Lou Koster: Komponieren in Luxemburg [1 ed.] 9783412514082, 9783412514068

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Lou Koster: Komponieren in Luxemburg [1 ed.]
 9783412514082, 9783412514068

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DAN I E LLE R O STE R

LOU KOSTER

Komponieren in Luxemburg

E U ROPÄISCH E KOM PON ISTI N N E N

EUROPÄISCHE

KOMPONISTINNEN Herausgegeben von

Annette Kreutziger-Herr und Melanie Unseld Band 10

Danielle Roster

LOU KOSTER Komponieren in Luxemburg

BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR

Für Armand und Olga In Erinnerung an Laure Koster (1902–1999)

Die Reihe »Europäische Komponistinnen« wird ermöglicht durch die Mariann Steegmann Foundation und dieser Band zusätzlich durch die freundliche Unterstützung des Fonds culturel national, Luxemburg

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek  : Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © 2020 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Lindenstraße 14, D-50674 Köln Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlagabbildung  : Lou Koster; Archiv Lou Koster, CID | Fraen an Gender © Korrektorat  : Felicitas Sedlmair, Göttingen Einbandgestaltung  : Michael Haderer, Wien Satz  : Michael Rauscher, Wien

Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISBN 978-3-412-51408-2

Inhalt

Vorwort der Herausgeberinnen Alles andere als peripher! Eine Musikgeschichte, die mit einer ­Komponistin beginnt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .   7 Vorspann . . . . . . . . . . . . Komponieren in Luxemburg . Praktische Vorbemerkungen . Danksagung.. . . . . . . . . Anmerkungen.. . . . . . . .

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Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren . . . . . . . . . . »Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten …« (1889–1906).. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918) .. »… und ich werde wieder mutig und stark« – Die Operette An der Schwemm (1919–1929) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939). . . . . . . . . . . . . . . »Fräulein Koster ist frankophil …« – während der NS-Besatzung (1940–1944) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959).. . . . . . . . . . . . . »Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« – Das Ensemble Onst Lidd ab 1959 . . . . . . . . . . . »Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich es viel leichter« (1972/73) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (Auto-)Biografisches Erzählen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anmerkungen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Tafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 Die Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kontext – Musik in Luxemburg . . . . . . . . . . . . . . . . . Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg. . Die Lieder – materiale Dimension des Notenquellenkorpus.. .

Inhalt

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Der Geiger von Echternach – Intention und Rezeption. Der Konstruktionsprozess eines ›Monumentalwerks Luxemburger Tonkunst‹.. . . . . . . . . . . . 354 Anmerkungen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 Ein Blick zurück …. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 … und nach vorn. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 Anmerkung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 Anhang.. . . . . . . . . Siglenverzeichnis . . . Literaturverzeichnis.. Presseartikel.. . . . . Anmerkung. . . . . .

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Abbildungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 Personenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 Onlinematerialien (https://www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com/Lou-Koster) Quellen Korrespondenz zwischen Lou Koster und Batty Weber (1922) Zwei Briefe von Willy Goergen an Lou Koster (1936, 1938) Curriculum Vitae de Anne-Marie-Louise Koster, Januar 1961 Lou Koster: Mei Glaw a mei Schaffen (1973) Anhang Archivmaterialien Erinnerungsinterviews Werkliste Lou Koster Drucke von Lou Koster Medienverzeichnis Die Lieder: Liste der DichterInnen Sendungen mit Musik von Lou Koster bei Radio Luxemburg (1933–1939) 6

Inhalt

Vorwort der Herausgeberinnen Alles andere als peripher! Eine Musikgeschichte, die mit einer Komponistin beginnt

Als Beobachterinnen der aktuellen politischen Debatten, die über Grenzen der EU, über Erweiterungen und *XIT-Prozesse ebenso verhandeln wie über Fragen des inneren Zusammenhalts, eines »Kerngedankens Europa«, sind wir es gewohnt, dass sich politische Akteur*innen in Luxemburg treffen. Luxemburg als Ort europäischen Handelns ist uns präsent. Als Musikhistorikerinnen aber war uns Luxemburg zunächst nicht als erstes Land eingefallen, als wir eine Reihe planten, in der EUROPÄISCHE KOMPONISTINNEN ins Zentrum gerückt werden sollten. Luxemburg ist für die europäische Musikwissenschaft bislang ein weißer Fleck. Die deutschsprachige Enzyklopädie Musik in Geschichte und Gegenwart enthält keinen Eintrag dazu. Und welche Bibliothek beherbergt Bücher über luxemburgische Musikgeschichte? Welches Institut bietet Seminare an zum Thema luxemburgische Musikgeschichte? Wo können wir über luxemburgische Musikgeschichte lesen, hören, nachdenken, lernen? Das ist der Außenblick. In der Begegnung mit Danielle Roster lernten wir den Innenblick kennen: Luxemburg als ein europäisches Land, das – sich seiner eigenen kulturellen Geschichte bewusst – Fragen nach luxemburgischer Identität stellt, das sich auf den Weg macht, die eigene Geschichte zu beforschen, auch die Musikgeschichte. Dass dabei zwei Komponistinnen von Beginn an prominent im Zentrum standen, Helen Buchholtz und Lou Koster, war eindrucksvoll. Selten beginnt Musikgeschichtsschreibung mit zwei Komponistinnen! Zugleich wurde deutlich, dass sich die Perspektive auf das Geschlecht hier unmittelbar mit anderen Perspektiven überkreuzte: Perspektiven auf Klasse und Nation, Sprache(n), Identität(en) und Generation(en), aber auch auf Medialität, Funktionalität bzw. Autonomie von Musik, Avantgarden u.a.m. Damit rückt Luxemburg mit seiner so besonderen, bislang zumindest wenig beachteten Musikgeschichte mitten hinein in europäische Diskurse der Zeit: die Kontroversen der Avantgarde und ihr Publikum, Fragen der Medialität von Musik (Filmmusik, Radio etc.), Funktionalisierung von Musik im politischen Diskurs, Fragen von »Mischkulturen« u.v.m. Aus dem marginal scheinenden Thema – eine luxemburgische Komponistin – wird auf diese Weise ein Denk-Knotenpunkt europäischer Musikgeschichte. Das Buch greift daher auch mitten Vorwort der Herausgeberinnen

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hinein in diese Diskurse und verwandelt sich so von einer Biographie über die Komponistin Lou Koster zu einem facettenreichen Rundumblick über europäisch-luxemburgische Musikgeschichte. Wien und Berlin, im Oktober 2019 Melanie Unseld und Annette Kreutziger-Herr

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Vorwort der Herausgeberinnen

Vorspann

Komponieren in Luxemburg Warum eine Biografie über die weitgehend unbekannte Musikerin Lou ­Koster schreiben und dabei einen Akzent auf den Kontext der ebenfalls in großen Teilen unerforschten Musik- und Gendergeschichte in Luxemburg legen? Grundsätzlich verlockend an dem Thema ist, dass damit gleich in mehrfacher Weise Neuland betreten werden kann, denn Lou Koster gehört – zusammen mit der 13 Jahre älteren Helen Buchholtz – zu den ersten Komponistinnen in Luxemburg, deren kompositorisches Schaffen überliefert ist. Ihr Ringen um eine Identität als Künstlerin und um das Gehör eines Publikums fällt zudem in eine Zeit, in der in Luxemburg in geballter Form unterschiedliche Diskurse zu Nation, Geschlecht, Kultur und Musik aufeinandertrafen. Sich als eine der ersten Komponistinnen in diesem gesellschaftlich-kulturellen Umfeld zu positionieren, als Pionierin zu »erfinden« und sich die nötigen Freiräume zu erobern, in denen die eigene musikalische Kreativität ausgelebt werden konnte, stellte eine besondere Herausforderung dar, die strategisches Denken und Handeln notwendig machte. Der Auswahl einer Lebensgeschichte als Gegenstand einer Biografie liegt ein bestimmtes Erkenntnisinteresse zugrunde, das die Keimzelle des entstehenden Textes bildet. Aus diesem Erkenntnisinteresse ergeben sich die Leitfragen, und diese formen eine ›Lesart‹ der Biografie, lenken den Blick auf bestimmte Aspekte, während andere ausgeblendet werden. In diesem Sinne sind sie nicht neutral, sondern jeweils schon der Beginn einer Interpretation.1 Nach Hannes Schwaiger ist »die Frage, nach welchen Kriterien eine Lebensgeschichte für eine Biographie ausgewählt wird, […] eng verbunden mit der Funktionsweise von kulturellem Gedächtnis, mit Kanonisierungsprozessen und ihren Gegenbewegungen sowie mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Machtkonstellationen.« (Schwaiger 2009, S. 32) Wie auch die anderen Bücher der Reihe Europäische Komponistinnen schreiben sich Personenauswahl wie gewählte Blickpunkte hier in eine Gegenbewegung ein: Es geht nicht darum, eine unbekannte und verkannte »Meisterin« wiederzuentdecken und in ihrem »Werk«, anhand etablierter musikanalytischer Kategorien, in erster Linie »Qualität« wie »Originalität« nachzuweisen, um der Komponistin damit in einem Kanonisierungsversuch einen Platz in der Komponieren in Luxemburg

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Musikgeschichte zu sichern. Durch die kulturwissenschaftliche Genderforschung wurden diese Kategorien kritisch hinterfragt, wurden sie doch, wie Annegret Huber es formuliert, um »Größe« zu bestimmen, »aus den Personalstilen einer kaum gerechtfertigten Auswahl von Heroen abstrahiert« (Huber 2009, S. 126). Ausgangspunkt für die Perspektivwahl ist ein erweitertes Musikverständnis, das unter »Werk« nicht lediglich den schriftlichen Notentext versteht, sondern vielmehr, wie Beatrix Borchard es formuliert, »Musik als kommunikatives Geschehen« begreift, das »alle Aspekte des Lebens miteinbezieht, die mit dem Entstehungsprozess, der Aufführungs- und Wirkungsgeschichte von Musik verbunden sind.« (Borchard 2002, S. 16) Lou Koster und die Musikgeschichte Luxemburgs sind gute Beispiele dafür, wie wichtig die von Annegret Huber hervorgehobene Kompatibilität von Analysegegenstand und Fragestellung bzw. Methoden ist. Fragenkomplexe, die – neben den individuell biografischen – über den ortsspezifischen Kontext einen Zugang zu Kosters musikbezogenem Handeln schaffen, wären insbesondere die Folgenden: Wie sah das kulturelle und musikalische Umfeld aus, in das die Musikerin hineingeboren wurde? Welche Bildungsmöglichkeiten standen ihr zur Verfügung? Was gaben ihr ihre Ausbildungsanstalt und ihre Lehrer in musikästhetischer Hinsicht mit auf den Weg? Welche professionellen Berufsfelder standen ihr offen, welche blieben ihr als Frau verschlossen? Inwiefern hatte die Kombination ihrer musikalischen und beruflichen Tätigkeiten einen Einfluss auf ihr Komponieren? Inwiefern wirkte die Geschlechterdifferenz als Katalysator für ästhetische Entscheidungen? Gab es bestimmte lokal gepflegte Musiktraditionen, in die sie sich mit ihren Kompositionen einschrieb? Für welche Institutionen, Räume, Publika, InterpretInnen, Verlage usw. komponierte sie und inwiefern finden sich »einkomponierte Räume« und eine bestimmte »Adressiertheit« (Borchard 2002) in ihrer Musik? Wie wichtig wurde in Luxemburg der künstlerisch-musikalische Kontakt und Austausch mit dem Ausland genommen und wie intensiv pflegte Lou Koster einen solchen? Welche Spuren hinterließen lokalspezifische Diskurse über Musik, Kultur, Geschlecht und Nation in ihrer Musik? Und wie reagierte sie darauf in autobiografischen Texten, in der Konstruktion ihrer Geschlechtsidentität und der Rekonstruktion ihres persönlichen Lebenslaufs? Welche Diskurse, Bilder und Vorstellungen bildeten in den Medien die Folie für ihre Rezeption oder bei Zeitzeugen den prägenden Hintergrund für Erinnerungen? Obwohl in Luxemburg der soziale Raum allein schon wegen des beschränkten Territoriums mit nahen Grenzen zu drei Ländern fluktuierend und in gewisser Weise offen war, behält dieser Raum, in dem tagtäglich ge10

Vorspann

lebt und gearbeitet wurde, durch seine ortsspezifischen realen Bedingungen seine Bedeutung. Und dies in besonderem Maße für Frauen, die bis ins 20.  Jahrhundert im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen weit weniger reisten und auch, wie Lou Koster, kaum die Gelegenheit hatten, im Ausland zu studieren. Auf die Frage nach Kosters Kontakten mit Musikern und Musikerinnen des Auslands antwortete die Schwester Laure Koster: »das war damals nicht so offen wie heute« (EI 7). Claude D. Conter und Germaine Goetzinger reflektieren über das Legitimationsproblem einer auf Luxemburg zentrierten Literaturgeschichte und plädieren letztlich dafür, »an der Vorstellung einer kollektiven nationalen Identität […] trotz theoretischer Bedenken« festzuhalten, denn »kulturwissenschaftliche Ansätze [hätten] überzeugend dargelegt, dass die Vorstellung der Kollektivität als kulturelle Imagination ein sinnvolles Beschreibungsmodell ist, insofern es sich um ein Bild handelt, ›das eine Gruppe von sich aufbaut und mit dem sich deren Mitglieder identifizieren‹.«2 Sie betonen, dass gerade in literarischen Texten – man könnte ergänzen: und in deren Vertonungen als Lektüren dieser Texte – »jene sozio-kulturellen Praktiken und Verfahren der Ethnogenese inszeniert werden, die über die Mechanismen der Abgrenzung nach außen und der Vereinheitlichung nach innen, der stereotypen Selbst- und Fremdbildfunktionalisierung sowie der kulturellen Kodierung ablaufen.«3 Zu fragen wäre also auch, in welcher Form sich eventuell solche Inszenierungen und Codierungen wie die von Conter und Goetzinger beschriebenen als ›Textspuren‹ in Kosters Musikschaffen finden. Forschungsstand Musik- und Gendergeschichte in Luxemburg Wie oben angedeutet, wurde die Musikgeschichte in Luxemburg bisher nur rudimentär erforscht. Die Bibliografie im Anhang enthält zwar rund 100 Titel zum Thema, bei den allermeisten Referenzen handelt es sich allerdings um recht kurze Artikel, die entweder in Festschriften von Musikvereinen oder Zeitschriften publiziert wurden und die sich ausgewählten Aspekten der Musikgeschichte Luxemburgs widmen wie dem Musikvereinsleben, dem Volksliedschaffen, der Musikbildung, dem Musik- und Konzertleben, der nationalistischen oder patriotischen Musik, der Militärmusik usw. Es fehlt vor allem an umfassenden, übergreifenden, aktuellen und wissenschaftlichen Studien. Der Erste, der die Musikgeschichte Luxemburgs überblicksartig, auf insgesamt 53 Seiten, darzustellen versuchte, war der Historiker Joseph Meyers (Meyers 1939). Zwei spätere, etwas umfangreichere Überblickswerke Komponieren in Luxemburg

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stammen aus der Feder von Kulturjournalisten: Guy Wagner veröffentlichte 1986 ein Buch über zeitgenössische Komponisten in Luxemburg (Wagner 1986). Zwei Jahre später publizierte Léon Blasen eine lockere Sammlung von jeweils rund fünfseitigen Porträts Luxemburger Komponisten des 19. und 20. Jahrhunderts (Blasen 1988). 2016 erschien schließlich das erste Lexikon, das Luxemburger Musikerlexikon, das allerdings nur Personeneinträge, keine Sachartikel, enthält (Anders-Malvetti u.a. 2016). Luxemburg ist auch in internationalen Nachschlagewerken immer noch ein weißer Fleck auf der europäischen Landkarte: In Band 5 von Die Musik in Geschichte und Gegenwart (1996) sowie im 2008 erschienenen Supplementband sucht man zwischen »Lüttich« und »Luzern« bzw. »Lukáš« und »Lybin« vergeblich nach einem Beitrag zu »Luxemburg«. Dieses Defizit erschwert die Forschungsarbeit zu einzelnen Komponisten, vor allem wenn man deren Schaffen zu kontextualisieren beabsichtigt. Für manche Kapitel in diesem Buch mussten daher, um Kosters Musik im Kontext zu betrachten, eigene Forschungen in Archiven durchgeführt werden, so beispielweise im Kapitel zur NS-Zeit oder in dem zur medialen Vermittlung ihrer Musik bei Radio Luxemburg. Dass nur wenige aktuelle und wissenschaftliche Literatur vorliegt, liegt zum Teil daran, dass es an der erst 2003 gegründeten Universität Luxemburg bis heute kein musikwissenschaftliches Institut gibt und Musik hier lediglich in der Grundschullehrerausbildung gelehrt wird. Im Bereich der Literatur haben ab 1995 die Gründung und der permanente Auf- und Ausbau des Centre national de littérature (CNL) sowie ab 2006 die Schaffung des Institut de langue et de littératures luxembourgeoises an der Universität Luxemburg der Archivierung, Forschung und Vermittlung von Literatur aus Luxemburg in wenigen Jahren unerhörten Aufschwung gegeben. Das seit 1989 an die Bibliothèque nationale de Luxembourg (BnL) angegliederte Centre d’études et de documentation musicales (Cedom), das als Pendant zum CNL verstanden werden könnte oder sollte, ist vergleichsweise eine wesentlich kleinere Einheit, so dass ein Großteil der über die Jahre erworbenen Musikernachlässe noch nicht erfasst und somit schwer zugänglich ist. Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern wurde auch die Gendergeschichte in Luxemburg mit Verspätung erforscht. Einen ersten entscheidenden Schritt in diese Richtung machten Germaine Goetzinger, Antoinette Lorang und Renée Wagener 1997 mit einem überblicksartigen Buchprojekt zur Frauengeschichte Luxemburgs zwischen 1850 und 1950 (Goetzinger Lorang Wagener 1997). Diesem Band folgte 2018 der Fortsetzungsband, der die Zeit bis in die Gegenwart in den Blick nimmt (Goetzinger u.a. 2018). Durch die Schaffung der Universität Luxemburg erhielt die Genderforschung 12

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in verschiedenen Fachrichtungen allmählich Aufschwung. Im Bereich der Musik konnte die Gründung des Archivs Helen Buchholtz sowie des Archivs Lou Koster im CID | Fraen an Gender Impulse geben, die zu einer Reihe von neuen Forschungen führten.4 Forschungsstand zu Lou Koster (1997–2019) 17 Jahre nach Lou Kosters Tod, 1990, erschien eine erste ihr gewidmete Publikation, eine 44-seitige Gedenkbroschüre, die mit etwas Verspätung zu ihrem 100. Geburtstag vom Comité Lou Koster publiziert wurde. Sie enthält eine Werkliste, Presseauszüge sowie kurze Hommage- oder Erinnerungstexte (Arend Steinberg 1990). Sechs Jahre später, 1996, bot sich die Gelegenheit zur Redaktion eines ersten Forschungsbeitrags zu Lou Koster, und zwar für den oben erwähnten interdisziplinären Band zur Frauengeschichte Luxemburgs (Roster 1997). Angesichts der wenigen öffentlich zugänglichen Quellen war es damals notwendig, die Personen ausfindig zu machen, die Lou Koster persönlich gekannt hatten, mit ihr verwandt waren oder zeitlebens mit ihr zusammen musiziert hatten, um sie bei Gesprächsterminen einerseits nach Schriftquellen – Notenmaterial wie biografischen Quellen – und andrerseits nach ihren persönlichen Erinnerungen an die Komponistin und die mir ihr verbrachte Zeit zu befragen. Zu diesem Zeitpunkt befand sich der musikalische Nachlass von Lou Koster im Privatbesitz der ehemaligen Mitglieder des von Koster um 1960 gegründeten Ensembles Onst Lidd und biografische Dokumente besaßen die Schwester Laure Koster sowie der Neffe Jean-Paul Koster. Zu dieser Zeit begann ich, eine private Sammlung zu Kosters kompositorischem und musikbezogenem Handeln anzulegen, die später in das 2003 gegründete Archiv Lou Koster im CID | Fraen an Gender integriert wurde. Die ersten Materialien bestanden vor allem aus Kopien von Notenmanuskripten aus dem Privatbesitz der mit der Komponistin befreundeten Sänger Venant Arend und Béby Kohl-Thommes, einer Vielzahl von Presseartikeln aus den Jahren 1959 bis 1989 aus dem Privatbesitz von Venant Arend sowie Schenkungen von Originalnotendrucken. Auch erlaubte man mir, einige handschriftliche Dokumente (z. B. ausgewählte handschriftliche Entwurfsskizzen, in Gedichtbänden notiert) sowie Fotografien zu kopieren bzw. ablichten zu lassen. Wo Kopien verweigert wurden, war es möglich, Listen des gesichteten Materials zu erstellen. Auf dem privaten Dachboden von Laurent Koster konnten die – auch von dem Besitzer selbst – verschollen geglaubten Komponieren in Luxemburg

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Orchester- und Klavierkompositionen sowie einige Bühnenwerke wiedergefunden werden (mehr hierzu im Kapitel über die Instrumentalmusik). Für den 1997 publizierten Beitrag konnte nur ein Bruchteil des Materials und der Informationen aus den Gesprächen verwertet werden, was die Idee eines Buchprojekts zu einem späteren Zeitpunkt sowie der Gründung eines öffentlichen Archivs zu Lou Koster allmählich reifen ließ. Lou Kosters Umgang mit dem eigenen Nachlass Wie Gespräche mit Zeitzeugen bestätigten und Schriftquellen es belegen, gehörte Lou Koster nicht zu jenen Komponisten und Komponistinnen, die im Hinblick auf eine sich interessierende Nachwelt ihren musikalischen Nachlass (Noten, aber auch Konzertprogramme, Rezensionen usw.) und ihren biografischen (Briefe, Tagebücher, eigene Texte usw.) zu Lebzeiten ordnen, ihre Manuskripte minutiös datieren, vielleicht mit Opus-Zahlen versehen, eventuell selbst eine chronologische oder systematische Werkliste anlegen, zu Lebzeiten die Überführung in ein öffentliches Archiv selbst planen und die dafür notwendigen Verfügungen treffen. Diese Haltung zum eigenen Nachlass steht in einem Zusammenhang mit der durch die Kategorie Geschlecht geprägten Sozialisation, Lebenserfahrung und Rezeption der Komponistin. Um später musikgeschichtlich wahrgenommen zu werden, ist das eigene erinnerungskulturelle Handeln entscheidend, da Partituren zuerst einmal aufbewahrt werden müssen, um später aufgeführt werden zu können. Welche Relevanz musikalischem Material zuerkannt wird – in einem ersten Schritt von den AutorInnen selbst und in einem zweiten von der Nachwelt – und als wie aufbewahrenswert es erachtet wird, ist keine geschlechtsneutrale Frage. Wie Aleida Assmann betont, ist »die Konstruktion des kulturellen Gedächtnisses […] eine Frage von Autorität und Machtstruktur […], die exklusiv männliche Kriterien der Auswahl widerspiegelt, die patriarchalischen, nationalen oder imperialen Prinzipien folgen.«5 Nach Laure Koster, der Erbin der Schwester, enthielt der Nachlass weder persönliche Schriftdokumente wie Briefe oder Tagebücher noch z. B. eine Werkliste: »Ich habe nicht viel geerbt und war sozusagen Alleinerbin […] Nein. Sie hat gar keinen Wert darauf gelegt. Sie hat nie daran gedacht, dass eventuell danach … mein Gott, sie dachte sich, wer kräht denn noch nach mir? Sie dachte nicht an posthume Dinge, sie dachte nicht an so was.« (EI 7) Bei Aufführungen oder zwecks Editionen verlieh Lou Koster Originale, die man ihr nicht immer zurückgab, die sie vielleicht auch gar nicht bzw. zu spät 14

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zurückverlangte und die zum Teil später dann bei Musikarchivräumungen beseitigt wurden.6 So ist es nicht verwunderlich, wenn heute immer noch eine ganze Reihe von Werken als verschollen gelten bzw. manche Musik nur fragmentarisch erhalten ist, wenn z. B. bei verschiedenen Orchester- oder Bühnenstücken, für die zwar Aufführungen belegt sind bzw. sogar Tondokumente existieren, heute nur die Klavierauszüge, nicht aber die Partitur oder das Stimmenmaterial erhalten sind. Es scheint auch so, dass Lou Koster keine Konzertprogramme oder Rezensionen sammelte. Ähnlich verfuhr sie mit autobiografischen Dokumenten, für deren Erhalt sie nicht selbst sorgte und die sie nicht für einen späteren eventuellen Biografen vorsortierte. Da nach Aussage der Schwester sich kaum persönliche Schriftdokumente im Nachlass befanden, hatte Lou Koster möglicherweise auch Briefwechsel, deren Existenz zum Teil belegt ist, oder sonstige private Texte vor ihrem Tod selbst beseitigt. In nachlässiger Weise verfuhr sie, wie später ihre Schwester Laure als Er7 bin , auch mit den Aufführungsrechten ihrer Musik: Obwohl sie seit den frühen 1920er Jahren Mitglied in der Verwertungsgesellschaft SACEM (Société des Auteurs, Compositeurs et Éditeurs de Musique, Sitz: Paris) war, bleibt die Zahl ihrer Werke, die sie dort anmeldete (elf Kompositionen) im Vergleich zum Gesamtschaffen verschwindend gering.8 In ihrem Nachlass sind fünf Briefe der SACEM an die Komponistin erhalten, die zeigen, dass sie bei Anmeldungen nicht die Akribie an den Tag legte, die die Verwertungsgesellschaft für gültige Anmeldungen verlangte, und ihr so inkomplett eingereichte Anmeldeformulare zurückgeschickt wurden. Auf diese Briefe reagierte die Komponistin nicht, woraufhin Anmeldungen nicht erfolgen konnten.9 Im Nachlass fanden sich des Weiteren ausgefüllte Meldezettel, die sie, aus welchen Gründen auch immer, offensichtlich nicht abschickte.10 Dass Lou Koster gegen Ende ihres Lebens in Testamentsentwürfen beabsichtigte, die Nachlassverwaltung an das Ensemble Onst Lidd zu delegieren, zeigt aber, dass sie zumindest zu diesem Zeitpunkt nicht gänzlich desinteressiert war, was nach ihrem Tod mit ihrem Nachlass geschehen sollte. Koster ging damals – wie sich später zeigen sollte, mit Recht – davon aus, dass ihre Musik nicht so schnell aus dem Konzertleben verschwinden würde, wenn die Musik in den Händen des von ihr gegründeten Ensembles blieb. Dass Partituren in Privatbesitz archivarisch weniger professionell betreut werden können, kümmerte sie nicht bzw. hatte für sie eine untergeordnete Bedeutung. Ihr ging es nicht darum, sich einen Platz in der luxemburgischen Musikgeschichte zu sichern, sondern darum, dass ihre Musik gespielt und gesungen wurde. Komponieren in Luxemburg

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Erinnerungsinterviews mit Zeitzeugen Da so wenige Egodokumente erhalten sind, gewinnen die Gespräche mit Zeitzeugen für die Rekonstruktion der Biografie umso mehr an Bedeutung. Für die vorliegende Arbeit nutze ich neben Schriftquellen die Transkriptionen von Interviews, die ich mit zwölf Zeitzeugen – Verwandten und befreundeten MusikerInnen – führte. Fünf von ihnen sind mittlerweile verstorben. Diese Gespräche entstanden zu unterschiedlichen Zeiten und im Rahmen verschiedener Projekte. Die Erinnerungen ergänzen und erhellen so manche Informationen aus den Schriftquellen, führen gelegentlich auch zu neuen Erkenntnissen und Sichtweisen. Mitunter führte auch das genaue Hinhorchen auf Auslassungen – das »nicht Erzählte«, »nicht Erinnerte« – zu Einsichten (siehe hier das Kapitel zu Radio Luxemburg). Die längsten und intensivsten Gespräche führte ich mit Laure Koster (auch: Laury oder Lory Koster, verheiratete Bodson), die zum Zeitpunkt der Gespräche in Brüssel lebte. Sie selbst war eine hervorragende, professionell ausgebildete Musikerin, die im hohen Alter noch täglich Cello spielte.11 1996 reiste ich dreimal zu ihr nach Brüssel, danach besuchte ich sie mehrfach bis zu ihrem Tod 1999. Unser letztes Treffen fand am Tag vor ihrem Ableben statt. Die Zeitspanne ihrer mitgeteilten Erinnerungen umfasste sechs bis sieben Jahrzehnte, von ihrer eigenen Kindheit bis zum Tod der Schwester. Wichtige Gesprächspartner aus dem Umkreis der Familie waren auch der Neffe Jean-Paul Koster, Sohn von Fernand Koster, und seine Frau Monique Koster-Van Kasteren, in deren Besitz sich zahlreiche Quellendokumente zur Biografie der Komponistin – Fotos, Briefe, Erinnerungsstücke – befinden12, sowie Maisy Koster, die Großcousine der Komponistin. Seit der frühesten Kindheit von Maisy Koster und bis zum Tod der Komponistin, also über einen Zeitraum von fast fünf Jahrzehnten, gehörten regelmäßige Treffen an den Wochenenden zur Familientradition. Drei Schuljahre lang – 1939/40 bis 1941/42, in den ersten Jahren des Zweiten Weltkriegs – wohnte die junge Gymnasiastin bei Lou Koster. Ein weiterer Verbindungspunkt zwischen den beiden war die Musik: Maisy Koster hatte am Luxemburger Konservatorium Klavier studiert, das Studium dann aber nach einem Konzert von Walter Gieseking voller Selbstzweifel abgebrochen, um schließlich Sozialarbeiterin zu werden. Längere Gespräche wurden auch mit MusikerInnen geführt, die über Jahre mit Lou Koster zusammenarbeiteten und darüber hinaus mit ihr befreundet waren: Das waren einerseits die Sopranistin Béby Kohl-Thommes, der Bariton Laurent Koster, der trotz gleichem Nachnamen nicht mit Lou 16

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Koster verwandt war, und der Tenor Venant Arend. Lou Koster hatte die drei jungen Musiker in den 1950er Jahren bzw. um 1960 kennengelernt und mit ihnen bis zu ihrem Lebensende intensiv im Rahmen des Ensembles Onst Lidd zusammengearbeitet. Andrée Pepin-Weitzel, die in den 1940er Jahren zuerst Klavierschülerin von Koster und später dann ihre enge Freundin war, traf ich an zwei Nachmittagen, um mich mit ihr über Lou Koster zu unterhalten. Der Dirigent Pierre Cao lernte die Komponistin in den späten 1960er Jahren kennen, als er in ihrem Auftrag den Geiger von Echternach orchestrierte und später auch uraufführte. Weitere Gesprächspartner waren die Pianistin und Politikerin Erna Hennicot-Schoepges, die zeitweise als Pianistin im Ensemble Onst Lidd wirkte, und die letzte private Klavierschülerin von Lou Koster, Lucette Naegelen-Steinberg.13 Diese Erinnerungsinterviews können selbstverständlich nicht den Anspruch erheben, Fakten und somit einen Zugang zur Wirklichkeit zu liefern. Sie müssen vor dem Hintergrund neuer Erkenntnisse aus der Gedächtnisund Gehirnforschung, der Gedächtnispsychologie, der Kommunikationswissenschaft und Erzähltheorie rezipiert und analysiert werden.14 Erinnerungen verändern sich, sie sind jeweils aktuelle Rekonstruktionen von Vergangenheit in der Gegenwart und werden stark von kulturellen Normen mitbeeinflusst.15 Auch kann in Erinnerungen von Dritten das eigene Erleben der Komponistin nicht fassbar werden, aber Spuren davon können irisierend durch die Erzählungen von Zeitzeugen durchscheinen, überlagert von den aktuellen subjektiven Interpretationen, Deutungsmustern, Umdeutungen, Bewertungen, Auslassungen usw. der ErzählerInnen. Scharf trennen kann man diese Schichten nicht. Das Archiv Lou Koster im CID | Fraen an Gender Die Erfahrung der Gründung des Archivs Helen Buchholtz (2000) im CID | Fraen an Gender, die dazu führte, dass diese Komponistin in breiteren Kreisen bekannt und ihre Musik wiederaufgeführt und auch erforscht wurde,16 ermutigte dazu, am gleichen Ort ein Archiv Lou Koster zu schaffen. Anfang 2003 wurde den Personen, die Notenmanuskripte und sonstiges biografisches Material von und zu Lou Koster besaßen, die Idee unterbreitet. Zur Handlung motivierte nicht nur der Wunsch, die Dokumente öffentlich zugänglich zu machen, sondern vor allem auch die Feststellung, dass das Material damals zum Teil unter prekären Bedingungen – auf schlecht isolierten Speichern und in feuchten Kellern – lagerte. Die Nachlassverwalter ließen sich von der Idee, Komponieren in Luxemburg

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das Material öffentlich zugänglich zu machen, überzeugen, letztlich überwog aber Skepsis, es in ein Frauen- und Genderarchiv zu übergeben. Sie boten stattdessen alternativ dem bereits oben erwähnten Cedom ihre Archivalien zum Kauf an bzw. verfügten Schenkungen. Da wegen der reduzierten Struktur des Cedom der neue ›Bestand Lou Koster‹ erst langfristig hätte archiviert und der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden können, entschloss sich der damalige Leiter für eine pragmatische ›Arbeitsteilung‹: Das Cedom sollte sich um eine sachgerechte Aufbewahrung der Manuskripte kümmern, während das CID | Fraen an Gender Kopien bzw. Digitalisate sämtlicher neu erworbener Noten erhielt. Ende 2003 konnte das Archiv Lou Koster also doch eröffnet werden, der Bestand war katalogisiert und Interpreten wie Forschenden zugänglich.17 Parallel zur Arbeit im Archiv wurde ein weiterer Schwerpunkt auf die Projektarbeit gelegt: auf Konzerte, CD- und Noteneditionen, musikwissenschaftliche, musikpädagogische oder auch spielerische Projekte wie ein Lou-Koster-Geocaching sowie die Vergabe von Aufträgen für neue Kompositionen, die sich mit Aspekten des musikbezogenen Handelns von Koster auseinandersetzen.18 In den Jahren nach der Archivgründung wurde auch nach weiteren namentlich bekannten Werken geforscht, zum Teil mit Erfolg, so dass die Sammlung im CID | Fraen an Gender weiterwuchs. Sie konnte durch Musikmanuskripte erweitert werden, so vor allem 2016 durch eine großzügige Schenkung von Autografen durch Venant Arend. Das Archiv umfasst heute rund 430 Partituren, eine Pressesammlung, eine Kollektion von rund 350 Fotografien, eine Sammlung mit Digitalisaten biografischer Materialien aus dem Privatbesitz der Familie Jean-Paul Koster sowie ein Tonarchiv.19

Praktische Vorbemerkungen Zur Sprache der Zitate: Viele der Quellen wie auch die benutzte Sekundärliteratur sind in luxemburgischer oder französischer Sprache. Um die Lektüre für ein deutschsprachiges Publikum zu erleichtern und gleichzeitig das Buch nicht zu überfrachten, wurden alle luxemburgischen wie französischen Zitate von der Autorin ins Deutsche übersetzt. Wegen ihrer Vielzahl wurde darauf verzichtet, sie in der Anmerkung gleichzeitig in der Originalsprache zu zitieren. Auch wurde dort, wo es durch den Titel oder die in der Einleitung beschriebenen Quellen evident ist, in welcher Sprache das Originalzitat verfasst ist, in der Klammer oder Anmerkung diese nicht weiter spezifiziert oder darauf hingewiesen, wer die Übersetzung (die Autorin) vorgenommen hat. 18

Vorspann

Nur in den Fällen, wo es nicht unbedingt aus der Referenz selbst hervorgeht, welche die Originalsprache des Zitats ist, wurde dies in Klammern explizit vermerkt (F für Französisch, L für Luxemburgisch).

Danksagung An erster Stelle möchte ich mich bei den Herausgeberinnen Melanie Unseld und Annette Kreutziger-Herr sowie dem Verlag Böhlau für ihr Interesse bedanken, Lou Koster in die Reihe Europäische Komponistinnen aufzunehmen. Einen besonders herzlichen Dank richte ich an Melanie Unseld, der ich nicht nur viele Anregungen, gute, schöne Gespräche und Ermutigung, sondern auch ein äußerst hilfreiches Lektorat verdanke. Gemeinsame Projekte mit ihr an den Universitäten Oldenburg und Luxemburg zum Thema ›Helen Buchholtz und Lou Koster‹ haben das Buchprojekt befruchtet und mich als Autorin durch den lebendigen Austausch motiviert und inspiriert. Auch Sonja Kmec, Historikerin an der Universität Luxemburg, danke ich für ihre kritische Lektüre, die Gespräche und ihre Anmerkungen insbesondere zu den Teilen, die sich mit dem kulturell-historischen Umfeld der Komponistin befassen. Eine Voraussetzung, das Buch überhaupt schreiben zu können, war der Zugang zu den musikalischen sowie biografischen Schriftquellen, die lange Zeit in Privatbesitz waren. Die Familie Jean-Paul und Monique Koster eröffnete mir offenherzig ihr Familienarchiv und half mir unermüdlich bei der Materialrecherche. Venant Arend sei gedankt für die Gespräche, die großzügige Schenkung von Autografen an das Archiv Lou Koster (ALK), u.a. der Klavierpartitur des Geigers von Echternach und so mancher verschollen geglaubter Orchesterlieder, sowie den Zugang zu seiner privaten Pressesammlung zu Lou Koster. Ich danke dem Vorstand des CID | Fraen an Gender, mir als Musik- und Kulturbeauftragter freie Hand gegeben zu haben, das Archiv Lou Koster (und darüber hinaus die Archive Komponistinnen in Luxemburg) zu gründen und mit Musikprojekten beleben zu dürfen, und ganz besonders auch Tessy Schmitt für ihre engagierte und zuverlässige Mitarbeit im Archiv. So manche Lücke im Quellenmaterial konnte dank Gesprächen mit Verwandten, Freunden und Bekannten der Komponistin zum Teil überbrückt werden. Die Verstorbenen unter ihnen behalte ich in guter Erinnerung: Laure Koster, Maisy Koster, Béby Kohl-Thommes, Andrée-Pepin-Weitzel und Laurent Koster. Sie kommen im Buch immer wieder zu Wort. Einen

Danksagung

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besonderen Dank richte ich auch an Pierre Cao, Colette Welter und Lucette Naegelen-Steinberg. Für ihre freundliche und tatkräftige Hilfsbereitschaft bei der Recherche in den Archiven bedanke ich mich bei Corinne Schroeder (Anlux), David Dominguez Muller (CA-RTL), Françoise Molitor (Cedom), Ludivine ­Jehin, Daniela Lieb, Pierre Marson, Myriam Sunnen, Josiane Weber und Antoi­ nette Welter (CNL), Philippe Mergen und Viviane Thill (CNA), Nello ­Zigrand (MML) und Pit Lies (MKL). Nicht zuletzt bin ich den Institutionen, die das Projekt finanziell unterstützten, zu Dank verpflichtet: dem Kulturministerium in Luxemburg sowie dem Fonds culturel national. Die stille, stumme Recherche und Schreibarbeit wurden musikalisch belebt durch die Zusammenarbeit mit vielen MusikerInnen. Bei Projekten des ALK befassten wir uns gemeinsam mit den Autografen Lou Kosters, dies im Hinblick auf Konzerte, Festivals, CD-Einspielungen sowie einen Film. Ihnen allen sei dafür gedankt, dass trotz der vielen Archivarbeit die Beschäftigung mit der Musik stets im Mittelpunkt stand: Anaïs Bertrand, Mady Bonert, Jessica Chan, Yun-Ho Chen, Fabrice di Falco, Amanda Favier, Cécile Grondard, Samika Honda, Lydia Jardon, Jonathan Kaell, Annie Kraus, Claudine Legras, Vincent Lièvre-Picard, Alexandra Matvievskaya, Deborah Ménélia Attal, Emmanuel Olivier, Orchester Estro Armonico, Robin Pharo, Isabelle Poulenard, Ingrid Schoenlaub, Vassilena Serafimova, Élodie Soulard, Noémie Sunnen, Claude Weber, Quintett Allegria, Yun-Qiu Wu und Ryoko Yano.

Anmerkungen 1 Fetz 2009, S. 60: »Die biographische Wahrheit einer Person ist nichts, das feststeht bzw. durch auch noch so exakte Rekonstruktions- und Recherchearbeit definitiv geklärt werden könnte; sie wird mit jedem biographischen Projekt neu verhandelt.« 2 Conter Goetzinger 2008, Vorwort: S. 7–10, Anm. 8, S. 131, Referenz des Zitats im Zitat: Jan Assmann: Das kulturelle Gedächtnis. Schrift, Erinnerung und politische Identität in frühen Hochkulturen, München 1992, S. 132. In Ermanglung kulturwissenschaftlicher Reflexionen im Bereich der luxemburgischen Musikgeschichtsschreibung hier dieser Rückgriff auf die Literaturforschung. 3 Ebd. 4 Guden 2005; Sagrillo Nitschké 2010; Retz 2010; Anders-Malvetti 2011; Schaeffer 2011; Roster Unseld 2014; Roster 1997–2017. Noemi Deitz arbeitet zurzeit (2019) an einer Dissertation über Helen Buchholtz. 5 Assmann, »Geschlecht und kulturelles Gedächtnis«, 2006, S. 40; siehe auch: Assmann, »Kanon und Archiv«, 2006; Finke 2014; Roster Unseld 2014, S. 197–200; Finke Unseld 2010.

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Vorspann

6 Siehe hierzu ihren Text ›Mei Glaw a mei Schaffen‹, in: Quellen (online) und im Kapitel (Auto-)Biografisches Erzählen. 7 Im Nachlass von Laure Koster befanden sich vier Briefe von der SACEM an sie und die Kopie eines Briefes von ihr an die SACEM, allesamt aus dem Jahr 1985, bei denen es um die Regularisierung der Erbfolge ging (ALK, LK 6A 4), die letztlich, wie ein Brief der Verwertungsgesellschaft an die Autorin vom 29.2.1996 bestätigte, nicht erfolgte (ALK, LK 5C). 8 Siehe https://repertoire.sacem.fr/resultats?filters=parties&query=Lou%20Koster#searchBtn (letzter Zugriff: 30.5.2018). 9 Briefe vom 14.2., 14.3., 14.5.1966, 14.5.1967 sowie zwei Briefe vom 7.6.1967 (ALK, LK 5B 2). 10 Die Meldezettel für die zwei Mailieder nach Goethe-Gedichten (ALK, LK 5A 2 1964.08.12). 11 Siehe im Medienverzeichnis (online) die private Tonaufnahme von Laure Kosters Cellospiel vom 2.12.1998. 12 Die Familie gewährte Zugang zu den Originaldokumenten und erlaubte großzügig die Digitalisierung einer Vielzahl von ihnen für das ALK. 13 Bei der Auswahl der Zeitzeugen wurde versucht, wenn möglich mehrere Personen der gleichen Generation zu befragen, um Aussagen – oder auch Auslassungen – zu bestimmten Themen und Ereignissen auf Übereinstimmungen oder Abweichungen zu überprüfen. Dies war nicht immer möglich: Für die früheste biografische Phase, die Kindheit, waren sämtliche Zeitzeugen verstorben. An die Jugend Lou Kosters erinnerte sich als einzige Überlebende dieser Generation die 13 Jahre jüngere Schwester Laure Koster. Für die Zeit ab 1930 bzw. 1940 konnten die Erinnerungen von Laure und Maisy Koster sowie Andrée Pepin-Weitzel konfrontiert werden. Die Zeit ab den 1950er Jahren bis zum Tode der Komponistin wird in insgesamt neun Erinnerungsinterviews beleuchtet. 14 Siehe Obertreis 2012; Unseld 2006; Zierold 2006. 15 Nicht zuletzt entstehen Erinnerungsinterviews in einer interaktiven Dialogsituation: Befrager sind nicht neutral, denn durch ihre Erkenntnisinteressen beeinflussen sie Form wie Inhalt des Interviews. Es gilt hier also Selbstreflexivität als »kritisches Erkenntnisinstrument« (Niethammer 2012, S. 34) zu nutzen. 16 http://cid-fg.lu/category/hb/ (letzter Zugriff: 30.5.2019). 17 Forscher im ALK, die an den Originalmanuskripten der Sammlung arbeiten wollen, werden an das Cedom weitergeleitet. Die Manuskripte des Cedom wurden bisher weder einzeln noch als Archivdatensatz im Online-Katalog A–Z der luxemburgischen Bibliotheken erfasst. Bei den 90 Einträgen, die 2018 in A–Z erscheinen, handelt es sich um Dokumente, Manuskripte, v.a. aber Drucke und Tonaufnahmen, die größtenteils bereits vor 2003 erfasst wurden; http:// www.a-z.lu/primo_library/libweb/action/search.do (letzter Zugriff: 30.5.2018). 18 Dabei entstanden von Catherine Kontz: Pantomime für Gesang und Klavier und Zuspielgerät, Le Joueur de vièle für Violine und Tänzer, Traum für Violine, Akkordeon und Marimba, von Albena Petrovic-Vratchanska: Le piano für Gesang und Klavier, Postscriptum Suite dramatique für Bläserquintett, von Tatsiana Zelianko: Garde ton cœur encor’ für Gesang und Klavier, Postscriptum Soir d’été für Streichquartett. 19 http://cid-fg.lu/category/archiv-kultur/lou-koster/ (letzter Zugriff: 30.5.2018).

Anmerkungen

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Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

»Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten …« (1889–1906) Streiflichter Luxemburg, Mai 1889: Lou Koster wird geboren. Helen Buchholtz, die spätere luxemburgische Komponistin, ist zu diesem Zeitpunkt elf Jahre alt. Im gleichen Jahrzehnt veröffentlicht Marie Lipsius ihr Buch Die Frauen im Tonleben der Gegenwart (1882), und im gleichen Jahrzehnt werden die Komponistinnen Rebecca Clarke, Nadia Boulanger, Ilse Fromm-Michaels, Hanna Beekhuis u.a. geboren. Drei Jahre früher, Berlin 1886: Der renommierte Musikkritiker Eduard Hanslick schreibt in seinem in Berlin veröffentlichten Buch Concerte, Componisten und Virtuosen der letzten 15 Jahre: 1870–1885: »Es fehlt nach den bisherigen Erfahrungen, meines Dafürhaltens, den Frauen geradezu an der schöpferischen Phantasie, an der musikalischen Erfindungskraft, also an der angeborenen Mitgift und Grundbestimmung jedes selbständigen musikalischen Schaffens.« (Hanslick 1886, S. 447) Vier Monate nach Lou Kosters Geburt, Paris, September 1889: Im Palast der Industrie wird von 1200 MusikerInnen und vor 22.000 Zuschauern L’Ode triomphale von Augusta Holmès aufgeführt, ein Auftragswerk für die Hundertjahrfeier der Französischen Revolution. Dazu schreibt Camille Saint-Saëns in Le Rappel: »Wir brauchten mehr als nur einen Mann, um die Hundertjahrfeier zu besingen; einen Gott zu finden war unmöglich, die französische Republik aber fand, was sie benötigte: eine Muse!« (zit. b. Géfen 1987, S. 198, F) In Stadt Luxemburg leben um 1885 rund 18.500 Einwohner (Ensch 1993, S. 275). Das Musikleben wird weitgehend von der Militärkapelle, durchreisenden Virtuosen, dörflichen und städtischen Blasmusikvereinen und Männerchören sowie dem 1877 gegründeten symphonischen Orchester der Société philharmonique, in dem später auch die jugendliche Lou Koster mitwirkt, geprägt. In dem vor allem katholischen Luxemburg spielt auch die Kirchenmusik eine große Rolle. 22

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

Musikunterricht beim Großvater Anna Maria Louise – genannt Lou – Koster kam am 7. Mai 1889 um zwei Uhr in der Nacht im Haus Nr. 23 der Bahnhof-Avenue in Stadt Luxemburg zur Welt. Ihre Eltern waren der Eisenbahnbeamte Jean Koster und Emma Hoebich, Hausfrau. Lou Koster hatte vier Geschwister, Francis, Lina, Fer­ nand und Laure.1 Die Musik spielte in der Familie mütterlicherseits seit mindestens zwei Generationen eine große Rolle. Der Großvater, der aus Langenöls bei Breslau stammende Schlesier Franz Ferdinand Bernhard Hoebich, war Berufsmusiker. Seit 1882 verwitwet, verbrachte er seinen Lebensabend im Hause seiner Tochter Emma und widmete sich dort vor allem der musikalischen Erziehung seiner Enkel und Enkelinnen. Nach neun Dienstjahren als Militärmusiker in Breslau war Hoebich am 29. Dezember 1842 als erster Kapellmeister – ›Stabs-Hornist‹ – der neu gegründeten luxemburgischen Militär-Kapelle in der Kleinstadt Echternach engagiert und zugleich zum Ersten Kapellmeister am großherzoglichen Hof ernannt worden (Lorent 1977, Duschinger 1977). Das Großherzogtum Luxemburg war zu diesem Zeitpunkt im persönlichen Besitz des Königs der Niederlande, zugleich aber Bundesfestung des Deutschen Bundes (1815 bis 1866), und eine preußische Garnison mit eigener Militärkapelle war dort stationiert. Der Londoner Vertrag von 1839 legte fest, dass das Land für den Deutschen Bund ein luxemburgisches Kontingent zu bilden habe. Diese 1841–1842 gebildete, etwa 2400 Mann starke Truppe war zuerst an drei, später an zwei Orten – Echternach und Diekirch – stationiert und bestand ab 1847 aus zwei Jägerbataillons – in Echternach und in Diekirch stationiert –, zu denen jeweils eine Militärkapelle gehörte.2 Hoebich hatte die luxemburgische Nationalität angenommen, die gleichaltrige, aus Deutschland, Tawern im Landkreis Trier-Saarburg, stammende Helena Louise Urbina Simon geheiratet und mit ihr zwei Töchter, Anna und Emma, sowie zwei Söhne, Felix und Edmond, bekommen. Das Amt des Militärkapellmeisters hatte er bis zu seiner Pensionierung 1878, während insgesamt 36 Jahren, versehen, zuerst in Echternach und ab 1867 in Stadt Luxemburg (siehe Abb. 1). Hoebich war ein vielfältiger Musiker, der das Musikleben in seiner neuen Heimat maßgeblich mitprägte. Als Dirigent der Militärmusik gehörte es zu seiner Funktion, den jungen Musikern Blas- wie Streichinstrumentalunterricht zu erteilen und für die Kapelle zu komponieren und arrangieren.3 Neben den zahlreichen Konzerten als Blasorchester bildeten die Militärmusiker auch ein Symphonieorchester, das als Hofkapelle jede Woche im Walferdin-

»Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten …« (1889–1906)

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ger Schloss Tafelmusik für die Gäste spielte und auch in dieser Besetzung regelmäßig in öffentlichen Konzerten auftrat, wie die folgende Kritik zeigt: »Wir wollen nämlich von dem großen Konzert sprechen, welches die Künstler der Luxemburger-Jäger-Korps-Musik am 23. Dezember 1876 unter Mitwirkung des Pianisten Herrn Ch. Becker gaben im Theater von Diedenhofen [Thionville, Frankreich]. […] seit langem war es uns nicht mehr gegönnt, so verschiedenartige klassische Musik zu hören. Herr Hoebich hat die Direktion auf eine anmutige und geschickte Weise geleitet; er hat seine erste Geige methodisch gespielt und sich die Gunst der Zuhörer zu verschaffen gewusst.« (LZ 11.12.1877; zit. b. Lorent, S. 123 f.)

Die musikalischen und musikpädagogischen Erfolge von Hoebich, »der […] aus Bauernjungen, die bisher nur das Kuhhorn zu Hause geblasen hatten, tüchtige Musiker heranbildete« (Lorent 1977, S. 74), wurden immer wieder lobend hervorgehoben. »Seine Tätigkeit ist auch von großem Einfluss auf die verschiedenen Bürger-Musik-Chöre des Landes, wovon viele Capellmeister seine Eleven waren«, hieß es in einem Gutachten des Oberkommandanten des Bataillons Echternach, Kolonel van Heemskeerk, vom 20. November 1860 (zit. ebd., S. 104). Wohl motiviert durch den Unterricht und das Vorbild des Großvaters, lernte Lou Koster mit Leichtigkeit, verschiedene Instrumente zu spielen. In einem Interview mit der Journalistin Liliane Thorn-Petit erzählte sie später: »Ich hatte nie Schwierigkeiten, ein Instrument zu erlernen.« (Thorn-Petit 29.8.1961, J, F) Laure Koster, die zwei Jahre nach dem Tod des Großvaters zur Welt kam, erinnerte sich an die Erzählungen der älteren Geschwister, in denen Hoebich als äußerst strenger Musikpädagoge beschrieben wurde, der höchste Ansprüche an seine Enkel und Enkelinnen stellte: »Der Großvater übte ›preußischen Drill‹ aus. Er wollte, dass die Kinder musizierten.« (EI 4) »Francis schlug er auf die Finger, wenn er nicht ganz gut spielte. […] Fer­ nand hatte eine kleine Geige und er war nur drei Jahre alt, da sagte der Großvater zu ihm: ›Du wirst kein Mozart‹.« (EI 7) Auch Maisy Koster erinnerte sich an Familienerzählungen und verwendet, um Hoebichs Musikunterricht zu beschreiben, den gleichen Begriff, »preußischer Drill«, wie Laure Koster: »Er schlug die Kinder mit dem Lineal auf die Finger und hätte sie auch gezwungen, Musik zu machen, auch wenn sie nicht musikalisch gewesen wären. Stets trug er eine Zipfelmütze und hatte ein Lineal in den Händen.« (EI 6) In der Öffentlichkeit, in Presseinterviews wie auch in ihrem Curriculum Vitae äußerte Lou Koster sich hingegen stets mit großem Respekt über den 24

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

Großvater, von dem sie, laut eigener Aussage, die musikalische Begabung erbte. Kurz vor seinem Tod schenkte er seiner Enkelin Lou seine Violine, ein Instrument des österreichischen Geigenbauers Jakob Stainer. Dazu Lou Koster: »Er freute sich, seine Stainer-Violine in guten Händen zu wissen.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F) Und auch »seinen extra schönen Taktstock« hatte er ihr vererbt, die ihn »zeitlebens wie ein Schmuckstück« hütete.4 Die Geige vererbte Lou Koster später an Mireille Cao, die Tochter des Dirigenten Pierre Cao. In Lou Kosters Kindheit existierte das städtische Musikkonservatorium noch nicht. Die 1823 von Henri-Joseph Cornély gegründete Privatschule École de Musique, die seit der Eröffnung auch Mädchen aufgenommen hatte und ab 1844 zur städtischen Musikschule bzw. zum städtischen Konservatorium erhoben worden war, war 1882 geschlossen und nie wiedereröffnet worden (Roster 2017). In Musikerfamilien wie der von Koster konnten die Mädchen von Familienmitgliedern qualifizierten Unterricht erhalten. Über ein Vierteljahrhundert lang, bis zur Gründung des neuen Musikkonservatoriums im Jahr 1906, waren Privatmusikstunden für viele musikalisch talentierte Kinder nahezu die einzige Möglichkeit, Musik zu erlernen.5 Dies zu einer Zeit, in der sich im übrigen Europa die Musikschulen, Konservatorien und Musikhochschulen immer breiter für Mädchen und Frauen öffneten. Privatstunden waren kostspielig, dennoch leisteten sie sich nicht nur die Töchter aus wohlhabenden Schichten. Dass es zu dieser Zeit auch in Luxemburg gängig war, Mädchen im Hinblick auf spätere Verdienstmöglichkeiten privaten Musikunterricht zu erteilen, davon berichtet der Musikalienhändler, Verleger und Komponist Wilhelm Stomps im Jahr 1894: »Wie viele junge Mädchen lernen Klavier spielen, um sich im Auslande eine gutbezahlte Stelle zu sichern. Wie oft hört man sagen: ›Hatt kritt eng gutt Plaatz, wann et Piano kann‹ [›Sie bekommt eine gute Stelle, wenn sie Klavier spielen kann‹].« (LZ vom 24. und 25. Dezember 1894, zit. b. Schons 1996, S. 11) Der Musikpädagoge und Organist der Kathedrale Heinrich Oberhoffer machte 1882 seine vehementen Einwände gegen diese in Luxemburg zunehmende Praxis in einem Zeitungsartikel publik: »Glücklich derjenige junge Mann, dessen junge Frau ihr Klavierspiel bei der Gründung des Hausstandes auf ein Minimum reduzirt; beim Erscheinen der Nachkommenschaft, wird es bei vernünftigen Frauen schon von selbst aufhören! Und wofür wurde nun das viele Geld für den jahrelangen Unterricht und das theuere Instrument ausgegeben? Die weniger bemittelten Eltern sollten sich daher die Sache zehnmal überlegen, ehe sie so etwas anfangen; es sei »Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten …« (1889–1906)

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denn, daß ihre Tochter Gouvernante werden soll; dann hat die Sache einen Sinn. Anders verhält es sich mit den sich dem Studium widmenden Söhnen, welche eine Erholung durch die Musik, sei es nun durch Klavier- oder Geigenspiel, nöthig haben.«6

Ob auch Hoebich seine Enkelinnen in erster Linie im Hinblick auf einen eventuellen späteren Beruf – als Musikerin oder Gouvernante – unterrichtete, dazu gibt es keine weiteren Belege. Die Mutter Es scheint so, als habe die Mutter, die Klavier spielte und ihre Musikausbildung dem Vater verdankte, nach dessen Tod diese musikalische Funktion in der Familie mit ähnlicher Strenge übernommen und die eigenen Kinder in Musik weiter unterrichtet (Schmitz 17.5.1969, T; Schmitz 26.11.1973, T). Über die musikalischen Talente Emma Hoebichs gehen die Meinungen auseinander. Lou Koster führte ihre Musikbegabung wohl auch auf die Mutter zurück, in einem Interview hob sie hervor, die Mutter habe gerne SchubertLieder gesungen (Thorn-Petit 29.8.1961, J). Maisy Koster, die selbst Klavier spielte, wusste die pianistischen Talente Emma Hoebichs zu schätzen. Laure Koster aber meinte: »Meine Mutter machte keine Musik, meine Mutter war eine armselige Pianistin. Das musikalische Talent kam von unserem Großvater Hoebich und hatte eine Generation übersprungen.« (EI 4) Aus den – in diesem Punkt übereinstimmenden – Berichten der Zeitzeuginnen Laure und Maisy Koster geht hervor, dass wohl alle drei Töchter ein schwieriges Verhältnis zu ihrer Mutter hatten. Auf die Frage nach der persönlichen Beziehung zur Mutter reagierte Laure Koster kategorisch: »Nein, nein, nein, nein! Sie war ziemlich egoistisch … Alles für sich selbst, ja … und dann sind wir nicht miteinander ausgekommen.« (EI 7) Maisy Koster erinnerte sich an die ständige Unzufriedenheit der »Matti« (luxemburgischer Ausdruck für ›Ma tante‹ = Tante), ihre Strenge sowie ihre steten Bemühungen, die Töchter zum Arbeiten und Geldverdienen zu drängen. Wie Laure und Maisy Koster berichteten, behandelte die Mutter die Töchter keinesfalls mit der gleichen Zuwendung und Aufmerksamkeit. Nach Maisy Koster war es die widerspenstige Jüngste, Laure, die sich gegen die Mutter am besten durchsetzen konnte und von ihr auch deutlich bevorzugt wurde. Ihre Erinnerungen an Emma Hoebich fasste sie folgendermaßen zusammen: 26

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»Sie [Emma Hoebich] war eine gute Musikerin, eine gute Pianistin, aber sie hatte einen schlechten Charakter. Lou hatte ein gutes Verhältnis zu ihrer Familie, aber sie hat sich oft mit der Mutter gestritten. Sie ist immer wieder von ihr weggezogen, dann hat die Mutter geweint und das Ganze hat sich wieder von vorne wiederholt. Als sie später selbst 50, 60 war, suchte sie immer nur nach guten Qualitäten bei der Mutter.« (EI 6)

Obwohl die Töchter allerlei Hausarbeiten zu erledigen hatten, trachtete Emma Hoebich nicht danach, sie auf die Rolle von späteren Hausfrauen und Müttern einzuschränken, sondern förderte aktiv ihre Talente, zumindest insofern es innerhalb der finanziellen Möglichkeiten der kinderreichen Familie lag. Auf die späteren außergewöhnlichen musikalischen und sportlichen Erfolge der Töchter reagierte sie scheinbar mit der größten Selbstverständlichkeit. Laure Koster erzählt: »Glauben Sie, ich hätte einen Kuchen mehr abbekommen, als ich mit meinen 60 Punkten kam [Laure Koster hatte 1923 am Luxemburger Konservatorium ihren 1. Preis in Violoncello mit der größten Auszeichnung (60 Punkte) erhalten]. Gar nichts, gar nichts! […] Das war selbstverständlich bei ihr, das war normal. Voilà: ›Ihr habt dafür gelernt, na eben, dann ist es ja gut.‹ Viele Komplimente wurden nicht gemacht. Meine Mutter dachte ganz praktisch.« (EI 7)

Der Vater Auch seitens des als offenherzig beschriebenen Jean Koster stand der musikalischen Förderung der Töchter nichts im Wege. Er zwängte seine Kinder nicht in geschlechtsspezifische Rollen, sondern unterstützte sie ihren Anlagen und Talenten entsprechend. Obwohl er der Einzige in der Familie war, der kein Instrument spielte, übte die Musik eine große Faszination auf ihn aus. Er sang gerne. Der später mit Lou Koster befreundete Erny Leners erinnerte sich diesbezüglich an Erzählungen der Komponistin und schrieb über Jean Koster, dass er »daheim oft das ›Credo‹ anstimmte, dass die Mauern wackelten.« (Leners 1990, S. 34, L) Für Auftritte seiner Kinder stellte er formvollendete Abschriften von Musikstücken her.7 Jean Koster stammte aus einer zuletzt in Welfringen wohnhaften Familie von Tagelöhnern, auf die, wie es aus den Erzählungen von Laure Koster hervorgeht, »die Hoebichs« offensichtlich mit einer gewissen Überlegenheit »Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten …« (1889–1906)

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herab­blickten: »Es waren arme Bauern, mein Vater genoss keine Protektion, er war ein armer Bauernjunge! Kein Mensch interessierte sich dafür. Sie hielten mehr zur Seite der Mutter.« (EI 7) Jean Koster hatte sich in Stadt Luxemburg zum Eisenbahnbeamten hochgearbeitet.8 »Er war Assistent in der Eisenbahnverwaltung, das war damals keine schlechte Stelle«, so Maisy Koster, die nach dem Tod Jean Kosters geboren wurde, sich aber an Beschreibungen seiner Person als großzügiger und liebevoller Familienvater erinnerte und dem hinzufügte: »Er liebte, im Gegensatz zu seiner Frau, alle seine Kinder gleichermaßen.« (EI 6) Politisch links eingestellt, wirkte Jean Koster jahrelang im Vorstand des 1904 gegründeten Luxemburger Freidenkerbundes (Libre Pensée Luxembourgeoise). Er verabscheute religiösen Fanatismus sowie jegliche Form von Blindgläubigkeit und befürwortete für seine Kinder eine liberale Erziehung. Konsequenz, gepaart mit Sanftmut, bestimmte seinen Charakter. Was seine persönlichen Überzeugungen betraf, war er zu keinen Kompromissen bereit. Seinen Kindern vermittelte er freidenkerisches Gedankengut, ohne es ihnen aufzuzwingen. Er achtete vielmehr darauf, ihnen alternative Wege offenzuhalten und den Freiraum zu lassen, später eigene Meinungen zu haben und Entscheidungen zu treffen. Laure Koster hierzu: »Der Vater hat uns taufen und die Kommunion machen lassen und sagte: ›Später könnt ihr machen, wie ihr wollt.‹ Er hat keinen Druck ausgeübt.« (EI 7) Zur späteren Einstellung Lou Kosters zur Religion äußern sich die Zeitzeugen zum Teil widersprüchlich. Laure Koster beantwortete die Frage kategorisch und knapp mit: »Non, non, non!« (EI 7) Andrée Pepin-Weitzel berichtete: »Sie hatte es nicht so mit der Kirche. Das heißt aber nicht, dass sie nicht in Kirchen musizierte, die Musik war dann das Wichtigste.« (EI 11) Maisy Koster erklärte: »Zuhause waren sie rot, das war selbstverständlich bei Eisenbahnern. Dann wurde Lou Koster schwarz, um ein Gegengewicht herzustellen. Als sie sich aber mit dem Priester der Herz-Jesu-Kirche stritt [siehe Kapitel 1944 bis 1959], wurde sie wieder rot, sozialistisch. Aber von Politik verstand sie nichts. Sie war gut befreundet mit Andrée Pepin-Weitzel, und die Weitzels, die waren ganz rot.« (EI 6) Demgegenüber vertrat Laurent Koster: »Sie war gläubig, hat die Kirche besucht, sie blieb hinten stehen. Sie hat aber keinen Priester gebraucht.« (EI 5) Für den gegen Ende ihres Lebens mit der Komponistin befreundeten Journalisten Félix Steinberg war Lou Koster in religiöser Hinsicht genau das Gegenteil seiner sehr gläubigen Mutter: »Meine Mutter hatte in religiöser Hinsicht den Anspruch vollkommener Ergebenheit während Lou einen engagierten Liberalismus praktizierte.« (Steinberg Winter 1989, CA, S. 40, F) 28

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

Musikraum Haus – Hausmusik Die Familie Koster war in den 1890er Jahren in ein großes, ruhig gelegenes Haus mit Garten und insgesamt 14 Zimmern am Boulevard d’Avranches gezogen. Neben den Eltern, den fünf Kindern und dem Großvater lebte noch eine Verwandte der Großmutter im Haus. Dazu Laure Koster: »Wir waren ein gastfreundliches Haus, das Haus war immer voller Leute.« (EI 4) Wilhelm Stomps berichtet 1894 über die auch in Luxemburg verbreitete Praxis des »Familienkonzertes, wo alle nach besten Kräften mitwirken, wo sich Alt und Jung erbaut, wo man neben der klassischen Musik sich an den Weisen unserer Dichterkomponisten erfreut. Auch gibt es eine Anzahl junger Leute, die abends zuhause musizieren …« (LZ vom 24. und 25. Dezember 1894, zit. b. Schons 1996, S. 11) Im Haus Koster wurde von morgens bis abends musiziert und gesungen. Lou und Laure Koster beschreiben die musikalische Atmosphäre in der Familie, die offen für viele unterschiedliche Musikrichtungen war und trotz freidenkerischer und sozialistischer Gesinnung nicht vor religiöser Musik zurückschreckte; hierzu Lou Koster: »Unser Vater sang das Credo und das Tantum ergo, unsere Mutter die Lieder von Schubert, und wir Kinder spielten, sehr jung noch, klassische und unterhaltende Trios [trios classiques et profanes].« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F) Nach dem Journalisten Paul Aschman, der Lou Koster für einen Beitrag im Jahr 1950 befragte, gehörten die Kompositionen von Schubert und Mozart zur Musik, die das junge »Familienquintett« am kontinuierlichsten zuhause pflegte (Aschman 16.9.1950, R). Ein kleiner Teil der Partituren der Hausmusikbibliothek ist im Privatbesitz der Familie überliefert, sie geben einen Einblick in das Familienrepertoire.9 Laure Koster: »Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten. Wir spielten alle mindestens zwei Instrumente.« (EI 7) »Wir hatten fünf Celli im Haus. Als ich sechs, sieben Jahre alt war, bekam ich ein kleines Cello, sie sägten die Stuhlbeine ab, damit meine Füße den Boden berühren konnten.« (EI 4) Francis spielte Klavier, Violoncello und Orgel, Lou Violine und Klavier, Lina Violoncello und Klavier, Fernand Violine und Klavier sowie Laure selbst Violoncello, Klavier und später noch zusätzlich Saxofon. Lou Koster hatte es trotz des strengen großväterlichen Musikunterrichts offensichtlich nicht verlernt, Musik mit Spaß und Spiel, drinnen und draußen, zu verbinden. Der Journalist Evy Friedrich berichtete aus seinen Gesprächen mit Lou Koster:

»Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten …« (1889–1906)

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»Ein seltsames Spiel, das sich da dieses kleine Mädchen so um die Jahrhundertwende im Garten auf Verlorenkost [Stadtviertel Bonnevoie-Nord Verlorenkost] ausgedacht hatte. Es stellte sich in eine Ecke des Gartens, und im Hause wurde eine Klaviertaste angeschlagen. Und nun hatte das Mädchen zu sagen, was das für eine Note, was das für ein Ton war. Das kleine Mädchen auf Verlorenkost wusste es immer, auch wenn es ein Zwischenton war […]« (Friedrich 3.6.1972, R).

Daraus geht hervor, dass das Kind ein absolutes Gehör hatte. Schulbildung In den sechs Jahren Primarschule wurde Lou Koster im obligatorischen Fach Gesang aller Wahrscheinlichkeit nach vom Komponisten und Musikpädagogen Laurent Menager unterrichtet, da dieser zwischen 1882 und 1902 als Gesangslehrer der hauptstädtischen Grundschulen wirkte.10 Welche Schule sie nach der Grundschule besuchte, konnte bis heute nicht ermittelt werden. Um die Frauenbildung stand es damals in Luxemburg äußerst schlecht. Die Gymnasialbildung blieb bis 1909 ausschließlich den Knaben vorbehalten. In der Schweiz, in Holland, Deutschland und Frankreich konnten junge Mädchen im letzten Viertel des 19.  Jahrhunderts in vielen Städten ein Mädchengymnasium besuchen.11 Luxemburg hinkte dieser positiven Entwicklung mehr als ein Vierteljahrhundert hinterher. Erst im Jahr 1909 wurde – auf Betreiben des Vereins für die Interessen der Frau – nach einer langen emotionsgeladenen öffentlichen Debatte das erste Lycée de jeunes filles gegründet, das Mädchen mit dem Abschluss des Abiturs den Zugang zu einem Hochschulstudium ermöglichte.12 In ihrer Ansprache zur Fünfundzwanzigjahrfeier des Mädchenlyzeums aus dem Jahre 1934 zeichnete Anne Beffort diese Entwicklung nach und schrieb: »Zusammen mit China gehörte Luxemburg damals zu den konservativsten Ländern der Welt. Treu der Devise ›Wir erhalten‹. […] Das starke Geschlecht wurde zuungunsten des schwachen Geschlechts privilegiert. Man fand es ganz natürlich, dass der Staat ›alles für sie machte, für uns nichts‹ […] Es fiel schwer, sich nicht für unser Land, das sehr rückständig schien, zu schämen. 1909 kam dann endlich die Befreiung, das Lyzeum […]. Und doch, welch ein Kampf, um mit dem Vorurteil der intellektuellen Inferiorität der Frau endlich abschließen zu können!« (Beffort 1961, S. 173–177, F)

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Für die wissensdurstige Lou Koster kam diese Entwicklung allerdings viel zu spät, sie stand im Gründungsjahr des Mädchenlyzeums bereits im Berufsleben. Über ihre weitere Schulbildung schreibt sie: »Nach dem Primarunterricht besuchte ich für drei Jahre eine höhere Schule [›école supérieure‹].« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F) Tatsächlich blieb den Mädchen als höhere Bildung lediglich die ›école supérieure‹, die Beffort rückblickend folgendermaßen beschrieb: »Den Mädchen blieben die Klöster. Aber ihre sogenannten oberen Schulen waren teuer und hatten den schwerwiegenden Nachteil, nicht auf das Leben vorzubereiten. Nur die Mädchen aus reichem Hause oder jene, deren Eltern unerhörte Opfer zu bringen bereit waren, konnten sich, nach der Grundschule, die Wohltat einer weiterführenden Bildung leisten.« (Beffort 1961, S. 173, F) Über Lou Kosters Schulbildung äußerte Maisy Koster sich mit folgenden Worten: »Ich glaube, dass sie nach der Primarschule ein paar Jahre lang eine Klosterschule in Brüssel besuchte, wie viele Mädchen damals. Das war nicht billig, aber die Familie war nicht arm.« (EI 6) Hätte aber Lou Koster einen Aufenthalt in einer Schule in der belgischen Hauptstadt nicht in ihrem handschriftlichen Lebenslauf von 1961 erwähnt? Es wäre zumindest naheliegend, dass sie wie ihre Schwestern Lina und Laure die École Privé NotreDame – auch Sainte-Sophie genannt – besuchte. Die Archive dieser Schule existieren für die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg leider nicht mehr. Ein Zeitungsartikel von 1908 belegt, dass Lina diese Schule besuchte.13 Und aus den Jahren 1915 und 1916 sind zwei Zahlungsbelege für den Schulbesuch von Laure Koster erhalten.14 … und Freizeit Die Eltern Jean und Emma Koster-Hoebich erlaubten ihren Töchtern so gut wie den Söhnen, sich ihrer Sportbegeisterung – Schwimmen, Radfahren, Wandern – hinzugeben, und das in einer Zeit, in der allgemein der Sport­ ausübung von Frauen noch immer mit Skepsis begegnet wurde (Turping 1997). Die Mädchen wurden offensichtlich auch in Bezug auf körperliche Betätigungen nicht auf weibliche Rollen zurechtgestutzt. Noch im hohen Alter schwärmte Laure Koster von ihrer wilden, freien Kindheit: »Ich war so ein Reißteufel, ich war ein verfehlter Bube. Ich bin auf Bäume geklettert, oh mein Gott und mein Herr, ich habe mit den Jungen um Knöpfe gespielt […] Dann bin ich zur Jungenschule gegangen, ich habe mit […], Rad, Reifen, Federspiel, Diabolo, Ball gespielt.« (EI 7) »Zuhause wurde so viel musiziert, dass die Nachbarn sich ärgerten …« (1889–1906)

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Im Freischwimmbad des Flusses Alzette besuchten die Töchter die Schwimmschule für Mädchen. Dazu Maisy Koster: »Schwimmen war etwas Besonderes, das gehörte zur Hautevolee, die Mutter saß jeden Tag beim ›Namur‹ [renommierte Konditorei in Luxemburg] und brauchte etwas, um mit ihren Kindern prahlen zu können. Die Mutter hatte eine Reihe Militärbekannte, da sie eine Zeitlang in ihrer Kindheit in der Kaserne gewohnt hatte. Mit denen wollte sie rivalisieren.« (EI 6) Die Koster-Mädchen – allen voran Laure Koster – waren begabte Schwimmerinnen. Als am 8. August 1915 in der ›Schwemm am Gronn‹ zum ersten Mal in Luxemburg ein Wettschwimmen für Frauen stattfand, nahm auch Lou Koster daran teil. Beim 100-Meter-Schwimmen für Damen – 50 m flussaufwärts und 50 m flussabwärts – belegte sie den zweiten Platz, während die 13-jährige Laure als Siegerin der weiblichen Junioren hervorging (NOEL 1969, S. 34). Maisy Koster erinnerte sich an die Sportbegeisterung der Komponistin, auch später in ihrem Leben: »Sie war eine gute Alpinistin, war gut zu Fuß, ist gut Fahrrad gefahren, gut geschwommen. Lou und Laure haben richtig Alpinismus betrieben, sie sind mit den ›Guides‹ [Pfadfinderinnen] in Lederhosen auf die Schweizer Berge gestiegen.« (EI 6, zu den luxemburgischen Pfadfinderinnen siehe Letellier 2007) Eindrücke aus Paris – 1904–1906 In ihrem Lebenslauf schreibt Lou Koster: »Mit ungefähr 15 Jahren haben meine Eltern mich nach Paris geschickt, um die Sprache zu erlernen. Bei meiner Rückkunft wurde das Konservatorium eröffnet.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F) Während ihres Aufenthaltes in der französischen Hauptstadt – der ihren eigenen Aussagen nach also in den Zeitraum von 1904 bis 1906 fiel – logierte Lou Koster bei ihrer in Frankreich lebenden Tante, die für die Perfektionierung der Französischkenntnisse ihrer Nichten zuständig war.15 Anna Hoebich lebte mit ihrem zweiten Ehemann, dem Pelzhändler Mathieu Traufler, sowie mit Maria, ihrer Tochter aus erster Ehe, zeitweise in Paris, wo sich der Sitz der Pelzfirma befand (Firma Traufler-Peyssy, 14, rue de l’Echiquier Paris, laut dem Adressbüchlein von Fernand Koster). Zeitweise bewohnte sie aber auch ein Haus in Eaubonne-Ermont im Val d’Oise. Die Töchter nach Paris zu schicken scheint in der Familie üblich gewesen zu sein, denn auch Laure Koster berichtet: »1912/13 [sie war damals zehn Jahre alt] bin ich mit meiner Mutter für zwei Monate nach Paris gegangen und habe da Französisch gelernt.« (EI 4) 32

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Die Tante war laut Laure Koster eine hochbegabte Musikerin und exzellente Pianistin. Durch sie erhielt die Nichte Lou mit Sicherheit auch in musikalischer Hinsicht reiche Impulse. Da Lou Kosters Briefe an ihre Familie leider nicht erhalten sind, kann nur darüber spekuliert werden, welche Eindrücke die Kunst- und Musikstadt Paris bei der jungen Frau hinterließ. Debussy war damals auf dem Höhepunkt seines Erfolgs. Nahm Lou Kosters Liebe zur Musik von Debussy und Ravel hier ihren Ursprung? Auch wenn sie in dieser Zeit wohl noch nicht komponierte, hatte sie in Paris vielleicht die Möglichkeit, mit der Schaffenskunst von Frauen aus den diversesten Bereichen in Kontakt zu kommen. Damals wirkten in dieser Stadt die Komponistinnen Clémence de Grandval, Louise Héritte-Viardot, Marie Jaëll, Mel Bonis, Cécile Chaminade u.a. Die jüngeren, mit Lou Koster quasi gleichaltrigen Komponistinnen Nadia Boulanger, Germaine Tailleferre, Lili Boulanger, die das Musikleben des 20. Jahrhunderts mitprägen sollten, waren damals noch im Studium. Aber auch in anderen künstlerischen Bereichen, wie der Malerei oder der Bildhauerei, hatten einige Frauen sich in Paris zu diesem Zeitpunkt einen Namen gemacht, so Berthe Morisot, Mary Cassatt, Suzanne Valadon, Camille Claudel u.a. Viele dieser Frauen mussten allerdings kämpfen, um ihre Musik bzw. Kunst in Konzerten und Ausstellungen überhaupt hör- und sichtbar zu machen.

»Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918) Studium am Konservatorium Nachdem die Musikerziehung in Luxemburg ab 1882 nahezu ein Vierteljahrhundert ausschließlich in privaten Händen gelegen hatte, fand schließlich am 1. Mai 1906 die offizielle Eröffnung des hauptstädtischen Musikkonservatoriums statt.16 Weibliches Mäzenatentum hatte die Gründung dieser Schule ermöglicht. Eugénie Dutreux, die Witwe des ehemaligen Vizepräsidenten des Oberen Gerichtshofes Joseph Pescatore, hatte in ihrem Testament der Stadt Luxemburg u.a. die imposante Summe von 200.000 Franken eigens für musikalische Belange überschrieben. Die Stadt hatte so endlich die finanziellen Mittel zur lange geplanten Neugründung einer hauptstädtischen Musikschule, die nach ihrer Gönnerin Conservatoire municipal de musique Fondation Eugénie Dutreux genannt wurde. In dem vom Großherzog Adolf unterzeichneten Gesetzesvorschlag vom 15. März 1902 war die dringende »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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Notwendigkeit der Schaffung einer solchen Ausbildungsanstalt in Luxemburg vor dem Hintergrund eines scheinbar desolaten Musiklebens mit den folgenden Worten begründet worden: »Nach der Schließung des Konservatoriums [1882] wurde die Musik in der Hauptstadt stark vernachlässigt und als Folge davon, auch im restlichen Land. Dies ist umso bedauerlicher, als vor allem die Kinder der mittleren und unteren Schichten dabei die Leidtragenden sind. Die Ausübung der Musik kann für manche von ihnen zu einem Brotberuf werden. Eine wertvolle Bildung ist sie für alle, denn sie formt den Geschmack, hält von niederen Gefühlsregungen und vulgären Vergnügungen ab und befördert den Menschen auf eine höhere geistige Ebene […] Zurzeit sind die vielen Bestrebungen auf musikalischem Gebiet sich selbst überlassen. Die lobenswertesten Bemühungen bleiben oft unfruchtbar, wenn es an einer soliden Ausbildung sowie an einer kompetenten Leitung und intelligenten Zusammenführung der Kräfte mangelt. Die Kunst wird in den Nachbarländern auf höherem Niveau ausgeübt, dort, wo Musikschulen und Konservatorien intellektuelle und künstlerische Zentren bilden, die nicht nur eine solide Ausbildung anbieten, sondern das ihrige dazu beitragen, die gute Musik zu verbreiten.« (zit. b. Jourdain 2006, S. 28, F)

Im Gründungsjahr 1906 waren knapp 44  % der Inskribierten weiblichen Geschlechts. In den folgenden 15 Jahren überstieg die Zahl der weiblichen Schüler stets die der männlichen. Die 17-jährige Lou Koster schrieb sich 1906 in drei Fächern ein: Sie vervollkommnete ihre musikalischen Studien in Violine bei Joseph Keyseler, einem Schüler des belgischen Violinisten Eugène Ysaÿe, in Klavier bei der aus Lüttich stammenden Konzertpianistin Marie Kühn-Fontenelle und in der Mädchenklasse des Faches ›Solfège‹17 bei Fernand Mertens. Später kam noch das Fach Harmonielehre, bei Fernand Mertens und anschließend bei Lucien Lambotte, hinzu.18 Auch Lou Kosters Geschwister besuchten das Konservatorium: Lina Koster schloss ihr Studium dort mit zwei ersten Preisen, in ›Solfège‹ (1914) und Violoncello (1916), ab. 1910 wurde auch die achtjährige Laure im Hauptfach Violoncello in der Klasse des aus Lüttich stammenden Professors Eugène Kühn eingeschrieben. Drei Jahre später kam für sie das Fach Klavier hinzu, und als 19-Jährige belegte sie für anderthalb Jahre zusätzlich den Gesangskursus bei Cécile Cornevin-Lully. Im Sommer 1923 erhielt sie ihren ersten Preis in Violoncello »mit der größten Auszeichnung« (60 von 60

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Punkten), um anschließend ihre Ausbildung am Konservatorium in Brüssel zu perfektionieren. Fernand brach seine musikalischen Studien am Konservatorium ab und orientierte sich beruflich in eine andere Richtung als die Schwestern. Er besuchte die Handelssektion des Jungenlyzeums, bildete sich in den 1920er Jahren als Wirtschaftsingenieur weiter, um schließlich später Generalsekretär der luxemburgischen Börse (Bourse de Luxembourg) zu werden.19 Andrée Pepin-Weitzel erinnerte sich: »Er spielte ganz gut Geige. Die Mutter liebte ihn unbändig und war sehr stolz auf ihn. Wenn er Geige spielte, sagte die Mutter: ›Das ist mein Sohn!‹« (EI 11) Francis besuchte als Einziger der Geschwister das neu gegründete Konservatorium nicht, da er zu diesem Zeitpunkt bereits seine militärische Laufbahn beim belgischen Heer begonnen hatte. Er hatte seine musikalische Ausbildung, wie es scheint, ausschließlich zuhause erhalten. Musikpädagogin mit »mickrigem« Gehalt Im Schuljahr 1908/09 wurde Lou Koster zur studentischen Assistentin (›élève-monitrice‹, ›monitrice‹) in den Fächern Klavier und Violine ernannt. »Nach zwei Studienjahren vertraute der Direktor, Herr Vreuls, mir Kurse in Violine und Klavier an.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F) Rückblickend kommentierte Laure Koster: »Aber sie wurde ausgenutzt. Gehalt, dazu nur ein mickriges, erhielt sie nur für eine einzige Klasse.« (EI 4) Dennoch behielt Lou Koster diese Stelle bis 1922. Dass ihr Verdienst kaum zum Leben ausreichte, wird durch eine im Escher Tageblatt vom 9. Juli 1914, also kurz vor Kriegsausbruch, publizierte Annonce bestätigt: »Musiklehrerin am Konservatorium wünscht in Esch [Stadt im Süden des Landes, dort gab es damals noch kein Musikkonservatorium] Violin- und Klavierunterricht zu erteilen. M. L. [Marie Louise] Koster, Petrusring, Luxemburg.« Wie im Artikel 12 des ›Règlement d’ordre intérieur du Conservatoire de Luxembourg‹ festgehalten worden war, konnte der Direktor begabte Schüler und Schülerinnen auffordern, als ›moniteurs‹ bzw. ›monitrices‹ am Konservatorium Unterricht zu erteilen.20 Dass diese Arbeit tatsächlich mit »lächerlich geringen Gehältern«21 entlohnt wurde, wird u.a. auch durch die über Jahre immer wieder von den Betroffenen an die Aufsichtskommission gerichteten Forderungen nach besserer Bezahlung bestätigt.22 Die Gehälter der Lehrer und Lehrerinnen des Konservatoriums waren generell stark gestaffelt ( Jourdain 1981, S. 68; Jourdain 2006, S. 37). Es gab nicht weniger als drei Kate»Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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gorien von Professoren und drei weitere Kategorien von Repetitoren. Ein Repetitor der dritten Kategorie erhielt nicht einmal ein Drittel des Gehaltes eines Professors der ersten Kategorie. Professoren für Klavier oder Violine der 1. Klasse erhielten ein höheres Gehalt als Professoren für Gesang oder Blasinstrumente. Auf den alleruntersten Stufen – im ›Règlement concernant le personnel enseignant et les traitements‹ werden sie nicht einmal als Kategorie erwähnt – befanden sich die Lehrbeauftragten (›chargés de cours‹) und AssistentInnen (›moniteurs‹ und ›monitrices‹). Während der ersten 16 Jahre wurden im Konservatorium keine neuen festen Stellen geschaffen, und dies obwohl die Zahl der ProfessorInnen bereits seit dem ersten Jahr für die höher als erwartet ausgefallene Schülerzahl zu gering war.23 Dank der ›moniteurs‹ und ›monitrices‹, die sich der überzähligen Schüler und Schülerinnen annahmen, sparte die Gemeinde eine beträchtliche Summe. Offiziell hatte die Aufsichtskommission – um Missbräuche in Grenzen zu halten – in der Sitzung vom 4. Juli 1910 zwar die Richtlinie bestimmt, dass ein Schüler oder eine Schülerin nur für höchstens vier Jahre als ›moniteur‹ oder ›monitrice‹ arbeiten und anschließend fest angestellt werden sollte. Diese Richtlinie wurde vom Gemeinderat in der Sitzung des 30. Juli 1910 – allerdings mit der Einschränkung ›sauf pour les cas de force majeure‹ (›ausgenommen Fälle höherer Gewalt‹) – gutgeheißen, de facto aber außer Acht gelassen (Bericht der Sitzung vom 23. November 1917, MKL: Aufsichtskommission 1911-24). Lou Koster war also nicht weniger als 13 Jahre lang ›monitrice‹. Zudem wurden Frauen damals, wie das folgende Beispiel zeigt, bei Stellenbesetzungen benachteiligt. In der Stellenausschreibung vom 17. März 1906 war die Professur für Klavier mit einem Gehalt von 2800 Franken explizit männlichen Bewerbern vorbehalten (»1 professeur homme«). Pianistinnen konnten sich lediglich um die Stelle einer Repetitorin mit einem Gehalt von 1200 Franken bewerben (»2 répétiteurs – homme ou femme«). Der Gemeinderat sollte in der Sitzung vom 14. April 1906 – nach Anhörung der Vorschläge der Jury und der Aufsichtskommission des Konservatoriums – über die endgültige Vergabe der Stellen entscheiden. Die Jury des Wettbewerbs hatte allerdings die oben genannte Klausel außer Betracht gelassen und die belgische Pianistin Marie Kühn-Fontenelle als Professorin, Fräulein J. Schmitt, ebenfalls Belgierin, für die erste und den Luxemburger Albert Berrens für die zweite Repetitorenstelle vorgeschlagen. Die Vergabe der Professur an Marie Kühn-Fontenelle war von der Aufsichtskommission des Konservatoriums auch befürwortet worden. Um diese ›Peinlichkeit‹ zu beheben, machte die Kommission den Vorschlag, eine zweite Professorenstelle 36

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zu schaffen und diese an den Drittplatzierten, Albert Berrens, zu vergeben. Die nunmehr einzige Repetitorenstelle wurde Frau Schmitt angeboten, die ihre Nominierung allerdings nicht annahm. 1906 waren daher tatsächlich nur zwei der acht besser bezahlten Professorenstellen von Frauen besetzt. Neben der erwähnten Marie Kühn-Fontenelle war die Französin Cécile Cornevin-Lully als Professorin für Gesang ernannt worden. Auch unter den fünf Repetitoren befand sich lediglich eine Frau, die später mit Lou Koster eng befreundete, aus Nancy stammende Marguerite Van Acker. Lediglich in den alleruntersten Bereichen der Hierarchie – denen der Lehrbeauftragten (›chargés de cours‹) und studentischen AssistentInnen (›élèves-moniteurs‹) – arbeiteten zur Hälfte Frauen.24 Stummfilmmusikerin Zusammen mit ihrer Schwester Lina, und später auch mit Laure, spielte Lou Koster in den Kinos der Hauptstadt Musik zu Stummfilmen.25 Laure Koster erinnert sich, dass damals nur wenige Frauen in den Kinos spielten.26 Man kann davon ausgehen, dass die Mädchen das Stummfilmkino, in dessen Dienst sie als Jugendliche ihr musikalisches Talent stellen sollten, bereits in ihrer Kinderzeit kennenlernten. Nur zehn Monate nach den ersten öffentlichen Filmvorführungen der Brüder Lumière in Paris wurden im Herbst 1896 erstmals auch in Stadt Luxemburg durch den Fotografen Jacques-Marie Bellwald und den Gastwirt Adolphe Amberg Junior »lebende Bilder« vorgeführt, die sich großer Beliebtheit erfreuten. Lou Koster war damals sieben Jahre alt. In den Jahren danach waren es ausländische Filmvorführer, die jeweils nur für wenige Tage oder Wochen in Festsälen von Hotels oder Gaststätten sowie in Wanderkinos auf Festen und Jahrmärkten wie der ›Schueberfouer‹ in Stadt Luxemburg Filme projizierten. In die kleine provinzielle Stadt strömten nun Bilder aus der weiten Welt.27 Batty Weber: »Im Kino […] verebben zu unseren Füssen die Wellen des Weltgeschehens. Was im Kino gerade Mode ist, darin spiegelt sich jeweilig das Antlitz der Gegenwart, nicht unserer kleinen Gegenwart.« (Weber 31.3.1928, AK in LZ) Die moderaten Eintrittspreise machten die neue Unterhaltungskunst weniger bemittelten Schichten und Familien zugänglich, und das Kino wurde, so Batty Weber, zu einem »demokratischen Kulturwerkzeug, das zwischen Großstadt und Land, zwischen New York und Schlindermanderscheid [ein Dorf im Norden Luxemburgs] keinen Unterschied macht.« (Weber 9.1.1929, AK in LZ) »Ein Mann des Volkes« konnte so eine »breite Kulturbasis« erwerben (Weber 31.3.1928, AK »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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in LZ). Die Filme brachten Luxemburgs Mädchen und Frauen in Kontakt mit neuen, großstädtischen Rollenmodellen, so wurde z. B. am 6. Oktober 1896 der Dokumentarfilm Velociped lernende Dame gezeigt (Etringer 1983, S. 13). Ab 1907 kam es zur dauerhaften Niederlassung von Kinos in Luxemburg. Bald verfügte die Stadt über drei ortsfeste Kinos, und in allen dreien spielten die Schwestern Koster Filmmusik: im Cinéma Palace Medinger (ab 1907), im Cinéma Parisiana (1911) sowie im Kino-Palace (ab 1917). Lou Koster begann mit dem Spielen von Musik zu den Stummfilmen spätestens 1908 – also ziemlich bald nach der Einrichtung des ersten Kinosaals in Luxemburg –, und sie führte diese Tätigkeit während des Krieges und danach bis zur Umstellung vom Stumm- zum Tonfilm, die für Luxemburg um 1930 belegt ist, weiter fort. In ihrem handschriftlichen Lebenslauf erwähnt sie das Musizieren im Stummfilmkino explizit nur im Abschnitt über den Ersten Weltkrieg: »Es kam der 1914–1918-Krieg, während dessen ich Geigerin und meine Schwester Cellistin im Cinéma de la Cour [Cinéma Palace Medinger] waren. Wir waren dort jeden Abend. Sonntage und Feiertage spielten wir von 14 bis 23 Uhr, und dieser Mangel an Freiheit hat bei mir zunehmend zu einer Schwächung der Nerven geführt.«28 Außer den Erinnerungsinterviews mit ihrer Schwester Laure und vereinzelten Informationen in späteren Zeitungsartikeln, die sich auf Gespräche mit der Komponistin stützten, sind keine weiteren Quellen erhalten, die über Lou Kosters jahrlange und intensive Tätigkeit im Kino informieren. Die Stummfilmzeit in Luxemburg im Allgemeinen ist aber – vor allem durch die zahlreichen Arbeiten des Filmhistorikers Paul Lesch – gut erforscht, so dass – neben den Erinnerungen von Laure Koster – ein schärferes Bild des Arbeitsmilieus in den Etablissements, in denen Lou Koster mit ihren Schwestern auftrat, und der Filme, die sie musikalisch untermalten, nachgezeichnet werden kann. Nach Laure Koster spielten Lou und Lina zusammen mit dem Pianisten Tony Steffen vor allem im Cinéma Palace Medinger, »dem schönsten Kino der Stadt« in der ›Waassergaass‹, der ›rue de l’Eau‹ (EI 4). Da der großherzogliche Hof diesem vornehmen, komfortablen und mit der besten Technik ausgestatteten Kino, das direkt hinter dem großherzoglichen Palast und der Abgeordnetenkammer lag, gelegentlich Besuch abstattete, wurde es 1922 in Cinéma de la Cour umbenannt. Lou spielte Violine, Lina Violoncello, und am Klavier wurden sie von Tony (Antoine) Steffen begleitet.29 »Wir bekamen sofort eine Anstellung als Musikerin, das war keine große Tat, man verdiente sein Brot damit, mit der Musik. […] Von einem festen

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Kontrakt war keine Rede. Es wurde jede Woche gezahlt. Am Freitagabend wurden sie [Lou und Lina] ausbezahlt, und dann haben sie ihren Verdienst auf den Nachttisch der Mutter gelegt […] da war keine Rede von bezahltem Urlaub, so was gab es nicht.« (EI 7)

Im Cinéma de la Cour lernte Lina auch ihren Mann, Henri Poos, kennen, der dort ebenfalls gelegentlich Violine spielte. Betreiber war Felix Medinger, der 1907, zusammen mit seinem Vater Nicolas, in ihrem Hôtel de Luxembourg den ersten ständigen Kinosaal in Luxemburg eingerichtet hatte. 1916/17 ließ Felix Medinger dann neben dem Hotel einen neuen prächtigen Kinosaal errichten, der über 400 Sitzplätze verfügte.30 Die jungen Frauen verdienten alle drei früh mit der Musik ihr Geld. Laure Koster erklärt, warum die Mutter ihre Töchter zum Geldverdienen »drillte«: »Immer nur sparen, sparen, sparen, am Monatsende war es immer knapp, meine Mutter konnte nicht haushalten.« (EI 8) »Meine Mutter war […] der Boss, sie hat das Kommando gegeben, und die anderen haben gearbeitet, die anderen haben das Geld eingebracht, aber sie hatte das Kommando!« (EI 9) »Wir sind nie ins Kino gegangen, einfach um uns Filme anzuschauen. Wir haben dort nur musiziert. Warum nicht? Aber das hätte Geld gekostet!« (EI 9) Wie viel diese Tätigkeit der Familie einbrachte, wird im Haushaltsbuch der Familie Koster ersichtlich, in dem ab 1898 minutiös die Ausgaben wie die Einnahmen festgehalten wurden. Die frühen Einträge sind in der Handschrift des Großvaters, später übernahm der Vater, dann Fernand Koster die Buchführung. Im Januar und Februar 1920 werden beispielsweise die Stummfilmmusik-Honorare als einzige Einnahmen angeführt: Jede Woche wurden 120 bzw. auch mal 140 oder 180 Franken der Haushaltskasse gutgeschrieben (ALK, LK 7C 6 1898.10.00). »Oh, mit dem Musizieren ist viel Geld in unseren Haushalt geflossen«, erinnert sich Laure Koster (EI 9). Sie erzählt auch von Auftritten zu dritt mit ihren Schwestern Lou und Lina in einem Kino im Bahnhofsviertel. Es handelt sich dabei um das mitten im Krieg, am 18. August 1917, eröffnete moderne und elegante Kino-Palace, neben der Place Wallis, das über 700 Sitzplätze und einen geräumigen Restaurationssaal verfügte.31 Als weitere Musiker, mit denen die Koster-Töchter in verschiedenen Kinos musizierten, erwähnt sie die Organisten Michel May und Pierre Beicht, die im Kino Harmonium spielten, sowie den Bratschisten und Militärmusiker Nicolas Carmes. Laure Koster erinnert sich, dass sie selbst, als sie 16, 17 Jahre alt war, als Solopianistin in ›Marzens Kino‹, im Cinema Parisiana32 in der rue de Claire»Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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fontaine Nr. 9 ein Engagement hatte. Die Schwester Lina setzte sich dann des Öfteren neben sie ans Klavier, »damit ich nicht so allein war.« (EI 8) Als Violoncellistin trat Laure auch zusammen mit ihrem Bruder Fernand und einem Pianisten in einem Kino in Esch/Alzette auf. In diesen beiden Kinos war, laut Laure, das Publikum »gemischter« als in den elitäreren Cinéma Palace Medinger und Kino-Palace, und wenn die Musik dem Publikum nicht passte, wurde dies laut kundgetan. Während ihrer Studienzeit in Brüssel spielte sie gelegentlich auch dort in Kinos, in Trioformation, aber auch in größer besetzten Kinoorchestern. Aufgabe der Stummfilmmusikerinnen war es, dem Filmgeschehen mehr Plastizität und Rhythmus zu verleihen und den Bildern und Szenen passende Musik zu unterlegen, um dadurch die filmisch vermittelten Emotionen zu verstärken. Auf dem Programm standen Komödien, Dramen, Western, Nachrichten- und Dokumentarfilme, auch solche, die in Luxemburg gedreht worden waren. Eine gute Stummfilmmusikerin musste flexibel sein, rasch reagieren und möglichst auch improvisieren können. Verpasste sie den Einsatz, konnte das Publikum unwirsch werden: »Wenn sie [die Musik] fehlte, haben die Leute geschrien: ›Musik!‹« (EI 4) 1927 standen im Cinéma de la Cour einige deutsche sogenannte »Singspiel-Filme« auf dem Programm, die den KinomusikerInnen und -sängerInnen die musikalische Synchronizität mit dem Filmgeschehen erleichterten und ihnen halfen, die Einsätze nicht zu verpassen: Am unteren Bildrand war ein kleines Feld, in dem ein den Takt schlagender und Einsätze gebender Dirigent zu sehen war (Lesch 2013, S. 41). Bei Filmszenen, zu denen Improvisationen am besten passten, überließ Laure am liebsten ihrer Schwester Lou das Klavier: »Ich spielte Klavier, mehr schlecht als recht … ich spielte leidlich, aber ich konnte nicht improvisieren. Lou, die konnte improvisieren!« (EI 7) Je nach Laune habe die Schwester manchmal barsch reagiert, sei ihr nicht zu Hilfe gekommen und habe stattdessen entgegnet: ›Schau, dass du es selbst lernst‹, so Laure Koster. »Und dann habe ich mich geärgert … mit Lina war ich immer einverstanden, ich war nicht so ganz einverstanden mit Louise, wir waren unterschiedlich im Charakter.« (ebd.) Improvisierte Musik wechselte sich in der Regel mit von Noten gespielten Stücken, bzw. je nach Szenenlänge vor allem auch Teilen von Stücken, ab. Es gab im Handel Sammelbände speziell für Stummfilmmusiker, die für verschiedene Atmosphären oder Szenenarten passende Passagen aus Musikstücken vorschlugen. Die Schwester erinnert sich: »[Tony] Steffen, der stellenweise auch auf die Bilder improvisierte, wählte die Partituren aus und brachte 40

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sie in eine Reihenfolge. Er war ein sehr guter Pianist.« (EI 4 u. 9) Lou Koster komponierte aber auch selbst für das Kino und führte ihre Musik dort auf. Ambitionierte Filmproduktionen lieferten Partituren zum Film gleich mit. So hatte beispielsweise Henri Rabaud für Miracle des loups (1924) von Raymond Bernard die Filmmusik komponiert, die im Kino-Palace in Luxemburg von einem Orchester unter der Leitung von Nicolas Carmes aufgeführt wurde (Lesch 2013, S. 59). Während in großen Metropolen ganze Orchester spielten, traten in den Luxemburger Kinos in den Abendveranstaltungen unter der Woche in der Regel nur zwei- bis vierköpfige Ensembles auf, die aber am Wochenende und vor allem bei bedeutenderen Filmen gelegentlich Verstärkung erhalten konnten. So engagierte Félix Medinger 1927 für die Vorführung von dem 15-mal mit ›gewaltigem Erfolg‹ gespielten Film Faust von Murnau ein großes Orchester mit bekannten SängerInnen als Solisten, das unter der Leitung von Louis Beicht stand, der diesmal die musikalische Adap­tierung selbst besorgt hatte. Auch der Direktor des Kino-Palace engagierte für Aufführungen von Monumentalfilmen wie Cabiria (Giovanni Pastrone) oder Die Nibelungen (Fritz Lang) ein Orchester mit bis zu 15 MusikerInnen. Auch OpernsängerInnen wurden für Filmvorführungen engagiert, und bei der Projektion von The King of Kings (Cecil B. DeMille) im KinoPalace wirkte sogar ein Chor mit (Lesch 2013, S. 28, 41, 58 f.). Wer im Kino spielte, wurde von einem großen Publikum gehört, da der Stummfilm sehr populär war. Batty Weber: »Soviel ist sicher, das luxemburger Publikum ist sehr kinofreudig, und man darf das nicht schulmeisterlich auf Rechnung einer übernormalen Vergnügungssucht buchen, es hängt auch mit dem instinktiven Bedürfnis eines dauernden Anschlusses nach außen zusammen, einem Bedürfnis, das bei uns um so natürlicher ist, als wir deutlicher als jede Provinz das Gefühl des Abgeschobenseins haben müssen.« (Weber 10.4.1931, AK in LZ)

In der feministischen Filmforschung wird darauf hingewiesen, dass sich das frühe Kino im Gegensatz zum späteren Hollywoodkino nicht der bürgerlichen Ideologie verpflichtet fühlte, sondern vielmehr – im Sinne einer Gegenbewegung – eine »Avantgarde neuer Lebensformen« zeigte. Die Blick- und Erzählstrategien waren noch nicht ausschließlich männlich geprägt. Geschichten von Frauen, ihrem Alltag, ihren Lebensproblemen, Wünschen und Träumen, die traditionelle weibliche Rollenbilder überschritten, waren nicht unüblich. Schauspielerinnen verfügten über eine weitaus größere kreative Autonomie und konnten sich wesentlich individueller einbringen, als das später »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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der Fall war ( Jatho Rother 2007; Bernold Braidt Presch 2004, S. 103–136; Habel 1999). Vor 1920 gab es zudem erstaunlich viele Regisseurinnen, Drehbuchautorinnen und Filmjournalistinnen (Slide 1982). In Luxemburg waren die Filme mit den Schauspielerinnen Asta Nielsen und Sarah Bernhardt besonders beliebt, aber auch die, in denen Mistinguett, Gabrielle Robinne, Stacia Napierkowska, Lissi Nebuschka, Erna Morena und Henny Porten zu sehen waren (Lesch 2009; Lesch 2013, S. 26). Als Kinomusikerin setzte Lou Koster sich intensiv und viele Stunden lang mit diesen neuen weiblichen Rollenbildern im Film auseinander. Es ist nicht erstaunlich, wenn die Kirche genauso wie konservative Zeitungen oder Vereine auf die in den Filmen gezeigte ›Avantgarde neuer Lebensformen‹ mit Skepsis reagierten und Forderungen nach Zensur laut wurden. Diese Stimmen sahen im Kino eine Gefährdung der Sitten oder, wie es in der vom Katholischen Frauensekretariat der Frauenaktion verwalteten Beilage ›Luxemburger Frau‹ im Luxemburger Wort heißt, »eine neumodische Krankheit, die verderblicher ist als die Influenza.«33 Dass Laure Koster in den Gesprächen mit Nachdruck auf das ›Ehrenhafte‹ des Berufs einer Stummfilmmusikerin pochte, ist vor diesem Hintergrund zu lesen: »Das war gar nicht unehrenhaft. Die Konservatoriumsprofessoren traten auch dort auf. Ein Professor für ›Solfège‹ spielte Klavier, ein anderer Violine. Das war ein Beruf, der ganz ehrenhaft war.« (zit. b. Lesch 2001, S. 26, L) Erste Kompositionen – Stummfilmmusik und Lieder In welchem Jahr Lou Koster mit Komponieren begann und welche ihre frühesten Kompositionen waren, ist nicht mit Exaktheit zu ermitteln. Diverse Aussagen sind überliefert, die sich zum Teil widersprechen. Auch datierte die Komponistin nur selten ihre Manuskripte. In ihrem Lebenslauf gibt sie für ihre ersten Kompositionen weder Datum noch Titel an, beschreibt diese aber mit den folgenden Worten: »Ich liebte die Werke von Lamartine, Molière und vor allem A. de Musset. Mit Scheu formte ich beim Lesen der Gedichte Melodien.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961) Im Sommer des gleichen Jahres, in dem sie ihr Curriculum Vitae niederschrieb, erzählte sie der Journalistin Liliane Thorn-Petit, sie habe sich »seit ihrer Kindheit« zur Komponistin berufen gefühlt, und nennt als »erste Kompositionen« – wiederum ohne Datum – Vertonungen von Gedichten von Lamartine, Maeterlinck, Storm und Keller (Thorn-Petit 29.8.1961, J). Von diesen sechs Schriftstellern sind im Gesamtœuvre der Komponistin drei Lieder nach Texten von Alfred de Musset, drei Storm- und eine Keller42

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Liedvertonung überliefert. Sie sind allesamt unveröffentlicht, und nur ein Manuskript davon ist datiert: Die Nachtigall (Storm, Frühling 1934). Bei den anderen könnte es sich also im Prinzip um Frühwerke handeln. Zumindest scheint aber damit belegt zu sein, dass sie sich früh der Liedgattung zuwandte und dabei zuerst einmal französische und deutsche, keine luxemburgischen Texte vertonte. Das Luxemburgische selbst wurde offensichtlich damals noch wenig geschätzt. So schrieb der Philologe Nicolas Ries 1911: »Unser Idiom ist eine arme, schwere und schleppende Sprache […] Gebildete verachten ihre Muttersprache ein wenig […] Auch ist unsere Sprache arm an Ausdrücken, die Empfindungen und Gefühle beschreiben.« (Ries 1911, S. 175 ff. u. 184, F) Auch Joseph Tockert beschreibt, dass ebenfalls in der Literatur aus Luxemburg – die Jongletzeburger Dichterscho’l ausgenommen – um die Jahrhundertwende der Wind geweht habe »gegen den Gebrauch der Mundart. Die jüngeren Talente wandten sich dem Hochdeutschen und Französischen zu.« (Tockert 1900, S. 55) Paul Aschman, der Lou Koster 1950 interviewte, schreibt, Koster habe als »Sechzehnjährige« – demnach um 1905 – erste Kompositionen geschrieben, ohne die Gattung zu konkretisieren: »Bald war Louise von einer anderen Leidenschaft benommen: Notenschreiben. Heimlich zog die Sechzehnjährige sich auf ihr Stübchen zurück und komponierte hinter verschlüsselter Tür. Aus Angst ausgelacht zu werden.« (Aschman 16.9.1950, R) 1964 erzählte Koster, sie habe »mit 19 Jahren« – also erst 1908 – »ihre erste Komposition: Liedeinlagen zu einem Stummfilm geschrieben. Neben kleineren Werken, die sie aber bescheidenerweise in ihrer Schublade daheim behielt« (I.K. 11.7.1964, J). »Es fiel Lou Koster immer schwer, aus sich herauszugehen und ihr Licht nicht unter dem Scheffel zu lassen.« (ebd.) Als erste öffentlich unter ihrem Namen aufgeführte Komposition wird in diesem Artikel die Operette An der Schwemm von 1922 angeführt. Die Beschreibung der ›Liedeinlagen zu einem Stummfilm‹ könnte auf zwei undatierte vokale Tangos passen: Lachendes Lieb’ für Gesang und Klavier mit Violin- und Cellosolo und Sonniges Lieb’ für Gesang und Klavier mit Violinsolo.34 Beide Texte stammen aus der Feder von Lou Koster. Interessant ist die Datierung, da damit belegt zu sein scheint, dass Koster bereits 1908 als Stummfilmmusikerin arbeitete, also sehr kurz nachdem das erste und damals noch einzige ortsfeste Kino in Luxemburg eröffnet worden war: Cinéma Palace Medinger. Die 13 Jahre jüngere Laure Koster berichtete ebenfalls, die Schwester habe »sehr jung« das Komponieren für sich entdeckt. Das früheste Musikstück, an das sie persönlich sich erinnert, ist der Walzer Lore-Lore für Klavier, den die Komponistin auch orchestrierte und dessen erste Version vor »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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dem Ersten Weltkrieg entstand: »Ich erinnere mich an den Walzer LoreLore, den sie auch publizierte.« (EI 4) Ein einziges undatiertes Exemplar des Druckes – Lore-Lore, Valse lente – ist heute erhalten. Das Stück erschien im Aurora Verlag in Weinböhla bei Dresden mit einer Widmung ›An Lory Koster‹ (zur Datierung des Drucks sowie zur Orchesterversion: siehe Kapitel zur Instrumentalmusik). Koster erzählte dem Journalisten Aschman von einer weiteren ihrer Kompositionen, die im Kino gespielt wurde: »Und siehe da, die Musik wurde aufgeführt. Es war um 1914. Der erste Kinematograph (Medinger) in Luxemburg zeigte dem staunenden Publikum die neugeborenen Filmstreifen. Um die Vorführung anziehender zu gestalten, engagierte die Direktion einige Musici, die zu den Szenen die jeweils passenden Melodien klimperten und geigten. Nach Bedarf, Märsche, Walzer, Nocturnos, auch einzelne Symphoniesätze. Lou Koster bildete mit ein paar Freunden und Freundinnen ein Orchester, das bald in der Stadt bekannt war. Nach einer Filmvorführung kamen einmal Leute zu ihr gestürmt: ›Joffer Koster, a wât fir eng sche’n Walz hu Dir haut am zwéten Akt gespillt?‹ [Fräulein Koster, welch schönen Walzer haben Sie denn heute im zweiten Akt gespielt?] – ›Et muss eppes vum Strauss gewiescht sin‹ [Es muss etwas von Strauss gewesen sein], war die Antwort. In Wirklichkeit war es der Walzer ›Lore-Lore‹ von Lou höchsteigen. Die war zu bescheiden und menschenscheu.« (Aschman 16.9.1950, R)

Im Kino sah die Musikerin offensichtlich eine Möglichkeit, die Reaktion des Publikums auf eigene Stücke anonym zu ›testen‹. Ihre Lieder schien sie in dieser Zeit weiter für die Schublade komponiert zu haben. Erst in den 1920er Jahren wagte sie es, mit ihrem Namen als Komponistin an die Öffentlichkeit zu treten. Al Schmitz und Léon Blasen, deren Beiträge auf persönliche Gespräche mit der Komponistin zurückgehen, geben keine detaillierteren Informationen zu Frühwerken, sie zitieren allerdings Lou Kosters eigenartig verschlüsselte Ausdrucksweise, die sie zeitlebens benutzte um ihr Komponieren zu bezeichnen, und die ebenfalls ihre große Scheu, Bescheidenheit und vermutlich auch ihr schwaches Selbstbewusstsein offenlegt: »Sie selber sagte immer, dass sie schon ganz früh manchmal heimlich ein paar Noten verbrochen habe.« (Blasen 1988, S. 67, L) »Ich habe manchmal heimlich ein paar Noten verbrochen.« (zit. b. Schmitz 17.5.1969, T, L) Laure Koster erinnerte sich, dass ihre Schwester in jungen Jahren die größten Hemmungen hatte, mit ihren Kompositionen an die Öffentlichkeit zu treten: »Lou hatte kein Glück im Leben […] Sie hat sich versteckt.« 44

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(EI 4) »Sie ist die Sache so ganz behutsam angegangen, sie war nicht waghalsig, sie hatte schon so lange so liebe Melodien komponiert, sie hat diese nie …, sie war zu scheu, sie dachte sich, Herrgott, … letzten Endes könnte man es so beschreiben, dass sie sich versteckt hat. […] Louise verteidigte sich nicht gut im Leben.« (EI 7) Offensichtlich wurde es damals in Luxemburg, auch bei Männern, als unerhört empfunden, wenn man jung ins Rampenlicht trat. In seiner Autobiografie Traits et Portraits (1958) beschreibt der Dichter Marcel Noppeney die eigene Situation als angehender Dichter mit den folgenden satirischen Worten: »Vor rund 50 Jahren war Luxemburg ein eigenartiges Land, in dem die Gerontokratie blühte. Keiner hatte das Recht zu sein, zu existieren, wenn er noch nicht in den späten Vierzigern war. Lange, würdige, gut frisierte Bärte umrahmten in ihrer Schneeweiße die üblicherweise zahnlosen Münder, aus denen kategorische und unumstößliche Worte fielen […] Die Greise urteilten milder über Bärtige als über Schnurrbärtige, über Schnurrbärtige als über Bartlose. Aber wo jegliches Wohlwollen endete, war in Präsenz von 20- oder 30-Jährigen. Und was die noch Jüngeren betraf, so war es, als existierten sie nicht einmal. […] Und wenn sie bestrebt waren, sich ein bisschen zu emanzipieren, wurden sie mit der eisigsten Missbilligung bestraft, und ruhigen Gewissens legte man ihnen so viel Steine wie nur möglich in den Weg.« (Noppeney 1958, S. 73 f.)

Kein Kompositionsstudium am Konservatorium Betrachtet man Kosters Studien am Konservatorium, stellt man sich die Frage, warum sie dort keinen Kompositionsunterricht belegte. Das Fach stand seit der Gründung im Fächerangebot: In der am 1. Juni 1906 erstellten Liste der neu angestellten Lehrkräfte war festgehalten worden, dass der Direktor Komposition unterrichten sollte (Conservatoire 1981, S. 87–95). Das war damals, von 1906 bis 1926, der belgische Komponist Victor Vreuls. Vreuls hatte seine musikalischen Studien an den Konservatorien in Verviers und Lüttich und anschließend in Paris bei Vincent d’Indy absolviert. Zu Vreuls hatte Lou Koster ein gutes Verhältnis und »verdankte« ihm »viel«, wie sie es selbst formulierte (P.W. 8.5.1969, LW). Hätte ein Studium bei Vreuls ihr vielleicht die Kraft geben können, mit mehr Mut und weniger Selbstzweifeln ihren Weg als Komponistin zu gehen? »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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Vreuls komponierte in Gattungen, die von luxemburgischen Komponisten damals kaum gepflegt wurden: Oper, Ballett, Symphonie und symphonische Dichtung, Kammer- und Klaviermusik sowie französische Mélodies. Seine Werke wurden im ersten Viertel des 20.  Jahrhunderts auch in Luxemburg aufgeführt, wenn sie dort auch nach seinem Weggang schnell wieder in Vergessenheit gerieten. Die Reaktion der luxemburgischen Kritiker auf Vreuls’ Musik tendierte zur Ablehnung und ist insofern interessant, da in ihr beispielhaft das Unbehagen gegenüber zeitgenössisch klingender Musik, für das sich viele Zeugnisse finden, zum Ausdruck kommt. Dabei war die Modernität von Vreuls im Vergleich zu seinen Zeitgenossen Schönberg, Webern, Berg, Strawinsky etc. moderat. War es vielleicht auch diese in Luxemburg weit verbreitete antimodernistische Haltung, die Lou Koster vor dem Entschluss zu einem Kompositionsstudium zurückhielt? Sie kannte Vreuls Musik sehr gut, da sie bei den Konservatoriumskonzerten, in denen diese immer wieder auf dem Programm stand, im Orchester spielte. Um die normativen Diskurse in Musikkritiken zu veranschaulichen, die auf Komponisten und Komponistinnen nicht ohne Auswirkungen blieben, sei hier beispielhaft aus ein paar Kritiken zu Vreuls’ Musik zitiert. Für Lou Koster hätte eine Opposition zu diesem ästhetischen Denken wohl eine noch größere Isolation zur Folge gehabt. Wie sich bald herausstellen sollte, war es ihr nach ihrem öffentlichen Debüt aber sehr wichtig, dass ihre Musik gespielt und vom Publikum verstanden wurde. So war der experimentelle Spielraum ihres Komponierens eingeschränkt und eine an der Tradition orientierte, tonale, möglichst auch populäre Richtung vorgezeichnet. »Vreuls ist ein ernster und tüchtiger Komponist, der eine erstaunliche Beherrschungsgabe aller Mittel verrät. Freilich fehlt ihm die Mendelssohn’sche Liebenswürdigkeit ganz und gar. Er ist herb und hart und gewinnt erst bei näherem Zusehen.« (LW 1.5.1916, S. 5) »Vreuls zeigt sich hier als Techniker, der gründlich in dem Räderwerke der Orchestration sich auskennt. […] Aber, wir stellen uns die Frage: ›Ist es vom Publikum verstanden‹ und übt es seinen Reiz auf dasselbe aus?« (T 2.5.1916, S. 3) »Der Eindruck mancher Szenen aber wird direkt beeinträchtigt durch die mit Absicht zusammengestellten Dissonanzen. Gewiss kann das Hässliche manchmal höheren Zwecken dienstbar gemacht werden, aber es bleibt

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doch immer wahr, dass alles Üble, auch der Übelklang gegen die Natur des menschlichen Empfindens ist.« (LW 11.3.1918, S. 3) »Seine Faktur ist ultra-modern. […] Der großen Masse gegenüber ist der strenge Stil dieser Tondichtung, die an und für sich eine musikalisch-technische Riesenarbeit und ein Meisterwerk der Harmonisierung bedeutet, nicht genügend melodiös. Allerdings ließe sich durch eine Volksaufführung der Beweis noch erbringen, wie weit bei uns das Kunstverständnis für musikalische Werke von dieser Art u. Richtung entwickelt ist.« (T 12.3.1918, S. 2) »Eine ins Abstrakte zielende, kühle, herbe Geistigkeit spannt mehr das Denken an als die Empfindung. […] diese rein spirituelle Ausdrucksmusik, bei der kein äußerer Zweck mitspricht, wo speziell das virtuose Element völlig ausgeschaltet wird, wo Spieler und Hörer, Ausführende und Aufnehmende mit rücksichtsloser Härte in kühle Ideengänge hineingedrängt werden.« (LW 6.4.1920, S. 3)

Gegenbeispiele finden sich sehr selten, zu ihnen zählt die folgende Kritik, in der diesmal Vreuls’ ›zu klassische‹ Programmzusammenstellung kritisiert wurde: »Jenen Stimmen, welche größere Berücksichtigung des Modernen verlangen, können wir nicht unrecht geben. […] wir wollen auch in musikalischer Hinsicht mit unserer Zeit leben und glauben, dass, wenn moderne und ganz moderne Musik künftighin der ihr gebührende Platz eingeräumt wird, der Gefahr der Einseitigkeit in jeder Richtung vorgebeugt ist.« (LW 23.12.1907, S. 3) In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage, ob und welche anderen jungen Musiker aus Luxemburg zu dieser Zeit Kompositionsunterricht bei Vreuls nahmen. Diese Recherche führt zu einem erstaunlichen Ergebnis: Die Auswertung der ›Procès verbaux des Concours‹ der Jahre 1906 bis 1944 im Archiv des Konservatoriums ergab, dass Victor Vreuls und ab 1926 auch sein Nachfolger, der belgische Komponist Lucien Lambotte, zwar beide auf dem Papier als Lehrer für Komposition geführt wurden, aber zu keinem Zeitpunkt ein Kandidat oder eine Kandidatin ein Examen in diesem Fach ablegte. Erst unter der NS-Besatzung, als der Deutsche Hans Fleischer stellvertretender Direktor des Konservatoriums und Lehrer für Komposition wurde, legte erstmals ein Student ein Examen in der Kompositionsklasse ab: Im Sommer 1943 erhielt Jean-Pierre Kemmer einen ersten Preis in Komposition mit großer Auszeichnung. In dem NS-Begutachtungsbericht des Konservatoriums von Hans Herwig vom Januar 1941 ist zu lesen: »Die Fächer: »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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Musikalische Formenlehre und Praktische Kompositionslehre werden bisher an der Anstalt nicht unterrichtet, da nach Angabe Lambottes schöpferische Talente, die zu selbständiger Komposition befähigt sind, nicht aus der Schülerschar herausgewachsen sind.« (AVDL LU 11 NS_238 12) Autodidaktische Studien Lou Koster absolvierte ebenso wenig ein Kompositionsstudium im Ausland. Durch ein Studium in einer ausländischen Metropole wäre sie wohl unweigerlich mit den neuen Strömungen zeitgenössischen Komponierens in Kontakt gekommen. Auch hätte die Bekanntschaft mit anderen Komponistinnen sie vielleicht aus ihrer Isolierung befreien und sie in ihrem Schaffen ermutigen können. Die Finanzierung eines Privat- oder Auslandsstudiums aber überschritt die finanziellen Möglichkeiten der Eltern, dazu Laure Koster: »Wir haben niemals eine Privatstunde bezahlt bekommen […] Das gab es bei uns nicht. ›Du hast dein Konservatorium, lerne zuhause, und dann gehst du [wieder] ins Konservatorium‹. […] Meine Mutter brauchte das Geld, da war nichts übrig, um ins Ausland zu gehen.« (EI 7) »Unsere Mutter dachte ganz praktisch. Nach ihrem Studium am Konservatorium in Luxemburg sollte Lou sofort arbeiten.« (EI 4) Es gab allerdings die Möglichkeit, am Konservatorium eine Auslandsstudienbeihilfe zu beantragen. Studierende konnten sich um drei verschiedene Studienzuschüsse bewerben. In den Berichten der Aufsichtskommission heißt es im Oktober 1924: »Der Herr Direktor teilt uns mit, dass das Stipendium ›Dutreux‹ üblicherweise an junge Frauen vergeben wird, da Herr Richard ja ein anderes für junge Männer geschaffen hat [das 1913 gegründete Stipendium ›Othon Jean Joseph Richard‹].«35 1917 stellte die mit Lou Koster eng befreundete Marguerite Van Acker erfolgreich einen Antrag, und die Aufsichtskommission erkannte ihr gleich die zwei Stipendien – »Emma Dutreux« und »Tony Dutreux« – zu, um ihr die finanzielle Absicherung für ein zweijähriges Studium in Belgien zu gewährleisten.36 Al Schmitz berichtete davon, Lou Koster habe ein Auslandsstudium beantragt, es sei ihr aber nicht zuerkannt worden (Schmitz 17.5.1969, T). In den Berichten der ›Commission de Surveillance‹, an die diese Anträge gerichtet wurden und die sich mit der Vergabe befasste, finden sich hingegen keinerlei Hinweise hierfür. Ihr Wunsch, ins Ausland, nach London, zu gehen, um dort eine Stelle als Lehrerin anzunehmen und die englische Sprache zu erlernen, könnte durch einen vierseitigen Brief vom 24. Februar 1920 von 48

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Agnès Russchaert (oder Rasschaert, die Handschrift ist an dieser Stelle nicht zu entziffern) an die Mutter belegt sein (ALK, LK 5C 1 1920.02.24). Im Brief, dessen Original sich im Besitz der Familie Jean-Paul Koster befindet, wird Lou Koster nicht namentlich erwähnt, sondern nur als ›Mademoiselle votre fille‹ genannt. Es könnte sich dabei um Lou Koster, möglicherweise aber auch um Laure und Lina handeln. Das Schreiben enthält keine Details über etwaige parallele musikalische Pläne. Auch scheint daraus nichts geworden zu sein, da es keinerlei Belege für einen Aufenthalt einer der Töchter in England gibt. Statt Komposition zu studieren, nahm Lou Koster Unterricht in Harmonielehre am Konservatorium. Allerdings brach sie dieses Studium ohne Abschluss nach drei Jahren aus bisher ungeklärten Gründen wieder ab und bildete sich in Komposition und Orchestration autodidaktisch weiter. Erst 1922 schrieb sie sich erneut in Harmonielehre ein, um sechs Jahre später die Abschlussprüfung (erster Preis, mit Auszeichnung) zu bestehen. Sie hätte am Konservatorium auch Kontrapunkt und Fuge studieren können – beide Fächer wurden ebenfalls vom Direktor unterrichtet –, aber auch das tat sie nicht, um dann erst viele Jahre später, als 50-Jährige, ein privates Kontrapunktstudium bei Ernst Eichel aufzunehmen. Lou Koster gehörte zu einer ganzen Reihe luxemburgischer KomponistInnen, die ihr Handwerk durch eine Kombination von Musikschulbesuch, Privatunterricht in Harmonie, Kontrapunkt oder Komposition bei einem Lehrer in Luxemburg sowie durch Selbststudium erlernten.37 Sich autodidaktisch zu schulen war in Luxemburg mühsamer als in einer der europäischen Großstädte, in denen Inspirationswie Wissensquellen reichlicher vorhanden waren. Kosters Zögern, sich als Komponistin professionell zu schulen, ist im Zusammenhang damit zu sehen, dass das Komponieren als Männerdomäne galt, umso mehr in Luxemburg, wo sie die Rolle einer Pionierin spielte.38 Fühlte sie vielleicht in diesem Punkt wie Clara Schumann, die rund 70 Jahre früher, 1839, schrieb: »es konnte es noch keine, sollte ich dazu bestimmt sein? das wäre eine Arroganz […]«.39 In Kosters ersten beiden Lebensjahrzehnten hatten die ersten europäischen MusikwissenschaftlerInnen – Marie Lipsius (1882), Anna Morsch (1893), Michel Brenet (1894), Otto Ebel (1902) – erst zögernd damit begonnen, den lange verschwiegenen weiblichen Anteil an der Musikgeschichte zu erforschen.40 Keine der Frauen, über die sie schrieben, hatte Aufnahme in den von der Heroenmusikgeschichtsschreibung geprägten musikgeschichtlichen Kanon gefunden (Citron 1993, Schüler 1998, Dittrich 2010). In den Konzerten, in denen Koster mitspielte oder die sie besuchte, standen keine Werke von Komponistinnen auf dem Programm. »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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Eine Schlagwortrecherche nach dem Begriff ›Komponistin‹ in der Pressedatenbank Luxemburgs bestätigt, welches Randthema die komponierende Frau war. Zwischen 1906 bis 1918 fällt der Begriff ›Komponistin‹ nur ein einziges Mal: Am 15. bzw. 16. Juni 1917 veröffentlichen die beiden Tageszeitungen Luxemburger Wort und Escher Tageblatt einen neun- bzw. zwölfzeiligen Nachruf auf die wenige Tage zuvor verstorbene Pianistin und Komponistin Teresa Carreño.41 In einem spät in ihrem Leben im Républicain Lorrain vom 4. Juli 1972 publizierten Artikel, der auf einem Interview mit ihr basiert, positionierte sich Lou Koster scheinbar mit größerer Selbstsicherheit, wenn auch immer noch in defensiver Haltung, zum Thema ihrer autodidaktischen Studien: »Lou Koster hat leider nie die Möglichkeit gehabt, ihre musikalischen Studien im Ausland weiterzuführen. So musste sie sich mit ersten Preisen am Konservatorium abfinden […] Lou Koster ist also in erster Linie eine Autodidaktin. Dennoch versichert sie, dass all ihre Werke in puncto Tonsatz, den sie in theoretischen Lehrbüchern studiert hat, ausgereift sind.«42 Um wie viel beschwerlicher der Werdegang von Lou Koster war, zeigt ein Vergleich der Bedingungen ihres künstlerischen Schaffens mit denen ihrer nahezu gleichaltrigen Kolleginnen aus dem Ausland. Zu der Zeit, als Koster mit Komponieren anfing, hatten zumindest in einigen ausländischen Städten Konservatorien und Hochschulen ihre Kompositionsklassen für Frauen geöffnet. So studierte Ethel Smyth 1877 Komposition am Leipziger Konservatorium. Die mit Lou Koster fast gleichaltigen Komponistinnen Lili Boulanger, Nadia Boulanger und Germaine Tailleferre studierten Komposition am Pariser Konservatorium, die Britin Rebecca Clarke am Royal College of Music in London und Grete von Zieritz am Grazer Konservatorium. Einige Komponistinnen erlernten das Komponieren nicht an öffentlichen Hochschulen, sie hatten aber Privatunterricht bei renommierten Komponisten, wie beispielsweise Alma Mahler-Schindler bei Alexander von Zemlinsky in Wien oder Henriëtte Bosmans bei Willem Pijper in Amsterdam. Es gibt keine Dokumente, wie z. B. verwendete Lehrbücher, die nähere Auskünfte über Kosters autodidaktische Studien in diesen Jahren geben. In Ermangelung dieser Quellen kann uns die Musik, mit der sie sich als Interpretin beschäftigte, ihr musikbezogenes Handeln als Orchestermusikerin über potentielle Inspirationsquellen für ihr Komponieren informieren. Trug vielleicht ihre Praxis als Orchestermusikerin mit dazu bei, dass sie – spätestens ab den 1920er Jahren – für Orchester zu komponieren begann?

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Orchestergeigerin Das Orchester des Konservatoriums war 1907 gegründet worden, setzte sich aus ProfessorInnen und fortgeschrittenen SchülerInnen zusammen und wurde vom Direktor, zuerst Victor Vreuls, dann Lucien Lambotte und später Walter Kolneder, geleitet.43 Wie Lou Koster in ihrem handschriftlichen Lebenslauf festhielt, wirkte sie seit den Anfängen mit. In den frühen 1920er Jahren spielte auch ihre Schwester Laure mit, als beste Schülerin der Celloklasse von Eugène Kühn saß sie am ersten Pult (EI 7). Das Orchester arbeitete mit Gastdirigenten wie Hermann Abendroth, Guy Ropartz, Richard Strauss und André Messager zusammen und lud regelmäßig international renommierte Solisten und Solistinnen ein, so u.a. die PianistInnen Geneviève Dehelly, Mit Scapus, Robert Casadesus, Charles Scharrès, Marcel Ciampi, die Violinisten Mathieu Crickboom, Hector Clockers, André Asselin, die SängerInnen Lucien Van Obbergh, Lula Mysz-Gmeiner, Lina Falk.44 Über Vreuls’ künstlerische Leitung schreibt Pierre Lalo: »Er hat in dieser kleinen Hauptstadt eines kleinen Staates ein völlig neues Musikleben geschaffen.« (zit. b. Samuel 1957, S. 172) Wie die vielen, wenn auch nicht vollständig erhaltenen, Konzertprogramme45 bestätigen, war Vreuls ein leidenschaftlicher Anhänger vor allem von César Franck, Richard Wagner und Vincent d’Indy sowie allgemein von belgischer und französischer Musik des ausgehenden 19. und beginnenden 20.  Jahrhunderts (Camille Saint-Saëns, Gabriel Fauré, Claude Debussy, Maurice Ravel, Paul Dukas, Guillaume Lekeu, Guy Ropartz, Théodore Dubois, Joseph Jongen, François-Auguste Gevaert, Théo Ysaÿe etc.). »Die moderne Musik verdrängte die klassische und rückte an die erste Stelle«, kommentierte ein Kritiker des Escher Tageblatts am 2. Mai 1916 die Vreuls’sche Programmgestaltung. Die Musik der Avantgarde – Bartók, Strawinsky, Schönberg, Berg, Webern u.a. – wurde aber nicht aufgeführt. Dies blieb auch so unter Vreuls’ Nachfolger Lucien Lambotte. Unter ihm – von 1927 bis 1953 – spielte das Orchester neben Barockwerken vor allem deutsch-österreichische Klassiker, deutsche, französische, russische, italienische, tschechische und norwegische Romantiker sowie, wie zuvor bereits unter Vreuls, belgische und französische Musik des 20. Jahrhunderts.46 Durch ihre Mitgliedschaft im Orchester lernte Koster eine Vielzahl von Orchesterwerken kennen. Außerdem konnte sie sich bei Aufführungen von Werken von Vreuls mit seiner in Kritiken immer wieder gepriesenen Orchestrierungskunst auseinandersetzen. Vreuls wie Lambotte nahmen in all diesen Jahren allerdings kein einziges Werk einer Komponistin in das Programm »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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auf. Das Orchester spielte auch – mit der Ausnahme von Kompositionen von Vreuls und Lambotte selbst – so gut wie nie Musik aus Luxemburg, nur zwei Mal war ein Stück eines anderen Komponisten aus Luxemburg im Konzert zu hören, so am 6. Februar 1930 Michel Lentz und am 5. Februar 1950 Jules Krüger. Lou Koster war ebenfalls Violinistin im Orchester der Société philharmonique.47 Diese Gesellschaft war 1861 zuerst als Blasorchester gegründet worden. 1877 wurde ein symphonisches Orchester gebildet, das ab 1881 das Theaterorchester stellte und 1888 mit dem Orchester der Société de musique fusionierte.48 Das Orchester, dessen Geschichte von Höhen und Tiefen gekennzeichnet war, stellte seine Tätigkeit im Jahr 1926 ein. Alfons Foos schreibt 1930: »Die ›Philharmonie‹, um die sich früher das musikalische Leben der Stadt Luxemburg gruppierte, wurde vor etlichen Jahren, hauptsächlich dank der Bemühungen von Herrn Paul Schroell, zu einem zweiten Leben geweckt; aber auch die war von kurzer Dauer; finanzielle Gründe und Teilnahmslosigkeit des Publikums – sogar Blanche Selva ›zog‹ nicht mehr – erzwangen die endgültige Auflösung.« (Foos 1930, S. 136) Ab wann und wie lange Lou Koster in diesem Orchester spielte, konnte nicht eruiert werden, da die Geschichte des Orchesters noch unerforscht ist. Ihr Name ist auf einem Konzertprogramm von 1911 zu finden: Am 9. und 10. Dezember dieses Jahres fand im Festsaal des ›Palais Municipal‹ ein großes Konzert zum 50-jährigen Bestehen des Vereins statt, bei dem Chor und Symphonieorchester der Société philharmonique unter der Leitung des neuen Kapellmeisters Wilhelm Goetz ein klassisch-romantisches Programm mit Werken von Ludwig van Beethoven bis Richard Wagner spielten (ALK, LK 7A 3 1911.12.09.). In dem 70-köpfigen Orchester – in dem insgesamt sechs Frauen mitwirkten – spielten die drei Geschwister Lou (1. Violine), Lina (Violoncello) und Fernand Koster (2. Violine) mit.49 Auch in der Kurkapelle Bad Mondorf muss sie gelegentlich mitgespielt haben, denn am 10. August 1911 wurde im Luxemburger Wort hervorgehoben, dass das Konzert kommenden Sonntag »unter Mitwirkung von Fräulein Koster, Violinistin« stattfand. Das rund 20-köpfige Orchester wurde für jede Badesaison neu zusammengestellt und bestand vor allem aus ausländischen »tüchtigen Musikern […], die ihre Studien an den Konservatorien Deutschlands und Belgiens gemacht haben und gegenwärtig bei Stadttheater-­ Orchestern und größeren Konzertkapellen tätig« waren.50

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Konzertauftritte als Pianistin und Geigerin Quellen, die über Lou Kosters weitere Konzertauftritte als Violinistin und Pianistin in diesen Jahren informieren, gibt es nur wenige. Für die musikalische Ausgestaltung seiner Generalversammlung 1911 hatte der Luxemburger katholische Frauenbund, wenn auch unter männlicher Leitung, ausschließlich Musikerinnen, darunter Lou Koster, engagiert: »Über die nun folgenden Gesangsolos und Musikpiecen war die Versammlung des Lobes voll. Alle Mitwirkenden ernteten reichen Beifall. Madame Doucet mit ihrer klangvollen Stimme, Frln. Jeanne Müller und Frln. Magd. Weber mit ihrem feingebildeten Sopran entzückten die Zuhörer. Frl. Jos. Decker bewunderte man allgemein am Klavier in ihrer überaus großen Fingerfertigkeit; ihr seelenvolles Spiel ließ die Zuhörer mitfühlen. Frln. Clemen und Frln. Lang ergötzten in der kleinen Szene ›Cuisinière d’Amérique‹ die Zuhörer durch ihr meisterhaftes Auftreten und ihr vollendetes Spiel. Zum Schlusse brachten die Frln. Govers, Koster, de Wael und Weckbecker eine stimmungsvolle Hymne zur hl Cäcilia von Gounod äußerst fein zum Vortrag. Damit hatte die Versammlung ihr Ende erreicht. Den Veranstaltern des Abends, nicht zuletzt Hrn. Musikprofessor Müller gebührt aufrichtige Anerkennung.« (LW 29.11.1911, S. 2)

Im Juni 1915 spielte sie bei einem Schülerkonzert des Konservatoriums. Die Presse lobte ihre pianistische Darbietung als »weit über das Maß hinaus gehend, das man gewöhnlich von Schülern erwartet« (T 11.6.1915, S. 3). Warum ihr Auftritt als Schülerleistung rezensiert wurde, bleibt unerklärlich, sie hatte 1912 ihr Klavierstudium mit einem ersten Preis abgeschlossen, unterrichtete bereits seit acht Jahren Klavier und Violine und wirkte dort auch des Öfteren als Klavierbegleiterin (MKL: Preisverteilung 1917–1952). Neben Konzerten im Rahmen des Konservatoriums finden sich Belege für Auftritte bei Feierlichkeiten, die in einem Zusammenhang mit den beruflichen und ehrenamtlichen Tätigkeiten des Vaters standen. So spielte sie zusammen mit ihren Geschwistern Lina und Francis am 29. Dezember 1912 beim Familienfest des Freidenkerbundes im Hôtel de la Poste, LuxemburgBahnhof. Der Arme Teufel druckte am 29. Dezember 1912 das musikalische Programm ab, bei dem die Geschwister als Klaviertrio eine Fantaisie aus der Oper Faust von Gounod sowie eine Serenata von Braga spielten. In der gleichen Zeitung in der Ausgabe vom 5. Januar 1913 schwärmte der Kritiker insbesondere von den »unentgeltlich« musizierenden »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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»Mädchen, von denen man wirklich nicht weiß, was man am meisten an ihnen schätzen und bewundern soll: ihre jungfräuliche Anmut und Bescheidenheit oder ihre Virtuosität in Violine-, Cello- und Klavierspiel, sowie auch das außerordentliche Kunstverständnis, mit welchem sie die ›Faust‹-Oper von Gounod interpretierten. Wenn wir über alles dies rasch hinweggleiten, so geschieht’s aus der alleinigen Besorgnis, wir könnten der Bescheidenheit dieser trefflichen Künstlerfamilie Koster zu nahe treten […].«

Auch am Sonntag, den 28. Dezember 1913 traten Lou, Lina und diesmal Fernand Koster in Esch/Alzette bei einem Familienfest des Luxemburger Freidenkerbundes auf, um Werke von Rossini, Wienawski und Papin zu interpretieren: »Die Klavierpartien – und sie waren fürwahr zahlreich genug – spielte mit der ihr eigenen Kunst und Grazie Frl. Louise Koster. War so die höchst sympathische Künstlerfamilie Koster-Hoebich bereits durch drei ihrer jungen Mitglieder aufs würdigste vertreten, so ließ es sich schließlich auch das jüngste Töchterlein Lorchen, ein allerliebstes Mädel von kaum 11 Jahren, nicht nehmen, auch ihren Teil beizutragen zum Gelingen des Ganzen. Lorchen deklamierte gleich einer echten und rechten jungen Bühnenkünstlerin wohl das beste und volkstümlichste der Goergen’schen Gedichte, nämlich das von der putzfreudigen Dorfmaid, die in der Weltstadt Paris ihren Staat bewundern zu lassen gedenkt. Bravo, Loreken, das hast du gut gemacht!«51

Auftritte bei Zusammenkünften dieser Vereinigung fanden auch während des Ersten Weltkriegs statt. So spielte Koster nach dem Mittagsmahl einer Freidenkerwanderung am 30. Mai 1915 »mehrere meisterhaft vorgetragene Musikstücke«.52 Und am 9. Januar 1915 war bei einem Familienfest des Vereins in Differdingen »die sympathische Künstlerfamilie Koster-Hoebich von Luxemburg-Bhf. wiederum außerordentlich gut vertreten. Nämlich durch die drei Fräulein Louise, Lina und Lorchen, sowie durch Hrn. Fernand Koster.«53 Lou und Lina Koster traten des Weiteren am 19. April 1914 bei einem Konzert des 1909 als Gewerkschaft gegründeten Eisenbahnerverbandes auf.54 Das Programm war äußerst bunt: Neben von der Fanfare Bonnevoie gespielten Märschen, einem von der Balletttruppe des Bonneweger Turnvereins aufgeführten ›Gassenbubentanz‹ sowie ›komischen Vorträgen‹ und Männergesangsquartetten spielte Lina Koster Le cygne von Saint-Saëns und Méditation von Papin, und als Klaviertrio spielten »die besten Kräfte der Eisenbahner, 54

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u.a. die Töchter des Oberbahnassistenten Koster« Lou und Lina, diesmal zusammen mit Tony Steffen, die Berceuse de Jocelyn von Godard.55 Entmutigung und Liebeskummer Lou Koster schien zumindest in jungen Jahren nicht zu den Menschen gehört zu haben, bei denen Widerstände Kampflust entfachen und Energien freisetzen. Die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beschreibt sie als eine für sie schwierige Zeit: »Ich hatte Liebeskummer, – Und ich lernte Demütigung und Entmutigung kennen. Ich wurde misstrauisch und wenig mitteilsam, ich war unglücklich.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961) An die unglücklichen Liebschaften der Schwester – die erste um 1912, der einige andere folgen sollten – erinnerte Laure Koster sich noch viele Jahre später mit vielen Details. Ihre Erinnerungen geben einen Einblick in das emotionale Leben der Komponistin, aber auch in ihren Lebensalltag, daher sei aus ihnen hier ausführlicher zitiert: »Sie hatte Enttäuschungen in der Liebe. […] Die erste in jungem Alter. Sie besuchte mit Lina einen Tanzkurs und lernte dort einen jungen Mann kennen. Der war Olé Olé … Das imponierte Lou […] Ich war eine Göre von 10 Jahren, und das fiel mir schon auf. Er machte sein Abitur am ›Athenée‹ schon zum zweiten Mal. Er tanzte lieber, als dass er lernte. Als er das Abitur bestanden hatte – sie waren richtig zusammen, das gefiel ihr, er war ein gutaussehender großer Mann –, ging er zum Studium nach Antwerpen. Da lernte er eine reiche Witwe kennen und hat mit Lou gebrochen. Das war ihre erste große Enttäuschung. Die Tränen sind nur so geflossen. Danach wurde sie eigensinnig. […] Sie hätte hunderterlei Möglichkeiten gehabt, zu heiraten. Dieser war ihr nicht intelligent genug, jener war ihr nicht groß genug, es hat immer was gefehlt. […] Einer hatte eine gute Stelle beim Zollamt, er arbeitete in der Heilig-Geist-Gasse […] Später war er in der Resistenz und wurde 1940 von den Deutschen guillotiniert. Er war ein Naturmensch. […] Er war auf dem Weg zur ›Gantenbein-Mühle‹ – die existiert heute nicht mehr – zum Schwimmen. Und wir auch. Sie haben sich da kennengelernt. Er hatte ein Rad, und wir hatten Räder, da machten wir Ausflüge an die Mosel. Ich dachte mir, das ist ein fescher Mann für die Lou. Ich merkte auch, dass er sich für sie interessierte. Es wurde Herbst, wir gingen nicht mehr zum Schwimmen. Lou war überspannt, sie wollte ihm partout nicht den Eindruck geben, dass sie ihm nachstellte. Da ist sie – statt logischerweise durch die Heilig-Geist»Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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Gasse – einen Umweg zum Konservatorium gegangen. Er dachte, sie ist nicht an mir interessiert. Als Lou und Lina dann eines Tages um 11 aus dem Kino kamen, haben sie ihn auf der alten Brücke [nahe der ›avenue de la gare‹] mit einer anderen Frau gesehen. Sie machte ein langes Gesicht, aber da war es zu spät. Sie war widerspenstig. […] Sie hat immer für verlorene Sachen gekämpft. Darin war sie talentiert. Alles, was schiefgehen konnte, ist sie angegangen. Ein anderes Beispiel: Michel Lucius56 […] Er hatte eine Stelle als Geologe in der Türkei. Sie haben sich flammende Briefe geschrieben. […] Wie eng ihre Beziehung war, weiß ich nicht. Eines Tages sind wir […] bei der Burscheider Mühle spazieren gegangen und begegneten dort einem Paar: Michel Lucius mit einer Frau. ›Ich stelle euch meine Frau vor.‹ Ich glaube, das war ihr letztes Abenteuer.« (EI 7)

Laure Koster berichtet, die Schwester habe sich später mit ihrer Musik »getröstet« und sich damit abgefunden, ledig und kinderlos zu bleiben. Der Erste Weltkrieg Eines der einschneidenden Ereignisse dieser Zeitspanne war auch für Lou Koster der Ausbruch des Ersten Weltkrieges.57 Im Sommer 1914, am 2. August, zogen deutsche Truppen in Luxemburg ein, um das politisch sich zur Neutralität verpflichtende Land über einen Zeitraum von mehr als vier Jahren zu besetzen. Die Luxemburger fühlten sich wie im »Wartezimmer des Krieges«, wie der luxemburgische Journalist und Dichter Batty Weber es in seinem gleichnamigen Erinnerungsbuch ausdrückte, und litten unter »dem gezwungenen Abseitsstehen mit zerrissenem Herzen« (Weber 1916, S. 6). Die Front war bedrückend nahe und in Stadt Luxemburg hörbar. »Aber immer klopfen uns dumpf in den Ohren, im Hals, in den Füßen, die Kanonenschläge des großen Krieges. Schall gewordene Bangigkeit. […] Das wird unvergesslich bleiben. Dies leise Schüttern der Erde, das einem durch den ganzen Körper geht. Es ist in uns und es kommt doch ganz deutlich aus der Ferne, von Westen her, immer von der sinkenden Sonne herüber. Es ist etwas unsäglich sanftes, sachtes, wolkenhaft weiches, und doch so unheimlich unheilverkündend, so dräulich entsetzlich.« (ebd., S. 41 u. 76) »Sie sagen manchmal, wir leben in einer großen Zeit. Das ist närrisch. Eine Zeit kann nicht groß sein, wenn ihr Inhalt eitel Tod und Vernichtung ist […] Es ist eine

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kleine Zeit, und sie wird immer kleiner werden, je mehr sich der Krieg auf sein Endziel zuspitzt.« (ebd., S. 19 f.)

