Loyalitätsfragen: Glaubensgemeinschaften der täuferischen Tradition in den staatlichen Neugründungsphasen des 20. Jahrhunderts [1 ed.] 9783737012188, 9783847112181

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Loyalitätsfragen: Glaubensgemeinschaften der täuferischen Tradition in den staatlichen Neugründungsphasen des 20. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783737012188, 9783847112181

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Kirche – Konfession – Religion

Band 78

Herausgegeben vom Konfessionskundlichen Institut des Evangelischen Bundes unter Mitarbeit der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen von Dagmar Heller und Kai Funkschmidt in Verbindung mit Andreas Feldtkeller, Miriam Rose und Gury Schneider-Ludorff

Imanuel Baumann

Loyalitätsfragen Glaubensgemeinschaften der täuferischen Tradition in den staatlichen Neugründungsphasen des 20. Jahrhunderts

Mit 5 Abbildungen

V&R unipress

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. Gedruckt mit freundlicher Unterstützung des Vereins für Freikirchenforschung und des Mennonitischen Geschichtsvereins. © 2021, Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung: »Wahl für das [Berliner] Abgeordnetenhaus am 3. 12. 1950. Wahl in einem Altersheim der Baptistengemeinde [in Schöneberg]« (Bildlegende). Bildnachweis: Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (06) Nr. 0009310 / Foto: Sass, Bert Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2198-1507 ISBN 978-3-7370-1218-8

Julia, Jakob und Anousha zu eigen

Inhalt

Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Erster Teil. Von der Monarchie zur Republik Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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A. Die Haltung von Baptisten und Mennoniten zu Revolution, Demokratie und Republik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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B. Eberhard Arnold und die Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . .

57

C. Die freikirchliche Frage in der Nationalversammlung . . . . . . . . .

69

D. Die Eidesproblematik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

E. Zur Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten . . . . . . . . . .

97

Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

109

Zweiter Teil. Etablierung des Führerstaats Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

119

A. Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten in der Phase der »Machtergreifung« . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

123

B. Eberhard Arnold und der Staat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

147

C. Reaktion auf staatliche Loyalitätsforderungen . . . . . . . . . . . . .

159

8

Inhalt

D. Strukturelle Anpassung in den etablierten Freikirchen (Baptisten und Mennoniten) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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E. Ausblick: Eid und Wehrpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

249

Zwischenbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

305

Dritter Teil. Die Phase der »doppelten Staatsgründung« Prolog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Kontinuität und Wandel im Westen A. Hat sich der Blick der Baptisten auf den Staat gewandelt? . . . . . . .

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B. Mennoniten auf der Suche nach dem verlorenen »Friedenszeugnis« .

351

Konsens und Konflikt im Osten C. Standen die Baptisten »fest hinter der Regierung« der DDR? . . . . .

377

D. Als der Entwurf zum Verbot der Mennoniten in der DDR bereits aufgesetzt war . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

397

Synthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Verzeichnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einführung

Prolog Im Jahr 1930 legte Pastor und Redakteur Paul Schmidt ein Grundsatzpapier zur »Stellung der Gemeinde zum Staatsleben der Gegenwart« vor, die Druckfassung eines Vortrages auf der Bundeskonferenz der Baptisten in Königsberg.1 Der spätere Generalsekretär (»Bundesdirektor«) des Baptistenbundes (1935 bis 1959) forderte darin seine Glaubensgeschwister dezidiert dazu auf, aktiv an der Gestaltung von Gesellschaft und Politik in der Weimarer Republik mitzuwirken: »Für unsere Väter bestand diese Aufgabe in ihrer Dringlichkeit nicht. Der Obrigkeitsstaat und die damit gegebene Regierungsart schloß von vornherein die Mitarbeit und Mitverantwortung im heutigen Sinne aus. Sie hatten sich nur gegen den Staat, der sich Übergriffe gegen ihre Gewissensfreiheit erlaubte, zu wehren, und ordneten sich ihm andererseits in Willigkeit und Gehorsam unter.«2

Heute aber »können [wir] uns schlechterdings nicht um die Tatsache drücken«, dass der Staat seinen Bürgern die »Mitausübung der Staatsgewalt« zumutet.3 Deshalb habe ein Gläubiger sogar die Pflicht, christlichen Grundsätzen gesellschaftlich Geltung zu verschaffen, weil er sich ansonsten einer ›Unterlassungssünde‹ schuldig mache. Dabei ging es Schmidt nicht darum, die Sphäre der christlichen Gemeinde in den staatlichen Bereich auszudehnen. Ohne dies explizit zu machen, begriff er Kirche (bei ihm: Gemeinde) und Staat ganz im Sinne des Reformators Martin Luther (Von weltlicher Obrigkeit, wie weit man ihr Gehorsam schuldig sei [1523]) als grundsätzlich voneinander getrennt: »Gemeinde und Staat sind zwei grundverschiedene Größen, die nebeneinander stehen. Es 1 Paul Schmidt: Die Stellung der Gemeinde zum Staatsleben der Gegenwart, Kassel o. J. [1930]. Ich verwende im Blick auf die hier betrachteten Glaubensgemeinschaften allgemein das generische Maskulinum, beziehe in diese einfachere Bezeichnung aber ausdrücklich alle Geschlechter mit ein. Nach außen hin repräsentiert wurden die Denominationen seinerzeit in der Regeln von Männern. 2 Ebd., S. 13. 3 Ebd., S. 19f.

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Einführung

sind beide von Gott geordnet, die eine auf dem Boden des Evangeliums, die andere auf dem Boden des Rechts. […] Sie haben verschiedene Aufgaben. Der Christ gehört beiden an.« Somit dürften Christen als »Angehörige der Gemeinde Jesu und Bürger unseres Staates« die Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens nicht der Welt überlassen: »Die Gemeinde kann an Gott gebundene Männer in die Parlamente schicken, in Staatsämter, Richterämter, Schul- und Erziehungsämter, damit sie die Rechtsordnung Gottes vertreten und die Autorität des Höchsten in der Staatsführung und Gesetzgebung zur Geltung bringen.«4 Diesen Anspruch suchte Paul Schmidt durch seine Mitarbeit im Christlich Sozialen Volksdienst einzulösen, einer zwar kleinen protestantischen Partei, der es aufgrund des Weimarer Wahlrechts jedoch im Jahr 1930 auf Anhieb gelungen war, 14 Reichstagsmandate zu erringen (bei etwa 2 Prozent der Stimmen). Zwischen September 1930 und Juli 1932 vertrat Paul Schmidt diese Partei, die nach Klaus Scholder seit 1931 zu »den entschiedenen Gegnern des Nationalsozialismus im deutschen Protestantismus«5 zählte, als Abgeordneter im Reichstag.6 Für die Denkschrift war darüber hinaus besonders bezeichnend, dass Schmidt den Staat zwar als eine von Gott gegebene Ordnungsgröße darstellte, dessen Handeln aber dadurch nicht per se als moralisch gerechtfertigt ansah. Es konnte nach seiner Argumentation auch verwerfliche staatliche Politik geben: »Wir bleiben zum Staate in einer gewissen Spannung. Dadurch bleiben wir vor Staatsvergötterei und Volkskult bewahrt, behalten die feine Distanz und bleiben so das Gewissen des Staates.«7 Eine solche Sichtweise auf die Gemeinschaft von gläubigen Christen als das »Gewissen des Staates« impliziert eine permanent sozialethische Funktion: nämlich Unrecht und gesellschaftliche Fehlentwicklungen aufzuzeigen und damit anzuprangern. Diese Überzeugung rührt theologisch von der Gültigkeit der Königsherrschaft Jesu Christi her und gründet in der bereits von Martin Luther vorgetragenen Freiheit des Gewissens, das nicht an Obrigkeit, sondern alleine an die Heilige Schrift gebunden ist: »Die Bindung an 4 Ebd., S. 12. 5 Klaus Scholder: Die Kirchen und das Dritte Reich. Band 1: Vorgeschichte und Zeit der Illusionen 1918–1934, München 2000 (zuerst Frankfurt am Main 1977), S. 204f. 6 Martin Schumacher (Hg.): M.d.R. Die Reichstagsabgeordneten der Weimarer Republik in der Zeit des Nationalsozialismus. Politische Verfolgung, Emigration und Ausbürgerung 1933– 1945. Eine biographische Dokumentation. Mit einem Forschungsbericht zur Verfolgung deutscher und ausländischer Parlamentarier im nationalsozialistischen Herrschaftsbereich, Düsseldorf (3. Auflage) 1994, S. 1358. Vgl. zur Partei: Günter Opitz: Der CSVD. Versuch einer protestantischen Partei in der Weimarer Republik, Düsseldorf 1969. Michael Klein: Westdeutscher Protestantismus und politische Parteien, Tübingen 2005, S. 35–44. Zum Wahlerfolg von Splitterparteien in der Endphase der Weimarer Republik: Hans-Ulrich Wehler: Deutsche Gesellschaftsgeschichte. Vom Beginn des Ersten Weltkriegs bis zur Gründung der beiden deutschen Staaten 1914–1949, Bonn 2010, S. 358–360. (Im Folgenden zitiert als Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Band 4). 7 Schmidt, Stellung, S. 21.

Täuferische Tradition

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Gottes Wort«, so Erich Geldach über dessen Standpunkt, »befreit von Satzungen und Werken der Menschen und ermächtigt, gegen alle Autoritäten aufzutreten.«8 Will man das Votum von Paul Schmidt richtig einschätzen, muss in Rechnung gestellt werden, dass es bei kongregationalistisch organisierten Freikirchen wie den Baptisten größere Meinungsschwankungen etwa zwischen Stadt- und Landgemeinden oder zwischen Gemeindebasis und Gemeindeleitung gegeben haben könnte; insofern kann von der Position eines Repräsentanten der offiziellen Freikirche nicht zwangsläufig auf den Mehrheitsbaptismus geschlossen werden, zumal sein politisches Engagement auf der Königsberger Bundeskonferenz kontrovers diskutiert wurde.9 Schmidts Beitrag zeigt aber eine Haltung innerhalb des Baptismus an, die sich im spezifischen Kontext der Weimarer Republik entfalten konnte und führt zu den zentralen Fragen, um die es im Kern der vorliegenden Studie gehen soll: Wie haben sich der täuferischen Tradition verpflichtete Freikirchen und »Staatsgewalt« im 20. Jahrhundert zueinander positioniert, wie haben sie agiert und reagiert? Welche Sicht von staatsbürgerlicher Loyalität war innerhalb der Freikirchen vorherrschend, welche Vorstellungen von gesellschaftlicher Partizipation und Gestaltungsmöglichkeiten wurden ausgebildet? Und hinsichtlich der staatlichen Religionspolitik: Welche Legitimitätsbehauptungen und Loyalitätsansprüche hat der Staat gegenüber den Freikirchen geltend gemacht und mit welchen Mitteln hat er dies getan? Um diese Fragen mit der notwendigen Tiefenschärfe in den Blick nehmen zu können, treffe ich hinsichtlich der auszuwählenden Freikirchen eine bewusste Auswahl und konzentriere mich speziell auf die Phasen der politischen Systemwechsel im 20. Jahrhundert und möchte dabei gezielt die damit möglicherweise einhergehenden Wechselspiele oder Aushandlungsprozesse zwischen Staat und Freikirche in den Blick nehmen. Was aber ist mit »täuferischer Tradition« gemeint?

Täuferische Tradition Auf dem Augsburger Reichstag im Jahr 1555 hatte von den verschiedenen reformatorischen Strömungen nur die lutherische Richtung Anerkennung gefunden. Die in Augsburg erzielte Einigung wurde im Westfälischen Frieden 1648 bestätigt, wobei ein drittes Bekenntnis, das calvinistische (also das evangelischreformierte) hinzukam. Damit war auch hier der »radikale« oder »linke Flügel der Reformation«, wie er in der Forschungsliteratur des 20. Jahrhundert genannt werden sollte, weiterhin aus dem Kreis der anerkannten Kirchen ausgeschlos8 Erich Geldbach: Freikirchen – Erbe, Gestalt und Wirkung, Göttingen (2. Auflage) 2005, S. 52. 9 Vgl. Andrea Strübind: Die unfreie Freikirche. Der Bund der Baptistengemeinden im »Dritten Reich«, Neukirchen-Vluyn 1991, S. 54–57.

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Einführung

sen.10 Alle Anhänger dieser Strömungen lehnten die Taufe von Säuglingen ab und traten für die Glaubenstaufe ein. Einige von ihnen, wie die »Schweizer Brüder«, stellten sich gegen jegliche Waffengewalt und manche, so die Hutterer, teilten ihr Eigentum. Mit solchen Auffassungen gerieten Täufer rasch in Konflikt mit der Obrigkeit. Bereits im Jahr 1529 hatte der Reichstag von Speyer ein Mandat gegen Anhänger der anabaptistischen Reform verhängt, seitdem konnten Täufer ohne Inquisition hingerichtet werden. Eine öffentliche Anerkennung von christlichen Minderheiten außerhalb der katholischen sowie den evangelischen (Landes-) Kirchen setzte spät ein. Auch das »Preußische Allgemeine Landrecht« (1794), mit dem die Glaubens- und Gewissensfreiheit proklamiert wurde, hielt sich an die drei großen Konfessionen; allerdings wurden Privatgottesdienste einiger Religionsgemeinschaften geduldet.11 Im Zuge der sogenannten Erweckungsbewegung kam es in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts vermehrt zu Gemeindegründungen außerhalb der Staatskirche, aus denen die heute als »klassisch« bezeichneten Freikirchen wie die Baptisten hervorgingen.12 Baptistengemeinden taufen Gläubige auf das Bekenntnis zu Jesus Christus, wobei sich der Name »Baptisten« vom Griechischen βαπτίζειν (baptizein) ableitet. Da der Gemeindeeintritt mit der Taufe einhergeht, ist jener an den individuellen Entschluss des Einzelnen geknüpft. Das kirchliche Leben wird durch die Spenden der Gläubigen finanziert. Kennzeichnend für die Entstehung des deutschen Baptismus ist, dass sich Impulse aus dem angelsächsischen Raum mit in Deutschland bereits vorhandenen, pietistischen Erneuerungsbestrebungen verbanden und besonderer Wert auf die individuelle Glaubenserfahrung gelegt wurde.13 10 Zu den Ursprüngen der bis heute wirkmächtigen Begriffe: George H. Williams: The Radical Reformation, Philadelphia 1962; Ronald Bainton: The Left Wing of the Reformation, in: The Journal of Religion 11 (1941), S. 124–134. Dazu: Alister E. McGrath, Der Weg der christlichen Theologie. Eine Einführung, München 1997, S. 73–89; Hans-Jürgen Goertz und James M. Stayer (Hg.): Radikalität und Dissent im 16. Jahrhundert. Radicalism and Dissent in the Sixteenth Century, Berlin 2002. Thomas Kaufmann: Die Täufer. Von der radikalen Reformation zu den Baptisten, München 2019, S. 14–17, sowie neuerdings insbesondere Astrid von Schlachta: Täufer. Von der Reformation ins 21. Jahrhundert, Tübingen 2020, S. 11, die zurecht deutlich macht, dass es sich auch bei dem historischen »Täufertum« um eine sehr heterogene Bewegung handelte. Meine Ausführungen im Folgenden leuchten die Täufergeschichte nicht systematisch aus, sondern führen lediglich einige Weichenstellungen vor Augen, um meinen eigenen Untersuchungsansatz zu plausibilisieren. 11 Harald Müller: Zur rechtlichen Lage von Freikirchen im 19. Jahrhundert, in: Freikirchenforschung 17 (2008), S. 155–178. Herbert Strahm: Dissentertum im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Freikirchen und religiöse Sondergemeinschaften im Beziehungs- und Spannungsfeld von Staat und protestantischen Landeskirchen, Stuttgart 2016. 12 Im Gegensatz zu den sog. »konfessionellen Freikirchen«, die in ihrem Selbstverständnis an den ›wahren Traditionen‹ der jeweiligen Großkirche festhalten (vgl. »Altreformierte«, »Altlutheraner« oder die »Selbstständige Evangelisch-Lutherische Kirche«). 13 Geldbach, Freikirchen, S. 37f. Vgl. Andrea Strübind: »Mission to Germany«. Die Entstehung des deutschen Baptismus in seiner Verflechtung mit der internationalen Erweckungsbewe-

Täuferische Tradition

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Alle im 19. Jahrhundert entstandenen Freikirchen sind kirchengeschichtlich und konfessionskundlich nicht mehr dem reformatorischen Täufertum zuzuordnen. Auch hatte die Tauffrage in dieser Phase nicht überall Priorität, war aber für die Identität mancher Gemeinden – wie den Baptisten – elementar. Baptistengemeinden unterschieden sich in dieser Frage eindeutig von den »Freien Evangelischen Gemeinden«, die es nicht ablehnten, eine Gemeindeaufnahme zu vollziehen, wenn ein(e) Gläubige(r) an seiner (ihrer) Kindertaufe festhielt.14 Die neuen Gemeinden wurden in dieser Zeit von der Mehrheitsgesellschaft leidlich toleriert, aber Gläubige sahen sich noch immer staatlichen Repressionen ausgesetzt, wurden polizeilich verhört und inhaftiert. Im Gefolge der (bekanntlich nicht in Kraft getretenen) Frankfurter Reichsverfassung von 1849, die eine vollständige Freiheit der Religionsausübung vorgesehen hatte, gestand ein Teil der Länder den Bürgern jedoch verfassungsmäßig »Vereinigungsfreiheit und Religionsausübungsfreiheit« zu.15 Freikirchen gelang es nun, wie zum Beispiel in Preußen, »durch verliehene Korporationsrechte Rechtsfähigkeit zu erlangen«.16 Die öffentlich-rechtliche Anerkennung und die in der Paulskirche beschlossene Abschaffung des Staatskirchentums wurden hingegen erst 1919 mit der Weimarer Reichsverfassung verwirklicht (vgl. Art. 137 WRV); mit der Revolution von 1918 zerbrach das landesherrliche Kirchenregiment (Summepiskopat), auch wenn die explizit religiös neutral verfasste Weimarer Republik Kirchen als »Körperschaften des öffentlichen Rechts« anerkannte. In dieser Studie nehme ich nun drei Glaubensgemeinschaften in den Blick, die sich auf unterschiedliche Weise dem Täufertum verpflichtet fühlen: die Mennoniten als eine der ältesten protestantischen Glaubensfamilien, die Baptisten als eine im deutschen Sprachraum im 19. Jahrhundert Fuß fassende »klassische« Freikirche sowie den von Eberhard und Emmy Arnold erst in den 1920er-Jahren des 20. Jahrhundert gegründeten Bruderhof. Anhand dieser drei heterogenen Glaubensgemeinschaften frage ich nach der Wirkungsmacht einer spezifischen Tradition, nämlich der täuferischen, im 20. Jahrhundert – und zwar unter der Prämisse, dass sich die Glaubensgemeinschaft selbst in diese Tradition einlasen. Historisch und konfessionskundlich sind alleine die Mennoniten noch den »Täufern« zuzurechnen, wobei sich ihre kulturellen Prägungen und dogmatischen Positionen im Lauf der Geschichte erheblich gewandelt haben. Mennoniten zählten um die Jahrhundertwende (1900) etwa 18.000 Mitglieder in

gung in den Schwesterkirchen in den USA und in England, in: Dies. und Martin Rothkegel (Hg.): Baptismus. Geschichte und Gegenwart, Göttingen 2012, S. 163–200. 14 Vgl. Geldbach, Freikirchen, S. 225. 15 Müller, Lage, S. 177. 16 Ebd.

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Einführung

Deutschland.17 Hingegen sind die ersten deutschen Baptistengemeinden Früchte der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts. Selbst im Blick auf den englischen Baptismus, der sich bereits seit Anfang des 17. Jahrhunderts auszubreiten begann, gilt eine monogenetische Rückführung auf das Täufertum der Reformationszeit inzwischen als überholt. John H. Y. Briggs sieht, die Debatte der letzten Jahrzehnte überblickend, keine »direkte Kontinutität zwischen den kontinentaleuropäischen Täuferbewegungen des 16. Jahrhunderts und den frühen Baptisten«.18 Baptistengemeinden waren missionarisch aktiv und wuchsen schnell: Zwischen 1890 und 1910 stieg ihre Mitgliederzahl in Deutschland von etwa 29.000 auf nahezu 54.000 und erreichte 1925 einen Stand von fast 70.000.19 Während der nationalsozialistischen Diktatur vereinigte sich der Bund der Baptistengemeinden mit einem Verbund von »Brüdergemeinden« zum »Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland« – der heute die größte protestantische Freikirche in Deutschland bildet. Bezeichnenderweise war Baptisten im 20. Jahrhundert der Bezug auf die historischen Täufer wichtig (und ist es noch heute), obwohl die Entstehungsgeschichte im 19. Jahrhundert um die Gründerfigur Johann Gerhard Oncken (1800 bis 1884) reflektiert und aktiv erinnert wurde. Diesen ideellen, selbstverortenden Bezug der Baptisten auf die historischen Täufer möchte ich anhand einiger Textbeispiele exemplarisch illustrieren. 1930 berichtete Walter Hoffmann im baptistischen Organ Der Wahrheitszeuge von einer freikirchlichen Kundgebung mit den Worten: »Was Luther nicht getan hat, haben andere getan, so entstanden zunächst die freikirchlichen Gemeinden der Taufgesinnten, die man Mennoniten nennt. Aus ihnen sind indirekt die Baptisten hervorgegangen.«20 Im Juni 1933 zielte Paul Schmidt in einem Vortrag auf einer Konferenz der Baptistengemeinden in Brandenburg in die gleiche

17 Cornelius H. Wedel: Abriss der Mennoniten. Viertes Bändchen: Die Geschichte der Täufer und Mennoniten in der Schweiz, in Mähren, in Süddeutschland, am Niederrhein und in Nordamerika, Newton, Kansas 1904. Heute werden etwa 40.000 Menschen in Deutschland zum Mennonitentum gezählt; davon ist allerdings nur ein kleiner Teil über die jeweilige Ortsgemeinde in der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland K.d.ö.R. vertreten (55 Gemeinden mit 5.350 Mitgliedern). Informationen von Seiten der Vereinigung evangelischer Freikirchen (VeF). URL: http://www.vef.de/index.php?id=51; und der Mennoniten. URL: http://www.mennoniten.de/deutschland.html (Aufruf: 28. 08. 2020). 18 John H. Y. Briggs: Die Ursprünge des Baptismus im separatistischen Puritanismus Englands, in: Strübind/Rothkegel, Baptismus, S. 3–22, hier S. 4, vgl. S. 9 mit weiteren Nachweisen zur Forschungsdebatte. 19 Lucian Hölscher: Weltgericht oder Revolution. Protestantische und sozialistische Zukunftsvorstellungen im Kaiserreich, Stuttgart 1989, S. 107. 20 Walter Hoffmann: Freikirchliche Kundgebung in Berlin, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 51 (1929) 21 (26. Mai), S. 167–168.

Täuferische Tradition

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Richtung.21 Und sogar noch einen Schritt weiter ging Hubert Morét auf der baptistischen Bundeskonferenz im Jahr 1933, als er den Täufer Balthasar Hubmaier (1485 bis 1528) indirekt für den Baptismus reklamierte: »›Die Wahrheit ist unsterblich[22]‹, dieses herrliche Wort des großen deutschen Baptisten und Märtyrers Hubmeier [sic] prägte er [Dr. James Henry Rushbrooke, Weltbundsekretär im Grußwort, d. Verf.] uns besonders tief an der Wende des ersten baptistischen Jahrhunderts ins Herz und ins Gewissen.«23 Diese Selbstverortung setzte sich nach 1945 fort: Die »heutigen Baptistengemeiden« bildeten »den lebenskräftigsten Zweig aus dem alten Baum des Täufertums« erklärte Dr. Hermann Gieselbusch in einer Radioansprache.24 Pastor Hans Rockel beklagte auf der Konferenz der Europäischen Baptisten in Kopenhagen 1947 im Blick auf das »Dritte Reich« selbstkritisch, dass das nonkonformistische Erbe »unserer alten Täufergemeinden« gering geachtet worden sei.25 Und die Traditionsbildung von Hubmaier zu Oncken war auch unter Baptisten der jungen DDR virulent, wie ein kirchengeschichtlicher Beitrag aus dem Jahr 1953 belegt: »300 Jahre nach der Reformation zeigen sich die Vorboten einer neuen Epoche. […] Und fast um die gleiche Zeit stehen die Toten wieder auf: Die ermordeten und verleumdeten Täuferzeugen der Reformationszeit betreten wieder deutschen Boden. ›Die 21 »Am Abend führte uns Br. Paul Schmidt=Kassel 400 Jahre zurück zu den Anfängen der Täuferbewegung und zeigte uns unsere Aufgabe in der Gegenwart. Sein Vortrag gipfelte in der Frage: Gemeinde gläubig getaufter Christen was willst du tun? Ich will hingehen und Christus verkündigen und mein Leben geben zu Dienst.«; R. Hamp: Die Konferenz=Verhandlungen [Brandenburgische Vereinigungskonferenz in Frankfurt/Oder], in: Die Gemeinde. Organ der Baptisten-Gemeinden von Berlin und Prov. Brandenburg 9 (1933) 7 (August), S. 3–4, hier S. 3. 22 Eigentlich: »Die Wahrheit ist untödtlich«. 23 Hubert Morét: So erlebte ich die Bundeskonferenz, in: Die Gemeinde. Organ der BaptistenGemeinden von Berlin und Prov. Brandenburg 9 (1933) 9 (September), S. 6–7, hier S. 6. Carl Schneider brachte den Baptismus auf der gleichen Delegiertenversammlung nicht nur mit dem historische Täufertum, sondern offenkundig zugleich auch mit dem Urchristentum in Verbindung: »Der Baptismus ist eine Teilerscheinung der Taufgesinntenbewegung, die älter ist als die Reformationskirchen und sich neben diesen bis heute nicht nur erhalten, sondern als reformatorischer Kirchentyp geklärt und bewährt hat.«; Carl Schneider: Unsere Sendung im Dritten Reiche. Predigt über 1. Tim. 2,17, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 297–299, hier S. 298. 24 Hermann Gieselbusch: Modernes Täufertum (Radioansprache in der Sendereihe ›Aus der Welt des Glaubens‹), in: Die Gemeinde 4 (1949) Nr. 19 (1. Oktober 1949), S. 292–294, hier S. 292; vgl. auch Hans Fehr: Bilder aus den Täufergemeinden des Mittelalters [letzte Folge einer Serie], in: Die Gemeinde 6 (1951) Nr. 5 (25. Februar), S. 69–70, hier S. 70: »Das Täufertum alter und neuer Zeit hat das Ernstmachen mit der Gemeinde der Glaubenden, die ›ihm‹ nachfolgen, das neutestamentliche Vorbild wachgehalten und unermüdlich bezeugt.« 25 Hans Rockel: Jugend im Zeichen des neuen Anfangs. Rede, gehalten am 30. 07. 1947 in der Sonderkonferenz der Jugendmitarbeiter, Kongress der Baptist World Alliance in Kopenhagen, in: Heinz Szobries: Schuldbekenntnisse aus dem Bund Ev.-Freikirchlicher Gemeinden und anderer Kirchen in Deutschland nach 1945. Zeugnisse von Schwachheit und Kraft beim Einstehen für die eigenen Vergangenheit, Norderstedt 2013, S. 54–56, hier S. 55.

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Einführung

göttliche Wahrheit ist untödlich und wird am dritten Tage wieder auferstehen‹ hatte Hubmeier gesagt. Diese göttliche Wahrheit wurde dreihundert Jahre nach seinem Tode wieder zum Leben erweckt. Die ersten sieben Täufer in Deutschland entsteigen 1834 dem Wasser der Elbe. J. G. Oncken gründet am 22. 4. 1834 wieder eine Täufergemeinde in Deutschland.«26 Diese Beispiele zeigen, wie sich Baptisten quer durch die Zeitläufte des 20. Jahrhunderts hinweg in die Geschichte der historischen Täufer einlasen. Analytisch lässt sich dieses Phänomen mit Eric Hobsbawm als »Erfindung« einer Tradition beschreiben.27 Hobsbawm fasst unter ›erfundenen Traditionen‹ neben tatsächlich ausgedachten auch konstruierte oder offiziell eingerichtete (»formally instituted«). Wie haben Zeitgenossen Vergangenheit eingesetzt und benutzt, um die Gegenwart zu gestalten? Handelt es sich um einen intentionalen Auswahlprozess oder um nicht-bewusste, nicht-intendierte Konstruktionen? In meiner Untersuchung beziehe ich mich konzeptionell in erster Linie deshalb auf Hobsbawm, weil ich dadurch das Forschungsfeld der »täuferischen Tradition« zu konturieren vermag: wichtig sind mir die Baptisten, weil sie sich selbst als legitime Nachfolger der historischen Täufer betrachtet haben. Wie aber verhielt es sich mit deren nonkonformistischem Erbe? Orientierten sich Baptisten bei dieser Traditionsfindung vor allem an der theologischen Erkenntnis, dass alleine die Glaubenstaufe biblisch zu begründen sei? Der Ansatz von der »Erfindung einer Tradition« ist aber auch im Blick auf die Einordnung der dritten hier ausgewählten Glaubensgemeinschaft hilfreich: die von Eberhard Arnold gegründete christliche Landkommune. Dr. Eberhard Arnold (1883 bis 1935) entstammte einem bürgerlichen Elternhaus. Sein Vater war zunächst Gymnasiallehrer in Königsberg gewesen, dann Professor für Theologie (Kirchengeschichte) an der Universität in Breslau. Im Alter von 16 Jahren fand Eberhard Arnold zum Glauben an Jesus Christus. Nach dem Abitur nahm er ein Theologiestudium in Breslau auf, das er ab 1905 an der Universität in Halle fortsetzte.28 Er engagierte sich in dieser Zeit besonders stark in der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (D.C.S.V), deren Vorsitzender er zeitweise

26 [O. V.] Krüger: Zur Geschichte der Täufer, in: Wort und Werk 7 (1953) Nr. 11 [November], S. 113–114, Zitat S. 114. 27 Eric Hobsbawm: Introduction: Inventing Traditions, in: Ders. und Terence Ranger: The Invention of Tradition, Cambridge 1992, S. 1–14. 28 Anmelde-Buch der königl. Vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg Nr. 1132, 13. 11. 1905, in: Universitätsarchiv Halle, Rep. 39 Nr. 284; vgl. in diesem Archiv auch das Amtliche Verzeichnis des Personals und der Studierenden der Königlichen vereinigten Friedrichs-Universität Halle-Wittenberg. Für das Winterhalbjahr von Michaelis 1906 bis Ostern 1907, Nr. 170, Halle 1906, S. 20: Arnold, Eberhard; immatrikuliert für Michaelis 1905. Semesterzahl 4.

Täuferische Tradition

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war.29 1907/08 brach er mit der Landeskirche, indem er seine Taufe im Säuglingsalter verwarf und sich für die Glaubenstaufe entschied. Weil sein Theologiestudium nun perspektivlos war (er wurde wegen seiner bekannt gewordenen, fest vorgesehenen Taufe nicht zum theologischen Examen zugelassen30), entschied sich Arnold für eine Dissertation im Fach Philosophie. 1909 wurde er an der philosophischen Fakultät der Universität in Erlangen mit einer Arbeit über Friedrich Nietzsche promoviert. Danach wirkte Arnold freischaffend als Redner und Schriftsteller, ehe er 1915 vom D.S.C.V. als »literarischer Leiter« des FurcheVerlages hauptamtlich angestellt wurde. Wenn Arnold nach dem Ende des Ersten Weltkrieges öffentlich sprach, fand er viele Zuhörer. Es konnte vorkommen, dass er, wie er in einem Brief (vermutlich um 1920) formulierte, »im Grunewald [in Berlin] vor ca. 10.000–12.000 Menschen« evangelisierte.31 In dieser Phase änderten sich Arnolds Glaubensüberzeugungen signifikant. Die Ausrichtung an der Bergpredigt führte ihn nicht nur zu einer radikal pazifistischen Einstellung, sondern forderte auch seine Haltung zu Eigentum, Geld und dem kapitalistischen Wirtschaftssystem heraus. 1920 gab er seinen Posten als Verlagsleiter im D.C.S.V. auf, um zu einem kleinen, pazifistischen Verlag in Hessen (NeuwerkVerlag) zu wechseln. Dieser Schritt veranlasste ihn auch dazu, sich mit seiner Frau Emmy auf den Weg von Berlin nach Sannerz bei Schlüchtern (Nähe Fulda) zu machen, um eine christlich-kommunitische Lebensgemeinschaft zu begründen. In den Jahren 1926 bis 1930 wuchs die Gemeinschaft von »30 auf 70 Köpfe«.32 Auf der Suche nach reformatorisch-täuferischen Wurzeln orientierte sich Arnold in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre an den historischen Hutterern, jener im 16. Jahrhundert entstandenen, pazifistischen und Güterteilung praktizierenden Glaubensgemeinschaft, die im 19. Jahrhundert von Europa in die Vereinigten Staaten ausgewandert war. In dieser Phase begann sich die Gemeinschaft »Bruderhof« zu nennen und schloss sich 1930/31 offiziell den amerikanischen Hutterern an. Damit wurden auch deren tradierte Normen für seine Lebensgemeinschaft verbindlich, was sich im Tragen einer bestimmten Tracht zeigte. Eberhard Arnold betrachte sich und seine Gemeinschaft nun als Hutterer und damit als Angehörige einer jahrhundertalten Tradition. In dieser Weise 29 Universitätsarchiv Halle, Rep. 4 Nr. 1743 und 1744 zu D.C.S.V. Rektoratsakten, Mitgliederverzeichnisse; ab 1906 erscheint Arnold als Vorsitzender. 30 Markus Baum: Eberhard Arnold. Ein Leben im Geist der Bergpredigt, Schwarzenfeld 2013, S. 54. Die schriftliche Examensarbeit hatte Arnold bereits abgeschlossen und »bei der theologischen Fakultät der Universität Breslau eingereicht«, ehe die »schlesische evangelische Landeskirche« die Zulassung verweigerte. (Ebd., S. 53 u 54.) 31 Eberhard Arnold an Paul F. W. Wetzel, o. D. [1920] [Transkripton], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA Coll. 0288_02. 32 Baum, Arnold, S. 172.

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argumentierte er auch gegenüber den NS-Behörden. Auf dieses Einlesen in die hutterische Tradition werde ich im Analyseteil noch näher eingehen. Nach erheblichen Konflikten mit dem NS-Staat wurde die Gemeinschaft 1937 von der Gestapo aufgelöst und aus Deutschland vertrieben. Sie emigrierte zunächst nach Liechtenstein und England, dann nach Paraguay.

Ansatz und Fragestellung Wenn für die Entstehung und Herausbildung von protestantischen Freikirchen und von täuferischen Gemeinschaften insbesondere die Abgrenzung und der Konflikt mit der Mehrheitsgesellschaft allgemein konstitutiv und spezifisch waren, so haben sich mit dem Ende des Staatskirchentums und den Grundtendenzen der Säkularisierung und Pluralisierung die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen im 20. Jahrhundert substanziell gewandelt: Das Verhältnis der Gemeinden zum politischen Gemeinwesen wurde in zweifacher Weise neu herausgefordert. Zum einen boten die demokratischen Gesellschaftsformen (der Weimarer Republik und der Bundesrepublik) die Möglichkeit, die gesellschaftlichen Verhältnisse durch individuelles und institutionelles Handeln in ungleich stärkerem Maß als bisher selbst mitzugestalten. Zum anderen wurden in den beiden Diktaturen (NS- und SED-Diktatur) mit der allgemeinen Zurückdrängung des Christentums gerade auch die Glaubenspraxis und Privilegien von Freikirchen beschnitten.33 Im Mittelpunkt meiner Untersuchung steht die Ausgangshypothese, dass die politischen Systemwechsel im 20. Jahrhundert jeweils besondere Herausforderungen zur Bestimmung und Justierung des Verhältnisses von Freikirchen und Staatsgewalt generiert haben, Herausforderungen sowohl für die Freikirchen als auch für die staatlichen und im engeren Sinne politischen Akteure. Welche Haltung hatten Glaubensgemeinschaften, die sich der täuferischen Tradition verpflichtet sahen, in diesen Phasen gegenüber dem Staat eingenommen, wie hat sich die staatliche Religionspolitik gestaltet und welche Interaktionsformen lassen sich beschreiben? Unter »Staatsgewalt« verstehe ich mit Georg Jellinek allgemein die staatliche Herrschaftsgewalt, verkörpert von Regierung einschließlich Verwaltung und

33 Vgl. Diether Götz Lichdi: Mennoniten im Dritten Reich. Dokumentation und Deutung mit Beiträgen von Theo Glück und Horst Gerlach. Vorwort von Horst Quiring, Heilbronn 1977; Johannes Hartlapp: Siebenten-Tags-Adventisten im Nationalsozialismus unter Berücksichtigung der geschichtlichen und theologischen Entwicklung in Deutschland von 1875 bis 1950, Göttingen 2008.

Ansatz und Fragestellung

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Polizei, dem Parlament als Gesetzgeber sowie den Gerichten34; es erscheint sinnvoll, den Blick nicht von vornherein auf bestimmte Elemente der genannte Bereiche zu fixieren. Es soll vielmehr Teil der Untersuchung selbst sein, zu bestimmen, was von den freikirchlichen Akteuren zu welchen Zeiten als Staatsgewalt identifiziert wurde. Das ist insofern wichtig, als davon womöglich auch das jeweilige Verständnis von Loyalitätspflicht abhängig gemacht wurde. So könnten die Zeitgenossen jeweils verschiedene Begriffe dafür verwendet und unterschiedliche Vorstellungen davon gehabt haben, was hier unter der weiten Bezeichnung »Staatsgewalt« gefasst wird. Wurde als Staat nur die personelle Spitze auf höchster Regierungsebene verstanden? Wurden auch die unterschiedlichen Ebenen der Verwaltung (von der Ministerialbürokratie bis zum kommunalen Amtsträger) und der Gerichtsbarkeit einbezogen? Oder verstanden die Akteure darunter nicht (oder nicht nur) Personen, sondern eher strukturelle Zusammenhänge; wurden mit der Staatsgewalt gar weltanschauliche Konstrukte wie Volk/Volksgemeinschaft, Nationalsozialismus oder der real existierende Sozialismus identifiziert? Und wie verhielt es sich schließlich mit demokratischen Regierungsformen, in deren Rahmen Bürger und Bürgerinnen das Staatswesen mitgestalten, ihre »Obrigkeit« selbst wählen können? Ein weiteres Wort der Klärung bedarf mein Rekurs auf die Bezeichnung »Glaubensgemeinschaft«. Der Begriff ist aus meiner Sicht hilfreich, weil er, erstens, eine größere Bandbreite der Angehörigen einer Denomination umfasst (er setzt sich beispielweise über die Binnenabgrenzungen der Mennoniten hinweg, wo es mehrere Zusammenschlüsse und »Konferenzen« gibt). Zweitens ist er nicht auf den Bereich des rein Religiös-Dogmatischen einer Denomination festgelegt, sondern inkludiert auch das kulturelle Erscheinungsbild und den Habitus der Gläubigen; in diesem Zusammenhang verwende ich den Begriff in bewusster Anlehnung an die angloamerikanischen Konzepte von Community und Community Building.35 Von Vorteil dabei ist, dass die Bezeichnung »Glaubensgemeinschaft« nicht als Quellenbegriff in besonderer Weise vorgeprägt ist (sie hat den nötigen Abstand zu den Nomen »Gemeinschaftschristen«, »Gemeinschaftsbewegung« oder »Evangelische Gemeinschaft«, die auf andere, spezifische Denominationen verweisen). Der Terminus »Glaubensgemeinschaft« birgt aber die Gefahr, in abwertender Abgrenzung zum Begriff »Freikirche« verstanden werden zu können: »Freikirchen« als von den Landeskirchen und dem Staat 34 Vgl. Georg Jellinek: Allgemeine Staatslehre. Fünfter, um ein durchgesehenes Verzeichnis der Neuerscheinungen vermehrter, im Manualverfahren hergestellter Neudruck der Ausgabe von 1914, Berlin 1929, S. 427–434. 35 Konkret beziehe ich mich auf den Nutzen dieser Begriffe in der African-American History; vgl. dazu den Überblick von Christine Knauer: Afroamerikanische Geschichte/African American History, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 26. 06. 2015. URL: https:// www.docupedia.de/zg/Afroamerikanische_Geschichte (Aufruf: 28. 08. 2020).

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anerkannten Religionsgemeinschaften im Gegensatz zu weniger formellen »Glaubensgemeinschaften«. In diesem Sinne verwende ich den Begriff ausdrücklich nicht. Im Blick auf den späteren Bruderhof werde ich hingegen häufiger von einer »Lebensgemeinschaft« sprechen; das gemeinsame Leben (ohne persönlichen Eigentum) prägte das Selbstverständnis und Erscheinungsbild dieser Gruppe wesentlich. Eberhard Arnold selbst war theologisch, theologiegeschichtlich und kulturell ganz unterschiedlich geprägt, ehe die Gemeinschaft unter seiner Leitung mit der Ausrichtung an der Bergpredigt und der Verbindung, ja kompromisslosen Verschmelzung mit den täuferischen Hutterern eine klare Kontur erhielt. Die Analyse dieser Gemeinschaft nimmt in meiner Studie vor allem die Funktion eines Kontrastbeispiels ein, mit Hilfe dessen die Geschichte der Mennoniten und Baptisten punktuell besser eingeordnet werden kann. Für einen durchgängig systematischen Vergleich hingegen fehlten wichtige Ausgangspunkte: so verfügen wir zwar über Zeugnisse von Eberhard Arnold aus der Revolutionsphase 1918/19, die Gemeinschaft selbst war zu diesem Zeitpunkt aber noch nicht gegründet; ähnliches lässt sich für die Zeit nach 1945 sagen. Die Gemeinschaft überlebte die nationalsozialistische Herrschaft, übte aber einen Einfluss auf westdeutsche Behörden zunächst nur vom Ausland her aus und spielte in der Gründungsphase in der DDR keine Rolle. Anders als die Begriffe »Glaubens-« und »Lebensgemeinschaft«, denen ich eine analytische Bedeutung zumesse, benutze ich »Freikirche« und »freikirchlich« in dieser Untersuchung rein pragmatisch-deskriptiv; die Containerfunktion dieser Begriffe ist mir bewusst. Um es an dieser Stelle noch einmal deutlich zu machen: es geht mir nicht um eine Gesamtgeschichte von Freikirche und Staat. Deshalb untersuche ich in diesem Feld wichtige institutionelle Akteure wie die Vereinigung evangelischer Freikirchen oder die Deutsche Evangelische Allianz auch nicht systematisch in ihrem jeweils eigenen Profil, sondern beziehe sie lediglich punktuell in die Betrachtung ein. Wenn ich mich explizit auf ereignisgeschichtlich definierte Zeitschnitte politischer Systemwechsel konzentriere, möchte ich damit nicht zur überkommenen Vorstellung zurückkehren, dass mit politischen Zäsuren augenblicklich und zwangsläufig auch tiefgreifende Veränderungen in sozialen, kulturellen, mentalen oder anderen Bereichen erfolgt sein müssen.36 Martin Sabrow hat in seinen 36 Martin Sabrow hat die Argumentation von Michael Prinz und Matthias Frese aus dem Jahr 1996 in Erinnerung gerufen, wonach es »[f]ür die deutsche Zeitsozialgeschichtsschreibung« unabdingbar sei, »in Analyse und Darstellung insbesondere die politischen Epochengrenzen 1933 und 1945 bzw. 1949 zu überschreiten«. Michael Prinz und Matthias Frese: Sozialer Wandel und politische Zäsuren seit der Zwischenkriegszeit. Methodische Probleme und Ereignisse. Zitiert nach Martin Sabrow: Zäsuren in der Zeitgeschichte, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 03. 06. 2013. URL: http://docupedia.de/zg/Zaesuren, S. 6. (Aufruf: 28. 08. 2020).

Ansatz und Fragestellung

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Überlegungen zur historischen Zäsur argumentiert, dass solche Zeitmarker keine Tatsachen darstellten, sondern als Deutungsversuche von Historikerinnen und Historikern zu verstehen seien und deren Ordnungsbedürfnis widerspiegelten; Zäsuren seien »immer subjektiv, sektoral, perspektivengebunden«.37 Zugleich hat Sabrow aber auch die realitätsstiftende Macht von ereignisgeschichtlichen Einschnitten hervorgehoben. Dabei unterscheidet er zwischen orthodoxen und heterodoxen Zäsuren. Erstere bestätigen »die vorherrschende Weltsicht einer Gesellschaft und einer Zeit eher«, als dass sie diese »in Frage stellen«.38 »Heterodoxe Zäsuren dagegen erzwingen Neuinterpretationen, stellen Zeitgenossen vor Anpassungsprobleme, die den Gegensatz von biografischer Kontinuität und politischer oder sinnweltlicher Diskontinuität zu bewältigen verlangen. Damit sind sie selbst ein historischer Handlungsfaktor und geben dem Zäsurenbegriff nicht nur historiografische, sondern auch historische Bedeutung.«39 Ich folge der bisherigen Forschung und Martin Sabrow insoweit, als ich den Konstruktionscharakter von Zäsuren anerkenne, zugleich aber von einer Bedeutung der politischen Systemwechsel (von der Monarchie zur Republik, von der Republik zur Diktatur, von der Diktatur zur Demokratie, von der NS-Diktatur zur SED-Diktatur) im Sinne von Sabrows heterodoxen Zäsuren ausgehe. Zäsuren sind insofern heuristische Instrumente: Die zentralen ereignisgeschichtlichen Zäsuren der Neugründungen gesellschaftlich-politischer Systeme in Deutschland von 1919, 1933 und 1949 markieren den Kern staatlicher Systemwechsel, die sich bereits im Vorfeld abzeichnen und über Jahre hinziehen konnten.40 Zum anderen liegt der epistemologische Kern meiner Analyse aber gerade in der Frage, wie das freikirchliche Staatsverständnis auf die massiven staatlichen und gesellschaftspolitischen Umbrüche des 20. Jahrhundert in situ reagiert hat und welche Politik unterschiedlich legitimierte Staatsgewalten in ihren jeweiligen Etablierungsphasen gegenüber Freikirchen praktiziert haben. Eine solche Studie, die das Verhältnis zwischen Freikirchen und Staat(en) in Deutschland vor eben diesem Hintergrund in diachroner Perspektive in den

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Sabrow, Zäsuren. Ebd., S. 15. Ebd., S. 16. Dieser Aspekt wurde beispielsweise in dem zwischen 2001 bis 2012 an den Universitäten Halle und Jena angesiedelten Sonderforschungsbereich 580 (»Gesellschaftliche Entwicklungen nach dem Systemumbruch. Diskontinuität, Tradition und Strukturbildung«) im Blick auf das Ende der DDR und die deutsche Einheit untersucht (eingebunden in den Kontext des Systemwandels in den ehedem sozialistischen Staaten Osteuropas), wobei drei Phasen – Transition, Transformation und Posttransformation – unterschieden wurden; vgl. Everhard Holtmann: Transition, Transformation, Posttransformation – zur Heuristik des Systemwandels in longitudinaler Perspektive, in: Ders. und Helmut Wiesenthal (Hg.): Transition, Transformation, Posttransformation. SFB 580 Mitteilungen Nr. 31, Jena 2009, S. 21–37.

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Blick nimmt, fehlt bislang.41 Glücklicherweise kann ich aber an Befunde anknüpfen, die zu den ausgewählten Freikirchen zu bestimmten Zeitabschnitten bereits herausgearbeitet worden sind. Im folgenden Abschnitt möchte ich die Genese und Konturen dieser Forschungsfelder nachzeichnen, ohne dabei zwangsläufig all jene Beiträge anzuführen, auf die ich mich in dieser Studie beziehen werde.

Zum Forschungsgang Erste wichtige Befunde zu meinen Fragestellungen sind vor allem seit den 1970erJahren erzielt worden, als sich Angehörige von Freikirchen in Deutschland selbst schubweise mit ihrer NS-Vergangenheit intensiver und kritisch auseinanderzusetzen begannen. Dieser Aufarbeitungsprozess, der sich in den 1970er- und 1980er-Jahren erstmals verdichtete, hat in jüngerer Zeit durch einige bemerkenswerte Studien erneut an Wirkungskraft gewonnen. Die Auseinandersetzung zielte zunächst und vor allem nach innen, war rasch aber auch von Qualifikationsarbeiten getragen und wurde so Teil eines wissenschaftlichen Diskurses. Dabei musste zuerst konzediert werden, dass sich Freikirchen nicht in quasi natürlicher Opposition zum NS-Staat befunden, sondern sich ganz im Gegenteil zum Teil äußerst staatsloyal verhalten hatten. Mit seinem kritischen Aufsatz »Nationale Ergebung und religiöser Niedergang. Mißglückte Aneignung des täuferischen Leitbildes im Dritten Reich« hat Hans-Jürgen Goertz 1974 die Debatte eröffnet.42 Im Blick auf das offizielle Mennonitentum sprach der Täufer-Experte von einem »religiösen Niedergang« in Gestalt eines »Freiheitsverfalls«, den er »als Ergebnis eines jahrhundertealten gesellschaftlich-wirtschaftlichen Anpassungs- und Bewährungsprozesses« wertete.43 Aus den Privilegien, die Mennoniten zuvor erhalten hatten (zum Beispiel Gelöbnis statt Eid, Kriegsdienst im Train statt in der kämpfenden Truppe), sei in der NS-Diktatur Anpassung geworden, deren oberste Maxime ein konfessio41 Der sehr hilfreiche konfessionskundliche Leitfaden zu ausgewählten protestantischen Freikirchen von Geldbach kann und will solches nicht leisten, bietet jedoch eine hervorragende Hilfe zur Einordnung dieser Kirchen. Geldbach, Freikirchen. 42 Vgl. Hans-Jürgen Goertz: Nationale Erhebung und religiöser Niedergang. Mißglückte Aneignung des täuferischen Leitbildes im Dritten Reich, zuerst in: Mennonitische Geschichtsblätter 31 (1974), S. 61–90; dann in: Ders.: Umstrittenes Täufertum 1925–1975. Neue Forschungen, Göttingen 1975 (2. Auflage 1977) sowie in: Ders.: Das schwierige Erbe der Mennoniten. Aufsätze und Reden, Leipzig 2002, S. 121–150. 43 Ebd. S. 142; Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich. Vgl. außerdem seine Aufsätze: Römer 13 und das Staatverständnis der Mennoniten um 1933, in: Mennonitische Geschichtsblätter 37 (1980), S. 74–95 und: Zum Staatsverständnis der deutschen Mennoniten im 19. Jahrhundert, in: Mennonitische Geschichtsblätter 68 (2011), S. 37–58.

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neller Bestandsschutz gewesen sei. Dieses Erklärungsmuster arbeitet mit einem normativen Bezugspunkt, dem nonkonformistischen ›Urspungstäufertum‹. Im »Dritten Reich« sei das ›Ursprungstäufertum‹ nicht mehr wirksam gewesen, obwohl man sich theologisch explizit auf das Bekenntnis der »Väter« bezogen habe: Doch »[d]er konfessionelle Rückbezug diente dazu, letztlich mehr die bürgerliche als die religiöse Existenz zu sichern.«44 Ihm antwortete Diether Götz Lichdi mit dem Band »Mennoniten im Dritten Reich«. Nach einer innermennonitischen Debatte einigten sich Goertz und Lichdi auf den Begriff der »Identitätskrise«.45 Für unsere Überlegungen wichtig ist zudem Lichdis im Jahr 1980 publizierter Aufsatz »Römer 13 und das Staatsverständnis der Mennoniten um 1933«. Er führte dort die Entstehung eines spezifischen Verständnisses dieser Bibelstelle (Römer 13) zum Verhältnis von Christen und Obrigkeit während des 19. Jahrhunderts vor Augen, das dann die Ausbildung von Widerstand nach der »Machtergreifung« der Nationalsozialisten und den damit verbundenen Angriffen auf zentrale Glaubensgrundsätze (Eidverweigerung) im 20. Jahrhundert verhindert habe.46 Wenig später setzte sich Günter Balders in mehreren kürzeren Beiträgen kritisch mit der organisatorischen Anpassung des Baptistenbundes zur Zeit der nationalsozialistischen »Machtergreifung« auseinander.47 Die Frühphase der baptistischen Geschichte in der NS-Diktatur nahm 1980 auch Günther Kösling in seiner Marburger Dissertation in den Blick.48 Und Klaus Bloedhorn zeichnete in seiner im gleichen Jahr an der Ruhruniversität Bochum eingereichten Examensarbeit prägnant die strukturellen Änderungen im Baptistenbund und in den Brüdergemeinden nach.49 In einem aufschlussreichen und für unsere 44 Goertz, Erhebung, in: Ders., Erbe, S. 121–150, hier: S. 142. 45 Diether Götz Lichdi und Hans-Jürgen Goertz: Gemeinsame Erklärung zur Kontroverse um die Mennoniten im Dritten Reich, in: Mennonitische Blätter 12 (1978), S. 189. 46 Lichdi, Römer 13; ders., Staatverständnis [1980]; ders., Staatsverständnis [2011]. 47 Günter Balders: Heilige Gefolgschaft. Über das »Führerprinzip« im Bund der Baptistengemeinden am Anfang des Dritten Reiches, in: Theologisches Gespräch. Freikirchliche Beiträge zur Theologie 3 (1979) 3/4, S. 5–15; ders.: Eine »Theologie des Führerprinzips«? Deutsche Baptisten auf der Suche nach einem Weg im Dritten Reich, in: Theologisches Gespräch. Freikirchliche Beiträge zur Theologie 3 (1979) 1/2, S. 29–40; ders.: 15 Thesen zur Entstehung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, in: Theologisches Gespräch. Freikirchliche Beiträge zur Theologie 3 (1979) 5/6, S. S. 14–15. Vgl. zuvor schon Manfred Bärenfänger: Die Freikirchen von der Weimarer Republik zum Dritten Reich, in: Theologisches Gespräch. Freikirchliche Beiträge zur Theologie 2 (1978) 1/2, S. 1–5. 48 Günther Kösling: Die deutschen Baptisten 1933/1934. Ihr Denken und Handeln zu Beginn des Dritten Reiches, Diss. Marburg 1980. 49 Klaus Bloedhorn: Untertan der Obrigkeit? Baptisten- und Brüdergemeinden 1933–1950, Witten 1982 (3. Auflage 1986). Vgl. zur Brüderbewegung in dieser Zeit auch: Ulrich Bister: Die Brüderbewegung in Deutschland von ihren Anfängen bis zum Verbot des Jahres 1937, Diss. Marburg 1983. Friedhelm Menk: Die Brüderbewegung im Dritten Reich. Das Verbot der »Christlichen Versammlung« 1937, Bielefeld 1986.

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Überlegungen wichtigen kürzeren Abschnitt seiner Arbeit, die 1982 in erster und zweiter, 1986 in dritter Auflage als kleine monografische Schrift unter dem Titel »›Untertan der Obrigkeit?‹ Baptisten- und Brüdergemeinden 1933 bis 1950« publiziert wurde, wertete Klaus Bloedhorn das zentrale baptistische Periodikum, den Wahrheitszeugen, für das Jahr 1933 aus. Dabei zeigte er anhand längerer Zitate, dass der Nationalsozialismus nach der »Machtergreifung« häufig thematisiert und freudig begrüßt worden sei; seit August des Jahres 1933 hätten dann wieder gemeindespezifischere Themen überwogen. Ein Schwerpunkt seiner Untersuchung lag dann vor allem auf den strukturellen Entwicklungen und hier auf der sich selbst als »Christliche Versammlungen« bezeichnenden Gemeinschaft der Brüdergemeinden. Diese war 1937 verboten worden und sah sich, um den Glauben überhaupt weiter praktizieren zu können, gezwungen, erstmals in ihrer Geschichte eine feste organisatorische Struktur anzunehmen, ehe sie sich später mit dem Bund der Baptistengemeinden vereinigten. Somit war um 1980 innerhalb des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden eine erste, breitere und selbstkritische Diskussion der eigenen NSVergangenheit im Gange, wobei sie, wie zuvor auf mennonitischer Seite, zunächst hauptsächlich nach innen zielte.50 Unbeschadet der bis dahin vorgelegten Studien konstatierte Günter Balders in der Festschrift zum 150-jährigen Jubiläum der Baptistengemeinden in Deutschland im Jahr 1984 nicht zu Unrecht: »Vierzig Jahre nach dem Ende des Dritten Reiches ist die Geschichte der Baptistengemeinden ›unter dem Hakenkreuz‹ immer noch ungeschrieben.«51 Er selbst legte in dieser Festschrift aber einen verdienstvollen, längeren Abriss zum Baptismus in Deutschland vor, in dem er auch die Geschichte in der NS-Diktatur analytisch einband.52 Der Befund einer Verdichtung der Debatte um das Jahr 1980 ist nicht auf Westdeutschland beschränkt: Auch in der DDR setzte ein vergleichbarer Prozess ein, wie die an der Ausbildungsstätte des »Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR« eingereichte Abschlussarbeit von Reinhard Assmann53 und die vergleichend angelegte Studie des Methodisten Karl Zehrer belegen. 50 Ähnliches kann für die Adventisten gelten. Johannes Hartlapp hat bereits 1979 in einem Manuskript »Die Lage der Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in der Zeit des Nationalsozialismus« thematisiert, dann in den 1980er-Jahren in internen Zeitschriften hierzu berichtet, bevor er 2008 seine umfangreiche Dissertation zum Thema publizierte: Hartlapp, Siebenten-Tags-Adventisten. 51 Günter Balders: Kurze Geschichte der deutschen Baptisten, in: Ders. (Hg.): Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe. 150 Jahre Baptistengemeinden in Deutschland. Festschrift, Wuppertal und Kassel (3. Auflage) 1989), S. 17–168, hier: S. 86f. 52 Ebd., S. 17–168. 53 Reinhard Assmann: »Schicket euch in die Zeit!« Der Bund der Baptistengemeinden am Anfang des Dritten Reiches. Abschlussarbeit am Seminar Buckow 1981, unveröffentlicht, im Oncken-Archiv Elstal (bei Berlin) einsehbar.

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Dessen Arbeit Evangelische Freikirchen und das Dritte Reich erschien 1986 sowohl in Ost-Berlin als auch als Lizenzausgabe in Göttingen.54 Die bis heute für den Bereich des Baptismus einflussreichste Monografie hat Andrea Strübind Anfang der 1990er-Jahre vorgelegt.55 In dieser maßgeblichen Studie zum Baptistenbund in der NS-Diktatur zeigte Strübind, dass der Erhalt des freikirchlichen Gemeindebundes auch ein wesentliches Ziel der Baptisten im »Dritten Reich« gewesen war und diese ihre Loyalitätspflicht gegenüber dem Staat an die Möglichkeit zur Aufrechterhaltung der missionarischen Tätigkeit banden.56 Anders als es die eingangs zitierte Denkschrift von Paul Schmidt aus dem Jahr 1930 vermuten lässt, war die sozialethische Perspektive innerhalb des deutschen Baptismus offenbar nicht besonders stark ausgeprägt. Denn in ihrer Studie zur Geschichte der Baptisten im »Dritten Reich« kam Strübind zu dem Urteil, dass sich die Baptistengemeinden gegenüber dem »völkische[n] Gedankengut« zwar tatsächlich »als weitgehend resistent« erwiesen hätten; allerdings sei die »›offizielle Linie‹« des Bundes gegenüber dem NS-Staat der »Weg der Anpassung« gewesen.57 Ungefähr zur gleichen Zeit erschien Herbert Strahms Dissertation zur Bischöflichen Methodistenkirche im Nationalsozialismus zu einer Denomination, die zwar außerhalb unseres Blickfeldes liegt, aber auch für unseren Zusammenhang wichtige Erkenntnisse generiert hat, so zu den Interaktionen zwischen Freikirchen und dem kirchlichen/staatlichen Umfeld.58 Fasst man die Befunde und Deutungen der Autorinnen und Autoren dieser ersten Forschungsphase zusammen wird deutlich, dass für das freikirchliche Verhalten der Rekurs auf theologische Ursachen eine wichtige Rolle spielte. Zwei zentrale Interpretamente seien kurz skizziert: Die Theologen Günther Kösling und Andrea Strübind sehen im »Biblizismus« der Baptisten, in ihrer dogmatischen Auslegung des Römerbriefes (Kapitel 13), wo die Unterordnung der Christen unter die Obrigkeit thematisiert wird, einen verursachenden Faktor für deren staatsloyale Haltung gegenüber dem NS-Staat.59 Uwe A. Gieske entgegnete 54 Karl Zehrer: Evangelische Freikirchen und das »Dritte Reich«, Berlin (Ost) 1986 und Göttingen 1986. 55 Strübind, unfreie Freikirche. Die Arbeit von Ulrich Marks (Deutsche Baptisten zwischen Kreuz und Hakenkreuz) ist 1989 nur im Privatdruck veröffentlicht worden. 56 Vgl. Strübind, unfreie Freikirche, S. 313. So auch Franz Graf-Stuhlhofer: Öffentliche Kritik am Nationalsozialismus im Großdeutschen Reich: Leben und Weltanschauung des Wiener Baptistenpastors Arnold Köster (1896–1960), Neukirchen-Vluyn 2001, S. 86. 57 Strübind, unfreie Freikirche, S. 313f. (Hervorhebung im Original). 58 Vgl. Herbert Strahm: Die Bischöfliche Methodistenkirche im Dritten Reich, Stuttgart 1989; ders.: Freikirchliches Denken und Handeln angesichts der Deutschen Christen in den Jahren 1933/34. Dargestellt am Beispiel der Bischöflichen Methodistenkirche in Deutschland, in: Kirchliche Zeitgeschichte 6 (1993), S. 312–330; ders.: Zum Verhältnis der deutschen Methodis ten zu Staat und Gesellschaft in den Weimarer Jahren, in: Gewissen und Freiheit 38 (1992), S. 25–30. 59 Vgl. Kösling, Baptisten, S. 33, 35 u. 44. Strübind, unfreie Freikirche, S. 41.

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hingegen später, dass Biblizismus nicht erkläre, weshalb ausgerechnet der Bezug auf Römer 13 so ausgeprägt war; genauso hätte auch auf andere, das Verhältnis zum Staatlichen divergent akzentuierende Bibelstellen rekurriert (und eine Widerstandsethik entwickelt) werden können. Nähe und Begeisterung zum NSStaat könnten nicht mit einer spezifischen Theologie der Baptisten erklärt werden, da sich Christen dieser Freikirche darin nicht von anderen Bürgern unterschieden hätten. Ursache sei vielmehr ihre Bindung an Hitler gewesen, aus der sich für sie die Legitimation des NS-Staates ableitete.60 Ein zweites, wirkmächtiges Deutungselement, das von Günter Balders vorgetragen und von Andrea Strübind fortgeführt wurde, nimmt Bezug auf eine vermeintliche, pietistisch begründete Politikferne der Baptisten: Die Trennung von Staat und Kirche sei als Scheidung von Christsein und Politik verstanden worden; aus der Auffassung, dass Politik Privatsache sei, habe man beispielsweise die Zugehörigkeit zur NSDAP mit dem Glauben vereinbaren können.61 Dass eben dieses kein spezifisch baptistisches Phänomen sein muss, zeigt ein Befund Hedwig Richters, den sie in ihrer Studie Pietismus im Sozialismus hinsichtlich der Herrnhuter in der vorangegangenen NS-Diktatur formuliert hat: »Trotz aller Fackelmärsche und Dankgottesdienste war bei vielen Herrnhutern das pietistische Selbstverständnis erhalten geblieben, politisch neutral zu sein. Gerade weil die Anpassung im kulturellen Umfeld und weniger in der Lehre der Brüdergemeinde stattfand, konnten sich die Herrnhuter der Illusion hingeben, letztlich von der Politik unberührt zu bleiben.«62 Nach der eben skizzierten ersten Forschungsphase sind in den vergangenen zwei Jahrzehnten mehrere wichtige Studien zu verschiedenen Freikirchen im Nationalsozialismus vorgelegt worden63, darunter – für unseren Zusammenhang besonders relevant – die Monografie von Franz Graf-Stuhlhofer zum Wiener Baptistenpastor Arnold Köster64 oder die Dissertation von Andreas Liese zur Brüderbewegung (die sich in weiten Teilen, wie oben erwähnt, 1941/42 mit dem

60 Uwe A. Gieske: Die unheilige Trias: Nation, Staat, Militär. Baptisten und andere Christen im Hitlerismus, Berlin 1999, S. 111–128. 61 Vgl. Balders, Kurze Geschichte, S. 125. Strübind, unfreie Freikirche, S. 317. 62 Hedwig Richter: Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR. Göttingen 2009, S. 52. Vgl. auch die Argumentation von Rebecca Carter-Chand, die Zuschreibung des Unpolitischen sei selbst eine Form von Politik und eine Verteidigungsstrategie gewesen. Rebecca Carter-Chand: The Politics of Being Apolitical: The Salvation Army and the Nazi Revolution, in: Word & Deed. A Journal of Salvation Army Theology & Ministry 18 (2016) 2, S. 3–30. 63 Vgl. Hartlapp, Sieben-Tags-Adventisten. Sven Brenner: Pfingstler in der Zeit des Nationalsozialismus. Ein Forschungsbericht, in: Freikirchenforschung 21 (2012), S. 274–286; vgl. auch Paul Schmidtgall: Die Pfingstbewegung im NS-Staat, in: Philipp Thull (Hg.): Christen im Dritten Reich, Darmstadt 2014, S. 85–94. 64 Graf-Stuhlhofer, Öffentliche Kritik.

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Baptistenbund verband).65 Beide Studien basieren auf einem profunden Quellenkorpus; Graf-Stuhlhofer wertete überlieferte Predigten von Köster aus, Liese hat Quellen aus zahlreichen Archiven zusammengetragen, um die unterschiedlichen Perspektiven der staatlichen Religionspolitik zu rekonstruieren.66 Auch die Auseinandersetzung mit der mennonitischen Gemeinschaft in der NS-Diktatur erlebte jüngst einen besonders spürbaren Auftrieb. So legte im Jahr 2008 zunächst James Irvin Lichti eine wichtige vergleichende Studie zu Mennoniten, Siebententags-Adventisten und Quäkern vor, wobei er sich für diese Gemeinschaften aufgrund ihrer Ekklesiologie und ihres pazifistischen Erbes besonders interessierte.67 Für den weiteren Gang der Forschung sind seine Überlegungen deshalb überaus bedenkenswert, weil sie eine wichtige Schnittstelle zwischen mennonitischer Anschauung und nationalsozialistischer Ideologie freilegten: Der amerikanische Historiker argumentiert, dass Mennoniten – im Gegensatz zu anderen Freikirchen – als »urdeutsch« wahrgenommen worden seien und sich diese Zuschreibung zu eigen gemacht haben: »German Mennonites not only basked in this praise: they also embraced a sense of völkisch duty.«68 Volk wurde als ›rassische‹ Kategorie begriffen und theologisch mit der Lehre von den »Schöpfungsordnungen« begründet. Die Selbstwahrnehmung als mennonitisches »Völklein« und deren Verortung innerhalb der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« sind auch dem amerikanischen Historiker Benjamin W. Goossen wichtig, der vor wenigen Jahren an der Harvard University mit einer Studie zum Mennonitentum promoviert worden ist.69 Ebenso wie die Forschung über die Mennoniten im »Dritten Reich« ist jüngst auch die Geschichte des Bruderhofes durch eine amerikanische, später ins Deutsche über65 Andreas Liese: verboten – geduldet – verfolgt. Die nationalsozialistische Religionspolitik gegenüber der Brüderbewegung, Hammerbrücke (2. Auflage) 2003. 66 Hinzu kommt die zusammenfassende Studie von Bernard Green: European Baptists and the Third Reich, Didcot 2009, die zum einen auf einer Auswertung der bisherigen Untersuchungen basiert, zum anderen aber auch auf Quellen aus dem internationalen Baptismus rekurriert. 67 Vgl. James Irvin Lichti: Houses on the Sand? Pacifist Denominations in Nazi Germany, New York 2008. 68 Ebd., S. 75. 69 Benjamin W. Goossen: Chosen Nation. Mennonites and Germany in a Global Era, Princeton/ New Jersey 2017; ders.: Mennoniten als Volksdeutsche. Die Rolle des Mennonitentums in der nationalsozialistischen Propaganda, in: Mennonitische Geschichtsblätter 71 (2014), S. 55–70; ders: Das Völklein und das Volk. Mennoniten und Nationalismus in Deutschland vor 1933, in: Marion Kobelt-Groch und Astrid von Schlachta (Hg.): Mennoniten in der NS-Zeit. Stimmen, Lebenssituationen, Erfahrungen, Bolanden-Weierhof 2017, S. 76–89. In dieser Perspektive auch Helmut Foth: »Wie die Mennoniten in die deutsche Volksgemeinschaft hineinwuchsen«. Die Mennonitischen Geschichtsblätter im Dritten Reich, in: Mennonitische Geschichtsblätter 68 (2011), S. 59–88. Vgl. auch: Steffen Wagner: »Aus weltanschaulichen Gründen besonders bekämpft und gehaßt«? Die Weierhöfer Schule und ihre Umwandlung in eine NS-Eliteanstalt im Jahr 1936, in: Mennonitische Geschichtsblätter 68 (2011), S. 89–160.

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setze Monografie aus der Gemeinschaft selbst70 sowie durch die Arbeiten eines »externen« deutschen Theologen, Thomas Nauerth, aufgeblüht.71 Das Verhältnis zwischen protestantischen Freikirchen und Juden in der NSDiktatur ist bereits in den früh publizierten Studien der 1970er-Jahre nicht ausgespart worden, erfährt aber in jüngster Zeit vermehrtes Interesse.72 Ähnlich verhält es sich mit der Nachgeschichte der NS-Diktatur und der Frage des freikirchlichen Schuldbekenntnisses, die zuletzt in verschiedenen Perspektiven thematisiert worden sind.73 70 Emmy Barth: An Embassy Besieged. The Story of a Christian Community in Nazi Germany, Eugene/Oregon 2010; etwas erweiterte deutsche Ausgabe: Dies.: Botschaftsbelagerung. Die Geschichte einer christlichen Gemeinschaft im Nationalsozialismus. Eine kommentierte Dokumentation, Rifton/New York 2015; Yaacov Oved: Witness of the Brothers. A History of the Bruderhof, New Brunswick/New Jersey 1996. Die Vertreibung des Bruderhofes und die Haltung der Mennoniten waren bereits seit den 1970er-Jahren thematisiert worden: Hans Meier: Die Auflösung des Neuhutterischen Rhönbruderhofes in Deutschland, in: Mennonitische Geschichtsblätter 36 (1979), S. 49–56; Horst Quiring: Die deutschen Mennoniten zur Auflösung des Röhn-Bruderhofes 1937. Eine Dokumentation im Spiegel der Korrespondenz, in: Mennonitische Geschichtsblätter 38 (1981), S. 23–32; James Irvin Lichti: Die Stellungnahmen deutscher Mennoniten zur Auflösung des Rhönbruderhofes in der Zeit des Nationalismus, in: Mennonitische Geschichtsblätter 49 (1992), S. 73–91. Aus anderer Perspektive kam der Bruderhof in den Blick bei Horst von Gizycki: Von den Spielzeugmachern des Bruderhofs bis zum Kibbuz. Sozialpsychologische Aspekte gelebter Utopien, in: Hans-Jürgen Goertz (Hg.): Alles gehört allen. Das Experiment Gütergemeinschaft vom 16. Jahrhundert bis heute, München 1984, S. 208–232, und bei Rainer Schmidt: »Abstecher ins Traumland der Anarchie«. Siedlungsgemeinschaften der deutschen Jugendbewegung, in: Goertz, Gütergemeinschaft, S. 188–207. Vgl. auch die autobiografischen Schriften von Emmy Arnold: Joyful Pilgrimage. My Life in Community, Pennsylvania 1999 (deutsche Ausgabe: Gegen den Strom. Das Werden der Bruderhöfe, Moers 1983) und Hans Meier: Solange das Licht brennt. Lebensbericht eines Mitglieds der Neuhutterischen Bruderhof-Gemeinschaft, Norfolk/Connecticut 1995; zur Biografie: Baum, Arnold. 71 Thomas Nauerth: Zeugnis, Liebe und Widerstand. Der Rhönbruderhof 1933–1937, Paderborn 2018. Vgl. zuvor seine Aufsätze: Kirchenkampf unter internationaler Beobachtung, in: Kirchliche Zeitgeschichte 27 (2014), S. 181–195; Hutterer und Mennoniten in Europa. Begegnungen und »Vergegnungen« 1933–1937, in: Kobelt-Groch/von Schlachta, Mennoniten, S. 198–213, sowie: »Alles Gute für Adolf Hitler«. Der Rhönbruderhof und das Problem der Obrigkeit nach 1933, in: Kirchliche Zeitgeschichte 30 (2017), S. 62–74. 72 Vgl. Daniel Heinz (Hg.): Freikirchen und Juden im »Dritten Reich«. Instrumentalisierte Heilsgeschichte, antisemitische Vorurteile und verdrängte Schuld, Göttingen 2011; Roland Fleischer: Judenchristliche Mitglieder in Baptistengemeinden im »Dritten Reich«, in: HansJoachim Leisten: Wie alle andern auch. Baptistengemeinden im Dritten Reich im Spiegel ihrer Festschriften. Mit einem Anhang von Roland Fleischer, Berlin 2010, S. 157–184. Lichti, Pacifist Denominations; Kapitel 5 »Your father the devil«. The Christian Biblicist Discourse on Jews, S. 151–249; sowie Gerhard Rempel: Mennoniten und der Holocaust. Von der Kollaboration zur Beteiligung an Verbrechen, in: Mennonitische Geschichtsblätter 67 (2010), S. 87–133. 73 Vgl. Karl Heinz Voigt (Hg.): Schuld und Versagen der Freikirchen im »Dritten Reich«. Aufarbeitungsprozesse seit 1945, Frankfurt a. M. 2005. Leisten, Baptistengemeinden. Szobries, Schuldbekenntnisse.

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Wie groß das Interesse an diesem Forschungsgegenstand insgesamt ist, dokumentierten mehrere gut besuchte Tagungen in den zurückliegenden Jahren, an denen zwar insbesondere Angehörige von Freikirchen teilnahmen, die neben diesem Spektrum zuletzt aber auch Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus allgemeiner und kirchlicher Zeitgeschichte sowie aus den Bereichen freikirchlicher Hochschulen und universitärer Theologie vereinigten.74 Vor dem Hintergrund einer inzwischen bereits mehrfach und differenziert belegten Loyalität der Freikirchen gegenüber dem NS-Staat erscheint es ertragreich, nun besonders die Suche nach den Gründen und Motiven für eine positive Einstellung oder gar ein Engagement im NS-Staat weiter voranzutreiben. Nach der Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte ging ein für unsere Überlegungen wichtiger zweiter Impuls von dem Bestreben aus, die Geschichte der Freikirchen in der SED-Diktatur aufzuarbeiten. Auf diesem Feld gibt es jedoch noch erhebliche Desiderate.75 Zumindest im Blick auf die Baptisten ist das Forschungsfeld jedoch nicht unbestellt geblieben, wofür insbesondere erneut die Kirchenhistorikerin Andrea Strübind sowie Reinhard Assmann verantwortlich sind. Nach ihrer Studie zu den Baptisten im Nationalsozialismus setzte sich Strübind in mehreren Aufsätzen kritisch mit dem »Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR« auseinander, wobei sie Parallelen zwischen dem Staat-Kirchen-Verhältnis in den beiden deutschen Diktaturen aufzeigte.76 Hinsichtlich der Freikirchen in der SED-Diktatur allgemein resümiert Strübind in einem Lexikonartikel, dass es aufgrund deren »missionar.[ischen] Ausrichtung […] wiederholt zu Konflikten mit dem Staat« gekommen sei, doch kann sie 74 Ein stenografischer Blick auf Tagungen aus diesem Themenkreis belegt das gesteigerte Interesse eindrucksvoll: 2011, Elstal bei Berlin, Verein für Freikirchenforschung. 2015, Münster, Mennonitischer Geschichtsverein; daraus hervorgegangen: Kobelt-Groch/von Schlachta, Mennoniten. 2015, Fulda, Symposium »Bergpredigt leben« anlässlich des 80. Todestages von Eberhard Arnold (1883–1935). 2017, Neudietendorf, Evangelische Akademie Thüringen mit Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg und Theologischer Hochschule Friedensau; Vorträge publiziert in Kirchliche Zeitgeschichte 30 (2017). 2018, North Newton, Kansas (USA), Bethel College; Vorträge publiziert in: Mark Jantzen und John D. Thiesen (Hg.): European Mennonites and the Holocaust, Toronto, Buffalo, London 2021. 75 Vgl. den Forschungsüberblick von Klaus Fitschen: Übersehen? Die Freikirchen in der DDR in der kirchlichen Zeitgeschichtsforschung, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016), S. 19–28. 76 Andrea Strübind: Evangelisch-Freikirchliche Gemeinden der DDR aus Sicht des SED-Staates, in: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde 8 (2003), S. 245–279. Dies.: Kennwort: »Herbert aus Halle«. Ein Forschungsbericht über die Verbindungen zwischen Baptisten und dem Ministerium für Staatssicherheit in der DDR, in: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde 2 (1997), S. 164–201. Dies.: Diktatur und Geschichte. Überlegungen zum Fortgang der Geschichtsaufarbeitung im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, in: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde 4 (1999), S. 252–258. Dies.: Die Religionsgemeinschaften und der Volksaufstand vom 17. Juni 1953, in: Kirchliche Zeitgeschichte 17 (2004), S. 63–99. Dies.: Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR (Baptisten), in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016), S. 77–94.

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insgesamt keinen widerständigen Faktor erkennen: »Die F.[reikirchen] sicherten sich ihre kirchliche Arbeit durch demonstrative Loyalität bei größtmöglicher polit.[ischer] Abstinenz.«77 Reinhard Assmann, seinerzeit Baptistenpastor in der DDR, hat das Forschungsfeld zum einen mit eigenen wissenschaftlichen Beiträgen befruchtet, zum anderen aber auch, indem er Quellen editorisch-redaktionell erschlossen oder zum Beispiel durch Interviews selbst generiert hat. Aus seiner Feder stammt ein vorzüglicher Quellenleitfaden, ein wichtiges Handwerkszeug für Forscher und Forscherinnen zur Geschichte von Freikirchen in der DDR.78 Auch an der Entstehung des hilfreichen Quellenbandes Erlebt in der DDR mit Dokumenten und Berichten von Zeitzeugen und Zeitzeuginnen war Assmann beteiligt. Dieser Band liefert eine bunte Mischung, auch bezüglich der Textsorten, und gibt dadurch Einblicke in ganz unterschiedliche Haltungen und Lebensweisen baptistischer Christinnen und Christen.79 Das macht ihn wertvoll, gerade auch vor dem Hintergrund der kongregationalistischen Verfasstheit dieser Freikirche. Für unsere Überlegungen nicht unbedeutend sind auch eine Monografie zum »Bund Freier Evangelischen Gemeinden in der DDR« und Studien über die bereits erwähnte, konfessionskundlich etwas weiter entfernte, Herrnhuter Brüdergemeine. Lothar Beaupain hat sich in seiner Marburger theologischen Dissertation »Eine Freikirche sucht ihren Weg« nämlich intensiv mit der staatlichen Politik gegenüber kleinen Religionsgemeinschaften auseinandergesetzt.80 Und Hedwig Richter bescheinigt den Herrnhutern, wie Gerhard Besier ernüchtert zusammenfasst, »die Fähigkeit zu überaus beweglichen Traditionskonstruktion und damit zu höchster Anschmiegsamkeit an das jeweilige Gesellschaftssystem.«81 77 Andrea Strübind: Art. Freikirchen in der DDR, in: Lexikon der deutschen Geschichte von 1945 bis 1990. Ereignisse, Institutionen, Personen im geteilten Deutschland, hg. von Michael Behnen, Stuttgart 2002, S. 232–233, Zitate: S. 233. 78 Reinhard Assmann: Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR. Ein Leitfaden zu Strukturen – Quellen – Forschung, Kassel 2004. Zudem liegt eine Umfrage zum Leben innerhalb dieser Freikirche vor, für die Assmann seinerzeit maßgeblich verantwortlich zeichnete: Simon Werner: Das politische Verhalten der Mitglieder Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR. Auswertung einer Umfrage, in: Theologisches Gespräch Beiheft 9 (2007). 79 Erlebt in der DDR. Berichte aus dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden. Herausgegeben von Ulrich Materne und Günter Balders in Zusammenarbeit mit Reinhard Assmann, Bernhard Kühl und Manfred Sult, Kasel 1995. 80 Lothar Beaupain: Eine Freikirche sucht ihren Weg. Der Bund evangelischer Gemeinden in der DDR, Wuppertal 2001. 81 Gerhard Besier: [Rezension von] Hedwig Richter: Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR. Göttingen 2009, in: H-Soz-u-Kult, 08. 07. 2011. URL: https://www. hsozkult.de/publicationreview/id/reb-14878. (Aufruf: 28. 08. 2020). Vgl. neben der Monografie von Hedwig Richter auch ihren Aufsatz: Virtuoser Umgang mit Traditionen. Die Herrnhuter Brüdergemeinde in der DDR, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016), S. 29–45.

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Obwohl tiefergehende Einzelstudien noch fehlen, liegen einige synthetisierende Beiträge zu Freikirchen in der DDR vor, die deswegen empirisch noch nicht umfassend sein können. So hat Karl Heinz Voigt in seinem vorzüglichen Überblick zu den »Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert)« die SEDDiktatur nicht ausgespart, konnte sie jedoch nur in einem Kapitel auf 12 Seiten behandeln (»Freikirchliche strukturelle Eigenarten in der DDR«).82 Peter Maser (1994), Bruce W. Hall (2003) und Andreas Liese (2013) haben Beiträge vorgelegt, in denen sie in unterschiedlichen Formaten mehrere Freikirchen synthetisierend in den Blick nehmen.83 Überblickt man die Untersuchungen zu Freikirchen in der DDR, fällt auf, wie sehr die »Loyalität« gegenüber dem SED-Staat betont wird, wenn auch mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung.84 Doch die Zuspitzung auf die Pole Anpassung versus Widerstand erscheint mir nicht unproblematisch. Zurecht wurde bereits darauf hingewiesen, dass zwischen staatlichen Bereichen und Organen, aber auch zwischen den einzelnen Ebenen von Regierung und Verwaltung unterschieden werden müsse. Verhandlungen auf Kirchenbundesebene sind beispielsweise zu unterscheiden von solchen auf Pastoren- und Gemeindeebene, etwa bei Alltagsfragen in Kreisen und Bezirken.85 Zu reflektieren ist aber auch die zeitgenössische Wahrnehmung einzelner Elemente des SED-Staates durch die Bürgerinnen und Bürger. Anders und konkreter formuliert: Sind Kontakte zur Stasi, zum Staatssekretariat für Kirchenfragen oder zur Ost-CDU gleichermaßen als Kontakte zum Staat wahrgenommen worden, inwieweit wurde hier womöglich moralisch hierarchisiert? Weil die Begriffe Anpassung, Verweigerung und Loyalität so unbestimmt sind (letzterer ist im Übrigen ja auch ein Quellenbegriff), ziehen sie zwangsläufig heterogene Aussagen nach sich beziehungsweise decken eine zu große Bandbreite von Verhaltensweisen ab. In meiner Studie verzichte ich auf Begriffe wie Loyalität und Dissens nicht; wichtig erscheint es mir 82 Karl Heinz Voigt: Freikirchen in Deutschland (19. und 20. Jahrhundert). [Kirchengeschichte in Einzeldarstellungen III/6, hg. von Ulrich Gäbler, Gert Haendler, begründet von Johannes Schilling und Joachim Rogge], Leipzig 2004, S. 214–226. 83 Peter Maser: Die Freikirchen und kleineren Religionsgemeinschaften in der Politik des SEDStaates, in: Freikirchenforschung 4 (1994), S. 1–14; Bruce W. Hall: Stand, Probleme und Erfahrungen eines amerikanischen Historikers bei der Erforschung der Geschichte der »kleinen« Religionsgemeinschaften in der DDR, in: Horst Dähn und Joachim Heise (Hg.): Staat und Kirchen in der DDR. Zum Stand der zeithistorischen und sozialwissenschaftlichen Forschung, Frankfurt 2003, S 187–201; Andreas Liese: Zur politischen Haltung der Freikir chen in den beiden Diktaturen, in: Irene Dingel und Christiane Tietz (Hg.): Die politische Aufgabe von Religion. Perspektiven der drei monotheistischen Religionen, Göttingen [u. a.] 2011, S. 345–362. 84 Vgl. hierzu meinen resümierenden Beitrag (daraus die Überlegung im Folgenden): Imanuel Baumann: Die evangelischen Freikirchen in der DDR – resümierende Bemerkungen, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016), S. 102–108. 85 Vgl. Maser, Freikirchen, S. 12f.

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aber, sie durch eine Analyse des Verhaltens einzelner Akteure auf der biografischen und alltagsgeschichtlichen Ebene schärfer zu konturieren und inhaltlich stärker zu unterfüttern. Am wenigsten intensiv haben Historikerinnen und Historiker bislang die Freikirchen im Kontext der demokratischen Gesellschaftsformen zum Thema gemacht. Das Verhältnis zwischen Freikirchen und Staat in der Gründungsphase der ersten deutschen Republik ist zwar bereits verschiedentlich thematisiert und auch ansatzweise anhand von Quellen näher untersucht worden; so hat Manfred Stedtler eine verdienstvolle Untersuchung des baptistischen Zentralorgans Der Wahrheitszeuge in der Weimarer Republik vorgelegt.86 Doch es bedarf noch einer tiefergehenden Analyse speziell der Phase des politischen Systemwechsels und dem damit womöglich einhergehenden Wechselspiel oder Aushandlungsprozess zwischen Staat und Freikirche, gerade auch anhand von staatlichen Quellen. Vor allem besteht für das freikirchliche Politik- und Staatsverständnis in der Bundesrepublik Deutschland noch ein erhebliches Desiderat.87 Genau hier liegt die Chance auf eine innovative Perspektive, indem vergleichend danach gefragt wird, wie sich Freikirchen zu so grundsätzlich unterschiedlichen politischen Ordnungen wie der nationalsozialistischen und der kommunistischen Diktatur und den beiden deutschen Demokratien jeweils in den Phasen ihrer Etablierung positionierten und wie umgekehrt diese so unterschiedlichen Regime ihr Verhältnis zu den Freikirchen definierten.

Quellen, Methoden, Vorgehen Der Studie liegen staatliches Archivgut aus regionaler und Bundesebene sowie verschiedenartige freikirchliche Quellen zugrunde, wobei das Spektrum dort von grauer und gedruckter Primärliteratur bis hin zu unveröffentlichten Archivquellen und privat verwahrten Unterlagen reicht. Wir verfügen allerdings vor 86 Manfred Stedtler: Baptisten in der Weimarer Republik. Ihre Gedanken zu Politik und Gesellschaft, Bonn 2015. Vgl. etwa den wichtigen Abschnitt bei Voigt, Freikirchen in Deutschland, den vorzüglichen Beitrag von Lothar Weiß: Das Staatskirchenrecht in der Weimarer Reichsverfassung, in: Freikirchenforschung 21 (2012), S. 13–49 sowie die übrigen Beiträge zu verschiedenen Freikirchen (Bischöfliche Methodistenkirche, Bund Freier Evangelischer Gemeinden) in diesem Band. 87 Eine Analyse des Staats- und Politikverständnisses von »Evangelikalen« in der zweiten Hälfte der 1990er-Jahren nimmt Michael Hausin in seiner politikwissenschaftlichen Dissertation vor, wobei er methodisch mit Interviews, Fragebogenerhebungen und der Analyse von Texten arbeitet. Michael Hausin: Staat, Verfassung und Politik aus der Sicht der Evangelikalen Bewegung innerhalb des Protestantismus, 1999 [Dissertation an der Universität Rostock, Mikrofiche]. Vgl. auch den wichtigen Abschnitt bei Andrea Strübind: Baptisten in Deutschland, in: Kirchliche Zeitgeschichte 13 (2000), S. 391–414.

Quellen, Methoden, Vorgehen

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allem über Quellen aus den offiziellen Leitungsebenen der Glaubensgemeinschaften, beispielweise Protokolle von Vorstandssitzungen, und diese Sicht dominiert auch die Periodika. Insofern ist eben diese Perspektive auch in meiner Studie besonders präsent; dennoch war es mir wichtig, zumindest punktuell bis auf die Ebene von Gemeindebasis und Einzelfall vorzudringen, um die potenzielle Diversität des Meinungsspektrums abzubilden. Besonders Konfliktgeschichten sind in diesem Zusammenhang ein guter Ansatzpunkt, um zu bestimmen, wo die Grenzlinien des offiziellen Kurses einer Glaubensgemeinschaft verlaufen und welche abweichenden Meinungen nicht mehr zugelassen und toleriert werden. Diskursanalytisch ließe sich das, mit Philipp Sarasin formuliert, auch als Untersuchung der »Materialität der Repräsentationssysteme« begreifen, wobei es in der Diskurstheorie allerdings nicht darum geht, »das Sprechen« von Subjekten »von ihren Intentionen her« zu verstehen.88 In meiner Untersuchung hingegen begreife ich »diskursive Muster« zwar als das Reden und Handeln strukturierende Realitäten, nehme aber auch die Akteure insofern ernst, als dass ich ihnen die Fähigkeit zum intentionalen Bruch mit tradierten, »erlaubten« Sicht- und Redeweisen zuspreche. Die Frage nach der eigenen Handlungskapazität ist für meine Untersuchung deshalb besonders wichtig, weil sie – wie oben erwähnt – ein spezielles Augenmerk auf mögliche Gründe und Motive für Loyalität legen will: Erkenntnisse hierüber könnten den bisherigen Forschungstand sinnvoll erweitern. Bei der Deutung individuellen Agierens und Sinngebens hat diese Studie sehr von dem Konzept des »Eigen-Sinns« profitiert. Auf diesen Ansatz werde ich mich immer wieder beziehen, ohne jedoch meine Analyse ganz danach auszurichten. Das liegt auch an der spezifischen Quellenlage: es bedarf entsprechender Dokumente und Zeugnisse, um einen methodischen Ansatz fruchtbar zu machen, was in meinem Fall am ehesten für die Zeit der nationalsozialistischen Diktatur zutrifft. Wie Thomas Lindenberger erläutert hat, zielt das Konzept des »Eigen-Sinns« »auf die Differenz zwischen dem herrschaftlich intendierten und meist ideologisch definierten Sinn von Ordnungen, erzwungenen Verhaltensweisen und Verboten einerseits, und der je eigenen Bedeutung, die die Individuen in diese Handlungen hineinlegen und die ihnen die Möglichkeit zur inneren wie äußeren Distanznahme eröffnet, andererseits.«89 Konzeptionell geht die Frage nach dem »Eigen-Sinn« auf den anthropologisch arbeitenden Historiker Alf Lüdtke zurück, der sich bei der Genese auf Max Weber bezog. In einem »Herrschaftsverhältnis« läuft nach Max Weber das Handeln der »Beherrschten« so ab, »als ob die 88 Philipp Sarasin: Geschichtswissenschaft und Diskursanalyse, Frankfurt a. M. 2003, S. 32, S. 59. 89 Thomas Lindenberger: Projektvorstellung: Herrschaft und Eigen-Sinn in der Diktatur. Studien zur Gesellschaftsgeschichte in Berlin-Brandenburg 1945–1990, in: Potsdamer Bulletin für Zeithistorische Studien Nr. 5 (1995), S. 37–52, Zitat: S. 42.

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Beherrschten den Inhalt des Befehls, um seiner selbst willen, zur Maxime ihres Handelns gemacht haben«. Dabei setzt Weber ein Mindestmaß an »Interesse […] am Gehorchen« voraus.90 An diese Analyse hat Lüdtke seine methodischen Überlegungen zur sozialen Praxis von Herrschaft in Diktaturen angeschlossen: »Max Weber verwies auf die ›Fügsamkeit‹, die es bei den Beherrschten zu wecken oder zu pflegen gelte. Ausgeblendet bleiben aber die Motive, mehr noch die Erwartungen, die diese ›Fügsamkeit‹ ermöglichen, die ihr aber womöglich auch Grenzen setzen. Es geht dabei um die Mehrdeutigkeiten des ›Beherrschtseins‹: Jenseits des bloßen Gehorchens oder des scheinbar desinteressiert-passiven Hinnehmens vermag ein genauer Blick auf die Praxisformen unspektakuläres Verhalten auszumachen, das nicht in die Bipolarität von ›Gehorsam-oder-Widerstand‹ paßt.«91 Das kirchliche und besonders das an der Bibel als normativer Richtschnur orientierte freikirchliche Spektrum eignet sich gut, um danach zu fragen, wie die staatlichen Loyalitätsansprüche vor dem Hintergrund der als maßgeblich erkannten biblischen Aussagen interpretiert, umgedeutet oder auch abgewiesen werden. Welche »Deutungskultur« des Staatlichen war der täuferischen Tradition inhärent und welche »Orientierungsmacht« hat sie im Blick auf die Legitimation der Staatsgewalt aus sich selbst heraus entfaltet?92 »Während das Recht einst als unabhängige Größe göttlicher oder naturgesetzlicher Herkunft galt, an dem Staatshandeln gemessen wurde«, so Wolfgang Reinhard, »stellt der moderne Staat Recht nach Belieben her und hebt es wieder auf. […] Dem inneren Rechts- und Gewaltmonopol entspricht nach außen die Souveränität, das heißt, der Staat anerkennt niemanden über sich. […] Der Kaiser konnte das Mandat des Himmels missbrauchen und der König sich gegen Gottes Gebot vergehen, mit Widerstand gegen den einen wie den anderen als Folge. Der moderne Staat hingegen ist säkular geworden, Quelle seiner souveränen Gewalt ist kein Gott oder Himmel mehr, sondern er selbst.«93

Konkret gliedert sich meine Studie in drei chronologisch sortierte Teile: »Von der Monarchie zur Republik«, »Die Etablierung des Führerstaats« und »Die Phase der »doppelten Staatsgründung«. Sie sind mit vier Interpretationsachsen durchzogen: 90 Max Weber: Wirtschaft und Gesellschaft. Grundriss der verstehenden Soziologie, Tübingen (fünfte, revidierte Auflage, besorgt von Johannes Winckelmann) 1976, S. 28, S. 122ff., S. 541ff. 91 Alf Lüdtke: Einleitung: Herrschaft als soziale Praxis, in: Ders. (Hg.), Herrschaft als soziale Praxis. Historische und sozial-anthropologische Studien, Göttingen 1991, S. 9–63, hier: S. 49. 92 Zu den Begriffen: Thomas Nipperdey: Religion im Umbruch. Deutschland 1870–1919, München 1988, S. 7. Dazu methodisch auch Thomas Großbölting: Der verlorene Himmel. Glaube in Deutschland seit 1945, Bonn 2013, S. 13. 93 Wolfgang Reinhard: Von der Expansion zur Krise, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 19. 09. 2016 (Nr. 219), S. 6.

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Quellen, Methoden, Vorgehen

– Erstens geht es mir um die freikirchliche Sicht auf den Staat in den jeweiligen Gründungsphasen um 1919, 1933 und 1949; – zweitens frage ich nach dem freikirchlichen Gefüge im Gemeinwesen: Welche Rolle spielen Freikirchen in der staatlichen Perspektive, welcher Rechtstatus wird Freikirchen von Staatsseite zugestanden? Inwiefern bemühen sich die Glaubensgemeinschaften selbst darum? Und wie verändert sich das freikirchliche Gefüge als Kirchenkörper in direkter oder indirekter Interaktion mit dem Staat? – Mit der dritten Achse wende ich mich der Haltung zur Wehrpflicht zu, eine für Glaubensgemeinschaften aus der täuferischen Tradition zentrale Frage, – was, viertens, auch für die Eidverweigerung gilt; im Mittelpunkt stehen in diesem Zusammenhang die Aushandlungsprozesse zwischen der Glaubensgemeinschaft der Mennoniten und dem Staat. Die drei Teile meiner Untersuchung sind nicht in gleich große Elemente gestanzt, sondern verhalten sich aus unterschiedlichen Gründen asymmetrisch zueinander. So greife ich beispielsweise erst im zweiten Teil zur nationalsozialistischen »Machtergreifung« den Aspekt der Wehrpflicht auf, da er in der Gründungsphase der Weimarer Republik weder Gegenstand eines Aushandlungsprozesses zwischen Staat und Freikirchen gewesen war, noch in der innerfreikirchlichen Debatte eine wichtige Rolle spielte. Wenn ich diesen Faden also erst im Laufe der Studie aufnehme, mache ich die historische Kontinuitätslinie aber durch einen Rückblick sichtbar. Zudem beziehen sich manche Achsen nicht gleichermaßen auf alle Glaubensgemeinschaften; so wende ich mich, wie eben erwähnt, bei der Eidverweigerung fast ausschließlich den Mennoniten zu. Die Fokussierung auf die jeweiligen Gründungsphasen bringt es mit sich, dass andere, nicht unwichtige Bereiche ausgeblendet werden, auch wenn ich mancherorts Ereignisse und Entwicklungstendenzen durch zeitliche Vor- und Rückblenden einfange. Das gilt zum Beispiel für die Besatzungszeit in West und Ost nach 1945 und die Interaktion mit den Militäradministrationen. Die drei Teile der Studie sind weiterhin nicht teleologisch geordnet, sie beschreiben keine Entwicklung vom Dunkel ins Licht. Es wird, theaterwissenschaftlich gesprochen, keine Tragödie oder Komödie geschrieben, sondern eine Stationendrama dargeboten: die Gründungsphasen stehen zunächst wie drei Bilder nebeneinander, deren Elemente freilich auf einander bezogen sind und miteinander korrespondieren. Am Ende der Studie werden die Befunde dann entlang der Interpretationsachsen in einer Synthese zusammengeführt. ***

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Dieses Buch ist eine bearbeitete Fassung meiner Studie, die im Jahr 2020 unter dem Titel »Loyalitätsfragen. Mennoniten – Baptisten – Bruderhof. Glaubensgemeinschaften der täuferischen Tradition und die Staatsgewalt in den Gründungsphasen der Weimarer Republik, der NS-Diktatur und den beiden deutschen Staaten um 1949« von der Philosophischen Fakultät I der Martin-LutherUniversität Halle-Wittenberg als Habilitationsschrift angenommen worden ist. Professor Dr. Patrick Wagner, an dessen zeitgeschichtlicher Professur die Untersuchung entstanden ist, hat das Projekt seit seinen Anfängen immer aufgeschlossen begleitet, auf unterschiedliche Weise gefördert und sehr konstruktiv kommentiert. Dafür bin ich ihm sehr dankbar. Neben Patrick Wagner haben sich Professor Dr. Manfred Hettling und Professorin Dr. Andrea Strübind den Mühen der Begutachtung unterzogen und wertvolle Verbesserungshinweise gegeben. Das Manuskript der Habilitationsschrift wurde von mehreren Augenpaaren gelesen: Reinhard Assmann, Helmut Baumann, Dr. Thomas Baumann und Sophie Becker haben verschiedene Abschnitte dieser Arbeit durchforstet. Durch ihr Lektorat, ihre Korrekturen und Hinweise ist der Text besser geworden. Sophie Becker sorgte zudem für das Literaturverzeichnis. Mein Vater Helmut Baumann und mein Bruder Dr. Thomas Baumann haben für mich nicht lesbare Handschriften entziffert. Für all diese Hilfen bin ich zu großem Dank verpflichtet. Meine Frau Julia Gonser hat mich durch ihre Schlusslektüre sehr unterstützt und als wundervoller Mensch durch das Projekt begleitet. Im Lauf der Zeit habe ich es mir angewöhnt, auch wissenschaftliche Texte mit alltagssprachlichen Wendungen zu durchsetzen. Das mag, so hoffe ich, die Lektüre anregen und den Stoff vielleicht verständlicher machen. Diese Eigenheit sowie alle stehen gebliebenen Fehler sind oben genannten Personen nicht anzulasten, sondern gehen selbstverständlich alleine auf meine Kappe! Carla Schmidt und Laura Haase vom Verlag Vandenhoeck & Ruprecht danke ich für die sehr umsichtige Betreuung, den Herausgeberinnen und Herausgebern von »Kirche, Konfession, Religion« für die Aufnahme in diese Reihe. Ermöglicht wurden meine Forschungen und deren Präsentation erst durch die finanzielle Förderung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft. Hierfür sowie für die Druckkostenzuschüsse des Vereins für Freikirchenforschung und des Mennonitischen Geschichtsvereins danke ich sehr herzlich. Historikerinnen und Historiker nähern sich ihrem Forschungsgegenstand immer aus ihren subjektiven Gegenwartsbezügen heraus. Das Bewusstsein, eine Analyse niemals »objektiv«, »neutral« oder »unbefangen« durchzuführen, ist deshalb ein wichtiges professionelles Merkmal ihrer Tätigkeit. Auch wenn nicht alle Kolleginnen und Kollegen die Zuspitzung von Hans-Jürgen Goertz unterschreiben würden, wonach »alle Aussagen über Vergangenes zu Aussagen über die Beziehung zu Vergangenen, nicht aber über die Vergangenheit selbst« wer-

Quellen, Methoden, Vorgehen

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den94 oder dem Diktum von Gebhard Rusch »Die einzige Wirklichkeit, mit der es Historiker zu tun haben, ist die Gegenwart«95 zustimmen mögen, so ist doch die Vergegenwärtigung des eigenen Standpunktes in der theoretisch-methodischen Reflexion unumstritten: Ich nähere mich dem Forschungsgegenstand als Christ, der in freikirchlichen Zusammenhängen aufgewachsen und in einer Baptistengemeinde getauft worden ist – ohne allerdings bei den Baptisten oder in einer der anderen untersuchten Glaubensgemeinschaften tiefere familiäre oder biografische Wurzeln zu haben; ich schreibe dieses Buch weder mit der apologetischen Absicht, freikirchliche Akteure der Vergangenheit zu rechtfertigen, noch treibt mich der Impuls, mit eben jenen Akteuren in besonderer Weise abrechnen zu müssen. Wichtig ist mir hingegen das professionelle Verständnis, die vorhandenen Quellen mit dem historischen Handwerkszeug zu analysieren, die Befunde unter sinnvoller Hinzuziehung der erwähnten methodischen und theoretischen Ansätze zu deuten und dieses Buch am Ende mit dem Bewusstsein zu schreiben, dass unser »Wissen« und »Erkennen« lediglich »Stückwerk« ist.96

94 Hans-Jürgen Goertz: Unsichere Geschichte. Zur Theorie historischer Referentialität, Stuttgart 2001, S. 118, S. 102. 95 Gebhard Rusch: Konstruktivismus und Traditionen der Historik, in: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften 8 (1997), 1, S. 45–75, hier: S. 47. 96 Vgl. 1. Korinther 13, 9a.

Erster Teil. Von der Monarchie zur Republik

Prolog

Gerade erst waren durch die revolutionären Ereignisse Anfang November 1918 die staatlichen Ordnungen des Kaiserreiches umgestoßen worden, da petitionierte der Vorstand des Hauptausschusses Evangelischer Freikirchen, einer Interessenvertretung der Baptisten, Bischöflichen Methodistenkirche, Evangelischen Gemeinschaft und der Freien Evangelischen Gemeinden, bei der neuen deutschen Reichsregierung, also dem Rat der Volksbeauftragten respektive einem ihm unterstellten Reichsamt, und beim preußischen Kultusministerium: Bei den künftigen Beratungen der Kirchenfragen sollten, so wurde in sieben Punkten gefordert, auch Vertreter der im Hauptausschuss versammelten Freikirchen gehört werden; die Diskriminierungen von Freikirchen etwa im Blick auf Forderungen von Kirchensteuern, Störungen oder Verweigerungen von Begräbnissen, müssten eingestellt werden.97 Der Vorstand des Hauptausschusses 97 F.[riedrich] W.[ilhelm] Simoleit/H.[einrich] Schaedel: Aus der Arbeit des Hauptausschusses Evangelischer Freikirchen, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 26 (22. Dezember), S. 205–206. Im Einzelnen wurde gefordert, erstens: Teilnahme von Delegierten der im Hauptausschuss vertretenen Freikirchen an den Beratungen »über die Neuordnung der Kirchenangelegenheiten«; zweitens: Aufhebung der Beschränkungen durch »kirchliche Behörden«; drittens: Möglichkeit, gesetzliches »Eigentum auf unseren Namen« eintragen zu lassen; viertens: Freistellung von Verpflichtung anderen Kirchen gegenüber bei Mitgliedschaft in einer Freikirche; fünftens: Anerkennung ordinierter freikirchlicher Prediger als Geistliche; sechstens: Gleichstellung mit anderen kirchlichen Verbänden; siebtens: allgemeines Nutzungsrecht von kirchlichen Friedhöfen. Das Gremium des Hauptausschusses war im Dezember 1916 gegründet worden und kann als Keimzelle der »Vereinigung Evangelischer Freikirchen in Deutschland (VEF)« betrachtet werden. Vgl. Karl Heinz Voigt: Ökumene in Deutschland. Internationale Einflüsse und Netzwerkbildung – Anfänge 1848–1945, Göttingen 2014, S. 107f., 204f., 211f. Auch die Mennoniten waren im November 1917 eingeladen worden, sich im Hauptausschuss zu betätigen, was sie dann aber offenbar nicht taten; vgl. das handschriftliche Schreiben des Schriftführers, H. Schaedel, vom 19. 11. 1917, in: Staatsarchiv Hamburg 521–5 (Mennonitengemeinde) Nr. 204 (Beziehungen zu anderen Religionsgemeinschaften und deren Organisationen, Unterakte 204/11: »Hauptausschuss Evangelischer Freikirchen in Deutschland«). Vgl. zur Eingabe des Hauptausschusses von 1918: Karl Heinz Voigt: Die Freikirchen während der Weimarer Republik. Gemeinsames Wirken unter neuen Bedingungen, in: Freikirchen-

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unter der Leitung des Berliner Baptistenpastors Friedrich Wilhelm Simoleit hatte seine Forderungen also quasi in revolutionäre Hände gelegt und sich an ein Ministerium gewandt, das u. a. unter der Leitung des USPD-Politikers Adolph Hoffmann (1858–1930) stand, bekannt als Anführer der »Kirchenaustrittsbewegung« und berüchtigt für seine antikirchlichen Agitationen (das Ministerium hatte eine Doppelspitze, Hoffmanns Partner war der MSPD-Politiker Konrad Haenisch, 1876–1925; Anfang Januar 1919 schied Hoffmann als Minister aus). Lässt sich daraus schließen, dass Freikirchen Novemberrevolution und Republik begrüßt haben, den damit verbundenen Zerbruch des Bündnisses von »Thron und Altar« gleichsam als Erlösung begriffen und die Verwirklichung wahrer Religionsfreiheit kommen sahen?98

forschung 21 (2012), S. 131–157. Voigt zitiert den Artikel von Simoleit und Schaedel nach einer methodistischen Zeitschrift (Der Evangelist). 98 Teile aus diesem Kapitel habe ich in folgendem Aufsatz publiziert: Imanuel Baumann: Baptisten und 1918/19. Zum Verhältnis von Freikirche und Staat in der Gründungsphase der Weimarer Republik, in: Historische Zeitschrift 306 (2018) 2, S. 354–395.

A.

Die Haltung von Baptisten und Mennoniten zu Revolution, Demokratie und Republik

Als der Reichstag im Oktober 1918 das Gesetz zur Parlamentarisierung beschloss, reagierte der Wahrheitszeuge, das zentrale Organ des Baptistenbundes, überaus wohlwollend; mit einem parlamentarischen System seien die Baptisten seit jeher vertraut, formulierte der Schriftleiter, Prediger Albert Hoefs (1866–1946), in seiner Rubrik »Die Schmiede«, in der er das Zeitgeschehen kommentierte: »Sie [die »Parlamentarisierung«] ist ohne Zweifel gut und eine bessere Regierungsform, als wenn immer nur eine ganz dünne Oberschicht, die mit dem Volke keine Fühlung hat, das Zepter führt«. Hoefs befürwortete die »Demokratisierung unseres Volkslebens«. »Solange es nicht Pöbelherrschaft wird, können wir sehr damit zufrieden sein. Wir haben in unseren Gemeinden das demokratische Prinzip längst durchgeführt und sind gut damit gefahren. Wir haben sogar das Frauenstimmrecht; und denken nicht daran, dasselbe abzuschaffen.«99 Zuvor war im Wahrheitszeugen am 22. April 1917 bereits die Osterbotschaft von Wilhelm II. wohlwollend kommentiert worden, mit welcher der deutsche Kaiser auf die Vorboten der Revolution – zahlreiche Unruhen und Streiks, auch von Kieler Werftarbeitern – reagiert und die Abschaffung des Dreiklassenwahlrechts in Preußen angekündigt hatte100, ohne dass das eindeutig »vaterländisch« orien99 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 23 (10. November), S. 178. Die Zeitschrift erschien zu diesem Zeitpunkt vierzehntägig (sonntags). Die Ereignisse vom 9. November wurden nicht einbezogen, vermutlich fanden auch die Aufstände der revolutionären Novemberwoche erst nach Redaktionsschluss statt. 100 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 39 (1917) 15 (22. April), S. 116 (Rubrik »Aus der Schmiede«): »Wir freuen uns ungemein, daß unser Kaiser sich Zugeständnisse nicht im blutigen Kampfe abringen ließ, sondern sie aus freier Willensentscheidung dem Volke als Ostergeschenk auf den Tisch legte.« Ergriffen hatte die Zeitung zwei Wochen zuvor von der Februarrevolution in Rußland berichtet: »Der Kaiser ist ohne Widerstand in der Versenkung verschwunden. […] Man muß immer an unseren Kaiser denken, der hätte sich nicht wie ein Lämmlein abführen lassen! Gottlob, es denkt bei uns auch keiner daran das zu tun!«. Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 39 (1917) 13 (8. April), S. 100 (Rubrik »Aus der Schmiede«).

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tierte Organ101 der Baptisten damit aber zu einem parteiischen Fürsprecher der Demokratisierung geworden wäre.102 Mit der Meuterei der Matrosen in Wilhelmshaven ab dem 27. Oktober und den Aufständen in Kiel am 3. und 4. November 1918 kam eine Dynamik in Gang, die die Vorstellung von einer reformierten konstitutionellen Monarchie sprengte. Nach einer Massenkundgebung in München unter der Führung einer Gruppe um den pazifistischen, unabhängigen Sozialdemokraten Kurt Eisner am 7. November sah sich der bayerische König Ludwig III. gezwungen, an den Chiemsee zu flüchten. Als Prinz Max von Baden am 9. November schließlich die Abdankung von Kaiser Wilhelm II. verkündete und den Sozialdemokraten Friedrich Ebert zum Reichskanzler ernannte, wurde deutlich, dass das Gottesgnadentum unumkehrbar an sein Ende gelangt war. Es setzte nun ein erbitterter Kampf um die Ausrichtung der künftigen Republik ein, der schon in den beiden rivalisierenden, im Rat der Volksbeauftragen provisorisch regierenden Parteien angelegt war: Während die Mehrheits-SPD bestrebt war, die »revolutionäre Dynamik« zurückzudrängen und in eine konstitutionell-parlamentarische Richtung zu lenken, strebte der linke Flügel der USPD nach einer Räterepublik nach russischem Vorbild.103 Erst als sich im Dezember 1918 auf dem Allgemeinen Kongress der Arbeiter und Soldatenräte die Forderung nach einer gewählten Nationalversammlung mit großer Mehrheit durchsetze und diese Wahlen im Januar 1919 auch tatsächlich stattfanden, hatte die konstitutionell-parlamentarische Option 101 Vgl. exemplarisch für diese Haltung Carl August Flügge: Mehr Vertrauen! (Vortrag zum Bußtag 1916 […]), in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 39 (1917) 2 (14. Januar), S. 13–15; Gustav Gieselbusch: »Dem Kaiser, was des Kaisers, Gott, was Gottes ist.« Ansprache beim Feldgottesdienst zu Kaisers Geburtstag, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 39 (1917) 7 (18. Februar), Umschlag; Carl Schneider: Heil, Kaiser, dir! Ansprache zur Kaiser-Geburtstagsfeier des baptistischen Jugendvereins in Dresden, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 39 (1917) 8 (25. Februar), Umschlag; G. Dreßler: »Was haben die deutschen Freikirchen dem Vaterland genützt?«, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 4 (17. Februar), S. 30, hier die achte These: »Die Freikirchen pflegten unter ihren Mitglieder edle vaterländische Gesinnung.« (im Original gesperrt) sowie bereits die Ausführungen in Rubrik »Aus der Schmiede« im Wahrheitszeugen 39 (1917) 10 (11. März), S. 76: »Aber wie stehen wir zum Staat? Um unseres Gewissens willen sind wir f ü r den Staat. Das beweisen wir dadurch, daß wir treue Bürger, gute Soldaten und unablässige Fürbitter für das Wohlergehen desselben sind.«. 102 Hingegen finden wir in einem Artikel, der die endzeitliche Entwicklung thematisiert, sogar eine antidemokratische Wendung, indem der Autor argumentierte: »Der Krieg fordert die Demokratisierung der Völker, und aus dieser Volksherrschaft wird der Antichrist hervorgehen, der an der Spitze der Gottlosen und Ungläubigen treten wird.«; Gerhard Maier: Bedeutet der Weltkrieg die große Trübsal der letzten Zeit? Das fünfte Siegel. (Off. 6, 9–11), in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 1 (6. Januar), S. 1. 103 Ulrich Herbert: Geschichte Deutschlands im 20. Jahrhundert, München 2014, S. 182 u. 181.

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obsiegt.104 Zur gleichen Zeit schlugen die Auseinandersetzungen in Aufstände gegen die Regierung um, die von radikalen Revolutionären aus den Reihen des linken USPD-Flügels und dem linksradikalen Spartakusbund, seit der Jahreswende 1918/19 zur Kommunistischen Partei vereinigt, angeführt wurden und auf die Unterstützung radikalerer Teile der Arbeiterschaft bauen konnten. Bis zum Inkrafttreten der Weimarer Verfassung im August 1919 wurden solche Aufstände von Regierungstruppen im Januar (Berlin), Februar (Bremen), März (Berlin) und Mai (München) blutig niedergeschlagen.105 Als Albert Hoefs im baptistischen Wahrheitszeugen die Demokratisierung begrüßt hatte, war die eben skizzierte Entwicklung nicht abzusehen gewesen. Wie haben er, der offizielle Baptismus und das Mennonitentum auf die Ausrufung der Republik reagiert und hat sich das Bild von der Revolution durch die Ereignisse des Bürgerkriegs verändert? Es besteht kein Zweifel, dass der offizielle Baptismus in Deutschland die revolutionäre Idee ebenso abgelehnt hat wie das Mennonitentum. Bezeichnend ist aber, dass sich beide Gemeinschaften schnell auf die neue Situation eingestellt haben. Hoefs war der Republik zunächst sogar äußerst aufgeschlossen gegenüber getreten: In seiner ersten Stellungnahme nach der Novemberrevolution verhehlte er zwar seine Sympathie für die untergegangene Monarchie nicht, doch zugleich warb er dafür, auch in einer neuen Staatsform die von Gott gegebene Form der Obrigkeit erkennen zu können: »Steht denn nun nicht geschrieben: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist!‹? Gewiß, das steht geschrieben. Ist damit aber nun unbedingt das ›Kaisertum‹ als die Regierungsform gedacht, die gottgewollt ist? Man denke doch nur einen Augenblick nach, wie dieses Wort im Stillen unter den verschiedenen Bibellesern der Welt umgedacht werden muß. Der bekehrte Heide in Mittelafrika z. B., kann der dem ›Kaiser‹ etwas geben? Der muß doch ohne weiteres denken: dem Häuptling. Und die Christen in den längst bestehenden Republiken müssen doch einfach umdenken: der Obrigkeit. Die Bibel hat ja nie ein weltliches Staatsideal aufgestellt. Damals, als sie verfaßt wurde, herrschte ein Kaiser über die ganze bekannte Welt, folglich sagt der Heiland: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist‹; sonst aber hat sich Jesus nie in politische Dinge eingelassen. Sein ›Reich war nicht von dieser Welt‹! Damit soll aber nun auch nicht gesagt sein, daß wir uns schnell zu den Eseln gesellen möchten, die dem toten Löwen noch einen Fußtritt versetzen.«106

104 Vgl. Detlev J. K. Peukert: Die Weimarer Republik. Krisenjahre der Klassischen Moderne, Frankfurt 1987, S. 39–44. 105 Vgl. Volker Ullrich: Die Revolution von 1918/19, München 2009; Peter Kuckuk: Bremen in der Deutschen Revolution 1918–1919. Revolution, Räterepublik, Restauration, Bremen 1986; ders. (Hg.): Die Revolution 1918/1919 in Bremen. Aufsätze und Dokumente, Bremen 2010. 106 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 24 (24. November), S. 187.

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Der Gedanke, dass »der Kaiser […] unwiederbringlich dahin« ist, schnitt jedoch offenbar auch ihm tief »ins Herz«.107 Auf mennonitischer Seite wurde das Ende der Monarchie zur gleichen Zeit gar noch stärker betrauert. »Was das preußische Königshaus für das Land und auch im Besonderen für uns Mennoniten gewesen ist«, formulierte Hinrich van der Smissen (1851–1928), Vorsitzender der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich, im Dezember 1918, »wird durch die neuesten Ereignisse nicht aus der Welt geschafft und nicht aus unserem Herze getilgt«. In der Stellungnahme »Zur neuen Lage der Dinge«, erschienen in den von van der Smissen herausgegebenen Mennonitischen Blättern, blickte der mennonitische Geistliche zugleich aber auch nach vorne und hoffte am Ende seines Kommentars: »Schenke Gott den Männern, die nun zum Aufbau berufen sind, die rechte Weisheit!«108. Bei Hoefs und van der Smissen wurde die verhaltene Akzeptanz der neuen, durch die Revolution entstandenen gesellschaftlichen Verhältnisse von der Überzeugung gespeist, dass Gott der Herr der Geschichte und die gegenwärtige Entwicklung von ihm gefügt oder mindestens zugelassen worden sei.109 Obwohl – oder vor diesem Hintergrund gerade: weil – der offizielle Baptismus der Revolution ablehnend gegenüberstand, forderte er ihre Klientel im Dezember 1918 und Januar 1919 massiv dazu auf, sich an den Wahlen zur Nationalversammlung im Sinne der bürgerlichen Parteien zu beteiligen. Dabei waren Bernhard Weerts (1858–1929), der an der Spitze des Baptistenbundes stand, und Albert Hoefs, der als Schriftleiter mit seinen Kommentaren zum Zeitgeschehen im baptistischen Zentralorgan Der Wahrheitszeuge großen Einfluss ausüben konnte, nicht einer Meinung: Weerts sprach eine unverhohlene Wahlempfehlung für die linksliberale DDP aus, während Hoefs, etwas versteckter, für die rechtsnationale DNVP plädierte. Blickt man auf die Ebene der Vereinigungen (Landesverbände), dann scheint aber die letztgenannte rechtsnationale Option dort mindestens in Teilen weiter verbreitet gewesen zu sein als die demokratische. Der sechzigjährige Bernhard Weerts konnte im November 1918 bereits auf eine längere Wirkungszeit als Großstadtprediger zurückblicken; er diente seit 1889 in den Gemeinden Frankfurt (bis 1902), Bochum (bis 1911) und Berlin (bis 1925).110 Neben seinen Verpflichtungen als Gemeindepastor übernahm er mehrere Ämter in der Bundesverwaltung. In einer etwas eigentümlichen Weise war der Bund der Baptisten in drei Verwaltungen strukturiert (Bundesverlagsverwaltung, Bundesseminarverwaltung, Bundeskassenverwaltung), denen wieder107 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 25 (8. Dezember), S. 194. 108 Hinrich van der Smissen: Zur neuen Lage der Dinge, in: Mennonitische Blätter 65 (1918) 12, S. 90–91, Zitate: S. 90 u. 91. 109 Vgl. Hinrich van der Smissen: Zum neuen Jahr, in: Mennonitische Blätter 66 (1919) 1, S. 1–2. 110 Frank Fornaçon: [Kurzbiografie] Weerts, Bernhard, in: Balders, Ein Herr, S. 365.

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um mehrere Ausschüsse zugeordnet waren; daneben existierten weitere Bereiche (Waisenverwaltung, Missionsverwaltungen, Jugendverbände). Die Mitglieder der drei genannten, wichtigen Einzelverwaltungen bildeten die Vereinigte Bundesverwaltung, deren gewählter Vorsitzender in der Phase der Novemberrevolution eben Bernhard Weerts war. Seine Funktion war zwar nicht mit reichen exekutiven Befugnissen ausgestattet, gleichwohl versah Weerts ein herausgehobenes Amt, dessen Bedeutung wohl vor allem in der »Kräftigung der Gemeinschaft« lag, denn dafür war die Vereinigte Bundesverwaltung unter anderem zuständig.111 Vor genau diesem Hintergrund kann seine Stellungnahme gelesen werden, die am 22. Dezember 1918 im Wahrheitszeugen erschien und mit »Die Nationalversammlung« übertitelt war: als eine Orientierungshilfe für die Angehörigen der baptistischen Gemeinschaft in politisch durcheinander geratenen Zeiten. »Soll ich auch wählen? und: Wen soll ich wählen?«, fragte Weerts und markierte dabei die beiden Argumentationsfelder, in denen er sich bewegte: »In früheren Jahren hat so mancher absichtlich nicht gewählt. K e i n e politische Partei entsprach seinem Denken und seinen Wünschen. Die monarchische Regierung saß am Ruder und legte gegen Gesetze und Bestimmungen, die ihr unbequem waren, ihr Veto ein. Nun sind über Nacht alle Monarchen und fast alle Regenten in Deutschland gefallen. Die Demokratie, d. h. die Volksherrschaft, hat das Regiment in die Hand genommen. Zum Volke gehöre ich auch, und nun ist es nicht nur mein Recht, sondern mehr als seither meine Pflicht, meine Meinung und meinen Willen durch den Stimmzettel zum Ausdruck zu bringen. Seither waren wir die Regierten, nun sollen und müssen wir die Regierer sein. Dabei braucht unser etwaiger Grundsatz, daß Politik und Religion nicht miteinander verquickt werden sollten, nicht umgestoßen zu werden. […] Also wir haben nicht Wahlzwang, sondern ein Recht und eine Wahlmöglichkeit, mit zu entscheiden, und davon sollten wir alle Gebrauch machen.«112

Damit hatte sich Weerts eindeutig auf den Boden der demokratischen Republik gestellt, ja er ließ die überwundene Monarchie in ihrer tradierten Form geradezu als rückständig erscheinen. Schließlich fasste er das heiße Eisen an: »Wen soll ich wählen? Mit w e l c h e r P a r t e i kann ich gehen?«. Spartakus und USPD, so argumentierte er im Ausschlussverfahren, »arbeiten auf Umsturz, Unruhe und Unordnung« und seien für ihn deshalb nicht wählbar. An den »Mehrheitssozialisten« kritisierte er die religionsfeindliche Grundeinstellung. »Aber mit der äußersten rechten Partei, den Konservativen, kann ich als freikirchlicher Christ auch nicht gehen. Diese Leute haben ihre seitherige Macht so oft mißbraucht und 111 Jahrbuch 1918 des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland (rechtsfähig in Hamburg) und im Anhang die Zahlen von Baptistengemeinden in der Schweiz, in Ungarn, in den Niederlanden und in Bulgarien. Im Auftrage der Vereinigten Bundesverwaltung herausgegeben von J. G. Lehmann, Kassel o. J. [1919]. 112 Bernhard Weerts: Die Nationalversammlung, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 26 (22. Dezember), S. 205.

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Andersdenkende geknebelt und unterdrückt. Ich erinnere nur an frühere Zwangskindertaufen, Versammlungsauflösungen, Kirchensteuerforderungen, Begräbnisverweigerungen usw.! Also nach links neige ich nicht, dort ist’s mir zu rot, und von rechts halte ich mich fern, die sind mir zu schwarz.«

Das Zentrum lehnte der protestantische Pastor als dem Papsttum verbundene Partei ab. An dieser Stelle brachte Weerts den Vorschlag ins Spiel, baptistische oder andere freikirchliche Kandidaten zu wählen. »Wo dazu keine Aussicht vorhanden ist, da wählen unsere Brüder und Schwestern wohl am besten mit der neugegründeten demokratischen Partei. Ihr Programm mag uns nicht in allen Punkten gefallen. Aber durch sie erhalten wir wohl am besten die uns zustehenden Rechte als Staatsbürger und freikirchliche Christen. Sie sind für Religionsund Gewissensfreiheit, für Trennung der Kirche vom Staate und für bürgerliche Freiheit und Ordnung.«113

Es zeigt sich deutlich, wie sehr an der Schwelle vom Kaiserreich zur Weimarer Republik die Geschichte der eigenen Verfolgung aus der Mitte des 19. Jahrhunderts noch präsent war. Der baptistische Gelehrte Joseph Lehmann (1832– 1907)114 hatte in seinen Bänden zur Geschichte der deutschen Baptisten solche Erfahrungen 1896 und 1900 dokumentiert, darunter, um nur ein Beispiel zu nennen, Gefängnisstrafen für Gläubige aufgrund von Versammlungen im Wald (1853 in Kurhessen). Diese Erfahrungen aus der Zeit des 19. Jahrhunderts wurden von Baptisten am Anfang des 20. Jahrhunderts bewusst erinnert und tradiert: die Lehmann-Bände erlebten 1912 und 1922 eine zweite Auflage.115 Die Argumentation von Bernhard Weerts macht deutlich, dass auf diese Erinnerung im Denken und Handeln der Akteure ganz praktisch und aktiv Bezug genommen wurde. Albert Hoefs konnte oder wollte nicht verhindern, dass vor der Wahl zur Nationalversammlung in ›seinem‹ Wahrheitszeugen eben diese Stellungnahme erschien, die von seiner eigenen politischen Meinung doch erheblich abwich. Für Hoefs standen sich nach der Revolution zwei Lager gegenüber, das sozialistische und das demokratisch-bürgerliche, wobei er im sozialistischen Lager inhaltlich kaum zwischen Spartakus, USDP und der Mehrheits-SPD unterschied und auf der anderen Seite auch die anti-republikanische DNVP zum demokratischen Spektrum zählte. Das sozialistische Lager wolle nun, so lässt sich seine Argu113 Ebd. 114 Joseph Lehmann absolvierte als erster Baptist ein universitäres Theologiestudium; Tätigkeit als Redakteur und Prediger, von 1883 bis 1907 Dozent am baptistischen Predigerseminar in Hamburg; vgl. Günter Balders [Kurzbiografie] Lehmann, Joseph, in: Ders., Ein Herr, S. 352. 115 Joseph Lehmann: Geschichte der deutschen Baptisten I und II, Kassel 1896 und 1900; 2. Auflage (bearbeitet von F.W. Herrmann), Kassel 1912 und 1922. Bei Balders, Ein Herr, S. 29–33, findet sich ein Faksimile daraus: »Eine Probe von Leiden um des Gewissens willen im 19. Jahrhundert. Tabellarische Übersicht.«

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mentation begreifen, einen »Schlag gegen das lebendige Christentum« führen; ihr Grundmotiv sei Hass, in letzter Konsequenz führe das zum Antichristen und zur Verfolgung. Sein Schluss lautete daher: »Wer die sozialistische Republik fördert, hilft für seine Kinder die Scheiterhaufen bauen.«116 Das gesamte linke Spektrum zeichnete Hoefs somit als monolithischen Block, keine der zugehörigen Parteien waren für ihn wählbar. Dementsprechend nüchtern und verhalten äußerte sich Hoefs im Wahrheitszeugen über die seit November 1918 amtierenden Regierungsvertreter. Ebert trat er zwar nicht ohne ein gewisses Wohlwollen, aber doch abwartend gegenüber, später allerdings auch kritisch, weil er ihn als zu passiv empfand.117 Scheidemann betrachtete er dagegen distanziert und den USPD-Politiker Hoffmann karikierte er sogar, indem er ihn mehrfach als »Exzellenz« (in Anführungszeichen) beschrieb.118 Als Politiker von Gottes Gnaden erschienen sie nicht. Wie Weerts warb auch Hoefs im Blick auf die Nationalversammlung massiv für einen Urnengang, empfahl in der am Wahlsonntag, dem 19. Januar 1919, erschienenen Ausgabe des Wahrheitszeugen aber eine der rechten, bürgerlichen Parteien: »Unter ihnen [den bürgerlichen Parteien] zu wählen wird von den örtlichen Verhältnissen abhängen. Man kann es wohl verstehen, wenn ein Bruder schreibt: ›Ich werde bei dieser Wahl so weit nach rechts rücken, wie es nur möglich ist, damit meine Stimme nach dem Gesetz des Hebels am äußersten Ende den größten Gegendruck erzeugt.«119 Hoefs harsche Kritik an der Sozialdemokratie im Januar 1919 ließ seine anfängliche Offenheit gegenüber der Republik vergessen.120 In seiner Zurückweisung der linken Parteien argumentierte er auch antisemitisch, wobei er für sich selbst in Anspruch nahm, vom Antisemitismus »weit […] entfernt« zu sein, weil er Respekt vor gläubigen Juden hätte, hier aber religionslose am Werk seien.121 116 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 2 (19. Januar), S. 11. 117 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 5 (2. März), S. 35; 8 (13. April), S. 59; 10 (11. Mai), S. 75. 118 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 8 (13. April), S. 59 (Scheidemann); 2 (19. Januar), S. 11, 4 (16. Februar), S. 28 (Hoffmann). 119 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 2 (19. Januar), S. 11. 120 Vgl. zur Haltung des Baptismus gegenüber der Sozialdemokratie in längerer Linie: Andreas Liese: »Wie Belial und Licht«: Baptisten und Sozialismus zwischen Kaiserreich und »Drittem Reich«, in: Reinhard Assmann und Andreas Liese (Hg.): Baptismus und Sozialismus. Das Verhältnis der Baptisten zum Sozialismus in den Umbrüchen des 20. Jahrhunderts. Studientag Berlin 2019, Norderstedt 2020, S. 9–41. 121 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 3 (2. Februar), S. 19. Vgl. bereits 41 (1919) 2 (19. Januar), S. 12, wo Hoefs von einem »jüdische[n] Einschlag« in der Sozialdemokratie spricht als eine mögliche Ursache für deren christentumfeindliche Haltung.

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Auf genau die gleiche Weise argumentierte der sozialdiakonisch engagierte Hamburger Baptistenpastor und Autor vielfacher christlicher Traktate Carl August Flügge (1876–1948). »Es ist erschütternd, zu sehen«, schrieb dieser im Jahr 1919, »wie gottlose Juden im bürgerlich-demokratischen und im regierungssozialistischen und im proletarisch-unabhängigen und spartakistischen Parteileben die Hauptrollen spielen, wie sie die Presse, das Theater- und Kinowesen beherrschen und vergewaltigen und allem ihr frivoles Gepräge aufdrücken.«122 Beide, Flügge und Hoefs, meinten, dass sich die Parteien unter die Führung von »Verfluchten« gestellt hätten. Albert Hoefs fand erst allmählich zu einer Haltung, bei der er aus seiner Sicht positive Ansätze in der Sozialdemokratie würdigen konnte. Dagegen hatte Weerts schon eher ein differenzierteres Verhältnis zu den linken Parteien. Er wandte sich zwar, wie skizziert, nicht nur gegen die radikalen Linken, sondern auch gegen die Mehrheits-SPD, weil dort »fast alle gegen das« seien, »was mir heilig und unantastbar ist« – sie verspotten und verlästern Gott und die Religion. Doch auf der anderen Seite, so argumentierte er im Dezember 1918, habe man der SPD »manches Recht und manche Freiheit« zu verdanken, zudem seien vornehmlich die deutschen Sozialdemokraten derart religionskritisch eingestellt; in anderen Staaten Europas sei das anders: »Dort gibt‹s unter denselben sogar ernste Christen und biblische Jünger Jesu«.123 Blickt man nun auf die Ebene der regionalen baptistischen Vereinigungen, wird deutlich, dass der Weerts’schen Wahlempfehlung bisweilen heftig entgegengetreten wurde. Nach den Wahlen zur Nationalversammlung wusste Hoefs zu berichten: »Eine Anregung von Berlin her, die da meinte, der Demokratischen Partei den Vorzug gegen zu sollen, weil sie früher immer für Religionsfreiheit eingetreten ist, stieß im Norden und Westen auf entschiedenen Widerspruch. Die Brüder meinten die Vertretung der religiösen Interessen bei den Deutschnationalen in besseren Händen.«124 Und in der Rheinischen Vereinigung, die Baptistengemeinden zwischen Rhein und Ruhr zusammenfasste, hatte die demokratische ›Berliner Wahlempfehlung‹ nicht nur zu Widerspruch, sondern sogar zur Missstimmung zwischen Baptisten und Christen anderer Denominationen geführt. Aus Barmen berichtete Ernst Merten, Schriftleiter der baptistischen Rheinischen Traube, am 1. März 1919: »Berliner Brüder gaben uns ungebeten die Weisung, demokratisch zu wählen, und als die hiesige demokratische Partei die Berliner Erklärung unserer Brüder in ihrem

122 Carl August Flügge: Unsere Stellung zu den Gegenwartsnöten, Hamburg 1919, S. 15 u. 16. 123 Bernhard Weerts: Die Nationalversammlung, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 40 (1918) 26 (22. Dezember), S. 205. 124 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 3 (2. Februar), S. 20.

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Wahlaufruf weidlich für sich ausnützte, kam eine nicht geringe Erregung in weite uns befreundete und nahestehende Gläubigenkreise. ›Fallen uns so unsere freikirchlichen Brüder unter Hintansetzung aller biblischen Werte in den Rücken und erklären sich als Genossen der Schrittmacher des Antichristentums?[‹][,] fragten sie mit Recht. Es drohte eine Trübung des brüderlichen Verhältnisses einzutreten und der Glaube aufzukommen, daß den freikirchlichen Gläubigen die Wahrnehmung ihrer freikirchlichen Interessen weit höher stände als die Wahrheiten des Evangeliums und das Kommen des Reiches Christi.«

Daraufhin distanzierten sich die »Vertreter der Freikirchen« öffentlich von der ›Berliner Wahlempfehlung‹ und Ernst Merten glaubte zu wissen, dass sich »die Gemeinden […] allgemein zu den Rechtsparteien« stellten.125 Es mochte sein, dass Weerts linksliberale Option ein Minderheitenvotum darstellte und Repräsentanten des Baptismus auf lokaler und regionaler Ebene, aber auch einfache Gemeindemitglieder der DNVP zugeneigt waren. Andererseits wurde aber die radikale Absage, die Hoefs der Sozialdemokratie erteilte, nicht vom ganzen Spektrum der baptistischen Christinnen und Christen geteilt. Manche, ihre Zahl kann leider nicht genauer bestimmt werden, hegten in der Umbruchsphase von 1918 und 1919 Sympathien für die Sozialdemokratie und beteiligten sich auch an Demonstrationen – wie Hoefs am 16. Februar 1919 auf der Basis von Zuschriften im Wahrheitszeugen berichtete.126 Es war zwar nicht bekannt, konnte offenbar aber auch nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass einzelne Baptisten in irgendeiner Weise stärker in das Revolutionsgeschehen involviert gewesen sein konnten. Denn in einem Rückblick auf das Jahr 1919 führte der Vorstand der Rheinischen Vereinigung auf der Jahrestagung dieses Landesverbandes Mitte 1920 aus: »Kostbares Menschenblut ist in Strömen geflossen, geistige und materielle Werte sind vernichtet worden, und über manche Familie ist großes Unglück gekommen. Der Schrecken des Bürgerkrieges hat an manchen Orten unserer Vereinigung die Menschen erzittern lassen […] S o l l t e n h i e r u n d d o r t u n s e r e G e s c h w i s t e r i n i r g e n d e i n e r We i s e s i c h a n d e n r e v o l u t i o n ä r e n B e w e g u n g e n b e t e i l i g t haben, dann möchten wir unser tiefstes Bedauern darüber aussprechen, da solches Gebahren [sic] mit dem Geist und Sinn des C h r i s t e n t u m s n i c h t z u v e r e i n b a r e n i s t . « 127

In einem Referat über die Stellung des Christen im politischen Leben auf der gleichen Tagung hatte ein Baptistenbruder noch einmal die antichristlichen und antireligiösen (vorrevolutionären) Aussagen von Sozialdemokraten referiert und 125 Die Rheinische Traube 43 (1. März 1919) Nr. 3, Umschau, S. 22–23, hier S. 23. 126 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten, 41 (1919) 4 (16. Februar), S. 28. 127 Die Rheinische Traube 44 (1. August 1920) Nr. 8, S. 118–124, hier S. 119 (Hervorhebung im Original).

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Die Haltung von Baptisten u. Mennoniten zu Revolution, Demokratie und Republik

eindringlich vor der Wahl einer linken Partei gewarnt: »Wer sich vom Geiste und Worte Christi leiten und regieren läßt, wird niemals seinen Platz in einer antireligiösen und antichristlichen Gesellschaft finden oder an einem Demonstrationszug wider die bestehende Ordnung teilnehmen. (Röm. 13, 1. 2) Solange in unserem Lande die politischen Linksparteien antichristlich gerichtet sind, kann niemals ein wahrer Christ zugleich Sozialdemokrat sein.«128 Insgesamt betrachtet kann also nicht davon die Rede sein, dass Baptisten nach dem Sturz des Kaisers allgemein aufgeatmet und mit wehenden Fahnen die Republik begrüßt hätten; eine deutliche Erleichterung war dem Wahrheitszeugen erst nach dem Ausgang zur Wahl der Nationalversammlung abzuspüren, und eine gewisse Befriedigung machte sich seit April 1919 breit, als Ergebnisse aus den Beratungen zur Reichsverfassung bekannt und von baptistischer Seite gewürdigt wurden.129 Die großen Krisen der frühen Weimarer Republik – der KappPutsch von 1920, die politischen Morde bis 1922 und der Hitler-Putsch von 1923 – wurden später im baptistischen Wahrheitszeugen nicht expressis verbis diskutiert; er ließ sich aber weiterhin zu allgemeinpolitischen und gesellschaftlichen Fragen vernehmen. Im Blick auf die mennonitische Gemeinschaft ergibt sich ein ähnlich ambivalentes Bild, das von der Ablehnung der »schauerliche[n]« Revolution130 einerseits und politischem Pragmatismus andererseits gekennzeichnet war. Als in der zweiten Hälfte des Jahres 1919 der Chronist131 des Christlichen GemeindeKalenders die Feder ansetzte, um das politische Zeitgeschehen zu kommentieren, konnte er nur klagen: »Ja, wenn uns die Revolution erspart geblieben wäre!«. Er fuhr fort, noch immer mit dem Ende der Monarchie hadernd: »Aber ihr Geist hat mit allem Bestehenden gründlich aufgeräumt. […] Die unheilvolle Revolution schuf die traurigsten Zustände im Lande. Sie brachte eine Umwälzung hervor, wie sie wohl einzig in der Weltgeschichte dasteht. Unser geliebter Kaiser mußte dem Throne entsagen und mit ihm nacheinander sämtliche Fürsten in Deutschland. Eine heillose Verwirrung entstand besonders in den Hauptstädten unseres Vaterlandes.

128 L. Köther: Die Stellung des Gläubigen inmitten der gegenwärtigen politischen Bewegungen. Vorgetragen an der Rheinisch-Westfälischen Jahresversammlung zu Elberfeld am 29. Juni 1920, in: Die Rheinische Traube 44 (1. August 1920) Nr. 8, S. 114–118. 129 Eine frühe Stimme aus Sachsen, die sich im Wahrheitszeugen geradezu euphorisch gegenüber den neuen, von Freiheit geprägten Verhältnissen äußert, war am 30. 03. 1919 zu vernehmen, zitiert bei Stedtler, Baptisten, S. 33. 130 Vortrag Christian Neff »Unser Zukunftsprogramm«, in: XVII. [=17.] Jahresbericht der Konferenz der süddeutschen Mennoniten 1919, S. 10–13, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 16 (Berichte und Informationen) (Mappe: »Jahresberichte«). 131 Nach Helmut Foth war dies Johannes Foth; vgl. Helmut Foth: Mennonitischer Patriotismus im Ersten Weltkrieg und die Kriegsrede des Danziger Predigers Hermann G. Manhardt, in: Mennonitische Geschichtsblätter 72 (2015), S. 47–74, S. 59 und 74 (Fußnote 51).

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Die rohesten Instinkte im Volke wurden wachgerufen und machten sich in Plünderungen und zügellosen Volksaufständen Luft.«132

Der Chronist ließ keinen Zweifel daran, dass er der Revolution aufgrund ihres »Geistes« ablehnend gegenüber stand.133 Auch Hinrich van der Smissen hatte im Januar 1919 von »andere[n] Mächten« gesprochen, die die Gewalt an sich gerissen hätten und im Mai des Jahres 1919 im Herausgeberwort seiner Mennonitischen Blätter formuliert: »Das Bürgertum, einst das Mark des Volkes, wird durch die Massen an die Wand gedrängt.«134 Konsequenterweise betrachtete nun der Chronist des Gemeindekalenders die Republik, die aus der Revolution hervorgegangen war, mit Skepsis: »Mittlerweile hat die Nationalversammlung in Weimar ein neues Staatsgebäude gezimmert. Deutschland ist zur Republik erklärt und seit dem 31. Juli hat es auch eine neue Verfassung. An die Stelle des Kaisers und der Fürsten von Gottes Gnaden ist das Volk selbst getreten. Mag sein, daß Republiken vor der neuen deutschen mit ihrem Regierungssystem nicht schlecht gefahren sind, aber es will doch scheinen: Eines schickt sich nicht für alle. Es ist nicht einzusehen, warum eine Regierungsweise, unter der ein Land durch Jahrhunderte groß und reich geworden ist nicht auch weiter zum Segen hätte sein können. Ob die neue Regierungsform unserem Volk und Land Glück und Heil bringt? Es will einem doch manchmal bange werden, wenn man den Geist bedenkt, der zu all diesen Umwälzungen und fundamentalen Wandlungen geführt hat. Es ist nicht ein Geist von oben, sondern von unten her.«

Die kritische Haltung des Schreibers gegenüber Revolution und Republik enthielt also eine theologische Dimension: er unterschied Handeln, das im Einklang mit göttlichen Vorstellungen (»von oben«) stand von nicht-göttlichem (»von unten«). Kennzeichnend für Letzteres war die Ablehnung »aller Autorität«. Dabei parallelisierte er die zeitgenössische Situation mit derjenigen, die in dem biblischen Gleichnis vom anvertrauten Geld beschrieben wird: »Ein Fürst zog in ein fernes Land, um ein Königtum zu erlangen und dann zurückzukommen. […] Seine Bürger aber waren ihm Feind und schickten eine Gesandtschaft hinter ihm

132 Gemeinde-Chronik, in: Christlicher Gemeinde-Kalender für das Schaltjahr 1920. Herausgegeben von der Konferenz der Süddeutschen Mennoniten 29 (1920), S. 89–96, Zitat S. 90. Als Christlicher Gemeinde-Kalender erschien das Jahrbuch 1992 bis 1941. 1951 wurde es bis 1970 als Mennonitischer Gemeindekalender fortgeführt, und erscheint seitdem als Mennonitisches Jahrbuch, seit 1986 unter der Herausgeberschaft der Arbeitsgemeinschaft Mennonitischer Gemeinden in Deutschland (AMG). Inhalt und Form haben sich grundlegend gewandelt. 133 Vgl. zur Wahrnehmung, dass »andere Mächte« die Gewalt übernommen hätten: Hinrich van der Smissen: Zum neuen Jahr, in: Mennonitische Blätter 66 (1919) 1, S. 1–2, hier S. 2. 134 Hinrich van der Smissen: Unterlegen, aber nicht besiegt, in: Mennonitische Blätter 66 (1919) 5, S. 33–34, hier S. 33.

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her und ließen sagen: Wir wollen nicht, dass dieser über uns herrsche.«135 Jesus Christus erzählte das Gleichnis, um das Kommen seines Reiches zu beschreiben. Der »Geist«, der die Bürger in dem biblischen Gleichnis zur Ablehnung des Königs bewogen habe, und der »Geist«, der zu den zurückliegenden, zeitgenössischen Umwälzungen geführt habe, seien von der gleichen »Art«.136 Mit ähnlichen Bildern wurde auch im Jahresbericht der Konferenz der süddeutschen Mennoniten 1918 gearbeitet: »Das deutsche Kaiserreich ist zusammengebrochen. Dunkle Kräfte im Innern unseres eigenen Volkes haben den Zusammenbruch des deutschen Geistes, der deutschen Riesenfronten und des deutschen Kaiserthrones bewirkt und unser Schicksal besiegelt. Nach einem glänzenden Aufstieg, den Deutschland in den letzten Jahrzehnten genommen, ist ein furchtbarer Sturz gefolgt, von dem sich unsere Nation so schnell nicht wieder erheben wird.«137

In der Perzeption von Revolution und Republik unterschieden sich das offizielle Mennonitentum und der vermutlich breiteste, konservative Strom innerhalb des offiziellen Baptismus somit nicht signifikant von den evangelischen Landeskirchen mit ihrer mehrheitlich nationalprotestantischen Ausrichtung. Auch der evangelische Geistliche Otto Dibelius, der 1921 in den altpreußischen Evangelischen Oberkirchenrat aufrückte, sah in der Novemberrevolution finstere Mächte am Werk.138 Bei aller theologisch begründeten oder grundierten Ablehnung der Revolution des mennonitischen Chronisten und bei aller Skepsis gegenüber der daraus hervorgegangenen Staatsform der Republik war für seine Position Mitte 1919 doch ein pragmatischer Zug kennzeichnend gewesen. So beklagte er zwar, dass der Zusammenhalt der mennonitischen Gemeinschaft gefährdet sei, weil einzelne Gemeinden in Gebieten lägen, die nun vom Reich abgetrennt seien (was für die Einzelnen ein Wechsel der Staatsbürgerschaft zur Folge hätte), fuhr aber im Blick auf die Situation in Deutschland sogleich fort: »Für die auch weiterhin bei Deutschland verbleibenden Mennonitengemeinden haben sich durch die neue Rechtsverfassung nicht ungünstige Momente ergeben. Die Kirche ist vom Staat getrennt. Wir sind oder können werden eine öffentlich rechtliche Kör-

135 Lukas 19,12 und 14. Zitiert nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung (1984). 136 Gemeinde-Chronik, in: Christlicher Gemeinde-Kalender für das Schaltjahr 1920. Herausgegeben von der Konferenz der Süddeutschen Mennoniten 29 (1920), S. 89–96, Zitat S. 90. 137 XVI. [=16.] Jahresbericht der Konferenz der süddeutschen Mennoniten 1918, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 16 (Berichte und Informationen) (Mappe: »Jahresberichte«). 138 Weiß, Staatskirchenrecht, S. 15, nach: Carsten Nicolaisen: Otto Dibelius, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Bd. 8, Berlin 1981, S. 729–731.

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perschaft und damit stehen wir rechtlich allen anderen Konfessionen gleich. Daraus ergibt sich, daß wir uns von nun an freier betätigen und entfalten können.«139

Diese Haltung steht für eine allgemeine Tendenz innerhalb des Mennonitentums: sie zeigte sich auch bei dem einflussreichen mennonitischen Theologen und Historiker Dr. Christian Neff (1843–1946)140 und korrespondierte mit den Sondierungsbemühungen der Verbandsspitze in eben jener Phase. So war der Hamburger Pastor Hinrich van der Smissen als Vorsitzender der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich in Kontakt mit dem linksliberalen Mitglied der Weimarer Nationalversammlung Dr. Andreas Blunck (1871–1933; DDP) herangetreten, um mennonitische Interessen zu vertreten: van der Smissen schrieb Blunck, der später, im Kabinett Müller, kurzzeitig auch als Reichsjustizminister fungierte (April bis Juni 1920)141 am 24. September 1919, um den mennonitischen Standpunkt in Sachen Eidesleistung zu erläutern.142 (Vgl. zu Eidproblematik Abschnitt D.)

139 Gemeinde-Chronik, in: Christlicher Gemeinde-Kalender für das Schaltjahr 1920. Herausgegeben von der Konferenz der Süddeutschen Mennoniten 29 (1920), S. 89–96, Zitat S. 95. 140 Vgl. seinen Vortrag »Unser Zukunftsprogramm«, in: XVII. [=17.] Jahresbericht der Konferenz der süddeutschen Mennoniten 1919, S. 10–13, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 16 (Berichte und Informationen) (Mappe: »Jahresberichte«). 141 Vgl. die biografischen Daten unter URL: http://zhsf.gesis.org/biorabwr_db/biorabwr_db. php (Aufruf: 28. 08. 2020). (Die Abgeordneten der Deutschen Nationalversammlung und der Deutschen Reichstage 1919–1933 (BIORAB-WEIMAR). 142 Schreiben Hinrich van der Smissen an Dr. Andreas Blunck vom 24. 09. 1919, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich Karton 1, Ordner [6] »Briefw. 1919–1925 chronologisch«.

B.

Eberhard Arnold und die Revolution

Dr. Eberhard Arnold – der Begründer einer Güterteilung praktizierenden, christlichen Lebensgemeinschaft, dem späteren Bruderhof – war, wie seine Vorträge zeigen, ein ungemein vielseitig interessierter Mensch; philosophisch denkend, den Naturwissenschaften gegenüber aufgeschlossen, an Politik und dem aktuellen Zeitgeschehen interessiert – und zwar nicht alleine zeitungslesend, sondern auch durch persönliche Erfahrung, den Austausch mit politischen Aktivisten und eigener Anschauung: In ihren Lebenserinnerungen berichtet Emmy Arnold, dass sie, ihre Schwester und ihr Mann Eberhard am 10. November 1918 die große Kundgebung im damaligen Gebäude des Zirkus Busch in Berlin (Mitte) besucht hatten; dort war in einer spannungsgeladenen Versammlung von 3.000 Arbeiter- und Soldatenräten der »Rat der Volksbeauftragen« als neue Regierung bestätigt und der Einsetzung eines kontrollierenden Aktionsausschusses zugestimmt worden.143 Eberhard Arnolds Haltung zur Revolution unterschied sich in einiger Hinsicht grundlegend von derjenigen, die der offizielle Baptismus und das Mennonitentum kundgetan hatten. Dennoch teilte Arnold mit den etablierten Freikirchen in dieser Phase – erstens – einige wesentliche Kritikpunkte an der Revolution von 1918; zugleich vermochte er – zweitens – auch in solchen politischen Strömungen, denen er mit Kritik begegnete, positive Ansätze erkennen; schließlich bezog er – drittens – durch die intensive Auseinandersetzung vor allem mit dem Werk Gustav Landauers einen explizit politisch radikalen Ansatz in sein Denken mit ein: er begriff das Konzept des kommunistischen Anarchismus als den politischgesellschaftlichen Ausdruck seiner Theologie. Während Arnold nun weiterhin 143 Emmy Arnold: Zur Sannerzer und Bruderhöfer Geschichte [ca. 1940] [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_05, Box 15, Folder 15–16. Vgl. Heinrich August Winkler: Der lange Weg nach Westen. Erster Band: Deutsche Geschichte vom Ende des Alten Reiches bis zum Untergang der Weimarer Republik, München 2000, S. 374. Vgl. zum Weg Eberhard Arnolds in dieser Phase: Antje Vollmer: Die Neuwerkbewegung. Zwischen Jugendbewegung und Religiösem Sozialismus, Freiburg 2016 (basierend auf ihrer Dissertationsschrift aus dem Jahr 1973).

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Eberhard Arnold und die Revolution

wichtige theologische Grundaussagen mit evangelikalen Freikirchen teilte, unterschied er sich durch den lebenspraktischen Versuch der Umsetzung eines kommunistischen Projekts grundsätzlich von ihnen, wobei er mit den etablierten freikirchlichen Glaubensgemeinschaften weiterhin in Verbindung blieb (er pflegte nicht nur persönlichen Austausch etwa mit Baptisten und Mennoniten, sondern war auch in ihren Publikationsorganen präsent).144 Diese drei eben skizzierten und für sein Verhältnis zu Staat und Politik in den Jahren 1918 bis 1921 wesentlichen Elemente, möchte ich im Folgenden näher analysieren. Erstens: Als Eberhard Arnold wenige Wochen nach der Novemberrevolution in einer Berliner freikirchlichen Gemeinschaft eine theologische Vortragsreihe zum Römerbrief hielt, streifte er auch aktuelle politische Ereignisse. Dabei blickte er am Sonntag, dem 8. Dezember 1918, mit Sorge auf das revolutionäre Geschehen: »Wir erleben heute eine Revolution, und es hat den Anschein, als seien wir noch nicht am Ende des letzten Aktes dieser Revolution angelangt; wir fühlen alle eine Anwandlung innerer Beängstigung, wenn wir darauf sehen, wie die Gefahr der Anarchie und völliger Auflösung gerade hier in Berlin um sich greift, es scheint, als seien die verschiedene Lager der Revolutionären gegen einander gerichtet, als sei keine Verständigung zwischen den einzelnen Parteien möglich.«145

Und in seinem unveröffentlichten Buchmanuskript »Jesus und der Zukunftsstaat« machte er im folgenden Jahr, 1919, deutlich, dass sich das revolutionäre Streben nach staatlichem Umsturz nicht mit dem christlichen Glauben vertrage:

144 Es würde an dieser Stelle zu weit führen, die Beziehungen zwischen Arnold bzw. seiner Gemeinschaft und den etablierten Freikirchen auch nur ansatzweise zu erörtern; erwähnt sei an dieser Stelle beispielhaft nur die enge Beziehung zu dem baptistischen Prediger und Gemeindegründer Heinrich Euler; Euler, der auch in der Neuwerkzeitschrift publizierte, vollzog im Jahr 1921 die erste Taufe in Sannerz. Vgl. Markus Baum: Stein des Anstoßes. Eberhard Arnold 1883–1935, Moers 1996, S. 320, Hinweis in Fußnote 41. Der baptistische Publizist Carl August Flügge öffnete für den Bruderhof die Spalten der Zeitschrift Der Friedensbote. Ein Sonntagsblatt für Stadt und Land (73 [1933] Nr. 11, »Aus der Briefmappe des Schriftleiters«); seine Tochter hatte im August 1921 die Gemeinschaft aufgesucht, wie aus einem Briefwechsel zwischen Flügge und Arnold hervorgeht (Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02). Im Herbst 1932 absolvierten dreißig junge Baptisten einen Arbeitseinsatz auf dem Bruderhof, um den Boden der Rhön urbarer zu machen. (Barth, Botschaftsbelagerung, S. 184; vgl. Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 54 [1932] 42 [16. Oktober].). Vgl. zur Präsenz von Arnold und seiner Gemeinschaft im mennonitischen Schrifttum die Mennonitische Blätter 75 (1928), S. 105–108; 76 (1929), S. 34–36; 79 (1932), S. 32–33 (Erwähnung im Zusammenhang mit einem Artikel des Mennonitischen Lexikons über die Hutterer) 80 (1933), S. 117– 118. 145 Eberhard Arnold: Vortrag zu Römer 8, 31–39, gehalten am 08. 12. 2016 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 18/19.

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»Das Christentum kann als solches niemals die Berufung in sich fühlen, eine bestehende Staatsordnung zu beseitigen. Die Staatsgewalt und ihre Rechtsordnung sind in den Augen des Christen notwendige Werkzeuge in der Hand Gottes, um Mord und Haß, Lug und Trug, Ungerechtigkeit und Unreinheit in Schranken zu halten. Deshalb kann der Christ, wie wenig er auch selbst die Rechtsmittel und die Gewalt des Staates für sich in Anspruch zu nehmen oder in Anwendung zu bringen vermag, dem Staat und seiner Obrigkeit niemals Achtung und Unterordnung versagen.«146

Im gleichen Buchmanuskript übte er fundamentale Kritik am Sozialismus; »teuflische Gewalten schlimmster Art« seien dort wirksam, die sozialistische Bewegung stünde mit dem »Geist des Abgrunds in naher Verbindung«.147 Damit schien Eberhard Arnolds Haltung ganz auf einer Linie mit der Sichtweise zu liegen, die innerhalb der etablierten Freikirchen hegemonial gewesen war. Betrachtet man seine Argumentation jedoch etwas genauer, wird deutlich, wie groß der Unterschied zur konservativen Auffassung insgesamt doch war. Eine Differenz zeigte sich zum einen darin, dass er – bei aller grundsätzlichen Kritik an der praktischen Politik – den zugrunde liegenden Ideen des Sozialismus und Kommunismus positiv gegenüberstand; der Unterschied zeigte sich zum anderen aber auch in seinem (gewandelten) Verständnis von Revolution; für Arnold war der Begriff einer kommenden Weltrevolution spätestens seit 1919 positiv besetzt, wobei er, wie wir noch sehen werden, einen gewaltsamen Umsturz weiterhin grundsätzlich ablehnte. Zweitens: Bereits in seinem Berliner Vortrag vom 8. Dezember 1918 hatte Eberhard Arnold ausgeführt, dass »etwas von Jesus in der Sozialdemokratie« sei.148 Bezeichnenderweise begegnete er aber auch dem Sozialismus und Kommunismus, für die er etwa in seinem Buchmanuskript »Jesus und der Zukunftsstaat« deutlich missbilligende Worte gefunden hatte, nicht nur ablehnend, sondern schon dort zugleich auch anerkennend: So rekurrierte er hier sowie auch an anderer Stelle auf das Argument, dass diese Bewegungen tiefe Gewissensfragen artikulierten, gleichsam das Weltgewissen repräsentierten – und ein an Christen gerichteter »Gewissensappell« seien.149 Denn Fragen wie die der Armut 146 Eberhard Arnold: Jesus und der Zukunftsstaat (erster Entwurf), maschinenschriftliche Abschrift des Manuskripts, S. 17, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 19/01 g. 147 Eberhard Arnold: Jesus und der Zukunftsstaat (erster Entwurf), maschinenschriftliche Abschrift des Manuskripts, S. 16 u. 17, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 19/01 g. 148 Eberhard Arnold: Freiheit des Geistes Römer 8 (III). Vortrag, gehalten in der Hohenstauferstraße Berlin am 03. 12. 1918 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 18/14. 149 Vgl. Eberhard Arnold: Jesus und der Zukunftsstaat (erster Entwurf), maschinenschriftliche Abschrift des Manuskripts, S. 16 u. S. 31, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 19/01 g. Ders.: Weltrevolution und Welterlösung (1919, maschinenschriftlich, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 19/4a. (II)

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Eberhard Arnold und die Revolution

und Ausbeutung von Menschen hätten eigentlich von Christen vorgebracht werden müssen: »Aber der Sozialismus ist ein Sehnsuchtsschrei der Steine, wo die Kinder geschwiegen haben.«150 (Arnold bezieht sich hier auf Lukas 19, 40.151) In dieser Deutung kam zweifellos Sympathie für sozialistische und kommunistische Ideen zum Ausdruck. Arnold ging über dieses Bild aber noch hinaus; er sah in ihren Forderungen auch spezifisch christliche Ziele oder Werte repräsentiert. Aus seiner Sicht schien dort – mindestens in den ideellen Bewegründen – etwas von jenem echten Menschentum auf, auf das die Bergpredigt abziele; es funkle darin sozusagen ein Stück vom Reich Gottes. Zwischen 1910 und 1919 (mit einem Kristallisationspunkt im Jahr 1919) hatte sich das theologische Denken von Eberhard Arnold zunehmend auf den Gedanken konzentriert, dass die Bergpredigt kein unerreichbares Ideal beschreibe, sondern die Prinzipien eines Reiches Gottes charakterisiere, das sich durch die Lebensweise der Christen, als den Angehörigen dieses Reiches, inmitten der gegebenen zeitgenössischen Verhältnisse realisiere. Setzten Menschen die Bergpredigt lebenspraktisch um, so argumentierte Arnold, kehrten sie zum ursprünglichen Menschsein im Sinne einer Gottesebenbildlichkeit zurück; gesellschaftlich entfalte sich damit ein »Menschentum im Vollsinn«.152 Eberhard Arnold war im Jahr 1910 durch die Lektüre des Schweizer Theologen Hermann Kutter mit den Ansätzen des religiösen Sozialismus in Berührung gekommen (und bezog sich noch an seinem Lebensende darauf).153 Die bei Kutter zentrale Kritik am »Mammonismus« (von dem in der Bergpredigt verwendeten aramäischen Wort mamona, was Vermögen, Besitz bedeutet; vgl. Matthäus 6, 24) wurde zu einem wesentlichen Element in Arnolds Denken und für seinen kritischen Blick auf die Gesellschaft. Spätestens seit 1919, als sich ein Freundeskreis um Arnold besonders intensiv mit der Bergpredigt auseinandersetzte, galt Arnold der persönliche Verzicht auf Besitz und Vermögen als Kennzeichen eines Nachfolgers Christi schlechthin. Ein von Gottes Geist geleiteter Mensch sei, so Arnold, grundsätzlich »gegen die ganze mammonitische 150 Eberhard Arnold: Für Coburg. Menschheitskultur und Christusreich [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA EA 19/07a. Der gleiche Bezug finden sich auch in seinem Text: Der Nachkomme des Menschen und die kommende Ordnung [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 20/14 (I): »Gott muß aus Steinen Zeugen erwecken, gerade aus den atheistischen Kreisen, und die Wahrheit auch heute wieder lebendig werden lassen und dort die Kraft gewiß werden lassen, die die anderen nicht besaßen.« 151 »Er [Jesus] antwortete und sprach: Ich sage euch [Pharisäer]: Wenn diese [Jünger] schweigen werden, so werden die Steine schreien.« Zitiert nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung (1984). 152 Zusammenfassung seiner Bibelarbeit über die Bergpredigt auf der Marburger D.C.S.V.Tagung an Pfingsten 1919, zitiert nach Baum, Arnold, S. 103. 153 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 4; Baum, Arnold, S. 172–175.

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Weltordnung« eingestellt.154 Daneben entfaltete sich bei ihm seit Herbst 1917 ein konsequenter Pazifismus. Beide Elemente, Besitz- und Gewaltlosigkeit, waren nun, am Beginn der Weimarer Republik, zwei der wesentlichen Bezugspunkte, wenn sich Arnold auf die praktische Umsetzung der Bergpredigt bezog. Wenn ein Mensch durch die Hingabe an Jesus, durch dessen Tod er von seinen Sünden erlöst sei und sein Leben nun von Gottes Geist im Sinne der Bergpredigt bestimmt werde, dann, so Arnold, habe das auch fundamentale gesellschaftliche Auswirkungen. Im Blick auf die evangelistische Kernbotschaft konnte sich Arnold mit vielen Christen aus den Freikirchen (oder Landeskirchen) einig wissen; Arnold kritisierte aber, dass es in den neupietistischen Glaubensgemeinschaften vielfach nur um das persönliche Heil, die individuelle Erlösung gehe, während die gesellschaftlichen Implikationen der Jesus-Nachfolge außer Acht gelassen würden: »Es ist nicht genug, wenn man seine Glieder nicht mehr der Sünde als Waffen der Ungerechtigkeit hingibt. Das neue Leben besteht in der Hingabe aller Glieder zu Waffen der Gerechtigkeit.«155 Mit dieser Haltung, die auf eine radikale gesellschaftliche Auswirkung des Evangeliums drängte, eckte Eberhard Arnold im traditionell ausgerichteten D.C.S.V. an. Dass Arnold dabei konsequent an dem christologischen Kern festhielt, wurde dort offenbar nicht recht gesehen oder verstanden. 1920 gab er daher seinen Posten als Verlagsleiter dieses Verbandes auf und nahm am 1. April die Stelle eines Leiters des Neuwerk-Verlags an; bis dahin war dieser noch ganz auf die Zeitung Das neue Werk des pazifistischen evangelischen Pfarrers Otto Herpel aus Hessen bezogen gewesen. Arnold, der zunächst als Mitherausgeber der Zeitschrift fungierte, sollte ein Buchprogramm entwickeln. Im September 1920 erschien eine Sondernummer der Zeitschrift Das neue Werk (mit dem Titel: Die Flamme), die u. a. Texte der linken Sozialdemokratin und Mitbegründerin der Kommunistischen Partei in Deutschland, Rosa Luxemburg, und des russischen Anarchisten Pjotr Alexejewitsch Kropotkin enthielt. Nach dem Arnold-Biograf Markus Baum handelte es sich zwar um eine »Auftragsarbeit auf Rechnung eines Breslauer Freundes« mit dem Ziel, einen »christlichen Zugang zur revolutionären Arbeiterjugend« zu finden.156 Bezeichnend ist jedoch, wie Arnold auf die Kritik an dieser Publikation reagierte. Am 13. November 1920 schrieb er an Fritz Böhm:

154 Zusammenfassung seiner Bibelarbeit über die Bergpredigt auf der Marburger D.C.S.V.Tagung an Pfingsten 1919, zitiert nach Baum, Arnold, S. 103. 155 Eberhard Arnold: Die neue Bewegung (07. 03. 1919) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 19/8. Vgl. ders.: Der Neuwerk Verlag. Eingetragene Genossenschaft mit beschränkter Haftpflicht zu Schlüchtern (1920), in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 20/32. 156 Baum, Arnold, S. 129. Vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 7.

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»Du hast vollkommen Recht, dass es nicht möglich sein kann, zwischen einem aus der Gnade heraus gelebten Christusleben und einem Parteisozialismus eine Identität zu konstruieren. Dagegen fühlen wir sehr stark, dass viele Gewissensforderungen, die von Seiten des Sozialismus und des Pazifismus erhoben werden, ganz und gar auf dieselbe Sehnsucht abzielen, die der eschatologischen Stimmung der Zeit Johannes des Täufers und des Urchristentums entspricht. Wir sind überzeugt, dass das, was im Sozialismus und Kommunismus und Pazifismus Gewissenbewegung ist, sich rein von innen heraus gegen Mammonsherrschaft und Blutvergießen, soziale Ständeschichtung und persönlichen Besitzwillen richtet, von Gott kommt. Das hindert uns nicht gleichzeitig zu sehen, wie starke satanische und dämonische Kräfte in denselben Bewegungen wirksam sind. Was wir heute brauchen und alle noch nicht so haben, wie es unsere Zeit verlangt, ist eine einfache Nachfolge Jesu, die dieser heutigen Sehnsucht entspricht, sich aber nicht auf das Erbauliche beschränkt.«157

Und an anderer Stelle führte er 1920 aus: »Aber wir glauben auch die positiven Gerechtigkeits- und Gemeinschaftsforderungen der Revolution, des Sozialismus und des Kommunismus ebenso kräftig unterstützen zu müssen, wie wir ihre negativen zerstörenden Kampfmittel ablehnen und bekämpfen müssen.«158 Arnold führte die Gedanken der Bergpredigt und des Urchristentum einerseits und die Ideale innerhalb der sozialistischen und kommunistischen Bewegungen andererseits somit auf eine gemeinsame Quelle zurück. Es liegt nahe, dass diese Sichtweise von den intensiven persönlichen Begegnungen Arnolds mit dem Quäkertum und deren Lehre mitbestimmt wurde, deren Kernaussage lautet, dass in jedem Menschen das Licht Gottes wohne.159 Jedenfalls hatte Arnold, wie wir gesehen haben, keinerlei Schwierigkeiten, Grundgedanken linker Radikaler öffentlich zu würdigen. Auch dem unabhängigen Sozialdemokraten Kurt Eisner (am 21. Februar 1919 von einem rechtsextremen Studenten ermordet), der einem pazifistischen Sozialismus anhing, brachte Arnold große Wertschätzung entgegen. Und den aus einer jüdischen Familie stammenden Gustav Landauer studierte er nicht nur ausführlich, sondern wollte ihn auch publizieren.160 Landauer war in der ›Münchner Räterepublik‹ – im April 1919 gegen die sozialdemokratische Republik ausgerufen – kurzzeitig auf den Posten eines Beauftragten für Volksaufklärung gehoben worden, ehe er sich zurückzog, als KPD-Funktionäre in der Räterepublik die Macht an sich rissen. Nach Niederschlagung der Republik wurde Landauer am 2. Mai 1919 von einem Freikorps-Angehörigen ermordet. Hingegen betrachtete Arnold jeglichen Parteisozialismus mit Skepsis und die Vorstellung, das von ihm erhoffte urchristliche Leben könne auf dem Fundament 157 Eberhard Arnold an Fritz Böhm am 13. 11. 1920 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. Vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 7. 158 Eberhard Arnold: Antwort auf die Einladung zu die Bildhovener Konferenz [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 20/29. 159 Baum sieht diesen Ansatz aber bereits bei Kutter angelegt. Baum, Arnold, S. 175. 160 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 7f.; Baum, Arnold, S. 122f.

