Locatio conductio, Kolonat, Pacht, Landpacht
 3428116410, 9783428116416

Table of contents :
Vorwort
Inhaltsverzeichnis
Erstes Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas
§ 1 Periculum locatoris und remissio mercedis
§ 2 Remissio mercedis und obligatio colendi
§ 3 Remissio mercedis und ius societatis
§ 4 Ergebnisse
Zweites Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung
§ 5 Glossatoren und Kommentatoren
§ 6 Humanismus, usus modernus, elegante Jurisprudenz
§ 7 Die Spätscholastiker
§ 8 Die Naturrechtslehrer
§ 9 Die Naturrechtsgesetzbücher
§ 10 Die Pandektistik und das BGB von 1900
§ 11 Not- und nationalsozialistisches Pachtrecht
§ 12 Die Entwicklung seit 1945
§ 13 Ergebnisse
Drittes Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung
§ 14 Funktionalität der §§ 581–597 BGB
§ 15 Der Anwendungsbereich der §§ 581–597 BGB und seine Lücken
§ 16 Ein neues Regelungsmodell

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JAN DIRK HARKE

Locatio conducilo, Kolonat, Pacht, Landpacht

Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Reiner Schulze, Münster Prof. Dr. Elmar Wadle, Saarbrücken Prof. Dr. Reinhard Zimmermann, Hamburg

Band 48

Locatio conductio, Kolonat, Pacht, Landpacht

Von

Jan Dirk Harke

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2005 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0937-3365 ISBN 3-428-11641-0 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 Θ Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Die vorliegende Arbeit, für deren Aufnahme in die Reihe der Schriften zur Europäischen Rechts- und Verfassungsgeschichte ich deren Herausgebern zu Dank verpflichtet bin, ist Schwesterprodukt zu meiner Kommentierung des Pacht- und Landpachtrechts im Münchener Kommentar zum BGB. Es enthält, was in diese nicht gehört: die Dogmengeschichte von Pacht- und Landpachtvertrag sowie die rechtspolitischen Schlußfolgerungen, die sich hieraus ergeben. Sie lauten, auf einen überaus kurzen Nenner gebracht: Der Pachtvertrag des BGB ist ein überflüssiges Institut; die ihm zugewiesenen Vorschriften gehören in das Mietrecht und fehlen dort sogar. Der Landpachtvertrag bietet dagegen ein selbständig brauchbares Regelungskonzept, das sich auch jenseits der Überlassung landwirtschaftlich genutzter Grundstücke und Betriebe bewährt. Es muß nur von der objektbestimmten Definition des Landpachtvertrags im BGB befreit werden. Regen diese Thesen zum Studium des Folgenden an, hat das Vorwort seinen Zweck erfüllt. Würzburg, im Januar 2004 Jan Dirk Harke

Inhaltsverzeichnis Erstes Kapitel Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

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§ 1 Periculum locatoris und remissio mercedis

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§ 2 Remissio mercedis und obligatio colendi

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§ 3 Remissio mercedis und ins societatis

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§ 4 Ergebnisse

34 Zweites Kapitel

Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung § 5 Glossatoren und Kommentatoren

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37

§ 6 Humanismus, usus modernus, elegante Jurisprudenz

46

§ 7 Die Spätscholastiker

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§ 8 Die Naturrechtslehrer

58

§ 9 Die Naturrechtsgesetzbücher

62

§ 10 Die Pandektistik und das BGB von 1900

71

§ 11 Not- und nationalsozialistisches Pachtrecht

80

§ 12 Die Entwicklung seit 1945

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§ 13 Ergebnisse

90 Drittes Kapitel

Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung § 14 Funktionalität der §§ 581 - 597 BGB

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§ 15 Der Anwendungsbereich der §§ 581 - 597 BGB und seine Lücken

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§ 16 Ein neues Regelungsmodell

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Erstes Kapitel

Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas § 1 Periculum locatoris und remissio mercedis I. Der moderne Begriff der Gefahrtragung beim Pachtvertrag ist geprägt von der Zweiteilung in Mängel des Pachtgegenstands und Nutzungsrisiko. Während das Fruchtziehungsrisiko mangels Vereinbarung eines variablen Pachtzinses allein beim Pächter liegt, hat der Verpächter dafür einzustehen, daß der Pachtgegenstand zu der vertraglich vorgesehenen Nutzung taugt. Die Verpflichtung des Verpächters beschränkt sich so auf die Gewährung der potestas conducendi, wie sie auch die römischen Juristen bei der Hausmiete für entscheidend halten: D 19.2.28.2 Lab 4 post epit a lav Idem iuris esse (=merdecem deberi), si potestatem conducendi habebat, uti pretium conductionis praestaret. sed si locator conductori potestatem conducendae domus non fecisset et is in qua habitaret conduxisset, tantum ei praestandum putat, quantum sine dolo malo praestitisset. ceterum si gratuitam habitationem habuisset, pro portione temporis ex locatione domus deducendum esse.

Labeo beschäftigt sich nicht nur mit der Haftung des locator für die Kosten, die dem conductor wegen fehlender Nutzbarkeit des Mietobjekts für die Anmietung einer Ersatzwohnung entstanden sind.1 Er äußert sich auch zur Gefahrtragung: Die Zinspflicht des conductor steht und fällt mit der potestas conducendi. Ist sie verschafft, muß auch die merces geleistet werden; fehlt sie, fällt mit ihr auch die Zinspflicht aus. Wie ist die Rechtslage in den Fällen, die wir heute dem Typus des Pachtvertrags zurechnen, also dann, wenn der conductor außer zum Gebrauch auch zur Fruchtziehung berechtigt sein soll? Geht die Verpflichtung des locator in diesem Fall weiter; oder kommt es für seine Berechtigung zur Gegenleistung auch hier allein darauf an, daß er dem conductor die potestas conducendi verschafft?

1 Dazu Käser, SZ 74 (1957) 160f., Honseil, Quod interest im bonaefidei indicium, 1969, S. 121.

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

So läßt sich jedenfalls ohne weiteres die Entscheidung Afrikans zur publicatio eines verpachteten Grundstücks erklären: D 19.2.33 Afr 8 quaest Si fundus, quem mihi locaveris, publicatus sit, teneri te actione ex conducto, ut mihi frui liceat, quam vis per te non stet, quo minus id praestes: quemadmodum, inquit, si insulam aedificandam locasses et solum coruisset, nihilo minus teneberis. nam et si vendideris mihi fundum isque priusquam vacuus traderetur publicatus fuerit, tenearis ex empto: quod hactenus verum erit, ut pretium restituas, non ut etiam id praestes si quid pluris mea intersit eum vacuum mihi tradì. Similiter igitur et circa conductionem servandum puto, ut mercedem quam praestiterim restituas, eius scilicet temporis, quo fruitus non fuerim: nec ultra actione ex conducto praestare cogeris. nam et si colonus tuus fiindo frui a te aut ab eo prohibetur, quem tu prohibere ne id faciat possis, tantum ei praestabis, quanti eius interfuerit frui: in quo etiam lucrum eius continebitur: sin vero ab eo interpellabitur, quem tu prohibere propter vim maiorem aut potentiam eius non poteris, nihil amplius ei quam mercedem remittere aut reddere debebis. Auch wenn das volle Verständnis des Textes schwierige Probleme aufwerfen mag,2 ist die Grundaussage für das Verhältnis der Leistungspflichten von locator und conductor klar und für den heutigen Leser keineswegs überraschend: Der locator , der dem conductor den Fruchtgenuß nicht gewähren kann, weil das verpachtete Grundstück zur res publica gemacht worden ist, haftet dem conductor auch dann, wenn ihn keine Verantwortung trifft. 3 Anders als in dem Fall, daß dem locator die Störung im Fruchtgenuß selbst zuzurechnen ist, muß er dem conductor allerdings nicht das Interesse ersetzen, das dieser an der Erfüllung der Verpächterpflicht hat. Statt dessen muß er, zumindest nach Ansicht Afrikans, nur auf die Gegenleistung verzichten, indem er den Pachtzins zurückerstattet oder nachläßt.4 Diese Lösung fällt nicht aus dem modernen Schema der

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Diese betreffen vor allem die Gefahrtragung im Vergleichsfall der emptio venditio und die Frage, worin die publicatio besteht; dazu Wacke, ANRW 11.15 (1976), S. 456ff., insbesondere S. 466ff., 483ff. Ankum, SZ 97 (1980) 157ff., Pennitz, Der Enteignungsfall im römischen Recht der Republik und des Prinzipats, 1991, S. 222ff., Das periculum rei venditae, 2000, S. 374ff. sowie neuerdings Müller, Gefahrtragung bei der locatio conductio, 2002, S. 60ff. 3 Daß diese nicht auf der Abwesenheit von culpa, sondern, wie Ankum, SZ 97 (1980) 162 annimmt, auf dem fehlenden Verzugseintritt beruht, kann hier dahinstehen, ist wegen der späteren Klarstellung: eius scilicet temporis, quo fruitus non fuerim, aber unwahrscheinlich; vgl. Pennitz, Der Enteignungsfall (Fn. 2), S. 220 Fn. 16. 4 Daß dies nicht auch die Ansicht Julians war, vermag ich dem einleitenden Passus: teneri te actione ex conducto, ut mihi frui liceat, nicht zu entnehmen; vgl. Käser, SZ 74 (1957) 179ff. und Müller (Fn. 2), S. 63ff. gegen Honseil, Quod interest (Fn. 1), S. 122ff., Wacke, ANRW 11.15, 1976, 478ff. und Ankum, SZ 97 (1980) 161, 176, denen sich auch Zimmermann, The Law of Obligations, 1990, S. 364 und Pennitz, Der Enteignungsfall (Fn. 2), S. 23Off. anschließen.

§ 1 Periculum locatoris und remissio mercedis

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Risikoverteilung beim Pachtvertrag heraus: Während der Pächter das Nutzungsrisiko trägt, hat der Verpächter für die Überlassung der Pachtsache und ihre Tauglichkeit zum Fruchtgenuß einzustehen. In dieses Muster ordnen sich auch scheinbar zwanglos die Klauseln über einen Haftungsausschluß zugunsten des locator ein, von denen in Ulpians Ediktskommentar und in einem hier angebrachten Julianzitat die Rede ist: D 19.2.9.2, 3 Ulp 32 ed Iulianus libro quinto decimo digestorum dicit, si quis fundum locaverit, ut etiam si quid vi maiori accidisset, hoc ei praestaretur, pacto standum esse. (§ 3) Si colonis praediorum lege locationis, ut innocentem ignem habeant, denuntiatum sit, si quidem fortuitus casus incendii causam intulerit, non praestabit periculum locator: si vero culpa locatoris, quam praestare necesse est, damnum fecerit, tenebitur. Nicht mehr mit dem modernen Verständnis vereinbar sind dagegen die Grundsätze, die uns Ulpian an anderer Stelle seines Ediktskommentars bei der Erörterung der actio ex conducto mitteilt: D 19.2.15 Ulp 32 ed Ex conducto actio conductori datur. (§ 1) Competit autem ex his causis fere: ut puta si re quam conduxit frui non liceat (forte quia possessio ei aut totius agri aut aut partis non praestatur, aut villa non reficitur vel stabulum vel ubi greges eius stare oporteat) vel si quid in lege conductionis convenit, si hoc non praestatur, ex conductor agetur. (§ 2) Si vis tempestatis calamitosae contingerit, an locator conductori aliquid praestare debeat, videamus. Servius omnem vim, cui resisti non potest, dominum colono praestare debere ait, ut puta fluminum graculorum sturnorum et si quid simile acciderit, aut si incursus hostium fiat: si qua tamen vitia ex ipsa re oriantur, haec damno coloni esse, veluti si vinum coacuerit, si raucis aut herbis segetes corruptae sint. sed et si labes facta sit omnemque fructum tulerit, damnum colon non esse, ne supra damnum seminis amissi mercedes agri praestare cogatur. sed et si uredo fructum oleae corruperit aut solis fervore non adsueto id acciderit, damnum domini futurum: si vero nihil extra consuetudinem acciderit, damnum coloni esse, idemque diecendum, si exercitus praeteriens per lasciaviam aliquid abstulit. sed et si ager terrae motu ita coouerit, ut nusquam sit, damno domini esse: oportere enim agrum praestari conductori, ut frui possit. (§ 3) Cum quidam incendium fundi allegaret et remissionem desiderai, ita respriptum est: 'Si praedium coluisti, propter casum incendii repentini non immerito subveniendum tibi est.' (§ 4) Papinianus libro quarto respnsorum ait, si uno anno remissionem quis colono dederit ob sterilitatem, deinde sequentibus annis conitgit ubertas, nihil obesse domino remissionem, sed integram pensionem etiam eius annni quo remisit exigendam. hoc idem et in vectigalis damno respondit. sed et si verbo donationis dominus ob sterilitatem anni remiserit, idem erit dicendum, quasi non sit donatio, sed transactio. quid tamen, si novissimus erat annus sterilis, in quo ei remiserit? verius dicetr et si superiores uberes fuerunt et seit locator, non debere eum ad computationem vocari. (§ 5) Cum quidem de fructuum exiguitate quereretur, non esse rationem eius habendam resepripto divi Antonini continetur. item alio rescripto ita continetur: Tsiovam rem desideras, ut propter vetustatem vinearum remissio tibi detur.' ... (§ 7) Ubicumque tamen remissionis ratio habetur ex causis supra relatis, non id quod sua

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas interest conductor consequitur, sed mercedis exonerationem pro rata: supra denique damnum seminis ad colonum pertinere declaratur.5

§ 1 enthält noch eine auch aus heutiger Sicht selbstverständliche Aussage: Der locator ist dem conductor haftbar, wenn ihm der Besitz an der verpachteten Sache nicht eingeräumt wird oder wenn sich diese in einem mangelhaften Zustand befindet. Nicht selbstverständlich ist dagegen die Antwort auf die eingangs von § 2 gestellte Frage, ob der locator dem conductor auch dann einzustehen hat, wenn der Ernteerfolg durch ein verheerendes Unwetter beeinträchtigt worden ist. Ulpian zitiert Servius, der den verpachtenden Eigentümer dem Pächter bei jeder Gewalt für verpflichtet hält, der man nicht widerstehen kann. Als Beispiele führt Servius zunächst Flußüberschwemmungen, den Einfall von Dohlen, Staren oder Feinden an. Diesen Fällen stellt er die Schäden gegenüber, die sich aus der Sache selbst ergeben, wie die Säuerung von Wein oder den Befall der Saat mit Würmern oder Unkraut. Hier treffe der Schaden allein den Pächter. Anderes gelte, wenn die Früchte einem Erdrutsch, einem Gewächsbrand oder einer außergewöhnlichen Hitze zum Opfer gefallen seien. Unter solchen Umständen dürfe der Schaden nicht den Pächter treffen, der schon sein Saatgut verloren habe und nicht auch noch zur Zinszahlung herangezogen werden könne. Nach Servius' Ansicht muß er allerdings Ernteausfälle hinnehmen, die keine außergewöhnliche Ursache haben und beispielsweise darauf beruhen, daß ein vorbeiziehendes Heer Früchte gestohlen hat.6 Habe dagegen ein ungewöhnliches Erdbeben zum Einsturz des Ackers geführt, treffe der Schaden den Verpächter, der schließlich verpflichtet sei, dem conductor das Grundstück so zu überlassen, daß er Früchte ziehen könne. In § 3 berichtet Ulpian von einem kaiserlichen Reskript zugunsten eines Pächters, der deshalb eine Herabsetzung des Zinses forderte, weil das gepachtete Grundstück abgebrannt war. Der Kaiser hielt dieses Anliegen dann für berechtigt, wenn der Pächter das Grundstück bewirtschaftet hatte und der Brand zufällig entstanden war. Den Bestand einer so zugelassenen remissio des Pachtzinses untersucht Papinian, den Ulpian im anschließenden § 4 zitiert. Papinian ist der Ansicht, daß ein dem Pächter wegen Unfruchtbarkeit gewährter Zinsnachlaß dem Zinsanspruch für die folgenden Jahre nicht entgegensteht. Seien diese besonders ertragreich, könne der locator sogar den nachgelassenen Teil des Zinses für das unfruchtbare Jahr nachfordern. Dies soll selbst auch dann der Fall sein, wenn der Zinsnachlaß als Schenkung bezeichnet worden sei, da unter diesen Umständen in Wahrheit keine Schenkung, sondern ein Vergleich vorlie5 Zur Parallelüberlieferung in PSI XIV Nr. 1449 Wieacker, Textstufen klassischer Juristen, 1960, S. 255f. mwN. 6 Die Einleitung idemque dicendum kann nur ein gleichlautendes Ergebnis wie im vorangehenden abstrakten Satz anzeigen; vgl. Alzon, Labeo 12 (1966) 317 Fn. 21, Sitizia, St. d'Amelio I, 1978, S. 336 und Müller (Fn. 2), S. 36, anders Käser, SZ 74 (1957) 173, der aber den schlechten Stil eines nachklassischen Bearbeiters konstatieren muß.

§ 1 Periculum locatoris und remissio mercedis

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ge. Eine Nachforderung soll nach Ulpians Ansicht allerdings nicht stattfinden, wenn die remissio für Unfruchtbarkeit im letzten Pachtjahr gewährt worden sei, obwohl die vorangegangen Jahre bekanntermaßen besonders ertragreich gewesen seien. Mit zwei Gegenfällen zur zinsmindernden sterilitas beschäftigen sich die Reskripte, die Ulpian im folgenden § 5 zitiert. Darin lehnt der Kaiser eine Herabsetzung der Pacht wegen bloßer Geringfügigkeit der Ernte ebenso ab wie ein Reduktionsbegehren, das auf das Alter der verpachteten Rebstöcke gestützt ist. In § 7 stellt Ulpian klar, daß der conductor auch in den Fällen, in denen eine remissio statthabe, lediglich von der Pflicht zur Zinszahlung befreit werde. Dagegen könne er vom locator nicht sein Interesse fordern und müsse den Verlust des Saatguts allein tragen. Eine remissio mercedis wegen Unwetters findet sich auch in einem Reskript Alexander Severus1 von 231 : CJ 4.65.8 Alex. A. Sabiniano Hygino. Licet certis annuis quantitatibus fundum conduxeris, si tamen expressum non est in locatione aut mos regionis postulat, ut, si qua labe tempestatis vel alio caeli vitio damna accidissent, ad onus tuum pertinerent, et quae evenerunt sterilitates ubertate aliorum annorum repensatae non probabuntur, rationem tui iuxta bonam fidem haben recte postulabis, eamque formam qui ex appellatione cognoscet sequetur.7

Der Kaiser bescheinigt dem anfragenden Landpächter, daß sein auf Unwettern beruhender Erntemißerfolg, der nicht durch die ubertas vergangener Jahre wettgemacht wird, zu einer Pachtzinsermäßigung führt. Zwar hätte es dem mos regionis entsprochen, die so verwirklichte Gefahr dem conductor aufzuerlegen. Da eine solche Klausel in dem umstrittenen Vertrag jedoch fehlt, finde zugunsten des Pächters eine remissio mercedis statt. Versteht man schließlich auch die Klauseln über den Haftungsausschluß, die Julian und Ulpian in D 19.2.9.2,3 behandeln, als solche im Sinne des Alexanderreskripts, verlieren selbst sie ihr scheinbar vertrautes Gepräge. Statt als gewöhnliche Vereinbarungen über die Haftung wegen mangelnder Nutzbarkeit der Pachtsache erscheinen sie nun auch, wenn nicht gar allein, als vertragliche Bestimmungen über den Ausschluß der remissio mercedis wegen eines Mißerfolgs bei der Fruchtziehung. Diese entzieht sich offensichtlich dem modernen Axiom, der Verpächter sei stets nur auf die Gewährung der potestas conducendi, im Fall der Pacht also auf die Verschaffung der Möglichkeit zur Fruchtziehung,

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Keinen Bezug zur remissio mercedis, sondern nur eine Aussage zur Teilpacht (dazu unten § 3 I) scheint mir dagegen anders als Müller (Fn. 2), S. 51 das Reskript CJ 4.65.18 (290) zu enthalten: Diocl. et Maxim. AA. Annio Ursino. Excepto tempore, quo edaci lucustarum pernicie sterilitatis Vitium incessit, sequentis temporis fructus, quos t iuxta praeteritam consuetudinem deberi constiterit, reddi tibi praeses provinciae iub bit.

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

verpflichtet und müsse sich demnach eine Zinsminderung auch nur bei deren Ausfall gefallen lassen. II. Streit besteht in der neueren romanistischen Forschung vor allem über zwei miteinander verbundene Fragen: Ist die remissio mercedis eine Neuerung des Kaiserrechts, oder hat sie ihren Ursprung im klassischen Juristenrecht? Paßt sie zu Servius' Differenzierung zwischen vitia ex ipsa re und der vis cui resisti non potest , oder hat sie eine davon verschiedene Grundlage? Seitdem MayerMaly in seinem Buch über die locatio conductio Mitte der 50er Jahre für die kaiserrechtliche Natur der remissio mercedis und ihre Verschiedenheit vom servianischen Dogma eingetreten ist, bewegt sich das Pendel der Meinungen zunächst in gleiche, seit Mitte der 60er Jahre in die entgegengesetzte und neuerdings wieder in Mayer-Malys Richtung: Mayer-Maly will scharf zwischen Servius' Regeln der Gefahrtragung und der remissio mercedis trennen.8 Das Recht auf Zinsnachlaß entstamme nicht dem Juristenrecht, sondern der Reskriptenpraxis. Ebenso wie die Kulturpflicht des Pächters sei es kaiserliches Mittel im Kampf gegen den Niedergang der Agrarwirtschaft im ausgehenden 2. Jahrhundert gewesen.9 Später sei die remissio mercedis ausgedehnt und allgemein aus der bonafides hergeleitet worden.10 Mit Servius' Unterscheidung zwischen vis cui resisti non potest und vitia ex ipsa re sei sie erst nachträglich durch den Eingriff eines nachklassischen Textbearbeiters verbunden worden. Auf diesen gehe auch die in § 2 von D 19.2.15 zu findende Erwägung zurück, der conductor dürfe über den Verlust des Saatguts hinaus nicht auch noch zur Zinszahlung verpflichtet sein.11 Käser verteidigt die Differenzierung zwischen vis cui resisti non potest und vitia ex ipsa re gegen ältere Echtheitszweifel.12 In den bei Ulpian angeführten Beispielsfällen und in der Erwägung, den Pächter dürfe über den Verlust des Saatguts nicht auch noch die Zinspflicht treffen, beobachtet er allerdings ebenso wie Mayer-Maly schon den Einfluß der späteren Rechtsprechung zur remissio mercedis} 3 Diese hält Käser im Anschluß an Mayer-Maly für eine kaiserliche Vergünstigung, die gerade in Abweichung von den allgemeinen Gefahrtragungsregeln entsprechend der Bedürftigkeit des Pächters und in Ausgleich für seine Kulturpflicht gewährt worden sei.14 8

Locatio conductio, 1956, S. 140ff. Mayer-Maly (Fn. 8), S. 142f. Ebenso Ankum, RIDA 1972, 219, 234ff. 10 Mayer-Maly (Fn. 8 ), S. 145. 11 Mayer-Maly (Fn. 8 ), S. 142, 146. 12 SZ 74(1957) 170ff. 13 SZ 74 (1957) 173f., 182. Daß die Unterscheidung zwischen vis maior und vitia ex ipsa re echt ist, die Beispiele dagegen Glosseme sind, glauben auch Wieacker, Textstufen (Fn. 5), S. 256 und Miquel, SZ 81 (1964) 175. 14 SZ 74(1957) 174. 9

§ 1 Periculum locatoris und remissio mercedis

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Nicht um die remissio mercedis , sondern um ein besseres Verständnis der servianischen Unterscheidung hat sich Nicosia bemüht. Er meint, die vitia ex ipsa re, von denen Servius spricht, könnten keine Mängel der Pachtsache sein,15 und deutet sie als vitia fructuum. 16Diesefielen dem conductor zur Last, wenn er sie bei sorgfältiger Bewirtschaftung der Pachtsache habe vermeiden können,17 dagegen dem locator , wenn sie vis cui resisti non potest seien. Indem Nicosia Servius' Unterscheidung auf die Fruchtziehung selbst bezieht, legt er die Grundlage für die Ansicht, die remissio mercedis stehe nicht im Gegensatz zu den Regeln der Gefahrtragung, sondern entspringe diesen. Während Betti noch 1965 strikt zwischen den Regeln der Gefahrtragung und der remissio mercedis als Ausfluß von Billigkeitserwägungen trennt,18 spricht sich Alzon, wenn auch ohne intensive Auseinandersetzung mit den Quellen, schon 1966 dafür aus, in der remissio mercedis eine Folge von Servius' Lösung für den Fall der vis cui resisti non potest zu sehen.19 Grund für die Überwälzung des Nutzungsrisikos sei, daß der locator nicht nur die Möglichkeit zum Fruchtgenuß, sondern auch die Früchte selbst zu gewähren habe.20 Diese Verpflichtung bestehe nur in den Fällen der vitia ex ipsa re nicht, und zwar deshalb, weil die Fruchtziehung aus Gründen beeinträchtigt werde, die der conductor zu vertreten habe.21

Thomas enthält sich einer Bestimmung der Begriffe Vitium ex ipsa re und vis cui resisti non potest? 2 In der remissio mercedis , um die es in §§ 3 - 5 des Ulp anfragments geht, will er aber doch die Rechtsfolge der vis erkennen, die nach Servius' Ansicht zulasten des locator ausfällt. Die remissio ist für ihn also kein Institut der kaiserlichen Rechtsprechung, sondern des Juristenrechts und auch im Fall der sterilitas Folge aus der Feststellung, der überlassene fundus sei nicht colendusP Die Verweigerung einer remissio im Fall der alten Rebstöcke führt Thomas auf die Nachlässigkeit des conductor zurück, der sich noch vor Vertragsschluß vom Zustand der Pachtsache hätte überzeugen können.24 An die Kohärenz von Servius' Lösung und remissio mercedis glaubt auch Masi , der gleichsam als das fehlende Verbindungsstück zwischen dem Servius15

Nicosia, RISG 92 (1957/58) 408ff. Nicosia, RISG 92 (1957/58) 410ff. 17 Nicosia, RISG 92 (1957/58) 413. 18 Betti , SZ 82(1965) 19. 19 Alzon, Labeo 12 (1966) 313f. 20 Alzon, Labeo 12(1966)314. 21 Alzon, Labeo 12(1966)315. 22 Thomas, St. Donatuti, Bd. III, 1973, S. 1272. 23 Thomas, St. Donatuti, Bd. III, 1973, S. 1274, 1276f.; zustimmend Zimmermann, The Law of Obligations (1990), S. 372. 24 Thomas, St. Donatuti, Bd. III, 1973, S. 1274. 16

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

zitat und der Erwähnung der remissio mercedis eine Stelle aus Columellas De re rustica (1.7.1) anführt: 25 nam ubi sedulo colitur ager, plerumque compendium, numquam, nisi si caeli maior vis aut praedonis incesit, detrimentum adfert, eoque remissionem colonus petere non audet.

Sitizia zweifelt zwar an der Aussagekraft dieses Textes,26 teilt jedoch die Ansicht, daß die remissio mercedis nicht dem Käiserrecht entstamme, sondern aus Servius' Abgrenzung der Risikobereiche von locator und conductor hervorgegangen sei.27 Die Grenze zwischen der vis cui resisti non potest und dem Vitium ex ipsa re sieht er durch das Verschulden des conductor markiert: Im Gegensatz zur vis cui resisti non potest , hätte der Pächter das Vitium, das der consuetudo entspricht und damit für den sorgfältigen Landwirt vorhersehbar ist, verhindern können.28

Einen breit angelegten Versuch der Widerlegung von Mayer-Malys Thesen unternimmt schließlich de Neeve. Er weist nach, daß mercedem remittere ein weit verbreiteter Begriff ist, der keineswegs nur ein besonderes Institut des Kaiserrechts bezeichnen kann.29 Als Beleg für den Zusammenhang mit Servius' Unterscheidung führt auch de Neeve unter anderen literarischen Zeugnissen den schon zitierten Passus aus Columellas De re rustica an.30 Das dogmatische Fundament der remissio mercedis findet de Neeve im Schlußsatz von § 2 des Fragments D 19.2.15: oportet enim agrum praestari conductor i ut frui possit. Dies Aussage deutet de Neeve so, daß der locator nicht nur für die Tauglichkeit der Pachtsache, sondern grundsätzlich auch für den Ernteerfolg einzutreten hat, so daß eine schlechte Ernte zugleich eine Beeinträchtigung des zu gewährenden frui bedeutet.31 Gegen eine solche Erklärung der remissio mercedis aus der Ansicht des Servius32 hat sich in der Folge Widerstand bei Molnär, Frier, Ernst, und jüngst auch bei Müller geregt. Sie beharren darauf, daß es einen Widerspruch zwischen der servianischen Differenzierung und dem praktischen Ergebnis der Kaiserrechtsprechung gibt, und führen diesen jeweils auf einen sachlichen Unterschied, die zeitliche Entwicklung oder auf eine Klassikerkontroverse zurück:

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Masi, St. d'Amelio I, 1978, S. 280ff. Sitizia, St. d'Amelio I, 1978, S. 353. 27 Sitizia, St. d'Amelio I, 1978, S. 360. 28 Sitizia, St. d'Amelio I, 1978, S. 334ff. Ebenso später auch Pinna Parpaglia, Vitia ex ipsa re, 1983, S. 25ff. 29 SZ 100 (1983) 298ff. 30 SZ 100(1983)311,324. 31 SZ 100(1983)303,317. 32 Sie favorisiert auch Zimmermann (Fn. 4), S. 372f. 26

§ 1 Periculum locatoris und remissio mercedis

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Molnär will einen Unterschied zwischen Gefahrtragung und remissio mercedis sowohl in den Voraussetzungen als auch in den Rechtsfolgen beobachten: Während die Zinsbefreiung nach Servius' Gefahrtragungsregel an einen totalen Ernteausfall geknüpft sei, komme die eigentliche remissio mercedis schon zum Zuge, wenn die Ernte nur erheblich beeinträchtigt werde.33 Allein in diesem Fall erfolge auch lediglich ein vorläufiger Nachlaß, dessen Bestand von der späteren Entwicklung der Ernteergebnisse abhänge. Die Zinsbefreiung kraft Gefahrtragung sei dagegen endgültig.34 Frier 35 hält das Recht auf remissio mercedis für das Erbe einer Geschäftspraxis der Landverpächter. Aus Rücksicht auf die Bedrohung der wirtschaftlichen Pächterexistenz hätten diese zuweilen einen Zinsnachlaß gewährt.36 Die spätere regelrechte Durchbrechung der vorgegebenen Gefahrenverteilung sei nicht in Reaktion auf einen agrarwirtschafllichen Niedergang erfolgt, 37 sondern habe allzeit nachvollziehbare Gründe gehabt, die sich einer ökonomischen Analyse des Rechts erschlössen: Der Pächter, der sich für den Notfall auf die remissio mercedis habe verlassen können, sei eher bereit gewesen, das Risiko einer Pacht zu festem Zinssatz einzugehen, und habe durch seine Bereitschaft zum Vertragsschluß die Vertragskosten gesenkt.38 Ernst erkennt schon in der überlieferten Fassung von D 19.2.15.2 zwei unterschiedliche Konzepte, für deren Vermengung er einen nachklassischen Texteingriff verantwortlich macht. Die Unterscheidung zwischen den vitia ex ipsa re und der vis cui resisti non potest hält Ernst für klassisch. Die Zuweisung der höheren Gewalt an den Verpächter führt er auf deren Eigentumsimmanenz zurück:39 Der verpachtende Grundstückseigentümer trage die Gefahr für schicksalhafte Einwirkungen auf seine Sache. Ebenso, wie ihm der Pächter bei vis maior nicht aus custodia hafte, falle zu Lasten des Verpächters aus, wenn er aus dem gleichen Grund keinfrui licere erbringen könne.40 Seine Leistung beschränke sich nicht auf Überlassung des Grundstücks und Gestattung des Fruchtgenusses. Sie umfasse grundsätzlich auch die Fruchtziehung selbst.41 Im Anschluß an Pinna Parpaglia 42 glaubt Ernst, der Pächter habe nicht nur ein Grundstück, sondern auch dessen Nutzung als Kulturaufgabe übernommen, so 33 34 35 36 37 38 39 40 41 42

Molnär, ANRW 11.14, 1976, S. 676f. Molnär, ANRW 11.14,1976, S. 674f. BIDR 92/93 (1989/90) 237 - 270. Frier, BIDR 92/93 (1989/90) 246f., 260. Frier, BIDR 92/93 (1989/90) 269f. Frier, BIDR 92/93 (1989/90) 266f. FS Lange, 1992, S. 77ff., 94, 96. SZ 105 (1988) 548ff. SZ 105 (1988) 553f., FS Herrmann Lange, 1992, S. 83f. Vitia ex ipsa re (Fn. 28), S. 82, 109ff.

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daß ihn die Gefahr von Mißerfolgen in der Bewirtschaftung träfe. Dies seien die vitia ex ipsa re , deren Folgen er unabhängig von seinem Verschulden zu tragen habe.43 Servius' Differenzierung ergebe sich damit unmittelbar aus dem Gegenstand der locatio conductio und nicht aus einem Rechtssatz über die Gefahrtragung.44 Sie sei allerdings unvereinbar mit der im zweiten Teil von D 19.2.15.2 einsetzenden Betrachtung der wirtschaftlichen Situation des Pächters.45 Zwar seien die angegebenen Beispielsfälle im Sinne Servius' entschieden. Das maßgebliche Kriterium sei jedoch nicht mehr die Gefahr, die der Verpächter als Eigentümer zu tragen habe, sondern der Schadenstatbestand beim Pächter.46 Dieser nachklassischen Lehre entspringe auch die remissio mercedis. Auch diese sei allerdings nicht Ausnahmeerscheinung, vielmehr systemkonform.47

Den Gegensatz zweier unterschiedlicher Begründungsmuster erkennt auch Müller, der diese Diskrepanz jedoch nicht auf eine Differenz zwischen klassischer und nachklassischer Haltung zurückführt. Dem Schlußsatz von § 2 des maßgeblichen Ulpianfragments entnimmt Müller, daß der locator dem Pächter eigentlich nur die Möglichkeit der Fruchtziehung aus dem verpachteten Grundstück zu verschaffen habe, während die Gefahr von Mißerfolgen bei der Nutzung den Pächter treffe. 48 Die daraus folgende Unterscheidung zwischen vis maior und gleichfalls unverschuldeter49 vitia ex re widerstreite dem „wirtschaftlich-sozialen Maßstab", der an die wirtschaftliche Belastung des Pächters anknüpfe und zu seinen Gunsten eine aus der bonafides geborene Billigkeitslösung ermögliche.50 Dieser andere Maßstab, den Müller als Zeichen für eine Klassikerkontroverse nimmt,51 bestimme auch die remissio mercedis, von der in §§ 3 bis 7 und in dem Kaiserreskript CJ 4.65.8 die Rede sei, und zwar insbesondere im Fall der sterilitas, die sich einer Zuordnung zu vitia ex re ipsa oder vw cui resisti non potest entziehe.52 Die remissio mercedis sei demnach kein be sonderes Rechtsinstitut, sondern in der bonafides verankert, die bei außerge-

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SZ 105 (1988) 554ff., FS Hermann Lange, 1992 S. 77; zustimmend Zimmermann (Fn. 4), S. 370f. 44 SZ 105 (1988) 559. 45 SZ 105 (1988) 560ff. 46 Ähnlich Fiori, La definizione della ,locatio conductio', 1999, S. 93ff., der gleich drei verschiedene Differenzierungsmerkmale in demselben Text ausmacht: Servius schwenke von der Unterscheidung zwischen unabwendbaren und vermeidbaren Ereignissen zur Differenzierung zwischen üblichen und normalen Umständen, um schließlich nach der Schwere des Schadens zu urteilen. 47 SZ 105 (1988) 571 f. 48 Müller (Fn. 2), S. 32ff. 49 Müller (Fn. 2), S. 28. 50 Müller (Fn. 2), S. 35ff, 42ff. 51 Müller (Fn. 2), S. 38f. 52 Müller (Fn. 2), S. 49ff.

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wöhnlichen Erntemißerfolgen eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage des sozial schwächeren Pächters gebiete.53

III. Während der von Molnär erkannte Gegensatz in den Voraussetzungen und Wirkungen von Gefahrtragung und remissio mercedis ohnehin keine Stütze im überlieferten Text von D 19.2.15findet, ist auch der von Ernst und Müller in § 2 des Fragments beobachtete Widerspruch nicht nachweisbar. Die Differenzierung danach, ob der Schaden üblich oder extra consuetudinem ist, entspricht genau der Unterscheidung von vis cui resisti non potest und Vitium ex ipsa re: Die vitia ex ipsa re können nicht einfach Mängel der Pachtsache sein. Für sie hätte der locator , der schon für vis cui resisti non potest haftet, erst recht einzustehen, und zwar unabhängig davon, wie man diese vis definiert. Die vitia können auch keine Folgen nachlässiger Bewirtschaftung durch den conductor sein. Zwar zählen zur vis cui resisti non potest ihrem Wortsinn und den Beispielen nach nur Schäden, für die der conductor nicht verantwortlich gemacht werden kann. Für den Gegenbegriff des Vitium fehlt es aber nicht nur an einem ausdrücklichen Hinweis auf ein Verschulden des conductor. Auch die hierfür angegebenen Beispiele: die Säuerung des Weins und der Befall von Würmern und Unkraut, lassen keinen Schluß auf eine Nachlässigkeit des conductor zu. Sind vis und Vitium demnach ohne Bezug auf die Sachmängelhaftung und gleichermaßen nicht vom Verantwortungsbereich des conductor umfaßt, können sie nur unterschiedliche Formen einer zufälligen Störung bei der Fruchtziehung beschreiben. Ist der Fruchtgenuß die res, aus der die vitia entspringen, können diese nur Umstände sein, die einen mit der Fruchtziehung üblicherweise verbundenen Mißerfolg hervorrufen. Sie gehören zum Fruchtgenuß dazu und sind nihil extra consuetudinem. Anders verhält es sich bei der vis cui resisti non potest. Sie ist nicht nur unwiderstehlich, sondern eben auch Gewalt, also kein gewöhnlich eintretender Umstand, sondern eine Kraft, die nur selten und dann verheerend wirkt. Dies zeigen die Beispiele: Die tempestas calamitosa , die Überschwemmung, der Vögel- und Feindeseinfall, der Erdrutsch, der Gewächsbrand und das Erdbeben sind von vornherein keine alltäglichen Erscheinungen. Differenziert werden muß dagegen beim fervor solis. Dieser kommt häufig vor und muß schon non adsuetus sein, damit er wegen seiner Besonderheit und Wirkung vis und extra consuetudinem genannt werden kann. Die Beispiele für Vitium ex ipsa re und vis cui resisti non potest machen auch

deutlich, daß sich mit Eintritt der vis keine spezifische Gefahr des Eigentümers verwirklicht. Zwar nennen Servius und, ihm folgend, Ulpian den Verpächter dominus. Das Zusammentreffen von Eigentümerstellung und Verpächterrolle ist

53

Müller (Fn. 2), S. 58.

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jedoch nur praktischer Regelfall, nicht rechtliche Notwendigkeit.54 Vor allem hat der Einfall von graculi und sturni keinen höheren, sondern eher geringeren Eigentums- oder Sachbezug als der Befall mit raucae oder herbae. Rechnen diese zum Risikobereich des conductor , jene zu dem des locator , kann die Abgrenzung allein nach der Häufigkeit und dem Maß erfolgen, mit denen sie den Fruchtgenuß stören. Als Maßstab der Schadenszuweisung bei vis maior nennt den Grad der Störung auch Gaius: D 19.2.25.6 Gai 10 ed prov Vis maior, quam Graeci θεου βιαν appellant, non debet conductori damnosa esse, si plus, quam tolerabile est, laesi fìierint fructus: alioquin modicum damnum aequo animo ferre debet colonus, cui immodicum lucrum non aufertur....

