahrscheinlich, daß Zeiß' Verzögerungsabsichten deutlich sind. Dann hat aber auch er an das Bestehen einer Gefahr für Müntzer geglaubt, was dessen Aussagen darüber wieder eine erhöhte Glaubwürdigkeit verleiht. Müntzer hat sich von Allstedt aus nicht direkt nach Mühlhausen gewandt. Seine erste Sorge galt bezeichnenderweise dem Druck der 'Ausgedrückten Entblößung'. Er wandte sich deswegen an einen täuferischen 'Buchführer', namens Hans Hut, der als Kolporteur von ketzerischen Flugschriften ein unstetes Wanderleben führte und als solcher über die notwendigen Verbindungen verfügte, um eine revolutionäre Schrift zum Druck zu befördern2. Müntzer suchte Hut in seiner Heimat, der Grafschaft Bibra, bei Meiningen, auf und übergab ihm das Manuskript seiner Schrift, auf deren Titel er in Voraussicht seines künftigen Aufenthaltes, vielleicht aber auch zur Irreführung über den Druckort, die Ortsbezeichnung 'Mühlhausen' gesetzt hatte. Die Schrift ist erst im Oktober in Nürnberg gedruckt worden3, und zwar heimlich von den Gesellen des Buchdruckers Hergot, als der Geschäftsinhaber auf Reisen abwesend war. Vielleicht erklärt sich hieraus die Verzögerung des Drucks: Hut und die mit ihm einverstandenen Buchdruckergesellen mußten eben erst auf die günstige Gelegenheit der Abwesenheit des Druckereibesitzers warten. Trotzdem kam der Druck vorzeitig ans Licht. Die Schrift wurde vom Nürnberger Rat am 29. Oktober dem Prediger von St. Sebald, Schleupner, zur Beurteilung vorgelegt, was zur Folge hatte, daß die Buchdruckergesellen zwei Tage und zwei Nächte in einen Turm gesperrt wurden und sich eidlich für alle weitere 1 Hans Zeiß an Kurfürst Friedrich, 24. Aug. 1 5 2 4 . Derselbe an Herzog Johann. 25. Aug. 1524. Neue Mitt. X I I , S. 200 u. 202. 2 'Urgicht von Hans Hut', Zeitschr. d. hist. Vereins für Schwaben und Neuburg I (1874), S. 243. Vgl. H. Boehmer, Studien zu Thomas Müntzer (Zur Feier des Reformationsfestes der Universität Leipzig 1922), S. 29. — Wolfgang Metzger, Müntzeriana, Thür.-sächs. Zeitschr. f. Geschichte, X V I (1927), S. 65, 7 1 . 3

Wolfgang Metzger, a. a. O., S. 71 ff.

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Hans Hut und der Druck der 'Ausgedrückten Entblößung'

Druckarbeit der Vorzensur durch den Rat unterwerfen mußten. Die Urschrift der 'Ausgedrückten Entblößung' sowie die noch vorhandene Auflage von 400Stück wurden konfisziert. 100 Stück waren schon nach Augsburg versandt worden und nur dadurch sind Exemplare auf die Nachwelt gekommen. Auch Hans Hut wurde als Verleger in den Turm gesperrt, aber es gelang ihm schließlich, sich vom Rat für die Konfiszierung der Schrift durch die Ersetzung der Druckkosten entschädigen zu lassen. Müntzer aber befand sich spätestens seit dem 15. August — viel früher kann er wegen des Umweges nach Bibra nicht eingetroffen sein — in der freien Reichsstadt Mühlhausen, inmitten einer gärenden Bevölkerung, während seine früheren Landesherren sich noch die Köpfe über die weitere Behandlung seines Falles zerbrachen. Der Kurfürst hatte das Schreiben, das Zeiß und die Allstedter am 3. August im Beisein Müntzers auf dem Schloß aufgesetzt hatten, ungnädig aufgenommen 1 . Zeiß bekam zu hören, er habe sich 'allweg unterstanden, denselben Prediger zu verteidigen, unangesehen, daß Du etlichemal davor gewarnet bist. Was Gutes aus seiner Lehr bisanher erfolgt, weißt Du zu guter Maß, und weil er Dir um die unschicklichen Worte, der er sich gegenüber Dir und einem Rat wider unsern lieben Bruder und uns gebraucht, angelobt, sich aus Allstedt nit zu wenden, wollen wir uns versehen, er werd dem Folg tun'. Seinen Bruder in Weimar ersuchte der Kurfürst 2 , Schösser, Schultheiß und Rat, sowie Thomas Müntzer und diesmal auch Simon Haferitz noch einmal zum Verhör vorzuladen, und wenn er die Überzeugung gewinne, daß aus Müntzers und Haferitz' Lehre und Predigt unter dem armen Volk 'Aufruhr und Unlust' zu besorgen sei, so müßten sich die Allstedter dieser Prediger von des Kurfürsten und des Herzogs wegen entledigen. Der Kurfürst hatte dem Herzog also die Entscheidung darüber, ob Müntzers Lehre zu verwerfen sei, wieder zu1

Kurfürst Friedrich an Hans Zeiß, 9. Aug. 1524. Neue Mitt. X I I ,

S 193-

2 Kurfürst Friedrich an Herzog Johann, I i . Aug. 1524. Neue Mitt. X I I , S. 194.

Stellungnahme der Fürsten zu

137

Sachsen

geschoben. Er schreibt sogar ausdrücklich, er würde den Herzog mit dieser Sache gern verschonen, doch habe er Sorge, Müntzer werde schwerlich auf seine Vorladung bis nach Lochau kommen: deutlicher als durch diese fadenscheinige Begründung könnte des Kurfürsten Absicht, die Verantwortung von sich abzuwälzen, kaum hervortreten, zugleich zeigt sie die ganze Milde dieser Herrschaft. Inzwischen drängte noch ein besonderer Umstand, die Sache bald zur Entscheidung zu bringen. Der katholische Herzog Georg von Sachsen hatte am 8. August an seine ernestinischen Vettern wegen der bösen Propheten, die sich gemeiniglich in des Kurfürsten und Herzogs Landen und unter ihrem Schirm erhielten, eine Gesandtschaft abgefertigt 1 . Als Quelle alles Übels wurde Luther hingestellt, der Papst und Kaiser unnachlässig täglich schmähe und lästere, den Herzog Georg als Tyrannen und Feind des Evangeliums bezeichne und die Ordnung der christlichen Kirche an vielen Enden verrücke. Aus solcher Saat erwachse denn ein Thomas Müntzer, der des Herzogs Untertanen zu Sangerhausen aufsässig und aufrührerisch mache und sich heimlicher Bündnisse rühme, die er gestiftet habe. Müntzer wolle unter dem Schatten des Evangeliums Ungehorsam, Krieg und Blutvergießen erregen. Der Herzog getraue sich nicht, seine Untertanen beim Gehorsam und auf dem rechten Wege zu erhalten, weil die aufrührerischen Prediger mit ihrer teuflischen Lehre ihm so nahe säßen. Er bitte darum den Kurfürsten, diese boshaftigen Propheten nach Inhalt kaiserlicher Majestät Mandat zu verjagen, zu verfolgen und ihren Mutwillen nicht zu gest itten. Herzog Georg irohte, sich andernfalls selbst an jene Propheten zu machen, die ihm sein Volk verführten. Er wolle lieber ein Verfolger des Evangeliums Luthers als des Evangeliums Christi sein. Der Kurfürst bat darauf seinen Bruder am I i . August 2 , Müntzer desto schneller zu bescheiden, handelte es sich doch um einen äußerst massiven Angriff eines starken, mit den alten 1

Instruction des Herzogs Georg f ü r seine R ä t e Heinrich V.Schleinitz

und Georg v . K a r l w i t z , 8. A u g . 1524. Neues U r k u n d e n b u c h

z.

Gesch.

d. ev. K i r c h e n - R e f o r m a t i o n , I, S. 249. 2

K u r f ü r s t Friedrich an Herzog Johann, 11. A u g . 1524. E b e n d a ; S . 2 5 1 ,

138

Herzog Johann, der Kurprinz, Lather und StrauB

Mächten im Bunde stehenden Reichsfürsten auf die gesamte Kirchenpolitik der ernestinischen Fürsten. Auch von Wittenberg her verstärkte sich der Druck auf die Landesherrschaft, zwischen der lutherischen Richtung und dem Radikalismus Müntzers und Karlstadts, durch den jene ihre evangelische Sache kompromittiert sah, einen klaren Trennungsstrich zu ziehen. In der zweiten Julihälfte war Luthers Kampfschrift gegen Müntzer, der 'Brief an die Fürsten zu Sachen wider den aufrührischen Geist', erschienen. Anfang August beantragte der Rektor der Wittenberger Universität beim Kurfürsten, er möge den Herzog Johann zur Entfernung Karlstadts aus Orlamünde veranlassen 1 . Karlstadt seinerseits erbot sich dagegen zur Rechenschaft über sein Lehren und Tun und sprach die Erwartung aus, daß nichts tyrannisch oder gewaltsam gegen ihn vorgenommen würde, ehe er verhört und überwunden wäre 2 . Es laufen nun zwei Aktionen nebeneinanderher, in denen sich wiederum die unsichere und schwankende Haltung des Herzogs Johann und die entschiedene seines Sohnes, des Kurprinzen Johann Friedrich, abzeichnen. Der Kurprinz hatte im Juni Luther eine Visitationsreise zwecks Reinigung der Städte von 'schwärmerischen' Predigern nahegelegt3. Dieser Gedanke wurde Mitte August verwirklicht 4 , noch bevor etwas über Müntzers Flucht verlautete. Luther wandte sich zuerst nach Jena und Orlamünde und den benachbarten Orten an der Saale, wo Karlstadts Einfluß herrschte, um diesen 'mit dem Wort allein' zu überwinden. Er predigte in Jena zugleich gegen Müntzer und Karlstadt, hatte hier mit diesem eine ergebnislose gereizte Unterredung und hatte in Orlamünde nach einer ebenso fruchtlosen wie heftigen Auseinandersetzung mit der dortigen Gemeinde unter lauten Verwünschungen der Menge seinen Wagen zur Heimfahrt besteigen müssen. Währenddessen begab sich Herzog Johann, wiederum in Begleitung seines Sohnes, nach Eisenach zu seinem Ver1 s 3 4

w . A. XV, Ebenda, S. Ebenda, S. Vgl. hierzu

s. 325. 326. 323. die Acta Jenensia 1524. W. A. X V , S. 323ff.

Strauß' Vermittlungsversuch

139

trauensmann Jakob Strauß 1 . Dieser aber kam nun vollends mit seinem großen Vermittlungsvorschlag hervor, der nicht mehr und nicht weniger bezweckte, als die gesamten reformatorischen Kräfte, die das Kurfürstentum Sachsen als der Hort dieser ganzen deutschen Bewegung in sich faßte, zu einer Disputation in Weimar zu vereinigen. Strauß hatte mit dem Herzog eine lange Unterredung 'des Müntzers und seiner Anhänger Lehr und der neuen Geister halben, wie er sie genannt'. Sein Rat war nun, da Doktor Karlstadt, wie er von ihm in Wittenberg verstanden, derselben Meinung wie Müntzer sei und ohne das auch in anderen Artikeln mit Luther in Streit liege, so solle der Herzog Luther, Karlstadt, Melanchthon, Strauß, Müntzer und andere nach Weimar zu einem Gespräch über ihre Lehre vorladen. Der Herzog schreibt darüber an seinen Bruder, da Strauß mit Luther auch wegen des Zinses und Wuchers nicht einig sei und Karlstadt ihm, dem Herzog, gerade geschrieben und sich zum Glaubensverhör erboten habe, so sei er geneigt, die Kosten drauf gehen zu lassen und alle miteinander nebst Schösser, Schultheiß und Rat von Allstedt nach Weimar zu laden. Dann könne Müntzer auch nicht klagen, er habe seiner Lehre wegen nicht zum Verhör kommen können, wozu er sich vielmals erboten. Sei er aber verhört und überwunden, so habe man bessere und mehr Ursache, ihn zu entlassen. Dann würde auch das arme Volk desto besser zu befriedigen und zu stillen sein. Hier äußert sich deutlich der Einfluß der Vorstellungen von Zeiß. Gleichzeitig hatte der Herzog aber in Eisenach von einem Ritter Jörgen v. Ebleben die große Nachricht von der Flucht Müntzers aus Allstedt erhalten2. Er meinte daher, unter solchen Umständen sei es 'vielleicht' nicht notwendig, weiter mit ihm zu verhandeln, es möchte auch besser sein, er habe sich selbst hinweggewendet als daß man ihn entlassen habe. Der Herzog verlangte von Zeiß eine Bestätigung der Nachricht. Wenn Zeiß sie nicht geben könne, solle der Vorschlag von Strauß ausgeführt werden. 1 Vgl. für das Folgende Herzog jQhann an Kurfürst Friedrich, 24. Aug. 1524. Neue Mitt. X I I , S. 198. * Ebenda.

140

Müntzers Ablehnung

Dieser Vorschlag erscheint fast als ein Gegenzug gegen Luthers Visitationsreise, als habe Strauß die sich anbahnende geistliche Alleinherrschaft Luthers verhindern wollen, die auch, seinen sozialen Zielen entgegengesetzt war. Dann mußte ihm aber auch daran liegen, seinen Vorschlag einer großen Disputation trotz Müntzers Flucht durchzuführen. Das Schreiben des Herzogs an den Kurfürsten schließt diese Möglichkeit denn auch keineswegs aus. Die vorsichtige Wendung, daß Müntzers Flucht es 'vielleicht* nicht notwendig mache, weiter mit ihm zu verhandeln, konnte wie ein Fühler wirken, dem die Antwort des Kurfürsten 1 denn auch entsprach. Den Vorteil, den Müntzers Flucht bewirkt habe, sieht der Kurfürst lediglich darin, daß man nun dem Herzog Georg leichter und besser würde antworten können. Diesen selben Vorteil erwartet er aber auch von der schleunigen Durchführung des Vorschlages des Doctor Strauß; er meint sogar, dann könne man dem Vetter desto gründlicher mit einer Antwort entgegentreten. Er erwartet offenbar, daß es auf der Disputation zu einer gründlichen Scheidung der Geister kommen würde, die den Herzog Georg davon überzeugen müßte, daß Luther mit Aufruhr und Empörung nichts zu tun habe und nicht als ihre Quelle zu betrachten sei. Bei Herzog Johann, der unter dem Einfluß von Strauß stand, muß es •jedoch dahingestellt bleiben, ob er nicht eher von der Disputation einen Ausgleich der Gegensätze erhoffte, wie es bei Strauß sicherlich der Fall war. Anfang September schrieb Müntzer von Mühlhausen aus an seinen in Allstedt zurückgebliebenen Gehilfen Ambrosius Emmen 2 : 'Wiewohl Herzog Hans aus Thüringen schön geschrieben hat, von Furcht und Scheu wegen, die er hat voi mir, nicht an die Gemeinde, auch nicht an den Rat, sondern an einen Heuchler, ist solch unziemlich Anmuten höchlich abgeschlagen und ganz und gar mit Verschmähung des obgenannten Fürsten verworfen, und es sieht mich nicht anders an, denn die Sache muß aufgehen.' Dieser Brief ist bisher 1 Kurfürst Friedrich an Herzog Johann, 27. Aug. 1524. Neue Mitt. X I I , S. 203. 2 3. Sept. 1524. Briefw. S. 91.