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einer (linken) Partei gebaut werden, lehnte er vehement ab. Zum einen kritisierte er, dass die Anhänger dieser Bewegungen, die »Massen«, nicht vom Geist Gottes durchdrungen seien und von diesem geleitet würden; zum anderen erkannte er, dass die Ziele dieser politischen Parteien nur auf dem Wege der Gewalt und des Zwangs verwirklicht werden könnten. Gewalt aber, wie sie im März 1921 von Kommunisten und anderen Linksradikalen verübt worden waren (»Mitteldeutscher Aufstand«), betrachtete Arnold mit Abscheu.161 Die positive Konnotation von »Weltrevolution« war bei Arnold nun durch die Hoffnung auf das Kommen des Reiches Gottes begründet. Hatte er sich im Dezember 1918 noch kritisch gegenüber dem revolutionären Geschehen gezeigt, benutzte er in den folgenden Jahren den Begriff der »Weltrevolution« affirmativ: »In der Weltrevolution«, formulierte er 1920, »ist dieselbe Einstellung auf den Zukunftsstaat der sozialen Gerechtigkeit und des Völkerfriedens, auf den Zukunftsstaat der alle verbindenden Gemeinschaft der Menschen gegeben. In der Weltrevolution liegt derselbe heilige Protest Gottes gegen den Mammongeist und gegen den mörderischen Geist verborgen wie in der Reichsverkündigung Jesu und der Apostel. In der Weltrevolution ist derselbe Geist wirksam, der die Urgemeinde zusammengebracht hat. Aber noch hat er sich nicht zu demselben Erweckungserlebnis verdichtet. […] Noch ist das ›Christus in uns‹ nicht ins Bewusstsein getreten, noch ist Jesus Christus nicht überall als die entscheidende Verkörperung und einzige Verwirklichung des ersehnten Geistes erkannt.«162

Arnold erwartete eine »Weltrevolution« und zwar nicht furchtsam, sondern sehnsüchtig. Er erwartete sie aber nicht vom Kommunismus, sondern, wie Arnold 1921 vortrug, »nur durch das Hereinbrechen des Gottesgeistes, durch die Herrschaft Jesu über die Menschen, durch das Leben der unmittelbaren Liebe, des verbindenden aufbauenden Geistes von Herz zu Herz gibt es eine Weltrevolution von Grund aus, eine Revolution gegen den Staat auf dieser Erde.«163 Das führt uns zu Arnolds Rezeption des kommunistischen Anarchismus; anders als im Dezember 1918 war »Anarchismus« bei Arnold nun positiv besetzt. Drittens: Die Ansätze des kommunistischen Anarchismus waren für Eberhard Arnold die große politische Entdeckung. Der Kern seiner Vorstellung von einer anarchistischen Kommune blieb ein christologischer: Die revolutionäre Erneuerung von Menschheit und Welt beginne bei der Erlösung und Erneuerung des Einzelnen. Bei Landauer fand Arnold nicht nur allgemein konzeptionelle 161 Vgl. Eberhard Arnold: Gegen Blut und Gewalt, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 3 (1921/22) 1 (15. April 1921), S. 4–11; Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 21/ 11. 162 Eberhard Arnold: Das Geheimnis der Urgemeinde, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 2 (1920/21) 7 (4. Juli 1920), S. 160–164, hier S. 162f. 163 Eberhard Arnold: Weltrevolution und Welterlösung. Vortrag vom 18. 04. 1921 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 21/19a.

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Überlegungen zum Anarchismus (»Wir vertrauen diesem verbindenden Geist, den wir praktisch durchaus im Sinne von Landauers ›Aufruf zum Sozialismus‹ auffassen, ganz.«164) sondern auch ein entschiedenes Bekenntnis zu Jesus »als der einzigen entscheidenden Gestalt der Weltgeschichte für die Weltrevolution«.165 Dabei verstand Arnold unter Anarchie eine »organisch gefügte[…] Ordnung […] im Sinne einer Ordnung durch Bünde der Freiwilligkeit«. »Wenn es sich bei dem marxistischen Sozialismus um eine organisatorische Zentralisation handelt«, führte Arnold in der Zeitschrift Das neue Werk aus, »so handelt es sich bei den uns vorschwebenden anarchistischen Kommunisten um Dezentralisation und organischen Neuaufbau vom Einzelnen her, um organische Dezentralisation. Jeder einzelne Mensch soll als freies Individuum, als unteilbar erlebte Persönlichkeit zur Erkenntnis kommen, daß der Geist, der in ihm lebt, Liebesgemeinschaft und gemeinsame Arbeit fordert. Deshalb schließt sich jeder dieser Menschen mit den anderen zu freiwilligen Bündnissen, zu einem Bund arbeitender Menschen zusammen. Derartige Bündnisse jener kleinen Gemeinden einzelner Menschen sollen wiederum größere Zusammenschlüsse und Vereinigungen bilden. In verschärfter Zuspitzung kommt schließlich ein Bund der Bünde zustande, der sich über die ganze Welt erstreckt. Dieser freie Bund einer neuen Menschheit, zusammengehalten durch den Geist der Gemeinsamkeit, nicht aber durch die Zwangsordnung eines Militär= oder Polizeistaates, hätte umso weniger Arbeit zu erledigen, je umfassender er ist. Denn die kleinen engen begrenzten Bünde sollen ja in kommunistischer Lebensgemeinschaft möglichst alle Fragen selbst regeln, die für das Leben ihres Kreises von Bedeutung sind.«166

Mit solchen Vorstellungen hatten Eberhard und Emmy Arnold im Juni 1920 ernst gemacht: Als sich Berlin zu Beginn der 1920er-Jahre anschickte, die Metropole der Moderne zu werden, zog die Familie von dort in die hessische Provinz, nach Sannerz bei Schlüchtern (Nähe Fulda), um eine christliche Kommune zu begründen. Im Kern handelte es sich im Jahr 1921 um sieben Erwachsene, um die sich aber häufig bis zu 40 und 50 Gäste scharten.167 Es herrschte reger Besuch. Eberhard Arnold sprach Mitte 1921, um den Einfluss der Gruppe zu beschreiben, von einem kleinen Kern »einiger hundert Christusbekenner«, die sich um

164 Eberhard Arnold an Paul Staugassinger vom 14. 06. 1920 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 165 Eberhard Arnold: Jugend (1921) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 21/21. 166 Eberhard Arnold: Familienverband und Siedlungsleben. Wege zur Hingabe an die Gemeinschaft, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 2 (1920/21) 3 (9. Mai 1920), S. 65–72, hier S. 67f.; Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 20/11. Vgl. zu seinem Verständnis auch: Antwort auf die Einladung zu die Bildhovener Konferenz [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 20/29. 167 Emmy Arnold: Zur Sannerzer und Bruderhöfer Geschichte [ca. 1940] [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_05, Box 15, Folder 15–16.

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Schlüchtern sammelten und um den sich etwa 2.000 bis 3.000 Menschen gruppierten, die von dem Zeugnis angezogen würden.168 Was bedeutete das Kommen des Reiches Gottes für die Haltung des Christen gegenüber dem Staat? Arnold hielt daran fest, dass »die Obrigkeit eine Ordnung Gottes ist«, sah darin zugleich aber »im Staat ein Raubtier der Hölle, eine Ausgeburt des Bösen«. Die christliche Gemeinde wisse, so führte er in einem Vortrag aus dem Jahr 1921 weiter aus, »daß dieses Raubtier notwendig ist, um das Gleichgewicht der gegeneinander kämpfenden tierischen Instinkte durch mörderische Gewalt immer wieder herzustellen«. Sie, die Gemeinde, sei aber »zum flammenden Protest« gegen den Staat berufen.169 Wie aber verhielt sich diese Vorstellung mit dem Gedanken, dass mit der Ausbreitung des Reiches Gottes nach seinem Verständnis die Überwindung der weltlich-staatlichen Ordnung einherging? Implizierte die konsequente Umsetzung eines kommunistischen Anarchismus letztlich nicht eine allmähliche Ablösung des kapitalistischen Systems und der tradierten staatlichen Ordnungen? Arnold war sich im Klaren darüber, dass ein anarchistisches Projekt im Kleinen nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Bezügen funktionieren könne, die er ablehnte, sondern vom kapitalistischen System letztlich noch immer abhängig war.170 Es deutet aber darauf hin, dass es ihm dennoch um eine beispielhafte Überwindung der zeitgenössischen Gesellschaftsform ging; es scheint, als hegte er die Hoffnung, dass kleine urchristlich-anarchistische Zellen sich inmitten der staatlichen Ordnung ausbreiteten und den Staat und das kapitalistische Wirtschaftssystem überwinden würde, ohne es gewaltsam zu stürzen. Blicken wir abschließend noch auf Arnolds Haltung zu Demokratie und der Wahlen von Parteien: In einer Phase, in der es noch nicht ausgemacht war, wie sich das politische System in Deutschland weiterentwickeln würde, hatte Eberhard Arnold einen pragmatischen Bezug zur Demokratie, er hielt sie in der gegebenen Zeit für notwendig; aber seine Orientierung auf den kommunistischen Anarchismus bedingte, dass er die Demokratie nicht als gleichsam höchste Stufe der gesellschaftlichen Ordnungssysteme betrachtete. Seine diesbezügliche Haltung tritt besonders im Briefwechsel mit Hermann Östreicher hervor, der für die Neuwerkbewegung Überlegungen zu einem politischen »Programm« anstellte, nach Stephan Wehowsky ein Versuch, die Gruppe auf ein klares Bekenntnis

168 Eberhard Arnold an Paul Humburg, Briefkopie für Emmy Arnold vom 02. 06. 1921 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 169 Eberhard Arnold: Unsere Verantwortung für Volk und Menschheit, Vortrag vom August 1921 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 21/2. 170 Von unseren Arbeitsgemeinschaften bei Schlüchtern. Neuwerkgemeinschaft Sannerz und Siedlungsgenossenschaft Habertshof, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 3 (1921/ 22) 2 (15. Mai 1921), S. 52–56. Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA EA 21/37.

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festzulegen, um selbst Klarheit über deren Ausrichtung zu erhalten.171 Aus der Publikation dessen, Östreichers, »Programm« entwickelte sich in der Zeitschrift Das neue Werk und ihrem Umfeld ein Streit.172 Östreicher, der auf der Linie der SPD lag, lehnte zwar jeglichen Parteizwang innerhalb der Neuwerkbewegung ab, wollte deren Anhänger aber auf Demokratie und Sozialismus festlegen. Eberhard Arnold antworte ihm in einem persönlichen Brief am 11. Mai 1920: »Was den demokratischen Gedanken betrifft, so kann ich durchaus zustimmen, daß für die jetzige Lage der Dinge die Demokratie der einzig gegebene Weg ist, u. daß es sich heute für uns um keine Diktatur irgend einer Klasse, irgend einer Gruppe oder irgend eines Menschen handeln kann. Aber ich muß offen bekennen, daß ich die letzten Ideen der Gerechtigkeit, der Freiheit und der Liebe, das Wesentliche des aufbauenden Gemeinschaftsgeistes für etwas wesentlich Höheres halte als den demokratischen Gedanken, der nur ein Weg unter andern Wegen zu diesem Ziele darstellt. Es könnte an irgend einem Zeitpunkt die Notwendigkeit eintreten, einen andern Weg zu beschreiten, um die Ungerechtigkeit und egoistische Trägheit der Masse in Bewegung zu bringen. Ich könnte mir eine Führung eines Volkes denken, in welcher der Führer kein Diktator im alten äußerlichen Sinne ist, aber ein Mensch, der durch seinen überlegenen Geist in den verschiedensten Gruppen des Volkes das wahre Leben zur Entfaltung bringt. Selbstverständlich ist es auch auf demokratischem Wege möglich, daß ein solcher Mann zur Führung gelangt, und wie gesagt, heute ist zweifellos der demokratische Weg das einzig Gegebene und Mögliche.«173

Und in einem Brief an Karl Schönfeld vom 16. Juli 1920 forderte Arnold diesen auf: »Bitte rechne doch mit Hermann Östreicher energisch ab. Die formale Demokratie wie sie Östreicher vertritt, halten wir alle für einen längst überwundenen Standpunkt. Ich erwarte einen Artikel von Dir, in welchem Du auf Hermann Östreichers Anregung eingehst. Ich mit meinem engeren Kreis stehe natürlich weiter links als die mehrheitssoziale Demokratie, die an dem formal demokratischen Standpunkt festhalten muß.«174

Arnolds Haltung unterschied sich also von jenen Tendenzen innerhalb der bürgerlichen Parteien der 1920er-Jahre, den »Parteienstaat durch eine autoritäre 171 Stephan Wehowsky: Religiöse Interpretation politischer Erfahrung. Eberhard Arnold und die Neuwerkbewegung als Exponenten des religiösen Sozialismus zur Zeit der Weimarer Republik, Göttingen 1980, S. 91–95. 172 Hermann Östreicher: Politisches Programm, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 2 (1920/21) 5 (6. Juni 1920), S. 120–124. 173 Eberhard Arnold an Hermann Östreicher am 11. 05. 1920 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 174 Eberhard Arnold an Karl Schönfeld am 16. 06. 1920, 1920 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. Zum Tode Östreichers verfasste Arnold einen warmherzigen Nachruf, in dem er den Streit als fruchtbar charakterisierte und für seine Anregung dankte; vgl. Eberhard Arnold: Hermann Östreicher, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 2 (1920/21) 23/23 (20. Februar 1921), S. 575.

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Ordnung ersetzen« zu wollen, weil sie den »parlamentarischen Verfahren der Mehrheitsbildung und der Kompromissfindung« skeptisch gegenüberstanden.175 Leider wissen wir nicht, welcher Partei Eberhard Arnold in den Jahren 1919 bis 1921 selbst seine Stimme gegeben hat. Eine öffentliche Wahlabsage an die linken Lager, wie es uns beim Baptismus begegnet ist, finden wir bei ihm selbstredend nicht. Im Gegenteil: Als Eberhard Arnold in der Zeitschrift Das neue Werk im Mai 1920 von einer überregionalen Zusammenkunft der Jugend, vielfach aus unterschiedlichen Kreisen der Jugendbewegung stammend, berichtete (7. März 1920, Inselsberg in Thüringen), erwähnte er auch die politischen Optionen der Teilnehmenden: manche neigten dem Mehrheitssozialismus zu, manche dem »Kommunismus der K.P.D.«, andere zum »anarchistischen Kommunismus«. Und er tat dies ohne wertenden oder warnenden Ton.176 Und gegenüber Anhängern oder Sympathisanten der Neuwerk-Bewegung argumentierte er, dass man sich – wenn man sich überhaupt einer Partei anschließen wolle – am besten auf die linken Parteien SPD, USPD oder KPD verteilen solle.177 Im Februar 1921 wandte sich die inzwischen von Eberhard Arnold alleine herausgegebene Zeitschrift Das neue Werk (Schriftleiter: Otto Samuel) offensiv gegen ein Flugblatt aus dem Umkreis der Evangelischen Gemeinschaft (dem Methodismus zugehörig) und allgemein gegen die »unverfrorene Propaganda für die deutschnationale Volkspartei« aus diesen Kreisen. In dem nicht namentlich, sondern mit »Neuwerk« gezeichneten Artikel, wurde nun die Sichtweise bekämpft, dass nur der rechtsnationale Flügel christliche Interessen vertreten könne: »Das antichristliche Moment kann in jeder Weltanschauung einer jeden Partei nachgewiesen werden. So kann man zum Beispiel aus wesentlichen und tiefen Gründen die Weltanschauung der deutschnationalen Volkspartei der biblischen Weltanschauung als entgegengesetzt […] nachweisen.«178 (Konkret wurde bei der DNVP etwa kritisiert, dass die Partei einen Geist der »Feindseligkeit«, der »Kriegs- und Judenhetze« fördere.179) Das besprochene Flugblatt aus den Reihen der Evangelischen Gemeinschaft war im Blick auf die Wahl zum ersten preußischen Landtag sowie den Kommunalwahlen in Preußen am 20. Februar 1921 verbreitet worden. Der ausführliche Artikel in Das neue Werk 175 Herbert, Geschichte, S. 260; hier bezogen auf den Zentrumspolitiker Kaas, seit 1928 Parteivorsitzenden, und auf die rechtsliberale DVP. 176 Vgl. Eberhard Arnold: Vom Werden in unserer Jugend. Inselsberg – Großenheidorn – Schlüchtern, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 2 (1920/21) 4 (23. Mai), S. 79–84, hier S. 80f. 177 Vgl. Eberhard Arnold an Hermann Östreicher am 11. 05. 1920 und am 29. 07. 1920 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 178 Ohne Namen [Neuwerk]: Abwehr und Angriff zum Wahlkampf, in: Das neue Werk. Der Christ im Volksstaat 2 (1920/21) 23/24 (20. Februar 1921), S. 552–572, hier S. 560. 179 Ebd., S. 569.

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diskutierte nun die zeitgenössischen politischen Richtungen, indem jeweils ein Abschnitt aus dem Flugblatt zitiert und danach abwägend das Für und Wider aus Sicht der Neuwerk-Bewegung vorgetragen wurde – und ist insofern ein Dokument, das tiefe Einblicke in das politische Denken der Neuwerk-Bewegung gewährt. Auf die Sozialdemokratie gemünzt hieß es: »Ebenso aber kann man beweisen, daß wie in jedem einzelnen Menschen, so in jeder Partei ein Gottesfunke göttlicher Wahrheit und göttlicher Liebe lebt.«180 Vor der Wahl einer radikalen Linkspartei wurde – anders als bei den etablierten Freikirchen – keineswegs gewarnt, sondern sogar eine Mitarbeit als durchaus legitim betrachtet: »Da keine Partei als solche den reinen Reichsgottesgedanken vertritt, gehören wir in unserer Gesamtheit zu keiner Partei; aber wir freuen uns, wenn Einzelne von uns innerhalb einer Partei, auch innerhalb der radikalsten revolutionärsten Gruppen, gegen Besitzgier, gegen blutige Gewalt, gegen die Entsittlichung in Geschlechtsfragen, gegen die Lügen in allen Formen den Kampf annehmen.«181

180 Ebd., S. 560. 181 Ebd., S. 563.

C.

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Rufen wir uns, bevor wir die Perspektive der Politik auf die Freikirche untersuchen, noch einmal die freikirchliche Position in der Zeit des Revolutionswinters in Erinnerung: Der von Bernhard Weerts vorgetragene, aber auch von Albert Hoefs stark gemachte Ansatz, eigene Kandidaten für die Wahlen zur Nationalversammlung aufzustellen, um an der Gestaltung der künftigen Staatsform mitzuwirken, war in Angriff genommen worden. In Ostpreußen (Kreis Pillkallen) hatte sich ein Kandidat aufstellen lassen, war aber nicht gewählt worden.182 Dagegen schaffte es ein anderer Baptist tatsächlich in die Nationalversammlung; allerdings hatte sich dieser nicht aus dem eben skizzierten Impetus als Kandidat aufstellen lassen, sondern dem Parlament bereits im Kaiserreich angehört. Es handelte sich um den selbstständigen Klempnermeister Franz Bartschat (1872–1952) aus Königsberg. Er gehörte dem Reichstag zwischen 1912 bis 1918 an und zählte zum linken liberalen Flügel (DVFP); im Januar 1919 wurde er für die DDP in die Nationalversammlung gewählt und war Parlamentarier bis 1921 (dann erneut zwischen 1924 und 1928 sowie zwischen März 1930 und September 1930).183 An den Debatten zur künftigen Stellung der Kirchen und Religionsgemeinschaften in der Weimarer Nationalversammlung beteiligte sich der Wirtschaftspolitiker nicht.184 Das gilt auch für den Mennoniten Heinrich Janson (1869–1940), der zwischen 1921 und Mai 1924 sowie zwischen Dezember 1924 und 1930 Mitglied des Reichstages war. Der Unternehmer (Elektrizitätswerk, Weingut) und Bürgermeister von Albisheim (Kreis Kirchheimbolanden, Pfalz) vertrat die rechtsliberale DVP. Laut Sprechverzeichnis trat Janson nicht mit Beiträgen zur Religionspolitik hervor, sondern konzentrierte sich auf Fragen der Landwirtschaft und des Weinbaus. Als in der 182 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 3 (2. Februar), S. 20. 183 Vgl. die Angaben im Parlamentarierportal unter URL: http://zhsf.gesis.org/biorabwr_db/bio rabwr_db.php. (Aufruf: 28. 08. 2020). 184 Vgl. hierzu sowie zum Gesamten den vorzüglichen Beitrag von Weiß, Staatskirchenrecht, S. 19.

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Nationalversammlung das künftige Verhältnis zwischen den Kirchen respektive Religionsgemeinschaften und dem Staat diskutiert wurde, geschah dies also ohne erkennbaren intrinsischen, aus dem Plenum selbst kommenden, freikirchlichen Einfluss. Es blieb, und diese Frage wird unten noch diskutiert, der Weg der Intervention von außen. Allerdings hatte bald nach der Nationalversammlung ein weiterer freikirchlicher Christ, der Unternehmer Johannes van den Kerkhoff (1876–1945), Einfluss auf die religionspolitische Debatte zu nehmen versucht. Auch van den Kerkhoff, der einer Gemeinde aus dem Bund Freier Evangelischer Gemeinden angehörte und Mitglied der rechtsnationalen DNVP war, konzentrierte sich als Parlamentarier vor allem auf den Bereich der Wirtschaftspolitik. Doch 1922 konfrontierte er die Regierung in einer Anfrage mit dem Umstand, dass Angehörige von Freikirchen von den evangelischen Landeskirchen in Preußen noch immer zur Kirchensteuer herangezogen würden.185 Um den rechtlichen Rahmen zu schaffen, in dem solche Zwistigkeiten vermieden werden könnten, war es in den religionspolitischen Debatten der Nationalversammlung unter anderem gegangen. Als sich die Abgeordneten der Parteien in der Verfassungsgebenden Nationalversammlung über die künftige Rolle der Kirchen in der Republik verständigten, ging es jedoch zuallererst um die Rolle der Großkirchen, deren Rechtsstatus bis dahin von einer engen Verflechtung mit den deutschen Einzelstaaten gekennzeichnet gewesen war: Sollten die großen Kirchen ihren privilegierten Status beibehalten oder sollten alle Kirchen und Religionsgemeinschaften einheitlich unter Privatrecht gefasst werden, wofür die Mehrheits-SPD und die USPD eintraten – und was einen radikalen Bruch mit der bisherigen Tradition bedeutet hätte.186 Gegenstand der Diskussion war ausdrücklich aber auch die Stellung der freien Religionsgemeinschaften, wobei sich das Interesse der Sozialdemokratie darauf bezog, dass Kirchen beispielweise gegenüber Weltanschauungsverbänden nicht bevorzugt sein dürften, während von linksliberaler Seite explizit auch auf die Gleichbehandlung evangelischer Freikirchen Bezug genommen wurde. Einig war man sich parteiübergreifend, dass deren rechtliche Benachteiligung ein Ende haben müsse. Für das Zustandekommen des Kompromisses, auf den sich die Mitglieder im Verfassungsausschuss auf der Basis der entsprechenden Rechtsnorm der Paulskirchenverfassung – Trennung von Staat 185 Aktenstück Nr. 5455 (Anfrage Nr. 1951), in: Verhandlungen des Reichstags I. Wahlperiode 1920, Band 376: Anlage zu den Stenographischen Berichten, Nr. 5404 bis 5615, Berlin 1924, S. 5972. 186 Vgl. Stefan Korioth: Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in Deutschland seit der Reformation, in: Hans Michael Heinig und Christian Walter (Hg.): Staatskirchenrecht oder Religionsverfassungsrecht? Ein begriffspolitischer Grundsatzstreit, Tübingen 2007, S. 38–69, hier: en, S. 55.

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und Kirche – schließlich einigen konnten, hatte sich die Mehrheits-SPD von ihrer programmatischen Forderung nach strikter Trennung von Staat und Kirche (»Religion ist Privatsache«) in entscheidender Weise wegbewegen müssen, wobei der DDP-Vorsitzende und evangelische Pfarrer Friedrich Naumann eine wichtige Rolle dabei spielte, der Sozialdemokratie dieses Zugeständnis abzuringen.187 Die SPD hatte sich in der 19. Sitzung des Verfassungsausschusses in Gestalt eines Redebeitrages des konfessionslosen (und ehemals katholischen) Parlamentariers Johannes Meerfeld (1871–1956) äußerst konziliant gezeigt. Meerfeld betonte unter anderem, dass seine Partei wisse, dass »Religion ein inneres Bedürfnis für zahllose Menschen« sei und »die Bedeutung und die Macht der Religion auch für die Gegenwart« anerkenne. Die SPD wolle deshalb keine »gewaltsame Trennung« von Kirche und Staat, sondern eine »schiedlich-friedliche Einigung«.188 Das Entgegenkommen der Mehrheits-Sozialdemokratie in dieser Frage verwunderte vor dem Hintergrund ihrer stark anti-kirchlichen und antichristlichen vorrevolutionären Geschichte und wurde im Ausschuss dementsprechend mit Überraschung aufgenommen.189 Es lässt sich aber erklären mit dem bereits erwähnten Bestreben der Mehrheits-SPD, die »revolutionäre Dynamik« einzudämmen190; konkret, im Feld der Religionspolitik, kann es als ein Reflex auf die von der USPD, etwa dem preußischen USPD-Minister Hoffmann, ausgehenden antikirchlichen Maßnahmen gedeutet werden. Zu dieser Deutung passt, dass der rechtsliberale Jurist Wilhelm Kahl im Anschluss an Meerfeld noch einmal in Erinnerung rief, »daß zu Beginn der Revolution […] mit […] einem außerordentlichen Radikalismus in das Kirchenwesen eingegriffen worden ist«.191 Sozialdemokratie und die bürgerlichen Parteien einigten sich auf einen Kirchen-Kompromiss, der es den Großkirchen erlaubte, ihren bisherigen öffentlichen Rechtsstatus zu behalten, »er wurde aber für alle Religionsgemeinschaften durch die Normierung eines Verleihungsanspruchs geöffnet und durch den Trennungsansatz [von Staat und Kirche] in einen veränderten Rahmen ge-

187 Vgl. Ludwig Richter: Kirche und Schule in den Beratungen der Weimarer Nationalversammlung, Düsseldorf 1996, S. 354 u. 639. 188 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336. Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 391. Bericht des Verfassungsausschusses, Berlin 1920, S. 188. 189 Vgl. die Reaktion des DDP-Vorsitzenden, Pfarrer Friedrich Naumann, in: Verhandlungen der Deutschen Nationalversammlung, Band 336: Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 391. Bericht des Verfassungsausschusses, Berlin 1920, S. 191. 190 Herbert, Geschichte, S. 182 u. 181. 191 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336: Anlagen zu den Stenographischen Berichten, Nr. 391. Bericht des Verfassungsausschusses, Berlin 1920, S. 189.

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stellt.«192 Den evangelischen Freikirchen stand nun also die Tür offen, den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu erringen, und damit den großen evangelischen Landeskirchen rechtlich vollkommen gleichgestellt zu werden. Die Umsetzung dieser Rechtskonstruktion, also der Prozess der Anerkennung von Religionsgemeinschaften als Körperschaften des öffentlichen Rechts, oblag den Ländern. Die Haltung, wonach die Regelung der kirchlichen Angelegenheiten unter das Privatrecht (Vereinswesen) fiele, wurde fortan nur noch von der oppositionellen USPD vertreten (die KPD hatte die Wahl zur Nationalversammlung boykottiert und war somit nicht im Parlament vertreten). Die Mehrheits-SPD stimmte dem Kirchen-Kompromiss jedoch teils nur unter Zähneknirschen zu; die Kirche habe, so bedauerte der SPD-Parlamentarier Dr. Max Quarck (1860– 1930) im Plenum am 17. Juli 1919, »die volle Trennung ausgeschlagen«.193 Mit der Figur der Körperschaft des öffentlichen Rechts waren nun mancherlei Probleme verbunden. Ein besonders schwerwiegendes war jenes, dass keine vollständige Klarheit darüber bestand, was darunter – in Abgrenzung zu den Korporationsrechten, dem Agieren von Kirchen als juristischen Personen – eigentlich genau zu verstehen sei. Die Bezeichnung sollte, mindestens aus liberaler und sozialdemokratischer Sicht, ausdrücklich nicht als ›Ehrentitel‹ begriffen werden (wurde es in der Rezeptionsgeschichte gerade von den kleineren Religionsgemeinschaften, die nach diesem Status trachteten, dann aber doch). Es gab weder im Verfassungsausschuss bzw. im Plenum der Nationalversammlung ein sicheres Verständnis darüber noch bei den freikirchlichen Akteuren. (Auf die Reaktion der Freikirchen werde ich im Zusammenhang mit der Rechts- und Verleihungspraxis von Körperschaftsrechten in Abschnitt E. näher eingehen). In den Beratungen des Verfassungsausschusses hatte der Reichsminister des Innern, Dr. Hugo Preuß, ausgeführt: »Nach dem verschiedentlich geäußerten Wunsche, daß die Regierung eine authentische Interpretation des Begriffs der öffentlich-rechtlichen Körperschaft geben möchte, habe ich vorhin den Vertreter des Reichsjustizministeriums als der hierfür berufenen Stelle gefragt, ob er eine solche Erklärung abgeben wolle. Er hat mir aber kurz und bündig geantwortet: Ich werde mich hüten.« Preuß nahm Zuflucht bei Staudingers Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch.194 Und der linksliberale Abgeordnete Friedrich Naumann spitzte am 17. Juli 1919 im Plenum zu, dass sich über den Körper-

192 Korioth, Entwicklung, S. 56. 193 Vgl. die Ausführungen von Dr. Max Quarck in der 59. Sitzung am 17. 07. 1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 328, Berlin 1920, S. 1651. 194 Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336: Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 391. Bericht des Verfassungsausschusses, Berlin 1920, S. 198.

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schaftsstatus »kein Mensch in diesem Raum absolut klar zu sein sich rühmen dürfte«.195 Die Ausdeutungen blieben also vage. In liberaler Perspektive sollte eine Körperschaft des öffentlichen Rechts vor allem ganz praktischen Aufgaben dienen, als ein ausschließlich sachbezogenes Instrumentarium. Friedrich Naumann nannte in diesem Zusammenhang zuallererst die Besteuerung der Mitglieder. Hier seien die Kirchen Partner des Staates. Derlei Fragen wären für die kleinen Religionsgemeinschaften zwar nicht relevant; dennoch müsse, um der Gleichheit willen, die Aufnahme in den Rang einer Körperschaft auch allen anderen Religionsgemeinschaften zugestanden werden.196 »Aber es ist ebenso richtig, was die anderen Herren Vorredner Kahl und Mausbach gesagt haben«, unterstrich Naumann in der Plenumsdebatte (2. Lesung) am 17. Juli 1919, »der Staat darf auf diesem Gebiete nicht eng und kleinlich sein, und insbesondere die Gemeinschaften, die schon vorhanden sind, wie die Methodisten, die Baptisten, die Altlutheraner und mögen sie heißen, wie sie wollen, brauchen keine neue Schikane oder Hinschleppung mehr zu erleben! (Zustimmung im Zentrum und links.) Die Zeit, wo kleine Religionsgemeinschaften amtlich mißachtet wurden, ist jetzt grundsätzlich vorbei. Da es keine Staatskirche mehr gibt, so sind alle Nebenkirchen gleicher Ehre. Sie wollen in der Republik ihr Recht haben, und das soll man ihnen geben. (Erneute lebhafte Zustimmung im Zentrum und links.)«197

Und er sprach Minister Preuß an, ob das Recht der öffentlichen Körperschaft »den Religionsgemeinschaften und Sekten, wie Methodisten, Baptisten, Altlutheraner usw. ohne weiteres zuteil werden« solle, was dieser in der Debatte bejahte. Und Naumann führte weiter aus: »diese kleinen Gemeinschaften […] sind von Staat und Kirche gleichzeitig unfreundlich behandelt worden. Das hat aufzuhören. Es haben aufzuhören diese Kirchhofsquerelen, wo herumgebettelt werden musste, ob irgendein freigemeindlicher Geistlicher einen seiner Brüder oder eine seiner Schwestern bestatten durfte oder nicht. (Zustimmung.) Was ist das für eine Vorzeitigkeit, den Friedhof immer noch als eine Stelle des Unfriedens zu betrachten? (Allseitige Zustimmung.) Es muß auch aufhören, daß die aus der Kirche ausgetretenen Mitglieder der kleinen Gemeinden gezwungen werden, ihre Steuern für eine Kirche weiterzuzahlen, aus der sie ausgetreten sind. Also freie Behandlung des Problems! Religionsgesellschaften sind etwas, was beständig neugeboren wird, im Werden ist; und wer diesen werdenden und fließenden organischen Charakter alles religiösen Lebens nicht begreift, für den ist die ganze Kirche nur eine Form. Der, 195 Friedrich Naumann in der 59. Sitzung am 17. 07. 1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 328, Berlin 1920, S. 1653. Vgl. dazu Richter, der den Gang der Diskussionen zum Kirchenrecht in der Nationalversammlung in einer ausführlichen Analyse nachzeichnet: Richter, Kirche und Schule, S. 343–346. 196 Friedrich Naumann in der 59. Sitzung am 17. 07. 1919, in: Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 328, Berlin 1920, S. 1654. 197 Ebd.

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Die freikirchliche Frage in der Nationalversammlung

für den sie Inhalt hat, weiß, daß in ihr ein beständiges Schaffen ist, mit immer neuem Erfassen der jenseitigen und irdischen Dinge.«

Mit Freude berichtete Hoefs im Wahrheitszeugen von dieser Debatte in der Nationalversammlung, in der sich ausgerechnet der Vorsitzende der linksliberalen DDP, also jener Partei, deren Wahl er abgelehnt hatte, als »warmer Verteidiger der Baptisten« erwies.198 Der im Blick auf die Konstitution von Freikirchen und freikirchlichen Bünden zentrale Artikel 137 der Weimarer Reichsverfassung lautete schließlich: »Es besteht keine Staatskirche. Die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften innerhalb des Reichsgebietes unterliegt keinen Beschränkungen. Jede Religionsgemeinschaft ordnet und verwaltet ihre Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes. Sie verleiht ihre Ämter ohne Mitwirkung des Staates oder der bürgerlichen Gemeinde. Religionsgemeinschaften erwerben die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechtes. Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechtes, soweit sie solche bisher waren. Andere Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten. Schließen sich mehrere derartige öffentlich-rechtliche Religionsgesellschaften zu einem Verbande zusammen, so ist auch dieser Verband eine öffentlichrechtliche Körperschaft. […] Soweit die Durchführung dieser Bestimmungen eine weitere Regelung erfordert, liegt diese der Landesgesetzgebung ob.«199

Es bleibt unklar, inwieweit die Positionen der Mitglieder des Verfassungsausschusses durch äußere Interventionen mitbestimmt wurden oder gar initiiert gewesen waren. Die eingangs erwähnte Intervention des freikirchlichen Hauptausschusses wurde in der Forschung unterschiedlich bewertet. Während Erich Geldbach darin einen wirkungslosen Vorstoß sieht, indem er die in der Weimarer Republik fortdauernden Ungleichbehandlung zwischen den Kirchen betont200, meinte Karl Heinz Voigt, dass die Nationalversammlung sukzessive eben diese freikirchlichen Forderungen aufgenommen hätten.201 Dabei argumentiert er auf der Grundlage von Plausibilitäten, indem er die im Parlament etwa von Naumann vorgetragenen Beispiele und Argumente mit denjenigen parallelisiert, die in der programmatischen 7-Punkte-Forderung der Freikirchen niedergelegt 198 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 21 (12. Oktober), S. 162. 199 Artikel 137 der Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. 08. 1919 (Weimarer Reichsverfassung), zitiert nach Ernst Rudolf Huber (Hg.): Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, Band 4: Deutsche Verfassungsdokumente 1919–1933, Stuttgart (3., neubearbeitete Auflage) 1992, S. 151–179, S. 171. Vgl. auch den Artikel 135: »Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Die ungestörte Religionsausübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz.« 200 Geldbach, Freikirchen, S. 180. 201 Voigt, Freikirchen während der Weimarer Republik, S. 136 u. 137.

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worden waren. Es ist aber auch denkbar, dass die Ausschussmitglieder, die zum Teil als evangelische Pfarrer wie Friedrich Naumann selbst enge Bezüge zu den Großkirchen hatten, solche Fragen aus eigener Anschauung kannten oder darüber zumindest informiert waren. Wenn wir über die kausale Wirkmacht, also einen direkten Zusammenhang zwischen Intervention und politischer Entscheidung, aufgrund der Quellenlage leider nicht eindeutig urteilen können, so bleibt wenigstens festzuhalten, dass es solche Versuche der Einflussnahme zumindest gegeben hat. Neben der erwähnten Eingabe des Hauptausschusses noch aus der Zeit des Revolutionswinters ist ein weiterer Vorstoß bekannt, eine Petition an den Reichsinnenminister Hugo Preuß vom 2. April 1919, mit dem Ziel, die Rechtsstellung der Freikirchen zu verbessern. Preuß hatte den Inhalt der Eingabe am gleichen Tag in der Sitzung des Verfassungsausschusses der Nationalversammlung vorgetragen.202 Bezeichnenderweise ging es dabei um eine das Bürgerliche Gesetzbuch betreffende Regelung, wodurch die Bildung religiöser Vereine – als freikirchliche Versammlungsform – erschwert würde. Im BGB-Einführungsgesetz (Art. 84) würden religiöse Gemeinschaften, so war in der Eingabe argumentiert worden, nämlich auf das äußerst rückständige Recht der Einzelstaaten verwiesen. Nun war sich Preuß natürlich im Klaren darüber, dass diese Frage nicht in den Ausschuss gehörte, er wollte damit aber dazu beitragen, die Diskussion des Körperschaftsbegriffes zu erweitern: »Nun werden wir natürlich hier nicht nebenbei auch noch das Einführungsgesetz zum Bürgerlichen Gesetzbuch umändern können«, führte er aus, »aber ich meine, die Rücksicht auf die eventuellen Bedürfnisse und Wünsche derartiger Gemeinschaften könnten gerade im Zusammenhang des hier Verhandelten mit in den Kreis der Erörterung gezogen werden.«203 Wer der Urheber des Papiers war, wissen wir nicht. Es sei Preuß von einem »Vertreter kleinerer, freier Religionsgemeinschaften« zugegangen; in dem Text selbst werden als Beispiele relevanter Gemeinschaften »freireligiöse[] Gemeinden, Baptisten, Mennoniten, Methodisten, Herrnhuter usw.« erwähnt.204 Insofern ist es also nicht unwahrscheinlich, dass Eingaben wie diese zumindest das Bewusstsein der Politiker für die Bandbreite religiöser Gemeinschaften geschärft hat.

202 Verhandlungen der Deutschen Nationalversammlung, Band 336: Anlagen zu den Stenographischen Berichten. Nr. 391. Bericht des Verfassungsausschusses, Berlin 1920, S. 198. 203 Ebd., S. 199. 204 Ebd. Vgl. dazu Weiß, Staatskirchenrecht, S. 26.

D.

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Aus dem die Diskussion von religionspolitischen Fragen leitenden Prinzip der Trennung von Kirche und Staat folgte für die Weimarer Nationalversammlung, dass, wie es Siegfried Weichlein auf den Punkt gebracht hat, »niemand durch den Staat zu irgend einer religiösen Handlung oder religiösen Eidesleistung gezwungen werden durfte«.205 Die Lösung, auf die sich Sozialdemokratie, Linksliberalismus und das katholische Zentrum einigen konnten, war, die Eidesleistung auf die Formel »ich schwöre« zu verkürzen, und jegliche religiöse Wendungen zu suspendieren. Solche konnten, wenn von den Schwörenden gewünscht, fakultativ hinzugefügt werden. Artikel 177 der Weimarer Reichsverfassung lautete: »Wo in den bestehenden Gesetzen die Eidesleistung unter Benutzung einer religiösen Eidesform vorgesehen ist, kann die Eidesleistung rechtswirksam auch in der Weise erfolgen, daß der Schwörende unter Weglassung der religiösen Eidesform erklärt: ›ich schwöre‹. Im übrigen bleibt der in den Gesetzen vorgesehene Inhalt des Eides unberührt.«206

Weichlein hat nun überzeugend argumentiert, dass die verkürzte Schwurformel jedoch einen großen Raum zu ganz unterschiedlicher Ausdeutung zuließ und gerade deshalb politisch integrativ wirken konnte: Für Sozialdemokraten war der Eid jetzt ein religionsloser Akt geworden; für katholische Zentrumspolitiker wie Joseph Mausbach aber hatte das Schwören und der Eid an sich einen »religiösen Mehrwert«: »Den Eid machte nicht die Semantik religiöser Eidesformeln, sondern seine Performanz zu einer religiösen Angelegenheit.«207 Aus dieser Perspektive hatte bereits das Aussprechen der Formel »ich schwöre« eine religiöse Bedeutung und verlängerte damit sozusagen den Eid aus dem Kaiserreich in die Republik. Eine andere Position, nämlich diejenige, die Wahlfreiheit zwischen Eid 205 Siegfried Weichlein: Religion und politischer Eid im 19. und 20. Jahrhundert, in: Harald Bluhm, Karsten Fischer und Marcus Llanque (Hg.): Ideenpolitik. Geschichtliche Konstellationen und gegenwärtige Konflikte, Berlin 2011, S. 399–420, Zitat: S. 410. 206 Huber, Dokumente, Band 4, S. 179. 207 Weichlein, Religion und politischer Eid, S. 415.

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und Beteuerungsformel mit gleicher Wirkung und Rechtsfolgen in die Verfassung aufzunehmen, vertrat der MSPD-Politiker Johannes Meerfeld und konnte damit durchaus auf Zustimmung in Teilen der Nationalversammlung bauen; der rechtsliberale Jurist Wilhelm Kahl hatte signalisiert, einen entsprechenden Antrag zu unterstützen; letztlich setzte sich seine Position aber nicht durch.208 Später, am Ende der 1920er-Jahre, setzte sich der christlich-konservative Theologe Hermann Strathmann (DNVP) in den Beratungen des Reichstagsausschusses zum Reichsstrafgesetzbuch sogar dafür ein, im Strafrecht vollständig auf den Eid zu verzichten. Die Religion werde hier für profane Zwecke missbraucht. Bei seiner Begründung, dass es gerade auch tiefe christliche Gründe für die Ablehnung des Eides gab, bezog er sich auf Äußerungen »ernster evangelischkirchlicher Kreise«, erwähnte aber auch die religiös motivierte Eidverweigerung der »mennonitische[n] Sekte«. Mochten ihm die Ausschussmitglieder in seiner Begründung nicht unbedingt folgen, so unterstützten doch Parlamentarier aus ganz unterschiedlichen Parteien seinen Antrag wie Dr. Kurt Rosenfeld (1877– 1943, SPD), Dr. Eduard Alexander (1881–1945, KPD), Dr. Wilhelm Kahl (1849– 1932, DVP) und Emil Hartwig (1873–1943; Christlich-Sozialer Volksdienst). Doch zu dieser einschneidenden Reform, der Abschaffung des Eides im Strafrecht, ist es bekanntlich nicht gekommen.209 Die Eidfrage war, das lässt sich daraus schließen, kein ausschließlich von Mennoniten besetztes, absolutes Randthema. Wie verhielt es sich aber mit eben jener Minderheit von Gläubigen in Deutschland, die das Schwören an sich aus Glaubens- und Gewissensgründen grundsätzlich ablehnte? Die Verpflichtung auf die Formel »ich schwöre« wurde von der Führung der mennonitischen Gemeinschaft von Anfang an abgelehnt. Auch wenn es im Protokoll der Sitzung des Kuratoriums der Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich vom 13. August 1919 fast noch etwas unschlüssig hieß, die Neuregelung »erscheint für unsere Kreise wohl als unannehmbar«.210 Die Aktivität, die der Vorsitzende der Vereinigung, Hinrich van der Smissen, dann aber entfaltete und die Äußerungen zur Neuregelung, die in der Folge 208 Ebd. S. 411. Vgl. die Verhandlungen der verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, Band 336. Anlagen zu den Stenographischen Berichten Nr. 391: Bericht des Verfassungsausschusses, Berlin 1920, S. 190: »Der Aufhebung des Eideszwanges würde ich zustimmen.« (Kahl). 209 Vgl. die Diskussion in der 137. Sitzung des 21. Ausschusses (Reichsstrafgesetzbuch) des Reichstages IV. Wahlperiode 1928 vom 22. 05. 1930. Faksimile des Protokolls, in: Werner Schubert, Jürgen Regge, Peter Rieß und Werner Schmidt (Hg.): Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, Band 3: Sitzungen vom Oktober 1929 bis Juni 1930, Berlin 1997, S. 527–534. 210 Vgl. die Ausführungen zum Tagesordnungspunkt 3 im Protokoll der Sitzung des Kuratoriums der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich am 13. 08. 1919, im Kirchenratszimmer der Menn. Gem. Hbg.-Altona, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 215 (Band 3).

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getätigt wurden, ließen keinen Zweifel daran, dass man damit aus mennonitischer Sicht ganz und gar nicht einverstanden war. Im Jahresbericht der Konferenz der Süddeutschen Mennoniten für das Jahr 1919 wurde unmissverständlich festgehalten: »Br. Neff machte darauf aufmerksam, daß durch die neue deutsche Reichsverfassung viele Fragen aufgeworfen werden, die, wie z. B. die Trennung von Staat und Kirche und die Abschaffung des religiösen Eides, auch für unsere Gemeinschaft von Bedeutung sind. Wir sollten darum dazu Stellung nehmen. Da die verkürzte Eidesformel lautet: ›Ich s c h w ö r e‹, so muß dieselbe vom mennonitischen Standpunkt aus unbedingt abgelehnt werden.«211

Für die Mennoniten stellte sich also nicht die Frage, ob ein Schwur in sogenannter religiöser oder weltlicher Form geleistet werden solle; auch in der kurzen Fassung, ohne Bezugnahme auf Gott, wurde er abgelehnt. Machte für Mennoniten die Performanz den Schwur zu einem religiösen Akt? Betrachtet man die gesetzlichen Regelungen, die im 19. Jahrhundert zur Eidesersatzleistung verabschiedet worden waren, wird deutlich, dass Mennoniten offenbar kein Problem mit einer Zeichenhandlung an sich hatten. Sie bestanden nicht auf ein einfaches »Ja«. Im 19. Jahrhundert war in einer Reihe von deutschen Staaten Regelungen in Kraft getreten, durch die Mennoniten von der Eidesleistung entbunden wurden, sofern sie eine alternative Beteuerungsformel ablegten. Solche Verordnungen ergingen etwa am 20. Oktober 1811 in Bayern, am 11. März 1827 in den älteren Provinzen Preußens, am 18. November 1852 im Großherzogtum Oldenburg, am 16. Oktober 1856 in Hannover, am 5. Juni 1860 im Großherzogtum Baden, am 9. August 1862 in der Freien und Hansestadt Lübeck oder am 15. Februar 1882 in Bremen.212 Die alternativen Formen der Wahrheitsbezeugung trugen aber ebenfalls performative Züge: In Hamburg, das die Eidesfrage in § 2 der Verordnung über das Verfahren bei der Abnahme von Eiden vom 25. Juni 1849 regelte, konnten Angehörige der Mennoniten und Quäker beispielweise »die Wahrheit statt eines Eides mittels Handschlages und mit der Erklärung: ›Bei Mannes-

211 XVII. [=17.] Jahresbericht der Konferenz der süddeutschen Mennoniten 1919, Zitat: Bl. 2–3, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 16 (Berichte und Informationen) (Mappe: »Jahresberichte«). Vgl. die Verhandlungen auf der 25. Komiteesitzung in Mannheim am 05. 09. 1919: »Zu diesen Fragen sollten wir Mennoniten Stellung nehmen«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten (KSM), Karton 15 (Protokolle [1886]-1960), Protokollbuch (1903–1926). 212 Vgl. zu den Länderregelungen detailliert: Ten Doornkaat Koolmann: Die Verpflichtung der Mennoniten an Eidesstatt, Berlin 1893 (Fassung der Staatsbibliothek Berlin mit Nachträgen für Bremen und das Großherzogtum Hessen (Staatsbibliothek Berlin, Signatur: Fm 15045).

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wahrheit.‹« bekräftigen.213 Ähnliches galt für das Großherzogtum Hessen; nach verschiedenen vorangegangenen Gesetzen erlaubte die großherzogliche Verordnung vom 12. Juli 1902 den Mennoniten statt der Eidesformel die Beteuerung »Ich gelobe unter Handschlag« zu leisten, wobei als Zeichen die Hand gereicht wurde; auch die Formulierung »Bei Mannenwahrheit« war hier gebräuchlich.214 Das Wort schwören wurde also mit alternativen Erklärungen ersetzt, anstelle der erhobenen Schwurhand trat der Handschlag. Dass die Wahrheitsbezeugung in ein solches performatives Geschehen eingebunden war, bereitete den Mennoniten keine Schwierigkeiten, obwohl es sich ja um eine Ersatzhandlung handelte, die durchaus rituelle Züge trug: Es war aus mennonitischer Sicht eben kein Schwur. In genau diese Richtung, eine semantische (und performative) Verschiebung weg von dem Begriff (und den Zeichen) des Schwörens herbeizuführen, zielten die Bemühungen und die Argumentation der mennonitischen Führung seit August 1919. Dabei fällt auf, wie schnell sich die mennonitische Gemeinschaft unter der Führung Hinrich van der Smissens als dem Vorsitzenden der Vereinigung in die politische Debatte einklinkte.215 Als das Kuratorium der Vereinigung diese Frage verhandelte, war die Verfassung offiziell noch nicht in Kraft getreten (das geschah erst am folgenden Tag, dem 14. August 1919). Bezeichnend ist zum anderen, wie entschlossen van der Smissen in der Sphäre des Politischen vordrang und dabei ganz pragmatisch auch den Kontakt zu jenem Spektrum nicht scheute, das mit der eigenen Haltung nicht zwangsläufig übereinstimmte. Eine Schlüsselrolle spielte in diesem Prozess die Vereinigung, die, wie ich unten zeigen möchte, in dem linksliberalen Abgeordneten der Nationalversammlung Dr. Andreas Blunck einen zentralen Ansprechpartner fand: Blunck leitete das mennonitische Anliegen an das Reichsjustizministerium weiter und übermittelte das dortige entscheidende Votum zurück an die Mennoniten. Es ist nicht bekannt, dass der protestantische Blunck besondere Beziehungen zur mennonitischen Gemeinschaft unterhalten hätte; er war eng mit Hamburg verbunden 213 Schreiben der Senatskommission für die Justizverwaltung an Staatsrat Dr. Struve als Senatsreferenten am 17. 09. 1921, in: Staatsarchiv Hamburg 111-1 Nr. 8909. 214 Vgl. das Großherzoglich Hessisches Regierungsblatt 1902, S. 271f. Nach einer Akte im Bestand der Generalstaatsanwalts von 1902 war für Mennoniten auch die Versicherung »bei Mannenwahrheit« erlaubt, vgl. Hessisches Staatsarchiv Darmstadt G 24 Nr. 181. Ich danke Herrn Dr. Klaus-Dieter Rack vom Hessischen Staatsarchiv Darmstadt sehr herzlich für diese Hinweise. 215 In den politischen Verhandlungen scheint die Vereinigung eine Sprecherrolle eingenommen zu haben. Das war wohl durchaus im Sinne der mennonitischen Gemeinschaft: Am 17. 02. 1920 beantragte Neff in einem Schreiben an van der Smissen, die Generalversammlung der Mennoniten-Gemeinde im Deutschen Reich möge zustimmen, dass die Vereinigung gemeinsam mit der Konferenz um eine reichsgesetzliche Regelung der Eidesfrage ersucht. Vgl. das Schreiben in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 215 (Band 3). Allerdings wurde das Gesuch an die Reichsregierung später nur im Namen der Vereinigung eingereicht.

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(wenn auch nicht dort geboren), gehörte zwischen 1904 und 1918 der Hamburger Bürgerschaft an, war dort bis (fast) zu seinem Tode als Rechtsanwalt tätig; vermutlich mochte ihn allein dieser Umstand für van der Smissen als eine Art natürliche Anlaufstelle bestimmt haben.216 Noch im August 1919 suchte Hinrich van der Smissen den Kontakt mit Dr. Andreas Blunck und trug die mennonitische Argumentation schriftlich vor.217 Blunck bestätigte den Eingang und teilte mit, dass er das Material an das Reichsjustizministerium übermittelt habe.218 Kaum vier Wochen später hakte van der Smissen bei Blunck nach und brachte das Gesuch am 24. September noch einmal in Erinnerung, verbunden mit der Bitte, die mennonitische Sache »bei der Nationalversammlung und an den zuständigen Stellen« zu vertreten. In der Begründung des mennonitischen Standpunktes bezog er sich zum einen auf die Bibel, stellte seine Glaubensgemeinschaft aber auch in die unmittelbare Nachfolge der reformatorischen Täufer: »Wir Mennoniten haben von Anfang an, von der Reformationszeit her jedes Eidschwören abgelehnt, gestützt auf die Vorschrift Matthäus 5 vs. 34 und Jakobus 5 vs. 12.« Diese Sichtweise sei in vielen deutschen Einzelstaaten anerkannt worden. Nun habe die »neue Verfassung des deutschen Reiches […] in Art. 136 jeden religiösen Eideszwang aufgehoben. Dafür sind wir dankbar. Wenn aber die Schlussbestimmung in Art. 177 für die rechtswirksame Eidesleistung die Worte: ›ich schwöre‹ vorschreibt unter Weglassung der religiösen Eidesform, so wird uns grade [sic] damit der Gebrauch des Wortes: ›ich schwöre‹ auferlegt, gegen welches wir unsere religiösen Gewissensbedenken haben.«

Bestünden denn, so fragte van der Smissen, die einschlägigen Verordnungen der Länder fort? Würden in jenen Staaten, in denen es keine Ausnahmeregelungen gebe, eine Eidesleistung mit der Formel »ich schwöre« zur Pflicht? van der Smissen war sich im Klaren darüber, dass es aufgrund einer mennonitischen Eingabe nicht zu einer Änderung der Verfassung kommen würde, er bat Blunck aber, für eine entsprechende »Ausführungsbestimmung« einzutreten.219 216 Vgl. zur Biografie von Dr. Andreas Blunck die Angaben in den Parlamentarierportalen unter URL: http://zhsf.gesis.org/biorabkr_db/biorabkr_db.php (Kaiserreich) und http://zhsf.gesi s.org/ParlamentarierPortal/biorabwr_db/biorabwr_db.php (Weimarer Republik). (Aufrufe: 28. 08. 2020). 217 Vgl. den Hinweis von van der Smissen in seinem Schreiben an Dr. Blunck vom 24. 09. 1919, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich, Karton 1, Briefwechsel chronologisch 1919–1925, Ordner 6. 218 Schreiben Dr. Blunck an van der Smissen vom 29. 08. 1919, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 7. 219 Schreiben van der Smissen an Dr. Blunck vom 24. 09. 1919, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 215 (Band 3) und Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich, Karton 1, Briefwechsel chronologisch 1919–1925, Ordner 6. Vgl. zu dieser Unklarheit, ob die landesrechtlichen Regelungen fortbestehen und

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Blunck trat am 29. September 1919 also nochmals an das Reichsministerium der Justiz heran, um das mennonitische Anliegen zu übermitteln. Wenig später, am 17. Oktober, erhielt er von dort Auskunft, die er sogleich an van der Smissen weiterleitete. Es handelte sich dabei um die entscheidende Information, dass die ›Mennonitenprivilegien‹ der Ländergesetzgebung fortbestünden: »Der Artikel 177 der Reichsverfassung bestimmt lediglich, daß die Eidesleistung, soweit sie in bisherigen Gesetzen unter Benutzung einer religiösen Eidesform vorgesehen ist, rechtswirksam auch in der Weise erfolgen kann, daß der Schwörende unter Weglassung der religiösen Eidesform erklärt: ›ich schwöre‹. Die reichsgesetzlichen Sondervorschriften in § 51 Abs. 5 des Gerichtsverfassungsgesetzes, §§ 64, 288 Abs. 6 der Strafprozessordnung[,] § 484 der Zivilprozeßordnung und die in diesen Vorschriften aufrechterhaltenen landesgesetzlichen Bestimmungen über den Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln an Stelle des Eides werden durch den Artikel 177 nicht berührt.«

Weiterhin machte das Reichsjustizministerium deutlich, dass »[l]andesgesetzliche Bestimmungen dieser Art« auch zukünftig erlassen werden könnten, eine »reichsrechtliche Regelung« in dieser Sache allerdings nicht auf dem Verordnungswege ergehen könne.220 Hinrich van der Smissen blieb in dieser Sache am Ball und suchte das persönliche Gespräch mit einem Referenten im Reichsjustizministerium; wiederum schrieb er in dieser Sache an Blunck, der umgehend antwortete.221 Der Vereinigungs-Vorsitzende betrieb nun Lobbyarbeit auf diesen beiden, am Ende der Auskunft des Reichsjustizministeriums angesprochenen Ebenen: derjenigen der Länder und derjenigen des Reiches. Van der Smissen platzierte zunächst eine Eingabe bei der preußischen Landesversammlung, die im Begriff war, über einen Verfassungsentwurf zu verhandeln. Die gesetzliche Freistellung der Mennoniten von der Eidesleistung, so der Tenor der Eingabe, solle gewahrt werden.222 Um der Eingabe Durchschlagskraft zu verleihen, suchte er die Unterstützung des Oberbürgermeisters des preußischen Altonas und für die DDP Mitglied der verfassungsgebenden preußischen Landesversammlung, Bernhard Schnackenburg, zu gewinnen (was ihm gelang), wobei van der Smissen als Bürger jener Stadt in

die Forderungen nach einer reichseinheitlichen Regelung, auch die Überlegungen im Südwesten: Oskar Fellmann argumentierte, dass die mennonitische Beteuerungsform durch Artikel 177 nicht beseitigt sei. Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 23, Ordner 184. 220 Der Reichsminister der Justiz an den Rechtsanwalt Dr. Blunck, Mitglied der Nationalversammlung vom 17. 10. 1919, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 7. 221 Schreiben Dr. Blunck an van der Smissen vom 31. 10. 1919, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 7. 222 Eingabe an die Preußische Landesversammlung zu Berlin (06. 02. 1920), in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 7. Wird gemäß der Geschäftsordnung allerdings zurückgereicht, da die Eingabe bis Tagungsschluss nicht behandelt werden konnte.

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seinem Schreiben an den Oberbürgermeister vom 5. Februar 1920 die lokale Karte ausspielte.223 Zum anderen wandte sich die Vereinigung an die Reichsregierung, um für eine einheitliche gesetzliche Regelung der Eidesfrage im Sinne der Mennoniten einzutreten. Eine erste diesbezügliche Eingabe vom 28. Oktober 1920 erging an den Zentrumspolitiker Constantin Fehrenbach (1852–1926), der vom 25. Juni 1920 bis zum 4. Mai 1921 als Reichskanzler amtierte. Die Eingabe blieb unbeantwortet.224 Der Reichskanzler hatte sie dem Reichsinnenminister gegeben, der sie zuständigkeitshalber an das Reichsjustizministerium übersandte.225 Dort wurde von »Bescheidung der Gesuchsteller« abgesehen, weil man davon ausgegangen war, dass die »Neuordnung der Verfahrensgesetze Gelegenheit bieten wird, die von den Gesuchstellern angeregte Frage zu erwägen.«226 Und in einem Vermerk vom 1. Dezember 1920 wurde im Justizministerium ebenfalls sehr schmallippig festgehalten, dass »zu erwägen sei«, ob dann reichseinheitlich die Religionsgemeinschaften bestimmt werden könnten, denen die bestehenden Landesgesetze bereits eine Beteuerungsformel zugestehen und wie eine solche dann auszusehen habe. Ansonsten pochte man im Justizministerium – ohne Gespür für das eigentliche Problem der religiösen Eidverweigerung – darauf, dass eine solche in der Reichsverfassung grundsätzlich nicht vorgesehen sei: »Aus den Vorschriften der Verfassung (Art. 136 Abs. 4 und Art. 177) ergibt sich folgender Standpunkt der Verfassung. Dem Staatsbürger wird nicht garantiert, daß er überhaupt keinen Eid zu leisten braucht, es wird ihm nur die Freiheit gewährt, den Gebrauch einer religiösen Eidesformel abzulehnen. Gleichzeitig wird durch Artikel 177 der Verfassung die Form ›Ich schwöre‹ als eine nichtreligiöse Eidesform deklariert. Aus der allgemeinen Wendung des Art. 135 der Verfassung ›Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit‹ läßt sich ein Anspruch darauf, die Leistung eines Eides überhaupt zu verweigern, nicht herleiten: denn diese Bestimmung kann nicht dahin verstanden werden, daß jeder Staatsbürger dadurch das Recht erhält, etwas zu tun oder zu unterlassen, was die Staatsgesetze verbieten oder gebieten, mit der Begründung, daß ihm sein Gewissen dieses Tun oder Unterlassen vorschreibe. Sonach können die Mennonitengemeinden auf die Verfassung keinen Anspruch gründen, von

223 Schreiben des Oberbürgermeisters von Altona an van der Smissen vom 13. 02. 1920, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 7. 224 Eingabe an den Herrn Reichskanzler Conrad [sic] Fehrenbach vom 28. 10. 1920, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 7 und im Bundesarchiv (BArch) R 3001/8344. 225 Schreiben des Reichsministeriums des Innern an das Reichsministerium der Justiz vom 06. 11. 1920, in: BArch R 3001/8344. 226 Schreiben des Reichsministeriums der Justiz an den Reichsminister des Innern vom 02. 12. 1920, in: BArch R 3001/8344.

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der Verpflichtung zur Eidesleistung überhaupt oder von dem Gebrauche der Formel ›Ich schwöre‹ befreit zu werden.«227

Die Vereinigung ließ sich durch das Schweigen der Regierung nicht beirren und versuchte es am 12. Juli 1921 mit einer Eingabe an Reichskanzler Dr. Wirth erneut. Die Argumentation glich im Grunde derjenigen, welche die Vereinigung seinerzeit bereits gegenüber Blunck vorgetragen hatte: Van der Smissen machte »Gewissensbedenken der Mennoniten« gegen die Regelung der Reichsverfassung geltend; die »Ablehnung des Eides ein Glaubensgrundsatz und eine Gewissenspflicht der Mennoniten«, die sich aus der Bibel herleite (Matthäus 5, 33–37 und Jakobus 5, 12) und als ein Hauptgrundsatz »unserer Gemeinschaft« bereits zu Reformationszeiten praktiziert worden sei.228 Das Ersuchen um »Erlaß eines Reichsgesetzes«, »wonach den Mennoniten in allen Fällen, in denen ein Reichsoder ein Landesgesetz die Ableistung eines Eides erfordert, gestattet sein soll, an Stelle des Eides eine besondere Beteuerungsformel zu gebrauchen«, wurde erneut an das Reichsministerium der Justiz gegeben und entfaltete nun aber eine größere Wirkung. Zunächst lud das Reichsjustizministerium am 20. August Vertreter des Reichsministeriums des Innern sowie des Preußischen Justiz- und des Innenministeriums zu einer Besprechung. Darin wurde die Problematik in juristischer Breite aufgerollt und fünf wichtige Punkte, die teils auseinandergingen, aber das ganze Spektrum des Problems aufzeigen sollten, in einem Vermerk festgehalten: Es wäre, erstens, unlogisch, gegenüber dem Reichstag zu argumentieren, es bedürfe eines Gesetzes für Mennoniten zum Eidersatz aus religiösen Gründen, wenn – wovon man ausging – die Worte »ich schwöre« doch gar keine religiöse Eidformel darstellte; zweitens dürfte eine solche Lösung nicht alleine auf Mennoniten beschränkt sein, sondern auch andere, entsprechende Religionsgemeinschaften einbeziehen; drittens seien die bisherigen Landesgesetze, ausdrücklich in Preußen, bereits ausreichend; viertens müsste vor weiteren gesetzlichen Maßnahmen geprüft werden, auf wieviele Mennoniten sie eigentlich zuträfe; fünftens wäre hierfür gegebenenfalls eine Verfassungsänderung notwendig, weil dort in Artikel 176 explizit von einer Vereidigung von Beamten die Rede sei; dementsprechend müsse auch geprüft werden, ob die Landesgesetze überhaupt noch in Kraft seien.229 Im Anschluss an eine Besprechung legte das Reichsministerium des Innern am 29. September 1921 in einer Stellungnahme zur »Frage des Erlasses eines Reichsgesetzes über die Beteuerungsformel der Mennoniten an Stelle des Eides« 227 Vermerk vom 01. 12. 1920, Nr. II a 1888 Ki, in: BArch R 3001/8344. 228 Schreiben des Reichsministers der Justiz an sämtliche Landesregierungen (außer Preußen), hier an den Hamburger Senat, vom 31. 08. 1921, in: Staatsarchiv Hamburg 111-1 Nr. 8909. 229 Besprechungsvermerk vom 31[?].08.1921, in: BArch R 3001/8344.

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dar, dass die Reichsverfassung nichts an der Rechtslage der Eidesregelungen im Strafgesetzbuch, dem Gerichtsverfassungsgesetz sowie in der Straf- und Zivilprozessordnung geändert habe; das Ministerium monierte aber, dass die uneinheitliche Regelungen der Länder unbefriedigend sei und plädierte dafür, den übrigen Religionsgemeinschaften, welche die Eidesleistung ablehnten (ohne allerdings konkret zu werden), das gleiche Recht zu gewähren.230 Bereits am 31. August 1921 hatte der Reichsminister der Justiz die Mennoniteneingabe auch an sämtliche Landesregierungen (außer Preußen) versandt mit der Bitte mitzuteilen, welche landesgesetzliche Regelungen bestünden und ob ein entsprechendes Reichsgesetz für zweckmäßig erachtet werde.231 Dort, in den Ländern, wurde ein solches Reichsgesetz in der Regel als zweckmäßig begrüßt und zwar sowohl von solchen, die in der Vergangenheit bereits entsprechende Gesetze erlassen hatten (wie in Bayern232, Württemberg, Baden, Hamburg, Bremen oder Lübeck) als auch von jenen, die bislang keinen Bedarf dafür gesehen hatten (wie in Braunschweig, Lippe-Detmold, Schaumburg-Lippe, Mecklenburg-Schwerin, Mecklenburg-Strelitz, Anhalt, Thüringen oder Sachsen, wo im Jahr 1910 weniger als 100 Mennoniten gezählt wurden). Hessen antwortete, dass es eine entsprechende Regelung gebe und es gerade deshalb keine Notwendigkeit für ein Reichsgesetz sehe; Waldeck sah für sein Territorium keinen Bedarf und Oldenburg argumentierte, dass die Zweckmäßigkeit mangels statistischer Erhebungen nicht beurteilt werden könne.233 In der Hansestadt Hamburg wurde ein solches Gesetz von der Senatskommission für die Justizverwaltung mit der Begründung befürwortet, dass die bisherige Gesetzeslage uneinheitlich und unübersichtlich sei. Der Senat in Hamburg beschloss schließlich, dass ein solches Gesetz zweckmäßig sei, die Regelung aber nicht alleine auf Mennoniten beschränkt sein, sondern alle in Frage kommenden Religionsgemeinschaften einbeziehen sollte.234 Damit markierte es nicht nur einen Gesichtspunkt, der bereits auf der Besprechung im Reichsjustizministe230 Stellungnahme des Reichsministeriums des Innern, Lewald, für den Herrn Reichsminister der Justiz vom 29. 09. 1921, in: BArch R 1501/102354. 231 Schreiben des Reichsministers der Justiz an sämtliche Landesregierungen (außer Preußen), hier an den Hamburger Senat, vom 31. 08. 1921, in: Staatsarchiv Hamburg 111-1 Nr. 8909. 232 Während das Staatsministerium des Innern ein Reichsgesetz ausdrücklich befürwortete, sah das Staatsministerium der Justiz zwar keinen Bedarf im Blick auf den Freistaat Bayern, hatte aber »gegen eine allgemeine Regelung dieser Frage im Wege der Reichsgesetzgebung keine grundsätzlichen Bedenken«. Schreiben des Staatsministeriums der Justiz an das Staatsministerium des Äußeren vom 28. 09. 1921; vgl. das Schreiben des Staatsministeriums des Innern an das Staatsministerium der Justiz vom 26. 09. 1921, in: Bayerisches Hauptstaatsarchiv München MA 93399. 233 Vgl. die Antwortsammlung und Auswertung der Zuschriften, in: BArch R 3001/8344. 234 Vgl. den Beschluss vom 21. Oktober sowie das Schreiben der Senatskommission für die Justizverwaltung an den Reichsminister der Justiz vom 22. 10. 1921 [Ausfertigung für das Haus], in: Staatsarchiv Hamburg 111-1 Nr. 8909.

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rium geäußert und vom Reichsinnenministerium in einer Stellungnahme noch einmal stark gemacht worden war, sondern es lag auch mit der Haltung auf einer Linie mit zahlreichen anderen Ländern, welche »die Bedürfnisfrage« eines solchen Gesetzes bejaht hatten.235 Mit der preußischen Position war es hingegen etwas anders bestellt: Preußen hielt ein entsprechendes Reichsgesetz aufgrund der Bestimmung aus dem Jahr 1827 und ähnlichen Gesetzen in Schleswig-Holstein, Hannover und HessenNassau grundsätzlich nicht für notwendig; wandte sich aber auch nicht explizit dagegen. Sollte es in dieser Sache aber zu einem Reichsgesetz kommen, dann dürfe es sich weder alleine auf Mennoniten, noch auf andere eidverweigernde Religionsgemeinschaften beziehen, sondern müsse alle Deutsche einbeziehen, die den Schwur aus Gewissensgründen ablehnten. Am 2. Dezember 1921 schrieb der Preußische Minister der Justiz Hugo am Zehnhoff (1855–1930, Zentrum, Justizminister von 1919 bis 1927) an das Reichsministerium der Justiz: »Auf Bibelstellen gegründete Gewissensbedenken gegen den Eid, der sich in dem Gebrauch des Wortes ›schwören‹ verkörpert, finden sich – nicht nur bei Mennoniten und Philipponen, sondern auch bei Angehörigen der großen Kirchen und anderer religiöser Gemeinschaften; […] Es ist nicht abzusehen, warum solche Bedenken als rein individuelle weniger schutzwürdig sein sollten als in dem Falle, daß sie durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft vermittelt werden.«236

Hugo am Zehnhoff ging damit also einen erheblichen Schritt weiter als solche Staaten, die lediglich die Ausdehnung eines solchen Gesetzes auf andere Religionsgemeinschaft befürwortet hatten. Sein Argument, den »Gebrauch einer anderen Beteuerungsformel an Stelle des Eides«dann notwendigerweise »allen Deutschen ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgesellschaft« zu gestatten, dieser »Gedanke« leuchtete dem Reichsminister der Justiz, Gustav Radbruch (1878–1949, SPD; Reichsjustizminister: Oktober 1921 bis November 1922 und August bis November 1923) als »folgerichtig« sehr ein.237 »Denn will man den religiösen Bedenken gegen den Gebrauch des Eides über die Vorschriften der Reichsverfassung hinaus soweit Rechnung tragen, daß die Ablehnung jeder Eidesleistung gestattet wird« äußerte Radbruch im November 1922, »so läßt es sich meines Erachtens schwer rechtfertigen, die Berücksichtigung dieser Bedenken von der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft abhängig zu machen.« Er scheute sich aber, dieses Fass

235 Abschrift des Schreibens des Reichsministers der Justiz an den Preußischen Minister des Innern vom 16. 11. 1922, in: BArch R 5101/23410. 236 Schreiben des preußischen Justizministers vom 02. 12. 1921 an das Reichsministerium der Justiz, in: BArch R 3001/8344. 237 Abschrift des Schreibens des Reichsministers der Justiz an den Preußischen Minister des Innern vom 15. 11. 1922, in: BArch R 5101/23410.

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aufzumachen: »Damit würde aber erneut die ganze Eidesfrage einer parlamentarischen Erörterung unterworfen werden müssen. Das erachte ich im gegenwärtigen Zeitpunkt für wenig erwünscht.« – Mitten in einer Regierungskrise nämlich: das Kabinett Wirth II, dem Radbruch als Reichsminister der Justiz angehörte, war im Begriff zu scheitern; am 22. November 1922 wurde ein neues Kabinett unter dem parteilosen Reichskanzler Wilhelm Cuno gebildet. Gustav Radbruch hatte diese Sache daher ruhen lassen. Im Übrigen sei die Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden bislang nicht mehr auf ihre Eingabe zurückgekommen. Das Preußische Ministerium des Innern schloss sich dieser Auffassung am 23. November 1922 an und erachtete auch seinerseits »die Angelegenheit für erledigt«.238

Der Eid auf die Verfassung und die Novellierung des Beamtengesetzes Artikel 176 der Weimarer Reichsverfassung lautete: »Alle öffentlichen Beamten und Angehörigen der Wehrmacht sind auf diese Verfassung zu vereidigen. Das Nähere wird durch Verordnung des Reichspräsidenten bestimmt.« Eine solche Verordnung erging am 14. August 1919 und gab unter anderem den zu schwörenden Wortlaut vor. Für Reichsbeamte wurde vorgeschrieben, einen Eid mit den Worten »Ich schwöre Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten« zu leisten, für »alle übrigen öffentlichen Beamten« galt die Formulierung: »Ich schwöre Treue der Verfassung.«239 Dass Beamten also einer republikanischen Verfassung »Treue« zu schwören hatten – und nicht nur auf ihre »Beobachtung«, wie es zeitgenössisch hieß, hin vereidigt wurden – stieß monarchistisch gesinnten Staatsdienern sauer auf.240 Ein wichtiger Akteur in diesem Feld war der »Beamtenausschuss der Deutschnationalen Volkspartei im Reich und in Preußen«, der sogleich mit einer Stellungnahme reagierte, welche die politischen Repräsentanten provozieren musste. In einer »Kundgebung« des Beamtenausschusses am 1. September 1919 wurde, 238 Abschrift des Schreibens des Ministeriums des Innern an den Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 23. 11. 1922, in: Barch R 5101/23410. 239 Artikel 1 (1. und 2.) der Verordnung über die Vereidigung der öffentlichen Beamten vom 14. 08. 1919; für Angehörige der Wehrmacht galt der Eid (3.): »Ich schwöre Treue der Reichsverfassung und gelobe, daß ich als tapferer Soldat das Deutsche Reich und seine gesetzmäßigen Einrichtungen jederzeit schützen, dem Reichspräsidenten und meinen Vorgesetzen Gehorsam leisten will.«, in: Reichs-Gesetzblatt 1919 Nr. 153, S. 1419. Vgl. dazu BArch R 43 I/1863. 240 Vgl. dazu auch Weichlein, Religion und politischer Eid, S. 416.

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wohl nicht zu Unrecht, argumentiert, dass Beamte dadurch »zu einem feierlichen Gelöbnis der Treue gegen die gegenwärtige durch die Verfassung festgesetzte republikanische Staatsform« gezwungen werden sollten. Diese hielten die deutschnationalen Beamten aber für etwas Vorübergehendes und erklärten deshalb: »dass wir den von uns verlangten Eid leisten werden, aber nur in dem Sinne, dass wir uns zur gewissenhaften Beobachtung der in der Verfassungsurkunde niedergelegten Bestimmungen verpflichten. Insbesondere behalten wir uns durchaus das Recht vor, im Rahmen der durch die Verfassung gegebenen Möglichkeiten andere staatliche Zustände zu erstreben.«241 Der Ausschuss argumentierte dabei explizit mit dem Problem eines Gewissenskonflikts und berief sich auf die in Artikel 130 der Weimarer Reichsverfassung den Beamten zugesicherte »Freiheit ihrer politischen Gesinnung«. Der Reichsminister des Innern, Dr. Eduard David (1863–1930, SPD; Reichsinnenminister: Juni bis Oktober 1919)242, betrachtete das deutschnationale Communiqué als »inhaltlich ungehörig« und gedachte eine harte Linie zu fahren. Für jene Beamten, die den Treueeid nicht mit ihren Überzeugungen in Einklang bringen könnten, böte das geplante »Gesetz über die Pensionierung von Reichsbeamten infolge der Umgestaltung des Staatswesens« einen ehrenwerten Weg, aus dem Staatsdienst auszuscheiden. Jenen, die das nicht wollten, sei das Verbleiben im »Dienste der deutschen Republik unmöglich«.243 Tatsächlich war die Zahl derjenigen Beamten, die bis zuletzt den Eid auf die Verfassung verweigerten, nicht sehr groß – und stellten somit keine Gefahr für den Bestand der Republik dar.244 Der Reichspostminister wusste beispielsweise aus seinem Bereich von neun (März 1920) beziehungsweise vier (Dezember 1921) unterschiedlich motivierten Fällen von Eidverweigerung zu berichten.245 Einer von ihnen war der im Jahr 1876 geborene Post-Betriebsassistent Friedrich Kuhn aus Gelsenkirchen. Kuhn, zunächst Bergmann, war 1895 als Posthilfsbote in den Staatsdienst getreten und vereidigt worden. 1910 wurde er zum Postschaffner (Anstellung auf Lebenszeit) befördert. 1919 verweigerte der 43-Jährige aber den Eid auf die Verfassung unter Berufung auf sein Gewissen. Er habe doch »vor 241 Kundgebung des »Beamtenausschusses der Deutschnationalen Volkspartei im Reich und in Preußen« vom 01. 09. 1919, in: BArch R 1501/102354. 242 Vgl. die Angaben zu David im Parlamentarierportal unter URL: http://zhsf.gesis.org/biorab wr_db/biorabwr_db.php. (Aufruf: 28. 08. 2020). 243 Auszug aus dem Protokoll der Sitzung des Reichsministeriums vom 08. 09. 1919, in: BArch R 1501/102354. 244 Ein prominenter Fall war derjenige des Attachés im Auswärtigen Amt Friedrich Everling. Vgl. dazu sowie zur Problematik des Beamteneides insgesamt: Vanessa Conze: Treue schwören. Der Konflikt um den Verfassungseid in der Weimarer Republik, in: Historische Zeitschrift 297 (2013) 2, S. 354–389; Weichlein, Religion und politischer Eid, S. 416. 245 Schreiben des Reichspostministers an den Reichsminister des Innern vom 25. 03. 1920 und vom 08. 12. 1921, in: BArch R 1501/102354.

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25 Jahren seinem König Treue geschworen«.246 Nachdem am 24. Mai 1921 die Reichsdisziplinarkammer in Arnsberg Kuhn zunächst freigesprochen hatte, hob der Reichsdisziplinarhof diese Entscheidung allerdings wieder auf. Kuhn wurde aus dem Dienst entlassen.247 Wenige Eidverweigerer behielten vor dem obersten Reichsdisziplinarhof recht; und eine Ausnahme blieb auch die Entscheidung des Landgerichts Karlsruhe, nach der die Entlassung eines Amtmannes aus Lörrach aus dem Staatsdienst durch den (sozialdemokratischen) Innenminister wegen der Verweigerung des Eides auf die Republik für unrechtmäßig erklärt worden war.248 War die Verweigerung des Treueeides aus monarchistischer Gesinnung für die Reichsregierung rein quantitativ wohl ein kleineres Problem, so erregte sie indessen durchaus öffentliche Aufmerksamkeit und war deshalb für die Republik kein zu vernachlässigendes Phänomen. Insgesamt weniger beachtet worden sind im Blick auf den Treueeid aber die Dissidenten aus religiösen Motiven – dies betraf, soweit bekannt, allerdings nicht Gläubige der mennonitischen Gemeinschaft. Sie waren durch die oben erwähnten Gesetze wie beispielsweise der Verordnung wegen der von den Menoniten [sic] statt des Eides abzugebenden Versicherung. Vom 11ten März 1827 in Preußen (ältere Provinzen) geschützt. § 1 dieser Verordnung hielt die umfängliche, auch den Amtseid einbeziehende Regelung fest: »Wenn ein Menonit [sic] als Partei einen Eid schwören, oder als Zeuge abgehört werden soll, oder zu einem Amte berufen wird, zu dessen Übernahme die Eidesleistung erforderlich ist; so muss er durch Zeugniß der Ältesten, Lehrer oder Vorsteher seiner Gemeinde nachweisen, daß er in der menonitischen [sic] Sekte geboren worden, oder sich schon wenigstens seit einem Jahre vor dem Anfange des Prozesses oder vor der Berufung zum Amte zu dieser Religionsgesellschaft bekannt und bisher einen untadeligen Wandel geführt habe.«249

Mit der Änderung des Reichsbeamtengesetzes durch das Gesetz über die Pflichten der Beamten zum Schutze der Republik vom 21. Juli 1922 wurde diese Praxis nun ausdrücklich bestätigt und zugleich allgemein auch andere eidver246 Urteil der Reichsdisziplinarkammer in Arnsberg (Abschrift der beglaubigten Abschrift), Sitzung vom 24. 05. 1921, in: BArch R 1501/102354. 247 Schreiben des Reichspostministers an den Reichsminister des Innern vom 15. 12. 1921, in: BArch R 1501/102354. 248 Berliner Tageblatt Nr. 346 vom 26. 07. 1921, in: BArch R 1501/102354. Karlsruher Zeitung Nr. 194 vom 26. 08. 1920, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Generallandesarchiv Karlsruhe 234 Nr. 4055. Vgl. das Schreiben des Reichsministers des Innern an das Badische Staatsministerium (Ministerialabteilung) in Karlsruhe vom 06. 08. 1921, in: BArch R 3001/ 261, Bl. 78; sowie auch die Antwort der Reichsregierung (Reichsminister des Innern) auf die Anfrage Nr. 1022 der Abgeordneten Wels, Müller (Nr. 2659 der Drucksachen): Reichstag, I. Wahlperiode 1920/21, Drucksache Nr. 2698, in: BArch R 1501/122354. 249 Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten, Berlin 1827, S. 28.

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weigernde Religionsgemeinschaften einbezogen: »Über den Ersatz der Eidesleistung durch eine andere feierliche Erklärung bei Angehörigen einer Religionsgemeinschaft, denen die Eidesleistung aus religiösen Gründen verboten ist, bestimmt der Reichsminister des Innern im einzelnen Falle.«250 Aber welche Religionsgemeinschaft betraf das genau? Hierfür gab es keine reichseinheitliche Festlegung, es musste auf die Regelungen der Länder rekurriert werden. In den dortigen Verordnungen wurden neben den Mennoniten noch die Quäker (Hamburg, Lübeck) oder Herrnhuter251 (Hannover, Lübeck) genannt. In seinem Kommentar zum Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich erwähnt Ernst Schwartz 1914 als die juridisch relevanten, eidverweigernden Religionsgemeinschaften weiterhin die Philipponen252 (Preußen) sowie die pietistische Gemeinschaft der Korntaler, die radikal-pietistischen Separatisten und neutäuferischen Nazarener (alle Württemberg).253 Was aber geschah mit Gläubigen, die den Schutz durch das Dach einer solcherart »anerkannten« Religionsgemeinschaft nicht besaßen? Betrachtet man die reichsseitig dokumentierten Fälle, zeigt sich, wie unterschiedlich die Argumentation und das Handlungsangebot der Gläubigen einerseits und wie verschieden die Reaktion der Staatsgewalt andererseits darauf war. Anhand von Beispielen aus drei Bereichen möchte ich die Heterogenität des Feldes kurz aufzeigen. Am 3. Juli 1920 berichtete das Preußische Staatsministerium dem Reichsministerium des Innern den Stand in Sachen Leistung des Treueeides: Ja, es gäbe in den nachgeordneten Behörden Verweigerungen, sie seien aber »nicht zahlreich« (genauere Angaben wurden nicht gemacht); schieden die Betreffenden nicht freiwillig aus dem Dienst, würden Disziplinarverfahren auf Dienstentlassung eingeleitet. Dann allerdings wurde in der Stellungnahme aus Preußen von einer bezeichnenden Abweichung von dieser mit der Haltung der Reichsregierung kongruenten Linie berichtet: In einem besonderen Fall sei von der Einleitung eines Disziplinarverfahrens abgesehen worden; es handle »sich um einen Beamten (Kreisausschußsekretär), welcher der Sekte ›Vereinigung ernster Bibelforscher‹ angehört, die [den] Eid grundsätzlich verwirft«. Grund dafür sei, dass

250 Reichsgesetzblatt, Jahrgang 1922, Teil I, Berlin 1922, S. 590–593, hier S. 591. 251 Der Verweis auf die Herrnhuter war bereits zeitgenössisch unpräzise; für Eidverweigerung wurde zwar bei den »böhmischen Brüdern« im 15. Jahrhundert (Petr Chelcˇický) eingetreten, sie war aber nicht mehr für die im 18. Jahrhundert entstandene Herrnhuter Brüdergemeine kennzeichnend. Vgl. Franz Machilek: Böhmische Brüder (Böhmische Brüderunität), in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Band 7, Berlin 1981, S. 1–7. 252 Bei den Philipponen handelte es sich um Angehörige der Altorthodoxie, die im ersten Drittel des 19. Jahrhunderts auch in Preußen siedelten. 253 Das Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich. Mit Kommentar von Dr. jur. et phil. Ernst Schwartz, Berlin 1914, S. 373.

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»der Beamte jegl[ichem] politischen Leben völlig fernsteht«.254 Diese Abweichung ist insofern bemerkenswert, weil sich daraus ablesen lässt, dass die rigorosen disziplinarischen Maßnahmen insbesondere die politisch motivierte, monarchistische Reserve gegen die republikanische Verfassung und Staatsform treffen und deren zumindest potenzielle Gefahr einer Blockadehaltung oder Widerstands gegen die republikanische Staatsform ausschalten sollte. Eine solche Gefahr ging von einem völlig »unpolitischen« Ernsten Bibelforscher, so die Argumentation, nicht aus. Die Sache wurde andernorts jedoch anders gehandhabt – was unterm Strich zu einer Ungleichbehandlung der religiös motivierten Eid-Dissidenten führte. Das traf etwa auf Emil Sackrow aus Berlin zu, ebenfalls ein Eidverweigerer aus dem oben erwähnten Bereich des Reichspostministeriums. Sackrow, 1882 geboren, wurde im Jahr 1905 als Postbote vereidigt. 1918 schloss er sich der Internationalen Missionsgesellschaft der Siebenten-Tags-Adventisten, Reformationsbewegung (Deutsche Union) an, die sich aus der größeren Religionsgemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten heraus gebildet hatte. Sackrow war zum Treueschwur bereit, allein: er lehnte die vorgeschriebene Form aus Gewissensgründen ab. Er wolle den »Gesetzen nur insofern Gehorsam leisten, als sie nicht gegen das Gesetz Gottes verstoßen«. Dazu zählte, am Samstag, den er als den biblisch gebotenen Ruhetag (Sabbat) betrachtete, keinen Dienst tun zu müssen. Das war von seiner Dienststelle, die ihm »das beste Zeugnis« ausstellte und mit seiner pflichtbewussten Haltung äußerst zufrieden war, bislang akzeptiert und ein Arrangement gefunden worden, bei dem Sackrow stattdessen anderweitig Dienst tat. Mit dem Zwang zum Treueschwur aber kam es zur Eskalation. Dabei hatte Sackrow in schriftlicher Form folgenden Eid vollzogen: »Ich Karl Emil Sackrow schwöre Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen, soweit sie nicht gegen das Gesetz Gottes sind und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten nach menschlicher Beurteilung.«255 Mit dieser abweichenden Formulierung aber zeigte sich sein oberster Dienstherr, der Reichspostminister, nicht zufrieden und führte ein Disziplinarverfahren. Ein Verfahren, das dem Minister des Innern (inzwischen: Karl Jarres, DVP) hingegen, im Blick auf Sackrows pflichtschuldiger Führung, Bauchschmerzen bereitete.256 Am Ende wurde der 41-Jährige – auf einer »Abbauliste« stehend – vorzeitig pensioniert; damit konnte die Fortfüh254 Schreiben des Präsidenten des Staatsministeriums an den Reichsminister des Innern vom 03. 07. 1920, in: BArch R 1501/102354. Die in Klammern gesetzten Worte oder Wortteile wurden ergänzt, da sie aufgrund der Aktenbindung im Text nicht leserlich sind. 255 Schreiben des Reichspostministers an den Reichsminister des Innern vom 31. 12. 1923, in: BArch R 1501/102355. Er war indessen bereit, den Wortlaut des für preußische Staatsbeamte geforderten Eides zu schwören. 256 Vgl. die Mitteilung des Ministerialbüros an Ministerialrat Daniels vom 05. 01. 1924, in: BArch R 1501/102355.

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rung des Disziplinarverfahrens als überflüssig betrachtet werden.257 Der Fall Sackrow bereitete den staatlichen Stellen aus unterschiedlichen Gründen Schwierigkeiten. Ein Problem bestand für sie darin, dass der Adventist den Eid nicht in seiner Form, sondern seinem Inhalt nach abgelehnt hatte. Geloben statt schwören war für ihn deshalb gar nicht die Frage. Sein Problem bestand nicht in dem Akt des Schwörens, sondern in einer aus seiner Sicht unbeschränkten Unterordnung unter die Staatsgewalt, einer promissorischen Bindung an den Staat, die sich vor den Gehorsam gegenüber Gott schob. Auf der anderen Seite hätte man ihm die inzwischen in Artikel I des Gesetzes über die Pflichten der Beamten zum Schutz der Republik vom 21. Juli 1922 vorgesehene Ersatzregelung auch gar nicht zubilligen wollen, da »ausweislich der Akten die Religionsgemeinschaft der Adventisten die Eidesleistung ihrer Angehörigen nicht verbietet.«258 Ein drittes Feld betrifft Gläubige, auf die das Gesetz formal ebenfalls nicht zutraf, die letztlich aber dennoch davon profitierten – was den durchaus größeren Ermessensspielraum bei der Auslegung der Vorschrift aufzeigt. Am 28. Oktober 1922 teilte der Reichsverkehrsminister in einem Schreiben an den Reichsminister des Innern mit, dass Eisenbahnoberingenieur Klemm, Stuttgart, und Eisenbahnsekretär Ebert, Heilbronn, einen Schwur aufgrund ihrer religiösen Überzeugung und ihres Gewissens verweigerten. Der Verkehrsminister argumentierte nun, dass sie zwar »einer Religionsgemeinschaft« nicht angehörten, »denen die Eidesleistung aus religiösen Gründen verboten« sei; dennoch sei die »neu geschaffene Gesetzesbestimmung« anzuwenden, da die »Gewissensfrage« »durchaus ernst und rein« aufgefasst sei.259 (Leider geht aus dem Schreiben die Religionszugehörigkeit der Eidverweigerer nicht hervor.) Das Reichsinnenministerium zögerte. Stehe denn »unzweifelhaft« fest, dass die »Gewissensskrupel« der beiden nicht auf den »Inhalt des Eides« bezogen waren?260 Das Reichsinnenministerium ließ sich überzeugen und bewilligte »an Stelle der Eidesleistung – folgende feierliche Erklärung«: »Ich versichere durch Handschlag Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten«.261

257 Vgl. den handschriftlichen Entwurf des Schreibens aus dem Reichsministerium des Innern an den Reichspostminister vom 15. 03. 1924, in: BArch R 1501/102355. 258 Vermerk vom 16. 01. 1924 (Hervorhebung im Original), in: BArch R 1501/102355. 259 Schreiben des Reichsverkehrsministers an den Minister des Innern vom 28. 10. 1922, in: BArch R 1501/102354. 260 Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichsverkehrsminister am 13. 12. 1922 (Hervorhebung im Original), in: BArch R 1501/102354. 261 Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichsverkehrsminister, November 1922, in: BArch R 1501/102354.

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Das traf, nach einer längeren Konfliktgeschichte, letztlich auch auf die im Jahr 1895 geborene Lehramtsanwärterin Helene Frese zu, die der evangelischen Landeskirche angehörte.262 Frese hatte 1914 ein Lehramtsstudium aufgenommen, dieses aber mit Beginn des Ersten Weltkriegs abgebrochen und war als Aushilfslehrerin in den Göttinger Volksschuldienst getreten. Nach dem Krieg sollte sie in eine Lehrerinnenstelle einer Mittelschule aufrücken (»kommissarische Verwaltung«) und hierfür vereidigt werden. Aus Glaubens- und Gewissensgründen sah sich die evangelische Schulamtsbewerberin allerdings nicht im Stande, die Verpflichtung auf die Verfassung in Eidesform zu leisten und ersuchte, stattdessen ein entsprechendes Gelöbnis abzulegen. Die Bewerberin berief sich auf die Bergpredigt (Matt. 5,33–37) und erinnerte in einer Stellungnahme für die Preußische Regierung in Hildesheim daran, dass dieses Recht auf ein solches Gelöbnis den Mennoniten zustünde. Das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung missverstand aber offenbar das Problem der Anwärterin. Denn es argumentierte gegenüber der Preußischen Regierung in Hildesheim, die das Gesuch Freses übermittelt hatte, in einem Schreiben vom 6. Juli 1922, dass ein religiöser Eid von der Bewerberin doch nicht gefordert werde. Helene Frese erwiderte dementsprechend am 19. August 1922: »Die von mir angeführte Bibelstelle: ›Ich sage euch, daß ihr allerdings nicht schwören sollt, weder bei dem Himmel, denn er ist Gottes Stuhl, noch bei der Erde, denn sie ist seiner Füße Schemel […] bedeutet für mich nicht nur ein Verbot des Eides, bei dem eine Anrufung des Namens Gottes erfolgt, sondern ein Verbot jeglichen Eides überhaupt. Die einzig erlaubte Form eines Gelöbnisses liegt für mich in den Schriftworten: ›Eure Rede sei: Ja, ja; nein, nein. Was darüber ist, das ist vom Übel.‹ Ich kann danach leider das mir abverlangte Gelöbnis nicht in irgendeiner Eidesform leisten, sondern nur in bejahender, sachlicher Zustimmung. […].«263

Am 1. September 1922 wurde der Fall vom Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung dem Reichsministerium der Justiz mit dem Hinweis vorgelegt und darauf hingewiesen, dass diesbezüglich eine reichseinheitliche Regelung erforderlich sei. Das Reichsministerium der Justiz aber verschloss sich dieser Argumentation: »Eine parlamentarische Erörterung der Eidesfrage scheint mir auch in gegenwärtigem Zeitpunkt unerwünscht«, erwiderte es am 18. September 1923 einsilbig und ganz auf der Linie, die Gustav Radbruch bereits vor Jahresfrist vertreten hatte.264 Am 1. Mai 1926 hakte das Preußische 262 Die hier zitierten Unterlagen zu ihrem Fall finden sich in den Beständen des Reichsministeriums der Justiz, BArch R 3001/8344. 263 Abschrift der »Erwiderung der Schulamtsbewerberin Helene Frese, Göttingen[,] auf die Verfügung des Herrn Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 6. Juli 1922« vom 19. 09. 1922, in: BArch R 3001/8344. 264 Vorlage des Schreibens des Reichsministeriums der Justiz an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 18. 09. 1923, in: BArch R 3001/8344.

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Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in dieser Sache noch einmal beim Reichsjustizministerium nach: »Meines Erachtens ist es erforderlich, eine gesetzliche Regelung des Eidesersatzes tunlichst bald herbeizuführen.«265 Doch ohne Erfolg. Auf dieser Ebene kam man nicht weiter. Schließlich durschlug das Reichsministerium des Innern den gordischen Knoten, indem es in der Prüfung des Einzelfalls ihren Ermessensspielraum weit auslegte. Am 4. Juni 1926 schrieb das Reichsministerium des Innern an das Reichsministerium der Justiz: »Ohne zu der Frage Stellung zu nehmen, ob es überhaupt noch gerechtfertigt ist, für einen gesetzlich vorgeschriebenen Eid ohne religiöse Formel eine Ersatzleistung zuzulassen, halte ich die gegenwärtige Regelung, dass nur Angehörige einer Religionsgemeinschaft, denen die Eidesleistung aus religiösen Gründen verboten ist, ein Ersatz für die Eidesleistung zu gewähren ist, als eine ungerechtfertigte Bevorzugung dieser Religionsgemeinschaft und auf die Dauer untragbar. Ich habe daher in Einzelfällen bereits erklärt, dass auch Beamte, die keiner Religionsgemeinschaft angehören, folgende feierliche Erklärung anstelle der Eidesleistung abgeben ›ich versichere durch Handschlag Treue der Verfassung, Gehorsam den Gesetzen und gewissenhafte Erfüllung meiner Amtspflichten‹.«

Es bedürfe dringend einer Regelung und das Reichsministerium des Innern mahnte, »die Angelegenheit mit Beschleunigung in Angriff zu nehmen«.266 An den Preußischen Minister für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung schrieb das Reichsministerium des Innern am gleichen Tage, also am 4. Juni 1926: »Ich stelle ergebenst anheim, auch im Falle der Schulamtsbewerberin Helene Frese entsprechend zu verfahren«.267 Auf diese Weise wurde der Fall Frese offenbar gelöst; das zugrunde liegende Problem der formal rechtlichen Ungleichbehandlung von Eidverweigerern aus Glaubens- und Gewissensgründen bestand aber fort. Das Reichsjustizministerium lehnte es weiterhin ab, einen entsprechenden Gesetzesentwurf auf den Weg und ins Parlament zu bringen.268 Zusammenfassend lässt sich festhalten: Dadurch, dass nach Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung die in den älteren Verordnungen der Länder festgesetzten sogenannten Mennonitenprivilegien weiterbestanden, waren für Gläubige aus dieser Gemeinschaft zur Zeit der Weimarer Republik vielfach staatliche Regelungen vorhanden, die sie vor Gewissensnot bewahrten. Der Status 265 Schreiben des Preußischen Ministeriums für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an das Reichsministerium für Justiz am 01. 05. 1926 mit Bezug auf Schreiben vom 18. 09. 1923, in: BArch R 3001/8344. 266 Schreiben des Reichsministeriums des Innern an das Reichsministerium der Justiz vom 04. 06. 1926, in: BArch R 3001/8344. 267 Abschrift des Schreibens des Reichsministeriums des Innern an das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kultur und Volksbildung vom 04. 06. 1926, in: BArch R 3001/8344. 268 Vgl. den Entwurf des Schreibens des Reichsministeriums der Justiz an das Reichsministerium des Innern vom 17. 08. 1926, in: BArch R 3001/8344.

Der Eid auf die Verfassung und die Novellierung des Beamtengesetzes

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quo musste aus ihrer Perspektive aber aus unterschiedlichen Gründen als sehr unbefriedigend erscheinen. Zum einen war der Geltungsbereich solcher Gesetze teilweise limitiert: In Preußen zum Beispiel betraf das Gesetz ausdrücklich sowohl den assertorischen wie den promissorischen Schwur (Gerichts- und Amtseid). In Bayern hingegen war der Amtseid de jure nicht in die Ausnahmeregelung einbezogen, konnte de facto aber offenbar analog dazu angewandt werden. Das Bayerische Staatsministerium des Innern äußerte dazu im Jahr 1921, dass bei dem »Beamteneid der Staatsbeamte […] eine besondere Beteuerungsformel nicht gestattet« sei; »doch werden tatsächlich die Vorschriften für Verwaltungsrechtssachen in der Regel gleichmäßig angewendet.«269 Das hieß aber, dass Kandidaten, die den Amtseid aus Gewissensgründen nicht ablegen konnten, auf den Goodwill der eidnehmenden Instanzen angewiesen waren. (Im Jahr 1986 sollte in Bayern eine mennonitische Wissenschaftlerin verbeamtet werden und den Amtseid ablegen, was sie aber ablehnte; das bildete den Anlass zur Reform des Bayerischen Beamtengesetzes im Jahr 1989.270) Beklagt wurde zum anderen von mennonitischer, aber auch von juristischer Seite das Problem, dass die Befreiung von der Eidesleistung immer nur für das Herkunftsland gelte; sie galt für eine »eidbefreite« Person nicht in einem anderen Einzelstaat ohne entsprechende Regelung, wenn die Person dort, beispielweise im Rahmen eines Strafprozesses, vereidigt werden müsse.271 Vielleicht kann als Frucht einer Sensibilisierung gegenüber den religiös motivierten Eid-Dissidenten der Umstand gedeutet werden, dass die Möglichkeit, eine Beteuerungsformel statt eines Eides zu verwenden, 1922 in die Novellierung des Beamtengesetzes aufgenommen wurde. Das gilt aber nur bedingt. Denn der Gesetzgeber beschritt damit kein wirkliches Neuland, sondern zog nur mit den in anderen Bereichen (Zivil-, Strafprozessordnung) bereits gültigen Rechtsvorschriften gleich. Als eine spezifische, die Religionsneutralität der Weimarer Re269 Schreiben des Bayerischen Staatsministerium des Innern an das Bayerische Staatsministerium der Justiz vom 26.09.21: BArch R 3001/8344. 270 Christoph Wiebe: Eid, in: MennLex V. URL: http://www.mennlex.de/doku.php?id=top:eid (Aufruf: 28. 04. 2016). Vgl. § 1 des Gesetzes zur Änderung des Bayerischen Beamtengesetzes, des Gesetzes über kommunale Wahlbeamte, der Gemeindeordnung, der Landkreisordnung, der Bezirksordnung, des Gemeindewahlgesetzes sowie des Sachverständigengesetzes und des Abmarkungsgesetzes vom 23. 03. 1989, in: Bayerisches Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 6/ 1989, S. 89: »Erklärt ein Beamter, daß er aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten könne, so hat er an Stelle der Worte ›ich schwöre‹ die Worte ›ich gelobe‹ zu sprechen oder das Gelöbnis mit einer dem Bekenntnis seiner Religionsgemeinschaft oder der Überzeugung seiner Weltanschauungsgemeinschaft entsprechenden, gleichwertigen Beteuerungsformel einzuleiten.« 271 Vgl. dazu die Ausführungen von Ewald Löwe und August Hellweg: Die Strafprozessordnung für das Deutsche Reich nebst Gerichtsverfassungsgesetz und den das Strafverfahren betreffenden Bestimmungen der übrigen Reichsgesetze. Mit Kommentar von Dr. E. Löwe. Zehnte Auflage bearbeitet von A. Hellweg, Berlin 1900, S. 320 (zu § 64 StPO).

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publik widerspiegelnde Rechtssetzung kann es somit nicht betrachtet werden. Wichtig dabei war, dass die Ausnahmeregelung weiterhin nicht an das Gewissen eines Gläubigen, sondern an die Zugehörigkeit zu einer den Eid ablehnenden Religionsgemeinschaft gebunden war; während die Deutungshoheit – wer zu solchen Religionsgemeinschaften zu zählen sei – weiterhin bei den Einzelstaaten verblieb. Rechtlich gänzlich ungeschützt waren und blieben aber jene Gläubige, die den Eid aus Glaubens- und Gewissensgründen ablehnten, aber nicht einer Religionsgemeinschaft (insbesondere der Mennoniten) angehörten, die die Eidesleistung dogmatisch ablehnten und sich unter diesen normativen Schutzschirm stellen konnten. Der von dem preußischen Justizminister Hugo am Zehnhoff (Zentrum) vorgebrachte Gedanke, bei einer gesetzlichen Regelung die Eidverweigerung an das Gewissen, nicht an die Konfessionszugehörigkeit der Gläubigen zu binden, fand die Zustimmung des sozialdemokratischen Reichsjustizministers Gustav Radbruch; aus politisch-pragmatischen Gründen wurde dieser Ansatz, der auf eine parlamentarische Erörterung hinausgelaufen wäre, von ihm aber nicht weiterverfolgt, wie er auch danach im Reichsministerium der Justiz unterdrückt worden ist. Das zeigte der Fall der Schulamtsbewerberin Frese ebenso deutlich wie er in der Haltung gegenüber einer christlichen Gemeinschaft aus Stettin (der »Stettiner Urchristengemeinde«) zum Ausdruck kam. Die inkorporierte Glaubensgemeinschaft hatte am 11. Oktober 1925 bei Reichspräsident Hindenburg petitioniert, ihre Mitglieder mögen doch, wie die Mennoniten, von der Pflicht zur Eidesleistung entbunden werden. Das Reichsministerium der Justiz antwortete im November 1925, dass ein entsprechendes reichseinheitliches Gesetz nicht in Aussicht gestellt werden könne.272 Etwa fünfzig Jahre später kam eben diese Frage, die Befreiung von der Eidesleistung aus Gewissensgründen für alle Bürger und Bürgerinnen, erneut auf das Tapet. In Teil drei dieser Studie möchte ich zeigen, wie sich jener Gedanke in der Bundesrepublik seit Ende der 1960er-, Anfang der 1970er-Jahre im Kontext einer sich anbahnenden Grundrechtsdebatte entfalten konnte. Nach Entscheid des Bundesverfassungsgerichts musste der Gesetzgeber prozessuale Gesetzesvorschriften novellieren, so dass nun Einzelne – unabhängig von ihrer Konfessionszugehörigkeit – aus Gewissensgründen auf die Eidesleistung zugunsten eines schlichten »Ja« als Bekräftigung verzichten konnten. Geklagt hatte – ein evangelischer Pfarrer.

272 Entwurf des Schreibens des Reichsministers der Justiz an die Stettiner Urchristengemeinde vom November 1925, in: BArch R 3001/8344.

E.

Zur Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten

Bereits seit den 1880er-Jahren hatte sich die rechtliche Situation der Mennoniten und Baptisten in Preußen in einem wichtigen Punkt verbessert: Durch das Gesetz, betreffend die Verhältnisse der Mennoniten. Vom 12. Juni 1874 beziehungsweise das Gesetz, betreffend die Ertheilung der Korporationsrechte an Baptistengemeinden vom 7. Juli 1875 war es ihnen nun möglich, Korporationsrechte zu erlangen.273 Solcherart anerkannte Gemeinden konnten fortan als juristische Personen agieren, zum Beispiel Grundstücke erwerben. Damit waren sie auf privatrechtlicher Ebene in einem wichtigen Sinn aufgewertet, nicht aber den großen Kirchen rechtlich gleichgestellt worden. Als nun mit der Weimarer Reichsverfassung im Blick auf die Religionsgemeinschaften der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts eingeführt und neben demjenigen der Korporation verwendet wurde, lag dessen genaue rechtliche Bedeutung sowohl bei den Freikirchen als auch auf der Ebene der Staatsgewalt, etwa der Exekutive, offenbar noch etwas im Dunkeln.

Die preußische Praxis Die baptistische Bundesverwaltung begriff den Verfassungsartikel 137 WV zunächst als Signal, seine Einzelgemeinden dazu zu ermuntern, Anträge auf die Anerkennung als Korporation zu stellen. Am 26. Oktober 1919 erschien auf dem Umschlag des Organs der Baptisten Der Wahrheitszeuge folgender Aufruf: »Es ist gegenwärtig eine sehr günstige Zeit, Korporationsrechte zu erlangen. Unser Br. Deuter in Nakel, der bereits einer Anzahl von Gemeinden diesbezüglich gedient hat, ist bereit, durch einen Sammelantrag an das Ministerium allen nicht ganz kleinen Gemeinden zu Korporationsrechten zu verhelfen. Gemeinden, die diese Rechte wünschen, sind gebeten, einen diesbezüglichen Antrag (der vom Vorstand ausgehen kann) Br. 273 Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten, Berlin 1874, S. 238. Gesetzsammlung für die Königlich-Preußischen Staaten, Berlin 1875, S. 374.

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Zur Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten

Deuter zu übermitteln. Es ist weiter nichts nötig, als anzugeben, wie viele Mitglieder die Gemeinde hat und wie lange sie bereits besteht. Sodann ist der Bezirk der Gemeinde (Stadt- oder Landkreis, in dem die Gemeinde liegt,) anzugeben. Ebenfalls ist ein Statut einzureichen. Ich würde empfehlen, daß alle um Korporationsrechte bittenden Gemeinden das Statut annehmen, das bereits von fast allen inkorporierten Gemeinden (als Normalstatut) angenommen worden ist. Das Statut ist vorhanden. Diesbezüglich braucht nichts veranlaßt zu werden. Mitteilungen sind baldigst zu richten an Rechtsanwalt und Notar Deuter in Nakel (Netze), Berliner Straße 238, Bez. Bromberg. Namens des Bundesausschusses: F. W. Herrmann«.274

Rechtsanwalt und Notar Deuter wurde aktiv, wie seine Korrespondenz mit dem Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung zeigt.275 Doch die rechtliche Anerkennung gestaltete sich schwieriger als erwartet. In der preußischen Praxis wurden die Gesuche der Baptistengemeinden an das jeweilige Regierungspräsidium gerichtet und von dort mit einer Stellungnahme an die zuständigen Ministerien weitergeleitet (federführend war der Preußische Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, der sich mit den Preußischen Ministern des Innern bzw. der Justiz abstimmte). Zwischen Januar 1919 und August 1920 wurden 16 Baptistengemeinden die Korporationsrechte auf der Grundlage des Gesetzes von 1875 verliehen, während dies in der Spanne von drei Jahrzehnten (zwischen 1878 und 1910) bei 42 Baptistengemeinden in Preußen der Fall gewesen war.276 Im April 1921 betrachtete das preußische Justizministerium den Rekurs auf das Gesetz von 1875 allerdings als widersinnig. In einem Schreiben an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 15. April 1921 argumentierte das preußische Justizministerium: »Es erscheint mir nicht unbedenklich, in den Erlassen an die Regierungspräsidien das Gesetz vom 7. Juli 1875 als noch rechtswirksam anzuführen. Nachdem durch Artikel 137 Abs. 4 der Reichsverfassung bestimmt worden ist, dass Religionsgemeinschaften die Rechtsfähigkeit nach den allgemeinen Vorschriften des bürgerlichen Rechts erwerben, ist der Artikel 84 des Einführungsgesetzes zum Bürgerlichen Gesetzbuch hinfällig geworden. Dadurch ist aber zugleich das Gesetz vom 7. Juli 1875 beseitigt, denn gemäss § 21 B.G.H. erlangt ein Verein, dessen Zweck nicht auf einen wirtschaftlichen Ge-

274 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 41 (1919) 22 (26. Oktober), Umschlag (Bekanntmachungen). 275 Vgl. BArch R 5101/23397. 276 Übersicht »A. Baptistengemeinden, die aufgrund des Gesetzes vom 7. 7. 1875 – GS. S. 374 – die Körperschaftsrechte bis zum Inkrafttreten der Reichsverfassung (14. 8. 1919) erhalten haben« und »B. Baptistengemeinden, die nach dem Inkrafttreten der Reichsverfassung (14. 8. 1919) die Korporationsrechte erhalten haben«, in: BArch R 5101/23297.

Die preußische Praxis

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schäftsbetrieb gerichtet ist, die Rechtsfähigkeit durch Eintragung in das Vereinsregister.«277

Rechtsfähigkeit an sich werde aber nicht (mehr) durch Inkorporation staatlich verliehen, es bedürfe hierfür keines hoheitlichen Aktes; der Weg zur privatrechtlichen Anerkennung sei geebnet. Diese Linie des Justizministeriums behauptete sich, was in der Frage der Anerkennung von Religionsgemeinschaften bzw. von freikirchlichen Einzelgemeinden als Körperschaften allerdings einen stark dilatorischen Effekt nach sich zog: Nun wurden nicht nur Anträge auf Korporation mit der Begründung abgelehnt, dass sich dieses Gesetz erübrigt habe; auch die Verleihung von Körperschaftsrechten wurde verwehrt, weil es hierzu noch keine rechtliche Grundlage gebe.278 Gegenüber dem Reichsminister des Innern begründete das Preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung im Zusammenhang mit einem Gesuch am 18. Dezember 1922 ausführlich und äußerst offen hinsichtlich der eigenen früheren und als irrig erkannten Annahmen: »Nach dem preußischen Gesetz vom 7. 7. 1875 (G.S. S. 374) können Baptistengemeinden durch gemeinschaftliche Verfügung der Minister der Justiz, des Innern und der geistlichen Angelegenheiten unter gewissen Voraussetzungen Korporationsrechte erlangen. In der ersten Zeit nach Inkrafttreten der Reichsverfassung wurde angenommen, daß dieses Gesetz noch in Geltung sei, bis es durch ein nach Abs. 8 des Art. 137 Reichsverfassung zu erlassendes Landesgesetz aufgehoben werde. Demzufolge ist noch in einer Reihe von Fällen von dem Gesetz Gebrauch gemacht worden […]. Bei weiterem Eindringen in die Bedeutung des Art 137 Reichsverfassung entstanden jedoch gegen die dieser Praxis zu Grunde liegende Rechtsauffassung Bedenken. Wie nämlich die Begründungen zu dem vorangegangenen Gesetz und zu dem gleichartigen die Mennoniten betreffenden Gesetz vom 12. 6. 1874 […] ergeben, bedeuten ›Korporationsrechte‹ im Sinne dieser Gesetze nur Privatrechtsfähigkeit, nicht etwa die Rechte von Körperschaften des öffentlichen Rechts. Zur Erlangung der Privatrechtsfähigkeit ist den Religionsgesellschaften der Weg in Abs. 4 des Art. 137 Reichsverfassung gewiesen. Hiernach ist das Gesetz vom 7. 7. 1875 beseitigt […]. Eine Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auf Grund des Satzes 2 in Abs. 5 des Art. 137 Reichsverfassung kann, wie bekannt, einstweilen noch nicht stattfinden, weil in Preußen eine zu dieser Verleihung ermächtigte Stelle, außer dem Gesetzgeber selbst, nicht besteht, und die zur Durchführung der in Bezug genommenen Gesetzesbestimmung erforderliche Gesetzgebung (Art. 137 Abs. 8 Reichsverfassung) sich noch in der Vor277 Schreiben des preußischen Justizministeriums an das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 15. 04. 1921, in: BArch R 5101/23397. 278 Vgl. den Entwurf eines Schreibens des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (in Abstimmung und mit Zustimmung der Ministerien des Innern und der Justiz) an den Regierungspräsidenten in Lüneburg zum Antrag der Baptistengemeinden Brome vom Februar 1922 sowie den Entwurf eines Schreibens des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Regierungspräsident in Köslin vom 21. 08. 1923, in: BArch R 5101/ 23392.

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Zur Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten

bereitung befindet. Demzufolge sind seit 1921 Anträge der Baptistengemeinden auf Verleihung von Körperschaftsrechten durch staatlichen Hoheitsakt ständig abgelehnt und die Antragsteller auf den Weg der Eintragung in das Vereinsregister verwiesen worden.«279

Diese Kehrtwende stürzte allerdings jene Gemeinden in einen Zustand der Unsicherheit, an denen die bisher geübte Praxis vollzogen worden war.280 Die Verwaltung des Baptistenbundes hatte 1919 aber nicht nur auf Anerkennung von Einzelgemeinden gedrängt, sondern auch auf übergreifender Ebene versucht, Körperschaftsrechte zu erhalten: Bernhard Weerts, Vorsitzender der Vereinigten Bundesverwaltung, wandte sich zunächst an das Reichsministerium des Innern und ersuchte danach in einem Schreiben vom 10. August 1920 die preußische Landesregierung, die Baptistengemeinden innerhalb des preußischen Staates als »Körperschaft des öffentlichen Rechts« anzuerkennen. Es wurde allerdings mit dem Hinweis abgeschmettert, dass eine erforderliche landesgesetzliche Regelung noch ausstehe.281 Am 23. November 1920 wandte sich der Bund der Baptisten erneut an das Reichsministerium des Innern, wurde von dort aber wieder zurück an die Länder verwiesen. Das Reichsministerium des Innern schrieb indes an Preußen: »Bereits aus früheren Eingaben des Bundes habe ich ihm mitgeteilt, daß die Reichsregierung nicht in der Lage sei, ihm die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen; zuständig seien hierzu vielmehr die Landesregierungen. […] Gleichzeitig gab ich dem Bund anheim, diesen Nachweis zunächst bei der preußischen Regierung zu führen und die Anerkennung des Bundes als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu beantragen.«282

Hier biss sich die Katze also in den Schwanz. Denn man erwiderte dem Reichsinnenminister, »daß in Preußen die Länderregierung für Gewährung dieser Rechte an Religionsgemeinschaften nach Lage der bisherigen Gesetzgebung

279 Schreiben (Abschrift) des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Reichsminister des Innern vom 18. 12. 1922, in BArch R 5101/23397. 280 Vgl. den Entwurf eines Schreibens des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Regierungspräsident in Köslin vom 21. 08. 1923 im Zusammenhang mit der Baptistengemeinde Kolberg, in: BArch R 5101/23392. 281 Schreiben (Entwurf) des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an die Verwaltung des Bundes der Baptistengemeinden, z. H. des Vorsitzenden Bernhard Weerts vom 09. 10. 1920, in: BArch R 1501/23397. Die Bemühungen von Bernhard Weerts und die ministeriellen Antworten sind dokumentiert im Dreijährigen Bericht der Bundesverwaltungen und ihrer Ausschüsse für die Zeit vom 1. Juli 1918 bis 30. Juni 1921, Kassel o. J. [1921], S. 73–75. [Oncken-Archiv]. 282 Schreiben des Reichsministers des Innern an das preußische Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vom 26. 11. 1920, in: BArch R 5101/23397.

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nicht zuständig« sei und sich ein »Gesetz zur Ausführung der Absätze 5,6,7 des Art. 137« »in Vorbereitung« befinde.283 Die Klärung dieser Frage zog sich über Jahre hin. Eine Analyse des weiteren Gangs der Entwicklung verlässt den Gegenstand meiner engeren Untersuchung und soll hier nur in kurzen Stichworten skizziert werden: Am 26. Juni 1924 legte das Staatsministerium dem Staatsrat den Entwurf einer Art Rahmengesetzes vor; den betreffenden Religionsgesellschaften bzw. »Weltanschauungsvereinigungen« wären dann aufgrund von »Sondergesetzen« die Körperschaftsrechte verliehen worden. Ein solches Rahmengesetz wurde dann, nach dem Gutachten des Staatsrats, allerdings als entbehrlich, die Notwendigkeit von Einzelgesetzen für die entsprechenden Religionsgesellschaften aber weiterhin als notwendig betrachtet. Zur Erörterung der »bedeutsamen[n] Fragen des Staatskirchenrechts«, die in dem Gutachten »aufgerollt« worden waren, suchte das Ministerium das Gespräch mit den Kirchenbehörden und Rechtsgelehrten.284 Am 12. Dezember 1927 übermittelte der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung dem Preußischen Staatsministerium mehrere Gesetzesentwürfe »für die Verleihung der Körperschaftsrechte öffentlichen Rechts an einzelne Religionsgemeinschaften zur Beschlussfassung«. Am 22. Januar 1929 beschäftigte sich das Staatsministerium mit dieser Vorlage und vollzog eine Kehrtwende in der Bewertung der Rechtslage. Es fasste einen Beschluss, der die Sichtweise aus der ersten Hälfte der 1920er-Jahre grundlegend revidierte. Bis dahin waren in Preußen durch Gesetz Körperschaftrechte an Religionsgemeinschaften verliehen worden, noch im April 1928 an die Synagogengemeinde in Frankfurt am Main.285 Nun sollte der Beschluss des Staatsministers genügen: »Es wird festgestellt, daß nach der gegenwärtigen Rechtslage das Staatsministerium als Inhaber der Organisationsgewalt gemäß Art. 7 der Verfassung des Freistaates Preußen in der Lage ist, die Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft zu verleihen. Dementsprechend soll gegenüber den in Frage kommenden Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen verfahren werden.«286

Es bedürfe also keiner gesonderten Gesetze, Körperschaftsrechte könnten doch auf dem Verordnungswege verliehen werden. Daraufhin trat der Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung in eine Unterredung mit dem Vorstand 283 Schreiben (Vorlage) des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Reichsminister des Innern vom 20. 01. 1921, in: BArch R 5101/23397. 284 Schreiben des Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Ministerpräsidenten, und sämtliche Staatsminister vom 12. 12. 1927, in: BArch R 5101/23397. 285 Jürgen Lehmann: Die kleinen Religionsgemeinschaften des öffentlichen Rechts im heutigen Staatskirchenrecht, Oldenstadt 1959, S. 58. 286 Schreiben des Preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den preußischen Ministerpräsidenten und die Herren Staatsminister vom 30. 07. 1930, in: BArch R 5101/23119.

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Zur Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten

des Baptistenbundes, um die Rechtslage zu erläutern. Inzwischen war diese Frage auch im Preußischen Landtag thematisiert worden: In der 117. Sitzung des Hauptausschusses des Preußischen Landtages vom 11. Februar 1930 hatte der evangelische Pfarrer Dietrich Graue (1866–1936; DDP) als Berichterstatter des Staatshaushalts-Ausschusses gemahnt, dass »nun bald den kleinen Religionsgemeinschaften die Rechte von Körperschaften des öffentlichen Rechts gegeben werden« müssten und erwähnte dabei ausdrücklich die Baptisten; es »müsse dafür gesorgt werden, daß diese [die kleinen Religionsgemeinschaften] nicht das Gefühl hätten, die großen Kirchen wollten am Ende gar nicht, daß sie anerkannt würden«. Berichterstatter Graue bat die Staatsregierung, »über den Stand der Verhandlungen« zu berichten, was Ministerialdirektor Trendelenburg tat: Im Blick auf die Baptisten seien »die Verhandlungen […] schon sehr weit gefördert, und es sei dieser Tage ein Schreiben eingegangen, vom dem anzunehmen sei, daß die noch obwaltenden Bedenken beseitigt würden, so daß eine Vorlage wegen Verleihung der Körperschaftsrechte an die Baptisten dem Staatsministerium gemacht werden könne.«287 Als Folge dieser Verhandlungen übermittelte August Rausch, der Vorsitzende der baptistischen Bundesverwaltung, eine Verfassung des Baptistenbundes in der Fassung vom 21. Februar 1930. Am 18. August 1930 endlich erhielt der Bund der Baptisten aufgrund des Beschlusses des Preußischen Staatsministeriums den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts.288 Die dilatorische Behandlung der Körperschaftsfrage in Preußen war keine auf Baptisten gemünzte Angelegenheit. Sie traf ebenfalls auf andere Freikirchen zu, wie zum Beispiel auf die Bischöfliche Methodistenkirche (sie erhielt in Preußen die Körperschaftsrechte wie die Baptisten im Jahr 1930), auf die Evangelische Gemeinschaft (Körperschaftsrechte: 1931289) oder auf die Adventisten (die in Deutschland erst nach 1945 Körperschaftsrechte erhielten). Offenbar motiviert von der Anerkennung der Baptisten und Methodisten in Preußen fühlten Mennoniten noch im November des Jahres 1930 im Preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung vor, und fragten nach, welche Schritte unternommen werden müssten, damit die Mennonitengemeinden in Preußen ebenfalls zu diesem Rechtsstatus gelangten. Am 5. Dezember 1931 unterbreitete der Vorstand der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich dem Ministerium dann seine Sichtweise in einem schriftlichen Antrag. Im Kern lautete die ausführlich dargelegte Argumentation, dass die preußischen Mennonitengemeinden in ihrer Rechtsstellung und ihren praktischen Befugnissen bereits vor 1919 in das »Gebiet des öffentlichen Rechts« gehörten, weshalb es 287 Auszüge aus dem Protokoll der 117. Sitzung des Hauptausschusses des preußischen Landtages, 3. Wahlperiode, vom 11. 02. 1930, in: BArch R 5101/23119. 288 Beschluss St. M. I. 9524 (Abschrift für die Akten), in: BArch R 5101/23119. 289 Lehmann, Religionsgemeinschaften, S. 26.

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keiner Neuverleihung, sondern lediglich einer Bezeugung dieses Sachverhaltes durch das Staatsministerium bedürfe.290 Am 19. Februar sprachen drei Vertreter der preußischen Mennonitengemeinden (Ministerialrat Dr. Wiens, Reichsbankrat van Riesen und Dr. Crous) im Ministerium vor, um den mennonitischen Standpunkt zu erläutern. Im Ministerium wurde die Rechtslage als etwas verwickelt betrachtet. In einem Gesprächsvermerk vom 25. Februar wurde am Ende festgehalten, »daß die Rechtslage vorläufig noch sehr undurchsichtig sei«, »über die Aussichten des Antrages« könne noch keine Aussage getroffen werden. Das lag auch daran, dass sich die Mennoniten stark auf die Regelungen und die Rechtspraxis bis ins 17. Jahrhundert hinein bezogen. Denn aus dem die Mennoniten in Preußen betreffenden Korporationsgesetz von 1874 allein, das war gegenüber der mennonitischen Delegation klar gemacht worden, ließe sich ein Körperschaftsstatus nicht ableiten: »Ob eine deklaratorische Anerkennung ausgesprochen werden könne, sei von einer Prüfung der Rechtslage abhängig, die auf nicht unerhebliche Schwierigkeiten stoße. Aus dem Gesetz vom 12. Juni 1874 allein könne nicht hergeleitet werden, daß die auf Grund dieses Gesetzes mit Korporationsrechten bedachten Gemeinden öffentliche Körperschaftsrechte besitzen. Für Baptisten nämlich, für die ein gleichlautendes Gesetz bestehe, sei dies bereits verneint worden.«291

Ein weiteres Gespräch im Ministerium (von mennonitischer Seite von Dr. Crous und Gustav Reimer vertreten) fand im Sommer 1932 statt. Noch immer bestanden rechtliche »Zweifelsfragen«, seitens des Ministeriums wurde belegendes Material vermisst.292 Die Mennoniten konnten in Preußen mit ihrer Argumentation nicht durchdringen; sie suchten in dieser Frage aber auch nach der nationalsozialistischen »Machtergreifung« Erfolg: Am 12. Mai 1936 sprach Ernst Crous bei Werner Haugg (1908–1977) im Reichs- und Preußischen Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten vor, um in der Sache der Verleihung von Körperschaftsrechten an »einzelne Mennonitengemeinden« weiterzukommen. Doch Haugg »eröffnete ihm, dass derartige Anträge gegenwärtig keine Aussicht auf Erfolg hätten«.293 Die mennonitische Mission in Sachen Körperschaftsrechte startete am Anfang der Weimarer Republik aber nicht in Preußen, sondern in der Hansestadt Hamburg.

290 Schreiben des Vorstands der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich und Antrag auf Anerkennung der Preußischen Mennonitengemeinden als Körperschaft des öffentlichen Rechts, in: BArch R 5101/23410. 291 Gesprächsvermerk zu G I 4132 vom 25. 02. 1932, in: BArch R 5101/23410. 292 Vermerk zu G I 4132/31, 1077/32 vom 05. 08. 1932, in: BArch R 5101/23410. 293 Handschriftlicher Vermerk von Haugg vom 12. 05. 1936 auf dem maschinenschriftlichen Schreiben von Ernst Crous an Haugg vom 06. 05. 1936, in: BArch R 5101/23410.

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Zur Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten

Das Hamburger Beispiel Schon in seinem Schreiben vom September 1919 an den liberalen Parlamentarier Dr. Andreas Blunck in Sachen Eid hatte Hinrich van der Smissen, Vorsitzender der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich, die Körperschaftsfrage angeschnitten: »Ein zweiter Punkt wäre die Erwerbung von Körperschaftsrechten für die deutschen Mennoniten nach Art. 137 Abs. 5. An wen ist der Antrag zu richten? Von wem hat er auszugehen, solange wir keine Gesamtvertretung für ganz Deutschland haben, sondern uns in Gruppen gliedern? Verleihen die Korporationsrechte noch weitere Rechte als die in Absatz 6 des Artikels 137 genannte Erhebung von kirchlichen Steuern?«294

Das Mitglied der Verfassungsgebenden Nationalversammlung Blunck hatte diesbezüglich beim Reichsminister der Justiz nachgefragt und die Antwort erhalten: »Zu den in dem Schreiben des Pastors Smissen gestellten weiteren Fragen bemerke ich, daß der Antrag auf Verleihung der Rechte einer öffentlichen Körperschaft nach Artikel 137 Abs. 5 der Verfassung von der in Betracht kommenden Religionsgemeinschaft auszugehen hat. Die Stelle, an die der Antrag zu richten ist, bestimmt sich nach Landesrecht (Artikel 137 Abs. 8). Eine Frage des Landesrechts ist es auch, ob mit dem Korporationsrecht noch andere Rechte als das in Artikel 137 Abs. 6 erwähnte Besteuerungsrecht verbunden sind.«295

Wollte van der Smissen in dieser Sache weiter aktiv werden, dann war der Weg vorgezeichnet: die Vereinigung hatte ihren Sitz in Hamburg. Am 20. April 1920 stand diese Frage auf der Tagesordnung der Kuratoriumssitzung, wobei es für die in diesem Abschnitt inzwischen des Öfteren erwähnte Unklarheit geradezu typisch war, dass dieser Tagesordnungspunkt in die Frage gekleidet wurde: »Sollen Korporationsrechte erworben werden?«296 Verglichen mit Preußen ging es in Hamburg nun schnell. Am 19. Oktober 1922 legte der Senat der Hamburger Bürgerschaft einen »Antrag auf Erhebung der ›Vereinigung der MennonitenGemeinden im Deutschen Reiche‹ in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts« 294 Schreiben van der Smissen an Dr. Blunck vom 24. 09. 1919, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich, Karton 1, Briefwechsel chronologisch 1919–1925, Ordner 6. 295 Schreiben des Reichsministers der Justiz an Rechtsanwalt Dr. Andreas Blunck vom 17. 10. 1919, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 7. Vgl. die Abschrift des Schreibens des Reichsministers der Justiz an den Rechtsanwalt Dr. Blunck, Mitglied der Nationalversammlung vom 17. 10. 1919, in: BArch R 3001/3483. Vgl. auch die offizielle Antwort des Reichsministers des Innern an die Vereinigung der Mennoniten im Deutschen Reich vom 16. 12. 1920, abgedruckt in: Mennonitische Blätter 68 (1921) 1, S. 2. 296 Einladung zur vorberatenden Kuratoriumssitzung am 20. 04. 1920 in Altona im Kirchenzimmer der Mennoniten-Gemeinde, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 215 Band 3.

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zur Beschlussfasung vor, dessen inhaltliche Begründung gerade auch vor dem Hintergrund der eben ausgelegten preußischen Folie bezeichnend ist.297 Erstens wurde in diesem Antrag argumentiert, dass die mennonitischen Einzelgemeinden »teils öffentlich-rechtliche Körperschaften – so in Hamburg –, teils privatrechtliche Vereine sind«, so dass die Gesamtvereinigung den Körperschaftsstatus nicht »ohne weiteres« besitze; sie könne diese nur durch eine »Verleihung« erwerben. Da die Vereinigung ihren Sitz in Hamburg habe, sei die hiesige Gesetzgebung hierfür zuständig. Das Bezeichnende an dieser Argumentation war zum einen, dass ein Teil der Mennonitengemeinden (diejenigen in Hamburg) aus Sicht des Senats bereits vor der Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts inne hatten. Eine solche Sichtweise unterschied sich grundlegend von der preußischen. Preußen neigte seit 1921 ja dazu, die zuvor gesetzten Normen als privatrechtliche Akte einzustufen. In dem Hamburger Antrag zur Verleihung der Körperschaftsrechte an die mennonitische Vereinigung stellte das zwar nur eine Nebenbemerkung dar – es wurde ja ein Gesetz als notwendig erachtet –, im Blick auf die Baptisten erwies sich diese Sichtweise aber als äußerst folgenreich. Zum anderen bezog sich das eben ausgebreitete Argument aber auch darauf, dass sich der Wirkungskreis der Vereinigung offenbar auch auf Gemeinden außerhalb Hamburgs erstreckte, die nur privatrechtlich organisiert seien; die in anderen Staaten des Deutschen Reiches gelegenen mennonitischen Einzelgemeinden, so könnte man diese Passage verstehen, würden durch ihre Zugehörigkeit zur Vereinigung nun aufgewertet; und das in einer Phase, in welcher der Wirkungsbereich eines Verleihungsaktes noch diskutiert wurde. Zweitens erwies sich die Hamburger Argumentation den Freikirchen gegenüber als besonders entgegenkommend, was die Auslegung der in der Weimarer Reichsverfassung genannten Verleihungsvoraussetzung anbelangt: Hamburg folgte damit den liberalen Empfehlungen aus der Nationalversammlung an die Länder, in dieser Sache nicht kleinlich zu verfahren. In dem Antrag des Senats hieß es: »Nach der angeführten Bestimmung der Reichsverfassung hat die Vereinigung ein Anrecht auf Gewährung der Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr auf Dauer bietet. Der Senat trägt keine Bedenken, diese Voraussetzungen als erfüllt anzusehen. Die Jahrhunderte alte Geschichte der Mennoniten in Deutschland hat bewiesen, daß es sich um lebenskräftige Gemeinschaften handelt, an deren Fortbestand nicht zu zweifeln ist.«

297 Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft. Nr. 730: Antrag auf Erhebung der »Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reiche« in einer Körperschaft des öffentlichen Rechts vom 25. 10. 1922, verteilt am 19. 10. 1922, in: Staatsarchiv Hamburg 131-1 II Nr. 5880 Band 2. Daraus die Zitate im Folgenden.

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Zur Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten

Auf die Mitgliedszahlen, die in Preußen seitens der landeskirchlichen Beratung eine wichtige Rolle spielte298, ging der Senat in dieser Vorlage gar nicht weiter ein. Schließlich wurde die Verleihung in Gesetzesform vollzogen, so wie es auch in Preußen anfangs vorgesehen war. Das Gesetz, betreffend die Gewährung der Rechte einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft an die »Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reiche« vom 8. November 1922 lautete bündig: »Der Senat verkündet das nachstehende, von der Bürgerschaft beschlossene Gesetz: Einziger Artikel Der ›Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reiche‹ werden auf Grund des Art. 137 Abs. 5 Satz 2 der Reichsverfassung die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts gewährt. Ausgefertigt Hamburg, den 8. November 1922. Der Senat.«299

Am gleichen Tag wurde in Hamburg auch das Gesetz zur Verleihung der Körperschaftsrechte an die Bischöfliche Methodistenkirche verabschiedet. Greifen wir nun die oben erwähnte folgenreiche Hamburger Deutung der früheren Rechtsakte auf. Durch eine staatliche Konzession vom 21. Mai 1858 erhielt die erste, im Jahr 1834 gegründete Baptistengemeinde in Hamburg »öffentlich-rechtliche« Anerkennung; diese garantierte, wie die Senatskommission für die Justizverwaltung im Jahr 1915 feststellte, allen Baptisten in Hamburg, ihren Glauben frei und ungestört zu praktizieren – unabhängig davon, ob sie nun jener ersten Gemeinde in der Böhmkestraße (heute: Johann-Gerhard-Oncken Gemeinde/Grindelallee) angehörten, oder einer erst danach entstandenen; hingegen wurde der Status einer juristischen Person nicht automatisch an alle neu gegründeten Baptistengemeinden ›weitervererbt‹, hier bedürfe es neuer Gesetze.300 Hatte der Senat bereits 1915 von einer öffentlich-rechtlichen Qualität der Rechte gesprochen, so hielt er diese Rechtsauffassung nach Verabschiedung der Weimarer Reichsverfassung aufrecht: Er fasste die staatliche Konzession aus dem Jahr 1858 als Körperschaftsstatus im Sinne der Weimarer Reichsverfassung Artikel 137 auf, die Baptistengemeinde in der Böhmkestraße war eine Körperschaft des öffentlichen Rechts.301 Zugleich stand es den danach gegründeten Einzelgemeinden offen, Anträge auf Erteilung des Körperschaftsstatus zu stellen. Die Bapistengemeinde Eben-Ezer in der Kibitzstraße (später u. a. unter dem Namen 298 Vgl. Voigt, Freikirchen in Deutschland, S. 153. 299 Ausschnitt aus dem Hamburger Gesetz- und Verordnungsblatt Nr. 148 vom 10. Nov. 1922, Staatsarchiv Hamburg 131-1 II Nr. 5880 Band 2. 300 Abschrift des Schreibens der Senatskommission für die Justizverwaltung an Einen Hohen Senat vom 20. 04. 1915, in: Staatsarchiv Hamburg 131-1 II (Band 2). 301 Das hielt der Senat so ausdrücklich in einem Schreiben an den Senat der freien Hansestadt Bremen vom 27. 10. 1921 fest, Staatsarchiv Hamburg 131-1 II.

Das Hamburger Beispiel

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Hamburg-Eilbeck firmierend, heute Auferstehungskirche/Fuhlsbüttel), mit über 400 Mitgliedern nach knapp 40-jährigem Bestehen, nutzte diese Gelegenheit mit einem Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte vom 22. November 1923302 ebenso wie die über 300 Mitglieder zählende Baptistengemeinde Zoar in der Treskowstraße (später Hamburg-Eimsbüttel, heute Kreuzkirche/Eimsbüttel).303 Durch Gesetze vom 21. Mai beziehungsweise 29. September 1924 wurden diesen Gemeinden die Körperschaftsrechte verliehen.304 Nun muss einschränkend eingefügt werden, dass der Senat nicht wahllos alle zuvor ergangenen Rechtsakte weitest möglich zugunsten einer öffentlich-rechtlichen Anerkennung von Freikirchen auslegte. Wie zuvor in Preußen hatte Bernhard Weerts als Vorsitzender der Vereinigten Bundesverwaltung auch in Hamburg eine ›flächendeckende‹ rechtliche Anerkennung der Baptistengemeinden erstrebt. In einem Schreiben an den Hamburger Senat argumentierte er am 31. Mai 1921, dass der Baptistenbund durch Senatsdekrete vom 3. Dezember 1888 und 26. Juni 1895 in Hamburg als »rechtsfähig und als Körperschaft« anerkannt worden sei. Er bat deshalb um eine Bestätigung, dass die baptistischen Einzelgemeinden sowie der Bund im Staat Hamburg als Körperschaft des öffentlichen Rechts gemäß Absatz 137 WR betrachtet würden. Diesem Begründungsweg vermochte der Hamburger Senat allerdings nicht zu folgen. Die Senatskommission für die Angelegenheit der Religionsgesellschaft teilte Weerts mit, dass der Bund durch die genannten Senatsdekrete lediglich ermächtigt worden war, »sich Grundstücke oder Hypotheken in den öffentlichen Büchern zuschreiben zu lassen«; er gelte dadurch als Verein im privatrechtlichen Sinne.305 Es wurde in Hamburg durchaus trennscharf zwischen den religionsrechtlichen Normen des 19. Jahrhunderts unterschieden.

302 Abschrift des Schreibens der Gemeinde an den Einen Hohen Senat der Freien und Hansestadt Hamburg vom 22. 11. 1923, in: Staatsarchiv Hamburg 131-1 II Band 2. 303 Vgl.: Statistisches Jahrbuch für die Freie und Hansestadt Hamburg 1925, hg. vom Statistischen Landesamt, Hamburg 1926, S. 350. 304 Sammlung des bereinigten hamburgischen Länderrechts I 222-n und q. Vgl. die Abschrift der Mitteilung des Senats an die Bürgerschaft, in: Staatsarchiv Hamburg 131-1 II Band 2. 305 Vgl. die Abschriften der Schreiben von Bernhard Weerts an den Hohen Senat vom 31. 05. 1921 und dessen Antwort, in: Staatsarchiv Hamburg 131-1 II Band 2.

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1. Mennoniten und Baptisten standen der Revolution von 1918 ablehnend gegenüber. Die Gründung der Weimarer Republik wurde nicht euphorisch als ein Ereignis begrüßt, das den Freikirchen womöglich die religiös-politische Emanzipation und rechtliche Gleichstellung einbrächte, auch wenn dieser Aspekt durchaus gesehen wurde. Dieser Befund ist insofern bemerkenswert, als dass die Reserve gegenüber der Weimarer Republik innerhalb des Mehrheitsprotestantismus vor allem mit dem Bruch von »Thron und Altar« begründet wird, so von Hans Michael Heinig: »Der evangelische Blick auf politische Herrschaft wurde in Deutschland maßgeblich dadurch geprägt, dass Territorialfürsten die Reformation protegierten und zu ihrem Schutz ein landesherrliches Kirchenregiment errichteten. Thron und Altar gingen ein lange währendes Bündnis ein. Im 19. Jahrhundert nahmen Autonomiebestrebungen in der evangelischen Kirche zu, doch das Leitbild eines christlichen Staatswesens blieb protestantische Selbstverständlichkeit. Die Revolution von 1918 war für weite Teile der Kirche deshalb ein Schock. Auf den Übergang zur Weimarer Republik mit ihrer säkularen Verfassung war man mental, politisch und theologisch nicht vorbereitet.«306

Das Ende des landesherrlichen Kirchenregiments mochte die Führung und Angehörige der evangelischen Landeskirchen schockiert haben; der Befund zu den Freikirchen zeigt aber, dass die argumentative Kraft dieses »Alleinstellungsmerkmals« der evangelischen Landeskirchen (der Bruch von »Thron und Altar«) begrenzt und die Ablehnung von Revolution und Republik bei Protestanten noch nicht hinreichend erklärt ist. Von freikirchlicher Seite war für die unbefriedigenden Verhältnisse hinsichtlich der religiösen Entfaltung die enge Verbindung von Kirche und Staat 306 Hans Michael Heinig: Der Protestantismus in der deutschen Demokratie, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 31. 08. 2015. URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwa rt/staat-und-religion-der-protestantismus-in-der-deutschen-demokratie-13764878.html (Aufruf: 28. 08. 2020). Vgl. zuvor besonders Scholder, Kirchen und das Dritte Reich, Band 1, S. 13; Kurt Nowak: Evangelische Kirche und Weimarer Republik. Zum politischen Weg des deutschen Protestantismus zwischen 1918 und 1932, Weimar 1981, S. 38.

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haftbar gemacht worden – zugespitzt formuliert: im Mittelpunkt der Kritik stand nicht der Staat, sondern die Kirche. Im baptistischen Zentralorgan wurde im März 1917 argumentiert: »Die Staatsgewalt als solche, von sich aus, hat uns nie etwas in den Weg gelegt. Sie tat es stets auf Anstiften der Geistlichkeit […]«307 und die Forderung, die bis dahin erhoben wurde, zielte dementsprechend auf die Trennung von Kirche und Staat.308 2. Die Ablehnung der Revolution durch Mennoniten und Baptisten war theologisch begründet. Ihre Loyalität gegenüber Monarchie und Kaiserreich lässt sich aber auch mentalitätsgeschichtlich erklären: Nach den Anfängen der Reformation entwickelten Täufer als religiöse Nonkonformisten die Strategie der doppelten Loyalität – uneingeschränkte Treue gegenüber Gott, aber auch gegenüber dem weltlichen Herrscher.309 Kennzeichnend für Täufer wurde somit eine Form von »konformer Nonkonformität«310, die sich gegen den Mehrheitsprotestantismus und die Landeskirchen, nicht aber in erster Linie gegen die Obrigkeit richtete. Mit Michael Driedger argumentiere ich, dass »die Annahme besonderer Privilegien aus der Hand der Landesherren […] die Rolle der Täufer als loyale, gehorsame Untertanen [verstärkte]. Diese Privilegien garantierten den Täufern nicht moderne Rechte, wohl aber Rechte, die (wie die Pflichten) an die Person eines adligen Herrn gebunden waren.«311 In diesem Sinn lassen sich die Worte des Vorsitzenden der mennonitischen Vereinigung, Hinrich van der Smissen, nach der Novemberrevolution 1918 verstehen: »Was das preußische Königshaus für das Land und auch im Besonderen für uns Mennoniten gewesen ist, wird durch die neuesten Ereignisse nicht aus der Welt geschafft und nicht aus unserem Herze getilgt.«312 Zum anderen hatten Freikirchen wie die Baptisten in dem bewussten Loyalitätserweis gegenüber der Staatsgewalt die Chance gesehen, ihre religiöse Freiheit zu sichern: So lässt sich die ablehnende Haltung gegen die Revolution von 1848/49 eines wichtigen Teils des deutschen Baptismus ebenso interpretieren wie das demonstrative nationalistische Bekenntnis zum »Vaterland« im Ersten Weltkrieg, als die Loyalität von Freikirchen mit angloamerika307 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 39 (1917) 10 (11. März), S. 76 (Rubrik »Aus der Schmiede«). 308 Vgl. G. Dreßler: Die Grundsätze der Baptisten, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 39 (1917) 19 (20. Mai), S. 147 sowie S. 150–152, hier S. 151. 309 Michael Driedger: Obrigkeit, in: MennLex V. URL: http://www.mennlex.de/doku.php?id =top:obrigkeit&s[]=obrigkeit (Aufruf: 06. 06. 2017). 310 Michael Driedger: Conflict and Adaption in an Exile Community. Flemish Mennonites in Altona and Hamburg 1649–1711, MA-Thesis, Kingston/Ontario 1993, S. 63; vgl. den Artikel von Hans-Jürgen Goertz: Mennoniten, in: MennLex V. URL: http://www.mennlex.de/dok u.php?id=top:mennoniten (Aufruf: 04. 04. 2017). 311 Driedger, Obrigkeit. 312 Hinrich van der Smissen: Zur neuen Lage der Dinge, in: Mennonitische Blätter 65 (1918) 12, S. 90–91. Zitate: S. 90 u. 91.

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nischen Wurzeln in Frage gestellt wurde.313 Mennoniten und Baptisten hatten sich bis zu den Ereignissen im November 1918 nicht apolitisch gezeigt, sondern waren vielmehr mit patriotischen Äußerungen aufgefallen.314 3. Das Wirken des USPD-Politikers Adolph Hoffmann im Winter 1918 wurde von freikirchlicher Seite mit großem Unbehagen wahrgenommen, obwohl seine radikale Privatisierungspolitik des Religiösen ja vornehmlich auf die Großkirchen zielte und Freikirchen in deren nivellierenden Effekten (Streichung staatlicher Zuschüsse für die Kirchen, Abschaffung von Konfessionsschulen und Religionsunterricht) die Freikirchen womöglich die Schließung einer Gerechtigkeitslücke hätten erkennen können. Die angekündigten und später nicht realisierten Maßnahmen hätten sich zuerst auf die Kirchengestalt und Verwaltungspraxis der Großkirchen ausgewirkt. Dort, im Mehrheitsprotestantismus, hatten die kirchenpolitischen Initiativen der USPD auch im Hinblick auf die Akzeptanz der Republik eine negative Wirkung. Hinzu kam, dass die evangelischen Landeskirchen in den Jahren 1919 bis 1921 jährlich nahezu 260.000 Mitglieder verloren.315 Während zuverlässige Angaben zu den politischen Optionen der Angehörigen von Freikirchen fehlen, wissen wir, dass die Mehrheit der »aktiven Protestanten« der DNVP nahestand316, mithin etwa 80 Prozent der evangelischen Pfarrer zum rechten Spektrum neigten.317 4. Waren sich Freikirchen und die evangelischen Landeskirchen in den eben skizzierten Fragen ähnlich, so unterschieden sich die Einstellungen von Eberhard Arnold, dem Gründer einer neu-täuferischen Lebensgemeinschaft, substanziell von den mehrheitsprotestantischen und freikirchlichen Positionen. Zwar war auch Arnold im Jahr 1918 gegen eine gewaltsame Revolution eingestellt. Doch der Gründer der pazifistischen und Güterteilung praktizierenden Landkommune vertrat in der Anfangszeit der Weimarer Republik die Sichtweise, dass die vollkommene geistliche Ausrichtung an der Bergpredigt geradezu unweigerlich eine revolutionäre Erneuerung des Gesellschaftlichen zur Folge habe. Arnold lehnte es strikt ab, den gesellschaftlichen und geistlichen Wandel parteipolitisch zu kanalisieren, hatte gegen ein individuelles Engagement in linken Parteien (SPD, USDP und KPD) und deren Wahl allerdings nichts einzuwenden. Indem er die Ausbreitung des Reiches Gottes als Weltrevolution verstand, codierte er einen aus Sicht des Mehrheitschristentums in Deutschland negativ besetzten Begriff positiv um. Dabei nahm er den kommunistisch-pazifistischen Anarchismus als 313 Vgl. dazu und zur »Vaterländischen Kundgebung« im Jahr 1915: Strübind, unfreie Freikirche, S. 35, 37 u. 38. 314 Vgl. Foth, Patriotismus. Balders, Kurze Geschichte, S. 71ff. 315 Ursula Büttner: Weimar. Die überforderte Republik 1918–1933. Leistung und Versagen in Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Stuttgart 2008, S. 269. 316 Ebd. S. 272. 317 Gerhard Besier: Kirche, Politik und Gesellschaft im 20. Jahrhundert, München 2000, S. 3.

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politisches Pendant seiner theologischen Überzeugungen wahr. Arnold pflegte rege Kontakte zu unterschiedliche Gruppen und Personen, sowohl im freikirchlichen wie im landeskirchlichen Lager. Seine Haltung war auf beiden Seiten nicht mehrheitsfähig und fand innerhalb der evangelischen Kirche am ehesten noch in den religiösen Sozialisten eine Entsprechung; Arnold zeigte sich von dieser Bewegung inspiriert, ging aber über deren Positionen und Sichtweisen weit hinaus. 5. Mennoniten, Baptisten und der Kommunitätsgründer Arnold hegten aus unterschiedlichen Gründen Vorbehalte gegenüber dem republikanisch-parlamentarischen System, sie bekämpften oder boykottierten es aber nicht, sondern nahmen es unter den gegebenen Umständen als vorerst unausweichlich an. Dahinter stand womöglich die Sichtweise, dass Gott der »Herr der Geschichte« sei und somit auch die Wendung von 1918 zumindest zugelassen habe. Die Freikirchen traten in Verhandlung mit der »Obrigkeit« und nutzen die demokratischen Bedingungen auf ihre Weise. Das gilt für das unermüdliche Engagement der Baptisten für den Erwerb der Körperschaftsrechte gleichermaßen wie für die Bemühung der mennonitischen Vereinigung zur reichsweiten Vereinheitlichung des Eidverweigerungsrechts. Mennoniten hatten in unterschiedlichen Landesteilen durch tradierte Privilegien das Recht, den Eid mit alternativen Beteuerungsformeln zu ersetzen. In der Gründungsphase der Weimarer Republik drängten Mennoniten nun auf eine reichsweite Regelung im Sinne der Landesprivilegien. Hartnäckig suchte die mennonitische Vereinigung das über den Kontakt zu einem Parlamentarier und Gesuche an den Reichskanzler zu erreichen. Im zuständigen Reichsjustizministerium war man nicht frei von Skepsis, prüfte die Frage im Jahr 1921 aber umfänglicher und holte das Votum der Länder ein. Dabei ging von Preußen die bemerkenswerte Anregung aus, das Eidverweigerungsrecht, wollte man es denn reichsseitig überhaupt regeln, an das Gewissen der Bürgerinnen und Bürger zu binden und nicht an die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. Am Ende versandete das Reformvorhaben allerdings, noch ehe es richtig auf den Weg gebracht worden war. 6. Das Phänomen des pragmatischen Arrangierens mit der Republik fand sich auch bei den Kirchenführern der evangelischen Landeskirchen und musste gelegentliche antidemokratische Invektiven nicht ausschließen. »Ihre Bereitschaft, sich mit der Republik zu arrangieren«, so Jonathan R. C. Wright, »wurde dadurch erleichtert, daß diese schnell von dem hoffnungslosen Versuch einer Reform der Kirche abließ und großzügige Übereinkünfte zwischen Staat und Kirche zugestand.«318 318 Jonathan R.C. Wright: »Über den Parteien«. Die politische Haltung der evangelischen Kirchenführer 1918–1933, Göttingen 1977, S. 235f.

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Das Religionsverfassungsrecht der Weimarer Reichsverfassung von 1919 privilegierte die tradierten Großkirchen, indem es ihnen von vornherein den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zubilligte und ihr Eigentum umfassend schützte.319 Die Abgeordneten der Weimarer Nationalversammlung suchten aber nicht nur nach einem Kompromiss für die kirchliche Stellung im öffentlichen Leben zwischen Staatskirche und privater Vereinigung (was am Ende auf eine unsichtbare Staatskirche hinauslief, wie zeitgenössisch aus liberaler Kirchenrechtsperspektive kritisiert wurde320); zugleich setzte sich die Nationalversammlung ausdrücklich auch mit dem Rechtsstatus der freien Religionsgemeinschaften wie den Baptisten auseinander und öffneten ihnen im »Kirchenkompromiss« die Tür zur körperschaftsrechtlichen Anerkennung. Insofern markierte das Religionsverfassungsrecht auf der rechtsnormativen Ebene einen elementaren Einschnitt in der bisherigen Rechtsentwicklung – auch wenn er von den Freikirchen in dieser Tiefe zunächst womöglich gar nicht erkannt worden ist. Darauf verweisen zumindest die Bemühungen der Baptisten, an die Rechtsnormen des 19. Jahrhunderts anzuknüpfen. Offenbar bestanden auf Seiten der Freikirchen (und der Länderministerien) noch größere Unklarheiten über die elementare Bedeutung der religionsverfassungsrechtlichen Regelungen zum Körperschaftsstatus, weil er die Perspektive auf eine ganz neue rechtliche Dimension eröffnete. Ganz anders verhielt es sich bei den evangelischen Landeskirchen, wo »vielfach am vorkonstitutionellen Traditionsbestand festgehalten« worden ist.321 Insbesondere wurden die Staatsleistungen – mit denen traditionell die Säkularisierungsverluste ausgeglichen worden waren – nicht angetastet, auch wenn sie mit einer Entschädigung »abgelöst« werden sollten (was aber nicht geschah).322 Der Körperschaftsstatus konnte schließlich als Beleg für die staatliche Anerkennung der besonderen öffentlichen Bedeutung der Kirchen interpretiert werden, also im Grunde als eine Bestätigung ihrer Stellung, die sie bis 319 Vgl. Sandra Könemann: Das Staatskirchenrecht in der wissenschaftlichen Diskussion der Weimarer Zeit, Frankfurt 2011, S. 59ff. 320 Vgl. das Diktum von Hans von Soden bei Besier, Kirche, S. 4. Eine bis heute prägende Wendung ist diejenige von der »hinkende[n] Trennung« von Kirche und Staat; Ulrich Stutz: Die päpstliche Diplomatie unter Leo XIII. nach den Denkwürdigkeiten des Kardinals Domenico Ferrata, Berlin 1926, S. 54. 321 Korioth, Entwicklung, S. 58. Vgl. auch seine Ausführungen zur »Korrelationstheorie«, wonach dem Staat eine Aufsichtspflicht über die öffentlich-rechtlichen Religionsgemeinschaften zuwuchs. 322 Jörg Thierfelder: Religionspolitik in der Weimarer Republik, in: Anselm Doering-Manteuffel und Kurt Nowak (Hg.): Religionspolitik in Deutschland. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Martin Greschat zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1999, S. 195–213, hier S. 202 u. 210. Josef Isensee: Staatsleistungen. Gut aufgehoben. Das Verhältnis von Staat und Kirche in Deutschland ist nicht nur originell. Es ist auch wohl ausbalanciert, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 22. 12. 2013. URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/staa tsleistungen-gut-aufgehoben-12724269.html (Aufruf: 28. 08. 2020).

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dato bereits inne gehabt hatten – nur unter der Prämisse der rechtlichen Unabhängigkeit vom Staat.323 7. Das Weimarer Religionsverfassungsrecht brach mit der bisherigen Tradition, bezieht man aber die Praxis der Verleihung von Körperschaftsrechten in die Betrachtung mit ein, wird deutlich, dass es keine abrupte, paradigmatische Wende einleitete, sondern lediglich den Beginn eines allmählichen Wandels markierte. Hierfür lassen sich unterschiedliche Gründe ausmachen. Ein wichtiger Faktor war, dass die Verleihungspraxis in den Bereich der Einzelstaaten fiel und sich die Anerkennung von Freikirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts zum Teil noch hinzog (mithin bis weit in die Zeit nach 1945 hinein). Für Preußen lässt sich bei der Behandlung dieser Frage eine Verzögerung besonders deutlich beobachten, die erklärungsbedürftig ist. Karl Heinz Voigt und Erich Geldbach sehen hierin eine gezielte Verschleppungstaktik der preußischen Regierung, die auf den Einfluss der evangelischen Landeskirchen zurückzuführen sei.324 Nun ließ sich die preußische Regierung in dieser Frage tatsächlich von der Landeskirche beraten und Karl Heinz Voigt hat gezeigt, dass es innerhalb der evangelischen Kirche in Preußen (beispielsweise in der Person von Otto Dibelius) starke Vorbehalte gegenüber der Anerkennung der im 19. Jahrhundert entstandenen Freikirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts gegeben hat (und es solche offenbar auch in der preußischen Staatsregierung gab).325 Allerdings ist nicht klar, ob die Haltung der Staatsregierung tatsächlich ausschließlich von der Kirche bestimmt wurde beziehungsweise warum sich die verschiedenen preußischen Staatsregierungen diese Sichtweisen zu eigen machten. Dass ein solches Anerkennungsverfahren auch ungleich zügiger ablaufen konnte, zeigte sich ausgerechnet in Sachsen, wo die Baptisten noch bis zum Ende des Kaiserreiches größere Schwierigkeiten mit Staat und Landeskirche gehabt hatten.326 Am 18. August 1924 reichte die Vereinigung von Gemeinden gläubig getaufter Christen in Sachsen (Vereinigung der Baptisten) ein entsprechendes Gesuch beim

323 Vgl. Scholder, Kirchen und das Dritte Reich, Band 1, S. 46. 324 Geldbach, Freikirchen, S. 181; Voigt, Freikirchen in Deutschland, S. 147–150. Daran anschließend Weiß, Staatskirchenrecht, S. 34; Stedtler, Baptisten, S. 39. 325 Voigt, Freikirchen in Deutschland, S. 150. 326 Baptistenpastor Carl Brauns war noch im September 1918 von einer sechsmal sechswöchigen Haftstraße bedroht, weil er sechs Menschen getauft hatte, die sich nach Aussage der Kreishauptmannschaft (entspricht einem Regierungsbezirk) Zwickau noch nicht als »Dissidenten« registriert hatten und deshalb Angehörige der Landeskirche gewesen seien. Vgl. das Schreiben der Kreishauptmannschaft Zwickau an das Königliche Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts vom 23. 09. 1918, in: Sächsisches Staatsarchiv/Hauptstaatsarchiv Dresden 11125 (Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts) Nr. 12979/2.

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Sächsischen Ministerium für Volksbildung ein.327 Am 7. Oktober 1924 entschied das sächsische Gesamtministerium, der Baptisten-Vereinigung sowie den darin organisierten Einzelgemeinden die Körperschaftsrechte zu verleihen.328 Auf lange Sicht sollte sich die länderbezogene Verleihungspraxis als spezifisches Problem in der Körperschaftsfrage erweisen; die Frage der »Zweitverleihung« kann im Blick auf das Religionsrecht im 20. Jahrhundert deshalb als »Zankapfel« bezeichnet werden. Wenn in einem Land die Körperschaftsrechte verliehen werden, inwieweit konnten sie dann, so lautete eine der zentralen Fragen, Rechtsanspruch in den übrigen Ländern Deutschlands beanspruchen? Bereits Anfang der 1920er-Jahre wurde diese Frage auf Staatsseite diskutiert.329 Als der Vorsitzende der baptistischen Bundesverwaltung, August Rausch, nach dem Erfolg in Preußen im Jahr 1930 äußerte, dass »[d]amit […] der Bund für das ganze Reichsgebiet als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt« sei330, war der Jurist über diese Rechtsdiskussion entweder nicht informiert oder besonders optimistisch. Noch fast hundert Jahre später war dieser Sachverhalt umstritten, als das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2015 im Zusammenhang mit der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas zu dieser Frage urteilte – und drei Richter eine abweichende Meinung dazu kundtaten.331

327 Gesuch der Vereinigung von Gemeinden gläubig getaufter Christen in Sachsen (Vereinigung der Baptisten) vom 18. 08. 1924, in: Sächsisches Staatsarchiv/Hauptstaatsarchiv Dresden 11125 (Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts) Nr. 12979/2. 328 Schreiben der Staatskanzlei an das Ministerium für Volksbildung vom 07. 10. 1924, in: Sächsisches Staatsarchiv/Hauptstaatsarchiv Dresden 11125 (Ministerium des Kultus und öffentlichen Unterrichts) Nr. 12979/2. 329 Vgl. dazu Schreiben des Reichsministers des Innern an den Reichsminister der Justiz vom 17. 07. 1922, in: BArch R 3001/3483. 330 August Rausch: Endlich!, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 52 (1930) 40 (5. Oktober), S. 315. 331 Beschluss des Zweitens Senats von 10. Juni 2015-2 BvR 1282/11.

Zweiter Teil. Etablierung des Führerstaats

Prolog

Eduard Dyck diente der Mennonitengemeinde Rosenort fast 40 Jahre lang, davon nahezu 25 Jahre als Ältester; nun starb er am 8. Februar 1933 im Alter von 77 Jahren. Sein Tod löste konfessionsübergreifend tiefe Anteilnahme aus. Als er am 12. Februar beerdigt wurde, war der Trauerzug fast zwei Kilometer lang und erstreckte sich von der Kreisstadt Tiegenhof bis zum Friedhof der mennonitischen Gemeinschaft in Rosenort. Der geräumige Hof dort konnte die Fuhrwerke und Autos nicht fassen.332 Als Eduard Dyck in sein Amt eingesetzt worden war, lag seine Gemeinde noch in der Provinz Westpreußen. Als Folge des Versailler Vertrags wurde dieses Gebiet bekanntlich dreigeteilt: das frühere Westpreußen gehörte nur noch partiell zum Deutschen Reich, ein großer Teil musste an Polen abgetreten werden, während die Siegermächte des Ersten Weltkrieges aus dem Weichseldelta einen autonomen, dem Völkerbund unterstellten Staat konstituierten; als Eduard Dyck starb, lag die Gemeinde Rosenort in eben diesem Gebiet, in der Freien Stadt Danzig, Landkreis Großes Werder. Mit mehr als 800 Mitgliedern (Stand 1925) zählte die Gemeinschaft zu den großen Mennonitenkirchen deutscher Zunge.333 Am 12. März 1933 richtete die Gemeinde aus Anlass des Volkstrauertages, damals noch fünf Wochen vor Ostern, am Sonntag Reminiscere, eine Gedenkveranstaltung aus. Sie gliederte sich in drei Elemente.334 »Im ersten Teil«, so wurde in den Mennonitischen Blättern vermutlich von Ernst Regehr (1903– 1970), Prediger und seit 1934 als Nachfolger von Eduard Dyck auch Ältester der Gemeinde Rosenort, berichtet, »gedachten wir unseres lieben heimgegangenen 332 S.: Nachrichten aus den Gemeinden: Jahresbericht Rosenort, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 3 (März), S. 31. 333 Siehe die Übersicht Mennoniten im Deutschen Reiche 1887/1890 und 1925. Ein Menschenalter mennonitischer Geschichte in Zahlen, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 5 (Mai), S. 53–58, S. 53. 334 Vgl. dazu Jonas J. Driedger: »Wohin wir blicken, sehen wir Feinde«. Wie sich preußische Mennoniten von 1913 bis 1933 als Teil einer christlich-antibolschewistischen Volksgemeinschaft neu erfanden, in: Mennonitische Geschichtsblätter 71 (2014), S. 71–102, hier S. 87.

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Ältesten, der, wie einst Moses sein Volk durch die Wüste, unsere Gemeinde durch die Kriegs-, Inflations- und Deflationszeit mit all ihren Nöten, Fragen und Entscheidungen hindurch geführt hat.«335 Den Tod des Ältesten zu betrauern war somit der erste Beweggrund der Gedenkfeier. »Der zweite Teil war unseren gefallenen Helden gewidmet und stand unter dem Zeichen der Erhebung Deutschlands.« Die ehedem dem Kriegshandwerk fernstehende mennonitische Gemeinschaft stimmte an diesem Tag somit das gleiche Heldenlied an, das den Volkstrauertag gesellschaftlich dominierte. Nun bezog sich das ehrende Gedenken aber nicht alleine auf die ›gefallenen‹ Soldaten, sondern schloss auch die in Auseinandersetzungen zur Zeit der Weimarer Republik getöteten Nationalsozialisten mit ein: »Und weil ihr Gedächtnis bei uns im Segen geblieben ist, deshalb haben jene Helden des Weltkrieges Nachfolger gefunden, die auch ihr Leben eingesetzt haben im Kampfe für das Bestehen unseres Vaterlandes gegen den staatsvernichtenden gottlosen Kommunismus. Wir gedachten dankbar der ermordeten S.A.-Leute und der Stahlhelmkameraden, die freiwillig ihrem Volke ebendenselben Dienst und ebendasselbe große Opfer ihres Lebens dargebracht haben. Unser Dank gegen all diese tapferen Treuen ging dann schließlich über in einen Dank gegen Gott, der uns heute eine Regierung geschenkt hat, die den Willen und auch den Mut hat, sich ganz bewußt gegen die rote gottlose Flut zu stellen.«

Der dritte Teil war schließlich dem Gedächtnis des Kreuzestodes Christi gewidmet. Der mittlere Teil der Gedenkveranstaltung war also genuin politisch-nationalsozialistisch gestimmt und wurde von zwei geistlichen Elementen gerahmt. Dabei umfasste dieser Mittelteil weder alleine die Ehrung der ›gefallenen‹ Soldaten des Kaiserreiches noch brachte er lediglich eine Wertschätzung gegenüber der neuen, nationalsozialistischen Regierung im Deutschen Reich zum Ausdruck, sondern er war ein Plädoyer für den Nationalsozialismus selbst – aus einem unabhängigen Staat heraus gesprochen, in dem die Danziger NSDAP zu diesem Zeitpunkt noch nicht in der Mehrheit war (die Stimmenmehrheit erzielte die Partei erst bei der Wahl im Mai 1933). In dem hier analysierten Bericht über den Volkstrauertag wurde der verstorbene Gemeindeälteste Dyck nun metaphorisch als ein Mose gesehen. Mose hatte das Volk Israel aus Ägypten geführt, es blieb ihm aber verwehrt, das verheißene Land Kanaan einnehmen; das war seinem Nachfolger Josua vorbehalten. Aber Gott zeigte Mose am Ende einer langen Wüstenwanderung das gelobte Land am Ende seines Lebens.336 Hierauf nahm der Schreiber des Berichts Bezug. »Und jetzt«, so hieß es dort, »wo wir durch Gottes 335 Rghr. [Ernst Regehr]: Gemeinde Rosenort [Rubrik: Nachrichten aus den Gemeinden], in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 68–69. 336 Vgl. 4. Mose 27, 12–23.