Wenn auch das eigentliche Kriegsgeschehen außerhalb von Luxemburgs Grenzen stattfand, kam es durch die Fliegerangriffe auf besetztem Terrain dennoch zu Zivilopfern und Zerstörungen. Auch in den Anbau von Lou Kosters Heimathaus fiel am 7. Juli 1917 eine Fliegerbombe. Durch die Zerstörung des Nebenhauses wurden die durch den Krieg bedingten finanziellen Schwierigkeiten der Familie noch größer (EI 7). Viele luxemburgische Familien hatten enge Kontakte sowohl in Deutschland als auch in Frankreich und in dem stärker als Luxemburg in das Kriegsgeschehen mit einbezogenen Belgien. Man betrauerte Kriegsgefallene an beiden Fronten. Die Familie Koster bangte um das Wohl der Verwandten in Gent und in Paris, vor allem aber um ihren im belgischen Heer mitkämpfenden ältesten Sohn. Francis Koster hatte seine militärische Laufbahn beim belgischen Heer sehr jung, um 1905, begonnen.58 Dazu Laure Koster: »Als Francis sein Abitur machte, schwänzte er morgens die Messe und bekam deswegen eine vier in Religion. Dadurch bestand er das Examen nicht. Er ist dann nach Belgien gegangen, als kleiner Soldat … Von der Pike auf hat er sich hochgearbeitet zum Kapitän und kämpfte im Ersten Weltkrieg.« (EI 4) Zu den direkten negativen Folgen des Krieges zählten Inflation, Nahrungsmittelknappheit, Hungersnot und ein erbärmlicher Gesundheitszustand der Gesamtbevölkerung. Laure Koster erinnert sich lebhaft an die damalige Brotknappheit und erzählt hierzu die Anekdote eines Frauenwettschwimmens, das mitten im Krieg, am 14. Juli 1917, stattfand: »In diesem leidvollen Jahr 1917 war es schwierig, genügend Nahrungsmittel zu finden. Bei diesem Wettschwimmen war der Kaporal, der mir seinerzeit das Schwimmen in der Schwimmschule des Grunds beigebracht hatte, anwesend, und er versprach mir ein großes Brot, sollte ich gewinnen. Während des ganzen Wettschwimmens dachte ich nur noch an das Brot, und als ich siegreich aus dem Wasser stieg, erbat ich sofort mein Brot. Ich wartete voller Ungeduld die Siegesehrung ab, um schnell nach Hause zu gehen und meiner Mutter dieses unglaubliche Geschenk, das ich gewonnen hatte, zu überreichen.« (zit. b. Turping 1997, S. 261, L)

Die Kriegszeit war außerdem durch starke innenpolitische Konflikte gekennzeichnet. Jean-Pierre Flohr vermerkt in seinem Kriegstagebuch unter dem Datum des 28. September 1918 den ständigen Wechsel der Regierungen: »Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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»Es ist dies das achte Ministerium seit 1914!« (Flohr 1921/1, S. 166) Hinzu kam 1918 die Epidemie der Spanischen Grippe, die auch in Luxemburg viele Opfer forderte. »Die Totenglocke läutet. Die Grippe rafft immer noch viele blühende Menschen von 20–30 Jahren dahin. Alle Lehranstalten haben geschlossen […]« (Flohr 1921/2, S. 180). Wenn auch die Besatzer sich nicht in dem Maße in das kulturelle Leben einmischten, wie das im Zweiten Weltkrieg der Fall war, so kam es zeitweise doch weitgehend zum Erlahmen, was das Einkommen der professionellen Musiker und Musikerinnen wiederum schmälerte. Am 25. Januar 1915 schrieb das Escher Tageblatt über das Verbot, Konzerte zu geben (ausgenommen waren Wohltätigkeitsveranstaltungen): »In der Hauptstadt befleißigt man sich immer noch einer puritanischen Strenge. […] Man möge bedenken, dass durch den gänzlichen Verzicht auf musikalische Genüsse eine ganze Anzahl von Leuten, die gerne in ehrlicher Arbeit ihr Brot verdienen möchten, gezwungen werden, am Hungertuche zu nagen.« (T 25.1.1915, S. 2). Auch traten kaum noch Interpreten und Interpretinnen aus dem Ausland in Luxemburg auf. Im Luxemburger Wort war am 21. Februar 1916 zu lesen: »In früheren Jahren stand um diese Zeit die Konzertsaison im Zenit. Jetzt ist es anders geworden: das hat der böse Krieg getan. Bei uns mehr wie anderswo glaubte man, dem rauen Gesellen Zugeständnisse machen zu müssen und legte die Musen in Fesseln. So waren denn die beiden Kriegswinter bettelarm an musikalischen Ereignissen. Unsere Berufs-Musikvereinigungen schwiegen sich aus: der Kammermusikverein wegen Verkehrsschwierigkeiten mit dem Ausland, die Militärkapelle, weil sie nicht anders durfte, das Konservatorium, weil es nicht anders wollte.«

Die bedrückende Situation wirkte sich bei manchen Künstlern negativ auf ihre Kreativität aus. Das bezeugte z. B. Batty Weber: »Ich vermaß mich, nichts mehr zu schreiben, bis wieder Friede wäre.« (Weber 1916, S. 46) Die in Künstlerkreisen weit verbreitete Frankophilie brachte für einige eine reale Bedrohung mit sich, da sie zu Gefangennahme und Verurteilung führen konnte. So wurde beispielsweise der Dichter Marcel Noppeney, dessen Texte Lou Koster später vertonen sollte, in drei Prozessen zum Tode verurteilt, nur eine Intervention der Großherzogin Marie-Adelheid beim deutschen Kaiser konnte erwirken, dass der Literat nicht hingerichtet wurde. Inwiefern der Krieg Spuren im kompositorischen Schaffen von Lou Koster hinterließ, bleibt weitgehend ungeklärt. Es ist kein Musikmanuskript erhalten, auf dem ein Datum aus dem Krieg verzeichnet wäre. In dem Buch-, 58

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Kunst- und Musikverlag Aurora in Weinböhla bei Dresden publizierte sie – ohne Datum – erstmals zwei eigene Kompositionen: die zwei Walzer Joyeuse und Lore-Lore. Einiges deutet darauf hin, dass diese Drucke um 1916, also noch im Ersten Weltkrieg, erschienen. Sicher ist, dass Lou Koster in dieser Zeit hauptsächlich damit beschäftigt war, und dies bis zur völligen Erschöpfung, mit ihrem Musizieren möglichst viel Geld zu verdienen, um ihren Beitrag zum Unterhalt der Familie zu leisten. Während des Schuljahres 1918/19 war das Konservatorium geschlossen, das Gebäude war vom französischen Militär besetzt worden, so dass dieses sichere Einkommen für ein Jahr ausfiel. Feminismus in Luxemburg 1906–1918 Lou Kosters Jugend fiel in eine Zeit, in der in Europa – mit etwas mehr Zurückhaltung auch in Luxemburg – heftig über Frauenrechte diskutiert und gestritten wurde. Einige der Errungenschaften der Frauenbewegung in dieser Zeitspanne kamen für Lou Koster zu spät, so der bereits erwähnte erfolgreiche Kampf um die Institutionalisierung einer gymnasialen Ausbildung für Mädchen in Luxemburg. Obwohl die Luxemburger Frauenrechtlerinnen, um ihre Ziele zu erreichen, nicht zu den Mitteln der englischen Suffragetten griffen, waren die Reaktionen auf ihre Initiativen oft negativ. Der Zeitzeuge und Politiker Auguste Collart schrieb rückblickend: »Die Emanzipationsbestrebungen der Frau wurden viel bespöttelt; zahlreichen Männern und Frauen waren sie unsympathisch. Zu dieser Einstellung trugen die englischen Suffragetten, welche enorm viel Spektakel machten, und die deutschen Überweiber, die in sogenannten Reformkleidern ebenso wichtigtuerisch wie abschreckend einherstolzierten, wesentlich bei. Die öffentliche Meinung nahm vielfach an, die sogenannten modernen Frauen hätten die Absicht, diese meist abstoßenden Weibsbilder nachzuahmen.« (Collart 1959, S. 83 ff.)

Frischen Wind brachte dem Geistesleben Luxemburgs 1907 die Gründung der kulturellen und literarischen Zeitschrift Floréal (1907–1908), die gleich ab der ersten Nummer dem Thema Feminismus eine ganze Artikelserie widmete (Poirier 1907). Auch die 1911 gegründete linksliberale Zeitschrift Die Neue Zeit. Organ für fortschrittliche Politik und Volksbildung (1911–1914) schrieb sich die Gleichberechtigung auf die Fahne (Schons 1996, S. 49). Dass diese neuen Stimmen sich Gehör verschafften, sollte nicht darüber hinweg»Man verdiente sein Brot damit, mit der Musik …« (1906–1918)

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täuschen, dass in den beiden ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts, in denen ein heftiger Kulturkampf tobte, es letztlich der Konservativismus war, der in Luxemburg an Boden gewann. 1905 widmete das konservative Luxemburger Wort dem Thema »Frau und Politik« einen Leitartikel: »Sie genießen die Gleichheit vor dem Gesetze, und auch im Erwerbsleben sind sie nur wenigen Beschränkungen unterworfen. Dagegen ist ihnen politische Gleichberechtigung verwehrt, und diese wird ihnen wohl sobald noch nicht zugestanden werden, weil die Organisation eines Staates, in dem Mann und Frau die gleichen Rechte haben, der Natur widersprechen würde […]; nur der Mann ist imstande, die letzten Konsequenzen der Gesellschaftsorganisation zu ziehen, indem er zu deren Verteidigung oder zur Machtergreifung den physischen Kampf führt. Der Staat ist also durchaus ein Männerstaat, und sein verkleinertes Abbild, die Familie, beruht ebenfalls, seitdem wir ein Kulturleben führen, auf dem Grundsatz, dass der Mann das Oberhaupt sei« (LW 19.12.1905, S. 1).

Die Macht der Kirche wurde immer stärker. Als Pendant zum 1906 gegründeten liberalen Verein für die Interessen der Frau wurde im gleichen Jahr der Luxemburger katholische Frauenbund ins Leben gerufen, der ein ganz anderes Frauenbild propagierte, sich für eine Frauenbildung »innerhalb der Weiblichkeit und der katholischen Weltanschauung« einsetzte und gegen eine »uferlose Emanzipation« kämpfte (LW 22.11.1906, S. 2; siehe hierzu auch Besch 2009). Der Verein – der Lou Koster wie oben erwähnt im November 1911 für eine Veranstaltung als Musikerin engagierte – erhielt Unterstützung von der Kirche, der konservativen Presse und vom großherzoglichen Hof. Im 19. Jahrhundert hatte der Liberalismus Politik wie Geistesleben dominiert, und obwohl das Land katholisch war, hatte die katholische Kirche lange Zeit keine politische Macht, denn es fehlte ihr die Unterstützung der protestantischen Monarchen. Ab 1908, als die katholische Maria Anna von Braganza (1861–1942) die Regentschaft, zuerst für ihren kranken Mann Wilhelm  IV., dann für ihre minderjährige Tochter Marie-Adelheid, übernahm, wurde die Monarchie katholisch.59 1917 gelangte schließlich auch die konservative Partei an die Macht. Der Wechsel im Herrscherhaus von protestantisch zu katholisch wurde begleitet von einem Wechsel hin zur weiblichen Führung. Da abzusehen war, dass nach dem Tod von Wilhelm  IV. mangels männlichen Nachwuchses sämtliche Linien des Gesamthauses Nassau aussterben würden, war die Erbfolge in Luxemburg abgeändert worden (zuvor galten Familienpakte der Oranier, später Nassau Weilburg, die 60

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Frauen den Thron vorenthielten). Obwohl die ersten Monarchinnen Luxemburgs konservativ und streng katholisch waren, erweiterten sie an der Spitze des Landes das weibliche Rollenspektrum, was nicht ohne Einfluss auf die Wahrnehmung von Frauen blieb. Marie-Adelheid mischte sich stärker als ihre Vorgänger in die Regierungsgeschäfte ein und war in politischer Hinsicht wenig populär. In künstlerischer Hinsicht spielte sie aber eine umso bedeutendere Rolle. Als Jugendliche hatte sie eine vielseitige Ausbildung als Malerin genossen. In Luxemburg richtete sie sich in ihrem Palais ein Maleratelier ein, unterhielt Austausch mit KünstlerInnen im In- und Ausland und wirkte als Mäzenin. Sie war Schirmherrin des 1893 gegründeten Cercle Artistique de Luxembourg und stellte in diesem jährlichen Ausstellungs-Salon insgesamt 34 eigene Gemälde aus (Lorang 1997, S. 268 ff.). Ihre Nachfolgerin und Schwester Charlotte entwickelte sich später zu einer politischen Kultfigur. Von 1908 bis 1964 waren die großherzoglichen Staatsoberhäupter Frauen. Ab 1919 beschränkte sich deren politische Rolle vor allem darauf, »fürsorgliche, politisch zurückhaltende Landesmutter zu sein«, wie die Historikerin Wagener es formuliert (Wagener 2010/2, S. 176).

»… und ich werde wieder mutig und stark« – Die Operette An der Schwemm (1919–1929) Kriegsende Am 21. und 22. November 1918 zogen französische und amerikanische Soldaten in Luxemburg ein und setzten der Zeit der vierjährigen Besatzung durch das Deutsche Reich ein Ende. Die politische und wirtschaftliche Lage blieb aber weiter unsicher, was Lou Koster kaum rasch zu konzentrierter Ruhe und Kreativität zurückfinden ließ, zumal 1919 als eines der turbulentesten Jahre in der Luxemburger Geschichte gilt, zugleich aber auch als ein Markstein in der Luxemburger Frauengeschichte. Die unmittelbare Nachkriegszeit war durch eine zaghafte Aufbruchsstimmung geprägt. Zaghaft, da nach dem Weltkrieg die Unabhängigkeit des Staates wieder in Frage gestellt war. Durch den Krieg war die Union mit dem deutschen Zollverein in die Brüche gegangen, was die wirtschaftliche Zukunft des Landes auf unsicheren Boden stellte. Unmittelbar nach dem Krieg wurde die seit Jahren schwelende Unzufriedenheit mit der Monarchie, der Großherzogin, immer sichtbarer. Flohr beschrieb die Situation Sylvester 1918 in seinem Kriegstagebuch mit folgenden Worten: »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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»Die politischen Parteien, die Rechts- und Linksparteien gehen nicht einig über die Frage, wie die Zukunft des Landes zu gestalten sei. Um Monarchie oder Republik, um Anschluss an Frankreich oder Belgien geht der Streit. Die Dynastie Nassau-Luxemburg wird heftig angegriffen und die Abdankung der Großherzogin und ihres Hauses wird in Wort und Schrift gefordert. Die Mehrzahl des Volkes wünscht ein freies, unabhängiges Luxemburg, in Interessengemeinschaft auf wirtschaftlichem und geistigem Gebiet mit dem edlen Frankreich.« (Flohr 1921/2, S. 228)

Um den Jahreswechsel 1918/19, noch vor dem definitiven Friedensschluss, flammte eine republikanische Bewegung auf, die zwischen dem 9. und 12. Januar 1919 eskalierte und genauso rasch wieder scheiterte. »Die Revolution, die gänzlich unblutige Revolution, ist zu Ende«, kommentierte Flohr am 14. Januar 1919 (ebd.). Dazu auch der Dichter und damalige Erziehungsminister Nikolaus Welter: »Die große Mehrheit der Luxemburger ist nicht republikanisch gesinnt. Dafür haben wir noch nicht genug gelitten. Die Revolution […] ist […] das Kind des Elends.« (Welter 1926, S. 138) Zwar dankte die Großherzogin Marie-Adelheid am 9. Januar ab. Aber die Monarchie blieb erhalten, und Charlotte folgte ihrer Schwester auf den Thron. Am 29. April des gleichen Jahres gingen 10.000 Menschen auf die Straße, um in einer Kundgebung ihr Selbstbestimmungsrecht einzufordern. Das Volk erhielt schließlich am 28. September die Möglichkeit, mittels eines Referendums seine Meinung über die politische und wirtschaftliche Zukunft des Landes zu äußern. Die Mehrheit der Wähler – und erstmals auch Wählerinnen – sprach sich für die Monarchie aus (nur 19,66 % stimmten für die Republik) sowie für eine wirtschaftliche Union mit Frankreich. Letztere scheiterte an der Bereitschaft Frankreichs, und 1921 wurde Belgien zum neuen Wirtschaftspartner (Union économique belgo-luxembourgeoise, UEBL). In den stärker vom Krieg betroffenen Nachbarländern kam es in der Nachkriegszeit in künstlerischer Hinsicht zu einem Bruch und einer radikalen Neuorientierung. Auch in Luxemburg gab es Künstler, die sich internationalen Strömungen der Avantgarde anschlossen, allerdings findet man diese fast ausschließlich auf literarischem Gebiet (Mannes 2007). Die bildende Kunst wie die Musik suchten erst später einen Anschluss an die Moderne.60 Ausnahmslos alle vor 1920 geborenen Komponisten und Komponistinnen blieben der Tonalität treu. Die Angst vor der Dissonanz blieb bei Musikkritikern in Luxemburg verbreitet, so wetterte z. B. einer der gefürchtetsten Kritiker Luxemburgs, der Komponist und Kirchenmusiker Dominique Heckmes, am 19. Februar 1924 gegen die Dissonanzen eines Debussy, dessen 62

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Prélude Minstrels auf dem Programm eines Konzertes im Konservatorium stand: »Ich persönlich gestehe mein Unvermögen ein, meinen musikästhetischen Sinn mit Kunsterzeugnissen wie ›Ministrels‹ [sic] von Claude Debussy zu versöhnen. […] Wenn aber am Klavier zwei scharf umschriebene Töne als Dissonanz unvorbereitet und unaufgelöst aufeinanderprallen: Wo ist da der Ausgleich zu finden?« (LW 19.2.1924, S. 2) 1919 – Frauenwahlrecht Am 8. Mai 1919 war eine Verfassungsrevision abgeschlossen und mit dem allgemeinen Wahlrecht auch das Frauenstimmrecht eingeführt worden.61 Luxemburg gehörte damit zu den europäischen Ländern, in denen das Frauenwahlrecht verhältnismäßig früh ausgeübt werden konnte (Wagener 1994). Dies geschah u.a. auf Druck der Frauen selbst: Im Sommer 1918 hatten 345 Frauen aus Stadt Luxemburg, Esch/Alzette, Differdingen und Rümelingen in der Abgeordnetenkammer eine Petition zur Forderung des Frauenwahlrechts eingereicht.62 Und diese Petition war gleich von zwei Mitgliedern der Familie Koster unterzeichnet worden, von Emma Koster und von »L. Koster«. Ein Abgleich der Handschrift lässt vermuten, dass es sich dabei um Lou, und nicht um Lina, handelte. Da Laure zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährig war, kann man sie als Unterzeichnende ausschließen. Der Fund von Kosters Namen auf den Petitionslisten eröffnet einen neuen Blick auf das frühe frauenpolitische Engagement der Komponistin und ihrer Familie. Der 1906 von Aline Mayrisch de Saint-Hubert und einigen anderen bürgerlichen Frauen gegründete Verein für die Interessen der Frau hatte sich für Frauenbildung und -berufstätigkeit sowie soziale Fragen eingesetzt, hatte sich aber für das Thema Frauenwahlrecht kaum interessiert, obwohl – oder auch vielleicht gerade weil – die Bewegung der englischen Suffragetten häufig – oft hämisch – in der Luxemburger Presse kommentiert wurde. Es waren die Arbeiterbewegung und die sozialdemokratische Partei, die sich ab 1905 für das Frauenstimmrecht eingesetzt hatten. Insbesondere die Sozialistin und Republikanerin Marguerite Mongenast-Servais kämpfte zwischen 1917 und 1919 in Aktionen und Artikeln dafür. Auch wenn tatsächlich der Mehrzahl der luxemburgischen Frauen, wie die Frauenrechtlerin Catherine SchleimerKill es damals umschrieb, das Wahlrecht »wie eine frühreife Frucht« in den Schoß fiel63, gab es durchaus aktive und engagierte Kämpferinnen, die sich dafür einsetzten. Diese Stimmen trachtete das katholische Luxemburger Wort, wie das folgende Zitat zeigt, totzuschweigen: »Bei uns gab es keine aktiven »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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Frauenstimmenrechtlerinnen, keine Miss Pankhurst. Darum braucht es eine gewisse Zeit bis einige von uns wieder zu sich kommen, sich damit aussöhnen«, war in der Beilage ›Luxemburger Frau‹ zu lesen (LW 4.7.1919, S. 3). Am 26. Oktober 1919 fanden die ersten Parlamentswahlen statt, an denen sich Frauen, also auch Lou, Lina und Emma Koster, beteiligten. Gleich vier Frauen stellten sich zur Wahl, und die Sozialistin und Lehrerin Marguerite Thomas-Clement wurde Luxemburgs erste Abgeordnete (bis 1931 blieb sie auch die einzige, ab diesem Datum und bis 1965 war das Parlament dann wieder rein männlich besetzt). Thomas-Clement setzte sich für weibliche Belange ein und reichte 1920, wenn auch erfolglos, einen Gesetzesantrag zur bürgerlichen und wirtschaftlichen Gleichstellung der beiden Geschlechter ein.64 Die Frauenbewegung erhielt in diesem Jahrzehnt Aufwind: 1924 gründete die Lehrerin Catherine Schleimer-Kill die Organisation Action féminine, die eine gleichnamige Zeitschrift herausgab und sich insbesondere für die politische Partizipation von Frauen einsetzte. Ihr gelang es, 1928 in Esch/ Alzette für die Gemeindewahlen eine reine Frauenliste aufzustellen. Auch die sozialistische Gewerkschaftlerin Lily Becker machte sich in den 1920er Jahren einen Namen als engagierte Frauenrechtlerin. 1919 – Tod des Vaters Gegen Ende des politisch turbulenten und frauenpolitisch bedeutenden Jahres 1919 erlitt Lou Koster einen schweren persönlichen Verlust: Am 18. November 1919 starb ihr Vater im Alter von 67 Jahren. Zwei Jahre früher, im Krieg noch, war er wegen seines schwachen Gesundheitszustandes vorzeitig pensioniert worden und hatte zu dieser Gelegenheit als Anerkennung seiner langjährigen Dienste für die Eisenbahn Elsass-Lothringen das Königlich Preußische Verdienstkreuz in Gold erhalten. In der sozial-republikanischen Zeitung Der arme Teufel veröffentlichte der Luxemburger Freidenkerbund am 20. Dezember 1919 einen langen und warmherzigen Nachruf auf sein Vorstandsmitglied: »[…] Jean Koster war unser Bester einer. […] Im reifen Mannesalter waren es die befreienden Ideen, die ihm heilig waren, die ihn den Umgang mit den jungen Aposteln des Freidenkertums aufsuchen ließen. Wie lauschten wir alle seinen Worten, wenn sein kerngesunder Verstand uns den Rat zukommen ließ, nach dem wir suchten. […] Sprühender Witz und tiefer Ernst wussten sich ebenmäßig abzulösen, wenn es galt im Streit der Ansichten das Richtige

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zu finden. […] Sein Sinn, sein Wirken und Walten wirkte unwillkürlich auf uns ein, und gab unserer Bewegung jenes sichere Auftreten, das ohne schroffes Vorgehen dennoch den Willen verrät das erkannte Gute ohne jedwede persönliche Rücksicht oder Schwäche durchzuführen. […]«

Die freidenkerischen Ansichten von Jean Koster führten nach seinem Tod zu großen Unstimmigkeiten und Streitereien in der Familie. Da er sich für eine Feuerbestattung entschlossen hatte, brachen einige der streng katholischen Neffen nun definitiv mit der Familie, was insbesondere die Mutter sehr schmerzte (EI 7). Um ihre persönliche Verehrung für den Vater musikalisch zum Ausdruck zu bringen, komponierte Lou Koster anlässlich des ersten Todestages des Vaters den Marsch Jang [ Jang = luxemburgische Form des Namens Jean] (Schmitz 17.5.1969, T). »Märsche zu komponieren passte gut zu ihrer sportlichen Natur«, meinte Maisy Koster (EI 6). Keine Aufstiegsmöglichkeiten am Konservatorium Die 1920er Jahre waren für Lou Koster eine ambivalente Zeit enttäuschter Hoffnungen, aber auch öffentlicher Erfolge. In ihrem Lebenslauf beginnt sie den Erlebnisbericht der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg mit einer bitteren Note: »Nach der Befreiung 1918 rechnete ich mit einer Nominierung als Professorin, aber erst 1922 wurde der Lehrkörper erweitert – und ich war enttäuscht, zu sehen, dass ein Rivale den Posten besetzte, den ich zu erhalten gehofft hatte.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F) Am 30. Mai 1921 hatte sich die Aufsichtskommission des Konservatoriums endlich dazu entschlossen, bei der Gemeinde Luxemburg die Schaffung von insgesamt elf neuen Posten einzufordern.65 1922 wurden tatsächlich sieben neue Posten geschaffen, dies ausschließlich in den Fächern Klavier und Violine. Lou Koster, die seit 1908 am Konservatorium beide Instrumente als ›monitrice‹ unterrichtet hatte, war nur in Klavier für eine der Stellenbesetzungen vorgeschlagen worden.66 In der Gemeinderatssitzung vom 9. März 1922 wurden die Posten wie folgt besetzt: Die Klavierprofessuren gingen an die Damen Joséphine Decker, Marguerite Van Acker und Marie Govers, die wie Koster schon langjährige Dienste als ›monitrices‹ am Konservatorium geleistet hatten, sowie an Richy Müller, den einzigen Kandidaten, der bis zu diesem Datum noch nicht an dieser Schule gelehrt hatte. Lou Koster und der seit 1918/19 als ›moniteur‹ tätige Marcel Radoux wurden als Hilfsprofessoren ernannt.67 Hinzu kam, dass Frauen auch weiterhin für die gleiche Arbeit weniger verdienten als ihre »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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männlichen Kollegen.68 Batty Weber kommentierte die neuen Stellenbesetzungen am 11. März 1922 in der Luxemburger Zeitung in einem seiner Abreißkalender69 und empfand die Tatsache, dass Lou Koster keine Professur erhielt, als »hanebüchene Ungerechtigkeit«: »Aus den Prüfungsergebnissen, den errungenen Preisen, den erhaltenen Punkten ist nicht zu ersehen, dass sie eine Professorenstelle nicht ebenso gut verdient hätte, wie eine andere. Vielleicht hatte sie weniger ›Schritte getan‹. Dafür hätte sie nun eher belohnt werden müssen. […]. Wenn Herr Richy Müller die außergewöhnliche Lehrkraft und Kunstbegabung besitzt, die ihm angerühmt werden und an die ich persönlich mit voller Überzeugung glaube, so müsste das Reglement die Möglichkeit vorsehen, ihn anzustellen, ohne andere zu schädigen, die seit über zehn Jahren mit Talent und Fleiß und einer von allen Kollegen gerühmten Dienstbereitschaft sich um die Anstalt verdient gemacht haben, und zumal ohne sie durch Zurücksetzung ihren Kollegen gegenüber zu entmutigen und vielleicht in den Augen bornierter Schülerinnen [sic] zu deklassieren.« (Weber 11.3.1922, AK in LZ)

Die Nominierungen feierte Weber aber, abgesehen von diesem bitteren Kommentar, als einen Sieg des weiblichen Geschlechts, wenn er zwischen den Zeilen auch anklingen lässt, es sei der weibliche Fleiß und nicht das höhere Talent, der die Waagschale zugunsten der Frauen habe ausschlagen lassen: »Schämt Euch, Mannsleut! Am Konservatorium waren sieben Stellen zu besetzen. Und wieviel habt Ihr davon erhascht? Zwei, mit knapper Not. Überall waren Euch die Damen übern’ [sic] Ihr kommt grade noch vor Torschluss mit durch. Jawohl, es genügt nicht immer, dass man Talent und lange Haare hat, man muss auch üben, fleißig sein, dalli, dalli! Und darin sind sie Euch über, die die links knöpfen. Sie haben keinen Stammtisch und keine Kegelbahn, sie üben mit demselben Genuss Tonleiter, wie andere Strümpfe stricken oder Bettdecken häkeln, oder wie Ihr Skat drescht, und das Ochsen mit den Daumen in den Ohren ist ihnen eine Wonne. Darum fliegen ihnen die ersten Preise zu, darum schnappen sie Euch die ersten Stellen weg, darum werden sie eines Tages wieder die Herrinnen der Erde sein, wie sie es schon einmal waren.« (ebd.)

Wie aus den handschriftlichen Examensberichten des Konservatoriums hervorgeht, stellte sich Lou Koster schließlich im Schuljahr 1933/34 einem Be66

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förderungsexamen. Hilfsprofessoren und -professorinnen, die seit mindestens 20 Jahren zufriedenstellend am Konservatorium unterrichtet hatten, konnten sich einer Prüfung stellen, die ihnen, nach Bestehen, einen Professorenlohn garantierte. Lou Koster wurde 1934 zur Professorin ernannt, in dem Bericht hieß es aber einschränkend: »Die Jury ist jedoch bestrebt, die Kommission des Konservatoriums auf die Tatsache aufmerksam zu machen, dass Fräulein Koster sich auf das Unterrichten im Mittelgrad beschränkt.«70 In der Notiz wird nicht offengelegt, ob man die Pianistin insbesondere für das Unterrichten in der Unter- oder in der Oberstufe oder in beiden für unfähiger hielt.71 Neuer Mut als Komponistin In den frühen 1920er Jahren erfolgte ein plötzlicher Schub in ihrem Selbstbewusstsein. Sie wagte sich immer mehr mit ihrer Musik an die Öffentlichkeit, dies auch mit umfangreicheren Kompositionen in größerer Besetzung. Ihre Musik ließ sie ab dem 13. Oktober 1920 durch ihre Mitgliedschaft in der SACEM schützen (ALK, LK 6A 4 1985.11.21). Sie suchte und fand auch neue Verleger wie z. B. die Maison Musicale Moderne aus Brüssel für eine Serie von zwölf Klavierstücken, die sie unmittelbar nach dem Krieg publizierte. Spätestens in den 1920er Jahren begann Koster Unterhaltungsmusik für Orchester zu schreiben. Die musikalisch untermalten Schwimmfeste des 1919 gegründeten Swimming Club Luxembourg (S.C.L.) boten der jungen Musikerin, die selbst eine begeisterte und nicht untalentierte Schwimmerin war, zahlreiche Möglichkeiten, in diesem Bereich ihr Talent erstmals unter Beweis zu stellen. Die Feste fanden im Sommer im Flussschwimmbad der Alzette, der ›Schwemm‹ im Grund, und in der kalten Jahreszeit in der 1908 gebauten Badanstalt statt. In den Pausen zwischen den Wettschwimmen sorgte ein kleines Orchester, das in der Badanstalt über den Duschkabinen platziert war und das von der Komponistin – wohl vom Klavier aus – geleitet wurde, für die musikalische Unterhaltung (NOEL 1969, S. 38). Ab 1921 fand alljährlich um die Weihnachtszeit ein solches feierliches Fest statt, das mit einer ›Soirée dansante‹ ausklang. Es lässt sich vermuten, dass die Komponistin ihre frühesten Orchesterwerke eigens für diese Gelegenheiten komponierte. Es handelt sich dabei, wie bei ihren Klavierstücken, vor allem um leichtere Unterhaltungsmusik – Tanzsuiten, Walzer, Märsche – mit evokativen Titeln. Anlässlich des sommerlichen Schwimmfestes am 25. Juni 1922 führte das Orchestre du S.C.L. erstmals ihren Swimming March auf, den sie dem Verein gewidmet hatte (NOEL 1969, S. 45). In der Tagespresse wer»… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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den die Auftritte des Orchesters lobend erwähnt, der Name der Person, die das Orchester leitete, wird aber nicht bekanntgegeben: »Während des Festes führte ein Orchester unter junger Maestrohand flotte Weisen vor.«72 Im Nachlass von Laure Koster befand sich ein Programm eines Schwimmfestes vom 24. Mai 1925, aus dem hervorgeht, dass es sich um ein reines Frauenorchester gehandelt haben könnte. In diesem Programm heißt es, es habe ein »Orchester unter der Leitung und mit dem gnädigen Mitwirken der GirlGuides Luxemburg« gespielt (ALK, LK 7C 1 1925.05.24, F). Ihr Mut, stärker zum eigenen kompositorischen Schaffen zu stehen, wurde möglicherweise von der generellen Aufbruchsstimmung der Nachkriegszeit sowie dem neuen, freieren Frauenbild der Roaring Twenties beflügelt, das u.a. durch den Stummfilm propagiert wurde. In der kleinen Landeshauptstadt Luxemburg war man bestrebt, mit den neuen Moden der großen Metropolen mitzuhalten. Auch hier erweiterten, wie bereits erwähnt, die ›lebenden Bilder‹ mit neuen weiblichen Rollenmodellen – mit denen sich Koster als Kinomusikerin tagtäglich auseinandersetzte – den weiblichen Bewegungsraum. Die Vorurteile gegen Künstlerinnen bauten sich dennoch erst sehr allmählich ab. So entzog sich die Luxemburger Schriftstellerin Jeanne Duren einer möglichen Be- oder Verurteilung ihrer Leistungen aufgrund ihres Geschlechts, indem sie ihre Erzählungen, Essays, Aphorismen usw. unter dem männlichem Pseudonym Jean oder Jan Duren (oder Durand) publizierte. Dass die Komponistin ihrem weiblich klingenden Geburtsnamen Louise das geschlechtslose ›Lou‹ vorzog, geschah vielleicht aus einer vergleichbaren Motivation. In einer Kurzgeschichte des jungen luxemburgischen Avantgardeautors Pol Michels, die dieser 1926 im Jahrbuch der studentischen Vereinigung AGEL publizierte, kommt die Ablehnung künstlerischer Ambitionen bei Frauen, sei es nun die des Autors oder die des Protagonisten, knapp und deutlich zum Ausdruck: »Ich hatte das Mädel liebgewonnen. Es hatte Vorzüge. Es konnte weder zeichnen, noch malen, noch Klavier spielen, und die unangenehme Fähigkeit zu tanzen, welche zur Mitgift jedes anderen Weibes gehört, war bei ihm nicht anzutreffen. Es schriftstellerte nicht einmal. Es hieß Effi.« (Goetzinger Mannes 2009, S. 153) Der Bruder Francis, Unterhaltungsmusiker Ihre Hinwendung zur Unterhaltungsmusik in den 1920er Jahren teilte Lou Koster mit ihrem Bruder Francis aus Brüssel, der ebenfalls komponierte. War es vielleicht auch er, der sie in Kontakt mit ihrem Verleger in Brüs68

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sel brachte? Im Gegensatz zur Schwester scheint er ausschließlich populäre Musik komponiert zu haben und hatte dabei eine leichte Feder. Seine Kompositionen waren, laut Maisy Koster, »Sturzgeburten« (EI 6). Er legte sich den Künstlernamen Francis’Ko zu, war auch als Dirigent tätig und hatte ein eigenes Orchester. Einem Konzertprogramm vom 25. April 1940 kann man entnehmen, dass das Orchestre FRANCIS’KO zusammen mit dem damals berühmten Chansonsänger Jean Tranchant und in Anwesenheit des belgischen Königs die Musik zum Film La Mousson von Clarence Brown im Cinéma Métropole in Brüssel interpretierte (ALK, LK 7C 3 1940.04.25). Maisy Koster schilderte Francis als »ein Naturtalent. Er hätte ein Genie sein können, wäre er kein Clown gewesen. Er war eine Spielernatur.« (EI 6)73 Und Laure Koster erzählte: »Er […] spielte ganz gut Orgel, ganz gut Klavier, auch Cello. Er hatte Möglichkeiten für alles … er hat alles angefangen und nichts fertig gemacht … […] Er hat zur Zeit der Weltausstellung [Paris 1900, damals war er 12 Jahre alt] mit der Tante in Paris vierhändig prima vista gespielt, die Tante konnte es nicht glauben.« (EI 7) Ob sein musikalischer Nachlass überlebt hat und wo er sich heute befindet, konnte nicht eruiert werden.74 Im Familienbesitz des Neffen Jean-Paul Koster ist, neben zwei Konzertprogrammen und ein paar Fotos, nur eine seiner Kompositionen erhalten: Das Chanson Bonne Maman ou Pour toi je chante toujours – Slow-Fox chanté, bei dem Francis Koster sowohl Text als Musik schrieb, wurde im Verlag P ­ eter Pan in Anderlecht publiziert. Das Exemplar im Besitz der Familie trägt eine Widmung an Emma Hoebich: »À ma Bonne Maman! Son fils l’auteur Francis, 22.10.39«. Auf dem Titelblatt ist zu lesen, dass das Lied erstmals von Yvette Sam gesungen wurde und die Verkaufseinnahmen für den Verein Asiles de Soldats Invalides Belges bestimmt waren (ALK, LK 7B 1 KOST). Die Recherche zu Lou Kosters Publikationen im Verlag Maison Musicale Moderne brachte ans Licht, dass der Bruder in demselben Verlag, ohne Jahresangabe, eine wiederum seiner Mutter gewidmete Valse lente mit dem Titel Blondine publiziert hatte.75 In der BnL ist ein weiterer Druck überliefert, der Klavierauszug eines Marsches mit dem Titel L’Alliance – Marche symbolique Belgo-Luxembourgeoise. Er ist dem luxemburgischen Erbgroßherzog Jean de Luxembourg und seiner belgischen Ehefrau Prinzessin JoséphineCharlotte offiziell gewidmet, deren Fotografien das Titelblatt zieren. Er erschien ohne Datum im Eigenverlag (Editions Francis Ko, 34, Bd d’Avranches, Luxemburg).76 Eine Aufführung des Marsches ist für den 24. März 1940 belegt, und zwar mit dem Grand Orchestre Symphonique L’Alliance unter der Leitung von Francis Koster (ALK, LK 7C 3 1940.03.24).

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Die Geschwister Francis, Lou und Fernand komponierten übrigens alle einen belgischen Marsch: Lou Koster veröffentlichte Les Belges – Pas redoublé als Nummer 1 ihrer Klavierserie bei Maison Musicale Moderne. Wie es scheint, komponierte Fernand Koster zeitlebens nur ein einziges Musikstück, einen Marche belge, den er in zwei Versionen publizierte: einmal als Chant héroique, ein Lied ohne Begleitung auf einen Text von Octave Crahay, 1915 bei der luxemburgischen Druckerei P. Worré-Mertens und einmal ohne Text für Klavier allein, ohne Datums-, Verlags- oder Druckereiangabe (ALK, LK 7B 1 KOS1 und KOS). Zusammenarbeit mit Batty Weber an der Operette An der Schwemm Die Komposition ihrer ersten und einzigen Operette, An der Schwemm, im Jahr 1922 bringt Lou Koster in einen indirekten Zusammenhang mit der Enttäuschung über ihre Zurücksetzung am Konservatorium: »Was mich tröstete, war, innerlich den Mut zu finden, Batty Weber um ein Libretto zu bitten, was er auch prompt tat, indem er ›An der Schwemm‹ für mich verfasste, und die Melodien, die ich auf diese Texte schrieb, wurden geschätzt, leider war das Stück zu kurz.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F). Der Journalist, Schriftsteller und langjährige Chefredakteur der liberalen Luxemburger Zeitung Batty Weber galt zu diesem Zeitpunkt als einer der prominentesten Intellektuellen Luxemburgs (Millim 2017, Gilbertz 2017). Batty Weber und Lou Koster kannten sich bereits länger. Evy Friedrich berichtet in seinem Beitrag in der Revue am 3. Juni 1972, Koster und Weber seien Nachbarn gewesen (Friedrich 3.6.1972, R). Weber lieferte nicht zum ersten Mal einen Text für das Musiktheater. Er war u.a. der Autor der 1912 uraufgeführten und äußerst erfolgreichen Operette D’Wonner vu Spéisbech [Das Wunder von Spiesbach] von Fernand Mertens.77 Nach Evy Friedrich wäre es zuerst Kosters »geheimer Wunsch gewesen«, Webers Operettentext D’Wonner vu Spéisbech zu vertonen (Friedrich 3.6.1972, R). Aus dem Entstehungsjahr der Operette sind vier zum Teil auf Französisch, zum Teil auf Luxemburgisch verfasste Briefe Kosters an Weber sowie eine Postkarte von Weber an Koster erhalten, die manche Aufschlüsse über ihr Verhältnis und ihre Zusammenarbeit geben. Die Originalbriefe sind im ›Bestand Batty Weber‹ im CNL erhalten (CNL L-48, siehe Briefwechsel unter Quellen, online), während die mitgeschickten Partituren selbst sowie die auch im Brief erwähnten Antwortschreiben des Dichters nicht überliefert sind. 70

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In einer undatierten Postsendung schickte die Komponistin dem Dichter erste Entwürfe der Operette zu, bat um Rückmeldung und bot ihm an, ihm die Musik in gewünschter Interpretation vorzuspielen. Am 16. Februar 1922 schrieb sie ihm, das Komponieren fiele ihr leicht, da die »Verse bereits den Rhythmus und die Musik in sich haben«, und ihre Dankbarkeit, mit einem in Luxemburg so renommierten Librettisten zusammenzuarbeiten, gab sie in der Unterschrift zu erkennen: »e’rt dankbart L.K.«. Eine Woche vor der Uraufführung, am 14. April 1922, schickte Batty Weber der sicherlich schon mit den Proben beschäftigten Musikerin eine Grußpostkarte aus Bad Ems, mit einem Notenzitat aus der Operette und dem Kommentar: »Wenn es auch falsch notiert ist, ich finde es doch schön.« Am Tag der Premiere war der über Halsschmerzen klagende Dichter noch nicht von seiner Reise oder Kur zurückgekehrt, was die Komponistin in einem Brief, den sie wenige Stunden vor der Uraufführung verfasste, zutiefst bedauerte: »Ich hatte die Vorahnung von Ihrer Abwesenheit und ich war und ich bin sehr traurig darüber.« In diesem Schreiben vom 21. April 1922 berichtete sie ihm von der gut voranschreitenden Probenarbeit sowie von der kameradschaftlichen Arbeitsatmosphäre. Arbeitswütig und mit euphorisch in die Zukunft gerichtetem Blick erinnerte sie den Dichter außerdem daran, dass er ihr einen weiteren Operettentext versprochen habe: »Denken Sie ein wenig über den Operettentext nach, den Sie mir versprochen haben! Ich habe so ein Bedürfnis zu arbeiten, ich fühle, dass ich es besser machen kann, ich werde mit mehr Ruhe arbeiten – – – und ich habe solche Angst, ihn nicht zu bekommen! Funny?« Diese Vorahnung sollte sich bestätigen, denn aus ungeklärten Gründen kam es – abgesehen von Webers Übersetzung des Operettentextes An der Schwemm ins Deutsche (Amor im Bade) fünf Jahre später – zu keiner weiteren Zusammenarbeit zwischen Weber und Koster. Und dies obwohl der Dichter die Komponistin offensichtlich schätzte, da er über sie mehrere Male mit Respekt und Anerkennung im Abreißkalender der Luxemburger Zeitung schrieb.78 Welche Bedeutung die Zusammenarbeit mit Weber für die Komponistin hatte, ist relativ gut dokumentiert. Von Weber gibt es, außer der Postkarte aus Bad Ems, keine schriftliche Quelle, die darüber informiert, wie er diese gemeinsame Arbeit bewertete. Al Schmitz, der die Komponistin persönlich gut kannte, berichtete später, der Dichter habe nicht mit einem solchen Erfolg der Operette gerechnet, und zitiert, ohne die Quelle anzugeben, eine Aussage Webers gegenüber Lou Koster: »Wenn ich gewusst hätte, was Sie aus dem Stück herausholen würden, dann hätte ich mich etwas länger darangesetzt.«79

»… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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War dieser mangelnde Eifer und vielleicht auch die Abwesenheit bei der Premiere darauf zurückzuführen, dass der Komponist »nur« eine junge Frau war? Als Marie-Henriette Steil, die sich in den 1920er Jahren als Schriftstellerin in Luxemburg und im Ausland einen Namen machte, 1924 erste Texte an Batty Weber schickte, überprüfte dieser sie, wie er rückblickend selbstkritisch zugab, »mit einem Seitenblick links neben den Schreibtisch, wo der Papierkorb steht«, wofür er sich gleich nach der Lektüre schämte und sich in der Luxemburger Zeitung entschuldigte: »Eigentlich könnten nun sämtliche Luxemburgerinnen von uns verlangen, dass wir ihnen Abbitte leisten, weil wir durch unseren Verdacht bewiesen hätten, dass wir ihnen in literarischen Dingen, nichts zutrauen.« (Weber 16.1.1927, AK in LZ) Im Escher Tageblatt vom 22. April 1922 war zu lesen, Weber habe An der Schwemm ursprünglich nur als Sketch geplant, der »durch Hinzufügen von Liedern, die von Fräulein Lou Koster vom städtischen Konservatorium in moderne Musik vertont und auch orchestriert wurden, erbreitert« wurde. Nach Robert Thill, der sich 1934 mit Batty Weber als Librettist und Theaterautor beschäftigte, ist die ›Schwemm‹ lediglich eine »flott heruntergeschriebene Angelegenheit« (Thill 1934, S. 22). Fernand Hoffmann, der Webers Schwänke im Allgemeinen als »echt luxemburgisch […] durch ihren sozialkritischen und satirischen Einschlag« bezeichnet, wertet die ›Schwemm‹ ebenfalls als »anspruchsloses Gelegenheitsfabrikat, bei [dem] man sich fragen kann, warum der Autor sie in sein Gesammeltes Theater aufnahm. « (Hoffmann 1967, S. 61 u. 200)80 Wie unsicher Lou Kosters Selbstbewusstsein selbst nach dem Erfolg der Operette blieb, wie stark sie Batty Weber als Mentor brauchte, welche Angst sie vor dem Scheitern hatte, bezeugt ein weiterer Brief, den sie ihm am 2. Juli 1922, gute zwei Monate nach der Uraufführung, schrieb, von dem hier ein längerer Auszug zitiert werden soll: »Lux. 2.7.22 Lieber Herr Weber, Ich würde Ihnen sehr gerne diese Suite widmen, ich weiß aber nicht, ob Ihnen das Freude bereitet, ob Sie immer noch die liebevolle Sympathie für meine kleinen Melodien81 haben und ob diese Suite Ihnen so gefällt wie die ›Schwemm‹. Ich habe den Eindruck, lieber Monsieur, dass, wenn [Sie] sie annehmen, sie mehr Wert haben wird – – und lassen Sie diese Überzeugung den kleinen egoistischen Hintergrund der Widmung entschuldigen.

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Ich bedaure sehr, dass diese Melodien nicht alle neu sind, – während dieser langen Wochen dachte ich so viel geben zu können, aber nein – ich schrieb nur eine Melodie, eine Melodie aus dem Gefühl heraus: fort, weit weg, ich hatte so den Wunsch, Oberhand zu gewinnen – und diese Melodie wurde nur ein Schluchzer. Sie ist nicht in der Suite, ich behalte sie noch für mich. – Ich behalte sie und denke an dieses Versprechen82, das mein ganzes Leben ist, also, wenn ich dann in Aktion gehe, habe ich schon eine kleine Basis, wenn je das Schreckliche passieren würde, dass ich gerne [komponieren] will, aber nicht kann! Aber es ist lustig, wenn ich diese Momente der Verzweiflung habe, wenn ich nicht mehr an den Wert und die Ernsthaftigkeit meiner Bemühungen glaube, wenn ich mein Wollen und meine Arbeit als Anmaßung empfinde, oh! wenn ich unglücklich bin! Dann sehe ich einen weißen Kopf, […] dem ich vertraue, – und ich werde wieder mutig und stark. Ich bin wieder oben[,] so stark sind Sie und so sehr glaube ich an Sie. […] Lou Koster Denken Sie dran, Monsieur, dass die Kleinen die Kritik der Großen brauchen, – sie schicken mich doch nicht mehr anderswo hin, oder? Sie werden mir sagen, ob es gut oder schlecht ist. Gefallen Ihnen die verschiedenen Titel? Der letzte passt mir nicht. Wenn Sie einen anderen wissen.«

Lou Koster hatte in das musikalische Urteil von Weber offensichtlich das allergrößte Vertrauen. Wie es aus Webers Feuilletons hervorgeht, war er ein Musikliebhaber. Er hatte in seiner Jugend selbst einige Weisen komponiert und hatte auch eine gewisse, aber doch wohl recht bescheidene musikalische Vorbildung. Mit humoriger Selbstdistanz erzählte er von sich selbst: »Ich hatte ein Lied gedichtet und die Weise dazu selbst komponiert, da ich als Pistonbläser in der Konviktmusik meine musikalische Veranlagung stark herausgebildet hatte. Dicks [der Operettenkomponist und -dichter Edmond de La Fontaine] sagte, mein Lied sei so so, aber die Musik dazu sei Kappes. – Das entmutigte mich derart, dass ich in der Folge kein großer Komponist wurde.«83 Es bleibt ungeklärt, welche ›Suite‹ Koster dem Dichter widmen wollte. Der Begriff ›Suite‹ findet sich auf mehreren Orchester- und Klavierpartitu»… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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ren, keine aber trägt eine Widmung an Batty Weber. Um die Suite dramatique ›Impressions‹, deren Teile, wie im Brief angedeutet, atmosphärische Zwischentitel haben, kann es sich wohl kaum handeln, da auf einem Manuskript einer Klavierversion die Datierung »März 1927« vermerkt ist, es sei denn, dieses Datum würde nur den Zeitpunkt der Abschrift, nicht den der Entstehung der Musik festhalten. Vielleicht war es auch eine ihrer sechs Walzersuiten. Zwei davon tragen tatsächlich Daten, die zeitlich zum zitierten Brief passen würden: Maiennacht, Walzersuite für Orchester, mit Entstehungsdatum vom 7. Mai 1924 und einem Stempel der SACEM vom 15. Mai 1924 sowie Unter blühenden Linden, Walzersuite für symphonisches Orchester, Klavier und Harmonium, ebenfalls mit einem Stempel der SACEM vom 15. Mai 1924. Die erhaltenen Handschriften weisen allerdings keine Zwischentitel auf, und das letztgenannte Werk scheidet wohl aus, da es »Herrn und Frau Victor Weydert« gewidmet ist. Weber und Koster blieben nach dieser Zusammenarbeit befreundet. In seinen späten Tagebüchern erwähnte er sie mehrere Male, in für ihn typisch knapper Manier. Hier beispielhaft ein paar dieser Einträge:84 Mittwoch, 13. Mai 1936: »Lou Koster per Rad, zeige ihr Haus.«85 Montag, 26. Juni 1939: »Wir warten auf 7 Uhr=Autobus, da kommt Lou Koster mit Lori u. nimmt uns mit, Remich – Bech – Bredimus. Sie gingen mit heim für ½ Stündchen, dann nach Wormeldingen Frittüre essen. Ich gehe 9 Uhr schlafen.«86 Samstag, 12. August 1939: »2 Uhr Remich […] Nachher Terrasse Klopp. Lou Koster mit Medinger, Jules Keiffer – Streff, fahren mit nach Bredimus, bewundern Haus & Garten.«

Die Handlung – weibliches Freischwimmen als Metapher für ­Frauenemanzipation Der Ort der Handlung ist ein damals real existierendes städtisches Flussschwimmbad, gelegen ›am Bisserwee am Gronn‹, zwischen Pulvermühl und Stadtgrund gleich unterhalb des Boulevard de la Pétrusse, wo sich das Elternhaus Koster befand. Dieses Freiluftbad im Fluss Alzette war zu diesem Zeitpunkt bereits zum historischen Erinnerungsort geworden. Nach Batty Weber, der dem Naturbad insgesamt sechs Abreißkalender-Artikel widmete, ist die ›Schwemm‹ »ein Stückchen Alt-Luxemburg, an dem für Unzählige 74

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schöne Erinnerungen hängen«.87 Die Schwimmschule in der Alzette war Mitte des 19.  Jahrhunderts von der preußischen Garnison gegründet worden. Als diese 1867 abzog, erteilten ab 1868 und bis 1918 Unteroffiziere und Soldaten des luxemburgischen Militärs Schwimmunterricht. Ironisch bezeichnet so Batty Weber den Schwimmsport in Luxemburg als »ein[en] Seitenspross des alten [preußischen] Kasernendrills« (AK in LZ, 29.1.1927). Lou Koster war der Ort der Handlung bestens vertraut, da sie selbst eine begeisterte und begabte Schwimmerin war. In diesem Punkt entsprach die Komponistin dem fortschrittlichen und sportlichen Frauentyp, der im Mittelpunkt der Operette steht und der sich durch körperliche Betätigungen von dem jahrhundertelang gepredigten passiven und unbeweglichen Weiblichkeitsideal zu befreien suchte.88 Die Handlung spielt an dem Tag, an dem Lori sich unter der Aufsicht ihres heimlich in sie verliebten Schwimmlehrers, des Obergefreiten Reddy, freischwimmen soll. Reddy fehlt der Mut, der jungen Frau seine Liebe zu gestehen. Lori, die ihrerseits ein Auge auf ihren Schwimmlehrer geworfen hat, ist nicht so schüchtern und beschließt, die Initiative zu ergreifen. Sie will endlich in Körperkontakt mit Reddy kommen, täuscht ein Ertrinken vor und zwingt ihn so zu sich ins Wasser. Die Täuschung fliegt sofort auf, denn kaum auf dem Trocknen, umschlingt sie den Geliebten und bekennt ihre Liebe. Ort der Handlung wie Thema bieten dem Dichter wie der Komponistin die Gelegenheit, die Neue Frau der 1920er Jahre auf die Bühne zu bringen. Lori wie ihre Freundinnen streben geistige wie körperliche Freiheit an und nehmen ihr Leben selbstständig und selbstbewusst in die Hand. Wie der Text zeigt, versteht der Dichter das Thema Freischwimmen im übertragenen Sinn als eigenverantwortliches emanzipatorisches Handeln, das zur Befreiung der Frau aus den Fesseln einer überkommenen Rolle führt. In dem gemischten Chor der Schwimmerinnen und Schwimmlehrer, die Lori zu ihrem Freischwimmen ermutigen (14. Szene), vereinen und einigen sich beide Geschlechter singend in einem emanzipatorischen Manifest: Sie ermutigen Lori, sich von der (männlichen) ›Leine‹ (Schwimmleine) zu lösen, sich in jeden Strom zu wagen – und also auch gegen den Strom zu schwimmen –, um endlich frei – ›o’hni Zaam‹ [ohne Zaumzeug] – zu sein. Dadurch, dass die Komponistin den Chor als ›Rêverie Cho’er‹ betitelt, bringt sie allerdings eine gewisse Skepsis zum Ausdruck: Wird dieser Wunsch nach Gleichberechtigung nicht lange noch nur ein »Traum« bleiben, der zwar auf der Operettenbühne besungen wird, aber mit der Wirklichkeit wenig gemein hat?

»… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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An der Schwemm (1922)

Amor im Bade (1927)

O, könnt een dach iwerall We’ am Waaßer frei sech schwammen! Daß een iwer Bierg an Dall Könnt doruechter bummle, klammen, Danze sprange we’ en Hues, An de Böscher, op dem Wues, Liicht am Hierz a liicht am Ranzen, O’hni Zaam an o’hni Lengt, O’hni no dem Lidd ze danzen, Dat en anre fir iech sengt.

Könnte man doch überall Wie im Wasser frei sich schwimmen, Dass man über Berg und Tal Bummeln dürfte, kraxeln, klimmen, Tanzen, springen wie ein Reh Mit Juhu! und mit Juchhe! Wie der Bursch mit leichtem Ranzen Singend durch die Lande schweift, Ohne nach dem Lied zu tanzen, Das der andere für ihn pfeift.

Schwammt iech frei, schwammt iech frei! Dann aß allen Zwank verbei; Nömmescht braucht dir me’h ze froen, Op er Ceinture sicher hält, An dir könnt an t’Waaßer gohen, Wann a we’ et iech gefällt.

Schwimmt Euch frei, schwimmt Euch frei, Dann ist aller Zwang vorbei, Keinen braucht Ihr mehr zu fragen, Ob der Gürtel sicher hält, Dürft in jeden Strom Euch wagen, Wo und wie es Euch gefällt!

t’aß net schwe’er … eent, zwee, drei, Ve’er … ›t’Lori schwömmt sech frei. Lori, schmank ewe’ e Rittchen, Struewel fleißeg … eent, zwee,drei, Ve’er … nach eng kleng Minittchen, An da baß de frei!

Kinderspiel, eins, zwei und drei Vier – die Lori schwimmt sich frei, Lori, schlank, wie eine Tanne, Strample fleißig, eins, zwei, drei, Vier – noch eine kurze Spanne Und dann bist du frei.

Die Haupthandlung von An der Schwemm ist mit einer komischen Nebenhandlung verwoben, die der Dichter nutzt, um den weiblichen Rollen zusätzlich Gelegenheit zu bieten, als starke Frauen aufzutreten. Lori hat einen zweiten Verehrer, den alten Zengerlé, der im Gegensatz zu Reddy durchaus betucht ist und bereits bei Loris Eltern um ihre Hand angehalten hat. Aus elterlicher Sicht wäre er für Lori eine gute Partie mit »eignem Haus und schönen Renten« (lux. Fassung: »eegent Haus mat Gard a Renten«). Zengerlé verschafft sich am Damenschwimmtag unerlaubt Zutritt ins Bad, indem er sich als luxemburgischer Delegierter des ›Internationalen Jünglingsvereins für Jungfrauenschutz‹ ausgibt.89 Im Badekostüm lauert er Lori mit dem Fotoapparat auf. Der Voyeur wird von Loris Schwimmfreundinnen, darunter Miss, entdeckt, die sich über das Fotografieren ärgert, wortwörtlich heißt es in der Operette: Miss: »dat si gewössermoßen meng Been, an de’ loßen ech net mir neischt dir neischt vun eso’ engem knipsen!« (Amor im Bade: »Und die Beine, auf denen

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wir stehen, sind ja gewissermaßen unsere Beine, und die lassen wir nicht mir nichts dir nichts von so einem … so einem knipsen.«)

Die Frauen verteidigen sich nicht nur verbal, sondern auch körperlich mit Muskelkraft: Sie werfen Zengerlé kurz entschlossen ins Wasser. Eine zweite Strafe folgt auf dem Fuß. Der Beschämte flüchtet in seine Kabine, wo er feststellt, dass seine schönen Kleider gestohlen wurden. Die abgenutzten, die er statt der seinen vorfindet und anzieht, gehören dem Landstreicher und flüchtigen Gefängnisinsassen Struppes, dem die Polizei auf den Fersen ist. Zengerlé in Struppes Kleidung wird von der Polizei mit diesem verwechselt, festgenommen und abgeführt. Der typische Vertreter einer längst überkommenen Männerrolle wird hinter Schloss und Riegel gebracht. In dem Liebesduett von Lori und Reddy (15. Szene) stellen Dichter und Komponistin traditionelle Geschlechterrollen auf den Kopf. Der scheue Reddy besingt seine Liebe zart im Pianissimo und wünscht sich, dass Lori ihm ihre Gegenliebe, »lues, ganz lues« [leise, ganz leise]› »hëmlech an t O’er« [heimlich ins Ohr] flüstere. Die energische, selbstbewusste und optimistisch nach körperlicher Erfüllung strebende Lori verkündet der ›ganzen Welt‹ ihre Liebe, und zwar laut und deutlich – im Forte (Libretto), im Fortissimo (Partitur). Ihre Lust auf Selbstbestimmung kommt vor allem in der luxemburgischen Version zum Ausdruck: »Reddy, ech si ganz klor erwaacht, An ech soe ganz hart: Göff mer eng Bes! … O Mamm, de’ schmaacht! Wat hues d’eso‹ laang gewart?« (Übersetzung durch die Autorin: »Reddy, ich bin ganz hellwach, und ich sage es Dir laut: Küsse mich! Oh, wie das schmeckt! Warum hast du so lange gewartet?«; entsprechende Textstelle in Amor im Bade: »Reddy, es ist kein Traum kein Trug, Und da gilt kein Verbot. Küsse mich, du – nein, nicht genug! Darf einer – du, küsse mich tot!«)

Motovilova weist zu Recht darauf hin, dass im Grunde sämtliche Männerfiguren in dieser Operette als schwach dargestellt werden, inklusive Gott selbst (»Nimm Dich in Acht, treib keinen Spott, Was ein Mädel will, will der liebe Gott«), während die Frauenfiguren ausnahmslos stark, selbstsicher und selbstbestimmt agieren (Motovilova 2014). An der Schwemm / Amor im Bade enthält auch ein Plädoyer für ein körperlich freizügigeres Auftreten beider Geschlechter, bei dem die Frauen wie die Männer Körperlichkeit, Sinnlichkeit und einen direkteren Kontakt ihres Körpers mit der Natur genießen können.90 Zu Beginn der Operette »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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(1. Szene) heißt es: »Schwimmen, fliegen, fliegen, schwimmen, ach ihr fühlt Euch Göttern gleich. Aber schwimmt ihr zweigeschlechtlich wird der Sport zum Himmelreich.« (deutscher Originaltext aus Amor im Bade). Ganz am Schluss erklären Lori und Reddy, dass man im Schwimmbad die besten Ehemänner und -frauen findet, da man sich gegenseitig, bevor man eine Beziehung eingeht, in jeder Hinsicht prüfen kann. Lori (Amor im Bade, 19. Szene): »Wollt Ihr wissen ganz genau, Ob Euch niemand will bestehlen Müsst Ihr niemals brutto wählen, Immer netto, Mann wie Frau!« Wie Reddy betont, braucht man, wenn man von vornherein die richtige Wahl trifft, später den Ehepartner nicht »rîcht ze ze’en« [gerade zu biegen] (An der Schwemm, 19. Szene). Dass Weber gerade die ›Schwemm‹ als idealen Ort der Befreiung ansieht, wird in dem folgenden Auszug aus dem Abreißkalender vom 27. Juni 1917 deutlich: »Die Schwemm ist die Natur, die Primitivität, das Urwüchsige. In der Schwemm ist das Wasser, wie es will […]. Unter Gottes freiem Himmel, gilt das Wort: Naturalia non sunt turpia.« Wenn An der Schwemm dem Beispiel so mancher Operette folgt und, wie Marion Linhardt es formuliert, »scheinbar eine Weiblichkeit inszeniert, die jenseits tradierter Geschlechterhierarchien angesiedelt ist«, wird gerade auch bei diesem Opus offensichtlich, dass Operetten, wenn auch »mit frechen, unabhängigen Mädchen« im Zentrum, dennoch »stets vor allem der Ausstellung des attraktiven Frauenkörpers« dienen (Linhardt 2010, S. 230). Das lustig-euphorische Besingen einer weiblichen Befreiung auf der Bühne hat letztendlich wenig Potential, die Weichen für eine tatsächliche politische, gesellschaftliche und kulturelle Gleichberechtigung zu stellen. Auch kommt die junge Hauptprotagonistin Lori am Schluss doch ›unter die Haube‹, und wie es ihr da ergeht oder ergehen kann, zeigt als Beispiel das Leben der realen ›Lori‹, der Schwimmerin und Musikerin Laure Koster. Batty Weber und die Frauenemanzipation Batty Weber stand der Neuen Frau, der Garçonne, durchaus positiv gegenüber. Er war selbst mit einer ›emanzipierten‹ Frau verheiratet, der deutschen Schriftstellerin Emma Weber-Brugmann, die 1906 zu den Gründungsmitgliedern des Vereins für die Interessen der Frau gehört hatte, über Frauenemanzipation publizierte (Weber-Brugmann 1910) und in den 1930er Jahren die Frauenzeitschrift Die Luxemburgerin gründete, in der sie Schriftstellerinnen zu Wort kommen ließ und für das Schaffen von Künstlerinnen, z. B. für die

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Musikeditionen von Helen Buchholtz, warb und auf Radiosendungen aufmerksam machte, in denen Musik von Koster und Buchholtz zu hören war. Darüber hinaus setzte Batty Weber seine Feder in seinen Abreißkalendern in der Luxemburger Zeitung immer wieder in den Dienst von Frauenstimmrecht, -studium, -emanzipation, Rechtsgleichheit, berichtete vom grassierenden Geschlechterkampf und forderte von Frauen mehr Mut zum politischen Einsatz und strategischen Handeln.91 Sein 1924 in den Cahiers luxembourgeois publizierter, unvollendeter Feuilleton-Roman Hände handelt von Geschlechterkampf und Frauenemanzipation (Weber 2017, S. 315–324). 1917 schrieb er: »Was mich betrifft, so muss ich sagen, dass ich innerlich auf ihrer Seite [junge Frauen, die das Frauenwahrrecht fordern] stehe. Meiner festen Überzeugung nach liegt das ganze Übel darin, dass man die Frau nur als Frau und nicht als Mensch schlechthin will gelten lassen. Finden Sie nicht auch, es wäre das einfachste, die gesetzlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sonstigen Schranken einfach fallen zu lassen und zu sagen: Wir sind auf Erden so praeter propter anderthalb Milliarden Menschen schlechthin, einerlei ob Frauen oder Männer. Von diesen anderthalb Milliarden Menschen soll jeder das Recht auf die Betätigung haben, zu der er durch persönliche Veranlagung, Kraft, Intelligenz, Charakter usw. in der Weise befähigt ist, dass er sie zu seinem und der Allgemeinheit Nutzen ausüben kann.«92

Weber war allerdings nicht immer konsequent. Im Abreißkalender vom 16. November 1917 pflichtete er beispielsweise, entgegen seiner eigenen These, die er anderthalb Wochen später, am 27. November, vertrat, dem traditionellen Konzept unterschiedlicher Geschlechtscharaktere von Frauen und Männern bei, indem er Männer mit der »universelleren«, »stärkeren« Frucht des Apfels und Frauen mit den Birnen, die sich durch »Duft«, »Weichheit« und »Süße« auszeichnen, vergleicht. April 1922 – Uraufführung der Operette An der Schwemm Am 21. April 1922 fand die Uraufführung der einaktigen Operette An der Schwemm im Pôle Nord in Stadt Luxemburg statt. Das Unterhaltungsetablissement im Hôtel Brosius, das sich beim Luxemburger Publikum größter Beliebtheit erfreute und sich in seinem Angebot an den benachbarten Großstädten auszurichten versuchte, bot neben Operetten, z. B. von Vincent »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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Scotto, Leon Jessel, Leo Fall, Emmerich Kálmán, Johann Strauss, Jean Gilbert usw., Komödien sowie bunt gemischte Unterhaltungsprogramme, in denen SängerInnen, TänzerInnen, Diseusen, MusikerInnen, Clowns, KomikerInnen, Schlangenmenschen, AkrobatInnen, Variétéorchester etc. abwechselnd auftraten.93 Mit ihrer Operette An der Schwemm feierte die 32-jährige Musikerin hier, so scheint es, ihr öffentliches Debüt als Komponistin. Die Regie sowie eine der Hauptrollen, die des Zengerlé, übernahm August Donnen, der von Beruf eigentlich Friseur war, aber als Sänger und als Schauspieler bereits vor dem Ersten Weltkrieg in Luxemburg größte Popularität genoss. Die Truppe setzte sich aus begeisterten Amateurschauspielerinnen und -schauspielern zusammen. Insgesamt enthält die Operette sieben männliche und vier weibliche Rollen. Die Hauptrolle der Lori wurde von Anne Kugener, einer anerkannten Schwimmerin, gespielt. Die Hauptprotagonistin heißt nicht nur zufällig Lori, wie Lou Kosters Schwester. Diese Namensgebung scheint vielmehr eine Hommage Batty Webers an sie, die zu diesem Zeitpunkt eine über die Grenzen Luxemburgs hinaus bekannte Wettschwimmerin war, zu sein. Laure Koster wirkte auch mit, und zwar in der Rolle der Miss. Lina Koster spielte im Orchester, das von Willy Goetz geleitet wurde. Laure Koster erinnerte sich rund 70 Jahre später noch lebhaft an die Aufführungen: »Die Operette hatte großen Erfolg! […] Schnoucky Mayrisch [­ Andrée Vienot-­ Mayrisch] sagte immer: ›Komm, sing noch ein Stück aus der Schwemm.‹ Ich habe mich amüsiert! Das war eine ganz andere Atmosphäre. Es roch nach Puder. Ich war das nicht gewohnt. Wir hatten schöne Kostüme aus Seide. Es war ein bisschen avantgardistisch. Heute laufen sie ja alle nackt herum. Das war also … dass wir uns trauten in diesen Höschen, in diesen Dingern da zu gehen, das war schon ein Extrafall. Das wurde ein bisschen kritisiert. Wahrscheinlich steckte da das ›Wort‹ [gemeint hier: das Luxemburger Wort] dahinter. Sind es noch immer Pfaffen?«94

Erste Kritiken erschienen gleich am Tag nach der Uraufführung in der liberalen Luxemburger Zeitung sowie im sozialistischen Escher Tageblatt und bestätigen den großen Publikumszustrom und den Erfolg des Werkes, dies vor allem in musikalischer Hinsicht: »Die Erstaufführung der einaktigen Operette ›An der Schwemm‹ von Lou Koster und Batty Weber gestern abend im ›Pôle Nord‹ hatte, wie vorauszusehen war, einen durchschlagenden Erfolg. Die bloße Ankündigung hatte

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genügt, um den Saal bis auf den letzten Platz – oder sagen wir lieber den allerletzten […] – zu besetzen. […] Dann wogten und hüpften und vibrierten und tänzelten die ansprechenden Weisen der Ouvertüre durch den Saal und machten Stimmung. […] Die Fabel ist möglichst einfach, unkompliziert. Die Umrahmung, die Musik, die Darstellungskunst haben daraus ein Kabinettstück gemacht. Besonders die Musik! Sie ist frisch, direkt eingehend, äußerst melodiös und sangbar und schön ausgereift. Die Erfindung ist zwanglos. Nichts ist mit den Haaren herbeigezogen, alles spontan hinströmend. Die Komponistin trifft ebenso glücklich den humoristischen Ton im Liebeslied des Zengerlé wie den leidenschaftlichen Pathos in den Liedern Lori’s und Reddy’s. Viele Stellen darin, u.a. das Duett: Lori, aß et da wo’er … stehen weit über dem Niveau der Operette und verraten ein starkes Gefühl für den Stil des ernst bewegten Liedes. Von der Orchestration gilt unbedingt, was hier bereits darüber gesagt wurde. Die Effekte sind da, ohne daß sie gesucht werden. […] Das Ganze ist durchweht von kräftiger, würziger Heimatluft, eine Bereicherung für die luxemburgische Theaterbühne.« (LZ 22.4.1922) »Der ›Pôle Nord‹ hatte gestern abend eine Besucherzahl zu verzeichnen, wie sie kaum bei der Aufführung von ›Poule de Luxe‹ übertroffen wurde. Schon vor 9 Uhr war der Saal dicht besetzt. Man bemerkte eine große Anzahl fremder Gesichter, was der Uraufführung des einaktigen Operettchen von Batty Weber ›An der Schwemm‹ mit Musik von Lou Koster zuzuschreiben ist. […] Einzelne dieser Lieder zeichnen sich durch ihre Vorzüglichkeit und Volkstümlichkeit so aus, dass sie wohl in der Zukunft erhalten bleiben. Die Handlung, der eine Liebesgeschichte zugrunde liegt, ist revueartig aufgebaut und wird durch den natürlichen und künstlerischen Bühnenrahmen der Schwemm von Jean Feller und durch die frischen Badekostüme der reizenden Darstellerinnen, wirksam unterstützt. Die Aufführung unter der Regie von August Donnen, der sich seine Partner gut ausgesucht hatte, war ein voller Erfolg. […]« (T 22.4.1922).

Das katholische Luxemburger Wort schwieg sich über die erfolgreiche Aufführung der Operette aus und brachte weder Ankündigung noch Rezension. Am 18. Februar hatte die Bistumszeitung auf der Titelseite in einem überaus langen Artikel gegen das ebenfalls im Pôle Nord aufgeführte und auch in der obigen Rezension im Escher Tageblatt kurz erwähnte Erfolgsstück Une Poule de Luxe von Auguste Achaume – »eine mit viel Raffinement zubereitete Schweinerei« – gewettert und vor einem Verfall der Sitten gewarnt, der dem »Volk« durch Etablissements wie den Pôle Nord drohte: »Wir möchten an erster Stelle hervorheben, dass wir noch keine Großstadt sind und somit aus »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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Selbsterhaltungstrieb auf eine spezielle Art von Vergnügungsetablissementen verzichten müssen. […] Dancings, Kinos, gewisse Häuser, allerlei Schauspiele usw. usw. wirken zusammen, um den Untergang zu beschleunigen«. Es sieht so aus, als habe das Luxemburger Wort nach diesem Stück Aufführungen im Pôle Nord eine Zeitlang bewusst ignoriert. Nach Al Schmitz wurde die Operette im Jahr ihrer Uraufführung insgesamt 32 Mal aufgeführt (Schmitz 17.5.1969, T). Das Lidd vum Zengerlé auf Schellackplatte Für den musikalischen Erfolg der Operette spricht u.a. auch, dass August Donnen das Lidd vum Zengerlé in den 1920er Jahren für die Berliner Firma Homocord auf Phonograph-Platte einspielte.95 Begleitet wurde der Sänger in dieser Einspielung von einem kleinen Orchester bzw. Ensemble, zu dem die Produktion selbst keine Angaben gibt. Es könnte sich dabei um das zwölfköpfige Orchester von Émile Boeres handeln, das dieser nach dem Ersten Weltkrieg gegründet hatte, um in Tanz- und Unterhaltungslokalen aufzutreten. 1921 und 1922 begleitete Boeres mit seinem Orchester August Donnen auf seinen Tourneen.96 Der Plattenspieler wurde in diesem Jahrzehnt zu einem Massenartikel. Das große Warenhaus Sternberg Frères in Luxemburg und Differdingen, das die Berliner Schallplattenfirma Homocord in Luxemburg vertrat, legte eine eigene Plattenserie mit Luxemburger Liedern vor: »Aug. Donnen in seinem Repertoire auf Platten bei Sternberg« (T 20.1.1922, S. 3). Das Schallplattenverzeichnis, das damals gratis verteilt wurde, ist heute nicht mehr auffindbar. Wie umfangreich die Serie war, kann man aber aus einer Werbung im Escher Tageblatt vom 28. Dezember 1922 lesen: »In welcher Familie, in welchem Café fehlen noch zur Sylvester-Feier die neuesten luxemburgischen Vorträge auf Phonographen-Platten gesungen von August Donnen? Ca. 50 Aufnahmen bis jetzt erschienen.« Batty Weber berichtete Ende Januar 1922 über das überwältigende Erlebnis, als er eine der ersten Platten von Donnen hörte: »Ich war dabei, wie ein liebenswürdiger Musikalienhändler eine davon auf einem erstklassigen Grammophon Probe laufen ließ […] und die Porträtähnlichkeit von Stimme und Vortrag war so unheimlich, dass man nach der letzten Note erwartete, der August werde nun in Person aus dem Kasten herausklettern und sich verbeugen.« (Weber 26.1.1922, AK in LZ) Für die Popularität der bis in die frühen 1920er Jahre kaum bekannten Komponistin war die Platte also von größter Bedeutung. August Donnen behielt das 82

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Lidd vum Zengerlé übrigens auch später in seinem Programm, so sang er es z. B. am 11. Juli 1936 in der Sendung ›Letzeburger Hallef-Stonn‹ bei Radio Luxem­burg (T 10.7.1936, S. 4). 1922/23: Instrumentale Bearbeitungen der ›Schwemm‹ Lou Koster komponierte 1922 auch eine Fantaisie sur An der Schwemm für Orchester, die erstmals am 24. Mai 1922, rund einen Monat nach der Uraufführung der Operette, im Kaffeehaus Majestic im Programm einer ›Soirée luxembourgeoise‹ gespielt wurde. Im Majestic trat regelmäßig nachmittags »ab 16.00 Uhr bis Mitternacht ein erstklassiges kleines Orchester« auf.97 Die Partitur samt Stimmenmaterial, die lange Zeit als verschollen galt, wurde 2011 im Archiv des Orchestre Philharmonique du Luxembourg, des ehemaligen Orchesters Radio Luxemburg, wiedergefunden.98 Neben der Orchesterpartitur sind insgesamt sechs Klavierauszüge in der Handschrift der Komponistin erhalten. Trotz geringfügiger Abweichungen stimmen die Partituren in großen Zügen alle mit der neuen Potpourri-Ouvertüre überein, die die Komponistin der deutschen Version der Operette Amor im Bade im Jahr 1927 voranstellte. Es existiert auch eine Fassung der Fantaisie für Blasorchester, die am 1. August 1923 von der Militärmusik unter der Leitung von Fernand Mertens auf dem Paradeplatz uraufgeführt wurde. Dazu Batty Weber: »Und auch heute bewährt er [Fernand Mertens] sich als liebenswürdiger Kollege und guter Kamerad, indem er dem Werk einer jungen Luxemburger Komponistin zu weiterer Anerkennung verhilft. Aus den quicklebendigen, gefühlvollen Weisen, die Lou Koster in ihrem Erstlingsoperettchen ›An der Schwemm‹ voriges Jahr herausgebracht hatte, hat Fernand Mertens für diesen Abend ein Potpourri zusammengestellt, mit dem das Programm abschließt.« (Weber 1.8.1923, AK in LZ) Die Orchesterpartitur und das Stimmenmaterial dieser Blasorchesterfassung gelten als verschollen. Im Archiv der Militärmusik befindet sich heute lediglich ein Klavierauszug in der Handschrift Lou Kosters mit Instrumentierungsnotizen für Blasorchester. Batty Weber irrt, wenn er schreibt, Mertens habe das Potpourri selbst zusammengestellt, da es in der Fassung für symphonisches Orchester bereits im April 1922 bekannt war. Möglicherweise hatte Mertens aber für das Arrangement für Blasorchester verantwortlich gezeichnet. Zwei weitere Aufführungen der Fantaisie durch die Militärmusik sind für den 23. und 31. August 1939 belegt (LW 23. u. 30.8.1939, S. 5 bzw. 7). Auch andere Blasorchester spielten diese Version. So wurde am 19. April 1939 im Rahmen der Jahrhundertfeier der Unabhängig»… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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keit Luxemburgs ein Konzert der Letzeburger Stâdmusek bei Radio Luxemburg übertragen, in dem dieses Stück auf dem Programm stand (T 19.4.1939, S. 9). Gelegentlich wurde die Fantaisie in den Programmangaben auch als An der Schwemm Potpourri betitelt. Februar 1927 – Amor im Bade Zwischen dem 12. und 21. Februar 1927 wurde die Operette erneut in Stadt Luxemburg, aber auch in Petingen, Düdelingen und Esch/Alzette, insgesamt achtmal als Gastspiel des Pôle Nord Theaters aufgeführt, allerdings nicht in der luxemburgischen Originalfassung, sondern in einer deutschen Bearbeitung unter dem Titel Amor im Bade.99 Das Werk teilte sich diesmal das Programm mit zwei österreichischen Operetten, Die schöne Galathee (1865) von Franz von Suppé und Brüderlein fein (1909) von Leo Fall. Die Rollen wurden von ausländischen Künstlern übernommen, und zwar von Fifi Bort in der weiblichen Hauptrolle der Lori, Hans Waiden als Reddy sowie Kurt Seifert als Zengerlé. Diese Auftritte in Luxemburg gehörten zu den frühen Bühnenstationen des jungen lyrischen Baritons Kurt Seifert, der später als Film- und Theaterschauspieler sowie als Regisseur in Deutschland erfolgreich wurde. Auch Emmy Merkel sowie der aus Stettin stammende Kammersänger ­Arthur Paul Albert Kistenmacher wirkten mit. Kistenmacher spielte in deutschen Musikfilmen in Nebenrollen wie z. B. in Der Absturz (1922) mit Asta Nielsen und später Brand in der Oper (1930) mit Gustav Gründgens oder Die Fledermaus (1937) mit Hans Moser. Wie im Escher Tageblatt am 17. Februar 1927 zu lesen war, wirkte die Komponistin selbst bei der Aufführung mit, wobei aber nicht deutlich wird, ob am Dirigierpult, am Klavier, im Orchester oder in einer der weiblichen Bühnenrollen.100 Für Amor im Bade konnten bisher keine Belege für Aufführungen im Ausland gefunden werden. Man kann aber davon ausgehen, dass Koster und Weber die deutsche Fassung in erster Linie wohl für Aufführungen in Deutschland, bzw. Österreich oder der Schweiz, erarbeitet hatten. Dies hatten vor ihnen auch andere Luxemburger Komponisten mit ihren Librettisten getan, um ihre Operetten über die engen Grenzen Luxemburgs hinaus bekannter zu machen, so z. B. Fernand Mertens und Batty Weber mit der Operette D’Wonner vu Spe’sbech, die in der französischen Überarbeitung insbesondere in Belgien mit beachtlichem Erfolg aufgeführt wurde. Auch die Besetzung von Amor im Bade mit ausschließlich deutschen Interpretinnen und Interpreten legt eine solche Vermutung nahe. Die Truppe, die Amor im 84

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Bade aufführte, war als ›Voelssche Truppe‹ bekannt (Thill 1934, S. 21). Aus Artikeln im Escher Tageblatt erfährt man, dass das Gastspiel Pôle-Nord Thea­ ter Luxemburg in dieser Zeit von Max Voels geleitet wurde und dieser um 1925 die Leitung des Kölner Operetten-Theaters innegehabt haben soll, womit ein weiterer Bezug zu Deutschland belegt wäre.101 Die Recherchen in der Theatersammlung Schloss Wahn der Universität Köln konnten, trotz des Bezugs von Voels zu Köln, keinen Beleg einer Aufführung in dieser Stadt ans Licht bringen.102 Obwohl mit klingenden Namen besetzt, erschienen weder im Escher Tageblatt noch im Luxemburger Wort Kritiken der Aufführung. Nur die Abendausgabe der Luxemburger Zeitung brachte am 17. Februar 1927 in der Rubrik »Vergnügungen aller Art« eine von E.W. signierte Besprechung: »›Amor im Bade‹ (›An der Schwemm‹) von Lou Koster und Batty Weber, das vor Jahren von guten Dilettanten im Pôle Nord gespielt wurde, kommt in der neuen Bearbeitung prächtig heraus dank der vorzüglichen Regie und Darstellung. Über die hervorragend wertvolle Partitur von Lou Koster ist seinerzeit viel Anerkennendes gesagt worden und wird an dieser Stelle noch eingehend berichtet werden. [Ein solcher Bericht konnte allerdings bisher nicht gefunden werden.] Fifi Bort – gesanglich, gewandlich und – last not least– persönlich reizend wie immer – als Lori, umgeben von ihrem Hofstaat von vier Freundinnen, in den verführerischsten Badekostümen, in Reigen und Chor gleich erfreulich für Auge und Ohr, – Hans Waiden als ebenso fescher Korporal wie verliebter Schwimmlehrer, flankiert von den braven Soldaten Capesius, Bisenius und Fabrizius, – der sittenstrenge Rentner Zangerlé, von Donnen kreiert, diesmal in der rundlichen Fülle Kurt Seiferts in unübertrefflicher Komik wieder auferstanden, – der Liebling des Publikums Struppes, der entlaufene Sträfling aus dem Grund – alle sind sie wieder da, lebensprühender als je. Die klangvolle Musik und die malerischen Bühnenbilder machen den kleinen musikalischen Schwank zu einem Kabinettstückchen.«

Die Rezeption der Operette nach 1927 Im Rahmen eines Gedenkartikels zur 40-jährigen Bühnentätigkeit August Donnens wurde 1940 an die Operette An der Schwemm erinnert.103 24 Jahre nach der Uraufführung, im September und Oktober 1946, gelangte die luxemburgische Version noch ein einziges Mal zur Aufführung, und zwar in einem von dem Männergesangverein Lyra aus Ettelbrück organisierten und vom Hémechtstheater dargebotenen ›Gro’sse Letzeburger Théaterowend‹, der »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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insgesamt sechsmal an verschiedenen Orten stattfand.104 Eine Kritik erschien aber weder im Escher Tageblatt noch im Luxemburger Wort, und auch sonstige Dokumente zu dieser Aufführung sind nicht überliefert. Nach Al Schmitz hatte in den 1960er Jahren der Chor- und Theaterverein Orphéon Municipal unter der Leitung des mit Lou Koster befreundeten Erny Leners eine Aufführung »vorgesehen« (Schmitz 17.5.1969, T; Blasen 1984, S. 21). Es ist nicht überliefert, ob es tatsächlich dazu kam. Zu den im gleichen Jahrzehnt vorgesehenen »Bandaufnahmen der Musikeinlagen Lou Kosters« durch das Orchester Radio Luxemburg (Schmitz 17.5.1969, T) kam es ebenfalls nicht. Zur Frage, wie Lou Koster später selbst den Erfolg des Werkes wertete, gibt es kaum bzw. widersprüchliche Quellen. In ihrem Curriculum Vitae schreibt sie 1961 knapp: »die Melodien [der ›Schwemm‹] wurden geschätzt« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F). Dem fügt sie hinzu, dass durch die Operette Willy Goergen auf sie aufmerksam wurde und ihr seine Gedichte zur Vertonung anbot. Zwei Presseartikel, die ebenfalls beide auf Interviews mit der Komponistin basieren, widersprechen sich in diesem Punkt vollkommen: Während Liliane Thorn-Petit im August 1961 schrieb, dass An der Schwemm »leider kein Erfolg beschieden war« (Thorn-Petit 29.8.1961, J, F), ist acht Jahre später im Luxemburger Wort zu lesen, die Operette sei »ein beachtenswerter Erfolg« gewesen (P.W. 8.5.1969, LW). Zur Quellenlage und zur Musik der beiden Fassungen Die Orchesterpartitur von An der Schwemm, samt Stimmenmaterial, gilt heute als verschollen. Erhalten sind neben dem Libretto ein kompletter sowie fünf unvollständige Klavierauszüge.105 Leider ist auch für die luxemburgische Fassung keine Orchesterbesetzungsliste überliefert, so dass jegliche Quelle zur Instrumentation fehlt. Wenn auch über Konzerte des österreichischen Dirigenten Goetz – vor allem in seiner Funktion als Dirigent des Orchesters der Société philharmonique – berichtet wird, war bisher nicht zu ermitteln, in welcher Besetzung das in den Kritiken erwähnte Orchester Goetz auftrat. Die luxemburgische Urfassung enthält insgesamt nur sieben Musiknummern – eine Ouvertüre, drei Sololieder (Lori, Reddy, Zengerlé), ein Duett sowie vier Chöre. Die recht knappe Ouvertüre (65 Takte) weicht vom Modell der in Operetten besonders beliebten Potpourri-Ouvertüre ab. Sie hat ihre eigenen Motive und Themen und nimmt nichts von der späteren lustigen Handlung und fröhlich ausgelassenen Stimmung vorweg. Sie bietet vielmehr ein kontrastierendes Bild zum turbulenten und lauten Treiben des Orts der Hand86

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lung, des belebten Bades: In der zweiteiligen Ouvertüre – Andante, Allegretto – wird das Flussbad offensichtlich vor dem Menschenansturm geschildert. Die Einleitung – Andante – hat kein eigentliches Thema, sondern bringt zart und wie mit Klangtupfern (pp bis mf, très estompé, en dehors, très léger) eine ruhige und verträumte Atmosphäre zum Ausdruck, die zum Bühnenbild der idyllischen Flusslandschaft passt. Das Allegretto bestimmt, immer noch dynamisch und im Tempo sehr zurückgehalten, nach einer eigenen Einleitung ein kantables, in sich ruhendes, organisch um den Zentralton g sich windendes Thema, das vom musikalischen Impressionismus inspiriert zu sein scheint. Der große stimmungsmäßige Kontrast zwischen Ouvertüre und den Vokalpartien muss die Komponistin zu einem späteren Zeitpunkt gestört haben, denn für die Aufführungen von 1927 komponierte sie eine neue Ouvertüre – und zwar diesmal eine traditionelle Potpourri-Ouvertüre, die auch wesentlich umfassender ist (378 Takte). Die Operettenouvertüre von 1922 arbeitete Koster später für großes Orchester als 1. Satz, Le soir qui chante, der Suite dramatique um. Wie in der Operette üblich, spielen auch in An der Schwemm Tanzformen und -rhythmen eine bedeutende Rolle. Das Lidd vum Lori ist eine gefühlvoll schwärmerische Valse lente, das Lidd vum Zengerlé, die Chöre in der 1. und 14. Szene sowie der Schlusschor sind Märsche, mal flott, mal in gemäßigtem Tempo. Der in »fröhlicher und sehr rhythmischer« Manier zu singende Schwimmlehrerchor (11. Szene) ist ein schneller Walzer. Man kann davon ausgehen, dass die Tänze nicht nur gesungen, sondern auch getanzt wurden. Al Schmitz schreibt von den »Balletteinlagen im Badetrikot der Belle-­ Époque« (Schmitz 17.5.1969, T). Nur das Lidd vum Reddy sowie das Duo Reddy Lori sind keine eigentlichen Tanzformen. Aber durch den wiegenden 6/8-Takt spielt die Bewegung auch in diesen beiden Nummern eine Rolle. Das Lidd vum Reddy fällt in dem Sinn aus dem Rahmen, als es die einzige Vokalnummer in Moll ist, Reddy ist auch zu Beginn der Handlung der einzige Unglückliche. Neben der bereits erwähnten längeren neuen Ouvertüre der deutschen Version Amor im Bade komponierte Koster auch zu vier Szenen Bühnenmusik hinzu. Außerdem nahm sie Veränderungen im Tonartenplan vor. Die Quellenlage ist für die deutsche Version wesentlich besser als für die der Urfassung. Wenn auch für Amor im Bade die Orchesterpartitur nicht überliefert ist, ist doch diesmal das komplette Stimmenmaterial (ALK, LK F 1B-d) neben einem Klavierauszug (ALK, LK F 1B-a) erhalten. Das überlieferte Material stimmt mit der von der Komponistin in diesem Klavierauszug handschriftlich festgehaltenen Besetzungsliste überein. Zumindest für die »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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deutsche Version wissen wir also, wie das Orchester besetzt war: Flöte, Klarinette in B, Trompete in B, Violinen, Violoncelli, Kontrabass und Schlagzeug. An der Schwemm / Amor im Bade im Kontext der luxemburgischen Operette Die Operette in luxemburgischer Sprache erfreute sich ab den 1850er Jahren allergrößter Beliebtheit. Edmond de Lafontaine, genannt Dicks, gilt als der erste und bedeutendste Dichter-Komponist von Operetten in luxemburgischer Sprache: »Dicks ist unser Dramatiker par excellence und hat nicht weniger als 12 Operetten im Luxemburger Dialekt geliefert, die […] seitdem Herr Stomps die Drucklegung derselben im Jahre 1889 begonnen, durch alle Vereine des Landes zur Aufführung gelangen.« (Hémecht 1 [1912], S. 3–5, zit. b. Blasen 1990, S. 43) Dicks benutzte für die Bezeichnung seiner ein- bis zweiaktigen Werke selbst nie den Begriff Operette, sondern »Kome’de’stéck« (= wörtlich Komödienstück). Der Begriff Operette bürgerte sich erst später ein. Die Kome’de’stécker von Dicks lieferten das Vorbild für eine Vielzahl von Operetten anderer Komponisten. Nach Ian de Toffoli stehen Webers Operettenlibretti in der Tradition von Dicks (de Toffoli 2017, S. 194–202). Wie in anderen Städten Europas wurde die Operette auch in Luxemburg »zur dominierenden Massenunterhaltung« im Bereich des Musiktheaters (Linhardt 2010, S. 230). Während eine Titelliste luxemburgischer Operetten des 19. und 20.  Jahrhunderts mehrere Seiten füllt, kann man die Zahl der in Luxemburg vom 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts komponierten Opern oder Musikdramen an zwei Händen abzählen.106 Trotz der großen Popularität der Gattung gibt es bis heute weder eine umfassende Studie, die sich dem Thema widmet, noch Editionen oder Aufnahmen luxemburgischer Operetten. In Ermangelung dieser Studien ist es daher noch nicht möglich, An der Schwemm in den Kontext und die Entwicklungsgeschichte der luxemburgischen Operette zu situieren. Liedkompositionen der 1920er Jahre Mit welchen Liedkompositionen Koster sich in den 1920er Jahren beschäftigte, bleibt weitgehend ein Rätsel. Unter den wenigen erhaltenen Liedmanuskripten mit Datierung befindet sich kein einziges aus der Zeitspanne zwischen 1919 bis 1929. Zu den Drucken, die sehr häufig ohne Jahresangabe 88

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erschienen sind, gibt es, diese Periode betreffend, widersprüchliche Angaben. In einem Presseartikel, der auf einem Gespräch mit der Komponistin basierte, kann man lesen: »1928 schrieb sie die Musik zu Nikolaus Welter Gedichten, die im Ausland unter dem Titel ›Das Wort im Ton‹ verlegt wurden und von deutschen Kritikern wegen der schönen Melodien gelobt wurden. Die Lou Kostersche Vertonung würde den Worten den richtigen Wert geben, hieß es damals in dem entsprechenden Zeitungsartikel.« (I.K. 11.7.1964, J) Ein solcher gedruckter Sammelband konnte bis heute ebenso wenig wie die erwähnte Kritik in der ausländischen Presse aufgefunden werden. Man weiß nur, dass Nikolaus Welter der Komponistin ein Gedicht mit dem Titel Das Wort im Ton widmete.107 Maisy Koster erinnerte sich allerdings, die Komponistin sei vor 1930 öfters nach Trier gereist, um mit einem Verleger über die Herausgabe von Kompositionen zu verhandeln (EI 6). In einem anderen Presseartikel, in dem der Journalist sich als Quelle ebenfalls auf ein persönliches Gespräch mit Lou Koster beruft, wird das Jahr 1928 mit der Veröffentlichung eines anderen Bandes in Zusammenhang gebracht, für den es aber nun erwiesen ist, dass er erst später, Mitte der 1930er Jahre publiziert wurde: »1928 erschien die erste Ausgabe der Luxemburger Melodien nach Texten von Paul Palgen, Willy Goergen und Nikolaus Welter.« (P.W. 8.5.1969, LW) In ihrem handschriftlichen Lebenslauf erzählt Lou Koster, der Dichter Willy Goergen habe ihr nach dem Erfolg der Operette An der Schwemm – also in den 1920er Jahren – eigene Texte zur Vertonung vorgelegt. Früheste Datierungen auf Goergen-Liedautografen stammen aber erst aus den 1930er Jahren. Fortsetzung des Studiums am Konservatorium Im Herbst 1922 nahm Lou Koster ihr elf Jahre zuvor abgebrochenes Studium in Harmonielehre am Konservatorium wieder auf. Im Sommer 1928 schloss sie es mit einem ›Ersten Preis mit Auszeichnung‹ ab. Ihr Lehrer war bis 1927 Fernand Mertens und für das letzte Studienjahr Lucien Lam­ botte.108 Danach hätte sie Kontrapunkt und Komposition weiterstudieren können, was sie aber, wie bereits erwähnt, nicht tat.109 Im Gegensatz zu einem Kompositionsstudium, in dem der Fokus auf das gegenwärtige Komponieren gerichtet ist und ein freierer Umgang mit dem musikalischen Material geschult wird, war der Harmonielehreunterricht auf historische Stile zentriert, und die Moderne spielte dabei eine untergeordnete Rolle. Dass, wie erwähnt, das Fach Komposition erst ab den 1940er Jahren belegt wurde, während es »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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aber regelmäßig viele Absolventen im Fach Harmonielehre gab,110 kann eine weitere Erklärung dafür liefern, warum Komponisten in Luxemburg lange Zeit, asynchron zu modernem Musikschaffen, der Tonalität treu blieben. Im Vergleich zur Komponistin Helen Buchholtz, deren Studien in ihrem Nachlass gut dokumentiert sind, sind Lou Kosters Lehrbücher und Tonsatzhefte nicht überliefert. Die Frage, was Mertens und Lambotte ihr mit auf ihren Weg als Komponistin gaben, kann nicht anhand von Quellenmaterial nachvollzogen werden. Aus dem NS-Begutachtungsbericht des Konservatoriums geht lediglich hervor, welche Methode Lambotte um 1941, und vermutlich wohl auch schon früher, im Harmonielehreunterricht benutzte, er unterrichtete »nach dem bekannten Lehrbuch des bedeutenden russischen Komponisten Rimsky-Korsakov« (AVDL LU 11 NS_238 12). Ihrem jeweiligen Unterricht drückten beide Lehrer aber den Stempel ihrer musikalischen Persönlichkeiten auf, die hier kurz skizziert werden sollen. Fernand Mertens Fernand Mertens, in Löwen (Belgien) als Sohn eines Fabrikschlossers geboren, war Militärmusiker.111 Neben seinem Beruf hatte er sich in Komposition weitergebildet, zuerst autodidaktisch, später durch Privatunterricht bei Henri Mathias Balthasar-Florence und Émile Mathieu, alle beide Schüler von François-Joseph Fétis. 1897 bewarb er sich bei der Luxemburger Militärmusik und wurde zuerst für Tuba solo und Bratsche eingestellt und 1909 zum Kapellmeister ernannt. In dieser Funktion führte er in den folgenden 18 Jahren bis zu seiner Pensionierung eine grundlegende Reform durch: Die musikalischen Leistungen steigerten sich, und die Programmgestaltung wurde anspruchsvoller, auch wurde den symphonischen Konzerten wesentlich mehr Bedeutung zugemessen. 1906 war er am Konservatorium in Luxemburg zum Professor für Solfège, später auch für Harmonielehre und Kontrapunkt ernannt worden. Privat unterrichtete er Komposition, so war beispielsweise Helen Buchholtz in den 1920er Jahren seine Schülerin. Sein Werkkatalog umfasst zahlreiche Kompositionen für Blasorchester – viele Märsche und Prozessionsmärsche, Potpourris, lyrische Orchesterstücke wie die Scènes luxem­bourgeoises, in denen luxemburgische Volkslieder verarbeitet werden, oder die Ouvertüre Mëllerdall, in der die Landschaft des Müllerthals im Nordosten von Luxemburg musikalisch porträtiert wird. Er komponierte auch Operetten, Bühnenmusik und Lieder auf luxemburgische Texte, ein patriotisches Drama, Gelegenheitskantaten, eine Messe und Marienlieder sowie 90

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unterhaltende Klaviermusik, insgesamt also Musik in Genres, die sich damals in Luxemburg großer Beliebtheit erfreuten. Eine Ausnahme bildet seine um 1930 komponierte Symphonie in h-Moll, eine Gattung, für die sich seine komponierenden KollegInnen damals nicht interessierten. Mit dieser Komposition fand er auch bei der Kritik kaum Anklang (Blasen 1988, S. 50 ff.). Als besondere Qualitäten seiner Kompositionen hebt Joseph Meyers das Raffinement der Harmonik, die Meisterschaft der Orchestrierung sowie die vielfältigen Klangfarben seiner deskriptiven Orchesterstücke hervor (Meyers 1939, S. 433 f.). Möglicherweise ging der Unterricht in Harmonielehre, den Fernand Mertens Lou Koster erteilte, über die Grenzen des Fachs hinaus. Laure Koster meinte: »Ja, bei Mertens lernte sie Komposition, Harmonie, Kontrapunkt usw.« (EI 7) Mertens führte die Musik seiner Schülerin mit der Militärmusik mehr als nur einmal auf. Lucien Lambotte Lucien Lambotte, aus Hodimont bei Verviers (Belgien) gebürtig, hatte zuerst am Konservatorium in Verviers und anschließend an der Schola Cantorum in Paris studiert, wo er 1909 ein Abschlussdiplom in Klavier – der Name des Lehrers ist nicht überliefert – sowie in Kontrapunkt in der Klasse von Albert Roussel erhalten hatte.112 Bis 1920 wirkte er als Konzertpianist, um sich danach am Konservatorium in Verviers der Musikpädagogik (Klavier, Harmonielehre, Kontrapunkt und Fuge) zuzuwenden. 1927 wurde er Direktor des Konservatoriums in Luxemburg. Diesen Posten hatte er – mit einer Unterbrechung in der NS-Besatzungszeit – bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1953 inne. Als Komponist hinterließ Lambotte ein umfangreiches Œuvre: Klaviermusik, Lieder, Kammermusik, Musik für Blas- wie Symphonieorchester sowie viele Chorwerke (Dado 2001). Frühe Werke, die er unter dem Pseudonym Géo Poldy schrieb, sind der Unterhaltungsmusik zuzurechnen (»musique de brasseries et de salons«, Dado 2001, S. 11). In einem der Programmhefte wird seine Musiksprache und Ästhetik – möglicherweise von ihm selbst – folgendermaßen beschrieben: »Es ist selbstverständlich moderne Musik, aber nicht von dieser Art von aggressivem Modernismus, der das Trommelfell perforieren will und die Nerven aufpeitscht. Sie ist modern, weil ›noch nicht gehört‹, beständig blitzt über sehr lebhaften Rhythmen hier eine unerwartete Harmonie, dort eine reizvolle Polyphonie, hier eine alte Tonleiter, die man vergessen und unfruchtbar wähnt, auf.« (Pirenne 2001, S. 15, F) »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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Als Leiter des Orchesters und des Chors am Konservatorium in Luxemburg hatte er die Möglichkeit, immer wieder eigene Werke aufzuführen, die aber nur äußerst laue, wenn auch wohlwollende Kritiken ernteten. Die Kompositionen wurden als »annehmbar«, »beachtenswert«, »recht gefällig« und »recht nett« sowie als »fleißige Arbeit« bezeichnet.113 Christophe Pirenne bezeichnet Lambotte als konservativen Komponisten, der aber gerade durch diese Haltung zu einem Katalysator für eine radikale Gegenposition seitens einer jüngeren Komponistengeneration wurde: »Ein solcher künstlerischer Ansatz zeigt, dass die Konservatorien von Brüssel, Lüttich und Luxemburg in den dreißiger Jahren von wertvollen Musikern geleitet wurden, die alle eine musikalische Bildung vermittelten, die auf den pädagogischen Prinzipien des 19.  Jahrhunderts beruhte. Lucien Lambottes Laufbahn bestätigte, dass er, indem er den zeitgenössischen Entwicklungen der Musik gegenüber taub blieb und einen sehr kritischen Diskurs über die Innovationen einiger seiner Zeitgenossen führte, genauso wie seine Kollegen aus Lüttich und Brüssel, zu einem indirekten Handlanger der fordernden Moderne wurde, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte.« (Pirenne 2001, S. 16)

Lou Koster als Konzertpianistin Gelegentlich war Lou Koster auch als Konzertpianistin tätig. So begleitete sie beispielsweise im Stadttheater anlässlich der Friedens- und Siegesfeier am 14. Juli 1919, am französischen Nationalfeiertag also, ein Pariser Künstlerensemble in einem bunt gemischten Programm, in dem u.a. auch die Luxemburger Militärmusik einen Auftritt hatte. Suzanne Dropsy vom Theater Trianon Lyrique bot zusammen mit der Sängerin Paulette Lissa der Opéra de Paris und Charles Sautelet, der im Théâtre des Arts engagiert war, »eine ansprechende Salongesangskunst«, während die Diseuse Jeanne de Grammont mit ihrer »eindringlichen Stimme der enfants terribles, mit himmlischer Unbefangenheit die entsetzlichsten Dinge« erzählte (Weber 17.7.1919, AK in LZ). An demselben Abend trat auch die junge Tänzerin Jeanne Ronsay auf, die im Begriff war, sich als Choreografin, Tänzerin, Tanzforscherin wie Tanzpädagogin zu einer bedeutenden Persönlichkeit zu entwickeln. Ronsay, die 1912 debütiert hatte, stand in frühen Jahren unter dem Einfluss Isodora Duncans und tanzte barfüßig auf Musik von Erik Satie, Albert Roussel, 92

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Claude ­Debussy und Maurice Ravel. 1918 hatte sie mit der innovativen Choreografie zur Ballettmusik von Arthur Honegger Le dit des jeux du monde – insbesondere mit einer ›Danse cubiste‹ – in Paris einen Skandal ausgelöst.114 In Luxem­burg interpretierte sie 1919 zusammen mit Lou Koster Claude Debussys Golliwogg’s Cakewalk aus dem Band Children’s Corner. Das Klavier war dem Bühnenbild angepasst, laut Batty Weber mit schäbigen Draperien – »wie ein zerrissener Unterrock« – behängt. Batty Weber: »Im Übrigen aber war alles bis aufs Tüpfelchen wohlgeraten. Und Frl. Koster verdient einen besonderen Lobspruch für ihre Klavierbegleitung, der man unter ihren Händen nicht anhörte, wie schwierig sie war.« (ebd.) Die Kritik im Luxemburger Wort vom 16. Juli 1919 fiel hingegen äußerst negativ aus. Unterzeichnet war sie mit »H.« für Dominique Heckmes: »Und so was will Konzert genannt werden? […] Von der brillanten Wiedergabe des ›Marche lorraine‹ durch unser Militärorchester abgesehen höre ich den ganzen Abend keinen frischen gesunden Klang. Da gab’s nur Ausdruck, Mimik. […] Ein Konzert ist kein Variété! Ein andermal engagiere man auch noch einen Schlangenmensch oder den Gänsedresseur von Hagenbeck. Nebst anderen Besuchern bin auch ich auf die ›Konzert‹-Ankündigung hereingefallen, entfernte mich aber in der Pause und weiß über den zweiten Teil des Abends nichts zu berichten.«

Heckmes ereiferte sich sehr über das schlechte Klavier, auf dem Lou Koster spielen musste: »Wie konnten die Veranstalter der Aufführung so rücksichtslos sein, den beiden Damen Frl. Coster [sic] und Frl. Dropsy ein solches Hackbrett auf ’s Podium zu stellen!« Zur Interpretation von Kosters Debussy-Darbietung äußerte er sich nicht, vielleicht weil er zu diesem Zeitpunkt bereits den Saal verlassen hatte. Im Escher Tageblatt und im Luxemburger Wort wird Koster als Pianistin erst wieder vier Jahre später erwähnt. Am 11. November 1923 fand im Cercle ein Wohltätigkeitskonzert statt, bei dem Kammermusik und Opernarien auf dem Programm standen. Dominique Heckmes hob in seiner Kritik insbesondere den von Henri Braun115, Lou und Lina Koster präsentierten kammermusikalischen Teil hervor: »Vor allem gab es wieder einmal Kammermusik, eine Kunstart, die wohl in keinem musikalisch annehmbaren Milieu so stiefmütterlich behandelt wird, wie hier in Luxemburg. Das wegen seiner künstlerischen Vornehmheit und liebenswürdigen Anmut vielgespielte D Dur Trio von Mendelssohn und »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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das lebenssprühende D Moll Trio von Arensky erfuhren durch die Mitwirkenden, Herrn H. Braun als Geiger, Frl. Lina Koster als Cellistin und Frl. Louise Koster als Pianistin, eine sehr anregende Wiedergabe, wenn auch das Mendelssohn’sche feine Ebenmaß und die Klarheit der Form unter dem allzufesten Anpacken der Pianistin etwas beeinträchtigt wurde. Das weniger auf formale Gestaltung pochende Trio von Arensky litt auch weniger unter dieser Derbheit. […] Eine ganz neue Erscheinung auf dem Konzertpodium war die Cellistin Frl. Lina Koster. Die junge Dame hat im letzten Sommer am hiesigen Konservatorium als Schülerin des Herrn Kühn den ersten Preis mit Auszeichnung errungen und soll jetzt ihre Studien im Ausland fortsetzen [Heckmes verwechselt Laure Koster hier offensichtlich mit Lina]. Ihr Celloton ist von großer Weichheit, Reinheit und Klangschönheit, etwas mehr Wärme im Vortrag aber wäre erwünscht. An der Pianistin Frl. Louise Koster ist vieles zu loben, besonders die gut entwickelte Technik. Zu tadeln ist ihr Draufgängertum, obwohl mir auch dieses noch besser gefällt, als tonloses Lispeln. In medio virtus.« (LW 13.11.1923, S. 2)

Auch das Escher Tageblatt lobt die Leistung der drei MusikerInnen: »Frl. Lina und Frl. Louise Koster leisteten mit Hrn. Braun Vorzügliches, auf Cello, Klavier und Geige was harmonisches Zusammenspiel, Reinheit der Tongebung und temperamentvolle Interpretierung anbelangt.« (T 12.11.1923, S. 3) Neben Mendelssohn und Arensky spielten Henri Braun und Lou Koster außerdem das Rondo brillant von Camille Saint-Saëns. Eine kleine Notiz in der Lokalchronik informiert über einen Auftritt in der belgischen Hauptstadt: Im Luxemburger Wort vom 16. Juni 1925 kann man lesen: »Luxemburger im Ausland. Letzten Montag wirkten bei einem großen Kammermusik-Konzerte der drahtlosen Telegraphie in Brüssel, Fräulein L. Koster aus Luxemburg und Hr. Alb. Thorn aus Esch mit; beide zeichneten sich in Werken von Lekeu, Beethoven und César Franck außergewöhnlich gut aus.« Frauenleben in Gegensätzen Laure Als Laure Koster 1923 ihr Violoncellostudium am Luxemburger Konservatorium abschloss, ermutigte Professor Eugène Kühn sie, im Ausland weiterzustudieren: »Wegen des schönen Resultates sagte mein Professor: ›Du musst 94

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weitermachen. Er sagte: ›Du musst weitermachen.« (EI 7) Diesen Wunsch machte sie zu ihrem eigenen, und da in der Familie die nötigen finanziellen Mittel nicht zur Verfügung standen, wurde die junge Musikerin beim zuständigen Minister für Inneres und Bildung vorstellig, um ein Stipendium zu beantragen: »Ich bin zum Minister [ Joseph] Bech gegangen und habe ihm gesagt: ›Ich hätte gerne ein Stipendium für ein Studium in Brüssel‹, und da konnte ich zwei Jahre nach Brüssel gehen. Ohne Stipendium hätte meine Mutter mich nicht gehen lassen.« (EI 4) Im Gegensatz zu Lou Koster scheute die Schwester Laure sich offensichtlich weniger, sich mutig für die Verwirklichung ihrer Lebenswünsche einzusetzen. Natürlich hatten sich die Zeiten geändert, in den 1920er Jahren waren die Möglichkeiten für Frauen, sich von traditionellen Rollen und Frauenbildern zu befreien, größer. Laure Koster erhielt für die Schuljahre 1923/24 und 1924/25 das Stipendium ›Dutreux‹ mit einer Gesamtsumme von 2500 Franken und konnte sich am Brüsseler Konservatorium in die Klasse von Georges Pitsch einschreiben.116 Die Roaring Twenties genoss sie in vollen Zügen. Ihr langes Haar ließ sie sich dem Typus der Neuen Frau, der Garçonne, entsprechend als Bubikopf kurz schneiden. Oder wie es in der katholischen Beilage ›Luxemburger Frau‹ im Luxemburger Wort formuliert wurde: ›opferte‹ es ›dem Modeteufel‹: »Wenn auf der Kanzel von Teufelsbesessenen und öffentlichen Sündern gesprochen wird, so kann man die heutige modern gekleidete Frauenwelt ruhig dazurechnen.« (»Amtsrichters Lotte«, LW 7.6.1929, S. 8) Laure Koster meinte im Alter noch mit Stolz: »Ich war immer sportlich gekleidet.« (EI 7) In Brüssel lernte sie andere junge Musikerinnen kennen. Mit fünf Freundinnen gründete sie das sechsköpfige Ensemble Ladies Orchestra The Stars, mit dem sie eine Zeitlang in der kulturell lebendigen Hafenstadt Antwerpen zum ›Thé dansant‹ aufspielten, und zwar am selben Abend immer abwechselnd mit einem englischen Jazz-Orchester (siehe Abb. 12). Um das anfänglich klassische Repertoire in der kammermusikalischen Besetzung Streicher mit Klavier, mit dem sie z. B. Auszüge aus Opern wie Carmen oder Lakmé darboten, um Jazz-Nummern erweitern zu können, lernte Laure Koster zusätzlich Saxofon, während die Freundinnen bei diesen Nummern ihre Streichinstrumente ablegten und zu Banjo oder dem Schlagzeug griffen, die Schlagzeugerin trat dann auch als Jazzsängerin auf: »Ich habe nach dem Krieg Saxofon gelernt, bei einem Brüsseler Militärmusiker. Ich habe viel sparen müssen, um mir ein Saxofon zu kaufen. Ich hatte in der Zeit, wo ich in Brüssel studierte, wenig Geld. Nach zwei bis drei Monaten [Unterricht] hatte ich meinen ersten Auftritt vor Publikum.« (EI 8) Auch das Charlestonkleid für die Auftritte – »eine Art Uniform«, denn jede Musikerin trug das gleiche – kaufte »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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sie sich von ihrem Ersparten. Ihr musikalisches Studium schloss sie 1925 mit einem ersten Preis in Violoncello und einem zweiten Preis in Kammermusik (Klasse von ›Monsieur Miry‹) ab (siehe Abb. 13). Während der Ferien trat sie in Luxemburg gelegentlich als Musikerin auf, so im oben bereits erwähnten Orchester der Girl-Guides. Laure Koster war der 1916 gegründeten Organisation in den frühen 1920er Jahren beigetreten und dann zur ›Cheftaine‹ (Führerin) der Sektion Bonnevoie ernannt worden (EI 8). Einem Abreißkalender-Artikel von Batty Weber verdanken wir eine geschlechterfokussierte, vor allem vom Sinnlichen und Optischen ausgehende und nur am Rande auf die Musik eingehende Vorankündigung eines musikalischen Auftritts der Truppe. Die Veranstaltung fand am Weihnachtsabend 1924 »um 9 Uhr abends bis Sonnenaufgang« im Hotel Métropole in der Neutorstraße statt. Die Girl-Guides stellten traditionelle Mädchenrollen auf den Kopf, boten ein Alternativprogramm zum christlichen Familienfest und imponierten Männern wie Weber mit ihrer Androgynität: »Ich will dich nicht in einen Verein locken, den ältere Damen und späte Mädchen als Junggesellen- oder Ledigenheim gegründet haben mit dünnem Tee, Harmoniumspiel und Patiencelegen. An dem Abend, den ich meine, werden ausschließlich junge Damen, ich wage sogar zu sagen: junge Mädchen für Deine Unterhaltung sorgen. Sie sind die Zukunft des Geschlechts, die Blüte der Rasse. Sie nennen sich die Girl-Guides, die braunen Biwack-Ratten. Sie sind die Cow-Boyistinnen mit den feierlich-feschen Stetson-Hüten und dem zu prickelnder Lieblichkeit gezähmten Wild-West-Übermut. Die Sphinx ist in ihnen bezaubernd wiedergeboren. Die Zwiespältigkeit des alten Fabeltieres ist bei ihnen in frische, frisch gelüftete und gebadete Mädchenhaftigkeit aufgelöst, die uns Stärkeren dadurch Anerkennung zollt, dass sie über die Grenzen des Märchenlandes Weiblichkeit männlichen Schneid importiert und als Kohlensäure verwendet. […] Das Ganze beginnt mit Flöten und Geigen, Trommeln und Trompeten und endet mit Tanz. Dazwischen Gesang, ein Cello-Solo von Lory Koster, als Nixe Loreley verkleidet, ein eigens für die Gelegenheit verfasstes, ebenso anonymes wie dreisprachiges Theaterstück117, und um Mitternacht das Leiblied der seligen Herren Jean Baptiste Faure und Arthur Bloch: Minuit Chrétien. […] Etwas sei noch hervorgehoben, als Beweis dafür, wie die Gastgeberinnen so jung schon Wesentliches im Leben erkannt haben: Die Orchesterstücke werden nicht lang und die Pausen werden sehr kurz sein. Und das Ganze geschieht nicht zu einem wohltätigen Zweck.« (Weber 18.12.1924, AK in LZ)

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Neben der Musik widmete sich Laure Koster mit vollem Engagement dem Sport. Ihr Schwimmtalent und ihre Erfolge bei Wettbewerben waren bald über Luxemburgs Grenzen hinaus bekannt. 1922 wurde sie bei der Generalversammlung des Swimming Club Luxembourg – als einzige Frau – in den Vorstand gewählt (NOEL 1969, S. 46). Während ihres Studiums in Brüssel trat sie dem Swimming Club Bruxelles bei. Schließlich schaffte sie es als Wettschwimmerin ganz oben an die Spitze: Im Sommer 1924 vertrat sie Luxemburg in Paris bei den Olympischen Sommerspielen (siehe Abb. 10). Im Halbfinale errang sie den zweiten und im Finale den sechsten Platz, ein Erfolg, der von Luxemburg auch später nicht übertroffen wurde (Turping 1997, S. 261). Zwischen den Wettschwimmen übte sie für ihr bevorstehendes Examen am Brüsseler Konservatorium, den zweiten Preis in Violoncello. Durch den Sport knüpfte sie viele Freundschaften auch mit den männlichen Schwimmern des Swimming Club: »Das waren alle gute Kumpels von mir, ich war mit den Jungs, als wenn ich ein Junge wäre. Ich war kein Mädchen.« (EI 7) Im Alter auf diese Zeit zurückblickend, beschreibt Laure Koster sich selbst mit einem gewissen Stolz als burschikose Frau: »Ich war immer mehr ein stämmiger Bursche.« (EI 7) Ihre Jugend verlebte sie in der Blütezeit der ›Garçonne‹, und Seelenverwandte begegneten ihr in der lebendigen belgischen Hauptstadt auf Schritt und Tritt. Am Brüsseler Konservatorium lernte Laure Koster den gleichaltrigen Vio­ loncellostudenten Cyrille Bodson kennen, den sie – da sie schwanger wurde – kurz nach ihrem Studienabschluss 1926 heiratete. Es fiel ihr nicht leicht, ihr Saxofon verkaufen zu müssen, um sich mit diesem Geld selbst eine kleine Aussteuer zu finanzieren. Sieben Monate nach der Hochzeit wurde ihr einziges Kind, ihr Sohn Cyrille, geboren. Kurz nach der Geburt zog die junge Familie nach Luxemburg, Bad Mondorf. Im renommierten Staatsbad, zu dessen regelmäßigen Gästen beispielsweise auch Maurice Ravel zählte, traten Laure ­ oeres gegrünund Cyrille Bodson-Koster zusammen in das 1923 von Émile B dete zwölfköpfige Orchester ein, das während der Badesaison in Mondorf und im Winter in verschiedenen Lokalen der Hauptstadt auftrat.118 Als der Schwiegervater von Laure Koster im Alter von 49 Jahren verstarb, musste Cyrille Bodson das Orchester aufgeben, um das väterliche Delikatessengeschäft in Namur, Südbelgien, zu übernehmen. Laure Koster blieb noch eine Weile allein in Mondorf, um die Bedingungen ihres Kontraktes zu erfüllen, und zog dann ebenfalls nach Namur, wo sich ihr Leben komplett wenden sollte. Wie ihr Mann hängte auch sie den Musikerberuf an den Nagel, sie gab ihre Karriere als Schwimmerin auf und wurde Geschäftsfrau. Traditionelle Normen konnten von heute auf morgen aus einer befreiten Garçonne blitzschnell wieder »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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eine Hausfrau und Mutter machen. »Die zwei Begriffe Hausfrau und Künstlerin stehen sich gegenüber wie Wasser und Feuer. Wer könnte Künstlerin sein mit frischem Lächeln, im duftigen Kleid und schönen wohlgepflegten Händen, und zugleich niedere Hausfrauenpflichten verrichten?« (»Hausfrau und Künstlerin«, in: Beilage ›Luxemburger Frau‹ LW 14.11.1924, S. 8) Lina Lina Koster spielte in der Familie eine Rolle, die der genaue Gegensatz zu der von Laure und überdies nicht sehr dankbar war. Von der Mutter, die, so Laure und Maisy Koster, wenig Neigung für die Aufgaben einer Hausfrau hatte, aber auch vom Nesthäkchen Laure, das nach eigenen Aussagen bei Emma Hoebich nicht die nötige mütterliche Fürsorge und Herzenswärme fand und diese bei Lina suchte, wurde Lina förmlich in die Rolle des weiblichen Hausvorstands gedrängt. Dazu Laure Koster: »Lina war so lieb, ein richtiges Hausmütterchen, sie konnte gut kochen, gut stricken usw., nur das Nähen war ihr Schwachpunkt.« (EI 4) »Lina, das war meine Mutter! […] Lina führte den Haushalt, meine Mutter war dazu wenig geeignet, das Einzige, was sie tat, war samstags das Perpendikel der Kuckucksuhr zu reinigen, das war ihre wichtigste Tätigkeit. Lina tat alles Restliche, Louise kümmerte sich auch wenig darum, und ich war zu jung. Lina war introvertiert. Lou war extravertiert, sie fühlte sich draußen viel mehr zuhause. Und Lina hat sich in die Ecke drücken lassen. Dadurch fand sie auch keinen Jungen, sie hat spät geheiratet.« (EI 7)

Maisy Koster äußerte sich übereinstimmend hierzu: »Lina wurden alle Ambitionen genommen, da sie zuhause Putzmädchen spielen musste.« (EI 6) Lina, die Gutmütige, »die Beste«, wie Maisy Koster meinte, stellte die eigenen Ansprüche in den Hintergrund und war stets für die anderen da. Für die Extravaganzen der Schwester Laure, beispielsweise in puncto Kleidung, hatte sie wenig Verständnis. »Wärst du doch wie soll ich es sagen, wenn du doch einfacher wärst wie ich zum Beispiel«, schreibt Lina in einem Brief vom 5. November 1924 an Laure (ALK, LK 5C 1 1924.11.05). Wie die Schwestern hatte auch Lina mit sehr guten Resultaten am Konservatorium ihr Musikstudium abgeschlossen und in jungen Jahren aus der Musik einen Broterwerb gemacht. Sie spielte in Orchestern, trat als Solis98

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tin und Kammermusikerin auf und betätigte sich als Stummfilmmusikerin. Diese Engagements waren aber nicht mit einer festen Anstellung, wie der der Schwester Lou im Konservatorium, zu vergleichen. Ihre musikalischen Erfolge standen immer im Schatten ihrer Schwestern. Im Archiv des Konservatoriums befindet sich eine Aktenmappe mit einzelnen Dokumenten aus der Gründungszeit des Orchesters Radio Luxemburg (MKL: Orchester R.L. 1933). Aus ihnen geht hervor, dass die Violoncellistin Lina Koster am 4. Januar 1933 zusammen mit drei anderen Musikerinnen und acht Musikern zu einem Orchestervorspiel eingeladen worden war, sie wurde aber nicht eingestellt. Unter den fünf Streichern, die eine Anstellung erhielten, waren die zwei Musikerinnen Marie Braun und Anny Hemmer, Ernst Eichels spätere Frau. In den Notizen der Jury hieß es: »Frau Poos-Koster, eine ältere Person [sie war damals 42 Jahre alt], Wahlstücke: Serenade Tschaikowski (sehr leicht) und Teil einer Bach-Suite (mittleres Schwierigkeitsniveau). Intonation recht gut, nicht möglich, über ihre Technik zu urteilen, da die Stücke zu einfach sind. Klang ziemlich gut. Primavistalektüre sehr schwach. Mangel an Technik. Unmöglich in einem reduzierten Orchester.« (ALK, LK 7C 2, F) Lina Koster hatte schließlich 1930 Henri Poos geheiratet, der von Beruf Zeichner beim Bauingenieurunternehmen Paul Wurth in Luxemburg war, und führte mit ihm, so Laure Koster, bis zu ihrem tragischen Autounfall, bei dem sie das Leben verlor, eine glückliche Ehe, die kinderlos blieb. Poos war auf vielfältige Weise an Kultur interessiert. Er malte, die Familie Jean-Paul Koster besitzt heute noch eine kleine Sammlung seiner Bilder. Er illustrierte aber auch den Gedichtband L’ombre qui vient: poésies von Georges Droux mit Holzschnitten.119 Henri Poos war es auch, der die beiden von Lou Koster vertonten deutschen Texte, Ein Stündlein wohl vor Tag von Mörike und Feldeinsamkeit von Allmers, ins Französische übersetzte, als die Komponistin diese Lieder im belgisch-französischen Verlag Schott Frères publizierte. Neun Briefe: Alltag und Musik im Hause Koster im Herbst und Winter 1924/25 Im Nachlass der Familie Koster sind neun von Emma und Lina an Laure Koster adressierte Briefe überliefert.120 Sie wurden, allesamt in französischer Sprache, zwischen dem 5. November 1924 und dem 3. März 1925 geschrieben und geben – angesichts der ansonsten nur sehr spärlich überlieferten brieflichen Quellen – einen einmaligen Einblick in das alltägliche und musikbezogene Leben im Haus Koster. »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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Die drei Frauen, Emma, Lina und Lou, wohnten zu dem Zeitpunkt zu dritt im Elternhaus am Boulevard d’Avranches. Fernand lebte von 1921 bis 1928 in Paris, wo er ab 1924 zuerst als Buchhalter und anschließend als Verkaufsdirektor der Pariser Zweigstelle der deutschen Elektrizitätsfirma Siemens-­Schuckert arbeitete.121 Francis wohnte seit langen Jahren in Belgien. Die Antwortschreiben der Adressatin Laure sind nicht erhalten. Einige der Briefe wurden von Emma und Lina auf dem gleichen Bogen, wenn auch in getrennten Abschnitten, geschrieben. Gelegentlich lagen auch zwei separate Schreiben in einem Umschlag. Den achten und neunten Brief vom 2. und 3. März 1925 schrieb Emma allein, denn Lina besuchte in diesen Tagen die Schwester Laure in Brüssel. Lou Koster beteiligte sich nicht an dem Briefwechsel, obwohl sich in diesem Jahrzehnt allmählich eine herzliche schwesterliche Freundschaft zwischen ihr und ihrer Schwester Laure entwickelte. Dazu Laure Koster: »Mit Lou bin ich nicht so gut zurechtgekommen, als wir jung waren. Sie nannte mich ›Knätzel‹ [eigentlich: Klümpchen oder verfilztes Haar, ein luxemburgischer, halb tadelnder, halb anerkennender Ausdruck für ein kleines, lebhaftes Mädchen]. Dann wurde ich wütend. Ich war das Nesthäkchen. […] Als wir älter wurden, wurde es besser, da waren Lou und ich mehr zusammen. […] Wir sind zusammen in den Wald gegangen, haben Pilze gesammelt, sie hat sie alle gekannt […] Einmal hatten wir uns im Winter im Grünenwald verlaufen, auf den römischen Weg [sind] wir gestoßen. Die Mutter hat geschimpft, als wir nach Hause kamen: ›Ihr seid richtige Räuber‹, sagte sie. […] In den zwanziger Jahren sind wir in die Schweiz gereist, sind mit Bergführer auf die Zugspitze gestiegen, haben in einer Hütte übernachtet.« (EI 7) »Sie hatte die gleichen musikalischen Gefühle wie ich.« (EI 8)

Es ist nicht auszuschließen, dass Lou Koster vielleicht mit ihrer Schwester Laure separat eine Korrespondenz führte, die heute nicht erhalten ist. Dass sie sich nicht am kollektiven Briefeschreiben beteiligte, könnte sich dadurch erklären, dass sie zu den Zeiten, als die beiden anderen die Briefe schrieben, nicht zuhause war. Wie aus den Schreiben hervorgeht, war sie mit Arbeit überhäuft. Sie war die einzige Frau im Haus, die einer geregelten Tätigkeit nachging, und war wohl in erster Linie für den Broterwerb der Familie zuständig. Im zweiten Brief (um den 19. November 1924) schrieb die Mutter: »Louise hat mir hinter meinem Rücken 500 Franken auf den Tisch gelegt. So habe ich genug Geld, meins eingerechnet.« Wie die Mutter am 15. Januar 1925 berichtete, hatte Fernand, bevor er Anfang November 1924 eine neue 100

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Stelle in der Firma Dufour in Paris annahm, die Familie ebenfalls finanziell unterstützen können. Da seine neue Arbeit bei höheren Ausgaben schlecht bezahlt war, konnte er dies nicht mehr tun. Sich selbst eine warme Decke für sein schlecht geheiztes Mietzimmer zu leisten war für ihn keine selbstverständliche Ausgabe, hierzu die Mutter an Laure Koster: »Ja meine Kleine, im letzten Jahr bist Du häufig zwischen Brüssel und Luxem­burg hin- und hergependelt, wir hatten im letzten Jahr die [finanzielle] Hilfe von Fernand und dieses Jahr nicht, ich lasse ihm sein Geld, ich will nicht, dass er auf alles verzichtet, er muss anständig leben können […] er schreibt mir, dass er schlecht zugedeckt ist, dass ihm kalt ist, ich werde ihm schreiben, dass er sich eine Decke kaufen soll, ich kann ihm nicht, so wie ich es bei Dir tat, eine schicken.«

Der Bruder Fernand, der auf seine erfolgreichen Schwestern stolz war, machte sich, trotz finanziellem Engpass, eine Ehre daraus, den Bilderrahmen von Laures Olympia-Diplom, das in einem Schaufenster vom Swimming Club Luxembourg ausgestellt werden sollte, zu finanzieren (Brief vom 5. November 1924). Das Thema Geld – scheint immer knapp gewesen zu sein – taucht in den Briefen ständig auf. In zwei Briefen sorgte sich die Mutter, dass die Raten von Laures Studienbörse wieder einmal nicht rechtzeitig ausgezahlt worden waren. Auch von kleinen Schulden ist die Rede. Mehrmals wurde Laure von der Mutter und Lina ermuntert, sich mit Konzertauftritten ihr Taschengeld aufzubessern, und sie rieten ihr, in den Weihnachtsferien 1924 und in den Faschingsferien 1925 in Brüssel zu bleiben, um das Geld für die Zugfahrt zu sparen. Wie die Veranstaltung der Girl-Guides zu Weihnachten 1924 zeigt, hielt sich Laure zumindest in diesem Monat nicht an den gut gemeinten Rat. Die ständigen Geldsorgen, die Kindheit und Jugend der Koster-Geschwister prägten, verarbeiteten sie auf unterschiedliche Weise. Laure Koster brachte dies knapp auf den Punkt: »Francis gab immer mehr aus, als er hatte, denn er hatte immer Schulden. Louise gab aus, und wenn sie nichts mehr hatte, hörte sie auf auszugeben. Lina konnte mit 50 Franken auskommen, wenn ich 100 brauchte. Fernand hat zusammengerafft.« (EI 7) Der Neffe Jean-Paul Koster beschreibt die Komponistin in ihrer Beziehung zum Geld mit den folgenden Worten: »Sie war überhaupt nicht materialistisch. Geld war für sie kein Thema. Sie war ohne großen Allüren, auch was ihre Kleidung betraf, sie war eine einfache Person und hat ein einfaches Leben geführt.« (EI 2) Fernand Koster – »der businessman« –, der als Buchhalter angefangen »… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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hatte, entwickelte sich beruflich zu einem sehr erfolgreichen Finanzmann und wurde Generalsekretär der luxemburgischen Börse. Die Mutter sorgte dafür, dass einflussreiche Freunde in Brüssel ein Auge auf Laure hielten. Damals wohnte der belgische Staatsminister122 Léon ­Colleaux bei seinen häufigeren Wochenendaufenthalten in Luxemburg im Hause Koster, wo er über ein eigenes Zimmer verfügte. Colleaux war eine der führenden Figuren des Sozialismus in Belgien und ein bedeutender Freidenker, der die Familie Koster schon seit vielen Jahren kannte, war er doch 1903 zum Mitglied des Freidenker-Föderalkomitees der belgischen und französischen Ardennen sowie des Großherzogtums Luxemburg ernannt worden (LW 25.4.1903, S. 2). Er hatte spätestens zu diesem Zeitpunkt in diesem Kreis Jean Koster kennengelernt. Colleaux, der im Briefwechsel familiär und liebevoll »Petterchen« (Großväterchen) genannt wird (Briefe vom 12. Februar 1925 und 28. Februar 1925), traf sich, wenn er in Brüssel in Kammer oder Senat arbeitete, mit Laure. Auch ihren ältesten Bruder Francis und dessen Frau Ketty Arens, die in Brüssel wohnten, sah Laure in dieser Zeit häufiger. In den Briefen erzählen Mutter und Schwester mit vielen Details vom Tagesablauf der Familie. Sie berichten z. B. vom Einkaufen am Markt, vom Kochen, von Krankenbesuchen123 und Treffen mit Freundinnen und Freunden oder von den täglichen Gängen zum städtischen Waschhaus (›Progrès‹), die von Lina erledigt wurden. Lina wusch nicht nur die Wäsche des dreiköpfigen Frauenhaushalts, sondern auch die von Laure und Fernand. Während Emma und Lina viele häusliche und gesellschaftliche Tätigkeiten gemeinsam unternahmen, war Lou – wie die Vaterfigur in der traditionellen Familie – fast immer abwesend. Die Woche über arbeitete sie, ohne Mittagessen, oft bis spät im Konservatorium, abends hatte sie häufig noch Orchesterprobe oder besuchte Konzerte und an den Wochenenden trat sie im Kino und in Hotels auf. Man fragt sich, wann sie die Zeit für das Komponieren fand. Mit Interesse verfolgten die Frauen das politische Geschehen. Im Brief vom 3. März 1925 schrieben sie von den Wahlen in Luxemburg, dem gespannten Erwarten der Publikation der Wahlresultate in den Zeitungen sowie – seit 1919 waren sie ja wahlberechtigt – vom eigenen Wählen: »Wir anderen, wir haben immerhin unsere Sache gut gemacht«, schreibt die Mutter. Am 1. März hatten Kammerwahlen in Luxemburg stattgefunden. Berichtet wurde auch von erhaltenen Briefen. So korrespondierte Lou Koster mit ihrer Freundin Maria Bescham aus Leysin, die, wohl an Tuberkulose erkrankt, dort bereits seit sieben Monaten lebte. Aus der Türkei schrieb der befreundete Geologe Michel Lucius immer wieder lange Briefe und Postkarten an die

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Familie Koster. Sämtliche erwähnten Korrespondenzen scheinen heute nicht mehr überliefert zu sein. Die Briefe geben einen Einblick in die musikalischen Tätigkeiten. Aus ihnen wird ersichtlich, dass Lou und Lina jeden Sonntag im noblen Grand Hôtel Brasseur auftraten, und zwar in der Formation eines Klaviertrios zusammen mit dem Violinisten Henri Braun oder gelegentlich auch mit dessen Schwester Marie, die später im Orchester Radio Luxemburg spielte. Im zweiten Brief vom November 1924 schreibt Emma: »Herr Beyens [der Besitzer des Hotels] ist immer so gut zu Lina und Louise, so ergeben, so voller Höflichkeit. Jedes Mal gehen sie mit neuem Vergnügen dorthin.« Das Grand Hôtel Brasseur in der Avenue de l’Arsenal (heute: rue Émile Reuter) war das beste und größte Hotel in Stadt Luxemburg, und die Liste der illustren Gäste, die in diesem Haus abstiegen, ist lang; um nur wenige zu nennen: Kaiserin Eugé­ nie, Königin Margarethe von Italien, Alice Roosevelt, Marschall Ferdinand Foch, Marschall Philippe Pétain usw.124 Aus dem zweiten Brief, November 1924, erfährt man, dass Lou Koster und Henri Braun nach dem sonntäglichen Konzert im Grand Hôtel Brasseur noch ins Hôtel Métropole weiterzogen, wo sie als Kaffeehausmusiker einen nächsten Auftritt hatten. Lina schreibt: »er [Henri Braun] musste dort ein Solo spielen und wurde von L ­ ouise begleitet, und man hatte ihn als letzte Nummer auf das Programm gesetzt. Wir blieben bis 2 Uhr und die Modderchen [Kosenamen für die Mutter] schlief ruhig als wir zurückkamen.« Die Kaffeehauskultur veränderte sich in diesen Jahren. Waren Kaffeehäuser vor dem Krieg in der Regel männlichen Besuchern vorbehalten, die allenfalls an Sonntagen Frauen und Töchter dorthin ausführten, boten sie ab den 1920er Jahren zunehmend auch Raum für Geselligkeit unter Frauen. Batty Weber, der in seinen Abreißkalender-Artikeln immer wieder über neue Moden sinniert, schreibt am 13. Oktober 1921 diesbezüglich: »Das Lokal [Kaffeehaus Majestic] ist seit kaum 14 Tagen geöffnet, und schon wundert sich niemand mehr, wenn um die Zeit des Nachmittagskaffees Damen, verheiratete und unverheiratete, einzeln oder in Gruppen, ohne jeglichen Kavalier zum Majestic strömen und dort zu den Klängen eines Wiener Walzers vespern.«125 Am 15. Januar 1925 erzählte Lina von einem Orchesterkonzert, bei dem sie und die Schwester Lou zusammen mitwirkten: »Die ganze Woche über haben wir Proben und die darauffolgende auch, da am Freitag, dem 23., das Fest der Großherzogin ist und wir für die Botschafter ein Konzert geben. Ich werde natürlich dafür bezahlt. Ich habe diesen Monat mehr als 500 Franken verdient. Wenn ich doch dieses Geld behalten könnte, aber all dies fließt in den Haushalt.« Wie im Escher Tageblatt und im Luxemburger Wort nachzule»… und ich werde wieder mutig und stark« (1919–1929)

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sen ist, wurde das Festtagskonzert zum Geburtstag der Großherzogin in diesem Jahr vom Orchester des Konservatoriums gespielt. Aus dem obigen Brief wird also auch ersichtlich, dass nicht nur Lou und, als sie noch in Luxemburg lebte, auch Laure in diesem Orchester mitspielten, sondern des Öfteren wohl auch Lina, und zwar als bezahlte Aushilfe. Auf dem Programm des Konzertes am 23. Januar 1925 standen Werke von Massenet, d’Indy, Saint-Saëns, Franck, Lalo, Debussy und Berlioz. Die beiden damals renommiertesten Kritiker Luxemburgs, Dominique Heckmes (H., Luxemburger Wort) und ­Alfred Kowalsky (A.K., Escher Tageblatt), schrieben am 24. Januar beide harsche Kritiken, die einen unmittelbaren Eindruck vom in Luxemburg verbreiteten Musikgeschmack geben. Heckmes bemängelte die Zusammenstellung des Programms als »zu substantiell« für das »selekte Publikum«: »Unter all diesen gab’s gewiß viele, die eine gut gestimmte Drehorgel lieber hörten, als die Fervaal Ouverture von V. d’Indy. Viele machten beim Anhören der ihnen ungewohnten Klänge ein verdutztes Gesicht. […] Ein Herr gestand mir allerdings offen, unser Konservatoriumsdirektor trete ihm mit solcher Musik auf den Nerven herum.« Gnade fand vor seinen Augen lediglich die letzte Programmnummer: »Schluss- und zugleich Glanznummer des Konzerts war der Ungarische Marsch aus der Damnation de Faust von H. Berlioz. […] Die Wirkung war instantan [Luxemburgismus, vom Französischen ›instantané‹ = unmittelbar]. Leute, die miteinander redeten, unterbrachen ihr Gespräch. Gesichter, auf welchen Langeweile gelagert war, erschienen auf einmal belebt.« (LW 25.1.1925, S. 2) Kowalskys Kritik an dem »Programm mit einer direkt beleidigenden Einseitigkeit« war noch heftiger: »Um all die Wiederkäuer früherer Programme die der gestrige Zettel enthielt, wiederzugeben, hatte Herr Vreuls sein schon ohnehin blutloses Musikerherz mit einem Eispanzer umgeben, dessen Kälte jedwede Festesstimmung tötete. Ich hörte jemanden sagen: ›Nordpolluft, trotz der Pflanzen aus dem Süden die den Saal zieren‹. […] Das gesamte Orchester musizierte mit einer Unlust, mit einem Widerstreben wie ich dieses bis jetzt noch niemals bemerken konnte.« (T 24.1.1925, S. 3)

Auch von Kino-, Konzert- oder Theaterabenden erfährt man aus den Briefen. In dem Schreiben vom 12. Februar 1925 berichtete Lina, sie hätten sich gemeinsam den französischen Film Kœnigsmark von Léonce Perret angesehen, und die Mutter erzählte im Brief vom 3. März 1925, sie habe sich abends mit ihrer Tochter Lou, die den ganzen Tag ohne Pause durchgearbeitet hatte, mit einem Schinkenbrot für sie, auf der Neuen Brücke getroffen, um anschlie104

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ßend im Variété-Theater Pôle Nord eine Operettenaufführung zu besuchen. Im selben Brief wird von einem bevorstehenden Konzert des belgischen Geigers Eugène Ysaÿe berichtet. Am 14. Februar 1925 kündigte Lina an, dass die alljährliche Revue in dieser Woche im großen Theater gespielt werde, diesmal A Gewichst, eine Parodie von Tony Bastian nach Orphée aux Enfer und mit Musik von Émile Boeres. In ihrem Brief einen Monat zuvor, am 15. Januar 1925, hatte sie Laure geschrieben, sie habe nach der Probe zufällig August Donnen und Émile Boeres getroffen, die damit beschäftigt waren, die Damenrollen der Revue zu besetzen, und es sehr bedauerten, die abwesende Laure nun nicht für eine »schöne Rolle wegen deiner Stimme« engagieren zu können. Dass Lina wenig davon hielt, machte sie Laure in ihrem Kommentar gleich klar: »Selbstverständlich ist es gut, dass du nicht da bist, so brauchst du ihnen nicht abzusagen.« Die Briefe zeugen des Weiteren von der impulsiven Atmosphäre und der temperamentvollen Streitkultur im Haus Koster. Andrée Pepin-Weitzel, die später eng im Kreise der Familie verkehrte, beschreibt die Familie mit folgenden Worten: »Die Kosters, das waren Charaktere, sie kamen aus einer demokratischen Familie, jeder hatte seine eigenen Ideen, man konnte sie nicht leicht biegen.« (EI 11) Selbst die ›gutmütige‹ Lina konnte sich stark ereifern. So ärgerte sie sich z. B. im Brief vom 15. Januar 1925 über Lou, da diese ihr die Nachricht von einer zusätzlich festgesetzten Orchesterprobe nicht überbracht hatte, und schimpfte sie »ein Monstrum«. Sie fügte hinzu: »Die Mutter wundert sich, dass ich mich so ärgern kann, aber wenn ich daran denke, dass ich mich die Wochen damit amüsiere, die dreckigsten Arbeiten für sie zu verrichten, und sie mir dann nicht einfach mitteilen kann, wenn eine Probe stattfindet […] Und dabei hatte ich letztes Mal Mitleid mit ihr, als du [Laure] diesen unhöflichen Satz [über sie] schriebst.« Lou Kosters Charakter im zwischenmenschlichen Umgang beschrieb die Schwester Laure rückblickend mit folgenden Worten: »Sie konnte charmant sein, aber sie konnte auch von einer solchen Gemeinheit sein!« (EI 7) Maisy Koster berichtete ebenfalls von leidenschaftlichen Streitereien, diesmal zwischen Fernand und Lou: »Lou und Fernand waren wir Katze und Hund. Wenn sie hier waren, haben sie gestritten wie Nusssäcke [luxemburgischer Ausdruck für heftig streiten]. Er schalt sie, sie könne nicht mit Geld umgehen. Sie warf ihm vor, er sei geizig.«126 Dabei liebte Fernand seine Schwestern abgöttisch. Er verbrachte seine Sonntage regelmäßig mit der Schwester Lou. Er war es, der die Zeitungsauschnitte sammelte, die über die musikalischen und sportlichen Erfolge der Schwestern berichteten, und er ermutigte die beiden im-

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mer wieder, dazu Laure: »Fernand sagte: ›Wenn ich doch so viel aufzuweisen hätte wie du, würde ich was daraus machen!‹« (EI 4) Trotz aller Streitereien hatten die Frauen in der Familie Koster ein herzliches Verhältnis zueinander, wenn auch Lina distanzierter zu Lou stand als zu Laure. Das hielt Lina aber nicht davon ab, die Schwester Lou mit ihren Lieblingsgerichten zu überraschen (Brief vom 12. Februar 1925). In vielen kleinen Nebenbemerkungen von Emma und Lina kommt immer wieder ihre Liebe und Sorge für Laure zum Ausdruck, so schon in den Anreden und Kosenamen: »Ma bien chère Lory«, »Mon bon petit Schwäntzchen«, »Ma chère petite«, »Mon cher Hänschen«. Die Mutter schrieb: »Ich habe den Tag über viel gearbeitet, um nicht zu ›verlaangeren‹ [mich zu sehnen].« (Brief vom 25. März 1925) Mit großem Interesse erkundigten sie sich nach den musikalischen Fortschritten und Tätigkeiten von Laure, gaben ihr Ratschläge und ermunterten sie, mit viel Fleiß zu studieren: »Übst du noch eifrig, du sprichst nicht mehr darüber?« (Emma an Laure am 5. November 1924) »Achte auf alle Fälle darauf, gut zu arbeiten.« (Lina an Laure im zweiten Brief vom November 1924) »Was das Konzert betrifft, bitte doch Herrn Pitsch das Concerto im Unterricht durchzunehmen, er kann dir die nötigen Bemerkungen dazu geben.« (Lina an Laure am 5. November 1924) Die Mutter freute sich auch ohne Einschränkung über Laures abwechslungsreiches studentisches Leben: »Ich bin so froh zu lesen, dass du so viel Zeitvertreib hast.« (Brief vom 12. Februar 1925) »Nutze nur gut deine Zeit, die fließt und es ist bald Jahresende.« (dritter Brief, Januar 1925)

»Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939) »It was a peaceful, fat, easy-going land, with sounds of German music everywhere, the faces of the inhabitants were stamped with a sort of cow-like bliss.« Henry Miller 1934 über Luxemburg in Quiet Days in Clichy127

Aus den 1930er Jahren ist, außer den Notenmanuskripten, nur ein einziges Schriftstück von Lou Koster selbst erhalten: ein an die Gemeinde Luxemburg gerichteter Finanzierungsantrag. Des Weiteren sind fünf an sie in diesem Jahrzehnt gerichtete Briefe überliefert: Im Nachlass des Dichters Paul Palgen fand sich ein Schreiben, das er am 14. März 1937 aus Lüttich an sie adressierte, von dem man aber nicht weiß, ob es je abgeschickt wurde. Palgen schlug ihr in diesem Brief ein Gedicht zur Vertonung vor und legte es in handschriftlicher Form bei.128 Auch von Willy Goergen ist ein Brief an sie 106

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vom 1. Januar 1936 erhalten. Und im Archiv der Stadt Luxemburg finden sich drei Schreiben von Verlegern bzw. Notendruckern an die Komponistin. Vereinzelte Datierungen auf Manuskripten geben Auskunft, mit welchen Kompositionen sie sich in dieser Zeit beschäftigte. Knappe Ankündigungen in der Presse erstatten Bericht davon, welche Musik von ihr aufgeführt wurde. Pressekritiken erschienen bei der Publikation von Liedsammlungen. Ihr Name erscheint in Mitgliedslisten von Vereinen. Zeitzeugen erinnern sich an vereinzelte biografische Ereignisse. Vielleicht noch stärker als andere Jahrzehnte können die 1930er Jahre dennoch nur in Bruchstücken, jeweils von den überlieferten Quellen ausgehend, rekonstruiert werden, die dort, wo es notwendig erscheint, in den Kontext bzw. Musikkontext der Zeit gesetzt werden. Auf erzählerische Übergänge zwischen diesen ›Bruchstücken‹ von Informationen wird verzichtet, damit die Lücken, wo biografische Quellen fehlen, sichtbar bleiben. Da Koster in den 1930er Jahren viel Vokalmusik komponierte, können die Dichter, mit denen sie zusammenarbeitete und deren Texte sie vertonte, über ihre literarischen Vorlieben und manchmal auch über ihre politischen Ansichten informieren. Private Korrespondenz aus diesem Jahrzehnt ist keine erhalten: 1938 hatte Lou Koster einen schweren Schicksalsschlag zu verkraften, denn am 28. Juni 1938 verstarb völlig unerwartet die Schwester Lina im Alter von nur 46 Jahren an den Folgen eines Autounfalls bei Namur, wo sie ihre Schwester Laure besucht hatte.129 Laure Koster schilderte 1996, noch immer mit emotionaler Betroffenheit, den Tod der von ihr sehr geliebten Schwester als tiefen Einschnitt in ihrem Leben (EI 7). Von Lou Koster sind keine vergleichbaren persönlichen Aussagen überliefert. Dass sie am 12. Oktober 1938 ihr Testament schrieb, könnte aber in einem Zusammenhang mit dem Tod der Schwester stehen. Im gleichen Jahr malte Henri Poos das Bild Drei Frauen am Boulevard d’Avranches (siehe Abb. 17). Dargestellt ist eine Rückenansicht von drei Frauen vor einem Aussichtspunkt an jener Straße, in der sich das Elternhaus Koster befand. Nach Aussagen der Familie Jean-Paul und Monique Koster handelt es sich bei den Frauen um die drei Schwestern Lina, Lou und Laure; Poos habe mit dem Bild an die innige Freundschaft der Schwestern erinnern wollen. Lou Koster bei Radio Luxemburg Wie Recherchen in der luxemburgischen Tagespresse erbrachten, waren in dem kurzen Zeitraum von 1933 bis 1939 bei der damals größten europäischen »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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Rundfunkstation Radio Luxemburg mindestens in 108 Sendungen Kompositionen von Lou Koster zu hören: mindestens 40 verschiedene Werke bzw. Versionen von Kompositionen wurden in diesen Jahren dort gesendet. Es handelte sich dabei vorrangig um Instrumentalmusik: Walzer und Märsche für symphonisches Orchester und für kammermusikalische Besetzungen. Wegen der Bedeutung des Fundes dieser erstaunlich vielen Aufführungsbelege, vor allem wenn man sie mit den wenigen Belegen von Konzerten vergleicht, ist dem Thema Radio Luxemburg als Vermittler von Kosters Musik in den 1930er Jahren ein eigenes Kapitel gewidmet. Obwohl bei Radio Luxemburg in den 1930er Jahren so häufig Musik von Koster zu hören war, ist kein einziges Tondokument aus dieser Zeit erhalten, denn die Musik wurde vor allem live gespielt und gesendet. Nach Erny Leners nahm der Sänger Nicolas Schuh in der Zwischenkriegszeit Kosters Lied Am Oweswand in einem Musikgeschäft der ›Avenue de la Liberté‹ auf Schellackplatte auf (Leners 1990, S. 34). Auch von diesem Tondokument gibt es heute keine Spur. Nach den Aussagen der Großkusine Maisy Koster lernte die Komponistin durch das Radioorchester den jüdisch-polnischen Violinisten Ernst Eichel kennen und nahm bei ihm Kontrapunktunterricht. Ob Eichel selbst komponierte, konnte bisher nicht ermittelt werden, da man über ihn sehr wenig weiß und auch für die Zeit seines Aufenthaltes in Luxemburg kein Aufführungsnachweis einer Komposition gefunden werden konnte. Er gehörte zu den Künstlern und Künstlerinnen, die in den 1930er Jahren vor dem deutschen Nationalsozialismus flohen und in Luxemburg Exil fanden. Dies führte, wenn auch nur für kurze Dauer, zu einer enormen kulturellen Bereicherung Luxemburgs.130 Eichel wirkte ab 1933 als Konzertmeister sowie ab 1936 als zweiter Kapellmeister des luxemburgischen Rundfunkorchesters.131 Er heiratete am 24. Mai 1939 die Luxemburgerin Anny Hemmer (T 14.7.1939, S. 7), die am Brüsseler Konservatorium bei Mathieu Crickboom einen ersten Preis in Violine errungen hatte (LW 6.12.1932, S. 4) und im Orchester Radio Luxemburg zweite Violine spielte, dies wie ihr Mann ab dem Gründungsjahr 1933. Hemmer war, laut Maisy Koster, eine ehemalige ­V iolin- und Violaschülerin von Lou Koster. Die Bedrohung durch den Natio­nalsozialismus zwang das Paar, ein sichereres Exilland aufzusuchen. Laut Maisy Koster erhielten Ernst Eichel und Anny Hemmer im Koninklijk Concertgebouworkest in Amsterdam eine Anstellung (EI 6). Ernst Eichel wurde am 30. Juni 1939 ein letztes Mal im Luxemburger Wort erwähnt. Auch über seinen musikalischen Werdegang in Polen und später in den Niederlanden oder über den Unterricht, den er Lou Koster erteilte, konnte nichts weiter ermittelt werden.