Luthers Sieg

141

dahin gedeutet worden, daß Herzog Johann durch einen angesehenen Bürger den Mühlhäuser Rat vergeblich vor Müntzer zu warnen versucht habe 1 . Dem steht aber die Tatsache entgegen, daß der Rat noch am 27. August bei dem Hofprediger Stein in Weimar anfragte, ob Müntzer, der sich in Mühlhausen zu predigen unterstünde, 'auch von den Herrn und Herzogen zu Sachsen mit Güte abgeschieden wäre' 2 . Der Rat wäre demnach für eine Warnung des Herzogs durchaus empfänglich gewesen. Müntzer beklagt sich überdies in seinem Brief an Emmen selber, daß die Leute in Mühlhausen 'langsam' wären, ihm also zögernd gegenüberständen. Das höchlich abgeschlagene unziemliche Anmuten.des Herzogs muß also in etwas anderem bestanden haben und seine Verwerfung kann nicht von Seiten der Mühlhäuser erfolgt sein. Man darf daher immerhin die Möglichkeit in Erwägung ziehen, daß der Herzog an einen unbekannten Vertrauensmann in Mühlhausen den Vorschlag von Strauß hat gelangen lassen. Dann würde sich das Schreiben an Emmen so deuten lassen: Der Herzog hat 'schön' geschrieben, d. h. schöngetan, und zwar nicht dem Rat und der Gemeinde gegenüber, was auf eine Warnung vor Müntzer schließen lassen würde, sondern einem 'Heuchler', einem, der Müntzer auf Veranlassung des Herzogs wieder schöngetan hat, und zwar aus Furcht und Scheu, die der Herzog vor Müntzer hat. Müntzer ist also durchaus davon überzeugt, daß er den Herzog innerlich beunruhigt, und er führt darauf auch das in dem 'schönen' Schreiben enthaltene 'unziemliche Anmuten', also einen Vorschlag, zurück. Dieser Vorschlag ist aber 'ganz und gar mit Verschmähung des obgenannten Fürsten verworfen' worden. Die Verwerfung des Vorschlages bedeutet also die Verschmähung des Fürsten, den endgültigen Bruch mit ihm, so daß 'die Sache', d. h. die Revolution, jetzt 'aufgehen' muß. Aber inzwischen war offenbar die große Disputation auch schon von einer anderen Seite zu Fall gebracht worden. Auf 1 Otto Merx, Thomas Müntzer und Heinrich Pfeiffer (1889), S. 73. Merx deutet allerdings S. 74, Anm. 1 selbst bereits Zweifel an dieser Auffassung an. 2 Merx, a. a. O., S. 74.

142

Luthers Sieg

der Rückkehr von seiner gescheiterten Visitationsreise nach Orlamünde hat Luther mit dem Kurprinzen Johann Friedrich über die ihm so verhaßte Karlstadtsche Richtung eine Unterredung gehabt, die dem Projekt des Doktor Strauß offenbar endgültig den Garaus gemacht hat 1 . So waren die Fronten unter weitgehender Passivität der beiden ernestinischen Fürsten hauptsächlich durch das Handeln Müntzers auf der einen, des Kreises Luther- Spalatin- Johann Friedrich auf der anderen Seite endgültig geklärt. Sie hatten sich geistig auf den Gegensatz Martin Luther-Thomas Müntzer

ausgerichtet. 1

W. A. XV, S. 328.

Drittes Kapitel Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührischen Geist' 1 ist nicht, wie vielfach angenommen worden ist, unmittelbar durch den Inhalt von Thomas Müntzers Fürstenpredigt hervorgerufen worden. Ein solches Verhältnis ist schon aus zeitlichen Gründen unmöglich. Zeiß hat ein Exemplar der Fürstenpredigt am 20. Juli an Spalatin geschickt, und dieser hat es offenbar an Luther weitergesandt, wie aus dessen Brief an Spalatin vom 31. Juli hervorgeht2, mit dem er die Rücksendung der 'Allstedter Raserei', wie er sich ausdrückt, begleitet. Luther hat die Fürstenpredigt also erst in der letzten Juliwoche zur Kenntnis genommen. Zu diesem Zeitpunkt hatte Müntzer jedoch Luthers Manifest gegen ihn bereits in Händen: es wird nicht nur in der Vorrede und im Text des 'Ausgedrückten Entblößung' erwähnt, sondern es wird auch eine Stelle aus ihm dem Sinne nach ausdrücklich zitiert. Wenn es bei Luther hieß 3 : 'Denn der Geist Christi richtet niemand, der recht lehret, und duldet und trägt und hilft denen, die noch nicht recht leben, und verachtet nicht also die armen Sünder, wie dieser Pharisäische Geist tut', so hatte Müntzer zweifellos diese Stelle im Auge, wenn er in der 'Ausgedrückten Entblößung' schrieb4: 'Sie entschuldigen sich mit ihren schalen, lahmen Fratzen: J a , wir sind arme Sünder, hat doch Christus die Sünder nicht verachtet, wie verachtet uns dann dieser Pharisäische Geist?' Daß es sich hierbei aber nicht um spätere, etwa nach der Flucht aus Allstedt gemachte Zusätze handelt, geht zweifelsfrei aus der Tatsache » WA. XV, S. 199ff. » WA. Briefw. III, S. 324. » WA. XV, S. 218. 4 Ausgedr. Entbl., 603 ff.

144

Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen'

hervor, daß die Erwähnung von Luthers Schrift in der Vorrede und das unverkennbare Zitat auch in dem Zensurexemplar enthalten sind, das Müntzer bereits am i . August mit nach Weimar brachte und dort zurückließ. Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' hat Müntzer also schon in der zweiten Julihälfte, als er an der 'Ausgedrückten Entblößung' arbeitete, vorgelegen, während Luther die Fürstenpredigt erst in der letzten Juliwoche zu Gesicht bekam. Schließlich sind in der "Ausgedrückten Entblößung' auch schon die Ansätze zu Müntzers scharfer Erwiderung auf Luthers Angriff zu erkennen: in den Bezeichnungen, mit denen er Luther hier bedenkt, — "giftiger schwarzer Kolkrabe', 'Bruder Sanftleben 1 und Vater Leisentritt' — finden wir den deutlichen Niederschlag der Wirkung von Luthers 'Brief und den Ton der 'Hochverursachten Schutzrede' bereits angeschlagen. Müntzers Predigt und Luthers 'Brief' haben also unmittelbar nichts miteinander zu tun. Das schließt aber nicht aus, daß die bloße Absicht des Herzogs Johann, eine Predigt Müntzers anzuhören, sehr wohl beflügelnd auf Luthers Entschluß, seine Landesherrn endgültig gegen Müntzer mobil zu machen, eingewirkt haben kann. Wir sahen Luther bereits in der zweiten Junihälfte ganz im Sinne seines 'Briefes' auf Spalatin und den Kurprinzen Johann Friedrich einwirken; besonders in seinem Brief an den Kurprinzen vom 18. Juni waren bereits Gedankengänge seiner Schrift gegen Müntzer deutlich zu erkennen. Wenn unsere Vermutung zutrifft, daß der Herzog Johann bei seiner ersten Anwesenheit in Allstedt am i. Juli sich die Predigt bei Müntzer für den 13. Juli bestellt hat, so dürfte Luther hierüber durch den Kurprinzen oder Spalatin alsbald unterrichtet worden sein. Die Absicht des Herzogs aber mußte wie ein Alarmzeichen, jedenfalls wie ein Zeichen unbegreiflicher Ahnungslosigkeit des Herzogs auf Luther wirken und ihn zu einem sofortigen Gegenschlag veranlassen. Luther wollte seinen Landesherren, über deren Langmut er längst unwillig war, die Augen öffnen, indem er Müntzer 1 Ausgedr. Entbl., 239, 700. Die Bezeichnung 'Bruder Sanftleben' findet sich zusammen mit dem nicht wiederholten 'Bruder Mastschwein' allerdings auch schon in der Fürstenpredigt.

145

Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen'

öfffentlich diskreditierte und die Notwendigkeit zeigte, gegen ihn endlich einzuschreiten. Demnach würde Luther seine Schrift nach längst fertigen Gedankengängen gleich in den ersten Julitagen zu Papier gebracht haben, so daß sie unmittelbar nach Müntzers Predigt ihre Gegenwirkung tun konnte. Daß sie noch v o r der Fürstenpredigt erschienen sei, ist wegen der Kürze der Zeit nicht anzunehmen; auch würde der Herzog angesichts eines solchen, von einer Autorität wie Luther stammenden öffentlichen Appells, der Müntzer als Kloster- und Kirchenbrenner, Empörer und Apostel der Gewalt hinstellte, wohl Bedenken bekommen haben, eine Predigt Müntzers anzuhören. Müntzer dürfte mit seiner in der 'Schutzrede' ausgesprochenen Behauptung recht haben, daß Luther sein Verhör vom i . August veranlaßt habe; daß er damit durchdrang, war nicht nur eine Folge von Müntzers *Bundespredigt', sondern vielleicht auch die Wirkung des 'Briefes an die Fürsten zu Sachsen'. Es ist eines der Hauptanliegen Luthers, zugleich mit Müntzer Karlstadt zu vernichten, er pflegt deshalb von einer Mehrheit von Gegnern zu sprechen, auch wenn er zu ihrer Charakterisierung nur Taten und Gedanken Müntzers anführt. Der Zusammenhang beider steht für Luther so fest, daß Müntzer in seinen Augen gewissermaßen nur die konsequente Weiterentwicklung Karlstadts bedeutet. Wenn Luther daher meist von 'ihren' Schriften spricht, so sind darunter gleichwohl nur die Schriften Müntzers zu verstehen, die für ihn stellvertretend für eine ganze Richtung sind. In diesem Sinne sagt Luther, es sei jetzt nicht Zeit noch Raum, 'ihre Lehre' zu beurteilen 1 . Um die theologischen Voraussetzungen der revolutionären Richtung will er sich nicht bekümmern. Er habe diesen Brief allein aus der Ursache geschrieben, weil er vernommen, und auch 'aus ihrer Schrift' verstanden habe, 'als wollt derselb Geist die Sache nicht im Wort lassen bleiben, sondern gedenke sich mit der Faust dreinzubegeben, und wolle sich mit Gewalt setzen wider die Oberkeit und stracks daher einen leiblichen Aufruhr anrichten' 2 . 1 a

W A . X V , S. 212. Ebenda.

H i nr i c h s

Luther

und

Müntzer

IO

146

Luthers Haltung zur Frage der Gewaltanwendung

Hier erhebt sich nun zunächst die Frage: welche Schrift Müntzers mit revolutionärem Inhalt kann Luther in diesem Zeitpunkt vorgelegen haben ? Denn er sagt ja ausdrücklich, daß er es nicht nur vom Hörensagen, sondern auch in einer Schrift bestätigt gefunden habe, daß Müntzer revolutionäre Gewaltanwendung gegen die Obrigkeit plane. Die Antwort auf diese Frage ist nicht einfach. Als Luther seinen Brief schrieb, lag aus Müntzers Feder noch keine eigentliche Schrift vor, von der man sagen könnte, daß sie Gewaltanwendung verkünde. Das geschah zum ersten Male in der Fürstenpredigt, aber auch hier noch keineswegs in eindeutig revolutionärer Form, denn der Gewalt Vollzug war hier ja noch den Fürsten als Beauftragten des Volkes zugedacht. Man könnte sogar behaupten, daß Müntzer hier einen Gedanken Luthers aufgegriffen und weiterentwickelt habe, den dieser vor gar nicht langer Zeit geäußert hatte. Wir berühren damit das Problem von Luthers grundsätzlicher Haltung zur Frage der Anwendung von Gewalt bei der Durchführung der Reformation. Von dieser Haltung und ihren theologischen Hintergründen her wird man seine scharfe Absage an Müntzer in erster Linie begreifen müssen. Vielleicht fällt von hier aus auch ein Licht auf die Frage, worin Luther bei Müntzer schon vor der Fürstenpredigt eine Verkündung der revolutionären Gewaltanwendung sehen konnte. Die Möglichkeit, daß das von ihm begonnene Reformationswerk in eine gewaltsame Aufruhrbewegung gegen die Papstkirche übergehen, daß aus der Reformation eine Revolution werden könnte, ist Luther zum ersten Male zu Ende des Jahres 1 5 2 1 aufgegangen. Das Zeugnis dafür ist die im Dezember dieses Jahres auf der Wartburg verfaßte Schrift 'Eine treue Vermahnung zu allen Christen, sich zu hüten vor Aufruhr und Empörung' 1 . Damals meinte Luther, 'daß es sich ansehen läßt, es werde gelangen zu Aufruhr', so daß 'Pfaffen, Mönche, Bischöfe mit ganzem geistlichen Stand erschlagen und verjagt möchten werden, wo sie nicht eine ernstliche, merkliche Besserung selbst vorwenden. Denn der gemeine 1

W A . VIII, S. 673ff.

147

Eschatologischer Hintergrund

Mann, in Bewegung und Verdruß seiner Beschädigung, am Gut, Leib und Seele erlitten, zu hoch versucht und über alle Maße von ihnen aufs alleruntreulichste beschwert, hinfort solches nimmer leiden möge noch wolle, und dazu redliche Ursache habe, mit Flegeln und Kolben drein zu schlagen, wie der Karsthans droht 1 '. Obgleich Luther nicht ungern sieht, daß die Geistlichen in solcher Furcht und Sorge stehen, ist er doch aus ganz bestimmten Gründen davon überzeugt, daß ein Aufruhr, besonders einer, 'der da durch und durch dringe', nicht entstehen wird. Aber trotz dieser Überzeugung, daß 'die Hand nicht dazu kommen wird' und es deshalb nicht nötig ist, ihr zu wehren, will Luther doch die Herzen über seine Auffassung von Aufruhr und Empörung 'ein wenig unterrichten' 2 . Wie Müntzers Lehre von der revolutionären Gewaltanwendung, so hat auch Luthers Ablehnung der 'Faust' ihren eschatologischen Hintergrund. In diesen Fragen von letzter Verantwortlichkeit gegenüber Leben und Tod von Mitmenschen haben sich beide an ihrer Auffassung von den letzten Dingen orientiert. Es handelt sich hier bei beiden letztlich um eine verschiedenartige Auffassung der christlichen Vorstellung des Jüngsten Tages, des Endgerichts über die Menschheit. Wie bereits angedeutet, sieht Müntzer hierin ein zeitlich-geschichtliches, wenn auch alle bisherige Geschichte abschließendes Ereignis, bei dem die im neuen Glauben verbundenen Auserwählten als 'Engel des Gerichts' den Gottlosen und Scheingläubigen ein gewaltsames Ende bereiten und dadurch die rechte christliche Kirche, das Reich Christi, aufrichten. Das Endgericht nimmt die Form einer irdischen, die menschliche Vergangenheit besiegelnden Revolution an. In der Vollstreckung des diesseitigen Gerichts über die Gottlosen, kommt zugleich deren metaphysisches Verworfensein zum Ausdruck, dessen Erkennungszeichen ihre üppige, kreatürliche Lebensführung ist. Bei Müntzer richtet sich die revolutionäre Gewaltanwendung nicht mehr allein gegen die Papstkirche, sondern min1 W A . V I I I , S. 676. * W A . V I I I , S. 676, 679.

io»

148

Eschatologischer Hintergrund

destens seit der 'Ausgedrückten Entblößung' auch gegen die fürstliche Staatsgewalt. Bei Luther steht dagegen vom Anfang bis zum Ende seiner Laufbahn der Papst mit seiner Kirche als das alleinige Angriffsziel im Mittelpunkt seiner Gesamtanschauung. Das hängt mit der besonderen eschatologischen Stellung zusammen, die er dem Papsttum seit Beginn des großen Kampfes zugewiesen hat: das Papsttum ist für Luther der vor dem Eintritt des Weltendes angekündigte Antichrist, dessen endchristliches Regiment der Lüge durch die von Luther wiederentdeckte Wahrheit des Wortes Christi zerstört wird. Wenn dieses lautere Wort Gottes soweit ausgebreitet ist, 'daß der Papst mit seinen Lügen nichts mehr gilt und ganz verachtet wird', alsdann wird der Jüngste Tag 'zuplatzen und treffen' 1 . Gegenüber der Strafe der ewigen Verdammnis, die dann den Papst und seine Anhänger treffen wird, wäre leiblicher Tod und Aufruhr für sie nur ein schmeichelnder, wohltuender 'Fuchsschwanz'. Die Schrift gibt dem Papst und den Seinen ein ganz anderes Ende als leiblichen Tod und Aufruhr, wie auch Daniel sagt, daß der Antichrist 'ohne Hand' zerstört werden wird 2 . Die Ausbreitung des reinen Worts als Kampf gegen den Antichrist befördert das Nahen des Jüngsten Tages, das Ende der Geschichte mit der Wiederkunft Christi, der das Endgericht mit seinen Ewigkeitsstrafen abhält und das transzendete ewige Gottesreich begründet. Der feste Glaube daran, daß das von ihm wiederentdeckte ursprüngliche Evangelium den Antichrist als die Wurzel allen Übels überwinden und daß der damit herbeigekommene Jüngste Tag ein weit furchtbareres Gericht für den Widersacher bedeuten wird als es der gewaltsame Aufstand gegen ihn sein könnte, machen in Luthers Augen den Aufruhr, bei dem auch viel unschuldiges Blut vergossen werden würde, unnötig 3 . Wer den Ernst und die Leidenschaft kennt, mit denen Luther bis zum letzten Atemzuge die Papstkirche bekämpft hat, wird nicht daran zweifeln, daß es sich hier um echte Glaubens1

W A . V I I I , S. 678.

* W A . V I I I , S. 677. ' W A . V I I I , S. 680.