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Hilfe eine neue Morgenröte erstrahlen sehen über unser Volk, wo wir an der Grenze einer katastrophalen Entwicklungszeit stehen, jetzt hat ihn Gott, der Herr, abgerufen von seinem Führerposten, wie einst den vorgenannten Gottesmann, der das verheißene Land wohl aus der Ferne sehen, es aber nicht betreten durfte.«337 Bezog sich die Metapher auf die neuen Machtverhältnisse in Danzig seit der Wahl vom 28. Mai 1933? Oder waren sie, was wahrscheinlicher ist, gar ganz auf die »Machtergreifung« im Deutschen Reich gemünzt gewesen? (Denn der Bericht hatte aufgrund des Redaktionsschlusses bestimmt noch vor jener Wahl eingereicht werden müssen.) Als »Morgenröte« erschien dann die nationalsozialistische »Machtergreifung«, das Deutsche Reich als gelobtes Land. In jedem Fall aber, ob sich die Wendung nun auf die Verhältnisse in Danzig oder im Deutschen Reich bezog, wurde die »neue«, also nationalsozialistische Regierung als von Gott »geschenkt« betrachtet. Die Ereignisse in Rosenort im März sowie der im Juni 1933 publizierte Bericht darüber werfen einige Fragen auf: Besaß die Wehrfreiheit, die für die historischen Täufer ein konstitutives Element gewesen war, am Ende des ersten Drittel des 20. Jahrhunderts, noch irgendeine Relevanz für die mennonitische Gemeinschaft? Wie ist die affirmative Haltung zur Implementierung des neuen nationalsozialistischen Herrschaftssystems zu deuten – wo der staatliche Umsturz durch die Revolution von 1918 von Seiten der Mennoniten und anderer Freikirchen durchweg doch als unchristlich abgelehnt worden war? Inwieweit haben sich die Türen von freikirchlichen Gemeinde am Beginn der NS-Diktatur – sozusagen von innen – für die Sphäre des Politischen geöffnet? Inwieweit wurden politische, nationalsozialistische Elemente in die soziale Praxis des Gemeindelebens, oder gar in die Struktur und Matrix geistlicher Veranstaltungen integriert? Die eben skizzierten Fragen zeigen die Richtung an, in die meine Untersuchung der Mennoniten, Baptisten und des Bruderhofes im zweiten Teil dieser Studie zielt: Es soll nicht um eine enzyklopädische Gesamtschau der drei Gemeinschaften in der Phase der »Machergreifung« gehen; Ziel der folgenden Überlegungen ist es vielmehr, eine problemorientierte Analyse spezifischer Themen vorzunehmen, deren Erkenntnisgewinn vor allem in der Zusammenschau der drei Gemeinschaften liegt. Deshalb werden aber viele, für eine Gesamtgeschichte der ausgewählten Freikirchen nicht unwesentliche Bereiche analytisch ausgeblendet bleiben müssen; sie sollen lediglich punktuell oder zumindest durch die Bezugnahme auf Sekundärliteratur partiell miteingebunden werden. Dabei frage ich in meiner Untersuchung nach dem »Eigen-Sinn«338 in 337 Nachrichten aus den Gemeinden: Gemeinde Rosenort, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 68–67. 338 Vgl. zum Begriff und Konzept: Alf Lüdtke: Lohn, Pausen, Neckereien: Eigensinn und Politik bei Fabrikarbeitern in Deutschland um 1900, in: Ders., Eigen-Sinn. Fabrikalltag, Arbeiter-

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Deutung und Handeln der Akteure und richte den Blick auf kulturelle Erscheinungen der Gemeinschaften verstanden als »selbstgesponnene Bedeutungsgewebe«339, wie sie uns in der Gedenkveranstaltung aus Anlass des Volkstrauertages in Rosenort begegnet sind. Ich begreife das Handeln der Akteure als performative Akte, deren tiefere »Bedeutung […] erst im Augenblick des Äußerns, Ausführens oder sich Verhaltens« sichtbar werden.340 Dementsprechend werde ich ein besonderes Augenwerk auf Quellen richten, die in ereignisgeschichtlicher Perspektive wenig beachtet wurden, wie Beschreibungen von Gottesdiensten, Gemeindeaktivitäten aber auch zeitgenössische Fotografien (speziell von der Jungschar auf »Fahrt«), und sie in Beziehung mit der Entwicklung im NS-Staat in der Phase der »Machtergreifung« setzen. Konkret soll es vor dem Hintergrund des Grundmusters dieser Studie – Wahrnehmung und Interaktion – im Folgenden zunächst um das Staatsverständnis gehen, das innerhalb der ausgewählten Gemeinschaften verbreitet war (Kapitel A.). Daran anschließend werde ich anhand von konkreten Beispielen untersuchen, wie die Glaubensgemeinschaften auf staatliche Loyalitätsforderungen wie der Entbietung des deutschen Grußes, einer gewünschten Partizipation an nationalsozialistisch definierten Festformen oder der Beteiligung an der Wahl und dem Plebiszit am 12. November 1933 reagiert haben (Kapitel B). Die Suche nach ihrem rechtlichen Ort innerhalb des Gemeinwesens, was ich im ersten Teil dieser Studie breiter thematisiert habe, führe ich insofern fort, als dass ich in Kapitel C. zum einen die strukturellen Änderungen in der Organisation der Freikirchen als Reaktion auf die staatlichen Umbrüche interpretiere und zum anderen die Gleichschaltung der freikirchlichen Jugendbünde durch den NSStaat Ende 1933, Anfang 1934 untersuche. Im Abschnitt D. werde ich dann einen Ausblick auf den Umgang mit täuferischen Prinzipien wie der Wehrfreiheit und Eidverweigerung im NS-Staat geben, die zwar schon in der Phase der Machtergreifung relevant waren, aber danach noch an praktischer Bedeutung gewonnen haben.

erfahrungen und Politik vom Kaiserreich bis in den Faschismus, Hamburg 1993, S. 120–160; sowie ders.: Einleitung, S. 9–63. Thomas Lindenberger: Eigen-Sinn, Herrschaft und kein Widerstand, Version: 1.0, in: Docupedia-Zeitgeschichte, 02. 09. 2014. URL: http://docupedia. de/zg/Eigensinn (Aufruf: 28. 08. 2020). 339 Clifford Geertz: Dichte Beschreibung zu einer deutenden Theorie von Kultur, in: Ders.: Dichte Beschreibung. Beiträge zum Verstehen kultureller Systeme, Frankfurt (3. Auflage) 1994, S. 7–43, hier: S. 9. 340 Jürgen Martschukat und Steffen Patzold: Geschichtswissenschaft und »performative turn«: Eine Einführung in Fragestellungen, Konzepte und Literatur, in: Dies. (Hg): Geschichtswissenschaft und »performative turn«. Ritual, Inszenierung und Performanz vom Mittelalter bis zur Neuzeit, Köln u. a. 2003, S. 1–32, S. 10.

A.

Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten in der Phase der »Machtergreifung«

Die Haltung zur nationalsozialistischen »Revolution« Als sich die NSDAP unmittelbar nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler ans Werk machte, eine Diktatur zu errichteten, blieb den freikirchlichen Beobachtern nicht verborgen, dass es sich bei den nationalsozialistischen Maßnahmen um nichts anderes als um einen Umsturz der bisherigen staatlichen Grundlagen handelte – um eine »Revolution«.341 Doch anders als im Jahr 1918/19 ließen Baptisten und Mennoniten offiziell keine tieferen, negativen Bewertungen verlauten.342 Bezeichnenderweise fand auch der demokratisch gesinnte, politisch gegen die Nationalsozialisten eingestellte Baptistenpastor Paul Schmidt rasch, nämlich schon nach den Wahlen von 5. März 1933, zu einer loyalen und im weiteren

341 Vgl. zum Begriff etwa auf baptistischer Seite: Alfred Bärenfänger: Der Aufbruch neuer Lebenskräfte in der jungen Generation, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933), 28 (9. Juli), S. 222–223, hier: S. 222; den Artikel ohne Autorenangabe: Im Kampf um die Schule, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933), 23 (4. Juni), S. 187–188, hier: S. 187: »Wie eine Sturmflut braust die Revolution der nationalen Erneuerung durch unser deutsches Volk.«. Carl Schneider: Unsere Sendung im Dritten Reiche. Predigt über 1. Tim. 2, 17, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 297–299. Sowie: die Bemerkungen im baptistischen Organ Der Hilfsbote 43 (1933) 6 (Juni), S. 133: »Die letzten vier Wochen haben die deutsche Revolution auf ihrem Wege weiter vorangetrieben.« Vgl. auch Heft 8 (August), S. 182, Heft 9 (September), S. 205, Heft 12 (Dezember), S. 278; und in der von Flügge herausgegebenen, mit hoher Auflage verbreiteten Zeitschrift Der Friedensbote 73 (1933) Nr. 26, Rubrik »Aus der Briefmappe des Schriftleiters«. 342 In einem Artikel, der die zeitgenössische Entwicklung allerdings durchaus kritisch kommentiert, ordnet der Baptistenpastor Otto Johns die, wie er schreibt, »nationale Revolution«, in einen größeren Zusammenhang ein und begreift sie als Etappe in einer Umwälzung, die mit dem Ersten Weltkrieg eingesetzt habe. Otto Johns: Christus und die neue Zeit, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933), 22 (28. Mai), S. 169–170, hier: S. 169.

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Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten

Jahresverlauf sogar zu einer anerkennend-bejahenden Haltung des NS-Staates.343 Seit 1928 bekleidete der Geistliche die wichtige, weil einflussreiche Funktion des Schriftleiters der baptistischen Wochenzeitschrift »Der Wahrheitszeuge«. In dem Zentralorgan des Baptistenbundes oblag Paul Schmidt beispielsweise die Kommentierung des Zeitgeschehens in der Rubrik »Aus der Schmiede«. Seine Bemerkungen in der Phase zwischen dem 30. Januar und dem 5. März lassen erkennen, dass der vormalige CSVD-Reichstagsabgeordnete in dieser Zeit noch keineswegs ein überzeugter Anhänger Hitlers und des Nationalsozialismus gewesen war; er äußerte sich über die neue Reichsregierung sehr zurückhaltend. Durchaus scharfsinnig erkannte er die »revolutionären« Absichten der NSDAP; ein Christ könne sich an einem Staatsumsturz aber nicht beteiligen, so argumentierte er. Im Zusammenhang mit der Frage eines Lesers, ob es richtig sei, dass ein Baptist, wie in seiner Gemeinde geschehen, bei einem »Reichsbannerzug« mitmache, sich also bei Veranstaltungen der zur Verteidigung der Republik gegründeten Organisation Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Bund Deutscher Kriegsteilnehmer und Republikaner beteilige, »wo auch Kommunisten mit der blutroten Fahne vertreten waren«, äußerte Schmidt, dass ein Christ grundsätzlich in keinem »politischen Revolutionsheer mitmarschieren« dürfe, »weder links noch rechts.«344 Das war eindeutig auch auf eine Beteiligung an der nationalsozialistischen »Revolution« gemünzt. Doch mit den geänderten Machtverhältnissen nach der Wahl am 5. März änderte sich Schmidts Haltung augenblicklich: »Die Wahlen am Sonntag, den 5. März, und Sonntag, den 12. März, haben die mit dem 30. Januar begonnene Staatsumwälzung politisch bestätigt und vollendet. Der Erlaß des Reichspräsidenten vom 12. März ordnet an, daß bis zur endgültigen Regelung die alte schwarz-weiß-rote Fahne und die Hakenkreuzfahne auf öffentlichen Gebäuden zu hissen sind. Damit ist ganz offiziell die vollzogene nationale Revolution anerkannt worden. Sie gilt als Tatsache. […] Der Reichskanzler hat am gleichen Tage den Sieg der nationalen Revolution und ihren politischen Abschluss verkündet.«345

Hinter dieser am 26. März im Wahrheitszeugen vorgetragene Argumentation, stand die Sichtweise, dass die Verläufe der Geschichte letztlich von Gott gelenkt würden: »Gott macht Geschichte, und er hat seine Menschen, die er einsetzt.«346 343 Strübind, unfreie Freikirche, S. 69–78. Gieske, unheilige Trias, S. 85–92. Kösling, Baptisten, S. 26–30. Assmann, Bund der Baptistengemeinden. 344 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 9 (26. Februar), S. 71. 345 [Paul Schmidt]: Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 13 (26. März), S. 102. 346 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 12 (19. März), S. 94. In gleicher Weise argumentierte auch der Vorsitzende der baptistischen Bundesverwaltung, Friedrich Rockschies, in seinem

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Dementsprechend war in der von Paul Schmidt redigierten Monatsschrift Der Hilfsbote, einer Zeitschrift, die sich an Prediger des Bundes richtete, im Mai 1933 fast lakonisch zu lesen: »In dieser Lage gilt es zu sehen, daß eine Epoche geistiger Geschichte, etwa die, die mit dem Humanismus begann und den Individualismus und die Demokratie gebar, vorüber ist.« Und in der das Zeitgeschehen kommentierenden Rubrik »Am Kompass« hieß es, den NS-Staat bejahend, weiter: »Es gilt, mutvoll und klar Gottes Willen im Geschehen zu sehen und zu bejahen und klar und eindeutig nach der Schrift die Folgerungen zu ziehen. Es gilt, das Ewige und das Wandelbare zu unterscheiden und abzuwägen und die Veränderlichkeit aller Formen und Anschauungen auch im äußeren Leben der Gemeinde eindeutig zu bejahen und, wenn es sein soll, auch die Forderungen und Linien Gottes zu sehen und zu nennen.«347

Die »normative Kraft des Faktischen« (Georg Jellinek348) war für Schmidt offenbar Bestätigung Gottes genug. Das damit verbundene Problem, wie sich die geschichtstheologische Auffassung zur Frage der persönlichen Verantwortung der Bürgerinnen und Bürger für das Gemeinwesen und seine Zerstörung verhielt – Hitler wurde im März immerhin mehrheitlich gewählt –, war damit aber nicht erklärt. Hier griff der Ansatz von Carl Brauns, Vorsitzender der in der RheinischWestfälischen Vereinigung organisierten Baptistengemeinden, der sich ebenfalls des Begriffs der »Revolution« bediente, um die Umgestaltung des Staatslebens zu beschreiben; er benutzte ihn affirmativ, erinnerte aber in einem Vortrag – auf einer Konferenz in Dortmund gehalten und im Juli 1933 im Wahrheitszeugen abgedruckt – daran, dass »die jetzige Volksführung, nicht durch gewaltsame Revolution zur Macht gekommen ist, sondern von der ordnungsmäßigen Obrigkeit auf gesetzlichem Wege in ihre Arbeit gerufen ist und von dem Willen des Volksganzen getragen wird.« Diese Feststellung war Brauns, der die »Machtergreifung« letztlich als ein Werk Gottes begriff, wichtig, denn »[d]ieses erleichtert uns die Anerkennung ihrer gottgegebenen Autorität gegenüber der Staatsumwälzung von 1918«.349 Hingegen zog sich Paul Schmidt schnell auf eine formalen Standpunkt zurück, wonach Christen und Christinnen jeglichem Staat gegenüber zur Loyalität verpflichtet seien. »Gemeindemenschen sind jeder Staatsform und Staatsordnung getreueste Bürger«, so argumentierte Schmidt in der zweiten Märzhälfte 1933,

Artikel »Wir und die neue Zeit«, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 155 u. 156. 347 Der Hilfsbote 43 (1933) 5 (Mai), S. 113 u. 114. 348 Jellinek, Staatslehre, S. 338. 349 Carl Brauns: Die Gemeinde des Herrn und der neue Staat [erster Teil], in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 31 (30. Juli), S. 247–249, hier S. 248.

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Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten

»denn sie stehen vor Gott und erkennen Gottes Ordnung im Staatsleben an. Zwar beteiligen sie sich nie an einer Revolution, aber sie beten andringend, daß Gottes Hand ihr Volk und seine Regierung segnen möge. So haben sie es bis 1918 getan, so handelten sie bis 1933, und so werden sie es auch jetzt tun, auch wenn ihre persönlichen Wünsche und Auffassungen über Staatsform, Regierungsart und Flaggenfarben nicht erfüllt sind. Sie geben Treue, Redlichkeit, Pflichterfüllung jedem Staat und schaffen dadurch an seiner Würde, seiner Kraft und seiner Reinheit außerordentlich stark mit. So wird es auch jetzt sein. Und dadurch werden sie bessere Förderer seiner Wohlfahrt als manche lauten Rufer und Demonstranten.«350

Eine biblisch-theologische Begründung dieser unbedingten Staatsloyalität, die bereits im baptistischen Glaubensbekenntnis von 1847 fixiert worden war351, lieferte im Wahrheitszeugen kurz darauf der Vorsitzende der Vereinigten Bundesverwaltung, Friedrich Rockschies.352 Anders als Schmidt verhielt sich der Berliner Baptistenpastor früh schon, im April 1933, regelrecht euphorisch gegenüber dem Nationalsozialismus. Im Blick auf das Verhältnis zur Staatsgewalt meinte er: »Wir als Baptisten sind glücklich daran, unsere Stellung zur Obrigkeit unwandelbar im Worte Gottes angewiesen bekommen zu haben. Wir sind von vornherein, auf Grund der Schrift, glaubensmäßig zu jeder Regierung richtig eingestellt. Wir haben es nicht nötig uns umzustellen. Nach Röm. 13, 1–5 und Tit. 3, 1 wissen wir, daß die Obrigkeit von Gott ist und wir ihr untertan sein sollen. Sie ist ›Gottes Ordnung‹, ›Gottes Dienerin‹ eine Rächerin zur Strafe über den, der Böses tut. Wir stehen hinter der Regierung nach Gottes Wort als gläubige Christen im Gehorsam und treuer Pflichterfüllung.«353

Auf eben diese Bibelstellen wurde im Januar 1934 auch in dem monatlich erscheinenden Organ der Berliner Baptistengemeinde Die Gemeinde rekurriert, als unter der Überschrift »Der Christ und die Obrigkeit« fett gedruckte Bibelzitate aus Römer 13, 1–3 und Titus 3, 1 (» Erinnere sie, dass sie den Fürsten und der Obrigkeit untertan und gehorsam seien […]«) eingerückt wurden, ergänzt um eine Passage aus 1. Timotheus 2, 1–2, in der zum Gebet für die Obrigkeit aufgefordert wird.354 An anderer Stelle, in einem Kommentar in der von Paul Schmidt redigierten Monatsschrift Der Hilfsbote, wurden aber auch Grenzen der Unterordnungspflicht aufgezeigt. Allerdings bezog sich diese Argumentation nicht auf eine biblisch begründete, kritische Sicht auf die Staatsgewalt und das Staatswesen, wie 350 [Paul Schmidt]: Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 13 (26. März), S. 103. 351 Vgl. Strübind, unfreie Freikirche, S. 41. 352 Vgl. Kösling, Baptisten, S. 31. 353 Friedrich Rockschies: Wir und die neue Zeit, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 155 u. 156. 354 Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 10 (1934) 1 (Januar), S. 2.

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sie aus dem prophetischen Buch Daniel oder dem Buch der Offenbarung hätte abgeleitet werden können und in den Jahren unmittelbar vor der »Machtergreifung« durchaus existent war.355 1933 argumentierte Paul Schmidt, vor allem die Verkündigung des Evangeliums dürfe nicht angetastet werden: »Des Staates Grenzen und der Gemeinde Grenzen berühren sich dort, wo das Zeitliche aufhört und das Ewige anfängt, und da muß man Gott mehr gehorchen als den Menschen356, da setzt des Staates Recht aus und Gottes Recht ein. Da beginnen auch die Werturteile Gottes über alle Menschen in Kraft zu treten und wirksam zu werden. Mit einem Worte, alle Rassen-, Macht- und Gleichschaltungstheorien finden ihre Grenze an der Botschaft von der Sünde, von der Gnade und von der Gemeinde.«357

Entscheidend war für ihn der Bezug auf die Verkündigung und die Sammlung der Gläubigen in der Gemeinde. Aus dieser Einschränkung der Loyalitätspflicht gegenüber dem Staat folgte nicht etwa gegen die Zerstörung des Rechtsstaates oder die Verfolgung von Regimegegnern und Juden Widerspruch einzulegen. An diesem Punkt berührten sich die Argumentationen von Baptisten und Mennoniten. Wie Diether Götz Lichdi deutlich gemacht hat, war für die Haltung 355 Der Baptistenpastor Arnold Köster (1896–1960), seit 1929 in Wien wirkend, setzte sich in einer endzeitlichen Deutung kritisch mit dem Nationalsozialismus auseinander, etwa in dem 1932 publizierten Artikel »Hakenkreuz und Sowjetstern«; vgl. Graf-Stuhlhofer, Öffentliche Kritik. Kösters Sichtweise war jedoch, zumindest bezogen auf die »offizielle« Linie des Baptistenbundes, in keiner Weise vorherrschend. Bezeichnenderweise war es aber Paul Schmidt, der im Herbst 1933 in seiner Schriftleiterrubrik über mehrere Ausgaben hinweg aus dem Buch Daniel paraphrasierte (Daniel gelangt als Gefangener an den Hof des Tyrannen Nebukadnezar, wo er in ein hohes Staatsamt kommt; er gerät in Gefahr: seine Treue und sein Gehorsam gegenüber dem Gott Israels wird erprobt, doch er erweist sich als treu), um dann ansatzlos zur Kommentierung des politischen Geschehens überzugehen (gerade auch der Rolle der Baptisten im »Dritten Reich« oder der Haltung zum Plebiszit am 12. November). Vgl. die jeweils ersten Einträge in der Rubrik »Aus der Schmiede« in: Der Wahrheitszeuge 55 (1933) 42 (15. Oktober), S. 346; Nr. 43 (22. Oktober), S. 353; Nr. 44 (29. Oktober), S. 361. Handelte es sich dabei um eine Art Camouflage, eine geschickte Kritik am NS-Staat durch eine Kontrastierung der Ereignisgeschichte im Jahr 1933 mit der biblischen Geschichte Daniels als eine Art »Gebrauchsanweisung« im Umgang mit Tyrannen? Doch für eine solche, bewusst intendierte Kritik am NS-Staat mangelt es an Anhaltspunkten: Denn warum sollte sich Schmidt dann anschließend, in der gleichen Rubrik, anerkennend und nicht wenigstens distanziert über die NS-Politik äußern? Und vor allem, warum ging Schmidt auf ein solches Vorgehen im Nachhinein, als er nach Kriegsende das Verhalten des Bundes in der NS-Diktatur nachzeichnete, nicht ein? Vgl. Paul Schmidt: Unser Weg als Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in den Jahren 1941–1946, Kassel 1946; Roland Fleischer: Der Streit über den Weg der Baptisten im Nationalsozialismus Jacob Köbberlings Auseinandersetzung mit Paul Schmidt zu Oxford 1937 und Velbert 1946, Norderstedt 2014. Es bleibt eine bezeichnende Gegenüberstellung des Zeitgeschehens mit dem aus Bibeltexten nachgezeichneten Verhalten Daniels. 356 Bezug auf Apostelgeschichte 5, 29: »Petrus aber und die Apostel antworteten und sprachen: Man muss Gott mehr gehorchen als dem Menschen«. Zitiert nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung (1984). 357 Der Hilfsbote 43 (1933) 5 (Mai), S. 114.

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Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten

der Mennoniten gegenüber dem Staat im »Dritten Reich« der Bezug auf Römer 13 handlungsleitend gewesen, dem der Verweis auf Apostelgeschichte 5, 29 beigefügt wurde. Die Verklammerung dieser beiden Stellen hatte aber, so Diether Götz Lichdi, eher die Funktion einer allgemeinen Redewendung: die sogenannte clausula petri sei in der Folge nicht konkretisiert worden und habe kaum praktische Wirkung entfaltet.358 Das ursprüngliche täuferische Staatsverständnis hatte eine große Bandbreite umfasst: die unterschiedlichen Strömungen der historischen Täufer unterschieden sich in ihrer Stellung zum Staat erheblich.359 Gemeinsam war ihnen die Überzeugung, dass die »Obrigkeit« zwar von Gott verordnet, ihre Gültigkeit aber alleine auf den weltlichen Bereich bezogen sei – nur dort bestünde eine Gehorsamspflicht des Gläubigen. Nach der Phase intensiver Verfolgung wandelte sich auch die Sicht auf den Staat und das Zeitgeschehen: im 18. Jahrhundert trat die apokalyptische Sicht zurück, aus der »Bitte um Schonung der Gewissen« wurde der »Ruf nach der Trennung von Kirche und Staat«. Der entscheidende paradigmatische Wandel habe sich nach Lichdi im Laufe des 19. Jahrhunderts vollzogen: Mit der Entstehung der bürgerlichen Gesellschaft wuchs den Mennoniten »bürgerliche Respektabilität« zu; diese erwiderten die Wertschätzung mit der Entwicklung eines patriotischen Pflichtbewusstseins.360 Wie bei den Baptisten wurde auch auf mennonitischer Seite die nationalsozialistische »Machtergreifung« als »Revolution« bezeichnet, so von Walter Fellmann, Pastor der Mennonitengemeinden in Monsheim (Hessen) und Obersülzen (Pfalz), ohne dass damit – wie noch 1918/19 – der Staatsumsturz als das Ergebnis eines Wirkens dunkler Mächte bezeichnet wurde.361 Im Bericht für das Jahr 1933 der Mennonitengemeinde Heubuden-Marienburg, in der Freien Stadt Danzig gelegen, hieß es im Blick auf die Machtübergabe an die Nationalsozialisten: »Das ist vom Herrn geschehen und ein Wunder vor unseren Augen; dieses Wort in Psalm 118 V. 23 können wir wohl über die Geschehnisse des Jahres 1933 schreiben. Wie düster und unheilverkündend der Beginn des Berichtsjahres für unser in Parteien zerrissenes deutsches Volk, voll Not und immer größer werdender Arbeitslosigkeit, voll Haß und Bruderkampf und Meuchelmord, – da kam in letzter Stunde der Umschwung, da geschah das Wunder vor unseren Augen. Wir sahen eine Volksgemeinschaft ent358 359 360 361

Lichdi, Römer 13, S. 84. Ich beziehe mich im Folgenden auf Lichdi, Römer 13 und ders, Staatsverständnis. Die Zitate in diesem Abschnitt finden sich alle in Lichdi, Römer 13, hier S. 76. Walter Fellmann: Staat und Evangelium. (Referat, gehalten auf der pfälzisch-hessischen Konferenz am 17. Mai 1933 auf dem Weierhof von Walter Fellmann-Monsheim), in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 7/8 (Juli/August), S. 72–74. Vgl. dazu das positive Echo eines Lesers an den Mennonitenpastor Christian Neff in einem Schreiben vom 07. 07. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933.

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stehen in nationaler und sozialer Verbundenheit, in nie geahnter Einigkeit allen inneren und äußeren Feinden des Reiches imponierend, hervorgerufen durch die jahrelang erkämpfte, kraftvolle Übernahme der Führung durch unsern genialen Volkskanzler Adolf Hitler […].«362

Der Baptist J. Jansen sprach gar vom »Wunder der deutschen Revolution, die unser Vaterland noch einmal vom Abgrund zurückgerissen hat«, als er die Festpredigt des Baptistenpastors und Dozenten am Predigerseminar in Hamburger Carl Schneider auf der Bundeskonferenz der Baptisten in Berlin (August 1933) referierte.363 Wie wir gesehen haben, war die skizzierte Haltung gegenüber der »Machtergreifung« ein Phänomen, das Baptisten und Mennoniten einte und sich dort, in der mennonitischen Gemeinschaft, überdies nicht auf die Gemeinden in der Freien Stadt Danzig beschränkte; ihre Votum muss uns aber in besonderer Weise interessieren, bei dem Raum Danzig handelte es sich um eine der am dichtesten von Mennoniten besiedelten Regionen weltweit364 und Mennonitinnen und Mennoniten aus den Ost- und Westpreußischen Gemeinden (einschließlich der in der Freien Stadt Danzig und den in Polen lebenden Gläubigen) repräsentierten mit über 10.000 Mitgliedern mehr als 60 Prozent aller Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft.365 Gerade von Mennoniten aus diesen Regionen finden sich mehrfach Zeugnisse, in denen Hitler und der NS-Regierung im Jahr 1933 Loyalität versichert wird: »Wir erklären ausdrücklich, daß wir uns auf den Boden des neuen Staates und hinter Hitler als Führer unseres Volkes stellen und das nationale Erwachen und Kämpfen um eine Neuordnung in Staat und Volk begrüßen«, wurde auf der außerordentlichen Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-Danziger-Mennonitengemeinden in Kalthof am 25. August 1933 verlautet.366 Und am 10. September 1933 sandte die Vierte allgemeine 362 B. E.: [Rubrik: Nachrichten aus den Gemeinden]: Gemeinde-Heubuden-Marienburg, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 5 (Mai), S. 46–47, S. 47. 363 J. Jansen: Der Festgottesdienst in der Bethelgemeinde, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 300–301, hier: S. 300. 364 Rempel, Mennoniten, S. 95. 365 Vgl. die Übersicht »Mennoniten im Deutschen Reiche 1887/1890 und 1925. Ein Menschenalter mennonitischer Geschichte in Zahlen, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 5 (Mai), S. 53–56, S. 54 u. 57. Mennoniten im Deutschen Reiche nach der Volkszählung von 1925 und dem Gemeindekalender von 1933, in: Mennonitische Blätter 79 (1932) 11 (November), S. 97–100. 366 Nach dem Bericht von Emil Händiges äußerte sich so der mennonitische Pastor Erich Göttner; E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und FreistaatDanziger-Mennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 88.

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Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten

westpreußische Konferenz in Tiegenhagen auf Antrag von Pastor Emil Händiges, Ältester der Mennonitengemeinde Elbing-Ellerwald und Vorsitzender der Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich, Grußdepeschen an Hindenburg und Hitler. Bedacht werden muss dabei aber, dass es für Mennoniten nichts Ungewöhnliches war, solche Botschaften an die Obrigkeit zu richten.367 Und wenn in beiden Telegrammen auch dem Staatsoberhaut und dem Regierungschef gehuldigt wurde, so fällt außerdem auf, dass es nicht darum ging, Hitler blinden Gehorsam zu versprechen. Nur in dem Text an Hindenburg wird »unverbrüchliche Treue und Gefolgschaft« »gelobt«. In der an Hitler gerichteten Depesche ist diesbezüglich (im Sinne von geloben) lediglich von der »Mitarbeit« am »Aufbau unseres Vaterlandes« die Rede; am Ende wurde sogar noch auf Jesus Christus als der Grund des Glaubens verwiesen: »Die heute zu Tiegenhagen im Freistaate Danzig tagende Konferenz der Ost- und Westpreußischen Mennoniten empfindet mit tiefer Dankbarkeit die gewaltige Erhebung, die Gott durch Ihre Tatkraft unsrem Volk geschenkt hat und gelobt auch ihrerseits freudige Mitarbeit am Aufbau unseres Vaterlandes aus den Kräften des Evangeliums heraus, getreu dem Wahlspruch unserer Väter: Einen andern Grund kann niemand legen außer dem, der gelegt ist, welcher ist Jesus Christus.«368

Nichtsdestotrotz sandten die Mennoniten damit ein eindeutiges Signal der Loyalität, das von Hitler auch entsprechend aufgefasst wurde: »Für die mir in Ihrer Zuschrift zum Ausdruck gebrachte treue Gesinnung und Ihre Bereitwilligkeit, am Aufbau des Deutschen Reiches mitzuarbeiten«, hieß es in einer Antwort, »spreche ich Ihnen meinen aufrichtigen Dank aus. Adolf Hitler«.369 Auch die Baptisten hatten an Hindenburg und Hitler (und außerdem an den Bevollmächtigten in Kirchenfragen, Ludwig Müller) telegrafiert. Von ihrer 28. Bundeskonferenz, die vom 26. bis 29. August 1933 in Berlin stattfand, hatten sie nach einmütigem Beschluss der Bundesversammlung, also dem mit Delegierten aus den verschiedenen Gemeinden besetzten Beschlussgremium des Bundes, an Hitler gekabelt: »Die in Berlin an der Wende der einhundertjährigen Geschichte der deutschen Baptisten tagende Bundesversammlung sieht mit tiefer Ergriffenheit und Dankbarkeit gegen Gott die unter Ihrer starken und zielsicheren Führung durchgeführte Erneuerung des deutschen Volkes. Unserer Gefolgschaft und Mitarbeit aus den Kräften des Evangeliums dürfen Sie auch bei der Vollendung Ihres gewaltigen Werkes gewiß sein.

367 Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 39. 368 Mennonitische Blätter 80 (1933) 10 (Oktober), S. 101. 369 Ebd.

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Hochverehrter Herr Reichskanzler! Wir bitten Gott, daß er Sie schützen und segnen möge.«370

Auf die auch für die innere Struktur des Baptistenbundes besonders wirkmächtige Bundeskonferenz werde ich später, im Kapitel zu den strukturellen Anpassungen der Gemeinschaften an das NS-Regime, noch einmal eingehen. Kehren wir an dieser Stelle aber zu dem von Paul Schmidt vor 1933 formulierten Anspruch zurück, dass die Gemeinde das »Gewissen des Staates« darstelle und sich in »feiner Distanz« zu diesem befinde.371 Hatte sich dieser Ansatz inzwischen vollkommen verflüchtigt? Verfügte er innerhalb des offiziellen Baptismus noch über irgendeine Wirkmacht? Ja und nein: zumindest der Anspruch wurde, wie wir etwa in der Kommentierung im Hilfsboten gesehen haben, noch aufrechterhalten und war etwa in der Haltung von Paul Schmidt zur Judenmission erkennbar, an der er 1933 trotz Gegenwind aus den Reihen der Deutschen Christen festhielt372; das gilt auch für die Wertschätzung des Alten Testaments als Wort Gottes und an der Würdigung des biblischen Israels als Volk Gottes.373 Schmidt gab zu bedenken, dass Glaube und christliche Haltung nicht von »nationaler Begeisterung« hinweggefegt werden dürften.374 »Die Gemeinde kann und will mit freudigem Danke alle Hoheitsrechte des Staates ehren und würdigen. Sie erkennt sie als von Gott gegeben an und beugt sich ihnen willig.« Aber sie habe den Auftrag, so Paul Schmidt, das Evangelium hinauszuführen und dürfe sich hierbei unter keinen Umständen aushebeln lassen. »Sie hat dem Staat zu geben, was des Staates ist, und Gott, was Gottes ist. So, wie sie den Männern des vergangenen Staates von diesem Standpunkt oft sagen musste: ›Es ist nicht recht!‹, so wird sie das in aller Freimut unter Umständen auch jetzt tun müssen, jetzt erst recht, weil sie heiß wünscht, daß das ›vaterländische Erneuern‹ voll gelinge, weil sie aber auch weiß, daß die Grenzen gewahrt werden müssen und eine innere Erneuerung das Gnadengeschenk Gottes ist.«375

370 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 306. Dort auch das Antworttelegramm. 371 Paul Schmidt: Die Stellung der Gemeinde zum Staatsleben der Gegenwart, Kassel o. J. [1930], S. 21. 372 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 16 (16. April), S. 127. 373 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 29 (16. Juli), S. 231–232. Vgl. allg. auch P. S.: Gemeinde und Evangelium, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 155. 374 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 14 (2. April), S. 110. 375 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 16 (16. April), S. 127.

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Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten

Warum ja und nein? Ein kritischer Ansatz war nicht mehr erkennbar, wenn es beispielweise darum ging, die Einschränkung der individuellen Freiheitsrechte und Zerstörung des Rechtstaates, die Verfolgung von politischen Gegnern oder von Jüdinnen und Juden nicht nur zu thematisieren, sondern auch kritisch anzuprangern. Schmidt zog sich auf die Position zurück, dass baptistische Gemeinden »unpolitisch« seien. »Unpolitisch« war die Gemeinde aber nur insoweit, als dass die Legitimation dieser Maßnahmen nicht in Frage stellte. Sie war nicht »unpolitisch«, wenn es darum ging, sich zum nationalsozialistischen Staat zu bekennen; ich werde hierauf im Zusammenhang mit den baptistischen Antworten auf die nationalsozialistischen Loyalitätsforderungen näher eingehen. Schmidt hatte schon früh erkannt, dass die Nationalsozialisten eine Diktatur errichteten. Bereits im April 1933 formulierte er: »Wir leben in Deutschland seit dem 30. Januar in einer neuen Situation. Es hat sich nicht nur ein Regierungswechsel vollzogen, nicht nur bahnen sich neue wirtschaftliche, politische und nationale Zustände an, nein, die geistige Gesamtlage hat sich geändert – wesentlich geändert. Der Staat von Weimar mit seiner Freiheitsauffassung, mit seinem Gemeinschaftsideal, mit seiner Regierungs- und Führungsmethode, mit seinem geistigen Inhalt ist vorbei. An seine Stelle ist getreten der neue Staat mit seinem Anspruch ein totaler Staat zu sein. Er will alles neu ordnen und alles neu formen und gestalten. Er erhebt den Führungsanspruch des Diktatorischen, beginnt das Kulturleben, das Rechtsleben, das Wirtschaftsleben, das soziale Leben ganz neu zu gestalten nach seinen Idealen und Zielsetzungen.«

Doch schon zu diesem Zeitpunkt referierte Schmidt die politische Entwicklung nicht nur rein sachlich, sondern zeigte sich von den Geschehnissen offenbar positiv beeindruckt: »Fürwahr, das deutsche Volke durchlebt zur Zeit größte und bedeutsamste Stunden seiner Geschichte. Gott macht mit Deutschland Geschichte. Und auch wir Menschen der Gemeinde stehen bei diesem Tun still und erkennen Gottes Stunde.«376 Am Ende des Jahres zog der baptistische Wahrheitszeuge schließlich eine überaus positive Bilanz der »nationalsozialistischen Revolution«. In einem vermutlich von Paul Schmidt verfassten Artikel wird im Dezember 1933 detailliert die Errichtung eines »totale[n] Staates« beschrieben; dabei wird beispielsweise aber nicht kritisiert, das nun die »Parteien zerschlagen« sind (Schmidt war als Reichstagsabgeordneter selbst Teil der politischen Landschaft gewesen); dass »die individuelle Freiheit stark gefesselt worden« sei, wird durchaus thematisiert, aber als notwendige Begleiterscheinung des staatlichen Umbaus gerechtfertigt – die Errichtung einer Diktatur wurde also akzeptiert.377 376 Ebd. 377 P. S. [vermutlich: Paul Schmidt]: 1933 ein Wendejahr in der Geschichte, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 52/53 (24. Dezember), S. 430–431, hier: S. 430. Und in der »Schmiede« bilanzierte Schmidt: »eine Wendung zum Heil hat unser Volk erlebt, einen Neuanfang in seiner Geschichte. […] Die

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Vergleicht man diese Entwicklung mit der Situation um 1918/19 wirft die freikirchliche Position Fragen auf: 1918/19 haben Mennoniten und Baptisten zwar schnell zu einer pragmatischen Haltung gegenüber der Republik gefunden, doch der Revolution standen sie ablehnend gegenüber und die Republik bereitete ihnen zum Teil Bauchschmerzen. Während die »Revolution« von 1933/34 einen positiven Beiklang hatte, hatten die Freikirchen nach 1918 mit dem politischen Bruch zum Teil gehadert. Diether Götz Lichdi hat im Blick auf die Mennoniten argumentiert, dass die nationalsozialistische »Machtergreifung« nicht nur aus einer »weltlichen Begeisterung« heraus akzeptiert worden sei, sondern auch in einem bestimmten Bibelverständnis gründete.378 Aber warum hat sich die aus Römer 13 abgeleitete Staatsloyalität in dieser Form nicht schon 1918/19 manifestiert? Auch der Umstand, dass die Errichtung der NS-Diktatur ja auf der Grundlage einer »Revolution« vollzogen wurde, die man ablehnte, und die Stellung des »Führers« aus eben dieser Grundlage hervorgegangen war, ist erklärungsbedürftig. Die Akzeptanz der »nationalsozialistischen Revolution« durch Baptisten und Mennoniten lässt sich in Teilen deuten, wenn wir deren Wahrnehmung genauer betrachten, dass Hitler (und der Nationalsozialismus) letztlich auf dem Boden des Christentums stünden oder mindestens dessen Werte repräsentierten, während die Revolution von 1918 und Weimar aus dem Geist der Gottlosigkeit geboren worden sei. So befürwortete der mennonitische Pastor Walter Fellmann, der schon »vor der Machtübernahme Adolf Hitlers zweimal die Nationalsozialistische Partei gewählt«379 hatte, die »nationale Revolution«, indem er im Mai 1933 in den mennonitischen Blättern ausführte: »Unsere Regierung hat sich zu den christlichen Grundlagen unseres Volkstums bekannt. Das ist ein Fortschritt gegenüber Weimar. Wir haben in den verflossenen Jahren erlebt, daß Volks- und Freikirchen dem Einbruch der auflösenden Kräfte im Volks- und Wirtschaftsleben auch deshalb nicht gewachsen waren, weil der Staat auf jegliche religiöse Begründung seiner Arbeit glaubte verzichten zu können.«380

Kinder Gottes erkennen Gottes Hand und danken dem Herrn.« [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 52/53 (24. Dezember), S. 431. 378 Lichdi, Römer 13, S. 74. 379 Vgl. den Personenartikel im mennonitischen Lexikon MennLex V von J. Jakob Fehr; Fellmann, Walter, unter http://www.mennlex.de/doku.php?id=art:fellmann_walter (Aufruf am 12. 06. 2017). 380 Walter Fellmann: Staat und Evangelium. (Referat, gehalten auf der pfälzisch-hessischen Konferenz am 17. Mai 1933 auf dem Weierhof von Walter Fellmann-Monsheim), in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 7/8 (Juli/August), S. 72–74. Vgl. die Zustimmung zu seinem Artikel in einem Brief eines Mennoniten vom 07. 07. 1933 im Neff-Nachlass, Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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Das Staatsverständnis bei Baptisten und Mennoniten

Ganz ähnlich argumentierte auch Abraham Fast, Pastor der Mennonitengemeinde in Emden, in einer Predigt, die im September 1933 in den Mennonitischen Blättern abgedruckt wurde: »Als unser Volk nach dem Weltkriege, aus dem Erlebnis des Frontgeistes heraus, sich aufmachte, ein sozialistisches Staatswesen einzurichten, wussten viele, daß das Unternehmen scheitern musste, wenn es nicht mit den Kräften des religiösen Glaubens in Angriff genommen würde. Wenn sich unser Volk heute nun entschlossen hat, aus dem Fronterlebnis heraus noch einmal ein neues Staatswesen, den nationalsozialistischen Staat, aufzurichten, so wissen viele wieder, auch gerade unter den verantwortlichen Führern, daß der Neubau nur dann Bestand haben wird, wenn möglichst viele seiner Erbauer aus der Kraft religiösen Glaubens an ihm bauen. Darum wird es immer wieder unsere Aufgabe sein, Kräfte des religiösen Glaubens in unserem Volk zu wecken und zu stärken.«381

Manche gingen noch einen Schritt weiter und sahen Hitler gar mit Gott im Bunde, betrachteten ihn gar als Berufenen Gottes. Im baptistischen Wahrheitszeugen jubelte G. Maier im Dezember 1933: »Gott selbst hat unseren großen Führer und Kanzler in einer bitteren und harten Jugendzeit zubereitet und zur rechten Zeit, in der letzten Stunde, berufen, unser untergehendes Volk am Abgrund des Verderbens zurückzureißen und zu erretten. Und was hat er durch des Höchsten Beistand in der kurzen Zeit alles erreicht!«382 Ein zweiter Erklärungsansatz führt zu der Frage nach der Affinität von christlicher Religiosität und speziell freikirchlicher Frömmigkeit zur nationalsozialistischen Weltanschauung. Hier sahen die Zeitgenossen tatsächlich Schnittmengen in mindestens drei Bereichen; erstens: die Bindung der nationalsozialistischen Weltanschauung an Volk und Rasse konnte vor der Folie der Theologie der Schöpfungsordnung begrüßt werden, die auch innerhalb des freikirchlichen Spektrums verankert war; Völker wurden danach als Gedanken und Schöpfungen Gottes begriffen, ein Christ sei deshalb »seinem« Volk in enger »Schicksalsgemeinschaft« verbunden.383 Zweitens wurden Teile der nationalsozialisti381 [»Aus einer Predigt von Lic. Fast-Emden]: Der Friede Gottes, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 83–84, S. 83. 382 G. Maier: Das Jahr 1933, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 52/53 (24. Dezember), S. 431. 383 Carl Brauns: Die Gemeinde des Herrn und der neue Staat [zweiter Teil], in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 32 (6. August), S. 257–258, hier: S. 257. Vgl. insb. auch den Artikel (ohne Autorenangabe): Ein Bekennendes Wort zur gegenwärtigen Stunde, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 24 (11. Juni), S. 191, hier der Abschnitt: »Von den natürlichen Ordnungen Gottes«. Vgl. zu den Mennoniten beispielsweise die Argumentation von Pastor Erich Göttner auf dem Jugendtag in Steegen (Freistaat Danzig) am 21. 05. 1933 (Allgemeiner westpreußischer Jugendtag) vor 500 bis 600 jungen Frauen und Männer; Horst Quiring referierte diesen Vortrag wie folgt: Glaubende »wissen sich an Gott gebunden und damit auch an die von ihm gesetzten Ordnungen der Familie, des Staates, des

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schen Politik als Reinigung der »sittlichen« Verhältnisse wahrgenommen (die sich gerade zur Zeit der Weimarer Republik besonders verschlechtert hätten). Darauf haben beispielsweise Paul Schmidt und Friedrich Rockschies schon früh hingewiesen. Paul Schmidt würdigte bereits am 26. März 1933 den Kampf gegen den Bolschewismus und die Wiederherstellung von Sittlichkeit (namentlich Kampf gegen die »Nacktkultur« und die »Auswüchse des »Nachtlebens«).384 Und Rockschies argumentierte in seiner Stellungnahme »Wir und die neue Zeit« im Wahrheitszeugen, in der er die grundsätzliche Loyalität der Baptisten gegenüber der NS-Regierung versicherte: »Wir können dies jetzt um so freudiger, weil die nationale Regierung einen energischen Kampf gegen die Gottlosenbewegung, Korruption, Unsittlichkeit und Schundliteratur mit allen Mitteln führt und sich für Gottesfurcht im öffentlichen Leben und soziale Gerechtigkeit einsetzt.«385 Drittens, und in dem eben Zitierten bereits angeklungen, betrachteten Kirchen und Freikirchen Hitler und den Nationalsozialismus als Bollwerk gegen den Bolschewismus. Aus diesen Gründen wurde die »Machtergreifung« der Nationalsozialisten regelrecht als Erhörung der Gebete »um Befreiung von der Herrschaft der Gottlosigkeit« wahrgenommen.386 Eine Untersuchung des hier nur kurz Skizzierten würde den Gegenstand meiner Untersuchung verlassen; denn ich möchte mich vor allem auf das Staatsverständnis der ausgewählten Glaubensgemeinschaften konzentrieren und nach konkreten Interaktionen zwischen dem NS-Staat und ihnen fragen; zudem soll möglichst das Spezifische dieser Glaubensgemeinschaften herausgearbeitet und nicht das auch für die Großkirchen Geltende gezeigt werden. Ich werde daher diesen Fragen nicht weiter nachgehen, sondern lediglich einige Erläuterungen zum Antibolschewismus als Bindeglied vorstellen sowie meine Bemerkungen zur Wahrnehmung von Hitler als »Geschenk Gottes« vertiefen.

Volkstums; der in der letzten Zeit fortschreitende Zerfall von Ehe und Familie ist nur ein Ausdruck, ein sichtbares Zeichen dafür, daß man sich von dem Schöpfer dieser Ordnungen, von Gott, entfernt hatte.« Horst Quiring: Jugendtag in Steegen (Freistaat Danzig) am 21. Mai, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 66–67, hier: S. 67. Vgl. zum Gesamten Lichti, Pacifist Denominations, S. 76–81; sowie meine eigenen Überlegungen in dem Aufsatz: Volksbegriff und Antisemitismus bei der mennonitischen Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft in der Etablierungsphase des NS-Regimes, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016) 1, S. 123– 148. 384 [Paul Schmidt]: Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 13 (26. März), S. 103. 385 Friedrich Rockschies: Wir und die neue Zeit, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 155 u. 156. 386 Carl Brauns: Die Gemeinde des Herrn und der neue Staat [erster Teil], in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 31 (30. Juli), S. 247–249, hier S. 249.

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Antibolschewismus als Bindeglied Mennoniten und Baptisten hatten bereits zur Zeit der Weimarer Republik das Schicksal ihrer Glaubensgeschwister in der Sowjetunion genau verfolgt. Bei den Mennoniten konnte man auf eine gemeinsame Vergangenheit zurückblicken; unter den Siedlern, die seit Ende des 18. Jahrhunderts nach Russland auswandert waren, sind viele mennonitische Familien aus Westpreußen gewesen.387 Manche Mennoniten kehrten später in das Deutsche Reich zurück und hatten insofern noch einen engen und unmittelbaren Erfahrungsbezug. Die Baptisten wiederum waren seit dem 19. Jahrhundert in Russland und den Nachbarländern missionarisch aktiv, so dass der Baptismus in Südrussland beispielswiese intensiv von dem deutschen beeinflusst worden war.388 Als Mennoniten nach der Oktoberrevolution 1917 Opfer von anarchistischer und revolutionärer Gewalt wurden und den Grundsatz der Wehrfreiheit aufgaben, um ihre Kolonien vor Übergriffen durch Banden sowie durch Einheiten der Roten Armee zu schützen, nahm die mennonitischen Gemeinschaft des Deutschen Reiches betroffen Anteil. Im mennonitischen Gemeinde-Kalender für das Jahr 1920, das bedeutet: der Text war bis spätestens etwa Jahresmitte 1919 verfasst worden, konnte man lesen: »Von den russischen Brüdern liegen nur dürftige Nachrichten vor. Die aber in mehr oder weniger bestimmter Form uns erreicht haben, lassen das Schlimmste befürchten. Mit dem Abzug bzw. der Entwaffnung unserer Truppen hat der Bolschewismus dort freie Hand bekommen. Die wehrlosen Mennoniten haben sich gezwungen gesehen mit den anderen Kolonisten einen bewaffneten Schutz und Widerstand zu organisieren. Sie sind aber geschlagen worden. Furchtbare Greueltaten haben die Banden verübt, und wie es scheint sind viele umgekommen.«389

In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre gerieten die Mennoniten als landbesitzende, wohlhabende Bauern – also als sogenannte Kulaken – ins Visier jener Kampagne zur Kollektivierung und Industrialisierung, die Stalin 1928 mit dem ersten Fünfjahresplan gestartet hatte.390 Im November 1929 beschloss die Partei, das heißt das Plenum des Zentralkomitees der VKP (B), die Kollektivierung zu verschärfen und im Dezember des gleichen Jahres kündigte Stalin die »Liqui387 Vgl. den Überblick bei Diether Götz Lichdi: Die Mennoniten in Geschichte und Gegenwart. Von der Täuferbewegung zur weltweiten Freikirche, Großburgwedel (2. Auflage) 2004, S. 135–162. 388 Kösling, Baptisten, S. 11. 389 Gemeinde-Chronik, in: Christlicher Gemeinde-Kalender für das Schaltjahr 1920. Herausgegeben von der Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, 29 (1920), S. 89–96, Zitat S. 95. 390 Rempel, Mennoniten, S. 88–89. Jörg Baberowski: Verwüstetes Land: Macht und Gewalt in der frühen Sowjetunion, in: Ders./Gabriele Metzler (Hg.): Gewalträume. Soziale Ordnungen im Ausnahezustand, Frankfurt/New York 2012, S. 169–187.

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dierung des Kulakentums als Klasse« an.391 In einer darauf folgenden großen Hungersnot kamen Millionen von Menschen ums Leben. Im Zusammenhang mit dieser Politik wurden auch Kolonien von Mennoniten »auseinandergerissen und fast jede Familie zerstört[…]«, »Väter und Söhne in die Lager des fernen Gulag im Norden verbannt«.392 Bereits im Herbst 1929 war es zu einem spektakulären Marsch auf Moskau gekommen, als etwa 13.000 Bauern und Familienangehörige ihre Ausreise zu erzwingen suchten. Die deutsche Reichsregierung und die Parteiführer diskutierten das Thema im November 1929.393 Tatsächlich erhielten knapp 6.000 Personen ein Einreisevisum in das Deutsche Reich, nahezu 4.000 davon waren Mennoniten.394 Diese Flüchtlinge trafen 1930 im Deutschen Reich ein, unter ihnen neben Mennoniten auch über Tausend Lutheraner und fast 500 Katholiken.395 Das Deutsche Reich hatte nur Transit gewährt, ein kleinerer Teil der Mennoniten wurde von Kanada aufgenommen, zwei Drittel hingegen von Paraguay. Um dieses Projekt zu meistern, gingen auch Spenden aus der deutschen Bevölkerung ein, Reichspräsident Hindenburg gab aus einem Dispositionsfond 200.000 Reichsmark.396 Nicht zuletzt durch diese Ausreiseaktion war in Deutschland die Lage deutscher Kolonisten in der Sowjetunion ein Thema und 391 Zitiert nach Jörg Baberowski: Stalinismus »von oben«. Kulakendeportation in der Sowjetunion 1929–1933, in: Jahrbücher für Geschichte Osteuropas 46 (1998) 4, S. 572–595, S. 572. Die Abkürzung VKP (B) steht für den seit 1925 so festgelegten Parteinamen »Kommunistische Allunions-Partei (Bolschewiki)« (bis 1952). Vgl. Hans-Henning Schröder: Einleitung [zum Dokument:] Statut der Allunions- Kommunistischen Partei der Sowjetunion (der Bolschewiki) (VKP(b)), Februar 1934. URL: http://www.1000dokumente.de/index.html? c=dokument_ru&dokument=0007_sto&object=context&st=&l=de (Aufruf: 28. 08. 2020). 392 Rempel, Mennoniten, S. 88–89. 393 Vgl. die Kabinettsitzung vom 09. 11. 1929, 11 Uhr; Nr. 4, in: Akten der Reichskanzlei Weimarer Republik. Herausgegeben für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Karl Dietrich Erdmann für das Bundesarchiv von Wolfgang Mommsen unter Mitwirkung von Martin Vogel. Das Kabinett Müller II, 28. Juni 1928 bis 27. März 1930. Band 2: August 1929 bis März 1930. Bearbeitet von Martin Vogt, Boppart am Rhein 1970, S. 1131–1132. Vgl. die Parteiführerbesprechung am 14. 11. 1929, 17 Uhr; Ebd. S. 1144–1145. Reichskanzler Müller und Reichsminister des Auswärtigen trugen die Sachlage vor, die Fraktionsvertreter stimmten der Bereitstellung von 5 bis 6 Million RM zu. Vgl. die Ministerbesprechung vom 20. Februar 1930; ebd. S. 1478–1480. Das Auswärtige Amt teilte durch eine Vorlage mit, dass von 14.300 Flüchtlingen nur 5.700 Rußland verlassen könnten; nur 3 Millionen des vorgesehenen Budgets sei verbraucht worden. Ebd., Fußnote 3, S. 1479–1480. Siehe dazu auch die Unterlagen in BArch R 43 I Nr. 141. 394 Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, S. 155. 395 Vgl. Peter Letkemann: Unruh, Benjamin Heinrich, in: MennLex V. URL: http://www.mennle x.de/doku.php?id=art:unruh_benjamin_heinrich (Aufruf: 26. 04. 2017). 396 Vgl. zur Umsiedlung der Mennoniten im Jahr 1930 aus der Sowjetunion nach Paraguay: Peter P. Klassen: Die Mennoniten in Paraguay. Reich Gottes und Reich dieser Welt, Bolanden-Weierhof 1988 sowie die Unterlagen in BArch R 43 I Nr. 141.

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innerhalb der mennonitischen Gemeinschaft eines von hoher Brisanz. Denn die Flucht vor der Existenz und Leben vernichtenden »Entkulakisierungspolitik« betraf die Mennoniten auf spezifische Weise. Damit verdichtete sich die antisowjetische Wahrnehmung der vergangenen Jahre. Bolschewismus war innerhalb der mennonitischen Gemeinschaft zum »radikale[n] Feind« geworden, wie Jonas Driedger mit seiner (quantitativen) Analyse der Mennonitischen Blätter der Jahre 1913 bis 1933 exemplarisch belegen kann.397 Es ist an dieser Stelle jedoch hilfreich, den Blick zu weiten, um den unter Mennoniten virulenten Antibolschewismus nicht als ein Spezifikum dieser Glaubensgemeinschaften zu verkennen. Parallel zur Industrialisierungs- und Kollektivierungskampagne startete die Partei am 8. April 1929 mit dem Dekret »Über religiöse Vereinigungen« eine neue Phase ihrer Bekämpfung der christlichen Kirchen. Sie traf auch die Baptisten und Evangeliumschristen in vollem Maße, die größten und in der Vergangenheit zudem am stärksten gewachsenen Freikirchen in der Sowjetunion.398 Ihre Handlungsspielräume wurden erheblich eingeschränkt, wenn sie sich auch weiterhin versammeln durften. Nicht erlaubt war zum Beispiel die Werbung für den eigenen Glauben außerhalb der Versammlungen, auch nicht gegenüber den engsten Familienangehörigen.399 Über die Entwicklung der Glaubensgeschwister wurden die Baptisten in Deutschland gut informiert. Günther Kösling spricht im Blick auf das zentrale baptistische Organ Der Wahrheitszeuge davon, dass »ab 1930 […] in fast jeder Ausgabe« Artikel über die Sowjetunion publiziert wurden, sei es durch »allgemeine Lageberichte oder Schicksale von Einzelpersonen.«400 Wichtig ist in diesem Zusammenhang, dass der Kommunismus von (freikirchlichen) Christen als eine auch für die Gesellschaft im Deutschen Reich reale Gefahr wahrgenommen wurde. Nach der nationalsozialistischen »Machtergreifung« bezogen sich Mennoniten und Baptisten auf die Abwehr des Bolschewismus, um ihre Zustimmung zum Nationalsozialismus zu begründen. Bezeichnenderweise bezog sich diese in der Regel auf die Person Hitlers: In einem rhapsodischen Rückblick auf die baptistische Bundeskonferenz des Jahres 1933 notierte Prediger Hubert Morét (Potsdam), Schriftleiter des Organs der Berliner Baptistengemeinden »Die Gemeinde«: »Bei uns war der Antichrist nahe – was ihn wieder aufgehalten hat, wissen wir, es war der riesenhafte Aufbruch der nationalsozialistischen Regierung (Hitler war der Aufhaltende).«401 Zuvor hatte er den 397 Driedger, preußische Mennoniten, S. 80. 398 Kösling, Baptisten, S. 11f. 399 Manfred Hildermeier: Geschichte der Sowjetunion 1917 bis 1991. Entstehung und Niedergang des ersten sozialistischen Staates, München 1998, S. 580f. 400 Kösling, Baptisten, S. 13. 401 Hubert Morét: So erlebte ich die Bundeskonferenz, in: Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 9 (1933) 9 (September), S. 6–7, 6.

Antibolschewismus als Bindeglied

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eindrucksvollen Auftritt eines russischen Bruders geschildert, der von den Verhältnissen aus seiner Heimat berichtete: 10 bis 15 Prozent der deutschen Brüder seien bereits verhungert, über 100.000 in Sibirien oder den Gefängnissen, 80 Prozent der Missionsarbeiter seinen inhaftiert. Als Schriftleiter und Herausgeber der Mennonitischen Blätter sowie als Vorsitzender der Vereinigung der Mennonitengemeinde im Deutschen Reich wirkte Emil Händiges (1881–1965) nicht nur im Blick auf die Entwicklung innerhalb der mennonitischen Gemeinschaft prägend, er war auch nach außen hin das Gesicht des Mennonitentums.402 Als am 25. August 1933 die Vorstände der Mennonitengemeinden in West- und Ostpreußen sowie dem Freistaat Danzig erstmals nach der nationalsozialistischen »Machtergreifung« zusammentraten, blickte Händiges in einer Ansprache dankbar auf die Männer an der Regierungsspitze (Hitler wird nicht namentlich genannt), die »[d]urch ihre Tatkraft […] die Gefahr des Bolschewismus, unter dem unsere Glaubens- und Stammesbrüder in Rußland Unsägliches erdulden müssen, von uns abgewandt« haben.«403 Noch deutlicher, nämlich Hitler als »Retter« vor dem Bolschewismus huldigend, wurde in einem Bericht für das Jahr 1933 der Gemeinde Heubuden-Marienburg vorgetragen: »In höchster Not wurde er zum Retter des Volkes. Das ist vom Herrn geschehen und dankbar preisen auch wir Mennoniten Gottes Gnade und Güte, die uns im Hinblick auf Rußland vor Schrecklichem bewahrte.«404 Wenn nun in Texten aus dem Jahr 1933 und folgenden Jahren von einer Niederschlagung des Kommunismus oder sogar des Bolschewismus in Deutschland die Rede ist, so liegt der Schluss nahe, dass damit auch das Vorgehen gegen die politischen Akteure der KPD und SPD gemeint sein könnte: In einem Brief an Christian Neff (1863–1946), den einflussreichen Prediger der Mennonitengemeinde auf dem Weierhof, schrieb Abraham Braun (1882–1970), Prediger der Mennonitengemeinden in Ibersheim bei Worms, Eppstein und Ludwigshafen am 20. März 1933: »In der letzten Nummer ›Der Wahrheitszeuge‹, die ich dir als Drucksache zugehen lasse, ist ein sehr beachtenswerter Artikel über die unterirdische bolschewistische Gottlosenbewegung in Deutschland; ich habe ihn rot angestrichen. Demnach bestehen die verbotenen Organisationen in Deutschland illegal weiter. Die neue Regierung wird aber wohl auch da durchgreifendere

402 Corinna Schmidt: Händiges, Emil, in: MennLex V. URL: http://www.mennlex.de/doku.php? id=art:haendiges_emil (Aufruf: 7. 10. 2015). 403 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 85. 404 B. E.: [Rubrik: Nachrichten aus den Gemeinden]: Gemeinde-Heubuden-Marienburg, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 5 (Mai), S. 46–47, S. 47.

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Maßnahmen treffen.«405 Und Mitte 1933 formulierte der Mennonitenpastor Walter Fellmann für das mennonitische Organ Christlicher Gemeinde-Kalender: »Der Sieg Adolf Hitlers und der Durchbruch der nationalen Revolution hat, wie wir annehmen dürfen, bei uns den drohenden Kommunismus niedergeschlagen.«406 Besonders deutlich trat dieser Gedanke schließlich bei einem Baptistenprediger mit autobiografischen Erfahrungen aus der Sowjetunion hervor, wie aus einem Lagebericht der Gestapo aus dem Jahr 1935 hervorgeht: »Die Baptistengemeinde in Nordhausen [Thüringen] veranstaltete am 7.5.35 in ihrer Kapelle einen Vortragsabend. Der Redner, Prediger Martens407, sprach über das Thema ›Der Rote Diktator‹. Martens, der 22 Jahre in Rußland gelebt hatte, bevor er fliehen musste, schilderte die Zustände in Sowjetrußland. Zum Schluß führte er aus, daß Deutschland dem Führer großen Dank schulde, weil er den Bolschewismus in Deutschland restlos niedergekämpft und beseitigt habe.«408

Daraus lässt sich schließen, dass die nationalsozialistischen Verbrechen der Verfolgung und Inhaftierung von Kommunisten und Sozialdemokraten in der Phase der »Machtergreifung« eben deshalb nicht als Unrecht wahrgenommen worden sind, weil sie als notwendige Schutzmaßnahme eines übergeordneten Abwehrkampfes betrachtet wurden. Hans-Jürgen Goertz hat im Blick auf Mennoniten argumentiert – und sein Befund kann nach dem, was wir gesehen haben, auch für große Teile des Baptismus gelten –, dass Kommunisten und Sozialdemokraten »in enger Verbindung mit der Unterdrückungs- und Ausrottungspolitik des Bolschewismus in Russland wahrgenommen [worden sind], unter denen die eigenen Glaubensgenossen seit der Oktoberrevolution 1917 schwer zu leiden hatten.«409

405 Schreiben Abraham Braun an Christian Neff am 20. 03. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933. 406 W.[alter] F.[ellmann]: Gemeinde-Chronik 1. Juli 1932–1. Juli 1933, in: Christlicher Gemeinde-Kalender für das Jahr 1934. Herausgegeben von der Konferenz der süddeutschen Mennoniten. 43. Jahrgang, Ibersheim [1933], S. 114–124, S. 114. 407 Vgl. Kornelius [Cornelius Jakowlewitsch] Martens: Unter dem Kreuz. Erinnerungen aus dem alten und neuen Rußland, Wernigerode 1928 (Neukirchen, 4. Auflage, 1930; Gießen, 6. Auflage 1934). Und ders.: Taten im Osten, Kassel 1935. 408 Lagebericht der Staatspolizeistelle Erfurt für Mai 1935, in: Die Lageberichte der Geheimen Staatspolizei zur Provinz Sachsen 1933 bis 1936. Hg. von Hermann-J. Rupieper u. Alexander Sperk. Band 3: Regierungsbezirk Erfurt. Mit ergänzenden Materialien bearbeitet, eingeleitet und erläutert von Alexander Sperk, Halle 2006, S. 218–241, Zitat: S. 234. 409 Hans-Jürgen Goertz: Mennoniten und der Nationalsozialismus, in: Philipp Thull: Christen im Dritten Reich, Darmstadt 2014, S. 68–84, S. 78.

Zur Wahrnehmung von Hitler als Geschenk und Berufener Gottes

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Zur Wahrnehmung von Hitler als Geschenk und Berufener Gottes Es ist oben bereits deutlich geworden, dass Baptisten und Mennoniten in Hitler – als den »grosse[n] Gegenspieler Stalins«410– ein Geschenk und Berufenen Gottes sahen. So hatte der Vorsitzende der baptistischen Bundesverwaltung, Friedrich Rockschies, im Mai 1933 ausgeführt: »Gott schenkt unserem Volke starke Führer mit großen Energien und hohen Zielen. Solche Führer haben in jedem Falle ihre besondere Sendung, ihre großen Gaben und Aufgaben von Gott.«411 In gleicher Weise wurde in dem Bericht der Mennonitengemeinde LadekoppOrlofferfelde, in der Freien Stadt Danzig gelegen, für das Jahr 1933 ausgeführt: »Gott gab unserem deutschen Volk einen Führer, der es verstanden hat, in Gottes Kraft unser Volk zu einigen. Unser Gebet ist für ihn, Gott segne ihn und rüste ihn aus mit seiner Kraft, uns und unserem deutschen Volk nicht nur ein Führer zur Einigkeit, auch ein Führer zu Gott, zu unserem Herrn und Heiland Jesus Christus zu werden.«412 Auch junge Mennoniten bezeichneten Hitler in vertraulichen Rundbriefen gleichsam als Gottes-Geschenk und wähnten ihn sogar in einer persönlichen Verbindung mit dem christlichen Gott. In solchen Rundbriefen tauschten sich etwa 10 bis 15 junge Mennonitinnen und Mennoniten aus ganz unterschiedlichen Gemeinden und Regionen über Fragen des Glaubens, aber auch der Politik und Gesellschaft aus (ich werde auf diese Gruppe in einem späteren Abschnitt näher eingehen). Eine Schreiberin notierte im August 1933: »Dankbar bin ich von ganzem Herzen unserem Gott, der uns den National Sozialismus und unseren Reichkanzler Adolf Hitler gegeben hat«413 Ähnlich äußerte sich ein Rundbriefakteur in einem Mitteilungsblatt für die gesamte Gruppe (zu diesem Zeitpunkt 410 So der mennonitische, russlanddeutsche Gelehrte Benjamin Heinrich Unruh in einem seiner Briefe, aus dem er wiederum in seinem Schreiben an Major Reitzenstein vom 29. 01. 1937 zitiert. Durchschrift für Kundt, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amts (PA AA) RZ 512/R 127972 d. 411 Friedrich Rockschies: Wir und die neue Zeit, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 155 u. 156. Und ein anderer Vertreter des Baptismus formulierte in einem Bericht von der Bundeskonferenz 1933: »Unser Volk hat einen Führer gefunden, den wir als gottgesandt empfingen«; M. Ez.: »Die Begrüßungsfeier in der Konferenzkapelle«, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 300. Lydia Flügge sprach in einer baptistischen, an junge Leser gerichtete Wochenzeitschrift davon, dass »Gott uns einen politischen Führer geschenkt hat«. Lydia Flügge: 2. Chronika 32, in: Der Morgenstern 1933 Nr. 21 [ohne Seitenangabe]. Vgl. dazu auch Green, European Baptists, S. 23– 33. 412 J.[ohann] P.[enner] P.[rangenau]: [Rubrik: Nachrichten aus den Gemeinden] Bericht der Gemeinde Ladekopp-Orlofferfelde über das Jahr 1933, in: Mennonitische Blätter 81 (1934), 4 (April), S. 39. 413 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 1, Heft: Kreis 1, Heft 15.

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etwa 100 Personen): »Was wäre heute, wenn er uns nicht den grossen Volksführer geschenkt hätte? Haben wir da nicht an David denken müssen, den der Herr als den unscheinbarsten unter vielen Brüdern und Geschlechtern hervorholte, um mit ihm Geschichte zu machen.«414 Ein anderer Angehöriger der Rundbriefgemeinschaft äußerte am 8. Dezember 1933, dass »jeder Deutsche« für die Machtübernahme Hitlers »täglich dankbar sein muß«415 und am 4. Juni 1934 zeigte sich eine Rundbriefschreiberin überzeugt: »Ich glaube bestimmt daß Hitler in einem persönlichen Verhältnis zu seinem Gott steht. Wo sollte dieser Mensch die Kraft hernehmen! Er persönlich weist ja alle Verehrung von sich. Ein Vorbild für alle Staatsmänner, ein Vorbild für das Volk, für jeden einzelnen. Ich meine immer ein solcher Mensch muß ein tiefgläubiger sein. Wenn ich Reichskanzler wäre ich glaube ich würde kein so anspruchsloses Leben führen.«416 Hitler hatte an diesem Image seit längerem gearbeitet. Bereits in den 1920erJahren hatte er dafür gesorgt, dass sich die NSDAP von dem völkisch-religiösen Flügel trennte und die Partei dadurch »für den deutschen Protestantismus im Prinzip wählbar« gemacht.417 Als Fixpunkt in diesen Fragen stand der Bezug auf das »positive Christentum«, wie es im Parteiprogramm vage hieß und für die Zeitgenossen Platz für Interpretationen ließ. In der Phase zwischen seiner Ernennung zum Reichskanzler und den Neuwahlen vom 5. März 1933 benutzte Hitler des öfteren Versatzstücke christlicher Sprache, welche die eben skizzierte Wahrnehmung von (freikirchlichen) Christinnen und Christen nähren mochte. Am 1. Februar 1933 trat Hitler erstmals als Regierungschef vor ein Rundfunkmikrofon, um abends um 22 Uhr den »Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk« zu proklamieren.418 Der zwei Tage zuvor ernannte Reichskanzler beschwor an diesem Abend nochmals eindringlich die kommunistische und bolschewistische Bedrohung als immer noch gegenwärtige Gefahr. »In einem unerhörten Willens- und Gewaltansturm versucht die kommunistische Methode des Wahnsinns das in seinem Innersten erschütterte und entwurzelte Volk endgültig zu vergiften und zu zersetzen, um es einer Zeit entgegenzutreiben, die sich zu den Versprechungen der kommunistischen Wortführer von heute noch schlimmer verhalten würde, als die Zeit hinter uns zu den Versprechungen derselben Apostel im 414 Mitteilungen des mennonitischen Jugendrundbriefes Nummer 5, September 1933: Leitartikel »Heute, so ihr seine Stimme höret« von Hermann Fr. Funk, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »Rundbrief-Mitteilungen 1932–1936«. 415 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 1, Heft: Kreis 1, Heft 16. 416 Ebd. 417 Scholder, Kirchen und das Dritte Reich, Band 1, S. 146. 418 Max Domarus: Hitler. Reden und Proklamationen 1932–1945. Kommentiert von einem deutschen Zeitgenossen, Band 1 (Triumph) Erster Halbband (1932–1934), Wiesbaden 1973, S. 191. (Im Folgenden zitiert als Domarus, Reden und Proklamationen, Band 1.1).

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November 1918. Angefangen bei der Familie, über alle Begriffe von Ehre und Treue, Volk und Vaterland, Kultur und Wirtschaft hinweg bis zum ewigen Fundament unserer Moral und unseres Glaubens, bleibt nichts verschont von dieser nur verneinenden, alles zerstörenden Idee. 14 Jahre Marxismus haben Deutschland ruiniert. Ein Jahr Bolschewismus würde Deutschland vernichten. Die heute reichsten und schönsten Kulturgebiete der Welt würden in ein Chaos und Trümmerfeld verwandelt. Selbst das Leid der letzten anderthalb Jahrzehnte könnte nicht verglichen werden mit dem Jammer eines Europas, in dessen Herzen die rote Fahne der Vernichtung aufgezogen würde. Die Tausende von Verletzten, die unzähligen Toten die dieser innere Krieg schon heute Deutschland kostet, mögen ein Wetterleuchten sein der Warnung vor dem Sturme.«

Deshalb sei in dieser Situation eine »nationale Regierung« gebildet worden, um eine »Aufgabe« zu lösen, »die die schwerste […] seit Menschengedenken deutschen Staatsmännern gestellt wurde«. Unmittelbar daran anschließend führte Hitler aus, dass sich diese Erneuerung auf einem christlichen Fundament vollziehe: »So wird es die nationale Regierung als ihre oberste und erste Aufgabe ansehen, die geistige und willensmäßige Einheit unseres Volkes wieder herzustellen. Sie wird die Fundamente wahren und verteidigen, auf denen die Kraft unserer Nation beruht. Sie wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers ihren festen Schutz nehmen. Sie wird über Stände und Klassen hinweg unser Volk wieder zum Bewußtsein seiner volklichen und politischen Einheit und der daraus entspringenden Pflichten bringen. […].«419

Hitler präsentierte seine Partei damit nicht nur als politisches Bollwerk gegenüber dem Bolschewismus, sondern auch als eine moralische Instanz – und zwar sowohl im Kampf gegen die angeblich innere und äußere Bedrohung durch den Kommunismus als auch hinsichtlich der konstatierten sittlichen Verfalls- und Zersetzungserscheinungen. Der Nationalsozialismus sei nicht »die vollkommenste, beste ›Form‹« argumentierte eine Rundbriefschreiberin im August 1933, sie sah in ihm aber »das große Bollwerk« im Blick auf die gegen christliche Werte oder das Christentum gerichteten Mächte des sowjetischen Kommunismus.420 Am 10. Februar 1933 beendete Hitler seinen Auftritt im Berliner Sportpalast, im Rundfunk übertragen, mit einem »Amen«. Er hatte hierin unter anderen ausgeführt: »Indem wir diese Versöhnung der Klassen herbeiführen, direkt und indirekt, wollen wir weitergehen, dieses geeinte deutsche Volk wieder zurückzuführen zu den ewigen Quellen seiner Kraft, wollen durch eine Erziehung von klein an den Glauben an einen Gott und den Glauben an unser Volk einpflanzen in die jungen Gehirne.« Die Kadenz seiner Rede ahmte, wie Max Domarus ar419 Aufruf der Reichsregierung an das deutsche Volk. Rundfunkansprache Adolf Hitler vom 01. 02. 1933, zitiert nach: Domarus, Reden und Proklamationen, Band 1.1, S. 192. 420 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 1, Heft: Kreis 1, Heft 15.

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gumentiert hat, die innerhalb der evangelischen Kirche üblichen Schlussformel des Vaterunsers nach: »Denn ich kann mich nicht lösen von dem Glauben an mein Volk, kann mich nicht lossagen von der Überzeugung, daß diese Nation wieder einst aufstehen wird, kann mich nicht entfernen von der Liebe zu diesem meinem Volk und hege felsenfest die Überzeugung, daß eben doch einmal die Stunde kommt, in der die Millionen, die uns heute hassen, hinter uns stehen und mit uns dann begrüßen werden das gemeinsam geschaffene, mühsam erkämpfte, bitter erworbene neue deutsche Reich der Größe und der Ehre und der Kraft und der Herrlichkeit und der Gerechtigkeit. Amen«421

Mit einem ähnlichen Bezug auf das Vaterunser beendete Hitler kurze Zeit später eine Wahlkampfrede in München: »Aus Not und Elend und Jammer und Verkommenheit ist dann wieder erstanden ein Deutsches Reich, auf das wir stolz zu sein vermögen, das uns die Freiheit gegeben hat, unsern Menschen das tägliche Brot und damit den Frieden auf Erden.«422 Und am 15. Februar 1933 trumpfte Hitler in der württembergischen Hauptstadt Stuttgart, seinerzeit noch vom Zentrum regiert, wie folgt auf: »Heute sagen sie, das Christentum sei in Gefahr, der katholische Glaube bedroht. Darauf habe ich zu erwidern: Zunächst stehen heute an der Spitze Deutschlands Christen und keine internationale Atheisten.«423 Der »Tag von Potsdam« am 21. März 1933 setzte dieser Entwicklung die Krone auf. Ein Staats- und Festakt in der Garnisonskirche sowie Gottesdienste in der evangelischen Nikolaikirche und in der katholischen Pfarrkirche bildeten wesentliche Bestandteile der Eröffnung des neugewählten Reichstages.424 In seiner Predigt im evangelischen Gottesdienst führte Otto Dibelius aus: »Ein neuer Anfang staatlicher Geschichte steht immer irgendwie im Zeichen der Gewalt. Denn der Staat ist Macht. Neue Entscheidungen, neue Orientierungen, Wandlungen und Umwälzungen bedeuten immer den Sieg des einen über den anderen. Und wenn es um Leben und um Sterben der Nation geht, dann muß die staatliche Macht kraftvoll und durchgreifend eingesetzt werden, es sei nach außen oder nach innen. […] Wenn

421 Adolf Hitler am 10. 02. 1933, Berlin, zitiert nach: Domarus, Reden und Proklamationen, Band 1.1, S. 206 u. 208. Vgl. zu dieser Rede: Hans Günther Hockerts: War der Nationalsozialismus eine politische Religion?, in: Klaus Hildebrand (Hg.): Zwischen Politik und Religion. Studien zur Entstehung, Existenz und Wirkung des Totalitarismus, München 2003, S. 45–71, S. 52. 422 Adolf Hitler am 24. 02. 1933, München, zitiert nach: Domarus, Reden und Proklamationen, Band 1.1, S. 215. 423 Adolf Hitler am 15. 02. 1933, Stuttgart, zitiert nach: Domarus, Reden und Proklamationen, Band 1.1, S. 211. 424 Vgl. Werner Freitag: Nationale Mythen und kirchliches Heil: Der »Tag von Potsdam«, in: Westfälische Forschungen 41 (1991), S. 379–430. Ralf Forster: Der »Tag von Potsdam« und die Medien, in: Manfred Gailus (Hg.): Täter und Komplizen in Theologie und Kirchen 1933– 1945, Göttingen 2015, S. 51–61.

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der Staat seines Amtes waltet gegen die, die die Grundlagen der staatlichen Ordnung untergraben, gegen die vor allem, die mit ätzendem und gemeinem Wort die Ehe zerstören, den Glauben verächtlich machen, den Tod für das Vaterland begeifern – dann walte er seines Amtes in Gottes Namen.«425

Indem Hitler den Nationalsozialismus nicht nur als politisch-nationales, sondern gerade auch als christliches Bollwerk präsentierte, sprach er ein Grundbedürfnis an, das gerade auch innerhalb des freikirchlichen Protestantismus in dieser Phase ein äußerst virulentes war – und konnte womöglich gerade dadurch Zustimmung zu seiner Person, Partei und Politik aktivieren. Christen aus der mennonitischen und baptistischen Gemeinschaft erhofften sich sowohl eine Art innere Genesung und Reinigung auf der Grundlage christlicher Werte als auch einen Schutz vor dem gottlosen, ja antichristlichen Kommunismus. Hans-Jürgen Goertz hat argumentiert, dass Mennoniten die nationalsozialistische »Machtergreifung« »mit Hilfe angestammter Verhaltensmuster« entschlüsselten, wobei sie in Hitler dem »von Gott gesandte[n], gnädige[n] Herrscher« erkannten.426

425 Otto Dibelius, Generalsuperintendent der Kurmark, in der Potsdamer Nikolaikirche am 21. 03. 1933, zitiert nach Josef Becker und Ruth Becker (Hg.): Hitlers Machtergreifung. Dokumente vom Machtantritt Hitlers 30. Januar 1933 bis zur Besiegelung des Einparteienstaates 14. Juli 1933, München (3. Auflage) 1993, S. 156–157 (Dokument 114), hier: S. 157. 426 Goertz, Mennoniten und der Nationalsozialismus, S. 68.

B.

Eberhard Arnold und der Staat

Die Position von Eberhard Arnold und dem Bruderhof unterschied sich wesentlich von dem Obrigkeitsverständnis, das innerhalb des offiziellen Mennonitentums und Baptismus dominierte. Gleiches gilt für wie die Wahrnehmung von Adolf Hitler. Im Laufe der 1920er-Jahre hatte sich die von Arnold und seiner Frau ins Leben gerufene Gemeinschaft trotz einer existenziellen Krise erhalten und sogar sukzessive erweitert, ihre innere Struktur aber erheblich gewandelt: Mitte der 1920erJahre wandte sich Eberhard Arnold den Hutterern zu; er beschäftigte sich intensiv mit dieser täuferischen, pazifistischen Gemeinschaft aus der Reformationszeit, die nach dem Vorbild der Jerusalemer urchristlichen Gemeinde Gütergemeinschaft praktizierte, und begann, seine eigene Lebensgemeinschaft mit den Hutterern zu identifizieren.427 Die an der Bergpredigt ausgerichteten historischen Hutterer (nach Jakob Hutter, um 1500 bis 1536) waren als eine spezifische Gruppe des Täufertums im 16. Jahrhundert in Mähren entstanden, dann nach Siebenbürgen, im 18. Jahrhundert nach Russland und im 19. Jahrhundert nach Nordamerika emigriert.428 Arnold bezeichnete seine Gemeinschaft, die in diesen Identifikationsprozess aktiv involviert gewesen war, um 1926 erstmals als »Bruderhof«.429 Durch das personelle Wachstum der Gemeinschaft fand die Gruppe in Sannerz nicht mehr ausreichend Platz. 1926 kaufte der NeuwerkVerein den größeren Hansehof in der Rhön und zog im Laufe des Jahres 1927 dorthin um. In dieser Zeit verpflichteten sich die Mitglieder des Bruderhofes zu einer lebenslangen Gemeinschaftsarbeit, deren Kernelemente u. a. eben jener »Güterkommunismus«, das Prinzip der »offenen Tür« gegenüber Interessierten sowie eine spezifische Reformpädagogik im Blick auf die Erziehung der Kinder in der Gemeinschaft war.430 Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte die Kommune die 427 Baum, Stein, S. 204. 428 Vgl. Astrid von Schlachta: Die Hutterer zwischen Tirol und Amerika. Eine Reise durch die Jahrhunderte, Innsbruck 2006. 429 Baum, Stein, S. 214f., 204. 430 Ebd. S. 206, 210f.

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Eberhard Arnold und der Staat

Struktur eines Ordens angenommen. Die Erwähnung dieser starken Bindung an die genannten Prinzipien ist wichtig, um die Auseinandersetzung mit dem NSStaat in den Jahren 1933/34 zu verstehen, griffen die Behörden doch just in diese Bereiche massiv ein. In der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre hatte Arnold brieflichen Kontakt mit den Bruderhöfen in Amerika aufgenommen, bevor er 1930 selbst zu einer einjährigen Reise in die Vereinigten Staaten von Amerika und nach Kanada aufbrach, um die dortigen Bruderhöfe persönlich kennenzulernen. Sein Ziel war es, den Rhönbruderhof in die hutterische Gemeinschaft in Nordamerika hineinzuführen, wobei dieser Wunsch offenbar gar nicht von Arnold selbst stammte, sondern aus dem Kreis der Lebensgemeinschaft.431 Tatsächlich geschah es so; der Rhönbruderhof wurde von den Hutterern aufgenommen und Arnold während seines Amerikaaufenthalts als »Wortführer« des Bruderhofes in Deutschland bestätigt. Damit hatte sich die Gemeinschaft nicht nur in eine spezifische kirchliche Tradition eingeschrieben, sondern sich zugleich auch in einen transnationale Beziehung gestellt – was ebenfalls in den Jahren nach 1933 noch von großer Bedeutung sein sollte – und auch ihr äußeres Erscheinungsbild radikal verändert: Ihre Angehörigen trugen nun hutterische Tracht, die Frauen bedeckten ihre Häupter mit Kopftüchern. Für Arnold selbst war der Anschluss an die Hutterer offenbar wichtig, um der Lebensgemeinschaft eine Struktur zu geben, die über seinen Tod hinaus wirken konnte.432 Noch eine andere Entwicklung scheint mit diesem fundamentalen Transformationsprozess einhergegangen zu sein, die weg von einer politischen Partizipation führte: Die Gemeinschaft beteiligte sich spätestens mit dem Anschluss an die nordamerikanischen Hutterer nicht mehr an Wahlen.433 Jene für ihre Anfänge noch elementare Beteiligung zumindest an der politischen Diskussion verblasste offenbar, wobei die Gemeinschaft weiterhin regen Austausch mit Gästen pflegte, die politisch links oder anarchistisch orientiert waren. Dieses Verhalten verteidigte Arnold gegenüber dem Referenten für Kirchenfragen im Reichsministerium des Innern, Oberregierungsrat Dr. Conrad, noch am 7. November 1933.434 Für die Haltung von Eberhard Arnold und des Bruderhofes gegenüber Staat und Regierung (»Obrigkeit«) in den Jahren 1933 und 1934 lassen sich nun drei 431 Ebd. S. 228. 432 Eberhard Arnold: Versammlungsprotokoll, 23. 02. 1933, zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 24f. 433 Vgl. das Schreiben von Eberhard Arnold an den Reichsminister des Innern, z. Hd. Oberregierungsrat Dr. Conrad, vom 07. 11. 1933 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 434 Vgl. Eberhard Arnold an den Reichsminister des Inneren, z. Hd. des Referenten für Kirchenfragen, Oberregierungsrat Dr. Conrad, vom 07. 11. 1933 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02.

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wichtige Aspekte unterscheiden, die ich zunächst kurz benennen und dann näher erläutern möchte: – bei Arnold war die Unterordnung unter die Staatsgewalt eine bedingte, auch wenn er in mancherlei Hinsicht bereit war, dem Nationalsozialismus Loyalität zu erweisen; – der Staat galt Arnold nach Römer 13 als eine von Gott eingesetzte Ordnung, zugleich nach Offenbarung 13 aber auch als das Wesen, das seine Macht vom Teufel erhielt; – aus Arnolds Sicht war das Leben in dieser Welt in zwei Bereiche geteilt, wobei die Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi allein dem Reich Gottes angehörten und dessen Ethik auch im weltlichen Lebensbereich verpflichtet waren. Erstens: Eberhard Arnold betonte, dass der Staatsgewalt grundsätzlich Loyalität gebühre. Dabei bezog er sich etwa auf das Wort Christi »Gebt des Kaisers was des Kaisers ist« und nicht zuletzt auch auf die hutterische Tradition (Peter Riedemann).435 Die Unterordnung unter die staatliche Gewalt war auch für Arnold geboten, sofern »der Staat irgendwelche Maßnahmen vornimmt, die dem innersten Charakter der Gemeinde nicht ins Gesicht schlagen.«436 Mit dieser Einschränkung bezog sich Arnold beispielweise auf die Passage in der Apostelgeschichte (»Gott mehr gehorchen als dem Menschen«).437 Bis dahin unterschied sich seine Argumentation also noch nicht von derjenigen, die auch der offizielle Baptismus und das Mennonitentum hervorgebracht hatten. Anders als dort, leitete Arnold die Bedingtheit des Unterordnungsgebotes aber auch aus Römer 13 selbst her: Der Staat sei von Gott eingesetzt worden, um das Böse in Schach zu halten, notwendigerweise auch mit dem »Schwert«, sie sei insofern eine »Höllenordnung«.438 Die gebotene Unterordnung unter die staatliche Gewalt könne somit keine absolute Geltung für diejenigen beanspruchen, die sich im Bereich der Liebe (dem Reich Gottes) befänden. Denn der Staat sei von Gott beauftragt, das Böse zu verfolgen; Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi täten aber bereits das Gute, weshalb sie auch das »Schwert« des Staates nicht zu fürchten brauchten. 435 Vgl. die Ausführungen Eberhard Arnolds vor der Bruderschaft am 28. 03. 1933: »Vor der Abreise Eberhards zu den Behörden«, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/116 sowie seine Erläuterung zu »Kirche und Staat« (September 1933), in: Ebd., EA 33/122. 436 Eberhard Arnold: »Kirche und Staat« (September 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/122. 437 Vgl. die Ausführungen Eberhard Arnolds vor der Bruderschaft (28. 03. 1933): »Vor der Abreise Eberhards zu den Behörden«, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/116. 438 Eberhard Arnold in der »Zusammenkunft mit Arnold und Gladys Mason am Sonntag, 12. August 1934 – Römer 13 und Johannes 13 ›Obrigkeit‹ (Im Zusammenhang mit der Volksabstimmung im Deutschen Reich am 19. August)« [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 263.

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Nun könnte der Staat aber, entgegen seines Auftrages, nicht nur das Böse bestrafen, sondern auch diejenigen verfolgen, die das Gute täten und – das implizierte seine Argumentation, ohne dass er dies ausdrücklich in Worte fassen musste – der Staat selbst Böses fordern, was von Christen dann nicht befolgt werden dürfe. Im März 1933 kritisierte Arnold, die Regierung müsse anerkennen, »was das Gute ist im Volke«, doch stattdessen spreche sie: »[W]ir erkennen nichts anderes an als das Nationale. Die Kirche, die Schule, die Justiz haben eben nur dem Volksprinzip zu dienen. Das ist noch nicht der letzte Sinn der Obrigkeit, sondern der geht weiter. Der letzte Sinn der regimentlichen Obrigkeit muss auch das Volk einordnen in den Dienst der Gerechtigkeit für das Gute und gegen das Böse«.439 Das Christentum habe sich bei seiner Auslegung von Römer 13, so argumentierte Arnold, an den Staat verkauft.440 Bei ihm und innerhalb der Gemeinschaft war hingegen der Gedanke der Auswanderung, aber auch des Martyriums von Anfang an präsent.441 Dieses Verständnis von der bedingten Loyalität gegenüber dem Staat wurde aber vor allem durch seinen zweiten Argumentationsgang gestützt. Dieser wich deutlich von der Sichtweise ab, die in den anderen Freikirchen hegemonial war. Zweitens: Während innerhalb der etablierten evangelischen Freikirchen das Unterordnungsgebot in Römer 13 mit der Passage in der Apostelgeschichte (»Gott mehr gehorchen als den Menschen«) flankiert wurde, ging Arnold über diese Kontextualisierung noch hinaus. Für sein Denken und Reden war kennzeichnend, dass er den Staat selbst aus zwei gegensätzlichen Blickwinkeln betrachtete: Er war für ihn einerseits eine von Gott eingesetzte Ordnung (nach Römer 13), andererseits – zugleich – auch ein Wesen, das seine Macht vom Teufel erhalte (nach Offenbarung 13, 1: Deutung des Tieres aus dem Meer als antichristlicher Staat in der Endzeit, die von massiver Christenverfolgung sowie von weltweiten Kriegen, Katastrophen und schlimmsten Nöten gekennzeichnet ist). Diese Staatsdeutung war bei Arnold nicht auf einen zukünftigen Staat bezogen, sondern bereits auf die Staatswesen der Gegenwart und schloss grundsätzlich alle Staats- und Regierungsformen mit ein; obgleich Arnold betonte, dass es der 439 Eberhard Arnold in der »Gästestunde auf dem Rhönbruderhof« (26. 03. 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 85. Vgl. in einer etwas anderen (vielleicht übersetzungsbedingten) Zitierweise: Barth, Botschaftsbelagerung, S. 63. 440 Vgl. die Ausführungen von Eberhard Arnold in der »Zusammenkunft mit Arnold und Gladys Mason am Sonntag, 12. August 1934 – Römer 13 und Johannes 13 ›Obrigkeit‹ (Im Zusammenhang mit der Volksabstimmung im Deutschen Reich am 19. August)«, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 263. 441 »Vor der Abreise Eberhards zu den Behörden in Cassel« (Bruderschaft Rundreden, 25. 03. 1933), in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/100; vgl. »Vor der Abreise Eberhards zu den Behörden« (28. 03. 1933) in: Ebd., EA 33/116. »Sind wir bereit, den Weg in allem Leiden bis ans Ende zu gehen?« (03. 10. 1933), in: Ebd. EA 162; sowie Emmy Arnold an Hardy Arnold am 30. 01. 1933, in: Barth, Botschaftsbelagerung, S. 36.

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Gemeinschaft unter der Regierung des Zentrums und der Sozialdemokratie »seit 1918« am besten ergangen sei.442 Im Februar 1933 berichtete Arnold von einer Vortragsreise in die Universitätsstadt Tübingen. Sein Sohn Hardy, der dort studierte, hatte sie organisiert. Arnold sprach zunächst vor etwa zwei- bis dreihundert Hörerinnen und Hörern, ehe er auf seine Haltung und Thesen nochmals in drei Diskussionsabenden in kleinerem Kreis (vor dreißig bis vierzig Menschen) einging. Dort habe ihm ein nationalsozialistisch gesinnter Diskutant »eine Fülle von Bibelstellen« vorgehalten, »die beweisen sollten, daß man der Obrigkeit in jedem Falle gehorchen muß.« In diesem Zusammenhang hatte Arnold, so berichtete er von seiner Reise nach Tübingen, sein Verständnis vom Staat erläutern können: »Gewiß ist die Obrigkeit von Gott und soll mit Achtung anerkannt werden, soweit sie das Böse bekämpft und das Gute schützt. Die Obrigkeit ist aber nicht nur von Gott, sie ist auch von Menschen und für Menschen, die nicht Christen sind. Sie wird rein menschlich geführt und ist in dieser Hinsicht mit äußerster Vorsicht zu behandeln. Drittens ist die Obrigkeit aber auch vom Teufel, denn sie ist das Raubtier aus dem Abgrund. Wir brauchen uns hier nur an einige Stellen aus der Offenbarung Johannes zu erinnern. Wenn wir diese drei Tatsachen, die uns im Neuen Testament ganz deutlich aufgezeigt werden, nicht zusammen sehen, können wir der Obrigkeit auch nicht gerecht werden. Da alle diese drei Dinge zu gleicher Zeit bestehen, ist es auch unmöglich, daß eine Obrigkeit in sich selbst einig sein könnte. Sie ist in sich selbst uneinig.«443

Das Ineinanderblenden der Aussagen über den Staat im Römerbrief 13 auf der einen, mit dem als antichristlicher Staat gedeuteten Bild des Tieres aus dem Buch der Offenbarung auf der anderen Seite prägte auch eine interne Zusammenkunft im August 1934 im Zusammenhang mit der bevorstehenden Volksabstimmung am 19. August (der die Gemeinschaft fern blieb). Arnold ging dort noch einen Schritt weiter, indem er die biblischen Bilder des antichristlichen Tieres unmittelbar und konkret als Elemente des NS-Staates identifizierte: In Offenbarung 13, 16–18 wird beschrieben, wie die Menschen an der rechten Hand oder an der Stirn das Zeichen des antichristlichen Tieres annehmen. Arnold argumentierte: »Das Hakenkreuz auf ihrer Stirn, das heißt auf ihrer Mütze, auf ihrer Militärmütze. Das Zeichen auf der rechten Hand: Das Hakenkreuz auf dem rechten Arm.«444

442 Eberhard Arnold: »Unsere Einstellung zu politischen Gegnern« (Bruderschaft, 28. 05. 1933) [Transkription], Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/67. Vgl. auch seine Äußerungen in der Versammlung vom 13. 05. 1933, zitiert in Barth, Botschaftsbelagerung, S. 80. 443 Eberhard Arnold: »Bericht über die Tübinger Vortragsreise […]« (Februar 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 68. 444 Eberhard Arnold in der »Zusammenkunft mit Arnold und Gladys Mason am Sonntag, 12. August 1934 – Römer 13 und Johannes 13 ›Obrigkeit‹ (Im Zusammenhang mit der Volksabstimmung im Deutschen Reich am 19. August)«, in: Bruderhof Historical Archive,

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Drittens trennte Arnold, wie in dem bisher Erläuterten bereits angeklungen, scharf zwischen zwei Lebensbereichen innerhalb dieser Welt. Anders als in Luthers Vorstellung von den »zwei Reichen« war Arnold der Auffassung, dass Nachfolgerinnen und Nachfolger Christi innerhalb dieser Welt grundsätzlich nur einem Lebensbereich zugehörten – und ausschließlich dessen ethischen ›Regeln‹ verpflichtet seien, nämlich den in der Bergpredigt hervortretenden Prinzipien. Diese Haltung war schon um 1920 angelegt und dort auf die Wahrnehmung von »obrigkeitlichen« Funktionen innerhalb des Staatswesen, der tatsächlichen oder potenziellen Ausübung von Gewalt bezogen gewesen: ein Christ könne, so argumentierte er seinerzeit, kein Polizeipräsident sein, weil er in dieser Funktion unter Umständen auch Gewalt ausüben müsse.445 Diese Sichtweisen entsprachen dem Obrigkeitsverständnis der historischen Täufer und wurden durch die Hinwendung zur hutterischen Glaubensrichtung vermutlich noch einmal neu fundiert. »Wir versagen der Obrigkeit, die von Gott verordnet ist, nicht unsere Ehrfurcht«, argumentierte Arnold im März 1933 in einer gemeinschaftsinternen Aussprache. »Wir haben aber einen ganz anderen Auftrag, welcher eine ganz andere Gesellschaftsordnung mit sich bringt als es in Staat und Gesellschaft möglich ist. Deshalb verweigern wir vor Gericht den Schwur, wir verweigern dem Staat den militärischen und polizeilichen Dienst und den Dienst entscheidender Staatsämter, die ja alle mit Gericht, Polizei oder Militär zu tun haben. Deshalb verweigern wir der Gesellschaft ihre Grundlage; denn die jetzige Grundlage ist das Privateigentum. Zu dem allen stehen wir im schroffsten Gegensatz, indem wir eine andere Ordnung der Dinge zu vertreten haben. Diese andere Ordnung ist die Gemeinde, wie sie in Jerusalem gewesen ist bei der Ausgießung des Heiligen Geistes, in welcher die Menge der Gläubigen ein Herz und eine Seele geworden sind und nun eine Einheit werden, die sich auch auf dem Gebiete der sozialen Ordnung als eine absolute Brüderlichkeit ergibt, auf dem Gebiete der wirtschaftlichen Ordnung in Eigentumslosigkeit und völliger Gütergemeinschaft frei von aller Gewalt und allem Zwang; und so glauben wir, dass wir der heutigen Weltordnung gegenüber einen Auftrag haben, der uns naturnotwendig in Konflikte bringen muss, wie es auch bei den Ersten Christen und den Hutterischen Brüdern der Fall war.«446

Dieser andere »Auftrag«, später wird in diesem Zusammenhang auch von »Beruf« gesprochen, entsprang aus Arnolds Sicht der Zugehörigkeit seiner Gemeinschaft zum Reich Gottes als einer Art göttlichen »Gesandtschaft« inmitten Walden NY USA, EA 263. Vgl. zur besonders intensiven Auseinandersetzung Arnolds mit dem Buch der Offenbarung im Oktober 1935: Barth, Botschaftsbelagerung, S. 310–136. 445 Emmy Arnold: Gegen den Strom. Ein Leben in der Herausforderung der Bergpredigt, Rifton/New York 2012, S. 42. 446 Eberhard Arnold in der »Aussprache mit Ratschülers und Ernst Rottmann« (Bruderschaftssitzung, 26. 03. 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 86. Vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 49.

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dieser Welt: »Wohl erkennt die Gemeinde die Notwendigkeit der heute herrschenden Gewalten an: als Notwendigkeit für die Ungerechtigkeit der großen Welt; aber was der Gemeinde selbst anvertraut ist, ist etwas durchaus anderes als die Herrschaft dieser ihr fremden Gewalten«, führte Eberhard Arnold im Mai 1934 gemeinschaftsintern aus. »Was ihr anvertraut ist, ist die königliche Gesandtschaft des letzten Reiches. Dieses und jenes königliche Reich unterhält seine Gesandtschaft in Paris, Petersburg, Berlin, Rom oder sonstwo. Wo das Gesandtschaftsgebäude ist, ist ein sacrosankter Boden. Dort kann niemand den Gesetzen desjenigen Staates untergeordnet werden, in dem der Gesandte lebt, sondern in dem Gebäude der Gesandtschaft gilt vielmehr allein das Gesetz des Landes, welches diese Gesandtschaft ausgesandt hat. Gerade so ist es mit der Gesandtschaft Jesu Christi durch den heiligen Geist seiner Gemeinde. Hier gilt allein das Lebensgesetz des letzten Reiches. Deshalb darf die Gemeinde Christi sich nicht einfach den Gesetzen der heute geltenden Staatsgewalt unterordnen und unterwerfen. Sie hat sie zu ehren; nicht aber hat sie ihr knechtisch oder sklavisch unterworfen zu sein. Die Gemeinde Christi beansprucht für ihr Tun die souveräne Freiheit des königlichen letzten Reiches.«447

Betrachten wir abschließend, wie Arnold und der Bruderhof Hitler und den Nationalsozialismus konkret wahrgenommen haben. Das politische Geschehen wurde von der Gemeinschaft aufmerksam verfolgt. Arnold förderte den Austausch auch über die aktuellen politischen Entwicklungen und berichtete von seinen Gesprächen und Erfahrungen mit Regierungsvertretern. »Nun ist die Krise eingetreten, und Hitler Reichkanzler geworden«, hatte Emmy Arnold unmittelbar am 30. Januar 1933 an ihre Söhne Hardy, Heini und Hans-Hermann geschrieben, um kurz darauf fortzufahren: »Wir wollen eine gemeinsame Aktion unternehmen, sobald Gesetze herauskommen, die wir mit unserem Gewissen nicht vereinbaren können, das heißt wir wollen eine Eingabe an die Regierung machen. Es kann aber auch sein, daß es vorläufig noch so weiter geht, wie bisher.«448 Am 25. März 1933 las Arnold aus der Rede vor, die Hitler zwei Tage zuvor gehalten hatte, und forderte zur Diskussion auf. Dabei zeigte sich, wie präsent seine Deutung des Staates innerhalb der Gemeinschaft und wie stark sie im Blick auf das Zeitgenössische konkretisiert wurde. Ein Mitglied, Annemarie Wächter, äußerte: »Als die Rede vorgelesen wurde, mußte ich daran denken: Es kam mir vor, als ob wir eine Gesandtschaft in einem andern Lande wären, eine ganz andere Sprache und eine 447 Eberhard Arnold über »Weg und Ziel der Gemeinde« (31. 05. 1934) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 230. Vgl. auch »Über die politische Lage in Deutschland« (Juni 1933), in: Ebd. EA 33/101. 448 Emmy Arnold an Hardy, Heini und Hans Hermann Arnold, 30. 01. 1933, zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 36.

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ganz andere Lebensatmosphäre. Es kommt ganz stark darauf an, daß wir in dieser Gesandtschaft das Zeugnis des anderen Landes, von dem wir wissen, so stark ausdrücken können, daß es gehört werden muß und daß man nicht daran vorübergehen kann. Wir müssen alle ganz von innen her von diesem lebendigen Geist erfüllt sein, an nichts anderes denken können, daß die Einheit nicht mühsam erklärt werden muß, sondern ganz in der Freude und in der Kraft des Geistes stehen, nur dann können wir das sein, was wir sein müssen in dieser Welt.«449

Ein anderer, Arno Martin, führte aus: »Es ist mir auch klar, daß gerade jetzt der Moment gekommen ist, wo jeder Augenblick erfaßt werden muß, und daß wir der Sache treu bleiben und immer in dem rechten Geist leben; denn wenn eine so große Masse von Menschen für eine satanische Macht in großen Organisationen ihren ganzen Willen geben kann, wieviel mehr müssen wir für die Sache Gottes, für die Sache, die wirklich eine Zukunft hat, Begeisterung, Mut und Feuer in uns haben!«450

Im Mai 1933 sprach Arnold von einer »tyrannischen Willkür der jetzigen Regierung«; man könne sich »auf kein Gesetz mehr verlassen«, es herrsche »ein grässlicher Übermut, eine Politik dreckigster Art«. Dies hätte es bei der Sozialdemokratie nicht gegeben.451 Und im Juni 1933 thematisierte Arnold in der Gemeinschaft den Umstand, dass die Nationalsozialisten politische Gegner in Konzentrationslager inhaftierten.452 Der Bruderhof-Gemeinschaft war also von Anfang an klar, dass sie sich in einer Art natürlichen Gegnerschaft mit dem NS-Staat befanden, sie war jederzeit gewahr, dass der Staat Dinge fordern könnte, die sie aus Gewissengründen ablehnen müssten – und dass ihre Existenz bedroht war. In einer »Gästestunde« auf dem Bruderhof beschrieb Eberhard Arnold den Nationalsozialismus am 26. März 1933 als »eine dem Kreuz durchaus entgegengesetzte Bewegung«; gerade die »letzte Rede des Reichskanzlers« habe »gezeigt, in welcher Richtung sich das Hakenkreuz bewegt. Die Sache des Kreuzes ist eine durchaus andersartige Sache und infolgedessen auch eine Bewegung in einer absolut entgegengesetzten Richtung«: Es sei »nicht die Richtung Jesu Christi und seines Geistes«.453 Arnold 449 »Vor der Abreise Eberhards zu den Behörden in Cassel« (Bruderschaft Rundreden, 25. 03. 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/100; vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 58f. 450 »Vor der Abreise Eberhards zu den Behörden in Cassel« (Bruderschaft Rundreden, 25. 03. 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/100; vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 59. 451 Eberhard Arnold, Versammlungsprotokoll, 13. 05. 1933, zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 79. 452 »Über die politische Lage in Deutschland« (Juni 1933) [Transkription], Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/100. 453 Eberhard Arnold in der »Gästestunde auf dem Rhönbruderhof« (26. 03. 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 85.

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hatte also zu einem frühen Zeitpunkt den antichristlichen Charakter des Nationalsozialismus erkannt und sich diesbezüglich eindeutig positioniert. Die diametralen Unterschiede zwischen dem Bruderhof und der NS-Weltanschauung, etwa in der radikalen Wehrdienstverweigerung (die sich auch auf Ansätze von Wehrpädagogik bezog), waren offensichtlich. Und dennoch sah Arnold zu diesem Zeitpunkt, dass es innerhalb der NS-Bewegung respektive dem NS-Staat auch Ansätze gebe, die es zu würdigen gelte. In der eben erwähnten Gästeversammlung im März 1933 äußerte Arnold: »Andererseits sollen wir sie soweit zu verstehen suchen, dass wir ihre Wahrheitselemente, ihre echten Wesenskräfte erkennen und anerkennen«, er sah auch »wirklich positive[…] Werte in der augenblicklichen Volksbewegung«.454 Wie sind diese Äußerungen zu erklären? Denkbar ist zum einen, dass Arnold in manchen Elementen des Nationalsozialismus Ansätze identifiziert haben könnte, die ihm selbst seit Jahren wichtig waren. Als etwas, was innerhalb des Nationalsozialismus positiv zu würdigen sei, nannte er »Elemente des Familienlebens, des Schutzes vor dem Bösen, des Schutzes des Guten und des Rechtes. Es sind die Elemente der Volksgemeinschaft und des Volkszusammenhangs.«455 Hier ließe sich eine Linie zum Anfang der 1920er-Jahre ziehen, als Arnold Verfehlungen im sittlichen Bereich (»Unreinheit«) als eines von vier Bindungen beschrieb – neben den »Banden des Mammons, des Mordes, der Lüge« –, aus denen die Welt erlöst werden müsse.456 Doch warum konnte Arnold überhaupt Aspekte innerhalb einer Ideologie würdigen, die er insgesamt als gottesfeindlich ablehnen musste? Hierzu könnte seine Vorstellung eines göttlichen Funkens in jedem und allem beigetragen haben, die sein Denken ebenfalls bereits um 1919 kennzeichnete und die auch am Beginn der 1930er-Jahre nicht verblasst war.457 Arnold würdigte keine konkreten politischen Vorstellungen, aber doch den Idealen des Nationalsozialismus.458 Ein zweites kommt hinzu: Wenn Arnold von der absoluten Geltung der Liebe als Kennzeichen für das Reich Gottes und der Ethik von Christinnen und Christen überzeugt war, so akzeptierte er doch die Ausübung von Gewalt hinsichtlich des Lebensbereiches der Welt. Arnold rechnete in dieser Phase mit der Möglichkeit, dass die repressiven Maßnahmen des NS-Staates ein Ausdruck des Zornes Gottes und seines Gerichtes für diese Welt sein könnten.459 454 Ebd. 455 Ebd. 456 Eberhard Arnold: Weltrevolution und Welterlösung. Vortrag vom 18. 04. 1921 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 21/19a. 457 Vgl. dazu Barth, Botschaftsbelagerung, S. 39. 458 Eberhard Arnold: »Gemeinde und Obrigkeit« (vor dem 11. 06. 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/78. Vgl. seine Äußerung in der Versammlung am 13. 05. 1933, zitiert bei Barth, Botschaftsbelagerung, S. 80. 459 Vgl. Eberhard Arnold in der »Zusammenkunft mit Arnold und Gladys Mason am Sonntag, 12. August 1934 – Römer 13 und Johannes 13 ›Obrigkeit‹ (Im Zusammenhang mit der

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Schließlich ist es denkbar, dass Arnold solche Aspekte auch aus taktischen Gründen besonders unterstrich, gerade gegenüber solchen, die nicht dem engeren Kern der Gemeinschaft angehörten. Dieser Ansatz trägt aber nur bedingt; er erklärt nicht, dass Arnold solche Äußerungen auch intern getätigt hat, sondern kann nur im Blick auf jene Aussagen erklären helfen, die er beispielsweise in offiziellen Schreiben an Regierungsvertreter traf. Dies führt zu einem letzten Aspekt, der zwar nicht unmittelbar den skizzierten Kern der Frage berührt, mit dem Problem aber im Weiteren verbunden ist. Es lässt sich am besten illustrieren am Beispiel der von Arnold formulierten und von der Gemeinschaft besprochenen und mitgetragenen Schreiben an Regierungsvertreter, aus denen ein Brief an Adolf Hitler in gewisser Weise heraussticht. Markus Baum und Thomas Nauerth haben sich damit bereits instruktiv auseinandergesetzt, worauf ich mich im Folgenden vor allem beziehe.460 Der Brief steht im Zusammenhang mit der Wahl und Volksbefragung am 12. November 1933, bei der sich die Gemeinschaft aus Gewissensgründen außerstande sah, sich in der staatsseitig gewünschten Form zu beteiligten; ich werde die Interaktion zwischen Behörden und Gemeinschaft in dieser, für den weiteren Verlauf der Bruderhofgeschichte zentralen Angelegenheit im dritten Kapitel noch näher erläutern. Es ging Arnold nun darum, gegenüber Regierungsstellen von unterer Ebene bis hin zur höchsten Instanz die eigenen Standpunkte zu erläutern und darum zu bitten, dennoch im NS-Staat geduldet zu werden. Das Schreiben an Adolf Hitler vom 9. November 1933 verhehlte ganz in diesem Sinne die unüberbrückbaren Gegensätze nicht und enthielt mancherlei Wendungen, die man als disloyal verstehen könnte. Es wurde von Arnold aber eröffnet mit: »Unserem geliebten Reichkanzler Adolf Hitler […].«461 Handelte es sich dabei um eine Huldigung? Keineswegs: Die Gemeinschaft war von der Vorstellung und Überzeugung durchdrungen, dass die Einstellung zu allen Mitmenschen, seien es Freunde oder Feinde, von Liebe geleitet und von jeglichem Hass frei sein solle. Was Eberhard Arnold in der erwähnten Benennung konsequent zu Ende führte, rief innerhalb der Gemeinschaft dennoch mindestens Verwunderung hervor. Der Inhalt der Briefe an Hitler und andere Repräsentanten des Staates wurden in internen Versammlungen der Gemeinschaft besprochen. Ein Mitglied bekannte dabei, dass ihr die Anrede zunächst »komisch« Volksabstimmung im Deutschen Reich am 19. August)«, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 263 sowie ders.: »Gemeinde und Obrigkeit« (vor dem 11. 06. 1933) [Transkription], in: Ebd. EA 33/78. 460 Baum, Arnold, S. 211ff. Nauerth, Problem der Obrigkeit; ders., Zeugnis, S. 282–287, und insb. 303–306. 461 Das Schreiben ist dokumentiert und erläutert in der Online-Ausstellung »Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus«. URL: http://de.evangeli scher-widerstand.de/html/view.php?type=dokument&id=841 (Aufruf: 28. 08. 2020).

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vorgekommen sei462; und sie stand mit dieser Wahrnehmung womöglich nicht alleine. Im Rückblick berichtet Hans Meier 1990: »Ich musste meinen Hass auf Hitler erst überwinden. Er war ein Mörder und ich fühlte, wie ich ihn hasste. Aber Eberhard vertrat ganz klar, dass wir nur an Hitler oder Hindenburg oder irgendjemand anders schreiben konnten, wenn wir sie liebten. Aus Liebe haben wir ihnen die Wahrheit zu sagen.«463 Hans Zumpe, Arnolds Schwiegersohn und Stellvertreter, hatte in der Besprechung der Briefe am 11. November 1933 geäußert: das Böse solle gut geliebt werden.464 Die Bruderschaft stellte sich einmütig hinter den Brief an Hitler (sowie jene an andere Regierungsstellen). Im Geist der Vergebung, Liebe und Feindesliebe geschrieben seien sie ein Zeugnis, in gewisser Weise aber auch ein Angriff auf die Regierung: es werde proklamiert, dass der Staat nicht das letzte Wort habe. Betrachten wir einige Einzelheiten des Briefes genauer.465 Hitler wurde dort als »Reichskanzler« angesprochen, auch in der Adressierung: »An Adolf Hitler, den Kanzler des deutschen Reiches«, aber weder hier noch an anderer Stelle als »Führer«. Dagegen wird im Brieftext dann Jesus Christus explizit als »Führer« und »Erlöser« bezeichnet. Zudem wird Hitlers Rang durch eine Rahmung relativiert: im Brief ist die Rede von »unsere[n] Regenten Hindenburg und Hitler«, in dieser Reihenfolge. Am Ende hatte Arnold die Chuzpe, Hitler einzuladen, selbst Christ zu werden, sich – das kommt auch sprachlich zum Ausdruck – unter die Hand Gottes zu demütigen. Arnold sprach von Hitler, »für den wir Gott von Herzen bitten, dass er zu Gottes gegebener Stunde aus einem geschichtlichen Werkzeug höchster Staatsobrigkeit zu einem Gesandten des erniedrigten Christus werde«. Arnold beschloss den Brief mit einer nicht eben üblichen Form »In treuer Ehrerbietung« – nicht etwa mit »Heil Hitler« oder einem »deutschen Gruß«. Ein Huldigungsschreiben war dieser Brief also nicht. Anhand des Beispiels zeigt sich auch, dass sich die Wahrnehmungen und Sichtweisen von Eberhard Arnold auf der einen und diejenigen der Gemeinschaft durchaus unterscheiden konnten. Gerade in seiner Sichtweise, dass man innerhalb des NS-Weltanschauung, die mindestens einem Teil der Gemeinschaftsmitgliedern aus theologisch-religiöser Perspektive und aufgrund ihrer politischen Prägungen und Einstellungen vielfach verhasst gewesen sein dürfte, auch 462 »Rundreden über die Eingaben an die Regierung« (11. 11. 1933, ohne Eberhard Arnold), Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 180a. 463 Hans Meier in einer Versammlung am 15. 10. 1990 (Übersetzung aus dem Englischen), zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 122. 464 »Rundreden über die Eingaben an die Regierung« (11. 11. 1933, ohne Eberhard Arnold), Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 180a. 465 Vgl. den handschriftlichen Briefentwurf und eine Transkription in der Online-Ausstellung »Widerstand!? Evangelische Christinnen und Christen im Nationalsozialismus«. URL: http://de.evangelischer-widerstand.de/html/view.php?type=dokument&id=841 (Aufruf: 28. 08. 2020). Zur Deutung Baum, Stein, S. 261–263. Nauerth, Zeugnis, S. 303–306.

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Gutes finden könne, konnte Arnold nicht von vorneherein auf Konsens bauen. So gab es diesbezüglich innerhalb der Gemeinschaft einen Streit zwischen Adolf Braun und dem vom religiösen Sozialismus (Leonhard Ragaz) geprägten Schweizer und früheren Pfarrer Hannes Boller.466

466 Vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 80.

C.

Reaktion auf staatliche Loyalitätsforderungen

Im Jahr 1926 wurde Friedrich Stauffer, 1878 in der Schweiz geboren, Pastor der Baptistengemeinde in Gundelfingen, jener damals etwa eintausend Einwohner großen Ortschaft vor den Toren der Stadt Freiburg im Breisgau.467 Hier gründete er sogleich eine »Jungmannschaftsgruppe Gundelfingen-Freiburg i.Brg.«. Das Protokollbuch dieser Jugendarbeit ist erhalten. Daraus geht hervor, mit welchen Themen sich die Jugendlichen respektive jungen Erwachsenen um Stauffer in dieser Zeit auseinandergesetzt haben: Es ging um die Betrachtung biblischer Texte, aber auch um allgemeinbildende Themen, Partnerwahl und um gesellschaftlich-politische Fragen (»neuzeitliche Jugendbewegung und –Bestrebung«). Im Blick auf die Lebenswelt der jungen Christinnen und Christen war Stauffer der Auffassung, dass sich eine normative Differenz auch im äußeren Erscheinungsbild zeige: »Br. [=Bruder] Stauffer sprach nicht, wie zuerst gedacht, allein über den Bubikopf, sondern erweiterte das Thema und sprach über ›Der Christ und seine Stellung zur Mode und den modernen Erscheinungen‹. Eine zu Herzen gehende Mahnung an uns junge Menschen, [es] nicht dieser Welt gleich zu tun, sondern auch in der Kleidung, in der Haartracht und im Benehmen zu zeigen, daß man nur das tun will, was dem Herrn wohlgefällt und den Menschen kein Anstoß gibt.«468 Stauffer thematisierte aber ausdrücklich auch gesellschaftliche und politische Fragen. In der »Vereinsstunde« vom 12. Mai 1930 sprach der Pastor »über die jüngsten Geistesrichtungen der letzten Zeit, hauptsächlich über den Bolschewismus«. »Die Ziele des Bolschewismus oder auch Kominismus [sic]«, so heißt es in dem von einem jungen Teilnehmer gefertigten Protokoll dieser Versammlung, »sind: Umstürzung aller bestehenden Regierungen, Beseitigung aller Autoritäten, 467 Vgl. zur Baptistengemeinde allgemein: Stefan Jung: Die Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde – Baptisten in Gundelfingen, in: Gundelfingen und Wildtal. Die Geschichte zweier Orte im Breisgau. Zum 1000jährigen Jubiläum Gundelfingens 2008, Gundelfingen 2008, S. 548–558. 468 »Protokoll vom 5.XI.1929«, Protokollbuch des Jugendvereins Gundelfingen (I), in: Archiv der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gundelfingen (Baptisten).

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Reaktion auf staatliche Loyalitätsforderungen

Kampf gegen alle Religionen, Aufhebung von Familien und Ehe, dafür die Kameradschaftsehe und Schaffung von Kolektivmenschen [sic].«469 Am 21. Juli 1930 sprach Stauffer in der »Vereinsstunde« von einem immer stärker um sich greifenden Atheismus, weil sich »der Bolschewismus sich sehr schnell ausbreitet«, und verortete diese Entwicklung eschatologisch in den Kontext der »Letztzeit«, die Zeit vor der Wiederkehr Jesu Christi.470 In der »Vereinsstunde« am 25. Januar 1932 wurde unter seiner Leitung explizit über das Thema Kommunismus und Nationalsozialismus »im Lichte der Bibel« gesprochen, wobei »wir«, wie der Protokollant vermerkt, »zu dem Entschluß gekommen [sind,] [uns] von jeder politischen Partei ferne zu halten«.471 Vielleicht stand die thematische Ausrichtung dieser Jugendstunde im Zusammenhang mit der Wahl zum Amt des Reichspräsidenten, deren erster Urnengang im März 1932 bevorstand? Neben von Hindenburg kandidierten Hitler für die NSDAP und Thälmann für die KPD. Wenn als Ergebnis der Betrachtungen festgehalten wurde, sich besser von den politischen Parteien fernzuhalten (der Protokolltext lässt offen, ob mit jegliche Parteien alle, oder die beiden angesprochenen, KPD und NSDAP, gemeint waren), dann tut dies der Tatsache keinen Abbruch, dass über Politik eben doch nachgedacht und gesprochen worden war. Die Jugendgruppe in Gundelfingen bestand in dieser Zeit aus etwa 20 Mitgliedern und war eine von 14 Gruppen der Süddeutschen Vereinigung beziehungsweise ein Verein von 331 im gesamten Jugendbund der deutschen Baptisten mit etwa 10.750 männlichen und weiblichen Mitgliedern ( jeweils Stand 1931).472 In der Gundelfinger Jugendarbeit gab es im Jahr 1932 offenbar eine längere Pause, bis die Jugendstunden im Sommer 1933 wieder einsetzen, nun unter dem Vorsitz von Hermann Lamprecht. Der »Verein« zählte jetzt 26 Mitglieder. Vor allem aber hatten sich die Vorzeichen geändert: Im Eintrag vom 27. August 1933 hieß es: »Br. [=Bruder] Lamprecht hat uns danach das bei der Konferenz in Mühlhausen verfasste Rundschreiben vorgelesen, indem wir aufgefordert werden, uns gleich der nationalen Erhebung, ebenfalls aufzuraffen und uns ganz in den Dienst Gottes zu stellen.«473 In einem Bericht über dieses Jugendtreffen, der im August 1933 in der Zeitschrift der Berliner Baptistengemeinden veröffentlicht wurde, hieß es in ähnlich affirmativer Ausrichtung: »Das 469 »Vereinsstunde vom 12.V.1930«, Protokollbuch des Jugendvereins Gundelfingen (I), in: Archiv der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gundelfingen (Baptisten). 470 »Vereinsstunde vom 21.VII.1930«, Protokollbuch des Jugendvereins Gundelfingen (II), Bl. 4, in: Archiv der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gundelfingen (Baptisten). 471 Eintrag »Vereinsstunde 25. Januar 1932«. Protokollbuch des Jugendvereins Gundelfingen (II) Bl.23, in: Archiv der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gundelfingen (Baptisten). 472 Statistik des Jugendbundes der deutschen Baptistengemeinden für das Jahr 1931, Kassel [1931], in: Oncken-Archiv Bestand D 4/Jünglingsvereine/Jugendbund. 473 Eintrag »August 1933« vom 27. 08. 1933. Protokollbuch des Jugendvereins Gundelfingen (II), Bl.26, in: Archiv der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gundelfingen (Baptisten).

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große Geschehen in unserem Volke hat auch auf unsere baptistische Jugend mit ungebrochener Macht übergegriffen.«474 Auf der Tagung für junge Baptistinnen und Baptisten an Pfingsten 1933 in Mühlhausen (Thüringen) war eine für die Jugendarbeit dieser Freikirche spezifische Konstellation sichtbar geworden: Denn einerseits wurde die »nationale Erhebung« hier eindeutig bejaht, wobei sich die Jugend beauftragt sah, an der staatlichen Erneuerung mitzuwirken. Das bezog sich zum einen auf Fürbitte oder missionarische Tätigkeit.475 Die in der Jugendarbeit tätigen jungen Baptisten gingen über dieses Maß der Beteiligung an der »Erneuerung« aber durchaus hinaus, indem sie sich etwa, wie Bruder Lamprecht in Gundelfingen, in der NSDAP oder in einer Partei-Gliederung engagierten: Lamprecht war der NSDAP laut Ortsgruppendatei zum 1. Mai 1933 beigetreten.476 Auf der anderen Seite aber haben die Akteure der Jugendarbeit gerade auch in Mühlhausen unmissverständlich deutlich gemacht, dass nur Christus »letzter Führer« sei477; später, auf der Konferenz des Baptistenbundes Ende August 1933, wurde in der Versammlung der Jugend ebenfalls von Jesus Christus als dem großen »Führer« gesprochen.478 Damit wurde der nationalsozialistische Führerkult erkennbar unterlaufen. In der baptistischen Jugendarbeit begegneten sich also zwei sich widersprechende Loyalitätsansprüche.479 Insofern musste diese Form der bündisch strukturierten aber christologisch orientierten baptistischen Jugendarbeit für den Nationalsozialismus eine Art natürliche Konkurrenz darstellen. Auf die Jugendarbeit der Baptisten werde ich im weiteren Verlauf dieses Abschnitts mehrmals Bezug nehmen, lassen sich daran doch die Konfliktlinien zwischen Staat und Freikirche exemplarisch zeigen. So stand, wie wir sehen werden, die symbolische Grußformel der baptistischen Jugend »Christ Heil« in gewisser Konkurrenz zum Hitler-Gruß; auf der anderen Seite suchte sich gerade die Ju474 H. W.: Mühlhausen – Wach auf, du Geist der ersten Zeugen!, in: Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 9 (1933) 7 (August), S. 5–6, hier S. 5. 475 Vgl. C. E.: Stimmungsbilder von der Pfingsttagung in Mühlhausen, in: Jungbrunnen. Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden 11 (1933) 7 (Juli), S. 116–117. 476 BArch R 9361-IX Kartei/24580842. 477 Vgl. C. E.: Stimmungsbilder von der Pfingsttagung in Mühlhausen, in: Jungbrunnen. Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden 11 (1933) 7 (Juli), S. 116–117. 478 Johannes Tromsdorf: Jugendversammlung in der Schmidstraße, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 302. 479 Dies begegnet uns auch in der Argumentation des mennonitischen Rundbriefakteurs Ernst Fellmann; vgl. Bericht »Unser R-B-Treffen Ostern 1934 auf dem Weierhof Pfalz«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »RundbriefMitteilungen 1932–1936«. Fellmann wurde 1935 von zwei mennonitischen Konferenzen, nämlich diejenigen der Süddeutschen und der Westpreußischen Mennonitengemeinden, zum Jugendwart berufen. Vgl. dazu Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 74–79.

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gend durch Partizipation am 1. Maifeiertag mit der »nationalen Erhebung« von sich aus in die »Volksgemeinschaft« einzugliedern. Pastor Friedrich Stauffer kündigte übrigens im Sommer 1934 sein Anstellungsverhältnis mit der Baptistengemeinde in Gundelfingen und wurde an die Gemeinde in Bern (Schweiz) überwiesen. Schied er aus dem Dienst, weil er aufgrund seiner Haltung oder Herkunft keine Perspektive als Pastor einer deutschen Gemeinde sah, war die Trennung das Ergebnis von politischen Differenzen innerhalb der Gemeinde? Leider gehen aus dem erhaltenen Protokoll der Gemeindeversammlung, in der seine Kündigung und damit verbundene Fragen (Gemeindevorsitz) offiziell angesprochen und geregelt wurden, nicht die Gründe seines Abschieds hervor. Dieser scheint, falls es innere Spannungen gegeben haben sollte, zumindest äußerlich harmonisch verlaufen zu sein: Aus Anlass der letzten Predigt wurde eine Feier veranstaltet, der Umzug der Pastorenfamilie wurde mit 100 Reichsmark unterstützt, zusammengetragen durch Gemeindemittel und Mitgliederspenden. So kehrte Stauffer in seine Schweizer Heimat zurück, wo er noch im gleichen Jahr, am 30. Dezember 1934, verstarb.480

Der »deutsche Gruß« Der Umgang mit dem »deutschen Gruß« eignet sich in besonderer Weise für unsere Untersuchung der Frage, wie die ausgewählten Glaubensgemeinschaften den Loyalitätsforderungen des NS-Staates begegneten: Er markierte diese Forderung zum einen in herausgehobener Weise und durchdrang zugleich die Ebenen des Gesellschaftlichen mit besonderer Wucht bis in die private Lebensführung der Einzelnen hinein – er galt »als Loyalitätsbeweis« schlechthin.481 In seiner Studie zum »deutschen Gruß« hat Tilman Allert diese Zusammenhänge überzeugend herausgearbeitet: Das Regime ließ sich damit permanent Zustimmung versichern und generierte damit eine »kontinuierliche Selbstverpflichtung. Auf diese Weise drang der Staat tief in die »private[..] Daseinsführung« ein, erzwang einen »Souveränitäts- und Gestaltungsverlust[..]«.482 Dieser Zwang war nicht nur subtiler, sondern bald auch offen gewaltsamer Natur: Im Juli 1933 war der »deutsche Gruß« für Staatsbedienstete durch Rund-

480 Vgl. zu seinen Lebensdaten die Einträge in das Mitgliedsbuch der Gemeinde, Bl. 66 und 96, in: Archiv der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde Gundelfingen (Baptisten). Eine Anfrage bei der Baptistengemeinde Bern in der Schweiz nach Informationen zu Stauffer in den Gemeinde-Unterlagen war leider kein Erfolg beschieden. Auskunft (E-Mail) der Gemeindeleiterin Monika Wandel vom 22. 02. 2015. 481 Tilman Allert: Der deutsche Gruß. Geschichte einer unheilvollen Geste, Frankfurt 2005, S. 14. 482 Ebd., S. 80, 73, 21 und 20.

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erlass des Reichsinnenministers Wilhelm Frick zur Pflicht geworden483; Weigerungen wurden gerichtlich verfolgt und schon im ersten Jahr des nationalsozialistischen Machtantritts mit KZ-Haft belegt.484 Der »deutsche Gruß« war für Staatsbedienstete obligatorisch bei allen »Begegnungen im öffentlichen Raum«, im amtlichen Schriftwechsel sowie in der Konfrontation mit Flaggen und Amtsgebäuden. Schon bei der Einführung des »deutschen Grußes« für Staatsbedienstete im Juli 1933 hatte Frick deutlich gemacht, dass die Beamtenschaft nur beispielhaft mit einer Praxis hervortreten solle, die schlechthin von allen Deutschen geübt werden solle: Es erscheine angebracht, so hieß es in Fricks Rundschreiben, nachdem »der Parteienstaat überwunden« sei und »die gesamte Verwaltung im Deutschen Reiche unter der Leitung des Reichskanzlers Adolf Hitler« stehe, den Hitler-Gruß »allgemein als deutschen Gruß anzuwenden. Damit wird die Verbundenheit des ganzen deutschen Volkes mit seinem Führer auch nach außen hin klar in Erscheinung gebracht.«485 Innerhalb von kurzer Zeit wurde der Gruß vielerorts, etwa an Schulen und Universitäten, aber auch in Bereichen der Kirche, verbindlich.486 Nicht gesetzlich vorgeschrieben war zu diesem Zeitpunkt aber, welche Grußformel zum erhobenen rechten Arm gesprochen werden sollte. Im Dezember 1933 wurden dann drei mögliche Varianten festgelegt, es konnte mit »Heil«, »Heil Hitler« oder stumm, nur mit erhobenem rechten Arm, gegrüßt werden; erst 1935 wurde für Beamte und Behördenbedienstete einheitlich die Formel »Heil Hitler« verlangt.487 Aus dem 483 Der Reichsminister des Innern an die Obersten Reichsbehörden, die Reichsstatthalter und Landesregierungen am 13. 07. 1933; Dokument Nr. 192 in den Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933–1938. Herausgegeben für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Konrad Repgen, für das Bundesarchiv von Hans Boomes. Die Regierung Hitler, Teil I: 1933/34, Band 1: 30. Januar bis 31. August 1933. Dokumente Nr. 1 bis 206, bearbeitet von Karl-Heinz Minuth, Boppard am Rhein 1983, S. 658. Vgl. dazu Norbert Frei: Der Führerstaat. Nationalsozialistische Herrschaft 1933 bis 1945, München 2013, S. 84. 484 Allert, Gruß, S. 24, 45. Daraus auch das Folgende. 485 Der Reichsminister des Innern an die Obersten Reichsbehörden, die Reichsstatthalter und Landesregierungen am 13. 07. 1933; Dokument Nr. 192 in den Akten der Reichskanzlei. Regierung Hitler 1933–1938. Herausgegeben für die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften von Konrad Repgen, für das Bundesarchiv von Hans Boomes. Die Regierung Hitler, Teil I: 1933/34, Band 1: 30. Januar bis 31. August 1933. Dokumente Nr. 1 bis 206, bearbeitet von Karl-Heinz Minuth, Boppard am Rhein 1983, S. 658. Vgl. dazu Frei, Führerstaat, S. 84. 486 Vgl. die Einführung des »deutschen Grußes« in der Württembergischen Landeskirche durch Erlass des Evangelischen Oberkirchenrates vom 08. 09. 1933. Dazu und zu einem bemerkenswerten Fall von Hitler-Gruß-Verweigerung durch den daraufhin beurlaubten Pfarrer Wilhelm Sandberger: Helmut Goerlich (Hg.): Hitlergruß und Kirche. Aus dem Leben des gewissenhaften württembergischen Landpfarrers Wilhelm Sandberger und der fränkischen Pfarrgemeinde Gründelhardt im totalen Staat, Berlin 2013. 487 Vgl. Detlef Garbe: Zwischen Widerstand und Martyrium: Die Zeugen Jehovas im »Dritten Reich«, München 1999, S. 166 mit weiteren Nachweisen.

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Erkennungszeichen einer Bewegung war ubiquitäre Praxis von Staatsbürgern und Staatsbürgerinnen geworden, aus der ein Ausscheren schließlich auch normativ repressiv geahndet werden konnte. Auf semantischer Ebene konnte der Hitler-Gruß unterschiedlich gelesen werden, wobei jedoch jeder Ansatz, wie Allert unterstreicht, mit spezifischen Widersprüchen behaftet war: das gelte für die dativische wie für die akkusativische Lesart der Ellipse »Heil Hitler«.488 Ich folge Allerts Argumentation, dass durch das Grüßen Hitler gleichsam »als Schutz für die Begegnung angerufen« wurde und »mehr noch: die sakrale Substanz, in die er transponiert wurde, […] in den Beziehungen untereinander auf[lebte]«.489 Eine These Allerts lautet schließlich, dass der Hitler-Gruß den »Charakter eines Schwures auf Zugehörigkeit« in sich getragen habe, er sei ein »wechselseitiger Appell bereit zu sein, für den Einsatz in einer bevorstehenden Ernstsituation des Kampfes«.490 Wenn ich im Folgenden die Haltung von Bruderhof, Baptisten und Mennoniten zum Hitler-Gruß betrachte, ist es somit wichtig, nicht nur danach zu fragen, ob freikirchliche Akteure den Hitler-Gruß allgemein geleistet haben oder nicht; sondern auch, mit welcher Begründung (Lesart) der »deutsche Gruß« gerechtfertigt – oder abgelehnt worden ist. Es erforderte vor dem Hintergrund des eben Skizzierten größten Mut und eine unerschütterliche Überzeugung, dass sich die Mitglieder des Bruderhofes dem Zwang zum Hitler-Gruß widersetzten. Was waren die Gründe dafür? Eberhard Arnold hatte in dem Gruß »Heil Hitler!« eine götzendienstliche Verehrung des Reichskanzlers erkannt, die er ablehnte. Deshalb umging er in offiziellen Schreiben diese Floskel; ob die Gemeinschaft das Zeichen des »deutschen Grußes« leistete, lag nicht im Ermessen der Einzelnen, der Gruß wurde von Arnold vielmehr prinzipiell und für alle verbindlich abgelehnt. »Wir verweigern dem Imperator das Ave«, erläuterte Arnold vor der Gemeinschaft im September 1933, »darüber müssen wir uns ganz klar sein und bleiben. Würden wir in dieser Hinsicht nachgeben, so würden wir der militaristischen und juristischen Gewalt des Staates die göttliche Verehrung geben, die einzig und allein dem Herzen Gottes zukommt, welches er in Jesu Christi geoffenbart hat und im Reiche Gottes vollenden wird.«491 Mit dieser Loyalitätsforderung hatte der NS-Staat für Arnold eben jene Grenze verletzt, ab der sich die christliche Gemeinschaft einer Unterordnung unter die staatliche Gewalt widersetzen müsse. So fuhr Arnold, bezugnehmend auf das frühe Christentum, fort: 488 489 490 491

Allert, Gruß, S. 58. Ebd., S. 65. Ebd., S. 72. Eberhard Arnold: »Kirche und Staat« (September 1933) [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/122.

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»Das Untertansein der Obrigkeit hat den Sinn, daß man an all den Dingen nicht gegen die Art und Weise der Obrigkeit gerichtet ist, [sondern] in nachbarliche, freundschaftliche Berührung zu treten hat. Nur eins muß auf das Allerschärfste vermieden werden, daß der Obrigkeit irgendeine Verehrung entgegengebracht wird, die auch nur dem Anschein nach einer göttlichen Verehrung nahekommt.«

Im August 1934 erläuterte er gemeinschaftsintern, dass die im NS-Staat übliche Grußformel sogar noch über die von den frühen Christen in der Antike geforderte Form des Götzendienstes hinausginge: »Für Nero und andere Kaiser waren hier und da kleine Weihrauchaltäre aufgestellt, für welche kleine Weihrauchkügelchen geopfert werden sollten, um die religiöse Bedeutung des einheitlichen Kaisertums zu bezeugen. Dem Genius des Kaisers, nicht dem Kaiser persönlich, sondern dem Genius des Kaisers: der personifiziert gedachten Geistigkeit dieses Phänomens wurde geopfert, christlich gesprochen der Dämonie des Kaisertums. Der Genius ist der Dämon. Niemals aber hat es Nero oder ein anderer römischer Herrscher dazu gebracht, dass abgesehen von diesen kleinen Altären, an jeder Straßenecke ›Heil Nero‹ gerufen wurde. Der heutige Diktator ist so vollständig von allen religiösen und dämonischen Geistern verlassen, dass er nicht einmal an den Genius der Diktatur glaubt, sondern nur an die kleine Person des Diktators.«492

In Briefen an staatliche Stellen griff Arnold bezeichnenderweise Bestandteile der Grußformel auf, indem er am Ende formulierte: »Alles Gute für Adolf Hitler und alles Heil durch Christus«493. Das lässt sich vor dem oben erwähnten theoretischen Konzept des »Eigen-Sinns« schlüssig deuten: Arnold konnte auf diese Weise Entgegenkommen signalisieren, aber er wendete die Begriffe so, dass sie vor seinem Verständnis des Staates und deren Regierung Sinn und Berechtigung ergaben sowie mit seinem Gewissen vereinbar waren. Damit kam er der Loyalitätsforderung nicht nach, sondern verkehrte sie letztlich in ihr Gegenteil: Die Floskel war keineswegs dazu angetan, die Verweigerung der Grußformel unauffällig zu kaschieren; die Leser der Briefe mussten ob der auffälligen Formulierung vielmehr stutzen; sie empfanden sie vielleicht als sonderbar oder umständlich, konnten daraus aber auch einen Protest lesen: man wünsche Hitler alles Gute; Heil aber komme nicht von ihm, sondern allein von Christus. Allerdings finden wir in einem Schreiben an den Verlobten eines Mitglieds, der dem Bruderhof noch nicht angehörte, die Floskel »Mit christlichem und deutschem Gruß. – Der Wortführer, der Geschäftsführer und der Arbeitsleiter

492 Eberhard Arnold in der »Zusammenkunft mit Arnold und Gladys Mason am Sonntag, 12. August 1934 – Römer 13 und Johannes 13 ›Obrigkeit‹ (Im Zusammenhang mit der Volksabstimmung im Deutschen Reich am 19. August)« [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 263. 493 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 119. Nauerth, Zeugnis, S. 284.

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des Bruderhofes«.494 Aus Wendungen in diesem Brief lässt sich schließen, dass dieser junge Mann womöglich nationalsozialistischen oder völkischen Sichtweisen anhing und mit entsprechenden Formulierungen für die Gemeinschaft eingenommen werden sollte (»wenn Du Dich auf dem Boden unseres positiven Christentums während des Sommers für die Volksgemeinschaft und den Gemeinnutz unseres Arbeitserlebens bewähren würdest«). Wegen des tagtäglichen Zwangs, den Hitler-Gruß zu leisten, wäre für Arnold auch die Erziehung der Bruderhof-Kinder in einer staatlichen Schulen ein unüberwindbar großes Problem gewesen; davon abgesehen, dass die Kinder dort durch Lieder und Lerninhalte mit nationalsozialistischen Werten indoktriniert worden wären. Dieses Problem sprach Arnold später gegenüber dem Ältesten eines hutterischen Bruderhofes in Kanada, Jerg Waldner, gezielt an: »Die Staatsschule aber […] ist uns um des Gewissens willen für unsere Kinder unmöglich. Der ›deutsche‹ Gruß ›Heil Hitler!‹, der, überall täglich mit gehobener Hand geübt, so verstanden werden kann, dass von Adolf Hitler, dem Reichskanzler Deutschlands, das Heil kommt, oder dass ihm eine fast göttliche Verehrung erwiesen wird, wird von allen Schülern der Staatsschule verlangt. Wir aber tun diesen GötzenGruß niemals. Das Horst-Wessel-Lied, welches den blutigen Straßenkampf verherrlicht, wird wieder und wieder in den Schulen gesungen. Wir aber singen es nicht. Die gesamte deutsche Jugend wird in der sogenannten ›Hitlerjugend‹ und in den sog. Sturmabteilungen (S.A.) zur kriegerischen Haltung und zu kriegerischem Sport erzogen. Wir aber reichen dazu keinen kleinen Finger. Auch der gesamte Geschichtsunterricht der jetzigen deutschen Schulen geht auf die heidnische und götzenhafte Verehrung des deutschen Stammesblutes und auf die Hochschätzung seiner kriegerischen Leistungen aus. Damit sollen unsere Kinder keine Gemeinschaft haben. Deshalb können wir die Benutzung dieser obrigkeitlichen Schule auf keinem Wege mit unserem Gewissen vereinbaren.«495

Ich werde die Schulproblematik in einem anderen Zusammenhang erneut aufgreifen. Eine solche zum einen autoritativ festgelegte und dann auch geschlossen praktizierte Ablehnung des Hitler-Grußes finden wir weder beim offiziellen Baptismus noch beim Mennonitentum (oder bei einer anderen etablierten evangelischen Freikirche – jedoch bei der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas496). Betrachten wir zunächst die baptistische Gemeinschaft. Es ist kein Dokument bekannt, in dem von Seiten des Baptistenbundes die gesetzlich geforderte Grußbekundung im Alltag abgelehnt worden ist; sie wurde in offiziellen 494 Eberhard Arnold [u. a.] an Willi F. im Mai 1934 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 495 Eberhard Arnold (vom Almbruderhof in Liechtenstein aus) an Jerg Waldner (in Maxwill, Canada), 12. 04. 1934 (Transkription der Abschrift), in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 496 Garbe, Widerstand und Martyrium, S. 165–167 und passim.

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Schreiben an staatliche Stellen explizit verwendet. Es gab innerhalb des Baptismus aber Einzelne, die erkennbar – das heißt nach außen hin sichtbar – Bedenken gegen den Hitler-Gruß hegten oder ihn gar verweigerten.497 So habe der Baptistenpastor Dr. Max Slawinsky keine Hakenkreuzflagge gehisst und statt »Heil Hitler« zu deklamieren mit »Heil Christus« gegrüßt.498 Anders als beispielweise Eberhard Arnold benutzte er in offiziellen Schreiben am Briefende aber die Floskel »Heil Hitler«.499 Wurde der Hitler-Gruß jedoch von jenen Baptisten, die ihn entboten haben, auch innerlich mitgetragen? Und wenn ja, wie haben das die Akteurinnen und Akteure begründet? Wenn diese Frage für die Formel »Heil Hitler« leider nicht beantwortet werden kann, so finden wir zumindest Belege dafür, dass die von den Nationalsozialisten bei Massenveranstaltungen zur Akklamation benutzte Formel »Sieg Heil«500 auch von Baptisten affirmativ verwendet worden ist. An besonders exponierter Stelle, nämlich in der Festpredigt auf der Bundeskonferenz im August 1933, äußerte sich beispielweise der Pastor Carl Schneider, Dozent an der baptistischen Ausbildungsstätte in Hamburg: »Wenn wir heute als Bürger des neuen Staates den von Gott berufenen und Gottverantwortlichen Lenkern des Staates Ehrfurcht, Ehrerbietung und Gehorsam geloben und in das ›Sieg Heil‹ von Herzen einstimmen, wird uns auch eine bescheidene Bitte erlaubt sein, die wir seit der Revolution auf dem Herzen tragen. […] Laß uns leben und sterben für unseren Herrn Jesus Christus und sein Reich! Laß uns Raum und Recht, im Dritten Reiche das Reich Gottes zu bauen in der Form unserer Gemeinden, wie wir es nun ein Jahrhundert zum Heil unseres Volkes getan haben.«501

Nun könnte man einwenden, dass der Bezug auf die Wendung »Sieg Heil« an dieser Stelle rein rhetorisch motiviert gewesen sein könnte. Aber haben Baptisten diese Formel auch im Alltag und aus Überzeugung benutzt? Es gibt Quellen, die dies belegen: Das Inserat eines Predigers, der im Mai 1933 im Wahrheitszeugen um Fürbitte für einen evangelistischen Dienst warb, endete mit den Worten

497 Vgl. Assmann, Bund der Baptistengemeinden. 498 Michael Ackermann: Baptismus und NS-Staat in Deutschland und in der Oncken-Gemeinde 1933–45, in: »Die Bibel hat die Schuld daran …«. Festschrift zum 175. Jubiläum der OnckenGemeinde Hamburg 2009. Herausgegeben von Dietmar Lütz, Hamburg 2009, S. 353–368, S. 363. 499 Vgl. seine Schreiben an 29. 08. 1940 und 18. 10. 1940 an die Reichsschriftumskammer, in: BArch, RK (ehem. BDC), Slawinsky Max, geb. 15. 04. 1897. Bereits 1932 hatte sich der seit dem Jahr 1929 in Wien wirkende Arnold Köster kritisch über die »Heil«-Rufe geäußert. Vgl. Graf-Stuhlhofer, Öffentliche Kritik, S. 141. 500 Vgl. Allert, Gruß, S. 48. 501 Carl Schneider: Unsere Sendung im Dritten Reiche. Predigt über 1. Tim. 2,17, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 297–299, hier. S. 298.

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»Sieg-Heil in Christo«.502 Die Formel findet sich auch in einer in unregelmäßigen Abständen maschinenschriftlich erstellten und dann vervielfältigten »Stoffsammlung für Jugendleiter des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden« mit dem Titel »BJB Die Jugendstunde«, also in einem gemeindeinternen Dokument. Die Worte »Sieg Heil« standen am Ende eines von der »Bundesleitung« verfassten Abschnitts in den Ausgaben September und November 1933.503 Die Formel »Sieg Heil« ließ offenbar – im Sinne des Eigen-Sinn-Konzeptes – ausreichend Raum zur individuellen Deutung: Es konnte zum Ausdruck gebracht werden, dass man den Aufbau des nationalsozialistischen Staates bejahte und unterstützte. Es ließ sich womöglich aber auch, darauf verweist das kleine Inserat im Wahrheitszeugen, mit christlich-theologischer Semantik verbinden, nämlich dem »Sieg« Gottes über die Macht des Bösen und der Sünde. Im Blick auf die baptistische Jugendarbeit reichen die Gründe noch etwas tiefer. Dort war der Bezug auf die Worte »Sieg Heil« Ausdruck eines spezifischen Akkulturationsprozesses; diesen Aspekt möchte ich im Folgenden näher erläutern. Der »Jugendbund deutscher Baptistengemeinden« war zur Zeit der Weimarer Republik stark bündisch geprägt.504 Die Arbeit war regional in »Gaue« gegliedert, es gab eine »Jungscharkluft« und die Leiter von Jungscharen wurden »Führer« genannt; der Gedanke, dass Kinder und Jugendliche als »Gefolgschaft« eines Führers Tugenden ausprägen sollten, die als christlich betrachtet wurden, war tief verankert. Auf diesen Umstand verwiesen Akteure der Jugendarbeit auch im Jahr 1933: »Das Führerprinzip und die Einordnung in ein Ganzes gehören in jeder Jungschar zur Erziehung.«505 Über das abgelöste parlamentarische Verfahren finden sich im Umfeld der Jugendarbeit kritisch-despektierliche Äußerungen.506 Die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen war aber, wie bereits oben erwähnt, eng 502 Im Wortlaut: »Achtung! Allen lieben Gotteskindern, die in Fürbitte dauernd meiner gedenken, zur Nachricht, daß ich in den Sommermonaten der Gemeinde Berlin-Charlottenburg diene. Zum Herbst beginnen wieder die Evangeliumsfahrten. Sieg-Heil in Christo Joh. Rehr.« Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 21 (21. Mai), Umschlag vorne, Rückseite. 503 »BJB Die Jugendstunde. Stoffsammlung für Jugendleiter des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden.« Nr. 5 und 6, in: Oncken-Archiv Bestand D 4/Jünglingsvereine/Jugendbund, Mappe »Jugendbund. Hilfe für Vereinsleiter Jungbrunnenhefte etc.«. 504 Balders, Kurze Geschichte, S. 83. Kösling, Baptisten, S. 210–242. 505 Herbert Thomas: Jungschararbeit und Jungscharaufbau, in: Die Jungschar. Eine Handreichung für den Dienst in der Jungschar. Führerheft. Herausgegeben vom Jugendbund deutscher Baptistengemeinden, Kassel [1933], S. 7–11, hier S. 8. Vgl. dort auch den Beitrag »Die Führerfrage« von Hans Fehr, S. 17–18. Exemplar im Oncken-Archiv Bestand D 4/Jünglingsvereine/Jugendbund, Mappe »Jugendbund. Hilfe für Vereinsleiter Jungbrunnenhefte etc.« 506 Vgl. die Rubrik »Aus der Brunnenstube« in der von Paul Schmidt redigierten Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden mit dem Titel Jungbrunnen 11 (1933) 6 (Juni), S. 100–101.

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auf einen christologischen Kern bezogen; ein Jugendführer war dem »Führer« Christus verantwortlich. Und der Gruß »Christ Heil« war ein Kernelement in Identität und Habitus von Jungschar respektive Bundesjugend.507 Mit dem Wort »Heil« bezog sich der Gruß dabei auf einen Begriff, der in der Jugendbewegung weit verbreitet war508; in der Verbindung mit »Christ« ließ er aber die Ausrichtung auf Jesus Christus als inhaltlichen Bezugspunkt der eigenen Richtung unmissverständlich erkennen.509 Das Begriffspaar »Christ Heil« wurde von einer Jungschargruppe im Chor zur Begrüßung respektive Abschied deklamiert oder konnte den Abschluss eines Rituals bilden. Ein solches Ritual bildete das Fahnenhissen: War eine Jungschar auf Fahrt und hisste den Wimpel, so erhoben die Kinder die rechte Hand. Dazu wurde ein Text gesprochen oder gesungen (der nicht für alle Gruppen einheitlich definiert war). Auf der gestischen Ebene war dieses feierliche Ritual dem Hitler-Gruß zum Verwechseln ähnlich – das lassen Fotografien erkennen –, es war aber in ein gänzlich anderes performatives Geschehen eingebunden, wie Berichte von solchen Ritualen zeigen. Im November 1932 hieß es in der Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden Jungbrunnen über ein Ferienlager der Berliner Jungschar Mitte August 1932: »In Hohenbinde ist zunächst Appell. Jede Gruppe gibt Meldung über Herkunft und Anzahl. Dann geht es zum Lagermast. Die Gruppen nehmen in geöffnetem Kreis Aufstellung. Die Wimpelträger treten vor die Ehrenwache. Die Lagerfahne wird gehißt. Grüßend erheben die Jungen die rechte Hand; dann erklingt es: ›Brüder, seht die Bundesfahne …‹.«510 Ein beigefügtes Foto hält den Moment fest (Bildunterschrift: »Flaggenhissung«), es sind Betreuer und Kinder mit erhobenen rechten Armen erkennbar. Auch dem Artikel »Ferienlager der Cöpenicker Jungschar«, der im September 1932 in der Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden Jungbrunnen erschien, war unter anderem ein Foto bei507 Vgl. zur Verbreitung etwa den Artikel des 14-jährigen Jungscharlers Arno Hahn: Fahrt der Jungschar Köpenick, in: Der Morgenstern 1933 (Nr. 21), ohne Seitenangabe. 508 Vgl. Helmut Henne: Jugend und ihre Sprache. Darstellung, Material, Kritik, Berlin u. a. 1986, S. 24. Cornelia Schmitz-Berning: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin 2007, S. 300. 509 Auch der junge, von der Bibelkreisbewegung (BK) geprägt Mennonit Theo Glück nutzte den Gruß »Heil«, allerdings nicht in Verbindung mit »Christ«. Vgl. den Ausschnitt seines Artikels »Offene Aussprache über Heidelberg« aus dem Jahr 1938, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »Korrespondenz Rundbriefe Treffen u. a. 1932–1928«. Im Januar 1933 findet sich die Grußformel »Mit frohem Heilgruß!« am Ende seines Beitrags in den »Mitteilungen für die Freunde des mennonitischen Jugend-Rund-Briefes« Nr. 4. Sie taucht aber nach der NS-»Machtergreifung« dort nicht mehr auf. Vgl. das Exemplar in der Mennonitischen Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »Rundbrief-Mitteilungen 1932–1936«. 510 Ohne Namensnennung: Jungscharlager Hohenbinde, in: Jungbrunnen. Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden, 10 (1932) 11 (November), S. 194–195. Bei dem Liedgut handelt es sich um ein Erbauungslied von Philip P. Bliss aus dem 19. Jahrhundert.

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fügt, das Betreuer und Kinder mit erhobenem rechten Arm zeigt (Bildunterschrift: »Dienst an der BJB-Fahne«).511 Später wurde dieses Bild übrigens aus diesem spezifischen Kontext gelöst und am 25. Juni 1933 in dem Organ der Baptisten Der Wahrheitszeuge, der im gleichen Verlag erschien (Oncken-Verlag), im Rahmen einer Verlagsanzeige ohne Bildunterschrift und Bezug abgedruckt.512

Abbildung 1: »Nun kommen die Ferien« [Anzeige], in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 26 (25. Juni), Umschlagseite (hinten, innen). Reproduktion aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Co 5685. (Fotograf nicht bekannt).

Diese Tradition setzte sich 1933 zunächst fort: In einem Bericht von einer Jungscharfahrt in der baptistischen Kinderzeitung Der Morgenstern finden wir folgende Beschreibung: »Während des Liedverses ›Es klingt ein Ruf in deutschen Gauen, wer will ein Streiter Christi sein?‹513 gesungen wird, heben sich die Hände zum Fahneneid und Treuschwur, Mit einem brausenden ›Mutig voran‹ wird die

511 Ohne Namensnennung: Ferienlager der Cöpenicker Jungschar, in: Jungbrunnen. Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden, S. 10 (1932) 9 (September), 153– 156, hier: S. 153. 512 Anzeige »Nun kommen die Ferien«, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 26 (25. Juni), Umschlagseite (hinten, innen). Reproduktion aus einem Zeitschriftenexemplar aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Co 5685. 513 Bei diesem Lied handelte es sich um das Bundeslied der Schülerbibelkreise, einer Strömung aus der evangelischen Jugendbewegung. Hermann Schultz: Hermann Ehlers, Johannes Rau, in: Barbara Stambolis (Hg.): Jugendbewegt geprägt. Essays zu autobiographischen Texten von Werner Heisenberg, Robert Jungk und vielen anderen, Göttingen 2013, S. 223–241, hier S. 228.

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Lagerfahne eingezogen.«514 In dieses Ritual waren auch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Mühlhausener Pfingsttreffens Anfang Juni 1933 eingebunden: »In der Morgenfrühe fand die Fahnenweihe der Jungschar statt. Br. Herbert Thomas, der Reichsjungscharwart, sprach einige kernige Worte und zog danach die B J B-Fahne auf. Mit einem ›Christ Heil!‹ schloß die kurze Feier.«515 Anhand von Fotografien aus dem Nachlass von Helmut Simoleit (1908 geboren, nach 1934 für die Jungschararbeit der Baptisten innerhalb des Bundes verantwortlich516) lässt sich nun belegen, dass dieses Ritual in der Phase der »Machtergreifung« einer Transformation unterlag. Während sich Jungscharler oder Jugendbünde zuvor um Fahne oder Wimpel des eigenen Bundes lagerten, so zeigen die Fotos, dass sie sich nun mit erhobenen rechten Armen um die Hakenkreuzfahne scharten. Eine solche Akkulturation können wir auch im Blick auf den Gruß »Christ Heil!« beobachten. Wir finden Belege, dass der Gruß in der ersten Hälfte des Jahres 1933, in einer Phase also, in der die Formel »Heil Hitler« bereits ubiquitär war, auch öffentlich entboten worden ist. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die baptistische Jugend damit auffiel und Erstaunen hervorrief: In einem in der zweiten Jahreshälfte 1933 publizierten Bericht, als der Hitler-Gruß für Staatsbedienstete gesetzlich bereits vorgeschrieben war, hieß es von einem JungscharFerienlager in Hunhoi (Flensburger Förde), an dem Anfang Juli 1933 zehn Erwachsene und 64 Kinder teilnahmen: »Hin und wieder zogen wir durchs Dorf und sagen an den Höfen unsere Lieder, frisch und lebendig klang dann den überraschten Besitzern unser Gruß ›Christ Heil!‹ entgegen.«517 Mindestens intern wurde der Gruß auch weiterhin entboten. Auf einer Jugendversammlung anlässlich der Konferenz des Baptistenbundes in Berlin im August 1933 nahm er eine prominente Stellung ein.518 »Mit fester Hand«, so ließ der offizielle Bericht zur Bundeskonferenz verlauten, »leitete H e r b e r t T h o m a s [der Bundeswart] in einer straffen, uns bisher unbekannten Art die Versammlung. H a n s A r n d t grüßte die auswärtige Jugend im Namen der Brandenburger mit einem dreifachen ›Christ Heil!‹ Dann wechselten nach einem festen Programm Sprechchöre 514 H. Zwilling: Das geheime Machtmittel, in: Der Morgenstern 1933 Nr. 24 (dort ohne Seitenangaben). 515 Jungbrunnen. Monatsschrift des Jugendbundes deutscher Baptistengemeinden 11 (1933) 7 (Juli), S. 110. In einem anderen Artikel ist von emporgereckten Händen die Rede; vgl. H. W.: Mühlhausen – Wach auf, du Geist der ersten Zeugen!, in: Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 9 (1933) 7 (August), S. 5–6. 516 Vgl. Balders, Kurze Geschichte, S. 95 (Fußnote 156). 517 P. Jensen: Jungschar-Ferienlager in Hunhoi, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 43 (22. Oktober), S. 355. 518 Johannes Tromsdorf: Jugendversammlung in der Schmidstraße, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 302.

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Reaktion auf staatliche Loyalitätsforderungen

Abbildung 2: Ohne Titel [Ritual der Baptisten-Jungschar im Gelände]. Oncken-Archiv Elstal, Konvolut H. Simoleit (ohne Datum)

und Gesänge der Jungscharen und der Versammlung.«519 Auch in der zweiten Jahreshälfte 1933 wurde der Gruß intern noch gepflegt.520 Insofern kann die interne Bezugnahme Einzelner auf diesen Gruß durchaus als Akt der Selbstvergewisserung und Selbstbehauptung gedeutet werden. Was das Verhalten nach außen hin und was das öffentliche Auftreten der Jungschargruppen anbelangt, ergibt sich jedoch ein anderer Befund. Hier lässt sich anhand von internen Papieren ein Prozess der Anpassung beschreiben. In einem maschinenschriftlich erstellten Mitteilungsblatt mit dem Titel Baptistischer Jungschar-Ring. Führer-

519 Bericht über die 28. Versammlung des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland abgehalten in Berlin O, Gubener Str. 10 vom 26. bis 29. August 1933, Kassel 1933, S. 12, in: Oncken-Archiv, Themensammlung Bundeskonferenzen 1933 Berlin. 520 Mit »Christ Heil!« schließt ein Bericht über das »Jugendjahresfest in Landsberg a. W.« von Gerda Fischer, in: Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 9 (1933) 11 (November), S. 3.

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Abbildung 3: Ohne Titel [Ritual der Baptisten-Jungschar im Gelände]. Oncken-Archiv Elstal, Konvolut H. Simoleit (ohne Datum)

rundbrief an die Leiter baptistischer Knaben- und Mädchen-Jungscharen ließ der Jungscharwart Herbert Thomas im November 1933 verlauten: »Für unsere Jungscharen besteht Grusspflicht zur SA, SS, St. [sic]. Wir grüssen, sofern wir in Kluft gehen, mit erhobener rechter Hand. Im Zuge grüsst der Zugführer. Auch unser gegenseitiger Gruss erfolgt in straffer Form. In drei Schritt Entfernung wird der rechte Arm erhoben sodass die Hand in Augenhöhe liegt. In strammer Haltung wird dann mit ›Heil‹ gegrüßt.521 Erst danach gibt man sich die Hand. Unser Gruss wird eine Aenderung dadurch erfahren müssen, dass alle anderen Jugendgruppen ebenfalls einen einheitlichen Gruss haben: ›Sieg Heil‹ Ich bitte, diesen Gruss auch bei uns einzuführen. […] Nun bleibe ich in herzlicher Verbundenheit und mit einem Sieg Heil Euer Jungscharwart«.522

521 Es wurde also bewusst auf die Variante »Heil Hitler« verzichtet. 522 Herbert Thomas in der Zeitschrift Baptistischer Jungschar-Ring. Führerrundbrief an die Leiter baptistischer Knaben- und Mädchen-Jungscharen (Heft Nr. 7: Juli/November 1933),

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Reaktion auf staatliche Loyalitätsforderungen

Diese Passage offenbart zwei für unsere Überlegungen bedeutsame Einschnitte: Zum einen ordnete sich die baptistische Jugend dem Zwang zum Hitler-Gruß unter, wobei nur auf den Partikel »Heil!« rekurriert wurde; gestisch griff sie dabei auf eine Haltung zurück, die ihr bereits durch die eigene bündische Tradition (Fahnenhissen) vertraut war. Es war offensichtlich, dass dieser Gruß damit umcodiert wurde, er hinterließ aber womöglich eine Anschlussmöglichkeit an frühere Traditionsbestände. Zum anderen schlug Thomas vor, den internen Gruß »Christ Heil« mit »Sieg Heil« zu ersetzen. War dies ein radikaler Bruch mit der christologischen Perspektive, gar ein opportunistischer Akt? Zweifellos wurde dem NS-Staat damit Zustimmung und Loyalität entgegengebracht. Intern den Gruß »Sieg Heil« zu verwenden, erschien offenbar akzeptabler als der Gruß »Heil Hitler«. Wie oben vor dem Hintergrund des Eigen-Sinn-Konzepts bereits erläutert, konnte damit die Erwartung auf staatliche »Erneuerung« durch den Nationalsozialismus zum Ausdruck gebracht werden; im Duktus erinnerte er sogar an Elemente einer christlichen Sprache. Der Jungscharwart H. Thomas rang in dieser Phase offenbar selbst intensiv mit der Frage, wie sein persönliches Engagement im NS-Staat aussehen solle und müsse. Unter dem Motto der Bibelstelle in 2. Korinther 6, 2–10 (in der es um die Bewährung des Apostels Paulus geht) führte er auf dem Deckblatt der eben zitierten Blätter aus: »Unsere Jungschararbeit ist in dem letzten Halbjahr durch mancherlei Proben hindurchgegangen und wird auch noch weitere, vielleicht sehr schwere, bestehen müssen. Die Dienstauffassung unserer Führer wurde geprüft und die Echtheit unserer Arbeit sollte erwiesen werden. Viele von uns stehen in dem gegenwärtigen Kulturkampf und ringen innerlich mit um eine klare, im Evangelium geläuterte Erkenntnis. Noch nie war unsere Aufgabe eine so gewaltige als in der gegenwärtigen Stunde in der uns Gott noch einmal Gelegenheit gegeben hat, zu einer Entscheidung in unserem Volke für Ihn. Heute hat nur das Christentum Bestand, das lebensecht an Gott gebunden ist. Nur derjenige wird sich als Gotteskämpfer bewähren, der aus den tiefen Quellen der persönlichen Gottesbegegnung und Gefolgschaft seine Kraft schöpft. Ueber allem, was sich sonst noch Christentum nennt, steht das richtende Urteil Gottes. Modernes Heidentum und in Gott gewurzelte Gläubigkeit stehen sich gegenüber. Es wird gekämpft um den Lebensraum des Evangeliums und der nordischen Weltanschauung. Wie bewegt dieser Kampf ist, wird aus den letzten Vorgängen in den Fragen der Kirche und Jugenderziehung klar. Auch wir stehen in diesem inneren Kampfe in der SA, im Berufsleben und seiner Organisation, im Gemeindeleben oder dort, wo wir stehen.«

Das Personalpronomen »wir« im Zusammenhang mit der SA zeigt zweierlei: Offenbar hatten sich durchaus mehrere in der Jugendarbeit tätige Baptisten dieser NS-Gliederung angeschlossen; zum anderen verweist das Pronomen aber auf den Werdegang des Verfassers Thomas: Im November 1933 war Herbert in: Oncken-Archiv Bestand D 4/Jünglingsvereine/Jugendbund, Sammelmappe: »Sitzungen des Reichsverbandes der Evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands 1933«.

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Thomas der SA beigetreten. 1937 wurde er auch Mitglied der NSDAP.523 Anfang 1934 löste sich der baptistische Jugendbund selbst auf, um der drohenden Eingliederung in die Hitlerjugend zuvorzukommen (ich werde darauf im folgenden Kapitel D. eingehen). Wenden wir uns nun der mennonitischen Gemeinschaft zu. Die Haltung zum Hitler-Gruß unterschied sich dort nicht von jener, die wir im offiziellen Baptismus vorgefunden haben. Auch hier wurde die Formel in amtlichen Schreiben524, aber selbst auch im innermennonitischen Schriftverkehr mit offiziellem Charakter525, verwendet. Ob der Gruß einer Art Schwur gleichkam, wurde dort nicht diskutiert, mindestens nicht öffentlich. Stattdessen finden wir ein bezeichnendes Dokument der Rechtfertigung von Benjamin H. Unruh, das zugleich auch von der Konflikthaftigkeit im Umgang mit dieser Frage zeugt. Der russlanddeutsche mennonitische Gelehrte Benjamin Heinrich Unruh hatte zwar formal keine Ältesten- oder Verbandfunktion, trat aber allerorts als Berater auf und war innermennonitisch gut vernetzt; 1934 wurde er zum Ehrenmitglied der Vereinigung der Mennoniten im Deutschen Reich (seit 1934: Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden) ernannt.526 Auch politisch galt er für den Bereich des Auslandsdeutschtums als kompetenter Kenner der Materie. Im Mai 1932 wurde er Mitglied des Hauptausschusses des Vereins für das Deutschtum im Ausland, später auch Ratsmitglied des Deutschen AuslandInstituts in Stuttgart und dort Mitglied der Hauptstelle für Auslanddeutsche Sippenkunde.527 Unruh hatte Kontakte bis in höchste politische Kreise und pflegte einen intensiveren Austausch mit dem Auswärtigen Amt. Dort findet sich auch ein Schreiben (Durchschlag) aus dem Jahr 1937, in dem Unruh seine Hal523 Fragebogen zur Bearbeitung des Aufnahmeantrages für die Reichsschrifttumskammer (1938), in: BArch, RK (ehem. BDC) sowie NSDAP-Karteikartei (Gaukartei), in: BArch R 9361-IX Kartei/44610126. 524 Vgl. das Schreiben Ernst Crous an Hermann von Detten, Leiter der »Abteilung für kulturellen Frieden« in der NSDAP-Reichleitung, vom 26. 06. 1935, das mit »Heil Hitler! Mit deutschen Gruss« endete, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 525 Vgl. etwa den Schriftwechsel zwischen Gemeinden und der Vereinigung aus den 1940erJahren, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934)/Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Briefwechsel A-Z, Karton 28 (1941–1946). 526 Vgl. zu seiner Biografie allgemein: Heinrich B. Unruh: Fügungen und Führungen: Benjamin Heinrich Unruh, 1881–1959. Ein Leben im Geiste christlicher Humanität und im Dienste der Nächstenliebe. Mit einem Nachwort von Peter Letkemann, Detmold 2009; in Verbindung mit den Rezensionen von Gerhard Rempel, in: The Mennonite Quarterly Review 84 (2010), S. 275–278; und von Alfred Neufeld, in: Mennonitische Geschichtsblätter 87 (2010), S. 176– 183. 527 Masch. Lebenslauf vom 29. 09. 1937, in: BArch, RK (ehem. BDC), Unruh Benjamin Hermann (geb. 04. 09. 1881).