Ist der zufällig eingetretene Schaden modicus, empfiehlt Gaius dem conductor , die Unbill aequo animo zu tragen. Auch zum Schaden des locator wirkt sich allerdings die vis maior aus, welche die Früchte plus quam tolerabile est beschädigt. Sie entspricht Servius' vis cui resisti non potest , die extra consuetudinem liegt.55

Ist das Vitium ex ipsa re eine übliche Störung, die vis cui resisti non potest dagegen Grund für einen außergewöhnlichen Mißerfolg bei der Fruchtziehung, ist die Frage nach der Kohärenz von Servius' Unterscheidung und remissio mercedis schon beantwortet: Der Brand und die sterilii as, die in §§ 3 und 4 als Gründe der remissio erscheinen, sind ungewöhnliche Ereignisse. Als vires quibus resisti non potest fallen sie in den Risikobereich des locator , der auf die merces verzichten muß. Die exiguitas fructuum, die Ulpian in § 5 von der Möglichkeit einer remissio mercedis ausnimmt, ist dagegen ein gewöhnlicher Erntemißerfolg, den der conductor als Vitium ex ipsa re hinzunehmen hat. Dies gilt auch, wenn sein Grund das Alter der Rebstöcke ist. Selbst wenn sich der conductor in diesem Fall nicht den Vorwurf gefallen lassen muß, er hätte den zu erwartenden Ernterückgang vorhersehen müssen, beruht dieser doch auf keinem unüblichen Ereignis, sondern entspricht der gewöhnlichen Entwicklung der Bewirtschaftung des Grundstücks. Was ist nun der Grund für Servius' Zuweisung der vis an den locator und die daraus folgende remissio mercedis? Regelrechtes Argument für diese Lösung erscheint einzig die in § 2 mitgeteilte Überlegung, der Pächter dürfe bei einer vis wie einem Erdrutsch nicht über den Verlust des Saatgutes hinaus belastet 54

Ebenso Müller (Fn. 2), S. 25. Der Verdacht eines nachklassischen Eingriffs, den Mayer-Maly (Fn. 8), S. 142, Käser, SZ 74 (1957) 172ff. und Ernst, SZ 105 (1988) 564ff. gegenüber D 19.2.15.2 hegen, muß daher auch den Gaiustext treffen. Müller (Fn. 2), S. 40f. ordnet Gaius' Aussage der angeblichen und vermeintlich sozialpolitisch motivierten Gegenmeinung zur Auffassung des Servius zu. 55

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werden: ne supra damnum seminis amissi mercedes praestare cogatur. 1st eine ,wirtschaftlich-soziale' Erwägung, wie Müller meint? Der entscheidende Umstand wäre in diesem Fall, daß der sozial schwächere conductor durch das damnum seminis amissi schon so hart getroffen ist, daß ihm ein weiteres damnum in Gestalt der merces nicht mehr zugemutet werden kann. So eine einseitige Änderung der vertraglichen Risikoverteilung zugunsten des conductor zu bewirken hätte nur dann keiner weiteren Begründung bedurft, wenn für Ulpians Leser die Armut des conductor ebenso selbstverständlich gewesen wäre wie der Reichtum des locator . Ein solches Vorverständnis ist nicht von vornherein ausgeschlossen, aber doch unwahrscheinlich. Nach den eingehenden Untersuchungen de Neeves besteht das römische Kolonat zumindest in republikanischer Zeit weniger in der Parzellenpacht als vielmehr in der Überlassung landwirtschaftlicher Großbetriebe56 und ist auch später bis zum Dominât keineswegs durch die Figur des sozial schutzbedürftigen Kleinpächters geprägt.57 Die soziale Schutzfunktion der remissio mercedis darf jedenfalls nicht unterstellt werden, solange es eine andere, juristische Erklärung für die zugrunde liegende Aufteilung des Nutzungsrisikos gibt.

Den Schlüssel hierzu bieten Einleitung und Schluß von § 2, deren Bedeutung für die Textinterpretation auch Ernst 58 und Müller* 9 betonen: Wenn Ulpian den Servius am Ende sagen läßt, der locator müsse dem conductor dafür einstehen, daß dieser den Acker auch nutzen könne (oportere enim agrum praestari conductori, ut frui possit), führt er die Risikoverteilung aus der Leistungspflicht des locator zurück: Dieser hat dem conductor nicht nur eine Sache in nutzungstauglichem Zustand zu überlassen und zu erhalten. Er hat auch den Fruchtziehungserfolg zu gewährleisten, allerdings nur insoweit, als dieser nicht außerordentlich beeinträchtigt ist. Fällt die Ernte ganz oder teilweise aus und überschreitet der Ausfall das Maß gewöhnlicher Störungen, ist der locator seiner Leistungspflicht nicht nachgekommen. Noch deutlicher ist der Beginn des Serviuszitats, das Ulpian in die Kommentierung der actio conducti eingefügt hat. Danach ist der locator zu vim praestare verpflichtet. Seine Leistungspflicht umfaßt also von vornherein die Teilnahme am Nutzungsrisiko. Dieses trifft nur bei vitia ex ipsa re den conductor . Bei einer vis cui resisti non potest ist es get Der conductor trägt das damnum seminis amissi. Der locator ist vertraglich dazu verpflichtet, das damnum mercedis zu tragen. Nur vor dem Hintergrund einer Risikoübernahme als Teil der Leistungspflicht ist auch Ulpians Klarstellung in § 7 verständlich: Daß der locator dem 56 De Neeve, Colonus, Private farm-tenancy in Roman Italy during the republic and the early Principate, 1984, S. 100, 108ff. 57 De Neeve , Colonus (Fn. 56), S. 173f. 58 SZ 105(1988) 542. 59 AaO (Fn. 2), S. 32.

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conductor nicht auf quod interest , sondern lediglich auf die exoneratio mercedis haftet, bedarf nur dann einer Erwähnung, wenn der Haftung eine Leistungspflicht des locator zugrunde liegt. Ginge es bloß um eine sozial motivierte Bewältigung der Wirtschaftsrisiken des conductor , könnte die Frage gar nicht auftauchen, ob ihm der locator vielleicht sogar auf das volle Interesse verpflichtet ist. Anlaß hierfür kann nur eine vertragliche Verpflichtung des locator zur Teilnahme am Nutzungsrisiko sein, wobei das in § 7 erneut erwähnte damnum seminis auf jeden Fall beim conductor verbleibt. Eine solche Verpflichtung kann ihren Ursprung durchaus in ständiger Vertragspraxis60 gehabt haben, oder auch ohne diese von den Juristen der Natur der Vereinbarung entnommen worden sein. Die tatsächliche Entwicklung der schon bei Servius zu einer Juristenregel verfestigten Spruchpraxis können wir nicht mehr nachvollziehen.61 Ihren Grund spüren wir auf, indem wir uns auf die Besonderheiten des Vertrags besinnen, dem Ulpians Kommentar an dieser Stelle gilt.

§ 2 Remissio mercedis und obligatio colendi I. Daß die Aufteilung des Nutzungsrisikos zwischen locator und conductor eine Besonderheit des Landpachtvertrags, als solche aber keineswegs sozialpolitisch motiviert ist, zeigt ein weiterer Auszug aus dem 32. Buch von Ulpians Ediktskommentar: D 19.2.19.2 Ulp 32 ed Si quis dolia vitiosa ignarus locaverit, deinde vinum effiuxerit, tenebitur in id quod interest nec ignorantia eius erit excusata: et ita Cassius scripsit. aliter atque si saltum pascuum locasti, in quo herba mala nascebatur: hic enim si pecora vel demortua sunt vel etiam deteriora facta, quod interest praestabitur, si scisti, si ignorasti, pensionem non petes, et ita Servio Labeoni Sabino placuit.

Hat jemand schadhafte Fässer vermietet, haftet er dem conductor , dessen Wein deshalb ausgelaufen ist, selbst dann auf das volle Interesse an der Integrität der Fässer, wenn er den Mangel nicht kannte. Dieser auch von Cassius gebilligten Entscheidung stellt Ulpian die Lösung eines Falls gegenüber, worin dem conductor eine Weide zur Viehgräsung überlassen wird. Ist das Vieh eingegangen oder geschwächt worden, weil sich auf der Weide giftige Kräuter befanden, hat der locator nur dann Ersatz zu leisten, wenn er von dem Bewuchs mit gifti60

So Frier, BIDR 92/93 (1989/90) 246. Daß sie in der Praxis nicht als bindendes Recht angesehen worden sein könnte, vermag ich im Gegensatz zu Brockmeyer, Historia 20 (1971) 735, Fn. 22 weder Plin. ep. 10.8.5 noch Col. 1.7.1 (oben § 1 II) zu entnehmen. Auch wenn hier lediglich von der Möglichkeit einer remissio die Rede sein sollte - was zumindest beim Columellatext schon zweifelhaft ist - , so folgt daraus noch nicht, daß es keine zugrundeliegende Verpflichtung gegeben hat. 61

§ 2 Remissio mercedis und obligatio colendi

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gen Pflanzen wußte. Ansonsten soll der conductor nach Ansicht von Servius, Labeo und Sabinus allerdings immerhin von der Entrichtung der pernio befreit sein. Interessant für unser Thema sind weder der Fall der Faßvermietung, in dem Ulpian den locator aufgrund einer stillschweigenden Zusicherung für den Schaden des conductor haftbar macht,62 noch die entgegengesetzte Entscheidung im Fall der Weidenpacht, wo der locator für das Interesse des conductor nur bei dolus einzustehen hat. Bemerkenswert ist in unserem Zusammenhang allein, daß der conductor hier auch ohne Arglist des locator zumindest von der Verpflichtung zur Zahlung der merces befreit sein soll. Diese Lösung steht offensichtlich im Widerspruch zu der Aussage von D 19.2.15.2, wo die Gefahr von raucae und herbae dem Risikobereich des conductor zugewiesen ist. Hier wie dort wird Servius zitiert, so daß sich der Gegensatz auch nicht unter Annahme einer Klassikerkontroverse beseitigen läßt. Des Widerspruchs kann man sich ferner nicht dadurch entledigen, daß man mit Käser 63 eine unklassische Verkürzung von D 19.2.19.1, mit Nicosia 64 eine Unterscheidung zwischen inneren Mängeln und äußeren Umständen oder mit Alzon 65 und Müller 66 eine zeitliche Differenz und annimmt, die schädlichen Gewächse seien im Fall der Weidenpacht von Anfang vorhanden, in der Konstellation von D 19.2.15.2 dagegen erst später aufgetreten 67.68 Zwar sind die mala herba, von denen in Fragment 19.1 die Rede ist, schon bei Vertragsbeginn vorhanden. Ein anfänglicher Befall des Grundstücks ist jedoch ohne weiteres auch durch die Aussage in Fragment 15.2 abgedeckt. Später zutage tritt hier nur das aus dem Befall entstehende Vitium in der Fruchtziehung. Daß es in den Gefahrenbereich des conductor fällt, gilt allein deshalb, weil es kein Umstand ist, der extra consuetudinem wäre. Im übrigen besteht auch umgekehrt kein Anlaß anzunehmen, daß die in Fragment 19.1 angeordnete Zinsbefreiung nur bei anfänglichen Mängeln und nicht gleichfalls dann eintritt, wenn die Weide erst später vom Bewuchs giftiger Pflanzen befallen wird. Worin liegt nun der Unterschied in der Fallgestaltung, der die Differenz im Ergebnis rechtfertigt? Da der Vertragsgegenstand in beiden Fällen ein Grund-

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Dazu Harke, Si error aliquis intervenit. Irrtum im klassischen römischen Vertragsrecht (im Druck), § 18 f. 63 SZ 74(1957) 177. 64 RISG 92 (1957/58) 420f. 65 Labeo 12 (1966) 316 Fn. 20. 66 AaO (Fn. 2), S. 30f. 67 Ähnlich Fiorì (Fn. 46), S. 107f., der zwischen tätigkeitsbezogenen vitia in D 19.2.15.2 und einem anfänglichen Sachmangel in D 19.2.19.1 unterscheiden will. 68 Schon gar nicht hilft die rein begriffliche Unterscheidung zwischen Gefahrtragung und Haftung, die Molnär, ANRW 11.14, 1976, S. 671 anführt.

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stück ist, kann es nur die Art der Nutzung sein, die den Ausschlag für die unterschiedliche Behandlung der Vertragsparteien gibt. Wer eine Weide zur Viehgräsung erhält, ist zwar im weiteren Sinne landwirtschaftlich tätig. Er übernimmt den Vertragsgegenstand jedoch nicht zur Bewirtschaftung, sondern nutzt ihn lediglich für die Versorgung eigener landwirtschaftlicher Produktionsmittel. Diese Nutzung geschieht auf eigenes Risiko und ist vom locator nur in ihrer Möglichkeit zu gewährleisten, indem er einen zur Nutzung tauglichen Gegenstand zur Verfügung stellt. Tut er dies nicht, muß er sich die Herabsetzung oder den Ausfall seines Zinsanspruchs gefallen lassen. Wer eine Wiese zur Viehgräsung übernimmt, steht ebenso wie ein Hausmieter, dessen Gebrauch durch die Baufälligkeit des Gebäudes beeinträchtigt ist.69 Dem conductor , der Land oder ein Gut selbst zur Bewirtschaftung übernimmt, wird dagegen zwar ein Teil des Nutzungsrisikos abgenommen, indem er bei außergewöhnlichen Einwirkungen nur das damnum seminis amissi tragen und keine merces entrichten muß. Umgekehrt hat er aber auch dort keine Rechte gegen den locator , wo ein gewöhnlicher conductor ohne weiteres zur vollständigen oder teilweisen Verweigerung der Zinszahlung berechtigt wäre.70 Der Fall ist dies bei Mängeln der Pachtsache, die nicht extra consuetudinem liegen. Sie hat der Landpächter hinzunehmen, ohne daß ihm eine Herabsetzung der merces möglich wäre. Die remissio mercedis und die ihr zugrundeliegende Verteilung des Nutzungsrisikos ist also einerseits eine auf Landwirtschaft im eigentlichen Sinne beschränkte Besonderheit. Sie gilt nur für den colonus, also den conductor , der zugleich das Land bestellt,71 und nicht auch für den pastor . Sie ist andererseits kein soziales Privileg des Landpächters. Dieser steht zwar besser als der gewöhnliche conductor , weil ihm ein Teil des Nutzungsrisikos abgenommen ist. Seine Stellung ist aber zugleich schlechter, weil er die gewöhnlichen Rechte des conductor bei Mängeln des Pachtgegenstands verliert. Eine solche differenzierte Lösung liefe einem sozialmotivierten Eingriff zum einseitigen Vorteil des conductor geradewegs zuwider. II. Was ist nun das Besondere am Kolonat, das eine unterschiedliche Beurteilung sogar im Verhältnis zu verwandten Überlassungsverhältnissen in der nahrungsmittelerzeugenden Wirtschaft rechtfertigt? Der Antwort nähert man sich,

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D 19.2.27pr. Alf 2 dig, D 19.2.30pr. Alf 3 dig a Paul epit, D 19.2.60pr. Lab 5 post a lav epit, D 19.2.35pr. Afr 8 quaest (mit Serviuszitat). Daß diese Entscheidungen nicht zur Zuweisung der vitia ex ipsa re an den conductor passen, bemerkt auch Käser, SZ 74 (1957) 176. 70 Zwar mag auch hier nach dem Zeugnis von D 19.2.27pr. Alf 2 dig eine gewisse 'Erheblichkeitssch welle' bestehen. Diese ist jedoch nicht mit dem völligen Ausschluß der Minderung aufgrund gewöhnlicher Umstände zu vergleichen, wie er für den Landpächter gilt. 71 De Neeve (Fn. 56), S. 32ff., 51f.

§ 2 Remissio mercedis und obligatio colendi

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indem man sich mit Mayer-Maly 72 und Käser 73 auf die obligatio colendi besinnt, die Pflicht zur Bewirtschaftung des überlassenen Grundstücks oder Landguts. Anders als beide Autoren braucht man diese Pflicht freilich nicht als Element eines staatlichen Maßnahmenkatalogs zur Stärkung der Agrarwirtschaft verstehen. Daß eine solche Deutung kurz nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft auftauchte, ist keineswegs zufällig, sondern dem gerade erst vergangenen historischen Beispiel einer Instrumentalisierung des Pachtrechts für die Volksernährung geschuldet.74 Nutzungspflicht und remissio mercedis beim römischen Kolonat kommen jedenfalls ohne eine solche Erklärung, nämlich, wie schon Ernst 75 erkannt hat, mit ihrer einfachen Kombination, aus: Die Kulturpflicht des Pächters findet beiläufige Erwähnung in einer Erörterung Paulus' über die Reichweite einer stipulatio poenae de non expellendo zugunsten eines colonus: D 19.2.54.1 Paul 5 resp ... Paulus respondit, quamvis nihil expressum sit in stipulatione poenali de solutione pensionem, tamen verisimile esse ita convenisse de non expellendo colono intra tempora praefinita, si pensionibus paruerit et ut oportet coleret:...

Genaueres erfahren wir aus dem Gaiusfragment, dem wir auch die Gleichsetzung von verpächterschädlicher vis maior und modicum damnum für den Pächter verdanken: D 19.2.25.3 Gai 10 ed prov Conductor omnia secundum legem conductionis facere debet, et ante omnia colonus curare debet, ut opera rustica suo quoque tempore faciat, ne intempestiva cultura deteriorem fundum faceret. praeterea villarum curam agere debet, ut eas incorruptas habeat.76

Daß er rechtzeitig die opera rustica verrichtet und für die Erhaltung der Landhäuser sorgt, ist die vornehme Pflicht eines colonus entsprechend der lex conductionis, 77 Damit ist nicht gemeint, daß die Kulturpflicht an eine entsprechende lex dicta gebunden ist. Die obligatio colendi trifft den colonus schon kraft des allgemeinen Rechts der conduction Ihre Rechtsfolgen können allerdings zuweilen Gegenstand einer besonderen lex sein, wonach der locator das

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AaO (Fn. 8), S. 143; vgl. oben § 1 II. SZ 74(1957) 174. 74 S.u. §11 II. 75 SZ 100 (1983) 589f. 76 Für die Interpolationsvermutungen von Mayer-Maly (Fn. 8), S. 180 besteht kein hinreichender Anlaß. 77 Hierzu und zur Rechtslage bei der Miete von Stadthäusern Frier, SZ 95 (1978) 240ff. sowie Landlords and tenants in imperial Rome, 1980, S. 162ff. 78 Für eine Herleitung aus dem Gebot der bonafides ist Mayer-Maly (Fn. 8), S. 181. 73

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

Grundstück erneut verpachten darf und vom Pächter die Differenz im Pachtzins verlangen kann: D 19.2.51pr. Iav 11 epist Ea lege fundum locavi, ut, si non ex lege coleretur, relocare eum mihi liceret et quo minoris locassem, hoc mihi praestaretur,...

Ansonsten ist Verletzung der Kulturpflicht mit einem Schadensersatzanspruch des locator bewehrt: PS 2.18.2 Fundi deterioris facti et culturae non exercitatae et aedificiorum non refectorum culpa arbitrio iudicis domino a conductore sarciri potest.

Nach Gaius' Aussage in D 19.2.25.3 dient die Bewirtschaftungspflicht dazu, Grundstück und Häuser in gutem Zustand zu bewahren. Sie rangiert ante omnia , also keineswegs hinter, sondern sogar vor der Pflicht zur Entrichtung der merces 19.80 Im Unterschied zur gewöhnlichen locatio conductio rei ist der Kolonat demnach nicht auf den Austausch einer zeitlich beschränkten Nutzungsmöglichkeit gegen ein Entgelt beschränkt. Der Vorteil, den der locator mit der Vergabe seines Guts an einen colonus erzielen will, liegt außer im Preis auch in der Fortführung und Erhaltung seines Betriebs, dem ohne Bewirtschaftung eine Verschlechterung droht. Eine der obligatio colendi vergleichbare Nutzungspflicht besteht außerhalb des Kolonats und in den sonstigen Fällen der locatio conductio nicht. Zwar beschäftigen sich die Juristen mit den Rechtsfolgen einer Aufgabe der überlassenen Pachtsache durch den conductor. Es geht jedoch nicht um die Verletzung einer Nutzungspflicht, sondern um andere Fragen. Labeo und Ulpian untersuchen, ob der conductor durch seine Flucht vor dem anrückenden Heer in vorwerfbarer und haftungsbegründender Weise dazu beigetragen hat, daß das überlassene Haus von diesem beschädigt worden ist: D 19.2.13.7 Ulp 32 ed Exercitu veniente migravit conductor, deinde hospitio milites fenestras et cetera sustulerunt. si domino non denuntiavit et migravit, ex locato tenebitur: Labeo autem, si resistere potuit et non resistit, teneri ait, quae sententia vera est. sed et si denuntiare non potuit, non puto eum teneri.

79 Ernst SZ 105 (1988) 590 wendet sich daher zu Recht gegen eine Herabstufung der Kultur- gegenüber der Plicht zur Zinszahlung. 80 Von der Bedeutung der obligatio colendi zeugt auch ihre Gegenüberstellung mit dem Recht auf Fruchtziehung in D 19.2.32 lui 4 Min: Qui fundum colendum in plures annos locaverat, decessit et eum fundum legavit. Cassius negavit posse cogi colonum, u eum fundum colerei, quia nihil heredis interesset quod si colonus vellet colere et ab eo cui legatus esset fundus, prohiberetur, cum herede actionem colonum habere: et hoc detrimentum ad heredem pertinere: sicuti si quis rem, quam vendidisset nec dum tradidisset, alii legasset, heres eius emptori et legatario esset obligatus.

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Alfen widmet sich der Frage, unter welchen Umständen die Flucht des conductor dessen Verpflichtung zur Zahlung der merces entfallen läßt: Dl9.2.27.1 Alf 2 dig Iterum interrogatus est, si quis timoris causa emigrasset, deberet mercedem necne. respondit, si causa fuisset, cur periculum timeret, quamvis periculum vere non fuisset, tamen non debere mercedem: sed si causa timoris iusta non fuisset, nihilo minus debere.81

Paulus beschäftigt mit dem weiteren, bei Hausmiete und Kolonat gleichermaßen virulenten Problem, ob der locator nach Aufgabe der Pachtsache durch den conductor sofort den gesamten noch ausstehenden Zins einklagen kann: D 19.2.24.2 Paul 34 ed Si domus vel fundus in quinquennium pensionibus locatus sit, potest dominus, si deseruerit habitationem vel fundi culturam colonus vel inquilinus, cum eis statim agere.82

III. Mit seinem besonderen wirtschaftlichen Ziel verrückt der Standort des Kolonats. Anders als die gewöhnliche locatio conductio ist er nicht allein Mittel zum Umschlag eines Nutzungsvorteils in Geld, sondern ebenso Grundlage für eine Geschäftsführung des zur Zahlung Verpflichteten im Interesse seines Geschäftspartners.83 Der Kolonat hat, modern gesprochen, auch die Aufgabe eines Betriebsführungsvertrags und erscheint mit dieser Funktion in der agrarwissenschaftlichen Literatur: Daß die Bewirtschaftung der Pachtsache größere Bedeutung als die Zinszahlung hat, sagt Columella zur Einleitung seiner in der Literatur schon häufig zitierten84 Bemerkung über die remissio mercedis in De re rustica 1.7.1 : Comiter agat cum colonis facilemque se praebeat et avarius opus exigat quam pendiones, quoniam et minus id offendit et tamen in universum magis prodest.

Die Wertschätzung für die Tätigkeit des colonus ist mit einem besonderen Verständnis der Funktion des Kolonats verbunden: re rust 1.7.5: Ceterum cum mediocris adest et salubritas et terrae bonitas, numquam non ex agro plus sua cuique cura reddidit quam coloni, numquam non etiam vilici, nisi si maxima vel neglegentia servi ver rapacitas intervenit. 81

Zu beiden Texten Frier, SZ 95 (1978) 235ff., der zu Unrecht eine Verbindung mit Servius* Entscheidung in D 19.2.15.2 annimmt. 82 Allein um die Zinspflicht des conductor geht es offenbar auch in D 19.2.55.2 Paul 2 sent: Qui contra legem conductionis fundum ante tempus sine iusta ac probabili causa deseruerit, ad solvendas totius temporis pensiones ex conducto conveniri potest , quatenus locatori in id quod eius interest indemnitas servetur. 83 In die richtige Richtung gehen daher die Überlegungen von Frier, BIDR 92/93 (1989/90) 262. 84 S.o. § 11.

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

Wie Scheidet 65 erkannt hat, ist die cura coloni für Columella eine Variante der Gutsführung und entspricht in ihrer Funktion der sua cura durch den Eigentümer und der cura durch einen Gutsverwalter (vicilus). Nach Columellas Ansicht eignet sie sich im Gegensatz zur Betriebsführung durch einen hauseigenen Verwalter vor allem für weit entfernt gelegene Grundstücke und Güter: re rust 1.7.6, 7 In longiquis tarnen fìindis, in quos non est facilis excursus patris familiae, cum omne genus agri tolerabilius sit sub liberis colonis quam sub vilicis servis habere, tum praecipuefrumentarium, quem et minimé, sicut vineas aut arbustum, colonus evertere potest et maxime vexant servi, qui boves elocant eosdemque et cetera pecora male pascunt nec industrie terram vertunt longeque plus inputant seminis iacti, quam quod severint, sed nec quod terrae mandaverunt sic adiuvant, ut recte proveniat, idque cum in aream contulerunt, per trituram cotidie minuunt velfraude vel neglegentia. nam et ipis diripiunt et ab aliius furibus non custodiunt, sed nec conditum cum fide rationibus inferunt. ita fit, ut et actor et familia peccent et ager saepius infametur. quare talis generis praedium, si, ut dixi, domini praesentia cariturum est, censeo locandum.86

Columella vergleicht die Bewirtschaftung durch einen Pächter mit der eines durchschnittlichen Verwaltersklaven, dem er mangelnde Sorgfalt bei, der Bodenbearbeitung und anschließenden Aufbewahrung der Produkte attestiert. Die daraus folgende Entscheidung für die Verpachtung gilt aber allein den Grundstücken, die der Eigentümer nicht ohne weiteres besuchen kann, und sie ist zudem auf den colonus rusticus beschränkt. Gegenüber einem colonus urbanus mahnt Columella dagegen zur Vorsicht; und bei Grundstücken, deren Bewirtschaftung der Eigentümer überwachen kann, rät Columella von der Verpachtung generell ab und zur eigenen Bewirtschaftung, auch mit Hilfe eines Verwalters: re rust 1.7.3, 4 ita certe mea fert opinio rem malam essefrequentem locationem fundi, peiorem tarnen urbanum colonum, qui per familiam mavult agrum quam per se colere. Sasema dicebat ab eiusmodi homine fere pro mercede litem reddi; propter quod operam dandam esse, ut et rusticos et eosdem adsiduos colonos retineamus, cum aut nobismet ipsis non liceuerit aut per domesticos colere non expedient; ... 87

Aus Sicht der römischen Agrarwissenschaft ist der Kolonat also weniger Austausch von Nutzungsmöglichkeit gegen Entgelt als vielmehr ein Mittel zur effizienten Güterverwaltung durch den mit dem Verpächter regelmäßig identischen Eigentümer. Hierbei nimmt der colonus dieselbe Rolle ein, die sonst dem Eigentümer oder dessen hauseigenen Verwalter zukommt. Wird der colonus bei 85

Grundpacht und Lohnarbeit in der Landwirtschaft des römischen Italien, 1994, S. lOOff., 115fif. 86 Hierzu Scheidet (Fn. 85), S. 102ff. 87 Hierzu Scheidet (Fn. 85), S. 109ff.

§ 2 Remissio mercedis und obligatio colendi

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der Bewirtschaftung des Grundstücks oder Landguts also nicht nur im eigenen, sondern zugleich im Interesse des locator tätig, muß dies rechtliche Konsequenzen haben: Zum einen muß der Vertrag den colonus außer zur Zinszahlung zur Bewirtschaftung verpflichten und ihm damit gerade auch die Beseitigung von Mängeln des zu führenden Betriebs auferlegen, die damit naturgemäß auch von der Gewährleistungspflicht des Verpächters ausgenommen werden. Zum anderen muß der locator , dessen Geschäft der colonus neben dem eigenen führt, am Risiko der Bewirtschaftung teilhaben. Dies bedeutet freilich nicht, daß schon gewöhnliche Schwankungen im Ergebnis der Kulturtätigkeit Rechtsfolgen auslösen. Sie gleichen sich auf lange Sicht ohnehin aus und sind bei der Bemessung der merces berücksichtigt. Deren Veränderung kommt nur bei außergewöhnlichen Einbrüchen in der Fruchtziehung in Betracht. Müßte der colonus diese allein tragen, ignorierte man, daß er die Bewirtschaftung nicht nur für den eigenen Zweck, sondern auch für den locator übernommen hat. Eine dritte Folgerung aus dem besonderen Charakter der Landpacht besteht in einem Aufwendungsersatzanspruch für nützliche Verwendungen des colonus: PS 2.18.4 = D 19.2.55.1 Paul 2 sent In conducto fundo si conductor sua opera aliquid necessario vel utiliter auxerit vel aedificaverit vel instituerit, cum id non convenisset, ad recipienda ea quae impendit ex conducto cum domino fundi experiri potest. D 19.2.61pr. Scaev 7 dig Colonus, cum lege locationis non esset comprehensum, ut vineas poneret, nihilo minus in fundo vineas instituit et propter earumfructum denis amplius aureis annuis ager locari coeperat. quaesitum est, si dominus istum colonum fundi eiectum pensionum debitarum nomine conveniat, an sumptus utiliter factos in veneis instituendis reputare possit, opposita doli mali exceptione. respondit vel expensas consecuturum vel nihil amplius praestaturum.88

Auch wenn der Landpächter bestimmte Maßnahmen nicht aufgrund einer besonderen Parteivereinbarung vorgenommen hat, ist sein Verlangen nach Verwendungsersatz89 nicht von vornherein aussichtslos. Führt der colonus bei der Bewirtschaftung des überlassenen Grundstücks oder Guts das Geschäft des locator , liegt es nahe, daß dieser zusätzlich zur Beteiligung am Nutzungsrisiko

88 Nicht für eine Verwendungsersatzpflicht des locator spricht dagegen die Entscheidung Julians in D 7.1.34.1 (35 dig): Si colono tuo usum fructum fundi legaveris, usum fructum vindicabit et cum herede tuo aget ex conducto et consequetur, ut neque mercedes praestet et impensas, quas in culturam fecerat, recipiat. Der Anspruch auf Verwendungsersatz scheint hier gerade wegen des legatum usus fructus und ansonsten nicht zu bestehen. 89 Zur prozessualen Situation im Fall des Scaevola Honseil (Fn. 1), S. 138 der die Erwähnung der exceptio doli in der Anfrage an den Juristen freilich zu Unrecht verdächtigt; für Echtheit sind zu Recht Mayer-Maly (Fn. 8), S 171 und Medicus, Id quod interest , 1962, S. 160 Fn. 10.

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

des colonus diesem zumindest solche Aufwendungen ersetzt, durch die der zur Geschäftsführung überlassene Betrieb verbessert worden ist.

§ 3 Remissio mercedis und ius societatis I. Sucht man im herkömmlichen römischen Vertragsschema nach einem Platz für den Kolonat, hat man die Grenzen der locatio conductio, wenn auch nicht überschritten, so doch jedenfalls erreicht und sich zugleich einer anderen Vertragsart genähert: der societas. Von ihr spricht Gaius im Anschluß an die Unterscheidung zwischen verpächterschädlicher vis maior und pächterfeindlichem modicum damnum: D 19.2.25.6 Gai 10 ed prov Vis maior, quam Graeci θεου βιαν appellant, non debet conductori damnosa esse, si plus, quam tolerabile est, laesi fuerint fructus: alioquin modicum damnum aequo animo ferre debet colonus, cui immodicum lucrum non aufertur. apparet autem de eo nos colono dicere, qui ad pecuniam numeratam conduxit: alioquin partiarius colonus quasi societatis iure et damnum et lucrum cum domino fundi partitur.

Daß der conductor einen gewöhnlichen Mißerfolg aequo animo hinzunehmen habe, begründet Gaius damit, daß dem colonus auch ein außergewöhnlicher Ernteerfolg verbleibe. Dies geltefreilich nur für den Landpächter, der zu einem festen Zins gepachtet habe. Bei einer partiarischen Landpacht würden Erfolg und Mißerfolg mit dem Eigentümer des Grundstücks dagegen wie unter Gesellschaftern geteilt. Die Vereinbarung einer Teilpacht begründet noch kein Gesellschaftsverhältnis, sondern nur Rechtswirkungen quasi societatis iure. Der locator nimmt nur mehr oder weniger am Gewinn, nicht aber an einem Verlust teil, der den conductor aus der Bewirtschaftung der Pachtsache trifft. Eine solche Ungleichbehandlung wäre mit der Annahme einer regelrechten societas allenfalls dann vereinbar, wenn der bevorzugte Gesellschafter anders als der Landverpächter einen Arbeitsbeitrag zur gemeinnützigen Geschäftsführung leistet.90 Statt dessen ist er noch zusätzlich begünstigt, indem sich eines seiner Ziele stets und auch dann verwirklicht, wenn die merces mangels Ernteerfolg ausfällt. Der conductor bleibt nämlich ohne Rücksicht auf das Produktionsergebnis dazu verpflichtet, die Pachtsache durch Bewirtschaftung zu erhalten. Vomrichtigenius societatis ist der Kolonat also doch noch entfernt. Nicht sehr verschieden ist der Ort der Verpachtung ad pecuniam numeratam. Hier ist der locator an einem möglichen Gewinn des conductor stets nur zu einem bestimmten Betrag beteiligt. Er trägt also das Risiko, daß der Ertrag, den

90 Vgl. die magna quaestio zwischen Quintus Mucius und Servius, von der Gai inst 3.149 berichtet.

§ 3 Remissio mercedis und ius societatis

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der conductor durch die Bewirtschaftung der Pachtsache erzielt, über der Prognose liegt, die der Zinsbestimmung zugrunde liegt. Umgekehrt ist er allerdings zugleich weitgehend befreit von dem Risiko, daß sich überhaupt kein oder nur ein geringerer Ernteerfolg einstellt als erwartet. Aufgebürdet wird es ihm freilich bei einem Mißerfolg, der plus quam tolerabile est ist. Der Grund hierfür liegt darin, sich das zweite Ziel des locator : die Erhaltung und Fortentwicklung der Pachtsache durch Bewirtschaftung, auch in diesem Fall verwirklicht. Der locator ist bei einem gewöhnlich Erntemißerfolg doppelt begünstigt: Er erhält einerseits die fest vereinbarte merces. Andererseits profitiert er schon davon, daß der conductor sich, wenn auch aus seiner Sicht erfolglos, um die Bewirtschaftung des Grundstücks oder Guts verdient gemacht hat. Da diese Tätigkeit auch im Interesse des locator liegt, ist es angemessen, wenn er zumindest in diesem Fall quasi societatis iure am Nutzungsrisiko seines Vertragspartners teilnimmt. II. Die enge Verbindung von remissio mercedis und obligatio colendi , welche die beschränkte Anwendung des ius societatis zeitigt, kommt vor allem in der kaiserlichen Entscheidung zum Ausdruck, die Ulpian in § 3 von D 19.2.15 zitiert. Die Unterstützung der Bitte des colonus um remissio macht der Kaiser davon abhängig, daß der Pächter das Grundstück auch bewirtschaftet hat: Cum quidam incendium fundi allegaret et remissionem desiderai, ita respriptum est: ,Si praedium coluisti, propter casum incendii repentini non immerito subveniendum tibi est.'

Die Einschränkung: si praedium coluisti, kann nicht dazu dienen, ein Verschulden des colonus auszuschließen, dessen Fehlen sich schon aus dem folgenden propter casum ergibt. Sie wäre völlig unangebracht, wenn die remissio mercedis eine Folge der mangelnden Tauglichkeit der Pachtsache zum Fruchtgenuß wäre. Sinnvoll ist die Verbindung von remissio mercedis und Erfüllung der obligatio colendi allerdings, wenn jene gerade Ausgleich für diese ist: Ist der Pächter seiner Kulturpflicht nicht nachgekommen, verdient er auch keinen Schutz vor zufälligen Mißerfolgen bei der Fruchtziehung. Bedeutet die remissio mercedis die beschränkte gesellschaftsähnliche Teilnahme des locator an einem über den Erwartungen liegenden Mißerfolg des conductor , kann ihr Maßstab nicht das einzelne Jahr, sondern nur die gesamte Pachtzeit sein. Hierum geht es Papinian, den Ulpian im § 4 von D 19.2.25 zitiert: Papinianus libro quarto respnsorum ait, si uno anno remissionem quis colono dederit ob sterilitatem, deinde sequentibus annis conitgit ubertas, nihil obesse domino remissionem, sed integram pensionem etiam eius annni quo remisit exigendam. hoc idem et in vectigalis damno respondit. sed et si verbo donationis dominus ob sterilitatem anni remiserit, idem erit dicendum, quasi non sit donatio, sed transactio. quid tamen, si novissimus erat annus sterilis, in quo ei remiserit? verius dicetr et si superiores uberes fuerunt et seit locator, non debere eum ad computationem vocari.

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

Ob die remissio mercedis für ein Pachtjahr berechtigt ist, läßt sich vor Ablauf der Pachtzeit stets nur in Form einer Prognose behaupten. Der Mißerfolg, der für sich allein die remissio mercedis rechtfertigen würde, kann nämlich immer noch durch spätere besonders ertragreiche Jahre kompensiert werden. Eine Beibehaltung der remissio wäre in diesem Fall zweckwidrig. Denn auf die gesamte Pachtzeit gerechnet, entspricht das vom conductor erzielte Ergebnis schließlich den Erwartungen bei Vertragsschluß. Eine Teilnahme des locator am einmaligen Mißerfolg des conductor würde dem ius societatis widersprechen. Papinian läßt den locator , der wegen sterilitas eine remissio mercedis gewährt hat, daher später zur Einforderung der nachgelassenen Summe zu, wenn auf das magere Jahr besonders ertragreiche folgen. Ulpian erweitert diese Lösung auf den Fall, daß der locator die remissio verbo donationis gewährt hat. Daß im Gegensatz zu der vom locator gewählten Bezeichnung in Wahrheit nur eine transactio vorgenommen worden ist, liegt daran, daß der locator die remissio eben nicht ausfreien Stücken, sondern nur wegen eines Remissionsanspruchs des conductor gewährt hat.91 Im Gegensatz zu der aus einer donatio folgenden Einrede kann die exceptio, die aus der transactio entspringt, ohne weiteres wieder entfallen, wenn sich die remissio wegen der späteren Entwicklung des Ernteertrags als unberechtigt erweist. Der conductor , welcher einer nachträglichen Zahlungsklage des locator die exceptio pacti entgegenhielte, würde sich dolos verhalten. Anders verhält es sich im zuletzt betrachteten Fall, in dem das annus sterilis mit dem letzten Pachtjahr zusammenfällt. Ulpian verweigert hier dem locator eine Rückforderung der gewährten remissio mercedis, obwohl die vorangegangen Pachtjahre sehr ertragreich waren. Diese Entscheidung beruht nicht darauf, daß abgelaufene Jahre für die Entscheidung über die remissio mercedis keine Rolle spielen. Sie ist, worauf de Neeve 92 entgegen Mayer-Maly 93 hinweist, dadurch bestimmt, daß der locator von derfrüheren ubertas wußte: ... et seit locator . Anders als im vorangegangen Fall, wo der locator nur verbo , in Wahrheit aber keine Schenkung vorgenommen hat, liegt hier eine echte donatio vor. Als er den Nachlaß gewährte, wußte der locator nämlich, daß dem conductor kein Remissionsrecht zusteht. Fand er sich dennoch mit der Herabsetzung des Pachtzinses ab, tat er dies schenkungshalber. Auch die zweite der beiden Entscheidungen Ulpians stellt demnach nicht das Prinzip in Frage, daß sich die Teilnahme des locator an außergewöhnlichen Mißerfolgen bei der Nutzung der Pachtsache danach richtet, wie sich die Fruchtziehung während der gesamten Pachtzeit entwickelt. Solange keine echte Schenkung vorliegt, ist eine remissio mercedis, die unter Annahme eines durch91 92 93

Richtig Sitizia (Fn. 6), S. 349f. SZ 100 (1983) 322. AaO (Fn. 8), 145 (mit Interpolationsverdacht).