Staat und Reformation nach Luthers Auffassung

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Überzeugungen und nicht um irgendwelche Schonungsversuche handelt. In diese vom Antichristcharakter des Papsttums bestimmte Gesamtanschauung Luthers fügen sich nun auch seine politischen Anschauungen ein. Das Evangelium als Botschaft des Friedens und der Gewaltlosigkeit, des kommenden Gottesreiches, das die Herrschaft des PapstAntichrists ablösen wird, würde in dieser Welt der Sünde keine äußere Stätte finden ohne das Vorhandensein einer äußeren Ordnung, für deren Herstellung und Erhaltung Gott den Staat gestiftet hat, der mit dieser ihm zugewiesenen Stellung zugleich mit allen weltlichen Berufen aus der bisherigen Unterordnung unter die geistliche Gewalt befreit wird. Aber Luther ist 1 5 2 1 ähnlich wie Müntzer der Meinung, daß der Staat etwas 'darzutun' könnte, um die von ihm gesehene Entwicklung auf den 'lieben Jüngsten Tag' hin zu beschleunigen. 'Denn was durch ordentliche Gewalt geschieht, ist nicht für Aufruhr zu halten'. Fürsten und Herren sollten das ihre dazutun, und mit dem Schwert, das sie tragen, wehren, soviel sie nur möchten, ob sie Gottes Zorn doch eines Teils zuvorkommen und lindern könnten, gleichwie Moses, (2. Mos. 32, 28), ließ dreitausend vom Volk erschlagen, auf daß Gottes Zorn vom Volk gewendet würde' 1 . Eine Ähnlichkeit mit den Gedankengängen von Thomas Müntzers späterer Fürstenpredigt ist hier tatsächlich unverkennbar. — Aber Luther will diese Schriftstelle keineswegs wörtlich verstanden wissen; im Gegensatz zu Müntzer meint er: 'Nicht daß man jetzt sollte die Pfaffen töten, welches ohne Not ist, sondern nur mit Worten verbieten und darob mit Gewalt halten, was sie treiben über und wider das Evangelium' 2 . Die Gewaltanwendung reduziert sich bei Luther also auf die Unterdrückung der Papstkirche mit Hilfe der Staatsautorität. Zu verwerfen ist es jedoch, 'wenn der Herr Omnes aufsteht', der Böse und Fromme nicht zu unterscheiden vermag. Der Aufruhr, 'hat keine Vernunft und geht gemeiniglich mehr über die Unschuldigen, denn über die Schuldigen. Darum ist auch kein Aufruhr recht, wie rechte Sache er immer 1

W A . VIII, S. 679, 680. * W A . VIII, S. 680.

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Luther gegen Aufruhr

haben mag 1 '. Um solchen Aufruhr zu verhüten, ist die Obrigkeit mit dem Schwert eingesetzt. Sie allein hat das Recht, sich des Schwertes gegen die Verhinderer des Evangeliums zu bedienen. Tut sie es nicht, so hat sich der Christ in die höchste Christenpflicht des Duldens zu schicken. Der Christ darf das Schwert nur als gottgesetzte Obrigkeit gebrauchen — zur Bewahrung der äußeren Ordnung, die ja angesichts des Jüngsten Tages doch nur transitorische und relative Bedeutung hat, so daß ihre revolutionäre Umgestaltung die Opfer an Gut und Blut nicht lohnen würde. 'Darum habe acht auf die Obrigkeit. Solange die nicht zugreift und befiehlt, so halte du stille mit Hand, Mund und Herz, und nimm dich nichts an. Kannst du aber die Obrigkeit bewegen, daß sie angreife und befehle, so magst du es tun. Will sie nicht, so sollst du auch nicht wollen.' 2 Hier also, bei der unblutigen Gewaltanwendung durch die überkommene legitime Staatsautorität gegen die Papstkirche, die das Kommen des transzendent gedachten Gottesreiches verhindert, bleibt Luther stehen, während Müntzer sich auch gegen die Obrigkeit wendet, die nicht zum Vollzugsorgan seiner auf die Errichtung eines d i e s s e i t i g e n Gottesreiches gerichteten Lehre werden will. Dagegen sagt Luther: 'Fährst Du aber fort, so bist du schon ungerecht und viel ärger denn der andre Teil. Ich halte und wills allezeit halten mit dem Teil, der Aufruhr leidet, wie ungerechte Sache er immer habe, darum, daß Aufruhr nicht ohne unschuldiges Blut oder Schaden ergehen kann' 3 . Da das Weltende nach Luthers Meinung ohnehin bevorsteht, und er es überdies nicht als irdischen vollkommenen Endzustand, den es nach seiner Überzeugung nicht geben kann, auffaßt, kann das unschuldige Blut, das auch der berechtigtste Aufruhr kosten würde, nicht verantwortet werden. Schließlich sieht Luther auch in einem gewaltsamen Vorgehen eine Diskreditierung der Sache der Reformation. Aber 'was sollen wir denn tun, so die Obrigkeit nicht anfangen will?' Einmal: erkennen, daß es unsere Sünden sind, die Gott mit dem endW A . V I I I , S. 680. • W A . V I I I , S. 680. 1 W A . V I I I , S. 680. 1

Teufelsvorstellung und Geschichtsanschauung bei Luther

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christlichen Regiment des Papstes heimsucht, sie bekennen und ablegen, und zum änderen: getrost fortfahren, 'des Papstes und der Papisten Büberei und Trügerei unter die Leute zu treiben mit Reden und mit Schreiben, bis daß er, in aller Welt bloß aufgedeckt, erkannt und zuschanden werde' 1 . Es gilt den Papst mit der neuen Predigt des Evangeliums aus den menschlichen Herzen reißen: 'Wenn er aber aus dem Herzen ist, daß sein Ding nicht mehr gilt, so ist er schon zerstört. Hiermit kann man ihm besser raten, denn mit hundert Aufruhren' 2 . Aber Luthers Glaube, daß das von ihm Begonnene nicht in einen gewaltsamen Aufstand übergehen werde, ist bereits wenige Monate später erschüttert infolge der Wittenberger Unruhen seit der Jahreswende 1521/22. Thomas Müntzers Zwickauer Gesinnungsgenossen Nikolaus Storch und Marcus Thomä Stübner verbanden sich damals mit Karlstadt zur gewaltsamen Herbeiführung kirchlicher Neuerungen, die alsbald auf das soziale Gebiet hinübergriffen, wobei Karlstadt erklärte, daß der weltliche Staat befugt sei, alle Ärgernisse der Gläubigen zu beseitigen, und wenn die Obrigkeit nachlässig sei, dürfe die Gemeinde selbst die notwendigen Veränderungen vollziehen.3 Es wurde deutlich, daß der Aufstand gegen das Papsttum notwendigerweise auch auf die weltliche Obrigkeit übergreifen würde. Auf der anderen Seite sah Luther an der Haltung des Herzogs Georg von Sachsen, der beim Nürnberger Reichsregiment im Januar 1522 einen Erlaß durchsetzte, worin die Bischöfe von Naumburg, Merseburg und Meißen zu entschiedenem Vorgehen gegen die Wittenberger Neuerungen veranlaßt wurden, daß sich weltliche Obrigkeiten gegen das Evangelium stellten, um das Licht mit Gewalt zu dämpfen, wodurch sie 'die Herzen nur erbittern und zum Aufruhr zwingen'. Er sieht jetzt, daß die Gefahr der Empörung, die er bisher gering geachtet und nur der Priesterschaft drohen sah, sich nun auch gegen die welt1

W A . V i l i , S. W A . V I I I , S. ' L . v. Hanke, Akademieausgabe) 1

682. 683. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation B d . II. S. 1 8 .

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Teufelsvorstellung und Widerstandsrecht bei Luther

liehe Herrschaft wenden und die Pfaffen 'als eine Landplage' gewissermaßen nur nebenbei 'mit einwickeln' wird 1 . So sieht er Gewalt von unten und Gewalt von oben drohen. Die Art und Weise, wie Luther mit der gegebenen Situation — Gewalt von oben und drohende Gewalt von unten — fertig zu werden sucht, ist wiederum nur von der apokalyptischen Stimmung her zu begreifen, die Luther — und nicht nur Luther — in diesen Jahren der stärksten geistigen und politisch-sozialen Spannung beherrschte. Seine Antwort auf das Problem dieser Spannung ist im Eingang seines 'Briefes an die Fürsten zu Sachsen' deutlich formuliert. Zu Luthers Eschatologie gehört seine Teufelsvorstellung®, die nichts mit dem mittelalterlichen Volksaberglauben zu tun hat, sondern zusammen mit den eschatologischen Vorstellungen einen integrierenden Bestandteil seiner Geschichtsphilosophie ausmacht. Luther sieht in dem geschichtlichen Geschehen den Kampf zwischen der wahren Kirche, in der allein Gottes Wort regiert, und dem Teufel, der Macht des Bösen. Dieser Kampf datiert seit dem Beginn der Welt und wird bis zum Ende der Welt dauern. Die Welt ist das Reich des Bösen, 'des Teufels Herberge', erst mit ihrem Ende am Jüngsten Tage wird auch die Macht des Teufels untergehen. In diesem Augenblick des Weltendes und des endgültigen Sieges Christi wird Gott von allen Kreaturen erkannt und geehrt werden, von denen einen mit Gnaden in der Erlösung, von den andern knirschend in der Verdammnis. Die Weltgeschichte wird zu einem Geschehen, in dem es um den Kampf des 'heiligen Gotteswortes' mit dem Teufel geht, und in diesem Kampf zugleich um die Behauptung der wahren Kirche als der Gemeinschaft der im Glauben an Christi Wiederkunft Verbundenen innerhalb der Welt. Alle Geschichte wird so für Luther letzten Endes zur Kirchengeschichte, nach der er sie auch periodisiert: in der ersten Periode bis Konstantin, der Zeit der Verfolgung, herrscht der 'schwarze Teufel', d. h. eine Macht des Bösen, die sich als solche unverhüllt und un1 Luther an den Kurfürsten Friedrich, 7. März 1522. W A . Briefw. I i ' S. 459 ff. 8

Vgl. Hennannus Obendiek, Der Teufel bei Martin Luther (1931)

Teufelsvorstellung und Wiederstandsrecht bei Luther

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geschminkt zu erkennen gibt. In der zweiten Periode, der Zeit der Ketzer, Arianer usw. herrscht der 'weiße oder englische Teufel', der durch Falschheit und verschmitzte Irrlehren die Gewissen verführt. Die dritte Periode beginnt, seitdem sich der Papst Karl den Großen und alle nachfolgenden Kaiser dienstbar gemacht hat: sie ist die letzte und schlimmste Zeit, in der der Antichrist, der Papst als ein 'göttlicher, majestätischer Teufel' regiert, der sich verehren läßt, als sei er Gott selbst. Durch die Überzeugung Luthers, daß in der Geschichte dieses Aeons sich der fortdauernde, erst am Jüngsten Tage zur Entscheidung gelangende Kampf zwischen Gottes Kirche und dem Teufel abspielt, ist 'jeder Gedanke an die Selbstentfaltung einer Idee in der Geschichte wie jede evolutionistische Idee im Sinne eines Fortschrittsoptimismus ausgeschlossen. Luther geht es um die Aktualisierung der Kirche in der Welt, nicht um eine Metamorphose der Welt zur Kirche' 1 , wie wir es bei Thomas Müntzer feststellten. Wie die Teufelsvorstellung bei Luther die evolutionistische Geschichtsdeutung, die wir bei Müntzer antrafen, verhinderte, so verhinderte sie auch den Gedanken an revolutionäre Gewaltanwendung zugunsten eines höchsten Fortschrittsziels. In einem Kampf, der nicht gegen Menschen, sondern gegen den in ihnen wirksamen Teufel geführt wird, entscheiden nicht die Waffen, sondern das Evangelium, dem allein Macht über das Böse gegeben ist. Es handelt sich vielmehr um einen Kampf um die Herzen der Menschen; es gilt, den Teufel aus ihren Herzen zu reißen. Waffengebrauch würde nur wieder neues Böses erzeugen. Wie der Teufel in der überzahl der Unchristen wirkt, so Gott in der kleinen Schar der echten Christen, die um die Vollendung dieser Welt wissen und sie herbeisehnen. Diese Vollendung ist kein diesseitiger Zustand mehr und kann deshalb auch nicht durch Waffengewalt herbeigeführt werden. Auf Erden gibt es für Luther keinen vollkommenen Endzustand, zu dessen Herbeiführung es sich lohnte, zu den Waffen zu greifen und dabei viel unschuldiges Blut mitzuvergießen. Das hieße das Evangelium 'fleischlich aufnehmen', wie Luther am 7. März 1522 an den 1

H. Obendiek, a. a. O.. S. 251.

154 Geschichtstheolog. Hintergrund d.'Briefes an d. Fürsten zu Sachsen*

Kurfürsten geschrieben hatte: " . . . dies Evangelium fällt in den gemeinen Mann trefflich, und sie nehmens fleischlich auf' 1 . Auf dem Hintergrund dieser Geschichtstheologie steht Luthers Schrift gegen Müntzer, sein 'Brief an die Fürsten zu Sachsen von dem aufrührischen Geist'. Gleich in den ersten Sätzen zeichnet er die drei großen Perioden des Kampfes der Kirche mit den Teufel 2 : 'Das Glück hat allwege das heilige Gotteswort, wenns aufgehet, daß sich der Satan dawider setzt mit aller seiner Macht: erstlich mit der Faust und freveler Gewalt, wo das nicht helfen will, greift ers mit falscher Zunge, mit irrigen Geistern und Lehrern an, auf daß, wo ers mit Gewalt nicht kann dämpfen, doch mit List und Lügen unterdrücke'. So tat er im Anfang, als das Evangelium zuerst in die Welt kam: da griff ers gewaltig an durch die Juden und Heiden, vergoß viel Blut und machte die Christenheit voll Märtyrer. Da das nicht helfen wollte, warf er falsche Propheten und irrige Geister auf, und machte die Welt voller Ketzer und Sekten, bis auf den Papst, der es ganz mit eitel Sekten und Ketzerei, wie es dem letzten und mächtigsten Antichrist gebührt, zu Boden gestoßen hat. Dieser Prozeß wiederholt sich nun, da das reine Wort Gottes, von Luther wiederentdeckt, von neuem aufgehen will, ja, daß es so geht, wie es immer zwischen dem Wort Gottes und dem Teufel gegangen ist, zeigt an, daß es sich bei Luthers Lehre wirklich um das rechtschaffene Wort Gottes handelt. Die Formen und Masken des Teufels, die im bisherigen Verlauf der Geschichte nacheinander aufgetreten sind, treten nun in dem gesteigerten Kampf der Endzeit noch einmal mit- und nebeneinander auf: der Teufel rüstet sich vor dem Weltende zum letzten Schlage, indem er Gewalt von oben und Gewalt von unten erregt, um in einem gewaltigen Aufruhr Gottes Reich und weltlich Regiment zugleich untergehen zu lassen. Freilich, mit dieser klaren Eindeutigkeit ist dieser Gedanke erst in Luthers erster Bauernkriegsschrift vom April 1525* 1

W A . Briefw. II, S . 4 5 9 .

• WA. XV, S. 210. * Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaftin Schwaben. W A . XVIII, S. 281 ff.

Gewalt von oben und Gewalt von unten

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ausgesprochen, aber seinem Gehalt nach ist er in dem 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' sehr deutlich einbegriffen. In der Erregung der Gewalt von oben und der Gewalt von unten und der dadurch herbeigeführten Zerstörung sieht Luther also die letzte Anstrengung des Teufels gegen das von ihm erneuerte Gotteswort. Aui der einen Seite stehen die 'Faust und frevle Gewalt', die 'Papst, Kaiser, Könige und Fürsten' gegen das Evangelium ausüben: 'wollens mit Gewalt dämpfen; verdammen, verlästern und verfolgens unerhört und unerkannt wie die Unsinnigen' 1 . Das ist die satanische Tyrannis, die frevlerische Gewalt von oben. Sie ist 'tobend', will 'weder sehen noch hören', ist blinde, unvernünftige Gewalt, die darum anlaufen und scheitern wird. Auf der anderen Seite steht die Gewalt von unten, als eine andere Maske des Teufels, zu der er greifen muß, da er es mit der einfachen Verfolgung nicht schafft, denn das Wort Gottes ist von der Art, daß es, je mehr mans drückt, desto mehr 'läuft und zunimmt'. So bringt der Teufel auch die falschen Geister und Propheten hervor, deren Irrlehre in der revolutionären Gewaltanwendung gipfelt. Dieser 'Teufel' ist Luther zum ersten Male 1521/22 zu Wittenberg in 'seine Hürde' gefallen; damals hat er bereits von ihm vernommen, 'man müsse die Sache mit dem Schwert vollführen. Da dacht ich wohl, es wollt da hinaus, daß sie gedächten, weltliche Obrigkeit zu stürmen, und selbst Herren in der Welt zu sein. So doch Christus vor Pilato das verneinet und spricht, sein Reich sei nicht von dieser Welt; und auch die Jünger lehret, sie sollten nicht sein wie weltliche Fürsten*. Luther ist damals in Wittenberg dieses Teufels Herr geworden, aber 'nachdem der ausgetriebene Satan jetzt ein Jahr oder drei ist umher gelaufen durch dürre Stätte, und Ruhe gesucht und nicht gefunden', hat er sich nunmehr im Lande der beiden fürstlichen Brüder von Sachsen niedergelassen 'und zu Allstedt ein Nest gemacht, und denkt unter unserm Frieden, Schirm und Schutz wider uns zu fechten'. Dieser Geist hat, wie Luther sarkastisch bemerkt, seinen Aufenthaltsort mit Vor1

WA. x v , s. 210.

