Literatur und Komik: Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert 9783050053585, 9783050051529

Das Vorhaben der Komiktheorie ist in den Literatur- und Kulturwissenschaften in die Krise geraten. Was komisch ist, so w

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Literatur und Komik: Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert
 9783050053585, 9783050051529

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Literatur und Komik

Deutsche Literatur. Studien und Quellen Band 1 Herausgegeben von Beate Kellner und Claudia Stockinger

Tom Kindt

Literatur und Komik Zur Theorie literarischer Komik und zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

Akademie Verlag

Habilitationsschrift im Fach Deutsche Philologie (Neuere deutsche Literatur), von der Habilitationskommission der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen im Januar 2010 als schriftliche Habilitationsleistung angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

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Einbandgestaltung: hauser lacour unter Verwendung eines Fotos: Johann Wolfgang Goethe an Johann Gottfried Herder, wahrscheinlich zwischen Mitte Januar und Mitte Februar 1786 Druck & Bindung: Druckhaus »Thomas Müntzer« GmbH, Bad Langensalza Dieses Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. ISBN 978-3-05-005152-9

Inhalt

Literatur und Komik: Einleitung .................................................................................

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Zur Theorie literarischer Komik .........................................................................

1.1 Zur Kritik des Kontextualismus .......................................................................... 10 1.2 Varianten des Universalismus ............................................................................. 1.2.1 Formen von Komiktheorien ....................................................................... 1.2.2 Umrisse einer Komiktheorie 1: Zur Explikation des Komikkonzepts ........ 1.2.3 Umrisse einer Komiktheorie 2: Zur Tradition der Inkongruenztheorie .....

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1.3 Perspektiven des Naturalismus ........................................................................... 1.3.1 Komikforschung und Evolutionsbiologie .................................................. 1.3.2 Komikforschung und Neurowissenschaft .................................................. 1.3.3 Komikforschung und Kognitionstheorie ....................................................

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1.4 Zum Potenzial der Inkongruenztheorie ............................................................... 59 1.4.1 Kritik der Inkongruenztheorie .................................................................... 59 1.4.2 Auf dem Weg zu einer Theorie textueller Komik 1: ‚General Theory of Verbal Humor‘ Reconstructed ..................................... 69 1.4.3 Auf dem Weg zu einer Theorie textueller Komik 2: ‚General Theory of Verbal Humor‘ Revisited ............................................ 76 Scripts und Oppositionen zum Ersten ................................................................ 80 Scripts und Oppositionen zum Zweiten .............................................................. 84 Scripts und Oppositionen zum Dritten ............................................................... 87 Scripts und Oppositionen zum Vierten ............................................................... 91 Noch einmal Komik und Harmlosigkeit ............................................................. 93 Noch einmal Komik und Auflösbarkeit ..............................................................114 Noch einmal Scripts, Oppositionen, Harmlosigkeit und Auflösbarkeit ..............137 1.5 Literatur und Komik ............................................................................................139 1.5.1 Literarische Texte ......................................................................................139 1.5.2 Literarische Komik......................................................................................146 1.5.3 Komische Literatur .....................................................................................154

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Inhalt Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert .......................................................159

2.1 Komische Ungereimtheiten: Zur Komik in Lessings Minna von Barnhelm ......................................................165 2.1.1 Konzeptionelles: Hamburgische Dramaturgie ..........................................167 2.1.2 Komisches: Minna von Barnhelm ..............................................................176 Theorie und Praxis zum Ersten: Komik ohne Moral ..........................................177 Theorie und Praxis zum Zweiten: Komik mit Moral............................................179 Theorie und Praxis zum Dritten: Komik und Moral ...........................................182 2.2 Komik und Erziehung: Zum Komischen in Lenz’ Der Hofmeister...........................................................187 2.2.1 Konzeptionelles: Anmerkungen übers Theater und andere Schriften ........189 2.2.2 Komisches: Der Hofmeister........................................................................200 Lachhaftes und Ernsthaftes zum Ersten: Karikaturen statt Typen.......................201 Lachhaftes und Ernsthaftes zum Zweiten: Komisches oder Groteskes................203 Lachhaftes und Ernsthaftes zum Dritten: Tragisches und Ironisches .................206 2.3 Komische Effekte: Zur Komik in Kotzebues Die Indianer in England..............................................207 2.3.1 Konzeptionelles: Recensenten-Unfug und andere Schriften ......................210 2.3.2 Komisches: Die Indianer in England .........................................................217 Lachen und Rührung zum Ersten: Tradition und Innovation .............................218 Lachen und Rührung zum Zweiten: Konjunktion statt Integration .....................222 Lachen und Rührung zum Dritten: Affirmation oder Irritation ..........................225 2.4 Komik und Konfusion: Zum Komischen in Tiecks Der gestiefelte Kater.................................................228 2.4.1 Konzeptionelles: Die Volksmährchen-Vorreden und andere Schriften ......230 2.4.2 Komisches: Der gestiefelte Kater ...............................................................235 Komik und Moral zum Ersten: Spiel oder Spott...................................................236 Komik und Moral zum Zweiten: Satire und Unsinn.............................................238 Komik und Moral zum Dritten: Medizin statt Albernheit ...................................239 Literatur und Komik: Schlussbemerkung ....................................................................241 Literatur .......................................................................................................................243 Dank ...........................................................................................................................277 Register .......................................................................................................................279

Literatur und Komik: Einleitung

„Man is the only animal that laughs and weeps; for he is the only animal that is struck with the difference between what things are, and what they ought to be.“ (William Hazlitt)

Die Frage nach dem Wesen der Komik ist eine der Fragen, die den Menschen seit Jahrtausenden keine Ruhe lassen. Dass die Erforschung des Komischen lange schlechter beleumundet war als die Auseinandersetzung mit dem Wahren, dem Guten oder dem Schönen, hat sie zu keiner Zeit aufhalten können. Die Komikforschung kann darum auf eine ebenso ereignisreiche Geschichte zurückschauen wie die Erkenntnistheorie, die Ethik und die Ästhetik, und das Spektrum der Antworten auf die Frage, was das Komische sei, ist ebenso breit wie das der Antworten auf die Frage, was es mit dem Wahren, dem Guten oder dem Schönen auf sich habe.1 Wer sich heute dem Phänomen des Komischen widmet, der hätte also guten Grund, es in dem Gefühl zu tun, sich an einer die Jahrhunderte übergreifenden Debatte über eine grundlegende Menschheitsfrage zu beteiligen. In der jüngeren kulturwissenschaftlichen Komikforschung ist ein solches Gefühl freilich nicht mehr sonderlich verbreitet. Hier wird die Geschichte der Beschäftigung mit dem Komischen weithin als Geschichte eines Missverständnisses angesehen, und hier wird darum in immer neuen Variationen die Forderung vorgetragen, dem Unternehmen der Komikforschung, wie es seit Platon verfolgt wird, den Abschied zu geben. Mit Argwohn werden im Zusammenhang der Kulturwissenschaften vor allem die althergebrachten Vorhaben betrachtet, eine Definition des Komikbegriffs und eine Theorie des Komischen entwickeln zu wollen.2 Durch diese Ausrichtung hat die neuere kulturwissenschaftliche Komikforschung nicht unwesentlich zur Verstärkung der zentrifugalen Tendenzen beigetragen, die sich in innerhalb 1

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Vgl. zur bemerkenswerten Bandbreite komiktheoretischer Positionen etwa H. E. Schmidt/D. I. Williams, „The Evolution of Theories of Humor“, in Journal of Behavioral Science 1 (1971), 95–106. Die Zahl der Theorien, die von Schmidt und Williams auf etwa 100 beziffert wird, ist seither noch deutlich gestiegen. Zur Etablierung dieses Argwohns vgl. Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning (Hg.), Das Komische, München 1976.

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Komik und Literatur

der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Komischen seit einigen Jahrzehnten ausmachen lassen. Die stetig zunehmende „Unübersichtlichkeit der Literatur über das Komische“3 wird schon seit rund hundert Jahren beschrieben und beklagt, in den letzten Dezennien ist es allerdings darüber hinaus zu einer erkennbaren Dissoziation des Forschungsfeldes gekommen: Mittlerweile ist so eine Situation entstanden, in der es nahe liegt, im Anschluss an die berühmt-berüchtigte Formel von den ‚zwei Kulturen‘, mit der C. P. Snow vor einem halben Jahrhundert die tiefe Kluft zwischen den Natur- und den Kulturwissenschaften beschrieben hat, von den ‚zwei Kulturen der Komikforschung‘ zu sprechen.4 Die beiden wesentlichen Bereiche der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Phänomen des Komischen, das von der Linguistik und der Psychologie beherrschte Feld des ‚Humor Research‘ auf der einen und das von der Literaturwissenschaft bestimmte Gebiet des ‚Humor Criticism‘ auf der anderen Seite, nehmen allenfalls in Ausnahmefällen noch voneinander Notiz.5 Die vorliegende Untersuchung möchte der Komikforschung herkömmlichen Zuschnitts innerhalb der Kulturwissenschaften wieder zu größerer Geltung verhelfen. Sie beruht auf der Überzeugung, dass die propagierte Abkehr von den Zielsetzungen der traditionellen Auseinandersetzung mit dem Komischen in der Sache unbegründet und in den Folgen verheerend ist. Und sie wirbt darum dafür, die altehrwürdige Frage, was das Komische sei, weiterhin oder wieder als einen der maßgeblichen Fixpunkte der Komikforschung anzusehen. Im Zentrum der Arbeit steht der Versuch, auf jene Frage zumindest für eine Spielart des Komischen eine grundlegende Antwort zu geben – für die des Komischen in der Literatur. Ziel der Rekonstruktionen und Reflexionen ist es in diesem Sinne, eine Definition und Theorie literarischer Komik zu entwerfen und in der textanalytischen Praxis zu erproben. Im Wesentlichen wird es dabei nur um einen Aspekt dessen gehen, was in Rede steht, wenn von Komik gesprochen wird – allerdings um einen entscheidenden: Geklärt werden soll die Idee, dass das Komische als ein Merkmal von Gegenständen zu verstehen ist, durch das bei Betrachtern Belustigung hervorgerufen wird. Andere verbreitete Auffassungen wie etwa diejenige, dass es sich bei Komik um eben diese Wirkung handelt, also um einen Affekt, ein Gefühl oder eine Stimmung von Personen, werden nur am Rande Berücksichtigung finden.6

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Otto Rommel, „Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen“ (1943), in Wesen und Formen des Komischen im Drama, hg. v. Reinhold Grimm u. Klaus L. Berghahn, Darmstadt 1975, 1–38, 1. Vgl. Charles P. Snow, „The Two Cultures“, in Encounter 12:6 (1959), 17–25; 13:1 (1960), 22–28. Vgl. dazu auch Tom Kindt, „Die zwei Kulturen der Komikforschung“, in Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes, hg. v. Martin Huber u. Simone Winko, Paderborn 2009, 253–276. – Dieser Befund ist nicht neu, schon vor rund 20 Jahren hat Paul Lewis auf die umrissene Kluft hingewiesen, vgl. Paul Lewis, Comic Effects. Interdisciplinary Approaches to Humor in Literature, Albany, NY 1989, Kap. 1. Vgl. zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Komik“ etwa Wolfgang Preisendanz, „Art. das Komische / das Lachen“, in HWP 4 (1976), 889–893, Roger W. Müller-Farguell/Markus Winkler, „Art.

Einleitung

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Auch die verschiedenen Begriffe, die mit dem des „Komische“ in der einen oder anderen Weise verwandt oder verbunden sind, können im Folgenden nicht zum Gegenstand eingehender Erörterungen gemacht werden. Schaut man sich die vielfältigen Verwendungen und Bestimmungen von Ausdrücken wie beispielsweise „Humor“, „Ironie“, „Nonsens“, „Satire“, „Groteske“, „Heiterkeit“, „Witzigkeit“ und „Klamauk“ etwas näher an, kommt man kaum umhin, mit Eckhard Henscheid von einer „expandierenden Begriffskonfusion“7 zu sprechen. Die betreffenden Konzepte sollen aus diesem Grund nur insoweit in die Betrachtungen einbezogen werden, als es zur Erläuterung und Schärfung des Komikbegriffs notwendig erscheint; ihre genaue Klärung würde jeweils eine ähnlich umfangreiche Untersuchung notwendig machen, wie sie für die Kategorie des Komischen vorgesehen ist.8 Dies gilt insbesondere für den Begriff des „Humors“9: Er wird im deutschsprachigen Raum bisweilen als Synonym für „Komik“ im umrissenen Sinne gebraucht,10 zugleich dient er aber etwa auch zur Bezugnahme auf eine charakterliche Aufgeschlossenheit gegenüber dem Komischen11 oder zur Bezeichnung einer prinzipiellen Gelassenheit gegenüber den Unzulänglichkeiten der Weltläufte.12 Hebt sich die vorliegende Untersuchung vor allem dadurch von der neueren literaturwissenschaftlichen Komikforschung ab, dass sie es auf eine Bestimmung des Komischen anlegt, so unterscheidet sie sich von der traditionellen wesentlich dadurch, wie sie dabei vorgeht. Leitend für die folgenden Überlegungen zur literarischen Komik ist die Überzeugung, dass sich die literaturwissenschaftliche Beschäftigung mit dem Phänomen des Komischen als Beitrag zum interdisziplinären Vorhaben der „Humorolo-

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Komik / das Komische“, in HWR 4 (1998), 1166–1176 oder Andreas Kablitz, „Art. Komik, Komisch“, in RLW 2 (2000), 289–294. Eckhard Henscheid, „Humor. Ein ewiges Trauerspiel“, in E. H., Gerhard Henschel u. Brigitte Kronauer, Kulturgeschichte der Mißverständnisse. Studien zum Geistesleben, Stuttgart 1997, 51– 67, 59. Vgl. zu Bereichen des angesprochenen Begriffsfeldes in sprachvergleichender und -geschichtlicher Perspektive Wolfgang Schmidt-Hidding, Humor und Witz, München 1963. Vgl. zur Wort- und Begriffsgeschichte von „Humor“ insbes. Wolfgang Schmidt-Hidding, Humor, Wolfgang Preisendanz, „Art. Humor“, in HWP 3 (1974), 1231–1234 und Erhard Schüttpelz, „Art. Humor“, in HWR 4 (1998), 86–98. Der englische Ausdruck „humor“ wird seit dem 18. Jahrhundert vorwiegend in der Bedeutung des deutschen Wortes „Komik“ verwendet, vgl. Wolfgang Schmidt-Hidding, Humor, 105–140. Im Sinne von „humor“ wird im Folgenden mitunter von „Humorologie“ und „humorologisch“ die Rede sein. Um Missverständnisse zu vermeiden, werden sich englische Ausdrücke wie „Humor Criticism“, „Humor Research“ oder „Humor Studies“ in der Regel aber unübersetzt im Text finden Willibald Ruch, „Foreword and Overview: Sense of Humor: A New Look at an Old Concept“, in The Sense of Humor. Explorations of a Personality Characteristic, hg. v. W. R., Berlin/New York 1998, 3–14. Vgl. zu dieser deutschen Tradition des Verständnisses von „Humor“ zusammenfassend etwa Rommel, „Analyse des Komischen“, 37, oder Daniela Toscan, Form und Funktion des Komischen in den Komödien von Andreas Gryphius, Frankfurt a.M. u.a. 2000, 27–31.

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Komik und Literatur

gie“13 zu verstehen hat, dass also eine Rückbesinnung der Literaturwissenschaften auf die Tradition der Komikforschung mit einer Öffnung für die Debatten, Resultate und Modelle einher gehen sollte, die im Bereich des Humor Research erarbeitet worden sind. Der Vorsatz zu einer solchen Öffnung ist in den zurückliegenden Jahrzehnten zwar schon gelegentlich gefasst,14 aber kaum einmal überzeugend eingelöst worden.15 Häufiger ist in der literaturwissenschaftlichen Komikforschung ohnehin die Einschätzung anzutreffen, dass eine Auseinandersetzung mit weiteren Erscheinungsformen des Komischen und anderen Wegen seiner Erforschung nicht erforderlich sei, weil Komik in der Literatur gleichsam zu sich selbst finde. Musterhaft kommt diese Auffassung etwa in den folgenden Einlassungen Karlheinz Stierles zum Ausdruck: Erst im Bereich der komischen Fiktion wird die Vielfalt der komischen Möglichkeiten und Kombinationen offenbar, wird das Komische in seiner Vielgestaltigkeit und in seinen extremsten Möglichkeiten durch die dichterische Imagination erfahrbar gemacht. So ist es kein Zufall, […] daß, auch wo das Komische Gegenstand anthropologischen, philosophischen und psychologischen Interesses wurde, die einsichtigsten komischen Paradigmen literarischen Gestal16 tungen des Komischen entnommen wurden.

Es ist nicht zuletzt auf Überzeugungen dieser Art zurückzuführen, dass es innerhalb der Literaturwissenschaft in den letzten Jahrzehnten kaum noch zu einer Auseinandersetzung mit den Komikstudien anderer Fächer und Forschungszusammenhänge gekommen ist. So sind der literaturwissenschaftlichen Komikforschung viele Ansätze und Ergebnisse aus dem Bereich des Humor Research entgangen, deren große Bedeutung für eine Beschäftigung mit dem Komischen in der Literatur bereits bei einer flüchtigen Analyse offenkundig wird. Dies gilt insbesondere für die seit den 1970er Jahren vorliegenden psychologischen Modelle der Verarbeitung von Komik17 und für die seit den 1980er Jahren entstandenen linguistischen Theorien zu Witzen in kürzeren und längeren Tex13 14 15

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Vgl. zu diesem Projekt Mahadev Apte, „Disciplinary Boundaries in Humorology: An Anthropologist’s Ruminations“, in Humor 1:1 (1988), 5–26. Vgl. dazu etwa Wolfgang Preisendanz/Rainer Warning, „Vorwort“, in Das Komische, 8f.; hier wird Komik als „interdisziplinäres Thema par excellence“ bezeichnet. Als Ausnahmen hervorzuheben sind vor allem Bjørn Ekmann, „Wieso und zu welchem Ende wir Lachen. Zur Abgrenzung der Begriffe komisch, ironisch, humoristisch, satirisch, witzig und spaßhaft“, in Text und Kontext 9:1 (1981), 7–46, Paul Lewis, Comic Effects, Ralph Müller, Theorie der Pointe, Paderborn 2003 oder John Morreall, Comic Relief. A Comprehensive Philosophy of Humor, Chichester u.a. 2009. Karlheinz Stierle, „Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie“, in Das Komische, 237–268, 237. Vgl. dazu grundlegend Thomas R. Schultz, „The Role of Incongruity and Resolution in Children’s Appreciation of Cartoon Humor“, in Journal of Experimental Child Psychology 13 (1972), 465– 477 und Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model for the Appreciation of Jokes and Cartoons: An Information-Processing Analysis“, in The Psychology of Humor. Theoretical Perspectives and Empirical Issues, hg. v. Jeffrey H. Goldstein u. Paul E. McGhee, New York/San Francisco/London 1972, 81–100.