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Die Brüsseler und Luxemburger Lieddrucke von 1936 und 1937 Im Archiv der Stadt Luxemburg ist ein handschriftlicher Brief von Lou Koster vom 3. Oktober 1937 in französischer Sprache erhalten (AVDL LU 11 IV/3 1838_1937–1939, F). Dem Schreiben lagen vermutlich Lieder in gedruckter Form bei, die heute nicht mehr in der Aktenmappe enthalten sind, denn im ersten Satz schreibt Koster, sie präsentiere dem Bürgermeister und dem Schöffenrat »mehrere Lieder, die meisten auf Texte luxemburgischer Dichter. Diese Drucke haben das Ziel, das Repertoire des luxemburgischen Liedes zu bereichern«. In dem Schreiben bat sie um eine finanzielle Unterstützung, »um nicht zu sehr durch die Aufgabe, die ich mir gestellt habe, [finanziell] belastet zu sein«. Um welche Notendrucke es sich handelte, geht jeweils aus den Dokumenten hervor, die Koster ihrem Brief beilegte: Diese Anlagen bestehen aus drei originalen Briefen, wiederum in Französisch, von zwei Verlegern und einem Notendrucker an die Komponistin. Den Schreiben sind jeweils die Verlagsquittungen und Autorenzahlungsbelege angeheftet, die sich auf eine Gesamtsumme von 6785 Franken belaufen, »eine Summe, die aus Ersparnissen von meinem bescheidenen Arbeitslohn kommt«, wie es im Brief heißt. Es sind dies die einzigen heute erhaltenen Dokumente einer Verlagskorrespondenz. Die Briefe samt Quittungen erlauben es, zumindest für drei der undatierten Drucke definitiv das Veröffentlichungsdatum zu klären. Mélodies sur des textes d’écrivains luxembourgeois, Brüssel: Lauweryns, September 1936 Der früheste Brief ist auf den 10. August 1936 datiert und stammt vom Brüsseler Verleger Fernand Lauweryns. Zunächst werden drucktechnische und finanzielle Details abgehandelt. Daraus geht hervor, dass der Verlag ihr mit dem Schreiben einen Kostenvoranschlag und eine Rechnung zustellte, die sich auf die Gesamtsumme von 2535 Franken belief, und dass die Komponistin – so belegen es zwei angeheftete Quittungen – den Druck in zwei Raten am 6. und 28. August 1936 bezahlt hatte. Im zweiten Teil seines Schreibens äußerte der Verleger sich über die Musik: »Ich habe Ihre Manuskripte mit dem lebhaftesten Interesse studiert, und es ist mir eine große Freude, Ihnen zu diesen schönen und sehr gut geschriebe»… und ich werde wieder mutig und stark«

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nen Seiten zu gratulieren. Diese Lieder sind von großer Aufrichtigkeit und nobler Inspiration. Als besonders gelungen empfinde ich E be’se Reif. Die Idee ist sehr glücklich und das Lied sehr gut aufgebaut. Ich gratuliere Ihnen, Mademoiselle, ich bin davon überzeugt, dass die mit ihnen zusammenarbeitenden Dichter sich über diese Begegnungen von Wort und Ton nur beglückwünschen. Ich wünsche Ihnen alles Gute für den Erfolg des Heftes, und ich versichere Ihnen, dass ich viel Sorgfalt auf die Gravur und die Präsentierung verwenden werde.«

Bei dem Druck handelt es sich um die Sammlung Mélodies sur des textes d’écrivains luxembourgeois. Sie enthält die Lieder Chanson lunaire132 (Paul Palgen), E bé’se Reif (Willy Goergen), Eine Harfe ist meine Seele (Nik Welter) und Ein Turm im Norden, ein Turm im Süden (Nik Welter). Die Lieder wurden im September gedruckt. Am 22. Oktober schenkte Koster dem Dichter Welter ein Exemplar mit persönlicher Widmung.133 Anfang November erschienen erste Rezensionen des Bandes sowohl im Luxemburger Wort wie im Escher Tageblatt. Da ausführlichere Besprechungen ihrer Musik bis zu diesem Zeitpunkt sehr selten waren, sollen die beiden Kritiken hier weitgehend ungekürzt wiedergegeben werden: »Musikalisches. Im Musikverlag Fern. Lauweryns, 20, rue du Treurenberg, Brüssel, sind unter der Flagge der Luxemburger Komponistin Lu [sic] Koster vier Vertonungen Luxemburger Gedichte in französischer, luxemburgischer und deutscher Sprache erschienen […]. Diese vier Gaben hat der Notensetzer Dogilbert in sehr deutlicher und ansprechender Aufmachung präsentiert. Das Werk verrät ein anmutiges, musikalisch gesundes Talent. Ohne Anspruch auf ungewöhnliche Meisterschaft zu machen, sind diese Gesänge in ihrer maßvollen harmonischen Beschränkung und ihrer schlichten Empfindung sehr gefällig. Lu [sic] Koster hat ihr Augenmerk mit Erfolg darauf gerichtet, ohne bizarre rhythmische und harmonische Seitensprünge und ohne breite Redseligkeit die ihr vorliegenden Gedichte musikalisch wirksam zu unterstreichen. Die Lieder sind für mittlere Stimme und Klavier geschrieben und jeder Stimmhöhe leicht zugänglich. Zu empfehlen!« (o.V. 1.11.1936, LW) »Lou Koster, Klavierpädagogin am Konservatorium zu Luxemburg, veröffentlichte im Verlag Fernand Lauweryns ein schön gedrucktes Heft von Liedern für eine Singstimme mit Klavierbegleitung auf Texte luxemburgischer Dichter, eine Sammlung, die für das luxemburgische Musikschaffen eine wirklich wertvolle Bereicherung bedeutet. […] Jede Dichtung findet in der Vertonung

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von Lou Koster einen ihr homogenen Ausdruck. Das Charakteristische ist stets ausgezeichnet getroffen: im Chanson lunaire der vorherrschende impressionistische Grundzug, in dem Goergenlied, übrigens dem wertvollsten der Sammlung, die Schwere des Fatums, musikalisch ausgedrückt durch Wiederkehr der gleichen Tonfolgen, und angedeutet durch chromatische Halbtonrückung die mildernde Aufhellung der Sonnenstrahlen, und in der Musik zu den Welterschen Gedichten das starr Visionäre der Worte. Formell bedienen sich die drei ersten Lieder einer dreiteiligen A-B-A Form, wobei der wiederkehrende A-Teil verändert oder verkürzt ist, während das letzte Lied strophische Form aufweist. Die Singstimme ist nicht schwierig, dabei gesanglich geschrieben, sie bewegt sich in nicht zu großem Tonumfang vom eingestrichenem mi bis zum zweigestrichenem fa bzw. sol. Die Klavierbegleitung verrät neben einem gediegenen Können in der Satztechnik einen feinen Klangsinn. Die Lieder, die dem bekannten Gesangsprofessor Gustave Simon gewidmet sind, verdienen eine günstige Aufnahme und Verbreitung ist ihnen wohl zu wünschen. H.« (H. 2.11.1936, T)

In ihrem Brief vom 3. Oktober 1937 erzählte Koster, sie habe »eine ganze Reihe von Exemplaren« des Drucks an den Direktor des Konservatoriums weitergegeben, um sie in den Gesangsklassen zu verteilen, und fügte dem hinzu: »ich glaube, dass es besser ist, sie auf diese Weise zu verbreiten als auf einen Verkauf zu warten, der sozusagen gar nicht zustande kommt.« Trois Mélodies sur des textes de poètes luxembourgeois, Luxemburg: B. Schellenberg, Mai/Juni 1937 Der zweite Brief in der Anlage ist auf den 26. März 1937 datiert und stammt von dem Brüsseler Musikdrucker Dogilbert. In dem Schreiben beruft sich der Direktor der Druckerei auf ein Gespräch mit der Komponistin und legt ihr einen Kostenvoranschlag für einen 14-seitigen Band mit drei Liedern, optional für 300, 500 und 1000 Exemplare (2300, 2550, 3000 belgische Franken) vor. Für welche Stückzahl die Komponistin sich entschloss, bleibt unklar, da die einzige angeheftete Quittung vom 14. April 1937 eine Überweisung über einen Betrag von 2000 belgischen Franken belegt. Die Beschreibung der Sammlung – drei Lieder in luxemburgischer, französischer und deutscher Sprache von drei, sieben und vier Seiten – stimmt exakt mit den bei Schellenberg in Luxemburg erschienenen Trois Mélodies sur des textes de poètes luxembourgeois überein. Aus den Druckangaben im Heft der Trois »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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Mélodies geht hervor, dass Dogilbert tatsächlich die Notendruckerei war, mit der Bernardt Schellenberg – wie übrigens auch Lauweryns – zusammenarbeitete. Schellenberg war die luxemburgische Zweigniederlassung eines in Trier gegründeten Musikhauses, das neben dem Verlegen von Noten mit Musikalien und Instrumenten handelte und Klaviere baute. Man kann davon ausgehen, dass die Sammlung kurz nach der Überweisung, also etwa im Mai oder Juni 1937, erschien. Sie enthält die Lieder Pluie sur l’eau (Paul Palgen), Akazieble’ (Willy Goergen) und O die Hände, deine Hände (Nikolaus Welter), also Vertonungen in drei Sprachen und auf Texte derselben Dichter wie die im 1936 gedruckten Heft. Am 21. Juni 1937 sang der Bariton Venant Pauké das Lied Pluie sur l’Eau – vielleicht zum allerersten Mal? – in einer Sendung für Radio Luxemburg, und einen Monat später, am 17. Juli, interpretierte auch Cécile Neiens das Lied, begleitet von der Komponistin, wiederum im Radio, in der Sendung Letzeburger Halef Stonn (LW 19.6.1937, S. 7; LW 16.7.1937, S. 8). Die Veröffentlichung wurde in der Zeitschrift Jong-Hémecht in dem dreiseitigen Beitrag ›Das luxemburgische Lied‹ knapp erwähnt: »Von Lou Koster, Professorin am Konservatorium ist erschienen: Trois mélodies sur des textes de poètes luxembourgeois.« (Jong-Hémecht 11. Jg., Heft 7–8, S. 199). Die erste und einzige Rezension des Notenbandes wurde ein halbes Jahr nach Erscheinen, am 5. Januar 1938, im Luxemburger Wort publiziert.134 Beim Rezensenten »H.« handelt es sich um den bereits mehrfach erwähnten Domi­nique Heckmes. Hier wieder die Kritik in ungekürzter Form: »Notizen über Künste u. Wissenschaften: […] Von Lou Koster erschienen im Verlag von B. Schellenberg, Luxemburg, drei Lieder für Mezzosopran und Klavier, mit Textunterlagen von P. Palgen, W. Goergen und Nik. Welter. Die drei Kompositionen sind recht gefällig, gesanglich leicht ausführbar und von gewandter Faktur. Das erste Lied Pluie sur l’eau schildert mit etwas kindlichen Mitteln, wie der Regen ›pizzicato‹ einsetzt, die ›Andante‹-Begleitung des Windes sich ›crescendo‹ bis zum ›maestoso‹ ausweitet, während am Flußufer die Schilfrohre ›amoroso‹ zu tanzen scheinen usw., bis der Chor der Frösche pianissimo den Schlußpunkt setzt. Die Begleitung besteht ausschließlich aus gebrochenen Akkorden in der rechten Hand, während die Linke unaufhörlich Staccatotupfen in diese Tonfolgen hineinsetzt, um das Fallen der Regentropfen klangmalerisch darzustellen. Die Melodie bewegt sich beinahe ausschließlich in gleichmäßigen Viertelnoten, muß also im Tempo beschleunigt werden, soll der Rhythmus nicht der Eintönigkeit verfallen. – Akazieble’ von W. Goergen weist in dieser Hinsicht mehr Abwechslung auf. Außerdem ist

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das Lied kürzer gefaßt und deshalb angenehmer und dankbarer im Vortrag. Auch hier besteht die Begleitung größtenteils aus gebrochenen Akkorden. Mehr nach Art der Gesänge aus Dreizehnlinden von Maria von Arndts wird das Lied O die Hände, deine Hände aus In der Abendsonne von N. Welter in Behandlung genommen [sic]. Die eindringliche Gesangsmelodie wird durch eine akkordlich [sic] gut ausgefüllte Begleitung noch intensiver gestaltet und wird, wenn gut erfaßt und klanglich schön vorgetragen, ihre Wirkung nicht verfehlen. Diese Gesänge von Lou Koster waren mir schon im Sommer zugesandt worden, hatten sich aber in meinen Notenbeständen an unrechter Stelle verirrt, weshalb ich die Komponistin wegen der Verspätung um Entschuldigung bitte.« (H. 5.1.1938, LW)

Deux Mélodies, Brüssel: Schott Frères, Sommer 1937 Das dritte Schreiben der Anlage, datiert auf den 6. April 1937, war vom Verlag Schott Frères. Koster hatte den Verleger offensichtlich in einem Brief vom 3. April 1936 um Rücksendung von zwei Liedmanuskripten gebeten. In dem Begleitschreiben, das den zurückgeschickten Manuskripten beilag, legte der Verleger ein aktualisiertes Angebot vor und versprach eine Lieferung der Drucke in zwei bis drei Wochen. Solle Koster sich zur Drucklegung entscheiden, sei sie gebeten, die Hälfte der erwünschten Kostenbeteiligung zu überweisen und die zwei Manuskripte wieder an den Verlag zurückzuschicken. Die zweite und letzte Rate sei nach Erhalt der Druckvorlagen und der unterzeichneten Druckerlaubnis zu zahlen. Der Verleger bezog sich im Brief auf ein eigenes Schreiben vom 28. Oktober 1936, in dem es um eine Preiserhöhung wegen des Zusatzes von ins Französische übersetzten Liedtexten ging. Der von der Komponistin laut dem aktualisierten Kostenvoranschlag zu zahlende Betrag belief sich auf 1750 belgische Franken für je 200 Exemplare der beiden separat gedruckten Lieder, für die der Verkaufspreis auf 9,50 Franken pro Stück festgelegt wurde, die Verkaufseinnahmen sollte die Komponistin erhalten. Der Verleger bot des Weiteren an, dass, falls sich die Lieder gut verkauften, die zweite Auflage finanziell allein vom Verlag übernommen und die Komponistin mit 10 % am Verkauf beteiligt werde. An den Brief angeheftet sind zwei Zahlungsbelege, einer vom 14. April 1937 (1000 belgische Franken) und ein zweiter vom 3. Juni 1937 (700 belgische bzw. 500 luxemburgische Franken). Bei der verhandelten Druckware kann es sich, den Beschreibungen zufolge, nur um die Deux Mélodies nach Texten deutscher Dichter handeln, die in zwei separaten Heften erschienen »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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und die Lieder Einsamkeit (Hermann Allmers) und Ein Stündlein wohl vor Tag (Eduard Mörike) umfassen.135 Das erstgenannte Lied ist dem luxemburgischen Sänger Venant Pauké gewidmet. Beide Lieder enthalten den Text sowohl in der Originalsprache als auch in einer Übersetzung ins Französische, die französischen Titel lauten: Solitude und Un peu avant l’aurore. Als Autor der Übersetzung wird »H.P.« angegeben. Es handelt sich dabei um Kosters Schwager Henri Poos. Die also aller Wahrscheinlichkeit nach im Sommer 1937 publizierten Deux Mélodies wurden, wenn auch nur sehr knapp, erst ein Jahr später, im Juni 1938, in der Beilage La Musique im Escher Tageblatt in der Rubrik ›Vom Büchertisch‹ vorgestellt und positiv rezensiert: »Die überaus fleißige Komponistin veröffentlicht erneut zwei wohlgelungene Melodien […]. Text und Musik stehen auf gleich hohem künstlerischem Niveau und legen beredtes Zeugnis ab für das kompositorische Können und das dichterische Einfühlen der Verfasserin. Preis jedes Liedes 1,50 Fr. [sic] Ankauf bestens empfohlen!« (T 18.6.1938, S. 13) Ein paar Wochen später, am 8. Juli 1938, erwähnte Batty Weber in einem dem Thema Lied gewidmeten Abreißkalender die drei Veröffentlichungen Kosters von 1936 und 1937. In dem Beitrag reflektierte der Dichter über die Frage »Warum komponieren Musiker keine Weisen, damit Dichter Lieder darauf erfinden?« sowie über sein persönliches »Bedürfnis, die Gefühle, die ihm aus der Musik zuklingen, in Gedanken zu übersetzen«. Als erstes Beispiel dazu geeigneter Musik nennt er die Mondscheinsonate von Beethoven, um dann auf die Komponistin Koster zu sprechen zu kommen: »Oder statt Beethoven könnte man es auch mit einem lebenden Tondichter versuchen. Ich denke zum Beispiel an Lou Koster, deren zuletzt erschienene Melodien, Zwei Melodien und Drei Melodien ich mir soeben genießerisch vorgepfiffen habe. Lou, komponiere einmal so ein Lied ohne Text, oder auf einen Text, der nicht mitveröffentlicht wird. Und dann fordere die Luxemburger Dichter auf, für diese Weise einen passenden Text in Versen zu erfinden. Das wäre sicher eine mindestens ebenso dankbare Aufgabe, wie das Dichten eines Liedes auf den Öslinger Schinken. Und du wärest ganz allein Preisrichterin, du hättest zu bestimmen, welches von den eingegangenen Gedichten den Gefühlen und Gedanken am nächsten kommt, die dir deine Weise eingegeben haben. […]« (Weber, 8.7.1938, AK in LZ).

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Öffentliche Subvention und eigene Investition Auf der ersten Seite von Lou Kosters Brief vom 3. Oktober 1937 befindet sich links oben am Rand eine maschinenschriftliche Notiz, ebenfalls in französischer Sprache, die darüber informiert, dass der Antrag zur Stellungnahme am 8. November 1937 an den Direktor des Konservatoriums, Lucien Lambotte, weitergeleitet wurde. Darunter befindet sich, maschinenschriftlich und ebenfalls in französischer Sprache, das Gutachten Lambottes, datiert auf den 10. November 1937: »Ich denke, dass es nach Möglichkeit durchaus angebracht ist, Versuche wie die von Frau Koster, die verschiedene Liedersammlungen nach Texten luxemburgischer Dichter veröffentlicht hat, zu fördern. Es ist eine verdienstvolle Bemühung, doppelt undankbar in diesen unruhigen Zeiten, die wir durchmachen, und es wäre gut, sie durch eine Subvention finanziell zu entlasten, wie es die Regierung getan hat. Lucien Lambotte.« Aus einer zweiten maschinenschriftlichen Notiz des Bürgermeisters der Stadt Luxemburg geht hervor, dass der Antrag am 11. November 1937 an den Bildungsminister weitergeleitet wurde, mit der Nachfrage, ob und in welcher Höhe der Staat Kosters Liedpublikationen unterstützt habe. Auf der Innenseite links des vierseitigen Briefes befindet sich die erwünschte Auskunft des Ministeriums vom 13. November 1937: Lou Koster habe eine erste finanzielle Unterstützung von 1000 Franken für einen Band mit vier Liedern zu Texten luxemburgischer Dichter bekommen, der im September 1936 erschienen sei, und vor wenigen Tagen, am 26. Oktober 1937, eine zweite mit dem gleichen Betrag für eine »ähnliche« Publikation. Unter dieser Auskunft befindet sich, mit Stempeldatum vom 20. November 1937, der handschriftlich notierte Beschluss der Gemeinde, der Komponistin ebenfalls eine Summe in Höhe der vom Staat bewilligten zuzuerkennen. Mit dem in der Notiz des Ministeriums ersterwähnten Druck sind die bei Lauweryns publizierten Mélodies gemeint. Mit einem Zuschuss von je 1000 Franken von staatlicher und von städtischer Seite investierte Koster nun nur noch 535 Franken aus ihrer eigenen Tasche in diese Ausgabe. Bei der letztgenannten Publikation könnten die Trois mélodies gemeint sein, die ›Ähnlichkeit‹ mit dem ersterwähnten Druck besteht darin, dass es sich in beiden Fällen um eine Sammlung von Textvertonungen luxemburgischer Autoren handelt. Für die Deux Mélodies hatte die Komponistin also offensichtlich keine finanzielle Unterstützung vom Staat, und somit auch nicht von der Gemeinde, erhalten und musste diesen Druck somit komplett selbst finanzieren. Der gleichen Dokumentmappe des Archivs der Stadt Luxemburg liegt eine am 9. Oktober 1937 erstellte Kopie eines auf den 1. bis 4. Mai 1937 »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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­ atierten Briefes des Bürgermeisters an Lou Koster bei. In dem Brief, der d eine Antwort auf ein heute nicht mehr erhaltenes Schreiben von Lou Koster vom 16. April 1937 ist, erteilt der Bürgermeister der Komponistin die Erlaub­nis, auf eine Empfehlung des Konservatoriumsdirektors Lucien Lambotte hin, auf ihrer neuen »Serie von Liedern nach Texten luxemburgischer Dichter« den Vermerk »Édition honorée d’une souscription de la ville de Luxembourg« abzudrucken. Dies gibt ein Rätsel auf, denn nur die Deux Mélodies enthalten den Vermerk »Édition honorée d’une souscription du Gouvernement Grand-Ducal et de la Ville de Luxembourg«. Diese Sammlung umfasst aber Vertonungen deutscher und nicht luxemburgischer Dichter und wurde, wie oben erwähnt, von staatlicher und städtischer Seite wahrscheinlich nicht subventioniert. Außer den hier erwähnten drei Lieddrucken erschien 1938, ebenfalls in Brüssel, der Liederband 16 Kannerlidder a Stömmungsbiller auf Texte von ­Michel Hever, der neben Kinderliedern von Victor Goldschmit, Michel Hülsemann, Fernand Mertens, Henri Pensis, Thérèse Spedener und Nicolas Stirn auch das Nikolauslied Klesche komm von Koster enthält. Im Archiv Lou Koster ist des Weiteren die Kopie des Titelblatts des bei M. Kieffer-Binsfeld in Luxemburg ohne Datum erschienenen Kleines Weihnachtslied nach einem Text von Gregor Stein erhalten. Es enthält die knappe handschriftliche Notiz in französischer Sprache »1936 publiziert, später überarbeitet« (ALK, LK 4B 1936.00.00). In demselben Verlag publizierte Lou Koster, allesamt ohne Datum, neun weitere Lieder. Der Verlag, immer noch an der gleichen Adresse 8 rue Ketten in Luxemburg, nahm später den Namen Letzeburger Vollékslidder-Verlag an. Erst ab dieser Zeit erscheinen auf den Drucken auch Erscheinungsdaten. 1959 publizierte Koster dort ein weiteres Lied sowie zwei gemischte Chöre und 1962 bzw. 1964 zwei Männerchöre.136 1937 – De Jokeli an d’Gre’deli und andere Musiktheaterstücke für Kinder Im Januar und Februar 1937 wurde De Jokeli an d’Gre’deli (manchmal auch: Gre’tli an de Jokeli) »umflossen von der flotten melodiösen Musik von Frl. Koster« aufgeführt.137 Der Textautor Goergen war der in dieser Zeit in Luxemburg wahrscheinlich am häufigsten vertonte Dichter. Allein Lou K ­ oster komponierte im Laufe der Zeit Musik zu 52 seiner Texte. Im persönlichen Besitz von Lou Koster befanden sich mindestens 13 Exemplare von Gedichtbänden Willy Goergens aus den Jahren 1912 bis 1941, davon neun mit 116

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persönlichen Widmungen des Dichters. Zwölf davon enthalten am Rand der Gedichte Liedentwurfsskizzen. Willy Goergen stammte aus einer Bauernfamilie aus Steinsel, hatte Germanistik und klassische Philologie an den Universitäten Bonn, Löwen und Straßburg studiert und unterrichtete anschließend Deutsch und Altphilologie im Gymnasium. Neben moralisierenden Volkstheaterstücken veröffentlichte er 20 Gedichtbände in Luxemburger Sprache, die um die Themen Natur, Heimat, Bauern- und Handwerksleben, Glaube, Familie und Kindheit kreisen. De Jokeli an d’Gre’deli ist eine Sage, ein ›Kinderspiel‹ mit Gesang und Tanz nach dem Märchen Hänsel und Gretel (ALK, LK 1F 12). Das Libretto liegt, so Hoffmann, nur als Manuskript, 1935 datiert, vor (Hoffmann 1967, S. 279). Wo es sich befindet, konnte nicht geklärt werden, es ist weder im Bibliothekskatalog noch im Luxemburger Autorenlexikon (Conter Goetzinger 2007, S. 211 f.) verzeichnet. Die Aufführungen fanden im Rahmen des von dem Verein Union des Femmes de France organisierten Benefizkinderfestes am 28. Januar, 9. und 14. Februar 1937 im städtischen Theater statt. Dargeboten wurde das Stück von der Chorale enfantine des Konservatoriums und der Balletttruppe der Bonneweger Turnerinnen. Die Leitung übernahm der in Luxemburg als Autor von Volksstücken und Operettenlibretti bekannte Josy Imdahl. Im Luxemburger Wort wurde die Aufführung wie folgt angekündigt: »Matinée enfantine. In dem Cyclus der Festlichkeiten, die den Geburtstag der Herrscherin umrahmen, gibt es feierliche und geräuschvolle, gewiss aber keine anmutigere und anziehendere als die, welche sich vornehmlich an die Welt der Mütter und Kleinen wendet, an die im Lärm des Tages häufig niemand denkt: es ist dies die von der Union des Femmes de France geplante Veranstaltung im Hauptstädtischen Theater […].« (LW 20.1.1937, S. 4) Auf dem Programm standen neben dem Märchen von Koster und Goergen Cendrillon – Féerie en 3 actes nach einem Text und mit Musik von Maurice [Le] Boucher sowie einige weitere Balletttänze. Bis zu 100 Mitwirkende standen auf der Bühne. Außerdem wohnten, wie die Presse hervorhebt, auch die Kinder der Großherzogin Charlotte der Aufführung bei (T 6.2.1937, S.  4). In der A–Z Luxemburger Illustrierte Wochenschrift erschien eine zweiseitige Bildreportage der Fotografin Lily Kraus (Kraus 28.2.1937, A–Z), und das Nachrichtenblatt des Bonneweger Turnerinnen-Vereins publizierte in der Pfingstnummer eine Rückschau auf die Aufführung.138 Wie unten noch weiter ausgeführt werden wird, ist es sehr wahrscheinlich, dass Koster das Musiktheaterstück bereits 1935 vertont hatte. Im CNL ist ein Brief Willy Goergens an die Komponistin erhalten:

»Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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»Luxemburg, 1. Januar 1936 Mademoiselle Koster, Vielen Dank für Ihre guten Wünsche, die ich von ganzem Herzen erwidere. Wenn ich einen Blick zurückwerfe auf ihre musikalischen Aktivitäten des letzten Jahres, müssen Sie tiefe Zufriedenheit empfinden. Ich beglückwünsche mich selbst, dass meine bescheidenen Gedichte dank Ihres großen kompositorischen Talents mit dem königlichen Purpur ihrer Musik geschmückt worden sind. Es ist wahr, dass Poesie und Musik Schwestern sind und Hand in Hand gehen müssen, um ihre so schwierige Aufgabe zu erfüllen, zarte Emotionen in der menschlichen Seele auszudrücken und hervorzurufen. Lassen Sie uns hoffen, dass das neue Jahr unter Ihrer Hand ein ganzes Bukett von bezaubernden Kompositionen zum Leben erweckt, die wir gerne hören und bewundern werden. Mit meinen wiederholten guten Wünschen, Mademoiselle Koster, und dem Ausdruck meiner ergebenen Gefühle W Goergen«139

Zu den von Goergen angedeuteten besonders regen musikalischen Aktivitäten Kosters im Jahr 1935 gibt es keine Belege. Könnte Goergen eventuell auch die Musik zum Märchen mitgemeint haben, die sie um diese Zeit schrieb? Wie die Zeitschrift Jong-Hémecht berichtete, wurde das Märchen fünf Monate nach der Uraufführung, am 18. und am 25. Juli 1937, diesmal von der »Schuljugend« des luxemburgischen Vorortes Hamm und einem »kleinen, aber feingestimmten Orchester« im dortigen Pfarrsaal erneut aufgeführt. Aus dieser Notiz erfährt man, dass das Märchen mit Orchesterbegleitung war. Die Orchesterpartitur und das Stimmenmaterial sind heute nicht mehr erhalten. Überliefert ist nur der handschriftliche Klavierauszug, der eine Ouvertüre, Lieder und Tänze, nicht aber den gesprochenen Text enthält. Auf dem Programm stand diesmal als zweites Stück das Märchenspiel Blauäuglein des luxemburgischen Komponisten, Musik- und Deutschlehrers Alphonse Foos. Der Rezensent N.M. schrieb über das Märchen von Koster und Goergen: »So märchenhaft idyllisch das Spiel in Blauäugelein sich abwickelte, so bewegt und spannend war d’Séche vum Jokeli a Gre’deli, Text von W. Goergen,

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Musik von Lou Koster. […] Gleich von Anfang an konnte man feststellen, um wieviel inniger die Heimatsprache zu den Herzen spricht, als das für uns etwas fremde und schwer zu geschmeidigende Hochdeutsch. Spiel und Gesang schienen wie umgewandelt, ein warmer, belebender Hauch ging durch den Saal. Hundert Äuglein blitzen entzückt oder erschreckt, wenn Jokeli und Gre’deli ihre Freude oder Angst in Wort und Lied, im Träumen und Wachen erkennen lassen. […] Reicher Applaus lohnt das so spannend verlaufene Spiel der kunstbeflissenen Bühnennovizen. Was diesen dramatisch bewegten Szenen einen besonderen Anreiz verleiht, ist die märchenhafte, stimmungsreiche Musik von Lou Koster, die in Vorspiel, Soli und Chören eine glänzende Probe ihres feinfühligen Kompositionstalentes gegeben hat. Es wäre zu wünschen, dass dieses Märchenspiel baldigst im Druck erschiene, um es auch den anderen Vereinsbühnen zugänglich zu machen.« (N.M. 1.10.1937, JH)

Das Märchenspiel erschien nicht im Druck, und in der Presse finden sich nach 1937 keine weiteren Aufführungsbelege. Hierzu Lou Koster: »dieses Märchen wurde im Theater gespielt, dann fiel es in einen ,Dornröschenschlaf‹.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F) Lou Koster vertonte noch andere Märchen, so Dornréischen, in 6 Akten und 4 Verwandlungen nach einem Text von Ed Kayser – hierzu sind der Klavierauszug und das Libretto sowie ein undatiertes Programm mit handschriftlicher Rollenverteilung erhalten (ALK, LK 1F 14). Und sie schrieb Musik zu Rumpelstilzchen (1961) und Dem Hännes sei Gléck nach Texten von Norbert Weber.140 Aufführungstermine für diese Märchen sind nicht bekannt. Venant Arend erzählte lediglich, dass er als Grundschullehrer mit seiner Klasse in dem Dorf Tüntingen Märchenvertonungen von Koster aufführte (EI 1). 1937 – »populäre Gesänge in luxemburgischem Dialekt« In der Revue Musicale wurde im Juli 1937 in aller Ausführlichkeit von den Resultaten eines Kompositionswettbewerbs für neue volkstümliche Männerchöre und »schulische oder populäre Lieder für eine Stimme« berichtet.141 Veranstalter des Wettbewerbs war der Herausgeber der Vereinszeitschrift: der Dachverband der luxemburgischen Musikvereine UGDA (Union GrandDuc Adolphe). Die Musik sollte anonym eingereicht und beurteilt werden. 21 Kompositionen wurden dabei unter der Kennnummer »4115« eingereicht, und da diese mit Titeln der Vokalmusik von Koster übereinstimmen, wurden die Manuskripte der betreffenden Stücke und Lieder nach Beschriftungen »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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näher untersucht. Dabei stellte sich heraus, dass eine ganze Reihe von ihnen tatsächlich die vor diesem zufälligen Fund unerklärlichen Notizen in der Handschrift von Koster – »Devise: Wât wär ech uni Lidder? chiffre indice 4115« und auch »chant scolaire« oder »chant polulaire« – trägt, womit nun eindeutig belegt ist, dass Koster mit mehr als 20 Kompostionen, die meisten auf Texte von Willy Goergen, am Wettbewerb teilnahm.142 Auch ihre Kollegin Helen Buchholtz reichte Musik ein, und zwar unter der Kennnummer »13«. Die Jury setzte sich aus den französischen bzw. belgischen Komponisten Paul Pierné und Paul Tordeur, dem Direktor der UGDA Auguste Klein sowie dem Schriftsteller Paul Henckes zusammen. Ziel des Wettbewerbs sollte sein, so im Reglement, »das Repertoire populärer Lieder in luxemburgischem Dialekt zu bereichern«. Die musikalischen Kriterien wurden dabei folgendermaßen definiert: »Es geht nicht einfach darum, das Repertoire an Quantität zu erhöhen, sondern es mit Neuheiten zu bereichern, die so viel wie nur möglich durch ihre Qualität überzeugen. Mit anderen Worten, der populäre Charakter darf nicht zu Banalität, Trivialität, Dürftigkeit führen, sondern zu Originalität und Auszeichnung.« (RM 7, S. 65, F) Fünf der 21 Kompositionen von Koster wurden abgelehnt, da sie nicht der geforderten Gattung ›Männerchor‹ entsprachen, sondern für gemischten Chor gesetzt waren.143 Acht Lieder schieden mit den folgenden Begründungen der Jury aus: – Riedchen tommel dech »Begleitung nicht ›einfach‹ (Reglement), Melodielinie nicht populär, 3. Seite: 3 Takte lang Septakkord in gleicher Stellung« – En Iwergank »Melodielinie mit unbequemem Verlauf (populär?), gleichförmige Harmonisierung« – Abröl, Abröl »nicht tonal genug, verliert dadurch den populären Charakter« – D’Vergissmeinnicht »in Bezug auf den verlangten Charakter zu komplizierte Begleitung, verschiedene zu gewagte Harmoniefolgen« – D’Ro’tbröschtchen »besser als die zuvorgenannten, aber bestimmten Akkordfolgen mangelt es bisweilen an Reinheit, andere hätten einfacher gehalten werden können« – Der heilige Quirinus »etwas zu monotone melodische Linie, daher Schwächen in der Harmonisierung. Außerdem spürt man eine Tangoatmosphäre (nicht allzu luxemburgisch)« – D’Fre’johr kann net wäit méi sin »der Anfang ist vielversprechend trotz einiger wenig natürlicher Akkordfolgen, aber die Mitte und das Ende wird von einer bestimmten empfindsamen Affektiertheit geprägt« 120

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– Hier der Finger, dort der Finger »nicht interessant« Für die Endauswahl wurden zwar die folgenden acht Lieder zurückbehalten, allerdings größtenteils mit einschränkenden Kommentaren: – Fre’johrsfréd »Begleitung zu schwierig« – Du friddlech Nuecht144 »Begleitung zu komplex« – D’Fre’johr ass do »nicht genug im populären Charakter, zu unabhängige Begleitung« – Fre’jorsrénchen »Begleitung zu schwierig« – Stieren an der Nuecht »melodischer Charakter gut, Harmonisierung müsste gepflegter sein« – Schlofliddchen [ohne Kommentar] – Eia Popeia [ohne Kommentar] – Ge’ mach we’ d’Bach »ziemlich gut und originell, komplexe Harmonisierung, nicht genügend im verlangten Charakter« (RM 7, S. 65 f., F). Von den 112 Einsendungen wurden insgesamt nur zwei Kompositionen prämiert: Den ersten Preis gewann Albert Thorn mit Mei Ländchen und den zweiten Preis Jean-Pierre Neuen mit Gott mat dir. Unter den acht Liedern, die ohne finanzielle Vergütung dennoch eine Auszeichnung erhielten, waren vier Vertonungen von Koster: Stieren an der Nuecht, Schlofliddchen, Eia Popeia und Ge’ mach we’ d’Bach. Es scheint so, als sei das Preisausschreiben der UGDA entweder vom 1936 gegründeten Verein D’Hémechtssprôch angeregt worden oder in Zusammenarbeit der beiden Vereinigungen entstanden. Der Verein D’Hémechtssprôch gab im April 1937 bekannt: »In Sachen des Preisausschreibens des Adolfverbandes sollte der Schriftführer mit zwei Delegierten des Adolfverbandes verhandeln. Das Resultat konnte nicht das erwünschte sein, weil bis heute die beiden Vereinigungen sich noch numerisch zu ungleich gegenüberstehen. Ein Grund mehr, uns nach außen und nach innen zu festigen.« (o.V. »Vereinsnachrichten. D’Hémechtssprôch«, in: LW 29.4.1937, S. 7) Volkstum und Nationalismus in der Musik Wie der Wettbewerb zeigt, setzte man sich in dieser Zeit auch in Luxemburg intensiv für die Volksliedpflege ein und förderte Komponisten, die neue patriotische Musik und volkstümliche Lieder und Chöre komponierten. Diese Bemühungen wurzelten in einer nationalistisch-patriotischen Besinnung auf »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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das ›Eigene‹. In Kosters Lied-, Chor- und Bühnenschaffen der 1930er Jahre, aber auch durch ihre Mitgliedschaft im Verein D’Hémechtssprôch wird ihr Bestreben deutlich, an dieser Bewegung aktiv sowohl musikalisch wie politisch zu partizipieren. Es scheint an dieser Stelle daher wichtig, den luxemburgischen Zeitkontext mit etwas mehr Tiefenschärfe in den Blick zu nehmen. Die Zwischenkriegszeit gilt auch in Luxemburg als eine Zeit intensivierter nationaler Identitätsbildung. In diesem Prozess wurde der »Heemecht« (der Heimat) sowie dem ›Volkstum‹ zunehmend Bedeutung zugesprochen, etwa in Schriften, Sammlungen, volkstümlichen Gedichten und Liedern sowie patriotischen Kompositionen in größerer Besetzung.145 Bereits lange vor dem Ersten Weltkrieg hatten Einzelpersonen und Vereine der unterschiedlichsten politischen Couleur damit begonnen, das Volkslied nach Kräften zu fördern, mal moderat, mal eindeutig mit nationalistischem Hintergrund. Daraus entstand eine Bewegung, die bis zum Zweiten Weltkrieg blühte und an der sich die meisten zeitgenössischen KomponistInnen beteiligten. In der Volksliedpflege wurden ansonsten scharfe ideologische Gegensätze von links und rechts punktuell überbrückt, da sich ihr beide Seiten mit hohem Engagement verschrieben. Einer der Gründe, sich auf eine ›nationale Eigenart‹ zu besinnen, war ein seit der Jahrhundertwende wachsendes Misstrauen gegenüber dem großen wirtschaftlichen und somit auch politischen Einfluss aus Deutschland und eine daraus resultierende Angst vor einer übergreifenden Germanisierung, die durch die Erfahrung des Ersten Weltkriegs und in den 1930er Jahren durch den Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland immer weiter verstärkt wurde. Das luxemburgische Volkslied wurde ab 1908 von den von Jungliberalen und Sozialdemokraten gegründeten Volksbildungsvereinen gefördert. Einer ihrer Wortführer, Hubert Clement, schrieb am 5. April 1914 in der Zeitschrift Die Neue Zeit: »Mehr denn je üben heute Volksliederabende einen mächtigen Reiz auf alle Schichten der Bevölkerung aus.« (zit. b. Schons 1996, S. 62) Rechtsradikal ausgerichtet war die 1910 von einer Gruppe von Studenten, darunter der Schriftsteller Lucien Koenig, gegründete ausländerfeindliche und antisemitische Letzeburger Nationalunio’n, die sich zum Ziel setzte, eine Jongletzeburger Dichterscho’l aufzubauen und durch die Organisation von ›Letzeburger Dichter- a Komponistenowenter‹ für die Dichtung und Musik in luxemburgischer Sprache ein Forum zu schaffen.146 Die Förderung des Volkslieds geschah aber auch als Reaktion auf die zunehmende Popularität der Schlagermusik. So beklagte Wilhelm Stomps 1910 in der Zeitschrift Ons Hémecht, dass »eine von auswärts hereingeschmuggelte, ohrenbetäubende Schundmusik […] dem anheimelnden, schlichten, kernge122

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sunden Volksliede vielerorts Licht, Luft und Sonne genommen« habe (zit. b. Schons 1996, S. 60). Der 1914 gegründete Verband katholischer Jugendvereine bekämpfte den Schlager mit »glühendem Hass« mit den Mitteln des Volksliedes und der Wandervogelbewegung nach deutschem Vorbild.147 In dem Vereinsorgan Jung-Luxemburg ist 1915 zu lesen: »Mit einer künstlichen Neubelebung des Volksliedes im Konzertsaal wird das Übel nicht aus der Wurzel getilgt, obwohl das heute ein wenig stark Mode geworden ist. Ein Aufblühen des Volksliedes von innen heraus wird nicht stattfinden, eh und bevor unser Volk sich wieder auf seine ureigenste Art besinnt und dieselbe wieder in die Tat umsetzt. Vermehrtes, vertieftes religiöses Leben, schollenhafte Einfachheit, Nüchternheit und Sparsamkeit bilden die Ackerkrume, aus der die liebliche Blume des Volksliedes wieder hervorsprießen kann. Anders nicht!« (zit. b. Schons 1996, S. 62)

Durch den Ersten Weltkrieg erhielt der Nationalismus weiter Aufwind. Jean-Pierre Erpeldings Roman Anna von 1918 handelt von der Stimmung in Luxemburg in dieser Zeit: »[…] und viele merkten zum ersten Mal in ihrem Leben, daß sie ein Volk und eine Nation waren. […] Er [Hauptprotagonist des Romans Peter Burkel] wollte sich in dem Chaos der sich hinwälzenden Ereignisse neu orientieren und suchte nach einem festen Grund, auf dem er stehen könnte. Es war die Heimat mit dem bekannten Horizont, der immer derselbe blieb und mit den Erinnerungen der Kindheit, die wie stark verästelte Wurzeln tief in den Boden der Heimat griffen.« (Erpelding 2007, S. 45, 80 f.)

Auch Frantz Clément vertrat rückblickend 1939 die Ansicht, das vom Kulturleben des Auslandes abgeschnittene Luxemburg habe sich im Ersten Weltkrieg »in allem Geistigen und Kulturellen mehr auf unsere völkische Eigenart und Eigenleistung« konzentriert (zit. b. Schons 1996, S. 70). Die in den Dörfern gesungenen Volkslieder wurden gesammelt, publiziert, erforscht, in Konzerten von Sängern wie Putty Stein, Sepp Hansen, Alice Peffer oder Männerchören wie dem Orphéon Municipal aufgeführt sowie in der Luxemburgischen Stunde bei Radio Luxemburg medial über die Grenzen hinaus verbreitet.148 1926 war das Fachblatt Jong-Hémecht. Zeitschrift für heimatliches Theater, Schrift- und Volkstum gegründet worden, und in der Tagespresse häuften sich die Artikel über das Volkslied. Antimodernistische Vereine wie der 1923 gegründete Landwuol. Luxemburger Verein für »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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ländliche Wohlfahrt- und Heimatpflege suchten sich in Schrift und Tat gegen die zunehmende Urbanisierung, die Landflucht, aber auch die Überflutung durch die Schlager- und Jazzmusik149 zu wehren und das Volkslied als Gegenkraft wiederzubeleben und zu propagieren: »Das Lied schweigt und die ländliche Poesie ist stumm. Mitten im Frühling herrscht eine Herbststimmung auf unsern Feldern, Lerchen, die nicht jubeln, Lieder, die nicht klingen wollen. […] Die Pflege des Volksliedes, oder, um es richtiger und genauer zu sagen, die Weckung des Volksliedes, gehört ganz und naturgemäß in den Pflichtkreis des Vereins Landwuol. […] wenn wir es fertig bringen, mit den in den Schollengrund versunkenen Liedern entschlafene Saiten der ländlichen Volksseele wieder zum Klingen zu bringen, dass die innere Sehnsucht nach dem ›Es war einmal‹ dadurch geweckt wird, dann haben wir zum wenigsten den Weg der Rückkehr in seinen sinnfälligen Möglichkeiten wieder angebahnt, dann haben wir geistige, seelische Voraussetzungen und Empfänglichkeiten geschaffen, die dem Wiederaufbau ländlicher Kultur nur förderlich sein können.« (Cariers 1930, S. 183).

Landwuol organisierte Volksliederfeste, so im August 1929 in Clerf und im Juli 1930 in Diekirch, förderte die Pflege des Volksliedrepertoires für Männerchor, und auch in der 1931 eröffneten Landwirtschaftlichen Wanderhaushaltungsschule für Jungbäuerinnen und -winzerinnen wurde der Pflege des Volksliedes durch die Gründung eines Jungbäuerinnen-Chors großer Wert beigemessen, da Frauen als besondere ›Kulturträgerinnen‹ galten.150 In dem Bemühen um Volkslied und -brauchtum wird der Konstruktionswille einer luxemburgisch-partikularen Kultur sichtbar: »The question remains whether the ethno-cultural reification of the ›homeland‹ in the inter-war period was a patriotic reaction against the notion of a pan-Germanic Volkstum or wether it was a parallel development, based on similar ideological grounds to the National Socialist connection of blood and soil.« (Péporté u.a. 2010, S. 169) Während man bei so manchen ›völkisch‹ denkenden Volksliedförderern in Luxemburg durchaus von einer Parallelbewegung sprechen kann, waren die Aktivitäten des unten beschriebenen Vereins D’Hémechtssprôch, in dem Koster ebenfalls mitwirkte, viel deutlicher eine Gegenbewegung sowohl gegen nationalsozialistische Kulturvorstellungen als auch gegen den zunehmend mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden luxemburgischen Literaturverein GEDELIT.151

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1935–1938 – Das Krönlein der Muttergottes Zwischen 1935 und 1938 vertonte Lou Koster Das Krönlein der Muttergottes nach einem Text von Wöllem Weis. Wilhelm oder Wöllem Weis, der auch unter den Namen Hermann Berg oder Bruder Klaus schrieb, war Pfarrer und in der Zeit, in der Koster sein Legendenspiel vertonte, Seelsorger im Gefängnis in Stadtgrund. Er schrieb Erzählungen und Gedichte, von denen Lou Koster fünf vertonte, Romane, religiöse Erbauungsschriften, Märchen- und Sagenbücher für Kinder und Mysterienspiele wie Die Verkündigung (1938), Das Spiel vom heiligen Kreuz (1936) und Maria Siebenschmerz Laienspiel zum Nutz und Frommen der Christenheit. Thematisch kreisen seine literarischen Werke um die Natur, die Alltagswelt der einfachen Leute sowie religiöse Sujets. Das ›Legendenspiel mit Musik, Gesang und Reigen‹ ist undatiert. Wann die Komposition entstanden ist, kann aus Artikeln aus der Presse rekonstruiert werden. 1938 lag die Partitur vor, denn in der Beilage ›Luxemburger Frau‹ des Luxemburger Wortes vom 30. September 1938 ist in der Rubrik ›Theater-Literatur‹ zu lesen: »Im Generalsekretariat der J. F. C. L. [Katholische Frauen- und Jugendaktion] […] sind erhältlich: 1. (sehr empfehlenswert) Das Krönlein der Muttergottes, Legendenspiel, in zwei Akten mit Zwischenspiel. Musik, Gesang und Reigen von Bruder Klaus. […]«. Lou Koster wird zwar hier namentlich nicht als Komponistin erwähnt, aber das Spiel enthält zu diesem Zeitpunkt bereits die Musik. Wie Koster in einem Interview erzählte, vertonte sie das Legendenspiel, nachdem De Jokeli an d’Gre’deli fertiggestellt war: »Das Märchenspiel ›Jokeli a Gréideli‹ [sic] von Willy Goergen war eine weitere Etappe, die zum Mysterienspiel, nach einem Text von Wöllem Weis, ›Das Krönlein der Muttergottes‹ im Jahr 1935 führte.« (P.W. 8.5.1969, LW) Wenn die Jahreszahl »1935« hier kein Irrtum ist, kann man diesem Artikel zwei Informationen entnehmen: Erstens, dass Koster das Märchenspiel De Jokeli an d’Gre’deli, das im Januar 1937 erstaufgeführt wurde, bereits vor dem oder im Jahr 1935, fertiggestellt hatte. Und zweitens, dass auch zwischen der Vertonung und der Erstaufführung vom Krönlein der Muttergottes vier Jahre verstrichen. Erste Aufführungen sind für den 19. und 20. Februar 1939 belegt. Am 18. Februar 1939 kündigt das Luxemburger Wort in der Lokalchronik an: »Jungfrauen – Kongregation Luxemburg-Bahnhof. Am Sonntag und Montag […] veranstaltet die Jungfrauen-Kongregation einen Theaterabend mit folgendem Programm: 1. Lily-Lolo, Lustspiel in 3 Akten. 2. Das Krönlein der Muttergottes, Legendenspiel in drei Auszügen mit Reigen und Gesang von Bruder Klaus. Musik von Prof. Lou Koster.« »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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Es existiert nur ein einziger Beleg einer späteren Aufführung: »Die Troupe Ste Agnès, Hollerich [Pfadfinderinnen aus Stadtviertel und Pfarrei Hollerich] lädt freundlichst zu einer Immakulatafeier ein, die am Donnerstag, den 7. Dezember, im hiesigen Le’wekeller stattfindet. […] Diesmal möchte die Hollericher Guidentruppe mit dem Wohllaut der Sprache und dem Klang der Lieder schwierigste Reigentechnik verbinden und alle Kunstformen für Mariens Huldigung zur Anwendung bringen. […] Von hohem dichterischem Gehalt, gewinnt das Werk [Das Krönlein der Muttergottes] noch durch die feinfühlige Musik von Lou Koster, der bekannten Professorin am luxbg. Musikkonservatorium. Die Komponistin wirkt beim Orchester mit, während Lehrer Quaring mit zartesten Kinderstimmen die Lieder interpretiert. Die Reigen stammen von der Turnlehrerin der Normalschule. Professor Eugène Heinen hat in selbstlosester Weise die Theaterregie übernommen. […]« (LW 5.12.1950, S. 4).

Erhalten ist – neben dem maschinenschriftlichen Libretto mit Notizen der Komponistin sowie dem gedruckten Libretto (Weis 1966) – einiges musikalische Material: eine Orchesterpartitur des Vorspiels in der Besetzung Flöte, Klarinette, Fagott, Horn, Streicher, Pauken, Glocken, eine weitere Skizze einer Orchesterpartitur des Vorspiels, unvollständiges Stimmenmaterial sowie zwei handschriftliche Klavierauszüge, einer davon unvollständig. Die Vokalpartien sind für zwei tiefe Frauenstimmen (die Rollen der Yolanda von Vianden und der Schwester Notburga) und für Mädchenchor geschrieben (ALK, LK 1F 3). Zentrale Figur dieses Legendenspiels ist die Grafentochter Yolanda von Vianden, die 1248 gegen den Willen ihrer Eltern Ordensschwester wurde und bis zu ihrem Tod als Priorin das bedeutende Frauenkloster Marienthal, einst größter Grundbesitzer des Herzogtums Luxemburg, leitete. Das Leben der Yolanda hat der Dominikaner Hermann von Veldenz im 13.  Jahrhundert im Codex Mariendalensis festgehalten (Moulin 2009). Dieser Codex ist die erste und einzige mittelalterliche Dichtung in moselfränkischem Dialekt, dem Vorläufer des heutigen Lëtzebuergesch. Yolanda gilt somit als die erste Figur und zugleich die erste Frauenfigur in der luxemburgischen Literatur. Mit dem Stoff befasste sich einige Jahre vor Weis auch die luxemburgische Schriftstellerin Eugénie Arens, die 1931 ihr Schauspiel Yolanda Gräfin von Vianden bei P. Worré-Mertens publizierte. Dass Weis und Koster sich in den 1930er Jahren mit dieser Figur befassten, schreibt sich ebenfalls in die Strömung einer Rückbesinnung auf die 126

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eigene Geschichte und Kultur ein. Wie Pit Péporté aufzeigt, wurde die Figur der Yolanda ab dem 17.  Jahrhundert zuerst vor allem ein katholischer Erinnerungsort (im Sinne Pierre Noras).152 Ab dem 19. Jahrhundert wurde der Text dann zu einem transnationalen Forschungsobjekt der Germanistik. Erst im 20. Jahrhundert veränderte sich die Erinnerung an Yolanda erneut und die Person, bzw. der Text, wurde immer mehr zu einem national interpretierten Erinnerungsort. Nikolaus Welter und Joseph Tockert sahen in der Yolanda-Dichtung den Beginn einer Literaturgeschichte Luxemburgs. Auch die katholische Kirche vertrat damals zunehmend die Idee von Luxem­ burg als einer eigenständigen Nation und bediente sich dabei der Figur der ­Yolanda: In den 1930er Jahren wurde die Kathedrale von Luxemburg zu ­einem nationalen Heiligtum umgebaut (Weny 2007). 1937, ein Jahr vor der Aufführung von Das Krönlein der Muttergottes, fertigte der Bildhauer Claus Cito eine lebensgroße Statue der Yolanda an, die er als eine der vier Heiligenstatuen für die vier Altäre der neuen Krypta plante. Da Yolanda keine Heilige war, wurde der Statue eine Aufstellung im Innersten der Grabkapelle verwehrt, und sie durfte nur mehr den Eingangsbereich der Krypta zieren. 1939 – E Kasperlesteck no der So’ vun der Melusina Am 6. Mai 1939 war bei Radio Luxemburg die Live-Aufführung des von Lou Koster in Musik gesetzten Kinderstückes E Kasperlesteck no der So’ vun der Melusina nach einem Text von Lucien Koenig zu hören. Interpretiert wurde das Stück vom Kinderchor des Konservatoriums Luxemburg unter der Leitung von Alice Gallé-Menager und Margot Becker (T 1.5.1939, S. 11, LW 1.5.1939, S. 8). Vor dem Fund dieses Aufführungsbelegs war die Vertonung nicht einmal dem Titel nach bekannt, die Noten konnten bis heute nicht geortet werden und müssen als verschollen gelten. Aus der Ankündigung geht nicht hervor, welche Dauer das Stück hatte. Die wenigen Informationen geben kein Bild davon, ob die Musik aus Kinderchören a cappella oder mit instrumentaler Begleitung bestand, ob gesprochene Textteile mit Bühnenmusik umrahmt wurden, ob auch solistische Partien dazugehörten oder ob es sich vielleicht auch speziell um ein für das Radio komponiertes musikalisches Hörspiel handelte. Für das Radio der 1930er Jahre, das sich in der Programmgestaltung stark an der Familie orientierte, bildeten die Kinder ein ganz spezielles Zielpublikum, für das eigene Sendungen konzipiert wurden. Der Autor des Stücks, Lucien Koenig – auch bekannt unter dem Namen Siggy vu Letzeburg –, war Dichter, Deutsch- und Lateinlehrer und nach »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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dem Krieg auch Politiker. 1910 war er, wie oben bereits erwähnt, Mitbegründer des nationalistisch-kulturellen Vereins Letzeburger Nationalunio’n. Als Schriftsteller hinterließ er über 1000 Texte. Er schrieb viele Gedichte, den biografischen Roman Ketten, Possen, Lustspiele, patriotische Stücke sowie das Epos Lucilinburhuc, mit dem er den nationalsozialistischen Theorien der Westforschung (Thomas 2011) entgegentreten wollte. Viele Jahre lang wurde Koenig als bedeutender Heimatdichter wahrgenommen, noch 1987 wurde zu seinen Ehren eine Porträtbüste von Lucien Wercollier im Stadtpark in Luxemburg aufgestellt. In der neueren Forschung wird dies zunehmend kritisch hinterfragt und auf die Fremdenfeindlichkeit und den Antisemitismus in verschiedenen seiner Texte hingewiesen. Von Koenig vertonte Koster außer dem Kasperlstück die zwei Kinderlieder Beim Hexepull und Kannerlidd sowie die vier Lieder Don Juan, Dory, Lëtzebuerger Stodentelidd und Nixegesang, ein weiteres Lied zur Melusina. Der Text des Kasperlstücks war 1937 zum ersten Mal in Diekirch, Imprimerie du Nord, in einem schmalen achtseitigen Bändchen mit dem Titel D’Melusina-So publiziert worden.153 Wie auf dem Titelblatt angekündigt, war er dem dreiaktigen folkloristischen Theaterstück Letzeburg fir emmer! entnommen. Es war wohl diese Publikation von 1937, die der Komponistin für ihre Vertonung vorlag. Ein Teil der Bücher aus Lou Kosters persönlichem Besitz befindet sich heute in der BnL. Dieses Bändchen ist nicht darunter, stattdessen aber der Band Luxembourg for ever! Letzeburg fir emmer! Folkloristescht Theaterstéck an 3 Akten vum Siggy vu Letzeburg, allerdings in der Edition von 1948 (Koenig 1948). Er weist die folgende Widmung auf, im Original in luxemburgischer Sprache: »Ein kleiner Zeitvertreib für Fräulein Koster Professor am Konservatorium Siggy vu Letzeburg 7.6.1948«. Dieser Band enthält im dritten Akt in der ersten Szene eine wesentlich längere Melusinen-Szene als das Kasperlspiel. In der Einleitung wird auf die Vertonung hingewiesen: »Kompositio’nen Prof. Lou Koster a Prof. Émile Quaring«. Ist damit jene Vertonung gemeint, die neun Jahre früher, 1939, im Radio zu hören war oder handelt es sich hier um eine weitere Fassung, die sie zusammen mit Emil Quaring vertonte? Im Radioprogramm von 1939 wurde Emil Quaring als Komponist nicht erwähnt. Koenig und Koster wählten als Stoff für ihr Stück den Gründungsmythos der Stadt Luxemburg, die Geschichte von Siegfried und Melusina. Diese Sage aus dem 19.  Jahrhundert ist eine luxemburgische Erzählvariante des mittelalterlichen Melusinenstoffs: Siegfried, der erste Graf von Luxemburg, trifft in einem wild verwachsenen Tal eines Tages die wundervoll singende Melusina, die er heiratet. Allerdings setzt die Braut ihm die Bedingung, dass 128

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er sie an Samstagen alleine lassen müsse. Irgendwann bricht Siegfried dieses Versprechen und entdeckt, dass seine Frau in Wahrheit eine Wasserfee mit Fischschwanz ist. Melusina springt aus dem Fenster in den Fluss ­Alzette, und Siegfried sieht sie nie mehr. Sie erscheint alle sieben Jahre auf dem Bockfelsen, um Vorübergehende um Erlösung zu bitten. Wenn der Stadt Luxem­burg Gefahr und Unglück drohen, umkreist sie klagend den Bockfelsen (Gredt 1982, S. 33–35, Péporté 2007, Kmec 2010). Diese beiden Momente greift Koenig für sein Kasperltheater auf: Wird die auf dem Bockfelsen sitzende und einen Trauergesang anstimmende ­Melusina nicht erlöst, muss sie sterben und die Stadt Luxemburg untergehen, was der Teufel will. In Koenigs Version ist es der Teufel, der als Jäger verkleidet, Siegfried dazu führt, das Tabu zu brechen, indem er in ihm die Eifersucht schürt. Kasperl gelingt es, Melusina zu erlösen und damit die Stadt Luxemburg zu retten. Melusina stimmt ihren Schlussgesang an: »Erle’st, erle’st fir emmer! Mei Lêd dat ass verbei! Du Fielzestad douewen bass nu fir e’weg frei. Den Himmel dêt sech op mir, gerett sin ech a fro’. Datt nu meng arem Se’l och fir emmer huet hir Ro’!« [Erlöst, erlöst für immer! Mein Leiden hat ein Ende! Du Felsenstadt da oben bist nun auf ewig frei. Der Himmel öffnet sich mir, gerettet bin ich und glücklich, dass nun meine arme Seele für immer ihre Ruhe hat!]

Die Annahme, dass Koenig hier für Kinder den politischen Zeitkontext erzählerisch verarbeitete und auf die nationalsozialistische Bedrohung für burg anspielte, scheint naheliegend. Die Aufführung des Stücks Luxem­ schrieb sich außerdem in den Kontext der vielen künstlerischen Produktionen zur Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit ein, zum »Fest- a Frêdejohr 1939« wie Adolf Berens in einem längeren Beitrag unter dem Titel »Letzebuerg for ever« [!] rückblickend zusammenfasste.154 Lou Koster und der Verein D’Hémechtssprôch Am 6. Dezember 1936 wurde in Luxemburg der Verein D’Hémechtssprôch gegründet (D’Hémechtssprôch 1939, S. 7, 9, L). Die Ziele waren, eine »Berufsvereinigung« von in Luxemburgisch schreibenden und vertonenden »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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Autoren zu sein und das Luxemburgische zu fördern, »bis es als voll- und gleichberechtigte dritte Nationalsprache, neben den zwei anderen« galt. Lou Koster muss dem Verein ziemlich bald nach der Gründung beigetreten sein, da sie auf einer Mitgliederliste, die auf den 17. Februar 1937 datiert ist und 49 Namen enthält, unter der Nummer 29 verzeichnet ist: »Joffer Lou Koster professeur conservat. Verlorenkost [Wohnort in Stadt Luxemburg]«.155 Zu den Gründungsmitgliedern gehörte sie aber nicht.156 Aktive Mitgliedschaft war nur aufgrund von literarischen Leistungen oder anderen Verdiensten möglich. Die Statuten halten unter Artikel 5 fest, dass, wer als »wirkliches Mitglied in den Verein aufgenommen sein will, ein Aufnahmegesuch an den Vorstand zu richten [hat]; dieses Gesuch gibt an, was der Bewerber im Sinne der Vereinsbestrebungen schon geleistet hat.« Das Gesuch Kosters scheint nicht überliefert zu sein. Auch in einer Liste des Jahres 1939 findet sich ihr Name.157 Eine Vielzahl von Schriftstellern zählte zu den aktiven Mitgliedern, darunter eine Schriftstellerin, Léonore Flammang-Georges, die auch als einzige Frau zu den 24 Gründungsmitgliedern gehörte.158 Zu ihnen gesellten sich einige wenige Musiker und SängerInnen (Henri Braun, Tony Steffen, Venant Pauké, Alice Schaus-Arend, Paul Sontag und Putty Stein) sowie eine Reihe KomponistInnen (neben Koster Pol Albrecht, Émile Boeres, Helen Buchholtz, Alphonse Foos, Alice Gallé-Menager, Alfred Kowalsky, Jules Krüger, Michel Hülsemann, Louis Petit und Henri Pensis) (D’Hémechtssprôch 1939, S. 12–20). Neben den aktiven verzeichnete der Verein 264 sympathisierende Mitglieder. Protektoren waren des Weiteren der Staatsminister ­Pierre Dupong und die Minister Joseph Bech, René Blum, Pierre Krier und Nicolas Margue sowie der Bischof Joseph-Laurent Philippe. Ehrenpräsident war Batty Weber, und als Ehrenmitglieder werden die Schriftsteller Isidore Comes, Willy Goergen, Edmond Joseph Klein und Nikolaus Welter angeführt. Der Wunsch, den Verein ins Leben zu rufen, war unmittelbar anschließend an die Gründungssitzung der sprachwissenschaftlichen Sektion des Institut Grand-Ducal entstanden. Die Lehrer Adolf Berens, Jean-Pierre Braun, Hary Godefroid, Nicolas Pletschette und Leo Senninger waren der Meinung, dass die luxemburgische Sprache nicht nur erforscht, sondern dass das literarische Schaffen in luxemburgischer Sprache ebenso gefördert werden müsse, insbesondere da in Luxemburg 1934 zwei literarische Vereine gegründet worden waren, deren Ziel die Förderung der deutschsprachigen bzw. der französischsprachigen Literatur aus Luxemburg war, die S.E.L.F. (Société des écrivains luxembourgeois de langue française) und die GEDELIT (Luxem130

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burger Gesellschaft für Deutsche Literatur und Kunst). Marcel Noppeney war Präsident der S.E.L.F. Damian Kratzenberger, von 1935 bis 1940 Präsident der GEDELIT, machte in diesem Verein zunehmend nationalsozialistische Propaganda. In einem vom Verein D’ Hémechtssprôch unterzeichneten Aufruf fassen die Gründer ihr Ziel mit einer Metapher in folgenden Worten – und selbstredend im Original in luxemburgischer Sprache – zusammen: »Wir sollen die Heimatsprache lebendig, lieb, jung und frisch erhalten; wir sollen sie so verschönern, nutzen und herausputzen, dass sie neben ihrer Rolle als Aschenputtel im Alltagsleben auch zum Ausdruck aller heiligen und schönen Gedanken und Gefühle dienen kann.« (JH 1.12.1936, S. 52) Die Broschüre von 1939 hatte der Verein zur Jahrhundertfeier der Unabhängigkeit Luxemburgs herausgegeben und mit »Vereinsgof 1939« (Vereinsgabe 1939) betitelt. Sie ist im Kontext des nahenden Kriegs und der Gefahr einer NS-Besatzung zu lesen, spricht doch aus vielen Zeilen der als »Propagandaheft« bezeichneten Publikation die Angst um den »Bestand unseres Volkes und unseres Landes« und zugleich die Hoffnung, in der Sprache »Halt« und »einen Sicherheitsanker in diesen kritischen Zeiten« zu finden. Der Aufruf, um neue Mitglieder zu werben, ist ein deutlicher Appell an patriotische und nationalistische Gefühle: »Unsere Sprache unterscheidet uns hauptsächlich von anderen Nationen. Solange wir an unserer eigenen Sprache festhalten sind wir wie ein Fremdkörper, der sich in keine andere Gruppe einreihen lässt. […] Die Zeiten sind ernst! Luxemburger Mann! Luxemburger Frau! Luxemburger Junge! Luxemburger Mädchen! Willst Du dazu beitragen, unser luxemburgisches Sonderwesen zu schützen und zu erhalten, unseren Willen zur Selbstständigkeit zu betonen, Herr im eigenen Haus zu bleiben, dann zögere nicht, dich zur einigen, großen Luxemburger Familie zu bekennen; […] Weil wir alle spüren, dass unsere Sprache das Herzstück unseres Luxemburgertums ist, eine blanke Waffe, die insbesondere heute, wo es sich zu wehren gilt, dazu berufen ist, uns als Schild für unsere Freiheit, Eigenexistenz und Selbstständigkeit zu dienen.« (D’Hémechtssprôch 1939, S. 36, 11, 34)

Zu den Mitteln von D’Hémechtssprôch, sein Ziel zu erreichen, gehörten groß aufgezogene literarische Festveranstaltungen, wie im Sommer 1937 die Autorenehrung Caspar Matthias Spoo zum 100. Geburtsjahr, sowie kleinere literarisch-musikalische Vortragsnachmittage oder, wie es im Luxemburger Wort hieß, »Liederabende und Liedertage von der Spielschule bis zur Werkstatt, zur Scheune, zum Vereinssaal und zur Kaserne« (LW 29.4.1937, S. 7). »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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Bis jetzt konnte nachgewiesen werden, dass Lou Koster 1937, 1938 und 1939 an drei der großen vom Verein organisierten Veranstaltungen partizipierte.159 In diesen drei Veranstaltungen spiegelte sich die oben beschriebene Zeitstimmung immer stärker, um schließlich 1939 in der Feier zum 100. Jahrestag der Unabhängigkeit Luxemburgs ihren Höhepunkt zu finden. Kosters Kompositionen wurden hier in hochpatriotischen Kontexten aufgeführt, die etwas ausführlicher beschrieben werden sollen. Die Veranstaltungen waren sehr gut besucht und trugen daher also auch sicherlich mit dazu bei, sie als Komponistin und Pianistin in Luxemburg bekannter zu machen. Sowohl die Schriftpresse wie auch Radio Luxemburg schenkte ihnen besondere Aufmerksamkeit. 1937 – Die Willy-Goergen-Feier Am 21. November 1937 organisierte der Verein eine Feier zum 70. Geburtstag des Dichters Willy Goergen (D’Hémechtssprôch 1937). Das Programm bestand aus einer Eingangsrede des Präsidenten Adolf Berens, einem Vortrag von Batty Weber über den Dichter Goergen, Gedichtrezitationen und musikalischen Vorträgen. Von Lou Koster stand Quellchen [Petite Source], gespielt von einem von Henri Braun zusammengestellten Orchester, sowie das Lied E be’se Reif, gesungen von Alice Schaus-Arend, auf dem Programm. Die Komponistin begleitete an diesem Tag einen Teil der Lieder am Klavier, so ihr eigenes und Weiss Ble’e fâlen von ihrer Kollegin Helen Buchholtz sowie drei weitere Lieder von Mertens, Penning und Albrecht: »Die in leichtem, silbernem Staccato das seichte Fallen des Regens nachahmende Klavierbegleitung, die Fräulein L. Koster dazu spielte, war ein ungetrübter Genuß.« (LW 23.11.1937, S. 3) Im Luxemburger Wort erschien in zwei Teilen eine ausführliche, euphorische und wiederum hochpatriotische Besprechung (LW 22.11.1937, S. 4, LW 23.11.1937, S. 3): »Den Heimatdichter Willy Goergen hat man ehren wollen, den Wort-, Bildschöpfer und Künstler der Sprache. Im Nu jedoch ist die ganze Feier über den Menschen hinausgewachsen und zum begeisterten und begeisternden Dithyrambus auf die Heimatsprache selbst geworden. […] erscheint uns doch gerade er als der berufene Herold unserer Sprache und gleichsam der verkörperte Genius der Heimat […] Die Willy Goergen-Feier wurde zum begnadeten und befruchtenden Weihfest des Heimatlichen.« (LW 22.11.1937, S. 4)

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In dem Zeitungsartikel wurde auch ein längerer Auszug aus Batty Webers Vortrag zitiert, in dem nachvollzogen werden kann, was der Rezensent oben meint: »In einer Zeit, wo immer lauter und immer ängstlicher von Weltrevolution geredet wird, muß man sich der Bedeutung des heutigen Festes doppelt bewußt werden. Willy Goergen ist für uns zum Symbol geworben. […] Eine eigene Sprache zu haben ist für ein Volk der Beweis, dass es Recht hat auf eigene Existenz. Wir Luxemburger glauben nicht an eine Macht, hinter welcher die Kanonen stehen. Wir vertrauen nur auf das Recht. Deshalb findet sich in unserer Heimatsprache auch kein Widerhall von Militärkommando. Unsere Sprache ist gemütlich, deftig, kann auch mal grob aufbegehren, doch es findet sich darin nichts, woraus man auf eine Herkunft von jenseits der Grenze schließen könne. (Lebhafter Beifall!) Willy Goergen hat der Heimatsprache Häuser gebaut.« (ebd.)

Der Dichter Willy Goergen sprach in seiner Dankesrede, die der Rezensent wie folgt zusammenfasst, u.a. über seine eigenen Texte: »Er sei der Erste hierlands gewesen – bei diesen Worten zittert ein berechtigter Stolz durch seine Worte – der den Bauernstand besungen habe. Das sei ihm leicht gewesen, habe er doch Lust und Not des Landlebens am eigenen Leibe erfahren. […] Alles was die Heimat betreffe, habe er besungen: Liebe zum Herrscherhaus, Schönheit der Natur, Leid und Freude des Volkes. Seine Bücher seien alle für das Volk und das Volk brauche keine überschwengliche Gelehrsamkeit, sondern natürliche Frische. Deshalb lese das Volk aus seinen Schriften manche Schönheit, die dem allzu Gebildeten leicht verschlossen bliebe.« (ebd.)

Am Tag vor der öffentlichen Veranstaltung gestaltete der Verein bei Radio Luxemburg das Programm der Letzeburger Halef Stonn ebenfalls »zu Ehren des Heimatdichters Willy Goergen«. Die Sängerin Alice Schaus-Arend umrahmte dabei die gesprochenen Beiträge mit Goergen-Liedern, und auf dem Programm standen gleich zwei Vertonungen von Komponistinnen: De Piedchen von Helen Buchholtz und E be’se Reif von Lou Koster (LW 19.11.1937, S. 8; T 20.11.1937, S. 5; OZ 20.11.1937, S. 3).

»Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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1938 – Die Feier ›Gibt es ein Luxemburger Nationalgefühl?‹ Am 21. Februar 1938 veranstaltete D’Hémechtssprôch einen weiteren literarisch-musikalischen Abend. Von Lou Koster stand diesmal ein »schmissiger Marsch« in Klavierquartettbesetzung auf dem Programm, gespielt von einem »Künstlerorchester, bestehend aus den Damen Frl. L. Koster und Frau Poos [Lina Poos-Koster] sowie den Herren Hary Braun und Tony Steffen« (LW 22.2.1938, S. 8). Der Titel wird nicht genannt, das Werk muss als verschollen gelten, kein Marsch in dieser Besetzung ist erhalten, ebenso wenig wie ein Programmzettel. Hauptprogrammpunkt der Veranstaltung war diesmal ein Vortrag von Lucien König zum Thema ›Gibt es ein Luxemburger Nationalgefühl?‹ Wie im Vorjahr Batty Weber versuchte auch er, einen ›friedlichen‹ Kunstpatriotismus zu schüren: »[…] wir sind naturgemäß arm an solchen [Kriegs-]Helden […]. Und das ist gut so, denn wir Luxemburger sehen unser Ideal nicht im blutbespritzten Schwerte, sondern im blumenbekränzten Pflug. Das Werk der Kriegshelden vergeht mit ihnen selbst, Dichterwerk bleibt und da kann man nicht umhin, dass im letzten Jahrhundert echte Nationalwerke erschaffen wurden. Nicht bloß die Dichter, die Historiker, Wissenschaftler, Künstler, Komponisten, alle haben da mitgeholfen.« (Zitat aus seiner Rede in: LW 22.2.1938, S. 8)

1939 – Die »Letzeburger Onofhängegkêtsfeier« Ein Höhepunkt der Vereinsaktivitäten war am 13. Februar 1939 die »bis zum letzten Platz besetzte« »Letzeburger Onofhängegkêtsfeier«, die »zu Ehren des zwanzigjährigen Thronjubiläums der Großherzogin Charlotte, zu Ehren der Großjährigkeit des Erbgroßherzogs Jean und zur Erinnerung an die hundertjährige Unabhängigkeit unseres Landes« veranstaltet wurde (T 15.2.1939, S. 9). Auch diesmal wurde ein Werk von Koster aufgeführt: Akaziebléi in einer Version für Orchester und in einer Interpretation von Susan­ne Heller und dem Orchester Radio Luxemburg, das unter der Leitung von Henri Pensis stand (LW 30.1.1939, S. 5; T 8.2.1939, S. 4; OZ 14.2.1939, S. 3). Der großherzogliche Hof, »die gesamte Regierung […] Kammerpräsident Reuter, zahlreiche Deputierte und Gemeinderatsmitglieder der Hauptstadt, Dienstchefs der meisten Verwaltungen« sowie eine »große Anzahl Leute aus der breiten Masse des Volkes und aus allen Klassen der Bevölkerung« wohn134

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ten dieser »patriotischen Kundgebung« bei, die von Radio Luxemburg »der ganzen Welt übertragen« wurde.160 Staatsminister Pierre Dupong höchstpersönlich hielt diesmal die Festrede, die das Escher Tageblatt und das Luxemburger Wort zwei Tage später vollständig in luxemburgischer Sprache abdruckten (T 15.2.1939, S. 9; LW 15.2.1939, S. 5). Thema der Rede war wieder einmal die Bedeutung der »Heimatsprache« für die luxemburgische Identität. Dupong beschrieb sie als ein »einfaches und ungekünsteltes«, »raues und ungehobeltes«, »langsames und bedächtiges« »Naturprodukt« und gebrauchte zwei Metaphern, eine aus dem Bereich der Kriegskunst (»Burg«) und eine aus dem der Natur (»Baum«), um ihre identitätsstiftende Funktion zu umschreiben. Mit der ersten betonte er einen auf sich bezogenen geistig-kulturellen Partikularismus, und mit der zweiten belebte er den in Luxemburg seit der Jahrhundertwende immer wieder thematisierten über die Grenzen vermittelnden Mischkulturgedanken, dem er eine ebenso große Bedeutung zumaß: »[…] wir müssen die geistige Verteidigung des Landes in die Hand nehmen. Wenn wir unsere Eigenart beschützen, verteidigen wir auch unser Land […] Eine Burg wurde nie geschliffen161, unsere Heimatsprache […] Ein Widerstand ist nie eingeschlafen: Das ist unsere Sprache. Als Zeuge unserer Eigenart hat sie uns immer beigestanden, wenn um Diplomatentische debattiert wurde, Luxemburg diesem oder jenem [Land] einzuverleiben. Ganz sicher hat unsere Sprache geholfen, dass die Grenzen nie ganz verwischt wurden. […] Und heute ist die Luxemburger Sprache wie ein großer Baum, dessen Wurzeln im luxemburgischen Boden stehen und dessen Äste bis in die Nachbarländer reichen. Oder ist es nicht so, als wenn die luxemburgische Sprache ihre Hände über die Landesgrenzen hinweg zu den Nachbarsprachen reichen würde, denen die Luxemburger geistig viel zu verdanken haben. Denn, das dürfen wir nie vergessen, die Pflege unserer Heimatsprache darf uns nicht dazu führen, uns abzukapseln von den großen Kulturgebieten, die uns umgeben.«

Anschließend ehrte er die drei historischen ›Nationaldichter‹ Rodange, Dicks und Lentz und alle, »die ihnen es nachmachen« und dadurch den »nationalen Gedanken« erwecken und entwickeln, fügte dem aber hinzu: »Aber sie wollen keinen Ersatz liefern für die deutsche und französische Sprache, die den größten Reichtum der luxemburgischen Schule ausmachen. Dadurch, dass wir zwei Sprachen kennen, haben wir geöffnete Türen zu »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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zwei Weltkulturen. Wenn der Luxemburger trotz der Enge unserer Grenzen durchwegs in nationalen und internationalen Fragen großzügig denkt […], dann ist es, weil wir zwei große Weltsprachen von Kindsbeinen an gelernt haben. […] Die Luxemburger Natur rebelliert gegen alle Gleichschaltung der Geister. […]« (ebd.).

In der französischen Zeitschrift Lorrain erschien am 17. Februar 1939 eine Besprechung, in der der Zusammenhang zwischen dem Erstarken des Nationalgefühls und der Kriegsbedrohung Thema war: »Nationale Einheit durch die Nationalsprache. Die jüngsten internationalen Ereignisse, insbesondere jene, die seit letztem September stattgefunden haben, die massive Präsenz deutscher Truppen nahe der Grenze des Großherzogtums Luxemburg, haben dazu geführt, ähnlich wie in Frankreich, den Nationalgedanken unter den Bewohnern dieses Nachbar- und Freundschaftslandes wiederzubeleben. Der Luxemburger, wie die Bewohner vieler anderer Länder, denen ein bewaffneter Konflikt droht, in den sie nicht eingreifen können, sondern Opfer sind, wie es von 1914 bis 1918 der Fall war, findet in sich die Seele eines … Luxemburgers. Er erinnert sich, dass er ein Kulturerbe zu verteidigen hat, und mehr denn je solidarisiert er sich mit der Herrscherdynastie.« (abgedruckt in: OZ 23.2.1939, S. 2, F)

»… und ihre Märsche jauchzten aus allen Lautsprechern« Um die 100 Jahre der Unabhängigkeit Luxemburgs zu feiern, fand in vielen Dörfern, Kleinstädten sowie Stadtvierteln übers Jahr verteilt eine Vielzahl von ›Jahrhundertfeiern‹, sehr oft in Anwesenheit der Großherzogin, statt.162 Die Presse widmete den Ereignissen wie dem Thema große Aufmerksamkeit. Auch die Zeitschrift L’Action Féminine – Monatszeitschrift für die Interessen der Frau bekannte sich »stolz und frei zu dir als zu der über alles geliebten Heimat und zu unserer erlauchten Großherzogin«, nahm das »Jubeljahr 1939« aber vor allem auch zum Anlass, um »mit der Jahrhundertfeier unserer Unabhängigkeit die 20-jährige politische Befreiung der Frauen«, also 20 Jahre Frauenwahlrecht in Luxemburg, zu feiern.163 Bei den Veranstaltungen spielte die Musik fast immer eine Rolle. So fand in allen städtischen Schulgebäuden eine Feier statt, bei der zum Auftakt Kinderlieder in luxemburgischer Sprache gesungen wurden (T 16.3.1939, S. 8). 136

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Bei solch patriotischen Veranstaltungen wurde gelegentlich auch Musik von Koster aufgeführt, so z. B. am 5. Februar 1939 während des »Großen patriotischen Konzertes« der Lehrerchorvereinigung Société Chorale des Instituteurs Luxembourgeois (T 2.2.1939, S. 9). Die Letzeburger Stâdmusek lud am 19. April zu einem ›großen patriotischen Konzert‹ ein, bei dem sie die heute verschollene Version für Blasorchester der ›Fantasie aus der Operette An der Schwemm‹ spielte (T 19.4.1939, S. 9). Im selben Jahr, am 23. August 1939, setzte auch die Militärmusik das gleiche Stück auf das Programm ihres Konzertes am Paradeplatz (LW 23.8.1939, S. 5). Die Hauptfeierlichkeiten fanden vom 21. bis 23. April 1939 statt. Nach Al Schmitz »feierten Kosters Märsche ›Joyeuse‹ und ›Keep smiling‹ Triumphe während der Unabhängigkeitsfeiern in Luxemburg« und »jauchzten« »aus allen Lautsprechern«.164 In dem in der Presse abgedruckten Festprogramm kommt Kosters Name allerdings nicht vor (T 19.4.1939, S. 9). Beim »Großen Staatsakt« am 23. April, der durch die Militärmusik, das Orchester und den Chor von Radio Luxemburg in Form eines »Concert patriotique pour le centenaire« »von musikalischen Darbietungen selbstverständlich Luxemburger Werke« (OZ 20.3.1939, S. 2) umrahmt wurde, gelangten Werke von Albert Thorn, Jules Krüger, Henri Pensis, Louis Beicht und Jean-Antoine Zinnen zur Aufführung (Weber 1993, S. 189). Möglicherweise erklangen Kosters Märsche am 22. April abends während des Feuerwerks, oder sie wurden beim historischen kostümierten Umzug gespielt, der am gleichen Tag stattfand. Bei diesem Umzug wirkten rund 700 Personen mit, um von der Römerzeit bis ins 20. Jahrhundert »jene Szenen unserer Geschichte hervorzustreichen, die unsere Freiheit betonen« (OZ 20.3.1939, S. 2). Dargestellt wurden in 22 Bildern ausgewählte Persönlichkeiten und Ereignisse, in drei von ihnen standen Frauenfiguren im Mittelpunkt, unter ihnen Yolanda von Vianden, deren Geschichte Lou Koster ein paar Jahre zuvor in einem Bühnenstück verarbeitet hatte.165 Im Verlag P. Linden-Luxemburg erschien ein buntfarbiger Prospekt, der, so das Escher Tageblatt, »in einer Massenauflage im In- und Ausland verbreitet« wurde, da man mit etwa 100 Journalisten und Fotoreportern, insbesondere aus den Nachbarstaaten, rechnete (Rousselot 1939; T 19.4.1939, S. 9). Radio Luxemburg sendete ein Sonderprogramm. Dem 100-jährigen Jubiläum wurde schließlich auch durch eine umfangreiche historische Publikation gedacht, Le Livre du Centenaire, die 1939 in Druck gegeben wurde, aber erst nach dem Krieg vom Unterrichtsministerium veröffentlicht werden konnte und deren Grundton, so André Linden, »in der Sphäre eines Plädoyers Luxemburgs für die eigene Existenzberechti»Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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gung« anzusiedeln ist.166 Linden spricht in diesem Bezug von einer »Grundbefindlichkeit eines gekränkten luxemburgischen Selbstbewusstseins in der Vorkriegszeit«, das zwischen den Gefühlen von »sich in beschämender Weise klein fühlen vor den Großen« und »sich von den Großen in beschämender Weise kleingemacht fühlen« hin- und herpendelt (Linden 1999, S. 203). Für den Band verfasste der luxemburgische Historiker und Sprachforscher ­Joseph Meyers einen historischen Abriss über »das Musikleben Luxemburgs«, in dem Koster mit keiner Zeile erwähnt wird. Als einzige luxemburgische Komponistin, wenn auch sehr knapp, führt Meyers Helen Buchholtz an, »die schöne Instrumentalmusik komponierte« (Meyers 1949, S. 434, F). Weitere Aufführungen und Konzertauftritte Außer den wenigen oben erwähnten Veranstaltungen sind für die 1930er Jahre nur sieben weitere Konzerte belegt, bei denen Kosters Werke zur Aufführung gelangten. Dabei fällt auf, dass ihre Musik – in denselben Jahren, in denen sie im Radio von professionellen Musikern interpretiert wurde – in Konzerten nur von Amateurchören, -orchestern und -blaskapellen, Schülern oder Studenten gespielt und gesungen wurde. Das von Nicolas Schuh geleitete Konzert-Quartett, ein vierstimmiger Männerchor aus Esch/Alzette, nahm Chöre von Koster in Konzertprogramme auf.167 Im Dezember 1937 führte die Chorale Ste Cécile aus Dommel­ dingen »sieben neue Männerchöre von Fräulein L. Koster« nach Texten von Willy Goergen auf (LW 10.12.1937, S. 15). Auch der Männergesangverein Fro’senn und Les Fauvettes d’Esch sangen in diesen Jahren Chormusik von Koster.168 Einige ihrer Lieder standen bei einem Vortragsabend der Gesangsklasse von Marguerite Brullez auf dem Programm (T 30.11.1937, S. 4). Das Symphonische Orchester der Studentenvereinigung G.E.I. führte die durch das Radio mittlerweile populär gewordene Walzersuite Lore-Lore auf, die das Blasorchester aus Esch/Alzette in einer heute verschollenen Version ebenfalls spielte, und der Cercle Symphonique begleitete den Tenor Nicolas Schuh in den beiden Orchesterliedern Wär ech den Oweswand und Beim Nélchesstack.169 Sehr selten sind auch Belege, die Auftritte von Koster als Pianistin oder Violinistin in diesen Jahren betreffen. Außer ihrer oben bereits erwähnten Beteiligung als Pianistin 1937 an der Willy-Goergen-Feier umrahmte bei der Gründungsversammlung des Luxemburger katholischen Frauenbunds »ein Orchester, bestehend aus den Künstlern Herrn Braun, Hr. Leblanc und Frl. 138

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Koster, die ganze Kundgebung mit sehr feinen musikalischen Aufführungen […] und [trug] damit viel zur Hebung der Stimmung bei«; der Hauptpunkt des Abends war ein Vortrag der Rechtsanwältin Marthe Glesener über »Die Aufgabe der Frau in der neuen Zeit« (LW 12.3.1938, S. 5). Jean Heinisch berichtete des Weiteren, Koster habe vor dem Zweiten Weltkrieg in der HerzJesu-Kirche zu »Hochzeiten und im 11-Uhr-Gottesdienst Violine gespielt« (EI 10). Das Thema ›Komponistin‹ in Luxemburg Anne Beffort am 25. November 1934: »Die Frage der Frau, ihrer Erziehung, ihrer Rechte ist noch nicht gelöst, obwohl so viele bedeutende Köpfe für diese große soziale Sache gekämpft haben.« (Beffort 1961, S. 170, F) Catherine Schleimer-Kill 1936: »Wer wollte es bestreiten, dass unsere objektive Kultur noch bis auf den heutigen Tag vorwiegend männlich ist. […] Wenn die Frauen sich der in Art und Form männlichen Kultur einfügen, dann sind durch ihre Fähigkeit Grenzerweiterungen nur dann zu erwarten, wenn sie etwas leisten, was die Männer nicht können.« (Schleimer-Kill 1936) Marie Biwer 1939: »Feminismus ist ganz einfach Kultur, öffentliche Gerechtigkeit und ›Haus in der Sonne‹-Moral. Ein Stimmzettel, eine Lohndüte [sic], die richtig stimmt, nicht mit der Schmach des vorenthaltenen Drittels wegen Geschlechtsinferiorität, eine politische Landschaft ohne ängstliche Staketen und Schranken […] Doch in unserem Land zeigt die Praxis leider, dass die Gleichberechtigung der Frau im Grunde genommen nur auf dem Papiere steht, weil der Geist von gestern die Ordnung unseres gesamten Lebens noch so stark beherrscht, dass die Frau von heute noch gar nicht die Möglichkeit hat, sich ihrer Eigenart entsprechend in den verschiedenen Gebieten des politischen und beruflichen Lebens zu entfalten.« (Biwer 1939)

Wie Komponistinnen in den 1930er Jahren in Luxemburg rezipiert wurden, dazu gibt es nur wenige Quellen. In der Presse dieser Zeit wurde nur selten, und wenn doch, dann äußerst knapp, über sie berichtet.170 Am häufigsten handelt es sich dabei um Ankündigungen von Aufführungen bei Radio Luxemburg oder bei anderen europäischen Sendern. In der Beilage La Musique des Escher Tageblatts fällt der Begriff ›Komponistin‹, neben der oben bereits erwähnten Besprechung des Lieddrucks von Koster, tatsächlich nur noch ein »Wât wär ech uni Lidder?« (1930–1939)

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einziges weiteres Mal. In einem immerhin eine Spalte langen Artikel mit dem Titel »Eine Schweinehirtin wird Komponistin« wird die ›spektakuläre‹ Biografie der zu diesem Zeitpunkt 17-jährigen, aus der Umgebung von Belgrad stammenden Musikerin Maria Bango, eines »Phänomens des Willens und der Begabung«, nachgezeichnet (T 19.6.1937, S. 9). In der Rubrik ›Verschiedene Nachrichten‹ kann man im Luxemburger Wort vom 4. Januar 1934 die folgende ebenso reißerisch verfasste Nachricht lesen: »Paris, 2. Jan. Die 65 Jahre alte Komponistin, Constance Pierot, ist gestern von ihrer 33 Jahre alten Nichte Colombier, mit einem Marmorsockel niedergeschlagen und getötet worden. Als Grund für ihre Tat gibt die Mörderin an, daß ihre Tante mehrere Heiraten gegen ihren Willen vereitelt hat.« Die Frauenbeilage ›La page de la femme‹ des Escher Tageblatts widmete sich zu drei verschiedenen internationalen Anlässen dem Thema. Im Juni 1936 wurde mit spürbarer Empörung davon berichtet, dass der Französin Jeanne Leleu für ein anonym eingereichtes Werk von der Académie des Beaux-Arts zwar zuerst der mit 10.000 Francs dotierte Georges-Bizet-Preis zuerkannt wurde, dann aber »die Herren lange Gesichter« machten, als sich herausstellte, dass der Autor eine Frau war. Leleu sei der Preis wieder aberkannt worden: »An ihre Stelle trat ein Komponist aus Boulogne, der sonst leer ausgegangen wäre. Aber er war einwandfrei ein Mann, und es genügte.« (T 3.6.1936, S. 6) An anderer Stelle freute man sich darüber, dass unter den zu Rittern der französischen Ehrenlegion ernannten Persönlichkeiten »dieses Jahr besonders viele Frauen« waren, so auch »Germaine Tailleferre, die zu der sehr modernen Gruppe des Six gehört« (T 24.2.1937, S. 8). In einem weiteren Beitrag wird eine erfreuliche Bilanz über die Beteiligung von Frauen an der Weltausstellung gezogen und u.a. darüber informiert, dass die damals 27-jährige Komponistin Elsa Barraine für die musikalische Organisation des »Festes der Kolonien« zuständig war und von der Opéra Comique den Kompositionsauftrag erhalten hatte, »ein großes expressionistisches Ballett ›Das Leben in der Fabrik‹ zu komponieren. So haben die schaffenden Frauen, obwohl sie in der Leitung nicht vertreten sind, in bisher nie dagewesenem Maße zum Werden und zum sicheren Erfolg eines großen internationalen Ausstellungswerkes beigetragen.« (Katzky, Elsa: »Frauen auf der Pariser Weltausstellung«, in: T 16.6.1937, S. 6) Komponistinnen aus Luxemburg waren aber weder in der Frauenbeilage des Escher Tageblatts noch in der des Luxemburger Worts ein Thema. Wie professionelle Musikerinnen in dieser Zeit aufgrund ihres Geschlechts in Luxemburg diskreditiert werden konnten, zeigt exemplarisch der Fall von Thérèse (Marie Thérèse Irmine) Spedener: Im Mai 1935 war 140

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die Musikerin und Komponistin als Dirigentin des Blasmusikvereins Veiner Stadmusik angestellt worden. Sie konnte – nachweislich als erste Dirigentin in Luxemburg – diese Funktion nur sechs Monate lang bekleiden, weil als Reaktion auf ihre Nominierung viele Musiker aus dem Verein austraten und infolgedessen die Mitgliederzahl unter die von den Statuten bestimmte Mindestzahl von zwölf sank, so dass die Gesellschaft sich am 10. November selbst auflöste. Der damalige Vizepräsident der Musikgesellschaft, Pierre Bassing, schrieb im Rückblick hierzu: »Frau Spedener war, wie der Verfasser aus der Erfahrung gemeinsamen, privaten Musizierens weiß, eine tüchtige, feinfühlige Musikerin und Pianistin. Ihr Misserfolg, der keineswegs ein Versagen war, ist ausschließlich dem Umstand zuzuschreiben, dass ein Teil der Musikanten – leider die besten – das Paradieren durch die Straßen Viandens unter dem Regiment einer Frau als mit ihrer Männerwürde unvereinbar hielten.«171 Batty Weber, der wie bereits erwähnt sich in seinen Abreißkalender-Artikeln des Öfteren für die Frauenrechte einsetzte, hatte am 29. Dezember 1932 abwertend über Dirigentinnen geschrieben (als einzige lobenswerte Ausnahme nannte er Lili Pataki): »Überhaupt, eine Frau sollte nie den Takt schlagen, auch nicht über ein Orchester von Frauen. […] Ob sie nun über einen Taktierstab führt oder mit der bloßen Hand durch die Luft fährt, immer sieht es genau so naiv aus, wie wenn eine Frau einen Stein wirft.«172

»Fräulein Koster ist frankophil …« – während der NS-Besatzung (1940–1944) Luxemburg wurde am 10. Mai 1940 von der deutschen Wehrmacht besetzt. Die NS-Besatzung hatte vor, das Land auch in kultureller Hinsicht »heim ins Reich« zu führen, und nahm starke Eingriffe in das gesamte Kultur- und Musikleben vor. Adolf Hitler hatte »seine Zustimmung zu einem großzügigen Kulturaufbau in Luxemburg gegeben«.173 Der Gauleiter und Chef der Zivilverwaltung Gustav Simon ernannte am 28. August 1940 einen Stillhaltekommissar für das Organisationswesen in Luxemburg, dessen Mission die Auflösung, Überleitung, Eingliederung und Neugründung von Organisationen, Vereinen und Orchestern war. So wurde beispielsweise die UGDA am 22. April 1941 »mit sofortiger Wirkung« aufgelöst. Erlaubten, freigegebenen Vereinen wurde im Juli 1941 auferlegt, Vereinsmitglieder hätten Mitglied der Volksdeutschen Bewegung zu sein und ihre Kinder in die Hitlerjugend einzuschreiben, sie müssten bei jedem Vereinsabend wenigstens zehn Minuten aus Hitlers Mein Kampf vorlesen usw., was dazu führte, dass in so manchen »Fräulein Koster ist frankophil …« (1940–1944)

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Vereinen das Musizieren erlahmte bzw. ganz zum Stillstand kam (Welter Schumacher 1999, S. 268 f.). Aus den Bibliotheken und Büchereien wurde französische Literatur entfernt, in den Schulen und im Musikkonservatorium durfte der Unterricht nur noch in deutscher Sprache abgehalten werden, die französische (Musik-) Unterrichtsliteratur musste entfernt und durch deutsche ersetzt werden.174 Landesweit wurden alle französischen Orts-, Familien- und Vornamen ›entwelscht‹ und eingedeutscht, so wurde Lou Koster zu Luise Koster. Am 7. August 1940 veröffentlichte das gleichgeschaltete Luxemburger Wort auf der Titelseite einen Aufruf Gustav Simons an das Volk, in dem es u.a. hieß: »Fortan wird keinem Luxemburger mehr zugemutet werden, sich der Sprache einer verniggerten Nation zu bedienen. Luxemburg ist zu stolz auf sein Herkommen und seine Heimatsprache, um der Papagei Frankreichs zu sein und französische Laute nachzuplappern. Luxemburg, seine tüchtigen Bauern, seine fleißigen Arbeiter und sein hochstehendes Bürgertum wollen und dürfen nicht länger der Lakai des kulturell heruntergekommenen Franzosentums sein.« Die Konzertprogramme wurden von französischer und belgischer Musik ›gesäubert‹, und deutsche Werke standen fortan im Mittelpunkt. Für die Organisation von Konzerten zeichnete weitgehend der Kunstkreis Luxemburg verantwortlich, der aus der GEDELIT hervorgegangen war.175 Den Vorsitz der GEDELIT hatte seit 1940 der Komponist und Deutschlehrer Alfons Foos, der sich an der nationalsozialistischen Kultur- und Propagandaarbeit in Luxemburg beteiligte und 1941 auch das Referat für Musik und Wissenschaft im Kunstkreis Luxemburg übernahm. Seit 1943 gehörte Foos der NSDAP an.176 Nur noch wenigen Luxemburger KomponistInnen gelang es in dieser Zeit, ihre Musik regelmäßig weiter zur Aufführung zu bringen.177 Bis zum 10. September 1944 stand auch die luxemburgische Presse unter der Kontrolle der NS-Besatzung. Weißer Fleck in der Biografie … Diese Jahre brachten auch für Lou Koster in vielerlei Hinsicht einen tiefen Einschnitt. In den kommenden mehr als vier Jahren erschien ihr Name nur ein einziges Mal in der Presse in Zusammenhang mit einer Aufführung: Im Sommer 1941 bot das Konzert Quartett Esch unter der Leitung von Nicolas Schuh einen Männerchorabend mit Musik deutscher Komponisten an, bei dem als einziger nichtdeutscher Beitrag Lou Kosters Trinklied Erop aus dem 142

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Faass gesungen wurde (T 21.8.1941, S. 3).178 Auch als Konzertpianistin oder -geigerin wird sie in diesen Jahren kein einziges Mal mehr erwähnt. Das Orchester des Konservatoriums wurde aufgelöst, und auch diese Tätigkeit übte sie also nicht mehr aus. Wie aus der Akte hervorgeht, bewarb sie sich nicht für das Vorspiel des von den NS-Besatzern neu gegründeten Städtischen Orchesters, zu dem das Luxemburger Wort am 26. Februar 1941 einen Aufruf publiziert hatte, das am 12. und 13. März stattfand und zu dem sich 32 Musiker und zwei Musikerinnen aus Luxemburg, aber auch aus dem Ausland gemeldet hatten.179 Da für den Aufbau eines großen Orchesters nicht genügend MusikerInnen angestellt werden konnten, wurde eine mit »Aushilfekräften« erweiterte zweite Liste von insgesamt 72 MusikerInnen erstellt, auf der, zusammen mit anderen KollegInnen aus dem Konservatorium, auch »Koster Luise Moselstraße 34« zu finden ist, und zwar unter den ersten Vio­ linen. Wie oft sie bei großen Orchesterkonzerten im Krieg mitwirkte, ist nicht bekannt. Kein einziges Autograf und kein Druck trägt ein Datum aus der Kriegszeit, so dass man nicht weiß, ob Lou Koster in diesen Jahren überhaupt komponierte. Der Kriegseinbruch setzte auch ihrer Popularität bei Radio Luxemburg ein schroffes Ende. Der nationalsozialistische Überfall auf Polen am 1. September 1939 führte zuerst dazu, dass auf Wunsch der Regierung die Sendetätigkeit von Radio Luxemburg stark eingeschränkt wurde. In den ersten Septemberwochen wurde nur noch zweimal am Tag halbstündlich auf Sendung gegangen, um mehrsprachige offizielle Mitteilungen der luxemburgischen Regierung auszustrahlen, die von kurzen Musikprogrammen, zuerst nur von Schallplattensendungen, dann ab dem 10. September von Orchesterkonzerten, gerahmt wurden. Im Rahmen dieser Orchesterkonzerte erklangen zum letzten Mal – bis nach Kriegsende – Kompositionen von Lou Koster im Radio: am 13. September der Marsch Keep smiling180 und am 20. September die Walzersuite Lore-Lore.181 Am 19. September 1939 forderte die Regierung den Sender schließlich dazu auf, die Sendetätigkeiten ab dem 21. September ganz einzustellen. Die 80 bei Radio Luxemburg Beschäftigten waren nun arbeitslos. Die Ex-OrchestermusikerInnen veranstalteten noch einige Benefizkonzerte, das letzte am 27. Januar 1941, am 14. Februar verließ der Dirigent Henri Pensis das Land in Richtung Amerika. Am 1. Oktober 1940 hatte die deutsche Reichs-Rundfunk-Gesellschaft (RRG) den luxemburgischen Sender, der zum Reichssender Luxemburg wurde, übernommen, dem unter Musikdirektor Hans Haug ein neues bescheidenes Orchester – das Kleine Städtische Orchester – angegliedert wurde, das der Luxemburger Émile Boeres und der

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Deutsche Leo Eysoldt dirigierten (Weber 1993, S. 199 ff., 207 und Akte LU 11 NS_637 in AVDL). Aus den Kriegsjahren sind keinerlei autobiografische oder biografische Dokumente erhalten, die über Lou Kosters musikbezogenes Handeln in diesen Jahren Auskünfte geben. Auch die Interviews mit Zeitzeugen liefern nur sehr wenige Informationen zu ihrem Leben in dieser Zeit: Maisy Koster erzählte, sie selbst habe von 1939 bis 1941/42 als junge Gymnasiastin und Klavierstudentin am Konservatorium (bzw. in der Besatzungszeit: der Landesmusikschule) bei Lou Koster gewohnt. Von Fernand Koster weiß man, dass er 1940, unmittelbar nach der Besatzung, in Zusammenarbeit mit dem portugiesischen Honorarkonsul in Luxemburg, Victor Buck, für 500 jüdische Luxemburger Reisepapiere ausstellte, die es ihnen erlaubten, über Portugal auszuwandern.182 Laure Koster berichtete, sie selbst sei damals mit ihrem Sohn und der Schwiegermutter von Namur nach Südfrankreich, Carcassonne, geflüchtet, da ihr Mann in De Panne zum deutschen Kriegsgefangenen geworden und nach Norddeutschland (heute Polen) transportiert worden war. In Carcassonne sei sie an einer Rippenfellentzündung erkrankt, so dass sie nicht mit den zusammen mit ihr geflüchteten Belgiern zurückkehren konnte (EI 4). Vom Conservatoire de Luxembourg zur Landesmusikschule Lou Koster war in dieser Zeit von der grundlegenden Reform des städtischen Konservatoriums unmittelbar betroffen. In den diesbezüglichen NSGemeindeakten erscheint dreimal auch ihr Name.183 Die Umgestaltung des Konservatoriums war dabei nur ein Baustein in der kompletten Neuordnung des Musiklebens der Hauptstadt, die im Auftrag der Reichsmusikkammer und des Reichspropagandaministeriums sowie in Zusammenarbeit mit dem Reichserziehungsministerium durchgeführt wurde. Da das Land als ›im äußersten Westen des Reiches‹ gelegen galt, hatte »der Führer sich ausdrücklich mit dem Gedanken, Luxemburg zu einem Kulturbollwerk zu machen, einverstanden erklärt« (AVDL LU 11 NS_236 4–5). Die Stadt sollte »zu einem Kulturzentrum des Gaues Moselland ausgebaut werden« (AVDL LU 11 NS_120 64). Wohl nicht zufällig fand 1943 die Tagung des Bundesrates des Deutschen Sängerbundes – der 25.000 Mitgliedsvereine mit rund 1½ Millionen Sängern zählte – in Luxemburg statt. Dieser hatte sich, so Welter und Schumacher, der »Aktivierung der deutschen Männerchöre, denen durch die Gründung des national-sozialistischen Kulturwerkes eine Fülle neuer Aufga144

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ben im Dienst der Gestaltung der NSDAP zugefallen war«, verschrieben, mit dem Ziel, »aus jedem Sänger unserer gewaltigen Organisation einen Kultursoldaten Adolph [sic] Hitlers [zu] formen«.184 Der »Neuaufbau« des städtischen Musiklebens wurde maßgeblich von dem seit dem 13. August 1940 zum Oberbürgermeister der Stadt Luxemburg ernannten Richard Hengst in die Hand genommen. Hengst, zuvor Oberbürgermeister der Stadt Köthen, entschied sich für eine Struktur, in der die reformierten und die neu zu schaffenden Musikinstitutionen aufs Engste zusammenarbeiten und unter der Gesamtleitung einer und derselben Person, eines Städtischen Musikdirektors, stehen sollten. Zu diesen Institutionen gehörte das zuerst zur Landesmusikschule und später dann zur Staatlichen Hochschule für Musik Luxemburg185 auszubauende ehemalige Konservatorium. Daneben wurde ein Städtisches Orchester186 sowie ein Städtischer Chor neu geschaffen. Auch sollte eine Orchesterschule mit Internat, in der »150 Jungen [sic]«187 im Alter von 14 bis 18 Jahren zu Orchestermusikern ausgebildet werden sollten, gegründet werden. Für die Reform und den Aufbau dieser Institutionen wurde der Komponist und Orchesterdirigent Hans Herwig aus Hagen ernannt. Herwig bemühte sich bei der Umformung oder Schaffung der Institutionen, denen er vorstand, um »die bodenständige Verwurzelung«, wie es in der Pressemitteilung seiner ersten Konzertsaison hieß, d.h. die Einbindung möglichst vieler guter Musiker aus Luxemburg, in der er die »Voraussetzung für ein gesundes, organisch blühendes Musikleben« sah. Lediglich die ebenfalls neu gegründete Musikschule für Jugend und Volk, in deren Organisation die Hitlerjugend stärker involviert war, und der HJ-Chor der Stadt Luxemburg sollten einen eigenen Direktor, Obergefolgschaftsführer Josef Drissen aus Opladen, bekommen.188 Die Pläne zur Gründung der Musikschule für Jugend und Volk, die den Unterbau für die Landesmusikschule stellen sollte, sowie der Orchesterschule wurden letztlich wegen Streitigkeiten zwischen Reichserziehungsminister und der Reichsjugendführung nicht umgesetzt (Dostert 2000, S. 20). Wenn auch das erste Schuljahr, 1940/41, im Konservatorium noch ohne grundlegende Veränderungen zu Ende geführt wurde, waren die LehrerInnen zu diesem Zeitpunkt doch bereits im Ungewissen, wer von ihnen in Zukunft weiter unterrichten und wer aus »politischen«, »sittlichen« oder musikalischen Gründen »beurlaubt« oder »entfernt« werden würde.189 In einem vertraulichen Schreiben des Einsatzkommandos der Sicherheitspolizei Luxemburg an den Chef der Zivilverwaltung Gustav Simon vom 10. April 1941 war die Rede von einer »durchgreifenden Reinigung der Anstalt«, die »unumgänglich notwendig« sei in einem »so zwiespältigen Land wie Luxem»Fräulein Koster ist frankophil …« (1940–1944)

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burg« (AVDL LU 11 NS_120 63–65). Hengst schrieb am 10. Dezember 1940 an den mit ihm befreundeten Vizepräsidenten der Reichsmusikkammer, Paul Graener, es müsse beim Personal »ziemlich radikal durchgegriffen werden […]. Wenn da aufgeräumt werden muss, so ist das menschlich hart, aber die Pflege deutscher Kunst steht schließlich höher als die Rücksicht auf einzelne Menschen« (AVDL LU 11 NS_240 13, 14). Der Oberbürgermeister beauftragte den von Graener vorgeschlagenen Hans Herwig, im Januar 1941 vor Ort eine zweieinhalbtägige Begutachtung des Konservatoriums vorzunehmen. Herwig legte am 18. Januar 1941 einen 14-seitigen Bericht vor, in dem er zu dem Schluss kam, dass »das Niveau dieser Anstalt weit über den Leistungen steht, die eine Musikschule oder ein Städtisches Konservatorium einer Stadt von 60.000 Einw. im Altreich aufzuweisen hat. […] Diese Musikalität ist offenbar eine naturgegebene. Sie mag rassisch bedingt und aus den besonderen Spannungen zu erklären sein, die der deutlich wahrnehmbare westische Rasseneinschlag dieser Bevölkerung im ursprünglichen rassischen Gleichgewicht bewirkt«.190 Er äußerte sich anschließend knapp im Einzelnen – und ausnahmslos wertschätzend – zu jedem Lehrer und jeder Lehrerin. Über »Luise Koster« schrieb er: »Fräulein Koster erteilt Elementarunterricht im Klavierspiel sehr korrekt und solide. Sie unterrichtet Kinder von 9 bis 12 Jahren mit Etüden von Czerny, Kinderstücken von Robert Schumann und Le Coupée.« (AVDL LU 11 NS_238 14) Herwigs positivem Bericht wie auch späteren brieflichen Stellungnahmen war es wohl zu verdanken, dass der Plan eines von verschiedenen Seiten erwünschten radikalen Durchgreifens durch Entlassungen nur in abgemilderter Form umgesetzt wurde. So schrieb Herwig abschließend in seinem Bericht: »Ich halte es für meine Pflicht, ganz entschieden davor zu warnen, das Konservatorium in seiner derzeitig bestehenden Form zu zerschlagen. Dazu sind die von der Anstalt unter Beweis gestellten künstlerischen Leistungen wirklich zu überragend. […] Im Altreich standen wir im Jahre 1933 häufig vor ähnlichen Situationen; auch da vertraten wir im allgemeinen den Standpunkt, Bestehendes, soweit es sich bewährt hatte, nicht zu zerschlagen, sondern auf organische Weise in die neuen Bahnen zu lenken. Das wird am hiesigen Institut auch ohne weiteres möglich sein: es möge bedacht werden, dass Musiker meistens politische Kinder sind. […] Ich bin überzeugt, dass man die willigsten Helfer aus ihnen machen wird, wenn man sie richtig anpackt.« (AVDL LU 11 NS_238 17)

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Herwig empfahl im gleichen Bericht, zur »endgültigen Klärung der politischen Fragen« die beiden mit der NS-Besatzung kollaborierenden Luxemburger Damian Kratzenberger, Landesleiter der Volksdeutschen Bewegung, und Alfons Foos, Vorsitzender der GEDELIT, zu hören. Am 20. Mai 1942 schrieb er privat an Hengst, er erhoffe sich für das Luxemburger Musikleben »eine weitmöglichste Unabhängigkeit […] von den Bestrebungen der Propaganda« (AVDL LU NS_236 14, 15). Am 12. März 1941 verfasste Herwig, der zu diesem Zeitpunkt zwar noch immer in Hagen weilte, aber ein weiteres Mal für ein paar Tage nach Luxem­burg gekommen war, ein zweites Gutachten über eine neue Gehälterordnung, deren Kriterium seiner Ansicht nach das Leistungsprinzip sein sollte. Auch in diesem Kontext fällt Kosters Name, diesmal allerdings mit geringerer Anerkennung: »Auch scheint es mir nicht gerecht zu sein, dass bei der Gruppe der lux. Lehrkräfte Herr Eiffes nur 167,68 RM und Frau Gallé nur 222,34 RM bekommen, während die Hilfslehrerin Dauphin 257,64 RM und die Hilfslehrerin Koster 260,54 RM erhalten. Wenn auch Herr Eiffes erst 26 Jahre alt, Frau Gallé erst 36 Jahre alt sind, so sind ihre Leistungen jedenfalls erheblich bedeutender als die Leistungen der 56-jährigen Hilfslehrerin Dauphin und der 51-jährigen Hilfslehrerin Koster. Da sollte also meiner Ansicht auch hier die Gehaltsfestsetzung nicht nur nach dem Lebensalter, sondern auch in erster Linie unter Berücksichtigung des Leistungsprinzips festgesetzt werden.« (AVDL LU 11 NS_424 2–5, hier: S. 4)

Warum Koster hier als Hilfslehrerin und nicht als Professorin, die sie nach dem Beförderungsexamen 1934 war, angeführt wird, ist nicht erklärlich. Das Einsatzkommando der Sicherheitspolizei verfasste – unabhängig von Herwigs Gutachten – am 22. März 1941 eine »politische Beurteilung der Lehrkräfte des Konservatoriums«. Dabei wurden aber die Lehrkräfte vielfach nicht nur politisch inspiziert, sondern im selben Zug auch »sittlich« und – von Nichtfachleuten – in musikalischer Hinsicht bewertet. Der Eintrag zu Lou Koster lautete hier: »Fräulein Koster ist frankophil und stark klerikal eingestellt. Sie wird fachlich als unfähig bezeichnet.« (AVDL LU 11 NS_120 59–62) Jean Heinisch erinnerte sich an Lou Kosters Situation in dieser Zeit und meinte: »Sie wurde am Konservatorium abgebaut.« (EI 10) Herwig, der schlussendlich im Mai 1941 seinen Posten in Luxemburg bekleidete, gelang es offensichtlich zwischen Frühjahr und Herbst, die Schülerzahl von 460 auf 615 anzuheben (AVDL LU 11 NS_405 3). Im Juli 1941 »Fräulein Koster ist frankophil …« (1940–1944)

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hatte die Landesmusikschule die Werbebroschüre »Musikschulwerk der Stadt Luxemburg« veröffentlicht, in der sie die Institutionen samt ihrer LehrerInnen, jeweils mit Fotografie, vorstellte und die Einschreibedaten bekannt gab. Eröffnet wurde die Broschüre mit einem Zitat von Adolf Hitler: »Die Kunst ist eine erhabene und zum Fanatismus verpflichtende Mission.« (Landesmusikschule 1941, S. 3) Und in einem knappen Grußwort formulierte Hengst die politische Mission des Musikschulwerks: »Seinen reinsten Ausdruck findet deutsches Wesen in der Musik. Deutsche Musik zu pflegen, ist die hohe Aufgabe des Musikschulwerks Luxemburg – eine schöne Aufgabe angesichts der so musikfreudigen Bevölkerung Luxemburgs.« (ebd., S. 5) Dass die am Konservatorium verbleibenden Lehrkräfte zur Umschulung nach Deutschland geschickt wurden, geht aus einem Artikel über eine Kollegin von Koster, die ebenfalls am Konservatorium wirkende Klavierpädagogin Maria Govers, im Luxemburger Wort vom 23. April 1949 hervor: »Als in der unseligen Zeit der deutschen Besatzung den luxemburgischen Künstlern und Intellektuellen eine ›Schulung‹ im Westerwald aufgedrängt wurde, weigerte sich Frl. Govers, deren gerader, aufrechter Sinn sich schon früher bei auftretenden Berufsschwierigkeiten bewährt hatte, an dieser Schulung teilzunehmen. Diese vornehme Haltung musste sie mit dem Verzicht auf ihr Amt bezahlen. So verdiente sie sich während des Krieges ihren Unterhalt mit Privatstunden.«

Für die »im Grunde immer noch dem Deutschen Wesen verständnislos, fremd und ablehnend gegenüberstehenden Luxemburger« stellte Herwig mit seinem neuen Städtischen Orchester eine Konzertsaison mit Abonnementkonzerten auf, organisierte 1942 in Luxemburg ›Beethoventage‹ und lud dazu die Pianistin Elly Ney ein, um Meisterklassen in der Landesmusikschule anzubieten (AVDL LU 11 NS_405 2–3). Das musikpolitische Ziel, das er damit verfolgte, hatte er am 29. Juni 1942 in dem Dokument »Gedanken über den bisherigen Musikaufbau in Luxemburg« verschriftlicht, dort heißt es weiter: »Auch hier muss wieder festgestellt werden, dass die Luxemburger in seltenem Maße musikalisch erregbar sind, eine Tatsache, die auch in politischer Hinsicht gar nicht hoch genug angeschlagen werden kann insofern, als es wohl kaum einen kürzeren und wirkungsvolleren Weg geben dürfte, den Luxem­burgern Deutsche Art tief und unauslöschlich in ihre Herzen einzubrennen, als den, sie immer wieder mit den Offenbarungen der großen Deutschen Meister der Töne an die Wurzeln ihrer Seelen zu packen.« (ebd.)

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Komponistinnenkonzerte in Luxemburg Hans Herwig lud im Rahmen der städtischen Konzerte 1941/42 bzw. der von ihm 1943 und 1944 organisierten ersten und zweiten Luxemburger Zeitgenössischen Musiktage immer wieder auch die deutsche Komponistin Johanna Senfter nach Luxemburg ein, wo eine ganze Reihe ihrer Kompositionen aufgeführt oder uraufgeführt und in ausführlichen Kritiken in der Presse besprochen wurden.191 Senfter, eine Schülerin von Max Reger, trat dabei gelegentlich als Interpretin der eigenen Werke auf. Im Tageblatt und im Luxemburger Wort sind insgesamt 36 Presseartikel zu diesen Aufführungen überliefert. Zu den Kompositionen, die in diesen Jahren in Luxemburg aufgeführt bzw. uraufgeführt wurden, gehören die Symphonie Nr. 7 f-Moll op. 84, das Violinkonzert Nr. 3 h-Moll op. 71, das Klavierkonzert g-Moll op. 90, die Violinsonate Nr. 4 g-Moll op. 32, eine nicht näher bezeichnete Sonate für Bratsche und Klavier sowie fünf Lieder.192 In den ersten Ankündigungen in der Presse wurde Senfter – wohl im Wortlaut von Herwig – als »in der gesamten Musikgeschichte der Welt eine Sondererscheinung« präsentiert, insofern »als sie bisher die einzige Frau ist, die auf musikalischem Gebiet in bedeutender Weise musikalisch schöpferisch ist. Ein gewaltiges musikalisches Lebenswerk dieser großen Meisterin liegt vor. Das Konzert für Violine und Orchester am kommenden Sonntag wird eine bemerkenswerte Probe ihrer großen Kunst darstellen.« Der deutsche Musikkritiker des Luxemburger Wortes, Arno Kupferschmidt, kündigte die ersten Konzerte mit Senfters Musik mit den folgenden Worten an: »Ist an sich schon der mutige Einsatz des Städtischen Musikdirektors Hans Herwig für die zeitgenössische Musik zu preisen, so vornehmlich auch deshalb, weil er vor dem Problem [!] der komponierenden Frau keineswegs zurückschreckte. Die wirklich schöpferische Komponistin – es gibt in Deutschland zurzeit etwa 50 Frauen, die komponieren – ist eine seltene Erscheinung. Die heute sechzigjährige Johanna Senfter, aus deren Schaffen wir eine Sonate und ein Konzert hörten, darf den Anspruch auf allerstärkste Beachtung erheben. […] Wenn man es nicht wüßte, man würde es nicht glauben, daß all diese Tonfolgen aus dem Innern einer Frau geschöpft wurden, so viel kämpferischer Trotz und männliches Aufbegehren gegen das Schicksal ist darin.« (LW 9.3.1942, S. 9)

Kupferschmidt entwickelte sich zusammen mit seinem Kritikerkollegen Prosper Schroeder im gleichen Blatt sowie Kate Comparini-Martin im Tageblatt »Fräulein Koster ist frankophil …« (1940–1944)

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rasch zu einem glühenden Bewunderer der Musik von Senfter, die als große, faustische und meisterhafte Kunst bezeichnet wurde. In den langen Beschreibungen ihrer ›gewaltigen‹, ›strengen‹, auf einer ›metaphysischen Ebene‹ sich situierenden und ›so recht aus unserer Zeit geborenen Musik‹ wurde weitgehend auf alle ansonsten in Kritiken von Musik von Komponistinnen häufige Verwendung von Geschlechterstereotypen verzichtet.193 Zuvor war in der luxemburgischen Presse zu keinem Zeitpunkt so viel und so ernsthaft über eine Komponistin und ihre Musik geschrieben worden. Besuchte Lou Koster die Konzerte, in denen Senfters Musik aufgeführt wurde? Las sie die Kritiken in der gleichgeschalteten Presse? Wie wirkten diese Konzerte und Kritiken wohl auf sie in dieser für sie als Komponistin so schwierigen Zeit? Neben den Kritiken zu Senfters Musik wurde das Thema Komponistin auch in weiteren Pressebeiträgen behandelt. Manche von ihnen waren in Konformität mit dem traditionellen nationalsozialistischen Frauenbild bzw. dem weit verbreiteten zeittypischen Bild, das man sich von einer Komponistin machte.194 So publizierte Wolfgang Grothe einen Beitrag über musikschaffende Frauen, in dem er ausgehend von der alten und oft wiederholten Sichtweise, Frauen hätten zwar ›nachschöpferisches‹, jedoch kaum eigenschöpferisches Talent, zu dem Schluss kommt: »Das musikalische Schaffen der Frau ist eigenwillig und daher nicht allgemeingültig, sondern etwas Persönliches. So erklärt es sich, daß die Anerkennung der Frau als Musikschaffende nicht von übermäßiger Bedeutung ist. Den Ruhm verdanken sie, wenn er über das Durchschnittliche hinausgeht, großenteils schon der Merkwürdigkeit, daß eine Frau komponiert.« Als Ausnahme lässt er Grete von Zieritz gelten, die »keine Komponistin mehr [ist], sondern ein Komponist, der zufällig eine Frau ist, möchte man sagen.« (T 15.4.1942, S. 6) Untypisch für die Zeit wurde indes der Schwäbische Komponistenpreis explizit für Komponisten und Komponistinnen ausgeschrieben (LW 11.6.1942, S. 2). In einer kurzen Pressenotiz wurde dem Geburtstag der deutschen Komponistin Lilly Rall gedacht (LW 10.11.1943, S. 2), und Hermann Matzke rezensierte die Aufführung eines Streichquartetts von Sophie Carmen Eckhart-Gramatté im Rahmen der Breslauer Schlosskonzerte (LW 11.11.1943, S. 4). Nicht immer standen deutsche Komponistinnen im Fokus. Adolph Meyer widmete der in Deutschland konzertierenden indischen Komponistin Majoie Hajàry, »diese dunkle, schlanke, schwarzäugige Frau am Flügel«, die in Amsterdam »beim bekannten friesischen Komponisten Cornelius Dockum« Komposition studiert hatte, einen langen, bewundernden Artikel (LW 12.8.1943, S. 4). Und am 15. Februar 1941 schrieb Christoph Walter Drey einen »Betörender Gesang« betitelten Gedenkbeitrag zu Francesca Caccini als Sängerin und Kom150

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ponistin. Keiner der Beiträge zum Thema widmete sich in dieser Zeit dem kompositorischen Schaffen einer Luxemburgerin. Die Akte Lou Koster im Rahmen der ›politischen Säuberung‹ nach dem Krieg Im Rahmen der Entnazifizierung wurden ab dem 30. November 1944 konsequent auch alle Staats- und Gemeindeangestellten einem Überprüfungsverfahren unterzogen. Im Nationalarchiv existiert im betreffenden Bestand ›Épuration‹ also auch eine in Französisch verfasste Akte zu Lou Koster (Anlux EPU-01-10549, F). Da die Musikerin offensichtlich nicht unter Kollaborationsverdacht stand, umfasst sie neben dem obligatorisch auszufüllenden Fragebogen nur zwei weitere Dokumente. Der Fragebogen ist von Interesse, da er Informationen über Kosters Leben und ihre politische Einstellung in den Kriegsjahren enthält. Sie berichtete, – »mit meinen Kollegen« – Mitglied der Kulturkammer sowie Aushilfsmusikerin im Städtischen Orchester gewesen zu sein und an von den Besatzern organisierten Auslandstourneen des Orchesters teilgenommen zu haben: »Als Violinistin spielte ich im Städtischen Orchester, in diesem Rahmen war ich gezwungen, an politischen und künstlerischen Veranstaltungen teilzunehmen.« Sie gab zudem an, wenn auch kein Mitglied, so doch »Anwärterin« der Volksdeutschen Bewegung (VdB) gewesen zu sein, präzisierte aber, ihren Antrag erst »6 Monate nach dem kollektiven Antrag meiner Kollegen« gestellt zu haben, möglicherweise unter dem Druck, anderenfalls ihre Stelle am Konservatorium zu verlieren. Im Zusammenhang mit dem Generalstreik vom 2. September 1942 erzählte sie: »Um diese Zeit stürmte ein Delegierter des Oberbürgermeisters Hengst in meine Klasse und fragte mich, warum ich die Nadel der VdB nicht trüge. In Anwesenheit meiner Schüler und anderer Personen erklärte ich, dass ich als Luxemburgerin dieses Abzeichen nicht tragen würde«. Dem fügte sie etwas weiter unten hinzu: »Ich trug die VdB-Nadel zu keinem Zeitpunkt, weder bei Konzerten noch bei politischen Veranstaltungen. Stattdessen steckte ich stets die Medaille Unserer Lieben Frau, in den Nationalfarben, an meine Kleider an.«195 Nach dieser Tat erhielt Koster vom Oberbürgermeister eine Vorladung: »Man drohte mir mit Deportation.« Befragt nach direkter oder indirekter Verweigerung von Kollaboration antwortete die Musikerin: »Ich verweigerte den Deutschen [›Boches‹] meine moralische Unterstützung, indem ich nicht ins Theater ging, obwohl

»Fräulein Koster ist frankophil …« (1940–1944)

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ich häufig eingeladen wurde, und auch keine Konzerte besuchte, wenn ich nicht spielte.« Neben der Darlegung dieser Akte der stillen Verweigerung berichtete Koster: »In dieser gefährlichen Zeit, in der jene, die geflüchteten alliierten Gefangenen zu Hilfe kamen, offiziell mit Gefängnis, Zwangsarbeit und gar Tod bedroht wurden, haben meine Mutter und ich zwei französische Soldaten beherbergt. Ich wusste nicht, wie ich ihnen helfen konnte, aber es ist mir nach so manchen Schritten und einigem Hin und Her dennoch gelungen. Sie konnten die Grenze überqueren und nach Frankreich zurückkehren. Aus Vorsicht fragte ich sie nicht nach ihren Namen. Als Zeuge kann ich J.P. Helminger […] nennen. […] Ich habe regelmäßig einen Teil meines Monatsgehalts – 200 bis 500 Franken – gespendet, um unseren unglückseligen Zwangsverschleppten zu helfen. Meine Vertrauensperson, Herr Haler aus Klein-Bettingen, kaufte für dieses Geld Medikamente […], die er nach Deutschland schickte.«

Den Bogen unterzeichnete die Komponistin am 8. Juli 1945. Ihm liegt eine am 19. September 1945 gemeinsam unterschriebene Erklärung von Jean-Pierre Schmit und Nicolas Schuh bei, in denen die beiden Musiker die »patriotische Gesinnung« der Musikerin während der Besatzungszeit bestätigten. Nach Begutachtung des Bogens und Anhörung eines mündlichen Berichtes des Kommissionsbeisitzenden Jean-Pierre Schmit wurde Lou Koster in einem von der Fünften Untersuchungskommission am 5. November 1945 unterzeichneten Schriftstück freigesprochen.