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Luther beurteilt Müntzer als Bilderstürmer

bedacht ausgesucht, 'denn Herzog Georgens Fürstentum, wiewohl es in der Nähe liegt, ist solchem unerschrockenen und unüberwindlichen Geist. . . allzu gütig und sanft, daß sie solchen kühnen Mut und Trotz nicht mögen daselbst beweisen. . Auf Müntzers Theologie geht Luther nur mit einigen Stichworten ein 2 . Müntzer und seine Anhänger sagen: 'Gottes Stimme . . . mußt du selbst hören, und Gottes Werk in dir leiden und fühlen . . . es ist nichts mit der Schrift; ja Bibel, Bubel, Babel usw.'. Diese Geister wollen ferner Leiden und Kreuz von sich gerühmt haben, und wollen doch nicht einmal Zweifel und Widerspruch gegenüber ihrer 'himmlischen Stimme' dulden, 'sondern wollens stracks mit Gewalt geglaubt haben'. Aber nicht mit der Lehre Müntzers will Luther sich hier befassen, sondern mit seiner Drohung revolutionärer Gewaltanwendung, wobei er es übergeht, daß zwischen beiden ein Zusammenhang besteht. Und gerade an diesem Punkt wird es deutlich, daß Luther den Gesamtzusammenhang von Müntzers Lehre nicht kennt und auch noch gar nicht kennen kann, weil er die Fürstenpredigt noch nicht gelesen hat. Denn was versteht Luther hier bei Müntzer unter 'Faust' und 'freveler Gewalt' ? Nichts anderes als Bildersturm, 'Kirchen- und Klösterzerbrechen und Heiligenverbrennen' 3 , also die Affäre von Mallerbach, die für Müntzer durchaus nur nebensächliche Bedeutung hatte und nur ein taktischer revolutionärer Schachzug gewesen war, der die Entwicklung der Dinge in Allstedt ins Rollen bringen sollte. Aber aus dem von Müntzer inszenierten Bildersturm folgert Luther auch ohne Kenntnis des Gesamtzusammenhangs von Müntzers Lehre teils nach Analogie des Wittenberger Bildersturms vort 1521/22, teils mit sicherem Instinkt die weitergehenden eigentlich politisch-revolutionären Absichten Müntzers. Besonders deutlich wird das an Luthers Ausführungen über das Unnütze und Gefährliche des Kloster- und Bilderstürmens, Ausführungen, die überhaupt den Kern der Schrift bilden und aus 1

Ebenda, S. 2 1 1 ff. Ebenda, S. 2 1 1 ff. * Ebenda S. 2 1 3 . 2

Bildersturm f ü h r t nach L u t h e r z u m

Blutvergießen

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denen Luther auch die Folgerungen für das praktische Verhalten seiner beiden Landesherren gegenüber Müntzer zieht 1 . Um mit diesen letzteren zu beginnen, so fordert Luther 2 , d a ß seine Fürsten nicht sollen 'wehren dem A m t des Worts. Man lasse sie nur getrost und frisch predigen, was sie können und wider wen sie wollen . . . Ist ihr Geist recht, so wird er sich vor uns nicht fürchten und wohl bleiben. Ist unser recht, so wird er sich vor ihnen auch nicht, noch vor jemand fürchten. Man lasse die Geister aufeinander platzen und treffen. . . Wo sie aber wollen mehr tun, denn mit dem Wort fechten, wollten auch brechen und schlagen mit der Faust, da sollen E . F . G . zugreifen, es seien wir oder sie, und stracks das Land verboten, und gesagt: Wir wollen gerne leiden und zusehen, daß ihr mit dem Wort fechtet, daß die rechte Lehre bewährt werde; aber die Faust haltet stille, denn das ist unser A m t ; oder hebt euch zum Land aus. . . Es ist ein geistlicher Streit, der die Herzen und Seelen dem Teufel abgewinnet. . . Also haben auch Christus und seine Apostel keine Kirchen zerbrochen, noch Bilder zerhauen, sondern die Herzen gewonnen mit Gottes Wort, darnach sind Kirchen und Bilder (von) selbst gefallen.' Und so geht es in Luthers Ausführungen weiter immer nur ums Bilderstürmen. 'Zuerst die Herzen von den Klöstern und Geisterei reißen. . . Was geht uns Holz und Stein an, wenn wir die Herzen weg haben?. . . Ich habe noch nie einen Stein angetastet, und garnichts gebrochen noch gebrannt an Klöstern: dennoch aber werden durch mein Wort jetzt an vielen Orten die Klöster ledig, auch unter den Fürsten, die dem Evangelio zuwider sind.' Und nun kommt der entscheidende Punkt, der beweist, daß Luther seine ganze Anschauung von Münzers revolutionärer Gewaltanwendung nicht aus der Kenntnis von dessen Lehre, sondern aus der Mallerbacher Affäre gezogen hat. Luther sagt 3 , die Bilderstürmer führten das Gesetz Mosis an, in dem den Juden geboten sei, alle Götzen zu zerbrechen und Altäre der Abgötter auszurotten. Aber 'es gilt nicht 1

Ebenda,

S.

2

Ebenda,

S. 218 f.

2igü.

3

Ebenda,

S. 2 i g f .

158

Luthers Kenntnis der Theorien Müntzers

nachahmen in den Werken, sonst müssen wir uns auch lassen beschneiden, und alle jüdischen Werke tun', ja, wenn die Christen auf Grund des mosaischen Gesetzes Kirchen brechen und Bilder stürmen müßten, so müßte daraus auch folgen, 'daß wir müßten leiblich töten alle Unchristen, gleichwie den Juden geboten war, die Kanaaniter und Amoriter zu töten (5. Mos. 7, 1). Hiermit würde der Allstedtische Geist nichts mehr zu tun gewinnen, denn Blut vergießen; und welche nicht seine himmlische Stimme höreten, müßten alle von ihm erwürget werden, daß die Ärgernisse nicht blieben im Volk Gottes, welche viel größer sind an den lebendigen Unchristen, denn an den hölzernen und steinernen Bildern'. Luther sagt nicht, daß Müntzer diese Folgerung schon gezogen habe, er will nur zeigen, zu welchen Konsequenzen der Bildersturm, den er zunächst allein im Auge hat, unter Umständen führen kann. Er äußert sich hypothetisch, denn er weiß nicht, daß Müntzer diese Konsequenz in der Fürstenpredigt tatsächlich schon gezogen hat. Ohne die Revolutionslehre Müntzers im ganzen zu kennen, hat Luther doch einen entscheidenden Punkt mit sicherem Instinkt getroffen. Allerdings, wenn wir meinten, Luther habe sich seine Meinung über Müntzers revolutionäre Gewaltanwendung lediglich aus dessen bilderstürmerischer Praxis, nicht aus seinem System gebildet, so steht dem scheinbar eine Stelle aus Luthers Brief, die wir bereits zitiert haben, entgegen: die Stelle, in der Luther sagt, er habe nicht allein 'vernommen', sondern auch 'aus ihrer Schrift' verstanden, 'als wollt derselb Geist die Sache nicht im Wort lassen bleiben, sondern gedenke sich mit der Faust dreinzubegeben, und wolle sich mit Gewalt setzen wider die Obrigkeit und stracks daher einen leiblichen Aufruhr anrichten'. Es handelt sich hier also nicht nur um die von Luther hypothetisch aus der Bilderstürmerei gefolgerte Austilgung der 'Gottlosen', wie sie Müntzer zum ersten Male in der 'Fürstenpredigt' gefordert hatte, wenn auch noch mit dem Zusatz, daß die Obrigkeit dieses Werk der Ausrottung übernehmen müsse — sondern um mehr, um den Aufstand gegen eben diese Obrigkeit selbst. Wir müssen nun also endlich.

Luthers Kenntnis der Theorien Müntzers

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die Frage zu beantworten versuchen, aus welcher Schrift Müntzers Luther diesen Gedanken hat herauslesen können, obgleich er noch nicht einmal die Fürstenpredigt kannte, die überdies noch keinen direkten Aufruhr gegen die Obrigkeit predigte, sondern den Fürsten selbst noch die gewaltsame Herbeiführung des 'Gottesreiches' zuschrieb. Außer an der oben angeführten Stelle hat sich Luther in seinem 'Brief' noch zweimal auf eine Schrift Müntzers bezogen. Das eine Mal 1 spottet er darüber, daß Müntzer geschrieben habe, er wolle nur öffentlich 'vor einer ungefährlichen Gemeinde, aber nicht im Winkel vor zweien oder dreien' über seinen Glauben und seine Lehre Rede und Antwort stehen. Das andere Mal2 wirft er ihm die Vermessenheit vor, sich gegen das Evangelium des Markus, 'als habe S. Marcus unrecht von der Taufe geschrieben', gewandt zu haben. Beide Stellen sind leicht zu identifizieren: es handelt sich um Zitate aus der 'Protestation oder Entbietung Thomas Müntzers. . . seine Lehre betreffend', der Schrift, die der Fürstenpredigt vorausging und zu Neujahr 1524 erschienen war 3 . Sie enthält keinerlei Stellen, aus denen Luther eine revolutionäre Haltung gegen die Obrigkeit hätte folgern können, Luther muß also noch eine andere Schrift im Sinne gehabt haben. Nun ist Müntzer aber in seiner Antwort an Luther, der 'Hochverursachten Schutzrede', selbst auf die Frage eingegangen, wie Luther dazu komme, ihm Aufruhrabsichten zu unterstellen. Er sagt, obgleich er vor den Fürsten zu Sachsen gepredigt und im Druck habe ausgehen lassen, wie er ihnen das Schwert aus der Schrift gezeigt habe, daß sie es brauchen sollten, damit nicht Empörung erwüchse, so behaupte Luther gleichwohl, er, Müntzer, wolle Aufruhr machen, wie er aus seinem Sendbrief an die Berggesellen herausgelesen 4. In diesem Satz steckt ein gewisser Widerspruch. Auf der einen Seite erweckt Müntzer den Anschein, als habe Luther seine Fürstenpredigt E b e n d a , S. 213. E b e n d a , S. 2 1 7 . 3 V g l . O. A l b r e c h t , B e i t r . z. V e r s t ä n d n i s d. B r i e f w . L u t h e r s , in B e i t r . z. R e f o r m a t i o n s g e s c h . (1896), S. 8f. 4 Schutzrede, 163 f f . 1

2

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Müntzers Sendbrief an die Berggesellen

schon g e k a n n t , und demnach wider besseres Wissen geschrieben, auf der anderen Seite meint er dagegen, L u t h e r h a b e seine R e volutionsabsichten aus einem v o n i h m a b g e f a ß t e n Sendbrief an die Mansfelder Bergleute herausgelesen, wie er auch an einer anderen Stelle sagt, L u t h e r h ä t t e Sorge u m seine L a n d s leute hart bei A l l s t e d t 1 , w o m i t offenbar die G r a f e n v o n Mansfeld gemeint sind. W i r wissen nun v o n einem aufrührerischen Brief Müntzers an die Mansfelder Berggesellen, in welchem er sie auffordert, ' d a ß sie k e c k sein sollen: er wolle mit ihnen ihre H ä n d e aus d e m B l u t der T y r a n n e n waschen'. A b e r dieser Sendbrief ist erst in einem Schreiben v o n Zeiß v o m 25. A u g u s t 1524 b e z e u g t 2 , wenn auch aus dem ganzen Tenor des Schreibens, in d e m Zeiß dem H e r z o g J o h a n n die F l u c h t Müntzers aus A l l s t e d t meldet, hervorgeht, daß der Sendbrief offenbar v o r der F l u c h t , also v o r dem 8. A u g u s t , geschrieben worden ist. Zeiß e r w ä h n t ihn im Z u s a m m e n h a n g mit Müntzers Briefen an 'die v e r j a g t e n L e u t e ' , d . h . die Sangerhäuser, die v o n Mitte Juli datieren. U n d in diese Zeit der E r r e g u n g über die V e r folgung seiner A n h ä n g e r durch die benachbarten Obrigkeiten, als Müntzer an der B r a u c h b a r k e i t auch seiner sächsischen Landesherren für seine Revolutionspläne z u zweifeln begann, unmittelbar n a c h der Fürstenpredigt, gehört der Sendbrief an die Mansfelder ganz offenbar hinein. W e n n man sich den bisher geschilderten E n t w i c k l u n g s g a n g der Gedankenwelt Müntzers im Z u s a m m e n h a n g mit den Ereignissen klar m a c h t , so ist nicht anzunehmen, daß er bereits vor der Fürstenpredigt derartig radikal an die Mansfelder geschrieben haben sollte. D a ß der Sendbrief vor der Fürstenpredigt anzusetzen wäre, oder daß wir mit einem anderen früheren, ebenfalls verloren gegangenen Sendbrief z u rechnen haben müßten, erscheint d e m n a c h als wenig wahrscheinlich. E s ist daher zu v e r m u t e n , daß es mit der E r w ä h n u n g des Sendbriefs an die Mansfelder dieselbe B e w a n d t n i s h a t wie mit der F ü r s t e n p r e d i g t : Müntzer f ü h r t ihn als Quelle L u t h e r s an, obgleich er weiß, daß er ihn ebensowenig wie die Fürstenpredigt bei der A b f a s s u n g seines 'Briefes an die F ü r s t e n z u Schutzrede, 278. • Neue Mitt. X I I , S. 202. 1

D e r ' S e n d b r i e f und die 'Fürstenpredigt'

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Sachsen' kennen konnte. Nachrechnen konnte ihm das kaum jemand. Der Zweck aber war, zu zeigen, daß dieser Sendbrief nicht im Widerspruch zur Fürstenpredigt stehe und allein nicht als Zeugnis für Müntzers aufrührerische Absichten dienen könne. Müntzers Gedankengang ist also dieser: Luther hat aus meinem Sendbrief an die Berggesellen herausgelesen, ich wolle Aufruhr machen. Aber 'eines sagt er, und des Allerentscheidendste verschweigt er'. Nämlich, 'wie ich klärlich vor den Fürsten ausbreitete', daß die Gesamtheit die Herrin des Schwertes ist und die Fürsten "nur seine Diener, die es nicht nach Gutdünken gebrauchen können, und daß die Gesamtheit den unrechtmäßigen Gebrauch des Schwertes 'verneinen' kann 1 . Müntzer meint demnach, Luther habe neben den Sendbrief die Fürstenpredigt halten müssen, was aber' nach unserer Kenntnis der Sachlage unmöglich war. Müntzer will vorsorglich selbst auf den Sendbrief hinweisen, aus dem man Aufruhrabsichten herauslesen könne, wenn man nicht die Fürstenpredigt daneben halte, wie es Luther passiert sei. Die ganze Anführung des Sendbriefes hat demnach offenbar nur den Sinn, ihn nachträglich vor der Öffentlichkeit zu interpretieren und durch die Fürstenpredigt zu kommentieren, mit anderen Worten ein taktisch-propagandistisches Manifest an seine Gesamtlehre anzuschließen. Wie weitherzig und summarisch Müntzer hier mit der Anführung seiner Schriften verfährt, geht auch daraus hervor, daß er sagt, er habe in seiner Fürstenpredigt von dem T e x t Daniel 7, Offenbarung 6, Römer 13 und 1. Samuel 8 gehandelt 2 . Tatsächlich kommen in der Fürstenpredigt aber nur Daniel 7 (neben Daniel 2) und Römer 13 vor. Die Offenbarung Johannis wird nur einmal als Ganzes zitiert, und die für seine Auffassung von der Fürstenherrschaft wichtige Stelle 1. Samuel 8 kommt erst in der 'Ausgedrückten Entblößung' vor. Dagegen bilden Römer 13 in Verbindung mit Daniel 7 und Offenbarung 6 die Hauptschriftstellen seines Briefes an Friedrich den Weisen vom 4. Oktober 1523 3 , der zusammen mit 1 2 3

Schutzrede, 168 ff. Schutzrede, 173. Briefwechsel, S. 48.