Einleitung

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ten18 sowie zum Komischen in alltäglichen Konversationszusammenhängen und vielschichtigen medialen Gebilden.19 Die vorliegenden Untersuchung nimmt diese Entwicklung zum Anlass, das für die überkommene literaturwissenschaftliche Komikforschung charakteristische Vorgehen wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen: Ihr geht es in diesem Sinne nicht darum, durch die Betrachtung von Komik in der Dichtung Aufschlüsse über Komik im Allgemeinen zu gewinnen; sie unternimmt vielmehr den Versuch, sich ausgehend von der Beschäftigung mit dem Komischen schlechthin und seinen Ausprägungen in Texten allmählich seiner Nutzung in der Literatur anzunähern. Literarische Komik soll hier also als ein Sonderfall und nicht als der Musterfall des Komischen verstanden werden, und sie wird darum erst nach einem längeren Vorlauf näher in den Blick genommen. Am Ende der umrisshaft entworfenen Untersuchung wird keine grundlegend neue Theorie literarischer Komik stehen. Genau genommen ist der Vorschlag, der in den folgenden Überlegungen entwickelt und erprobt werden soll, in seinen Grundzügen sogar ebenso alt wie die Frage, auf die er eine Antwort zu geben versucht. Was das Komische im Allgemeinen, in Texten und in der Literatur ist, das soll hier im Anschluss an eine Position erläutert werden, die sich in Ansätzen schon bei Platon und Aristoteles finden lässt und seit dem 18. Jahrhundert zumeist als ‚Inkongruenztheorie‘ bezeichnet wird. Die Verteidigung, Ergänzung und Klärung dieser theoretischen Tradition der Komikforschung ist Ziel des ersten Hauptteils der vorliegenden Studie. Ihr zweiter Hauptteil widmet sich der Erprobung des konzipierten Modells anhand exemplarischer deutschsprachiger Komödien und Komödientheorien aus der Zeit zwischen 1760 und 1800. Im Rahmen der Betrachtungen zu Typen und Evolution des deutschen Lustspiels zwischen Aufklärung und Romantik wird es zugleich darum gehen, die Perspektiven und das Potenzial einer Zusammenarbeit zwischen Komik- und Komödienforschung zu klären; in Auseinandersetzung mit Dramen und Dramenpoetologien von Gotthold Ephraim Lessing, Jakob Michael Reinhold Lenz, August von Kotzebue und Ludwig Tieck soll verdeutlicht werden, wie eine fruchtbare Verbindung von komiktheoretisch informierter Komödienforschung und komödienhistorisch perspektivierter Komikforschung aussehen kann. Dass im Folgenden keine neue Theorie des Komischen entworfen, sondern eine alte verbessert werden soll, gründet nicht allein in einer Vorstellung von kontinuierlicher und darum sinnvoller philologischer Innovation, die innerhalb der Literatur- und Kulturwissenschaften in den letzten Jahrzehnten zusehends durch eine oberflächliche Begeisterung für wissenschaftliche Revolutionen oder deren bloße Suggestion verdrängt 18 19

Vgl. insbes. Victor Raskin, Semantic Mechanisms of Humor, Dordrecht u.a. 1985 und Salvatore Attardo, Humorous Texts. A Semantic and Pragmatic Analysis, Berlin/New York 2001. Vgl. etwa Neal Norrick, Conversational Joking. Humor in Everyday Talk, Bloomington 1993, Helga Kotthoff, Spaß verstehen. Zur Pragmatik konversationellen Humors, Tübingen 1998 oder Alexander Brock, Blackadder, Monty Python und Red Dwarf. Eine linguistische Untersuchung britischer Fernsehkomödien, Tübingen 1998.

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Komik und Literatur

worden ist.20 Es beruht natürlich auch auf großem Respekt für die vielfältigen Erkenntnisse der Komikforschung seit der Antike. Vor allem aber erklärt es sich aus der Überzeugung, dass Arthur Schopenhauer Recht hatte, als er vor rund eineinhalb Jahrhunderten zu der Einschätzung gelangte, die Inkongruenztheorie des Komischen sei „in Kürze die richtige“.21

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Vgl. dazu Lutz Danneberg, „,Ich habe nichts neues zu sagen…‘“, in Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 39 (1995), 434–438 und Lutz Danneberg/Friedrich Vollhardt, „Sinn und Unsinn literaturwissenschaftlicher Innovation. Mit Beispielen aus der neueren Forschung zu G. E. Lessing und zur ,Empfindsamkeit‘, in Aufklärung 13 (2001), 33–69. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (1819/59), 2 Bde., hg. v. Ludger Lütkehaus, Zürich 1988, Bd. 1, 102.

1. Zur Theorie literarischer Komik

„Tragedy is when I cut my finger. Comedy is when you walk into an open sewer and die.“ (Mel Brooks)

Die systematische Beschäftigung mit dem Phänomen des Komischen hat sich in den vergangenen Jahrzehnten signifikant gewandelt. Geändert hat sich zum einen der Kreis derjenigen, die sich mit der Frage befassen, wie das Wesen oder – vorsichtiger gesprochen – der Begriff des Komischen zu bestimmen sei. Rund zwei Jahrtausende, von ihren Anfängen in der Antike bis ins 20. Jahrhundert, war die komiktheoretische Debatte eine Auseinandersetzung unter Philosophen, Kunstwissenschaftlern und Künstlern;1 in jüngerer Zeit hat sich die zuvor noch recht übersichtliche Diskussion in ein kaum mehr zu überblickendes Forschungsfeld verwandelt, zu dem Vertreter unterschiedlicher disziplinärer Provenienz und programmatischer Orientierung beitragen.2 Mit dem Komischen und verwandten Phänomenen beschäftigen sich neben Philosophen, Literaturund Kulturtheoretikern mittlerweile auch Linguisten, Psychologen, Soziologen, Anthropologen, Biologen, Mediziner, Mathematiker, Informatiker, Kognitionswissenschaftler, Primatenforscher, Wirtschaftswissenschaftler und Unternehmensberater – und diese Liste ließe sich selbstverständlich ohne Schwierigkeiten verlängern. So groß die Zahl der Disziplinen ist, die sich an der Erforschung der Formen und Funktionen des Komischen beteiligen, so gering sind bislang allerdings die Bemühungen, die Resultate, Perspektiven und Positionen der verschiedenen Spielarten und Bereiche der Komikforschung zu einer ‚Humorologie‘3 zusammenzuführen.4 1

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Zur Geschichte der Komiktheorie vgl. zuletzt Amy Carrell, „Historical Views of Humor“, in The Primer of Humor Research, hg. v. Victor Raskin, Berlin/New York 2008, 303–332 und John Morreall, Comic Relief. A Comprehensive Philosophy of Humor, Chichester u.a. 2009, 1–26. Vgl. dazu etwa die Beiträge zu den mittlerweile 24 Jahrgängen der Zeitschrift Humor. An International Journal of Humor Research und beispielhaft die neueren Sammelbände Helmut Bachmaier (Hg.), Humorstrategien. Lachen macht stark, Göttingen 2007 und Victor Raskin (Hg.), Primer. Zu diesem Begriff s. oben Literatur und Komik. Vgl. etwa Paul Lewis, Comic Effects. Interdisciplinary Approaches to Humor in Literature, Albany, NY 1989 oder Christian F. Hempelmann/Willibald Ruch, „3 WD Meets GTVH. Breaking the Ground for Interdisciplinary Humor Research“, in Humor 18:4 (2005), 353–387.

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Zur Theorie literarischer Komik

Gewandelt hat sich außer dem Kreis der Komikforscher zum anderen auch die Haltung gegenüber der Komikforschung oder – genauer gesagt – gegenüber dem Vorhaben, eine Komiktheorie zu entwickeln. Auch wenn man sich in der komiktheoretischen Debatte von Beginn an uneins war, was unter dem Komischen zu verstehen sei, so ging man doch bis ins 19. Jahrhundert einhellig davon aus, dass sich auf diese Frage eine mehr oder weniger einfache Antwort geben lasse.5 Einer entsprechenden Auffassung wird mittlerweile vielfach mit Skepsis begegnet. Zweifel an dem Unternehmen einer allgemeinen Komiktheorie deuten sich bereits in den beiden bekanntesten Publikationen zum Thema aus der Zeit um 1900 an, in Bergsons Abhandlung Le rire von 1900 und in Freuds Untersuchung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten von 1905. Bergson hält es angesichts der vielfältigen Ausprägungsformen des Lebens im Allgemeinen und des Lächerlichen im Besonderen für ein eitles Vorhaben, „de vouloir tirer tous les effets comiques d’une seule formule simple“.6 Und Freud nimmt die wechselhafte Geschichte der Bestimmung des Komikkonzepts zum Anlass, seine Betrachtungen zum Thema mit der folgenden captatio benevolentiae einzuleiten: An das Problem des Komischen […] wagen wir uns nur mit Bangen heran. Es wäre vermessen zu erwarten, daß unsere Bemühungen etwas Entscheidendes zu dessen Lösung beitragen könnten, nachdem die Arbeiten einer großen Reihe von ausgezeichneten Denkern eine allseitig be7 friedigende Aufklärung nicht ergeben haben.

Das Unbehagen an der Absicht, das Komische auf den Begriff bringen zu wollen, ist seit den Zeiten Bergsons und Freuds noch deutlich gewachsen. Vor allem unter Geisteswissenschaftlern, Essayisten und Autoren hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Auffassung durchgesetzt, die im Weiteren als ‚kontextualistische Position‘ bezeichnet werden soll – die Auffassung, dass Komik im Auge des Betrachters entstehe und sich deshalb einer Bestimmung mit allgemeinem Anspruch entziehe.8 Ob etwas komisch sei, das wird von den Vertretern der kontextualistischen Sichtweise in unterschiedlicher Form geltend gemacht, lasse sich nicht prinzipiell entscheiden, sondern hänge von den Umständen ab, unter denen es in den Blick genommen werde.9 Folglich sei, so wird 5

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Vgl. dazu etwa Patricia Keith-Spiegel, „Early Conceptions of Humor: Varieties and Issues“, in The Psychology of Humor. Theoretical Perspectives and Empirical Issues, hg. v. Jeffrey H. Goldstein u. Paul E. McGhee, New York u.a. 1972, 4–40, Andreas Kablitz, „Art. Komik, Komisch“, in RLW 2 (2000), 289–294, Klaus Schwind, „Art. Komisch“, in ÄGB 3 (2001), 332–384, Helmut Bachmaier (Hg.), Texte zur Theorie der Komik, Stuttgart 2005 und Manfred Geier, Worüber kluge Menschen lachen. Kleine Philosophie des Humors, Reinbek bei Hamburg 2006. Henri Bergson, Le rire. Essai sur la signification du comique (1900), Paris 1924, 23. Sigmund Freud, Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten (1905), Frankfurt a.M. 1992, 201. Eine solche Auffassung wird freilich weder von Bergson noch von Freud vertreten. Ungeachtet ihrer skeptischen Haltung gegenüber einer Theoretisierung des Komischen erheben beide für ihre Positionen universalistische Ansprüche, s. dazu auch unten 1.2.3. Vgl. zu dieser Position auch Anja Gerigks Untersuchung Literarische Hochkomik in der Moderne. Theorie und Interpretationen (Tübingen 2008), die allerdings die Verbreitung, Varianten und Argumente jener Auffassung nur unzureichend in den Blick bringt, s. dazu unten 1.1.

Einleitung

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ausgehend von dieser Beobachtung gefordert, eine Abkehr von der wirkungsmächtigen Tradition innerhalb der Komikforschung erforderlich, die es auf eine Theorie oder Definition des Komischen anlegt – und die sich insofern als ‚universalistische Position‘ verstehen lässt. Wer eine Theorie der Komik oder auch nur eine des Komischen in der Literatur entwickeln will, der tut gut daran, sich zu den beiden erwähnten Entwicklungen auf dem Gebiet der Humorologie zu äußern. Der folgende Vorschlag zu einem allgemeinen Modell literarischer Komik wird seine Gestalt aus diesem Grund nicht zuletzt in Auseinandersetzung mit den Positionen der kontextualistischen Skeptiker und den Resultaten der neueren, vor allem sprach-, kognitions- und humanwissenschaftlich ausgerichteten Komikforschung gewinnen. Im Einzelnen ist mein Entwurf wie folgt aufgebaut: Im ersten Abschnitt werde ich mich näher mit der Kritik am Vorhaben einer universalistischen Komiktheorie beschäftigen. Hierbei wird es zunächst darum gehen, die wichtigsten Varianten der betreffenden Haltung zu unterscheiden und die Argumente zu betrachten, die von ihren Anhängern vorgebracht werden. Auf die Klärung der zentralen Positionen kontextualistischer Komikforschung wird ihre Abwägung folgen; im Mittelpunkt steht dabei die Beobachtung, dass viele Annahmen der Kontextualisten durchaus zutreffen, mit den Vorstellungen des komiktheoretischen Universalismus jedoch nicht konfligieren. Sinnvoll erscheint eine Beschäftigung mit der kontextualistischen Position gleichwohl, weil sie dazu beitragen kann, Ausrichtung und Zuschnitt einer zeitgemäßen Komiktheorie zu klären (1.1 Zur Kritik des Kontextualismus). Der zweite Teil meiner Betrachtungen widmet sich den Spielarten, in denen die entsprechende universalistische Position von der Antike bis zur Gegenwart vertreten worden ist, und der Form, in der sie innerhalb der vorliegenden Studie Gestalt gewinnen soll. Eingerahmt durch systematische und historische Unterscheidungen maßgeblicher Typen von komiktheoretischen Ansätzen wird das Profil eines Komikverständnisses erläutert, das in der Tradition der sogenannten Inkongruenztheorie des Komischen steht (1.2 Varianten des Universalismus). Im dritten Abschnitt meines Entwurfs werde ich einen Überblick über die Fülle von Publikationen zu gewinnen suchen, die in den zurückliegenden Jahren innerhalb der empirisch ausgerichteten Humanwissenschaften zur Komik entstanden sind.10 Dabei sollen vor allem drei Forschungszweige in den Blick genommen werden – die Evolutionstheorie, die Neurophysiologie und die Kognitionspsychologie (1.3 Perspektiven des Naturalismus). Der vierte Teil wird dann in drei Schritten für eine empirisch informierte Variante der Inkongruenztheorie des Komischen werben: Ein erster Abschnitt dient der Apologie des Ansatzes, er beschäftigt sich mit einer Reihe von Einwänden, die immer wieder gegen das Inkongruenzmodell vorgebracht werden; ein zweiter Abschnitt widmet sich der Aktualisierung des Ansatzes, er soll in Auseinandersetzung mit neueren 10

Auf Untersuchungen, deren Gegenstand nicht eigentlich Komik, sondern vielmehr das Lachen ist, soll im Rahmen der Rekonstruktionen nur am Rande eingegangen werden. Weshalb es sinnvoll ist, Komik- und Lachforschung zunächst einmal auseinander zu halten, wird unten erläutert, s. 1.2.1 und 1.2.2.

Zur Theorie literarischer Komik

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linguistischen Theorien zum verbalen Humor die Möglichkeit einer zeitgemäßen Reformulierung des Modells klären; ein dritter Abschnitt dient der Erprobung, Analyse und Kritik des vorgestellten Modells sprachlicher Komik am Beispiel literarischer Texte (1.4 Zum Potenzial der Inkongruenztheorie). Auf der Basis der in verschiedenen Hinsichten modifizierten sprachwissenschaftlichen Position werde ich im fünften und letzten Teil meiner Überlegungen schließlich eine Theorie des Komischen in der Literatur umreißen. Unter Bezugnahme auf ein elementares Modell literarischer Kommunikation sollen verschiedene Typen von textuellen Inkongruenzen und damit zugleich Formen der literarischen Inszenierung von Komik unterschieden werden (1.5 Literatur und Komik). In einem Satz: Der erste der folgenden Abschnitte verteidigt die Möglichkeit einer Theorie literarischer Komik, die beiden anschließenden umreißen ihr Format und die beiden abschließenden dienen ihrer Konkretisierung.

1.1

Zur Kritik des Kontextualismus

„My dear Smithers, Do remember that what is comedy to you may be the reverse of comic to others.“11 Diese Bemerkung Oscar Wildes aus einem Brief an seinen Verleger Leonard Smithers bringt die Beobachtung, auf der die kontextualistischen Zweifel in Sachen Komiktheorie beruhen, pointiert zum Ausdruck: Die Antwort auf die Frage, ob ein Gegenstand12 komisch sei, falle nicht allein häufig von Mensch zu Mensch unterschiedlich aus; sie hänge zudem offenkundig mit der Stimmung des Urteilenden zusammen und könne darum prinzipiell bei jedem Menschen von einem Zeitpunkt zum anderen variieren. Mit dieser Beobachtung kommt die Position, die hier als Kontextualismus verstanden wird, allerdings nicht zur Deckung. Dass das Komische seinen Grund im Lachenden und nicht im Belachten hat, ist eine Auffassung, die seit dem 18. Jahrhundert verbreitet ist und auch von einigen Vertretern des komiktheoretischen Universalismus geteilt wird.13 Von einer kontextualistischen Position innerhalb 11 12

13

Oscar Wilde, „Brief an Leonard Smithers, 16.11.1897“, in Oscar Wilde. A Life in Letters, hg. v. Merlin Holland, London/New York 1988, 293–294, 293. Hier und fortan wird von dem weiten Gegenstandsbegriff ausgegangen, der in der philosophischen Logik maßgeblich ist, vgl. dazu Ernst Tugendhat, Vorlesungen zur Einführung in die sprachanalytische Philosophie, Frankfurt a.M. 1976, 36–38. Das bekannteste Beispiel für die Verbindung einer subjektivistischen mit einer universalistischen Position im Feld der Komikforschung ist Charles Baudelaires Aufsatz „De l’essence du rire et generalement du comique dans les arts“ von 1855 (in C. B., Œuvres complètes, Bd. 2, hg. v. Claude Pichois, Paris 1976, 525–543). Zu ersten Verfechtern der Position im ausgehenden 18. Jahrhundert wie etwa den Philosophen Johann Georg Heinrich Feder und Johann Christoph König vgl. Paul M. Haberland, The Development of Comic Theory in Germany During the Eighteenth Century, Göppingen 1971, 94–98. Zu aktuellen Varianten der Auffassung vgl. Robert L. Latta, The Basic Humor Process. A Cognitive-Shift Theory and the Case against Incongruity, Berlin/New York 1999, Kap.