»Wann werde ich gesungen?« (1944–1959) Nach vierjähriger NS-Besatzungszeit konnte ab Herbst 1944 allmählich auch die kulturelle und musikalische Wiederaufbauarbeit in Luxemburg beginnen. Nach der vorläufigen Befreiung des Landes durch die US-Armee im September – die Ardennenoffensive brachte allerdings das Kriegsgeschehen vom Dezember 1944 bis Januar 1945 erneut in den Norden des Landes – proklamierte das Luxemburger Wort sich in der Ausgabe vom 11. September wieder zum »Porte Parole vun de Letzeburger Gefiller a Manifestatio’nen« (»Sprachrohr der Luxemburger Gefühle und Äußerungen«). Zwei Tage später erschien auch das Tageblatt wieder »am âle Costume!« (»im alten Kostüm!«), wie es auf der ersten Seite heißt. Beide Tageszeitungen veröffentlichten ihre 152

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Texte ab diesem Tag für eine Zeitlang in luxemburgischer Sprache, was vor dem Krieg nicht üblich gewesen war. Den Umständen entsprechend – den kriegsbedingten Sachschäden, dem Elektrizitätsmangel sowie der Tatsache, dass viele der Journalisten noch im Exil waren oder im Krieg verstorben waren – blieben beide Tageszeitungen vorerst auf nur zwei, ausnahmsweise vier Seiten beschränkt, und keine konnte sich in dieser Zeit einen Kulturteil oder eine Musikbeilage leisten. Sporadisch erschienen knappe kulturelle und musikalische Nachrichten, die darüber informierten, dass Vereine – nach einer vierjährigen »›gewollten‹ Ruhe« (T 26.9.1944, S. 4, L) – ihre Tätigkeit, mit alten und neuen Mitgliedern, wieder aufnahmen.196 Die Chorale mixte ›D’Hemecht‹ war erst im Krieg gegründet worden, und zwar von »ein paar kunstbegeisterten Jungen und Mädchen aus dem Konservatorium, die neben den Mysterien und Oratorien von ›Hans‹ [Hans Herwig] die schöne luxemburgische Musik und Lieder nicht vergessen hatten«; sie gab bekannt, als »gut geschulter Gesangverein«, die Chortätigkeit weiterführen zu wollen (T 15.12.1944, S. 3, L). Das Musikleben war in den ersten Wochen und Monaten nach dem Krieg von einigen Freiluftkonzerten und musikalischen Umzügen der luxemburgischen Militärmusik, amerikanischer Kapellen, der Letzeburger Stâdmusek und national-repräsentativen Veranstaltungen geprägt, bei denen patriotische Neukompositionen einiger Luxemburger Komponisten – Kosters Name war nicht dabei – uraufgeführt wurden.197 Für manch patriotisches Werk wurde geworben oder dessen Partitur sogar in der Zeitung abgedruckt.198 Das hauptstädtische Konservatorium informierte darüber, dass nach der Sommerpause ab dem 25. September die Kurse wieder angeboten würden – ohne dass dies besonders hervorgehoben wurde: erneut unter luxemburgischer Leitung (LW 22.9.1944, S. 3). Am 13. Oktober wurde der von der NS-Besatzung entlassene Direktor Lucien Lambotte wieder ins Amt gesetzt und das von Hans Herwig gegründete Städtische Orchester vom Schöffenrat aufgelöst (Conservatoire de Musique 1981, S. 107). Zu Lou Kosters kompositorischer Tätigkeit gibt es für die Zeit nach dem Krieg bis 1959 kaum Informationen und Quellen. Die in dieser Zeit früheste und bis 1959 einzige Datierung eines Manuskriptes befindet sich auf der handschriftlichen Partitur des Marsches für Blasorchester La Joyeuse (»22. Dezember 1950«), die im Archiv der Militärmusik aufbewahrt wird.199 Ob oder wie häufig die Militärkapelle den Marsch spielte, auch dazu gibt es keine Belege. Wie Paul Aschman berichtete, spielte ihm die Komponistin den Marsch in der Klavierversion bereits ein halbes Jahr vor der Datierung auf der fertiggestellten Partitur vor: »Ihren Letztgeborenen [Marsch] führte »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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sie uns vor: ›La Joyeuse‹, lustig, spritzig, zündend und doch elegant. Vielleicht spielt ihn nächstens die Militärmusik auf dem Paradeplatz.« (Aschman, 16.9.1950, R) Vereinzelte Anmeldebestätigungen der SACEM befinden sich im Nachlass. Eine davon hält fest, dass am 20. Dezember 1957 sieben Lieder regis­ triert wurden: A l’aube (= Chantant tout bas), Tournois, Illusions, Berceuse (=  Garde ton cœur encor), die sie zwei Jahre später unter dem Titel Quatre mélodies bei Schott Frères veröffentlichte, Des cendres encor’ chaudes, das ebenfalls separat 1959 im selben Verlag erschien, sowie La chapelle du village, das ohne Datum in Luxemburg bei Michel Kieffer-Binsfeld publiziert wurde.200 »1959« tragen als Druckdatum zwei weitere, diesmal im Letzeburger Vollekslidder-Verlag (Michel Kieffer-Binsfeld) erschienene Lieder: die WillyGoergen-­Vertonungen Eng Baureléift und E Kannerliddchen. Der Nachlass enthält keine Konzertzettel oder -einladungen aus der Zeit nach dem Krieg bis 1958. Nach vier Jahren Stillschweigen taucht Kosters Name zwar ab 1945 wieder in der Presse auf, wenn auch im Vergleich zur Vorkriegszeit äußerst selten. Für die 15 Jahre zwischen 1944 bis 1958 sind für insgesamt 21 Aufführungen Pressebelege erhalten, sie geben einen Einblick, in welchem musikalischen Umfeld ihre Musik in dieser Zeit zu Gehör gebracht wurde.201 Meistens handelt es sich um Ankündigungen oder knappe Berichte von Veranstaltungen, die selten von professionellen Musikern und Ensembles, sondern in erster Linie, wie dies bereits für die 1930er Jahre festgestellt wurde, von Amateurmusikvereinen oder SchülerInnen dargeboten w ­ urden.202 Nur bei einem Konzert wurden ihre Lieder von einer professionell geschulten Solistin interpretiert: 1948 veranstaltete die Letzeburger Stâdmusek ein »patriotisches Konzert« zum Jahrestag der Befreiung, bei dem die damals in Luxemburg renommierte Mezzosopranistin Aldy Keyseler zwei Willy-­ Goergen-­ Vertonungen von Lou Koster, Beim Nélchesstack und Rëngel di Ro’sen, in einer heute verschollenen Version für Solistin und Blasorchester darbot (LW 10.9.1948, S. 4). Aldy Keyseler war die Tochter von Joseph Keyseler, Lou Kosters ehemaligem Violinlehrer. Sie hatte am Konservatorium in Brüssel Gesang, Phonetik, Diktion und Klavierbegleitung studiert. An abendfüllenden Werken gelangten 1946 die an sechs verschiedenen Orten aufgeführte Operette An der Schwemm und 1950 das Legendenspiel Das Krönlein der Muttergottes zur Aufführung.203 Ihre Orchestermusik wurde von zwei Ensembles gespielt, dem Cercle symphonique204 und dem Kammerorchester der Herz-Jesu-Kirche. Letzteres bot am 13. Februar 1949 im Gasthof Hôtel du Vieux Châteaux in der Kleinstadt Wiltz zwei gut besuchte Konzerte 154

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an, bei denen neben Werken von Corelli, Händel, Grieg und Wagner einige Kompositionen luxemburgischer Komponisten, so auch von Lou Koster, aufgeführt wurden. Welche Stücke gespielt wurden, ist nicht überliefert: »Erwähnen wir, daß Fräulein Lou Koster sowohl für ihre Kompositionen als auch für die Leistungen ihrer Schüler beglückwünscht wurde und ein höchst befriedigtes Publikum den Wunsch äußerte, des öfteren solche musikalischen Darbietungen in den Rahmen der winterlichen Veranstaltungen eingeschaltet zu sehen.« (LW 10.2.1949, S. 5 und 16.2.1949, S. 4) Dieses kurz nach dem Krieg gegründete Orchester stand unter der Leitung des Militärmusikers Pierre Schonkert und gestaltete einmal im Monat den sonntäglichen Gottesdienst in der Herz-Jesu-Pfarrei in Stadt Luxemburg musikalisch aus. Lou Koster, wie auch ihr Bruder Fernand, spielten im Orchester mit. Bei den meisten Konzerten wurden nur ein paar Lieder oder Chöre gesungen. So standen 1948 bei einer vom Verein Hémechtstheater für die Schulkinder der Stadt Luxemburg organisierten Veranstaltung »ferner auf dem Programm« »lustige Liedchen« u.a. von Koster, und am 6. Februar 1949 trugen die SchülerInnen der Solfeggio-Klassen des Konservatoriums drei »recht nett und klanglich sehr gefällig von Prof. Louise Koster vertont[e]« Chorlieder vor (LW 2.12.1948, S. 4; LW 8.12.1948, S. 4; T 10.2.1949, S. 5). Wie befragte Freunde und Verwandte von Koster übereinstimmend berichteten, wurde Kosters Musik im Konservatorium nur äußerst selten aufgeführt.205 Für die gesamte, fast 40-jährige Zeit ihrer Tätigkeit dort wurden tatsächlich nur fünf Belege gefunden, die von Aufführungen im Rahmen von Schülerkonzerten berichten.206 Warum Nathalie Oretchkevitch, die von 1946 bis 1948 Kosters Klavierklasse besuchte, zu der Zeit nicht wusste, dass die Lehrerin auch Komponistin war, versteht man vor diesem Hintergrund besser.207 Einige ihrer Kollegen setzten sich außerhalb des Konservatoriums für ihre Musik ein. Zu ihnen gehörte der bereits erwähnte Nicolas Schuh, der seit 1937 Gesangs- und Solfeggiolehrer am Konservatorium und selbst auch Komponist war und als Chorleiter diverser Amateurchöre regelmäßig Chorstücke von Koster in seine Programme aufnahm. Manche Konzerte waren ›patriotische‹ Veranstaltungen. So ist der einzige Konzertbeleg im Jahr 1947 die Kritik eines literarisch-musikalischen Abends der Letzeburger National-Unio’n, bei dem neben der Rezitation von »schmantig-sentimentalen«, »altmodischen« Texten wie »konzentriert schlichter, verinnerlichter Lyrik« auch einige »Kompositionen von Albrecht, P. Faber, E. Goebel, V. Goldschmidt, Hülsemann, Lou Koster u. H. Pensis« aufgeführt wurden. Nach dem Krieg verfolgte der nationalistische Verein unermüdlich sein Ziel weiter, dem »Eigenvolk auch in eigener Dialektdichtung den spezi»Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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fischen Ausdruck unseres eigenen luxemburgischen Seelenlebens« zu geben. Dass nicht nur die Rezitation, sondern auch die musikalischen Darbietungen dabei zu wünschen übrig ließen, liest man aus dem Schlusssatz der mit N.M. unterzeichneten Kritik: »Um solchen Veranstaltungen in Zukunft die Reichhaltigkeit und das Niveau zu sichern, die allgemein heute verlangt werden, müssten Sänger und Vortragskünstler zur Perfektion und letztem Schliff herankultiviert werden. Das beansprucht wohl einen, oh so bescheidenen Posten im Kulturbudget. Wenn es darum geht, unserer Volksseele in künstlerischer Form ihre Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen, dürfen ein paar lumpige graue Scheine nicht zählen, die ja sowieso nur Tropfen im Ozean unserer Milliardenbudgets sind.« (T 16.4.1947, S. 4)

Nur ein einziger Pressebeleg berichtet von einem Auftritt Kosters als Instrumentalistin: Im Sommer wird sie als Klavierbegleiterin bei einem Benefizkonzert erwähnt (LW 16.8.1945, S. 3). Félix Steinberg erinnert sich, Koster habe gelegentlich Orgel gespielt: »Sie scheute keinen Augenblick davor zurück, ihren Kollegen, den unvergesslichen Michel May, an der Orgel der Herz-Jesu-Kirche zu ersetzen, wenn dieser verhindert war und zog an Festtagen alle Register, um mit einem Schlag den Staub in den letzten Winkeln zu vertreiben.« (Steinberg, Winter 1989, CA) Nach Jean Heinisch wirkte sie in dieser Pfarrei auch als Pianistin und Violinistin bei Theateraufführungen der katholischen »Guiden« mit (EI 10). Von 1944 bis 1958 befasste sich kein Musikkritiker mit ihrer Musik, bis auf eine einzige Ausnahme: Am 1. Dezember 1958 veröffentliche der Grundschullehrer, Komponist, Schriftsteller und Sänger Chrétien Clement-­ Kintzelé in der Lehrerzeitung Journal des Instituteurs eine längere Bespre­ chung ihrer Lieder unter dem Titel »Lou Koster, ein beachtenswerter Liederkomponist«. In dem Beitrag analysiert er ihre Vertonungen »meist geschlechtslose[r] Dichtungen« und ihre »Tonsprache«, indem er Beispiele dafür gibt, wie sie in ihren Liedern mit Rhythmus, Dynamik, Harmonik, Melodik, Klavierbegleitung arbeitet (Clement, 1.12.1958, JI). Am 16. September 1950 hatte die Wochenillustrierte Revue in der Reihe »Letzeburger Leit« einen Beitrag über Lou Koster publiziert (Aschman, 16.9.1950, R). Dieses erste Porträt, das ein Presseorgan der mittlerweile bereits 61-jährigen Komponistin widmete, wandte sich an das breite Publikum und war keine musikkritische Besprechung ihrer Kompositionen. Der eine Seite mit Foto umfassende Artikel basierte auf einem Gespräch von Paul 156

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

Aschman mit der Komponistin. Aschman arbeitete, nach seinem Studium der Fotografie in Vevey (Schweiz), seit August 1949 bei der Revue als Fotoreporter, ab 1967 wurde er dort Chefredakteur.208 Gleich im Eingangsabschnitt macht er die Perspektive, aus welcher er Koster präsentierte, unmissverständlich klar und greift dabei auf vor allem im 19. Jahrhundert weit verbreitete Ansichten zurück: »Die Natur hat den Frauen im allgemeinen wenig schöpferisches Talent auf musikalischem Gebiete gegeben, dagegen sind sie als Interpretinnen den Männern technisch ebenbürtig und manchmal sogar an Einfühlungsvermögen überlegen. Überragende Komponistinnen von Weltbedeutung, die es mit den Giganten der hehren Kunst aufnehmen könnten, kennt man keine. Unser Land hat manche Musikschreibende hervorgebracht, die Werke einiger weniger werden in den Nachbarländern ab und zu aufgeführt, bis jetzt aber schreibt nur eine Luxemburgerin [die Komponistin Helen Buchholtz scheint dem Journalisten also komplett unbekannt zu sein] mit Erfolg Lieder und kleinere Orchesterwerke: Lou Koster.«

Auch in der weiteren Wortwahl wird deutlich, dass hier ein weiblicher Komponist, und zwar aus dem Blickwinkel des traditionellen weiblichen Rollenbildes der 1950er Jahre, porträtiert werden sollte. Das Gespräch wird als eine »Plauderei« bezeichnet, das Treffen findet »in ihrem trauten Heim« statt: »Matt fiel das letzte Tageslicht durch die Vorhänge und die Blumenstöcke auf den ebenholzschwarzen Flügel, die altersgebleichten Haare der musikbegabten Frau, auf ihre Hände, die sanft und etwas wehmütig über die Tasten glitten, manchmal aber auch mit Gewalt Akkorde anschlugen, wie eindringlich mahnende Klänge. Etwas vornübergebeugt saß sie da, während sich auf ihren guten Gesichtszügen die Musik, ob traurig oder freudig, widerspiegelte, die sie mählig, mählig [sic] aus den Saiten hervorzauberte. [Es folgen einige Titel der Lieder für Stimme und Klavier, die sie Aschman an diesem Tag vortrug.] Wirklich schade, dass solche lieblichen und herzenstiefen Musikwerke nicht öfters von Gesangvereinen auf den Notenständer genommen werden.«

Etwas dissonant in diesem beschaulichen Porträt wirken lediglich die »gewaltigen Akkorde«. Auch der Satz »Man bedenke, eine Frau die Marschmusik schreibt!« zeigt, dass die Frau nicht vollkommen ins vorgefasste Bild zu passen schien. Nach der langen Eingangsbeschreibung, die eine ganze Spalte einnimmt und den Rahmen für die Lektüre und die Interpretation des Fol»Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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genden zu setzen sich bemüht, folgt in den zwei verbleibenden Spalten ein knapper Abriss, der einige Punkte der Biografie streift: die familiäre Herkunft, das häusliche Musizieren, die ersten Kompositionen, die Aktivität als Stummfilmmusikerin, die Publikation von Liedern im Verlag Schott Frères, die öffentliche Ehrung durch die Verleihung eines staatlichen Ordens. Einen Absatz widmet Aschman der Frage, »wie so ein Musikstück entsteht«, und lässt die Komponistin den Kompositionsprozess beschreiben: »Es kommt ganz auf die Musikalität des Textes an, sagte die Komponistin. ›Oft strömt mir beim ersten Lesen, die Musik förmlich entgegen aus den Versen.‹ Sie zeigte ein Gedichtbändchen von Nik. Welter, in dem feine Notenpünktchen und -beinchen die Stellen unter und über den Versen bedeckten. Eine gewisse Stimmung ist notwendig, oft schreibt sie tagelang keine einzige Note, während sonst die Sätze nur so auf sie einstürmen. Am wohlsten fühlt die Komponistin sich in der freien Natur, drunten auf der ›Hèdeköppchen‹ bei Pulvermühl, inmitten der säuselnden Birken. Was sich zuerst einstellt beim Komponieren ist der Rhythmus, dann findet sich die Tonart, die Melodie formt sich und zuletzt die Begleitung, die Lou Koster sorgfältigst pflegt. Im Gegenteil zu vielen Kollegen, arbeitet sie nie am Klavier. Von allen Tonarten bevorzugt sie zu ihren Liedern die dunklen Moll-Sonoritäten.«

Der Tonfall dieses Beitrags, die wenigen Konzerte, das Desinteresse seitens professioneller InterpretInnen und die kaum vorhandene Presserezeption müssen vor dem Hintergrund der damaligen Stellung der Frau in Gesellschaft, Arbeitswelt, Politik und Kultur betrachtet werden. Die 1950er Jahre waren auch in Luxemburg, so die Historikerin Renée Wagener, ein »Gang durch die Wüste«, ein »frauenpolitisches Ödland«: »Die Frauenrechtlerinnen haben resigniert und versuchen oft nicht einmal ihre während der Naziherrschaft zerstörten Organisationsstrukturen wiederherzustellen. […] Die 50er Jahre vermitteln das Bild einer Gesellschaft, die der öffentlichen Aktivität von Frauen kaum Wichtigkeit beimisst, wenn sie ihr nicht gar ablehnend gegenübersteht.« (Wagener 2010/2, S. 177 f.) Lou Koster gehörte damals nicht nur zu den wenigen Künstlerinnen in Luxemburg, sie war auch Teil der Minorität berufstätiger Frauen, denn nach dem Krieg, so Wagener, war auch in Luxemburg die weibliche Erwerbstätigkeit kontinuierlich zurückgegangen, um am Ende der 1960er Jahre schließlich ihren Tiefststand zu erreichen. Das Gehältergesetz der Staatsbediensteten hielt noch 1954 fest, dass Frauen bei Staat und Gemeinden – dies betraf also direkt auch Koster, da sie als Lehrerin am Konservatorium Angestellte 158

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der Gemeinde war – zehn Prozent weniger verdienten als Männer.209 Die gesetzliche Lage sah bis 1972 immer noch vor, dass verheiratete Frauen nur mit Erlaubnis ihres Mannes erwerbstätig werden konnten. Das konservative Bild der Frau als Mutter und Hausfrau wurde in dem von der Christlich Sozialen Volkspartei (CSV) regierten Land allerorten propagiert, so beispielsweise 1955 vom CSV-Politiker Léon Bollendorff: »Wir stellen uns die Frau nicht vor als marschierendes Weib mit Flinte und Revolver oder als Fabriksklavin mit Hammer und Zange. Auch das Pinupgirl mit seiner erotischen Aufmachung ist nicht unser Ideal. Wir denken eher an die Bilder wie Raffael sie gemalt hat: die Mutter mit dem Kindlein auf dem Arm.«210 Auf die Veröffentlichung von Simone de Beauvoirs Le deuxième sexe (1949) scheint in Luxemburg nur die konservative Seite öffentlich reagiert zu haben: In der Generalversammlung der Alliance Catholique des Femmes Luxem­bourgeoises hielt die spätere CSV-Politikerin und Kulturministerin Madeleine Frieden-Kinnen einen Vortrag zum Thema ›Frauenprobleme in unserer Zeit‹, der im Kern eine Kritik von de Beauvoirs Text war, wie aus der Zusammenfassung des Vortrags im Luxemburger Wort herauszulesen ist: »Wie die Frau selbst das schwerste Problem ist, beweist sie [M. Frieden-­ Kinnen] in gut dokumentierten Ausführungen. Klar und scharf zeichnet sie das Bild der antichristlichen Frau, das Simone de Beauvoir in ihrem Buche ›Le deuxième sexe‹ geschildert hat und in welchem sie zu schreiben wagt: ›on ne naît pas femme, on le devient.‹ […] Der anhaltende, starke Applaus seitens der Versammlung bewies am deutlichsten, wie sehr hier die feinsten Saiten der Frau berührt wurden.«211

In diesem Kontext stellt sich die Frage, wie Kosters Kolleginnen rezipiert wurden. In Luxemburg komponierte zu dieser Zeit allein Helen Buchholtz ebenso kontinuierlich und in einem vergleichbaren Umfang wie Koster. Bis zu ihrem Tod am 22. Oktober 1953 hatte sie dies in größter Isolation getan. Obwohl sie bestrebt war, ein Publikum für ihre Werke zu finden, wurde ihr Schaffen von der Luxemburger Musikwelt und Presse kaum beachtet. Bis auf sehr wenige Ausnahmen wurden ihre Kompositionen weder rezensiert noch öffentlich aufgeführt. Sogar in der eigenen Familie stieß ihr Komponieren auf Befremden. Der Neffe François Ettinger konnte die nach ihrem Tod bereits von der Familie in Säcke verpackten Partituren gerade noch in letzter Minute vor dem Feuer retten und brachte sie für nahezu 50 Jahre in seiner Privatwohnung im Keller unter. Erst im Jahr 2000 wurden sie der Öffentlich-

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keit zugänglich, heute gehört Buchholtz zu den bekannteren Komponisten in Luxemburg.212 Weitere Frauen, die zu Kosters Lebzeiten in Luxemburg komponierten, waren Anne Joséphine Schmoll, Frieda Salomon-Ehrlich, Alice GalléMenager, Thérèse Spedener, J. Montfort-Govers, Madeleine Moyen-Beicht, Madeleine Marson-Steichen und Béby Kohl-Thommes.213 Das kompositorische Schaffen dieser Frauen ist nicht so umfangreich und vielfältig wie das von Koster und Buchholtz, manche scheinen nur gelegentlich komponiert zu haben oder ihre Kompositionen haben möglicherweise nicht oder kaum überlebt. Einige von ihnen schrieben vor allem Lieder (Madeleine MarsonSteichen, Frida Salomon-Ehrlich) oder Kinderlieder (Alice Gallé-Menager, Béby Kohl-Thommes). Alle aber prägten in vielfältiger Weise das regionale Musikleben – doch ihr Leben und ihr musikbezogenes Handeln wurde bisher noch nicht bzw. kaum erforscht. Private Ereignisse in den 1950er Jahren Am 5. Mai 1950, nur wenige Tage vor dem Erscheinen des Beitrags von Paul Aschman in der Revue, war Lou Kosters Mutter gestorben, mit der die Komponistin bis dahin zusammengelebt hatte. Das Luxemburger Wort widmete ihr einen Nachruf, in dem ihr ausschließlich als Tochter von Franz Ferdinand Hoebich, Witwe von Jean Koster und Mutter gedacht wurde: »[…] Mit Frau Koster-Hoebig [sic] verschwindet demnach eine der letzten direkten Zeuginnen unseres frühzeitigen Musikgeschehens und ihre sämtlich in gehobenen Stellungen befindlichen Kinder, von denen lediglich die älteste Tochter, Frl. Lou Koster, Professorin am städtischen Musikkonservatorium, der musikalischen Überlieferung treu geblieben ist, können nur noch die von ihrem Großvater vorgenommene musikalische Saat, in ihrer allerschönsten Entwicklung und harmonischen Pracht bewundern. Das Andenken von Frau Koster-Hoebig [sic] und ihres Vaters, dem Begründer unserer Militärmusik, wird in aller Ehre gewahrt bleiben.« (LW 12.5.1950, S. 4)

Wie Al Schmitz berichtete, besuchte Lou Koster noch bis ins hohe Alter jeden Sonntag, zusammen mit ihrem Bruder Fernand, das Grab der Eltern (Schmitz, 17.5.1969, T).214 Laure Koster war zum Begräbnis der Mutter aus Belgien angereist. In Luxemburg angekommen, erlitt sie einen schweren Nervenzusammenbruch, der zur Lähmung ihrer Beine führte. Grund waren 160

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offenbar Eheprobleme. Aufgrund der erzwungenen Aufgabe seiner eigenen künstlerischen Laufbahn neigte ihr Mann zu heftiger Eifersucht, ausgelöst durch die früheren Erfolge seiner Frau, die nach ihrer Ehe allerdings ohnehin fast nur noch als Hausfrau tätig war. Laure Koster räumte ihre sämtlichen Schwimmdiplome auf den Speicher und übernahm, wenn das Ehepaar zusammen musizierte, stets freiwillig die zweite Stimme, obwohl sie nach eigener Aussage die bessere Cellistin war: »Ihr wisst, Männer müssen immer die erste Rolle spielen! Was macht man nicht alles aus Liebe! Das war so, damals. Ich hatte gar nichts zu sagen. Ich war untergeordnet, mein Leben lang.« (EI 8) Interessant ist in diesem Kontext, dass Lou Koster den beiden Cellisten drei Duette für zwei Celli schrieb, von denen es zwei Abschriften mit unterschiedlichen Titeln gibt: Trois mélodies pour Cilly et son violoncelle – 1er Violoncelle / Trois mélodies pour Lory et son violoncelle – 2me violoncelle. Lou Koster ließ Cyrille Bodson also auch ›die erste Geige spielen‹. Laure Koster konnte und wollte nicht mehr nach Brüssel zurück. Die Schwester bot ihr an, bei ihr zu wohnen. Der behandelnde Arzt riet ihr, sich der Musik wieder zuzuwenden und Cello zu spielen, was sie auch tat. Sie kam allmählich zu Kräften und bewarb sich mit Erfolg beim Orchester Radio Luxemburg. Zu dem Zeitpunkt war aber keine feste Anstellung möglich, sie wurde für Konzertauftritte auf Honorarbasis bezahlt. Dass Pensis ihr, wenn der erste Cellist ausfiel, das erste Pult anvertraute, zeigt, wie sehr er die Musikerin schätzte. Laure Koster überlegte, ob sie die Scheidung einreichen sollte, bot dann aber ihrem Mann an, nach Luxemburg zu kommen und sich ebenfalls beim Orchester zu bewerben. Den schwer errungenen Freiraum, sich professionell der Musik widmen zu können, wollte sie nicht noch einmal aufgeben. Cyrille Bodson ging auf den Vorschlag ein und spielte bis 1958, zu den gleichen Bedingungen wie seine Frau, im Orchester. Nach dem Tod von Henri Pensis, 1958, traten beide in den Ruhestand und verlegten ihren Wohnsitz wieder nach Brüssel. Ihr letztes Konzert mit dem Orchester fand am 19. Mai 1958 im Rahmen der Expo 58, der Weltausstellung in Brüssel, statt. Neben Beethoven und Kodály stand das 1. Klavierkonzert von Tschaikowsky, mit dem Solisten György Cziffra, auf dem Programm. In Brüssel verlor Laure Koster, wie sie selbst erzählt, wieder den Kontakt zur Musik. Aus Rücksicht auf ihren Mann hörte sie bis zu dessen Tod erneut mit dem Cellospielen auf. Um sich die Zeit zu vertreiben, ging die frühere Olympiaschwimmerin regelmäßig ins Schwimmbad und machte eine Ausbildung als Uhrenmechanikerin, die ihr viel Freude bereitete. Nach dem Tod ihres Mannes und ihres Sohnes lebte sie allein in der belgischen Hauptstadt. Im Frühjahr 1999 gab sie ihre Wohnung in Brüssel auf, kehrte nach Stadt Luxem­ »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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burg zurück und nahm die luxemburgische Staatsbürgerschaft wieder an. Sie starb am 22. Oktober 1999. Bis etwa zwei Jahre vor ihrem Tod spielte sie täglich eine Stunde Cello, »jeden Tag eine Suite von Bach«, und zwar auf dem Instrument, das dem Großvater gehört hatte (EI 8). Danach zwang ein Herzleiden sie zum Aufhören. Ihr Cellospiel hatte, wie eine private Audioaufnahme vom Dezember 1997 belegt, auch im hohen Alter noch Kraft und Musikalität.215 Lou Koster und Radio Luxemburg in der Nachkriegszeit Die Musik von Lou Koster wurde nach dem Krieg wieder bei Radio Luxem­burg gespielt. Ob in vergleichbarer Frequenz wie in den 1930er Jahren, ist nicht festzustellen, da die Radioprogramme nur noch sehr unregelmäßig in der Presse publiziert wurden und im Allgemeinen wesentlich knapper gefasst waren.216 Nur selten informierten sie über die Musik, die gespielt wurde, meistens beschränkten sie sich auf die Nennung der Titel von Sendungen. Mitunter wurden besondere Sendungen über separate Pressemitteilungen, die in dem Fall auch über den Inhalt informierten, angekündigt. Am 22. Mai 1944 hatte die luxemburgische Regierung einen Vertrag mit dem Supreme Headquarters, Allied Expeditionary Force (SHAEF), dem Hauptquartier der alliierten Streitkräfte in Nordwesteuropa, unterzeichnet, in dem festgehalten wurde, dass vorerst die alliierten Streitkräfte Radio Luxem­burg übernehmen und als Teil der Psychological Warfare Division (PWD) politisch nutzen sollten. Obwohl die Nationalsozialisten vor ihrem Abzug am 1. September 1944 einen Großteil der Archive und auch der technischen Installationen zerstört hatten, konnte die neue Programmleitung unter William Hale bereits ab dem 22. September erste Testsendungen ausstrahlen (T 22.9.1944, S. 2). Am 23. September veröffentlichte das Luxemburger Wort das vorläufige Tagesprogramm »unseres wiedererstandenen Senders« in einem Artikel mit dem Titel »Hei ass Radio-Letzeburg«. Die Sendungen waren abwechselnd in englischer, deutscher, französischer und tschechischer Sprache. Den Schwerpunkt bildeten Übertragungen aus England und Amerika. Über den Tag verteilt wurden vier ›Sendungen in deutscher Sprache aus Luxemburg‹ von jeweils 15 bis 30 Minuten sowie acht Sendungen mit ›Musik aus Luxem­ burg‹ von jeweils einer Viertelstunde ausgestrahlt. Mit Letzteren war in erster Linie gemeint: in Luxemburg produzierte Sendungen luxemburgischer Ensembles oder Solisten (LW 23.9.1944, S. 2).

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Ab dem 11. November 1945 übernahm die Compagnie luxembourgeoise de Radiodiffusion (CLR) nach siebenjähriger Pause die Sendetätigkeit wieder selbst. Im Programm blieben fünf tägliche kurze Musiksendungen aus Luxemburg, hinzu kam die Wiederaufnahme der in der Vorkriegszeit zur Tradition gewordenen Luxemburgischen Sendung mit je zwei Viertelstunden am Tag, einmal in luxemburgischer und einmal in französischer Sprache (vgl. z. B. LW 19.12.1945, S. 3; T 31.1.1946, S. 2). Zwischen 1944 und 1950 wurde Kosters Name in der Presse viermal im Zusammenhang mit Radiosendungen erwähnt.217 Am 27. Juni 1948 wurde eine 15-minutige Luxemburgische Sendung angekündigt, die ausschließlich ihr gewidmet war: »Emission luxembourgeoise: Le compositeur Lou Koster« (T 26.6.1948, S. 6). Von der Sendung ist keine Tonquelle erhalten. 1948 und 1949 wurde in der Kindersendung am Vorabend des Nikolaustages u.a. ein Nikolauslied von ihr gesungen (LW 4.12.1948, S. 4 und LW 3.12.1949, S. 4). Es kann sich dabei um Klesche, komm oder auch Kleines Weihnachtslied handeln. Beide Male wurde es vom Kinderchor Les petits Chanteurs de l’Orphéon Municipal unter der Leitung von Nicolas Schuh gesungen. In der Sendung vom 5. Dezember 1948 begleitete die Komponistin den Chor selbst am Klavier. Dem ausnahmsweise ausführlicheren Radioprogramm der Sendung »Musique luxembourgeoise par l’orchestre de Radio-Luxbg.« vom 26. November 1950 kann man entnehmen, dass ihr Orchesterlied Chanson d’Automne ins Programm aufgenommen worden war, der Name des Solisten oder der Solistin wurde nicht angegeben (T 25.11.1950, S. 4; LW 25.11.1950, S. 9). Dass ihre Musik häufiger im Radio zu hören war, als die Belege vermuten lassen, darauf deuten Aussagen des Journalisten Paul Aschman sowie der Zeitzeugin Marie-Jeanne Nilles-Jans hin. »Wer kännte [sic] nicht den schmissigen Marsch ›Keep smiling‹, den Jean Pleger mit dem Radioorchester oft aufführt?«, schreibt Aschman am 16. Mai 1950 in der Revue. MarieJeanne Nilles-Jans erzählt von monatlichen halbstündigen Kinderradiokonzerten in den späten 1940er Jahren, bei denen u.a. Kosters E Kannerlidd auf dem Programm stand. Diese Konzerte fanden im Rahmen des Programms Art à l’École statt und wurden von dem Limpertsberger Kinderchor unter der Leitung von Michel Hever interpretiert und von der Sängerin und Pianistin Alice Schaus-Arend am Klavier begleitet. Marie-Jeanne Nilles-Jans erzählte, dass sie später als Kindergärtnerin das gleiche Lied regelmäßig mit ihren Kindern sang. Vor allem aber belegen acht überlieferte Tonaufnahmen des Radioorchesters, dass ihre Orchesterwerke und -lieder im Radio nach der Kriegspause »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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weiterhin zu hören waren. In welchem Ausmaß auf diese Studioaufnahmen tatsächlich für Sendungen zurückgegriffen wurde, dazu gibt es keine Belege. Die auf den 31. Dezember 1952 datierte Aufzeichnung enthält die drei Orchesterstücke Au clair de lune, Dans la rosée (Serenade) und La Joyeuse (Marsch), die heute alle drei als verschollen gelten, sowie die drei Orchesterlieder Härzklappen, Solitude (Feldeinsamkeit) und Du friddlech Stèrennuecht. Bei dieser Aufnahme leitete Carlo Kaufhold das Orchester, Solistin war Aldy Keyseler. Eine weitere Aufnahme ist auf den 24. Februar 1953 datiert: Das Radioorchester spielte, diesmal unter der Leitung von Henri Pensis, das Orchesterlied Sérénade à Nina nach einem Text von Alfred de Musset, Solist war der Bariton Fernand Koenig. Außer diesen Orchesteraufnahmen existiert eine frühe Studioaufnahme vom 27. Februar 1953 von sieben deutschen, französischen und luxemburgischen Klavierliedern von Koster. Sie werden von der jungen Sopranistin Béby Kohl-Thommes interpretiert. Pianistin ist aller Wahrscheinlichkeit nach Lou Koster selbst. Musikpädagogin Nach fast 40 Jahren Tätigkeit am Konservatorium trat die Musikerin schließlich am 7. Mai 1954 in den Ruhestand. Bereits einige Jahre vor ihrer Pensionierung war sie für ihre Diensttätigkeit am Konservatorium zum Ritter im Orden der Eichenlaubkrone ernannt worden, was sie – wie Paul Aschman in einer Anekdote berichtet – mehr ärgerte als erfreute: »Vor einiger Zeit […] wurde Lou Koster mitgeteilt, sie solle zu einer bestimmten Stunde im Stadthaus erscheinen. Das war nichts Ungewohntes, da sie schon oft zu Empfängen Geige gespielt hatte. Sie nahm also ihre Violine unter den Arm und ging los. […] Auf der Treppe kam ihr der Pförtner […] entgegen: ›Ma Joffer Koster, Dir braucht Är Gei nét, Dir kritt eng Medaill …‹ [›Aber Fräulein Koster, Sie brauchen die Geige nicht, Sie bekommen eine Medaille‹] […] sie schlich sich durch die Reihen und hielt folgende Zwiesprache mit sich selbst: A fir wât gin déi mir dât Gielchen? … soll et si we’nt menge Kompositio’nen? … Oder soll et sin, well ech am Krich e bösse Resistenz gemâcht hun? … Oder wëll. – – – [Und warum bekomme ich diese Medaille? … soll es wegen meiner Kompositionen sein? … Oder weil ich im Krieg ein bisschen Resistenzlerin war? … Oder weil …] Da war der Bürgermeister schon heran und machte sie zum Ritter der Eichenlaubkrone – weil sie seit 43 Jahren am Konservatorium lehrt. ›Also bloss wegen der l­umpigen

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Dienstjahre gibt man mir einen Orden, den jeder staatliche rond-de-cuir [Bürohengst] kriegt.‹« (Aschman, 16.5.1950, R)

Zwei Ehrungen, diesmal aber speziell für ihre Leistungen als »Komponist« (»compositeur«), wurden ihr 1962 und 1969 zuerkannt: Am 20. Juni 1962 wurde sie zum ranghöheren ›Officier de l’Ordre de Mérite du Grand-Duché de Luxembourg‹ und am 20. Juni 1969 schließlich zum ›Officier de l’Ordre Grand-Ducal de la Couronne de Chêne‹ ernannt. Die im Konservatorium erhaltenen Quellen erlauben es nicht, eine Liste ihrer Schülerinnen und Schüler zu erstellen. In den Einschreibungslisten sind diese noch keinen Professoren zugeteilt. Auch in den alljährlichen Examensbroschüren werden die LehrerInnen nur kollektiv bei der Nennung ihres Fachs aufgelistet. Das Konservatorium gab zwar jedes Jahr die Examensresultate in einer Pressemitteilung bekannt, aber auch hier werden die SchülerInnen nur sehr selten einzelnen LehrerInnen, sondern stattdessen einer Instrumentalklasse, zugeordnet. Klassenbücher oder sonstige SchülerInnenlisten sind nicht mehr erhalten.218 Der Ordner »Personal« im Archiv des Konservatoriums enthält eine Einteilung zu »Koster«, diese ist aber leer. Eine Schülerin von Lou Koster, Andrée Pepin-Weitzel, schilderte ihre Lehrerin als kompetente und engagierte, aber auch als äußerst strenge und anspruchsvolle Pädagogin. Sie hatte neun Jahre lang bei Koster am Konservatorium Klavierunterricht genommen. 1948 hatte sie den zweiten Preis mit Auszeichnung bekommen, danach aber das Musikstudium abgebrochen. Als Büroangestellte schaffte sie es nicht mehr, ihre professionelle Tätigkeit mit dem Musikstudium zu vereinbaren. Pepin-Weitzel berichtete, Koster habe im Klavierunterricht nur wenig über Interpretation gesprochen, aber umso mehr vorgespielt. Besonderen Wert habe sie auf einen klaren, präzisen Klavieranschlag – Pepin-Weitzel nennt es »Perlentechnik« – und eine entspannte, lockere Körperhaltung gelegt. »Sie konnte aber auch wütend werden, sapperlot, sagte sie und schlug mit der Faust aufs Klavier!« (EI 11) Kam es in einer Klavierstunde zu einer harscheren Kritik, konnte es vorgekommen, dass die geknickte Schülerin später im Elternhaus die nicht minder betrübte Lehrerin – mit Blumen, um sich bei ihr zu entschuldigen – vorfand. Aus dem Schüler-Lehrer-Verhältnis entwickelte sich mit der Zeit trotz großem Altersunterschied – die Schülerin war 40 Jahre jünger als Koster – eine enge Freundschaft. Für die junge Andrée wurde die Musikerin zum Rollenvorbild. Sie erzählt, sie habe sich »ganz viel im Leben von ihr abgeschaut«, so z. B. das Autofahren. Dass Lou Koster so früh den Führerschein hatte und ein Auto besaß, »das war damals eine Sensation«, meinte sie und erklärte: »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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»Ich hatte das Bedürfnis, selbst auch geachtet zu werden. Sie wurde geachtet, sie war eine ›grande Dame‹. Sie wusste, was sie wollte, war selbstständig, unabhängig, ein ›self made man‹! Wenn die Großherzogin über den Boulevard fuhr, hat sie Lou Koster zugewinkt.« Dem Vorbild nacheifernd, habe sie lange Zeit gar nicht heiraten wollen. Dass sie mit 31 Jahren doch in den Ehestand trat, kommentierte sie mit folgenden Worten: »Damals war eine nicht verheiratete Frau [luxemburgisch: ›Joffer‹ = Jungfrau] nicht akzeptiert. Lou Koster musste viel kämpfen.« Befragt nach Lou Kosters Stellung am Konservatorium, antwortet A ­ ndrée Pepin-Weitzel: »Sie hat ihren Mann gestanden«, und erzählt dann von erbitterten Konkurrenzkämpfen seitens zweier Kollegen. Eine Aussage von Maisy Koster bestätigt dies: »Sie hatte viele gute Schüler, aber es wurde enorm viel intrigiert. Andere Lehrer haben ihr immer wieder ihre guten Schüler abgeworben.« (EI 6) Maisy und Laure Koster wie auch Andrée Pepin-Weitzel berichteten übereinstimmend, insbesondere zwischen Lucien Lambotte, dem Direktor des Konservatoriums und Klavierpädagogen, und Koster habe ein sehr schwieriges Verhältnis bestanden.219 Laure Koster: »Er war Pianist und hat Lou als Konkurrenz empfunden […] Ebenso [empfand es] auch Richy Müller.« (EI 4) Zu Lambottes Vorgänger, Direktor Victor Vreuls, hatte Koster hingegen ein gutes Verhältnis. Einem Journalisten erzählte sie, sie habe Vreuls viel zu verdanken (P.W. 8.4.1969, LW). Nach Andrée Pepin-Weitzel bildete Koster im Laufe der Zeit einige gute Pianisten und Pianistinnen aus, und sie erwähnt hier im Besonderen drei SchülerInnen: Nathalie Oretchkevitch, eine Russin, die damals in Wiltz wohnte und 1952 mit ihrer Familie nach Kanada auswanderte, wo sie mit ihrem Mann einen Friseursalon betrieb; René Kieffer, der später in die Ordensgemeinschaft der Weißen Väter (Gesellschaft der Missionare von Afrika) ein- und wieder austrat, um schließlich nach Schweden auszuwandern, wo er heiratete und Vater von drei Kindern wurde; und Jacqueline Weber, später verheiratete Bernard, die in Luxemburg blieb und über deren musikalische Tätigkeiten wenig bekannt ist, sie wirkte später im Verwaltungsrat von Unicef Luxemburg. Das Tageblatt vom 29. Juni 1933 berichtet von einer weiteren offensichtlich talentierten Schülerin Kosters: Josée Feyder, der von der ›Jury central de musique‹ in Lüttich ein zweiter Preis mit großer Auszeichnung zuerkannt wurde. Der Journalist P.N. schreibt über Koster als Musikpädagogin: »In all den Jahren am Konservatorium, bis zum Tage, als sie in den Ruhestand trat, ist Lou Koster eine eifrige Verfechterin ihrer musikalischen Ansichten geblieben, sie ist stets für fortschrittliche Methoden im Musikunterricht eingestan166

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den. Selbst heute, siebenundsiebzigjährig, sieht sie dem modernen Ye-Ye mit der nötigen Toleranz entgegen.« (P.N.: ›Lou Koster bringt Nik. Welter auf Ton.‹ OL 9.12.1966) Um welche ›fortschrittlichen‹ Methoden es sich hierbei handelt, bleibt ungeklärt. Auf eine nicht alltägliche Methodik weist auch die Pianistin Erna Hennicot-Schoepges hin: »Eine ungewöhnliche Klavierprofessorin, vom Hören-Sagen erfuhr ich so manches über ihre etwas spezielle Art zu unterrichten …« (Vorwort als Präsidentin der Abgeordnetenkammer in: Arend Steinberg 1990, S. 3) Begabte junge Musiker und Musikerinnen inspirierten und beflügelten Koster. Diese Schüler und Schülerinnen neben den regulären Stunden am Konservatorium weiter zu unterrichten und nach Kräften zu fördern scheute sie keine Mühe. Bei weniger begabten Schülern fehlte es ihr allerdings offensichtlich an Geduld. Einer ihrer Klavierschüler, ein Verwandter der Komponistin, der sich selbst als nur mittelmäßig begabt bezeichnete, erzählte von einem »unglücklichen«, »getrübten« und »schwierigen Verhältnis« zu ihr, weil er ihren musikalischen Forderungen und Wünschen nicht gerecht werden konnte und sie an seinen »steifen Fingern« verzweifelte. Besuchte er sie zuhause, legte sie ihm gerne eine Schallplatte – als Beispiel erwähnt er Verdis Requiem – auf, drückte ihm die Partitur in die Hand und verschwand in der Küche, aus der sie immer wieder rief: »Folgst Du noch?« Der Knabe fühlte sich rettungslos überfordert. Nach Maisy Koster war Koster eine gute Musikerin, es habe ihr aber eine pädagogische Ausbildung gefehlt, über ihre Fähigkeiten als Musiklehrerin urteilte sie harsch: »Sie war streng. Sie war eine schlechte Pädagogin, denn sie hatte keine Geduld, sie hat wenig erklärt. Um ehrlich zu sein, die Basis hat auch hier gefehlt. Sie [die Geschwister Koster] waren Naturtalente.« (EI 6) Die Lieder lagen da, es hat keiner sie gesungen … 1954 trat Lou Koster am Konservatorium in den Ruhestand und widmete sich mit verstärkter Energie ihrer Tätigkeit als Komponistin: »Nach ihrer Pensionierung saß sie zumeist zuhause und schrieb Noten; sie lässt sich immer einen Vorrat an Notenpapier aus Trier kommen, weil hierzulande nicht so viel vorrätig ist. Im Jahre 1959 ging sie zum erstenmal aus ihrer Reserve heraus und trat wieder mit ihren eigenen und den Kompositionen verstorbener Luxemburger an die Öffentlichkeit.« (I.K., 11.7.1964, J) Andrée PepinWeitzel erzählt, sie habe in den frühen 1950er Jahren mit der Komponistin deren Lieder einstudiert, um sie zusammen in Konzerten, vor allem für »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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wohltätige Zwecke, z. B. für die Seniorenvereinigung Amiperas, vorzutragen, und fügt hinzu: »Sie sagte immer: ›Wenn ich in Pension gehe, dann bringe ich meine Kinder [damit meinte sie ihre Lieder] unter die Leute.‹ […] Die Lieder lagen da, es hat keiner sie gesungen.« (EI 12) Lou Koster sei damals beständig auf der Suche nach einem Publikum gewesen. Unter den Liedmanuskripten und -drucken von Koster, die damals im Besitz von Andrée Pepin-Weitzel waren, befand sich ein gedrucktes Exemplar von Kleines Weihnachtslied mit dem handschriftlichen Kommentar von Lou Koster: »Wann werde ich gesungen?« Dass die Komponistin in den 1940er und 1950er Jahren stark darunter litt, dass kaum jemand sich für ihre Lieder interessierte, bestätigt auch der mit ihr befreundete Eisenbahnangestellte und Violinist Erny Leners. Auch er erzählt, sie habe sich damals mit ihm getroffen, um mit ihm ihre Lieder in privatem Rahmen zu musizieren, er habe mal gesungen, mal die Singstimme auf der Violine gespielt (Leners 1990, S. 34). In der Nachkriegszeit trat die Musikerin an den Kaplan Heinisch mit der Idee heran, in der Herz-Jesu-Pfarrei in Stadt Luxemburg einen Vokal-Verein zu gründen, dem sie den Namen Onst Lidd geben und mit dem sie u.a. eigene Lieder zur Aufführung bringen wollte. Da Heinisch nicht in Konkurrenz zum Kirchengesangverein treten wollte, ging er nicht auf Kosters Idee ein und der Plan wurde nicht in die Tat umgesetzt, was Lou Koster, so Heinisch, »verdross« (EI 10). Der Journalistin Liliane Thorn-Petit, die mit Lou Koster im August 1961 im Hinblick auf einen Beitrag in der Tageszeitung Journal ein Gespräch führte, erzählte Koster von ihren »Kämpfen«, ein Publikum zu finden: »Mit Bedauern erwähnt Lou Koster die Kämpfe, die sie mit stets neuem Mut führen musste, um das Lied, um ihre Lieder mit Erfolg zu Gehör zu bringen. […] Sie ist eine alte Dame mit sehr jungem Herzen und einer jugendlichen Begeisterung, deren Leidenschaft und Liebe zur Musik durch die Gleichgültigkeit und das Missverständnis, denen sie so oft begegnete, nicht getrübt werden konnten.« (Thorn-Petit 29.8.1961, J, F) Auch der Bariton Laurent Koster, mit dem die Musikerin seit 1960 zusammen musizierte, bestätigte dies: »Man legte ihr sehr viele Steine in den Weg […] Wenn sie abgewiesen wurde, war sie sehr niedergeschlagen, und doch hat sie sich nicht entmutigen lassen, und sie hat durch solch negative Erfahrungen nicht angefangen, an ihren Kompositionen zu zweifeln oder weniger zu komponieren. Sie bildete sich auf ihre Musik nichts ein, hat sie aber auch nicht unterschätzt.« (EI 5) In härteren Worten urteilte Maisy Koster über die beständige Suche der Komponistin nach Interpreten für ihre Lieder: »Mit Interpreten hat sie viele negative Erfahrungen gemacht. Sie 168

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kam und sagte: ›Jetzt habe ich einen Menschen gefunden, der sich für meine Musik einsetzt.‹ Sie wurde oft ausgenutzt. Sie war ein wenig naiv. Jeder, der ihre Lieder sang – es hätte der größte Gesetzesbrecher sein können –, war für sie ein guter Mensch.« (EI 6) Ähnlich wie Laurent Koster beschreibt sie Lou Koster als eine Person, die sich nicht entmutigen ließ: »Sie ist von einem Minister zum anderen gegangen und konnte sie richtig reizen, sie war nicht diplomatisch. Auf diese Weise konnte sie aber nichts erreichen … Sie war eine starke Natur, voller Energie … Sie war überzeugt von ihrer Musik. Sie hat sich dadurch, dass ihre Kompositionen nicht erfolgreich waren, nicht entmutigen, unterkriegen lassen. Sie hat sich getröstet und sich gesagt, dass sie, weil sie eine Frau ist, keinen Erfolg habe, dass die Männer eifersüchtig seien, und meinte: ›Ich allein komme nicht gegen sie an‹. ›Weil ich eine Frau bin, werde ich nicht gespielt …‹ Sie war ein bescheidener Mensch, solange sie nicht als Musikerin auftrat. Als Musiker war sie nicht bescheiden.« (ebd.)

Die Schwester Laure Koster zeichnete ein komplett anderes Bild ihrer Schwester: »Sie ist die Sache [das Komponieren] ganz langsam angegangen, […] sie hat schon lange … so schöne Lieder geschrieben, sie hat sie nie …, sie war zu scheu, sie dachte sich, mein Herr und mein Gott, also … man könnte sagen, sie hätte sich versteckt.« (EI 7) Möglicherweise konnte sich die Komponistin erst im Alter zu einer selbstbewussteren Haltung durchringen. Aushandlungsprozesse: Ist die Musik aus Luxemburg von Bedeutung? Wie können die großen Schwierigkeiten, Interpreten, Veranstalter und ein Publikum zu finden, neben der oben bereits thematisierten Bedeutung des Geschlechts, möglicherweise noch auf andere Weise erklärt werden? Wie sich aus Kritiken herauslesen lässt, deutet wenig darauf hin, dass die geringe Rezeption darauf beruhen könnte, dass ihre tonale Tonsprache als ›aus der Zeit herausgefallen‹ wahrgenommen wurde und deswegen auf Ablehnung stieß. Noch 1987 brachte der Kritiker René Molling die Asynchronizität des Musikstils von Koster – und anderen Komponisten – zur Sprache, lobte diese aber als besondere Qualität:

»Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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»[…] diese kleine Probe [von acht Liedern von Lou Koster] erlaubte es jedenfalls, eine Vorstellung vom Stil des Komponisten zu bekommen, der offensichtlich dem von Robert Schumann ähnelt, sowohl was die melodische Linie als auch ihre allgemeine Stimmung betrifft. […] Sie interessiert sich sehr wenig für die zeitgenössische Musikästhetik, wie übrigens auch alle anderen Komponisten auf dem Programm, und das ist umso besser. Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind manchmal besser als der ehrgeizige Wunsch, an der Spitze des Fortschritts zu stehen.« (Molling 17.1.1987, LW)

Inwiefern handelt es sich um einen individuellen Tatbestand bzw. waren möglicherweise auch andere komponierende Kollegen in ähnlicher Weise, unabhängig von Person und Geschlecht, mit einem vergleichbaren Desinteresse konfrontiert? Welche Bedeutung wurde dem Musik- und Kulturschaffen aus Luxemburg im Land zuerkannt? Wurde es, vergleichbar mit anderen Ländern in dieser Zeit, als regionales oder nationales Kulturgut betrachtet, das es zu pflegen galt? Inwiefern wurden Musikschaffende staatlich oder institutionell gefördert? Diese Fragen wurden – vor allem seitens der Musikwissenschaft – bisher nicht oder nur in geringen Ansätzen erforscht. Diverse Textquellen – zeithistorische Presseartikel sowie ältere und neuere Forschungen zur Geschichte, Literatur- und Kulturgeschichte – zeigen, dass in Luxem­burg die Angst vor der Konkurrenz mit der Kultur der ›großen Meister‹ des nahen Auslands von Bedeutung war, so dass man sich – statt von einem Vergleich abzusehen – für die Musik des ›kleinen Landes‹ schämte und sich lieber mit internationaler Kunst beschäftigte. In seiner soziologischen Analyse stellt Fernand Fehlen »die Last der kleinen Dimension« als das Element heraus, das, neben dem Einfluss der ländlichen Vergangenheit und einer starken katholischen Prägung, die luxem­burgische Gesellschaft insbesondere in den 1950er Jahren maßgeblich bestimmte (Fehlen 1999, S. 32). 1948 hatte Luxemburg auf die traditionelle Neutralität verzichtet und war als ›kleinstes Land‹ in den politischen Verbund der großen alliierten Mächte aufgenommen worden.220 Dies führte in politischer und gesellschaftlicher Hinsicht zu einer radikalen Neuorientierung und zuerst zu einer überwiegend euphorischen Aufbaustimmung.221 Politik und Gesellschaft öffneten sich mit neuem Selbstbewusstsein – oder, wie Staatsminister Pierre Dupong es am 20. März 1945 formulierte, »auf Augenhöhe« – der Außenwelt (zit. b. Linden 1999, S. 201). In politisch bedrohten Zeiten wie der Zwischenkriegszeit war dem lokalen Kulturschaffen Bedeutung zuerkannt und dafür Sorge getragen worden, Musik aus Luxemburg in gewisser Weise zu fördern und in patriotischen 170

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Kontexten aufzuführen. Die patriotische Rhetorik und die nationale Symbolik rückten in den politischen Diskursen ab den frühen 1950er Jahren weitgehend in den Hintergrund (Spizzo 1999). Die bis zum Zweiten Weltkrieg immer wieder bedrohte Existenz eines unabhängigen luxemburgischen Staates schien nun gesichert. André Linden spricht in diesem Zusammenhang vom »Ende der Existenzberechtigungsplädoyers« (Linden 1999, S. 200). Dies alles wirkte sich auf die allgemeine Wertschätzung lokalen Kulturschaffens aus. Es scheint so, dass im Zuge der Internationalisierung Luxemburger Künstler und Sportler – wie der Läufer Josy Barthel, die RadfahrerInnen Charly Gaul und Elsy Jacobs, die SchauspielerInnen Germaine Damar und René Deltgen, das Orchester Radio Luxemburg – vor allem dann beachtet, unterstützt und gefeiert wurden, wenn sie große Erfolge im Ausland verzeichnen konnten. Laure Koster zufolge hatte ihre Schwester aber kaum Kontakte zum Ausland (EI 7). In der von der Politik als Neubeginn gefeierten Phase der Intensivierung internationaler Bestrebungen brauchte die Regierung nun die Formung eines neuen Bildes von Luxemburg, um im Ausland für die neue Identität des Landes, wie es im Jargon der Zeit hieß, »Propaganda« zu machen. Die Schaffung dieses Image fiel in den Zuständigkeitsbereich des Presse- und Informationsamtes der luxemburgischen Regierung, das ab 1946 unter der Leitung von Joseph Petit stand. Wie Linden zeigt, wurde das »Beau Luxem­bourg« (so übrigens auch ein Marschtitel von Koster), die luxemburgische Landschaft, die als eine Kondensierung europäischer Naturschönheiten auf engstem Raum dargestellt wurde222, ins Zentrum dieses neuen Bildes ­gerückt, und nicht Luxem­burgs »kleine Kultur«, die in dem neuen Identitätsbild kaum eine Rolle spielte.223 Herausgestrichen wurde auch die geografische Lage des Landes, »im Herzen Europas«, die Luxemburg geradezu zur »Plate-forme internationale« prädestiniere.224 Und in diesem Kontext wurde der traditionelle Diskurs der Mischkultur wieder bemüht. Als Kulturprodukt der Mischung galt »der Luxemburger« selbst, wie er ist und Kultur konsumiert; hierzu Joseph Petit: »Das Volk ist das Produkt von Migrationen, wie es schon Steinzeitfunde bezeugen. Geschichte und gemeinsame Gewohnheiten haben vielleicht einen luxemburgischen Typus geschaffen, in dem sich verschiedene Elemente treffen. Der Luxemburger genießt gutes Essen und frohe Feiertage, er ist robust wie der Flame, er ist fleißig, praktisch, unternehmungslustig und sentimental wie der Deutsche, aber seine Liebe zu Individualität und Freiheit, seine tiefe Verbundenheit mit religiösen Traditionen, sein künstlerischer Geschmack ähnelt seinem großen Nachbarn im Westen, zu dem seine Seele schaut.« (Petit 1952, S. 14, F). »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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Wie Linden es formuliert, ist »der« Luxemburger, wie ihn Petit sieht, ein Duplikat des Landes, eine individuelle lebende »Synthese« und wandelnde »internationale Plattform« (Linden 1999, S. 228). In der zweiten Hälfte der 1950er Jahre zeichnete sich in Petits Schriften eine Zurücknahme der anfänglichen Euphorie ab, die sich in einer ängstlichen Projektion der Zermalmung Luxemburgs im Zuge der internationalen Modernisierung äußert (»kleines Rad, das in den höllischen Kreislauf der globalen Maschine, die sich in unmenschlicher Geschwindigkeit dreht, eingelassen ist«, Petit 1958, S. 57 f.). Pierre Grégoire, der von 1959 bis 1969 Kulturminister war, bezeichnet 1981 Luxemburg als »kleines Rabenvaterland im Geistigen« und betont, »dass bis ins 20.  Jahrhundert hinein der Traum von einer konsequent betriebenen öffentlichen Kulturförderung unerfüllt bleiben sollte« (Grégoire 1981, S. 287 u. S. 245). Fabio Spirinelli untersuchte 2016 die Entwicklung der Kulturpolitik in Luxemburg und zeichnet davon ein ziemlich pessimistisches Bild. Er stellt zusammenfassend fest, dass sich die Kulturpolitik von 1945 bis Ende 1960 generell betrachtet auf die Förderung des Staatsarchivs, der Nationalbibliothek und der staatlichen Museen beschränkte, und kommt zu folgender Schlussfolgerung: »In der unmittelbaren Nachkriegszeit ist das Land vor allem mit dem Wiederaufbau beschäftigt. In den 1950er und 1960er Jahren ist eine gewisse Entwicklung festzustellen, die sich in der Zunahme von kulturpolitischen Diskursen im Abgeordnetenhaus zeigt. Diese Diskurse spiegeln jedoch eine enge, bürgerliche Kulturvorstellung wider, die auch von der Regierung geteilt wird. Kultur dient der Erziehung der Bevölkerung und der Verbreitung demokratischer Werte (trotz fehlender Bildungsangebote in den Institutionen). Man denkt nicht daran, Kultur ins Ausland zu exportieren. […] Die Vorstellung von einer luxemburgischen Kultur ist unterdessen auch sehr beschränkt, mit, u.a., der ›Trinität‹ Dicks, Rodange und Lentz. […] Die Kredite für Kultur stagnieren oder steigen leicht, auch wenn 1970 der Anteil am Gesamtbudget des Staates von 0,19 % auf 0,41 % steigt.« (Spirinelli 2016, S. 154 f., F)

Dies war also das Umfeld, in dem Lou Koster komponierte und auf das sie schließlich mit Eigenverantwortlichkeit reagierte: Ab den 1950er Jahren begann sie mehr und mehr, sich selbst für ihre Musik einzusetzen. Sie suchte Kontakt zu jungen Sängerinnen und Sängern, um später in gemeinsamen Konzerten ihre Musik bekannt zu machen. Die erste Musikerin, mit der sie intensiv zusammenarbeitete, war Béby Kohl-Thommes. 172

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Der persönliche Einsatz für das eigene Schaffen trägt langsam Früchte … Béby Kohl-Thommes lernte Lou Koster persönlich gegen Ende 1952 kennen. Dies belegt ein Brief der Komponistin an die Sängerin vom 28. November 1952.225 Aus dem Tonfall wie der formellen Anrede »Mademoiselle« wird ersichtlich, dass die beiden sich zuvor wohl nur flüchtig kannten. Im Schreiben wurde ein erstes Treffen vereinbart. Aus der Bekanntschaft entwickelte sich rasch eine fruchtbare musikalische Zusammenarbeit und Freundschaft, die bis zum Tod der Komponistin dauern sollte. Béby Kohl-Thommes hatte zuerst am Konservatorium in Luxemburg Solfège, Tonsatz, Violine und Gesang studiert, ab 1946 ihre Studien am Musikkonservatorium in Genf vervollkommnet und diese 1948 mit einem Diplom in den Fächern ›solfège supérieur‹, Tonsatz, Musik-, Form- und Stilgeschichte und rhythmische Gymnastik abgeschlossen. Nach Luxemburg zurückgekehrt, feierte sie bald als Sängerin mit einer leichten und glasklaren Stimme erste Erfolge, dies häufig in Konzerten mit dem Orchester Radio Luxem­burg.226 Die Begegnung mit Lou Koster stand, so schilderte es Béby KohlThommes, deutlich unter dem Zeichen von ›Enttäuschung‹: »Lou war entmutigt. Ihre Melodien wurden ›so gut wie‹ ignoriert. Ich schlug ihr eine Zusammenarbeit mit mir vor. Am frühen Morgen, vor meiner Tätigkeit an der Europaschule, machten wir, nach einem angenehmen gemeinsamen Frühstück, zusammen Musik. Was für eine Freude, ihre vielen Melodien auf Französisch, Deutsch und Luxemburgisch zu entdecken.« (ALK, LK 7A 4 sa3, F) In ihren auf Kassetten gesprochenen Memoiren führt die Musikerin weiter aus: »Während des Krieges war Lou von den Besatzern eine gewisse ›Frankophilie‹ vorgeworfen worden, keines ihrer Werke wurde in den Konzertreihen, die die Nazis neu initiierten oder weiterführten, aufgeführt. Es war daher notwendig, ihre Musik nach dem Krieg wiederzubeleben. Ich spreche hier von ›vielen‹ Kompositionen. Es gibt eine Menge Leute, die rechts und links ein bisschen komponieren, aber sie hat Hunderte von Liedern komponiert, Lieder, die ich während unserer morgendlichen Arbeitssitzungen eins nach dem anderen entdeckte.« (ALK, LK 7A 4 sa4)

Die beiden Frauen traten zuerst nur in privaten Hauskonzerten zusammen auf. Der erste gemeinsame öffentliche Konzertauftritt, angekündigt als »Wann werde ich gesungen?« (1944–1959)

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»­ Récital de poésies et de mélodies«, fand Jahre später, am 22. November 1959 im Stadttheater und unter der Schirmherrschaft der Stadt Luxemburg, statt. Auf dem Programm dieser gut besuchten Konzert-Lesung standen, neben dem Vortrag einiger Gedichte luxemburgischer Schriftsteller, ausschließlich Liedvertonungen von Koster nach deutschen, französischen und luxemburgischen Texten (ALK, LK 7A 3 1959.11.22). Die 20 Lieder wurden abwechselnd von der Sopranistin Béby Kohl-Thommes und vom Bariton Camillo Felgen interpretiert und von der Komponistin am Klavier begleitet. Dem Konzert stellte Koster als Motto das Gedicht »Das Wort im Ton« von Nikolaus Welter voran, das sie, so Laurent Koster, besonders mochte und später auch als Leitsatz für die Programme des Ensembles Onst Lidd vorschlug.227 37 Jahre lang – seit der Uraufführung ihrer Operette An der Schwemm im Jahr 1922 – hatte keine einzige Aufführung ihrer Kompositionen ein solches Presseecho hervorgerufen wie dieses Konzert. Kritiken erschienen gleich in fünf verschiedenen Tageszeitungen aus Luxemburg und dem Grenzraum, und sie waren durchwegs positiv. Der Kritiker der Zeitung hob besonders das Heimatliche und Nationale hervor: »In jugendlicher Frische, voll sprudelndem Enthusiasmus, gab sie in ihren Kompositionen unserer Heimatdichtung Leben, Kraft und Freude. Ihre Inspiration ist tatsächlich unversiegbar, ihre Energie mustergültig für die jungen Generationen unserer Komponisten. Die Fräulein Koster überreichten zahlreichen Blumengebinde gaben der allgemeinen Bewunderung und Sympathie für unsere nationale Komponistin den besten Ausdruck.« (o.V., 25.11.1959, Z). Der Kritiker Reimen lobte im Tageblatt die Kompositionen mit den folgenden Worten: »Die Lieder sind einfach, gut geschrieben für die Stimme. Ihre feine Emotionalität wird niemals pathetisch und bleibt immer vornehm. Die Begleitungen, leicht, manchmal suggestiv, aber niemals rein tonmalerisch, liefern den Klanghintergrund, ohne jemals die freie Entfaltung der Melodie zu behindern. Und wir hörten, wie Lou Koster leise die Poesie der Abende, die Zartheit der Liebe, die Glocken des Dorfes, das Parfüm der Blumen, das Mysterium der Nacht und des Unbekannten, die Nostalgie der Ferne besingt; aber sie vergisst deshalb nicht die gemäßigteren Gefühle des täglichen Lebens, die Spiele und die Schreie der Kinder. […] Und wenn wir die Schönheit dieser Verse, so rein mit solch einer treuen und respektvollen Intuition gesungen, erklären wollten, würden sie sich, schwer fassbar, verflüchtigen wie ein fragiler Schmetterling, den wir nicht verfolgen, aus Angst durch brutalen Kontakt, sein wunderbares Glitzern zu zerstören.« (R., 26.11.1959, T, F)

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Etwas knapper, doch beide positiv, urteilen die Kritiker im Luxemburger Wort und in der luxemburgischen Ausgabe der belgischen Zeitung La Meuse über »ihre Werke […] von einer großen Sensibilität« (Majeur, 27.11.1959, LM, F), die »sehr angenehm zu hören waren, lebendig sind und von solidem Metier zeugen« (K., 4.12.1959, LW). Etwas zurückhaltend reagierte der Kritiker des Journal: »Wer also sein Können zur Diskussion stellt, der muss allerdings das Gewicht einer sachlichen objektiven Beurteilung in Kauf nehmen. […] Wenden wir uns daher den wesentlichen Merkmalen der Vertonungen Lou Kosters zu: Die melodische Linie wird im allgemeinen von einem volkstümlichen Zug bestimmt; sie ist naiv empfunden, sanglich angenehm, fließend gegliedert, und läßt den Text zu seinem vollen Recht kommen. Recht anziehend machen sich so einzelne Lieder aus, obschon sich hin und wieder mancherlei Reminiszenzen vordrängen. Was für die melodische Linie gilt, gilt zum Teil ebenso für den harmonischen Unterbau. Vieles erinnert uns an den Singspielton der zwanziger Jahre, anderes – so die Melodien nach Texten von Marcel Noppeney (Illusions), Paul Palgen (Chanson lunaire), Willy Goergen (E be’se Reif, D’Fre’jor kann net weit ewech sin), Allmers (Feldeinsamkeit), Nik. Welter (O die Hände) – ist wirksamer im Stimmungsgehalt und auch formschöner gestaltet.« (o.V., 1.12.1959, J)

Der Erfolg des Konzertes vom 22. November 1959 ermutigte Koster, 1961 ein Vokalensemble zu gründen, das ab 1962 unter dem Namen Ensemble Onst Lidd auftrat (siehe Abb. 21).

»Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« – Das Ensemble Onst Lidd ab 1959 Das Programm des Ensembles Onst Lidd bestand vor allem aus klavierbegleiteten Sololiedern, gelegentlich ergänzt von einem Duett oder Terzett mit Klavier. Der Name Onst Lidd (übersetzt: Unser Lied) deutet darauf hin, dass das Ensemble sich vorrangig an ein an heimatlichem Liedgut interessiertes luxemburgisches Publikum wendete. Möglicherweise ist der Name dem Gedicht Onst Lidd von Willy Goer­ gen entlehnt. Da Koster gerne Texte von Goergen vertonte und in ihrer Bibliothek viele, zum Teil vom Dichter mit persönlichen Widmungen versehene Goergen-Bände besaß, kann man davon ausgehen, dass sie das G ­ edicht – »Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« (ab 1959)

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zumal es von Musik handelt – kannte. In ihm beschreibt der Dichter die Besonderheiten des luxemburgischen Liedes: Es klingt »hell« und »freudig«, »fromm« und »brav«. Es hat »Heimatklang« und bildet, formt und vereint das Volk. Emotional stürmisch und gleichzeitig heimatstreu und pazifistisch, erklingt es auf »Straße und Pfad«, »in Dorf und Stadt«, »in der Stube und auf der Gasse« und »macht vor keiner Mauer Halt«. Gesungen wird es vor allem vom arbeitenden Volk und ist daher allgemein verständlich, erquicklich und unkompliziert, gemütvoll und tröstlich. Demnach ist es kein Konzertlied für ein elitäres Publikum. In den ersten vier Zeilen der zweiten Strophe bedankt der Dichter sich bei den »Meistern« des luxemburgischen Liedschaffens. »Was das Volk träumt und fühlt«, hätten sie ihm mit ihren Liedern »ins Herz gelegt«. Sollte das Gedicht dem Ensemble eventuell als Leitidee für die Pro­gramm­­ auswahl dienen? Oder Lou Koster als Richtlinie für die Vertonung ihrer luxemburgischen Lieder? Vergleicht man die Konzertprogramme mit dem im Gedicht besungenen Idealtypus luxemburgischen Vokalschaffens, stellt man fest, dass Lieder in luxemburgischer Sprache nicht im Zentrum standen. Der Anteil deutsch- und französischsprachiger Vertonungen war recht hoch. Auch waren es vor allem Kunstlieder des 20. Jahrhunderts, die gesungen wurden. Bekannte volkstümliche luxemburgische Lieder standen kaum auf dem Programm. Den Mittelpunkt bildete auch nicht das luxemburgische Liedschaffen im Allgemeinen; blättert man die Konzertprogramme, -ankündigungen und -kritiken des Ensembles durch, fällt auf, dass die allermeisten der aufgeführten Kompositionen aus der Feder Lou Kosters stammen. Lieder anderer Komponisten fanden nur vereinzelt Aufnahme, oft waren es nur ein oder zwei pro Programm. Nur ein einziges Mal interpretierte das Ensemble nachweislich Musik einer anderen Komponistin: Bei dem Konzert in Ettelbrück am 12. März 1972 wurden ein paar Lieder von Béby Kohl-Thommes aufgeführt.228 Obwohl Koster die 1953 verstorbene Helen Buchholtz, die mehr als 50 Lieder und Balladen komponiert hatte, persönlich gekannt hatte, stand ihr Name auf keinem der Programme. Onst Lidd war somit in erster Linie ein persönliches Sprachrohr Lou Kosters zu ihrem Publikum. Zu dem bereits in den 1950er Jahren auftretenden Duo der Sopranistin Béby Kohl-Thommes und der Pianistin Lou Koster kamen als feste Mitglieder im Februar 1961 der Bariton Laurent Koster und im Dezember des gleichen Jahres der Tenor Venant Arend hinzu. Venant Arend erinnert sich lebhaft an die für ihn prägende erste Begegnung mit der Komponistin und den Beginn ihrer Zusammenarbeit:

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»Es war während meines ersten Konzertes, am 17. Dezember 1960 […] Stellen Sie sich meine Aufregung vor: Ich, ein junger Tenor, hatte gerade mein erstes Gesangsstudienjahr bei Professor Nicolas Schuh beendet […] In der Pause sprach mich eine Dame an, die ich so um die sechzig schätzte: ›Ich gratuliere, Sie haben eine herrliche Stimme mit warmem gefälligem Timbre! Mein Name ist Lou Koster, vielleicht haben Sie schon von mir gehört?‹ Wie verlegen war ich doch! Die Dame […] war mir völlig unbekannt. Mit gespielter Selbstsicherheit höre ich mich noch antworten: ›Aber sicher kenne ich Sie, Sie haben Gedichtchen und Geschichtchen für Kinder geschrieben!‹ Was für eine Schande für mich, ich hatte sie gerade verwechselt [wohl mit der Autorin Paule Koster-Chenayer]. Nicht im Mindesten beleidigt, brach Lou Koster in Lachen aus: ›Sie haben fast richtig geraten. Nein, ich schreibe nur Noten zu Gedichtchen. Ich lade Sie morgen zu mir zum Aperitif ein, dann spiele ich Ihnen ein paar von meinen ›Liedchen‹ vor.‹ Am nächsten Tag ging ich in die Schillerstraße, wo Lou Koster in einer geräumigen Wohnung lebte. In der Mitte des Wohnzimmers stand ein prächtiger Steinway-Flügel. Ich war nicht der einzige Gast. Lou Koster stellte mir ein halbes Dutzend ihrer Bekannten vor. Nachdem sie mir eine ihrer Mélodies mit dem Titel Feldeinsamkeit von Henri Allmers in die Hand gedrückt hatte, ging sie ans Klavier. Schon eilten ihre flinken Finger über die Tasten. […] ich sang diese so einfache wie charmante Mélodie mit ihren expressiven Steigerungen und ihrem in sich ruhenden Cantabile. Seit diesem denkwürdigen Sonntag war die Wohnung von ›Joffer Koster‹ (so sprach ich sie während der 13 Jahre unserer Freundschaft an) mein zweites Zuhause, so sehr, dass ich darüber meine Familie und meine besten Freunde vergaß. Da ich kein eigenes Transportmittel hatte, fuhr ich mit Autostopp in die Stadt, um sie zu treffen. In kurzer Zeit hatte sie es geschafft, mich mit ihren Liedern zu begeistern und mich mit ihrer großen musikalischen Erfahrung zu beeindrucken.« (Arend 1990, S. 29, F + L)

In den ersten Jahren begleitete Lou Koster das Ensemble am Klavier. Ab Ende 1963 wirkte Jeanne ( Jeannette) Giampellegrini mit, sie wurde damals als »die anerkannt beste Pianistin Luxemburgs« gefeiert (Yay 11.1.1964, LW). Zuerst wechselten sich die beiden Pianistinnen innerhalb der Konzerte als Begleiterinnen ab, als 80-Jährige überließ Koster schließlich Giampellegrini allein die Klavierbegleitung. Sporadisch wurden andere Musiker und Musikerinnen eingeladen, bei den Konzerten oder Konzert-Lesungen mitzuwirken, wie beispielsweise die Sopranistinnen Josette Doemer und Yvy FleschWeydert, der Pianist Pierre Cao, die RezitatorInnen Marie-Josée Brimaire, Jos Berrens und Erny Leners. Die jungen Interpreten und Interpretinnen »Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« (ab 1959)

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und die wesentlich ältere Komponistin unterstützten und förderten sich mit dieser Initiative gegenseitig: Während die MusikerInnen sich mit vollem Engagement für das Schaffen der Komponistin einsetzten, und das nicht nur zu ihren Lebzeiten, sondern über ihren Tod hinaus, unterrichtete die erfahrene Musikpädagogin die Sänger in Liedinterpretation und förderte sie moralisch wie finanziell in ihrer Laufbahn. Hierzu noch einmal ausführlicher Venant Arend: »Perfekte Pädagogin, ihre Ratschläge waren eine große Bereicherung für meine Gesangstechnik und für die Liedinterpretation. Sie brachte mir bei, meine Stimme den unterschiedlichen Anforderungen der Lieder anzupassen und sie in Zurückhaltung und in Nuancierung zu üben, um mein Publikum zu berühren. Sie lehrte mich die Kunst, durch einen engagierten, nuancierten und intensiven Ausdruck eine Atmosphäre zu schaffen, ohne ins Spektakuläre oder Pathetische abzugleiten. Bei ihr lernte ich die Nuancen der Zwischenfarben, den idealen Sitz der Stimme, um Spitzentönen einen schönen Klang zu verleihen, das Geheimnis, wie man ein Lied seelisch belebt und in ihm mitfühlt. Und in der Interpretation die wesentlichsten Eigenschaften zu pflegen: Zurückhaltung, Intelligenz, Geschmack und Feingefühl, Frische und Lebendigkeit. Sie forderte von mir vor allem eine perfekte Diktion des Textes. Während dieser häufigen Zusammenkünfte ließ Lou Koster mich die Lieder von Schubert, Schumann, Brahms, Fauré, Debussy und so vielen anderen entdecken. Durch die beeindruckende Anzahl ihrer Schallplatten ließ ich mich von den großen Künstlern und Künstlerinnen des Liedes beeinflussen: Fischer-Dieskau, Seefried, Schwarzkopf, Panzéra, Souzay, Koenig … Nach sechs Monaten intensiver Arbeit begleitete sie mich in meinem ersten Liederabend, der von RTL für eine Kammermusiksendung aufgenommen wurde, sowie in einem Konzert im Centre Culturel et d’éducation populaire de Bonnevoie. Während unserer vielen Treffen hat sie mich fortwährend auch für Salzburg und seine bedeutende Gesangsschule begeistert. Auf ihre Veranlassung inskribierte ich am Mozarteum […] vor jeder Abreise nach Salzburg steckte meine Freundin mir heimlich eine Geldsumme zu, mit der ich einen Teil meines Aufenthaltes und Studiums finanzieren konnte.« (Arend 1990, S. 29 f., F)

Auch Béby Kohl-Thommes betonte, dass sie als Sängerin sehr viel von Lou Koster gelernt habe: Die Komponistin habe bei der Liedinterpretation besonders großen Wert auf die Textverständlichkeit gelegt und sie immer wieder ermahnt: ›Béby, ich habe gar nichts verstanden‹. Daraufhin schulte sich 178

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die junge Sängerin und arbeitete an ihrer Aussprache. »Keiner hatte mich bisher darauf aufmerksam gemacht«, fügte Béby Kohl-Thommes, die zuvor aber an den Konservatorien Luxemburg und Genf Gesang studiert hatte, hinzu (EI 3). Durch die Zusammenarbeit im Ensemble und die rege Konzerttätigkeit prägte sich für die Lieder Kosters mit der Zeit ein bestimmter Interpretationsstil, eine bestimmte Lesart heraus, an der sie maßgeblich beteiligt war und die auch für die nachkommenden Generationen an Interpreten und Hörern »gespeichert« wurde, da von Radio Luxemburg eine Vielzahl von Mitschnitten überliefert ist, wovon ein Teil später auch auf CD vertrieben wurde. Nicht zuletzt fanden die Proben und Konzerte wie die häufigen geselligen Zusammenkünfte in guter und freundschaftlicher Stimmung statt. Hierzu Laurent Koster: »Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹. Sie war unkompliziert und eine eingefleischte Junggesellin … Lou Koster war gar nicht materialistisch, sie war ein bisschen chaotisch. Wenn sie den Hausschlüssel verlegt oder vergessen hatte, schlief sie im Hôtel Molitor oder bei Freunden. Sie konnte auch leidenschaftlich, wenn auch nie richtig ernsthaft streiten: vor allem mit Venant. Sie hat allerdings meistens nachgegeben.« (EI 5) Man kann davon ausgehen, dass die Arbeit und die Konzerttätigkeit mit den jungen MusikerInnen Lou Koster zum Schreiben neuer Lieder beflügelten. Von einigen Liedern weiß man, aufgrund von Datierungen auf den Manuskripten, dass sie in den 1960er und frühen 1970er Jahren entstanden sind.229 In dieser Zeit arbeitete sie auch an einer Komposition für gemischten Chor und Orchester, Musik, nach einem ihr persönlich vom Dichter August Oster im Dezember 1961 gewidmeten Text, von der heute aber nur der Klavierauszug erhalten ist und die vielleicht auch nie fertiggestellt wurde.230 Konzertorte und -programme Die Konzerte von Onst Lidd fanden häufig im Staatsmuseum der Hauptstadt statt, aber auch in Schulen, Seniorenheimen oder Gemeindesälen in Dörfern und Kleinstädten Luxemburgs. Sie blieben in der nationalen Presse keineswegs ohne Resonanz. Wie in vielen Kritiken bestätigt wird und wie auch die Fotos in den Zeitungsartikeln zeigen, waren die Konzerte meist gut besucht. In der von Venant Arend zusammengestellten Sammlung von rund 60 Presseartikeln zu den Konzerten von Onst Lidd finden sich die Belege für insgesamt 22 Konzerte zwischen 1961 und 1973. 231 Man kann aber davon »Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« (ab 1959)

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ausgehen, dass das Ensemble noch öfters auftrat: Nicht zu jedem Konzert wurde ein Programm verfasst bzw. nicht von jedem Auftritt ist heute ein solches überliefert, und nicht alle der durch Programmzettel belegten Konzerte wurden in der Presse angekündigt oder rezensiert. So ist z. B. kein einziges Programm eines Konzertes in einem Seniorenheim erhalten, und das Tageblatt berichtet über Konzerte in Schulen, von denen es ebenfalls keinerlei sonstigen Belege gibt: »Sie hat nur einen Wunsch: die junge Generation mit der Frische und dem Charme einer einfachen Musik zu begeistern. Geleitet von dieser Idee hat sie Konzerte in vielen unserer Städte und Dörfer organisiert, besonders in unseren Schulen und Instituten.« (o.V. 24.10.1970, T) Rund ein Drittel der Konzerte veranstaltete Onst Lidd selbst. Das Ensemble wurde aber auch von diversen Veranstaltern eingeladen, wie dem Cercle amical catholique, dem Verein Les Mélomanes aus Petingen, dem Centre Culturel et d’éducation populaire de Bonnevoie, den Gemeindeverwaltungen aus Mersch, Feulen oder Ettelbrück, dem Kurkasino Bad Mondorf, dem Verein Alliance Catholique des Femmes du Luxembourg, Frâen ann [sic] Mammen vun Eechternoach oder dem Cercle Suisse de Luxembourg. Die Konzerte wurden häufig unter dem Titel »Récitals de mélodies luxem­bourgeoises« angekündigt. 1963 standen sie unter dem Motto der »Tausendjahrfeier Luxemburgs« (963–1963). In dem so betitelten »Millénaire-­ Programm« gelangten beispielsweise neben Liedern von Lou Koster und Henri Pensis Operettenmelodien von Edmond de La Fontaine alias Dicks, Charles Günther und wiederum auch von Koster zur Aufführung. Bei manchen der Veranstaltungen handelte es sich um Konzertlesungen, manchmal auch ergänzt durch einen literaturhistorischen Vortrag zu Aspekten der Dichtung in Luxemburg. Am 9. Januar 1962 wurde der Vortrag von Liedern, ohne thematischen Zusammenhang, mit der Projektion von Tier- und Abenteuerfilmen kombiniert. Einige Konzerte widmeten sich auch dem internationalen Vokalschaffen: So enthielt das »Vokalkonzert« vom 23. Dezember 1961 in der südlichen Kleinstadt Petingen im ersten Programmteil Lieder von Schubert, Schumann, Brahms, Henri Pensis und Lou Koster, während der zweite Teil aus Opernarien von Leoncavallo, Verdi, Donizetti, Mozart, Puccini und Bizet bestand.232 Im »Deutschen Liederabend« vom 8. Januar 1964 war die erste Programmhälfte luxemburgischen Komponisten, die zweite Schubert und Schumann gewidmet.233 In der Konzert-Lesung vom 14. April 1964 erklang zuerst Musik aus Luxemburg, nach der Pause standen Lieder von Böhm, Mendelssohn, Schubert, Gounod, Hahn, Absil, Messager und Massenet auf dem Programm. Am 30. Oktober 1965 veranstaltete der Cercle Suisse 180

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de Luxem­bourg einen »Luxemburgisch-Schweizerischen Liederabend«, an dem neben Onst Lidd auch die Schweizer Sängerin Juliette Bise und der Schweizer Pianist und Komponist Eugen Huber mitwirkten.234 Und auch im ­»Nikolaus Welter Abend« am 31. März 1971 wurden Welter-Vertonungen luxemburgischer, deutscher und österreichischer Komponisten dargeboten, so von Jules Krüger, Nobert Stelmes, Lou Koster, Joseph Alexandre Müller, Carl Balthasar und Wilhelm Sadowsky. Am 4. Juli 1964 war Onst Lidd zu einer Konzertlesung im Kapuzinertheater eingeladen worden, um den 75. Geburtstag der Komponistin zu feiern. Die Schirmherrschaft hatte die UGDA übernommen, die Koster am gleichen Abend mit der ›goldenen Ehrenmedaille mit Palme‹ auszeichnete. 1966 nahm das Ensemble eine Single mit sechs Koster-Liedern nach Texten von Nikolaus Welter auf. Diese Single wurde in einem Konzert im Appartement von Lou Koster in Anwesenheit der Presse und geladener Gäste wie des Diplomaten und Politikers René Blum, des Sekretärs des Musikvereins der UGDA, Yvan Christnach, und Julie Welter, der Witwe des Dichters, öffentlich vorgestellt (o.V. 12.12.1966, RL; …k 14.1.1967, LW). Aus den Jahren 1961 bis 1972 sind, neben zahlreichen Ankündigungen wie Kurz- oder Fotoberichten, insgesamt 22 Pressebesprechungen der Konzerte erhalten. Es handelt sich in den allermeisten Fällen dabei nicht um Kritiken, die für ein Fachpublikum geschrieben wurden und die die Musik und die Interpretation analysieren. Bei den Zeitungen waren selten professionelle Musikkritiker beschäftigt. Die Beiträge vermitteln vielmehr, wie das musikbezogene Handeln und die Musik von Koster bei Konzerten in Luxemburg aufgenommen wurden. Die Texte sind durchwegs positiv, kritische Töne wurden vermieden. Eine – milde – Ausnahme bildet ein Passus aus einem Text im Journal: »Manche ihrer Liedkompositionen wurden zwar manchmal als zu einfach und naiv bezeichnet, aber ein Vergleich mit großen Liedkompositionen des Auslandes ist hier völlig fehl am Platz. Man muss die Lieder als das hinnehmen, wofür sie gedacht sind.« (I.K. 11.7.1964, J) In zwei Beiträgen wird der Staat kritisiert, der die Komponistin und ihr Ensemble nicht ausreichend fördern würde: »Wo bleibt die staatliche Anerkennung und Auszeichnung dieser Komponistin und Mäzenin für ihre aufopferungsvolle Tätigkeit für Kunst und Kultur?« (Musicus 7.7.1964, J) »Es bliebe nur zu wünschen, dass dieses Ensemble junger Talente von höherer Seite her mehr unterstützt würde.« (Yay 11.1.1964, T) Wiederholt wird auf den großen Publikumszuspruch und den »reichen Applaus« sowie alles in allem auf die exzellente Qualität der Musik und der Darbietungen (»brillant concert«, »plein succès«, »ein herrlicher Abend« usw.) »Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« (ab 1959)

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hingewiesen. Gelobt wird insbesondere Kosters Verdienst als Vermittlerin von Lied- und Dichtkunst, dies im Besonderen in Bezug auf das Schaffen aus Luxemburg: »Madame Koster ist in Luxemburg die leidenschaftlichste und enthusiastischste Förderin des Liedes. […] Sie hat es geschafft, dass wir die Schönheit und den berührenden Charme unserer besten volkstümlichen Gedichte besser zu schätzen wissen.« (Thorn-Petit 29.8.1961, J, L) Einige Journalisten stimmten in ihrem Lob einen deutlich patriotischen Tonfall an: »Am Dichterwort gemessen, dass ein Volk, das sein Herz nicht mehr hört, dahin ist, erbrachte die Nik. Welter-Feier […] den Beweis, dass unser Volk sich seines völkischen Eigenlebens bis heute vollauf bewusst geblieben und damit noch keinen Todeskeim in sich trägt.« (o.V. 15.2.1961, LW) »Es war wieder einmal bewiesen, dass Luxemburg seinen eigenen Stil, frei von allen Schablonen, bewahrt hat, und das Volksgut auf unbeirrbaren Wegen pflegt.« (I.K. 25.4.1963, J) Auch in der Kritik vom 30. Oktober 1970 im Luxemburger Wort wird »der innig luxemburgische Charakter der meisten ihrer Kompositionen« besonders gelobt. Ein anderer Kritiker hebt hervor, dass es Koster nicht nur um ein Bewahren des dichterischen Erbes geht, sondern sie sich auch für das Schaffen junger Dichter und Dichterinnen aus Luxemburg interessiert (o.V. 30.10.1970, LW). Mehrmals wird das ›Junge‹ ihrer Persönlichkeit hervorgehoben und die Komponistin als »ewig junge und dynamische Meisterin«, »jung-alte Dame«, »liebenswürdige, immer junge Person« beschrieben.235 Unterstrichen wird außerdem ihr Einfühlungsvermögen in die vom Dichter beschworenen Atmosphären und Stimmungen, das dazu führt, dass sich »Wort und Ton einander auf das feinste ergänzen«.236 Gelobt werden die »Frische der Bilder«, der »Charme«, die »sanften« und »lyrischen« Lieder, die »zuweilen romantischverbrämte[n], zuweilen keck-schelmische[n] Kompositionen, die immer echtes Empfinden verraten und niemals billiger Effekthascherei huldigen«.237 Als pianistische Qualitäten werden eine »solide Technik« und »Sinn für Nuancen«, »Feingefühl« und »Sicherheit« und »das brillante Dahinfließen des begleitenden Klavierspiels« besonders herausgestrichen.238 Kosters Geschlecht wird in dieser Zeit kaum thematisiert. Nur in einem Nebensatz einer Kritik wird sie als »einzige luxemburgische Komponistin« hervorgehoben (G. 9.7.1964, LW). So manche der in den Kritiken verwendeten Metaphern und Beschreibungen sind allerdings nicht geschlechtsneutral und wären wohl nicht verwendet worden, hätte es sich um einen männlichen Komponisten gehandelt. So wird – mit Rückgriff auf geschlechtsspezifische Rollenvorstellungen – Weiblichkeit in Kosters Musik projiziert oder konstruiert, hier zwei Beispiele: »Gleich einem duftenden Blumenmuster fügten 182

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sich die Lieder ein aus dem Zwiegesang ›In der Abendsonne‹, die von Frl. Lou Koster in tiefer Einfühlung komponiert und am Flügel begleitet, von Mme B. Kohl-Thommes und H. Laurent Koster vorgetragen wurden.« (o.V. 15.2.1961, LW) »Lou Kosters Karriere – der Ausdruck ist mit Vorbedacht gewählt, obwohl sie selber nie viel Aufhebens um ihre Tätigkeit machen wollte – begann früh. […] Lou Koster kam bei dieser Vertonung auch bloß einer Aufforderung von Nik. Welter nach.« (P.N. 9.12.1966, OL) »Hemmnisse und Widerstände« In einem im Tageblatt am 16. November 1970 publizierten Beitrag beklagt Al Schmitz die großen »Hemmnisse und Widerstände« und die »scharfe Kritik«, mit denen das Ensemble zu kämpfen hatte. Wie dargestellt, war es nicht die Presse, die diese Kritik übte. Aus Schmitz’ Artikel geht zunächst nicht hervor, von welcher Seite der Gegenwind blies. Erst gegen Ende seines Textes benennt er »die offiziellen Stellen«, die dem Ensemble »wie anderen Gruppen dieser Kunst« mit »unmissverständlicher Gleichgültigkeit und Passivität« gegenüberstanden. Da der Schriftverkehr von Onst Lidd nicht öffentlich zugänglich ist, sind Quellen, die den ›Widerstand‹ der ›offiziellen Seiten‹ bzw. andere ›scharf kritische‹ Stimmen belegen, bisher nicht bekannt. Schmitz war aber über Interna des Ensembles bestens informiert, da er auf ehrenamtlicher Basis die Rolle eines Konzertagenten für das Ensemble übernommen hatte. Hier ein längerer Ausschnitt aus dem Artikel: »Das Ensemble ›Onst Lidd‹ […] ist eines der wenigen, das seinen Weg unbeirrt fortschritt durch die Schwierigkeiten, die sich einem luxemburgischen Musikensemble bieten. Diese Hemmnisse und Widerstände waren nicht nur finanzieller oder technischer Natur. Das Ensemble wurde oft mit scharfer und drängender Kritik konfrontiert, weil es sich entschlossen hatte, vor allem Luxemburger Dichtung und Kompositionen zu fördern und zu verteidigen. […] Dem Ensemble, das zu Beginn seiner Karriere wirklich relevante Erfolge verbuchte, wurde nahegelegt, seine materiellen Schwierigkeiten – bedingt durch Entrée libre – zu beheben mit Hilfe von Beethoven, Brahms, Mozart, Schumann. Die Gruppe setzte (erstmalig 1963/64) ausserhalb der Hauptstadt ebenfalls Opern- und Operettenarien auf ihr Programm und erreichte so einen annähernden Ausgleich ihrer Bilanz. Dass ausländische Meister von einem Ensemble vorgetragen werden, das nationale Werte aufzuspüren und zu verteidigen vorgibt, dass Oper und Operetten ein Programm für TV»Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« (ab 1959)

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verwöhnte Zuhörer anziehend wirken lassen soll, das den Titel Onst Lidd trägt, vergrämte die Musikfreunde, die glaubten endlich eine Pflegestätte heimatlicher Kunst sich auftun zu sehen. Onst Lidd hatte dennoch nicht reines Rentabilitätsdenken im Sinn, als es deutsche und französische Meister des Liedes aufnahm. Wenn unsere eigenen Dichter u. Komponisten im breiten Publikum Aufnahme finden sollen, ist es nur recht, unsere Lyrik und Musik in den Rahmen zu stellen, wo sie hingehören. Nationale Werte sollen nicht brach liegen, weil schon vorher andere, mit klangvolleren Namen, Ähnliches geschafft haben. Auch Künstler aus der Provinz haben ihre Berechtigung und ihre Anziehungskraft. Onst Lidd ist ein Ensemble, das, ohne falschen Stolz oder verbrämten Nationalismus zur Schau zu tragen, Selbstbewusstsein hat und im Kreise mit anderen künstlerisch Schaffenden den gemeinsamen Ehrgeiz stärken will. Wenn Onst Lidd mit relativ bescheidener offizieller Unterstützung dennoch auf ein 10-jähriges Schaffen blicken darf, hat es den Beweis seiner Unermüdlichkeit, seiner Reife und seiner Unabhängigkeit erbracht. Wie andere Gruppen dieser Kunst stellt Onst Lidd immerhin die unmissverständliche Gleichgültigkeit und Passivität der offiziellen Stellen fest, die sich eher angesprochen fühlen, wenn nicht das geistige Wesen im Menschen erhalten werden soll.« (Schmitz, 16.11.1970, T)

Ein Kritiker im Luxemburger Wort hatte sechs Jahre zuvor geschrieben: »Es gab manche Enttäuschung, von Seiten des Publikums und der Behörden. Lou Koster aber muß man bewundern für die Ausdauer und Zähigkeit, mit der sie jeweils wieder hervortrat und neue Lieder komponierte.« (o.V. 27.6.1964, LW) Dass Liederabende mit internationalem Programm mehr Anklang fanden, das geht aus dem folgenden Artikel hervor: »Eigentlich wollte die Equipe ›Onst Lidd‹ nur Letzeburger [sic] Werke zur Aufführung bringen, aber wie die Vergangenheit bewies und Lou Koster uns erzählte, werden die Liederabende, an denen auch berühmte Stücke ausländischer Komponisten auf dem Programm stehen, weit besser besucht.« (I.K. 10.4.1964, J) Wie aus der Pressesammlung rekonstruiert werden kann, waren die ersten fünf Jahre, 1961 bis 1965, offensichtlich die aktivste Zeit des Ensembles. Für die Jahre 1966 und 1967 ist jeweils nur ein Konzert und für die Jahre 1968 und 1969 kein einziges dokumentiert. Diese Abnahme bzw. zeitweilige Aufgabe der Konzerttätigkeit wird in einem Artikel zum 80. Geburtstag der Komponistin bestätigt. Die Konzerte von Onst Lidd in der Halle des Staatsmuseums »gibt es nicht mehr, aber ihre Atmosphäre wurde auf Schallplatte [Single vom Dezember 1966] festgehalten, die von bleibendem Wert ist.« (P.W. 8.5.1969, LW) 1970 wurde das Ensemble wieder etwas aktiver: Für 184

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1970 und 1971 sind jeweils zwei, für 1972 ein Liederrezital dokumentiert. Bisher wurden aber kaum Quellen gefunden, die belegen würden, dass in den 1960er und frühen 1970er Jahren auch andere Interpreten Lieder von Koster im Konzert aufführten. Kosters Musik im Radio – 1959–1973 Kosters Musik wurde weiterhin bei Radio Luxemburg gespielt. Erhalten sind allein für die Zeit von 1959 bis zum Tod der Komponistin 13 Tonbänder mit Studioaufnahmen, Sendungs- und Konzertmitschnitten. Sie befinden sich heute allesamt im Centre National de l’Audiovisuel Luxembourg. Diese Aufzeichnungen enthalten insgesamt 56 verschiedene Kompositionen, einige davon gleich in mehreren unterschiedlichen Interpretationen: 29 deutsche, zwölf luxemburgische und acht französische Lieder, fünf Chöre, einen Orchestermarsch sowie die Ballade für Solisten, Chor und Orchester Der Geiger von Echternach. Radio Luxemburg durchlief in dieser Zeit eine tiefgehende Transformation, die für die mediale Verbreitung von Musik und Kultur aus Luxemburg von einschneidender Bedeutung war: Ab den frühen 1950er Jahren spaltete sich das bisher europaweit ein einziges, mehrsprachiges Programm sendende Radio (das nun auch Fernsehsender war) in fünf verschiedene nationale Programme auf. Jedes der fünf Programme, die nacheinander auf Sendung gingen, wendete sich von nun an nur mehr in einer einzigen Sprache an einen bestimmten Sprachraum. Mit Blick auf die Besonderheiten der wesentlich eingeschränkteren Senderäume gab der Medienkonzern den Programmen verschiedene Identitäten, die jeweils in einem kurzen »Slogan« festgehalten wurden. Diese Slogans wurden 1962 in einer französischen Werbebroschüre für Radio-Télé-Luxembourg wie folgt vorgestellt (Radio-Télé-Luxembourg 1962): »Informieren, bilden, unterhalten …« (französisches RTL) »Der Radioposten als Freund und der Radioposten der Stars« (britisches RTL) »Vor allem Musik …« (deutsches RTL) »Ein Lächeln für die Hausfrau …« (niederländisches RTL) »Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« (ab 1959)

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»Den Alltag des Landes leben …« (luxemburgisches RTL)

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Das luxemburgische Radioprogramm ging im Oktober 1959 auf Sendung. Wenn auch für luxemburgspezifische Kultur- und Musiksendungen in diesem »grand programme national« (Radio-Télé-Luxembourg 1962) mehr Wochenstunden zur Verfügung standen als vorher, wurde Musik aus Luxemburg ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in ganz Europa, sondern nur noch in Luxemburg gesendet. In einem Beitrag aus dem Jahr 1961 beschrieb Nic Weber seine »Mission« als neuer Chef des luxemburgischen Programms und offenbarte dabei seine zutiefst pessimistische Sicht auf die »bis auf wenige Ausnahmen« äußerst dürftige kulturelle Produktion aus Luxemburg, eine Sicht, die wohl ihre Auswirkungen auf die Programmgestaltung hatte: »[…] Auf diesem Boden einer alten Festung, wo die europäischen Nationen ihre Wissenschaft in der Militärarchitektur demonstrieren wollten, wo sich manchmal ausländische Künstler niederließen, vom Meister von Echternach 240 bis zu Kutter , um uns selten ein Meisterwerk zu hinterlassen, wo jede Revolution, sei sie politisch oder intellektuell, etwas später als anderswo geschieht und sich dann in eine entspannende Evolution verwandelt, ist die kulturelle Basis eng, auch wenn das intellektuelle Niveau als ›ziemlich solide‹ bezeichnet werden kann. […] Beeilen wir uns hinzuzufügen, dass wir den Wert einiger 241 Menschen mit Talent nicht außer Acht lassen. Aber rar sind echte Kunstwerke. Ein zu selbstgefälliger Optimismus kann einer notwendigen Evolution nur im Wege stehen.« (Weber 1961, S. 165 f., F)

Dabei verstand sich Radio Luxemburg generell nicht als ein Sender, der sich der Verbreitung der ›Meisterwerke‹ widmen wollte. Jean Luc, der damalige Programmdirektor von RTL, schrieb 1961: »Natürlich denkt bei Radio Luxem­burg niemand daran, von morgens bis abends Konzerte mit serieller Musik zu übertragen […]. Genauso nehmen bestimmte Genres, vor allem die große Musik und rein didaktische Programme, nur einen begrenzten Raum in den Programmen ein. Der gesunde Menschenverstand verbietet es, davon zu träumen […] Antennen wie die von C.L.T. in den Dienst der künstlerischen Avantgarde zu stellen.« (Luc 1961, S. 68 ff., F). Luc distanzierte sich in seinem Beitrag zwar von einer pejorativen Konnotation des Populären und nannte »Klarheit«, »Einfachheit« und »Liebenswürdigkeit« als die Grundprinzipien einer populären Programmpolitik. Dennoch wies er auf die »Grenzen« hin, die eine solche der Gestaltung setzt, und allein schon durch seine Begrifflichkeiten – ›la grande musique‹ oder auch ›la musique 186

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digne de ce nom‹ – festigte auch er die Hierarchie von »großer« und also ›kleiner‹, »würdiger« und also ›unwürdiger‹, hoher und niederer Kultur. Die früheste Tonquelle mit Musik von Koster aus dieser Zeitphase ist die auf den 11. Januar 1960 datierte Aufzeichnung des heute verschollenen Marsches Keep smiling. Hier spielt das Orchester Radio Luxemburg nachweislich zum letzten Mal eine Orchesterkomposition von Lou Koster. Während in den 1930er Jahren überwiegend ihre Orchestermusik und Bläserquintette im Radio zur Aufführung gelangten, geriet diese Musik in der Nachkriegszeit zunehmend und schließlich komplett in Vergessenheit. Gleichzeitig verlagerte sich der Interessenschwerpunkt seitens des Radios auf ihre Vokalmusik, insbesondere die Lieder. Bei einigen der Liedaufnahmen ist Lou Koster als Pianistin zu hören: So begleitete sie am 13. Februar 1962 die drei Sänger von Onst Lidd bei zwölf Nikolaus-Welter-Liedern. Am 17. Juli des gleichen Jahres interpretierte sie zusammen mit Venant Arend zwei Brahms- und zwei Schubertlieder sowie vier eigene Vertonungen von Texten Goethes und Welters. Auch bei der mit ›Musique de Lou Koster‹ betitelten Studioaufnahme vom 8. April 1963 wird Koster als Pianistin angeführt. Wie bei den Konzertauftritten überließ sie später aber auch bei Radioaufnahmen Jeannette Braun-Giampellegrini die Klavierbegleitung, so beispielsweise bei den zehn am 22. November 1968 und den 19 am 11. Januar 1971 aufgenommenen Liedern. Im Radio nahmen sich in dieser Zeit auch andere Interpreten als Onst Lidd der Musik von Koster an: Am 28. November 1966 sang der über die Grenzen hinaus renommierte luxemburgische Bariton Fernand Koenig, begleitet vom Pianisten und Komponisten René Mertzig, den Liederzyklus Quatre mélodies sur des poèmes de Marcel Noppeney. Für diese Studioaufnahme gibt es auch einen Beleg, in welchem Kontext sie für Radiosendungen genutzt wurde: für die Literatursendung vom 17. Februar 1967 über den Dichter Marcel Noppeney, die ebenfalls als Mitschnitt überliefert ist. Auch ihre für Amateurchöre komponierte Musik wurde vom Radio aufgezeichnet. Am 13. November 1964 sang der gemischte Chor Orphéon Municipal unter der Leitung von Nicolas Schuh für das Mikrofon das zwei Jahre zuvor entstandene Trinklied Erop aus dem Fâss.242 Für den in Luxemburg am zweiten Sonntag im Juni gefeierten Muttertag nahm das Radio in den Jahren 1964, 1965 und 1966 Mutter-Lieder von Koster auf: D’Mamm (Michel Hever), Eng Sérénade fir d’Mamm (Willy Goergen), Pour Maman (Henriette Theisen) und Meng le’f Mamm (François Meyer). Gesungen wurden sie von der Sopranistin Andrée Pepin-Weitzel bzw. in Chorliedversionen vom Oberprimar-Mädchenchor aus Stadt Luxemburg unter der Leitung der Grund»Wir waren jung. Bei ihr war es ein bisschen ›la vie de Bohème‹…« (ab 1959)

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schullehrerin Anna Wilhelmy.243 Die Begleitung am Klavier übernahm Koster bzw. Andrée Pepin-Weitzel. Nicht von allen Sendungen, in denen ihre Musik gespielt wurde, sind die Aufnahmen überliefert. So ist beispielsweise in einer im Journal publizierten Ankündigung des Konzertes vom 27. Oktober 1970 zu lesen, dass Radio Télé Luxembourg zur Feier von Kosters 80. Geburtstag eine einstündige Sendung mit Aufnahmen ihrer Kompositionen ausstrahlte, von der heute leider jede Spur fehlt.244 Es wäre denkbar, dass zu dieser Sendung möglicherweise Lou Koster selbst ins Studio eingeladen worden war. Des Weiteren berichtet Al Schmitz rückblickend am 23. November 1983 im Tageblatt von Auftritten des Ensembles Onst Lidd im Fernsehen von Radio Télé Luxembourg, auch diese Aufzeichnungen sind nicht überliefert.245

»Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich es viel leichter« (1972/73) Einen ihrer größten öffentlichen Erfolge erlebte die Komponistin ein Jahr vor ihrem Tod, als 83-Jährige: Am 9. Juli 1972 wurde in der Basilika St. Willibrord in Echternach ihre umfangreichste Komposition, Der Geiger von Echternach für Solisten, Chor und Orchester nach einem Text von Nikolaus Welter, vom RTL-Orchester und der Chorale Municipale Uelzecht unter der Leitung von Pierre Cao uraufgeführt. Die Solisten waren Béby Kohl-Thommes, Venant Arend und Laurent Koster. Béby Kohl-Thommes: »Es war für Lou ein erhabener Moment. Als applaudiert wurde, hielt ich sie am Arm fest. Sie zitterte so sehr, dass ich dachte, sie würde jeden Moment in Ohnmacht fallen. Es war ein Jahr vor ihrem Tod.« (ALK, LK 7A 4 sa3) RTL zeichnete damals die Generalprobe am 7. Juli und ausschnittsweise auch die Aufführung auf. Aus den Tonmitschnitten der Generalprobe wurde 1995 eine CD produziert. Ein längerer Brief ihres Bruders Fernand, den dieser am 21. November 1973, vier Tage nach dem Tod seiner Schwester, an die Verwandten Bess und Edward sowie Alice und Frank Hoebich in den USA sowie Robert und Madeleine Peyssy in Frankreich adressierte, informiert über Lou Kosters Leben in der Zeit nach der Uraufführung des ›Geigers‹. In dem Brief zeichnete der Bruder die letzten ca. 16 Monate im Leben der Schwester nach. Ende 1972 sei Lou Koster längere Zeit in der Klinik gewesen, aus der sie stark abgemagert, »noch weit schwächer« als vorher und »mit Medikamenten übersättigt« zurückkehrte.246 Nach Maisy Koster erkrankte Lou Koster drei bis vier Jahre vor ihrem Tod, also um 1968/69, an Kehlkopfkrebs. Obwohl sie auch 188

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im ­Alter viele gute Freunde hatte und Laure Koster sie in dieser Zeit immer wieder für zwei bis drei Wochen besuchte, habe sie sich im Alltag oft ziemlich einsam gefühlt: »Sie ging dann ins Café […] weil sie hoffte, sie käme mit einem Menschen ins Gespräch, was aber selten der Fall war. Wer redet denn mit einer alten Frau. Kam dann ein Bekannter vorbei und grüßte sie, war sie überglücklich.« (EI 6) Bis eine Woche vor ihrem Tod, so Fernand Koster, spielte sie noch von Zeit zu Zeit Klavier. Sie nahm auch wenige Monate, bevor sie starb, eine Einladung der Großherzogin Charlotte an. Diese habe ihr ihre Anwesenheit bei der nächsten Aufführung von Der Geiger von Echternach im Mai 1974 in Aussicht gestellt. Über dieses Treffen berichten auch andere Zeitzeugen. So Laure Koster, die die Begegnung im Zuge ihrer Erinnerungen an Lou Kosters Einsatz für Frauenrechte erwähnte: »Oh, für die Frauenrechte. Ach ja! Sie wurde einmal eingeladen von Charlotte, und da sagte die, ›wir sind alle Frauen …‹ … Sie war ganz angetan von Charlotte.« (EI 7) Auch Laurent Koster erzählte von dem Treffen am Hof im Kontext des Engagements für Geschlechtergleichheit: »Sie [Lou Koster] war eine überzeugte Kämpferin für die Gleichberechtigung der Frau. Sie engagierte sich generell gegen alle Formen von Unterdrückung. Sie nahm nicht an Demonstrationen teil, war aber immer bereit, zu unterschreiben. Mit der Großherzogin hat sie über die Situation der Frau diskutiert.« (EI 5) Félix Steinberg schreibt in seinem Nachruf auf Lou Koster über diese Begegnung: »Eine seltene Ehre widerfuhr Lou Koster nur wenige Monate vor ihrem Tode: Die seit ihrer Abdankung zurückgezogen lebende Großherzogin Charlotte gewährte der Künstlerin eine Privataudienz, um in einem Plauderstündchen ›von Frau zu Frau‹ die anhängigen Probleme zu erörtern. Die Frau, die lange Jahre hindurch die Anliegen eines Volkes wahrte und die Frau, die als Künstlerin dem selben Volke soviel von ihrem Wissen schenkte. Zwei Frauen, die ein oft widerwärtiges Schicksal mit seltener Energie meisterten. I.K.H. sagte dabei das Hohe Protektorat für eine demnächstige Aufführung der Werke Lou Kosters zu. Ein Wink an alle Musikliebhaber und Mäzene!« (Steinberg 24.11.1973, J)

Colette Welter gibt nähere Angaben zu den Umständen, die zu dieser Audienz geführt haben könnten: »Es war so – in den siebziger Jahren (ja, nicht lange vor ihrem Tod) – wann genau, weiß ich aber nicht mehr: Sie ruft mich immer wieder zu sich in ihre »Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich es viel leichter« (1972/73)

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Wohnung in der Rue d’Avranches, sie wollte, dass ich für sie Briefe schreibe – und zwar ganz besonders an die Großherzogin […] vielleicht sollte einer auch an Liliane Thorn-Petit oder an eine andere Politikerin oder bedeutende Frau adressiert werden. Ich erinnere mich, dass sie immer wieder etwas verbessert hat, eine neue Idee brachte. Damals, ohne Computer … habe ich oftmals alles neu tippen müssen. Irgendwann waren die Briefe Lou Koster dann gut genug, und sie wurden verschickt. Um was ging es? Nun, es war ein feministisches Anliegen, aber genau erinnere ich mich nicht … wollte sie eine Frauenpartei gründen? Ein neues Gesetz? Ich habe dazu keine Unterlagen mehr […].« (Colette Welter, E-Mail vom 23.6.2009, L)

Als Enkelin von Nikolaus Welter war Colette Welter seit den frühen 1960er Jahren bei vielen Konzerten von Onst Lidd anwesend. Warum Lou Koster sie kontaktierte, um ihr den Brief zu diktieren, erklärt Colette Welter: »So kam es wohl, dass sie wusste, dass mein Vater eine ›moderne‹ elektrische Schreibmaschine hatte und dass ich gut tippen konnte, da kam sie auf die Idee, ich sei die Richtige, um ihre Briefe sauber zu schreiben … Wir haben auch lange über den Stil und den Inhalt diskutiert. […] Ja, sie wusste, was sie wollte, allerdings habe ich nicht wirklich verstanden, was sie mit ihren Briefen bezweckte, ich dachte, das gibt es ja schon … habe ihr aber nicht widersprochen. Wie sollte ich auch, ich war noch so jung und schüchtern und sie eine ›Berühmtheit‹.« (Colette Welter, E-Mail vom 30.6.2009, L)

In den Archiven des großherzoglichen Hofes befindet sich der Brief heute nicht mehr (Auskunft der Archivistin Marie-France Kremer vom 13.3.2019). Einige der Zeitzeugen berichten, Lou Koster habe in späten Jahren ihre Isolation als Komponistin in einem Zusammenhang mit ihrem Geschlecht gesehen und dies als einen weiteren Anlass betrachtet, sich für die Gleichberechtigung der Frau einzusetzen. Der Neffe Jean-Paul Koster, der die Musikerin vom Charakter her als »unabhängig« beschreibt, erzählt: »Sie wollte aus dem Zwang heraus, aus der vermeintlichen Abhängigkeit der Frau vom Mann. Sie sagte immer: ›Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich es viel leichter.‹ Sie war z. B. unglücklich darüber, dass die Militärmusik ihre Märsche nicht mehr spielte, sie hat diese Nachlässigkeit auf die ›Eifersucht der Männer‹ zurückgeführt, die keine Werke von Frauen spielen wollen.« (EI 2) Wie Laurent Koster bestätigt auch Laure Koster, die Schwester habe sich lieber im Alleingang für Frauenrechte eingesetzt, und nicht durch Teilnahme an Demos oder im Rahmen von Vereinen: »Vereine? Nein. Sie wollte keine 190

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Clans bilden.« (EI 7) Dem widerspricht Félix Steinberg, wenn er berichtet, Koster sei mit ihrer »freiheitlichen Lebensauffassung« »von Anfang an Mitglied der Femmes Libérales« gewesen (Steinberg 24.11.1973, J). Die Vereinigung, die der Demokratischen Partei (DP) nahestand, war am 30. Januar 1969 gegründet worden, um das liberale Gedankengut unter Frauen zu verbreiten und Gesetzesreformen im Interesse der Frauen zu fordern.247 Schmitz berichtet ebenfalls, ohne weitere Details zu geben, über Kosters Teilnahme an ›Versammlungen der Frauenbewegung‹: »Schlicht und bescheiden, doch kämpferisch, wenn es um die Rechte der Unterdrückten und der Minderheiten ging, Lou Koster trauerte einer fast utopischen Romantik nach, doch wunderte es ihre Freunde nicht, sie in AntiKriegs-Meetings oder bei Versammlungen der Frauenbewegungen zu sehen. Lou Koster verabscheute physische Gewalt, viel mehr noch die Unfreiheit des Geistes. Sie fühlte sich als Vierundachtzigjährige zwar machtlos gegenüber den Brutalitäten in Ost und West, doch zögerte sie nie, ihren Namen unter Resolutionen progressistischer Organisationen zu setzen. Diese empfindsame, von sozialer Gerechtigkeit besessene Frau, die sich selbst für andere vergaß.« (Schmitz 26.11.1973, T)

Sterben – die Testamentsentwürfe Lou Koster setzte sich ab 1972 bewusst mit ihrem Sterben auseinander. ­Félix Steinberg berichtete, sie habe ihren nahenden Tod als Anlass genommen, ihre Freunde noch einmal einzeln zu sich einzuladen: »Etwas mehr als ein Jahr nach der Vorstellung des Geigers hat sie mich wieder in ihre Wohnung am Boulevard d’Avranches rufen lassen. Sie wusste, dass sie bald sterben würde, und wollte noch einmal ihre alten Bekannten zu einem Abschied vor der großen Abreise sehen. Sie wies mich an, mich hinzusetzen, was ich ablehnte, da ich den Ernst des Augenblicks erkannte, und ich hörte stehend einem langen Monolog zu, der mit überraschender Klarheit vorgetragen wurde und bald in einen retrospektiven Blick auf ihr Leben, eine vollendete Definition ihrer künstlerischen Vorstellungen und eine Liebesbotschaft an eine Welt, die sie missverstand, einmündete.«248

Am 17. November 1973 starb Lou Koster, nicht, wie sie es sich gewünscht hatte, in ihrer Wohnung, 30 Boulevard d’Avranches, sondern im Kranken»Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich es viel leichter« (1972/73)

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haus, in das sie nach einem schweren Treppensturz Freitagnacht eingeliefert worden war. Am 20. November 1973 veröffentlichte das Ensemble Onst Lidd im Tageblatt eine Todesanzeige, die Anzeige der Familie erschien einen Tag später im Luxemburger Wort. Die Totenmesse in der Herz-Jesu-Kirche – mit einem Nachruf von Dechant Heinisch – und die Beisetzung der Asche am Friedhof Notre-Dame fanden am 22. November im engen Familien- und Freundeskreis statt. Die Einäscherung war in Straßburg vorgenommen worden, da es damals noch kein Krematorium in Luxemburg gab. Im Zuge der Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod hatte Lou Koster in den Jahren 1972 und 1973 vier handschriftliche Entwürfe testamentarischer Verfügungen sowie ein persönliches Bekenntnisschreiben mit dem Titel Mei Glaw a mein Schaffen [Mein Glaube und mein Schaffen] verfasst. Lou Kosters Testament wurde am 31. Dezember 1973 vom Amtsschreiber des Gerichts beim Notar Joseph-Étienne-Hyacinthe Glaesener aus Stadt Luxemburg eingereicht und am 6. Mai 1974 unter der Nummer 1389 registriert (ALK, LK 6A 4 1973.12.31). Der Text entspricht keinem der vier Entwürfe von 1972/73, sondern ist ein handschriftliches Testament, das auf den 12. Oktober 1938 datiert ist und von Lou Koster in Anwesenheit von Zeugen am 19. August 1973 als letzter Wille unterzeichnet wurde. In dem kurzen Text wird die Schwester Laure Koster als Alleinerbin aller materiellen und immateriellen Güter eingesetzt. Es kann vermutet werden, dass der frühe Unfalltod der Schwester Lina im Juni 1938 die Komponistin damals dazu veranlasst hatte, zeitnah ein Testament zu verfassen. Die vier handschriftlichen, in Französisch geschriebenen Entwürfe testamentarischer Verfügungen, die sich im Nachlass befinden, sind auf den 1. Februar und den 1. März 1972 bzw. zwei davon auf »Mai 1973« datiert. In ihnen verfügte sie eine ganze Reihe von Schenkungen an Freunde.249 Die zwei ersten sowie auch die zwei letzten Versionen sind jeweils fast identisch. Was die Beschenkten und Schenkungen betrifft, entsprechen sich alle vier Texte mit minimalen Abweichungen.250 Die beiden letzten Versionen sind in dem Sinn ausführlicher, dass sie Schenkungen nicht nur auflisten, sondern zusätzlich kommentieren.251 In diesen Verfügungen wird Laure Koster als Alleinerbin nicht erwähnt und es wird auch nicht bestimmt, wer die Ersparnisse der Musikerin oder etwaige sonstige materielle Güter erben sollte. In den Versionen von 1972 werden Laure und Fernand Koster vielmehr als Testamentsvollstrecker ernannt.252 Man könnte eventuell diese Texte als Anhang zum offiziellen Testament interpretieren, möglicherweise als eine an die Schwester gerichtete Aufforderung, nach ihrem Tod gute Freunde mit Geschenken zu bedenken. Laure 192

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Koster berücksichtigte die Schreiben auch in diesem Sinn, da sie nachweisbar Schenkungen so vollzog, wie die verstorbene Schwester es sich gewünscht hatte. So erhielt beispielsweise die ehemalige Klavierschülerin und Freundin Andrée Pepin-Weitzel tatsächlich Lou Kosters Steinway-Flügel, weil, wie es im Testamentsentwurf heißt, »sie mir während langen Jahren ihr Vertrauen und ihre Treue erhielt – dies trotz der Versprechungen eines neidischen und intriganten Umkreises – –«. Dieser Flügel befindet sich heute, vom Klavierbauer Arthur Elsen restauriert, im Konservatorium in Luxemburg. Mireille Cao, die junge Tochter von Pierre Cao, erhielt, wie von Koster gewünscht, deren barocke Stainer-Geige, mit folgendem Kommentar im Text: »es ist eine kleine Tiroler Violine, die einen schönen Klang schön weit trägt – – – und die für eine Frauenhand viel besser als für eine Männerhand geeignet ist«. Ihr »schönes ›Telefunken‹-Radio« schenkte sie »Madame Ulveling«: »Bitte bedankt Euch bei ihr mit einem schönen Blumenstrauß und einer Schachtel Calissons d’Aix«, einem Mandelgebäck aus Aix-en-Provence, das die Komponistin, die gutes Essen, Kochen und Backen liebte, wahrscheinlich bei ihren häufigen Aufenthalten in Cabris kennengelernt hatte. Ihrer letzten privaten Klavierschülerin Lucette Steinberg, Tochter von Félix Steinberg, vermachte sie die Fotos von Raymond Clement. Es handelt sich dabei um eine Serie von außergewöhnlich schönen Porträtfotografien, u.a. am Klavier, des Fotografen Raymond Clement, der Lou Koster auf Einladung von ­Lucette Steinberg an zwei Terminen, am 6. Februar und am 13. März 1973, besucht und fotografiert hatte (siehe Abb. 24). Nach den ersten beiden Textversionen sollte Venant Arend ihre »kleine Bibliothek mit ihrem Inhalt« erben, in den letzten beiden Félix Steinberg. Steinberg beschrieb diese Bibliothek der Komponistin im November 1983 in einem Beitrag im Journal: »Während meiner Besuche hatte ich die Gelegenheit, in ihrer Bibliothek eine Vorstellung von ihren Lesevorlieben zu bekommen. Ich sah eine ganze Reihe von Autorenbänden, so u.a. von Nik. Welter, Willy Goergen, Paul Henkes, Fr. Clement, Pierre Frieden, W. Weis, Marcel Noppeney, KC Martin, Norbert Weber, Fr. Binsfeld, Maxence van der Meersch, Verlaine, Heinrich Heine, Victor Hugo … […] Aber es gab eine ganze Reihe von Ausgaben von wenig bekannten Autoren, die sie sicherlich aus reiner Sympathie sowohl für die 253 Autoren wie für Themen gekauft hatte.«

Nur in der allerersten Version vom 1. Februar 1972 hielt Lou Koster fest, was mit ihren Autorenrechten zu geschehen habe bzw. wer eventuelle Aus»Wenn ich ein Mann wäre, dann hätte ich es viel leichter« (1972/73)

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schüttungen bei Werkaufführungen von der SACEM bekommen sollte: »Wenn meine Musik Annahme findet und die Rechte meinen Interpreten Venant, Laurent und Béby einigen Gewinn bringen, teilt bitte mit meinem Neffen Fernand Koster in Brüssel [Sohn von Francis Koster].« Lou Koster bestimmte in den beiden ersten Versionen, Laurent Koster solle ihre Drucke und Manuskripte in Verwahrung erhalten. In den letztdatierten Versionen vom Mai 1973 verfügte sie, die Verwahrung auf drei Personen aufzuteilen: Laurent Koster, Venant Arend und Félix Steinberg. Die Erbin Laure Koster entschied sich schließlich für Laurent Koster: »Ich dachte mir […] Laurent ist ein gesetzter Mann, er hat eine Frau, Kinder, ein Haus … Ich habe Laurent alles gegeben […] Ich dachte aber immer, wenn Lou tot ist, wird kein Hahn mehr danach krähen.« (EI 7) Sie erzählte weiter, sie habe dann später erfahren, dass Laurent Koster die Notenmanuskripte und Drucke mit seinen beiden Kollegen Venant Arend und Béby Kohl-Thommes ›geteilt‹ habe. Bis 2003 blieben die allermeisten der überlieferten Kompositionen im Privatbesitz der drei Mitglieder des Ensembles Onst Lidd, die sich darum bemühten, die Musik lebendig zu erhalten. Nach ihrem Tod veranstaltete das Ensemble Onst Lidd immer wieder Gedenkkonzerte, so z. B. am 1. und 5. Todestag und zum 90. und 100. Geburtstag.254 Zu diesen Konzerten lud es auch andere MusikerInnen ein, so dass sich der Kreis derer, die sich dafür einsetzten, das Vokalschaffen der Komponistin im Konzert-, aber auch Radiorepertoire zu behalten, eine Zeitlang beständig vergrößerte. Zu diesem Kreis gehörten die SängerInnen Josette Doemer, Yvy Flesch-Weydert, Marie-­Jeanne Klein, Fernand Koenig, Jean-Paul Majerus, Pierrette Oth-Wagener und Sylvie Serra-Jacobs sowie die PianistInnen Pierre Cao, Eugène Bley, Daniel Feis, Erna Hennicot-Schoepges, Fernand Jung, Jean-Pierre Kemmer, René Mertzig und Pierre Nimax Senior. In den Meisterkursen zum Liedgesang, die Robert Schollum mehrere Jahre lang in der Wohnung von Era Hennicot-­ Schoepges in Luxemburg abhielt, waren die Lieder von Koster ein fester Bestandteil des Programms, an dem gearbeitet wurde. Das Ensemble Onst Lidd setzte sich für erneute Aufführungen des Geigers von Echternach ein und gründete zusammen mit weiteren Freunden und Freundinnen der Musikerin das Comité Lou Koster, dessen explizites Ziel es war, das Werk der Komponistin nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Zu Recht bezeichnete Félix Steinberg das Ensemble Onst Lidd »als geistigen Verwalter der Hinterlassenschaft Lou Kosters […] Das Quatuor ›Onst Lidd‹ lässt die Künstlerin immer wieder auferstehen.« (Steinberg 8.2.1980, J)

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Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

(Auto-)Biografisches Erzählen Lou Koster spricht über ihr Komponieren In den Gesprächen mit Freunden und Verwandten der Komponistin zitierten diese aus der Erinnerung bestimmte Formulierungen oder Redewendungen von Lou Koster, mit denen sie ihr Komponieren oder Musizieren beschrieb. Die Musikerin benutzte in Gesprächen offensichtlich ein eigenartig verschlüsseltes Vokabular, um über Tätigkeiten ihres musikbezogenen Handelns zu sprechen. »Komponieren« hieß bei ihr: »Ech hun e puer Noute verbrach« [»Ich habe ein paar Noten verbrochen«] (EI 5). Al Schmitz zitiert die Komponistin in ähnlichem Wortlaut: »Ech hun heiansdo hémlech e puer No’te verbrach.« (Schmitz 17.5.1969, T) Komponieren beschrieb sie auch, diesmal in deutscher Sprache, mit »Ich bin in Nöten.« (EI 6) Ein Konzert geben bzw. ihre Lieder in Konzerten vorstellen umschrieb sie mit »erausgoen« [»ausgehen«] (EI 5). In solchen Formulierungen werden Handlungen nicht offen und klar als das benannt, was sie sind, sondern verhüllt, wie in einem Versteckspiel umschrieben, und zwar mit Redewendungen – und Konnotationen – aus anderen Handlungskontexten. Solche Umschreibungen können als ein schüchterner Ausdruck weiblicher Bescheidenheit interpretiert werden, als Minimalisierung, Marginalisierung einer Tätigkeit in einem gesellschaftlichen Kontext, der weiblichem Komponieren noch immer skeptisch gegenüberstand und von Künstlerinnen Bescheidenheit geradezu erwartete. Dass Lou Koster sich lange Zeit sehr schwertat, selbstbewusst als Komponistin aufzutreten, das belegen die Aussagen ihrer Schwester Laure Koster: »Sie hat sich versteckt«, »Sie war zu scheu […] Louise hat sich im Leben nicht gut verteidigt.« (EI 4, EI 7) Lou Kosters »Bescheidenheit« oder Zurückhaltung – ein Charakterzug oder eine Zuschreibung? – wird immer wieder auch von Freunden und Bekannten hervorgehoben: »Sie war einfach und bescheiden wie ihre Musik, die sie uns hinterlassen hat.« (Arend 1990, S. 6) »Lou Koster […] war mit einem festen Charakter ausgestattet, da sie selbst bei den lebhaftesten Erfolgen stets ein Vorbild an Bescheidenheit blieb.« (Steinberg, in: Arend Steinberg 1990, S. 32) »Sie war keine aggressive Person, sie war nicht streitsüchtig, sie war eine ruhige, bedachtsame Person, und ihre Musik ist auch so, es ist keine Musik, die schockieren will. Ich habe eine entfernte Erinnerung an sie: eine friedliebende Dame, still, liebenswert, gar nicht polemisch. Und was charakteristisch für ihre Musik ist, ist vor allem das! Ihre ganze Persönlichkeit kommt in der (Auto-)Biografisches Erzählen

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­ usik zum Vorschein, es ist keine Arroganz, keine falsche Prätention in dieM ser Musik.« (Pierre Cao, EI 14)

Unterschwellig haben Kosters persönliche Umschreibungen des Komponierens und Konzertierens aber auch subversive Kraft und bieten, mit Humor und Ironie, andere Lesarten an: In »ich bin in Nöten« schwingt das übermächtige Bedürfniss zu komponieren mit, dem kein Einhalt geboten werden kann. »Erausgoen« bringt die Lust, ihre Lieder einem Publikum vorzustellen, zum Ausdruck; ›ausgehen‹ oder ›hinausgehen‹ ist befreiend, Türschwellen, Grenzen werden überschritten. »Ech hunn e puer Noute verbrach« vermittelt, dass Frauen, die komponieren, gesellschaftliche Regeln brechen, ihre Tätigkeit also in bestimmtem Maß als ›verbrecherisch‹ gelten kann. Koster war sich bewusst, dass sie es in ihrem musikalischen und gesellschaftlichen Umfeld als Komponistin schwerer hatte als ihre männlichen Kollegen. In diesen mehrdeutigen Formulierungen kommt Kosters ›Doing Gender‹ als performativer Prozess zum Ausdruck. Doris Kolesch versteht die »variierende Re-Zitation vorgängiger Muster, Diskurse, Traditionen oder auch Verhaltensweisen«, die sich hier auch in Kosters umgedeuteten Redewendungen manifestiert, als das Charakteristikum performativer Prozesse (Kolesch 2009, S. 52). In der Zeit zwischen 1950 und 1972 erschienen in Tages- und Wochenzeitungen insgesamt zehn Beiträge, die auf Interviews mit der Komponistin basierten.255 Manchmal wird das Gespräch als solches erwähnt, andere Male kann nur aus der Natur der Informationen geschlossen werden, dass ein solches stattgefunden haben muss. In Bezug auf das Selbstverständnis von Lou Koster sind diese Beiträge nur bedingt aussagekräftig, da die Komponistin äußerst selten – mit kurzen Sätzen oder Einwürfen – im Originallaut zu Wort kommt. Ihre Antworten auf die Fragen der Journalisten bzw. eigene Erzählungen werden in allen zehn Beiträgen jeweils nur in stark redaktionell verarbeiteter Form wiedergegeben. Die meisten dieser Texte waren in ihrer Wirkung kurzlebig, da sie oft an einen aktuellen Anlass, z. B. eine Aufführung, gebunden waren, und spielten somit in der Rezeptionsgeschichte Kosters keine mit den Nachrufen oder Gedenktexten vergleichbare Rolle. Lou Koster schreibt über ihr Komponieren Nach autobiografischen Dokumenten – Lebenslauf, Memoiren, Tagebüchern – von Lou Koster befragt, entgegnete Laure Koster bei den Interviews 196

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

1996, derartige Selbstzeugnisse existierten nicht oder nicht mehr. Von Lou Koster sind dennoch zwei kurze Texte erhalten, die aus den Jahren 1961 bzw. 1972/73 stammen und in denen sie über ihr Leben und Schaffen schreibt: ein dreiseitiges handschriftliches, auf »Januar 1961« datiertes Curriculum Vitae de Anne-Marie-Louise Koster sowie der Text Mei Glaw a mei Schaffen aus dem Anhang der Entwürfe zu ihrem Testament (siehe vollständige Texte im Online-Anhang Quellen): Curriculum Vitae de Anne-Marie-Louise Koster, Januar 1961 Das Original des Curriculum Vitae befindet sich heute im Besitz ihres Neffen Jean-Paul Koster.256 Es gibt keine Hinweise, für wen und zu welchem Zweck sie den Text schrieb. Er enthält einige Streichungen und Ergänzungen in anderer Tinte und kleinerer Schrift. Es scheint aber so, als stammten auch diese von Lou Koster selbst. Geschrieben wurde der Lebenslauf in französischer Sprache im Januar 1961, also zu Beginn der Konzerttätigkeit des Ensembles Onst Lidd. Erstellte die Komponistin in dieser euphorischen Aufbruchsphase den Text möglicherweise als Dokument für eine spätere Musikgeschichtsschreibung? Das Curriculum Vitae – eine Gattung der Biografieschreibung, bei der die wichtigsten individuellen Daten einer Person knapp und sachlich aufgelistet werden – wird in der Regel bei Bewerbungen genutzt. Die Jahreszahl 1961 könnte darauf hindeuten, dass der Text mit der Intention verfasst wurde, ihn Bewerbungen um Konzertauftritte beizulegen. Für diesen Zweck ist das Schreiben entgegen den Normen der Gattung allerdings viel zu persönlich verfasst und enthält zum Teil sehr private Details. Es scheint vielmehr so, als habe Lou Koster den Text für sich selbst geschrieben. Sie erlebte diese Zeit nach dem erfolgreichen Liederabend von 1959 als einen positiven Neubeginn, der sicherlich nicht ohne Auswirkungen auf ihr Selbstbewusstsein und Selbstbild blieb. Vielleicht regte dies sie dazu an, innezuhalten und auf ihr Leben und Schaffen zurückzuschauen, Zwischenbilanz zu ziehen und möglicherweise ihre Zukunft zu planen? Obwohl diese Zukunft nicht entworfen wird, blickt die 72-Jährige doch optimistisch nach vorne, wenn sie mit dem Satz abschließt: »Die Gedichte von Marcel Noppeney, Paul Palgen, Paul Verlaine haben mich inspiriert, und ich hoffe, weitermachen zu können und den Gedichten unserer nationalen Schriftsteller eine musikalische Form zu geben, die ihrer Großzügigkeit, Größe und Phantasie entspricht.« Aus diesem Satz kann man wohl schließen, dass sie zu diesem Zeipunkt bewusst vor allem Texte von DichterInnen aus Luxemburg zu vertonen beabsichtigte. (Auto-)Biografisches Erzählen

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Das chronologisch aufgebaute Schriftstück erzählt weniger die Geschichte von Leistungen und Erfolgen als die eines nicht einfachen Lebens mit so manchen Enttäuschungen. Der Tonfall ist zurückgenommen, bescheiden, mehr melancholisch und resigniert als anklagend oder kämpferisch. Oft ergänzen erst die später hinzugefügten knappen Zusätze den Lebenslauf mit den für ein Curriculum typischeren Informationen wie z. B. den Namen ihrer Professoren am Konservatorium und den Preisen, die sie dort erhielt. Auch streicht Koster nachträglich ein paar offensichtlich als zu persönliche empfundene Sätze wie: »– – Ich hatte Liebeskummer, – – Und ich stieß auf Demütigungen und Enttäuschungen. Ich wurde misstrauisch, wenig kommunikativ, ich war unglücklich.« Oder auch: »und ich war enttäuscht zu sehen, dass ein Rivale den Posten besetzte, den ich für mich erhofft hatte.« Die ersten drei Abschnitte widmet die Verfasserin ihrer Kindheit und der Musik in ihrer Kindheit, wobei sie mehr von ihren Familienmitgliedern erzählt als von sich selbst. Die freidenkerische Gesinnung der Familie und das politische sozialistische Engagement des Vaters werden verschwiegen, der (atheistische) Vater wird nur einmal im Text erwähnt, als Amateursänger, der zuhause das ›Credo‹ und das ›Tantum ergo‹ anstimmte. Leistete Koster mit diesem erzählerischen Moment hier den normativen Wertvorstellungen ihrer katholischen Heimat Tribut, wenn sie als Beispiel Kirchenmusik erwähnt? Wie der autobiografische Text von 1972 zeigt, bekannte Koster sich im hohen Alter, wenn auch in individueller Ausprägung, zum katholischen Glauben. Auch über ihren Zugang zum Komponieren erzählt sie wenig. Das erste Werk, dessen Aufführung sie erwähnt, ist ihre Operette An der Schwemm. Dass sie aber schon vorher komponierte, darüber informiert sie nur knapp: »Ich liebte die Werke von Lamartine, Molière und besonders A. de Musset. Schüchtern formte ich meine Melodien, indem ich die Gedichte las.« Die Operette wertet sie als persönlichen Erfolg, aber an erster Stelle, weil sie den Mut hatte, Batty Weber um ein Libretto zu bitten. Dennoch lässt sie wissen, dass das Bühnenwerk beim Publikum Gefallen fand. Sie war zu diesem Zeitpunkt auch davon überzeugt, dass diese Komposition sie bei anderen Dichtern, die ihr nun ebenfalls Texte zur Vertonung anvertrauten, bekannt machte. Die 1930er Jahre betreffend, erwähnt sie die Liedvertonungen auf Texte von Nikolaus Welter, die sie in der Natur komponierte, und als einzige öffentliche Aufführung die des Märchens De Jokeli an d’Gre’deli im Stadttheater. Dass sie mit dem Komponieren – wiederum betont sie, dass sie in der Natur komponiert – offenbar schwierigere Lebenserfahrungen verarbeitete, geht aus dem folgenden Satz hervor: »›Ein Stündlein wohl vor Tag‹ 198

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von Mörike so wie ›Feldeinsamkeit‹ – beide in der schönen Einsamkeit des ›Bire­lergronn‹ geschrieben, waren ebenfalls Ausdruck einer tiefen Trauer, eines großen Liebeskummers.« Im Curriculum lässt sie aus, dass sie ab den 1910er Jahren sowohl für ihre Klavierstücke wie für ihre Lieder Verleger vor allem auch im Ausland fand, dass sie neben Vokal- auch Instrumentalmusik komponierte und bereits in den frühen 1920er Jahren Unterhaltungsmusik für Orchester schrieb und Aufführungen vom Klavier aus leitete sowie dass ihre Orchestermusik regelmäßig und häufig bei Radio Luxemburg gespielt wurde. Auch die zwei Märsche, die 1939 »aus allen Lautsprechern jauchzten« – ein Ereignis, auf das ihre ersten Biografen so großen Wert legten –, kommen in dieser Erzählung nicht vor. Und die Sänger des Ensembles Onst Lidd, mit denen sie zu diesem Zeitpunkt zuzusammenzuarbeiten beginnt und Konzerte plante, finden keinerlei Erwähnung. Mei Glaw a mei Schaffen, 1972/73 Die beiden erhaltenen Versionen des Textes Mei Glaw a mei Schaffen sind fast identisch, mit nur minimalen Varianten, wobei die zweite geringfügig länger und durch die Hinzufügung von Ausrufezeichen – der kurze Text enthält deren fünf – noch eindringlicher wirkt als die erste. ›Schaffen‹ hat im Luxemburgischen, noch mehr als im Deutschen, die Doppelbedeutung von ›Arbeiten‹ (›meng Schaff‹ = Meine Arbeit, »ech schaffen« = ich arbeite) und kreativem ›Schaffen‹, wobei man in Luxemburg aber für Letzteres eher den Begriff »Schafen« (von schöpfen) verwenden würde. Koster legt also Wert darauf, nüchtern den Aspekt der handwerklichen Arbeit des Komponierens, nicht den der schöpferischen Inspiration zu betonen. Der Text handelt ausschließlich vom Komponieren, nicht von den anderen Facetten ihres vielfältigen musikbezogenen Handelns. Er ist in Luxemburgisch verfasst und in drei Abschnitte gegliedert. Im ersten äußert sie sich knapp, wie sie zu Religion und dem katholischen »Glauben« steht. Die beiden folgenden sind ihrem kompositorischen »Schaffen« gewidmet. Es ist aber – so wie der Titel erwarten lässt – kein eigentlicher Rückblick auf ihre rund 70-jährige Kompositionstätigkeit, es werden keine Werktitel, Aufführungen, Erfolge und Misserfolge erwähnt. Nicht einmal Der Geiger von Echternach, der im Juli 1972 seine Uraufführung fand und in der Presse als »Krönung ihres Lebenswerks« gefeiert wurde, wird genannt. Es ist ein ebenso knapper wie enttäuschter, ver-

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bitterter Rückblick über viele Jahre wenig respektvollen Umgangs mit ihren Kompositionen: »Mein Glaube und mein Schaffen! – – – Ich bin katholisch – ich glaube an eine Allmacht, an den Apostel Jesus Christus, an alles, was in der Religion gut ist – – aber nicht wie sie in den Kirchen gepredigt wird und wie sie für ihre Zwecke von ihren Leuten gepredigt wird! – – – Am Konservatorium habe ich keine Hilfe bekommen und ich wurde auch nie unterstützt! – – Die Herren der Überwachungskommission haben meine besten Lieder – die ich ihnen bei jeder Veröffentlichung geschenkt habe, auf den Speicher gelegt, und ich habe sie, als ich in Pension ging, voller Staub und verschmutzt zurückbekommen. – In der ›Ugda‹ ist es mir nicht besser ergangen: sie haben mich überredet, ihnen meine Manuskripte meiner Märsche zu überlassen – mit dem festen Versprechen, – dass sie sie drucken würden. – – – Es wurde aber nie etwas veröffentlicht und ich habe sie dutzende Male daran erinnert: Ich habe nach den Noten gefragt – ich habe sie zurückgefragt – – ich habe sie nicht bekommen!! Einmal haben sie mir als Antwort gegeben: es würden Takte fehlen … Und dabei ist dieselbe Musik vom Radioorchester unter Henry [sic] Pensis – – und von der Militärmusik oft und gerne gespielt und gehört worden – –«

Es ist übrigens hier das erste und einzige Mal, dass Koster ihre vom Radioorchester in den 1930er Jahren aufgeführten Orchesterwerke selbst erwähnt. Beim Lesen des Textes, vor allem in Bezug auf den Texttitel, entsteht der Eindruck, als sei von ihrem Schaffen eigentlich gar nichts übrig geblieben als materiell ein paar verstaubte alte Lieddrucke und im Gemüt der Komponistin tiefe Frustration und Desillusionierung. Als habe die Komponistin immer wieder, aber erfolglos versucht, mit ihrer Musik Gehör zu finden, und als seien die vielen Anläufe hierzu, die in der Tat ja auch immer wieder zu Abbrüchen und Neuanfängen führten, im Nichts verlaufen oder, wie Reinhard Sieder es für besonders brüchige Biografien formuliert: »Mit zunehmend häufigen Abbrüchen und Neuanfängen wird das Leben zum Patchwork, polythematisch, polyrhythmisch, episodisch, ohne durchgehende Handlung und vor allem aleatorisch, mit zufälligen Effekten von Konstellationen und Sequenzen.« (Sieder 2012, S. 209) Diese Beschreibung von Sieder trifft auch auf die in den Nachruf- und Gedenktexten erzählten Brüche in der Zeitspanne von der Jahrhundertwende bis 1959 zu. Im Gegensatz zu Kosters obigem Schreiben wird aber dort der Lebenslauf ab 1959 als kontinuierlich 200

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auf einen großen Höhepunkt hin kulminierend beschrieben, dies nähert die Erzählung dann einer Heroenbiografie an, was bei Kosters Text nicht der Fall ist, im Gegenteil. Die Nachrufe In den Wochen nach dem Tod der Komponistin erschien eine Reihe von Nachrufen in der Tagespresse. Wenn, wie bei Lou Koster, bis zu diesem Zeitpunkt keine selbst oder von einer anderen Person verfasste Lebensbeschreibung existiert, sind es oft die Nachrufe, in denen das Leben zum ersten Mal als sinnhaftes Ganzes erzählerisch rekonstruiert und auch festgeschrieben wird. Die drei Verfasser der ausführlicheren Nachrufe zu Lou Koster waren Félix Steinberg und Al Schmitz257 sowie ein dritter, anonymer Schreiber, bei dem es sich um Venant Arend handeln kann. Sie gehören zu den frühen Biografen von Lou Koster. Wie man feststellen kann, beziehen sich diese Nachrufe – wie auch spätere, zu Gedenktagen publizierte Texte – vielfach aufeinander. Oft haben sie die gleiche Erzählstruktur, Anekdoten und sogar Formulierungen werden zum Teil wortgetreu wiederholt.258 Dass die zwei – wenn es sich um Arend handelt, drei – Autoren sich persönlich kannten oder befreundet waren und sich alle auch dem Ensemble Onst Lidd verbunden fühlten, favorisierte möglicherweise diese Übernahmen. Nach Goetz »vermittelt der Nachruf ein Gefühl der Zusammengehörigkeit und begründet kollektive Identität«, zentral ist dabei die Vergegenwärtigung der »Aspekte gemeinsamer, d.h. gruppenspezifischer Vergangenheit« (Goetz 2008, S. 26 u. 41). Am 24. November 1973 publizierte Félix Steinberg im Journal einen ersten ausführlicheren Nachruf.259 Der Autor leitete seinen Text mit dem Titel »Gedenken an eine große Frau« mit den folgenden Worten ein: »Als heuer die Blätter fielen, schlug auch die Stunde für Lou Koster, Luxemburgs große Komponistin. Sie starb 84-jährig, die große alte Dame mit dem schneeweißen Charakterkopf, die erst kurz vor ihrem Lebensende den Höhepunkt ihrer Laufbahn erreichte.« Steinberg strukturiert seinen Beitrag – und somit Kosters Biografie – mittels zwölf Überschriften (unten kursiv hervorgehoben), dadurch werden Phasen geschaffen und bestimmte Leistungen, Werke oder auch Charakterzüge besonders hervorgehoben, wobei in diesem Fall der Verfasser sich auch selbst einen Platz in der Biografie einräumt: 1. Das Erbe Papa Hoebichs. (Auto-)Biografisches Erzählen

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2. Ein Leben für die Kunst. »Mit liebevoller Hingabe« habe sie sich ihrem Beruf als Musikpädagogin gewidmet und »in ihrer Freizeit« komponiert, »hierin wurde es ihr beileibe nicht leichtgemacht und man muss schon die gepflückten Lorbeeren einzig ihrem großen Talent und ihrer Willensstärke zuschreiben«. 3. Überragende Figur »auf dem Gebiete der einheimischen Musik«. Hervorgehoben werden ihre »Kammermusik« und ihre »Lieder«. 4. Unsere erste Begegnung. Der Autor und Dichter erwähnt die persönliche Freundschaft und künstlerische Zusammenarbeit »mit dieser liebenswürdigen Frau, die so stark fühlte, dass sie auf Anhieb von dem Gedanken des Partners angesprochen war und es ihr ein Leichtes war diese Gedanken und Gefühle in Musik zu kleiden«. 5. Auffassungsvermögen und Gefühlsstärke. Beschrieben wird, wie Koster »schlichten Worten« »eine Fülle von romantischer Schwärmerei und Naturverbundenheit abgewinnen« kann, Gefühle steigert und in die Texte durch Musik »Stimmung hineinzaubert«, als Beispiele werden erwähnt: der Geiger von Echternach und die Vertonungen zweier Gedichte von Steinberg. 6. Die Krönung des Lebenswerkes. Der »Geiger«, »das Monumentalwerk«, »das unbedingt zu einem der größten Werke der einheimischen Musik – wenn nicht zum größten überhaupt – gestempelt werden muss«. 7. Das größte Denkmal. Ein weiterer Abschnitt über den »Geiger«. 8. Eine seltene Ehre. Kosters Audienz bei der Großherzogin 1972/73. 9. Ein ganze Riege. Aufzählung ihre Freunde.260 10. Ein lebensnaher und unversiegbarer Humor. Der Humor wird hier als ihr Gegenmittel für »die schweren Stunden der Bitternis und Enttäuschungen« dargestellt. Hervorgehoben wird »ihre freiheitliche Lebensauffassung« wie auch ihre Mitgliedschaft in den Femmes Libérales sowie die Tatsache, dass sie eine »treue Abonnentin und eifrige Leserin« des Journal war, also der Tageszeitung, die ebenfalls der Demokratischen Partei nahestand und für die Steinberg schrieb. 11. Eine rue Lou Koster? Steinberg plädiert für ein solche. 12. Die Vollstreckung »des geistigen Vermächtnisses« als »fürderhin die Aufgabe ihrer Freunde, da der Verlust ihrer unschätzbaren Werke oder deren Versenkung in der Mottenkiste ein Verbrechen an einer unserer größten Frauengestalten unserer Geschichte wäre.« Der Schlusssatz lautet: »Lou Koster wird nicht sterben!«

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Zwei Tage später, am 26. November 1973, veröffentlichte Al Schmitz im Tageblatt einen Nachruf. Es ist vor allem die narrative Struktur dieses Artikels – samt bestimmter Formulierungen und der biografischen Ecksteine, die hier festgelegt werden –, die in späteren Texten übernommen wurde. Die Auswahl der als biografiewürdig empfundenen Ereignisse, aber auch die Auslassungen, die Konstruktion einer Entwicklung mit Höhepunkten und Brüchen, die Charakterbeschreibungen usw. sind aus der Perspektive des Autors verfasst. »Erinnerungsprozesse [sind] immer und notwendig selektiv, konstruktiv inszeniert und in einem weiten Sinn (identitäts- und biographie-) politisch« (Zierold 2006, S. 199). Da individuelle Erinnerungen in einer engen Verbindung zu gesellschaftlichen Erinnerungskulturen stehen261, können Formulierungen wie die jeweilige Erzählstruktur auch zeit- und ortstypischen Denkmustern entsprechen, die ›natürlich‹ und objektiv erscheinen und so in der Folge in anderen Texten unhinterfragt übernommen werden. Wenn zudem, wie es hier der Fall ist, Nachrufe von Personen verfasst wurden, die der Verstorbenen nahestanden, wird deren Autoren und ihren Texten umso leichter eine Deutungshoheit zuerkannt. Schmitz beginnt seinen Text mit dem Geiger von Echternach, dem für ihn wichtigsten Werk der Komponistin: »Lou Koster hat ihre zahllosen Freunde und Bewunderer aus dem In- und Ausland für immer verlassen. In einem Augenblick, als viele auf die Wiederholung ihres größten Werkes ›Der Geiger von Echternach‹ und auf die Schallplattenausgabe des ›Geigers‹ warteten.« In dem nächsten Abschnitt hebt Schmitz hervor, Lou Koster habe als »d i e Luxemburger Liederkomponistin« zu gelten, und umreißt anschließend die Gattungen ihres Schaffens wie folgt: »ungezählte Lieder, Kantaten [!], Singspiele [!], Operetten, Märsche und die große Symphonische Dichtung [!], der ›Geiger‹«.262 Darauf lässt er den Lebenslauf folgen, geht aber nicht streng chronologisch, sondern in Zeitsprüngen vor und zurück, was zu vereinzelten sich widersprechenden Aussagen führt. Hier die Lebens- und Schaffensetappen, denen er Bedeutung zumisst, in der Reihenfolge, in der er sie erwähnt: 1972/73

Der Geiger von Echternach

1939

»Lou Koster wurde 1939 zum ersten Male [!] gefeiert – als Luxemburg den 100. Jahrestag seiner Unabhängigkeit beging – mit ihren Märschen ›Keep smiling‹ und ›Joyeuse‹, die aus allen Lautsprechern jauchzten.«263

1889

Geburt am 7. Mai 1889 als Enkelin von Hoebich, der ihr ihre »erste Ausbildung«, »die von der musikbegeisterten Mutter unterstützt wurde«, gab.