§ 3 Remissio mercedis und ius societatis

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schnittlichen Ertrags in den Folgejahren gewährt wird, also bis zum Ablauf der Pachtzeit und unter der Voraussetzung widerruflich, daß der Mißerfolg die Ausbeute des conductor insgesamt nicht unter das erwartete Maß gedrückt hat. Diese Lösung gibt das ius societatis vor, das eben nicht auf eine Begünstigung des conductor angelegt ist, sondern nur für eine beschränkte Teilnahme des locator am Nutzungsrisiko entsprechend seinem eigenen Interesse an der Bewirtschaftung der Pachtsache sorgt. III. Sind remissio mercedis und Kulturpflicht gleichermaßen rechtlicher Ausdruck der Besonderheiten der Landpacht, mögen deren Eigenheiten auch dafür ausschlaggebend sein, daß im Rahmen der locatio conductio die Vereinbarung einer Teilpacht zugelassen wird. Daß sich die Ersetzung der merces durch eine Sachleistung zumindest in hochklassischer Zeit keineswegs von selbst versteht, zeigen die beiden folgenden Texte: D 19.2.35.1 Afric 8 quaest Cum fundum communem habuimus et inter nos convenit, ut alternis annis certo pretio eum conductum haberemus, tu, cum tuus annus exiturus esset, consulto fructum insequentis anni corrupisti. agam tecum duabus actionibus, una ex conducto, altera ex locato: locati enim iudicio mea pars propria, conducti autem actione tua dumtaxat propria in iudicium venient. deinde ita notât: nonne quod ad meam partem attinebit, communi dividundo praestabitur a te mihi damnum? recte quidem notât, sed tamen etiam servi sententiam veram esse puto, cum eo scilicet, ut, cum alterutra actione rem servaverim, altera perematur. quod ipsum simplicius ita quaeremus, si proponatur inter duos, qui singulos proprios fundos haberent, convenisse, ut alter alterius ita conductum haberent, utfructus mercedis nomine pensaretur. D 10.3.23 Ulp 32 ed Si convenerit inter te et socium tuum, ut alternis annis fructum perciperetis, et non patiatur te socius tui anni fructum percipere, videndum, utrum ex conducto sit actio an vero communi dividundo. eadem quaestio est et si socius, qui convenerat, ut alternis annisfrueretur, pecus immisit et effecit, ut futuri anni fructus, quos socium percipere oportuit, corrumperentur. et puto magis communi dividundo iudicium quam ex conducto locum habere ( quae enim locatio est, cum merces non intercesserit?) aut certe actionem incerti civilem reddendam.

Teilen sich Miteigentümer so in die Nutzung des gemeinsamen Grundstücks, daß jeder die gesamte Fläche für jeweils ein Jahr bestellen darf, liegt nach Servius' Auffassung eine locatio conductio vor, die den einzelnen Miteigentümer bei einem Fehlverhalten seines Partners zum Schadensersatz teils aus der actio locati , teils aus der actio conducti berechtigt. Julian stellt bereits die Frage, ob nicht zumindest statt einer der beiden Klagen die actio communi dividundo gegeben sei. Afrikan entscheidet sich noch für alternative Zuständigkeit und führt sogar den Vergleichsfall des Grundstückstauschs an. Dessen Zuordnung zur locatio conductio leugnet Ulpian indirekt, indem er auch im Ausgangsfall die Parteien auf die actio communi dividundo beschränkt und seine Entscheidung gegen die Klagen aus der locatio conductio mit dem Fehlen eines Pachtzinses begründet: quae enim locatio est, cum merces non intercesserit?

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

Ist dem gesellschaftsähnlichen Verhältnis der Parteien in diesem Fall schon vollauf mit der Zuständigkeit der actio communi dividundo Rechnung getragen, bleibt für actio locati oder actio conducti kein Raum mehr. Sind diese beiden Klagen bei Vereinbarung einer Teilpacht eröffnet, kann dies nur an der besonderen Struktur des Kolonats liegen, das ebenso wie eine remissio der fest bestimmten merces auch eine Ausnahme von dem Grundsatz gestattet, daß die Gegenleistung für dasfrui licere überhaupt in Geld bestehen muß.

§ 4 Ergebnisse I. Die in der Romanistik94 umstrittene Frage, ob die remissio mercedis zur Lehre Servius' paßt, wie sie in D 19.2.15.2 wiedergegeben ist, können wir entgegen einer Tendenz im jüngeren Schrifttum positiv beantworten. Die remissio mercedis, die Ulpian in den folgenden Abschnitten des Fragments D 19.2.15 anhand von Kaiserreskripten und eines Papinianzitats behandelt, ist nur das praktische Ergebnis der von Servius vorwiegend an Beispielen, von Gaius in D 19.2.25.6 abstrakt dargestellten Lehre:95 Der locator hat dem conductor nicht nur für die facultas fruendi einzustehen und verliert mit ihrem Ausfall seinen Zinsanspruch. Darüber hinaus nimmt er an dem Fruchtziehungsrisiko des conductor teil, allerdings nicht unbeschränkt, sondern nur, wenn außergewöhnliche Ereignisse einen besonderen Mißerfolg in der Fruchtziehung bewirken. Gaius beschreibt diese Fälle durch die Kombination der Begriffe vis maior und immodicum damnum . Servius läßt es bei der Formel: vis cui resisti non potest bewenden, meint aber das gleiche. Die Rechtsfolge ist die in den Kaiserreskripten und bei Papinian näher bestimmte remissio mercedis. Das von Servius benannte Gegenstück zur vis, das Vitium ex ipsa re , ist nicht etwa ein Umstand, den der conductor zu vertreten hätte. Es steht gleichfalls für eine zufällige Störung des Fruchtgenusses, die auch durchaus darauf beruhen kann, daß die Pachtsache nicht in vollem Umfang zu der vereinbarten Nutzung taugt. Daß der conductor gleichwohl nicht zu einer Zinsminderung zugelassen wird, kleidet Gaius in die Worte, der Pächter habe das modicum damnum gleichmütig zu tragen. So, wie er den außergewöhnlichen Schaden auf den Verpächter abwälzen kann, obwohl dieser die Möglichkeit zum Fruchtgenuß verschafft hat, muß er den gewöhnlich Schaden, der mit seiner Tätigkeit üblicherweise verbunden ist, selbst tragen. II. Worin liegt der materiale Grund für diese dem modernen Vorverständnis zunächst sofremdartige Regelung? Die Antwort ergibt eine Untersuchung des Anwendungsbereichs der dargestellten Grundsätze:96 Sie gelten nur für den Ko94 95 96

S.o. § 1II. § 1 III. § 21.

§ 4 Ergebnisse

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lonat, die Landpacht im eigentlichen Sinn, bei welcher der conductor ein Grundstück zur Bewirtschaftung übernimmt. Schon die Verpachtung eines Grundstücks zur Weidewirtschaft unterliegt den gewöhnlichen Regeln der Gefahrtragung, die den Zinsanspruch des locator ganz oder teilweise entfallen lassen, wenn die Pachtsache zu der verabredeten Nutzung ungeeignet oder zumindest in ihrer Tauglichkeit gemindert ist. Der entscheidende Unterschied, der zwischen einem gewöhnlichen conductor und einem colonus besteht, ist, daß dieser anders als jener zur Nutzung der Pachtsache nicht nur berechtigt, sondern auch verpflichtet ist.97 Durch die obligatio colendi , die nach Gaius' Aussage in D 19.2.25.3 ante omnia und damit noch vor der Verpflichtung zur Zahlung des Pachtzinses rangiert, unterscheidet sich der Kolonat erheblich von anderen Überlassungsverhältnissen. Seine wirtschaftliche Funktion erschöpft sich nicht in dem Umsatz von Nutzungsmöglichkeit gegen Geld. Die Tätigkeit, die der colonus aufgrund des Vertrags entfaltet, liegt nicht nur in seinem, sondern auch im Interesse des Verpächters, dessen Pachtsache mangels Bewirtschaftung eine Verschlechterung erfahren, ja als solche sogar aufhören würde zu existieren. Denn ein landwirtschaftliches Grundstück bleibt die Pachtsache nur so lange, wie sie auch kultiviert wird. Die locatio conductio gibt im Fall des Kolonats also nicht nur einem Überlassungs-, sondern zugleich einem Betriebsführungsverhältnis den rechtlichen Rahmen und wird in dieser Funktion auch in der römischen Agrarwissenschaft wahrgenommen.98 III. Aus diesem besonderen Zweck des Kolonats ergeben sich seine Besonderheiten ohne weiteres: Den conductor trifft im Fall der Landpacht in erster Linie eine Kulturpflicht. Als BetriebsfUhrer kann er zugleich keine umfassende Gewährleistung für Sachmängel erwarten, sondern ist selbst für den Zustand der Pachtsache verantwortlich, sofern dieser den Fruchtgenuß im gewöhnlichen Maß beeinträchtigt. Im Gegenzug ist der locator allerdings an dem Risiko einer Mißernte aufgrund von Umständen beteiligt, die in Art und Auswirkung außergewöhnlich sind. Denn auch unter diesen Umständen hat der Vertragstreue colonus, der nicht in Genuß seines Nutzungsrechts kommt, gleichwohl seine Nutzungspflicht im Interesse des locator erfüllt. Ausgleich hierfür ist die remissio mercedis, deren Zusammenhang mit der Kulturpflicht besonders deutlich in dem Reskript von D 19.2.15.3 zum Ausdruck kommt.99 Ihre Gewährung kann man als teilweise Verwirklichung eines ius societatis im Austauschvertrag beschreiben.100 Nach dem Zeugnis von D 19.2.25.6 sieht Gaius es auch bei der Teilpacht am Werke. Deren Zulassung und Ausnahme vom Grundsatz, daß die 97

§2 II. § 2 III. 99 § 3 II. 100 g 3 J

98

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1. Kapitel: Der römische Kolonat zwischen locatio conductio und societas

vom conductor geschuldete merces in Geld bestehen muß, sind wiederum nur mit den Eigenheiten des Kolonats zu erklären.101

101

§ 3 III.

Zweites Kapitel

Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung § 5 Glossatoren und Kommentatoren War die remissio mercedis für die römischen Juristen noch konstitutives Element eines besonderen Vertragstyps im Rahmen der locatio conductio, wird sie von den mittelalterlichen Interpreten des römischen Rechts lediglich als Anomalie im allgemeinen Leistungsstörungsrecht empfunden. Zur Bewältigung des systematischen Problems, vor das die remissio mercedis fortan stellen muß, finden die Glossatoren und Kommentatoren drei Wege, welche die spätere Entwicklung der europäischen Rechtswissenschaft vorgeben. I. Ein schon von den Glossatoren voll ausgebildeter Lösungsansatz besteht in der weiteren Annäherung der Pacht an das Recht der societas. Indem man den Verpächter nicht nur am Betriebsrisiko, sondern auch an den Erwerbschancen des Pächters beteiligt, macht man die remissio mercedis zum Merkmal eines umfassenden gesellschaftsähnlichen Mechanismus, eine Harmonisierung mit den Grundsätzen der Gefahrtragung im Austauschvertrag entbehrlich. Ohnehin naheliegend ist der Schritt ins Gesellschaftsrecht bei der Teilpacht,1 der schon Gaius Rechtswirkungen quasi societatis iure attestiert. Placentinus enthält sich zwar einer theoretischen Zuordnung, indem er die Teilpacht weder als vera locatio noch als echte Gesellschaft ansehen möchte. In der praktischen Frage, welche Klage Rechtsschutz gewähren soll, fällt seine Entscheidung jedoch schon gegen die beiden actiones aus locatio conductio aus. Statt dessen sollen die Parteien zur actio utilis oder sogar unmittelbar zur Gesellschafterklage zugelassen sein:

1 Zu deren Behandlung bei den Glossatoren vgl. auch Schräge, Satura Feenstra, 1985, S. 393ff.

38 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung In summa notandum illud puto, quod si quis fundum suum dederit alicui colendum, ut partiatur cum eofructus, non est vera locatio, nec vera societàs: et ideo agitur, vel utili actione, et pro socio... 2

Roffredus nennt den Teilpächter dagegen schon ohne weiteres einen socius damni et lucri des Verpächters: Secundum si vult petere remissionis mercedis quia interveniat sterilitas nec anno sequenti sit secuta ubertas. et hoc intellige in conductore predii rucstici, et in colono qui nummis colit. Ceterum in parciario secus quia ille esset socius damni et lucri. Item in predio urbano non potest contingere sterilitas . . . 3

Anders als ein colonus qui nummis colit ist der Teilpächter von der remissio mercedis ebenso ausgeschlossen wie der conductor eines predium rusticum. Daß auch dieser nicht in den Genuß der remissio mercedis kommt, entspricht dem klassischen römischen Recht, folgt für Roffredus freilich nicht aus den Eigenheiten der Landpacht, nämlich aus dem gemeinsamen Interesse der Vertragsparteien an der Bewirtschaftung des Grundstücks. Statt dessen ergibt es sich für ihn schlicht daraus, daß eine sterilitas im eigentlichen Sinn bei einem predium urbanum nicht vorkommen kann. Dem vergleichbaren Fall, daß die Überlassung eines Geschäftsraumes keinen Profit für den conductor abwirft, stellt sich Roffredus ebensowenig wie der Frage, warum dieser Fall anders zu beurteilen ist als die sterilitas bei der Landpacht. Azo hält sich bei der Beurteilung der Teilpacht noch streng an Gaius' Formel von der Ergebnisbeteiligung quasi societatis iure: Loquor autem de eo colono qui nummis colit. partiarius. n. colonus quasi societatis iure damnum et lucrum cum domino fundi partit. ... 4

Odofredus nennt die Teilpacht dagegen an einer Stelle bereits quedam societas: ... secus est in colono partiario ... hic non est prorie locatio sed quedam societas.5

An anderer Stelle hält er sogar für möglich, daß im Fall einer Teilpacht statt eines Innominatrealkontrakts proprie eine societas zustande kommt: ... alius colonus est colonus partiarius: et iste non est colonus, sed est proprie socius vel societas: vel quidam contractus innominatus.6

2 Placentinus, Summa institutionum, lib. III tit. XXIII, Ausg. Mainz 1535 (= Corpus Glossatorum Bd. I, Turin 1973), S. 58. 3 Roffredi Beneventani, Libelli iuris civilis, pars IV, de actione ex conducto rubrica, Ausg. Turin 1568 (= Corpus Glossatorum Bd. VI, Turin 1968), fol. 76. 4 Azo, Summa Codicis, zu CJ 4.65, Ausg. Turin 1564 (= Corpus Glossatorum Bd. II, Turin 1966), S. 172. 5 Lectura super Digesto veteri, zu D 19.2.15.2, Ausg. Lyon 1552 (=Neudruck Bologna 1970), Bd. II, fol. 116.

§ 5 Glossatoren und Kommentatoren

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In der von Azo aufgeworfenen Frage, wie sich bei der gewöhnlichen Pacht das Gegenteil der sterilitasi die über tas, auswirkt, neigt Odofredus freilich nicht dazu, sich weiter dem Gesellschaftsrecht anzunähern. Gaius' Stellungnahme in D 19.2.25.6 ist ihm Beweis genug dafür, daß ein überdurchschnittlicher Fruchtgenuß nicht zur Erhöhung der merces taugt, und zwar unabhängig davon, ob er diligentia possessoris oder zufällig eintritt: ... Sed querit hic dominus Azo sed nunquid sicut remittitur pensio ratione sterilitatis ita ratione ubertatis debet augeri.: ... uno modo iste lege cavetur quod pensio propter sterilitatem remittitur non quod duplicetur propter ubertatem: ... si diligentia possessoris vel consuetudine rei contingat ubertas non duplicatur pensio ... 7

Zumindest Accursius verkehrt Gaius' Satz, dem colonus verbleibe das lucrum immodicum, jedoch in sein Gegenteil. Die Gl. cui zu D 19.2.25.6 erklärt immodicum als ν al de immodicum oder sogar simpliciter modicum . Für d übersteigenden Nutzen soll die Rechtsfolge der sterilitas umgedreht, die vereinbarte merces gesteigert werden: Apparet ergo quod si maximum fiierit lucrum, puta quia in duplum creverunt fructus, quod duplicari debeat merces vel servitus quod pro re praestatur:... quod si deminuti essentfructus, deminueretur merces: ... ergo si aucti fuerint, pensio debet augeri: ... probantur hic duo concurrença generalia. primum est, quia contrariorum eadem est disciplina ... secundum est, quia emolumentum debet comitali onus....

Daß dem Verpächter ein spiegelbildlicher Rechtsbehelf remissio mercedis zustehen muß, folgt für Accursius aus dem Gebot der Gleichberechtigung beider Vertragsparteien und aus dem Grundsatz, daß Chancen und Risiken einander entsprechen mtlßten. Im Ergebnis, zu dessen Formulierung sich Accursius freilich nicht durchringt, bedeutet dies, daß auch die gewöhnliche Landpacht nahezu völlig dem von Gaius nur bei der Teilpacht beobachteten ius societatis folgt. Eine dogmatische Rechtfertigung der remissio mercedis vor dem Hintergrund der Gefahrtragungsregeln wird damit ebenso unnötig wie eine Begründung dafür, daß der Verpächter nach D 19.2.15.2 nicht für Sachmängel einzustehen hat, solange sie sich im Rahmen der üblichen Beeinträchtigung der Fruchtziehung halten. Die überkommenen Anomalien der Landpacht ergeben sich ohne weiteres aus dem gesellschaftsähnlichen Charakter dieses Überlassungsverhältnisses. Accursius' Lösung ist mit den römischen Quellen jedoch nicht nur deshalb unvereinbar, weil sie eindeutig dem Wortlaut von D 19.2.25.6 widerspricht. Sie trägt auch den Kern zur rechtspolitischen Forderung nach Abschaffung der remissio mercedis in sich. Genügt das Recht auf Zinsnachlaß den Geboten 6

Lectura super Codice, zu CJ 4.65.8, Ausg. Lyon 1552 (= Neudruck Bologna 1970), Bd. I fol 258. 7 Lectura super Digesto veteri, zu D 19.2.25.6, Ausg. Lyon 1552 (=Neudruck Bologna 1970), Bd. II, fol. 118.

40 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

gleichberechtigter Teilhabe an Chancen und Risiken eines Austauschgeschäfts nur, indem man es mit einem Gegenstück anreichert und so zu einem gesellschaftsähnlichen Mechanismus ausbaut, kann man auch völlig darauf verzichten; man muß es sogar, will man im Schema des Austauschvertrags bleiben. Diese Einsicht mag dazu geführt haben, daß Accursius' Modell einer gleichmäßigen Teilhabe von Pächter und Verpächter am Fruchterfolg später nur noch dort erscheint, wo auch Rechtskritik an der remissio mercedis geübt wird.8 Als Produkt und Erklärungsmodell des positiven Rechts hat es sich schon bei Bartolus überlebt. Dieser übernimmt in seinem Digestenkommentar zwar sowohl die Zuordnung der Teilpacht zur societas 9 als auch die Ansicht der Glosse, im Gegenzug zur remissio mercedis wegen sterilitas müsse im Fall der ubertas eine Zinssteigerung stattfinden: Secundo no. quod eadem est ratio lucri et damni: et sic si multum fuerit superlucratus colonus ex casu inopinato, debet augeri pensio: ut in gl. Tertio no. quod inter colonum partiarium et dominum non est proprie locatio, sed societàs: ... Pro cuius declaratione debes scire, quod aut fundus locatur certa mercede consistente in pecunia et est proprie locatio. Aut fundus locatur ad partemfructuum: et est societas. Nam dominus ponit terra, et alius operas in quaerendisfructibus. Aut conceditur ad mercedem certam, non in pecunia, sed in vino, frumento et oleo: tunc est quidam contractus innominatus, qui aequiparatur locationi: ... 1 0

Bartolus bemüht sich sogar um ein Weiterbildung von Accursius' Lösung, indem er unter Berufung auf den Gegenfall der vilitas einer Ertragssteigerung keine zinserhöhende Wirkung beimißt, wenn sie nicht auf einer abundantia fructuum beruht, sondern lediglich wegen einer günstigen Entwicklung der Marktpreise eintritt: Vidimus ex parte conductoris, videamus quid ex parte locatoris: scilicet, si conductor multum lucratur, an pensio debeat augeri? ... Aut lucratur multum colonus ex eo quod fructus multo plus valent: et tune non augeretur pensio propter istam causam, sicut non minuitur propter vilitate: quia eadem debet esse ratio lucri, et damni. ... 1 1

Anders als die These von der gesellschaftsrechtlichen Natur der Teilpacht, die sich auch später noch großer Beliebtheit erfreuen wird, ist die Zinserhöhung als Pendant zur remissio mercedis jedoch schon zu Bartolus' Zeiten auf eine neue Grundlage gestellt und in seinem eigenen Werk bereits regelrecht überholt: Die neue Basis, welche die Konstruktion als gesellschaftsähnliches 8

S.u. § 7. Ebenso Baldus, In Digestum vetus, zu D 19.2.25.6, Ausg. Lyon 1551, Bd. Π, fol. 117, In quartum et quintum Codicis libris, zu CJ 4.65.8 n. 10, Ausg. Lyon 1551, fol. 126; ferner Albericus de Rosate, In secundam Digesti veteris partem commentarla , zu D 19.2.25 η. 2, Ausg. Venedig 1585 (=Neudruck Bologna 1977), fol. 156. 10 Bartolus, Commentarla in primam Digesti veteris partem , zu D 19.2.25.6, Ausg. Basel 1589, S. 402. 11 Bartolus (Fn. 10), zu D 19.2.25.6, S. 403. 9

§ 5 Glossatoren und Kommentatoren

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Rechtsverhältnis ablöst, ergibt sich aus einer Verknüpfung der remissio mercedis mit den Regeln über Vertragshilfe wegen laesio enormis. Daß keine gleichmäßige Vertragsanpassung zugunsten beider Kontrahenten, sondern nur eine remissio mercedis stattfinden darf, folgt dagegen aus Bartolus' eigenem Erklärungsmodell, in dem der Zinsnachlaß nicht als Durchbrechung, sondern als Konsequenz der Gefahrtragungsregeln erscheint. II. Vorbereitet wird die Verbindung von laesio enormis und remissio mercedis in den Erörterungen, welche die Glossatoren der Frage widmen, unter welchen Umständen eine sterilitas und wann eine sie ausgleichende ubertas anzunehmen ist. Zu den Voraussetzungen der sterilitas referieren sie stets zwei Auffassungen. Nach der einen kommt eine remissio mercedis nur in Betracht, wenn der Landpächter überhaupt keinen Ertrag hat. Nach der entgegengesetzten Ansicht des Johannes Bassianus richtet sich die Annahme einer sterilitas nach der opinio vulgi und tritt schon dann ein, wenn die Bauern einem Pachtjahr bescheinigen, daß es von tempus malum geprägt ist.12 Roffredus führt als Argument für die Bindung der remissio an den totalen Ernteausfall den überaus fragwürdigen Vergleich zur Bedeutung des Begriffs sterilitas bei einer mulier an: Quaeritur autem quando dicitur sterilitas. Respondent quidam quando colonus nihil exfructibus percepii. Sicut mulier dicitur sterilis que nullum filium habet ceterum si unicum filium habet non dicitur sterilis. ... Dominus autem Johannes intellegit sterilitates secundum vulgi opinionem ut quando dicunt rustici malum tempus est hoc anno. ... Eodem modo intellege de ubertate licet quidam dicant: quod tunc dicatur quando bis tantum percipitur. Et intellige de illa facilitate non consueverat semper accidere.13

Azo berichtet in seiner Summa Codicis präzise von der Auffassung, die sein Lehrer Johannes zu den Rechtsfolgen der compensatio durch ubertas entwickelt hat. Das Recht zur Nachforderung trotz vorangehender sterilitas soll sich schon begrifflich und daraus ergeben, daß mit nachfolgender ubertas auch die frühere sterilitas wegfällt, die ihretwegen gewährte remissio so zum indebitum wird:14 Quaeritur autem quando dicatur sterilitas. Et dicunt quidam tunc quando semen non est inde perceptum. ... loan, autem intellegit sterilitatem sucundum vulgi opinionem scilicet quando dicunt homines malum tempus fuisse in hoc anno propter fructus. et hoc totum exaudi in ea sterilitate, quae contingit casu fortuito: nam si contingat casu consueto, vel ex vitio, vel etiam ex debilitate rei, nulla sit remissio. ... item dicunt quidam recompensari sterilitatem quando bis tantum habuit quam solitus erat habere 12 Ebenso später Jacobus Butrigarius, In primam et secundam veteris Digesti partem, zu D 19.2.15.4 n. 2, Ausgabe Rom 1556 (=Neudruck Bologna 1978), Bd. II, fol. 263. 13 Roffredi Beneventani, Libelli iuris civilis, pars IV, De actione ex conducto rubrica, Ausg. Turin 1568 (= Corpus Glossatoren Bd. VI, Turin 1968), fol. 76. 14 Ebenso später Jacobus Butrigarius (Fn. 12), zu D 19.2.4 n. 3, fol. 263, Albericus de Rosate (Fn. 9), zu D 19.2.15.4 n. 8, fol. 155.

42 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung ... loan, vero dicit tunc quando tantum habuit in sequenti quanti compensatione facta neuter anuus dicat sterilis. ... Unde si locator per errorem huius anni remittat mercedem succurendum est ei quia per errorem remisit indebitum secus si locator sciret precedentis anni ubertate et remittendo non erravit in iure. 15 In der Lectura super Codicem bringt er hierfür noch ein Rechenbeispiel: Secundum vulgi opinionem quando dicunt homines, malum tempus fuit in hoc anno, vel in hac terra. Item dicunt recompensari sterilitatem quando bis tantum accepit quam solitus erat habere ... Quando tantum habuit in sequenti anno, ut compensatione facta neuter annus dicatur sterilis. Verbi gratia solitus erat habere quolibet anno xxx. corbes. in uno anno habuit xxv. non potest dici sterilis. in alio nihil habuit, in sequenti habuit. 1. modo recompensata est sterilitas praecedentis anni cum isto: et ideo petetur merces et huius anni et praecedentis in quo locator remiserat mercedem.16 Dessen bedient sich auch Odofredus, der freilich selbst die Gegenposition einnimmt und eine sterilitas erst annehmen will, wenn das Pachtjahr für den Pächter fruchtlos ist. Die Ertragskraft lasse sich jeweils nur gesondert für das individuelle Grundstück17 und damit nicht nach der opinio vulgi bestimmen.18 Die sterilitas setze freilich keinen völligen Ernteausfall, sondern nur voraus, daß dem Pächter nach Abzug seiner Aufwendungen nichts oder nur sehr wenig verbleibe: Io. dicit quod sterilitas dicitur secundum vulgi opinionem. Sed quando dicitur ubertas esse dixerunt antiqui quod bis tantum habuit quam solitus erat habere ut si colonus solitus erat habere de fundo conducto XX. corbes frumenti in anno habuit XL. sed Io. dixit et in hoc ei assentio quod tunc dicitur ubertas quando colonus tantum habuit in sequenti anno ut compensatione facta neuter annus dicat sterilis: et solitus erat haberi in uno anno XXX pone quod uno anno nihil habitum est: et in sequenti anno sunt habita LX. hic est ubertas. vel dicatis alio modo si placet quod tunc dicitur annus uberilis quando est vulgi opinio quod annus sit uberilis ... Sed signori contra primam quaestionem: licet do. loa. et Azo multum approbant opinionem eorum: salva auctoritatem eorum non credo earn esse veram: quia potest esse quod est malus annus generaliter et in hoc fundo est ubertas: vel non est sterilitas. ... Dicam ergo hie dicit fundi sterilitatem ad hoc ut debeat fieri remissio pensionis: si deductis sumptibus nihil vel modicum superest : ... 1 9

15 Azo, Summa Codicis, zu CJ 4.65, Ausg. Turin 1564 (= Corpus Glossatorum Bd. II, Turin 1966), S. 172. 16 Azo, Lectura super Codicem , zu CJ 4.65.8, Ausg. Paris 1577 (= Corpus Glossatorum Bd. III, Turin 1966), S. 362. 17 Daß Odofredus die Auffassung des Johannes dabei falsch wiedergibt, glaubt Maf~ fei , Caso fortuito e responsabilità contrattuale nell' età del glossatori, 1957, S. 78. 18 Ebenso später Albericus de Rosate (Fn. 9), zu D 19.2.15.4 n. 4, fol. 155. 19 Lectura super Digesto veteri, zu D 19.2.15.4, Ausg. Lyon 1552 (= Neudruck Bologna 1970), Bd. II, fol. 116; ähnlich sind die Ausführungen in: Lectura super Codice, zu CJ 4.65.8, Ausg. Lyon 1552 (= Neudruck Bologna 1970), Bd. I fol 258.

§ 5 Glossatoren und Kommentatoren

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Bemerkenswert ist die in allen Texten wiederkehrende und offenbar auf Johannes Bassianus zurückgehende Bestimmung der ubertas. Sie soll vorliegen, wenn der Pächter in einem Jahr bis quam solitus: doppelt so viel wie gewöhnlich, hat. Die Anknüpfung an den doppelten Ertrag legt für den Gegenfall der sterilitas die umgekehrte Lösung nahe, also daß eine remissio mercedis angebracht ist, wenn der Ertrag nicht die Hälfte des Üblichen erreicht. Ist der gewöhnliche Ertrag auch für die Ermittlung eines angemessenen Marktpreises ausschlaggebend, muß sterilitas zugleich laesio enormis bedeuten, also Verkürzung über die Hälfte des iustum pretium. 20 Zu dieser Lösung durchgedrungen ist allerdings erst Iacobus de Ravannis: Primo quero quando sit sterilitas. dicit glo. de hoc recurrendum est ad vulgi opinionem si dicant rustici quod sit bonum tempus et annus sterilis non est sterilitas. Si dicant quod sit charum tempus sterilitas est. ... Quidam hic reprehendunt glos. sie. Potest esse quod annus sit sterilis in ista regio et tarnen res conducta non habuit fructus. Unde dicunt ipis aut querit de sterilitate anni et verum dicit glo. quod reccurrendum est ad vulgi opinionem: non autem si querat de sterilitate rei. Nam res potest esse sterilis licet annus sit sterilis. Ego dico esse sterilitatem si non sit parta dimidia fructuum solitorum. ar. s. de rese, vendi. 1. II. sed quoque recompensatur sterilitas. Ponamus. isto anno fuit sterilitas: sequenti anno contingit ubertas quando dicetur de compensata sterilitas huius. Dicit glo. tunc dicetur recompensata quando in sequenti anno habetur tantum cuius dimidia habita utroque anno neuter annus diceretur sterilis. ... 21

Iacobus schließt sich Odofredus' Entscheidung gegen die Lösung nach der opinio vulgi nicht nur im Ergebnis an. Auch die Begründung des Glossators, ein Jahr könne im Durchschnitt schlecht, für das betroffene Grundstück dagegen gut und umgekehrt sein, scheint in den überlieferten Aussagen über das Verhältnis von annus und res durch, welche durch späteren Ausfall oder Ergänzung von non zu sterilis sinnlos geworden sind. An die Stelle der Lösung des Odofredus, der einen betriebswirtschaftlichen Totalausfall der Ernte fordert, setzt Iacobus jedoch eine eigene. Er verweist auf die Ausgangsenstscheidung zur Anfechtung wegen laesio enormis in CJ 4.44.2 und macht zur Voraussetzung für den Anspruch auf Zinsnachlaß, daß der Pächter allenfalls die Hälfte der üblichen Früchte ziehen kann. Iacobus gibt auch zu erkennen, wie er auf den Vergleich gekommen ist: Den Anstoß hat die herkömmliche Ansicht zur compensatio wegen ubertas gegeben. Diese soll eintreten, wenn die Hälfte des Ertrags im überreichen Jahr ausreichen würde, um eine sterilitas zu verneinen.

20

Daß schon die Glossatoren einen vergleichbaren Schluß gezogen und die remissio mercedis als Vertragshilfe aufgefaßt hätten, vermag ich entgegen Dilcher, Die Theorie der Leistungsstörungen bei Glossatoren, Kommentatoren und Kanonisten, 1960, S. 203 nicht zu erkennen. 21 Lectura super Codice, zu CJ 4.65.8, Ausg. Paris (fälschlich dem Petrus de Bellapertica zugeschrieben; Nachdruck Bologna 1967), fol. 209.

44 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

Der Rückschluß, daß die sterilitas drängt sich förmlich auf.

in einer Verkürzung über die Hälfte besteht,

Cinus führt die Ansicht des Iacobus noch neutral als eine unter mehreren Möglichkeiten zur Bestimmung der sterilitas auf. Er selbst neigt offenbar im Anschluß an Petrus de Bellapertica der Meinung des Johannes Bassanius zu, die erfreilich dahin präzisiert wissen will, daß sich die opinio vulgi nicht auf den Durchschnittsertrag in der Region, sondern auf das konkrete Grundstück bezieht: Circa hoc quaero, quando dicatur sterilitas? Dicunt quidam, quando non reddit semen. Alij dicunt, quando non recipit expensas, ... loan, dicit, inspiciendam esse vulgi opinionem ut scilicet iudicetur secundum morem regionis,... Iac. de Rav. dicit, quod sterilitas est, quod computato pretio deceptus est, ultra dimidiam iusti pretij ... Pet. credit opinionem loan, veriorem. Sed tunc instabit, et dices, quod periculosa est haec sententia, quia potest esse sterilitas in uno fundo tantum, sed in tota alia terra est ubertas, vel sufficiens reditus. Adverte, quia loan, sic intellegit, sterilitas reputato, si comunis opinio vulgi iudicaret sterilitatem, in ilio praedio. ... 2 2

Bartolus schließt sich Iacobus' Lösung dagegen zumindest in seinen Kodexkommentar zu CJ 4.65.8 an und spricht ausdrücklich von einer Benachteiligung über die Hälfte des iustum pretium: Quidam dicunt, inspici vulgi opinionem. Alij dicunt, quando semen non recolligitur. ... Hic dicit, iuxta bonam fidem haberi recte, etc. que est bonafides? Certe ut aliquis non decipiatur ultra dimidiam iusti pretij: infra dimidiam bona fides tolerat. ... Si ergo sunt recollecti ita modici fructus, quod solvendo pensione remanet deceptus ultra dimidiam isuti preitj, tunc debet fieri excomputatio.... 2 3

Ebenso lautet die Formel, mit der Baldus die Voraussetzungen der remissio mercedis beschreibt.24 Durch die Verknüpfung mit den Grundsätzen über die laesio enormis haben sowohl remissio mercedis als auch ihr erst im Mittelalter erfundenes Gegenstück: die Zinssteigerung wegen ubertas, eine neue Grundlage. Anders als in Accursius' Modell ist es nicht mehr das ius societatis, das zur Anpassung der merces führt, sondern die übermäßige Benachteiligung einer Vertragspartei. Die remissio mercedis ist so zum Instrument außerordentlicher Vertragshilfe mutiert. III. Läßt die Verbindung von remissio mercedis und laesio enormis im Einzelfall auch Raum für die umgekehrte Lösung: eine Zinserhöhung zugunsten des 22

Cinus de Pistoia, Lectra super codice , zu CJ 4.65.8 n. 6, Ausg. Frankfurt a.M. 1578 (=Neudruck Rom 1998), Bd. I, S. 278. 23 Bartolus, Commentarla in primam partem Codicis, zu CJ 4.65.8, Ausg. Basel 1588, S. 510. 24 In quartum et quintum Codicis libris, zu CJ 4.65.8 n. 2, 11, Ausg. Lyon 1551, fol. 126.

§ 5 Glossatoren und Kommentatoren

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Verpächters, gilt dies nicht mehr für das andere Begründungsmuster, das Bartolus eigens entwirft. In seinem Digestenkommentar wendet er sich gegen die These, die remissio mercedis sei Folge einer Verkürzung über die Hälfte. Voraussetzung einer Anfechtung wegen laesio enormis sei das irrtumsbedingte Mißverhältnis der Vertragsleistungen bei Vertragsschluß, nicht ein nachträgliches Ungleichgewicht, wie es die remissio mercedis voraussetze. Zu dem schon von Odofredus gefundenen Ergebnis, das nur der völlige Ertragsausfall zur Pachtreduktion berechtige, kommt Bartolus über einen Vergleich zum Kaufrecht. Diesen hat vor ihm schon Cinus angestellt, allerdings mit dem Ergebnis, daß Kauf und Pacht völlig unähnlich seien. Den Käufer treffe im Gegensatz zum Pächter die Gefahr des zufälligen Untergangs, weil der Kaufvertrag anders als die locatio conductio auf die Übertragung des ius rei gerichtet sei. Ratio est, ubi vendo rem, totum ius rei in te transfero, et ideo omne augmentum et periculum pertinet ad emptorem, ... Sed ubi loco fiindum vel domum, non transfertur, ..., ideo sit remissio pro rata. ... 2 5

Bartolus will dagegen die Rechtslage bei der emptio venditio zum Vorbild für die Pacht und Erklärungsmuster für die remissio mercedis machen: Sed hic tempore conductionis non fuit deceptus, sed postea causa superveniente: ergo ista opinio non est vera. Dicendum est ergo aliter: Vos scitis, quod sifructus futuri venduntur, et non nascuntur, pretium non debetur: ... Ita in proposito, ille qui conducit iundum sub certa pecunia, quodammodo videtur emere fructus: et tune si non percipiuntur, non debetur pensio. Tunc aut dicunturfructus non percepti, quando nihil superest deducta impensa ... tunc dicitur sterilitas, quia nihil percipit ... Et istud est damni intolerabile: de quo loquitur hic. ... Quaero ergo, quando debet fieri colono remissio mercedis? Respondo, quando colonus allegat fructuum sterilitate: hoc est, quod nihil superest deductis expensis: et tunc debet fieri remissio mercedis: ... Quando autem vendunturfructus futuri, tunc quid iuris sit? ... Et dubium est, quia videtur venditum ius ususfructus: et tune non pertinet periculum ad eum. Item potest intellegi, quod videatur vendita spesfructuum quod percipiunt.26

Der Verkauf künftiger Früchte führt bei deren Ausbleiben zum gleichen Ergebnis wie die remissio mercedis bei der Pacht: Kraft der Regel: nec emptio nec venditio sine re quae veneat intellegi potest? 1 scheitert die Wirksamkeit des Kaufvertrags an der fehlenden Sachexistenz. Der Käufer, der sonst ab Vertragsschluß die Gefahr eines zufälligen Untergangs der Kaufsache zu tragen hätte, ist keinem Anspruch auf Zahlung des Kaufpreises ausgesetzt. Begreift man die Landpacht gleichsam als emptio derfructus futuri , hat man so eine plausible Erklärung für die remissio mercedis gefunden, diefreilich ebenso wie die An-

25

Cinus (Fn. 22), zu CJ 4.65.8 n. 3, S. 278. Bartolus, Commentarla in primam Digesti veteris partem, zu D 19.2.25.6, Ausg. Basel 1589, S. 403. 27 D 18.1.8 Pomp 6 Sab. 26

46 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

wendung der Nichtigkeitsregel beim Kauf künftiger Sachen den völligen Untergang der res, mithin voraussetzt, daß der Landpächter nihil percepii . Die neue dogmatische Grundlage für die remissio mercedis hat Bartolus nur durch eine Neubestimmung des Leistungsumfangs des Verpächters erreicht. Statt zu uti frui licere ist dieser nun auf den Erfolg der Nutzungstätigkeit verpflichtet. Sichtbar wird dieses Ergebnis nur deshalb nicht, weil er dem conductor gleich einem emptor bis zum Totalausfall der Früchte das periculum rei zuschieben will.

§ 6 Humanismus, usus modernus, elegante Jurisprudenz Die neuzeitliche Wissenschaft zum gemeinen Recht führt Accursius' Integration der remissio mercedis in einen gesellschaftsähnlichen Rahmen nicht fort, behält aber die beiden von den Kommentatoren entwickelten Erklärungsmodelle bei. Während die nach wie vor populäre Deutung der remissio mercedis als Resultat einer laesio enormis keine Weiterbildung erfährt, gewinnt das auf Bartolus zurückgehende Verständnis des Instituts aus einer erfolgsbezogenen Verpächterpflicht erst bei Donellus seine endgültige Gestalt. I. Von der Annäherung an das ius societatis, das als konstruktiver Rahmen für die remissio mercedis schon bei den Kommentatoren ausgedient hat, bleibt in der weiteren Lehre zum gemeinen Recht nur die Zuordnung der Teilpacht zur societas übrig. An die Stelle einer klaren Entscheidimg für das Gesellschaftsrecht tritt jedoch immer mehr eine vorsichtige Positionsbestimmimg zwischen locatio conductio und societas, die schließlich einer Rückkehr zum Austauschvertrag weicht. Für Donellus ist der Teilpächter noch richtiger socius: Non idem placuit in partiario colono. Ut enim is conductor non est, sed socius: ita et societatis jure damnum et lucrum cum cornino fundi partitur. 28

Cujaz urteilt vorsichtiger und will die Teilpacht lediglich eher (potius) der societas als der locatio conductio zuweisen: Alij sunt coloni partiarij in 1. si merces §. vis maior, eod. tit. Hi non videntur proprie esse conductores; qui nummis colit est conductor. Partiarij non videntur esse conductores, id est, qui partem fructuum conferunt domino, et nihil praeterea, aliam partem pro cultura sibi reservant. Hoc genere societas contrahitur potius quam locatio.29

28 Donellus, Commentarli de jure civili, lib. XIII cap. VII § IX, Opera Omnia, Florenz 1841, Bd. III, Sp. 850. 29 Cujaz, zu CJ 4.65.8, Opera, Paris 1658, Bd. V, Sp. 429f.