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der Komikforschung soll deshalb im Folgenden nur dann gesprochen werden, wenn aus dem Hinweis auf historische, kulturelle oder individuelle Differenzen in komikbezogenen Urteilen eine Ablehnung des Versuchs abgeleitet wird, eine Theorie oder Definition des Komischen zu entwickeln.14 Auch wenn sich die Vertreter eines so verstandenen Kontextualismus im Kern einig sind, so lassen sich doch verschiedene Varianten ihrer Haltung sinnvoll voneinander abgrenzen.15 Um einen Überblick über die unterschiedlichen Formen zu gewinnen, in denen die betreffende Position vertreten wird, empfiehlt es sich, nach den Argumenten zu fragen, die von Seiten der Kontextualisten vorgebracht werden. Eine entsprechende Auseinandersetzung mit den argumentativen Fundamenten des Kontextualismus ist nicht zuletzt deshalb sinnvoll, weil auf diese Weise eine eingehende Rekonstruktion und Diskussion der sehr heterogenen programmatischen Konsequenzen umgangen werden kann, die Anhänger der kontextualistischen Position aus ihren Prämissen ableiten. So setzen sie sich beispielsweise dafür ein, dass an die Stelle einer Theorie oder Definition von Komik eine ‚Performanztheorie von Lachgemeinschaften‘16 zu treten habe, eine ‚Geschmackssoziologie des Für-komischGehaltenen‘17, eine ‚Kasuistik des Komischen‘18 oder eine ‚Analyse von KomikKonstellationen‘.19 Die folgende Analyse und Diskussion kritischer Stellungnahmen zum Projekt einer universalistischen Komiktheorie wird sich auf dessen theoretische Infragestellung konzentrieren. Sie geht mit anderen Worten nicht näher darauf ein, dass die Vertreter einer kontextualistischen Sichtweise bisweilen systematische und normative Erwägungen in einer Weise miteinander verbinden, wie dies etwa in Robert Gernhardts „Versuch einer Annäherung an eine Feldtheorie der Komik“ geschieht. Dass seine Überlegungen zum

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1–3 oder Willibald Ruch, „The Perception of Humor“, in Emotion, Qualia, and Consciousness, hg. v. Alfred Kaszniak, Tokyo 2001, 410–425, 420–422. In den meisten kontextualistischen Arbeiten wird dabei verkannt, dass es sich bei dem Vorhaben der Komiktheorie und dem der Komikdefinition um zwei Unternehmungen handelt, die es prinzipiell auseinander zu halten gilt. Zu einer Auseinandersetzung mit der kontextualistischen Position, die sich mit den Einwänden gegen beide Projekte gesondert beschäftigt, s. unten. Mit der Orientierung an dem umrissenen Kontextualismus-Verständnis geht einher, dass einige Komikforscher, die sich selbst als Kontextualisten einordnen, im Folgenden nicht in diesem Sinne verstanden werden, vgl. etwa Neil Schaeffer, The Art of Laughter, New York 1981 oder Susanne Schäfer, Komik in Kultur und Kontext, München 1996. Vgl. Hans-Jürgen Bachorski et al., „Performativität und Lachkultur in Mittelalter und früher Neuzeit“, in Paragrana 10:1 (2001), 157–190, 162–165. Vgl. Klaus Cäsar Zehrer, Dialektik der Satire. Zur Komik von Robert Gernhardt und der „Neuen Frankfurter Schule“, Bremen 2002, 40. Vgl. Joseph Vogl, „Kafkas Komik“, in Kontinent Kafka. Mosse-Lectures an der Humboldt-Universität zu Berlin, hg. v. Klaus R. Scherpe u. Elisabeth Wagner, Berlin 2006, 72–87, 75f. Vgl. Siegfried J. Schmidt, „Komik und Humor – oder: Die unfreiwillige Komik der Komikforschung“, in Wie die Welt lacht. Lachkulturen im Vergleich, hg. v. Waltraud ‚Wara‘ Wende, Würzburg 2008, 282–303, 285.

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Zur Theorie literarischer Komik

Komischen einen eher rhapsodischen als systematischen Charakter haben, begründet Gernhardt hier unter anderem wie folgt: Wo ist der angemessene Platz für den Komiktheoretiker? Sicherlich nicht dort, wo die Gesetzgeber, die Religionsstifter und die Systembauer Platz genommen haben. Zu […] diesen Männern von Gesetz und Ordnung […] wird sich der Komiktheoretiker gewiß nicht setzen; und ganz bestimmt wird das Ergebnis seiner Überlegungen kein weiterer Gesetzestext sein, welcher einer ohnehin schon unter der Last der Schriften stöhnenden Menschheit nun auch noch aufgeladen wird: Komik ist, wenn erstens …20

Da alle einschlägigen Formulierungen der kontextualistischen Position letztlich auf theoretischen Überlegungen beruhen, kann deren Verbindung mit normativen Überzeugungen im Kontext der folgenden Rekonstruktion vernachlässigt werden. Sichtet man die neuere Kritik am Unternehmen einer universalistischen Komiktheorie, so stellt man fest, dass die Anhänger des Kontextualismus ihre Einschätzungen mehrheitlich für evident halten und darum in der Regel weder detailliert ausführen noch eingehend argumentativ absichern. Unabhängig von ihrer disziplinären und programmatischen Zugehörigkeit beschränken sie sich zumeist darauf, in mehr oder weniger apodiktischem Ton die Unmöglichkeit einer Definition oder theoretischen Modellierung des Komischen zu behaupten. Schon Benedetto Croce stellt in diesem Sinne fest, dass Komik als ein psychischer Zustand ‚undefinierbar‘ sei.21 Bei Odo Marquard heißt es: „Komisch ist […] etwas oder muß es sein, mit dem man – grausamer- und angenehmerweise nicht fertig wird, schon gar nicht durch eine Theorie.“22 Ganz ähnlich merkt der Informatiker Tony Veale im Rahmen einer Kritik des inkongruenztheoretischen Komikmodells beiläufig an: „Humor is such a diverse phenomenon that it easily resists any essentialist attempt to define it in necessary and sufficient terms.“23 Und auf derselben Linie liegt der Philosoph Ted Cohen mit der These: „[H]umor is found both in and outside art, in both fictional and real contexts. This suggests, what is almost certainly true, that there can be no general, overarching ‚theory‘ of humor, unless the theory is so general and probably vague as to be utterly uninformative.“24 20

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Robert Gernhardt, „Versuch einer Annäherung an eine Feldtheorie der Komik“, in R. G., Was gibt’s denn da zu lachen? Kritik der Komiker, Kritik der Kritiker, Kritik der Komik, Zürich 1988, 449–482, 452. – Vgl. zum Zusammenhang auch Rüdiger Zymner, „Zwerchfellakrobatik. Theorie und Praxis der Komik bei Robert Gernhardt“, in Die Sprache des Witzes. Heinrich Heine und Robert Gernhardt, hg. v. Burkhard Moenninghoff, Iserlohn 2006, 33–54. Vgl. Benedetto Croce, „L’umorismo. Del vario significato della parola e dell’uso nella critica literaria“, in Journal of Comparative Literature 1 (1903), 220–228. Odo Marquard, „Exile der Heiterkeit“, in Das Komische, hg. v. Wolfgang Preisendanz u. Rainer Warning, München 1976, 133–151, 143. Tony Veale, „Incongruity in Humor: Root Cause or Epiphenomenon?“, in Humor 17:4 (2004), 419–428, 424. Ted Cohen, „Humor“, in The Routledge Companion to Aesthetics, hg. v. Berys Gaut u. Dominic McIver Lopes, London/New York 2001, 375–381, 375. – Ähnliche Thesen finden sich selbstverständlich auch in vielen Publikationen zu Bereichen, in denen das Komische nur mittelbar zum

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Eine genauere Analyse zeigt, dass die Mehrzahl der kontextualistisch ausgerichteten Kommentare zur Komikforschung auf einer (oder mehreren) der folgenden vier Thesen beruht: (1) Komik und Theorie sind ‚wesensverschieden‘; (2) die vorliegenden Versuche einer allgemeinen Charakterisierung des Komischen sind unzulänglich; (3) die Gegenstände, die als komisch gelten, sind unterschiedlich; und (4) das Prädikat ‚ist komisch‘ wird uneinheitlich verwendet. Die vier Thesen sollen nun im Einzelnen betrachtet und im Hinblick auf ihre komiktheoretischen Konsequenzen diskutiert werden. Dabei wird es nicht allein darum gehen, deutlich zu machen, dass von Seiten des Kontextualismus bislang keine schlagenden Argumente gegen den komiktheoretischen Universalismus vorgebracht worden sind; es soll darüber hinaus geklärt werden, was sich für den Entwurf eines allgemeinen Modells des Komischen von der kontextualistischen Kritik lernen lässt. These 1 – Komik und Theorie sind ‚wesensverschieden‘ – wird in wissenschaftlichen Kontexten eher selten vertreten, sie findet sich vor allem in Texten von Feuilletonisten, Essayisten und Komikproduzenten. Gleichwohl hat sie, wie sich im oben angeführten Marquard-Zitat andeutet, auch in den Wissenschaften einige Fürsprecher. Karlheinz Stierle etwa macht ganz entsprechend geltend, dass zumindest der Komik in literarischen Texten theoretisch nur ansatzweise beizukommen sei: „Die Erscheinung des Komischen im Medium der poetischen Imagination ist durch systematische Beschreibung nicht einzuholen.“25 Um zu klären, worum es den Vertretern von These 1 geht, sei eine längere exemplarische Passage aus Klaus Cäsar Zehrers Untersuchung Dialektik der Satire zitiert: Nicht nur einzelne wissenschaftliche Arbeiten, die wissenschaftliche Denkweise als solche kommt mit dem Komischen nur schwer zurande. Aus ihrer wesenseigen humorlosen Warte kann sie es nicht anders denn als „Problem“ betrachten. Selbst wenn die Geistes- und sogar die Naturwissenschaften längst von der Vorstellung Abschied genommen haben, jemals ein kohärentes Weltbild vorlegen oder auch nur eine einzige Frage restlos beantworten zu können, ohne zugleich mehrere neue aufzuwerfen, selbst wenn sie bescheiden genug geworden sind, der Idee einer letztgültigen Erkenntnis abzuschwören – der Job des Wissenschaftlers ist es weiterhin, sich allen Ernstes an Widersprüchen und Wissenslücken abzuarbeiten und Erklärungsmodelle zu entwickeln, die möglichst fehlerarm und in sich schlüssig sind.

25

Thema wird, zum Beispiel in der Komödienforschung. In Bernhard Greiners Studie Die Komödie ist in diesem Sinne etwa zu lesen: „Das Lachen und mit ihm das Komische entzieht sich der eindeutigen Bestimmung gerade als ein zugleich intellektueller und physischer Vorgang“ (Bernhard Greiner, Die Komödie. Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen, 2., aktual. Aufl., Tübingen/Basel 1992, 87). Vgl. zu dieser Position auch verschiedene Beiträge in Komik. Ästhetik. Theorien. Strategien, hg. v. Hilde Haider-Pregler u.a., Wien/Köln/Weimar 2006. Karlheinz Stierle, „Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie“, in Das Komische, 237–268, 268. – Eine vergleichbare Position scheint auch Joseph Vogl zu vertreten; er schreibt: Man „konnte […] in allen Theorien des Komischen wie des Lachens immer wieder nur feststellen, dass das Komische ein schlechthin unsystematischer Gegenstand sei; dass er sich der Regel, dem System, dem Ordnungsversuch geradezu konsequent entziehe“ (Joseph Vogl, „Kafkas Komik“, 75).

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Zur Theorie literarischer Komik Für das Komische dagegen ist Korrektheit kein Kriterium. Es peilt Wahrheit nicht einmal als Ideal in unerreichbarer Ferne an, sondern gewinnt seine Lust aus eben jenen profanen Unzulänglichkeiten und Widersprüchen, die die reine Vernunft kleinzuhalten trachtet. Das muß dem Wissenschaftler als Provokation, mehr noch, als Verhöhnung seines Selbstverständnisses 26 erscheinen.

Zehrer und andere Vertreter von These 1 haben im Detail zweifellos unterschiedliche Vorstellungen sowohl von Komik als auch von wissenschaftlichen Theorien, sie scheinen jedoch grundlegende Ideen der folgenden Art zu teilen: In der Wissenschaft geht es um Regelhaftes, in der Komik um den Regelbruch; Theorien zielen auf Erkenntnis ab, Witze auf Wirkung; Wissenschaft braucht Widerspruchsfreiheit, Komik sucht den Widerspruch; etc.27 Was auch immer von entsprechenden Vorstellungen zu halten sein mag – offensichtlich ist, dass sie nicht geeignet sind, die in Rede stehende These und damit eine Abkehr vom komiktheoretischen Universalismus plausibel erscheinen zu lassen. Fragwürdig ist die Position, die in Annahme 1 zum Ausdruck kommt, vor allem aus zwei Gründen: Zunächst liegt auf der Hand, dass nur derjenige die These sinnvoll vertreten kann, der zumindest umrisshaft weiß, was es mit dem Komischen und der Wissenschaft auf sich hat. Dies sollte schon allein deshalb zu denken geben, weil die Verfechter der Annahme durchweg offen lassen, wie sie an das betreffende Wissen gelangt sein wollen. Problematisch ist die genannte Bedingung der Formulierung von These 1 jedoch vor allem, weil sie deutlich macht, dass die fragliche Annahme genau das voraussetzt, was es ihr zufolge nicht geben kann: eine Theorie oder Definition des Komischen.28 Doch selbst wenn man einmal außen vor lässt, dass die These auf einen Selbstwiderspruch hinausläuft, kommt man an einem anderen Problem, das sie mit sich bringt, nicht vorbei: Wer aus der Annahme, Komik und Wissenschaft seien ‚wesensverschieden‘, die Folgerung ableitet, dem Komischen sei mit wissenschaftlichen Mitteln nicht beizukommen, der muss zugleich unterstellen, dass sich nur das erkennen lasse, was der Wissenschaft ‚wesensverwandt‘ sei. Das anzunehmen, leuchtet jedoch wenig ein. Theorien weisen mit ihren Gegenständen im Hinblick auf wesentliche Merkmale in aller Regel kaum nennenswerte Ähnlichkeiten auf. Und dies gilt nicht allein im Fall naturwissenschaftlicher, sondern auch in dem kultur- und sozialwissenschaftlicher Theorien: 26 27

28

Klaus Cäsar Zehrer, Dialektik, 15. Vgl. hierzu etwa auch Marquards viel zitiertes Diktum: „Komisch ist und zum Lachen bringt, was im offiziell Geltenden das Nichtige und im offiziell Nichtigen das Geltende sichtbar werden läßt“ (Odo Marquard, „Exile“, 141). Neben der nicht explizierten Komikdefinition findet sich bei Zehrer auch noch die folgende pragmatische: „Komisch ist, worüber gelacht wird“ (Klaus Cäsar Zehrer, Dialektik, 20; Hervorhebung im Original). – Vgl. zu dieser Auffassung etwa auch Robert Gernhardt, „Von deutschem Volk und Witz“ (1987/88), in R. G., Was gibt’s denn da zu lachen?, 306–320, 313f., Oliver Maria Schmitt, Die schärfsten Kritiker der Elche: Die Neue Frankfurter Schule in Wort und Schrift und Bild, Berlin 2001, 9–11 oder Christie Davies, „The Danish Cartoons, the Muslims and the New Battle of Jutland“, in Humor 21:1 (2008), 2–7, 2.

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Atome, Klimawandel, Globalisierung, Literatur oder Komik – all diese Gegenstände sind offenkundig ‚theoriefähig‘, ohne dass ihr ‚Wesen‘ dem von Theorien verwandt wäre.29 These 2 – die vorliegenden Vorschläge zur Charakterisierung des Komischen sind unzulänglich – erhebt weniger weitreichende Ansprüche als These 1, sie bezieht sich auf Positionen der Komiktheorie und nicht auf Komiktheorie im Generellen. Allerdings ziehen die Vertreter von Annahme 2 aus ihren kritischen Überlegungen zu einzelnen komiktheoretischen Ansätzen nicht selten recht grundsätzliche Schlüsse. Der Autor Bernd Eilert etwa weist in seinem Hausbuch der literarischen Hochkomik darauf hin, dass Komiktheorien stets etwas „Anmaßendes“ haben: [J]e rasanter die Façon, desto weniger sieht man noch von ihrem Gegenstand, dem Komischen. Zumeist sind die Modelle dermaßen großzügig geschnitten, daß außer komischen noch ganz andere Effekte, rührende und spannende, darin Platz fänden; oder sie sind so eng gefaßt, daß wichtige komische Extremitäten davon unbedeckt bleiben. […] Da nutzen auch kunstreiche gedrechselte Formulierungen nicht mehr, weil sie ebensowe30 nig die notwendigen Voraussetzungen angeben können, sondern bestenfalls einige mögliche.