(Auto-)Biografisches Erzählen

203

1910er Jahre bis 1959 1922

1959 / 1920–1959

November 1973

»Diese Frau, die in jungen Jahren anonym damalige Stummfilme an ihrem Klavier oder mit ihrer Geige musikalisch untermalte, trat mit 60 Jahren zuerst [!] vor ihr Publikum.«

»Man kannte von ihr bereits ›Op der Schwemm‹, eine Operette, die Batty Weber ihr anvertraut hatte, die Vertonung der Geschichte ›Yolanda von Vianden‹264, das Märchen ›De Jokeli an t’Gréideli‹, sowie ›Das Krönlein der Muttergottes‹ von Wëllem Weis.« »1959 gab Lou Koster ihr erstes [!] öffentliches Konzert. Um Lou Koster hatten sich Robert Alain, Léon Moulin, Jos Berrens als Sprecher, sowie die Sopranistin Béby Kohl-Thommes und der Bariton Camille Felgen zusammengefunden, um im Théâtre Municipal ein ›Récital de poésies et de musique‹ zu geben. Hier legte Lou Koster den Grundstein für ihr Werk. Wie ein Mosaik, so fein und präzis, fügten sich bald die Lieder der 1920er Jahre an die Kompositionen der Kriegszeit, schillernd und dennoch bescheiden vollendeten die späten Werke das uns hinterlassene Erbe.« Es folgt ein Abschnitt über die Konzerte von Onst Lidd in den 1960er und 1970er Jahren. »Mit Lou Kosters Tod ist eine Lücke im Musikgeschehen Luxemburgs entstanden.«

Neben diesen biografischen Stationen beschreibt Schmitz in insgesamt fünf Abschnitten Lou Kosters Charakter, und auch diese Beschreibungen werden später zum Teil wortwörtlich, oft ohne Schmitz als Quelle zu zitieren, von anderen Autoren übernommen, hier beispielhaft zwei Auszüge: »Wir sind begeistert von dieser Frau, eine gefühlvolle, nie ermüdende, immer quicklebendige, scherzende, lebensbejahende Künstlerin, die es verstand aus ihrem Alter mehr herauszuholen als mancher aus seiner Jugend.« »Diese empfindsame, von sozialer Gerechtigkeit besessene Frau, welche sich selbst für andere vergaß, hat uns verlassen. Doch Lou Koster lebt weiter in der Musik, die den Glauben, an das Gute im Menschen und die Hoffnung auf ein friedlicheres Zusammenschaffen der Völker und Gemeinschaften widerspiegelt.« Die Autoren Steinberg und Schmitz waren beide beträchtlich jünger als die Komponistin und somit Zeugen für ihr späteres musikbezogenes Handeln, vor allem aus der Zeit ihrer engeren Bekanntschaft und Freundschaft mit ihr. Dadurch spielen in ihren Erinnerungen diese späten Jahre eine besondere Rolle. Bei Al Schmitz waren das die 1960er und frühen 1970er Jahre, bei Steinberg die letzten ca. drei Lebensjahre der Komponistin. Dies kann erklären, warum ihre Texte nur wenige und zum Teil unpräzise oder sich 204

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

wider­sprechende Informationen über die lange Schaffenszeit vom Beginn des Jahrhunderts bis zur Nachkriegszeit enthalten, warum ihre Sicht auf einzelne frühere Ereignisse sich nicht immer mit der Presseresonanz der Zeit, in der sie stattfanden, deckt und warum verschiedene Aufführungen in diesen Texten nicht erwähnt werden. Al Schmitz benennt in seinem Artikel selbst den Blickpunkt, von dem aus er das Leben der Komponistin beschreibt: »Wer an Lou Koster denkt, sieht sie vor sich, lächelnd, freundlich, umschwärmt von ihren Freunden, am Flügel im Musée oder bei ihr in der Schillerstraße, später im Boulevard d’Avranches.« (Schmitz 26.11.1973, T) Eine Woche nach Schmitz’ Artikel, am 2. Dezember 1973, widmete Radio Luxemburg der Komponistin eine halbstündige Sendung. Redakteurin war ›Colette‹, ein Pseudonym für Erna Hennicot-Schoepges, die Pianistin, die nach dem Tod der Komponistin gelegentlich auch das Ensemble Onst Lidd begleitete und später Kulturministerin wurde. Ein Tonmitschnitt ist leider nicht überliefert.265 Am 28. Dezember 1973 erschien im Luxemburger Wort ein dritter längerer, diesmal unsignierter Nachruf auf »Luxemburgs einzige Komponistin«. Zwar wird hier das Sterbedatum irrtümlich als der 16. statt 17. November angegeben, aber es scheint so, als habe der Autor die Komponistin besonders gut gekannt. Der Text enthält Informationen, die in den vorigen Artikeln nicht erwähnt wurden. Könnte Venant Arend, der später Gedenktexte namentlich unterzeichnete, diesen Beitrag geschrieben haben? Dass dem Autor Schmitz’ Artikel aus dem Tageblatt als Informations- und Inspirationsquelle vorlag, wird durch den Gebrauch identischer oder nur leicht abgeänderter Formulierungen offensichtlich (siehe die Zitate unten, kursiv markiert). Der Autor leitet seinen Text mit den folgenden zwei Sätzen ein: »Es wäre wohl überflüssig, ihre Verdienste hervorheben zu wollen, denn jeder Luxemburger, der irgendwie mit Musik in Verbindung steht, weiß ihr Schaffen zu schätzen und zu achten. Wir wollen stattdessen lieber einen kurzen Überblick über ihr ausgefülltes Leben vermitteln.« Der Nachruf ist diesmal streng chronologisch aufgebaut: 1889 ab 1906 ab 1922

Geburt; Musikausbildung durch den Großvater, »unterstützt« und ergänzt von der »musikbegeisterten Mutter«.

Studium am Konservatorium bei Joseph Keyseler [ihr Violinstudium wird erwähnt, nicht aber ihre Klavier-, Musiktheorie- und Tonsatzstudien]. Lehrerin am Konservatorium [nicht erwähnt wird, dass sie dort bereits viel früher, seit 1907/08, unterrichtete]. »Für ein Studium im Ausland konnte ihr leider nie eine Studienbörse verliehen werden.« Lob ihrer musikpädagogischen Leistungen.

(Auto-)Biografisches Erzählen

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1922

1939 1959 1962 1964 1972

Operette »Op der Schwemm« 1922 »32mal« aufgeführt. »Dem Werk war (wohl wegen des Librettos) kein dauerhafter Erfolg beschieden, und es geriet schnell in Vergessenheit«. »Zum ersten Mal gefeiert wurde die Komponistin erst im Jahr 1939 mit ihren Märschen ›Keep smiling‹ und ›La Joyeuse‹.« »Vor ihr Publikum trat sie erst viel später, nämlich 1959 im Alter von 70 Jahren. […]« Gründung von Onst Lidd.

Konzert zum 75. Geburtstag und Verleihung der »höchsten Auszeichnung der Union Grand-Duc Adolphe«. Der Geiger von Echternach »als Krönung ihres Werkes«.

Der Biografie folgt eine Beschreibung ihrer Musik: »Ihre Persönlichkeit, ihr Charakter äußern sich am besten in ihrer Musik selbst: Zarte Romantik, Spontaneität, Lebensfreude, große Einfachheit ja manchmal Naivität sind die hauptsächlichsten Merkmale. Lou Koster gehört nicht zur Avantgarde, nicht einmal zur klassischen Moderne, ihre Musik klingt wie aus guten alten Zeiten, und gerade deshalb spricht sie den Hörer sofort an. Sie bringt keine Neuerungen um der Mode willen, sie will uns bloß mitteilen, was die Komponistin in ihrer tiefsten Seele empfand. Lou Koster hat kein Werk komponiert, das nicht ehrlich gemeint ist, wo nicht ihre ganze Persönlichkeit dahinter steht, und das kann man ihr nicht hoch genug anrechnen. Zu ihren Werken gehören über 200 Lieder […], Operetten, Chorwerke, Märsche und ›Der Geiger von Echternach‹.«

In den Texten werden bestimmte Brüche in der Biografie – wie z. B. Misserfolge – derart dramatisiert, dass es zu logischen Widersprüchen kommt. So wird z. B. der Zeitpunkt, zu dem die Komponistin »zum ersten Mal« mit Erfolg vor ein Publikum trat, in diesem Text gleich drei Mal, in verschiedenen Phasen ihres Lebens, zeitlich verortet: Als erster öffentlicher Auftritt der Komponistin wird die Uraufführung ihrer Operette 1922 angeführt, die »32mal« aufgeführt wurde, aber als »kein dauerhafter Erfolg« gewertet wird, weshalb sie »in Vergessenheit« geraten sei. Der darauffolgende Satz erzählt, die Komponistin sei im Alter von 50 Jahren, 1939, »zum ersten Mal gefeiert« worden, und zwar mit der Aufführung von zwei Märschen während der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten (die 32 Aufführungen der Operette, die für die Beliebtheit beim Publikum zeugen, sind wie ausgelöscht). Im nächsten Satz heißt es dann: »Vor ihr Publikum trat sie erst viel später, nämlich 1959, 206

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

im Alter von 70 Jahren.« Das Narrativ erinnert an die Erzählstruktur vieler Märchen, in denen drei Prüfungen zu bestehen sind, bevor ein Problem seine Lösung findet. Nach den 1950er Jahren, hierin sind sich alle Autoren einig, ging es geradlinig und steil bergauf. In diesem Artikel liest man, dass »von nun an« ihre Lieder »überall« aufgeführt wurden und »jedes« Konzert in Schulen, Altersheimen und Museen »ein Erfolg« war und von der Presse »begeistert« aufgenommen wurde. Auch in diesem Text wird das »Monumentalwerk« des »Geigers« 1972 als die »Krönung ihres Lebenswerks« dargestellt, kurz danach starb »Luxemburgs einzige Komponistin«. Die Darstellung folgt hier der Struktur der ›Heroenbiografie‹ des 19.  Jahrhunderts: »Die Vorstellung, dass ein Künstler-Genie als gesellschaftlicher Außenseiter im Ringen mit der Welt sein Werk erschafft, verlangte nach einem an den Entwicklungsroman angepassten Lebenslaufmodell, das heroisch-dramatisch zugespitzt wurde (per aspera ad astra). Um diesem biographischen Ideal zu entsprechen, wurden Lebensläufe z. T. massiv retouchiert« (Unseld 2010, S. 148). Zum ersten Todestag der Komponistin war es Venant Arend, der gleich in zwei Zeitungen einen Gedenkartikel veröffentlichte, der in weiten Teilen der von Schmitz 1973 vorgegebenen narrativen Struktur folgt (Arend 15.11.1974, LW; Arend 18.11.1974, J). Zu den bedeutendsten Ereignissen zählen daher die Uraufführung des Geigers von 1973 und die 1939 aus den Lautsprechern ›tönenden‹ Märsche. Auch der Zeitsprung von 1939 zurück zu 1922, und damit die implizite Rangordnung der beiden Ereignisse, wird übernommen. Ein »Misserfolg« der Operette von 1922, der zu einer langen Schaffenskrise führte, kommt in diesem Text allerdings nicht vor. Aufgezählt werden vielmehr für die Zeit zwischen 1922 und 1939 eine ganze Reihe von Bühnenkompositionen und Lieddrucken in in- und ausländischen Verlagen, womit Schmitz’ These einer Schaffenskrise scheinbar implizit widerlegt wird.266 Dennoch beschreibt auch Arend das Liederkonzert von 1959 als »ihr erstes Récital«, da sie bis dahin »vielleicht nur unbewusst […] daran [dachte], ihre Lieder aufführen zu lassen.«267 Diese Variante der Erzählung fließt später wiederum in andere Texte ein und wird weiter verändert: So wird in einer Kurzbiografie der Komponistin von 1980 die Operette von 1922 als so erfolgreich beschrieben, dass Koster sich dadurch ermutigt fühlte, 200 Lieder, Märsche, Bühnenwerke und den Geiger zu komponieren.268 Arend nutzte den Artikel, um zu einem von Onst Lidd organisierten Gedenkkonzert am 19. November 1974 einzuladen. An diesem Abend führte Al Schmitz in Leben und Schaffen von Lou Koster ein (T 23.11.1974). Bei (Auto-)Biografisches Erzählen

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einem ähnlichen Gedenkkonzert sechs Jahre später, am 31. Januar 1980, war es Venant Arend, der »den Film des Lebens der großen Künstlerin abrollen« ließ (Steinberg 8.2.1980, J). Arend und Schmitz wirkten also beide nicht nur durch Pressetexte, sondern auch in Vorträgen als Biografen von Koster. Bei solchen Gelegenheiten konnten bestimmte Erzählstrukturen weiter verfestigt werden. Die Bedeutung der 1950er Jahre wurde in der Folge noch weiter dramatisiert. Im Journal vom 23. September 1989 heißt es: »Erst nach ihrer Pensionierung veröffentlichte sie erste Lieder nach Texten Luxemburger Autoren.« Félix Steinberg geht noch einen Schritt weiter, wenn er zu verstehen gibt, dass Koster ihre vielen Lieder, die er aufzählt und von denen nachweislich eine ganze Reihe viel früher komponiert wurden, allesamt erst im Ruhestand komponierte: »Nach ihrer Pensionierung am Konservatorium vertonte Lou die Texte einer Vielzahl von Dichtern, und ich bin besonders erfreut darüber einer von ihnen zu sein, wenn auch der bescheidenste. Erwähnen wir nur die bekanntesten: Verlaine, de Musset, Goethe, von Liliencron, Lenau, Storm, Mörike, dann Nikolaus Welter, Willy Goergen, Marcel Noppeney, Paul ­Palgen, Wëllem Weis, Albert Hoeffler, Siggy und viele andere.« (Steinberg Winter 89/90, CA) Konstruktion von Vergangenheit, bei der die emotionale Bewertung der Ereignisse ein zentraler Aspekt ist, kann den Zweck haben, kollektive Identität zu stabilisieren. Selektive Erinnerungen können dabei ritualisiert, bestimmte Ereignisse auch marginalisiert oder vergessen werden.269 Durch das Umerzählen der Schaffens- und Rezeptionsgeschichte vor allem von Personen aus dem Kreis von Onst Lidd wurde die Bedeutung des Ensembles, das zugleich Verwalter des musikalischen Nachlasses war, vermarktungseffizient überhöht und die kollektive Identität des Ensembles Onst Lidd gestärkt. Lou Kosters Mitwirken am Narrativ Für einzelne Episoden aus dem oben beschriebenen Konstrukt der Biografie gibt es frühere Textquellen als die Nachrufe, Texte, die letztlich auf Al Schmitz zurückzugehen scheinen. In dem Bericht des Konzerts zu Ehren von Kosters 75. Geburtstag hielt Schmitz eine Ansprache, die der Rezensent im Luxemburger Wort folgendermaßen in Auszügen wiedergibt: »Wie Al Schmitz in seinen einleitenden Worten bemerkte sind es eigentlich erst fünf Jahre, daß die Komponistin, tatkräftig unterstützt von dem Ensemble ›Onst Lidd‹ mit ihren Werken vor die Öffentlichkeit tritt, nachdem sie, ent208

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

mutigt durch den teilweisen Mißerfolg ihrer Vertonung von Batty Webers ›An der Schwemm‹, sich außer einigen Märschen kaum noch kompositorisch betätigte.« (G. 9.7.1964, LW) Al Schmitz hielt diese Ansprache in Anwesenheit der Komponistin, so dass man davon ausgehen muss, dass er wohl mit ihrem Zuspruch rechnete. Zwei Tage später erschien dieselbe Version der Geschichte in einem Artikel im Journal, der interessanterweise auf einem Gespräch mit der Komponistin basiert (I.K. 11.7.1964, J). Geht dieses Konstrukt der Künstlerinnenbiografie – mit ihren Varianten – also letztlich auf Koster selbst zurück? Zu den Varianten kann man einen Artikel von 1969 zählen, der ebenfalls auf einem Interview mit Koster beruht und in dem das Bild einer Komponistin gezeichnet wird, die sich und ihr Schaffen ab den 1960er Jahren zurücknimmt, um sich in erster Linie der Förderung junger Musiker zu widmen: »Doch die Komponistin trat nun zurück vor der Förderung luxemburgischer Talente in den Musikabenden mit Luxemburger Solisten.« (P.W. 8.5.1969, LW) Wenn man davon ausgeht, dass Zeitzeugenerzählungen »als adressatenbezogene Konstruktionen aufgefasst werden müssen, in denen biographische Erfahrungen nach ihrer sozialen und emotionalen Bedeutsamkeit, nach narrativen und normativen Erfordernissen und nach Maßgabe nachträglichen Wissens jeweils neu figuriert und präsentiert werden« (Welzer 2012, S. 257), und dass »die Erinnerungsarbeit und die Komposition der Großerzählung […] durch kulturelle Normen und normative Vorstellungen vom ›gelungenen‹ oder vom ›guten Leben‹, oder prospektiv von einer ›guten Zukunft‹ angeleitet« werden (Sieder 2012, S. 205), stellt sich die Frage nach dem möglichen Sinn und Zweck der jeweils aktualisierten Reformulierung ihrer Lebensgeschichte in den 1960er Jahren. Die immer wieder betonte Bescheidenheit der Komponistin sowie – im letzten Zitat – die Selbstrücknahme und Förderung der jungen Generation entsprechen einer von Frauen in den 1960er Jahren immer noch erwarteten Rolle. Hoffte Koster durch diese Rollenentsprechung beim Publikum ein offeneres Ohr zu finden? Mit der Variante der Erzählung, sie habe den späten Erfolg als Komponistin dem Ensemble Onst Lidd zu verdanken, wollte sie möglicherweise auch den jungen MusikerInnen einen Dank für ihren Einsatz aussprechen. War die Struktur der gesamten Erzählung möglicherweise ein Versuch, den häufigen Brüchen in ihrer Biografie Sinn zu verleihen, ihr Leben so zu erzählen, dass es sich letztlich zum Guten wendete und ihr spät Anerkennung entgegengebracht wurde? Indem frühe ›Misserfolge‹ konstruiert oder dramatisiert werden, wirkt die Schilderung des späten Erfolgs umso stärker. Die Nachrufautoren, aber vor ihnen bereits einige Rezensenten der Geiger-Aufführung 1972, sti(Auto-)Biografisches Erzählen

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lisieren ihn gar zur Apotheose: Durch den Einsatz der jungen Generation, die Zukunft und ein Weiterleben für die Musik der Komponistin verspricht, wird die ältere, verkannte Komponistin endlich aus der von der Gesellschaft aufgezwungenen Isolation befreit, findet Gehör und Anschluss an das Musikleben und wird schließlich ein Jahr vor ihrem Tod durch die Komposition eines ›Monumentalwerkes‹ als große ›nationale‹ Komponistin gefeiert, so die Presse 1972 und nach ihrem Tod die Nachrufautoren. 1980er Jahre: ›Einreihung‹ Lou Kosters in die Luxemburger ­Musikgeschichte 1988 veröffentlichte Léon Blasen eine Porträtsammlung Luxemburger Komponisten, darunter als einzige Frau Lou Koster (Blasen 1988). Das Buch war bis 2016 – dem Jahr der Veröffentlichung des Luxemburger Musikerlexikons (Anders-Malvetti u.a. 2016) – die einzige etwas umfassendere Publikation zur Musikgeschichte Luxemburgs. Die Porträts, allesamt in luxemburgischer Sprache verfasst, waren erstmals vier Jahre zuvor, 1984, als Reihe in der Fernsehzeitung Télécran publiziert worden (TE 2.6.1984, S. 20–22). Blasens Buch war nicht nur das erste, das Lou Koster in einer lexikalischen Übersicht einen eigenen Artikel widmete. Ihr Name wurde hier zum ersten Mal im Kontext eines Überblicks über die luxemburgische Musikgeschichte erwähnt. Dass der Kulturchronist und Radiojournalist über Persönlichkeiten Sammlungen anlegte, zeigt der ›Bestand Léon Blasen‹ im CNL (L-393), der auch eine Dokumentation zu Lou Koster enthält. Blasen berichtete im Kapitel zu Koster, er habe die persönliche Bekanntschaft mit der Komponistin im Februar 1967 gemacht. Seine eigene Erinnerung an die Komponistin datierte er aber bereits auf das Jahr 1939 – er war damals 23 Jahre alt: »Persönlich habe ich zum ersten Mal etwas von der Komponistin Lou Koster gehört, als 1939 anlässlich der Unabhängigkeitsfeiern hier in Luxemburg zwei ihrer Märsche, ›Keep smiling‹ und ›La Joyeuse‹, überall gespielt wurden.« Es scheint, dass er so manche der biografischen Informationen aus erster Quelle, zwischen 1967 und 1973 von der Komponistin selbst, erhalten hatte. Der Text lässt aber auch durchscheinen, dass sein Autor frühere Presseartikel als weitere Quellen nutzte. So griff er z. B. in der Hervorhebung des Jahres 1959 auf das Narrativ von Schmitz zurück: »1959, im Alter von 70 Jahren erst, ist sie zum ersten Mal mit ihren Liedern vor ein Publikum getreten. […] Dieser Liederabend schlug dermaßen im Kulturleben ein, dass klar wurde – und

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Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

auch die Kritik war sich darin einig –, dass sich solche Veranstaltungen wiederholen müssten.« (Blasen 1988, S. 68) Der Artikel beginnt mit der Frage des Geschlechts: »Vor ein paar Jahren gaben wir uns einmal die Mühe, zu überprüfen, wie viele Frauen es gegeben hatte, die Musik geschrieben haben. Ich habe damals herausgefunden, dass Frauen-Komponisten wie z. B. Lili Boulanger, Germaine Tailleferre, Louise Bertin oder Cécile Chaminade, um nur die bekanntesten französischen zu nennen, sehr selten sind. Daher meine ich, dass wir Luxemburger uns freuen können, eine Frau wie Lou Koster zu unseren Komponisten zählen zu können.«

Blasen gliedert seinen Text mit drei Überschriften, in denen er die für ihn bedeutendsten Aspekte ihrer Biografie hervorhebt: »Die einzige Luxemburger Komponistin«, »Mehr als 200 Lieder«, »Das größte Werk«. Hierbei handelt es sich um Motive, die schon in früheren Texten, Nachrufen und Zeitungsartikeln, des Öfteren die (Re-)Konstruktion der Biografie strukturierten: der Stolz auf »Luxemburgs einzige Komponistin« – wobei ihre Kollegin Helen Buchholtz ignoriert wird; Lou Koster als Liederkomponistin, wobei gleichzeitig ihre instrumentalen Werke nicht erwähnt werden; und schließlich der Geiger, auch nach Blasen »ihr bestes Werk› ein Meisterwerk […] das ihrer gesamten musikalischen Arbeit die Krone aufsetzt«. Den Text schließt er ab mit den Worten: »An uns allen ist es, dafür zu sorgen, dass ihre Lieder und ihr ›Geiger‹ nicht vergessen werden.« Auch die Aufforderung, sie nicht zu vergessen, ist ein Motiv, das in mehreren Texten auftaucht. Diese Angst vor dem Vergessen scheint bei einer Komponistin auch noch in dieser Zeit – wohl berechtigt – entsprechend größer zu sein als bei männlichen Komponisten. 1986, zwei Jahre nach der Artikelserie von Blasen und zwei Jahre vor dessen Buchpublikation, erschien eine erste Veröffentlichung von Guy Wagner zur Musik Luxemburgs im 20.  Jahrhundert unter dem Titel Luxemburger Komponisten heute. Das Buch war diesmal in deutscher Sprache und konnte sich also auch an ein Publikum außerhalb der Sprachgrenze wenden. ­Wagner nahm – wiederum als einzige Komponistin überhaupt – Lou Koster in seine Publikation auf. Als Journalist des Tageblatts hatte Wagner sich ­bereits in den 1970er Jahren, im Kontext der Aufführungen des Geigers, mit der Komponistin beschäftigt. Da er den Schwerpunkt auf Neue Musik und die jüngeren Komponistengenerationen legte, wird Koster lediglich knapp im einleitenden, »Präludium« betitelten Kapitel erwähnt. Wagner zählte sie aber – zu(Auto-)Biografisches Erzählen

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sammen mit Albert Thorn, Jean Eiffes und Louis Petit – zu den für ihn bedeutendsten Liedkomponisten in der Luxemburger Musikgeschichte: »Lou Koster, die einzige Frau, die in Luxemburg bisher als Komponistin bekannt wurde. Sie schrieb eine Anzahl bemerkenswerter Lieder, mehr als 200, die eindeutig dem Genre des Kunstliedes zugerechnet werden müssen. Vor allem aber ihre einfühlsame Kantate ›Der Geiger von Echternach‹ (Text von Nikolaus Welter) gehört zu dem Besten, was auf diesem Gebiete geschaffen wurde. Natürlich zeigen sich in solchen Werken ausländische Strömungen. Die großen Komponisten der Jahrhundertwende [!] – vor allem Brahms, Liszt, Wagner, Strauß – gingen nicht spurlos an den Luxemburger Musikschaffenden vorbei.«270

Um den 100. Geburtstag der Komponistin gebührend zu feiern, wurde das Comité Lou Koster gegründet. Ursprünglich war zu diesem Anlass die Aufstellung eines Lou-Koster-Gedenksteins im städtischen Park, an einem gut sichtbaren und zugänglichen Ort, geplant. Am 2. Juni 1989 war ein Finanzierungsantrag an den damaligen Kulturminister Robert Krieps gestellt worden (ALK, LK 5C 1989.06.02). Dieser war aber nicht bewilligt worden, mit der Argumentation, das Ministerium »verfüge nicht über die Haushaltsmittel, die es uns ermöglichen würden, solche Denkmäler zu subventionieren«.271 Das Comité Lou Koster verfasste daraufhin im September einen Spendenaufruf an Musikliebhaber, der mehrmals in verschiedenen Zeitungen veröffentlicht wurde.272 Eine Luxemburger Bank erklärte sich bereit, ein Viertel der Kosten zu übernehmen.273 Am 25. September schickte Venant Arend ein Schreiben an die damalige Bürgermeisterin Lydie Wurth-Polfer, dem eine Zeichnung beilag, in der er Orte im Stadtpark verzeichnete, wo der Gedenkstein aufgestellt werden könne (ALK, LK 5C 1989.09.25). Am 10. Oktober war erneut ein Finanzierungsantrag beim Kulturministerium, beim neuen Minister Jacques Santer, eingereicht worden (ALK, LK 5C 1989.10.10). Die negative Antwort auf dieses Schreiben ist nicht erhalten. Es gelang trotzdem, die notwendigen finanziellen Mittel zu sammeln (ALK, LK 5C 1989.12.13). Letztlich optierte das Comité Lou Koster aber dafür, auf die Aufstellung einer »einfachen Stele« im Stadtpark zu verzichten und stattdessen eine Büste bei der jungen luxemburgischen Bildhauerin Marie-Josée Kerschen in Auftrag zu geben, um diese im Konservatorium aufzustellen und mit der Wiederaufführung des Geigers von Echternach sowie der Herausgabe einer Broschüre zu verbinden (Brief von Venant Arend an die Bürgermeisterin und den Schöffenrat vom 13. Dezember 1989, LK 5C 1989.12.13; Arend Steinberg 1990). 212

Leben, Musizieren, Unterrichten, ­Komponieren

Die Aufführung, die Aufstellung der Büste und die Präsentation der Broschüre fanden im Mai 1990 – also mit einem Jahr Verspätung – »zum 100. Geburtstag« von Koster im hauptstädtischen Konservatorium und in Präsenz u.a. der Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg, Lydie Wurth-Polfer, und des Premier- und Kulturministers Jacques Santer statt.274 2003 ehrte die Luxemburger Post »verdienstvolle Frauen« und gab eine Lou-Koster-Briefmarke heraus.275 2008 wurde in Stadt Luxemburg eine Straße nach der Komponistin benannt.

Anmerkungen 1 Zur Familie siehe die in ›Archivmaterialien‹ (online) verzeichneten Akten des Standesamtes sowie die genealogischen patrilinearen Stammbäume, die von Fernand Koster erstellt und von Jean-Paul und Monique Koster ergänzt wurden (ALK, LK 6A 1-2). 2 Nach der militärischen Reorganisation kam es zur Schaffung einer zweiten Militärkapelle in Diekirch, als deren erster Dirigent 1847 Jean-Antoine Zinnen ernannt wurde. Als die preußischen Truppen 1867 abzogen, wurden die zwei Bataillone zusammengelegt und zogen als luxemburgisches Militär mit nur noch einer Kapelle unter der Leitung von Hoebich am 9.9.1867 in Stadt Luxemburg ein. 3 Die seinerzeit wegen ihrer Qualität und Gefälligkeit geschätzten Kompositionen (Lorent 1977) sind nicht mehr erhalten. Sie sollen auf Befehl eines Nachfolgers von Hoebich im Kasernenhof verbrannt worden sein (EI 7; Arend Steinberg 1990, S. 8). Im Archiv der Militärmusik befinden sich heute nur noch zwei seiner Arrangements, die Polka Die graziöse Luxemburgerin (Ch. Becker) sowie der Walzer Vie d’artiste ( J. Strauss). 4 Blasen 1988, S. 67. Siehe Ablichtung davon in Commandement de l’Armée Luxembourgeoise 1977, S. 437. Er ist heute im Besitz des Neffen Jean-Paul Koster. 5 Nach der Schließung der städtischen Musikschule, zwischen 1889 und 1895, bot das städtische Orchester Société philharmonique Kurse zumindest in Musiktheorie, Solfeggieren und Streicherinstrumentalspiel an. 6 Oberhoffer, Heinrich: »Zeitgemäße Briefe über Musik und Musikunterricht«, Teil II, LW 19.12.1882, S. 3. In seinem Gedicht D’Klawe’er an d’Nol zeichnet der als Nationaldichter gefeierte Michel Lentz (1820–1893) zwei Frauenporträts: Die Näherin wird für ihre bescheidene Tätigkeit vom Schicksal mit dem ›allergrößten‹ der Geschenke, einem Ehemann, belohnt, während die Pianistin für ihre prätentiöse Leidenschaft fortan ehelos unter ihrer Einsamkeit zu leiden hat und sich nach einem Gatten verzehrt. Lentz 1980, S. 229 f. 7 Von ihm handgeschriebene Notenalben mit Kompositionen von Bizet, Wagner u.a. sind im Besitz der Familie Jean-Paul Koster. Zum Teil wurden sie von Jean Koster datiert: 17.2.1900; 9.2.1904; 11.2.1904; 24.2.1904; 4.3.1904; 27.5.1905. (Kopien im ALK, LK 7B 1 KOSTE). 8 In dem »Registre des inscriptions 1905–1922« des Konservatoriums wird er 1905/06 als »sous-chef de gare« (»stellvertretender Eisenbahnvorsteher«), in der Bürger- und Beamtenzeitung vom 29.1.1914 als »Oberbahnassistent« bezeichnet. 9 Neben den bereits erwähnten Noten, die der Vater kopiert hatte (siehe Anm. 7): Max Bruch (Kol Nidrei), César Franck (Ave Maria), Jules Massenet (Mélodie – Elégie), Lilian Ray (Song Anmerkungen

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The Sunshine of your Life), Gioachino Rossini (Wilhelm-Tell-Ouvertüre), Heinrich Berté (Auszug aus der Operette Das Dreimäderlhaus), Fritz Spindler (Nachklänge aus Tannhäuser op. 247), Jules Granier (Lieder), Junges Volk beim Tanz (Klavieranthologie). 10 Zu der Zeit, als Lou Koster die Grundschule besuchte, wurde, so wie heute, in der Primarschule auf Hochdeutsch unterrichtet. Auch im Gesangsunterricht, der seit dem Schulgesetz vom 20.4.1881 zum Lehrfach erhoben worden war, wurden bis zum Ersten Weltkrieg v.a. deutsche Lieder gesungen (Schons 1996, S. 16). 11 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gelang es den ersten jungen Frauen in Luxemburg – über den Abschluss einer weiterführenden Schule im Ausland –, ein Universitätsstudium aufzunehmen. Die Vorreiterinnen waren Madeleine Weydert, die ihr Philosophiestudium 1912 an der Sorbonne abschloss, Anne Beffort, die in Münster und an der Sorbonne Literatur studierte und einen Doktortitel erwarb, sowie Marie Speyer, die 1909 an der Universität Fribourg die Doktorwürde in Literaturgeschichte erwarb. 12 Der 1906 von Aline Mayrisch de Saint-Hubert zusammen mit anderen bürgerlichen Frauen gegründete Verein setzte sich nicht, wie in manchen anderen Ländern, vorrangig für das Frauenwahlrecht ein, sondern v.a. für die Verbesserung der weiblichen Bildung (Goetzinger 1997). 13 LW, 6.4.1908, S. 2: »Examina. Vier Schülerinnen des hiesigen Pensionates St. Sophie, Frl. Anna Deitz, Anna Koster, Lina Koster und Marie Luise Weber, hatten sich zum Examen bei ›Alliance‹ in Nanzig gemeldet. Sie hatten alle vier  bestanden, eine sogar mit der unserem Prädikat ›mit Auszeichnung‹ entsprechenden Note.« Nach Laure Koster hatte Lina Koster nach der Grundschule eine Haushaltungsschule besucht (EI 8). 14 Quelle der Information: E-Mail an die Autorin vom 25.2.2008 von Petra Huijben, École Privé Ste Anne. 15 Zu den Bildungsgepflogenheiten der luxemburgischen Oberschicht, die für Emma Hoebich als Vorbild galten, siehe Weber 2013. 16 Zur Geschichte des Konservatoriums: Conservatoire 1981, Conservatoire 2006 sowie Drauth 1994. 17 Solfège ist im engeren Sinn gleichbedeutend mit Solfeggio. Hier ist allerdings das speziell in Konservatorien und Musikschulen in Frankreich, Belgien und Luxemburg unterrichtete obligatorische Fach gemeint, das – neben dem Solfeggieren – Vom-Blatt-Singen, elementare Musiklehre, Gehörbildung und Musikdiktat umfasst. 18 Quellen zu Studien und Examensresultaten: Koster, Curriculum Vitae, 1961, F; MKL: Einschreiberegister; Berichte der Examina; Concours (à huis-clos); Preisverleihungen; LW 26.7.1907, S. 2; T 24.5.1909, S. 2; LW 28.7.1909, S. 2–3; LW 29.7.1910, S. 2; LW 31.5.1911, S. 2; LW 27.7.1927, S. 2; T 2.7.1928, S. 5. Aus den erhaltenen gedruckten Examina-Programmen erfährt man, mit welchen Stücken sie sich den Prüfungen stellte. So spielte sie 1908 Violinetüden von Kreutzer, Fiorillo und Rode sowie als Wahlstück das Konzert Nr. 6 in A-Dur von Ch. de Bériot. 1909 spielte sie von Bach die Invention 2, 7, 8 sowie Praeludium und Fuge aus W.K. I, Nr. 6 und als Wahlstück von Haydn die Sonate Nr. 1 in Es-Dur. 19 Fernand Koster, Curriculum Vitae, 16.11.1948, sowie Mappe mit Presseauszügen aus dem Familienbesitz, ALK, LK 7C 3. 20 Abgedruckt bei Jourdain 1981, S. 73. In der Personalliste des Konservatoriums (Conservatoire 1981, S. 124) wird Koster lediglich als Klavierprofessorin, und dies erst ab 1922, verzeichnet, bei ihrer Kollegin Marguerite Dumont-Van Acker wird hingegen erwähnt, dass sie ab 1906 als ›Monitrice‹ wirkte.

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21 Gemeinderat Brasseur in der Sitzung vom 23.4.1921, siehe: Stadt Luxemburg. Analytischer Bericht über die Stadtratssitzungen, Sitzung vom 23.4.1921, S. 16. 22 Siehe die Berichte der Debatten vom 13.10.1916, 13.7.1917, 23.11.1917, 30.1.1918, 12.5.1921, MKL: Aufsichtskommission 1911-24. 23 Stadt Luxemburg. Analytischer Bericht über die Stadtratssitzungen, Sitzung vom 23.4.1921. 24 Quelle für die Situation 1906: handschriftliche Personalliste vom Juni 1906, abgedruckt bei Jourdain 1981, S. 87; siehe auch ebd., S. 123 f. 25 Zur Stummfilmmusik generell siehe: Brinkmann 2008, Stiftung Deutsche Kinemathek 1979, Birett 1970. 26 Namen von weiteren Kinomusikerinnen sind kaum bekannt. Pierre Beicht, mit dem Lou Koster in den Kinos musizierte, hatte eine Tochter, Germaine Beicht, 1911 geboren, die er zur Violinistin ausbilden ließ und mit der er auch früh zusammen in den Kinos musizierte (Anders-Malvetti u.a. 2016, S. 82). 27 So z. B. zwischen 1899 und 1907: Dokumentarfilme über den Markt in Hanoi, die Dreyfus-Affäre, den Burenkrieg, die Waljagd usw., aber auch Fiktionsfilme von Georges Méliès (Jeanne d’Arc, Le voyage dans la lune) usw. siehe Lesch 2013, S. 14–21, hier v.a. S. 16 f. 28 Koster, Curriculum Vitae, 1961, F. Eine Zeitlang fanden die Aufführungen nur von samstags bis dienstags statt, vgl. die Kinowerbungen von 1912, 1914, 1916, abgedruckt bei Lesch 2013, S. 26 u. 34. Wann sich das änderte und die Kinos an sieben Wochentagen offen waren (vgl. Werbung von 1927, Lesch 2013, S. 42), konnte nicht ermittelt werden. 29 Steffen war nur nebenberuflich Musiker, er arbeitete bei der Luxemburger Bahn (Bestand Adolf Berens, CNL L-377; III). 30 Bereits ab 1903 hatten die Medingers im Festsaal des Hôtel de Luxembourg mobile Filmprojektionen organisiert. Zur Geschichte des von der Familie betriebenen Kinos (1907–1971), das 1981 abgerissen wurde, siehe Lesch 2013, S. 33–56. Vor 1916/17 hieß das im Hotel betriebene Kino Cinéma Moderne, dann The Royal Bio Company und schließlich Medingers Kinograph. Filme, die nachweislich um die Zeit, in der Lou Koster dort spielte, im Cinéma Palace Medinger, gezeigt wurden, waren – neben den in Luxemburg sehr beliebten Asta-Nielsen-Filmen (Lesch 2009): Orphans of the Storm (David Wark Griffith, 1921), L’Atlantide ( Jacques Feyder, 1921), Credo ou la Tragédie de Lourdes ( Julien Duvivier, 1924), Die Nibelungen (Fritz Lang, 1923), Captain Blood (David Smith, 1924), The Iron Horse ( John Ford, 1924), The Lost World (Harry O. Hoyt, 1925), Mon curé chez les riches (Émile Bernard Donatien, 1925). Lesch 2013, S. 41. 31 Zur Geschichte des Kino-Palace, das später Cinéma Victory hieß, siehe Lesch 2013, S. 57–80. Filme, die dort auf dem Programm standen und von denen also auch einige vermutlich von den Schwestern Koster mit Musik untermalt wurden: Cabiria (Giovanni Pastrone, 1914), Shoulder Arms (Charlie Chaplin, 1918), Das Cabinet des Dr. Caligari (Robert Wiene, 1920), The Sheik (George Melford, 1921), Dr. Mabuse, der Spieler (Fritz Lang, 1922), The Thief of Bagdad (Raoul Walsh, 1924), The Gold Rush (Charlie Chaplin, 1925), The Phantom of the Opera (Rupert Julian, 1925), Metropolis (Fritz Lang, 1927), Moulin Rouge (Ewald André Dupont, 1928) sowie Opern- und Operettenfilme (Carmen, Guillaume Tell, La Bohème, Barbier von Sevilla, La danseuse Orchidée, Der Graf von Luxemburg, Cavalleria Rusticana). 32 Zur Geschichte des Cinéma Parisiana (1911–1924) siehe Lesch 2013, S. 23–31. Es wurde von Hubert Marzen aus Trier gegründet, er selbst wirkte dort bis 1915 als beliebter Filmerzähler. 33 O.V. »Im Kino«, ›Luxemburger Frau‹ 19, in: LW 1.8.1919, S. 3; siehe auch: o.V., »Das Kino, wie es heute ist: Eine bemerkenswerte Studie«, in: ›Luxemburger Frau‹ 26 und 27, in: LW 19.7.1929, S. 8 und LW 26.7.1929, S. 8. Siehe auch Lesch 2013, S. 30 und Lesch 2005. Anmerkungen

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34 Ersterer ist in zwei, Letzterer in drei Manuskripten überliefert: LK 1B1 163-a und b; LK 1B1 164-a, b und c. Die Epoche war eine Blütezeit für Tanzmusik, insbesondere aus Nord- und Südamerika, Partituren und Schellackplatten mit Cakewalks, Matchiches, Ragtimes, Onesteps, Bostons und Tangos fanden auch in Luxemburg reißenden Absatz. Zumindest eine Auswahl moderner Tänze im Repertoire zu haben war für Stummfilmmusikerinnen ein Muss. 35 MKL: Berichte der Aufsichtskommission 1924-37, 10.10.1924, S. 4, F. 36 MKL: Berichte der Aufsichtskommission, Sitzung vom 13.11.1917, S. 31. 37 Als Privatlehrer für Komposition, Kontrapunkt, Harmonie, Orchestration wirkten Franz Ferdinand Bernhard Hoebich, Gustav Kahnt, Jean-Pierre Beicht, Fernand Mertens und Alfred Kowalsky. 38 Zwar war im 19. Jahrhundert die Pianistin Anne Joséphine Schmoll auch als Komponistin in Luxemburg in Erscheinung getreten, ihr Schaffen war aber zu diesem Zeitpunkt vollkommen in Vergessenheit geraten und ist erst 2015 wiederentdeckt worden (May 2015; AndersMalvetti u.a. 2016, S. 1058–1065; Roster 2017, S. 121–123). 39 Litzmann, Berthold: Clara Schumann. Ein Künstlerleben. Nach Tagebüchern und Briefen. Bd. I: Mädchenjahre. 1819–1840 [Leipzig 1923], Hildesheim, New York 1971, S. 377. 40 Lipsius, Marie (La Mara): Musikalische Studienköpfe Bd.5: Frauen im Tonleben der Gegenwart, Leipzig 1882; Morsch,  Anna: Deutschlands Tonkünstlerinnen. Biographische Skizzen aus der Gegenwart, Berlin 1893; Brenet, Michel [Pseudonym für Marie-Antoinette Bobillier]: »Quatre femmes musiciennes«, in: L’Art Revue bi-mensuelle illustrée 5 (1894), S. 107–112, 142–147 u. 177–187; Ebel, Otto: Les femmes compositeurs de musique. Dictionnaire biographique, Paris 1910. 41 www.eluxemburgesia.lu (letzter Zugriff: 17.3.2018). LW 15.6.1917, S. 3; T 16.6.17, S. 2. 42 A.[?], 4.7.1972, RL. Auf der Kopie des Presseartikels im ALK (Provenienz: Sammlung von Venant Arend) ist der zweite Buchstabe des Kürzels im Nachnamen des Autors unleserlich. 43 Conservatoire 1981, S. 101 u. 211–233; Ordner ›Concerts et auditions 1906–1920‹ im MKL; EI 7. 44 P.W. 8.5.1969, LW; Conservatoire 1981, S. 101. 45 Conservatoire 1981, S. 211–219 (Liste der Konzerte mit Programm) sowie Ordner ›Konzerte‹ im MKL. 46 Neben den oben bereits genannten d’Indy, Dukas und Ropartz z. B. Albert Roussel, Georges Dandelot, Philippe Gaubert, Albert Dupuis. Erstmalige Aufführungen von Werken Honeggers, Poulencs und Milhauds sind erst für 1948 und 1952 belegt (Conservatoire 1981, S. 218). 47 Rund 30 Jahre früher, 1829, war ein Verein mit gleichem Namen gegründet worden (in den Statuten ist von »Wiederaufbau« die Rede), der aber mit dem 1861 gegründeten Orchester in keiner Verbindung zu stehen scheint (May 2013, S. 24, 26, 36 f., 42; Weber E., S. 76 f.). 48 Das 1885 gegründete Orchester der Société de musique wurde von Henri Weber, einem ehemaligen Professor am Genfer Konservatorium, geleitet. 49 Kopie des Programms LK 7A 3 1911.12.09. Neben Lina und Lou Koster spielten als Frauen mit: die Cellistinnen Louise Bück und »Mlle [ohne Vorname] Risch« und in der 2. Violine Laure und Marguerite Wawer. 50 OZ 2.5.1902, S. 2; LW 30.7.1908, S. 3. Siehe auch: T 3.8.1914 und T 8.7.1915, S. 1. 51 AT 4.1.1914, S. 3, siehe auch abgedrucktes Programm in: AT 28.12.1913, S. 3 und die Programmbroschüren von ›Fêtes de Famille‹, bei denen die Geschwister Koster auftraten, ALK 7A 3. 52 AT 6.6.1915, S. 3.

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53 AT 1.1.1916, S. 3; AT 16.1.1916, S. 2. 54 Zur Geschichte des Vereins: http://www.landesverband.lu/de/landesverband/ueber-den-landesverband/geschichte-landesverband/ (letzter Zugriff: 5.9.2018). Bonneweg ist das Stadtviertel, nahe dem Bahnhof, in dem viele Eisenbahner wohnten. 55 AT 19.4.1914, S. 3; T 20.4.1914, S. 2. 56 Nach dem Briefwechsel zwischen Koster und Lucius wurde vergeblich gesucht. Der Lehrer und promovierte Geologe arbeitete zwischen 1914 und 1933 als Geologe in Russland und der Türkei und gründete nach seiner Rückkehr den Service Géologique du Luxembourg. Er ist Autor zahlreicher wissenschaftlicher Publikationen sowie von Reiseberichten. 57 Zum Ersten Weltkrieg in Luxemburg: Majerus Roemer Thommes 2014 und Lieb Marson Weber 2014. 58 In der Sterbeurkunde des Vaters von 1919 wird der Beruf des Sohnes als »Zahlmeister in der belgischen Armee« angegeben. 59 1890 war Wilhelm III., König der Niederlande und Großherzog von Luxemburg, gestorben. In den Niederlanden folgte seine Tochter Wilhelmina ihm auf den Thron. Aufgrund von Familienpakten war Herzog Adolph von Nassau, der Vater des späteren Wilhelm IV., Großherzog von Luxemburg geworden. Luxemburg erhielt so dynastische Eigenständigkeit, die, so Pauly, »sich sehr schnell als Unabhängigkeitsgarantie« erweisen sollte (Pauly 2011, S. 75). 60 Der erste Komponist, der sich in Luxemburg für Modernismen wie Atonalität oder Polytonalität interessierte, war Edmond Cigrang, dessen Wirken v.a. in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg fiel. Neben Cigrang wäre hier auch der Schweizer Victor Fenigstein zu nennen, der als 24-Jähriger, ab 1948, Luxemburg zu seiner Wahlheimat machte. 61 Mémorial, Loi du 15 mai 1919 portant modification de la Constitution – art. 52. 62 AE-00182, Élections législatives et communales 1905–1919: 7814–7816; CdD-2028, die Revision der Artikel 32, 37, 52 und 75 der Verfassung von 1868 1918–1919. Ich danke der Abgeordnetenkammer für diese Information. 63 »1919–1929: 10 Jahre Frauenstimmrecht«, in: L’Action féminine 5 (1929), S. 2. 64 Ihr Gesetzesvorschlag wurde erst 17 Jahre später, 1937, vom Staatsrat – negativ – begutachtet (Wagener 2010, S. 223). 65 MKL: Aufsichtskommission 1911-24: 12. und 30.5., 31.10., 3.11.1921, 6. und 28.3.1922. 66 Nach Maisy Koster wäre Lou Koster eine Ernennung im Fach Violine viel lieber gewesen (EI 6). 67 Professorin für Violine wurde Francine Scharff. Drei Kandidaten, die Pianistin Emilie Dauphin und die Violinisten Jules Krüger und Auguste Tosberg, erhielten keinen Posten. 68 O.V.: »Über die Gleichstellung der Lehrer und Lehrerinnen bei der Gehälterrevision«, in: ›Luxemburger Frau‹ 5, LW 20.6.1919, S. 3, zum Thema Lohndiskriminierung von Frauen siehe auch Jones 1997, S. 231–233. 69 Zwischen 1913 und 1940 schrieb Batty Weber für die Luxemburger Zeitung fast täglich einen mit Abreißkalender betitelten Feuilletonartikel. Die rund 7000 Texte sind seit 2017 auf der Internetseite  https://battyweber.uni.lu/ zugänglich und können mit Suchbegriffen recherchiert werden. Zu Batty Weber als »Abreißkalendermann«, siehe Millim 2017. Nach Millim versuchte Weber, in den Abreißkalendern »eine nationale Erinnerungskultur zu schaffen, um Luxemburg vor der Geschichtslosigkeit zu bewahren.« (Millim 2017, S. 95) 70 MKL: Examina-Berichte 1924–1945: Schuljahr 1933–34, F. 71 Wie aus zwei Pressenotizen hervorgeht, erhielt Koster ihr Professorengehalt mit ziemlicher Verspätung. Das Luxemburger Wort berichtete, dass in zwei Stadtratssitzungen im Februar Anmerkungen

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und erneut im März 1935 die Gewährung des Professorengehalts an Lou Koster auf der Tagesordnung stand (LW 16.2.1935, S. 5 und LW 16.3.1935, S. 4). 72 LW 29.6.1922, S. 3, vgl. T 24.12.1923, S. 7: »Ein kleines Orchester belebte in den Pausen diese sportliche Veranstaltung, die sehr gut besucht war.« 73 Als ein Beispiel für seine ›Spielernatur‹ erzählte Maisy Koster im gleichen Gespräch die folgende Anekdote: »1945 erbte er sieben Millionen von seiner Frau, das war in der Zeit enorm viel Geld. Zwei Jahre später hatte er keinen Heller mehr.« Dies scheinen Versteigerungsannoncen von Immobilien und Grundstücken in der Luxemburger Presse auch zu bestätigen (T 19.10.1946, S. 9; T 30.8.1947, S. 9; T 25.10.1947, S. 7). 74 Francis Koster heiratete Ketty Arens und hatte mit ihr einen Sohn, Fernand. Er starb 1979 in Brüssel. Der Sohn Fernand pflegte nach dem Tod des Vaters keinen Kontakt mit der Familie in Luxemburg. 75 http://www.imagesmusicales.be/search/composer/Francis-Koster/717/ShowData/8/Submit/ (letzter Zugriff: 22.5.2018). 76 ALK, LK 7B 1 KOST, das Exemplar ist eine Schenkung von Renée Deprelle, einer Musikerin, die mit der Familie Koster befreundet war. Es enthält die handschriftliche Widmung: »Très cordialement et avec toute ma sympathie à Monsieur François Deprelle Hommage de chanteur Fr. Koster 12.4.35 [ Jahreszahl etwas unleserlich]«. 77 Weitere Lustspiele und Operetten von Weber, die vertont wurden: Den Här Praesident (1895, Musik: Laurent Menager); De Stäerksten (1916, Musik: Fernand Mertens). Weber schrieb des Weiteren auch die Texte einiger Revuen und arbeitete auch hier mit Komponisten zusammen. 78 Am 11.3.1922; 1.8.1923; 6.12.1924; 23.5.1937; 8.7.1938 (die Redaktion dieses Artikels vermerkte Weber auch in seinem Tagebuch: »Dienstag 5/7 [1938] Abr. [Abreißkalender] für Freitag: Gedicht auf Musik, wie Musik auf Gedicht. Lou Koster« (Bestand Batty Weber, CNL L-48; III 1–18.); 4.7.1939. 79 Schmitz 17.5.1969, T, L; dies wurde so übernommen von Blasen 1989, S. 67 ff. und Arend Steinberg 1990, S. 9. 80 Zur Rolle von Satire und Selbstironie im Prozess einer Identitätsbildung in Luxemburg siehe Conter Schmit Seil 2012. 81 Koster benutzte den Begriff ›mélodies‹ sowohl für ihre Lieder wie im Allgemeinen für ihre Musik. 82 Vgl. Brief Koster an Weber, 21.4.1922. Sie erinnert ihn hier nochmals an den versprochenen Operettentext. 83 Weber, Batty: »Liebe C.L.«, in: Les Cahiers luxembourgeois 8 (1930), S. 717–720, hier S. 718. Dicks wohnte in der Kindheit und Jugend von Batty Weber im gleichen Moseldorf, Stadtbredimus. 84 Bestand Batty Weber, CNL L-48; III 1–18, (17 Bde., Bd. 18 = Retranskription). Zu den Tagebüchern, die aus den Jahren 1935 bis 1940 stammen, siehe Weber J. 2017. 85 Lou Koster legte für den Hin- und Rückweg von Luxemburg nach Stadtbredimus mit dem Rad rund 50 km zurück. 86 Am gleichen Tag hatte Batty Weber sich mit der Komponistin Helen Buchholtz (verheiratete Geiger) getroffen: »Frau Geiger ist morgens mit Ougen [sic] gekommen, fährt 5 Uhr wieder ab.« 87 AK in LZ: 27.6.1917 (Zitat); 29.1.1927; 3.6.1928; 16.12.1933; 16.5.1935. Zur ›Zaldoteschwemm‹ siehe Baldauff 2006 u. NOEL 1969, S. 29–31. 88 Siehe den Artikel »Autour de la Schwemm« in T 9.5.1922, S. 9, der die Vorzüge des Schwimmens für Frauen und die sportlichen Erfolge talentierter Schwimmerinnen lobt.

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89 Batty Weber spielt hier auf Vereine wie die Organisation des Internationalen Mädchenschutzes an, die eine Zweigstelle in Luxemburg hatte und in der seine Frau Emma Weber-Brugmann viele Jahre lang Präsidentin war. Der Seitenhieb gilt hier v.a. einer bestimmten Sorte von Männern, die sich in solchen Vereinen engagierten und die, wie Motovilova es formuliert, »vorgeben, sich auf die Seite der Frauen zu stellen, nur um sie umso unverschämter ausnützen zu können.« (Motovilova 2014, S. 295) 90 Siehe AK 4.7.1939, LZ. Weber reagiert hier auf ein von Bürgern vorgebrachtes Ansinnen, für die Geschlechter getrennte Badestunden einzuführen. Sein Plädoyer für gemischtgeschlechtliches Schwimmen beginnt er, indem er an Lou Koster und An der Schwemm erinnert: »Von unserer Landsmännin Lou Koster gibt es zwei Lieder, in denen die Lust des Freibades besungen wird. […] In dem zweiten wird dieselbe Auffassung von den Vorteilen der zweigeschlechtlichen Badegelegenheit noch deutlicher betont […].« 91 Siehe AK in LZ vom 23.10.1919 (Stimmrecht), 28.2.1932 (Studium), 8.3.1918, 21.2.1919, 19.8.1921, 3.5.1934 (Emanzipation), 21.2.1919 (Rechtsgleichheit), 5.2.1919 und 8.11.1921 (Geschlechterkampf ). 92 AK 27.11.1917, LZ. Diesen Diskurs von der Frau als Mensch führte er in weiteren Abreißkalendern aus und weiter, so am 27.6.1920, 5.8.1922, 12.11.1922, 15.3.1934, 10.12.1935. 93 Als Unterhaltungskünstler verdienten sich in dieser Zeit auch so manche Kriegsinvaliden mühsam ihr Brot. So traten bei einer der Vorstellungen von An der Schwemm im Vorprogramm zwei Kriegsinvaliden, die Variétékünstler Bistrew, auf. Dabei ereignete sich ein Unfall: In einer der Nummern ging irrtümlich ein Schuss aus dem Gewehr des einen Künstlers los und verletzte dessen Gesichtshälfte (T 24.4.1922, S. 3). 94 EI 7. Bei Schnouky Mayrisch handelt es sich um die spätere französische Politikerin Andrée Vienot-Mayrisch, Tochter der luxemburgischen Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Aline Mayrisch de Saint-Hubert. Sie und Laure Koster waren befreundet, da sie im gleichen Pfadfinderinnenverein waren. 95 2010 konnte das ALK das bisher einzige Exemplar dieser Aufnahme orten und erwerben. Die Schellackplatte wird für das ALK im CNA verwahrt, im ALK befindet sich eine digitale Kopie davon. 96 Schons 1997, S. 40 ff., Anders-Malvetti u.a. 2016, S. 148; Weber 1993, S. 395. 97 Weber 13.10.1921, AK in LZ. Wer das Orchester am 24. Mai 1922 leitete, konnte nicht eruiert werden. Wie es scheint, wechselte die Orchesterleitung häufiger. In einer Werbeannonce (T 9.10.1924, S. 2) liest man die Namen von gleich vier französischen bzw. belgischen Musikern, die das Orchester vermutlich abwechselnd leiteten. Immer wieder traten im Majestic aber auch Tournee-Orchester auf. 98 Im ALK befanden sich bis 2011 lediglich drei Streicherstimmen. Bisher konnte aber kein Beleg gesichtet werden, dass das Orchester Radio Luxemburg das Werk jemals öffentlich oder im Radio spielte. 99 Batty Weber, Amor im Bade: Operette in 1 Akt von Batty Weber. Musik von Lou Koster [Manuskript des Librettos] (Original im Bestand Batty Weber, CNL L-48; I.4.1–4; Kopie im ALK, LK 7D 3 sa1). Das Libretto zu Amor im Bade wurde nicht gedruckt, und Weber nahm den Text auch nicht in seine gesammelten Werke auf (Weber 1933). Siehe: Yulia Motovilova: Transkript des Librettos Amor im Bade aus Handschriften von Batty Weber und Lou Koster, Luxemburg 2012, unveröffentlicht, Signatur ALK, LK 7A 81 MOT, S. 17. Ankündigungen: T vom 9., 10., 11., 17., 18.2.1927.

Anmerkungen

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100 Nach Léon Blasen spielte Lou Koster auf der Bühne: »Lou Koster spielte auch in einer der Nebenrollen mit.« (Blasen 1984, S. 21) Er präzisierte hier nicht, ob bei der Uraufführung von An der Schwemm 1922 oder bei der von Amor im Bade 1927. 101 T 12.3.1929, S. 7; T 14.1.1930, S. 8; T 22.8.1925, S. 2; T 25.8.1925, S. 3. Die explizite Nennung von »Luxemburg« im Namen könnte darauf hinweisen, dass die Truppe in erster Linie im Ausland aufzutreten beabsichtigte. 102 In der Theaterwissenschaftlichen Sammlung Schloss Wahn, deren einzigartiger Bestand die Kölner Theatergeschichte nachzeichnet, wurden in den Abteilungen der Libretti, Musikalien, Fotos, Kritiken und Programmhefte keine Dokumente zur Aufführung und nur wenige zu Max Voels gefunden. Es gab in Köln das Reichshallen-Operettentheater in der Gertrudenstraße, aber in dem Ordner war kein Programm von Amor im Bade zu finden. Im Bühnenjahrbuch 1927 wird Voels als »Dir. und Kapllm., Luxemburg« und 1928 und 1929, gemeinsam mit »Fritzi, (Sch. u. S)« mit der Nennung »Dir. und Kapllm. Luxemburg« genannt. Im Band 1924 ist er als »Max Voels, Insp.« aufgeführt, hat aber keinen Eintrag in dem genannten Kölner Theater. 1925 und 1926 taucht Voels’ Name nicht auf. Ich bedanke mich bei Kerstin Stremmel aus der Bibliothek der Theaterwissenschaftlichen Sammlung für diese Auskünfte. 103 A–Z 17.3.1940, S. 10–13, T 6.3.1940, S. 8. 104 T 4.9.1946, S. 6; LW 5.9.1946, S. 3; T 10.9.1946, S. 8; LW 12.9.1946, S. 7; T 30.9.1946, S. 6. 105 Gedrucktes Libretto: Weber 1922, Weber 1933; handschriftliches und masch.-schr. Libretto, mit handgeschriebenen Notizen, d.h. Rollenverteilung u. Regieanweisungen (Bestand Batty Weber, CNL L-48; I.4.1–2 und L-48; I.4.1–3; Kopien im ALK: LK 7D 3 sa3, LK 7D 3 sa2). Kompletter Klavierauszug: LK F 1A-a, 19 Seiten. Unvollständige Klavierauszüge: LK F 1A-b (Kopie), 20 Seiten (Original in BnL, Signatur LMS 3/1); vier weitere Klavierauszüge bzw. Gesangspartituren befinden sich seit 2003 in der BnL, sind aber noch nicht im Katalog verzeichnet, Kopien im ALK: LK F 1A-c, 24 Seiten; LK F 1A-d, 24 Seiten; LK F 1A-e, 11 Seiten; LK F 1A-f, 18 Seiten. Des Weiteren erhalten: LK F 1A-g, Klavierauszug und Stimmenmaterial des ›Lidd vum Zengerlé‹ für Singstimme und Streichorchester/ Streichquartett in der Besetzung Vio 1 & 2, Vc, Cb. Es handelt sich hier nicht um das Notenmaterial, das der Einspielung der Schellackplatte für die Berliner Plattenfirma Homocord zugrunde liegt, da in dieser Version auch Bläser spielen. 106 Heinrich Oberhoffer: Die Schwaben (1867), Das Findelkind (1869); Alfred Kowalsky: Griselinde (1918), Flammentod (ca. 1920), Bordun (o.J.), Vera (1932); Jules Krüger: Melusina (1951); René Mertzig: Lëtzebuerger Rousen (1951/52). Von diesen acht Werken gelangten nur zwei in Luxemburg zur Aufführung (Das Findelkind, Griselinde). Erst in den 1930er Jahren kam es dank der Bemühungen des Dirigenten Henri Pensis und der beiden Sänger Victor Jaans und Venant Pauké zu luxemburgischen Opernproduktionen. Das Repertoire setzte sich v.a. aus französischen und italienischen Opern des 19. Jahrhunderts zusammen (Weber 1990). 107 http://www.nik-welter.lu/musik.html (letzter Zugriff: 20.2.2018). 108 Nur für die beiden letzten Studienjahre sind die Namen der Lehrer belegt (MKL: Examina-Berichte). Ihre Schülerkarteikarte ist nicht überliefert. Im »Registre des Inscriptions« wurde nur das Fach, nicht der Name des Lehrers, erfasst. Da die Zeitzeugen einstimmig Mertens als Lehrer in diesem Fach nennen, kann man davon ausgehen, dass sie die ersten fünf Jahre bei ihm studierte.

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109 Dass diese Fächer damals von Lambotte unterrichtet wurden und sie kein gutes Verhältnis zu ihm hatte, könnte ihre Entscheidung erklären. 110 In den Schuljahren 1906/07 bis 1931/32 wurden insgesamt 20 Examina im Fach Harmonielehre von 18 SchülerInnen abgelegt. Der Frauenanteil liegt mit 44,4 % dabei relativ hoch (MKL: Examina-Berichte). 111 Anders-Malvetti u.a. 2016, S. 791–806; Lorent 1977, S. 211–280; Blasen 1988, S. 50–52; E.M. 14.10.1934, S. 10–13; E.M.: »Unser Interview: Fernand Mertens und unsere Militärkapelle: 25 Jahre Kapellmeister«, in: A–Z 14.10.1934, S. 10–13; Weber, 6.12.1924, AK in LZ. 112 Pirenne 2001; Dado 2001; Anders-Malvetti u.a. 2016, S. 646–659. 113 So die Kritiken in: T 14.11.1935, T 11.2.1936, T 12.2.1935, T 21.11.1939. Das Escher Tageblatt schreibt am 14.11.1935: »Die Wirkung dieser Variationen [Divertissement symphonique sur un Noël populaire wallon] war leider, wegen der Nähe und Umrahmung durch echte Meisterkompositionen, etwas handikapiert.« 114 Centre national de la danse : »Ronsay, Jeanne: Une disciple française d’Isadora Duncan«, in: Médiathèque du Centre national de la danse: Ressources en ligne, http://mediatheque.cnd. fr/spip.php?page=mediatheque-numerique-ressource&id=PHO00003907 (letzter Zugriff: 1.6.2019); siehe auch: Robinson 1990, Décoret-Ahiha 2004. 115 Braun, der oft mit Koster musizierte, war nur nebenberuflich Musiker, sein Brotberuf war bei der Post in Luxemburg (sous-chef de bureau). Bestand Adolf Berens, CNL L-377; III. 116 MKL: Berichte der Aufsichtskommission 1911–1924, S. 109 und 1924–1937, S. 4, 5, 10. 117 Das Theaterstück trug den Titel Les ahurissements de la Dame en Noir und spielte zum Teil auf dem Planeten Mars. Siehe auch Ankündigung und Kritik in L’Indépendance luxembourgeoise am 20.12.1924, S. 3 und 26.12.1924, S. 3. 118 Dasselbe Orchester also, das, wie oben erwähnt, wohl in den 1920er Jahren das Lidd vum Zéngerlé auf Schellackplatte aufnahm. Bereits bevor sie nach Brüssel gezogen war und spätestens ab 1918 hatte Laure Koster – neben ihrem Mitwirken im Konservatoriumsorchester – ein paar Jahre lang regelmäßig und zusammen mit ihrem Bruder Fernand noch in einem anderen Orchester in Luxemburg gespielt, im Cercle symphonique. Auf einem auf den 7.7.1918 datierten Foto aus dem ehemaligen Besitz von Laure Koster sieht man dieses 29-köpfige Orchester in der Parkanlage von Bad Mondorf. In dem nichtprofessionellen, v.a. aus Lehrern, Beamten und Arbeitern bestehendem Ensemble spielten, neben Laure Koster, noch zwei weitere Frauen. Ob es sich dabei um das Orchestre Symphonique Le Cercle Rumelange, das in der Presse mitunter auch »Cercle symphonique aus Rümelingen« bezeichnet wird, handelt, konnte bisher nicht geklärt werden. Wahrscheinlich ist das letztgenannte Orchester auch identisch mit dem in der Presse gelentlich erwähnten »Cercle symphonique aus Esch/Alzette«. Esch/Alzette und die Kleinstadt Rümelingen, die zum Kanton Esch/ Alzette gehört, liegen nur sechs Kilometer voneinander entfernt. Im Buch werden an ein paar Stellen Aufführungen der Musik von Lou Koster durch das Cercle symphonique aus »Rümelingen« bzw. »Esch/Alzette« erwähnt. 119 Im CNL befindet sich ein Exemplar des 1937 in Paris bei Éditions du Cep Burgonde publizierten Gedichtbandes, der Lou Koster gehörte und eine auf den 13.1.1938 datierte Widmung des Dichters enthält. Ein einziges Gedicht, Chanson (S. 18 f.), enthält eine musikalische Skizze von Lou Koster. 120 Die Originale sind im Besitz der Familie Jean-Paul und Monique Koster, die sie dem ALK in Kopien überlassen hat: LK 5C 1 1924.11.05 (Nr.1), 1924.11.00 (Nr. 2), 1925.01.00 Anmerkungen

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(Nr. 3), 1925.01.15 (Nr. 4), 1925.02.12 (Nr. 5), 1925.02.14 (Nr. 6), 1925.02.28 (Nr. 7), 1925.02.02 (Nr. 8), 1925.03.03 (Nr. 9). 121 Fernand Koster, Curriculum Vitae, 16.11.1948, sowie Pressemappe aus dem Familienbesitz, LK 7C 3. Wie aus den Briefen hervorgeht, hatte Fernand, bevor er seine neue Stelle in Paris antrat, in Luxemburg als Buchhalter für einen gewissen Herrn Brunner gearbeitet (Brief, ca. 19.11.1924). 122 In Belgien ist der Titel Staatsminister (›Ministre d’État‹) ein Ehrentitel, der für besondere Dienste durch königlichen Erlass auf Lebenszeit verliehen wird. Die Staatsminister bilden ein Beratungsorgan für den König. 123 Sie besuchten häufig die Familie Gallowich, der Mann war schwer erkrankt. Es muss sich hierbei um den 1872 in Neusatz (Ungarn) geborenen Kunstschmied und Professor an der Handwerkerschule Étienne bzw. Stefan Galowich handeln, der am 16.3.1925 im Alter von 53 Jahren in Luxemburg starb. 124 Philippart, Robert L: »L’hôtellerie de la Belle-Époque«, in: Ons Stad 88 (2008), S. 22–29, hier S. 23 und 28. 125 Der Luxemburger Albert Simon setzte die weibliche Kundschaft des Majestic in einer Karikatur aus den 1920er Jahren in Szene (abgedruckt bei Schons 1997, S. 17). 126 EI 6, Béby Kohl-Thommes (EI 3) wie Laurent Koster (EI 5) bestätigten diese Auseinandersetzungen zwischen den beiden, wenn es um Geldfragen ging. 127 Henry Miller, Quiet Days in Clichy and The World of Sex, New York 1965, S. 42. 128 ALK, LK 5B 6 1937.03.14. Das Gedicht, ohne Titel (1. Zeile: »Je repose dans la haute herbe verte«), wurde von Koster nicht vertont. Dass Palgen Koster schätzte, insbesondere ihre Vertonung seines Textes Chanson lunaire, geht aus einer Widmung hervor, die sich in dem Exemplar des Gedichtbandes Guanabara befindet, das Koster gehörte: »A Mademoiselle Lou Koster à l’excellente musicienne de la chanson lunaire Hommage de P Palgen« (ALK, LK 5B 3 sa1). 129 Siehe die Todesanzeige in LW 29.6.1938, S. 7 und LW 30.6.1938, S. 8.  130 Siehe hierzu den Band Goetzinger Mannes Marson 2007, hier v.a. das Kapitel »Musizieren«, S. 139–152. 131 Auf dem Gründungsfoto des Orchesters sind beide, Eichel und seine spätere Frau Anny Hemmer, zu sehen, abgebildet bei Weber 1993, S. 399. 132 Chanson lunaire war zwei Jahre vor der Drucklegung komponiert worden, denn für das Lied existiert ein auf den »Herbst 1934« datiertes Autograf (ALK, LK 1B1 173 S). Das Lied wurde am 15.5.1935 in einer Orchesterliedversion unter dem Titel Mondlied im Radio aufgeführt (Gustave Simon begleitet vom Orchester Radio Luxemburg, siehe LW 14.5.1935, S. 8). 133 Bestand Nik Welter, CNL L-0044: III-1/92, Kopie: LK LK 5A 3 1936.10.22. 134 Im CNL befindet sich ein Exemplar des Drucks mit einer Widmung der Komponistin an den Musikkritiker der LZ, Pierre Faber: »A Monsieur P. Faber en toute estime et cordialité Lou KOSTER 25 X 36« (Bestand Pierre Faber, CNL L-54; IV.2–23). Eine Rezension von ihm in der LZ ist nicht überliefert. Die LZ ist zurzeit in www.eluxemburgenisa.lu (letzter Zugriff: 10.4.2018) noch nicht erfasst. 135 Die beiden Drucke meldete Koster erst wesentlich später, am 7.8.1965, bei der SACEM an, siehe gestempelte SACEM-Anmeldeformulare im ALK. 136 In der BnL befindet sich ein Exemplar des Verlagskatalogs Nr. 5 vom Februar 1969. Verlegt wurde v.a. Musik für Männerchor und gemischten Chor und nur vereinzelt Lieder. Im

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Widerspruch zum Verlagstitel wurde auch nicht nur luxemburgisches Volksliederrepertoire publiziert, sondern ganze Reihen von Kirchenmusik (›Motets et Cantiques‹, ›Messes‹). Wenn auch die meiste Musik von Luxemburger Komponisten stammte, allen voran JeanPierre Schmit, wurden doch auch Kompositionen von Gounod, Schubert, Grieg, Bach, Beethoven, Mendelssohn, ein Negro Spiritual usw. gedruckt. 137 T 22.1.1937, S. 3. Siehe auch weitere Ankündigungen in LW 20.1.1937, S. 4; LW 21.1.1937, S. 4; T 22.1.1937, S. 3; T 4.2.1937, S. 10; T 5.2.1937, S. 6; T 6.2.1937, S. 4; LW 6.2.1937, S. 4; T 12.2.1937, S. 8. 138 Die betreffende Nummer scheint in keiner Bibliothek heute zugänglich zu sein. Quelle für die Information: Weber 23.5.1937, AK in LZ. 139 Bestand Henri Rinnen, CNL L-72 ohne Signatur, Original in Französisch; Kopie ALK: LK 5B 4 1936.01.01. Von Willy Goergen sind insgesamt zwei Briefe an Lou Koster überliefert, neben dem hier abgedruckten der Quellen (online) zitierte vom 27.12.1938. 140 Zu Rumpelstilzchen sind lediglich sieben handschriftliche Seiten erhalten, d.h. ein Lied bzw. eine Szene (ALK, LK 1F 13). Auch das Aufführungsmaterial zu Dem Hännes säi Gléck ist nicht erhalten, überliefert ist ein Klavierauszug mit sechs Liedern, ohne gesprochenen Text. Das letztgenannte Märchen wurde, ohne Datum, auf Langspielplatte aufgezeichnet (Delta LP 40.076, Kopie: ALK, LK 7A 614 CD), allerdings nicht mit der Musik von Lou Koster, sondern mit der von Norbert Colling, obwohl der Name der Komponistin mit verzeichnet wird (»Musek: Koster/Colling«). 141 RM 7 ( Juli 1937), S. 65–67, F; siehe auch die Ausschreibung in: RM 1/2 ( Januar/Februar 1937), S. 15, F. 142 So Eia, popeia; En Iwergank; Fréjorsfreed; Géi; maach wéi d’Baach; Mâch mir d’Aen zo!; Owesgebiet; Riedchen; tommel dech; Schlofliddchen. 143 Tatsächlich trägt das eingereichte Manuskript von Mâch mir d’Aen zo! den Vermerk oben links in der Handschrift »chœur à 4 voix d’hommes«, während der Chorsatz aber für gemischten Chor notiert ist. Gemischte Chöre waren damals in Luxemburg noch eine Seltenheit. 144 = Du friddlech Stèrennuecht, Willy Goergen. 145 Um nur ein paar zu nennen: Pro Patria (1927), Drama in drei Akten von Fernand Mertens (Text: L. Koenig); Luxemburg, ein vaterländischer Weihgesang (1936) von Alfons Foos (Text: N. Welter); Letzeburger Joerszeiten, e wèltlecht Oratorium (1937) von Alfons Foos (Text: W. Goergen); Patriotisches Festspiel D’Hémecht erzielt (1939) von Lucien Lambotte (Libretto: Victor Jaans). 146 Zur extremen Rechten in Luxemburg siehe Blau 2005. Als Musiker und Komponisten wirkten bei Veranstaltungen der Letzeburger Nationalunio’n u.a. Émile Boeres, Jean-Pierre Beicht, Louis Petit und August Donnen mit (Schons 1996, S. 65; Schons 1997, S. 44). Der Verein scheint ein ausgesprochener Männerbund gewesen zu sein. Mitglied der Jongletzeburger Dichterscho’l war auch der von Koster viel vertonte Willy Goergen. 147 Zitat aus der Vereinszeitschrift Jung-Luxemburg 4 (1918), zit. b. Schons 1996, S. 60. 148 Tresch 1929; Kintzelé 1926, 1927 und 1928; Letzebuerger Nationalunio’on 1926; Thill 1937. 149 »[D]ie aus Amerika importierte, bis zum Überdruss synkopierte Musik hat in der letzten Zeit hierlands viel zu viel das echte, rechte Volkslied verdrängt. […] so mag jene die Nerven aufpeitschende Musik wohl unser Interesse wecken, sie kann aber nur als ungesunder Auswuchs der hehren Tonkunst gelten, denn veredelnd wirkt sie nicht […] eine Musik, die Anmerkungen

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nur das tierische im Menschen reizt, ist wie ein garstig Lied, das ihn in den Schlamm des Alltags zieht.« Kowalsky 1930, S. 7. 150 Schons 1997, S. 49–52; Kutten 1997, S. 181–186; LW 9.11.1934, S. 11 f. 151 Zum Spannungsfeld zwischen ›Heimatkunst‹ und Kosmopolitismus in der Musik Kosters siehe Kapitel Kontext – Musik in Luxemburg, S. 258–263. 152 Péporté 2012, S. 200. Der Text wurde bereits im 17. Jahrhundert von Alexander von Wiltheim ins Lateinische und von R.P. Puis ins Deutsche übersetzt, weitere Übersetzungen ins Deutsche bzw. Zusammenfassungen in deutscher Sprache erschienen im 19. Jahrhundert. Die Publikationen richteten sich an ein internationales deutschsprachiges Publikum »auf beiden Seiten des Atlantiks«. 153 Koenig [1937], 8 Seiten. Im CNL befindet sich eine maschinenschriftliche Abschrift der gleichen Szene. Das Typoskript enthält eine auf 1940 datierte handschriftliche Widmung des Autors (CNL A418139). 154 Berens, Adolf: »Letzebuerg for ever«, in: JH 13/7–9 (1939), S. 183–185. 155 Mitgliederliste 17.2.1937, Bestand Adolf Berens, CNL L-377; III. 156 Gründungsakte »Extrait du ›Mémorial‹ (Recueil spécial) 1937, No 40 du 30 avril 1937«. CNL Collections Divers: Fondation de l’association D’Hémechtssprôch, L.238; IV.1. 157 Liste der 75 aktiven Mitglieder: D’Hémechtssprôch 1939, S. 12–20. Ein weiterer Artikel belegt Kosters Tätigkeit 1939 im Verein: In der Generalversammlung vom 18.6.1939 wird sie als Kassenrevisorin genannt (OZ 27.6.1939, S. 8). Siehe auch: »Verein Hémechtssprôch«, in: JH (1.12.1936), S. 52 f. 158 Hémechtssprôch 1939, S. 12–20. Gründungsakte (Anm. 156). Eleonore Flammang-Goerges war auch Gesangs- und Musiklehrerin. 159 Zu den Tätigkeiten des Vereins gibt es nur sehr wenige Quellen. 160 Die Übertragung erfolgte noch am selben Abend bei Radio Luxemburg. 161 Anspielung auf die Schleifung der Festung Luxemburg nach dem Abzug der preußischen Garnison des Deutschen Bundes 1867. 162 Rousselot 1939, siehe Wey 1989, Staus 2000, Péporté u.a. 2010, S. 86–96 sowie die vielen Ankündigungen von Feiern in der Tagespresse von 1939. 163 AF 11/4 (15.4.1939), S. 1 ff. In Heft 11/5–6 (Mai–Juni 1939) wurde mit »berechtigtem Stolze« ein Glückwunschschreiben von Margery Corbett Ashby, der Präsidentin des Weltbundes für Frauenstimmrecht und Staatsbürgerliche Frauenarbeit aus London, abgedruckt. 164 Schmitz 17.5.1969, T; Schmitz 26.11.1973, T. Blasen und Maisy Koster erinnern sich an das Ereignis (Blasen 1988, S. 68; Gespräch mit Maisy Koster am 13.2.1996). 165 Die beiden anderen Frauenfiguren waren Gräfin Ermesinde, die 1244 der Stadt Luxemburg den Freiheitsbrief überreicht hatte, und Prinzessin Amalia, die 1867 in diplomatischer Absicht zum Zaren Alexander  II. nach Sankt Petersburg reiste, um in der sogenannten ›Luxemburgkrise‹ dessen Unterstützung gegen die Absichten Frankreichs, Luxemburg zu annektieren, zu sichern. 166 Linden 1999, S. 202, vgl. im erwähnten Buch den Titel des Beitrags von Pierre Frieden: »Plaidoyer pour un petit pays«, S. 653. Frieden thematisiert »die Versuchung der übermäßigen Demut derjenigen, die im Schatten der Großmächte leben«, »das Bedürfnis, die Verachtung abzuwehren, die auf den Kleinen lastet«, sowie diese Verachtung als »Versuchung der Großen, von der Spitze ihrer Baumkronen auf uns hinabzuschauen« (S. 654, F). 167 T 25.5.1938, S. 9; LW 12.4.1940, S. 5 und LW 16.4.1940, S. 6; undatiertes Programm im ›Bestand Lou Koster‹ im CNL, das wahrscheinlich aus den 1930er Jahren stammt.

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168 In voriger Anm. zitiertes Konzertprogramm im CNL sowie LW 12.4.1940, S. 5 und LW 16.4.1940, S. 6. 169 T 9.5.1938, S. 3; T 19.8.1939, S. 9; in Anm. 167 zitiertes Konzertprogramm im CNL. Zum Cercle symphonique siehe Anm. 118. 170 Eine Schlagwortrecherche nach dem Begriff ›Komponistin‹ bzw. ›Komponistinnen‹ in der Datenbank luxemburgischer Zeitungen www.eluxemburgensia.lu (letzter Zugriff: 22.11.2017) ergibt für das gesamte Jahrzehnt nur 21 Treffer. 171 Bassing 1973, S. 26. Laut der jetzt nicht mehr zugänglichen Homepage der Veiner Stadmusik ging diese Begebenheit als »große Krise« in die Geschichte des Vereins ein: »Große Krise. Der Präsident Eduard Wolff hat eine Frau als Dirigentin eingestellt. Die ­Musikanten streiken, weil: ›Eine Frau gehört vor den Kochtopf‹. Der Musikverein wird aufgelöst.« http:// veinerstadmusik.8k.com/page2.html (letzter Zugriff: 14.1.2011). Siehe auch: Heintzen, Joe u.a.: Veiner Stadmusik 1848–1998: 150 Joor, Vianden 1998, S. 41, 71 f., 121. 172 Zu Gleichstellungsdebatten in Luxemburg und zur Lage der Frauen in den 1930er Jahren, siehe: Wagener 2010, S. 223–230; Goetzinger Lorang Wagener 1997, S. 102 f., 109 sowie http://fraendag.lu/geschichte/1931-1944/ (letzter Zugriff: 14.6.2018). 173 AVDL LU 11 NS_240 27. Während zur Kunstpolitik eine umfassende neue Studie vorliegt (Lorent 2012), gehört das Musikleben unter der NS-Besatzung zu den weitgehend unerforschten Themen der Luxemburger Geschichte. Paul Dostert hat dem Konservatorium unter der NS-Besatzung in Ons Stad einen dreiseitigen Beitrag gewidmet, Dostert 2000. In den städtischen Archiven findet sich reichhaltiges Quellenmaterial, aus dem in diesem Kapitel zitiert wird. 174 Siehe hierzu insbesondere in Bezug auf das Konservatorium: AVDL LU 11 NS_240 4, 5, 8, 14, 15. 175 Zur Ideologie, zu den Aktivitäten, v.a. Konzerten und Vorträgen des Kunstkreises siehe dessen Publikationen: Kunstkreis Luxemburg 1942; Kunstkreis Luxemburg 1944. 176 Er floh nach der Befreiung nach Deutschland und starb im Februar 1945 in Ebersdorf in Thüringen. 177 Émile Boeres feierte in der NS-Zeit Erfolge mit seinen Operetten. In den vom Städtischen Musikdirektor Herwig 1943 und 1944 organisierten Luxemburger Zeitgenössischen Musiktagen wurde Musik von Reinhard oder auch Renatus (Geburtsname: René) Mertzig, Norbert Stelmes, Johann Peter ( Jean-Pierre) Kemmer, Norbert Hoffmann ins Programm aufgenommen (LW 18.6.1843, S. 6; T 5.7.1943, S. 4, T 3.7.1944, S. 6). Die Kritik reagierte recht herablassend: Mit »drei netten Liedchen« wurde dem »Jüngling J.P. Kemmer« – Kompositionsschüler von Hans Fleischer – »wieder einmal eine Chance« gegeben. Und in Bezug auf Stelmes: »Ein ›ganzer Kerl‹ von Dilettant kam auch zu Wort.« (T 5.7.1943, S. 4) 178 Andrée Pepin-Weitzel erzählte, Nicolas Schuh sei später »nicht mehr erwünscht« und im Geschäftshaus Bonn versteckt und untergetaucht gewesen (EI 11). 179 Siehe »Ergebnisse des am 12. und 13. März 1941 stattgehabten Orchester-Probespiels« in AVDL LU 11 NS_637. Die zwei Frauen waren Maria (Marie) Braun, die positiv begutachtet, aber doch nicht angestellt wurde, und Nora Carenna, eine »erstklassige Geigerin«, die »leider an der Tatsache scheitern [musste], dass Frau Carenna Halbjüdin ist.« Angestellt wurden 25 Musiker, darunter drei Frauen, die alle drei aber nicht zum Vorspiel angetreten waren (Lore Eisen, Yvette Guillaume, Jutta Schmidt). 180 Anlux, Fi-548c2 (FIN-02892), Akte: »Communiqués du Gouvernement luxembourgeois émis par Radio Luxembourg pendant le mois de septembre 1939«. Diese Akte enthält die Anmerkungen

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sämtlichen mehrsprachigen Skripte der Sendungen im Volltext und mit komplettem Musikprogramm. Es sind die einzigen aus den 1930er Jahren erhaltenen Sendungsskripte von Radio Luxemburg, hier Dokument Nummer 25 (Skript der Sendung vom 13.9.1939). 181 Ebd., Dokument 39, Skript der Sendung vom 20.9.1939. 182 Brief von Fernand Koster vom 20.12.1958 an Eduardo Vieiro Leitão, portugiesischer Botschafter in Brüssel; Fernand Koster, Curriculum Vitae, 16.11.1948. ALK, LK 7C 3. 183 Abgesehen von einem kurzen Artikel von Paul Dostert (Dostert 2000) wurde das Thema der NS-Restrukturierung des Konservatoriums noch nicht bearbeitet. Für dieses Kapitel wurde daher auf die Originalquellen des umfangreichen NS-Fonds der AVDL zurückgegriffen, insbesondere Aktenordner: LU 11 NS_120, 236, 239, 238, 240, 405, 423, 424, 457, 637. 184 Zit. aus Originaldokument (ohne weitere Quellenreferenz) b. Welter Schumacher 1999, S. 270. Vgl. T 22.3.1943, S. 3. 185 Zum geplanten späteren Ausbau zu einer Staatlichen Hochschule für Musik siehe AVDL LU 11 NS_240 27, 28, 69; 425 2–3; 238 28–30; 425 2–3, 10, 14–15. 186 Das Städtische Orchester sollte, in reduzierter Form, gleichzeitig auch das neue Orchester des Reichssenders Luxemburg (»Kleines Städtisches Orchester«) stellen. AVDL LU 11 NS_238 24, 25 und LU 11 NS_637. 187 LU 11 NS_240 27, 28. Hengst weist in mehreren seiner Schreiben darauf hin, er als Oberbürgermeister habe »die Federführung« für die musikalischen Angelegenheiten der Stadt, und äußerte sich mit Unmut über die Einmischung der HJ; so schrieb er am 15.7.1941 an den Deutschen Gemeindetag: »Ich bin der Meinung, dass es in Deutschland nur eine deutsche Musik gibt und keine H.J.-, K.d.F.-, städtische oder sonstige Musik. […] Es geht mir zu weit, dass in der Jugendmusikschule die außerschulische Musikerziehung lediglich der H.J. durchgeführt wird.« LU 11 NS_240 67, 68. Siehe auch: AVDL LU 11 NS_457 25–28. 188 Ziel dieser Schule war es, »alle der HJ. und dem BDM. angehörigen jungen Menschen, die musikliebend seien in der Jugendmusikschule« zusammenzufassen (AVDL LU 11 NS_240 30). Siehe auch Broschüre Landesmusikschule 1941. 189 Siehe v.a. AVDL LU 11 NS_238 40–42. Entlassen wurden schließlich der Direktor L ­ ucien Lambotte sowie die belgischen Lehrer und Lehrerinnen Gustave Simon (Gesang), ­Auguste Tosberg, Maurice Duparloir (Violine) und Florette Tytgart-Guilmot (Klavier). Neu angestellt wurden der luxemburgische Sänger Victor Jaans, der niederländische Violinist Anton Schoenmaker, der luxemburgische Cellist Camille Beicht und für die musiktheoretischen Fächer der bereits erwähnte Alphonse Foos (AVDL LU 11 NS_240 37; siehe auch: Conservatoire 1981, S. 125). 190 AVDL LU 11 NS_238 11–18 und 25, hier: 11. Der Bericht wurde von Hengst an den Chef der Zivilverwaltung, den Trierer Regierungspräsidenten Siekmeier, das Reichspropagandaamt Koblenz-Trier sowie das Einsatzkommando der Sicherheitspolizei Luxemburg weitergeleitet. 191 Herwigs Akzentlegung auf zeitgenössische Musik wurde in der gleichgeschalteten Presse zuerst als »bedeutendes kulturelles Wagnis«, »ein immerhin beachtliches künstlerisches Wagnis«, aber auch als »zukunftsweisendes Experiment« betrachtet (T 19.6.1943, S. 7; LW 19.6.1943, S. 3). Welche Kriterien er sich für die Auswahl bzw. den Ausschluss von Musik setzte, beschrieb er wie folgt: »Unter dem Begriff ›Musik unserer Zeit‹ verstehen wir solche Musik, in der das Gesamterlebnis unserer gewaltigen und einmaligen Gegenwart mit all ihren Kämpfen, Spannungen und heroischen Lösungen ihren Ausdruck findet; darüber-

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hinaus verstehen wir natürlich unter dem Begriff ›Musik unserer Zeit‹ im höchsten Sinne vor allem solche Musik, die – über den Zeitausdruck hinaus – in sich das ewige Gesetz der deutschen Musik erfüllt.« (LW 26.6.1943, S. 3) 192 Ankündigungen wie Kritiken: LW 5.3.1942, S. 3; LW 9.3.1942, S. 2; LW 18.6.1943, S. 6; LW 3.7.1943, S. 3; T 5.7.1943, S. 4; LW 5.7.1943, S. 2; T 6.7.1943, S. 4; LW 6.7.1943, S. 2; T 3.7.1944, S. 6; T 7.7.1944, S. 4; T 11.7.1944, S. 5; T 12.7.1944, S. 4; T 14.7.1944, S. 5; LW 14.7.1944, S. 2. Neben Senfter wurde in diesen Konzerten die Musik von nur einer einzigen anderen Komponistin gespielt, Lieder der Kölnerin Elsa Ehlert-Hebermehl (T 4.7.1944, S. 5, T 17.7.1944, S. 4, LW 17.7.1944, S. 2; Programm der Luxemburger Zeitgenössischen Musiktage 1942 und 1943 im MKL, Ordner: »1940–1944«). 193 LW 9.3.1942, S. 2; T 5.7.1943, S. 3; LW 5.7.1943, S. 2; T 6.7.1943, S. 4; LW 6.7.1943, S. 2; T 14.7.1944, S. 5; LW 14.7.1944, S. 2. 194 Zum Bild und zur Realität von Komponistinnen zur NS-Zeit siehe: Friedel 1995. 195 Zur »Medaille Unserer Lieben Frau«: »Notre Dame du Luxembourg« (»Unserer Lieben Frau«), Maria, ist die Kathedrale gewidmet, das Zentrum der alljährlichen ›Muttergottesoktave‹. Luxemburg gilt als »Marienland« und Maria als Stadt- und Landespatronin. In diesem Kontext wird Maria zu einem nationalen Symbol. Vgl. oben die Kritik der Besatzer: »Fräulein Koster ist frankophil und stark klerikal eingestellt.« Zur Kathedrale als Erinnerungsort: Weny 2007. 196 Stichprobenartig wurden die ersten 14 Ausgaben unmittelbar nach der Besatzung sowie je acht ab 12.3.1945, 15.10.1945 und 18.12.1945 in LW und T ausgewertet. 197 LW 12.9.1944, S. 2; 21.9.1944, S. 3; 18.9.1944, S. 2; 19.9.1944, S. 1; 22.9.1944, S. 3. T, 29.9.1944, S. 3; 11.12.1944, S. 2. 198 LW 16.12.1944, S. 5 und 23.12.1944, S. 4; U 31.10.1944, S. 1. 199 Wie SACEM-Stempel auf den ansonsten undatierten handschriftlichen Klavierversionen der Märsche La Joyeuse und Jang belegen, meldete Koster beide Kompositionen erst zwei Jahre später, am 18.1.1952, an. Die Klavierversion von Jang war bereits 1920 entstanden. 200 Brief der SACEM an Lou Koster vom 14.3.1966, mit gestempelten Anmeldeformularen vom »20.12.1957« als Anhang (ALK, LK 5B 2 1966.03.14). 201 Ausgewertet wurden die in www. eluxemburgesia.lu bis 1950 erfassten Zeitungen (letzter Zugriff: 23.3.2018). Für die Zeit danach wurde auf die Pressesammlung des ALK zurückgegriffen, die aus Kopien aus dem Nachlass von Fernand Koster sowie dem Archiv von Venant Arend (ab 1958) besteht. Wie vollständig gesammelt wurde und wie die Sammlung nach dem Tod Kosters erhalten blieb, bleibt ungeklärt. 202 So von dem Cäcilienchor Esch/Alzette, den Männergesangvereinen Orphéon Municipal, Lyra Ettelbrück, Sängerbond Museldall Wasserbillig, der Letzeburger Stâdmusek, dem Cercle symphonique, der Theatertruppe der katholischen Pfadfinderinnen Ste Agnès. Quellen: LW 28.5.1945, S. 2; T 4.9.1946, S. 6; LW 10.9.1948, S. 4; T 9.6.1949, S. 7; LW 2.7.1949, S. 5; LW 3.12.1949, S. 4; T 28.7.1950, S. 7; LW 29.11.1950, S. 4; LW 5.12.1950, S. 4. 203 T 4.9.1946, S. 6 und 10.9.1946, S. 8 sowie 30.9.1946, S. 6. LW 5.9.1946, S. 3 und 12.9.1946, S. 7. 204 LW 28.5.1945, S. 2; LW 21.1.1950, S. 13. 205 Gespräche mit Laure Koster, Maisy Koster, Andrée-Pepin-Weitzel, Béby Kohl-Thommes, Laurent Koster. 206 In der Konservatoriumsbibliothek befinden sich keine Kompositionen von Lou Koster. Bis vor ein paar Jahren war einzig die handschriftliche Partitur der Ballade Der Geiger von Anmerkungen

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Echternach in der Orchestrierung von Pierre Cao dort verzeichnet (heute in der BnL). Siehe hierzu das Dokument ›Mei Glaw a mei Schaffen‹ von Lou Koster unter Quellen online. 207 Nach ihrer eigenen Aussage, Brief von Nathalie Wickler-Oretchkevitch vom 12.3.2009, aus Toronto, an die Autorin. 208 Sein fotografischer Nachlass befindet sich seit 1997 in der Photothek in Luxemburg. Siehe auch: Bestand Paul Aschman CNL L-52. 209 Wagener bezieht sich hier auf Artikel 2 des Gesetzes vom 28.7.1954. 1957 werden von Luxemburg die europäischen Verträge unterzeichnet, die das Prinzip der Lohngleichheit festhalten. Erst 1957 diskutiert das Parlament die Ratifikation von Konventionen der Internationalen Organisation für Arbeit, darunter Konvention Nr. 100, die gleiche Löhne für gleichwertige Arbeit von Frauen und Männern vorsieht, und setzt sie 1967 in nationales Recht um (Wagener 2010/1, S. 231 und Wagener 2010/2, S. 162). 210 Bollendorf, Léon: »Frauenwürde und Frauenrechte.« In: D’Frâ dohém an dobaussen: das Problem der Luxemburger Frau. Action familiale et populaire, bulletin 9. Luxemburg 1955, S. 20. Zit. b. Wagener 2010/1, S. 230. 211 LW 17.2.1950, S. 3. Wie in LW 20.4.1950, S. 14, zu lesen ist, wurde der Vortrag in Letzeburger Fraen a Mammenzeidong veröffentlicht. Acht Monate später kommt das LW auf den Vortrag zurück (LW 22.12.1950, S. 12). Vgl. auch die Beiträge, in denen Beauvoirs Buch erwähnt wird: A.A., »Faut-il tuer les femmes?« (LW 15.11.1949, S. 7); A.A., »Education féminine« (LW 22.11.1950, S. 8). 212 Roster 1999, 2006, 2008. 213 Schmoll, 1836 geboren und 1925 verstorben, war Lehrerin an der ersten Musikschule in Luxemburg (May 2015, Roster 2017). Die jüdische Elsässerin Frida Salomon-Ehrlich gehörte zu den Exilmusikerinnen, die in den 1930er Jahren für eine Zeit in Luxemburg lebten. Von der Holocaustüberlebenden weiß man sehr wenig, in Luxemburg ist von ihr nur eine einzige Komposition erhalten, das auf 1948 datierte Manuskript des Liedes An onsem klenge schéine Land, das sich in der großherzoglichen Bibliothek in Colmar-Berg befindet. Von Gallé-Menager scheint nur ein handschriftlicher Sammelband von Kinderchören mit Klavierbegleitung überlebt zu haben, eine Kopie davon befindet sich im CID. Kohl-Thommes komponierte eine Vielzahl von Kinderliedern, aber auch Chormusik und Sololieder. Überliefert sind von Spedener nur ein Kinderlied und ein Marsch, von Moyen-Beicht das in Luxemburg sehr bekannte Nikolauslied Léiwe Kleeschen, gudde Kleeschen (Willy Goergen) und von Montfort-Govers ein Klavierstück. 214 Schmitz erzählt hierzu: »Als am vergangenen Sonntag Fernand Koster in seiner Art unzufrieden murrte: ›Wann ech eng Kéier hei leien, da kennt ké no mer kucken!‹ [Wenn ich einmal hier liege, dann wird niemand mich besuchen!], meinte Lou: ›Mèngs du dann, et kim é bei mech?‹ [Meinst du denn, es käme jemand zu mir?] Und der Bruder wurde lebendig: »Wanns Du hei lèis, da kennt èn hir stoen, an da pèift en e Lidd. [Wenn du hier liegst, bleibt einer hier stehen, und dann pfeift er ein Lied.]« 215 Laure Koster, 96-jährig, spielt Cello: Kompositionen von R. Schumann, Schubert, Bellini, Fauré, Rimski-Korsakow, D’Indy, Bruch. Private Tonaufzeichnung vom 2.12.1998 in ihrer Wohnung. Kopie auf Kassette ALK LK 7A 7. 216 In den Archiven (ALK, Anlux, CNA, CNL, CA-RTL) sind keine Radioprogramme aus dieser Zeit überliefert. 217 Quelle für die Zeit bis 1950: www.eluxemburgensia.lu. Für die Zeit danach liegen – neben den weiter unten erwähnten Tonaufnahmen – keine Schriftquellen vor.

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218 Nur ein zufällig im Nachlass von Koster erhaltenes Exemplar eines Examen-Programms von 1919/20 enthält handschriftliche Annotationen zu ihrem Stundenplan mit Vornamen, manchmal auch dem Nachnamen, der SchülerInnen (ALK, LK 6A 6 1920.07.00). 219 Lou Koster war nicht die Einzige, die nicht gut mit ihrem Vorgesetzten zurechtkam: Die Aufsichtskommission des Konservatoriums hatte im Jahre 1929 zweimal ihr Veto gegen eine definitive Nominierung von Lambotte eingelegt, da dieser damals offensichtlich schwerwiegende Differenzen mit einigen Professoren hatte (Conservatoire 1981, S. 100). 220 Luxemburg wurde Gründungsmitglied der Vereinten Nationen (1945), der NATO (1949) und der Montanunion (CECA, mit Sitz in Luxemburg). 221 Über frühe (1945) rhetorische Diskurse der Großherzogin und politischer Würdenträger zu diesem »Neubeginn«, siehe Linden 1999, S. 199 f. Linden sieht wie Fehlen in der »Kleinen Dimension« das »für Luxemburg und die Luxemburger existenzprägende Thema« in den 1950er Jahren, ebd., S. 197. 222 Vgl. den Werbefilm Philippe Schneiders von 1950, »Un beau petit pays«. 223 Begriff ›petite culture‹, so wie ihn François Paré gebraucht, Paré 1994, S. 9. 224 »Es ist ein Übergangsland, eine internationale Kreuzung, eine für alle Winde offene Plattform, wo sich die Einflüsse von Ost, West, Nord und Süd kreuzen und vermischen. Sie sind zu einem Knoten von offensichtlicher Komplexität verknotet, wo die Elemente, obwohl sie verschieden sind, dennoch in einer ziemlich glücklichen Balance vereint sind.« (Petit 1952, S. 12, F) 225 Der Brief, ein Antwortschreiben auf einen nicht erhaltenen Brief von Kohl-Thommes, befindet sich im Nachlass der Sängerin. Dany Kohl sei gedankt für diese Information und die Erlaubnis, den Brief abzulichten. Béby Kohl-Thommes konnte sich, befragt nach dem Datum ihrer Bekanntschaft und ihrer Zusammenarbeit mit Koster, nur ungenau erinnern: nach ihrem Musikstudium und vor ihrer Anstellung als Musik-, Deutsch- und Franzö­ sisch­lehrerin an der Ecole Européenne (1956) (EI 3). 226 Zu frühen Konzertaktivitäten von Béby Thommes (seit 1946 verheiratete Kohl-Thommes) u.a. mit dem Radioorchester Luxemburg siehe: T 10.5.1947, S. 6; LW 10.5.1947, S. 5; T 23.8.1947, S. 6; LW 13.5.1948, S. 3; T 14.5.1948, S. 6; LW 27.5.1948, S. 4; LW 3.6.1948, S. 2; LW 8.7.1948, S. 4; Ons Jongen 1.10.1948, S. 14; Ons Jongen 16.11.1948, S. 9; LW 2.3.1949, S. 5 und S. 4; LW 18.5.1949, S. 5; LW 4.9.1949, S. 9; LW 15.2.1950, S. 4; LW 22.2.1950, S. 11. Siehe auch Arend, 29.3.2016, LW [Nachruf ]. 227 »Zwei Zeilen, zwei Reime: / Was kann’s besagen? Dort paaren sich liebend Ton und Wort / Sie schwingen durch die Zeiten fort / und lassen Glocken und Herzen schlagen.« Welter soll Koster dieses Gedicht gewidmet haben. http://www.nik-welter.lu/musik.html (letzter Zugriff: 28.3.2018). 228 Konzertankündigung in: LW 11.3.1972, ALK, LK 7A 3 1972.03.11_LW. Ein Programm des Abends ist nicht erhalten. 229 Zu den Datierungen auf Manuskripten sowie den Daten der Anmeldung einzelner Lieder bei der SACEM siehe Werkverzeichnis (online). Insgesamt gibt es aus dieser letzten Schaffensphase mehr datierte Manuskripte als aus den vorigen Jahrzehnten. Da aber der überwiegende Anteil der Lieder undatiert ist, ist dies allein kein Beleg für eine erhöhte Kompositionstätigkeit. 230 In ihrem Testamentsentwurf vom Mai 1973 (ALK, LK 6A 4 1973.05.00 A) schreibt sie u.a. über diese Komposition: »Wenn Johny Weis, Chordirigent in Grevenmacher sie für seinen doppelten Männerchor arrangieren will, dann habe ich das größte Vertrauen in ihn.« Anmerkungen

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231 Die Referenzen von Kritiken, aus denen zitiert wird, werden jeweils in Klammern in Kurzform angegeben. Die Belege aller übrigen im Text erwähnten Konzertdaten, -orte wie -programme werden nicht alle einzeln verzeichnet. Sie stammen aus Konzertankündigungen, -berichten und -kritiken aus dem Pressearchiv im ALK, wo sie chronologisch in der Sammlung LK 7A 10 (Presse) und LK 7A 3 (Konzerteinladungen, -programme) archiviert sind. 232 Im ersten Teil begleitete Lou Koster am Klavier, im zweiten Pierre Cao. 233 Erste Konzerthälfte: Lieder von Henri Pensis, Norbert Stelmes, Jules Krüger, Lou Koster, am Klavier von der Komponistin begleitet, Jeannette Giampellegrini begleitete die Schubert- und Schumann-Lieder. 234 Huber spielte auch einige eigene Kompositionen, zwei davon als Welturaufführungen. Nach Al Schmitz interpretierten Bise und Huber nach dieser Zusammenarbeit mit der Komponistin einige ihrer Lieder in der Schweiz, u.a. bei Radio Bern (Schmitz 17.5.1969, T). 235 Musicus 7.7.1964, J; P.N. 9.12.1966, OL; Schmitz 17.5.1969, T. 236 O.V. 25.1.1963, LW. Aber auch: o.V. 15.2.1961, LW; G. 9.7.1964, LW; o.V. Januar 1971, LW (das Tagesdatum ist auf dem Presseausschnitt aus der Sammlung von Venant Arend hier nicht vermerkt). 237 Thorn-Petit 29.8.1961, J; o.V. 6.7.1964, RL; G. 9.7.1964, LW; o.V. 25.1.1963, LW. 238 O.V. 12.1.1962, T; rp. 11.1.1964, T; o.V. 3.5.1963, LW. 239 Französisches Original: »Informer, éduquer, distraire …«; »Être le poste ami et le poste des Etoiles …«; »De la musique avant toute chose …«; »Sourire à la femme au Foyer …«; »Vivre les réalités quotidiennes du pays …« 240 Symptomatisch für diesen Kulturpessimismus ist, dass Weber den erfolgreichen luxemburgischen Maler Joseph Kutter hier fälschlicherweise unter die ausländischen Künstler rechnet. 241 Frz. Original: »hommes de talents« kann sowohl mit »talentierte Menschen« als auch mit »talentierte Männer« übersetzt werden. Auch wenn es den Konventionen der Zeit entspräche, dass Weber wohl »Männer« meinte, soll es ihm in der Übersetzung nicht unterstellt werden. 242 Vgl. die Aufnahme der Trinklieder Erop aus dem Faass und Komm Meedche breng mer Wäin des Amateurchors Les chorales réunies de Wormeldange et Ehnen vom 22.4.1968. 243 1967 schenkte Koster der Chordirigentin das Lied Anna Wilhelmy, e klengt Lidd auf einen Text von Wilhelmys Schülerinnen der Ecole Privée Ste Sophie. Zur Zusammenarbeit von Wilhelmy mit Koster siehe die Erinnerungen von Annette Curot-Jacoby (ALK, LK 7A 4 2003.11.01) und die Konzertprogramme vom 23.6.1966 und 23.6.1967. 244 Der Presseausschnitt aus der Sammlung von Venant Arend (ALK, LK 7A 10 1970.10.00-J) trägt kein Erscheinungsdatum. 245 Nach Auskünften von Viviane Thill, CNA. Das Archiv der Fernsehaufnahmen von Radio Télé Luxembourg befindet sich heute ebenfalls im CNA. 246 Maschinenschriftlicher Brief vom 21.11.1973. Privatarchiv der Autorin. Die Familie Koster übergab der Autorin freundlichst eine Kopie. 247 Siehe http://liberales.lu/presentation/historique (letzter Zugriff: 21.3.2017). Anfragen nach etwaigen Unterlagen zu Lou Koster im Archiv der Vereinigung blieben ohne Antwort. Eine militantere Form der Frauenbewegung, die auf der Bewegung von 1968 aufbaute, manifestierte sich in Luxemburg ab dem 14.12.1971 unter dem Namen Mouvement

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de la libération des femmes (das Vereinsarchiv befindet sich heute im CID | Fraen an Gender). Es gibt keine Belege dafür, dass Koster Kontakt zu dieser Organisation von Frauen der jüngeren Generation hatte. 248 Steinberg, November 1983, J; der Presseausschnitt im ALK, Kopie aus dem Archiv von Venant Arend, enthält keine Angabe des Tagesdatums. Diesen »Monolog« am Sterbebett erwähnt Steinberg ebenfalls in zwei weiteren Artikeln: Steinberg 8.2.1980, J; Steinberg 5.5.1989, J. 249 Die Familie Jean-Paul Koster war so freundlich, dem ALK Kopien davon zur Verfügung zu stellen (LK 6A 4 1972.02.01, 1972.03.01, 1973.05.00 A, 1973.05.00 B). 250 Die Version vom 1.2.1972 wurde im August desselben Jahres unterzeichnet, die vom 1.3.1972 im Mai 1973, dem Monat, in dem sie, wohl anschließend, die beiden letzten Versionen schrieb. 251 ALK, LK 6A 4 1973.05.00 B. Die auf »Mai 1973« datierte, vermutlich letzte Version, also Reinschrift, ist auch die ausführlichste (die Vorversion A ist unvollständig überliefert). Der Text oben sowie die Zitate berufen sich daher, wenn nicht anders vermerkt, allesamt auf diese Version in Französisch. 252 Dies jeweils im ersten Satz. Der Satz wurde nachträglich in der Version vom 1.2.1972 durchgestrichen, ist dann aber wieder in der Version vom 1.3. enthalten. 253 Steinberg, November 1983, J; der Presseausschnitt im ALK, Kopie aus dem Archiv von Venant Arend, enthält keine Angabe des Tagesdatums. 254 Ankündigungen und Kritiken, siehe Pressearchiv des ALK. 255 Aschman 16.9.1950, R; Thorn-Petit 28.8.1961, J; o.V. 27.6.1964, LW; I.K. 11.7.1964, J; P.N. 9.12.1966, OL; P.W. 8.5.1969, LW; Schmitz 17.5.1969, T; o.V. 24.10.1970, T; Friedrich 3.6.1972, R; o.V. 4.7.1972, RL. 256 Kopie im ALK: LK 6A 1961.01.00, siehe Text im Original in Französisch und in deutscher Übersetzung unter Quellen (online). 257 Zum 10. Todestag erschienen zwei weitere Gedenkartikel der gleichen Autoren: Schmitz 23.11.1983, T; Steinberg o.T.11.1983, J (auf dem letztgenannten Presseauszug aus dem ALK, der aus der Sammlung von Venant Arend stammt, fehlt das Tagesdatum). 258 Vgl. Arend 15.11.1974, LW; Arend 18.11.1974, J; Arend 6.5.1989, T; Blasen 2.6.1984, TE; o.V. 23.9.1989, J; Steinberg, Winter 1989, CA. 259 Ein erster, knapper, unsignierter Nachruf auf die »bekannte Klavierkünstlerin und Liedkomponistin« erschien am 20.11., zwei Tage vor dem Begräbnis, im LW, in ihm wird vor allem ihrer seit den 1960er Jahren aufgeführten »zahlreichen Vertonungen von Werken luxemburgischer Dichter« und als »Höhepunkt« des Geigers von Echternach gedacht. 260 »Eine ganze Riege von Musikern, Sängern, Schriftstellern und anderer Künstler zählten zu den letzten, doch unentwegten Freunden von Lou Koster. Selbst auf die Gefahr der Unterlassungssünde hin seien hier erwähnt: das Ensemble ›Onst Lidd‹ mit Jeannette Giampellegrini, Venant Arend, Laurent Koster, Beby Kohl-Thommes, dann Dirigent Pierre Cao, sowie Wenzel Profant und Frau, Jemp Helminger, C. Frieden, die kürzlich verstorbene Madeleine Foubert, R. Clement, meine Wenigkeit. Ihre letzte Schülerin war Lucette [Tochter von Félix Steinberg], der sie besonders zugetan war, Vergessen seien hier jedoch nicht die Familienangehörigen und Freunde des Hauses, die die Künstlerin bis zur letzten Stunde mit Liebe und Sorgfalt pflegten.« 261 Obertreis 2012, S. 23; Assmann 2012, S. 180; Sieder 2012, S. 187 ff. 262 Es ist nicht nachzuvollziehen, welche Musik Schmitz mit »Kantaten und Singspiele« Anmerkungen

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meint. Arend übernimmt in seinem Artikel in LW 15.11.1974 diese Gattungsbezeichnungen. Auch bezeichnet er, wie Schmitz, den ›Geiger‹ als ›symphonische Dichtung‹. Obwohl Lou Koster nur eine Operette vertonte, gebraucht Schmitz hier die Mehrzahl. Er erwähnt die Märsche, obwohl Koster nur wenige komponierte, die vielen Walzer, Orchesterlieder, Klavierstücke lässt er aus. 263 Im Télécran vom 12.9.2009 wird Daniel Conrad die Information, Koster habe durch ihre Märsche Bedeutung für den nationalen Kontext erhalten, übernehmen, aber die Aufführung in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg verlegen: »Darunter die Märsche, die sie für die Unabhängigkeitsfeiern nach dem Zweiten Weltkrieg schrieb und die ein erstes Zeichen ihrer späteren nationalen Bedeutung sein sollen.« 264 Vermutlich hier gemeint: Das Krönlein der Muttergottes, das er allerdings noch einmal – also doppelt – erwähnt. 265 Ankündigung der Sendung im LW am 1.12.1973. 266 Schmitz erwähnte in seinem Text von 1973 zum Teil dieselben Werke, dort allerdings ohne zeitliche Verortung, so dass der Widerspruch zu einer vermeintlichen Schaffenskrise nicht unmittelbar ins Auge springt. 267 Die Stelle, dass sie »nur unbewusst« an die Möglichkeit von Aufführungen gedacht haben soll, geht auf eine frühere Textquelle zurück (I.K. 11.7.1964, J), die Schmitz drei Jahre später übernommen hatte (Schmitz 17.5.1969, T). 268 Konzertprogramm vom 31.1.1980 mit Vita von Koster im ALK, LK 7A 3 1980.01.31. 269 Dimbath Wehling 2011, S. 7–34 über »identitäts- und gemeinschaftsstiftendes Vergessen«. Siehe auch Zierold 2006, S. 25–58. 270 Wagner 1986, 14 f. Was die Zahl der Lieder betrifft, bezieht Wagner sich in einer Endnote auf Léon Blasen. Wenn er Kosters Lieder zum Kunstlied rechnet, tut er dies im Gegensatz zu den Liedern von Thorn und Petit, die er im selben Abschnitt als »echte Volkslieder« bzw. »folkloristisch und patriotisch inspirierte Melodien« bezeichnet. 271 Brief von Raymond Weber, conseiller de gouvernement, an Félix Steinberg vom 14. Juni 1989, LK 5C 1989.06.14, F. 272 ALK, LK 5C 1989.09.00; o.V. 23.9.1989, J u.a. 273 Schreiben der Banque Caisse d’Épargne de l‹État Luxembourg vom 17. November 1989, LK 5C 1989.11.17. 274 Die Namen der – bis auf die Bank – ausschließlich privaten Spender werden auf Seite 39 ff. der Broschüre aufgelistet. Das Kulturministerium findet sich nicht unter ihnen. Der Kulturminister war nicht um ein Grußwort gebeten worden. Die Schirmherrschaft hatte die Bank übernommen. Eingeleitet wird die Broschüre von insgesamt vier Grußworten: der Präsidentin der Abgeordnetenkammer Erna Hennicot-Schoepges, des Präsidenten der UGDA Roger Diederich, der Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg Lydie Wurth-Polfer und des Präsidenten des Comité Lou Koster Venant Arend. 275 Philatélie Neuheiten 1 (2003), hg. v. Office des Timbres. Die Serie enhält zwei Briefmarken, neben der zu Lou Koster eine zur Politikerin Catherine Schleimer-Kill. Die Entwürfe stammen von der Künstlerin Yvette Gastauer-Claire.

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Abb. 1: Die luxemburgische Militärkapelle am 23. August 1868 mit ihrem Dirigenten Franz Ferdinand Bernhard Hoebich, dem Großvater Lou Kosters, vorne in der Mitte (5. v. l.).

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Abb. 2: Emma und Jean Koster-Hoebich mit ihren Kindern Lina, Lou und Francis, um 1894.

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Abb. 3: Jean und Emma Koster-Hoebich mit ihren Kindern Francis, Lina, Fernand und Lou, ca. 1899.

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Abb. 4: Lou Koster mit ihren Kusinen Helene (links von ihr) und Olga (rechts von ihr) sowie ihren Schwestern Lina (hinter ihr) und Laure (vorne in der Mitte), ganz links Fernand.

Abb. 5: Laure Koster, Lou Koster mit Freundin oder Verwandter, ganz rechts Fernand Koster.

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Abb. 6: Gesellige Zusammenkunft im Sommer 1912 – Lou Koster in der letzten Reihe im gestreiften Kleid und ohne Hut, Laure Koster ganz vorne in der Mitte. Abb. 7: Laure, Lina und Lou Koster.

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Abb. 8: Lou Koster am 5. März 1918, fotografiert von ihrem Bruder Fernand.

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Abb. 9: Titelseite der zwölf um 1919 in Brüssel herausgegebenen Klavierstücke.

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Abb. 10: Die Schwimmerin Laure (Lory) Koster inspiriert Batty Weber zum Libretto der Operette An der Schwemm / Amor im Bade – Offizielles Foto von 1924, als sie Luxemburg bei den Olympischen Spielen vertrat.

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Abb. 11: Walzerlied der ‚Lory‘ aus einem der Klavierauszüge zur Operette An der Schwemm / Amor im Bade.

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Abb. 12: Das Ladies Orchestra The Stars spielt zum ‚Thé dansant‘ in Antwerpen auf, Laure Koster mit Saxofon, ca. 1924. Abb. 13: Offizielles Foto von Laure Koster 1925 beim Abschluss ihres Cellostudiums am Brüsseler Konservatorium.

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Abb. 14: Familienzusammenkunft am 25. Juli 1930 – Fernand Koster mit Frau Thérèse Seyler, Henri Poos, Lou (am Klavier), Lina und Emma Koster. Abb. 15: Lou Koster in den späten 1930er Jahren.

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Abb. 16: Lina Koster mit Cello, sie stirbt 1938 bei einem Autounfall. Abb. 17: Henri Poos malt nach dem Unfalltod seiner Frau Lina Koster 1938 ein Bild der drei Schwestern in ihrer Jugend vor ihrem Elternhaus am Boulevard d’Avranches.

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Abb. 18: Personenkarteikarte Lou Koster aus der Zeit der NS-Besatzung, am 6. März 1944 von der Polizeidirektion erstellt. Abb. 19: Lou Koster Ende der 1940er Jahre.

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Abb. 20: Lou (ganz rechts) und Laure Koster (ganz links) mit zwei nicht identifizierten Frauen bei einer Bergwanderung im Juli 1955 in der Schweiz.

Abb. 21: Das Ensemble Onst Lidd – Lou Koster und Jeanne Giampellegrini am Klavier, Venant Arend, Béby Kohl-Thommes und Laurent Koster.

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Abb. 22: Erste Skizzen zu Der Geiger von Echternach am Rand der Gedichte. Abb. 23: Die erste Seite aus dem zweiten autografen Klavierauszug zu Der Geiger von Echternach.

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Abb. 24: Lou Koster am 6. Februar 1973, fotografiert von Raymond Clement.

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Kontext – Musik in Luxemburg Setzt man sich kritisch mit der Musik von Lou Koster auseinander, ist es unerlässlich, dies vor dem Hintergrund der Bedingungen ihrer künstlerischmusikalischen Arbeit in Luxemburg zu tun. Ihr Komponieren als kulturelle Praxis steht in einer engen Verbindung mit zeit- und regionalgeschichtlichen Ideenkreisen und Diskursen. Auf die enge Verbindung von Kunst und Kontext, Kunst und Diskurs, aber auch Biografie, Gesellschaft und Kunst wurde in den letzten Jahrzehnten in einer Vielfalt kulturwissenschaftlicher Publikationen hingewiesen, vor allem – und unter Einnahme eines neuen Blickpunktes – von jenen, die sich mit dem performativen, konstruktiven Charakter von Identität befassen und sich von der traditionellen und essentialistischen Vorstellung von Identität als etwas Festem, Stabilem, Vorgegebenem, das ›ausgedrückt‹ wird, verabschieden. Nach Doris Kolesch steht biografisches Schreiben vor der Aufgabe, das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft im Blick zu halten und auch neu zu denken: »Will man das Besondere und Spezifische, zugleich aber auch Exemplarische eines Lebens herausarbeiten, wäre dies, folgt man den Überlegungen zum Performativen, in den bisweilen marginalen Abweichungen, den minimalen Umdeutungen oder auch den individuellen Kombinationen und Artikulationen gängiger Denk- und Verhaltensweisen wie Lebensstile aufzufinden.« (Kolesch 2009, S. 52) Es scheint damit unerlässlich, ein paar wesentliche Elemente und Aspekte des Kontexts in den Blick zu nehmen, die übergreifend die Musik von Koster prägten. Bestimmte Charakteristika ihrer Musik – wie z. B. ihre Entscheidung für die tonale Sprache – werden dabei kontextualisiert und regionale Besonderheiten der Musik- und Kulturgeschichte Luxemburgs beschrieben, die von Bedeutung für ihr Komponieren und ihr musikbezogenes Handeln waren. Hierzu gehören kontroverse Diskurse zur kulturellen Identität Luxemburgs, zu denen sie sich mit ihrer Musik positionierte, Debatten zum Stellenwert lokalen Kunstschaffens, lokale Bemühungen um eine Demokratisierung der Kunst und die doppelte Marginalisierung von Komponistinnen aus Luxemburg. Sie bilden zusammen die Folie für die Rezeption ihrer Musik.

Kontext – Musik in Luxemburg

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Tonale Sprache – Asynchronität Ein charakteristisches Merkmal der Musik Lou Kosters ist – vor allem im Bezug zu ihrer Entstehungszeit in den ersten drei Vierteln des 20. Jahrhunderts – die tonale Tonsprache.1 Nach einem ›Bruch der Moderne‹ und nach avantgardistischer melodisch-harmonisch-rhythmischer Experimentierfreudigkeit sucht man bei Koster vergebens. Sie orientierte sich beim Komponieren ihrer Lieder hörbar an der deutschen musikalischen Romantik, aber auch an der französischen Liedkunst des Fin de Siècle und bezeugte in ihrer Musik ihre Vorliebe für eine klare klassisch-romantische bis impressionistische Musiksprache ohne Überschwänglichkeit, die auch einem breiteren Publikum verständlich und zugänglich war. Mit der Distanz zur tonangebenden Avantgarde-Musik der Grenzländer war Lou Koster in Luxemburg keine Ausnahme. Trotz der unterschiedlichen kulturellen Einflüsse, die sich in Luxemburg durchkreuzten, und trotz der hohen Anzahl ausländischer Musiker, die in Luxemburg lebten und wirkten, gehört diese Asynchronität zu den verbindenden Merkmalen luxemburgischer Komponisten aus Kosters Generation. Konzertleben wie Musikkritik spiegelten diese Haltung: Avantgarde-Musik wurde in Luxemburg in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts kaum gespielt, und auch in Konzertbesprechungen kommt immer wieder Skepsis gegenüber der musikalischen Modernität zum Ausdruck. Während zumindest eine Gruppe von Luxemburger Schriftstellern zwischen 1916 und 1922 Anschluss an die literarische Avantgarde suchten (Mannes 2007), gab es, nach bisherigem Forschungsstand, weder im musikalischen Bereich noch in der bildenden Kunst eine Annäherung an radikalere neue Musik- und Kunstströmungen. Eine Auseinandersetzung mit der musikalischen Moderne des 20. Jahrhunderts zeigt sich in der in Luxemburg komponierten Musik erst zaghaft nach dem Zweiten Weltkrieg. Diese Ungleichzeitigkeit steht zweifelsohne in Zusammenhang damit, dass Luxemburg, obwohl es sich, wie ein beliebter Slogan betont, im »Herzen Europas« befindet, sich kulturell lange Zeit eher an der Peripherie situierte. Kunst, Literatur und Musik hatten zwar in diesem Raum ab dem zweiten Drittel des 19. Jahrhundert eine bisher einmalige Blütezeit erlebt. Luxemburg war aber keine immer wieder neue Kunstströmungen hervorbringende und nährende Metropole, sondern eine Kleinstadt mit allenfalls militärischer Bedeutung. Es war die Hauptstadt eines lange Zeit kulturell und bildungsmäßig ›unterentwickelten‹ Landes, ohne bedeutende Musikinstitutionen,

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ohne Hochschule oder Universität, ohne Musikverlagswesen und spezialisierte Musikzeitschriften, in denen erfahrene Musikkritiker publizierten. Der Literaturwissenschaftler Harald Bloom widmete dem Thema »Einfluss« 1975 eine Publikation mit dem Titel The Anxiety of Influence. Bloom geht davon aus, dass kaum ein Künstler sich der Beeinflussung entziehen kann und dass dies bei Künstlern Angst auslöse – und zwar umso mehr, je stärker die künstlerische Persönlichkeit. Gelänge es dem Künstler nicht, diesen Einfluss zu brechen und zum Vorbild auf schöpferische Distanz zu gehen, ordne er sich dadurch selbst der Kategorie der »weak poets« zu: »Poetic history […] is held to be indistinguishable from poetic influence, since strong poets make that history by misreading one another, so as to clear imaginative space for themselves.« (Bloom 1975, S. 5) Von Bloom ausgehend spürt Klaus Kropfinger 25 Jahre später dieser »Angst« in der Geschichte der Musik nach und gibt vor allem Beispiele aus der Beethoven-Nachfolge. Auch wenn Kropfinger zugibt, »dass es keine Maßskala rezeptiver Einflussbrechung gibt«, unterscheidet auch er zwischen »starken Komponisten« und »nachstufigen«, »nachgestellten«; Letztere seien dennoch »unverzichtbar, weil sie nicht nur Folienfiguren sind, sondern Kontext bilden, Kontext öffnen.« Kropfinger benennt interessanterweise als Voraussetzung dieser Distanzierung zum Vorbild den »Keim (die Intention) der Überbietung« (Kropfinger 1998, Sp. 207). Eine solche normative Sicht stellt sich als problematisch für weite Teile der Musik heraus, so beispielsweise für die Musik von Komponistinnen, aber auch für Kunst an der Peripherie. Fraglos spielen der »Keim der Überbietung« und die »anxiety of influence« samt ihrem Bezug zur Macht vor allem in der Heroenmusikgeschichte eine bedeutende Rolle. Kann der Wille zur Überbietung bei Komponistinnen von zentraler Bedeutung sein, wenn die traditionelle weibliche Erziehung und Sozialisation alle Hebel in Bewegung setzt, um solchem Begehren gegenzusteuern? Haben nicht auch Künstler und Künstlerinnen aus kulturellen Randgebieten ganz andere »Ängste«, Interessen und Intentionen? Zentral bei Koster scheint tatsächlich viel weniger die Intention zu Überbietung und Originalität als der starke Wille, die Musik als Kommunikationsinstrument zu nutzen, Musik zu demokratisieren und sich trotz beständigen Misstrauens gegenüber der Kreativität von Frauen ein Publikum zu schaffen. Auch hier kann eine Emanzipation von normativen Kategorisierungen Türen öffnen und andere interessantere Fragen zulassen.