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tung zum Hitler-Gruß darlegte. Er tat dies, in dem er von einem Streit in einer mennonitischen Kolonie in Paraguay berichtete und aus seinem Brief an den mennonitischen Kolonisten Klassen vom 8. Dezember 1934 zitierte. In der Kolonie war man in der Frage, wie sich Mennoniten zum nationalsozialistischen Deutschen Reich verhalten sollten, aneinander geraten, wobei es ein starkes »völkisches« Lager gab.528 Unruh berichtete nun, im Jahr 1937, was er seinerzeit nach Paraguay schrieb. »Lehrer Fritz Kliewer529, der noch in Deutschland weilt u. hier promovieren will, um dann im Gran Chaco das Schulwesen aufbauen zu helfen, berichtete mir 1934 mündlich über eine antivölkische Opposition, mit Lehrer W. Klassen an der Spitze. […] Als ich von der Opposition näheres erfuhr, gab ich in einem deutlichen Schreiben dem Oberschulzen die Order, mit den Lehrern zu sprechen und namentlich auch Lehrer und Prediger Peter Klassen aufzufordern, in seinen Predigten jede Politik zu vermeiden. Er schrieb an mich nämlich einen Brief und fragte wegen des Hitlergrusses an. Darauf schrieb ich unter dem 8. Dezember 1934 folgendes: ›Heil Hitler!‹ bedeutet, dass man von ganzem Herzen dem obersten Haupt des neuen Deutschland Heil wünscht, die gläubigen Christen vor allen Dingen Heil von Gott, den der Reichskanzler und Führer auch aufrichtig bekennt, wofür wir nicht dankbar genug sein können. Man denke an Stalin! Es wird ja auch gesungen: ›Heil Kaiser (oder König) Dir!‹ ›Hitler‹ steht in dem Hitlergruss also im dritten Fall, im Dativ. Habt Ihr nie 1. Themotheus [sic] 2,2530 gelesen? Und 1. Petrie [2,] 13.f 531? Adolf Hitler will nichts für sich, alles nur für sein Volk! Ich ehre ihn 528 Vgl. dazu Peter P. Klassen: Die deutsch-völkische Zeit in Fernheim, Chaco, Paraguay, 1943– 1945. Ein Beitrag zur Geschichte der auslandsdeutschen Mennoniten während des Dritten Reiches, Bolanden-Weierhof 1990; John D. Thiesen: Mennonite and Nazi? Attitudes Among Colonists in Latin America, 1933–1945, Scottdale, PA, 1999. 529 Fritz (Friedrich) Kliewer (1905–1956) war 1934 von der Verwaltung der Mennonitenkolonie Fernheim in Paraguay nach Deutschland gesandt worden, wo er studierte und eine Doktorarbeit verfasste. Kliewer identifizierte sich mit dem Nationalsozialismus. Als er nach Paraguay zurückgekehrt war, plädierte für eine Rücksiedlung der Mennoniten nach Deutschland (»Heim ins Reich«); dem standen andere aus der Kolonie gegenüber, die es als ihre Bestimmung sahen, in Paraguay zu bleiben. Eine Rückkehr ins Deutsche Reich hätte zugleich die Einziehung der Männer zur Wehrmacht bedeutet; das Gegenlager zu Kliewer wurde deshalb die »Wehrlosen« genannt. 530 Die Passage in 1. Timotheus 2 lautet im Kontext, Vers 1: »So ermahne ich nun, dass man vor allen Dingen tue Bitte, Gebet, Fürbitte und Danksagung für alle Menschen, [Vers 2:] für die Könige und für alle Obrigkeit, damit wir ein ruhiges und stilles Leben führen können ins aller Frömmigkeit und Ehrbarkeit.« Zitiert nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung (1984). 531 1. Petrus 2, 13: »Seid untertan aller menschlichen Ordnung um des Herrn willen, es sei dem König als dem Obersten [Vers 14:] oder den Staathaltern als denen, die von ihm gesandt sind zur Bestrafung der Übeltäter und zum Lob derer, die Gutes tun. [Vers 15:] Denn das ist der Wille Gottes, dass ihr mit guten Taten den unwissenden und törichten Menschen das Maul stopft – [Vers 16:] als die Freien und nicht als hättet ihr die Freiheit zum Deckmantel der Bosheit, sondern als Knechte Gottes. [Vers 17:] Ehrt jedermann, habt die Brüder lieb, fürchtet Gott, ehrt den König!«. Zitiert nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung (1984).

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von ganzem Herzen, ich liebe ihn wie man nur einen Fürsten lieben kann (Fürst bedeutet der erste im Volk!) Erst die Geschichte wird offenbaren, was Gott durch Adolf Hitler dem deutschen Volk in seiner Gesamtheit, auch in den Wirtsländern532, geschenkt hat und noch schenken will, aber auch Europa und der Welt.«533

In dieser Passage sind mehrere Argumente miteinander verknüpft. Eine wichtige Stellung nimmt dabei der Verweis auf die Bibel ein; aus dem Gebot, sich den staatlichen Ordnungen unterzuordnen, leitete Unruh seine uneingeschränkt affirmative Haltung zum Hitler-Gruß ab. Dabei reflektierte er durchaus, dass dieses Ritual in einer anderen – für ihn: falschen Sicht – auch als eine götzendienstliche Verehrung gedeutet werden konnte. Denn Unruh wehrte diesen Ansatz ab – indem er ihn, ohne explizit zu werden, mit dem Hinweis verwarf, dass der Hitler-Gruß im Dativ stünde. Offenbar gab es bei Unruh auch eine innere Affinität zu diesem Ritual: denn warum sonst wäre er für die Ausübung des Hitler-Grußes in einer südamerikanischen Kolonie eingetreten, wo sie nicht unter Zwang, sondern gänzlich freiwillig praktiziert werden konnte534? Auf Unruhs Biografie sowie auf seine Kontakte zu staatlichen Stellen (bis hin zum »Reichsführer SS« Heinrich Himmler) werde ich im Zusammenhang mit der »Eidesfrage« im fünften Kapitel (E.) näher eingehen. An dieser Stelle sei abschließend lediglich ein Schreiben Unruhs vom 23. März 1943 zitiert, das er im Zusammenhang mit einer erwünschten Einigung in der Eidfrage an einen hohen Repräsentant der SS richtete; es verklammert das in Kapitel A. zum Staatsverständnis der Mennoniten Ausgeführte mit unserem Befund zum Umgang mit staatlichen Loyalitätsforderungen exemplarisch. Am Ende seiner Ausführungen an SS-Obergruppenführer Lorenz535, Leiter der »Volksdeutschen Mittelstelle«, einem SS-Hauptamt, das dem Reichsführer SS, Himmler, direkt unterstellt war, formulierte Unruh: »Unsere Söhne und Töchter werden sich des ihnen vom Staat und Partei gewürdigten Vertrauens stets würdig erweisen und die deutschen Mennonitengemeinden ihre 1933 dem Führer in einer Kundgebung durch den

532 In der Durchschrift für Kundt hat Unruh in dem Kompositum das maschinenschriftliche »Gast« durchgestrichen und handschriftlich mit »Wirts« überschrieben. Es bleibt unklar, ob diese pejorative Verschärfung bereits im Original enthalten war, und hier lediglich korrigiert wurde, oder erst für diese Fassung aus dem Jahr 1937 eingearbeitet worden ist. 533 Diesen Brief zitiert Unruh in einem Schreiben an Major Reitzenstein vom 29. 01. 1937. Durchschrift für Kundt. Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes RZ 512/R 127972 d. 534 Seinen maschinenschriftlichen Lebenslauf vom 29. 09. 1937 unterzeichnet er – ohne äußere Notwendigkeit – mit »Heil Hitler«, in: BArch, RK (ehem. BDC), Unruh Benjamin Hermann (geb. 04. 09. 1881). 535 Valdis O. Lumans: Werner Lorenz – Chef der »Volksdeutschen Mittelstelle«, in: Ronald Smelser und Enrico Syring (Hg.): Die SS. Elite unter dem Totenkopf. 30 Lebensläufe, Paderborn 2000, S. 332–345.

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Mund der westpreussischen Ältesten gelobten Treue aufs gewissenhafteste auszuleben sich angelegen sein lassen. Heil Hitler!«536 Bezeichnend ist der Umgang junger Mennoniten mit dem Hitler-Gruß. Auch hier schienen die Bezüge zur Eidesleistung keine größere (semi-öffentlich diskutierte) Rolle gespielt zu haben. Zwar wird die Grußformel beispielsweise nicht in den Rundbriefen verwendet. Eine Ausnahme bildete lediglich der Eintrag eines stark euphorisierten, NS-begeisterten Akteurs, der einmal mit dem »deutschem Gruß« unterzeichnete.537 Doch es entschlossen sich etliche Akteure der Rundbriefgemeinschaft auch ganz freiwillig dazu, sich nationalsozialistischen Organisationen anzuschließen, für die der Hitler-Gruß obligatorisch war. Das belegt, dass die Frage des Hitler-Grußes ihr Gewissen offenbar nicht weiter zu beschweren vermochte, sonst hätten sie diese Organisationen ja alleine schon aus diesem Grund gemieden – wenn schon nicht auch andere, inhaltliche oder theologische Beweggründe dagegen gesprochen hätten. Bezeichnenderweise engagierte sich aber beispielweise ein wesentlicher Vertreter der erwähnten mennonitischen Jugend-Rundbriefgemeinschaft seit Sommer 1935 in der Hitlerjugend als »Fähnleinschulungsleiter« und »Standortführer des Deutschen Jungvolk[s]«.538 Und aus Westpreußen berichtete Aron Mäkelborger von zwei jungen Männern, die wegen SS-Dienstes nicht an einer Freizeit teilnehmen konnten.539 Durchaus beliebt war bei jungen Mennoniten schließlich auch ein Engagement in der SA. (Ich werde auf diesen Aspekt in Zusammenhang mit der Eidfrage in Kapitel E. zurückkommen.) 536 Schreiben [Durchschrift/Abschrift] Benjamin Unruh an SS-Obergruppenführer Lorenz (Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle) vom 23. 03. 1943, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934)/Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel A-Z), Ordner »Briefw. 1941–1943 Einzelpersonen A-Z«. 537 In einem Eintrag vom 06. 12. 1933 (Kreis 9, Heft 4) heißt es: »Liebe Freunde! Der harte aus der Gewissensnot geborene Kampf der letzten Jahre um die Seele des deutschen Volkes fand einen gewissen Abschluss in der eindrucksgewaltigen nationalen Revolution, in der Machtergreifung im Staate durch Adolf Hitler. Voll innerer Ergriffenheit und Begeisterung erlebten wir im Durchbruch der Volkheit, der völkischen Ganzheit die Geburtsstunde des verjüngten, nationalbewußten Staates. […] Mit deutschem Gruß«. (Rundbrief Kreis 9 Heft 4; Eintrag, 06. 12. 1933: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 3.) Der offensichtlich vom Nationalsozialismus begeisterte Autor dieser Zeilen (er war 1912 geboren, wurde 1933 also 21 Jahre alt) gehörte zu diesem Zeitpunkt bereits der NSDAP an, er hatte sich der Partei schon vor deren Machtübernahme, nämlich am 01. 12. 1932, angeschlossen. Seit dem 01. 01. 1935 wurde er zudem auch in der Sturmabteilung der Partei als Mitglied im Range eines SA-Scharführers geführt. BArch (ehem. BDC), NSLB-Datei [anonymisiert, vollständiger Name und Geburtsdatum liegen dem Autor vor]. 538 BArch, NSLB-Kartei (ehem. BDC). Der Name liegt dem Verfasser vor. 539 Aron Mäkelborger: Bericht über die westpreußische Jungmännerfreizeit in Kahlbude vom 9. bis 12. März 1934, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 4 (April), S. 35–36.

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Bilanziert man die Überlegungen zum Hitler-Gruß, bleibt festzuhalten, dass es durch dessen Omnipräsenz im öffentlichen Leben sowie die staatliche Verordnung desselben gar keine Frage gewesen war, hin und wieder abwägend die eigene Position hierzu zu reflektieren; es hätte vielmehr einer bewussten und grundsätzlichen Entscheidung bedurft, wobei mit einer Absage an den HitlerGruß ein vollkommener Bruch in der sozialen Praxis verbunden gewesen wäre (zu solch einem Schritt hat sich neben der relativ kleinen Bruderhofgemeinschaft, wie erwähnt, die quantitativ größere Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas entschlossen). Wie tief die Praxis in die sozialen Strukturen eingedrungen und auch die Sphären des Familiär-Privaten durchdrungen hatte, zeigt das Beispiel des schulischen Unterrichts, wo Kinder in staatlichen Schulen ja zum Hitler-Gruß gezwungen waren. Auf Seiten der Mennoniten (Unruh) wurde der Hitler-Gruß ausdrücklich damit begründet, dass die Bibel die Unterordnung unter die Staatsgewalt (Obrigkeit) fordere. Es gibt einen Hinweis darauf, dass dieser Befund für eine allgemeine Tendenz auch innerhalb der klassischen Freikirchen steht: Ganz in diesem Sinne äußerte sich nämlich auch ein wichtiger Repräsentant der Bischöflichen Methodisten Kirche auf der 47. Blankenburger Konferenz der Evangelischen Allianz vom 21. bis 26. August 1933. Seminardirektor Dr. Otto Melle (1875–1947), Vorsitzender des Allianz-Komitees und zweiter Vorsitzender der Vereinigung evangelischer Freikirchen, äußerte dort in der »großen Versammlung der Pfarrer, Prediger und Leiter von Reichsgotteswerken«, dass im Blick auf den Hitler-Gruß wie auf das Hakenkreuz gelte: »›Seid untertan der Obrigkeit. …‹« Das Hakenkreuz sei nun einmal »zum Symbol des neuen Staates geworden« und deshalb zu respektieren. »Genau dasselbe gelte vom H i t l e r g r u ß , der von der neuen Regierung zum deutschen Gruß erklärt worden sei. Es bestehe nicht das geringste Bedenken, den Hitlergruß anzuwenden. Der Gruß bedeutet für den Christen, daß er dem Führer, den Gott uns gegeben hat, Heil und Segen wünscht, und er verbindet damit ein Gebet für den Führer und seine Ratgeber.«540

1. Mai 1933 und Erntedank Mit der Loyalitätsforderung des Hitler-Grußes in gewisser Weise verwandt war das Gebot der Partizipation an NS-Massenveranstaltungen. Insgesamt 14 Höhepunkte umfasste das nationalsozialistische Feierjahr, doch an keinen anderen Festen vermochten die Nationalsozialisten dauerhaft mehr Teilnehmende zu 540 Bernhard Peters: Der Christ und die nationale Erhebung in Deutschland, in: Evangelisches Allianzblatt. Wochenschrift zur Förderung des Glaubenslebens in der Gemeinde des Herrn 43 (1933) 39 (24. September), S. 637–640, hier S. 639.

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mobilisieren als an den Feierlichkeiten zum 1. Mai, den Reichserntedankfesten (Oktober) und den Reichsparteitagen (September).541 Jenseits der spezifischen Bedeutung dieser einzelnen Feste – Einbindung der Arbeiterschaft bei Zerschlagung ihrer Organisation beziehunsgweise des »deutschen Landvolks« beim »Reichserntedankfest«542 – bestand die Verwandtschaft zwischen dem HitlerGruß und den NS-Festen vor dem Hintergrund unserer Überlegung darin, dass das NS-Regime damit »seine plebiszitär-akklamatorische Legitimität zu begründen und zugleich die Massen an sich als den ›Staat der Volksgemeinschaft‹ zu binden suchte«.543 Karl Dietrich Bracher bezeichnete den 1. Mai 1933 zurecht als »das eigentlich erste in der unabsehbaren Reihe betäubender Massenfeste«.544 Die Feierlichkeiten zum 1. Mai 1933 und zum »Reichserntedankfest« im Oktober 1933 waren überdies nicht allein auf die Staatsakte an den zentralen Austragungsorten in Berlin-Tempelhof oder dem Bückeberg bei Hameln bezogen, sondern umfassten dezentral auch Festumzüge auf lokaler Ebene. Das NS-Regime drang mit der sozialen Praxis dieser Feierlichkeiten somit tief in individuell erlebte und lokal verankerte Alltagskultur ein. Wie verhielt sich die Bruderhof-Gemeinschaft gegenüber den staatlich verordneten und durchdrungenen Feiertagen? Den 1. Mai hatte die Gemeinschaft zur Zeit der Weimarer Republik durchaus im Sinne der Arbeiterschaft gefeiert.545 Nun stand sie im Jahr 1933 vor der Herausforderung, sich gegenüber der staatlichen Einverleibung angemessen zu verhalten: sollte sie sich nun jeglicher Aktivität enthalten, oder, ganz im Gegenteil, an nationalsozialistischen Feierlichkeiten beteiligen, um die Verbundenheit mit Werten zu signalisieren, die man für erstrebenswert hielt? Der Bruderhof entschied sich dafür, den 1. Mai feierlich zu begehen, ohne sich von der NS-Idee vereinnahmen zu lassen. Die Anfrage aus dem Nachbarort, sich an dem offiziellen Umzug zu beteiligen, konnte mit dem Hinweis abgewehrt werden, dass man einen eigenen Zug geplant habe.546 Anhand der Dekoration des Hofes konnte man, wenn man wollte, das Streben nach Selbsterhaltung deutlich erkennen. Es waren selbstredend keine Hakenkreuz541 Vgl. Bernhard Gelderblom: Das »Reichserntedankfest« auf dem Bückeberg bei Hameln 1933–1937, in: Gedenkstättenrundbrief Nr. 172/2013, S. 42–51. Karl Dieter Bracher, Wolfgang Sauer und Gerhard Schulz: Die nationalsozialistische Machtergreifung. Studien zur Errichtung des totalitären Herrschaftssystems in Deutschland 1933/34, Wiesbaden 1960, S. 182, Fußnote 55. 542 Bernhard Gelderblom: Die Reichserntedankfeste auf dem Bückeberg – »Ein Volk dankt seinem Verführer«. URL: http://www.gelderblom-hameln.de/bueckeberghameln/bueckebe rghameln.php?name=bueckeberg (Aufruf: 12. 06. 2017). 543 Bracher/Sauer/Schulz, Machtergreifung, S. 182. 544 Ebd. 545 Vgl. die Ausführungen Eberhard Arnold bei der Gästezusammenkunft am 01. 05. 1933, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 33/106. 546 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 75.

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fahnen zu sehen, sondern bunte Girlanden, welche die Farben der Nationalflaggen jener Länder repräsentierten, aus denen die Bruderhofmitglieder stammten: dem Deutschen Reich (schwarz, weiß, rot), Schweden (blau, gelb), der Schweiz (weiß, rot) und Österreich (schwarz, gold).547 Etwas anders agierte die Gemeinschaft im Blick auf das Erntedankfest am 1. Oktober 1933, das staatlicherseits mit dem Aufruf zu Spenden für das Winterhilfswerk verknüpft worden war; der Bruderhof wurde von Behördenseite, etwa dem Fuldaer Polizeichef, bedrängt, sich dem Umzug anzuschließen. Hierüber wurde innerhalb der Gemeinschaft in Abwesenheit von Arnold, der auf Reisen war, lange gesprochen; schließlich entschied man, einen festlich geschmückten Wagen zum Festumzug im Nachbardorf zu schicken.548 Ein Mitglied der Gemeinschaft äußerte sich zu den Beweggründen in einem Brief: »Wir sind uns klar geworden, dass wir durch solch einen Wagen ein Zeugnis des Friedens geben können und dadurch gleichzeitig Gelegenheit haben, unsere positive Einstellung zur Regierung zum Ausdruck zu bringen, unser Bekenntnis zur Schöpfung und zum schlichten, bäuerlichen Wesen, zur Verbundenheit mit den anderen Menschen.«549 Wie der Bruderhof haben auch Baptisten über den Sinn der Arbeit öffentlich »nachgedacht«. »Es ist zu begrüßen«, hieß es in einer gottesdienstlichen Ansprache zum Tag der nationalen Arbeit, »daß unsere Regierung durch eine besondere Veranstaltung versucht, unserem Volke den Wert der Arbeit neu zum Bewußstein zu bringen.« Arbeit sei »ein Ausdruck der wahren Volksgemeinschaft«.550 Ähnlich positiv hatte sich auch Paul Schmidt über die nationalsozialistische Durchdringung des Feiertages geäußert: »Morgen ist der 1. Mai, der Feiertag der nationalen Arbeit. Er wird eine gewaltige Kundgebung für die Arbeit und die Volksgemeinschaft werden. Ein ganz großer Ausdruck des Willens, die deutschen Arbeiter auch ehrenmäßig und standesmäßig in den Volksorganismus einzufügen. […] Wir können nur wünschen und an unserem Teile mithelfen, daß der Umbau und das Umdenken gelingen möge.«551

Aber worin sollte der baptistische ›Anteil‹ bestehen? Dachte Schmidt an die fürbittende Begleitung des Geschehens? Oder sollten sich Baptisten auch aktiv an 547 Ebd. Vgl. dazu Nauerth, Zeugnis, S. 288. 548 Ebd., S. 105. 549 Edith Broeker an Hardy Arnold am 02. 10. 1933; zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 105. 550 R. Fischer: Sinn und Segen der Arbeit. Ansprache beim Gottesdienst zum Tag der nationalen Arbeit, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 22 (28. Mai), S. 171. 551 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 157. Vgl. auch die Ausführungen in der von Paul Schmidt redigierten Zeitschrift Der Hilfsbote 43 (1933) 6 (Juni), S. 133.

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den 1. Mai-Umzügen beteiligen? In seinem Artikel hatte Paul Schmidt offenbar durchaus auch an Letzteres gedacht, wobei er dies – im Blick auf das Postulat der vermeintlichen Politikferne von Baptisten – argumentativ legitimieren musste: »Es handelt sich bei diesen Vorgängen gewiß um Erscheinungen innerhalb der Schöpfungsordnung Gottes, also nicht um Vorgänge innerhalb der Gnadenordnung der Gemeinde. Darum müssen sie auch dementsprechend bewertet und behandelt werden. Es könnte also jemand sagen, das geht uns als Gemeindemenschen nichts an. Das gehört zur Welt. Und er hat mit diesem Einwand durchaus recht. Aber sind wir nicht doch Bürger zweier Welten, sind wir nicht als Menschen der Gemeinde auch die Menschen unseres Volkes und unserer Zeit? Leiden nicht auch viele unserer Brüder und Schwestern unter der Arbeitslosigkeit und auch unter dem Gefühl, als Arbeiter zurückgesetzt zu werden? Ganz gewiß. Darum begrüßen wir diesen Aufbruch. Er ist sicherlich einer der erfolgversprechendsten gegen Moskau und seinen Bolschewismus. Vielen mag der ganze Tag mit seinen Festen noch zu neuartig sein, als daß sie ihn schon recht werten können. Aber sicherlich ist er das Symbol für den neuen Weg unseres Staates durch das Feld der Arbeit und der Wirtschaft.«552

Indem Paul Schmidt an dieser Stelle auf die Kategorie der »Schöpfungsordnung« rekurrierte, entzog er die Politik der Durchdringung von privaten Lebensräumen durch NS-Feierlichkeiten der Kritik. Politik erschien nicht mehr nur als eine Abfolge von politischen Entscheidungen, die von Menschen getroffen werden. Damit entfernte er sich zugleich auch von seinem kritischen Ansatz, wonach die Gemeinde Gewissen und Korrektiv des Staates sei. Offenbar haben sich Baptisten also durchaus mit dem nationalsozialistisch codierten Feiertag identifiziert und sogar daran partizipiert.553 Nachweislich hat sich die Jugend offiziell an den Feierlichkeiten zum 1. Mai 1933 in Berlin beteiligt. In der Zeitschrift der Berliner Baptistengemeinden mit dem Titel Die Gemeinde wurden Fotografien publiziert, die baptistische Jugendgruppen (männliche und weibliche Jugend) auf dem »Marsch« zum Tempelhofer Feld zeigte, wo die zentrale Feierlichkeit ausgerichtet wurde.554 Was das Erntedankfest betraf wurde im baptistischen Zentralorgan Der Wahrheitszeuge nicht auf die staatliche Durchdringung des Festes eingegangen, allerdings die nationalsozialistische »Machtergreifung« explizit als Grund zum Danken genannt:

552 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 157. 553 Vgl. etwa die Ausführungen von Martin Elsholz in dem in einer Massenauflage verbreiteten Blatt Der Friedensbote 74 (1933) Nr. 17, ohne Seitenangabe. 554 Du sollst ein neues bauen, drum sei zur Tat bereit! Das ist der Ruf des Christus an die Jugend unserer Zeit, in: Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 9 (1933) 6 (Juni), S. 4. Reproduktion aus einem Zeitschriftenexemplar aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Co 5824.

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Abbildung 4: »BJB-Mädchen beim Marsch zum Tempelhofer Feld«. Foto zum Artikel »Du sollst ein neues bauen, drum sei zur Tat bereit! Das ist der Ruf des Christus an die Jugend unserer Zeit«, in: Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 9 (1933) 6 (Juni), S. 4. Reproduktion aus einem Zeitschriftenexemplar aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Co 5824. (Fotograf nicht bekannt).

»Es ist so manches besser geworden in unserem Volke durch den großen Umbruch und Aufbruch. Dankvoll wollen wir das Erntefest feiern, fröhlich und mit vollen Händen den Herrn preisen und derer gedenken, die noch immer unter besonderer Not und Arbeitslosigkeit leiden. Und bitten wollen wir gemeinsam den Herrn, daß er die mutigen Männer unserer Regierung bei ihrem Werk, die Arbeitslosigkeit zu überwinden, mit vollem Erfolg krönen möge. Heller Dank und zuversichtliche Bitte sollen den Erntedanktag im deutschen Erneuerungsjahr 1933 in unseren Gemeinden vor anderen auszeichnen und ihn zu einem freudigen Opfertag werden lassen. Dabei darf niemand fehlen.«555

Auch im Blick auf die Mennoniten finden sich Indizien, die eine zustimmende Haltung belegen. Verantwortliche ließen es zu, dass der Nationalsozialismus Gottesdienste und Gemeindeleben einfärbte. Freilich darf von den überlieferten Fällen nicht auf alle mennonitischen Gemeinden geschlossen werden darf. Die 555 Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 40 (1. Oktober), S. 330.

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Abbildung 5: »BJB am 1. Mai in Berlin.«. Foto zum Artikel »Du sollst ein neues bauen, drum sei zur Tat bereit! Das ist der Ruf des Christus an die Jugend unserer Zeit«, in: Die Gemeinde. Organ der Berliner Baptistengemeinden 9 (1933) 6 (Juni), S. 4. Reproduktion aus einem Zeitschriftenexemplar aus der Staatsbibliothek zu Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Signatur: Co 5824. (Fotograf nicht bekannt).

Aufnahme von Berichten darüber in einem offiziellen Publikationsorgan zeigt aber, dass sie zumindest nicht versteckt werden sollten oder mit der Linie der mennonitischen Führung über Kreuz lagen. Der Theologe Walter Fellmann, Pastor einer mennonitischen »Doppelgemeinde« in Monsheim (Rheinhessen) und Obersülzen (Pfalz), lieferte einen solchen Artikel, der tiefe Einblicke in die nationalsozialistische Durchdringung des Gemeindelebens bietet. Walter Fellmann, 1899 im badischen Mönchzell geboren (1987 im pfälzischen Albessen gestorben), hatte 1924 sein Studium der evangelischen Theologie an der Universität in Tübingen abgeschlossen und wurde 1928 zum Pastor eben jener Mennonitengemeinde berufen, der er bis zum Jahr 1943 diente.556 1934 berichtete er in den mennonitischen Blättern über das Gemeindeleben in vergangenen Jahr 1933: »Das g r o ß e E r l e b e n d e r d e u t s c h e n N a t i o n spiegelte sich auch in den Gottesdiensten unserer beiden Gemeinden wieder.«557 Der Gottesdienst am 30. April 1933 sei »der Besinnung über d i e A r b e i t gewidmet« gewesen und Erntedank wurde in Monsheim auf den 1. Oktober gelegt »um es zusammen mit 556 Vgl. den Personenartikel im mennonitischen Lexikon MennLex V von J. Jakob Fehr; Fellmann, Walter, unter http://www.mennlex.de/doku.php?id=art:fellmann_walter (Aufruf am 09. 98. 2015). 557 W.[alter] F.[ellmann]: [Rubrik: Nachrichten aus den Gemeinde] Mennonitengemeinde Monsheim und Obersülzen, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 3 (März), S. 30–31, S. 30.

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der Volksgemeinschaft zu begehen«. »Im Gottesdienst am 15. Oktober gedachten wir des Austritts aus dem Völkerbund mit Psalm 74, Vers 17a« (»Du hast dem Land seine Grenze gesetzt«558); und am 12. November wurde der Reichstagswahl gedacht. In gleicher Weise nahm das Gemeindeleben in der Obersülzener Gemeinde affirmativ auf politische Ereignisse Bezug. In zwei Gottesdiensten, so berichtete Fellmann, war die »ganze Ortsgemeinde mit den nationalen Verbänden und ihren Fahnen in unserer Kirche«. Am 21. März 1933, dem Tag der Eröffnung des neuen Reichstages, erinnerte der Pastor an Römer 13, 1 (»Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet«559) und am 15. Oktober 1933 stand der Nachmittagsgottesdienst unter dem Ereignis des Austritts aus dem Völkerbund, dem Tag des Handwerks und der Kunst. Der Gottesdienst am Sonntag, dem 7. Mai 1933, sei der Jugend gewidmet gewesen, daran hätte auch die Ortsgruppe des BDM teilgenommen. Weiten wir an dieser Stelle kurz den Blick über die beiden fokussierten Feste (1. Mai und Erntedank) hinaus, um die politische Durchdringung des Gemeindelebens – wenn auch nur beispielhaft – anzudeuten: Aus dem Bereich der Westpreußischen Gemeinden ist überliefert, dass 1933 die »Beerdigung eines Nationalsozialisten« »unter Beteiligung der Partei« stattgefunden habe.560 Allein dieser Umstand ist bezeichnend, ins Gewicht fällt dann aber vor allem, dass die »Lehrdienstversammlung« mit 51 mennonitischen Delegierten, in der dieser Fall vorgetragen und besprochen worden war, dazu kein klares, ablehnendes Wort gesprochen hat, sondern die Klärung solcher Fragen den einzelnen Gemeinden überließ.561 Und der Vorstand der Hamburger Mennonitengemeinde in Altona 558 Zitiert nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung (1984). 559 Ebd. 560 Protokoll über die Lehrdienstversammlung der ehemaligen Westpreußischen Mennonitengemeinden, verhandelt Kalthof im Gasthause Esau, den 15. Juni 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 7/8 (Juli/August), S. 76–77, S. 77. Dieser Fall wurde von Bruder Ewert vorgetragen; sollte es sich um Bruno Ewert gehandelt haben, so war er Ältester der Gemeinde in Heubuden, der selbst Parteimitglied war oder wurde. Nach 1945 äußerte sich Bruno Ewert im Blick auf die hohe Zahl der Parteimitglieder unter den westpreußischen Mennoniten: »Das [die Überwindung der wirtschaftlichen Krise] erklärt, warum so viele Men.[noniten] in die Partei eintraten, besonders jene, die verantwortliche Stellungen innehatten. Selbst Älteste und Prediger, die wirklich aufrichtig danach strebten, die frohe Botschaft von Christus zu verkündigen und Vorbilder ihrer Gemeinde waren, traten der Partei bei […] ja, wir waren selbst stolz auf die Tatsache, daß Men.[noniten] […] verantwortliche Positionen gegeben wurden, so wie Oberschultze, Amtsvorsteher, Landrat, Kreisbauernführer etc.« Bruno Ewert, Four Centuries of Prussian Mennonites, zitiert nach Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 162. 561 Dass keine klare Empfehlung ergangen ist, wurde zeitgenössisch durchaus kritisiert; vgl. dazu den Brief eines Lesers an den Mennonitenpastor Christian Neff vom 07. 07. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933.

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billigte es, dass »der Organist eine musikalische Feierstunde für die SA.« veranstaltete.562 Auch in Baptistengemeinden waren alltägliche gottesdienstliche Versammlungen zum Teil deutlich sichtbar von Elementen des Nationalsozialismus gekennzeichnet, obwohl beispielsweise der Prediger Otto Johns am 26. März 1933 im Wahrheitszeugen noch davor gewarnt hatte, dass der Rhythmus der NS-Kultur in die Gemeinde Einzug halte.563 Es konnte vorkommen, dass – wie von Hamburg berichtet wird – mitunter im Braunhemd gepredigt wurde.564 Hakenkreuzfahnen wurden gehisst, zum Beispiel bei den Gemeinden in Leer, Berlin-Spandau, Varel, Westerstede, Norden, Wiehl/Mühlen-Bielstein oder der Pastorenwohnung in Hamburg-Eimsbüttel – teils schon in der Phase der »Machtergreifung«, teils im Verlauf des NS-Regimes.565

Wahl und Plebiszit am 12. November 1933 Es stand für den offiziellen Baptismus und das Mennonitentum außer Frage, sich an der Reichstagswahl und dem Plebiszit vom 12. November 1933 zu beteiligen; ein Urnengang war eine unhinterfragbare Selbstverständlichkeit. Der baptistische Wahrheitszeuge gab eine ausdrückliche Wahlempfehlung: »Mit dem 14. Oktober ist ein weiteres Datum hinzugekommen, das gemerkt werden muss. Deutschland ist an dem Tage aus dem Völkerbund ausgetreten und hat nach vielen ermüdenden und fruchtlosen Verhandlungen die Abrüstungskonferenz verlassen. Am Abend des Tages hat der Reichskanzler seine große Rede gehalten, in der der Schritt begründet und das Volk zu einem Volksentscheid am 12. November aufgerufen wurde. Es gibt wohl keinen Deutschen, auch keinen deutschen Baptisten, der nicht die Bedeutung des Schrittes erkennt, und der nicht auch mit großer Erwartung auf dem 12. November schaut. Die Regierung wird in allergrößtem Umfang das Volk aufrütteln, ihm die Bedeutung der Entscheidung vor Augen halten und den letzten Mann und die letzte Frau an die Wahlurne rufen. Das Volk soll sagen, ob es das Tun seiner Regierung billigt und bereit ist, die Verantwortung mit zu tragen. Mit einem klaren Ja oder Nein soll jeder Einzelne sein Urteil abgeben und damit dem verantwortlichen Kanzler Klarheit verschaffen über die Gesinnung und den Willen seines Volkes. […] Jeder Christ wird jetzt besonders für sein Volk und dessen Führer beten und sich dann im Vertrauen zu seinem Volke bekennen und sein ›ja‹ sprechen und schreiben. […] Unser ›ja‹ zu dem

562 Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Außerordentliche Kuratoriumssitzung der »Vereinigung der Mennonitengemeinde im Deutschen Reich« in Berlin vom 17.–19. November 1933 [Bericht »nach dem Protokoll von Erich Göttner«], in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 12 (Dezember), S. 113–117; vgl. die Aussage von Pastor Schowalters auf S. 114. 563 Otto Johns: Die gegenwärtige Versuchungsstunde der Gemeinde, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 13 (26. März), S. 97. 564 Ackermann, Baptismus, S. 365; vgl. dazu Leisten, Baptistengemeinden, S. 75–79, insb. S. 78. 565 Leisten, Baptistengemeinden, S. 75–79.

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Weg unseres Volkes und zu dem Entschluss unserer Führung ist mit dem Herrn Reichskanzler ein volles Bekenntnis zu Frieden und Verständigung.«566

Dementsprechend wurde der Ausgang von Wahl und Plebiszit im Zentralorgan der Baptisten ganz im nationalsozialistischen Sinne gefeiert: »Der 12. November wird in der deutschen Geschichte als ein deutscher Bekenntnissonntag fortleben. Was noch nie vorher in solchem Umfang in Deutschland geschehen war, ist Wirklichkeit geworden, das ganze Volk ist an die Urne getreten […], um sich zu einem Frieden in Ehre und gleichem Recht, zu seinem Führer und dessen Weg und Taten zu bekennen. […] Das deutsche Volk hat ein hohes Maß von Vertrauen und Verantwortung auf seines Führers Schultern gelegt, das seinesgleichen sucht. Möge Gottes Gnade und Gottes Leitung unserem Volke und seiner Führung auf dem nun betretenen Weg niemals fehlen! […] Gott macht Geschichte mit den Völkern und mit seiner Gemeinde, er macht sie mit Menschen zu seiner Zeit und in seiner Weise.«567

Gleiches lässt sich im Blick auf das offizielle Mennonitentum sagen. Wie wir anhand des Berichts von Walter Fellmann gesehen haben, wurde in der rheinhessischen Mennonitengemeinde Monsheim wie selbstverständlich der Reichstagswahl »gedacht«. Und in der Sitzung des Kuratoriums der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich hatte der Vorsitzende, Pastor Emil Händiges, keinen Zweifel daran gelassen, dass die Mennoniten den Kurs der Nationalsozialisten bei Wahl und Plebiszit selbstverständlich unterstützten: »Einleitend weist der Vorsitzende dann auf das Erleben unserer Zeit hin, das Ringen der deutschen Regierung unter der Führung des Volkskanzlers Adolf Hitler um Frieden, Gleichberechtigung und Achtung für das deutsche Volk und den gewaltigen Kampf gegen die Arbeitslosigkeit. Das deutsche Mennonitentum stellt sich freudig hinter die Regierung, den Reichspräsidenten, den Reichskanzler und seine Mitarbeiter. Es freut sich über die große Einigung im deutschen Volke, die in der Abstimmung und Reichstagswahl am 12. November zum Ausdruck gekommen ist.«568

Ganz anders verhielt es sich beim Bruderhof: Für den Bruderhof hatte sich die Situation im Oktober 1933 durch die Bestallung des Nationalsozialisten Dr. Hans Burkhardt als Landrat (für den Zentrumspolitiker und »gläubige[n] Katholik[en]« Heinrich Freiherr von Gagern569) dramatisch verschlechtert. Burkhardt 566 Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 45 (5. November) , S. 370. 567 Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 48 (26. November), S. 399. 568 Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Außerordentliche Kuratoriumssitzung der »Vereinigung der Mennonitengemeinde im Deutschen Reich« in Berlin vom 17.–19. November 1933 [Bericht »nach dem Protokoll von Erich Göttner«], in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 12 (Dezember), S. 113–117, hier S. 113. 569 So Anne Krenzer in ihrem Artikel zu Hans Burkhardt. URL: http://www.rhoen.info/lexikon /personen/Burkhardt_10989957.html (Aufruf: 04. 07. 2016).

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war Tierarzt von Beruf und suchte nach dem Urteil von Anne Krenzer eine fehlende Ausbildung im juristischen und Verwaltungsfach mit nationalsozialistischen Eifer zu kompensieren.570 Er war mit dem Anspruch und Auftrag angetreten, wie Elmar Schick es formulierte, eine »schwarze Enklave« zu nazifizieren; die Kommunalwahl vom 12. März 1933 hatte das Zentrum mit absoluten Mehrheit gewonnen.571 Dem »alten Kämpfer« Burkhardt (Parteieintritt: 1928) war der Bruderhof ein Dorn im Auge und er spielte mit der Gestapo, wie wir später noch sehen werden, eine wichtige Rolle bei der Verfolgung der Gemeinschaft. War die Bruderhofgemeinschaft den Loyalitätsforderungen aus Anlass des Erntedankfestes letztlich nachgekommen, indem sie die geforderte Beteiligung in ihrem Sinne (um-)deutete, so war mit der Novemberwahl und Volksabstimmung aus Sicht der Gemeinschaft der Rubikon überschritten. Betrachten wir die turbulenten Tage vor der Reichstagswahl vom 12. November 1933 und des damit verbundenen Plebiszits über den Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund genauer: Die NS-Propaganda suggerierte, dass es um nichts weniger ging, als um die »uneingeschränkte Bejahung des Werkes der ersten zehn Monate« des Regimes.572 Zur Wahl stand nur das »Ja« zur NSDAP auf einer Einheitsliste; alle anderen Parteien waren auf unterschiedliche Weise eliminiert worden. Der Austritt des Deutschen Reiches aus dem Völkerbund vom Oktober 1933 sollte nachträglich gebilligt werden. Für den Bruderhof eröffnete sich also ein Dilemma, wie es größer nicht hätte sein können: Die Bruderschaft hatte sich an Wahlen mindestens seit Ende der Weimarer Republik aus Gewissensgründen nicht mehr beteiligt; hier aber wurde ein Urnengang unmissverständlich verlangt; und nicht nur das, es ging ja darum, auch all die von brutaler Gewalt begleiteten Umwälzungen politisch zu legitimieren, letztlich die als Götzendienst kritisierten Elemente des NS-Staates in gewisser Weise zu billigen. In dieser Situation war sich Arnold im Klaren darüber, »dass wir mit unserer kleinen Lebensgemeinschaft so überaus einsam sind, dass es kaum vorstellbar ist, wie tief diese Einsamkeit ist. Denken wir nur nicht, von irgendeiner menschlichen Seite Hilfe zu bekommen. Der Dozent und Lektor für deutsche Sprache in England sagte uns: Wenn wir ins Gefängnis geworfen würden, würde von England aus nicht eine Hand für uns gerührt werden. Sang- und klanglos würden wir im Konzentrationslager verschwinden. Niemand würde aufstehen, etwas für uns zu tun. In solchen Zeiten wie den unsern ist die Gemeinde Jesu Christi völlig einsam. Und die Briefe und Schreiben, die von den Bruderhöfen der amerikanischen Gemeinden zweifellos an die

570 Ebd. 571 Elmar Schick: Täter und ihre Opfer. Zur Geschichte der Diktatur des Dritten Reiches zwischen Rhön und Vogelsberg, Petersberg 2015, S. 120, 101. 572 Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Band 4, S. 614.

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deutsche Regierung gerichtet würden, würden nichts anderes sein, als das, was wir auch zu dieser Regierung selbst sagen von unserer Gemeinschaft aus.«573

Arnold war die schiere Macht der Propaganda gewärtig, er nahm die Bedrohung ernst und richtete die Gemeinschaft in dieser Ansprache doch darauf aus, dem NS-Staat bei dieser Abstimmung die Stirn zu bieten: »Wenn nicht Gott einen geradezu wunderhaften Schutz um unsere Häuser legen sollte, so werden wir besucht werden von der wilden Wahlpropaganda der Nationalsozialisten und mitten in unsere Räume wird das Geschrei der Raubtiernatur eindringen. Und wir werden N e i n sagen müssen zu ihren Forderungen. Wir werden als Volksfeinde und als Lebensfeinde bezeichnet werden. Und die Verfolgung könnte schon in allernächster Zeit anheben.«

Am 27. Oktober 1933 suchte Eberhard Arnold das Landratsamt in Fulda auf. Bei einem Wahlverzicht, so wurde ihm dort offenbar umstandslos bedeutet, drohe die Einlieferung in ein Konzentrationslager.574 (Tatsächlich wurden später im Deutschen Reich jene verhaftete, die sich zu wählen geweigert hatten.575) Arnold sah nun den Zeitpunkt für eine Eingaben-Kampagne gekommen, von der Emmy Arnold bereits im Januar 1933 gesprochen hatte. Ziel war es, offen darum zu bitten, auch als eine Glaubensgemeinschaft, die nicht auf dem Boden der nationalsozialistischen Weltanschauung stünde, im NS-Staat toleriert zu werden. Zwischen dem 7. und 11. November 1933 richtete Arnold Briefe, über die sich die Gemeinschaft intern ausgesprochen hatte, an den – Landrat Dr. Burkhardt in Fulda – Regierungspräsidenten Baron von Monbart – Oberpräsidenten der preußischen Provinz Hessen-Nassau, Prinz Philipp von Hessen – Referenten für Kirchenfragen, Oberregierungsrat Dr. Conrad, im Reichsministerium des Innern – Reichspräsidenten Hindenburg und an Hitler selbst (siehe zu diesem Brief die Ausführungen in Kapitel 1 dieses Teils.) Am 12. November 1933 machten sich die wahlberechtigen Mitglieder der Gemeinschaft dann auf den Weg zur Wahlurne – mit Ausnahme von Eberhard Arnold selbst. Er war auf dem Rückweg von seinem Termin in Fulda am 573 Eberhard Arnold: »Über die Bergpredigt. Niederschrift einer Ansprache Eberhard Arnolds vom 22. Oktober 1933, übertragen am 30. September 1938, ergänzt 16. März 1939« [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 172; vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 113. 574 Vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 114. 575 Ernst Piper: 75 Jahre »Machtergreifung«: Das Haken-Kreuz mit den Wahlen. URL: http:// www.spiegel.de/einestages/75-jahre-machtergreifung-a-948018.html (Aufruf: 28. 08. 2020).

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27. Oktober auf dem letzten, regendurchnässten Stück zum Bruderhof derart unglücklich gestürzt, dass er sich einen offenen Beinbruch zugezogen hatte und operiert werden musste; er war fortan für lange Zeit ans Bett gefesselt.576 Deshalb wurde er am 12. November von einem Wahlhelfer auf dem Bruderhof aufgesucht. Das Wahlverhalten der Gemeinschaft war nun außerordentlich bemerkenswert und folgte einer Strategie, die Arnold noch am 27. Oktober unter Schmerzen entwickelt hatte: Die wahlberechtigten Mitglieder sollten nicht mit »ja« oder »nein« stimmen, sondern die Zettel unbeschriftet, aber jeweils mit einer angehefteten Erklärung versehen, abgeben. Der Text der im Übrigen von den einzelnen Mitgliedern unterzeichneten Erklärung lautete: »Meine Auffassung und mein Wille steht für das Evangelium und die Nachfolge Christi, für das zukünftige Reich Gottes und für die Liebe und Einheit seiner Gemeinde ein. Das ist der eine Beruf, den Gott mir als den meinen verliehen hat. Von diesem Glauben aus trete ich vor Gott und vor allen Menschen für mein Volk und dessen Heimat und vor allem für seine Reichsregierung als für den anderen nicht mir, sondern meinen geliebten Regenten Hindenburg und Adolf Hitler von Gott gegebenen Beruf ein.«577

Ganz wie im Blick auf den oben erläuterten Umgang mit der Formulierung »Heil Hitler« in offiziellen Briefen entwickelte Arnold eine Handlungsweise, in der die Loyalitätsforderungen zwar aufgenommen, aber letztlich umgangen wurden und so vor dem eigenen Gewissen als tragbar erschienen. Man konnte es so verstehen, dass die Gemeinschaft die Volksbefragung und Wahl tatsächlich als Frage auffasste, die mit der Erklärung beantwortet wurde; damit störte die Gemeinschaft die Wahl, denn die Stimmzettel lieferten nicht die gewünschten Informationen. Für Arnold hatte der Unfall vom 27. Oktober noch schwerwiegende Folgen. Er musste erneut operiert werden, weil das Bein nicht heilte. Arnold war nun stark beeinträchtigt, unterzog sich deshalb im Jahr 1935 wieder einer Operation, an deren Folge er verstarb. Wie reagierten nun die NS-Behörden nach dem 12. November 1933 auf das nonkonforme Wahlverhalten der Bruderhof-Gemeinschaft? Zunächst und im Blick auf das Wahlergebnis wurden die Stimmzettel so interpretiert, dass sie aus Sicht des Regimes keinen allzu großen Schaden anrichteten: Im Blick auf die Volksabstimmung wurden sie als Zustimmung gewertet; die Fuldaer Zeitung veröffentlichte die Ergebnisse, wonach für das Dorf Veitsteinbach nur eine NeinStimme und eine ungültige Stimme abgegeben worden seien, hingegen 270 Ja-

576 Vgl. hierfür sowie für das Folgende: Barth, Botschaftsbelagerung, S. 112–116. 577 Die Stellung des Bruderhofes zum 12. November 1933 (Anlage 1 des Schreibens des Neuwerk-Bruderhofes e. V. [Eberhard Arnold u. a.] an den Oberschulrat Dr. Kellner, Regierung Kassel, Abteilung für Kirchen- und Schulwesen, in: Staatsarchiv Marburg 166, Nr. 6283, Bl. 171.

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Stimmen.578 Im Reichsdurchschnitt lag die Zustimmung bei 95,1 Prozent.579 Hingegen wurden die Erklärungen des Bruderhofes hinsichtlich der Reichstagswahl als ungültig gewertet: 221 Bürgerinnen und Bürger in Veitsteinbach hätten für die NSDAP votiert, 41 Stimmen seien ungültig gewesen. Reichsweit lag die Zustimmung zur NSDAP-Einheitsliste nach offiziellen Angaben bei 92,2 Prozent, bei 7,8 Prozent ungültigen Voten.580 Nach innen wurde das nonkonforme Wahlverhalten nicht nur registriert, sondern hatte einen repressiven Gegenschlag zur Folge: die Behörden reagierten mit einer großen polizeilichen Razzia. Es war beileibe nicht der erste PolizeiBesuch auf dem Bruderhof gewesen: Bereits am 7. März 1933 war ein Landjäger (Gendarm) auf dem Bruderhof erschienen, um Klagen, wonach die Bruderhöfer Kommunisten seien, nachzugehen, die im Landratsamt vorgebracht worden waren.581 Am 12. April 1933 dann war es zu einer Hausdurchsuchung gekommen, die mehrere Stunden andauerte; daran waren nicht nur sechs Landjäger, sondern unter anderem auch fünf Männer in SS-Uniform beteiligt gewesen.582 Nun aber, am 16. November 1933, waren 140 bis 160 Mann auf dem Bruderhof erschienen – Landjäger (Gendarmen), Gestapo und SS-Uniformierte –, um Häuser zu durchsuchen und Mitglieder der Gemeinschaft zu vernehmen.583 Landrat Burkhardt selbst war aus Fulda angereist, um die Razzia gemeinsam mit dem Gestapo-Dezernenten aus Kassel, Dr. Ferdinand Hütteroth, zu leiten. Hütteroth war der christlichen Kirche nicht fern gestanden. 1902 als Sohn eines Pfarrers geboren, hatte er zunächst selbst u. a. Theologie studiert, ehe er ins juristische Fach wechselte und 1927 zum Doktor der Rechte promoviert worden war. Nach dem nationalsozialistischen Machtantritt schloss er sich rasch der Partei an (Mai 1933) und war im gleichen Jahr auch in die SS eingetreten.584 Die Razzia als Reaktion auf das Wahlverhalten des Bruderhofes kann als Auftakt einer Reihe von tiefgreifenden Einschnitten in das Leben des Bruderhofes betrachtet werden. Es ging dabei gerade um solche Bereiche, die für die eigenen Glaubensüberzeugungen und soziale Praxis zentral waren: die Kinderunterrichtung und der Austausch mit Gästen. In dem die NS-Behörden hierin eingriffen, wurde der Bruderhof nicht nur geistlich und sozial, sondern auch wirtschaftlich nicht unbeträchtlich geschädigt. Denn nun fielen die staatlichen Zuschüsse für die Privatschule ebenso weg wie potenzielle Zuwendungen von 578 579 580 581 582 583 584

Die Wahlergebnisse nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 131. Wehler, Gesellschaftsgeschichte, Band 4, S. 614. Piper, Haken-Kreuz. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 55. Ebd., S. 66. Ebd., S. 132–138. Vgl. Thomas Klein (Hg.): Die Lageberichte der Geheimen Staatspolizei über die Provinz Hessen-Nassau 1933–1936. Teilband I: A und B, Köln/Wien 1986, S. 22.

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Gästen. Ich werde im Folgenden die Interaktion zwischen NS-Behörden und Bruderhof in der Phase bis Frühjahr 1934 nun genauer analysieren. Hütteroth hatte drohend angedeutet, dass die staatlich anerkannte Grundund Mittelschule sowie das Kinderheim des Bruderhofes aufgelöst werden könnten.585 Daraufhin entwickelte Arnold Überlegungen, wie er die Kinder vor der staatlichen Schulerziehung am besten schützen könnte. Die Interpretation der Quellen ist in diesem Zusammenhang nicht einfach. So ersuchte er Oberschulrat Dr. Kellner in einem Schreiben vom 22. November 1933 um Zuteilung eines NS-Lehrers für seine Schule, da die Gestapo die Erziehung der Kinder beanstandet habe und zu befürchten sei, dass sie in die nächste Dorfschule geschickt werden müssten.586 Ließ sich Arnold hier von dem Prinzip des kleineren Übels leiten: besser ein NS-Lehrer im eigenen Haus, als alle Kinder in einer NS-Schule? Oder hatte er geglaubt, einen nationalsozialistischen Lehrer geistlich einhegen zu können? Markus Baum meint, es könnte Arnold darum gegangen sein, Zeit zu gewinnen, während er heimlich den Plan verfolgte, die Kinder an einen sicheren Ort zu bringen. Ein Mitglied sei mit diesem Auftrag ungefähr in jener Zeit bereits auf Reisen gegangen.587 Ebenfalls in dieser Zeit war der Bruderhof darum bemüht, die Pflegekinder bei ihren Vormündern in Sicherheit zu bringen. Der Druck auf den Bruderhof erhöhte sich nun sukzessive. Am 5. Dezember 1933 wurde die Schule durch den Fuldaer Schulrat Dr. Hammacher inspiziert, der bemängelte, dass die Kinder keine NS-Lieder kannten.588 Regierungspräsident von Monbart informierte den Bruderhof darüber, dass er mit Landrat Burkhardt und der Gestapo am 11. Dezember 1933 über das weitere Schicksal der Bruderhofes befinden wolle; der Bruderhof habe die Möglichkeit, hierfür »nichtbelastendes Material« vorzulegen.589 In dieser Situation verfasste Arnold am 6. Dezember 1933 die Denkschrift »Material für die den Bruderhof betreffende Sitzung«. Dieses Memorandum, in dem Arnold ganz grundsätzlich auf das Verhältnis zwischen Bruderhof und Staat/NS-Regime eingeht, möchte ich nun etwas genauer und ausführlicher betrachten. Es ist ein äußerst bemerkenswertes Dokument der direkten Konfrontation: Arnold setzte hier unhintergehbare Standards, obwohl es auf den ersten drei Seiten zunächst nur so von Begriffen und Wendungen wimmelt, die dem NS anverwandt wirken. Arnold wollte offenbar Treue zeigen und schien bereit, bis zum Äußersten zu gehen. Darauf folgten zwei Seiten Kritik (in den Worten der Denkschrift: eine »inner585 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 145. 586 Schreibens des Neuwerk-Bruderhofes e. V. [Eberhard Arnold u. a.] an den Oberschulrat Dr. Kellner, Regierung Kassel, Abteilung für Kirchen- und Schulwesen, in: Staatsarchiv Marburg 166, Nr. 6283, Bl. 170. 587 Baum, Stein, S. 276. 588 Ebd. 589 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 155.

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lichst und christlichst begründete Befremdung«590), die es in sich hatten: sollte es bis dahin noch Zweifel gegebenen haben, war für die Nationalsozialisten spätestens jetzt klar, dass mit diesen Bruderhöfern kein Staat zu machen war. Das Schreiben war gerichtet an den Regierungspräsidenten, die Geheime Staatspolizei zu Kassel und an den Landrat. Abschriften oder Durchschläge gingen an den Dezernenten des Regierungspräsidenten, Regierungsdirektor Schwieger sowie an Oberregierungsschulrat Dr. Kellner. Im Regierungspräsidium wurde dieser Text aufmerksam gelesen, wie Randanstreichungen von konfrontativen Passagen belegen.591 Kritik wurde teils offen vorgetragen (Rassenideologie), teils nur versteckt (Führerkult, repressive Gewalt), war aber dennoch deutlich zu erkennen. Auf den ersten drei Seiten wurde dem Staat als einer von Gott gegebenen Form Anerkennung gezollt, nicht aber dem NS-Staat oder Hitler als »Führer« gehuldigt. Die Rede war von der »jetzigen Regierung und ihrem Führer und Kanzler«, nicht von unserem »Führer«. Wiederholt wurde der NSStaat mit Begriffen wie »notwendig« oder »Notwendigkeit« in Verbdingung gebracht, die zum einen ein wenig emotionales Verhältnis anzeigen, aber auch Zustimmung signalisieren. Anerkannt wurde beispielsweise das »Ziel der deutschen Volksgemeinschaft«, allerdings nicht unbedingt im nationalsozialistischen Sinn: »Ehrung« brächte der Bruderhof entgegen »für das auch unseren Brüdern seit Jahrhunderten aufgegebene Ziel der deutschen Volksgemeinschaft und für den ausgesprochenen Willen, dass diese in ein gerechteres und friedliches Verhältnis zu anderen Volkseinheiten gesetzt werden soll«, mit Letzterem hatten die Nationalsozialisten wenig am Hut. Und umgekehrt waren es ja geistliche Beweggründe, nicht ethnische gewesen, die die Hutterer als Gemeinschaft zusammengeführt hatten. Offenbar verfolgte die Denkschrift in ihrer Eingangspassage die Strategie, nationalsozialistisch konnotierte Begriffe und Konzepte aufzugreifen und für die eigene Argumentation nutzbar zu machen. Schließlich bat Arnold um »Duldung« im NS-Staat: Wir bitten »uns auf den Reichskanzler Adolf Hitler berufen zu dürfen, obgleich wir keine Nationalsozialisten sind und auch keine werden können«. Von dem Privileg der eigenen Kinderunterrichtung könne nicht abgewichen werden, denkbar sei aber ein NS-Lehrer an der Bruderhofschule; zum zweiten wird die Möglichkeit eines Staatsvertrages mit dem Bruderhof erwähnt und drittens als letzter Ausweg die Möglichkeit der Auswanderung (Randanstreichung!) diskutiert, nicht ohne den Hinweis, dass aber 130.000 Reichsmark an Kapital in dem Bruderhof stecke, von Deutschschweizern und »Auslandsdeutschen« aus Amerika. 590 Eberhard Arnold: Betrifft: Material für die den Bruderhof betreffende Sitzung an den Regierungspräsidenten des Regierungsbezirks Kassel, die Leitung der Geheimen Staatspolizei zu Kassel, an den Landrat des Kreises Fulda, Fulda, vom 06. 12. 1933, in: Staatsarchiv Marburg 166, Nr. 6283, Bl. 175. 591 Ebd., Bl. 173 bis 185. Vgl. zu diesem Schreiben Nauerth, Zeugnis, S. 302.

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Für Arnold und den Bruderhof war die Anbindung an die amerikanischen Hutterer von großer elementarer Bedeutung. Er erhielt nicht nur wirtschaftliche, sondern auch geistlich-moralische Unterstützung ( just in dem Moment, als sich der Rhönbruderhof 1937 in größter Not befinden sollte, weilten zwei Hutterer aus Nordamerika zu Besuch). Schließlich aber, und das schien für Arnold selbst besonders wichtig zu sein, konnte der Bruderhof damit seine eigenen Glaubensund Gewissensüberzeugungen in eine jahrhundertalte Tradition einlesen. »Vielleicht dürfte unsere ›hutterisch‹ genannte kleine Kirche«, so formulierte Arnold in der Denkschrift, »nach der Art der großen Kirchenkonkordate einen Vertrag mit dem Staat schließen, wie einst preußische Könige und russische Kaiserinnen und Zaren den Mennoniten und unseren Brüdern eine ihrem Gewissen erträgliche Lebensmöglichkeit im Interesse des Staates gewährt haben.«592 Und noch zugespitzter formulierte Arnold in seinem Brief an Dr. Conrad (Reichsministerium des Innern) vom 14. Dezember 1933 die traditionelle Verwurzelung: »Unserer vierhundertjährigen Überlieferung getreu haben wir uns bei der Volksbefragung und bei der Reichstagswahl der aktiven politischen Betätigung enthalten.«593 Dabei war die Gemeinschaft doch erst im Jahr 1920 gegründet worden. Eric Hobsbawm und Terence Ranger haben in anderen Zusammenhängen das Konzept der erfundenen Traditionen (»The Invention of Tradition«) entwickelt.594 Es kann womöglich helfen, das Phänomen zu beschreiben, soll aber an dieser Stelle ausdrücklich keine moralische Wertung enthalten. Denn der Bruderhof war von Arnold ja tatsächlich wie ein junger Zweig auf einen uralten Baum gepfropft worden. Es geht hier vielmehr um die Frage, welche Beweggründe hinter diese Identifikation gestanden oder welche Effekte sich Arnold damit erhofft haben könnte. Diese Frage lässt sich auf dem Boden der vorliegenden Quellen nur schwer beantworten. Es könnte sein, dass Arnold durch seine intensive Auseinandersetzung mit dem frühen Täufertum, das Quellenstudium, die gemeinsame Lektüre, eine Verbindung mit den Hutterern tatsächlich derart tief empfand, dass er sich gegenüber den Behörden vollständig mit dieser Tradition identifizieren konnte. Der politische Effekt dieser Bezugnahme aber konnte sein, dass die Gemeinschaft durch diese Konstruktion ganz und gar als Teil einer alten, ehrwürdigen Kirchentradition wahrgenommen wurde und nicht als eine Gründung aus jener, von den Nationalsozialisten so verhassten Zeit der Weimarer Republik. Ob Arnold Tradition in

592 Eberhard Arnold, Denkschrift, Material für die den Bruderhof betreffende Sitzung, 06. 12. 1933; zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 159. 593 Eberhard Arnold an Dr. Conrad, 14. 12. 1933, zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 162. 594 Eric Hobsbawm: Introduction: Inventing Traditions, in: Ders./Terence Ranger: The Invention of Tradition, Cambridge 1992, 1–14.

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diesem Sinne auch als taktisches Mittel einsetzte und den eben skizzierten, potenziellen Effekt intendierte, lässt sich allerdings nicht belegen. Ich möchte den weiteren Verlauf der ereignisgeschichtlichen Entwicklung nun nicht weiter im Detail nachzeichnen. Wichtig zu erwähnen ist jedoch, dass der Bruderhof große Anstrengungen unternahm, mit schriftlichen Eingaben und persönlichen Vorsprachen die im Raum stehenden Vorwürfe zu entkräften und insbesondere die Privatschule des Bruderhofes zu erhalten. Am 18. Dezember 1933 unternahmen beispielsweise Hans Meier und Hannes Boller in Vertretung des durch den Beinbruch behinderten »Wortführes« eine Reise nach Berlin, um sich mit Ministerialrat Dr. Conrad, dem Referenten für Kirchenangelegenheiten im Innenministerium, zu treffen.595 Dieser verwies sie direkt weiter an die Geheime Staatspolizei, wo sie tatsächlich bei einem Beamten, Regierungs-Assessor Wittig, vorsprachen. Er konfrontierte sie mit einem Telegramm aus den herbeigeholten Akten: aus Veitsteinbach sei die »Nichtteilnahme an der Volkswahl« gemeldet worden.596 Am 19. Dezember 1933 formulierte Arnold in der Schulfrage schließlich ein letztes Schreiben, gerichtet an den Preußischen Minister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung Dr. Bernhard Rust.597 Doch vergebens: Am 30. Dezember 1933 entzog das Regierungspräsidium die Schulgenehmigung. Als es im Januar 1934 dem preußischen Kultusministerium darüber Bericht erstattete, nahm es explizit Bezug auf die Ergebnisse einer Untersuchung durch die Geheime Staatspolizei, die dort »marxistische und kommunistische Bestrebungen« ausgemacht hatte.598 Indessen hatte der Bruderhof die schulpflichtigen Kinder (bis auf drei Kinder einer aus der Schweiz stammenden Familie) an andere Orte gebracht. Darüber berichtete das Regierungspräsidium dem preußischen Kultusminister am 5. April 1934, das in der Zwischenzeit nachgehakt hatte; die Sache hätte sich nun erledigt, die Schule sei aufgelöst. »Der Bruderhof steht im übrigen unter der ständigen Überwachung des Landrats.«599 Den Kampf, eine Privatschule im Deutschen Reich zu führen, hatte der Bruderhof also verloren; und im Februar 1934 war auch das Heim für Pflegekinder behördlicherseits offiziell aufgelöst worden.600 Doch der Bruderhof suchte und fand eine Lösung für das Schulpro-

595 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 165. 596 Hans Meier, Abschrift der stenogr. Notizen vom 08. 12. 1933, zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 165f. 597 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 165. 598 Vgl. die handschriftlichen Entwürfe der Schreiben des Regierungspräsidiums an den Vorstand des Neuwerk-Bruderhofes vom 30. 12. 1933 (abgesandt) und an den preußischen Kultusminister vom 08. 01. 1934, in: Staatsarchiv Marburg 166, Nr. 6283, Bl. 237, 240. 599 Schreiben des Regierungspräsidiums an das preußische Kultusministerium vom 05. 04. 1934 (handschriftlicher Entwurf), in: Staatsarchiv Marburg 166, Nr. 6283, Bl. 243f. 600 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 181.

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blem; die schulpflichtigen Kinder wurden im März 1934 auf dem neu eröffneten Filialhof, dem Almbruderhof Silum, in Liechtenstein untergebracht. Nachdem die NS-Behörden mit der Auflösung der Privatschule sowie der Sozialarbeit mit bedürftigen Kindern bereits einen Lebensnerv des Bruderhofes getroffen hatten, griffen sie Anfang Januar auch die Praxis der Gastfreundschaft an (die, wie wir in Kapitel 1 dieses Teils gesehen haben, eines der Grundprinzipien der Gemeinschaft gewesen war). Wieder spielte der Landrat eine wichtige Rolle. Mit Schreiben vom 5. Januar 1934 untersagte er dem Bruderhof unter Berufung auf das Polizeiverwaltungsgesetz, »Durchreisende und Fremde« aufzunehmen, soweit sie keine Mitglieder oder »unmittelbare Angehörige« wären. Mitglieder oder Angehörige unterlägen einer Meldepflicht (Meldung binnen 24 Stunden), verbunden mit einer Drohung, falls das unterlassen würde.601 Im März 1934 erwog das Geheime Staatspolizeiamt in Berlin schließlich, den Bruderhof aufzulösen und es ist erstaunlich, dass es nicht dazu kam.602 Womöglich stand die Entscheidung in Zusammenhang mit einer positiv ausgefallenen Prüfung der landwirtschaftlichen Verhältnisse durch die Mittelinstanz. So berichtete der Oberpräsident der preußischen Provinz Hessen-Nassau im Dezember 1936, dass er den landwirtschaftlichen Betrieb des Bruderhofes im Jahr 1934 geprüft und günstig beurteilt habe. Seinem Vorschlag, »die Brüderschaft in ihren Rechten nicht zu beeinträchtigen«, sei der Preußische Landwirtschaftsminister gefolgt.603 Indessen lag der Bruderhof weiterhin im Visier von Gendarmerie und Geheimer Staatspolizei, die im April 1934 berichtete, der Bruderhof werde »fortlaufend überwacht.«604 Trotz der massiven Folgen ihres Manövers am 12. November 1933 war die Gemeinschaft der zweiten Volksabstimmung am 19. August 1934 sogar gänzlich fern geblieben, bei der nach Hindenburgs Tod die Zusammenlegung der Ämter 601 Schreiben des Landrates vom 05. 01. 1934 an den Vorstand des Bruderhofes Dr. Eberhard Arnold, in: Staatsarchiv Marburg 270 Nr. 2359. 602 Vgl. den Hinweis im Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an den Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau (Entwurf) vom 29. 06. 1936, in: BArch R 5101/23410, Bl. 141. Vgl. dazu Barth, Botschaftsbelagerung, S. 187. 603 Der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau an den Reichs und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten am 14. 12. 1936, BArch R 5101/23410, Bl. 198–199. Vgl. in dieser Sache auch das Schreiben des Oberpräsidenten (Landeskulturabteilung) Kassel, an die hutterische Bruderschaft, z. H. des Herrn Wortführers Eberhard Arnold, 01. 06. 1934, [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 604 Bericht der Staatspolizeistelle Kassel über die politische Lage im April 1934 (04. 05. 1934) [an den Preußischen Innenminister und Ministerpräsidenten Hermann Göring], in: Klein, Lageberichte, S. 82–100, hier S. 89f. Vgl. den Bericht des Landrats Kreis Fulda-Land, Dr. Burkhardt, vom 20. 12. 1935: »Ich lasse z. Z. durch die Gendarmarie genau feststellen, welche Mitglieder am Stichtag, dem 15. Dezember, auf dem Bruderhof wohnten.« In: Thomas Klein (Hg.): Der Regierungsbezirk Kassel 1933–1936. Die Berichte des Regierungspräsidenten und der Landräte, Darmstadt/Marburg 1985, S. 622–627, 626.

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des Reichspräsidenten und Reichskanzlers zugestimmt werden sollte. Nachdem ihr gedroht worden war, dass ab zwölf Uhr nachgeforscht werden würde, verbarg sich die Gruppe zu dieser Zeit im Wald.605 Eine Teilnahme wurde als unmöglich betrachtet: nach Arnold wäre das einer Bevollmächtigung Hitlers zum »Blutvergießen« gleichgekommen.606 Arnold hatte erkannt, dass es bei dem Plebiszit nicht nur um »die Vereinigung der beiden höchsten Staatsämter« ging, sondern, so der Historiker Ulrich Herbert, dass damit »zugleich auch das Vorgehen bei den Mordaktionen des 30. Juni als vom Volk bestätigt postuliert« wurde.607 Die Gemeinschaft umging Volksabstimmungen und verweigerte den HitlerGruß, sie hielt sich von der NSDAP und ihren Gliederungen SA und SS fern. In anderen Fragen aber suchte sie im Blick auf die strikte Trennung der Lebensbereiche Kompromisse auszuloten. Hans Zumpe, Schwiegersohn und Vertreter Arnolds, wurde Mitglied der Reichsschriftumskammer.608 Und der Bruderhof setzte sich, nach anfänglichem Zögern und Prüfung dieser Frage im Jahr 1934, gerichtlich gegen den Versuch eines Bauern zur Wehr, ihnen den verkauften, aber noch nicht aufgelassenen (überschriebenen) Hof mittels des neu eingeführten Reichserbhofgesetzes wieder abzutrotzen. Vor dem Erbhofgericht führte der Rechtsanwalt, der den Bruderhof seinerzeit vertrat, ebensolche Elemente der »Eingliederung« vor Augen: »Es soll nicht verhehlt werden, daß unter diesen Lehren der hutterischen Gemeinschaften eine enthalten ist, welche mit den Grundsätzen des nationalsozialistischen Staates nicht vereinbart werden kann. Das ist die Ablehnung jeder Gewaltanwendung durch die den hutterischen Gemeinschaften angehörigen Christen und demzufolge die Enthaltung von aller Mitwirkung am Staate, soweit dieser Staat Träger der Gewalt ist (soweit es sich handelt um die friedliche Arbeit des Staates, können auch die hutterischen Brüder mitarbeiten, und so ist auch der Bruderhof der Reichskulturkammer, der Arbeitsfront und der Kreisbauernschaft eingegliedert).«609

605 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 256. 606 Eberhard Arnold in der »Zusammenkunft mit Ewald Schäfer am Donnerstag, den 9. August 1934«, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 262. 607 Herbert, Geschichte, S. 323. 608 Es existiert ein Schreiben des Präsidenten der Reichsschrifttumskammer an Hans Zumpe vom 06. 08. 1937, also nach »Auflösung« des Bruderhofes verfasst: Es mangele Zumpe an der »erforderliche[n] Zuverlässigkeit«, »so dass ich hiermit Ihren sofortigen Ausschluss aus der Reichsschrifttumskammer verfügen muss«. Der Präsident der Reichsschrifttumskammer an Hans Zumpe, am 06. 08. 1937, in: Staatsarchiv Marburg 270/Nr. 2359. In den Beständen des Bundesarchives (ehem. BDC) finden sich hingegen keine Unterlagen zu Zumpe, lediglich zu einem Architekten gleichen Namens. 609 Rechtsanwälte Dr. Frhr. v. Rodenberg, Dr. Klapproth und Dr. Blanke an das Landeserbhofgericht Celle, 24. Mai 1934 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02.

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Reaktion auf staatliche Loyalitätsforderungen

In einer anderen Sache ging der Bruderhof später den Weg zum Kreisverwaltungsgericht in Fulda, weil ihm der Bürgermeister in Veitsteinbach Legitimationskarten (Ausweise als Handelsvertreter) für Bruderhofmitglieder verweigert hatte.610 Aus Sicht der Behörden war die Gegnerschaft des Bruderhofes hingegen eindeutig: Landrat Burkhardt berichtete im Zusammenhang mit dem Vorschlag, dass die amerikanischen Bruderhöfe 1.300 Zentner Weizen spenden wollten, und zwar zum größten Teil dem Winterhilfswerk und zu einem kleineren, 20 Prozent davon (260 Zentner) an den Bruderhof, im Dezember 1935: Es »darf doch nicht vergessen werden, daß die Bruderhöfer nach ihren Lebensgrundsätzen (franziskanisches Lebensideal, Verneinung des Eigentums, Ablehnung jeglichen Waffendienstes usw.) innerlich in schroffem Gegensatz zum nationalsozialistischen Staat stehen müssen, mögen sie sich auch äußerlich in seinen Rahmen eingefügt haben«.611 Die Fronten zwischen dem Bruderhof und dem Staat, das heißt zwischen Bruderhof auf der einen und Landrat, Regierungspräsidium und der Geheimen Staatspolizei auf der anderen Seite, hatten sich verhärtet, die Konflikte zum Teil bis zum Äußersten zugespitzt. Waren auch für den Bruderhof die Grenzen erreicht? Noch war die allgemeine Wehrpflicht im Deutschen Reich nicht wieder eingeführt. Auf die Geschichte des Bruderhofes werde ich in Kapitel E. wieder zurückkommen.

610 Vgl. die »Gegenerklärung in der Verwaltungsstreitsache des Eberhard Arnold-Verlages G.m.b.H. in Veitsteinbach gegen mich wegen Verweigerung von Legitimationskarten für 4 Mitglieder des Bruderhofes« des Bürgermeisters von Veitsteinbach als Ortspolizeiverwalter vom 10. 06. 1936, in: Staatsarchiv Marburg 270 Nr. 2359. 611 Bericht des Landrats Kreis Fulda-Land, Dr. Burkhardt, vom 20. 12. 1935, in: Klein, Regierungsbezirk, S. 622–627, hier S. 626.

D.

Strukturelle Anpassung in den etablierten Freikirchen (Baptisten und Mennoniten)

Im Jahr 1933 zielte die Religionspolitik des NS-Staates darauf, die beiden großen Kirchen auf unterschiedliche Weise in den neuen Staat einzufügen. Während das Reichskonkordat, zwischen dem Deutschen Reich und dem Vatikan geschlossen, der katholischen Kirche auf Kosten ihrer vollständigen »Entpolitisierung« einen gewissen Aktionsradius in Deutschland rechtlich zusicherte612, suchte Hitler die evangelischen Landeskirchen von innen heraus auf die Linie des NS-Regime zu zwingen. Indem dort die nationalsozialistisch orientierte Glaubensbewegung Deutsche Christen (GDC) die Macht übernähme, so der Ansatz, könnten die evangelischen Landeskirchen in eine zentralistische, auf das NS-Regime bezogene Reichskirche ungestaltet werden. Tatsächlich schien es, als könnte dieses Kalkül aufgehen, ehe die GDC-Bewegung noch vor Jahresende 1933 zu zerfallen begann und der NS-Staat später zu anderen kirchenpolitischen Mitteln griff. Der Aufstieg der Glaubensbewegung Deutsche Christen war auch im Blick auf die Positionierung der Freikirchen im neuen Staat von größerer Bedeutung. Ein besonderes Augenmerk muss dabei den Zusammenhängen in Preußen Anfang 1932 gelten.613 Denn während bereits in den 1920er-Jahren an unterschiedlichen Orten deutschchristliche Strömungen aufgekommen waren, wobei sich seit 1927/ 28 eine völkisch-radikalere Spielart in Thüringen auszubreiten begann, markierte die Gründung der Glaubensbewegung Deutsche Christen am 11. Februar 612 Olaf Blaschke: Die Kirchen und der Nationalsozialismus, Stuttgart 2014, S. 94; ob das Konkordat zwischen Deutschem Reich und dem Vatikan mit der Zustimmung des Zentrums zum Ermächtigungsgesetz erkauft worden war, ist Gegenstand einer Kontroverse zwischen dem evangelischen Kirchenhistoriker Klaus Scholder (Junktim-These) und dem katholischen Allgemeinhistoriker Konrad Repgen gewesen. Inzwischen gilt ein kausaler Zusammenhang im Lichte neu zugänglicher Akten des Vatikans als widerlegt, gesprochen wird aber von einem »Erwartungszusammenhang«. Hubert Wolf: Reichskonkordat für Ermächtigungsgesetz? Zur Historisierung der Scholder-Repgen-Kontroverse über das Verhältnis des Vatikans zum Nationalsozialismus, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 60 (2012) 2, S. 169–200. 613 Ich beziehe mich im Folgenden auf die überaus hilfreichen Ausführungen bei Blaschke, Kirchen, S. 100–103.

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1932 in Berlin insofern eine Zäsur, als sich diese Richtung ausdrücklich als Verkörperung der kirchenpolitischen Vorstellung der NSDAP begriff: Die Initiative lag in den Händen eines führenden Parteigenossen, nämlich bei Wilhelm Kube, märkischer NSDAP-Gauleiter und Vorsitzender der NS-Fraktion im preußischen Landtag. Erster »Reichsleiter« wurde im Sommer 1932 der »junge [..] fanatische[..] NS-Theologe[..]« Joachim Hossenfelder.614 Auf der Grundlage des »positiven Christentums« führte er unterschiedliche deutschchristliche Strömungen, darunter auch die Thüringer Richtung, zu einer Organisation zusammen, wobei der Name von Hitler ausdrücklich gebilligt und die Bewegung in Preußen »parteiamtlich« anerkannt wurde.615 Mit Bezug auf Punkt 24 des NSDAP-Parteiprogramms stellte sich die Bewegung ausdrücklich gegen die neuheidnische Bewegung der Deutschgläubigen, die mit dem Christentum nichts mehr zu tun haben wollten (die sich wiederum von den sogenannten Gottgläubigen unterschieden, das heißt Nationalsozialisten, die den Kirchen zwar ganz den Rücken gekehrt hatten, sich aber einer »artgemäßen Frömmigkeit« verpflichtet sahen616). Bei den Kirchenwahlen vom 13. November 1932 konnte die Glaubensbewegung Deutsche Christen in den Kirchengemeindeleitungen der evangelischen Landeskirche der altpreußischen Union auf Anhieb ein Drittel der Sitze besetzen. Es ist hier nicht der Ort, die weitere Entwicklung der Glaubensbewegung Deutsche Christen nachzuzeichnen; ebenso wenig sollen die Konfliktlinien referiert werden, die sich 1933 innerhalb der Landeskirchen zwischen den opponierenden Kirchenparteien aufgetan haben; dies ist bereits umfänglich beschrieben und analysiert worden.617 Es ist jedoch wichtig, einige Ereignisse aus diesem, von den Freikirchen aufmerksam betrachteten Zusammenhang zu erwähnen, um die Geschichte der Freikirchen besser verstehen und einordnen zu können.618 614 Manfred Gailus u. Clemens Vollnhals: Völkische Theologen im »Dritten Reich«. Diskurse, Bewegungen und kirchliche Praxis. Zur Einführung, in: Dies. (Hg.): Für ein artgemäßes Christentum der Tat: Völkische Theologen im »Dritten Reich«, Göttingen 2016, S. 7–17, hier S. 10. 615 Blaschke, Kirchen, S. 100. 616 Vgl. die Erläuterungen bei Schmitz-Berning, Vokabular, 281–283; hier S. 282; die erwähnte Bezeichnung wird in einer Definition des Philosophischen Wörterbuches aus dem Jahr 1943 verwendet. 617 Vgl. insbesondere Scholder, Kirchen und das Dritte Reich, Band 1 sowie zum Beispiel Leonore Siegele-Wenschkewitz: Nationalsozialismus und Kirche. Religionspolitik von Partei und Staat bis 1935, Düsseldorf 1974; Kurt Meier: Kreuz und Hakenkreuz. Die evangelische Kirche im Dritten Reich, München 2008 (2. Auflage der überarbeiteten Neuausgabe); Christoph Strohm: Die Kirchen im Dritten Reich, München 2011; Blaschke, Kirchen. 618 Vgl. den »Stenographische[n] Bericht über die Sitzung [des Vorstands der Vereinigung evangelischer Freikirchen und der Aktionsbündnisse jener darin vertretenen Freikirchen] am 27. 7. 1933, in Berlin, Junkerstraße (Methodistenkirche)«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57.

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Sorgen, gerade auch bei den Freikirchen, lösten die Forderungen aus, die von der ersten Reichstagung der Glaubensbewegung Deutsche Christen vom 3. bis 5. April 1933 in Berlin ausgingen.619 Die (G)DC strebten nach der Auflösung der verschiedenen evangelischen Landeskirchen und der Errichtung einer nach dem »Führerprinzip« organisierten Reichskirche. Derweil hatte es innerhalb des evangelischen Kirchenbundes, in dem alle 28 evangelischen Landeskirchen lose zusammengefasst waren, selbst Reformüberlegungen gegeben, die auf die Bildung einer Deutschen Evangelischen Kirche hinausliefen; nun, vor dem Hintergrund des Drängens der (G)DC, wurden sie vorangetrieben.620 In dieser Situation ergriff Hitler Partei, um der (G)DC-Option zum Sieg zu verhelfen: Er bestimmte den nationalsozialistisch orientierten Militärpfarrer und Führer der Deutschen Christen in Ostpreußen, Ludwig Müller, zu seinem Vertrauensmann. Am 25. April 1933 wurde der Geistliche zum »Bevollmächtigten des Reichskanzlers für die Fragen der evangelischen Kirche« ernannt.621 Müller, den Hitler seit 1927 kannte, hatte 1932 bereits dem Berliner Gründungskreis der Glaubensbewegung Deutsche Christen angehört; nach seiner Bevollmächtigung durch Hitler rief ihn die (G)DC zu ihrem »Schirmherrn« aus und designierte ihn zum »Reichsbischof« einer erst noch zu errichtenden Reichskirche. Nun nahm Müller an den Verfassungsberatungen der Kirchenbundspitze teil; als die verfassungsrechtlichen Grundlagen der Deutschen Evangelischen Kirche schließlich unter Dach und Fach waren, sprachen sich die evangelischen Kirchenführer Ende Mai 1933 jedoch nicht für Müller, sondern für Friedrich von Bodelschwingh als Reichsbischof aus. Dieser Akt von Selbstbehauptung zeitigte jedoch keine längerfristige Wirkung; kaum einen Monat später zog Bodelschwingh auf massiven Druck und Gegenwind von Seiten Müllers, der (G)DC und Hitlers seine Kandidatur zurück. Bei den reichsweiten Kirchenwahlen, die auf die Gründung der Reichskirche folgten, siegte schließlich die Glaubensbewegung Deutschen Christen mit einer Dreiviertelmehrheit auf ganzer Linie, unterstützt durch die NSDAP und Hitlers ausdrückliche Wahlempfehlung. Nun wurden die Kirchenleitungen in den meisten Landeskirchen mit Deutschen Christen besetzt. Der Wahl Ludwig Müllers zum Reichsbischof stand nun nichts mehr im Wege; er kam am 27. September 1933 auf der Nationalsynode in Wittenberg in dieses Amt. Doch nach der berüchtigten Kundgebung der Glaubensbewegung vom 13. November 1933 im Berliner Sportpalast, die gänzlich von ihrer radikalen, völkischantisemitischen Strömung bestimmt wurde, zerfiel sie in mehrere Lager.

619 Vgl. Zehrer, Freikirchen, S. 19. 620 Vgl. Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus, S. 67f. 621 Vgl. Siegele-Wenschkewitz, Nationalsozialismus, S. 68; sowie allgemein: Thomas Martin Schneider: Reichsbischof Ludwig Müller. Eine Untersuchung zu Leben, Werk und Persönlichkeit, Göttingen 1993.

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Vor dem Hintergrund der hier nur in groben Zügen skizzierten kirchenpolitischen Entwicklungen zwischen April und September des Jahres 1933 war die Perspektive der etablierten Freikirchen von der Furcht gekennzeichnet, das NSRegime werde ihnen über kurz oder lang »keine eigenständigen Strukturen zugestehen«, man könne der großen Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) zwangsweise einverleibt werden.622

Baptisten Führende Vertreter des Baptistenbundes unternahmen deshalb Schritte in drei Richtungen: zum einen suchte man den Kontakt zu Hitlers Bevollmächtigtem für Kirchenfragen, Wehrkreispfarrer Ludwig Müller, und zur Glaubensbewegung Deutsche Christen, um herauszufinden, wie es um die Zukunft der Freikirche bestellt war. In gleicher Sache engagierte sich, parallel dazu, der Vorstand der Vereinigung evangelischer Freikirchen (VeF), deren erster Vorsitzender seit 1929 der Baptist Paul Schmidt war. Zweitens reiften schon früh Überlegungen heran, sich mit anderen Freikirchen zu einem gemeinsamen Bund zusammenzuschließen, später firmierte diese Idee unter der Bezeichnung »dritte Säule« des kirchlichen Lebens – neben der katholischen und der evangelischen Kirche. Zugleich betrachteten es, drittens, führende Repräsentanten des offiziellen Baptismus als notwendig, den Bund der Baptisten strukturell zu reformieren und den veränderten politischen Verhältnissen anzupassen.623 Erstens: Am 8. April 1933 lud der Baptistenpastor und Schriftleiter Paul Schmidt in seiner Eigenschaft als Vorsitzender der Vereinigung evangelischer Freikirchen (VeF) zu einer Tagung des Vorstands nach Kassel ein. Dort hatten am 19. April 1933 die anwesenden führenden Vertreter der Freikirchen den kühnen Entschluss gefasst, an Hitler selbst heranzutreten, »um von ihm persönlich die Auffassung der Reichsregierung über die Freikirchen zu erfahren und unsererseits durch den Herrn Reichskanzler die Reichsregierung zu informieren«.624 622 Andrea Strübind: Keine dauerhafte, vertretbare Neuordnung – Die Entstehung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden (BEFG) 1941/42 (aus baptistischer Sicht), in: Reinhard Assmann und Andreas Liese (Hg.): Unser Weg – Gottes Weg? Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland – eine historische Bestandsaufnahme. Studientag Kassel 2014, Hammerbrücke 2015, S. 7–38, hier S. 9. Vgl. ihre Überlegungen auch für das Folgende. 623 Vgl. zu dieser Entwicklungen bereits Zehrer, Freikirchen. Strübind, unfreie Freikirche. Liese, Religionspolitik, S. 137–142. Strahm, Bischöfliche Methodistenkirche, vgl. S. 86 zur Idee der »dritten Säule«. 624 Vertraulicher, nicht für die Veröffentlichung bestimmter »Bericht des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen über seine Arbeit von seiner Bestellung am 3. November 1932 bis zum 12. April 1934 [handschriftlich durchgestrichen und handschriftlich

Baptisten

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Habe er sich doch in seiner Rede vom 21. März 1933, am »Tag von Potsdam«, lediglich auf zwei Konfessionen bezogen. Tatsächlich ersuchten Paul Schmidt und der zweite VeF-Vorsitzende Dr. Otto Melle, Direktor des Predigerseminars der Bischöflichen Methodistenkirche, bei der Reichskanzlei um ein Treffen625, waren von dort aber mit der Begründung zurückgewiesen worden, »dass dem Herrn Reichskanzler infolge seiner aussergewöhnlich starken Ueberlastung mit dringenden Amtsgeschäften ein Empfang des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen leider nicht möglich ist«.626 Daraufhin stellte Schmidt Überlegungen über alternative Ansprechpartner an: Er zog nun Reichsinnenminister Frick und Ludwig Müller in Betracht, den Hitler wenige Tagen zuvor zu seinem Bevollmächtigen in Kirchenfragen ernannt hatte. Der VeF-Vorsitzende wollte aber noch Hitlers Rede am 1. Mai 1933 abwarten, offenbar in der Hoffnung, dass sich dieser hierin unter Umständen auch zur Frage der Kirchen und Freikirchen äußern würde.627 Das geschah bekanntermaßen nicht. Am Abend des 1. Mai verständigte sich Paul Schmidt dann mit seinem Co-Vorsitzenden Otto Melle, in den nächsten Tagen um Termine bei Ludwig Müller, Reichsinnenminister Frick und dem preußischen Kultusminister Rust zu ersuchen. Ob Hitlers Bevollmächtigter für Kirchenfragen aber der geeignete Ansprechpartner sei, wurde innerhalb des VeF-Vorstands durchaus bezweifelt, weil dieser doch »für die Sachen der Landeskirchen«, nicht für die Freikirchen zuständig sei.628 Doch dann kam es zu einer »formalen Panne«, wie Paul Schmidt gegenüber dem VeF-Vorstand bekannte: Ohne ihn, Schmidt, zu informieren, hatten seine Glaubensbrüder, die Baptistenpastoren Otto Nehring und Friedrich Rockschies, am 2. Mai 1933 bereits Kontakt zu Ludwig Müller aufgenommen und mit diesem sogleich eine Unterredung zur Sache führen können. Nehring und Rockschies taten dies in ihrer Funktion als Akteure des »Aktionsbündnis« des Baptisten-

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ersetzt mit: 5. November] erstattet vom Vorsitzenden.«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEFKorrespondenz 1922–57. Vgl. dazu: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 19 (07. Mai), S. 149. Vgl. das Schreiben von Paul Schmidt an die Vorstandsmitglieder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen in Deutschland vom 25. 04. 1933, in dem er berichtete, dass »[d]er Brief an den Staatssekretär [Lammers] in der Reichskanzlei wegen unseres Besuches beim Reichskanzler […] von uns beiden [lies: Melle und Schmidt] in Berlin geschrieben und unterzeichnet worden«, aber noch nicht beantwortet sei, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. Zitiert in dem Schreiben von Paul Schmidt an die Vorstandsmitglieder der Vereinigung Evangelischer Freikirchen vom 29. 04. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal, E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. Schreiben von Paul Schmidt an die Vorstandsmitglieder der VeF vom 29. 04. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal, E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. Vgl. den nichtunterzeichneten Briefentwurf eines Vorstandsmitglieds an Paul Schmidt vom 03. 05. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57.

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bundes (dem außerdem noch Friedrich Wilhelm Simoleit angehörte). Eine solche Task Force hatten unterschiedliche Freikirchen zur Regelung der aktuellen kirchenpolitischen Angelegenheiten eingesetzt; das mit führenden Vertretern der jeweiligen Denomination besetzte Gremium war bevollmächtigt, »über weitestgehende Entscheidungen in kürzester Zeit verbindlich zu befinden«629. Schmidt erfuhr erst im Laufe des 2. Mai von dieser Zusammenkunft zwischen Nehring, Rockschies und Müller und änderte daraufhin seine ursprünglichen Reisepläne. Melle hingegen reiste nach Berlin, um am 3. Mai 1933 – wenn schon nicht für die VeF, dann wenigsten für seine eigene Denomination, die Bischöfliche Methodistenkirche – zu verhandeln und tat dies zusammen mit seinem Amtsbruder Keip.630 Das Beispiel zeigt, dass die einzelnen Freikirchen durchaus eigene Agenden folgten und sich nicht alleine durch die Vereinigung evangelischer Freikirchen repräsentiert sahen (was im Fall der Baptisten durch Schmidts Funktion durchaus eine pikante Note hatte); führende Repräsentanten des Baptistenbundes sahen sich nicht zwangsläufig auch einer gemeinsamen Strategie verpflichtet. Das Ergebnis der Unterredung zwischen Rockschies, Nehring und Ludwig Müller beeindruckte jedoch auch Paul Schmidt. Beglückt informierte er seine Kollegen im VeF-Vorstand: »Der Eindruck aller Brüder, die mit Kreispfarrer Müller für uns verhandelten, war, dass sie es mit einem Jünger Jesu zu tun hatten, dem es daran liegt, im Geiste Jesu mit uns zu verkehren.«631 Müller hatte es verstanden, den Baptisten und Methodisten das Gefühl zu vermitteln, ihnen nahe zu stehen; er kenne die Freikirchen, so habe Müller geäußert, von der Allianzgebetswoche. Im Blick auf die zentrale Frage nach der Stellung der Regierung zu den Freikirchen und Gemeinschaften argumentierte Müller, dass es, wie es in dem Bericht von dem Treffen hieß, »nicht die Absicht des Staates sei, die Glaubensüberzeugungen im Volke antasten zu wollen«. Er machte zum anderen aber auch deutlich, dass äußere Formen angepasst werden müssten. Die Regierung gebe hierzu aber keine Vorschläge, es sei vielmehr Pflicht und Aufgabe der Freikirchen, »wünschenswerte oder notwendige Änderungen der Organisation vorzubereiten«.632 Das Band zwischen Müller und dem Baptistenbund war geknüpft und wurde durch den weiteren Austausch fortgesetzt – wie im Zusam-

629 Zehrer, Freikirchen, S. 21. 630 Schreiben von Paul Schmidt an die Mitglieder des Vorstands Evangelischer Freikirchen vom 05. 05. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. 631 Ebd. 632 Bericht ohne Autorennennung, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 21 (21. Mai), S. 166–167, hier S. 166.

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menhang mit der Berliner Bundeskonferenz der Baptisten, zu der Müller Ende Mai 1933 eingeladen wurde.633 So vage Müller in seinen Aussagen auch blieb, bestätigte er im Blick auf die Organisationsstruktur der Freikirchen in Deutschland doch diejenigen, die bereits eigeninitiativ über eine Reform des Baptistenbundes nachgedacht hatten.634 Zu diesen gehörte Dr. Hans Luckey, Dozent am baptistischen Ausbildungsseminar in Hamburg, der später auch in die NSDAP eintrat635; in diesen Tagen, am 28. April 1933, hatte Luckey in einer Stellungnahme für die Bundesleitung der Baptisten zum einen für die Einführung eines »Führerprinzips« im Baptistenbund und zum anderen für die Errichtung eines stärker hierarchisch gegliederten Dachverbands einer Evangelischen Freikirche plädiert.636 Zweitens: Eben diese Frage wurde in einer gemeinsamen Sitzung des Vorstands der Vereinigung evangelischer Freikirchen und Vertretern der freikirchlichen Aktionsbündnisse am 27. Juli 1933 intensiv diskutiert. Die Zukunft der Freikirchen, so führte Paul Schmidt eingangs aus, könnte in vier Richtungen liegen. Eine Variante wäre es, zunächst einmal die weitere Entwicklung abzuwarten und keine Veränderungen in den Organisationsstrukturen vorzunehmen; man werde dann sehen, ob »von außen der Prozeß des Aufsaugens« aufgenommen werde. Zweitens, und diese Variante fand zunächst erhebliche Fürsprecher, könnten sich die einzelnen Freikirchen oder Gemeindebünde jeweils separat in die Reichskirche eingliedern. Eine dritte Möglichkeit wäre es, und diese Option setzte sich am Ende durch, einen von der Reichskirche unabhängigen freikirchlichen Bund zu bilden; alternativ könne dieser auch, viertens, unter das Dach der Reichskirche gestellt werden.637 All diese Überlegungen zu kirchenpolitischen Fragen waren eng mit der Stellung zum NS-Staat verkoppelt. Im Protokoll dieser Sitzung wurde festgehalten, dass bei Schaffung eines Freikirchenbundes dieser »als eine 3. Gruppe in den neuen Staat eingegliedert« werden würde.638 Und in einer kryptischen Weise 633 Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 27, 2. Umschlagseite, »Bekanntmachungen«. 634 Vgl. [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 24 (11. Juni), S. 194. 635 Dr. Hans Luckey trat zum 1. Mai 1937 in die Partei ein; BArch R 9361-IX Kartei/26540357. 636 Strübind, Entstehung des Bundes, S. 10. Strübind, unfreie Freikirche, S. 84. Auch in einer von Paul Schmidt redigierten Zeitschrift wurde bereits im Juni 1933 in der Schriftleiterrubrik »Am Kompaß« rhetorisch gefragt, ob jetzt nicht »die Stunde einer deutschen evangelischen Freikirche« gekommen sei; Der Hilfsbote 43 (1933) 6 (Juni), S. 137. 637 Vgl. den »Stenographische[n] Bericht über die Sitzung [des Vorstands der Vereinigung evangelischer Freikirchen und der Aktionsbündnisse jener darin vertretenen Freikirchen] am 27. 7. 1933, in Berlin, Junkerstraße (Methodistenkirche)«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. 638 Verhandlungsbericht der Sitzung des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen und der Aktionsausschüsse der der Vereinigung angeschlossenen Freikirchen und

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sprachen Schmidt und Melle davon, dass »wir dadurch gemeinsam die Linie zu Hitler« halten – ganz so, wie die Sache bei der katholischen Kirche läge, während bei der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) der Reichsbischof dazwischen geschaltet wäre.639 An anderer Stelle sprach Melle von einer »directen Beziehung zum Kanzler«.640 Den Sitzungsteilnehmern war nicht klar war, wie denn eine solche Unterstellung zu verstehen sei, wie eine Nachfrage des Baptistenpastors Rockschies belegt. Sie bezog sich nicht auf formale Aspekte, dem Bund sollte – wie der Verfassung später zu entnehmen war – ein »Präsident« vorstehen. Die Vorstellung ist wohl eher im übertragen Sinne zu verstehen. Ein Fingerzeig, wie diese Ansicht interpretiert werden könnte, liefert eine Äußerung Paul Schmidts in dieser Sitzung: »Wir müssen uns in das Wesen des Totalstaates hineinfühlen und -denken.«641 Führende Vertreter der Freikirchen, darunter der Baptist Schmidt, wollten sich offenbar Hitler gegenüber in Verantwortung sehen – und das ist vor dem Hintergrund der Entstehungsgeschichte und spezifischen Ekklesiologie der Freikirchen im 19. Jahrhundert erstaunlich. Dass die Freikirchen im »Dritten Reich« auf eine andere Weise denn als ein Bestandteil des NS-Staates existieren könnten, lag womöglich außerhalb der Vorstellungskraft sowohl von solchen, die dem Führerstaat mit Sympathie gegenüberstanden als auch von jenen, die ihn mit Sorge oder Furcht betrachteten. Mit der Entscheidung, einen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, machten die Befürworter eines »Bundes evangelischer Freikirchen«, allen voran Schmidt und Melle, in der Sitzung am 27. Juli 1933 sogleich Nägel mit Köpfen.642 Bereits am 13. August 1933 waren die

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Gemeindebünde, gehalten in Berlin, Junkerstr. 5, am 27. 07. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. Vgl. den »Stenographische[n] Bericht über die Sitzung [des Vorstands der Vereinigung evangelischer Freikirchen und der Aktionsbündnisse jener darin vertretenen Freikirchen] am 27. 7. 1933, in Berlin, Junkerstraße (Methodistenkirche)«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. So im Gespräch mit dem (G)DC-Theologen Fezer; Vgl. die stenografierten Mitschrift des Berichts von Paul Schmidt in der erweiterten VeF-Sitzung vom 27. 07. 1933. Melle habe in dieser Zusammenkunft, so berichtet Schmidt laut dieser Mitschrift, eine Gliederung entworfen, die eine freikirchliche »Dreisäule« neben der evangelischen und katholischen Kirche vorsah. »Stenographischer Bericht über die Sitzung [des Vorstands der Vereinigung evangelischer Freikirchen und der Aktionsbündnisse jener darin vertretenen Freikirchen] am 27. 7. 1933, in Berlin, Junkerstraße (Methodistenkirche)«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEFKorrespondenz 1922–57. Vgl. zu dem Gespräch zwischen Schmidt, Melle und Fezer unten mehr. »Stenographischer Bericht über die Sitzung [des Vorstands der Vereinigung evangelischer Freikirchen und der Aktionsbündnisse jener darin vertretenen Freikirchen] am 27. 7. 1933, in Berlin, Junkerstraße (Methodistenkirche)«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. Verhandlungsbericht der Sitzung des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen und der Aktionsausschüsse der der Vereinigung angeschlossenen Freikirchen und Gemeindebünde, gehalten in Berlin, Junkerstr. 5, am 27. 07. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57.

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Verfassungsarbeiten abgeschlossen, am 4. Oktober 1933 wurde der Entwurf vom Verfassungsausschuss der VeF angenommen.643 Während dieser Zeit, also zwischen Mitte Juli und Anfang Oktober 1933, hatte der VeF-Vorstand und andere freikirchliche Vertreter Gespräche mit Mitgliedern der Kirchenleitung der Glaubensbewegung Deutschen Christen geführt. Sie gingen davon aus, dass die (G)DC-Vertreter den Willen des NS-Staates in der Freikirchenfrage repräsentierten. Dabei war deutlich geworden, dass es, worauf die offenen Aussagen Müllers nicht unbedingt hingedeutet hatten, innerhalb der Reichskirche offenbar durchaus Überlegungen gab, die Freikirchen »in irgendeiner Form […] unter das Dach der Evangelischen Kirche zu bringen«.644 In diese Richtung hatte sich der Tübinger Theologieprofessor Karl Fezer (1891–1960) geäußert, ein Berater Müllers und Mitglied der GDC-Reichsleitung, den Schmidt und Melle am Vortag der Sitzung vom 27. Juli 1933 getroffen hatten.645 Die Lage spitzte sich schließlich durch die Äußerungen des Berliner (G)DC-Pfarrers Karl Jakubski (1880–1960) zu, der sich auf etwas undurchsichtige Weise als Ansprechpartner der Freikirchen gerierte. Seine Befugnis leitete er daraus ab, dass er von Joachim Hossenfelder zum »Reichsreferent für Gemeinschaftswesen und Jugendbund für EC« ernannt worden sei.646 Innerhalb der Freikirchen stiftete er aber Verwirrung, sowohl was seine Ansprüche gegenüber den Freikirchen als auch was seine Kompetenzen anbelangte. Davon zeugte die protokollierte Aussprache der erweiterten Vorstandssitzung der Vereinigung evangelischer Frei-

643 »Verhandlungsbericht der Sitzung des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen Deutschlands und der Vorsitzenden der Aktionsausschüsse der dieser Vereinigung angeschlossenen Freikirchen und Gemeindebünde« vom 4. 10. 1933; vgl. den »Von dem Verfassungsausschuss durchberatene[n] und angenommene[n] Entwurf. Verfassung des Bundes deutscher evangelischer Freikirchen« vom 9. und 13. August 1833, beraten im Verfassungsausschuss in Berlin am 04. 10. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. Der Verfassungsentwurf findet sich abgedruckt auch bei: Strahm, Bischöfliche Methodistenkirche, S. 445f. 644 Vertraulicher, nicht für die Veröffentlichung bestimmter »Bericht des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen über seine Arbeit von seiner Bestellung am 3. November 1932 bis zum 12. April 1934 [handschriftlich durchgestrichen und handschriftlich ersetzt mit: 5. November] erstattet vom Vorsitzenden [=Paul Schmidt].«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. 645 Vgl. den »Stenographische[n] Bericht über die Sitzung [des Vorstands der Vereinigung evangelischer Freikirchen und der Aktionsbündnisse jener darin vertretenen Freikirchen] am 27. 7. 1933, in Berlin, Junkerstraße (Methodistenkirche)«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. Vgl. hierzu auch Zehrer, Freikirchen, S. 22. Karl Heinz Voigt: Ökumene in Deutschland [1848–1945], S. 228. 646 Erich Günter Rüppel: Die Gemeinschaftsbewegung im Dritten Reich (Arbeiten zur Geschichte des Kirchenkampfes Band 22), Göttingen 1969, S. 64; Jörg Ohlemacher: Gemeinschaftschristentum in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Ulrich Gäbler u. a. (Hg.): Der Pietismus im neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert. Geschichte des Pietismus. Band 3, Göttingen 2000, S. 393–464, hier S. 452.

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kirchen vom 4. Oktober 1933.647 Jakubski hatte seinen Gesprächspartnern zuvor unmissverständlich deutlich gemacht, dass sich die Freikirchen und Gemeinschaften unter den Reichsbischof zu stellen hätte (wobei unter den freikirchlichen Vertretern umstritten war, ob dies mit einer »Eingliederung« gleichbedeutet sei). Darüber hinaus wurde er aber von Seiten der Freikirchen auch so verstanden, dass »75 Prozent der Mitglieder in unseren Kirchen Deutsche Christen und Nationalsozialisten sein müßten«.648 (So lässt eine stenografische Mitschrift der Diskussion verlauten; tatsächlich forderte Jakubski, bezogen auf die jeweiligen Kirchenkörper, »daß mindestens 75 % aller ihrer Vorstände bzw. Führerräte mit ausgesprochenen und bewährten Nationalsozialisten und ›D e u t s c h e n C h r i s t e n ‹ bestellt sind«.649) Wie auch immer Jakubskis Forderung verstanden wurde: sie rief, wegen des dahinterstehenden Zwangs, Empörung hervor; die Loyalität gegenüber dem NS-Staat hingegen, das belegen die Sitzungsbeiträge, stand für die Teilnehmer außer Zweifel. Das Problem bestand aber nicht nur in den situativ verstörenden Einschüchterungsversuchen des machtbewussten (G)DC-Pfarrers Jakubski; es herrschte darüber hinaus auch Unklarheit darüber, ob er tatsächlich in höherem Auftrag agierte (diesen Eindruck hatte Jakubski erweckt650) und wer in den entscheidenden Fragen zur Rolle der Freikirchen im Staat denn eigentlich den Hut aufhatte; die weltliche Regierung hielt sich diesbezüglich zurück. In dieser Situation votierten die Vorstandsmitglieder der VeF und die Repräsentanten der freikirchlichen Aktionsbündnisse in ihrer gemeinsamen Sitzung am 4. Oktober 1933 dafür, dass Schmidt und Melle die Angelegenheit mit der Regierung, also im Ministerium des Innern, klären und dabei die Latte, aus ihrer Sicht, eher hoch legen sollten: Sie hatten sich, so lautete ihr Verhandlungsmandat, beim Minister zu »erkundigen, ob die im Bund evangelischer Freikirchen Deutschlands zusammengeschlossenen Kreise nicht doch als selbständige Gruppe in den neuen 647 Vgl. die »Niederschrift von der Vertretersitzung am 04. 10. 1933 in der Junkerstr. 5/6 zu Berlin« (Sitzung des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen Deutschlands und der Vorsitzenden der Aktionsausschüsse der dieser Vereinigung angeschlossenen Freikirchen und Gemeindebünde), in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922– 57. 648 Bericht des Distriktionssuperintendeten Ernst Pieper (Evangelische Gemeinschaft), in: »Niederschrift von der Vertretersitzung am 4. Oktober 1933 in der Junkerstr. 5/6 zu Berlin«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. 649 Eine Mitteilung [Pressemitteilung von Pfr. Jakubski], in: Evangelisches Allianzblatt. Wochenschrift zur Förderung des Glaubenslebens in der Gemeinde des Herrn 53 (1933) 40 (1. Oktober), S. 652 (Hervorhebung im Original). Vgl. dazu das Rundschreiben des Mennoniten Ernst Crous, der als Gast an der Sitzung teilgenommen hatte, und der die Forderung aus dem Evangelischen Allianzblatt zitiert: Ernst Crous: Vertrauliches Rundschreiben vom 16. 10. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933. 650 Strahm, Bischöfliche Methodistenkirche, S. 99 f; vgl. dazu auch Zehrer, Freikirchen, S. 22.

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Staat eingegliedert werden könne.«651 Sollte dieser Versuch scheitern, wurde auch eine Angliederung an die Reichskirche in Betracht gezogen. Schmidt und Melle machten sich sogleich an ihren Auftrag. Bereits am folgenden Tag, am 5. Oktober 1933, trafen sie mit Walter Conrad, Referent für Kirchenfragen im Innenministerium, zusammen, der ihnen versicherte, dass die Einbindung der Freikirchen in die Reichskirche nicht vorgesehen sei. Conrad verwies darauf, dass der Rechtsstatus der Freikirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechtes durch die Verfassung gesichert sei. Schmidt und Melle stellten überrascht fest, dass noch »nicht einmal die Errichtung einer freikirchlichen Säule gefordert werde«652 und erkannten nun, dass »[d]ie Forderung der Gleichschaltung […] nicht vom Staate her[komme], sondern von der Glaubensbewegung ›Deutsche Christen‹.«653 Hatte man aus den Entstehungszusammenhängen der Glaubensbewegung Deutschen Christen sowie aus Hitlers ostentativer Parteinahme für diese Kirchenpartei den Schluss gezogen, sie handle grundsätzlich im Auftrag des NS-Staates, so entpuppte sich diese Wahrnehmung nun als verhängnisvolle Fehleinschätzung. Als die Deutschen Christen den Freikirchen eine Unterstellung unter den Reichsbischof nahelegten, handelten sie nicht in höherem Auftrag, sie nahmen damit sogar ausdrücklich eine Position ein, die den für Kirchenfragen zuständigen Akteuren im Reichsministerium entgegenstand. Am gleichen Tag hatte sich auch eine andere Frage geklärt: In einer Unterredung, die Schmidt und Melle zur Mittagsstunde mit dem Privatsekretär von Reichsbischof Müller, Dr. Jagow, führen konnte, erläuterte dieser, dass Jakubski kein Mandat zur Verhandlung mit den Freikirchen habe.654 Jagow riet ihnen, sich in dieser Frage doch brieflich an Müller zu wenden, der zu dieser Zeit bereits zum Reichsbischof gewählt worden war. Diesem Rat folgen Schmidt und Melle: Aus ihrer Initiative ging ein für die Haltung der Freikirchen zum NS-Staat schließlich entscheidendes Treffen mit 651 Verhandlungsbericht der Sitzung des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen Deutschlands und der Vorsitzenden der Aktionsausschüsse der dieser Vereinigung angeschlossenen Freikirchen und Gemeindebünde am 04. 10. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. 652 Vertraulicher, nicht für die Veröffentlichung bestimmter »Bericht des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen über seine Arbeit von seiner Bestellung am 3. November 1932 bis zum 12. April 1934 [handschriftlich durchgestrichen und handschriftlich ersetzt mit: 5. November] erstattet vom Vorsitzenden.«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEFKorrespondenz 1922–57. 653 [Besprechungsprotokoll und Memorandum] »Unterredung mit dem Referenten für Kirchenfragen im Reichsministerium des Innern Herrn Oberregierungsrat Dr. Conrad nachmittags 16 ½ Uhr«, gez. von Schmidt und Melle (Abschrift), Berlin, den 05. 10. 1933, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. 654 Das jedenfalls machte Dr. Jagow seinen Gesprächspartnern am 05. 10. 1933 unmissverständlich deutlich; vgl. das Protokoll der Unterredung in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEFKorrespondenz 1922–57.

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dem Theologen D. Dr. Simon Schöffel (1880–1959) hervor, der von Reichsbischof Müller zum geistlichen Minister berufen und, wie Schöffel der VeF im einem Schreiben am 20. Oktober 1933 selbst mitteilte, mit dem »Referat über die Freikirchen« betraut worden war.655 In dem Gespräch zwischen Schmidt, Melle und Schöffel am 26. Oktober 1933, an dem auch dessen Referent Kirchenrat Krummacher teilnahm, machte das Mitglied der Reichskirchenregierung Schöffel deutlich, dass keine Absichten zur Eingliederung der Freikirchen in die Reichskirche bestünden.656 Das wollten die Freikirchen gerne schriftlich haben. Also versicherte Schöffel am 11. November 1933 das Gewünschte »nach Rücksprache mit dem Herrn Reichsbischof« daraufhin brieflich.657 Die Baptisten druckten und verbreiteten seine Aussage als Flugblatt.658 Die Lage hatte sich aus Sicht der etablierten Freikirchen damit entspannt. Die Idee einer »freikirchlichen Säule« wurde nicht mehr weiterverfolgt.659 Erst ab 1937, als die nationalsozialistische Religionspolitik darauf zielte, kleine, als illoyal betrachtete Glaubensgemeinschaften aufzulösen, griffen die Baptisten den Ansatz einer freikirchlichen Sammlung wieder auf und suchten zumindest die »Taufgesinnten« zu vereinigen; in dieser Phase nahm der Baptistenbund im Jahr 1938 zunächst Gläubige aus den pfingstlerischen Elim-Gemeinden auf. Später, 1941/42, schloss sich der Bund der Baptisten mit einer Vereinigung aus der Brüderbewegung zum »Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden« zusammen.660 Der bis dahin prägende Name der Freikirche »Baptisten« war nun aus der offiziellen Bundesbezeichnung verschwunden (und ist es noch bis heute).

655 Vertraulicher, nicht für die Veröffentlichung bestimmter »Bericht des Vorstandes der Vereinigung Evangelischer Freikirchen über seine Arbeit von seiner Bestellung am 3. November 1932 bis zum 12. April 1934 [handschriftlich durchgestrichen und handschriftlich ersetzt mit: 5. November] erstattet vom Vorsitzenden.«, in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEFKorrespondenz 1922–57. 656 Die Freikirchen im Dritten Reich, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 49 (03. Dezember), S. 405. 657 Schreiben der Reichskirchenregierung [Schöffel] vom 11. 11. 1933 an die Vereinigung Evangelischer Freikirchen [Abschrift], in: Oncken-Archiv Elstal E2 VEF-Korrespondenz 1922–57. 658 Balders, Kurze Geschichte, S. 92 u. 93, Fußnote 151. 659 Hierfür finden sich – neben dem nachgelassenen »Gleichschaltungsdruck« – auch andere Ursachen, die mit Befürchtungen einzelner Denominationen insbesondere der Bischöfliche Methodistenkirche zu tun haben, etwa eines zu weit gefassten Eingangstors für andere Freikirchen. Vgl. Strübind, unfreie Freikirche, S. 17; Strahm, Bischöfliche Methodistenkirche, S. 106; Zehrer, Freikirchen, S. 23. 660 Vgl. die »Niederschrift der Verhandlungen der 30. Versammlung des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland am 22. Februar 1941 in Berlin O 34 – Gubenerstraße 10«, in: Oncken-Archiv Elstal, Nachlass Paul Schmidt, unverzeichnet (Karton Bund und BfC). Liese, Religionspolitik, S. 399–438.

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Drittens: Parallel zu den skizzierten Überlegungen, im Sommer und Herbst 1933 einen »Bund deutscher Freikirchen« zu errichten, wurde im Frühjahr 1933 die innere Umstrukturierung des Baptistenbundes vorangetrieben. Leitidee war, den kongregationalistisch verfassten Baptistenbund stärker zu zentralisieren. Überlegungen dazu waren bereits im Frühjahr 1933 von unterschiedlicher Seite angestellt worden. Dieser Gedanke wurde also nicht nur von dem Hamburger Dozenten Dr. Hans Luckey in einer internen Stellungnahme geäußert und in der gemeinsamen Erklärung (»Hamburger Wort«) von mehreren jüngeren Baptistenpastoren vorgetragen661; zur gleichen Zeit, nämlich im April 1933, fragte auch Paul Schmidt im Wahrheitszeugen, »ob nicht die Stunde gekommen ist, in der wir uns von der ›Bundesverwaltung‹ zu einer ›Bundesführung‹ im Sinne des Neuen Testaments und der ersten kraftvollen Zeit unserer Geschichte erheben sollen«.662 Schmidt trug die Auffassung, dass der »Gedanke der Führung […] gestärkt werden« müsse, in die Pastorenschaft und Gemeinden hinein663, später unterstützt von anderen führenden Baptisten.664 Rufen wir uns die Struktur des baptistischen Jugendbundes zur Zeit der Weimarer Republik in Erinnerung, so kam der Gedanke, dem Bund eine »straffere« Führung zu geben, wie es zeitgenössisch hieß665, durchaus nicht aus heiterem Himmel. Es gibt aber keine Hinweise darauf, dass derartige Reformvorschläge schon am Ende der Weimarer Republik besonders wirkmächtig gewesen und der Jugendbund dabei für die geforderte Umstrukturierung zum Vorbild genommen worden wäre. Der Referenzrahmen war hier eindeutig die politischen Umwälzungen durch die nationalsozialistische »Machtergreifung«. 661 Balders, »Theologie des Führerprinzips«? Vgl. vom gleichen Autor: Heilige Gefolgschaft; 15 Thesen; Kurze Geschichte, S.: 91f.; sowie Strübind, unfreie Freikirche, S. 83–88, 97–102. 662 [Paul Schmidt:] Aus der Schiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 18 (30. April), S. 142. 663 Der Hilfsbote 43 (1933) 5 (Mai), S. 114 [Rubrik »Am Kompaß«]. Anfang Mai erläuterte Schmidt im Wahrheitszeugen den »Führungsgedanken«: [Paul Schmidt] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 19 (07. Mai), S. 150. Vgl. auch [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 23 (04. Juni), S. 185. Schmidt hält es dort in der »neuen Zeit« für notwendig, »Fragen ihrer eigenen Form und ihrer Organisation« zu überprüfen. »Von innen heraus soll sie [die Gemeinde] für die Fülle des Geistes Raum halten, und von außen her soll den Erfordernissen der Zeit gebührend Rechnung getragen werden.« 664 Hans Fehr: Innerer Umbau, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 26 (25. Juni), S. 207. W. Harnisch: Führerverantwortung und Führerleiden, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 31 (30. Juli), S. 245. Otto Muske: Führung oder Verwaltung, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 308. 665 Vgl. Hans Fehr: Innerer Umbau, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 26 (25. Juni), S. 207.

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Das belegen pejorative Äußerungen gegenüber dem Parlamentarismus, auch innerhalb der Bundesstruktur der Baptisten in eben diesem Zusammenhang eindeutig.666 Dementsprechend wurde dafür plädiert, das Führer-GefolgschaftsPrinzip667 in dem Bereich der Gemeinde aufzunehmen, ohne allerdings das nationalsozialistische »Führerprinzip« zu übernehmen. »Wir denken aber nicht an ein ›absolutes‹ Führertum im Sinne des neuen Staatsdenkens«, führte Hans Fehr im Juni 1933 im Wahrheitszeugen aus. »Das ist in den Dingen des Reiches Gottes nicht möglich. Wir brauchen die Räte und den Rat […].«668 Im Frühjahr 1933 befasste sich eine Arbeitsgruppe mit Reformvorschlägen, die im Mai 1933 auf der Bundesversammlung, dem obersten Beschlussgremium, vorgetragen wurden.669 Danach sollte die vielköpfige Bundesverwaltung und deren Vorsitzender mit drei zu wählenden Ältesten ersetzt werden. Obwohl die Reformvorschläge durchaus sehr kontrovers diskutiert wurden, wobei sich der »Vater« der zur Zeit der Weimarer Republik reformierten Bundesverfassung, August Rausch, mit einer kritischen Bewertung hervortat, wurde der Vorschlag zur Hierarchisierung am Ende angenommen.670 Gewählt wurden: Simoleit, Rockschies und Fehr. Nehring trat als Bundesgeschäftsführer beschlussgemäß als Bundesältester hinzu. Daraufhin äußerte einer der Verhandlungsleiter, Gemoll, mit Pathos: »Wir stehen an einem Opferaltar und legen darauf allen überspitzten Individualismus und Parlamentarismus, die überbetonte Freizü666 Friedrich Rockschies: »Gleichschaltung« auch im Bunde?, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 21 (21. Mai), S. 164–165 und Nr. 22 (28. Mai), S. 174–175; hier auf S. 174: »Diesen unfruchtbaren Parlamentarismus mit all den Zänkereien können wir doch nicht ohne weiteres als eine Schöpfung des Heiligen Geistes bezeichnen.« Vgl. auch: P. S.[wahrscheinlich: Paul Schmidt!]: Gemeinde und Evangelium, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 155, der argumentiert, dass die Demokratie im Raum der Gemeinde kein Grundgesetz darstellen könne. Vgl. auch C. Brauns: Die Gemeinde des Herrn und der neue Staat [Schluss], in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 32 (06. August), S. 257–258, hier S. 257f. 667 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 38 (17. September), S. 315. 668 Hans Fehr: Innerer Umbau, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 26 (25. Juni), S. 207. 669 Die von der Bundesverwaltung gewählte Kommission bestand aus: Hans Fehr, Otto Nehring, Friedrich Rockschies, Paul Schmidt, Friedrich Wilhelm Simoleit. Vgl. Hans Mallau: Der erste Konferenztag, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 304–305. 670 Vgl. [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 38 (17. September), S. 315. Davon, dass die Umstrukturierung des Bundes in Teilen der Baptisten auch Fragen und Unverständnis hervorrief, zeugt auch die Argumentation von Fehr, der darauf reagiert: Hans Fehr: Der Sinn der neuen Bundesreform, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 51 (17. Dezember), S. 419–420.

Baptisten

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gigkeit und unsere Schuld, Sünde, Ohnmacht, Kleinmütigkeit und Kleingläubigkeit. Wir stehen um dieses knisternde Opferfeuer und erheben unsere Hände: Von dir, o Herr, lassen wir nicht, unter keinen Umständen! Einander geloben wir: Auch voneinander lassen wir nicht! Wir sind ein einig Volk. […]«671 Paul Schmidt kommentierte die Umstrukturierung im Wahrheitszeugen als Voraussetzung, »für unsere vermehrte Arbeit im Dritten Reiche«.672 Letztlich konnten sich die Zentralisierungstendenzen vor allem in den Gemeinden nicht behaupten. Auf der nächsten turnusmäßigen Bundesversammlung kehrte der Bund im Jahr 1936 wieder zur früheren Leitungsstruktur zurück, wobei von der bisherigen Riege nur mehr Friedrich Rockschies als 1. Vorsitzender der Bundespitze angehörte.673 Betrachten wir die drei skizzierten Entwicklungen im Überblick, wird deutlich, wie sehr führende Baptisten zwischen Frühjahr und Herbst 1933 darauf bedacht waren, eine dem NS-Staat angemessene Struktur zu finden. Das zeigt die Bereitschaft, sich notfalls auch einer von Deutschen Christen geführten Reichskirche anzugliedern ebenso wie die Aufnahme des Führer-Gefolgschaft-Prinzips. Insofern lässt sich eine zweifache Interaktion mit dem NS-Staat beobachten: Es gab zum einen die Gesprächsebene mit Ludwig Müller und anderen Vertretern der Deutschen Christen, in denen man zugleich die rechtmäßigen Repräsentanten des NS-Staates sah. Als eine Art indirekte Interaktion lassen sich, zweitens, aber auch die strukturellen Veränderungen des Baptistenbundes im Sommer des Jahres 1933 lesen: Der Bund suchte und trachtete nach Formen, die mit der politischen Gestalt des NS-Staates korrespondierten. Wie gut das Verhältnis zwischen NS-Staat und dem Baptistenbund im Herbst 1933 war, zeigen auch die Vorbereitungen der Baptist World Conference, die nach Willen der deutschen Baptisten 1934 in Berlin stattfinden sollte (um damit 671 W. R.: Der zweite Konferenztag. Stunden der Erhebung, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 305–307, hier: S. 306. 672 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 37 (10. September), S. 308. Bezeichnenderweise wurde ausgerechnet (auch) in dieser Ausgabe des Zentralorgans der Baptisten auf der Anzeigenseite unter der Überschrift »Unser Staat« auch für Hitlers »Mein Kampf« geworben, verbunden mit dem Hinweis: »Jeder, der Teil haben will am Geschehen um uns, jeder, der sich über die Ziele unserer Reichsführung eingehend unterrichten will, muß dieses Buch lesen. Daß dieses Buch hier angezeigt wird, ist noch keine Zustimmung zu allen seinen Teilen. Der prüfende, abwägende, ernsthafte Leser wird die Grenzen finden die Christen in diesen Gedankengängen gesetzt sind. Über manches kann man sich von Herzen freuen.« Umschlag (hinten/innen). Auch Joachim Hossenfelders »Unser Kampf« wurde angezeigt ebenso wie Hans Grimms »Volk ohne Raum« (»Auch als Christen können wir die berechtigte Forderung unterstreichen: ›Gebt uns unsere Kolonien wieder!‹«) Vgl. bereits Nr. 24 (11. Juni), wo für Hitlers »Mein Kampf« geworben wurden und wo sich zudem der Hinweis findet: »Wir besorgen alle guten Bücher, natürlich auch die der nationalen Erhebung«; erneut finden sich die Anzeige in der Ausgabe Nr. 50 (10. Dezember). 673 Balders, Kurze Geschichte, S. 92.

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zugleich auch das 100-jährige Bestehen der Baptistengemeinden in Deutschland zu würdigen). Nachdem der Baptistenbund von Seiten des Staates positive Signale erhalten hatte674, gelang es einem führenden Repräsentanten der Baptisten, Missionsdirektor Simoleit, bei einer USA-Reise den Weltbund dazu zu bewegen, in Berlin zu tagen. Vertreter des Auswärtigen Amtes, des Reichspropagandaministeriums, der Stadt Berlin und des Baptistenbundes zogen hier an einem Strang und sicherten sich gegenseitige Unterstützung zu: Von Seiten des Staates wurde den Baptisten in den Vorverhandlungen Redefreiheit zugesichert675 und die Bewerbung durch das Reichspropagandaministerium unterstützt.676 Auf der anderen Seite präsentierte sich der Baptistenbund als Fürsprecher des NS-Staates im Ausland; man hätte, so wurde in verschiedenen Sitzungen betont, starke Vorbehalte gegenüber Deutschland durch intensives Werben ausräumen können; wobei Simoleit darauf hinwies, dass die »antideutsche Propaganda« in den USA durch »jüdische Kreise« verbreitet worden sei – und stand dabei mit dem nationalsozialistischen Antisemitismus in einer Argumentationslinie.677 Am Ende wurde die Weltkonferenz sogar vom NS-Staat finanziell unterstützt: Das Reichspropagandaministerium übernahm die Hälfte der Mietkosten für die Messehalle (in Höhe von 2.500 Reichsmark), während die Messegesellschaft selbst die andere Hälfte der Kosten trug.678

Die Auflösung der freikirchlichen Jugendbünde Hatte sich der NS-Staat gegenüber den Freikirchen nicht zur Frage der äußeren Gestalt ihrer Gemeindebünde eindeutig geäußert, so wurde bald klar, dass er bündische Formen von kirchlicher Jugendarbeit nicht dulden würde. Mit dem 674 Vgl. das Schreiben des Auswärtigen Amtes VI A 1946 an den Oberbürgermeister der Stadt Berlin vom 30. 09. 1933, in: Landesarchiv Berlin A Rep. 001-02 Nr. 460. 675 Vgl. den Vermerk des Berliner Bürgermeisters Hafemann über die Besprechung zum »Baptistenkongress 1934« vom 09. 10. 1933 im Auswärtigen Amt, an dem auch ein Vertreter des Propagandaministeriums sowie Simoleit, Nehring und Rockschies vom Baptistenbund teilgenommen hatten, in: Landesarchiv Berlin A Rep. 001-02 Nr. 460. 676 Abschrift VI A 2842 des Schreibens des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland an das Auswärtige Amt, Hofrat Pollow, vom 05. 12. 1933 (mit der Ortsangabe Neuruppin, dem Wirkungsort Simoleits), in: Landesarchiv Berlin A Rep. 001-02 Nr. 460. 677 Abschrift VI A 2842 des Schreibens des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland an das Auswärtige Amt, Hofrat Pollow, vom 05. 12. 1933 (mit der Ortsangabe Neuruppin, dem Wirkungsort Simoleits), in: Landesarchiv Berlin A Rep. 001-02 Nr. 460. Vgl. zur Verwendung antisemitischer Stereotype bei Nehring während seiner USA-Reise: Strübind, unfreie Freikirche, S. 119. 678 Vgl. das Schreiben des Reichsministers für Volksaufklärung und Propaganda an den Oberbürgermeister der Stadt Berlin vom 27. 04. 1934, in: Landesarchiv Berlin A Rep. 001-02 Nr. 460.

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Schulterschluss zwischen Ludwig Müller und Baldur von Schirach war auch das Ende der freikirchlichen Jugendbünde besiegelt: Am 19. Dezember 1933 beschlossen der »Reichsbischof der Evangelischen Kirche« und der »Jugendführer des Deutschen Reiches« und der NSDAP vertraglich, das Evangelische Jugendwerk in die HJ einzugliedern. Unter dem Dach des Evangelischen Jugendwerkes hatten sich im Juli 1933 die evangelischen Jugendorganisationen mit insgesamt 800.000 Mitgliedern zusammengefunden.679 »Mit dem Einigungsvertrag anerkannte das evangelische Jugendwerk die staatspolitische Erziehung ihrer Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren durch die Hitler-Jugend […].«680 Die Jugendlichen sollten HJ-Uniformen tragen und ihre Zeit an manchen Wochenund Sonntagen in der HJ, an anderen in der evangelischen Jugend verbringen, die sich allerdings auf Bibelarbeit zu beschränken hatte. Gegen den Einigungsvertrag sperrten sich manche der evangelischen Verbände, wie der Bund deutscher Bibelkreise – der sich im Februar 1934 selbst auflöste.681 Die Situation für die organisierte freikirchliche Jugendarbeit war etwas vertrackt. Denn einerseits hatten sich deren Jugendbünde – konkret die der Baptisten, Bischöflichen Methodistenkirche, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Evangelischen Gemeinschaft und der Freien evangelischen Gemeinden – unter das Dach des Evangelischen Jugendwerkes begeben, nachdem sie sich bereits seit dem Jahr 1922 mit der »Evangelischen Jugend Deutschlands« verbunden hatten682; andererseits gehörten aber die Freikirchen ja nicht der Deutschen Reichskirche an, zu der sich die evangelischen Landeskirchen im Juli 1933 vereinigt hatten. War der Vertrag, den der Reichsbischof geschlossen hatte, also auch für die freikirchlichen Jugendbünde bzw. deren Jugendarbeiten im Evangelischen Jugendwerk bindend? Wie oben ausgeführt, hatte der Reichsbischof im Oktober 1933 (über Dr. Simon Schöffel) versichert, dass die Reichskirche keine Absichten hege, die Freikirchen zwangsweise einzugliedern.683 Darauf bezogen sich die freikirchlichen Jugendverbände im November 1933, als Paul Schmidt im Organ des baptistischen Jugendbundes, Der Jungbrunnen, argumentierte, dass die Befehlsgewalt des Reichsbischofs nur insoweit gelte, »als es dem Verhältnis zur deutschen Evangelischen Kirche entspricht: ein freundschaftliches Mitein679 Zur Mitgliedsziffer: Arno Klönne: Jugend im Dritten Reich. Die Hitlerjugend und ihre Gegner, Köln 1999, S. 24. 680 Katja Förster: Die Geschichte der Jugendarbeit in Karlsruhe, Karlsruhe 2011, S. 103. 681 Klönne, Hitlerjugend, S. 174. 682 Zehrer, Freikirchen, S. 25. Vgl. zur organisatorischen Einbettung auch das Schreiben Paul Schmidts »An die Mitglieder des Vorstandes im B.J.B.« vom 19. 05. 1933, in: Oncken-Archiv Bestand D 4/Jünglingsvereine/Jugendarbeit, Sammelmappe »Sitzung des Reichsverbandes der Evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands 1933«. 683 Kösling, Baptisten, S. 175. Vgl. zur Biografie Schöffels: Rainer Hering: Schöffel, Johann Simon, in: Neue Deutsche Biographie 23 (2007), S. 358–359. [Onlinefassung] URL: http:// www.deutsche-biographie.de/ppn118758837.html (Aufruf am 28. 08. 2020).

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ander«.684 Mit Erich Stange, dem Leiter des Evangelischen Jugendwerks, hatte der frisch gewählte Vorsitzende des »Verbands freikirchlicher Jugendbündnisse« gemäß eines Vorstandsbeschlusses zudem vereinbart, dass die einzelnen freikirchlichen Jugendbündnisse als Einheit, als Verband dem Jugendwerk angehören sollten.685 Am 23. Dezember 1933 verschärfte sich die Lage jedoch, als der Reichsbischof Stange ab- und sich selbst auf dessen Stuhl setzte. Jetzt war den freikirchlichen Akteuren klar, wie brüchig die Argumentationslinie war, die Jugendverbände seien von der Gleichschaltung der evangelischen Jugend (unter deren Dach sie standen) nicht betroffen, weil die Freikirchen nicht der Reichskirche angehörten. An verschiedenen Fronten versuchten diese nun, die Interessen des freikirchlichen Verbandes zu verfechten. Bliebe es bei dem Vertrag zwischen Jugendwerk und Reichsjugendführung, wollte sich der Verband vom Evangelischen Werk trennen; dem Reichsbischof galt es, zweitens, mitzuteilen, dass dieser Vertrag für die freikirchliche Jugend als nicht verpflichtend betrachtet werde; schließlich sollte, drittens, direkt mit dem Reichsjugendführer und dem Reichsinnenministerium verhandelt werden, um für die Jugendarbeit den Erhalt des Sonntages zu fordern und die zwangsweise Eingliederung in die HJ abzuwenden.686 Die Logik hinter dem Widerstand gegen Müllers Gleichschaltungspolitik war: »Wir folgen nur dem staatlichen Befehl«.687 Er zielte ausdrücklich nicht gegen den NS-Staat als solchen. In der November-Tagung des Verbandes 1933 war unterstrichen worden, wie groß die Zustimmung zum NS-Staat war. »Es bedarf wohl einer Neubesinnung zu Staat, Volk und Regierung«, so referierte der Mennonit Walter Fellmann einen Vortrag des »methodistischen Bundesführers« Johannes Hertler,

684 Der Jungbrunnen, Dezember 1933, S. 200, zitiert nach Kösling, Baptisten, S. 229. 685 Vgl. den handschriftlichen Bericht »Jahresversammlung freikirchlicher Jugendbündnisse vom 4.–6. November [1933] in Frankfurt a/Main« von W. Fellmann, Monsheim, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 21 (Jugendarbeit/Briefwechsel chronologisch 1929–1946). Dem Vorstand des Verbands freikirchlicher Jugendbünde gehörte seit der Vorstandswahl vom 06. 11. 1933 an: der baptistische »Jugendführer« Paul Schmidt, als erster Vorsitzender; der methodistische »Bundesführer« Johannes Hertler, vormals als erster, jetzt zweiter Vorsitzender; Br. Pfäfflin von der Evangelischen Gemeinschaft (Stuttgart) als Schriftführer; der Jugendwart der Freien evangelischen Gemeinden, Hein; sowie der Mennonit Walter Fellmann. 686 Betr. Vertrag von Reichsbischof Müller mit Baldur von Schirach. Beschluss der Vorstandssitzung des Verbandes Freikirchlicher Jugendbündnisse vom 4. Januar 1934. Vertraulich! Abschrift, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 21 (Jugendarbeit/Briefwechsel chronologisch 1929–1946). 687 Vgl. Punkt 2.) der Aussprache. Sitzungsbericht vom Vorstand freikirchlicher Jugendbündnisse am 4. Januar 1934 in Frankfurt a. Main, Schweizer Hof, von W. Fellmann, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 21 (Jugendarbeit/Briefwechsel chronologisch 1929–1946).

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»aber keine Umstellung. Unsere Stellung ist uns längst in der Bibel gegeben. Aber sicher ist, dass es leichter ist, einer Regierung zu gehorchen, deren Führer sich zur Abhängigkeit von Gott bekennt, die die Zerrissenheit unseres Volkes bekämpft, die den Arbeitern und Bauern [sic] beschützt, die die innerste Volksgemeinschaft herstellt, den Kampf aufnimmt gegen die Gottlosenbewegung, die so energisch ausfegt mit dem in Presse, Kunst, Radio in Erscheinung tretenden Kitsch und Schmutz.«

Doch Hertler bezog eindeutig Stellung gegen eine Selbsteingliederung der konfessionellen Verbände in diejenigen der NSDAP. Er argumentierte klar für deren Erhalt »weil ihnen ein inneres Schwergewicht innewohnt«, so berichtete Fellmann.688 Einzelne Christen könnten als Missionare in NS-Organisationen wie SA oder SS eintreten, wenn sie sich ausdrücklich dazu berufen sähen, müssten aber von ihren Gemeinden für diesen Dienst ausgesandt werden; und wenige seien einer solchen Aufgabe gewachsen.689 Vor diesem Hintergrund ist es mehr als verständlich, dass gar eine zwangsweise Überführung der Jugendbünde in die HJ für die Akteure der freikirchlichen Jugendbünde nicht in Frage kam, so sehr sie sich ihrer Loyalitätspflicht gegenüber dem NS-Staat gewiss waren. In der Vorstandssitzung des Verbandes freikirchlicher Jugendbündnisse vom 4. Januar 1934 wurde festgehalten: »a) Eine geschlossene Überführung unserer Jungens und Mädchen in die H.J. können wir gewissensmäßig nicht verantworten. b) Die Verpflichtung für den Sonntagsdienst in der vorgesehenen Form ist für uns unannehmbar.« Am 7. Februar 1934 traf sich Paul Schmidt mit der »Reichsjugendführung«. Von einer Verhandlung mit dem stellvertretenden Reichsjugendführer zu sprechen, wäre indes etwas übertrieben: Schmidt trug zwei Varianten vor, wie sich der freikirchliche Verband verhalten könne und wollte wissen, wie dies jeweils interpretiert werden würde: »1. Wir bleiben in der bündischen Jugendarbeit, 2. Wir lösen die bündische Jugendarbeit auf.«690 Die Reichsjugendführung bevorzugte die zweite Variante – wie hätten freikirchliche Jugendliche in einem Jugendwerk bleiben können, in dem die übrigen evangelischen Jugendlichen in die HJ ge688 Handschriftlichen Bericht »Jahresversammlung freikirchlicher Jugendbündnisse vom 4.– 6. November [1933] in Frankfurt a/Main« von W. Fellmann, Monsheim, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 21 (Jugendarbeit/Briefwechsel chronologisch 1929–1946). Der Bericht wurde im baptistischen Organ Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 55 (1933) 52/53 (24. Dezember), S. 434 bis 435 und von Kösling, Baptisten, ausführlich zitiert (S. 226–228). 689 Vgl. den handschriftlichen Bericht »Jahresversammlung freikirchlicher Jugendbündnisse vom 4.–6. November [1933] in Frankfurt a/Main« von W. Fellmann, Monsheim, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 21 (Jugendarbeit/Briefwechsel chronologisch 1929–1946). 690 Protokoll der außerordentlichen Kommissionssitzung in Ludwigshafen Bürgerbräu am 12. 02. 1934, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 24. (Jugendarbeit/Sitzungen/1934–1960).

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zwungen worden waren, ohne selbst dieser NS-Organisation anzugehören? – und unterbreitete weiterhin folgenden »Vorschlag eines Vertrages«, dem der Eingliederungsvertrag mit dem Evangelischen Jugendwerk als Blaupause zugrunde lag: »Abkommen über die Eingliederung des Verbandes freikirchlicher Jugendbündnisse Deutschlands 1.) Der Verband freikirchlicher Jugendbündnisse Deutschlands erkennt die einheitliche staatspolitische Erziehung der deutschen Jugend durch den nationalsozialistischen Staat und die Hitlerjugend als Trägerin der Staatsidee an. 2.) im Hinblick darauf löst der Verband freikirchlicher Jugendbündnisse Deutschlands seine Jugendgruppen, die die männliche Jugend bis zum 18. Lebensjahr und die weibliche Jugend bis zum 21. Lebensjahr umfassen, auf und verzichtet künftighin auf eine Zusammenfassung dieser jugendlichen Mitglieder in speziellen Jugendgruppen. 3.) der Verband freikirchlicher Jugendbündnisse Deutschlands stellt seinen jugendlichen Mitgliedern anheim, sich in das Jungvolk, in die Hitlerjugend und in den Bund Deutscher Mädchen [sic] einzugliedern. 4.) die religiöse Betreuung der ehemaligen Mitglieder des Verbandes freikirchlicher Jugendbündnisse Deutschlands geschieht im Rahmen des Gemeindelebens der Freikirchen. 5.) Sollten die Freikirchen landschaftliche Zusammenkünfte ihrer jugendlichen Anhänger im Interesse der religiösen Pflege für notwendig erachten, so sind die verpflichtet, für diese Zusammenkünfte die vorherige Genehmigung der Reichsjugendführung einzuholen.«691

Daraufhin lösten die Freikirchen ihre Jugendbünde auf.692 Am 10. Februar 1934 geschah dies bei den Baptisten. Im zentralen Organ der Freikirche, dem Wahrheitszeugen, ließen die Jugendbundesleitung und die Bundesältesten (Simoleit, Rockschies, Fehr und Nehring) das von der Reichsjugendführung Geforderte verlauten: »Die Neugestaltung des gesamten Staats- und Volkslebens im Dritten Reich überwindet die bisherige Form der Jugendarbeit. Wir erkennen die einheitliche staatspolitische Erziehung der deutschen Jugend durch den nationalsozialistischen Staat und die Hitlerjugend als Trägerin der Staatsidee an. Im Hinblick darauf lösen wir mit dem 10. Februar den Jugendbund der deutschen Baptistengemeinden mit all seinen Gliederungen auf. Wir stellen es unseren jugendlichen Mitgliedern anheim, sich in das Jungvolk, in die Hitlerjugend und den Bund deutscher Mädel einzugliedern.«693

Immerhin hatten die Freikirchen den Zwangsbeitritt ihrer Jugendlichen zur HJ abwenden können, wenn auch zu dem Preis, dem Staat weitgehende Rechte in der Erziehung der Jugend einzuräumen und den Jugendlichen einen Beitritt in die HJ 691 Protokoll der außerordentlichen Kommissionssitzung in Ludwigshafen Bürgerbräu am 12. 02. 1934, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 24. (Jugendarbeit/Sitzungen/1934–1960). 692 Strübind, unfreie Freikirche, S. 138. Strahm, Bischöfliche Methodistenkirche, S. 139. 693 An alle unsere Gemeinden, die Landes- und Gruppenführer und die Bundesbeauftragten im B.J.B., in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der deutschen Baptisten 56 (1934) 8 (25. Februar), S. 59.

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»anheimzustellen«. Was aber wie eine Empfehlung klang, kann als minimaler Ausdruck von Selbstbehauptung interpretiert werden, darauf hat Andrea Strübind zurecht hingewiesen: Denn so sehr sich die beiden, das Evangelische Jugendwerk und den freikirchlichen Verband betreffenden »Vertrags«-Texte sprachlich und inhaltlich glichen, unterschieden sie sich doch in einem wichtigen Punkt: beim Jugendwerk wurden Jugendliche »eingegliedert«, bei den Freikirchen gab es wenigstens einen »Entscheidungsfreiraum«.694 Später wurde diese Entscheidungsmöglichkeit durch den NS-Staat eingeengt. Vor allem im Jahr 1936 wurde der Druck auf Kinder, Jugendlichen und Familien erhöht, die Hitlerjugend zur Staatsjugend erklärt. Seit März 1939 war die Teilnahme an der »Jugenddienstpflicht« schließlich unumgänglich695 Am Anfang des Jahres 1939 waren 90 Prozent der Kinder und Jugendlichen zwischen zehn und 18 Jahren (beiderlei Geschlechts) in der Hitlerjugend organisiert.696 Wir verfügen über eine Stichprobe zum Organisationsgrad von Kindern aus dem baptistischen Kontext, die sich mit dieser Zahl in Beziehung setzen lässt: Für eine im Juli 1938 stattfindende Bibelfreizeit in Saarow wurden bei der Gestapo 81 Kinder vorgemeldet; Jungen aus Berlin, Eberswalde, Templin, Wittenberge und der Niederlausitz, die meisten von ihnen zwischen 1924 und 1927 geboren (also zwischen 11 und 14 Jahre alt). 20 von ihnen, das entspricht 24,7 Prozent, waren nicht im Jungvolk oder in der Hitlerjugend organisiert. Dreiviertel aller Jungen aus dieser Stichprobe gehörten also einer NS-Gliederung an. Dieser Befund lässt den Schluss zu, dass der Organisationsgrad von Kindern aus dem baptistischen Umfeld697 im Jahr 1938 zwar sehr hoch war, aber womöglich etwas geringer war als jener der Gesamtheit aller deutschen Kinder und Jugendlichen.698 Auch die Jugendkommission der Konferenz Südwestdeutscher Mennoniten hatte gegen den oben zitierten »Vertrag« nichts einzuwenden, lediglich Punkt fünf schien den Kommissionsmitgliedern nicht praktikabel zu sein. Erwünscht wurde hier stattdessen eine Art Generalbefreiung für feststehende, wiederkehrende Veranstaltungsarten. Diese sollten deshalb dem Verbandsvorsitzenden Schmidt gemeldet werden. Sollte dieser Weg nicht erfolgreich sein, so die mennonitische Jugendkommission, könne man immer noch selbst mit der »Reichsjugendführung« verhandeln. (Mit dieser stand sie 1933, vor dem Vollzug 694 Strübind, unfreie Freikirche, S. 138. 695 Vgl. Frei, Führerstaat, S. 116. 696 Vgl. Kathrin Kollmeier: Ordnung und Ausgrenzung. Die Disziplinarpolitik der Hitler-Jugend, Göttingen 2007, S. 45. 697 Es ist wahrscheinlich, lässt sich allerdings nicht belegen, dass die Familien, aus denen die Kinder kamen, die an einer baptistischen Freizeit teilnahmen, tatsächlich allesamt auch einer Baptistengemeinde angehörten. 698 »Teilnehmerliste für die konfessionelle Bibelfreizeit in Saarow« vom 27.8 bis 7. 7. 1938 einschließlich der Nachmeldungen, in: BArch R 5101/23398.

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der Gleichschaltung des Evangelischen Jugendwerkes, bereits in Kontakt, als sie von Schirach 800 mennonitische Jugendliche als Mitglieder einer bündischen Jugendorganisation gemeldet hatte. Daraufhin war eine Aufforderung zur jährlichen Beitragszahlung pro Mitglied in die Reichsjugendkasse ergangen; doch Stange, der Leiter des Evangelischen Jugendwerkes, bat darum, man möge mit der Entrichtung der Beiträge warten, bis die Sache völlig geklärt sei.699) Vor dem Hintergrund dieser dramatischen Entwicklung ist es erstaunlich, dass seitens der Jugendkommission oder von Gemeindeältesten in dieser Phase nicht versucht wurde, die mennonitische Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft zu beeinflussen oder gar zur Auflösung zu drängen. Dass sie durchaus im Blick der Jugendkommission war, belegt der Hinweis auf das Rundbrieftreffen im Zusammenhang mit den »meldepflichtigen« Veranstaltungen (laut Punkt 5 der »Vertrages«). Die Rundbriefgemeinschaft entwickelte sich unbehelligt von diesen Fährnissen. Hier zahlte sich womöglich aus, dass sich die Gruppe informell organisierte (auch wenn ihre Angehörigen in Sprache und Habitus gerne auf Formen einer formalen Organisationsform rekurrierten: »Kreiswart«). Die Rundbriefgemeinschaft bewegte sich somit offenbar in einer Nische: sie war weder ein im Zusammenhang mit der Gleichschaltung der Jugendorganisationen staatlicherseits abzuschaffender Jugendbund noch eine von freikirchlicherseite aufzulösende gemeindliche Organisationsform. Die Rundbriefgemeinschaft überdauerte also die Krise des Kirchenkampfes in den Jahren 1933/34 und setzte ihre Aktivität, wenn auch mit zum Teil anderen Akteuren, bis in die ersten beiden Kriegsjahre hinein fort, ehe sie offenbar aus ganz praktischen Gründen zum Erliegen kam.700 Bei den Teilnehmenden der mennonitischen Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft handelt es sich in der Regel um junge Erwachsene. Die Älteren von ihnen waren um oder nach 1900 geboren worden701, die Jüngeren um oder nach 1910.702 Somit waren die Teilnehmenden im Jahr der nationalsozialistischen Machtübernahme ungefähr zwischen Anfang zwanzig bis Mitte dreißig Jahre alt. Wie 699 Vgl. das Protokoll der außerordentlichen Kommissionssitzung in Ludwigshafen Bürgerbräu am 12. 02. 1934, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 24. (Jugendarbeit/Sitzungen/1934–1960). 700 Meine Befunde zur Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft habe ich in den Beiträgen veröffentlicht: Imanuel Baumann: Die »Mennonitische Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft« und die nationalsozialistische »Machtergreifung«, in: Kobelt-Groch/von Schlachta, Mennoniten, S. 90–107; und: Volksbegriff und Antisemitismus bei der mennonitischen Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft in der Etablierungsphase des NS-Regimes, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016) 1, S. 123–148. 701 Zum Beispiel 1899: Walter Fellmann, Erich Göttner, Grete (Margarete) Dyck; 1902: Cornelius Krahn; 1903: Hans Harder, Ernst Fellmann; 1905: Gerhard Hein. 702 Zum Beispiel 1910: Theo Glück, Rudolf Funk, 1911: Ernst Dettweiler, 1912: Paul Schowalter, Horst Quiring, Dirk Cattepoel.

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lässt sich die Gruppe phänomenologisch charakterisieren? In der ersten Hälfte der 1930er-Jahre waren Formen und Sichtweisen der Jugendbewegung prägend gewesen. Besonders anschaulich wird das an der Gestaltung des Treffens an Ostern 1934, über das wir durch drei Berichte, einmal aus der Feder von Grete Dyck (publiziert in der Mennonitischen Jugendwarte) zum anderen von Herbert Schmutz (für die rundbriefinternen Mitteilungen) und schließlich von Theo Glück und Ernst Fellmann (für die Mennonitischen Blätter) gut unterrichtet sind.703 Im Gemeinschaftserleben und dem Naturbezug als Erfahrung von Gottes Schöpfung sowie in den sozialen Formen und explizit im Liedgut kamen Prägungen durch die Jugendbewegung zum Vorschein. Ein die Akteure der Rundbriefgemeinschaft einigendes Element war der Bezug auf Gemeinschaft. In einem auf dem »Kreisleitertreffen« in Durlach am 30. und 31. Dezember 1933 verabschiedeten »Merkblatt« mit dem Titel »Was will der Rundbrief ?« wurde ausgeführt: »Der Rundbrief will der zerstreuten mennonitischen Jugend die Möglichkeit lebendiger Gemeinschaft bieten. Er sucht junge Mennoniten verschiedener Gaue und Länder einander näher zu bringen. […] Der Rundbrief will wirkliche Verbundenheit schaffen. Darum wird von seinen Teilnehmern erwartet, daß sie den Gemeinschaftsgedanken verwirklichen. Wir erbitten daher von allen RBlern treue Fürbitte für den einzelnen Bruder und die Schwester, für unsere Rundbriefgemeinschaft, für unsere Gemeinden, für unser Volk. Wir verlangen Wahrhaftigkeit und Offenheit, Opfersinn und Treue, denn ohne sie kann keine echte Gemeinschaft entstehen und erhalten bleiben. Wir wollen uns durch die Gemeinschaft erziehen lassen zu treuem Dienst. Wir erwarten daher von allen RBlern, daß sie an jedem Ort und zu jeder Zeit zum Dienst bereit seien. Dazu zählen wir an erster Stelle das unerschrockene Bekenntnis zu Christus unserem Heiland«.704

Neben Theo Glück hatte Ernst Fellmann eine wichtige Leitungsfunktion in der Gruppe inne; 1935 wurde er von zwei mennonitischen Konferenzen, nämlich diejenigen der Süddeutschen und der Westpreußischen Mennonitengemeinden,

703 Margarete Dyck: Bericht über das Rundbrieflertreffen Ostern 1934 auf dem Weierhof in der Pfalz, in: Mennonitische Jugendwarte 14 (1934) 3 (Juni), S. 66–73. Herbert Schmutz: Bericht »Unser R-B-Treffen Ostern 1934 auf dem Weierhof Pfalz«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »Rundbrief-Mitteilungen 1932– 1936«. Th. [Theo Glück] und E.[rnst] F.[ellmann]: Rundbriefler-Treffen Ostern 1934 auf dem Weierhof, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 5 (Mai), S. 44–46. 704 »Merkblatt« »Was will der Rundbrief«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »Jugendarbeit, Rundbriefe 1937–1928«. An den Treffen nahmen teil: Ernst Fellmann, Theo Glück, Hilde Funk und Hans Hübert als Kreisleiterin bzw. Kreisleiter sowie Elise Hotel, Hanna Bartel und Paula Hotel als Rundbrieflerinnen. Siehe den »Bericht vom Kreisleitertreffen in Durlach am 30. bis 31.12.33«, in: Ebd. Vgl. zum Gemeinschaftsbegriff bereits die Statements unter der Rubrik »Was ist die Rundbrief-Gemeinschaft?« [1930], in: Ebd.

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zum Jugendwart berufen.705 Typisch für Fellmann war eine dialektische Beweisführung: Er argumentierte, dass sowohl der NS-Staat als auch das Evangelium den Anspruch auf den ganzen Menschen erhebe. Und in beiden Fällen, so Ernst Fellmann, sei dieser Anspruch berechtigt. Er verschloss dabei nicht die Augen vor Widersprüchen zwischen beiden Bereichen. Im Dezember 1933 hatte er auf einem Treffen der Rundbrief-»Kreisleiter« im Blick auf den Nationalsozialismus sogar vor der Formulierung »antichristliche Züge« nicht zurückgeschreckt.706 An Ostern 1934 führte er laut dem Bericht »Unser R-B-Treffen Ostern 1934 auf dem Weierhof Pfalz« in seinem Vortrag »Die Gemeinschaft des Evangeliums und die neue deutsche Volksgemeinschaft« aus: »Die neue deutsche Volksgemeinschaft will bewußt nicht die Erörterung des ›Ich‹, sondern will es einklammern in das ›Wir‹. Mit dieser Entwicklung stehen wir mitten in der neuen Volksgemeinschaft, in der es heißt: Ein Volk, ein Reich, ein Führer! Dieses Neue ist uns gegeben wie ein Geschenk und wir haben teil an ihm. Es verlangt von uns den ganzen Menschen, denn Gemeinschaft ist mehr als bloße Teilhaberschaft, sie ist Hingabe mit dem ganzen Sein. Fliehen können wir diese Gemeinschaft nicht, denn das hieße dem eigenen Blut und Boden entsagen.«707

Hatte die Rundbriefgemeinschaft im NS-Regime zunächst unbehelligt existieren können, so geriet sie in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre in größere Bedrängnis. Es liegt nahe, dass hierfür die Bekämpfung und Verfolgung der »Bündischen Jugend« durch das Reichsinnenministerium und die Gestapo seit 1936 ursächlich war708 – bezeichnenderweise war es aber Vertreter der mennonitischen Gemeinschaft selbst gewesen, namentlich Daniel Dettweiler, die Druck auf die Rundbriefakteure Druck ausübten. Ökonomierat Daniel Dettweiler aus der Mennonitengemeinde München, Mitte der 1930er-Jahre Leiter der landwirtschaftlichen Auskunftsstelle des deutschen Kalisyndikats709, war einer der Hauptakteure in der eben skizzierten Phase der Bedrohung. Dettweiler äußerte im Sommer 1937 gegenüber führenden 705 Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 74–79. Goertz, Mennoniten und der Nationalsozialismus, S. 75–77. Vgl. auch das Schreiben von Johs. Foth vom 08. 10. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 24 (Jugendarbeit/Sitzungen). 706 Maschinenschriftlicher Aufsatz von Ernst Fellmann: »Stellung und Aufgabe des Rundbriefes in der politischen und kirchlichen Umwälzung unserer Zeit. Einleitung beim Kreisleitertreffen in Durlach vom 30.–31.12.33«: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »Jugendarbeit, Rundbriefe, 1937–1928«. 707 Bericht »Unser R-B-Treffen Ostern 1934 auf dem Weierhof Pfalz« von Herbert Schmutz, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner »Rundbrief-Mitteilungen 1932–1936«. 708 Klönne, Arno: Jugendliche Opposition im »Dritten Reich«, Erfurt (2. ergänzte Auflage) 2013, S. 26, 48f. 709 Vgl. das Titelblatt seiner Publikation: Daniel Dettweiler: Hebung der Milcherzeugung, München 1935.

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mennonitischen Vertretern, dass die Rundbriefe eine Gefahr für die mennonitischen Gemeinden darstellten. Nun war Daniel Dettweiler (1875–1941) ein Nationalsozialist der ersten Stunde: Der Agrarfachmann hatte sich der NSDAP bereits am 7. September 1920 angeschlossen; die Partei hatte erst im Februar jenes Jahres, seinerzeit noch als Deutsche Arbeiterpartei DAP, ein Programm vorgestellt. Bedenkt man, dass die Zählung der Mitglieder mit der Ziffer 500 einsetzte (um als Partei nicht allzu klein zu wirken) 710, so gehörte Parteigenosse Dettweiler mit der Mitgliedsnummer 1.967 zu den ersten 1.500 Mitgliedern der völkisch-antisemitischen Splitterpartei, die sie in jenen Jahren noch war. Er sei, so berichtet Dettweiler in dem von ihm verfassten Papier »Grundsätze der Mennoniten« selbst »gleich von Anfang in die Versammlungen der NSDAP« gekommen »und zwar zu einer Zeit als es noch kaum 25 Leute um Anton Drechsler waren. Überall vertrat ich bei meinen vielen Dienstreisen Hitlers Gedanken und hielt schon in den Jahren 1920–21 Vorträge über den Nationalsozialismus, so z. B. an die Bauern in Geroda, Rhön, welcher Ort, wie auch die Umgegend ziemlich verjudet war und wohl noch ist.«711 Nach dem Verbot der Partei – als Folge des Putschversuches vom November 1923 – schloss er sich der NSDAP nach deren Neugründung im Jahre 1925 zunächst nicht an, sondern trat ihr nach der »Machtergreifung« am 1. Mai 1933 bei.712 Dettweiler verfügte wohl über gute Kontakte zum Braunen Haus, was ihm offenbar gehörigen Respekt verschaffte, oder was zumindest seiner Kritik höhere Glaubwürdigkeit verlieh. In einem Brief, u. a. an Händiges, Unruh und Neff gerichtet, berichtet Dettweiler von einem Treffen mit Dr. Krenn vom obersten Parteigericht, der ihm, auf eine Akte zu Mennoniten Bezug nehmend respektive daraus zitierend, Hinweise auf kritikwürdiges Verhalten bei Mennoniten gegeben habe: »Sehr übel vermerkt wurden die Rundbriefe der Jugend. Die Gemeinschaft des Evangeliums steht höher als die Gemeinschaft des Volkes heisst es da in einem solchen Schreiben. Und weiter: der menn. Jugendbund ist aufgelöst, die Arbeit und der Dienst aber gehen weiter u.s.w. Ich muss hierzu schon bemerken, dass ein derartiges Verhalten von uns Mennoniten allgemein verurteilt werden wird, da es vor allem nicht offen u. aufrichtig ist. Auch zeugt es nicht davon: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers bzw. des Staates ist.‹ Kreise, die so verfahren, stellen sich m. E. damit ausserhalb unserer Gemeinschaft. Sie sollten dies dann aber auch offen bekennen, um uns dadurch keine Schwierigkeiten zu machen. Mir waren immer schon geheime Konventikel ein Greuel u. das sind die ›Rundbriefe‹, was endlich einmal offen ausgesprochen werden muss.« Dettweiler monierte noch andere Dinge und beendete seinen Brief wie folgt: »Es liegt

710 John Toland: Adolf Hitler, New York 1977, S. 131. 711 Daniel Dettweiler: Grundsätze der Mennoniten [undatiert], in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Handakte Jochen Schowalter (NS-Tagung) [aus dem Nachlass von Abraham Braun]. 712 BArch (ehem. BDC), PK, Dettweiler, Daniel (geb. 15. 01. 1875).

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nun an uns all das abzustellen, was heute nach dieser Richtung nun einmal nicht mehr geduldet wird und geduldet werden kann. Unsere Zentralstelle wird das erforderliche zu veranlassen haben. Heil Hitler«713

Welches Material den NS-Behörden aus dem Rundbriefzusammenhang bekannt war, wissen wir nicht. Es handelte sich aber offenbar auch um den Bericht »Unser R-B-Treffen Ostern 1934 auf dem Weierhof Pfalz«. Denn über ihn verfügte auch der Sicherheitsdienst des Reichsführers SS (SD), was aus einem internen Schreiben hervorgeht.714 In diesem Schreiben wird aus eben diesem mennonitischen Bericht zitiert und u. a. auch auf den Vortrag von Ernst Fellmann eingegangen. Der SD stieß sich an dessen Aussage: »Was steht nun höher, Gemeinschaft des Evangeliums oder die Volksgemeinschaft? Die Antwort war klar und mußte sie sein: Das Evangelium steht höher.«715 Darauf hatte sich auch Daniel Dettweiler bezogen, als er in seinem Schreiben an mennonitische Führer intern die Aussage kritisierte: »Die Gemeinschaft des Evangeliums steht höher als die Gemeinschaft des Volkes«.716 Die Ältesten- und Predigerversammlung des Badisch-Württembergisch-Bayerischen Gemeindeverbandes hatte auf das Dettweiler-Monitum unmittelbar und, gegenüber den Rundbriefakteuren aus ihrem Verband, scharf reagiert. Sie legte ihnen mit offiziellem Beschluss nahe, aus der Rundbriefgemeinschaft auszuscheiden.717 Solches als Rundbriefleitung von ihren Akteuren zu verlangen, erschien der Gruppe um Theo Glück aber nicht akzeptabel. Als Zeichen der Konzilianz gegenüber dem Gemeindeverband wurde in einer Sitzung der »Kreiswarte« – bezeichnenderweise von der mennonitischen Autorität Benjamin Unruh mitgeleitet – aber vereinbart, eine drei- bis sechsmonatige Pause einzulegen, um in dieser Zeit die Genehmigung bei staatlichen Stellen einzuholen. Dies erschien den führenden Rundbriefakteuren zu Beginn des Jahres 1938 jedoch, als die Rundbriefaktivitäten wieder aufgenommen wurden, nicht mehr notwendig. Allerdings verzichtete man auf den Druck der zusammenfassenden Mitteilungen, 713 Schreiben gez. Daniel Dettweiler [Abschrift] an Christian Neff, H. v. Delden, Benjamin Unruh, Ernst Crous, Emil Händiges, Braun, Reimer, Regehr, Horsch, Schnebele vom 03. 09. 1937, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner: »Korrespondenz Rundbriefe, Treffen u. a. 1932–1938. 714 Beglaubigte Abschrift des Schreibens des SS-Oberführers Albert an das Rasse- und Siedlungshauptamt vom 09. 04. 1938: BArch R 187/267a. 715 Zitiert nach ebd. (Hervorhebung im Original). 716 Schreiben gez. Daniel Dettweiler [Abschrift] an Christian Neff, H. v. Delden, Benjamin Unruh, Ernst Crous, Emil Händiges, Braun, Reimer, Regehr, Horsch, Schnebele vom 03. 09. 1937: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner: »Korrespondenz Rundbriefe, Treffen u. a. 1932–1938«. 717 Vgl. das Protokoll der Kreiswart-Tagung vom 03. 10. 1937 auf dem Thomashof: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Theo Glück Karton 2, Ordner: 1998–1937 Jugendarbeit, Rundbriefe.

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für deren Erscheinen, so hatte man sich informiert, eine Meldepflicht bestanden hätte. Einige Rundbriefakteure hatten sich aufgrund der ablehnenden Haltung des Gemeindeverbandes aus der Rundbriefgemeinschaft zurückgezogen, andere, wie Hermann Funck, Ernst Fellmann und Theo Glück, traten von ihrer Funktion als Leiter eines Kreises zurück; zumindest Theo Glück schrieb aber weiterhin mit. Als der Austausch der Rundbriefe wieder aufgenommen wurde, erging eine Mahnung an die Teilnehmenden, sich jeglicher politischer Äußerungen zu enthalten: »Allerdings müssen wir ganz entschieden darauf hinweisen, daß in den Rundbriefen nichts behandelt wird, das in das Politische hineingreift, Mißverständnisse hervorrufen oder Beanstandungen im Gefolge haben kann.«718 Und bereits Ende 1937, Anfang 1938, also mitten in der Krise, hatte der führende Rundbriefakteur Paul Schowalter an Theo Glück geschrieben: »Ich habe schon früher ausgeführt, dass unser Verhältnis zum Staat allerdings sauber und unanfechtbar sein muss, soweit wir das als Christen irgendwie verantworten können. Hier dürfen wir uns nicht, wie es leider gelegentlich der Fall zu sein schien, auf unsachliche Kritik etc. einlassen.«719 Die Motive der Akteure lassen somit erkennen, dass widerständiges und nonkonformes Verhalten nicht intendiert war. Will man die Beteiligung an der Rundbriefgemeinschaft in seinen gesellschaftlich-politischen Implikationen deuten, so wäre diese weniger als Konkurrenz zur Teilhabe am Nationalsozialismus, sondern eher als ein Versuch der loyalen Selbstbehauptung zu werten; in diesem Zusammenhang verdient folgende Beobachtung besondere Beachtung: Noch gegen Ende der 1930er-Jahre sangen Rundbrieflerinnen und Rundbriefler Lieder des Bundes deutscher Bibelkreise, der seine Jungmannschaften im Jahr 1934 angesichts der drohenden Gleichschaltung mit der Hitlerjugend aufgelöst hatte, und sie hielten am Liedgut der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung (DCSV) fest, die im Jahr 1938 verboten wurde. Auf einem von Theo Glück und Herbert Schmutz unterzeichneten Merkblatt, das der Einladung zum Rundbrieftreffen an Ostern 1937 als Anlage beigefügt worden war, hatte es geheißen: »Hast du ein BK- oder DCSV-Liederbuch zu Hause? Bring es mit!«720

718 Undatiertes Rundschreiben, in dem den Rundbriefakteuren die Ergebnisse der KreiswartSitzung auf dem Thomashof vom 30. Januar 1938 mitgeteilt wurden: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner: 1998–1937 Jugendarbeit, Rundbriefe. 719 Schreiben Paul Schowalter an Theo Glück, undatiert [verm. Januar 1938]: Mennonitische Forschungsstelle, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner: 1998–1937 Jugendarbeit, Rundbriefe. 720 [Merkblatt:] »Besonders zu beachten ist« [Anlage zur Einladung, Ostertreffen 27. bis 30. 03. 1937]: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 2, Ordner: Jugendarbeit, Rundbriefe 1937–1928.

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Mennoniten Betrachten wir die mennonitische Gemeinschaft insgesamt, wird deutlich, dass dort in den Jahren 1933 und 1934 zwei Diskussionsfelder mit jeweils zwei zum Teil eng miteinander verknüpften Fragen wichtig waren; ich möchte die beiden Felder im Folgenden zunächst kurz umreißen und danach näher erläutern. Das erste Diskussionsfeld bezog sich vor allem auf innermennonitische Strukturveränderungen. In der Phase der »Machtergreifung« ging es hier zum einen um die Frage, wie die »Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich« (Vereinigung) strukturell reformiert werden könnte; diese Überlegungen hatten schon vor 1933 eingesetzt, gewannen mit der nationalsozialistischen »Machtergreifung« aber an Bedeutung. Damit verbunden war für die Zeitgenossen ein zweites Problem: Es gab keinen Dachverband, in dem alle mennonitischen Konferenzen und Gemeinden verbunden gewesen wären. Der Vereinigung gehörten am Ende der Weimarer Republik zwar 22 Gemeinden aus ganz unterschiedlichen Regionen des Deutschen Reiches an und damit etwa zwei Drittel aller dort lebenden Mennoniten: norddeutsche Stadtgemeinden (als Gründungsmitglieder) ebenso wie pfälzisch-hessische Mennonitengemeinden; aber nur vereinzelt süddeutsche und westpreußische Landgemeinden.721 Insofern konzentrierten sich die innermennonitischen Bemühungen in der Phase der »Machtergreifung« vor allem darauf, eine Union zu bilden, in der Mennonitengemeinden aus allen regionalen Konferenzen Platz finden und vor allem die Gemeinden des badisch-württembergisch-bayerischen Gemeindeverbandes (Verband) integriert werden könnten. Über den rechtlich-organisatorischen Rahmen des Zusammenschlusses gab es unterschiedliche Auffassungen, letztlich wurde jedoch der naheliegende Weg präferiert, die bereits existierende Vereinigung für ein solches Gebilde zu nutzen und dieses auf die Basis eines gemeinsamen Glaubensbekenntnisses zu stellen. Aber an genau dieser Stelle entzündete sich eine grundsätzlich Auseinandersetzung, bei der sich in der Vereinigung vertretene Gemeinden (vor allem das theologische liberale Krefeld) und Akteure des badisch-württembergisch-bayerischen Gemeindeverbandes als Antipoden gegenüberstanden.722 Davon zu unterscheiden ist ein zweiter Diskussionsbereich: Führende Mennoniten gingen davon aus, dass die Mennoniten entweder mit anderen Freikirchen zusammengehen (und Teil der Vereinigung evangelischer Freikirchen beziehungsweise des avisierten Bundes evangelischer Freikirchen werden) sollten oder in irgendeiner Weise Anschluss an die Reichskirche finden müssten. Damit, 721 Vgl. Heinold Fast: Die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden 1886–1961, Weierhof 1961, S. 28 sowie das vertrauliche Rundschreiben von Ernst Crous vom 11. 11. 1933, in: Staatsarchiv Hamburg 521–5 Nr. 404. 722 Goertz, Mennoniten und der Nationalsozialismus, S. 68–84; von Schlachta, Täufer, S. 330f.