Ausgehend von der Überzeugung, dass die vorliegenden Definitionen des Komischen entweder zu weit oder zu eng geraten sind, gelangt Eilert über einen Durchgang durch komiktheoretische Positionen der letzten Jahrhunderte schließlich zu der folgenden allgemeinen These: „So wäre das Komische am Ende, wie Wolfgang Iser meint, ‚ein Kippphänomen‘? Komische Theorie zumindest ist eines: Kaum schaut man genauer hin, wird die Erkenntnis ganz blaß und kippt um in die bloße Tautologie oder den blanken Unfug.“31 Noch deutlicher ist die Herleitung genereller theoriekritischer Thesen aus einer Analyse spezifischer Komiktheorien in den Arbeiten der Anthropologin Gabriella Eichinger Ferro-Luzzi: Angeregt durch Untersuchungen zum tamilischen Humor und Beobachtungen zu kulturellen Differenzen in Sachen Komik32 hat sie sich wiederholt mit prominenten ‚westlichen‘ Theorien des Komischen auseinander gesetzt. Die systematische Pointe dieser Auseinandersetzung besteht in der These, dass ‚essenzialistische Humor29

30 31 32

Zumindest angemerkt sei, dass im Feld der Komik verschiedene kognitive Prozesse grundlegend sind, die auch in den Wissenschaften zentrale Relevanz besitzen, wie Arthur Koestler bereits in den 1960er Jahren deutlich gemacht hat, vgl. Arthur Koestler, The Act of Creation. A Study of the Conscious and Unconscious Processes of Humor, Scientific Discovery, and Art, London 1964 und zuletzt Tim De Mey, „Tales of the Unexpected. Incongruity-Resolution in Humor Comprehension, Scientific Discovery and Thought Experimentation“, in Logic and Logical Philosophy 14 (2005), 69–88. S. zum Zusammenhang auch unten 1.3.3 und 1.4.3. Bernd Eilert, „Vorwort: Malen und Prahlen“, in Hausbuch der literarischen Hochkomik, hg. v. B. E., Zürich 1987, 389–392, 389. Ebd., 392. Vgl. Gabriella Eichinger Ferro-Luzzi, „Language, Thought, and Tamil Verbal Humor“, in Current Anthropology 27:3 (1986), 265–272 sowie The Taste of Laughter: Aspects of Tamil Humor, Wiesbaden 1992.

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theorien‘ ihrem Gegenstand grundsätzlich nicht angemessen sind, wobei mit der Rede von ‚essenzialistischen Humortheorien‘ Ansätze gemeint sind, die von der Annahme ausgehen, dass es ein Wesen des Komischen gibt und dass sich dieses in Form von notwendigen und hinreichenden Bestandteilen auf den Begriff bringen lässt.33 Nach der Auffassung von Eichinger Ferro-Luzzi geht eine entsprechende Sichtweise am Problem des Humors bzw. des Komischen schlicht vorbei – sie behauptet: „humor has no essence and cannot be defined“.34 Es ist nicht schwer zu sehen, dass auch These 2, wie immer sie im Einzelnen vorgetragen wird, kein Ausgangspunkt für eine überzeugende Argumentation gegen den komiktheoretischen Universalismus ist. Wer die Unzulänglichkeit der vielen vorliegenden komiktheoretischen Ansätze aufzeigt, der verdeutlicht bloß die Schwierigkeit der Umsetzung des universalistischen Vorhabens, nicht jedoch dessen Unmöglichkeit. Gleichwohl verdient die von Annahme 2 ausgehende kontextualistische Argumentation im vorliegenden Kontext einige Aufmerksamkeit – denn sie wird, wie sich schon in den gegebenen Beispielen andeutet, oft mit der Präsentation oder Präsupposition von Einwänden gegen die Idee des komiktheoretischen Universalismus verbunden, die prima facie einschlägig zu sein scheinen. Der entscheidende dieser Einwände ist dabei die These, das Projekt einer allgemeinen Komiktheorie sei Ausdruck einer längst erledigten essenzialistischen Position. Es lässt sich hier zwar nicht näher betrachten, was unter einem Essenzialismus im Hinblick auf Konzepte genau zu verstehen ist und welche Überlegungen sich für oder gegen seine maßgeblichen Varianten vorbringen lassen; entsprechende Abwägungen sind aber auch gar nicht erforderlich.35 Abgewehrt werden kann die von Eichinger Ferro-Luzzi musterhaft vorgebrachte antiessenzialistische Kritik an einer universalistischen Position bereits durch die Beobachtung, dass Essenzialismus und Universalismus in der Wissenschaft und mithin auch in der Komikforschung nicht ohne Weiteres miteinander zur Deckung kommen: Wer annimmt, dass Gegenstände eine Essenz haben, der muss nicht zugleich der Auffassung sein, dass sich Konzepte in Form von Äquivalenzdefinitionen fassen lassen;36 und wer bezweifelt, dass Entitäten über wesentliche Merkmale verfügen, der ist nicht zwingend ein Gegner des Projekts

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34 35

36

Vgl. Gabriella Eichinger Ferro-Luzzi, „Tamil Jokes and the Polythetic-Prototype Approach to Humor“, in Humor 3:2 (1990), 147–158, 147. – Zu einer ebenso knappen wie einleuchtenden Kritik an Eichinger Ferro-Luzzis Position vgl. auch Robert L. Latta, Humor Process, 4–6 und Elliott Oring, Engaging Humor, Urbana u.a. 2003, 8–10. Gabriella Eichinger Ferro-Luzzi, „Tamil Jokes“, 153. Zum Streit zwischen Essenzialisten und Antiessenzialisten mit Blick insbesondere auf Begriffe vgl. etwa Garth L. Hallet, Essentialism. A Wittgensteinian Critique, Albany 1991 oder David S. Oderberg, Real Essentialism, London/New York 2007 sowie für eine Übersicht Stephen Laurence/Eric Margolis, „Concepts and Cognitive Science“, in Concepts. Core Readings, hg. v. S. L. u. E. M., Cambridge, Mass. 1999, 3–82. Vgl. zu einer Position dieser Spielart Jerry Fodor, Concepts: Where the Cognitive Science Went Wrong, Oxford 1998.

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der Bestimmung von Begriffen.37 Ganz entsprechend kann ein universalistisches Komikmodell essenzialistisch in dem Sinne sein, dass es eine Antwort auf die Frage gibt, worin das Wesen des Komischen besteht; aber es muss natürlich nicht notwendig solche Ansprüche erheben.38 Und umgekehrt ist die kontextualistische Position in Sachen Komikforschung nicht immer frei von essenzialistischen Implikationen; wie die Anmerkungen zu These 1 gezeigt haben, ist sie es etwa dann nicht, wenn sie aus der Wesensverschiedenheit von Komik und Theorie abgeleitet wird.39 Die Thesen 3 und 4 sollen abschließend gemeinsam betrachtet werden, denn es handelt sich bei ihnen um Formulierungsvarianten einer Annahme: Wer darauf hinweist, dass die als komisch geltenden Gegenstände recht unterschiedlich sind, der sagt im Großen und Ganzen nichts anderes, als dass sich der Ausdruck ‚komisch‘ auf viele verschiedene Dinge anwenden lässt. Und wer auf die vielfältigen Verwendungen des Prädikats ‚komisch‘ aufmerksam macht, der verweist darauf, dass es sich bei dessen Extension um eine uneinheitliche Gegenstandsmenge handelt. Die Vertreter der Thesen 3 und 4 gelangen vor allem auf zwei Wegen zur Kritik des Vorhabens einer allgemeinen Komiktheorie: Einige unter ihnen sehen in der Vielfältigkeit komischer Gegenstände und der Verwendung des Komik-Begriffs ein epistemisches Argument gegen universalistische Ambitionen – ihnen erscheint das Projekt einer Komiktheorie wenig aussichtsreich. Andere sind der Auffassung, dass die Beobachtungen, die in den Thesen 3 und 4 zusammengefasst werden, auf ein systematisches Argument gegen den komiktheoretischen Universalismus verweisen – für sie ist die Einlösung seiner Ansprüche nicht nur unwahrscheinlich, sondern unmöglich. Beide Spielarten der Universalismuskritik seien exemplarisch vorgestellt und kurz kommentiert. Ein Beispiel für die erste Position findet sich in Wolfgang Preisendanz’ Überlegungen in dem einflussreichen „Poetik und Hermeneutik“-Band Das Komische aus dem Jahr 1976, er schreibt hier: Voraussetzungen und Bedingungen dafür, daß sich etwas komisch ausnimmt, als Komik aufgefaßt, akzeptiert und quittiert wird, sind aufgrund der historischen, sozialen, psychischen, situativen Faktoren so komplex und problematisch, ein allgemein verbindlicher und gültiger Begriff des Komischen ist so unabsehbar, daß ich es für ausgeschlossen halte, die Behauptung, 37 38

39

Eine solche Haltung findet sich – abweichend von ihrer Selbstsicht – bei Eichinger Ferro-Luzzi. Zumindest angemerkt sei: Mitunter werden essenzialistische Ansprüche in der Komikforschung nicht per se für problematisch gehalten. Salvatore Attardo und Victor Raskin etwa stufen ihr Modell unumwunden als „general and essentialist theory of verbal humor“ (Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed: Joke Similarity and Joke Representation Model“, in Humor 4:3/4 [1991], 293–347, 330) ein. Raskin hat dieses Verständnis der Theorie unlängst noch einmal bekräftigt und dabei en passant die Grundhaltung eines voraussetzungsarmen Essenzialismus erläutert: „I think I am an essentialist and linguistics is essentialist. Essentialism works like this: here is a phenomenon I am interested in, give me the essence“ (Alessio Aymone/Victor Raskin, „Interview“, in New Approaches to the Linguistics of Humour, hg. v. Diana Popa u. Salvatore Attardo, Galati 2007, 217–225, 220). – Zum Ansatz von Raskin und Attardo s. unten 1.4.2 und 1.4.3. S. hierzu oben.

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Zur Theorie literarischer Komik hier [also in einem beliebigen Fall] handle es sich – im Hinblick auf Intention oder Rezeption – um Komik, so zu verifizieren, daß diese Behauptung (und mithin der sie bestimmende Ein40 druck) absolute intersubjektive Verbindlichkeit gewönne.

Preisendanz’ Zweifel an den Aussichten einer Theorie, die grundsätzlich prognostizierbar macht, ob Gegenstände ‚als Komik aufgefaßt, akzeptiert und quittiert‘ werden, leuchten vollkommen ein. Eine entsprechende Theorie erscheint angesichts des Umstands, dass es nicht allein vom betrachteten Objekt, sondern zudem von vielen kontextuellen Parametern abhängt, ob sich bei einer Person der ‚Eindruck‘ des Komischen einstellt, tatsächlich unwahrscheinlich.41 Doch so sehr Preisendanz’ Argumentation für sich genommen überzeugt, so wenig taugt sie als Einwand gegen den komiktheoretischen Universalismus – denn für welche Ideen dessen Exponenten im Einzelnen auch immer eintreten mögen, eine Theorie, wie sie von Preisendanz ent- und verworfen wird, gehört nicht oder wenigstens nicht mehr zu den vordringlichen Zielsetzungen universalistisch orientierter Komiktheoretiker. Preisendanz’ Einlassungen verdanken ihre Suggestivität der Tatsache, dass sie stillschweigend zwei komiktheoretische Projekte miteinander identifizieren, die zumindest vorderhand unterschieden werden sollten – das Projekt einer Bestimmung des Komikbegriffs und das einer Erklärung des Komikeindrucks.42 Werden diese beiden Vorhaben auseinander gehalten, lässt sich das, was zunächst wie ein recht grundsätzlicher Einwand gegen den Universalismus aussieht, allenfalls als Hinweis auf die Umsetzungsschwierigkeiten verstehen, die mit einer seiner nicht sehr verbeiteten Varianten verbunden sind.43

40 41

42 43

Wolfgang Preisendanz, „Zum Vorrang des Komischen bei der Darstellung von Geschichtserfahrung in deutschen Romanen unserer Zeit“, in Das Komische, 153–164, 155. Vgl. hierzu die zahlreichen Untersuchungen zum Zusammenhang von ‚personality‘ und ‚humor appreciation‘, die in den vergangenen 80 Jahren entstanden sind, von Polyxenie Kambouropoulou, „Individual Differences in the Sense of Humor“, in Archives of Psychology 19 (1930), 5–77 oder Raymond B. Cattell/Lester B. Luborsky, „Personality Factors in Response to Humor“, in Journal of Abnormal and Social Psychology 42:4 (1947), 402–421 bis hin zu Willibald Ruch (Hg.), The Sense of Humor. Explorations of a Personality Characteristic, Berlin/New York 1998 oder Graeme Galloway/Danielle Chirico, „Personality and Humor Appreciation: Evidence of an Association between Trait Neuroticism and Preferences for Structural Features of Humor“, in Humor 21:2 (2008), 129–142. Vgl. zu einer entsprechenden Identifikation komikbezogener Fragestellungen etwa auch Siegfried J. Schmidt, „Komik und Humor“, 284. Das heißt natürlich keineswegs, dass nicht schon das Bemühen, nur eines der beiden Projekte umzusetzen, eine Herausforderung darstellt. Mit Blick auf das Vorhaben einer Bestimmung des Komikkonzepts wird dies etwa von Andrea Bartl in ihrer Untersuchung Die deutsche Komödie (Stuttgart 2009) hervorgehoben, ohne dass sie freilich einen überzeugenden Grund für die Umsetzungsschwierigkeiten nennen würde: „Eine eindeutige Definition des Begriffes bleibt allerdings schwierig, handelt es sich doch beim Komischen um eine übergeordnete Kategorie, die viele Unterkategorien umschließt und häufig mit weiteren Begriffen wie ‚das Humoristische‘, ‚das Lächerliche‘ usw. synonym verwendet wird“ (ebd., 11).

Zur Kritik des Kontextualismus

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Die Grundideen der zweiten Spielart der Universalismuskritik, die sich auf die Thesen 3 und 4 beruft, lassen sich anhand von Siegfried J. Schmidts Beitrag „Komik im Beschreibungsmodell kommunikativer Handlungsspiele“ verdeutlichen, der ebenfalls in dem Band Das Komische erschienen ist. Schmidt argumentiert hier für die These, dass das Komische ‚soziokulturell relativ‘ und mithin nur ‚historisch definierbar‘ sei,44 wobei er zur Stützung dieser These die folgende Analyse des Begriffs liefert: Nach den Kategorien der analytischen Wissenschaftstheorie haben wir es bei ‚Komik‘ (bzw. ,komisch‘) mit einem undefinierten qualitativen oder klassifikatorischen Begriff zu tun, der aus der Umgangssprache in die Bildungssprache der sog. Geisteswissenschaften (vor allem der Literaturwissenschaft, allgemein der Ästhetik) übernommen worden ist und dort je nach der herrschenden Konzeption inhaltlich bestimmt wird […]. Wie bei vielen qualitativen Begriffen stellt sich auch hier die Frage, ob der Begriff ‚Komik‘ prinzipiell undefinierbar ist, oder ob es lediglich an der Ungenauigkeit bisheriger Definitionsversuche liegt, daß er (noch) nicht exakt definiert oder zumindest mit intersubjektiver Zustimmung expliziert worden ist […]. Bei allen diesen Hypothesen aber [Freuds, Bergsons und Plessners] wird man bei der Begriffsbestimmung von der elementaren Tatsache auszugehen haben, daß es sich beim Begriff ,Komik‘ um einen mehrstelligen pragmatischen Begriff handelt. Das wird deutlich, wenn man die logische Struktur des Prädikats ,komisch‘ genauer analysiert, und zwar als: X ist komisch für/wirkt komisch auf Y aufgrund von a (wobei X und Y Kommunikationspartner bezeichnen, a eine faktische Situation, die als ‚komisch‘ qualifiziert wird).45

Zu Schmidts Analyse ließe sich einiges anmerken – im vorliegenden Zusammenhang sollte es genügen, auf drei Aspekte der Schmidt’schen Betrachtungen einzugehen, die typisch sind für die verbreitete Skepsis gegenüber dem Vorhaben einer Definition oder Theorie des Komischen. Zunächst scheinen einige Zweifel an der Adäquatheit der erläuternden Hinweise zum Komikkonzept angebracht. Schon Schmidts einleitende Einordnung des Begriffs kann nicht überzeugen: Dass das Konzept des Komischen als ‚undefiniert‘ bezeichnet wird, ist zumindest irreführend – denn natürlich liegen nicht erst seit Kurzem zahlreiche Definitionen vor. Auch die Charakterisierung des Begriffs als ‚klassifikatorisches‘ Konzept ist zweifelhaft, da sie ohne Angabe eines Arguments vernachlässigt, dass das Komikprädikat oftmals als ‚komparative‘ Kategorie Verwendung findet, dass also mit der Einschätzung der Lustigkeit von Objekten häufig nicht nur eine ‚Entweder-Oder-Frage‘, sondern auch ein ‚Mehr-Oder-Weniger-Entscheidung‘ verbunden ist.46 Nicht recht nachvollziehbar sind zudem einige Bestandteile von Schmidts Erläuterung der ‚logischen Struktur‘ des Komikkonzepts: Unklar ist vor allem, weshalb der Begriff nur auf ‚Situationen‘ angewandt werden und weshalb die Be44 45 46

Vgl. Siegfried J. Schmidt, „Komik im Beschreibungsmodell“, in Das Komische, 165–189, 169. Ebd., 166–168. Zur Unterscheidung zwischen klassifikatorischen und komparativen Konzepten vgl. Franz von Kutschera, Wissenschaftstheorie. Grundzüge der allgemeinen Methodologie der empirischen Wissenschaften, 2 Bde., München 1972, Bd. 1, Kap. 1.1 und 1.2. – Zu Graden des Komischen s. auch unten 1.4.3.