§ 6 Humanismus, usus modernus, elegante Jurisprudenz

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Faber entscheidet sich bereits gegen beide Vertragsarten, sowohl gegen die locatio conductio als auch gegen die societas, und sieht den Zuständigkeitsbereich der actio praescriptis verbis eröffnet: Ergo proprie locatio esse non potest, sed potius quaedam societas inter dominum et colonum, ut quasi societatis iure et lucrum et damnum omne inte se partiantur. ... Sed nego agi posse pro socio, cum non sit vere, sed similitudinarie tantum contractus societatis, at potius contractus quidam innominatus, ex quo alia nulla quam praescriptis verbis actio nasci potest. ... 3 0 Domat hält die Teilpacht dagegen für eine societas, in die der Landpächter Samen und Arbeitsleistung, der Verpächter das Grundstück einbringe: Celui qui tient un héritage à condition de donner au propriétaire une certain portion defruits, et qui doit avoir le reste pour son droit de semence et de labourage, ne peut rien prétendre contre le maître ni pour la culture, ni pour la semence quelque perte qui puisse arriver par un cas fortuit, quand même il n'en auroit aucune récolte. Car leur bail fait entr'eux une escpece de société où le propriétaire donne le fonds, et le fermier ou colon la semence et la culture; chacun hazardant la portion que cette société lui donnoit aux fruits. 31 Anders ist die Haltung von Lauterbach. Er wendet sich zwar gegen ein weites Verständnis des Begriffs pecunia als Gegenstand der merces und führt als Beleg für seine Meinung D 19.2.25.6 an: Ubi non est pecunia, ibi non est merces, ubi non merces, ibi non locatio. ... Et quamvis Diss, dicant, ibi vocabulum pecuniae late accipi pro re fungibili, contrarium tamen probatur per 1. 25 § 6 h. t. ubi coloni partiarii solutio incidit in aliud genus contractus.32 Zugleich legt er aber Wert darauf, daß die Zuordnung der Teilpacht zur societas ihrerseits nur quasi gelingt, weil er die communio lucri als Merkmal der societas wiederum eng auslegt: Unde nec colonus partiarius, quia non pecuniam numeratam praestat locatori, verus et proprie dictus est colonus si ve conductor; sed quasi socius 1. 25 § 6 h.t. ibi: Quasi societatis, quia operas non praestat, ut communio lucri gratia fiat, et alter rem non confert tanquam in communionem lucri causa, sed partemfructuum alteri concedit ad operas compensandas.33 Auch für Voet steht die Teilpacht der societas lediglich näher als der locatio conductio:

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Faber, Rationalia in tertiam partem pandectarum, zu D 19.2.25.6, Ausg. Lyon 1663, Bd. III, S. 529. 31 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, liv. I tit. IV sect. V η. 3, Ausg. Paris 1756, Bd. I, S. 60. 32 Lauterbach, Collegium theoretico-practicum , § XXX zu D 19.2, Ausg. Tübingen 1763, S. 985f. 33 AaO, § XXXIV, S. 987.

48 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung Quod si non certa fructuum ponderatio, sed portio pro rata ejus, quod in fundo nascetur, dimida forte vel tertia, constituta fuerit, colonus partiarius dicitur, magisque conventio talis ad societatem quam conductionem accedit, dum partiarius hicce colonus quasi societatis jure et damnum et lucrum cum domino fundi partitur. ... Unde et tunc de mercedis remissione quaestio esse nequit, quippe mercede nulla vere in conventionem deducta.34

Glück betrachtet die Teilpacht dagegen schon als spezielle Form der locatio conductio. 35 Für ihre Ausnahme von dem Satz, daß die merces in Geld bestehen muß, macht er die Sonderstellung des Kolonats verantwortlich, ohne aber dessen Charakter voll zu erfassen. Außerdem findet er die bemerkenswerte historische Erklärung, daß das mangels Zuordnung zu einem anerkannten Vertragstyp einschlägige Regime der Innominatrealkontrakte wegen des hier bestehenden ius paenitentiae zumindest bei den älteren römischen Juristen zu einem instabilen Rechtszustand geführt hätte: „Warum man bey fruchttragenden Grundstücken in Rücksicht der merces oder pensio von der Regel abzuweichen sey, hat theils in einer besonderen Begünstigung des Ackerbaues, theils in der Betrachtung seinen Grund, daß es für das gemeine Recht nachtheilig gewesen wäre, wenn man das Geschäft in dem Falle, da ein Theil der Früchte, statt des Pachtgeldes, ausbedungen worden, in einen ungenannten Contract hätte übergehen lassen wollen, weil dann eines Theils gar keine Klage daraus Anfangs entstanden wäre, anderen Theils aber auch eben so, wie bey den ungenannten Contracten, ein willkührliches Zurücktreten von dem Contract hätte gestattet werden müssen, welches aber bey einem in dem gemeinen Leben so gemeinnützigen, ja nothwenigen Contract von sehr schädlichen Folgen gewesen seyn würde, , . . " 3 6

Mit der Rückführung der Teilpacht in das Gebilde der locatio conductio ist der gesellschaftsrechtliche Ansatz, der von vornherein zum Scheitern verurteilt war, für das ius commune endgültig überwunden. II. Das vorherrschende Erklärungsmodell für die remissio mercedis ergibt sich fortan aus der Verbindung mit dem Tatbestand der laesio enormis, wie sie Iacobus de Ravannis hergestellt hat. Während diese Lösung unter den französischen Humanisten zumindest Faber noch gewisse Schwierigkeiten bereitet, gilt sie anderen schon als selbstverständlich. Für Cujaz ist die remissio mercedis Billigkeitsinstrument, das allerdings kein Pendant zugunsten des Verpächters kennt: Quamvis 1. si merces §. vis maior D. locat. dicat aperte et indistincte immodicum lucrum colono non aufferi, audet tarnen Accursius contra legem ipsam adhibita 34 Voet, Commentarius ad Pandectas, zu D 19.2 n. 8, Ausg. Den Haag 1763, Bd. I, S. 669. 35 Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, 17. Theil, 2. Abtheilung, § 1049, Erlangen 1816, S. 331, 335. 36 Glück (Fn. 35), § 1049, S. 336.

§ 6 Humanismus, usus modernus, elegante Jurisprudenz

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quadam distinctione statuere äugendem esse mercedem in duplum si quo anno tanta fiierit caeli benignitas; tanta fortune dementia, ut altero tanto fructuum plus quam solebat colonus perciperet. ... diversa enim est causa ubertatis et sterilitatis, diversa locatoris et coloni. Colono consulitur si qua calamitas omnem fructum aut pene omnem tulerit, non quidem ut consequatur damnum seminis amissi quod semper ad eum pertinet. ... Verum colono consulitur data remissione mercedis pro rata, ... quia insperata ei et improvasa atque inopina illa calamitas fuit. Contra fecunditas, et ubertas tarn ei quam locatori ut optata et sperata atque provisa, cuiusfruendae gratia et is ad conductionem accessit, oblata forte magna mercede, et locator non imprudens improvidusve eius quoquefruitionem plenam illi concessit.37 Energisch wendet sich Cujaz gegen Accursius, der dem Verpächter als Gegenstück zur remissio mercedis wegen sterilitas im Fall der ubertas eine Zinserhöhung zugestehen will. Gegen diese spricht für Cujaz nicht nur ebenso wie schon für Odofredus 38 der eindeutige Wortlaut von D 19.2.25.6. Cujaz macht auch einen gravierenden Unterschied zwischen sterilitas und ubertas aus: Während diese erwünscht und erwartet sei, hoffe niemand auf sterilitas oder rechne mit ihr. Die remissio mercedis gerät so nicht nur zu einem Instrument für den einseitigen Pächterschutz. Sie ist nun auch Sanktion unvorhergesehener Änderungen der Geschäftsgrundlage. Auch Faber beruft sich bei seiner Erklärung der remissio mercedis nicht einfach auf die aequitas. Zwar wendet er im Ergebnis ebenfalls den Maßstab der laesio enormis, nämlich die Verkürzung über die Hälfte, an: Denique secutus est locator, ut nullam conductori mercedis remissionem facere teneatur, si computatione et compensatione facta conductor non reperiatur in damno ultra dimidiam nisi aliud expressum convenerit.39 Die Herleitung des Anspruchs auf Zinsnachlaß macht sich Faber jedoch dadurch schwer, daß er außer an die Regeln über die laesio enormis zugleich an Bartolus' Vergleich zur emptio venditio 40 anknüpfen will: Atqui conductor dominus non est ne quidem fructuum nisi eorum quos iam perceperit. In quibus si damnum aliquod acciderit, nemo dubitat quin conductoris ideo esse debeat, quemadmodum si in qualibet alia re contigisset, quae conductoris fuisset... Locator autem e contrario dominus est non modo fundi, sed etiam fructuum quamdiu solo cohaerent, adeqoque etiamsi percepti sint dum ne ab ipso conductore. ... Damnum igitur quod in fructibus fundi locati ante perceptionem contingit, in maiore locatoris esse debet non conductoris, si modo grande sit et intolerablibe ... In quo differt conductio ab emptione. Emptio enim titulus habilis est ad acquirendum dominium ... et quamvis non statim atque perfecta emptio est, emptor dominus fiat,

37 Cujaz, Observations et emendationes, lib. XXVI cap. XXXIII, Opera, Bd. III, Paris 1658, Sp. 798f. 38 S.o. § 5 I. 39 Faber (Fn. 30), zu D 19.2.15.5, S. 507f. 40 S.o. § 5 III.

50 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung adeoque nec subsecuta traditione nisi etiam pretium solutum sit, ... At locatio dominum transferre non solet ...Igitur damnum omne quod in fructibus fundi locati antequam percepti sint, contingit, ad locatorem solum tanquam ad dominum summo iure pertinere deberet, nisi ratio ilia aequitatis contra conductorem facere pro locatore, quod cumfructuum commodum et lucrum omne ad eum pertineat, recusare non debeat quo minus etiam damnum sentiat. Sed cum hoc tamen temperamento, ut si damnum sit intolerabile, ad locatorem respicere debeat non ad conductorem. Nam esti fundus locatus non fuisset aeque damnum omne fructuum ad locatorem pertinuisset, qui aut tanto minus aut nihil penitus ex fructibus percepisset. Quidni ergo ferat aequo animo ut inter eum et conductorem divisio damni fiat remissione facta mercedis aut in totum aut pro parte prout re exegerit? Quae ratio facit ut non eodem modo dicendum sit augendam esse ac duplandam pensionem, si duplo plus fructuum perceptum sit. ... 41

Anders als Bartolus dient Faber der Kauf nicht als Vorbild für die Lösung bei der locatio conductio, sondern als Gegenbeispiel: Statt auf den Satz: nec emptio nec venditio sine re quae veneat potest intellegi, aufzubauen, geht Fab von der Regel: periculum est emptor is, aus. Ihr soll die Pacht, die gewöhnlich keinen Eigentumsübergang bewirkt, gerade nicht unterliegen. Das dem periculum beim Kauf grundsätzlich vergleichbare Risiko der sterilitas soll vielmehr den locator als Eigentümer derfruchttragenden Sache treffen. Dieser wäre nämlich auch betroffen, hätte er das Grundstück nicht verpachtet, sondern selbst bewirtschaftet. Daraus kann Faber ohne weiteres schließen, daß eine Zinserhöhung wegen ubertas nicht in Betracht kommt. Warum aber soll die Gefahr der sterilitas den locator erst treffen, wenn das damnum intolerabile ist? Hier hilft nur der Gedanke einer Schadensteilung zwischen locator und conductor. Das von den Quellen vorgegebene Ergebnis ergibt sich denn auch für Faber anders als noch für Bartolus nicht systematisch, sondern doch bloß ratione aequitatis. Weniger Kopfzerbrechen als Faber machen sich die Vertreter des usus modernus und die eleganten Holländer: Brunnemann gilt es schlicht als herrschende Meinung, daß ausschlaggebend für die Annahme einer sterilitas und Auslöser der remissio mercedis die Verkürzung des Landpächters über die Hälfte ist : Quaeritur: Qualis sterilitas hic requiratur, ut aliquid de pensione remittatur? Et puto in eo plerosque convenire, ut si tarn pauci fructus colligantur, ut si ex iis semen et expensae detrahantur et pensio ex integra solvatur, conductor supra dimidiam sit laesus.42

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Faber (Fn. 30), zu D 19.2.25.6, S. 527f. Brunnemann, Commentarius in Codicem, zu CJ 4.65.8 n. 2, Ausg. Leipzig 1717, S. 523. 42

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Leyser setzt an die Stelle der laesio enormis als einer gesetzlichen Grundlage der remissio mercedis die Lehre von der stillschweigenden clausula rebus sie stantibus: Omni promissioni inest tacita restrictio, rebus sie stantibus ... Inest ergo eadem promissioni conductoris. ... at in locatione, quae semper fere fructibus nondum natis aut immaturis celebratur, futura messis aut collectio potissimum consideratur atque intuitu eius merces promittitur. 43

Für Voet stellt sich nur noch die - von ihm offen gelassene - Frage, ob die maßgebliche pars dimidia unter Einbeziehung der verabredeten pensio als Kosten der Fruchtziehung zu bestimmen ist oder ob die pensio aus der Rechnung herausgehalten werden soll: Quando autem sterilitas insolita dici debeat, an, cum ne dimidium quidem mercedis ultra pretium seminis ac impensarum in fruetu est; an magis, cum collatio semine, expensis, ac pensione integra, conductor supra dimidiam laesus reperitur; vix pro régula tradi potest; magisque est, ut ejus rei, tanquam injure non definitae, aestimatio judicis aequi arbitrio relinquatur. 44

III. Der Erklärung aus Billigkeit und insbesondere Cujaz' Deutung entgegengesetzt ist die Auffassung von Donellus. Sein Erklärungsmuster der remissio mercedis steht in der Tradition von Bartolus' Vergleich zum Kauf der fructus futuri , den,freilich mit anderem Ziel, auch Faber aufgreift. Donellus spricht aus, was Bartolus durch seinen Induktionsschluß aus dem Kaufrecht nur verschlüsselt sagt: Der locator hat nicht nur die Möglichkeit zur Fruchtziehung zu verschaffen, sondern die pereeptio selbst zu gestatten, also für den Erfolg der Nutzungstätigkeit einzustehen. Die remissio mercedis wird so lediglich zur gewöhnlichen Folge eines Ausfalls der Gegenleistung: Usum sequitur fructus, qui ex re pereepitur, que et ipsum conductori praestari volumus. ... Adeo autem hujus pereeptio conductori praestanda est, adeoque ut id facit, ad jus et causam locationis pertinet: ut placeat fundo locato, si quo anno sterilitas contigerit, quanvis casu sine culpa locatoris; quocumque casu id contigerit, tamen esse hie, quod locator conductori praestare debeat; nempe saltem mercedis remissionem et exonerationem.45

Daß die remissio mercedis die Gefahrtragungsregeln nicht durchbricht, sondern bestimmt, bedeutet einen wesentlichen Erkenntnisgewinn und wichtigen Schritt zum Verständnis der römischen Quellen. Gegenüber Bartolus' Vergleich zum Kauf künftiger Früchte hat die gefundene Lösung jedoch eine gravierende Schwäche, die Faber auf die aequitas und den Gedanken der laesio enormis zu43 44

Leyser, Meditationes ad Pandect as, Ausg. Leipzig 1735, Bd. IV, S. 679.

Voet, Commentarius ad Pandectas, zu D 19.2 n. 25, Ausg. Den Haag 1763, Bd. I, S. 676. 45 Donellus, Commentarii de jure civili, lib. XIII cap. VII § IX, Opera Omnia, Florenz 1841, Bd. III, S. 850.

52 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

rückwirft, von Donellus dagegen einfach mit Stillschweigen übergangen wird: Deutet man die vitia ex re ipsa , von denen in D 19.2.15.2 die Rede ist, als Folge schuldhaften Verhaltens des conductor , kann man ihre Folgen noch ohne weiteres von der Haftung des locator ausnehmen. Warum soll dieser aber, wenn er die perceptio und damit auch den Fruchterfolg zu gestatten hat, dem conductor von vornherein nicht auch für ein modicum damnum verantwortlich sein? Daß dieses nach D 19.2.25.6 den Landpächter treffen soll, ist mit Donellus' Erklärung unvereinbar. Gleichwohl wird sie in der Folgezeit, wenn auch inhaltlich modifiziert, die bestimmende Lösung ftfr das gemeine Recht. Ausgebaut ist Donellus' Lösung bei Domat. In seinen Loix civiles dans leur ordre naturel differenziert er zwischen der ein- und mehljährigen Pacht. Die unbedingte remissio mercedis bei der einjährigen Landpacht rechtfertigt Domat mit der Verpflichtung des Verpächters auf den Fruchterfolg: Si le fermier qui n'a qu'un bail d'une seule année, et à prix d'argent, ne recueille rien par un cas fortuit, ... ; il sera déchargé de payer le prix, ou le recouvrera s'il l'avoit payé. Car il est juste que dans le parti d'un bail où le bailleur s'assure un prix, le preneur s'assure un jouissance; et aussi le bail est des fruits que le fermier poura recuellir, et qu' on présuppose qu'il recueillera. ... 4 6

Die Beschränkung auf außergewöhnliche Ereignisse und Schäden soll nur bei der mehijährigen Pacht und hier deshalb gelten, weil dem Pächter auch ein übermäßiger Fruchterfolg verbleibt: Si dans un cas fortuit extraordinaire, mais seulement par la nature même du fonds et de fruits, ou par quelque événement ordinaire, il arrive quelque perte peu considérable; comme si les fruits ne sont pas d'une bonne qualité, s'il n'y en a pas en quantité, si de méchantes herbes diminuent la moisson, si des passans y ont fait quelque léger dommage; dans ces cas et autres semblables, le fermier ne peut prétendre de miniution du prix de son bail pour ces fortes de pertes légeres, quand il n'auroit à jouir qu'une selle année; car comme il devoit avoir le profit entier, quelque grand qu'il fût, il est juste qu'il souffre ces petits pertes.47

Ist so auch noch nicht die Freistellung des Verpächters von der Haftung für Mängel der Pachtsache erklärt, kann Domat mit seiner Unterscheidung nach der Laufzeit der Pachtverträge doch immerhin mittelbar Antwort auf die Frage geben, warum nur außergewöhnliche Erntehindernisse Berücksichtigung finden: Der Verpächter hat nicht für den maximal erzielbaren, sondern nur für den durchschnittlichen Ertrag des Grundstücks einzustehen. Bei der einjährigen Pacht ist dieser mangels Kompensationsmöglichkeit ohne weiteres zu gewähren. Bei der mehrjährigen Pacht stellt er sich, von außergewöhnlichen Ereignissen mit ungewöhnlichen Schadensfolgen abgesehen, automatisch dadurch ein, daß 46 Domat, Les Loix civiles dans leur ordre naturel, liv. I tit. IV sect. V η. IV, Ausg. Paris 1756, Bd. I, S. 60. 47 Domat (Fn. 47), η. V, S. 60f.

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dem Pächter zum Ausgleich für gewöhnliche Schäden auch besondere Fruchterfolge zugute kommen.48 Von den Autoren des usus modernus ist es Lauterbach, der Donellus' Lösung übernimmt: Si impedimentum non facto vel voluntate locatoris; sed casu fortuito circa rem locatam ... contigit,... tenetur locator tantum ad promissae mercedis remissionem vel praenumeratae restitutionem pro rata temporis, quo conductor fuit impeditus. ... Merces enim debetur pro usu rei percepto, ... eapropter in quantum usus rei impeditur, in tantum nec merces efficaciter debetur, ... 4 9

Als Grundlage für die Ausnahme der vitia ex ipsa re von der Haftung des locator findet Lauterbach nur die unbefriedigende Differenzierung zwischen vitia extrinseca und intrinseca ,50 ohne daß ihm aber die Verbindung mit der Verpflichtung des Verpächters auf den Fruchterfolg gelingt. Konsequent will er allerdings die remissio mercedis, die nach seiner Lösung nur Ausdruck der Gefahrtragungsregel ist, gleichfalls dem inquilinus, dem städtischen Mieter, zugute kommen lassen.51 Auch für Glück ergibt sich die remissio mercedis bei einem nicht unbedeutenden Fruchtverlust aus dem Grundsatz, daß der Verpächter für den Fruchtgenuß einzustehen habe: „ ..., allein da der Verpächter dem Pächter dafür stehen muß, daß dieser von dem Pachtgute die ihm überlassenen Früchte ziehe, wenn er verbunden seyn soll, das dafür versprochene Pachtgeld zu bezahlen, so folgt, daß ihm das Pachtgeld ganz oder zum Theil erlassen werden muß, wenn die Früchte entweder ganz zu Grunde gegangen, oder durch ungewöhnliche Unglücksfälle beträchtlich beschädigt worden sind."52

Glück äußert sich auch zum konkurrierenden Erklärungsmodell mit Hilfe der Grundsätze über die laesio enormis. Ihre Anwendung kommt für Glück schon deshalb nicht in Betracht, weil die Anfechtung wegen einer Verkürzung über die Hälfte nur ein anfängliches Ungleichgewicht zwischen den vereinbarten Leistungen, nicht den Fall sanktionieren solle, daß die Leistungen nachträglich in ein Mißverhältnis geraten: 48

Bemerkenswert, wenn auch ohne Folgen, ist, daß Domat die in D 19.2.5.3 statuierte Kulturpflicht des Landpächters an den Anfang des Abschnitts über den Landpachtvertrag stellt; vgl. Lex Loix civiles a.a.O. (Fn. 47), n. I, S. 60: Le fermier doit jouir en bon pere de famille du fonds qu ' il tient à ferme, et le tenir, conserver, et cultiver, ainsi q est convenu par le bail, ou réglé par Γ usage. ... Et le fermier ou colon doit aussi faire les culture en leurs temps, et selon l'usage. 49 Lauterbach, Collegium theoretico-practicum, § LXXVIII zu D 19.2, Ausg. Tübingen 1763, S. 1002. 50 Lauterbach (Fn. 49), § LXXXIII, S. 1004. 51 Lauterbach (Fn. 49), § XCIII, S. 1007. 52 Glück (Fn. 35), § 1056, S. 448

54 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung „ ... so wird doch eine solche Läsion vorausgesetzt, welche aus dem Contract selbst herrührt, und in einem Irrthume bey Bestimmung des Pachtgeldes ihren Grund hat. Nimmermehr aber kann diesem Rechtsmittel, auch selbst beym Kaufcontract nicht, bey dem es doch zunächst ist eingeführt worden, in dem Falle Statt gegeben werden, wenn die Läsion in einem bloßen Zufall ihren Grund hat, der sich erst nach dem geschlossenen Contract ereignet hat."53

§ 7 Die Spätscholastiker Die ersten entschiedenen Gegner hat die remissio mercedis in den spanischen Spätscholastikern. Sie akzeptieren das Recht des Pächter auf Zinsnachlaß allenfalls als Teil des positiven Rechts und sprechen ihm sowohl die Systemgerechtigkeit als auch den Anspruch ab, Ausfluß eines echten Billigkeitsgebots zu sein. Diese Haltung hat eine doppelte Wurzel: einerseits den von Bartolus angestrengten Vergleich zum Kauf, der Donellus zu der quellenfremden Lösung getrieben hat, der locator müsse dem conductor schlechthin für den Fruchterfolg einstehen, andererseits die auf Accursius zurückgehende und im gemeinen Recht versiegte Ansicht, welche die remissio mercedis in das Gesellschaftsrecht verweist. I. Molina referiert die herkömmliche Ansicht, ein Anspruch auf remissio mercedis sei an den Tatbestand der laesio enormis, nämlich an eine Verkürzung des Pächters über die Hälfte, gebunden: Secunda est, quod tunc censeatur esse sterilitas sufficiens ad remittendum de pensione pro rata eius, quod minus, quam fuerat consuetum, fuerit perceptum, quando conductor non percepii dimidiam partem fructuum qui communiter ex eo fundo percipi consueverunt. ... Tertia est, tunc censenduam esse sterilitatem sufficientem, ut remissio pensionis pro rata fiat, quando tam pauci fructus colliguntur, ut, si ex illis semen et expensae detrahantur, et ex reliquo pensio integra solvatur, conductor manebit laesus ultra dimidium iusti pretii, aut ultra dimidium pensionis in fructibus, quam solverit pro re locata. Ut si decern modii tritici sint pensio solvenda, etfructus percepti sint adeo pauci, ut, si semen, et excpensae in illis colligendis inde detrahantur, maneant minus, quam quinque tritici modii, tunc reliqui, usque ad decern sunt dimittendi de pensione solvenda si vero maneant quinque modii, aut plures, nihil remittetur: quia non censetur tanta sterilitas, ut digna sit remissione pensionis. ... 5 4 Noch ausführlicher zählt Molina jedoch im Anschluß an Vorbilder in den Schriften der mittelalterlichen Juristen55 die Fälle auf, in denen es schon nach der überkommenen Lehre zum gemeinem Recht nicht zu einer remissio

53 54 55

Glück (Fn. 35), § 1056, S. 465f. Molina, De justitia et jure, disp. 495 n. 4f., Ausg. Mainz 1659, Bd. II, Sp. 1097. Vgl. Dilcher (Fn. 20), S. 206f, 208f.

§ 7 Die Spätscholastiker

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mercedis kommt.56 Hierzu rechnet Molina nicht nurrichtigeAusnahmen von der Regel wie den Verzicht des Pächters auf einen Zinsnachlaß57 oder den Fall, in dem die Früchte bei Eintritt des maßgeblichen Ereignisses schon gezogen sind58. Er nennt vor allem Umstände, die, wenn man sich an die römischen Quellen hält, eigentlich keine äußeren Beschränkungen des Anspruchs auf remissio mercedis, sondern nur dessen immanente Grenzen sind: Daß der Pächter keine Rechte aus einer calamnitas valde consueta oder aus einer bloß culpa conductoris verursachten Mißernte herleiten kann,59 folgt schon aus der Anbindung der remissio mercedis an die vis maior. Daß die remissio mercedis weg sterilitas aufgrund einer in den Pachtzeitraum fallenden ubertas rückgängig zu machen ist,60 ergibt sich schon aus der Funktion des Zinsnachlasses als Risikobeteiligung durch den Verpächter. Daß die remissio mercedis schließlich nicht bei der Teilpacht stattfindet,61 folgt schon daraus, daß diese kraft des ihr eigenen Mechanismus von selbst für einen Zinsnachlaß sorgt. Wenn Molina alle diese Fälle dennoch als angebliche Ausnahmen von der Regel zusammenstellt, will er diese, auch soweit er sie vordergründig für das gemeine Recht hinnimmt, in Wahrheit entwerten. Die Billigkeit, die, abgesehen von Faber, allen Juristen, die an die Lehre von der laesio enormis anknüpfen, als Grund der remissio mercedis genügt, erscheint Molina nach seinem eigenen Bekunden denn auch als lediglich quaedam aequitas, also ohne innere Rechtfertigung. Als solche soll sie, ganz im Gegensatz zu einem echten Billigkeitsgebot, nur Geltung beanspruchen, soweit sie durch positives Recht festgesetzt ist: Ducor, quoniam illud in locationis contractu de remissione pensionis in eventu sterilitatis, solum ex quadam aequitate habet vim, posita iuris dispositione hac in parte: ea quippe dispositione seclusa, sane non minus fructus rei locatae periculo solius conductoris stabant absque remissione aliqua ea de causa pensionis, quam res empta stet periculo emptoris, etiam antequam tradatur, absque ulla obligatione venditori restitutendi aliquid de pretio: unde conductor cedere potest illi iuris dispositioni, suscipereque in se periculum totum eiusmodi eventuum fortuitorum, ut dicemus, iureque sancitum est, et fit quotidie: quare nefas est plus extendere iuris dispositiones de remittenda pensione, quam iure communi, et in unoquoque Regno comperiatur dispositum. Ac fortasse utilius Rei publicae esset, abrogares eas omnes leges, statuereque, ut conductores suo periculo, et commodo, suscipiant eventus fructuum, quam eiusmodi legibus tot litibus aperire ostium, quot quotidie Intendantur, cum tot sumptibus utriusque contrahentium, et tanta iudicum liberiate

56 57 58 59 60 61

Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 12 - 22, Sp. 1100 - 1107. Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 19ff., Sp. 1105ff. Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 15, Sp. 1103. Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 12f., Sp. 1 lOOff. Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 16ff. Sp. 1103ff. Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 22, Sp. 1107.

56 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung ferendi sententias pro eo, quem volunt, eligendo in tanta opinionum, ac subtilitatum, varietate, quod sibi plus placet, ut pro eo sententiam ferant, ad quem precibus, muneribus, aliisque de causis afficiuntur. ... 6 2

Für seine Ablehnung der remissio mercedis beruft sich Molina erst in zweiter Linie auf die praktischen Unzuträglichkeiten, die das Recht auf Zinsnachlaß mit sich bringt: zum einen die erhöhte Bereitschaft zur gerichtlichen Auseinandersetzung, zum anderen die Erweiterung des jrichterlichen Entscheidungsspielraums, die Willkür und Bestechung nach sich ziehe. Im Vordergrund von Molinas Argumentation steht die systematische Erwägung, mit Abschluß des Pachtvertrags habe der conductor ebenso wie der Käufer mit Perfektion des Kaufvertrags die Gefahr widriger Zufälle übernommen. Eine Befreiimg von der Pflicht zur Preiszahlung komme daher in beiden Fällen gleichermaßen nicht in Betracht. Unausgesprochen reduziert Molina so die Pflicht des locator auf die Gestattung der facultas fruendi und leugnet damit gerade den Ausgangspunkt der auf Donellus zurückgehenden Auffassung, die das Recht auf remissio mercedis gerade aus einer Verpflichtung des Verpächters auf den Fruchterfolg ableiten will.63 Daß in Molinas Haltung außerdem die alte Tendenz fortwirkt, den Zinsnachlaß ins Gesellschaftsrecht zu verweisen, zeigt die quaestio , mit der Molina seine Betrachtungen zur remissio mercedis abschließt. Sie lautet, ob der Verpächter im Gegenzug zum Anspruch des Pächters auf Zinsnachlaß auch ein Recht auf Zinssteigerung wegen ubertas hat. Seine positive Antwort kleidet Molina in eine Formulierung, die sich auf den ersten Blick wie eine Verneinung ausnimmt: Mihi placet, propter augmentumfructuum, secluso eventu fortuito explicato, aut alio simili, augendam non esse pensionem, et id aperte colligitur ex §. vis maior ... Cui suffragato haec ratio, quod quando fructuum ubertas provenit ob magnam pretium fructuum conveniunt Doctores contrariae opinionis, non esse augendam pensionem: quando autem ubertas provenit ob maximam anni ubertatem certe paulo plus valent uberes fructus tunc collecti, quam valere soleant consueti: eo quo fructuum abundantia faciat decrescere valorem eorum: non est autem aequitas, ut propter fructus, qui non plus valent conductori, quam consueti, augeatur pensio. In ilio autem alio eventu ubertatis ob casum fortuitum, certe recta ratio postulat, ut sicut propter contrarium fortuitum eventum minuenda est pensio; ita popter illum augeatur.64

Indem Molina den Grundsatz der Zinssteigerung wegen ubertas als Ausnahme, die Beständigkeit des vereinbarten Zinses dagegen als Regel darstellt, vermeidet er den offenen Widerspruch zu Gaius' Aussage in D 19.2.25.6. Diesen Text führt Molina sogar ausdrücklich als Beleg an. Beweis macht er ihm freilich nur für den ohnehin selbstverständlichen Satz, daß andere als solche Umstände,

62 63 64

Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 10, Sp. 1098f. S.o. § 6 III. Molina (Fn. 54), disp. 495 n. 23, So. 1107f.

§ 7 Die Spätscholastiker

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die eine remissio mercedis auslösen, auch nicht zu einer Zinssteigerung führen können. So ist ausgemacht, daß eine einfache Ertrags- durch Preissteigerung keine Zinserhöhung bewirken kann. Umgekehrt soll der Preisverfall, den ein vergrößertes Angebot an landwirtschaftlichen Produkten zeitigt, eine eigentlich angebrachte Zinssteigerung ausschließen oder einschränken, weil der vom Pächter geführte Betriebs trotz größeren Nutzungserfolgs keine oder nur eine verhältnismäßig geringere Ertragssteigerung erfährt. Ansonsten und damit im Grundsatz soll der Verpächter aber in gleicher Weise zu einer Zinsanhebung berechtigt sein wie der Pächter zur remissio mercedis. In Molinas Werk wird der Zusammenhang sichtbar, der zwischen dem von Accursius entworfenen gesellschaftsrechtlichen Modell und der völligen Ablehnung der remissio mercedis besteht: Begreift man den Zinsnachlaß als einseitige Begünstigung einer Vertragspartei, die ein Pendant für die andere, wenn nicht schon unabdingbar macht, so doch zumindest nahelegt, stellt man zugleich die Berechtigung des ganzen Instituts in Frage. Statt beide Vertragsparteien gleichermaßen zu einem Anspruch auf Zinsänderung zuzulassen, kann man eine solche auch von vornherein ausschließen. Molina hält dies für die de lege ferenda richtigeLösung, jenes für die richtige Umsetzung der lex lata. II. Der Zusammenhang zwischen vollständiger Ablehnung der remissio mercedis und ihrer Ergänzung durch ein Pendant zugunsten des Pächters ist auch bei Lessius erkennbar. Ebenso wie Molina verneint er aus systematischen Gründen die Möglichkeit einer remissio mercedis und bejaht die für das positive Recht aufgeworfene Frage nach einer Zinssteigerung wegen ubertas: Daß es für den Anspruch des Pächters auf Zinsnachlaß außerhalb der Autorität der römischen Quellen und der consuetudo keine Rechtfertigung gibt, folgt für Lessius wiederum aus einem Vergleich zum Kaufvertrag. Ebenso, wie hier dem Käufer die Rolle der gefahrtragenden Partei zufalle, müsse sie bei der locatio conductio dem Pächter obliegen. Daß periculum rei emptae und periculum fructuum gleichermaßen dem Kontrahenten zuzuweisen sind, der die Geldleistung erbringt, steht für Lessius anders als noch für Bartolus auch nicht deshalb in Frage, weil die Früchte erst nachträglich zur Entstehung gelangen: Locator enim agri videtur vendere colono fructus, quos ipse suo culto et diligentia poterit percipere; et locator domus, usum domus unde sicut rei emptae periculum est emptoris, ita etiam ex natura huius contractus periculum fructuum est conductoris, qui est veluti emptor illorum. Nec obstat, quod fructus susscessive nascuntur ... quia etiam id, quod susscessive sit, simul vendi potest; qua venditione facta, totum periculum est emptoris. Unde nisi lus vel consuetudo habeat ut fiat remissio, non est necessario facienda. ... 65

65 Lessius, De iustitia et iure, lib. II cap. XXIV dub. III η. 13, Ausg. Venedig 1608, S. 300.

58 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

Die Konsequenz aus dieser Einsicht formuliert Lessius in Anlehnung an Molina: Die Billigkeit, der die remissio mercedis entspringt, ist ihm eine bloße quaedam aequitas. Lessius brandmarkt sie zusätzlich, indem er sie der natura contractus als Quelle für richtige Entscheidungen gegenüberstellt: ... Hoc autem ex quadam aequitate constitutum est, ne solus conductor sit semper in periculo damnorum, locatore securo. Natura tarnen huius contractus id non postulat, 66

In der Frage, ob die remissio mercedis, einmal als Bestandteil des positiven Rechts akzeptiert, ein Gegenstück zugunsten des Verpächters haben soll, entscheidet Lessius wie Molina: Petes Secundo, Utrum si aliquo anno sit extraordinaria ubertas, locator possit pensionem augere. Resp. Posse, si ea proveniat ex caeli dementia, non autem duntaxat ex coloni industria. ... ratio est, quia si pensioni aliquid est detrahendum ob sterilitatem, etiam postulat aequitas, ut ob insolitam ubertatem aliquid ei addatur; ut sicut locator sentit onus ex sterilitate, ita etiam commodum ex ubertate reportet. Sed hoc intellegendum est, quando ratione istius ubertatis, non multum minuitur pretium; ita ut longe maiorem pecuniam tunc possit constare quam ordinarie solet. si enim ratione abundantiae pretium ita decrevit, ut magna illa fructuum copia, non multo pluris valeat, quam consueta messis, par non est pensionem augeri... . 6 7

Auch Lessius stellt die schon von Molina bekannte ökonomische Erwägung an, mit reicher Ernte falle auch der Preis für die erzielten Produkte. Ebenso wie der eigene Beitrag des Pächters zur Ertragssteigerung gilt Lessius der Preisverfall aber nur als ein Kriterium, das im Einzelfall darüber entscheiden soll, ob eine Anhebung des Zinses zugunsten des Pächters wirklich gerechtfertigt ist. Daß diese grundsätzlich möglich ist, erscheint Lessius ebenso wie schon Accursius ein eindeutiges Postulat der Billigkeit, welche commodum nur gegen onus zuweist. Will die Billigkeit nicht bloß quaedam aequitas sein, sondern aus positivem richtiges Recht machen, kann sie auf zweierlei Weise wirken: entweder durch die gleichmäßige Zulassung von locator und conductor zum Anspruch auf Zinsänderung oder durch Abschaffung der remissio mercedis.

§ 8 Die Naturrechtslehrer Unter den Vernunftrechtlern finden sich außer einer Ablehnung der remissio mercedis im Anschluß an die Haltung der Spätscholastiker auch die beiden Positionen, die im gemeinen Recht ausgeprägt sind: zum einen das Verständnis der remissio mercedis als Folge einer laesio enormis, zum anderen ihre Ableitung aus der Verpflichtung des Verpächters auf den Fruchterfolg. Für die spätscholastische Tradition steht Grotius. Für die zum gemeinen Recht entworfenen Auf66 67

Lessius (Fn. 65), dub. III n. 16, S. 300. Lessius (Fn. 65), dub. III n. 20ff, S. 301.