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zweitens, unmittelbar verknüpft war die Frage, wie man sich zur Glaubensbewegung Deutscher Christen verhalten und auf deren Werben reagiere solle. Wenn ich im Folgenden meine Bemerkungen zu den beiden Diskussionsfeldern etwas vertiefe, so lege ich ein besonderes Augenmerk auf die Frage, was im Sinne einer direkten/indirekten Interaktion mit dem NS-Staat das spezifisch Neue an den mennonitischen Überlegungen im Jahr 1933 war; ich werde also darauf verzichten, sowohl die theologische Auseinandersetzung um ein mennonitisches Bekenntnis angemessen zu würdigen als auch die Einigungsfrage insgesamt in allen Verästelungen nachzuzeichnen. Vielmehr geht es mir darum, einige Grundtendenzen herauszuarbeiten, die mit den oben herausgearbeiteten Befunden zum Baptistenbund in Beziehung gesetzt werden können. Zum ersten Diskussionsbereich: Bereits seit 1932 gab es innerhalb der Spitze der Vereinigung Reformüberlegungen, die darauf zielten, die Struktur nicht mehr auf Einzelgemeinden, sondern auf Landesvereinigungen aufzubauen (Ost, West, Süd).723 Ein Kernelement der Reformüberlegungen war die Neustrukturierung des Leitungsgremiums: An die Stelle eines vielköpfigen Kuratoriums könne ein aus lediglich drei Mitgliedern bestehender Vorstand treten, wobei jede Person eine regionale Konferenz repräsentieren würde und dieser verantwortlich sein solle. Nach der Machtübergabe an die Nationalsozialisten wurden diese Reformüberlegungen nun auf die politische Entwicklung bezogen. Das in der Vereinigung für Satzungs- und Rechtsfragen zuständige Vorstandsmitglied, der Diakon der Gemeinde in Heubuden (Westpreußen) Gustav Reimer, argumentierte im Oktober 1933, dass die Mennoniten »dadurch gleichzeitig der heutigen Forderung nach dem Führerprinzip [genügen] ohne unser Gemeindeprinzip zu verletzen.«724 Nun lässt sich schwerlich davon reden, dass Reimer in seinen Satzungsentwürfen eben jenes »Führerprinzip« hatte implementieren wollen, das die nationalsozialistische Partei zeitgleich im staatlichen Bereich errichtete. Er positionierte sich an anderer Stelle ausdrücklich gegen das »Führerprinzip«725 und betrachtete nationalsozialistische Mennoniten als potenzielle Gefahr für die

723 Vgl. Fast, Vereinigung, S. 28. 724 Rundschreiben Gustav Reimer an Christian Neff, A. Braun und Erich Göttner vom 25. 10. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 725 Schreiben Gustav Reimer an Christian Neff vom 06. 10. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. Vgl. auch Reimers Aussage in der Vorbesprechung zur außerordentlichen Kuratoriumssitzung der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich vom 17. 11. 1933 laut Protokoll: der Vorstand habe »keine diktatorische Kraft«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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Gemeinden.726 Wie lässt sich seine Argumentation also deuten? Offenbar ging er davon aus, dass sich Gesicht und Struktur des Mennonitentums verändern müsse, um im nationalsozialistischen Staat weiter bestehen zu können: Die mennonitische Vereinigung sollte im NS-Staat mit einer Struktur in Erscheinung treten, die mit der nationalsozialistischen Weltanschauung kompatibler erschien als die bisherige. Diese Botschaft richtet sich zuerst nach innen, in die mennonitische Glaubensgemeinschaft hinein. Die eben skizzierte spezifische Form von Akkommodation konnten wir in einer etwas abgewandelten Form bereits in der baptistischen Diskussion beobachten (denn dort war die Veränderung der Bundesspitze tatsächlich erst nach der NS-»Machtergreifung« in Angriff genommen worden) – und eben darauf bezog sich auch Reimer, als er in den Mennonitischen Blättern die ›Reformunwilligkeit‹ seiner Glaubensbrüder beklagte: »Als der vom 18.–20. Juni v. Js. [=1932] tagenden Mitgliederversammlung der ›Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich‹ mit dem Entwurf der Verfassung einer ›Reichsvereinigung deutscher Mennonitengemeinden‹ der Vorschlag unterbreitet wurde, als ausführendes Organ anstelle des bisherigen Kuratoriums von 7 Mitgliedern nur einen Vorstand von 3 Mitglieder bestehen zu lassen, da wollte diese Zahl manchem als zu klein erscheinen. Die Entwicklung bei anderen Religions-Gemeinschaften hat aber gezeigt, daß jene Vorschläge durchaus zeitgemäß waren, denn allgemein hat sich die Überzeugung Bahn gebrochen, daß ein zu großer Verwaltungsapparat zu schwerfällig arbeitet. […] Auch die Versammlung des Bundes deutscher Baptistengemeinden, die vom 26.–29 August d. Js. [=1933] in Berlin tagte, hat die Bundesverwaltung, die bisher aus 21 Mitgliedern bestand, auf die Zahl von 4 Bundesältesten verringert. […] Ein Konferenzteilnehmer deutete diese Stimmung [der Einmütigkeit] mit folgenden Worten: ›Wir stehen an einem Opferaltar und legen darauf allen überspitzen Individualismus und Parlamentarismus, die überbetonte Freizügigkeit und unsere Schuld, Sünde, Ohnmacht, Kleinmütigkeit und Kleingläubigkeit.‹«

Reimer führte dieses Zitat aus dem Wahrheitszeugen weiter fort – wir haben es im Abschnitt zu den Baptisten kennengelernt –, um dann mit der Bemerkung abzuschließen: »Wann wird diese Einmütigkeit und diese Opferwilligkeit auch überall bei uns einkehren? Im Osten, Süden und Westen gibt es einzelne Gemeinden, die sich dem Willen der großen Mehrheit, einen organischen Aufbau unserer mennonitischen Kirche zu vollziehen, hindernd in den Weg stellen. […] Die Zeit drängt! Möchte Gott geben, daß die bessere Einsicht bei uns nicht zu spät kommt.«727

726 Schreiben Gustav Reimer an Benjamin H. Unruh vom 06. 10. 1933, Durchlag für Christian Neff, weitere für Händiges und Crous, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 727 G.[ustav] R.[eimer]: Aus anderen religiösen Verbänden, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 10 (November), S. 103–104.

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Der Bezug auf das »Führerprinzip« wurde aber nicht allein von Gustav Reimer hergestellt, der die Satzungsreform maßgeblich voranzutreiben suchte, sondern auch auf Seiten seiner Rezipienten. So wurde darauf beispielsweise in einem Gutachten eingegangen, das Julius van der Smissen im Auftrag des Kirchenrates seiner Hamburger Mennonitengemeinde zum im November 1933 gültigen Verfassungsentwurf anfertigte (es wurde zwischen 1932 und 1935 mindestens neun Satzungsentwürfe vorgelegt728). Julius van der Smissen, der bis 1933 auch dem Vorstand der Vereinigung angehörte, befürchtete in diesem Zusammenhang vor allem, dass die mennonitische Gesamtorganisation durch das »Führerprinzip« von außen, vom Staat, stärker gelenkt werden könnte: »Gerade wenn die Verfassung der Vereinigung darauf abzielt, das Führerprinzip zu verwirklichen, würde die Gefahr bestehen, dass bei Verhandlungen mit Vertretern des Reiches oder einer übergeordneten Kirchenstelle, – mit der bei einer Eingliederung doch unter allen Umständen zu rechnen ist – Diktate entgegengenommen werden müssen. Die Verfassung sieht nirgends vor, dass der Vorstand zu irgendwelchen Handlungen oder Entschlüssen der Zustimmung eines anderen Gremiums bedarf.«729

Am Ende setzten sich Reimers Reformvorschläge nicht durch. Die am 11. Juni 1934 angenommene und zum 1. Januar 1935 in Kraft getretene neue »Verfassung« der Vereinigung benannte sogar 9 bis 12 Vorstandsmitglieder; Mitglieder konnten einzelne Gemeinden, Gemeindegruppen oder Gemeindeverbände sein.730 Nach außen sichtbarstes Zeichen der Satzungsreform war die Namensänderung in »Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden«; der Wegfall einer geografischen Bezeichnung lag in dem Umstand begründet, dass nicht wenige Mennonitinnen und Mennoniten Gemeinden angehörten, die durch die Bestimmungen des Versailler Vertrages nicht mehr »im Deutschen Reich« lagen. In einer etwas umständlich anmutenden Weise wurden dem Satzungsteil einige dogmatische und historische »Grundsätze« vorangestellt; sie sollten jenen Gemeinden des eher konservativen Verbandes als Brücke dienen, die noch nicht in der Vereinigung versammelt waren. Die Bemerkungen erschienen deshalb als umständlich, weil sich nicht alle Akteure auf ein gemeinsames sogenanntes kurzes oder langes Bekenntnis hatten einigen können und man deshalb bei

728 Fast, Vereinigung, S. 29. 729 Gutachten von J. van der Smissen für die Mitglieder des Kirchenrates der Mennonitengemeinde zu Hamburg und Altona vom 15. 11. 1933, in: Staatsarchiv Hamburg 521–5 Nr. 404. (Hervorhebung im Original). 730 Vgl. Artikel 3 und 8 (§ 1) der Verfassung vom 11. Juni 1934, herausgegeben von der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, Elbing 1936.

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funktionalen Kompromissformulierungen Zuflucht nahm. Doch die Süddeutschen betraten diese Brücke nicht.731 An dieser Stelle berührt die strukturelle Reform der Vereinigung unmittelbar die zweite Frage innerhalb dieses Diskussionsfeldes: die Sammlung der unterschiedlichen Gemeinden unter einem Dach. Als sich am 25. August 1933 die Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-Danziger-Mennonitengemeinden in Kalthof zu einer außerordentlichen Zusammenkunft sammelten, zeigte sich der Elbinger Pastor und Vereinigungs-Vorsitzende Emil Händiges sicher, bei der neuen Regierung »Verständnis für unsere Eigenart zu finden«. Er berief sich auf die »feierliche Zusage A d o l f H i t l e r s , der in seiner programmatischen Rede vor versammeltem Reichstag am 23. März 1933 nicht nur den beiden großen Kirchen ihre ungeschmälerten Rechte zusicherte, sondern auch erklärte, daß die Regierung ›allen anderen Konfessionen in objektiver Gerechtigkeit gegenübertreten wird‹. Ein Kanzlerwort kann nicht gebrochen werden.«732 Allerdings erschien führenden Mennoniten die Sammlung der verschiedenen mennonitischen Gruppierungen als eine politische Notwendigkeit, die unmittelbar mit der nationalsozialistischen »Machtergreifung« zusammenhing.733 Benjamin H. Unruh argumentierte in einem Papier zur »Kirchenfrage der Mennoniten« vom 24. Oktober 1933: »Der Zusammenschluss der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich in der einen oder in der anderen Form ist unerlässlich. Der Staat fordert die Konzentration und es käme auf einen Kampf mit der Obrigkeit an, wenn wir diese Forderung ablehnen wollten.«734 Und der zweite Vorsitzende der Vereinigung und Leiter der Berliner Mennonitengemeinde, Ernst Crous, hatte in einem internen Rundschreiben am 9. Oktober 1933 in ähnlicher Weise ausgeführt: »Wenn wir aber heute nicht alle zusammenstehen,

731 Vgl. hierzu auch Heinold Fast: Zweckverband oder Bekenntnisgemeinschaft? Der Versuch eines Zusammenschlusses der deutschen Mennonitengemeinden 1932–34, in: Mennonitische Blätter 47/48 (1990/91), S. 139–153. 732 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 86. 733 Vgl. zu den mennonitischen Einigungsbemühungen: Goertz, Mennoniten und der Nationalsozialismus, S. 71; zeitgenössisch etwa: W.[alter] F.[ellmann]: Gemeinde-Chronik 1. Juli 1933–1. Juli 1934, in: Christlicher Gemeinde-Kalender für das Jahr 1935. Herausgegeben von der Konferenz der süddeutschen Mennoniten. 44. Jahrgang, Ibersheim [1934], S. 128–133. 734 Benjamin Heinrich Unruh: Zur Kirchenfrage der Mennoniten (24. 10. 1933), in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Benjamin H. Unruh, Karton 2, Ordner 8 (Zur Kirchenfrage). Vgl. mit einem ähnlichen Zungenschlag Erich Göttner in einem Schreiben an Christian Neff vom 19. 07. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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geht die Welle über uns alle hinweg. Verschwinden wir aber als Gemeinschaft in Deutschland, so ist das auch national ein Verlust.«735 Um den konfessionellen Bestand zu sichern, suchten die Mennoniten – wie andere Freikirchen auch – das Gespräch mit staatlichen und kirchlichen Stellen. Hierfür wurde von unterschiedlichen »Instanzen« zunächst nur Ernst Crous, dann auch Benjamin H. Unruh, schließlich noch Emil Händiges und Gustav Reimer bevollmächtigt.736 Bereits in der zweiten Maihälfte 1933 hatte sich Crous um einen Besuch bei Ludwig Müller bemüht, der in dieser Phase allerdings schwer zu erreichen war.737 Emil Händiges sprach am 7. Juli 1933 mit dem Jenaer Theologiedozent Hans Michael Müller, zu dieser Zeit einer der engsten Berater von Ludwig Müller738, der ihm, Händiges, die aufgeschlossene Haltung des Kirchen-Bevollmächtigten gegenüber den Freikirchen bestätigt hätte.739 Später verhandelte Crous noch mit einem anderen Berater Ludwig Müllers, dem Breslauer Theologieprofessor Cajus Fabricius.740 Im Sommer/Herbst 1933 waren führende Vertreter des deutschen Mennonitentums davon überzeugt, dass es angesichts der politischen und kirchenpolitischen Umwälzungen fast unumgänglich wäre, Teil eines größeren kirchlichen Ganzen zu werden. Betrachten wir also das zweite Diskussionsfeld etwas näher: Keine der mennonitischen Gemeindeorganisationen war in der Vereinigung evangelischer Freikirchen repräsentiert, obgleich deren Tätigkeiten von mennonitischer Seite genau verfolgt und die Beratungen mitunter im Gaststatus konsultiert wurden. Der Gedanke, mit der Vereinigung evangelischer Freikirchen gemeinsame Sache 735 Vertrauliches Rundschreiben vom 09. 10. 1933, verfasst von Ernst Crous; vgl. auch sein Schreiben an Christian Neff vom 20. 07. 1933: »Ich persönlich bin der Meinung, dass es jetzt leicht um Sein oder Nichtsein des deutschen Mennonitentums gehen könnte, daß daher die Tatsache des Zusammenschlusses zunächst einmal die Hauptsache wäre nur des Zusammenschlusses gerade der Gegensätze.« Beide Dokumente in der Mennonitischen Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 736 Vertrauliches Rundschreiben vom 09. 10. 1933, verfasst von Ernst Crous, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 737 Vgl. das Schreiben Ernst Crous an Christian Neff, Emil Händiges und Otto Schowalter vom 24. 05. 1933 und das Schreiben von Walter Fellmann an Christian Neff vom 28. 05. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 738 Schneider, Reichsbischof, S. 95. 739 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 86. Vgl. dazu auch den Bericht: E. Landes: Unterredung freikirchlicher Vertreter mit dem Bevollmächtigten Adolf Hitlers in Kirchenfragen, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 63–64. Vgl. auch Mennonitische Blätter 80 (1933) 12, S. 117. 740 Vertrauliches Rundschreiben vom 09. 10. 1933, verfasst von Ernst Crous, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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zu machen, kam im Jahr 1933 wiederholt auf.741 Dem stand aber die Position gegenüber, den in der Erweckungsbewegung des 19. Jahrhunderts entstandenen klassischen Freikirchen weniger nahe zu stehen, als den reformatorischen Kirchen. Als sich der Hamburger Mennonitenpastor Otto Schowalter kritisch zur Evangelischen Allianz in Hamburg äußerte, pflichteten ihm einige mennonitische Pastoren bei: Emil Händiges, Pastor in Elbing, äußerte im Mai 1933: »Die Bedenken, die Pastor Schowalter in Bezug auf die ›Freikirchen‹ erhebt, teile ich durchaus. U n s e r e Art ist eine durchaus andere als z. B. die der Methodisten und Baptisten. Eine Gleichschaltung etwa zu einer ›Bündischen Deutschen Freikirche‹ ist ein gefährliches Experiment.«742 Und der Danziger Pastor Erich Göttner schrieb an Christian Neff, einem Gegner des Schulterschlusses mit den Freikirchen743, am 6. Juni 1933: »Die Frage Annäherung an Kirche oder Freikirche ist schwierig. Otto Sch[owalter]’s Abneigung gegen die Allianz verstehe ich gut. Ich habe mich immer mehr zur Kirche hingezogen gefühlt als zu Gruppen, die immer evangelisieren wollen und uns leicht für nicht recht gläubig betrachten könnten.«744 Insofern nimmt es nicht Wunder, dass 1933 von unterschiedlichen mennonitischen Akteuren erwogen wurde, in eine Verbindung mit der Reichskirche zu kommen. Wie genau eine solche Verbindung aussehen sollte, wurde nicht immer exakt definiert; es lassen sich mehrere Denkrichtungen voneinander unterscheiden, von denen ich drei exemplarisch skizzieren möchte. Eine von der Mennonitengemeinde Emden vertretene Minderheitenposition sah auf der Basis »völkischer« Gemeinsamkeiten einer »Eingliederung« in die Reichskirche ent741 In diese Richtung äußerte sich bereits im Mai 1933 Abraham Braun, Pastor rheinhessischer Gemeinden; vgl. das Schreiben Abraham Braun an Ernst Crous vom 06. 05. 1933, Durchschlag für Christian Neff; Ernst Crous berichtet Neff in einem Brief vom 24. 05. 1933, dass der Mennonitenpastor Walter Fellmann Fühlung mit dem Baptistenpastor Rockschies aufgenommen habe; und in einem vertraulichen Rundschreiben vom 09. 10. 1933 teilte Crous mit, dass er gemeinsam mit dem Bischof der Herrnhuter Brüdergemeine an den Verfassungsverhandlungen der Vereinigung evangelischer Freikirchen teilnahm; die Dokumente befinden sich in der Mennonitischen Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933. 742 Rundschreiben Emil Händiges an Christian Neff, Ernst Crous, Walter Fellmann und Otto Schowalter vom 20. 05. 1993, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 743 Ernst Crous: Vertrauliches Rundschreiben vom 16. 10. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933. 744 Schreiben Erich Göttner an Christian Neff vom 06. 06. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. Und am 28. 08. 1933 berichte er Neff, ganz in diesem Sinn, von einem wesentlichen Ergebnis der Predigerversammlung in Kalthof (August 1933): »Für die anderen Freikirchen mit ihrer mehr propagandistischen, auch engl. bestimmten Art herrschte keine Vorliebe. Wir sind ein ›Zweig der Reformation‹.« Schreiben Erich Göttner an Christian Neff vom 28. 08. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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gegen, wenn auch unter Erhalt ihrer spezifischen »Eigenart«. Die Mehrheit des offiziellen Mennonitentums, darunter der Berliner Bibliotheksrat Ernst Crous, stand dem Emdener Vorschlag aber mit größter Skepsis gegenüber und präferierte das Modell einer nur losen Verbindung, um die dogmatischen und historisch gewachsene kulturelle Eigenart wahren zu können. Als Vorbild diente der Status der altpietistischen Herrnhuter Brüdergemeine (Evangelische Brüderunität in Deutschland), die Mitglied im Deutschen Evangelischen Kirchenbund war, und deshalb 1933 auch an der Neuordnung der landeskirchlichen Landschaft beteiligt wurde. Nach einer dritten, von Benjamin H. Unruh vorgetragenen Variante wären nur mennonitische Spitzenvertreter in einem reichskirchlichen Gremium vertreten gewesen. Es ist folgerichtig, dass in einer Phase, als ein freiwilliger Anschluss an die Reichskirche unter diesen Bedingungen unrealistisch erschien, der Gedanke einer Verbindung mit den Freikirchen, wie bei Gustav Reimer, wieder hervortrat.745 Betrachten wir zunächst die Emdener Variante: Im Juni 1933 erschien in der Rubrik »Nachrichten aus den Gemeinden« der Mennonitischen Blättern ein Bericht aus Emden, der die mennonitische Gemeinschaft aufschreckte. »Auf einer Mitgliederversammlung der Gemeinde am Dienstag«, so hieß es darin, »gab Herr Pastor F a s t einen Bericht über die Tagung des Kuratoriums der Mennonitengemeinde im Deutschen Reich, die in der Woche nach Ostern in Berlin stattgefunden hat. […] Der Berichterstatter zeigt dann in einer kurzen Übersicht über die verschiedenen Strömungen völkisch gerichteter Religiosität746, wie gerade solche Bestrebungen, die das Christentum an die deutsche Geistesart anpassen wollen, besonders von den nordwestdeutschen Mennonitengemeinden immer bejaht und gefördert worden sind.«

Sodann wurden fünf »Entschließungen« der Gemeindeversammlung referiert. Darin wurde unter anderen verlautbart: »4. Wenn nun in diesen Wochen nationaler und sozialer Selbstbesinnung ein mächtiger Wille unseres Volkes alle unwesentlichen Schranken zwischen den konfessionellen und theologischen Richtungen überwinden und die gottgewollte Volksgemeinschaft im Staate herstellen will, so möchten wir auch hierin einen Durchbruch des Geistes und einen Fortschritt religiöser Entwicklung sehen, den wir freudig begrüßen. Unser Wunsch ist, daß die Umgestaltung der äußeren kirchlichen Verhältnisse getragen werde von einer Wiedergeburt der deutschen Seele aus der Tiefe des Gottesbewusstseins 745 Schreiben Gustav Reimer an Christian Neff vom 14. 09. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 746 Dem offiziellen Bericht über die Kuratoriumssitzung kann nicht entnommen werden, ob diese Thematik dort breiteren Raum eingenommen hat. Berichterstatter: E.[mil] H.[ändiges] »nach dem Protokoll von Br. [Erich] Göttner]: Tagung des Kuratoriums der »Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich« zu Berlin vom 22. bis 24. April 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 59–63.

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heraus und aus der Ehrfurcht vor dem leiblichen und geistigen Erbgut des Volkes. 5. Eine Eingliederung unserer kleinen Gemeinde m i t i h r e r a l t ü b e r l i e f e r t e n E i g e n a r t in den Neubau einer lebendigen volkskirchlichen Gesamtorganisation im Deutschen Reiche ist uns dann eine Selbstverständlichkeit.«747

Was innerhalb der mennonitischen Gemeinschaft für Verwirrung und Ärger sorgte, war die theologisch indifferente Ausrichtung von Emden, in der neben mennonitischen Elementen auch freireligiöse748 und offenbar auch »völkische« Platz fanden.749 »Die westpreuß. Landgemeinden und die Süddeutschen«, so schrieb Emil Händiges an Ernst Crous, »haben das sehr verargt und wollen von einem derartigen ›Mischmasch‹ von Anschauungen innerhalb einer mennonitischen Vereinigung nichts wissen. […] Von berufener Seite wurde erklärt, das was Emden in Nr. 6 der M.Bl. Seite 68 vertritt sei um nichts schlimmer als die Absichten von Pfarrer Kuptsch [ein radikaler Vertreter der Deutschen Christen, der Verf.], von dem wir in Kalthof abgerückt sind. Mit solchen Gemeinden könne man nicht eine ›Vereinigung‹ bilden.«750

Und der im badischen Karlsruhe lebende russlanddeutsche mennonitische Gelehrte Benjamin H. Unruh sprach davon, dass die Theologie des Emdener Pastors keine Theologie sei, sondern »pantheistischer Naturmystizismus«. Er betrachtete ihn als einen Neu-Liberalen (im Gegensatz zum Alt-Liberalen Krefelder Pastor Kraemer).751 Auf den theologischen Aspekt werde ich unten, im Zusammenhang mit dem Verhältnis zu den Deutschen Christen noch einmal zurückkommen. An dieser Stelle soll das Augenmerk jedoch auf den zweiten, in der zitieren Passage hervortretenden Aspekt gelenkt werden: Die Gemeindeversammlung begrüßte eine »Eingliederung« der Mennoniten in die Reichskirche, wobei die Wortwahl auf eine durchaus engere Verknüpfung hindeutet. Es gibt Anzeichen, dass eine solche Sichtweise nicht nur innerhalb einer einzelnen Gemeinde, im Emden, sondern durchaus weiter verbreitet war. Gustav Reimer berichtete Christian Neff 747 Mennonitengemeinde Emden, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 68. 748 In den 1920er-Jahren war eine größere Zahl Freireligiöser in die Gemeinde aufgenommen worden. Vgl. hierzu die Informationen in dem Artikel zum damaligen Pastor der Gemeinde von Heinold Fast (bearb. von Hans-Jürgen Goertz): Fast, Abraham, in: MennLex V. URL: http://mennlex.de/doku.php?id=art:fast_abraham&s[]=emden (Aufruf: 15. 05. 2017); vgl. zeitgenössisch den Abdruck eines Briefes des Kirchenrates der Mennonitengemeinde Emden an ihr Mitglied Senator an Bollhuis vom 30. Juni 1933 aus Anlass dessen 75. Geburtstages, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 93. 749 Vgl. dazu auch den Bericht über die Tagung der Vorstände der ostfriesischen und münsterländischen Mennonitengemeinden am 4. Januar 1934 in Emden, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 2 (Februar), S. 16–17. 750 Schreiben Emil Händiges an Ernst Crous vom 19. 10. 1933, Durchschlag für Christian Neff, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 751 Schreiben Benjamin H. Unruh an Gustav Reimar vom 21. 10. 1933 (Abschrift), in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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am 14. September 1933 in einem Brief aus Heubunden, Freie Stadt Danzig, davon, dass »der Gedanke eines Anschlusses an die Ev. Reichskirche« nicht nur bei »manchen unserer Mitglieder«, sondern »selbst in den Reihen der Gemeindevorstände […] Freunde gefunden« habe.752 Wie wir unten noch sehen werden, gab es im Raum Danzig und Westpreußen größere Sympathie für die Glaubensbewegung Deutsche Christen. Dagegen warnte Ernst Crous etwa zur gleichen Zeit noch vor einem Zusammengehen mit der Reichskirche, da damit unweigerlich »Einschränkungen unserer Unabhängigkeit« verbunden seien.753 Eine lose Bindung an die Reichskirche nach dem Vorbild der Herrnhuter Brüdergemeine war das Äußerste, was sich Ernst Crous oder auch der Danziger Pastor Erich Göttner vorstellen konnten.754 Das galt auch für Benjamin H. Unruh. In seinen Überlegungen zu einer »mennonitischen Reichsvereinigung«755 sollte das Mennonitentum nur von einer Person repräsentiert werden, die aber einem Ausschuss verantwortlich wäre, der unterschiedliche mennonitische Konferenzen repräsentiere. Die Ausschussmitglieder könnten, so Unruh, Mitglieder einer »Reichssynode« sein.756 Eine klare Absage an alle Verbindungstendenzen erteilte im September 1933 dagegen der Grandseigneur des deutschen Mennonitentums, der siebzigjährige Christian Neff; in einem Schreiben an Gustav Reimer formulierte er: »Wir haben gestern auf unserer Predigerkonferenz […] uns gründlich über unsere gegenwärtige Lage und unsere künftige Stellung zum Staat ausgesprochen. Wir sind darin einig, dass wir unter allen Umständen unsere volle Selbständigkeit wahren sollten. Ein Anschluss an die Reichskirche oder den Verband der Freikirchen kann ohne Anwendung rücksichtsloser staatlicher Gewalt nicht in Betracht kommen. Das sind wir unserer Geschichte und unserer Wesensart schuldig. Wir haben von Anfang an im Gegensatz zur Papstkirche und zur Staats-und-Volkskirche die Gemeindekirche erstrebt und dargestellt. Ich kann da keine Brücke schlagen; es liegt ein prinzipieller

752 Schreiben Gustav Reimar an Christian Neff vom 14. 09. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 753 Vgl. das Schreiben von Walter Fellmann an Christian Neff vom 28. 05. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 754 Schreiben Erich Göttner an Christian Neff vom 28. 08. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. Auch der Hamburger Pastor Otto Schowalter zeigte sich Mitte Mai 1933 dem Gedanken eines Reichskirchenanschlusses nicht vollkommen abgeneigt; Rundschreiben Otto Schowalter an Christian Neff, Emil Händiges und Ernst Crous, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 755 Benjamin Heinrich Unruh: Zur Kirchenfrage der Mennoniten (24. 10. 1933), in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Benjamin H. Unruh, Karton 2, Ordner 8 (Zur Kirchenfrage). 756 Schreiben Benjamin H. Unruh an D. Hege vom 28. 07. 1933, Durchschlag für Christian Neff, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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Gegensatz oder Unterschied vor. Von den Freikirchen trennt uns der verschiedenen Wesenscharakter und unsere 400jährige Geschichte.«757

Durch das massive Trommeln der Deutschen Christen im westpreußischen und Danziger Raum musste den mennonitischen Akteuren im Sommer und Herbst 1933 klar geworden sein, dass die Verbindung mit einer deutschchristlich geführten Reichskirche dem Reichen des kleinen Fingers gleichkäme – auf das bekanntlich das Ergreifen der ganzen Hand folge.758 Die Haltung zur deutschchristlichen Frage: Die Glaubensbewegung Deutsche Christen wurde auch vom offiziellen Mennonitentum nicht rundweg abgelehnt. Rassenantisemitismus und die Verwerfung des Alten Testamentes wurde zwar nicht befürwortet, doch eine die Kategorie des Volkes einbeziehende Theologie durchaus gutgeheißen.759 Das belegen anerkennende Worte, die mennonitische Repräsentanten in der öffentlichen Rede für diese Strömung fanden.760 Abgelehnt wurde aber jegliche »machtpolitische Methode«, auch von Abraham Fast.761 Angesichts der Haltungen auf dem radikal-völkischen Flügel der GDC war es allerdings klärungsbedürftig, ob sich die Bewegung dadurch für Mennoniten insgesamt diskreditiere oder ob solche Phänomene, wie Benjamin H. Unruh meinte, gleichsam überschießende Strömungen eines gärenden Prozesses wären; am Ende könnte eine geläuterte, annehmbare theologische Richtung stehen.762 In dieser Frage positionierte sich Erich Göttner im Herbst 1933 eindeutig, indem er buchstäblich seine Türen für solche evangelischen Pfarrer öffnete, die den offiziellen deutschchristlichen Kirchenkurs nicht mittragen könnten. »Denke dir«, 757 Schreiben Christian Neff an Gustav Reimer vom 20. 09. 1933, zitiert in dem Rundschreiben von Ernst Crous vom 16. 10. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 758 Vgl. dazu die Schreiben von Göttner an Christian Neff vom 09. 08. 1933 und 22. 09. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. 759 Das lässt sich, wie ich an anderer Stelle argumentiert habe, auf die Rezeption der »Theologie der Schöpfungsordnung« zurückführen. Vgl. Imanuel Baumann: Volksbegriff und Antisemitismus bei der mennonitischen Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft in der Etablierungsphase des NS-Regimes, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016), S. 123–148, hier: S. 129–131. 760 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 90. 761 Bericht über die Tagung der Vorstände der ostfriesischen und münsterländischen Mennonitengemeinden am 4. Januar 1934 in Emden, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 2 (Februar), S. 16–17. 762 Eine Aufgeschlossenheit Benjamin H. Unruhs gegenüber der GDC wurde beispielsweise erwähnt in: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Außerordentliche Kuratoriumssitzung der »Vereinigung der Mennonitengemeinde im Deutschen Reich« in Berlin vom 17.–19. November 1933 [Bericht »nach dem Protokoll von Erich Göttner«], in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 12 (Dezember), S. 113–117; vgl. S. 114.

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schrieb Erich Göttner am 4. Oktober 1933 an Christian Neff in die Pfalz, »bei uns kamen zum ersten Mal alle die Pfr. zusammen, die bei den Dtsch. Chr. nicht mitgehen können. Wir werden nun monatlich in den verschiedenen Häusern uns zur Besprechung theol. Fragen versammeln. Zur Klärung und Besinnung u. zur Stärkung der Gemeinschaft tut das recht not.«763 Erich Göttner hatte sich am Anfang der nationalsozialistischen Herrschaft unmissverständlich gegen die Vorstellung eines »Herrenvolkes« gestellt (obwohl er das »Volk« als eine Schöpfungsordnung Gottes betrachtete) und betont, dass es keine »Wertunterschiede« zwischen den Rassen gebe; in einem 1932 vorgetragenen und im Januar 1933 gedruckten Text kritisierte er sogar Hitler namentlich dafür, »den Blutwert als den menschlichen Grundwert« zu betrachten.764 Da die eben erwähnte Sammlung in seinem Haus just unmittelbar nach jener ›braunen Synode‹ der preußischen Landeskirche stattfand, auf der die Einführung des »Arierparagrafen« in dem Bereich der Kirche beschlossen wurde765, liegt die Vermutung nahe, dass die klare Positionierung gegen die GDC durch Göttner und seine landeskirchlichen Pfarrkollegen mit jener Synode und der dort eingeführten rassenantisemitischen Maßnahme zusammenhing. Erich Göttner war also eine Art freikirchlicher Martin Niemöller in der Freien Stadt Danzig.766 Unabhängig von der theologischen Bewertung musste im Sommer 1933, also in einer Phase, als mennonitische Führer noch anerkennende Worte zur GDC 763 Schreiben Erich Göttner an Christian Neff vom 04. 10. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. Vgl. das Schreiben von Gustav Reimer an Benjamin Unruh [Oktober 1933]): »Es ist doch für die hiesigen Verhältnisse bezeichnend, dass selbst einige evangl. Pfarrer mit dieser Bewegung [Deutsche Christen] nicht mitkönnen, sondern sich aus inneren Gründen zu einer Notgemeinschaft zusammengeschlossen haben. Zu letzterer besteht bereits eine freundliche Beziehung, den die Gründungsversammlung derselben fand im Hause Bruder Göttner’s statt.« Schreiben Gustav Reimer an Benjamin H. Unruh [Oktober 1933], Durchschlag für Christian Neff, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45. Vgl. dazu Diether Götz Lichdi: Mennoniten im Dritten Reich. Dokumentation und Deutung, Weierhof 1977, S. 84–87. 764 Erich Göttner: Die völkische Religiosität der Gegenwart. Auf Grund eines Vortrages in der Danziger Mennonitenkirche, gehalten im Februar 1932 (Fortsetzung 3), in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 2 (Februar), S. 14–16 sowie ders.: Die völkische Religiosität der Gegenwart (Fortsetzung 2), in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 1 (Januar), S. 2–4. 765 Am 06. 09. 1933 beschloss die 10. Generalsynode der mit 18 Millionen Mitgliedern größte Landeskirche, die Evangelische Kirche der altpreußischen Union für die Regelung der Rechtsverhältnisse ihres Personals den »Arierparagrafen« einzuführen; die evangelischen Landeskirchen in Sachsen, Schleswig-Holstein, Braunschweig, Lübeck, Nassau-Hessen und Thüringen folgten ihrem Beispiel. Vgl. Eberhard Röhm und Jörg Thierfelder: Juden – Christen – Deutsche 1933–1945, 5 Teilbände, Stuttgart 1990–2007, Bd. 1: 1933–1935, Stuttgart 1990, 203f. 766 Der evangelische Pfarrer Martin Niemöller (1882–1984) gründete in Reaktion auf die Einführung des »Arierparagrafen« im Bereich der Kirche im September 1933 den »Pfarrernotbund« – einer Keimzelle der späteren Bekennenden Kirche.

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fanden, zur Frage Stellung bezogen werden, ob sich Mennoniten dieser Bewegung auch in ihrer organisatorischen Form anschließen könnten. Besonders im westpreußischen und Danziger Raum war dies in dieser Zeit ein drängendes Problem: es gab bereits eine Übertrittsbewegung.767 In dieser Angelegenheit war sich das offizielle Mennonitentum einig. Es lehnte im August 1933 den Eintritt von mennonitischen Gemeindemitgliedern in die GDC rundweg ab.768 Dabei ging es ihm vor allem um den konfessionellen Selbsterhalt. Im Blick auf das kirchenpolitische Problem erwies es sich nun als Gefahr, dass offenbar ein beträchtlicher Teil der Mennoniten in westpreußischen oder Danziger Gemeinden nicht nur dem Nationalsozialismus zugeneigt, sondern bereits zu diesem Zeitpunkt auch in die NSDAP eingetreten war.769 Auf Seiten der mennonitischen Führung zielte die Sorge darauf, dass solche Gemeindemitglieder von den Deutschen Christen instrumentalisiert werden könnten, um die Freikirchen gleichzuschalten. Und tatsächlich erwies sich diese Sorge, wenn auch in etwas anders gelagerten Form, als nicht unbegründet, wie ich am Beispiel des mennonitischen Landrats, Otto Andres, NSDAP-Kreisleiter im Großen Werder, zeigen möchte. Andres war nicht der einzige Mennonit, der als Nationalsozialist öffentliche Ämter bekleidete, er gehörte aber zu jenen, die zum einen bereits 1933 über einen gewissen politischen Einfluss verfügten und eben diesen in der Kirchenfrage geltend machte – und zum anderen während des NS-Regimes eine weitere Karriere in der Parteihierarchie absolvierte. Otto Andres wurde am 28. Dezember 1902 in Tiegenhagen (Westpreußen) geboren. In den 1920er-Jahren zunächst zum Schlosser, dann zum Ingenieur ausgebildet, trat er 1930 der NSDAP bei und bekleidete sogleich das Amt des Ortsgruppenleiters; im folgenden Jahr wurde er von der Partei zum Bezirksleiter,

767 Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Außerordentliche Kuratoriumssitzung der »Vereinigung der Mennonitengemeinde im Deutschen Reich« in Berlin vom 17.–19. November 1933 [Bericht »nach dem Protokoll von Erich Göttner«], in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 12 (Dezember), S. 113–117, S. 114. 768 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 86. 769 Göttner schrieb Neff am 22. 08. 1933: »Denn der mit der kirchlichen Neuordnung in Dzg. beauftragte Konsistorialrat sagte dem hiesigen Baptistenprediger in einer informatorischen Unterredung, man rechne damit, daß die Menn. in die Landeskirche zurückkehren würden, da die meisten Nationalsozialisten seien. (Es kann dabei nur an den Weg über die Bewegung Deutsche Christen gedacht worden sein).« Sowie: »Wir sind die älteste, öffentlich einflussreichste Freikirche (eine Reihe von NSDAP-Führers im Werder sind Mennoniten, u. a. der Landrat).« Schreiben Erich Göttner an Christian Neff vom 22. 08. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Briefwechsel 1933, Karton 7, Ordner 45.

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Kreisleiter des Kreises Groß-Werder berufen.770 Als die NSDAP am 28. Mai 1933 stärkste Kraft in der Freien Stadt Danzig geworden war, wurde Otto Andres sogleich, am 1. Juli 1933, kommissarisch zum Landrat des Kreises Groß-Werder der Freien Stadt Danzig bestallt. (Seit dem 1. Mai 1934 nahm er diese Position amtlich ein).771 Zugleich wurde Andres 1933 in den Volkstag der Freien Stadt Danzig gewählt und gehörte diesem bis zu dessen Auflösung im Jahr 1939 an.772 Andres war Mitglied der SA und schaffte es dort bis in den hohen Rang des Oberführers (1942).773 Als Otto Andres 1933 also in den mennonitischen Gremiensitzungen auftauchte – zu denen er im Übrigen eingeladen wurde – erschien er dort gleich in mehreren Funktionen: als Angehöriger der mennonitischen Glaubensgemeinschaft, als Vertreter der öffentlichen Verwaltung, vor allem aber auch als Repräsentant der NSDAP (der Berichterstatter einer solchen Tagung ließ es sich nicht nehmen, darauf hinzuweisen, dass Andres in Uniform mit Chargen der Partei aufgetreten sei774). Diether Götz Lichdi sprach in seiner Studie zu den Mennoniten im Nationalsozialismus in den 1970er-Jahren davon, dass Andres schon 1929 aus der Gemeinde ausgetreten, »sein Interesse an den Men.[noniten] und auch das Interesse der Men.[noniten] an ihm« aber erhalten geblieben sei.775 Dem steht jedoch gegenüber, dass Andres im 1936 erschienenen mennonitischen Adressbuch als Mitglied der Gemeinde Tiegenhof genannt wird – mit der Standes- und Berufsbezeichnung »Landrat«.776 Die Daten wurden jeweils von den Gemeinden erhoben, was auf eine – mindestens bezogen auf die Jahre 1933 und 1934 – noch immer gültige Mitgliedschaft hinweist.777 Vermutlich hat Otto Andres aber in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre, womöglich zwischen Ende 1937

770 BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902. Tabellarische biografische Übersicht aus dem Jahr 1939. 771 Joachim Lilla: Statisten in Uniform: Die Mitglieder des Reichstags 1933–1945. Ein biographisches Handbuch. Unter Einbeziehung der völkischen und nationalsozialistischen Reichstagsabgeordneten ab Mai 1924. Bearbeitet von Joachim Lilla. Unter Mitarbeit von Martin Döring und Andreas Schulz, Düsseldorf 2004, S. 10–11 (Nr. 17). 772 Am 07. 07. 1940 wurde Andres in den Reichstag gewählt (und gehörte ihm bis zum 26. 07. 1943 an). Lilla, Statisten, S. 10–11 (Nr. 17). 773 Urteil des Obersten Parteigerichts vom 30. 06. 1942, I Kammer Az I/60/41 Da.-W., in: BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902. 774 E. [mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-Danziger Mennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933), 9 (September), S. 85–91, hier S. 91. 775 Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 177, Fußnote 2 und S. 106. 776 Mennonitisches Adressbuch 1936, Karlsruhe 1936, S. 207. 777 Das lässt sich schließen aus dem Artikel von Christian Neff: Unser mennonitisches Adressbuch, in: Mennonitische Blätter 82 (1935) 11 (November), S. 91–92.

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und spätestens 1939, einen Bruch mit der Mennonitengemeinde vollzogen.778 Unabhängig von dieser eher formalen Frage ist Lichdis zweiter Hinweis zu unterstreichen: Otto Andres hat sich 1933 den Mennoniten gegenüber selbst ausdrücklich als »Glaubensbruder«779 präsentiert und er wurde von den Repräsentanten des Mennonitentums als einer der ihren wahrgenommen.780 In kirchenpolitischen Fragen, zu deren Beratung Andres von den Mennoniten hinzugezogen wurde, entpuppte sich der Landrat aus mennonitischer Sicht allerdings als eine Art Risiko. In der retrospektiven Analyse muss man sich fragen, was Andres von den mennonitischen Glaubensgrundsätzen eigentlich hielt – und vielleicht beschäftigte diese Frage auch die Zeitgenossen: Denn einerseits ermutigte er die Mennoniten, einen engen Zusammenschluss aller mennonitischen Konferenzen herbeizuführen und plädierte für das »lange«, also dogmatische Bekenntnis; anderseits hielt er ein flammendes Plädoyer für den Wehrdienst (das in der jungen Generation Widerhall fand781); und ob er für die Frage der Eidverweigerung großes Verständnis hatte, darf bei seinen eigenen Parteifunktionen und Ämtern mindestens bezweifelt werden (die NSDAP in der Freien Stadt Danzig hielt hartnäckig an der Eidesverpflichtung bei aufzunehmenden Mitgliedern fest782). Andres beschwichtigte weiterhin die Mennoniten im Blick auf die Glaubensbewegung Deutsche Christen – diese widme sich vor allem »innerkirchliche[n] Belage[n]« – und widersprach dem einhelligen Votum nicht, sich von der GDC fern zu halten783, drohte jedoch wenig später selbst mit der Gleichschaltung der Mennonitengemeinden. In bestimmten Gegenden könnten

778 Vgl. die 1940 ausgestellte Karteikarte der NSDAP-Parteikorrespondenz zu Otto Andres, in der bei »Religion« das Kürzel »ggl.«, also »gottgläubig«, eingetragen ist, was für aus der Kirche (der Gemeinde) Ausgetretene steht, in: BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902. Hingegen legt ein Brief Andres’ an einen mennonitischen Prediger vom 03. 12. 1937 den Schluss nahe, dass er zu diesem Zeitpunkt noch nicht offiziell aus der Gemeinde ausgetreten war; das Schreiben ist zitiert in Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 106–107. 779 Nach dem Protokoll von E. [mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-Danziger Mennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933), 9 (September), S. 85–91; Andres führte aus, dass er »[n]icht als Landrat, sondern als Glaubensbruder« gekommen sei (S. 91). 780 Vgl. ebd. Eingeladen wurde Andres auch zur »Außerordentliche[n] Versammlung der Vorstände der Ost- und Westpreußischen Mennoniten-Gemeinden zu Neuteich (Freie Stadt Danzig) am 12. Januar 1934«, vgl. den Beitrag in den Mennonitischen Blättern 81 (1934) 2 (Februar), S. 14–15. 781 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, Mennonitische Blätter 81 (1934), S. 9–11 (1. Folge). 782 Lichti, Pacifist Denominations, S. 35. 783 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-Danziger Mennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933), 9 (September), S. 85–91, Zitat S. 91.

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sie, so Andres, notfalls auch ohne den Willen der Gemeindeführer mit den evangelischen Kirchen zusammengeschlossen werden. Auf seine politisch motivierte Intervention der mennonitischen Diskussion über strukturelle Änderungen der Gemeindelage möchte ich im Folgenden näher eingehen; ich zitiere dabei etwas ausführlicher aus einem Brief von Gustav Reimer, Diakon der Mennonitengemeinde Heubuden (Freie Stadt Danzig), in dem er Benjamin H. Unruh – und Christian Neff, Emil Händiges und Ernst Crous, die Durchschläge des Briefes erhielten – seine großen Sorgen im Blick auf die Situation der Gemeinden im Raum Danzig schilderte. Ernst Crous hat einen Auszug aus diesem Brief dann in einem vertraulichen Rundschreiben weiterverbreitet. Gustav Reimer schrieb also Anfang Oktober 1933: »So wurde ich in der vergangenen Woche von einem der NSDAP angehörenden menn. Prediger der Gemeinde Ladekopp zu einer Besprechung eingeladen, in der der Kreisleiter der ›Deutschen Christen‹, ein evangl. Pfarrer, uns das vorstehend angedeutete Ziel dieser Bewegung näher erklärte und uns darüber verständigte, wie man sich die ›Zusammenarbeit‹ mit den Mennoniten denke. Darnach sollten diese sich überall den evangelischen Gemeinden ihres Wohnorts anschliessen. In denjenigen Orten, wo nur mennonitische Kirchengebäude vorhanden sind, aber keine evangl., wie in Heubuden, Orlofferfelde, Pordenau, Tiegenhagen, Rosenort und Neunhuben, sollten die Mennoniten mit den dort ansässigen Evangelischen eine Gemeinde bilden. Uns soll die Grosstaufe gelassen werden, auch können sich unsere Laienprediger weiter auch in den evangl. Kirchen betätigen. Es sei so gedacht, dass dem evangl. Pfarrer mehrere Gemeinden – etwa drei bis fünf – unterstellt werden, in deren Kirche er der Reihe nach predigt. An den anderen Sonntagen sollten diese von den Laienpredigern bedient werden. Da der Bezirk jeder Mennonitengemeinde sich über mehrere evangl. Gemeinden erstreckt, würde die Durchführung dieses Programms alleine schon rein organisatorisch die Zerschlagung aller unserer Mennonitengemeinden bedeuten. Schon der Teil unserer Gemeinde Neunhuben, der in der Freien Stadt Danzig liegt, würde in 11 Teile zerfallen, denen es dann an jedem Zusammenhalt fehlt. Wenn wir auch eine solche ›Zusammenarbeit‹, die den Fortbestand unserer Gemeinden gefährdet, ganz entschieden ablehnten, so müssen wir doch befürchten, dass man versuchen wird, das sich gesteckte Ziel unter allen Umständen auf andere Weise zu erreichen. Am nächstliegenden erscheint mir die Beeinflussung der der NSDAP angehörenden Mennoniten. In diesem Sinne äusserte sich bereits der zu jener Besprechung etwas später hinzugekommene Kreisleiter der NSDAP, der mennonitische Landrat Andres aus Tiegenhof, ein Schwager des einladenden mennonitischen Predigers. Ohne die von der Gegenseite gemachten Vorschläge in ihrer ganzen Auswirkung zu überdenken, sagte er in drohendem Tone, dass, wenn wir uns ›bockbeinig‹ stellen, dann werden die mennonitischen Nationalsozialisten über unsere Köpfe hinweg eine Verständigung mit den evangelischen Gemeinden durchführen. Bei dem grossen Einfluss, den diese Bewegung auf ihre Mitglieder ausübt, liegt hier doch eine gewissen Gefahr vor, zumal wenn es erst den ›Deutschen Christen‹ gelingt, Mitglieder in unseren Reihen in grösserer Anzahl zu werben. Noch hat der Vorstand unserer Gemeinde, dem auch einige Nationalsozialisten angehören, am letzten Sonntag die Vorschläge der ›Deutschen Christen‹ auf ›Zusam-

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menarbeit‹ einstimmig abgelehnt. Es gibt aber auch bei uns einige Mitglieder, hauptsächlich solche, die führend in der NSDAP tätig sind, die eine andere Auffassung vertreten.«784

Gustav Reimer benennt also eine dreifache Gefahr: Durch den hohen Anteil an Nationalsozialisten in Gemeinde und Gemeindeleitung sei es möglich, dass die Mennoniten in Danzig kirchenpolitisch leicht in Bahnen gelenkt werden könnten, die dem offiziellen Kurs, nicht mit den Deutschen Christen zusammenzugehen, entgegenstünden. Damit verbunden war aber die Gefahr, dass der konfessionelle Bestand der Mennoniten zerstört, mennonitische Glaubensüberzeugungen eingeebnet werden könnten, aus Reimers Sicht eine durchaus reale Bedrohung. Die dritte Gefahr ging in diesem Zusammenhang von Otto Andres aus, der womöglich über die Macht verfügte, eben dies mit Hilfe nationalsozialistischer Mennoniten gleichsam gewaltsam herbeizuführen. Wenn sich Andres 1933 tatsächlich selbst noch als »Glaubensbruder« verstanden hatte – und sein Auftreten und Gebaren nicht rein taktischer Natur gewesen war – so äußerte er sich später, in einem Schreiben an einen mennonitischen Prediger vom 3. Dezember 1937, in einer Weise, die nicht nur eine Distanz zum Mennonitentum, sondern zur christlichen Kirche insgesamt offenbarte: Andres kritisierte den mennonitischen Prediger Thiessen für seine christologische Predigt am Bußtag des Jahres 1937, in der er eindringlich gemahnt hatte, dass sich Hass und die Aufforderung »zum Hassen der Feinde« nicht mit der Lehre Christi vertrügen. Andres, der wegen dieser Predigt »Beschwerden und Anzeigen« entgegennehmen musste, bemängelte die Ausführungen und meinte: »Für mich selbst habe auch ich aus der Predigt Schlüsse gezogen und die Kirche vor die klare Entscheidung gestellt, ob sie Ihre Ausführungen billigt oder nicht. Wenn nein, dann hat die Kirche die notwendigen Schlüsse zu ziehen; wenn ja, dann werde ich und wahrscheinlich viele andere mit mir, ebenfalls die sich daraus ergebenden Schlussfolgerungen zu ziehen wissen. Denn dann ist für einen aufrichtigen Nationalsozialisten in einer solchen Kirchengemeinschaft kein Platz. Wir werden es nicht dulden, daß die Kirche einen Keil zwischen Menschen und Gott treibt. Wir werden die Menschen ausrichten, daß sie ihren Weg auch ohne Kirche zu Gott finden. Unserer Weltanschauung wohnen Kräfte inne, die so stark gemeinschaftsbildend sind, daß wir, wenn es sein muß, Kirchen mit ihren hadernden ›Seelsorgern‹ entbehren können.«785

784 Schreiben Gustav Reimer am Benjamin H. Unruh vom 06. 10. 1933, Durchlag für Christian Neff, weitere für Händiges und Crous; vgl. das Vertrauliche Rundschrieben vom 16. 10. 1933 von Ernst Crous (vervielfältigtes Exemplar), in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933. 785 Zitate aus der Predigt von Gerhard Thiessen und aus dem Brief von Otto Andres an Thiessen vom 03. 12. 1937 nach Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 106 u. 107.

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Im Jahr 1939 zeigte sich auf dreierlei Weise der Rang, den Andres in der Partei als zuverlässiger Nationalsozialist einnahm. Zum einen lohnte ihm Hitler seine »Treue« in der Kampfzeit mit dem »goldenen Ehrenzeichen« für alte Parteimitglieder; zum anderen wurde Andres am 3. September, also fast unmittelbar nach dem Überfall der Wehrmacht auf Polen, als »Chef der Zivilverwaltung« mit der Umgestaltung der Verwaltung im Kreis Dirschau betraut, eine Aufgabe, die den Verwaltungsstäben der Armee oblag und wozu er deshalb seitens der Wehrmacht, aber »mit Zustimmung« des Danziger Gauleiters Albert Forsters ernannt wurde.786 Andres war in dieser Funktion augenscheinlich eine Figur im Spiel des Gauleiters, der bereits am 2. September nach der Stadtverwaltung in Dirschau gegriffen hatte.787 Schließlich wurde Andres, drittens, im Herbst 1939 zum Stellvertretenden Gauleiter Danzig-Westpreußen erkoren, ein Rang, den er seit dem 1. Januar 1940 unter Albert Forster offiziell einnahm.788 Mit seiner neuen Funktion waren zugleich auch seine Tätigkeiten als Landrat und NSDAPKreisleiter im Großen Werder beendet. Überblicken wir abschließend noch den weiteren Verlauf seiner Biografie, der unseren Untersuchungsgegenstand allerdings im Blick auf die zeitliche wie inhaltliche Dimension verlässt: Schon bald kam es zu Differenzen mit Gauleiter Forster: Andres vertrat im Umgang mit »Volksdeutschen« einen anderen Kurs als Forster, der, entgegen Himmlers Richtlinien, danach trachtete, »etwa 700 000 Menschen polnischer Abstammung auf Widerruf einzudeutschen«.789 Schließlich kam es zum Bruch mit Forster, wobei vermutlich genau dieser Komplex, vermengt mit Fragen der Konkurrenz zwischen den verschiedenen regionalen Instanzen und persönlichen Animositäten, eine wichtige Rolle gespielt hat. In diese Richtung weist ein Konflikt zwischen Andres und Forster, der das Fass vielleicht zum Überlaufen gebracht hat: Andres hatte offenbar einen guten Kontakt zum Vertreter des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums in Danzig, der Höhere SS- und Polizeiführer Richard Hildebrandt, mit dem aber Forster heftig konkurrierte: Andres ließ Hildebrandt Einblick nehmen in einen Schriftwechsel mit dem Bromberger Regierungspräsidenten, mit dem sich Andres in einer Verwaltungsangelegenheit heftig stritt. Hildebrandts 786 Protokoll der Zeugenvernehmung von Otto Andres vom 14. 12. 1961, in: BArch B 162/6641. 787 Gerhard Wolf: Ideologie und Herrschaftsrationalität. Nationalsozialistische Germanisierungspolitik in Polen, Hamburg 2012, S. 91. 788 Vgl. das Schreiben von Gauleiter Albert Forster an Saupert, Stabsleiter des Reichsschatzmeisters, vom 25. 10. 1939 und die Karteikarte zu Otto Andres, in: BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902. 789 Dieter Schenk: Strukturen eines Gauleiters am Beispiel Albert Forsters Reichsgau DanzigWestpreußen. URL: http://www.dieter-schenk.info/Anhang/Verlinkungen/Gauleiter-Forster.pdf (Aufruf: 28. 08. 2020). Vgl. zum Konflikt in unserem Kontext das Urteil des Obersten Parteigerichts vom 30. 06. 1942, I Kammer Az I/60/41 Da.-W., in: BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902.

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Dienststelle sorgte (offenbar ohne Andres Wissen) dafür, dass die Briefe im Schwarzen Korps veröffentlich wurden. Forster fühlte sich brüskiert und stellte Andres zur Rede. Dieser verschwieg seinem Vorgesetzten, dass er das Material Hildebrandt gezeigt hatte. Schon im Februar 1941 war die Karriere als Stellvertretender Gauleiter beendet. Inwieweit bereits zu diesem Zeitpunkt Forsters Vorwürfe gegen Andres wegen unlauteren Geschäfts- und Finanzgebarens eine Rolle spielten oder ob Forster diese erst nach dessen Demission erhob, lässt sich anhand des ausgewerteten Materials nicht mehr abschließend klären. Jedenfalls versuchte Andres solche Vorwürfe in der zweiten Jahreshälfte mithilfe einer Selbstanzeige zu entkräften, musste aber eine Niederlage hinnehmen – auch wenn die vom Obersten Parteigericht der NSDAP festgestellten Verfehlungen verhältnismäßig dürftig ausfielen: Am Ende blieb an Andres vor allem die »Unterhaltung einer schwarzen Kasse in Höhe von RM 2 600« hängen.790 Andres kassierte eine Verwarnung, verbunden mit dem zwei Jahre andauernden Verbot, ein Parteiamt zu bekleiden. Andres diente jetzt, zwischen 7. April 1941 und Anfang 1943 sowie seit dem 2. September 1944, in der Wehrmacht.791 Dazwischen war er, von der Wehrmacht unabkömmlich gestellt, als Ingenieur in der Posener Zweigstelle der Mannheimer Landmaschinenfirma Heinrich Lanz AG tätig.792 Die Parteikarriere von Otto Andres war ruiniert, doch zum endgültigen Bruch war es von beiden Seiten nicht gekommen.793 Der für den Parteigenossen Andres in Posen nun zuständige 790 Schreiben des Reichsrevisions- und Rechnungsamt der NSDAP an das Hauptmitgliedschaftsamt vom 05. 10. 1942, in: BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902. 791 Schreiben Dr. Stanisław Hejmowski an Dr. Ewald Garlepp vom 11. 10. 1955, in: BArch B 305/ 4504. Nach schriftlicher Auskunft der Deutsche Stelle (WASt) (Deutsche Dienststelle für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht) an den Verfasser vom 21. 01. 2017 gehörte Otto Andres zunächst der 2. (Ersatz)Batterie Flak-Ersatz-Abteilung 12, Berlin-Lankwitz, an (Meldungen vom 03. 06. 1941 und Juni 1942), später dem IV. (Panzer)/Schlachtgeschwader 9, Nachschubhorst (Meldung vom 01. 10. 1944). 792 Vgl. das »Zwischen-Zeugnis« der Firma Lanz vom 19. 09. 1944 sowie das Schreiben Dr. Stanisław Hejmowski an Dr. Ewald Garlepp vom 11. 10. 1955, in: BArch B 305/4504. 793 Ein Parteiaustritt ist in der NSDAP-Mitgliedskartei (Gaukartei) nicht vermerkt, jedoch ein Verwarnungsvermerk (BArch R 9361-IX Kartei/521513). Nach Kenntnis der Parteikorrespondenz der NSDAP wissen wir, dass Andres vielmehr an seiner parteiinternen Rehabilitation gelegen war. Doch legte er offenbar keinen Wert darauf, die NSDAP-interne Auseinandersetzung zu verbergen: Der Zeitzeuge Arno Thimm berichtet folgende Begebenheit mit Otto Andres: Er sei um 1943/44 mit Vater und Mutter in Tiegenhof-Platenhof einkaufen gewesen. Ein Mann kam entgegen, grüßte mit »Guten Tag« und hob den Hut; er entbot also nicht den Hitler-Gruß. Erstaunt fragte die Mutter: »Wer war das?«, woraufhin der Vater erwiderte: »Ja, weißt du das denn nicht; er ist aus der Partei ausgetreten.« Statement auf der Tagung »Stimmen, Lebenssituationen, Erfahrungen. Mennoniten in der NS-Zeit.« 25. bis 27. September 2015 in Münster.

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Gauleiter Arthur Greiser – als Danziger Senatspräsident vormals ein großer Widersacher Forsters – setzte sich für Andres ein, Besitzurkunde und Ehrenzeichen der Partei behalten zu dürfen.794 Greiser beabsichtigte im August 1944 zudem, »nach dem Krieg zur gegebener Zeit ein Ehrenbereinigungsverfahren bei der Parteikanzlei« durchzuführen.795 Am 9. Mai 1945 geriet Andres in Österreich in amerikanische Kriegsgefangenschaft, woraus er aber bereits im Juli des gleichen Jahres wieder entlassen wurde; er begab sich nach Schleswig-Holstein, wo er seine Frau wiederfand.796 Im Oktober 1946 wurde er jedoch von den Briten in Preetz festgenommen und in das Internierungslager Neuengamme bei Hamburg verbracht, später in HamburgFischbek interniert, einem Lager, das von den britischen Streitkräften speziell für potenzielle Kriegsverbrecher eingerichtet worden war (War Criminal Holding Centre Fischbek) und am 5. Dezember 1947 an Polen ausgeliefert.797Offenbar war Andres erst aufgrund seiner eigenen Angaben im Fragebogen zur Entnazifizierung ins Visier des englischen Militärs geraten.798 Am 10. Februar 1949 wurde Otto Andres vom Landgericht Danzig zu einer 15jährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Zur Last gelegt wurden ihm zum einen seine führenden Funktionen innerhalb der NSDAP und zum anderen, »zum Schaden der polnischen Bevölkerung« gehandelt zu haben; konkret ging es hier um Hetzreden in seiner Dirschauer Funktion sowie um sein Verhalten als Ingenieur der Firma Lanz, wo ihn das Gericht u. a. wegen der Ausübung von Gewalt gegen polnische Arbeiter verurteilte.799 Freigesprochen wurde er allerdings von dem 794 Vgl. das Schreiben des Gauleiters des Gaues Wartheland, Arthur Greiser, an den Reichsschatzmeister der NSDAP (Amt für Mitgliedschaftswesen, Schiedsamt) vom 16. 08. 1944 sowie das Schreiben des Oberbereichsleiters Schneider an den Gauschatzmeister der Gauleitung Wartheland, Weyer, vom 16. 09. 1944, in: BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902. 795 Schreiben der Gauleitung Wartheland (Gauschatzamt) an den Reichsschatzmeister der NSDAP (Amt für Mitgliedschaftswesen, Schiedsamt) vom 16. 08. 1944, mit Bezug auf eine Mitteilung »durch die Adjutantur des Gauleiters«, in: BArch, PK (ehem. BDC), Andres, Otto, 28. 12. 1902. 796 Protokoll der Vernehmung von Otto Andres als Zeugen vom 23./24. 10. 1961, in: BArch B 162/3390 sowie die Vernehmungsniederschrift vom 09. 02. 1961, in: BArch B162/4777. 797 Vgl. das Schreiben der Ehefrau von Andres an die Zentrale Rechtsschutzstelle vom 05. 08. 1950, das Schreiben von Dr. Stanisław Hejmowski an Dr. Ewald Garlepp vom 18. 06. 1955, das Schreiben von Otto Andres an das Hilfswerk der Evangelischen Kirche, Rechtsschutzstelle vom 20. 09. 1956 sowie das Schreiben von Dr. Garlepp an die Zentrale Rechtsschutzstelle (Dr. Gawlik) vom 14. 11. 1958, in: BArch B 305/4504. 798 Vgl. das Schreiben von Frau Andres an die Zentrale Rechtsschutzstelle vom 05. 08. 1950; in: BArch B 305/4504 sowie das Protokoll der Vernehmung von Otto Andres als Zeugen vom 23./ 24. 10. 1961, in: BArch B 162/3390. 799 Vgl. das Schreiben Dr. Stanisław Hejmowski an Dr. Ewald Garlepp vom 11. 10. 1955, das Schreiben des Evangelischen Hilfswerkes der Evangelischen Kirchen in Deutschland, Rechtsschutzstelle für Deutsche im Ausland, an die Zentrale Rechtsschutzstelle vom 26. 10. 1955, das Schreiben von Garlepp an die Zentrale Rechtsschutzstelle, Gawlik, vom 14. 11. 1958

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Vorwurf, in Dirschau auch für die Verhaftung, Ermordung (Erschießung von 16 katholischen Geistlichen Ende Oktober 1939) und Umsiedlungen von Polen mitverantwortlich gewesen zu sein. Andres hatte nachweisen können, dass seine Tätigkeit dort nur wenige Wochen andauerte und vor der erwähnten Massenexekution beendet gewesen war.800 Andres und seine Frau wurden von der Rechtsschutzstelle des Evangelischen Hilfswerks betreut, die wiederum eng mit der Zentralen Rechtsschutzstelle zusammenarbeitete, einer zunächst dem Bundesjustizministerium, seit 1953 dem Auswärtigen Amt zugeordneten Einrichtung, die den Rechtsschutz von deutschen Kriegsgefangenen im Ausland organisierte.801 1955 beauftragte die Rechtsschutzstelle des Evangelischen Hilfswerks (erneut) einen Anwalt in Polen, um Andres freizubekommen; honoriert wurde dieser von der Zentralen Rechtsschutzstelle, also von der Bundesregierung, die Andres über jenen Anwalt auch finanzielle Unterstützung zukommen ließ. Diese Bemühungen waren erfolgreich: 1956 wurde Andres vorzeitig aus der Haft entlassen und kehrte am 11. Juli 1956 im »27 Familienzusammenführungs-Transport« aus Polen über das Durchgangslager Friedland nach Deutschland zurück.802 In der Bundesrepublik schloss sich Andres nicht wieder der mennonitischen Glaubensgemeinschaft an, der er in seiner Danziger Heimat mindestens bis in die 1930er-Jahre hinein verbunden gewesen war. Insofern spielte er auch für deren weitere Entwicklung nach 1945 keine Rolle. Andres wurde von mennonitischer Seite allerdings im Zusammenhang mit Recherchen zum Verhältnis von Mennoniten und Nationalsozialismus (NS-Verbrechen) befragt. Dabei zeigte er sich gut über den mennonitischen Diskurs informiert.803 Beruflich betätigte sich Andres wieder als Ingenieur. Am Ende seines Lebens wurde aus dem erweiterten Familienkreis der Wunsch nach einer seelsorgerlichen Betreuung an den men-

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sowie die Abschrift eines Schreibens von Edmund Masiak (dem ersten polnischen Verteidiger) vom 10. 02. 1949 an Frau Andres (daraus das Zitat), in: BArch B 305/4504. Protokoll der Vernehmung von Otto Andres als Zeugen vom 23./24. 10. 1961, in: BArch B 162/3390. Abschrift eines Schreibens von Edmund Masiak (dem ersten polnischen Verteidiger) vom 10. 02. 1949 an Frau Andres (daraus das Zitat), in: BArch B 305/4504. Bernhard Brunner: Der Frankreich-Komplex. Die nationalsozialistischen Verbrechen in Frankreich und die Justiz der Bundesrepublik Deutschland, Göttingen 2004, S. 115ff. Norbert Frei: Vergangenheitspolitik. Die Anfänge der Bundesrepublik und die NS-Vergangenheit, München 2012 (zuerst 1996), S. 187ff. Änderungsmeldung des Deutschen Roten Kreuzes, Suchdienst Hamburg, vom 12. 7. 1956; und Schreiben der Arbeitsgemeinschaft der Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege (Familienzusammenführung und Kinderdienst) an das Hilfswerk der Evangelischen Kirche in Deutschland, Rechtschutzstelle, vom 14. 07. 1956, in: BArch B 305/4504. Aussage von Dr. Horst Gerlach, der Otto Andres im Rahmen seiner Recherchen zu Mennoniten und dem KZ Stutthof als Zeitzeuge interviewt hatte, gegenüber dem Verfasser am 13. 04. 2015. Andres habe der mennonitischen Gemeinschaft nicht mehr angehört. »Er wusste aber über alles Bescheid.«

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nonitischen Pastor Daniel Geiser herangetragen.804 Geiser besuchte Andres, noch immer »gottgläubig«, wie dessen Frau den Pastor wissen ließ, kurz bevor Andres am 31. Januar 1975 in Bad Dürkheim verstarb.

804 Aussage auf der Tagung »Stimmen, Lebenssituationen, Erfahrungen. Mennoniten in der NS-Zeit.« 25. bis 27. September 2015 in Münster (veranstaltet vom Mennonitischen Geschichtsverein).

E.

Ausblick: Eid und Wehrpflicht

Die Fragen von Eid und Wehrdienst waren zwar bereits in der Phase der »Machtergreifung« virulent – sie wurden innermennonitisch diskutiert und sind Gegenstand von Aushandlungsprozessen mit staatlichen Stellen gewesen – doch manche wichtige Entscheidungen zu Eid und Wehrdienst fielen erst in den folgenden Jahren. Insofern griffe ein Ansatz zu kurz, bei diesen Fragen alleine das Jahrespaar 1933/34 in den Blick zu nehmen; andererseits ginge es vor dem Hintergrund meiner spezifischen Fragestellung fehl, alle Entwicklungsstränge in diesen Feldern von 1933 bis 1945 analytisch zu untersuchen. Es soll im Folgenden deshalb darum gehen, einige Grundtendenzen und Ergebnisse überblickshaft zu skizzieren und hierfür bei den Debatten und Aktivitäten in der Phase der »Machtergreifung« anzusetzen.

Die Diskussion über den Eid Die Eid-Frage war im Wesentlichen eine Debatte, die insbesondere von Vertretern der mennonitischen Gemeinschaft geführt wurde; ich werde mich in diesem Abschnitt deshalb, von einigen Randbemerkungen abgesehen, auf diese Freikirche konzentrieren und den Blick erst im Abschnitt zur Wehrpflicht wieder stärker ausweiten. Wichtige mennonitische Akteure, die in dem Diskussionsfeld Eid und Gelöbnis Lobbyarbeit betrieben, waren Dr. Ernst Crous und Emil Händiges sowie Benjamin H. Unruh. Während sich Händiges und Crous auf die ministerielle Seite konzentrierten, Händiges durch Eingaben, Crous auch durch persönliche Vorsprache, wandte sich Unruh an unterschiedliche Personen in der SS-Hierarchie bis hin zu Heinrich Himmler, der sich tatsächlich für die Mennoniten interessierte und sich über diese Glaubensgemeinschaft informieren ließ: von seinen eigenen Leuten und von Benjamin Heinrich Unruh selbst. Traditionell lässt sich im Blick auf den Schwur zwischen dem assertorischen und promissorischen Eid unterscheiden. Ersterer bezieht sich auf die Beglaubi-

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Ausblick: Eid und Wehrpflicht

gung von Ereignissen in der Vergangenheit und tritt exemplarisch im Eid der Zeugen und Zeuginnen in Erscheinung; andere Eide vor Gericht aber, etwa die Verpflichtung von Schöffen und Schöffinnen, Sachverständigen oder Dolmetschern und Dolmetscherinnen, fallen in den zweitgenannten, den promissorischen Bereich, in dem eine Verpflichtung für zukünftiges Verhalten eingegangen wird. Klassischerweise trifft dies vor allem auch auf die Diensteide im staatlichen Bereich zu: auf die Vereidigung von Beamten und Beamtinnen, Rekruten und Rekrutinnen, im »Dritten Reich« aber auch von Männern und Frauen des Reichsarbeitsdienstes. Davon zu unterscheiden, doch ebenfalls im promissorischen Bereich angesiedelt, ist der Schwur, der bei Aufnahme (respektive Aufstieg) in Gliederungen der NSDAP zu leisten war. Meine Beobachtungen zur Eidesdiskussion beziehen sich auf vier paradigmatische Felder: Ich gehe zunächst auf unterschiedliche Reformüberlegungen hinsichtlich des tradierten Normengefüges ein; dann wende ich mich, zweitens, dem neuen Segment innerhalb des promissorischen Eides zu, dem innerhalb der nationalsozialistischen Partei praktizierten Schwur. In meiner dritten analytischen Überlegung wende ich mich anhand eines Einzelbeispiels, nämlich dem Eid im Reicharbeitsdienst, dem Phänomen zu, dass sich Maßgaben aus der Ministerialbürokratie und aus einer der zentralen Machtagglomerationen des »Maßnahmenstaates«, der SS, überlagern und aushebeln konnten. Abschließend thematisiere ich im vierten Untersuchungsbereich die Vereidigung von Rekruten und Soldaten, um dabei beispielhaft zu zeigen, wie der Kampf um die Klärung der Eidesfrage ein tradiertes Element des Täufertums vollständig überdeckt respektive abgelöst hatte.

Die Eidesfrage im Kontext der Rechtsreformüberlegungen Im Blick auf die Vereidigung von Staatsbediensteten (Beamten) und den assertorischen Eid im Zivil- und Strafprozess stand Mennonitinnen und Mennoniten, wie ich im ersten Teil dieser Studie näher ausgeführt habe, das Recht auf Eidverweigerung gesetzlich zu. Voraussetzung war die Existenz einer entsprechenden Regelung in der Gesetzgebung der Länder. Im »Dritten Reich« waren diese Regelungen nicht außer Kraft gesetzt worden. Doch das Problem, das sich bei den historisch gewachsenen landesrechtlichen Regelungen aufgetan hatte, nämlich die uneinheitlichen Gültigkeitsbereiche, bestand weiter fort: Zum einen war die Eidbefreiung nicht überall gleichermaßen gegeben, zum anderen wichen die bestehenden Regelungen voneinander ab. Wie zur Zeit der Weimarer Republik unternahm die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden auch im NS-

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Staat einen Vorstoß, der auf eine Reform des tradierten Normengefüges zielte und zu einer allgemeinen gesetzlichen Regelung führen sollte.805 Offenbar waren die verbriefen Rechte der Mennoniten, zu geloben statt zu schwören, nicht überall präsent. Von diesbezüglichen Schwierigkeiten bei der Vereidigung von mennonitischen Beamten wurden aus Krefeld und Worms berichtet. Nun wurde zum einen auf regionaler Ebene nach einer Lösung gesucht und die Probleme zum anderen von Ernst Crous auf ministerieller Ebene in Berlin angesprochen.806 Die Bemühungen der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden zielten nun darauf, die Verabschiedung einer reichsweiten und umfassenden Regelung der Eid-Frage zu erreichen (die sowohl den Beamteneid als auch den assertorischen Eid mit einbezog). Dass der NS-Staat in dieser Phase nicht an den tradierten Ausnahmeregelungen rütteln wollte, war mit der Gesetzesnovelle zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. November 1933 klar geworden, die die Nutzung einer Beteuerungsformel für eidverweigernde Religionsgemeinschaften respektierte.807 Am 25. Mai 1935 schrieb der Vorsitzende der Vereinigung, Emil Händiges, in der Eidesfrage an das Reichs- und Preußische Justizministerium und an das Reichsministerium des Innern.808 Er unterbreitete darin konkrete Vorschläge von Beteuerungsformeln für Zeugen, Sachverständige und Geschworene (Schöffen) – ein einfaches »Ja« ohne Handschlag, die Angehörigen der mennonitischen Gemeinschaft gewährt werden sollten. Im Blick auf den Beamteneid präferierte er folgende Verpflichtung: »Ich frage Sie, den Grundsätzen Ihrer Religionsgesellschaft entsprechend und gemäß § 2 des Gesetzes vom 20. August 1934 über die Vereidigung der Beamten, ob Sie geloben, 805 Vgl. das Schreiben Ernst Crous an Hermann v. Detten (Leiter der »Abteilung für kulturellen Frieden« in der NSDAP-Reichsleitung) vom 26. 06. 1935 und das Memorandum von Ernst Crous vom 19. 06. 1935 »Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 806 Vgl. dazu die Schreiben Abraham Braun an Christian Neff vom 30. 09. 1934 u. 04. 09. 1934 sowie von Ernst Crous an Christian Neff vom 19. 09. 1934, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof Nachlass Neff, Ergänzung, Briefwechsel 1934, A-H (Hochstätter), Karton 26, Ordner 206. 807 Gesetz zur Einschränkung der Eide im Strafverfahren vom 24. 11. 1933, in: RGBl. I, S. 1008. Vgl. Lothar Gruchmann: Justiz im Dritten Reich 1933–1940. Anpassung und Unterwerfung in der Ära Gürtner, München (3. Auflage) 2001, S. 1055. 808 Schreiben Vereinigung (Händiges) an Reichs- und Preußisches Justizministerium und das Reichsministerium des Innern vom 25. 05. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). Eine Abschrift dieses Schreibens (also auch jener Reformvorschläge) reichte Händiges am 23. 11. 1936 im Reichs- und Preußischen Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten ein; BArch R 5101/23410.

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dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, treu und gehorsam zu sein, die Gesetze zu beachten und Ihre Amtspflichten gewissenhaft zu erfüllen – antworten Sie mit einem aufrichtigen: Ja!«

Das Bezeichnende an dem Vorschlag der mennonitischen Vereinigung war, dass er im Blick auf die unterschiedlichen Eide lediglich auf die Form, nicht auf den Inhalt der Verpflichtung bezogen war. Der mit dem Gesetz vom 20. August 1934 verbundene Paradigmenwechsel weg von der Verpflichtung gegenüber der Verfassung hin zu der Bindung an eine Person, die Treueverpflichtung gegenüber dem »Führer«, wurde nicht kritisch berührt. Nach dem Vorstoß des Vereinigungs-Vorsitzenden Händiges suchte auch das in Berlin ansässige Vorstandsmitglied Dr. Ernst Crous am 20. Juni 1935 das Anliegen durch persönliche Vorsprache im Innenministerium voranzutreiben.809 Die mennonitische Lobbyarbeit war augenscheinlich von Erfolg gekrönt: War das Anliegen einer reichsweiten Regelung zur Zeit der Weimarer Republik stets zurückgewiesen worden, so wurde es nun, im NS-Staat, tatsächlich in Angriff genommen. Mit Schreiben vom 16. Juli 1935 regte der Reichsminister der Justiz beim Reichs- und Preußischen Minister des Innern an, die »Frage der sogen. Beteuerungsformeln (für Mennoniten, Philipponen usw.) einheitlich für sämtliche Rechtgebiete zu regeln«.810 Dort wurde die Anregung aufgegriffen und ein Referentenentwurf eines entsprechenden Gesetzes erarbeitet, der am 9. November vorgelegt und am 28. November 1935 zwischen den beteiligten Ressorts erstmals diskutiert wurde. Mit dem Entwurf wurde der Anspruch verbunden, eine Regelung zu schaffen, die sowohl im Blick auf den Zeugeneid als auch den Diensteid (Beamte, Soldaten) und Parteieneid Anwendung finden könnte.811 Der in unserem Zusammenhang maßgebliche Abschnitt in der überarbeiteten Entwurfsfassung vom 28. November 1935 lautete: »Bei Angehörigen von Religionsgemeinschaften, denen nach ihren Vorschriften die Eidesleistung verboten ist, können an die Stelle der Worte: ›Ich schwöre‹, ›Ich versichere‹ oder ›Ich

809 Vgl. das Memorandum von Ernst Crous vom 19. 06. 1935 »Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden«, Punkt 4, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 MärzSept). 810 Aktenvermerk von 04.03.[1936] (Abschrift), gez. Schäfer, des Reichministeriums der Justiz; vgl. dazu auch das Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten, den Reichsminister der Justiz, und den Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht vom 14. 02. 1936, in: BArch R 3001/20675. 811 Vgl. das Schreiben des Reichsministers und Preußischen Ministers des Innern an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, den Reichsminister der Justiz, den Reichskriegsminister von 1935 [nach dem 28.11.], in: BArch R 3001/20675.

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verspreche‹ treten. In diesen Fällen fällt die Anrufung Gottes fort.«812 Nach Vorstellung des Reichsinnenministeriums sollte es den »einzelnen Ressorts überlassen« bleiben, »eine dieser Ausdrucksformen in ihrem Geschäftsbereich als allein zulässig zu bestimmen.« Man glaubte dadurch, die »bunte Mannigfaltigkeit« der gültigen Beteuerungsformeln durch »eine einheitliche Beteuerungsformel« in »drei Ausdrucksformen« ersetzen zu können.813 Die Zugehörigkeit zu einer eidverweigernden Religionsgemeinschaft musste nachgewiesen werden (§ 2 [2] des Referentenentwurfs). Doch bei der Beratung des Referentenentwurfs waren zwischen den beteiligten Ressorts – die Reichsministerien des Innern und der Justiz sowie das Reichskriegsministerium – größere Differenzen aufgetreten. Das Justizministerium störte sich daran, dass der Gesetzesentwurf nicht nur die Frage der Beteuerungsformel behandelte, sondern umfassend auf die »äußere Form der Eidesleistung« bezogen war und damit Fragen berührte, die in die Verfahrensordnungen gehörten.814 Im Blick auf den ersten Entwurf monierte das Justizressort dementsprechend den Vorschlag, die ganze Eidesformel vom Schwörenden wörtlich aussprechen zu lassen. Das Reichskriegsministerium hingegen erklärte, dass der Soldateneid stets in der religiösen Form geleistet werden müsse. Daraufhin sahen sowohl das Innenministerium als auch das Justizministerium – die die Erarbeitung eines Gesetzesentwurfs maßgeblich angestoßen hatten – davon ab, das Vorhaben weiter voranzutreiben.815 Das Innenministerium blickte dabei auch auf das kommende Deutsche Beamtengesetz, durch dessen Bestimmungen Teile des Entwurfs gegenstandslos würden. (In der Tat gestattete das Deutsche Beamtengesetz vom 26. Januar 1937 mit § 4 [2] den Gebrauch einer Beteuerungsformel, jedoch nur, wenn dies ein Gesetz gestattet – was sich auf die tradierte Gesetzgebung der Länder bezog.) Hingegen hegte das Reichs- und Preußische Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten unter Minister Hanns Kerrl eine Abneigung gegenüber der Gewährung der Beteue-

812 § 2 (1) des Referentenentwurfs »Gesetz über die Form der Eidesleistung« vom 28. 11. 1935, in: BArch R 3001/20675. 813 Vgl. das Schreiben des Reichsministers und Preußischen Minister des Innern an den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, den Reichsminister der Justiz, den Reichskriegsminister von 1935 [nach dem 28. 11. 1935, Hervorhebung im Original], in: BArch R 3001/20675. 814 Aktenvermerk von 04.03.[1936] (Abschrift), gez. Schäfer, des Reichministeriums der Justiz; in: BArch R 3001/20675. 815 Aktenvermerk von 04.03.[1936] (Abschrift), gez. Schäfer, des Reichministeriums der Justiz; Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers des Innern an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten, den Reichsminister der Justiz, und den Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht vom 14. 02. 1936, in: BArch R 3001/20675.

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rungsformel, die in anderen Diskussionszusammenhängen noch größere Wirkung entfalten konnte. Denn die Frage der Beteuerungsformel war, zweitens, auch Gegenstand der Beratungen zur Reform der »Strafverfahrensordnung und Friedensrichter- und Schiedsmannordnung«, die unter der Federführung des Reichsministeriums der Justiz im Jahr 1936 zu einem ersten Reformentwurf führten; dieser bildete die Grundlage für die Diskussion der Großen Strafprozesskommission, die in einen (letzten) Entwurf vom 1. Mai 1939 mündete, der im »Dritten Reich« letztlich aber nicht umgesetzt wurde.816 Nachdem das Recht zur Beteuerungsformel im Vorentwurf zunächst nicht beschnitten wurde, war sich die Ministerialbürokratie Ende 1937 einig, dass diese Sonderregelung nunmehr wegfallen sollte.817 Ein Akteur in dieser Diskussion, der diese restriktive Position vertrat und ventilierte, war das Reichs- und Preußische Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten; die Haltung wurde dort schon vor Amtsantritt des Juristen Dr. Hermann Muhs im November 1936 eingenommen, dann aber von diesem überzeugten Nationalsozialisten gegenüber den Diskussionsbeteiligten repräsentiert. Muhs hatte sich schon in der ersten Hälfte der 1920er-Jahre für den Nationalsozialismus begeistert und seit Ende des Jahrzehnts unterschiedliche Funktionen innerhalb der Partei eingenommen: Er führte 1928 zunächst die Stadtratsfraktion der NSDAP in Göttingen (obwohl er erst im Jahr 1929 in die NSDAP aufgenommen wurde) und wurde 1930 zum NSDAP-Bezirksleiter und stellvertretenden Gauleiter für Südhannover-Braunschweig ernannt.818 1931 trat er der SS bei. Nach dem nationalsozialistischen Machtantritt wurde Muhs im März 1933 als Regierungspräsident in Hildesheim eingesetzt und trug in dieser Funktion beispielweise Verantwortung für den Arbeitseinsatz im Konzentrationslagers Moringen. Der Jurist gehörte der Glaubensbewegung Deutsche Christen mit Nähe zu deren radikalem Flügel an.819 1936 berief Reichskirchenminister Hanns Kerrl Muhs als seinen ständigen Vertreter in »beiden Geschäftsbereichen der kirchlichen Angelegenheiten sowie der Raumordnung« nach Berlin.820 Nach Kerrls Tod 816 Vgl. Peter Rieß: Beiträge zur Entwicklung der deutschen Strafprozessordnung, Berlin 2012, S. 18. 817 Vgl. das Schreiben des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten, Dr. Hermann Muhs, an den Reichsminister der Justiz und zahlreiche weitere Empfänger vom 13. 08. 1938, in: BArch R 5101/23410. 818 Vgl. hierfür sowie für das Folgende: Klaus Arndt: Dr. Hermann Muhs (1894–1962). Eine biografische Skizze in zwei Teilen; Teil 1: Vom Göttinger Jurastudenten zum nationalsozialistischen Regierungspräsidenten in Hildesheim, in: Hildesheimer Jahrbuch für Stadt und Stift Hildesheim 81 (2009), S. 75–116; Teil 2: Von Hildesheim über Hannover nach Berlin, in: Ebd. 82 (2010), S. 71–126. 819 Hansjörg Buss: Das Reichskirchenministerium unter Hanns Kerrl und Hermann Muhs, in: Gailus, Täter, S. 140–170, hier S. 60. 820 Heike Kreuzer: Das Reichskirchenministerium im Gefüge der nationalsozialistischen Herrschaft, Düsseldorf 2000, S. 135.

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im Jahr 1941 führte Muhs dessen Geschäfte fort, ohne allerdings in den Rang eines Ministers erhoben zu werden. Das Reichs- und Preußische Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten lehnte die gewährten Ausnahmeregelungen gegenüber kleinen Religionsgemeinschaften aus grundsätzlichen Erwägungen ab. Am 13. Oktober 1937 schrieb Dr. Herrmann Muhs an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern, nachrichtlich an den Reichsminister der Justiz, den Reichskriegsminister und den »Stellvertreter des Führers«, die Ablehnung des Eides sei in der gegenwärtigen Zeit nicht mehr gerechtfertigt; auch die »Adventistenkinder« müssten auf seine Anregung hin jetzt »wie alle übrigen Kinder des Sonnabends in die Schule gehen« und adventistische Beamte und Angestellte an ihrem Ruhetag Dienst tun. Nun werden eben auch die Mennoniten den »Wegfall der ihnen bisher gestatteten Beteuerungsformel fügen lernen bezw. lernen müssen.«821 Die Besprechung, auf die sich Muhs in diesem Schreiben bezog, fand am 12. November 1937 statt; darin hätten sich, so vermerkte Hermann Muhs nach der Sitzung, »[d]ie übrigen Ressorts […] sämtlich den Standpunkt unseres Schreibens vom 13. Oktober 1937« zu eigen gemacht.822 Beteiligt waren an der Sitzung neben dem Reichskirchenministerium das Innen- und Justizressort, das Reichskriegsministerium sowie ein Beauftragter des »Stellvertreters des Führers«, dem richtungsweisenden Organ der NSDAP. Es solle, so war man sich einig, »die erstrebte Vereinheitlichung umgekehrt« erreicht werden: nicht, indem die »›Beteuerungsformeln‹ in das Reichsrecht« übernommen würden, sondern indem die »entsprechenden landesrechtlichen Vorschriften […] aufgehoben werden.« Dies solle auf dem Weg eines »›Einführungsgesetz[es]‹ zur neuen Strafprozessordnung« geschehen.«823 Allerdings solle »vorsorglich festgestellt werden, daß die beabsichtigte Regelung keine bedenklichen Auswirkungen außenpolitischer Art hat.« Prompt hegte aber das Auswärtige Amt Bedenken gegen die »in Aussicht genommene Regelung«; sie sei wegen der geringen Zahl von Mennoniten und Quäkern in Deutschland zwar innenpolitisch von untergeordneter Bedeutung, könnte aber Angehörige dieser Religionsgemeinschaften im Ausland »ungünstig beeinflussen«. Die Folge könnte eine schlechte Presse und der Vorwurf der »religiöse[n] Unduldsamkeit« sein.824 Offenbar konnten solche Besorgnisse am 821 Schreiben des Reichsministeriums für kirchliche Angelegenheiten, Dr. Hermann Muhs, an den Reichs- und Preuß. Minister des Innern sowie nachrichtlich an den Reichsminister der Justiz, den Reichskriegsminister und den Stellvertreter des Führers vom 13. 10. 1937, in: BArch R 5101/23451. 822 Abschrift eines Vermerks von Dr. Hermann Muhs vom 23. 11. 1937, in: BArch R 5101/23410. 823 Abschrift zu I 22694/38: Vermerk über das Ergebnis der kommissarischen Beratung vom 12. 11. 1937 über die ›Beteuerungsformeln‹ als Ersatz für die Eidesleistungen [Hervorhebungen im Original], in: BArch R 5101/23410. 824 Abschrift des Schreibens des Auswärtigen Amtes an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern vom März 1938 auf dessen Anfrage vom 22. 12. 1937, in: BArch R 5101/23410.

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Ende Wirkung entfalten: Hatte der entsprechende Paragraph zur Beteuerungsformel nach Vorstellung der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums im März 1938 noch gestrichen werden sollen825, war im letzten Entwurf einer Strafverfahrensordnung vom Mai 1939 die entsprechende Bestimmung wieder enthalten, verbunden mit dem Hinweis, dass zu prüfen bleibe, »ob für diese Vorschrift ein Bedürfnis bestehe«.826 Festzuhalten bleibt für diesen Bereich, dass zum einen kein Gesetz verabschiedet wurde, mit dem die Frage der Eidesersatzleistungen im Sinne der Mennoniten reichseinheitlich gelöst worden wäre, auf der anderen Seite aber auch die bestehenden Ländervorschriften nicht aufgehoben worden sind. Allerdings wurde die Haltung des NS-Staates gegenüber kleinen Religionsgemeinschaften und ihren Sonderregelungen in der zweiten Hälfte der 1930erJahre allgemein restriktiver; dafür stehen die skizzierten Überlegungen zur Aufhebung der Beteuerungsformel ebenso wie die erwähnte Einschränkung der Konzessionen bei den Adventisten oder die Auflösungen zahlreicher kleiner Religionsgemeinschaften durch die Gestapo um 1937, auf die ich später noch eingehen werde. Was die Gründe für die Aufhebung der Sonderregelung für Mennoniten anbelangte, wurde von den Akteuren der Debatte in den Jahren 1937 und 1938 auf unterschiedliche Argumente rekurriert: Neben dem Hinweis darauf, dass die Regelung aufgrund der kleinen Zahl von Religionszugehörigen nicht mehr »erforderlich« sei, referierte Oberregierungsrat Dr. Karl Doerner, Reichsministerium der Justiz, in der 57. Sitzung der Großen Strafprozesskommission am 13. Mai 1938 das von polizeilicher Seite vorgebrachte Argument, wonach diese »Sekten« »Sitz staatsfeindlicher Elemente geworden seien«.827 Und die oben zitierte Stellungnahme von Hermann Muhs schließlich ließ eine eindeutig ideologische Prämisse in dieser Frage erkennen; er erwartete von Gläubigen, die 825 Antrag D 13 vom 07. 03. 1938. Anträge und Bemerkungen der Sachbearbeiter des Reichsjustizministeriums zu dem §§ 143–187 StVO (Zeugen. Sachverständige. Augenschein), in: Werner Schubert (Hg.): Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, 3. Abteilung: NS-Zeit (1933–1939) – Strafverfahrensrecht, Band 2: Protokolle der Großen Strafprozesskommission des Reichsjustizministeriums (1936–1938), 3. Teil, Berlin/New York 1993, S. 680–688, hier: S. 682. 826 Entwurf einer Strafverfahrensordnung und einer Friedensrichter- und Schiedsmannsordnung, abgeschlossen am 1. Mai 1939, § 181, in: Werner Schubert (Hg.): Quellen zur Reform des Straf- und Prozeßrechts, 3. Abteilung: NS-Zeit (1933–1939) – Strafverfahrensrecht, Band 1: Entwürfe zu einer Strafverfahrensordnung und einer Friedens- und Schiedsrichterordnung (1936–1939), Berlin/New York 1991, S. 297–371, hier: S. 322 (Fußnote 1 zu § 181). Vgl. Gruchmann, Justiz, S. 1055. 827 Protokoll der 57. Sitzung der Großen Strafprozesskommission vom 13. 05. 1938, in: Werner Schubert: Quellen zur Reform des Straf- und Strafprozeßrechts, 3. Abteilung: NS-Zeit (1933– 1939) – Strafverfahrensrecht, Band 2: Protokolle der Großen Strafprozesskommission des Reichsjustizministeriums (1936–1938), 3. Teil, Berlin/New York 1993, S. 122–139, hier: S. 138. Vgl. Gruchmann, Justiz, S. 1055.

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durch abweichendes Sozialverhalten auffielen, die Zurückstellung von Gewissenbedenken und unbedingte Unterordnung unter die nationalsozialistische Weltanschauung. Die Quellen weisen darauf hin, dass das Reichskirchenministerium bei der Frage der Aufhebung der Eidesverweigerung ein wichtiger Impulsgeber gewesen war. Es positionierte sich nicht nur in der Rechtsreformdebatte gegen die mennonitischen Ausnahmerechte, sondern tat dies, wie wir unten noch sehen werden, auch in anderen Zusammenhängen – nicht zuletzt gegenüber der Partei.

Der Eid im Bereich der Partei (NSDAP) Am 10. Februar 1935 sollte Herbert N. feierlich als Fähnleinführer im Jungvolk vereidigt werden; doch auf Weisung seines Vaters nahm er nicht an der »Führervereidigung« teil. Herbert kam aus einer mennonitischen Familie.828 Daraufhin sollte er von der HJ zunächst ganz ausgeschlossen, schließlich nur als Führer abgelehnt werden.829 Die Vereinigung Deutscher Mennonitengemeinden machte sich diesen Fall zu eigen: Am 26. Juni 1935 suchte Dr. Ernst Crous Rat bei Major Hermann von Detten, Chef der »Abteilung für kulturellen Frieden« in der NSDAP-Reichsleitung, deren Aufgabe es war, die NSDAP-Gliederungen in Kirchenangelegenheiten zu beraten. Crous bat in Erwartung einer grundsätzlichen Regelung von Detten, »ob nicht dem jungen Manne, der mit Leib und Seele bei der Sache ist, unter Berücksichtigung seiner Gewissenbedenken einstweilen geholfen werden kann«. Major von Detten setzte sich daraufhin mit dem Jugendführer in Verbindung.830 Dieser entschied, wie Ernst Crous formulierte, »dass Mennoniten, die nicht schwören, zwar der Hitlerjugend, dem BdM und dem Jungvolk angehören, aber nicht als Führer verwendet werden dürfen.«831 Darüber 828 Hermann N[…]: Bericht über das Eidverlangen an meinen Sohn Herbert N[…], 25. 06. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 829 Vgl. das Schreiben Ernst Crous an Hermann v. Detten (Leiter der »Abteilung für kulturellen Frieden« in der NSDAP-Reichsleitung) vom 26. 06. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 830 Die Antwort v. Dettens an Crous vom 03. 07. 1935 wird zitiert in einem Schreiben von Emil Händiges an Hermann N. vom 23. 07. 1935 (Abschrift), in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 831 Schreiben Ernst Crous an Daniel Pohl vom 18. 09. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis

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zeigte sich aber Emil Händiges, Vorsitzender der Vereinigung, verärgert: Mennoniten seien ebenso gut als Führer geeignet wie evangelische oder katholische Christen.832 Er nahm sich vor, in dieser Sache am Ball zu bleiben und zur Not bis zur Reichsparteileitung vorzudringen.833 Im Verlauf beschäftigte sich die Vereinigung mit weiteren derartigen Problemen und trug dieses Anliegen tatsächlich bis in die Parteikanzlei.834 Nachdem die regionalen Stellen der NSDAP in den verschiedenen Gauen in der ersten Hälfte der 1930er-Jahre unterschiedlichen Politiken folgten835, legte Martin Bormann, Stabsleiter beim »Stellvertreter des Führers«, nun, im Rundschreiben Nr. 2/1939 der NSDAP vom 15. Dezember 1938, fest, dass auch für Mennonitinnen und Mennoniten der Eid beim Parteieintritt verpflichtend sei. Zugleich wurde ihnen die Tür zur Partei nicht zugeschlagen; die Zugehörigkeit zur mennonitischen Glaubensgemeinschaft stehe einer Aufnahme nicht entgegen. Er, Bormann, sei von »verschiedenen Dienststellen der Partei« mit der »Frage der Eidesleistung durch die Mennoniten« konfrontiert worden und habe schließlich auf eine Eingabe der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden vom 22. Juni 1938 geantwortet, »›[…] dass ich mich ausserstande sehe, die von Ihnen erbetene Sonderregelung über eine Verpflichtung der Mennoniten durch Treuegelöbnis anstatt durch Eid zu treffen. Die Eidesleistung auf den Führer bedeutet zugleich ein Bekenntnis zum Nationalsozialismus und zu dem vom Nationalsozialismus geforderten Gemeinschaftsgedanken. Bei Leistung des Eides muss verlangt werden, dass der Einzelne seine persönliche Auffassung gegenüber seiner Eingliederung in die Gemeinschaft zurücktreten lässt. Es besteht für die NSDAP umso weniger Veranlassung, eine Sonderregelung zu treffen, als auch die Angehörigen der Mennonitengemeinden bisher nur in vereinzelten Ausnahmefällen unter Berufung auf die Gebote ihrer Glaubensgemeinschaft die Leistung des Eides abgelehnt haben. Die Angehörigen der Mennonitengemeinden haben damit bewiesen, dass sie die Berechtigung des von der NSDAP vertretenen Standpunktes erkannt

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1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). Schreiben Emil Händiges als Vorsitzender der Vereinigung, an Ernst Crous, Braun und Gustav Reimer vom 27. 09. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). Schreiben Emil Händiges an Crous, Braun und Reimer vom 27. 09. 1935, vgl. dazu das Schreiben von Ernst Crous an Daniel Pohl vom 18. 09. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Briefwechsel 1935 (März-Sept), Karton 2. Vgl. zu solchen Fällen das Schreiben von Ernst Grous an Daniel Dettweiler vom 11. 04. 1937, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 404. Vgl. Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 90. Lichti, Pacifist Denominations, S. 35.

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haben und dass sie sehr wohl in der Lage sind, ihre persönliche Auffassung zu Gunsten des Gemeinschaftsgedankens zurücktreten zu lassen.‹«836

Und Bormann fuhr in dem Rundschreiben der NSDAP fort: »Ich bitte, in Zukunft hiernach zu verfahren und irgendwelche Ausnahmen bei der Eidesleistung durch Mennoniten nicht mehr zuzulassen. Die grundsätzliche Frage, ob Mennoniten Angehörige der NSDAP sein oder werden können, ist wie bei Angehörigen aller anderen Glaubens[-] und Weltanschauungsgemeinschaften zu beurteilen, d. h. es ist im Einzelfall zu prüfen, ob die zu beurteilende Person grundsätzlich alle Punkte des Parteiprogramms bejaht und zur Leistung jedes Eides auf Volk und Führer bereit und ihrer Persönlichkeit nach als Parteigenosse oder Parteianwärter zu begrüssen ist.«837

Bezeichnenderweise sind Bormann nicht nur die Eingabe der mennonitischen Vereinigung und, wie er im Rundschreiben formulierte, Anfragen verschiedener Parteidienststellen zugegangen. Er hatte zugleich auch ein Schreiben des Reichsund Preußischen Ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten erhalten, auf das er in seinem Rundschreiben nicht einging. Es datierte fast auf den gleichen Tag wie die mennonitische Eingabe, verfolgte aber genau die entgegengesetzte Intention: In dem Schreiben vom 23. Juni 1938 an das Parteigericht über den »Stellvertreter des Führers« wies das RKM darauf hin, dass die Mennoniten verschiedene Drucksachen vertrieben, »in denen der abweichende Standpunkt einzelner Parteigerichte betr. dem Gebrauch von Beteuerungsformeln widergegeben wird«. Zugleich machte das Ministerium deutlich, dass »es für künftige staatsgesetzliche Neuregelung dringend erwünscht, das Privileg des Gebrauchs von Beteuerungsformeln für Sektenangehörige […] in Wegfall zu bringen.«838 Dieser Vorgang zeigt, dass das RMK seine ablehnende Haltung gegenüber den mennonitischen Privilegien nicht nur reaktiv vertrat – wenn es in die Diskussion von anderen Stellen einbezogen wurde – sondern selbst aktiv Schritte unternahm, um die Aufhebung dieser Ausnahmeregelungen zu erwirken. Wenn wir den Blick zurück auf die Glaubensgemeinschaft wenden, so bleibt festzuhalten, dass Mennoniten durchaus die Auseinandersetzung mit Parteistellen suchten; es ging ihnen dabei aber nicht um Inhalte der NS-Weltanschauung oder um die Frage, ob der Nationalsozialismus insgesamt als ein konkurrierendes Glaubensangebot zu begreifen sei; das Problem, auf das sie sich 836 Rundschreiben Nr. 2/1939 der NSDAP, Der Stellvertreter des Führers, Stabsleiter Martin Bormann, vom 15. 12. 1938, in: BArch R 187/267a. Eine Abschrift des Schreibens der NSDAP (Stabsleiter Bormann) an die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (Emil Händiges) vom 15. 12. 1938 befinden sich in im Bestand des Reichskirchenministeriums, BArch R 5101/23410. 837 Rundschreiben Nr. 2/1939 der NSDAP, Der Stellvertreter des Führers, Stabsleiter Martin Bormann, vom 15. 12. 1938, in: BArch R 187/267a. 838 Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministeriums (Entwurf) an das Parteigericht durch den Stellvertreter des Führers vom 23. 06. 1938, in: BArch R 5101/23410.

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in der Frage eines Parteieintritts bezogen, war alleine der Initiationsritus Eid. Diether Götz Lichdi hat daher sinnfällig argumentiert: Weil Mennoniten »ein insgesamt gutes Gewissen gegenüber dem NS-Staat haben, trauten sie sich diese Auseinandersetzung mit der NSDAP zu.«839 Das Thema Eidverweigerung wurde aber von Mennonitinnen und Mennoniten an der Gemeindebasis nicht überall als drängend wahrgenommen.840 Bei Verweigerungen des Schwurs im Bereich der Partei handelte es sich wohl eher um Ausnahmefälle. Vermutlich haben Mennoniten und Mennonitinnen die Eidforderung bei einem Eintritt in die NSDAP vielfach hingenommen, ohne weiteres Aufsehen zu erregen; diese Hypothese legt auch das Bormann-Rundschreiben nahe, das sich gerade auf das Argument der nur vereinzelt vorgelegten Anträge auf Schwurbefreiung bezieht. Hingegen ist bekannt, auch wenn genaue Statistiken leider fehlen, dass Mennonitinnen und Mennoniten mancherorts in hohen Zahlen in die NSDAP strebten. Der Pastor der großen Krefelder Mennonitengemeinde hat, so der amerikanische Historiker James I. Lichti, davon gesprochen, dass 500 seiner insgesamt 800 Gemeindemitglieder in die NSDAP eingetreten seien.841 Auch im Raum Westpreußen und der Freien Stadt Danzig sind eine große Zahl von Mennoniten in die Partei eingetreten, wobei gerade dort, in Danzig, die Eidesfrage besonders restriktiv gehandhabt wurde.842 Ähnliches kann für den SA-Beitritt gelten, der gerade bei jungen Mennoniten beliebt war: Auch hier spielte die Eid-Frage keine erkennbare Rolle. Auch eine eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der NS-Weltanschauung sucht man vergebens. Als problematisch wurde aber der SA-Dienst am Sonntagvormittag betrachtet.843 Die Bereitschaft zum SA-Beitritt von Angehörigen einer ursprünglich in der Wehrlosigkeit verwurzelten Freikirche irritiert insofern, als die SA gerade in den ersten Monaten der »Machtergreifung« an Unrechtsmaßnahmen und Verbrechen des neuen Regimes federführend beteiligt war; man denke an die Errichtung sogenannter wilder Konzentrationslager, an die äußerst brutale Verfolgung politischer Gegner und Gegenerinnen bis hin zu Folter und Mord und die Rolle der SA beim Boykott jüdischer Gewerbetreibender am 1. April 1933. Gewalt bildete den Kern der NS-Politik und der Sturmabteilungen (SA).844 839 840 841 842 843

Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, S. 90f. Ebd. S. 91. Lichti, Pacifist Denominations, S. 35. Ebd. Schreiben Abraham Braun an Christian Neff vom 05. 12. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933. 844 Richard Bessel: Anfänge des Terrorregimes. Zur Rolle der Gewalt der SA beim Aufstieg des Nationalsozialismus, in: Nikolaus Wachsmann und Sybille Steinbacher (Hg.): Die Linke im Visier. Zur Errichtung der Konzentrationslager 1933 (Dachauer Symposien zur Zeitgeschichte 14), Göttingen 2014, S. 52–69; hier: S. 52. Vgl. Peter Longerich: Die braunen Bataillone. Geschichte der SA, München 1989, S. 165ff.

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Exkurs zur Partizipation in NS-Gliederungen am Beispiel der SA Bevor ich mit der Eiddiskussion im Bereich des Staates fortfahre, möchte ich an dieser Stelle in einem Exkurs kurz den Willen zur Partizipation in der SA bei jungen Mennoniten zu Beginn des NS-Staates etwas genauer betrachten. Als sie sich der SA anschlossen, war diese bereits zu einer Massenorganisation mit weit über 400.000 Mitgliedern angewachsen; zwischen 4 und 5 Millionen sollten es schließlich im Jahr 1934 sein.845 Die blutigen Ausschreitungen dieser Truppe gingen somit wohl eher auf das Konto nur eines Teils aktiver SA-Kämpfer, aber die terroristische Ausrichtung und das Image der SA konnte auch den Mennoniten nicht verborgen geblieben sein. Doch darauf gingen beispielsweise die Akteure des mennonitischen Jugendrundbriefes im Jahr 1933 nicht ein. Was haben sie über ihr Engagement in der SA verlauten lassen? Die Motivlage für einen SA-Beitritt war mehrschichtig. Ein Theologiestudent, der sich im Jahr der »Machtergreifung« der SA anschloss, schrieb rückblickend (1939) in einem Lebenslauf für die Reichsschriftumskammer: »Was meine politische Stellung betrifft, so begrüße ich die nationalsozialistische Revolution als der Beginn einer Epoche, die unser Volk gesunden lässt. Ich trat 1933 der S.A. bei und habe in ihren Reihen viele gute Kameraden gefunden.«846 Ein weiterer Theologiestudent begründete am 27. Januar 1934 seinen SA-Beitritt gegenüber den Freunden aus seinem »Kreis«: »Übrigens bin ich seit Nov. [1933] nun auch in die SA eingetreten. Der Dienst macht mir recht viel Freude, wenn er auch oft zeitraubend ist. Auch die SA kann zur Schule der Nächstenliebe u. zum Dienst am Bruder werden.«847 Und ein anderer Rundbriefakteur notierte am 11. Februar 1934 schließlich: »Einen Punkt möchte ich noch anschneiden: Wie verhält sich ein Gläubiger zur S.A. od. besser kann ein Gläubiger S.A. Mann sein? Ich glaube Ihr Freunde habt euch hierin schon ausgesprochen u. möchte ich euch kurz sagen, wie ich mich dazu stelle. Der Dienst in der S.A. soll doch in der Hauptsache dazu dienen, um das Kameradschaftsgefühl wieder zu wecken, das durch den Klassenkampf vollständig hintangestellt wurde. 845 Vgl. Paul Hoser: Sturmabteilung (SA), 1921–1923/1925–1945, in: Historisches Lexikon Bayerns. URL: (16. 12. 2015). 846 BArch (ehem. BDC), RK, [Name liegt dem Verfasser vor] (geb. 16. 03. 1912). Handschriftlicher und unterzeichneter Lebenslauf vom 19. 01. 1939 für die Reichsschrifttumskammer. 847 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 1, Heft: Kreis 1, Heft 16. Aus der privaten Korrespondenz geht hervor, dass der Akteur später wieder aus der SA ausgetreten ist. Leider sind wir über Zeitpunkt und Motive nicht unterrichtet; in den SAUnterlagen des Bundesarchivs lässt sich zu dieser Person nichts finden. (Später, 1937, begehrte dieser im Übrigen auch die Parteimitgliedschaft, die ihm allerdings verwehrt wurde, mit dem internen, streng vertraulichen Verweis, er habe als Beruf »Vikar« angegeben. BArch (ehem. BDC), PK, [Name liegt dem Verfasser vor] (geb.17. 07. 1912).

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Und dann hat die S.A. mit der Religion gar nichts zu tun, sie ist doch lediglich der Kerntrupp des politischen Staates. Wir müssen dankbar sein, daß wir mit Hitler die S.A. bekommen haben, denn nur auf die gestützt konnte Hitler dem Bolschewismus die Stirn bieten.«848

Ein SA-Beitritt kam also, ganz banal, zum einen aus dem Wunsch nach »Kameradschaft« zustande, zum Teil aber auch verbunden mit der Motivation, hier einen christlichen ›Dienst am Volk‹ tun zu können. Motivierend wirkte dabei ein tief verwurzelter, christlich begründeter Anti-Bolschewismus. Elemente aus der NS-Weltanschauung, die den eigenen christlichen Überzeugungen entgegenstanden, wurden teils abgespalten, indem zwischen Politik und Weltanschauung bzw. (völkischer) Religion unterschieden wurde. Insgesamt konnten junge Mennoniten durch die Mitgliedschaft in der SA unterstreichen, am Aufbau der nationalsozialistischen »Volksgemeinschaft« mitzuwirken. Die Affinität zur SA in der Etablierungsphase des NS-Regimes war jedoch kein mennonitisches Alleinstellungsmerkmal. Auch für junge baptistische Pastoren schien der SA-Beitritt anfangs ein Gebot der Stunde zu sein.849 Und der junge, im Jahr 1900 geborene Dozent (und spätere Direktor) der baptistischen Ausbildungsstätte, dem Theologischen Seminar in Hamburg, Dr. Hans Luckey, schrieb im Mai 1934 an den Vater eines Studienbewerbers: »[…] auch wir erwarten vor der Seminarzeit einen Gang durch den Arbeitsdienst oder die SA, damit die Verbindung mit der Volksgemeinschaft hergestellt und jeder Verdächtigung entnommen ist.«850 Der Studienbewerber hatte an der (landeskirchlichen) Theologischen Schule Bethel sein Studium aufgenommen, sich dann aber taufen lassen und dem Baptismus zugewandt; nun wollte er an das baptistische Seminar wechseln. Luckey ging es einerseits darum, dem Vater Werdegang und Stellung eines Baptistenpastors darzulegen und andererseits dem Bewerber deutlich zu machen, dass er sich vor einem Studium im Seminar zunächst für ein Jahr in der praktischen Gemeinde- bzw. Missionsarbeit zu bewähren habe. Der Haltung des Bewerbers, an seiner gegenwärtigen Ausbildungsstätte ein SA-Engagement zu verweigern, weil er es mit dem Evangelium und seinem Gewissen nicht in Einklang bringen konnte, zollte Luckey Respekt, teilte aber dessen »Pazifismus« nicht. Er schrieb ihm im Mai 1934: »Zunächst schießen Sie noch niemanden tot, 848 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Theo Glück, Karton 1, Kreis 1, Heft 16. 849 Wilhelm Hörmann: Auch diese Zeit ist Gottes Zeit. Erinnerungen, Wuppertal/Kassel 1981, S. 23. Siehe dazu Fleischer, Streit, S. 12, Fußnote 18. Darauf, dass ein SA-Engagement unter jungen Baptisten durchaus verbreitet war, verweist auch der Baptistische Jungschar-Ring. Führerrundbrief an die Leiter baptistischer Knaben- und Mädchen-Jungscharen Nr. 7 Juli/ November 1933, masch. (Kopie), in: Oncken-Archiv Bestand D 4/Jünglingsvereine/Jugendbund, Sammelmappe: »Sitzungen des Reichsverbandes der Evangelischen Jungmännerbünde Deutschlands 1933«. 850 Schreiben Hans Luckey an B. vom 10. 05. 1934 (Durchschrift/Abschrift), in: Oncken-Archiv Elstal, NL Hans Luckey [unverzeichnet; Ordner »I Luckey«].

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Sie kommen vielmehr in eine Schule, die Ihnen fürs Leben heilsam sein wird. Denn wer Menschen gehorchen lernt, der vermag auch Gott besser zu gehorchen.«851 Gerade weil es sich bei der SA um eine Massenorganisation handle, so argumentierte Luckey gegenüber dem Bewerber, sei der Dienst in ihr weniger »weltanschaulich« zu bewerten, sondern habe vielmehr »volkserzieherisch[en]« Wert. Hans Luckey (1900–1976) hatte als junger Mann selbst Erfahrung in einer Miliz gesammelt: Als Angehöriger der »Kriegsjugendgeneration« hatte er den Ersten Weltkrieg zunächst als Schüler erlebt, wurde nach seinem Abitur (1918) aber noch eingezogen. Nach Kriegsende meldete er sich dann freiwillig zu seinem alten Regiment, das Teil des »Freikorps Westfalen« war und zur Bekämpfung des linksradikalen Spartakusbundes respektive der KPD eingesetzt wurde.852 Das Engagement in einer NS-Gliederung war zudem kein nur auf die Gemeindejugend beschränktes Phänomen. Es lässt sich zwar nicht statistisch bestimmen, wie hoch der Anteil derjenigen Gemeindemitglieder war, die sich mit der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen wie der SA oder SS in der Phase der »Machtergreifung« verbunden haben. Festhalten lässt sich aber, dass ein Beitritt in Parteiorganisationen – wie auch immer motiviert – bei Baptisten und Mennoniten nicht als verwerflich betrachtet worden ist.853 Dagegen schien für Eberhard Arnold und die Mitglieder des Bruderhofes grundsätzlich klar zu sein, sich nicht den Gliederungen der NSDAP anzuschließen. Durch die eingangs erläuterte Sichtweise von der Scheidung der Lebensbereiche (Reich Gottes und Welt) schien diese Frage ebenso entschieden wie bei der Frage ihrer Teilnahme an der Wahl und dem Plebiszit. Doch ähnlich wie bei der Diskussion um die Partizi851 Schreiben Hans Luckey an E. B. Anfang Mai 1934 (Durchschrift/Abschrift), in: OnckenArchiv Elstal, NL Hans Luckey [unverzeichnet; Ordner »I Luckey«]. 852 Das Freikorps wurde von Franz Pfeffer von Salomon befehligt, der später (1926 bis 1930) von Hitler als Oberster SA-Führer eingesetzt wurde. Luckeys Engagement im Freikorps lag insb. im Jahr 1919, also noch vor der Zeit, als er Anfang 1920 zum Glauben kam, sich einer Baptistengemeinde anschloss und zunächst als Hausmissionar diente. Luckey bezog sich während der NS-Zeit aber explizit auf diese biografische Episode als Beleg für seine »nationale Gesinnung«. Lebenslauf vom 18. 08. 1938, angefertigt für die Reichsschriftumskammer. Seit dem 01. 05. 1937 war Luckey Parteimitlied der NSDAP (MitgliedsNr. 4.975.064). BArch, RK, Luckey, Hans (25. 03. 1900). Spätestens seit Anfang der 1940erJahre zeigen sich jedoch auch stark kritische Tendenzen gegenüber dem NS-Staat; vgl. dazu Strübind, unfreie Freikirche, S. 294–295. 853 Erich Göttner begrüßt nach Händiges Bericht Mitarbeit bei Nationalsozialisten: Im Zusammenhang mit DC: »Können wir in der nationalen und sozialen Bewegung mitgehen und uns einsetzen für das neue Werden, ja ist es zu begrüßen, wenn unsere Mitglieder sich führend an der nationalsozialistischen Bewegung beteiligen, so liegt bei einem Beitritt zu den Deutschen Christen die Gefahr vor daß wir unser weiteres Dasein als mennonitische Gemeinden indirekt verneinen.« E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-Danziger-Mennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 90.

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pation an nationalsozialistischen Festformen gerieten sie auch im Blick auf die Beitrittsfrage in eine Zwickmühle, als diese nämlich mit dem Bekenntnis zur Verbundenheit mit der »Volksgemeinschaft« verknüpft wurde, der sich der Bruderhof grundsätzlich nicht entgegenstellen wollte: So hatte der Bürgermeister der Großgemeinde Veitsteinbach am 4. November 1933 zu einer Zusammenkunft aller »SA-dienstfähigen Männer im Alter von 18 bis 45« Jahren aufgefordert. Wer nicht erscheine, bekunde damit, dass er an »Volk und Vaterland« kein Interesse hätte.854 Die Gemeinschaft schickte offenbar einen mit einem Schreiben ausgestatteten Vertreter, der seine Brüder damit entschuldigte, dass sie »zum Gottesdienst versammelt sind« und deshalb nicht erscheinen könnten. Das Schreiben, eine Art Grußbotschaft, lautete: »An den Bürgermeister Zeiher, Veitsteinbach: Da wir heute abend zum Gottesdienst versammelt sind, können wir nicht zu der Versammlung kommen und überbringen durch unseren Gemeindevertreter Adolf Braun die besten Wünsche zu dem guten Verlauf der Zusammenkunft und bezeugen, daß wir das stärkste Interesse an Volk und Vaterland haben und auch heute abend im Gebet zu Gott für die Regierung Hindenburgs und Adolf Hitlers von ganzem Herzen eintreten. Die unterzeichneten Brüder des Bruderhofs«855

Zum Eid im Reichsarbeitsdienst – und das Votum Heinrich Himmlers Im NS-Staat bestand für junge Männer und Frauen im Alter zwischen 18 und 25 Jahren seit 1935 die Pflicht, einen sechsmonatigen »Reichsarbeitsdienst« abzuleisten856, wobei von den Arbeitsdienstpflichtigen verlangt wurde, dem »Führer« »unverbrüchliche Treue« zu schwören.857 Mennonitische Bemühungen zielten nun darauf, den Gebrauch einer Beteuerungsformel anstelle der Eidesformel gesetzlich zu verankern. Mit der 8. Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 11. Juni 1937 wurde eine solche Ausnahmeregelung tatsächlich realisiert.858 Um den Arbeitsdienstpflichtigen in 854 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 115. 855 Schreiben an den Bürgermeister vom 04. 11. 1933 [Transkription], in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, Coll. 0288_02. 856 Arnulf Scriba: Der Reichsarbeitsdienst (RAD). URL: https://www.dhm.de/lemo/kapitel/nsregime/ns-organisationen/reichsarbeitsdienst.html (Aufruf 28. 08. 2020). Vgl. Wolfgang Benz: Vom Freiwilligen Arbeitsdienst zur Arbeitsdienstpflicht, in: Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte 16 (1968) 4, S. 317–346. 857 Vgl. die Zweite Verordnung zur Durchführung und Ergänzung des Reichsarbeitsdienstgesetzes vom 01. 10. 1935, in: RGBl. I 1215, Art. 13 (1). 858 RGBl. I, S. 623, Art. 15. Vgl. die Ausführungen zu: Merkblatt über die Verpflichtungen der Mennoniten im Reichsarbeitsdienst, Schriftstück (Anlage 2) der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, Emil Händiges, vom 25. 05. 1941 (Abschrift), in: BArch R 5101/ 23410.

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Danzig und im »Reichsgau Danzig Westpreußen« eine Anleitung in die Hand geben zu können, fertigten die Mennoniten ein Merkblatt zur Gelöbnispraxis an. Dieses wurde vom »Reichsarbeitsführer« im Dezember 1940 aber moniert.859 Denn inzwischen war die Sonderregelung nach einer neuerlichen Überarbeitung der Verordnung zum Reichsarbeitsdienstgesetz stillschweigend wieder suspendiert worden.860 Darauf sowie auf die oben ausgeführte grundsätzliche Entscheidung Bormanns in Sachen Eid verwies der Reichsarbeitsführer die Mennoniten. Doch die Vereinigung nahm diese Volte nicht unwidersprochen hin. Sie begründete am 25. Mai 1941 nicht nur, mit welcher Berechtigung sie das Merkblatt aufgesetzt hatte (wobei sie sich auch auf ein Schreiben des »Stellvertreters des Führers« vom 17. Juni 1938 bezog, in dem »mennonitischen Arbeitsmännern das Recht« zu geloben eingeräumt worden sei), sondern bat in ihrer Stellungnahme auch offiziell darum, den ›Beteuerungsparagrafen‹ wieder in die Reichsarbeitsdienstverordnung aufzunehmen.861 In dieser Situation wandte sich das Amt des »Reichsarbeitsdienstes« an das Reichskirchenministerium. Der dort zuständige Referatsleiter Haugg arbeitete Oberfeldmeister Ruoff vom »Reichsarbeitsdienst« am 21. Juli 1941 eine Begründung zu, mit der die Eingabe der Mennoniten zurückgewiesen werden könnte, falls an einer solchen Erklärung überhaupt Bedarf bestünde: »›Das besondere Eidesprivileg der Mennoniten, das diese teilweise auf Grund früherer Rechtsbestimmungen für sich in Anspruch nehmen konnten, ist, soweit diese Bestimmungen nicht förmlich aufgehoben worden sind, praktisch längst weitgehend in Vergessenheit geraten und juristisch unter dem Gesichtspunkt des derogierenden Gewohnheitsrechtes obsolet geworden. Auch kann nicht jede religiöse Besonderheit unter Bezugnahme auf die grundsätzlich bestehende Glaubens- und Gewissensfreiheit gerechtfertigt oder durch sie gedeckt werden. Im Verhältnis zur Glaubens- und Gewissenfreiheit soll jede staatliche Rechtsvorschrift soweit möglich, den bestehenden Glaubensansichten billigerweise Rechnung tragen. Aber die Staatsbehörden und öffentlichen Dienststellen des Reiches, die mit dem Schutze der durch die Staatsgrundsatzgesetzgebung gewährten Freiheitsrechte beauftragt sind, haben jederzeit das Recht und die Pflicht zu prüfen, ob es sich um solche religiösen Pflichten handelt, die durch religiöse Bekenntnisse nicht vernachlässigt werden dürfen. Zu einer solchen Pflicht aber gehört die für alle Volksgenossen bestehende Verpflichtung der Eidesleistung. Die Zeit, in der eine Ablehnung der Eidesleistung und der Gebrauch besonderer Beteuerungsformeln durch Sektenangehörige unter Bezugnahme auf ihre abweichende religiöse

859 Schreiben des »Reichsarbeitsführers« an die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, Ernst Crous, vom 14. 12. 1940 (Abschrift), in: BArch R 58/5633. 860 In der Novellierung vom 29. 09. 1939 war die entsprechende Regelung zur Beteuerungsformel nicht mehr enthalten, vgl. RGBl. I, S. 1967. 861 Ausführungen zu: Merkblatt über die Verpflichtungen der Mennoniten im Reichsarbeitsdienst, Schriftstück (Anlage 2) der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, Emil Händiges, vom 25. 05. 1941 (Abschrift), in: BArch 5101/23410.

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Sondermeinung gerechtfertigt werden konnte, ist heute vorbei. Zahlreiche Vorschriften von Staat. Partei und deren Gliederungen aus neuster Zeit haben das eindeutig festgestellt.‹«862

Am 16. August 1941 beschied der Reichsarbeitsführer der mennonitischen Vereinigung nur knapp, dass er ihrem »Antrag auf Einfügung einer […] Sonderbestimmung […] aus grundsätzlichen Erwägungen« nicht stattgeben könne.863 Argumentation und Haltung des Reichkirchenministeriums waren doppelzüngig: In der eben zitierten Stellungnahme hatte Dr. Haugg die Einschränkung der Gewissensfreiheit und eine damit einhergehende Aufhebung von verbrieften Ausnahmeregelungen aus politisch-weltanschaulichen Erwägungen ausdrücklich befürwortet; in einem Gespräch am 11. Dezember 1942 mit Crous und Unruh ließ er seine Gesprächspartner hingegen glauben, dass das RKM in Sachen Eidesangelegenheit zwar nicht helfen könne, aber auch nichts gegen die Mennoniten unternehmen werde.864 Nun aber, nachdem die Vereinigung in dieser Frage auf den ›normenstaatlichen Wegen‹ nicht weitergekommen war, versuchte Benjamin Heinrich Unruh eine Gewährung der gewünschten Ausnahmeregelung über seine Vorsprache bei einer der wesentlichen Machtagglomerationen des ›Maßnahmenstaates‹, nämlich der SS, zu erreichen.865 Das Verhältnis des russlanddeutschen (später eingebürgerten) mennonitischen Gelehrten und Geistlichen Benjamin Heinrich Unruh zu SS-Ämtern und deren Repräsentanten sowie zu staatlichen Stellen in der Zeit des Nationalsozialismus und die damit verbundene Frage nach dem Wissen und seiner Haltung zu den nationalsozialistischen Massenverbrechen bedarf einer gesonderten Untersuchung; sie kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden.866 Zumindest aber soll anhand der Sekundärliteratur und ein862 Schreiben (Entwurf) des Reichs- und Preußischen Ministeriums für die kirchlichen Angelegenheiten, Landgerichtsrat Haugg, an den »Reichsarbeitsführer«, Oberfeldmeister Ruoff, vom 21. 06. 1941, in: BArch R 5101/23410. 863 Schreiben des »Reichsarbeitsführers«, gez. Klausch, an Emil Händiges vom 16. 08. 1941 (Abschrift für den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten, Haugg), in: BArch R 5101/23410. 864 Schreiben von Benjamin H. Unruh an Emil Händiges, Durchschläge an Ernst Crous, Abraham Braun, Christian Neff, Gustav Reimer und Dr. Bergmann, vom 21. 12. 1942, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel A-Z) Ordner »Briefw. 1941–1943«, Einzelpersonen A-Z. 865 Zu den Begriffen und dem Konzept: Ernst Fraenkel: Der Doppelstaat, Hamburg (4. Auflage) 2019 [Original: The Dual State. A Contribution to the Theory of Dictatorship, New York 1941]. 866 Eine umfassende Analyse dieses Aspekts liefert auch die Unruh-Biografie aus der Feder seines Sohnes nicht; eine umfänglichere Aufarbeitung des Wirkens B. H. Unruhs in der NSZeit hat Peter Letkemann in seinem langen, die NS-Zeit fokussierenden »Nachwort« angekündigt (sie soll im Rahmen einer englischsprachigen Biografie erfolgen); Unruh, Fü-

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zelner Quellen einige kontextualisierende Hinweise zu Unruhs Kooperation mit der SS gegeben werden. Unruh setzte sich schon in den 1920er-Jahren für russlanddeutsche Mennoniten und Flüchtlinge aus der Sowjetunion ein; um 1929/30 wurde er schließlich zu einer der zentralen Figuren bei der Ausreise von mennonitischen Bauern und anderen Deutschstämmigen aus der Sowjetunion, auf die ich im ersten Abschnitt (A.) dieses zweiten Teils meiner Studie eingegangen bin.867 Hieraus resultierten allerdings hohe Verbindlichkeiten, die während der NS-Diktatur weiterbestanden.868 Schon vor der »Machtergreifung« spendete Benjamin H. Unruh Geld an die Parteien NSDAP und DNVP und war seit September 1933 »Förderndes Mitglied der SS« (Nr. 168 232).869 Umgekehrt profitierte die Familie von einer Studienbeihilfe, die Hitlers Reichskanzlei einem Sohn Unruhs 1936 gewährte.870 Als es um die Teilnahme an einer Tagung in London ging, fragte er bei dem ihm vertrauten Legationsrat Dr. Ernst Kundt im Auswärtigen Amt nach, »ob eine Teilnahme an einem solchen Kongress für einen ehrlichen deutschen Mann und ueberzeugten Nationalsozialisten überhaupt in Frage kommt«.871 In einer tagebuchartigen Aufzeichnung hat der mennonitische Gelehrte und Geistliche Christian Neff unmittelbar nach Kriegsende diese Selbstbeschreibung Unruhs bestätigt, als er von Unruhs »bekannte[r] Nazi-Begeisterung« sprach.872 Unruh pflegte somit nicht nur rein pragmatische Kontakte zu unterschiedlichen Stellen

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gungen, S. 363–365; vgl. hierzu die instruktiven Rezensionen von Gerhard Rempel, in: Mennonite Quarterly Review 84 (2010), S. 275–278 und von Alfred Neufeld, in: Mennonitische Geschichtsblätter 87 (2010), S. 176–183. Vgl. zur herausgehobenen Rolle Unruhs jetzt aber Daniel Stahl: Auslandsdeutsche und der völkische Antikommunismus. Mennoniten in Paraquay während des Nationalsozialismus, in: Kobelt-Groch/von Schlachta, Mennoniten, S. 185–197, hier S. 189f. Peter Letkemann: Unruh, Benjamin Heinrich, in: MennLex V. URL: http://mennlex.de/dok u.php?id=art:unruh_benjamin_heinrich (Aufruf: 20. 12. 2016). Die Übersiedlung der mennonitischen Siedler kostete den Staat etwa 3 Millionen Reichsmark. 2/3 davon wurde erlassen, aufgelaufene Zinsen immer wieder niedergeschlagen; es blieb bei einer knappen Million Reichsmark offener Verbindlichkeiten. Zuletzt bat Unruh, der als europäischer Vertreter der nordamerikanischen Hilfswerke MCC und des kanadischen Werkes (Canadian Mennonite Board of Colonisation) fungierte, am 07. 02. 1940 darum, den Tilgungsplan aufzuschieben. Vgl. die Unterlagen in: BArch R 2/11822. Angaben Unruhs im »Fragebogen zur Bearbeitung des Aufnahmeantrages für die Reichsschrifttumskammer« vom 24. 09. 1937, in: BArch, RK (ehem. BDC), Unruh Benjamin Hermann (geb. 04. 09. 1881). Vgl. das Schreiben Hans Heinrich Lammers, Staatssekretär und Chef der Reichskanzlei, an das Auswärtige Amt vom 18. 01. 1936, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), R 127518. Schreiben Benjamin H. Unruh an Ernst Kundt (Auswärtiges Amt) vom 10. 05. 1937, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), R 127518. Christian Neff: »Kriegserlebnisse im 2. Weltkrieg auf dem Weierhof 1939–1945«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 25, Ordner 204.

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des NS-Staates, um für mennonitische Fragen einzutreten, sondern stand aus unterschiedlichen Gründen auch in einem Loyalitätsverhältnis und hegte nachweislich Sympathien zu diesem. Benjamin H. Unruh stand in engem Verhältnis zum Auswärtigen Amt und war seit 1937 Mitglied des Hauptausschusses vom Volksbund für das Deutschtum im Ausland sowie Ratsmitglied des Deutschen Auslands-Instituts (DAI) in Stuttgart und dort Mitglied der Hauptstelle für Auslandsdeutsche Sippenkunde.873 Seit 1938 war das Deutsche Auslands-Institut der »Volksdeutschen Mittelstelle« (VoMI) untergeordnet, die von SS-Obergruppenführer Werner Lorenz geleitet wurde und seit 1941 als SS-Hauptamt Himmler direkt unterstellt war.874 »[I]n deren Hand«, so formulierte Benjamin H. Unruh in einem Brief an den Vorsitzenden der mennonitischen Vereinigung im September 1942, liegt »das Schicksal unserer volksdeutschen Brüder«.875 Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Arbeitsfreundschaft zwischen Unruh und dem Schriftsteller Karl Götz, der wie Unruh im Deutschen Auslands-Institut (als Kulturrat) engagiert war.876 Seit September 1941 gehörte Götz – sogleich im Range eines SS-Sturmbannführers in die SS aufgenommen – als Stabsmitglied der Volksdeutschen Mittelstelle dem Kommando des SS-Führers Horst Hoffmeyer an, wo er für die »schriftstellerische Bearbeitung des Russlanddeutschtums« zuständig war.877 Die »nationalsozialistischen Volkstumsexperten« hatten, so Isabel Heinemann, »mit einer gewissen Verblüffung« die Berichte der »Einsatzgruppen der Sicherheitspolizei und einzelne[r] Wehrmachteinheiten« entgegengenommen, wonach »vor allem in der Südukraine, an der Schwarzmeerküste und auf der Krim« »größere volksdeutsche Siedlungen« existierten.878 Eben dort, etwa in Chortitza, Molotschna oder bei Simferopol, gab es größere mennonitische Kolonien. Um die Siedlungen der »Volksdeutschen« in den erwähnten Gebieten zu erfassen, ließ Himmler im 873 Masch. Lebenslauf vom 29. 09. 1937, mit »Heil Hitler« unterzeichnet, in: Barch (ehem. BDC), RK, Unruh Benjamin Hermann (geb. 04. 09. 1881). 874 Valdis O. Lumans: Werner Lorenz – Chef der »Volksdeutschen Mittelstelle«, in: Ronald Smelser und Enrico Syring (Hg.): Die SS: Elite unter dem Totenkopf, Paderborn 2000, S. 332– 345. 875 Schreiben von Benjamin H. Unruh an Emil Händiges vom 21. 09. 1942, Durchschläge für »die übrigen Mitglieder des Arbeitsausschusses«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel A-Z), Ordner »Briefw. 1941–1943«, Einzelpersonen A-Z. 876 Vgl. hierzu sowie für das Folgende die sorgfältige, aus Archivquellen erarbeitete Auflistung seiner biografischen Daten von Gerd Simon: Chronologie Karl Götz. URL: https://homepage s.uni-tuebingen.de/gerd.simon/ChrGoetz.pdf (Aufruf 28. 08. 2020). 877 Aus der SSO-Akte von Karl Götz, zitiert nach Simon, Chronologie. 878 Isabel Heinemann: »Rasse, Siedlung, deutsches Blut«. Das Rasse- und Siedlungshauptamt der SS und die rassenpolitische Neuordnung Europas, Göttingen 2003, S. 420.

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Sommer 1941 das von Hoffmeyer geleitete und mit Angehörigen verschiedener Dienststellen besetzte »Sonderkommando R(ussland)« aufstellen. Bestand die Aufgabe zunächst in der Sammlung, Registrierung und »Umsiedlung« von »Volksdeutschen«, so war dieses Kommando später auch in die Ermordung von Juden eingebunden.879 Götz und Unruh arbeiteten eng zusammen: Unruh ließ Götz Materialien zu Mennoniten zukommen, die dieser weiterverwertete.880 Nachdem Götz seinen Dienst bei der »Volksdeutschen Mittelstelle« angetreten hatte, sprach er mit Himmler über Benjamin H. Unruh und weckte das Interesse des »Reichsführers SS« an diesem.881 Unruh mochte in dieser Angelegenheit als der ideale Vertrauensmann erscheinen. Die Glaubensgemeinschaft der Mennoniten war in dieser Phase, am 14. Oktober 1941, auch Gegenstand einer Besprechung zwischen Himmler und Heydrich.882 Ein Treffen mit Unruh war offenbar avisiert883, kam aber letztlich erst zum Jahreswechsel 1942/43 zustande. Am 27. Dezember 1942 kontaktierte der Persönliche Referent von Werner Lorenz, Standartenführer Ellmeyer, den Mennoniten Unruh, um die Modalitäten eines Zusammentreffens mit Himmler zu klären. Unruh traf am 29. Dezember in Berlin ein, bestieg am folgenden Tag einen Sonderzug und verließ ihn erst nach langer Fahrt an einer Station, die ihm nur als Deckname bekannt gegeben worden war. Danach war Unruh drei Tage »Gast des Herrn Reichsführers. Wir speisten zu Mittag und zu Nacht zusammen, führten dauernd Gespräche und am 1. Januar

879 Gerhard Rempel: Völkische Einflüsse auf russlanddeutsche und nordamerikanische Mennoniten [3. Abschnitt des Artikels zu »Drittes Reich. Mennoniten und der Nationalsozialismus«], in: MennLex V. URL: http://mennlex.de/doku.php?id=top:drittes_reich&s[]=rem pel (Aufruf: 20. 12. 2016). 880 Schreiben Benjamin H. Unruh an Gerhard Hein vom 25. 07. 1943, Durchschriften an Emil Händiges, Gustav Reimer, Christian Neff, Abraham Braun, Ernst Crous und Bruno Ewert. 881 Ebd. 882 Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42. Im Auftrag der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg bearbeitet, kommentiert und eingeleitet von Petter Witte, Michael Wildt, Martina Voigt, Dieter Pohl, Peter Klein, Christian Gerlach, Christoph Dieckmann und Andrej Angrick, Hamburg 1999, S. 235. Bereits am 12. 07. 1940 hatte SS-Hauptsturmführer Höppner, Leiter der »Umwandererzentralstelle«, aus dem SD-Leitabschnitt Posen an das Reichssicherheitshauptamt Amt II per Fernschreiben um Informationen zu den Mennoniten ersucht; der Höhere SS- und Polizeiführer wolle über die Mennoniten »eingehend unterrichtet« werden. Fernschreiben des SD-Leitabschnitts Posen an das RSHA Amt II vom 12. 7. 1940, gez. SS-Hauptsturmführer Höppner, in: BArch R 58/5633. 883 Vgl. das Schreiben Benjamin H. Unruh an Gerhard Hein vom 25. 07. 1943, Durchschriften an Emil Händiges, Gustav Reimer, Christian Neff, Abraham Braun, Ernst Crous und Bruno Ewert, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel A-Z, 1941–1946).

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ein stundenlanges erschöpfendes dienstliches Gespräch zu viert […]«.884 An diesem Zusammentreffen von Unruh und Himmler im kleinen Kreis zum Jahreswechsel 1942/43 nahmen auch Hoffmeyer und Lorenz teil.885 Leider wissen wir nicht, über was genau gesprochen wurde. Wie Unruh berichtete, seien »schmeichelhafte Äußerungen« über Mennoniten, »vor allem über die volksdeutschen Mennoniten« gefallen.886 Und er hatte Gelegenheit, das Problem der Eidesleistung anzusprechen. Eine Frucht dieses Gesprächs war schließlich die Billigung Himmlers, dass Mennoniten beim Reichsarbeitsdienst nicht schwören, sondern lediglich geloben sollten. Nun war Himmler hierfür formal nicht zuständig gewesen. Der Reichsarbeitsdienst war dem Reichsinnenministerium unterstellt. Und als Himmler später, im August 1943, auch dieses Ressort übernahm, war der Reichsarbeitsdienst bereits aus dem Reichsministerium ausgegliedert und als Oberste Reichsbehörde installiert worden. Dementsprechend bedacht war auch die Wortwahl des Schreibens, das Unruh aus dem Persönlichen Stab Himmlers mit Datum vom 28. Februar 1943 zuging: Darin wurde bestätigt, »daß der Reichsführer SS es für richtig hält, daß für die Mennoniten bei der Verpflichtungsformel des Reichsarbeitsdienstes statt der Worte ›Ich schwöre‹ ›Ich gelobe‹ gesetzt wird […] Sie können sich auf dieses Schreiben berufen.«887 Am 7. Mai 1943 konnte Benjamin Heinrich Unruh an Emil Händiges, den Vorsitzenden der Vereinigung, berichten: »Auf meine Erläuterung zur Eidesfrage hin formulierte Herr W. [SS-Obersturmführer]: Sie wünschen also in etwa eine Formel: ›Ich gelobe Dir, Führer, Treue!‹ Ich bejahte das und unterstrich noch besonders, daß es uns unverständlich sei, wenn der RAD den jungen Leuten verweigere, was die Wehrmacht ihnen einräumt.«888 Für den »Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums« waren die »volksdeutschen« Mennoniten wohl nicht alleine aufgrund ihrer Anzahl relevant – es handelte sich um etwa 35.000 Mennoniten im gesamten osteuropäi884 Schreiben von Benjamin H. Unruh an die Vereinigung (Emil Händiges) vom 06. 01. 1943, Durchschläge für Crous, Braun, Neff, Reimer, van Delden, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel AZ), Ordner »Briefw. 1941–1943«, Einzelpersonen A-Z. 885 Der Dienstkalender Heinrich Himmlers 1941/42, S. 660. 886 Schreiben von Benjamin H. Unruh an die Vereinigung (Emil Händiges) vom 06. 01. 1943, Durchschläge für Crous, Braun, Neff, Reimer, van Delden, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel AZ), Ordner »Briefw. 1941–1943«, Einzelpersonen A-Z. 887 Zitiert nach Lichdi, Mennoniten m Dritten Reich, S. 92. 888 Schreiben Unruh an den Vorsitzenden der Vereinigung (Händiges) vom 07. 05. 1943, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel A-Z) Ordner »Briefw. 1941–1943« Einzelpersonen A-Z.

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schen Raum –, sondern womöglich vor allem auch deshalb, weil es sich um geschlossene Gruppen handelte, die aus Sicht der SS das Deutschtum »rassisch« bewahrt hatten.889 Sie hatten somit zwar auch eine numerische, vor allem aber auch eine symbolische Bedeutung und erwiesen sich in Teilen sogar als willfährige Helfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik. Man kann sich leicht vorstellen, dass Himmler vor diesem Hintergrund keinen Grund sah, sich mit Unruhs Anliegen länger aufzuhalten und gegen ein eher unverbindliches Schreiben nichts einzuwenden hatte, zumal damit nichts in Stein gemeißelt war. Unruh aber begab sich mit diesen Kontakten in eine tiefe Nähe zu den NSVerbrechen; seine Ansprechpartner waren für den Mord an den europäischen Juden – aber auch an den Sinti und Roma sowie anderer Gruppen – unmittelbar verantwortlich. Denn die nationalsozialistische Politik der »Rücksiedlung« von »Volkdeutschen« war mit der Ingangsetzung und der konkreten Durchführung des Judenmordes auf unterschiedliche Weise direkt verbunden: Durch die Deportationen sollte zum einen Raum für »Volksdeutsche« geschaffen werden.890 »Volksdeutsche«, auch Mennoniten, profitierten aber auch insofern vom Judenmord, indem sie über die Volksdeutsche Mittelstelle beispielsweise Kleider von Ermordeten erhielten, etwa von Juden, die bei der Massenexekution in Babi Yar (Kiew) getötet wurden.891 Und schließlich waren die mit der »Rücksiedlung« befassten Kommandos auch in die Ermordung von Juden involviert.892 In diesem Zusammenhang sind, wie Gerhard Rempel vor wenigen Jahren gezeigt hat, »volksdeutsche« Mennoniten oder solche, die zumindest einen mennonitischen Familienhintergrund hatten, selbst zu Tätern geworden: »Das Einsatzkommando 6 [der Einsatzgruppe C] rekrutierte an die zwanzig junge mennonitische Freiwillige aus den Dörfern Chortitzas als Hilfskräfte für den Sicherheitsdienst, die mit weiteren ukrainischen und russischen Freiwilligen das sogenannte Massaker von Saporoschje in einer Kiesgrube südlich des ehemaligen mennonitischen Dorfes Schönwiese im Oktober 1941 veranstalteten. Das ist das erste Mal, dass Mennoniten als Täter im Holocaust direkt beteiligt waren.«893

889 Vgl. dazu Goossen, Mennoniten als Volksdeutsche. Foth, Geschichtsblätter, insb. S. 65–67. 890 Vgl. allg. Götz Aly: »Endlösung«. Völkerverschiebung und der Mord an den europäischen Juden, Frankfurt a. M. 1995. 891 Rempel, Mennoniten, S. 122. 892 Rempel, Einflüsse. Heinemann, Rasse- und Siedlungshauptamt, S. 420 (Fußnote 10). 893 Rempel, Einflüsse. Vgl. ders., Mennoniten.

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Der Rekruten- bzw. Soldateneid In einer Verfügung des Reichswehrministeriums vom 17. Oktober 1934 heißt es: »Mennoniten, welche als Freiwillige sich zum Heeresdienst melden, nach den Vorschriften ihrer Religionsgemeinschaft aber einen förmlichen Eid nicht leisten dürfen, können durch eine schriftliche Verpflichtung mit gleichem Wortlaut an Stelle des Eides gebunden werden.«894 Das ist insofern beachtenswert, als die allgemeine Wehrpflicht im Deutschen Reich erst am 16. März 1935 (wieder) eingeführt wurde. Doch es gab aus der mennonitischen Gemeinschaft Männer, die sich bereits zuvor freiwillig zur Reichwehr gemeldet hatten. Der Erlass des Reichswehrministers war aus Sicht der mennonitischen Vereinigung indes unbefriedigend, denn er hatte zur Folge, dass Mennoniten den gleichen Wortlaut des Eides zu leisten hatten, lediglich in schriftlicher Form. Deshalb richtete der Vereinigungs-Vorsitzende, Emil Händiges, noch vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht eine Eingabe an das Reichswehrministerium, um eine Änderung dieser Praxis zu erreichen. Als Verpflichtung schlug er folgende Formel vor: »Ich verspreche, dem Führer des deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem Oberbefehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam zu leisten und als tapferer Soldat bereit zu sein, jederzeit für dieses Versprechen mein Leben einzusetzen.«895 Am 17. September 1935 hakte Ernst Crous in der Frage des Rekrutengelöbnisses wirkungsvoll in Berlin nach: Am 26. September 1935 antwortete der Reichskriegsminister und Oberbefehlshaber der Wehrmacht »dass Mennoniten auf besonderen Antrag durch folgendes Gelöbnis in die Hand des Vorgesetzten an Stelle des Eides gebunden werden: Gelöbnis: ›Ich gelobe, dass ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für dieses Gelöbnis mein Leben einzusetzen.‹ (gez.) I. A. Foertsch«.896 Mennoniten stellten die einzige 894 So ließ das Wehrkreiskommando in Königsberg am 26. 10. 1934 verlauten. Schreiben (Abschrift) der Vereinigung (Händiges) an das Reichswehrministerium vom 15. 03. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 895 Schreiben (Abschrift) der Vereinigung (Händiges) an das Reichswehrministerium betreffend der Verpflichtung der Mennoniten an Eidesstatt bei Einstellung in das Heer vom 15. 03. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 896 Abschrift des Schreibens im Brief von Ernst Crous an Braun, van Delden, Göttner, Händiges, Penner, Reimer, Schowalter, Stauffer u. a. vom 28. 09. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Briefwechsel 1935 (MärzSept), Karton 2.

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religiöse Gruppe dar, die auf Antrag hin keinen Eid ablegen mussten, sondern mit Handschlag geloben konnten.897 Die »Bestimmungen für die Vereidigung im Heer und in der Luftwaffe« vom 20. September 1935 lauteten in § 1 Abs. (1): »Der Fahneneid ist die Verpflichtung des deutschen Mannes bei seinem Eintritt in den Wehrdienst in feierlicher Form, sich jederzeit mit Leib und Leben für den Führer, für Reich und Volk nach den ›Pflichten des deutschen Soldaten‹ einzusetzen. […]«; sowie weiter in Absatz (2): »Der Fahneneid hat folgenden Wortlaut: ›Ich schwöre bei Gott diesen heiligen Eid, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für diesen Eid mein Leben einzusetzen.‹ (3) Von der Ableistung des Fahneneids in dem vorgeschriebenen Wortlaut werden auf ihren besonderen Antrag n u r die Mennoniten befreit. Diese Rekruten sind durch Gelöbnis und Handschlag, die der Komp.– usw. Chef abnimmt, zu verpflichten. Das Gelöbnis hat folgenden Wortlaut: ›Ich gelobe, daß ich dem Führer des Deutschen Reiches und Volkes Adolf Hitler, dem Obersten Befehlshaber der Wehrmacht, unbedingten Gehorsam leisten und als tapferer Soldat bereit sein will, jederzeit für dieses Gelöbnis mein Leben einzusetzen.‹«898

Offenbar galt diese Regelung auch in Kriegszeiten fort.899 Solches wurde zumindest in einer offiziellen Schrift über das Mennonitentum von SS-Sturmbannführer Karl Götz, informiert von Benjamin Heinrich Unruh, im Jahr 1944 behauptet: »Der mennonitische Soldat darf in der deutschen Wehrmacht dem Führer die Treue bis in den Tod […] anstatt des Eides in der Form des Handschlages und des Gelöbnisses seiner Väter geloben. Er sagt nicht ›ich schwöre‹, sondern ›ich gelobe‹. Und nicht: ›So wahr mir Gott helfe‹, sondern, ›bei meinem Manneswort‹.«900 In die gleiche Richtung weist ein Schreiben des Gaustabsführers 897 Garbe, Widerstand und Martyrium, S. 332 (Fußnote 44). 898 Heinrich Dietz: Einstellungs- und Entlassungsbestimmungen für Heer und Luftwaffe. Bestimmungen über Vereidigung. Gesetz über die Entziehung des Rechts zum Führen einer Dienstbezeichnung der Wehrmacht. Erläutert von Dr. jur. h.c. Heinrich Dietz. Obergerichtsrat, kommandiert zum Reichskriegsministerium, Dresden 1935/36, S. 77f. Auf S. 78f. erläutert Dietz, dass diese Regelung ausschließlich für Mennoniten gilt, Angehörige anderer Glaubensgemeinschaft seien davon ausdrücklich ausgenommen. 899 Peter Date hat in seiner Dissertation geäußert, dass die Eidesleistung allgemein während des Krieges »durch Strafen erzwungen« worden sei. Peter Dade: Fahneneid und feierliches Gelöbnis. Zur militärischen Verpflichtungsform in der deutschen Wehrgeschichte, insbesondere zur geltenden Regelung für die Soldaten der Bundeswehr, Diss. Kiel 1970, S. 50. 900 Karl Götz: Das Schwarzmeerdeutschtum. Die Mennoniten, Posen 1944, S. 10, in: BArch R 187/267a. Unruh und Götz standen, wie oben skizziert, in engem Kontakt miteinander; Unruh versorgte den SS-Führer mit Materialien über die Mennoniten. Vgl. das Schreiben Benjamin H. Unruh an Gerhard Hein vom 25. 07. 1943, Durchschriften an Emil Händiges, Gustav Reimer, Christian Neff, Abraham Braun, Ernst Crous und Bruno Ewert, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935),

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des »Deutschen Volkssturms« in Danzig-Westpreußen, Kapitän zur See Werner Hartmann, vom 20. November 1944. Er versicherte dem mennonitischen Diakon Gustav Reimer auf dessen Anfrage vom 14. November des gleichen Jahres, »daß die Vereidigung der Mennoniten beim Volkssturm in derselben Form wie es bei der Wehrmacht geschieht vorgenommen wird«.901 Wir wissen allerdings nicht, wie viele Mennoniten von dieser Ausnahmeregelung tatsächlich Gebrauch gemacht haben.

Wehrpflicht Mennoniten Am Beginn des »Dritten Reiches« zählte die Wehrfreiheit mentalitätsgeschichtlich noch immer zum symbolischen Erbe der Mennoniten. Das ist insofern bemerkenswert, als Teile der Mennoniten in Deutschland bereits seit dem 18. Jahrhundert von dieser Tradition abgewichen waren und das offizielle Mennonitentum sie schließlich während des Ersten Weltkrieges vollständig hinter sich gelassen hatte; davon zeugt nicht zuletzt eine ausgeprägte publizistische Memorialkultur zu Ehren der »Gefallenen«. Mit der Erklärung der mennonitischen Vereinigung aus dem Jahr 1933, bei Wiedereinführung der Wehrpflicht auf Sonderregelungen verzichten zu wollen, wurde die Wehrfreiheit somit mit »preisgegeben«.902 Zu fragen ist aber zum einen, weshalb eine solche ostentative Stellungnahme – aus Sicht des offiziellen Mennonitentums – überhaupt noch notwendig gewesen sein könnte, und zum anderen, ob sie auch die Einstellung von Mennoniten an der Basis repräsentiert hat. Um die Stellungnahme aus dem Jahr 1933 zu kontextualisieren, werde ich im Folgenden zunächst kurz auf die Zeit vor 1933 eingehen, die einschlägige Erklärung anschließend etwas

Karton 28 (Briefwechsel A-Z, 1941–1946). Auch die Schrift über das Mennonitentum zeugt von einer Zuarbeit, wenn nicht von einer Mitautorenschaft Unruhs (die Rede ist beispielsweise von Unruhs Schwiegersohn, ein klassisches Insiderwissen). 901 Schreiben (Abschrift) des Gaustabsführers »Deutscher Volkssturm« Werner Herrmann an Gustav Reimer vom 20. 11. 1944, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 28 (Briefwechsel A-Z, 1941–1946). 902 Christoph Wiebe hat auf Grundlage der Geschichte der Krefelder Mennoniten argumentiert, dass es sich bei der Wehrabstinenz nicht um eine dogmatische, sondern um eine symbolische Grenzziehung gehandelt habe, so dass mit der Aufgabe der Wehrfreiheit kein theologischer Substanz- oder partieller Identitätsverlust einher gegangen sei. Christoph Wiebe: Die Krefelder Mennoniten und die Wehrlosigkeit. Eine symbolische Abgrenzung im Wandel der Zeit, in: Mennonitische Geschichtsblätter 65 (2008), S. 114–146.

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eingehender beleuchten und sie dann, drittens, mit diesbezüglichen Äußerungen aus dem mennonitischen Leben in Beziehung setzen. Erstens: In der Frühen Neuzeit konnten sich Mennoniten vom Wehrdienst freihalten, indem sie entsprechende Ersatzmänner stellten oder besondere Kontributionszahlungen leisteten. Mennoniten, die dazu nicht in der Lage waren – entweder, weil sie nicht über die notwendigen Mittel verfügten, oder weil es ihnen ihr Gewissen verbot (in Preußen floss die Steuer unmittelbar in den militärischen Bereich) – wählten die Emigration.903 1780 manifestierte sich in Preußen dieses Prinzip der Enrollierungsfreiheit durch pekuniäre Kompensation durch das Gnadenprivileg Friedrich II; es befreite Mennoniten »auf ewig« vom Militärdienst und band sie zugleich als »getreue, gehorsame und fleißige Unterthanen« an die Krone.904 Allerdings wurde damit und durch folgende Edikte der Landerwerb für Mennoniten erschwert respektive verboten, was erneut zu Auswanderungen führte, eine große Zahl zog es nach Russland (Molotschna).905 Nachdem Preußen im Jahr 1814 die allgemeine Wehrpflicht eingeführt hatte, hob der Norddeutsche Bund im Jahr 1867 auch die Wehrfreiheit der Mennoniten auf. Mit einer im folgenden Jahr ergangenen »Allerhöchsten Kabinettsordre« wurde für diese religiöse Minderheit am 3. März 1868 jedoch eine Sonderregelung geschaffen: Mennoniten waren zwar nicht von der Wehrpflicht befreit, sondern wurden grundsätzlich zum Heer eingezogen, wo sie allerdings nicht mit der Waffe dienen mussten, sondern als Sanitäter oder im Nachschubwesen (»Train«) Verwendung fanden.906 Eine solche Regelung wurde am 15. September 1869 auch im Großherzogtum Baden durch das Kriegsministerium erlassen.907 Der Umgang mit dieser Bestimmung führte in Westpreußen zu innermennonitischen Konflikten und in der Folge erneut zur Auswanderung jener Mennoniten, die sie nicht mittragen konnten, und nach Nordamerika emigrierten.908 903 Vgl. Hans-Jürgen Goertz: II. Mennoniten, in: Theologische Realenzyklopädie (TRE), Band 22, Berlin 1992, S. 450–457. Christoph Wiebe: Wehrlosigkeit, in: MennLex V. URL: http://mennlex.de/doku.php?id=top:wehrlosigkeit&s[]=wehrfreiheit (Aufruf: 05. 01. 2017); Gerhard Ratzlaf: Die Mennoniten in Preußen: Staat, Obrigkeit und Politik. URL: http://www. menonitica.org/Jahrbuch/2004/vortrag3.htm (Aufruf: 28. 08. 2020). Peter Brock: Freedom from Violence. Sectarian Nonresistance from Middle Ages to the Great War, Toronto u. a. 1991, S. 110–138. Strahm, Dissentertum, S. 98–126. 904 Wilhelm Mannhardt: Die Wehrfreiheit der altpreußischen Mennoniten, Hildesheim 2009 [Nachdruck der Ausgabe Marienburg 1863], S. 132. 905 Ratzlaf, Mennoniten in Preußen. 906 Lichdi, Staatsverständnis [2011], S. 45. 907 Vgl. die »Erläuterungen zur Geschichte« in: Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden: Verfassung vom 11. Juni 1934, Elbing 1936, S. 4–5, hier: S. 5. 908 Vgl. James Jakob Fehr und Diether Götz Lichdi: Die Mennoniten in Deutschland, in: Glaube und Tradition in der Bewährungsprobe. Weltweite täuferisch-mennonitische Geschichte. Band 2: Europa. Hg. von Hanspeter Jecker und Alle G. Hoekema, Schwarzenfeld 2014, S. 139– 210, hier: 151 u. 154.

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Die Geschichte der mennonitischen Wehrfreiheit war bis dahin zum einen von Aushandlungsprozessen zwischen Staatsgewalt und Mennoniten geprägt, die erfolgreich auf den Erlass normativer Bestimmungen hinarbeiteten; Privilegien, die jedoch prekär waren und sukzessive eingeschränkt werden konnten. Sie lässt sich aus der Perspektive der mennonitischen Emigranten aber auch als Misserfolgsgeschichte beschreiben, bezogen auf den Verlust von Gewissenfreiheit und wirtschaftlicher Entfaltungsmöglichkeiten. Neben dieser Entwicklung, die auf den Erhalt der Wehrfreiheit bezogen war und aus zwei unterschiedlichen Perspektiven betrachtet werden konnte, lässt sich jedoch noch eine zweite, diametral dazu verlaufende Tendenz beobachten: Nicht alle Mennoniten wollten auch eine entsprechende Ausnahmeregelung für sich in Anspruch nehmen. Das gilt insbesondere seit der Entfaltung der Bürgerlichen Gesellschaft, die durch die Koppelung von Rechten und Pflichten an das bürgerliche Individuum insbesondere für religiöse Minderheiten durchaus attraktiv erschien.909 An den Kriegen zwischen 1792 und 1815 nahmen nach Diether Götz Lichdi »viele junge Leute« der mennonitischen Gemeinschaft aus Begeisterung für das Vaterland teil – auch wenn dies von den Gemeinden offiziell nicht toleriert wurde.910 Bereits am Ende des 19. Jahrhunderts war die Wehrfreiheit für die mennonitische Gemeinschaft kein integraler Bestandteil der Lebenspraxis aller Mennoniten mehr, sie hatte aufgehört, »das die mennonitische Identität nach innen wie nach außen bestimmende Merkmal zu sein«.911 Während im deutsch-französischen Krieg von 1870/71 der Anteil der Mennoniten, die als Soldaten aktiv am Kriegsgeschehen teilnahmen, aber noch eher gering ausfiel, war von einer solchen Distanz zum kriegerischen Geschehen im Ersten Weltkrieg schließlich nur mehr wenig zu spüren: Gerade zu Kriegsbeginn, als eher junge, voll wehrfähige Männer rekrutiert wurden, war die immer noch gültige Königliche Kabinettsorder aus dem Jahr 1868 für Mennoniten kaum von Belang, darauf beriefen sich manche erst etwas später, als der »Landsturm« aufgeboten wurde.912 Insofern erstaunt es auch nicht, dass zu Kriegsbeginn von offizieller Seite der Mennoniten Töne angeschlagen wurden, die sich nicht von dem Chor der Mehrheitsgesellschaft im Deutschen Reich unterschieden: »Ihr seid hinaus gezogen«, so ließ die Mennonitengemeinde in Danzig ihre »im Feld stehenden Mitglieder« wissen, »um in diesem gewaltigen und aufgezwungenen Kriege zu kämpfen für Haus und Herd, für Weib und Kind, für Eltern und Geschwister, für uns alle, die wir zurückbleiben müssen.« Der Vorstand rief 909 Lichdi, Staatsverständnis [2011]. 910 Ebd. Vgl. zu diesem Komplex auch: Mark Jantzen: Mennonite German Soldiers. Nation, Religion, and Family in the Prussian East, 1772–1880, Notre Dame/Indiana 2010. 911 Lichdi, Staatsverständnis, S. 46. 912 So Heinrich Gottlieb Mannhardt im Juli 1915 im Vorwort des Jahres-Berichts der Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich für das Jahr 1914, Altona 1914.

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ihnen im Namen den Gemeinde zu, »in treuer Pflichterfüllung« für »des Vaterlandes Freiheit und Ehre, für unseres Deutschen Volkes und Reiches Fortbestand in der Zukunft« einzustehen. »Wenn die Gemeinde sich am Sonntag […] versammelt, […] wenn wir aus der Bibel die stahlharten Worte der göttlichen Wahrheit und zugleich die milden Worte göttlichen Trostes und göttlicher Liebe hören, dann vor allem gehen unsere Gedanken zu Euch.«913 Und in gleicher Diktion hieß es im Bericht für das Jahr 1914 der Konferenz der Süddeutschen Mennoniten: »Wie im Sturm die Meereswogen sich erheben und gegen ein kleines Eiland branden, um es zu begraben, so hat sich im Völkermeer die Flut und Macht der Feinde wider unser Vaterland erhoben, um ihm den Untergang zu bereiten. In vielfacher Überzahl kamen sie zuhauf. […] Den wunderbaren Aufschwung, den Gott unser Volk während einer 43jährigen Friedenszeit auf allen Gebieten erleben ließ, die Führerrolle, die er uns nach und nach in Kunst und Wissenschaft, in Handel und Industrie anwies, mißgönnten sie uns und rüsteten heimlich zu einem vernichtenden Schlag. Nicht mit offenem Visier wagen sie zu kämpfen: Hinterlist, Treulosigkeit und Verrat, das sind ihre Waffen und als achten Bundesgenossen haben sie im Kampf wider uns die Großmacht der Lüge angerufen.«914

Das offizielle Mennonitentum identifizierte sich also voll und ganz mit dem kriegführenden Deutschen Reich und verwies zudem darauf, dass es in diesem Krieg auch selbst einen aktiven Beitrag leiste. In dem eben zitierten Bericht für das Jahr 1914 hieß es weiter: »Etwa zweitausend unserer Brüder stehen im Heeresdienst und fast jede Nummer unserer Blätter bringt eine Liste von Namen und dahinter den Vermerk: gefallen, verwundet oder vermißt!« Die Zahl der Kriegstoten stieg im ersten Kriegsjahr kontinuierlich an: Im Januar 1915 wurden in den Mennonitischen Blättern 25 Gefallene aus den Gemeinden namentlich erwähnt, im April waren es über 50, im August bereits über 100.915 In den Kriegsausgaben des mennonitischen Gemeindekalenders wurden die Getöteten als gefallene Helden geehrt, Porträts ergänzten die Angaben zu den bis Kriegsende zwischen 300 und 400 getöteten Soldaten aus mennonitischen Reihen, darunter 42 Offiziere.916 Wenn im Ersten Weltkrieg etwa 2 Prozent der deutschen 913 »Weihnachtgrüße« der Gemeinden Danzig und Krefeld, in: Mennonitische Blätter 62 (1915) 1 (Januar), S. 2–3, hier S. 2. 914 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof: Konferenz der Süddeutschen Mennoniten, Karton 16 (Berichte und Informationen), Mappe »Jahresberichte«: 12. Jahresbericht der Konferenz der Süddeutschen Mennoniten 1914. Vgl. auch den Jahres-Bericht der Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich für das Jahr 1914, Altona 1915. 915 In der Dezember-Ausgabe des Jahres 1915 (»Nachrichten aus den Gemeinden«, S. 96–97) wurde den Leserinnen und Lesern mitgeteilt, dass die »Soldatenliste« nicht fortgeführt werden wird, die Träger des Eisernen Kreuzes jedoch weiterhin genannt werden sollen. 916 Vgl. Ernst Crous: Die Wehrlosigkeit bei den deutschen Mennoniten, in: Der Mennonit 2 (1949) 3/4 (März/April), S. 30.

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Mennoniten getötet wurden917, dann stand dieser Wert etwa im gleichen Verhältnis wie die Gesamtzahl der Kriegstoten (geschätzt über 2 Millionen) zur Mehrheitsgesellschaft (etwa 65 Millionen bei der letzten Volkszählung vor dem Krieg im Jahr 1910).918 Wendet man sich den im Krieg stehenden jungen Mennoniten zu, so findet man Zeugnisse, die von Leid und Verzweiflung zeugen: »Ach! und des Würgens ist kein Ende«, schrieb beispielsweise der Mennonit Ulli Hirschler, der einem »Königlich bayerisch Reserve-Infanterie Regiment« angehörte am 13. September 1916 aus der Stellung seinem Vetter nach München.919 Von einem anderen Soldaten aus mennonitischer Familie ist ein Text überliefert, der auf eindrucksvolle Weise zeigt, wie in der Frage des Kriegsdienstes Risse quer durch die Familien gehen konnten. Daniel Lichti, 1892 geboren, wurde zunächst zum Unteroffizier, dann zum Leutnant befördert. Zwei seiner Brüder dienten in der gleichen Einheit. Einer von ihnen, Ulrich, starb am 22. August 1917, schwer verwundet, in Daniels Armen. Nach einem Sturmangriff an 31. Mai 1918 wurde Daniel »fahnenflüchtig«. In einem Brief an seinen Eltern vom 16. Juni 1918 versuchte Daniel sein Vorgehen zu begründen. »Liebe Eltern! Wieder einmal verursache ich Euch Kummer und Sorgen. Laßt Euch erzählen, wie alles kam, und dann urteilt. – Von Anfang an den Krieg als Blödsinn, ja gar mehr als Verbrechen betrachtend, habe ich in innerer Zerrissenheit nun seit 1914 diesen Krieg mitgemacht. Seit ich nun damals bei Verdun im Unterstande verletzt, und mehr noch, seit Ulrich so schwer verwundet in meinen Händen starb, bin ich im Artilleriefeuer furchtbar nervös. […] Es ist jetzt 14 Tage her, ich war bereit, wieder zur Truppe zu gehen; nachdem ich einigermaßen mich ausgeruht hatte, da kam mir plötzlich der Gedanke, heimzufahren, mich dem Gericht zustellen und den Heeresdienst zu verweigern. Trotz der Bedenken, daß ich vielleicht dann jahrelang im Gefängnis säße, fuhr ich zu Euch, fand aber, wie ich sah, wie vergrämt Ihr ausschaut, nicht den Mut, Vater um

917 Vgl. zeitgenössisch der Hinweis in dem Artikel von Christian Neff: Der Film »Friesennot« und die Mennoniten, in: Mennonitische Blätter 83 (1936) 3, S. 22, sowie Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, S. 189. 918 Vgl. zur Zahl der »gefallenen Soldaten« aus dem Deutschen Reich, 2 037 000 (Schätzung): https://de.statista.com/statistik/daten/studie/251868/umfrage/militaerische-verluste-im-er sten-weltkrieg-1914-bis-1918/ (Aufruf: 28. 08. 2020). Aufgrund der zum Teil ungenauen, lediglich geschätzten Zahlen lassen sich keine belastbaren Vergleiche herstellen. In der Tendenz aber gleichen sich die Verhältnisse: dem Anteil von etwa 2 Prozent getöteter mennonitischer Soldaten stehen im Blick auf die Gesamtbevölkerung auf der Grundlage der geschätzten Zahlen etwa 3 Prozent getöteter Soldaten gegenüber. Der Anteil der Mennoniten (etwa 20.000) an Gesamtbevölkerung (etwa 65 Millionen) entsprach 0,03 Prozent; der Anteil der gefallenen mennonitischen Soldaten (etwa 400) an allen Gefallenen (etwa 2 037 000) ca. 0,02 Prozent. 919 Postkarte von U. Hirschler an D. Dettweiler vom 13. 09. 1916, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Handakte Jochen Schowalter »NS-Tagung«.