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›Petitessenkomplex‹ versus ›Magnitudo des Kleinen‹ Klagen über die ›Provinzialität‹ und ›Rückständigkeit‹ des Heimatlandes und ein Gefühl kultureller Wurzellosigkeit, das zu starken Zweifeln am Wert lokaler künstlerischer Produktion führte, durchziehen das luxemburgische Schrifttum wie ein roter Faden. So benannte Nicolas Ries 1920 in seinem groß angelegten Versuch, die Psychologie des Typus des Luxemburgers in essentialistischer Manier zu beschreiben, als dritten von fünf prägenden Faktoren das »von kleinen Heimatländern und kleinen Städten untrennbare Elend, der bornierte Horizont einer kleinen Hauptstadt, ehemals eine bedeutende Zitadelle, heute so groß wie eine kleine Provinzstadt« (Ries 1920, S. 93, F). Dem Provinzialismus der Kleinstadt gegenüber der die Kultur ungleich mehr fördernden Großstadt hatte Frantz Clément bereits sechs Jahre zuvor die Schrift Die Kleinstadt. Eine kulturpsychologische Studie gewidmet. Immer wieder wurden solche Qualitätszweifel auch in der Presse geäußert, und sie hinterließen, wie im biografischen Kapitel zu den 1950er Jahren skizziert, auch Spuren in der Kulturförderung, dies bis heute. Pierre Grégoire, von dem Lou Koster übrigens sechs Gedichte als Lieder vertonte und der zwischen 1959 und 1969 Kulturminister war, schrieb: »Die Luxemburger aber, Bewohner eines verkannten Liliputanerlandes, Berufene dennoch in allen spirituellen Bezirken, erkühnen sich, an einem entsetzlichen, fast unheilbar erscheinenden Petitessenkomplex zu leiden« (Grégoire 1981, S. 308 f.). Grégoire beschreibt diese Zweifel an der eigenen kulturellen Produktion als eine zeitübergreifende Stimmung und fragt sich, ob »die Unsicherheit« vielleicht »ein Charakteristikum […] des schöpferischen Luxemburgers« im Allgemeinen sei (ebd., S. 294). Er detektiert in diesem Komplex vor allem auch das Größenwahnsinnige, das er in drei verschiedenen Ausprägungen und Tendenzen schildert: Künstler, die sich zum Ziel setzten, eine luxemburgisch partikulare Kunst zu schaffen, könnten angesichts der Winzigkeit des Landes nur scheitern. Ihr »bester Elan« würde an der Frage »brechen«: »Bin ich wirklich etwas Eigenes? Darf auch ich einen Anspruch auf die Gewissheit erheben, dass auch ich, wie der französische Dichter oder wie der deutsche Dramatiker, etwas Besonderes sei?«, und also in einen Komplex resultieren. Jene, die stattdessen vor der Enge ins Ausland flüchteten, um dort mit ihrer Kunst zu bestehen – und die also in ihrem Kunstschaffen wiederum Maß an der deutschen und französischen Kultur nehmen –, könnten wegen der »Maßlosigkeit« dieses Anspruchs ebenfalls nur scheitern. Aber auch das Fühlen, »gleichzeitig in drei spirituellen Sphären daheim« zu sein – der Mischkulturgedanke –, führe zu einer ungesunden und zweifelnden 252

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»Instabilität des Denkens und Empfindens« (Grégoire 1981, S. 294–308). Nicolas Ries hatte 1911 bzw. 1920 diesen dritten Weg, die Vermischung kultureller Einflüsse, im Großen und Ganzen ebenfalls vor allem negativ als »psychischen Dualismus« beschrieben, der zur »intellektuellen Sterilität« und zum Verlust des Selbstwertgefühls führe. Darüber hinaus war Ries der Meinung, ›der‹ Luxemburger sei zwar für Naturwissenschaften und analytisch kritisches Denken talentiert, aber wenig für die »Nebel der Träume und der Poesie« (Ries 1920, S. 198, 191, 206 f.). Eine solche von einer größeren Allgemeinheit geteilte komplexhafte Haltung stand im Grunde dem von verschiedenen Seiten bis zum Zweiten Weltkrieg geforderten Erschaffen einer eigenständigen ›nationalen‹ oder ›heimatlichen‹ Kultur und Musik fundamental entgegen.2 Setzen die heroischen Selbstbezeichnungen ›Nationalkultur‹, ›Nationalmusik‹, die sich in Abgrenzung zu ›anderen‹ Nationen definieren, nicht gerade voraus, dass sie von Personen und Gruppen getragen und geschaffen werden, die an sich glauben und selbstbewusst dem Anderen etwas Eigenes entgegensetzen wollen? Dass der regionalen Kunst der für ein solches Vorhaben notwendige repräsentative Stellenwert kaum zuerkannt wurde, bedauerte der anonyme Schreiber eines Leserbriefs im Jahr 1902: »Die diesjährige Ausstellung des Luxemburger Kunst-Vereins scheint, wie ihre Vorgängerin, durch Heranziehung fremder Künstler, allmählich den Charakter als Luxemburger Kunstausstellung zu verlieren. In diesem Sinne entspricht diese Ausstellung ja ganz dem Charakter der Luxemburger, die überhaupt keine nationale Kunst wünschen, dieselbe wenigstens nicht aufmuntern und unterstützen. […] Nur ausländische Sachen finden bei uns Anklang.« (LW 28.8.1902, S. 2) Diese komplexhafte Haltung wurde allerdings mitgeprägt von dem Bild, das sich die Teilnehmer der ›großen‹ Kultur von den ›kleinen‹ Kulturen machten. So war Hugo Riemann 1901 der Meinung, »die Erscheinung Beethovens« habe mit ihrer »imponierenden Größe« »alle die Kleinen, welche über den Berg hinüber zu kommen nicht hoffen konnten, in liebliche und anmutende Seitenthäler« gedrängt, womit er ihnen einen ›natürlichen‹ Außenseiterstatus zuwies.3 Wie internationale Forschungen der letzten 20 Jahre zeigten, ist dieser Komplex, einer kulturellen Minorität anzugehören, keinesfalls ein luxemburgisches Spezifikum, sondern charakterisiert viele der ›kleinen‹ Kulturen, die sich ab der zweiten Hälfte des 20.  Jahrhunderts allmählich und, so scheint es, vor allem im literarischen Bereich vom normativen, vergleichenden und somit demotivierenden Selbstblick befreiten und befreien.4 In Luxemburg gehörte Pierre Grégoire zu denen, die an die Möglichkeit eines kraftvollen Kulturschaffens in Luxemburg glaubten, allerdings unter Kontext – Musik in Luxemburg

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der Voraussetzung, den Mut zur kleinen Kultur aufzubringen und sich somit der – wie er es nennt – »Magnitudo des Kleinen« zuzuwenden: »Nur wenn ich mich, demütig und bescheiden, in die Kleinheit hineinknie, kann ich die Größe der Welt erkennen und, plötzlich vom Stolze des Wissenden geschwellt, gehoben und erweitert, ausrufen: Luxemburg ist, ja, sogar das gering scheinende Luxemburg ist das große Abendland. Und wo ich meine sogenannten – meine so verhöhnten – Winzigkeiten darstelle, ergreife ich das Grandiose mit, gebe es weiter und weiß, dass es die Besten des Volkes so lange beunruhigen wird, bis sie, ergriffen auch, ihm Einlass gewähren müssen!« (Grégoire 1981, S. 310) Demokratisierung von Musik Zwar gibt es im 20. Jahrhundert, mit spürbaren Nachwirkungen bis heute, eine Tradition, in Asynchronem lediglich abwertend die Modernitätsverweigerung, eine reaktionäre Rückständigkeit, Konservativismus und Regressivität zu sehen und eine solche Kunst einer weiteren Betrachtung nicht für würdig zu empfinden.5 Eine solche Haltung überwog in Luxemburg spätestens ab dem letzten Viertel des 20. Jahrhunderts, als man sich für die Asynchronität in Kunst und Musik zu ›schämen‹ begann, die neuen Generationen von Komponisten aber umso stolzer darauf waren, endlich einen Anschluss an die Moderne gefunden zu haben. Die Musik der vorherigen Generationen – auch die von Koster – wurde vergessen, kaum noch gespielt, weder wurde sie ediert noch befasste man sich in einem breiteren Rahmen musikwissenschaftlich mit ihr. Anstatt sich darauf zu beschränken, bei Koster und ihren KollegInnen stilistisch Traditionelles zu konstatieren, wäre es spannender, der Frage nachzugehen, warum diese ästhetische Entscheidung, so und nicht anders zu komponieren, getroffen wurde und in welchem Bezug sie zum gesellschaftlich-sozialen und ideengeschichtlichen Kontext steht. Kunstabwertung anhand normativer Kriterien – in diesem Fall des Kriteriums der »Modernitätsverweigerung« – zu rechtfertigen wird in letzter Zeit insbesondere von der kulturwissenschaftlich orientierten Musikwissenschaft zunehmend hinterfragt, womit Instrumentarium, Theoriegerüst und Methoden benannt wären, die zu einer produktiveren Beschäftigung mit dem Thema führen können. Bezieht man den Kontext in die Betrachtung mit ein, kann eine kulturelle Alterität sichtbar gemacht werden, die ›zeitgemäß‹ sein kann, eine Andersartigkeit, die übersehen wird, wird Musik allein werkimmanent betrachtet, 254

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anhand ideologischer Kriterien stilgeschichtlich einordnet, auf Epigonentum reduziert und für sie auf diese Weise eine rückwärtsgewandte Identität konstruiert.6 Ernst Bloch: »Die Geschichte ist kein einlinig vorschreitendes Wesen […] sondern sie ist ein vielrhythmisches und vielräumiges, mit genug unbewältigten und noch keineswegs ausgehobenen, aufgehobenen Winkeln.« (Bloch 1981, S. 69) Wenn, wie Bloch erklärt, die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen ein Kennzeichen der Moderne ist,7 könnte die asynchrone Musik aus Luxemburg sogar helfen, die Moderne aus einem bisher noch nicht eingenommenen Blickwinkel zu betrachten und sie über diesen Umweg vielleicht besser zu verstehen.8 Oder wie Corinna Mersch es formuliert: »Wenn sie anvisiert und gefeiert wird, kehrt die Peripherie die Perspektive um und transformiert sich zu einem wahrhaft vitalen Nukleus.« (Mersch 1999, S. 72, siehe auch Glesener 2017) Über Kultur und kulturelle Identität wird an der Peripherie anders nachgedacht als in den Zentren (Schieren Einfeldt 2009), und diese Reflexionen und Selbstbilder hinterlassen ihre Spuren in der Kunst, Literatur, Musik, die in diesen Räumen entsteht. Lou Koster war es z. B., wie den meisten ihrer komponierenden Kollegen, sehr wichtig, von einem breiteren Publikum verstanden zu werden, es ging ihr nicht darum, Musik nur für eine kleine, elitäre Gruppe von Kennern zu schreiben. Sie komponierte ihre Musik so, dass auch ein intellektuell oder musikalisch nicht so hoch ausgebildetes Pub­ likum Freude daran haben konnte, und bezog lokale Musiktraditionen mit ein. Nach dem Neffen Jean-Paul Koster ging es ihr in erster Linie darum, »mit der Musik den Leuten Freude zu bereiten« (EI 2). Sie wollte nicht nur Kunstmusik für Kenner komponieren, Béby Kohl-Thommes zitiert eine wiederholte Aussage von Lou Koster: »ich habe doch für das Volk geschrieben« (EI 3). Als langjährige Unterhaltungsmusikerin war sie es gewohnt, Musik zu schreiben, die vielen Menschen gefiel. Beim Komponieren ›ernster‹ Musik löste sie sich nicht von dem Anspruch, die Hörer ›abzuholen‹ und mit auf ihre Reise zunehmen. Komponieren in einem Elfenbeinturm lag ihr fern. Ebenso wichtig war es ihr, beim Schreiben von Musik an die lokalen InterpretInnen und MusikliebhaberInnen zu denken und so zu komponieren, dass die technischen und musikalischen Schwierigkeiten auch von LaiensängerInnen oder halbprofessionellen SängerInnen gemeistert werden konnten. Zugleich konnte sie sich darüber freuen, wenn erstklassige InterpretInnen sie auf ihre Konzertprogramme setzten. In Luxemburg gab es zu dieser Zeit nur wenige gut ausgebildete, voll professionelle Sänger und Sängerinnen, und das Chorwesen lag gänzlich in Laienhand. So scheute sie sich nicht, schwierigere Passagen aus Partituren umzuarbeiten und für einen Interpreten eine Kontext – Musik in Luxemburg

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alternative handschriftliche Version einer Komposition zu schreiben. Diese ›Anpassungsfähigkeit‹ wird auch von Kritikern gelobt: »wie gut versteht sie es, ihre volkstümlich empfundenen Melodien der menschlichen Stimme anzupassen« (aus einer Kritik im Luxemburger Wort im Juli 1972, zit. b. Arend Steinberg 1990, S. 19). In ihrem Schaffen – und darüber hinaus generell in der Musikgeschichte Luxemburgs seit dem 19. Jahrhundert – spielte die von sozialen Gedanken geleitete Idee einer »Demokratisierung« von Musik lange Zeit eine große Rolle. Um dem Gemeinschaftsgefühl des seit 1839 in Etappen unabhängig werdenden Luxemburg in musikalischer Hinsicht Form zu geben, strebten die Komponisten im 19. Jahhundert in ihrer Musik einen leichteren, populären Ton an und hatten dabei keine Berührungsängste mit unterhaltender, funktionaler und volkstümlicher Musik.9 Die Vokalmusik, vorrangig in luxemburgischer Sprache, stand im Mittelpunkt. Sie pflegten mit Vorliebe bestimmte Gattungen wie Lieder und Chöre in luxemburgischer Sprache, die Operette, Kirchenmusik, aber auch Märsche und Genrestücke für Klavier oder Orchester. Mit der einzigen Ausnahme der Kirchenmusik, die in ihrem Werkkatalog fehlt, komponierte Koster in all diesen Gattungen. Sehr wenige KomponistInnen schrieben z. B. Musikdramen oder Symphonien und Klaviermusik, und eine deutliche Distanz zur Autonomieästhetik kann festgestellt werden. Auch zu einer komplexeren romantischen Tonsprache blieben sie weitgehend auf Distanz und bevorzugten vielmehr klassische Klarheit und oft humorige Frische. Pierre Grégoire spricht dem Humor im Luxemburger Kunstschaffen des 19.  Jahrhunderts große Bedeutung zu (Grégoire 1981, S. 295, siehe auch Conter Schmit Seil 2012). Die vier Komponisten Michel Lentz, Edmond de La Fontaine (›Dicks‹), Jean-Antoine Zinnen und Laurent Menager, die zusammen im 19. Jahrhundert schulbildend wirkten, entwickelten in ihren Werken ästhetische Maßstäbe, die lange Zeit ihre Gültigkeit behalten sollten. Klare und verständliche Musik zu schreiben, die das Publikum liebte, wurde nicht als fragwürdige Kompromissbereitschaft, sondern als Qualität gewertet. Auch in der Musikrezeption wurde das Einfache und Schlichte immer wieder besonders hervorgehoben und gelobt. So schrieb beispielsweise der Komponist Alfred Kowalsky 1932 über Laurent Menager: »Aus vollem Herzen entsprudelnd, gesund, ohne durch Musik-Snobismus angekränkelt zu sein, ohne krampfhafte Sucht nach neuem Land, um unbedingt originell zu erscheinen, entquollen ihm all seine Lieder mit einer Frische und Natürlichkeit, die ungemein herzerquickend wirken.« (Kowalsky 1932) Der Musikjournalist und -historiker Léon Blasen bezeichnete 50 Jahre später denselben Komponisten 256

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als »ein Kind aus dem Volk, ein echter Luxemburger. Er verstand das Volk in seiner Freude und seinem Leid. Seine Melodien kommen daher aus dem Herzen. Sie sind einfach und natürlich.« (Blasen 1988, S. 36) Das Anstreben von ›Einfachheit‹ in der Musik kann klangliche und musikalische Feinheiten ins Zentrum rücken, statt der vielfach überschätzten Komplexität. Es scheint des Weiteren einen Zusammenhang zu geben zwischen dieser sich volksnah wollenden Ästhetik und der sozialen Herkunft der meisten Luxem­burger Komponisten, die – mit der Ausnahme von Dicks – mehrheitlich aus dem einfachen Milieu stammten. Die Väter von Menager, Krein, ­Decker, Jean-Pierre Beicht, Mertens, Kowalsky, Koster, Petit, Krüger usw. waren Bäcker, Tuchfabrikant, Metzger, Friseur, Wirt, Fabrikarbeiter, Eisenbahnbeamter, Schneider. Einige Komponisten stammten aus Musikerfamilien, wie Zinnen, dessen Vater 1853 in dem Dorf Larochette eine Musikschule gründete, oder Albrecht, Boeres, Joseph Alexandre Müller und Louis Beicht, deren Väter allesamt Militärmusiker waren. Oft suchten die Komponisten in ihrer Musik eine Nähe zu ihrem Herkunftsmilieu und verankerten ihre kompositorischen und musikalischen Tätigkeiten im lokalen Musikmilieu: Sehr viele von ihnen leiteten dörfliche oder kleinstädtische Musikgesellschaften und Chöre, die größtenteils aus Handwerkern, Arbeitern, Bauern und Kleinbürgern bestanden, oder wirkten in der Militärmusik und komponierten für diese Ensembles. In ihren populären Liedern, aber auch Chören und Operetten sowie ihren mit assoziativen Titeln versehenen Genrestücken und Märschen für Harmoniemusik und Symphonieorchester verbreiteten sie Ideen, Vorstellungswelten und Wertsysteme ihres Milieus. Dass diese Musik, wie Axel Körner es für die Lieder der französischen und deutschen Arbeitermilieus formuliert, als Kommunikationsmedium Bewusstsein schuf, Einfluss auf soziale Realitäten nahm und ein »wichtiges Quellenkorpus für das Studium subjektiver Erfahrungen und kollektiver, an ein bestimmtes Sozialmilieu gebundener Ideen und Träume« bildet (Körner 1997, S. 23), wurde bisher für Luxemburg noch nicht untersucht, wäre aber für das Verständnis der im 19. und bis weit ins 20. Jahrhundert dort entstandenen Musik, die sich dem ›Verständlichen‹ und ›Volksnahen‹ verschrieb, ein vielversprechendes Thema. Auch Koster bemühte sich um eine klare, verständliche Musiksprache. In Kosters Schaffen spiegeln sich Tendenzen, die ebenso in der Musik in Frankreich zwischen den beiden Kriegen von Bedeutung waren: eine Rückkehr zum Handwerklichen, ein Misstrauen gegenüber dem Neuen in der Musik, eine Aufwertung der Tradition und der Heiterkeit sowie die Veränderung der musikalischen Praxis durch das Komponieren für das Radio und die damit verbundene Notwendigkeit, dem Radiohörer zu gefallen (Faure 1995). Kontext – Musik in Luxemburg

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Wie das von Jean Cocteau in der Schrift Le Coq et l’Arlequin formulierte Manifest der Groupe des Six distanzierte sich auch Koster in ihrer Musik von dem spätromantischem ›Überschwang‹ und ebenso von dem ›übertriebenen impressionistischem Raffinement‹. Dennoch war es ihr mit Sicherheit kein Anliegen, wie Cocteau es forderte, die ›Kunst zu entmystifizieren‹ und bürgerliche HörerInnen zu provozieren. Die Groupe des Six war Teil der französischen Avantgarde, der Nährboden ihrer Ästhetik war die Metropole, die Opposition zur bürgerlichen Gesellschaft, an deren Geschmack man keine Konzessionen zu machen bereit war, stand im Vordergrund. ›Heimatkunst‹ und/oder ›Mischkultur‹ Neuere geschichtswissenschaftliche Forschungen identifizieren ab dem 19. und bis ins 21. Jahrhundert zwei gegensätzliche zentrale diskursive Strategien in der luxemburgischen Identitäts- und Nationenbildung, die in der Zwischenkriegszeit eine ihrer intensivsten Phasen erlebte (Péporté u.a. 2010).10 Diese Strategien bezeichnen die Autoren als »zentripetal« bzw. »zentrifugal«. Beide Denkströmungen prägten (und prägen) das kulturelle Schaffen in Luxem­burg und im Besonderen auch das von Lou Koster. Sie bilden zusammen das Spannungsfeld zwischen nationalem Denken und Kosmopolitismus. Lou Koster gehörte dabei zu jenen Intellektuellen und KünstlerInnen, die sich innerhalb dieses Feldes nicht auf eine der beiden Seiten festlegten, sondern in ihrem Handeln und künstlerischen Schaffen in beiden Richtungen aktiv waren. In der »zentripetalen«, auf Luxemburg zentrierten Diskursstrategie wird dem Land eine eigenständige, partikulare erdverbundene Identität und Kultur zugeschrieben, die vor allem in der das ›Volk einenden‹ luxemburgischen Sprache (und Vokalmusik) zum Ausdruck kommt. Diese partikulare Identität und Kultur gelte es zu erhalten und zu fördern. Die lange Zeit bedrohte Unabhängigkeit des Landes führte zur Forderung nach einer nationalen Kunst und Literatur und im musikalischen Bereich u.a. zur Volksliederforschung und -pflege, aber auch zur Förderung einer Volksliedneuerfindung. »Betonen wir stärker als bisher den nationalen Gedanken in Kunst und Wissenschaft, nicht im Sinne einer überheblichen engstirnigen Abschließung«, so beispielsweise ein Auszug aus einer Rede des Abgeordneten Jean Origer in der Kammersitzung vom 12. April 1938 (zit. in D’Hémechtssprôch 1939, S. 37  f.). Wie Germaine Goetzinger für die Literatur feststellt, war in Luxem­burg der Konstituierungsprozess einer nationalen Kunst gedoppelt 258

Die Musik

von einem Prozess der ständigen Selbstvergewisserung und Legitimierung. Der Wert des eigenen Landes sollte vor allem in den Augen der Anderen, aus der Perspektive der Fremden erwiesen werden.11 Der Richtung, die eine partikulare nationale Kunst forderte, schrieb Koster sich beispielsweise mit Kompositionen ein, die zentrale Mythen und Figuren der luxemburgischen Geschichte behandeln (Yolanda, Melusina, Der Geiger von Echternach). Bei der Komposition des Geigers von Echternach hatte sie dabei sowohl den Anspruch, Musik für die ›Heimat‹, die von der ›Heimat‹ handelt, zu komponieren, als auch gleichzeitig den Wunsch, sich damit auch an Touristen zu wenden (Perspektive von außen, des Fremden). Aber auch ihre luxemburgischsprachigen Lieder und Chöre – oft Vertonungen des als ›Nationaldichter‹ gefeierten Willy Goergen – kann man hier verorten. Durch ihre Partizipation am Wettbewerb der UGDA 1937 beteiligte sie sich am Schreiben neuer Volkslieder. Und auch durch ihre Teilnahme an patriotischen kulturellen Veranstaltungen oder durch ihre Mitgliedschaft im Verein Hémechtssprôch partizipierte sie an der Förderung nationaler bzw. heimatlicher Kunst. Während die Blickrichtung der Anhänger der ›Volkskultur‹ auf ›Eigenes‹ gerichtet war, gab es eine Reihe von Intellektuellen und Künstlern, die so stark unter der ›Provinzialität‹ und ›Kulturlosigkeit‹ litten, dass sie »nur an Sättigung aus fremden Gefäßen glaubten«.12 So beispielsweise der Schriftsteller Jean-Pierre Erpelding in seinem weitgehend autobiografischen Roman Anna: »Die großen Schicksale, die fremd und anziehend waren, wurden draußen [gelebt], weit in der Ferne, wo die Menschheit ihre große Bahn ging, an die er kaum mit den Gedanken herankam. Hier war für das Große kein Platz. Die Menschen waren klein und kleinlich wie das Land und sein Schicksal.« (Erpelding [1918] 2007, S. 29) 1952 schrieb derselbe Autor: »Poesie ohne Ferne schien eigentlich undenkbar. Überhaupt war die Zeit so geartet, dass sie für das Heimische eine leise Verachtung hatte, und wer einigermaßen in der Bildung hochgekommen war, schämte sich ein bisschen seiner, kleinen, niedrigen Heimat.« (Erpelding 1952, S. 13) Es gab heftige Gegenströmungen zum Nationalismus in der Kunst. Mitten im Ersten Weltkrieg war beispielsweise in La Voix des Jeunes (1917, Nr. 4, S. 4 f.) zu lesen: »An Dicks erwärmen sie sich zu komödiantischem Patriotismus […] genug der leblosen, schleimigen Lyriker für Kegelklubs und Männergesangvereine! Schon seit einem Jahrhundert tischt man uns mit demselben lieblosen Getue die alten, verfaulten Gegenstände der nationalen Rumpelkammer auf […] unser Ich lebt in der Gegenwart. […] Nationalismus ist Verkriechen vor der Welt, Beräubern von Nachbarn. Beides ist nicht das Wesen der neuen Generation.« Gerade im und nach dem Ersten Weltkrieg reagierten manche auf Kontext – Musik in Luxemburg

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diesen internationalen Konflikt nicht mit Besinnung auf das Eigene, sondern mit einer glühenden Frankophilie. Obwohl es mangels autobiografischer Zeugnisse nicht nachgewiesen werden kann, scheint es so, als habe Lou Koster auch mit dieser Denkrichtung sympathisiert. Die Familie hatte eine starke Anbindung an den französischsprachigen Raum, da die Tante in Frankreich und der Onkel, der Bruder Francis und ab Mitte der 1920er Jahre auch die Schwester Laure in Belgien lebten und die häufigen gegenseitigen Besuche einen kontinuierlichen Austausch ermöglichten. Gleichzeitig suchte sie in diesen Jahren nach Verlegern – und also auch ein Publikum – für ihre Werke sowohl im belgisch-französischen Raum wie in Deutschland. Im Zentrum stand bei dieser Denkrichtung also nicht mehr der ersehnte anerkennende Blick des ›Fremden‹ auf das typisch Luxemburgische, der Blick wurde vielmehr sehnsuchtsvoll nach außen und in die Ferne gerichtet. Viele SchriftstellerInnen wandten sich wieder vermehrt der deutschen und französischen Sprache zu, denn sie wollten ihre Werke im Ausland publizieren und sich dort durchsetzen. Damit änderten sich auch die Themen, mit denen man sich dichterisch, künstlerisch oder musikalisch befasste. Pierre Grégoire schreibt über diese Richtung, zumindest in Bezug auf das 19. Jahrhundert, abwertend von »Flucht«: »›Draußen!‹ In diesem einen Worte, das wie ein steter, wenn auch stummer Notschrei durch die Werke der luxemburgischen Dichter zu gehen scheint, drückt sich der maßloseste Traum als eine Sehnsucht nach der Maßlosigkeit im Sein und im Schaffen aus. […] Sie verharren, ohne sich des Faktums bewusst zu werden, in der Zwiespältigkeit einer Situation, die das physische Auge – und mit diesem das Denken – auf die Grenzenlosigkeit des Abendlandes werfen, aber den geistigen Blick – und mit diesem das gesamte Fühlen – auf die peinigende Beschränktheit weniger ihres nationalen Besitztums als ihrer persönlichen Furcht heften lässt. Die Beklemmung, als Folge einer Auffassung, die das geographische Ausmaß ihres Vaterlandes mit einer kreatorischen Unzulänglichkeit gleichstellen lässt, hemmt den geraden Ausfluss ihrer unzweifelbaren Kräfte und verleiht ihnen dort, wo sie zum Ausdruck ihrer Gedanken und Gesichte drängen, den Anschein einer Verkrampfung, in welcher die vitalsten Ideen aussehen, als seien sie gleich bei der Geburt stranguliert worden.« (Grégoire 1981, S. 307 f.)

In einer Gegenreaktion zu der resignativen, an der ›Provinzialität‹ leidenden Haltung entwickelten einige SchriftstellerInnen ab dem ersten Jahrzehnt 260

Die Musik

des 20. Jahrhunderts das positivere Leitbild der »Mischkultur«.13 So schreibt Frantz Clément 1907 im Programm der deutsch-französischen Autorenzeitschrift Floréal – Freie Rundschau für Kunst & Literatur: »Die Autoren […] sind der Ansicht, dass sich in unserm Lande eine ganz eigenartige Mischkultur in eigenartiger Weise äußern kann, und sie wollen in ihrer Zeitschrift diesen Äußerungen und dem Streben nach Äußerungen ein Zentrum leihen […] Wir schulden zwei Völkern unser Hirn und sind stets zwei Völkern für ihre Anregungen dankbar.« (Clément, Geleitwort, 1907) Batty Weber veröffentlichte 1909 in den Münchner Neuesten Nachrichten ebenfalls einen Essay mit dem Titel »Über Mischkultur in Luxemburg« (Weber 1909). Hier wäre auch Aline Mayrisch de Saint-Hubert zu nennen, die zusammen mit ihrem Mann Émile 1926 das Deutsch-französische Komitee gründete und ihr Haus in Colpach über lange Jahre hinweg zu einer Begegnungsstätte für französische und deutsche Intellektuelle wie Annette Kolb, Ernst Robert Curtius, André Gide u.a. machte (Goetzinger, Colpach, 2004). Eine ganze Reihe von Schriftstellern und Dichtern, wie z. B. Frantz Clément, Marcel Noppeney, Batty Weber oder auch Nikolaus Welter, setzten sich für ein paneuropäisches Kulturbewusstsein ein. Sie fühlten sich als Weltenbürger und waren sich durchaus bewusst, dass Abkapselung gegenüber dem Ausland nur Stillstand und intellektuelle Begrenzung bedeuten könnte. Auch in der »Mischkultur« spielt der Einfluss des »Fremden« eine große Rolle, er wird aber positiv gedeutet. In der Mischkultur sieht man den erlösenden Ausweg, als ›Zwischenland‹ zwischen den Kulturgiganten Deutschland und Frankreich kulturell zu vermitteln, sich zu vernetzen und dadurch zu einer eigenständigen kulturellen Identität zu gelangen, die kulturelle Minderwertigkeitskomplexe auflöst.14 Wie Samuel Hamen schreibt, muss so »eine luxemburgische Reinkultur sui generis […] dementsprechend nicht gegenüber Grenzliteraturen verteidigt werden; sie entsteht […] überhaupt erst durch die traditionsbezogene Aneignung der Nachbarkulturen.« ­(Hamen 2017, S. 251) Gerade die Situation der Mehrsprachigkeit wird als eine notwendige Voraussetzung für diese Kulturkompetenz interpretiert (Conter Goetzinger 2008, S. 9). Hierzu noch einmal der Schriftsteller Jean-Pierre Erpelding: »Sie waren wie die meisten Intellektuellen Luxemburgs Anhänger eines toleranten Internationalismus […]. Sie waren ja ohne große historische Vergangenheit, die einen stark ausgeprägten Vaterlandsbegriff hätte entwickeln können […] zudem genossen sie den Vorteil der Zweisprachigkeit, die es ihnen möglich machte, mit gleichem Verständnis und gleicher Liebe die Geistes­ Kontext – Musik in Luxemburg

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produkte der beiden rivalen Länder, die sich auf dem Kontinent die Waagschale hielten, zu werten und zu genießen.« (Erpelding [1918] 2007, S. 27)

Diese Diskursstrategie kann man als »zentrifugal« bezeichnen, sie handelt von einer anderen kulturellen Partikularität Luxemburgs, die sich nicht durch Abgrenzung vom Anderen definiert, sondern in der Fähigkeit zum interkulturellen Vermitteln und transnationalen Denken.15 Das selbstbewusste Überwinden von Grenzen bezog sich auch weniger bzw. nicht ausschließlich auf hybrides Kunstschaffen als vielmehr auf Vermittlungsprozesse oder, wie Sonja Kmec es am Beispiel von Batty Weber aufzeigt, auf den Bereich des kulturellen Konsums (Kmec 2014). Dieser »zentrifugalen« Denkrichtung könnte man z. B. die Orchester­ unterhaltungsmusik von Koster, die bei Radio Luxemburg gespielt und eventuell auch für das Radio komponiert worden war, sowie die Publikationen ihrer Klaviermusik und ihrer Lieder in ausländischen Verlagen zuordnen. Ihre Lieder nach Texten deutscher und französischer Schriftsteller und die vielen Vertonungen von Texten luxemburgischer AutorInnen, die in Deutsch oder Französisch schrieben, oft im Ausland veröffentlichten und sich ihrerseits also vor allem an ein Publikum außerhalb der Grenzen wandten (Palgen, Noppeney, Welter, Oberweis, Hédo, Koltz, Gérard u.a.), passen ebenfalls hierhin. Und auch die trilingualen Liedsammlungen der 1930er Jahre wären anzuführen: Für zwei Drucke wählte Koster Texte der gleichen drei luxemburgischen Dichter aus und stellte sie als dreisprachige Liedsammlungen zusammen: Paul Palgen schrieb ausschließlich in Französisch, Nikolaus Welter in Deutsch und Willy Goergen in Luxemburgisch. Während der frankophile, aufgrund politisch-biografischer Erfahrungen Deutschland eher abgewandte und Belgien und Frankreich zugewandte Palgen, und auch Welter, dessen gesammelte Werke in den 1920er Jahren in Deutschland erschienen waren, Anschluss an die internationale Literatur suchten, war Goergen ein ›Heimatdichter‹, dessen luxemburgische Gedichte allein schon wegen ihrer Sprache kaum jenseits der Grenzen rezipiert wurden. Dass Lou Koster, wie der Briefwechsel mit Schott Frères zeigt, darauf bestand, dass in den Drucken die Liedtexte der zwei deutschen Dichter Allmers und Mörike auch in einer Übersetzung ins Französische publiziert wurden, so dass die Lieder in beiden Sprachen gesungen werden konnten, lässt vermuten, dass Koster hier einen Beitrag zur »Mischkultur« beabsichtigte. Es wird also ersichtlich, dass es nicht Kosters einziges Ziel war, an der Bewegung zu partizipieren, die bestrebt war, Luxemburg eine eigenständige ›National‹- oder ›Heimat‹-Musik zu erschaffen. Die Tatsache, dass ihr als 262

Die Musik

Frau das Musizieren und Dirigieren in den männerbündischen Vereinen und der Militärmusik von vorneherein verschlossen blieb, erleichterte es ihr vielleicht, in ihrem Komponieren andere Akzente zu setzen. Doppelte Marginalisierung Lou Koster fällt nicht nur durch ihre nationale Angehörigkeit aus dem Blickfeld, sondern ebenso durch ihr Geschlecht: Man kann also von einer doppelten Marginalisierung sprechen, eine Perspektive, die vor bereits mehr als 100 Jahren die bedeutende luxemburgische Frauenrechtlerin und Schriftstellerin Aline Mayrisch de Saint-Hubert in Bezug auf Frauen aus Luxemburg eingenommen hatte: In ihrer Ansprache in der Gründungsversammlung des Vereins für die Interessen der Frau im Januar 1906 ging Aline Mayrisch de Saint-Hubert in ihren Ausführungen von dem Konzept der Mischkultur in Luxemburg aus, die sie mit den folgenden Worten beschrieb: »Die Luxemburger sind in intellektueller Hinsicht in einer bizarren und fast einzigartigen Situation. In einem zweisprachigen Land ohne starke nationale Traditionen lebend – wenn wir das Kulinarische außer Acht lassen –, sind wir gezwungen, unsere geistige Nahrung bei unseren Nachbarn von rechts und von links zu beziehen, und wir könnten daher das Exempel einer schönen Synthese zweier Zivilisationen bieten.«16 Das Risiko der Mittelmäßigkeit umschrieb sie mit »sich auf dem Boden zwischen zwei Stühlen befinden«. Nach Mayrisch de Saint-Huberts Ansicht waren die Frauen Luxemburgs von diesem Risiko stärker betroffen als die Männer. Da ihnen die Möglichkeit eines Studiums und somit längeren Aufenthaltes in einer oder mehreren der ausländischen Metropolen verwehrt blieb, litten sie wesentlich stärker unter der nationalen kulturellen Isolierung und seien somit doppelt – aufgrund der nationalen Zugehörigkeit und des Geschlechtes – ausgeschlossen. Helen Buchholtz, die wohlhabende Eltern hatte, die ihr im Gegensatz zu Koster ein Studium hätten finanzieren können, studierte ebenso wenig wie Koster Musik oder Komposition im Ausland. Wenn auch die wenigsten Väter luxemburgischer Komponisten über die Mittel verfügten, ihren Söhnen ein mehrjähriges Auslandsstudium zu finanzieren, gelang es doch so manchen unter ihnen, zumindest für einen beschränkteren Zeitraum nach Deutschland, Frankreich oder Belgien zu reisen, um dort Musik, wenn auch nicht immer Komposition, zu studieren.17 Als eine der ersten Komponistinnen in der luxemburgischen Musikgeschichte musste sich Koster einen Platz im Musikleben Luxemburgs erKontext – Musik in Luxemburg

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kämpfen. Sie komponierte, trotz öffentlicher Aufführungen ihrer Werke, in einer gewissen Art von Isolation, die sich phasenweise stark demotivierend auswirkte. Dass der Mangel an objektiver Kritik nicht ohne Auswirkungen auf das kreative Schaffen ist, hatte die Komponistin Fanny Hensel-Mendelssohn in einem Brief vom 15. Juni 1836 an Carl Klingemann sehr treffend beschrieben: »Daß sich jemand hier etwas abschriebe oder nur eine Sache zu hören verlangte, das kommt kaum einmal im Jahr vor […], [so] liegen meine Lieder durchaus ungehört und ungekannt da, und man verliert am Ende selbst mit der Lust an solchen Sachen das Urteil darüber, wenn sich nie ein fremdes Urteil, ein fremdes Wohlwollen entgegenstellt.«18 Rezeption ist für KünstlerInnen unentbehrlich, und fehlende Anerkennung wirkt sich bei den meisten Menschen lähmend auf die Kreativität aus. Die mit Aline Mayrisch de Saint-Hubert befreundete Annette Kolb schrieb 1910: »Es gibt Menschen, denen das Schicksal die volle und glückliche Auslösung ihrer Fähigkeiten so sehr verkürzt, daß wir ihnen nur gerecht werden, wenn wir neben ihren Betätigungen auch ihre Möglichkeiten ins Auge fassen.«19

Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg Lou Koster schrieb rund 70 Instrumentalwerke für Klavier, Salonorchester/ symphonisches Orchester, Blasorchester sowie diverse kammermusikalische Formationen. Auf den ersten Blick erscheint dies wenig, denn ihr Vokalkatalog umfasst nahezu die vierfache Zahl an Kompositionen. Den allergrößten Teil des Vokalschaffens stellen allerdings Lieder und Chormusik, damit weniger umfangreiche Kompositionen, dar. Bei den Instrumentalstücken handelt es sich nicht immer um neu komponierte Musik: Zwischen Klaviermusik, Orchester- und Blasorchestermusik und Kompositionen für kammermusikalische Besetzungen gibt es enge Bezüge. Viele der Stücke arrangierte Koster gleich für verschiedene Besetzungen. Im Gegensatz zur Vokalmusik, der Koster sich kontinuierlich während ihrer gesamten langen Schaffenszeit widmete, war das Komponieren von Instrumentalmusik auf eine bestimmte Lebensperiode begrenzt. Dass die Komponistin in den 1910er bis 1930er Jahren zahlreiche Instrumentalstücke komponiert hatte, war ab den 1960er Jahren allmählich und schließlich nach ihrem Tod nahezu komplett in Vergessenheit geraten. Der letzte Aufführungsbeleg einer Instrumentalkomposition zu Lebzeiten der Komponistin ist die Tonaufnahme des Marsches Keep Smiling durch das Orchester Radio Luxemburg vom 11. Januar 1960. In der BnL waren zwar von der 264

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gesamten Instrumentalmusik zu diesem Zeitpunkt nur die zwölf im Verlag Maison Musicale Moderne in Brüssel veröffentlichten Klavierstücke öffentlich zugänglich. Doch in der Werkliste in der 1990 von engen Freunden veröffentlichten ersten Publikation zur Komponistin wurde die Instrumentalmusik mit keiner einzigen Zeile erwähnt (Arend Steinberg 1990, S. 11–16). Diese Liste trägt den Titel »Ses œuvres – Ihre Werke – Hier Wierker«. Die kleingedruckte Notiz unter der Überschrift – »Relevé des œuvres vocales de la musicienne Lou Koster (pour soprano, ténor et baryton solo ou pour chœurs d’hommes ou ch. mixtes« – präzisiert, dass nur Vokalmusik erfasst wurde, dies obwohl sich – wie sich später herausstellte – damals in dem von drei Mitgliedern des Ensembles Onst Lidd verwalteten Nachlass der Komponistin neben den Vokalwerken auch die Instrumentalkompositionen befanden. Auch Zeitzeugen, die nach der Instrumental- und insbesondre der Orchestermusik befragt wurden, waren sich unsicher: Der Sänger Laurent Koster hatte damals den umfangreichsten Teil des musikalischen Nachlasses der Komponistin in Verwahrung. Er erinnerte sich zwar an die in Brüssel publizierten Klavierdrucke, aber nicht an Orchestermusik und erklärte zuerst, es befänden sich keine Orchesterkompositionen in seinem Nachlassarchiv. Im späteren Verlauf desselben Gesprächs besann er sich, dass er Noten von Lou Koster, die ihm als Sänger nicht von Nutzen erschienen, aussortiert und auf seinem Dachboden abgelegt hatte. Die Manuskripte der Lieder bewahrte er damals in Mappen nach Dichtern geordnet in seinem Büro. Gemeinsam fanden wir die Partituren auf dem Dachboden und sahen sie durch. Unter ihnen waren – neben Chor- und Bühnenwerken sowie vielen handschriftlichen Klavierkompositionen – die allermeisten der heute erhaltenen Orchesterwerke Kosters. Obwohl ich damals keine Genehmigung erhielt, Kopien anzufertigen, konnte ich dennoch vor Ort eine erste Liste der erhaltenen Orchestermusik erstellen. Verschiedene Werke waren komplett überliefert, Orchesterpartitur samt Stimmenmaterial, manchmal sogar in mehreren Versionen, andere nur äußerst fragmentarisch, z. B. nur wenige Orchesterstimmen, manchmal war auch nur eine handgeschriebene Liste der Besetzung erhalten, ohne die dazugehörige Partitur und/oder das Stimmenmaterial. Sieben Jahre später, im Jahr 2003, gelang es der BnL, den Notennachlass Lou Kosters aus dem Besitz von Laurent Koster anzukaufen. Durch Recherchen in anderen Musikarchiven konnte das ALK ab 2003 einige weitere Partituren, zum Teil nur fragmentarisch, in anderen Archiven orten, so im Archiv der Militärmusik, im Archiv des Orchestre Philharmonique du Luxembourg (heute BnL) und im Privatbesitz von Venant Arend (ab 2016 im ALK).

Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Die Großkusine Maisy Koster konnte sich an Märsche erinnern: »Viele Märsche für symphonisches Orchester, nicht für Blasorchester … Märsche komponieren passte gut zu ihrer sportlichen Natur.« (EI 6) Besonders lebhaft hatte sie die Aufführung zweier Märsche durch das Orchester Radio Luxemburg anlässlich der Hundertjahrfeier der Unabhängigkeit Luxemburgs im Jahr 1939 in Erinnerung, ihrer Aussage nach seien diese über Lautsprecher auf den Straßen der Hauptstadt zu hören gewesen. Nach dem Entstehungszeitraum der Orchesterwerke befragt, antwortete Maisy Koster vage, Lou Koster habe »nach 1950 wahrscheinlich nicht mehr für Orchester komponiert«. Auf die Frage, ob Lou Koster bei der Komposition von Orchestermusik an Aufführungen durch ein bestimmtes Orchester dachte, antwortete sie: »Sie hat Orchesterkompositionen geschrieben, ganz einfach, weil sie Lust dazu hatte, unabhängig von irgendeinem bestehenden Ensemble … Sie hat sie für die Schublade geschrieben.« Die Aussagen der Schwester Laure Koster waren widersprüchlich. Um ihre Erinnerungen durch Vorinformationen nicht zu beeinflussen, habe ich zu Beginn des Gesprächs darauf verzichtet, sie über den Wiederfund u.a. von Orchestermusik wenige Wochen zuvor zu informieren. Laure Koster erinnerte sich zuerst spontan – wie Maisy Koster – ebenfalls an Märsche und konnte auch zwei Titel nennen: »La Joyeuse ist häufig gespielt worden … De Jang in Erinnerung an meinen Vater …« (EI 7) Im späteren Verlauf des Gesprächs wurde die Frage nach der Orchestermusik noch einmal aufgegriffen, konkret habe ich Laure Koster diesmal gefragt, in welchem Zeitraum sich die Schwester mit dem Komponieren für Orchester beschäftigt hatte. Dies brachte aber gar keine Erinnerungen mehr hervor, Laure Koster bestritt vielmehr die Existenz von Orchesterkompositionen: »Ah nein. Sie hat nie … Nein … Das Einzige, das sie …, das war die ›Schwemm‹, da war ein Orchester …, sie hat nie Orchestrierung gemacht, später hat sie den ›Geiger‹ für Orchester …, und Cao hat die Orchestrierung für großes Orchester gemacht.« Nachdem ich ihr anschließend erzählte, dass ich kürzlich eine größere Anzahl von Orchestermusik im Privatbesitz von Laurent Koster wiedergefunden hatte, antwortete sie mit Erstaunen: »Sieh mal einer an, das wusste ich nicht!« Als die verschollen geglaubte Instrumentalmusik 1996 wiedergefunden wurde, war zuerst sehr wenig über deren Aufführungsgeschichte bekannt. Die Autografe enthielten keinerlei Vermerke zu Interpreten oder Aufführungsdaten. Auch waren keine Konzertzettel und kaum Presseausschnitte überliefert. Recherchen in der Datenbank www.eluxemburgensia.lu (seit 2009 im Netz) erbrachten schließlich, dass allein in dem kurzen Zeitraum 266

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der sechs Jahre seit Sendebeginn von Radio Luxemburg am 15. März 1933 bis zur kriegsbedingten Einstellung der Sendetätigkeit am 21. September 1939 in mindestens 108 Sendungen mindestens 40 verschiedene Kompositionen von Lou Koster zu hören waren. Die Quellen für diese Informationen sind die täglich in der Presse publizierten Radioprogramme. Besonders auffallend ist, dass Kosters Musik in den 1930er Jahren viel häufiger im Radio als in öffentlichen Konzerten gespielt wurde: Den 108 Belegen von Sendungen stehen im gleichen Zeitraum Befunde zu nur zwölf Konzertveranstaltungen gegenüber. Auch in der gesamten Aufführungsgeschichte der Musik Kosters nehmen die für einen so knappen Zeitraum zahlreichen Darbietungen eine besondere Stellung ein. Eine vergleichbare Dichte an Aufführungen kann erst wieder für die Jahre zwischen 1959 und 1973 – der Hochblüte des Wirkens des Ensembles Onst Lidd – festgestellt werden. Des Weiteren fällt auf, dass im Radio vor allem Instrumentalmusik, d.h. Orchesterwerke und Transkriptionen von Orchesterkompositionen vor allem für Klavierbläserquintett, gespielt wurden. Durch diesen überraschenden Quellenfund rückt Radio Luxemburg als ein früher und bedeutender medialer Vermittler der Musik von Koster in den Blickpunkt. Bevor in diesem Kapitel Radio Luxemburgs Vermittlerrolle genauer beschrieben wird, sollen die seit 2003 wieder zugänglichen Instrumentalnotenquellen vorgestellt werden. Klaviermusik Lou Koster schrieb 29 Klavierkompositionen, wovon sie 14 veröffentlichte.20 Anders als in vielen anderen europäischen Ländern beschäftigten sich im 19. und beginnenden 20.  Jahrhundert Komponisten in Luxemburg nur am Rande mit Klaviermusik. Die vereinzelt überlieferten Klavierwerke, die sich heute im Cedom befinden, sind der gehobenen Unterhaltungsmusik zuzurechnen. Wie bei der luxemburgischen Operette und dem luxemburgischen Lied hatten auch in diesem Bereich die populärsten Komponisten des 19. Jahrhunderts – Zinnen und Dicks – den Ton angegeben. Sie hatten leichte Tänze für Klavier – Walzer, Polkas, Märsche usw. mit bildhaften Titeln – komponiert und dafür nicht nur Verleger, sondern auch einige Nachahmer im 20. Jahrhundert gefunden. So publizierten auch Philippe Decker, Auguste Klein jun., Pol Albrecht, Charles Günther und Thérèse Spedener unterhaltende Tänze und Märsche für Klavier.

Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Bis auf wenige Ausnahmen, wie z. B. das nur in Manuskriptform erhaltene Klavierstück Sur les bords du lac, reiht sich die Klaviermusik Kosters in diese Stilrichtung ein. Erst Helen Buchholtz und Jules Krüger brachen mit dieser Tradition und komponierten Charakterstücke, die von der klassischromantischen, spätromantischen wie impressionistischen Klaviermusik inspiriert waren. Helen Buchholtz interessierte sich dabei als Einzige auch für die Gattung der Klaviersonate.21 Beide KomponistInnen fanden aber mit diesen anspruchsvolleren Werken nur sehr wenig Anklang beim Publikum. Zwei Klavierwalzer, Verlag Aurora In dem Buch-, Kunst- und Musikverlag Aurora in Weinböhla bei Dresden publizierte Koster – ohne Datum – erstmals eigene Kompositionen: die zwei Walzer Joyeuse und Lore-Lore. Eine Korrespondenz mit dem Verleger ist, wie grundsätzlich bei den meisten der Publikationen Kosters, nicht erhalten, ebenso wenig wie weitere Schriftdokumente, die Aufschluss darüber geben könnten, wie sie in Kontakt mit ihrem ersten Verleger kam. Der Verlag Aurora war 1914 vom Schriftsteller Karl Julius Robert Kurt Martin in Dresden-Friedeland gegründet worden.22 Ab 1916 etablierte er sich in Weinböhla bei Dresden, wo er bis 1924 bestand. 1925 zog Martin nach Bernau am Chiemsee, wo er zusammen mit seiner Lebensgefährtin den neuen Verlag Neues Leben gründete. Zusammen mit Siegfried Carlheinz Junker gab Verleger Martin ab 1919 auch die »Literarisch-musikalischen Monatshefte für Literatur, Musik, Theater, Bildende Künste und Vortragswesen« heraus. Lou Koster war nicht die einzige Komponistin, die bei Aurora publizierte. Die Österreicherin Vilma von Webenau gab im selben Verlag den Klavierauszug und das Textbuch zu dem Zwischenspiel in einem Aufzug Die Prinzessin heraus (Rosenstein o.J., S. 10). Die beiden Walzer müssen also nach 1916 und vor 1925 publiziert worden sein, da auf beiden Drucken als Verlagsort nicht Friedeland, sondern Weinböhla angeben wird. Koster publizierte den Walzer Joyeuse gleich zwei Mal, in zwei verschiedenen Verlagen und unter unterschiedlichen Titeln: Als Fleurs baisées erschien er – wiederum undatiert – im Brüsseler Verlag Maison Musicale Moderne. Mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit stammt dieser Druck aus der Zeit unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg. Wie ein Vergleich der beiden Versionen ergibt, scheint Fleurs baisées in musikalischer Hinsicht ausgereifter, so dass man davon ausgehen kann, dass Joyeuse von den beiden Ver-

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sionen als Erste publiziert wurde, also aller Wahrscheinlichkeit nach noch während des Ersten Weltkriegs. Dass eine Komponistin aus Luxemburg während des Krieges in einem deutschen Verlag einen Walzer mit Titel Joyeuse publizierte, kann befremdlich erscheinen. Dies auch in Anbetracht der Tatsache, dass während der gleichen Zeit ihr Bruder Francis als Soldat auf Seiten der Belgier gegen Deutschland kämpfte. Auch wenn keinerlei Schriftzeugnisse erhalten sind, die Kosters politische Positionierung in dieser Zeit erhellen, kann ihr Klavierstück Les Belges, das sie unmittelbar nach dem Krieg in Brüssel publizierte und dem belgischen König und seinen Soldaten widmete, als politisches Bekenntnis ausgelegt werden. Umso eigenartiger erscheint dies, als Aurora in den ersten Kriegsjahren u.a. eine ganze Reihe deutschpatriotischer Märsche und Lieder, Gedichtbände und Dramen, mit Titeln wie ›Das Heldenschwert‹, ›Aus großer Zeit‹, ›Deutscher Geist und deutsche Treue‹, herausgab. 1917 fand schließlich aber auch ein pazifistischer Gedichtband – Dem Roste die Kanonen! Hymnen eines Friedlichen von Heinrich Schober – Aufnahme ins Verlagsprogramm. Auf dem Deckblatt von Joyeuse erscheint der Name der Komponistin als ›L. Koster‹, auf der ersten Notenseite, immer noch geschlechtsneutral, als ›Lou Koster‹. In der letztgenannten Form steht der Name auch auf dem Deckblatt wie auf der Innenseite von Lore-Lore. Die autograf überlieferten Klavierkompositionen zeichnet die Komponistin unterschiedlich mit L.K., L. Koster, Lou Koster, aber auch gelegentlich mit ihrem diesmal eindeutig weiblich klingenden Geburtsnamen Louise Koster. Wie bereits erwähnt spielte Koster Lore-Lore – zu diesem Zeitpunkt also aus einem Manuskript – bereits um 1914 selbst als Pianistin im Kino.23 Es wäre denkbar, dass sie die beiden Stücke Joyeuse und Lore-Lore zusammen, zur gleichen Zeit verlegte. Das der Schwester Laure (oder auch Lore oder Lory) gewidmete Stück wird auf dem Titelblatt explizit als eigenständiges Klavierwerk ausgegeben: ›Valse lente für Pianoforte zu 2 Händen‹. Oben links auf der ersten Innenseite befindet sich aber zusätzlich die gedruckte Notiz ›Piano conducteur‹ (Klavierauszug). Dies deutet darauf hin, dass bei Drucklegung die gleichnamige Orchesterversion bereits bestanden haben muss. Damit wäre der früheste Beleg für eine Orchester- oder Salonorchesterkomposition Kosters gefunden. Die frühesten Datierungen auf autografen Orchesterpartituren stammen aus der ersten Hälfte der 1920er Jahre. Der Walzer konnte also sowohl als autonome Klavierkomposition gespielt als auch als Klavierauszug des (Salon-)Orchesterwerks genutzt werden. Da zu den Materialien des hauptsächlich in Manuskriptform erhaltenen gleichnamigen OrchesterInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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werks ein 13-teiliger Satz gedruckten Stimmenmaterials gehört (ohne Datum und ohne Verlagsangabe), ist die Annahme naheliegend, dass es sich bei dem Verlag um Aurora handelt. Eine gedruckte Orchesterpartitur konnte allerdings bisher nicht gefunden werden. Zwölf Klavierstücke, Maison Musicale Moderne Im Brüsseler Musikverlag Maison Musicale Moderne publizierte Koster, wiederum ohne Datumsangabe und unter dem Titel Œuvres pour Piano par Lou Koster, eine Serie von zwölf separat gedruckten, unterhaltenden Klavierwerken. In demselben Verlag erschien übrigens zumindest auch eine Komposition des Bruders Francis Koster, eine Valse lente mit dem Titel Blondine und einer Widmung an die Mutter. Die Editionen des Verlags wurden auch in Paris vertrieben, und zwar von Harry Mill. Dieser war, neben seiner Tätigkeit als Musikverlagsvertreter oder Musikalienhändler, selbst Komponist von Unterhaltungsmusik.24 Auf der Rückseite von Kosters Klavierstücken befindet sich eine Verlagswerbung, die Rückschlüsse auf die Datierung erlaubt: Geworben wird hier für zehn Titel des Komponisten Wilhelmus Johannes Paans, und zwar anhand von Incipits, die interessanterweise jeweils mit datierten Copyrightvermerken – zwischen 1908 und 1919 – versehen sind. Da es im Interesse des Verlags war, auf der Rückseite jeweils auch über die aktuellsten Editionen zu informieren, kann man vermuten, dass Kosters Kompositionen um 1919 veröffentlicht wurden. Auch der Titel und die Widmung des ersten Klavierstücks von Koster Les Belges! Dédiée aux soldats belges et à leur glorieux Roi lässt darauf schließen, dass dieses Stück wohl unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg publiziert wurde. Eine zeitliche Nähe zum Krieg spricht auch aus zwei aufgelisteten Musiktiteln von Paans: Retour de l’Armée und Aéroplane captif. Dass der Verleger sich grundsätzlich auf Unterhaltungsmusik spezialisiert hatte, bestätigen die Stücke von Paans: Es sind dies, wie bei den Klavierkompositionen Kosters, vor allem Walzer, aber auch Märsche, Foxtrotts oder sonstige Tanzsätze.25 Zwischen Paans und Koster scheint es eine weitere Verbindung zu geben. In der Datenbank der SACEM wird heute unter dem Namen Koster u.a. ein Druck, ohne Datum, mit dem Titel Keep smiling verzeichnet, der bei Paans Wilhelmus Edition in Paris herausgegeben wurde und von dem sich heute leider kein Exemplar erhalten hat.26 Nicht angemerkt wird, ob es sich dabei um die Orchester- oder die Klavierversion des Marsches handelt. Die Klavier­ 270

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version von Keep smiling veröffentlichte Koster unter der Nummer 11 bei Maison Musicale Moderne, und zwar unter dem Titel: Scouts in the Camping. Die Titel von Kosters Klavierstücken passen, bis auf die kriegsassoziierende Nummer eins Les Belges! und die sportlich klingende Nummer zwölf Scouts in the Camping, zur Titelillustration, die eine lächelnde junge Dame mit Blumen in der Hand vor idyllischer Wasserlandschaft zeigt: Pour un sourire, Fleurs baisées, Ainsi qu’un Mimosa, Comme les vagues, Petite source, Soir d’été, Amour qui flotte, Si folle … (siehe Abb. 9). Den zwölf Titeln folgen in der Regel Tanzsatzbezeichnungen: Die Serie enthält sieben Walzer, einen Marsch, einen Pas redoublé, eine Mazurka und zwei nicht weiter spezifizierte Stücke mit Tanzcharakter (›Danse Intermède‹, ›Intermède‹). Acht der Klavierstücke tragen zusätzlich Widmungen, die – neben der bereits erwähnten an den belgischen König und seine Soldaten – meistens an Verwandte und gute Bekannte gerichtet sind: an die Mutter (Petite source, valse lente), den Vater (Soir d’été, valse lente) sowie Freundinnen (drei Walzer für Maria Weny, Marguerite Henciey, Alice und Lily Thimothée). Die Mazurka L’Olgatche mit der Zueignung »Souvenir affectueux à Mlle Olga ­Hoebich« ist eine posthume Hommage an die 1913 im Alter von nur 16 Jahren verstorbene Genter Kusine Olga Hoebich (im Genter Dialekt ist ›Olgatche‹ das Diminutiv für Olga). Einer Person widmet sie die Musik nur mit Angabe der Namensinitialen zu (»En souvenir à A.R.«). Die Valse lente Si folle enthält keine eigentliche Dedikation, dafür aber einen literarischen Bezug: »inspirée d’une poésie de Margot Pellering«. Weder konnte bisher die Dichterin – vielleicht war es eine Freundin? – identifiziert noch ein Gedicht mit diesem Titel gefunden werden. Mit diesen vielfältigen persönlichen Bezügen, aber auch mit der von der Titelillustration suggerierten Aufführung in intimem, häuslichem Rahmen wirkt diese Serie von Klavierstücken wie persönlich adressierte »Musik als Korrespondenz«, wie Cornelia Bartsch es im Falle von Fanny Hensel-Mendelssohn nannte (Bartsch 2007). Da diese Unterhaltungsklaviermusik wohl kaum in Konzerträumen erklang, sondern eher im Kino und im Kaffeehaus sowie zuhause, ist es nicht verwunderlich, dass man keine Aufführungsbelege davon in der luxemburgischen Tagespresse findet. Unveröffentlichte Klaviermusik Neben den in den Verlagen Aurora und Maison Musicale Moderne publizierten Drucken sind insgesamt 15 weitere Klavierkompositionen nur handschriftInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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lich überliefert. Vom Genre her weichen diese unveröffentlichten Kompositionen kaum von den gedruckten ab. Die meisten davon sind gleich in mehreren, bis zu fünf Exemplaren erhalten. Stellte Koster diese Abschriften her, um sie anderen Pianisten oder Pianistinnen für eventuelle Aufführungen auszuleihen? Oder kopierte sie sie, um sie Verlagen zwecks zu verhandelnder Druckausgaben zuzuschicken? Auf diese zweite Möglichkeit deutet der Stempel des Musikverlags »Schellenberg, Trier« hin im Autograf von Sur les bords du lac (ALK, LK 1A 24). Aber auch die in der Walzersuite Unter blühenden Linden befindliche handschriftliche, explizit an einen Verleger adressierte Notiz der Komponistin macht diese Deutung plausibel.27 Einige Klaviermanuskripte von Koster enthalten vereinzelte Instrumentierungsnotizen28 bzw. den Vermerk »piano conducteur« oder »piano direction« (Klavierauszug),29 was auf die Existenz von Orchesterversionen hindeutet. Solche sind für einige von ihnen, nicht aber für alle überliefert. Nicht weniger als 14 der insgesamt 29 Klavierstücke liegen gleichzeitig als Orchesterfassungen vor, und zu zwei weiteren Klavierkompositionen ist zumindest die Existenz einer Orchesterversion, die heute verschollen ist, belegt. Die Instrumentierungsnotizen auf den Klavierauszügen geben Aufschlüsse zum Kompositionsprozess, zeigen sie doch, dass dem Orchesterstück oft – oder vielleicht auch immer – eine Klavierversion vorausging. Möglicherweise spielte die Stummfilmpianistin und Kaffeehausmusikerin ihre Musik zuerst selbst in der Klavierversion, um dann anschließend Stücke, die beim Publikum besonders gut ankamen, zu orchestrieren. Orchester zu finden, die die Musik spielten, war allerdings schwieriger, als sie in ihr eigenes Klavierrepertoire zu integrieren. So setzte sie, wie bereits erwähnt, Lore Lore in der Klavierversion 1914 auf ein Stummfilmprogramm, ein erster Beleg für eine Aufführung der Orchesterversion – bei Radio Luxemburg – findet sich aber erst für den 11. Oktober 1933. Bis auf eine einzige Ausnahme, Impressions Le soir qui chante (»März 1927«, LK 1A 26-b), sind alle Autografe undatiert. Manchmal tragen sie datierte Registrierungsstempel der SACEM, drei davon aus dem Jahr 1924.30 Der Marsch Sche’n Letzeburg wurde beispielsweise am 13. November 1935 registriert, und die frühesten erhaltenen Aufführungsbelege stammen aus dem gleichen Zeitraum. Da Koster nachweislich Musik häufig erst lange nach der ersten Niederschrift anmeldete, sind die Stempel für die Präzisierung des Entstehungszeitraums oft nur wenig aussagekräftig. Das Autograf des Klavierauszugs Unter blühenden Linden (ALK, LK A 29-b) enthält einen SACEM-Stempel vom 15. Mai 1924, eine Aufführung hatte aber schon zwei Jahre früher stattgefunden. Die beiden Märsche Jang und La Joyeuse meldete 272

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sie am 18. Januar 1952 an. Jang hatte sie 32 Jahre früher, im November 1920, komponiert, und der Marsch Joyeuse wurde schon 1939 in der Orchesterversion bei Radio Luxemburg aufgeführt. Musik für Salonorchester und symphonisches Orchester Lou Koster begann in den 1910er Jahren für Orchester zu komponieren. Das Handwerk der Instrumentierung eignete sie sich, soweit bekannt, ausschließlich autodidaktisch an. Der Dirigent Jonathan Kaell, der sich seit 2010 für Wiederaufführungen ihrer Orchestermusik einsetzt, die Ersteinspielung einer Auswahl von Werken mit dem Orchester Estro Armonico auf CD vorlegte31 und Mitherausgeber von Editionen der Orchestermusik ist,32 schreibt: »Einen bedeutenden Bestandteil des sinfonischen Œuvres [von Lou Koster] stellen Walzersuiten dar, die hinsichtlich ihrer formalen Anlage, der Klangsprache und der Phrasenstruktur durch die großen Werke der Wiener Meister wie beispielsweise Johann Strauß inspiriert zu sein scheinen. Nichtsdestotrotz besitzen Kosters Werke eine individuelle Note und einen unverkennbaren Charme, der dem Kenner sofort offenbart, dass es sich hierbei nicht um die epigonale Nachahmung des Wiener Walzers ›à la Strauß‹, sondern um eine sich in mancherlei Hinsicht vom Modell entfernende, unverwechselbare Form handelt, die aus der intensiven Beschäftigung mit dem Vorbild und seiner Weiterentwicklung erwachsen ist. Lou Kosters Werke wirken musikalisch authentisch und unverfälscht, sie sprühen vor Musizierfreude und bezeugen das überaus feine Gespür der Komponistin für musikalische Gestaltung, phrasentechnische Eleganz und harmonische Balance.«33

Von ihren insgesamt 21 dem Titel nach bekannten Orchesterkompositionen sind heute nur mehr 15 vollständig überliefert. Zu drei der vier komplett verschollenen Werke34 und zu einem der zwei nur fragmentarisch überlieferten Stücke35 existieren historische Tonaufnahmen des Rundfunkorchesters Luxemburg aus den Jahren 1952 und 1960. Mehrheitlich handelt es sich um Walzersuiten (elf ) und Märsche (vier). Diesen zur Seite stehen einzelne Tanzsätze wie z. B. Buschgeistertanz, zwei Serenaden (Dans la Rosée, Clair de lune), eine dreisätzige Suite dramatique, eine Ouverture légère sowie eine Fantaisie über Themen aus der eigenen Operette An der Schwemm. Fast immer gibt Koster ihren Kompositionen Titel, die Naturbilder (Heideland, Petite source, Unter blühenden Linden, Dans la rosée), luxemburgische Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Landschaften (Moselträume, Sche’n Letzeburg), Blumen (Ainsi qu’un Mimosa), nächtliche Stimmungen (die mit Le soir qui chante …, La nuit étoilée und Danse au clair de la lune betitelten drei Sätze der Suite Dramatique, Soir d’été, Rêve bleu, Clair de lune), Fröhlichkeit und Lebendigkeit (Pour un sourire, Keep smiling, La Joyeuse, Toute Vie), Sportlichkeit (Swimming – Marsch; Scouts in the Camping) oder auch unbestimmte Sehnsucht (Si loin) evozieren. Die Titel sind zum Teil auch gleich in mehrere andere Sprachen übersetzt, z. B. Unter blühenden Linden – Sous les tilleuls – Enner Lannen – Under Linds (sic), ein Hinweis darauf, dass Koster bei der Komposition nicht nur an ein luxemburgisches Publikum dachte, sondern, wie vermutlich in diesem Fall, das internationale Publikum von Radio Luxemburg anvisierte. Die autografen Orchesterpartituren sind ausnahmslos undatiert. Auch sind kaum autobiografische Aussagen überliefert, die über Entstehungszeiten und -kontexte informieren. Nur ausnahmsweise findet sich ein Datum auf einer Klavierversion. Da davon ausgegangen werden kann, dass die Klavier- vor den Orchesterversionen entstanden, kann man beispielsweise aus der Datierung der Klaviersuite Impressions Le soir qui chante (»März 1927«) schließen, dass die Orchesterversion mit dem Titel Suite dramatique vermutlich nicht vor März 1927 entstand. Für das Fertigstellen einer Partitur können Aufführungsankündigungen zumindest einen ›terminus ante quem‹ liefern: Dass Unter blühenden Linden und die Fantaisie An der Schwemm spätestens im Frühjahr 1922 entstanden, entnimmt man einer Zeitungsannonce, die ankündigt, dass diese Stücke am 24. Mai 1922 im Rahmen einer ›Soirée luxembourgeoise‹ im Unterhaltungslokal Majestic in Luxemburg gespielt wurden (T 24.5.1922, S. 3). Einen Monat später, am 25. Juni 1922, wurde nachweislich auch der Swimming Marche gespielt, und zwar von dem von der Komponistin geleiteten Orchester des S.C.L. (Swimming Club Luxembourg), das über den Duschkabinen platziert war und in den Schwimmpausen für Unterhaltung sorgte. Für solche Aufführungen gibt es allerdings selten Belege. Das nächste Konzert, in dem Orchestermusik von ihr gespielt wurde, fand am 11. Mai 1938 statt. Diesmal war es das Symphonische Orchester der Studentenvereinigung G.E.I. (Groupement d’élèves indépendants), das die Walzersuite Lore-Lore auf das Programm eines ›patriotischen Konzertes‹ setzte (T 9.5.1938, S. 3). Diese drei Aufführungen sind tatsächlich die einzigen Belege von Konzertaufführungen der Orchestermusik zu Lebzeiten der Komponistin. Da aber bei Auftritten von Salonorchestern in Kaffeehäusern oder an sonstigen Unterhaltungsorten wohl nur selten die Programme in der Presse angekündigt oder Programm-

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zettel erstellt wurden, ist es nicht ausgeschlossen, dass noch andere Orchester ihre Stücke aufführten. Handschriftliche, an die SACEM adressierte Anmerkungen auf Partituren können mitunter die einzigen Belege für die Existenz einer Orchesterkomposition sein. Mit der Notiz: »6 parts 7 mai« und dem Stempel der SACEM vom 15. Mai 1924 auf dem Klavierwerk bzw. dem Klavierauszug von Si loin (ALK, LK 1A 18-a) ist beispielsweise die Registrierung einer Salonorchesterversion belegt, die nicht überlebt hat.36 Koster legte Orchesterwerke manchmal gleich in mehreren Fassungen vor, für Salonorchester – vermutlich frühere Versionen der 1920er Jahre – und für großes Orchester – wahrscheinlich die Versionen für das Rundfunkorchester Luxemburg, die in den 1930er Jahren aufgeführt wurden. Gelegentlich gab sie neuen Versionen neue Titel: So existiert Heideland beispielsweise in einer anderen Version unter dem Titel Rêve bleu, während die entsprechende Klavierversion mit Maiennacht betitelt ist. Der dritte Satz der Suite dramatique – Danse au clair de la lune – ist unter dem Titel Buschgeistertanz für ein größer besetztes Orchester überliefert. Das um 1919 publizierte Klavierstück Scouts in the Camping arbeitete Koster ein erstes Mal für Salonorchester unter dem Titel Swimming Marche um, die spätere Version für großes Orchester betitelte sie mit Keep smiling. Manchmal sind auch gleich mehrere Partituren derselben Orchestrierung erhalten.37 Die Orchesterpartituren enthalten gelegentlich eine Klavierstimme, so Moselträume, in dem das Klavier auch eine solistische Funktion übernimmt. Manchmal enthält der Klavierpart aber so wenig eigenes musikalisches Material, dass der Eindruck entsteht, die Klavierstimme wäre vielmehr nur als Klavierauszug gedacht. Zwei Partituren stehen in einem Zusammenhang mit einem Kompositionspreis: Ouverture légère enthält die Anmerkung »Prix de la chambre syndicale des compositeurs de musique«. Die Komposition wurde offensichtlich anonym eingereicht, sie enthält keinen Namen, sondern stattdessen links am Rand die Nummer »B-440«. Auf der Titelseite der Suite dramatique befindet sich anstelle eines Komponistennamens ebenfalls nur eine Nummer (»11273« oder auch »M-273«) sowie der Vermerk »Prix Arlequin«. In beiden Fällen wird nicht ersichtlich, ob Koster die Kompositionen zu dem betreffenden Wettbewerb einreichte oder ob diese tatsächlich mit dem betreffenden Preis ausgezeichnet wurden. Auch konnte bisher weder geklärt werden, welche Musikergewerkschaft, aus welchem Land, mit der »Chambre syndicale des compositeurs de musique« gemeint ist noch welche Organisation einen »Prix Arlequin« vergab.

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Für einige Orchesterwerke plante bzw. realisierte die Komponistin Drucklegungen: Eine der drei autograf überlieferten Fassungen der Orchesterpartitur von Unter blühenden Linden (ALK, LK 1E2 6) enthält eine handschriftliche, an einen Verleger (ohne Namensnennung) adressierte Notiz der Komponistin auf Französisch, ohne dass eine Druckfassung nachgewiesen werden kann: »Bitte an den Herrn Verleger die Noten in Rot in kleinen Charakteren zu schreiben.« Das Werk ist heute – wie alle andere Orchestermusik Kosters bis auf eine einzige Ausnahme – lediglich handschriftlich überliefert. Das Stimmenmaterial der in den 1930er Jahren in Luxemburg sehr populären Walzersuite Lore-Lore – übrigens die einzige Komposition im Gesamt­ œuvre, die eine Opuszahl (op. 13) vorweist – liegt in einer Druckfassung vor. Dieser undatierte Stimmensatz ohne Verlagsangabe wurde möglicherweise im gleichen Verlag und zur gleichen Zeit wie die Klavierversion gedruckt: zwischen 1916 und 1924 bei Aurora aus Weinböhla bei Dresden.38 Man weiß auch, dass die Komponistin bereits Ende der 1920er Jahre mit dem Verleger Bernhardt Schellenberg in Kontakt war: Wie bereits erwähnt trägt das Autograf der Ouvertüre Sur les bords du lac, das als Klavierauszug (»Piano conducteur«) gekennzeichnet ist, was wiederum entweder auf eine geplante und nicht realisierte oder aber auf eine heute verschollene Orchesterversion hindeutet, einen Stempel dieses Musikverlags. Kammermusik und Musik für ­Blasorchester Bei den meisten Stücken in kammermusikalischer Besetzung kann deren Existenz ausschließlich durch Aufführungsbelege nachgewiesen werden. Das Quintett Radio Luxemburg hatte Mitte der 1930er Jahre insgesamt 13 heute verschollene Kompositionen für Klavierbläserquintett von Koster im Repertoire. Vollständig überliefert sind heute lediglich die Trois mélodies für zwei Violoncelli, ein Gelegenheitswerk, das sie für ihre Schwester Laure und deren Mann Cyrille Bodson komponiert hatte, sowie Sorrento für Violine und Klavier, ein Arrangement des neapolitanischen Liedes Torna a Surriento von Ernesto De Curtis, das sie für ihre Auftritte im Kino oder Kaffeehaus geschrieben haben könnte. Zu drei Stücken in Kammermusikbesetzung ist nur Stimmenmaterial erhalten: Im Archiv des Orchestre Philharmonique du Luxembourg befanden sich neben einer Orchesterpartitur von Soir d’été und der gedruckten Klavierversion des Weiteren vier Einzelstimmen: Violine 1 und 2, Violoncello und Kontrabass. Ein Vergleich der Stimmen mit der Partitur zeigte, dass das 276

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Material nicht zur Orchesterfassung, sondern zu einer bisher unbekannten kammermusikalischen Version gehörte. Für Pour un sourire (Fir é Lächelen) waren im gleichen Archiv vier Einzelstimmen in der gleichen Besetzung erhalten, diesmal ohne dass eine Orchesterpartitur beilag. Ein Abgleich des erhaltenen Stimmenmaterials beider Kompositionen jeweils mit der Klavierversion ergab, dass jedes Mal offensichtlich die Bratschenstimme fehlte, die aber aus dem Klavierstück rekonstruiert werden konnte. Beide Streichquintette, für die es keine früheren Aufführungsbelege gibt, konnten so im Sommer 2015 in der Bretagne beim Festival Musiciennes à Ouessant wiederaufgeführt werden. Im Nachlass befand sich – neben dem Klavierstück sowie einer Orchesterpartitur zu Petite source – ebenso Stimmenmaterial, das nicht zu dieser Partitur passt. Diesmal sind fünf Stimmen – Flöte, Klarinette, Kornett, Schlagzeug und Kontrabass – nicht auf separaten Notenblättern, sondern durchlaufend auf einem Notenbogen notiert, so dass der Stimmensatz vollständig erhalten zu sein scheint. Ein Vergleich mit der Klavierversion lässt darauf schließen, dass die Version möglicherweise für Sextett, also mit Klavier, komponiert wurde. Die Militärkapelle erhielt unter dem Dirigenten Fernand Mertens – Lou Kosters Lehrer in Harmonielehre – neuen Aufschwung. Mertens setzte sich zum Ziel, vermehrt ernste, anspruchsvollere Musik auch ›moderner Meister‹ – zitiert wird Richard Strauss –, zu spielen, die Militärmusik trat häufiger in symphonischer Formation auf und spielte auch zunehmend Werke luxemburgischer Komponisten (Lorent 1977, S. 216–238). In den 1920er Jahren komponierten Lou Koster, wie auch Helen Buchholtz, für Blasorchester. Ob Mertens, der die beiden Komponistinnen als Schülerinnen hatte, die beiden Frauen eventuell dazu ermutigte, ist nicht belegt. Ihre Musik aber führte er mit der Militärkapelle auf. Zwei Märsche für Blasorchester sind von Lou Koster erhalten: Sche’n Letze­burg – Schön Luxemburg – Beau Luxembourg und La Joyeuse.39 Eine Fassung der Fantaisie An der Schwemm für Blasorchester, die am 1. August 1923 von der Militärmusik Luxemburg aufgeführt wurde, ist heute nicht überliefert (LW 1.8.1923, S. 3 & T 1.8.1923, S. 2). Im Archiv der Militärmusik ist nur noch ein Klavierauszug der Fantaisie mit Instrumentierungsnotizen erhalten. Die Fantaisie An der Schwemm wurde einige Jahre später, am 19. April 1939, auch von der Letzeburger Stâdmusek gespielt (T 19.4.1939, S. 9).

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›Einkomponierte‹ Räume – die Instrumentalmusik im Kontext der Unterhaltungskultur Ausgehend von einem Musikverständnis, das über den Notentext hinausgeht und, wie Beatrix Borchard es formuliert, Musik als »kommunikatives Geschehen« begreift, das »alle Aspekte des Lebens mit einbezieht, die mit dem Entstehungsprozess, der Aufführungs- und Wirkungsgeschichte von Musik verbunden sind«, macht es Sinn, nach der »Adressiertheit« von Kosters Musik und nach der Bedeutung der »ursprünglich einkomponierten Räume« zu fragen (Borchard 2002, S. 16 u. 18). Aus den 1910er bis 1930er Jahren sind nur insgesamt 18 Belege öffentlicher Konzertaufführungen ihrer Musik erhalten. Nur fünf der Aufführungen in diesen 30 Jahren – es handelte sich außerdem ausnahmslos um Vokalmusik – fanden in prestigeträchtigeren Konzerträumen der Stadt Luxemburgs statt: dem Cercle Municipal, dem Stadttheater und dem Konzertsaal des Konservatoriums. Ihre Musik war vorrangig in anderen Räumen, an anderen Orten zu hören: im Radio, Stummfilmkino, Kaffeehaus, Variétélokal, auf dem Musikkiosk auf dem Paradeplatz, im Park, auf dem Marktplatz oder auch an ungewöhnlicheren Orten wie dem Schwimmbad. Da die Musik selten im traditionellen Konzertraum erklang, ist es nicht verwunderlich, dass nur wenige Aufführungsberichte und kaum Konzertkritiken in der zeitgenössischen Tagespresse zu finden sind. Lou Koster komponierte keine sogenannte ›absolute‹, ›autonome‹ Musik für den Konzertsaal, keine Klaviersonaten und keine Symphonien. Für beide Gattungen finden sich bei luxemburgischen Komponisten ihrer Generation nur vereinzelt Beispiele: Nur von Helen Buchholtz sind, wie bereits erwähnt, Klaviersonaten und nur von Fernand Mertens und Alfred Kowalsky ist jeweils eine Symphonie erhalten. Fast die gesamte Instrumentalmusik Kosters kann der gehobenen Unterhaltungsmusik, mit Schwerpunkt auf dem Walzer nach Strauss’scher Prägung, zugerechnet werden, einem Musikgenre, mit dem sie auch als ausübende Musikerin vor und während des Ersten Weltkriegs und in der Zwischenkriegszeit vertraut war und ihren Lebensunterhalt verdiente. Ihr verstorbener und zeitlebens von ihr verehrter Großvater Franz Ferdinand Bernhard Hoebich, der für die Militärkapelle Musik komponierte und arrangierte, die auch in geselligen Freiluftkonzerten aufgeführt werden konnte, war ihr vermutlich in diesem Bereich ein Vorbild. Zu dieser Zeit arbeiteten in Luxemburg viele Frauen im Bereich der Unterhaltungsmusik, allerdings kaum als Komponistinnen, sondern als Musikerinnen, Sängerinnen, Tänzerinnen (Spautz 1993). Für die scheue und an sich selbst zweifelnde junge Lou Koster könnte die Unterhaltungsmusik ein 278

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Terrain gewesen sein, das ihr als Komponistin weniger Selbstbewusstsein abverlangte, wenn sie vor ein Publikum trat. Als insofern ›geschützte‹ Räume standen ihr das Kaffeehaus und das Kino zur Verfügung, in denen sie außerdem anonym, ohne dass ihr Name auf einem gedruckten Musikprogramm zu lesen war, diverse eigene Kompositionen vor dem Publikum testen konnte. Diese Art von Unterhaltungsmusik war damals allseits beliebt. Auch bei den Gegnern der ›populären‹ Musik des Jazz und des Schlagers stand sie – zusammen mit dem Volkslied – hoch im Kurs. Als Musikerin in den Kaffeehäusern, aber auch als Stummfilmmusikerin gehörte es zu Kosters Alltag, Programme aufzustellen, in denen Kompositionen der sogenannten ›gehobenen‹ Unterhaltungsmusik (frz. ›musique légère) und ›ernsten Musik‹ (frz. ›musique savante‹) gleichberechtigt nebeneinanderstanden. Solche gemischten Programme waren bereits prägend für die Hausmusik in ihrer Kindheit und vermutlich auch für ihren häuslichen Musikunterricht beim Großvater gewesen. Diese Praxis, beide Genres zu pflegen – die Unterhaltungsmusik vor allem in ihrer Instrumentalmusik und die ›ernste Musik‹ in ihren Liedern und Mélodies –, charakterisierte ihr kompositorisches Schaffen in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg bis mindestens Ende der 1930er Jahre. Charakteristisch für die Instrumentalmusik Kosters sind ihre außermusikalischen Bezüge, auf die sie in den Titeln verweist, und die überwiegende Form des Tanzes, allen voran die Walzersuite. Als Stummfilmmusikerin war sie es gewohnt, musikalische Stimmungen aus Bildern abzuleiten und Musik als emotionale Untermalung dazu zu improvisieren und zu komponieren. Wie viele ihrer Klavierstücke sie tatsächlich für den Film komponierte und im Kino aufführte, ist nicht mehr nachzuweisen. Keine autobiografischen Quellen sind erhalten, die darüber informieren, wie stark die Bilderwelt des Stummfilms generell ihre Instrumentalmusik prägte. Ihre instrumentalen Stücke nutzte sie vielfältig immer wieder anders und arbeitete sie für andere Gelegenheiten, Räume, Ensembles und Publika um. Eine bestimmte Version war oft also nur ein Zwischenstadium. Jedes Musikstück war an und für sich ein ›work in progress‹, das seine klangliche Gestalt, und manchmal auch seinen Titel, immer wieder veränderte. Neue Versionen konnten entstehen, wenn ein Ensemble Interesse bekundete oder die Komponistin ein Ensemble als potentiellen Interpreten für ihre Musik wahrnahm. Dass sie für die Musik überhaupt eine definitive Form, eine Version, die für sie ›Werkcharakter‹ hatte, anstrebte, ist zu bezweifeln. Vielmehr scheint es so, dass die ›Versionenkette‹ jeweils an dem Punkt abriss, an dem kein realer oder potentieller Aufführungsanlass mehr bestand. Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Aus dem überlieferten Material entsteht der Eindruck, die Komponistin habe kaum Sorgfalt auf eine akribische Überarbeitung der Partitur verwendet. Oft hat sie im Stimmenmaterial Interpretationsanweisungen wesentlich stärker ausdifferenziert, ohne sich offenbar die Mühe zu machen, diese Anweisungen anschließend in die Partitur zu übertragen, so dass es immer wieder zu Widersprüchen und Inkonsequenzen zwischen der erhaltenen Partitur und dem Stimmenmaterial kommt. Allerdings weiß man nicht mit Sicherheit, ob es sich bei dem überlieferten Material – Partituren wie Stimmen – immer um die jeweils letzten Reinschriften handelt. Im Notenarchiv des ehemaligen Orchesters Radio Luxemburg – heute Orchestre Philharmonique du Luxembourg (OPL) – befanden sich zu Beginn der 1980er Jahre noch zwei dicke Stapel von Orchesternotenmanuskripten Kosters, neben einer Vielzahl von nicht katalogisierten Notenmaterialien anderer luxemburgischer Komponisten. Diese Noten wurden damals aus Platzgründen aus dem Bestand entfernt, weil das Repertoire nicht mehr gespielt wurde.40 Es ist naheliegend anzunehmen, dass sich darunter die eigentlichen Reinschriften mancher Orchesterpartituren befanden. Bei den erhaltenen Versionen aus dem Nachlass der Komponistin könnte es sich also auch um frühere Versionen der Partituren handeln, was erklären würde, warum man die Korrekturen im Stimmenmaterial nicht auch in der Partitur wiederfindet. Dass die Komponistin dem Radioorchester Material übergab, von dem sie keine entsprechende Abschrift behielt, wäre in diesem Fall ein weiterer Beleg dafür, dass sie selbst sich wenig darum kümmerte, ihre Musik für die Nachwelt zu erhalten. In die gleiche Richtung deuten die Tatsachen, dass sie keine Werkliste führte und dass sie ihre Musik selten datierte (EI 7). Radio Luxemburg als Vermittler und das Sendestudio als ­Aufführungsraum Durch den überraschenden Fund der Quellenbelege zu den vielen Sendungen, in denen Kosters Musik gespielt wurde, rückt Radio Luxemburg als ein früher und bedeutender medialer Vermittler ihrer Musik in den Blickpunkt. Daher drängt es sich auf, diese Vermittlerrolle näher in den Blick zu nehmen. In der Konstruktion des allgemeinen wie des musikkulturellen Selbstbildes der 1931 gegründeten Radiostation mussten heterogene Interessen in Einklang gebracht werden: Radio Luxemburg war einerseits die einzige Radiostation in Luxemburg, die – ohne ein eigentlicher staatlicher Sender zu sein – unter der Kontrolle des Staates stand. Zugleich war Radio Luxem280

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burg einer der größten europäischen Rundfunksender, der mit einem einzigen Programm in einem Umkreis von 2000 km – somit in der Reichweite von mehr als 90 % der europäischen Radioempfangsgeräte – sendete41 und sich in mehreren Sprachen42 an ein internationales Publikum richtete. Die große von französischen Führungskräften geleitete und von französisch-belgischem Kapital finanzierte Radiostation stand also unter Schirmherrschaft und Kontrolle eines der kleinsten europäischen Staaten. Da nur eine breite Hörerschaft das Bestehen des Unternehmens garantieren konnte – denn erst diese machte die Station bei den an Wirtschaftswerbung interessierten Kunden attraktiv –, waren auch die Hörwünsche des sozial breit gestreuten Radiopublikums und die der großen Firmen, die Werbungen finanzierten, ein wichtiger Faktor bei der Programmgestaltung. Das Selbstbild der Station wurde über die Programmpolitik und die Sendeinhalte vermittelt, und für Letztere wurde nun Kosters Musik ausgewählt und in unterschiedlichen Sendekontexten präsentiert. In den 1930er Jahren wurde in Europa und in Amerika bei privaten wie staatlichen Radiosendern intensiv über die Möglichkeiten des Radios, breite Massen zu erreichen, zu bilden und zu beeinflussen, debattiert. Dieses Potential wurde als eine enorme Herausforderung wahrgenommen, sowohl aus bildungspolitischer wie aus kommerzieller Perspektive. Der Radioempfänger wurde in diesem Jahrzehnt allmählich zu einem erschwinglichen und somit immer breiteren Schichten zugänglichen Artikel. In Frankreich hatte Ende der 1930er Jahre beispielsweise ca. die Hälfte der Bevölkerung Zugang zum Radio, und Radiohören avancierte so zum »premier loisir des Français« (Méadel 1994, S. 371, 198–205). Und wer sich keinen eigenen Apparat leisten konnte, konnte kollektiv Radio hören, im Kaffee, Bistrot, Lebensmittelgeschäft, beim Friseur, in der Autowerkstatt oder beim Nachbarn (Interviews mit belgischen Zeitzeugen in der ländlichen Provinz Luxemburg in: Lorgé 1987). Neben dem privaten Hören am eigenen Gerät und dem kollektiven Hören an öffentlichen Orten gab es in Frankreich rund 200 gebührenpflichtige Radiohörsäle. Da in Luxemburg keine Radiosteuer erhoben wurde, war Radiohören dort billiger als in vielen anderen Ländern.43 Diese neue breite Zuhörerschaft an die eigene Station zu binden war das Anliegen sowohl staatlicher wie privater Sender. Idealisiert wurde das neue Medium vielfach als ein ideales Instrument zur Demokratisierung und Enthierarchisierung von Kultur und Musik. Der Dramaturg Walter Jacob, der zwischen 1934 und 1936 in Luxemburg im Exil lebte und im Escher Tageblatt und in À l’Ecoute Funkkritiken publizierte, sah die »kunsterzieherische« Aufgabe, vor allem die »Minderbemittelten« zu bilden, als eine der wichtigsten des Rundfunks (in: »Luxemburger Funkkritik«, Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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in: T 28.3.1936, S. 12).44 Da nur ein geringer Teil des neuen Hörerpublikums gewohnt war, Konzerte zu besuchen, war dieses Ziel ohne Diversifizierung des Musikangebots, ohne neue radiopädagogische Konzepte der musikalischen Programmgestaltung kaum erreichbar.45 Dies spielte eine umso größere Rolle, als die Konkurrenz zwischen den Stationen groß war und HörerInnen, wenn das Programm ihnen nicht zusagte, den Sender einfach wechselten. Der gut dokumentierte Konkurrenzkampf zwischen BBC und Radio Luxemburg in den 1930er Jahren legt hierfür ein beredtes Zeugnis ab: Der englische Staatssender, der nicht bereit war, von seinem bildungsbürgerlichen Programmkonzept abzuweichen, musste zusehen, wie regelmäßig an den Wochenenden die englischen, vor allem jungen HörerInnen zu Radio Luxemburgs populärem englischem Sonntagsprogramm umschalteten.46 Forschungsstand und Quellenlage Über Radio Luxemburg wurde viel geschrieben und geforscht, die allermeiste Literatur befasst sich allerdings ausschließlich mit der Nachkriegszeit. Die wenigen Publikationen, die die Zwischenkriegszeit mit in den Blick nehmen, legen ihren Schwerpunkt auf die Unternehmensgeschichte (Newton 2013, Maréchal 2010, Spohrer 2008, Dominguez Muller 2007, Fehlen 1984, Graas 1961) bzw. ausschließlich auf das von Radio Luxemburg produzierte englischsprachige Programm (Nichols 1983, Newton 2010). In den Publikationen, die sich (auch) mit den 1930er Jahren beschäftigen – jener Zeit, in der Lou Kosters Musik dort gesendet wurde –, ist die Radioprogrammgestaltung stets nur ein Randthema. Die Sendeinhalte dieser frühen Zeit im Allgemeinen wie die Musik- und Kultursendungen im Speziellen wurden noch keiner systematischen wissenschaftlichen Analyse unterzogen. 1993 veröffentlichte Loll Weber eine ausführliche Studie über das Luxem­burger Rundfunkorchester in den Jahren 1933 bis 1958. Weber ging es allerdings nicht um eine Gesamtdarstellung der frühen Orchestertätigkeit in verschiedenen Repertoires, sondern gezielt darum, jene, »die irrtümlicherweise noch immer meinen, eine ernsthafte Kulturarbeit auf nationaler wie internationaler Ebene habe für das Luxemburger Rundfunkorchester erst in den sechziger oder siebziger Jahre eingesetzt«, von dem »hohen Standard des Wirkens« »im Bereich der anspruchsvollsten Kunstmusik« insbesondere in den 1930er bis 1950er Jahren zu überzeugen (Weber 1993, S. 7 f.). Um dies zu erreichen, trennt Weber die »anspruchsvollste Kunstmusik« von der Unterhaltungsmusik, dies obwohl beide seiner eigenen Ansicht nach nicht 282

Die Musik

zu trennen sind: »eine scharfe Trennung der Sparten U- und E-Musik war beim Luxemburger Sender schon aus finanziellen Gründen nicht gefragt«. Die ›concerts variés‹, in denen ›klassische‹ und unterhaltende Musik in gemischten Programmen gespielt wurde und in denen, wie weiter unten dargestellt wird, Kosters Musik ihren Platz fand, klammert Weber bewusst und jeweils auch korrekt mit dem Hinweis »Öffentliche und Studiokonzerte des Luxemburger Rundfunkorchesters (außer Unterhaltungssendungen)« aus. In der gleichen Studie veröffentlicht der Autor ein Interview mit Émile Feltgen, der in den 1930er Jahren als Orchestermusiker bei Radio Luxemburg arbeitete, das ein umfassendes Bild der Radioorchestertätigkeiten wiedergibt (Weber 1993, S. 395–404). Die Leitfragen in diesem Kapitel müssen nicht nur von diesem Forschungsdesiderat ausgehen, sondern sich auch einer äußerst lückenhaften Quellenlage anpassen: Die frühen Archive von Radio Luxemburg wurden im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört. Bei der Befreiung Luxemburgs hielten die alliierten Soldaten den Zustand der Zerstörung, in dem sie die Sendestudios und -anlagen sowie die Archive von Radio Luxemburg vorfanden, in einer Fotoserie fest, die sich in den Corporate Archives of RTL Group S.A. befindet. Im Jahresbericht 1946 von Radio Luxemburg ist zu lesen: »Fast die Gesamtheit unserer Archive sowie drei Viertel unseres Schallplattenarchivs sind verloren gegangen. Die durch den Feind erlittenen Schäden wurden ordnungsgemäß festgestellt und dem Amt für Kriegsschäden gemeldet.« (zit. b. Jos Pauly 1994, S. 32  f.). Die spärlichen frühen Quellen, die heute im oben genannten Archiv in Luxemburg verwahrt werden, wurden erst vor wenigen Jahren der Forschung zugänglich gemacht und konnten somit in der bisherigen Literatur auch nicht berücksichtigt werden.47 Vollständig erhalten sind in diesem Archiv neben einer Sammlung von Fotografien und Fotoplatten aus dieser frühen Zeit vor allem sämtliche Versammlungsberichte des Direktionskomitees (›Comité directeur‹) und des Verwaltungsrates (›Conseil d’administration‹) sowie die Jahresberichte der jährlichen Generalversammlung der Aktionäre. Zu den verschollenen Quellen zählt jegliche Schriftquelle der Direktion sowie der Programmleiter und ProduzentInnen, aber auch die in den Versammlungsberichten erwähnte umfangreiche, internationale Hörerpost samt den Schriftdokumenten, die diese auswerteten. Zu bedauern ist für das vorliegende Thema vor allem der Verlust fast sämtlicher schriftlicher Skripte von Sendungen sowie nahezu der gesamten Schriftquellen von Henri Pensis, dem künstlerischen und musikalischen Leiter der Station von 1933 bis zu seinem Tod 1958, mit einer längeren Unterbrechung im Zweiten Weltkrieg. Im noch nicht katalogisierten ›Bestand Henri Pensis‹ Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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im Musikkonservatorium Luxemburg (MKL) befinden sich einige wenige Schriftdokumente von und an Pensis als künstlerischer Leiter von Radio Luxemburg, vor allem Korrespondenz mit sich bewerbenden OrchestermusikerInnen, neben zwei Sammlungen von Pressekritiken des Orchesters. Tonaufnahmen sind ebenfalls, bis auf sehr wenige Ausnahmen, keine überliefert. Da eine saubere Bandaufnahme und -abspieltechnik ohne zu viele Nebengeräusche sich erst allmählich in den 1930er Jahren entwickelte, wurde, neben den Schallplattensendungen (»musique enregistrée«), den Konzertübertragungen und den im Ausland vorproduzierten »émissions patronnées«, die Musik vor allem live auf Antenne gespielt, ohne dass dies in den Radioprogrammen spezifiziert wurde.48 Evy Friedrich verweist dennoch 1939 auf die Existenz von Tonaufnahmen auf Wachsplatten: »Eine große Anzahl der in den Luxemburger Stunden zur Sendung gelangenden Reportagen, Interviews, Vorträge usw. sind auf Platten aufgenommen, was aus praktischen Gründen einer direkten Sendung vorzuziehen ist. Was nach der Sendung aus diesen Platten geschieht, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber wäre hier nicht das geeignete Material, den Grundstock zu einem luxemburgischen ›Musée de la Parole‹ abzugeben? Da Platten oder Tonfilmstreifen fast aller mehr oder weniger bedeutenden luxemburgischen Persönlichkeiten bestehen oder noch in Zukunft aufgenommen werden, könnte dieses Archiv ziemlich vollständig werden und würde bestimmt immer weiter ausgebaut.« (T 6.7.1939, S. 7)

Paul Leuck, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs als Journalist bei Radio Luxemburg zu arbeiten begann, berichtet ebenfalls, dass in den 1930er Jahren, und zwar auf Bestreben des Historikers, Sprachforschers, Chordirigenten und späteren Direktors des Staatsmuseums Joseph Meyers, der die Sendung Luxemburger Stunde mitgestaltete, mit dem Aufbau von Tonarchiven zur Dokumentation des luxemburgischen Musik- und Kulturgutes begonnen wurde. Dieses Archiv habe »sehr viele Aufnahmen von Liedern, alten Tänzen, Legenden und anderen wertvollen Gütern unseres künstlerischen und volkskundlichen Erbes« enthalten, es sei nach dem Krieg weitgehend, aber nicht zur Gänze verloren gewesen (Leuck 1954, S. 128 f., F). Von den Aufnahmen von Sendungen zu Luxemburgs Geschichte, Kultur und Musik – so auch von einem großen Teil derjenigen, in denen Kosters Musik gespielt wurde – fehlt heute jede Spur.49 Da der luxemburgische Staat dem Radiounternehmen die Sendekonzession erteilt hatte, die über einen Vertrag samt Lastenheft besiegelt wurde, 284

Die Musik

liegen zahlreiche weitere Quellen zur Geschichte von Radio Luxemburg, und zwar aus Regierungsperspektive, im luxemburgischen Nationalarchiv.50 Zu den wichtigsten Quellen, die Auskunft speziell über die Musiksendungen von Radio Luxemburg in den 1930er Jahren geben, gehören heute vor allem die täglich in der Presse publizierten Radioprogramme, rund 2400 an der Zahl, die in der vorliegenden Arbeit exemplarisch durch eine genauere Betrachtung der Programme, denen die 108 Sendebelege von Kosters Musik zuzuordnen sind, ausgewertet werden. Natürlich konnte es vorkommen, dass in letzter Minute das Programm einer Sendung geändert wurde, darüber ärgerte sich bespielsweise Batty Weber in seinem Tagebuch: »Donnerstag 23/5 [1939] Wollte abends das Concert Pensis aus Mondorf hören, Übertragung für 21.45 angesagt, es wurde über 10 Uhr mit einem langweiligen französischen Gebraddel [luxemburgisch für Gequassel], das Programm, wie es in der Zeitung stand, nicht eingehalten. 1/2 11 zu Bett.« (Bestand Batty Weber, CNL L-48; III 1–18) Leitfragen zur Vermittlung von Kosters Musik bei Radio Luxemburg Um die Präsenz von Lou Kosters Musik im Radio besser einordnen und verstehen zu können, ist es notwendig, nach der Konstruktion der musikalischkulturellen Identität des Senders, für dessen Medienangebote Lou Kosters Musik ausgewählt wurde, zu fragen. Die Analyse der Sendungen kann nicht losgelöst von den Bedingungen ihrer Produktion, Distribution und Funktionalisierung betrachtet werden (Zierold 2006, S. 102–170, 186–199), zumal die Gründung der Station zum Katalysator einer Debatte über den Wert kultureller Produktion aus Luxemburg wurde. Dabei treten folgende Fragen in den Vordergrund: Welche europäischen und nationalen, ideologischen und politischen Interessen motivierten die Initiatoren von Radio Luxemburg? Stellte der luxemburgische Staat in der Konzeptionsphase – als Gegenleistung für die Zuerkennung von Sendekonvention und -monopol – eventuell Auflagen, was die Sendeinhalte betraf ? Wurde vielleicht gefordert, dass Radio Luxemburg als ›nationaler‹ Sender in kulturell-musikalischer Hinsicht ein (bestimmtes) Bild von Luxemburg vermitteln sollte? Der Text des Konzessionsvertrags, den die Regierung 1930 mit dem Unternehmen abschloss, sowie die Berichte über die sich an die Vertragsunterzeichnung anschließende heftige Debatte in der Abgeordnetenkammer geben darauf Hinweise.

Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Welches kulturelle Selbstbild präsentierte Radio Luxemburg zu Sendebeginn und welche Rolle und Bedeutung wurde der Musik im Allgemeinen und der ›national‹ produzierten Musik im Speziellen zugesprochen? Die Festrede, die der luxemburgische Politiker und Präsident des Verwaltungsrates von Radio Luxemburg Émile Reuter bei der Grundsteinlegung von Radio Luxemburg im Herbst 1931 hielt, kann hier Aufschlüsse geben. Wie wurde die musikalische Programmpolitik schlussendlich in der Praxis definiert und wie spiegelte sie sich im Radioprogramm? Quellen, die hierzu Auskunft geben können, sind die Versammlungsberichte des Verwaltungsrates und des Direktionskomitees sowie auch beispielhaft das Programm des ersten Sendetages. Das Thema Radio Luxemburg und Gender ließe sich auf drei Ebenen untersuchen: auf Ebene der Produktion (Inwiefern wurden Frauen in die Produktion des Medienangebots einbezogen?), der Repräsentation (Wie wurden Komponistinnen vermittelt?) und der Rezeption (Inwiefern wurde in den Medienangeboten das weibliche Publikum bedacht?). Da zu diesen Fragen bisher noch nicht geforscht wurde, können hierzu bislang nur einige grundsätzliche Feststellungen, die von Bedeutung für den Kontext der Präsenz von Kosters Musik im Radio sind, getroffen werden. Nachdem anhand der obigen Fragen der Kontext beleuchtet wird, richtet sich der Blick in einer Nahaufnahme auf die Selektions- und Inszenierungsprozesse in den Medienangeboten: In welchen Sendungen wurde Lou Kosters Musik gespielt und in welchen nicht? Welche Musik von ihr wurde gespielt und welche nicht? Wie konstruierte das Radio – durch die Einbettung ihrer Musik in bestimmte Sendekontexte – eine oder auch mehrere Identitäten für die Komponistin? Wie groß waren die Schnittmengen der Musik von Koster und der musikalischen Identität, die sich Radio Luxemburg geben wollte? In den Kulturwissenschaften wird vermehrt über das Zusammenspiel von Medien und Identität nachgedacht, wobei die Medien als Konstrukteure u.a. von nationalen, aber auch transnationalen, translokalen Identitätsräumen verstanden werden. Medien können bestehende Diskurse – zu kultureller Identität, Nation, Geschlecht usw. – stabilisieren und repräsentieren, aber auch destabilisieren und umgestalten und somit einen Wandel von Identitätskonzepten produzieren (Hipfl Klaus Scheer 2004). Diese Ansatzpunkte erscheinen als theoretischer Rahmen für ein Nachdenken über die radio-mediale, nationale wie transnationale Vermittlung der Musik Lou Kosters besonders fruchtbar. Brigitte Hipfl geht davon aus, dass Medien in mehrfacher Weise eng mit »räumlichen« Komponenten verknüpft sind, und unterscheidet in 286

Die Musik

ihrem grundlegenden Beitrag zu medialen Identitätsräumen drei Sichtweisen (Hipfl 2004, S. 16 f.): Sichtweise 1: Medien können »imaginäre geopolitische Räume« konstruieren, indem sie Nationen oder auch weiter gefasste Territorien mit bestimmten kulturellen – d.h. auch musikalischen – Praktiken in Verbindung bringen und diese dadurch von anderen differenzieren. In Nachrichtensendungen und in Musik- und Kultursendungen vermittelt das Radio Raumvorstellungen, die nationale Grenzen entweder bestätigen, aber auch erweitern oder in Frage stellen können. In Bezug auf diese erste Sichtweise von ›imaginären geopolitischen Räumen‹ wäre konkret in Bezug auf Lou Koster zu fragen, wie eng oder breit die imaginierten geografischen Territorien in den Sendungen gefasst waren, in denen ihre Musik auf dem Programm stand. Waren sie ausschließlich der Musik aus Luxemburg gewidmet oder handelte es sich um international gemischte Kultur- und Musikprogramme? Wie im vorigen Kapitel gezeigt wurde, war die Zwischenkriegszeit in Luxemburg von diversen, voneinander abweichenden Diskursen zur national-kulturellen Identität geprägt, im Zuge derer auch über den Wert von Musik, Kunst, Literatur usw. aus Luxemburg verhandelt wurde. In diese Zeit fällt nun der Aufbau der damals größten Radiostation Europas mit damals auch nur einem einzigen mehrsprachigen Programm, die das ›Fenster zu Europa‹ – so eine immer wieder gebrauchte Metapher – sehr weit öffnete. Auch dies führte in Luxem­burg zu kontroversen Diskussionen, denn in den Aushandlungsprozess einer luxem­burgischen kulturellen Identität brachte sich nun auch Radio Luxemburg mit ein. Wegen seiner Reichweite wurde es zu einem mächtigen Sprachrohr, dessen ›Botschaften‹ grenzüberschreitend eine sehr breite Zuhörerschaft erreichten, was so manchen erfreute, viele aber auch verunsicherte.51 In den Diskursen zu einer luxemburgischen Identität spielte die Referenz auf das so nahe Fremde (Goetzinger 2004), die Kulturen der großen Nachbarnationen, immer, wenn auch in unterschiedlicher Weise, eine bedeutende Rolle. Während es der auf eine partikulare Eigenkultur besonnenen Richtung darum ging, kulturelle Grenzen zu stabilisieren und zu schützen, sahen die kosmopolitisch denkenden Vertreter des Mischkulturgedankens das Spezifische einer luxemburgischen Kultur in der grenzüberschreitenden Hybridität. Koster sympathisierte mit unterschiedlichen Teilen ihrer Musik und ihres musikbezogenen Handelns mit beiden Richtungen. Potentiell war es für Radio Luxemburg also möglich, Kosters Musik in territorial unterschiedlich abgesteckten imaginären geopolitischen Räumen einzusetzen. Sichtweise 2: Auch Hipfls zweite Sichtweise kann sich für die Analyse der Musik Kosters bei Radio Luxemburg als fruchtbar erweisen. Nach Hipfl Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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sind die Medieninhalte selbst »semiotische Räume«, in denen bestimmte soziale Identitäten und Körper repräsentiert werden, während immer andere ausgeschlossen bleiben: »Dabei geht es um nicht mehr und nicht weniger als um die Frage, welche Identitäten an welchen Orten überhaupt denkbar und vorstellbar sind, wo welche Differenzierungen, Grenzziehungen und Formen des Ausschlusses vorgenommen werden, weiter auch, wo Grenzüberschreitungen und Transgressionen möglich sind.« (Hipfl 2004, S. 17) In diesem Bezug wäre vorweg gleich festzustellen, dass die Musik Kosters, eines vermeintlich doppelt marginalen Komponisten weiblichen Geschlechtes und luxemburgischer Nationalität, in dem Sendestudio der internationalen Station offensichtlich – das beweisen die Sendebelege – als repräsentierund vermittelbar galt, während ihr zeitgleich im Musik- und Konzertleben Luxem­burgs nur wenig Raum zugesprochen wurde. Aber auch hier ist, wie bei den geografischen Räumen, die Detailsicht, die Frage nach den konkreten Sendekontexten relevant: Zur Konstruktion von (Musik-)Räumen gehört nicht nur, welche KomponistInnen und InterpretInnen Zutritt bekommen und also als repräsentierbar gelten, sondern auch, in welchen Sendungen mit welchem Profil sie mit welcher Musik (Genre, Gattungen) in Nachbarschaften mit welchen anderen Kulturschaffenden vorgestellt werden. Auch hier finden Selektions- und Inszenierungsprozesse statt (Zierold 2006). Den Sendungen werden Funktionen, Bedeutung sowie Bedeutungen im Gesamtkontext des Programmrasters zugeordnet. Gab es z. B. Musiksendungen, denen aus der Sicht von Radio Luxemburg oder dem Hörerpublikum große Bedeutung zugeschrieben wurde, in denen Kosters Musik aber grundsätzlich keine Aufnahme fand? Wurden in den Sendungen, in denen ihre Musik gespielt wurde, Musikgenregrenzen vor der Folie einer traditionellen Dichotomie von ›hoher‹ und ›niederer‹ (populärer) Musikkultur verfestigt oder aber geöffnet? Wo wird die Musik Kosters auf dieser Karte verortet? In diesem Bezug haben ebenfalls die Sendezeiten, und die in diesen anvisierten, imaginierten Zuhörerschaften, ihre Bedeutung. Typen von Sendungen wurden bewusst in ausgewählte Zeitfenster eingepasst, um je nach Tages- oder Wochenzeit ein bestimmtes Hörerpublikum erreichen zu können. Zu den Spitzenzeiten, an denen das Publikum am zahlreichsten und auch am breitesten gefächert war, gehörten der Abend – vor allem der Samstagabend – die Mittagsstunde und der Sonntag, während an den Werktagen tagsüber mit einer reduzierteren, vor allem weiblichen Zuhörerschaft gerechnet wurde. Zu welchen Tages- und Wochenzeiten wurde Kosters Musik gespielt? Welche Hörerschaft wurde für diese Zeitfenster imaginiert?

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Die Musik

Sichtweise 3: Hipfls dritte und letzte Sichtweise befasst sich mit der produktiven und aktiven Rezeption. In der Medienrezeption kommt es zu einer Interaktion der HörerInnen mit den Medien. Die HörerInnen können sich die zur Verfügung gestellten mentalen Räume aktiv und individuell aneignen. Wie Hipfl betont, passiert beim Hören, bei diesem Eintritt in einen mentalen Raum »mehr als bloß ein Einstieg«: »Vielmehr entstehen dabei neue Räume, in denen je spezifische Identitäten der NutzerInnen (re)konstituiert werden. Dies kann darin resultieren, dass […] Identitätspositionen eröffnet werden, die in den Medien selbst gar nicht vorhanden oder vorgesehen waren.« (Hipfl 2004, S. 17) Wie Hipfl beschreibt, können HörerInnen die eigene Lesart der Vorstellungen und Bilder, die in den medialen Erfahrungsräumen vermittelt werden, in eigenes Handeln umsetzen oder zumindest mit in dieses einbeziehen. Rein theoretisch hätte eine Hörerin beispielsweise durch die häufige Präsentation von Werken Kosters – und auch anderer Komponistinnen – bei Radio Luxemburg das Radiostudio als einen möglicherweise idealeren Repräsentationsort für Komponistinnen, einen Raum also, in dem im Gegensatz zum Konzertsaal eine etwas andere Geschlechterordnung denkbar war, interpretieren und für sich selbst entdecken können, auch wenn diese ›Botschaft‹ vielleicht so von den RadioproduzentInnen gar nicht vorgesehen war und eventuell auch im Widerspruch zu manchen der in den Frauensendungen vermittelten Rollenbildern stand. Solchen auf die HörerInnen bezogene Fragestellungen kann in der vorliegenden Arbeit nicht einmal ansatzweise nachgegangen werden, da die Quellen, die darüber informieren könnten – die umfangreiche Hörerpost an Radio Luxemburg sowie die Auswertungsschriftquellen – nicht überliefert sind. Dennoch ist es wichtig, den auf das Medium Radio fokussierten Blick auszuweiten, und zwar um die folgenden Fragestellungen: Veränderte sich in den Printmedien dadurch die Wahrnehmung der Komponistin? Gab es eventuell Rückwirkungen im öffentlichen Konzertleben beispielsweise durch ein gesteigertes Interesse an ihrer Musik? Wie wurden in diesen sechs Jahren die vielen Radiosendungen mit Musik u.a. von Koster in Musikpublikationen rezipiert? Französische Interessen in der Konzeptionsphase Bis gegen Ende der 1920er Jahre war es der luxemburgischen Regierung, ähnlich den Nachbarländern, nicht gelungen, eine nationale Radiostation aufzubauen, obwohl die Öffentlichkeit ihr Interesse daran bekundete. 1923 

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war zwar durch ministeriellen Erlass erstmals eine Radiostudienkommission instituiert worden, die in ihrem Schlussbericht den Bau einer Radiostation befürwortete, und es kam zu einem Radiogesetzentwurf, aber das Projekt wurde damals nicht konkretisiert.52 Amateurradiobastler im Verbund mit dem Lehrer- und Arbeiterbildungsverein forderten die Schaffung eines soziokulturellen Radios mit Bildungsanspruch, das »jedem im Volke, die unvergänglichen Monumente der Kunst und Literatur, die höchsten Errungenschaften der Wissenschaft zugänglich macht, Werte, die bis heute nur ein Privileg der Begüterten gewesen sind«.53 Bis 1929 gab es in Luxemburg keine Radiogesetzregelung, und dies, obwohl seit 1920 nicht nur ein RadioClub und die Gesellschaft Amis de la télégraphie sans fil existierten, sondern ab Februar 1925 auch der private, von den Gebrüdern François und Marcel Anen betriebene 100-Watt-Sender mit dem Namen Radio Luxembourg, der von 1927 bis 1929 auch vom Staat finanziell unterstützt wurde. Dieser Sender übertrug Konzerte der luxemburgischen Militärmusik, Theaterstücke auf Luxemburgisch sowie gehobene Unterhaltungsmusik, Operetten- und Opernpotpourris, gespielt vom eigenen neunköpfigen Orchester, das von Émile Boeres geleitet wurde.54 Um den redaktionellen Teil kümmerten sich die Schauspieler Léon Moulin und August Donnen. Dieses Radio war, wie später Radio Luxemburg, mehrsprachig: luxemburgisch, deutsch, französisch und englisch.55 1929, bevor das Radiogesetz verabschiedet war, baute François Anen die Radiostation unter dem Namen Compagnie Nationale de Radiodiffusion Luxembourgeoise (CNRL) vor allem mit französischem Kapital zu einer großen, europaweit zu hörenden Station aus.56 Nachdem das Gesetz in Kraft getreten war und da sein Antrag auf eine Sendekonzession vom Staat abgewiesen wurde, musste der Sender 1930, wie auch eine bescheidene, von Ferdinand Pescatore für pädagogische Zwecke betriebene Radiostation, nach der Aufforderung der Regierung die Sendetätigkeit einstellen (T 16.1.1930, S. 4). Am 1. August 1932 wurde Anen als Studiotechniker beim neu gegründeten Radio Luxemburg angestellt (Felten o.J., S. 30). Ende der 1920er Jahre bewarben sich gleich drei Gesellschaften um eine Konzession zum Aufbau einer privaten Radiostation in Luxemburg. Die Initiativen kamen dabei jeweils aus Frankreich, wenngleich alle drei Gesellschaften pro forma mindestens einen luxemburgischen Mitbegründer – darunter die Gebrüder Anen in zwei konkurrierenden Firmen – vorweisen konnten: Die drei Konkurrenten waren Blue Star Radio, Société Luxembourgeoise d’Études Radiophoniques (SLER = Trägergesellschaft des späteren Radio Luxemburg) und die bereits erwähnte CNRL. Bei Blue Star Radio war der luxemburgische Mitbegründer der in Frankreich lebende Journalist Alphonse 290

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Steinès, bei der SLER war es François Anen. Die Gesellschaft mit den meisten luxemburgischen Mitbegründern war die CNRL: Zu ihnen gehörten neben dem bereits erwähnten François Anen dessen Vater Aloyse und Bruder Marcel sowie Émile Goergen.57 Maréchal beschreibt das Wettrennen um die Konzession als einen ›franko-französischen Einflusskampf‹ (Maréchal 2010, S. 24). In Frankreich hatte das ›Dekret Bokanowski‹ (1926), das den allmählichen Ankauf aller privaten Sender durch den französischen Staat vorsah, dazu beigetragen, dass französische Firmen sich vermehrt nach Investitionsmöglichkeiten in privaten Radiostationen des Auslands umsahen. Als Standort war Luxemburg, vor allem durch die zentrale Lage mitten in Europa – und zudem im Grenzbereich zu Deutschland gelegen – sowie die Nichtexistenz eines nationalen Senders, besonders attraktiv. Wie Dominguez Muller, Maréchal und Spohrer nachweisen konnten, verfolgte der französische Staat diese Entwicklungen mit großem Interesse. Ein früher Beleg dafür findet sich in dem Schreiben des Ministerpräsidenten Raymond Poincaré an den Außenminister vom 16. April 1929, in dem es heißt: »Die Wichtigkeit dieser Angelegenheit ist Ihnen sicher nicht entgangen, und ich bitte Sie, das Nötige zu tun, um die französische Kontrolle über diese Gesellschaft zu behalten.«58 Nach Dominguez Muller erkannten die politischen Autoritäten Frankreichs in dem Projekt einer großen Radiostation in Luxemburg ein potentielles »Propagandawerkzeug« (der Begriff wurde damals als Synonym für den heutigen der Öffentlichkeitsarbeit verwendet), auf das sie über französische Aktionäre Zugriff erhalten konnten (Dominguez Muller 2007, S. 10). Am 28. August 1931 legte das Journal officiel, das Publikationsorgan der französischen Regierung, die politischen Intentionen Frankreichs unverblümt offen. Der Publizist Raoul Fernandez, der in der Aufbauphase der Gesellschaft Radio Luxemburg für eine erfolgreiche Aktienwerbekampagne verantwortlich gezeichnet hatte, war zum Offizier der Ehrenlegion ernannt worden, was im Journal officiel folgendermaßen kommentiert wurde: »Im Einverständnis mit der französischen Regierung hat er es fertiggebracht, eine offizielle Sendestation zu erschaffen, die die mächtigste in Europa ist und die unter der absoluten Kontrolle Frankreichs steht. […] Diese Initiative in einem Land, in dem aktiv deutsche Propaganda verbreitet wird, ist von erstrangigem Interesse.« (zit. b. Maréchal 2010, S. 28, F) Dieser Artikel sorgte für einige Aufregung in der luxemburgischen Regierung. Der Generaldirektor der Finanzen Pierre Dupong bat den Staatsminister Joseph Bech in einem Brief vom 19. Oktober 1931, bei der französischen Regierung zu intervenieren, mit folgender Begründung: »Angenommen, die Tatsachen, die in dem Dekret des Journal 

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officiel français vom 28. August abgedruckt wurden, sind exakt, so wäre die Gutgläubigkeit der luxemburgischen Regierung von einer Gruppe von Personen, die in Übereinstimmung mit der französischen Regierung versucht hätten, sich in unsere internen Angelegenheiten über den Weg einer legalen Sendekonzession einzumischen, ausgenutzt worden.«59 Die Angelegenheit sorgte auch für heftige Entrüstung in der in- und ausländischen Presse.60 Am 29. August wurde im gleichen Organ die Notiz entsprechend modifiziert abgedruckt, und der Zwischenfall blieb ohne negative Konsequenzen für das Radioprojekt. Am 11. Mai 1929 war unter dem Namen SLER die Trägergesellschaft von Radio Luxemburg gegründet worden. 99 % der Aktien des Gesellschaftskapitals waren dabei in französischen Händen, 1 % – drei Aktien von 280 – gehörte dem einzigen luxemburgischen Mitbegründer und Unterzeichner der Statuten, François Anen. Die Mitglieder des ersten Verwaltungsrates sowie die kontrollierenden Kommissare waren ausschließlich französischer Nationalität.61 Der Vertrag mit dem luxemburgischen Staat Es waren vor allem finanzielle Eigeninteressen des luxemburgischen Staates, die einem franko-luxemburgischen Gemeinschaftsprojekt den Weg bahnten. Die Regierung hatte die Einstellung, dass nur eine liberale wirtschaftliche Gesetzgebung und ein liberaler Zugang zu den nationalen oder als national verstandenen Ressourcen wie Elektrizität, Eisenbahnnetz – zu denen auch das Radio gerechnet wurde – Luxemburg Prosperität und internationales Ansehen bringen könne.62 Eine Rolle spielte sicherlich auch die nach dem Ersten Weltkrieg erneut aufgeblühte Frankophilie. Im Gegensatz zu den meisten anderen europäischen Regierungen, die sich zu dieser Zeit um eine Verstaatlichung des Radiowesens bemühten, hatte die luxemburgische Regierung nichts gegen eine private, kommerzielle Radiostation einzuwenden. Die Finanzierung eines staatlichen Senders über eine Radiosteuer, wie in anderen Ländern, wäre auf einem so beschränkten Territorium mit nur 2500 bis 3000 Radioempfängern bei einer Gesamtpopulation von 300.000 ohnehin nicht möglich gewesen.63 Das damals von den meisten verstaatlichten Stationen verfolgte Ziel, das Radio als öffentliche Dienstleistung zu verstehen und so einzusetzen, um eine nationale Gemeinschaft durch die Propagierung einer nationalen Kultur zu bilden und in ihrer Identität zu stärken, konnte sich der luxemburgische Staat buchstäblich nicht 292

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leisten, unabhängig davon, ob ein solches Ziel der Regierung als erstrebenswert galt. Am 19. Dezember 1929 wurde die gesetzliche Basis zur Regulierung des Radiowesens geschaffen.64 Das von der Großherzogin Charlotte sowie vom Generaldirektor der Finanzen Pierre Dupong unterzeichnete Gesetz legte nur die Rahmenbedingungen fest. Die Auflagen, die die Gesellschaften, denen eine Sendekonzession zuerkannt wurde, zu erfüllen hatten, sollten »für jeden einzelnen Fall durch ein vom Staatsrat zu begutachtendes Lastenheft festgelegt werden«, so Artikel 1. Wie der verwendete Plural »Rundfunksendestationen« deutlich macht, sah das Gesetz keine Zuerkennung eines Sendemonopols vor. Die Entscheidungsgewalt über die zu erteilenden Radiokonzessionen wurde in die Hände des Generaldirektors des Postdienstes, zu dieser Zeit Édouard Jaacques, gelegt, der daraufhin eine Begutachtungskommission ins Leben rief, die im April 1930 ihren Bericht vorlegte. In diesem Bericht spielten konkrete Programminhalte eine untergeordnete Rolle, während vor allem zwei Aspekte als wesentlich eingestuft wurden: Nach außen gerichtet sollte die Station zu einem »mächtigen touristischen Propagandainstrument für das ganze Land« werden. Im Land sollte sie eine »bildende und erzieherische Rolle« vor allem im schulischen Bereich und für die ländliche Bevölkerung übernehmen (»ein effizientes Mittel, um der Landflucht vorzubeugen«): »würde [sie] nicht den Anfang eines intellektuellen Kerns bilden, um den sich nach und nach die Schullehrer, die Eltern und die Familie gruppierten«.65 Der Konzessionsvertrag mitsamt Lastenheft wurde am 29. September 1930 mit der SLER unterzeichnet, die 1931 ihren Namen zu Compagnie luxembourgeoise de Radiodiffusion (CLR) änderte. Rat wurde wieder einmal in Frankreich gesucht: In der Vorphase der Redaktion hatte die Regierung ein Gutachten bei Robert Hombourg, Herausgeber der Zeitschrift Revue Internationale de Radioélectricité und Anwalt des Pariser Gerichtshofes, eingeholt.66 In dem Vertrag wurde der Radiogesellschaft schließlich ein Sendemonopol für die Dauer von 25 Jahren garantiert, mit der Einschränkung, dass die Regierung es sich vorbehielt, »Amateurradiostationen« mit geringeren Reichweiten, die 100 Watt nicht überschritten, zulassen zu können.67 »Die Originalität des Lastenheftes liegt in der Tatsache, dass ein Monopol für eine private und kommerzielle Station geschaffen wird und somit ein hybrider Betrieb entsteht, der in einer perfekten Symbiose für beide Parteien von Vorteil ist.« (Dominguez Muller 2007, S. 46, F). Das Radio wurde an allererster Stelle als Bildungsinstrument gesehen, gleich in Artikel 1 des Lastenheftes wurde die Verpflichtung festgehalten, Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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ein Programm »von hohem intellektuellem Niveau« »in klarer Sprache« zu senden, wenn auch nicht weiter spezifiziert wurde, was darunter zu verstehen war.68 Dass im selben Artikel die Mehrsprachigkeit der Sendungen vertraglich vereinbart wurde, zeigt eine auch vom Staat gewünschte Internationalität (auch wenn das Luxemburgische an erster Stelle genannt wird): »Die Sendungen sollen […] nach Bedarf in luxemburgischem Dialekt oder in einer anderen von der Kontrollkommission autorisierten Sprache sein.«69 Neben der gesetzlich festgehaltenen Inspektion durch die Post wurde im Lastenheft im Artikel III.11 – explizit betitelt mit »Contrôle du Gouvernement« – festgehalten, zwei Kommissionen – eine technische sowie eine künstlerische, Letztere auch als Programmkommission tituliert – hätten die staatliche Kontrolle zu gewährleisten.70 Gegen einen zu starken französischbelgischen Einfluss sicherte sich der Staat des Weiteren durch Artikel 9 des Lastenheftes ab, der Sendungen, die konträr zur »Neutralität des Landes« stünden oder politisch tendenziös seien bzw. als »Beleidigung gegenüber eines fremden Staates« interpretiert werden könnten, ausdrücklich verbot. Abgesehen von diesem deutlichen Bemühen um staatliche Kontrolle und von der Absicherung finanzieller Vorteile für das Land71 werden nationale oder staatliche Interessen an zwei weiteren Stellen im Lastenheft konkretisiert: Dass mit Sendeinhalten aus Luxemburg gerechnet wurde, belegt Artikel II.5, der die Gewährleistung sendetechnischer Voraussetzungen für Übertragungen »künstlerischer, religiöser, wissenschaftlicher, politischer und sportlicher Veranstaltungen von allen Orten des Großherzogtums Luxemburg aus« verlangt. In Artikel II.7 wird des Weiteren festgehalten, die Radiostation garantiere der Regierung die unentgeltliche Verbreitung von »offiziellen Mitteilungen, die Sicherheit der Bevölkerung bzw. Notwendigkeiten der Polizei betreffende Informationen, patriotischen Veranstaltungen und Wetterprognosen«, »wenn möglich außerhalb der regulären Sendungen«.72 Wenn später im Programm in Luxemburg komponierte Musik eine Rolle spielen sollte, geschah dies nicht auf Druck des Staates. Während in den Programmen staatlicher Radiostationen anderer Länder der Vermittlung ›nationaler‹ Kunst eine besondere Bedeutung zugesprochen wurde, stellte der luxemburgische Staat keinerlei Auflagen, inwiefern in Luxemburg geschaffene Literatur, Kunst und Musik in den Sendungen zu berücksichtigen seien. Bei den Kammerdebatten zum Radiogesetz am 11. Dezember 1929 hatten allerdings einzelne sozialistische Abgeordnete konkretere Forderungen nach luxemburgischen Sendeinhalten gestellt: Während Hubert Clement für die besten luxemburgischen Chöre, Musik- und Theatervereine einen Zugang zur Antenne verlangte, forderte Jacques Gallé die Regierung auf, im 294

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Lastenheft die Station dazu zu verpflichten, Konzerte des Konservatoriumorchesters, der Militärmusik und Aufführungen im städtischen Theater zu übertragen.73 Diese Forderungen wurden aber keinesfalls uneingeschränkt geteilt. So äußerte sich der sozialistische Kollege Pierre Krier hierzu folgendermaßen: »Über die Notwendigkeit und Berechtigung eines luxemburgischen Senders lässt sich streiten. Das Ausland hat in künstlerischer und wissenschaftlicher Hinsicht ganz andere Möglichkeiten als Luxemburg, das auf stark mittelmäßige Darbietungen angewiesen ist und dadurch das mit Recht anspruchsvolle Radiopublikum enttäuscht.”74 Die Kammerdebatte von 1931 Die Identität des Konzessionsinhabers sowie der Inhalt des Lastenheftes, das erst am 19. Juni 1931 publiziert wurde, waren bis zu Beginn des Jahres 1931 der Abgeordnetenkammer nicht bekannt. Diese wurde erst davon in Kenntnis gesetzt, als drei Monate nach Vertragsabschluss, am 16. Januar 1931, dort die Modifizierung eines Artikels im Radiogesetz vom 19. Dezember 1929 diskutiert werden sollte75, woraufhin eine mehrtägige grundsätzliche Debatte über Rundfunkpolitik in Luxemburg folgte, bei der vor allem die Arbeiterpartei heftige Kritik an der Regierung übte, wobei sie von der linken Presse, dem Escher Tageblatt, unterstützt wurde.76 In einer politisch »extrem dunklen« Zeit wollte man »den Rundfunk, Manifestation luxemburgischen Denkens, der die Pressefreiheit, Intellektuelles, Literarisches und Künstlerisches anrührt«, nicht »komplett in die Hände von nationalen oder ausländischen Kapitalisten geben« (René Blum), der Trägergesellschaft unterstellte man gar den Aufbau einer die luxemburgische Neutralität und damit Sicherheit gefährdenden »Militär-Radio-Station« (François Neu).77 Die Arbeiterpartei forderte vom Staat, einen Sender in Eigenregie zu betreiben oder zumindest mehrheitlicher Aktienteilhaber beim bestehenden Anbieter zu werden, um Einfluss geltend machen zu können.78 Sie war es auch, die verlangte, die Station solle der Wissenschaft, Kunst, Literatur und Musik aus Luxemburg als Forum dienen und ein Viertel des staatlichen Gewinns aus dem Unternehmen solle in die Förderung von Kunst und Literatur aus Luxemburg zurückfließen. So René Blum: »Wir haben unsere nationale Kunst, unsere Maler, unsere Bildhauer, unsere einheimische Musik.«79 Diese Forderung wurde von dem sozialistischen Kollegen Émile Mark und von Pierre Dupong aus der Rechtspartei in knappen Worten als nationalistisch abgetan und inhaltlich nicht weiter kommentiert oder debattiert. Émile Mark: »Die Kunst hat keine Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Grenzen. […] Werden Sie nicht zu nationalistisch in dieser Angelegenheit. […] Werden wir nicht wie die Flamen. Sprechen wir europäisch, nicht flämisch.« Pierre Dupong: »Man braucht nicht zu viel luxemburgische Literatur in einem internationalen Sender.«80 Die Fédération Nationale Luxembourgeoise des Sociétés de T.S.F., die damals 8000 Mitglieder zählte81, hatte zum Zeitpunkt der Kammerdebatten einen vierseitigen Brief an Finanzminister Pierre Dupong adressiert und in Kopie an alle Kammerabgeordneten geschickt. Mit diesem Schreiben stellte die Vereinigung sich vehement gegen das Radioprojekt und äußerte in diesem Kontext grundsätzliche Bedenken, ob luxemburgische Kunst und Literatur im Radio grenzüberschreitend vermittlungswürdig sei: »Unsere künstlerischen und literarischen Werke, die einen berechtigten Anspruch auf ein etwas anständiges Niveau haben, können an den Fingern abgezählt werden. […] Ohne Zweifel ist es lobenswert, die Stimme Luxemburgs zu Gehör zu bringen, aber man muss sicher sein, auch eine gute Figur abzugeben. Es ist allerdings viel eher zu befürchten, dass ein Sender, der Programme mit Luxemburger Werken, umrahmt von Vorträgen, ausstrahlt, uns auf die Dauer nur die einstimmige Verhöhnung des großen internationalen Publikums einbringen wird. […] Das zum Ausland hin weit geöffnete Fenster, das sie vor dem Ersticken in einem zu kleinen Milieu – unter dem wir noch immer leiden – bewahrt hat, steht in Gefahr, brutal für immer verschlossen zu werden.«82

Émile Reuters Festrede bei der Grundsteinlegung Wie artikulierte sich angesichts der Vermischung französischer und luxemburgischer, privater und staatlicher, nationaler und internationaler Interessen das Selbstbild, das Radio Luxemburg der Öffentlichkeit vor Sendebeginn präsentierte? Bei der Grundsteinlegung am 7. Oktober 1931 in Junglinster – dem ländlichen Ort, an dem die gigantische Sendestation gebaut werden sollte – war es der luxemburgische Politiker Émile Reuter, der die Festrede hielt. Er war zugleich Präsident des Verwaltungsrates von Radio Luxemburg sowie Präsident der Abgeordnetenkammer und langjähriges Mitglied der Rechtspartei. Diese Rede richtete er erwartungsgemäß vorrangig an die luxemburgische Bevölkerung, in der er offensichtlich Skepsis gegenüber dem Radioprojekt witterte. Sie liest sich wie eine lange Rechtfertigung. Reuter hob die vielen Vorteile hervor, die Luxemburg durch das Radio künftig zu296

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gutekommen würden. Gleich in den einleitenden Sätzen bezeichnete er die Station als »den Interessen des Vaterlandes treu dienend« sowie als »ein Werk von nationalem Interesse« und die zu erwartenden zukünftigen Programme als »im Wesentlichen repräsentativ für die luxemburgische Geisteshaltung«.83 Was er unter Letzterer verstand, präzisierte er: »Wer luxemburgisch sagt, meint unabhängig, wir haben diese Geisteshaltung angenommen, und wir haben vor, in perfekter Harmonie mit der Staatsgewalt des Landes zu arbeiten.« Eine solche Definition des ›Volksgeistes‹ war in Luxemburg in weiten Teilen der Bevölkerung konsensfähig: Bereits im Liedrefrain der ersten Nationalhymne Luxemburgs, De Feierwôn (1859, Text und Musik: Michel Lentz, L), wird luxemburgische Identität an erster Stelle als ein stark ausgeprägter Unabhängigkeitswille beschrieben: »Kommt her aus Frankreich, Belgien, Preußen, wir wollen euch unsere Heimat zeigen, fragt nach allen Seiten hin, wir wollen bleiben, was wir sind.« Reuter nutzte diese Definition, um die international-europäische Ausrichtung der Station in Einklang mit den nationalen Interessen zu bringen. In ähnlicher Weise argumentierte Reuter drei Jahre später in seiner Festrede anlässlich eines Banketts von Radio Luxemburg, als er den Wunsch äußerte, »daß Radio-Luxemburg immer in voller Harmonie mit der luxemburgischen Seele und in vollem Einverständnis mit der öffentlichen internationalen Meinung bleibe.« (T 17.3.1936, S. 3) Von der »von allen politischen, lokalen und persönlichen Rücksichten unbeeinflussbare[n] Internationalität« als einer »der besten luxemburgischen Nationaleigenschaften überhaupt« war auch der namentlich nicht unterzeichnende Rundfunkkritiker – vermutlich Evy Friedrich – überzeugt (T 19.9.1936, S. 9). Zwei Monate später, am 28. November 1936, schreibt Friedrich im Escher Tageblatt: »Wir dürfen bei allen nationalen Unternehmen das Internationale nicht aus den Augen verlieren, wenn wir wahrhaftig luxemburgisch sein wollen.« Nach Reuter konnte die Radiostation die kleine Stimme Luxemburgs verstärken, »auf dass sie endlich zur großen Stimme des luxemburgischen Volkes wird, das nie aufgehört hat, der Welt sein Existenzrecht und seine glühende Liebe für Unabhängigkeit und Freiheit zu verkünden«, so in seiner Rede. Im Radio sah er ein »wunderbare[s] Sendemedium, durch das alle Völker andauernd in Kontakt untereinander sind«. Der luxemburgische Sender sollte sich daher vor allem verpflichtet fühlen, pazifistisch zu wirken und der Völkerverständigung zu dienen: »Seine mysteriöse und mächtige Stimme gleitet geräuschlos durch den Äther, um in Tausenden von Millionen Haushalten zu erklingen; sie kann Wahrheit oder Irrung verbreiten, sie Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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kann Zwietracht sähen, aber sie soll den Frieden predigen.« Dieser blumige Satz spielt auf einen weiteren im Kontext der luxemburgischen Identitätsfindung bedeutenden Diskurs an, den der besonderen Eignung Luxemburgs als Vermittler zwischen den Nationen, in erster Linie zwischen den mächtigen Nachbarn Deutschland und Frankreich.84 Im Mittelteil seiner Rede benannte Reuter die konkreten Interessen für Luxemburg: Als primär stufte er die industriell-wirtschaftlichen Interessen ein, denen eine europäisch ausgerichtete Sendestation dienen könnte. Einen Nutzen für die luxemburgische Bevölkerung sah er – hier in der Reihenfolge ihrer Nennung – in den Wetterprognosen für die Landbevölkerung, im Bildungsangebot für Lehrer und schließlich in der Unterhaltung: »Schließlich besteht der umfangreichste Teil zukünftiger Sendetätigkeiten unserer Station aus Unterhaltungssendungen. Denn, wenn es auch das erste Ziel des Rundfunks ist, schnell zu Hause zu informieren, ist es unentbehrlich, dass es den Haushalten auch die verdiente Zerstreuung bringt, die so notwendig ist, um angesichts der in unserer unruhigen Epoche besonders bitteren täglichen Anstrengungen ihnen einen Halt zu geben.« Im Rahmen der Unterhaltungssendungen erwähnte er auch die Musik und die Literatur: »Literatur und Musik teilen sich, in vernünftigen Proportionen, acht Stunden von Sendungen dieser Art, acht Stunden, die dafür da sind, das Beste der Schöpfungen des menschlichen Genies auszustrahlen, ohne nationalen Unterschied, vorausgesetzt dass diese Produktionen ihrer Bestimmung gerecht werden: der Bildung und Zerstreuung der Familie zu dienen.« Wie der Staat im Lastenheft des Konzessionsvertrags zählte Reuter die Vermittlung von Musik, Kunst und Literatur aus Luxemburg nicht zu den ›nationalen Interessen‹ dienenden Aufgaben des als ›national‹ proklamierten Senders. Ob man aus dem Zusatz des letzten Zitats – »ohne nationalen Unterschied« – herauslesen sollte, dass Kulturschaffen aus Luxemburg nicht ausgeschlossen werde, bleibt fraglich. Konkret benannte Reuter den Nutzen des Kulturtransfers vor allem in der anderen Richtung, von außen nach innen, indem er hervorhob, dass durch die Übertragung der »hochwertigsten künstlerischen Veranstaltungen aus ganz Europa« die Luxemburger »in engen Kontakt mit den großen Kulturzentren« kämen. Pressereaktionen: Der blamable Schreihals aus Luxemburg … Während das konservative Presseorgan, das Luxemburger Wort, keinen Kommentar zur Feier ablieferte, war die Reaktion auf Reuters Rede in der linken 298