§ Die Naturrechtsehr

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fassungen stehen die beiden anderen großen Naturrechtslehrer Pufendorf und Christian Wolff. I. In seiner völligen Ablehnung der remissio mercedis folgt Grotius völlig der Ansicht der Spätscholastiker. Deren Leitgedanken vermag er allerdings pointierter zum Ausdruck zu bringen: Locatio et conductio, ut recte a Caio dictum est, proxima est venditioni et emptioni, eisdemque regulis consistit. Respondent enim'pretium pensioni sive mercei, et rei domini facultati utendi. Quare sicut res domino rei, ita naturaliter sterilitas, et alii casus qui usum impediunt, damno sunt conductoris: neque eo minus locator ius habebit ad pecuniam promissam, quia ipse facultatem utendi tradidit, quae eo tempore tantum valebat. Quanquam et legibus et pactis immutali id potest.68 Wiederum aufgrund des Vergleichs zum Kauf verneint Grotius eine Einstandspflicht des locator für den Fruchtziehungserfolg und sieht ihn allein zur Gewährung der facultas utendi verpflichtet. Auch wenn man diese Formel, die nur auf die Gebrauchsüberlassung und damit typischerweise auf die städtische Miete paßt, um die facultas fruendi erweitert, bleibt Grotius' Schluß aus dem Recht der emptio venditio richtig: Ist der conductor durch sterilitas oder alii casus an der Fruchtziehung gehindert, kann dies den Zinsanspruch des locator , der die facultas utendi als Pendant zum dominium rei beim Kauf eingeräumt hat, nicht berühren. II. Pufendorf stimmt im Grundsatz mit Grotius überein, erklärt dessen Lösung jedoch für jus strictum, das es gerade in Anlehnung an das römische Recht zu überwinden gelte: At vero circa illas res, quarum proventus incertus est, quales sunt agri, horti, vineae, flumina ad piscandum, et similia, uti exuberans proventus conductoris lucro, ita malignus ejusdem damno est; nec stricto jure de pensione ob sterilitatem quidnam detrahendum, praestertim cum unius anni sterilitas alterius ubertate soleat pensari. Non est enim boni patris familias ejusmodi re ad unum duntaxat annum locare, aut conducere ... Neque opponi potest heic tritum illud: cum damno alterius neminem fieri debere locupletiorem. Nam idem posset occinere locator in ubertate insigni ad agendam pensionem; qui tamen non auditur. Et quia inaequales soient esse diversorum annorum proventus, ideo locator certum quid, et mediocre mavult habere, quam ab incerta annorum ubertate dependere. Contra conductor certum vult expendere, spe lucri incerti; quae si ipsum fefellerit, sibi debet imputare. Recte tamen adhibetur heic temperamentum propositum in 1. 15. § 2 D. h. t. ubi damno locatoris esse dicitur ... Ubi adparet; temperamentum aequitatis consistere in divisione casuum, queis fructus possunt intercipi, infrequentiores et rariores. Jungatur 1. 25. § 6 D. h.t. ... Alioquin enim si ob quodvis damnum aliquid pensioni foret detrahendum, perplexarum litium magna seges esset pollulatura. Et ideo pensiones fundorum ad mediocrium annorum proventus determinantur, ne ex modico damno

68 Grotius, De jure belli ac pads, lib II cap XII § XVIII, Ausg. Amsterdam 1646 (Nachdruck New York 1995), S. 234.

60 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung coloni querelas movendi causam habeant. Quantum tarnen praecise debeat esse damnum, ob quod de pensione aliquid est remittendum, ex arbitrio boni viri, consideratis singulis rerum circumstantiis, quam ex universali aliqua régulas, rectius definietur. ... 69

Grotius' systematische Herleitung der Unmöglichkeit einer remissio mercedis erweitert Pufendorf um offene Wertungen: Ein sorgfältiger conductor lasse sich nun einmal nicht auf einen Vertrag mit einer Laufzeit von nur einem Jahr ein. Bei Verträgen mit längerer Laufzeit gleiche sich aber gewöhnlich die sterilitas des einen mit der ubertas des anderen Jahres aus. Im übrigen habe es sich der conductor selbst zuzuschreiben, wenn die spes lucri incerti unerfüllt bleibe, auf die er anders als der bescheidene locator setze, der sich mit quid certum et mediocre zufrieden gebe. Das von Accursius und den Spätscholastikern noch durchaus ernst gemeinte Recht des Verpächters auf Zinserhöhung erscheint bei Pufendorf jetzt schon als argumentum ad absurdum: Gestehe man dem Pächter einen Zinsnachlaß zu, müsse man dem Verpächter das umgekehrte Recht zustatten kommen lassen - ein Ergebnis, das nach Pufendorfs Ansicht vernünftigerweise niemand in Betracht ziehen kann. Hier wird ebenso wie in der umgekehrten Haltung der Spätscholastiker Molina und Lessius70 deutlich, daß die Ergänzung der remissio mercedis um ein veφächterfreundliches Gegenrecht auf Zinserhöhung ohne weiteres auch in die Abschaffung des Anspruchs auf Zinsnachlaß umschlagen kann. Nach seiner Unterfütterung des jus strictum mit Wertungen und einem argumentum ad absurdum überrascht Pufendorfs Kehrtwendung zum römischen Recht: Die Aufteilung der Folgen höherer Gewalt sei durch die Billigkeit geboten, die Pufendorf im Gegensatz zu den Spätscholastikern auch nicht als quaedam aequitas diffamiert. Bei einem damnum modicum scheide die Zinsanpassung nur deshalb aus, weil zur Streitvermeidung ohnehin nur ein Durchschnittsertrag für die Bemessung des Pachtzinses herangezogen werde und ansonsten eine Prozeßflut drohe. In der Lehre Samuel Pufendorfs, der mehr Mühe auf die Gründe für eine Ablehnung des Zinsnachlasses als für seine Zulassung verwendet, ist die remissio mercedis eindeutig zum Instrument einer billigen Vertragshilfe für den conductor im Einzelfall gestempelt. Ohne laesio enormis oder clausula rebus sie stantibus, welche die Wissenschaft vom gemeinen Recht mit ihr verbinden, ist die lediglich auf unspezifische aequitas gestützte remissio mercedis jedoch nicht nur außerordentlicher Rechtsbehelf, sondern auch Anomalie ohne Rechtfertigung. Immerhin grenzt Pufendorf den Wirkungsbereich seiner Erwägungen und damit auch der remissio mercedis auf Gegenstände ein, deren proventus 69 Pufendorf, De jure naturae et gentium, lib. V cap. IV § 3, Ausg. Amsterdam 1688 (Nachdruck New York 1995), S. 505f. 7 S.o. § .

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incertus ist. Mit seinen Beispielen aus der Land- und Fischereiwirtschaft trifft er außerdem den eigentlichen Anwendungsbereich der remissio mercedis im römischen Recht. III. Christian Wolff folgt der von Donellus geprägten Ansicht, die remissio mercedis sei nur Folge einer konsequenten Anwendung der für die locatio conductio allgemein und damit auch für die Gebrauchsüberlassung geltenden Gefahrtragungsregeln. In seinem lus naturae heißt es: Si casus contingat in re locata, ut per aliquod tempus eum habere nequeat usum, qui conductori concessus, aut prorsus nullum; locator pro eo tempore, quo re frui non potuit conductor, mercedem integram, aut quo ex parte saltem uti potuit, pro rata usus deficientis remitiere tenetur. Etenim locator obligatur ad praestandum usum rei conventum, nec conductor obligatur ad praestandam mercedem nisi pro usu rei praestito, de quo conventum fuit... Si pars aedium fulmine tacta comburatur; merces pro eo tempore, quo ea uti non potest conductor, pro rata hujus partis remittenda, ... 71 Daß die Pachtreduktion wegen casus, die Wolff schlicht aus der fehlenden Möglichkeit zumfrui herleitet und an der Lagerhausmiete exemplifizieren will, auch den Landpachtvertrag und die remissio mercedis im Sinne der römischen Quellen umfassen soll, ergibt sich aus der nachfolgenden Erörterung: Si res locata eum habere nequeat usum, qua mercedem adaequat; naturaliter pro rata usus deficientis merces remittenda. Etenim naturaliter spectanda aequalitas inter usum rei ac mercedem ... ; adeoque locator obligatur ad praestandum usum mercedi aequalem ... . Quodsi ergo res locata eum habere usum nequit, quae mercedem adaequat; nec conductor mercedem praestare tenetur majorem, quam quantum usus rei locatae valet. Quamobrem si res locata eum habere usum nequeat, quae mercedem adaequat, naturaliter pro rata usu deficientis merces remittenda. ... Etenim si locator re sua ipse fruitus fuisset, non majus ejusdem commodum extitisset. Nullum igitur damnum ex remissione mercedis sentit. Immo melior adhuc ejusdem, quam coloni condictio est, qui lucrum percepii nullum, sed mercede operarum contentus esse debet, quasi easdem locatori fundi locasset. Equidem non ignoro, id abire a Jure civili, quod pensionem remittendam esse minime praecipti, si vitium ex ipsa re oriatur, veluti si vineae propter vetustatem sint minus fructuosae, vel fundus sit faxosus, frigidus, salbebrosus; non tamen hoc aequitati naturali convenit, quod nullam fert laesionem. Unde nec inter Juris Romani interprétés desunt, qui statuunt, mercedem hoc etiam casu remittende esse, ... 72 Wolff spricht ausdrücklich vom colonus und sich selbst klar gegen das römische Recht aus, das dem conductor die Gefahr für vitia ex ipsa re , insbesondere bei Fehlschlägen in der Grundstücksnutzung, zuweist. Eine solche Lösung paßt, wie er anders als die Interpreten des gemeinen Rechts erkennt, nämlich nicht in

71 Jus naturae , pars IV cap. IV, § 1294, Ausg. Halle/Magdeburg 1743 (= Gesammelte Werke 1968, Bd. 20) S. 915f. 72 Wolff (Fn. 71), § 1300, S. 920.

62 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

ein Konzept, in dem die remissio mercedis nur Folge eines Ausbleibens der Gegenleistung ist, welche in der Gewährleistung des Fruchtziehungserfolgs liegt.

Angesichts dieser konsequenten Abkehr vom römischen Recht überrascht die Aussage, der colonus, dem die Ernte entgehe, verliere auch seine Arbeitskraft, die er dem locator gleichsam im Wege einer locatio conductio, allerdings ohne Gegenleistung, überlasse. Diese Erwägung, die zum eigentlichen Grund der remissio mercedis, nämlich zur obligatio colendi , vordringt, dient Wolff freilich nur zur Unterstützung seines Arguments, der Unglücksfall hätte den locator selbst getroffen, hätte er die Pachtsache nicht dem conductor überlassen. Dabei wird ausgeblendet, daß der Pächter das Ertragsrisiko, zumindest zu einem Teil, gerade durch den Abschluß der locatio conductio übernommen hat.

§ 9 Die Naturrechtsgesetzbücher Nicht so einfach wie die Zuordnung der Naturrechtslehrer fällt die Beurteilung der Naturrechtsgesetzbücher. In diesen kommt es zuweilen zu einer eigentümlichen Vermischung von Gefahrtragungsregeln und Vertragshilfe zugunsten des Pächters. I. Eindeutig einer der schon bekannten Positionen zuordnen läßt sich nur der Code Civil. Hier sind die Bestimmungen über die remissio mercedis Teil der besonderen Vorschriften über die Landpacht {règles particulières aux baux à ferme). Die einschlägigen Art. 1769 und 1770 CC unterscheiden nach dem Vorbild der Lehre Domats73 zwischen Pachtverträgen mit einer Laufzeit von einem und solchen mit einer Laufzeit von mehreren Jahren. Für diesen Fall ist eine Kompensation durch besondere Ertragskraft in anderen Pachtjahren vorgeschrieben. Waren die vorangehenden Jahre besonders ertragreich, scheidet eine remissio mercedis von vornherein aus. Ansonsten wird sie zunächst nur vorläufig und endgültig erst bei Pachtende gewährt. Völlig ausgeschlossen ist sie nach Art. 1771 CC bei der Teilpacht, die derfranzösische Gesetzgeber nicht der Gesellschaft, sondern den Pachtverträgen zurechnet: Art. 1769 Si le bail est fait pour plusieurs années, et que, pendant la durée du bail, la totalité ou la moitié d'une récolte au moins soit enlevée par des cas fortuits, le fermier peut demander une remise du prix de sa location, à moins qu'il ne soit indemnisé par les récoltes précédentes. S'il n'est pas indemnisé, l'estimation de la remise ne peut avoir lieu qu'à la fin du bail, auquel temps il se fait une compensation de toutes les années de jouissance; et cependant le juge peut provisoirement dispenser le preneur de payer une partie du prix en raison de la perte soufferte.

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S.o. § 6 III.

§ 9 Die Naturrechtsgesetzbücher

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Art. 1770 Si le bail n'est que d'une année, et que la perte soit de la totalité des fruits, ou au moins de la moitié, le preneur sera déchargé d'une partie proportionnelle du prix de la location. Il ne pourra prétendre aucune remise, si la perte est moindre de moitié. Art. 1771 Le fermier ne peut obtenir de remise, lorsque la perte des fruits arrive après qu'ils sont séparés de la terre, à moins que le bail ne donne au propriétaire une quotité de la récolte en nature, auquel cas le propriétaire doit supporter sa part de la perte, pourvu que le preneur ne fût pas en demeure de lui délivrer sa portion de récolte. Le fermier ne peut également demander une remise, lorsque la cause du dommage était existante et connue à l'époque où le bail a été passé. Bestimmend für den theoretischen Standort dieser Regelung ist das quantitative Kriterium, das über die Zulässigkeit der Pachtreduktion entscheidet: Sowohl bei der einjährigen als auch bei mehrjährigen Landpacht hängt der Zinsnachlaß davon ab, daß der Pächter zumindest die Hälfte der Ernte verloren hat. Auf diese Weise ist er über die Hälfte verkürzt. Die remissio mercedis greift also zur Abwehr einer laesio enormis ein, 74 der der fanzösiches Gesetzgeber im Kaufrecht bemerkenswerterweise nur sehr begrenzt wehrt. II. In diesem Sinne läßt sich auf den ersten Blick auch die Regelung verstehen, die das österreichische ABGB für die remissio mercedis bereithält. Sie findet sich in den Vorschriften über den Bestandsvertrag, welcher Oberbegriff für Miet- und Pachtvertrag ist und nicht die ausdrücklich dem Gesellschaftsrecht zugewiesene Teilpacht umfassen soll: § 1103. Wenn der Eigenthümer sein Gut mit der Bedingung überläßt, daß der Übernehmer die Wirtschaft betreiben, und dem Übergeber einen auf die ganze Nutzung sich beziehenden Theil, ζ. B. ein Drittheil oder die Hälfte der Früchte geben solle; so entsteht kein Pacht-, sondern ein Gesellschaftsvertrag, welcher nach den darüber aufgestellten Regeln beurtheilt wird. § 1104. Wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerordentlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder Seuche, großer Überschwemmungen, Wetterschläge, oder wegen gänzlichen Mißwachses, gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist der Bestandgeber zur Wiederherstellung nicht verpflichtet, doch ist auch kein Mieth- oder Pachtzins zu entrichten. § 1105. Wird dem Miether der Gebrauch des Miethstückes nur zum Theile entzogen, so wird ihm auch ein verhältnismäßiger Theil des Mietzinses erlassen. Dem Pächter gebührt ein Erlaß an dem Pachtzinse, wenn durch außerordentliche Zufälle die Nutzungen des nur auf ein Jahr gepachteten Gutes um mehr als die Hälfte des gewöhnlichen Ertrages gefallen sind. Der Verpächter ist so viel zu erlassen schuldig, als durch diesen Abfall an dem Pachtzinse mangelt.

74

Vgl. Ernst, SZ 105 (1988) 581.

64 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung § 1107. Wird der Gebrauch oder Genuß des Bestandstückes nicht wegen dessen Beschädigung oder sonst entstandener Unbrauchbarkeit, sondern aus einem dem Bestandnehmer zugestoßenen Hindernisse oder Unglücksfalle vereitelt, oder waren zur Zeit der Beschädigung die Früchte von dem Grunde schon abgesondert, so fällt die widrige Ereignung dem Bestandnehmer allein zur Last. Er muß den Zins doch entrichten.

Wiederum ist es das von der laesio enormis bekannte Kriterium der dimidia pars, das den Ausschlag über das Recht auf Zinsnachlaß gibt: Nach § 1105 S. 2, 3 ABGB ist der Pächter zu einem völligen oder teilweisen Erlaß des Pachtzinses berechtigt, wenn sich die Nutzungen so reduziert haben, daß sie nicht einmal die Hälfte des gewöhnlichen Ertrags ausmachen. Diese ursprünglich auch für mehrjährige Pachtverträge gedachte Bestimmung wurde in der Revision des Urentwurfs des ABGB durch die Hofkommission in Gesetzessachen zur Sondervorschrift für einjährige Pachtverträge, weil man sie nur hier für unumgänglich hielt und ansonsten ihren Mißbrauch durch die Pächter fürchtete. 75 In der Superrevision war man zudem der Ansicht, daß grundsätzlich der Pächter das Risiko der Fruchtziehung zu tragen habe, weil der von ihm eingegangene Pachtvertrag nun einmal ein pactum aleatorium sei.76 Daß mit § 1105 ABGB gleichwohl nicht die allgemeine Gefahrtragungsregel durchbrochen, die remissio mercedis vielmehr darin integriert ist, zeigt der vorangehende § 1104 ABGB. Hier ist eine Befreiung vom Miet- oder Pachtzins für den Fall angeordnet, daß infolge außerordentlicher Zufälle die in Bestand genommene Sache nicht genutzt werden kann. Ebenso wie bei dem nur für die Miete geltenden S. 1 von § 1105 ABGB liegt nahe, diese Vorschrift so zu verstehen, daß der Verpächter die Gefahr nur für die Verschaffung der Möglichkeit von Gebrauch und Fruchtziehung trägt. Deutet man sie in diesem Sinne, wäre das dem Pächter in S. 2, 3 von § 1105 AGBG gewährte Recht zur Pachtreduktion zweifellos exzeptionelles Billigkeitsinstrument. § 1104 nennt als „außerordentlichen Zufälle", die in den Gefahrenbereich des Bestandgebers fallen und nicht nur wie die Fälle des § 1107 ABGB lediglich „dem Bestandnehmer zustoßen", jedoch auch Wetterschläge und „gänzlichen Mißwachs" und damit zwei Beispielsfälle, in denen der Verpächter dem Pächter zweifellos die facultas utendi und fruendi verschafft hat. Findet unter diesen Umständen gleichwohl eine Befreiung von der Verpflichtung zur Pachtzinszahlung statt, bedeutet dies, daß der Verpächter über die Möglichkeit zur Fruchtziehung hinaus in manchen Fällen auch für den Fruchterfolg einzustehen hat.77 Daß dessen teilweiser Aus75

Vgl. Ofner, Der Ur-Entwurf und die Berathungs-Protokolle des Österreichischen Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, Wien 1889 (Neudruck 1976), Bd. II, S. 303f. 16 Ofner (Fn. 75), Bd. II, S. 570. 77 Entgegen Ernst, SZ 105 (1988) 581 läßt sich die Regelung des ABGB daher nicht ohne weiteres und gemeinsam mit der des CC als Beispiel für die Annäherung von remissio mercedis und laesio enormis anführen.

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fall Rechtsfolgen trotzdem erst ab einer Beeinträchtigung über die Hälfte zeitigen soll, läßt sich nur als Nachwirkung von Gaius' Appell an den aequus animus des Pächters in D 19.2.25.6 oder so begreifen, daß der Gesetzgeber dem Streit der Vertragsparteien über kleinere Ertragsschwankungen vorbeugen wollte. So verstanden, steht die Regelung des ABGB in der Tradition des Codex Maximilianeus. Daß die remissio mercedis hier nur Anwendungsfall der allgemeinen Gefahrtragungsregeln sein soll, ergibt sich zwar nicht aus dem Wortlaut der einschlägigen Bestimmungen, wohl aber aus den dazugehörigen Themenangaben. Auf § 4 IV 6 CMC, in dem es um die „Befugniß des Conductors in dem Gebrauche der Sache" geht, folgen zunächst der Grundsatz der Gefahrtragung und dann seine Umsetzung in casu sterilitatis: § 5 Und wenn er darin gestört oder gehindert wird Wird er in dem Gebrauche gestört oder gehindert, so sind unterschiedliche Fälle zu beobachten. Nämlich Imo Wenn der Locator hierin Hindemiß macht, ohne daß er von dem Conductor billigen Anlaß dazu hat, so ersetzt jener allen Schaden und Entgang, er mag gleich mehr oder weniger als der Lohn- oder Stift-Pfenning betragen. Kommt aber 2do die Hindemiß nicht vom Locator, sondern von einem sich an der Sache selbst ergebenden Unglücks-Falle, oder von einem Dritten her, ohne daß der Locator ein so anderes zu verhüten vermocht hat, ... so läßt er dem Conductor den Zins- oder Stift-Pfenning ganz oder zum Theile à Proportion nach, und ist zu einer weiteren Schadloshaltung oder Gewährschaft hierum nicht verbunden. Nimmt endlich 3tio die Hindemiß ihren Ursprung von dem Conductor selbst oder ohne sein Verschulden, ..., so kann er weder Nachlaß noch Schadloshaltung fordern, welche Beschaffenheit es 4to um so mehr im obigen zweyten Falle hat, wenn er den Casum fortuitum selbst veranlaßt, oder per Pactum auf sich genommen, oder wenigst leicht voraus zu sehen gehabt hat. § 6 Sonderbar in Casu Sterilitatis Um wegen erlittenen Schauers, Mißwachses und anderer dergleichen an den Früchten der in Bestand genommenen Sache zugestossenen Schäden und UnglücksFälle einen Nachlaß an dem Stift- oder Bestand-Gelde mit Fug begehren zu können, werden folgende Stücke erfordert: Imo Muß es ein sehr großer und erweislicher Schade sein, welcher 2do nicht aus innerlichem Mangel des Bestands-Gutes selbst, sondern 3tio von äußerlichen unversehenen und ungewöhnlichen Zufällen hergerühret, sich auch 4to an den noch nicht eingebrachten Früchten, und zwar 5to ohne sein (des Conductors) Verschulden oder Veranlassen ergeben hat, annebens 6to weder durch die vorgehende Fruchtbarkeit der Jahre wiederum ersetzt, noch 7mo in dem Contraete vorläufig von ihm übernommen, oder etwa hernach renunciert darauf worden ist. Ebenso wie die spätere Lösimg des ABGB ist aber auch diese Regelung, so sehr sie auf eine Integration der remissio mercedis in die Gefahrtragungsregeln gerichtet zu sein scheint, nicht frei von der Vorstellung, daß im Fall der sterilitas Billigkeit gegenüber dem Schuldner geübt werde. In seinem Kommentar zu § 6 CMC wendet sich Kreittmayr zwar ausdrücklich gegen das Kriterium der dimidia pars:

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2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

„Erstens muß der Schade nicht nur bewiesen, sondern auch sehr groß und Conductori unerträglich seyn ... welches zwar einige daraus ermessen wollen, wann Conductor nicht einmal die Helfte des Pachtgeldes aus den eingehobenen Früchten erlangt. ... allein es kommt nicht soviel darauf als auch die übrige Umständ des Conductoris und Locatoris, mithin lediglich ad aequitatem et abritrium Judicis an."78 Nicht die Zuweisung zum arbitrium, wohl aber der Hinweis auf die aequitas iudicis offenbart jedoch, daß die remissio mercedis auch von Kreittmayr nicht als einfache Umsetzung der Gefahrtragungsregel, sondern zumindest auch als Ausdruck einer damit nicht völlig übereinstimmenden Billigkeit empfunden wird. III. Noch schwieriger als ABGB und CMC ist die Regelung des Preußischen Allgemeinen Landrechts zu qualifizieren. Allgemeine Gefahrtragungsregeln und Billigkeitslösungen sind hier untrennbar miteinander verwoben. Die räumliche Trennung der „Bestimmungen wegen Entrichtung und Erlassung des Pacht- und Miethzinses" (§§ 297-308 I 21 ALR) und der über die „Remissionsforderung" bei der Verpachtung von Landgütern (§§ 478 - 596 121 ALR) täuscht eine Unterscheidung zwischen Gefahrtragung und remissio mercedis vor, wie sie in Wahrheit nicht durchgeführt ist. Schon die allgemeinen Vorschriften, in denen die Teilpacht grundsätzlich dem Pachtvertrag, die Verteilung der Früchte aber dem Gesellschaftsrecht zugeschlagen wird,79 enthalten eine Reminiszens an Gaius' Darstellung in D 19.2.25.6. Diese wirkt auch in den allgemeinen Bestimmungen über „Entrichtung und Erlassung des Pacht- und Miethzinses" nach: Gemäß § 299 und § 307 I 21 ALR befreit eine Störung in Gebrauch oder Fruchtgenuß den Mieter oder Pächter nur dann vom Pachtzinsanspruch, wenn sie schwerwiegend, nämlich zeitlich erheblich, ist: § 299. Ist der Miether eines Gebäudes durch höhere Gewalt, oder durch einen nicht in seiner Person sich ereignenden Zufall auf längere Zeit, als Einen Monath, des Gebrauchs desselben ganz oder zum Theil entsetzt worden: so kann er von dem Vermiether verhältnismäßigen Erlaß am Zinse fordern § 307. Ist der Pächter eines Landguts durch einen solchen §. 299. beschriebenen Zufall, zur Ausübung seines Nutzungsrechts, auf Ein oder mehrere Jahre, völlig außer Stand gesetzt worden: so kann ihm für diese Zeit kein Pachtzins abgefordert werden. Für die Einrichtung einer Schwelle, welche die Nutzungsbeeinträchtigung überschreiten muß, um zinsmindernd zu wirken, kann es ohne Bindung an die römischen Quellen nur das zweifelhafte Motiv geben, Rechtsstreitigkeiten über Minimalforderungen zu vermeiden. 78

Kreittmayr, Anmerkungen über den Codicem Maximilianeum Bavaricum Civilem, Ausg. München 1765, S. 1548. 79 §§ 265, 266 121. Daß die Teilpacht eine primitive und in Preußen ungebräuchliche Art des Pachtvertrags sei, meint Dernburg, Lehrbuch des Preußischen Privatrechts, § 166, 5. Aufl., Halle 1897, Bd. II, S. 453.

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Die umfangreichen Bestimmungen über die „Remissionsforderungen" bei „Pachtungen der Landgüter" beginnen mit den Vorschriften über die Generalremission (§§ 478 - 499 121). Anders als die anschließend beschriebene „Partialremission bei Mißwachs" (§§ 500 - 511) erfolgt sie, wenn der Pächter in einem Pachtjahr nicht nur in einer „Rubrik", sondern „durch alle Rubriken zusammen genommen" einen erheblichen Ausfall erleidet. Dieser berechtigt zur Pachtreduktion, wenn und insoweit der Ertrag nach Abzug der Ausgaben hinter dem Pachtzins zurückbleibt: § 485. Der Pächter kann also nur in so fem Remission foerdem, als er nachzuweisen vermag, daß das Gut, in dem laufenden Wirthschaftsjahre, durch alle Rubriken zusammen genommen, nach Abzug der Ausgaben nicht so viel, als der Pachtzins ausmacht, getragen habe. § 486. Das, was solchergestalt an dem Pachtzinse fehlt, ist der Verpächter zu erlassen verbunden.

Daß mit den Remissions- nicht lediglich Gefahrtragungsregeln zur Anwendung gebracht werden, verdeutlichen außer dem Mangel einer Regelung über den Ausgleich mit fetten Jahren auch die Bestimmungen über die vom Pächter aufzustellende ,,Administrationsrechnung". Nach § 496 I 21 ALR sind darin nicht die Forderungen gegen Abnehmer der hergestellten Produkte auszuweisen, falls die jeweiligen Schuldner erkennbar zahlungsunfähig, die Ansprüche damit offensichtlich unrealisierbar sind: § 495. Dagegen sind alle fixirte Zinsen und Hebungen des laufenden Wirthschaftsjahres dem Pächter in Einnahme zu stellen, wenn sie auch noch nicht wirklich eingekommen sind;... § 496. Ein Gleiches gilt von andern ausstehenden Resten für verkaufte Wirthschaftserzeugnisse aller Art; in so fem dieselben, wegen Unvermögens der Schuldner, nicht für offenbar verloren zu achten sind.

Ist der Verpächter so am Insolvenzrisiko der Vertragspartner des Pächters beteiligt, liegt dies offensichtlich jenseits der Verpflichtung, dem Pächter die ungehinderte Benutzung der Pachtsache zu gewähren, wie sie § 418 I 21 ALR als Grundregel statuiert. Die remissio mercedis kann so nur Durchbrechung des Prinzips und Ausfluß eines Billigkeitsgebots sein. Völlig anderer Natur als die Anordnung einer Überwälzung des Insolvenzrisikos ist aber eine Bestimmung über die Pachtreduktion wegen Viehsterben bei isolierter Viehpacht, die auch zum Abschnitt über die Remissionsforderung gehört: § 514. Hat jemand das Vieh auf einem Gute allein gepachtet, und geht dasselbe ganz oder zum Theil durch einen Unglücksfall, welchen der Verpächter vertreten muß, verloren ... : so muß ihm der Zins davon nach Verhältniß der Zeit, und nach dem Gutachten vereideter Sachverständigen, erlassen werden.

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Die angeordnete Rechtsfolge ergibt sich ohne weiteres aus der Pflicht zur Nutzungsüberlassung, und zwar völlig unabhängig davon, wie weit man diese faßt. Das gleiche müßte eigentlich für den Fall gelten, in dem Fische in einem verpachteten Fischteich sterben. Die einschlägige Bestimmung macht eine remissio des Pachtzinses jedoch von einem Verlust über die Hälfte abhängig: § 531. Wer einen Fischteich besonders gepachtet hat, kann nur in so fem Remission fordern, als der durch Ueberschwemmung oder anderen Unglücksfall entstandene Verlust die Hälfte des Besatzes übersteigt.

Die am Schluß des Abschnitts über den Zinsnachlaß stehenden Bestimmungen über die „Remissionsforderung bey Kriegsschaden" (§§ 553 - 596 1 21) sind nach Ansicht von Suarez schließlich nur Ausführungen des Prinzips der clausula rebus sie stantibus, 80 also billiger Ausgleich bei Wegfall der Geschäftsgrundlage. Bei dieser unübersichtlichen Struktur der Regeln über die remissio mercedis verwundert nicht, daß die Interpreten des ALR ihre Rechtsnatur unterschiedlich beurteilen. Für Bornemann sind die gesetzlichen Bestimmungen über die Remissionsforderungen nur Anwendung des im römischen Rechts geltenden Prinzips, daß der Verpächter den Fruchtgenuß, und zwar nicht nur als Möglichkeit, sondern als Erfolg, zu gewährleisten habe. Die Regelung des ALR weiche hiervon nur insofern ab, als zuweilen die Verwirklichung von bonum et aequum im Vordergrund stehe und eine „eigenthümliche Gestaltung" bewirke: „Die Lehre von der Remission des Pachtgeldes beruht nach römischem Recht auf folgenden Grundsätzen: Der Verpächter muß dem Pächter gewähren, ut eifrui lice at, daß er mithin die Früchte pereipire, oder mit anderen Worten, daß er deren Eigenthum erwerbe; denn erst durch die Perception wird der Verpächter Eigenthümer der Früchte. Für diesen Fruchtgenuß entrichtet der Pächter das Pachtgeld. Wenn nun durch einen ungewöhnlichen, unabwendbaren Unglücksfall der bedungene Fruchtgenuß nicht gewährt werden kann, so hat der Pächter einen verhältnismäßigen Abzug vom Pachtgelde. ..." 8 1 „ ... so folgt aus Allem, daß die Theorie unserer Gesetzgebung im Ganzen mit der des römischen Rechts übereinstimmt, und daß sie auch nicht bloß auf einer gewissen Billigkeit beruht, sondern in der Tat dem, was die Natur des Geschäfts und die Absicht der Kontrahenten mit sich bringt, entspricht. So wie nach römischem Recht der Erlaß dafür stattfindet, daß dem Pächter nicht der verabredete Fruchtgenuß gewährt werden kann, so ist auch nach dem allgemeinen Landrechte nur in demselben nicht prästirten Fruchtgenuß der Grund der Remission zu suchen. ... Die Grundsätze des römischen Rechts sind nur erweitert und theilweise, namentlich in so fern modificirt, als der Gesichtspunkt einer eigentlichen Gewährleistung nicht weiter

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Vgl. das Zitat aus den amtlichen Schlußvorträgen bei Koch, ALR, Bd. I., 2. Aufl., Berlin 1853, S. 1018, N. 88 zu § 553. 81 Bornemann, Systematische Darstellung des Preußischen Civilrechts, Bd. IV, § 292, 2. Aufl., Berlin 1844, S. 345.

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festgehalten ist, und dabei ist freilich vielfach auf das aequum et bonum gesehen, wodurch die Lehre eine eigentümliche Gestaltung erhalten hat."82

Auch für Koch beruht die remissio nach ALR auf der in diesem Fall angeblich auch im römischen Recht wirksamen Gefahrtragungsregel, wonach bei Ausfall der eigenen Leistung kein Anspruch auf die Gegenleistung besteht: „Vielmehr beruht die Remission ganz von selbst auf dem bei fortdauernden wechselseitigen Vertragsverhältnissen nach römischem Recht geltenden Grundsatze, daß die Gegenleistung wegfällt, wenn nicht tagtäglich vorgeleistet wird. Hindert den Pächter Zufall an der Nutzung, so kann der Verpächter nichts fordern, weil er nicht vorgeleistet hat. Damit ist auch der Maßstab für partielle Remissionen gegeben."83

Die von § 496 I 21 ALR angeordnete Berücksichtigung einer Insolvenz der Vertragspartner des Pächters muß Koch folglich als Ausnahmebestimmung erscheinen, für die er keinen Anlaß erkennen kann.84 Schon anderer Ansicht über die Natur der remissio mercedis ist Dernburg. Er unterscheidet bereits für das römische Vorbild zwischen einem auf die Gefahrtragungsregel zurückgehenden Kern und einer Ausdehnung aus Gründen der Billigkeit. Nicht gegen diese selbst, aber immerhin gegen ihren Mißbrauch durch schikanöse Pächter wehre sich das preußische Recht gerade durch die detaillierte Regelung der Remissionsvoraussetzungen: „Diese Remissionsforderung hatte ihre juristische Rechtfertigung darin, daß der Verpächter die Gefahr trägt, sie erschien aber auch als Forderung der Billigkeit. Gemeinrechtlich gab man ihr meist weitere Ausdehnung und legte ihr Rücksichten lediglich der Billigkeit unter. Dies gab den Pächtern häufig Veranlassung, chikanöserweise durch Berufung auf einzelne Unfälle, an denen es nicht leicht ganz fehlen wird, die Zahlung des Pachtzinses in Frage zu stellen. Dem suchte das preußische Recht entgegenzutreten. ,.." 8 5

Konkreter ist der von Dernburg erkannte Unterschied bei Förster/Eccius bestimmt: Die Grenze zwischen Gefahrtragung und Billigkeit ist hier durch eine klare Inhaltsbestimmung der Pflichten des Verpächters gezogen. Dieser habe eigentlich nur die Gelegenheit zum Fruchtbezug, nicht auch den Nutzungserfolg zu verschaffen. Eine weitergehende Ausnahme von der Zinspflicht sei nur aus Billigkeitsgründen durch positives Recht gemacht und ohne juristische Grundlage: 82

Bornemann (Fn. 81), § 292, S. 348. Die Beurteilung der Vorschriften über den Kriegsschaden folgt allerdings der Vorgabe Suarez', vgl. § 293 (S. 352): „Der leitende Grundsatz des §§. 554ff. ist in der Klausel rebus sie stantibus zu suchen, und es wird daher in Fällen der genannten und anderer Art darauf ankommen, ob der ausgebrochene Krieg eine solche Veränderung der Umstände herbeigeführt hat, unter welcher die Parteien den Kontrakt nicht würden abgeschlossen haben." 83 Koch (Fn. 80), S. 1007, N. 54 zu § 478. 84 Koch (Fn. 80), S. 1010, N. 62 zu § 496. 85 Dernburg (Fn. 79), § 170, S. 467f.

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2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung „Zweierlei ist zu trennen: die Gefahr, die die Sache trifft, nimmt dem Pächter die Möglichkeit des Fruchtgenusses, sie nimmt ihm auch das Recht zum Fruchtgenuß, soweit und weil der Untergang der Sache das an ihr zustehende Recht vernichtet. Diese Gefahr trägt der Verpächter, d.h. er verliert wegen fehlender Vorleistung die ihm zustehende Nachleistung, ... Auch verschuldet ihm der Verpächter nicht den Fruchtbezug, denn seine Verpflichtung besteht nur in dem praestare fruì licere . Wenn dennoch das positive Recht den Verpächter in die Mitleidenschaft der Gefahr zieht, daß ein Fruchtbezug ausbleibt, obwohl er dem Pächter das Recht und die Möglichkeit der Nutzung vertragsgemäß gewährt hat, und wenn es ihm ansinnt, in solchem Falle einen Nachlaß am Zins zu erleiden, so mag sich dafür Billigkeit gelten machen lassen. Weil der Pächter nicht bloß die Früchte eingebüßt, sondern auch seine Arbeit verloren und der Verpächter nicht bloß den Zins als Aequivalent der Früchte gewinnt, sondern ihn auch ohne Arbeit erhält - einen juristischen Rechtfertigungsgrund giebt es dafür nicht."86

Den Gegensatz zwischen Gefahrtragung und Remission beschreiben Förster/Eccius pointiert als den zwischen einer Verpflichtung auf die Möglichkeit und einer Verpflichtung auf die Wirklichkeit des Fruchtbezugs.87 In der Vermengung beider folge das ALR dem gemeinen Recht. Die Vorschriften des ALR über die Remission gäben sich aber eindeutig als positivrechtlicher Eingriff zugunsten des Pächters zu erkennen: „... das A.L.R. ist ein Kind des gemeinen Rechts. Seine Bestimmungen, die viel zu sehr in kasuistisches Detail sich verlieren, werfen verschiedenartiges durch einander. Als Begriff muß festgehalten werden: der Remissionsanspruch ist der durch Gesetz dem Pächter eines Landguts ausnahmsweise verliehene Anspruch auf gänzlichen oder theilweisen Nachlaß am Pachtzins, wenn im laufenden Wirtschaftsjahr der Fruchtbezug durch außerordentliche äußere Zufälle dergestalt vereitelt worden, daß durch alle Wirthschaftrsrubriken zusammengenommen, nach Abzug der Ausgaben nicht soviel übrig bleibt als der Zins beträgt. Daß hier das Gesetz, also ein positiver Rechtssatz die Gefahr, die der Pächter eigentlich zu tragen hat, ihm theilweise abnimmt, darauf deuten die Schlußworte des § 561 hin: „Der Pächter kann dafür (für Beschädigung der Früchte) nur in den durch das Gesetz bestimmten Fällen Vergütigung fordern." " 8 8 Daß es diesem gesetzlichen Eingriff zugunsten des Pächters an einer inneren Rechtfertigung fehlt, ist auch das Fazit von Jacobis 1856 erschienener Monographie über die „Remission des Pachtzinses nach römischem und preußischem Rechte". Jacobi attestiert dem ALR zwar einen mißverständlichen Sprachgebrauch, sieht im wesentlichen jedoch eine strikte Unterscheidung zwischen Gewährleistung und Zinsnachlaß durchgeführt. 89 Rechtsgrund der Remission nach

86

Förster/Eccius, Theorie und Praxis des heutigen gemeinen preußischen Privatrechts, 4. Aufl., Bd. II, Berlin 1882, S. 266. 87 Förster/Eccius (Fn. 86), S. 267. 88 Förster/Eccius (Fn. 86), S. 269f. 89 S. 78ff.

§ 10 Die Pandektistik und das BGB von 1900

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preußischem Recht könnten nur aequitas und bonafides sein,90 deren Anrufung nach Jacobis Ansicht jedoch nicht hinreicht: „Es ist aber der Frage Raum gegeben, ob denn wirklich aequitas und bonafides der Remission das Wort reden? Darüber ist mannichfach hin und her disputiert, meist hat man sich aber mit allgemeinen Redensarten ... begnügt. Dieselben sind unzulänglich, weil sie erst der Anwendung auf die concreten vorliegenden Verhältnisse bedürften, und weil sie sich eben so gut nach der andern Seite wenden lassen. ... Allerdings gehen durch den Pachtvertrag beide Theile ein gewisses Risiko ein, da sich der Fruchtgenuß im Voraus nicht bestimmen läßt. Aber das den locator treffende Risiko findet seine vollständige Berücksichtigung bereits bei Abmessung des Pachtzinses. Weil er dadurch auf einen möglichen größeren Genuß verzichtet ... , kann er auch mit Billigkeit verlangen, daß ihm die geringere aber bestimmte Revenue verbleibe. Auf Seiten des Pächters bleibt dann allerdings für die Zukunft die größere alea, und ihn treffen die Wechselfälle der Pachtjahre, aber das hat er ja selbst gewollt und freiwillig übernommen, auch ex statu naturali folgt die Pflicht der Erfüllung contractlicher Verbindlichkeiten."91

Die Lehre zum preußischen Recht gelangt so schließlich zu dem Ergebnis, zu dem vorher schon die Spätscholastiker92 gekommen sind: Die remissio mercedis ist ein Instrument willkürlicher Billigkeit ohne Verbindung zur Natur des betroffenen Vertrags und lediglich insoweit hinzunehmen, als sie schon durch das positive Recht vorgeschrieben ist. Wird dabei auch der eigentliche Grund der remissio mercedis verkannt, ist die Dogmatik des preußischen Rechts wegen der klaren Unterscheidung zur gewöhnlichen Gefahrtragung im Austauschvertrag der zeitgenössischen gemeinrechtlichen Lehre doch weit voraus. Gerade die Undurchsichtigkeit der gesetzlichen Regelung im ALR mag hier den Blick dafür geschärft haben, daß sich die remissio mercedis nicht einfach dadurch in die Lehre von der Gefahrtragung integrieren läßt, daß man den Verpächter generell auf die Verschaffung des Nutzungserfolgs verpflichtet.