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Zur Theorie literarischer Komik

griffsverwendung stets mit der Evaluation eines ‚Kommunikationspartners‘ einher gehen sollte. Schon wenn man den Gebrauch des Prädikats ‚komisch‘ oberflächlich betrachtet, kann man feststellen, dass es zur Qualifikation sehr unterschiedlicher Gegenstände genutzt wird und dass seine Applikation oftmals ohne Gesprächspartner oder zumindest ohne dessen Beurteilung erfolgt.47 Ferner ist festzuhalten, dass man selbst dann, wenn man entsprechende Einwände gegen die Analyse des Begriffs einmal vernachlässigt, berechtigte Zweifel haben kann, ob sie tatsächlich die Konsequenzen nahe legt, die aus ihr gezogen werden: Weder aus den alltagssprachlichen Wurzeln eines Konzepts noch aus dessen Einstufung als mehrstelliges Prädikat folgt, dass es sich nicht oder allein historisch definieren lässt. Die vielen geisteswissenschaftlichen Definitionen von ursprünglich umgangssprachlichen Ausdrücken wie „Erzähler“ oder „Perspektive“ und von relationalen Begriffen wie „unzuverlässiger Erzähler“ oder „Fiktionalität“ belegen dies zur Genüge.48 Schmidts Überlegungen beruhen offenkundig auf verkürzten Vorstellungen von der Struktur, den Funktionen und den Varianten wissenschaftlicher Begriffsbestimmungen – was sich schlaglichtartig darin zeigt, dass er über die ‚prinzipielle Undefinierbarkeit‘ des Komikkonzepts nachdenkt,49 und auch darin, dass er in einem jüngeren Beitrag den Versuch der Explikation alltagssprachlicher Ausdrücke für szientifische Zwecke als ‚wissenschaftliche Hochstilisierung komplexer umgangssprachlicher Begriffe‘ abtut.50 Schließlich sollte angemerkt werden, dass nicht nur die kategorialen Voraussetzungen, sondern auch die konkreten Ergebnisse der Begriffsanalyse nicht geeignet sind, den Schluss auf die Kultur-, Personen- oder gar Situationsrelativität des Komik-Begriffs hinreichend abzusichern. Anders gesagt: Eine Analyse wie die vorliegende, die das Prädikat ,ist komisch‘ als Fkom(x, y, z)51 erläutert, steht grundsätzlich nicht im Konflikt mit

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Zu alternativen Modellen von Ereignissen des Komischen s. unten 1.2.1. Vgl. zu den genannten Konzepten beispielsweise Uri Margolin, „Narrator“, in Handbook of Narratology, hg. v. Peter Hühn, Wolf Schmid u. Jörg Schönert, Berlin/New York 2010, 361–379, Willie van Peer/Seymour Chatman (Hg.), New Perspectives on Narrative Perspective, Albany 2001, Tom Kindt, Unzuverlässiges Erzählen und literarische Moderne. Eine Untersuchung der Romane von Ernst Weiß,Tübingen 2008, 28–67, Gregory Currie, The Nature of Fiction, Cambridge/New York 1990, Kap. 1, Peter Lamarque/Stein Haugom Olsen, Truth, Fiction, and Literature. A Philosophical Perspective, Oxford 1994, Kap. 2 und Jan Gertken/Tilmann Köppe, „Fiktionalität“, in Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen, hg. v. Simone Winko, Fotis Jannidis u. Gerhard Lauer, Berlin/New York 2009, 228–266. Es ist nicht klar, was Schmidt in der betreffenden Passage meint. Sinnvoll scheint die Rede von einem ‚undefinierbaren Konzept‘ nur relativ zu einem gegebenen oder aber zu entwickelnden Axiomensystem, vgl. dazu Wilhelm K. Essler, Wissenschaftstheorie I. Definition und Reduktion, Freiburg/München 1970, 90–102. Vgl. Siegfried J. Schmidt, „Inszenierungen der Beobachtung von Humor“, in Komik – Medien – Gender. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums, hg. v. Friedrich W. Block, Bielefeld 2006, 19–52, 20. Lies: x ist komisch für y unter der Bedingung z.

Zur Kritik des Kontextualismus

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dem Projekt einer Definition bzw. Theorie des Komischen.52 Die Formel leistet strenggenommen nicht mehr, als die verschiedenen Aspekte der Zuschreibung des Prädikats etwas klarer in den Blick zu bringen; sie macht anschaulich, dass es, wenn Gegenstände (x) komisch gefunden werden, stets jemanden (y) gibt, der dies unter bestimmten Umständen (z) tut. Weder aus der Beobachtung jedoch, dass sich die Instantiierungen für x je nach Kontext z unterscheiden können, noch aus dem Tatsache, dass es Personen y sind, die das Prädikat Fkom zu- oder absprechen, lässt sich ein einleuchtendes Argument gegen die Möglichkeit einer Definition oder Theorie des Komischen entwickeln.53 Dass sich der Umfang eines Konzepts im Verlauf der Geschichte wandelt oder wandeln kann, stützt für sich genommen noch keine Folgerungen im Hinblick auf die Möglichkeit, den Nutzen oder die Form einer Definition des betreffenden Begriffs.54 Die Begriffsanalyse Fkom(x, y, z) schließt mit anderen Worten nicht aus, dass sich eine Struktur bestimmen lässt, die sämtlichen Ereignissen des ‚Komischfindens‘ zugrunde liegt, und dass sich Kriterien angeben lassen, anhand derer einleuchtend zwischen Fällen des ‚Komischfindens‘ und solchen des ‚Komischseins‘ unterschieden werden kann.55 Die Verbreitung, die der Kontextualismus innerhalb der Komikforschung in den letzten Jahren gefunden hat, ist nicht erstaunlich – denn er beruht auf Thesen, die nicht nur vielfach intuitiv einleuchten, sondern in Einzelfällen auch empirisch erhärtet worden sind. Dies gilt insbesondere für die oben als Ausgangsbeobachtung der kontextualistischen Position bezeichnete Idee der Kultur-, Gender-, Subjekt- oder Situationsrelativität der Bestimmung des Komischen, zu der mittlerweile eine ganze Reihe von Studien vorliegen.56 So plausibel einige der Prämissen sind, von denen die Vertreter des Kontextua52

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So liefert etwa Victor Raskin in seiner grundlegenden Studie Semantic Mechanisms of Humor (Dordrecht u.a. 1985) einleitend eine Rekonstruktion der Mehrstelligkeit des Komikkonzepts, um anschließend eine Definition sprachlichen Humors zu entwerfen, vgl. ebd., 5f. und 99–147. Vgl. zu diesem Kurzschluss auch Stefanie Arend/Dirk Niefanger, „Einleitung. Grenzen und Möglichkeiten einer kulturhistorischen Untersuchung des Komischen im 17. Jahrhundert“, in Anthropologie und Medialität des Komischen im 17. Jahrhundert (1580–1730), hg. v. S. A. et al., Amsterdam/New York 2008, 9–25, 15. Vgl. dazu Robert Stecker, „Is It Reasonable to Attempt to Define Art?“, in Theories of Art Today, hg. v. Noël Carroll, Madison 2000, 45–64. Vgl. hierzu auch Jerry Palmer, Taking Humour Seriously, London/New York 1994, 93f. und Graeme Ritchie, „Current Directions in Computational Humor“, in Artificial Intelligence Review 16 (2001), 119–135, 120. Vgl. neben den Titeln in Fußnote 41 zum Beispiel Joanne R. Cantor, „What Is Funny to Whom? The Role of Gender“, in Journal of Communication 26:3 (1976), 162–172, Howard Leventhal/Martin A. Safer, „Individual Differences, Personality and Humor Appreciation“, in It’s a Funny Thing, Humour, hg. v. Anthony J. Chapman u. Hugh C. Foot, Elmsford, NY 1977, 335–350, Frank W. Wicker/Irene M. Thorelli/William L. Barron, III/Amy C. Willis, „Studies of Mood and Humor Appreciation“, in Motivation and Emotion 5:1 (1981), 47–59, Avner Ziv, Personality and Sense of Humor, New York 1984, Paul E. McGhee/Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „Age Differences in the Enjoyment of Incongruity-Resolution and Nonsense Humor during Adulthood“, in Psychology and Aging 5 (1990), 348–355, Peter Derks/Sanjay Arora, „Sex and Salience and the

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Zur Theorie literarischer Komik

lismus ausgehen, so unplausibel sind allerdings die meisten der Konsequenzen, die sie aus ihnen ziehen. Das liegt in der Hauptsache daran, dass Kontextualisten zumeist verengte Vorstellungen von Definitionen und Theorien und mithin von einer universalistischen Orientierung der Komikforschung haben.57 Zu den wirkungsmächtigsten dieser Vorstellungen sind einige Erläuterungen und Anmerkungen geboten. Erstens: Kontextualistisch orientierte Komikforscher bestreiten die Möglichkeit einer definitorischen Bestimmung des Komik-Begriffs, weil sie annehmen, dass Definitionen notwendig eine gewisse Gestalt haben und mit bestimmten Ansprüchen verbunden sein müssten. So wird von Kontextualisten oft vorausgesetzt, eine Definition müsse notwendige und hinreichende Bedingungen für das Vorliegen von Komik benennen, oder es wird unterstellt, mit einer Definition sei das Ziel verbunden, das Wesen des Komischen zu erhellen, oder aber der Anspruch, allen Verwendungen des Komikbegriffs gerecht zu werden. Annahmen dieser Art zeugen von einiger Ignoranz gegenüber den definitionstheoretischen Debatten des zurückliegenden halben Jahrhunderts; sie missachten, dass es sich bei einer Definition nach allgemeiner Auffassung um nicht mehr als die Feststellung bzw. Festlegung der Bedeutung eines Ausdrucks handelt58 und dass entsprechende Rekonstruktionen oder Fixierungen von Ausdrucksbedeutungen in verschiedener Weise und mit unterschiedlichem Anspruch erfolgen können.59 Kurz gesagt: Die kontextualistische Kritik am Vorhaben einer Definition des Komikbegriffs kann nicht überzeugen, weil sie auf der Gleichsetzung einer Variante der Begriffsbestimmung mit Definitionen überhaupt beruht. Zweitens: Dass die Vertreter des Kontextualismus die Modellierung einer Komiktheorie für unmöglich halten, ist vor allem auf zwei Annahmen zurückzuführen. Sie gelangen zu dieser Auffassung einerseits, weil sie unter Theorien offenbar empirische Theorien mit explanativ-prognostischem Charakter verstehen, und andererseits, weil sie voraussetzen, dass der Gegenstand einer entsprechenden Theorie in den komikbezo-

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Appreciation of Humor“, in Humor 6:1 (1993), 57–69, Willibald Ruch/Giovannatonio Forabosco, „A Cross-Cultural Study of Humor Appreciation: Italy and Germany“, in Humor 9:1 (1996), 1–18, Thomas R. Herzog, „Gender Differences in Humor Appreciation Revisited“, in Humor 12:4 (1999), 411–423, Christie Davies, The Mirth of Nations, New Brunswick, NJ 2002 oder Helga Kotthoff, „Gender and Humor: The State of the Art“, in Journal of Pragmatics 38 (2006), 4–25. Vgl. entsprechend gegen den Nominalismus in der Gattungstheorie schon Klaus W. Hempfer, Gattungstheorie. Information und Synthese, München 1973, 41–48. Zum Konzept der Definition vgl. allgemein Wilhelm K. Essler, Wissenschaftstheorie, Eike von Savigny, Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren, München 1970, Tadeusz Pawłowski, Begriffsbildung und Definition, Berlin/New York 1980 und Alain Rey, „Introduction: Defining Definition“, in Essays on Definition, hg. v. Juan C. Sager, Amsterdam, Phil. 2000, 1–14. Zu Typen von Definitionen vgl. Richard Robinson, Definition, Oxford 1968, Werner Strube, „Die komplexe Logik des Begriffs ,Novelle‘. Zur Problematik der Definition literarischer Gattungsbegriffe“, in Germanisch-Romanische Monatshefte 32 (1982), 379–386 und Tilmann Köppe, „,Was ist Literatur?‘ Bemerkungen zur Bedeutung der Fragestellung“, in Was ist Literatur? Basistexte Literaturtheorie, hg. v. Jürn Gottschalk u. Tilmann Köppe, Paderborn 2006, 154–174.

Zur Kritik des Kontextualismus

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genen Urteilen von Personen besteht.60 Es ist nicht schwer zu sehen, dass beide Grundannahmen der kontextualistischen Kritik am Vorhaben einer Komiktheorie problematisch sind: Wer sich auf dem Feld der Komikforschung ein wenig umschaut, kann feststellen, dass in Komiktheorien eine Reihe unterschiedlicher Aspekte von Ereignissen des Komischen zum Gegenstand gemacht werden. Und eine entsprechende Vielfalt innerhalb der Komiktheorie scheint nicht allein empirisch gegeben, sondern auch vollkommen legitim zu sein – es ist nicht zu sehen, was etwa dagegen sprechen sollte, eine Theorie sprachlicher Komik zu entwerfen, die sich auf die Strukturen von Texten bezieht, ohne den Absichten und Verhaltensweisen von deren Produzenten oder Rezipienten Beachtung zu schenken.61 Allerdings gehen Kontextualisten nicht nur im Hinblick auf den Gegenstand der Komiktheorie, sondern auch im Hinblick auf diese selbst von verengten Vorstellungen aus, indem sie Theorien zumeist stillschweigend mit empirischen Theorien identifizieren. Auch wenn diese in der Wissenschaftsphilosophie lange als Musterfall von Theorien betrachtet worden sind, sollte auf der Hand liegen, dass es sich bei ihnen nur um eine bestimmte Spielart von Theorien handelt. Schon in der an den Naturwissenschaften orientierten traditionellen Wissenschaftsphilosophie werden verschiedene Formen von Theorien unterschieden,62 und in neueren Publikationen zum Thema hat sich ein äußerst einfaches Grundverständnis von Theorien durchgesetzt,63 das zudem mit der Verwendung des Ausdrucks ‚Theorie‘ in den Kulturwissenschaften im Einklang steht: Eine Theorie ist demnach als Menge von Sätzen zu einem bestimmten Gegenstandsbereich zu verstehen.64 Auch vor dem Hintergrund dieser weiten Definition sind zweifellos noch Spielarten von Komiktheorien denkbar, deren Ent60

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Vgl. dazu musterhaft Schmidts Auffassung von den Erklärungsleistungen, die mit einer Komiktheorie verbunden sein sollten: „Wegen der Komplexität unserer kognitiven Operationen, die kognitive Bedeutungsproduktion mit deren emotionaler Besetzung, moralischen Orientierung und empraktischen Bewertung komplementär koppeln, ist auch die Zuschreibung des Prädikats ‚komisch‘ eine Funktion von Erwartungen in kognitiver, emotionaler und moralischer Hinsicht – und um keinen dieser Aspekte sollte gekürzt werden“ (Siegfried J. Schmidt, „Komik und Humor“, 284). S. dazu unten 1.2.1 u. 1.2.2. Vgl. etwa von Franz von Kutschera, Wissenschaftstheorie, Bd. 1, 252–296. Vgl. zum Beispiel die Lexikonartikel Helmut F. Spinner, „Art. Theorie“, in Handbuch philosophischer Grundbegriffe. Bd. 3: Religion-Zweck, hg. v. Hermann Krings, Hans Michael Baumgartner u. Christoph Wild, München 1974, 1586–1594, Helmut Seiffert, „Art. Theorie“, in Handlexikon zur Wissenschaftstheorie, hg. v. H. S. u. Gerard Radnitzky, München 1989, 368–369, Christian Thiel, „Art. Theorie“, in Enzyklopädie der Philosophie und Wissenschaftstheorie, 4 Bde., hg. v. Jürgen Mittelstraß, Stuttgart/Weimar 1996, Bd. 4: Sp-Z, 260–270 oder Gert König/Helmut Pulte, „Art. Theorie“, in HWP 10 (1998), 1127–1154. Ausgehend von einem solchen allgemeinen Grundverständnis liegt es nahe, auf der Basis von Fragen wie den folgenden grundlegende Theorietypen zu unterscheiden: Welche Art von Sätzen enthält eine als Theorie verstandene Satzmenge? Welche Ansprüche sind mit den Elementen einer entsprechenden Satzmenge verknüpft? Vgl. hierzu Tom Kindt/Hans-Harald Müller, „What, Then, Is Narratology? A Next-to-Last Look“, in Théorie, analyse et interprétation des récits, hg. v. Sylvie Patron, Frankfurt/M. u.a. 2011, 21–37..

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Zur Theorie literarischer Komik

wicklung schwierig erscheint; es ist jedoch nicht mehr nachvollziehbar, weshalb das Vorhaben der Komiktheorie ein per se aussichtsloses Unternehmen sein sollte.65 Drittens: Viele Kontextualisten gründen ihre Stellungnahmen auf falsche Vorstellungen von den Überzeugungen, die mit dem Universalismus verknüpft sind. So unterstellen sie beispielsweise, ein Vertreter der universalistisch ausgerichteten Komikforschung habe ein Modell vorzulegen, das zu allen Aspekten komischer Ereignisse etwas zu sagen hat, oder aber sie setzen voraus, er bestreite, dass in bestimmten Kontexten jeder beliebige Gegenstand komisch zu wirken vermag. An Annahmen wie diesen lässt sich ablesen, dass Kontextualisten die Spielräume, die der Modellierung von Definitionen und Theorien im Rahmen der universalistischen Tradition zu Gebote stehen, deutlich unterschätzen. Diese Spielräume und damit ein angemesseneres Verständnis des Universalismus sollen im folgenden Kapitel verdeutlicht werden.

1.2

Varianten des Universalismus

Die vorherrschende Position innerhalb der Komikforschung ist, auch wenn sie sich seit rund hundert Jahren einer mehr oder weniger grundlegenden kontextualistischen Kritik ausgesetzt sieht, noch immer die universalistische. In den meisten Stellungnahmen zum Forschungsfeld geht es, anders gesagt, nach wie vor darum, einen Beitrag zur Definition oder Theorie des Komischen zu leisten. Die Ausgestaltung entsprechender Vorschläge hat sich seit Platons Thesen zum Wesen des ‚Lächerlichen‘ in den Dialogen Philebos und Nomoi und damit seit der Geburtsstunde der Komikforschung erkennbar gewandelt; ihr Anspruch aber ist im Großen und Ganzen gleich geblieben.66 Dies werden die folgenden Hinweise anschaulich machen; sie sollen einerseits einen systematischen und historischen Überblick über wichtige Varianten der universalistischen Position geben und andererseits die konzeptionelle Ausrichtung der Komiktheorie umreißen, die in den folgenden Kapiteln im Einzelnen entwickelt wird.

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Selbstverständlich lässt sich auch ein deutlich anspruchsvollerer Theoriebegriff einleuchtend vertreten und in der Komikforschung fruchtbar machen, vgl. dazu insbesondere die Vorschläge in Victor Raskin/Christian F. Hempelmann/Julia M. Taylor, „How to Understand and Assess a Theory: The Evolution of the SSTH into the GTVH and Now into the OSTH“, in JLT 3:2 (2009), 285–312, 285–289. Vgl. dazu Platon, Philebos, 47d–50b und Nomoi, 816d–817e. Zu Platons Sicht des Komischen und der Komödie vgl. zuletzt mit Hinweisen auf weitere Literatur Cameron Shelley, „Plato on the Psychology of Humor“, in Humor 16:4 (2003), 351–367 sowie allgemein im Zusammenhang der Antike Wilhelm Süss, Lachen, Komik und Witz in der Antike, Zürich 1969 und Gert Ueding, „Rhetorik des Lächerlichen“, in Semiotik, Rhetorik und Soziologie des Lachens. Vergleichende Studien zum Funktionswandel des Lachens vom Mittelalter zur Gegenwart, hg. v. Lothar Fietz, Joerg O. Fichte u. Hans-Werner Ludwig, Tübingen 1996, 21–36.