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Rat zu fragen. Ich fuhr weiter nach Berlin mit der bestimmten Absicht, entweder nach Rußland zu entfliehen oder mein Leben abzuschließen. Ein Zurück war für mich ausgeschlossen, die Qualen wollte ich mir auf jeden Fall ersparen. Dank der miserablen Beaufsichtigung und Überwachung der deutschen Bahnen kam ich ohne Ausweis, nur mit dem Fahrschein bis Dünaburg und durch die Spree. Andernfalls hätte ich von meiner Pistole Gebrauch gemacht, da ich sicher berechtigt bin, die Kugel, die mir ein anderer ins Herz jagt, selbst auch gegen mich abzufeuern. Daß ich nie verstehen werde, wie Christen – sie behaupten doch alle, es zu sein – derart gegeneinander wüten, habe ich niemandem verhehlt. Ich kann mich vom rein menschlichen Standpunkt nicht in die Gedankengänge der meisten meiner Mitmenschen reindenken. Daher habe ich an dem ganzen Krieg immer unpersönlich, als ein anderes ›Ich‹ teilgenommen.«920

Aus dem Brief treten zwei für unseren Zusammenhang bedeutsame Aspekte hervor. Der Autor zeigt sich zermürbt von den grausamen seelischen Belastungen. Diese haben ihn offenbar dazu bewogen, nicht mehr an den Kriegshandlungen teilzunehmen. In diesem Zusammenhang thematisiert er ethische Fragen: Er begreift die Kriegshandlungen als Verbrechen und geht auch auf die religiösen Kontexte derer ein, die an unterschiedlichen Fronten am Krieg teilnehmen – und den christlichen Gott an ihrer Seite wähnen. Allerdings ordnet er seine Kritik nicht in einen spezifisch mennonitischen Zusammenhang ein; er argumentiert nicht, zumindest nicht in dem vorliegenden Briefauszug, dass er aufgrund eines der Wehrlosigkeit verpflichteten Gewissens aus dem Krieg fliehen müsse. Zweitens erscheint auch die mennonitische Familie nicht als der Ort, in dem seine Kriegsverweigerung aufgefangen wird. Seine Eltern missbilligten seine Fahnenflucht, auch als er später aus Russland nach Hause zurückkehrte.921 Diese beiden Aspekte verweisen auf einen größeren Zusammenhang. Wie aus dem zitierten Zeugnis hervorgeht, haben Mennoniten oder von einer mennonitischen Familie geprägte Männer durch den zermürbenden Krieg zu einer ablehnenden Haltung gegenüber dem Krieg gefunden. Allerdings lässt sich nicht feststellen, dass es bei und nach Kriegsende innerhalb der mennonitischen Gemeinschaft zu einem Wiederaufleben einer Friedensethik gekommen wäre, die den Waffendienst aus einem biblisch begründeten Pazifismus heraus abgelehnt hätte: »Der verlorene Krieg und seine Folgen führen jedoch weder beim deutschen Volk noch bei den Mennoniten zu einer Neubesinnung. Das eigene Versagen wurde beschönigt und die Niederlage dunklen Mächten in die Schuhe geschoben. Es war auch keine Rede davon, dass die Mennoniten etwa angesichts der Grabenkämpfe um Verdun, die über

920 Brief Daniel Lichti an seine Eltern vom 16. 06. 1918, zitiert nach Giselher Lichti: Fahnenflucht aus Gewissensnot, in: Mennonitisches Jahrbuch 88 (1988), S. 39–41, Zitat S. 39f. 921 Lichti, Fahnenflucht. Daniel Lichti wanderte 1924 nach Brasilien aus; er starb 1982.

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eine Million Tote auf beiden Seiten gefordert hatten, ihr Gewissen geprüft und in der Wehrfrage zu einer Neubesinnung auf das täuferische Erbe gefunden hätten.«922

Eine solche Diskussion wurde auch insofern nicht angeregt, als die Weimarer Republik als Folge des Versailler Vertrages keine allgemeine Wehrpflicht kannte923 – sich also Mennoniten mit einer entsprechenden staatlichen Forderung nicht auseinandersetzen mussten. Eine Erklärung, mit der die mennonitische Vereinigung 1933 versicherte, bei Wiedereinführung der Wehrpflicht keine Sonderrechte in Anspruch nehmen zu wollen, war somit eigentlich gar nicht notwendig – sie war aber mentalitätsgeschichtlich von Bedeutung, sowohl im Blick auf das ideelle Erbe als auch hinsichtlich der historischen Privilegien: Die Wehrlosigkeit der Mennoniten hatte sich normativ im staatlichen Handeln niedergeschlagen und musste deshalb, so meine Argumentation, seitens der Mennoniten durch einen symbolischen Akt ›rückgängig‹ gemacht werden. Vor diesem Hintergrund kann der Text – im übertragenen Sinne – als Aufhebungsvertrag gelesen werden, der gerade dann wichtig war, wenn dem neuen Staat Loyalität signalisiert werden sollte. Das offizielle Mennonitentum konnte damit unter Beweis stellen, dass es historisch in die »Volksgemeinschaft« hineingewachsen war.924 Daher musste es aber, so meine These, umso entschiedener an der Eidverweigerung festhalten und bis zum Letzten für die Beteuerungsformel kämpfen; auch wenn die Erfolge hier minimal und die erbetene Differenz im Sprechakt (geloben statt schwören) aus einer heutigen Distanz betrachtet merkwürdig gering erscheint. Handelte es sich neben der Glaubenstaufe doch um ein spezifisches konfessionelles Merkmal der mennonitischen Glaubensgemeinschaft, das ihre religiöse Identität seit jeher prägte – während sich die Glaubensgemeinschaft in anderen Fragen bereits seit längerem akkulturiert hatte. Der Kampf um die Beteuerungsformel und die ostentative, symbolische Aufgabe der Wehrpflicht waren in diesem Sinne eng aufeinander bezogen. Die Abkehr des offiziellen Mennonitentums von dem Prinzip der Wehrlosigkeit wurde im NS-Staat durchaus registriert. Der Chef der Gestapo, Heinrich Müller, verwies 1942 im Zusammenhang mit dem Widerstand der Zeugen Je922 Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, S. 189. 923 Vgl. Wolfram Wette: Deutsche Erfahrungen mit der Wehrpflicht 1918–1945. Abschaffung in der Republik und Wiedereinführung durch die Diktatur, in: Roland G. Foerster (Hg.): Die Wehrpflicht. Entstehung, Erscheinungsformen und politisch-militärische Wirkung, München 1994, S. 91–106. 924 So der Titel einer Schrift von Ernst Crous aus dem Jahr 1939: Wie die Mennoniten in die deutsche Volksgemeinschaft hineinwuchsen. Vortrag von Dr. Ernst Crous auf dem fünften Deutschen Mennonitentag. Sonderdruck aus dem 4. Jahrgang der Mennonitischen Geschichtsblätter, Karlsruhe 1939. Helmut Foth griff diesen Titel für seinen Aufsatz auf: »Wie die Mennoniten in die deutsche Volksgemeinschaft hineinwuchsen«. Foth, Geschichtsblätter.

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hovas beispielsweise darauf, dass die Mennoniten der Waffenlosigkeit den Rücken gekehrt hätten und für den Nationalsozialismus gewonnen werden konnten.925 Wie stark aber die Wirkungsmacht des ideellen Erbes der mennonitischen Wehrlosigkeit war, zeigte auf der anderen Seite ein Schreiben aus dem Sektenreferat des Sicherheitsdienstes der SS an das Rasse- und Siedlungshauptamt, in dem noch am 9. April 1938 darauf hingewiesen wurde, die Mennoniten stünden »durch ihre pazifistische und eidesgegnerische Einstellung in bewußtem Gegensatz zum Nationalsozialismus«.926 Betrachten wir jetzt, zweitens, die Erklärung und ihren unmittelbaren Entstehungs- und Wirkungszusammenhang etwas genauer. Sie wurde vom Kuratorium der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich ausgegeben, das turnusmäßig vom 22. bis 24. April 1933 in Berlin tagte, also kurz nach der nationalsozialistischen Machtübernahme.927 Referent dieses Tagesordnungspunktes (»Unsere Stellungnahme bei einer Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht«) war Gustav Kraemer (1863 bis 1948), Pastor der Mennonitengemeinde in Krefeld.928 »Diese Frage«, so lässt das Sitzungsprotokoll verlauten, »wurde lebhaft und in großer Einmütigkeit besprochen. Es wurde die Einordnung und der Dienst im Ganzen des Staates betont, von aller Vergöttlichung des Staates aber vom Evangelium aus Abstand gehalten. Bei der Einstellung zur Wehrpflicht, die im Wesentlichen bejaht wurde, wurde noch im Besonderen hervorgehoben, daß auch der, der um des Gewissens willen den Waffendienst nicht leisten könne, sich opfernd in das Ganze hineinstellen müsse (z. B. Sanitätsdienst in vorderster Front). Im Falle einer Wiedereinführung der Wehrpflicht wollen wir als Mennoniten keine besonderen Vorrechte mehr beanspruchen. Die letzte Entscheidung bleibt dem Einzelnen überlassen.«929 925 Gerald Hacke: Die Zeugen Jehovas im Dritten Reich und in der DDR. Feindbild und Verfolgungspraxis, Göttingen 2011, S. 195. 926 Der Reichsführer SS, Chef des Sicherheitshauptamt (SD-HA II) an den Reichsführer SS, Chef des Rasse- und Siedlungshauptamtes vom 09. 04. 1938, in: BArch R 187/267a. Dazu Hacke, Zeugen Jehovas, S. 195 (Fußnote 1008). 927 Dem Kuratorium gehörten im April 1933 an: Emil Händiges (1. Vorsitzender), Dr. Ernst Crous (2. Vorsitzender); Julius van der Smissen (Schatzmeister); er wurde in Aprilsitzung 1933 durch Hermann Schütt ersetzt; weitere Mitglieder waren: Dr. Christian Neff, Erich Göttner, Dr. Hendrik van Delden, Gustav Kraemer, Abraham Fast, Gustav Reimer; Gäste dieser Sitzung waren: Otto Schowalter (Altona), Benjamin H. Unruh, und von Berliner Mennonitengemeinde van Riesen, Penner, Wiens. Vgl. Tagung des Kuratoriums der »Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich« zu Berlin vom 22. bis 24. April 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 59–63, hier S. 60. 928 Tagesordnung der Kuratoriumssitzung vom 22. bis 24. April 1933, in: Mennonitischen Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Karton 33, Ordner 4 (Sitzung des Kuratoriums am 24. April 1933). 929 Sitzungsprotokoll Kuratorium der Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich am 24. 04. 1933; Teilnehmende: Emil Händiges, Christian Neff, Gustav Kraemer, Erich

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Der ausführliche Tagungsbericht, den der Vorsitzende der Vereinigung, Emil Händiges, auf der Grundlage des Protokolls von Erich Göttner verfasste und im Juni 1933 in den Mennonitischen Blättern publizierte, enthielt zudem noch eine normative, in Anführungszeichen gesetzte Passage, eingeleitet durch folgenden Satz: »Im allgemeinen darf über unserer Stellung gesagt werden, was bereits in vielen Satzungen unserer Gemeinden wie folgt zum Ausdruck kommt: ›Den Geboten Jesu Christi und seiner Apostel folgend trachten wir danach, soviel an uns ist, mit allen Menschen in Frieden zu leben; auch halten wir jeden Krieg für ein schweres Unglück, hoffen auf einen Zustand des Friedens unter den Völkern und sehen es als Pflicht jedes Christen an, zur Erreichung dieses Zustandes mitzuwirken. Jedoch entziehen wir uns der Uebernahme der allgemeinen Wehrpflicht n i c h t , weil wir dem Staate, dem wir angehören, und der uns schützt, schuldig sind m i t L e i b u n d L e b e n einzustehen.‹«930

Der Vereinigungs-Vorsitzende war offenbar eine Triebfeder der Stellungnahme zur »Aufgabe« der Wehrfreiheit.931 Mit dieser Veröffentlichung wurde die Haltung des offiziellen Mennonitentums innerhalb der Glaubensgemeinschaft ventiliert, sie sollte sich aber auch nach außen hin manifestieren. So legte der CoVorsitzende der Vereinigung, Dr. Ernst Crous, im Mai 1933 im Zusammenhang mit den Einigungsbemühungen (Zusammenschluss der verschiedenen mennonitischen Körperschaften) einen Bekenntnisentwurf vor, in dem es unter anderem hieß: »Wir bejahen den Staat, der uns als Menschen und in unserem christlichen Glauben schützt, und (hierin z. T. abweichend von unseren Vätern und unseren Brüdern in anderen Ländern) damit zugleich die Betätigung in diesem Staat durch die Uebernahme von Aemtern und – erforderlichenfalls – auch des Waffendienstes.«932 Auch dieser Text wurde später, nur leicht variiert, Göttner, Dr. Hendrik van Delden als ordentliche Kuratoriumsmitglieder, Abraham Fast, Hermann Schütt und Gustav Reimer als stellvertretende Mitglieder sowie Otto Schowalter als Gast, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Karton 33, Ordner 4 (Sitzung des Kuratoriums am 24. April 1933). 930 Tagung des Kuratoriums der »Vereinigung der Mennoniten-Gemeinden im Deutschen Reich« zu Berlin vom 22. bis 24. April 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 6 (Juni), S. 59–63, hier S. 62. Berichterstatter: E.[mil] H.[ändiges] »nach dem Protokoll von Br. [Erich] Göttner]«. 931 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 87. Vgl. dazu auch die ausführlichen Erläuterungen von Diether Götz Lichdi: Mennoniten im Dritten Reich. Dokumentation und Deutung, Weierhof 1977, S. 118–135. 932 Schreiben Ernst Crous an Christian Neff, Emil Händiges und Otto Schowalter vom 24. 05. 1933, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 7, Ordner 45: Briefwechsel 1933.

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veröffentlicht.933 Und schließlich wurde die Abkehr vom Prinzip der Wehrfreiheit in der Verfassung vom 11. Juni 1934 in Form von vorangestellten »Erläuterungen zur Geschichte« dokumentiert.934 Betrachtet man nun, drittens, die Rezeption dieser Stellungnahme der Vereinigungsspitze und allgemein die Diskussion dieser Frage bei anderen Akteursgruppen innerhalb der Glaubensgemeinschaft, ergibt sich ein etwas zwiespältiges Bild: Es scheint, als hätten vor allem Angehörige der älteren Generation in Süddeutschland und Ostpreußen mahnend den Finger gehoben; nicht unbedingt deshalb, weil sie grundsätzlich gegen die Wehrpflicht eingestellt waren, aber weil sie doch das Erbe der Väter bewahren wollten, mindestens in dem Sinne, als sich die Vereinigung schützend vor jene stellte, die daran aus Gewissensgründen nicht partizipieren konnten. Bevor wir fragen, ob es solche Mennoniten überhaupt gab, wollen wir die Argumente dieser Gruppe etwas genauer betrachten. Auf der »Lehrdienstversammlung der ehemaligen Westpreußischen Mennonitengemeinden« in Kalthof, Gasthaus Esau, gab es am 15. Juni 1933 in dieser Frage unter den 51 Teilnehmenden unterschiedliche Auffassungen. »Es soll abgewartet werden«, so hieß es im Protokoll, »wie die neue Regierung in Deutschland sich zu dieser Frage stellen wird.«935 Deutlicher noch artikulierte Heinrich Pauls aus Elbing seine Einwände gegen den offiziellen Kurs. Unter der Überschrift »Du sollst nicht töten!« beklagte er in den Mennonitischen Blättern im Sommer 1933, dass die Vereinigung den Grundsatz der Wehrfreiheit preisgegeben habe, auch wenn er selbst die Gründe, die für Wehrpflicht sprechen, gelten lasse; habe er selbst im I. Weltkrieg doch als Sanitäter an der Front gestanden. Aus seiner Sicht aber sei es notwendig, am Grundsatz der Wehrlosigkeit festzuhalten, um jenen ein Schutzschild zu bieten, die der Wehrpflicht aus Gewissensgründen nicht nachkommen konnten. »So rufe ich unsern Gemeinden zu: Halte was du hast, daß niemand deine Krone raube! Man muß Gott mehr

933 »Wir bejahen den Staat, der uns als Menschen und in unserem christlichen Glauben schützt, und (hierin z. T. abweichend von unseren Vätern und unseren Brüdern in anderen Ländern) damit zugleich die Betätigung in diesem Staat durch die Übernahme von Ämtern und – erforderlichenfalls – auch des Waffendienstes nach Maßgabe des mennonitischen Gewissens- und Glaubensprinzips.« Zur Kirchenfrage der deutschen Mennoniten [gezeichnet von Emil Händiges und Ernst Crous als Vorstand der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich«], in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 7/8 (Juli/August), S. 75– 76, S. 76. (Teil B, Punkt 5 der Stellungnahme). 934 Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden: Verfassung vom 11. Juni 1934, Elbing 1936. 935 Protokoll über die Lehrdienstversammlung der ehemaligen Westpreußischen Mennonitengemeinden, verhandelt Kalthof im Gasthause Esau, den 15. Juni 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 7/8 (Juli/August), S. 76–77, S. 76.

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gehorchen als den Menschen.«936 Auch auf der »außerordentlichen Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof« am 25. August 1933 gab es kritische Stimmen. Bei dieser Versammlung melden sich die ostpreußischen Landwirte Emil Siebert (Markushof) und Heinrich Wiehler (Thörichthof) zu Wort und »zeig[t]en Bedenken«. »Es seien auch jetzt noch viele, die aus wirklicher Glaubens- und Gewissensüberzeugung an diesem alten mennonitischen Grundsatz festhalten müssen. Auf diese müsse unbedingt Rücksicht genommen werden.« Sie wollten die Kabinettsordre aus dem Jahr 1868 in Kraft bleibend wissen. Schließlich wurde vereinbart, eine »Gewissenspassage« – die in der normativen Passage des publizierten Sitzungsberichts der Berliner Kuratoriumssitzung gefehlt hatte – an die Erklärung anzuhängen: »Wo daher das Vaterland die Pflicht des Militärdienstes fordert, da geben wir es dem Gewissen eines jeden anheim in welcher staatlich genehmigten Form er dieser Pflicht genügen will.«937 Damit zeigten sich die Kritiker zufrieden. Auf der anderen Seite aber scheint es insbesondere bei jüngeren Mennoniten, die von der erwarteten Wiedereinführung der Wehrpflicht ja vor allem betroffen waren, ein weit verbreiteter Wille zur Partizipation gegeben zu haben. Die offizielle Linie des Mennonitentums wurde innerhalb der jüngeren Generation zwar durchaus hinterfragt. So wurde ein Vortrag des Vikars Gerhard Hein »Friedensgesinnung und Wehrlosigkeit« vom 9. Juli 1933, der ganz auf der offiziellen Linie lag, nicht unwidersprochen hingenommen.938 Doch solche Gegenpositionen repräsentierten wohl lediglich eine Minderheit oder waren zumindest nicht auf eine grundsätzliche Abwehr von staatlichen Forderungen bezogen. Denn es sind keine mennonitischen Wehrdienstverweigerer bekannt – hingegen wissen wir von freiwilligen Meldungen von jungen Mennoniten zum Militärdienst.939 In einem öffentlichen Vortrag konnte der Vereinigungs-Vorsitzende Emil Händiges im Januar 1934 ausführen: »In der Frage des Wehrdienstes steht, wie die Erfahrung zeigt, unsere heutige Jugend begeistert in den Reihen der vaterländischen 936 Heinrich Pauls: Du sollst nicht töten!, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 7/8 (Juli/August), S. 76. Pauls spielt dabei auf Offenbarung 3,11 (»Ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme!«, Luther-Übersetzung 2017) und Apostelgeschichte 5, 29 an. 937 E.[mil] H.[ändiges]: Zur Kirchenfrage der Mennoniten. Bericht über die außerordentliche Zusammenkunft der Vorstände der Ost- und Westpreußischen und Freistaat-DanzigerMennonitengemeinden zu Kalthof am 25. August 1933, in: Mennonitische Blätter 80 (1933) 9 (September), S. 85–91, S. 87. 938 Vortrag von Gerhard Hein »Friedensgesinnung und Wehrlosigkeit« am 09. 07. 1933 in Rüdesheim, publiziert in der Mennonitischen Jugendwarte 13 (1933) 5 (Oktober), S. 104–113; die Zeitschrift gab auch Kritik Raum, die sich im Anschluss an den Vortrag bemerkbar gemacht hatte. 939 Vgl. Ernst Dettweiler: Wie ich das Friedenszeugnis der Glaubensväter erneut verstehen lernte, in: Mennonitisches Jahrbuch 88 (1988), S. 47–49.

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Bewegung […].«940 Und es überrascht vor diesem Hintergrund nicht, dass Dr. Ernst Crous im September 1935, also nach der offiziellen Einführung der Wehrpflicht im Deutschen Reich am 16. März 1935, in einem Brief äußerte: »Was den Gedanken der Wehrlosigkeit angeht, so scheint er fast überall bei uns erloschen zu sein, insbesondere auch in der Jugend. So hat die Vereinigung wohl davon absehen müssen, ihn noch als Grundsatz aufzustellen, und hat ihn nur noch in den geschichtlichen Erläuterungen berücksichtigt. Irgendwelche Schritte sind nur für den Fall beabsichtigt, dass doch noch einzelne Wehrpflichtige aus Gewissensgründen an ihm festhalten. Ein solcher Fall ist aber bis jetzt nicht an uns herangetreten.«941

Nichtsdestotrotz wurde dieser Frage bei jungen Mennoniten, zum Beispiel innerhalb der Jugend-Rundbrief-Gemeinschaft, kritisch erörtert.942 Bedenkt man, dass es sich dabei um eine Distanzierung von einem symbolischen Erbe (wenn auch schon länger nicht mehr: von einer geübten Praxis) handelte, kann dieser Umstand nicht verwundern; schließlich gab es Rechtfertigungsbedarf. Das galt insbesondere für junge Mennoniten, die an den Universitäten evangelische Theologie studierten, und sich in dieser Frage nun gegen das Erbe der »Väter« stellten. An den theologischen Fakultäten wurden junge Mennoniten in der Phase der »Machtergreifung« auf unterschiedliche Weise beeinflusst – nicht zuletzt waren sie dort zumeist einer Hitler-Begeisterung und Zustimmung zum NS-Staat ausgesetzt. An dieser Stelle möchte ich jedoch den Beweis führen, dass durch die universitäre Ausbildung des mennonitischen Pastorennachwuchses allgemein auch das täuferische Erbe dieser Glaubensgemeinschaft transformiert worden ist. So konnte die Kriegstheologie des Erlanger Universitätsprofessors Paul Althaus einen unmittelbar prägenden Einfluss auf das theologische Denken des Theologiestudenten und späteren Mennonitenpastors Paul Schowalter entfalten, der wiederum eine wichtige Stellung in der mennonitischen Rundbriefgemeinschaft einnahm. Der um 1910 geborene Paul Schowalter hatte sein Studium im Sommersemester 1932 aufgenommen und sich am 2. November 1933 für zwei Semester an der Universität Erlangen immatrikuliert. Bei Paul Althaus hörte er, laut seinen Belegungsbögen, im Wintersemester 1933/34 »Ethik der Ordnungen« sowie im folgenden Semester »Dogmatik I« und »Luthers Theologie«; zudem nahm er an

940 Öffentlicher Vortragsabend in Neuteich am 12. 01. 1934, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 2 (Februar), S. 16. 941 Schreiben Ernst Crous an Daniel Pohl vom 18. 09. 1935, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Unterlagen der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (bis 1934), Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden (ab 1935), Karton 2 (Briefwechsel 1935 März-Sept). 942 Vgl. Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, S. 192.

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dessen Apologetischem Seminar teil.943 Wie sehr sich der Student an Althaus und an Luther geschult hat, zeigt ein Beitrag in den Rundbriefen vom 3. September 1934, im dem er sich mit einem der zentralen mennonitischen und urtäuferischen Themen auseinandersetzt, der Wehrlosigkeit.944 Der junge Theologiestudent bejaht den Wehrdienst in einer fundierten, längeren Argumentation. Dabei lassen sich, vereinfacht, vier Argumentationsbereiche unterscheiden: Krieg sei, erstens, Bestandteil dieser Welt; zweitens ging es bei einem Wehrbeitrag aus christlicher Motivation nicht um die Vernichtung eines Feindes, sondern um Liebe zur Heimat; vorherrschend sei der Gedanke des Opfers; drittens bestehe hierzu eine aus dem Gehorsam gegenüber Gott resultierende Verpflichtung: »Der Krieg ist nicht die Welt Jesu, aber auch der Staat an sich ist sie nicht. Trotzdem hat uns Gott an den Staat gebunden wie wir überhaupt der Erde verhaftet bleiben.« Und: »Ist der Staat von Gott gesetzt zur Erhaltung der Ordnung und zur Verwaltung des Rechts, dann kann es für den Christen keine grundsätzlichen Bedenken geben an diesem Staate auch als Beamter mitzuarbeiten und ihn im Falle der Gefahr von außen zu schützen. Eine Verweigerung dieses Schutzes schließt ein eine Verletzung des Liebesgebotes gegenüber dem Nächsten und damit eine Verletzung des Gebotes, das der Liebe zu Gott zur Seite steht und mit ihm die Summe aller Gebote ausmacht.«

Die Bergpredigt lasse sich nicht auf »das Leben der Völker« beziehen, sondern auf das Leben »von Mensch zu Mensch«. Und ein grundsätzliches Tötungsverbot, das sich etwa auf die Zehn Gebote stütze, habe keine Gültigkeit, was die Todesstrafe oder Kriege im Alten Testament belegten. Viertens argumentiert er, dass »ein Staat […] nicht ohne Macht und Gewalt existieren« könne, »denn er muß das Böse strafen« und dabei bezieht er sich explizit auf Luther – und distanziert sich zugleich von den ›mennonitischen Vätern‹. Im Blick auf sein erstes Argument nun, Krieg sei Bestandteil dieser Welt, trug er eine ganz offensichtlich an Althaus orientierte Argumentation vor, wie dieser sie etwa in seinem anti-pazifistischen Aufsatz »Zum Problem des Krieges«, vertreten hat. »Ja selbst wenn dieser Fall [dass ein Volk in seiner Gesamtheit christlich sei] eintreten würde«, argumentierte Schowalter, »so wäre es bei dem Anspruch allen Lebens – und auch somit des Völkerlebens – sich selbst zu behaupten, das heißt aber gleichzeitig andere verdrängen, noch sehr fraglich, ob dauernder Friede auf der Erde herrschen könnte.« Und indem er den Pazifismus zurückweist, bezieht sich der Theologiestudent wörtlich auf Althaus, wenn der schreibt: »Politischer Pazifismus als Haltung eines ganzen Volkes ist eine Unmöglichkeit, weil er das Kampfgesetz der Geschichte leugnet.« Denn Althaus 943 Universitätsarchiv Erlangen [UEA] F1/4c Nr. 14 und 15. Ich danke dem Universitätsarchivar Dr. Clemens Wachter sehr herzlich für seine Auskunft vom 21. 04. 2015. 944 Mennonitische Forschungsstelle, Nachlass Theo Glück, Karton 1, Heft: Kreis 1, Heft 18 (August 34).

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hatte in seinem Text »Zum Problem des Krieges« formuliert: »Der Versuch, das Kampfgesetz der Geschichte mit dem Urabfall der Menschheit von Gott in Zusammenhang zu bringen, ist nicht haltbar.«945 Das Beispiel zeigt, dass die Rezeption von nationalprotestantischen Elementen zugleich eine regelrechte Distanzierung von Grundsätzen der mennonitischen Theologie einhergehen konnte. Paul Schowalter wurde 1940 eingezogen und ging, wie sein Sohn Rolf Schowalter anhand einer Korrespondenzanalyse belegen konnte, begeistert in den Krieg. Erst allmählich zeigte er Distanz sowohl zum Kriegsgeschehen als auch zu Elementen des Nationalsozialismus.946 In der Artikelfolge »Mennonit und Wehrwille« begründete ein anderer mennonitischer Theologiestudent, Dirk Cattepoel, an einer für die Glaubensgemeinschaft prominenten Stelle ebenfalls, weshalb es die Pflicht des Christen sei, am Wehr- und Kriegsdienst teilzuhaben.947 Anders als bei Schowalter zeigt seine Argumentation, wie die Transformation des täuferischen Erbes mitunter durch die Rezeption von liberal-bibelkritischen Positionen begründet wurde.948 Dirk Cattepoel, 1912 geborenen, studierte evangelische Theologie, u. a. an den Universitäten in Bonn, Marburg und Berlin. Die Frage »Darf ein Mennonit die Waffe führen?« war für ihn im Jahr 1934, also ebenfalls noch vor Einführung der allgemeinen Wehrpflicht, eindeutig zu beantworten949: »Wir müssen als Christen und Mennoniten die Waffe tragen, nicht, weil uns eine böse Obrigkeit dazu zwingt oder sich aus Mangel an Mut oder um des lieben Friedens willen leider nicht viel dagegen machen läßt, sondern weil wir als diesseitsbejahende Christen

945 Paul Althaus: Zum Problem des Krieges. Leitsätze und Erläuterungen, in: Ders.: Staatsgedanke und Reich Gottes, Langensalza (3. erw. Auflage) 1926, S. 58–108, S. 95. Vgl. hierzu: André Fischer: Zwischen Zeugnis und Zeitgeist. Die politische Theologie von Paul Althaus in der Weimarer Republik, Göttingen 2012, S. 552. 946 Rolf Schowalter: Paul Schowalter im Spiegel seiner Korrespondenz. Zwischen Anpassung und Skepsis, in: Kobelt-Groch/von Schlachta, Mennoniten, S. 108–128. 947 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, in: Mennonitische Blätter 81 (1934), 2 (Februar), S. 9–11; Nr. 3 (März), S. 23–25 (Fortsetzung 1); Nr. 4 (April), S. 33–35 (Fortsetzung 2), Nr. 5 (Mai), S. 42–44 (Fortsetzung 3 und Schluss). 948 Ernst Crous argumentierte 1939 rückblickend: »Die verschiedenen Richtungen der evangelischen Theologie fanden derart [durch die universitäre Ausbildung mennonitischer Theologen] schon viele Jahrzehnte hindurch von den Universitäten ihren Weg auch auf mennonitische Kanzeln, wie denn die einzelnen Gemeinden die Unterschiede innerhalb der großen Kirche innerhalb unserer kleinen gleichfalls widerspiegeln.« Ernst Crous: Wie die Mennoniten in die deutsche Volksgemeinschaft hineinwuchsen. Vortrag von Dr. Ernst Crous auf dem fünften Deutschen Mennonitentag. Sonderdruck aus dem 4. Jahrgang der Mennonitischen Geschichtsblätter, Karlsruhe 1939, S. 13. 949 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, in: Mennonitische Blätter 81 (1934), 2 (Februar), S. 9–11, hier: S. 10.

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unser Volk lieben, ihm dienen und für seinen Fortbestand und glückliche Entwicklung sei es auch mit dem Leben einstehen wollen.«950

Diese Haltung begründete Cattepoel theologisch mit einer den täuferischen Grundsätzen diametral entgegenstehende Sichtweise: Es sei notwendig, in der Botschaft Jesu zwischen überzeitlicher »Urwahrheit« und »Zeitbedingtem« zu unterscheiden: »Wir müssen deshalb, wenn wir von der christlichen Verkündigung eine Handhabe für uns in unserer Zeit erwarten, durch die unser Verhalten zur Wehrfrage bestimmt werden muss, zunächst aus der Aussage des Neuen Testaments das ausscheiden, was durch die Zeitlage und Zeitanschauung bedingt sein könnte, und das aufsuchen, was die christliche Verkündigung wirklich beinhaltet.«951

Im Gegensatz zu den »Vätern« war die Bergpredigt für Cattepoel zeitbezogen, nicht aber als ein Programm zu lesen.

Bruderhof Beim Bruderhof hingegen war die Frage der Wehrlosigkeit von zentraler Bedeutung und stellte eine nicht verhandelbare Glaubensüberzeugung dar. Wie hatten sich die Angehörigen der Gemeinschaft aber bei Wiedereinführung der Wehrpflicht konkret verhalten? In der Nacht von Samstag, dem 16. März, auf Sonntag, dem 17. März 1935, waren die Männer im wehrpflichtigen Alter auf unterschiedlichen, abenteuerlichen Wegen nach Liechtenstein geflohen952, was den hessischen Behörden nicht verborgen geblieben war. Am 25. April 1935 berichtete Landrat Dr. Burkhardt: »Die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht scheint sich auf dem ›Bruderhof‹ in der Gemeinde Veitsteinbach, der bekanntlich eine Gründung religiöser Sektierer auf rein pazifistischer Grundlage ist, dahin auszuwirken, daß die männlichen Mitglieder des Bruderhofes im wehrpflichtigen Alter, soweit sie die deutsche Reichsangehörigkeit besitzen, sich in immer stärkerem Maße auf den Filialhof der Bruderhofgemeinde im Fürstentum Liechtenstein begeben.«953

Manche Bruderhöfer waren später allerdings wieder in die Rhön zurückgekehrt. Im September 1936 wurden daher all jene wehrpflichtigen Männer, die sich auf 950 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, in: Mennonitische Blätter 81 (1934), 5 (Mai), S. 42– 44 (Fortsetzung 3 und Schluss), Zitate S. 43, 44 u. 45. 951 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, in: Mennonitische Blätter 81 (1934), 2 (Februar), S. 9–11, hier: S. 11. 952 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 292. Nauerth, Kirchenkampf, S. 185. 953 Bericht des Landrates des Kreises Fulda-Land, Dr. Burkhardt, vom 25. 04. 1935, in: Klein, Regierungsbezirk, S. 372–377, hier S. 377.

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dem Bruderhof aufhielten, vom Bürgermeister zur »Eintragung in die Wehrstammrolle« aufgefordert (es handelte sich um fünf Männer), was aber mit Hinweis auf die religiöse Überzeugung verweigert wurde.954 Es ist unklar, ob die kurz darauf erfolgte polizeiliche Razzia vom 7. Oktober 1936 indirekt mit dieser Weigerung in Verbindung stand, offiziell ging es um Ermittlungen im Zusammenhang möglicher ›Devisenvergehen‹.955 Jedenfalls wurde an diesem Tag kein Bruderhöfer verhaftet.956 Anfang 1937 gelang es einem Teil der Wehrpflichtigen von Deutschland nach England zu fliehen, wo der Bruderhof im März 1936 eine Filiale gegründet hatte.957 Zu diesem Zeitpunkt wurde hinter den Kulissen bereits über die Auflösung der Glaubensgemeinschaft gesprochen, es war das erklärte Ziel der Geheimen Staatspolizei.958 Schon im Jahr der »Machtergreifung« war die Gemeinschaft von der Gestapo beobachtet und bedrängt worden (siehe dazu das zweite Kapitel in diesem Teil der Studie); in den folgenden Jahren zogen die Behörden des NS-Staates die Schlinge um den Bruderhof immer enger. Nach der Schließung der Schule und dem Verbot des Gästeverkehrs war die Gemeinnützigkeit der Gemeinschaft aberkannt worden, die damit verbundenen Steuerbefreiungen fielen weg. Hypotheken wurden gekündigt, die Schuldenlast war erdrückend. Aus wirtschaftlicher Not musste der Bruderhof seine Druckerei verkaufen; die Verlagsarbeit ruhte und die Gemeinschaft war ganz von den Erzeugnissen der eigenen Landwirtschaft und Gärtnerei abhängig.959 Der polizeiliche Zugriff zog sich jedoch hin, ehe der Bruderhof, wirtschaftlich verarmt, am 14. April 1937 bei einer großen Razzia zerschlagen wurde, wobei neben Gestapo- und Ortspolizeibeamten auch etwa 50 SS-Männer beteiligt waren.960 Die Wehrdienstverweigerung der Gläubigen des Bruderhofes spielte als Ursache hierfür eine durchaus wichtige Rolle; der Vorwurf der »Waffenlosigkeit« war nur einer von mehreren, auf die sich die Behörden bei der Zerschlagung des

954 Schreiben des Bürgermeisters Zeiher an den Bruderhof vom 11. 09. 1936, zitiert nach Barth, Botschaftsbelagerung, S. 341. 955 Vgl. das Schreiben der Preußischen Geheimen Staatspolizei (Geheimes Staatspolizeiamt) an den Minister für kirchliche Angelegenheiten vom 26. 10. 1936, in: BArch R 5101/23410, Bl. 149–150, hier Bl. 149. 956 Vgl. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 342–345. 957 Ebd., S. 327. 958 Vgl. den Bericht (Schreiben) der Preußischen Gemeinen Staatspolizei (Geheimes Staatspolizeiamt) an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern vom 16. 06. 1936, in: BArch R 5101/23410, Bl. 131–138. 959 Vgl. den Adventbrief 1936 des Bruderhofes (Karl Keiderling), in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 22, Ordner 163. 960 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 354–362; James Irvin Lichti: Rhönbruderhof, in: MennLex V. URL: http://mennlex.de/doku.php?id=top:rhoenbruderhof&s[]=bruderhof (Aufruf 16. 01. 2017).

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Bruderhofes bezogen. In einer Übersicht zum Bruderhof wurde später im SDHauptamt festgehalten: »Die Gefährlichkeit dieser Bewegung in Deutschland lag – trotz der geringen Mitgliederzahl – in der ungehinderten Propaganda kommunistisch-pazifistischer Ideen unter religiösem Deckmantel. […] Die Einstellung der ›Hutterischen Brüder‹ zum nationalsozialistischen Staat war eine absolut negative und feindliche. Die wehrpflichtigen Mitglieder wurden vor ihrer Einberufung auf den ›Bruderhof Silum‹ in Liechtenstein abgeschoben, ebenso auch die schulpflichtig werdenden Kinder. Auf Grund dieser staatsfeindlichen Haltung wurden die ›Hutterischen Brüder‹ in Deutschland im April 1937 aufgelöst und verboten.«961

Die Angehörigen des Bruderhofes, die sich im April 1937 in der Rhön aufhielten, wurden aus dem Reich ausgewiesen, bis auf die Buchhalterin, die noch eine Zeit lang zurückbleiben musste.962 Überraschenderweise gehörten auch die noch auf dem Hof verbliebenen Wehrpflichtigen zu den Ausgewiesenen, was möglicherweise mit der Anwesenheit von zwei hutterischen Ältesten und deren beherztem Auftreten in Zusammenhang stand, die erst kurz zuvor aus Nordamerika in der Rhön eingetroffen waren, um ihren bedrängten Geschwistern in Deutschland beizustehen.963 Drei Vorstandsmitglieder des Bruderhofes, der deutsche Wehrpflichtige Karl Keiderling sowie die beiden Schweizer Hans Meier und Hannes Boller, wurden hingegen festgenommen und etwa zwei Monate lang inhaftiert, ehe sie nach Aufhebung der Untersuchungshaft konspirativ nach Holland entkommen und sich von dort nach England absetzen konnten.964 Im Folgenden möchte ich die entscheidende Entwicklung des Bruderhofes zwischen Sommer 1936 und Frühjahr 1937 etwas näher betrachten und dabei ein besonderes Augenmerk auf die staatlichen Wahrnehmungs- und Handlungsmuster legen. Die endgültige Zerschlagung des Bruderhofes hatte seinen Anfang spätestens in Frühsommer 1936 genommen: Am 16. Juni 1936 berichtete das Geheime Staatspolizeiamt an das Reichs- und Preußische Ministerium des Innern, dass die Staatspolizeileitstelle Kassel die Bruderhofgemeinde am 22. Mai 1936 unter die Lupe genommen und die Namen aller Mitglieder festgestellt habe, unabhängig davon, wo diese sich zu diesem Zeitpunkt gerade aufhielten.965 Im Geheimen 961 Stichwort: »Die ›Hutterischen Brüder‹ (auch: ›Hutterer‹ oder ›Huterer‹)«, in: BArch R 58/ 6036. 962 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 359f. 963 Nauerth, Kirchenkampf, S. 192. 964 Ebd. Barth, Botschaftsbelagerung, S. 367–371. 965 Bericht (Schreiben) der Preußischen Gemeinen Staatspolizei (Geheimes Staatspolizeiamt) an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern vom 16. 06. 1936, in: BArch R 5101/ 23410, Bl. 131–138. Der Vorgang war bereits von Karl Zehrer dokumentiert worden, der Zugang zu den seinerzeit in Potsdam lagernden, aber für die Forschung nicht zur Verfügung stehenden Akten des Reichskirchenministeriums hatte. Zehrer wertete diese Unterlagen für

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Staatpolizeiamt wurde der Fall in der Abteilung II 1 E bearbeitet, die für Wirtschaft, Agrar-, Sozialpolitik, Werkssabotage und Politische Vereine zuständig war, nicht etwa in der Abteilung B (Kirchen, »Sekten«) oder A (Kommunismus). Für den Bereich II 1 E verantwortlich war zu jener Zeit der machtbewusste SSFührer Heinrich Müller (Gestapo-Müller). »Es wäre völlig verfehlt«, so hieß es nun in dem Bericht an das Innenministerium, »in der Bruderhofgemeinde etwa eine Abart der evangelischen Kirche zu sehen. Der Bruderhof hat mit der evangelischen Kirche nicht das Geringste zu tun. Er lehnt jede Konfession ab. Zu seinen Mitgliedern zählen sowohl Evangelische als auch Katholische, Christen und Nichtchristen in buntester Mischung. Sie lehnen entschieden jeden Wehrwillen ab. […] Sie bestreiten weiter das unbedingte Vorrecht der Volksgemeinschaft und des Staates vor allen Belangen des Einzelnen, sie stehen im Gegensatz zu den nationalsozialistischen Rassegrundsätzen, im Zusammenhang damit natürlich auch im Gegensatz zu dem Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses u. a. mehr. Kurz, die Anschauung, die auf dem Bruderhof gelehrt und für die vom Bruderhof in Deutschland und im Ausland geworben wird, ist das Gegenteil des Nationalsozialismus.«

Des Weiteren wurde der Gemeinschaft vorgeworfen, dass die Werbung im Ausland dem Deutschen Reich schade; das Gut werde landwirtschaftlich nicht richtig bewirtschaftet (wie »von einem deutschen Bauer«). Überprüft werden könnte zum einen, ob Rauschgift im Spiel sei, denn es fällt bei den Gemeinschaftsangehörigen »der eigenartige Ausdruck der Augen auf«; und zum anderen, ob es im Ausland Verbindungen zum Kommunismus gebe (im Inland gebe es keine Beziehungen zur KPD). Der Bericht gipfelte schließlich in der Empfehlung: »Die Staatspolizeileitstelle Kassel ist der Meinung, dass es dringend erwünscht sei, eine Handhabe zu finden, um den Bruderhof endlich aufzulösen.«966 Der Reichs- und Preußische Minister des Innern leitete die Anfrage »zuständigkeitshalber« an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten weiter. Dort holte man zum einen eine Stellungnahme des Oberpräsidenten der Regierungsprovinz Hessen-Nassau ein und wandte sich zum anderen an Dr. Ernst Crous, um mehr über die Hutterer und den Bruderhof zu erfahren, »gegen dessen Betätigung mehrfache Bedenken erhoben worden seine Leipziger Habilitationsschrift (Diss. B) zu evangelischen Freikirchen im Nationalsozialismus aus; sie bildete die Grundlage für seine Monografie zum Thema, die 1986 zugleich in Ost-Berlin wie als Lizenzausgabe in Göttingen erschien: Zehrer, Freikirchen, S. 42–43, S. 153–155. Im Jahr 1977 bezog sich Zehrer auf diese Dokumente in einer längeren Rezension des Bandes von Lichdi, Mennoniten im Dritten Reich, erschienen in den Mennonitischen Geschichtsblättern 34 (1977), S. 114–119. Vgl. zu diesem Komplex in jüngerer Zeit besonders Nauerth, Zeugnis, insb. S. 124–161; sowie ders., Kirchenkampf. 966 Bericht (Schreiben) der Preußischen Gemeinen Staatspolizei (Geheimes Staatspolizeiamt) an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern vom 16. 06. 1936, in: BArch R 5101/ 23410, Bl. 131–138.

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sind«.967 Crous antwortete mit sachlichen Informationen, unterstrich, dass sich die deutschen Mennoniten von den Hutterern im Blick auf Wehrfreiheit und Gütergemeinschaft unterschieden, attestierte dem Bruderhof aber, »mit Aufrichtigkeit und Ernst um einen wahrhaft christlichen Wandel zu ringen.«968 Im Blick auf den Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau tröpfelte die Bitte um Stellungnahme zuerst den Instanzenzug hinunter und hinauf, so dass die Antwort des Kirchenministeriums an das Geheime Staatspolizeiamt etwas auf sich warten ließ. Als das Papier des Oberpräsidenten schließlich vorlag, bündelte es die Berichte des nachgeordneten Regierungspräsidenten sowie des Landrats von Fulda-Land. Landrat Dr. Hans Burkhardt war eine treibende Kraft bei der Verfolgung des Bruderhofes; er arbeitete der Gestapo vor Ort zu und forcierte den Verfolgungsprozess somit von der Peripherie aus: »Die in dem Bericht der Geheimen Staatspolizei erwähnte schlagartige Feststellung der Mitglieder des Bruderhofes war von mir veranlasst«, brüstete sich der Landrat gegenüber dem Regierungspräsidenten, also der hierarchisch übergeordneten Verwaltungsebene: »Der Bericht der Staatspolizeistelle vom 16. Juni ist eine Wiedergabe meines Schreibens an die Staatspolizeistelle Kassel vom 2. Juni 1936. Am Ende seines Berichts für den Regierungspräsidenten – zur Weitergabe an den Oberpräsidenten und den Preußischen Kirchenminister – fasste Landrat Burkhardt zusammen: Der Bruderhof habe »nichts mit den christlichen Religionsgemeinschaften zu tun«, auch wenn er, wie er bereits am Anfang seiner Stellungnahmen argumentiert hatte, durchaus »eine Gemeinschaft auf christlicher Grundlage sein [will], und zwar auf der Grundlage der Bergpredigt, der ›pfingstlichen Urgemeinde‹ der Apostelgeschichte«. Der Bruderhof lehne jegliche »konfessionelle Bindung zu irgend einer der vorhandenen christlichen Kirchen grundsätzlich ab.« Arnold und seine Familie habe er als Dissidenten bezeichnet. Es sei, so der Landrat in seinen Schlussfolgerungen weiter, »nicht mehr länger tragbar, daß in Deutschland eine Gemeinschaft besteht, deren Ziele das Gegenteil des Nationalsozialismus sind und die für diese Ziele durch Wort und Schrift wirbt. Von diesen Zielen nenne ich nur die grundsätzliche Verneinung des privaten Eigentums, die Verneinung der Blut- und Rassegesetze, die Waffendienstverweigerung.« Zudem würde sich »eine Anzahl der Mitglieder […] zum Kommunismus« bekennen und fänden auf dem abgelegenen Rhönbruderhof einen idealen »Schlupfwinkel«. Neben diesen sicherheitspolizeilichen Erwägungen seien ferne devisengesetzliche und mögliche Rauschgiftvergehen zu prüfen. Am Ende habe das »Vorgehen gegen den Bruderhof […] schlagartig [zu] erfolgen, jedoch erst 967 Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten an den Bibliotheksrat Dr. Ernst Crous (Entwurf) vom 29. 07. 1936, in BArch R 5101/23410, Bl. 141. 968 Ernst Crous an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 20. 08. 1936, in BArch R 5101/23410, Bl. 173–174, hier Bl. 174.

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nach vorhergehender, eingehender Fühlungnahme mit den Stellen, die die örtlichen Verhältnisse kennen«, womit er sich als Landrat respektive die ihm unterstellten Diensteinheiten erneut ins Spiel brachte. Der Regierungspräsident schloss sich im Oktober 1936 den Einschätzungen des ihm nachgeordneten Landrats an, legte dessen Bericht als Anlage seiner Stellungnahme für den Oberpräsidenten bei und fügte in seinem eigenen Bericht an den Oberpräsidenten zwei neue Akzente hinzu: Da es sich bei dem Bruderhof eben nicht »um eine christliche Religionsgemeinschaft im Sinne der christlichen Kirchen handle«, sondern es sich bei dessen Zielen »um rein staatspolitische Belange« handele »und nicht um kirchenpolitische Fragen«, bat der Regierungspräsident um »Nachprüfung, ob nicht das Geheime Staatspolizeiamt und der Herr Reichsminister des Innern zuständig« seien.969 Der zweite Aspekt betraf die Art und Weise der Verfolgungsmaßnahme: eine »Auflösung des Bruderhofes als staatsfeindliche Organisation« könne Proteste im Ausland hervorbringen – von dort seien »beträchtliche Vermögenswerte« eingebracht worden – und als Steilvorlage dafür dienen, aus den Bruderhöfern »Märtyrer um ihres Glaubens willen« zu machen. Es müsse, so der Tenor seiner Argumentation, eine elegantere Lösung gefunden werden, ohne das Potenzial für Verwicklungen oder Proteste. Das Regierungspräsidium schlug daher vor, den Bruderhof auf dem Wege der Enteignung gegen Entschädigung loszuwerden: »Wenn die Wehrmacht dann aus rein militärischen Gründen das Land des Bruderhofes gegen gesetzliche Entschädigung auf Grund des Landbeschaffungsgesetzes enteignet, dann dürfte dies auch aussenpolitisch gesehen die beste Lösung sein.« Ein solches Verfahren sei »nichts Ungewöhnliches«, auf diese Weise seien »für die Wehrmacht« schon »ganze Dörfer in der Rhön« umgesiedelt worden. »Sollten diese Bemühungen fehlschlagen, so bleibt immer noch die Möglichkeit eines rein politischen Einschreitens offen, insbesondere auch die Auflösung des Bruderhofes gemäß § 2 des Vereinsgesetzes, weil der Zweck des Vereins (Kriegsdienstverweigerung usw.) nach der deutschen Wehrauffassung den geltenden Strafgesetzen zuwiderläuft«. Das Oberpräsidium unterstützte den Vorschlag des Regierungspräsidenten.970 Von einer »Auflösung des Bruderhofes« hingegen bat er abzusehen. Das Reichsund Preußische Ministerium für die kirchlichen Angelegenheiten gab dem Oberpräsidenten am 13. Januar 1937 grünes Licht, in diesem Sinne zu verfah-

969 Bericht des Regierungspräsident (Berichterstatter: Regierungsassessor Grunewald i. V.) vom 17. 10. 1933 (Abschrift), gez. von Regierungspräsident von Monbart, in: BArch R 5101/23410, Bl. 200–203. 970 Der Oberpräsident der Provinz Hessen-Nassau an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten am 14. 12. 1936 (Berichterstatter Oberregierungsrat Heine), in: BArch R 5101/23410, Bl. 198–199.

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ren.971 Vorschlag und Vorgehen der Mittelinstanzen beziehungsweise des Kirchenministeriums sollten also nicht als Ausdruck von Wohlwollen gegenüber dem Bruderhof verstanden werden. Denn auch sie sprachen sich dafür aus, den Bruderhof loszuwerden. Diskutiert wurde die Frage der Art und Weise. Als die Gestapo im Frühjahr 1937 nicht länger gewillt war, die »Auflösung« des Bruderhofes aufzuschieben, spielten die Mittelinstanzen keine Rolle mehr. Das Geheime Staatspolizeiamt bat am 5. März 1937 das Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten um Zustimmung zu diesem Schritt. (Sachbearbeiter aus beiden Häusern, Dr. Wilhelm Altenloh von dem Gestapa und Dr. Werner Haugg vom Kirchenministerium, hatten sich zuvor bereits telefonisch abgestimmt.) Das Kirchenministerium gab sein Plazet, ohne vorher in Hessen ein Votum einzuholen. Es bat lediglich darum, den Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau darüber zu informieren.972 Durch eine Auflösungsverfügung vom 9. April 1937 der Geheimen Staatspolizei, Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Kassel, wurde der Bruderhof gemäß §§ 1 und 4 der Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat aus staatpolizeilichen Gründen aufgelöst.973 In einem Fernschreiben vom 12. April 1933 teilte die Staatspolizeistelle Kassel der Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Wiesbaden in Frankfurt am Main mit, dass dem Bruderhof am 14. April die »Auflösung« im Rahmen einer Razzia, einer »genauen Durchsuchung und Beschlagnahme saemtlicher Vermoegenstuecke«, eröffnet werde. Das Fernschreiben richtete sich an die »Ermittlungs- und Strafabteilung der Devisenstelle«, die gebeten wurde, an der Aktion teilzunehmen. Man werde sich am Morgen des 14. April um 9 Uhr im Landratsamt treffen, um dann im Verbund mit Gendarmerie und Angehörigen des Sicherheitsdienstes (SD) den Bruderhof aufzusuchen.974 Es war, das lässt sich daraus schließen, somit von Anfang an vorgesehen, dem Bruderhof Devisenvergehen, Betrug o. ä. anzulasten und ihn auch strafrechtlich schachmatt zu setzen. Es bedurfte somit keines Strategiewechsels weg von einer »Auflösung« auf der Grundlage der »Verordnung zum Schutz von Volk und Staat« hin zur Anklage »wegen finanzieller Misswirtschaft 971 Der Reich- und Preußische Minister für die kirchlichen Angelegenheiten an den Oberpräsidenten der Provinz Hessen-Nassau am 12. 01. 1937 (Entwurf), in: BArch R 5101/23419, Bl. 220. 972 Vgl. das handschriftliche Schreiben des Reichs- und Preußischen Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten (Sachbearbeiter Haugg) an die Geheime Staatspolizei vom 24. 03. 1937, in BArch R 510/23410, Bl. 230. 973 Vgl. das Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes an den Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 24. 05. 1937 nebst Abschrift der »Staatspolitischen Anordnung« vom 09. 04. 1937, in: BArch R 5101/23410, Bl. 236 u. 237. 974 Fernschreiben der Staatspolizeistelle Kassel an die Staatspolizeistelle für den Regierungsbezirk Wiesbaden in Frankfurt am Main vom 12. 04. 1933, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden 519/3 Nr. 16.656, Bl. 82 u. 83.

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und Betrugs«.975 Beide Elemente, so meine These, schlossen sich nicht aus, sondern sollten aus Gestapo-Sicht ineinandergreifen. Bis zur Auflösung des Hofes in der Rhön im April 1937 hatte es kurzzeitig drei Standorte des Bruderhofes gegeben; bald nach der Ausweisung aus dem Deutschen Reich gab die Gemeinschaft im März 1938 den Almbruderhof in Liechtenstein auf und sammelte ihre Mitglieder in England, ehe die deutschen Angehörigen der Glaubensgemeinschaft nach 1941 von dort nach Paraguay emigrierten.976 Der Schlag gegen den Bruderhof lässt sich in einen größeren Zusammenhang der »Auflösung« und Verfolgung kleinerer Glaubensgemeinschaften außerhalb der etablierten Kirchen einordnen, die aus Sicht der Geheimen Staatspolizei respektive des Sicherheitsdienstes der SS dem Nationalsozialismus auf eine staatsgefährdende Weise entgegenstanden. Der Fokus richtete sich zunächst vor allem auf die Zeugen Jehovas. Sie waren in Preußen bereits am 24. Juni 1933 verboten worden, reichsweit dann am 1. April 1935. Im folgenden Jahr, 1936, gingen die Zeugen Jehovas jedoch zum »offenen Gegenangriff« über und suchten durch umfangreiche Verteilaktionen von Flugschriften aufzurütteln und auf ihre Verfolgung aufmerksam zu machen.977 Die reichsweit und zeitgleich stattfindenden Aktionen vom 12. Dezember 1936 und 20. Juni 1937, bei denen Massen von Flugschriften verteilt wurden, waren »spektakulär«: »Während der ganzen NS-Zeit«, darauf hat Elke Imberger aufmerksam gemacht, »gab es in Deutschland keine andere Widerstandsaktion, die eine vergleichbare Initiative durchführte«.978 Die Gestapo regierte auf den Widerstand der Zeugen Jehovas mit brutaler Verfolgung in drei Phasen im »August/September 1936, März/April 1937 und August/September 1937«.979 Dabei wurden Angehörige der Zeugen Jehovas auch in Konzentrationslager verschleppt, gefoltert und kamen aus unterschiedlichen Gründen zu Tode. Aus Sicht der NS-Behörden mussten die Zeugen Jehovas somit als eine »Sekte« erscheinen, die sich zwar nach außen hin als unpolitisch gebärdete, sich aber den Forderungen des NS-Staates entgegenstellte – Verweigerung des Hitler-Grußes, Nichtbeteiligen an Wahlen, Wehrdienstverweigerung – und sogar in der Lage war, den NS-Staat propagandistisch herauszufordern. Es lässt sich anhand der ausgewerteten Unterlagen nicht belegen, inwieweit sich die spezifische Erfahrung der NS-Behörden mit den Zeugen Jehovas auf die 975 So Lichti, Rhönbruderhof, und Nauerth, der mit einem »Strategiewechsel« in situ argumentiert: Nauerth, Kirchenkampf, S. 192. 976 Barth, Botschaftsbelagerung, S. 325–328; S. 373. Lichti, Rhönbruderhof. 977 Garbe, Widerstand und Martyrium, S. 249. 978 Elke Imberger: Widerstand »von unten«: Widerstand und Dissens aus den Reihen der Arbeiterbewegung und der Zeugen Jehovas in Lübeck und Schleswig-Holstein 1933–1945, Neumünster 1991, S. 345. 979 Garbe, Widerstand und Martyrium, S. 266.

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Verfolgung und »Auflösung« von anderen kleinen Religionsgemeinschaften ausgewirkt hat, die aus Gestapo-Sicht die gleichen Merkmale aufwiesen: War die Verfolgung jener Glaubensgemeinschaften, die sich unauffällig verhielten, von denen aber bekannt war, dass sie sich den genannten Loyalitätsforderungen (Wehrdienst, Hitler-Gruß) nicht unterwarfen, auch eine Reaktion auf die Erfahrungen mit den Zeugen Jehovas? Wenn diese Frage im Rahmen meiner Studie zwar nicht beantwortet, sondern nur als eine vielleicht forschungsstimulierende Hypothese formuliert werden kann, so ist jedenfalls auf der deskriptiven Ebenen festzuhalten, dass die Geheime Staatspolizei als Teil einer neu geschaffenen Sonderbehörde, gerade um 1936/1937 zahlreiche »Sekten« »auflöste« und dabei auch das Glaubensleben von eben solchen Gemeinschaften zerstörte, die sich in den oben genannten Punkten den Ansprüchen des NS-Staats widersetzen. Das gilt beispielweise für eine Bewegung außerhalb des adventistischen Hauptstromes, der »Siebenten-Tags-Adventisten, Reformbewegung«, die am 29. April 1936 verboten wurde (später wurden noch andere adventistische Nebenströmungen »aufgelöst«: am 19. April 1937 die »Siebenten-Tags-Adventisten vom III. Teil«; am 18. Dezember 1941 die »Siebenten-Tags-Adventisten, Laubhüttenbewegung«)980; »von 1935 bis Mitte des Jahres 1937 wurden ungefähr dreißig religiöse Gemeinschaften verboten«, wobei, wie James Irvin Lichti unterstrich, die Zerstörung des Bruderhofes »in der Mitte einer dreimonatigen Periode« lag, »in der dreizehn ›Sekten‹ verboten wurden, davon fünf allein im April.«981 Wichtig war, dass die Zerschlagung dieser Glaubensgemeinschaften als Antagonisten des NS-Staates auf der Grundlage der Reichstagsbrandverordnung erfolgte, während zugleich Wert darauf gelegt wurde, dass die etablierten Freikirchen als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht angegriffen würden, insofern – aus Sicht des Kirchenministeriums – Religionsfreiheit herrsche. »Ungeachtet der in Deutschland bestehenden absoluten Glaubens- und Gewissensfreiheit«, so der Freikirchenreferent im Kirchenministerium Werner Haugg, »können Religionsgemeinschaften doch dann kein Lebensrecht für sich in Anspruch nehmen, wenn ihre ›religiöse‹ Lehren in Wirklichkeit volks- und staatsgefährdenden Charakter haben.«982 Die um 1937 verbotenen Glaubensgemeinschaften waren jedoch sehr heterogen983 – und nicht immer standen sie dem NS980 Garbe, Widerstand und Martyrium, S. 119, Fußnote 140. 981 Lichti, Rhönbruderhof. 982 Werner Haugg: Das Reichskirchenministerium für die kirchlichen Angelegenheiten, Berlin 1940, S. 30. 983 Vgl. John S. Conway: Die nationalsozialistische Kirchenpolitik 1933–1945. Ihre Ziele, Widersprüche und Fehlschläge, München 1969, S. 217. Werner Weber: Die kleinen Religionsgemeinschaften im Staatskirchenrecht des nationalsozialistischen Regimes [1955], in: Ders.: Staat und Kirche in der Gegenwart. Rechtswissenschaftliche Beiträge aus vier Jahrzehnten, Tübingen 1978, S. 226–240, hier: 234–236.

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Staat auch tatsächlich feindlich gegenüber; das trifft für einen Zweig der freikirchlichen Brüderbewegung, die »Christliche Versammlung«, zu, die am 13. April 1937 mit Erlass des »Reichsführers SS und Chef der Deutschen Polizei im Reichsministerium des Innern« verboten wurde. Tatsächlich waren diese »Brüder« nicht gegen den NS-Staat eingestellt und konnten sich später mit staatlicher Genehmigung neu formieren.984 Das offizielle Mennonitentum hat sich mit dem aus dem Deutschen Reich vertriebenen Bruderhof nicht solidarisiert. Als Zeitungen aus der Schweiz und den Niederlanden im April 1937 darüber berichteten, »Mennoniten« seien aus Deutschland vertrieben worden, wurde das von führenden Mennoniten in einer öffentlichen Stellungnahme zurückgewiesen: Es habe sich bei der Ausweisung nicht um Angehörige der mennonitischen Glaubensgemeinschaft gehandelt.985 Der mennonitische Gelehrte Benjamin Heinrich Unruh wies in einem Schreiben vom 6. Mai 1937 an Legationsrat im Auswärtigen Amt Ernst Kundt die publizierten Artikel mit folgender Begründung als Agitation zurück: »Das konfessionelle Gesicht des deutschen Mennonitentums ist rein und klar. Hierüber habe ich mich in meiner Ihnen zugegangenen kirchengeschichtlich-dogmatischen ›Auskunft‹ erschöpfend geäussert. Die deutschen Mennoniten haben, worüber der Vorstand der Vereinigung die nötigen Unterlagen vorstellen kann, schon immer und vor allem auch während des Weltkriegs grösste Opfer an Blut und Leben für das Vaterland gebracht und viele ihrer führenden Männer stehen, worauf ich auch schon in der ›Auskunft‹ aufmerksam gemacht habe, als sehr frühe Kämpfer in der nationalsozialistischen Bewegung mitten drin. Die mennonitische Jugend ist ausnahmslos, vielfach in führender Stellung, den Hitler-Organisationen eingegliedert. Die deutschen Mennoniten stehen treu und fest zu ihrer kleinen, ehrwürdigen Freikirche, aber auch treu und fest zu Volk, Staat und Führer.«986

984 Vgl. Andreas Liese: Weder Baptisten noch Brüder. Die Entstehung des Bundes EvangelischFreikirchlicher Gemeinden, in: Freikirchenforschung 18 (2009), S. 102–127, hier: S. 104. Ders., Religionspolitik, S. 207. 985 Vgl. dazu die Unterlagen in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Neff, Karton 22, Ordner 163. James I. Lichti hat die mennonitische Reaktion auf die Vertreibung des Bruderhofes ausführlicher aufgearbeitet. Vgl. Lichti, Stellungnahmen. Ders., Pacifist Denominations. Vgl. dazu Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart. 986 Schreiben Unruh an Kundt vom 06. 05. 1937, in: Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA), RZ 512/R 127972 d.

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Baptisten Bei den Baptisten stellte die Wehrdienstfrage traditionell kein theologisches Problem dar. Der während des Ersten Weltkrieges »Gefallenen« wurde in einem Gedenkbuch gedacht.987 Nach Kriegsende hatte es zwar auch kritische Perspektiven auf den Krieg als Heimsuchung Gottes gegeben988, zu einer grundsätzlichen theologischen Neubewertung der Wehrdienstfrage im Sinne der historischen Täufer und deren Verständnis der Bergpredigt war es zu keinem Zeitpunkt gekommen. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht im Deutschen Reich war somit kein Grund, die Loyalität zum Staat in Frage zu stellen. Allerdings finden wir das Einzelzeugnis eines Christen, der von diesem offiziellen Kurs aus Gewissensgründen abgewichen ist und seine Überzeugung, die Verweigerung des Kriegsdienstes, mit dem Tode bezahlte: Alfred Herbst.989 987 Gedenkbuch an die in dem Weltkriege gefallenen Mitglieder der deutschen Baptistengemeinden. Zusammengestellt und bearbeitet von Benjamin Schmidt, Kassel 1919. 988 In einem Bericht des Missionskomitees der Rheinisch-Westfälischen Vereinigung über das Konferenzjahr 1918/19 (von Br. de Haan verlesen), hieß es: »Unsere vier letzten Konferenzen standen unter dem Zeichen des Schwertes, dessen Schärfe wohl alle Gemeinden im einzelnen, wie auch unser gesamtes Werk in der Vereinigung übergenug schmerzlich empfunden haben als eine gewaltige Heimsuchung. Wieviel junges Leben und volle Manneskraft, Gut und Blut ist geopfert in dem schrecklichsten aller Kriege, die je über unser Vaterland hereingebrochen sind! Wir beweinen die Erschlagenen unseres Volkes und bedauern, daß so viele mit zerbrochenen Gliedern und geknickter Gesundheit jetzt ihr junges Leben fristen müssen. Die Folgen des Krieges sind nach allen Seiten unermeßlich schwer und hart, und unser Los ist durchaus kein beneidenswertes.« Bericht der Konferenz der Rheinisch-Westfälischen Vereinigung gehalten am 12. August 1919 in Gelsenkirchen [Drucksache Kassel], in: Oncken-Archiv Elstal, F Rheinisch-Westfälische Vereinigung, Karton 1. 989 Das Schicksal von Alfred Herbst wurde bereits von Gottlob Schmid erwähnt (Die Geschichte der Baptistengemeinde Schriesheim und ihrer Nachbargemeinden [Schriesheim, 1981], S. 145–147), ist vor allem aber durch eine von Jost Müller-Bohn 1984 besorgte Herausgabe von knapp zwei Dutzend Briefen von Herbst bekannt geworden, die er zwischen dem 07. 04. 1943 und dem 20. 07. 1943 aus der Haft an seine Ehefrau sowie an seine Tochter gerichtet hat (Jost Müller-Bohn: Letzte Briefe eines Wehrdienstverweigerers 1943, Lahr 1984). Auf die Publikation von Müller-Bohn bezogen sich später Albrecht Hartmann und Heidi Hartmann (Kriegsdienstverweigerung im Dritten Reich, Frankfurt 1986, S. 10 u. 11) sowie Manfred Messerschmidt, der sogar seinen Aufsatz mit einem Herbst-Zitat eröffnet, auf dessen Schicksal dann aber nicht näher eingeht (Manfred Messerschmidt: Das Reichskriegsgericht und die Verweigerer aus Gewissensgründen, in: Ernst Willi Hansen, Gerhard Schreiber und Bernd Wegner [Hg.]: Politischer Wandel, organisierte Gewalt und nationale Sicherheit. Beiträge zur neueren Geschichte Deutschlands und Frankreichs. Festschrift für Klaus-Jürgen Müller, München 1995, S. 369–384.) Nach Müller-Bohn war es aber Karsten Bredemeier, der sich in seiner Dissertation mit dem Gewissen von Kriegsdienstverweigerern eingehender mit der Biografie von Alfred Herbst befasst hat; er konnte dabei auf zusätzliche Quellen aus dem Nachlass von Herbst zurückgreifen (Karsten Bredemeier: Kriegsdienstverweigerung im Dritten Reich. Ausgewählte Beispiele, Baden-Baden 1991). Einen Überblick bietet HansVolker Sadlack in dem Band »Ihr Ende schaut an …« Evangelische Märtyrer des 20. Jahrhunderts. Herausgegeben von Harald Schultze und Andreas Kurschat unter Mitarbeit von

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Alfred Herbst wurde 1906 in Schriesheim (bei Heidelberg in Baden-Württemberg) geboren und wuchs in einer baptistischen Familie auf; im Alter von 12 Jahren wandte er sich bewusst dem Glauben zu, ließ sich im Alter von 16 Jahren taufen und wurde Mitglied in der Baptistengemeinde in Schriesheim.990 Nach einer Lehre zum Chirurgie-Mechaniker arbeitete Herbst, da er in seinem Beruf keine Anstellung fand, seit 1927 als Elektromonteur bei der Stuttgarter Firma Gas & Wasser in Stuttgart. Im gleichen Jahr wechselte er zur dortigen großen Baptistengemeinde. Er heiratete 1935 eine Frau, die er in der Stuttgarter Gemeinde kennengelernt hatte und wurde im folgenden Jahr Vater einer Tochter.991 Nach dem Machtantritt der Nationalsozialisten fiel Alfred Herbst durch das nonkonforme Verhalten auf, den Hitler-Gruß zu verweigern und die Hakenkreuzfahne nicht zu hissen.992 Zu Schwierigkeiten kam es aber auch in der Baptistengemeinde. Herbst nahm Anstoß daran, dass »Gemeindeglieder in S.A.Uniformen das Abendmahl austeilten« und verließ die Gemeinde.993 Später gab Herbst als Grund für seine Trennung von der Baptistengemeinde gegenüber der staatlichen Seite, dem Reichskriegsgericht, an, dass sie »nach seiner Meinung

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Claudia Bendlick, Leipzig 2006, S. 305–307. Auch Marcus Herrberger geht nur kurz auf Herbst ein, nutzt, im Gegensatz zu den bisherigen Studien, mit dem Feldgerichtsurteil aber eine zusätzliche Quelle. Im Rahmen meiner Studie beziehe ich mich auf die bisherige Forschung, wobei ich die bisher genutzte Materialbasis noch einmal erweitern konnte, etwa mit Quellen aus dem Nachlass von Alfred Herbst, der in den Händen seiner Tochter Sonja und ihres Ehemanns liegt. Mit ihnen habe ich mich am 30. 12. 2014 zu einem Gespräch getroffen, Für ihre Offenheit, konstruktive Hilfsbereitschaft und warmherzige Freundlichkeit danke ich sehr herzlich. Die zur Verfügung gestellten handschriftlich verfassten Quellen sind zum Teil nur schwer zu entziffern. Der Mühe der Transkription hat sich mein Vater Helmut Baumann in Verbindung mit meinem Bruder Dr. Thomas Baumann unterzogen. Für diese Arbeit, von unschätzbarem Wert, bin ich sehr dankbar. Vgl. undatierten Lebenslauf aus der Feder von Alfred Herbst im Besitz der Familie. Sowie die Begründung des Feldurteil des Reichskriegsgerichts, 1. Senat, vom 25. 06. 1943, in: Vojenský ústrˇední archiv Praha (Militärhistorisches Archiv Prag), RKG, Urteil Alfred Herbst. Ich danke Mgr. Miroslav Jelen vom Archiv sowie Zdenek Hartmann, Prag, für die Vermittlung sehr herzlich. Müller-Bohn, Briefe, S. 16. Bredemeier, Kriegsdienstverweigerung, S. 110. So Bredemeier, Kriegsdienstverweigerung, S. 110. Herbsts ablehnende Haltung gegenüber Hitler-Gruß und Hakenkreuzfahne wird von seiner Tochter in einem Erinnerungsbericht bezeugt. Bredemeier erläutert, dass Herbst deswegen mehrfach zur Gemeindeverwaltung zitiert und verwarnt worden sei. Im Stadtarchiv Weinstadt, das für Endersbach zuständig ist, wohin A. Herbst 1935 zog, finden sich hierüber allerdings keine Nachweise im Gemeindeprotokoll (Register Stichworte »Herbst«, »Hitlergruß« oder »Hakenkreuzfahne«) beziehungsweise in den Sachakten der Gruppe »Öffentliche Sicherheit und Ordnung«. Haben sich die Vorfälle in Endersbach abgespielt, dann wurden sie entweder nicht protokolliert oder es sind Akten nach Kriegsende vernichtet worden. (Freundliche Auskunft von Dr. Bernd Breyvogel an den Autor vom 07. 11. 2014). Bredemeier, Kriegsdienstverweigerung, S. 110.

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nicht streng genug die Lehren der Bibel beachtete«.994 Im Rückblick auf das Gemeindeleben im Jahr 1934 wurde seitens der Freikirche bedauert, dass sich A. Herbst von der Gemeinde getrennt habe; im Mitgliederverzeichnis wurde dann für den 3. Februar des folgenden Jahres 1935 vermerkt, dass Herbst aus der Mitgliederliste gestrichen worden sei.995 Alfred Herbst versammelte sich nun mit anderen Glaubensgeschwistern im kleinen, privaten Rahmen. Richtig ist also, dass Herbst von nun an nicht mehr offiziell einer baptistischen Gemeinde angehörte, was in Teilen der Literatur nicht richtig dargestellt wird. Anders als Bredemeyer in seiner verdienstvollen Analyse zu Herbst meint, erfolgte seine Trennung aber nicht erst nach Beginn des Zweiten Weltkrieges, sondern schon lange davor. Festzuhalten ist allerdings auch, dass Herbst nicht etwa aus generellen Erwägungen mit dem Baptismus grundsätzlich gebrochen hätte. In einem Brief aus Lübeck, wo er sich aus beruflichen Gründen aufhielt, berichtete Herbst am 8. Juli 1942, dass er »bei lieben Geschwistern der Bap. Gemeinde ein Zimmerchen zur Verfügung gestellt bekam u. somit auch Familien-Anschluss« fand. Er berichtete weiter, dass er an zwei Sonntagen sogar in der dortigen Baptistengemeinde predigte.996 Alfred Herbst war für die Wehrmacht unabkömmlich gestellt; sein Arbeitgeber setzte ihn mit der Instandsetzung von durch alliierte Luftangriffe zerstörte Infrastruktur ein.997 Am 26. März 1943 wurde er allerdings zum »Maschinengewehr-Ersatz-Bataillon 4« nach Horb einberufen.998 »Er leistete dem Gestellungsbefehl Folge«, so hieß es später im Feldurteil des Reichskriegsgerichts, »war aber von vornherein entschlossen, den Fahneneid nicht zu leisten.« Das machte Herbst am ersten Tag gegenüber seinem Rekrutierungsoffizier und kurz darauf seinem Kompaniechef deutlich. Er könne aus Gewissensgründen »keine Waffe in die Hand nehmen«. »Am 1. 4. 1943 wurde er zu seinem jetzigen Truppenteil [4. Panzer-Ausbildungs-Abteilung 7 in Böblingen] versetzt. Dort erklärte er, als die Vereidigung stattfinden sollte, dass er den Fahneneid nicht leisten werde und zu keinem Wehrdienst bereit sei. Bei 994 Begründung des Feldurteils des Reichskriegsgerichts, 1. Senat, vom 25. 06. 1943, in: Vojenský ústrˇední archiv Praha (Militärhistorisches Archiv Prag), RKG, Urteil Alfred Herbst. 995 Vgl. W. Grimm und W. Priebe: Rückblick auf 1934, in: Jahrbuch 1934 der Baptistengemeinde zu Stuttgart (E.V.) [Stuttgart 1935], S. 2–5, hier S. 5, sowie das Mitgliedsverzeichnis (Buch) der Gemeinde, in: Archiv der Evangelisch-Freikirchlichen (Baptisten-) Gemeinde Stuttgart e.V. (Bethelkirche) in der Forststraße. Ich danke Pastor Thorsten Graff für seine Unterstützung sowie dem für das Gemeindearchiv zuständigen Ehepaar Hähnel für die überaus freundliche Betreuung herzlich. 996 Brief von Alfred Herbst an Emma und Hilde vom 06. 07. 1942; Privatbesitz der Familie. 997 Vgl. das Schreiben der Firma Gas & Wasser An Elise Herbst vom 09. 11. 1945; Privatbesitz der Familie; sowie den Erinnerungsbericht der Tochter. 998 Feldurteil des Reichskriegsgerichts, 1. Senat, vom 25. 06. 1943, in: Vojenský ústrˇední archiv Praha (Militärhistorisches Archiv Prag), RKG, Urteil Alfred Herbst.

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seiner Einstellung verblieb er auch, als er von seinem Kompaniechef, am 7. 4. 1943 vom Gerichtsoffizier, am 10. 5. 1943 von Gericht der Panzerdivision Nr. 155 und am 3. 6. 1943 vom Untersuchungsführer des Reichskriegsgerichts vernommen wurde. Bei diesen Vernehmungen erklärte er, er könne es nicht mit seinem Gewissen vereinbaren, auf andere Menschen zu schiessen, da es für ihn keine Feinde gebe; sein Seelenheil stehe ihm höher als die Existenz seiner Angehörigen und seines Volkes; er verweigere, da sie Lehren der Bibel es verböten, jeden militärischen Dienst an der Front oder in der Heimat; wenn ihm sein Verhalten den Kopf kosten würde, so finde er sich damit ab.«999

Alfred Herbst war zunächst in militärischen Arrest gekommen, dann in Untersuchungshaft des Kriegsgerichts in Ludwigsburg und schließlich nach Berlin überstellt worden, wo sein Verfahren vor dem Reichskriegsgericht geführt wurde. In der Hauptverhandlung erklärte Herbst, es »sei sein unerschütterlicher Glaube, dass er im Sinne Gottes handle, wenn er den Wehrdienst verweigere; er habe nach besten Kräften zu Gottes Ehre seiner Pflichterfüllung gelebt und dadurch dem Volke zu dienen gesucht; er wisse, dass ihn die Todesstrafe erwarte, er wolle sie auf sich nehmen, wenngleich er keineswegs wünsche, den Tod zu erleiden.«1000 Am 25. Juni 1943 wurde Alfred Herbst vom 1. Senat des Reichskriegsgerichts wegen Zersetzung der Wehrkraft zum Tode verurteilt. Vollstreckt wurde das Urteil im Zuchthaus Brandenburg-Görden am 20. Juli 1943 durch das Fallbeil.1001 Wir verfügen leider über wenig schriftliche Quellen, die von der inneren Entwicklung Alfred Herbsts in den Jahren 1933 bis 1943 zeugen, oder gar die noch länger zurückliegenden Anfangsgründe seiner Glaubensüberzeugungen beleuchten. Glücklicherweise sind aber zumindest etwa zwei Dutzend Briefe erhalten geblieben und veröffentlicht worden, die Alfred Herbst zwischen dem 7. April 1943 und 20. Juli 1943 an seine Ehefrau und Tochter gerichtet hat. Außerdem befinden sich in den Händen seiner Tochter noch einige wenige weitere Dokumente, darunter beispielsweise eine handschriftlich niedergelegte theologische Betrachtung und eine Art Abschiedsbrief an seine Glaubensgeschwister. Die eben genannten Dokumente sind nicht datiert, zumindest der »an alle« überschriebene Text wurde allem Anschein nach in der Haft verfasst, womöglich handelt es sich um einen Kassiber. Auf der Basis dieser Quellen möchte ich abschließend drei Elemente des Denkens von Alfred Herbst akzentuieren, die im Rahmen meiner Studie und ihren vergleichenden Ansätzen von Bedeutung sind – ohne damit den Anspruch zu verbinden, seine Prägungen, Denken und Wirkungen insgesamt zu durchdringen und umfassend zu würdigen. Erstens: Alfred Herbst sah sich als Nachfolger Christi dem Reich Gottes zugehörig, mit dem die diesseitige Welt im Streit liege. Hierin lassen sich Parallelen 999 Ebd. 1000 Ebd. 1001 Vollstreckungsliste, in: Vojenský ústrˇední archiv Praha (Militärhistorisches Archiv Prag) Vollstreckungsliste – Alfred Herbst.

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zum Denken von Arnold und den Bruderhöfern erkennen. Mit Christus sah sich Alfred Herbst unauflöslich verbunden, begriff sich als »bluterkauft«.1002 Nachfolge war somit immer auch eine Loyalitätsfrage, sofern von Gesellschaft oder Staat Dinge gefordert wurden, die er nach seinem Gewissen und Verständnis der Bibel als falsch und antichristlich erkannte. »Der erlöste Mensch hat seinen Herrn gewechselt«, formuliert Alfred Herbst in einer undatierten theologischen Betrachtung.1003 Dieser Loyalität gegenüber Christus wurde erste Priorität eingeräumt, also auch höher gewertet als seine Verpflichtungen gegenüber der Familie oder der Verpflichtung gegenüber staatlichen Forderungen.1004 Er musste, so schrieb Alfred Herbst kurz vor seiner Hinrichtung an seine Frau, »Gott mehr gehorchen als den Menschen«.1005 Zweitens: Für Alfred Herbst hatte das Liebesgebot aus der Bergpredigt (und anderen Teilen der Bibel) im Wortsinn normative Kraft und war unmittelbar auf das Handeln in der diesseitigen Gesellschaft bezogen; auch das entsprach der Haltung des Bruderhofes, unterschied sich aber deutlich von derjenigen der mennonitischen Glaubensgemeinschaft, die sich als täuferische Kirche traditionell ebenfalls auf die Bergpredigt bezog. Es trifft hier also nicht zu, dass aus dem Bewusstsein, einem außerweltlichen Reich Gottes anzugehören, »Himmelsbürger« zu sein, zugleich auch die Einstellung verbunden war, sich von einer Auseinandersetzung mit der zeitgenössisch-weltlichen Politik und anderen gesellschaftlichen Angelegenheiten herauszuhalten, wie das Andreas Liese im Blick auf einen Teil der Brüderbewegung konstatiert.1006 Vor dem Reichskriegsgericht erläuterte Alfred Herbst in der Hauptverhandlung, wie er seiner Frau in einem Brief berichtete: »Nachdem ich erkauft, in Jesu Tode getauft wurde, wurde ich 1002 Durch Jesus Blut erlöst und erkauft zu sein war ein zentrales Motiv, auf das sich Herbst in seinen letzten Briefen sehr oft bezog (nicht nur in der Osterzeit). Vgl. zum Beispiel explizit die Briefe von Alfred an Elise Herbst vom 08.04., 13.04., 18. 04. 1943 und vom 01. 07. 1943, in: Müller-Bohn, Briefe, S. 17, S. 19–20 (hier S. 19), S. 24–27 (hier: S. 26), S. 53–58 (hier S. 54). 1003 Theologische Betrachtung (»Die Gestalt dieser Welt vergeht«), undatiert, im Besitz der Familie. Und in dem »Abschiedsbrief« an seine Glaubensgeschwister, womöglich kurz vor seiner Hinrichtung verfasst, notierte er in kleiner Schrift den Vers von Johannes Roos »Ich habe einen herrlichen König [/] den einzig erkenne ich an [/] ich will keinen andern auf Erden [/] u. stünd ich allein auf dem Plan.«; das Schreiben befindet sich im Familienbesitz. 1004 Von A. Herbst als »Glaubensgehorsam« bezeichnet; vgl. den Brief von Alfred Herbst an seine während seiner Haftzeit »ernstlich erkrankt[e]« Frau Elise vom 27. 06. 1943: »Liebe Frau, ich bezeuge vor Gott dem Herrn, daß ich diesen Weg nicht gehe aus Lieblosigkeit zu Dir und meinem guten Kind, meiner lieben, herzensguten Sonni, nein, niemals nein, sondern aus tiefstem Glaubensgehorsam zu meinem Herrn und Erlöser Jesus Christus, dem ich durch die Taufe in seinen Tod mit meinem Leben gehöre.« In: Müller-Bohn, Briefe, S. 50–52 (hier S. 51). 1005 Alfred an Elise Herbst vom 18./20. 07. 1943, in: Müller-Bohn, Briefe, S. 60–61 (hier S. 60); Herbst bezieht sich hier, ohne Stellenangabe, auf Apostelgeschichte 5, 29. 1006 Vgl. beispielsweise Liese, Haltung, S. 347, jedoch auf S. 351 relativiert durch das praktische Verhalten von Angehörigen dieser Glaubensgemeinschaft.

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Leibeigener des Herrn. Somit habe ich meinen Willen Jesu Willen unterstellt, und das höchste Gebot meines Herrn ist: Liebet euch untereinander, wie ich euch geliebt habe. Liebe deinen Nächsten wie dich selbst.«1007 Drittens: Im Denken von Alfred Herbst war die Sichtweise von Bedeutung, in der letzten Zeit des Weltgeschehens (Endzeit) zu leben – ohne dass dabei jedoch sein Blick ausschließlich auf das Buch der Offenbarung geheftet gewesen wäre; das ist deutlich erkennbar, wenn man die Stellen und Passagen in den Blick nimmt, auf die sich Herbst in seinen Briefen und Schriftstücken bezog (darunter aus dem Alten Testament Texte aus den Psalmen oder dem Buch des Propheten Jesaja oder Stellen aus der Bergpredigt oder den Briefen des Neuen Testaments). Alfred Herbst lebte zudem, mindestens in seinen letzten Lebenswochen, also in seiner eigenen letzten Zeit, in der tiefen Gewissheit, nach seiner Hinrichtung in Gottes unmittelbare Gegenwart zu gelangen und seine Frau, in dieser Zeit schwer erkrankt, dort bald wiederzusehen.1008 Aus der Gewissheit auf das ewige Leben bezog Herbst Motivation zum »Widerspruch«, wie er in der oben genannten, undatierten theologischen Betrachtung aufzeigte: »Gegen die Gestalt einer unerlösten Welt, muß jeder Christ durch sein Leben Widerspruch erheben. An jeden kann die schwere und die entscheidungsvolle Pflicht, augenblicklich herantreten. Sein Widerspruch gegen die Sünde u. seine Hingabe an die Gottesherrschaft zu beweisen. So ist das Martyrium, die höchste christliche Lebensform [,] der ernsteste Widerspruch gegen die Gestalt dieser Welt, im Blick auf die Gestalt der zukünftigen Welt. Der Märtyrer verzichtet auf das Leben dieser Welt u. dieser Zeit, in der Gewißheit auf das Leben der Vollendung.«1009

1007 Alfred Herbst an Elise am 01. 07. 1943, in: Müller-Bohn, Briefe, S. 53–58 (hier S. 54). 1008 Vgl. den vorletzten Brief von Alfred an Elise Herbst vom 18./20. 07. 1943, in: Müller-Bohn, Briefe, S. 60–61. Die Gewissheit des Wiedersehens äußerte er auch in einem »an alle« (Glaubensgeschwister) gerichteten Text, undatiert, in der Haftzeit verfasst; Familienbesitz. 1009 Theologische Betrachtung (»Die Gestalt dieser Welt vergeht«), undatiert, im Besitz der Familie. (Unterstreichung im Original).

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1. Baptisten und Mennoniten haben die nationalsozialistische »Machtergreifung« zwar als »Revolution« begriffen, den politischen Umsturz – anders als in den Jahren 1918 und 1919 – mehrheitlich aber nicht als widergöttlich verworfen. Vielmehr wurde die »Machtergreifung« als positive Entwicklung begrüßt und Hitler sogar als ein Geschenk Gottes bezeichnet, auch wenn manche, wie der einflussreiche baptistische Schriftleiter Paul Schmidt, bis März 1933 noch zurückhaltend bei der Anerkennung des neuen Staates waren. Der Nationalsozialismus galt vielen als Mittel gegen die kulturell-gesellschaftliche Entsittlichung auf der einen und als Bollwerk gegen den Bolschewismus auf der anderen Seite, der als unmittelbar drohende Katastrophe wahrgenommen wurde. Mit solchen Sichtweisen standen Baptisten und Mennoniten nicht alleine, sondern bewegten sich sowohl im Blick auf das freikirchliche Spektrum1010 als auch auf die evangelischen Landeskirchen im Mehrheitsstrom.1011 2. Die Hinwendung zu den Hutterern in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre hatte bei Eberhard Arnold und seiner Lebensgemeinschaft politische Abstinenz zur Folge (zum Beispiel im Blick auf die Wahlbeteiligung), bedeutete aber nicht, dass das politische Geschehen nicht aufmerksam verfolgt und intern kommentiert worden wäre. Von Anfang an war dabei das Bewusstsein präsent, sich in gleichsam natürlicher Gegnerschaft zum Nationalsozialismus zu befinden, auch wenn Eberhard Arnold beispielsweise im Kampf gegen »Unsittlichkeit« durchaus 1010 Vgl. den Abschnitt zur Brüdergemeine im Nationalsozialismus bei Hedwig Richter: Pietismus im Sozialismus. Die Herrnhuter Brüdergemeine in der DDR, Göttingen 2009, S. 47– 57; Liese, Religionspolitik, S. 125ff. Hartmut Weyel: Anspruch braucht Widerspruch. Die Freien evangelischen Gemeinden vor und im »Dritten Reich«, Witten 2016, zum Beispiel S. 149–153. 1011 Vgl. Martin Greschat: Begleitung und Deutung der beiden Weltkriege durch evangelische Theologen, in: Bruno Thoß und Hans-Erich Volkmann (Hg.): Erster Weltkrieg – Zweiter Weltkrieg. Ein Vergleich. Paderborn 2002, S. 497–518, hier S. 510–518. Manfred Gailus: Keine gute Performance. Die deutschen Protestanten im »Dritten Reich«, in: Ders. und Armin Nolzen (Hg.): Zerstrittene »Volksgemeinschaft«. Glaube, Konfession und Religion im Nationalsozialismus, Göttingen 2011, S. 96–121. Strohm, Kirchen, S. 21ff.

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Berührungspunkte zu den »Idealen« des Nationalsozialismus sah. In der Haltung gegenüber dem Staat unterschied er sich aber fundamental von den evangelischen Freikirchen und dem Mehrheitsprotestantismus. Arnold ging aus unterschiedlichen Gründen grundsätzlich von einer nur bedingten Unterordnungspflicht unter die Staatsgewalt aus; diese sei zwar von Gott eingesetzt (nach Römer 13), zugleich sei der Staat aber auch ein Werkzeug des Teufels (nach Offenbarung 13); diese Deutung war weitreichender als das innerhalb der Freikirchen vorherrschende Verständnis, die Passage in Römer 13 werde allenfalls von der Aussage in Apostelgeschichte 5, 29 relativiert, man müsse Gott mehr gehorchen als den Menschen. Zum anderen betrachtete Arnold Christen als dem »Reich Gottes« zugehörig, die auch in allen weltlichen Belangen der Ethik dieses »Reiches Gottes« verpflichtet seien. Das unterschied seine Überzeugung von der auch im freikirchlichen Raum verankerten Prämisse der Zwei-Regimente/ReicheLehre Luthers respektive seiner Rezipienten. So argumentierte Paul Schmidt, dass Christen »Bürger zweier Welten« seien und bezeichnete Kundgebungen zum 1. Mai als »Erscheinungen innerhalb der Schöpfungsordnung Gottes«.1012 3. Die Beteiligung an Plebiszit, Wahl und nationalsozialistischen Festformen stellte Baptisten und Mennoniten vor keine Gewissensprobleme. Auch lässt sich nicht erkennen, dass die Ableistung des Hitler-Grußes von den Leitungen der Gemeinschaften kritisch diskutiert worden wäre. Die Analyse des Hitler-Grußes als Loyalitätsbekundung innerhalb des baptistischen Jugendbundes förderte einen wichtigen Befund zur Akkulturation in der Transformationsphase der »Machtergreifung« zu Tage: Die traditionell stark bündisch verfasste Baptistenjugend hatte vor 1933 den Gestus des erhobenen rechten Armes bereits geübt und verwendete die Formel »Christ Heil« wie selbstverständlich. Durch die Umcodierung des Grußes »Christ Heil« in »Sieg Heil« wurde die kulturelle Praxis äußerlich zu einer mit dem NS-Staat kompatiblen Form adaptiert, hinterließ aber inwendig Anschlussstellen für »eigen-sinnige«, partielle Fortführung früherer Traditionen. Das mochte in der Übergangsphase der »Machtergreifung« ein Hinübergleiten in die nationalsozialistische »Volksgemeinschaft« und somit eine Bejahung der NS-Weltanschauung erleichtert haben. Hingegen war eine reflektierte und standhafte Ablehnung des »deutschen Grußes« innerhalb der Freikirchen und des Mehrheitsprotestantismus nur ein Phänomen von Einzelpersonen.1013 4. Anders verhielt es sich beim Bruderhof. Hier finden sich in dieser Phase kaum partizipative Elemente: die Teilhabe an gesellschaftlich-staatlichen Prak1012 [Paul Schmidt:] Aus der Schmiede, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 20 (14. Mai), S. 157. 1013 Vgl. Helmut Goerlich (Hg.): Hitlergruß und Kirche. Aus dem Leben des gewissenhaften württembergischen Landpfarrers Wilhelm Sandberger und der fränkischen Pfarrgemeinde Gründelhardt im totalen Staat, Berlin 2013.

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tiken war äußert punktuell oder betraf eher marginale Bereiche und selbst diese wurden innerhalb der Gemeinschaft kontrovers diskutiert. Die kritische Auseinandersetzung mit den Loyalitätsforderungen des Staates (also mit HitlerGruß, Wahl und Plebiszit) sowie deren reflektierte Zurückweisung, teils taktisch mit vermeintlichen Zugeständnissen versehen, stellten den Normalfall dar. Aus diesem Grund war die Gemeinschaft bereits seit November 1933 staatlichen Repressalien ausgesetzt, auch wenn in dieser Zeit noch keine Angehörigen der Gemeinschaft verhaftet wurden. Nach der Auflösung des Bruderhofes im Jahr 1937 wurde der größte Teil der in der Rhön weilenden Mitglieder ausgewiesen, einzelne kamen in Untersuchungshaft und konnten nach der Haftentlassung ins Ausland fliehen. 5. Das Erstarken der Glaubensbewegung Deutsche Christen, ihre Präsenz in den Kirchenparlamenten und –leitungen sowie die Pläne zur Schaffung einer evangelischen Reichskirche bereiteten Baptisten und Mennoniten im Jahr 1933 große Sorgen. Sie fürchteten, ihre Identität als Denomination zu verlieren, indem sie gleichgeschaltet und von der Reichskirche »aufgesaugt« würden. Deshalb hatte in dieser Phase die Frage höchste Priorität, den Status als Kirchenkörper zu sichern und entsprechende Verhandlungen mit kirchlichen und staatlichen Stellen zu führen, um den befürchteten Super-GAU abzuwenden. Baptisten waren zwischen Frühjahr und Herbst 1933 darauf bedacht, eine dem NS-Staat angemessene Gemeinde- und Bundesstruktur zu finden. Das zeigt die Bereitschaft, sich notfalls auch einer von Deutschen Christen geführten Reichskirche anzugliedern ebenso wie die Aufnahme des Führer-Gefolgschafts-Prinzips. Insofern lässt sich eine zweifache Interaktion mit dem NS-Staat beobachten: Es gab zum einen die Gesprächsebene mit Ludwig Müller und anderen Vertretern der Glaubensbewegung Deutsche Christen, in denen man zugleich die rechtmäßigen Repräsentanten des NS-Staates sah. Zweitens lassen sich aber auch die strukturellen Veränderungen des Baptistenbundes im Sommer des Jahres 1933 als direkte Reaktion auf die Formierung des NS-Staates lesen: der Bund suchte nach einer Gestalt, die aus seiner Sicht mit den politischen Formen des NS-Staates korrespondierte. Ein anderes Modell, das in dieser Phase diskutiert wurde und die Verhandlungsposition der Freikirchen gegenüber dem Staat stärken sollte, war jenes, aus der nur losen Vereinigung evangelischer Freikirchen einen engeren Freikirchenbund zu formen, der neben den evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche als »dritte Säule« des kirchlichen Lebens in Erscheinung treten sollte. 6. Während sich die Baptistengemeinden in Deutschland bereits seit dem vorigen Jahrhundert zu einem Baptistenbund zusammengeschlossen hatten, war die mennonitische Glaubensgemeinschaft im Jahr 1933 in verschiedene, organisatorisch unverbundene Konferenzen respektive Zusammenschlüsse fraktioniert. Eben das wurde in der Phase der NS-»Machtergreifung« als großes Problem

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betrachtet. Die innermennonitischen Verhandlungen zielten deshalb zunächst vor allem darauf, eine Organisationsstruktur zu schaffen, der möglichst alle mennonitischen Gemeinden und Gruppierungen angehören sollten. Dieses Vorhaben erwies sich aufgrund unterschiedlicher dogmatischer Vorstellungen allerdings als besonders schwierig und scheiterte – aus genau diesen Gründen. Daneben hatte es innerhalb der größten Organisation des deutschen Mennonitentums, also der Vereinigung der Mennonitengemeinden im Deutschen Reich (seit 1934: Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden), bereits vor 1933 Reformüberlegungen gegeben, die auf eine strukturelle Entschlackung und Straffung des Vorstands hinausliefen; nach der nationalsozialistischen »Machtergreifung« wurden solche Überlegungen mit dem staatlichen Umbruch verbunden und intern als Entsprechung des »Führerprinzips« dargeboten (was sie aber nicht waren). Dennoch lässt sich in dieser Argumentation die gleiche Tendenz beobachten, wie sie uns im Blick auf den offiziellen Baptismus begegnet ist: eine mittelbare Interaktion mit der Staatsgewalt durch eine selbst als formale Parallelisierung mit dem NS-Staat wahrgenommene Reform der kirchlichen Strukturen. Drittens erschien auch dem deutschen Mennonitentum der Anschluss an ein größeres kirchliches Ganzes als ein Gebot der Notwendigkeit. Die Option eines Beitritts zur noch zu schaffenden freikirchlichen »dritten Säule« wurde zwar diskutiert, hatte aber letztlich wenig Fürsprecher. Für Mennoniten war dabei der Rekurs auf ihre reformatorischen Ursprünge wichtig, der sie von den klassischen Freikirchen unterschied, die ihrerseits mit missionarischem Anspruch und Distanz zu den Landeskirchen auftraten. Dagegen war es für führende Figuren des Mennonitentums eine reale, wenn nicht unumgängliche Möglichkeit, in eine organisatorische Beziehung zur Evangelischen Reichskirche zu treten, wenn auch nur in loser Form. Die Glaubensbewegung Deutsche Christen, mit der nicht wenige Mennoniten vor allem im Raum Danzig und in Westpreußen sympathisierten, wurde auch als konfessionelle Bedrohung wahrgenommen. Allerdings zeigten sich auch führende Mennoniten gegenüber dieser Bewegung inhaltlich nicht durchweg abgeneigt (das galt jedoch nicht für deren Forderung nach Abschaffung des Alten Testaments). Hierzu konnte beigetragen haben, dass die Vorstellung vom »Volk« als einer »Schöpfungsordnung« Gottes innerfreikirchlich fest etabliert gewesen war. Mennoniten und Baptisten verfolgten den Gedanken eines Zusammenschlusses mit der Evangelischen Reichskirche allerdings nicht mehr weiter, ebenso wie zunächst der Plan einer dritten Kirchensäule ad acta gelegt worden war, als im November 1933 klar wurde, dass die evangelischen Freikirchen nicht mit der Reichskirche gleichgeschaltet werden sollten. 7. Ein Feld der direkten Interaktion zwischen Vertretern des offiziellen Mennonitentums und des NS-Staates stellten die mit unterschiedlichen staatlichen Akteuren geführten Verhandlungen in Sachen Eidverweigerung dar. Nach

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der nationalsozialistischen »Machtergreifung« griff die Vereinigung das Thema einer reichsweiten Vereinheitlichung der länderspezifischen Regelungen wieder auf – nachdem sie diesbezüglich bereits zu Beginn der Weimarer Republik die Initiative ergriffen hatte. Das Anliegen wurde nun vom Reichsjustizministerium unterstützt und erreichte auf dessen Anregung hin im Reichsinnenministerium 1935 sogar Entwurfsreife. Die Novelle scheiterte aber an Differenzen der beteiligten Ressorts. Gab es bis dahin aber grundsätzlich Verständnis für das mennonitische Anliegen, wendete sich das Blatt in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre vollständig: Ende 1937 war sich die Ministerialbürokratie einig, dass solche Sonderregelungen gänzlich wegfallen sollten. Nur aus außenpolitischen Erwägungen heraus waren die entsprechenden Klauseln im letzten Entwurf einer Strafverfahrensordnung vom Mai 1939 noch enthalten, versehen mit dem Hinweis, dass über deren Geltung respektive Aufhebung noch entschieden werden müsse. Da die Reform während des »Dritten Reiches« allerdings nie realisiert worden ist, blieben die Länderreglungen bis zuletzt unangetastet. Eine treibende Kraft hinter dieser restriktiven Politik – wie allgemein gegenüber Sonderregelungen gegenüber kleinen Religionsgemeinschaften – war der überzeugte Nationalsozialist Dr. Hermann Muhs im Reichskirchenministerium, das überdies auch von sich aus bei der NSDAP (Bormann) einen strikten Kurs gegenüber den Mennoniten einforderte. Innerhalb der NSDAP-Führung war man gegenüber dem Parteieintritt von Mennoniten nicht abgeneigt. Während aber die Eidesfrage offenbar regional unterschiedlich gehandhabt worden war, legte Bormann im Dezember 1938 fest, dass Mennoniten Ausnahmen in dieser Frage nicht zugestanden werden könnten: Sie hätten ihre weltanschauliche Unterordnung klar zum Ausdruck zu bringen. Die mennonitische Seite hingegen, die selbstbewusst den Kontakt mit höchsten Parteistellen suchte, um für ihre Sache der Eidverweigerung einzutreten, bezog die Auseinandersetzung nur auf die rein formale Seite und ließ keine inhaltliche Kritik vernehmen; auch intern gab es (ebenso wenig wie bei den Baptisten) beispielsweise eine Ächtung des Parteieintritts. Für die Durchsetzung des rein formalen Anliegens kämpften führende Mennoniten bis zuletzt. Beim Jahreswechsel 1942/43 gelang es Unruh, das Thema Eidverweigerung in einem persönlichen Treffen mit Himmler zu thematisieren und erwirkte in der Folge ein etwas vages Schreiben aus dessen Stab, das als Unterstützung des mennonitischen Anliegens im Hinblick auf die Verpflichtung beim Reichsarbeitsdienst gewertet werden konnte. Der Mangel an einer inhaltlichen Auseinandersetzung und die Fokussierung auf rein formale Fragen wurde auch beim Eid für Rekruten der Wehrmacht augenfällig. Hier handelte die Vereinigung noch im Jahr der Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht die Möglichkeit des Gelöbnisses

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für Mennoniten aus – wohingegen der Waffendienst selbst mindestens toleriert, wenn nicht von vielen sogar gutgeheißen worden war. 8. Die mennonitische Führung, so meine These, hielt deshalb formal so verzweifelt an der Eidverweigerung fest, weil sie das ehedem prägende konfessionelle Merkmal, die Wehrfreiheit, längst aufgegeben hatte. Von außen betrachtet war ihr Kampf um eine alternative Beteuerungsformel aber eher von symbolischer Natur, denn die erbetene Differenz im Sprechakt bezog sich auf den Austausch von Worten (geloben statt schwören). Es erhoben sich zwar Stimmen, offenbar von eher älteren Mennoniten, einen Schutzraum für das Gewissen jener zu erhalten, die den Wehrdienst nicht abzuleisten vermochten; doch bei jenen, die es in erster Linie betraf – jüngere Mennoniten –, gab es dafür überhaupt gar keinen Bedarf. Die Verweigerung des Wehr- und Kriegsdienstes war während des »Dritten Reiches« somit kein konfessionelles Merkmal der mennonitischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland gewesen. Das gilt aber ebenso für alle anderen größeren evangelischen Freikirchen sowie für den Mehrheitsprotestantismus und Katholizismus insgesamt. Nur bei kleinen Gemeinschaften, beispielsweise bei den Reformadventisten1014, kam Wehr- und Kriegsdienstverweigerung gehäuft vor. Auch die Mitglieder des Bruderhofs verweigerten den Wehrdienst konsequent. Wehrpflichtige dieser Gemeinschaft flohen zunächst in die Schweiz; später wurden solche, die sich wieder in der Rhön aufhielten, ausgewiesen oder konnten ins Ausland fliehen. Hingegen war die Wehr- und Kriegsdienstverweigerung als konfessionelles Merkmal einer größeren Gruppe einzig für die außerprotestantische Glaubensgemeinschaft der Zeugen Jehovas prägend. Diese hatten während des Zweiten Weltkrieges dementsprechend auch die größte Opfergruppe zu beklagen: Etwa 250 bis 300 deutsche und österreichische Männer sind aus diesem Grund verurteilt und hingerichtet worden.1015 Einzelpersonen, die den Wehr- und Kriegsdienst verweigert und an diesem Weg konsequent festgehalten haben, gab es jedoch aus ganz unterschiedlichen 1014 Es sind 13 deutsche öder österreichische Reformadventisten namentlich bekannt, die wegen ihrer Kriegsdienstverweigerung Opfer der NS-Politik wurden (von insgesamt 24 namentlichen bekannten Märtyrern aus dieser Glaubensgemeinschaft). Dazu: Daniel Heinz: Kriegsdienstverweigerer und religiöser Pazifist. Der Fall Anton Brugger und die Haltung der Siebenten-Tags-Adventisten im Dritten Reich, in: Jahrbuch des Dokumentationsarchives des österreichischen Widerstandes (DÖW-Jahrbuch) 1996, S. 41–56. Ders: Dem Gebot und Gewissen verpflichtet: Freikirchliche Märtyrer, in: Schultze/Kurschat, Märtyrer, S. 83–96, hier S. 92. 1015 Garbe, Widerstand und Martyrium, S. 375. Norbert Hasse spricht von über 300 Hingerichteten; Norbert Haase: Kriegsdienstverweigerer und Deserteure aus protestantischem Glauben als Opfer der Wehrmachtsjustiz, in: Schultze/Kurschat, Märtyrer, S. 115–125, hier S. 120. Nach Garbe, Widerstand und Martyrium, S. 500 waren von den 25.000 bis 30.000 Zeugen Jehovas im »Dritten Reich« etwa 10.000 inhaftiert, 2.000 davon in einem Konzentrationslager; insgesamt hatte die Glaubensgemeinschaft 1.200 Todesopfer zu beklagen.

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Glaubensgemeinschaften, so zum Beispiel Alfred Herbst, ehemals Mitglied einer Baptistengemeinde, Gläubige aus den evangelischen Landeskirchen, wie Dr. Hermann Stöhr, oder aus der katholischen Kirche.1016 Nach Kriegsende waren Kriegsdienstverweigerer unbequem. Angehörige von Kirchen und Glaubensgemeinschaften sahen sich durch ihr Zeugnis mit der Frage konfrontiert: »Wenn ihr Weg in bestimmten Situationen richtig war – sind dann alle anderen in die Irre gegangen?«1017 Und solche, die sich als Deserteure dem Kriegsgeschehen entziehen konnten, standen in der Bundesrepublik gar unter dem Verdikt des Verrats oder waren zumindest der Herabsetzung als Feiglinge ausgesetzt. Mit solchen Sichtweisen wurde in der Bundesrepublik erst spät gebrochen. Nach öffentlichen Debatten über Deserteure und Soldaten der Wehrmacht sowie der Etablierung neuer Forschungsergebnisse in den 1980erund 1990er-Jahren dauerte es noch bis zum Jahr 1998, ehe der Bundestag ein »Gesetz zur Aufhebung nationalsozialistischer Unrechtsurteile in der Strafrechtspflege (NS-AufhG)« verabschiedete, das sich auch auf Richtersprüche wegen Kriegsdienstverweigerung und »Wehrkraftzersetzung« bezog. Eine pauschale Aufhebung der Urteile gegen »Deserteure« intendierte diese Vorschrift indessen nicht; das geschah erst mit einem Änderungsgesetz im Jahr 2002, bevor durch ein neuerliches, zweites Änderungsgesetz im Jahr 2009 auch solche wegen »Kriegsverrats« pauschal für nichtig erklärt wurden.1018

1016 Nach heutigem Kenntnisstand gab es mindestens zwölf katholische Wehrdienstverweigerer; vgl. Haase, Kriegsdienstverweigerer, S. 121. 1017 Daniel Heinz: Dem Gebot und Gewissen verpflichtet: Freikirchliche Märtyrer, in: Schultze/ Kurschat, Märtyrer, S. 83–96, Zitat S. 84. 1018 Vgl. Wolfram Wette: Deserteure der Wehrmacht rehabilitiert. Ein exemplarischer Meinungswandel in Deutschland (1980–2002), in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 52 (2004) 6, S. 505–527.

Dritter Teil. Die Phase der »doppelten Staatsgründung«

Prolog

Will man dem offiziellen Bericht des Berliner Magistrats an die Arbeitsgruppe Kirchenfragen im Zentralkomitee der SED glauben, so hat der »Bundesdirektor« des gesamtdeutschen Baptistenbundes, Paul Schmidt, auf der Konferenz der ostdeutschen Baptisten im Jahr 1956 auf bezeichnende Weise Zweifel an der Illoyalität der Baptisten zu zerstreuen gesucht. So notierte Erich Lahl, Leiter des Referats Kirchenfragen beim Berliner Magistrat1019: »In einer persönlichen Unterhaltung mit Schmidt – am Schluß der Tagung – sagte er mir, daß wir uns, das heißt der Staat, auf die Baptisten verlassen könnten, die hier fest hinter der Regierung stehen. Sie seien nämlich von ihrem Glauben aus dazu verpflichtet, eine solche Haltung einzunehmen und ihrem Gott gegenüber verantwortlich. Wir sollten also den Berliner Gemeinden volles Vertrauen entgegenbringen.«1020

Nach 1945 wirkte Paul Schmidt im Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG) in unveränderter Funktion weiter. Hatte er nach dem Ende der NS-Diktatur aber die Haltung des Bundes zum Staat und die bisherige Auslegung von Römer 13 überdacht? War aus den Erfahrungen im »Dritten Reich« eine Widerstandsethik hervorgegangen – für den Fall einer erneuten Diktaturetablierung wie es in Ostdeutschland nach Kriegsende der Fall war? Wenn Erich Lahl den Baptistenpastor richtig verstanden und wiedergegeben hat, so schien dies nicht der Fall gewesen zu sein. Schmidts Verhalten gegenüber dem Mitarbeiter des Berliner Magistrats in Ost-Berlin ließ keine kritische Einstellung gegenüber einer Parteiendiktatur erkennen. War sein Vorgehen womöglich nur taktisches Manöver, mit dem er seinen Geschwistern im Osten einen Dienst erweisen wollte? Wenn aber Baptisten aus seiner Sicht tatsächlich jeglicher Ob-

1019 Vgl. zu Erich Lahl seine Versorgungsakte im Landesarchiv Berlin C Rep. 118-01 Nr. 21302. 1020 Bericht Erich Lahl, Magistrat Berlin, Abteilung für Innere Angelegenheiten, Referat für Gesellschaftsfragen, vom 04. 06. 1956 betr. »Konferenz des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland« (Begrüßungsversammlung am 31. 05. 1956 in der Kapelle Weißensee), in: SAPMO-BArch DY 30/IV 2/14/251, Bl. 20–21, Zitat: S. 21.

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Prolog

rigkeit Gehorsam und Loyalität schuldeten, was bedeutete das dann für das Verhalten von Christen in einer Demokratie? Die folgenden Überlegungen beziehen sich auf den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden und auf die Mennoniten in der Gründungsphase der Bundesrepublik Deutschland. Dabei gehe ich, wie in den vorangegangenen beiden Teilen, jeweils zunächst auf die freikirchliche Perzeption des Staates ein und erläutere dann anhand von konkreten Beispielen zwei unterschiedliche Interaktionsfelder mit der Staatsgewalt. So betrachte ich zunächst das Ringen der Baptisten um die territoriale Ausweitung ihres Körperschaftsstatus; anhand eines Fallbeispiels auf der Landesebene (Württemberg-Baden) gehe ich der Frage nach, welche rechtsnormative Wirkung die in das Grundgesetz inkorporierten Weimarer »Kirchenartikel« entfaltet haben. Danach wende ich mich der Ebene der Bundesregierung zu, indem ich die finanzpolitische Lobbyarbeit Paul Schmidts bezüglich der Versorgung heimatvertriebener Pensionsberechtigter untersuche. Bei den Mennoniten gehe ich der Frage nach der Interaktion zunächst am Beispiel des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung nach, um im Anschluss daran hinsichtlich der Eidverweigerung aufzuzeigen, wie sich der politisch-rechtliche Umgang mit religiös begründeter, normativer Abweichung in der Bundesrepublik substanziell zu wandeln begann: weg von konfessionsbedingten Lösungen durch die Verleihung von Privilegien – hin zu grundrechtlich begründeten und individuell geregelten Ausnahmen. Auch wenn ich mich in diesem Abschnitt bis in die Anfänge der 1970er-Jahre bewege, soll sich das Gros meiner Untersuchung auf die Gründungsphase der Bundesrepublik beziehen: Die Frage von Wehr- und Zivildienst werde ich nur insofern behandeln, als sie bereits in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre Gegenstand von Aushandlungsprozessen zwischen Mennoniten und der Regierung gewesen war. Für den dann folgenden Teil zur Gründungsphase der DDR hingegen werde ich diesen Aspekt ganz ausblenden, da er bezüglich der freikirchlichen Auseinandersetzung erst mit der Einführung der Wehrpflicht (1962) und der Bausoldatenlösung (1964) an Relevanz gewann. Im Abschnitt zur Interaktion von Freikirchen und Staat in der Gründungsphase der DDR, ebenfalls ein Doppelkapitel, werde ich zunächst am Beispiel des BEFG-Ost problematisieren, dass sich die Haltung des offiziellen Baptismus mitunter substanziell von derjenigen unterschied, die von einzelnen, unabhängigen Baptisten oder von der Gemeindebasis vertreten wurde. Ich konfrontiere dabei die Aussagen von wichtigen Vertretern des offiziellen Baptismus im Osten, Otto Soltau und Otto Ekelmann, mit dem Verhalten eines Abweichlers, des Evangelisten Helmut Samjeske. Dagegen bildeten die Mennoniten in der DDR zunächst keine eigene Gemeindestruktur aus, sondern waren bis zum Mauerbau offiziell der Berliner Mennoniten-Gemeinde zugehörig. Obwohl es sich um eine relativ kleine und über das Gebiet der DDR versprengte Zahl Gläubiger handelte,

Prolog

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geriet sie rasch in den Fokus der Behörden – jedoch nicht aus einer Bewertung ihrer religiösen Motive heraus, sondern aufgrund ihrer Abwanderung in den Westen. Von der quantitativen Größe der Gemeinschaft war die Relevanz nicht abhängig, die sie im Blick auf das staatliche Interesse entfaltete.

Kontinuität und Wandel im Westen

A.

Hat sich der Blick der Baptisten auf den Staat gewandelt?

Zur Deutung von Römer 13 Als sich der Bundesrat des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden im Mai 1946 zum ersten Mal nach Kriegsende in Velbert bei Düsseldorf zusammenfand, berichtete Paul Schmidt in einer grundsätzlichen Stellungnahme über den Weg der Baptisten in der NS-Diktatur. Es ging ihm zum einen darum, die Vereinigung des Baptistenbundes mit dem Bund freikirchlicher Christen in den Jahren 1941/42 als richtig und letztlich als Wirken Gottes zu rechtfertigen. Zum anderen wollte er die Haltung der Bundesführung gegenüber dem NS-Staat auch grundsätzlich erläutern, um schließlich seine Position zur ›Schuldfrage‹ deutlich zu machen. Dabei argumentierte er, dass der Gemeindebund kein gesellschaftliches »Wächteramt« inne (gehabt) habe und somit auch kein Schuldbekenntnis ablegen könne.1021 Was nun die Stellung der Baptisten zum nationalsozialistischen Staat angelangte, und diesen Aspekt möchte ich in diesem Abschnitt zur Auslegung vom Römer 13 vor allem in den Blick nehmen, argumentierte Paul Schmidt: »Die Haltung des Bundes im totalen Staat ergab sich immer wieder von neuem aus der Verpflichtung, die der Apostel Paulus in Römer 13 der Gemeinde auferlegt hat. Das klare Wort von Römer 13 kann nicht gut umgebogen oder nur für besondere Verhältnisse bindend erklärt werden. Dieses Wort aber verwehrt der Gemeinde eine poli1021 Paul Schmidt: Unser Weg als Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in den Jahren 1941–1946 [Bericht an den Bundesrat in der Sitzung vom 24.-26. 05. 1946 in Velbert], Stuttgart 1946. Einen anderen Akzent setzten der neu gewählte Vorsitzende der Bundesleitung, Jakob Meister, und Hans Rockel auf der siebten Konferenz der Baptist World Alliance, als sie sich auf unterschiedliche Weise zu Schuld bekannten. Jakob Meister wies ausdrücklich auf Schuld hin, »die unser Volk durch die Gewaltherrschaft der vergangenen Jahre auf sich geladen hat«. (Abschrift des Grußwortes der Delegation der deutschen Baptisten zum 7. Weltkongress der Baptisten in Kopenhagen am 29. 07. 1947, in: OnckenArchiv Elstal, Nachlass Meister, Jakob.) Vgl. dazu Balders, Kurze Geschichte, S. 117. Vgl. zum Umgang mit Schuld und ihrem Bekenntnis im Baptismus: Szobries, Schuldbekenntnisse, siehe auch Voigt, Schuld.

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Hat sich der Blick der Baptisten auf den Staat gewandelt?

tisch-revolutionäre Haltung und verpflichtet sie auch für Zeiten, die dem einzelnen und seinem persönlichen Freiheitsstreben sehr entgegen sind. Die Frage, muß die Gemeinde, muß der Bund sich nicht erheben und müssen sie nicht in das politische Hoheitsgebiet hineinsprechen, auch wenn damit ihre äußere Existenz aufs Spiel gesetzt wird, hat uns oft bewegt und ist mehr als einmal erörtert worden. Immer wieder wurde die Frage in das Licht von Römer 13 gerückt und immer wieder wurde von neuem erkannt, daß das große Nein der Gemeinde Jesu gegenüber dem Staat und seiner Führung erst dann zu sprechen ist, wenn die Verkündigung des Evangeliums verboten werde und die persönliche christliche Lebensführung desgleichen. Immer wieder gewann die Überzeugung die Oberhand, daß der Einsatz der Gemeinde, auch wenn es dadurch zu ihrer Auflösung komme, dann gerechtfertigt sei, wenn sie zu sprechen habe, man muß Gott mehr gehorchen als den Menschen. Dabei setzte sich immer wieder die Meinung durch, daß dieser Zeitpunkt noch nicht gekommen war, aber auch die andere Auffassung, daß er jeden Tag eintreten könne. […] Und so ist es gekommen, daß wir heute rückschauend von einem gesegneten starken Zeugnisdienst der Gemeinden durch die Jahre hindurch sprechen können, daß wir aber auf keine besondere Reihe von KZ- oder anderen Märtyrern hinzuweisen vermögen.«1022

Der im gleichen Jahr auch im Druck erschienene Bericht »Unser Weg als Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in den Jahren 1941–1946« aus der Feder Paul Schmidts wurde vom Bundesrat gebilligt und Andrea Strübind zufolge »einstimmig« angenommen.1023 Dieser Umstand zeigt, dass eine, den offiziellen Kurs der Baptisten bereits im Jahr 1933 leitende, spezifische Auslegung von Römer 13 nach Kriegsende weiterhin wirksam und somit auch für die gegenwärtige Bestimmung des Verhältnisses zum Staat von Bedeutung war. Nicht reflektiert wurde aber, dass die Freiheit der »Verkündigung des Evangeliums« durch die Nationalsozialisten ja tatsächlich eingeschränkt worden war: im Blick auf die »Judenmission« nämlich, die Paul Schmidt im April 1933 noch verteidigt hatte (vgl. den zweiten Teil, Abschnitt A. in dieser Studie). Damals, im April 1933, war der baptistische »Judenmissionar« Naphtali Rudnitzky (1869– 1940) aus dem nationalsozialistischen Deutschland gedrängt worden. Roland Fleischer hat gezeigt, dass die »deutschen Behörden […] sein Gesuch vom 28. 12. 1934 auf Wiedereinreise und Wiederaufnahme seiner Missionstätigkeit« ablehnten, der Theologe zwar noch bis 1937 auf der Predigerliste des Bundes stand, aber bis zu seinem Tod in Stockholm isoliert blieb.1024 Wenn Paul Schmidt die Legitimität des NS-Staates als politische Ordnung tatsächlich an der Möglichkeit zur Mission gemessen haben wollte: hier hätte er Gründe zur Loyalitätsverweigerung gefunden. Damit ging einher, dass den leitenden Akteuren nach 1945 1022 Paul Schmidt: Unser Weg als Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in den Jahren 1941–1946 [Bericht an den Bundesrat in der Sitzung vom 24.-26. 05. 1946 in Velbert], Stuttgart 1946, Zitat: S. 7–9. Vgl. hierzu auch S. 10, 12 und 15. 1023 Strübind, unfreie Freikirche, S. 306. 1024 Fleischer, Judenchristliche Mitglieder, S. 174f.

Zur Deutung von Römer 13

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offenbar allgemein häufig die Bereitschaft fehlte, sich insoweit öffentlich-kritisch mit dem Wirken des Bundes im Nationalsozialismus zu beschäftigen, als dass sie dieses als irrig begriffen und als falsch darstellten. Eine solche Auseinandersetzung hätte vor allem Selbstkritik bedeutet: Zwar war der Vorsitzende der Bundesleitung, Friedrich Rockschies, wenige Monate nach Kriegsende verstorben (8. Oktober 1945) und an seine Stelle Jakob Meister (1889, Zürich, bis 1970), Theologe und Direktor des Berliner Diakonissenhaues »Bethel« getreten. Zudem hatten sich übergangsweise solche aus der Schusslinie genommen, die durch eine Parteimitgliedschaft belastet gewesen waren.1025 Mit dem Kriegsende war somit durchaus eine gewisse personelle Umorientierung verbunden, zumindest zeitweilig. Es traf aber nicht zwangsläufig auch jene baptistische Funktionsträger, die dem NS-Staat auch ohne Parteimitgliedschaft loyal gegenüber gestanden waren. Diesbezüglich war es nicht zu einem radikalen Bruch gekommen, was sich am bedeutsamsten wohl in der Funktion Paul Schmidts zeigte. Er hatte bis zum Jahr 1935 als Schriftleiter die Bundesorgane Wahrheitszeuge, Jungbrunnen und Hilfsbote redigiert, war dann als Generalsekretär – in der damaligen Sprache des Bundes: »Bundesdirektor« – in die Gesamtverwaltung des Bundes gewechselt und bekleidete dieses Amt bis 1959.1026 Obwohl Schmidt bis 1933 ein Gegner des Nationalsozialismus gewesen war, hatte er sich, wie wir gesehen haben, dem NS-Staat gegenüber äußerst loyal verhalten. Besonders eklatant kam diese Linie aber in einer »Neueinstellung« zum Ausdruck. Jener »uns wohlgesinnte Referent im Kirchenministerium«1027, Dr. Werner Haugg nämlich, wurde von Dezember 1945 bis April 1948 als Justiziar des BEFG beschäftigt, ein Dankeserweis der besonderen Art.1028 1025 Vgl. dazu die Abschrift des Schreibens von Hans Fehr an Jakob Meister, Otto Soltau und Paul Schmidt vom 01. 11. 1955, in: Oncken-Archiv Elstal, Nachlass Paul Schmidt, unverzeichnet (Karton »div. BL-Angelegenheiten«, Ordner »Manuskripte«). Im Protokoll der Sitzung des Bundesrates am 25. 05. 1946 heißt es »Bruder Zimmermann, Bruder Pohl und Bruder Fehr erklären, daß sie eine Wahl [in die Bundesleitung, d. Verf.] nicht annehmen werden. Sie werden vom Wahlvorschlag abgesetzt.«; Vgl. das Protokoll der Bundesratssitzung am 25. 05. 1946, in: Oncken-Archiv Elstal, Nachlass Paul Schmidt, unverzeichnet (Karton »Bund und BfC«). Sie rückten allerdings 1949 in die Bundesleitung ein. Zudem trat Dr. Hans Luckey, der am 01. 05. 1937 in die Partei eingetreten war (BArch R 9361-IX Kartei/ 26540357), auf der Tagung des Bundesrates von 1946 von seinem Amt zurück. Vgl. das Dokument »Sitzung des Bundesrates am 25. Mai 1946 in Velbert«, in: Oncken-Archiv Elstal, Nachlass Paul Schmidt, unverzeichnet (Karton »Bund und BfC«). 1026 Vgl. die Kurzbiografien zu Jakob Meister (von Andrea Strübind) und zu Paul Schmidt (von Günter Balders), in: Balders, Ein Herr, S. 354 u. 358–359; und bei Fleischer, Streit, S. 166– 167. 1027 Paul Schmidt: Unser Weg als Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in den Jahren 1941–1946 [Bericht an den Bundesrat in der Sitzung vom 24.–26. 05. 1946 in Velbert], Stuttgart 1946, hier S. 4, vgl. auch S. 10; auf das positive Verhältnis zum RKM und seinem Freikirchenreferenten Haugg wird in dem Bericht mehrfach Bezug genommen. 1028 Vgl. Liese, Religionspolitik, S. 37.

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Hat sich der Blick der Baptisten auf den Staat gewandelt?

Schmidts Stellungnahmen, seine Haltung zum Staat sowie seine Deutung der Bibelstelle in Römer 13 wurden an der Gemeindebasis nicht unwidersprochen hingenommen, wie die verdienstvolle Quellenedition Roland Fleischers zu einer internen Kontroverse belegt, die von dem theologischen Laien Jacob Köbberling ausgegangen war.1029 Darüber hinaus lässt sich belegen, dass es auch innerhalb der Pastorenschaft eine differenzierte Sicht auf diese Bibelstelle gab, die von den in der NS-Diktatur gemachten Erfahrungen herrührte. Ein exegetisch fundierter und inhaltlich keine Kritik scheuender Widerspruch seitens der Gemeindebasis kam von eben jenem Mediziner Dr. Jacob Köbberling (1911–2005). Er stand der NS-Diktatur bereits vor 1945 ablehnend gegenüber und sah sich als Baptist der Bekennenden Kirche verbunden. Nach Kriegsende wurde er Leitender Internist am Evangelischen Krankenhaus in Holzminden und in dieser Stadt Mitbegründer einer Baptisten-Zweiggemeinde, der er als Pastor im Ehrenamt diente. Seit der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre engagierte er sich zudem politisch, als CDU-Kreistagsabgeordneter und später parallel dazu als Ratsherr in Holzminden; hier wurde er auch zum Bürgermeister gewählt.1030 1947 plante Köbberling seine ausführliche Stellungnahme zu Schmidts Bericht zu veröffentlichen, bekam aber starken Gegenwind von Seiten der Bundesleitung zu spüren, der er seinen Text am 22. März 1947 hatte zukommen lassen.1031 Es wurde ihm vorgeworfen, einen persönlichen Konflikt mit Schmidt austragen und öffentlich »schmutzige Wäsche« waschen zu wollen, was zum Schaden von Evangelium und Gemeinde sei.1032 Köbberling war hingegen der Auffassung, dass es geradezu biblisch sei, über inhaltliche Ausrichtungen auch öffentlich zu streiten (er bezog sich auf die Auseinandersetzung zwischen den Aposteln Paulus und Petrus) und sich eine solche Debatte, obwohl scharf geführt, durchaus im Geiste der Liebe bewegen könne.1033 Am Ende verzichtete Köbberling allerdings darauf, seine Schrift gegen den Willen der Bundesleitung zu drucken. Eine Kontinuität im Konflikt bestand insofern, als dass sich Köbberling bereits während der NS-Zeit am Kurs des Baptistenbundes gestoßen und diesen in

1029 Fleischer, Streit. 1030 Vgl. ebd. S. 157ff. sowie: [o. A.:] Dr. Jacob Köbberling feiert heute seinen 90. Geburtstag, in: Täglicher Anzeiger (Holzminden) vom 15. 08. 2001. URL: https://www.tah.de/119.html?&t x_ttnews%5Btt_news%5D=15733&cHash=14ea257ab500705c4be4005af637c7d1 (Aufruf: 28. 01. 2017). 1031 Fleischer, Streit. Vgl. vor allem seine Einführung S. 19. 1032 Vgl. das Schreiben Martin Sieberts an Jacob Köbberling im April 1947 und Ewald Fiedlers an Jacob Köbberling vom 17. 04. 1947, in: Fleischer, Streit, S. 112 u. 113, S. 116–118, Zitat: S. 117. 1033 Vgl. zum Beispiel das Schreiben von Jacob Köbberling an Eberhard Schröder vom 09. 03. 1947, in: Ebd., S. 108–110.

Zur Deutung von Römer 13

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einem offenen Rundbrief an Pastoren und andere kritisiert hatte.1034 In seinem Manuskript aus dem Jahr 1947 setzte er sich nun Abschnitt für Abschnitt mit der Argumentation und Sprache Schmidts auseinander. In Bezug auf dessen Auslegung der zentralen Passage von Römer 13 argumentierte Köbberling gänzlich anders und lehnte die von Paul Schmidt erläuterte Sicht als schwerwiegende Fehldeutung einer Bibelstelle ab: »Paulus selbst zeigt durch sein Leben mit den ständigen Konflikten mit den obrigkeitlichen Gewalten am deutlichsten, dass er einen solch unbedingten Gehorsam nicht gemeint haben kann. In Römer 13 spricht er davon eben nicht, hier beleuchtet er einen ganz anderen Zusammenhang. In Römer 13 handelt es sich um einen Konflikt [mit] der Obrigkeit, der aus der ›bösen Tat‹ entspringt und gerechte Strafe nach sich ziehen muss. Er fordert in diesem Abschnitt die Gemeinde auf, ›sich nicht vom Bösen überwinden zu lassen, sondern das Böse mit Gutem zu überwinden‹ (Röm. 12, 21). Nur von dieser Seite ist hier die Rede. Das macht sein profanes Beispiel des Steuerzahlens deutlich, wo er die schlichte Begründung gibt: ›Denn es sind Gottes Beamte, die für eben diesen Zweck unablässig ihres Amtes walten.‹ Nur von dieser legalen Seite der Obrigkeit ist hier die Rede: ›Und es gibt keine Obrigkeit, die nicht von Gott wäre.‹ Damit will Paulus aber sicherlich nicht sagen, dass dies die einzige Seite der Obrigkeit ist, nämlich ihre göttliche Einsetzung zur Bestrafung der Bösen mit dem Schwert und zur Belohnung der Guten mit ihrem Schutz. Etwas von diesem obrigkeitlichen, göttlichen Amt haftet jeder, auch der tyrannischen Obrigkeit an, und darin fordert sie Gehorsam von Christen und Nichtchristen. Für den Christen ist es außerdem eine Gewissensfrage, nicht nur aus Furcht vor Strafe, diesen schuldigen Gehorsam zu leisten. Doch es ist mit keinem Wort in Römer 13 die Rede von einem unbedingten Gehorsam auch da, wo es um mehr oder weniger offensichtliches Böses geht. Zwar kann der Christ in der Welt Böses erleiden, auch von der Obrigkeit, ohne mit Gewalt aufzubegehren, wie sein Herr und Meister selbst es tat, als er von der Obrigkeit abgeurteilt wurde. Es ist aber nirgends im Evangelium oder in den Briefen von einem Tun des Bösen oder einem Gutheißen des Bösen oder auch nur von einem Schweigen über das Böse die Rede. Das alles aber leiten die Ausleger von Römer 13 aus dieser Stelle ab, wenn sie in ihr einen unbedingten Obrigkeitsgehorsam ohne Widerspruch ablesen, indem sie die Stelle isolieren: ›Und die sich auflehnen, werden sich selbst ihre gerechte Strafe zuziehen.‹ […] Dass die Obrigkeit den Christen aber auch in einer anderen Weise begegnet, das ist sehr häufig in der Heiligen Schrift bezeugt, allerdings nicht gerade in Römer 13. Sowohl in den Evangelien als auch in den Briefen, besonders aber in der Offenbarung und in den prophetischen Büchern des Alten Testaments finden wir jene andere Darstellung der Obrigkeit, angefangen von dem kleinen tyrannischen Vierfürsten Herodes bis hin zu dem Bild von dem Tier aus dem Abgrund, das durchaus an moderne Staatsgebilde erinnert. Man gewinnt, wenn man das Neue Testament unbefangen liest, den Eindruck, dass die Gemeinde in einem ständigen Konflikt mit den Gewalten dieser Welt lebt, und dass Römer 13 eine isolierte Stelle für einen ganz bestimmten eng begrenzten Zusammenhang darstellt, den wir

1034 Vgl. Roland Fleischer: Einführung: Zur Geschichte der Baptisten im Nationalsozialismus, in: Ebd., S. 11–20, hier S. 17.

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Hat sich der Blick der Baptisten auf den Staat gewandelt?

oben zu kennzeichnen versuchten. Es ist also sehr unglücklich, wenn die Christen in Deutschland sich immer wieder auf diese Stelle berufen und dann ein generelles Verhältnis zur Obrigkeit begründen, das dem weltlichen Kadavergehorsam verzweifelt ähnlich sieht.«1035

Im gleichen Jahr, 1947, wurde auch aus der Pastorenschaft die Stimme gegen die tradierte Auslegung von Römer 13 erhoben, wenn auch die Differenz weniger deutlich formuliert und somit auch nicht als direkter Angriff auf Schmidts Apologie vorgetragen wurde. Zumindest indirekt aber lässt sich auch dies als eine Reaktion auf Schmidts Schrift lesen und als Aufruf werten, das bisherige Verständnis des Staates und der Bibelstelle in Römer 13 im Lichte der jüngsten Erfahrungen zu erweitern. Es war der Baptistenpastor Otto Johns, ein innerhalb der Gemeinschaft geachteter Exeget, der solches in seinem Vortrag mit dem Titel »Der Christ und der Staat« auf der »7. Theologischen Woche des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden« vom 28. August bis 2. September 1947 vor etwa 230 Predigern des Bundes in Grundschöttel versuchte.1036 Wir wissen aus der einschlägigen Sekundärliteratur wenig über Otto Johns (1903–1976).1037 In unserem Abschnitt zur nationalsozialistischen »Machtergreifung« ist uns Johns nicht dadurch bekannt geworden, dass er den Nationalsozialismus offen begrüßt hätte. Er fiel eher durch mäßigende, wenn nicht warnende Worte auf.1038 Otto Johns war Pastor der Baptistengemeinde in Varel gewesen (1930 bis 1933), ehe er lange Jahre in Hamburg-Altona wirkte (1934 bis 1956) und schließlich seine letzte Pastorenstelle in West-Berlin antrat (Gemeinde Berlin-Tempelhof, früher »Schmidtstraße«, 1957 bis 1968). Im Jahr 1949 rückte Johns für mehrere Jahre in die Leitung des »Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden« auf. Otto Johns’ Beitrag in Grundschöttel wurde im Organ des Baptistenbundes, das nun als Die Gemeinde erschien, am 1. November 1947 ausführlicher referiert und 1948 im Sammelband zur Tagung gedruckt. Der Geistliche kontextualisierte darin die »Kernstelle« von Römer 13 zunächst mit ganz unterschiedlichen neu1035 Jacob Köbberling: Der Weg einer Freikirche. Ihr Bekenntnis und ihre Haltung zum Staat, 1947, in: Fleischer, Streit, S. 79–103, Zitat: S. 91f. 1036 Paul Haverland: Theologische Woche 1947, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 2 (1947) 11 (1. November), S. 86 u. 87. 1037 Vgl. Strübind, unfreie Freikirche, S. 80, 124, 335. Herbert Gudjons: Otto Johns – ein Zeuge Jesu Christi in unserer Zeit, in: Otto Johns: Ich verkündige das Evangelium. Berichte, Vorträge und Predigten aus dem Leben eines Boten Gottes zusammengetragen von Gunter Johns, Kassel [o. J.], S. 7–16. 1038 Otto Johns: Die gegenwärtige Versuchungsstunde der Gemeinde, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 13 (26. März), S. 97. Otto Johns: Christus und die neue Zeit, in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 22 (28. Mai), S. 169–170.

Zur Deutung von Römer 13

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testamentlichen Perspektiven auf den Staat: er erwähnte die Aussage Jesu in Markus 10, 42 ebenso wie verschiedene Worte aus den paulinischen Briefen sowie jene Stelle aus der Offenbarung des Johannes, in welcher der Staat als »eine Schöpfung des Satans« erscheint.1039 Danach legt Johns die Passage aus Römer 13 ausführlicher aus; er betrachtet die im griechischen Urtext verwendeten Worte und geht darauf ein, was »Paulus von der Gemeinde« verlangt. Dabei stellt er fest, dass es sich bei dem geforderten Gehorsam »nicht um ein stupides ›Untertansein‹« handelt. »Nicht der blinde, weder nach Recht noch Unrecht fragende Gehorsam ist gemeint, sondern das sinnvolle Sicheinfügen in die staatlichen Gesetze und Rechte. […] ›Tue das Gute, meide das Böse!‹ Es geht um das Verständnis von Agatos und Kakos. Agatos bedeutet im NT. das menschlich Begehrenswerte ebenso wie das sittlich Gute. Kakos ist dagegen das Nicht-wünschenswerte, das Moralisch-verwerfliche. Beide Begriffe lassen sich eindeutig nur immer im Zusammenhang der Stelle erklären. [ …] Es geht um das politische und moralisch Gute, bezw. Böse. Und da sind wir in einem gefährlichen Bezirk. Nach Göbbels [sic] ist das gut, was dem Volke nützt! […] – Tue das Gute und meide das Böse und denke allezeit daran, daß alles seine Grenzen hat und daß Du eines Tages das politisch Geforderte nicht mehr mitmachen kannst, weil Du ein Jünger Jesu bist!«1040

Seinerzeit, so Johns in Anlehnung an andere Ausleger, habe der Text womöglich solchen Christen ins Gewissen geredet, die sich in Rom »besonders fromm« fühlten, »wenn sie keine Steuer« entrichteten, »sich nicht vor der Obrigkeit […] fürchteten und ihr keine Ehre […] zollten«. Doch Paulus hinterlasse im Blick auf den Staat viele »offene Fragen«; Johns betrachtete den Bibeltext nicht als eindeutige Handlungsanweisung, sondern als Herausforderung zur eigenen Prüfung: »Die persönliche Verantwortung und Entscheidung wird uns nicht abgenommen.«1041 Hierin unterschied er sich signifikant von Schmidt. Das mit diesen drei Schriften eben abgesteckte Feld zeigt, wie heterogen die Auslegung von Römer 13 und die daraus resultierende Haltung gegenüber dem Staat innerhalb des Baptismus nach Kriegsende war; die tradierte Sichtweise verfügte in der Leitung des Bundes aber über besondere Wirkungsmacht. Jedoch lässt sich schwer ermessen, wie weit diese Schrift von Paul Schmidt auch in die Gemeinden hineinwirkte. Will man untersuchen, wie der offizielle Baptismus im Bereich der Ortsgemeinden Einfluss zu nehmen versuchte, ist es sinnvoll, sich dem oben bereits erwähnten Zentralorgan des Bundes mit dem Titel Die Gemeinde zuzuwenden. 1039 Otto Johns: Der Christ und der Staat, in: Grundschöttel 1947. Vorträge der 7. Theologischen Woche des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, Stuttgart 1948, S. 5–21, hier S. 7. 1040 Ebd., S. 14f. 1041 Ebd., S. 15 u. 16.

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Die Haltung zu Politik, Staat und dem öffentlichen Leben im Gemeindeorgan Seit dem 1. April 1946 gab der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden eine Zeitschrift heraus, die im Jahr 1948 in einer Auflage von 25.000 gedruckten Exemplaren verbreitet wurde.1042 Die Gemeinde wurde von Otto Muske (1880– 1960) redigiert, der bereits Schriftleiter des Wahrheitszeugen gewesen war, unterstützt zunächst von Wilhelm Brockhaus (bis 15. Oktober 1948), dann von Karl Schütte (seit dem 1. Dezember 1948), der für diese Aufgabe von der baptistischen Friedensgemeinde in Berlin-Charlottenburg in das Verlagshaus des Bundes gewechselt war. Welche Spuren hat der Nationalsozialismus und der Zusammenbruch der NSDiktatur in den ersten fünf Jahrgängen dieser Zeitschrift hinterlassen – insbesondere hinsichtlich der Haltung zur Staatsgewalt? Überblickt man die diesbezüglichen Beiträge fällt auf, dass sie sich, sehr vergröbert, zwei unterschiedlichen »Lagern« zuordnen lassen. In der Rubrik »Aus der Schmiede«, wofür die Schriftleitung verantwortlich zeichnete ohne namentlich in Erscheinung zu treten, überwog ein zurückhaltender Ton: Es wurde darauf hingewiesen, dass die Gemeinden und ihre Angehörigen kein gesellschaftliches ›Wächteramt‹ innehätten. Dem standen aber verschiedene namentlich gezeichnete Artikel gegenüber, die gerade diesen Aspekt der Verantwortung der Gläubigen für das Gemeinwesen betonten. Allerdings waren sich beide Richtungen in einer entscheidenden Frage einig: in dem weitgehenden Verzicht auf politische Kommentare und parteipolitische Wahlempfehlungen. Dass Gläubige zum Urnengang verpflichtet seien, galt auch jenem »Lager« als eine Selbstverständlichkeit, das eine Distanz zum öffentlichen Leben einforderte – bezogen auf die Aussagen im Römer 13. Nach Kriegsende zeigte sich Die Gemeinde fassungslos über den Zusammenbruch der nationalsozialistischen Diktatur mit all seinen Begleiterscheinungen und deutete die Geschehnisse als »Gericht« Gottes über das deutsche »Volk«, was auf deren Sünden zurückverwies.1043 Doch die Beschreibung der nationalsozialistischen Verbrechen war vage, konkrete Personen oder Ereignisse blieben meist ungenannt. Bezeichnenderweise wurde der Judenmord ausgerechnet in jener Rubrik (»Rundschau«) unverhüllt angesprochen, in der fremde 1042 Vgl. Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.Freikirchlicher Gemeinden 3 (1948) 5, S. 37. 1043 Vgl. die Rubrik »Aus der Schmiede« sowie den Artikel »Wie sieht es in unserem Bunde aus?«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.Freikirchlicher Gemeinden 1 (1946), 1 (1. April), S. 3 u. 4. Hugo Hartnack: Ein schwerer Weg – ein herrliches Ende, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 1 (1946), 3 (1. Juni), S. 17 u. 18.

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Inhalte referiert wurden. In der Gemeinde-Ausgabe vom 25. März 1951 konnte man im Zusammenhang mit einem Vortrag des Genfer Rabbiners Dr. Zwierzynski über die Zerstörung der Synagogen im Deutschen Reich lesen: »In jenem furchtbaren Akt der Unmenschlichkeit gegen die Kultstätten der Juden und dem, was sich gegen die Juden selbst anschloss, sehen wir heute eine der Ursachen für die Gottesgerichte, die im Weltkrieg über uns hereingebrochen sind.«1044 Diese Deutlichkeit ließen selbst jene Autoren vermissen, die sich in den Nachkriegsjahren mit dem Thema des »Antichristen« auseinandersetzen. War der Nationalsozialismus oder Hitler mit jenem »Tier« aus dem »Abgrund« zu identifizieren, von dem in der Offenbarung des Johannes die Rede ist, und der von Gottes Gegenspieler, dem Satan, seine Macht erhielt? In einem mit »m« gezeichneten Artikel (was vermutlich für Schriftleiter Muske steht) wurden unterschiedliche Figuren der Geschichte erwähnt, die nach Auffassung des Autors dem Einflussbereich des Antichristen zuzurechnen seien. Dabei erwähnt er auch die NS-Zeit, jedoch nicht den Namen Hitlers – obwohl der Verfasser zuvor festgestellt hatte, dass der Antichrist kein System, sondern eine Person sei – und ging auch auf die NS-Verbrechen nur in unscharfer Weise ein: »Oder denken wir an die jüngste Vergangenheit zurück. Noch immer stehen wir fassungslos Vorgängen von geradezu apokalyptischen Ausmaßen und Schrecken gegenüber. Auch die kühnste Phantasie hätte sich derartiges nicht ausmalen können. Greuel der Verwüstung, himmelschreiende Ungerechtigkeit, Blutströme, Verherrlichung von Gewaltmenschen, dämonische Heuchelei, Christenhaß, Judenhetze, Unfreiheit, Boykott – Antichristentum!«1045

Otto Johns hingegen erwähnte in einer Artikelserie zu diesem Thema Hitler explizit und bezeichnete ihn als einen Vorläufer des Antichristen; dabei stellte er einen kausalen Zusammenhang zwischen dem Handeln des Einzelnen und dem Zusammenbruch des Deutschen Reiches her: Johns thematisierte, dass das »Volk« Hitler »in blinder Gläubigkeit« zur »Selbstvernichtung folgte und nicht aufbegehrte« und ging dabei auch mit der Gemeinde ins Gericht: die Gläubigen hätten die Geister nicht unterscheiden können, wie sonst wäre es zu erklären, dass »eine Offenbarung des Geistes von unten« im Raum der Gemeinde »Triumphe feierte.«1046 Angesichts der als Katastrophe wahrgenommenen zeitge1044 Quellenangabe: »K. i. Z«, Rubrik »Rundschau«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 6 (1951) 7 (25. März), S. 109. 1045 [Otto] M[uske]: Der Antichrist. Kurze Bemerkungen, die zum Weiterforschen anregen wollen, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.Freikirchlicher Gemeinden 5 (1950) 14 (2. Juli), S. 211–212, Zitat: S. 212. 1046 Otto Johns: Ende der Geschichte – oder Übergang in ein neues Zeitalter? 4. Die Offenbarung des Antichristus, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 1 (1. Januar), S. 4–6, hier S. 5.

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nössischen Situation wurde in der Gemeinde, insbesondere in der unmittelbaren Nachkriegszeit, jedoch als Trost hervorgehoben, dass Gott Herr der Geschichte sei – eine Sichtweise, auf die bereits nach dem Ende des Ersten Weltkrieges Bezug genommen worden war (siehe den ersten Teil dieser Studie).1047 Betrachten wir vor diesem Hintergrund nun die Haltung zum Staat im »defensiven Lager« etwas genauer. In der Schriftleiter-Sparte »Aus der Schmiede« betonten Muske und/oder Schütte, dass sich die Gläubigen von politischen Fragen fernhalten sollten. Besonders deutlich kam dies in der Ausgabe vom 1. Juli 1951 zum Ausdruck: »D i e Ve r s u c h u n g , s i c h i n p o l i t i s c h e H ä n d e l e i n z u l a s s e n , scheint manchen einflußreichen Persönlichkeiten innerhalb der Kirche immer wieder schwer zu schaffen zu machen! ›Unser Bürgerrecht ist im Himmel‹, sagt der Apostel. Trachtet nach dem, ›was droben ist!‹ Die himmlischen Interessen sind vordringlich und dulden keinerlei Ablenkung oder Vermischung. Paulus hätte seinen weitreichenden Einfluss ja auch dazu mißbrauchen können, gegen die Weltmacht in Rom zu wühlen. Da war durchaus nicht alles in Ordnung! Da wurden Kriege vom Zaun gebrochen; da gab’s Bestechlichkeit, Ungerechtigkeit, Gewaltpolitik ohne Aufhören. Der Apostel war sicher nicht blind dagegen [sic]. Aber er fühlte sich keineswegs dazu berufen als politischer Wächter aufzutreten. Er trieb auf seinen vielen Reisen keine Flüsterpropaganda und versuchte nicht, in den Häusern der Heiligen Zellen des Widerstandes zu bilden. In den sechzehn Kapiteln seines Briefes an die Römer findet sich kein einziges Wort, mit dem er die Regierungsmethoden N e r o s beargwöhnt und kritisiert, obwohl die Praktiken gerade dieses Kaisers große Angriffsflächen boten. Im Gegenteil, im 13. Kapitel des Römerbriefes ruft Paulus die Christen in Rom auf, der Obrigkeit untertan zu sein – nicht nur aus schicksalsmäßiger Bestimmung und natürlicher Bindung, sondern vor allem aus einer letzten, im Glauben begründeten Verantwortlichkeit: ›u m d e s H e r r n w i l l e n.‹«1048

Wenn die skizzierte Haltung zum Staat und zum politisch-gesellschaftlichen Leben in diesem »Lager« eine Reaktion auf Erfahrungen in der NS-Diktatur gewesen war, dann war sie nicht dadurch gekennzeichnet, Fehlentwicklungen künftig anzuprangern, sondern von der Überzeugung, dass sich die Gläubigen aus diesen Fragen heraushalten sollten. Es fällt in der eben zitierten Passage außerdem auf, wie schwer sich die Redaktion der Gemeinde mit der politischen Willensbildung durch die Parteien tat: Auseinandersetzungen zwischen den 1047 H[ugo] Mundhenk: Der Herr der Geschichte, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 1 (1946) 1 (1. April), S. 1. Vgl. auch die Rubrik »Aus der Schmiede«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 2 (1947) 12 (1. Dezember), S. 93 u. 95 im Zusammenhang mit dem Außenministertreffen der Siegerstaaten in London. 1048 Rubrik »Aus der Schmiede«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 6 (1951) 14 (1. Juli), S. 220.

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Parteien wurden als »Parteitreibereien«1049 bezeichnet, »Prahlereien« in den »miteinander konkurrierenden Parteiprogramme[n]« ausgemacht und die Schriftleitung zeigte sich von dem »kleinliche[n] Gezänk« des »Parteiwesen[s]« »abgestoßen«.1050 Dennoch betonte die Redaktion immer wieder, so am 1. Februar 1949, 1. September 1949 und am 14. Januar 1951, dass Wählen des Christen Pflicht sei: »Auf Grund von Röm. 13 und anderen Schriftstellen muß sich jeder klar werden darüber, w e m er seine Stimme geben soll, oder aber wie er seine Zugehörigkeit zur ›Partei der Nichtwähler‹ vor Gott und seinem Gewissen verantworten will.«1051 Darin sah man durchaus auch eine gesellschaftliche Verantwortung: »Wir bitten nur einen jeden Christenmenschen, auch in diesem Stück seine persönliche Verantwortung zu erkennen und danach zu handeln«. Jene, die »das himmlische Bürgerrecht besitzen«, sollen durchaus auch Verantwortung für das Gemeinwesen übernehmen und sei es nur, um durch die Einzelstimme »die Berufung eines – christlich gesinnten Stadtschulrates zu ermöglichen«.1052 So sehr die Redaktion auch darauf hinwirkte, die Gemeindemitglieder zur Wahl zu bewegen, so konsequent wurde – anders als vor der Wahl zur Weimarer Nationalversammlung oder hinsichtlich des November-Plebiszits von 1933 – jedoch darauf verzichtet, Wahlempfehlungen auszusprechen. Bei der Bundestagswahl im Jahr 1949 ließ die Redaktion unter anderem lapidar verlauten, dass, wer die Wahl, auch die Qual habe – geschrieben in der SchriftleiterSparte zwei Tage vor der Wahl, also am 12. August 1949 für die GemeindeAusgabe am 1. September 1949. »Gewiss, unser ›Politeuma‹, unser Bürgertum – man könnte auch sagen: unsere Politik, unser Bürgerstolz – ist himmlischer Natur. Und doch sollen wir der Stadt Bestes suchen und müssen dem Staate geben, was des Staates ist.«1053 Der Wahlausgang wurde nicht kommentiert, auf das Regierungspersonal der jungen Bundesrepublik nicht eingegangen. Wenn doch einmal auf das politische Geschehen Bezug genommen wurde, so geschah dies indirekt, etwa, als die Redaktion die ›Ohne-Mich-Bewegung‹ erwähnte um 1049 Ebd. 1050 Rubrik »Aus der Schmiede«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 3 (1. Februar), S. 44. 1051 Ebd. 1052 Ebd. Vgl. die Rubrik »Aus der Schmiede«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 17 (1. September), S. 265; sowie die Rubrik »Aus der Schmiede«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 6 (1951) 2 (14. Januar), S. 26: »Das Neue Testament stellt den Gläubigen ihre Staatsbürgerpflicht klar vor Augen: Untertan sein der Obrigkeit (dazu gehört wohl auch die Ausübung des Wahlrechts); Steuern zahlen dem, dem die Steuer gebührt; vor allen Dingen aber Fürbitte tun für die Obrigkeit und beten um ein ›ruhiges und stilles Leben‹, also um inneren und äußeren Frieden.« 1053 Rubrik »Aus der Schmiede«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 17 (1. September), S. 265.

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gleich darauf ostentativ fortzufahren, dass sie sich selbstverständlich nicht zur Frage der Wiederbewaffnung äußern werde, dass es aber »auch im R e i c h e G o t t e s […] immer solche [gebe], die ›nicht mitmachen‹.«1054 Betrachten wir nun das andere »Lager«. Hier waren es Hans Fehr und Willy Pracht, die in ihren Artikeln in eben dieser Zeitschrift ganz andere Schwerpunkte setzten. Besonders Pracht sprach sich stärker als die Redaktion der Gemeinde dafür aus, dass die Gläubigen Verantwortung für das Gemeinwesen übernähmen. Die Position der Christen in der Gegenwart zum »öffentlichen Leben«, argumentierte er 1948, gleiche jener »uninteressierte[n] Loyalität«, die für das Urchristentum kennzeichnend gewesen, die der zeitgenössischen Situation (»Trümmerfeld«) aber nicht angemessen sei. Auch er erinnerte an die Pflicht, das Wahlrecht auszuüben, ging aber noch etwas weiter: »Im N e u e n Te s t a m e n t gibt uns Jesus selbst einen Hinweis über unsere Pflichten gegenüber dem Staat. In seinem alle Zeiten überdauernden Wort: ›Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist‹, hat er uns geradezu ein Verbot gegen politische Enthaltsamkeit auferlegt. Nicht nur die Steuerentrichtung wird hier zu einer Pflicht erklärt, sondern alle Staatspflichten sind mit diesem Worte gemeint. Der damit zum Ausdruck kommende Gehorsam gegen den Staat soll aber bedingt bleiben durch den Gehorsam gegen Gott, dem man das, was Gottes ist, entrichten soll.«1055

Und im zweiten Teil seines Artikels, in dem er die Aufgabe von Christen in der Wiederherstellung von Vertrauen, Wahrheit und Gerechtigkeit betrachtete, formulierte Pracht: »Sollen wir angesichts all dessen, was wir über uns ergehen lassen mußten, uns als Christen in Zukunft fernhalten von der Einflußnahme auf das öffentliche Leben, wozu nicht zuletzt die Pflege des Rechts gehört?«1056 Allerdings machte auch er unmissverständlich deutlich: »I n u n s e r e n G e m e i n d e n und Gemeindehäusern, dort, wo Gottes Ehre wohnt, hat die Politik keinen Raum.«1057 Diese gleichsam erweitere Form der christlichen Verantwortung, die über die Ausübung des Wahlrechts hinausging, vertrat auch Hans Fehr (1894–1979). Der Pastor war Direktor eines Diakonissenhauses in Hamburg, seit 1949 Vorsitzender des Bundes-West1058 und in den Jahren 1956 bis 1965 Bundesvorsitzender.1059 In seinem Text »Die Gemeinde und der Sozialismus« argu1054 Rubrik »Aus der Schmiede«, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 6 (1951) 12 (3. Juni), S. 186. 1055 Willy Pracht: Wir und das öffentliche Leben, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 3 (1948) 10 (15. September), S. 74–75, Zitat: S. 75. 1056 Willy Pracht: Wir und das öffentliche Leben (Schluß), in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 3 (1948) 11 (1. Oktober), S. 82–83, Zitat: S. 83. 1057 Ebd. 1058 Vgl. die Bundespost 4/1949, in: Oncken-Archiv Elstal, Band ARC Dg 6 (1945–1949). 1059 Edwin Brandt: Chronik 1945–1984, in: Balders, Ein Herr, S. 301–338, hier S. 315 u. 321.

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mentierte er am 15. Juni 1949, dass die christliche Gemeinde versagt habe, weil sie sich nicht ausreichend um die sozialen Anliegen der Arbeiterschaft gekümmert habe: »Die Gemeinde hat auch Buße zu tun für ihr Versagen. Der Sozialismus hat das getan, was die Gemeinde, die mit dem Wächteramt für das Recht und die Würde des Menschen betraut ist, versäumte: er hat den Schrei der Arbeiter um den abgebrochenen Lohn gehört und weithin ausgerufen. Und wir haben geschwiegen. ›Wo diese werden schweigen, werden die Steine schreien.‹ Jedenfalls hat die [christliche, d. Verf.] Gemeinde als Ganzes von der Mitte des letzten Jahrhunderts bis in die Zeit kurz vor dem ersten Weltkrieg ihr Wächteramt nicht treulich geübt. Das wollen wir bekennen vor dem Herrn der Geschichte und vor der Welt. Sozialismus darf dem Christen nicht eine Theorie sein, sondern eine ganz praktische Betätigung. Christlich gesehen ist Sozialismus die Abkehr vom Ich und die Hinkehr zum Du.«1060

Und zuvor schon, am 1. Juni 1949, hatte er darauf hingewiesen, dass der Gemeinde ein soziales ›Wächteramt‹ zukomme.1061 Sind seine Stellungnahmen, kurz vor der Bundestagswahl publiziert, gleichsam als Angebot zum Friedensschluss mit der Sozialdemokratie zu lesen? So argumentierte Fehr beispielsweise: »Marx ging es nicht, und es geht der heutigen Sozialdemokratie, dem sogenannten revisionistischen Sozialismus, erst recht nicht um die Beseitigung des Eigentums. Es geht auch nicht mehr einseitig um Staatssozialismus oder Staatskapitalismus, was praktisch das gleiche ist, sondern man tritt ein für ein Nebeneinander verschiedener Formen von Gemeinwirtschaft, etwa Genossenschaft, kommunalen Betrieben, Vergesellschaftung der Grundindustrie wie Kohle und Eisen u. ä.«1062 Auch wenn diese Frage auf der textimmanenten Ebene offen bleiben muss – Hans Fehr könnte persönlich auch dem christlichen Sozialismus den Vorzug gegeben haben, der in dieser Zeit in Teilen der CDU virulent war – fällt doch ins Auge, dass zumindest die Sozialdemokratie nicht verdammt worden war, wie dies im Wahrheitszeugen von 1918/19 der Fall ge1060 Hans Fehr: Die Gemeinde und der Sozialismus, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 12 (15. Juni), S. 182–183, Zitat: S. 183. Der ›Soziale Gedanke‹ wurde 1949 bereits in der Rubrik »Aus der Schmiede« aufgegriffen: »Von den Büchern Mose bis zur Offenbarung begegnen wir überall sozialen Gedanken und Forderungen.«; in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 10 (15. Mai), S. 156. Vgl. auch die »Rundschau« vom 07. 05. 1950, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 5 (1950) 10 (7. Mai), S. 158. 1061 Hans Fehr: Gemeinde zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 11 (1. Juni), S. 164–165. 1062 Hans Fehr: Die Gemeinde und der Sozialismus, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 12 (15. Juni), S. 182–183, Zitat: S. 183.

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wesen war (auch wenn seinerzeit Bernhard Weerts durchaus um Verständnis für die Sozialdemokratie geworben hatte; vgl. die Ausführungen im ersten Teil dieser Studie.) Festzuhalten ist – auch im Blick auf die beiden Artikel von Hans Fehr aus dem Frühsommer 1949 –, dass weder konkrete Wahlempfehlungen gegeben wurden, noch ein politisches Engagement der Gläubigen im engeren Sinn empfohlen wurde. Fehr plädierte vielmehr dafür, dass die Gemeinde ihre Stimme erhebe, an das Gewissen appellieren und Veränderung auch durch einen vorbildlichen Lebenswandel bewirken solle.1063 Inwiefern unterschied sich der Blick der Baptisten auf den Staat in der Gründungsphase der Bundesrepublik also von den Haltungen in den Umbruchsphasen von 1919 und 1933? Für die Zeitschrift Die Gemeinde als wirkmächtiges Organ des Bundes war für die Jahre um 1949 eine ostentative Distanz zum politischen Leben kennzeichnend, wie es sie 1918/19 und um 1933 allenfalls in der Selbstwahrnehmung, nicht aber in der Praxis gegeben hatte: denn im Organ des Baptistenbundes ist zum Beispiel vor der Wahl zur verfassungsgebenden Nationalversammlung im Jahr 1919 offen vor bestimmten Parteien gewarnt, andere sind den Leserinnen und Lesern hingegen anempfohlen worden, außerdem kommentierte die Schriftleitung das politische Personal. 1933 wurde im Wahrheitszeugen zur Loyalität gegenüber der NS-Diktatur aufgerufen und den Gemeindemitgliedern angeraten, das NS-Regime beim November-Plebiszit mit einer »Ja«-Stimme zu stützen. Die oben beschriebene bewusste Distanz zum politischen Leben und dem jungen Staat der Bundesrepublik lässt sich insofern womöglich auch als eine Art Vorsichtsmaßnahme deuten; als eine Reaktion auf das eigenen Scheitern, nämlich einen Staat unterstützt zu haben, dessen verbrecherischer Charakter – theologisch formuliert: Sündhaftigkeit – nicht zu leugnen war. Es erhoben sich aber durchaus Stimmen, die gerade unter Berufung auf diese Erfahrungen ein stärkeres, öffentliches Engagement der Gemeinde respektive der Einzelnen forderten; diese Autoren waren am Staat und dem politischen System interessierter – auch wenn sie davon überzeugt waren, dass Politik und Gemeinde getrennt bleiben müssten. Solche Positionen wurden aber eher vereinzelt bezogen und beherrschten nicht das Erscheinungsbild des deutschen Baptismus der Nachkriegszeit. Auf der nicht-öffentlichen Seite verhehlten Bundesfunktionäre ihre politische Position nicht: Nach der Bundestagswahl vom September 1953, die von der CDU, mit Bundeskanzler Konrad Adenauer an der Spitze, mit großem Abstand gewonnen worden war, führte Paul Schmidt im internen Kreis der Bundesleitung laut seines einstimmig angenommenen Berichtes aus: 1063 Vgl. Hans Fehr: Gemeinde zwischen Kapitalismus und Sozialismus, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 11 (1. Juni), S. 164–165.

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»Zum ersten Mal in der parlamentarischen deutschen Geschichte des letzten Jahrhunderts hat eine sich christlich nennende politische Partei unter Führung eines grossen Kanzlers die Möglichkeit, christliche Politik zu treiben, d. h. dass sie es versuchen kann, auf der Grundlage der Schöpfungsordnung gesetzgeberisch zu handeln, besonders auf dem Gebiet der Sozialordnung, der Kulturordnung und des gesamten Zusammenlebens im Volk. Alle Christen in unserem Lande haben guten Grund dafür zu beten, dass die verantwortlichen Männer die Situation richtig erkennen und auch richtig zu werten versuchen. Es ist eine aussergewöhnliche Situation, die wohl keiner 8 Jahre nach Kriegsende für möglich gehalten hat.«1064

Ein kontinuitätsstiftendes Element der baptistischen Sicht auf den Staat war die Legitimation der eigenen Position durch die Passage in Römer 13. Insofern hatte die Bibelstelle eine Art Brückenfunktion im baptistischen Staatsverständnis inne. Diese Bibelstelle lieferte der Gemeinde-Schriftleitung die biblische Begründung zur Wahlpflicht und Stützung der Staatsgewalt – nun der in Westdeutschland neuverfassten Demokratie. Dass der Hinweis auf die Wahlpflicht des Gläubigen in der Zeitschrift öfter und variiert vorgetragen wurde, deutet darauf hin, dass die Autoren offenbar »Bedarf« hierfür gesehen haben – womöglich zogen es manche Gemeindemitglieder vor (oder erwogen es), den Wahlurnen fernzubleiben.1065 Dabei ließ die Redaktion durchaus durchblicken, dass sie mit der spezifischen Form einer Parteiendemokratie nicht ganz glücklich war, wie die Wortwahl (»Händel« und »Gezänk«) deutlich erkennen lässt. Diese Rhetorik erinnert zudem an jene Aussagen von Baptisten, die im Jahr 1933 rückblickend über das politische System der Weimarer Republik getätigt worden sind. Hiervon unterschied sich aber Willy Pracht in einer insofern anderen, aufgeschlosseneren Einstellung zur Demokratie, als dass er den Parteienstreit in seiner Stellungnahme zum Verhältnis von Christen im öffentlichen Leben nicht erwähnenswert fand: »Nachdem das von ihm [Hitler] auf dem Sandboden der Lüge aufgerichtete politische Gebäude zusammengestürzt ist und ein Neuaufbau unseres Staates nach den Gesetzen wahrer Demokratie, die uns aus unserem Gemeindeleben her

1064 Paul Schmidt: Allgemeine Übersicht. Bundesleitungssitzung am 19. bis 21. September 1953 in Kassel (Anlage 1 zum Protokoll), in: Oncken Archiv Elstal, Karton A 2 Sitzungsprotokolle der Bundesleitung, Ordner BL-Protokolle 1951/53. Vgl. Strübind, Baptisten in Deutschland, S. 409. Siehe zum politischen Weltgeschehen auch die »Allgemeine Übersicht« von Paul Schmidt für die Bundesleitungssitzung am 27. bis 29. 05. 1953 in Hamburg, in: Oncken Archiv Elstal, Karton A 2 Sitzungsprotokolle der Bundesleitung, Ordner BLProtokolle 1951/53. 1065 Darauf weist eine Leserzuschrift hin, die in der Rubrik »Aus der Schmiede« zitiert wird, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 4 (1949) 3 (1. Februar), S. 44.

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wohlvertraut sind, erfolgen soll, sind wir alle zur Mitarbeit an diesem Aufbau aufgerufen.«1066 In der unmittelbaren Nachkriegszeit hatte die Bezugnahme auf die Bibelstelle in Römer 13 auch eine schuldabwälzende Funktion, indem damit die Loyalität zum NS-Staat begründet worden ist, wie die Argumentation von Paul Schmidt in seinem Bericht aus dem Jahr 1946 zeigt. So wie es innerhalb der Zeitschrift Die Gemeinde unterschiedliche Positionen zur christlichen »Politikferne« gab, so war auch Schmidts Darlegung des baptistischen Wegs im »Dritten Reich« und das damit verbundene spezifische Verständnis von Römer 13 nicht unangefochten. Obwohl seine Haltung für die Gesamtheit der Baptisten und Brüder nicht repräsentativ war, so stand der »Bundesdirektor« Schmidt doch für den offiziellen Kurs – zumal sich der Vorsitzende der Bundesleitung, Jakob Meister, diesbezüglich publizistisch zurückhielt und eine offene Kontroverse über Schmidts Apologie nicht zustande kam.1067 Vor diesem Hintergrund mag es überraschen, dass auch der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden im Jahr 1948 als Mitunterzeichner eines Communiqués öffentlich die Stimme für Frieden und gegen die deutsche Teilung erhob. Doch dies geschah im Verbund mit der neu gegründeten ökumenischen Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen (ACK), dem der Bund ebenso beigetreten war wie die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden; es darf bezweifelt werden, dass der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden mit diesem Anliegen in dieser Phase auch als alleiniger Akteur öffentlich in Erscheinung getreten wäre.1068

1066 Willy Pracht: Wir und das öffentliche Leben (Schluß), in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 3 (1948) 11 (1. Oktober), S. 82–83, Zitat: S. 82. 1067 Hans Rockel gab Jacob Köbberlin zu verstehen, dass er ebenfalls nicht hinter Schmidts Bericht »Unser Weg« stünde, vgl. das Schreiben von Hans Rockel an Jakob Köbberling vom 27. 10. 1948, in: Fleischer, Streit, S. 133–134. 1068 Wort christlicher Kirchen in Deutschland für einen rechten Frieden und gegen die Zerreißung des deutschen Volkes, in: Die Gemeinde. Wochenzeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ des Bundes Ev.-Freikirchlicher Gemeinden 3 (1948) 4 (1. April), S. 31 u. 32. Seitens des BEFG unterzeichnet von Paul Schmidt und Hugo Hartnack. Vgl. zur ökumenischen Verbindung in dieser Phase: Andrea Strübind: Freikirchen und Ökumene in der Nachkriegszeit, in: Kirchliche Zeitgeschichte 6 (1993), S. 187–211; und Voigt, Ökumene in Deutschland [1948 bis 2001], siehe dort insb. das Kapitel 1.9.