Hinrichs,

L'jther urd

Müntzer

II

162

Der Begriff des Aufruhrs bei Müntzer

dem von ihm entworfenen Schreiben des Rats und der Gemeinde zu Allstedt vom etwa 7. Juni 1524 an den Herzog Johann 1 zum ersten Male seine Lehre vom Widerstandsrecht gegen diejenige Obrigkeit entwickelt, die das Schwert zum Schutze der 'Gottlosen' handhabt. Und damit haben wir endlich auch den Schlüssel zur Lösung unseres Problems in Händen. Müntzer will seine Schriften, deren Kenntnis er Luther zum Zweck der erschöpfenden Auseinandersetzung unterstellt, im Sinne jener beiden Briefe an seine Landesherren und der darin enthaltenen Theorie vom Widerstandsrecht interpretieren. E s geht ihm um den Begriff des Aufruhrs. Das wird ganz klar, wenn wir weiter unten 2 lesen, Luther wolle Müntzers Sache nur eine schlechte Meinung bei den Großen machen, 'daß ja niemand meiner Lehre folge, denn sie ist ( = sei) aufrührerisch. Wer hier ein rein Urteil haben will, der muß den Aufruhr nit lieben, auch muß er berechtigter Empörung nit feind sein, er muß eine ganz vernünftige Mitte halten, sonst muß er meine Lehre anders zuviel hassen oder zu hoch lieben, je nach seiner Lage, was ich nimmermehr begehren will'. Müntzer will also den Aufruhr, von dem Luther immer nur spricht, als bloße Unruhestiftung, rohe Gewalttat und Ausschreitung klar unterschieden wissen von der geistig und rechtlich begründeten Revolution, die sich des Schwertes mit demselben göttlichen Recht bedient wie Luthers Obrigkeit. E s geht letztlich um die völlig entgegengesetzte Ausdeutung von Römer 1 3 bei Müntzer und bei Luther. Luther spricht im Zusammenhang von Aufruhr immer nur vom 'Herrn Omnes', vom Pöbel. Aufruhr ist ihm gleichbedeutend mit Pöbelaufstand, den der Teufel mittels der falschen Geister und Propheten gegen Gottes Reich und weltliche Obrigkeit als Gottes Satzung erregt. Er sieht nur rechtlose Anarchie, wo Müntzer ein R e c h t der Revolution, des Widerstandes gegen die gottlose Obrigkeit sieht. In diesem Sinne kann es Müntzer ablehnen, ein Aufrührer zu sein, indem er bloßen Aufruhr, den man 'nit lieben' darf, von rechtmäßiger Empörung unterscheidet, der 1 2

Briefwechsel, S. 58. Schutzrede, 349 ff.

Luthers Quellen über Müntzers Anschauungen

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man 'nit feind' sein soll. E r fordert 'eine vernünftige Mitte' zwischen blinder Gewaltanwendung von unten und absoluter Verwerfung revolutionärer Gewaltanwendung. Er verteidigt sich gegen den Vorwurf, ein Aufrührer um des Aufruhrs willen, ein Verkünder der Gewalt um der Gewalt willen zu sein; er kennt nur eine geistig und rechtlich begründete Gewaltanwendung, wie er sie zuerst in seinen beiden Briefen an seine Landesherrn aus Römer 1 3 dargelegt hat: die Obrigkeit trägt das Schwert zum Schutze der auserwählten Frommen und zur Rache an den Gottlosen; wenn sich das Verhältnis aber umkehrt, und die Obrigkeit ihr Schwert nur zum Schutze der Gottlosen handhabt, so wird ihr das Schwert genommen und dem wütenden Volke gegeben werden 'zum Untergange der Gottlosen'. Und nun können wir auch mit einiger Sicherheit die Frage beantworten, welche 'Schrift' Luther im Auge hatte und allein im Auge haben konnte als er gegen Müntzer den Vorwurf erhob, dieser wolle sich mit Gewalt setzen wider die Obrigkeit und einen leiblichen Aufruhr anrichten. E s sind Müntzers beide Schreiben an den Kurfürsten Friedrich und Herzog Johann vom Oktober 1523 und Juni 1524, in denen sich jene Luthers Staatslehre entgegengesetzte Deutung von Römer 13, die Lehre vom Widerstandsrecht des Volkes der 'Auserwählten' findet. Müntzer entwickelt sie u. a. im Zusammenhang mit der Frage der Rechtmäßigkeit des Mallerbacher Bildersturms, der, wie wir sahen, für Luther den Ausgangspunkt allen Übels bedeutete. So sehen wir denn auch hier bestätigt, daß Luthers Anschauungen von Müntzers Gewaltanwendung durchaus in Zusammenhang stehen mit der Zerstörung der Mallerbacher Kapelle und den sich daran anschließenden Auseinandersetzungen. Wenn man genau hinsieht, findet man sogar in 'Luthers Brief an die Fürsten zu Sachsen' eine Stelle, die auf Müntzers Schreiben an Herzog Johann vom Juni 1524 bezogen werden kann. Müntzer hatte geschrieben, die armen Leute hätten aus Unverstand unbewußt den Teufel zu Mallerbach unter dem Namen Mariä geehrt und angebetet. Dieser Teufel sei nunmehr durch gutherzige fromme Leute zerstört usw. Offenbar hat Luther 11*

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Müntzers 'Schutzrede'

diese Stelle im Auge, wenn er bemerkt: 'Ärgernis wegtun muß durchs Wort Gottes geschehen . . . Darum muß im Neuen Testament rechte Weise vorgenommen werden, den Teufel und Ärgernisse zu vertreiben, nämlich das Wort Gottes und damit die Herzen abzuwenden: so fällt von sich selbst wohl der Teufel mit aller seiner Pracht und Gewalt' x . Wir haben noch einen weiteren Beweis dafür, daß Luther sich weniger aus Müntzers gesamter Lehre •— was er noch gar nicht konnte — sondern vornehmlich aus den Ereignissen in Allstedt, über die ihn Spalatin auf dem Laufenden hielt, sein Bild von Müntzer gemacht hat. Wir meinen die Stelle, wo er davon spricht, daß der Geist zu Allstedt 'sich selbst rottet . . . als sei er allein Gottes Volk' 2 . Hier wird deutlich, daß Luther auch Müntzers 'Bund der Auserwählten' gekannt hat. Versuchen wir nunmehr die Gedankenreihen von Müntzers Kampfschrift gegen Luther, die zugleich seine eindeutigste Revolutionsschrift ist, in ihren Zusammenhängen zu überblicken. Die Schrift setzt in wirkungsvoller Weise unter formeller, aber inhaltlich völlig entgegengesetzter Nachbildung des Eingangs von Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' mit einem Doppelgedanken ein. Der eine ist der Gedanke, daß in dem von den Auserwählten gebildeten Endreich allein Christus bzw. sein heiliger Geist herrscht, daß ihm allein auch alle weltliche Ehre, Würde und Gewalt zukommt. Hatte Luthers Adresse oder Widmung gelautet 3 : 'Dem durchlauchtigsten Hochgebornen Fürsten und Herren, Herrn Friedrich, des Rom. Reichs Kurfürst, und Johanns, Herzogen von Sachsen Landgrafen in Thüringen und Markgrafen zu Meißen, meinen gnädigsten Herren' so lautet Müntzers Widmung: 'Dem durchlauchtigsten, Erstgebornen Fürsten und Allmächtigen Herren J e s u Christo, dem gütigen König aller Könige, dem tapferen Herzogen allen Gläubigen, meinem gnädigsten Herrn, und getreuen Beschirmer, und seiner 1 2 3

W A . X V , S. 220. W A . X V , S. 220. W A . X V , S. 2io.

Müntzers 'Schutzrede'

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betrübten einzigen Braut, der armen Christenheit' 1 . Die irdischen Herrscher, an die sich Luther gewandt hat und die ihm, wie das Weimarer Verhör mit seinen Folgen bewiesen hat, Gehör geschenkt haben, sind nunmehr für Müntzer abgetan. Jetzt gibt es nur noch die Herrschaft Christi durch seine Auserwählten, er, d. h. sein richtiger Geist, ist allein der König und Herzog seiner Gläubigen. Dies ist ganz wörtlich und wirklich zu nehmen, wie die nun folgende Anrufung beweist, die Müntzer an die Stelle von Luthers Gruß- und Segensformel 'Gnad und Fried in Christo Jesu, unserm Heiland!' gesetzt hat. Müntzers Grüß lautet: 'Aller Preis (d. h. Ruhm), Name, Ehre und Würde, Titel und alle Herrlichkeit (d. h. Herrschaft, Gewalt) sei dir allein, du ewiger Gottessohn' 2 . Fürstentitel und Fürstengewalt werden nicht mehr anerkannt. Im weiteren Verlauf der Schrift kommt Müntzer noch einmal hierauf zurück, indem er Luther fragt: 'Warum heißt du sie die durchlauchtigen Fürsten ? Ist doch der Titel nicht ihrer, er ist doch Christi. . . Warum heißt du sie (die) Hochgebornen ? Ich meinte, du wärest ein Christ: so bist du ein Erzheid. . .' 3 . Der Sinn ist, daß durch Christus, seinen Geist und seine Lehre, wie sie Müntzer und seine Anhänger 'aus seiner Fülle' 'unbetrüglich' erfahren haben4, fortan nur noch die durch diesen Geist Auserwählten auf Erden herrschen sollen. In der Tat hatte Müntzer schon in seinem letzten Schreiben an den Kurfürsten vom 3. August 1524 5 diesem die übliche Titulatur nicht mehr gegeben, sondern als Adresse geschrieben: 'Dem tätigen Vater und Herren Friedrichen, Kurfürsten des teuren Lands zu Sachsen' '(an Stelle von 'Dem durchlauchtigsten hochgebornen Fürsten und Herrn etc.') und den Kurfürsten mit 'Eure tätige Güte' (statt 'Eure kurfürstliche Gnaden') angeredet. In dem Wörtchen 'tätig' lag die Forderung Müntzers an den Kurfürsten beschlossen, daß er zugunsten des Gottesreiches aktiv werden solle: die Titulatur war also 1 2 3 4 6

Schutzrede, i f f . Schutzrede, 8 ff. Schutzrede, 377tf. Schutzrede, 12, 16. Briefwechsel, S. 84.

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Müntzers 'Schutzrede'

genau dem Stand von Müntzers Sache angepaßt; im übrigen legte die Formulierung 'Kurfürst des teuren Lands zu Sachsen' den Hauptnachdruck auf das Land und nicht mehr auf den Herrscher. Aber jetzt war auch dieses Zwischenstadium überwunden. Christi Geist wird nunmehr unmittelbar die Herrschaft ergreifen. Auch der zweite gleich zu Anfang angeschlagene Hauptgedanke wendet sich diametral gegen Luthers Position, und zwar gegen die Behauptung, daß die Lehre vom 'Geist' eine der Formen sei, unter der der 'Teufel' gegen den Aufgang des wahren Gotteswortes auftrete. In wörtlicher Anlehnung an Luthers ersten Satz: 'Das Glück hat allewege das heilige Gotteswert, wenns aufgehet, das sich der Satan dawider setzt' 1 sagt Müntzer: 'Nachdem dein heiliger Geist vor den gnadlosen Löwen, den Schriftgelehrten, allezeit solch Glück gehabt, daß er mußte der allerärgste Teufel sein etc.' 2 . Müntzer wußte zu gut in der Bibel Bescheid, um nicht gleich die geeignete Schriftstelle gegen Luthers fundamentalen Angriff auf den angeblich teuflischen Ursprung seiner Lehre zu finden. Es war das achte Kapitel des Johannesevangeliums, von dem Müntzer gegen Ende seiner Schrift sagt, er habe fast dieses ganze Kapitel für sie benutzt 3 . Es handelt sich hier um die große Auseinandersetzung zwischen Jesus und den Pharisäern, in deren Verlauf sich beide gegenseitig vorhalten, daß sie vom Teufel seien. Diese Tatsache, daß der Geist Christi von Anbeginn von den S c h r i f t g e l e h r t e n als Teufel verschrien sei, ist ein Leitmotiv, das durch Müntzers ganze Schrift geht. Der 'allerehrgeizigste Schriftgelehrte, Doctor Lügner' verachtet zu Boden Christi 'richtigen Geist', indem er 'aus tobendem Neide und durch den allererbittertsten Haß' Müntzer als Christi 'erworbenes Glied' vor seinen 'höhnischen, spöttischen, erzgrimmigen Mitgenossen zum Gelächter macht und vor den Einfältigen zum ungehörigen Ärgernis einen Satan oder Teufel schilt. . .' 4 . Aber 'der Schüler 1

WA. X V , s. 210. Schutzrede, 9 ff. * Schatzrede, 496 f. * Sehrt/, rede, 1 ü ff. 2

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hat es nicht besser denn der Meister'. Denn, 'so sie nun dich unschuldigen Herzogen und trostreichen Seligmacher also lästerlich haben Beelzebub geheißen, wie viel mehr mich, deinen unverdrossenen Landsknecht, nachdem ich mich des schmeichelnden Schelmen zu Wittenberg entäußert hab und deiner Stimm gefolget bin. . . ? 1 Sie zogen die ganze Schrift gegen dich aufs aller äußerste an, daß du darum solltest und müßtest sterben, daß du dich frei bekennest (als) einen Sohn Gottes, vom ewigen Vater geboren, wie wir deinen Geist (bekennen)' 2 . Ebenso verfährt jetzt der 'verschmitzte Schriftstehler': wo die Schrift sich am deutlichsten vernehmen läßt, 'verspottet er mit inbrünstigem Neide, nennt den Geist Gottes einen Teufel' 3 . Die jetzigen Schriftgelehrten tun nichts anderes, denn vor Zeiten die Pharisäer: 'berühmen sich der heiligen Schrift, schreiben und klecksen alle Bücher voll und schwatzen immer je länger je mehr: Glaube, Glaube, und verleugnen doch die Herkunft des Glaubens, verspotten den Geist Gottes und glauben gar und überall nichts. . . 4 . Die Paffen predigen ums Lohns willen, und wollen Ruhe und gute Gemächlichkeit haben und die allergrößte Würdigkeit auf Erden, und wissen sich dennoch zu rühmen, sie verstehen den Ursprung und treiben doch wider ihn das höchste Widerspiel, darum, daß sie den richtigen Geist einen irrigen Geist und Satan schelten. . ,' 5 . Den Pharisäern war die Lehre zu hoch und die Person und das Leben Christi zu gering, deshalb ärgerten sie sich an ihm und seiner Lehre und sagten 'aus dem Barte', er wäre ein Samaritaner und hätte den Teufel, 'denn ihr Urteil war nach dem Fleisch gerichtet' 6 . Der Gottlose wird durch Luther nicht verachtet, sondern viele Gottesfürchtigen werden um der Gottlosen willen Teufel und aufrührerische Geister gescholten; er macht die wollüstigen Leute blind, auf daß er von ihnen satt werde an Ehren und Schutzrede, Schutzrede, * Schutzrede, 4 Schutzrede, 6 Schutzrede, • Schutzrede, 1

8

33 ff. 47 ff. 52 ff. 77 ff. 84 ff. 115 ff.

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Gut und besonders am allergrößten T i t e l C h r i s t u s ward für einen Teufel gescholten, da er die Juden auf die Werke Abrahams, d. h. auf das Gesetz, verwies und ihnen damit den allerbesten Unterschied gab, zu strafen und zu vergeben 2 . Um dieses Unterschieds willen will der Doktor Lügner auch Müntzer zum Teufel machen, indem er mit seinen Schriftgelehrten sagt: 'Hab ich nicht recht gelehret mit meinem Schreiben und Dichten? Du aber hast keine andere Frucht, denn aufrührerisch sein. Du bist ein Satan und dennnoch ein schlechter Satan etc. 3 . Sieh, du bist ein Samariter und hast den Teufel'. Christus sagt Matth. 10 und 22: 'So sie Euch in einer Stadt verfolgen, fliehet in die andere'. Aber Luther sagt von Müntzer, weil er vertrieben sei, sei er ein Teufel usw. 4 . Wir sehen aus diesen über die ganze Schrift verstreuten Stellen, welche Wichtigkeit Müntzer Luthers Vorwurf von dem Teufelsursprung seiner Lehre beimißt, und zwar nicht nur wegen des zu Beginn von ihm angeführten Eindrucks auf die 'Einfältigen' 5 , sondern überhaupt weil sich in dem damaligen allgemeinen Denken die Frage nach dem Recht oder Unrecht einer Lehre auf die Frage nach ihrem göttlichen oder teuflischen Ursprungs zuspitzte. Darum mußte Müntzer im Gegenschlage nun auch seinerseits Luther zum Vertreter des Teufels, oder, wie er an einer Stelle sagt, zu des Teufels Erzkanzler 6 machen. Das geschieht an zahlreichen Stellen seiner Schrift, und sein Text aus dem Johannisevangelium, in welchem Christus seinerseits den Pharisäern sagt, daß sie den Teufel haben, gibt ihm die Handhabe dazu N Der ungetadelte Gottessohn habe die ehrgeizigsten Schriftgelehrten dem Teufel mit Erfolg verglichen 7 , sagt Müntzer, und weiterhin, Luther nenne alle 'armseligen Menschen' Schwarmgeister und möge das Wort 'Geist' nicht hören. 'Er muß den klugen 1 2 3 4 5 6 7

Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede,

i4Öff. 239 ff. 247 ff. 423 if. 28. 424. 2 69 ff.