Perspektiven des Universalismus

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Angesichts der ebenso langen wie verzweigten Geschichte des komiktheoretischen Universalismus von der Antike bis zur Gegenwart empfiehlt es sich, bei seiner Charakterisierung typologisch und nicht chronologisch vorzugehen. Es sollen im Folgenden also maßgebliche Typen von Komiktheorien vorgestellt, voneinander abgegrenzt und miteinander verglichen werden. Wenn, wie im vorliegenden Fall, eine entsprechend konzipierte Übersicht über das Feld der Komiktheorie zugleich Anhaltspunkte für den Entwurf eines eigenen Vorschlags liefern soll, dann ist es ratsam, bei der Klassifikation von Ansätzen anders zu verfahren, als es in typologisch ausgerichteten Überblicksdarstellungen zur Erforschung des Komischen üblich ist. In der Regel sind entsprechende Rekonstruktionen in dem Sinne induktiv angelegt, dass sie sich bei der Unterscheidung von Theorietypen eng an den Selbsteinordnungen orientieren, die sich in Stellungnahmen zur Komiktheorie finden lassen.67 Aus diesem Grund bleibt in den meisten Überblicksdarstellungen unklar, in welchem Verhältnis die jeweils unterschiedenen Ansätze zueinander stehen, ob sie etwa miteinander verträglich sind, einander ausschließen oder ergänzen. Um diese Fragen im Blick zu behalten, wird die folgende Übersicht mit Vorschlägen zur deduktiv ausgerichteten Klassifikation von Komiktheorien einsetzen; vor ihrem Hintergrund soll anschließend die Ausrichtung der Theorie der vorliegenden Untersuchung zunächst allgemein und sodann in Auseinandersetzung mit den gemeinhin unterschiedenen Typen von Komikmodellen vorgestellt werden.

1.2.1 Formen von Komiktheorien Überlegungen zu einer systematischen Klassifikation von Komiktheorien sind in der Forschung selten, die überzeugendsten finden sich bei Victor Raskin und Robert L. Latta.68 Grundlage ihrer Vorschläge ist ein kommunikationstheoretisch ausgerichtetes Modell dessen, was sich etwas technisch als ‚Komik-Ereignis‘ bezeichnen lässt: Raskins typologische Betrachtungen setzen beim sogenannten ‚humor act‘ an, der sich aus den elementaren Bestandteilen ‚speaker‘, ‚stimulus‘ und ‚hearer‘ zusammensetzt.69 Er unter67

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Vgl. etwa David Hector Monro, The Argument of Laughter, Victoria 1951, Patricia Keith-Spiegel, „Conceptions of Humor“, John Morreall, Taking Laughter Seriously, Albany, NY 1983, Arthur Asa Berger, An Anatomy of Humor, New Brunswick, NJ 1993, Andreas Kablitz, „Komik“, Ted Cohen, „Humor“, Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“, in J. L., Contemplating Art. Essays in Aesthetics, Oxford 2002, 389–400, Noël Carroll, „Humour“, in The Oxford Handbook of Aesthetics, hg. v. Jerrold Levinson, Oxford 2003, 344–365 oder Helmut Bachmaier, „Nachwort“, in Texte zur Theorie der Komik, hg. v. H. B., Stuttgart 2005, 121–142. Vgl. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 30–41 sowie Robert L. Latta, Humor Process, 8–12. – Vgl. zum Zusammenhang allerdings auch Aaron Smuts, „Humor“, in The Internet Encyclopedia of Philosophy, hg. v. Jay Schneider, § 1b . Vgl. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 14f. Vgl. zu verwandten Modellen komischer Kommunikation etwa Beate Müller, Komische Intertextualität: Die literarische Parodie, Trier 1994, 201– 203 oder Mark-Stefan Tietze, „Komische Kommunikation: Minimal- und Idealbedingungen“, in Hinlenkung durch Ablenkung. Medienkultur und die Attraktivität des Verborgenen, hg. v. Chri-

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Zur Theorie literarischer Komik

scheidet Ansätze danach, welchen der drei Aspekte des ‚humor acts‘ sie für maßgeblich erklären, und gelangt so zur Gegenüberstellung der drei folgenden grundlegenden Typen von Komiktheorien, Inkongruenztheorien, Überlegenheitstheorien und Entlastungstheorien: „[T]he incongruity-based theories make a statement about the stimulus; the superiority theories characterize relations or attitudes between the speaker and the hearer; and the release / relief theories comment on the feelings and psychology of the hearer only.“70 Lattas Grundmodell des Komik-Ereignisses ist noch einfacher aufgebaut als dasjenige Raskins. Da es ihm um das Komische nicht allein in der Sprache, sondern in allen denkbaren Erscheinungsformen geht, unterscheidet er im Hinblick auf entsprechende Ereignisse, die er als ‚humor processes‘ bezeichnet, lediglich zwischen der ‚stimulus side‘ und der ‚response side‘. Ausgehend von diesem Vorschlag gelangt auch Latta zu drei wesentlichen Spielarten von Theorien des Komischen, er unterscheidet zwischen stimulus side-, response side- und whole process-Modellen.71 Die Modelle von Raskin und Latta eignen sich prinzipiell als Bezugsrahmen einer systematischen Klassifikation von Komiktheorien; sie helfen jedoch nur bedingt weiter, wenn geklärt werden soll, wie es um das Verhältnis zwischen verschiedenen Typen von Komikmodellen oder konkreten Positionen der Komikforschung bestellt ist.72 Dies deutet sich bereits in den wenigen Hinweisen an, die sich in Raskins und Lattas Monographien zu dieser Frage finden lassen. Für Raskin wird vor dem Hintergrund seines Modells deutlich, dass, anders als lange Zeit angenommen, zwischen den vorliegenden Komikansätzen kein Konkurrenz-, sondern ein Kompatibilitäts- oder sogar Komplementaritätsverhältnis besteht: „The three approaches characterize the complex phenomenon of humor from very different angles and do not contradict each other –

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71 72

stoph Jacke u. Guido Zurstiege, Münster 2005, 23–40, 26f. – Die Rede von ‚Komik-Ereignissen‘ schließt an Gary Alan Fines Begriff des ‚jocular events‘ an, vgl. Gary Alan Fine, „Humorous Interaction and the Social Construction of Meaning: Making Sense in a Jocular Vein“, in Studies in Symbolic Interaction. An Annual Compilation of Research. Vol. 5, hg. v. Norman Denzin, Greenwich, Conn. 1984, 83–101. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 40. Kursivierungen im Original gefettet. Vgl. auch Salvatore Attardo, Linguistic Theories of Humor, Berlin/New York 1994, 47–50. – S. zu diesen drei grundlegenden Typen von Komiktheorien auch unten 1.2.3. Hier wird sich unter anderem zeigen, dass Raskins Assoziation von Überlegenheitstheorien mit der Sender-Empfänger-Relation irreführend ist. Vgl. Robert L. Latta, Humor Process, 8–12. Damit sind zugleich die wesentlichen Aufgaben von Modellen komischer Kommunikation benannt: Sie sollen eine Grundlage für die Klassifikation und die vergleichende Analyse von komiktheoretischen Positionen bereit stellen. Dass sie zur Klärung des Komikkonzepts oder zur Erklärung komischer Phänomene keinen oder einen nur geringen Beitrag leisten, hat Gernhardt in seiner Zusammenfassung des Erkenntnisgewinns verdeutlicht, der mit Kommunikationsmodellen des Komischen in der Regel verbunden ist: „[W]ie Häuptling Kommunizierender Hirsch zu röhren pflegte: ,Roter Mann machen Witz, weißer Bruder lacheln oder lächen‘“ (Robert Gernhardt, „Witz-Didaktik“ [1979/80], in R. G., Was gibt’s denn da zu lachen?, 50–52, 51).

Perspektiven des Universalismus

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rather they seem to supplement each other quite nicely“.73 Latta vertritt grundsätzlich eine ähnliche Auffassung, er geht aber noch zwei Schritte weiter: Zum einen besteht für ihn nicht allein die Möglichkeit, sondern die Notwendigkeit einer Verknüpfung von unterschiedlichen komiktheoretischen Positionen, zum anderen betrachtet er es als Selbstverständlichkeit, dass sich ein angemessenes Modell des Komischen nur in Form einer empirisch ausgerichteten psychologischen Theorie konzipieren lässt. „[T]hat which we wish to understand is surely“, so Latta, „the psychological (and neurological and physiological) phenomenon of humor“.74 Raskin und Latta übersehen gleichermaßen, dass sich Komiktheorien nicht allein dadurch voneinander abheben, dass sie unterschiedliche Bestandteile des Komik-Ereignisses in den Vordergrund rücken, sondern auch dadurch, wie sie dies tun. Anders ausgedrückt: Ein Modell zur genauen Analyse und übersichtlichen Klassifikation von Komiktheorien sollte neben wesentlichen Aspekten des Komik-Ereignisses auch grundlegende Formen ihrer Thematisierung benennen. Für die Zwecke der vorliegenden Studie genügt es, zur Charakterisierung entsprechender Thematisierungsformen drei Unterscheidungen einzuführen: Die erste bezieht sich auf die konzeptionelle Ausrichtung komiktheoretischer Positionen, die zweite auf deren konkrete Ausgestaltung, die dritte auf die Art und Weise, in der sie das Komische zum Phänomen des Lachens ins Verhältnis setzen. Erstens erscheint es ratsam, konzeptuelle und empirische Problematisierungen des Komischen und seiner Aspekte voneinander abzugrenzen.75 Komikforschung lässt sich – wie es etwa in der Philosophie und der Literaturwissenschaft gang und gäbe ist – als ein begriffliches Vorhaben verstehen; das vordringliche Interesse gilt in diesem Fall einer Bestimmung des Begriffs des Komischen und seiner Facetten, die freilich in recht unterschiedlicher Form erfolgen kann.76 Komik in dieser Weise zu betrachten, ist etwas anderes, als sie – wie dies in der Psychologie und anderen empirischen Humanwissenschaften vorherrschend ist – mit Hilfe erfahrungswissenschaftlichen Verfahren zu untersuchen; in einem solchen Fall wird zumeist versucht, im Hinblick auf Gefühle wie das des Amüsiertseins oder Phänomene wie das des Lachens Daten zu sammeln und erklärende Theorien zu entwickeln.77 Wie sich zeigen wird, ist es in der Praxis freilich nicht 73 74 75 76

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Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 40. Robert L. Latta, Humor Process, 11f. Hervorhebung im Original. Vgl. zu dieser Unterscheidung prinzipiell Tadeusz Pawłowski, Begriffsbildung, und konkret Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“. Vgl. zur konzeptuell ausgerichteten Komikforschung exemplarisch Michael Clark, „Humour and Incongruity“, in Philosophy 45 (1970), 20–32 und „Humour, Laughter and the Structure of Thought“, in BJA 27:3 (1987), 238–246. Vgl. etwa die zahlreichen Hinweise auf empirische Studien dieser Art in Thomas E. Ford/Mark A. Ferguson, „Social Consequences of Disparagement Humor: A Prejudice Norm Theory“, in Personality and Social Psychology Review 8:1 (2004), 79–94 oder „Disparagement Humor: A Theoretical and Empirical Review of Psychoanalytic, Superiority, and Social Identity Theories“, in Humor 21:3 (2008), 283–312.

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Zur Theorie literarischer Komik

nur möglich, sondern üblich und oft sinnvoll, beide Spielarten der Komikforschung in der einen oder anderen Weise miteinander zu verknüpfen.78 Zweitens sollen ergänzend zu der vorgeschlagenen Unterscheidung formale und funktionale Varianten der Beschäftigung mit dem Komischen auseinander gehalten werden.79 Die erstgenannte Spielart der Untersuchung fragt dabei nach der ‚Verfasstheit‘ des Komischen, die letztgenannte nach seinen ‚Leistungen‘. Um einem naheliegenden Missverständnis vorzubeugen, sei angemerkt, dass diese Unterscheidung nicht mit derjenigen zwischen der stimulus- und der response-Seite von Komik-Ereignissen zusammenfällt. Stellungnahmen zu beiden Aspekten können formal oder funktional ausgestaltet werden – so ist etwa eine phänomenologische Analyse des komischen Vergnügens ein Beispiel für eine formale Betrachtung des Erlebens von Komik,80 während eine empirische Studie zur therapeutischen Wirkung des Komischen den gleichen Gegenstand aus funktionalem Blickwinkel untersucht.81 Drittens schließlich ist es bei der Betrachtung und Einordnung komiktheoretischer Positionen sinnvoll, zu klären, von welchem Verhältnis zwischen Komik- und Lachforschung sie jeweils ausgehen. In Hinblick auf diese Frage ist ein großes Spektrum von Auffassungen denkbar und auch zu beobachten; im Kontext der folgenden Einlassungen soll der Einfachheit halber nur zwischen zwei Extrempositionen unterschieden werden, zwischen der einer Verbindung und der einer Trennung von Komik- und Lachforschung. Zur erstgenannten Position sind Theorien82 zu zählen, die davon ausgehen, dass sich die Leitfragen der Humorologie nicht oder zumindest nicht sinnvoll beantworten lassen, wenn die ‚Gelotologie‘83 ausgeklammert wird; der letztgenannten Position 78 79

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S. dazu unten 1.2.2 und 1.3. Vgl. dazu auch Marcel Gutwirth, Laughing Matter. An Essay on the Comic, Ithaca/New York 1993, 2f., wo allerdings die Frage nach der Ausgestaltung von Komiktheorien nicht hinreichend von der nach ihrem Gegenstand unterschieden wird. Vgl. hierzu exemplarisch Peter L. Berger, Redeeming Laughter. The Comic Dimension of Human Experience, Berlin/New York 1997. Vgl. zu einem Überblick über unterschiedliche Varianten dieser Tradition der Komikforschung Brigitte Stemmer, „Wie stark machen Lachen und Humor? Eine wissenschaftliche Perspektive“, in Humorstrategien, 24–38, Rod A. Martin, „Humor, Laughter, and Physical Health: Methodological Issues and Research Findings“, in Psychological Bulletin 127:4 (2001), 504–519 und „Humor and Health“, in Primer, 479–522 sowie May McCreaddie/Sally Wiggins, „The Purpose and Function of Humour in Health, Health Care and Nursing: A Narrative Review“, in Journal of Advanced Nursing 61:6 (2008), 584–595. – Ein Beispiel für eine funktionale Analyse der stimulus-Seite von Komik-Ereignissen ist die einflussreiche Opposition ‚Komik der Herabsetzung vs. Komik der Heraufsetzung‘, die auf Hans Robert Jauß zurückgeht, vgl. dazu Hans Robert Jauß, „Über den Grund des Vergnügens am komischen Helden“, in Das Komische, 103–132 und für die Wirkung der Unterscheidung in der Komödienforschung Bernhard Greiner, Die Komödie, 88–104. Vgl. etwa Wolfgang Iser, „Das Komische: Ein Kipp-Phänomen“, in Das Komische, 398–402, Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“ oder Hans-Jürgen Bachorski et al., „Performativität“. Diese Bezeichnung für die Lachforschung geht zurück auf die Psychologen William F. Fry und Edith Trager, wobei sie ursprünglich vor allem für die Untersuchung der gesundheitlichen Wirkun-

Perspektiven des Universalismus

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sollen Ansätze84 zugerechnet werden, die diese Überzeugung nicht teilen und darum dafür eintreten, das Komische und das Lachen als zwei grundsätzlich voneinander unabhängige Phänomene zu betrachten.85

1.2.2 Umrisse einer Komiktheorie 1: Zur Explikation des Komikkonzepts Vor dem Hintergrund der erfolgten Hinweise zur Analyse humorologischer Positionen sollen nun Ausrichtung und Anspruch des Komikmodells der vorliegenden Studie vorgestellt werden. Es ist mit anderen Worten in aller Kürze darzulegen, was für eine Art von Theorie im Folgenden angestrebt wird, welche Zielsetzung sie verfolgt, welchen Anforderungen sie gerecht werden soll und von welcher allgemeinen Vorstellung des Komischen sie ausgeht. Den Entwurf einer Theorie durch Hinweise zu ihrem Format vorzubereiten, ist grundsätzlich sinnvoll – im Zusammenhang der Humorologie erscheint es sogar dringend geboten, denn viele Beiträge zur Komikforschung stiften nicht zuletzt dadurch Verwirrung, dass sie offen lassen, auf welche Aspekte des KomikEreignisses sie sich in welcher Form zu beziehen versuchen.86 Formelhaft lässt sich der komiktheoretische Ansatz der vorliegenden Arbeit wie folgt charakterisieren: In seinem Zentrum steht eine empirisch informierte Bestimmung des Begriffs des komischen Textes sowie des komischen literarischen Textes. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine explikative Definition, die im Kern in einer formalen Charakterisierung der stimulus-Seite textbezogener Komik-Ereignisse besteht. Leitend für die Ausarbeitung des Vorschlags ist die Überzeugung, dass Komik- und Lachforschung nicht miteinander vermengt werden sollten. Auch wenn, wie sich zeigen wird, bei der Ausarbeitung einer solchen Theorie textueller Komik an vorliegende Untersuchungen angeschlossen werden kann, so stellt sie doch ebenso aus literaturwissenschaftlicher wie aus komiktheoretischer Perspektive ein Desiderat dar: Durch die anvisierte elaborierte Bestimmung des Begriffs textueller Komik würde die Literaturwissenschaft eine Grundlage für genaue textanalytische und literarhistorische Arbeiten gewinnen87 und die Komikforschung einen Bezugspunkt für weiter führende empirische

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87

gen des Lachens stand, vgl. William Fry, Sweet Madness. A Study of Humor, Palo Alto, CA 1964 sowie für einen Überblick Rod A. Martin, „Humor and Health“. Vgl. etwa Victor Raskin, Semantic Mechanisms oder Noël Carroll, „Humour“. Ausgehend von den drei Unterscheidungen ließe sich eine analytische Klassifikation komiktheoretischer Ansätze entwerfen, wobei die Dichotomie zwischen konzeptuell und empirisch ausgerichteten Beiträgen grundlegend ist, während die beiden anderen nachgeordneten Charakter besitzen. Im vorliegenden Zusammenhang kann darauf verzichtet werden, eine solche Klassifikation im Einzelnen zu entwickeln. Vgl. als Beispiele Renate Jurzik, Der Stoff des Lachens. Studien über Komik, Frankfurt a.M. u.a. 1985, Wolfgang Iser, „Kipp-Phänomen“, Peter Rehberg, lachen lesen. Zur Komik der Moderne bei Kafka, Bielefeld 2007 oder Anja Gerigk, Literarische Hochkomik. S. dazu unten 2.