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Die Interaktion mit dem Staat auf der Landesebene: das Fallbeispiel der Körperschaftsfrage in Württemberg-Hohenzollern Es begann mit einem Einspruch beim Städtischen Steueramt Tuttlingen. Ein Prediger des BEFG protestierte im südlichen Schwarzwald gegen seine »Veranlagung zur Feuerwehrabgabe«. Als Prediger einer als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaft sei er davon befreit; der Freikirchenbund, dem er angehöre, sei durch den Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten am 30. Oktober 1942 reichsweit anerkannt worden. Das Landratsamt in Tuttlingen stutzte. »Nach Ansicht des Landratsamts«, so schrieb es am 20. Juli 1950 an das Kultministerium Tübingen, »erhalten Religionsgemeinschaften ihren Charakter als Körperschaft des Rechts durch Bekanntmachung des Staatsministeriums des Landes. Es ist dem Landratsamt nicht gelungen, eine solche Bekanntmachung für Württemberg oder für Württemberg-Hohenzollern ausfindig zu machen.« Bevor man über die »eingelegte Berufung« entschied, wollte man sich vorsichtshalber aber bei der Regierung in Württemberg-Hohenzollern erkundigen.1069 Dort fragte man nun beim Kultusministerium des Nachbarlands Württemberg-Baden nach, ob der Bund dort womöglich den Körperschaftsstatus besitze. Doch Stuttgart musste gestehen, dass es diesbezüglich nicht aussagekräftig war, hatte sich aber bei der »Geschäftsstelle des Bundes« in Stuttgart, also bei der Freikirche, erkundigt und wisse, »dass der Bund diese Rechtsstellung jedenfalls in Preussen hatte«. Allerdings, so fuhr es einschränkend fort: »Nach der heute wohl überwiegend vertretenen Rechtsauffassung bedarf es zur Anerkennung der öffentlich rechtlichen Rechtstellung einer Religionsgemeinschaft in jedem Bundesland eines besonderen Verleihungsaktes.«1070 Damit waren grundlegende Problembereiche bezeichnet, welche Religionsgemeinschaften und Staat über den skizzierten regionalen Einzelfall und über den spezifischen Zeitabschnitt hinaus auf unterschiedliche Weise beschäftigten. Der Grund hierfür war in den Beratungen des Parlamentarischen Rats gelegt worden. Dort hatten die Deutsche Partei (DP), das Zentrum und die CDU/CSU zunächst einen Antrag gestellt, im Grundgesetz auf die besondere gesellschaftliche Bedeutung der Kirchen hinzuweisen und deren Freiheitsrechte festzuschreiben – was zugleich aber die übrigen Religionsgemeinschaften benachteiligt

1069 Schreiben des Landratsamts Tuttlingen an das Kultministerium Tübingen vom 20. 07. 1950, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1070 Schreiben des Kultministeriums in Stuttgart an das Kultministerium Württemberg-Hohenzollern vom 12. 09. 1950, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433.

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hätte.1071 Dr. Adolf Süsterhenn (CDU, 1905–1974) begründete dieses Ansinnen am 8. Dezember 1948 sowohl mit Blick auf die NS-Diktatur, wie auch auf den Einflussbereich der Sowjetunion im Zeichen des beginnenden Kalten Kriegs. In der 22. Sitzung des Hauptausschusses führte er aus: »Daher kann man auch nicht an der Tatsache vorbeigehen, daß gerade die Kirchen insbesondere in der nationalsozialistischen Ära neben anderen Gruppen die stärksten Vorkämpfer für den Gedanken der persönlichen Freiheit und der Menschenwürde gewesen sind. Dies gilt aber nicht nur für die hinter uns liegende nationalsozialistische Ära. Wenn wir den Kampf betrachten, der in den Staaten des Ostens um die Sicherung der Freiheit und Menschenwürde geführt wird, dann sehen wir auch da, daß die christlichen Kirchen in der vordersten Linie stehen.«1072

Dr. Fritz Eberhard (SPD, 1896–1982) ließ dieses Argument nicht gelten und entgegnete, auch auf seine eigene Biografie im sozialistischen Widerstand bezugnehmend: »Die Widerstandskraft, die die Kirchen gegen totalitäre Willkür in der Vergangenheit an den Tag legten und auch in der Gegenwart zeigen, verdient durchaus eine gerechte Würdigung. Sie war nicht bei allen Kirchen und zu allen Zeiten gleich groß und stark. Aber man muß wohl sagen, daß die Widerstandskraft gerade der katholischen Kirche weitgehend in derselben Richtung wie die der sozialistischen Arbeiterbewegung gewirkt hat. Sie wird bei der Abwehr weiterer totalitärer Angriffe von Bedeutung sein. Gerade weil wir das sehen, stimmen wir gegen die Aufnahme der Artikel, wie sie der Antrag fordert.«1073

Bezeichnenderweise spielte in dieser Diskussion des Hauptausschusses aber die Frage nach der Gleichbehandlung der unterschiedlichen Religionsgemeinschaften kaum eine Rolle, während dies in der Weimarer Nationalversammlung im Zusammenhang mit der Stellung der Kirche im Staat noch explizit der Fall gewesen war – bis hin zur Nennung von einzelnen kleineren Glaubensgemeinschaften in der Diskussion (vgl. dazu die Ausführungen im ersten Teil). Allenfalls eine Bemerkung von Dr. Bergsträsser (SPD) verweist auf diesen Kontext (seine Aussage weist aber keinen direkten freikirchlichen Bezug aus), als er zur Begründung von Dr. Süsterhenn (CDU) u. a. meinte: »Aber ein Verfahren, das Kirchenrechte besonders festlegen will, würde, wenn man konsequent denkt, auch anderen Gruppen den Anspruch auf gleiche Behandlung geben.«1074 Vor allem aber verwies die SPD darauf, dass diese Frage als kulturelle Angelegenheit

1071 Vgl. dazu Christian Walter: Religionsverfassungsrecht. In vergleichender und internationaler Perspektive, Tübingen 2006, S. 187. 1072 22. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats vom 08. 12. 1948, in: Parlamentarischer Rat: Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 255. 1073 Ebd., S. 258. 1074 Ebd., S. 256. Vgl. dazu Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 187.

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von den Ländern geregelt werden müsse und stellte sich dem Antrag ebenso entgegen wie die FDP. Am Ende votierte die Mehrheit der Mitglieder dafür, »die Weimarer Kirchenartikel als vollgültiges Verfassungsrecht in das Grundgesetz zu inkorporieren«.1075 Dementsprechend enthält Artikel 140 GG (bis) heute den Verweis: »Die Bestimmungen der Artikel 136, 137, 138, 139 und 141 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 sind Bestandteil dieses Grundgesetzes.« Die Umsetzung dieser Idee ging dabei maßgeblich auf die FDP-Mitglieder Dr. Theodor Heuss (1884–1963) und Dr. Hermann Höpker-Aschoff (1983–1954) zurück1076, was zeitgenössisch von Rudolf Smend mit wenig Begeisterung kommentiert worden ist: »Der Art. 140 ist nicht das Ergebnis einer klar bewußten grundsätzlichen staatskirchenpolitischen Entscheidung des Parlamentarischen Rats, sondern gehört mehr unter die Verlegenheitsergebnisse verfasster Parlamentsarbeit, er ist nicht weit entfernt vom Typus der sogenannten Formelkompromisse.«1077 Das Religionsverfassungsrecht der jungen Bundesrepublik schrieb somit den Kirchenkompromiss von 1919 fort, in dem seinerzeit ein Staatskirchentum verneint, den Großkirchen aber der unscharfe Titel einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen worden war – verbunden mit der Option für kleine Religionsgemeinschaften, diesen Status ebenfalls zu erwerben; alternativ konnten sich diese weiterhin auf dem Weg des Vereinsrechts (gem. BGB) organisieren. Fortgeschrieben wurde auch das zugrundeliegende Prinzip der Länderzuständigkeit, und somit das Problem der territorialen Gültigkeit und die Frage nach der Praxis der Zweitverleihung von Körperschaftsrechten. Genau das war in unserem Fallbeispiel in Württemberg-Hohenzollern der zentrale Punkt. Seitens des Staates dominierte die Sichtweise, dass der Status von jedem Bundesland aufs Neue bestätigt werden müsse. Doch wie sah es mit dem Körperschaftsstatus der Baptisten in den Bundesländern aus, die aus Preußen hervorgegangen waren und sich nun zum Teil aber auch aus Gebieten zusammensetzen, die nicht-preußischer Herkunft waren? Davon war das 1947 gegründete Bundesland Württemberg-Hohenzollern ja betroffen, indem es die ehemals preußischen »Hohenzollerische Lande« integrierte. Und hatten die Baptisten mit der Vereinigung zum Freikirchenbund im Jahr 1942 womöglich sogar reichsweite Körperschaftrechte erhalten? 1075 Stefan Korioth: Die Entwicklung der Rechtsformen von Religionsgemeinschaften in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Hans G. Kippenberg und Gunnar Folke Schuppert (Hg.): Die verrechtlichte Religion. Der Öffentlichkeitsstatus von Religionsgemeinschaften, Tübingen 2005, S. 109–139, Zitat: S. 126. Vgl. zur Kontextualisierung: Horst Dreier: Staat ohne Gott. Religion in der säkularen Moderne, München 2018, S. 89–92. 1076 Walter, Religionsverfassungsrecht, S. 187. 1077 Rudolf Smend: Staat und Kirche nach dem Bonner Grundgesetz, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 1 (1951) 1, S. 4–14, Zitat: S. 11.

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Auf die letzte Frage wusste die Regierung Württemberg-Hohenzollern in Tübingen nicht so recht zu antworten, als es dem Landratsamt in Tuttlingen am 19. September 1950 schrieb.1078 Dort wollte man den Einspruch wegen der Feuerwehrsteuer endlich entschieden wissen.1079 Weil auf Seiten des Staates aber unklar geblieben war, wie die Vereinigung von 1942 zu bewerten seien, flatterte Ende Januar 1951 im Tübinger Kultministerium erneut Post aus Tuttlingen ein. Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland habe nun seine Verfassung vorgelegt, mit der er beweisen wolle, dass er tatsächlich über reichsweite Körperschaftsrechte verfüge. Es ging, so das Landratsamt, im Übrigen nun nicht mehr nur um die Feuerwehrabgabe eines Predigers, die Freikirche habe im vergangenen Jahr auch ein Grundstück erworben und dort ein Kirchengebäude errichtet.1080 Das Ministerium antwortete nun, mit Blick auf die Verfassung des Bundes, in welcher der Erlass des Reichsministers für die kirchlichen Angelegenheiten zitiert wurde, dass die Verleihung der Körperschaftsrechte klar auf Preußen im Jahr 1930 bezogen sei, der Freikirchenbund »kann deshalb in WürttembergHohenzollern derzeit nicht als Körperschaft des öffentlichen Rechts angesehen werden«.1081 Doch damit war der Fall noch nicht erledigt. Denn nun schaltete sich das Bundeshaus, also die Leitung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, mit einer Eingabe an das Tübinger Ministerium in die Angelegenheit ein.1082 Das Kernargument bezog sich immer noch darauf, dass die Körperschaftsrechte durch das Reichskirchenministerium seinerzeit reichsweit anerkannt worden seien. Man könne doch, so ein am Ende fast beiläufig erwähnter Hinweis, beim Kultusminister in Hessen nachfragen. Ein Hinweis darauf, dass Hessen auch Teile des ehemaligen Landes Preußen umfasste, fehlte. Es kann somit angenommen werden, dass die Bundesführung mit diesem Argument gar nicht hatte auffahren wollen.

1078 Schreiben [Entwurf] des Kultministeriums Tübingen an das Landratsamt Tuttlingen vom 22. 09. 1950 (am gleichen Tage verschickt), in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1079 Vgl. das Schreiben des Landratsamtes Tuttlingen an das Kultministerium Tübingen vom 13. 09. 1950, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1080 Schreiben des Landratsamtes Tuttlingen an das Kultministerium Tübingen vom 24. 01. 1951, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1081 Schreiben des Kultministeriums Tübingen an das Landratsamt Tuttlingen vom 05. 03. 1951, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1082 Vgl. die Abschrift der Eingabe des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland an das Kultministerium des Landes Württemberg-Hohenzollern vom 19. 05. 1951, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433.

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Am 21. Juni 1951 fragte das Tübinger Kultministerium in Wiesbaden nach1083, das am 6. Juli 1951 antwortete, »dass der Bund der Baptistengemeinden in Deutschland (Bund Ev.-Freikirchlich. Gemeinden in Deutschland) dem auf Grund des Beschlusses des Preußischen Staatsministeriums vom 18. 8. 1930 die Körperschaftsrechte verliehen wurde, in den ehemals preußischen Gebieten des Landes Hessen (Regierungsbezirk Wiesbaden und Kassel) die Körperschaftsrechte besitzt aber nicht in den Gebieten des ehem. Großherzogtums Hessen (Regierungsbezirk Darmstadt).«1084

Es werde hinsichtlich der betreffenden Religionsgemeinschaften aber eine gesetzliche Vereinheitlichung erwogen. Mit Erlass des Kirchenministers aus dem Jahr 1942 sei nur die Satzung anerkannt, kein Körperschaftsrecht verliehen worden. Nur wenig später trug das Hessische Kultusministerium in einem Schreiben an Tübingen nach, dass dem Freikirchenbund nun »am 14. Juli 1951 die Körperschaftsrechte für das ganze Land Hessen bestätigt worden sind.«1085 Das hatte aber keine unmittelbare Wirkung auf die Beantwortung der Eingabe des Bundeshauses seitens des Tübinger Ministeriums. Im Blick auf die Anerkennung des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden wurde gleichsam noch einmal alles auf Null gestellt: Falls der Freikirchenbund darauf bestünde, den Antrag weiterbehandelt zu wissen, also wenn er die Körperschaftsrechte in Württemberg-Hohenzollern weiter begehre, so das Ministerium, müsste erst einmal dargelegt werden, »ob der Bund Ev.-Freikirchlicher Gemeinden eine Religionsgemeinschaft im Sinne des Art. 137 Abs. 5 Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Art. 140 des Grundgesetzes ist.« Geklärt werden müsse, wie der Bund entstand, ob er nach seiner Verfassung und Mitgliederzahl »Gewähr der Dauer« biete, wie es mit den Mitgliedszahlen im Land Württemberg-Hohenzollern sowie mit dem Vermögensstand aussehe.1086 Bundesdirektor Schmidt bestätigte einigermaßen schmallippig den Eingang des Schreibens. Er nahm es lediglich zur Kenntnis und kündigte an, »in nächster Zeit einen entsprechend

1083 Schreiben des Kultministeriums Tübingen an das Hessische Staatsministerium für Kultus und Unterricht vom 21. 06. 1951 (Entwurf/Vorlage), in: Landesarchiv Baden-Württemberg/ Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1084 Schreiben des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung an das Kultusministerium des Landes Württemberg-Hohenzollern vom 06. 07. 1951, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1085 Schreiben des Hessischen Ministers für Erziehung und Volksbildung an das Kultusministerium des Landes Württemberg-Hohenzollern vom 14. 07. 1951, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1086 Schreiben des Kultministeriums Württemberg-Baden an den Bund Ev.-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland vom 07. 08. 1951, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/ Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433.

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begründeten Antrag […] einzureichen.«1087 Der Bund erklärte sich zur Ochsentour bereit, indem er in einer Sitzung des Leitungsgremiums Anfang 1952 festlegte, in »Bayern, Württemberg und Baden« die Körperschaftsrechte zu beanspruchen.1088 Nachdem sich im Jahr 1952 die Länder Württemberg-Baden, Baden und Württemberg-Hohenzollern zum Südweststaat Baden-Württemberg vereinigt hatten, dauerte es noch einmal drei Jahre bis in diesem Bundesland dem Freikirchenbund die Körperschaftsrechte zuerkannt wurden.1089 In den 1950er- und 1960er-Jahren war dies noch in Schleswig-Holstein (1952), Rheinland-Pfalz (1957), Bremen (1962) und Niedersachsen (1969) der Fall; andernorts zog sich die Verleihung der Körperschaftsrechte sogar noch bis in die 1980er-Jahre hin und wurde im Freistaat Bayern vom Freikirchenbund sogar vor dem Verwaltungsgericht in München erstritten (Urteil vom 13. Oktober 1982).1090 Wie wichtig der Status »Körperschaft des öffentlichen Rechts« indessen in der politischen Auseinandersetzung sein konnte – sowohl der Rekurs darauf als Argument in der politischen Auseinandersetzung respektive in der Interaktion zwischen Freikirchen und Staat als auch in der praktischen, rechtlichen Umsetzung von politischen Anliegen –, zeigt ein anderes Beispiel aus der Gründungsphase der Bundesrepublik, nun auf der Bundesebene: der Streit um staatliche Zuschüsse für Versorgungsempfänger.

Lobbyarbeit in Finanzangelegenheiten – Fühlungnahme mit Parlamentariern und Aushandlung auf ministerieller Ebene Am 16. April 1951 hatte das Bundesfinanzministerium mit den evangelischen Landeskirchen und der katholischen Kirche ein Abkommen geschlossen, um sie bei deren Pensionszahlungen an heimatvertriebene und »sonstige verdrängte«

1087 Schreiben des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland an das Kultusministerium des Landes Württemberg-Baden vom 03. 09. 1951, in: Landesarchiv Baden-Württemberg/Staatsarchiv Sigmaringen, Wü 80 T 1-2 Nr. 433. 1088 Protokoll der Sitzung der Bundesleitung vom 14. bis 16. 02. 1952 in Berlin-Dahlem, in: Oncken-Archiv Elstal, Karton A 2 Sitzungsprotokolle der Bundesleitung. 1089 Gesetzblatt Baden-Württemberg Nr. 5, Seite 50 (Herausgegeben am 11. 03. 1955, bekanntgegeben am 01. 03. 1955). Vgl. dazu C. Löser: Der Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften am Beispiel des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (BEFG). URL: http://www.cloeser.org/ext/Staatskirchenrechtliche_Studie_B EFG.pdf (Aufruf: 28. 08. 2020). 1090 Vgl. dazu die vorzügliche Übersicht von Löser, Körperschaftsstatus; zu Bayern auch: Hermann Weber: Die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religionsgemeinschaften. Grundsätzliche und aktuelle Probleme [1989], in: Ders.: Gesammelte Werke, München 1996, S. 354–395, hier S. 358f.

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Kirchenbedienstete zu bezuschussen1091 – wobei gemeinhin mit »Verdrängte« verklausuliert jene gemeint waren, die ihren Arbeitsplatz aus politischen Gründen, also durch die »Entnazifizierung« aufgrund ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit, verloren hatten.1092 Es wurde vereinbart, zunächst jährlich sechs Millionen DM an beide Kirchen auszuschütten (1951 bis 1953), danach sollte sich der Betrag sukzessive verringern (1954: 4,5 Millionen DM, 1955: 3,5 Millionen DM etc.).1093 Der Geschäftsführer des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, Paul Schmidt, hatte von diesem Abkommen offensichtlich aus der Presse erfahren und sich daraufhin am 7. Dezember 1951 an den Bundestagsabgeordneten Paul Bausch gewandt, dem er auf unterschiedliche Weise verbunden war. Paul Bausch (1895–1981) stammte aus dem schwäbischen Korntal, sein pietistisch frommer Vater war Lehrer und Hausvater am dortigen Waisenhaus der Brüdergemeinde.1094 Die Familie war laut seines Lebenslaufes evangelisch1095, gehörte einer Freikirche somit nicht an, doch Paul Bausch war mit dem freikirchlichen Spektrum vertraut, nicht zuletzt durch seine Beziehung zu Paul Schmidt: Mit ihm teilte er nicht nur einen persönlich-verbindlichen Glauben, sondern auch eine gemeinsame politische Vergangenheit. Bausch, Mitbegründer des Christlich-Sozialen Volksdienstes (CSVD), war am Ende der Weimarer Republik gemeinsam mit Paul Schmidt Reichstagsabgeordneter dieser Partei gewesen (Schmidt unterzeichnete seinen Brief an ihn »In freundschaftlicher Verbundenheit«1096). Nach 1945 war Bausch Mitbegründer der CDU in Württemberg, 1946 Mitglied der verfassungsgebenden Landesversammlung, dann Mitglied des Landtages von Württemberg-Baden und wurde 1949 als Direktkandidat in den ersten deutschen Bundestag gewählt.1097 In Paul Bausch hatte der Baptist aber nicht nur einen Ansprechpartner, der sein Anliegen verstand und unterstützte, sondern traf zugleich auch auf einen Politiker, der als Vorstandsmitglied der CDU/CSU-Fraktion sowohl über größeren Einfluss innerhalb seiner Partei ver-

1091 Vgl. den Vermerk vom 30. 03. 1953 und das Schreiben des Bundesinnenministeriums an das Bundesfinanzministerium vom 03. 02. 1954 sowie das Schreiben des Bundesfinanzministeriums an das Bundesinnenministerium vom 10. 04. 1954 (hieraus das Zitat), in: BArch B 106/32287. 1092 Vgl. zu diesem Komplex (im Zusammenhang mit dem Artikel 131 GG): Ulrich Herbert: Best. Biographische Studien über Radikalismus, Weltanschauung und Vernunft 1903– 1989, München 2016, S. 508. 1093 Vermerk des Bundesministeriums des Innern vom 05.11.53, in: BArch B 106/32287. 1094 Lebenslauf »Paul B a u s c h , seit 1949 Mitglied des Bundestag[s], wohnhaft in Korntal«, in: BArch N 1391 [Nachlass Paul Bausch], Nr. 3. 1095 Ebd. 1096 Schreiben Paul Schmidts an Paul Bausch vom 07. 12. 1951, in: BArch B 106/32287. 1097 Lebenslauf »Paul B a u s c h , seit 1949 Mitglied des Bundestag[s], wohnhaft in Korntal«, in: BArch N 1391 [Nachlass Paul Bausch], Nr. 3.

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fügte als auch im Parlament als CDU-Obmann im wichtigen Haushaltsausschuss des Bundestages eine bedeutsame Rolle spielte.1098 In seinem Schreiben vom 7. Dezember 1951 legte Schmidt seinem Parteifreund aus früheren Tagen zunächst den Sachverhalt dar und verwies dann zum einen darauf, dass der BEFG von den Kirchen und Religionsgemeinschaften prozentual am stärksten von dem Problem der Versorgung vertriebener Prediger oder ihrer Angehörigen betroffen sei (die Frage der »verdrängten« Kirchenbeamten spielte bei ihm in der gesamten Diskussion keine Rolle); zum anderen zog Schmidt die politische Karte: Bei den ausländischen Schwesterkirchen, so argumentiert er, würde die deutsche Kirchenpolitik durch ihre Einseitigkeit Stirnrunzeln hervorrufen. Hingegen wäre es gegenüber der »Baptist Church« im Ausland ein Ausweis an religiöser Gleichberechtigung, wenn die deutsche Regierung die Freikirchen in Deutschland an den Abkommen mit den Großkirchen beteiligen würde; für einen »echt demokratischen Staat, wie wir es heute sind« wäre das nur billig. Paul Bausch nahm sich dieses Anliegens an und schrieb am 27. Februar 1952 an Bundesinnenminister Lehr: Freikirchen, die Körperschaften öffentlichen Rechts seien, dürften nicht benachteiligt werden.1099 Ein Argument, das die folgende Diskussion in entscheidender Weise prägte. Als Bausch keine Antwort erhielt, wurde er am 13. Februar 1953 im Ministerium vorstellig und stieß durchaus auf offene Ohren.1100 Dass eine Glaubensgemeinschaft dabei Körperschaft des öffentlichen Rechts sein müsse, um gegebenenfalls von staatlichen Leistungen zu profitieren, war dabei als Leistungsvoraussetzung bereits gesetzt. Zudem sprach der Parlamentarier den Sachverhalt am 10. März 1953 auch im Haushaltsausschuss des Bundestages an.1101 Nach Paul Bausch sprach in dieser Angelegenheit am 27. März 1953 auch der BEFG selbst im Ministerium vor.1102 Nach den Angaben von Paul Schmidt hätten rund 38.000 Mitglieder des Bundes ihre Heimat »jenseits Oder–Neisse« verloren, was einem Anteil von 38 Prozent entspräche.1103 Das zeigte, von welch großer Bedeutung das Thema für die Freikirche der Baptisten insgesamt war. Die beantragte Summe an Zuschüssen belief sich auf 90.000 DM. Doch zunächst tat sich 1098 Veröffentlichte Daten aus dem Leben von Herrn Paul Bausch, in: BArch N 1391 [Nachlass Paul Bausch], Nr. 3. Lebenserinnerungen Paul Bausch, Manuskript, vgl. S. 246 u. 248, in: BArch N 1391, Nr. 37. 1099 Schreiben von Paul Bausch an Bundesinnenminister Lehr vom 27. 02. 1952, in: BArch B 106/ 32287. 1100 Vermerk Staatssekretär II für Abteilungsleiter II vom 13. 02. 1953, in: BArch B 106/32287. 1101 Auszug aus dem Kurzprotokoll der 223. Sitzung des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages am Dienstag, den 10. 03. 1953, in: BArch B 106/32287. 1102 Vermerk von MR Kuhbier vom 27.03.51, in: BArch B 106/32287. 1103 Vgl. die handschriftliche Tabelle des BMI und das Schreiben des BEFG an das Bundesinnenministerium vom 09. 05. 1953 (Durchschrift), in: BArch B 106/32287.

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im Ministerium offenbar nichts. Deshalb erinnerte Paul Schmidt nach der Bundestagswahl mit Schreiben vom 30. Oktober 1953 nochmals an sein Anliegen. Er bat darum, »die Angelegenheit nunmehr im positiven Sinne recht bald zu erledigen« und verwies selbstbewusst darauf, »dass wir als Religionsgemeinschaft Körperschaft des öffentlichen Rechts der Meinung sind, dass in diesem Stück eine Gleichsetzung mit den beiden großen Volkskirchen erfolgen sollte.«1104 Das Bundesinnenministerium versuchte im November 1953 offenbar Zeit zu gewinnen, es behandelte den Fall dilatorisch: Man könne noch keine abschließende Aussage treffen, es gebe mehrere Anträge, die zusammen beschieden werden sollten.1105 Am 9. April 1954 wandte sich der CDU-Abgeordnete Bausch erneut an das Bundesinnenministerium, dabei schien eine Lösung bereits in Sichtweite gewesen zu sein, denn er rief Staatssekretär Bleek in Erinnerung: »Ich glaube doch, daß es eine gute Sache wäre, wenn man den besprochenen Plan [Einsparung bei den Großkirchen, d. Verf.] realisieren könnte. Es muß wie in der Weimarer Zeit grundsätzlich daran festgehalten werden, daß die Rechtsstellung der Freikirchen innerhalb des Staates gegenüber den Landeskirchen nicht gemindert ist.«1106 Doch das Vorhaben scheiterte am Bundesfinanzministerium. Das Finanzressort machte unmissverständlich deutlich, dass es mit ihm eine Ausdehnung des Abkommens mit den Kirchen auf die Freikirchen nicht geben werde – und zwar nicht nur aus haushälterischen Gründen, sondern zuallererst aufgrund der Tatsache, dass diese in einem anderen Verhältnis zum Staat stünden. Freikirchen verfügten über »keinerlei Bindungen« zum Staat. Es sei den evangelischen Landeskirchen aber unbenommen, die Freikirchen aus ihren Zuschüssen zu unterstützen.1107 Das brachte Paul Bausch in Rage. Er schrieb dem Bundesfinanzminister Fritz Schäffer – den er grundsätzlich sehr schätzte und retrospektiv in einem Manuskript seiner Lebenserinnerungen über den grünen Klee lobte1108 – einen deutlichen Brief, in dem er Haltung und Praxis des Hauses kritisierte. »1.) Im Gegensatz zu der Zeit bis 1918 hat der Weimarer Staat die evangelischen Freikirchen gegenüber den beiden großen Landeskirchen [sic] grundsätzlich als gleichberechtigt anerkannt. Darüber haben in der Weimarer Republik sehr tiefgreifende Aus1104 Schreiben Paul Schmidt an den Bundesinnenminister vom 30. 10. 1953, in: BArch B 106/ 32287. 1105 Antwortschreiben des Bundesinnenministeriums an den BEFG vom 12. 11. 1953 (Entwurf), in: BArch B 106/32287. 1106 Schreiben Paul Bausch an das Bundesinnenministerium vom 09. 04. 1954 [maschinenschriftlich, eingefügte handschriftliche Korrekturen nicht berücksichtigt], in: BArch B 106/ 32287. 1107 Schreiben Bundesfinanzministerium an das Bundesinnenministerium vom 10. 04. 1954; bekräftigt im Schreiben vom 12. 07. 1954, in: BArch B 106/32287. 1108 Lebenserinnerungen Paul Bausch, Manuskript, S. 246, in: BArch N 1391 [Nachlass Paul Bausch], Nr. 37.

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einandersetzungen stattgefunden, die zur vollen Anerkennung der Freikirchen geführt haben in der Weise, daß hierüber eine Diskussion nicht stattfand. Zuschüsse aus Reichsmitteln haben weder die großen Kirchen noch die Freikirchen bezogen. […] 2.) Ich halte es für vollkommen undiskutabel [sic], daß der Bund nunmehr in der heutigen Zeit die evangelischen Freikirchen hinter den Status der Weimarer Republik zurückstellt und sie etwa als Kirchen minderen Rechts behandelt. Dafür hätte der Bund nicht nur den geringsten Anlaß, sondern auch keinerlei rechtliche Legitimation. 3.) Wenn der Bund also den beiden großen Landeskirchen [sic] Zuschüsse für bestimmte Zwecke aus Haushaltsmitteln gewährt, dann kann den evangelischen Freikirchen billigerweise eine solche Zuwendung nicht verweigert werden, sonst würde dies eine Diskriminierung und rechtliche Minderstellung der evangelischen Freikirchen bedeuten. 4.) Der von Ihnen erörterte Gedanke, es müsse der Evangelischen Kirche in Deutschland überlassen bleiben, im Rahmen des ihr zufließenden Bundeszuschusses den evangelischen Freikirchen in Fällen besonderer Dringlichkeit eine Unterstützung angedeihen zu lassen, ist schon deshalb undurchführbar, weil die Freikirchen dadurch zu Unterstützungsempfängern der Evangelischen Landeskirche gemacht würden.«1109

Es ging inzwischen um vier antragstellende Freikirchen (BEFG, Methodisten, Herrnhuter und die Evangelisch-Lutherische Kirche Alt-Preußens) mit einem Antragsvolumen von zusammen 166.000 DM.1110 Am gleichen Tag unterrichtete Bausch das Innenressort über sein Schreiben an das Bundesfinanzministerium und machte deutlich, dass es in dieser Sache einer Entscheidung des Parlaments, also nicht des Finanzministeriums, bedürfe.1111 Die Reaktion des Bundesfinanzministeriums (Ministerialdirektor von Schmiedeberg) war abweisend. Wenn Freikirchen bei diesen Abkommen außen vor gelassen werden, dann sei das, so die Argumentation am 6. Dezember 1954, keine Minderstellung.1112 »Es geht hier nicht um Fragen der Gleichberechtigung im Rechtssinne, sondern um die Gewährung von Zuschüssen, auf die ein Rechtsstatus nicht besteht. Bei derartigen Zuschußleistungen muß der zuschußgewährende Staat in der Lage sein, den Kreis der Zuschußempfänger unter Beachtung der öffentlichen Interessen, auch der Haushaltsnotwendigkeiten angemessen abzugrenzen, zumal es außer den von Ihnen genannten 4 Freikirchen noch zahlreiche weitere religiöse Organisationen gibt, die dieselbe Forderung erheben könnten.«

1109 Schreiben Paul Bausch an Bundesfinanzminister vom 11. 10. 1954, in: BArch B 106/32287. 1110 Vermerk des Bundesinnenministeriums (Referent MR Kuhbier), April 1954, in: BArch B 106/32287. 1111 Schreiben Paul Bausch an das Bundesinnenministerium (Staatssekretär Bleek) vom 11. 10. 1954, in: BArch B 106/32287. 1112 Antwortschreiben des Bundesfinanzministeriums an Paul Bausch vom 06. 12. 1954, in: BArch B 106/32287.

Die Interaktion mit dem Staat auf der Landesebene

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An dieser Stelle setzte ein neues Kapitel in der Lobbyarbeit des Geschäftsführers des Freikirchenbundes, Paul Schmidt, ein. Hatte er sich bislang auf seinen Kontakt zu Paul Bausch konzentriert, weitete er im Februar 1955 seine Bemühungen aus, indem er Eingaben zu dieser Angelegenheit an die Mitglieder des Haushaltsausschusses und an die Vorsitzenden der Fraktionen im Deutschen Bundestag versandte.1113 Nicht ohne Erfolg: der geschilderte Sachverhalt stieß auf Interesse, wie Nachfragen im Bundesinnenministerium belegen.1114 Tatsächlich brachte die derart vorbereitete Sitzung des Haushaltsausschusses vom 10. Mai 1955, in der Paul Bausch das Anliegen dann beförderte, die Wende.1115 Es wurde eine Erhöhung der diesbezüglichen Mittel um 180.000 DM zur Ausschüttung an berechtigte Freikirchen beschlossen, formale Voraussetzung war u. a. der KdöRStatus zum Zeitpunkt des 8. Mai 1945. In seinem mündlichen Beitrag bezog sich Bausch dabei, wie zuvor Paul Schmidt, auf die internationale Bedeutung von Freikirchen, wenn auch in etwas anderer Weise als der Baptist. Bausch machte die Größe und Relevanz von Freikirchen in weltweitem Maßstab deutlich und verwies auf deren Hilfsleistungen gegenüber den Deutschen bei Kriegsende: »Abg. Bausch betont, daß die Mittel aus dem Titel 608 ausschließlich den beiden Landeskirchen zukämen. Die freien Kirchen hätten sich in Deutschland gebildet bei den Auseinandersetzungen, die um das Wesen des Staatskirchentums geführt worden seien. Diese Freikirchen seien Körperschaften des öffentlichen Rechts. Es handle sich um große Kirchen, die in der angelsächsischen Welt eine große Bedeutung hätten. Im Weimarer Staat habe man grundsätzlich die Gleichstellung der Kirchen gegenüber dem Staat anerkannt. Er (der Redner) setzt sich für die Freikirchen insbesondere auch deshalb ein, weil gerade durch die amerikanischen Kirchen in der großen Notzeit nach 1945 in außerordentlich hohem Maße Hilfeleistungen, wie z. B. Liebesgaben für das ganze Volk bewirkt worden seien. Er könne sich auch nicht denken, daß die Landeskirchen Bedenken gegen eine solche Berücksichtigung der Freikirchen haben würden.«1116

Ministerialdirigent Dr. Vialon trat Bausch entgegen und vertrat die Linie des Bundesfinanzministeriums. Er konnte sich im Haushaltsausschuss allerdings nicht durchsetzen. In der Diskussion hatte auch der Staatssekretär im BMI, Bleek, Bausch sekundiert. Nach diesem Erfolg wollte Paul Schmidt das Eisen schmieden, so lange es heiß war und bat – noch ehe das Haushaltsgesetz den Bundestag 1113 Eingabe an Mitglieder des Haushaltsausschusses und an die Fraktionsvorsitzenden vom 12. 02. 1955, in: BArch B 106/32287. 1114 Vgl. die Schreiben Dr. Hermann Lindrath, MdB, CDU/CSU-Bundestagsfraktion, an das Bundesministerium des Innern vom 21. 02. 1955 und 23. 05. 1955, in: BArch B 106/32287. 1115 Vermerk des Bundesinnenministeriums vom 11. 05. 1955, in: BArch B 106/32287. 1116 Kurzprotokoll der 84. Sitzung des Haushaltsausschusses am Dienstag, den 10. 05. 1955 (Abschrift aus auszugsweiser Abschrift), in: BArch B 106/32287.

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und Bundesrat passiert hatte – um eine Unterredung im Bundesinnenministerium.1117 Indessen verzögerte sich die Ausschüttung (man ging inzwischen von einer Summe von 57.000 DM aus, die an den Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden fließen solle) – die ministeriellen Mühlen mahlten langsam. Am 20. Dezember 1955 hakte Bausch bei Staatssekretär Bleek nach: Noch immer sei die Auszahlung nicht erfolgt, es bestehe deswegen »erhebliche Unruhe«.1118 Am 14. Februar 1956 kam es dann im Bundesinnenministerium zur Unterzeichnung eines Abkommens mit den BEFG (und etwa zeitgleich mit den anderen Freikirchen).1119 Vereinbart wurde die Gewährung von Zuschüssen für die Zeit zwischen April 1955 und dem 31. März 1966, in der Ausschüttung enthalten war ein Ausgleich für die Jahre 1951 und 1954. Die Summe belief sich auf zunächst 62.000 DM im Jahr, danach sinkend bis 38.000 DM per annum. Schmidts Lobbyarbeit und der lange Atem Paul Bauschs hatte sich ausgezahlt. Doch ein Selbstläufer war die Berücksichtigung freikirchlicher Belange indessen nicht: Als die Regierung die Beträge für die Großkirchen erhöhte, wurden die Freikirchen »vergessen« – ob absichtlich, oder weil sie nicht im Fokus der Wahrnehmung standen, lässt sich nicht sagen. Wieder machten sich Bausch und Schmidt an die Arbeit. Bausch schrieb an den Bundesinnenminister.1120 Schmidt und ein methodistischer Vertreter suchten im Sommer 1958 das Bundesinnenministerium auf. Die Zuschüsse für die Freikirchen wurden erhöht. Bezieht man die Abschnitte dieses Kapitels aufeinander, fällt eine Diskrepanz auf zwischen dem Quietismus des offiziellen Baptismus, was die Partizipation an politischen Debatten anbelangte, und einem durchaus streitbaren Kurs in praktischen Fragen zur Organisation des religiösen Lebens, in den, wenn nötig, auch die Politik und politische Akteure eingebunden wurden. Das von Paul Schmidt besonders betonte Gehorsamsgebot gegenüber der Staatsmacht, gemäß seiner Lesart von Römer 13, schien für ihn nicht zu bedeuten, sich nicht mit Behörden und Ministerien anlegen zu dürfen.

1117 Vgl. das Schreiben von Paul Schmidt an Staatssekretär Bleek vom 08. 06. 1955, in: BArch B 106/32287. 1118 Schreiben von Paul Bausch an den Staatssekretär im Bundesinnenministerium Bleek vom 20. 12. 1955, in: BArch B 106/32287. 1119 Vgl. das Abkommen zwischen der Bundesregierung, vertreten durch die Bundesminister des Innern und der Finanzen, und dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland, Sitz Bad Homburg v. d. Höhe, vertreten durch die Direktoren Paul Schmidt und Erich Wingenroth, in: BArch B 106/32287. 1120 Bausch am 09. 06. 1958 an MdI Schröder, BArch B 106/32287.

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Bei den Mennoniten stand um das Jahr 1950 weniger die Körperschaftsfrage im Mittelpunkt der Interaktionen mit dem Staat1121 und sie haben sich erst spät, im Jahr 1956, und – so scheint es – eher halbherzig darum bemüht, an die Pensionszuschüsse zu gelangen.1122 Vielmehr beschäftigte Mennoniten ein Thema, das unmittelbar mit dem wieder erwachten Bewusstsein, zum »Friedenszeugnis« berufen zu sein, verbunden war. Insofern traf der staatliche Impuls, bei den Mennoniten eine Zielgruppe von potenziellen Kriegsdienstgegnern zu sehen, die es bei der Formulierung der Grundrechte im Grundgesetz zu berücksichtigen gelte, insofern tatsächlich ins Schwarze.

1121 Vgl. zum Körperschaftsstatus der Mennoniten allgemein die Überlegungen von Heinzgeorg Neumann: Die staatskirchenrechtliche Stellung der Mennoniten als Körperschaften des öffentlichen Rechts, in: Mennonitische Geschichtsblätter 64 (2007), S. 69–78. 1122 Ein Versuch der Einzelgemeinde Norden (Ostfriesland) war alleine schon aufgrund ihrer territorialen Bezüge aussichtslos, ein anderer, auf Pastor Emil Händiges bezogener Einzelantrag wurde von der Vereinigung später wieder zurückgezogen, wobei der Vereinigungsvorsitzende Otto Schowalter auf die strukturellen Eigenarten innerhalb der mennonitischen Gemeinschaft verwies. Vgl. die Vorgänge in BArch B 106/32287. Durch die Auswanderung zahlreicher vertriebener Mennoniten waren die Mennoniten vermutlich auch weniger unmittelbar berührt als die Baptisten.

B.

Mennoniten auf der Suche nach dem verlorenen »Friedenszeugnis«

»Weltweite Bruderschaft« als Motor einer theologischen Neuorientierung? Wie die Baptisten hielten sich auch die Mennoniten mit öffentlichen Äußerungen zur Gründung der beiden deutschen Staaten und zur konkreten Tagespolitik zurück: Im Gemeindeblatt der Mennoniten, das seit dem 1. April 1948 vom »badisch-württembergisch-bayrischen Mennonitenverband« wieder herausgegeben wurde (aber auch Beiträge aus anderen Gemeindebereichen aufnahm, weil es zunächst das einzige Periodikum der Mennoniten in Deutschland war), sucht man solche Äußerungen in der Gründungsphase der Bundesrepublik vergeblich; ebenso wie in dem Blatt Der Mennonit, das in Basel vom Mennonite Central Committee in deutscher Sprache gedruckt wurde und sich primär an mennonitische Flüchtlinge wandte.1123 Für eine Haltung, die vornehmlich auf die Erneuerung des christlichen Lebens zielte und davor warnte, am Prozess der politischen Neugestaltung mitzuwirken, steht beispielhaft ein Beitrag von Theo Glück in einer theologischen Reihe zum biblischen Buch Nehemia. Im Gemeindeblatt der Mennoniten vom 15. Juli 1948 äußerte Glück im Zusammenhang mit Überlegungen, wie die biblische Betrachtung auf die Rolle der christlichen Gemeinde der Gegenwart bezogen werden kann: »Nicht die Neugestaltung des sozialen, politischen oder wirtschaftlichen Lebens ist ihre Aufgabe. Erstes Ziel ist die Um- und Neugestaltung des eigenen Lebens durch Jesus Christus, damit so vom einzelnen her ein neuer Bau, eine neue Schöpfung, ein neues

1123 Auch in der »Gemeinde-Chronik 1940–1950« des Mennonitischen Gemeinde-Kalenders für das Jahr 1951 (51. Jahrgang), der nach einer zehnjährigen Pause wieder erschien, ging der Autor nicht auf die Staatsgründung (oder Ländergründungen) ein: Walter Fellmann: Gemeinde-Chronik 1949–1950, Mennonitischer Gemeinde-Kalender für das Jahr 1951, Karlsruhe o. J. [1950], S. 59–66.

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Mennoniten auf der Suche nach dem verlorenen »Friedenszeugnis«

Reich werde, in dem Gott allein der Herr ist. Es ist das Schuttwegräumen, das Erkennen des eigenen Unwesens, der eigenen Sündhaftigkeit, die Willensänderung.«1124

Wobei mit dem »Schuttwegräumen« – gewollt oder ungewollt – eine direkte Bezugnahme auf die Beseitigung der Trümmer und den gesellschaftlich-städtebaulichen Wiederaufbau in den unmittelbaren Nachkriegsjahren erkannt werden kann. Dass einer solchen quietistischen Haltung aber durchaus auch Selbstbehauptungspotential innewohnen konnte, zeigt eine Predigt des Ältesten der Berliner Mennoniten-Gemeinde, Erich Schultz (1988–1969), vom 25. Oktober 1953. In seiner Auslegung des Wortes Jesu »So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott was Gottes ist!« (Matthäus 22, 21) benannte der Architekt und Laientheologe zunächst einige politische Themen (Besatzungskosten, Aufrüstung, Kriegsdienstverweigerung, Arbeitermitbestimmung), um aufzuzeigen, dass sich Christen inmitten der diesseitigen Welt bewegten, auch wenn er diese Aspekte dann nicht näher ausführte; ein direkter Hinweis auf den nur wenige Monate zurückliegenden Aufstand in der DDR vom 17. Juni fehlte hingegen. Schultz wandte sich nun gegen die politische Vereinnahmung Gottes und führte im Blick auf das Verhältnis zum öffentlich-politischen Leben und dem Staat aus: »Jesus steht über den Parteien und seine Kirche auch. Die Zeit ist vorbei, in der die Kirche nur mit den rechten Parteien ging. Es sollte aber auch nie eine Zeit kommen, in der die Kirche mit den linken Parteien geht. Die Kirche darf nur ganz schlicht den aufrichtigen Weg gehen mit Jesus Christus«.1125 Darin konnte man mindestens den Ruf zur Selbsterhaltung vernehmen, aber auch zum stillen Widerspruch, was im weiteren Verlauf der Predigt noch deutlicher hervortrat: »In einer Welt, die überall und in allen Dingen ihre eigene Ehre sucht, müssen Menschen sein, die den Staat nicht anbeten und sich darum auch nicht in einen totalen Staat einfügen. Möge das nicht nur ein Spruch heute sein, sondern unser tiefster Ernst, wenn die Stunde kommt. Wir können einen solchen Staat nur erleiden, aber wir können uns auf keinen Fall ihm ergeben.« 1124 Theo Glück: Nehemia, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 79 (1948) 14 (15. Juli), S. 29–31, hier S. 30 (Hervorhebung im Original). Hingegen war zum Beispiel Otto Schowalter durchaus der Auffassung, dass die Gemeinde diesbezüglich einen gewissen Beitrag leisten könne, er meinte, dass ein Christ auch ein Staatsmann, aber kein »Christlicher Staatsmann« sein könne; es sei wichtig, diese beiden Kategorien auseinanderzuhalten. Dies äußerte er bei seinem Vortrag auf der »ersten mennonitischen Studententagung« im Juni 1947, publiziert als: Otto Schowalter: Der Auftrag der Mennonitengemeinde in der Gegenwart, in: Botschaft und Nachfolge. Bericht und Vorträge der mennonitischen Studententagung auf dem Thomashof 1947. Zusammengestellt von Theo Glück, herausgegeben von der Konferenz der süddeutschen Mennoniten, Karlsruhe 1948, S. 75–98, Zitat: S. 97. 1125 Predigt »So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist! (nach Matthäus 22, Vers 21)« von Erich Schultz vom 25. 10. 1953, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Berliner Mennoniten-Gemeinde (BMG), Karton 10.

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Doch kehren wir in die Zeit um 1949 zurück und zur mennonitischen Haltung zum politischen Gemeinwesen in Westdeutschland. Zwar verfügen wir diesbezüglich über wenig unmittelbare, öffentlich publizierte Aussagen, doch es lässt sich belegen, dass sich die Glaubensgemeinschaft, so meine These, mit ihrem Verhältnis zur Staatsgewalt auf mittelbare Weise auseinandergesetzt hat. Denn dementsprechende Spuren finden sich in den überlieferten Texten zur »Wehrfreiheit«, die in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre (und darüber hinaus) intensiv diskutiert worden ist; darauf verweisen nicht nur die zahlreichen Beiträge im Gemeindeblatt1126 oder in der Zeitschrift Der Mennonit.1127 Für diese Diskussion war die Einbindung der deutschen Mennoniten in einen internationalen Zusammenhang von besonderer Bedeutung.1128 Auch die Baptisten hatten kurz nach Kriegsende Verbindung mit Glaubensgeschwistern aus dem Ausland aufgenommen und den Austausch auf internationalen Konferenzen gesucht. Ein wichtiges Ereignis war für sie der Baptist World Kongress in Kopenhagen, auf der Jakob Meister und Hans Rockel zur ›Schuldfrage‹ Stellung bezogen.1129 Ohne die Bedeutung der baptistischen Kontakte zu internationalen Schwesterkirchen schmälern zu wollen1130, hat es im Vergleich mit den Mennoniten aber den Anschein, dass die Verbindung zu Glaubensgeschwistern im Ausland dort aus zwei miteinander verbundenen Gründen eine noch größere Rolle spielte: Das Erbe der mennonitischen Gemeinschaft wird stark familal tradiert, zugleich ist die Geschichte dieser Glau-

1126 Vgl. zum Beispiel die Buchbesprechung zu Otto Witt »Christ und Kriegsdienst« von Theo Glück, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 80 (1949) 9 (1. Mai), S. 36; Rudolf Schneider: Ein Beitrag zur Frage der Wehrlosigkeit. Ich aber sage euch … Matth. 5, 22, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 80 (1949) 12 (15. Juni), S. 45–46; Heinrich Schneider: Einige Gedanken zur Wehrlosigkeitsfrage, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 80 (1949) 19 (1. Oktober), S. 76–77. Paul Peachey: Zur Frage der Wehrlosigkeit, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 81 (1950) 20 (15. Oktober), S. 78–79. 1127 Vgl. zum Beispiel H. A. Fast: Die Wehrlosigkeit unter den Mennoniten von Nordamerika, in: Der Mennonit 1 (1948) 1/2 (Januar/Februar), S. 11. Harold S. Bender: Die Friedenstätigkeit der Mennoniten, in: Der Mennonit 1 (1948) 9/10 (September/Oktober), S. 86–87. Ernst Crous: Die Wehrlosigkeit bei den deutsche Mennoniten, in: Der Mennonit 2 (1949) 3/ 4 (März April), S. 30. C[ornelius] F. Klassen: Unser Zeugnis gegen Krieg und für den Frieden. Ansprache von C. F. Klassen auf der Wehrlosigkeits-Konferenz auf dem Thomashof, Deutschland, am 17./18. Juni 1949, in: Der Mennonit 2 (1949) 11/12 (November/ Dezember), S. 87 u. 86. 1128 Vgl. dazu bereits Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, S. 203, 205f.; und ders.: Vergangenheitsbewältigung und Schuldbekenntnisse der Mennoniten nach 1945, in: Mennonitische Geschichtsblätter 64 (2007), S. 39–54. 1129 Vgl. Szobries, Schuldbekenntnisse, S. 53f. 1130 Die internationale, auch ökumenische Begegnung innerhalb und zwischen den Freikirchen sowie mit den Großkirchen hat freilich eine längere Tradition. Vgl. hierzu die lesenswerten Studien von Voigt, Ökumene in Deutschland [1848–1945], ders.: Ökumene in Deutschland. Von der Gründung der ACK bis zur Charta Oecumenica (1948 bis 2001), Göttingen 2015.

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bensgemeinschaft von intensiver Migration geprägt.1131 Daraus reslutieren über Ländergrenzen hinweg reichende Verbindungen oder weitläufige verwandtschaftliche Beziehungen, die beispielweise im Familienname sichtbar werden. Eben das könnte ein Bewusstsein gefördert haben, mit den Glaubensgeschwistern in aller Welt auch über den Glauben hinaus verbunden zu sein, so fremd man nach 1945 zum Beispiel den amerikanischen Glaubensgeschwistern zunächst auch gegenüber stehen mochte. Denn in seinem Bericht von der mennonitischen Weltkonferenz in Goshen, Indiana (USA), vom 3. bis 5. August 1948, meinte ein deutscher Delegierter, Pastor Dirk Cattepoel: »Es wurde viel gesungen, und diese Sangesfreude war wohl eine der schönsten Gaben, die man uns Fremden reichen konnte. Und da es gilt, dass, wo Mennoniten irgendwo zusammenkommen, sie nach zehn Minuten bekannt und nach zwanzig Minuten verwandt sind, so war es dann auch hier: immer wieder begegnete ich Bekannten oder auch Bekannten von Bekannten, ehemaligen Hilfsarbeitern oder auch solchen, die vor kurzer Zeit mit mir korrespondiert hatten und die ich nun von Angesicht zu Angesicht sah.«1132 Für die wechselseitige Verständigung und die Neuorientierung der mennonitischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland noch wichtiger als die Teilnahme einzelner deutscher Delegierter auf der mennonitischen Weltkonferenz 1948 war aber wohl die amerikanische Präsenz in Deutschland und Europa; sie zeigte sich zum einen ganz praktisch, in groß dimensionierten karitativen Hilfsleistungen (die auch Nicht-Mennoniten erreichte) sowie zum anderen in der amerikanischen Beteiligung an Tagungen in Deutschland und Europa, insbesondere an der »Wehrlosigkeitskonferenz« auf dem Thomashof in Baden im Jahr 1949.1133 Diese spezifischen Verbindungen der deutschen Mennoniten zur internationalen mennonitischen Gemeinschaft beförderte, so meine These, nicht nur die Diskussion zur Wehrfreiheit, sondern darüber hinaus auch die kritische Auseinandersetzung mit dem eigenen Staatsverständnis, nicht zuletzt in der nationalsozialistischen Vergangenheit. Über die Konferenz auf dem Thomashof vom 17. und 18. Juni 1949 ließ die Zeitschrift Der Mennonit verlauten: 1131 Vgl. von Schlachta, Täufer, S. 175–190. 1132 Dirk Cattepoel: Eindrücke von der Weltkonferenz, in: Der Mennonit 1 (1948) 9/10 (September/Oktober), S. 75. Bei seiner Amerikareise hat das Ehepaar Crous zahlreiche Vorträge über die Situation in Deutschland gehalten, auf »die Notlage Berlins« hingewiesen und wurde, zurück in Deutschland, dort angeregt, über die Amerikareise in den deutschen Gemeinden zu berichten. Vgl. die »Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes der Berliner Mennonitengemeinde am Donnerstag, 5. Oktober 1950, 17 Uhr in Dahlem, Am Hirschsprung 68«, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Berliner MennonitenGemeinde (BMG), Karton 5. 1133 Vgl. dazu die Ankündigungen im Gemeindeblatt der Mennoniten 80 (1949) 11 (1. Juni), S. 43, und 11 (15. Juni), S. 48; sowie den »Reise- und Konferenzbericht« von W[alter] Quiring, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 80 (1949) 18 (15. September), S. 69–70.

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»Es war wohl das erste Mal, dass deutsche Mennoniten sich zu einer Konferenz zusammengefunden hatten, wo die biblische Lehre der Wehrlosigkeit als Glaubensprinzip und Lebenshaltung als Konferenzthema besprochen wurde. Das wachsende Interesse für dieses Prinzip, das über dreihundert Jahre von den Vätern der Gemeinde vertreten wurde, und das Bedürfnis, das Wort Gottes darüber zu hören, hatte eine ansehnliche Zahl führender Brüder aus allen Gegenden zusammengebracht. Ein reichhaltiges Programm mit zwanzig Referaten und Ansprachen wurde durchgeführt, wobei sieben Brüder aus Amerika, drei aus Deutschland und einer aus der Schweiz dienten. Ein junger Bruder aus Holland hat auch ein Zeugnis abgelegt.«1134

In der »Aussprache« gingen die Meinungen »etwas auseinander«, hieß es in dem Bericht noch etwas vorsichtig, um an anderer Stelle aber deutlich zu machen: »Man soll nicht glauben, dass die deutschen Mennoniten sich als ganzes auf dem Thomashof zur Wehrlosigkeit bekannt haben – lange nicht. Aber die Entschließung bedeutet doch, dass die Lehre der Wehrlosigkeit wieder freie Bahn unter den deutschen Gemeinden gefunden hat, und dass nicht wenige unter den deutschen Brüdern bereit sind, den Weg der vollen biblischen Wehrlosigkeit wieder zu betreten.«1135

Auf die »Entschließung« habe man sich einstimmig einigen können. Darin hieß es unter anderem: »[…] Dabei ist ihnen [den versammelten Mennoniten] die Größe des Erbes ihrer Väter wieder tiefer zum Bewußtsein gekommen und das Zeugnis dieser biblischen Wahrheit von der Wehrlosigkeit erneut Verpflichtung geworden. […] Sie betrachten es als Pflicht der Bruderschaft, Gemeindemitgliedern, die den Dienst mit der Waffe verweigern, jede mögliche Hilfe zur Ableistung eines waffenlosen Dienstes zuteil werden zu lassen. Die letzte Entscheidung muss dem im Worte Gottes gegründeten Gewissen des Einzelnen überlassen bleiben. […]«1136

Das war nicht sehr konkret; vergegenwärtigt man sich aber die Haltung zur Wehrfrage, die innerhalb der deutschen mennonitischen Glaubensgemeinschaft nur wenige Jahre zuvor noch virulent gewesen war, wird deutlich, dass sich die Gewichte aber deutlich verschoben und den tipping point überschritten hatten: im Jahr 1933 wurde seitens der Vereinigung offiziell verlautbart, dass die Wehrpflicht, sollte sie wieder eingeführt werden, quasi den »Normalfall« darstelle – Verweigerung aus Gewissensgründen sollte aber dennoch respektiert werden. Nun hatte sich das Verhältnis der beiden Positionen zueinander um-

1134 Aus der Rubrik »Mennonitischer Weltspiegel«, in: Der Mennonit 2 (1949) 7/8 (Juli/August), S. 57. 1135 Ebd. 1136 Unterzeichnet wurde die »Entschließung« von 25 Männern, darunter, neben Erich Schultz, beispielsweise von Dirk Cattepoel (1912–1976) und Theo Glück (1910–2012) von der jüngeren, Ernst Crous (1882–1967) und Benjamin Heinrich Unruh (1881–1959) von der älteren Generation, vgl. das Gemeindeblatt der Mennoniten 80 (1949) 18 (15. September), S. 70.

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gedreht. Inwiefern kam in dieser Diskussion nun aber auch eine gewandelte Haltung zum Staat zum Vorschein? Aus Anlass der Frage, ob die Berliner Mennoniten-Gemeinde dieses Communiqué mittragen könne, predigte der Gemeindeälteste Erich Schultz dort am 7. August 1949 über das Gebot »Du sollst nicht töten!«.1137 Schultz hatte an der Konferenz teilgenommen und die »Entschließung« mitunterzeichnet. Dennoch hielt er sich im Blick auf die Entscheidung für oder gegen die Teilnahme eines Christen als Soldat am Kriegsgeschehen zurück und verzichtete zunächst auf eine klare Handlungsempfehlung. Seine Begründung war, dass die Bibel in dieser Frage nicht eindeutig sei. Wichtig für unsere Überlegungen ist aber, dass der Prediger in diesem Zusammenhang zwischen dem biblischen Liebesgebot (Feindesliebe) und dem in Römer 13 gebotenen Gehorsam gegenüber der Staatsgewalt abwog.1138 Anders, als wir das beispielsweise bei Paul Schmidt (»Unser Weg«) gesehen haben, dominierte das Unterordnungsgebot bei ihm nicht zwangsläufig die Haltung zur Staatsmacht; ein Christ könne sich nach Schultz so oder so entscheiden und sich dabei auf biblisch Gebotenes beziehen. Hierzu passt seine nicht eindeutige Definition von »Wehrlosigkeit«. »Nun, wehrlos ist derjenige, der unter allen Umständen Gott als den Verteidiger seiner Rechte ansieht und in Krieg und Frieden seinen Lebensweg im Gehorsam Gott gegenüber auf der Erde wandelt.« Am Ende seiner Predigt schloss Schultz aber mit einer Passage, die eine Option für die Kriegsdienstverweigerung zu sein schien: Mennoniten sollten »wieder ganz von vorn anfangen, zu lernen, was es heisst, dem Nächsten an seinem Leibe keinen Schaden noch Leid zu tun, sondern ihm zu helfen und zu fördern in allen Lebensnöten. Dass wir das tun, das erwartet Gott von uns wenn wir wirklich sein Wort aus seinem Gebot heute gehört haben, wenn er zu uns spricht: ›Du sollst nicht töten‹. Und wenn wir uns das vor die Seele halten, wenn auch an uns einst die Frage der Wehrlosigkeit wieder herantreten sollte, dann werden wir auch klar die Entscheidung hierzu treffen können. Gebe uns dann Gott die Kraft zu dieser Entscheidung, dann werden wir auch sein Gebot in jedem Falle befolgen: ›Du sollst nicht töten!‹ Amen!«.

Auch wenn Schultz mit dieser Conclusio womöglich für die Kriegsdienstverweigerung warb, betonte er später, als es nach der Predigt konkret um die Haltung der Gemeinde zur »Entschließung« ging, dass dies dem Gewissen des Einzelnen überlassen sei. »Erforderlich ist aber, daß sich jeder Mennonit der ganzen Schwere dieses Problems stets bewußt ist, und für den Gedanken der 1137 Predigt »Du sollst nicht töten!« von Erich Schultz am 07. 08. 1949 in der Berliner Mennoniten Gemeinde, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Berliner Mennoniten-Gemeinde (BMG), Karton 2. 1138 Erich Schultz bezieht sich hier eng auf Rudolf Schneider: Ein Beitrag zur Frage der Wehrlosigkeit. Ich aber sage euch … Matth. 5, 22, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 80 (1949) 12 (15. Juni), S. 45–46.

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Wehrlosigkeit und des Friedens und dessen Verwirklichung in jeder Lebenslage eintritt.«1139 Schultz hatte in seiner Predigt zwar keine Widerstandsethik im engeren Sinne entfaltet und in der Wehrdienstfrage unterschiedliche, tolerierbare Auffassungen aufgezeigt. Eine gewandelte Haltung zum Staat in mennonitischen Kreisen war aber insofern erkennbar, als dass die Verweigerung, einer staatlich gebotenen Wehrpflicht nachzukommen, nun wieder ausdrücklich als eine Handlungsoptionen in Erscheinung trat. Deutlicher noch als Schultz hatte zuvor der amerikanische Mennonit Erland Waltner auf der Konferenz auf dem Thomashof zur biblisch begründeten Loyalitätspflicht gegenüber dem Staat und deren Grenzen Stellung bezogen. Sein Beitrag fand sowohl im Gemeindeblatt als auch in der Zeitschrift Der Mennonit weitere Verbreitung. Der in Römer 13 geforderte Gehorsam, so der Theologe, sei als »bedingte Unterordnung« zu begreifen. »Stellt sich aber die Obrigkeit gegen Gott«, so war in Der Mennonit zu lesen, »greift sie zu weit in die Freiheit der Menschen hinein, verlangt sie von den Angehörigen was gegen Gottes Wort ist, oder gibt sie sich sogar als ein Werkzeug satanischer Mächte hin, so ist es die Pflicht des Christen, das Unrecht zu beurteilen und wenn nötig, dem Staat ungehorsam zu werden. Für den Christen darf der Staat nie das höchste Gut, noch die höchste Autorität sein.«1140 Die Predigt des Gemeindeältesten Schultz vom 7. August 1949 über das Gebot »Du sollst nicht töten« zeigte aber noch etwas anderes, nämlich eine Sensibilisierung für die eigene Verantwortung an den NS-Verbrechen. Schultz entfaltete darin einen umfassenden Begriff der »Wehrlosigkeit«, indem er bei Jesu Dimensionierung des Tötungsverbotes in der Bergpredigt ansetzte.1141 Auf dieser Grundlage argumentierte der Älteste: »Denn mit dem 5. Gebot legt Gott jedem von uns die heilige Mitverantwortung für das leibliche Leben unserer Nächsten auf die Seele. Wenn wir das Leben eines Menschen 1139 Vgl. die Gottesdienstordnung zum 07. 08. 1949, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Berliner Mennoniten-Gemeinde (BMG), Karton 1. 1140 Erland Waltner: Der Christ und der Staat, in: Der Mennonit 2 (1949) 7/8 (Juli/August), S. 58–59 u. 63–64; Zitate auf S. 59 u. 63. Diese Fassung unterschied sich von dem Text, der im Gemeindeblatt publiziert worden ist: Erland Waltner: Der Christ und der Staat. Vortrag an der Wehrlosigkeitskonferenz auf dem Thomashof von Dr. Erland Waltner, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 81 (1950) 15 (1. August), S. 58–60, dort lautete die Passage: »Stellt sich aber die Obrigkeit gegen Gott und fordert sie von ihren Angehörigen was deutlich gegen Gottes Wort und Wille ist, so ist der Christ nicht nur dem Herrn, sondern auch dem Staate verpflichtet, das Unrecht zu beurteilen und wenn es nötig ist, ihm auch ungehorsam zu sein, wie Johannes und Petrus in Apg. 4 und 5 waren und auch die ersten Christen sich weigerten den Kaiser als einen Gott anzuerkennen. […]« (S. 60). 1141 »Ihr habt gehört, dass zu den Alten gesagt ist (2. Mose 20,13; 21,12): ›Du sollst nicht töten‹; wer aber tötet, der soll des Gerichts schuldig sein. Ich aber sage euch: Wer mit seinem Bruder zürnt, der ist des Gerichts schuldig […]« (Matthäus 5, 21 u. 22a, Zitiert nach der Übersetzung von Martin Luther, revidierte Fassung 2017).

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bedroht sehen und tun nichts dagegen, obwohl wir etwas tun könnten, so übertreten wir ganz eindeutig das 5. Gebot. Ja, wir können sogar durch eine solche Unterlassung, sei es aus Angst, Gleichgültigkeit oder Nachlässigkeit, zu einem tatsächlichen Mörder an unseren Mitmenschen werden. Denn wir töten selbst, wenn wir zulassen, dass getötet wird. Haben wir nicht gerade in den letzten Jahren auf diesem Gebiete schwerste Unterlassung verübt? Denken wir hierbei einmal zunächst nicht an das reine Soldatentum. Wussten wir nicht alle, dass Mitmenschen, weil sie nicht der arischen Rasse angehörten, gefährdet waren, und zwar in ihrem leiblichen Leben? War es nicht vielen bekannt, dass viele von ihnen nicht wiederkehren würden? Über all diesen hing das Todesschwert, und was haben wir getan? Haben wir nicht geschwiegen, aus Angst zunächst, und später, weil wir abgestumpft und unempfindlicher waren? Sind wir nicht zumindest mitschuldig geworden durch unser Schweigen und haben wir nicht so mitgemordet? Zweifellos sind wir, die wir uns zu den Christen zählen, ganz besonders schuldig geworden.«

Anschließend wandte sich Schultz auch dem Schweigen gegenüber dem Krankenmord zu.1142 Diese Worte zeigen, dass mit der Rückbesinnung auf das verlorene Erbe des »Friedenszeugnisses« eine Auseinandersetzung mit den nationalsozialistischen Verbrechen einhergehen konnte. Dass Schultz nicht davor zurückschreckte, die Gemeinde klar mit diesen Überlegungen zu konfrontieren, war in dieser Phase aber nicht unbedingt typisch für das Mennonitentum.1143 1142 Predigt »Du sollst nicht töten!« von Erich Schultz am 07. 08. 1949 in der Berliner Mennoniten Gemeinde, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Berliner Mennoniten-Gemeinde (BMG), Karton 2. 1143 In der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre war das Feld diesbezüglich noch heterogen: Auch der mennonitische Pastor Gerhard Hein hat unmittelbar nach Kriegsende auf einer Konferenz erkennbar Kritik und Selbstkritik geübt, wenn auch nicht im Blick auf die NSVerbrechen und so konkret, wie Schultz das später getan hatte. Laut seines Vortragsmanuskripts fand Hein folgende Worte: »Wir sind ein geschlagenes, zerrissenes Volk. Schwer liegt die Frage auf uns, warum das alles so kommen musste. […] Wir müssen heute vor Ihm [Gott] gestehen, dass wir uns in unserem Volke und in unserer Führung weithin bewusst von Ihm losgesagt hatten. Man nahm im blinden Hochmut der schon eine Folge dieses Abfalls war, den Kampf nicht nur gegen die ganze Welt, sondern auch gegen Christus und die christliche Vergangenheit unseres Volkes auf.« Vortrag »Wir deutsche Mennoniten im Kriege 1939/45. Not und Verheißung unserer heutigen Lage« in Monsheim am 21. 10. 1945, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Nachlass Gerhard Hein (Vorträge, Manuskripte). Auf der anderen Seite lässt aber beispielsweise ein Beitrag, der in den mennonitischen Geschichtsblättern publiziert wurde, kaum ein Bewusstsein für das zurückliegende nationalsozialistische Unrecht erkennen, wenn auf die Vertreibung bei Kriegsende – in einem Abschnitt zur Geschichte der Wehrfreiheit im Überblick – lediglich mit den Worten bedacht wurde: »Die Flut des militanten Bolschewismus hat uns Existenz und Heimat genommen.«, in: Horst Penner: Die westpreußischen Mennoniten im Wandel der Zeiten, in: Mennonitische Geschichtsblätter 7 (1950) NF 2, S. 17–31, hier S. 29. Bezeichnenderweise gerade auch Dirk Cattepoel, der 1948 auf der mennonitischen Weltkonferenz seine Glaubensgeschwister um Verzeihung für die deutschen Verbrechen gebeten hatte (vgl. dazu Lichdi, Vergangenheitsbewältigung, S. 45) in seinem theologischen Artikel »Schuld – Strafe – oder – ?« – in dem er zum Beispiel rhetorisch fragt. »Warum gerade unser Volk?« – nicht auf die nationalsozialistischen Verbrechen näher ein, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 79 (1948) 17/18 (1. September), S. 44–46, hier S. 45.

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Mennoniten und Baptisten hielten sich mit allgemein politischen Stellungnahmen in offiziellen Verlautbarungen um 1949 zurück und entsprachen dadurch am ehesten dem Bild der »unpolitischen Stillen im Lande«, als die sich die Freikirchen gerne selbst darstellten und wahrnahmen. Doch das gilt nur bedingt. Denn zum einen wurde hinter verschlossenen Türen offener argumentiert, wie der Einblick in die baptistische Gremiensitzung unter der Leitung von Paul Schmidt oder die Predigt des Mennoniten Erich Schultz zeigte. Zum anderen beschäftigten sich die für eine Gemeindeöffentlichkeit bestimmten Texte durchaus mit Politik, auch wenn sie sich eher auf abstrakte Aspekte bezogen, so wie der Hinweis, sich als Christ nicht dem Gemeinwesen zu entziehen, sondern an Wahlen teilzunehmen. Wirft man einen Blick über unseren engeren Betrachtungszeitraum hinaus, wird deutlich, dass es gerade in dieser Frage – die Wahlbeteiligung als politische Partizipation – große Unterschiede zwischen den Gläubigen geben konnte: Mitte der 1960er-Jahre war die mennonitische Zeitschrift »Der Mennonit« mit »politischen« Artikeln auf die bevorstehende Bundestagswahl im September 1965 regelrecht zugeschnitten. Dabei ging es nicht um parteipolitische Beeinflussung, sondern auch hier darum, für politische Partizipation allgemein zu werben. Während Arthur Engler, MdL, als »Ein Mennonit aus der CDU« auftrat, verkörperte Peter Sieber die Position »Ein[es] Mennonit[en] für den Regierungswechsel«; Professor Johannes Harder schließlich argumentierte in seinem Artikel »Ein Mennonit ist wählerisch und protestiert«, dass ein Wahlboykott die aufrichtigste Form der politischen Partizipation sei: »Wie die Dinge liegen, scheint mir eine Mitverantwortung redlicherweise am wirksamsten durch einen Boykott der Wahl wahrgenommen zu werden. Deutlicher als Mitläuferstimmen sprechen jetzt weiße Zettel zu denen, die uns von einer Wahlperiode zur anderen mit hohlen Versprechungen oder inhaltlosen Deklamationen hinhalten, um ihre furchtsame Politik, ob als Regierung und Opposition, fortzusetzen. […] Wem die einst sprichwörtliche mennonitische Wahrhaftigkeit noch gilt, sage Nein – als ein politisches Bekenntnis«.1144 Der Schriftleitung war offenbar daran gelegen, ein weites politisches Spektrum aufzuzeigen; von daher ist es auch zu erklären, dass sie in der folgenden Heftnummer den Brief eines Lesers abdruckte, der aus Empörung sein Abonnement kündigte. »Als Mennonit aus Westpreußen«, wie er sich vorstellte, kritisierte er nicht nur die aus seiner Sicht ausgesprochenen Wahlempfehlungen, sondern auch, dass in eben dieser Nummer »das Problem Israel weitschürfend« behandelt worden sei (es ging um die Erinnerung an die 1144 Arthur Engler: Ein Mennonit aus der CDU, in: Der Mennonit. Internationales mennonitisches Gemeindeblatt 18 (1965) 9 (September), S. 133; Johannes Harder: Ein Mennonit ist wählerisch und protestiert, in: Ebd, S. 133–134; Peter Siebert: Ein Mennonit für den Regierungswechsel, in: Ebd., S. 134–135.

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Zerstörung Jerusalems 70 n. Chr. am traditionellen »Israelsonntag«, dem 10. Sonntag nach Trinitatis). Er selbst, Heimatvertriebener, hätte früher dem BHE angehört und hoffte »nun in der Nationaldemokratischen Partei (NDP) diejenige zu finden, die meinen politischen Anschauungen entspricht«. Das Blatt unterlies es nicht, den Leserbrief bereits mit der Überschrift »Betrübliche Reaktion« zu kommentieren, hielt diese (Einzel-)Meinung eines Lesers aber auch nicht zurück.1145 Doch kehren wir in die Gründungsphase der Bundesrepublik zurück, um nach konkreten politischen Interventionen der Mennoniten zu fragen.

Die Interaktion mit der Staatsgewalt am Beispiel des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung Das innerhalb der deutschen mennonitischen Glaubensgemeinschaft erwachte Bewusstsein, mit der Wehrlosigkeit ein »Friedenszeugnis« in der Welt aufzurichten, hatte in der Phase der staatlichen Neugründung zunächst keine unmittelbar politisch-rechtlichen Konsequenzen – an der Implementierung und Ausformulierung des entsprechenden Grundgesetzartikels wirkten Mennoniten nicht mit.1146 Bezeichnenderweise spielte der Bezug auf die Glaubensgemeinschaft der Mennoniten aber umgekehrt bei den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates eine wesentliche Rolle – was darauf verweist, von welch großer, auch öffentlicher Wirkungsmacht das tradierte Erbe der Wehrlosigkeit noch immer war, obwohl es innerhalb der Glaubensgemeinschaft selbst ja bereits spätestens im 19. Jahrhundert immens und im Zweiten Weltkrieg dann vollends an praktischer Bedeutung verloren hatte. Als der heutige Artikel 4 (3) »Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden« in der 17. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats am 3. Dezember 1948 als sozialdemokratischer Vorschlag diskutiert wurde, hatte der Jurist Dr. Walter Strauß (1900– 1976, CDU) nachgefragt, ob der Absatz tatsächlich in diesen Artikel hineingehöre, »der die Religionsausübung, die Freiheit des Glaubens und alle Dinge, die mit religiösen Fragen zusammenhängen, regelt«; jedoch nicht ohne Wohlwollen dem eigentlichen Anliegen gegenüber, wie er mit den folgenden Worten deutlich machte: »Wenn er an einer anderen Stelle stünde, könnten sich vielleicht mehr

1145 Leserbrief von F. Wilhelm, abgedruckt unter der Überschrift »Betrübliche Reaktion«, in: Der Mennonit. Internationales mennonitisches Gemeindeblatt 18 (1965) 10, S. 159. 1146 Vgl. Lichdi, Mennoniten in Geschichte und Gegenwart, S. 206.

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Mitglieder des Hauses für seine Annahme entscheiden.«1147 Ludwig Bergsträsser (1883–1960, SPD) antwortete darauf: »Wir haben diesen Zusatzantrag hier untergebracht, weil hier von der Freiheit des Glaubens und des Gewissens die Rede ist. Der Zusatzantrag hat gerade zum Inhalt, daß Menschen – wir haben dabei an Mennoniten, die Zeugen Jehovas und an Mitglieder anderer Sekten gedacht – auf Grund ihrer religiösen Überzeugungen und ihres Gewissens keinen Kriegsdienst mit der Waffe machen wollen. Deshalb scheint mir die Bestimmung hierhin zu gehören.«1148

Die Frage von Strauß war dabei keineswegs derart abwegig, wie der Kommunist Heinz Renner Glauben machen wollte; er argumentierte, die CDU habe sich damit selbst entlarvt: »Ist denn die Verweigerung des Kriegsdienstes, also des Mordes von Mitmenschen anderer Nationalitäten, nicht auch ein göttliches Gebot, für das die Kirche eintreten müßte?«1149 Vielmehr wohnte ihr, der Frage von Strauß, sogar kritisches Potential inne, weil sie darauf verwies, dass das Recht auf Kriegsdienstverweigerung nun ausdrücklich in den Bereich der Glaubensund Gewissensfreiheit eingebettet war und damit das Feld von potenziell Betroffenen verkleinerte: Es bezog sich im Kern nur noch Glaubenspazifisten. Das war zuvor, als in den Ländern unter dem unmittelbaren Eindruck des Zweiten Weltkrieges das Recht auf Kriegsdienstverweigerung verankert worden war (in Bayern, Hessen und Württemberg-Baden gesetzlich definiert, in Baden sogar Teil der Länderverfassung) nicht der Fall gewesen. Ein solches weitgehendes Recht wurde nun aber, wie Patrick Bernhard argumentiert hat, vor dem Hintergrund des aufkommenden Kalten Krieges und der als unmittelbare Bedrohung empfundenen Berlin-Blockade nicht mehr als opportun betrachtet.1150 1147 17. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats vom 03. 12. 1948, in: Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 209. 1148 Ebd. Ebenso äußerte sich rückblickend Carlo Schmidt: er habe bei der Formulierung an »Bibelforscher, Quäker, Mennoniten« gedacht, zitiert nach: Gerd Bucerius zu Fragen der Zeit: Verweigerung und Gewissen. Das Grundgesetz wurde gegen seine Väter ausgelegt, in: Die Zeit vom 23. 12. 1977. URL: http://www.zeit.de/1977/52/verweigerung-und-gewissen (Aufruf: 28. 08. 2020); vgl. hierzu auch den Artikel: Der Präsident und das Gewissen. Walter Scheele Irrtum über die Kriegsdienstverweigerung, in: Die Zeit vom 14. 04. 1978. URL: https://www.zeit.de/1978/16/der-praesident-und-das-gewissen (Aufruf: 28. 08. 2020). 1149 17. Sitzung des Hauptausschusses des Parlamentarischen Rats vom 03. 12. 1948, in: Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 209. 1150 Patrick Bernhard: Zivildienst zwischen Reform und Revolte. Eine bundesdeutsche Institution im gesellschaftlichen Wandel 1961–1982, München 2005, S. 27–30. Ders. u. Alessandra Ferretti: Pazifismus per Gesetz? Krieg und Frieden in der westdeutschen Verfassungsdiskussion, 1945–1949, in: Militärgeschichtliche Zeitschrift 66 (2007), S. 45–70. Betrachtet man die konkrete Diskussion in der 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen am 31. 11. 1948 kann man den Eindruck gewinnen, dass der Zuordnung der Kriegsdienstverweigerung in den Gewissenskontext eher etwas Zufälliges beiwohnte, was allerdings nicht gegen ein womöglich unterschwelliges Wirken der von Bernhard einleuchtend genannten Faktoren spricht. (Vgl. die Dokumentation der Diskussion bei Dieter

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Was nun auf die Zeugen Jehovas tatsächlich zutraf, die grundsätzliche Verweigerung des Wehrdienstes aus Glaubens- und Gewissensgründen, beschrieb für der Mennoniten, mit Blick auf den zurückliegenden Weltkrieg, nicht mehr die Wirklichkeit – entsprach aber einer offenbar weiterverbreiteten Ansicht.1151 Auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss (FDP) nahm in der 43. Sitzung des Hauptausschusses am 18. Januar 1949 namentlich Bezug auf die Mennoniten, als er sich mit einer berühmt gewordenen Argumentationsfigur dafür einsetzte, den Absatz zur Kriegsdienstverweigerung zu streichen: »Die allgemeine Wehrpflicht ist das legitime Kind der Demokratie, seine Wiege stand in Frankreich. Mir scheint es unmöglich zu sein, daß wir in diesem Augenblick, in welchem wir eine neue Fundamentierung des Staates vornehmen wollen […], daß wir in dieser Situation nun mit einer solchen Deklaration kommen. Sie ist dann eine berechtigte Angelegenheit, wenn man sich entschließt, das in irgendeinem Gesetz zu machen, wie es für die Quäker, die Mennoniten usw. in der angelsächsischen Welt vorliegt. Aber wenn wir jetzt hier einfach das Gewissen einsetzen, werden wir im Ernstfall einen Massenverschleiß des Gewissens verfassungsmäßig festlegen.«1152

Die konkrete rechtliche Ausgestaltung des dann bekanntlich in das Grundgesetz aufgenommenen Rechts auf Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen sollte durch ein entsprechendes Bundesgesetz geregelt werden. Deren Formulierung oblag dem Bundesministerium des Innern und wurde dort rasch nach der Verabschiedung des Grundgesetzes in Angriff genommen. An dieser Stelle kamen die Mennoniten ins Spiel. Nach der Zusammenkunft auf dem Thomashof war es in Heilbronn am 5. und 6. August 1950 erneut zu einer internationalen Konferenz zur Wehrlosigkeitsfrage gekommen, wobei in Aussicht genommen wurde, einen fünf- bis siebenköpfigen Arbeitsausschuss zu bilden, um die Wehrlosigkeit in den Gemeinden zu

S. Lutz: Krieg und Frieden als Rechtsfrage im Parlamentarischen Rat 1948/49. Wertentscheidung, Auslegungsmethodik, Dokumentation, Baden-Baden 1982, S. 79–80. 1151 So in der Publikation Otto Witt: Christ und Kriegsdienst, erwähnt bei Horst Quiring: Die Mennoniten und Wiedertäufer in der deutschen Literatur seit 1945, in: Mennonitische Geschichtsblätter 7 (1950), NF 2, S. 67–68. 1152 Dr. Theodor Heuss in der 43. Sitzung des Hauptausschusses der Parlamentarischen Rats vom 18. 01. 1949, in: Parlamentarischer Rat. Verhandlungen des Hauptausschusses, Bonn 1948/49, S. 545. Vgl. dazu: Wette, Erfahrungen; ders: Kein Kind der Demokratie, in: Die Zeit vom 19. 02. 1993. URL: http://www.zeit.de/1993/08/kein-kind-der-demokratie (Aufruf: 28. 08. 2020). Zu Mennoniten äußerte sich Heuss in diesem Zusammenhang auch an anderer Stelle, so in der 15. und 26. Sitzung des Ausschusses für Grundsatzfragen. In der 26. Sitzung, am 31. 11. 1948, hatte sich Heuss mit dem Zwischenruf »Die Mennoniten!« bemerkbar gemacht, als Hans Wunderlich (SPD, 1899–1977) im Zusammenhang mit der Einbettung der Kriegsdienstverweigerung in die Gewissensfreiheit ausführte: »Es paßt deshalb sehr gut an diese Stelle, weil häufig religiöse Gründe zur Kriegsdienstverweigerung führen. Denken wir an die Bibelforscher.« Zitiert nach: Lutz, Krieg und Frieden, S. 80.

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reanimieren.1153 Nur wenige Wochen später gab es für die »Vertreterversammlung des Verbandes Badisch-Württembergisch-Bayerischer Mennonitengemeinden« jedoch einen konkreten Anlass, die »Heilbronner Entschließung zur Wehrlosigkeit vom 22. August 1950« zu verabschieden: Das Bundesinnenministerium hatte die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen um Stellungnahme »zu der Angelegenheit der Kriegsdienstverweigerung« gebeten. Der Verband einigte sich aus diesem Grund unter anderem auf Folgendes: »1. Die heutige Versammlung bekennt sich erneut und bestimmt zu dem Glaubensgrundsatz der Wehrlosigkeit. 2. Wir sind Gott, dem Herrn, dankbar, daß das Grundgesetz in humanem Geist das Gewissen aller Bürger achtet und schützt, und so auch das Gewissen derer, die aus Glaubensüberzeugung keinen Kriegsdienst tun können. Dementsprechend erwarten wir, daß diese im Grundgesetz Art. 4, Abs. 3 verankerte Befreiung in vollem Umfang auf unsere Gemeindemitglieder Anwendung findet. […].«1154

Der Text ging somit über die auf dem Thomashof vereinbarte Erklärung hinaus. Weiterhin wurde darin deutlich, dass es dem Verband um den Erhalt respektive die Wiederbelebung des Gedankens ging, dass Mennoniten per definitionem, nicht qua Gewissensprüfung von der Wehrpflicht befreit sein sollten. Dieses Argument wurde danach auch in einer gemeinsamen Erklärung des Verbands mit der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden am 18. September 1950 dem Bundesinnenministerium vorgetragen1155 und war schließlich Gegenstand der Verhandlungen der Vereinigung mit dem Innenressort: Am 13. Dezember 1950 weilten drei Vertreter der Mennoniten, vermutlich Pastor Otto Schowalter, Benjamin H. Unruh und Fritz Hege, in Bonn. Im Protokoll der Jahressitzung des Vorstandes der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden vom 19. Mai 1951 wurde über dieses Treffen verlautbart: »Zur Frage der Kriegsdienstverweigerung und der mennonitischen Schritte in dieser Hinsicht berichtet zuerst Br. Schowalter über […] den Stand der Verhandlungen mit dem Bundes-Innenministerium und parallel damit innerhalb der Arbeitsgemeinschaft christl. Kirchen i.D. Vereinigung und Gemeindeverband haben einen gemeinsamen Schritt bei der Bundesregierung getan. Ziel war die Erlangung der völligen Freistellung auch von der Gewissensprüfung unserer Glieder, die von der Regierung offenbar vorgesehen ist. Dies Ziel ist nicht voll erreicht bisher. Jedoch ist zugesagt – unter Vor-

1153 Vgl. die Ankündigung im Gemeindeblatt der Mennoniten 81 (1950) 13 (1. Juli), S. 52, und 15 (1. August), S. 60, sowie den »Bericht über die Internationale Wehrlosigkeitskonferenz in Heilbronn am 5. und 6. August 1950.« von Christian Schnebele, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 81 (1950) 18 (15. September), S. 70. 1154 »Heilbronner Entschließung zur Wehrlosigkeit vom 22. August 1959«, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 81 (1950) 22 (1. November), S. 87. 1155 Erklärung. Betr. Kriegsdienstverweigerung, in: Gemeindeblatt der Mennoniten 81 (1950) 22 (1. November), S. 87.

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aussetzung der Einführung eines neuen Wehrgesetzes, die Ältesten der Mennoniten bei der vorgesehenen Prüfungskommission gebührend zu berücksichtigen.«1156

Und am 6. Juni 1952 berichtete Otto Schowalter in der Vorstandssitzung der Vereinigung: »Als traditioneller Träger der Wehrlosigkeit wird den Mennoniten Befreiung von der Prüfung der Gewissen zugestanden. Im Vorgehen selbst können Ausnahmen nicht gemacht werden. Die Leumundszeugnisse der Prediger und Ältesten würden aber ein Gewicht erhalten«.1157 Die Mennoniten agierten somit auf zwei Ebenen: zum einen brachten sie Ansätze und Vorstellungen in die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen ein1158, zum anderen verhandelten sie mit dem Bundesministerium auch bilateral.1159 Nach der Besprechung im Bundesinnenministerium war unmissverständlich klar geworden, dass eine an die konfessionelle Zugehörigkeit gebundene Wehrdienstbefreiung nicht realisiert werden würde; es bestand aber für die Mennoniten offenbar die Hoffnung, dass die jungen Brüder von einer individuellen Gewissensprüfung ausgenommen werden könnten. Dass diese Erwartung einer gewissen Grundlage nicht vollständig entbehrte, belegt ein Vermerk, der im Bundesinnenministerium nach der Besprechung mit den mennonitischen Emissären am 15. Dezember 1950 angefertigt wurde. Es wurde, im Anschluss an die Darlegung des mennonitischen Anliegens, festgehalten: »Der Unterzeichnete wies darauf hin, dass es kaum möglich sein dürfte, in das Gesetz einzelne Vereinigungen, seien sie nun religiöser oder ethischer-humanitärer Art, aufzunehmen, dass man aber damit rechnen könne, dass die für die Überprüfung der Gewissensentscheidung zu bestellenden unabhängigen Instanzen höchstwahrscheinlich das Recht der Kriegsdienstverweigerung bei den Mitgliedern der Mennonitengemeinden anerkennen würden.«

Das bedeutete aber nicht, dass Mennoniten von dem Verfahren der Einzelfallprüfung grundsätzlich ausgenommen werden sollten, was – so die Darstellung des Innenministeriums – von mennonitischer Seite auch gebilligt worden sei: »In der Unterredung wurde eine volle Übereinstimmung erzielt. Auch die Vertreter

1156 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, »Sitzungen Kuratorium/Protokolle«, Karton 33 (Ordner 6), Protokoll der Jahressitzung des Vorstandes der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden am 19. 05. 1951. Punkt 7. 1157 Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden, »Sitzungen Kuratorium/Protokolle«, Karton 33 (Ordner 6), Protokoll der Vorstandssitzung der Vereinigung der deutschen Mennonitengemeinden in Hamburg-Altona, Mennonitenkirche, 6. Juni 1952. 1158 Vgl. Voigt, Ökumene in Deutschland [1948 bis 2001], S. 186ff. 1159 Die Mennoniten waren einer von zahlreichen Akteuren in diesem Feld; vgl. die »Aufstellung der Personen, Gemeinschaften pp, die sich mit dem Problem der Kriegsdienstverweigerung (Art. 4 Abs. 3 GG) beschäftigen.«, in: BArch B 106/28259.

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der Gemeinden waren der Auffassung, dass eine Prüfung im Einzelfall vorgesehen werden müsse.«1160 Aber womöglich wäre die Zugehörigkeit zur mennonitischen Gemeinschaft ein gewichtiges Argument, das in diesem Verfahren für den antragstellenden Verweigerer spräche. In diese Richtung weist zumindest ein anderer Vermerk vom 31. August 1950, in dem Artikel 4 Absatz 3 des Grundgesetzes folgendermaßen thesenartig ausgelegt wurde: »1.) Da das Gewissen eine innere Tatsche der Menschen ist, kann Art. 4 Abs. 3 GG sehr leicht mißbraucht werden, indem Gewissensgründe für die Kriegsdienstverweigerung vorgeschützt werden. 2.) Aus den Gründen zu 1.) muß die Beweispflicht für das Vorliegen von Gewissensbedenken bei dem liegen, der sie geltend macht. 3.) Im allgemeinen kann der Beweispflicht nur genügt werden, wenn der, der sich auf Art. 4. Abs. 3 GG beruft, sich auf gewisse äußere Tatsachen berufen kann, die einen Hinweis auf Gewissensbedenken enthalten. Solche Tatsachen könnten u. a. sein: a) Angehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, die wie gewisse Sekten überhaupt jeden Krieg aus Gewissensgründen ablehnen. b) Zugehörigkeit zu einer pazifistischen oder Antikriegsbewegung. c) Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, die einen konkreten Krieg als gewissenswidrig ansieht. […].«1161

Man hatte sich also, das zeigt diese Auslegung, zwar von der tradierten Privilegien-Regelung für kleine religiöse Gemeinschaften verabschiedet, die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft oder Interessensgruppe wurde aber durchaus noch als ein wichtiger Beleg für die Gewissenseinstellung gewertet. Kriegsdienstverweigerer waren in dieser Sicht tendenziell noch immer Angehörige spezifischer Gruppen, die sich von der Mehrheitsgesellschaft unterschieden. Die Argumentation kennzeichnet somit eine bezeichnende paradigmatische Schnittstelle, an der, mit Jürgen Link diskursanalytisch gesprochen, ein protonormalistisches Denk- und Handlungsmuster an Überzeugungskraft verlor.1162 Was ist an dieser Stelle damit gemeint? War die Kriegsdienstverweigerung etwa im 19. Jahrhundert als normative Abweichung bei Angehörigen von spezifischen kleinen Gruppen geduldet worden, von der Staatsgewalt aber von allen Bürgern als »Normalität« eingefordert worden, so zeugte die zeitgenössische Diskussion von einem Entkoppelungsprozess: die enge Verbindung von tolerierter Abweichung mit der Zugehörigkeit zu klar umrissenen religiösen Gruppen wurde gelockert – und damit der staatliche Normalisierungsdruck 1160 Besprechungsvermerk. Betr.: Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen, vom 15. 12. 1950, in: BArch 106/2443. 1161 Vermerk, Betrifft: Auslegung des Art 4 Abs. 3 GG (Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen) vom 31. 08. 1950, in: BArch 106/2443. 1162 Jürgen Link: Versuch über den Normalismus. Wie Normalität produziert wird, Göttingen (4. Auflage) 2009, S. 306.

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verringert. Stärker als bisher kam dies etwa in einem Vermerk zur Kriegsdienstverweigerung zum Vorschein, der in der für Verteidigung zuständigen Dienststelle für eine auf den 6. April 1954 terminierte Besprechung im Bundesinnenministerium vorgelegt wurde. In der dortigen Stelle, aus politischen Gründen umständlich »Der Beauftragte des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der Alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen« (kurz auch: Amt Blank) genannt, äußerte man im Zusammenhang mit dem Anerkennungsverfahren: »Bestimmte Beweisregeln sind gleichfalls nicht vorgesehen, insbesondere ist nicht daran gedacht, die Mitgliedschaft bei irgendwelchen Organisationen allein als Beweis für die Eigenschaft als echter Kriegsdienstverweigerer anzuerkennen. Es soll vielmehr jeder Einzelfall von freier Würdigung der Gesamtumstände geprüft werden. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Organisation kann dabei nicht mehr als ein Indiz sein.«1163

Besonders deutlich kam der Entkoppelungsprozess schließlich in dem Votum des CDU-Abgeordneten Peter Nellen im Deutschen Bundestag zum Vorschein, als dieser sich am 6. Juli 1956 in dritter Lesung mit dem Wehrpflichtgesetz befasste. Der »gläubige[..] Katholik« Nellen befürwortete zwar grundsätzlich die Wehrpflicht, brach in der Debatte aber eine Lanze für die Gewissensfreiheit von Kriegsdienstverweigerern und störte sich deshalb an einem aus seiner Sicht entscheidenden Wort in Paragraf 25 des Wehrpflichtgesetzes.1164 Dieser lautete in der dann auch verabschiedeten Fassung: »Wer sich aus Gewissensgründen der Beteiligung an jeder [Herv. durch d. Verf.] Waffenanwendung zwischen den Staaten widersetzt und deshalb den Kriegsdienst mit der Waffe verweigert, hat statt des Wehrdienstes einen zivilen Ersatzdienst außerhalb der Bundeswehr zu leisten. […]«1165 Nellen wollte dies aber verhindern, weil er meinte: »Wir können nur feststellen: die Formulierung ›jeder‹ […] ist absolut exklusiv, und ich wiederhole, um es Ihnen drastischer und deutlicher zu demonstrieren: sie deckt faktisch nur den grundsätzlichen Kriegsdienstverweigerer, oder um es noch deutlicher zu sagen: sie deckt denjenigen – ich bitte, mir das Wort nicht übel zu nehmen – , den Dr. Luther als einen ›Schwarmgeist‹ bezeichnet hat. Sie deckt den Quäker, sie deckt den Ernsten Bibelforscher. – Sie schütteln mit dem Kopf, Herr Kollege Kunze […] Ich darf nur feststellen: diese Formulierung ›jeder‹ deckt den Ernsten Bibelforscher, sie deckt den Mennoniten sie deckt den Quäker; sie deckt aber nicht denjenigen, der, ohne Mitglied in einer solchen speziellen Denomination zu sein, sich etwa aus ganz ernsten Situations1163 Vertraulicher Vermerk des Beauftragten des Bundeskanzlers für die mit der Vermehrung der Alliierten Truppen zusammenhängenden Fragen, Betr./ Ausführungsgesetz zu Art. 4 Abs. 3 GG, Begleitschreiben vom März 1954, in: BArch B 106/28259. 1164 Heinz Stuckmann: Peter Nellen – kein Rebell, in: Die Zeit vom 06. 02. 1958. URL: http:// www.zeit.de/1958/06/peter-nellen-kein-rebell (Aufruf: 28. 08. 2020). 1165 § 25 des Wehrpflichtgesetzes vom 21. 07. 1956, in: BGBl. 1956 I, Nr. 36.

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gründen in der Lage sieht, aus seinem Gewissen heraus den Kriegsdienst mit der Waffe verweigern zu müssen.«1166

Dem Christdemokrat Nellen ging es darum, dass beispielsweise auch ein gläubiger Katholik, der »keinerlei besonderen sektiererischen Ideen anhängt« seinem Gewissen folgen konnte, wenn es ihn zur Kriegsdienstverweigerung führte.1167 Sein Beitrag wurde von Beifall aus den Reihen der Opposition begleitet, traf indessen auf Unverständnis bei seiner eigenen Fraktion. Eine vergleichbare Tendenz (der nachlassenden staatlichen Normalisierung) zeigte sich auch in einem anderen Feld, das den Mennoniten besonders wichtig war, das Recht auf Eidverweigerung. Habe ich soeben das Ingangkommen eines Entkoppelungsprozesses skizziert, so möchte ich am Beispiel der Eidverweigerung den Blick nun vor allem auf das Ende, nämlich die gesellschaftliche Durchsetzung Anfang der 1970er-Jahre richten.

Das Eidesprivileg der Mennoniten fällt – zugunsten einer allgemeinen Rechtsnorm Bereits zur Zeit der Weimarer Republik hatte, wie im Ersten Teil dargelegt, das Schwören manche Christinnen und Christen aus unterschiedlichen Glaubensgemeinschaften in große Gewissensnöte getrieben; eine gesetzliche Regelung, die diese Frage auf der Grundlage der allgemeinen Gewissensfreiheit geregelt hätte, war seitens des Reichsjustizministeriums abgewehrt worden. Bereits in den 1950er-Jahren wurde dieses Problem erneut virulent und auch in den folgenden Jahren öffentlich diskutiert: So berichtete das Magazin Der Spiegel in den Jahren 1954, 1966 und 1969 diesbezüglich von drei unterschiedlich gelagerten Fällen: Als der Berliner Polizeiwachtmeister Bernhard Rühlmann, Mitglied der Oldenburger Gemeinschaft »Gläubige Christen«, in das Beamtenverhältnis übernommen werden sollte, gab er mit Blick auf die Worte Jesu in Matthäus 5 an, aus Glaubensund Gewissensgründen keinen Amtseid leisten zu können; er wäre hingegen zu einem »Ja« und zu den Worten »ich will« (anstelle von »ich schwöre«) bereit. Sein Arbeitgeber, die Polizei und der Senator für Inneres, gingen darauf nicht ein und erhielten von der 20. Kammer des Arbeitsgerichts Berlin Rückendeckung. Der Anwärter wurde daraufhin aus dem Dienst entlassen.1168 1966 berichtete Der Spiegel von einem Zeugen, der sich außerstande sah, die Eidesleistung in einem 1166 Verhandlungen des zweiten Deutschen Bundestages, 159. Sitzung vom 06. 07. 1956, Bonn 1956, S. 8842. 1167 Ebd., S. 8845. 1168 Ihr sollt nicht schwören, in: Der Spiegel 1954, Nr. 42 vom 13. 10. 1954. URL: http://www.spie gel.de/spiegel/print/d-28957660.html (Aufruf: 22. 02. 2017).

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Strafverfahren zu leisten. Es handelte sich um Werner Sanß (1913–2004), evangelischer Gemeindepfarrer in Selm, zwischen 1960 und 1964 Superintendent des westfälischen Kirchenkreises Lünen und Friedensaktivist, engagiert in der Ostermarschbewegung und im Landes- und Bundesvorstand der Deutschen Friedensunion (DFU). Als er 1965 im Prozess gegen das DFU-Direktoriumsmitglied Lorenz Knorr wegen »Staatsgefährdung«1169 vor der 4. Großen Strafkammer des Landgerichts Düsseldorf als Zeuge vereidigt werden sollte, berief sich Sanß, der sich der Bergpredigt verpflichtet wusste, auf seinen »Gehorsam gegenüber dem Wort Christi«.1170 Im Jahr 1969 berichtete das Magazin Der Spiegel schließlich von Waldemar Sardacuk, Pastor einer Glaubensgemeinschaft »Freier Christen«, der es aus Gewissensgründen ablehnte, als Schöffe in einem Verfahren der 1. Großen Strafkammer des Landgerichts Bonn vereidigt zu werden und dafür eine Ordnungsstrafe kassierte. Der vorsitzende Richter suchte zu retten, was zu retten war, schließlich war der Schöffe noch für andere Verfahren vorgesehen, und brachte die Option ins Spiel, Sardacuk könne sich doch eine alternative Beteuerungsformel bescheinigen lassen, analog zur Glaubensgemeinschaft der Mennoniten, bezogen auf die entsprechende Passage im Gerichtsverfassungsgesetz. Aber dieser Gedanke war alleine schon deshalb nicht praktikabel, weil es innerhalb seiner Gemeinde unterschiedliche Auffassungen zum Eid gegeben hatte.1171 Aus dem erwähnten Fall Sanß aber sollten sich weitreichende Umwälzungen ergeben: Der evangelische Pfarrer akzeptierte die Ordnungsstrafe nicht und zog, vertreten von Rechtsanwalt Heinrich Hannover, vor das Oberlandesgericht Düsseldorf. Auch dort unterlegen1172, legte Hannover Beschwerde beim Bundesverfassungsgericht ein. Der Spiegel kommentierte das so: »Die Bundesverfassungsrichter müssen entscheiden, ob die Bibel – wie Theologe Sanß sie im

1169 Zuvor war Knorr bereits wegen Beleidigung angeklagt worden, weil er deutsche Generäle als »Massenmörder« bezeichnet hatte; vgl. Heinrich Hannover: Die Republik vor Gericht 1954– 1974. Erinnerungen eines unbequemen Rechtsanwalts, Berlin (2. Auflage) 2001, S. 129–154; Lorenz Knorr: Generäle vor Gericht. Oder: Darf man Nazi-Militärs als Massenmörder bezeichnen? Köln 2011. 1170 Ja, ja; nein, nein, in: Der Spiegel 1966, Nr. 50 vom 05. 12. 1966, S. 66–67, Zitat: S. 66. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46415340.html (Aufruf: 28. 08. 2020). Vgl. auch die Erwähnung in der Ausgabe des Magazins aus dem Jahr 1970, Nr. 16 vom 13. 04. 1970: Ja, ja; nein, nein, S. 81–82. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45122507.html (Aufruf: 28. 08. 2020). 1171 Ja, Ja; nein, nein, in: Der Spiegel 1969, Nr. 18 vom 28. 04. 1969, S. 97. URL: http://www.spie gel.de/spiegel/print/d-45589692.html (Aufruf: 28. 08. 2020). 1172 Vgl. die Entscheidung des OLG Düsseldorf vom 22. 07. 1966 wegen »unzulässiger Eidesverweigerung«, mitgeteilt von OLGRat Dr. Schneider, in: Neue Juristische Wochenschrift 19 (1966) 41 (13. Oktober 1966), S. 1933.

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Gegensatz zu fast allen Amtsbrüdern versteht – doch recht hat.«1173 Dabei hieb das Magazin nur auf den ersten Blick in die richtige Kerbe. Innerhalb der evangelischen Kirche wurde in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre eine Grundsatzdiskussion um die Eidesleistung geführt und dabei auch, wie vom Theologen Martin Honecker, die Abschaffung des Eides gefordert, mindestens aber die Ausdehnung des »Mennonitenprivilegs« auf den Bereich der evangelischen Kirche.1174 Im Mai 1970 wurde die Abschaffung des Eides auch im Bundesjustizministerium diskutiert, treibende Kraft dahinter war der neu gewählte Bundespräsident Gustav Heinemann, dem das Anliegen schon seit längerem am Herzen lag.1175 1970 wusste sich der Bundesjustizminister Gerhard Jahn (SPD, 1927– 1998) mit dem Bundespräsidenten in dieser Angelegenheit »in der Tendenz« einig.1176 Auch die Fachöffentlichkeit beschäftigte sich mit diesem Thema. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichtes über die Beschwerde von Sanß im Juni 1972 wies die Überlegungen im Bundesjustizministerium jedoch eine andere Richtung: Der Zweite Senat stellte am 11. April 1972 mit Bezug auf die im Grundgesetz garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit1177 fest, dass der »weltliche« Eid, also eine Eidesformel ohne Gottesanrufung, zwar keinen metaphysischen Bezug aufweise, aber auch »[e]ine Glaubensüberzeugung, die auch den ohne Anrufung Gottes geleisteten Zeugeneid aus religiösen Gründen ablehnt, […] durch Art. 4 Abs. 1 GG geschützt« sei.1178 Im Verfahren hatte sich auch der Bundesminister der Justiz im Namen der Bundesregierung geäußert und die Beschwerde für begründet erachtet.1179 Das bedeutete für das Bundesjustizministerium, jetzt schnell handeln zu müssen. Aus pragmatischen Gründen bot es sich an, die notwendige Reform an den Vorgaben des Karlsruher Gerichts zu

1173 Ja, ja; nein, nein, in: Der Spiegel 1966, Nr. 50 vom 05. 12. 1966, S. 66–67, Zitat: S. 67. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-46415340.html (Aufruf: 28. 08. 2020). 1174 Martin Honecker: Der Eid in einer säkularisierten Gesellschaft [1969], in: Ders.: Recht in der Kirche des Evangeliums, Tübingen 2008, S. 255–270. Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland hat im Jahr 1965 die Einsetzung eines Ausschusses zur Eidesfrage veranlasst, im dem auch Honecker vorgetragen hat. 1175 Vermerk der Persönlichen Referentin für den Parlamentarischen Staatssekretär im Bundesjustizministerium vom 22. 05. 1970, BArch B 141/36822. 1176 Ebd. (Zitat) sowie Vermerk des Leiters der Abteilung II. Betr.: Abschaffung des Eides vom 26. 05. 1970 und Schreiben des Bundespräsidialamtes (Dr. Ottinger) an den Bundesjustizminister vom 21. 05. 1970, in: BArch B 141/36822. 1177 Artikel 4 Abs. 1 des Grundgesetzes: »Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.« 1178 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 33, Tübingen 1973, S. 23–42, hier S. 23. 1179 Ebd., S. 25.

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orientieren – was die Frage nach der Abschaffung des Eides aus Sicht der Ministerialen zwar nicht lösen, aber entschärfen würde.1180 In der Begründung seiner Entscheidung führte das Bundesverfassungsgericht u. a. aus: »Der Gesetzgeber selbst läßt in § 66e StPO, § 484 ZPO und in anderen Normen zu, daß Mitglieder bestimmter Religionsgesellschaften, denen durch besonderes Gesetz der Gebrauch gewisser Beteuerungsformeln anstelle des Eides gestattet ist, eine solche Beteuerung als gleichwertigen, mit gleicher Strafandrohung bewehrten […] Ersatz des an sich vorgeschriebenen Eides sprechen. Damit stellt er klar, daß Glaubenskonflikte auch hinsichtlich des weltlichen Eides nicht nur denkbar sind, sondern daß ihnen auch nachzugehen ist, ohne daß dadurch die Rechtspflege Schaden nimmt. Die genannten Bestimmungen zugunsten einzelner Sekten entsprechen den Forderungen des Art 4 Abs. 1 GG jedoch nicht in vollem Umfang: Das ›Sektenprivileg‹ läßt sich unter der Herrschaft des Grundgesetzes nicht mehr als von hoher Hand einer Religionsgemeinschaft gewährten Vergünstigung rechtfertigen; vielmehr müssen, weil das Grundrecht der Glaubensfreiheit weder von der Mitgliedschaft in Religionsgemeinschaften noch von gesetzlicher Anerkennung anhängig ist, alle Bürger, die sich aus einer individuell getroffenen Glaubensentscheidung zur Leistung eines Eides außerstande sehen, von der Eidespflicht freigestellt werden.«1181

Die mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts notwendig gewordenen Gesetzesänderungen wurden am 20. Dezember 1974 vom Bundestag beschlossen.1182 Eine »Große Lösung« aber, die Abschaffung des Eides, war in dieser Phase bereits in weite Ferne gerückt, sie wurde nicht mehr ernsthaft diskutiert und galt als politisch derzeit nicht realisierbar.1183 Als der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts im Fall Sanß seine Entscheidung veröffentlichte, war es ausgerechnet Fabian von Schlabrendorff gewesen, der ein abweichendes Votum vortrug. Dr. von Schlabrendorff, konservativer Hitler-Gegner, war einer der Mitverschwörer des 20. Juli 1944. Martin Honecker aber, der in dem Ausschuss der Evangelischen Kirche mitwirkte, der die Haltung der Kirche zur Eidesfrage diskutierte, meinte in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre: »Es waren vornehmlich drei verschiedene, freilich untereinander zusammenhängende Erfahrungen, welcher der evangelischen Theologie eine Sensibilität für das Eidesproblem vermittelt haben. 1. Vor 25 Jahren, am 20. Juli 1944, erfolgte das Attentat des Grafen von Stauffenberg auf Adolf Hitler. […] der Eid auf Hitler wurde als Hemmnis 1180 Vgl. zum Beispiel die Vermerke im Bundesjustizministerium Referat R B 3 vom 17. 07. 1972 und R B 1 vom 22. 08. 1972, in: BArch B 141/36823. 1181 Ebd., S. 33. 1182 Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts vom 20. 12. 1974. BGBl. 1974 I, S. 3686. 1183 Vermerk im Bundesjustizministerium Referentengruppe II A 1/2 vom 21. 03. 1973, in: BArch B 141/36823.

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des Handelns empfunden, und die Verschwörer mussten sich auch hinterher den Vorwurf des Eidbruches machen lassen. […]«1184

Bezeichnenderweise finden sich nun in dem Votum von Dr. von Schlabrendorff überhaupt gar keine Bezüge auf die Eidbindung an den »Führer« im »Dritten Reich«, obwohl er in seiner Stellungnahme auch auf unterschiedliche Schwurformen wie auf den »promissorischen Eid vom Berufssoldaten, vom Richter und vom Beamten« einging.1185 Der Richter argumentierte stattdessen, dass der Staat »die von Gott gestiftete Erhaltungsordnung« sei, die des Eides als »Mittel zur Erzeugung von Wahrheit und Treue« bedürfe. Kein Artikel des Grundgesetzes gebe »dem Staatsbürger das Recht der Narrenfreiheit«. Indes basiere die Begründung des Beschwerdeführers auf einer »Fehlinterpretation« der Bergpredigt: »Die Bergpredigt ist kein Gesetz und vor allem kein Gesetz für den diesseitigen Äon. Sie zeigt vielmehr die Gebote an, die im jenseitigen Äon gelten. Die Bergpredigt darf daher nur unter dem Gesichtspunkt der Eschatologie gelesen und verstanden werden. Wer das nicht beherzigt läuft Gefahr, sich unter die Schwarmgeister zu gesellen die es für ihre Aufgabe halten, diese Welt unter Hinweis auf die Bergpredigt in ein Pseudoparadies zu verwandeln.«

Das tradierte Recht für »gewisse Sekten in Deutschland« auf Eidesverweigerung solle man jedoch nicht antasten.1186 Dem hielt die Mehrheit der Richter entgegen, dass es dem Staat verwehrt sei, »derartige Glaubensüberzeugungen seiner Bürger zu bewerten oder gar als ›richtig‹ oder ›falsch‹ zu bezeichnen«. »Kennzeichnend für einen Staat, der die Menschenwürde zum obersten Verfassungswert erklärt und der Glaubens- und Gewissensfreiheit ohne Gesetzesvorbehalt und unverwirkbar garantiert, ist […], daß er auch Außenseitern und Sektierern die ungestörte Entfaltung ihrer Persönlichkeit gemäß ihren subjektiven Glaubensüberzeugungen gestattet, solange sie nicht in Widerspruch zu anderen Wertentscheidungen der Verfassung geraten und aus ihrem Verhalten deshalb fühlbare Beeinträchtigungen für das Gemeinwesen oder die Grundrechte anderer erwachsen.«1187

»Das Gericht hat«, so kommentiert Barbara Völzmann-Stickelbrock die gegenwärtige Rechtslage im Blick auf den betreffenden Paragraphen der Zivilprozessordnung gleichsam noch einen Schritt weiter gehend, »nicht zu überprüfen, ob Glauben oder Gewissen des Verweigernden der Eidesleistung tatsächlich

1184 Honecker, Eid, S. 256. 1185 Abweichende Meinung des Richters Dr. v. Schlabrendorff zum Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. 04. 1972, in: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 33, Tübingen 1973, S. 35–42, Zitat: S. 38. 1186 Ebd., alle Zitate auf S. 36, 37 u. 42. 1187 Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, Band 33, Tübingen 1973, S. 35–42, Zitate auf S. 30 u. 29.

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entgegensteht. Die bloße Angabe des Schwurpflichtigen, aus Glaubens- oder Gewissensgründen keinen Eid leisten zu wollen, genügt.«1188 Die Mennoniten registrierten den Paradigmenwechsel und wurden staatlicherseits in den Prozess der rechtsnormativen Neufassung einbezogen worden – wenn auch nur am Rande.1189 Das Bundesjustizministerium hatte den Landesjustizverwaltungen den Entwurf von gesetzlichen Vorschriften (zunächst der StPO und des StGB) mit der Bitte um Stellungnahme zugeleitet.1190 Verschiedene Landesjustizministerien wandten sich daraufhin an Mennonitengemeinden in ihrem Territorium.1191 Alternativ zum Eid mit oder ohne Anrufung Gottes sollte die Variante einer Bekräftigungsformel treten, bei der ein Zeuge oder eine Zeugin gefragt wird: »Sie bekräftigen im Bewußtsein Ihrer besonderen Verantwortung, daß Sie nach bestem Wissen die reine Wahrheit gesagt und nichts verschwiegen haben.«1192 Geklärt werden sollte nun die Frage, ob Religionsgemeinschaften wie die Mennoniten weiterhin Wert auf eine bestimmte Beteuerungsformel legten.1193 Am 16. Juni 1973 setzte sich die Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden auf einer Mitgliederversammlung mit den geplanten Gesetzesänderungen auseinander und fasste einen Beschluss, in dem sie die Novellierung begrüßten und erklärten, »daß Mennoniten diese säkulare Bekräftigungsformel ohne Gewissensnot verwenden können.« Nicht ohne zuvor darauf hinzuweisen, dass sie es gut geheißen hätte, »wenn staatlicherseits generell auf die Abnahme eines Eides verzichtet« worden wäre.1194 Die eine Seite lange Stellungnahme diente als Antwortvorlage der Gemeinden bei Anfragen seitens der Landesjus-

1188 Kommentierung von § 484 ZPO von Barbara Völzmann-Stickelbrock, in: Bernhard Wieczorek (Begründer) und Rolf A. Schütze (Herausgeber): Zivilprozessordnung und Nebengesetze. Großkommentar, Band II, Teilband 3/2, Berlin 2010, hier S. 901 (Randnummer 5). 1189 Vgl. für einen Kommentar des Bundesverfassungsgerichtsentscheids die von Pastor Dr. Heinold Fast verantworteten Nachrichten für die nordwestdeutschen Mennonitengemeinden, Ausgaben November und Dezember 1973: »Mennonitenprivileg aufgehoben«, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5, Nr. 268. 1190 Vgl. das Schreiben des Bundesjustizministeriums (3725/1-60 179/73) an die Landesjustizverwaltungen u. a. vom 15. 05. 1973, in: BArch B 141/36825. Vgl. dazu auch das Schreiben (Abschrift) der Freien und Hansestadt Hamburg, Justizamt, an die Mennonitengemeinden zu Hamburg und Altona, am 4. Juni 1973, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5, Nr. 268. 1191 Vgl. hierzu das Schreiben der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden an das Bundesjustizministerium vom 28. 06. 1973, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5, Nr. 268. 1192 Diese Variante wurde dann auch umgesetzt, vgl. § 66 d (2) StPO. BGBl. 1974 I, S. 3686. 1193 Schreiben (Abschrift) der Freien und Hansestadt Hamburg, Justizamt, an die Mennonitengemeinden zu Hamburg und Altona, am 4. Juni 1973, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5, Nr. 268. 1194 Beschluss der Mitgliederversammlung der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden vom 16. Juni 1973 in Krefeld, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5, Nr. 268.

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tizministerien und wurde am 28. Juni 1973 auch an das Bundesjustizministerium versandt.1195 Die Gesetzesänderungen aus dem Jahr 1974 betrafen jedoch lediglich die vor Gericht zu leistenden Eide, nicht die Diensteide. Das war bekanntlich nur zum Teil Sache des Bundes, sondern betraf in weiten Teilen auch die Länder. Es würde diesen Rahmen sprengen, dem hier im Einzelnen nachzugehen. Im Blick auf die Bundesbeamten war die Befreiung vom Schwören jedoch noch lange eng an bestimmte Religionsgemeinschaften gebunden. Im Blick auf alternative Formulierungen zum Diensteid von Bundesbeamten hatte das Gesetz (Bundesbeamtengesetz [BBG]) in den Fassungen von 1953, 1957, 1985 und 1999 in § 58 (3) vorgeschrieben: »Gestattet ein Gesetz den Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft, an Stelle der Worte ›Ich Schwöre‹ eine andere Beteuerungsformel zu gebrauchen, so kann der Beamte, der Mitglied einer solchen Religionsgemeinschaft ist, diese Beteuerungsformel sprechen.«1196 Erst nach der Jahrtausendwende wurde die religiös motivierte Schwurverweigerung im Rahmen des Diensteides bei Bundesbeamten von der Konfessionszugehörigkeit gelöst und mit dem Bereich des individuellen Gewissens verbunden. In dem am 12. November 2008 vom Bundestag beschlossenen und am 5. Februar 2009 in Kraft getretenen »Gesetz zur Neuordnung und Modernisierung des Bundesdienstrechts« (Dienstrechtsneuordnungsgesetz [DNeuG]) heißt es in § 64 (3) nun: »Lehnt eine Beamtin oder ein Beamter aus Glaubens- oder Gewissensgründen die Ablegung des vorgeschriebenen Eides ab, können an Stelle der Worte ›Ich schwöre‹ die Worte ›Ich gelobe‹ oder eine andere Beteuerungsformel gesprochen werden.«1197

1195 Vgl. das Schreiben der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden an das Bundesjustizministerium vom 28. 06. 1973, in: Staatsarchiv Hamburg 521-5, Nr. 268. Vergleicht man die den Gemeinden vorliegende »Rohfassung« der StPO-Novelle mit der dann verabschiedeten Gesetzesfassung lässt sich kein besonderer mennonitischer Einfluss ausmachen: Die Möglichkeit, eine spezifische Bekräftigungsformel verwenden zu können, wurde nicht fallen gelassen, sondern in Form eines Verweises weiterhin offeriert. Verwiesen wurde darauf, dass mit einer besonderen Bekräftigungsformel genauso verfahren werden könne, wie dies im Blick auf den Schwur der Fall sei; vgl. § 66 d (3) StPO. Und auch eine seitens der Mennoniten vorgeschlagene Modifikation in der Bekräftigungsformel – § 66 d (2) StPO – wurde nicht aufgegriffen. 1196 BGBl. 1953 I, S. 551 (Bundesbeamtengesetz vom 14. 07. 1953) und BGBl 1957 I, S. 1338 (Bundesbeamtengesetz in der Fassung vom 18. 09. 1957), BGBl. 1985 I, S. 479 (Bekanntmachung der Neufassung des Bundesbeamtengesetzes vom 27. 02. 1985); BGBl. 1999, I S. 675 (Bundesbeamtengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 31. 03. 1999). 1197 BGBl 2009 I [Nr. 7], S. 160.

Konsens und Konflikt im Osten

C.

Standen die Baptisten »fest hinter der Regierung« der DDR?

Zum rechtlichen Ort der Freikirchen Im Gründungsjahr der DDR war die rechtliche Stellung von »Religionsgemeinschaften« auf unterschiedliche Ausgangspunkte bezogen: Die am 7. Oktober 1949 in Kraft getretene erste Verfassung der DDR hat die religionsrechtlichen Verfassungsnormen der Weimarer Reichsverfassung zwar nicht inkorporiert – wie das beim Grundgesetz der Bundesrepublik der Fall gewesen war – der Verfassungstext war jedoch eng an das Kirchenrecht der Weimarer Verfassung angelehnt, manche Passagen auch Wort für Wort entnommen. Der Rekurs auf die Weimarer Reichsverfassung war auch taktisch motiviert. Nach Vorgaben der sowjetischen Besatzungsmacht musste sich der DDR-Verfassung in deren Konzeption »gesamtdeutsche[r] Propaganda« einfügen, das heißt auch für bürgerliche Kreise halbwegs akzeptabel sein.1198 Die Artikel über »Religion und Religionsgemeinschaften« (Artikel 41 bis 48) der DDR-Verfassung von 1949 führten den Gedanken der ausdrücklichen Trennung von Religion und Staat sowie der staatlichen Neutralität gegenüber den Religionsgemeinschaften fort.1199 Bezeichnenderweise wurde auch jene Kompromissformel aus den staatskirchenrechtlichen Regelungen der Weimarer Verfassung – das Nebeneinander von privatrechtlich organisierten Gemein1198 Heike Amos: Einleitung [Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, 07. 10. 1949]. URL: https://www.1000dokumente.de/index.html?c=dokument_de&dokument=02 32_ddr&object=context&st=&l=ded (Aufruf: 25. 08. 2020). Grundlegend: Heike Amos: Die Entstehung der Verfassung in der sowjetischen Besatzungszone/DDR 1946–1949. Darstellung und Dokumentation, Münster 2006. 1199 Vgl. dazu Erwin Jacobi: Staat und Kirche nach der Verfassung der DDR, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 1 (1951) 2, S. 113–135. Martin Otto: Gefühltes Staatskirchenrecht. Staatskirchenrecht in der DDR zwischen »Kirche im Sozialismus« und Opposition, in: Zeitschrift für evangelisches Kirchenrecht 56 (2011), S. 430–452. Gerhard Besier: Der SED-Staat und die Kirche. Der Weg in die Anpassung, München 1993, S. 59ff. Viola Vogel: Abgestorben? Religionsrecht der DDR und der Volksrepublik Polen, Tübingen 2015, insb. S. 161–168.

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Standen die Baptisten »fest hinter der Regierung« der DDR?

schaften und Körperschaften des öffentlichen Rechts – wörtlich übernommen. Erst die zweite Fassung der DDR-Verfassung von 1968/74 umging diese Unterscheidung, indem dort der Rechtstatus von Religionsgemeinschaften nicht mehr erwähnt wurde.1200 Die erste Verfassung der DDR gewährte jedem »Bürger« die »volle Glaubensund Gewissensfreiheit« (Art. 41 Absatz 1, Satz 1) – die gleiche Formulierung wie in der Weimarer Reichsverfassung (dort bezogen auf alle »Bewohner«). Die Verfassungsnormen waren die eine, ihre Anwendung und Nicht-Anwendung war die andere Seite der Realität. Das »faktische Kirchenrecht[…]« wies »in eine andere Richtung« und »widersetzte« »sich dem Verfassungstext«.1201 Einen Fingerzeig gab diesbezüglich bereits die deutlich restriktiver formulierte rechtliche Schranke der proklamierten »Glaubens und Gewissenfreiheit«; in der Weimarer Reichsverfassung war sie mehr passiv formuliert und lautete, noch im gleichen Artikel (135, dritter Satz): »Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.« In der DDR-Verfassung wurde hingegen in einem neuen Absatz ausgeführt: »Einrichtungen von Religionsgemeinschaften, religiöse Handlungen und der Religionsunterricht dürfen nicht für verfassungswidrige oder parteipolitische Zwecke mißbraucht werden.« (Art. 41 Absatz 2, 1. Satz).1202 Neben den verfassungsrechtlichen Normen, auf die sich der rechtliche Status von Religionsgemeinschaften zum einen gründete, war zum anderen die im Ministerium des Innern geführte »Liste der anerkannten Religionsgemeinschaften« von ganz praktischer Bedeutung und setzte in dieser Hinsicht die SBZ-Praxis fort.1203 Anders als beispielsweise die Zeugen Jehovas waren Baptisten in beiderlei Weise staatlich anerkannt, befanden – oder empfanden – sich aber dennoch systembedingt in einer prekären Lage. Der offizielle Baptismus, teilweise auch die Gemeindeleitung, reagierte hierauf mit bewusster Loyalitätsbekundung gegenüber der Regierung. Im Folgenden beleuchte ich die Hintergründe dieser Haltung, analysiere anhand eines Fallbeispiels aber auch das Spannungsverhältnis zwischen der DDR-Regierung und Akteuren des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden, die sich aus Glaubensgründen in Konflikte mit dem neuen Staat begaben.

1200 Vgl. Beaupain, Freikirche, S. 167 u. 170. 1201 Otto, Staatskirchenrecht, S. 439. 1202 Vgl. Thomas Boese: Die Entwicklung des Staatskirchenrechts in der DDR von 1945 bis 1989. Unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses von Staat, Schule und Kirche, BadenBaden 1994, S. 125. 1203 Vgl. hierzu den »Bericht über das Sektenwesen« des Ministeriums des Innern, HA Staatl. Verwaltung, vom 29. 12. 1950, in: SAPMO-BArch DY 30/IV 2/14/247 sowie den »Bericht über Religionsgemeinschaften vom 17. Januar 1951« des Magistrats von Groß-Berlin, Amt für Kirchenfragen, in: Landesarchiv Berlin, C Rep. 101-04 Nr. 2.

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Loyalität gegenüber der (neuen) Obrigkeit als Fundament der Gemeinde Aus der Gemeinde in Gera ist ein Zeugnis aus der Zeit vor Gründung der DDR überliefert, das ein bezeichnendes Licht auf die Argumentationsstruktur innerhalb der Gemeinde- und Bundesleitung wirft. In der »Niederschrift Mitgliederversammlung vom 1. August 1948« heißt es: »Es besteht Veranlassung, dass ich die Mitglieder meiner Gemeinde als Leiter und Seelsorger auf das Verhalten der Obrigkeit gegenüber hinweisen muss. Der Staat und die russische Besatzungsmacht gibt uns zur Ausübung unserer kirchlichen Belange weitgehend Freiheit und gewährt uns ihren Schutz. Wer die Anordnungen nicht beachtet, vergeht sich nicht nur gegen die russische Besatzungsmacht, sondern auch gegen die Gemeinde und wird unter Gemeindezucht gestellt. Für uns ist die Bibel massgebend und diesbezüglich heisst es in Römer 13 u. a. wie folgt: [Eingerückt:] Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Es ist keine Obrigkeit ohne von Gott, wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott verordnet. Wer sich nun wider die Obrigkeit setzt, der widersteht Gottes Ordnung, die aber widerstreben, werden über sich ein Urteil empfangen. Darum ist es not, untertan zu sein, nicht allein um der Strafe willen, sondern auch um des Gewissens willen. [Ende des eingerückten Absatzes] Wir glauben und bekennen, dass die Obrigkeit von Gott ist und halten uns gebunden, allen ihren Gesetzen Gehorsam zu leisten. Alle Mitglieder müssen bedacht sein auf Frieden und Einigkeit des Volkes. Wer mutwillig sich gegen Gottes Ordnungen versündigt, wird aus der Gemeinde ausgeschlossen. Ich erwarte, dass die Mitglieder der Gemeinde diesen besonderen Hinweis dringendst beachten und auch auf ihre Familienangehörigen und nächste Umgebung einen entsprechenden Einfluss ausüben.«1204

Der Text lässt sich auf unterschiedlichen Ebenen deuten. Erstens zeigt er im Blick auf die Gemeinden in Ostdeutschland, dass eine spezifische Auslegung der Passage in Römer 13 über die Grenzen hinweg virulent war. So wie Bundesdirektor Paul Schmidt die Bibelstelle als allgemeines Unterordnungsgebot verstand, wurde es offenbar auch in der Gemeinde Gera kommuniziert. Zweitens verweisen Form und Sprache des Dokuments auf einen anderen, spezifischen Adressaten: Das eben Zitierte wurde auf einem Einzelblatt niedergelegt, unterschrieben und mit dem Bundessiegel gestempelt. Unter der Unterschrift findet sich die Bezeichnung »Geistlicher, der Evangl.-Freikirchl. Gemeinde Gera Thür.«, eine innerhalb des Baptismus unübliche Bezeichnung für einen Pastor oder Prediger. All dies deutet darauf hin, dass es sich um ein Schriftstück gehandelt hat, das eigens zum Vorzeigen bei den Behörden produziert worden ist. Dafür spricht, dass die Bibelstelle aus Römer 13 ausführlich zitiert wurde, während seinerzeit vermutlich vorausgesetzt werden konnte, dass 1204 Oncken-Archiv Elstal, Sammlung »Briefe« B 115, AK Aufarbeitung der Geschichte des BEFG-DDR.

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die Glaubensgeschwister mit dem Inhalt dieser bekannten Passage vertraut gewesen waren.1205 Ein weiterer Indikator hierfür ist die Verpflichtung auf die gesellschaftlich-politischen Werte »Frieden und Einigkeit des Volkes« (nach offizieller Lesart waren die Kräfte, die das »Volk« spalteten, im Westen zu suchen) und die Androhung überaus harter Sanktionen.1206 Der Text lässt somit auf einen nach innen gerichteten, auf die Gemeindemitglieder zielenden, Akt der Disziplinierung schließen und liest sich zugleich als ein Ausweis von politischer Loyalität. Das macht, drittens, die permanente Ambivalenz sichtbar, die solchen, in der SBZ/DDR entstandenen Texten eigen ist: Sie enthielten nach innen gerichtete Botschaften, mussten aber auch so formuliert sein, dass sie einer Prüfung durch die Behörden standhielten. Mit dem Appell an die Gemeinde für »Frieden« und »Einigkeit« einzustehen, verweist das Dokument, viertens, beispielhaft auf eine verbreitete politisch-loyale Grundhaltung der Baptisten, die dadurch ihren Kernauftrag der Mission erhalten wollten.1207 Ziel der Baptisten war es, den Bestand der Gemeinden und die Evangelisation nicht zu gefährden. Hierfür aber wurde eine gute Beziehung zur Regierung als unabdingbar betrachtet, die, selbst wenn sie sich explizit gegen das Christentum positionierten sollte, von Gott eingesetzt und deshalb zu ehren sei – so die Argumentation von Otto Ekelmann im November 1950. Ekelmann hatte bereits in der SBZ eine Lizenz für eine konfessionelle Zeitschrift erhalten und repräsentierte nach Gründung der DDR mit dem von ihm redigierten Blatt Wort und Werk den offiziellen Kurs des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden.1208 Die dort dominierende Haltung gegenüber der SED-Regierung möchte ich im Folgenden etwas näher beleuchten. »Die Gemeinde hat also Würde und Auftrag des priesterlichen Einstehens für die gesamte Umwelt. Die Umwelt einer Gemeinde wird durch nichts so beeinflußt und gestaltet, wie durch die Regierungsstellen. Auf Schritt und Tritt wirken 1205 Die interpretatorischen Hinweise in diesem Abschnitt verdanke ich Pastor i.R. Reinhard Assmann, Berlin. 1206 Was die Veranlassung zur Abfassung dieses Schriftstückes gegeben hat, wissen wir nicht. Auf einer Kopie des Dokuments im Oncken-Archiv findet sich der handschriftliche Hinweis »Steht vermutlich in Zusammenhang mit dem Auffinden von antisowjetischen Flugblättern bei Gemeindemitgliedern durch ›staatliche‹ Stellen«. Diese Vermutung ist jedoch nicht belegt. 1207 Vgl. Reinhard Assmann: »Wir bleiben Missionare«. Der Bund Evangelisch-freikirchlicher Gemeinden in der DDR (BEFG). Response, in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016), S. 95– 101. 1208 Assmann, Leitfaden, S. 39. Ekelmanns verlegerische Tätigkeit wurde vom Gesamtbund als »Verlagswerk Ostzone« (mit-) finanziert; vgl. Das Protokoll der Sitzung der Bundesleitung im Predigerseminar des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in HamburgHorn am 28. und 29. 05. 1953, in: Onken-Archiv Elstal, Karton A 2 Sitzungsprotokolle der Bundesleitung, Ordner.

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sie mit.«1209 Aus dieser Beobachtung schloss Ekelmann im November 1950: »Der Gemeindedienst muß daher auch im Gebet für die Regierenden seinen Auftrag sehen. In den Tagen der Entstehung der neutestamentlichen Bibel war damit aber eine Gebetspflicht für den übelberüchtigten Kaiser Nero und seine Statthalter in den besetzten Ländern gefordert! – […]« Im Subtext hieß das: auch die sozialistische Regierung mit einer nicht-christlichen Ausrichtung war als Obrigkeit zu ehren. Ekelmanns Begründung lautete: »Jede Regierung aber ist eine Gottesordnung, darum ist die Gemeinde jeder Regierung zur Achtung und dem in Liebe getanen Dienst der Fürbitte verpflichtet. Auf diesem Wege erweist die Gemeinde jeder Regierung, die Aufbau, Arbeit, Ordnung und Frieden will, in der oben dargelegten Verborgenheit ihre Unterstützung.« Der öffentliche Auftrag der Gemeinde aber sei die Evangelisation: »Die Gemeinde hat ihre Aufgabe zur Verkündigung des Heils Gottes in seinem Christus. Sie hat keinen p o l i t i s c h e n Auftrag vom Herrn des Evangeliums empfangen. Ihrem einzigen Auftrag, der Bezeugung des Heils Gottes in Christus, hat sie alle ihre Kräfte und Gaben zu widmen. Z u r A u s r i c h t u n g d i e s e s A u f t r a g e s b e d a r f s i e d e s p o l i t i s c h e n F r i e d e n s e b e n s o wo h l w i e d e s A n s e h e n s b e i i h r e r O b r i g k e i t . « 1210

An die obigen Überlegungen anknüpfend kann davon ausgegangen werden, dass Ekelmann nicht nur die Gemeinde, sondern vermutlich auch die staatlichen Behörden als Adressaten seines Wortes im Blick gehabt hatte. So lässt sich auch erklären, weshalb er sich im gleichen Artikel zu der seines Erachtens nach falschen Sicht der Zeugen Jehovas auf Staat und Gesellschaft äußerte – gibt es doch keinen Grund zu der Annahme, dass die Leserschaft aus der Gemeinde in Gefahr stand, die Deutungsmuster jener Gemeinschaft zu übernehmen. Wenn Ekelmann ausführte, »die Bibelforscher (Zeugen Jehovas) taten der Auslegung von Römer 13 Gewalt an« (sie bezogen den Obrigkeitsbegriff auf Jehova und Jesus), dann könnte diese Abgrenzung auch ein Signal an den Staat gewesen sein. Die Bezugnahme auf die Zeugen Jehovas lässt sich mit einer konkreten politischen Entwicklung in Verbindung bringen, die sich wiederum in einen größeren Zusammenhang einordnen lässt. 1950 kann als »ein entscheidendes Jahr in der Diktaturetablierung nach Gründung des ostdeutschen Staates« gelten: mit den für die Volkskammerwahl aufgestellten Einheitslisten wurde die parlamentarisch-demokratische Ordnung endgültig eliminiert; zwischen den Behörden der jungen DDR und den Religionsgemeinschaften – den »Sekten« wie den

1209 Wort und Werk. Monatsblatt für die Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden 3 (1950) 11 (November), S. 129–130, hier: S. 129. 1210 Ebd. (Hervorhebung im Original).

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Großkirchen – setzten harten Auseinandersetzungen ein.1211 Im Sommer 1950 kam es zu Massenverhaftungen von Zeugen Jehovas und zum Verbot; bereits zuvor waren die Zeugen Jehovas auf lokaler Ebene beobachtet, behindert und verboten worden. Insofern glich es einer Desolidarisierung mit dem Schicksal dieser Glaubensgemeinschaft, wenn es in der Schriftleiterrubrik von Wort und Werk im August 1950, also noch vor dem übergreifenden Verbot und den Massenverhaftungen, hieß: »Man kann der Welt außerhalb des Gebietes der Deutschen Demokratischen Republik scheinbar gar nicht oft genug davon ein Zeugnis geben, daß wir feststellen dürfen, daß offiziell die religiösen Ansprüche der Menschen in Ostdeutschland anerkannt werden.«1212 Die Zeugen Jehovas hatten sich in der zweiten Hälfte der 1940er-Jahre als vitale Religionsgemeinschaft erwiesen, die durch eine dominante eschatologische Ausrichtung, dem Erwarten einer neuen Weltordnung, und der Verweigerung von Wahlen den jungen sozialistischen Staat herausforderten. Hingegen war in der baptistischen Zeitschrift Wort und Werk im August 1950 zu lesen: »Jedermann empfindet, es wird ein Ende der Weltgeschichte geben. Das wird noch nicht so bald der Fall sein.« Und »›Jehovas Zeugen‹ in ihrer Königsreichverkündigung verquicken Wahrheit mit Irrtum und verstümmeln so die Bibellehre vom Ende der Dinge.«1213 Zugleich wandte sich Ekelmann in diesem Zusammenhang gegen die »Vorstellung vom Gottesreich in amerikanisch-christlicher Verkündigung«, die mit der Aussage, »die Herrschaft Christi über die Herzen werde allmählich die Staaten der Völker umwandeln zum Reich Christi auf Erden«, die biblische Lehre verlasse. Damit hatte Ekelmann Grenzen zu solchen Gruppen und Strömungen gezogen, die der DDR-Regierung tatsächlich oder vermeintlich ein Dorn im Auge waren und er machte deutlich, dass Baptisten keinen Glaubenssätzen folgten, die sich der Ausbreitung der staatlichen Ideologie hindernd in den Weg stellten. Diese wurde vielmehr explizit anerkannt: »Wir sind nicht berufen, als Schiedsrichter im Auftrag großer weltweiter Ideologien aufzutreten. Schon deswegen nicht, weil wir klar erkennen, daß das Ende eines bürgerlich-liberalen Zeitalters da ist. Und u n g e s t ü m u n d u n a u f h a l t s a m d a s s o z i a l i s t i s c h e Z e i t a l t e r seinen Aufbruch nimmt.«1214 Die Argumentation Ekelmanns war somit nicht »unpolitisch«, sondern war dazu angetan, einer positiven loyalen Haltung gegenüber der DDR-Regierung 1211 Gerald Hacke: Zwei Diktaturen, ein Feind. Die Verfolgung der Zeugen Jehovas im nationalsozialistischen Deutschland und in der DDR, in: Günther Heydemann und Heinrich Oberreuter (Hg.): Diktaturen in Deutschland – Vergleichsaspekte. Strukturen, Institutionen und Verhaltensweisen, Bonn 2003, S. 283–309, hier: S. 293. 1212 Wort und Werk. Monatsblatt für die Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden 4 (1950) 8 (August), S. 95. 1213 Ebd. S. 94. 1214 Ebd. S. 95.

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Vorschub zu leisten. Seine Haltung wurde von anderer Seite gestützt. So äußerte A. Wolf in seinem Beitrag »Die soziale Verantwortung« bezüglich der Volkskammerinitiative zur Abhaltung gesamtdeutscher Wahlen, einem Friedensvertrag und dem Abzug der Besatzungstruppen im Jahr 1951: »Wer den Frieden liebt und erstrebt, wird als Christ die Bestrebungen der Volkskammer unterstützen und deren Verwirklichung von Herzen wünschen.«1215 Es ist allerdings wichtig festzuhalten, dass die Protagonisten durchaus zwischen der politischen Dimension des Sozialismus und seinen weltanschaulichen Implikationen unterschieden. So standen Texten, die den Sozialismus als Staatsdoktrin politisch stützten, auch solche gegenüber, die als Dokumente der Selbstbehauptung gegenüber den weltanschaulichen Implikationen des Sozialismus gelesen werden konnten. In Wort und Werk wurde im Juli 1949 beispielsweise folgende Botschaft an die junge Gemeinde gerichtet: »Geschichte ist aber auch nicht Entwickelung [sic] im Sinne der Entwicklungslehre (Evolutionismus). Nach dieser Lehre ist alles Leben aus sich selbst entstanden und hat sich in immer neuen Formen höher und höher entfaltet. Von einer wissenschaftlichen Rückständigkeit kann nach anderen modernen Forschungsergebnissen noch gar nicht die Rede sein, wenn wir nicht daran glauben. Mag man uns auch getrost rückständig nennen, wenn wir nicht daran glauben, daß die Menschheit sich im eigenen ständigen Vorwärtsschreiten eines Tages selbst erlösen wird.«1216

Dass Baptisten in der Gründungsphase keineswegs weltabgewandt-unpolitisch, sondern vielmehr interessiert und engagiert waren, wird deutlich, wenn man die Ebene der Ortsgemeinden miteinbezieht: 1951 existierten in der DDR mehr als 200 Gemeinden mit 35.000 bis 40.000 Mitgliedern (plus 5.360 in Westberlin).1217 In Sachsen-Anhalt zum Beispiel versammelten sich um 1950 Baptisten offiziell an mindestens 30 Orten – in Privatwohnungen, angemieteten Räumen (zum Beispiel einem Bahnhofsrestaurant) oder in kircheneigenen Gebäuden.1218 Es gab nahezu 20 Gemeinden, etwa die Hälfte hatte aber nur bis zu 50 Mitglieder, manche gar nur etwa zehn, so in Sangerhausen (sieben), Müllerdorf oder Jo1215 A. Wolf: Die soziale Verantwortung der Christen, in: Wort und Werk. Monatsblatt für die Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden 5 (1951) 12 (Dezember), S. 137–138. 1216 Wort und Werk. Monatsblatt für die Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden 3 (1949) 7 (Juli), Rubrik »Die junge Gemeinde«. 1217 Vgl. E. Cramer: Bundeskonferenz Ost in Berlin, in: Die Gemeinde 6 (1951) 16 (29. Juli), S. 252–254, hier S. 253. Dort findet sich die Gesamtzahl Ost von 35.000. In einem Protokoll der Bundesleitung aus dem Jahr 1951 ist von 40.000 Glieder die Rede; vgl. das Protokoll über die Sitzung der Bundesleitung am 16. und 17. 01. 1951 im Predigerseminar HamburgHorn, in: Oncken-Archiv Elstal, Karton A 2 (Sitzungsprotokolle der Bundesleitung). 1218 Diese Angabe sowie die nun folgenden basieren auf meiner Auswertung der Berichte zu Gemeinden und Gemeindeverantwortlichen in Sachsen-Anhalt durch die Volkspolizei; die Unterlagen befinden sich in dem Archivbestand: Landeshauptarchiv Magdeburg, Rep. K 14 (Landesbehörde der Volkspolizei), Nr. 191.

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hanndeshal ( je zehn bis zwölf). Andere, wie die Zeitzer Baptistengemeinde, waren so vital, dass sie drei Zweiggemeinden (Stationen) unterhielten. Die größte Einzelgemeinde war eine der beiden in Halle; sie hatte alleine 300 Mitglieder sowie weitere 100 Besucher (die keine Gemeindemitgliedschaft besaßen). In den Berichten der Volkspolizei wird die Haltung der Gemeindeverantwortlichen gegenüber der DDR und der Sowjetunion vielfach als »negativ« beschrieben, oder es findet sich die Bemerkung, dass keinerlei Interesse an und Engagement bei politischen Fragen gezeigt werde. Es fällt aber auf, dass in mindestens jeder zweiten Gesamtgemeinde mit über 50 Mitgliedern wenigstens ein Mitglied in den Vorstand gewählt worden war, das der SED angehörte (in jeder dritten der CDU oder LPD). Als sich die Bundesleitung der ostdeutschen Baptisten und Brüder 1951 also im Zusammenhang mit Tagungsprogrammen über fehlende Disziplin beschwerte, »damit kein Abgleiten auf das politische Gebiet vorkommt«, dann war das am ehesten auf kritische Äußerungen zur staatlich-gesellschaftlichen Entwicklung bezogen. Denn vor dem Hintergrund der affirmativen Loyalitätsbekundungen des offiziellen Baptismus gegenüber der jungen DDR kann ausgeschlossen werden, dass damit regierungsnahe Positionen oder das eben skizzierte Engagement der Gemeindevorstände in Sachsen-Anhalt gemeint war.1219 Betrachten wir im Folgenden die Argumentation der Bundesleitung-Ost etwas genauer. Offiziell gab es nach 1945 nur einen Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland (erst im Jahr 1969 kam es offiziell zur Aufspaltung des Bundes und der Gründung eines »Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR«). Allerdings wurde den Brüdern im Osten bereits in der ersten Bundesleitungssitzung im Juli 1945 »besondere Rechts-Bevollmächtigung«, im Januar 1948 die Legitimation zum Fassen eigener Beschlüsse für die Ostzone erteilt und im Jahr 1949 schließlich eine Bundesgeschäftsstelle Ost in Ostberlin zugestanden.1220 Mit Gründung der DDR verfestigte sich dieser Kurs, er wurde in internen Verlautbarungen bedauert, mit Einsicht in politische Notwendigkeiten aber auch als unumgänglich betrachtet – so etwa, als es im Jahr 1952 danach aussah, als könnten junge Brüder aus der DDR nicht mehr die Ausbildungsstätte in Hamburg besuchen.1221 Insgesamt war der Bund Evangelisch-Freikirchlicher 1219 Assmann, Leitfaden, S. 15. 1220 Ebd., S. 14. 1221 Vgl. die Bundespost 2/1951 vom 28. 07. 1952, in: Oncken-Archiv Elstal, Band ARC Dg 7 (1950–1954). Vgl. auch das Protokoll der Sitzung der Bundesleitung in Mülheim/Ruhr vom 30.09. – 2. 10. 1952, Oncken-Archiv Elstal, Karton A 2 Sitzungsprotokolle der Bundesleitung (Ordner): »Die Trennung Ost-West empfinden wir auch im Bundesraum immer schmerzlicher und nötigt die Brüder in der DDR zu machen besonderen Schritten, um des Werkes willen.« Vgl. zur Situation der gemeinsamen Ausbildungsstätte: Andrea Strübind:

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Gemeinden institutionell eher westlich orientiert1222, es nahmen jedoch führende, aus dem Westen stammende Vertreter des Gesamtbundes (Jakob Meister, Paul Schmidt) an den Sitzungen des Ost-Flügels teil.1223 Am 3. Juni 1951 wurde im Berliner »Amt für Kirchenfragen« ein Bericht über die Eröffnungsveranstaltung der Zeltmission des Bundes angefertigt, der ein bezeichnendes Licht auf die Leitung des Ost-Bundes und Otto Soltau wirft: »Der Bundesvorsitzende, Prediger S o l t a u , eröffnete die Zeltmission mit einem dreifachen Dank: der erste an Gott, der zweite an die Behörden, die die Zeltmission gestattet haben und der dritte an die Helfer beim Aufbau. Prediger Soltau führte aus, daß wir in einer sehr ernsten Zeit leben, kaum die Wunden des letzten schrecklichen Krieges verheilt sind, und dass wir in diesen Tagen uns umsomehr zum Frieden bekennen müssen, damit wir keine Angst vor Bombenteppichen mehr haben brauchen, und wenn wir aufgerufen sind zur Volksbefragung, so nimmt er an, daß ein Teil sein ›Ja‹ gegeben hat und wer es noch nicht getan hat, es noch geben wird. Denn nur im Frieden können wir ruhig leben.«1224

Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden galt dem Amt für Kirchenfragen des Berliner Magistrats »als positiv zur Regierung der Deutschen Demokratischen Republik stehend«.1225 Die Politik des Bundes wurde in der Gründungsphase der DDR jedoch durch die Haltung und das Auftreten des Evangelisten Helmut Samjeske herausgefordert. Betrachtet man sein Schicksal in der gebotenen Tiefenschärfe, lassen sich Konfliktlinien zwischen der DDR-Regierung und unangepassten Christen sowie zwischen der baptistischen Bundesführung und Dissidenten exemplarisch analysieren. Das Schicksal Helmut Samjeskes ist von Reinhard Assmann mit zwei gut recherchierten Artikeln bekannt gemacht worden, an die meine Beobachtungen anknüpfen.1226 Dabei richte ich den Fokus meiner Analyse aber auf die Behörden, insbesondere das Agieren der Volkspolizei, und zwar anhand von Akten aus der Stasiunterlagenbehörde, die im Rahmen der bisherigen Beiträge von Reinhard Assmann noch nicht ausgewertet worden sind.1227

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Der Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR (Baptisten), in: Kirchliche Zeitgeschichte 29 (2016), S. 77–94, hier S. 82. Strübind, Baptisten in Deutschland, S. 405. Vgl. die Protokolle der Bundesleitung-Ost, in: Oncken-Archiv Elstal. Bericht über die Eröffnungsveranstaltung für die Zeltkirchenmission des Bundes der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinden Deutschlands (Baptisten) am 3.6.61, 16 Uhr, in: SAPMO-BArch 30/IV 2/14/251. Schreiben Magistrat von Groß-Berlin. Amt für Kirchenfragen vom 27. 11. 1951, Kleine, an die Landesleitung der SED Abteilung Staatliche Verwaltung Genosse Willi Stein (Berlin), in: Landesarchiv Berlin, C Rep. 901 Nr. 482 (»SED-Bezirksleitung Berlin« – Bezirksparteiarchiv). Assmann, Samjeske, in: Materne/Balders, Erlebt, S. 186–193. Ders., Samjeske, in: Schultze/ Kurschat, Märtyrer S. 639–640. Für den Hinweis auf diesen Bestand danke ich Reinhard Assmann herzlich.

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Der Konflikt Helmut Samjeskes (1909–1952) mit dem Staat und dem Gemeindebund Helmut Samjeske wurde am 17. Dezember 1909 in Breslau geboren; er besuchte die Volksschule, absolvierte eine kaufmännische Lehre in einer Großhandlung für Zahnprodukte und betätigte sich später als Handelsvertreter.1228 Nach dem Tod der Mutter fand Helmut Samjeske im Jahr 1935 während einer Evangelisationswoche zum persönlichen Glauben und wurde Mitglied der Baptistengemeinde.1229 Als theologischer Laie übernahm er nun gelegentlich Predigtdienste und warb nachdrücklich und direkt für das Evangelium. Wie seine spätere Frau in ihren Lebenserinnerungen festhielt, war sie über »seine Art, seine Einseitigkeit u. Strenge« oft erschrocken.1230 Samjeske führte ein asketisches Leben und hielt eine Partizipation am kulturellen Leben dieser Welt mindestens für überflüssig, mithin für mit dem Glauben unvereinbar. Durch sein nonkonformes Verhalten eckte Samjeske in der NS-Diktatur an und wurde im Sommer 1939 aufgrund einer Anzeige von der Gestapo verhaftet und später wegen »Vergehen gegen das Heimtückegesetz« zu einer sechsmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt.1231 Die Aussagen über die konkreten Ursachen dieser Sanktion gehen auseinander; sie könnten auf eine Weigerung, den HitlerGruß auszuführen, zurückgehen1232 oder auch mit seinem kompromisslosen missionarischen Lebensstil insgesamt zusammenhängen1233 – gründeten jedenfalls aber in seiner Glaubenspraxis.

1228 Protokoll der Vernehmung von Helmut Samjeske vom 03. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 29. 1229 Protokoll der Vernehmung von Helmut Samjeske vom 31. 01. 1951, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 47. 1230 Lebensgeschichte von Erna Samjeske, 1967 (?), S. 43; Sammlung Assmann. 1231 Vgl. die Protokolle der Vernehmungen von Helmut Samjeske vom 03.12. und vom 22. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 29 u. 39. 1232 So äußerte sich Helmut Samjeske selbst, als er am 06. 12. 1950 polizeilich vernommen wurde; BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 33. Gleiches sagte bereits Chefinspekteur der Volkspolizei Lust an das Ministerium des Innern, Staatssekretär Warnke, am 21. 11. 1950, in: BArch DO 1/278664. 1233 In ihren Lebenserinnerungen berichtete die Witwe Samjeskes: »Zwei Männer, die aus der NSDAP herausgeflogen waren, wollten wieder die Gunst der Partei gewinnen. In einem auswärtigen Hotel, in dem mein Verlobter übernachtete, paßten sie ihn im Speiseraum ab u. baten ihn an ihren Tisch. Er kannte die Herzen, er hatte ihnen schon Traktate zu lesen gegeben. Unter dem Vorwand mehr von der Bibel u. dem Glauben zu hören, brachten sie das Gespräch aufs Politische. Als mein Mann sagte, daß wir ›vor Gott alle Sünder seien, denn in der Bibel Steht: alle Menschen sind Lügner‹. Da meinte der eine: »Adolf Hitler auch?« »Ja er ist auch nur ein Mensch.« In der Anklageschrift stand dann, er hätte gesagt, Adolf Hitler ist ein Lügner. Daher dieses Urteil.« Lebensgeschichte von Erna Samjeske, 1967 (?), S. 64f. Sammlung Assmann.

Der Konflikt Helmut Samjeskes mit dem Staat und dem Gemeindebund

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Kurz vor diesem Vorfall hatte sich Samjeske verlobt und heiratete im April 1940, unmittelbar vor seiner Einberufung zur Wehrmacht. Noch im Sommer 1945 konnte er zu seiner Frau und seinen beiden Kindern, 1942 und 1944 geboren, zurückkehren; 1946 und 1948 vergrößerte sich die junge Familie abermals. Ihre wirtschaftliche Situation war indessen prekär und besserte sich erst, als Helmut Samjeske 1947 als »Gemeindehelfer« der Baptistengemeinde Sonneberg in Thüringen eingestellt wurde. Hier und in der großen Baptistengemeinde Magdeburg, zu der er im Jahr 1948 wechselte, konnte er seinem Wunsch nach vollzeitlicher Verkündigung nachgehen.1234 Samjeskes Auftreten war jedoch umstritten. Der Konflikt mit dem Baptismus rührte wohl von zweierlei Problemen: zum einen wurden Inhalt und Stil, die Schärfe seiner Verkündigung, von der Mehrheit des Gemeindevorstands in Magdeburg nicht gebilligt; hinzu kam, dass sich Samjeske dort offenbar über Gemeindebeschlüsse hinwegsetzte. Der Gemeindegesamtvorstand entband Samjeske zum 30. Juni 1949 von seinen Aufgaben.1235 Zum anderen galt er dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden durch sein konfrontatives Verhalten wohl als Risikofaktor. Der Bundesvorsitzende-Ost, Otto Soltau, erinnerte Samjeske im Juni 1950 daran, »dass wir aufgrund der Schrift eine positive Einstellung zu unserer Obrigkeit haben und auch keinen Anlass [haben], uns anders einzustellen« und rügte Samjeske dafür, dass er scharf gegen die Großkirchen und ihre Pfarrer polemisiere.1236 Nachdem Samjeske aus dem Dienst entlassen worden war, legte der Freikirchenbund Wert darauf, dass seine Betätigung als freier Evangelist nicht mit dem Bund in Verbindung gebracht wurde; auf seine Dienste solle im Organ Wort und Werk nicht hingewiesen werden.1237 Die Bundesleitung-Ost drängte zudem darauf, dass in der Bundespost, also dem internen Mitteilungsblatt des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden an die Ortsgemeinden in Ost und West, eine Mitteilung erscheine, wonach »die Brüder Samjewski [sic] und B[…] nicht im Bundesdienst stehen und Einladungen an diese Brüder zu Evangelisationen

1234 Assmann, Samjeske, in: Materne/Balders, Erlebt, S. 186–193, hier S. 186. 1235 Assmann, Samjeske, in: Schultze/Kurschat, Märtyrer, S. 639–640, hier S. 639. Vgl. das Protokoll der Sitzung der Bundesleitung Ost vom 15. 09. 1949 in Berlin, in: Oncken-Archiv Elstal, BL-Ost: »Br. Sondheimer gibt zum Schluss noch bekannt, daß die Gemeinde Magdeburg ihren Gemeindehelfer Br. Helmut Samjeske aus dem Gemeindedienst entlassen und ihm geraten hat, in seinen früheren Beruf zurückzukehren.« 1236 Schreiben Otto Soltau an Helmut Samjeske vom 13. 06. 1950 und vom 04. 07. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51 Band II, Bl. 41 u. 42 (Zitat aus dem Brief vom 13. 06. 1950, Bl. 42). 1237 Protokoll der Sitzung der Bundesleitung-Ost gelegentlich der Berliner Theologischen Woche am 03. 05. 1950, 14 Uhr in Berlin-Schöneberg. Des Weiteren wurde Samjeske im Protokoll der Sitzung der Bundesleitung-Ost am 10. 10. 1950 in Berlin erwähnt; es solle Rücksprache mit ihm gehalten werden; er sei zur Zeit in Frankenberg, Gemeinde Chemnitz, in: Oncken-Archiv Elstal, BL-Ost.

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vom Bunde nicht befürwortet werden können«1238, was in etwas abgeschwächter Form auch geschah.1239 Offenbar befürchtete man, dass seine ›negative‹ Einstellung zum Staat auch für den Bund Konsequenzen haben könnte. Am 8. November 1950 informierte die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei in Berlin alle Landesbehörden der Volkspolizei darüber, dass Helmut Samjeske aus Burg bei Magdeburg und dem Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden zugehörig »in verschiedenen Orten der DDR« mit Predigten in Erscheinung trete, die »wüste Hetzen gegen die DDR, Sowjetunion und die Volksdemokratien enthalten«. Seine Predigten seien »verschärft zu überwachen« und Berichte hierüber nach Berlin zu übersenden.1240 Den Behörden in Berlin war Samjeske bis dahin offenbar noch nicht aufgefallen, denn der Leiter der Hauptabteilung VA, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, berichtete am 21. November 1950 an Staatssekretär Warnke im Ministerium des Innern, dass Samjeske, »bis zum heutigen Tage politisch nicht in Erscheinung getreten« sei.1241 Indessen war er auf Landesebene bereits spätestens im Frühsommer des Jahres 1950 ins Visier der Ermittler geraten. So berichtete der Bundesvorsitzende-Ost, Otto Soltau, dem Prediger Samjeske, dass »eine Anzeige gegen Dich von der Landesregierung Sachsen eingegangen« und ein Bruder dazu länger in der Hauptpolizeistelle in Burg vernommen worden sei.1242 Im Oktober 1950 brach Samjeske zu einer längeren Evangelisationsreise durch Mecklenburg auf, bei der er nahezu 50 Veranstaltungen absolvierte. Sie sollten die letzten Stationen seines öffentlichen Wirken werden. Die Volkspolizei observierte Samjeske, nutzte die Dienste von Spitzeln und berichtete der Abteilung für Staatssicherheit im Land Mecklenburg über Samjeskes Veranstaltungen.1243 Am 3. Dezember 1950 wurde Samjeske verhaftet und in »Gewahrsam der Staatssicherheit« genommen.1244 Er betreibe, so der Vorwurf, seit dem 31. Okto1238 Ebd. 1239 In der Bundespost 3/1950 vom 21. 06. 1950 wurde verlautbart: »Der Dienst der Brüder Samjeske und B[…] geschieht in eigener Verantwortung. Weil wiederholt danach gefragt wurde, sei das hier vermerkt.« Oncken-Archiv Elstal ARC Dg 7. (Hervorhebung im Original). 1240 Fernschreiben der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei an alle Landesbehörden der deutschen Volkspolizei vom 08. 11. 1950, in: BArch DO 1/27864. 1241 Schreiben des Leiters der Hauptabteilung VA, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, an das Ministerium des Innern (Staatssekretär Warnke) vom 21. 11. 1950, in: BArch DO 1/27864. 1242 Schreiben Otto Soltau an Helmut Samjeske vom 13. 06. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51 Band II, Bl. 42. 1243 BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51 Band II, Bl. 18. 1244 Nachricht (Vertrauliche Verschlusssache) des Volkspolizeiamtes Stralsund, Leiter des Einsatzstabes, an die Landesbehörde der Volkspolizei Mecklenburg in Schwerin (Abschrift), in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51 Band II, Bl. 39–40, hier Bl. 40. Karteikarte Samjeske, Helmut, *17. 12. 1909, in: BArch DO 1/Zentrale Gefangenenkartei des MdI.

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ber 1950 in Schwerin, Grevesmühlen, Parchim und Stralsund »Hetze gegen die DDR, die Volkspolizei, die SU und die volksdemokratische Ländern.«1245 Am 29. Oktober 1951 verurteilte ihn das Landgericht Güstrow u. a. wegen »Boykotthetze« (»Verbrechen gegen Artikel 6 der Verfassung«) zu einer zehnjährigen Zuchthausstrafe.1246 Die Ehefrau Samjeskes wurde derweil von den Behörden im Ungewissen gelassen, obwohl sie sich im April 1951 mutig – Artikel 136 der DDR-Verfassung von 1949 zitierend1247 – bei der Landesbehörde der Volkspolizei in Schwerin nach dem Schicksal ihres Mannes erkundigt hatte.1248 Zu diesem Zeitpunkt war gegen Helmut Samjeske noch nicht einmal ein Haftbefehl erlassen worden (dies erfolgte erst am 28. Juni 1951, am gleichen Tag wurde auch das Strafverfahren eröffnet und Untersuchungshaft angeordnet).1249 Bis dahin war Samjeske von der Volkspolizei als politischer Gefangener hinter Schloss und Riegel gehalten worden. Als die briefliche Verbindung zu ihrem Mann abrupt abgebrochen und im Dezember 1950 ihre Wohnung durchsucht worden war, hatte Frau Samjeske bereits geahnt, dass etwas vorgefallen sein musste; über Dritte erfuhr sie dann, dass ihr Mann verhaftet worden war. Erst nach dem Urteilspruch erhielt sie aus dem Zuchthaus Bützow-Dreibergen aber ein Lebenszeichen.1250 Im März 1952 beantragte sie einen Besuch, der ihr gewährt wurde.1251 Ihr Antrag auf Strafaufschub aufgrund einer schweren Erkrankung Samjeskes blieb indes erfolglos. Am

1245 Festnahmebeschluss vom 2. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/ 51, Bl. 10. 1246 St.Ks. 74/51, Urteil der Großen Strafkammer I des Landgerichts Güstrow in der Strafsache gegen Helmut Samjeske vom 29. 10. 1951, in: BArch DP 1/23377. 1247 Artikel 136 der Verfassung der DDR von 1949: »(1) Bei vorläufigen Festnahmen, Hausdurchsuchungen sowie Beschlagnahmen im Ermittlungsverfahren ist die richterliche Bestätigung unverzüglich einzuholen. (2) Über die Zulässigkeit und Fortdauer einer Freiheitsentziehung hat nur der Richter zu entschieden. Verhaftete sind spätestens am Tage nach dem Ergreifen dem Richter vorzuführen. Wird von ihm die Untersuchungshaft angeordnet, so hat er in regelmäßigen Abständen zu prüfen, ob ihre Fortdauer gerechtfertigt ist. (3) Der Grund der Verhaftung ist dem Festgenommenen bei der ersten richterlichen Vernehmung zu eröffnen und auf seinen Wunsch einer von ihm benannten Person innerhalb weiterer 24 Stunden mitzuteilen.« Zitiert nach: http://www.1000dokumente.de/in dex.html?c=dokument_de&dokument=0232_ddr&object=translation&st=&l=de (Aufruf: 28. 08. 2020). 1248 Schreiben Erna Samkjeske an die Landesbehörde der Volkspolizei in Schwerin vom 04. 04. 1951, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Bd. II, Bl. 147. 1249 Haftbefehl gegen Helmut Samjeske und Eröffnungsbeschluss vom 28. 06. 1951 in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Bd. I, Bl. 9 u. 8. 1250 Lebensgeschichte von Erna Samjeske, 1967 (?), S. 159. Sammlung Assmann. 1251 Ebd., S. 165.

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28. Mai 1952 verstarb Helmut Samjeske in Haft; seine Kinder waren vier, sechs, acht und zehn Jahre alt.1252 Was genau wurde Samjeske zur Last gelegt und was machte ihn aus Sicht der Behörden für den Staat gefährlich? Zum Zeitpunkt der Verhaftung war die Volkspolizei bereits umfangreich über das Wirken Samjeskes informiert. Nun ging es darum, wie die Volkspolizei am Vortag der Verhaftung des Predigers (am Samstag, 2. Dezember 1950) vermerkte, drei »unbescholtene Zeugen namhaft« zu machen, »die diese Ausführungen S.[amjeskes] bestätigen«.1253 Es sollten also vor Gericht verwertbare Aussagen gewonnen werden. Noch am gleichen Tag wurden vier Personen vernommen. Am Sonntag, dem 3. Dezember 1950, wurde in einem »Zwischenbericht« festgehalten: »Durch Zeugenaussagen wurde bekannt, daß Samjeske in übelster Form in seinen Bibelstunden sowie auch in seinen Vorträgen feindlich gegen unserer demokratische Ordnung in versteckter Weise Stellung nahm.«1254 Die protokollierten Antworten der Vernommenen erinnern stilistisch-rhetorisch sehr an die Sprache der Verfolgungsorgane; das deutet darauf hin, dass die Polizei die Vernehmungen gezielt gesteuert und die Protokollaufnahme zu ihren Gunsten beeinflusst hat.1255 Stets kam in den Vernehmungsprotokollen zum Ausdruck, dass Samjeske gegen die DDR gehetzt habe und, wie eine vernommene Angestellte äußerte respektive, was ihr von dem Volkspolizei-Kommissar in den Mund gelegt worden war, »die Massen in eine gewisse Opposition« haben bringen wollen.1256 Eine Zeugin, Stenotypistin, SED-Mitglied und Angestellte bei der Volkspolizei, wurde gefragt: »Sind Sie der Meinung, daß man es bei Samjeske mit einem Feind der Deutschen Demokratischen Republik zu tun hat?« Die im Protokoll vermerkte Antwort lautete: »Ja, ohne weiteres, Samjeske sprach mit keiner Silbe über unseren friedlichen Aufbau, mit keiner Silbe von unserer Friedenspolitik. Er brachte vielmehr bewußt zum Ausdruck, die Besucher von unserem Aufbau und vom dem Kampf für den Frieden abzuhalten.«1257 In der Vernehmung eines Zeugen 1252 Nach der friedlichen Revolution strengte das jüngste Kind erfolgreich ein Rehabilitationsverfahren an; das Urteil wurde am 29. 09. 1993 von der 1. Rehabilitationskammer des Landgerichts Schwerin als rechtsstaatswidrig aufgehoben. Vgl. Assmann, Samjeske, in: Schultze/Kurschat, Märtyrer, S. 639–640, hier S. 640. 1253 Vermerk vom 01. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 15. 1254 Zwischenbericht vom 03. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 15. 1255 Laut einem Vernehmungsprotokoll wurde auf die Frage »Wie äusserte sich die feindliche Einstellung des Samjeske in seinen Reden?« geantwortet: »S. trat in raffiniertester Form gegen unserer Ordnung in der DDR. auf. […]«.Vernehmungsprotokoll vom 02. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 15. 1256 Ebd. 1257 Vernehmungsprotokoll vom 02. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band I, Bl. 25.