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Kopf schütteln, der Teufel mags nit hören' usw. 1 . Woanders heißt es: 'Der Teufel hat gar listige Tück wider Christtum und die Seinen zu streben' 2 — also derselbe Gedanke wie bei Luther, nur daß der Teufel eben diesmal der Gegner ist. An einer anderen Stelle nennt er den Teufel Luthers Engel 3 , noch weiter Luther einen 'Erzteufel'*. Aber im Grunde hat, anders als bei Luther, die Vorstellung des Teufels in Müntzers Theologie keinen wirklichen Platz mehr, sie ist etwas ihm in der Verteidigung Aufgezwungenes. Müntzer hat in der 'Ausgedrückten Entblößung' unter deutlicher Bezugnahme auf Luthers Kampfschrift von dem 'Verteufeln' gesprochen, das sich nun aufs höchste anhebe 'durch die wuchersüchtigen Evangelisten' 5 . Es liegt darin der Ausdruck einer deutlichen Nichtachtung der Teufelsvorstellung gegenüber. Wesentlich origineller ist Müntzer bei den übrigen Prädikaten, mit denen er Luther bedenkt, und bei näherem Zusehen erweist es sich, daß es sich bei ihnen nicht um bloße Schimpfnamen handelt, sondern daß sie tiefere, z. T. endgeschichtliche Bedeutung haben. Das trifft sogleich auf den Titel zu, der angibt, daß die Schutzrede 'wider das geistlose sanftlebende Fleisch zu Wittenberg' gerichtet ist. Es ist klar, daß hier ein Luther vorgeworfenes bequemes fleischliches Wohlleben mit seinem Mangel an dem richtigen 'Geist' in ursächliche Verbindung gebracht wird. Aber Müntzer sieht das geschichtliche Auftreten Luthers gegen ihn ebenso wie Luther das Müntzers in eschatologischer Sicht, die bei Luther sich als Teufelsvorstellung zeigt, bei'Müntzer aber die Form annimmt, daß Luther zum Inbegriff all der Spötter, Lügner und fleischlich Gesinnten wird, die in der Schrift für die 'letzte Zeit' verheißen sind. Dies ist Müntzers eigentliche, adäquate Antwort auf Luthers 'Verteufeln'. Zum Verständnis dessen, was Müntzer mit dem 'geistlosen sanftlebenden Schutzrede, 99 ff. Schutzrede, 225. 3 Schutzrede, 438. 1 Schutzrede, 447. ' Ausgedr. Entbl., 7 i S f f . Vgl. i g i f . 1

2

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Müntzers 'Schutzrede'

Fleisch zu Wittenberg, welches mit verkehrter Weise, durch den Diebstahl der heiligen Schrift, die erbärmliche Christenheit ganz jämmerlich besudelt hat', letztlich gemeint hat, ist wahrscheinlich folgende Stelle des Judasbriefes (14 ff.) heranzuziehen: »Es hat aber auch von solchen geweissagt Henoch . . . und gesprochen: 'Siehe, der Herr kommt mit vielen tausend Heiligen, Gericht zu halten über alle und zu strafen alle Gottlosen um alle Werke ihres gottlosen Wandels... Diese murren und klagen immerdar und wandeln dabei nach ihren Lüsten; und ihr Mund fedet stolze Worte, und achten das Ansehen der Person um Nutzens willen'. Ihr aber meine Lieben, erinnert euch der Worte, die zuvor gesagt sind von den Aposteln unsers Herrn Jesu Christi, da sie euch sagten, daß zu der letzten Zeit werden Spötter sein, die nach ihren eigenen Lüsten des gottlosen Wesens wandeln. D i e s e s i n d e s , die da T r e n n u n g e n m a c h e n , F l e i s c h l i c h e , die da k e i n e n G e i s t haben.« Hier haben wir überhaupt die eschatologische Atmosphäre der ganzen'Hochverursachten Schutzrede.' Müntzer hat diese Stelle des Judasbriefs bereits in der Fürstenpredigt zitiert 1 , da, wo er von den 'reißenden Wölfen' und den Irrlehrern spricht, die aufstehen werden, und wenn er hinzufügt, Offenbarung 16 zeige dasselbe an, so unterstreicht er damit noch stärker, daß er das Auftreten von Gegnern wie Luther für Zeichen der Endzeit hält. In dem Zitat von Offenb. 16 liegt aber zugleich auch der Keim für ein anderes Scheltwort der 'Schutzrede' für Luther. Hier ist die Rede von den drei apokalyptischen Tieren als den drei Formen des Antichrists: dem Drachen, als der 'Schlange, die da heißt Teufel und Satan', dem ersten Tier mit dem Löwenmaul und dem zweiten Tier als dem Pseudopropheten. Hier, in der Apokalypse, liegt das Vorbild Müntzers für die Bezeichnung Luthers als Drache und Löwe 2 , wenn er auch in der Schutzrede nur das Siegeswort des Psalmisten (91, 13) anführt: 'Du wirst schreiten über die Otter und den Basilisken und niedertreten den Löwen und Drachen'. Desselben Ursprungs ist die Bezeichnung 'Jungfrau Martin. . . die keusche 1 2

Auslegung, 55. Schutzrede, 266ff.

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babylonische Frau', neben die Müntzer ausdrücklich den Hinweis auf Offenbarung 18 gesetzt hat 1 , wo die Rede ist von dem Fall Babylons, von deren Wein der Unzucht alle Völker getrunken haben, mit der alle Könige der Erde gebuhlt und von deren Üppigkeit alle Kaufleute auf Erden reich geworden sind. Auch die Bezeichnung 'Doctor Lügner', die am häufigsten in unserer Schrift vorkommt, ist nicht ein bloßes Wortspiel mit dem Namen Doctor Luther, sondern hat als Hintergrund Müntzers Haupttext zur Schutzrede, Joh. 8, wo V. 44 Christus zu den Pharisäern sagt: 'Ihr seid von dem Vater, dem Teufel, und nach Eures Vaters Lust wollt ihr tun. Der ist ein Mörder von Anfang und ist nicht bestanden in der Wahrheit; denn die Wahrheit ist nicht in ihm. Wenn er die Lüge redet, so redet er von seinem eigenen; denn er ist ein Lügner und ein Vater derselben'. In diesen Zusammenhang gehört offenbar auch die Bezeichnung Luthers als 'Vater Leisentritt', denn hiermit ist nicht nur ein Mensch gemeint, der aus Feigheit nicht laut aufzutreten wagt, sondern auch der hinterlistige Schleicher, der Mann der lautlosen Umtriebe und Verleumdungen, wie Müntzer Luther an anderer Stelle auch als 'geschickte Schlange' 2 bezeichnet. Auch die Bezeichnung 'schwarzer Kolkrabe' hat einen sinnvollen Schrifthintergrund. Müntzer denkt hier an Noah, der aus seiner Arche, 'dem Hause Gottes', zuerst einen Raben ausfliegen ließ, der aber nach Müntzers Interpretation nicht zurückkehrte, weil er unterwegs Aas, d. h. Wohlleben fand, während die danach ausgelassene Taube mit dem ölblatt im Schnabel, der Botschaft des Friedens und der neue Erde, zurückkam. Luther ist der Rabe, der zuerst aus dem Hause Gottes flog, es aber über dem fleischlichen Wohlleben vergaß und verriet, Müntzer aber ist die 'einfältige Taube', deren Federn nach Psalm 68, 14 mit siebenmal geläutertem Silber, dem Sinnbild des Geistesbesitzes, überzogen sind, und dre das Aas 'überflogen und gehaßt' hat 3 . Müntzer bezeichnet Luther damit als den abgesunkenen Initiator, sich selbst 1

Schutzrede, 346. ' Schutzrede, 422 f. ' Schutzrede, I 3 9 f f .

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Angriff auf Luthers Rechtfertigungslehre

als den wahren Vollender, wie er es am Schluß der 'Schutzrede' auch in einer anderen biblischen Metapher ausgesprochen h a t : 'Saul fing auch etwas Gutes an, aber David, nach langem Umtreiben, mußt es vollenden' 1 . Bei diesem ganzen reichen Scheltregister handelt es sich also nicht bloß um öde Schimpferei und plumpen theologischen Grobianismus, sondern um apokalyptisch-revolutionäre Symbolik, die den Zeitgenossen natürlich wesentlich leichter verständlich war als uns. Aber alles dies ist dcch nur das Rankenwerk, das sich um die dogmatische Auseinandersetzung mit Luther herumschlingt, eine Auseinandersetzung, die den ersten grundsätzlichen Angriff auf Luthers Rechtfertigungslehre, den Kern und Ausgangspunkt seiner ganze Theologie, darstellt. Und dieser Angriff auf Luthers Rechtfertigungslehre ist unter dem Gesichtspunkt ihrer gesellschaftlichen Voraussetzungen und Folgerungen geführt. Es dreht sich hier um die beiden theologischen Grundbegriffe und Gegensätze 'Gesetz' und 'Gnade'. Nach Luthers Auffassung ist der mit der Erbsünde beladene, d. h. von Natur aus keineswegs gute Mensch nicht in der Lage, aus eigener K r a f t und Vernunft das Gute zu erkennen, zu wollen und zu tun, d. h. vor Gott und der Forderung seines Gesetzes zu bestehen und gerecht zu werden. Aus dem Dilemma der Verzweiflung, das Gute aus Furcht vor Gottes Zorn und der Verdammnis tun zu müssen und es doch aus eigener Natur und K r a f t nicht zu können, kommt der Mensch nur heraus, wenn er sich von dem Vertrauen auf eigene K r a f t und Werke losmacht und sich in einem A k t schrankenlosen Glaubens aus schließlich der Gnade Gottes überläßt, der ihn aus reiner Liebe und Barmherzigkeit, wie sie in Christi Opfertöd zum Ausdruck kommt, annimmt und gerecht macht. Erst dieser A k t der reinen Glaubenshingabe des auswegslos in Sünde verstrickten Menschen an Gottes Barmherzigkeit gibt ihm Gewißheit, als Sünder dennoch vor Gott gerecht zu sein, sie gibt ihm 'aus Gnaden durch den Glauben' Ruhe und Selig1

Schutzrede, 545 f.

Gesetz und Gnade bei L u t h e r und Müntzer

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keit und sie gibt ihm endlich nun auch die Kraft, das Gute aus einer neuen Haltung und Gesinnung heraus 'frei und freudig' zu tun, so daß er das Gesetz nicht mehr als doch unerfüllbaren Zwang und Schrecken zum sittlichen Handeln, sondern nur noch für dessen Orientierung benötigt. In diesem Sinne ist durch Christi Opfertod das Gesetz aufgehoben. Dies ist Luthers Begriff der Rechtfertigung durch den Glauben 'ohne des Gesetzes Werke', durch den er die mittelalterliche römische Kirche mit ihrem Zeremonien- und Sakramentszauber, ihrer äußeren Werkheiligkeit von innen her zum Einsturz gebracht hat. Das Gesetz und seine Werke, die der Mensch einerseits aus eigener K r a f t doch nicht erfüllen kann, die aber andererseits nach seiner Rechtfertigung allein durch den Glauben ihre Bedeutung für ihn verloren haben, sind bei Luther nichts, die göttliche Gnade und das Vertrauen des Menschen auf sie sind alles. Dieses Verhältnis von Gesetz und Gnade bei Luther ist es also, das Müntzer als Zentralpunkt angreift. Seine Auseinandersetzung mit Luthers 'sola fide'-Prinzip, mit Luthers Trennung von 'Gesetz' und 'Gnade', geht Hand in Hand mit seiner Bekämpfung des lutherischen Schriftprinzips in der 'Ausgedrückten Entblößung', die auch schon als eine Kampfschrift gegen Luther aufgefaßt werden kann. Müntzer verwirft aufs entschiedenste die Entwertung des Gesetzes zugunsten der Gnade, die er Luther vorwirft, oder, wie er es ausdrückt, 'seine verkehrte Weis, vom neuen Bunde Gottes zu handeln ohne Erklärung göttlicher Gebot' 1 . Bei Müntzer stehen vielmehr Gesetz und Gnade in einer gewissermaßen dialektischen Spannung. Gnade und Gesetz bedingen einander, sind Korrelate, ohne das Gesetz ist die Gnade, ohne die Gnade das Gesetz nicht zu fassen. 'Christus hat im Evangelio durch seine Gütigkeit des Vaters Ernst erklärt' 2 , d. h. offenbar gemacht. An einer anderen Stelle erläutert Müntzer diesen Gedanken durch die Gegenüberstellung des 'freundlichen Ernstes des Gesetzes' und der 'allerernsten 1 2

Schutzrede, 127 ff. Schutzrede, 204ff.

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Müntzers Gesetzesbegriff

Gütigkeit' des gekreuzigten Sohnes 1 , womit er sagen will, daß die Strenge des Gesetzes zugleich freundlich ist, weil es zu Christus, zur Gnade, hinführen soll, wie Christi Gnade zugleich ernst ist, weil sie ohne die Strafe, das Erleiden des Gesetzes, nicht zu erlangen ist. Gesetz und Gnade sind eins, wie die ganze heilige Schrift, Altes und Neues Testament, eins ist. Sie handelt insgesamt von nichts anderem als vom gekreuzigten Sohne Gottes, wie denn auch im Gesetz nichts anderes zu finden ist, 'denn der leidende Sohn Gottes' Das Erleiden der Strafe des Gesetzes ist demnach zugleich ein 'christförmig werden', das Gewißwerden der Gnade, die Rechtfertigung, das Auserwähltsein. Dazu gehört die Erforschung der Schrift als eines Ganzen aus dem Ganzen des menschlichen Herzens und Geistes 3 : der Grund der Schrift ist wiederum eins mit dem Grund des menschlichen Herzens und Geistes: wenn dieser in Bewegung kommt durch das Erleiden der Strafe des Gesetzes, wird auch der einheitliche Grund der Schrift offenbar, der 'der leidende Christus' ist als der Vollender, Offenbarer und Erfüller des Gesetzes. Diese dialektische Einheit von Gesetz und Gnade unter sich und mit dem 'leidenden Christus' als dem Grunde der Schrift ruht im menschlichen Innern, oder, wie Müntzer es ausdrückt: das Gesetz ist 'im Herzen geschrieben' 4 . Die christlichen Begriffe, mit denen Müntzer hier operiert, haben für ihn nicht mehr objektiv-transzendente, sondern nur noch subjektiv-immanente Bedeutung. Hier müssen wir nun die Frage aufwerfen, welchen konkreten Inhalt der Begriff des 'Gesetzes' für Müntzer gehabt hat. Aus dem 'angeborenen' Charakter, den Müntzer dem Gesetz gibt, und aus der Formulierung, daß Christi Predigt so wohl gefaßt war, daß er auch die menschliche Vernunft gefangen nahm 5 , dürfen wir schließen, daß Müntzer das absolute Gottesgesetz der Bibel, ihre ethischen und sozialen Schutzrede, Schutzrede, » Schutzrede, « Schutzrede, 4 Schutzrede, 1

a

2 29 ff. 62. 65 ff. 55ff., 91 ff. 113 ff.