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Presse äußerst vehement. Auf der Titelseite des Escher Tageblatts erschien am 21. Oktober 1931 ein langer Beitrag unter dem Titel »Radio=Größenwahn«. Im Gegensatz zu Reuter brachte der Kommentator die ›nationalen Interessen‹ diesmal offen in Verbindung mit einer möglichen, aber nicht wünschenswerten grenzüberschreitenden Vermittlung luxemburgischer Kulturproduktion: »Und doch behauptet Herr Reuter, dass diese Station den luxemburgischen Geist in die Welt tragen wird. Gott sei Dank! Die Welt hatte das nötig. Luxem­burg, der Nabel der Erde, läßt was von sich hören. Wir, volksmäßig knapp so groß wie ein Vorörtchen Londons, wir werden der Welt durch unsere Tenöre, Konzertdirektoren, Wirtschaftsführer, Virtuosen aller Art, Gelehrten und dergleichen mal zeigen, wer wir sind! Wenn das nicht Megalomanie ist! Jedem Psychiater würden diese Anzeichen schon recht bedenklich scheinen. Auf diesen luxemburgischen Geist pfeift das Ausland und ärgerlich wird der Amateur in 2000 Kilometer Umkreis die Welle Luxemburg ausschalten, sobald unsere einheimischen Matadoren erscheinen. Um während 365 Tagen mindestens eine Stunde täglich einen Sender mit Spezialisten und Künstlern zu versorgen, dazu gehört schon der Rückhalt einer Großstadt, und keineswegs ist Großluxemburg, wo sich die Eulen schon um 8 Uhr abends gute Nacht sagen, in der Lage, auch das allermindeste zur Versorgung eines Großsenders beizutragen, von dem, was das Ausland schätzen würde. Der Schreihals aus Luxemburg wird das ›enfant terrible‹ der benachbarten Länder werden. […] Allerdings scheint man die einheimische Produktion größtenteils durch Relais-Sendungen ausländischer Großsender zu ersetzen. Wo bleibt da ›la grande voix du peuple luxembourgeois‹, die sich hoffentlich nicht zu oft hören lässt, um die Blamage über uns zu bringen! […] Nationales Übermenschentum hat das Ländchen mit einer großen Klappe versehen, die uns und unsern Nachbarn bald zum Überdruss wird.« (T 21.10.1931, S. 7)

Solche skeptischen Äußerungen über den Wert kultureller und intellektueller Produktion aus Luxemburg, wenn diese die territorialen Grenzen überschreitet, waren kein Einzelfall. Ein Jahr später, am 7. Oktober 1932, schrieb die Journalistin und Schriftstellerin Carmen Ennesch in dem Artikel »Politische Fragen zu Radio-Luxemburg«: »Das Großherzogtum Luxemburg ist ein zu kleines Land, um ein eigenes intellektuelles Leben zu haben und es hat nie hierfür eine solche Anmaßung gehabt. Es hat immer seine Grenzen weit den kulturellen Strömungen des Westens und des Ostens aufgemacht, wodurch es vermieden hat in einem engen Regionalismus und einen kleinlichen ParInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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tikularismus zu versinken.« (T 7.10.1932, S. 4) Nur vereinzelt meldeten sich Stimmen zu Wort, die, wie die Arbeiterpartei anlässlich der Kammerdebatten 1931, z. B. Beschäftigungen für Musiker aus Luxemburg im Orchester forderten.85 Aber auch solchen Stimmen wurde mit Skepsis begegnet, so liest man im Escher Tageblatt als Reaktion auf diese Forderung: »Wir verstehen nämlich sehr wohl (und dies ist auch der ›Hörer‹-Standpunkt!), dass der verantwortliche Orchesterleiter des neuen Großsenders darauf hält, etwas in den Raum zu funken, das in künstlerischer Hinsicht einwandfrei ist, und nicht etwa irgend einen ungenießbaren musikalischen Brei, der uns draußen in der Welt nur blamieren kann. (Ist das etwa der Zweck der Übung?)«86 Internationale Spannungen Letztlich führte die Gründung von Radio Luxemburg zu einem europäischen Interessenkonflikt. In den 1930er Jahren, einer Zeit, in der in vielen Ländern der Nationalismus erneut erstarkte, setzte sich allmählich das Modell des staatlichen Radios als ein Medium nationaler Integration und als öffentliche Dienstleistung für die Landesbevölkerung durch (Spohrer 2008). In dieses Denkschema passte, dass die zwei großen internationalen Vereinigungen, die private UIR (Union internationale de radiophonie, Vorgängervereinigung der heutigen EBU, European Broadcasting Union) und die zwischenstaatliche ITU (International Telecommunication Union), die Wellenlängen, die sie auf europäischem Niveau zu regulieren versuchten, jeweils nach der Größe der nationalen Territorien berechneten. Dass die luxemburgische Regierung sich eigenmächtig eine Wellenlänge zuteilte, die einen ungleich größeren Senderadius hatte als den, der laut UIR und ITU dem Land zustand, führte zu einem mehrjährigen Konflikt, an dem sich internationale Radiovereinigungen, europäische Radiostationen, allen voran die britische BBC, sowie diplomatische Dienste verschiedener Regierungen beteiligten, wovon eine in den luxemburgischen Nationalarchiven aufbewahrte umfangreiche internationale Korrespondenz zeugt.87 Radio Luxemburg, mit der starken Unterstützung der Regierung, ließ sich davon nicht beirren und hielt an der selbst gewählten Wellenlänge fest. Bei Sendebeginn im März 1933 sah sich die Regierung genötigt, eine Stellungnahme zur Station, vor allem zu deren Internationalität und der dafür gewählten Wellenlänge, an die ausländischen Regierungen zu verschicken. Insgesamt vier verschiedene Versionen wurden ausgearbeitet. In der ersten und zweiten Entwurfsfassung des Postministeriums wurde zuerst selbstbewusst vor allem 300

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die Originalität eines europäischen und eben nicht nationalen Senders und die Notwendigkeit einer internationalen Station für eine europäische Völkerverständigung hervorgehoben: »Europa hat tatsächlich kein internationales Rundfunkzentrum mit großer Sendekapazität, das allen Ländern zur Verfügung gestellt werden kann, um ihrem intellektuellen und künstlerischen Wachstum und ihrer gegenseitigen Durchdringung durch eine weite Verbreitung von Ideen und künstlerischen Werken in einem Geist strikter Objektivität und mit allen wünschenswerten Garantien politischer und konfessioneller Neutralität zu dienen. […] Es ist darauf hinzuweisen, dass alle bisher gegründeten Rundfunkanstalten in erster Linie ihren Programmen einen rein nationalen Charakter geben. Im Prinzip sind sie nur für Zuhörer im eigenen Land bestimmt. […] Unser Land ist ein neutraler Staat, der alle wünschenswerten Garantien politischer Unparteilichkeit geben kann und sehr gut in der Lage ist, den besten internationalen Dienst zu gewährleisten.«88

Dass dieses Dokument in weiten Zügen vermutlich vom Sender selbst entworfen worden war, legen die mit der offiziellen Pressemitteilung von Radio Luxemburg bei Sendebeginn verwandten Wortformulierungen nahe: »RadioLuxemburg will eine ›europäische‹ Station sein, welche versucht, den Hörern der verschiedenen Länder die Meisterwerke der Kunst und der Kultur aller Nationen zu vermitteln, um den Bürgern des alten Europa zu gestatten, sich besser kennen zu lernen und das in voller Objektivität und in einem Geiste absoluter politischer und konfessioneller Unparteilichkeit, wie es die offizielle Neutralität des Großherzogtums gewährleistet.« (T 14.4.1933, S. 8) In der politisch angespannten Situation kritisierte das Außenministerium den Text allerdings: »Man könnte es tatsächlich so interpretieren, als würde die Regierung sich zu aktiv in die alltäglichen Geschäfte des Senders von Junglinster einmischen. […] Der Textentwurf kritisiert die zu nationale Form, in der ausländische Stationen betrieben werden. […] Das könnte verschiedene ausländische Staaten verletzen, vor allem aktuell Deutschland, wo die neue rassistische Regierung sich vollständig des Rundfunks bemächtigt hat, […] man sollte unserem Posten nicht zu große Bedeutung beimessen und nicht zu laut behaupten, dass es nur uns zu verdanken sei, dass ›die wesentlichen intellektuellen und künstlerischen Darbietungen aus jedem Land‹ von allen europäischen Hörern

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gehört werden können. Man könnte uns Überheblichkeit vorwerfen, und das würde die Konkurrenz verletzen.«89

Das Außenministerium erarbeitete daraufhin einen neuen Entwurf, der vom Postministerium gutgeheißen und schließlich an den Staatsminister mit der Bitte zur Weiterleitung an die ausländischen Regierungen geschickt wurde. Für die Schaffung der Station wurden nun an erster Stelle nationale Gründe vorgebracht: »der Luxemburger Bevölkerung die Wohltaten dieses modernen Bildungsmittels zukommen lassen und gleichzeitig eine Sendestation von internationalem Charakter aufbauen«. Reichweite und Internationalität, als Luxemburgs »bescheidener« Beitrag zu einer »internationalen Verständigung« gewertet, wurden nur mehr an zweiter Stelle erwähnt.90 Die heftigen Reaktionen europäischer Nationalstaaten und Radiovereinigungen auf die ›unorthodoxe‹ Selbstkonstruktion Radio Luxemburgs als transnationaler neutraler Medienanbieter interpretiert Jennifer Spohrer vor allem als eine Kristallisierung von »Ängsten« vor der Unkontrollierbarkeit des grenzüberschreitenden Mediums: »Transnational media can circumvent or weaken attempts to control what citizens see, read, and hear.« »The battle over Radio Luxembourg was therefore a conflict not only over how broadcasting was to be organized, but also over how European communities would be formed and who would have control over national markets for loyalties. […]. Although Radio Luxembourg’s opponents did not succeed in forcing it to abandon its international commercial broadcasting model, in the process of trying they did manage to establish national public broadcasting as the European norm and to strengthen mechanisms for collective enforcement of that norm.«91

Luxemburg in Europa: ›international‹ und ›populär‹ In der Gründungsphase war es vor allem darum gegangen, einen Konsens zwischen unternehmerisch-privaten und staatlichen sowie französischen und luxemburgischen Interessen zu finden. In welcher Form das Verhandelte später in einem Radioprogramm umgesetzt wurde, hing einerseits davon ab, welche konkreten Auflagen Verwaltungsrat und Direktionskomitee92 ihren RadioproduzentInnen gaben, und andrerseits davon, wie stark und aktiv der luxemburgische Staat über die von ihm eingesetzte Programmkommission die Kontrolle ausübte. 302

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Der Verwaltungsrat definierte in der Versammlung vom 16. Mai 1933 die »allgemeinen Prinzipien« des Senders wie folgt: »Radio Luxemburg will eine große internationale Station sein, die sich dafür einsetzt, mittels eines Austauschs von Ideen und künstlerischen Schöpfungen und einer unparteiischen Darstellung wirtschaftlicher Themen eine Solidarität zwischen den Völkern zu schaffen, die die sicherste Garantie für den Erhalt des Friedens ist. Durch eine enge Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen, durch das Senden von ›Internationalen Tagen‹, die abwechselnd und in perfekter Neutralität und unter Ausschluss jeglicher Politik unseren Posten allen Kulturkreisen zur Verfügung stellt, und durch die Heranbildung in einem riesigen Umkreis um unsere Antenne von Hörerkreisen aus den unterschiedlichsten Ländern und in einer Gesamtanzahl in Millionenhöhe wollen wir die guten Handlanger einer Annäherung zwischen den Völkern sein.«93

Der doppelte Schwerpunkt der Programmpolitik – »sowohl dem nationalen Charakter wie dem eines großen internationalen Senders Rechnung tragen«94 –, der immer wieder in Texten zum Ausdruck kommt, scheint auf den ersten Blick kein gleichgewichteter zu sein. Ohne Zweifel spielte die europäische Ausrichtung, die über lange Jahre hinweg in den Diskursen zur Mission und Ideologie von Radio Luxemburg hochstilisiert wurde, in der Programmpolitik die zentralere Rolle. Die zunehmende Kriegsbedrohung brachte es mit sich, dass der Sender diese Bemühungen im Laufe der 1930er Jahre weiter intensivierte. Knapp fünf Monate vor der kriegsbedingten Einstellung der Sendetätigkeit im Herbst 1939 heißt es in einem Bericht des Verwaltungsrats: »Unsere beständige Besorgnis um eine intellektuelle und moralische Annäherung, eine bessere Völkerverständigung, zeigt sich insbesondere durch die Schaffung internationaler Sendungen wie ›Jeunesse du Monde‹, ›Loisirs du Monde‹, ›L’Amitié internationale‹. Allein die Ermutigungen, die man uns entgegenbrachte, würden uns anhalten, in dieser Richtung weiterzugehen, wenn nicht die aktuelle schwierige Lage uns ohnehin dazu verpflichten würde.«95 Der ›nationale Charakter‹ spielte vor allem eine Rolle in dem Sinn, dass die ›Luxemburgizität‹ so definiert wurde, dass diese in der europäischen Mission aufging. Dass der Staat diesen Schwerpunkt und die daraus abgeleitete Programmpolitik grundsätzlich guthieß, zeigt dessen Zurückhaltung in der Kontrolle. Die Programmkommission wurde nur »bei Bedarf« zu einer Versammlung einberufen.96 Der neue Sender konnte Luxemburgs ›Neutralität‹ und Eignung zu einer europäischen Vermittlerrolle weit hörbar Ausdruck Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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verleihen, was die Position und Bedeutung des Landes stärken und dabei helfen konnte, in einem zukünftigen internationalen Konflikt die noch immer bedrohte Unabhängigkeit zu wahren. Wesentlich später, 1961, im Kontext der sich anbahnenden Kubakrise, beschrieb der damalige Programmdirektor Jean Luc diese »von ihrem Wesen her doppelte national-europäische Berufung« des Senders gar mit einer militärischem Metapher: »Da das Großherzogtum eine Pionierrolle in der europäischen Koordination spielt, ist es erlaubt, […] die mächtige Antennenbatterie auf luxemburgischem Territorium als eine Art pazifistische Panzerartillerie zu betrachten, die einer Bündelung natürlicher Freundschaften und Kulturen dient.« (Luc 1961, S. 67 f., F) Und Émile Reuter, immer noch Präsident von RTL, nutzte in demselben Heft, um die pazifistische Mission des von ihm mitgeschaffenen Radios zu beschreiben, ebenfalls eine kriegerische Metapher, die eines »Kreuzzugs für die Vereinigung Europas« (Reuter 1961, S. 14, F). Für die Umsetzung des Grundkonzepts in ein Programmraster97 mit einer bestimmten Anzahl von charakteristischen Sendungen waren bezahlte Fachkräfte verantwortlich. Sie konnten, wenn ihnen Spielraum zur Verfügung gestellt wurde, die Identität des Senders stark mitprägen. In erster Linie soll hier jenen Divergenzen zwischen Konzeptplanung und Konzeptumsetzung nachgespürt werden, die die ursprünglich nicht oder kaum vorgesehene mediale Vermittlung musikkultureller Produktion aus Luxemburg betrifft. Denn erst durch diesen Umschwung wurden Hörräume für die Musik Kosters geöffnet. An der Spitze des Senders standen zwei Franzosen, Jacques LacourGayet, Verwaltungsrat-Delegierter, und Jehan Martin, Direktor. Martin war – unter der Aufsicht von Lacour-Gayet – verantwortlich für die Gesamtausrichtung des Programms.98 In seinem ersten Konzept, das Martin dem Verwaltungsrat knapp eine Woche nach seiner Nominierung präsentierte, definierte er die zwei zentralen Achsen, um die herum das Programm gestaltet werden sollte: »Internationalität« und »Popularität«.99 Als erste konkrete Umsetzung dieses Doppelziels konzipierte er die Sendung der »Soirée nationale«, die allabendlich abwechselnd immer einem anderen europäischen Land gewidmet werden sollte und die in den zwei ersten Jahren bei Radio Luxemburg eine bedeutende Rolle spielte. In diesem Rahmen wurde formal ein großzügiger Hörraum für Musik und Kultur aus Luxemburg geschaffen, und in den ersten zwei Jahren erklangen in dieser Sendung häufig Kompositionen von Koster. Die Sendeinhalte wurden aber nicht nur in Luxemburg, sondern auch in London und vor allem in Paris produziert. Während in London fast aus304

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schließlich sogenannte Werbekonzerte (›émissions patronnées‹) aufgenommen wurden, wurden im Pariser Studio von Radio Luxemburg, neben solchen, Sendereihen zu Themen wie Theater, Kino, Wissenschaft von französischen Journalisten, Schauspielern, Filmkritikern, SchriftstellerInnen produziert. So war beispielsweise Jean Cocteau bei Radio Luxemburg häufig mit eigenen Radiobeiträgen zu hören.100 Musik bei Radio Luxemburg Für die in Luxemburg produzierten Musikprogramme zeichnete der am 1. Januar 1933 als Orchesterdirigent engagierte gebürtige Luxemburger Henri Pensis verantwortlich. Pensis wurde am 10. Dezember 1934 offiziell zum musikalischen Programmleiter des Senders (›chef des services artistiques‹) ernannt, obwohl er die Tätigkeit seit Sendebeginn ausführte.101 Aus der von Felten erstellten Personalaufstellung wird ersichtlich, dass er in den 1930er Jahren allein für das musikalische Programm zuständig war, im Musikbereich arbeiteten neben ihm nur die OrchestermusikerInnen.102 Pensis hatte am Konservatorium in Luxemburg und anschließend am Brüsseler Konservatorium und an der Kölner Musikhochschule bei Maurice Duparloir, César Thomson und Bram Eldering Violine studiert. In Köln studierte er zusätzlich bei Hermann Abendroth Orchesterleitung und bei Philipp Jarnach Komposition. Danach hatte er in Deutschland als Geiger sowie Konzertmeister und stellvertretender Chefdirigent im Kleinen Rundfunkorchester des Senders Langenberg der Westdeutschen Rundfunk AG (WERAG) mit Sitz in Köln gewirkt.103 Am 15. Juli 1933 trat er mit seinem neuen, damals 17-köpfigen Orchester Radio Luxemburg, das sich im Laufe der Jahre kontinuierlich vergrößerte, erstmals vor das Mikrofon.104 Das Orchester spiegelte die intendierte europäische Internationalität wider: In ihm wirkten im Gründungsjahr MusikerInnen aus Polen, Belgien, Deutschland, Frankreich, der Tschechoslowakei und Luxemburg. Wenn auch die alltägliche praktische Arbeit des Musikdirektors durch den Quellenverlust weitgehend im Dunkeln bleibt, informieren doch die Radioprogramme über die Ergebnisse dieser Arbeit, während die überlieferten Versammlungsberichte des Verwaltungsrates und des Direktionskomitees Informationen zu den Vorgaben enthalten, nach denen sich die RadioproduzentInnen zu richten hatten. Am 15. März 1933 begann Radio Luxemburg mit der Sendetätigkeit.105 Um eine Vorstellung von den Musiksendungen, in die die Musik von Lou Koster bald Eingang finden sollte, zu bekommen, soll im Folgenden das Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Musik­programm des ersten Sendetags quantitativ erfasst werden. An diesem Tag wurde einzig die Musik aus Luxemburg in einer nationalen Sendung zusammengefasst, während die anderer Komponisten in international gemischten, jeweils nach Musikgenre zusammengestellten Programmen gespielt wurde. Insgesamt lag der Programmanteil der Musiksendungen bei 77  %, was – beispielsweise im Vergleich mit französischen Radiostationen (im Schnitt 60 %) – als ziemlich hoch zu gelten hat.106 Rund 35 % der gesamten Musiksendezeit waren dabei der ›musique légère‹, jeweils 19 % der ›klassischen‹ Orchestermusik sowie der romantischen Kammermusik, 13,5 % der ›musique de danse‹ (wozu auch der Jazz zählte) und 13,5 % luxemburgischen Liedern, Märschen, Operettenarien und Potpourris gewidmet.107 Die ›geografischen Räume‹, denen die im Programm erwähnten zu 100 % männlichen Komponisten zuzurechnen sind, waren ausschließlich europäisch, fünf Komponisten stammten aus Luxemburg, jeweils zwei aus Frankreich, Österreich und Norwegen sowie jeweils einer aus Deutschland, England, Italien und den Niederlanden.108 Zu bemerken wäre erstens, dass Musik aus Luxemburg einen erstaunlich hohen Anteil an der Gesamtsendezeit einnahm – das aber nur am ersten Sendetag –, und zweitens, dass die sogenannte ›klassische‹ Musik (Orchester- und Kammermusik) mit 38 % der Gesamtsendezeit für ein kommerzielles Radio, das sich ›populär‹ geben wollte, sehr gut vertreten war. 1961 erklärte Gust Graas, damals Generalsekretär von RTL/C.L.T., in seinem historischen Rückblick diesen hohen Anteil an »guter Musik« (sic) bei Sendebeginn mit dem Bestreben Radio Luxemburgs, »Meisterwerke« zu popularisieren und vor allem jenen Schichten zugänglich zu machen, die bisher kaum Zugang zu dieser Hochkultur hatten: »Radio Luxemburg, mit anderen Stationen, aber besser noch als diese, brachte der Musik, was der Buchdruck der Literatur schenkte, ein wunderbares Mittel, die Meisterwerke zu popularisieren.« (Graas 1961, S. 37 f., F) Ein solcher Diskurs sollte sich dann in die rege Debatte der Zwischenkriegszeit über das Radio als ein Instrument zur Demokratisierung von Kultur, Bildung, Musik einschreiben. Musik war generell ein wichtiges Thema der Versammlungsberichte sowohl des Verwaltungsrates wie des Direktionskomitees. Wenn in diesen Gremien über Musik gesprochen wurde, dann vor allem in einem engen Bezug zu den anvisierten Inserenten und den HörerInnen. Trotz aller idealistischen Diskurse über Volksbildung, Radiopädagogik, europäische Völkerverständigung waren die HörerInnen vor allem aus einem lukrativen Grund für Radio Luxemburg von Bedeutung. Um Inserenten zu gewinnen, musste die Station nicht nur über eine weite Erreichbarkeit verfügen, sondern vor allem eine hohe Publikumsresonanz aufweisen können. 306

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Man baute, um die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen einer breiten Zuhörerschaft zu bedienen, auf die »Formel extremer Varietät« mit »außergewöhnlich glänzenden Programmen in diversen Genres«.109 Das Direktionskomitee mahnte wiederholt, dass eine größere Musikvielfalt notwendig sei, um mehr Einnahmen durch Werbung zu bekommen, vor allem sollte der musikalischen ›Folklore‹ und der ›leichten Musik‹ (»musique légère«) mehr Raum gegeben werden.110 »Abwechselung« und »Mannigfaltigkeit« wurde ebenso in Pressemitteilungen immer wieder als die »erfolgreiche Formel« von Radio Luxemburg gepriesen.111 Dass es im ersten Sendejahr zumindest in der luxemburgischen Öffentlichkeit tatsächlich kritische Stimmen zu der zu ›ernsten‹, zu ›schweren‹ (»schwéier«, Doppelbedeutung im Luxemburgischen: schwer und schwierig) Musik von Radio Luxemburg gegeben haben muss, zeigen zwei Karikaturen von Albert Simon, die 1934 in zwei verschiedenen Ausgaben der A–Z Luxemburger illustrierte Wochenschrift veröffentlicht wurden.112 Der Verwaltungsrat hielt fest: »Radio Luxemburg hat darauf bestanden, an der traditionellen Diversitätsformel, die ihm durch die Sorge, ein breites internationales Publikum zufriedenzustellen, diktiert wird, festzuhalten. Zu den klassischen Konzerten, die sich der Verbreitung der großen symphonischen Werke widmen, kommen Operetten, komische Opern, Theaterstücke, Sketche und Music-Hall-Chansons hinzu.«113 Der hohe Prozentsatz an ›klassischer‹ Musik wurde daher mit der Zeit zurückgeschraubt. »Ab 1936 wurden die Programme leichter, noch abwechslungsreicher, luftiger oder, wenn man will, liebenswerter und menschlicher. Die leichte Musik knabbert an der Antennenzeit, die für die klassische Musik reserviert war.« (Graas 1961, S. 38, F). Diese Tendenz entsprach einer internationalen Entwicklung im Radio (Bennet 2010, S. 26). Die Berichte des Verwaltungsrates und des Direktionskomitees zeigen deutlich, dass Sendungen immer nur ›versuchsweise‹ ausgestrahlt wurden. Ob, und wenn ja, wie lange an ihnen festgehalten wurde, hing vom Zuspruch der breiten Radiozuhörerschaft ab. Das Programmraster musste flexibel bleiben und wurde häufig umgestaltet. Konkret wurde der Erfolg von Sendungen an den Stimmen aus der Hörerpost gemessen. So waren es beispielsweise die seit Sendebeginn in den ersten 48 Stunden eingegangenen 400 Briefe (aus England, Belgien, Holland, Deutschland, Polen etc.), die ausschlaggebend dafür waren, an dem Konzept der versuchsweise ausgestrahlten ›Soirées nationales‹ festzuhalten.114 Knapp einen Monat nach Sendebeginn waren insgesamt 3000 Briefe, »nahezu alle lobend«, eingegangen.115 Nach den ersten sechs Monaten konnte Radio Luxemburg auf nicht weniger als 6504 Leserbriefe zurückgreifen. Aus ihnen wird auch ersichtlich, dass die Station in kurzer Zeit das anviInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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sierte europäische Publikum tatsächlich auch erreichte: 2799 Briefe stammten aus Deutschland, 857 aus den Niederlanden, 772 aus Frankreich, 728 aus Belgien, 522 aus England und Irland, 214 aus Luxemburg, 205 aus der Schweiz und insgesamt 400 aus anderen europäischen Ländern.116 Um den Kontakt mit der Hörerschaft zu intensivieren, wurde am 16. März 1936 schließlich die Amicale der luxemburgischen Radiofreunde gegründet (T 17.3.1936, S. 3). Im Gegensatz zum Konzertsaal hatten HörerIn­nen beim kommerziellen Radio, wenn auch seitens des Unternehmens aus eigennützigen Gründen, also ein Mitspracherecht. ›Kultur‹ und ›Musik‹ wurde generell im kommerziellen Radio zunehmend nicht mehr ausschließlich von oben diktiert und als universelle Bildung verabreicht. Ein Journalist des Luxemburger Worts kommentierte dies folgendermaßen: »Es gibt kein Unternehmen, das im selben Maße an den Weg baute, wie gerade die Radiogesellschaft. Ihre Kundschaft ist die große Öffentlichkeit und nur diese, so daß ihre ganze Betätigung der Kontrolle der Allgemeinheit restlos unterliegt.« (LW 6.2.1931, S. 4) Als das eigentliche Herzstück – »einer der attraktivsten Teile« – des Programms galten dem Verwaltungsrat und den Aktionären die sogenannten »émissions patronnées«.117 Es handelte sich dabei um viertel-, halb- oder ganzstündige Radiokonzerte, die von einem Text- oder Musikwerbespot eingeleitet und jeweils von einem großen internationalen Unternehmen finanziert wurden.118 Auch die luxemburgische Regierung gehörte zu den Kunden, 1934 zahlte sie 90.000 Franken für Tourismuswerbung.119 Die Inserenten konnten dabei selbst bestimmen, mit welcher Musik, welchem Tanzorchester, mit welchem ›Star‹ sie für ihr Produkt werben wollten (Nichols 1983, S. 18). Während zumindest in den ersten Jahren einige der ›émissions patronnées‹ live aus Luxemburg gesendet wurden120, wurden diese ab 1936 von professionellen Agenturen in Paris und London komplett vorproduziert und auf Tonbändern bzw. Schallplatten per Zug bzw. Flugzeug ins Sendestudio nach Luxemburg transportiert. In der Pariser Agentur ›Information & Publicité‹, die u.a. für Radio Luxemburg produzierte, war es der surrealistische Schriftsteller Robert Desnos, der die Werbetexte schrieb, während der in Paris lebende kubanische Musikwissenschaftler und Schriftsteller Alejo Carpentier zuständig für die musikalischen Konzepte war. Gelegentlich wurden auch Komponisten, wie beispielweise Darius Milhaud, mit der Komposition von Musikwerbespots beauftragt (Maréchal 2010, S. 73–94). In diesen WerbeRadiokonzerten waren bestimmte Musikgenres besonders beliebt: Operette, Chanson, umgetextetes französisches Volksliedgut, vor allem aber Tanzmusik.121 Dass dabei auch Musik aus Luxemburg eingesetzt wurde, zeigt das 308

Die Musik

›Concert offert par la Fabrique Nationale Radioélectrique de Bruxelles‹ mit der folgenden Programmangabe: ›Chansons wallones, flamandes et luxembourgeoises‹ (LW 4.9.1934, S. 5). Da die ›émissions patronnées‹ im Radioprogramm nur ausnahmsweise als solche gekennzeichnet waren, kann weder ausgeschlossen noch nachgewiesen werden, ob Kosters Musik, vor allem in der frühen Zeit, nicht auch in Werbesendungen gespielt wurde. Es gehörte zu Pensis Aufgaben, die Werbespots wie ›émissions patronnées‹ in das live in Luxemburg produzierte Musikprogramm einzupassen.122 Da eine Reihe von Musiksendungen nicht direkt von Inserentenwünschen abhängig waren, durften diese stärker von Pensis eigenen Gestaltungsideen geprägt werden. Auch wenn er sich prinzipiell nach den Hörerstimmen richten musste, bot sein Musikprogramm doch eine breitere Palette von Musikstilen für unterschiedliche Hörer an, so z. B. auch Barockmusik oder zeitgenössische Musik. Und dennoch färbten oder vielmehr ›tönten‹ die Musikfarben wie Stimmungen und Inhalte der ›émissions patronnées‹ unweigerlich auch den Kontext, in dem das restliche Musikprogramm, und somit auch Kosters Musik, gehört wurde. In direkter Wechselwirkung mit der florierenden finanziellen Situation des Radiounternehmens stieg der prozentuale Anteil der ›émissions patronnées‹ an der Gesamtsendezeit mit der Zeit immer mehr an. Proportional zu diesem Anstieg sank die Sendezeit für die nicht gesponserten, in Luxemburg produzierten und von Henri Pensis gestalteten Musikprogramme, in denen in erster Linie die Musik von Koster Aufnahme fand. Hier zur Illustration ein Blick in ein späteres Radioprogramm, das vom Mittwoch, dem 15. März 1939, genau sechs Jahre nach Sendebeginn und vier Monate vor der kriegsbedingten Sendeeinstellung (LW 14.3.1939, S. 9). An diesem Tag lag der Prozentsatz von Musiksendungen im Gesamtprogramm noch immer bei 66 %, also nur leicht unter dem der Anfangszeit. Etwas mehr als die Hälfte der Musikzeit wurde aber nun von den in England vorproduzierten Werbemusiksendungen, im Radioprogramm als ›englische Konzerte‹ betitelt, beansprucht sowie ein weiteres knappes Drittel von Schallplattenkonzerten mit leichter Musik. Das Orchester spielte an diesem Tag nur zwei ›Unterhaltungskonzerte‹ (7,5  %).123 Das einzige ›klassische‹ Live-Konzert war ein Liederabend des luxemburgischen Sängers Viktor Jaans mit Balladen und Liedern von Carl Loewe, Carl Bohm und Johannes Brahms (2,3  %). Einen weiteren Auftritt aus dem Studio von Radio Luxemburg bot die luxemburgische Band Andy Feltons Jazzquintett (2,85 %). Parallel zu dieser Entwicklung wurde Pensis mit seinen Radiokonzerten, Austausch-Radiokonzerten und vor allem öffentlichen Konzerten und GastInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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dirigaten im Ausland immer mehr zu einer Qualitätsreferenz des Senders und sein Orchester zu dessen Prestigeobjekt.124 Die Orchestersendungen, auch wenn sie an Sendezeit abnahmen, verloren daher nur bedingt an Bedeutung, sie wurden auch weiterhin zu den Spitzenzeiten in der Mittagsstunde und am Abend gesendet. Radio Luxemburg und Gender Während an der Konzeption und Gründung von Radio Luxemburg, mit der Ausnahme der einzigen, wenn auch finanziell gewichtigen weiblichen Aktionärin und Stimmberechtigten Germaine Hément125, ausschließlich Männer mitwirkten, änderte sich das Geschlechterverhältnis in der Umsetzungsphase dadurch, dass weibliches Personal eingestellt wurde, insbesondere als Radiosprecherinnen, und dass Künstlerinnen, wenn auch zahlenmäßig stark unterrepräsentiert, ihre Kunst im Radio vorstellen konnten. Obwohl in den 1930er Jahren in Europa das Thema weibliche Radiostimme noch immer äußerst kontrovers diskutiert wurde (McKay 2000, S. 22–26), legte man offensichtlich bei Radio Luxemburg von Beginn an Wert auf weibliche Sprechstimmen: Der erste Speaker überhaupt, der noch vor Sendebeginn eingestellt wurde, war die deutschgebürtige 24-jährige Schriftstellerin und Musikerin Eva Siewert, die fließend Französisch, Englisch und Deutsch sprach und bei Radio Luxemburg bald vielfältig tätig werden sollte: »Ich habe in der Zeit meiner dortigen Tätigkeit in fast allen Ressorts des Senders Einfluss genommen und war sowohl mit Programmzusammenstellungen wie musikalischen Einstudierungen, [dem] Aufbau des Schallplattenarchivs, der Bibliothek, Karteien, wie mit den Nachrichtendiensten, Übersetzungen, Verfassen von Vorträgen über alle Arten von Themen wie auch mit dem durchgehenden Ansagedienst in drei Sprachen beschäftigt. Der Sender hatte eine stark antifaschistische Tendenz.«126

In den ersten Jahren wirkten, neben Siewert, Pauline Roux-Chenon, Evelyn Wybrands und Mlle Kahn als ›speakerines‹ sowie Gaston-Louis Roux, Léon Moulin und Jean Bruck als ›speaker‹.127 Zu den für Radiovorträge eingeladenen prominenten Persönlichkeiten gehörten allerdings nur ausnahmsweise Frauen. In der Programmvorschau auf die Wintersaison 1934/35 werden beispielsweise 26 Vortragende genannt, darunter aber nur eine einzige Frau, die Gräfin de Durfort (LW 20.11.1934, S. 14). 310

Die Musik

Im Musikbereich lud Henri Pensis für Radioorchesterkonzerte auffallend häufig ausländische prominente Violinistinnen, Bratschistinnen, Cellistinnen, Pianistinnen und Harfenistinnen ein (Weber 1993, S. 13–197). In dem zu Beginn 17-köpfigen Orchester spielten zwei Frauen, die Geigerin Anny Hemmer und die Bratschistin Marie Braun. Das Rundfunkorchester spielte mitunter auch Werke von Komponistinnen. So stand beispielsweise die im französischen Radio meistgespielte Komponistin Cécile Chaminade bei Radio Luxemburg in den 1930er Jahren nicht weniger als 43 Mal, vor allem mit ihren Orchesterwerken, auf dem Programm.128 Pensis führte auch Orchestermusik und Instrumentalkonzerte von Henriette Renié, Renée Stae­lenberg, Germaine Tailleferre, Marcelle Soulage, Jeanne Bernard u.a. auf.129 Und im April 1938 setzte er die Übertragung eines Konzertes aus der Salle Gaveau in Paris auf das Programm, an dem Abend spielte die Komponistin und Pianistin Marguerite Roesgen-Champion eigene Werke und ihre Suite Junge Mädchen wurde von der Dirigentin Jane Evrard mit eigenem Orchester, Orchestre féminin de Paris, aufgeführt (LW 4.4.1938, S. 7).130 Zu den Komponistinnen aus Luxemburg, von denen, wenn auch wesentlich seltener als von Koster, Musik übertragen wurde, gehörten Helen Buchholtz sowie Frida SalomonEhrlich.131 Frauen wurden zunehmend auch als Radiozielpublikum wahrgenommen. Wie auch bei anderen Stationen wurden bei Radio Luxemburg spezielle Frauensendungen – vor allem am Morgen, am späten Nachmittag oder am Abend – gesendet, deren Inhalte aber bisher noch nicht weiter erforscht wurden. So gab es z. B. eine Musiksendung, die sich explizit an Frauen wandte: die Abend- und Morgensendung »Wunschplatten für unsere Hörerinnen«.132 In der Wintersaison 1935/36 wurde die tägliche ›Viertelstunde für die Frau‹ bzw. ›Stunde für die Frau‹ als Programminnovation eingeführt. Die einstündige Sendung hieß etwas später »Le passe-temps des dames et demoiselles« und wurde am Freitagabend ausgestrahlt. Bei ihr arbeiteten die beiden französischen Schriftstellerinnen Germaine Blondin und Henriette Willette ­ ouise mit.133 So stellte Blondin beispielsweise in dieser Sendung die Malerin L ­Lavrut vor und lud sie zu sich ins Studio ein (LW 13.5.1936, S. 8). Eine Woche zuvor war in derselben Sendung ein Interview mit der Opernsängerin Carlotta Zambelli zu hören (LW 2.5.1936, S. 11). In ihr interviewten die französischen Schriftsteller Paul Reboux und Maurice Bedel »berühmte Frauen und unbekannte Frauen, die Vedette und die anonyme Alltägliche, die [sic] Kinostar und die Kontrolliererin des Métro [sic, gemeint: U-BahnSchaffnerin], die große Schriftstellerin und die kleine Modistin«.134 Dass in diesen Sendungen wohl auch traditionelle Frauenbilder tradiert wurden, Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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zeigt das »Frauenfunk« betitelte Foto im Luxemburger Wort vom 19. Februar 1937, mit der Bildlegende »Die Sprecherin erklärt am Mikrophon die Frauenhandarbeiten«; zu sehen sind vier Frauen vor dem Radioapparat mit Handarbeiten in den Händen.135 Lou Kosters Musik bei Radio Luxemburg Musikauswahl – Interpreten – Sendekontexte Knappe sieben Monate nach Sendebeginn von Radio Luxemburg, am 4. Oktober 1933, stand erstmals eine Komposition von Lou Koster, die Walzer­ suite Moselträume, auf dem Radioprogramm. Nachweislich 46 Mal war es das Orchester Radio Luxemburg selbst, das mit Musik von Koster vors Mikrofon trat (siehe im Online-Anhang Tabelle Radio Luxemburg 3). Dass es vor allem ihre Orchestermusik war, die gespielt wurde, erklärt sich daraus, dass das Radioorchester im Rundfunk der 1930er Jahre eine Schlüsselfunktion hatte und symphonische Orchestermusik – vor allem zwischen 1930 bis 1935 – das meistgesendete Genre war.136 Zur Aufführung gelangten vier ihrer 21 Orchesterkompositionen sowie drei ihrer 31 Orchesterlieder. Der heute verschollene Marsch Keep smiling stand 21 Mal und die Walzersuite Lore-Lore 16 Mal auf dem Programm, andere Werke wurden jeweils nur ein einziges Mal gesendet. In der kurzen Zeit zwischen dem Sommer 1935 und dem Herbst 1936 spielte das nur etwas mehr als ein Jahr existierende Quintett Radio Luxemburg nachweislich 44 Mal Musik von Koster (siehe im Online-Anhang Tabelle Radio Luxemburg 4). Zu hören waren 13 verschiedene kammermusikalische Stücke, deren Existenz bis zum Fund dieser Aufführungsbelege komplett unbekannt war und die heute ausnahmslos alle als verschollen gelten. Aus den Titeln lässt sich herauslesen, dass es sich dabei größtenteils um Transkriptionen von Orchesterwerken gehandelt haben muss. In den Egodokumenten sowie auf Konzertprogrammen sucht man vergebens nach weiteren Hinweisen zu diesen Quintetten, die also scheinbar ausschließlich vom Quintett Radio Luxemburg gespielt wurden. Bei dem Ensemble handelte es sich um ein Bläserklavierquintett (Oboe, Klarinette, Horn, Fagott, Klavier), das von dem französischen Oboisten Maurice Louet geleitet wurde (LW 26.2.1935, S. 6). Louet hatte vor seiner Anstellung im Orchester Radio Luxemburg Englischhorn am ersten Pult im Koninklijk Concertgebouworkest in Amsterdam gespielt und war wegen der Ausschreibung einer Oboistenstelle beim Radio 312

Die Musik

nach Luxemburg übergesiedelt (Weber 1993, S. 396). Da das Orchester Radio Luxemburg zu dieser Zeit in den Bläsern einfach besetzt war, kann als Klarinettist Marc Braun, als Hornist ein Herr Lusardi (Vorname unbekannt, er wurde später als erster Hornist an der Mailänder Scala engagiert) und ab Dezember 1935 als Fagottist Georges Dugue identifiziert werden. Wer der Pianist war, ist nicht eindeutig festzustellen, da zu dieser Zeit zwei Pianisten im Orchester wirkten, der Sowjetrusse Alexander Zakin, der später vor allem eine internationale Karriere als Begleiter (u.a. z. B. von Isaac Stern) machte, und der Belgier René Delporte (Weber 1993, S. 396–399; Felten o.J., S. 31). Die Funktion des Quintetts war es, »das Rundfunk-Orchester in seinem täglichen Dienst zu entlasten« und »im großen Ganzen das gleiche Repertoire, das bis dato das große Stationsorchester erledigt hatte«, zu spielen.137 Neben der Instrumentalmusik war, wie bereits eingangs erwähnt, Kosters Vokalmusik damals vergleichsweise selten im Radio zu hören. In insgesamt nur 20 Sendungen wurden Lieder, Männerchöre sowie ein heute verschollenes Kinderchorstück gesendet (siehe im Online-Anhang Tabelle Radio Luxemburg 6, 7, 8). Oft standen nur ein oder zwei Lieder oder Chöre auf dem Programm. Am 3. Januar 1934 widmete Radio Luxemburg dem Liedschaffen Kosters allerdings eine eigene 25-minütige Sendung, in der Laure Koster die Lieder der Schwester sang und dabei von ihr selbst am Klavier begleitet wurde (T 3.1.1934, S. 6; LW 1.1.1934, S. 11). Laure Koster erinnerte sich: »Zu Anfangszeiten von Radio Luxemburg in der Villa Louvigny [Ort der Studios], ich war schon verheiratet […], da hab ich drei oder vier Lieder, Mélodies von Lou gesungen. Ich wurde von Lou begleitet. Ich habe nicht schlecht gesungen. Ich hatte eine liebe kleine Stimme, ich war Sopran. Ich hatte mich bei Frau Cornevin-Gully am Konservatorium in Gesang eingeschrieben, aber keine Prüfungen abgelegt.« (EI 7) Aus der Dauer der Sendung kann man ablesen, dass es mehr als drei bis vier Lieder gewesen sein müssen. Auch haben Recherchen im Konservatorium Luxemburg ergeben, dass Laure Koster sehr wohl am 25. Juli 1923 in Gesang ein Examen abgelegt hatte, eine ›2me mention‹ mit Auszeichnung (MKL: Examina-Berichte 1906–1923). Auch am 17. Juli 1937 wurde Lou Kosters Vokalschaffen in einer halbstündigen Sendung präsentiert. Die Musik von Koster wurde in verschiedene im Programmraster regelmäßig wiederholte Sendungen eingebettet (siehe im Online-Anhang Tabelle Radio Luxemburg 1). Die Liste mit den Sendetiteln lässt sich auf eine kleinere Anzahl unterschiedlicher Typen von Sendungen reduzieren. Eine erste übergeordnete Kategorisierung ergibt sich, wenn man, in Anlehnung an Hipfl, erst nur einmal nach der Konstruktion von »imaginären geopolitischen Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Räumen« fragt. Hier fällt auf, dass die Kompositionen Kosters überwiegend in Radiokonzerten, die luxemburgischer Musik vorbehalten waren, gespielt wurden (68-mal = 73 %). Im Folgenden sollen diese ›luxemburgischen‹ Sendungen knapp vorgestellt werden, und zwar in chronologischer Reihenfolge, die es erlaubt, die zeitliche Entwicklung mitzubeobachten. Die ›luxemburgischen‹ Musik- und Kultursendungen Luxemburg in Europa: Die Soirée luxembourgeoise im Kontext der Soirées nationales

Etwas mehr als zwei Jahre lang, vom Frühjahr 1933 bis Sommer 1935, widmete Radio Luxemburg seine täglichen Abendprogramme abwechselnd jeweils einem bestimmten europäischen Land. In der Anfangszeit war das Belgien am Dienstag, Luxemburg am Mittwoch, Deutschland am Donnerstag, die Niederlande am Freitag und – nicht zufällig an den besten Sendetagen – Frankreich am Samstag und England am Sonntag. Weitere europäische Länder – wie Polen, Italien, die Tschechoslowakei, Ungarn, Österreich, die Schweiz – teilten sich abwechselnd den Montagabend. Die Sendungen einer Soirée waren dabei jeweils in der Sprache des Landes, das im Fokus stand: »[Radio Luxemburg] kann alle Sprachen Europas sprechen, und seine Eisenmasten sind wie der Turm von Babel«.138 In der Pressemitteilung für die Wintersaison 1934/35 wurden die nationalen Abende folgendermaßen angepriesen: »Beim Empfang der Sendungen Radio-Luxemburgs, die dank ihrer Vollkommenheit und ihrer Stärke bis zu den Antipoden gehört werden und jeden Abend verschiedenen Ländern gewidmet sind, haben die Hörer außerdem noch das gleiche Vergnügen, als ob sie erstklassige Sender aus verschiedenen Ländern nacheinander einschalten.« (LW 20.11.1934, S. 14) Die Soirées nationales wandten sich also an ein breites europäisches Publikum. Die meisten staatlichen wie privaten Radiostationen anderer Länder richteten sich in dieser Zeit in erster Linie an nationale Zuhörerschaften und legten auch in ihren Programmen einen Schwerpunkt auf die jeweilige nationale Musik und Kultur.139 Auf diese Weise wirkte der Rundfunk an der Imagination140, Konstruktion und Kanonisierung partikular national-kultureller Identitäten mit. Im Gegensatz hierzu ging es Radio Luxemburg darum, wenn auch vielleicht vorrangig aus kommerziellen Interessen, für ein internationales Radiopublikum ein aus einzelnen Stimmen bunt gemischtes »Konzert der Nationen« anzubieten. Dieses Konzept war nicht allein das Charakteris314

Die Musik

tikum der Soirées nationales, sondern zeichnete übergreifend das Programm bei Radio Luxemburg aus (siehe z. B. ›Eine halbe Stunde italienische Musik‹; ›Konzert mit französischer Musik‹; ›Konzert für unsere lothringischen Zuhörer‹; ›Englisches Konzert‹; ›Französische Lieder‹; ›Englische Tanzmusik‹ usw.). Mit einer solchen europäischen Programmgestaltung wurde allerdings die essentialistische Sicht auf ›Nationalkultur‹ an und für sich grundsätzlich noch nicht in Frage gestellt.141 Das vierstündige Programm einer Soirée umfasste, neben den Nachrichten in deutscher und französischer Sprache sowie gelegentlich einer oder mehreren ›Causeries‹ oder ›Plaudereien‹, wenn möglich in der Sprache des betreffenden Landes, ca. vier bis fünf Musiksendungen jeweils mit einer Dauer zwischen 15 und 60 Minuten. Ab Juli 1933, nachdem das stationseigene Orchester konstituiert war, war mindestens eine dieser Musiksendungen der Orchestermusik des betreffenden Landes gewidmet, gelegentlich gesellte sich ein ›nationales‹ Lieder- oder Kammermusikkonzert oder auch die Übertragung einer Oper aus diesem Land hinzu, während in der Regel die restlichen Musiksendungen der Soirée international bunt gemischte, wenn auch europazentrierte Programme anboten. Also auch innerhalb der einzelnen Soirée war die vor allem in der Anfangszeit das Gesamtprogramm bestimmende »internationale Achse« repräsentiert. Nur selten war der Rückbezug auf Kompositionen des betreffenden Landes so stark wie an dem allerersten dieser Kulturabende, der Soirée allemande vom Donnerstag, 16. März 1933, wo immerhin fast die Hälfte der gespielten Musik tatsächlich von deutschen Komponisten stammte.142 In der ersten Soirée anglaise am Sonntag, dem 19. März 1933, stand hingegen kein einziges Werk eines englischen Komponisten oder einer englischen Komponistin auf dem Programm, sondern nur Musik deutscher, italienischer, tschechischer, US-amerikanischer, norwegischer, französischer, österreichischer, spanischer und kubanischer Komponisten; ein Bezug zu England wurde ausschließlich durch eine ›Plauderei‹ in englischer Sprache hergestellt (LW 18.3.1933, S. 6). Auch in der Soirée luxembourgeoise wurden immer wieder kulturelle und musikalische Brücken zu anderen Ländern geschlagen. So wurden in diesem Rahmen beispielsweise das Radiokonzert ›Musique moderne: compositeurs français d’avant-garde‹, die Sendung ›Chansons populaires dans la langue des indigènes de la Nouvelle Guinée Australienne‹, eine Reportage zur Tour de France oder Konzertübertragungen der Pariser Association des Concerts Colonne und der Association des Concerts Lamoureux gesendet.143 Umgekehrt betrachtet, konnten allerdings keine Beispiele dafür gefunden werden, dass

Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Kosters Musik Eingang fand in Soirées nationales, die einem anderen Land als Luxemburg gewidmet waren. Dadurch, dass in einem Medium regelmäßig sehr verschiedene ›kleine‹ und ›große‹ Musikkulturen nebeneinandergestellt und das Hörenswerte dieser Vielfalt hervorgehoben wurde, wurde die hegemoniale Sicht auf Kultur angetastet. Durch die allwöchentliche Begegnung der Kulturen konnten nationale Hörhorizonte erweitert und auch für eine Hybridisierung geöffnet werden. Inwiefern man in dieser frühen Zeit von Radio Luxemburg allerdings schon von Ansätzen eines transnationalen kulturellen Programmangebotes sprechen kann, ist ein Thema, das einer eigenen Untersuchung Wert wäre. Diese Sendekonzepte waren aber schließlich der Grund, warum Musik aus Luxemburg in unterschiedlichen Radiokonzerten einer Soirée luxembourgeoise präsentiert werden konnte, in ›luxemburgischen‹ Konzerten, aber auch in Radiokonzerten mit international gemischtem Musikprogramm: So wurde z. B. am 25. Juli 1934 Musik von Dicks, Mertens und Koster zusammen mit Werken französischer und ungarischer Komponisten gespielt (T 24.7.1934, S. 7). Wie eine Auswertung aller Radioprogramme der Soirée luxembourgeoise des ersten Halbjahres ergibt, waren in musikalischer Hinsicht in dieser Zeit fast ausschließlich volkstümliche Lieder und Operettenarien in luxemburgischer Sprache zu hören, zusammengefasst in Sendungen mit dem Titel ›Chansons et poèmes luxembourgeois‹.144 Lieder oder Operettenauszüge von Koster standen in diesen frühen Sendungen nicht auf dem Programm, erste diesbezügliche Aufführungsbelege stammen erst aus dem Jahr 1936. Nur ausnahmsweise wurde zu diesem Zeitpunkt Musik in anderen Gattungen und Besetzungen gespielt, wie z. B. das Potpourri Luxemburger Soldatenleben von Gustav Kahnt, die Danse des petites poupées von Fernand Mertens, die Orchesterfantasie Airs hongrois von Jules Krüger sowie zwei Märsche von Mertens und Albrecht (LW 1.8.1933, S. 9; LW 29.8.1933, S. 9; LW 20.9.1933, S. 5). Das Land wurde also im ersten Halbjahr fast ausschließlich mit musikalischen Praktiken repräsentiert, in denen das Folkloristische besonders stark zur Geltung kam. In diesem Kontext wurde die luxemburgische Sprache der Lieder und Operetten als ›sendewürdig‹ betrachtet, entgegen zuvor geäußerter Bedenken, wie z. B. jener im Escher Tageblatt: »Im Großherzogtum war man nie naiv genug, anzunehmen, daß der mächtige Posten von Junglinster […] errichtet wurde, um über die Grenzen unsern Jargon zu verbreiten, von dem wir wissen, dass er allen Freunden aus den benachbarten Ländern die Ohren zerspringen tut.« (T 7.10.1932, S. 4) Ab dem Herbst 1933 etablierte sich innerhalb der Soirée luxembourgeoise, neben den erwähnten Konzerten mit Liedern, die Sendung ›Concert luxem­ 316

Die Musik

bourgeois donné par l’orchestre‹, in der vorrangig leichte, unterhaltende Orchestermusik, häufig Märsche, aber auch Walzer oder andere Tanzsätze wie Onestep, Gavotte oder Tango sowie wiederum Auszüge aus Operetten gespielt wurden.145 Vergleichend kann man feststellen, dass ›nationale‹ Musik in den anderen Ländern gewidmeten Soirées in größerer Genrevielfalt präsentiert wurde als in den Luxemburg gewidmeten Abenden. Obwohl der Staat und auch die Öffentlichkeit einer grenzüberschreitenden Vermittlung von Musik aus dem Land eher skeptisch gegenüberstanden, hatte der französische Direktor sich zu Sendebeginn also doch dafür entschieden, dem territorial winzigen Luxemburg eine eigene wöchentliche Soirée zu widmen. KomponistInnen, deren Werke in diesen Sendungen Aufnahme fanden, standen mit ihrer Musik nun plötzlich – und viele zum ersten Mal überhaupt – vor einem die Grenzen weit überschreitenden Hörerpublikum. Kritik aus dem In- und Ausland blieb nicht aus. In einem beißend ironischen Artikel schrieb z. B. der Rezensent der französischen Radiozeitschrift Parole Libre de T.S.F.: »Brillantes Konzert, das den hohen internationalen Bestimmungen des Mammuts Junglinster durchaus würdig ist: Es bestand hauptsächlich aus Liedern im luxemburgischen Dialekt. Aber es gab auch große Musik. Die Zuhörer hörten überraschenderweise Chopins ›Marche funèbre‹. Und sie fragten sich, ob sie gerade an der Beerdigungsfeier der 1200-Meter-Wellenlänge teilnahmen.«146 Sechs Monate später widmete auch das Escher Tageblatt der im Radio vorgetragenen Musik – »unsern süßlichen Volksliedern […], bei denen ein kindlich-nichtssagender Text durch eine primärschülermäßige Melodie gleichgeschaltet wird« – einen langen, gegenüber den Interpreten, Komponisten und Dichtern gleichermaßen kritischen Artikel.147 Offenbar zeitigte die Kritik Wirkung: In der Sitzung vom 15. Mai 1934 hielt der Verwaltungsrat, ohne weitere Begründung, fest, dass es »wünschenswert« sei, die Anzahl der Soirées luxembourgoises zu reduzieren und sie »provisorisch« nur noch zweimal im Monat zu senden.148 Wie die jeweils dienstags im Luxemburger Wort veröffentlichten Programme zeigen, wurde sie ab Ende Juni nur noch 14-täglich gesendet, wobei jeden zweiten Mittwoch an ihrer Stelle im Wechsel ein tschechischer, österreichischer, schweizerischer und spanischer Abend ausgestrahlt wurde. Ein Jahr später, ab dem Sommer 1935, wurde die Soirée nationale gänzlich abgeschafft und durch ein neues Raster fixer Genres je Wochenabend – montags Operetten, mittwochs Music-Hall, donnerstags Symphoniekonzert – ersetzt (T 28.11.1935, S. 6). Offensichtlich spielten bei dieser Änderung vorrangig kommerzielle Interessen eine Rolle. Ursprünglich hatte Radio Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Luxem­burg mit Inserenten aus vielen europäischen Ländern gerechnet, letztlich waren es aber vor allem multinationale Großunternehmen mit Sitz in England, die Werbungen schalteten, was dazu führte, dass immer mehr Zeit Werbemusiksendungen aus England vorbehalten war.149 Dass das Programm dadurch immer mehr von seiner ursprünglich angestrebten Multinationalität verlor, wurde immer wieder in der luxemburgischen Presse, allen voran vom Journalisten Evy Friedrich im Escher Tageblatt, heftig kritisiert: »Die Engländer zahlen und können über die gekaufte Zeit verfügen. Es geht halt ums Geschäft und nicht um Kunst.«150 Friedrich, der die Station als zu stark von Frankreich und England bestimmt ansah, warf den für die Sendeinhalte Verantwortlichen vor, mit der Mehrsprachigkeit und der Multikulturalität nur zu kokettieren (»Mehrsprachigkeit«, T 28.11.1936, S. 9), und kritisierte, dass insbesondere kulturelle Inhalte aus dem deutschen Sprachraum, womit er hier konkret die vom Nazi-Regime »verleugneten« Künstler meinte, vernachlässigt würden (»Durchs Mikrophon«, T 5.12.1936, S. 12). Die Soirée luxembourgeoise war zwischen März 1933 und Juli 1935 93-mal gesendet worden, und an immerhin 18 Abenden stand der Name Koster auf dem Programm. Vorgestellt wurde die Komponistin fast ausschließlich mit Orchesterwalzern und -märschen in ›Luxemburgischen Konzerten des Rundfunkorchesters‹, in denen vorrangig Unterhaltungsmusik gespielt wurde. Nur selten wurde in diesen Radiokonzerten mit primär luxemburgischer Musik der Rahmen der Unterhaltungsmusik überschritten, so z. B. wenn Kosters Orchesterlied Chanson lunaire (Mondlied) nach einem Text von Paul Palgen in die Sendung aufgenommen wurde (LW 14,5.1935, S. 8). Repräsentiert wurden in der Soirée luxembourgeoise vor allem Genres, die in Luxemburg populär waren. Gleichzeitig wurde andere ebendort komponierte Musik ausgeschlossen. So wurden beispielsweise zwar Helen Buchholtz’ luxemburgische Lieder, aber nicht ihre Klaviersonaten oder Vokalballaden, auf Antenne interpretiert. Dadurch wurden KomponistInnen, wollten sie von dem großen Radiopublikum gehört werden, indirekt dazu motiviert, vor allem ›leichte‹ Musik zu schreiben. Auf diese Weise beteiligte sich Radio Luxemburg daran, bestimmte populäre Musiktraditionen umso fester zu verankern, und formte für ein europäisches Publikum gleichzeitig einen bestimmten Blick auf das ›Musikland Luxemburg‹. Obwohl in der Luxemburger Presse Konzerte im Rahmen der Soirées nationales mit dem Etikett von »wertvollen Unterhaltungskonzerten« (T 11.7.1936, S. 9) versehen wurden, gehörten diese nicht zu den Sendungen, die für Funkkritiken als besprechungswürdig galten. In keiner der vielen Funkkritiken der 1930er Jahre wurde eine Radioaufführung der Musik von Koster besprochen. 318

Die Musik

Luxemburger ›unter sich‹ – Die Luxemburger Stunde bzw. Halbstunde

Im Herbst 1935 wurde eine neue Sendung eingeführt: »Luxemburger Stunde. Unter diesem Namen sieht Radio Luxemburg ab dem 9. November jeden Samstagsnachmittag zwischen 14:00 und 15:00 Uhr eine Luxemburger Stunde vor, die speziell für uns Luxemburger bestimmt ist. Wir organisieren diese Stunde, und sie wird so lustig wie möglich, um uns nach der Arbeit der ganzen Woche ein bisschen zu entspannen und aufzumuntern. Weiters soll allen luxemburgischen Dialektschriftstellern, Komponisten, Sängern, Künstlern die Gelegenheit geboten werden, ihre Kunst durch das Mikrophon unseres Radios zu verbreiten.« (T 31.10.1935, S. 7)

Wie es zu dieser Umgestaltung in der Programmpolitik kam, wurde in den Berichten der Sitzungen des Verwaltungsrats und Direktionskomitees nicht weiter kommentiert. Die neue Sendung, in der die luxemburgische Sprache eine bedeutende Rolle spielte, wendete sich, obwohl europaweit ausgestrahlt, diesmal ausschließlich an ein luxemburgisches Publikum. Auch im Radioprogramm, das in der Presse bisher immer entweder in Deutsch oder in Französisch veröffentlicht wurde, wurde der Inhalt der Luxemburger Stunde nur in Luxemburgisch bekannt gegeben. Dass die Sendung auf Druck einer Öffentlichkeit geschaffen wurde, lässt ein Artikel im Escher Tageblatt vermuten: »Es ist nun sicher ein Verdienst jener Luxemburger Kräfte, die immer wieder auf Einrichtung von Sendungen in Luxemburger Sprache drängten, wie der Sendeleitung, die diese Notwendigkeit schließlich einsah, daß Radio-Luxemburg (für viele Tausende von Radio-Hörern der einzige Repräsentant des Großherzogtums) heute die ›Luxemburger Stunde‹, also eine allwöchentliche Emission in der Sprache des Luxemburger Volkes besitzt.« (T 8.8.1936, S. 9) Zwei Jahre früher, im Sommer und Herbst 1934, war in der Radiobeilage des Escher Tageblatts tatsächlich ein »Referendum für eine Luxemburger Stunde« veröffentlicht worden, und zwar mit dem daneben abgedruckten Text: »Wir verlangen ein Minimum … eine wöchentliche Luxemburger Stunde mit Luxemburger Artisten in unserem Luxemburger Nationalsender.« Es scheint aber fraglich, ob das Referendum großes Echo hatte, denn neben dem mehrfach publizierten Aufruf konnten keine weiteren diesbezüglichen Presseartikel eruiert werden.151 Im Versammlungsbericht vom 28. Oktober 1935 hatte der Verwaltungsrat festgehalten, dass eine Kommission einzuberufen sei, die die Programme und Sendungen der Luxemburger Stunde zu begutachten und aus luxemburInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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gischen Intellektuellen und Künstlern der verschiedenen Sparten zu bestehen habe.152 Émile Reuter präsidierte als Vertreter des Verwaltungsrates dieser Kommission, zu der leider keinerlei Schriftquellen und auch keine Namen von Mitgliedern erhalten sind. Produzenten der Lëtzebuerger Stonn waren die Schauspieler Léon Moulin (im Radio bekannt als Leo), Hary Haagen (Hary) sowie Batty Nickels (Batty).153 Von Nic Weber, der 1959 Chefredakteur des neuen luxemburgischen Programms bei Radio Luxemburg wurde, gibt es eine ausführliche Beschreibung des imaginierten Zielpublikums luxemburgischer Sendungen. Da ­ Weber das Programm der 1950er Jahre in einer starken Kontinuität mit früheren Sendungen von Radio Luxemburg sah, lohnt es sich, seine Ausführungen im Kontext dieses Kapitels einzubeziehen: »Die nationale Sendung konnte auf frühere Erfahrungen Radio-Luxemburgs aufbauen. Auch sie […] will die Arbeiter- und Bauernfamilien erreichen, all diese einfachen einheimischen Leute […]. Große Gesten sind überflüssig. […] Der, der den Luxemburger kennt, weiß dass dieser die Plaudereien in der Familie großen Worten bevorzugt. […] wenn es unseren Lehrern und Professoren gemeinsam nicht gelungen ist, [dem Hörer] einen höheren Geschmackssinn zu verleihen, ist es nicht unsere Mission, ihn ›zurechtzuweisen‹, sondern ihm dieses Lied zu geben, in einer Form, die der Intellektuelle strenggenommen lächerlich finden wird […].« (Weber 1961, S. 166 f.)

Da Lou Kosters Musik zu der Zeit als Weber Chefredakteur war, weiterhin häufig im Radio zu hören war, wirft diese Programmvision auch ein Licht auf die spätere Vermittlung ihrer Musik bei Radio Luxemburg. Die Letzeburger Stonn sollte vor allem populäre, heiter-fröhliche und zerstreuende Unterhaltung bieten. Hauptbestandteile waren Gedichtrezitationen, Witze und lustige Radiosketche, die aus der Feder der drei Produzenten stammten und auch von ihnen dargeboten wurden. Daneben hielten Professoren kurze Vorträge über Geschichte, Kultur, Sprache, Literatur, Volksmusikgut und Brauchtum, die das Hörerpublikum auf eine lockere Weise bilden sollten. Die musikalischen Beiträge waren, wie zuvor in der Soirée luxembourgeoise, neben Märschen, Walzern und sonstigen kurzen Instrumentalstücken vor allem Lieder und Operettenarien in luxemburgischer Sprache.154 In der Presse wurde dieser Sendung besondere Aufmerksamkeit gewidmet, denn das Programm wurde nicht nur auf der Radioprogrammseite, sondern des Öfteren auch in den Sonderbeilagen, ›La page du sans-filiste‹ im Escher Tageblatt sowie ›Film und Funk‹ im Luxemburger Wort, abgedruckt. 320

Die Musik

Die erste Luxemburger Stunde wurde mit dem Marsch Keep smiling von Lou Koster eingeleitet, der bis zu diesem Zeitpunkt bereits mindestens zwölfmal im Radio zu hören gewesen war (T 9.11.1935, S. 8). Diesmal war es das Quintett Radio Luxemburg, das ihn spielte. Zu Beginn dauerte die wöchentliche Sendung eine volle Stunde und war zur guten Sendezeit samstags zwischen 14:00 und 15:00 Uhr zu hören. Ab dem 4. Januar 1936 wurde die ›Stunde‹ in zwei Teilen ausgestrahlt: samstags zwischen 13:30 und 14:00 und 20:05 bis 20:35 Uhr, wobei, wie das Escher Tageblatt es formuliert, diese Teilung offenbar dem Wunsch entsprach, »eine gewisse Sonderung des dargebotenen Stoffes in eine seriöse, referierende, belehrende und eine mehr lustig-unterhaltende Hälfte vorzunehmen« (T 8.8.1936, S. 9). Ein Vergleich der Programme der beiden Teilsendungen zeigt allerdings keine nennenswerten Unterschiede, die beiden folgten vielmehr dem gleichen, oben beschriebenen Muster der ›lustigen Stunde‹.155 Nur wenige Monate später, ab dem 11. Juli 1936, wurde die Luxemburger Stunde, wie zuvor die Soirée luxembourgeoise, auf die Hälfte eingekürzt, in Letzeburger Halef Stonn umbenannt und nur noch am Samstagabend gesendet, ohne dass in den Berichten des Verwaltungsrates und Direktionskomitees oder in der Presse seitens Funkkritikern auf diese Kürzung eingegangen wurde. Im Juni 1936 hatten die für die Radiosonderbeilage ›La page du sansfiliste‹ des Escher Tageblatts verantwortlichen Redakteure, allen voran Evy Friedrich, die Initiative einer umfassenden Leserumfrage zu Verbesserungswünschen in Bezug auf die kulturellen Sendungen bei Radio Luxemburg gestartet. Die Hörer- wie Redaktionswünsche wurden in einer acht Nummern umfassenden Artikelserie nach thematischen Schwerpunkten zusammengefasst.156 Ganz im Sinne Brechts war es ein Vorstoß in die Richtung, »den Hörer als Lieferanten zu organisieren« (Brecht 1992, S. 553), und zwar in diesem Fall von konkreten Programmgestaltungsideen. Gefordert wurde u.a. eine intensivere Zusammenarbeit von Radio Luxemburg mit kulturellen Produzenten aus Luxemburg.157 Als am 8. August 1936 die Luxemburger Stunde im vorletzten und siebten Beitrag kritisch unter die Lupe genommen wurde, stellte man gleich zu Beginn klar, dass die Kritik nicht von einer »zur europäischen Krankheit gewordene[n] Übertreibung des Nationalen« motiviert sei.158 Der Sendung wurde eine dreifache Funktion zugeschrieben: Für Hörer aus Luxemburg sollte sie eine »wirklich Luxemburger Volkssendung« und für im Ausland lebende Luxemburger »Heimatsendung« sein. Drittens sollte sie »jedem nicht-luxemburger Hörer ein unverfälschtes Bild Luxemburger Lebens, Luxemburger Geschichte und Luxemburger Art geben.« Dass das Luxem­ burgische in dieser stark sprachlich geprägten Sendung ein Ausschlussfaktor war, wurde erstaunlicherweise ignoriert. Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Harsch kritisiert wurde die Sendung vor allem wegen der Beschränkung auf die »Kabarettform« (gemeint waren hier die Possen [lux.: »Schnocken«] und Sketche, die im Zentrum standen): »Die Form des ›Bunten Nachmittags‹, der ›Lustigen Stunde‹ wird auch einmal anwendbar sein, aber sie darf u. A. n. nicht der ständige Rahmen für eine Heimatsendung sein, die als einzige derartige Veranstaltung eines, wenn schon nicht Landes-Senders so doch für ein Land repräsentativen Senders Wesentliches über Charakter und Entwicklung eines (wenn auch kleinen) Volksganzen auszusagen hat.« (T 8.8.1936, S. 9) Stattdessen sollte sie sich in ernsthafter und innovativ-kreativer Weise mit luxemburgischen Themen aus einem breiten Spektrum – von der Landesgeschichte über Bildungsfragen und politische Themen zu Literatur, Musik und Kunst – auseinandersetzen. Jeder Jahreszyklus sollte dabei »ein Gesamtbild des Begriffes ›Luxemburg‹« bieten. Zur selben Zeit wurde den auf Luxemburg bezogenen Sendeinhalten seitens der Regierung offensichtlich keine vergleichbare Bedeutung verliehen: Als Radio Luxemburg 1936 bei der Regierung den Konzessionsantrag für einen Kurzwellensender stellte und daher eine Abänderung des Lastenheftes notwendig wurde, nahm die Regierung dies als Anlass, erneut über Rundfunkpolitik in Luxemburg nachzudenken. Am 16. April 1936 wurde eine Radiostudienkommission reinstitutionalisiert, die in nicht weniger als 55 Sitzungen zahlreiche Einzeldokumente und am 29. Oktober 1937 ihren 108-seitigen Abschlussbericht vorlegte.159 Léon Hamus, stellvertretender Chef des technischen Postdienstes, hatte am 27. April 1937 für die Kommission eine Stellungnahme erarbeitet, die sich explizit mit dem »nationalen Charakter« der Sendungen befasste, einem Thema, über das zu Hamus’ Bedauern bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht debattiert worden war.160 Was er unter Letzterem verstand, spezifizierte er nicht, sondern zitierte in diesem Bezug lediglich eine patriotische Aussage des Außenministers Joseph Bech und hob dabei die folgenden Schlussworte durch Unterstreichung hervor: »die einfache Bindung eines Volkes an seinen Boden, seine Sprache, seine Bräuche, seine Geschichte«. In dem am 7. Juni 1938 modifizierten Text des Lastenheftes wurden in programminhaltlicher Hinsicht die zwei folgenden neuen Forderungen gestellt: Die Radiostation wurde verpflichtet, fortan unentgeltlich Tourismuswerbung für Luxemburg zu schalten, und die staatliche Kontrolle sollte durch die Ernennung eines von der Regierung eingesetzten Kontrollkommissars verstärkt werden.161 Eine verbesserte Repräsentation von Kultur aus Luxemburg, wie sie von Hamus und gelegentlich von der linken Presse gefordert wurde, war von Regierungsseite kein Thema. In der Presse gab es aber damals ebenfalls Stimmen, die der »vielfach« geäußerten 322

Die Musik

Meinung, »der luxemburger Sender müsse luxemburgischer sein, er müsse den Sendungen rein luxemburgischen Charakters den größten Raum und die besten Sendestunden einräumen«, skeptisch gegenüberstanden, so beispielsweise Émile Marx in seinem Artikel »Ein großer Sender in kleinem Land« in der Radiozeitschrift À l’Écoute im Januar 1936.162 Es scheint aber so, als hätte Radio Luxemburg auf die über Leserumfrage ermittelte Kritik an der Luxemburger Halbstunde reagiert: Possen, Witze und Sketche standen fortan nicht mehr im Zentrum. Es stellt sich allerdings die Frage, inwiefern man damit gleichzeitig auch auf die sich zuspitzende politische Situation in Deutschland reagierte. Wie die ab dem Herbst 1936 ernster werdenden Programme zeigen, beschränkten sich nun viele der Sendungen auf Vorträge oder Reportagen, Gedichtrezitationen und Musik bzw. auch mal ausschließlich auf Musik. Am 10. September 1938 war die letzte Luxemburger Halbstunde zu hören (siehe das letzte Programm in LW 10.9.1938, S. 9). In den Versammlungsberichten des Direktionskomitees und des Verwaltungsrates findet sich auch diesmal keine Erklärung, aus welchen Gründen die Sendung abgesetzt wurde. Auch hier war es wieder der Journalist Evy Friedrich, der reagierte. In seiner Rubrik »Durchs Mikrophon« in der Radiobeilage des Escher Tageblatts schrieb er: »Was seit einigen Monaten überall gemunkelt wurde, ist nun Wirklichkeit geworden: Radio-Luxemburg sendet keine ›Luxemburger halbe Stunde‹ mehr. […] Halt ich vergaß: Montags gibt es fünf Minuten, auf Luxemburgisch gesprochen, für den Bauer. Es soll allerdings auch in Zukunft Luxemburgisches gesendet werden, aber die bis jetzt darüber zu erhaltenden Angaben sind so unpräzis, dass man diese luxemburgischen Sendungen noch immer als etwas Ungewisses empfindet. […] Wer diese luxemburgischen Sendungen in den letzten Monaten verfolgte, der wird festgestellt haben, dass sie eigentlich nur noch vegetieren. Es war wie ein Körper, der an Auszehrung leidet, und den man ganz langsam sterben sieht. Die ganzen luxemburgischen Sendungen waren fast ausschließlich noch Füllsel. Liedchen wurden gesungen, die nicht immer gut waren. Vorträge wurden gehalten, oft über Gegenstände, die nur einen verschwindend geringen Bruchteil der Hörer interessierten. Ein Drittel der Sendung war schließlich noch mit Reklame gefüllt, sodass die Zahl der Hörer jener luxemburgischen halben Stunde ständig und rapid zurückging. Und doch hätte diese Blutlosigkeit der luxemburgischen Sendungen behoben werden können. […] An die Stelle der abgestorbenen luxemburgischen halben Stunde muss unbedingt ein mehr als vollwertiger Ersatz treten, und zwar unverzüglich und regelmäßig. […] Es ist möglich, interessante luxemburgiInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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sche Sendungen zu veranstalten, aber man muss dabei auch deren Autoren entgegen kommen.« (T 1.10.1938, S. 8)

Zu der Wochenzeit, an der die Letzeburger Halef Stonn gesendet worden war, stand fortan Die Stimme der Welt auf dem Programm. Nic Weber kommentierte in einem historischen Rückblick das Absetzen der Sendung folgendermaßen: »Wir sind in internationalen Sendungen verloren gegangen. Weil Radio-Luxemburg den Durchbruch schaffte, seine Stimme stärker, seine Verpflichtungen gegenüber den Hörern größer wurden […] Die Luxemburger Stunde zerbröckelte.« (Weber 1961, S. 163) Zwischen dem 9. November 1935 und dem 28. Januar 1938 war die Musik von Lou Koster nachweislich in insgesamt 30 von 149 Luxemburger Stunden bzw. Halbstunden gespielt worden, also wiederum wie bei der Soirée luxem­bourgeoise in ca. 20 % der Sendungen.163 In zwei Dritteln der Sendungen wurden ausgewählte Walzer und Märsche, im verbleibenden Drittel Lieder, Männerchöre sowie eine Operettenarie gesendet. In zwei dieser Sendungen war Koster nicht die einzige Komponistin: Am 14. Dezember 1935 und am 20. November 1937 stand ihr Name zusammen mit dem von Helen Buchholtz auf dem Programm.164 Besonders hervorzuheben ist die halbstündige Sendung vom 17. Juli 1937, die ausschließlich Lou Koster gewidmet war und den Titel trug: »Kompositio’nen vun der Joffer Lou Koster« (›Kompositionen von Fräulein Lou Koster‹). Auf dem Programm stand eine Auswahl ihrer luxem­burgischen, deutschen und französischen Lieder, die vom Tenor Venant Pauké gesungen und von der Komponistin am Klavier begleitet wurden (LW 16.7.1937, S. 8). Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass, wie bereits oben angedeutet und im Gegensatz zur Soirée luxembourgeoise, Lou Koster in dem Hörraum der Luxemburger Stunde bzw. Halbstunde nur von einem sehr reduzierten Teil des Hörerpublikums, demjenigen, der des Luxemburgischen kundig war, rezipiert werden konnte. In der Luxemburger Stunde wurde Nationales stärker betont als in der Soirée luxembourgeoise. Auch war die luxemburgische Nationalität der Komponistin die Grundvoraussetzung dafür, dass ihre Musik überhaupt Eingang in diese Sendungen erhielt. Durch die Sprachbarriere blieb diese ›Stunde‹ aber nicht nur den ausländischen HörerInnen, sondern auch den vielen in Luxemburg lebenden MigrantInnen, die kein oder nur wenig Luxemburgisch verstanden, unzugänglich. Es kann sein, dass sie, gerade weil sie sich an eine Minorität wandte, von dieser umso aufmerksamer rezipiert wurde, aber nur die heute nicht mehr erhaltene Hörerpost könnte hierüber konkretere Auskünfte geben. Die Vorstellung ›Luxemburg 324

Die Musik

im Austausch mit Europa‹, die in der Soirée nationale zum Ausdruck gebracht worden war, wurde in der Luxemburger Stunde von derjenigen des ›Hortus conclusus‹, in dem Luxemburger unter sich waren, abgelöst. Da der Druck, ein europäisches Hörerpublikum zu interessieren, nun nicht mehr vorhanden war, öffnete die Sendung sich demokratisch, wie es im oben zitierten Pressetext in Aussicht gestellt wurde, um »alle« Luxemburger Dialektschriftsteller, Komponisten, Sänger und Artisten vors Mikrofon zu lassen. Der thematische Kontext, d.h. die Nachbarschaften, in die Kosters Musik innerhalb der Sendung gesetzt wurde – die Gedichte, die rezitiert und die Themen der Vorträge, die gehalten wurden, die Betonung des Heiteren und Lustigen, das Fokussieren von ›Luxemburgischem‹ und Volkstümlichem, die für die Sendung ausgewählten Musikgenres und -gattungen sowie InterpretInnen usw. –, bildeten noch stärker als in der Soirée luxembourgeoise ein Ausschlusskriterium für Werke, die nicht in einen solchen Rahmen passten. Diese Nachbarschaften konnten ihre Musik außerdem mit bestimmten, ihr nicht unbedingt inhärenten Bedeutungen aufladen. Umgekehrt passten aber auch verschiedene ihrer Lieder – allen voran ihre Vertonungen von Texten Willy Goergens, der auch als Dichter sehr stark in der Sendung vertreten war – so gut in diesen Sendekontext, dass die Frage berechtigt ist, ob Koster nicht so manche dieser Lieder speziell für diese Sendungen komponierte. Durch das häufige Spielen der Musik in ebendiesem speziellen Rahmen wurde ein bestimmter Hörkontext geschaffen und ins Zentrum gerückt, der kaum ohne Auswirkungen auf die Komposition der Musik bleiben konnte. Im Gegensatz zur Soirée luxembourgeoise, in der vor allem ihre Werke für große Besetzungen gespielt wurden, waren die Kompositionen, die in der Luxemburger Stunde gespielt wurden, kleinformatiger, eben vor allem Lieder. Nur zu ganz besonderen Gelegenheiten, wie z. B. am Nationalfeiertag, trat das Rundfunkorchester in der Luxemburger Stunde auf. Spezialsendungen: Luxemburger Sendung – Luxemburger Künstler vor dem Mikrophon

Wie die Auswertung der Programme zeigt, hatte Radio Luxemburg nach dem Absetzen der Luxemburger Halbstunde unmittelbar ein neues Konzept für diese Sendeinhalte entwickelt: Fortan waren fünfmal in der Woche unterschiedliche zehnminütige ›Luxemburger Sendungen‹ zu hören. Am Sonntagmorgen wurden z. B. Auszüge aus literarischen Werken in Luxemburgisch gelesen bzw. ein Aspekt der Landesgeschichte in einem Radiovortrag präsentiert. Montags stand eine landwirtschaftliche Sendung und samstags eine Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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lokale Reportage von Léon Moulin auf dem Programm. Dienstags und donnerstags wurde wahlweise entweder eine ›Plauderei‹, ein ›Radiosketch‹, ein kurzer historischer Vortrag oder ein Rezital luxemburgischer Lieder gegeben.165 In Frankreich kann eine ähnliche Entwicklung hin zu kürzeren Sendungen beobachtet werden. Im Radio der 1920er und frühen 1930er Jahre war zuerst das Konzert als traditionelles Muster für Sendungen übernommen worden. Im Laufe der Zeit wurde die Dauer dieser ›Radiokonzerte‹ immer weiter eingeschränkt. Den Rundfunk der späten 1930 Jahre mit seinen typischen kurzen Sendungen in schnellem Wechsel oder Rhythmus (»courtes séquences éclatées«) vergleicht Cécile Méadel mit einem Zirkus (»succession d’épisodes à la manière du cirque«) (Méadel 1994, S. 253 u. 369). Obwohl die Sendezeit für diese Inhalte im Vergleich zur Luxemburger Halbstunde zusammengerechnet um ca. 20 Minuten pro Woche erhöht worden war, spielte die Musik nun eine untergeordnete Rolle. In der Regel waren nur mehr maximal zehn Minuten pro Woche für Musik reserviert. Es gab aber auch Wochen, in denen es keine Musiksendung in diesem Rahmen gab. Das detaillierte musikalische Programm wurde auch, im Gegensatz zur Luxemburger Stunde oder Halbstunde, nun nicht mehr im Detail in den Zeitungen veröffentlicht. Angegeben wurden nur noch die Namen der InterpretInnen und eine knappe Beschreibung des Inhalts (wie z. B. ›luxemburgische Lieder‹). Die KomponistInnen und Titel der Stücke wurden nicht mehr aufgelistet, was deutlich zeigt, dass diesen Informationen nun weniger Bedeutung zugemessen wurde. Dadurch wird auch nicht mehr ersichtlich, wie oft Lou Kosters Musik in diesem neuen Sendekontext zu hören war. Belegt ist lediglich, dass ein heute verschollenes Kinderchorstück, bzw. wohl nur ein Auszug daraus, in einer solchen zehnminütigen Sendung ausgestrahlt wurde: Am 6. Mai 1939 wurde, wie oben bereits erwähnt, E Kasperlesteck no der So’ vun der Melusina (›Ein Kasperlstück nach der Sage der Melusina‹) nach einem Text von ­Lucien König vom Kinderchor des Konservatoriums unter der Leitung von Alice Gallé-Menager und Margot Becker aufgeführt (T 1.5.1939, S. 11; LW 1.5.1939, S. 8). Auch in der neuen halbstündigen Sendung Luxemburger Künstler vor dem Mikrophon, die zwischen dem 28. März und dem 31. August 1939 bis zu viermal in der Woche auf dem Programm stand, wurde nur noch selten Musik luxemburgischer KomponistInnen interpretiert, obwohl ein Teil der hier auftretenden Künstler und Künstlerinnen dieses Repertoire gut kannte, da sie zuvor in der Luxemburger Stunde oder Halbstunde mitgewirkt hatten.166 Diese vor allem international geprägten Musikprogramme wurden wieder mit 326

Die Musik

­ amen der KomponistInnen und Angabe des Werktitel im Radioprogramm N der Presse publiziert, der Name Koster taucht in keinem der Programme auf. Außer diesen allwöchentlichen fixen Sendungen gab es gelegentlich, wie auch in den Jahren zuvor, sporadisch Liedvorträge oder auch Rundfunkkonzerte des Orchesters mit Musik aus Luxemburg. Dabei handelte es sich um Spezialsendungen, die keinen festen Ort im wöchentlichen Programmraster hatten. Hierzu kann man beispielsweise das Konzert mit Musik der luxemburgischen KomponistInnen Alfons Foos, Lou Koster, Alfred Kowalsky, J­ ules Krüger, Henri Pensis und Louis Petit zählen, mit dem Radio Luxemburg den Nationalfeiertag 1938 beging (T 22.1.1938, S. 4, LW 22.1.1938, S. 6). Nicht immer wurden nationale Feste mit luxemburgischer Musik gefeiert, so stand beispielsweise auf dem Programm des am 23. April 1939 übertragenen ›Festlichen Konzertes anlässlich der Hundertjahresfeier der Unabhängigkeit des Großherzogtums Luxemburg‹ ausschließlich Musik aus Frankreich (Camille Saint-Saëns, Jules Massenet, Léo Delibes), England (Eric Coates), Öster­ reich ( Johann Strauss) und Deutschland (Carl Maria von Weber in einer Orchestration von Hector Berlioz) (LW 22.4.1939, S. 8). Allerdings setzte Henri Pensis sich generell dafür ein, das luxemburgische Operettenschaffen in Spezialsendungen, wie auch in öffentlichen Veranstaltungen, vorzustellen (Weber 1993, S. 35, 37, 63, 68  ff., 128, 154). Kosters Operette An der Schwemm gehörte aber nicht dazu, nur ein einziges Mal stand ein Auszug davon in einer Letzeburger Stonn auf dem Programm: Am 22. Februar 1936 sang August Donnen das Lid vum Zengerlé, das er für die Berliner Plattenfirma Homokord auf Schellackplatte aufgenommen hatte. Internationale Musiksendungen – der Typus des ›concert varié‹ In 37 % der Sendungen, in denen Kompositionen von Koster gespielt wurden, waren diese in international gemischte Programme integriert: In vier von 20 Sendungen mit Vokalmusik (20 %), in 13 von 47 Orchesterradiosendungen (28 %), in 23 von 44 Radiokonzerten des Quintetts Radio Luxemburg (52  %) war ihre Musik in Radiokonzerten mit Werken von Komponisten unterschiedlicher Nationalität zu hören. Alle diese Sendungen richteten sich an ein breites, europäisches Radiohörerpublikum. Bei etwas mehr als der Hälfte der Orchester- und Quintettkonzerte informiert der Titel der Sendung über das musikalische Genre – oder besser, die musikalischen Genres, die dargeboten wurden: »concert varié« bzw. »Unterhaltungskonzert«, denn so wurde die französische Begriffsbezeichnung Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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damals übersetzt, wenn das Radioprogramm in deutscher Sprache publiziert wurde. Wenn man die »concerts variés« mit den schlicht als »concerts« bezeichneten Sendungen vergleicht, sind allerdings kaum nennenswerte Unterschiede in der Musikprogrammgestaltung festzustellen. Generell folgten die meisten der Radiokonzerte dem Muster des »concert varié«.167 Die Instrumentalmusik von Koster wurde, wenn sie in international gemischten Programmen gespielt wurde, ausnahmslos in Radiokonzerte dieses Typus integriert. Die Form des »concert varié« betraf vor allem instrumentale Radiokonzerte. Vokalrezitale waren weniger gemischt: In den Radiokonzerten der Sängerinnen Martha Heuertz-Horwa und Cécile Lesage vom Januar 1938 bzw. August 1939 wurden beispielsweise Kosters Chanson lunaire bzw. Ein Stündlein wohl vor Tag Liedern von André Bachelet, André Messager, Charles Gounod und Edvard Grieg bzw. Robert Schumann und Arthur Claassen zur Seite gestellt (LW 25.1.1938, S. 6 und LW 3.8.1939, S. 7). Der Begriff ›concert varié‹ verweist – im Gegensatz zu ›Unterhaltungskonzert‹ – weder explizit auf eine bestimmte Funktion – eine ›unterhaltende‹ – noch auf einen bestimmten Charakter der Musik –›leicht‹, wie in der Bezeichnung des verwandten Begriffes ›leichte Musik‹ oder ›musique légère‹168. Er ordnet die Musiksparten auch per se nicht hierarchisch. Begriffsprägungen wie ›musique moyenne‹ oder ›musique intermédiaire‹ oder ›mittlere Musik‹169, die ebenfalls zur Bezeichnung für gehobene Unterhaltungsmusik verwendet werden, brechen die rigide Dichotomie von ›U- Musik‹ und ›EMusik‹ bzw. ›musique légère‹ und ›musique sérieuse‹ oder auch ›musique savante‹ und ›musique populaire‹170 zwar auf, indem sie einen Zwischenbereich schaffen, letztlich wird dadurch die Hierarchie aber nicht in Frage gestellt. Im ›concert varié‹ hingegen wird der Versuch unternommen, diese Gegensätze aufzuheben. Der Begriff suggeriert, dass diese Radiokonzerte als ein Begegnungsort, ein gemeinsamer Hörraum für »variierte«, unterschiedliche Musikgenres und für verschiedene Musikpublika, ohne Bewertungen und Hierarchisierung, gedacht waren. Im ›concert varié‹ konzentrierte sich das, was Méadel für das neue Medium Radio im Gegensatz zu traditionellen Aufführungsorten von Musik grundsätzlich feststellt, Musik »diversifiziert« sich so, bis sie schließlich zu »einer Einheit« (»une unité«) wird: »Im wahr­ sten Sinne hört man [im Radio] die Musik nicht mehr in derselben Weise und man hört auch nicht mehr dieselbe Musik.« (Méadel 1994, S. 329  f.) Im deutschen Radio der Weimarer Republik ist eine ähnliche Entwicklung festzustellen. Auch hier wurde in den Rundfunkprogrammen die Dichotomie von ernster und unterhaltender Musik zunehmend in Frage gestellt und der neu geschaffenen radiofonen Musik war es ein Anliegen, diese zu über328

Die Musik

winden, wenn sie auch letztlich grundsätzlich weiter bestehen blieb (Stapper 2006, S. 25 ff.). Radio Luxemburg verwendete für solche gemischten Programme gelegentlich auch die Bezeichnung »Pêle-mêle musical«. Bennet und Méadel bezeichnen diesen Typus, der auch in Frankreich beliebt war, als »Mélange« oder »Pots-pourris« (Méadel 1994, S. 235; Bennet 2010, S. 23 f.). In Frankreich wurden in solchen Radiokonzerten die bis dahin am weitesten voneinander entfernten Musikgenres miteinander gemischt, so z. B. die Musik von Debussy mit einem Schlager, die von Brahms mit einem Foxtrott, ein Militärmarsch mit einer Fuge. Und auch im deutschen Radio gab es in dieser Zeit eine mit dem ›concert varié‹ vergleichbare Sendung, den ›Bunten Abend‹, in dem die sich in den 1930er Jahren immer mehr diversifizierenden Genres der Unterhaltungsmusik gemischt gehört werden konnten (Stapper 2006, S. 26). Die beiden allerersten Konzerte, mit denen sich das neu gegründete Orchester Radio Luxemburg am 15. Juli 1933 präsentierte, waren bezeichnenderweise bereits ›concerts variés‹ (LW 14.7.1933, S. 8). Damit wurde dem Typus einer Musiksendung, der bei Radio Luxemburg eine ganz zentrale Funktion bekommen sollte, gleich ab dem ersten Orchesterauftritt Form gegeben. In den ›concerts variés‹ wurden neben allgemein beliebten Stücken aus dem ›klassischen‹ Repertoire Orchestermusik von weniger bekannten Komponisten, Opernouvertüren oder -vorspiele, einzelne Opernarien, Ballettsuiten, Auszüge aus französischen, deutschen, österreichischen, amerikanischen, luxemburgischen, englischen usw. Operetten sowie Walzer, Märsche und unterhaltende Orchestermusik mit bilderreichen Titeln gespielt. In dem Programm, in dem Kosters heute verschollenes Orchesterlied Menschliches Lied gespielt wurde, standen beispielsweise die Ouvertüre zur Offenbach’schen Operette Die schöne Helena, der Czardas aus dem Ballett Coppelia von Léo Delibes, eine Arie aus der Oper Samson und Dalila von Camille Saint-Saëns, ein Potpourri aus der Musical Comedy Die Geisha des englischen Komponisten Sidney Jones, Witch’s Dance des amerikanischen Komponisten Edward MacDowell und die Florentiner Serenade des Franzosen Benjamin Godard auf dem Programm (LW 7.12.1936, S. 7). Mit diesem Typus von Musiksendung konnte die im Lastenheft von Radio Luxemburg und in der Festrede von Reuter formulierte doppelte Zielvorstellung – zugleich der familiären Unterhaltung, aber auch der Bildung breiter sozialer Schichten zu dienen – in die Praxis umgesetzt werden. Die beiden Modelle des staatlichen und kommerziellen Senders werden gelegentlich in der Literatur als unversöhnbare Gegensätze gegenübergestellt: auf der einen Seite der staatliche Sender mit Bildungsfunktion, der Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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radiopädagogisch der Vermittlung der ›hohen‹ Kultur dient und den HörerInnen allem voran das vermittelt, was diese aus der Sicht des Medienanbieters zu brauchen scheinen; auf der anderen Seite der profitorientierte private Sender, der mit massentauglicher ›trivialer‹ Populärmusik Unterhaltung und Zerstreuung bietet und den HörerInnen das gibt, was sie wollen. Dass sich diese zwei Logiken nicht gegenseitig ausschließen müssen, sondern vielmehr innerhalb ein und desselben Mediums zusammenwirken können, zeigt letztlich das Beispiel des privaten, aber vom Staat mitfinanzierten Senders Radio Luxemburg. Lou Koster als »passeuse culturelle« Désiré Émile Inghelbrecht, der Dirigent des französischen Orchestre National, dem die künstlerische Planung der föderalen Sendungen staatlicher Radiostationen in Frankreich sowie die Aufsicht über die Programme von Paris-PTT und Radio-Paris oblag, hatte im Jahr 1934 das behutsame Heranführen des sozial breit gestreuten Radiopublikums an die Musik metaphorisch beschrieben: »Wir bemühen uns, uns der berühmten Formel anzunähern, ›bilden und dabei amüsieren‹ [›instruire en amusant‹] […] Ich glaube, das ist möglich, wenn man von dem ausgeht, was dem Ohr vertraut ist, um den Radiohörer dann unmerklich auf weniger ausgetretene Pfade zu ziehen. Sobald diese neuen Horizonte entdeckt sind, dienen sie als Ausgangspunkt für eine noch weiter weg führende Reise … […] Überlassen wir die Gipfel den Alpinisten und geben uns damit zufrieden, die Masse in mittlere Regionen zu führen.«171

Inghelbrecht greift mit dieser Vision auf die im Radio so wichtige »mittlere Musik« zurück, die er metaphorisch als Bergzwischenstation bezeichnet. Sein normativer und hierarchischer Kulturbegriff wird durch eine solche Vision nicht in Frage gestellt: Die Bergspitze, in Analogie die hohe Meisterkunst oder ›grande musique‹, ist nur wenigen Auserwählten zugänglich. Für den erfolgreichen Betrieb dieser Mittelstation wird also eine bestimmte Art von Komponisten und Komponistinnen in genügender Anzahl benötigt, zu denen auch Lou Koster gerechnet wurde: MusikerInnen, die idealerweise in verschiedenen Musikgenres komponierten oder musizierten, deren Musik sich durch Zugänglichkeit auszeichnete und dadurch besonders gut in gemischte Sendungen vom Typus des ›concert varié‹ passte. Solchen 330

Die Musik

MusikerInnen wurde in radiopädagogischer Hinsicht also eine besonders wichtige Funktion zugesprochen. Bennet sieht, ähnlich wie Inghelbrecht, in ihnen ›BrückenbauerInnen‹, die im Bereich der ›mittleren Musik‹ (›musique moyenne‹, ›musique intermédiaire‹) wirkten und die Zuhörerschaft auf die ›klassischen Meisterwerke‹ (›musique savante‹) vorbereiteten und zu ihnen hinführten (Bennet 2010). Er bezeichnet sie als ›passeurs culturels‹.172 Die von Bennet nicht verwendete verweiblichte Form des Begriffes (›passeuses‹) sollte komplettierend hinzugefügt werden, da auch so manche Komponistinnen zu den ›passeurs‹ gehörten. In einer solchen Musikprogrammgestaltung wurde die ›gehobene Unterhaltungsmusik‹ sowie allgemein Musik, die Verbindungen, Brücken und Übergänge zu schaffen fähig war, deutlich aufgewertet, da sie das Werkzeug war, mit dem man das Ziel, die verfestigten Grenzen zwischen unterhaltender und ernster Musik aufzuweichen und möglichst viele Zwischenstationen zu schaffen, verfolgte und erreichen konnte.173 Ganz im Sinne Inghelbrechts schreibt Jean Luc, in den 1960er Jahren Programmdirektor von RTL, rückblickend über die populäre, mit einem pädagogischen Anspruch verbundene Programmpolitik Radio Luxemburgs: »Radio-Luxemburg hat zu dem allmählichen Aufstieg der Musik, die dieses Namens würdig ist, im Geschmack der europäischen Öffentlichkeit beigetragen.« (Luc 1961, S. 70, F)174 Wie der oben zitierte Nic Weber betont auch Luc die über viele Jahre hinweg stabile Kontinuität der Programmpolitik – »immer in derselben Richtung« – von Radio Luxemburg (ebd., S. 65). Wie aus der folgenden Aussage des damaligen Orchestermusikers Émile Feltgen hervorgeht, bemühte sich Henri Pensis, gute Unterhaltungsmusik in vorzüglichen Interpretationen zu senden, und nahm diesen Teil seiner Tätigkeit sehr ernst: »Was er sehr gut machte, das waren die kleinen Sachen: Walzer von Strauß, von Lanner zum Beispiel. Diese Erfahrung hatte er sich in Köln angeeignet, als er als Student in Kaffeehäusern aufspielte.« (zit. b. Weber 1993, S. 403) Koster war, wie Pensis, lange Jahre vor der Gründung von Radio Luxemburg als Interpretin wie Komponistin in verschiedenen Musikbereichen zugleich tätig gewesen, im Konzertsaal wie im Kaffeehaus und im Kino, an Orten also, an denen ähnlich gemischte Programme wie im ›concert varié‹ gespielt wurden, und war es auch gewohnt, mit Blick auf das Publikum zu komponieren. Somit ist es auch nicht verwunderlich festzustellen, dass ihre Musik, wenn sie in internationalen Programmkontexten erschien, fast ausnahmslos zu den guten Sendezeiten, an denen man mit der höchsten Zuhörerschaft rechnete, gespielt wurde: wochentags und samstags in der Mittagsstunde oder am Abend. Den von Radio Luxemburg konstruierten und bespielten Hörraum des ›concert varié‹ kann man als einen sozial Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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abgesteckten, translokalen semiotischen Identitätsraum bezeichnen (Hipfl 2004). Ausgangspunkt für die Gestaltung des ›concert varié‹ war das imaginierte Hörerprofil eines zahlenmäßig großen, geografisch weit verstreuten, aus verschiedenen sozialen Schichten stammenden Publikums, zu dem vor allem die in Musik ›noch‹ wenig Gebildeten gehörten. »… musikalische Höhen …« Auch wenn die ›concerts variés‹ zum ›Herzstück‹ des musikalischen Programms deklariert wurden, hatte Inghelbrechts ›Bergspitze‹ – der Kanon von ›Meisterwerken‹ – auch bei Radio Luxemburg eine überragende Bedeutung. In dem Pressekommuniqué, in dem die Station die musikalischen Programmschwerpunkte für die Wintersaison 1934/35 vorstellte, wurden die ›concerts variés‹ mit keiner einzigen Zeile erwähnt, während die Programme mit »ausgezeichneter Musik« des »Elite-Senders« mit Komponistennamen und den Namen einer internationalen »Elite hervorragender Künstler« ausführlicher beschrieben wurden: »Die Hörer Radio-Luxemburgs werden im Laufe des Winters eine ganze Reihe hervorragender Sinfonien empfangen können, ob es sich nun um klassische und romantische Werke (Bach, Beethoven, Mozart, Brahms, Haydn, Schubert, Bruckner, Berlioz, Wagner) oder um moderne (Saint-Saëns, Lalo, Benjamin Godard, Claude Debussy, Gabriel Fauré) bzw. um zeitgenössische Kompositionen handelt, die für Vorkämpfer neuer Tendenzen besonders bezeichnend sind; wir wollen in diesem Zusammenhang Florent Schmitt, Honeg­ger, Darius Milhaud, Fitelberg, Pillney, Strawinsky, Toch, Ibert, de Falla, Hindemith, Henri Pensis, erwähnen […].« (LW 20.11.1934, S. 14)

Dass Henri Pensis sich so intensiv für das zeitgenössische Musikschaffen einsetzte, wurde immer wieder lobend in Pressekritiken hervorgehoben. Loll Weber zufolge spielte das Orchester in den sechs Jahren zwischen dem 15. Juli 1933 und dem 31. Juli 1939 insgesamt 607 Werke von KomponistInnen des 20. Jahrhunderts (Weber 1993, S. 196 et passim). Gelegentlich wurden die Komponisten nach Luxemburg eingeladen, um ihre Werke selbst einzustudieren, so z. B. Darius Milhaud im März 1935, oder zu interpretieren, so z. B. Béla Bartók am 29. Januar und 11. Juni 1938, bzw. im Radio darüber zu sprechen, so z. B. George Enescu am 11. März 1936. Ab dem 1. 332

Die Musik

November 1935 hatte Pensis die monatliche, etwas später zweiwöchentliche Sendung ›Die Uraufführung – Konzert mit noch nicht gespielten Werken junger Komponisten‹ eingeführt. In diesem Rahmen wurde ein einziges Mal ein Werk einer Komponistin gespielt: Am 6. März 1936 fand die Uraufführung der Fantaisie für Klavier und Orchester von Renée Staelenberg statt, mit der Komponistin als Solistin. Diese der zeitgenössischen Musik gewidmete Sendung erfreute sich international bei Musikern und Musikkennern großer Beliebtheit. Loll Weber erwähnt in diesem Kontext einen Brief Herbert von Karajans an Henri Pensis, in dem dieser sich für die ausgezeichneten Konzerte mit zeitgenössischer Musik bedankte, die er sich in seiner Aachener Zeit regelmäßig anhörte. Wenn auch ein Kritiker der Luxemburger Zeitung am 12. Dezember 1935 meinte, »Henri Pensis hat in unserm Musikleben eine Mission zu erfüllen. Er übermittelt uns auf vorzügliche Art zeitgenössische Musik«175, so rieben sich gelegentlich dennoch so manche luxemburgische Kritiker an der nach ihrem Geschmack zu ›neutönerischen‹ Musik176, dies obwohl Pensis wenig Affinität beispielsweise zu Atonalität und Zwölftonmusik hatte. »Eine direkte oder auch nur vage Beziehung zum traditionellen Tonalitätsprinzip ist ihm eine entscheidende Voraussetzung für Qualitäts- und Wirkungsfähigkeit. Diese Einstellung belegen die Programme von Henri Pensis auf eindeutige Weise.« (Weber 1993, S. 17) Pensis führte zwar am 25. September 1933 Verklärte Nacht von Schönberg im Rahmen einer Soirée autrichienne auf (LW 23.9.1933, S. 8). Danach spielten Kompositionen der Zweiten Wiener Schule im Repertoire des Orchesters aber keine Rolle mehr. Es zeigt sich also, dass die Luxemburger Komponisten und Komponistinnen in ihrer ausgeprägten Vorliebe für die Tonalität im Prinzip im Einklang mit dem medienwirksamen Geschmacksbildner Henri Pensis standen, der seinerseits aber wiederum nur eine Tendenz spiegelte, die generell Musik im Radio der 1930er Jahre kennzeichnet (Krenek 1938 und in Bezug auf Frankreich Bennet 2010, S. 48). Bei den öffentlichen Konzertauftritten des Rundfunkorchesters, vor allem im Ausland, stand dieses als »ausgezeichnet« betitelte Repertoire im Zentrum, und nur für dieses wurden die renommiertesten Solisten und Solistinnen aus dem Ausland engagiert.177 Und auch Stimmen in der Presse, die sich zu Programmwünschen äußerten, wollten im Radio in allererster Linie das ›Meisterrepertoire‹ hören: »Den Kern des Luxemburger wie jedes anderen musikalischen Sendebetriebes bildeten und werden auch in Zukunft die großen Symphonie-Abende des Orchesters bilden.« Diese wurden hier verknüpft mit Beethoven, Haydn, »den deutschen und französischen Romantikern bis Bruckner und Mahler«, den »drei größten Neuerern der jüngeren Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Generation Busoni, Schönberg und Strawinsky« bis hin zu Hindemith und Weill. Zwar wurden hier diesmal die ›concerts variés‹ samt deren Aufgabe, »in leichtester und angenehmster Form kunsterzieherische Arbeit zu leisten«, lobend erwähnt: »In dem Bestreben, auch die täglichen Unterhaltungskonzerte, ja selbst die Reklame-Programme des Orchesters nach bestimmten musikhistorischen bzw. bildungsmäßigen Gesichtspunkten zu ordnen und sie damit in ihrem Niveau und in ihrem künstlerischen und volkserzieherischen Wert zu erhöhen, sollte Henri Pensis mehr noch als bis jetzt die wärmste Unterstützung aller maßgebenden Faktoren finden.« Aber die in den ›concerts variés‹ gespielte oder für diese gewünschte Musik wurde hier nicht mit bestimmten Namen von Komponisten und Komponistinnen in Verbindung gebracht (T 11.7.1936, S. 9). Rezensiert wurden in der internationalen Presse und Fachpresse sowie in den nationalen Zeitungen ebenfalls nur die öffentlichen Konzerte und Radiokonzerte, die diesem Repertoire gewidmet waren.178 Dominique Heckmes schrieb am 22. Dezember 1934 zum Programm des »Meisterkonzertes« vom Tag zuvor, bei dem Franck, Berlioz, Ravel und Schumann mit dem Cellisten Gregor Piatigorsky auf dem Programm standen: »Besteht also, ja oder nein, die Möglichkeit, hier in Luxemburg über das ›Arme Leute kochen mit Wasser‹ hinaus zu wachsen und auf musikalische Höhen zu gelangen? Das Konzert, das Herr Henri Pensis, der musikalische Leiter unserer Funkstation, gestern Abend vom Cerclefestsaal aus in die Welt sandte, gehört zweifellos zu dem Besten, was wir in Luxemburg erlebt.« (LW 22.12.1934, S. 4) In all diesen öffentlichen Konzerten und Radiokonzerten wurden größere Werke, etwa die Orchesterlieder, von Lou Koster nicht gespielt, während immer wieder die Musik anderer Luxemburger Komponisten, allen voran von Henri Pensis selbst, Aufnahme in solche Programme fand.179 Das Orchester spielte nachweislich nur ein einziges Mal eine Komposition von Koster in einem öffentlichen Konzert: Im Rahmen des vom Verein D’Hémechtssprôch organisierten ›Patriotischen Konzerts‹ gelangte ihr Orchesterlied Akaziebléi nach einem Text von Willy Goergen zur Aufführung. Laure Bodson-Koster antwortete am 11. März 1996 auf die Frage, wie sie die Unterstützung der Komponistin durch den Leiter des Orchesters von Radio Luxemburg, Henri Pensis, einschätze: »Oh, er hätte sich für Lou mehr, als er es tat, einsetzen können … Na ja, wenn sie ein Mann gewesen wäre, dann wäre es anders gewesen. Was will man, eine Frau wird immer in die Ecke gedrückt.« Spielte Laure Koster hier auf die Zeit nach dem Krieg an, in der sie selbst im Orchester spielte (1950 und 1956) und in der die Musik von Koster immer mehr aus dem Repertoire des Orchesters verschwand? 334

Die Musik

Man kann sich allerdings fragen, wie objektiv Laure Koster Pensis Einsatz für die Schwester bewerten konnte, da sie sich zu diesem Zeitpunkt selbst kaum noch an die Orchesterwerke der Schwester erinnerte (vielleicht aber wiederum aus dem Grunde, dass es seit Langem dafür auch keine Erinnerungsanlässe mehr gab). Von einer gewissen medialen Popularität zum Vergessen. Zusammenfassung und Schlussfolgerung Durch seine Sendekapazität erweiterte Radio Luxemburg – die neue »SuperStation«, wie der Sender in der Presse damals betitelt wurde180 – den bis dahin eingeschränkten Musikkommunikationsraum von Lou Koster um ein Vielfaches. Dass Radiohörer der Zwischenkriegszeit stark am Empfang ausländischer Stationen interessiert waren, spiegelt sich in den in- und ausländischen Tages- und Radiozeitungen, die die Programme vieler europäischer Sender veröffentlichten, aber auch in der internationalen Hörerpost, wie sie für Radio Luxemburg belegt ist. Wenn auch die angestrebte internationaleuropäische Ausrichtung der Station sich nicht immer und kontinuierlich konsequent im gesamten Programm abbildete, waren der Empfangsradius und der Rezeptionsraum doch entgrenzt. Sogar die sich ausschließlich an ein luxemburgischsprachiges Publikum richtenden Sendungen konnten von im Ausland lebenden LuxemburgerInnen bis nach Neuseeland gehört werden.181 Musik aus Luxemburg, ein weißer Fleck auf der musikalischen Europa- oder Weltkarte, wurde von einem Tag auf den anderen in weiten Kreisen hörbar. Einer vorher vor allem regional fokussierten Kulturproduktion (›place‹) eröffnete Radio Luxemburg zentrifugal den Raum (›space‹). In der Konzeptionsphase der Station machte der Staat dem Unternehmen kaum Auflagen, inwiefern kulturelle und musikalische Beiträge aus Luxemburg in die Programme einzubeziehen seien. In seinen Bemühungen, dem luxemburgischen Publikum die nationalen Interessen des Projektes näherzubringen, zählte auch Émile Reuter die grenzüberschreitende Vermittlung von Musik, Literatur und Kunst aus dem Land nicht zu den von ihm hervorgehobenen Anreizen. Und dennoch fand in der Umsetzungsphase in dieser Beziehung eine Akzentverschiebung statt. Die Direktion, der Verwaltungsrat und der künstlerische Leiter hielten Musik aus der Region für europaweit über das Radio vermittlungswürdig. Im Gegensatz hierzu war bereits vor Sendebeginn vermehrt in der Presse, der Abgeordnetenkammer und in Schriftdokumenten von Radiovereinen offen Skepsis geäußert worInstrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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den, Kunst aus Luxemburg über die Grenzen hinweg im Radio zu vermitteln und in Konkurrenz mit den ›Meisterwerken‹ des Auslands treten zu lassen. Dass Radio Luxemburg sich für die Instrumentalmusik von Koster interessierte, ist ein Zeichen dafür, dass sie für bestimmte Zielgruppen für relevant gehalten wurde und sie für den Rundfunk gute Dienste zu leisten versprach. Pensis hatte offensichtlich erkannt, dass es zwischen rundfunkgeeigneter Musik und einer in Luxemburg von vielen KomponistInnen vertretenen Musikästhetik der Schlichtheit und Klarheit eine Schnittstelle gab. Diese tonale, oft auch unterhaltende, ›gut verdauliche‹ Musik war einer breiteren Zuhörerschaft zugänglich, und diente als Medium, um Kultur zu demokratisieren. Aus der Sicht zeitgenössischer Radioproduzenten eignete sich eine Komponistin wie Koster als Vermittlerin im Bereich der ›mittleren Musik‹. Ihre Musik für oder mit Orchester wurde fast ausschließlich in Programmzusammenstellungen nach dem Muster des ›concert varié‹ integriert und nach diesen Kriterien ausgewählt. So wurden ihren Orchesterliedern die Walzer und Märsche bei Weitem vorgezogen.182 Ein Zugang zu den »musikalischen Höhen«, d.h. den Radiokonzerten und öffentlichen Konzerten des Rundfunkorchesters, in denen das kanonisierte ›Meister‹-Orchesterrepertoire im Mittelpunkt stand, blieb nur wenigen ihrer männlichen luxemburgischen Kollegen vorbehalten. Während das Konzept der ›concerts variés‹ sich über die Jahre im Radio bewährte, verzeichnete die von 1933 bis 1939 verfolgte Idee, in Spezialsendungen Luxemburg eine musikalische Identität zu verleihen, weniger Erfolg. Dies zeigen die Beispiele der aufeinanderfolgenden Soirée luxembourgeoise und der Luxemburger Stunde, deren Sendezeiten im Verlauf der Zeit in beiden Fällen zuerst um die Hälfte eingekürzt, bevor sie ganz abgesetzt wurden, während in den Nachfolgesendungen Luxemburger Sendung und Luxemburger Künstler vor dem Mikrophon die Musik nur noch eine untergeordnete Rolle spielte. Musik aus der Region in national abgesteckten Hörräumen in das Programm aufzunehmen wurde offensichtlich als problematischer angesehen, als sie in passende internationale Sendekontexte zu integrieren. Dass die Rundfunkrezeption sich positiv auf Lou Kosters Selbstwertgefühl auswirkte183, zeigt der Stolz, mit dem sie gegen Ende ihres Lebens in einem persönlichen Anhang zu ihrem Testament an die Orchestermärsche (wenn auch nicht die Walzersuiten!) erinnerte, die »vom Radioorchester unter Henry [sic] Pensis – und von der Militärmusik oft und gerne gespielt und gehört wurden« (ALK, LK 6A 4 1972.03.01, L). Die Aufführungen im Kontext von Sendungen motivierten sie möglicherweise in dieser Zeit zum Schreiben weiterer Werke für das Radio, in denen sie sich schon beim Kom336

Die Musik

ponieren speziell an ein Radiopublikum wandte und das Sendestudio als Aufführungs- und Hörraum, wie Beatrix Borchard es formuliert, mit »einkomponierte« (Borchard 2002, S. 16). Dies bleibt aber lediglich eine Vermutung, denn weder die Notenmanuskripte selbst noch die wenigen heute überlieferten Schriftquellen geben in dieser Hinsicht gesicherte Auskünfte. Generell schien Lou Koster über das Radio ungleich leichter als im öffentlichen Konzert ein Publikum zu finden. Im Radio, in dem Musizieren und Hören räumlich entkoppelt sind, konnte ihre Musik eventuell geschlechtsloser und somit vorurteilsloser wahrgenommen werden als im Konzert. Aus den in den Radioprogrammen angekündigten Namen konnte nicht herausgelesen werden, ob es sich um die Musik eines Komponisten oder einer Komponistin handelte (›Lou Koster‹, ›Le compositeur [!] Lou Koster‹, ›L. Koster‹, ›Koster‹). Ob in Ansagetexten ihr Geschlecht thematisiert wurde oder nicht, bleibt ungeklärt, da weder Skripte noch Tonaufnahmen erhalten sind. Sicher ist aber, dass Inhalt sowie Wortwahl dieser Texte samt etwaiger diskursiver Äußerungen zu ihrem Geschlecht – wie zu ihrer nationalen Zugehörigkeit – für ihre öffentliche Wahrnehmung nicht ohne Belang waren. Es deutet nichts darauf hin, dass die Präsenz ihrer Musik im Rundfunk einen Nachhall im Konzertleben hatte, der sich z. B. durch ein erhöhtes Interesse anderer Orchester an ihrer Musik oder durch häufigere Aufführungen ihrer Lieder in Konzerten hätte zeigen können. Dass das Radiohören zu einem begleitenden, weniger aufmerksamen Hören als im Konzertsaal tendiert, bleibt als Erklärung unbefriedigend. Selbst vom Radioorchester wurde ihre Musik nur im Sendestudio und bis auf eine einzige Ausnahme nicht in öffentlichen Konzerten aufgeführt. Unter den Kommunikationsinstrumenten interessierte sich das Radio ungleich stärker für Kosters Musik als die Presse. Auch auf die häufigen Rundfunkaufführungen ihrer Musik oder die ihr gewidmeten Porträt- oder Spezialsendungen reagierte die Presse nicht. In den Musik- oder Funkseiten wurden diese in keinerlei Form besprochen.184 In der Rubrik ›Luxemburger Funkkritik‹ fällt übrigens der Begriff ›Komponistin‹ nur ein einziges Mal: In dem Artikel »Uraufführungen« verfasst der Kritiker ›Luvignus‹ eine knappe, negative Kritik der vom Orchester Radio Luxemburg uraufgeführten Fantaisie für Klavier und Orchester von Renée Staelenberg (T 14.3.1936, S. 10). In den Tageszeitungen erscheint Kosters Name in Bezug auf Radio Luxemburg nur in den Radioprogrammen. Ihre Musik wurde ebenso wenig in der zeitgenössischen Sekundärliteratur zum Thema Musik in Luxemburg behandelt: J­ oseph Meyers erwähnte in seinem 53-seitigen, namensreichen Überblick über die Musikgeschichte Luxemburgs, den er für den Prachtband zur Hundert­ Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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jahrfeier der Unabhängigkeit schrieb, die Komponistin mit keiner einzigen Zeile (Meyers 1939). Dabei hatte er im Radio die Luxemburger Stunde mit koordiniert, und Koster und ihre Musik waren ihm somit ein Begriff.185 Martin Zierold weist darauf hin, dass ein Medienangebot oder ein Medium immer erst durch sozialen Gebrauch zur Erinnerung, zu einem ›Medium des kollektiven Gedächtnisses‹, werden kann. Ob bestimmte Medienangebote später als Erinnerungsanlässe genutzt werden können, hängt von den technischen Dispositiven der Medien ab, die dies ermöglichen oder auch verhindern. Erst die Materialität, die Speichermedien der betreffenden Technologie, kann für ein Medienangebot eine ›stabile Identität‹ schaffen (Zierold 2006, S. 105, 167). Da aus den 1930er Jahren keinerlei Radiotondokumente mit Musik von Lou Koster überliefert sind, war eine Funktionalisierung als ›Erinnerungsmedienangebote‹ zu einem späteren Zeitpunkt allein aus Gründen fehlender Materialität nicht möglich. Wie im biografischen Teil erwähnt, blieb seitens Radio Luxemburg in der Nachkriegszeit und bis in die 1990er Jahre weiterhin ein Interesse an der Musik von Koster bestehen, allerdings mit einer Akzentverschiebung: Die Instrumentalmusik, die in den 1930er Jahren im Zentrum gestanden hatte, wurde nach 1960 nicht mehr gespielt. Zwischen 1950 und 1960 zeichnete Radio Luxemburg an vier Aufnahmeterminen noch fünf Orchesterlieder und vier Orchesterstücke von Lou Koster im Tonstudio auf. Danach verlagerte sich der Schwerpunkt vollständig auf ihr Vokalschaffen – hier vor allem ihre Lieder –, das vom Radio an insgesamt 27 Aufnahmeterminen aufgezeichnet wurde.186 Diese Entwicklung folgte möglicherweise derjenigen der Komponistin, die sich ab den 1950er Jahren vor allem auf Liedkompositionen konzentrierte und diese mit dem Ensemble Onst Lidd in Konzerten präsentierte, worauf diesmal die Printmedien mit Interesse reagierten. Die Akzentverschiebung könnte aber auch mit einem abnehmenden Interesse seitens des Radioorchesters zusammenhängen: 1956 war Henri Pensis gestorben und Koster verlor einen für sie wichtigen Mentor. Pensis’ Nachfolger setzten andere musikalische Akzente. Orchesterunterhaltungsmusik spielte generell nach 1960 beim Radio keine große Rolle mehr. Durch die Aufspaltung des großen europäischen Senders in mehrere Landessender und die Schaffung von RTL Fernsehen erhielt das Orchester neue Funktionen und auch eine neue Identität.187 Damit veränderte sich auch das gespielte Repertoire, und die Musik aus Luxemburg hatte eine zunehmend geringere Bedeutung.188 Setzte sich Koster in der Nachkriegszeit überhaupt noch für Aufführungen ihrer Orchestermusik und ihrer Orchesterlieder ein? Zumindest das Orchesterliedschaffen harmonierte ja mit ihrem neuen Arbeitsschwerpunkt. 338

Die Musik

Möglicherweise erschien ihr ein Einsatz dafür in einer Zeit, in der sie ihre persönliche Enttäuschung in Bezug auf ihre schwierige Rezeption als komponierende Frau immer wieder äußerte, als zu aufwendig. Vieles spricht dafür, dass ihre Fokussierung auf die Lieder auch eine pragmatische Entscheidung war, denn Liedkonzerte mit eigenem Ensemble zu organisieren war wesentlich leichter, als Orchester für Aufführungen zu motivieren. In ihrem im Januar 1961 verfassten Curriculum Vitae wie in den Interviews, die sie ab 1950 gab, erwähnte Lou Koster ihre Instrumentalmusik kaum noch. Könnte sich dieses selektive Verschweigen von Teilen ihres musikbezogenen Handelns dadurch erklären, dass sie sich später eventuell von ihrer Unterhaltungsmusik der 1920er und 1930er Jahre distanzierte? Dagegen spricht, dass sie nach dem Krieg, wenn auch nicht ihre Walzersuiten, so doch von Zeit zu Zeit ihre Märsche erwähnte, denen sie offensichtlich also Bedeutung zumaß. Möglicherweise sah sie ihre Beiträge zu dieser Gattung als einen Schlüssel, der ihr einen Eingang in die lokale, stark militärmusikalisch geprägte Musikgeschichte verschaffen konnte. Mit ihren Märschen setzte sie aber auch eine Familientradition fort. Ihr Großvater, auf den sie sich zeitlebens berief, hatte für die luxemburgische Militärmusik Märsche komponiert und arrangiert. Der Marsch De Jang, den sie explizit erwähnte, hatte außerdem für sie eine emotionale Bedeutung, da sie das Stück als eine Hommage an ihren verstorbenen Vater geschrieben hatte. Da Lou Koster selbst später die Erinnerung an ihre vom Radio in den 1930er Jahren gespielte Instrumentalmusik kaum reaktualisierte und auch von außen keine Erinnerungsanlässe durch Aufführungen geschaffen wurden, ist es nicht verwunderlich, wenn die persönlichen Erinnerungen an diese Musik bei den Verwandten Laure und Maisy Koster mit der Zeit immer mehr verblassten bzw. dass auch sie sich nur mehr an ein paar Märsche erinnern konnten. Die aktuelle Forschung zur Soziologie des Vergessens geht davon aus, dass nicht nur das Erinnern, sondern auch das Vergessen, die eng aufeinander bezogen sind, individuelle wie gesellschaftliche systemerhaltende Aufgaben und Funktionen hat und in einem Verhältnis zu sozialen Praktiken steht (Dimbath Wehling 2011, S. 7–34; Zierold 2006, S. 52). Vergessen ist Teil der Konstruktion von Vergangenheit, die den Zweck hat, die individuelle wie die kollektive Identität zu stabilisieren (»identitäts- und gemeinschaftsstiftendes Vergessen«, Dimbath Wehling 2011, S. 22). »Politiken der Erinnerung sind immer, teils bewusst und gewollt, teils unbewusst, auch Politiken des Vergessens. Sie blenden oder grenzen manche Erinnerungen aus, deuten andere um, schwächen diese ab und verstärken jene.« (ebd., S. 24)

Instrumentalmusik im Äther – Mikroblick: Radio Luxemburg

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Vergessen ist also nicht ein einfaches Fehlen von Erinnerung, sondern »eine eigensinnige soziale und sozial geprägte Aktivität« (ebd., S. 17). Ohne Erinnerungsanlässe konnte diese Musik sich auch nicht bei den jungen Sängern von Onst Lidd im Gedächtnis verankern und sie konnte so auch, obwohl sie sich in deren Nachlass befand, trotzdem von ihnen einfach ›vergessen‹ werden. Dimbath und Wehling weisen darauf hin, dass es verschiedene Arten, Formen und Grade des Vergessens gibt: partielles oder vollständiges, vorübergehendes oder dauerhaftes, ungewolltes oder beabsichtigtes Vergessen, Vergessen als Verdrängen, Verschweigen, Marginalisierung, als Prozess des Blockierens von Verknüpfungen, Verlust oder Verblassen der Erinnerung, Vergessen aus Desinteresse oder als präreflexive Wissensform, womit wahrgenommene Eindrücke gemeint sind, die man sich nicht vollständig bewusst gemacht hat. Bestimmte gesellschaftliche Faktoren begünstigen oder verhindern das individuelle wie das kollektive Vergessen. Verfügbares kann vergessen werden, wenn die Aufmerksamkeit in eine andere Richtung gelenkt wird (wie bei Koster von der Instrumentalmusik zu den Liedern), weil manches nicht mehr als anschlussfähig erachtet wird (wie eventuell nach 1960 die Orchesterunterhaltungsmusik) oder weil die Autoren oder Themen als ›gefährlich‹ ausgegrenzt oder marginalisiert werden (so eventuell eine Orchesterkomponistin in den 1950er Jahren, einer Zeit, in der Frauen wieder verstärkt in ihre traditionelle, private Rolle zurückgedrängt wurden).

Die Lieder – materiale Dimension des Notenquellenkorpus Neben der Natur gehörte die Literatur zu Lou Kosters Hauptinspirationsquellen beim Komponieren. Nahezu vier Fünftel ihrer Kompositionen sind Vokalwerke: Lieder, aber auch Duette, Chöre, Orchesterlieder sowie einige Werke bzw. Bühnenwerke für Solisten, Chor und Orchester. 164 Liedvertonungen können nachgewiesen werden, bis auf acht sind auch alle erhalten, und bei 21 davon handelt es sich um Kinderlieder. Von diesen Liedern veröffentlichte sie aber lediglich 25. Neben diesen Soloklavierliedern komponierte sie zehn klavierbegleitete Duette, und 31 der Lieder legte sie zusätzlich in einer Version für Stimme und Orchester vor. Viele Lieder existieren gleich in mehreren, oft undatierten handschriftlichen Abschriften, die des Öfteren in Details oder auch weitgehender voneinander abweichen, womit bei Aufführungen, Einspielungen oder Editionen immer vorerst die Frage zu klären bleibt, welche Abschrift für die Interpretation oder den Druck als Grundlage gewählt werden soll. Aus diesem Grund scheint es an dieser Stelle sinnvoll – 340

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als Vorarbeit für eventuelle künftige Aufführungen oder Druckvorhaben der Lieder – die Quellen in ihrer Materialität zu beschreiben. Die Lieder basieren auf Texten von 35 verschiedenen Dichtern, 27 männlichen und sieben weiblichen Autoren. Bei den Autorinnen handelt es sich, mit einer einzigen Ausnahme – Renée J. Ray –, ausschließlich um Luxemburgerinnen.189 Von Dichtern aus Deutschland, Österreich und der Schweiz, vor allem aus dem 19. Jahrhundert, vertonte sie insgesamt 16 Texte.190 Bei zehn Liedern stammen die Texte von französischen DichterInnen.191 Von den 26 Liedern nach Texten ausländischer Autoren veröffentlichte sie nur drei: Feldeinsamkeit (Allmers), Ein Stündlein wohl vor Tag (Mörike) und Des cendres encor’ chaudes (Ray). Der Anteil von Texten luxemburgischer SchriftstellerInnen ist auffallend hoch: 125 Vertonungen von Texten, allesamt aus dem 20. Jahrhundert, sind überliefert, von denen sie 23 publizierte. Nur wenige Komponisten haben sich so intensiv und kontinuierlich mit den Literaturen aus Luxemburg – in Luxemburgisch, Deutsch, Französisch – auseinandergesetzt wie Lou Koster Vertonungen Luxemburger Literatur in drei Sprachen Im Gegensatz zu manchen ihrer Kollegen – wie beispielsweise Théodore ­ ecker, der sich in seinem Liedschaffen fast ausschließlich auf die HeimatD dichtung von Willy Goergen konzentrierte und sich damit an ein ganz spezifisches Hörerpublikum wandte – beschränkte sich Lou Koster keinesfalls auf das luxemburgischsprachige Lied. Innerhalb des Korpus von Liedern nach Texten Luxemburger Autoren legte Koster Wert auf thematische, ästhetische und vor allem sprachliche Vielfalt und wählte Gedichte in den drei Literatursprachen Luxemburgs aus. Neben den Heimatdichtern wandte sie sich vielfach SchriftstellerInnen zu, die in ihren Texten einen thematischen Bezug zu Luxemburg mehr vermieden als betonten und die mit ihrer Dichtung in deutscher und französischer Sprache Anschluss an ein Lesepublikum außerhalb von Luxemburgs engen Grenzen suchten. Drei Viertel ihrer deutschen und französischen Lieder stammen von Autoren aus ihrem Heimatland. Ihre Lieder spiegeln so die Trilingualität Luxemburgs wider. Um Lou Kosters dreisprachige Vokalmusik besser zu verstehen, muss man sie vor dem Hintergrund der in Luxemburg lange Zeit geltenden Sprachenhierarchie betrachten. Diese Hierarchie markierte verschiedene kulturelle Horizonte, die mit bestimmten Adressaten oder Publika verbunden waren: »ganz unten die lokale Mundart [das Luxemburgische], reserviert für Die Lieder – materiale Dimension des Notenquellenkorpus

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das affektive, tägliche, materielle Leben; in der Mitte das Hochdeutsche, das in der Presse für soziale Kommunikation, in Predigten und in der Politik gebraucht wurde; ganz oben auf der Skala das Französische, die Sprache der Anwälte, der Abgeordnetenkammer, der Kanzel, der Tribüne, der Salons, des vornehmen Lebens« (Wilhelm, »Le champ littéraire francophone«, 1999, S. 349, F). Man wählte nicht in erster Linie zwischen der »Sprache von Dicks, Goethe oder Victor Hugo«, um sich für diejenige zu entscheiden, in der das, was man mitteilen wollte, sich am besten ausdrücken ließ. Mit der Entscheidung für eine Sprache positionierte der Sprecher oder Schreibende sich, so Wilhelm, auf einer »Werteskala« und gab für sich selbst das Bild eines bestimmten kulturellen Akteurs ab. Die je nach Sprache unterschiedlichen Ausdrucksebenen spiegeln sich in den Texten, die Koster für Vertonungen auswählte: Während Goergen z. B. bewusst einfache Texte schreibt, die vom Alltagsleben, oft vom Bauernleben, handeln und von denen er wollte, dass sie jedem zugänglich seien, entwirft Palgen beispielsweise in einem Text wie Chanson lunaire dichte, surreale und expressionistische Bilder, die damals in der Literatur in luxemburgischer Sprache noch nicht denkbar waren. Die Literaturwissenschaftlerin Germaine Goetzinger schreibt über die »widersprüchliche und komplexe Realität des multilingualen Kulturraums«: »Nicht einheitliche Sprache, sondern Sprachvielfalt wird vorgeführt, und die Skepsis dehnt sich auch auf das Nationalgefühl aus, wenn der Fuchs im 10. Gesang des Epos [Renert von Michel Rodange] sagt: ›Dad halen mir fir weis: Franzôs och beim Champagner, Beim Rhëinweïn si mer Preis.‹ [Das halten wir für weise: Franzose beim Champagner, beim Rheinwein sind wir Preuße.]« (Goetzinger 2004, S. 19) 125 Lidder, Mélodies, Lieder auf Texte luxemburgischer AutorInnen 41 luxemburgische Lieder Willy Goergen Nikolaus Welter 30 deutsche Lieder Marcel Gérard 10 französische Lieder Gregor Stein [= Pierre Grégoire] 6 deutsche Lieder Wöllem Weis 5 deutsche Lieder Lucien Koenig 5 luxemburgische Lieder Marcel Noppeney 4 französische Lieder Michel Hever 3 luxemburgische Lieder 2 französische Lieder Suzon Hédo Anise Koltz 2 deutsche Lieder Lou Koster 2 deutsche Lieder Isabelle Oberweis 2 französische Lieder 342

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Paul Palgen Félix Steinberg Nikolas Schaack Albert Hoefler Auguste Oster Lore Braun Albert Elsen Jean-Pierre Helminger François Meyer Agathe Conrath Henriette Theisen

2 französische Lieder 2 französische Lieder 1 deutsches Lied 1 deutsches Lied 1 deutsches Lied 1 deutsches Lied 1 luxemburgisches Lied 1 luxemburgisches Lied 1 luxemburgisches Lied 1 französisches Lied 1 französisches Lied

Der Literaturwissenschaftler Frank Wilhelm weist darauf hin, dass AutorInnen insbesondere in Ländern ›kleiner Dimension‹ immer in Bezug auf einen bestimmten kulturellen Horizont schreiben und dass die in einem breiteren europäischen Kontext verankerte Trilingualität in Luxemburg als eine Chance zu verstehen ist, diesen Horizont für einen transkulturellen Austausch zu öffnen, und gleichzeitig ein wirksames Gegenmittel gegen Abkapselung liefern kann: »So kann die Literatur der Definition nationaler Identität eine kosmopolitische Note verleihen […] Die kulturellen Referenzhorizonte luxemburgischer Autoren waren immer Frankreich und Deutschland.« (Wilhelm 1999, S. 7 f.) Eine Öffnung für andere ›Referenzhorizonte‹ kann man bei Koster z. B. auch in musikalischer Hinsicht feststellen. Oft passt sie ihre Liedvertonungen musikstilistisch dem Sprachraum der Texte an: Ihre deutschen Lieder lassen deutlich hörbar als Vorbild die Musik der deutschen Romantik erkennen, während ihre französischen Vertonungen sich stilistisch stärker an die französische Mélodie der Jahrhundertwende anlehnen.192 Wie Gast Mannes für den Bereich der Literatur feststellt, kann der Sprachwechsel zu einem, wie er es nennt, ›Identitätswechsel‹ führen, der in einer ›Mischästhetik‹ zum Ausdruck komme: »Der interkulturelle Transfer zwischen Frankreich und Deutschland ist, in seiner Essenz, bipolar. Die luxemburgische Identität führt durch die Spaltung Germanität/Romanität hindurch; um diese besondere Situation zu beschreiben, könnte man den Begriff der Tripolarität verwenden, der sich nicht nur auf die in Luxemburg so beliebte ›Mischkultur‹, sondern auch auf eine ›Mischästhetik‹ anwenden ließe […] Der Wechsel der Schreibsprache […] ist

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der unvermeidliche Identitätswechsel, der neue kosmopolitische Perspektiven eröffnet.« (Mannes 2005, S. 235 f.)

Oft wurde die Mehrsprachigkeit von Literaten allerdings vor allem als ein Hindernis sprachlicher Vervollkommnung betrachtet, das der Hervorbringung hochwertiger Texte im Wege stünde, womit sich der Kreis zum ›Petitessenkomplex‹ wieder schließt. Nikolaus Welter schreibt 1929 beispielsweise: »Durch das Verhängnis der sprachlich-geistigen Halbheit, zu der [der Luxemburger] verdammt bleibt, wurde und wird der begabte und gesunde Luxemburger Stamm um die feinsten Blüten seiner Kräfte betrogen.«193 Ob die in drei Sprachen vertonenden KomponistInnen unter einer ähnlichen Zerrissenheit litten wie ihre Schriftsteller-KollegInnen, wurde bisher noch nicht erforscht. Die Drucke Koster veröffentlichte, wie bereits erwähnt, insgesamt lediglich 25 ihrer Lieder.194 Wie die Schriftsteller standen die Komponisten in Luxemburg vor vergleichbaren Problemen, wenn sie publizieren wollten.195 Es fehlte weitgehend an einem (Musik-)Verlagswesen. Daher versuchten die AutorInnen und KomponistInnen, ihre Produktionen im Ausland zu publizieren, oder gaben sie oft auch im Eigenverlag heraus, finanzierten den Druck selbst und verzichteten wohl häufig in dem Fall auch auf einen kompetenten Verlagslektor: Für die beim Luxemburger Verlag B. Schellenberg erschienenen Lieder verhandelte Koster die Details zur Drucklegung z. B. direkt mit der belgischen Druckerei Dogilbert. Nach dem Erscheinen waren die Komponisten damit konfrontiert, dass es keine Fachzeitschriften und nur wenige sachverständige MusikkritikerInnen gab, die die Publikation zu rezensieren bereit waren. Neun deutsche, acht französische und zehn luxemburgische Lieder erschienen schließlich ab 1936 und vermutlich bis in die 1960er Jahre in belgischen Verlagen (Lauweryns) bzw. belgisch-französischen (Schott Frères) und luxemburgischen (Verlag B. Schellenberg; Lëtzeburger Vollekslidderverlag, Michel Kieffer). Die Drucke sind selten datiert. Aber auch wenn das Veröffentlichungsdatum bekannt ist oder annähernd festgelegt werden kann, kann man daraus nicht rückschließen, dass das Lied zeitnah komponiert wurde. Wie das Beispiel der Quatre mélodies nach Texten von Marcel Noppeney zeigt, kann zwischen Komposition und Veröffentlichung eine lange 344

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Zeitspanne liegen. Die vier Lieder wurden 1959 in Brüssel bei Schott Frères veröffentlicht. Wie ein handschriftlicher Eintrag in ihrem persönlichen Exemplar des Gedichtbandes Le Prince Avril belegt, beschäftigte sich die Komponistin aber bereits um 1936 mit Entwürfen zu diesen Liedern: Auf Seite 11 ist, neben dem ersten Gedicht, in der Handschrift der Komponistin ein Datum vermerkt: »9.V.1936«. Der Band enthält am Rand ausgewählter Gedichte zahlreiche Notenskizzen. Dass in den 1930er Jahren erste fertige Manuskriptfassungen entstanden, was angesichts der Entwürfe naheliegend scheint, ist nicht nachzuweisen, da sämtliche überlieferten Autografe undatiert sind (Roster 2014). Die Manuskripte und die Entwurfsskizzen Die meisten der Lieder sind also nur in Form von Autografen überliefert. Annegret Huber hat auf die Problematik hingewiesen, dass in Manuskriptform überlieferte Musik nicht automatisch als eine vollendete und von der Komponistin autorisierte Fassung gelten darf und dass der Umgang mit solchem Material bei Analysen und Editionen, aber auch bei der Auswahl von Liedern für Konzertprogramme eine besondere Sensibilität verlangt (Huber 2011, S. 30 f.). Ein von der Komponistin selbst vorbereiteter Druck sei hingegen als ein Akt der Autorisation zu interpretieren. Die Frage, ob Koster ihre Lieder in allen Fällen auch für Konzertaufführungen vorsah, stellt sich auch bei vermutlichen Gelegenheitskompositionen. So enthält das einzige Autograf von Herbstlied nach einem Text der ansonsten unbekannten Dichterin Lore Braun die handschriftliche Widmung: »Regine zum Dank für Rosen und Blaubeeren«. Bei der Widmungsträgerin handelt es sich um Regine Arend-Hildgen, die Mutter von Venant Arend. Die Komponistin verschenkte des Öfteren Autografe auch an MusikerInnen, die sie schätzte, und versah sie zum Teil mit Widmungen oder notierte den Namen des Interpreten oder der Interpretin oben auf das Notenblatt. Diese Praxis erklärt, warum es von vielen Liedern mehrere, häufig in musikalischen Details leicht abweichende Handschriften gibt. Die hohe Anzahl von Abschriften macht das Bemühen Kosters um die Verbreitung ihrer Musik sichtbar. Da die wenigsten der Autografe datiert sind, ist es auch nach einem Quellenvergleich nur in den seltensten Fällen möglich, eine Chronologie der Versionen zu erstellen. Bei Editionen, Aufführungen, Einspielungen stellt sich also immer gleich auch das Problem, welche der Handschriften als letzte Die Lieder – materiale Dimension des Notenquellenkorpus

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Reinschrift und Basis für zukünftige Aufführungen gelten kann. Die Feststellung einer weitgehenden Konvergenz der Quellen eines Liedes ließe dabei den Rückschluss auf eine weitgehend vollendete Version zu. Manchmal sind die Abweichungen zwischen den Versionen nur sehr gering, sie können sich z. B. auf die Transposition in eine andere Tonart beschränken. Bei verschiedenen Liedern finden sich substantiellere Veränderungen, wie z. B., dass der Ambitus der Singstimme durch Verlegung der Spitzentöne reduziert oder die Klavierbegleitung vereinfacht wird. Es scheint so, als habe die Komponistin solche Versionen gezielt für bestimmte InterpretInnen erstellt und sie an deren sängerische oder pianistische Fähigkeiten, aber auch Vorstellungen und Wünsche angepasst. Dies bestätigt Dany Kohl, die Tochter von Béby Kohl-Thommes, die so mancher Probe des Ensembles Onst Lidd beiwohnte: Lou Koster habe ihre Musik gerne für bestimmte Interpreten geschrieben, und bei dem ersten Musizieren eines neu komponierten Liedes sei ihr die Meinung des jeweiligen Interpreten sehr wichtig gewesen, auf Vorschläge, bestimmte Passagen umzuarbeiten, sei sie willig eingegangen.196 Bei vereinzelten Liedern wie Gleicht meine Seele nicht den Fluten (Gregor Stein) oder La lune blanche / O bien aimée (Paul Verlaine) sind die Änderungen so groß, dass man hier von zwei verschiedenen gleichberechtigten Vertonungen sprechen kann. Aus dem Nachlass der Komponistin sind in der BnL wie im CNL insgesamt rund 25 persönliche Gedichtbände erhalten, die zahlreiche Liedentwurfsskizzen enthalten. Ihre musikalischen Einfälle – Themen, Harmoniefolgen, Affekte – skizzierte sie, mal flüchtig, mal ausführlich, am Rande des auserwählten Gedichtes, oft bei Spaziergängen (siehe Abb. 22). Nach Hause zurückgekehrt, verarbeitete sie am Schreibtisch anschließend einen Teil dieser Skizzen zu Liedern. Ein weiterer Teil ihrer musikalischen Einfälle wurde nie verwertet. Blättert man in den sichtbar rege benutzten Gedichtbänden der Komponistin, hört man mit dem inneren Ohr Fragmente dieser zahlreichen unkomponierten Lieder. Autografe Liedsammlungen von Lou Koster Manchmal stellte die Komponistin Lieder in autografen Sammlungen zusammen. Von einigen Zusammenstellungen gibt es gleich mehrere Abschriften: Die Zwei Mailieder nach Texten von Goethe oder die Deux Mélodies nach Texten von Isabelle Oberweis existieren in dieser Zusammenstellung jeweils in drei Autografen, und von Hochsommer, zwei Liedern nach Texten 346

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von Anise Koltz, sind ebenfalls zwei Manuskripte überliefert. Von Ave ­Maria zusammen mit O Hochzeitsdâg (Willy Goiergen) sowie den Zwee Lidder nach Texten von Michel Hever gibt es sogar fünf Abschriften. Und auch von den zwei Winterliedern, Dezembergang zusammen mit Weihnachtsglocken (Nikolaus Welter), existieren vier Manuskripte. Hieraus kann man schließen, dass die Komponistin diese Lieder wohl auch in der Zusammenstellung aufgeführt wissen wollte. Andere Lieder erscheinen in stets neuen, unterschiedlichen Zusammenstellungen. Bedeutet dies, dass sie sie für konkrete Anlässe, Konzerte, neu zusammenstellte? Oder erstellte sie Sammlungen für bestimmte InterpretInnen und wählte dafür Lieder, die ihrer Meinung nach zu deren Stimme gut passten? Datierungen, Chronologie Die Erstellung eines chronologischen Liedverzeichnisses ist nicht möglich. Die allermeisten der Autografe sind, wie erwähnt, nicht datiert. Mit welchen Liedvertonungen die Komponistin sich in einem bestimmten Zeitraum beschäftigte, kann nur sehr lückenhaft zurückverfolgt werden. So gibt es z. B. kein einziges Lied, das ein Datum aus den 1910er, 1920er oder 1940er Jahren aufweisen würde.197 Auch muss man mit handschriftlichen Datierungen vorsichtig umgehen, manchmal hält das Datum nicht den Entstehungszeitpunkt der Komposition fest, sondern den unter Umständen viel späteren Zeitpunkt der Abschrift oder neuen Version bzw. der erst zu einem späten Zeitpunkt erfolgten Anmeldung bei der SACEM. Welche Fragen die Datierung aufwirft, soll exemplarisch an einigen Liedmanuskripten und -skizzen gezeigt werden. Ein handschriftlicher Vermerk hält fest, dass das einzig erhaltene Manuskript von Die Nachtigall nach einem Text von Theodor Storm im »Frühling 1934« entstanden ist (ALK, LK 1B1 159). Das persönliche Exemplar eines Gedichtbandes von Storm, aus dem sie u.a. diesen Text auswählte, ist überliefert.198 Es enthält am Rande von insgesamt 17 Gedichten musikalische Entwürfe199, von denen sie schließlich drei zu Liedern – Die Nachtigall, Oktoberlied und Ständchen – sowie zwei weitere zu gemischten Chören verarbeitete. In dem Gedichtband sind drei der 17 Entwurfsskizzen – darunter auch die zum Text ›Die Nachtigall‹ – auf »Frühling 1934« datiert. Damit scheint ausnahmsweise eindeutig belegt zu sein, dass dieses Lied im Frühling 1934 entworfen und vertont wurde.