§ 10 Die Pandektistik und das BGB von 1900 Als Konsequenz aus der hochentwickelten Dogmatik zum preußischen ALR kann sich die Forderung nach Abschaffung der remissio mercedis bei Entstehung des BGB vor allem deshalb durchsetzen, weil die Pandektenwissenschaft nicht über die Lehre Donellus' hinausgelangt ist: I. Sofern die Rechtnatur der remissio mercedis bei den pandektistischen Autoren überhaupt erscheint, wird sie, Donellus und einer im usus modernus verbreiteten Ansicht folgend,93 aus den allgemeinen Gefahrtragungsregeln und da90 91 92 93

S. 83. S. 121ff. S.o. § 7. S.o. § 6 III.

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2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

mit im Ergebnis aus der Verpflichtung des Verpächters auf den Fruchterfolg abgeleitet. Auf eine Ausführung dieses Zusammenhangs verzichtet man gewöhnlich. Zum Thema wird er noch nicht einmal in Seils ausführlichem Aufsatz aus dem Jahre 183794, der für die pandektistische Haltung charakteristisch ist. Seil wehrt sich zwar dagegen, die Pachtreduktion als außerordentliche Vertragshilfe wegen laesio ultra dimidium zu verstehen,95 und erklärt sie zum Ausfluß des Grundsatzes, daß „in dem Verhältniß, in welchem die Leistung nicht prästirt wird, auch die Gegenleistung nicht gefordert werden kann"96. Zur Begründung dient außer dem Satz: casum sentit dominus, aber nur die unspezifische Erwägung, der Pachtvertrag sei insgesamt auf den Früchtebezug ausgerichtet: „ ... denn 1) wird der Verpächter, als dominus fundi, durch das Keimen des Saamens, das Wurzelschlagen der Pflanze, das Wachsen der Frucht, Eigentümer der mit seiner Hauptsache verbundenen Nebensache und muß darum schon nach dem Grundsatze: casum sentit dominus, den Zufall tragen; dann spricht aber auch vorzüglich 2) dafür die ganze Natur des Mieth- und Pachtvertrags. Der Vermiether ist bei dem Miethcontract verpflichtet, den gehörigen Gebrauch der Sache während der ganzen Dauer der Miethe zu prästiren; der Verpächter muß den gehörigen Gebrauch des verpachteten Gegenstandes leisten, und zwar so, daß der Pächter die Früchte der gepachteten Sache ziehen kann, weil auf den Früchtebezug der ganze Contract gerichtet ist." 97

Die in D 19.2.15.4 angeordnete Kompensation mit dem Ertrag überreicher Jahre ist mit dieser Lösung, auch wenn Seil dies nicht ausspricht, vielleicht noch dadurch vereinbar, daß man den Verpächter nicht auf den jeweiligen, sondern auf den gewöhnlichen Ertrag der Pachtsache für verpflichtet hält. Scheitern muß Seils Konzept aber an der Beschränkung der remissio mercedis auf den Fall eines immodicum damnum . Hier kann er nur auf die bonafides verweisen, die einen Rechtsstreit über Kleinigkeiten verbiete: „Es entspricht darum den freieren Grundsätzen des jus gentium, woraus die locatio conductio hervorgegangen ist, daß das Gesetz hier zu große Weitläufigkeiten und so viele Gelegenheiten zu ärgerlichen, sehr oft kleinlichen Rechtsstreitigkeiten kurz abschneidet; ,.." 9 8

Trotz dieser offenkundigen Argumentationsschwäche spiegelt Seils Aufsatz gleichwohl die zu seiner Zeit und später herrschende Auffassung in der Pandektenwissenschaft wieder. Für Göschen99 bedeutet der Ertragsausfall durch außer94

,Ueber die remissio mercedis bei dem Pachtvertrage wegen zufälliger Verhinderung des Früchtebezugs*, AcP 20 (1837) 188 - 247. 95 Seil, AcP 20 (1837) 229. 96 Seil, AcP 20 (1837) 189. 97 Seil, AcP 20 (1837) 190. 98 Seil, AcP 20 (1837) 194f. 99 Vorlesungen über das gemeine Zivilrecht, Bd. II, 2. Abteilung, 1839, § 510, S. 379.

§ 10 Die Pandektistik und das BGB von 1900

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gewöhnliche Unglücksfälle, daß der Verpächter, der zur Gewährung von Früchten nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge verpflichtet ist, nicht res habilis geleistet habe. Dies ist auch die Auffassung von Vangerow100, der keinen Fall der laesio enormis erkennen will, und Brinz 101, der D 19.2.15.2 nur als Ausdruck der allgemeinen Regel wertet, der locator verliere mit der Unbrauchbarkeit der Pachtsache wegen casus den Zinsanspruch. Ohne eindeutige Stellungnahme zur Rechtsnatur der remissio mercedis kommen dagegen die Pandektenlehrbücher von Puchta102, Arndts103, Dernburg104 und Windscheid105 aus. Hier ist die remissio mercedis allenfalls als Besonderheit des Pacht- und insbesondere des Landpachtrechts gekennzeichnet, ohne daß ihr Standort im System dargestellt würde. Unausgereift, wie sie geblieben ist, hat die herrschende Ansicht in der gemeinrechtlichen Lehre ihrer Kritik nur wenig entgegenzusetzen. Jacobi stützt seine rechtspolitische Forderung nach Abschaffung der remissio mercedis nicht nur auf eine Untersuchung des preußischen, sondern auch auf eine intensive Analyse der gemeinrechtlichen Doktrin und Quellen. Ebenso wie Dernburg und Förster/Eccius106 konstatiert er eine identische Struktur beider Rechte. Das Recht auf Zinsnachlaß erscheint ihm auch im römischen Recht klar vom Regime der Leistungsstörung getrennt. Die Gefahrtragungsregeln seien einschlägig, wenn das vom Verpächter allein zu verstattende jus fruendi beeinträchtigt sei. Die remissio mercedis folge dagegen aus Störungen seiner Ausübung, die nicht mehr in den Kreis der vom Verpächter geschuldeten Leistungen falle: „..., das Recht muß von dessen Ausübung getrennt werden; - die Grundsätze über Gewährleistung führen keineswegs zur Notwendigkeit der Remission. Der locator hat allerdings das frui licere zu prästiren, der Nachdruck liegt aber nicht sowohl auf dem frui, als dem licere , und noch weniger kann man letzteres willkürlich weglassen. Das Recht des conductor besteht nicht in dem reellen Fruchtbezug, sondern in dem jus fruendi; für dieses, nicht in recompensationem fruitionis fructuum wird die merces gezahlt."107

100

S. 449. 101

102

Fn. i.

103

Lehrbuch der Pandecten, § 641 Anm. 1.3, 7. Aufl., Marburg/Leipzig 1869, Bd. III, Pandekten, § 331, Ausg. Erlangen, 1882, Bd. II, S. 756f. Fn. 24, 28. Pandekten, § 366, 2. Aufl., Leipzig 1849, Bd. II, S. 216, 12. Aufl., 1877, S. 541,

Pandekten, § 312,10. Aufl., Stuttgart 1879, S. 547. Pandekten, Bd. II, § 111, 6. Aufl., Berlin 1900, S. 306f. 105 Windscheid/Kipp, Lehrbuch der Pandekten, § 400, 8. Aufl., Frankfurt a.M. 1900, Bd. II, S. 688. 106 S.o. § 9 III. 107 Jacobi, Ueber Remission des Pachtzinses nach römischem und preußischem Rechte, Weimar 1856, S. 15. 104

74 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

Auch für das gemeine Recht zieht Jacobi demnach die „Summa: die Remission ist nur positiven Rechts, jure civili ex aequitate" m Diese Einschätzung ist durchaus konsequent, wenn man davon ausgeht, der colonus werde bei der Bewirtschaftung des ihm überlassenen Grundstücks nur im eigenen Interesse tätig. Anders als die herrschende gemeinrechtliche Lehre, welche die Auseinandersetzung mit diesem fundamentalen Satz scheut und ihn weder bestätigt noch verneint, spricht Jacobi ihn offen aus und macht ihn zur Grundlage seiner Ansicht: „Und in der That macht Pächter die Verwendung des Samens lediglich im eignen Nutzen. Er - und dies gilt selbst beim colonus partiarius - wendet diesen auf, gleichwie Verpächter seinen Acker daran giebt. Dieser sucht Vortheil und Ersatz in der merces, jener im Ueberschuß der zu erzielenden Früchte." 109

II. Bei dem geringen Grad, zu dem die gemeinrechtliche Einsicht in das Institut der remissio mercedis entwickelt ist, verwundert es keineswegs, daß sich der BGB-Gesetzgeber von 1900 die Ansicht Jacobis und die Lehre von Förster/Eccius zum ALR zum Vorbild nimmt.110 Die Abwehr gegen die remissio mercedis als reines Billigkeitsinstrument verbindet sich dabei in einem frühen Stadium der Gesetzesvorbereitungen ebenso wie in der spätscholastischen Lehre 111 mit der älteren Vorstellung, Abweichungen vom vereinbarten Pachtzins seien nur gleichermaßen zugunsten beider Vertragsparteien oder überhaupt nicht möglich. Gegen die vom vorbereitenden Ausschuß vorgeschlagene Bestimmung über ein Recht des Pächters auf remissio mercedis wendet die Mehrheit der Dresdener Kommission unter anderem ein: „Stütze man die Verpflichtung des Verpächters zum Nachlasse des Pachtzinses auf die Billigkeit, so werde man, um konsequent zu sein, demselben auch das Recht geben müssen, bei vorzugsweise reicher Ernte einen nach Verhältniß höheren Pachtzins, als den verabredeten, von dem Pächter verlangen zu dürfen." 112

Der gezogene Schluß auf die Beseitigung des Remissionsanspruchs wiederholt die Entwicklung, welche die Lehre von der Glosse113 bis zu Grotius114 genommen hat: Ist die Pachtreduktion bei sterilitas nur gemeinsam mit einer Pachterhöhung bei ubertas denkbar, kann man auf sie im Rahmen eines Austauschvertrags auch völlig verzichten. Das Argument, Pächter und Verpächter dürften nur gleichermaßen zu einer Abänderung des Pachtzinses berechtigt sein, haben die BGB-Kommissionen 108

Jacobi (Fn. 107), S. 22. Jacobi (Fn. 107), S. 49. 110 Einen Sieg der preußischen Doktrin konstatiert auch Ernst, SZ 105 (1988) 582. 111 S.o § 7. 112 Schubert (Hg.), Vorentwürfe der Redaktoren zum BGB, Recht der Schuldverhältnisse, Bd. II, 1980, S. 434f. 113 S.o. § 5 I. 114 S.o. §81. 109

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nicht aufgegriffen. Sie übernehmen jedoch die Entscheidung der Dresdener Kommission gegen die Zulassung eines Remissionsanspruchs: Die erste Kommission möchte sogar ausdrücklich dessen Ausschluß im Gesetz festschreiben und schlägt als § 534 ihres Entwurfs vor: „Der Pächter wird durch einen Zufall, welcher die Früchte oder deren Entstehung trifft, nicht von der Verbindlichkeit befreit, den vollen Pachtzins zu entrichten."

Die Mehrheit in der zweiten Kommission weicht hiervon nicht im Ergebnis, sondern nur aus rechtstechnischen Gründen ab. Da sie den Gegenschluß fürchtet, eine Preisreduktion sei außerhalb des Pachtrechts zulässig, will sie das von der ersten Kommission angestrebte Ziel lieber durch Stillschweigen erreichen.115 Mit Dresdener116 und erster BGB-Kommission ist sich die zweite Kommission jedoch einig in dem Urteil, die remissio mercedis sei ein „des rechtlichen Fundaments entbehrendes, blos auf Billigkeit beruhendes Recht". Daß dieser Ansicht117 die aus der Lehre zum preußischen Recht118 bekannte begriffliche Unterscheidung zwischen Möglichkeit und Wirklichkeit des Fruchtgenusses zugrundeliegt, zeigen die Motive zum ersten Entwurf: „Auch der vorliegende Entwurf hat sich für die gänzliche Beseitigung des Remissionsanspruchs entschieden. Er geht mit dem sächsischen Gesetzbuch und dem dresdener Entwurf davon aus, daß der Verpächter vermöge der ihm ... obliegenden Verpflichtung, dem Pächter den Fruchtgenuß des Pachtgegenstands zu gewähren, nach Maßgabe der allgemeinen die Gewährleistungspflicht des Verpächters regelnden Grundsätze ... zwar die Gefahr solcher Unglücksfälle zu tragen hat, welche, den Pachtgegenstand selbst treffend, überhaupt die Möglichkeit der Fruchtziehung ausschließen oder beeinträchtigen, zB. das verpachtete Grundstück zur Fruchtbestellung untauglich machen, daß dagegen nach den allgemeinen Grundsätzen der Verpächter nicht auch die Wirklichkeit des Fruchtbezugs zu vertreten hat, vielmehr ein Zufall, welcher die Früchte oder deren Entstehung trifft, vom Pächter getragen werden muß und dem Letzteren folglich wegen eines solchen Zufalls weder das Recht zusteht, den Pachtzins zu mindern, noch auch das Recht, von dem Vertrage für die Zukunft zurückzutretenden." 119

Die formelhafte Differenzierung nach Möglichkeit und Wirklichkeit machen sich sogar die Befürworter der remissio mercedis zu eigen. In den Verhandlungen der zweiten BGB-Kommission berufen sie sich gerade auf die Billigkeit und darauf, daß „nach der natürlichen Auffassung" der Pachtzins den „Gegenwerth für den wirklichen Fruchtgenuß" bedeute.120 Um aus Billigkeitsgründen 115

Vgl. § 534 E I und Prot., Bd. II, S. 242f. = Mugdan, Bd. II, S. 883. S. 434. 117 Es wird durch die Kritik, die Hartmann, AcP 73 (1888) 373f. an dem Entwurf übt, nur bestätigt. 118 S.o. §9111. 119 Mot., Bd. II, S. 424 = Mugdan, Bd. II, S. 236. 120 Prot., Bd. II, S. 240 = Mugdan, Bd. II, S. 881. 116

76 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

die allgemeinen Gefahrtragungsregeln und damit die für den Austauschvertrag typische Risikoverteilung zu durchbrechen, bedarf es jedoch eines hinreichenden praktischen Anlasses, den die Mehrheit der Dresdener und beider BGBKommission nicht finden kann:121 Einerseits habe der Landpächter die Möglichkeit, sich gegen den häufigsten einschlägigen Fall: gegen den Hagelschlag anderweitig, nämlich durch Abschluß eines Versicherungsvertrags, zu schützen. Nehme man ihm das Risiko des Hagelschlags teilweise ab, begünstige man nachgerade die mangelnde Voraussicht eines sorglosen Pächters, der sich nicht versichere. Andererseits führe die Angst vor schikanösen Prozessen in der Praxis ohnehin regelmäßig dazu, daß der Pächter vertraglich auf den Remissionsanspruch verzichte oder dieser in Voraussetzungen und Folgen eingehend im Vertrag geregelt werde.122 Dieser Erwägungen hat sich zuvor schon Jacobi zur Begründung seiner Forderung nach Abschaffung der remissio mercedis bedient: „Pächter kann und mag sich durch Versicherungen vorsehen, und wird namentlich in neuerer Zeit, wo dieselben umfassender und gemeinnütziger werden, darauf zu verweisen sein. Zuletzt mag erwähnt werden, daß dergleichen Remissionsfälle sehr viel Streit und Kostenaufwand beanspruchen, so daß man die Remission oft schon contractlich ausgeschlossen findet und auch die neuere Praxis zur Beschränkung derselben."123

Beide Argumente vermögen den Ausschluß der remissio mercedis nicht zu rechtfertigen: Daß das Risiko eines Unglücksfalles versicherbar ist, sagt noch nichts darüber aus, welche Seite des Pachtvertrags die Versicherung zu übernehmen hat. Daß die remissio mercedis vertraglich häufig abbedungen oder eingehend geregelt wird, ist gerade Folge des bisherigen gemeinen Rechts, in dem der Remissionsanspruch, wenn auch dogmatisch nicht hinreichend ergründet, so doch anerkannt ist. Fühlt sich der Gesetzgeber allein wegen der Vertragspraxis einer positiven Normierung enthoben, verkennt er gerade die Signalwirkung, die von einer gesetzlichen Entscheidung gegen die remissio mercedis ausgehen muß: Ist sie kein Institut des dispositiven Rechts mehr, muß sie auch aus der Vertragspraxis verschwinden, und zwar nicht nur als Gegenstand der nunmehr überflüssigen Ausschlußklausel in pächterfeindlichen Verträgen, sondern auch als inhaltlich näher ausgestaltetes Recht in pächterfreundlichen Verträgen. Mit der Verbannung der remissio mercedis aus dem Gesetzesrecht hat ein Verpächter keinen Anlaß mehr, sich auf die vertragliche Ausgestaltung eines Remissionsanspruchs einzulassen.

121

S. 435f., Mot., Bd. II = Mugdan, Bd. II, S., Prot., Bd. II, S. 241f. = Mugdan, Bd. II, S. 882. 122 AaO. 123 Jacobi (Fn. 107), S. 123.

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Gewichtiger als diese beiden untauglichen Argumente ist aber eine andere, wiederum sowohl von der Dresdener als auch von der ersten BGB-Kommission angestellte Erwägung. In der Sprache der Motive zum ersten Entwurf lautet sie: „Auch dadurch wird das Bedürfniß, dem Pächter ein Recht auf Remission beizulegen, in der Jetztzeit erheblich gemindert, daß bei dem gegenwärtigen Betriebe der Landwirtschaft die Pachtnutzung sich nicht blos auf den Bodenertrag beschränkt, sondern in vielen Fällen auch Nutzungen anderer Art, zB. aus der Schafzucht, der Viehwirtschaft, sowie aus gewerblichen Unternehmungen, zB. dem Betriebe von Brennereien und Ziegeleien, mit umfaßt und dadurch der Verlust in dem einen Betriebe durch den Gewinn in dem anderen häufig ausgeglichen wird." 124

Daß der Betrieb des Landpächters diversifiziert ist, berührt in der Tat den eigentlichen Grund für die remissio mercedis. Sie wird entgegen der Ansicht der Kommissionen zwar nicht schon durch den wirtschaftlichen Umstand in Frage gestellt, daß ein Minderertrag in der Bodenbewirtschaftung zuweilen durch Gewinne in anderen Bereichen ausgeglichen wird. Diese anderen Geschäftszweige, die einen Erntemißerfolg kompensieren können, sind aber im Regelfall mit Tätigkeiten des Pächters verbunden, an denen der Verpächter kein Interesse hat. Ihm kommt es nur auf die Bewirtschaftung des überlassenen Bodens, nicht auch auf den sonstigen Betrieb des Pächters an. Stellt er einen Gegenstand für einen anderen Zweck als die Landwirtschaft zur Verfügung, ist das passende Regelungsmodell eigentlich das Mietrecht mit der allgemeinen Gefahrtragungsregel, daß der überlassende Teil schon dann zum Entgelt berechtigt ist, wenn er die Nutzungsmöglichkeit verschafft hat. Eine Beteiligung am Betriebsrisiko des übernehmenden Teils ist in diesen Fällen, zumindest wenn man sie isoliert betrachtet, untunlich. Sie ist nur angebracht, wenn der überlassende Partner ein besonderes Interesse an der Tätigkeit des Kontrahenten im Umgang mit dem Vertragsgegenstand hat. Während die Mehrheit in der ersten BGB-Kommission offenbar ahnt, daß hier ein entscheidender Unterschied zwischen der Bodenbewirtschaftung und anderen Tätigkeiten liegt, ist diese Erkenntnis bei der Mehrheit in der zweiten Kommission schon verloren gegangen. Die Sonderrolle, welche der Landpacht durch den von der Minderheit befürworteten Anspruch auf remissio mercedis zukommen würde, dient der überwiegenden Ansicht gerade als Argument gegen das Recht auf Zinsnachlaß: „Beide Anträge beschränkten den Remissionsanspruch willkürlich auf die Pachtung landwirtschaftlicher Grundstücke. Es besteht kein Grund, eventuell dem Pächter einer Gartenwirtschaft, eines Fischereirechtes, eines Bergwerks, einer Eisenbahn, eines zum gewerbsmäßigen Betriebe gepachteten Jagdrechts ungünstiger zu behandeln."125

124 125

Mot., Bd. II, S. 424 = Mugdan, Bd. II, S. 236. Prot., Bd. II, S. 242 = Mugdan, Bd. II, S. 882f.

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2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

Wirklich geeignet für einen Vergleich mit der Landpacht sind in dieser Aufzählung nur die Jagd- und Fischereipacht. Die übrigen Vertragstypen haben im Unterschied zur Landpacht einen Gegenstand, an dessen Nutzung der Verpächter keineswegs zwingend interessiert ist. Dem tieferen Problem, daß der Induktionsschluß für Abschaffung und Ausweitung der remissio mercedis gleichermaßen spricht, haben sich die Dresdener und beide BGB-Kommissionen ebensowenig gestellt wie der weiteren Frage, ob die gesetzliche Verselbständigung der Pacht zu einem eigenen Vertragstyp ohne remissio mercedis überhaupt noch sinnvoll ist III. Immerhin macht das BGB aber einen bedeutenden Schritt in Richtung auf die Wiedereinführung einer Betriebspflicht des Landpächters. Sie wird zwar nicht als solche normiert. Die ordnungsgemäße Kultur wird jedoch zum Maßstab für die ordentliche Erfüllung der Pflicht zur Rückgewähr eines verpachteten landwirtschaftlichen Grundstücks. Der bis zum Erlaß des BGB nur noch sprachlich geänderte § 545 des ersten Entwurfs lautet: „Der Pächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks ist verpflichtet, dasselbe nach Ablauf der Pachtzeit in demjenigen wirtschaftlichen Zustande zurückzugewähren, welcher sich bei der Voraussetzung ergiebt, daß das Grundstück während der ganzen Pachtzeit bis zur Rückgewähr nach landwirtschaftlichen Regeln ordnungsgemäß bewirtschaftet worden ist. Es gilt dies insbesondere von der Bestellung."

Die Entscheidung gegen eine regelrechte Betriebspflicht des Pächters fällt die erste BGB-Kommission bewußt. Sie lehnt eine Bestimmung ab, die den Landpächter nach dem Vorbild von § 433 I 21 ALR zur wirtschaftlichen Nutzung des Pachtgegenstands verpflichtet, weil sie das mit einer solchen Vorschrift verfolgte Ziel schon durch die Generalklausel über Treu und Glauben gewährleistet sieht. Ferner fürchtet die Kommission das Mißverständnis, dem Pächter könne einerichtigeKulturpflicht auferlegt sein: Außerdem erhebt sich gegen die in Rede stehende Bestimmung, wenigstens in der oben gedachten Fassung der neueren Gesetze, das Bedenken, daß sie das Verständniß zuläßt, als sei der Pächter stets verpflichtet, das Grundstück nicht unbenutzt zu lassen, - eine Verpflichtung, die ihm doch nur unter der Voraussetzung obliegen kann, wenn die Nichtbenutzung eine Verschlechterung des Grundstücks nach sich zu ziehen droht. Ähnliche Erwägungen wie die vorstehenden sprechen auch gegen die Bestimmung des schweizerischen Obligationenrechts § 303, daß der Pächter verpflichtet ist, den gepachteten Gegenstand seiner Bestimmung gemäß ordentlich zu benutzen, insbesondere für die nachhaltige Ertragsfähigkeit desselben zu sorgen." 126

In offenem Widerspruch hierzu steht freilich die Begründung, welche die Motive für die Ausgestaltung der Rückgewährpflicht in § 545 E I geben: „Nach dem Vorgange des dresdener Entwurfs § 587 (vgl. auch ALR 121 § 614; öst. GB. § 1109; sächs. GB. § 1208) hat der Entw. sich deshalb für ein anderes Prinzip 126

Mot., Bd. II, S. 431 = Mugdan, Bd. II, S. 240.

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entschieden, nämlich für das Prinzip, daß der Pächter durch den Pachtvertrag die Verpflichtung übernimmt, das Grundstück während der ganzen Pachtzeit als bonus pater familias zu bewirtschaften und in demjenigen wirtschaftlichen Zustande zurückzugewähren, welcher sich unter der Voraussetzung ergiebt, daß der Pächter während der ganzen Pachtzeit und bis zum Zeitpunkt der Rückgewähr nach jeder Richtung hin in der That als bonus pater familias, d.h. nach landwirtschaftlichen Regeln ordnungsgemäß gewirtschaftet hat ... .Es kann zweifelhaft sein, ob diese Auffassung nicht schon aus dem Wesen des Pachtvertrags abzuleiten ist; jedenfalls verdient sie als die angemessenere den Vorzug." 127

Das „Prinzip, daß der Pächter durch den Pachtvertrag die Verpflichtung übernimmt, das Grundstück während der ganzen Pachtzeit als bonus pater familias zu bewirtschaften", kann nur die Frucht unvorsichtiger Formulierung sein. Das gesetzgeberische Ergebnis entspricht jedenfalls dem Standpunkt, den die erste Kommission gegenüber der Verpflichtung zur wirtschaftlichen Nutzung der Pachtsache einnimmt: Den Landpächter trifft eine Kulturpflicht nicht unmittelbar, sondern nur als Reflex der Pflicht zur ordnungsgemäßen Rückgabe. Diese ist ihrerseits auf eine Fortführung der landwirtschaftlichen Nutzung während der Pachtzeit festgelegt. Der Landverpächter soll das Grundstück nicht in dem Zustand zurückerhalten, in dem er es dem Pächter überlassen hat. Statt dessen soll er nach Ablauf der Pachtzeit über ein Grundstück verfügen, das so beschaffen ist, als habe er es während der Pachtzeit selbst bewirtschaftet, also auch in besserem Zustand als bei Antritt der Pacht. Die von der ersten BGB-Kommission konzipierte Vorschrift über die Rückgewähr landwirtschaftlicher Grundstücke setzt ohne Anerkennung einer Betriebspflicht des Landpächters das Prinzip um, das im römischen Recht hinter der obligatio colendi steht: Der Pächter führt bei der Bewirtschaftung der Pachtsache ein gemeinsames Geschäft, das sowohl ihm als auch dem Verpächter zugerechnet wird. Da sich das Interesse des Verpächters im Fall der Grundstücksüberlassung zur Landwirtschaft erst bei der Rückgabe des Pachtgegenstands aktualisiert, ist die Lösung, die das BGB von 1900 hierfür bereitält, durchaus eine Alternative zur Statuierung einer direkten obligatio colendi. Das BGB geht so jedenfalls weit über den bisherigen Stand des gemeinem Rechts hinaus. Hier findet die Kulturpflicht schon seit Glück128 nahezu keine Erwähnung mehr. Auch von den Gesetzesbestimmungen, die in den Motiven als Vorbild für die Rückgaberegelung genannt werden, beruhen keineswegs alle auf der Vorstellung, daß den Landpächter zumindest mittelbar eine Kulturpflicht trifft. Eine solche liegt weder § 614 I 21 ALR zugrunde, wo der Landpächter

127

Mot., Bd. II, S. 439f. = Mugdan, Bd. II, S. 245. Glück, Ausführliche Erläuterung der Pandecten nach Hellfeld, 17. Theil, 2. Abteilung, § 1059, Erlangen 1816, S. 483. 128

80 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

lediglich auf einen der Jahreszeit entsprechenden Kulturzustand bei der Rückgabe festgelegt wird: „Ist bey der Uebergabe der Pacht, in Ansehung der Aussaat, des Düngungsstandes, und der Pflugarten, kein Verzeichnis aufgenommen worden: so muß der Pächter diejenigen Grundstücke, welche, nach der eingeführten Feldereinteilung, für das Jahr nach Endigung der Pacht zu bestellen gewesen, in ordinairer wirtschaftlicher Kultur zurückgewähren."

Noch ist sie bestimmend für Art. 1766 CC, wo die nicht ordnungsgemäße Kultur nur als ein Kündigungsgrund unter mehreren erscheint: Si le preneur d'un héritage rural ne le garnit pas des bestiaux et des ustensiles nécessaires à son exploitation, s'il abandonne la culture, s'il ne cultive pas en bon père de famille, s'il emploie la chose louée à un autre usage que celui auquel elle a été destinée, ou, en général, s'il n'exécute pas les clauses du bail, et qu'il en résulte un dommage pour le bailleur, celui-ci peut, suivant les circonstances, faire résilier le bail. En cas de résiliation provenant du fait du preneur, celui-ci est tenu des dommages et intérêts, ainsi qu'il est dit en l'article 1764.

Überhaupt keinen Anhaltspunkt für eine Kulturpflicht des Pächters bietet der von der ersten BGB-Kommission ebenfalls bemühte § 1109 AGBG: „Nach geendigtem Bestandvertrage muß der Bestandnehmer die Sache dem etwa errichteten Inventarium gemäß oder doch in dem Zustand, in welchem er sie übernommen hat, gepachtete Grundstücke aber mit Rücksicht auf die Jahreszeit, in welcher die Pacht geendigt worden ist, in gewöhnlicher wirtschaftlicher Kultur zurückstellen. Weder ein Zurückbehaltungsrecht oder die Einwendung der Kompensation noch selbst des früheren Eigentumsrechtes kann ihn vor der Zurückstellung schützen."

Der Zusatz, der Pächter eines Grundstücks müsse dieses in einem der Jahreszeit entsprechenden Kulturzustande zurückgeben, wurde erst in der Revision des Urentwurfs des ABGB eingefügt.129 Mit ihm sollte keineswegs der schon vorher festgelegte Grundsatz abgeändert werden, wonach der Bestandnehmer zur Rückgabe im Zustand der Übernahme verpflichtet ist. Statt dessen sollte wie mit der vergleichbaren Bestimmung in § 614 I 21 ALR lediglich eine passendere Regelung für die Fälle gefunden werden, in denen Pachtantritt und -ende jahreszeitlich auseinanderfallen.

§ 11 Not- und nationalsozialistisches Pachtrecht I. Die Kulturpflicht, die das BGB von 1900 dem Landpächter mittelbar durch die Ausgestaltung der Rückgewährpflicht auferlegt hat, kann nicht lange ohne ihr Korrelat, die remissio mercedis auskommen. Die wirtschaftliche Situa129

Vgl. Ofiier (Fn. 75), Bd. II, S. 302.

§ 11 Not- und nationalsozialistisches Pachtrecht

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tion, in der sich Deutschland nach dem ersten Weltkrieg befindet, erzwingt statt einer regelrechten Beteiligung des Landverpächters an dem Fruchtziehungsrisiko des Landpächtersfreilich nur eine gesetzliche clausula rebus sie stantibus, die zum Vorteil beider Vertragspartner wirkt. Die Pachtschutzordnung vom 9. Juni 1920130 erlaubt es den von den Landesbehörden einzurichtenden Pachteinigungsämtern, Pachtverträge über kleinere landwirtschaftlich oder gewerbsmäßig gärtnerisch genutzte Grundstücke zu verlängern oder zu verkürzen, und darüber hinaus, Pachtverträge über Grundstücke jeder Größe so abzuändern, daß „die Leistungen, die unter den veränderten wirtschaftlichen Verhältnissen nicht oder nicht mehr gerechtfertigt sind", zum Ausgleich kommen. Das Eingreifen der Pachteinigungsämter hängt davon ab, daß entweder eine Partei wucherisch in Notlage, Leichtsinn oder Unerfahrenheit ausgebeutet wird oder daß die veränderten wirtschaftlichen Verhältnisse eine schwere Unbilligkeit und Notlage für eine Partei zur Folge haben. Die Gleichstellung des nachträglichen Mißverhältnisses der ausbedungenen Leistungen mit ihrem anfänglichen, wucherischen Ungleichgewicht und die Zuständigkeit für Pächter und Verpächter offenbaren den Charakter des neuen Anpassungsrechts, den schon die vorgesehene Befristung der Pachtschutzordnung auf zwei Jahre erahnen läßt: Es soll eine außerordentliche Vertragshilfe zugunsten eines wirtschaftlich besonders hart getroffenen Kontrahenten stattfinden.131 Die schwere Unbilligkeit und Notlage, die das Gesetz zur Voraussetzung des staatlichen Eingriffs macht, sind nicht nur eingrenzende Tatbestandsmerkmale, ihre Beendigung und Vermeidung vielmehr auch Ziele des Anpassungsrechts. Genutzt hat dieses weniger den Landpächtern, zu deren einseitigen Schutz die remissio mercedis früher allein bestimmt war, als den Landverpächtern, die in Zeiten von Preissteigerung wegen Nahrungsmittelknappheit und später aus allgemeiner Inflation heraus eine Erhöhung des vereinbarten Pachtzinses begehren.132 Das nunmehr gewährte Anpassungsrecht steht damit sowohl vom Konzept her als auch in seinem praktischen Ergebnis in der gemeinrechtlichen Tradition, welche die remissio mercedis als Sanktion von laesio enormis mißverstand.133 Daran hat sich auch durch die neue Pachtschutzordnung vom 23. Juli 1925134 nichts geändert. Zwar gilt diese nicht mehr für Fälle wucherischer Ausbeutung

130

RGBl., S. 1193. Ernst, SZ 105 (1988) 584. 132 Dies stellen - freilich schon aus nationalsozialistischer Perspektive - Sauer/Weißer, Die Reichspachtschutzordnung (Reichsnährstands-Verlagsges.m.b.H.), 1941, Einleitung, S. 16 dar. 133 S.o. § 5 II, 6 II. 134 RGBl. I, S. 152. 131

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beim Vertragsschluß.135 Die anläßlich der Anordnung einer Vertragsverlängerung136 oder auch ohne diese mögliche Anpassung der vertraglichen Leistungen, die sich nach § 1 Abs. 2 S. 2 und Abs. 3 S. 4 an dem bei ordnungsgemäßer Wirtschaft nachhaltig zu erzielenden Ertrag 137 des Grundstücks zu orientieren hat, ist jedoch wiederum zugunsten beider Vertragspartner möglich. Auch diese Regelung ist durch eine zweijährige Befristung (§ 8) als Notrecht ausgewiesen. Die regelmäßige Verlängerung ihrer Geltungsdauer hat an diesem Charakter nichts geändert. II. Eine neue Gestalt gewinnt das bisherige Pachtnotrecht erst durch die nationalsozialistische Gesetzgebung: Durch das Gesetz über den Pächterschutz vom 22. April 1933138 erhalten die Pachteinigungsämter zusätzlich zu den Anpassungsmechanismen der Pachtschutzordnung die Möglichkeit, gekündigte oder ausgelaufene Landpachtverträge auf Antrag des Pächters für ungekündigt zu erklären oder zu verlängern. Die Entscheidung zugunsten des Pächters ist nicht an positive Voraussetzungen gebunden, sondern in dasfreie Ermessen der Pachteinigungsamtes gestellt, nach §§ 1 Abs. 1 S. 2 und 2 Abs. 1 S. 2 des Gesetzes aber ausgeschlossen, wenn eine ordnungsgemäße Fortführung des Betriebs durch den Pächter nicht gewährleistet erscheint. Was hinter dieser als Ausnahme vom Pächterschutz wiederentdeckten obligatio colendi steckt, wird spätestens durch die Gesetzgebung des Jahres 1937 offenbar: Die Durchführungsverordnung für die Verordnung zur Sicherung der Landwirtschaftung vom 22. April 1937139 enthält in § 25 das funktionelle Gegenstück zum Pächterschutz nach dem Gesetz von 1933: Weicht die Bewirtschaftung eines Betriebs oder Grundstücks durch einen Landpächter erheblich von den „Anforderungen" ab, „die zur Sicherung der Volksernährung an die Bewirtschaftung landwirtschaftlicher Betriebe und Grundstücke gestellt werden müssen", so kann das Amtsgericht, falls die Aufforderung zu besserer Wirtschaftsführung, die Anordnung von Wirtschaftsüberwachung oder treuhänderischer Verwaltung untunlich sind, auf Antrag des Landesbauernführers die Abänderung oder Auflösung des Pachtverhältnisses bestimmen. Dies bedeutet: Die Kulturpflicht, die jetzt über die Dauer des Landpachtvertrags entscheidet, besteht nicht im Interesse des Verpächters, sondern, um die Volksernährung zu gewährleisten. Diesem Zweck dient auch § 2 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über die Wei135

Gesetz zur Verlängerung der Pachtschutzordnung vom 29. Juni 1922 (RGBl. I, S. 529). 136 Stoll, Deutsches Bauernrecht, 1935, S. 98 nennt dies den „sozialen Pachtschutz" im Gegensatz zum „wirtschaftlichen Pachtschutz" durch Anpassung der vertraglich ausbedungenen Leistungen. 137 Dieses Kriterium erscheint schon in der Verordnung zur Änderung der Pachtschutzordnung vom 13. Februar 1924, RGBl. I, S. 68. 138 RGBl. I, S. 221. 139 RGBl. I, S. 535.

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tergeltung und Ergänzung des Pachtnotrechts vom 30. September 1937140. Durch ihn erhält das Pachteinigungsamt zusätzlich zu den Maßnahmen nach der verlängerten Pachtschutzverordnung von 1925 und nach dem Pächterschutzgesetz von 1933 die Möglichkeit, unter Zustimmung des KreisbauernfÜhrers Pachtverträge abzuändern, „wenn dies zur Sicherung der Volksernährung erforderlich ist". Das bisherige Erfordernis einer Änderung der allgemeinen wirtschaftlichen Verhältnisse ist damit weggefallen. Immerhin sieht der am 14. Juni 1937 veröffentlichte „Einheitspachtvertrag", dem in der Literatur zum „deutschen Bauernrecht" der Charakter einer Neuregelung des Pachtrechts beigemessen wird, 141 einen festen Pachtzins und damit den Ausschluß der Teilpacht vor. Nach der offiziellen Erläuterung des Einheitspachtvertrags soll die sorgfältige Ermittlung des Pachtpreises mit Hilfe der gleichzeitig herausgegebenen Pachtleistungsrichtlinien des ReichsbauernfÜhrers sogar dazu dienen, einen Rückgriff auf die „alte remissio" zu vermeiden.142 Dem Verpächter solle auf der Basis des Durchschnittsertrags eine niedrige Verzinsung bei sicherer Kapitalanlage gewährt werden.143 Daß die gesetzlichen Anpassungsmöglichkeiten, die nun kollektiv- statt individualschützend verstanden wurden, anders als in der Weimarer Republik gleichwohl im Regelfall zugunsten des Landpächters Einsatz finden sollten, zeigen außer der Einseitigkeit, mit der man schon durch das Pächterschutzgesetz von 1933 vorgeprescht war, die Protokolle der Sitzungen der Akademie für Deutsches Recht, die demfinalen Gesetzgebungsakt in nationalsozialistischer Zeit, der Reichspachtschutzverordnung von 1940, vorausgehen: In der Sitzung vom 9. Dezember 1938 erklärt der Vorsitzende des Unterausschusses für Pachtrecht, Wilhelm Felgentraeger: „Wer die Grundeinstellung des Pachtbeirates im Reichsnährstand kennt, der muß sagen: wir wollen vor allen Dingen den Pächter schützen, - und zwar vor allem aus dem guten Grund, weil wir die Erzeugungfördern wollen. Also ist es wohl nicht so, daß das Pachtwesen unter allen Umständen so behandelt werden muß, daß auch der Verpächter immer noch zur Verpachtung geneigt bleibt. Das darf jedenfalls nicht zur Tendenz werden." 144

Als Konsequenz für den Inhalt eines nationalsozialistischen Pachtrechts formuliert der Referent des gleichen Tages, Ernst Sauer: 140

RGBl. I, S. 1051. Stoll/Baur, Deutsches Bauernrecht, 4. Aufl., 1943, S. 119. 142 Sauer/Steffen, Der Einheitspachtvertrag (Reichsnährstands-Verlagsges.m.b.H.), 1940, S. 46. 143 Ziff. 3 A der Pachtleistungsrichtlinien des ReichsbauernfÜhrers vom 7. Juni 1937, abgedruckt bei Sauer/Steffen (Fn. 143), S. 120. 144 Schubert/Schmid/Regge (Hg.), Akademie für Deutsches Recht 1933 - 1945, Protokolle der Ausschüsse, Bd. III, 5,1993, S. 458. 141

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2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung „Der Inhalt des Pachtschutzes läßt sich zusammenfassen als die Möglichkeit, alle Vertragsbestimmungen einschließlich der Dauer im Sinne des nationalsozialistischen Agrarprogramms - also zur Sicherung der Ernährung und eines kräftigen Bauerntums - umzugestalten. Alle Hemmnisse, die in Pachtverträgen der Erzeugungssteigerung entgegenstehen, wie Kurzfristigkeit, Verbot oder entschädigungslose Übernahme von Verbesserungen und Einrichtungen, zu hohe Pachtpreise usw. können beseitigt werden."145

Dem nationalsozialistischen Erneuerungswillen kann eine eigentümliche Schwäche des BGB, die Behandlung der Pacht „als bloßes Anhängsel zur Miete",146 nicht entgehen. Die Folgerung besteht in einer „Ausgliederung des gesamten landwirtschaftlichen Pachtrechts aus dem BGB".147 Die neue Pächterschutzverordnung vom 30. Juli 1940,148 die das bisherige Pachtnotrecht zu einem dauerhaften Rechtszustand machen soll, wird diesem Anspruch freilich nicht gerecht. Sie enthält zum ganz überwiegenden Teil nur Vorschriften über die Einrichtung und das Verfahren der Pachtbehörden. Die nach nationalsozialistischem Brauch kurz und ergebnisoffen gefaßte materiellrechtliche Regelung besteht im Kern nur aus zwei Generalklauseln. Sie gelten für die Abänderung von Landpacht- und gleichgestellten sonstigen Verträgen, deren Gegenstand die Überlassung von Grundstücken zur Landwirtschaft oder der Genuß landwirtschaftlicher Erzeugnisse eines Grundstücks ist,149 sowie für die Abänderung von Fischerei- und Jagdpachtverträgen. Einziger Maßstab für Grund und Umfang des Eingriffs in den Vertrag soll das volkswirtschaftliche Wohl sein. Die maßgeblichen §§5 und 7 der Pächterschutzverordnung lauten: „Das Pachtamt kann auf Antrag den Inhalt von Land- und Fischereipachtverträgen ändern, soweit er volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigt ist, insbesondere einer Steigerung der Erzeugung entgegensteht." „Das Pachtamt kann bei Jagdpachtverträgen auf Antrag volkswirtschaftlich nicht gerechtfertigte Leistungen anderweitig festsetzen."