Müntzers Gesetzesbegriff

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Vorschriften, mit dem absoluten Naturrecht, dem Recht des Urstandes, mit seiner Abwesenheit von Staat und Besitz, Justiz und Zwang in eins setzt; dadurch wird das Gotteswidrige dieser Verhältnisse zugleich zum Vernunft- und Naturwidrigen. Dieses biblisch-naturrechtliche Gesetz hat nun aber eine innere und eine äußere Seite, einen engeren und einen weiteren Umkreis. Es ist einmal sittliche Forderung an den Einzelnen, persönliche Lebens- und Heilsordnung, zum anderen Sozialethik und Sozialordnung. Beides steht als göttliche und natürliche Forderung vor dem Menschen, die er erfüllen muß. Wir wissen aus der 'Ausgedrückten Entblößung', daß Müntzer unter der 'Bewegung' des menschlichen Seelengrundes, dem Erleiden "des 'Werkes Gottes', aus dem der echte Glaubensstand hervorgeht, nicht Leiden durch äußere Not und Bedrängnis versteht, sondern Leiden und Not des Gewissens, hervorgerufen durch die Forderungen des göttlichen Gesetzes nach Reinheit, Heiligkeit und Gerechtigkeit im Leben des Einzelnen. So führt das Gesetz mit seinem 'freundlichen Ernst' zur Gnade des Auserwähltseins. Das Gesetz gibt durch die Gewissensnöte, die es hervorruft, Anweisung zur Betrachtung der richtigen Wege zum Ursprung des Glaubens. . A Die 'Ankunft des Glaubens' wird erst nach 'der Strafe des heiligen Geistes (sc. durch das Gesetz) ganz erfahren. . . Denn der Geist straft erst nach Erkenntnis des Gesetzes den Unglauben. . . Also haben alle Auserwählten von Anfang (an) ihren Unglauben erkannt durch Übung des Gesetzes. . ,' 2 . Die durch die innere Erfahrung des Gesetzes, des Gewissens, Erweckten und Auserwählten werden nun auch zu Vollstreckern des Gesetzes nach außen hin, der in ihm enthaltenen Sozialvorschriften des absoluten Naturrechts. Wie Christus Erfüller des Gesetzes ist, so sind es auch seine Glieder, die 'christförmig' gewordenen Auserwählten: 'Ich setze Christum mit allen seinen Gliedern zum Erfüller des Gesetzes. . . Denn es muß der Wille Gottes und sein Werk zu Boden (bis zum Grunde) durch Betrachtung des Gesetzes 1 2

Schutzrede, 94 ff. Schutzrede, 128ff.

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Soziale Konsequenzen

vollführet werden' 1 . Alle Menschen müssen, als mit der Erbsünde behaftet, die Strafe des Gesetzes erleiden: 'Alle Übeltäter der ursprünglichen Mißhandlung der gemeinen Christenheit', d. h. alle die durch die ursprüngliche Fehlhandlung (sc. den Sündenfall) zu Übeltätern gewordenen Mitglieder der allgemeinen Christenheit, 'müssen durch das Gesetz gerechtfertigt werden' 2 . Aber während der Auserwählte der Pein des Gesetzes nicht zu entfliehen begehrt 3 , erweist sich der Gottlose als stumpf gegenüber den Stacheln des Gewissens, die die Forderungen des göttlichen und natürlichen Gesetzes hervorrufen. D a aber das Gesetz an allen erbsündigen Menschen vollzogen werden muß, und während der Auserwählte es innerlich erleidet und dadurch gerechtfertigt wird, muß der dem Gottes- und Naturgesetz in seiner inneren und äußeren Form widerstrebende Gottlose die Strafe des Gesetzes auch äußerlich, in der Vernichtung durch das revolutionäre Endgericht, erleiden: 'Auf daß der Ernst des Vaters (sc. das Gesetz) die gottlosen Christen aus dem Wege räume, die der heilbaren Lehre Christi widerstreben' 4 . Nur so können sich die 'Gerechten', d. h. die Gerechtfertigten, überhaupt in der Welt durchsetzen, sich 'Weil und Raum' verschaffen, 'Gottes Willen zu lehren' 5 . Denn 'so das Übel durchs Gesetz zu strafen sollte frei sein', d. h. wenn es auch dem Gottlosen freistünde, die Sünde durchs Gesetz zu strafen, so würde er sich des Gesetzes in seinem Interesse zur Unterdrückung bedienen, und da die Gottlosen am Ruder sind, würden die Gerechten ihrerseits ausgerottet werden, und es könnte kein 'einziger Christ bei solcher Tyrannei seiner Betrachtung wahrnehmen. . . darum, daß sich der gottlose Tyrann behilft wider den Frommen, indem er sagt: Ich muß dich martern, Christus hat auch gelitten, du sollst mir nicht widerstreben, Matthaei am fünften' 6 . Scliutzrede, Schutzrede, 3 Schutzrede, * Schutzrede, 6 Schutzrede, 8 Schutzrede, 1

2

133 ff. 213t. 207. 2i4ff. 2i6f. 218 ff.

Gesetz und Eigentumsbegriff

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Müntzer erläutert den Gedanken, daß das Gesetz da, wo es nicht von den Auserwählten, sondern von den Gottlosen angewandt wird, im Klasseninteresse angewandt wird, indem er von dem 'Ursprung aller Dieberei' spricht 1 , den Luther in seinem Buch 'Von Kaufshandlung und Wucher' verschwiegen habe: nämlich von dem in der herrschenden Staatsordnung verankerten Eigentumsbegriff. "Sieh zu', ruft Müntzer aus, 'die Grundsuppe (d. h. Grundursache) des Wuchers, der Dieberei und Räuberei sind unsere Herrn und Fürsten: nehmen alle Kreaturen zum Eigentum. Die Fische im Wasser, die Vögel in der Luft, das Gewächs auf Erden muß alles ihrs sein'. Er zitiert hier Jesaja 5, 8: 'Weh denen, die ein Haus an das andere ziehen und einen Acker zum andern bringen, bis daß kein Raum mehr da sei, daß sie allein das Land besitzen', und fährt fort: 'Darüber lassen sie dann Gottes Gebot ausgehen unter die Armen und sprechen: Gott hat geboten: D u sollst nicht stehlen; es nützt ihnen aber nicht. Indem sie nun alle Menschen nötigen, den armen Ackersmann und alles, da da lebet, schinden und schaben: so er sich dann vergreift am allergeringsten, so muß er hängen. Da saget der Doctor Lügner: Amen. Die Herren machen das selber, daß ihnen der arme Mann feind wird, die Ursache des Aufruhrs wollen sie nicht wegtun, wie kann es die Länge gut werden ? Wenn ich das sage, muß ich aufrührerisch sein — wohlan!' Und nun wird auch klar, wie Müntzer die Auseinanderreißung von Gesetz und Gnade bei Luther auffaßt: er sieht in dieser Rechtfertigungslehre Luthers eine durch das Klasseninteresse bedingte Lehre. Für Luther hatte ja das Gesetz seine Bedeutung, wenn auch nicht seine Gültigkeit verloren für alle, die 'sola fide' sich der Gnade Gottes versichert glaubten; für die Masse der Unchristen behielt das Gesetz seine volle Schärfe, und seine Anwendung lag in obrigkeitlicher Hand. Müntzer meint nun, Luthers Rechtfertigungslehre bedeute 'Gnade' und Rechtfertigung für die Herrschenden und Besitzenden, 'Gesetz' für die Besitzlosen. Oder in seinen eigenen Worten: 'Der Teufel hat gar listige Tück 1

Schutzrede, 183 ff.

Hinrichs,

Luther und Müntzer

1 7 8 Rechtfertigungslehre nach Müntzer Ausdruck des Klasseninteresses

wider Christum und die Seinen zu streben. Jetzt mit schmeichelnder Gütigkeit, wie der Luther mit den Worten Christi die Gottlosen verteidigt, jetzt auch mit grimmigem Ernst vorzuwenden von der zeitlichen Güter wegen seine verderbliche Gerechtigkeit' 1 . Im Falle der Großen verachtet Luther 'das Gesetz des Vaters und heuchelt (d. h. kriecht vor den Großen) durch den allerteuersten Schatz der Gütigkeit Christi und machet den Vater mit seinem Ernst des Gesetzes zuschanden durch die Geduld des Sohnes' 2 . Nach oben erscheint die 'Geduld Christi' als Nachsicht gegenüber der Widergesetzlichkeit und der Sündhaftigkeit der Großen, nach unten als Lehre vom leidenden Gehorsam: 'daß Christus allein geduldig sei, auf daß die gottlosen Christen ihre Brüder wohl peinigten' 3 . Christus ist aber nicht 'allein geduldig', sondern seine Gnade hat, wie es zuvor hieß, einen 'ernsten' Charakter. Gesetz und Gnade sind eins: wenn die Großen Gnade haben wollen, müssen sie auch das Gesetz erfüllen, und die Kleinen brauchen nicht nur Geduld zu üben, sondern können die Erfüllung des Gesetzes e r z w i n g e n . Nachdem Müntzer den Ernst des Gesetzes gepredigt hat, hält Luther ihm die Gütigkeit (Gnade) des Sohnes Gottes vor. Aber das Gesetz ist hinsichtlich der Strafe der 'geistlosen Übertreter (obwohl sie Regenten sind) nicht aufgehoben', sondern soll 'mit dem allerhöchsten Ernst vollzogen werden . . . kurzum, die Übertretung muß gestraft werden, es kann weder der Große noch der Kleine davonkommen' 4 . Aber wenn die Gottlosen durchs Gesetz betroffen werden, sagen sie mit großer Leichtfertigkeit: 'Ha, es ist aufgehoben' 5 , nämlich durch die in Christi Opfertod offenbarte Gnade Gottes, die Luthers Rechtfertigungslehre ausschließlich in den Mittelpunkt rückt. So verhilft diese Lehre allen Großen und Besitzenden zum Ausweichen vor den absoluten Forderungen des göttlichen und natürlichen Gesetzes. Sie ist eine Stütze 1 Schutzrede, 225 ff. * Schutzrede, 232 ff. ' Schutz rede, 237 f. 4 Schutzrede, 155 ff., 166 f. 5 Schutzrede, 91 ff.

Gesetz und 'Volkssouveränität'

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der bestehenden Gesellschaftsordnung, wie ja auch 'Schriftstehler' wie Luther nur um des Lohnes willen lehren. ' E s will ihrer keiner predigen, er hab dann 40 oder 50 Gulden. J a die besten wollen mehr denn 100 oder 200 Gulden haben. . . sie wollen Ruhe und gute Gemächlichkeit haben und die allergrößte Würdigkeit (Ansehen) auf E r d e n ' L u t h e r kriecht vor den "gottlosen Schelmen, wie du siehst im Büchlein wider mich und will sie kurzum (schlechthin) verteidigen' 2 . Die Fürsten zu Sachsen sind für Müntzer jetzt also nur noch gottlose Schelme: damit erklärt er das Revolutionsrecht für gegeben. Die Zeit der unmittelbaren Herrschaft des Gesetzes Christi auf Erden, wie sie der Eingang der Schutzrede verkündet hatte, ist gekommen. Von dem unlösbaren gegenseitigen Verhältnis von Gesetz und Gnade empfängt auch Müntzers Auffassung der Volkssouveränität eine neue Beleuchtung. Wenn das göttliche und natürliche Gesetz vor aller Schrift in des Menschen Herz geschrieben ist, wo es durch den innerlichen Gewissensprozeß offenbar und bewußt wird und dadurch zur Gnade der Rechtfertigung und Rechtgläubigkeit, zum Auserwähltsein, führen soll, so kann auch die äußere Anwendung des 'Gesetzes Gottes' mit ihrer Alternative von Schwert oder Begnadigung nur in den Händen der Gesamtheit liegen, die für Müntzer immer nur die Gesamtheit der Auserwählten, der wahren Christen, bedeutet. Nur so, durch die Ersetzung der 'Fürstenjustiz' durch die 'Volksjustiz', kann die im Klasseninteresse verfahrende Rechtsprechung der 'Gottlosen' beseitigt werden. In diesem Sinne sagt Müntzer, 'daß eine ganze Gemein Gewalt des Schwerts hab, wie auch den Schlüssel der Auflösung' (d. h. Begnadigung). Darum muß auch 'nach altem guten Brauch' das Volk dabei sein, wenn einer rechtmäßig gerichtet wird nach dem Gesetz Gottes. ' E i warum? Wenn die Obrigkeit des Urteil wollte verkehren, so sollen die umstehenden Christen das verneinen (zurückweisen) und nit leiden, denn Gott will Rechenschaft haben vom unschuldigen 1 2

Schutzrede, 81 ff. Schutzrede, I 4 4 f f .

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Das Problem des freien Willens bei Müntzer

B l u t ' W e l c h e n Sinn diese Kontrolle der Rechtsprechung durch das Volk haben soll, darüber gibt der nächste Satz unzweideutig Auskunft: 'Es ist der allergrößte Greuel auf Erden, daß niemand der Bedürftigen Not sich will annehmen, die Großen machens wie sie wollen. . .' 2 . Luthers Entwertung des Gesetzes zugunsten der göttlichen Gnade hängt zusammen mit seiner radikalen Entwertung der menschlichen Natur und ihrer Freiheit, das vom Gesetz gebotene Gute zu wollen und zu vollführen. Luther leugnet die menschliche Willensfreiheit mit einer Schärfe, daß er nicht vor der Konsequenz zurückschreckt, zu behaupten, daß auch das Böse in den Gottlosen von Gott bewirkt werde. Für Müntzer ist dagegen die Leugnung der menschlichen Willensfreiheit eine 'freche Verachtung' des Menschen, der ganze Streit um die Willensfreiheit ist ihm 'lästerlich' 3 . Er nennt Luther einen 'Erzteufel', weil er Gott zur Ursache des Bösen mache; er wolle es 'Gott in den Busen stoßen', daß er ein 'armer Sünder' und ein 'giftiges Würmlein' sei 4 . Für Müntzer mit seiner Forderung, daß das Gesetz Gottes mit seinen ethischen und sozialen Vorschriften 'bis auf den Grund' erfüllt und verwirklicht werden muß, darf es einen Zweifel an der Fähigkeit des menschlichen Willens zur Verwirklichung des Guten nicht geben. Mit der Anerkennung der menschlichen Willensfreiheit entfällt für Müntzer auch die Prädestination. 'Die Gütigkeit Gottes strebet über alle Werk seiner Hände' 5 , d. h. die Gnade Gottes erstreckt sich über alle seine Kreaturen. Gott hat niemanden von Anbeginn zur Verdammnis bestimmt, 'Grimm' hat Gott 'von Ewigkeit nie gehabt' 6 , d. h. alle Menschen haben von Anbeginn her die gleichen Heilschancen. Grimmig erscheint Gott nur infolge der verkehrten Furcht der Menschen vor ihm, die sich vor der Pein entsetzen, die die absoluten Forderungen des Gesetzes in ihnen verursachen, und die 'nit ansehen, wie sie Gott Schutzrede, Schutzrede, 3 Schutzrede, 4 Schutzrede, 5 Schlitzrede, • Schutzrede,

1

2

171 ff. 180 ff. 453. 447ff. 208 f. 205 f.

Das Problem des freien Willens bei Müntzer

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durch Beängstigung in seine Ewigkeit nach aller Pein führt' 1 . Verworfen sind nur die, die aus bösem Eigenwillen der Pein des Gesetzes zu entfliehen trachten, d. h. seinen unbequemen Forderungen nicht genugtun wollen, weil sie dem 'Fleisch' anhangen. Gott straft nicht im Grimm, sondern 'mit Urteil' 2 , d. h. er ist gewissermaßen an sein eigenes Gesetz gebunden; wird dieses vom Menschen in seinem Herzen erkannt und aus freien Stücken erfüllt, so ist damit auch die Gnade und Erlösung unbedingt gegeben. Damit ist die eigentlich dogmatische Auseinandersetzung erschöpft. Der übrige Inhalt der Schrift beschränkt sich auf persönliche Polemik und die Auseinandersetzung mit Einzelheiten aus Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen'. Da sind zunächst die Motive, die Müntzer Luther für den Kampf gegen ihn unterlegt: Herrsch- und Ehrsucht, Neid und Eigennutz. Er meint, Luthers Kampf gegen die katholische Kirche habe nur eine negative Seite. Er könne sich nur mit den Gottlosen herumzanken. Er habe seine Lehre nur emporbringen wollen durch der Laien Haß wider die Pfaffen, um sich dann selbst an die Stelle der Bösewichter zu setzen, denen er am allerschändlichsten zugesetzt habe 3 — als ein neuer 'Wittenbergischer Papst' 4 . Das Volk meint, damit, daß man den katholischen Pfaffen nichts mehr zu geben brauche, sei es getan. Aber in Wirklichkeit ist es jetzt viel schlimmer daran wie zuvor. Man wird es mit einer 'neuen Logik bescheißen' unter Vortäuschung des Wortes Gottes, d. h. mit einer neuen Orthodoxie und Scholastik abspeisen 5 . Aber Luther sieht, daß er mit seiner 'angefangenen Lehre' Geister gerufen hat, die über ihn hinauswachsen und hinausgehen. 'Nun du vernimmst', ruft Müntzer Luther zu, 'es möchte zu tief einreißen, so willst du deinen Namen, da er am ärgsten ist, einem anderen, dem die Welt ohnehin feind ist, auflegen und dich schön brennen' 6 . So schmeichelt Luther 1 a 3 4 5 6

Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede, Schutzrede,

209 if. 208. 260 ff. 286. 3 1 3 ff. 262 ff.