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am gleichen Tag, eines Lebensmittelkaufmanns und SED-Mitglieds, der an vier evangelistischen Abendveranstaltungen und zusätzlich an zwei Nachmittagen anwesend gewesen war, wurden Bezüge zu den Zeugen Jehovas hergestellt.1258 In dem Vernehmungsprotokoll ist es der Zeuge, der zunächst einen solchen Zusammenhang herstellte; er wurde dann gefragt: »Ist Ihnen aufgefallen, daß sich die Sekte der freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) in der feindlichen Tätigkeit von der der Sekte Zeugen Jehovas unterscheidet?« Laut Protokoll war der Zeuge der Auffassung, »daß Samjeske seine feindliche Einstellung innerhalb der Versammlung noch offener zur Schau trug.« Noch am Tag seiner Verhaftung wurde auch Helmut Samjeske verhört und zwischen dem 3. Dezember 1950 und dem 31. Januar 1950 insgesamt acht Mal vernommen, wobei er mit inkriminierten Aussagen konfrontiert wurde. Die Volkspolizei hatte bei dem Prediger zudem Predigtnotizen sichergestellt und bei der erwähnten Hausdurchsuchung Briefe beschlagnahmt, die Samjeske belasteten. Darunter die oben zitierten Briefe von Otto Soltau – sie gelangten auf diese Weise in die Akten der Staatssicherheit.1259 Aus dem ermittelten Material destillierte die Volkspolizei eine Vielzahl von Vorwürfen. Darunter auch solche, die das Selbstverständnis des Staates durchaus im Kern berührten. – Sie bezogen sich auf die wirtschaftlichen Grundlagen des Staates, weil Samjeske die Sinnhaftigkeit der Aktivistenbewegung (von Seiten des Staates zur Produktivitätssteigerung propagiert) ebenso infrage stellte wie er den Konsum der Bevölkerung kritisierte (in den HO-Betrieben).1260 – Der Evangelist kritisierte die »Friedenspolitik«, indem er ausweislich eines Spitzelberichts geäußert haben soll: »Auf was warten wir, nicht doch auf die Einheit Deutschlands, oder auf den Abzug der Besatzungsmacht, oder auf einen Frieden, weiter dass die Zonengrenzen fallen sollen, nein darauf warten wir doch nicht, ist das für uns wichtig? Nein, wir warten auf den Heiland, denn er ist nicht mehr weit, er alleine kann uns helfen, zu ihm müssen wir beten.«1261 – Die Orientierung auf eine bessere Weltsicht und die Predigt vom Ende der Zeit hinterfragte den sozialistischen Fortschrittsglauben; Samjeskes Hinweis auf eine in dieser Endzeit womöglich bevorstehende Christenverfolgung konnte aus Behördensicht Unruhe und Misstrauen gegenüber der Regierung säen.1262 1258 Ebd., Bl. 13. 1259 Lebensgeschichte von Erna Samjeske, 1967 (?), S. 149. Sammlung Assmann. 1260 Siehe dazu seine eigenen Predigtnotizen, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band II, Bl. 58. 1261 Bericht (Abschrift) vom 20. 11. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/ 51, Band II, Bl. 30. 1262 »Bald kommt der Endkampf« stand in Samjeskes Manuskript zur Predigt »Jesus von sieben Seiten«, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band II, Bl. 73. Nach

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– Die Mahnung, sich vor allem mit der Bibel und dem christlichen Leben zu beschäftigen, hingegen weltlich-kulturelle Dinge ebenso zu meiden wie sich der Politik zu enthalten, konnte von Staatsseite nicht grundlos als Versuch verstanden werden, Bürgerinnen und Bürger von einer aktiven Mitarbeit am Aufbau der sozialistischen Republik abzuhalten. Diese Ansichten mussten aus Sicht des Staats umso gefährlicher erscheinen, weil Samjeske überregional und an wechselnden Orten wirkte und dabei ein großes Publikum erreichte, pro Veranstaltung bis zu 300 Menschen. Hingegen sah sich der Prediger selbst ganz und gar nicht als politischen Widerpart der DDR-Regierung. Für sein Selbstverständnis ist eine Sentenz aus dem Dezember 1950 wichtig, mit der er auf ein Dokument reagierte, das die Volkspolizei seinen Unterlagen entnommen hatte. Bei jenem Schriftstück handelte es sich um ein (nicht von Samjeske verfasstes) Protokoll einer Veranstaltung der Evangelischen Kirche zum Thema »Die Verantwortung der Kirche in der Öffentlichkeit« mit Probst Oskar Zuckschwerdt, ehedem Mitglied der oppositionellen Bekennenden Kirche. Samjeske hatte diese Veranstaltung im Sommer 1948 als »politisch« kritisiert. Nun erklärte er gegenüber der Volkspolizei im Dezember 1950: »Wir haben kein Recht gegen etwas zu kämpfen (etwa falsche Regierung, Wahlschwindel usw.[)] [erneut in Klammer: »so die Worte d. Propstes«], sondern für etwas, für das Reich Gottes, für Christus! Viele Bibelforscher sind im Kz. gewesen nicht um Jesu willen, sondern wegen ihrer grossen Klappe! Die Kirche solle [sic] lieber das Gericht in ihren eigenen Reihen ausüben, anstatt an der Welt.«1263 Es griffe zu kurz, diese Aussage als Ausdruck einer taktischen Verteidigungsstrategie zu deuten. Auch in seiner Verkündigung predigte Samjeske politische Abstinenz.1264 Bezeichnenderweise machte Samjeske aber Beispiele aus dem Raum des Gesellschaftlich-Politischen für seine Argumentation geltend. Wenn er damit – weit gefasst – selbst »politisch« wurde, so war ihm dieser Widerspruch offenbar nicht bewusst. Exemplarisch kam dies in seiner Vernehmung vom 22. Dezember 1950 zum Ausdruck. »Frage: Zu welchen Zeitfragen haben Sie auf Ihren Versammlungen Stellung genommen? Antwort: Ich habe in meinen Versammlungen erklärt, daß ich mich als ganzer Christ am politischen Leben nicht beteilige. Aussage eines Zeugen – mindestens ausweislich des Vernehmungsprotokolls – habe Samjeske beispielsweise ausgeführt: »Bald kommt die Feuerprobe, wir fordern sie nicht heraus, aber sie kommt«. Vernehmungsprotokoll vom 05. 01. 1951, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band II, Bl. 28. 1263 BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51 Band II, Bl. 81. 1264 Vgl. zum Beispiel das Manuskript der Manuskript der Predigt »Jesus von sieben Seiten«, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band II, Bl. 72.

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Frage: Warum erwähnten Sie in den Versammlungen, daß Sie unpolitisch sind? Antwort: Weil einige Brüder dadurch, daß sie im 3. Reich Politik betrieben haben, zu damaliger Zeit Schaden erlitten haben. Frage: Warum haben Sie Ihren Gläubigen das in Stralsund erzählt? Antwort: Ich hatte die Absicht, die Brüder zu warnen, ihre Finger rein zu halten von der Politik. […] Frage: Zu welchen politischen Fragen haben Sie in Ihren Versammlungen noch Stellung genommen? Antwort: Ich habe erklärt, daß das Fallen der Zonengrenzen und die Rückkehr in die Heimat sowie das Warten auf bessere Zeiten, Abzug der Besatzungsmächte, nicht das Wichtigste sei, sondern die Frage um die Ewigkeit.«1265

Und wenn Samjeske beispielsweise in einer Predigt erklärte, er brauche keinen Fünfjahresplan, »meinen Plan trage ich im Herzen und der dauert nicht nur 5 Jahre, sondern mein ganzes Leben lang«1266, so hörten die Behörden dies nicht als evangelistische Botschaft, sondern verstanden das als einen politischen Angriff. Für sie war Samjeske deshalb ein »Hetzer«, der politische Parolen allenfalls religiös bemäntelte. Dementsprechend wüteten die Richter in der Urteilsbegründung: »Der Angeklagte ist ein Parasit am gesunden Volkskörper«, weil er von den Kollekten der »werktätigen Bevölkerung« lebe. »Die Werktätigen unserer DDR dulden es nicht, daß solche Menschen sich noch frei in der Öffentlichkeit bewegen, um ein Drohnenleben zu führen und im Sinne des angloamerikanischen Imperialismus für einen neuen Krieg zu hetzen. Sie verlangen daher eine strenge Bestrafung solcher Menschen […]. Solche Menschen sind es nicht wert, daß sie sich in der Gemeinschaft bewegen und müssen auf eine Zeitlang von der Gemeinschaft abgesondert werden.«1267

Der Baptismus1268 in der DDR war zu heterogen, um pauschal behaupten zu können, er habe in der Gründungsphase der DDR uneingeschränkt hinter der Regierung gestanden. Deutlich wird das auch durch einen Blick in die Gemeinden. So wurde beispielweise in der Jugendstunde der Baptistengemeinde »Bethel« in Berlin-Friedrichshain am 24. Februar 1952 unter 40 Teilnehmenden diskutiert, wie man sich in Gewissensfragen verhalten solle, konkret im Blick auf die Sonntagsarbeit: »Die größte Frage, die uns im Augenblick bewegte, war die: Wie verhalte ich mich, wir uns, wenn am Sonntag freiwillige Schichten, Sonn1265 Protokoll der Vernehmung vom Helmut Samjeske vom 22. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Band II, Bl. 40. 1266 Bericht über die Versammlung am 02. 11. 1950 vom 03. 11. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51 Band II, Bl. 5. 1267 St.Ks. 74/51, Urteil der Großen Strafkammer I des Landgerichts Güstrow in der Strafsache gegen Helmut Samjeske vom 29. 10. 1951, in: BArch DP 1/23377. 1268 Baptistengemeinden waren, wie im Westen, mit Gemeinden aus der »Brüder«- und »Elim«Tradition in einem Freikirchenbund verflochten.

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tagsdienst usw. von uns verlangt werden? Gehen wir hin, oder gehen wir in den Gottesdienst? Eine übereinstimmende Antwort hierzu konnten wir nicht finden. Soviel ist sicher: ›Alles, was mein Tun und Anfang ist, das geschehe im Namen Jesu Christi!‹ Wenn wir Ihn, gerade auch in den kleinen Dingen des Alltags fragen, bekommen wir die rechte Antwort.«1269 Ähnlich fiel das Ergebnis der Diskussion in einer Jugendstunde vom 9. März 1952 mit 36 Teilnehmenden aus, in der das heiße Eisen angefasst wurde »Wie steht der Christ zur Politik? bezw. zur Welt[,] zum Staat«. Im Protokollbuch wurde dazu ausgeführt: »Jesus sagt einmal: ›Gib dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!‹ Da haben wir eigentlich schon die Antwort. Wie lebte Jesus? Still, seine Aufgabe erfüllend ging er durchs Land. Dahin müssen wir wohl alle kommen. […] brachte einen Vergleich zwischen Römer 13 und Offenbarung 13, der aber so wunderbar ist, daß wir ihn alle nicht ganz verstanden! Es ist da beide Male von einem Staatsgebilde die Rede. Paulus sagt, wir sollen der Obrigkeit untertan sein[,] die Gewalt über uns hat, und die Offenbarung zeigt, wie furchtbar, wie teuflisch der Staat ist, in dem Siebenköpfigen [sic] Tier, das dem Meer entsteigt. Beides ist vor uns ausgebreitet, nun können wir entscheiden, was wir tun sollen. Ich glaube, eine Stellung können wir hierzu nicht nehmen. Wir tun unsere Pflicht im Alltag, leuchten als Licht wie Jesus in der Stille, das ist genug.«1270

Bezeichnenderweise wurde in diesen Jugendstunden im Blick auf das konkrete Verhalten gegenüber Staat und Staatsgewalt an das Gewissen des Einzelnen appelliert und nicht etwa aus der häufig zitierten Bibelstelle in Römer 13 eine verbindliche, loyale Haltung abgeleitet. Das Spektrum der biblisch gebotenen Handlungsoptionen wurde dabei explizit erweitert, indem auf die Passage in Offenbarung 13 verwiesen wurde, aus der sich bekanntlich eine kritische Haltung gegenüber dem Staat als Werkzeug des Teufels ableiten lässt – auch wenn die innerhalb der Jugendstunde vorgetragene Deutung, wie ausdrücklich festgehalten wurde, nicht ganz verstanden worden war. Hingegen zeigte eine Bemerkung aus dem Westen, dass auch die Bundesleitung als institutioneller Akteur nicht über einen Kamm geschert werden darf. Am 1. November 1955 beklagte sich der erste Vorsitzende der Bundesleitung-West, Hans Fehr, in deutlichen Worten gegenüber dem Gesamtvorsitzenden (Jakob Meister), dem Vorsitzenden-Ost (Otto Soltau) und dem Direktor des Bundeshauses (Paul Schmidt), dass der Freikirchenbund keine kritischen Worte gegen staatssozialistische Praktiken finde, die aus christlicher Sicht nicht zu billigen seien und es auf diese Weise versäume, den Predigern an der Gemeindebasis den Rücken zu stärken:

1269 Archiv der Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde »Bethel« K.d.ö.R. (Gubener Straße, Berlin), Buch 7/13 »Berichte über unsere Jugendstunden ab 1951 bis 1956«. 1270 Ebd.

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»Liebe Brüder, Ihr wißt, daß ich in der Bundesleitung die Frage stellte, ob es nicht unsere Pflicht ist, in Sachen der Jugendweihe zum Beispiel Stellung zu nehmen. Das wurde abgelehnt. Ich habe jetzt einige vertrauliche Unterredungen mit Geschwistern aus der Ostzone gehabt, die mir zeigen, daß wir auf falschem Wege sind mit unserem Schweigen. Sie sind recht enttäuscht, daß der Bund den Predigern in dieser Sache keine Weisung gibt. Als nun kürzlich der Leiter des Gnadauer Verbandes in der Ostzone hier war, bin ich doch erschrocken, daß die Gemeinschaftschristen und die Freikirchler genau in den gleichen Fehler verfallen, in den wir dem Nationalsozialismus gegenüber gefallen sind. Damals haben wir uns auch damit begnügt, daß wir vor unserem Gewissen und öffentlich – etwa in Oxford1271 – immer sagten, wir könnten das Evangelium verkündigen. […] In Velbert1272 hat man die Brüder der Bundesleitung, die in der Partei waren, abgesetzt. Das war in der damaligen Stimmung zwar eine Konzession an politische Ressentiments. Da ich dabei beteiligt bin1273, sage ich dazu nichts. Aber ich bin es heute meinem Gewissen schuldig, wenigstens Euch gegenüber zu sagen, daß wir heute dem Sowjetstaat in der gleichen Feigheit gegenüberstehen wie damals dem NS-Staat. Nur, daß inzwischen allerlei gelernt sein müßte. Wir können doch nicht zulassen, daß später einmal wieder unsere Brüder schuldig gesprochen werden, um unsere allgemeine Feigheit zu salvieren. […]«.1274

1271 Die oben bereits erwähnte Ökumenische Weltkonferenz für Praktisches Christentum in Oxford 1937, an der Paul Schmidt und der Methodist Otto Melle für die Vereinigung Evangelischer Freikirchen teilnahmen (während dies Vertretern der Evangelischen Kirche durch den NS-Staat verwehrt geblieben war) und davon sprachen, dass im Deutschen Reich Freiheit zur Verkündigung des Evangeliums herrsche. Vgl. dazu Fleischer, Streit. 1272 In Velbert bei Düsseldorf tagte vom 24. bis 26. 05. 1946 erstmals nach Kriegsende der Bundesrat (Bundeskonferenz); davor (23. und 24.05.) und danach (27. 05. 1946) fand sich dort auch die Bundesleitung zusammen; vgl. die Protokolle, in: Oncken-Archiv Elstal, Nachlass Paul Schmidt, unverzeichnet (Karton »Bund und BfC«). 1273 Fehr verweist hier auf eine eigene NSDAP-Mitgliedschaft; eine solche lässt sich allerdings in der (unvollständigen) NSDAP-Mitgliedskarte nicht nachweisen, BArch (ehem. BDC). 1274 Abschrift des Schreibens von Hans Fehr an Jakob Meister, Otto Soltau und Paul Schmidt vom 01. 11. 1955, in: Oncken-Archiv Elstal, Nachlass Paul Schmidt, unverzeichnet (Karton »div. BL-Angelegenheiten«, Ordner »Manuskripte«).

D.

Als der Entwurf zum Verbot der Mennoniten in der DDR bereits aufgesetzt war1275

Mennoniten »auf Durchreise« Auf dem Gebiet der DDR lebten Anfang der 1950er-Jahre etwa 1.000 Mennonitinnen und Mennoniten.1276 Es handelte sich dabei zumeist um Geflüchtete oder Vertriebene aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten. Sie wurden in staatlicher

1275 Die folgenden Überlegungen habe ich, in etwas anderer Form, zuerst publiziert unter dem Titel: Als der Entwurf zum Verbot der Mennoniten in der DDR bereits aufgesetzt war. Bemerkungen zu einem Fund staatlicher Dokumente aus den Jahren 1951 und 1952, in: Mennonitische Geschichtsblätter 73 (2016), S. 61–79. 1276 Die Angaben hierzu gehen auseinander, weil es sich im Wesentlichen um ein stark wechselnde Zahl von geflüchteter und vertriebener Mennoniten handelte, die sich zeitweise in der SBZ/DDR aufhielten: Im Mennonitischen Gemeinde-Kalender für das Jahr 1951 hieß es bei der Berliner Mennoniten-Gemeinde (mit 963 Mitgliedern) im Adressteil: »Von Berlin aus betreut: weitere 1193 Mennoniten der O s t z o n e (Stand 30. 6. 50), Flüchtlinge, die sich noch keiner Gemeinde angeschlossen haben.« Mennonitischer Gemeinde-Kalender für das Jahr 1951 (51. Jahrgang), Karlsruhe o. J. [1950], S. 69. Nach Wolfgang Schultz zählte die Berliner Mennoniten-Gemeinde Mitte der 1950er-Jahre 1.100 Mitglieder, davon 730 in OstBerlin und dem Gebiet der DDR. Wolfgang Schultz: 122 Jahre Berliner Mennonitengemeinde, in: Mennonitische Geschichtsblätter 66 (2009), S. 113–124, hier S. 119. In einer zeitgenössischen staatlichen Quelle ist von »ca. 1000 Anhängern« in Groß-Berlin die Rede, wobei davon »etwa 50 Personen […] im demokratischen Sektor« lebten. Bericht der Volkspolizei-Inspektion Köpenick (Vereinswesen) an das Präsidium der Volkspolizei Abteilung Pass- und Meldewesen in Berlin vom 13. 02. 1951, Landesarchiv Berlin C Rep. 101-04 Nr. 26. Nach einer anderen zeitgenössischen mennonitischen Quelle, einem Vortrag von Wilhelm Kohnert (Mitglied des Vorstands der Berliner Mennoniten-Gemeinde), gehalten auf der Vorstandssitzung der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden im Jahr 1956, lebten 1.500 Mennoniten in der DDR zuzüglich der in OstBerlin beheimateten Mitglieder der Berliner Mennonitengemeinde. Wilhelm Kohnert: Vortrag der Vorstandssitzung der Vereinigung der Deutschen Mennonitengemeinden in Leutesdorf am Rhein vom 07. 04. 1956. Von Horst H. Krüger eingeleitet und als Onlineressource der Berliner Mennonitengemeinde zur Verfügung gestellt unter: http://berline r-mennoniten-gemeinde.de/docs/Vortrag%20Kohnert%201956.doc. In einer anderen mennonitischen Quelle aus dem Jahr 1950 ist gar von 2.000 Mennoniten in der »Ostzone« die Rede, die sich auf insgesamt 469 Orte verteilten: Niederschrift über die Sitzung des Vor-

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Als der Entwurf zum Verbot der Mennoniten in der DDR bereits aufgesetzt war

Diktion als »Neubürger« (oder ggf. »Neubauern«) oder in noch stärker euphemistischer Tendenz als »Umsiedler« bezeichnet. Mennonitische »Neubürger« versammelten sich in der DDR an unterschiedlichen Orten in kleineren Gruppen oder Kreisen, ohne dass sie sich bestehenden, etablierten Gemeinden hätten anschließen können: denn außerhalb der im Jahr 1887 gegründeten Mennonitengemeinde in Berlin gab es in den umliegenden Gebieten keine weiteren. Dort, wo sich eine größere Anzahl von Mennonitinnen und Mennoniten an einem Ort sammelten, wurden sie durch einen Reiseprediger betreut. Dieses Amt füllte seit 1949 der in Ostpreußen geborene mennonitische Laienprediger Bruno Götzke (1895–1962) aus.1277 Er besuchte die auf dem ganzen Gebiet der DDR verstreut lebenden Mennoniten, erteilte Taufunterricht und zelebrierte Gottesdienste, auch mit Taufen und Abendmahl, beispielweise in Halle (Sachsen-Anhalt), Döbeln (Sachsen) oder Schwerin (Mecklenburg).1278 »Ein Drittel aller deutschen Mennoniten ist damit seiner Heimat in doppeltem Sinne verlustig gegangen; einmal der irdischen und auch der geistlichen, weil die Gemeinden ja ebenso auseinandergeschlagen sind«, führte der Hamburger Mennonitenpastor Otto Schowalter am Ende seiner großen Vortragsreihe zur Geschichte der Mennoniten – vermutlich in der zweiten Hälfte der 1950er-Jahre – zum Thema Flucht und Vertreibung aus: »Sie sind bis auf wenig Ausnahmen alle in Norddeutschland hängen geblieben, viele auch in der Ostzone, inzwischen aber teils umgesiedelt nach dem Süden oder ausgewandert.«1279 Tatsächlich wanderten in den 1950er-Jahren eben jene Mennoniten, die zuvor aus den Ostgebieten in die SBZ/DDR geflüchtet waren, vielfach wieder konspirativ in die Bundesrepublik ab, um von dort nach Südamerika oder Kanada auszuwandern. Damit repräsentieren sie zugleich – zunächst rein numerisch – einen größeren Zusammenhang: Knapp ein Drittel der etwa 3 Millionen aus der DDR geflüchteten Bürger waren Vertriebene, bei einem Anteil von etwa einem Fünftel der

standes der Berliner Mennonitengemeinde am Donnerstag, 5. Oktober 1950, 17 Uhr […], in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, BMG, Karton 5. 1277 Vgl. Helga R. Goetzke: Die Mennoniten. Bruno Albert Götzke, 1895–1962 [Studienarbeit für das Kanadische Mennonitische Bibel-College, aus dem Englischen übersetzt von Günter Bartel], Winnipeg/Manitoba 1986. Diese Studie wurde dem Verfasser dankenswerterweise durch Horst H. Krüger, Berlin, zugänglich gemacht. Auf den Dienst von Bruno Götzke wurde zeitgenössisch von mennonitischer Seite durchaus offen hingewiesen. Vgl. den Mennonitischen Gemeinde-Kalender für das Jahr 1951 (51. Jahrgang), Karlsruhe o. J. [1950], S. 69. 1278 Vgl. die Briefe [Abschriften] von Bruno Götzke an Erich Schultz vom 03. 01. 1951, 02. 04. 1951, 22. 05. 1951, 25. 10. 1951, 03. 12. 1951, u. 02. 01. 1952, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, Karton 6 u. 9, Hefter »BMG Neue Gemeinden d. Ostzone«. 1279 Manuskript zu einer Vortragsreihe über die Geschichte der Mennoniten von Pastor Otto Schowalter [undatiert; nach 1945, vermutlich zweite Hälfte der 1950er-Jahre], in: Staatsarchiv Hamburg 521-5 Nr. 258.

Mennoniten »auf Durchreise«

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Bevölkerung in der DDR.1280 Die Zahl der Mennoniten verringerte sich von gut 1.000 Mitgliedern um das Jahr 1951 bereits in die 1960er-Jahre zusehends, bis sie am Ende der DDR offiziell noch mit 244 angegeben wurde.1281 Was nun Otto Schowalter eher beiläufig ansprach, war Teil »eines der zentralen Probleme der DDR-Führung« in den 1950er-Jahren, nämlich der »Republikflucht«.1282 Schon in den Anfangsjahren verließen Hunderttausende die DDR; in den Jahren 1950 und 1951 waren es je zwischen 100.000 und 200.000, Mitte der 1950er-Jahre (1955 bis 1957) schnellte die Zahl sogar auf über 300.000 Abwanderungen pro Jahr.1283 Dies geschah, obwohl die Führung der DDR bereits im Mai 1952 ein strenges Grenzregime eingeführt hatte, als eine Maßnahme, »die die Verteidigung der Interessen der Bevölkerung der DDR zum Ziele haben und die ein Eindringen von feindlichen Agenten in das Gebiet der DDR unmöglich machen«.1284 Im Folgenden möchte ich am Beispiel der mennonitischen »Republikflüchtlinge« zeigen, wie Anfang der 1950er-Jahre ein als (welt-) politisch-ökonomisches Problem wahrgenommenes Phänomen u. a. mit dem Verbot einer ganzen Religionsgemeinschaft gelöst werden sollte; zum anderen möchte ich die Heterogenität des kirchenpolitischen Feldes in dieser Zeit sichtbar machen, in dem staatliche Akteure mit unterschiedlichen Interessen oder Ansätzen agierten. Dabei war auch in der DDR der Verweis auf den Status der »Körperschaft des öffentlichen Rechts« einer Religionsgemeinschaft in der ersten Hälfte der 1950erJahre von großer Bedeutung für die staatliche Sanktionspolitik.

1280 Helge Heidemeyer: Vertriebene als Sowjetflüchtlinge, in: Dierk Hoffmann, Marita Krauss und Michael Schwartz (Hg.): Vertriebene in Deutschland. Interdisziplinäre Ergebnisse und Forschungsperspektiven, München 2000, S. 237–249, S. 239; Michael Schwartz: Staatsfeind Umsiedler, in: Spiegel Spezial. URL: http://www.spiegel.de/spiegel/spiegelspecial/d-22937 261.html (Aufruf: 28. 08. 2020). 1281 Mennonitengemeinde in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil des umfänglichen Berichts der Regierung der DDR, Staatssekretariat für Kirchenfragen; Sachstandsinformation über die in der DDR anerkannten und tätigen Kirchen und Religionsgemeinschaften, 1986/87, in: BArch DO 4/1948. 1282 Henrik Bispinck: »Republikflucht«: Flucht und Ausreise als Problem für die DDR-Führung, in: Dierk Hoffmann, Michael Schwartz und Hermann Wentker (Hg.): Vor dem Mauerbau. Politik und Gesellschaft in der DDR der fünfziger Jahre, München 2003, S. 285–309, hier S. 285. Vgl. Damian van Melis und Henrik Bispinck (Hg.): »Republikflucht«. Flucht und Abwanderung aus der SBZ/DDR 1945 bis 1961, München 2006. 1283 Bispinck, Flucht und Ausreise, S. 306. Vgl. auch die (abweichenden) Angaben des Statistikportals statistica unter der URL http://de.statista.com/statistik/daten/studie/248905/um frage/uebersiedlungen-zwischen-der-ddr-und-der-bundesrepublik-deutschland/ (Aufruf: 28. 08. 2020). 1284 »Instruktion für die Bevölkerung des Grenzsperrgebietes« (Entwurf), vor dem 26. 05. 1962, in: BArch DO 1/17144.

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Der Ausgangspunkt Eine Gruppe mennonitischer »Neubürger« hatte sich in Mulmke im Kreis Wernigerode (Sachsen-Anhalt) angesiedelt. Von dort verließen am 8. Juli 1951 mehrere mennonitische »Neubauern« mit ihren Zuchtpferden und Familien konspirativ die DDR in Richtung Bundesrepublik. Als den Behörden die Abwanderungen im Nordharz bekannt wurde, reagierte die Volkspolizei unmittelbar mit »verstärkter Überwachung der Mitglieder der Religionsgemeinschaft Menoniten [sic]«.1285 Die Volkspolizei war bestrebt, »ein weiteres Verbringen von Volksvermögen nach dem Westen« zu verhindern und ließ Konten sperren, die nach ihren Ermittlungen von Fluchtwilligen für Geldtransfers genutzt wurden1286 und band durch Meldung auch das Ministerium für Staatssicherheit in diesen Prozess ein.1287 In den Mittelpunkt der Ermittlungen und Überwachung rückte bald Prediger Bruno Götzke. Am 8. August 1951 hatte das Volkspolizei-Präsidium Halle an die Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt berichtet, Götzke habe in einem Gottesdienst vor einigen Tagen am Ende seiner Predigt ausgeführt, »dass 17 Neubauern mit Verwandten einen Ausflug gemacht hätten, von dem sie nicht wieder zurück gekehrt wären«, was bei den Gläubigen Begeisterung ausgelöst hätte.1288 Die Volkspolizei aus der Saalestadt schätzte Bruno Götzke als gefährlich 1285 Schreiben der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei, Leiter der Hauptabteilung Passund Meldewesen, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, an die Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt vom 1. August 1951 (Betr.: Religionsgemeinschaft Menoniten [sic]), in: Landeshauptarchiv Magdeburg Rep. K 14 Nr. 192. Vgl. das Schreiben auch in: BArch DO 1/27862, Bl. 170. 1286 Vgl. u. a. das Schreiben des Leiters der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, an das Ministerium des Innern, Hauptabteilung Staatliche Verwaltung, vom 18. 09. 1951, in: BArch DO 1/27862 sowie das Schreiben des Leiters der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, an das Ministerium des Innern, Staatssekretär Warnke, vom 23. 08. 1951, in: BArch DO 4/723. 1287 Der Leiter der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, informierte am 25. 09. 1951 das Ministerium für Staatssicherheit, die Mennoniten gingen dazu über, ihre Mitglieder (und wertvolle Zuchtpferde) »auszuschleußen«. Besonders bekannt geworden sei in diesem Zusammenhang Bruno Götzke. »Um weitere Veranlassung wird gebeten«. Schreiben des Leiters der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, an das Ministerium für Staatssicherheit, Inspekteur Pech, vom 25. 09. 1951, in: BArch DO 1/27862. In der Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) konnten Unterlagen zu Götzke und den Vorgängen um die Mennoniten aus den 1950er-Jahren nicht ermittelt werden. 1288 Schreiben des Kommissarischen Leiters der Abteilung Pass- und Meldewesen des Volkspolizei-Präsidiums Halle an die Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt, Volkspolizei-Oberkommissar Zimmermann, vom 8. August 1951, Bl. 279. Und am 23. 10. 1951 gab der kommissarische Leiter der Abteilung Pass- und Meldewesen der Volkspolizei Halle Götzkes Äußerungen vom 5. August 1951 wie folgt wieder: »›17 Neubauern aus der DDR

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ein, er tue »nach aussen harmlos«, stehe aber »in Wirklichkeit unserer Entwicklung feindlich« gegenüber. Und er reise durch die ganze DDR, um in Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Mecklenburg und Thüringen »für die Menoniten [sic]« zu werben.1289 Wobei die Volkspolizei davon ausging, dass »insbesondere [unter] Neubürgern« für die »Auswanderung« getrommelt würde.1290 Damit lag die Volkspolizei – ob nur vermutet oder tatsächlich durch ihre Spitzeltätigkeit informiert – nicht vollständig daneben, auch wenn die primäre Aufgabe Götzkes ohne Zweifel im geistlichen Dienst lag.1291 Die Volkspolizei Halle vermutete hinter der Flucht von Mennoniten aus der DDR größere Zusammenhänge und Interessen: Mennoniten von außen – aus Amerika – wollten Bürger aus der DDR abwerben. Es sei ersichtlich, »[d]ass die Mennoniten ihre Werbetätigkeit nicht nur auf das Gebiet der DDR beschränken, sondern auch Westdeutschland mit einbeziehen. Während Götzke nur für Kanada wirbt, gibt es in Westdeutschland bezahlte Agenten, welche für Brasilien werben. Gemeinsam haben sie das eine Ziel, billige Arbeitskräfte dem amerikanischen Imperialismus zuzuführen.«1292 Eine solche Sichtweise wurde nicht nur polizeiintern vorgetragen, sondern war offenbar auch außerhalb der vertraulichen Rede über Mennoniten virulent: In der Vorstandsitzung der Berliner Mennoniten-Gemeinde vom 5. Oktober 1950 äußerte eine Schwester, die im Ostteil der Stadt (Prenzlauer Berg) wohnte, dass Mennoniten »im Ostsektor als ›amerikanische Kapitalistensekte‹ verrufen seien, sodass man auf alles gefasst sein müsse.« Und eine im Westteil lebende Mennonitin berichtete hieran an-

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haben einen Ausflug gemacht, von welchem sie nicht mehr zurückgekehrt sind‹. Auf die Zwischenfrage eines Mitgliedes, ob nur nach Westdeutschland oder bereits nach Kanada, antwortete Götzke: ›Diese Neubürger sind mit ihren Familien bereits nach Kanada unterwegs.‹«. Bericht des Volkspolizeipräsidiums Halle (Abteilung Pass- und Meldewesen, Referat 2b), Volkspolizei-Kommissar Schulze, an die Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt vom 23. 10. 1951, in: Landesarchiv Magdeburg/Landeshauptarchiv Rep. K 14 Landesbehörde der Volkspolizei Nr. 192, Bl. 273. Charakteristik [der Volkspolizei Halle] über Bruno Götzke [1951], in: Landesarchiv Magdeburg/Landeshauptarchiv Rep. K 14 Landesbehörde der Volkspolizei Nr. 192, Bl. 274. Fernspruch der Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt, Leiter der Abteilung Pass- und Meldewesen Volkspolizei-Kommandeur Huth, vom 06. 08. 1951, in: Landesarchiv Magdeburg/Landeshauptarchiv Rep. K 14 Landesbehörde der Volkspolizei Nr. 192, Bl. 276. In seinen in der Zeit entstanden Erinnerungen berichtet Götzke im Zusammenhang mit seinen Besuchsdiensten (also nicht im Blick auf seine Predigten in den Gottesdiensten), dass er die Frage der Abwanderung thematisiert habe: »Ich konnte sie über die Möglichkeit der Auswanderung unterrichten. Viele haben den Schritt gewagt und sind glücklich, eine neue Heimat unter lieben Geschwistern gefunden zu haben, wo sie frei sind und ihrem lieben Gott dienen und danken können.« Bruno Götzke: Der Herr hat mich den Weg geführt, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, BMG, Karton 9. Bericht des Volkspolizeipräsidiums Halle (Abteilung Pass- und Meldewesen, Referat 2b), Volkspolizei-Kommissar Schulze, an die Landesbehörde der Volkspolizei Sachsen-Anhalt vom 23. 10. 1951, in: Landesarchiv Magdeburg/Landeshauptarchiv Rep. K 14 Landesbehörde der Volkspolizei Nr. 192, Bl. 273 (Rückseite).

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schließend »von Geschwister[n] aus der Ostzone, die gewisse Bedenken haben, an öffentlichen Stellen auf Befragen anzugeben, dass sie Mennoniten seien und fürchteten, es könnten ihnen Nachteile daraus erwachsen.«1293 Letztlich konnte die Volkspolizei in den folgenden Monaten weitere Fluchten aber nicht verhindern.1294 Auch Bruno Götzke selbst gelang es, am 14. Januar 1953 in den Westen zu flüchten.1295

Der Verbotsentwurf Spätestens seit August/September 1951 trachteten die Hauptverwaltung der Deutschen Volkspolizei und das Ministerium des Innern aufgrund dieser Abwanderungen danach, die Mennoniten zu verbieten. Eine maßgebliche Rolle spielte dabei Erich Lust, Leiter der Hauptabteilung (HA) Pass- und Meldewesen (PM) in der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei (HVVP). Chefinspekteur der Volkspolizei Lust äußerte sich am 23. August 1951 in einem Schreiben an den Staatssekretär im Ministerium des Innern, Hans Warnke1296: »Die Tätigkeit dieser Sekte und der illegale Abzug von Mitgliedern nach Westdeutschland und Kanada zeigen, daß es sich hier um eine Vereinigung handelt, die bewußt schädigend gegen die DDR und somit gegen die bestehende antifaschistischdemokratische Ordnung vorgeht. Die HVDVP hält es für dringend erforderlich, die Tätigkeit dieser Sekte im Gebiet der DDR zu verbieten, damit ein weiteres schädliches Handeln für die Zukunft unterbunden wird.«1297

1293 Niederschrift über die Sitzung des Vorstandes der Berliner Mennonitengemeinde am Donnerstag, 5. Oktober 1950, 17 Uhr […], in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, BMG, Karton 5. 1294 Vgl. das Schreiben der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei, Hauptabteilung Pass- und Meldewesen, Volkspolizei-Inspektor Fischer, an das Ministerium des Innern, Staatssekretär Warnke, vom 18. 12. 1951, in: BArch DO 4/723; sowie das Schreiben der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei, Generalinspekteur der Volkspolizei Seifert, an das Ministerium des Innern, Staatssekretär Warnke, und andere vom 05. 03. 1952, in: BArch DO 1/ 27866. 1295 Vgl. den autobiografischen Bericht von Bruno Götzke: Der Herr hat mich den Weg geführt, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, BMG, Karton 9. 1296 Hans (Johannes) Warnke (1896–1984) war zuvor, von 1946 bis 1949, Innenminister der Landesverwaltung Schwerin und wechselte dann als Staatssekretär in das Ministerium des Innern (bis 1952); vgl. die Angaben in Wer war wer in der DDR? und dem Handbuch der Deutschen Kommunisten, von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur als Online-Ressource zur Verfügung gestellt. URL: https://www.bundesstiftung-aufarbeitung.de /de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/hans-johannes-warnke (Aufruf: 28. 08. 2020). 1297 Schreiben des Leiters der Hauptabteilung Pass- und Meldewesen (PM) in der Hauptverwaltung Deutsche Volkspolizei, Chefinspekteur der Volkspolizei Lust, an das Ministerium des Innern, Staatssekretär Warnke, vom 23. 08. 1951.

Der Verbotsentwurf

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Mit seinem Vorschlag stieß Lust im Ministerium des Innern auf offene Ohren; dort reagierte man unmittelbar und in dem von ihm gewünschten Sinne. Kirchenangelegenheiten wurden im Ministerium des Innern zu diesem Zeitpunkt im Hauptreferat Gesellschaftsfragen der Abteilung Bevölkerungspolitik bearbeitet, das von dem SED-Kader Josef Schwarzer geleitet wurde.1298 Aber auch andere Akteure innerhalb des Ministeriums waren in den Prozess involviert. In dem Entwurf eines Antwortschreibens an den Chef der HV Deutsche Volkspolizei aus dem Ministerium des Innern wurde das offizielle Verbot der Mennoniten vorformuliert: »Die Religionsgemeinschaft ›Menoniten‹ [sic!] wird aus der Liste der erlaubten Religionsgemeinschaften gestrichen. Jede weitere Tätigkeit der Leitung, der Gemeinden, der Mitglieder und Vermögensträger im Gebiet der Deutschen Demokratischen Republik ist verboten und strafbar.« Als Begründung hieß es: »Mit Hilfe der Gemeinschaft haben eine Anzahl Neubürger und Neubauern ihren Besitz aufgegeben und illegal das Gebiet der DDR verlassen. Die Gemeinschaft hat illegale Auswanderung veranlasst und organisiert. Die betreffenden Personen sind dem Aufbau in der DDR entzogen worden. Unter verschiedenen Versprechungen wurden sie ins Ausland gelockt und werden dort für die Ziele der anglo-amerikanischen Kriegstreiber missbraucht. Durch diese Handlungsweise der Gemeinschaft ist bewiesen, dass sie unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft die Aufgaben einer Agentur der anglo-amerikanischen Imperialisten ausführt.«1299

Es hätte nur noch der Unterschrift des Ministers, Dr. Karl Steinhoff, bedurft. Doch dazu kam es nicht; der Verbotsentwurf sollte nochmals geprüft, weitere Erkenntnisse gewonnen werden.1300 Unterdessen legte die Hauptverwaltung Volkspolizei in einem Schreiben an Staatssekretär Warnke im Ministerium des Innern nach: Wieder hätten Mennoniten, so hieß es in dem Schreiben vom 18. Dezember 1951, die DDR verlassen; bei weiteren Familien stünde dieser Schritt möglicherweise unmittelbar bevor (sie hatten bereits Dinge veräußert). Die Hauptverwaltung habe darüber bereits das Ministerium für Staatssicherheit und das Zentralkomitee der SED unter-

1298 Martin Georg Goerner: Die Kirche als Problem der SED. Strukturen kommunistischer Herrschaftsausübung gegenüber der evangelischen Kirche 1945 bis 1958, Berlin 1997, S. 186. 1299 Entwurf eines Schreibens des Ministers des Innern, Dr. Steinhoff, an den Chef der HV Deutsche Volkspolizei, Durchschrift an das Ministerium für Staatssicherheit, den Magistrat von Gross-Berlin, den Stellvertretenden Ministerpräsidenten Nuschke und das HA Amt zum Schutze des Volkseigentums, in: BArch DO 4/723. 1300 Vgl. die Mitteilung des Hauptabteilungsleiters Sorgenicht an den Minister des Innern, Dr. Steinhoff, vom 22. 01. 1952 [Stempel], in: BArch DO 4/723.

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richtet.1301 Im Januar 1952 waren schließlich die von der Volkspolizei beargwöhnten mennonitischen Bauern geflüchtet. Im gleichen Monat plädierte auch der Hauptabteilungsleiter Staatliche Verwaltung im Ministerium des Innern, Klaus Sorgenicht (1923–1999)1302, in einer Hausmitteilung an den Minister des Innern dafür, »die Gemeinschaft aus der Liste der erlaubten Gemeinschaften zu streichen und zu verbieten.« Allerdings hielt er eine Rücksprache mit Otto Nuschke (1883–1957), dem Vorsitzenden der Ost-CDU, Stellvertretenden Ministerpräsidenten und Leiter der Hauptabteilung Verbindungen zu den Kirchen bei der Regierungskanzlei der DDR, für notwendig, »da evtl. Eingaben der Evangelischen Kirche zu erwarten sind. Die Mennoniten gehören zu einem Arbeitskreis, bei dem auch die Evangelische Kirche beteiligt ist.«1303 Damit sprach Sorgenicht ein zweites wichtiges institutionelles Akteursfeld an, dem in der frühen SED-Diktatur die Aufgabe oblag, die Religionspolitik mitzugestalten: die Hauptabteilung »Verbindungen zu den Kirchen« bei der Regierungskanzlei der DDR. Offiziell für die staatliche Aufsicht der Kirchen zuständig, war sie auch mit der Frage von Anerkennung und Auflösung von Religionsgemeinschaften betraut. Im Blick auf die Mennoniten sollte diese Abteilung dem forschen Verbotskurs aus dem Ministerium des Innern noch entgegentreten. Zuvor hatte die Hausmitteilung von Sorgenicht Oberreferent Josef Schwarzer am 1. Februar 1952 dazu veranlasst, der »Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen«, Hirsch, mitzuteilen, dass nunmehr »die Religionsgemeinschaft der Mennoniten durch den Minister des Innern verboten und aufgelöst worden sei. Die Beschlagnahme des Vermögens dieser Gemeinschaft wurde verfügt. […] Die Mitglieder der Mennoniten hatten im Lande Mecklenburg und in Sachsen-Anhalt Auswanderungen nach Kanada und Brasilien organisiert; Gelder wurden für diese Auswanderungen zur Verfügung gestellt.«1304 Dem stellte sich Kurt Grünbaum (1892–1982), Leiter der »Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen« und (wie Nuschke) CDU-Mitglied, entgegen und ließ Schwarzer telefonisch mitteilen, dass »zu einem solchen Verbot eine Verfügung des Innenministeriums nicht ausreicht«. Denn die Religionsgemeinschaft sei seit dem 8. November 1922 mit 1301 Schreiben der Hauptverwaltung Volkspolizei, Hauptabteilung Pass- und Meldewesen, Volkspolizei-Inspektor Fischer, an das Ministerium des Innern, Staatssekretär Warnke, vom 18. 12. 1951, in: BArch DO 4/723. 1302 Später, von 1954 bis 1989, leitete Sorgenicht die Abteilung Staats- und Rechtsfragen des ZK der SED. Vgl. die Angaben in Wer war wer in der DDR?, von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur als Online-Ressource zur Verfügung gestellt. URL: https:// www.bundesstiftung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische -datenbanken/klaus-sorgenicht?ID=3336 (Aufruf: 28. 08. 2020). 1303 Mitteilung des Hauptabteilungsleiters Sorgenicht an den Minister des Innern, Dr. Steinhoff, vom 22. 01. 1952 [Stempel], in: BArch DO 4/723. 1304 Vermerk vom 01. 02. 1952, in: BArch DO 4/723.

Der Verbotsentwurf

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den Körperschaften des öffentlichen Rechts ausgestattet. Grünbaum war ein in Kirchenangelegenheiten fachlich überaus gut informierter Jurist, dem die Mennoniten nicht fremd waren; er verfügte über langjährige Erfahrung in der Ministerialbürokratie vor 1945. Grünbaum wurde 1928 zunächst Ministerialrat im preußischen Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung (geistliche Abteilung) – wo er zum Beispiel mit der Anerkennung der Baptisten und Mennoniten in Preußen als Körperschaft des öffentlichen Rechts zu tun gehabt hatte1305 – und war zwischen 1935 und 1945 dann als Ministerialrat im Reichskirchenministerium tätig.1306 In einem Vermerk an den persönlichen Referenten von Nuschke, Helmut Enke, vom 8. Februar 1952 notierte Grünbaum zudem: »Im übrigen darf ich darauf hinweisen, dass die Mennoniten in der gesamten evangelischen Christenheit eine bedeutende Stellung einnehmen und dass diese Angelegenheit des Verbotes daher Herrn [Außen-] Minister D e r t i n g e r vorgetragen werden müsste. Ich wäre Ihnen dankbar, wenn Sie dies veranlassen könnten.«1307 In Grünbaums Argumentation spielte die Frage der Verleihung von Körperschaftsrechten an die Vereinigung der Mennonitengemeinden eine entscheidende Rolle. Um diesen Hinweis hieb- und stichfest zu machen, holte man bei den Mennoniten selbst Informationen ein, wandte sich sogar an den »Leiter der Deutschen Mennoniten in Göttingen« – gemeint war offenbar Dr. Ernst Crous – um darüber Auskunft zu ersuchen.1308 Es ging dabei um die Frage, ob das in Hamburg verliehene Körperschaftsrecht reichsweit gültig gewesen sei (was man annahm und von mennonitischer Seite bestätigt bekam). In seiner Argumentation lag der Leiter der »Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen«, Grünbaum, auf einer Linie mit dem für seine Abteilung politisch Verantwortlichen, Otto Nuschke. Dieser teile Grünbaums Bedenken gegenüber dem Mennoniten-Verbot und argumentierte am 1. März 1952, »dass ein Verbot von Religionsgemeinschaften nur im äussersten Notfalle stattfinden sollte. Wenn es sich nur um Verfehlungen Einzelner handle, sollte zunächst mit entsprechenden Verwarnungen vorgegangen werden. Dies sei auch deshalb notwendig, weil jedes Verbot einer Religionsgemeinschaft in Gesamtdeutschland und zwar nicht nur bei den 1305 Vgl. den Vermerk auf dem Schreiben (Abschrift für die Akten) des preußischen Ministers für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung an den Bund der Baptistengemeinden in Deutschland vom 20. 08. 1930, in: BArch R 5101/23119; sowie der handschriftliche Vermerk zur »Verleihung der Körperschaftrechte an die Mennoniten« vom 06. 04. 1932 von Grünbaum selbst, in: BArch R 5101/23410. 1306 Vgl. zur Biografie die Angaben im Magdeburger Biografischen Lexikon: Matthias Neugebauer: Grünbaum, Robert Karl Eduard Kurt. URL: http://www.uni-magdeburg.de/mbl /Biografien/0888.htm (Aufruf: 28. 08. 2020). 1307 Vermerk der »Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen«, Grünbaum, an den Persönlichen Referenten Nuschkes, Enke, vom 08. 02. 1952 in; BArch DO 4/723. 1308 Vgl. die Vermerke vom 21. 02. 1952 und 20. 03. 1952, in: BArch DO 4/723.

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Kirchen grösste Beachtung fände und im jetzigen Augenblick besonders zu vermeiden sei.«1309 Unterdessen arbeitete das Ministerium des Innern daran, das Verbotsvorhaben von höherer Stelle absegnen zu lassen. Ursprünglich war für Steinhoff ein Schreiben an Ministerpräsident Otto Grotewohl vorbereitet worden, an dessen Ende es hieß: »Ich bin der Ansicht, dass die Tätigkeit dieser Gemeinschaft nicht mehr dem Artikel 41 der Verfassung der DDR entspricht, indem sie ihre Aufgabe zu verfassungswidrigen Zwecken missbraucht. Sie hat ihre Mitglieder veranlasst, das Vermögen nicht zum Wohle des Volkes (Art. 24 der Verfassung), sondern zu dessen Schaden, zu benutzen. Da nach dem ›Handbuch der Religionsgeschichte von Algermissen‹ die Mennoniten angeblich seit dem 8. 11. 1922 die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen sollen bitte ich um Ihre Zustimmung, dass diese Gemeinschaft aus der Liste der erlaubten Religionsgemeinschaften gestrichen und jede weitere Tätigkeit im Gebiet der DDR untersagt wird.«1310

Dieser Briefentwurf ging allerdings nicht ab. Stattdessen wandte sich das Ministerium des Innern am 27. Februar 1952 mit einem Ministerbrief an den Leiter der Abteilung Staatliche Verwaltung des Zentralkomitees der SED (bei der auch die Verantwortlichkeit für Kirchenfragen lag1311), Anton Plenikowski (1899– 1971), um eine Entscheidung in dieser Frage herbeizuführen. In einem, dem Grotewohl-Entwurf gleichlautenden Brief hieß es nur am Ende abgeschwächt: »Da im Handbuch der Religionsgeschichte von ›Algermissen‹ die Mennoniten angeblich seit 8. 11. 1922 Körperschaftsrechte besitzen sollen und ein evtl. Verbot der Tätigkeit auch einen Einspruch der Evangelischen Kirche zur Folge haben würde, bitte ich um Herbeiführung eines Beschlusses darüber, ob die Tätigkeit verboten oder weiter erlaubt werden soll. Minister Dertinger1312 ist mit dem

1309 Aktenvermerk Grünbaum vom 01. 03. 1952, in: BArch DO 4/723. 1310 Undatierter Entwurf (durchgestrichen) eines Schreibens des Ministers des Innern, Dr. Steinhoff, an den Ministerpräsidenten der DDR, Grotewohl, in: BArch DO 4/723. 1311 1954 wurde dieser Bereich aus der Abteilung herausgelöst und eine Abteilung Kirchenfragen geschaffen (1957 »Arbeitsgruppe Kirchenfrage« genannt). 1312 Am 13. 02. 1952 schrieb der Minister für Auswärtige Angelegenheiten, Georg Dertinger, an Dr. Steinhoff und bezieht sich auf eine Unterredung während des Ministerrats; er bat um Übersendung der Unterlagen, »die zum Verbot der Religionsgemeinschaft ›Mennoniten‹ geführt haben.«; Schreiben des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, Dertinger, an den Minister des Innern, Dr. Steinhoff, vom 13. 02. 1952, in: BArch DO 4/723. Dr. Steinhoff und Dertinger besprachen diese Fragen am 18. 02. 1952 telefonisch; handschriftliche Notiz mit Datum vom 18. 02. 1952 auf dem Schreiben des Ministers für Auswärtige Angelegenheiten, Dertinger, an den Minister des Innern, Dr. Steinhoff, vom 13. 02. 1952, in: BArch DO 4/723.

Der Verbotsentwurf

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Verbot einverstanden.«1313 Doch dort, in der SED, war man nicht der Auffassung, dass diese Frage im Zentralkomitee entschieden werde solle. Auf dem eben zitierten Schreiben findet sich folgender handschriftlicher Vermerk: »Genosse Minister ist bei seinem Hiersein erklärt worden, dass die Regelung dieser Frage Sache des Staatsapparates ist.« (mit Datumangabe 4. März [1952]).1314 Es sei also keine Angelegenheit des Parteiapparats: der SED. Bekanntermaßen wurde im »Staatsapparat« das Verbot der Mennoniten letztlich nicht realisiert; es konnten bedauerlicherweise keine Dokumente recherchiert werden, aus denen die Gründe hierfür sowie gegebenenfalls der weitere Gang der Argumentation hervorgehen. Im Lauf der 1950er-Jahre sind die Mennoniten in der DDR den staatlichen Organen, soweit wir wissen, offenbar nicht mehr weiter aufgefallen. In einer Übersicht der Volkspolizei über »Sekten« im Bezirk Magdeburg – dort lag das oben erwähnte Mulmke – finden Mennoniten keine Erwähnung.1315 Und in einem Bericht über die Religionsgemeinschaften in den Unterlagen des (inzwischen etablierten) Staatssekretariats für Kirchenfragen aus dem Jahr 1958 werden die Mennoniten nur spärlich abgehandelt und mit dem Verweis versehen, dass sie öffentlich kaum in Erscheinung getreten seien.1316 Das mennonitische Leben der DDR konzentrierte sich vor allem auf Berlin, wo die Gläubigen auch formell noch immer der Berliner Mennoniten-Gemeinde zugehörten. Von staatlicher Seite wurden Mennoniten in den 1950er-Jahren also nicht primär aus religiösen Gründen, also aufgrund des Glaubens oder der Lehre besonders überwacht. Sie gerieten in das Kreuzfeuer der Volkspolizei und des Ministeriums des Innern, weil durch ihre Abwanderung aus Sicht der Staatsorgane Wirtschaftskraft und Vermögen verloren ging und – vor der Folie des Kalten Krieges interpretiert – dadurch zugleich der »imperialistische« Westen gestärkt würde. Wie sah es aber mit der inneren Motivlage der geflüchteten Mennoniten aus? Vollzogen sich die hier geschilderten Fluchten doch in einer Phase, in der das SED-Regime auf Konfrontationskurs gegenüber den Kirchen ging. Sind sie 1313 Schreiben des Ministers des Innern, Dr. Steinhoff, an das Zentralkomitee der SED, Abteilung Staatliche Verwaltung, Plenikowski, vom 27. 02. 1952, in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/14/250. 1314 Handschriftliche Notiz auf dem Schreiben des Ministers des Innern, Dr. Steinhoff, an das Zentralkomitee der SED, Abteilung Staatliche Verwaltung, Plenikowski, vom 27. 02. 1952, in: SAPMO-BArch, DY 30/IV 2/14/250. 1315 Vgl. die Aufschlüsselung über die evangelischen und katholischen Kirchen sowie der religiösen Bekenntnisse der einzelnen Kreise des Bezirks Magdeburg vom 26. 02. 1953 und die Auflistung über »Sekten« in den Kreisen des Bezirks vom 23. 02. 1953, in: Landesarchiv Sachsen-Anhalt, Abteilung Magdeburg: M 24 Bezirksbehörde der Deutschen Volkspolizei Magdeburg, Nr. 261 1316 Übersicht über die Kirchen und Religionsgemeinschaften in der DDR, 1958, in: BArch DO 4/2479.

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primär aus Glaubensgründen geflüchtet? Henrik Bispinck hat gezeigt, dass sich allgemein, also bei den Abgewanderten insgesamt, wirtschaftliche sowie berufsspezifische, politische und private Abwanderungsmotive häufig überlagert oder vermischt haben. Die Kategorien lassen sich nicht trennscharf unterscheiden. Im Blick auf die Bauern – und das waren in der Regel auch die mennonitischen Flüchtlinge – verweist Bispinck zum einen auf das hohe Ablieferungssoll, zum anderen auf die Kollektivierungswellen von 1952/53 und 1959/60 (die also erst nach den hier in den Blick genommenen Fluchten losbrachen).1317 Einer der mennonitischen Bauern, der im Sommer 1951 aus Mulmke bei Wernigerode mit seiner Familie flüchten konnte, beschrieb in einem Brief vom 15. August 1951 die Geschichte seiner Flucht – und ging dabei auch auf seine Motivlage ein. Glücklicherweise ist dieses wertvolle Zeugnis, ebenso wie der Fluchtbericht Bruno Götzkes, erhalten geblieben. »Ja, es war bestimmt kein leichter Entschluß«, formulierte der »Neubauer« aus Mulmke. »Wenn ich auch zugeben muß, daß ich aus Gewissensnot im Blick auf die Kinder, mich schon längere Zeit verpflichtet fühlte, einen Weg zur Auswanderung zu suchen und zu finden. Als ich nun noch erfuhr, mein Sohn […] wird von der Kriminalpolizei beobachtet und auch wir sollten auf der schwarzen Liste sein. Doch aus welchen Gründen, war uns unbekannt, doch wurden wir des Nachts um 11 Uhr von der Polizei aufgesucht, um unsere Ausweise zu kontrollieren. Wo wir noch mit dem bloßen Schrecken davon kamen. Aber das Maß war voll. Man wurde die Unruhe nicht los und sagte sich: Nun ist Zeit! Aber wie? Das war immer die Frage. Da tat uns Gott wunderbarerweise eine Tür auf. Mir wurde die Auskunft zuteil, an einer Stelle wäre die Möglichkeit gegeben, die Zonengrenze mit Fuhrwerk zu überschreiben. Damit haben wir auf Knien gerungen im Gebet, wie einst Jakob. Herr, ich lasse dich nicht, Du segnest mich denn. Dann war der Entschluß gefaßt, wir wußten, Gott war mit uns. Es galt allerdings von allem Irdischen, was man in den Jahren geschaffen hatte, sich zu lösen und zu sprechen mit Hiob: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt. […] Die drei Kühe, 15 Schweine und vier Ferkel blieben dort und manches andere. Somit konnten die Schulden paarmal gedeckt werden und man hatte die Genugtuung, daß man keinem was schuldig geblieben ist. […] So fuhren wir zwar ohne Geld aber in Gottes Namen am Sonntag dem 8.7. um 8 Uhr morgens mit zwei Spazierwagen und zwei Radfahrern wie zu einem Ausflug mit 19 Personen fort. Die Betten auf den Gesäßen als Sitzkissen und Wagenkellen mit Sachen bepackt.«1318

Aus dieser Passage wird deutlich, dass es bei mennonitischen »Republikflüchtlingen« (oder solchen aus anderen Denominationen) durchaus ein spezifisches Moment geben konnte – jenseits der womöglich auch hier mehrschichtig überlagerten Motive, bis ›das Maß voll war‹: es war auch eine Glaubensentscheidung. 1317 Bispinck, Flucht und Ausreise, S. 296f. 1318 Brief von Rudolf Hein an Frau M. 15. 08. 1951, dem Verfasser dankenswerterweise von Horst H. Krüger, Berlin, zur Verfügung gestellt.

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Ein anderes wichtiges Zeugnis sind die erwähnten Lebenserinnerungen von Bruno Götzke. Nachdem Götzke aus der DDR geflohen war, wurde er zunächst von dem Ältesten der Berliner Mennoniten-Gemeinde, Erich Schultz, im Westteil der Stadt aufgenommen. Dort diktierte er seine Lebensgeschichte, vom Jahr 1945 bis zu seiner Flucht aus der DDR in den Westen.1319 Aus diesem, gleich nach der Flucht entstandenen Text geht hervor, was es für Einzelne bedeuten konnte, einer »verschärften Überwachung« durch die Polizei ausgesetzt gewesen zu sein. Sie erzeugte Druck und Angst – und förderte gerade die Bereitschaft zur Flucht, was die polizeilichen Maßnahmen vorgeblich verhindern sollten. Für den Fall Bruno Götzke ist dabei wichtig – und womöglich auch im Blick auf die Geschichte anderer Flüchtlinge und Vertriebener aus den ehemaligien Ostgebieten –, dass in der Sowjetunion gemachte repressive Erfahrungen das Handeln in der frühen SED-Diktatur unmittelbar mitbestimmten. So berichtete Götzke, wie er bei Kriegsende von der sowjetischen Gemeinpolizei festgenommen und gefoltert wurde sowie Zwangsarbeit leisten musste. 1948 wurde er ausgesiedelt, gelangte in das Auffanglager Heiligenstadt (Thüringen) und von dort nach Zörbig (SachsenAnhalt). Zu diesem Zeitpunkt lagen mehrere schwere Krankheiten hinter Götzke (Typhus, gelähmte Beine), aufgrund seiner körperlichen Behinderung war er Invalide. Bald schon, nachdem er Kontakt mit der Berliner Mennoniten-Gemeinde aufgenommen und das Amt des Reisepredigers übernommen hatte, geriet er in das Fadenkreuz der Volkspolizei. Götzke berichtete, dass er »wiederholt hinbestellt und verhört wurde; so mehrmals in Halle, Bitterfeld und selbst in Zörbig. Auch Spitzel waren in den Gottesdiensten und andere erkundigten sich über mich, meine Tätigkeit und sonstige möglichen Angelegenheiten bei meinem Hauswirt und anderen Personen. Mehrmals haben sie mich in meiner Wohnung aufgesucht und die verschiedensten Fragen gestellt, die mit der Kirche überhaupt nicht vereinbar waren.« Offenbar sah sich Götzke bei der Niederlegung seiner Erinnerungen auch in der Pflicht, seine Flucht hinsichtlich der in der DDR zurückgelassenen Geschwister zu rechtfertigen; an eben dieser Stelle seines Fluchtberichts scheint auf, wie die Erinnerungen an die Verhaftung durch die sowjetische Geheimpolizei neben die Repressionserfahrung durch die Polizei in der DDR traten: »Die Sorge um die liebe Gemeinde bewegte mich, das geknüpfte Bruderband hielt fest. Was würde sein, wenn es eines Tages hieß: Sie haben ihn geholt? Einmal bin ich hereingefallen und kläglich entkommen. Das zweite Mal hätte ich es nicht überstanden. Sie sollten mich nicht haben. Sie duften nicht meinen Schwachen Körper in ihre Gewalt

1319 Vgl. das Schreiben von Erich Schultz an Bruno Götzke vom 15. 07. 1953, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, BMG, Karton 9. In dem Brief bat Schultz um Ergänzungen zum ersten Teil seiner Biografie. Der vorliegende, undatierte Lebensbericht entstand also offenbar vor diesem Hintergrund, wahrscheinlich noch im Jahr 1953.

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bekommen. Am Tage wurde man beobachtet, spät abends besuchte mich die Polizei. Sie waren alle nicht aufrichtig. Sogar des Nachts hatte man keine Ruhe. Früh in der Dunkelheit verließ ich meine Wohnung, um auf einem anderen Bahnhof den Zug zu besteigen, und im Dunkeln kehrte ich zurück. […] Der Gemeinde wäre nicht gedient, wenn ich geholt worden wäre. So mußten auch wir den letzten Schritt wagen. Es war am 14. Januar 1953, am 16. Januar kam man wieder, wahrscheinlich um mich zu holen. Ich war nicht zum Gottesdienst nach Rostock und Schwerin gefahren, wohin ich mich hätte abmelden müssen und die mich dort gefangen genommen hätten. Der Herr hat mich sicher in den Hafen des Friedens geleitet.«1320

Die Auseinandersetzung um das Verbot der Mennoniten offenbart exemplarisch widerstreitende Positionen, Reibereien und Konkurrenzen innerhalb des »Staatsapparats« der SED-Diktatur im Umgang mit Religionsgemeinschaften Anfang der 1950er-Jahre – und zwar just an der Schnittstelle, in der die »Konfrontationspolitik« der SED-Führung eskalierte und in einen »Liquidierungskurs« überging.1321 Es hat den Anschein, dass im Ministerium des Innern die für Grünbaum wichtige Orientierung an formal-juristischen Kategorien, wie der Verleihung von Körperschaftsrechten, eher als Spitzfindigkeit abgetan wurde. Wenn die Partei in unserem Beispiel, der Frage eines Mennonitenverbots, den Ball wieder an den »Staatsapparat« zurückspielte, so griff sie fast zur gleichen Zeit doch massiv in die Struktur der kirchenpolitischen Institutionen ein. Die »Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen« war, wie Martin Georg Goerner dargelegt hat, der SED »ein Dorn im Auge«; seit 1951 plante die Parteiführung die Absetzung Grünbaums: »Er stand den Kirchen näher als der DDR-Regierung, was ihm die Feindschaft der SED eintrug und schließlich zu seiner Abberufung [im Jahr 1952] führte.«1322 Otto Nuschke, der durch die »Umgestaltung der CDU in eine zentralistische Kaderpartei im Jahre 1950 de facto entmachtet« war1323, wurde von der SED nach und nach kaltgestellt. Die »Hauptabteilung Verbindung zu den Kirchen« wurde in den folgenden Jahren sukzessive aus dem Feld der Kirchenpolitik gedrängt und die Behandlung der Kirchenfragen im »Staatsapparat« neu strukturiert: Das Hauptreferat »Gesellschaftsfragen« in der Abteilung »Bevölkerungspolitik« im Ministerium des Innern ging 1953 in das »Staatssekretariat für Innere Angelegenheiten« ein (spätere Bezeichnung »Verwaltung für Inneres«). Mit der 1955 gegründeten »Abteilung Kultfragen« war im Ministerium des Innern ein neuer Ort zur Diskussion der Kirchenfragen geschaffen worden, ehe dieser Zuständigkeitsbereich 1957 in das neu etablierte »Staatsekretariat für Kirchenfragen« überging. Die Deutungshoheit lag allerdings bei der Partei – in 1320 Bruno Götzke: Der Herr hat mich den Weg geführt, in: Mennonitische Forschungsstelle Weierhof, BMG, Karton 9. 1321 Goerner, Kirche, S. 180. 1322 Ebd. S. 62. 1323 Ebd. S. 179.

Ausblick

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der auf Beschluss des ZK-Sekretariats von 1954 gebildeten Abteilung Kirchenfragen im Zentralkomitee der SED.1324

Ausblick Mit dem 13. August 1961, als die DDR-Regierung die Grenzen in Berlin abriegelte und kurz darauf die Arbeiten zum Bau der Mauer aufgenommen wurden, war die zentrale Zäsur für mennonitische Christen in der DDR verbunden. An diesem Sonntag weilten mennonitische Kinder aus Ost-Berlin zu einer Freizeit in dem im Westteil der Stadt gelegenen »Menno-Heim«; glücklicherweise konnten sie aber alle wieder zu ihren Familien zurückkehren.1325 Es war das in Ost-Berlin lebende Beiratsmitglied der Berliner Mennoniten-Gemeinde Walter Jantzen, ein Fuhrunternehmer, das die Mennoniten und Mennonitinnen im Ostteil der Stadt und innerhalb der DDR nun zu einer eigenen Gemeinde zusammenführte.1326 Jantzen wandte sich in dieser Situation an den Pfarrer der evangelischen Kirchengemeinde Pfingst in Berlin-Friedrichshain. Schon am 12. Dezember 1961 fand dort ein Gottesdienst mit 60 Teilnehmenden statt, der von dem westdeutschen Mennonitenpastor Dr. Heinold Fast zelebriert wurde.1327 Der Pfarrer der Kirchengemeinden Pfingst, Johannes Mickley, wurde, so hieß es später in einem Bericht der Volkspolizei, »Berater« der Mennoniten, stellte Kirchenräume zur Verfügung und übernahm teils sogar den Predigtdienst. Außerhalb von Berlin sammelte Jantzen Mennonitinnen und Mennoniten in zweimonatigem Rhythmus in »Leipzig, Halle, Rostock und Schwerin […] in den Räumlichkeiten der dortigen Baptistengemeinden«.1328 Der Status der Mennonitengemeinde in der DDR war in dieser Phase aber unklar und deshalb prekär. Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, also eine Möglichkeit, die gottesdienstlichen Zusammenkünfte zu legalisieren, wandte sich Jantzen an Carl Ordnung (1927–2012), Funktionär der Ost-CDU und 1324 Armin Boyens: Das Staatssekretariat für Kirchenfragen, in: Clemens Vollnhals (Hg.): Die Kirchenpolitik von SED und Staatssicherheit. Eine Zwischenbilanz, Berlin (2. Auflage) 1997, S. 120–138. 1325 Wolfgang Schultz: 122 Jahre Berliner Mennonitengemeinde, in: Mennonitische Geschichtsblätter 66 (2009), S. 113–124, 119. 1326 Wolfgang Schultz und Jochen Jantzen: Jantzen, Walter, in: MennLex V. URL: http://www. mennlex.de/doku.php?id=art:jantzen_walter (Aufruf: 01. 03. 2016). 1327 Vgl. die Gemeindegeschichte auf der Website der Berliner Mennonitengemeinde, Teil »IV. 1957–1967«. URL: http://berliner-mennoniten-gemeinde.de/docs/teil%204.doc (Aufruf: 28. 08. 2020). 1328 Einschätzung der Religionsgemeinschaft der »Mennoniten der DDR« durch Oberstleutnant der VP Rettig, Präsidium der Volkspolizei Berlin (Abteilung Schutz- u. Verkehrspolizei) vom 29. 11. 1966, in: Landesarchiv Berlin C Rep. 104 Nr. 384.

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methodistischer Laienprediger. Ordnung war Abteilungsleiter für Kirchenfragen des Hauptvorstandes der CDU in der DDR und außerdem seit 1962 Sekretär des Regionalausschusses der christlichen Friedenskonferenz.1329 Jantzen notierte für Ordnung im September 1963: »Obzwar wir hier keinen theologisch ausgebildeten Prediger haben, möchten wir doch gerne unsere Selbstständigkeit bewahren. Unser Anliegen wäre es nun, zu wissen, ob es ratsam oder überhaupt möglich wäre, registriert zu werden oder ob wir uns vielleicht sogar einer anderen bestehenden Gemeinschaft anschliessen sollten?«1330 Carl Ordnung verwandte sich für Jantzen und die Mennoniten beim Staatssekretariat für Kirchenfragen und schrieb in dieser Sache am 26. November 1963 an Abteilungsleiter Ernst Kusch: »Es gibt […] keinerlei Rechtsgrundlage für diese Gemeinschaft.« Er habe Jantzen geraten, die Möglichkeit zu prüfen, ob sich die Mennoniten nicht einer anderen Freikirche anschließen könnten (etwa den Quäkern) und machte gegenüber dem Staatsekretariat deutlich: »Trotz der kleinen Zahl von Mennoniten in der DDR halte ich doch die Regelung dieser Frage für wichtig. Die Mennonitenkirche gehört bekanntlich zu den sog. historischen Friedenskirchen. Sie hat in den angelsächsischen Ländern einen ziemlichen Einfluss.«1331 Im September 1964 übermittelte Jantzen dem Staatssekretariat für Kirchenfragen eine Satzung der Mennonitengemeinde in der DDR.1332 Im Sommer 1966 hielt Jantzen aber noch immer kein Papier in den Händen, das ihm bestätigte, »daß gegen die Abhaltung unserer Zusammenkünfte keine Bedenken bestehen«, obgleich er, wie er gegenüber Staatsekretär Hans Seigewasser (1905–1979), Leiter des Staatssekretariats für Kirchenfragen, argumentierte, bereits eine mündliche Zusage erteilt worden sei.1333 Immerhin wurde die Mennonitengemeinde in der DDR im März 1964 vom Berliner Magistrat als »zugelassene Religionsgemeinschaft« betrachtet.1334 Auch wenn etwa zur gleichen Zeit, im September 1964, die Führung der Volkspolizei in Berlin feststellte, dass die Mennonitengemeinde keine Körper1329 Vgl. die Angaben in Wer war wer in der DDR?, von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur als Online-Ressource zur Verfügung gestellt. URL: https://www.bundesstif tung-aufarbeitung.de/de/recherche/kataloge-datenbanken/biographische-datenbanken/c arl-ordnung (Aufruf: 28. 08. 2020). 1330 Kurzmemorandum von Walter Jantzen, 25. 09. 1963, in: BArch DO 4/723. 1331 Schreiben Carl Ordnung an Ernst Kusch, Staatssekretariat für Kirchenfragen, vom 26. 11. 1963, in: BArch DO 4/723. 1332 Vgl. das Schreiben von Walter Jantzen an das Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 11. 09. 1964 nebst Anlage, in: BArch DO 4/1536. 1333 Schreiben Walter Jantzen an das Staatssekretariat für Kirchenfragen, Seigewasser, vom 12. 08. 1966, in: BArch DO 4/723. 1334 Vermerk vom 14. 03. 1964 (Magistrat von Berlin, Bereich Inneres); vgl. auch den Bericht »Religionsgemeinschaft der ›Mennoniten‹« des Präsidenten der Volkspolizei Berlin Abteilung K vom 09. 09. 1964 mit Bezug darauf, dass sie »nach 1945 in die Liste der zugelassenen R[eligions]G[emeinschaften] aufgenommen« worden sei; beide Dokumente in: Landesarchiv Berlin C Rep. 104 Nr. 384.

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schaftsrechte besäße und nicht als juristische Person agierte.1335 In dieser Zeit lebten noch etwa 250 Mennoniten in der DDR (nur Ostberlin mit Randgebieten: 60).1336 Waren die Mennoniten Anfang der 1950er-Jahre von Seiten des Staates, wie wir gesehen haben, als eine gesellschaftliche Bedrohung wahrgenommen worden, so hatte sich die Lage inzwischen grundlegend gewandelt. Das bedeutete aber nicht, dass die Mennonitengemeinde in der DDR nun gleichsam in einer unbeobachteten Nische existieren konnte. Im Gegenteil: In einer »Aussprache« zwischen der Berliner Volkspolizei und Walter Jantzen am 25. November 1966 thematisierte die Volkspolizei, dass die Gemeindeleitung gegen »Gesetze[…] des Staates« verstoßen hätte und gab das künftige Vorgehen vor: Alle »Zusammenkünfte« müssten angezeigt, »Druckerzeugnisse mit öffentlichem Charakter« zur Genehmigung vorgelegt werden; die Zusammenstellung des Gemeindevorstandes und allfällige Änderungen seien mitzuteilen.1337 Dass dieses Insistieren gegenüber Jantzen auf ›Gesetzesverstöße‹ der Mennoniten in Berlin indes nicht als reines Drohgebaren abgetan werden kann, sondern von der Volkspolizei selbst ernst genommen wurde, zeigt die »Schlussbemerkung« des Oberleutnants der Volkspolizei in Berlin, die sich an das eben Erläuterte anschloss: »Der Tätigkeit der Mennoniten ist nach wie vor stärkste Beachtung zu schenken. Die Hauptsachgebiete Erlaubniswesen der VPI Prenzlauer Berg und Friedrichshain haben sich u. a. auf die weitere Aufklärung dieser Religionsgemeinschaft zu konzentrieren.«1338 Wenige Jahre vor der friedlichen Revolution stellte das Staatsekretariat für Kirchenfragen mit einer Einschätzung, die für die kleineren »Religionsgemeinschaften« in der DDR insgesamt durchaus typisch war1339, schließlich fest: »Die Mennonitengemeinde in der DDR verhält sich politisch loyal. Es be1335 Darlegung über die »Religionsgemeinschaft der ›Mennoniten‹« von dem Major der Volkspolizei Bock, Präsidium der Volkspolizei Berlin (Abteilung K) vom 09. 09. 1964, in: Landesarchiv Berlin C Rep. 104 Nr. 384. 1336 Ebd. 1337 Einschätzung der Religionsgemeinschaft der »Mennoniten der DDR« durch Oberstleutnant der VP Rettig, Präsidium der Volkspolizei Berlin (Abteilung Schutz- u. Verkehrspolizei) vom 29. 11. 1966, in: Landesarchiv Berlin C Rep. 104 Nr. 384. 1338 Ebd. Der Hinweis darauf, dass Mennoniten in der DDR diesbezüglich gegen staatliche Gesetze verstoßen hätten, findet sich auch in einer Stasi-Akte. Im Zusammenhang mit Paketsendungen von Mennoniten aus Westdeutschland in die DDR, hieß es in einem Aufklärungsbericht der Bezirksverwaltung Berlin, Abteilung Zollfahndung, am 24. 04. 1967: »Offene Feindtätigkeiten bei den Empfängern [Mennoniten in der DDR, Anm. d. Verf.] von Org.-Sendungen der Mennoniten sind nicht bekannt. Jedoch verstießen sie oft gegen Gesetze unseres Staates, indem sie ihre Kulthandlungen den zuständigen Stellen nicht anzeigten. In anderen Fällen stellten sie Druck- und Vervielfältigungserzeugnisse ohne Genehmigung her.«; Behörde des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (BStU) Mfs HA XX/4 Nr. 2976, Bl. 5–12, 10. 1339 Vgl. mit weiteren Nachweisen Liese, Haltung.

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stehen geordnete Beziehungen zum Staat. Die sozialistische Staats- und Rechtsordnung wird geachtet, die sozialistische Gesetzlichkeit eingehalten.«1340 Walter Jantzen war am Anfang der 1980er-Jahre, inzwischen siebzig Jahre alt geworden, als Leiter der Mennonitengemeinde in der DDR abgetreten. Bis Sommer 1981 hatte er seinen Dienst offiziell noch versehen, ehe ihm Knuth Hansen, ein von der evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg freigestellter Pfarrer1341, nachfolgte, der bereits seit dem 1. Mai 1980 die Funktion eines hauptamtlichen Pastors der Mennonitengemeinde einnahm.1342 Walter Jantzen reiste mit seiner Frau im Jahr 1982 offiziell in die Bundesrepublik aus.1343

1340 Mennonitengemeinde in der Deutschen Demokratischen Republik. Teil des umfänglichen Berichts der Regierung der DDR, Staatssekretariat für Kirchenfragen; Sachstandsinformation über die in der DDR anerkannten und tätigen Kirchen und Religionsgemeinschaften, 1986/87, in: BArch DO 4/1948. 1341 Wolfgang Schultz: 122 Jahre Berliner Mennonitengemeinde, in: Mennonitische Geschichtsblätter 66 (2009), S. 113–124, hier S. 119. 1342 Vgl. das Schreiben von Walter Jantzen an das Staatssekretariat für Kirchenfragen, Gysi, vom 10. 09. 1081 sowie die Notiz über ein Gespräch mit Jantzen und Hansen am 20.051980 von Sektorenleiter Niendorf, Magistrat von Berlin, Sektor Kirchenfragen, in: BArch DO 4/ 1536. 1343 Wolfgang Schultz und Jochen Jantzen: Jantzen, Walter, in: MennLex V. URL: http://www. mennlex.de/doku.php?id=art:jantzen_walter (Aufruf: 07. 03. 2016).

Synthese

Staat und Freikirchen – wechselseitige Perspektiven Wo liegen Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den wechselseitigen Perspektiven der Staatsgewalten und ausgewählten Glaubensgemeinschaften – wie lässt sich dieses Verhältnis am besten beschreiben und analysieren? Sechs Aspekte sind dabei zu unterscheiden. Erstens fällt auf, dass im Vergleich der vier Phasen staatlicher Neuetablierungen die Freikirchen in der Gründungsphase der Weimarer Republik offenbar am meisten Gehör gefunden haben – auch wenn der Regelung des Verhältnisses zwischen Republik und ehemaligen Staatskirchen das primäre Interesse galt. Dennoch ging es den Delegierten der Weimarer Nationalversammlung ausdrücklich auch darum, Glaubensgemeinschaften außerhalb der etablierten Kirchen grundsätzlich nicht zu benachteiligen, sondern ihnen erstmals in der deutschen Geschichte gleiche Entfaltungsmöglichkeiten zuzubilligen. Und die Freikirchen suchten den angebotenen Gestaltungsraum aktiv zu nutzen. Später, beispielsweise im Zusammenhang mit Fragen der vollständigen rechtlichen Anerkennung, war diese Haltung im Reich und in den Ländern allerdings weniger stark ausgeprägt. Dabei muss jedoch zwischen den einzelnen deutschen Staaten unterschieden werden, wie der vergleichende Blick auf das eher zögerliche Preußen und die zügigere und liberalere Handhabung in Hamburg und Sachsen offenbarte. Es gibt bei all dieser aktiven politischen Partizipation der Freikirchen allerdings keinen Zweifel daran, dass der offizielle Baptismus und das offizielle Mennonitentum 1918/19 die revolutionäre Idee rundweg abgelehnt haben. Politischer Umsturz und christlicher Glaube vertrügen sich nicht. Bezeichnend ist aber, dass sie den Weg der Revolution aufmerksam kommentierten und in der jungen Weimarer Republik rasch äußerst pragmatisch intervenierten, wenn es darum ging, spezifische, konfessionsgebundene Rechte (wie die Eidverweigerung) zu erhalten oder auszuweiten. Warum haben sich die Freikirchen bei aller Furcht vor einer gottlosen, antichristlichen Staatsform so schnell mit der Situa-

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Synthese

tion arrangiert? Ein Erklärungsansatz findet sich in der Argumentation, dass der Gang der Geschichte unter Gottes Lenkung stünde; damit war nicht unbedingt gemeint, dass Gott die Revolution gewollt oder verursacht hätte, sondern eher, dass ihm die Zügel der Weltgeschichte nicht entglitten seien. Das war Legitimation genug, sich nun mit den gegebenen Mitteln (Wahlbeteiligung) an der Gestaltung der Verhältnisse zu beteiligen. Ähnlich lässt sich das frühe Engagement des freikirchlichen Hauptausschusses aus dem Revolutionsjahr 1918 interpretieren – offenbar sollte die Gunst der Stunde genutzt werden, bei der Neugestaltung der kirchlichen Verhältnisse gehört zu werden. Einer solchen grundsätzlichen, die Freikirchen inkludierenden Debatte wie in der Weimarer Nationalversammlung bedurfte es Ende der 1940er-Jahre im Parlamentarischen Rat aufgrund der pragmatischen Entscheidung nicht mehr, den Weimarer Kirchenrechtsartikel schlichtweg in das Grundgesetz zu inkorporieren. Die Freikirchen spielten daher in dieser Phase keine besonders große Rolle. Zweitens: Der NS-Staat hat sich in seiner Etablierungsphase verhältnismäßig wenig für die etablierten Freikirchen interessiert. Diese segelten zunächst im Windschatten der großen Kirchen, die von den Nationalsozialisten mit unterschiedlichen Strategien zurückgedrängt, gefügig gemacht oder auf Kurs gezwungen werden sollten. Später instrumentalisierten nationalsozialistische Politik und Ministerialbürokratie die etablierten Freikirchen im »Kirchenkampf«. Basis dafür war deren grundsätzliche Loyalität, demonstriert von den jeweiligen freikirchlichen Repräsentanten. Bezeichnenderweise wurde die nationalsozialistische »Machtergreifung« aber – von den freikirchlichen Zeitgenossen durchaus als Revolution wahrgenommen – nicht als widergöttlicher Staatsumsturz abgelehnt, anders als das 1918/19 der Fall gewesen war. Der Baptist Paul Schmidt, der dem Nationalsozialismus vor 1933 kritisch gegenübergestand, arrangierte sich, als Hitler die Märzwahlen gewann. Der Wahlausgang erleichterte es solchen, die hinsichtlich eines Staatsumsturzes doch Bedenken gehegt hatten, den NS-Staat mit besserem Gewissen zu unterstützen. Dabei war die Wahrnehmung von größerer Bedeutung, unmittelbar vor einer kommunistisch-bolschewistischen Überschwemmung gestanden zu sein, von Hitler und dem Nationalsozialismus im letzten Moment abgewehrt; aber auch die Sicht, dass der Entsittlichung des gesellschaftlich-kulturellen Lebens nun endlich etwas entgegengesetzt werde – und zwar auf der Basis einer christlichen Grundeinstellung. Diese Positionen waren jedoch nicht freikirchenspezifisch, sondern galten ebenso auch für einen Teil der Anhängerschaft der christlichen Großkirchen. Dieser Befund soll nicht über die Tatsache hinweg täuschen, dass sich im Laufe der NS-Diktatur die Haltung des Staates gegenüber den etablierten Freikirchen (und mindestens teilweise wohl auch umgekehrt) durchaus gewandelt hat – indem sie nämlich einen grundsätzlich restriktiveren Kurs fuhr. Die (partei-) staatlichen Reaktionen auf die mennonitischen Bemühungen nach Anerken-

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nung ihrer Eidverweigerung in der zweiten Hälfte der 1930er-Jahre zeigte das deutlich. Diese wurde vom NS-Staat nämlich immer weniger toleriert, was die konfessionelle Identität der Mennoniten existenziell bedrohte (war doch die Wehrdienstverweigerung bereits seit längerem aufgegeben worden). Über eine solche weltanschauliche Differenz sah der NS-Staat nicht mehr hinweg, obwohl es sich um eine verhältnismäßig kleine und überdies ansonsten loyale Glaubensgemeinschaft handelte. Anders verhielt es sich mit dem Bruderhof – sowohl was den staatlichen Umgang mit dieser Gemeinschaft als auch deren Perspektive auf den Staat anbelangte. Der Bruderhof setzte sich mit den Loyalitätsforderungen des NSStaates, wie beispielsweise dem Hitler-Gruß, von Anfang an kritisch auseinander und wies sie entschieden zurück. Die Gemeinschaft tat das unter der Führung der starken Leitungsfigur Eberhard Arnold, in bewusster Wiederbelebung der täuferisch-hutterischen Tradition und auf der Basis ihrer Überzeugung, dass Gläubige als Angehörige des »Reiches Gottes« im Widerstreit mit den Prinzipien der diesseitigen Welt lägen. Die Aktualisierung der Bergpredigt im persönlichen und gruppenspezifischen Handeln in der Gesellschaft des »Dritten Reiches« führte zum Konflikt mit dem NS-Staat, zu Repression und im Jahr 1937 zur Vertreibung aus Deutschland. Die Gemeinschaft sammelte sich zunächst in England, ehe sie sich 1941 größtenteils zur Emigration nach Paraguay gezwungen sah. Ab Mitte der 1950er-Jahre siedelte die Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten; heute gehören ihr über 2.700 Menschen in mehr als 20 Siedlungen auf vier Kontinenten an.1344 Nach Deutschland kehrten Gruppen des Bruderhofes zunächst 1955, dann erneut Ende der 1980er-Jahre und schließlich im Jahr 2002 zurück – zuletzt in das hessische Sannerz und nach Bad Klosterlausnitz in Thüringen.1345 In der Gründungsphase der Bundesrepublik, als die Gemeinschaft noch nicht wieder in Deutschland ansässig war, kam es zu einer bemerkenswerten Interaktion zwischen dem Bruderhof und der Staatsgewalt: Vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Eisenberg stellte die Gemeinschaft Anträge auf Rückerstattung ihres nach Auflösung des Hofes zwangsversteigerten Besitzes in der Rhön sowie auf individuelle Entschädigung des erlittenen Unrechts zur Zeit der NS-Diktatur.1346 1344 Vgl. die Selbstdarstellung »Willkommen auf dem Bruderhof«. URL: http://www.bruderhof. com/ (Aufruf: 21. 04. 2017). 1345 Vgl. Oved, Witness, S. 168–171 u. S. 279ff. sowie die Selbstdarstellungen des Bruderhofs. URL: http://www.bruderhof.com/de/unser-glaube/unser-weg und http://www.bruderhof. com/ (Aufruf: 21. 04. 2017). 1346 Bereits im November 1946 hatte die Gemeinschaft in London Restitutionsansprüche angemeldet. Vgl. die »Declaration As To Property«, The Control Office for Germany and Austria, Overseas Registry, R. 14, Norfolk House, St. James’ Square, London, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. Z. 460 Nr. F 7016.

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Die Verfahren zogen sich über ein Jahrzehnt hin. Im Hauptrestitutionsprozess verglichen sich Ende der 1950er-Jahre die Parteien, also der Bruderhof und der seinerzeitige Eigentümer des Hofes1347; schließlich wurde die Gemeinschaft finanziell abgefunden. Das ausdauernde, abschlägigen Bescheiden oder Urteilen immer wieder trotzende Festhalten an dem Ansinnen, dass das im Nationalsozialismus erlittene Unrecht gesühnt und die vormaligen Besitzverhältnisse zwar nicht wiederhergestellt, der Verlust aber zumindest ausgeglichen werden muss, mag vor dem Hintergrund des Staatsverständnisses von Eberhard Arnold um 1933 als eine erstaunliche Volte in der Geschichte des Bruderhofes der zweiten Generation erscheinen.1348 Ganz überraschen kann dieser Umstand aber nicht, wenn man sich zum Beispiel in Erinnerung ruft, dass der Bruderhof ja auch in den 1930er-Jahren schon wegen eines Erbstreites vor Gericht gezogen war, wenn auch unter Zurückstellung von Bedenken (der frühere Hofbesitzer hatte das Gut unter Berufung auf das Erbhofgesetz zurückgefordert). Er findet aber auch einen Anhaltspunkt in dem Staatsverständnis von Eberhard Arnold selbst: Der Staat war seiner Überzeugung nach nicht nur ein antichristliches Gebilde (nach Offenbarung 13), sondern zugleich auch eine Einrichtung Gottes, das Böse zu verfolgen und zu bestrafen (nach Römer 13). Drittens: In der Gründungsphase der SED-Diktatur war der Status auch der etablierten Freikirchen prekär, obwohl sie sich von Anfang an grundsätzlich loyal verhielten. Die Perspektive des Staates richtete sich in dieser Phase vor allem auf die Frage, inwieweit Menschen oder gesellschaftliche Gruppen wie bestimmte Religionsgemeinschaften den Aufbau des Sozialismus behinderten, mithin als »Agenten des Imperialismus« angesehen werden müssten. Deshalb, nicht aufgrund einer als problematisch erachteten Theologie, wurden die Mennoniten fast verboten. Aus ihren Reihen wanderten viele in die Bundesrepublik und von dort nach Süd- oder Nordamerika ab. Unter das Verdikt, den Aufbau des Sozialismus zu stören, konnten Freikirchen auch später noch geraten, insgesamt aber wurden sie in der SED-Diktatur nicht als schwerwiegende, akute Gefahr angesehen. Anders verhielt es sich mit individuellen Abweichlern, die den offiziellen Kurs ihrer Freikirchen verließen. Hier konnten, wie zuvor schon in der NS-Diktatur (Alfred Herbst), auch Angehörige aus dem Kontext und Umfeld etablierter

1347 Vgl. den Vergleich vom 20. 10. 1958 vor der 1. Wiedergutmachungskammer des Landgerichts Frankfurt/Main, in: Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden Abt. Z. 460 Nr. F 6492. 1348 Die Geschichte des Bruderhofs in den 1950er- und 1960er-Jahren ist zudem von starken inneren Spannungen und tiefen Zerwürfnissen geprägt; vgl. Benjamin Zablocki: The joyful community: An account of the Bruderhof, a communal movement now in its third generation, Chicago 1980 (zuerst 1971), S. 98ff. Oved, Witness, S. 207–240; vgl. dazu auch Elizabeth Bohlken-Zumpe: Torches Extinguished. Memories of a Communal Bruderhof childhood in Paraguay, Europe and the USA, San Francisco, CA (USA) 1993.

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Freikirchen verfolgt und buchstäblich existenziell vernichtet werden (Helmut Samjeske). Viertens: Vor dem Hintergrund der Geschichte des Bruderhofes im Nationalsozialismus gilt es, die wirkmächtige »Biblizismus«-These zu überdenken, wonach das freikirchliche Bibelverständnis (insbesondere die Auslegung der Gehorsamspflicht gegenüber der Staatsgewalt in Römer 13) zu einer unkritischen Loyalität gegenüber dem NS-Staat oder auch der SED-Diktatur geführt habe. Auch für den Bruderhof war die zum Teil wörtliche Bezugnahme auf biblische Aussagen – hier zur Gewaltfreiheit oder dem Verzicht auf Reichtum in der Bergpredigt – kennzeichnend gewesen, was aber eben nicht zur Staatsnähe, sondern zu einer kritischen Distanz geführt hat. Im Blick auf den Staat wurde nicht nur die Passage in Römer 13 wahrgenommen, sondern auch die endzeitliche Situation aus Offenbarung 13 für die Gegenwart aktualisiert. Es geht also gar nicht um das Problem eines wörtlichen Verständnisses der Bibel, der Begriff »Biblizismus« ist für die historische Analyse somit nicht präzise genug. Das gilt umso mehr, wenn man bedenkt, dass es im freikirchlichen Lager ja nicht alleine eine »biblizistische« Lesart, sondern auch ein theologisch-liberales Bibelverständnis gab, das keineswegs zu einer begeisterungsresistenten Haltung gegenüber dem NS-Staat geführt hatte. Für diese Gruppe steht der theologisch liberale Dirk Cattepoel. Er hatte die historische mennonitische Aufgabe der Wehrfreiheit auf folgende Weise theologisch-exegetisch begründet: »Wir müssen deshalb, wenn wir von der christlichen Verkündigung eine Handhabe für uns in unserer Zeit erwarten, durch die unser Verhalten zur Wehrfrage bestimmt werden muss, zunächst aus der Aussage des Neuen Testaments das ausscheiden, was durch die Zeitlage und Zeitanschauung bedingt sein könnte, und das aufsuchen, was die christliche Verkündigung wirklich beinhaltet.« Es müsse zwischen einer überzeitlichen »Urwahrheit« in der Botschaft Jesu und dem nur »Zeitbedingten« geschieden werden, die Bergpredigt sei kein Programm.1349 Bei der Auslegung der Passage in Römer 13 kam Cattepoel nun zu dem Schluss: »Diese offensichtliche Anerkennung des Staates enthält eine Einschränkung: Die Anerkennung gilt nur für den Staat, der gottgewollt d. h. wirkliche Obrigkeit ist. Das Kriterium seiner Gottgewolltheit ist: daß er das Gute lohnt und das Böse straft. Aus dieser Einschränkung heraus können wir die Berechtigung des Hasses verstehen, mit der das späte Urchristentum dem römischen Staat begegnet. Ihm war Rom die Macht geworden, die das Gute strafte, den unschuldigen Christen hinrichten ließ, die frevelnden Kaiser aber als Götter verehrte.«1350 1349 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, in: Mennonitische Blätter 81 (1934), 2 (Februar) S. 9–11, Zitat S. 11. 1350 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 3 (März), S. 23–25 (Fortsetzung 1), Zitat S. 25.

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Hätte daraus nicht eine kritische Distanz, ja Ablehnung der nationalsozialistischen Diktatur folgen können? Das Gegenteil war der Fall. Cattepoel argumentierte 1934, auch theologisch voll und ganz auf das deutsche »Volk« fixiert: »Die deutsche Regierung vor dem 30. Januar 1933 hat nicht alle Möglichkeiten erschöpft, die der Selbsterhaltungswille des deutschen Volkes beanspruchen mußte. Sie hat sogar in vielen ihrer Handlungen ein für das Volk schädliches Bestreben gezeigt, indem sie Artfremdes unterstützte, den Interessen anderer Länder ein williges Entgegenkommen zeigte, die Partei oder die Konfession höher stellte als die Heimat. Wir stehen aber als Christen in vollem Bewußtsein unserer christlichen Pflicht hinter der Regierung, die aus christlichem Verantwortungsgefühl die Belange des ganzen Volkes der Welt gegenüber vertritt. Ihr christliches Wollen erweist sie durch die Liebe, die sie zum Volke hegt, und durch die Tatkraft, mit der sie diese Liebe verwirklicht. Sie zeigt ihre Liebe dadurch, daß der Nächste, das Volk und der Volksgenosse ihr höher steht als jede Partei und Interessensgemeinschaft, höher als der ichbegrenzte [sic] Vorteil und Geltungswille. Ein Führer, der die Kraft seines Volkes erhalten und fortwirken lassen will, sucht den Frieden zu wahren, weil jeglicher Krieg Schaden und Elend für das Volk bedeutet. Er entschließt sich nur zum Krieg, wenn das Interesse des Volkes es verlangt, nicht um sich selbst Ehre und Nachruhm zu erwerben, sondern um die Rechte zu wahren und zu sichern, die dem Volke als existenzbedingend zukommen.«1351

Hilfreicher als die Fokussierung auf das Element »Biblizismus« könnte es deswegen sein, kultursemiotisch nach bestimmten, den Glaubensgemeinschaften inhärenten Zeichensystemen zu fragen.1352 Das Theorem der »Schöpfungsordnung« erlaubte mennonitischen und baptistischen Theologen beispielweise, das rassistische Verständnis von »Volk« der Nationalsozialisten in die eigene Weltsicht zu integrieren: denn Völker wurden als Gedanken und Schöpfungen Gottes begriffen, ein Christ sei deshalb »seinem« Volk in enger »Schicksalsgemeinschaft« verbunden. Dahinter stand die Logik, »Bürger zweier Welten« zu sein. Christen seien auch dem Irdischen als Gottes Ordnung verpflichtet (Zwei-Reiche-Lehre). In dieser Weise wurden entsprechende Signale der Nationalsozialisten entziffert, die Gesellschaft sittlich reinigen und vor dem Bolschewismus bewahren zu wollen, nämlich als »Befreiung von der Herrschaft der Gottlosigkeit«.1353 Ganz anders der Bruderhof. In Arnolds Perspektive war die Lebensgemeinschaft alleine dem »Reich Gottes« zugehörig. Das Zeichensystem des Bruderhofes und damit dessen Staatsverständnis unterschieden sich somit si1351 Dirk Cattepoel: Mennonit und Wehrwille, in: Mennonitische Blätter 81 (1934) 5 (Mai), S. 42–44 (Fortsetzung 3 und Schluss), Zitat S. 44. 1352 Vgl. allgemein Roland Posener: Kultursemiotik, in: Ansgar Nünning und Vera Nünning (Hg.): Einführung in die Kulturwissenschaften. Theoretische Grundlagen – Ansätze – Perspektiven, Heidelberg 2008, S. 39–72. 1353 Carl Brauns: Die Gemeinde des Herrn und der neue Staat [erster Teil], in: Der Wahrheitszeuge. Eine Zeitschrift für Gemeinde und Haus. Organ der Baptisten 55 (1933) 31 (30. Juli), S. 247–249, hier S. 249.

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gnifikant von dem mennonitischen und baptistischen. Während dort das Unterordnungsgebot in Römer 13 mit der Passage in Apostelgeschichte (»Gott mehr gehorchen als den Menschen«) flankiert wurde, war dem Staat im Zeichensystem von Arnold eine tiefe Ambivalenz eingeschrieben – und den von ihm ausgesandten Signalen musste deshalb grundsätzlich misstraut werden. Der Staat war nach Arnold sowohl eine von Gott eingesetzte Ordnung (nach Römer 13) wie zugleich Wesen, das seine Macht vom Teufel erhielt (nach Offenbarung 13). Dementsprechend identifizierte Arnold beispielsweise Symbole des NS-Staates mit denjenigen, die nach Offenbarung 13 (V. 16–18) bei Menschen an der rechten Hand oder an der Stirn als Zeichen des »antichristlichen Tieres« angebracht werden. Arnold argumentierte: »Das Hakenkreuz auf ihrer Stirn, das heißt auf ihrer Mütze, auf ihrer Militärmütze. Das Zeichen auf der rechten Hand: Das Hakenkreuz auf dem rechten Arm.«1354 Fünftens sollte im Blick auf das Verhältnis zwischen Staatsgewalt und Freikirchen ein zweites, besonders wirkmächtiges Deutungsmuster – Freikirchen seien apolitisch gewesen – neu bedacht werden. Das etablierte Interpretament bezieht sich zunächst auf die freikirchliche Haltung, dass Christsein und Politik miteinander unvereinbar seien, weshalb die Gemeinden »den politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen« neutral gegenüber stehen müssten.1355 Politik sei »eine ›Spielart der Welt‹ […], der gegenüber sie […] nicht die Pflicht hatte, politisch Stellung zu beziehen«.1356 Dreierlei gilt es aber zu bedenken. Zum einen handelt es sich bei der »Politikferne« auch um eine zeitgenössische Selbstbeschreibung; es besteht somit die Gefahr, dass sich eine historische Analyse, die mit diesem Deutungsmuster arbeitet, letztlich in nicht geringem Maße aus den damaligen Wahrnehmungen selbst speist. Zum anderen hat Rebecca CarterChand in ihrer bemerkenswerten Studie »The Politics of Being Apolitical« darauf hingewiesen, dass die Zuschreibung des Unpolitischen selbst eine Form von Politik (zum Beispiel eine Verteidigungsstrategie) gewesen war.1357 Und schließlich bildet der hier verwendete Begriff des Politischen nicht alle Interaktionsbereiche zwischen Staat und Glaubensgemeinschaften ab; denn Loyalitätsbekundungen wie die Partizipation an Festen oder die affirmative Haltung zum Hitler-Gruß werden dabei ausgeblendet. Insofern macht der Begriff des »Unpolitischen« zwar Sinn, wenn man die konkrete Einflussnahme von freikirchli1354 Eberhard Arnold in der »Zusammenkunft mit Arnold und Gladys Mason am Sonntag, 12. August 1934 – Römer 13 und Johannes 13 ›Obrigkeit‹ (Im Zusammenhang mit der Volksabstimmung im Deutschen Reich am 19. August)«, in: Bruderhof Historical Archive, Walden NY USA, EA 263. Vgl. zur besonders intensiven Auseinandersetzung Arnolds mit dem Buch der Offenbarung im Oktober 1935: Barth, Botschaftsbelagerung, S. 310–136. 1355 Strübind, unfreie Freikirche, S. 317. 1356 Ebd. Vgl. auch Green, European Baptists, S. 25 u. 28. 1357 Carter-Chand, Politics.

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chen Akteuren auf politische Inhalte und Entwicklungen bewerten will. Doch ein solches Modell fängt eben nur einen Teil des gesellschaftlichen Lebens von Christen ein, die auch ganz praktisch als Staatsbürger agierten, indem sie an Wahl und Plebisziten teilnahmen (oder nicht), den Hitler-Gruß entboten (oder nicht) oder Eingaben und Petitionen verfassten. All diese Elemente waren, so meine Argumentation, durchaus auch »politisch« – und sie lassen sich besser als solche begreifen, wenn man Staat und Gemeinde nicht als getrennte Systeme betrachtet, deren Grenzen allenfalls durch gezielte Interventionen überwunden werden konnten. Mit dieser Studie plädiere ich dafür, auch das theologische Denken der freikirchlichen Akteure auf politische Elemente hin zu untersuchen sowie ihr alltägliches Handeln in der Gesellschaft nicht als unpolitisch zu betrachten – um es mit Friedrich Wilhelm Graf zu sagen: »Nur wer Theologien auch politisch liest, nimmt sie ernst.«1358 In diese Richtung weist ein Schreiben aus dem Geheimen Staatspolizeiamt an das Reichskirchenministerium vom August 1936, das überdies belegt, dass auch der Bereich der Gemeinde (einschließlich ihrer missionarischen Aktivitäten) keinesfalls von »der Politik« gänzlich freigehalten wurde. In diesem Bericht zur »Wagenzeltmission der Baptisten« beklagte das Geheime Staatspolizeiamt (Gestapa), dass die Evangelisation seitens der Baptisten »geeignet« sei, »Unruhe in der Bevölkerung zu erregen«, gerade weil sie das ostentative Bekenntnis zum »Führer« mit der Missionierung zu verbinden versuchte: »Die Bevölkerung von Brieskow war darüber empört, daß sowohl der Missionar als auch der Prediger in ihren Reden stets die Person und den Namen des Führers als Aushänge- und Reklameschild verwandt haben. Redewendungen wie: ›So wie wir Adolf Hitler glauben und vertrauen müssen wir auch Jesus Christus glauben und vertrauen.‹«1359 Ein in diesem Punkt ähnlicher Befund ergibt sich im Blick auf die Freikirchen in der Gründungsphase der DDR. Auch hier lässt sich nicht von einem »Apolitismus« sprechen. Vertreter des offiziellen Baptismus im Osten riefen in der Gründungsphase der DDR öffentlich und nicht-öffentlich zur Loyalität mit der neuen Regierung auf und unterstützten deren »Friedenspolitik« argumentativ – sie übten somit »politischen« Einfluss aus. Bezeichnenderweise haben auch solche, die der Politik der DDR-Regierung kritisch gegenüberstanden, Wert darauf gelegt, sich selbst als unpolitisch darzustellen (obwohl von ihrem Handeln »politische« Wirkung ausgegangen war). Helmut Samjeske wurde in einer seiner Vernehmungen gefragt: »Nehmen Sie als Evangelist am politischen und gesell1358 Friedrich Wilhelm Graf: Der heilige Zeitgeist. Studien zur Ideengeschichte der protestantischen Theologie in der Weimarer Republik, Tübingen 2011, S. 11. 1359 Schreiben des Geheimen Staatspolizeiamtes an den Herrn Reichs- und Preußischen Minister für die kirchlichen Angelegenheiten vom 18. 08. 1936, in: BArch R 5101/23397.

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schaftlichen Leben teil?« und er antwortete ausweislich des Protokolls: »Ich halte mich von jeder Politik und gesellschaftlichem Leben frei. Frage: Sie erklärten, daß Sie sich nur mit christlichen, nicht politischen Fragen beschäftigen. Antwort: Während meiner christlichen Ausführungen taucht auch manche Zeitfrage auf, die ich kurz am Rande behandle.«1360 Sechstens plädiere ich für eine Perspektiverweiterung in der bisherigen Deutung des Verhältnisses zwischen Freikirchen und Staat, die über die Verortung zwischen den Polen Loyalität und Widerstand hinausreicht, oder genauer: die diese notwendige kategoriale Einordnung um eine weitere Analyseebene ergänzt. Um mein Plädoyer zu plausibilisieren, möchte ich beispielhaft kurz auf das Analysefeld der Freikirchen in der SED-Diktatur eingehen. Der offizielle Baptismus in Ost und West trat in der Gründungsphase der DDR nicht mit einer kritischen Einstellung gegenüber der dortigen Regierung hervor. Zweifellos dominierte eine systemstabilisierende Haltung der nach innen wie nach außen gerichteten Loyalität gegenüber der Regierung. In der Anklageschrift des Oberstaatsanwalts des Bezirks Güstrow gegen Helmut Samjeske wurde ausgeführt, dass der Prediger, »trotz mehrfacher Verwarnungen der Gemeinschaftsleitung, sich loyal zur Staatsauffassung und Ordnung in seinen Predigten zu verhalten, sich nicht an diese gesetzmässige Loyalität hielt, sondern durch aufwiegende Predigten seine Zuhörer zu beeinflussen versuchte«.1361 Im Umkehrschluss hieß das: die Leitung des Bundes stehe loyal zur Regierung. Diese Wahrnehmung korrespondiert mit dem Selbstverständnis der BundesleitungOst. Basierte die Anerkennung der Regierung aber auch auf einer Wertschätzung gegenüber dem Sozialismus oder galt die Loyalität vielmehr nur abstrakt der Obrigkeit, unabhängig von deren weltanschaulicher Grundierung? Dass eben dies der Fall wäre – der offizielle Baptismus verhalte sich zu jeder Regierung loyal, sei sie sozialistisch, kapitalistisch oder nationalsozialistisch – eben dies wurde von Seiten des Staats Mitte der 1960er-Jahre vermutet. Die demonstrierte Loyalität des offiziellen Baptismus sei somit nur bedingt positiv zu werten, zumal sie an der Basis nicht immer verstanden und dort durchaus anders gedacht wurde.1362 Was aber waren die inneren Beweggründe für die nach außen gezeigte Loyalität – ließ das Verhalten inwendig Anschlussstellen für eigene, womöglich (unreflektiert) nicht staatstreue Sichtweisen? An dieser Stelle ist der Austausch 1360 Protokoll der Vernehmung von Helmut Samjeske vom 06. 12. 1950, in: BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51, Bl. 35. 1361 BStU, MfS/BV Schwerin Ref./XII/Archiv AU 299/51 Band III, Bl. 50. 1362 »Analyse zum ›Bund Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in Deutschland‹ in der DDR« (ca. Juni 1966) aus dem Bestand des Ministeriums des Innern der DDR, Möglicherweise von der für Überwachung zuständigen Abteilung der Volkspolizei, zitiert in: Materne/Balders, Erlebt, S. 61–86, dort S. 66f.

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zwischen dem Leiter der mennonitischen Gemeinschaft in der DDR, Walter Jantzen, mit dem für Kirchenfragen zuständigen Staatssekretariat relevant. Es scheint, als habe Jantzen geradezu nach gemeinsamen Schnittmengen zwischen Mennonitentum und real existierendem Sozialismus gesucht: So beendete er Mitte der 1960er-Jahre Briefe mehrfach mit der Floskel: »In der gemeinsamen Verbundenheit für die große Sache des Friedens«.1363 Im Blick auf solche Verständigungsversuche einen Schritt weiter ging die »Erklärung der MennonitenGemeinde in der DDR aus Anlaß des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus«, die Walter Jantzen 1975 im Namen des Gemeindevorstandes unterzeichnete und dem Staatssekretariat für Kirchenfragen übermittelte: »Indem wir Mitglieder der Mennoniten-Gemeinde in der DDR unabläßlich an der weiteren Vervollkommnung unserer sozialistischen Ordnung mitwirken und unseren Beitrag zur Unterstützung ihrer Friedenspolitik leisten, wollen wir auch im 450[.] Jubiläumsjahr der Täufer nach der Erkenntnis handeln: Wer als Christ Frieden stiften und das Wohl seines Nächsten fördern will, hat dazu als Bürger eines sozialistischen Staates wie des unseren gute Voraussetzungen.«1364

Warum haben die Urheber dieser Erklärung ausgerechnet das Erbe der historischen Täufer mit der Friedenspolitik der SED-Führung in Verbindung gebracht?1365 An dieser Stelle ist erneut ein Rekurs auf das Konzept des »EigenSinns« hilfreich. Die Urheber schlossen damit zweifellos an einen Schlüsselbegriff der SED-Politik an.1366 Sie verfolgten damit – bewusst oder unbewusst – offenbar auch das Ziel, die Kompatibilität des mennonitischen Glaubens mit dem real existierenden Sozialismus zu belegen und der Gemeinde damit Existenzberechtigung und Kredit zu verschaffen. Das Beispiel zeigt, dass es zum besseren Verständnis von Glaubensgemeinschaften in der SED-Diktatur (und in den anderen hier untersuchten Phasen) nicht ausreicht, den Blick alleine darauf zu richten, ob ein Reden und Handeln systemerhaltend oder systemkritisch war – weil die Antwort darauf noch keine Rückschlüsse auf Motive und Beweggründe dafür zulässt. Solche zu untersuchen wäre aber wichtig, um die Akzeptanz und Stabilität von Gesellschaftsformen näher bestimmen zu können. Hierzu vermochte meine alleine auf die staatlichen 1363 Schreiben Walter Jantzen an das Staatssekretariat für Kirchenfragen vom 03. 06. 1965 und vom 12. 08. 1966, in: BArch DO 4/723. 1364 Erklärung der Mennoniten-Gemeinde in der DDR aus Anlaß des 30. Jahrestages der Befreiung vom Faschismus vom 25. 04. 1975 unterzeichnet im Namen des Vorstandes der Mennonitengemeinde in der DDR von Walter Jantzen, in: BArch DO 4/1536. 1365 Solche Erklärungen waren nichts für Mennoniten Spezifisches und sind zudem auch nicht immer nur eigeninitiativ entstanden, sondern von staatlichen Stellen wie dem Staatssekretariat für Kirchenfragen erwartet wurden. Vgl. Reinhard Assmann: »Sie sind doch auch für den Frieden!?, in: Materne/Balders, Erlebt, S. 267–282. 1366 Vgl. Ebd.

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Neuetablierungsphasen bezogene Längsschnittstudie nur einen kleinen Beitrag leisten; im Blick auf die Mennoniten könnte in kommenden Studien aber beispielsweise untersucht werden, wie die Semantik des Begriffs »Frieden« innergemeindlich gefüllt wurde und auf welche Weise die Mennonitengemeinde in der DDR am weltweiten mennonitischen Friedensdiskurs teilhatte. Denn der Friedensbegriff der dort dominierte, war ja keineswegs deckungsgleich mit demjenigen, den die SED propagierte, und er unterschied sich – etwa im Blick auf die Wehrdienstverweigerung – auch vom dem Verständnis, das die Mennoniten in der DDR davon hatten. »Frieden« war ein Begriff mit mehreren Eingängen.

Freikirchen als Körperschaften des öffentlichen Rechts Als sich die Parteien der Weimarer Nationalversammlung im Jahr 1919 über die künftige Rolle der Kirchen in der Republik verständigten, ging es zuallererst um den Status der Großkirchen. Gegenstand der Debatte war ausdrücklich aber auch die Stellung der Freikirchen, deren Benachteiligung, so war man sich einig, ein Ende haben müsse. Auf dem Spiel stand die tradierte Verbundenheit zwischen den Großkirchen und den deutschen Einzelstaaten. Die möglichen Szenarien reichten von einer weitgehenden Beibehaltung der tradierten Verbindung hin zur einheitlichen Fassung aller Kirchen und Religionsgemeinschaften unter Privatrecht, wofür die Mehrheits-SPD und die USPD eintraten und was einen radikalen Bruch mit der bisherigen Tradition bedeutet hätte. Im Verfassungsausschuss konnte man sich schließlich darauf einigen, auf der Basis der Paulskirchenverfassung – Trennung von Staat und Kirche – einen Kompromiss zu finden, der den herausgehobenen Status der großen Kirchen im öffentlichen Leben nicht zerstörte, aber den kleinen Religionsgemeinschaften die Tür öffnete, um in die gleiche rechtliche Stellung zu gelangen. Hierfür hatte sich die Mehrheits-SPD von ihrer programmatischen Position wegbewegt, was als der entscheidende Schritt zur Kompromissfindung betrachtet werden kann. Nun wurde die Haltung, die Regelung der kirchlichen Angelegenheiten falle unter Privatrecht, nur noch von der oppositionellen USDP vertreten. Wie ist die Wirkungsgeschichte der Trennung von Kirche und Staat im Blick auf die Freikirchen zu bewerten? So tiefgreifend der politische Umbruch vom 9. November 1918 auch war und so epochal die Aussage der Reichsverfassung »es gibt keine Staatskirche« erschien – in der Praxis bewirkte sie im Blick auf die Freikirchen keinen abrupten Wechsel. Denn die rechtliche Situation hatte sich speziell für Mennoniten und Baptisten in Preußen bereits seit den 1880er-Jahren in einem wichtigen Punkt verbessert: mennonitischen und baptistischen Gemeinden war es gesetzlich möglich, Korporationsrechte zu erlangen. Damit wurden sie auf privatrechtlicher Ebene in einem wichtigen Sinn aufgewertet, zum

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Beispiel im Blick auf die Verwaltung gemeindeeigener Grundstücke, stellte sie aber nicht mit den großen kirchlichen Körperschaften gleich. Diese Tendenz der privatrechtlichen Anerkennung erhielt mit der Weimarer Reichsverfassung Aufwind: Die Bundesverwaltung der Baptisten setzte zunächst auf diese Karte und drängte im Jahr 1919 intern darauf, dass sich die mittelgroßen und bereits etwas älteren Gemeinden auf eine baldige Ausstattung mit Korporationsrechten vorbereiteten – wohlgemerkt auf der Basis des entsprechenden Gesetzes aus dem 19. Jahrhundert. Aus dieser Perspektive bedeuteten die Novemberrevolution und die Weimarer Reichsverfassung keinen Bruch, die Aussage vom Ende der Staatskirche begünstigte aber einen bereits vorhandenen Trend. Hatten Baptisten zunächst auf Anerkennung nach altem Recht gesetzt, begriff das Preußische Justizministerium im Jahr 1921, dass sich die bisher geübte Praxis der Korporation mit den neuen religionsverfassungsrechtlichen Regelungen nicht mehr vertrug, der davon zu unterscheidende Status einer »Körperschaft des öffentlichen Rechts« hingegen gesondert zu beantragen sei. Das zeigt, dass über Inhalt und Bedeutung des neuen Religionsverfassungsrechts in der Gründungsphase der Weimarer Republik offenbar noch größere Unklarheiten bestanden. Beim Bund der Baptisten zog sich die körperschaftliche Anerkennung in Preußen schließlich über fast ein Jahrzehnt bis zum Jahr 1930 hin. Zwar waren Baptisten in Sachsen und Hamburg bereits in den 1920er-Jahren als K.d.ö.R. anerkannt worden, doch die für diese Glaubensgemeinschaft prägende Erfahrung war der langwierige Prozess in Preußen. Warum hat sich diese Glaubensgemeinschaft dort so anhaltend um die Körperschaftsrechte bemüht? Gewiss, mit den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts waren (und sind) Vorteile verbunden, etwa steuerlicher Art, im Blick auf die Ausübung »hoheitlicher Befugnisse« (Dienstherrenfähigkeit, kirchliche Gerichtsbarkeit) oder das – von Freikirchen gar nicht genutzte – Steuereinzugsrecht. Das größte angestrebte Gut war aber symbolischer Natur: Baptisten hatten die Verfolgung durch staatliche Organe am Anfang des 20. Jahrhunderts bewusst erinnert und tradiert: die Bände über ihre Geschichte von Joseph Lehmann, die davon berichteten, erlebten 1912 und 1922 eine zweite Auflage1367 und Formen der Strafverfolgung waren in manchen Teilen Deutschlands bis in die Zeit vor der Novemberrevolution an der Tagesordnung. Dabei spielte das Zusammenwirken von Kirchenbehörde und Staatsgewalt eine entscheidende Rolle: Als die Vereinigung von Gemeinden gläubig getaufter Christen in Sachsen 1924 die Körperschaftsrechte in Sachsen erhielten, gehörte Carl Brauns, der sich im September 1918 wegen seiner Taufpraxis noch mit einer Haftstrafe bedroht sah, dem Vorstand dieser Vereinigung 1367 Joseph Lehmann: Geschichte der deutschen Baptisten I und II, Kassel 1896 und 1900; 2. Auflage (bearbeitet von F.W. Herrmann), Kassel 1912 und 1922.

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als Schriftführer an. In seinem Fall waren repressive biografische Erfahrungen also noch unmittelbar gegenwärtig, als sich die Baptisten in Sachsen erfolgreich um die Körperschaftsrechte bemühten. Und selbst in der Weimarer Republik, als dieses Problem überwunden war, Baptisten also nicht mehr mit Strafverfolgungen konfrontiert waren, sahen sich diese immer noch Schwierigkeiten ausgesetzt, die von der Kooperation zwischen Staat und Landeskirchen ausgingen, wenn etwa in manchen Fällen von Freikirchlern wie den Baptisten noch Kirchensteuern gefordert wurden.1368 Nach einer Jahrzehnte währenden Verfolgungs- und Leidenszeit im 19. Jahrhundert, an die hernach, am Anfang des 20. Jahrhunderts, bewusst erinnert wurde, begriffen Baptisten die Verleihung der Körperschaftsrechte als gesellschaftliche und staatliche Anerkennung: als quasi amtliche Bescheinigung, als Religionsgemeinschaft ein staatlich gewollter, rechtmäßiger Bestandteil der Gesellschaft zu sein. In diese Richtung weist auch die Stellungnahme des Vorsitzenden der Bundesverwaltung, August Rausch, mit der im baptistischen Organ Der Wahrheitszeuge der Beschluss der preußischen Staatsregierung vom 18. August 1930 samt Anschreiben präsentiert wurde: »Endlich!«, lautete die Schlagzeile über dem Statement von Rausch. Bereits auf dem Bundestag der Baptisten von 1924 hatte der junge Gemeindepastor und spätere Dozent respektive Direktor der baptistischen Ausbildungsstätte Hans Luckey im Zusammenhang mit dem Kampf um die staatliche Anerkennung kundgetan: »Die dritte Generation […] möchte vielmehr den Schritt vorwärts in die Reihen der religiösen Großmächte tun.«1369 Um dieses erstrebte, hohe symbolische Gut zu erlangen hatte sich der Baptistenbund zwar nicht erneut unter staatliche Aufsicht stellen müssen – das war mit dem Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht verbunden – aber bewusst »ein weltlich-rechtliches Kleid« angelegt, wie Alexander Hollerbach später allgemein im Blick auf den Rechtskörper staatskirchenrechtlich formulierte.1370 Die rechtliche Aufwertung der Baptisten war also bereits zur Zeit der Weimarer Republik vollzogen worden. Damit büßt das Argument an Kraft ein, Freikirchen hätten deshalb eine starke Loyalität zum NS-Staat ausgebildet, weil 1368 Vgl. zu diesem Komplex beispielsweise die Unterlagen des Evangelischen Ober-Kirchenrats im Evangelischen Zentralarchiv (EZA) Berlin 7/3544 (Acta betreffend die Sekte der Baptisten, Mai 1912 bis Juni 1956; oder diejenigen des (Königliches) Consistorium der Provinz Brandenburg: Evangelisches Landesarchiv Berlin 14/802 (Acta betr: Die Baptisten Vol. 2, 1870 bis 1938). 1369 Hans Luckey: Ein Ausblick, in: Bericht über die 25. Versammlung des Bundes der Baptistengemeinden in Deutschland abgehalten in Berlin SO. vom 7. bis 11. September 1924, Kassel 1924, S. 83. [Oncken-Archiv]. 1370 Alexander Hollerbach: § 138 Staatskirchenrecht, in: Josef Isensee (Hg): Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Band 6, Heidelberg 1989, S. 471–555, hier: S. 539, Randnummer 125.

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sie sich im »Dritten Reich« erstmals staatlich anerkannt und aufgewertet wähnten, auch wenn sie, wie wir im Fall der Baptisten gesehen haben, in den Jahren 1933 und 1934 von staatlicher Seite wohlwollend dabei unterstützt wurden, sich als Freikirche öffentlich zu präsentieren – das Reichspropagandaministerium hatte sich sogar an den Kosten der in Berlin ausgetragenen Baptist World Conference beteiligt. In der Phase der NS-»Machtergreifung« ängstigte die Errichtung einer Deutschen Evangelischen Reichskirche und das Erstarken der »Glaubensbewegung Deutscher Christen« Baptisten und Mennoniten, die befürchteten, ihre Identität als Denomination durch eine zwangsweise »Gleichschaltung« womöglich zu verlieren. Deshalb führten Emissäre dieser Glaubensgemeinschaften Gespräche mit kirchlichen und staatlichen Stellen, um auszuloten, wie es um ihre konfessionelle Zukunft bestellt war. Für wichtige Vertreter beider Glaubensgemeinschaften lag es im Bereich des Vorstellbaren, freiwillig assoziierter Teil der Reichskirche zu werden. Zudem trachteten sie danach, die interne Kirchenstruktur so zu reformieren, dass sie mit dem »Führerprinzip« des NS-Staates aus ihrer Sicht kompatibel erschien – auch wenn die Gremienstruktur nach der Reform davon noch weit entfernt war. Noch im Jahr der »Machtergreifung« entspannte sich die Situation aus Sicht der Glaubensgemeinschaften aber durch das eindeutige Signal der Reichskirche, dass ihre Eigenständigkeit als Denomination nicht beschnitten werden würde. Manche strukturellen Reformüberlegungen aus der Phase der »Machtergreifung« wurden deshalb nicht realisiert, andere gestalteten den Kirchenkörper nur kurzzeitig um; dagegen veränderte der Zusammenschluss der Baptisten mit Teilen der Brüderbewegung im Jahr 1941/42 das konfessionelle Gesicht dieser Glaubensgemeinschaften bis heute nachhaltig. Das kirchliche Körperschaftsrecht überdauerte die Zäsur von 1945/49, wenn auch in unterschiedlicher Gestalt und Wirkungsmacht in Ost und West: Die religionsrechtlichen Verfassungsnormen der am 7. Oktober 1949 in Kraft getretenen ersten DDR-Verfassung waren (aus taktischen Gründen, um anschlussfähig an bürgerliche und sozialdemokratische Vorstellungen zu sein) eng an die Formulierungen der Weimarer Reichsverfassung angelehnt, zum Teil sogar wörtlich übernommen. Bezeichnenderweise galt dies auch für das Nebeneinander von privatrechtlich organisierten Gemeinschaften und Körperschaften des öffentlichen Rechts. Wie das Beispiel der Mennoniten zeigte, ging von dem Körperschaftsstatus einer Religionsgemeinschaft in der früheren DDR tatsächlich zumindest symbolische Macht aus und bildete einen Faktor in der politischen Praxis. Dennoch war damit kein realer Schutz verbunden. Später wurde dieses Rechtselement (der Körperschaftsstatus von Religionsgemeinschaften) aber insofern beseitigt, als dass es in der zweiten Fassung der DDRVerfassung von 1968/74 schlichtweg nicht mehr erwähnt wurde.

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Anders verhielt es sich in der Bundesrepublik, wo das Religionsverfassungsrecht von 1919 ansatzlos in das Grundgesetz von 1949 übernommen worden war. Damit wurde auch das zugrundeliegende Prinzip der Länderzuständigkeit fortgeschrieben: das rechtliche Verfahren zur Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts oblag den Einzelstaaten. Doch weder in der Weimarer Reichsverfassung noch in einem Reichsgesetz war die Frage des Geltungsbereiches materiell definiert oder geregelt worden, so dass sie erst auf dem Wege der Rechtspraxis entschieden wurde. Dabei differenzierte sich die Vorstellung von der Erst- und Zweitverleihung aus, wonach eine in einem Einzelstaat als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannte Religionsgemeinschaft diesen Status im Blick auf die »hoheitlichen Befugnisse« in jedem Land neu zu beantragen habe. Die höchstrichterliche Entscheidung im Falle der Zeugen Jehovas reicht dabei bis an die Gegenwart heran.1371 Bundesweit wurden den Baptisten auf diese Weise nur nach und nach die Körperschaftsrechte verliehen: 1952 in Schleswig-Holstein, 1955 in Baden-Württemberg, 1957 in Rheinland-Pfalz, 1962 in Bremen und 1969 in Niedersachsen; im Freistaat Bayern mussten sie 1982 gar vor dem Verwaltungsgericht in München erstritten werden.1372 Dass aber Freikirchen mit Körperschaftsstatus in der Praxis nicht zwangsläufig auch gleich behandelt worden sind, zeigt das Beispiel aus der Gründungsphase der Bundesrepublik: Anfang der 1950er-Jahre hatte sich das Bundesfinanzministerium gegen die finanzielle Gleichbehandlung der Freikirchen bei der Bezuschussung der Pensionskassen gesträubt, wobei es von einer besonderen Bindung zwischen Staat und den Großkirchen sprach, die Freikirchen entbehrten. Das zeugt exemplarisch davon, wie wenig durchschlagskräftig der Paradigmenwechsel des Religionsverfassungsrechts von 1919 auf der akteursbezogenen Deutungs- und Handlungsebene auch nach 1949 noch gewesen war. 1371 2015 hat das Bundesverfassungsgericht auf Klage der Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas mit einer Entscheidung fünf zu drei entschieden, dass mit der Ursprungsverleihung nicht automatisch eine bundesweite Anerkennung verbunden sei. Die Zeugen Jehovas hatten sich in Berlin im Jahr 2006 über den Gang zum Verwaltungsgericht die Körperschaftsrechte erstritten und waren dann von mehreren Ländern als solche anerkannt worden, bis sich der Stadtstaat Bremen weigerte. Das Bundesverfassungsgericht hielt nun fest, dass zwar die Rechtsfähigkeit einer Religionsgemeinschaft mit der Erstverleihung bundesweit gültig sei, dass sich jedoch die mit dem Status verbundenen, quasi hoheitlichen Befugnisse nur auf das jeweilige Bundesland erstreckten. Bei der Zweitverleihung kann das jeweilige Bundesland jeweils neu die Voraussetzungen für die Verleihung von Körperschaftsrechten prüfen. Drei Richter verwarfen diese Unterscheidung und machten in einer abweichenden Meinung deutlich, dass die Ursprungsverleihung vom Land vorgenommen, aber grundsätzlich bundesweit gültig sei. Beschluss des Zweitens Senats von 10. 06. 2015–2 BvR 1282/11. Allerdings stellte das BVerfG fest, dass dies – wie in Bremen – nicht von der Legislative geschehen dürfe, sondern von der Verwaltung (Gewaltenteilung). 1372 Löser, Körperschaftsstatus.

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Synthese

In der praktischen Politik waren die Religionsgemeinschaften (selbst mit dem Körperschaftsstatus) nicht gleichberechtigt. Diese Ungleichbehandlung lässt sich aber mit der historischen Entwicklung erklären, wobei wiederum der Weimarer Kirchenkompromiss den Ausschlag gab. Denn mit der Fortführung der sogenannten positiven Staatsleistungen hatte der Staat im Jahr 1919 ja tatsächlich eine besondere Beziehung zu den Großkirchen gestiftet – insofern ging die Wahrnehmung und Argumentation innerhalb des Bundesfinanzministeriums gar nicht ganz fehl. Die Weimarer Nationalversammlung hatte sich darauf geeinigt, die Staatsleistungen – mit denen traditionell die Säkularisierungsverluste ausgeglichen worden waren – durch eine Entschädigung abzulösen. »Grundsätze« hierfür sollten in einem Reichsgesetz aufgestellt, bis dahin die bisherigen Leistungen weitergeführt werden (vgl. Art. 138, 174 WRV). Diese Rechtsnorm wurde ins Grundgesetz übernommen, ein entsprechendes Gesetz, das diese »Ablösung« regelte, ist indessen aber weder damals noch heute erlassen worden.1373 Wenn in der Gründungsphase der Bundesrepublik nun auf eine besondere Verbindung zwischen Staat und Großkirchen hingewiesen wurde, so war das finanzpolitisch durchaus nicht unbegründet gewesen. Diese Argumentation konkurrierte aber mit einer Sichtweise, die sich auf die religionsverfassungsrechtlich garantierte freie Entfaltung der Religionsgemeinschaften berief – und diese Argumentation setzte sich in dem beschriebenen Konflikt am Ende durch.

Kriegsdienstverweigerung Blickt man von 1933 zwanzig Jahre oder gar ein Jahrhundert zurück, wird deutlich, dass es sich bei den Mennoniten bereits seit längerem nicht (mehr) um eine »Friedenskirche« im engeren Sinne gehandelt hatte. Bereits im 19. Jahrhundert leisteten Mennoniten Kriegsdienst und während des Ersten Weltkrieges traten sie nicht als Kriegsdienstverweigerer in Erscheinung. Es ist deshalb erstaunlich, dass das Erbe der Wehrfreiheit von jungen Mennoniten um 1933 überhaupt diskutiert wurde; letztendlich aber sind keine mennonitischen Fälle von Wehrund Kriegsdienstverweigerung im »Dritten Reich« bekannt geworden. Der Mennonit Theo Glück (1910 bis 2012), in der Phase der NS-»Machtergreifung« ein Sprecher der jungen Generation, argumentierte 1988 im Mennonitischen Jahrbuch:

1373 Jörg Thierfelder: Religionspolitik in der Weimarer Republik, in: Anselm Doering-Manteuffel und Kurt Nowak (Hg.): Religionspolitik in Deutschland. Von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart. Martin Greschat zum 65. Geburtstag, Stuttgart 1999, S. 195–213, hier S. 202 u. 210. Isensee, Staatsleistungen. URL: http://www.faz.net/aktuell/politik/die-gegenwart/s taatsleistungen-gut-aufgehoben-12724269.html (Aufruf: 28. 08. 2020).

Kriegsdienstverweigerung

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»Auf dem Hintergrund solchen unantastbar gewordenen christlichen und nationalen Pflichtgefühls hatten wir jungen Mennoniten der ersten Generation des 20. Jahrhunderts unsere familiäre, gemeindliche und schulische Grunderziehung und Prägung erhalten, als wir uns in den 20er und 30er Jahren mit den großen Lebensfragen unserer Umwelt und unserer mennonitischen Gemeinden auseinanderzusetzen begannen.«1374

Glück bezieht sich bei dem »Pflichtgefühl« auf die Entwicklung im 19. Jahrhundert, als das Nationalbewusstsein in der europäischen Christenheit »den Rang einer Gewissensverpflichtung erlangt« und »auch bei den Täufernachkommen« Vorrang gegenüber »ihrer bisher primären Gewissensbindung an die Worte und Gesinnung Jesu und an sein Gebot zu gewaltloser Nachfolge« gewonnen habe. Bezeichnenderweise überlebte das mennonitische Erbe der Wehrfreiheit aber mentalitätsgeschichtlich, was dazu führte, dass die Glaubensgemeinschaft in der NS-Diktatur teils als pazifistisch wahrgenommen (ganz im Gegensatz zur mennonitischen Selbstdarstellung) und nach 1945 als Beispiel für Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen herangezogen wurde. Das führte im Blick auf die jüngere Geschichte zwar in die Irre, traf ungewollt aber insofern ins Schwarze, als dass sich die mennonitische Gemeinschaft nach dem Zweiten Weltkrieg auf dieses täuferische Erbe rückzubesinnen begann, auch mit Hilfe ihrer amerikanischen Geschwister. Gegenüber dem Bundesinnenministerium, das in dieser Zeit für Kriegsdienstverweigerung zuständig war, versuchten führende Vertreter des deutschen Mennonitentums erfolglos eine pauschale Wehrdienstbefreiung für mennonitische Männer durchzusetzen. Die Umorientierung innerhalb der deutschen Mennoniten in dieser Frage bezog sich allerdings nur auf den Westen. Im Osten zeigten die Mennoniten zwar ostentative Nähe zur offiziellen »Friedenspolitik« der DDR-Regierung, reklamierten für ihre Gläubigen aber nicht das Recht auf Wehrfreiheit: Als sich die Mennonitengemeinde in der DDR nach der notgedrungenen Trennung von der im Westen gelegenen Berliner Mennonitengemeinde gezwungen sah, eine eigene Organisationsstruktur aufzubauen und sich eine Satzung zu geben, wurde ihre positive Haltung zur Wehrpflicht ausdrücklich erwähnt. Als Anlage zur Satzung wurden im September 1964 dem Staatssekretariat für Kirchenfragen die »Glaubensgrundätze der ›Mennoniten-Gemeinde in der DDR‹« vorgelegt, in denen es in § 7 hieß: »Den Geboten Jesu Christi und seiner Apostel folgend, trachten wir danach, soviel an uns ist, mit allen Menschen in Frieden zu leben; auch halten wir jeden Krieg für ein schweres Unglück, hoffen auf einen Zustand des Friedens unter den Völkern und sehen es als Pflicht jedes Christen an, zur Erreichung dieses Zustandes mitzuwirken. Jedoch 1374 Theo Glück: Rundbriefler auf der Suche nach dem verlorenen Friedensweg der Wehrlosigkeit, in: Mennonitisches Jahrbuch 88 (1988), S. 42–46, Zitate S. 43 sowie das Folgende auf S. 42.

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Synthese

entziehen wir uns der Übernahme der allgemeinen Wehrpflicht nicht, weil wir dem Staate, dem wir angehören und der uns schützt, schuldig sind, für das Recht, die Wohlfahrt und die Erhaltung desselben mit Leib und Leben einzustehen. Wo daher das Vaterland die Pflicht des Militärdienstes fordert, da geben wir es dem Gewissen eines jedem anheim, in welcher staatlich genehmigten Form er dieser Pflicht genügen will. […] (früher wurde den Mennoniten gestattet, ihre Wehrpflicht nicht mit der Waffe, sondern als Sanitäter usw. auszuüben).«1375

Im Westen waren es im Spektrum der Kirchen und Religionsgemeinschaften hingegen keinesfalls nur die Mennoniten, die sich der Kriegsdienstverweigerung zuwandten. Auch in den evangelischen Landeskirchen gab es nicht geringe Kräfte, die sich für dieses Recht einsetzten1376; die Frage wurde auf ökumenischer Ebene im Arbeitskreis christlicher Kirchen (AcK) besprochen. Insofern hätte es dort vermutlich größeren Unmut geben können, hätte die Bundesregierung tatsächlich eine besondere Regelung für Mennoniten getroffen. In eben diese Richtung weist ein Brief von Oberkirchenrat i. R. (Oldenburg) Dr. Heinrich Kloppenburg (1903–1986), der im »Dritten Reich« Mitglied des »Reichsbruderrates« der »Bekennenden Kirche« gewesen war, an den jungen mennonitischen Theologen und späteren Professor Clarence Bauman (1928–1995). Der Kanadier hatte sich in einem Vortrag positiv über das bundesdeutsche Wehrpflichtgesetz geäußert und dargelegt, dass es die mennonitischen Belange vollauf berücksichtige, indem es die Ablehnung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen anerkenne. Kirchenmann Kloppenburg kritisierte nun, dass Bauman in seiner Bewertung nur die mennonitische Seite berücksichtige. »Die Evangelische Kirche hat den Standpunkt eingenommen, daß Gewissensentscheidungen nicht einfach aus prinzipiellen, sondern aus der konkreten Lage gefällt werden. Diesen Standpunkt hat Bonn nicht anerkannt, und ich bin doch etwas bekümmert 1375 Glaubensgrundsätze der »Mennoniten-Gemeinde in der DDR«. Anlage zur Satzung, in: BArch DO 4/1536. 1376 Vgl. den Entwurf Hanns Liljes für eine Stellungnahme des Rates zur Kriegsdienstverweigerung (Essen, 25. 08. 1950), in: Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Band 4: 1950. Bearbeitet von Anke Silomon, Göttingen 2007, S. 306–307; den Entwurf für eine Stellungnahme des Rates der EKD zu Fragen der Gesetzgebung über Kriegsdienstverweigerung um des Gewissens willen (Hannover, 28. 11. 1951), in: Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Band 5: 1951. Bearbeitet von Dagmar Pöpping, Göttingen 2005, S. 445–447; Eingabe der rheinischen Kirchenleitung an den Rat (o.O., 15. 02. 1952), in: Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Band 6: 1952. Bearbeitet von Dagmar Pöpping und Anke Silomon unter Mitarbeit von Karl-Heinz Fix, Göttingen 2008, S. 101–103; das Schreiben Martin Niemöllers an Gottfried Niemeier vom 31. 03. 1955, in: Die Protokolle des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Band 7: 1953. Bearbeitet von Dagmar Pöpping und Peter Beier, Göttingen 2009, S. 635–636; vgl. auch die Einleitung in diesem Band, S. 7–42, dort S. 24–26 sowie Anke Silomon: Verantwortung für den Frieden, in: Claudia Lepp und Kurt Nowak (Hg.): Evangelische Kirche im geteilten Deutschland (1945–1989/90), Göttingen 2001, S. 135–160.

Eidverweigerung aus Glaubensgründen

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darüber, daß Sie in Ihren Schlussbemerkungen sich nur freuen, wie gut es die Mennoniten haben und kein Wort darüber verlieren, wie schwer der Staat es für viele evangelischen Christen gemacht hat.«1377

Dabei griff Kloppenburg argumentativ auf das Verhalten von Freikirchen in der NS-Diktatur zurück. Sie hätten sich mit der Bekennenden Kirche desolidarisiert, als sie 1937 auf der Weltkirchenkonferenz in Oxford (wohin evangelische Delegierte nicht hatten reisen können) äußerten, dass »kirchlich« »in Deutschland alles in Ordnung« sei; der Bekennenden Kirche hätte das, so Kloppenburg, am Ende erheblich geschadet. Kloppenburg wusste, dass es nicht die Mennoniten waren, die an der Oxforder Konferenz teilgenommen hatten, er sprach von dem methodistischen Bischof Otto Melle (der gemeinsam mit dem Baptisten Paul Schmidt die Vereinigung Evangelischer Freikirchen vertrat und der eine mennonitische Organisation nicht angehörte1378). Für unseren Zusammenhang wichtig ist nun, dass Kloppenburg aus der immer noch traumatisierenden Erfahrung mit den Freikirchen ableitete, dass kleine Glaubensgemeinschaften außerhalb der Landeskirchen eine eigene Politik betrieben oder zumindest darauf bedacht waren, lediglich die eigenen konfessionellen Interessen zu vertreten, statt in ökumenischer Solidarität an einem Strang zu ziehen. Im Falle der Mennoniten ließ er aber außer Acht, dass diese Glaubensgemeinschaft auch aus eben dieser Glaubensüberzeugung zunächst verfolgt und später auch innerhalb des Protestantismus isoliert gewesen war – und sich somit gezwungen sah, womöglich eine Technik der Eigeninteressen auszubilden, statt auf eine ökumenische Interessensvertretung zu setzen.

Eidverweigerung aus Glaubensgründen In den beiden Jahrzehnten nach Gründung der Bundesrepublik lässt sich eine bezeichnende Perspektivverschiebung bei der Gewährung religiöser Freiheiten beobachten: Nämlich die Entkoppelung von Gewissensfreiheit und Religionszugehörigkeit. Bettet man diese paradigmatische Aufwertung der individuellen Entscheidungsebene in einen größeren Kontext ein, liefert der Befund meiner Studie einen Baustein zum besseren Verständnis der allgemeinen Geschichte. Nach der Reformation entwickelten Täufer als religiöse Nonkonformisten die Strategie der doppelten Loyalität – uneingeschränkte Treue gegenüber Gott und

1377 Schreiben (Abschrift) von Heinrich Kloppenburg an Clarence Bauman vom 18. 12. 1956, in: Evangelisches Zentralarchiv (EZA) 51/k II c 3/2. 1378 Vgl. zur Weltkirchenkonferenz in Oxford von 1937 genauer Strübind, unfreie Freikirche, S. 231–250.

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Synthese

gegenüber dem weltlichen Herrscher.1379 Von dort, von den adligen Landesherren, wurde ihre religiöse Abweichung mit Privilegien abgesichert. Der neuzeitliche Staat zeigte sich gegenüber den Mennoniten insoweit tolerant, als dass Angehörige dieser Glaubensgemeinschaft – und zwar speziell dieser – nicht schwören mussten. Dieses Privileg war also konfessionell gebunden. Von einem modernen Verfassungsdenken war das nicht gedeckt, weil es all jene diskriminierte, die ebensolche Gewissensnöte hatten, aber keine Mennoniten waren. In den Anfangsjahren der Weimarer Republik dominierte noch immer die Vorstellung von Konfessionen als Gewissenkooperativen. Das Problem wurde aber erkannt: Von Preußen ging die Anregung aus, das Eidverweigerungsrecht an das Gewissen der Bürgerinnen und Bürger zu binden und nicht an die Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft. 1921 hatte der Preußische Justizminister Hugo am Zehnhoff (Zentrum) gegenüber dem Reichsjustizminister argumentiert: »Auf Bibelstellen gegründete Gewissensbedenken gegen den Eid, der sich in dem Gebrauch des Wortes ›schwören‹ verkörpert, finden sich – nicht nur bei Mennoniten und Philipponen, sondern auch bei Angehörigen der großen Kirchen und anderer religiöser Gemeinschaften; […] Es ist nicht abzusehen, warum solche Bedenken als rein individuelle weniger schutzwürdig sein sollten als in dem Falle, daß sie durch die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgemeinschaft vermittelt werden.«1380

Sein Argument, den »Gebrauch einer anderen Beteuerungsformel an Stelle des Eides« dann »allen Deutschen ohne Rücksicht auf die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religionsgesellschaft« zu gestatten, hatte dem seinerzeitigen Reichsjustizminister Gustav Radbruch (SPD) grundsätzlich als »folgerichtig« eingeleuchtet.1381 Am Ende versandete dieser Impuls aber. Er scheiterte zunächst an den politisch instabilen Verhältnissen um 1922 – mitten in der Krise des Kabinetts Wirth II. – später an fehlendem Reformwillen im Reichsjustizministerium. Erst etwa fünfzig Jahre später kam diese Frage erneut auf die Tagesordnung. Und nach Entscheid des Bundesverfassungsgerichts musste der Gesetzgeber prozessuale Gesetzesvorschriften novellieren. Auch die Weimarer Reichsverfassung hatte die Gewissensfreiheit des Einzelnen besonders geschützt. Den Rechtsbehelf der Verfassungsbeschwerde aber hatte es in Weimar nicht gegeben. In der Bundesrepublik hingegen verfügte das Bundesverfassungsgericht über genügend Kompetenzen und ein politisch stabiles Umfeld, um sich als Grundrechtsgarant zu profilieren und seit Mitte der 1950er-Jahre das Grundrechtsverständnis stetig auszuweiten. Ein Ergebnis war die Entkonfessionalisie1379 Driedger, Obrigkeit. 1380 Schreiben des preußischen Justizministers vom 02. 12. 1921 an das Reichsministerium der Justiz, in: BArch R 3001/8344. 1381 Abschrift des Schreibens des Reichsministers der Justiz an den Preußischen Minister des Innern vom 16. 11. 1922, in: BArch 5101/23410.

Eidverweigerung aus Glaubensgründen

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rung des Gewissens und eine immer weiter fortschreitende Individualisierung von Grundrechten. Was nun die innermennonitische Perspektive anbelangt, so hat der Theologe und Täuferforscher Heinold Fast schon im Jahr 1965 eine plausible theologiegeschichtliche Deutung vorgetragen, weshalb die Vereinigungsspitze der Mennoniten während der nationalsozialistischen Diktatur in der Eidesfrage auf eine Lösung beharrte, deren Distinktion sich für außenstehende und heutige Beobachter und Beobachterinnen kaum mehr erschließt: Fast verwies auf die unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen bei der Ablehnung des Eides in der oberund niederdeutschen Täufer der Reformationszeit. Die Ablehnung der oberdeutschen Täufer (zum Beispiel Michael Sattler) richtet sich vor allem gegen den promissorischen, die Zukunft betreffenden Eid (Schwören im Gegensatz zum »zeugen«). Dieser wurde verweigert, weil Menschen nicht über die Zukunft verfügten und eine absolute unbedingte Treuebindung, losgelöst von jeglicher Gewissensentscheidung eingehen könnten. Aus diesem Grund richtete sich ihre Eidverweigerung tatsächlich gegen die Obrigkeit und wurde entsprechend als »Aufruhr« gewertet. Die niederdeutschen Täufer wie Menno Simons legten den Akzent hingegen auf das Wahrhaftigkeitsgebot: ein einfaches Ja solle bei einem Christen ebenso verlässlich sein wie eine mit Eid bezeugte Aussage. In der mennonitischen Tradition hätte sich, so Fast, das Augenmerk alleine auf das Wahrheitsgebot fixiert (während es bei Menno noch in den Gesamtzusammenhang der Gebote Christi eingebettet gewesen sei). In der NS-Diktatur bestand das Problem also nicht in der Bindung an den »Führer« oder den Staat an sich und die nationalsozialistische Weltanschauung wurde nicht abgelehnt; es ging vielmehr darum, die Treue zum »Führer« durch eine dem Schwur äquivalente Formulierung zum Ausdruck zu bringen. Am Ende ging es nur um ein »Austauschen von Worten«.1382 Das Rundschreiben der Berliner Mennonitengemeinde vom 17. April 1936, gezeichnet von Dr. Ernst Crous, vermag das eindrucksvoll zu illustrieren: »Liebe Kinder, wenn ihr zu denen gehört, die jetzt in Jungvolk, Hitlerjugend oder BDM eintreten und am Sonntag verpflichtet werden sollen, so legt dem betr. Jungvolk- oder HJ-Führer die beiliegende Bescheinigung und unsere beiliegenden beiden neuesten Mitteilungsblätter vor mit der Bitte, als Mennoniten ohne die Anrufung Gottes (»so wahr mir Gott helfe«) verpflichtet zu werden. Notfalls bittet um Aufschub, damit wir uns mit höheren Stellen in Verbindung setzen können.«1383

1382 Heinold Fast: Die Eidesverweigerung bei den Mennoniten, in: Hildburg Bethke. Eid, Gewissen, Treuepflicht, Frankfurt am Main 1965, S. 126–151. 1383 Blatt der Berliner Mennoniten-Gemeinde vom 17. 04. 1936, in: Staatsarchiv Hamburg 521–5 Nr. 404.

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Synthese

Den Eltern erläuterte die Gemeinde in diesem Zusammenhang, dass die Verpflichtung bei der HJ zwar nicht als Eid bezeichnet werde, durch die »Anrufung Gottes« jedoch als solcher zu identifizieren und somit aus mennonitischer Sicht abzulehnen sei. Wie dem Schreiben an die Kinder zu entnehmen ist, konnten sie die Verpflichtung ohne Anrufung durchaus ableisten. Betrachtet man den Eid als performativen Akt, wurde das Treueversprechen oder »Wahrsprechen« des Schwurs durch diesen Worttausch in seinem Charakter aber wohl kaum paradigmatisch gesprengt.1384 *** Es ist deutlich geworden, dass man von einer einheitlichen »täuferischen Tradition« im 20. Jahrhundert nicht sprechen kann, geschweige denn von einer signifikanten täuferischen Position gegenüber der Staatsgewalt. Wenn man so will, hat von den drei hier betrachteten Glaubensgemeinschaften aber alleine die neu-hutterische Lebensgemeinschaft von Eberhard und Emmy Arnold das nonkonformistische Erbe der historischen Täufer fortgeführt, indem es dieses bewusst aktivierte. Im Blick auf die mennonitische Glaubensgemeinschaft lässt sich das weder für die Umbruchphasen von 1919 und 1933, noch für die Gründungsphase der DDR sagen. Hingegen erwachte im Westen das Interesse an der nonkonformistisch-pazifistischen Tradition neu, was sich allerdings nicht auf die Glaubensgeschwister in der DDR abfärbte. Bei den Baptisten war die Selbstverortung auf das Täufertum alleine theologisch motiviert und eng auf das Element der Glaubenstaufe, nicht auf die täuferische Lesart der Bergpredigt bezogen. Wehrfreiheit und Eidverweigerung waren keine Themen, die innerhalb dieser Glaubensgemeinschaft traditionell eine größere Rolle spielten (abgesehen von der Unterstützung baptistischer Bausoldaten in der DDR1385). Es ist insofern eine Pointe der kirchlichen Zeitgeschichte, dass ausgerechnet auch aus dieser Glaubensgemeinschaft am Ende der DDR Mitglieder hervorgingen, die aufgrund ihres Glaubens und Gewissens eine Tendenz zu einer kritischen politischen Positionierung entwickelten, die in der Beteiligung an der friedlichen Revolution von 1989 kulminierte. Zu diesen Akteuren gehörte Reinhard Assmann (geboren 1952), in den 1980er-Jahren Pastor der Evangelisch-Freikirchlichen Gemeinde (Baptisten) in Bitterfeld. Er stand mit seinem Engagement in seiner Freikirche zwar nicht ganz

1384 Vgl. dazu Giorgio Agamben: Das Sakrament der Sprache. Eine Archäologie des Eides (Homo Sacer II.3), Berlin 2008, S. 73. (Mit dem Begriff »Wahrsprechen« bezieht sich Agamben auf Foucault). 1385 Vgl. Uwe Dammann: Wehrdienst, Bausoldaten, Wehrkunde, in: Materne/Balders, Erlebt, S. 254–259.

Eidverweigerung aus Glaubensgründen

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alleine, war aber in einer deutlichen Minderheit.1386 Nachdem Assmann erklärt hatte, den Bausoldatendienst absolvieren zu wollen, war seine Zulassung zum Mathematikstudium im Jahr 1972 wieder zurückgezogen worden. Er durchlief daraufhin Ausbildungen zum Elektromechaniker und Erzieher, ehe sich der Pastorensohn im Jahr 1977 zum Studium der Theologie an das Theologische Seminar des Bundes Evangelisch-Freikirchlicher Gemeinden in der DDR (BEFG) in Buckow (Märkische Schweiz) begab. 1981 wurde Assmann ordiniert und auf seine erste Pastorenstelle inmitten des Chemiedreiecks berufen.1387 Er beteiligte sich mit seiner Gemeinde an den Friedensdekaden der Evangelischen Kirchen und wurde schließlich von seinem Gemeindebund beauftragt, in der Ökumenischen Versammlung von 1988/89 mitzuarbeiten.1388 Am Ort seiner Heimatgemeinde Bitterfeld, wo er sich zuvor schon in Umweltschutzfragen engagiert hatte, öffnete er Ende der 1980er-Jahre zusammen mit seinen Pfarrkollegen die Gemeinde- und Kirchentüren für den politischen Dialog. Im Herbst 1989 changierte er mit Unterstützung seiner Gemeinde vom Pastor zum »Politiker« – um sich im Frühjahr 1990, nachdem er die übernommenen politischen Aufgaben abgegeben hatte, wieder ganz zum Pastor zurückzuverwandeln.1389

1386 Vgl. den Hinweis auf die Beteiligung von Gliedern respektive Pastoren des BEFG in der DDR im Jahr 1989 an verschiedenen »runden Tischen« bei Andrea Strübind: Kennwort: »Herbert aus Halle«. Ein Forschungsbericht über die Verbindungen zwischen Baptisten und dem Ministerium für Staatssicherheit in der DDR, in: Zeitschrift für Theologie und Gemeinde (ZThG) 2 (1997), 164–201, hier S. 165; sowie dies.: Baptisten in Deutschland, in: Kirchliche Zeitgeschichte 13 (2000), S. 391–414, hier: S. 408, wo sie die »Rolle der Freikirchen in der friedlichen Revolution von 1989« als engagiert beschreibt. 1387 Vgl. zur Biografie die Angaben des Berliner Instituts für vergleichende Staat-KirchenForschung. URL: http://www.staat-kirche-forschung.de/deutsch/Institut/Institut.html (Aufruf: 28. 08. 2020). 1388 Assmann, Leitfaden, S. 19 u. 20. 1389 Zeitzeugengespräch mit Reinhard Assmann in der interdisziplinären Lehrveranstaltung »Freikirchen im Nationalsozialismus und in der DDR« in den Fächern Kirchengeschichte und Zeitgeschichte an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg am 26. 01. 2017.

Verzeichnisse

Benutzte Archive Aus folgenden Archiven und Institutionen wurden im Rahmen dieser Untersuchung Unterlagen eingesehen, beschafft oder Auskünfte eingeholt.

Ausländische staatliche Archive Vojenský ústrˇední archiv Praha (Militärhistorisches Archiv Prag)

Deutsche staatliche Archive Bundesarchiv (BArch) – Koblenz – Ludwigsburg – Berlin – Freiburg Deutsche Dienststelle (WASt) für die Benachrichtigung der nächsten Angehörigen von Gefallenen der ehemaligen deutschen Wehrmacht (seit 2019: Abteilung PA [Personenbezogene Auskünfte zum Ersten und Zweiten Weltkrieg] des Bundesarchivs, Berlin) Die Behörde des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen (BStU) Politisches Archiv des Auswärtigen Amtes (PA AA)

Landesebene Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Gedenkstätte Brandenburg an der Havel Hessisches Landesarchiv – Hessisches Hauptstaatsarchiv Wiesbaden

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Verzeichnisse

– Hessisches Staatsarchiv Darmstadt – Hessisches Staatsarchiv Marburg Landesarchiv Baden-Württemberg – Hauptstaatsarchiv Stuttgart – Staatsarchiv Ludwigsburg – Staatsarchiv Sigmaringen – Generallandesarchiv Karlsruhe Landesarchiv Berlin Landesarchiv Nordrhein-Westfalen – Abteilung Rheinland Landesarchiv Sachsen-Anhalt – Abteilung Magdeburg – Abteilung Merseburg Sächsisches Staatsarchiv – Hauptstaatsarchiv Dresden Staatsarchiv Hamburg Universitätsarchiv Erlangen Universitätsarchiv Wuppertal Universitätsarchiv Halle

Kirchliche Archive Bruderhof Historical Archive, Walden, New York (USA) Evangelisches Zentralarchiv Berlin Evangelisches Landeskirchliches Archiv Berlin Gemeindearchive – Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Gundelfingen – Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Berlin-Friedrichshain (Bethel Gemeinde, Maternstraße) – Evangelisch-Freikirchliche Gemeinde Stuttgart (Bethelkirche, Forststraße) Landeskirchliches Archiv Kassel Mennonitische Forschungsstelle Weierhof Oncken-Archiv Elstal

Auskünfte oder Unterlagen aus privater Hand Reinhard Assmann Baptistengemeinden Bern und Zürich Dr. Horst Gerlach Tochter des Kriegsdienstverweigerers Alfred Herbst Horst H. Krüger Rolf Schowalter

Literaturverzeichnis

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Literaturverzeichnis 1.

Vor 1945

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Verzeichnisse

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Bildnachweis Die Nachweise finden sich bei den Abbildungen bzw. im Impressum (Umschlag). Nicht in allen Fällen sind die Fotografen bekannt (Abb. 1, 4 und 5).

Personenregister

Adenauer, Konrad 334 Alexander, Eduard 78 Algermissen, Konrad 406 Allert, Tilman 162, 164 Altenloh, Wilhelm 294 Althaus, Paul 285f. Andres, Otto 238–247 Arnold, Eberhard 13, 16f., 20, 57–68, 111f., 147–158, 164–167, 180f., 188–190, 192–198, 263, 292, 302, 305f., 417f., 421, 436 Arnold, Emmy 13, 17, 57, 64f., 153, 189, 436 Arnold, Hans-Hermann 153 Arnold, Hardy (Eberhard-Heinrich) 151, 153 Arnold, Heini (Johann Heinrich) 153 Assmann, Reinhard 24, 29f., 36, 380 (Fn.), 385f., 436f. Baden, Max Prinz und Markgraf von Balders, Günter 23f., 26 Bartschat, Franz 69 Baum, Markus 61f., 156, 192 Bauman, Clarence 432 Baumann, Helmut 36, 299 (Fn.) Baumann, Thomas 36, 299 (Fn.) Bausch, Paul 343–348 Beaupain, Lothar 30 Becker, Sophie 36, 470 Bergsträsser, Ludwig 338, 361 Bernhard, Patrick 361 Besier, Gerhard 30 Bispinck, Henrik 408

44

Bleek, Karl Theodor 345, 347f. Bloedhorn, Klaus 23f. Blunck, Andreas 55, 80–82, 84, 104 Bodelschwingh, Friedrich von 201 Böhm, Fritz 61 Boller, Hannes 158, 195, 290 Bormann, Martin 258–260, 265, 309 Bracher, Karl Dietrich 180 Braun, Abraham 139, 232 (Fn.) Braun, Adolf 158, 264 Brauns, Carl 114 (Fn.), 125, 426 Bredemeyer, Karsten 300 Briggs, John H. Y. 14 Brockhaus, Wilhelm 328 Burkhardt, Hans 188f., 191f., 196 (Fn.), 197f., 288, 292 Cattepoel, Dirk 220 (Fn.), 287f., 354, 355 (Fn.), 358 (Fn.), 419, 420 Conrad, Walter 148, 189, 194f., 209 Crous, Ernst 103, 224 (Fn.), 230f., 233– 235, 241, 249, 251f., 257, 266, 272, 281 (Fn.), 282, 285, 291f., 354 (Fn.), 355 (Fn.), 405, 435 David, Eduard 88 Delden, Hendrik van 281 (Fn.), 282 (Fn.) Dertinger, Georg 406 Detten, Hermann von 257 Dettweiler, Daniel 222–224 Deuter 97f. Dibelius, Otto 54, 114, 144 Doerner, Karl 256 Domarus, Max 143

472 Driedger, Jonas 138 Driedger, Michael 110 Dyck, Eduard 119f. Dyck, Grete (Margarete)

Personenregister

220 (Fn.)

Eberhard, Fritz 338 Ebert 92 Ebert, Friedrich 44, 49 Eisner, Kurt 44, 62 Ekelmann, Otto 316, 380–382 Ellmeyer 269 Engler, Arthur 359 Fabricius, Cajus 231 Fast, Abraham 236, 281 (Fn.), 282 (Fn.) Fast, Heinold 411, 435 Fehr, Hans (Johannes) 212, 218, 323 (Fn.), 332–334, 394, 395 (Fn.) Fehrenbach, Constantin 83 Fellmann, Ernst 161 (Fn.), 220 (Fn.), 221f., 224f. Fellmann, Oskar 82 (Fn.) Fellmann, Walter 128, 133, 140, 184f., 187, 216f., 220 (Fn.), 232 (Fn.) Fezer, Karl 206 (Fn.), 207 Flügge, Carl August 50, 58 (Fn.), 123 (Fn.) Flügge, Lydia 141 (Fn.) Foertsch, Hermann 272 Forster, Albert 243–245 Frese, Helene 93f., 96 Frick, Wilhelm 163, 203 Friedrich II. 275 Gagern, Heinrich Freiherr von 187 Geiser, Daniel 247 Geldbach, Erich 74, 114 Gemoll 212 Gieselbusch, Hermann 15 Gieske, Uwe A. 25 Glück, Theo 169 (Fn.), 221, 224f., 351, 355 (Fn.), 430f. Goebbels, Joseph 327 Goertz, Hans-Jürgen 22f., 36, 140, 145 Gonser, Julia 36 Goossen, Benjamin W. 27

Göttner, Erich 134 (Fn.), 220 (Fn.), 230 (Fn.), 232, 235–237, 263 (Fn.), 281 (Fn.), 282 Götz, Karl 268, 273 Götzke, Bruno 398, 400–402, 408f. Graf, Friedrich Wilhelm 422 Graf-Stuhlhofer, Franz 26f. Graue, Dietrich 102 Greiser, Arthur 245 Grünbaum, Kurt 404f., 410 Haase, Laura 36 Haenisch, Konrad 42 Hall, Bruce W. 31 Händiges, Emil 130, 139, 187, 223, 230– 232, 234, 241, 249, 251f., 258, 263 (Fn.), 270, 272, 281 (Fn.), 282, 284, 349 (Fn.) Hannover, Heinrich 368 Harder, Johannes (Hans) 220 (Fn.), 359 Hartmann, Werner 274 Hartwig, Emil 78 Haugg, Werner 103, 265f., 294, 296, 323 Hege, Fritz 363 Hein, Gerhard 220 (Fn.), 284, 358 Heinemann, Gustav 369 Heinemann, Isabel 268 Heinig, Hans Michael 109 Herbert, Ulrich 197 Herbst, Alfred 298–303, 311, 418 Herpel, Otto 61 Herrmann, F. W. 98 Hertler, Johannes 216f. Hessen, Philipp Prinz von 189 Hettling, Manfred 36 Heuss, Theodor 339, 362 Heydrich, Reinhard 269 Hildebrandt, Richard 243f. Himmler, Heinrich 249, 264, 268–271, 309 Hindenburg, Paul von 96, 130, 137, 157, 160, 189f., 196, 264 Hirsch, Albert 404 Hirschler, Ulli 278 Hitler, Adolf 26, 125, 129f., 133–135, 138– 145, 147, 153, 156f., 160, 163–167, 171, 174–180, 187, 189f., 193, 199–203, 206,

473

Personenregister

224, 237, 243, 252, 262, 263 (Fn.), 272f., 285, 305, 329, 335, 370, 416, 422 Hobsbawm, Eric 16, 194 Hoefs, Albert 43, 45f., 48–51, 69, 74 Hoffmann, Adolph 42, 49, 71, 111 Hoffmann, Walter 14 Hoffmeyer, Horst 268–270 Honecker, Martin 269f. Höpker-Aschoff, Hermann 339 Hossenfelder, Joachim 200, 207, 213 (Fn.) Hubmaier, Balthasar 15 Hutter, Jakob 147 Hütteroth, Ferdinand 191f. Imberger, Elke

295

Jagow, Herbert 209 Jahn, Gerhard 269 Jakubski, Karl 207–209 Jansen 129 Janson, Heinrich 69 Jantzen, Walter 411–414, 424 Jarres, Karl 91 Jellinek, Georg 18, 125 Johns, Otto 186, 326f., 329 Kahl, Wilhelm 71, 73, 78 Keiderling, Karl 290 Keip, Bernhard 204 Kerkhoff, Johannes van den 70 Kerrl, Hanns 253f. Klassen, Peter 176 Klassen, W. 176 Klemm 92 Kliewer, Fritz 176 Kloppenburg, Heinrich 432f. Knorr, Lorenz 368 Köbberling, Jacob 324f. Kösling, Günther 23, 25, 138 Köster, Arnold 26f., 127 (Fn.), 167 (Fn.) Kraemer, Gustav 234, 281 Krahn, Cornelius 220 (Fn.) Krenn, Adolf 223 Kropotkin, Pjotr Alexejewitsch 61 Krummacher [Friedrich-Wilhelm?] 210 Kube, Wilhelm 200

Kuhn, Friedrich 88f. Kunze, Johannes 366 Kuptsch, Julius 234 Kusch, Ernst 212 Kutter, Hermann 60 Lahl, Erich 315 Lamprecht, Hermann 160f. Landauer, Gustav 57, 62–64 Lanz, Heinrich 244f. Lehmann, Joseph 48, 426 Lichdi, Diether Götz 23, 127f., 133, 239, 240, 276 Lichti, Daniel 278 Lichti, James Irvin 27, 260, 296, 297 (Fn.) Lichti, Ulrich 278 Liese, Andreas 26f., 31, 302 Lindenberger, Thomas 33 Link, Jürgen 365 Lorenz, Werner 268–270 Luckey, Hans 205, 211, 262f., 323 (Fn.), 427 Lüdtke, Alf 33f. Ludwig III. 44 Lust, Erich 386 (Fn.), 388, 400 (Fn.), 402f. Luther, Martin 9f., 14, 152, 286, 366 Luxemburg, Rosa 61 Maier, G. [erhard?] 134 Mäkelborger, Aron 178 Martens, Kornelius 140 Martin, Arno 154 Marx, Karl 333 Maser, Peter 31 Mausbach, Joseph 73, 77 Meerfeld, Johannes 71, 78 Meier, Hans 157, 195, 290 Meister, Jakob 321 (Fn.), 323, 336, 353, 385, 394 Melle, Otto 179, 203f., 206–210, 395 (Fn.), 433 Mickley, Johannes 411 Monbart, Konrad Baron von 189, 192 Morét, Hubert 15, 138 Muhs, Hermann 254–256, 309 Müller, Hans Michael 231

474

Personenregister

Müller, Heinrich 280, 291 Müller, Hermann 55, 137 (Fn.) Müller, Ludwig 130, 201–205, 207, 209f., 213, 215f., 231, 307 Muske, Otto 328–330 Nauerth, Thomas 28, 156 Naumann, Friedrich 71–75 Neff, Christian 55, 79, 80 (Fn.), 139, 223, 232, 234f., 237, 241, 267, 281 (Fn.) Nehring, Otto 203f., 212, 214 (Fn.), 218 Nellen, Peter 366f. Nero 165, 381 Nietzsche, Friedrich 17 Nuschke, Otto 404f., 410 Oncken, Johann Gerhard 14–16 Ordnung, Carl 411f. Östreicher, Hermann 65f. Paulus 174, 321, 324f., 327, 330, 394 Penner 281 (Fn.) Plenikowski, Anton 406 Pracht, Willy 332, 335 Preuß, Hugo 72f., 75 Quarck, Max

72

Radbruch, Gustav 86f., 93, 434 Ragaz, Leonhard 158 Ranger, Terence 194 Rausch, August 102, 115, 212, 427 Regehr, Ernst 119 Reimer, Gustav 103, 227–229, 231, 233– 235, 241f., 274, 281 (Fn.), 282 (Fn.) Reinhard, Wolfgang 34 Rempel, Gerhard 271 Renner, Heinz 361 Richter, Hedwig 26, 30 Riedemann, Peter 149 Riesen, van 103, 281 (Fn.) Rockel, Hans 15, 321 (Fn.), 336 (Fn.), 353 Rockschies, Friedrich 126, 135, 141, 203f., 206, 212f., 218, 323 Rosenfeld, Kurt 78 Rühlmann, Bernhard 367

Rusch, Gebhard 37 Rushbrooke, James Henry Rust, Bernhard 195, 203

15

Sabrow, Martin 20f. Sackrow, Emil 91f. Samjeske, Helmut 385–393, 419, 422f. Samuel, Otto 67 Sanß, Werner 368–370 Sarasin, Philipp 33 Sardacuk, Waldemar 368 Schäffer, Fritz 345 Schick, Elmar 188 Schirach, Baldur von 215, 220 Schlabrendorff, Fabian von 370f. Schmidt, Paul 9–11, 14f., 25, 123–127, 131–133, 135, 181f., 202–211, 213, 215– 217, 219, 305f., 315f., 321–327, 334, 336, 341, 343–345, 347f., 356f., 379, 385, 394f., 416, 433 Schmidt, Carla 36 Schmidt, Carlo 361 (Fn.) Schmiedeberg, Victor von 346 Schmutz, Herbert 221 Schneider, Carl 15 (Fn.), 129, 167 Schöffel, Simon 210, 215 Scholder, Klaus 10, 199 (Fn.) Schönfeld, Karl 66 Schowalter, Otto 232, 235 (Fn.), 281 (Fn.), 282 (Fn.), 349 (Fn.), 352 (Fn.), 363f., 398f. Schowalter, Paul 220 (Fn.), 225, 285–287 Schowalter, Rolf 287 Schultz, Erich 352, 355 (Fn.), 356–359, 409 (Fn.) Schütt, Hermann 281 (Fn.), 282 (Fn.) Schütte, Karl 328, 330 Seigewasser, Hans 412 Sieber, Peter 359 Siebert, Emil 284 Simoleit, Friedrich Wilhelm 42, 204, 212, 214, 218 Simoleit, Helmut 171–173 Slawinsky, Max 167 Smissen, Hinrich van der 46, 53, 55, 78, 80– 82, 84, 104, 110

475

Personenregister

Smissen, Julius van der 229, 281 (Fn.) Soltau, Otto 316, 385, 387f., 391, 394 Sorgenicht, Klaus 404 Stalin, Josef 136, 141, 176 Stange, Erich 216, 220 Stauffenberg, Claus Schenk Graf von 370 Stauffer, Friedrich 159f., 162 Stedtler, Manfred 32 Steinhoff, Karl 406 Stöhr, Hermann 311 Strahm, Herbert 25 Strathmann, Hermann 78 Strauß, Walter 360f. Strübind, Andrea 25f., 29, 36, 219, 322 Süsterhenn, Adolf 338 Thiessen 242 Thimm, Arno 244 (Fn.) Thomas, Herbert 171, 173–175 Trendelenburg, Friedrich 102 Unruh, Benjamin H. 141 (Fn.), 175–179, 223f., 228, 230f., 233–236, 241, 249, 266– 271, 273, 274 (Fn.), 297, 309, 363 Vialon, Friedrich Karl

347

Voigt, Karl Heinz 31, 74, 114 Völzmann-Stickelbrock, Barbara

371

Wachter, Clemens 286 (Fn.) Wächter, Annemarie 153 Wagner, Patrick 36 Waltner, Erland 357 Warnke, Hans 388, 402f. Weber, Max 33f. Weerts, Bernhard 46–51, 69, 100, 107, 334 Wehowsky, Stephan 65 Weichlein, Siegfried 77 Wiehler, Heinrich 284 Wiens 103, 281 (Fn.) Wilhelm II. 43 Wirth, Joseph 84, 87, 434 Wittig [Georg?] 195 Wolf, A. 383 Wright, Jonathan R. C. 112 Zehnhoff, Hugo am 86, 96, 434 Zehrer, Karl 24, 290f. (Fn.) Zuckschwerdt, Oskar 392 Zumpe, Hans 157, 197 Zwierzynski, Chiel 329