Beide Vorschriften werden im maßgeblichen Kommentar zur Reichspachtschutzordnung als deren Kernstück, die Verwirklichung des gerechten Pachtpreises wiederum als Kernstück der Generalklauseln bezeichnet.150 Sie gelten als Mechanismen zum Schutz des allgemeinen Wohls gegen die als individuali-

145

Schubert/Schmid/Regge (Fn. 144), S. 503. Wichtermann, Richtlinien für eine Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtwesens, behandelt auf der Sitzung des Unterausschusses für Pachtrecht am 12./13.1.1939, abgedruckt bei Schubert/Schmid/Regge (Fn.144), S. 583. 147 Wichtermann; vgl. Schubert/Schmid/Regge (Fn. 144), S. 584. 148 RGBl. I, S. 1065. 149 § 1 Abs. 2 PPSchO. 150 Sauer/Weißer, Die Reichspachtschutzordnung (Reichsnährstands-Verlagsgesellshaft m.b.H.), 1941, § 5 Rn. 22, S. 133. 146

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stisch diffamierten Prinzipien der Vertragsfreiheit und Vertragstreue. 151 Ziel der Vorschriften soll die Durchsetzung eines „volkswirtschaftlich gerechtfertigten Pachtpreises" sein, der sich nicht an Angebot und Nachfrage, 152 sondern an den Pachtleistungsrichtlinien und daran orientieren soll, welchen Ertrag ein Pächter unter Berücksichtigung eines angemessenen Arbeitslohnes nachhaltig aus der überlassenen Pachtsache erzielen kann.153 Um dieses Ergebnis zu erreichen, soll das Pachtamt nicht nur Veränderungen berücksichtigen, die nach Vertragsschluß eintreten, sondern auch ein anfängliches Mißverhältnis,154 ja sogar Kalkulationsfehler, 155 beseitigen können. Die gleichfalls für den Zweck der Volksernährung instrumentalisierte Kulturpflicht ist entgegen der fortgeltenden Regelung des BGB in der Sicht der Kommentatoren der Reichspachtschutzordnung nun sogar zum Wesensmerkmal der Pacht und Unterscheidungskriterium für die Abgrenzung zur Miete geworden.156

§ 12 Die Entwicklung seit 1945 I. Nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft werden volkswirtschaftliche Belange und das zwischenzeitlich in ihren Dienst gestellte Recht zur Vertragsanpassung wieder entflochten. Das Landpachtgesetz vom 25. Juni 1952157, das an die Stelle der Pachtschutzordnung von 1940 tritt, sondert die staatliche Abschlußkontrolle von Landpachtverträgen und ihre nachträglichen Änderung auf Initiative einer Vertragspartei. Die Gründe, aus denen die Landwirtschaftsbehörde einen Pachtvertrag beanstanden, seine Änderung oder Auflösung erzwingen kann, sind nach wie vor überwiegend nationalökonomischer Natur: § 4 Abs. 1 des Landpachtgesetzes nennt die Gefährdung der ordnungsgemäßen Bewirtschaftung, die volks- oder betriebswirtschaftlich schädliche Aufteilung eines Betriebs oder Grundstücks, Gefahren für die Landeskultur und die ungesunde Verteilung der Bodenverhältnisse. Daneben erscheint das Mißverhältnis von vertraglich ausbedungener Pächterleistung und nachhaltig erzielbarem Grundstücksertrag, wie es erstmals in der Pachtschutzordnung von 1925 zum Maßstab der Äquivalenzkontrolle gemacht wurde. Diese ist nun aber klar 151

Sauer/Weißer (Fn. 150), § 5 Rn. 1, S. 124, Rn. 7, S. 127. Sauer/Weißer (Fn. 150), § 5 Rn. 36, S. 145, Hopp, Reichspachtschutzordnung, 2. Aufl., 1944, §5 Anm. 3, S. 83. 153 Sauer/Weißer (Fn. 150), § 5 Rn. 7, S. 127, Rn. 28, S. 138. 154 Fritsch, Das Pachtnotrecht des Deutschen Reiches, 1941, § 5 RPSchO Anm. E 1.4, S. 67. 155 Sauer/Weißer (Fn. 150), § 5 Rn. 8, S. 128, Rn. 10, 129. 156 Sauer/Weißer (Fn. 150), Einleitung, S. 15, § 1 Rn. 6, S. 61f.; ganz anders, nämlich entsprechend dem gesetzlichen Vorbild des BGB fällt dagegen die Charakterisierung des Pachtvertrags bei Fritsch (Fn. 154), § 1 RPSchO Anm. C.II, S. 16f. aus. 157 BGBl. I, S. 343. 152

86 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

getrennt von den Mechanismen zur Änderung des Landpachtvertrags wegen nachträglicher Änderung der maßgeblichen Verhältnisse und zur Verlängerung eines Landpachtvertrags. Beide sind nach §§ 7 und 8 des Landpachtgesetzes Gegenstand eines wechselseitigen Anspruchs gegen den jeweils anderen Vertragspartner. Die Vertrags- wegen Verhältnisänderung ist gemäß § 7 Abs. 1 des Landpachtgesetzes davon abhängig, daß die vertraglichen Leistungen unter Berücksichtigung der ganzen Vertragsdauer in ein grobes Mißverhältnis geraten sind, die Wirkung des Antrags auf Vertragsänderung nach § 7 Abs. 2 von einem zweijährigen Abstand zum Pachtantritt. Das Recht auf Vertragsanpassung ist nach § 10 Abs. 1 des Landpachtgesetzes unverzichtbar und gemäß § 10 Abs. 3 auch einer Schiedsvereinbarung entzogen. Zwar ist das Recht zur Vertragsanpassung nun sowohl von volkswirtschaftlichen Motiven als auch von der Äquivalenzprüfung auf ein anfängliches Ungleichgewicht der vereinbarten Leistungen befreit. Zudem kehrt mit der Rücksicht auf die „gesamte Vertragsdauer" der von Papinian in D 19.2.15.4 ausgeführte 158 Kompensationsgedanke wieder. Daß das Anpassungsrecht beiden Vertragspartnern und nicht nur dem Landpächter zusteht, verrät jedoch seinen Ursprung in den Pachtschutzordnungen der Weimarer Republik, die zunächst sogar allein verpächterschützend wirkten. Das bundesrepublikanische Landpachtgesetz soll also keine echte remissio mercedis, sondern einen beiderseitigen Rechtsbehelf für in Not geratene Vertragspartner statuieren. So nimmt es scheinbar die Tradition der Pachtnotgesetzgebung und damit indirekt auch die der laesio enormis auf. Es ist daher weder verwunderlich nochrichtiggehendfalsch, wenn der Urheber des Gesetzes zur Neuordnimg des landwirtschaftlichen Pachtrechts von 1985159 den Anpassungsmechanismus als Sanktion für die Änderung der Geschäftsgrundlage ansieht. Zweck des neuen Gesetzes, mit dessen Hilfe das Landpachtrecht mit Ausnahme der staatlichen Abschlußkontrolle in das BGB reintegriert werden soll, ist, den Landpächter in seiner Stellung als selbständigen Unternehmer zu stärken, damit er den „veränderten und sich ändernden Verhältnissen" in der Landwirtschaft besser gewachsen ist.160 Nicht von dieser Zielsetzung erfaßt ist das Anpassungsrecht, das in den neuen § 593 BGB ohne wesentliche Änderung übernommen wird: An die Stelle der Rücksicht auf die „gesamte Vertragsdauer", die natürlich nicht vor Ablauf der Pachtzeit, sondern - wie schon die römischen Juristen und die Verfasser des CC 161 erkannten - nur rückblickend genommen werden kann, tritt das schon aus der Vertragskontrolle bekannte Merkmal der „Nachhaltigkeit41: Das Anpassungsrecht ist gemäß § 593 158 159 160 161

S.o. § 3 II. BGBl. I, S. 2065. Vgl. die Begründung des Regierungsentwurfs, BT-Drucks. 10/509, S. 13. S.o. § 9 I.

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Abs. 1 S. 1 BGB jetzt davon abhängig, daß sich die Verhältnisse „nachhaltig" geändert haben. Im übrigen wird eine Anpassung für den Fall ausgeschlossen, daß sich der Ertrag der Pachtsache wegen der Bewirtschaftung durch den Landpächter ändert (§ 593 Abs. 1 S. 2 BGB). Mit dieser Einschränkung, die für das verpächterfreundliche Gegenstück zur remissio mercedis schon Molina und Lessius162 gemacht haben, soll nur klargestellt werden, was sich ohnehin versteht, nämlich, daß der Verpächter nicht an dem Betriebsrisiko und an den Gewinnchancen teilnehmen soll, die allein von der Art und Weise der Betriebsführung abhängen.163 Die so entstandene Vorschrift gilt dem Gesetzgeber als „Regelung über die Änderung der Vertragsleistungen bei wesentlicher Änderung der Geschäftsgrundlage". 164

Diese Einschätzung wird in der heutigen Literatur zum Recht des Landpachtvertrags einhellig geteilt.165 II. Immerhin sind auch in § 593 BGB noch Überreste der remissio mercedis konserviert, die der Einordnung als gesetzliche Vorsorge für den Wandel der Geschäftsgrundlage widersprechen. Sie treten zutage, wenn man die Vorschrift mit der allgemeinen über die Geschäftsgrundlage in §§ 313f. BGB vergleicht: Daß das Anpassungsrecht nach § 593 BGB anders als die Rechtsbehelfe nach §§ 313f. BGB nicht bei einem anfänglichen MißVerhältnis von Leistung und Gegenleistung zusteht, ist keineswegs zufällig. Die schon im Landpachtgesetz von 1952 vorgenommenene Aufteilung zwischen staatlicher Äquivalenzkontrolle beim Vertragsabschluß und privatem Anpassungsrecht wegen Verhältnisänderung hat eine stärkere Wirkung, als auf den ersten Blick sichtbar ist.166 Mit ihr wird die Vertragshilfe aus dem besonderen Landpachtrecht überhaupt verbannt. Die staatliche Äquivalenzkontrolle dient dem öffentlichen Interesse an der Erhaltung eines leistungsfähigen Pächterstandes, nicht dem privaten Interesse des individuellen Pächters, zu dessen Schutz allein das Anpassungsrecht da ist. Daß eine gerichtliche Anpassung gemäß § 9 des neuen Landpachtvertragsgesetzes ohne vorherige Anzeige des Vertragsschlusses ausschei162

S.o. § 7. Die Regierungsbegründung, BT-Drucks. 10/509, S. 23 spricht hier unter Verkennung der Wortbedeutung von „besonders effektiv" und „besonders ineffektiv". Gemeint ist wohl „besonders effizient" und „besonders ineffizient". 164 Vgl. die Regierungsbegründung aaO (Fn. 163). Die späteren Änderungen, die auf Vorschläge des Bundesrats und des Rechtsausschusses des Bundestags zurückgehen, gelten nur noch der Formulierung der Vorschriften über das Anpassungsverfahren; vgl. BT-Drucks. 10/509, S. 32 und BT-Drucks. 10/3830, S. 29. 165 Vgl. nur Staudinger/Pikalo/v. Jeinsen,, § 593 Rn. 1; Soergcl/He intzmann § 593 Rn. 1, Erman/Jendrek Rn. 1, Palandt/WeidenkaffRn. 1. 166 Entgegen Ernst, SZ 105 (1988) 584f. läßt sich daher zumindest im Hinblick auf die remissio mercedis auch nicht von einer „Weiterführung" des nationalsozialistischen Gesetzes sprechen. 163

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det, bedeutet noch keine Kopplung von Äquivalenzkontrolle und Anpassungsrecht. Es ist eine schlichte Folgerung aus dem Verwirkungsgedanken: Wer schon die Anzeige unterläßt, die zu einem ähnlichen Ergebnis führen kann wie die Vertragsanpassung, verdient nicht, in deren Genuß zu kommen. Ist die staatliche Prüfung der Austauschgerechtigkeit ein Institut, das jenseits der privaten Vertragsordnung liegt und nur zufällig mit dem Anpassungsrecht verbunden ist, kann dieses, für sich genommen, aber keine adäquate Regelung für das Verhältnis von Vertrag und Geschäftsgrundlage sein. Mit der Beschränkung auf nachträgliche Änderungen bliebe das Anpassungsrecht ein Torso. Denn für die Zulassung eines Rechtsbehelfs wegen Mängeln der Geschäftsgrundlage spielt es keine Rolle, ob diese einer Fehlvorstellung der Parteien über ihren aktuellen Zustand bei Vertragsschluß oder einer Fehleinschätzung über ihre künftige Entwicklung unterliegt. Eine Regelung, die nur einem der beiden Fehler wehrt, ist entweder unvollständig oder überhaupt nicht als Vorschrift über das Verhältnis von Vertrag und Geschäftsgrundlage zu verstehen. Zu dem gleichen Ergebnis kommt man, wenn man die Qualität der Ereignisse vergleicht, die das Recht auf Vertragsanpassung nach § 593 BGB einerseits und einen Rechtsbehelf wegen Änderung der Geschäftsgrundlage anderseits zeitigen. Während persönliche Umstände nur regelmäßig, aber keineswegs zwingend von der Geschäftsgrundlage ausgenommen sind, kommen sie als Auslöser für ein Änderungsverlangen nach § 593 BGB von vornherein überhaupt nicht in Betracht. Die Vertragsanpassung erfolgt nur aufgrund einer Änderung in den sachlichen Verhältnissen wie der allgemeinen Wirtschaftslage, bei Steuern, Abgaben, staatlichen und bei überstaatlichen Lenkungsmaßnahmen sowie wegen eines Wandels der regionalen Pachtpreise.167 Eine Änderung in den persönlichen Verhältnissen der Vertragsparteien kann, wie der BGH schon ausdrücklich festgestellt hat, keinesfalls Berücksichtigung finden. 168 Auch insoweit gilt also, daß § 593 BGB entweder sein Ziel verfehlt oder gar keine Vorschrift über den Wandel der Geschäftsgrundlage ist. Daß die zweite Alternative richtig ist, erhellt ein weitergehender Vergleich der Tatbestandsvoraussetzungen, die in § 593 Abs. 1 und § 313 Abs. 1 BGB aufgestellt sind: Während hier ausdrücklich die Rücksicht auf die vertragliche Risikoverteilung vorgeschrieben ist, spielt es für das Anpassungsrecht aus § 593 BGB keine Rolle, ob eine Partei das Risiko der Veränderung in den tatsächlichen Verhältnissen übernommen hat. Eine Vorschrift über die Änderung der Geschäftsgrundlage könnte einen solchen Umstand nicht außer Acht lassen, würde sie doch sonst die vertraglich übernommene Risikoverteilung abändern. Besteht diese Gefahr beim Anpassungsrecht nach § 593 BGB nicht, liegt dies

167 168

BGHZ 134, 158, 162, BGH, NJW-RR 1999, 890. BGHZ 134, 158, 162.

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daran, daß es seinerseits die vertragliche Risikoverteilung ausmacht:169 Über die Möglichkeit zur Vertragsanpassung ist der Landverpächter von vornherein an dem Betriebsrisiko und an den Gewinnchancen des Landverpächters beteiligt. Zumindest in der Teilnahme an der Betriebsgefahr entspricht das moderne Anpassungsrecht also der römischen remissio mercedis, die keine externe Vertragshilfe für außerordentlich Umstände, sondern nur Ausfluß des von den Kontrahenten gewählten Vertragsmodells war. III. Hinzu kommt, daß seit der Integration des Landpachtrechts in das BGB auch die Kulturpflicht des Landpächters einen adäquaten gesetzlichen Ausdruck gefunden hat. Der neue § 586 Abs. 1 S. 3 BGB verpflichtet den Landpächter zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Pachtsache. Der Gesetzgeber meinte, so nur den ohnehin bestehenden Rechtszustand, nun aber ausdrücklich, fortzuschreiben. In der Regierungsbegründung zum Entwurf des Gesetzes zur Neuordung des landwirtschaftlichen Pachtrechts heißt es: „Die wichtige Vertragspflicht des Pächters zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Pachtsache besteht bereits nach geltendem Recht. Sie soll durch ausdrückliche Bestimmung hervorgehoben werden." 170

In Wahrheit hat der Gesetzgeber von 1985 die Rechtslage verändert. Aus einem Maßstab für die Pflicht zur Rückgewähr hat er nämlich eine regelrechte Verpflichtung des Landpächters gemacht, wie sie im römischen Recht den colonus traf. Damit ist für den Landpachtvertrag zugleich die Grundentscheidung des Gesetzgebers von 1900 aufgehoben, der Pachtverträge als schlichten Austausch von Nutzungsmöglichkeit und Entgelt auffaßte und eine regelrechte Kulturpflicht des Pächters daher ausdrücklich ablehnte.171 Da die Vorschriften über den Pachtvertrag als Anhängsel zum Recht des Mietvertrags weiterhin diesem Muster folgen, ist der Landpachtvertrag nun wieder als Besonderheit, ja sogar als eigener Vertragstyp, ausgebildet. Ist sein Anwendungsbereich auch durch die objektbestimmte Definition in § 585 BGB auf die Landwirtschaft eingeschränkt, ergeben sich die vertragstypischen Merkmale doch nicht aus dem Objekt, sondern aus der Pflichtenstruktur, nämlich aus der Betriebspflicht des Landpächters, der § 586 Abs. 1 S. 3 BGB jetzt in reiner Form zum Ausdruck verhilft, und aus der Beteiligung des Verpächters am Betriebsrisiko des Pächters, welche in § 593 BGB in der entstellten Form eines beiderseitigen Anpassungsrechts erscheint. Beide Merkmale sind die des römischen Kolonats.

169 Im Ergebnis ebenso Ernst, SZ 105 (1988) 588f., der seinen Schluß allerdings aus der Unabdingbarkeit des Anpassungsrechts nach § 593 BGB zieht. 170 BT-Drucks. 10/509, S. 17. 171 S.o. § 10 III.

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§ 13 Ergebnisse Das römische Recht des Kolonats ist in der späteren Rechtsentwicklung nicht mehr verstanden, aber doch zumeist beibehalten und nach seiner Abschaffung sogar wiedereingeführt worden. Die zwischenzeitliche Beseitigung der remissio mercedis hatte ihren zureichenden Grund darin, daß sie ohne das Korrelat der obligatio colendi nicht nachvollziehbar war. Mit deren erneuter Ausbildung mußte aber umgekehrt auch das Recht des Pächters auf Zinsnachlaß zurückkehren. I. Daß die römischen Juristen den colonus bei sterilitas eine remissio mercedis gewähren, hat seit dem Mittelalter drei Erklärungsvarianten gefunden, die sämtlich an ihren eigenen Widersprüchen zugrunde gingen und dem Versuch einer Abschaffung der remissio mercedis weichen mußten: Die älteste Form der Bewältigung dieser Rechtsfigur besteht in einer Annäherung an das Gesellschaftsrecht durch Ergänzung der remissio mercedis um ein umgekehrtes Recht des Verpächters auf Zinserhöhung. Diese auf Accursius zurückgehende Lösung hielt sich nur bis zu Bartolus172 und ist später lediglich bei den Spätscholastikern in Kombination mit der Forderung nach Beseitigung der remissio mercedis wiederaufgetaucht 173. Der Grund für die Kurzlebigkeit dieses Modells liegt auf der Hand: Läßt sich das Recht des Pächters auf Zinsnachlaß nur gemeinsam mit einem umgekehrten Anspruch des Verpächters auf Zinserhöhung rechtfertigen, ist es einfacher, von vornherein auf jegliches Änderungsrecht zu verzichten. Für eine gleichmäßige Teilhabe beider Vertragsparteien am Fruchtziehungsrisiko steht unabhängig von der Frage, wie die Teilpacht zuzuordnen ist, mit der societas stets ein passender Vertragstyp zur Verfügung. Den Austauschvertrag der locatio conductio mit einem funktionsgleichen Änderungsmechanismus zu versehen besteht kein Anlaß. Die zweite Deutungsmöglichkeit entwickelte im Anschluß an Ausführungen der Glossatoren zur ubertas Iacobus de Ravannis.174 Er macht die remissio mercedis zur Rechtsfolge einer laesio enormis und konkretisiert so nicht nur den Tatbestand des Anspruchs auf Zinsnachlaß, sondern gibt diesem auch einen neuen Rechtsgrund: In der remissio mercedis wirkt die aequitas zugunsten des von der sterilitas hart getroffenen Pächters. Da sich die aequitas aber wiederum nur an beide Kontrahenten gleichermaßen richten kann, kann die remissio mercedis auch nach dieser Lösung eigentlich nicht ohne ihr Gegenstück zugunsten des Verpächters auskommen. Oder, anders gewendet: Das Billigkeitsgebot bietet ebenfalls keine Grundlage, die ausschließlich für die remissio mercedis 172 173 174

Oben § 5 I. §7. §5 II.

§ 13 Ergebnisse

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gültig wäre. Führt man sie auf die Billigkeit zurück, verkommt diese, wie die spanischen Spätscholastiker175 und später die Interpreten des preußischen ALR 176 erkennen, zu einer quaedam aequitas ohne wirkliche Daseinsberechtigung. Die Verknüpfung von remissio mercedis, laesio enormis und Billigkeitsgebot, die sich im gemeinen Recht177 und über Pufendorf 178 bis in die Naturrechtsgesetzbücher179 hält, mußte daher einem dritten Modell weichen. Es besteht in einer Integration von remissio mercedis und Gefahrtragung. Hervorgegangen ist es aus Bartolus' Vergleich zur emptio venditio m9 den die Spätscholastiker freilich rasch gegen die Zulassung der remissio mercedis in Stellung bringen konnten. Eine Ableitung des Rechts auf Zinsnachlaß aus den Gefahrtragungsgrundsätzen gelingt nur, wenn man aus der Rechtsfolge der remissio mercedis auf den Inhalt der Leistungspflichten schließt. Diesen Schritt tat Donellus181, derfreilich zu weit ging und den Verpächter schlechthin auf die Gewährung des Fruchtziehungserfolgs verpflichten wollte. Diese Lösung wurde später zur herrschen Meinung in der Pandektistik182 und tauchte, verbunden mit Folgerungen aus dem Billigkeitsgebot, auch in den Naturrechtsgesetzbüchern auf 183. Als Erklärungsmuster für die römischen Quellen scheitert sie daran, daß sie nicht zu erhellen vermag, warum die remissio mercedis nur bei einem immodicum damnum und nicht schon bei jeder Beeinträchtigung des Fruchterfolgs eintreten soll. Setzt man sich, wie Christian Wolff, 184 über das römische Recht hinweg, bleibt eine bedenkliche Ausweitung der Verpächterpflichten im Verhältnis zu anderen Überlassungsverhältnissen. Anders als ein Vermieter entlastete der Verpächter eines landwirtschaftlichen Grundstücks, der für den Fruchterfolg einzustehen hat, seinen Vertragspartner in weitem Umfang von dessen Betriebsrisiko. Einen zureichenden Grund hierfür können die Verfasser des BGB nicht mehr erkennen.185 Sie schließen sich der schon in der Spätscholastik186 und von Grotius187 erhobenen Forderung nach Abschaffung der

176

§ 9 III. §6 II. 178 § 8 II. 179 §91, II. 180 § 5 III. 181 § 6 III. 182 § 101. 183 g 9 n 177

184 185

§ 8 III. § 10 II.

186 § 187

7

§ 8 I.

92 2. Kapitel: Pachtvertrag und remissio mercedis in der weiteren Rechtsentwicklung

remissio mercedis an und ziehen damit dierichtigeKonsequenz daraus, daß für dieses Institut bislang nur untaugliche Erklärungsmuster angeboten wurden. II. Der entscheidende Mangel aller drei erprobten Konstruktionen liegt darin, daß sie die remissio mercedis nur isoliert und ohne ihr Gegenstück: die obligatio colendi des Landpächters, erfassen. Diese ist aber schon im BGB von 1900 in der besonderen Ausgestaltung der Rückgewährpflicht für landwirtschaftliche Grundstücke wiedergekehrt.188 Ihren Siegeszug feiert sie in der nationalsozialistischen Gesetzgebung, die sie in den Dienst des öffentlichen Interesses an der Volksernährung stellt.189 Auch danach bleibt sie erhalten und kann dem anfänglich nur zur Vertragshilfe wiedereingeführten 190 Recht auf Vertragsanpassung seine Rechtfertigung selbst dann noch geben, als dieses nicht für die nationalsozialistische Idee eines gerechten Pachtpreises instrumentalisiert wird. 191 Der mit dem Gesetz zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts im BGB geschaffene Vertragstyp des Landpachtvertrags weist mm die wesentlichen Komponenten des römischen Kolonats auf: eine Betriebspflicht des Pächters und ein Recht auf Vertragsanpassung, das nicht Sanktion für einen Wegfall der Geschäftsgrundlage, von der römischen remissio mercedis allerdings darin verschieden ist, daß es beiden Vertragspartnern zugute kommt.192 Trotz dieser Entstellung bietet das BGB nun wieder das Regelungsmuster für einen Austauschvertrag, der nicht nur Überlassungsverhältnis, sondern zugleich dadurch gekennzeichnet ist, daß der überlassende Teil ein Interesse an der Tätigkeit des Übernehmers hat. Aus der Einsicht in die Grundfimktion dieses Vertragstyps und seine historische Beständigkeit gilt es, die richtigen rechtspolitischen Schlußfolgerungen zu ziehen.

188 189 190

191 192

§ 10 III. § 11 II. §111.

§121. §12 II.

Drittes Kapitel

Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung Die Untersuchung der Entwicklung vom römischen zum geltenden Recht hat gezeigt, wie das besondere Regelungsschema, das die römischen Juristen für den Kolonat entwickelt haben, nach zahlreichen Mißdeutungen, Anfeindungen und Verunstaltungen annähernd wieder seine ursprüngliche Form gefunden hat. Enthält das BGB aber wirklich eine zeitgemäße Übersetzung der römischen Vertragsmuster? Die römische locatio conductio war inhaltlich so wenig festgelegt, daß sie die entgeltliche Sachüberlassung mit Kulturpflicht ebenso einschließen konnte wie die einfache Überlassung gegen Entgelt und ohne Nutzungspflicht. Außer Miet- und Pachtvertrag im Sinne des BGB war sie auch Werk- und Dienstvertrag und erfaßte damit nahezu alle Formen des Austausche von Sachleistung und Geld, die nicht dem Kaufvertrag (emptio venditio) zugeordnet waren. Wegen der Anknüpfung an die Verben locare und conducere war noch nicht einmal festgelegt, wer die sach- und wer die geldleistende Rolle übernahm: Beim Miet- und Dienstvertrag im heutigen Sinne war es der locator , der die Sachleistung erbrachte; der conductor entrichtete die merces in bar. Beim Werkvertrag war es umgekehrt: Der conductor hatte die Sach-, der locator die Geldleistung zu erbringen. Die auf Überlassung einer Sache gerichtete locatio conductio rei war daher durchaus zugänglich für den Kolonat, bei dem die sach- und geldleistenden Rollen nicht einseitig, vielmehr nach Art eines ius societatis verteilt waren: Den colonus, der für die Überlassung des Grundstücks eine Geldleistung zu erbringen hatte, traf auch eine Sachleistungspflicht, die obligatio colendi , deren Gegenstück die Beteiligung des locator am Betriebsrisiko des colonus war. Finden wir diesen Mechanismus, wenn auch teilweise verstümmelt, in §§ 586 Abs. 1, 593 BGB als besondere Regelung für den Landpachtvertrag wieder, stellt sich die Frage, ob sie hier am richtigen Ort, die Auflösung der römischen locatio conductio rei in Miet-, Pacht- und Landpachtvertrag gelungen ist. Welchen Zweck und Anwendungsbereich haben die Vorschriften über den eigentlichen Pachtvertrag in §§ 581 - 584b BGB? Ist die Verselbständigung des hier beschriebenen Vertragstyps ohne die Regeln, die nur für die Landpacht gelten sollen, sinnvoll? Ist deren Anwendungsbereich durch die objektbestimmte Definition in § 585 BGB richtig bestimmt?

3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

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§ 14 Funktionalität der §§ 581 - 597 BGB Schon der erste Blick ins Inhaltsverzeichnis des BGB enthüllt ein Mißverhältnis zwischen dem Umfang der Vorschriften über den Pacht- und dem der Bestimmungen über den Landpachtvertrag. Der mit Pachtvertrag überschriebene Untertitel 4 des 5. Titels im 8. Abschnitt des Buchs über Schuldverhältnisse enthält nur acht Paragraphen, der dem Landpachtvertrag geltende Untertitel 5 dagegen 31 zum Teil sehr ausführliche Vorschriften. Sollte der Landpachtvertrag, wie sein Name nahelegt, nur Unterform des Pachtvertrags sein, verwunderte, warum dieser nahezu keinen Regelungsbedarf verursacht, der Landpachtvertrag dagegen eine ausführliche Kodifikation erzwingt. Das Mißverhältnis, das zwischen den Abschnitten über Pacht- und Landpachtvertrag der Länge nach besteht, ist in Wahrheit nur das äußere Zeichen für eine inhaltliche Disproportionalität: I. In der Kürze der Bestimmungen über den Pachtvertrag wird augenfällig, was gerade in der nationalsozialistischen Rechtswissenschaft Kritik erregte, nämlich daß der Pachtvertrag im BGB nur „ A n h ä n g s e l " des Mietvertrags ist.1 § 581 BGB, der den Pachtvertrag über die Hauptleistungspflichten der Parteien bestimmt, enthält außer dieser Definition einen umfassenden Verweis auf das Recht des Mietvertrags. Der Vorbehalt zugunsten pachtspezifischer Bestimmungen beschränkt sieh auf nicht mehr als sieben Paragraphen. Der unbefangene Leser kommt nicht umhin zufragen, ob es hierfür wirklich eines eigenen Untertitels im Gesetz und, mehr noch, überhaupt eines eigenen Vertragstypus bedurft hätte. Als gesetzessystematische hat die Frage ihre Brisanz verloren, seitdem das Mietrecht des BGB im Zuge der Mietrechtsreform von 2001 einen neuen Aufbau erhalten hat. Sind jetzt die Vorschriften über Wohnraummietverhältnisse der Prototyp, die Regeln über andere Mietverhältnisse im wesentlichen nur das Ergebnis von Verweisungen, ist die Wiederholung dieses Schemas beim Pachtvertrag nicht weiter bedenklich. Nach wie vor unbeantwortet bleibt indessen die inhaltliche Frage, ob die Pacht als Vertragstyp ihre Berechtigung hat oder ob die ihr zugewiesene Aufgabe nicht besser durch eine Ergänzung der mietvertraglichen Bestimmungen gelöst würde. Betrachten wir die vermeintlich pachtspezifischen Regeln, die aus und auf § 581 BGB folgen, also genau! Die einzige Abweichung, die § 581 BGB von den mietrechtlichen Vorschriften macht, besteht in der Erweiterung des Kreises der möglichen Geschäftsgegenstände. Anders als nach § 535 BGB kommen nicht nur Sachen, sondern auch Rechte sowie Sach- und Rechtsgesamtheiten wie zum Beispiel Unternehmen oder Betriebe2 als Gegenstand der Überlassung in Betracht. Die Beschränkung des Mietvertrags auf Sachen ist jedoch ihrerseits nur Folge der gesetzli!

S.o. § 11II. Zur Begrifflichkeit MünchKomm-flarfe § 581 Rn. 6.

2

§ 14 Funktionalität der §§ 581 - 597 BGB

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chen Aufspaltung in Miete und Pacht als Unterscheidung zwischen Gebrauchsgestattung und Überlassung zum Fruchtgenuß. Da ein Gebrauchsvorteil nur bei Sachen entsteht, der Fruchtbezug dagegen auch bei Rechten und Betrieben denkbar ist, folgt die Bestimmung der Geschäftsgegenstände nur der Trennung beider Arten des Überlassungsvertrags. Wären sie in einem Vertragstyp zusammengefaßt, würde dieser natürlich auch von vornherein Rechte und Betriebe als Geschäftsgegenstand einschließen müssen. § 581 BGB wäre dann nicht nur als Verweisungsnorm, sondern insgesamt entbehrlich. Den größten Teil der besonderen Vorschriften über den Pachtvertrag nehmen die Bestimmungen über das mitverpachtete Inventar in §§ 582 bis 583a BGB ein: Nach § 582 BGB verschiebt sich die Erhaltungspflicht bei der einfachen Mitverpachtung von Inventar von der Verpächter- auf die Pächterseite. Den Verpächter trifft gemäß § 582 BGB nur noch die Verpflichtung zum Ersatz von Inventarstücken, die in Abgang gekommen sind. Auch diese Verpflichtung ist ihm bei der Inventarübernahme zum Schätzwert abgenommen, deren Regelung in § 582a BGB römischem Vorbild folgt:3 Übernimmt der Pächter das Inventar zum Schätzwert, obliegt ihm auch der Ersatz abgeganger Inventarstücke. Für deren zufälligen Untergang oder ihre Verschlechterung ohne Verpächterverschulden trägt er demnach auch die Gefahr, kann also keine Ansprüche wegen Sachmängeln erheben. Der Pächter ist zur Verfügung über die Inventarstücke des Verpächters befugt, verliert im Gegenzug an diesen aber auch neuangeschaffte Inventarstücke durch dingliche Surrogation. Der Ausgleich findet bei Pachtende statt, wenn der Anfangs- dem aktuellen Wert des Inventars gegenübergestellt und der Saldo zum Gegenstand eines Ausgleichsanspruchs wird. § 583 BGB räumt dem Pächter an den Inventarstücken ein Pfandrecht ein, das Spiegelbild zum Verpächterpfandrecht an den vom Pächter eingebrachten Sachen nach §§ 581 Abs. 2, 562ff. BGB ist. § 583a BGB verbietet schließlich eine den Pächter besonders benachteiligende Vereinbarung, welche ihm die freie Verfügungsbefugnis über das Inventar nimmt, dem Verpächter aber die Möglichkeit offenhält, eine Übernahme des Inventars bei Pachtende abzulehnen. Sind diese Regeln pachtspezifisch? Passen sie nicht auch auf den Fall, daß der Hauptgegenstand des Vertrags nicht zum Fruchtgenuß, sondern lediglich zum Gebrauch überlassen sein soll? Daß sie den praktisch wichtigsten Anwendungsbereich im landwirtschaftlichen Sektor haben, ist kein Grund, den Mietvertrag, bei dem eine Überlassung von Inventar ohne weiteres denkbar ist, von ihrem Geltungsbereich auszunehmen. Dies gilt, zumal §§ 582 bis 583a BGB auf den Landpachtvertrag ohnehin nur kraft der Verweisung in § 585 Abs. 2 BGB wirken. Zwar sind die Lockerung der Instandhaltungspflicht des überlassenden Teils und ihre Überwälzung auf die übernehmende Partei sicherlich kein adäquates Regelungsmodell für die Wohnraummiete. Warum gelten sie aber nicht 3

Vgl. D 19.2.3 Pomp 9 Sab.

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3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

für die Geschäftsraummiete? Daß der Übernehmer in diesem Fall statt zu Gebrauchsvorteil und Fruchtgenuß nur zum Gebrauch zugelassen sein soll, ist kein Kriterium, das die unterschiedliche Behandlung in der Frage des Inventars rechtfertigen könnte. Das Inventar kann dem Gebrauch des Geschäftsgegenstands ebenso förderlich sein wie dem Fruchtgenuß. Entweder man verzichtet zum Nachteil des überlassenden und im Interesse des übernehmenden Teils völlig auf Vorschriften über die Inventarerhaltung und überläßt sie dem individuellen Vertrag; oder man schafft dispositives Gesetzesrecht, das für die Gebrauchsgestattung und Überlassung zum Fruchtgenuß gleichermaßen gilt. Für die Beschränkung auf Pachtverträge im Sinne des BGB besteht kein Anlaß. § 584a BGB, der auf die Bestimmungen zur Inventarüberlassung folgt, enthält zwei Vorschriften über die Kündigung mit gegenläufigen Regelungszielen: Abs. 1 versagt dem Pächter das sich eigentlich aus §§ 581 Abs. 2, 540 Abs. 1 BGB ergebende Recht zur außerordentlichen fristgerechten Kündigung wegen Verweigerung der Zustimmung zur Unterverpachtung. Gesetzgeberisches Motiv hierfür ist, daß der Pächter regelmäßig ein besonderes Interesse an der Person des Pächters hat, der durch die Fruchtziehung besonders auf die Sache einwirkt.4 Abs. 2 von § 584a BGB nimmt dem Verpächter allerdings das Kündigungsrecht, das ihm nach § 580 BGB bei Tod des Pächters zustünde. Zweck dieser Vorschrift ist der Schutz der Pächtererben. Deren Vermögen kann durch Aufwendungen des Pächters gemindert sein, die sich wegen der vorzeitigen Beendigung des Pachtvertrags nicht mehr amortisieren können.5 Es ist überaus zweifelhaft, ob diese Erwägung den Ausschluß des Kündigungsrechts für den Verpächter trägt, dessen Interesse an der Auswahl der Pächterperson gerade durch Abs. 1 gleichen Vorschrift besonders betont wird. Selbst wenn man den Amortisationsschutz nicht § 539 BGB überlassen will, gilt aber für beide Schutzzwecke des § 584a BGB, daß sie nicht nur bei Pachtverträgen im Sinne des Gesetzes einschlägig sind. Eine intensive Einwirkung auf den Geschäftsgegenstand ist bei der Gebrauchsüberlassung von Geschäftsräumen, insbesondere zum Handwerksbetrieb, ohne weiteres denkbar; und die Gefahr der Frustration von Aufwendungen durch plötzlichen Tod der übernehmenden Vertragspartei ist bei der Gebrauchsgestattung nicht geringer als bei der Überlassung zur Fruchtziehung. Auf die in § 584a BGB zusammengefaßten Regeln muß man daher entweder ganz verzichten; oder man stellt sie ohne Rücksicht auf die Unterscheidung von Gebrauchsvorteil und Fruchtgenuß für entgeltliche Überlassungsverhältnisse generell auf, macht sie aber von dem besonderen Anlaß abhängig, der dem geltenden Gesetz jeweils das Motiv gibt: den Kündigungsausschluß zulasten des Übernehmers von dem besonderen Interesse des überlassenden Teils an der Person des Vertragspartners, den Kündigungsausschluß 4 5

Vgl. Prot., Bd. II, S. 237 = Mugdan, Bd. II, S. 877. Vgl. Prot., Bd. II, S. 250 = Mugdan, Bd. II, S. 880.