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Müntzer über Luthers Verhältnis zum Adel

nach der einen, tobt und wütet er nach der anderen Seite 1 . Bei der 'irrenden Welt' will er sich durch Kriecherei einschmeicheln und alle Menschen rechtfertigen, aber er weiß wohl, wen er lästern soll: die armen Pfaffen, Mönche und Kaufleute, die sich nicht wehren können. 'Aber die gottlosen Regenten soll niemand richten, ob sie schon Christum mit Füßen treten. . . Du solltest deine Fürsten auch an der Nase ziehen, sie habens wohl viel höher, denn vielleicht die andern verdient. Was lassen sie abgehn von ihren Zinsen und Schinderei?' 2 Um die Bauern zufriedenzustellen, gebraucht Luther allerdings auch wohl einmal starke Ausdrücke gegen die Fürsten® — aber wenn er die Fürsten gescholten hat, kann er sie auch wieder wohlgesinnt machen, der neue Papst, indem er ihnen Klöster und Kirchen schenkt4. Auf die durch die Aussicht auf Einziehung von Kirchengütern bewirkte Unterstützung Luthers durch Fürsten und Adel kommt Müntzer noch einmal in einem anderen Zusammenhange zurück. Luther hatte gegenüber Müntzers Forderung nach einem Glaubensverhör vor einer 'ungefährlichen' Versammlung darauf hingewiesen, in welchen Gefahren er selbst bei den Disputationen und Verhören zu Leipzig und Augsburg sowie vor dem Wormser Reichstag von 1 5 2 1 gestanden habe. 'Daß du zu Worms vorm Reich gestanden bist', sagt Müntzer, 'Dank hab der Teutsch Adel, dem du das Maul also wohl bestrichen hast und Honig gegeben, denn er wähnte nichts anderes, du würdest mit deinem Predigen Böhmische Geschenke geben, Klöster und Stifter, welche du jetzt den Fürsten verheißest. So du zu Worms hättest gewankt, wärest du eher erstochen vom Adel worden, denn losgegeben. . .' 5 Luther hat die Christenheit mit einem falschen Glauben verwirrt, und kann sie, nun die Not angeht, nicht wieder zurechtbringen4. Nun die rechte Wahrheit aufgehn will, will 1

Schutzrede, Schutzrede, 3 Schutzrede, 4 Schutzrede, 5 Schutzrede, • Schutzrede, 2

267 f. 384 ff. 387 ff. 393 ff. 508 ff. 482 ff.

Persönliche Anklagen Müntzers gegen Luther

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er die Kleinen und nicht die Großen schelten. Wenn die Leute erst werden anfangen, aufs Licht zu achten, so werden 'die kleinen Hündlein' zu den Füchsen ins Loch laufen, die sich kaum noch werden wehren können. 'Der frische Hund aber schüttelt dem Fuchs das Fell, er muß aus dem Loch, er hat der Hühner genug gefressen' 1 . Auf diesen Ton ist auch der Schluß der ganzen Schutzrede gestimmt, der in freier Übersetzung von Hesekiel 13, 22—23 lautet: ' 0 Doctor Lügner, du tückischer Fuchs, du hast durch deine Lügen das Herz des Gerechten traurig gemacht, den Gott nit betrübt hat, womit du gestärket hast die Gewalt der Gottlosen Bösewichter, auf das sie je ja auf ihrem alten Wege bleiben. Darum wird dirs gehen wie einem gefangenen Fuchs, das Volk wird frei werden und Gott will allein der Herr darüber sein' 2 . Aus diesen Schlußworten geht zugleich hervor, daß Müntzer in Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' die entscheidende Wendung sieht, die seine schwankenden Landesherrn endgültig 'auf dem alten Wege' festgehalten hat, so daß sie nun auch endgültig auf die Seite der 'Gottlosen' gehören und das Revolutionsrecht gegeben ist: 'Das Volk wird frei werden'. Auf die Einwirkung Luthers, d. h. wahrscheinlich seines 'Briefes', führt Müntzer auch sein Weimarer Verhör zurück. Aber Müntzer hat noch andere persönliche Beschwerden gegen Luther. Er behauptet, Luther wisse um Mordpläne gegen ihn 3 , Müntzer, für die den Übeltätern schon ein Lohn gegeben sei. Als Mitwisser Luthers bezeichnet er seinen 'ungebratenen Lorenz zu Nordhausen', was man als einen 'unechten, ungeprüften Heiligen aus Nordhausen'— denn der wirkliche heilige Laurentius wurde lebendigen Leibes auf einem Rost gebraten — interpretieren müßte. Wahrscheinlich ist der aus Nordhausen stammende eifrige Parteigänger Luthers Justus Jonas gemeint: ihm warf Müntzer später vor, Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' veranlaßt zu haben 4 . Wie Müntzer Schutzrede, 473 ff. Schutzrede, 554 ff. 3 Schutzrede, 417 ff. 4 Müntzer an Christoph Meinhardt in Eisleben Briefwechsel, S. 103. 1

2

Okt./Nov.

1524.

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Müntzer leugnet persönliche Begegnung mit Luther

zu seiner Behauptung einer gegen ihn geplanten Untat gekommen ist, ist vollkommen dunkel, es sei denn, er habe hier den Verrat durch seine Allstedter Honoratioren im Auge, von denen er in unserer Schrift sagt, sie hätten ihn 'den höchsten Feinden des Evangelii überantworten wollen' Des weiteren behauptet Müntzer, Luther hetze und treibe, daß Herzog Georg von Sachsen dem Kurfürsten Friedrich ins Land fallen solle2. Tatsächlich hatte Herzog Georg in seinem Schreiben vom 8. August 1524 3 Friedrich dem Weisen gedroht, wenn er nicht gegen die 'boshaftigen Propheten' wie Müntzer vorgehe, so werde er, Herzog Georg, zur Selbsthilfe greifen. Aber zugleich war Luther in diesem Schreiben als die wahre Quelle allen Übels bezeichnet und der Herzog hatte unmißverständlich gesagt, er wolle lieber ein Verfolger des Evangeliums Luthers als des Evangeliums Christi sein. Es ist denkbar, daß Müntzer auf irgend einem Wege — vielleicht durch Jakob Strauß — Kenntnis von dem Schreiben des Herzogs Georg erhalten hat, wobei ihm gesagt sein könnte, daß Luther den Anlaß zu diesem Schreiben gegeben habe, was Müntzer dann wiederum mißverstanden haben müßte. Sehr erregt zeigt sich Müntzer über Luthers Behauptung, 'der Geist' sei einmal oder zweimal von ihm in seinem Kloster zu Wittenberg 'auf die Nasen geschlagen', und deshalb 'grause' Müntzer 'vor der Suppe' und er wolle sich nur über seinen Glauben verhören lassen, wenn die Seinen dabeiseien, 'die ja sagen zu seinen treffenlichen Worten. . .' 4 . Müntzer sagt demgegenüber5, das lüge Luther in seinen Hals 'spießtief', er sei in sechs oder sieben Jahren nicht bei ihm gewesen. Aber Müntzer zieht selbst die Möglichkeit in Betracht, daß Luther unter dem 'Geist' gar nicht ihn persönlich sondern seine Anhänger — Marcus Thomae Stübner und Niklas Storch, mit 1

Schutzrede, 537. Schutzrede, 420 ff. 3 Neues Urkundenbuch z. Gesch. d. ev. Kirchen-Reformation I, S. 249. 1 W A . X V , 214, 215. 6 Schutzrede, 501 ff. 2

Datierung der 'Schutzrede'

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denen Luther tatsächlich 1522 Unterredungen gehabt hatte — gemeint hat. 'Hast du aber die guten Brüder zu Narren gemacht, die bei dir gewesen, das muß freilich an Tag kommen, es wird sich auch anders nicht reimen' 1 . Eine Haupttriebfeder von Luthers Verheilten ihm gegenüber sieht Müntzer im Neid. 'Es ist nit anders in der Wahrheit, wie mir das ganze Land Zeugnis gibt, das arme dürftige Volk begehrte der Wahrheit also fleißig, daß auch alle Straßen voll Leute waren von allen Orten anzuhören, wie das Amt, die Bibel zu singen und zu predigen zu Allstedt angerichtet ward. Sollte er auch zerbrechen, so könnte ers zu Wittenberg nit tun, man siehts in seiner teutschen Meß wohl, wie heilig er darauf war, welches den Luther also sehr verdroß, daß er zum ersten bei seinen Fürsten zuwegebrachte, daß mein Amt nit sollte in Druck gehen. Da nun des Wittenbergischen Papstes Gebot nit geachtet ward, gedachte er: warte, der Sache will ich wohl raten, daß ich die Wallfahrt zu Trümmern zerstöre'2. 'Tobenden Neid' und 'allerverbittertsten Haß' 3 hatte Müntzer gleich zu Beginn seiner 'Schutzrede als die Motive des feindlichen Auftretens Luthers gegen ihn angegeben. Über die Zeit der Entstehung der 'Hochverursachten Schutzrede' sind wir auf Mutmaßungen angewiesen. Daß Müntzer gleich beim Empfang und der ersten Lektüre von Luthers 'Brief an die Fürsten zu Sachsen' die Notwendigkeit einer Erwiderung empfunden hat, dürfen wir als sicher annehmen. Schon in der 'Ausgedrückten Entblößung', die in der zweiten Julihälfte geschrieben ist, klingen, wie wir festgestellt haben, in den gehäuften Luther-Prädikaten: 'giftiger schwarzer Kolkrabe', 'Bruder Sanftleben' und 'Vater Leisentritt' die Töne der Hochverursachten Schutzrede an. Müntzers Geist befand sich also schon zu diesem Zeitpunkt in der für die Konzeption der Abwehrschrift erforderlichen Schwingung. Die Vermutung, daß die Anfänge der 'Schutzrede' noch in die Allstedter Zeit zurückreichen, ist also keineswegs 1 8 3

Schutzrede, 503 ff. Schutzrede, 278 ff. Schutzrede, 25 f.

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Datierung der 'Schutzrede'

von der Hand zu weisen. Hatte er doch schon am 3. August auf dem Allstedt er Schloß, als ihm das Druckverbot verkündet wurde, davon gesprochen, daß ihm gestattet sein müßte, 'seine Notdurft wider Luther auszuschreiben', so wie er in seinem Schreiben an den Kurfürsten vom gleichen Tage gemeint hatte, um des Ärgernisses vieler Frommen willen könne Luthers Schandbrief nicht unbeantwortet bleiben, wenn er auch nicht gesonnen sei, ihm sein Lästermaul zu vergelten. Was wir also zum mindesten mit Sicherheit behaupten können, ist, daß Müntzer bereits in Allstedt die feste Absicht gehabt hat, Luther zu erwidern, während wir es wenigstens als wahrscheinlich betrachten können, daß er bereits in Allstedt auch mit der Niederschrift begonnen hat. Die 'Schutzrede' selbst enthält nur einen einzigen Fingerzeig für eine Datierung. Es ist die Stelle, wo Müntzer zu Luther spricht: 'Aber du willst von den von Orlamünde haben einen großen T i t e l ' M ü n t z e r hat dabei eine Episode von Luthers Visitationsreise nach Orlamünde im Auge, auf der es am 24. August zu der heftigen Auseinandersetzung zwischen Luther und der dortigen Gemeinde kam, wobei Luther zu den Orlamündern gesagt hatte: 'Ihr gebt mir meinen Titel nicht, den mir doch etliche Fürsten und Herren, so meine Feinde sind, geben und nicht abbrechen'. Der von Karlstadtscher Seite veröffentlichte Bericht über diese Vorgänge 2 befand sich am 3. Oktober in Luthers Händen, wird also, wenn man Abfassungs- und Druckzeit berücksichtigt, in der zweiten Hälfte des September erschienen sein. Müntzer kann aber aus dem Kreise seiner Freunde im Lager Karlstadts über den Inhalt der Veröffentlichung und über die Vorgänge in Orlamünde schon vorher brieflich unterrichtet worden sein. Jedenfalls geht soviel aus dem Fingerzeig hervor, daß Müntzer noch im September 1524 an der Hoch verursachten Schutzrede arbeitete. E s spricht manches dafür, daß sie vor dem 19. September, dem Beginn der revolutionären Ereignisse in Mühlhausen, die am 27. mit der Ausweisung Müntzers und seiner Flucht nach Nürnberg endeten, abgeschlossen worden ist. 1

Schutzrede, 372 f. * Die Acta Jenensia, W A . X V , S. 323 ff.

Druck und Beschlagnahme der 'Schutzrede'

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Denn in den Tagen vom 19. bis 27. September wird Müntzer kaum Zeit gefunden haben, an seiner 'Schutzrede' zu arbeiten, nachher hat er aber offenbar auch nicht mehr Hand an sie gelegt, denn sie schließt mit der Schilderung der letzten Ereignisse in Allstedt und der Flucht von dort. Hätte Müntzer noch nach dem 27. September an der 'Schutzrede' gearbeitet, so ist anzunehmen, daß auch die Mühlhäuser Ereignisse noch berücksichtigt worden wären, hatte doch Luther auch in Mühlhausen gegen Müntzer weitergearbeitet. E s ist also sehr wahrscheinlich, daß Müntzer die 'Schutzrede' fertig nach Nürnberg brachte 1 . Auch die 'Schutzrede' mußte heimlich gedruckt werden, und zwar übernahm, wie aus den Typen hervorgeht, der Buchdrucker Hieronimus Höltzel, der sich schon durch Herausgabe ketzerischer Schriften ausgezeichnet hatte, den Druck, der sich ziemlich lange hinzog. Nachdem Ende Oktober die 'Ausgedrückte Entblößung' beschlagnahmt war, und Müntzer gleichzeitig Nürnberg verlassen hatte, wurde Mitte Dezember auch der Druck der 'Hochverursachten Schutzrede entdeckt, Höltzel am 17. Dezember verhaftet und Müntzers Handschrift nebst allen noch vorhandenen Druckexemplaren konfisziert. So sind nur wenige Stücke auf die Nachwelt gekommen. 1

Vgl. K. Schottenloher, Beschlagnahmte Druckschriften aus der Frühzeit der Reformation, Zeitschrift f. Bücherfreunde, N. F. 8, 2 (1917), S. 313. Derselbe, Die Entwicklung der Buchdruckerkunst in Franken bis 1530. Neujahrsblätter der Ges. f. fränk. Gesch. 5 (1910), S. 30. Wolfgang Metzger, Müntzeriana, Thür.-sächs. Zeitschr. f. Gesch. u. Kunst, X V I (1927), S. 74.

Luthers Werke in Auswahl Unter Mitwirkung von

A L B E R T LEITZMANN

Herausgegeben von

OTTO CLEMEN

8 Bände. Oktav. Ganzleinen DM 144,—

1: Schriften von 1517—1520. 6., durchgesehene Auflage. XXXII, 512 Seiten. 1 Faksimile. 1966. DM 16,— 2: Schriften von 1520—1524. 6., durchgesehene Auflage. VI, 464 Seiten. 1967. DM 16,— 3: Schriften von 1524—1528. 6., durchgesehene Auflage. VI, 516 Seiten. 1966. DM 16,— 4: Schriften von 1529—1545. 6., verbesserte Auflage. VI, 428 Seiten. 1968. DM 16,— 5: XI, Der 434 junge Luther. Hrsg. ERICH Seiten. 1963. DMvon 20,— 6: Luthers Briefe. Hrsg. von

VoGELSANGf.

HANNS RÜCKERT.

3. Auflage.

3., verbesserte Auflage.

XVI, 459 Seiten. 1966. DM 20,— 7: Predigten. Hrsg. von E M A N U E L H I R S C H . 3. Auflage. XII, 420 Seiten. 1962. DM 20,— 8: Tischreden. Hrsg. von O T T O CLEMEN. 3. Auflage. X, 387 Seiten. 1962. DM 20,— Diese mit kritischem Apparat versehene sogenannte „Bonner Lutherausgabe" ist nicht allein für den Theologen bestimmt, sondern auch für Studenten, die sich wissenschaftlich mit Luther zu befassen haben. Sie enthält die wichtigsten Schriften des Reformators in geschickter Auswahl, so daß sie Luther in seiner vielseitigen Bedeutung und seine Stellung in der Religions-, Kirchen-, Dogmen-, Literatur- und Kulturgeschichte zeigt.

DE

Walter de Gruyter • Berlin • New York