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und funktionale Untersuchungen zum Komischen und seiner komplexen Beziehung zum Lachen.88 Wie diese recht allgemeinen Hinweise zu verstehen sind und welche Gründe sich für die Wahl eines entsprechend ausgerichteten Komikmodells anführen lassen, das sei nun im Einzelnen dargelegt. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung wird Komikforschung als ein konzeptuelles Projekt verstanden. Ziel der folgenden theoretischen Überlegungen ist es mit anderen Worten, einen definitorischen Vorschlag für den Begriff des komischen Textes bzw. – allgemeiner ausgedrückt – für den der textuellen Komik zu entwickeln.89 Formal betrachtet wird es sich bei der Begriffsbestimmung um eine Explikation im technischen Sinne handeln, also um eine Definition, die den Anschluss an die bisherige Verwendung eines Konzepts mit dessen Präzisierung für den Gebrauch in bestimmten Zusammenhängen zu verbinden versucht.90 Konkret wird der Vorschlag recht traditionell zugeschnitten sein, die Explikation soll sich um die Bestimmung der notwendigen und hinreichenden Bedingungen für das Vorliegen textueller Komik bemühen. Die Entscheidung für eine entsprechende Definitionsform ist dabei nicht als These über die Struktur von Begriffen zu verstehen91 – sie bringt vielmehr die Überzeugung zum Ausdruck, dass in divergierenden Kontexten verschiedene Typen der Begriffsbestimmung sinnvoll sind und dass im vorliegenden Zusammenhang eine traditionelle Variante der Definition eine bessere Arbeitsgrundlage darstellt als eine, die den Begriff textueller Komik beispielsweise prototypentheoretisch zu bestimmen versucht.92 Im Zuge der Explikation wird ein Modell des Gegenstands ‚textuelle Komik‘ Gestalt gewinnen, das neben konstitutiven auch typische Merkmale komischer Texte sowie markante Spielarten ihrer konkreten Inszenierung benennt; dieses Objektmodell bildet die Grundlage der Analyse literarischer Texte in der vorliegenden Untersuchung. Um zu erläutern, inwiefern es sich bei der zu entwickelnden Definition um eine empirisch informierte Explikation handeln wird, ist ein etwas längerer Exkurs sinnvoll. Es 88 89 90

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92

S. zum Zusammenhang von konzeptueller Bestimmung und empirischer Forschung auch unten 1.3. Zum Verhältnis zwischen den Konzepten textueller und literarischer Komik s. unten 1.5. Zum Verfahren der Explikation von Begriffen vgl. grundlegend Rudolf Carnap, The Logical Foundations of Probability, Chicago/New York 1950, 1–18, Willard Van Orman Quine, Word and Object, New York 1960, 445–449, Harald Fricke, Die Sprache der Literaturwissenschaft. Textanalytische und philosophische Untersuchungen, München 1977, 253–265, Tadeusz Pawłowki, Begriffsbildung, 157–198 und Lutz Danneberg, „Zwischen Innovation und Tradition: Begriffsbildung und Begriffsentwicklung als Explikation“, in Terminologie der Literaturwissenschaft, hg. v. Christian Wagenknecht, Stuttgart 1989, 50–68. Sie stellt also keine Stellungnahme zur Debatte um die prototypentheoretische, klassische oder neoklassische Interpretation von Begriffen dar, vgl. für einen Überblick Stephen Laurence/Eric Margolis, „Concepts“. Vgl. zum Zusammenhang grundlegend Gottfried Gabriel, Definitionen und Interessen. Über die praktischen Grundlagen der Definitionslehre, Stuttgart/Bad Cannstatt 1972, 83–96. – Die zentralen Einwände, die sich grundsätzlich gegen eine prototypentheoretische Bestimmung von Begriffen wie Komik vorbringen lassen, erläutert Berys Gaut am Beispiel der Diskussion um das Konzept der Kunst, vgl. B. G., „,Art‘ as a Cluster Concept“, in Theories of Art, 25–44.

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empfiehlt sich, zumindest kurz auf die prinzipielle Frage einzugehen, ob die Ergebnisse empirischer Forschung für konzeptuell ausgerichtete Untersuchungen wie die vorliegende relevant sind oder sein können. Dieser Frage wird in der Komikforschung, aber auch in allgemeinen Debatten zum Austausch zwischen den Disziplinen wenig Beachtung geschenkt – offenbar, weil in den betreffenden Diskussionskontexten weithin für selbstverständlich gehalten wird, dass sie sich mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten lässt.93 So setzen viele Vertreter der humanwissenschaftlichen Komikforschung stillschweigend voraus, dass ihre Resultate und Thesen in philosophischen oder literaturwissenschaftlichen Untersuchungen zur Komik eine maßgebliche Rolle spielen sollten. Brian Boyd etwa gibt sich in einem Aufsatz aus dem Jahr 2004 nicht damit zufrieden, ausgehend von evolutionsbiologischen Betrachtungen zum Lachen eine spieltheoretisch orientierte Erwartungsbruchtheorie des Humors zu konzipieren; er macht seine Ergebnisse zugleich zur Grundlage einer Kritik an verschiedenen Komiktheorien, ohne zu betrachten, ob und gegebenenfalls in welcher Hinsicht diese zu seiner Position in Konkurrenz stehen.94 Umgekehrt fällt die Selbstverständlichkeit auf, mit der viele literaturwissenschaftliche Beiträge zum Komischen humanwissenschaftliche Untersuchungen zum Thema ignorieren. In diesem Sinne entwickelt etwa Anja Gerigk in ihrer Untersuchung Literarische Hochkomik in der Moderne eine Definition des Komikkonzepts bzw. – wie sie es nennt – eine „allgemeine Komik-Formel“95, ohne zu erwähnen, geschweige denn näher in Blick zu nehmen, dass es eine kaum mehr zu überschauende Fülle von erfahrungswissenschaftlichen Arbeiten zum Komischen, seiner Rezeption und seinen Konsequenzen gibt.96 Wie die Zielsetzung einer empirisch informierten Bestimmung des Komikbegriffs bereits erahnen lässt, wird es im Folgenden darum gehen, konzeptuelle und empirische Betrachtungsweisen anders zueinander ins Verhältnis zu setzen, als es die exemplarisch genannten Untersuchungen vorschlagen. In Abgrenzung von einer Auffassung, wie sie etwa Boyd vertritt, wird hier davon ausgegangen, dass sich aus empirischen Studien zur 93

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Eine Ausnahme im Bereich der Komikforschung ist Robert L. Latta, Humor Process, 17–27. – Vgl. zur allgemeinen Diskussion dieser Frage, wenngleich ohne Bezugnahme auf das Feld der Humorologie, etwa Frank Kelleter, „A Tale of Two Natures. Worried Reflections on the Study of Literature and Culture in an Age of Neuroscience and Neo-Darwinism“, in JLT 1:1 (2007), 135–152, Karl Eibl, „On the Redskins of Scientism and the Aesthetes in Circled Wagons“, in JLT 1:2 (2007), 421–441 und Kilian Koepsell/Carlos Spoerhase, „Neuroscience and the Study of Literature. Some Thoughts on the Possibility of Transferring Knowledge“, JLT 2:2 (2008), 363–374 sowie die Beiträge in Martin Huber/Simone Winko (Hg.), Literatur und Kognition. Bestandsaufnahmen und Perspektiven eines Arbeitsfeldes, Paderborn 2009. Vgl. Brian Boyd, „Laughter and Literature: A Play Theory of Humor“, in Philosophy and Literature 28 (2004), 1–22. Anja Gerigk, Literarische Hochkomik, 46. Das ist nicht zuletzt deshalb erstaunlich, weil Gerigk in ihrer Arbeit immer wieder auf die „Konjunktur“ (ebd., 15) der Komikforschung in den letzten Dezennien hinweist. Wäre sie diesem Trend bibliographisch genauer nachgegangen, hätte sie bemerkt, dass er vor allem durch kognitionswissenschaftliche, psychologische und linguistische Studien getragen wird.

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Entstehung, Wahrnehmung oder Wirkung des Komischen keine unmittelbaren Vorgaben für konzeptuelle Komiktheorien ableiten lassen.97 Die Gründe für diese Ausgangsannahme sind simpel: Zum einen sind nicht mit allen konzeptuellen Stellungnahmen zur Komik Ansprüche der Art verknüpft, wie sie gemeinhin in empirischen Arbeiten untersucht werden. So ist zur Beurteilung einer traditionellen Explikation des Prädikats ‚komisch‘ zwar die empirische Frage nach der Verwendung des Ausdrucks relevant, nicht aber etwa die nach der Aktivität im Gehirn von Ausdrucksverwendern in Situationen, die als komisch eingestuft werden.98 Zum anderen muss man, sofern man empirische Komikforschung betreiben will, einen mehr oder weniger ausgearbeiteten Begriff des Komischen entweder voraussetzen oder aber zur Deutung der Resultate in Anschlag bringen. Ob es in einer konkreten empirischen Untersuchung überhaupt um Komik geht und ob sie für eine konzeptuelle Beschäftigung mit dem Thema einschlägig ist, das ist keines ihrer empirisch gewonnenen Ergebnisse. Kurzum: Die empirische Forschung zum Komischen ist wissenschaftstheoretisch gesprochen ‚nicht freistehend‘.99 Dass sich aus empirischen Untersuchungen keine unmittelbaren Vorgaben für die konzeptuelle Komikforschung ergeben, bedeutet natürlich keineswegs, dass sie im Zusammenhang einer Definition des Komikkonzepts keine Berücksichtigung finden sollten. In Abgrenzung von einer Position, wie sie sich beispielsweise bei Gerigk findet, wird hier die Auffassung vertreten, dass es kulturwissenschaftlichen Vorschlägen zur Bestimmung des Komikbegriffs nicht gut tut, wenn sie humanwissenschaftliche Beiträge zur Erforschung des Komischen einfach vernachlässigt. Anders gesagt: Mit einer empirisch informierten Explikation des Begriffs ‚komisch‘ ist eine Definition gemeint, die nicht allein dem faktischen Ausdrucksgebrauch, sondern auch der empirischen Erforschung des Phänomens Beachtung schenkt.100 Genauer gesagt heißt dies, dass an die Begriffsbestimmung neben den Ansprüchen, die üblicherweise mit Explikationen verknüpft sind,101 auch die Anforderung gestellt wird, mit der empirischen Komikforschung kohärent zu sein; dabei wird sowohl negative als auch positive Kohärenz ange97

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Dies gilt freilich nicht im Fall einer extensionalen Definition des Komikbegriffs, eine solche ist auf eine empirische Rekonstruktion seiner Verwendung angewiesen, vgl. Werner Strube, „Die komplexe Logik“, 380f. S. dazu auch unten 1.3.2. So Wolfgang Detel zum Status der Gehirnforschung mit Blick auf die Untersuchung geistiger Eigenschaften, vgl. Wolfgang Detel, „Forschungen über Hirn und Geist“, in Deutsche Zeitschrift für Philosophie, Sonderbd. 15: Hirn als Subjekt? Philosophische Grenzfragen der Neurobiologie, Berlin 2006, 121–150, 123. Vgl. hierzu auch Detels Hinweise zur Neuinterpretation des Verfahrens der Begriffsanalyse in den vergangenen Jahren: „In den externalistischen Semantiken der postanalytischen Philosophie bricht der scharfe Unterschied zwischen begrifflichen Analysen und empirischen Behauptungen zusammen – soweit jedenfalls, dass Vokabulare, Sprachen und begriffliche Vernetzungen als eine Sorte von Theoriepaketen angesehen werden können, die einen empirischen Bezug auf die Welt aufweisen“ (ebd., 121f.). Vgl. dazu insbes. Lutz Danneberg, „Innovation und Tradition“.

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strebt – der zu entwickelnde Vorschlag soll also mit den vorliegenden empirischen Studien nicht allein im Einklang, sondern nach Möglichkeit auch im Zusammenhang stehen.102 Hintergrund dieser Anforderung ist die Überzeugung, dass die kulturwissenschaftliche Komikforschung von einem Austausch mit der humanwissenschaftlichen Humorologie einerseits und der jüngeren analytischen Philosophie andererseits entscheidend profitieren kann.103 Zu verdeutlichen, wie ein entsprechender Austausch die literaturwissenschaftlich ausgerichtete Humorologie heuristisch, argumentativ und evaluativ bereichern kann, ist eines der Ziele der vorangegangenen und der noch folgenden theoretischen Einlassungen. Zur beispielhaften Veranschaulichung der Implikationen, die mit der Idee einer empirisch informierten Definition verbunden sind, ist es sinnvoll, einen kurzen Blick auf die Auseinandersetzung um Freuds These zu werfen, dass das Vergnügen an Witzen auf „erspartem Hemmungsauswand“ beruht, das am Komischen auf „erspartem Vorstellungs(Besetzungs)aufwand“ und das am Humor auf „erspartem Gefühlsaufwand“.104 Diese Annahme erfreut sich in den Kultur- und insbesondere in den Literaturwissenschaften noch immer einiger Beliebtheit. Thomas Anz liefert eine bündige Zusammenfassung der Freud’schen Überlegungen zur sogenannten ‚Ersparungslust‘: Die Theorie der Aufwandsersparnis hat weniger den Energiehaushalt des Es im Blick als den des Ich und des Über-Ich. Diese müssen viel Kraft aufwenden, um die aus den Tiefen des Subjekts hervorflutenden Ströme moral- und rationalitätswidriger Impulse einzudämmen. Wenn ihnen plötzlich etwas von diesem Aufwand erspart bleibt, ist das erleichternd. Schon die geforderte Kürze von Witzen verweist darauf, daß mit wenig Formulierungsaufwand große Effekte erzielt werden sollen.105

Versteht man Freuds Thesen zur Aufwandsersparnis so, wie er sie selbst wohl verstanden hat, nämlich als Bestandteil einer empirischen Theorie, wird man sie im Lichte neuerer psychologischer und physiologischer Erkenntnisse kaum aufrecht erhalten können: Für die Freud’sche Vorstellung einer psychischen Ökonomie mit aufgestauten, eingesparten und abgebauten Energiebeträgen gibt es schlicht keine empirische Evidenz.106 102

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Vgl. zu diesen beiden Formen von Kohärenz Tilmann Köppe, „Prinzipien der Interpretation – Prinzipien der Rationalität. Oder: Wie erkundet man fiktionale Welten?“, in Scientia Poetica 9 (2006), 310–329. S. hierzu oben Literatur und Komik. Sigmund Freud, Der Witz, 249. Im Original kursiv. Thomas Anz, Literatur und Lust. Glück und Unglück beim Lesen, München 1998, 180f. – Zu Freuds Komikmodell s. auch unten 1.2.3. Vgl. hierzu auch Daniel E. Berlyn, „Humor and Its Kin“, in The Psychology of Humor, 43–60, 52, Paul E. McGhee, Humour. Its Origin and Development, San Francisco, CA 1979, 19–21, Bruce F. Katz, „A Neural Resolution of the Inconguity and Incongruity-Resolution Theories of Humor“, in Connection Science 5 (1993), 59–75, 60, Vilayanur Rachmanandran, „The Neurology and Evolution of Humor, Laughter, and Smiling: The False Alarm Theory“, in Medical Hypotheses 51 (1998), 351–354, 352 und John Morreall, „Humor as Cognitive Play“, in JLT 3:2 (2009), 241– 260, 246f. – Zu anderen Aspekten der Freud’schen Witz-Theorie liegen mittlerweile einige be-

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Dieser Befund zwingt einen natürlich nicht dazu, die Position, die in Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten entwickelt wird, als widerlegt oder zumindest fragwürdig anzusehen; man kann Freuds Überlegungen zum Witz schlicht dadurch vor einer erfahrungswissenschaftlichen Problematisierung bewahren, dass man sie als Theorie mit rein konzeptueller Ausrichtung oder bloß heuristischem Anspruch reinterpretiert. Gegen einen solchen Umgang mit den Freud’schen Ideen, der in der Komikforschung durchaus nicht selten ist, lässt sich grundsätzlich wenig sagen.107 Im vorliegenden Zusammenhang jedoch kann eine entsprechende Strategie nicht befolgt werden, denn die Entscheidung für eine empirisch informierte Explikation des Komikbegriffs ist eine für den Verzicht auf empirisch grundlegend problematisierte Konzepte, Modelle und Theorien.108 Bei der angestrebten Definition wird es sich um eine formale Charakterisierung der stimulus-Seite textbezogener Komik-Ereignisse handeln. Das Komische soll im Folgenden also als Eigenschaft von Texten oder Textpassagen verstanden werden.109 Genauer gesagt: Es wird um die Erläuterung der textuellen Strukturen gehen, die es gerechtfertigt erscheinen lassen, das Prädikat ‚komisch‘ auf Texte oder Abschnitte von Texten anzuwenden.110 Zur weiteren Klärung des Zuschnitts der zu entwerfenden Theorie des Komischen erscheinen zwei Hinweise wichtig, die ihr Verhältnis zur Praxis der Komikbeurteilung betreffen. Erstens: Die Definition schlägt allgemeine zeitunabhängige Bedingungen vor, unter denen ein Text als komisch gelten soll – ob diese Bedingungen im Fall eines einzelnen Textes erfüllt sind, das lässt sich jedoch nur unter Berücksichtigung der Umstände seiner Produktion entscheiden. Jede beliebige Textpassage kann, wenn

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stätigende empirische Studien vor, vgl. etwa Charles Mueller/Edward Donnerstein, „The Effects of Humor-Induced Arousal upon Aggressive Behavior“, in Journal of Research in Personality 11 (1977), 73–82 oder Mark A. Ferguson/Thomas E. Ford, „Disparagement Humor“. Vgl. etwa die Bezugnahme auf Freud in Bjørn Ekmann, „Wieso und zu welchem Ende wir Lachen. Zur Abgrenzung der Begriffe komisch, ironisch, humoristisch, satirisch, witzig und spaßhaft“, in Text und Kontext 9:1 (1981), 7–46, Uwe Wirth, Diskursive Dummheit. Abduktion und Komik als Grenzphänomene des Verstehens, Heidelberg 1999 oder in verschiedenen Texten in Wolfram Mauser/Joachim Pfeiffer (Hg.), Lachen. Psychoanalytisch-literaturwissenschaftliche Arbeitstagung, Würzburg 2006. Um nicht missverstanden zu werden: Die vertretene Position ist Ergebnis einer definitionsstrategischen Entscheidung; sie ist nicht als Ausdruck der wissenschaftstheoretischen Haltung zu verstehen, die im Anschluss an Imre Lakatos als „naiver Falsifikationsismus“ bezeichnet wird, vgl. I. L., The Methodology of Scientific Research Programmes, hg. v. John Worrall u. Gregory Currie, Cambridge 1978, 31–37. Anders als etwa Jennifer Hay annimmt, scheint eine solche textorientierte Definition des Komikbegriffs freilich mindestens so verbreitet zu sein wie eine autor- oder rezipientenorientierte, vgl. J. H., „The Pragmatics of Humor Support“, in Humor 14:1 (2001), 55–82, 56. Ein solcher Nachtrag ist notwendig – denn auch einige funktionale Charakterisierungen des Komischen betrachten dieses als Eigenschaft von Texten oder – allgemeiner gesagt – von Objekten, vgl. etwa Rolf Lohse, „Überlegungen zu einer Theorie des Komischen“, in Philologie im Netz 4 (1998), 30–42.