§ 14 Funktionalität der §§ 581 - 597 BGB

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zum Nachteil des überlassenden Teils von besonderen Investitionen des verstorbenen Übernehmers. Verglichen mit einer solchen Regelung, ist die Differenzierung zwischen Gebrauchsgestattung und Überlassung zum Fruchtgenuß, die wir im Gesetz vorfinden, bestenfalls holzschnittartig. Eine legislatorische Rechtfertigung sucht man auch bei der Bestimmung über Termine und Fristen der ordentlichen und außerordentlichen fristgerechten Kündigung vergeblich: § 584 BGB sieht eine-Kündigungsfrist für den im Mietrecht nicht geregelten Fall einer Rechtsüberlassung vor. Hier und bei einer Grundstücks- und Raumüberlassung beschränkt § 584 BGB die Wirkung der Kündigung auf einen Termin im Jahr und verlängert die Kündigungsfrist, die bei der Grundstücksmiete nach § 580a Abs. 1 Nr. 3 und 2 BGB annähernd drei Monate beträgt, auf nahezu ein halbes Jahr. Daß man so die Praxis der meisten Pachtverträge trifft, ist, für sich genommen, noch kein Argument, das die gesetzliche Anordnung rechtfertigen könnte. Es wird hierzu erst, wenn man die Frage stellt, warum die Praxis einjährige Abstände zwischen den Kündigungsterminen und eine lange Kündigungsfrist vorsieht: Bei Pachtverträgen ist der Nutzungserfolg im Regelfall ungleichmäßig über das Jahr verteilt.6 Ist dies aber der eigentliche Grund für die Differenzierung in den Kündigungsregeln, erhebt sich sofort die Frage, warum er nicht auch im Gesetz erscheint. Gibt es etwa keine Mietverträge, bei denen der Gebrauchsvorteil im Laufe eines Jahres unterschiedlich hoch ist? Man denke nur an Einzelhandelsgeschäfte, die regelmäßig einen höheren Umsatz zur Weihnachtszeit haben. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum diese Mietverträge nicht der gleichen Kündigungsregelung wie Pachtverträge unterworfen sein sollen. Denn in dem gleichen Maße, in dem Pachtverträge auf einen bestimmten Fruchtgenuß aus dem Pachtgegenstand angelegt sind, sind Mietverträge auf einen bestimmten Gebrauch ausgerichtet, aus dem sich ohne weiteres ergibt, ob der Nutzen gleichmäßig über das Jahr verteilt oder abhängig von der Jahreszeit ist. Das gleiche gilt für die Bestimmung über den Entschädigungsanspruch bei verspäteter Rückgabe: § 584b BGB, der im Gegensatz zu § 546a BGB keine gleichmäßige, sondern eine Entschädigung im Verhältnis von tatsächlichen oder potentiellen Nutzungserfolg während der Zeit der Vorenthaltung anordnet, beruht auf der gleichen Erwägung wie die Kündigungsvorschrift des § 584 BGB. Ebenso wie diese paßt auch die Entschädigungsregelung ohne weiteres auf Mietverträge mit jahreszeitlich variierendem Gebrauchsvorteil. Eine Differenzierung danach, ob ein Gegenstand nur zum Gebrauch oder auch zur Fruchtziehung überlassen sein soll, ergibt wiederum keinen Sinn. Das Grundproblem, das in den Bestimmungen über den Pachtvertrag auftaucht, ist überall das gleiche: Der Gesetzgeber hat die Existenz eines Pachtver6

Vgl. Mot., Bd. II, S. 427 = Mugdan, Bd. II, S. 238.

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3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

trags, wie ihn § 581 Abs. 1 BGB definiert, einfach hingenommen und für diesen Vertragstyp adäquate Regeln aufgestellt, ohne zugleich zufragen, ob diese Regeln nicht auch auf die Geschäftsraummiete passen. Hätte er sich dieser Frage gestellt, hätte er die wenigen, in §§ 582 bis 584b BGB enthaltenen Bestimmungen auch für den gewerblichen Mietvertrag zur Verfügung gestellt, das heute sogenannte Pacht- im Mietrecht aufgehen lassen. II. Beim Landpachtvertrag stellt sich die Frage nach der Berechtigung eines eigenen Untertitels und Vertragstypus nicht. Die Bestimmungen der §§ 585 597 sind hinreichend verschieden von denen des Mietvertrags, um ihre Sonderung zu begründen. Die Vorschriften, die für das Vertragsmodell des Landpachtvertrags bestimmend sind, passen ihrerseits auch nicht auf die Vereinbarung einer schlichten entgeltlichen Gebrauchsgestattung oder einfachen Überlassung zum Fruchtgenuß ohne Nutzungspflicht. Denn sie lassen sich sämtlich auf die beiden Merkmale zurückführen, die den Landpachtvertrag von Miete und herkömmlicher Pacht grundlegend unterscheiden: die Betriebspflicht des Landpächters und die Teilnahme des Verpächters am Betriebsrisiko. Am deutlichsten zum Ausdruck kommt dies in der Verpflichtung des Landpächters auf eine Rückgewähr der Pachtsache in einem Zustand, welcher der fortgesetzten ordnungsgemäßen Bewirtschaftung entspricht. Die Regel des heutigen § 596 Abs. 1 BGB fand sich schon im ersten Entwurf des BGB von 1900 und diente hier als Ersatz für eine regelrechte Betriebspflicht, zu der sich der Gesetzgeber damals noch nicht durchringen konnte.7 Seit ihrer Einführung durch das Gesetz zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts von 1985 bildet die besondere Rückgewährpflicht, die den Landpächter trifft, eine passende Ergänzung seiner Hauptpflicht zur ordnungsgemäßen Bewirtschaftung der Pachtsache. Auch daß der Pächter den Verpächter von seiner Erhaltungspflicht entlastet, indem er nach § 586 Abs. 1 S. 2 BGB die gewöhnlichen Ausbesserungen der Pachtsache auf seine Kosten durchzuführen hat, ist Ausfluß seiner Betriebspflicht: Wer die ordnungsgemäße Bewirtschaftung der Pachtsache übernimmt, muß auch die gewöhnlich auftretenden Mängel der Pachtsache beseitigen. Eine Minderung der Pacht kann deshalb ebensowenig stattfinden, wie sie von den römischen Juristen für die vitia ex ipsa re in der Pächtertätigkeit zugelassen wurde.8 Die Pflicht zur ordentlichen Bewirtschaftung der Pachtsache erzwingt als Nebenpflicht auch eine größere Rücksicht auf Maßnahmen des Verpächters, die der Erhaltung und Verbesserung der Pachtsache dienen. Hat der Mieter von Grundstücken diese überhaupt nicht, der Mieter von anderen als Wohnräumen 7 8

S.o. § 10 III. S.o. § 21, II.

§ 14 Funktionalität der §§ 581 - 597 BGB

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sie nur schlicht zu dulden, ohne daß sich die Miete erhöhen kann, muß der Landpächter nach § 588 Abs. 2 und 3 BGB Verbesserungsmaßnahmen, die für ihn keine ungerechtfertigte Härte bedeuten, hinnehmen und bei einer Steigerung des Ertrags sogar einer zumutbaren Pachtzinserhöhung zustimmen. Für einen Übernehmer, der lediglich zur entgeltlichen Nutzung der Sache berechtigt sein soll, ist dies, vom preisregulierten Sektor der Wohnungsmiete abgesehen, eine nicht zu rechtfertigende Belastung. Treffen k^nn den Landpächter die vom Verpächter aufgedrängte Pachterhöhung nur deshalb, weil er zum Betrieb der Pachtsache verpflichtet ist, sich der angemessenen Beteiligung an ihrer Verbesserung also nicht entziehen kann. Auch die Vorschriften über eine Änderung der bisherigen Nutzung der Pachtsache und den Verwendungsersatz sind nur aus der Eigenart des Landpachtvertrags erklärbar: Nach § 590 Abs. 2 BGB darf der Landpächter die Nutzung der Pachtsache ohne weiteres ändern, wenn er so keinen Einfluß auf die Pachtsache über die Pachtzeit hinaus nimmt. Für eine weitergehende Änderung, die der Rentabilitätssteigerung dient, kann er sogar die Zustimmung des Vermieters erzwingen. Das gleiche gilt gemäß § 591 Abs. 2 BGB bei werterhöhenden Verwendungen, für die den Landverpächter bei Pachtende eine Ausgleichspflicht trifft. Der Landverpächter ist verpflichtet, sich in zumutbarer Weise an den Risiken zu beteiligen, welche die dem Pächter auferlegte Bewirtschaftung der Pachtsache mit sich bringt. Dazu gehört auch die Hinnahme von Substanzveränderungen, die im gemeinsamen Interesse an der Weiterentwicklung des Pachtgegenstands sind. Vor allem die Regeln über die Nutzungsänderung und den Verwendungsersatz sollen nach dem Willen der Urheber des Gesetzes zur Neuordnung des landwirtschaftlichen Pachtrechts von 1985 dazu dienen, die Stellung des Pächters als eines selbständigen Unternehmers zu stärken.9 Diese Stellung kommt ihm nicht nur in seiner Rolle als geldleistungspflichtige Partei des Pachtvertrags zu. Sie ergibt sich auch aus seiner Position als Betriebsführer, der dem Verpächter gegenüber zur Bewirtschaftung verpflichtet ist. Die größere Freiheit, die der Landpächter im Umgang mit dem Pachtgegenstand hat, ist die Kehrseite einer größeren Verantwortung, die den Landpächter deshalb trifft, weil er im Interesse beider Vertragsparteien tätig wird. Der durch die Betriebspflicht und ihr Pendant: die Teilnahme am Betriebsrisiko des Pächters, gekennzeichnete Landpachtvertrag ist im Gegensatz zum gewöhnlichen Pachtvertrag im Sinne des BGB ein selbständiger Vertragstypus, der die gesonderte Normierung in einem eigenen Untertitel voll und ganz verdient hat.

9

Vgl. BT-Drucks. 10/509, S. 13, 20ff.

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3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

§ 15 Der Anwendungsbereich der §§ 581 - 597 BGB und seine Lücken Ist der Pachtvertrag im Sinne des BGB ein überflüssiger, der Landpachtvertrag dagegen ein eigenständiger und zu Recht normierter Vertragstyp, böte dies noch keinen Grund zur Kritik, entstünden dadurch nicht erhebliche Lücken. Daß zahlreiche praktisch bedeutsame Verträge durch die Maschen des Gesetzes fallen, wird offenbar, wenn man die Vorschriften untersucht, die für den Geltungsbereich von Pacht- und Landpachtrecht maßgeblich sind: I. Augenfälliger Mangel des § 585 Abs. 1 BGB ist die Legaldefinition des Begriffs „Betrieb". Sie weicht von der allgemeinen Bedeutung des Ausdrucks ab, der sich auf eine Gesamtheit von Sachen und Rechten bezieht. „Betrieb" im Sinne der Vorschriften über den Landpachtvertrag soll dagegen eine Sache sein, nämlich ein Grundstück mit den zu seiner Bewirtschaftung dienenden Wohnoder Wirtschaftsgebäuden. Ist diese Definition schon offensichtlich ein gesetzestechnischer Mißgriff, hat sie auch bedenkliche Konsequenzen, die sich nur im Wege teleologischer Gesetzeskorrektur vermeiden lassen: Durch die Definition des Betriebs als Sache fallen Betriebe im herkömmlichen Sinn aus dem eigentlichen Anwendungsbereich der §§ 585ff. BGB heraus. Wird über das Grundstück hinaus noch Inventar überlassen, ergibt zwar die Verweisung auf §§ 582 bis 583a in § 585 Abs. 2 BGB, daß so noch nicht die Grenzen des Landpachtvertrags gesprengt sind. Überschritten ist der gesetzliche Rahmen aberfraglos, wenn außer Grundstück und Inventar auch Forderungen oder Verbindlichkeiten, Kunden- oder Lieferantenbeziehungen überlassen sein sollen. In den Anwendungsbereich der §§ 585ff. läßt sich eine solche Vereinbarung nur einbeziehen, wenn man ein Versehen des Gesetzgebers annimmt, sich über den Wortlaut des Gesetzes hinwegsetzt und die Vorschriften über den Landpachtvertrag auch auf Betriebe im herkömmlichen Sinn für anwendbar erklärt. Den Rahmen der Auslegung hat man damitfreilich verlassen. Zu dieser Schwierigkeit, die sich immerhin noch bei der Gesetzesanwendung beheben läßt, tritt ein weiteres, de lege lata nicht mehr zu bewältigendes Problem, nämlich, daß § 585 Abs. 1 BGB den Geltungsbereich der Vorschriften über den Landpachtvertrag überhaupt nach dem Vertragsobjekt und nicht über die vertragstypischen Pflichten bestimmt. Haben sich die Parteien auf die entgeltliche Überlassung eines Grundstücks oder eines Betriebs im Sinne dieser Vorschrift geeinigt, kommen die Regeln über den Landpachtvertrag auch dann zur Anwendung, wenn es an einer vertragstypischen Pflicht fehlt. Diese erscheinen erst in § 586 BGB und dort als dispositives Recht. Damit ist die Betriebspflicht, die den Landpachtvertrag ausmacht, nicht Merkmal für dessen Anwendungsbereich. Sie könnte sogar abbedungen werden, ohne daß zugleich die Geltung der Vorschriften über den Landpachtvertrag in Frage gestellt würde. Unverzichtbar ist allein, daß der Geschäftsgegenstand „verpachtet", also eine Ver-

§ 15 Der Anwendungsbereich der §§ 581 - 597 BGB und seine Lücken

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einbarung über Hauptleistungspflichten getroffen ist, wie sie § 581 Abs. 1 BGB bestimmt. Mit der Betriebspflicht entfällt aber nicht nur die Rechtfertigung für ihr Pendant, die in § 593 BGB unabdingbar angeordnete Beteiligung des Verpächters am Betriebsrisiko des Landpächters. Auch die übrigen Besonderheiten des Landpachtvertrags, die nur Ausfluß dieser beiden grundlegenden Regeln sind,10 müssen mangels einer Betriebspflicht ohne Verankerung im Gerüst der fundamentalen Vertragspflichten auskommen. Die für den Geltungsbereich des Landpachtvertrags gewählte Lösung steht so in auffälligem Gegensatz zur Definition des gewöhnlichen Pachtvertrags, den § 581 Abs. 2 BGB gerade abschließend über seine Hauptleistungspflichten bestimmt. Deren Ausschluß, also eine Vereinbarung, daß der überlassende Teil nicht zur Gestattung des Fruchtgenusses, der übernehmende nicht zur Zahlung der Pacht verpflichtet ist, hätte hier unweigerlich zur Folge, daß auch das Pachtrecht entweder ganz unanwendbar oder nur noch Mittel zur Bewältigung eines typengemischten Vertrags wird. In der objektbestimmten Definition des § 585 Abs. 1 BGB kann man nur ein unglückliches Erbe des römischen Rechts sehen: Nach den römischen Quellen sind Betriebspflicht und Beteiligung des locator am Betriebsrisiko des conductor hier in der Tat auf den Kolonat, die Überlassung zur Landwirtschaft, beschränkt. Schon gegenüber den römischen Juristen wäre die Frage berechtigt gewesen, ob die für den Kolonat entwickelten Regeln nicht auf andere Überlassungsverhältnisse übertragbar gewesen wären. Gestellt hat sie sich nicht so dringlich, weil die hier vor allem in Betracht kommende Staatspacht11 dem öffentlichen Recht unterlag und während des Prinzipats ohnehin der kaiserlichen Verwaltungswirtschaft weichen mußte. Heute besteht dagegen ein dringendes Bedürfiiis nach einem Vertragstyp, dessen Ausgestaltung den Regeln des kodifizierten Landpachtvertrags folgt. Daß seine objektbestimmte Definition im Gesetz eine erhebliche Lücke reißt, erhellt, wenn man den Anwendungsbereich der Vorschriften über den gewöhnlichen Pachtvertrag analysiert. II. Die Überlassungsverträge, die § 581 Abs. 1 BGB erfaßt, lassen sich unterhalb der gesetzlichen Ebene und anders als beim Landpachtvertrag ohne Ausschlußfunktion und somit gefahrlos nach den Vertragsobjekten einteilen. Es gibt Sach-, Rechts- und Betriebspachtverträge. Scheinbar leicht fällt die Entscheidung gegen den Miet- und für den Pachtvertrag im Sinne des BGB bei der entgeltlichen Überlassung von Sachen. Da bewegliche Sachen, von den nach § 90a BGB ohnehin nicht dazugehörigen Tieren abgesehen, in der Regel nur Gebrauchsvorteile, keine Früchte abwerfen, kann die Sachpacht im wesentlichen nur Raum- oder Grundstückspacht sein. Da eine Überlassung zur Land10

S.o. § 14 II. Diese dürfte Papinian mit seinem in D 19.2.15.4 überlieferten Hinweis auf die Rechtslage in vecitgalis kaum gemeint haben. 11

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3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

Wirtschaft nach § 585 Abs. 1 BGB zur Zuständigkeit der Vorschriften über den Landpachtvertrag führt, bleibt für §§ 581 - 584b BGB nur die Überlassung von Räumen oder Grundstücken zu gewerblichen undfreiberuflichen Zwecken. Für die Entscheidung zwischen Miet- und Pachtvertrag hat das RG hier eine scheinbar einfache Formel gefunden: Es komme darauf an, ob die zu überlassenden Räume oder das Grundstück nach der Parteivereinbarung selbst Quelle des Ertrags oder nur Mittelpunkt der unternehmerischen Tätigkeit sein sollen.12 Im Einzelfall, in dem es an einer ausdrücklichen Parteivereinbarung mangelt, wird diese Unterscheidung nach der Einrichtung der Pachtsache getroffen: Eignet sich diese bei Überlassung bereits zu dem von dem Pächter angestrebten Betrieb, liegt Pacht, ansonsten Miete vor.13 Hierin liegt ein zulässiger Schluß von den tatsächlichen Umständen auf den Vertragsinhalt, der nicht schon als solcher, sondern wegen der Fragwürdigkeit seines Ausgangspunktes bedenklich ist. In einer leider nicht gebührend beachteten Göttinger Dissertation von 196514 vertritt der Autor, Friedrich Kappey, die bemerkenswerte These, daß es eine Raum- oder Grundstückspacht zu unternehmerischen Zwecken außerhalb der Landwirtschaft überhaupt nicht gebe. Ohne eine zugehörige Organisationseinheit, den Betrieb, seien Räume und Grundstücke, auch wenn sie mit Inventar überlassen werden sollen, niemals die Quelle des Ertrags. Dessen Ursprung sei stets nur die Tätigkeit des übernehmenden Teils.15 Diese These ist so offenkundig richtig,16 wie sie einfach ist. Daß das RG anders geurteilt und Überlassungsvereinbarungen häufig dem Pachtvertrag im Sinne des BGB zugewiesen hat, lag jeweils an den praktischen Zwängen des einzelnen Falles, in dem es zumeist um Fragen des preußischen Steuerrechts ging, das zwischen Miete und Pacht unterschied.17 Selbst heute gibt es noch gute, auch zivilrechtliche, Gründe, eine isolierte Grundstücks- oder Raumüberlassung den Regeln über den Pachtvertrag zuzuweisen. Nur so hat der Rechtsanwender nämlich Zugang zu den Vorschriften über das Inventar in §§ 582 bis 583a BGB und vor allem zu den Bestimmungen, die auf der Voraussetzung beruhen, daß sich der Erfolg der Nutzungstätigkeit ungleich über das Jahr verteilt: Die von § 584 BGB vorgesehene Beschränkung auf einen Kündigungstermin pro Jahr und die besondere Berechnungsweise, der § 584b BGB den Entschädigungsanspruch wegen Vorenthaltung unterwirft, kommen nur zum Zuge, wenn man sich statt für einen Miet- für

12

RGZ 81, 23, 24. Weiteres bei MüchKomm-//arte § 581 Rn. 16. 14 Kappey, Die Abgrenzung von Miete und Pacht bei der Überlassung von Räumen zu gewerblichen Zwecken. 15 Kappey (Fn. 14), S. 142ff. 16 Anders noch MüchKomm-Harke § 581 Rn. 7, 16. 17 Siehe die genaue Darstellung bei Kappey (Fn. 14), S. 16ff. 13

§ 15 Der Anwendungsbereich der §§ 581 - 597 BGB und seine Lücken

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einen Pachtvertrag im Sinne des Gesetzes entscheidet. Wären diese Regeln, die, wie gezeigt,18 auf die Gebrauchsüberlassung genauso passen wie auf die Gestattung zur Fruchtziehung, generell auf Überlassungsverhältnisse anwendbar, fiele freilich der Zwang zur unrichtigen Subsumtion unter den Begriff des Fruchtgenusses weg. Die Grundstücks- und Raumüberlassung könnte, von der landwirtschaftlichen Nutzung abgesehen, als Gebrauchsüberlassung erkannt und den Mietverträgen zugeschlagen werden.19 Andere Probleme als bei der Sachpacht stellen sich bei der Rechtsüberlassung. Rechte eignen sich ohne weiteres, aber auch nur zur Fruchtziehung, so daß ihrer Zuordnung zu den Pachtverträgen im Sinne des BGB kein logisches Hindernis im Wege steht. Bei ihnen stellt sich allerdings die rechtspolitische Frage, ob das gesetzliche Muster des Pachtvertrags das passende Regelungsmodell ist. Offenkundig fragwürdig ist die gesetzliche Zuordnung bei den Jagdund Fischereipachtverträgen. Diese stehen dem Landpachtvertrag, von dessen Anwendungsbereich sie durch die Definition des § 585 BGB ausgenommen sind, so nahe, daß ihre Ungleichbehandlung wunder nimmt: Warum soll dem Pächter, dessen Jagd- und Fischereitätigkeit auch im Interesse des Verpächters an Bestand und Nutzbarkeit des überlassenen Rechts liegt, nicht einer Betriebspflicht unterworfen sein? Warum soll der Verpächter im Gegenzug nicht an den Risiken des Pächterbetriebs beteiligt sein? Für die Sonderung der Jagd- und Fischereipacht, die in der Reichspachtschutzordnung von 194020 einem Landpachtvertrag noch gleichgestellt waren, gibt es keine Rechtfertigung. Ein wirtschaftlich bedeutenderes Terrain als das der Jagd- und Fischereipachtverträge erschließt sich mit den Lizenz- und ähnlichen Verträgen. Diese passen dem ersten Anschein nach ohne weiteres unter den Begriff des Pachtvertrags, wird doch ein Recht zur Fruchtziehung gegen Entgelt überlassen. Die herrschende Meinung hält Lizenzverträge gleichwohl für typengemischte Vereinbarungen, die Elemente verschiedener gesetzlicher Vertragsmuster aufweise.21 Für ein solches Urteil, das erhebliche Rechtsunsicherheit mit sich bringt, bestünde überhaupt kein Anlaß, wenn der Pachtvertrag des BGB für ein besonderes vertragliches Phänomen zugänglich wäre: die Pflicht des Pächters, den Pachtgegenstand ordnungsgemäß zu nutzen. Hieran hat der Lizenzgeber in der Regel ein großes Interesse. Würde ihm in der gesetzlichen Regelung des Pachtvertrags entsprochen, stünden der Zuweisung zum gesetzlichen Vertragstypus im Regelfall weder beim Lizenzvertrag noch beim verwandten Know-how18

S.o. § 151. Die Probleme, die heute bei der Abgrenzung von Raum- oder Grundstücks- und Betriebspachtvertrag auftreten (dazu MüchKomm-i/arÄe § 581 Rn. 7), wären dann solche der Unterscheidung von Miete und Pacht. 20 RGBl. I, S. 1065; dazu oben § 11 II. 21 Vgl. die Nachweise bei MüchKomm-Zfarfe § 581 Rn. 27. 19

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3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

Vertrag oder beim AuffÜhrungs- und Verwertungsvertrag größere Hindernisse im Wege. Wegen ihres vermeintlich „dienstvertraglichen" Elements fallen alle diese Verträge nur deshalb durch die Löcher des gesetzlichen Vertragssystems, weil der Rechtspachtvertrag keine Nutzungspflicht kennt. Die Probleme entschärfen sich bei der gewöhnlichen Betriebsüberlassung, sie verschärfen sich beim Franchising: Wird ein Betrieb, also eine Gesamtheit von Sachen und Rechten einschließlich der Erwerbschancen und des good will, zur entgeltlichen Nutzung überlassen, ist der Vorteil, der dem übernehmenden Teil eingeräumt wird, der Genuß der Früchte in Form des Betriebsgewinns, die Vereinbarung Pachtvertrag im Sinne von § 581 Abs. 1 BGB. Auch wenn der Verpächter nicht am Betriebsergebnis beteiligt ist, dieses während der Pachtzeit also in vollem Umfang zum Vor- oder Nachteil des Pächters wirkt, hat der Verpächter in aller Regel ein Interesse daran, daß der Pächter den Betrieb ordentlich führt. Dieses Interesse ist gesteuert durch den Wunsch, den Betrieb in einem Zustand zurückzuerhalten, der seine Weiterführung nach Pachtende erlaubt. Einem solchen berechtigten Anliegen läßt sichfreilich schon ohne weiteres dadurch genüge tun, daß man den Verpächter zur Kündigung aus wichtigem Grund und zum Schadensersatz zuläßt, wenn der Pächter den Betrieb nicht ordentlich führt oder sich ein solches Verhalten für die Zukunft abzeichnet.22 Damit folgt man dem Schema, das der Gesetzgeber von 1900 für den Landpachtvertrag wählte, indem er die Betriebspflicht zum Teil der Rückgewährpflicht machte.23 Der Anerkennung einer regelrechten Betriebspflicht, wie sie von der Rechtsprechung in Verkennung der Natur des gesetzlichen Pachtvertrags zuweilen theoretisch zumindest für möglich, praktisch im Regelfall verneint wird,24 bedarf es wegen einer bloßen Gefährdung des Rückgewähranspruchs jedenfalls noch nicht. Das gleiche gilt, wenn die vom Betriebspächter zu entrichtende Pacht vom Umsatz oder Betriebsergebnis abhängt. Hier hilft bereits der Rechtsgedanke des § 162 BGB, der eine Berechnung des Pachtzinses nach dem bei ordnungsgemäßer Betriebsführung zu erzielenden Umsatz oder Ergebnis zuläßt.25 Ein umsatz- und ergebnisabhängiges Entgelt ist typisch für eine andere Vertragsart, deren Abgrenzung in der Praxis große Schwierigkeiten bereitet: Der Betriebsführungsvertrag läßt sich vom Pachtvertrag im Sinne des BGB sicherlich nicht danach unterscheiden, ob der übernehmende Teil im Außenverhältnis zu Dritten im eigenen oder im Namen des überlassenden Teils auftritt oder auftreten soll. Das Verhalten gegenüber Dritten ist für die Qualifikation der Rechtsbeziehung unter den Vertragsparteien unerheblich. Auch die herkömmli22 23 24 25

So RGZ 138, 192, 197f. S.o. § 10 III. Vgl. MüchKomm-//arte § 581 Rn. 12. BGH NJW 1979, 2351, 2352 (für die Umsatzmiete).

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che Abgrenzungsformel, der Betriebspächter werde im eigenen, der Betriebsführer imfremden Interesse tätig, verschleiert nur, worum es nach der gesetzlichen Systematik eigentlich gehen müßte: Der Betriebspächter zahlt ein Entgelt für die Nutzungsmöglichkeit, der Betriebsführer erhält ein Entgelt für die Nutzung.26 Die Unterscheidung nach der Verteilung der sach- und geldleistenden Rolle ist theoretisch simpel, in der Praxis aber nahezu undurchführbar, weil in der Regel ein komplizierter Verteilungsmodus für das Betriebsergebnis vereinbart ist. Über die Zuordnung zum Pachtvertrag des BGB kann daher nur die Betriebspflicht entscheiden: Trifft sie den Übernehmenden Teil, ist dieser Betriebsführer, trifft sie ihn nicht, ist er ein Betriebspächter. Die Differenzierung ist im Prinzip wiederum einfach, die Alternative: Pacht- oder Dienstvertrag aber fragwürdig und nur um den Preis der Rechtsunsicherheit zu vermeiden, die bei Annahme eines typengemischten Vertrags entsteht. Wäre es nicht besser, den Betriebsführungsvertrag generell den Regeln zu unterwerfen, denen heute die Landpacht unterliegt? In voller Schärfe stellt sich die Frage beim Franchisevertrag. Ist dieser auf Absatzmittlung gerichtet, besteht er in der entgeltlichen Überlassung einer Gesamtheit von Sachen, gewöhnlichen und Immaterialgüterrechten zu dem Zweck des Vertriebs oder der Erbringung einer Dienstleistung an den Endverbraucher.27 Da der Franchisenehmer in die Absatzorganisation des Franchisegebers eingebunden ist, besteht dessen Leistung in der Überlassung eines schon vorhandenen oder potentiellen Betriebs, den der Franchisenehmer zum Fruchtbezug nutzen darf und nach Vertragsende zurückzugeben hat.28 Gleichwohl ist die Nähe zum Lizenzvertrag offensichtlich. Das Problem, das dessen Zuordnung zum Pachtvertrag bereitet, tritt beim Franchisevertrag noch deutlicher zutage und hat hier schon zur Diagnose eines dienstvertraglichen Charakters geführt: 29 Der Franchisegeber hat nicht nur ein Interesse daran, daß er das typischerweise ergebnisabhängige Entgelt nach dem Maß einer ordentlichen Betriebsführung und den Betrieb bei Vertragsende in einem Zustand zurückerhält, der seine Weiterführung ermöglicht. Er hat schon während der Laufzeit ein erhebliches Interesse daran, daß der Franchisenehmer den Betrieb ordentlich führt. Die gehörige Betriebsführung gewährleistet nämlich über das Ergebnis des überlassenen Betriebs hinaus eine Erhöhung der Marktpräsenz und der Reputation der Absatzorganisation des Franchisegebers. Ihm ist daher mit einem Kündigungsund Schadensersatzrecht sowie mit dem Rechtsgedanken des § 162 BGB im Regelfall nicht geholfen. Sein berechtigtes Interesse an der ordentlichen Betriebsführung durch den Franchisenehmer kann nur durch eine Betriebspflicht 26

MüchKomm-tfarte § 581 Rn. 23. MüchKomm-tfarte § 581 Rn. 28. 28 MüchKomm-tfarte § 581 Rn. 29. 29 Martinek, Moderne Vertragstypen II: Franchising, Know-how-Verträge, Management· und Consultingverträge, 1992, S. 67ff. 27

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3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

sanktioniert werden, wie sie den Landpächter nach § 586 Abs. 1 S. 3 BGB trifft. Da der Franchisegeber ebenso wie der Landverpächter über das Entgelt hinaus von der Betriebsführung seines Vertragspartners profitiert, muß er sich freilich im Gegenzug auch gefallen lassen, am Betriebsrisiko des Franchisenehmers teilzunehmen und dessen Recht auf Zinsnachlaß ausgesetzt zu sein, wie es ansatzweise in § 593 BGB verwirklicht ist.

§ 16 Ein neues Regelungsmodell Das Rezept zur Beseitigung der vorhandenen Mißstände ist denkbar einfach. Es besteht nicht in der schlichten Rückkehr zum römischen Recht, wohl aber zu dem Vertragsmodell, das die römischen Juristen für den Kolonat vorgesehen haben: An die Stelle des überflüssigen Vertragstypus, den das BGB Pachtvertrag nennt und ausschließlich mit Regelungen ausstattet, die im gleichen Maße zu gewerblichen Mietverträgen passen, muß ein Vertragstypus treten, durch den das Regelungsschema des heutigen Landpachtvertrags verallgemeinert wird: I. Pachtvertrag darf nur eine Vereinbarung heißen, bei der ein Teil einen Gegenstand zur Nutzung übernimmt und sich zusätzlich zur Zahlung eines Nutzungsentgelts auch zur ordnungsgemäßen Nutzung als einer weiteren Hauptleistung verpflichtet. Diese Betriebspflicht darf nicht, wie derzeit gemäß §§ 585, 586 Abs. 1 S. 3 BGB, erst das Ergebnis der Auswahl eines bestimmten Pachtobjekts sein. Ihre Begründung muß vielmehr den Vertragstyp bestimmen. Ausfluß dieser Betriebspflicht sind die Regeln, die heute schon beim Landpachtvertrag gelten: Ebenso wie derzeit der Landpächter nach § 596 BGB muß der Pächter schlechthin den Pachtgegenstand in einem Zustand zurückgewähren, der einer fortgesetzten ordnungsgemäßen Bewirtschaftung entspricht. Außerdem trifft ihn die Erhaltungspflicht in Fällen gewöhnlicher Mängel, wie dies heute beim Landpachtvertrag gemäß § 586 Abs. 1 S. 2 BGB der Fall ist. Schließlich ist dem Pächter eine erhöhte Rücksicht auf Verbesserungsmaßnahmen des Verpächters zuzumuten, die, wie derzeit beim Landpachtvertrag nach § 588 BGB, auch zu einer Erhöhung der Pachtzinsen führen können. Pendant zur Betriebspflicht des Pächters ist dessen Anspruch auf Reduktion des Pachtzinses bei außergewöhnlichen Krisen in der Nutzung des Pachtgegenstands. Beim Landpachtvertrag besteht dieses Recht heute gemäß § 593 BGB nur gemeinsam mit einem umgekehrten Änderungsanspruch des Verpächters. Dessen Schutz vor unvorhergesehenen Ereignissen sollte jedoch den Regeln über den Wegfall der Geschäftsgrundlage vorbehalten bleiben. Das Recht des Pächters auf Herabsetzung der Pacht darf nur Ausgleich für die Betriebspflicht sein, die der Pächter im Interesse des Verpächters auch dann erfüllt hat, wenn er selbst nicht in den gewünschten Fruchtgenuß kommt. Mangels abweichender Vereinbarung darf der Verpächter nur an dem Betriebsrisiko des Pächters, nicht zugleich an dessen Erwerbschancen teilnehmen.

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Auch das Verfahren der Pachtreduktion muß anders sein als das der Vertragsanpassung nach § 593 BGB: Statt allein aufgrund einer Prognose über die restliche Pachtzeit, dann aber endgültig zu entscheiden, empfiehlt sich das römische Modell der remissio mercedis, dem auch derfranzösische Gesetzgeber in Art. 1769 CC gefolgt ist: Die Pachtreduktion darf ohne Rücksicht auf die mögliche künftige Entwicklung, aber nur vorläufig gewährt werden und ist in ihrem Bestand davon abhängig, daß die außergewöhnlich dürftigen Jahre nicht später durch überreiche ausgeglichen werden. Über das Recht zur Vertragsanpassung hinaus muß der Verpächter ferner insoweit am Betriebsrisiko des Pächters teilhaben, als diesem ein durchsetzbares Recht zur Nutzungsänderung und zur ausgleichspflichtigen Verbesserung des Pachtgegenstands durch Verwendungen zusteht. Die heute für den Landpachtvertrag in §§ 590 Abs. 2, 591 Abs. 2 BGB vorgesehenen Regeln sind ebenso wie die Verpflichtung zur remissio mercedis verallgemeinerungsfähig und die adäquate Umsetzung des Gedankens, daß der Pächter die ihm als Unternehmer zugewiesene Betriebsführung nicht nur im eigenen, sondern auch im fremden Interesse des Verpächters wahrnimmt. II. Mit einem solchen Vertragstyp, der auf den beiden Grundkomponenten: Betriebspflicht des Pächters und Teilnahme des Verpächters am Betriebsrisiko des Pächters, aufbaut, verfügt man nicht nur das passende Modell für den Landpachtvertrag. Es gibt gesetzlichen Halt auch für eine Reihe von Vereinbarungen, die heute mit den Regeln des sogenannten Pachtvertrags im BGB nur ungenügend erfaßt werden oder von vornherein in eine Grauzone in dessen Randbereich fallen. Dies gilt zum einen für die dem Landpachtvertrag nahestehenden Jagd- und Fischereipachtverträge, außerdem für Lizenz- und verwandte Verträge, bei denen der überlassende Teil ein Interesse an der Ausnutzung des überlassenen Rechts hat, zum anderen für BetriebsfÜhrungs- und Franchiseverträge, die im Umfeld des Betriebspachtvertrags liegen. Schon dieser wäre durch die Anerkennung von Betriebspflicht und Risikobeteiligung des Verpächters bereichert. Gefunden wäre aber vor allem ein passendes Regelungskonzept für den Franchisevertrag, bei dem wegen der Eingliederung des Franchisenehmers in eine Absatzorganisation das Interesse des überlassenden Vertragspartners an der Betriebsführung offenkundig ist. Muß dies der Anwendungsbereich des neuen Pachtvertrags sein, kann man die Vereinbarungen, die bislang unter dessen Begriff fallen, getrost dem Mietrecht überlassen. Nimmt man keine Rücksicht auf praktische Unzuträglichkeiten, unterfällt den Regeln des Mietvertrags, streng genommen, schon jetzt jegliche Überlassung von Grundstücken und Räumen, die nicht zum Zweck der Landwirtschaft erfolgt. Daß in diesen Fällen bislang mitfragwürdiger Subsumtion unter den Begriff der Fruchtziehung Pachtverträge angenommen werden, beruht darauf, daß so der Zugang zu bestimmten Vorschriften über die Pacht

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3. Kapitel: Die Mängel des geltenden Rechts und ihre Überwindung

eröffnet ist. Deren ohnehin nötige Integration in das Mietrecht setzt lediglich eine Zulassung von anderen Mietgegenständen als Sachen und die Übernahme der §§ 582 - 584b BGB in das Mietrecht voraus. Dieses wird so lediglich um Regeln erweitert, die ihm bisher ohnehin fehlten, vor allem um die Vorschriften für die Inventarüberlassung und die Bestimmungen für die Fälle, in denen die Nutzung des Mietgegenstands zu einem jahreszeitlich unterschiedlichen Erfolg führt. Der heutige Landpachtvertrag würde in dem neuen Pachtvertrag aufgehen. Speziell für die Verpachtung zur Landwirtschaft müßten nur einige Regelungen beibehalten werden, die keinen Eingang in das allgemeine Pachtrecht finden können. Dazu gehören die annähernd zweijährige Kündigungsfrist, die § 594a BGB festlegt, und die darauf abgestimmte Regelung über die Schriftform in § 585a BGB. Auch das von § 585b BGB gewährte gegenseitige Recht zu einer Beschreibung des Pachtgegenstands bei Beginn und Ende des Pachtverhältnis sollte dem besonderen Landpachtrecht vorbehalten bleiben. Von vornherein selbstverständlich ist dies bei den Vorschriften über den Ersatz für ungetrennte Früchte und die Rücklassung der Wirtschaftsfrüchte in den heutigen §§ 596a, 596b BGB.30 Nur auf den Landpachtvertrag passen ferner die sozialen Schutzmechanismen zugunsten des Landpächters wie der gesetzliche Vertragseintritt bei der Grundstückszupacht nach Betriebsübergabe im Wege der vorweggenommenen Erbfolge (§ 593a BGB), das Kündigungsrecht wegen Berufsunfähigkeit (§ 594c BGB) und das Fortsetzungsverlangen der Pächtererben (§ 594d Abs. 2 BGB). Nicht verallgemeinerungsfähig ist schließlich das heute von § 595 BGB statuierte Recht des Pächters auf Fortsetzung des Pachtverhältnisses wegen einer nicht zu rechtfertigenden Härte. Daß es gemeinsam mit dem Anpassungsrecht aus § 593 BGB seinen Weg ins BGB über die Notpachtgesetzgebung der Weimarer Republik und der Nationalsozialisten gefunden hat, darf nicht darüber hinwegtäuschen, daß es anders als das Recht zur remissio mercedis ausschließlich dem Sozialschutz dient. Ob es sich lohnt, dem Landpachtvertrag wegen dieser Besonderheiten einen eigenen Vertragstyp und Abschnitt im Gesetz zu widmen, istfraglich, aber ohne Bedeutung.

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Ersatzlos wegfallen könnte dabei § 596a Abs. 3 BGB, dessen Sinn ohnehin nicht ermittelbar ist; vgl. MüchKomm-ZfarÄe § 596a Rn. 4.