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In ihrem Curriculum Vitae erzählte Koster, dass sie sich in demselben Jahr, 1934, Vertonungen von Texten Nikolaus Welters widmete: »Es waren dann die Gedichte von Nikolaus Welter In der Abendsonne, die mich sehr beeindruckt haben, und ich habe diese Gedichte nacheinander auf der schönen ›Hèdeköppchen‹ oberhalb der Pulvermühle 1934 vertont.« (Koster, Curriculum Vitae, 1961, F). Ihr persönliches Exemplar des Gedichtbandes In der Abendsonne konnte im Rahmen dieser Recherche in Privatbesitz geortet werden.200 Das Buch enthält undatierte – dem Curriculum Vitae nach 1934 entstandene – musikalische Skizzen zu 31 Gedichten, von denen Koster 15 zu Liedern verarbeitete.201 Die obige Formulierung »in Musik setzen« legt nahe, dass damit nicht nur die Skizzen, sondern die Vertonungen selbst gemeint sind und diese wohl in den 1930er Jahren entstanden. Eines der Lieder – Ein Turm im Norden, ein Turm im Süden – veröffentlichte sie tatsächlich zeitnah zu den Skizzen, im Herbst 1936. Und auf einem Manuskript findet sich ebenfalls ein Datum aus dieser Zeit: Ich wandle durch den Abendfrieden (ALK, LK 1B 24-b) enthält die Notiz »20.2.1936« sowie zusätzlich einen SACEMStempel vom »2.3.1936«.202 Wesentlich später datiert – »Herbst 1967« – sind die Handschriften Und lästert ihr euch die Finger krumm (ALK, LK 1B1 133b) und In der Abendsonne, Ich hab es endlich übers Herz gebracht (ALK, LK 1B1 26-a). Hier bleibt im Unklaren, ob diese beiden Lieder tatsächlich mehr als 30 Jahre nach den ersten Skizzen entstanden oder ob es sich möglicherweise bei den beiden Manuskripten um 1967 erstellte Abschriften früher komponierter Lieder handelt.203 Dass man von SACEM-Stempeln oder -Anmeldebögen nicht auf das Entstehungsdatum einer Komposition rückschließen kann, beweist das Beispiel von Mir ist wie einem Kinde, Im Volkston (Nik Welter). Das Manuskript mit der Signatur ALK, LK 1B1 49-b ist auf den »20.3.1936« datiert, während sich auf einer anderen Handschrift (ALK, LK 1B1 49-c) ein Stempel der SACEM vom 29. März 1967 befindet. Mindestens 31 Jahre liegen hier zwischen der Entstehung und der Anmeldung des Liedes. Auch Erstes Mailied, Zwischen Weizen und Korn nach einem Text von Goethe entstand laut Manuskript LK 1B1 58-a am »12.XI.1934«. Erst 30 Jahre später, am 12. August 1964, meldete Koster das Lied bei der SACEM an (ALK, LK 5A 2 1964.08.12). Termini ante quem können für undatierte Lieder aus Aufführungsdaten, Radiosendungen oder sonstigen Dokumenten abgeleitet werden. Auch die intensive Beschäftigung mit der Dichtung von Willy Goergen in der Zwischenkriegszeit wird durch datierte Entwurfsskizzen bestätigt: In das Bändchen Fir de’ Klèng Fir de’ Gro’ss. Nei Lidder a Gedichter (1920) notierte 348

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die Komponistin: »Weihnachten 34 Lou Koster 2. Gedichtband vom Autor geschenkt, ich verlor den ersten, der viele Annotierungen enthielt L.K.«204 Diese Notiz bezeugt, dass die sechs aus Skizzen aus diesem Band erarbeiteten Lieder also erst nach Weinachten 1934 entstanden sind.205 Die Datierungen von Skizzen liefern generell termini post quem für die Lieder, indem sie den frühesten Zeitpunkt festhalten, an dem die Komponistin sich mit einer bestimmten Liedvertonung zu beschäftigen begann. Den Band Spackelrŏsen (1912) von Willy Goergen erwarb Koster im Erscheinungsjahr, wie aus der Anmerkung »1912 L Koster« hervorgeht. Zwei von zehn Entwurfsskizzen sind datiert, sie entstanden erst 24 bzw. 27 Jahre nach dem Erwerb des Bandes: Abrel! Abrel! enthält das Datum »Fre’jor 1936«, und bei Op Allersělen ist zu lesen »21.IX.1936«. Die Skizzen zu den zwei Goergen-Liedern Emmer bass du schěn und Net ömmer ass den Himmel blo aus dem 1915 publizierten Band Sturm a Sonnenschein, von dem man diesmal nicht weiß, seit wann er im Besitz der Komponistin war, enthalten den Vermerk »25.I.1939«.206 Nur sehr vereinzelt sind handschriftliche Abschriften von Gedichten überliefert, zu den Ausnahmen gehört eine Entwurfsskizze zu einer Vertonung des Gedichtes Adieu suprême von Anna Beffort vom »mardi 7 janvier 1936« (ALK, LK 1B1 167), diese wurde aber offensichtlich von Koster nicht zu einem Lied oder Chorstück weiterverarbeitet. Die Orchesterlieder Zu 31 Klavierliedern erarbeitete Lou Koster zusätzlich jeweils auch eine Orchesterversion. Zu nur sieben ist die Orchesterpartitur heute erhalten. Es handelt sich dabei um Ge’ mâch we’ d’Bâch (Willy Goergen), O die Hände, Deine Hände (Nikolaus Welter) sowie fünf Orchesterlieder nach Texten von Paul Verlaine.207 Zu 23 ist nur das Stimmenmaterial überliefert – manchmal komplett und somit zu einer Partitur rekonstruierbar, manchmal aber auch nur fragmentarisch. Zwei Orchesterlieder gelten als komplett verschollen: Von Sérénade à Nina (Alfred de Musset) existiert nur noch eine Tonaufnahme des Orchesters Radio Luxemburg mit dem Solisten Fernand Koenig vom 24. Februar 1953. Am 8. Dezember 1936 wurde nachweislich auch das Orchesterlied Menschliches Lied (TextautorIn unbekannt) in einer Interpretation vom Rundfunkorchester Radio Luxemburg und mit der Solistin Marta Heuertz-Horwa im Radio gesendet (LW 7.12.1936, S. 7), von ihm ist weder die Version als Orchesterlied noch die eines Soloklavierliedes erhalten. Auch von drei der nur fragmentarisch, lediglich mit Stimmenmaterial überlieferten Die Lieder – materiale Dimension des Notenquellenkorpus

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Lieder existieren historische Tonaufnahmen vom Orchester Radio Luxemburg unter der Leitung von Henri Pensis bzw. Carlo Kaufhold aus dem Jahr 1952: Feldeinsamkeit, Du friddlech Stèrennuecht und Häerzklappen. Eine Besonderheit der sieben erhaltenen Orchesterpartituren ist, dass die Singstimme fehlt. Dem Orchestermaterial lag bei dem Wiederfund aber jeweils eine handschriftliche Abschrift bzw. ein Druck des Liedes in der Fassung für Singstimme und Klavier bei, die dem Solisten wohl als Klavierauszug dienen sollte. Dans la Rosée, basierend auf dem Lied Rosée Sérénade auf einen Text von Gottfried Keller, wurde allerdings 1952 als reine Serenade für Orchester, also ohne Singstimme, vom Orchester Radio Luxemburg unter der Leitung von Carlo Kaufhold aufgeführt und auch aufgezeichnet. Eine Notiz auf dem Manuskript LK 1B1 54-a bestätigt die Besetzung für Orchester allein, denn am Rande des Melodiebeginns ist zu lesen: »2 violons solo«. In der Liedversion LK 1B1 54-d, die dem Orchestermaterial beilag, ist allerdings oben in der Handschrift Kosters als Untertitel zu lesen: »für Gesang und Orchester«. Dies deutet darauf hin, dass die Komponistin wohl zumindest bei diesem Lied beide Möglichkeiten offenlassen wollte und die Singstimme von der Solovioline übernommen werden konnte. Frauen- und Männerbilder in den Texten Betrachtet man die Lieder nach den Sujets der vertonten Gedichte, fällt auf, dass zwei Themenkreise im Zentrum stehen: Nahezu die Hälfte befasst sich mit der Liebe, der Beziehung zwischen den Geschlechtern und mehr als ein Drittel mit der Natur. Auffallend ist, dass Lou Koster häufig Texte vertonte, in denen ein männliches Subjekt die Ich-Perspektive einnimmt. Lieder, die aus dem Blickpunkt eines weiblichen Subjekts geschrieben sind, sind wesentlich seltener. Das kann daran liegen, dass in ihrem Liederkorpus männliche Autoren, die im Schnitt die männliche Perspektive bevorzugen, überwiegen. Die Frauen- und Männerbilder in den Liedern nach Texten von Willy Goergen sind äußerst traditionell: Die ideale Frau ist treuherzig, herzenskundig, kindhaft und häuslich (vgl. Häerzklappen; Am Oweswand; Riedchen, tommel dech). Die ideale Liebe zwischen Mann und Frau vergleicht der Dichter in Eng Baureléift mit der Liebe zur ›heiligen Scholle des Ackerlandes‹. Liebe kann bei Goergen auch gefährlich sein. Häufig ist sie zumindest launenhaft (z. B. in Abrëll; Beim Nélchesstack; Nët ëmmer ass den Himmel blo). In Akaziebléi wird die Liebe schöner Frauen – im Plural – zum Mann mit dem betörenden Duft der Akazie gleichgesetzt, der den Mann trunken und zugleich ängstlich 350

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macht. Die Frauen- und Männerbilder in anderen luxemburgischen Liedern von Koster sind meistens nicht weniger konventionell: Die blauäugige Frau in Michel Hevers naivem Liebeslied Goldech Drém bezwingt mir ihrem unschuldigen Lachen. Etwas derber und sinnlicher geht es in den ›Kussliedern‹ Lucien Koenigs (Don Juan; Dory) zu. In Dory ist die Geliebte ein ›Kindchen‹, ›herziges Kind‹ mit ›kleiner Hand‹ und sinnlichem ›Mündchen‹. Die Lieder Lachendes Lieb’ und Sonniges Lieb’, die Lou Koster als Tango bezeichnet, stammen vermutlich beide aus ihrer eigenen Feder. Namentlich hat sie sich selbst nur in einem von zwei Autografen von Lachendes Lieb’ als Textautorin bezeichnet. Diese Tangos sind dem Bereich der Unterhaltungsmusik zuzurechnen. Es handelt sich dabei vermutlich um frühe Gelegenheitskompositionen, die sie möglicherweise bei ihren Auftritten in Kaffeehäusern oder im Stummfilmkino selbst spielte. Das Frauenbild in diesen Liedern ist ebenfalls sehr traditionell: Die Frau mit ihren blauen Augen, blonden Haaren, süßen Lippen zeigt dem Mann ihr sonniges Gemüt und beglückt ihn mit ihrem Charme und ihrer jugendlichen Sinnlichkeit. Der Dichter Nikolaus Welter hat in der Vokalmusik Kosters eine ähnliche Bedeutung wie Willy Goergen. Welters Frauenbild und Ideal einer Geschlechterbeziehung unterscheiden sich deutlich von denen Goergens, Koenigs oder Hevers. Die Frau ist bei Welter keine Kindfrau, sondern eine gleichberechtigte Partnerin. Die Sinnlichkeit klammert Welter in seinen Texten nicht aus, aber im Mittelpunkt steht deutlich die Vereinigung der Seelen, das gegenseitige Vertrauen. Auch in Isabelle Oberweis’ C’est la simple histoire werden Frau und Mann als gleichberechtigte menschliche Wesen gezeigt, die beide dem Mysterium der Existenz auf der Spur sind, dies noch wesentlich stärker in dem Lied als im Text: Lou Koster hat sich – wie bei so einigen Vertonungen – größere Freiheiten genommen, den Text umzuändern. Interessant ist in diesem Kontext vor allem ihre Änderung der Zeile »C’est l’histoire des hommes égarés sur la terre« (Oberweis: »Es ist die Geschichte der auf der Erde verirrten Menschen«) zu »C’est la simple histoire de la femme et de l’homme égarés sur cette terre« (Koster: »Es ist die einfache Geschichte der Frau und des Mannes, die sich auf der Erde verirrten«). »Hommes« hat im Französischen die doppelte Bedeutung von »Menschen« und »Männern«, wobei im Gedicht »Menschen« gemeint sind. Der Komponistin war es aber offensichtlich ein Anliegen, an dieser Stelle die Frauen explizit als Suchende mit einzuschließen. In ihrer Auswahl von Texten deutscher und österreichischer Autoren wandte sich Lou Koster quasi ausschließlich klassisch-romantischen und Die Lieder – materiale Dimension des Notenquellenkorpus

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– mit der Ausnahme von Wilhelm Lennemann – zum Zeitpunkt der Vertonung bereits verstorbenen Dichtern zu (Hermann Allmers, Gustav Falke, Johann Wolfgang Goethe, Gottfried Keller, Nikolaus Lenau, Detlev von Liliencron, Eduard Mörike, Theodor Storm). In diesen Texten werden vor allem die Sehnsucht nach Liebe, die betrogene Liebe und die Verliebtheit besungen. In den Liedern nach Texten von Paul Verlaine, insbesondere O bien aimée, En sourdine und Avant que tu ne t’en ailles, verschmelzen Mensch und Natur wie die Seelen der Liebenden und finden zur Ruhe. In Chanson de Barberine (= Chanson du Beau Chevalier) nach einem Gedicht von Alfred de Musset trauert die Frau, diesmal in der Ich-Perspektive, um den scheidenden Geliebten, einen Ritter, der dem Krieg den Vorzug vor der Liebe gibt. Auch die Quatre mélodies auf Texte des Dichters Marcel Noppeney, die das Thema der männlichen Adoleszenz behandeln, spielen in der männlich dominierten Welt des mittelalterlichen Rittertums.208 Im Gegensatz hierzu beschreibt Marcel Gérard in seinem Gedicht Charme die Sinnlichkeit des Körpers seiner Geliebten als sportliche Schwimmerin, das Bild erinnert in seiner Frische und gelösten Unbekümmertheit an Aktbilder der Moderne wie die von ­Matisse, Cézanne oder Picasso. Die Frauen- und Männerbilder in den Liedern von Koster könnten kaum unterschiedlicher und, im Vergleich miteinander, widersprüchlicher sein. Gab es Widersprüche in ihrem eigenen Frauenbild? Oder wollte die Komponistin vielleicht durch die Textauswahl keine eindeutigere Position beziehen und keine klarere Identifikation offenlegen? Im Freundes- oder Familienkreis konnte Lou Koster – zumindest im Alter – sich durchaus kritisch über die Machtverteilung zwischen Männern und Frauen äußern und eine Erweiterung des Freiraums für Frauen fordern. Dieses persönliche Frauenbild hinderte sie offensichtlich nicht daran, immer wieder auch Texte mit äußerst traditionellen Geschlechterrollen zu vertonen. Da nur wenige autobiografische Quellen überliefert sind, weiß man über die für die Textauswahl ausschlaggebenden Momente so gut wie nichts. Persönliche literarische Vorlieben und die Identifikation mit dem Textinhalt können, müssen aber nicht zwangsläufig die Hauptrolle bei der Textauswahl spielen. Man weiß, dass Lou Koster zumindest mit Teilen ihres Vokalschaffens eine populäre Komponistin sein wollte, deren Weisen man auf der Straße pfeift. Orientierte sie sich unter Umständen bei der Auswahl an imaginierten, angenommenen Textvorlieben eines breiteren Publikums oder potentieller Interpreten? So besingt z. B. das für Männerchor komponierte Hierschtlidd (W. Goergen) die Lebensfreude alternder Männer, und der Männerchor Komm, Meedche breng mer Wäin (W. 352

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Goergen) behandelt das Thema Wein, Weib und Gesang in äußerst üblicher Form. Natur und Landschaften Die Natur ist nicht nur ein Thema vieler Lieder von Lou Koster, sondern auch eine wesentliche Inspirationsquelle für ihre Vokal- und Instrumentalmusik. Sie komponierte keine Symphonien, sondern von Natureindrücken beeinflusste Fantasiestücke für Orchester wie Suite dramatique, Impressions du soir; Sous les tilleuls, Heideland, Moselträume … Sie komponierte auch keine Klaviersonaten, sondern Charakterstücke mit Titeln wie Soir d’été, Ainsi qu’un mimosa, Comme les Vagues, Fleurs baisées … Und auch in ihrer Operette An der Schwemm und im Geiger von Echternach spielt die Natur jeweils eine bedeutende Rolle. Die Natur war für die Komponistin aber mehr als nur ein beliebtes Thema für vokale und instrumentale Musik. Draußen zu sein, zu wandern, Berge zu ersteigen, Pilze zu sammeln, im Fluss zu schwimmen, Fahrradausflüge zur Mosel zu unternehmen usw. waren Freizeitbeschäftigungen, denen sie mit Leidenschaft frönte. Ihr Neffe Jean-Paul Koster beschreibt sie als »eine genießerische Persönlichkeit« und erzählt, dass sie »in vollen Zügen das Frühjahr, den Sommer genoss« (EI 2). Auch im kompositorischen Prozess selbst spielte die Natur, die Landschaft eine bedeutende Rolle: Ihre musikalischen Ideen entwickelte und skizzierte sie, wie bereits dargestellt, vor allem bei Spaziergängen in der freien Natur. In einem Interview mit dem Journalisten Paul Aschman erzählte die Komponistin von ihrem Lieblingsort, an dem erste Entwürfe entstanden, »der ›Hèdeköppchen‹ bei Pulvermühl, inmitten der säuselnden Birken« (Aschman 16.09.1950, R). Dazu die Sängerin Béby Kohl-Thommes: »Sie brauchte Atmosphäre zum Komponieren.« (EI 3) Über das Individuelle hinaus gehören Landschaft und Natur im Allgemeinen zu beliebten Sujets in der luxemburgischen Kunst, Literatur und Musik. Dies steht auch in einem Zusammenhang damit, dass in den Identitätsbildern, die seit dem 19. Jahrhundert in und für Luxemburg entworfen wurden, stets Landschaft und Natur eine bedeutende Rolle spielen (Ulveling, »Le Paysage«, 1994; Sunnen 2007; Sunnen 2008; Sunnen 2010).

Die Lieder – materiale Dimension des Notenquellenkorpus

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Der Geiger von Echternach – Intention und Rezeption. Der Konstruktionsprozess eines ›Monumentalwerks Luxemburger Tonkunst‹ Entstehungsgeschichte, Stoff, Text und Komposition Nachdem sich die Komponistin in den 1960er Jahren, durch die Gründung und die Konzerttätigkeit von Onst Lidd, die Einspielung einer Single sowie regelmäßige Aufnahmen für Radio Luxemburg, allmählich beim Publikum und in den Medien wieder Gehör verschafft hatte, gelang es ihr 1972, mit ihrer Ballade für Solisten, Chor und Orchester Der Geiger von Echternach als »Nationalkomponistin« gefeiert zu werden. Die Komposition selbst, rasch als für Luxemburg identitätsstiftend angesehen, wurde in den Pressekritiken, aber auch in den Nachrufen ab 1973, zu einem »Meisterwerk« und zur »Krönung« ihres bisherigen Schaffens gekürt und sollte, durch jährliche oder zweijährliche Aufführungen in Echternach, fest im kollektiven Gedächtnis verankert werden und insbesondere durchreisende Touristen mit einem Stück Luxemburger Musikgeschichte bekanntmachen. Lou Kosters Name ist heute in Luxemburg vor allem durch diese Komposition bekannt. Das folgende Kapitel zeichnet den Weg von der Kompositionsskizze über das euphorisch gefeierte Ereignis der Uraufführung bis zum heutigen Nachleben dieses Werks nach.209 Erste Skizzen Wie bei einer Reihe ihrer Lieder ist auch im Falle des Geigers eine frühe Quelle erhalten, die Informationen zum Entstehungsprozess der Komposition liefert: ein originaler Gedichtband von Nikolaus Welter aus Kosters Privatbesitz, der zahlreiche musikalische Notizen der Komponistin enthält. Die Existenz des Bands war seit 1972 bekannt (Friedrich 3.6.1972, R), das Buch selbst galt aber bis vor kurzer Zeit noch als verschollen. Im Rahmen der vom ALK durchgeführten Recherchen nach Desiderata konnte der Band schließlich im Privatbesitz von Lucette Steinberg, der Tochter von Félix Steinberg, lokalisiert werden. Heute befindet er sich im CNL.210 Es handelt es sich um den Band Gedichte der undatierten Westermann-Gesamtausgabe, die um 1922 erschien. Auf der Innentitelseite, auf der Koster ihren Namen vermerkte, hatte sie festgehalten, wann sie das Buch erworben hatte: »1954«, drei Jahre nach dem 354

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Tod des Dichters. Es wäre also zumindest denkbar, dass sie erste musikalische Notizen zum Geiger bereits ab 1954 festhielt. Bisher war man immer davon ausgegangen, dass sie erst 1966 beabsichtigte, die Ballade zu vertonen.211 Evy Friedrich zur Entstehung des Geigers: »Mit dem Text in der Hand unternahm sie ihre Spaziergänge, und es flogen ihr die Themen und die Melodien zu, die sie […] am Rande des Buches notierte. Zuhause wurden die Einfälle verarbeitet, entstand die Partitur.« (Friedrich 3.6.1972, R). Die 16 Textseiten der Ballade des Geigers (S. 71–84) enthalten in rotem und blauem Kugelschreiber zahlreiche Notenskizzen (siehe Abb. 22). Bei diesen Einträgen handelt es sich zum einen um am Rand notierte Harmonisierungen von in der Regel zwei Takten, die mal auf einem, mal auf zwei Systemen notiert und durch ein Hauptwort der Textstelle (z. B. auf S. 70: »Pfingsten«, Bedgau«, »strömen«, »Grund« usw.) markiert sind. Gelegentlich sind es auch melodische Motive, die noch nicht harmonisiert sind. An anderen Stellen finden sich Notizen zu Tonarten, wie z. B. »do dièze mineur«. Einzelne Textpassagen sind mit rotem Stift unterstrichen. Diese Unterstreichungen dienen der Strukturierung: Sie markieren z. B. die Leitmotive. Mit Vermerken versehen, halten sie fest, in welcher Besetzung der betreffende Teil vertont werden soll (»chœur femmes«, »solo«, »Baryton«, »ténor« …). Gekennzeichnet ist auch, wo Generalpausen zu setzen sind. Auf Seite 73 hält die Komponistin des Weiteren fest, dass sie bei der Vertonung der Textstelle »Murrend stand im Kreis die Menge« auf ihre Liedvertonung Goldech Dreem (Text: Michel Hever) zurückzugreifen beabsichtigte. Das undatierte Lied wurde am 22. November 1968 von Radio Luxemburg erstmals in einer Interpretation von Venant Arend und Jeanette Braun-Giampellegrini aufgezeichnet. Vom Renert zum Geiger Wie Maisy Koster erzählte, verbrachte Lou Koster ca. ab 1955 jedes Jahr zwei Monate komponierend und im Austausch mit anderen KünstlerInnen in dem kleinen provenzalischen Dorf Cabris nicht weit von Nizza, Cannes und Grasse (EI 6). Sie wohnte dort in der ›Messuguière‹, dem als ›foyer pour travailleurs intellectuels‹ eingerichteten Haus der luxemburgischen Mäzenenfamilie Mayrisch.212 Von der Korrespondenz, die Lou Koster während dieser Aufenthalte an Verwandte und Bekannte adressierte, scheint heute nur noch eine einzige Postkarte an den Sänger Eugène Bley erhalten zu sein, sie ist auf den 26. Februar 1966 datiert, bezog sich auf das Lied Rosenmär, ebenfalls nach einem Text von Welter, das sie Bley damals mitschickte, und entDer Geiger von Echternach

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hält als Adresse: »L.K. »La Messuguière Cabris A. mar [Alpes marimitimes]« (ALK, LK 5A 6 1966.02.26). 1966 soll Koster dort mit der Komposition des Geigers begonnen haben: »Der Ursprung der kantatenhaft konzipierten Musik geht auf das Jahr 1966 zurück. Damals verbrachte die Künstlerin ihre Ferien in Cabris (Südfrankreich).« (wr 1.7.1972, T) Dieses Datum wird tatsächlich auch auf Seite 1 des handschriftlichen Klavierauszugs mit der Signatur LK 1F 7-1 bestätigt: »An Pfingsten 1966«, hier ohne Ortsangabe. Der Journalist schreibt weiter, Koster habe, bevor sie sich letztlich für den Text von Welter entschied, zuvor die Fabel Renert. De Fuuss am Frack an a Maansgréisst (1872) von Michel Rodange vertonen wollen. Hierbei handelt sich um eine Adaptation von Goethes Reineke Fuchs, die satirisch mit der Luxemburger Gesellschaft um 1870 abrechnet. Das Buch gilt allgemein als eines der wichtigsten Werke der Luxemburger Literatur, als ein ›lieu de mémoire‹.213 Die Komponistin habe »schon lange« eine Vertonung des Renerts im Sinn gehabt, es sei, als sie im Sommer 1966 in Cabris an der Vertonung habe arbeiten wollte, aber unmöglich gewesen, »das Werk bei den Buchhändlern aufzustöbern«: »Und so blätterte sie in den Balladen Nik. Welters und stieß auf die ersten Verse des Geigers von Echternach.« (wr 1.7.1972, T) Der Autor führt keine Quelle für diese Information an, die aber an Glaubwürdigkeit gewinnt durch einen vier Tage später, am 4. Juli 1972, publizierten Artikel im Républicain Lorrain, der auf einem Gespräch mit der Komponistin basiert und der die gleiche Information enthält: »Ohne Zweifel ist dieses Oratorium das Werk ihres Lebens. Dennoch kann man sagen, dass die Komposition in gewisser Weise zufällig entstanden ist. Nachdem sie kein Exemplar von Michel Rodanges ›Rénert‹ auftreiben konnte, nahm sie ein Buch von Nicolas Welter und stieß dort auf das Gedicht, das die bekannte Legende des Geigers von Echternach erzählt.« (o.V. 4.7.1972, RL, F) Der Journalist Félix Steinberg war hingegen davon überzeugt, dass es sich hier um ein falsches Gerücht handeln müsse und Koster wohl nie beabsichtigt habe, dieses literarische Werk zu vertonen. Für diese Gegenbehauptung beruft aber auch er sich auf keine Quelle und führt als nur bedingt plausiblen Grund lediglich an: »Lou Koster hatte nicht vor, das Epos ›Renert‹ in Musik zu setzen, einfach weil es zum Lesen gedacht ist und sich überhaupt nicht zum Vertonen eignet.« (Steinberg, 29.7.1972, J, F) Auf die Frage, ob Lou Koster eine Vertonung des Renert plante, antwortete Maisy Koster 1996: »Sie wollte den ›Renert‹ vertonen, aber daraus wurde nichts, es ist bei den Skizzen geblieben, sie hatte diese Blätter da liegen, ich habe sie selber gesehen.« (EI 6) Auch Laure Koster bestätigt im Gespräch, dass zumindest ein Vertonungsprozess begonnen, dann aber abgebrochen 356

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wurde: »De Renert, ich habe das gelesen, da sagte sie, das klappt nicht, das hat nicht zusammengehalten, das war eine andere Konzeption von Dichtung, da ist sie nicht weitergekommen, sie hat am Renert gebastelt, das kann ich mich erinnern.« (EI 7) Die von Maisy Koster erwähnten Skizzen sind heute nicht überliefert. Und auch ein von Koster eventuell annotierter Gedichtband des Renert ist nicht erhalten. In den zitierten Artikeln ist von einer Kompositionsabsicht die Rede, nicht aber von einem begonnenen und aus welchen Gründen auch immer nicht weiterverfolgten Kompositionsprozess. Diese Geschichte im Rahmen der Pressearbeit zur Aufführung des Geigers zu erzählen war wohl nicht ohne Absicht. Kerstin Schäffer reflektiert über mögliche taktische Gründe, bereits bei der Vorankündigung der Uraufführung des Geigers einen Bezug zum Nationalepos Renert herzustellen, und vermutet, es könne sich um den Versuch handeln, das allgemein anerkannte »Qualitätslabel« des einen Werkes auf das andere zu übertragen: »Weshalb sollte die Entstehungsgeschichte des Werkes mit Michel Rodanges Renert bewusst in Verbindung gebracht worden sein? Für die Einordnung eines nationalen Monumentes erscheint der Renert das geeignete Mittel gewesen zu sei.« (Schaeffer 2011, S. 49) Dass Koster mit der Komposition tatsächlich etwas Besonderes zu komponieren intendierte, kann man aus einer etwas enigmatischen Aussage von ihr aus dem Jahr 1966 herauslesen. Der Journalist P.N. hatte die Publikation der sechs Welter-Lieder auf Single als »Krönung ihrer musikalischen Tätigkeiten« bezeichnet, worauf Lou Koster, die zu diesem Zeitpunkt bereits am Geiger arbeitete, entgegnete: »›Eine provisorische Krönung‹, meint Lou Koster, und ›Krönung‹ sei wohl nicht das richtige Wort. Als Provisorium, als Zwischenstation möchten wir es dann auch verstehen.« (P.N. 9.12.1966, OL) Die Ballade von Nikolaus Welter Seit den 1930er Jahren fühlte sich die Komponistin von den Gedichten Niko­ laus Welters inspiriert. Neben der Ballade des Geigers hat sie rund 40 andere Texte des mit ihr befreundeten Dichters in Form von Liedern, Ensembles und Chören vertont. Am 20. Juli 1951 schrieb sie an Julie Welter-Mischo, die Frau von Welter: »Die Stunden, in denen ich das Vergnügen habe, in seine Gedichte einzutauchen, sind mir die teuersten und schönsten.«214 Auch Welter scheint an Kosters Vertonungen seiner Texte viel gelegen zu haben. Im einem im Républicain Lorrain vom 4. Juli 1972 publizierten Interview zitiert die Komponistin Welter, der ihr persönlich – es bleibt unklar, ob schriftDer Geiger von Echternach

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lich oder mündlich – das Folgende anvertraut habe: »Da ich selbst in Musik nicht bewandert bin, habe ich mich bei der besten Quelle informiert, und mir wurde gesagt, dass meine Texte nicht in besseren Händen sein könnten als den Ihren.« (o.V. 4.7.1972, RL, F) Wie man einem handschriftlichen Eintrag von Lou Koster in dem Album des Sängers Eugène Bley entnehmen kann, scheint Welter der Komponistin das Gedicht Das Wort im Ton, das sie oft den Programmen des Ensembles Onst Lidd voranstellte, gewidmet zu haben: Nach der Abschrift des Gedichtes folgt der Eintrag: »Nik Welter an Lou Koster« (ALK, LK 5A 3 sa5). Der Geiger von Echternach erzählt in Versform die Geschichte des langen Veit: Bei seiner Rückkehr aus dem Morgenland wird er zu Unrecht zum Tod durch den Strang verurteilt. Ankläger sind seine Erben, die unter sich sein Hab und Gut nach seinem langen Fortbleiben längst aufgeteilt haben. Sie beschuldigen Veit, seine Frau, die bei der Pilgerfahrt starb, umgebracht zu haben. Auf der Todesleiter bittet Veit darum, seine Geige ein letztes Mal spielen zu dürfen. Mit seinem Spiel verzaubert er die Hörer, und die Ankläger gestehen ihren Frevel. Veit zerschlägt seine Geige und zieht fort. Zwanghaft tanzen die Verwandten unablässig ein Jahr lang um die Leiter, und erst der durchreisende heilige Willibrord kann sie davon erlösen. Als Sühne erlegt er ihnen auf, jedes Jahr tanzend nach Echternach zu pilgern. Welter veröffentliche seine literarische Ballade Der Geiger von Echternach erstmals 1900 in dem bei M. Huss herausgegebenen Band Aus alten Tagen. Balladen und Romanzen aus Luxemburgs Sage und Geschichte. 1901 griff er den Stoff ein zweites Mal in dem Theaterstück Griselinde auf, das er auch publizierte. 1903 erschien die Ballade ein drittes Mal in dem Gedichtband Frühlichter – Gedichte in München, um schließlich 1922 in die bei Westermann in Braunschweig erscheinende Gesamtausgabe aufgenommen zu werden. Mit seiner Ballade greift Nik Welter auf einen in Luxemburg bestens bekannten Stoff zurück, der zeitweise auch in Schulbüchern Aufnahme fand und im 20. und 21. Jahrhundert mehrmals filmisch, musikalisch, literarisch und zeichnerisch verarbeitet wurde: 1910 komponierte Alfred ­ Kowalsky ein Stück für Solovioline mit dem Titel Der Geiger von Echternach op. 39. Derselbe Komponist vertonte 1918 Welters Text Griselinde als Oper in drei Aufzügen und vier Bildern, die den Stoff des Geigers als Szene enthält. 1947 drehte der Filmemacher Evy Friedrich den Spielfilm Les danseurs d’Echternach mit Filmmusik von Henri Pensis. 1955 legten Komponist Henri Pensis und Autor Lex Jacoby das Radiohörspiel Der Geiger von Echternach vor (Tonmitschnitt im CNA, Tape 2934). 2006 veröffentlichte die luxemburgische Comiczeichnerin Diane Ernzen ein Manga ebenfalls mit dem Titel 358

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Der Geiger von Echternach, und 2015 komponierte Catherine Kontz, unter Rückbezug auf Kosters Komposition, Le Joueur de Vièle für Solovioline und realen oder imaginierten Tänzer. Entgegen einer lange Zeit weit verbreiteten, zum Teil heute noch kursierenden Meinung handelt es sich bei dem Stoff allerdings nicht um eine volksüberlieferte Sage oder gar um die Ursprungslegende der seit dem Mittelalter bestehenden Tradition der Echternacher Springprozession, sondern um ein literarisches Produkt der Romantik, das aus der Feder des französischen Schriftstellers Jacques Albin Simon Collin de Plancy stammt. Dieser veröffentlichte die ›Legende‹ erstmals 1842 in Den Haag in seiner Sammlung Légendes des Artistes. Spätestens seit dem Forschungsbeitrag von Leo Senninger gilt dies als erwiesen (Senninger 1976). Nun fand die Uraufführung aber vor der Publikation dieses Beitrags statt, und man kann vermuten, dass Koster noch davon ausging, sie habe als Stoff eine mittelalterliche Sage vertont, die für die Identität Luxemburgs von Bedeutung war. Offensichtlich hatte Senninger schon vor der Uraufführung des Stücks seine These aufgestellt, diese war zumindest dem Journalisten Guy Wagner (›wr‹) bekannt, der sich in seinem oben zitierten Artikel vom 1. Juli 1972 explizit auf »Quellenmaterial«, das Senninger ihm zur Verfügung gestellt hatte, beruft und schreibt: »Die Sage selbst stammt von Jacques Albin Collin de Plancy« (wr 1.7.1972, T). Die Klavierauszüge und die Orchestrierung Bei der Vertonung erarbeitete Koster nicht sofort eine Orchesterpartitur, sondern erstellte zuerst einen kompletten Klavierauszug, der in zwei Handschriften überliefert ist, die sich beide im Original im ALK unter den Signaturen LK 1F 7-1 und LK 1F 7-2 befinden. Das zweite Manuskript ist eine Abschrift des ersten, dies kennzeichnet die Komponistin auch in der Seitennummerierung (siehe Abb. 23). Vom Autograf LK 1F 7-2 erstellte Koster eine Fotokopie, die sie ihrer ehemaligen Schülerin und späteren Freundin Andrée Pepin-Weitzel mit Widmung schenkte. Diese Kopie befindet sich heute im ›Bestand Nikolaus Welter‹ im CNL (L-44; III-1/107). Sie enthält einige Bleistifteintragungen von Lou Koster in der Sopranarie. Dies könnte darauf hindeuten, dass Koster diese Arie mit der befreundeten Sopranistin in privatem Rahmen erarbeitete und musizierte. Die Pfingsten 1966 begonnene Niederschrift des Klavierauszugs beendete Koster, vielleicht wieder in Cabris, exakt ein Jahr später und fünf Jahre vor der Uraufführung der Orchesterversion: Auf der letzten Seite der beiden Der Geiger von Echternach

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erhaltenen handschriftlichen Klavierauszüge ist die Fertigstellung der Komposition mit »Fine Pfingsten 1967« vermerkt. Die Orchestration des 1540-taktigen Werkes erstellte Lou Koster nicht selbst, sondern beauftragte damit den Musiker und Dirigenten Pierre Cao, hierzu er selbst: »Lou Koster kannte ich flüchtig über Freunde, mit denen ich arbeitete: Venant Arend, Laury Koster [hier gemeint: der Sänger Laurent Koster], Jeannette Giampellegrini. Wie es dazu kam, dass die Komponistin mir die Instrumentierung anvertraute, weiß ich bis heute nicht. Eines Tages bat sie mich um ein Gespräch, brachte mir den Klavierauszug und fragte mich, ob ich bereit sei, das Werk zu orchestrieren. Ich war damals jung, und wenn man jung ist, ist man sich nicht bewusst, wie viel Zeit, Wissen und Können eine solche Arbeit impliziert! Ich habe zugesagt!« (EI 14)

Auf die Frage, warum Lou Koster das Werk nicht selbst orchestrierte, erklärt Pierre Cao: »Was genau die Ursache war, weiß ich nicht. War sie vielleicht müde? Hatte sie vielleicht nicht mehr den Mut, eine so aufwendige Arbeit anzugehen? Es war aber mit Sicherheit nicht so, dass sie selbst nicht fähig gewesen wäre, das Werk selbst zu orchestrieren, mitnichten!« (EI 14) Lou Koster stand damals vor ihrem 80. Geburtstag, sie war vor allem aber vermutlich zu diesem Zeitpunkt schon schwer erkrankt. Pierre Cao bestätigt, dass er sich als Grundlage für seine Orchestrationsarbeit auf den Klavierauszug von Lou Koster bezog, und zwar auf den mit der Signatur LK 1F 7-2. Dieser enthält auch einige Annotationen in der Handschrift Caos. Wie Cao berichtete, hatte die Komponistin großes Vertrauen und gab ihm, außer den wenigen von ihr selbst im Klavierauszug notierten Anweisungen, keine weiteren Vorgaben: »Sie ließ mir die allergrößte Freiheit! Zwischen dem Zeitpunkt, als sie mir den Klavierauszug übergab, und der Fertigstellung der Orchesterpartitur haben wir uns nicht getroffen!« (EI 14) Koster äußerte ihre Wertschätzung für Cao in dem am 4. Juli 1972 im Républicain Lorrain publizierten Interview mit den folgenden Worten: ­»Pierre Cao ist ein äußerst sensibler Dirigent. Er ist von der Art von Pensis. Er hat eine echte Intuition für das Wollen des Komponisten.« (o.V. 4.7.1972, RL, F) Caos handschriftliche Orchesterpartitur des Geigers von Echternach befindet sich heute in der BnL. Erhalten ist dort auch das originale Stimmenmaterial in zwei unterschiedlichen Handschriften: die Streicherstimmen in derjenigen von Lou Koster (nur die Violinstimme 1 ist in zwei verschiedenen Handschriften erhalten) und die Bläserstimmen in einer anderen frem360

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den Schrift. Für die Sänger erstellte Koster selbst auch noch eine Partitur mit nur den Gesangspartien, also ganz ohne den Instrumentalpart. Die Vertonung Was die Komponistin an dem Stoff offensichtlich faszinierte, waren die Themen Musik und Emotion, die Macht von Musik sowie Musik und Bewegung. Dichter und Komponistin geht es gleichermaßen vor allem um eine detaillierte Schilderung von Veits unterschiedlichen Emotionszuständen, die sein Geigenspiel in schnellem und dramatischem Wechsel modulieren und verändern und, in Musik ausgedrückt, die Seelen wie die Körper der Zuhörer ergreifen. In der Gattung der literarischen Ballade ist der Wechsel lyrischer, epischer und dramatischer Momente bestimmend: »Mit dem Wechsel von vierhebigen Trochäen bei den rein erzählenden Passagen und eingestreuten Daktylen bei den Tanzszenen gelingt es Welter in dieser Kunstballade, sowohl den unnachgiebig hämmernden Duktus des tragischen Geschehens zu vermitteln, als auch den tänzerischen Rhythmus der Springprozession.« (Germaine Goetzinger im Beiheft zur CD Geiger 2010, unpaginiert, [S. 5]) Dem hastenden Wandel von Bildern, Emotionen und Rhythmen schenkt auch Koster bei der Vertonung die größte Aufmerksamkeit: Die Tempi, die Rhythmen, die Dynamik, die Klangfarben ändern sich beständig und verleihen dem Werk seinen dramatischen Zug. Die unterschiedlichen Naturbilder in Welters Text (frühjahrshafte, belebte Mosellandschaft, öde und menschenleere Wüste, idyllische Naturbilder der Schöpfungsgeschichte, Sternenwelten in den Wahnvorstellungen der Tänzer) inspirierten die Komponistin zu weiteren, farbenreichen musikalischen Stimmungsbildern. Kosters erster Klavierauszug (ALK, LK 1F 7-1) enthält eine Gliederung in 31 Abschnitte, jeweils mit einer Ziffer und einer Textüberschrift markiert. Die Textüberschriften selbst sind allerdings einer fremden Handschrift zuzuordnen, die eine gewisse Ähnlichkeit hat mit der des Tenors Venant Arend, in dessen Besitz der Klavierauszug bis 2016 war. Sie sind entweder der Anfangszeile des jeweiligen ersten Abschnitts entnommen oder bezeichnen dessen zentrale Stimmung durch ein markantes Zitat. Die zweite Version des Klavierauszugs (ALK, LK 1F 7-2) gliederte Koster in 33 Teile, die hier nicht durchnummeriert, sondern nur durch Überschriften – diesmal eindeutig in Kosters Handschrift – markiert sind. Strukturiert wurde die Komposition zusätzlich durch eine Durchnummerierung in 73 Abschnitte, ohne Überschriften. Diese kleinteiligere Gliederung wurde von Cao, der anhand dieses Der Geiger von Echternach

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Klavierauszugs orchestrierte, vorgenommen, sie entspricht dem Wechsel der Bilder und Emotionen.215 Vermutlich stammen auch die flüchtigen Bleistiftnotizen zur Instrumentenwahl zumeist von Cao. Eindeutig in Kosters Handschrift sind lediglich die mit Kugelschreiber notierten Besetzungen der Chorstücke (Männer-, Frauenchor oder gemischter Chor) sowie die Stimmregisterverteilung der solistischen Partien. Das Werk beginnt ohne Ouvertüre. Ein äußerst schlichtes und nur viertaktiges, rhythmisch akkordisches Vorspiel mit wiederholtem absteigendem Quartmotiv leitet direkt den ersten Choreinsatz ein, Cao orchestrierte diese Takte mit der Flöte und der Oboe.216 Der Satz, der ruhig mit einer idyllischen vorsommerlichen Naturbeschreibung ( Juni, Pfingsten, die bewaldeten Höhen rund um Echternach) im wiegenden Dreiviertel beginnt, deutet mit seinem sich rasch entwickelnden weiten dynamischen Bogen vom Piano zum Fortissimo, seinen verschiedenen Tempi sowie dem ständigen Wechsel zwischen Frauen-, Männer- und Tuttichor die Dramatik des kommenden Geschehens an. Veits Geigenspiel beginnt mit einem leidenschaftlichen, sehnsuchtsvollen Violinsolo (Nr. 6, Solovioline, »Sprach’s und hob den schlichten Bogen«), das ein langes Lamento von insgesamt 870 Takten eröffnet und mehr als die Hälfte des Werks ausmacht. In der Folge lösen Chor und Orchester die Solovioline als Darsteller von Veits Geigenspiel ab. Eine alte Musiktradition, das barocke Lamento, wird mit den Klangmitteln des romantischen Chores und Orchesters wiederbelebt. Geige spielend gibt Veit zuerst nur seiner eigenen Stimmung Ausdruck, ohne Macht und Zauber auf die Zuhörer auszuüben. Den ersten Tönen steht »die murrende Menge« (Beginn von Nr. 7: con fuoco) feindselig gegenüber. Diese bedrohliche Stimmung schlägt, »kaum kamen die ersten Klänge«, um. Die geifernde Masse wird von einer Klangwelle überrollt (Largo, breites, lyrisches Orchestertutti im Fortissimo) und lauscht nun still und gebannt der »lieblichen« Weise (Chor, dolce espressivo). Veit wird durch die eigene Musik auch selbst verwandelt, Erinnerungen an sein vorheriges »lieb- und leiddurchbebtes« Leben werden erweckt: von seiner Pilgerreise in den Orient bis zum Zeitpunkt, wo er vor dem Henker steht. Weiterspielend durchlebt er innerlich seine Geschichte und Gefühlsgeschichte noch einmal. Ausgehend von stiller Trauer entwickelt sich sein Empfinden über gequältes Leiden schließlich zu zorniger Rachsucht, und all dies spiegelt sich in seinem Spiel. Die klangliche Palette reicht von zarten Dolcissimo- bis hin zu leidenschaftlich und feurig wilden Fortissimo-Passagen (appassionata im Forte in Nr. 7, con fuoco im Fortissimo in Nr. 15 und 22).

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In Nummer 8 bis 11 lassen Welter und Koster zuerst, wie in einem Film, vor den Augen der Zuhörer die exotischen Bilder und Klänge der Pilgerfahrt ins Heilige Land entstehen, die schließlich zum dramatischen Tod der geliebten Frau in der Wüste und der Errettung des vom Kummer vollends gebrochenen Veit durch Beduinen führt. Auch in diesem vom Chor bestimmten Abschnitt arbeitet Koster mit dem Mittel starker Kontraste und rasch aufeinanderfolgender Farbwechsel, um die Zuhörer zu packen: Ein quasi bewegungsloser, zarter Frauenchor über sehr dünn gesetzter Begleitung beschreibt die »todesöde«, vor Hitze flimmernde Wüste, die allmählich zur Bedrohung wird (Nr. 9); rauschende Chor- und Orchesterklangwellen, molto agitato, schildern das Unheil bringende, unentrinnbare »strandlos wogende sandige Meer«, und der Männerchor erzählt in einem wie erstarrten Piano den Tod der Frau (Nr. 10). Die Erinnerungen an den Tod seiner Frau verändern erneut Veits Spiel, das nun zu einem leidenschaftlichen Klagelied ansetzt (Nr. 12: »All der Wahnsinn dieser Stunde«), dem er die Zuhörer diesmal schmerzlich ausliefert: Ein wild stampfender »Feuersturm von Tönen« reißt sie hilflos fort, in einem Trubel der Gefühle (ständige, wie zwanghafte Piano–Forte-Kontraste) sinken sie schließlich wie betäubt vor dem Geiger auf die Knie (Nr. 13). Veit spielt »gottbegeistert« weiter. Der bis dahin Friedliche beginnt zum ersten Mal »Flammenzorn« über die Ungerechtigkeit seiner Verurteilung zu verspüren (Nr. 14). Dieser Zorn spiegelt sich in seiner Musik (Nr. 15): Ein stürmischer Weltuntergangsgesang hebt an, vor dem die Zuhörer sich fürchten. »Wimmernd« winden sich ihre Körper, und sie flehen Veit an, sie mit diesem Gesang zu verschonen (Nr. 16). »Gleich auf wundersame Weise legt der Töne Sturmflut sich.« (Nr. 17) Mit »perlenreinem« »Silberklang der Saiten« versetzt Veit in warmen, sanften Tönen (Sopransolo, Frauenchor, von Cao mit Holzbläsern orchestriert) die Kläger alsbald in eine spirituelle Stimmung und erzählt ihnen aus der Schöpfungsgeschichte (Nr. 18). Dieses religiös motivierte Spiel lässt Veit seinen Zorn aber nicht vergessen, der bald wieder aufflammt: Von Rachsucht beflügelt, erbittet er sich von Gott Zauberkraft für sein Spiel (Nr. 20 und 21) und verspricht als Gegenleistung, seine Geige nach Erfüllung des Wunsches am Galgen zu zerschlagen. In diesem ersten Teil von Veits Violinspiel (Nummer 6 bis 21) übt dieses zwar größte emotionale Macht bis zum Wahnsinn aus, aber noch keinen zwanghaften Zauber (Nr. 12: »All der Wahnsinn dieser Stunde«). Dies ändert sich, nachdem Gott Veits Bitte erfüllt (Nr. 22). Obwohl die Töne seines »rächenden Bogens« »der Kläger klägliche Runde« zu einem Schuldbekenntnis drängen, lässt Veit sich nicht erweichen. Seine »klingenden Wogen« werden immer rasender. Sie rauben den ihm Zuhörenden Kontrolle Der Geiger von Echternach

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und Besinnung und versetzen diese in einen Rausch und in eine scheinbar nie enden wollende Tanzwut: Ein schelmisches Trinklied für Frauenchor (Nr. 23: »Kichernd und Kosend«) mit skurriler Thematik (der Intervall des Tritonus, ›diabolus in musica‹, deutet auf das Teuflische der Zaubermusik) entwickelt sich zu einem selig berauschten Walzer, der schließlich in einen zwanghaften Tanz im Alla breve auf die jedem Luxemburger bekannte Melodie des Echternacher Springprozessionsmarschs einmündet (Nr. 24: »Und sie zwangen Weib und Mann«). Obsessiv wird diese Melodie in immer neuen Schattierungen und Harmonisierungen wiederholt. Wie der Rattenfänger von ­Hameln spielt Veit unbeirrt weiter, »[…] bis an seiner Geige schrille, Auch der Saiten letzte springt! Dann erfasst er das braune Holz, Schlägt’s klirrend am Galgen zu Scherben, Und ruft aus in heiligem Stolz: ›Niemand soll dich, Einzige, erben!‹«

Veits Geigenspiel endet hier, zumindest im Text, mit schriller Dissonanz. Die Musik verstummt, klingt ab diesem Moment aber innerlich in den Ohren und im Gehirn der Tänzer als Zaubermusik weiter. Diese zwei brutalen Bilder von der ›Zerstörung‹ der Geige, die zuerst bis zur letzten Saite ›ausgespielt‹ und dann zerschmettert wird, scheinen auf den ersten Blick schwierig zu vertonen. Lou Koster löst das Problem im Klavierauszug, indem sie für Schlichtheit optiert und auf eine musikalische Nachahmung dieser zwei Momente durch Klangmalerei verzichtet. Den Sprung der letzten Saite stellt sie ungeschmückt durch eine lange Generalpause dar – Seite 55 im Particell: »lang« unter dem Zeichen der Generalpause –, die Pierre Cao auch in der Orchestration übernimmt. Den Akt des krachenden Zerschlagens des Instruments und Veits ersten Satz nach der Tat (»Niemand soll dich, Einzige, erben!«) vertont Koster rezitativisch wiederum mit der allergrößten Schlichtheit (Schluss von Nr. 25, Tonrepetitionen auf a, anschließend d, den ›leeren‹ Saiten der Geige also). Dem kompletten Verstummen des Instrumentes nach seiner Zerstörung verleiht sie Gestalt, indem sie die Vokalstimme des Tenors verstummen lässt: Die darauffolgenden Verse, »Heute spielte dich Gottes Kraft, Gott drum geb ich dich zu eigen, denn vor seiner Meisterschaft hat der Mensch anbetend zu schweigen«, sollten nicht mehr gesungen, sondern vom Tenor zur Beglei364

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tung des Orchesters nur noch gesprochen werden. Pierre Cao geht in seiner Orchestrierung hier andere Wege: Er streicht den oben zitierten letzten Vierzeiler komplett. Nach dem Zerspringen der letzten Saite folgen bei ihm 20 Takte Orchestermusik (Allegro deciso). Dadurch, dass es in der Orchesterfassung nicht zur Zerstörung des Instrumentes kommt, wird die Handlung wesentlich entdramatisiert. Der Hörer der Orchesterversion stellt sich Veit, wenn er am Schluss entschwindet, mit seiner, wenn auch saitenlosen, Geige im Arm vor, und nicht wie bei Welter und Koster ohne sein Instrument, die »Einzige«. Pierre Cao entschied sich auch gegen Kosters Entwurf, den Tenor in der besagten Passage nur mehr sprechen zu lassen, und vermeidet somit auch diesen musikalischen ›Bruch‹. Stattdessen lässt er Veit weitersingen, und zwar auf die Melodie der Nummer 19, und unterlegt diese Passage also mit der spirituell-religiösen Textbedeutung aus dieser Nummer, die dort lautet »Gott, du hast in deiner Güte«. Volksnah, einfach und klar Wie in ihren Liedern sind die herausragenden Stilmerkmale der Vertonung des Geigers, neben der Orientierung an klassisch-romantischen Vorbildern, die Klarheit und die Einfachheit, trotz aller Dramatik und allen Farbenreichtums in Text und in Musik. Koster wollte immer schon volksnah komponieren und vom Publikum verstanden werden und wählte daher auch als musikalisches Kernthema des Geigers die schlichte und bekannte Melodie der Springprozession. Béby Kohl-Thommes zitiert aus der Erinnerung eine Aussage der Komponistin aus den frühen 1950er Jahren, in der diese sich über die Intention ihres Komponierens und das Publikum, das sie ansprechen wollte, äußert. Sie war in dieser Zeit – so Béby Kohl-Thommes – »enttäuscht«, da kaum jemand sich für ihre Lieder interessierte, und soll gesagt haben: »Meine Musik wird nicht gesungen, und dabei habe ich doch für das Volk geschrieben.« (EI 3) Mit diesem Anspruch fällt sie als Komponistin aus ihrer Zeit heraus, die Distanz dieses Postulats zu Absichten der zeitgleichen internationalen Musikavantgarde könnte größer nicht sein. Hierzu äußert sich auch Pierre Cao, und zwar in Bezug auf den Geiger: »Es ist ganz klar kein Werk, das eine zeitgenössische Musiksprache spricht. Es steht viel eher in einer Tradition, die vom 19. Jahrhundert ausgehend sich weiterentwickelt. Es ist ein Werk, das somit einer Kritik, deren Kriterium die zeitgenössische Sprache ist, nicht standhalten kann. Aber das ist uns ja Der Geiger von Echternach

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­ nwichtig! […] Was aber das Sympathische an dem Werk ist, ist gerade das u Populäre, das Angenehme, das Einfache, das Gefällige usw. […] Ihre ganze Persönlichkeit kommt in der Musik zum Vorschein, es ist keine Arroganz, keine falsche Prätention in dieser Musik. […] Man könnte dem Werk zum Vorwurf machen, dass es keine zeitgenössische Sprache spricht. Aber kann man das als Schwäche des Werkes bezeichnen? Hatte Lou Koster denn überhaupt die Ambition, zeitgenössische Musik zu schreiben, ich glaube nicht! Sie hat mit Komponieren begonnen, ungefähr zu dem Zeitpunkt als Strawinsky seinen Sacre du Printemps schrieb, aber sie wollte doch nicht mit Strawinsky konkurrieren! Das ist ein Vorwurf, den man dem Werk machen könnte, den man aber doch gar nicht machen kann, weil die Komponistin gar nicht diesen Anspruch hatte. Die Musik des Geigers IST Lou Koster. Sie schockiert nicht in harmonischer Hinsicht, sie ist nicht revolutionär, aber Lou Koster war auch keine revolutionäre Person! Nicht in ihren Handlungen! In ihrem Denken, weiß ich nicht, aber ihre Freunde wissen, dass sie keine Revolutionärin war, und so ist auch ihre Musik. Ist das aber nun eine Schwäche? Ist es eine Schwäche, so zu sein, wie man ist? Man muss doch nicht, nur weil man ein Mensch des 20. Jahrhunderts ist, revolutionär sein. Lou Koster hatte andere Ambitionen, sie hatte die Ambition, dass ihre Werke aufgeführt werden sollten, und das war ja ihr gutes Recht!« (EI 14)

Fokussierung auf ein Publikum kann nicht mit leichtfertiger Konzessionsbereitschaft gleichgesetzt werden. Wie Maisy Koster erzählte, komponierte Koster ihre ›einfache‹ Musik nicht schnell. Sie brauchte für die Verarbeitung ihrer melodischen und harmonischen Entwürfe am Schreibtisch viele Stunden und »viele Radiergummis«, um wie eine Handwerkerin an der Einfachheit und Klarheit ihrer Musik zu feilen. Auch über Kosters minutiöse Detailarbeit äußert sich Pierre Cao, der sich über Monate mit dem Werk beschäftigte: »Nehmen wir zum Beispiel den ganzen Schluss der Komposition, wenn der gut interpretiert wird, macht der großen Effekt, c’est clair! Und dann gibt es diese sehr zarten Momente, qui sont agréables! Es sind schöne Melodien in dem Werk, sie war ja eine Komponistin von mélodies und Liedern, das war ja ihre Stärke! Sie hat auch einen Sinn für Dramatik: Es ist kein einziger Fehler im Werk, wo die Prosodie vom Rhythmus her schlecht gesetzt ist, man sieht, dass das ganz klar ihr Gebiet war. Von der Form her ist das Werk, wie so manche Oratorien, eine Aufeinanderfolge von Nummern. Die grundsätzliche Gefahr bei solchen Kompositionen ist, wenn die Nummern vom Hörer

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auch als Nummern erfasst werden. Aber das ist im Geiger nicht der Fall! Über weite Strecken fließen die einzelnen Nummern organisch ineinander, das ist eine Leistung der Komponistin, solche Übergänge zu schaffen, das ist nämlich gar nicht einfach, sie muss ja viele, viele Entscheidungen treffen, welches Tempo, welche Tonart, stimmliche Besetzung, Dynamik etc. etc. sie dafür wählt!« (EI 14)

Der Musikkritiker José Voss hebt das ›Herausarbeiten‹ von Schlichtheit ebenfalls als besondere Qualität der Musik des Geigers hervor: »Eine instinktive Musikerin, Schulen und Cliquen ignorierend und taub für die Sirenen der Avantgarde, aber geleitet vom aufrichtigen Wunsch, möglichst vielen zu gefallen, und dafür absichtlich die Karte der Zurückhaltung spielend, bringt Lou Koster denen, die ihr zuhören, das Vergnügen einfacher Dinge, einer gewünschten und erkämpften Einfachheit, die kein Eingeständnis der Hilflosigkeit ist, sondern die Frucht der kunstvollen Untertreibung, sich stützend auf ein außergewöhnliches melodisches Talent und einen Sinn für ein klassisches Gleichgewicht der Formen.« (Voss 25.06.2010, LL, F)

Zu Kosters Ideal der Klarheit gehört, dass sie Stimmungswechsel mit einfachen Mitteln zum Ausdruck bringt und weitgehend auf komplexe Chromatismen und ausladende Klangmalereien verzichtet. Melodiösität und Kantabilität, Textverständlichkeit und Gestaltung durch agogische und dynamische Ausdifferenzierung sind Merkmale ihrer Musik. Wiederholung ist für sie ein weiteres Mittel für das leichtere Verständnis von Musik und Text. Durch die Wiederholung von musikalischen Leitmotiven (etwa »Pfingsten war’s«, »Echternachs Geiger, der lange Veit« etc.) verleiht sie der Komposition zusätzlich Struktur. Ihr war es wichtig, dass der Text mit all seinen Bedeutungen, Schattierungen und Nuancen vom Hörer aufgenommen wird. Daher nahm sie sich die Freiheit, ganze Sätze oder auch einzelne Worte des Textes, oft mehrmals, zu wiederholen. Lesen kann man einen Text im eigenen Rhythmus (schnelles, langsames Lesen, wiederholtes Lesen einzelner Passagen). Im Fluss einer musikalischen Vertonung ist ein derart zeitvariables Verstehen und Verarbeiten des Textes nicht möglich. Textwiederholungen in Vertonungen können den Erzählfluss verlangsamen und dem Hörer Zeit geben, das Geschehen aufzunehmen oder darüber zu reflektieren. Durch die Einfügung von Textwiederholungen nimmt die Komponistin andrerseits aber auch einen starken Eingriff in den Text selbst vor, sie verschiebt die Schwerpunkte, rückt manches in den Vordergrund, anderes in den HinterDer Geiger von Echternach

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grund und dramatisiert dadurch nicht nur bestimmte Stellen, sondern generell das ganze Musikstück, denn Wiederholungen wirken eindringlich und nachdrücklich. Im Alter war Lou Kosters Wunsch, sich mit ihrer Musik endlich beim Publikum Gehör zu verschaffen und sich aus ihrer Isolation als Komponistin selbst zu befreien, immer drängender geworden. Spielte bei der Wahl der literarischen Vorlage vielleicht auch das Moment der Identifikation mit der Hauptfigur eine Rolle? Wie Veit hatte sie zur Violine eine ganz besondere musikalische Beziehung, darauf verweist sie selbst in einem Interview in einem der Ankündigungsartikel der Aufführung: »Ich hatte immer eine Vorliebe für die Geige. Mein Großvater hat mir auf dem Totenbett meine erste Geige gegeben.« (o.V. 4.7.1972, RL, F) Es war diese Geige, die sie später ­Pierre Caos Tochter vermachte, als Dank für Caos Instrumentierung des Geigers. Hoffte Lou Koster, dass es vielleicht auch ihr am Ende gelingen könnte, mit ihrer Musik die Zuhörer in ihren Bann zu ziehen? Was ihr ja, wie unten weiter ausgeführt, auch gelang. Im kollektiven Gedächtnis Luxemburgs ist ihr Geiger bis heute fest verankert, »dessen Musik wohl die meisten […] zu kennen glaubten, ohne sie je zuvor gehört zu haben« (Fiedler 25.9.2009, LL, F). Zur Gattungsbezeichnung Der Geiger von Echternach wurde und wird auch heute häufig noch als weltliches Oratorium bezeichnet. Evy Friedrich scheint der Erste zu sein, der in seinem Artikel von 1972 diesen Begriff benutzte, und dies obwohl die Komponistin selbst ihn zuerst als unpassend empfand: »Es entstand ein Oratorium, gegen welchen Ausdruck sich die Komponistin aber wehrt, denn sie zieht den einfachen Titel ›Histoire et légende‹ [»Geschichte und Legende«] vor.« (Friedrich 3.6.1972, R) In der offiziellen Einladung zur Uraufführung, die das Comité de la Société d’Embellissement et de Tourisme de la ville d’Echternach drucken ließ, wird der von Koster vorgeschlagene Untertitel abgedruckt (ALK, LK 7A 3 1972.07.09.01), während im Programm auf eine weitere Bezeichnung des Werkes verzichtet wird (ALK, LK 7A 3 1972.07.09.02). In dem im Républicain Lorrain publizierten Interview vom 4. Juli 1972 übernahm Koster den Begriff des Oratoriums dann doch auch selbst: »Ich weiß nicht, ob mein Werk noch einmal gespielt werden wird. Die Stadt Echternach wird tun, was sie für richtig hält. Dennoch, wäre es nicht interessant, 368

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das Oratorium [!] in der Pfingstwoche aufzuführen, um den Touristen zu zeigen, welche Legende am Ursprung der Springprozession von Echternach steht?« (o.V. 4.7.1972, RL, F) Wie der Journalist hinzufügte, sei Lou Koster in dem Fall nicht abgeneigt, die Partitur in Teilen noch einmal zu überarbeiten. Gattung und Genre der Komposition wurden in der Folge überaus unterschiedlich bezeichnet: ›kantatenhaft konzipiertes Werk‹, ›Komposition‹, ›Werk‹, ›Tondichtung‹, ›Oratorium‹, ›weltliches Oratorium‹, ›symphonische Dichtung‹ [!], ›Ballade‹ … Da Lou Koster in ihrer Vertonung bewusst die Nähe zum volkstümlichen Ton sucht, zu einer Überromantisierung des Stoffes auf Distanz geht und das Einfache des Sagenhaften in den Vordergrund stellen möchte, kommen der von der Komponistin selbst gewählte ursprüngliche Titel Der Geiger von Echternach – Historie und Legende oder die schlichte Bezeichnung als Ballade den Kompositionsabsichten vielleicht doch am nächsten. Presse und Rezeptionsgeschichte Die Uraufführung von 1972 Das Interesse der Presse an der Uraufführung war bereits im Vorfeld groß. Insgesamt neun, häufig ausführliche Vorankündigungen wurden publiziert, die eine Erwartungshaltung aufbauten. Wie in zwei Artikeln aus dem Tageblatt vom 17. Mai 1969 und 24. März 1971 berichtet wird, sollte die Uraufführung eigentlich bereits ein Jahr früher, und zwar im Sommer 1971 zum 100. Geburtstag von Nikolaus Welter, stattfinden (Schmitz 17.5.1969, T und o.V. 24.3.1971, T). Eine erste ausführliche Ankündigung erschien am 3. Juni 1972 in der Wochenzeitschrift Revue. Autor war der Journalist und Filmemacher Evy Friedrich, der den Stoff bestens kannte, da er ihn 1947 für seinen Spielfilm Les danseurs d’Echternach selbst künstlerisch bearbeitet hatte. Friedrich hatte vor dem Schreiben des Beitrags Lou Koster in ihrer Wohnung besucht, um sie über das Werk, aber auch über ihren biografischen Werdegang, den er in seinem Beitrag nachzeichnet, zu befragen und sich Auszüge aus der neuen Komposition vorspielen zu lassen: »Während achtzig Minuten wird das Publikum im Banne einer Tondichtung stehen, wie Veit ganz Echternach in den Bann schlug. Wir schreiben dies nicht als Übertreibung, sondern aus Überzeugung. Denn wir hatten die GeleDer Geiger von Echternach

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genheit, längere Auszüge aus dem Werk, von der Komponistin selbst am Flügel gespielt, zu hören, wir hatten den Text Welters in der Hand und konnten jedes Motiv auch ohne weiteren Hinweis genau in den Text einordnen. Eines besseren Beweises der werktreuen Übereinstimmung zwischen dem Dichter und dem Komponisten bedarf es wohl kaum.« (Friedrich 3.6.1972, R)

Am 1. Juli 1972 publizierte Guy Wagner im Tageblatt einen langen Artikel über die bevorstehende Aufführung, die er bereits im ersten Satz als ›zentral‹ im aktuellen Musikleben Luxemburgs ankündigte. Er habe die Musik »leider noch nicht gehört«, aus den Berichten von Mitwirkenden und anderen Arbeiten von Koster schließe er aber, dass es sich um »eine äußerst ansprechbare [sic] Musik, gleichzeitig sehr melodiös und poetisch« handele, und führte weiter aus: »Lou Koster kann kaum ihre romantische Ader leugnen, gleichzeitig nicht den Ausgang vom Klavier her, also liedhaften Charakter. Emotionen werden bei ihr aber nicht ins Pathetische gesteigert, sondern werden gefiltert und geadelt. Eine geistige Noblesse und seelische Zurückhaltung, die wir von der Schallplatte ›Onst Lidd‹ her kennen, ist die große Stärke dieser Dame des Liedgesanges. Daher behält der Text auch in ihren Werken seine ganze Stärke und Eindringlichkeit. Er wird nicht durch Klang und übersteigertes Espressivo erdrückt. Im Gegenteil, erst durch Lou Kosters Kunst, Musik dem Wortund Sinngehalt ›anzupassen‹, wirken ihre Lieder in all ihren Dimensionen. Das setzt natürlich eine große Einfühlungskraft voraus, und die muss man Lou Koster bescheinigen. Eine andere Eigenschaft dieser Frau: ›Lou Koster ist keine frömmelnde, alte Dame, die Effekthascherei betreibt; sie komponiert nicht um zu komponieren, sondern um sich auszusprechen, sich mitzuteilen und versucht, im Menschen das soziale Wesen zu wecken‹ (Aloyse J. Schmitz).« (wr 1.7.1972, T)

Zwei Tage später erschien auch im Journal ein langer Artikel, der die Aufführung als »das Meisterwerk« einer Frau ankündigt, die »unbedingt zu den größten Künstlern zählt, die unser Land hervorgebracht hat« (o.V. 3.7.1972, J). Am 4. Juli 1972 publizierte der Républicain Lorrain den bereits zitierten Artikel, der auf einem Interview mit der Komponistin basierte. Und das Luxem­burger Wort veröffentlichte am gleichen Tag einen weiteren Beitrag, bei dem ebenfalls die Musik im Zentrum stand. Der/die JournalistIn ›Cn‹, der/ die ebenfalls ein persönliches Gespräch mit der Komponistin führte, muss entweder Einblick in die Partitur gehabt haben oder, wie Friedrich, Teile des 370

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Werks von der Komponistin vorgespielt bekommen bzw. vielleicht auch eine der Proben gehört haben. Detailliert wird auf die Komposition eingegangen, die textgetreue Vertonung, so manche »großartigen« Einfälle sowie die volkstümlich empfundenen Melodien und deren Kantabilität gelobt und auf Einflüsse von Brahms, Schumann und Chopin hingewiesen. Über den Bezug der Tonsprache zur Entstehungszeit heißt es: »Sicher, diese Musik ist durch und durch traditionell, es gibt kaum Dissonanzen oder komplizierte polyphone und rhythmische Verflechtungen. Sie arbeitet mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts und ist weit entfernt von Schönberg oder Hindemith und noch viel weiter von der Avantgarde. Aber sie ist ehrlich empfunden, sie wirkt stets frisch und spontan, manchmal etwas naiv im guten Sinne. Deshalb spricht sie den Hörer direkt an und hinterlässt einen tiefen Eindruck.« (Cn 4.7.1972, LW)

In derselben Zeitung erschien am 8. Juli 1972 ein Beitrag von Myriam ­Meister, bei dem diesmal die Dichtung im Zentrum stand, aber auch Kosters anteilige Leistung bedacht wurde und der die Vertonung erstmals als »natio­ nale Tat« feierte: »Nicht ›de Plancy‹, sondern diesen einheimischen Künstlern [Welter und Koster] verdankt die Legende ihren Eingang in die Genesis des luxemburgischen Nationalcharakters. […] Die morgige Aufführung des ›Geiger von Echternach‹ am gleichsam ›historischen Ort‹ ist mehr als eine etwas verspätet erscheinende Reverenz vor einem bedeutenden neoromantischen Kunstwerk. Sie soll nicht nur die Lebenskraft der Welter-Koster-Ballade beweisen. Sie ist auch so etwas wie eine nationale Tat, denn es will scheinen, als sei die Melodie des Wundergeigers auch ein wenig die zeitlose Melodie Luxemburgs.« (Meister 8.7.1972, LW)

Wie schon die Ankündigungen waren auch die Rezensionen im Allgemeinen nicht nur positiv, sondern in einigen Zeitungen geradezu euphorisch. Mit den Ankündigungen wie mit den Kritiken wurde allmählich ein neuer ›lieu de mémoire‹ konstruiert.217 Es erschienen zwei Fotoreportagen218, drei ausführliche Kritiken und zusätzlich ein Leserbrief des Bruders Francis Koster. Nationaler Stolz steht in einigen der Kritiken im Mittelpunkt. So berichtete ›JoWe‹ im Luxemburger Wort am 21. Juli 1972 von einem Publikumszustrom von 600 ZuhörerInnen, von »brausendem Applaus« und zitierte im Einleitungsabschnitt exemplarisch den Eindruck eines Hörers: »Nik Welters Der Geiger von Echternach

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Ballade ist durch Lou Kosters Musik zum wahren Kunstwerk nationalen Charakters erhoben worden.« ( JoWe 21.7.1972, LW) Anschließend zeichnet er oder sie das »ergreifende«, »packende«, »mitreißende«, »glanzvolle« musikalische Geschehen Szene für Szene bis zum »ebenso genialen wie gewaltigen« Finale in Worten nach und spricht von der »großen Schöpferin dieses Monumentes der Luxemburgischen Tonkunst«, »das ihrem Schaffen die Krone aufsetzt«, damit schließend, dass es der Wunsch der anwesenden Musikfreunde sei, dieses »einmalige Kunstwerk« jedes Jahr wieder zu hören. Auch Al Schmitz berichtete im Tageblatt vom »vollen Erfolg« der Aufführung des Werkes, das der Komponistin »die Möglichkeit bot, alle Register ihres mitfühlenden Wesens zu ziehen«, und schrieb: »Lou Kosters ›Geiger von Echternach‹ ist zu schade, hier durch eine Kritik aufgestückelt und zerredet, gewertet zu werden. Um es kurz zu sagen: Welters romantisches Spiel ›Griselinde‹ und Lou Kosters ›Geiger von Echternach‹ seien der Auftakt zu den Festspielen von Echternach. So wie es uns nach Salzburg zieht zu ›Jedermann‹, wird es uns ziehen nach Echternach zum ›Geiger‹.« (Schmitz 22.7.1972, T) In ähnlich begeistertem und pathetisch schwelgendem Tonfall berichtet auch Félix Steinberg in seinem Beitrag vom 29. Juli 1972 mit dem Titel »Celle qu’on n’attendait plus …« [»Die, die man nicht mehr erwartet hatte …«]: »Als die letzten Akkorde des Geigers von Echternach verklangen […] waren sich die Musikliebhaber, die aus dem ganzen Land gekommen waren, manche aus Neugier, die meisten aber aus Überzeugung, einig darüber, dass der Blumenstrauß großer einheimischer Werke um ein monumentales Stück bereichert worden war, eine seltene und schöne Blume, die bisher unbeachtet und unbemerkt geblieben war. […] In dieser feierlichen Stunde waren alle überzeugt, an einem historischen Ereignis teilgenommen zu haben, der bewundernswert gelungenen Uraufführung eines heiligen und fortan unsterblichen Meisterwerks, das seinen Autor auf einen Schlag dauerhaft auf den allerersten Rang der größten Künstler-Komponisten erhob, die das Land jemals produziert hat. Manche behaupteten sogar, Lou Koster sei jetzt die Größte …« (Steinberg 29.7.1972, J, F)

Steinberg weist darauf hin, dass Lou Koster lange Zeit nicht gebührend beachtet worden war: »Sollten wir nicht bereuen, nicht mehr von ihren Möglichkeiten profitiert zu haben?«, und freut sich, wohl hier eine Parallele zu Veits »Rache« ziehend: »Es ist eine erstaunliche Revanche der Musikerin angesichts jener, die nicht an sie geglaubt haben.« 372

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Im Archiv Lou Koster befindet sich ein undatierter, in der Zeitung Journal publizierter Presseausschnitt eines Leserbriefs von Francis Koster, der den gleichen Titel wie Steinbergs Kritik hat und sich auf diesen bezieht. Francis Koster hatte dem Konzert »zu Tränen gerührt« beigewohnt. In dem in äußerst blumigen Worten verfassten offenen Brief lobte er zuerst die Veranstalter für ihren Mut, die Uraufführung in einen solch bedeutenden Rahmen zu stellen, und meinte damit wohl die für das Werk symbolträchtige Basilika, in der sich das Grab des heiligen Willibrord befindet. Es scheint ihm in dem Brief vor allem darum zu gehen, die Schwester in einer längeren, mit Großvater Hoebich beginnenden Familienmusiktradition zu verorten: »Ohne Personenkult betreiben oder auf Ruhm und Berühmtheit des Geigers von Echternach anspielen zu wollen, […] ist es beglückend und trostspendend, festzustellen, dass ein Land die Verdienste eines seiner Kinder anzuerkennen und zu würdigen weiß. Louise hat – wie ihre Brüder und Schwestern – ihre musikalische Berufung geerbt, also ist es gut und nur gerecht, auf die Quelle in der Person des Großvaters mütterlicherseits, des verehrten FRANZ HOEBICH, Begründer und Leiter der ersten luxemburgischen Militärmu219 sik, hinzuweisen.«

Zu Reaktionen von ZuhörerInnen sind kaum Quellen überliefert, wohl weil diese der Komponistin vor allem mündlich mitgeteilt wurden bzw. eventuelle Schriftquellen nicht überliefert sind. Erhalten ist die Kopie eines handschriftlichen Glückwunschbriefes der Schriftstellerin Rosemarie Kieffer als Präsidentin der Fédération des femmes universitaires und der Entwurf einer Antwort von Lou Koster (ALK, LK 5B 1972.07.22). Es wurde geplant, das Werk jeden Sommer bzw. jeden zweiten Sommer in der Basilika in Echternach aufzuführen: »Der Echternacher Syndicat d’Initiative hat eine all- oder zweijährige Aufführung des Geigers zu Pfingsten beschlossen«, kündigte Félix Steinberg, wenige Tage nach dem Tod der Komponistin, in seinem Nachruf an (Steinberg 24.11.1973, J). Eine erste Wiederaufführung war ursprünglich bereits für 1973 vorgesehen gewesen, wurde dann aber um ein Jahr verschoben: »Daß aus technischen Gründen die diesjährige Wiederholung [1973] ausfallen mußte, war für die Künstlerin eine bittere Enttäuschung, fühlte sie doch, daß sie die Zweitaufführung nicht mehr erleben würde.« (ebd.)

Der Geiger von Echternach

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Die zweite Aufführung von 1974 Am 27. Juni 1974 wurde Der Geiger von Echternach erneut in der Echternacher Basilika aufgeführt, mit den gleichen Interpreten, nur die Sopranistin Béby Kohl-Thommes war durch Renée Bertemes-Roeder ersetzt worden. Das Interesse der Presse war auch diesmal groß. Es erschienen insgesamt fünf Konzertankündigungen. Das Luxemburger Wort widmete dem Werk in der kulturellen Beilage Die Warte einen langen Artikel. Dieser befasst sich in erster Linie mit Welters Dichtung. Nur im Schlussabschnitt geht der Autor, signiert ›nhnn.‹, auf die Musik ein: »Ein so hervorragendes Werk wie Welters ›Geiger von Echternach‹ lebt aus eigener Kraft, es bedarf nicht des Tondichters. Musik zum Wort ist immer ein Wagnis, oft Vergeudung und Vergeblichkeit, manchmal freilich auch (wie bei manchen Operntexten) Unsterblichmachung biederer Handwerklichkeit. Gerechtfertigt, ja willkommen ist die Musik dann, wenn sie das Gewicht des Wortes erfühlt und seine Wirkung in Raum und Seele mehrt. Ob dem feinen Gespür Lou Kosters dieser Dienst gelungen ist? Nach der Uraufführung am 9. Juli 1972 hat die Kritik geglaubt, diese Frage (besonders an den ausmalenden Stellen) in ehrlicher Begeisterung bejahen zu dürfen.« (nhnn. 20.6.1974, LW)

Insgesamt kann festgestellt werden, dass die Solisten und vor allem der Chor die Kritiker diesmal weniger überzeugten als zwei Jahre früher bei der Uraufführung. Auch musste Pierre Cao, da der Chor vor allem in den Männerstimmen diesmal schwach besetzt war, einige Streichungen in der Partitur vornehmen, die wohl nicht förderlich waren für den dramaturgischen Fluss des Werkes. Die Kritik von ›S.E.‹ im Luxemburger Wort vom 3. Juli 1974 war gemischt, sowohl was die Interpretation als auch was die Komposition betrifft, was schon in der etwas lauen Wortwahl des Titels, der zugleich Schlusssatz ist, anklingt: »Interessante Initiative, luxemburgische Musik vorzustellen«. Über die Komposition schreibt der oder die RezensentIn: »Im allgemeinen kann man sagen, dass es Lou Koster gelungen ist, die verschiedenen Stimmungsbilder gut in Musik umzusetzen. Die Melodien sind schön und gefällig, sie wiederholen sich leider strophenweise zu oft. Sehr gut durchgearbeitet war das Thema des Geigers und waren die eingeflochtenen Themen des Springprozessionsmarsches. Am Anfang fehlte dem Stück jedoch jeglicher Übergang von einer Atmosphäre in die nächste. Es schien eine

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›Nummernkomposition‹ zu sein, bis dann zum Mittelteil hin die Komponistin den Dreh zur musikalischen Bindung gefunden hat. Von da an war es wesentlich interessanter. Vielleicht wäre vorzuwerfen, dass mehr Solis [sic] hineingebracht werden können. Die Chöre sind zu angehäuft. Solistische Einlagen hätten mehr Abwechslung gebracht.« (S.E. 3.7.1974, LW)

Guy Wagner berichtete im Tageblatt vom 9. Juli 1974 vom »vollen Erfolg« der Aufführung, bezeichnete das seiner Meinung nach »unbedingt hörenswerte Musikstück« im Gegensatz zum Kritiker im Wort als »eine Musikschöpfung aus einem Guss« und führte weiter aus: »So wurde denn die zweite Darbietung in Echternach zu einem [sic] ›Hommage‹ an eine große Frau, die sich mit ihrem Werke ein Denkmal gesetzt hat. Es bleibt nur zu hoffen, dass die Aufführungen des ›Geigers von Echternach‹ zu einer Tradition für die Stadt der Springprozession werden […] Die Musik zeichnet den Balladentext nicht nach, sie deutet ihn und gibt ihm erst sein richtiges Leben. […] Immer wieder ist man erstaunt, wie geschickt Lou Koster die einzelnen Instrumente einsetzt [Pierre Cao als Verfasser der Orchestrierung wird hier nicht erwähnt], wie sie weite Bögen spannt und eine ›Atmosphäre‹ zu schaffen versteht.« (Wagner 9.7.1974, T)

Die Kritik im Journal vom 11. Juli 1974 stammte wieder aus der Feder von Félix Steinberg, er berichtet, dass die Basilika auch diesmal »bis auf den letzten Platz« gefüllt war, und er knüpft an den Tonfall der euphorischen Kritiken von 1972 an, wenn er meint: »Es sei dem Kunstkritiker vorbehalten, das Werk zu zerlegen, zu zerpflücken gar. Er wird das Große und das Schöne vielleicht als selbstverständlich hinnehmen, er wird auch vielleicht an diesem oder jenem herumfeilen wollen, aber er wird nicht daran vorbeikommen, das Werk als ein Meisterstück heimatlichen Kunstschaffens herauszustellen. Wir dürfen uns glücklich schätzen Leute vom Schlage Nik. Welters u. Lou Kosters in unseren Reihen zu haben. Und hoffen, dass weitere folgen, die das Erbe dieser und anderer gottbegnadeter Künstler antreten und weiterführen wollen.« (Steinberg 11.7.1974, J)

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Das Nachleben des Geigers 1983–1990 Warum die Stadt Echternach nach der zweiten Aufführung den Plan der all- oder zweijährlichen Aufführungen fallen ließ, dazu gibt es keine Quellen. Auch die offensichtlich zu Lebzeiten Lou Kosters geplante Schallplatte des Geigers wurde nicht produziert: »Die Vorbereitungen zu einer Schallplattenaufnahme wurden letztes Jahr durch den unerwarteten Tod der Komponistin unterbrochen; Luxemburger im Ausland hatten bereits finanzielle Unterstützung angekündigt und das Orchester von Radio-Télé-Luxemburg sowie die Chorale ›Uelzecht‹ hatten zugesagt.« (Schmitz 26.6.1974, T) Der Versuch, den Geiger zum 10. Todestag der Komponistin wiederaufzuführen, scheiterte ebenfalls. Al Schmitz berichtete in seinem Gedenkartikel am 23. November 1983: »Bemühungen ihrer Bewunderer den ›Geiger von Echternach‹ zu ihrem Todestag mit Orchester, gemischtem Chor und Soli aufführen zu lassen, wurden von offizieller Seite nicht unterstützt. Die Kulturverantwortlichen beriefen sich auch auf die Krise […] Muss man sich fragen, ob Lou Kosters Werk das Schicksal der Musik des Großvaters Franz Höbich [sic] ereilen soll, dessen Hinterlassenschaft einer seiner Nachfolger im Kasernenhof verbrennen ließ.« (Schmitz 23.11.1983, T)

Auch zum 100. Geburtstag der Komponistin war eine Wiederaufführung geplant worden, aus der nichts wurde. Im Geburtsmonat von Lou Koster wurde diese in drei Tageszeitungen angekündigt, so im Luxemburger Wort in einem Beitrag mit dem Titel »Luxemburgs berühmte Komponistin«: »Zum 100. Geburtstag Lou Kosters und im Rahmen der Feierlichkeiten zum 150. Jahrestag der Unabhängigkeit werden bekannte Koster-Interpreten am kommenden 15. Oktober im Kulturzentrum Belval-Metzerlach einen Liederabend mit Werken der Künstlerin, verbunden mit einer bescheidenen Ausstellung über ihr Leben und Schaffen gestalten. Außerdem wird in diesem Willibrordus-Jahr die Tondichtung ›Der Geiger von Echternach‹ in der Abteistadt und in anderen Ortschaften unter der Schirmherrschaft des Kulturministeriums von namhaften Interpreten, u.a. dem Lehrerorchester des Konservatoriums, unter Pierre Cao aufgeführt.« (o.V. 9.5.1989, LW, siehe auch: Arend 6.5.1989, T)

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In seinem Artikel vom 5. Mai 1989 im Journal erwähnte Félix Steinberg in diesem Kontext auch eine Aufführung des ›Geigers‹ in Trier, die aber wohl nie stattgefunden hat, es wäre die bisher einzige Aufführung des Werks außerhalb der Grenzen Luxemburgs gewesen (Steinberg 5.5.1989, J). Die Drittaufführung von Der Geiger von Echternach fand am 2. Mai 1990 in der Basilika in Echternach und im Rahmen des Echternacher Festivals und am 5. Mai 1990 im Konservatorium der Stadt Luxemburg statt, auch diesmal in einer gekürzten Version.220 Die Interpreten waren das Orchestre symphonique des Professeurs du Conservatoire, die Chorale Mixte du Conservatoire, die von den Chören der Städte Dudelange, Echternach und Grevenmacher verstärkt wurde, und die Solisten Suzette Parrasch-Engels (Sopran), Venant Arend (Tenor) und Louis Landuyt (Bariton). Die Leitung hatte wieder ­Pierre Cao übernommen. Radio RTL aus Luxemburg zeichnete die Aufführung auf. Der 100. Geburtstag der Komponistin – um ein Jahr verspätet gefeiert – war Anlass dieser Aufführung. Zum selben Anlass gab das Comité Lou Koster eine 44-seitige Broschüre zu Leben und Werk Lou Kosters heraus (Arend Steinberg 1990) und stellte eine Bronzebüste der Komponistin der Bildhauerin Marie-Josée Kerschen im Konservatorium auf. Im Vorspann des längeren in der Zeitung Journal erschienenen Ankündigungsartikels wurde mit Stolz auf Lou Koster insbesondere als weiblicher Komponist geblickt, dessen ›Seltenheitswert‹ in drei Sätzen gleich fünf Mal hervorgehoben und somit auch weiter festgeschrieben wurde: »Frauen als Komponisten sind keine Alltagserscheinungen, sie sind äußerst selten, es gibt sie kaum. Wohl gibt es bei den großen internationalen Wettbewerben junge Frauen als Interpreten die ihren männlichen Kollegen in nichts nachstehen, doch auf kreativer Ebene sind sie selten. Somit ist ›unsere‹ Lou Koster, auch international gesehen, ein Seltenheitsfall. Worauf wir stolz sind.« (o.V. 3.5.1990, J) Ein äußerst pathetischer und patriotischer, mit ›sv‹ unterzeichneter Beitrag, »100 Jahre Lou Koster – sie lebt fort«, erschien am 8. Mai 1990 im Journal und berichtete von der »Ehrung einer Unsterblichen«: »Denn sie hat mit Herz und Hirn für ihr Land komponiert. Melodien, die zeitlos sind und weiterleben von einer Generation zur nächsten.« Während der Aufführung stand, so wird berichtet, auf der Bühne die mit der luxemburgischen Fahne verhüllte Büste der Komponistin sowie ein Fotoporträt auf rotem Samt. Der Ablauf der Feier wird quasi wie ein religiöser Ritus, Kommunion oder Fest der Epiphanie, geschildert:

Der Geiger von Echternach

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»Die Lichter im Saal verdunkeln sich und durch eine Tür zur Rechten tritt die Schar der in strenges Schwarz-weiss gekleideten Mitglieder des Chors, schweigend findet ein jeder auf seinen Platz. Noch ist alles still und voller Erwartung […] Beim ersten Ton ihrer Musik erwacht Lou Koster zum Leben. Das Orchester, die Solisten, der Dirigent sind ihre Medien. Was sie geprobt und einstudiert haben, um es diesem Publikum von Eingeweihten darzubieten, ist Lou Koster in Leib und Seele, ergreifend in ihrer Direktheit, der Spontanität der Gefühle. Der Chor erhebt sich wie eine einzige Stimme, die Instrumente schweigen und heben auf ein Zeichen des Dirigenten erneut an. Eine perfekte Symphonie, eine Ode an das Leben sind die aus dem ›Geiger von Echternach‹ ausgewählten Partien, magnum opus der Luxemburger Tondichterin. […] ihnen allen ist zu verdanken, dass die unvergleichliche Maestra 221 im Geiste weiterlebt, so wie sie selbst es wünschte.« (sv 8.5.1990, J)

1995 und 2007, als Luxemburg zweimal europäische Kulturhauptstadt wurde, bemühte sich das Comité Lou Koster jedes Mal erfolglos, eine Wiederaufführung des Geigers in das offizielle Programm einzubringen (Arend 22.8.2009, J; Comité Lou Koster 3.2.2006, T). 2009 Im September 2009 wurde der Geiger seit der Uraufführung zum ersten Mal wieder ungekürzt aufgeführt und als Live-Mitschnitt auf CD aufgezeichnet. Die Interpreten waren die belgische Sopranistin Anja von Engeland, der amerikanische Tenor Jeff Martin, der deutsche Bariton Ekkehard Abele, das Orchestre Philharmonique du Luxembourg und der Chœur National du Luxembourg unter der Leitung von Pierre Cao. Die Aufführungen waren diesmal offiziell vom Kulturministerium unter der Ministerin Octavie Modert angeregt worden. Wie sich nach dem Erscheinen der CD herausstellte, war das Projekt, bei dem viele Musikinstitutionen und -organisationen aus Luxemburg zusammenarbeiteten222, hinter den Kulissen aber auch diesmal durch das unermüdliche Bestreben des Comité Lou Koster angeregt worden, was Venant Arend am 22. Mai 2010 im Namen des Vereins in einem Leserbrief im Journal klarstellte (und auch Marco Battistella vom Kulturministerium bestätigte): »Hier darf man jedoch das intensive, wenn auch leider über Jahre erfolglose Drängen des ›Comité Lou Koster‹ nicht übersehen, welches die Idee einer möglichen Aufführung in die Wege leitete und mit Hilfe von Marco Batti-

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stella, Koordinator im Kulturministerium […] in Planung setzen konnte. Zusammen mit Guy May aus dem ›Comité Lou Koster‹ konnten sie die Kulturministerin Octavie Modert vom unvergleichlich wertvollen Musikmonument begeistern.« (Arend 22.5.2010, J)

In der Presse wurde angekündigt, dass das Kulturministerium eine Noten­ edition des Geigers in einem ausländischen Musikverlag als weiteren Teil des Projektes plane. Die »Hoffnung«, dass die Werke Kosters »in absehbarer Zeit auch gedruckt und verlegt würden«, hatte bereits 1995 die damalige Kulturministerin Erna Hennicot-Schoepges als »neue, wichtige Aufgabe« des Kulturministeriums bezeichnet (o.V. 24.22.1995, LW). Von der BnL wurde eine Vorversion der Notenedition ausgearbeitet, die als Grundlage für die Aufführungen diente, schließlich aber nicht fertiggestellt und nicht verlegt wurde.223 In der Presse wurde im Vorfeld der Wiederaufführung die Perzeption des Werkes als nationales Musikmonument erneut in den Mittelpunkt gerückt: So betitelte beispielsweise Remy Franck seinen ausführlichen Ankündigungsartikel in der Zeitschrift Pizzicato mit »Musikalisches Nationalereignis: Viel Emotion um den langen Veit«, und im Text wurde Lou Koster als »Luxemburgs bedeutendste Tonschöpferin« und »nationale Komponistin« bezeichnet (Franck 1.9.2009, P). Und auch in zwei der fünf Kritiken wurde das Luxemburgische des Werks besonders hervorgehoben: So von Hilda Van Heel im Luxemburger Wort, die den Geiger als »eine lebendige und abwechslungsreiche, wahrhaft luxemburgische Komposition« beschreibt (Van Heel 19.9.2009, LW), von Daniel Conrad, der den Begriff »Meisterwerk« wieder ins Spiel bringt (Conrad 12.9.2009, TE), aber vor allem von Pierre Schwickerath224 im Tageblatt, der seine Kritik mit »Un jalon pour le patrimoine musical national« [»Ein Meilenstein für das nationale musikalische Erbe«] betitelt und weiter schreibt: »Auf der internationalen Bühne scheint Luxemburg sich nur mit Zurückhaltung für das eigene musikalische Erbe einzusetzen. […] Lou Kosters Musik ist wie eine klare Quelle, die durch eine Landschaft mit dem köstlichen 225 Duft luxemburgischer Kultur fließt. Diese ›luxitude‹ ist offensichtlich und sie findet mit dem Echternacher Geigenspieler einen ihrer brillantesten Interpreten. […] Mit Sicherheit markiert das Konzert vom Donnerstag einen Meilenstein in der Geschichte der nationalen Musik, und wenn die CD herauskommt, kann niemand dies ignorieren: Dann wird es an Luxemburg sein, sich endlich um sein Erbe zu kümmern und es mit Leib und Seele zu verteidigen.« (Schwickerath 21.9.2009, T, F) Der Geiger von Echternach

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Die fünf Kritiken in La Voix, Luxemburger Wort, Tageblatt, Tageblatt-›Kultu­ rissimo‹ und Letzeburger Land waren allesamt positiv. Zwar wurde in einigen auf die Asynchronizität der Musiksprache hingewiesen, dies aber ohne grundlegende Zweifel an der Berechtigung einer stilistisch rückwärtsgewandten Musik. Am ausführlichsten widmete sich Marc Fiedler diesem Thema in seinem Artikel im Letzeburger Land, den er mit »Lou Kosters ehrliche Romantik« betitelt: »Das tat sie nicht etwa in der Sprache ihres Zeitgenossen Luciano Berio, der damals mit seinen ›Folk Songs‹ den Liedgesang revolutionierte, oder in der des verspielt-besessenen Mauricio Kagel, oder jener von Victor Fenigstein, der 1967 mit ›Études concertantes I muratori‹ den Opfern des Grubenunglücks von 1956 im belgischen Marcinelle gedachte. Nein, sie tat es mit der Musik, die ihr zeitlebens nahestand, und ließ den langen Veit in der Harmonik Schuberts und Webers zu schlichten, eingängigen Weisen und leicht fließender Volkstümlichkeit noch einmal in die Geige greifen. […] Mit einem erstaunlichen Gefühl für die wundervoll homogene Partitur Lou Kosters, mit Ehrfurcht vor der wohl fremdartigen, aber direkten, ehrlichen und aufwühlenden Klangsprache dieser Frau, die das Kulturgeschehen Luxemburg ein halbes Jahrhundert lang mitgestaltete, dirigierte Cao auch die jetzige Aufführung im Musikkonservatorium.« (Fiedler 25.9.2009, LL)

Wenn die Kritiker über das Historisierende in der Musiksprache schreiben, setzen sie diese entweder in Bezug zu einer bestimmten Epoche, so z. B. zur »deutschen Romantik« (Fiedler 25.9.2009, LL) oder zur Musik um 1900 (Van Heel 19.9.2009, LW), oder bringen sie mit der Musik früherer Komponisten in Verbindung, mit Mendelssohn (Faber 19.9.2009, LaV) oder mit Schubert, Weber, Richard Wagner und Antonín Dvořák (Fiedler 25.9.2009, LL). Als Qualitäten werden besonders hervorgehoben: das »leicht [Z]ugängliche, [E]ingängige, aber nicht [V]ereinfachende«,226 die ›Eleganz‹ und ›Kultiviertheit‹227, die Feinfühligkeit der Textvertonung228, der farbliche, rhythmische und melodische Reichtum sowie die »Abwechslung« und »Spannung«229 und Einheit des Werks230. 2016 Im Juni und Juli 2016 wurde die Ballade zum ersten Mal von einem anderen Dirigenten als Pierre Cao aufgeführt. Andy Loor wählte das Werk zum 380

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Abschluss­ konzert seines Masterdiploms im Hauptfach Chorleitung am Konservatorium in Maastricht in den Niederlanden. Dies führte zu drei Aufführungen in Echternach, Diekirch und Sanem. Interpreten waren das Ensemble Vocal Eurocantica, die Chorale Municipale Sängerbond Diekirch, das Orchester Estro Armonico und, als Solisten, der belgische Tenor Axel Everaert als Veit sowie die zwei luxemburgischen Sänger Mariette Lentz und JeanPaul Majerus. Diesmal erschien nur eine einzige, wenn auch ausführliche und positive Kritik. Loll Weber lobte im Luxemburger Wort die Komponistin als »begnadete Erfinderin von empfindsamer und unmittelbar packender Lyrik«, die »Sinn für echte Dramatik, für scharfe Kontraste und einen suggestiven Spannungsablauf« habe, und schlussfolgerte: »Die herzlichen Ovationen nach dem Schlussakkord sind berechtigt. Besonders nach der Pause [vor der Pause wurden ›Joueur de Vièle‹ von Catherine Kontz (*1976) sowie drei Orchesterkompositionen von Koster aufgeführt] wird das Konzert zu einer wertvollen und stimmungsvollen Hommage an Lou Koster.« (Weber 6.6.2016, LW) Zusammenfassend Inwiefern war die »nationale Bedeutung«, die dem Werk seit der Uraufführung von den allermeisten der vielen Rezipienten in der Presse zugesprochen wurde und wird, dem Werk eingeschrieben? Tatsächlich springt das ›Luxemburgische‹ in vielen Aspekten der Komposition ins Auge: Eine luxemburgische Komponistin vertont einen Text eines luxemburgischen Dichters über einen populären, mit der Historie und Kultur Luxemburgs eng verbundenen Stoff, der lange Zeit als luxemburgische mittelalterliche Sage galt. Und diese Komposition wird ausschließlich von luxemburgischen InterpretInnen in der Stadt uraufgeführt, in der die Geschichte selbst spielt: Echternach, präziser noch, an ebendem Ort, in dessen Krypta sich das Grab des heiligen Willibrord, des Gründers und ersten Abts, befindet: der berühmten auf das Mittelalter zurückgehenden Abtei. Aus den Pilgerreisen zu diesem Grab entwickelte sich die Tradition der Echternacher Springprozession. Sowohl Willibrord wie die Springprozession haben sich zu Erinnerungsorten der nationalen Identität entwickelt.231 Die Echternacher Springprozession steht seit 2010 auch auf der Unesco-Liste der immateriellen Kulturgüter. Auch rein musikalisch wird die Komposition in Echternach verortet, und zwar durch das Zitat der Springtanzmelodie, eines der wichtigsten Leitthemen der Komposition. Ganz im Sinne des Mottos aus dem Liedrefrain der ersten Nationalhymne De Feierwôn: »Kommt hier aus Frankräich, Belgie, Preisen, Der Geiger von Echternach

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Mir wellen iech ons Hémecht weisen« [Kommt her aus Frankreich, Belgien, Preußen, Wir wollen Euch unsere Heimat zeigen] wurde und wird die Prozession sowohl von der Stadt Echternach wie von staatlicher Seite zur Förderung des Tourismus eingesetzt. Auch für Lou Koster zählten »die Touristen« zum Zielpublikum ihrer Komposition (o.V. 4.7.1972, RL, F). Dennoch gibt es auch transnationale Elemente. Der Text des Geigers ist nicht in Luxemburgisch, sondern in Deutsch verfasst und wendet sich damit – trotz allen Lokalkolorits – nicht ausschließlich an ein luxemburgischsprachiges Publikum. Die Springprozession ist nicht nur eine lokale Tradition von ›nationaler‹ Bedeutung, sondern auch ein »internationaler Erinnerungsort«232: Sie war seit den frühesten Zeiten über die Grenzen von Luxemburg hinaus bekannt und Pilger von Waxweiler und Prüm aus der E ­ ifel spielten dabei eine besondere Rolle. Der in England geborene und missionarisch weitgereiste Willibrord gilt zwar einerseits als ein bedeutender ›Nationalheiliger‹, ist aber auch international eine religiöse Identitätsfigur, die in der Eifel, in England, in Irland und in den Niederlanden verehrt wird.233 Wenn man die vielen Presseartikel rund um die Aufführungen des Geigers von 1972 bis heute liest, hat man zunächst den Eindruck, die Komponistin habe ihr geplantes Ziel erreicht: ein breites Publikum für ihre Musik zu finden und Luxemburg ein identitätsstiftendes Musikwerk zu schreiben. Die Komposition des Geigers wurde in großer Übereinstimmung als ›nationale Tat‹, als ›Meisterwerk‹, als ›Monument der luxemburgischen Tonkunst‹ sowie als ›Krönung ihres Lebenswerkes‹ beschrieben. Lou Koster wurde ein ›verdienter‹ Platz in der luxemburgischen Musikgeschichte eingeräumt, sie sollte nicht vergessen werden. Und auch als Frau gelang es ihr, sich durchzusetzen: In der Presse kam ebenso der Stolz auf die ›erste, allgemein anerkannte Komponistin‹, die ›große Komponistin‹, mehr noch: auf eine Frau, die ›unbedingt zu den größten Künstlern zählt, die unser Land hervorgebracht hat‹, gar als ›jetzt die Größte‹ zum Ausdruck. Erreichte Koster mehr, als sie erwartet hatte, als sie zu hoffen wagte? Aus einer Aussage der Schwester liest man heraus, als habe sie der späte Erfolg tatsächlich überrascht: »Sie hat sich darauf nichts eingebildet, sie war sehr einfach, ich frage mich, ob sie sich bewusst war … Ich meine, nachdem sie den Geiger von Echternach gegeben hatte, da war sie sich bewusst … Aber sie war so krank … Fernand sagte, als sie die Treppen zur Basilika hinaufstieg: Das, das ist ihr Grabstein. Ein Jahr später war sie tot.« (EI 7) All diese ›großen‹ Worte aus der Presse stehen allerdings in eigenartiger Diskrepanz zur Aufführungsgeschichte des Werks nach dem Tod der Komponistin. Tatsächlich fanden in 45 Jahren »nur« neun Aufführungen statt (je 382

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eine 1972, 1974, je zwei 1990 und 2009 und drei 2016). Die Komposition wurde nie außerhalb der Grenzen Luxemburgs aufgeführt. Zwar wurden zwei Mitschnitte auf CD veröffentlicht und auch die Aufführung von 2016 wurde auf einer – diesmal nicht kommerzialisierten – CD aufgezeichnet. Aber die seit der Uraufführung immer wieder geplante Studioaufnahme wurde so wenig realisiert wie eine ab 1995 erwogene und 2008 in Angriff genommene Notenedition je fertiggestellt wurde. Setzt man allerdings die Aufführungs- und Rezeptionsgeschichte des Geigers in den allgemeinen Kontext der Rezeption von Musik aus Luxemburg in Luxemburg, wird deutlich, dass die Zahl der Aufführungen im Vergleich zu anderen Werken sehr hoch ist, denn nur äußerst selten werden in Luxemburg Kompositionen, vor allem wenn sie in größerer Besetzung sind, nach ihrer Uraufführung weitere Male aufgeführt. Außergewöhnlich ist es auch, dass überhaupt Konzertmitschnitte auf CD existieren und ebenso, dass in Erwägung gezogen wurde, die Partitur herauszugeben.

Anmerkungen 1 Teile dieses Textes wurden erstmals in ›Ausgangspunkt‹, der Einleitung zum Kapitel ›Luxem­ burg in Europa: Nationale Identitäten – kulturelle Identitäten – Geschlechteridentitäten‹ in: Roster Unseld 2014, S. 15–25 veröffentlicht. 2 Einer Antwort auf die weitgehend noch unerforschte Fragestellung, wo sich Luxemburg innerhalb der europäischen Nationalmusikbewegungen im 19. und 20. Jahrhundert in Europa verorten ließe, könnte man sich durch einen Vergleich mit anderen regionalen und peripheren, also nicht im eigentlichen Sinn ›nationalen‹ Kulturbewegungen in Europa annähern. Siehe hierzu: Thiesse 1994. Auch Nina Noeske hat für eine solche Forschung bereits interessante Fragestellungen vorformuliert (Noeske 2014). 3 Hugo Riemann: Geschichte der Musik seit Beethoven (1800–1900), Berlin, Stuttgart 1901, S. 499. 4 Paré kursiviert ›petite‹ in der Begriffsprägung, um sich von einer qualitativen Bewertung abzugrenzen, Paré 1994, S. 9 f. Siehe auch: Quaghebeur 1998; Bainbridge Charnley Verdier 2010; Amann Mein Parr 2008. Zu Luxemburg: Honnef-Becker Kühn 2004; Conter Goetzinger 2008. 5 Zur Polarisierung von ›Fortschritt‹ und ›Restauration‹, die das Denken u.a. seit Adornos Philosophie der neuen Musik (1949) maßgeblich prägt, siehe Vorwort in Scherliess 1998. 6 Wie durch Kontextualisierung und eine Verbindung von musikalischer Analyse mit den Konzepten der Cultural Studies Alterität sichtbar werden kann, dazu siehe die Analysen in: Huber Szabó-Knotik Grassl 2011. Siehe auch: Celestini 2001. 7 Vgl. auch Koselleck, Zeitschichten, 2000; Koselleck: Vergangene Zukunft, insbesondere S. 325; Neubauer 2003; Landwehr 2012; Schweiger 2004. 8 Zu normativen Dimensionen des Moderne-Verständnisses, Verabschiedung vom Pathos des Fortschritts, Forderung nach einer Differenzierung von Dichotomien, die das Denken über Anmerkungen

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die Moderne bestimmen, zur Konstruktion der (musikalischen) Moderne vor dem Hintergrund der Tradition, siehe: Senarclens de Grancy Uhl 2001. 9 Hier wäre eine Parallele z. B. zu Charles Ives festzustellen, dessen Musik, wie die von Koster und ihren Kollegen, ebenfalls unter dem Einfluss des lokalen Musiklebens entstand, das, ebenso wie in Luxemburg, von Kirchengesang, Blechbläsermusik, Märschen, militär-patriotischen Liedern und Tänzen geprägt war. Ähnlich wie bei luxemburgischen Komponisten führte dies zu Kategorisierungen von Ives’ Musik als ›naiv‹, ›nett‹, aber ›trivial‹, ›traditionell‹, ›romantisch‹. Fink 2011. 10 In Luxemburg hatte sich erst allmählich ein Nationalgefühl entwickelt, und es blieb auch – bis auf Ausnahmen – moderat. Pauly 2011, v.a. S. 69 u. 74, Blaise 1984. 11 Goetzinger, Referenz auf das Fremde, 2004. 12 Frantz Clément, kritisch hierzu, in der Zeitschrift Floréal Nr. 1 (1907), S. 25. Zum Leiden an der Provinzialität siehe auch: Grégoire 1981, Goetzinger Mannes 2009. 13 Vgl. Péporté u.a. 2010, S. 12. Die AutorInnen weisen darauf hin, dass auch diese Vorstellung eine Reifikation beinhaltet: Sowohl die deutsche wie auch die französische Kultur gelten als ›verschieden‹ und sich fremd gegenüberstehend, und auch die luxemburgische wird durch die ›besondere‹ Rolle oder Eignung, die ihr zugeschrieben wird, als partikular angesehen. 14 Kmec 2014, Conter 2007, Goetzinger, Colpach, 2004, Marti 2000. Eine Vermittlung, die, so Goetzinger, in den 1930er Jahren im Gegensatz zu den Jahrzehnten zuvor im Ausland zunehmend auf taube Ohren stieß: »Das nationalistische Erstarken der Kulturnationen lässt im Gegensatz zu einer europäischen Moderne im Sinne von Harry Graf Kessler keinen Spielraum mehr für kulturelle Akteure aus marginalen Kulturräumen wie Luxemburg.« Goetzinger 2017, S. 135. 15 Diese Denkrichtung hat auch für das heutige kulturelle Schaffen in Luxemburg Aktualität. Corinna Mersch sieht im Konzept des Nomadischen einen fundierenden Mythos nationaler Identität, mit dem das Essentialistische einer Konstruktion des Nationalen in Frage gestellt wird, siehe hierzu über aktuelle interkulturelle Literatur aus Luxemburg: Glesener 2008, S. 113 f. 16 LZ Nr. 16, Abendausgabe, vom 16.1.1906, F. Zu Aline Mayrisch de Saint-Hubert und dem von ihr gegründeten Verein siehe Goetzinger 1997. Interessant ist in diesem Zitat, dass Mayrisch von einem ›pays bilingue‹ spricht, damit die deutsche und die französische Sprache meint und gleichzeitig die luxemburgische Sprache ausschließt. 17 Zu ihnen gehören Laurent Menager, Joseph Alexandre Müller, Albert Berrens, Jean-Pierre Beicht, Max Menager, Dominique Heckmes, Alfred Kowalsky, Michel Hülsemann, Émile Boeres, Albert Thorn und Jules Krüger. Die Studienorte und Institutionen waren die Musikkonservatorien von Köln, Berlin, Paris, Brüssel und Lüttich. Boeres und Krüger studierten bei Privatlehrern im Ausland (Boeres bei Karl Unger, Krüger bei Paul Gilson). 18 Zit. b. Hensel, Sebastian: Die Familie Mendelssohn 1729–1847. Nach Briefen und Tagebüchern, 2 Bde., Leipzig 1929, Bd. 2, S. 36. 19 Kolb, Annette: Wege und Umwege, Berlin 1914. 20 Nur von drei der 14 veröffentlichten Klavierwerke sind heute noch die autografen Versionen erhalten: Scouts in the Camping (= Keep smiling), ALK, LK 1A 20, Lore-Lore, ALK, LK 1A 28 und Petite Source, ALK, LK 1A 33-a, b, c. 21 In ihrer Werkliste führt Buchholtz »14 Sonaten« an, überliefert sind elf vollständig sowie zusätzliche einzelne Sätze. 22 Andert, Frank: »Literarische Morgenröte in Weinböhla. Weinböhlaer Geschichten. Teil 8«,

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Weinböhla Juli/August 2013, in: http://www.apotheke-weinboehla.de/fileadmin/user_upload/doc/weinboehla/Weinboehlaer_Geschichten_8.pdf (letzter Zugriff: 22.5.2018). 23 Auf einem Exemplar der Druckfassung befinden sich handschriftliche Eintragungen von ihr zu Tempo und Agogik sowie Streichungen von Wiederholungen (ALK, LK 2A 14). 24 Bei Maison Musicale Moderne erschien von ihm ein Tango Argentino in: ›Recueil de 10 morceaux à grand succès pour piano‹. Das Titelbild dieses Sammelbandes ist das gleiche wie das von Kosters Klavierdrucken. Der Name des Illustrators ist nicht überliefert. http://www.imagesmusicales.be/ search/composer/Harry-Mill/712/ShowData/8/Submit/ (letzter Zugriff: 30.1.2018). 25 Siehe die 55 Musiktitel aus dem Verlagskatalog in: http://www.imagesmusicales.be/search/ publisher/Maison-Musicale-Moderne/11/ShowData/8/Submit/ (letzter Zugriff: 30.1.2018). 26 https://repertoire.sacem.fr/detail-oeuvre/RKYnlWV7bAJURQol8Rlry_Qyr3TKmnYgvLnybNCT1uA=/KEEP%20SMILING?query=Keep%20smiling&filters=titles#searchBtn (letzter Zugriff: 30.1.2018). In dem in der parlamentarischen Sitzung vom 19.5.1920 behandelten Naturalisierungsantrag wird Wilhelmus Johannes Paans als »compositeur-éditeur de musique à Bruxelles, né à Amsterdam (Hollande), le 28 décembre 1873« ausgewiesen. https://sites.google.com/site/bplenum/proceedings/1920/k00311281/k00311281_00 (letzter Zugriff: 30.1.2018). 27 ALK, LK 1A 29-c, beispielhaft hier die erste Notiz: »Prière à Mr l’imprimeur d’ajouter la 2e partie de la première valse. Les nuances seulement sont à changer: f devient p, p devient pp.« 28 Impressions du soir / La Nuit qui chante (LK 1A 26-a, b, c); Fantaisie An der Schwemm (LK 1A 17-b, c); Ouverture légère (LK 1A 14); La Joyeuse (LK 1A 16-b); Papillons (LK 1A 21); Sur les bords du lac (LK 1A 24); Unter blühenden Linden (LK 1A 29-a); Moselträume (LK 1A 30-c); Petite source (LK 1A 33-a). 29 Fantaisie An der Schwemm (LK 1A 17-d); Si loin (LK 1A 18-c); Papillons (LK 1A 21); Sur les bords du lac (LK 1A 24); Unter blühenden Linden (LK 1A 29-a, c); Moselträume (LK 1A 30-a, c); Sche’n Letzeburg (LK 1A 31-c), Petite source (LK 1A 33-a,b), ALK. 30 15.5.1924: Si loin (LK 1A 18-a), Maiennacht (LK 1A 22), Unter blühenden Linden (LK 1A 29-a); 13.11.1935: Sche’n Letzeburg (LK 1A 31-b); 18.1.1952: Jang (LK 1A 13-c), La Joyeuse (LK 1A 16-a); undatierter Stempel: Keep Smiling (LK 1A 20), ALK. 31 CD Orchestermusik von Lou Koster. Orchester Estro Armonico, Ltg. Jonathan Kaell. Naxos 2015. 32 CID | Fraen an Gender hat zwischen 2010 und 2014 acht nicht kommerzialisierte Editionen von Orchesterwerken erstellt, um sie für Aufführungen als Leihmaterial zur Verfügung zu stellen. Die Editionen, die von Jonathan Kaell und der Autorin gemeinsam erstellt wurden, gehen im kritischen Apparat jeweils auf Divergenzen zwischen den einzelnen überlieferten Versionen sowie auf Fragen, die sich aus dem Quellenmaterial ergeben, ein. 33 Ebd., Vorwort von Jonathan Kaell, »Zwischen Tradition und Individualität«, S. I, II. 34 Au clair de lune, Serenade; Dans la rosée, Serenade; La Joyeuse, Marsch. 35 Keep smiling, Marsch. 36 Auch der Vermerk auf dem Klavierauszug von Maiennacht belegt die Existenz einer heute verschollenen neunstimmigen Salonorchesterfassung (ALK, LK 1A 22: »9 parts«). Die Notizen auf zwei Klavierauszügen von Unter blühenden Linden belegen zwei weitere Salonorchesterversionen (ALK, LK A 29-b: »9 parts«; LK A 29-a: »2 pianos – 10 parties«), die heute nicht erhalten sind, überliefert ist dieses Werk in zwei Orchersterversionen mit 13 bzw. 16 Stimmen. 37 Z. B. Toute vie, die zwei Autografe mit der Signatur ALK, LK 1E2 11-a und 11-c, wobei hier das letztere die Reinschrift des ersteren zu sein scheint, zeigen die gleiche Besetzung Anmerkungen

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auf, während ein drittes, dem befreundeten Stummfilmmusiker Antoine Steffen gewidmetes Autograf, LK 1E2 11b, eine Fassung für kleiner besetztes Orchester ist, die eventuell auch im Kino aufgeführt wurde. 38 Die Version ist für großes Orchester in der Besetzung Flöte, Oboe, Klarinette in A, Fagott, Trompete in A, Horn in F, Posaune, Schlagzeug, Violine 1, Violine 2, Bratsche, Violoncello, Kontrabass. 39 Zu der Musik von Koster für Blasorchester: Sagrillo 2010. 40 Telefonische Auskunft, auf Wunsch anonymisiert, von einer Person aus dem Umkreis des Orchesters. Ob und wie viel Notenmaterial bereits früher, im Krieg, zerstört wurde, kann nicht eruiert werden. Die Notenbibliothek von Radio Luxemburg wurde zum Teil vom Orchester, zum Teil von Pensis privat verwaltet: Im ›Bestand Henri Pensis‹ im Konservatorium sind handschriftliche Partituren mit dem Stempel des ehemaligen Notenarchivs von Radio Luxemburg überliefert, es handelt sich dabei aber bis auf wenige Ausnahmen ausschließlich um Kompositionen und Arrangements von Pensis selbst. Im CA-RTL befinden sich keine Partituren. Bei den beiden oben erwähnten Partituren, die im Archiv des OPL erhalten waren, handelt es sich um Fantaisie sur An der Schwemm sowie Soir d’été. Beide Originale sind heute in der BnL (noch unkatalogisiert), in Kopien im ALK (LK 1E2 20-a und LK 1E2 8). 41 »La super station européenne«, in: TSF Revue 438 (11.6.1933), zit. b. Maréchal 2010, S. 61. Was die Reichweite betrifft, kann man Radio Luxemburg in dieser Zeit nur mit Radio Moskau vergleichen. 42 V.a. in Deutsch und Französisch, aber auch in Englisch und Luxemburgisch. 43 Ein Nebeneffekt davon ist allerdings, dass dadurch für Luxemburg keine exakte Radiostatistik erstellt werden kann. Zur Ungenauigkeit luxemburgischer Radiostatistiken siehe Brief des Postgeneraldirektors an den Finanzgeneraldirektor vom 8.1.1935 mit einer vergleichenden ›Statistik‹ für die Jahre 1929 und 1934 im Anhang, in: Anlux FI-548d (FIN-02898 bis FIN02909, insbesondere: FIN-02903 u. 02899). 44 Radiopädagogik in Luxemburg, siehe auch: »Volkshochschule« in T 18.7.1936, S. 13. Radiopädagogik in Deutschland: siehe Schätzlein 2012, hier v.a. S. 43–46 (v.a. über B. Brecht u. W. Benjamin). In Frankreich: Bennet 2010, S. 245–318. In den USA: siehe Robert HullotKentor: »Introduction« in: Adorno 2009, S. 1–40. In Amerika wirkte der Dirigent Walter Damrosch als ein engagierter Verfechter der Radiopädagogik und Pionier im Bereich der Radiomusikvermittlung (NBC Music Appreciation Hour, 1928–1942). 45 Im Radio der 1920er Jahre war das grundlegende Muster für die Konzeption von Musiksendungen noch das traditionelle Konzert gewesen. Siehe Bennet 2010 und Méadel 2004. 46 Zum englischen Programm von Radio Luxemburg siehe v.a. Nichols 1983 und Newton 2010 und 2013. 47 Der Autorin wurde vertraglich im Jahr 2013 ein Archivzugang gewährt. Für die vorliegende Recherche konnten also erstmals Quellen aus den 1930er Jahren aus diesem Archiv ausgewertet werden. Dominguez Muller (2007), Spohrer (2008) wie Maréchal (2010) hatten für ihre Recherchen noch keinen Zugang zum Archiv. Maréchal arbeitete ausschließlich mit Quellen aus französischen Archiven. Dominguez Muller wie Maréchal nehmen die Geschichte Radio Luxemburgs als internationales Unternehmen mit vor allen französischen Interessen in den Blick, in diesen Fragen beziehe ich mich auf diese beiden Studien. Die Frage nach luxemburgisch-nationalen Interessen, insbesondere in einem Bezug zu kulturellen Sendeinhalten, behandeln beide nur am Rande. Die Forschungsfragen machten es also notwendig, selbst in den Archiven CA-RTL und Anlux zu recherchieren.

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48 Zu den Tonbandverfahren der 1930er Jahre siehe Méadel 1994, S. 361 f. und Nichols 1983, S. 16 f. 49 Das Ton- und Bildarchiv von Radio Télé Luxemburg befindet sich heute im CNA, die frühesten Dokumente der Kollektion datieren von 1945. Vor Kurzem konnte das CNA aus Privatbesitz einige Tondokumente Radio Luxemburgs aus der Zwischenkriegszeit erwerben, es handelt sich nicht um Musikaufnahmen, sondern um Außentonaufnahmen bedeutender internationaler Ereignisse. Einige Tondokumente der englischsprachigen Sendungen befinden sich seit 1999 in der Universitätsbibliothek von Sheffield, https://www.sheffield.ac.uk/ library/special/radiolux (letzter Zugriff: 2.5.2018). 50 Für die vorliegende Recherche wurden Akten aus den Beständen des Außenministeriums (AE) und des Finanzministeriums (FI bzw. FIN) herangezogen, siehe Anhang, Archivmaterialien, Anlux (online). 51 Auch heute noch ist RTL-Group der größte europäische Anbieter im Bereich der kommerziellen Fernseh- und Radioangebote, und zwar mit einer Beteiligung an 56 Fernseh- und an 27 Radiostationen aus zwölf verschiedenen Ländern. RTL-Group sieht sich auch auf Produzentenseite als »global leader in content « (mit 8500 Stunden Fernsehprogramm in 62 Ländern). http://www.rtlgroup.com/www/htm/ataglance.aspx (letzter Zugriff: 2.5.2018). 52 Anlux FI-548d (FIN-02909), Akte »XI: TSF Les Amateurs sur Ondes courtes«. 53 So z. B. in einem Beitrag der im Verlag Bourg-Bourger (L) herausgegebenen Zeitschrift Radio-Programme vom 28.10.1927, zit. b. Fehlen 1984, S. 19. 54 LW 14.11.1929, S. 5; LW 5.12.1929, S. 4; LW 10.10.1929, S. 4 und T 10.10.1929, S. 3. 55 www.radioluxembourg.co.uk (letzter Zugriff: 2.5.2018). Siehe auch Spohrer 2008, S. 39–48. 56 T 25.9.1929, S. 6; LW 25.9.1929, S. 5, LW 14.11.1929, S. 5. 57 Siehe Dominguez Muller 2007, S. 17–42; Maréchal 2010, S. 24–27; Spohrer 2008, S. 39–48 u. 68 f. 58 Dieser Brief wurde von Poincaré in gleichem Wortlaut ebenfalls an den Unterstaatssekretär der PTT adressiert. Zit. b. Maréchal S. 22, F. Quelle: Archives diplomatiques du Quai d’Orsay. Lettre du président du Conseil au Ministre des Affaires étrangères, 16 avril 1929. Welche »Gesellschaft” (»cette société«) hier gemeint war, konnte nicht eruiert werden, es handelte sich dabei um eine franko-britische Radiogesellschaft, die bei der luxemburgischen Regierung einen Antrag eingereicht hatte, zu der aber bisher keine weiteren Quellenbelege gefunden wurden. 59 Brief in F, Anlux, FI-547 (= FIN-02857–02860), siehe auch: Artikel »Radio-Luxemburg: Sendestation für nationalistische  Propaganda  und Aufschwung der Publizität« in T 9.10.1931, S. 2 und »Sous le contrôle absolu de la France« in T 12.10.1931, S. 1. 60 T 10.11.1931, S. 2: »Radio-Luxembourg und kein Ende«; LLFP, 13.10.1931, Titelseite: »Radio: Was geht vor?«; AK in LZ, Morgenausgabe 13.11.1931: »Glücklich die Völker, die keine Geschichte haben. Noch glücklicher die Völker, die keine Geschichten haben.«; siehe auch Titelseite OZ 16.10.1931, Artikel in der französischen Radiozeitschrift Haut-Parleur Nr. 824, S. 555 (zit. in T 10.11.1931, S. 2) und Artikel »Kampf der Wellen« im Abendblatt und im ersten Morgenblatt der Frankfurter Zeitung vom 4.11.1931, S. 3 (abgedruckt in T 4.11.1931, S. 2 f.). 61 Veröffentlichung der Statuten der SLER am 27.5.1929 im: Mémorial [C: Sociétés et Associations] Nr. 35, S. 1498–1502. 62 Siehe Kritik hierzu: T 21.10.1931, S. 1: »Radio=Größenwahn«; T 4.2.1931, S. 3: »Kammer-

Anmerkungen

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Verhandlungen«. Trotz liberalem Radiogesetz wurde später der SLER ein Monopol zuerkannt. 63 Anlux, AE-03734, 0629–0631: Bericht der Radiostudienkommission vom 3.4.1930, S. 19– 21. Die Zahlen hier entstammen einer Statistik, die von der Post in Auftrag gegeben wurde. 64 Loi du 19 décembre 1929 concernant les stations radioélectriques établies ou à établir dans le Grand-Duché, in: Mémorial A n° 66 de 1929, publié le 24.12.1929, S. 1110–1112. Ministère d’État: Service Centrale de Législation: http://www.legilux.public.lu/leg/a/archives/ 1929/0066/index.html#1929A1110A (letzter Zugriff: 27.11.2018). 65 Anlux AE-03734 (0611–0637) und FI-548b2 (= FIN-02870 bis FIN-02884), Akte ›Commission‹: Abschlussbericht der Radiostudienkommission vom 3.4.1930, S. 9 f., F. 66 Siehe »Rapport Hombourg«, Anlux FI-547 (= FIN-02857 bis 02860) und Brief von Dupong an Hombourg vom 6.5.1930, Anlux FI-548b2 (= FIN-02877–02884). 67 Die Statuten samt Lastenheft wurden veröffentlicht in: Mémorial du Grand Duché de Luxembourg. Recueil spécial des publications en conformité de la loi du 10 août 1915, sur le régime des sociétés commerciales, et de la loi du 21 avril 1928 sur les associations sans but lucratif et les établissements d’utilité publique, Nr. 45, 19. Juni 1931, S. 817–831. 68 Ebd., S. 825, F. 69 Ebd., S. 825, F. 70 Ebd., S. 828 ff. Über die politische Besetzung der Kommission wurde während der Kammerdebatten 1931 heftig gestritten (vgl. LW 6.2.1931, S. 4). 71 Dem Staat, der nicht in die Gesellschaft investierte, sollte 30 % des Nettogewinns zukommen. Ebd., S. 823. 72 Ebd., S. 828, F. 73 Anlux, CdC-CR-0130, Sp. 84–95, hier Sp. 87, 89, 94. Siehe auch den Bericht der Kammerkommission und das gedruckte Gesetzesprojekt in: Anlux, CdC-CR-0131, Sp. 161–167. 74 Ebd. 75 Anlux CdC-CR-0131, Sp. 801–802. Um der Sendestation das Enteignungsrecht für Terrains, die für die Erbauung der Sendeanlagen vorgesehen waren, zu erteilen, war es notwendig, ihr das Statut des öffentlichen Nutzens zuzuerkennen. 76 Zu der Kammerdebatte: Anlux CdD-CR-0132: 16.1.1931, Sp. 108–124; 20.1.1931, Sp. 127–148; 30.1.1931, Sp. 296–328; 3.2.1931, Sp. 330–360; 5.2.1931, Sp. 361–374. 77 Ebd., Sp. 116 f. und Sp. 303, F. 78 Ebd., Sp. 114. Betrifft den von der Arbeiterpartei erfolglos eingereichten Gesetzänderungsantrag. 79 Ebd., Sp. 124, F. 80 Ebd., Sp. 123 f., F. 81 T 31.1.1931, S. 7. T.S.F. = Télégraphie sans fil. 82 Anlux, Akte ›Radio loi du 19.12.1929‹, F in FI-548b2 (= FIN-02870 bis FIN-02884). Das Escher Tageblatt solidarisierte sich mit diesem Schreiben, T 31.1.1931, S. 7. 83 Die Rede wurde vollständig abgedruckt in: o.V., »La Radio-diffusion au Grand-Duché de Luxembourg«, in: Le Radio (November) 1931, S. 4, F. Dieses und die folgenden Zitate ebd. 84 Zu diesem Diskurs siehe Kapitel Kontext – Musik in Luxemburg. Vgl. auch den Passus über die besondere Eignung des Luxemburger Senders zur Vermittlung zwischen dem deutschen und französischen Kulturkreis in dem Artikel »Volkshochschule« in T 18.7.1936, S. 13. 85 So der Musikkritiker der Luxemburger Zeitung, den der Escher-Tageblatt-Journalist zitiert und für diese Meinung kritisiert, siehe T 2.1.1933, S. 3.

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86 Beilage ›La Musique‹, vom 7.1.1933, S. 7. 87 Anlux, AE-03734, Unterlagen der ›Commission d’Études Radiophoniques‹ von 1930 bis 1937, siehe hier v.a.: 0194–0220: »Difficultés internationales«, masch.-schr. Dossier, enthält Korrespondenz der UIR sowie Protestschreiben offizieller Stellen aus Deutschland, England, den Niederlanden, der Schweiz, Dänemark, Island, Italien und Österreich; Anlux, FI-548c1 (= FIN-02885 bis FIN-02891), insbesondere FIN-02887, FIN-02888, FIN-02890, FIN-02891. 88 Undatiertes masch.-schr. Dokument ›Opportunité de la création d’un centre important de radiodiffusion dans le Grand-Duché de Luxembourg‹, hier S. 3  f., F, in: Anlux, FI-548c1 (FIN-02885). 89 Undatierter zweiseitiger masch.-schr. Brief des Außenministeriums an den Staatsminister und Regierungspräsidenten mit zweiseitigem Anhang ›Projet de Note‹, F, in: Anlux, FI548c1 (FIN-02885). 90 Brief des Postministeriums an den Generaldirektor der Finanzen vom 10.4.1933 mit Anhang ›Projet de note‹ und Brief des Generaldirektors der Finanzen an den Staatsminister und Regierungspräsidenten vom 11.4.1933, F, beide in: Anlux, FI-548c1 (FIN-02885). 91 Spohrer 2008, S. 11 u. 15. Eckdaten der Untersuchung: 1929 bis 1950. Mit dem gleichen Thema in der Folgezeit befasst sich Katja Berg in ihrer 2018 abgeschlossenen Promotion »Kommerzielle Konkurrenz im öffentlich-rechtlichen Rundfunk der BRD zwischen 1957 bis 1980. Radio Luxemburg als Katalysator transnationaler Medienbeziehungen?«. 92 Die Schaffung des Direktionskomitees war am 31.5.1932 vom Verwaltungsrat beschlossen worden. Dessen Funktion wurde wie folgt definiert: »um die technischen, administrativen, finanziellen, werbungsbezogenen und anderen Angelegenheiten zu studieren, vorzubereiten, die zur Approbation dem Verwaltungsrat vorgelegt werden sollen« (CLR CA, 31.5.1931, S. 1, F). Während in den Berichten dieser beiden Gremien die Programmpolitik ein Thema ist, enthalten die Versammlungsberichte der Generalversammlung der Aktionäre diesbezüglich kaum Informationen. 93 CLR CA, 1931–34, 16.5.1933, S. 104 ff., F. 94 CLR CA, 1931–34, 21.5.1932, S. 40, F. 95 CLR CA, 1937–1949, 29.4.1939, S. 82 f., F. 96 Anlux, Fi-548c1 (FIN-02891) enthält zwar die Akte »Radiodiffusion commission de contrôle des programmes«, in dieser befinden sich Unterlagen zu Nominierungen sowie eine interne Dienstordnung, aber keine Versammlungsberichte. Aus den Berichten des Direktionskomitees (CLR CdD, 12.3.1934, S. 166; 16.12.1935, S. 88) sowie des Verwaltungsrates (CLR CA, 16.12.1935, S. 90) geht hervor, dass die Kommission – zumindest sporadisch – getagt haben muss. 97 Das Konzept des sich täglich bzw. wöchentlich wiederholenden Programmrasters wurde in den 1930er Jahren entwickelt, um verschiedene imaginierte HörerInnengruppen zu bestimmten Zeiten an die Station zu binden. Méadel 1994, S. 238–244. 98 Lacour-Gayet bereitete die Entscheidungen des Verwaltungsrates vor und war verantwortlich für deren Umsetzung, indem er dem Direktor die dafür notwendigen Instruktionen erteilte. Vorschläge des Direktors wurden von Lacour-Gayet begutachtet, bevor sie dem Verwaltungsrat vorgelegt wurden. Martin hierarchisch unterstellt war Programmdirektor André Dubois La Chartre (Felten o.J., S. 29). Nach Martins frühem Tod wurde Ende 1935 der Franzose René Louis Peulvey dessen Nachfolger. Einer Pressemitteilung kann man entnehmen, dass gegen Ende der 1930er Jahre insgesamt etwas mehr als 80 Personen, das Orchester mitgezählt, in den Studios in Luxemburg arbeiteten (LW 6.11.1939, S. 3). Anmerkungen

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99 CLR CA, 19.11.1932, S. 77 f., F. 100 Héron, Pierre-Marie: »Essai d’inventaire des émissions radiophoniques diffusées en France (1930–1963)«, http://www.jeancocteau.net/wiki/doku.php?id=inventaire1 (letzter Zugriff: 27.11.2018). 101 CLR CA, 1931–1934, 28.1.1933, S. 89 und CLR CA, 1934–1936, 10.12.1934, S. 38. 102 Felten o.J., S. 31 f. Auch in Frankreich war es üblich, dass der Radioorchesterdirigent für sämtliche Musikprogramme (Studiokonzerte wie Schallplattensendungen) zuständig war (Méadel 1994, S. 357 u. 315). 103 Weber 1998. Siehe auch Zeugnis des Westdeutschen Rundfunks betreffend Pensis, datiert vom vom 5.7.1932, ohne Signatur, in: Bestand Henri Pensis, MKL. 104 CLR CA, 1931–1934, 10.7.1933, S. 125 f., siehe Radioprogramm in: LW 14.7.1933, S. 8 und T 15.7.1933, S. 9. 105 Da die Wellenlänge international nicht offiziell zuerkannt war, wurde vorerst unter dem Namen ›Radio Luxembourg expérimental‹ bzw. ›Versuchssender‹ gesendet. Siehe LW 15.3.1933, S. 6; T 17.3.1933, S. 5, T 14.4.1933, S. 8. 106 Zum Prozentsatz der Musik im französischen Radio siehe Méadel 1994, S. 246 u. 313 ff., Bennet 2010, S. 8. 107 Da das Orchester zu dem Zeitpunkt noch nicht existierte, wurde die Musik größtenteils von Schallplatten gespielt. LW 15.3.1933, S. 6. 108 Fernand Mertens, Edmond de Lafontaine, Louis Petit, Michel Hülsemann, Gustav Kahnt (L); Ferdinand Hérold, Jules Massenet (F); Fritz Kreisler, Franz Schubert (A); Edvard Grieg, Christian Blom (N); Felix Mendelssohn (D); Albert Ketèlbey (GB, 2 Werke), Giuseppe Verdi (I); Jonny Heykens (NL), LW 15.3.1933, S. 6. 109 CLR CA, 1934–1936, 6.5.1935, S. 56 f., F. 110 CLR CdD, S. 69 u. 79, F. 111 Siehe Pressemitteilung zur Wintersaison in LW 20.11.1934, S. 14 und »Die neue Saison bei Radio-Luxemburg« in: T 28.11.1935, S. 6. 112 A–Z 28.1.1934, S. 2 und A–Z 25.3.1934, S. 2. Siehe die Bilder in: www.eluxemburgensia. lu bzw. https://luxemburgensia.bnl.lu/cgi/luxonline1_2.pl?action=pv&sid=azillust&year=1 934&issue=06 und https://luxemburgensia.bnl.lu/cgi/luxonline1_2.pl?action=pv&sid=azil lust&year=1934&issue=14. Text Bild links (L): »Radio Luxemburg … Gefällt Euch unser Programm?« »Ja … aber, wir verstehen wenig von schwerer Musik. Bringt uns leichte Musik, z. B. Polka mit Trompete, Märsche, Harmonika, usw.« Text Bild rechts: »Bärbel: ›Und immer wenn Luxemburg spielt, fällt unser Radio runter …‹ Jubi: ›Luxemburg spielt einmal zu viel schwere Musik. Und diese Lasten hält unser Radio nicht aus …‹« 113 CLR CA, 1934–1936, 4.5.1936, S. 111 f., F. 114 CLR, CdD, 18.3.1933, S. 33; CLR CA, 1931–1934, 18.3.1933, S. 95. Die Hörerpost ist heute nicht mehr überliefert. Aus der Nachkriegszeit sind Fotos der Hörerpost-Dienststelle von Radio Luxemburg erhalten (OJ 3/12 [19.6.1947], o.S.). Dass Hörerforschung ›traditionell‹ bei Radio Luxemburg von Bedeutung war, wird von Jean Luc bestätigt (Luc 1961, S. 70, F). HörerInnen konnten ihre Meinung auch in Leserbriefen in Radiozeitungen oder Sonderbeilagen, wie ›La page du sans-filiste‹ (T) oder ›Film und Funk‹ (LW) kundtun. 115 CLR, CdD, 10.4.1933, S. 39, F. 116 Das Schriftdokument dieser Hörerpostauswertung befindet sich im Archiv von Radio France: Fonds Radio France. Note sur les principales observations des auditeurs de Radio

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Luxembourg entre le 15 mars et le 15 septembre 1933. 7 maschinenschriftliche, nicht signierte