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sie in einem entsprechenden Zusammenhang betrachtet wird, komisch erscheinen – zu sagen, dass sie komisch ist, soll aber nur dann als gerechtfertigt gelten, wenn sie im Kontext der Zeit ihrer Entstehung betrachtet eine bestimmte Struktur aufweist. Grundlegend für die vorliegende Studie ist also die Vorstellung eines transhistorischen Konzepts textueller Komik, das sich historisch in unterschiedlicher Form manifestieren kann.111 Zweitens: Aus dem Befund, dass ein Text im Sinne der Definition komisch ist, kann nicht abgeleitet werden, dass er zu irgendeinem Zeitpunkt für komisch gehalten wurde oder wird. Die Explikation des Begriffs textueller Komik soll aufzeigen, wann ein Text aufgrund seiner Machart in einem spezifischen Kontext geeignet ist, komisch zu wirken; sie versteht den Ausdruck ‚komisch‘ also als Dispositionsprädikat,112 das sich nicht auf die empirische Wirkung, sondern auf die historische Wirkungsdisposition von Texten bezieht.113 Gerade aufgrund dieser Ausrichtung kann die intendierte Begriffsdefinition allerdings auch bei der Beschreibung und Erklärung konkreter Leseund Beurteilungsprozesse eine wichtige Rolle spielen; indem sie die Kriterien des ‚Komischseins‘ von Texten bestimmt, gibt sie zugleich vor, was im Rahmen einer Analyse von Situationen des ‚Komischfindens‘ (oder ‚Unkomischfindens) aus dem Zusammenspiel von Text, Rezipient und Kontext zu erläutern ist. Wie in der Literaturwissenschaft wird auch in der Komikforschung die Analyse von Wirkungsdispositionen oft mit der Einführung von Konzepten wie etwa dem impliziten Autor, dem impliziten Leser oder dem idealen Leser verbunden, die als Zuschreibungsinstanzen für die Rekonstruktionsergebnisse dienen sollen.114 In der vorliegenden Studie wird auf entsprechende Begriffe verzichtet, denn sie sind dem konzeptionellen und methodologischen Verständnis einer Analyse von Texten, die nach deren historischen Wirkungsanlagen fragt, eher abträglich – konzeptionell legen sie die irreführende Vermutung nahe, dass für entsprechende Analysen die empirischen Verfasser der betrachteten Texte irrelevant seien, methodologisch leisten sie zumeist keinen Beitrag zur Rekonstruktion der Regeln, Prinzipien und Evalutionskriterien, die bei der Bestimmung von Wirkungsdispositionen eine Rolle spielen.115 Es sollte auf der Hand liegen, dass es möglich ist, ein Komikmodell des skizzierten Typs zu entwerfen – denn es ist als konzeptuelle Theorie immun gegen die grundsätzlichen Einwände, die mitunter zur Kritik von stimulus-Modellen der Komik vorge111 112 113

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S. dazu auch unten 1.4 und 1.5. Zu Dispositionen bzw. Dispositionsprädikaten vgl. die eingehenden Analysen in Stephen Mumford, Dispositions, Oxford 1998. Zum Begriff der „Wirkungsdisposition“ vgl. Harald Fricke, Norm und Abweichung. Eine Philosophie der Literatur, München 1981, 90 und Gesetz und Freiheit. Eine Philosophie der Kunst, München 2000, 41f., Ralph Müller, Theorie der Pointe, Paderborn 2003, 104f. und Rüdiger Zymner, Gattungstheorie. Probleme und Positionen der Literaturwissenschaft, Paderborn 2003, 186f. Vgl. dazu exemplarisch Salvatore Attardo, Humorous Texts. A Semantic and Pragmatic Analysis, Berlin/New York 2001. Vgl. dazu im Einzelnen Tom Kindt/Hans-Harald Müller, The Implied Author. Concept and Controversy, Berlin/New York 2006.

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bracht werden.116 Keineswegs offensichtlich ist jedoch, dass es nicht notwendig oder zumindest nicht sinnvoll ist, die anvisierte Theorie mit anderen Sichtweisen des Komischen zu verbinden und sie etwa zu einem Bestandteil eines umfassenden Modells zu machen.117 Konkret sind damit zwei Fragen gestellt – einerseits die nach einer Verknüpfung der Theorie mit funktionalen stimulus-Modellen, andererseits die nach ihrer Zusammenführung mit formalen oder funktionalen response-Modellen.118 Im Hinblick auf die erste Frage ist offenkundig, dass eine entsprechende Verbindung zwar denkbar, aber keineswegs notwendig erscheint. Grundsätzlich kann eine formale Untersuchung der Struktur von Komik-stimuli zweifellos um deren funktionale Betrachtung ergänzt werden, die erstere kommt jedoch selbstverständlich ohne die letztere aus. Umgekehrt gilt dies nicht: Bloß funktionale Bestimmungen sind für sich genommen wenigstens insofern unzureichend, als sie im Hinblick auf ihren Gegenstand unspezifisch bleiben müssen.119 In diesem Sinne taugen denn auch die vorliegenden Funktionszuweisungen zum Komischen nicht als Begriffsdefinitionen. Heraufsetzung und Herabsetzung von Personen oder Figuren, Diskriminierung und Integration Einzelner oder Gruppen, Stützung, Infragestellung und Erprobung von Normen, etc.120 – all dies sind ohne Frage allgemeine Funktionen des Komischen, sie müssen aber nicht durch Komik erfüllt werden, und diese kann natürlich andere Effekte und Konsequenzen haben als die genannten. Werden nun die vielen verschiedenen möglichen Funktionen des Komischen genauer in den Blick genommen, so liegt der Schluss nahe, dass eine Verknüpfung formaler und funktionaler stimulus-Theorien nicht allein unnötig ist, sondern überdies wenig ratsam 116 117

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Vgl. etwa Robert L. Latta, Humor Process, 11f. Zu unterschiedlichen Spielarten einer entsprechend ausgerichteten Komiktheorie vgl. Alexander Brock, „Ein integratives Modell der Humorrezeption?“, in Neuere Entwicklungen in der Gesprächsforschung, hg. v. A. B. u. Martin Hartung, Tübingen 1998, 69–84 und Blackadder, Monty Python und Red Dwarf. Eine linguistische Untersuchung britischer Fernsehkomödien, Tübingen 2004 sowie Jeroen Vandaele, „Humor Mechanisms in Film Comedy: Incongruity and Superiority“, in Poetics Today 23:2 (2002), 221–249 oder Jerry Farber, „Toward a Theoretical Framework for the Study of Humor in Literature and the Other Arts“, in Journal of Aesthetic Education 41:4 (2007), 67–86. Zu der Frage, inwiefern das vertretene Modell verschiedene Vorschläge zur formalen Charakterisierung von Komik-stimuli zu integrieren vermag s. unten 1.2.3. Vgl. dazu am Beispiel der Narratologie Tom Kindt/Hans-Harald Müller, „Narratology“. Vgl. zu diesen Funktionen beispielsweise Henri Bergson, Le rire, Joachim Ritter, „Über das Lachen“ (1940), in J. R., Subjektivität. Sechs Aufsätze, Frankfurt a.M. 1974, 62–92, Hans Robert Jauß, „Der Grund des Vergnügens“, Michael Böhler, „Die verborgene Tendenz des Witzes. Zur Soziodynamik des Komischen“, in DVjs 55 (1981), 351–378, Bjørn Ekmann, „Das gute und das böse Lachen. Lachkulturforschung im Zeichen der Frage nach Funktion und Wert des Lachens“, in Jahrbuch für internationale Germanistik 16:2 (1984), 8–36, Rolf Lohse, „Pour lire sous la douche“. Das Komische in den Werken des Humoristen Henri Cami, Bonn 2001, Simon Critchley, On Humour, London/New York 2002, Neal Norrick, „Issues in Conversational Joking“, in Journal of Pragmatics 35 (2003), 1333–1359 oder Michael Billig, Laughter and Ridicule. Towards a Social Critique of Humour, London 2005.

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erscheint: Die funktionale Beschäftigung mit dem Begriff des Komischen lenkt in der Regel eher von seiner formalen Klärung ab, sie sollte darum sinnvollerweise Thema bei der Begriffsverwendung, nicht aber Element der Begriffsbestimmung sein. Auch mit Blick auf die zweite Frage sprechen pragmatische und systematische Argumente gegen eine Integration der Komiktheorie des skizzierten Formats in einen umfassenderen Ansatz. Dies sei mit Blick auf Ansätze zu verschiedenen Aspekten der Wirkung des Komischen kurz erläutert: Prinzipiell gilt, dass im Rahmen des angestrebten Komikmodells darauf verzichtet werden kann, die – empirische oder idealisierte – emotionale bzw. affektive Wirkung komischer Texte im Einzelnen einzubeziehen.121 Das mag prima facie überraschen, denn es besteht offenkundig ein recht enger Zusammenhang zwischen dem Begriff des Komischen und dem des Vergnügens.122 So erscheint es durchaus einleuchtend, wenn Michael Clark stellvertretend für eine verbreitete komiktheoretische Position analytischer Provenienz geltend macht: „There can be no adequate account of the notion of humor without one of the notion of amusement.“123 Im Sinne dieser These ist es nicht vorstellbar, dass eine Person einen Begriff von Komik hat, ohne zugleich über einen des Vergnügens zu verfügen. Mit anderen Worten: Wenn man sich oder anderen verständlich machen will, was das Komische ist, dann kommt man kaum umhin, sich auf die besondere Form des Vergnügens zu beziehen, die mit ihm verknüpft ist und sich häufig in Lachen äußert.124 Aus der Anerkennung eines entsprechenden Zusammenhangs folgt jedoch keineswegs, dass das Konzept des Vergnügens in einer Definition des Komikbegriffs eine wichtige oder 121

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Es ist für die folgenden Überlegungen unerheblich, ob „amusement“ oder „Vergnügen“ als Emotion eingestuft wird oder nicht, vgl. zu dieser Diskussion Robert Sharpe, „Seven Reasons Why Amusement Is an Emotion“, in Journal of Value Inquiry 9 (1975), 201–203, John Morreall, „Humor and Emotion“, in American Philosophical Quarterly 20 (1983), 297–304, Robert C. Roberts, „Is Amusement an Emotion?“, in American Philosophical Quarterly 25:3 (1988), 269–273 und Wallace Chafe, The Importance of Not Being Earnest. The Feeling behind Laughter and Humor, Amsterdam 2007. – Nach Holmer Steinfaths überzeugendem Vorschlag einer Explikation von Begriffen wie „Emotion“, „Gefühl“ oder „Stimmung“ ist das Vergnügen am Komischen als ,primitive Emotion‘ einzustufen, vgl. Holmer Steinfath, Orientierung am Guten. Praktisches Überlegen und die Konstitution von Personen, Frankfurt a.M. 2001, Kap. 4. Der Ausdruck „Vergnügen“ soll im vorliegenden Kontext für das stehen, was im Englischen mit dem Wort „amusement“ oder „enjoyment“ bezeichnet wird; Übersetzungen wie „Belustigung“, „Unterhaltung“ oder „Amüsement“ scheinen irreführend und werden darum vermieden. Michael Clark, „Humour and Incongruity“, 142. Vgl. dazu auch Mike W. Martin, „Humour and Aesthetic Enjoyment of Incongruities“, in BJA 23:1 (1983), 74–85 und Roger Scruton, „Laughter“ (1982), in The Philosophy of Laughter and Humor, hg. v. John Morreall, Albany, NY 1987,156– 173. – Zu einer Variante von Clarks These vgl. Wallace Chafe, Not Being Earnest. Vgl. hierzu Jerrold Levinson, „Concept of Humor“, 396f. und zuletzt Joshua Shaw, „Philosophy of Humor“, in Philosophy Compass 5:2 (2010), 112–126. – Auf die Abgrenzung des Vergnügens am Komischen von anderen Spielarten des Vergnügens soll hier verzichtet werden, vgl. zu diesem Vorhaben konzeptuell Michael Clark, „Humour and Incongruity“ und empirisch Vinod Goel/Raymond J. Dolan, „The Functional Anatomy of Humor: Segregating Cognitive and Affective Components“, in Nature Neuroscience 4:3 (2001), 237–238.

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überhaupt eine Rolle spielen müsste. Bei der Entwicklung und Bewertung einer solchen Definition lässt sich die Bezugnahme auf ein Konzept des Vergnügens schwerlich umgehen; denn Prüfstein der Begriffsbestimmung ist zweifellos auch, ob sie die Verwendung des Prädikats ‚textuelle Komik‘ angemessen einfängt, und das heißt nicht zuletzt, ob sie so ausfällt, dass sie genau die Äußerungen unter sich fasst, die Rezipienten ein ‚spezifisch komisches Vergnügen‘ bereiten.125 Die Definition selbst aber kann ungeachtet ihrer Entwicklung und Bewertung auf eine Referenz auf den Vergnügensbegriff verzichten – und sie sollte dies auch, weil sie andernfalls Gefahr läuft, wenig informativ oder sogar zirkulär zu geraten. Ersteres gilt für Begriffsbestimmungen der Form ‚Komisch ist ein Text, wenn er Vergnügen bereitet‘ oder ‚Komisch ist ein Text, wenn er zum Lachen reizt‘, Letzteres für Definitionen der Art ‚Komisch ist ein Text, wenn er eine komische Wirkung hat‘. Vor dem Hintergrund dieser Hinweise dürfte es nicht überraschen, dass auch das Lachen als eine Ausdrucksform des Vergnügens am Komischen im Weiteren keine Berücksichtigung finden wird. Im Unterschied zu einigen human- und vielen kulturwissenschaftlichen Untersuchungen zum Thema aus den letzten Jahren geht die vorliegende Studie von der Annahme aus, dass es nicht nur möglich, sondern sogar geboten ist, Komik- und Lachforschung klar voneinander abzugrenzen.126 Damit wird nicht behauptet, dass eine Zusammenarbeit zwischen der Humorologie und der Gelotologie keine lohnende Angelegenheit sein kann; es soll aber der seit einiger Zeit recht verbreiteten Einschätzung entgegen getreten werden, dass die Auseinandersetzung mit dem Komischen auf die Beschäftigung mit dem Lachen angewiesen oder gar durch diese zu ersetzen sei.127 Die Vertreter dieser Auffassung ignorieren schlicht, dass kein konzeptueller oder kausaler Zusammenhang zwischen dem Komischen und dem Lachen besteht, dass es 125 126

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Zur Evaluation von Begriffsbestimmungen vgl. Tadeusz Pawłowki, Begriffsbildung, 31–43. Vgl. dazu bereits wegweisend Patricia Keith-Spiegel, „Early Conceptions“, 17 und Anthony J. Chapman/Hugh C. Foot, „Introduction: Perceiving and Responding to Humour“, in Humour and Laughter: Theory, Research and Applications, hg. v. A. J. C. u. H. C. F., London 1976, 1–10, 3f. Vgl. als neuere Beispiele aus den Kulturwissenschaften Heinz Otto Luthe, Komik als Passage, München 1995, 47f., Walter Haug, „Schwarzes Lachen: Überlegungen zum Lachen an der Grenze zwischen dem Komischen und dem Makabren“, in Semiotik, Rhetorik und Soziologie, 49–64, 50, Elisabeth Arend, Lachen und Komik in Giovanni Boccaccios Decameron, Frankfurt a.M. 2004, 248f. oder Hans Rudolf Velten, „Text und Lachgemeinschaft. Zur Funktion des Gruppenlachens bei Hofe in der Schwankliteratur“, in Lachgemeinschaften. Kulturelle Inszenierungen und soziale Wirkungen von Gelächter im Mittelalter und in der Frühen Neuzeit, hg. v. Werner Röcke u. H. R. V., Berlin/New York 2005, 125–143, 127f. Wesentliche Referenzpunkte entsprechender Positionen sind zumeist Michail Bachtins Theorie des Karnevals und sein Konzept der Lachkultur, vgl. dazu Michail Bachtin, Literatur und Karneval. Zur Romantheorie und Lachkultur, München 1965. Zu den Problemen, die mit Bachtins Positionen verbunden sind, vgl. etwa Dietz-Rüdiger Moser, „Lachkultur des Mittelalters? Michail Bachtin und die Folgen seiner Theorie“, in Euphorion 84 (1990), 89–111 oder Dirk Schümer, „Lachen mit Bachtin – ein geisteshistorisches Trauerspiel“, in Lachen. Über westliche Zivilisation, hg. v. Karl Heinz Bohrer u. Kurt Scheel, Stuttgart 2002, 847–853.

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also – wie Alexander Brock treffend zusammengefasst hat – „amüsiertes Lachen, Lachen ohne Amüsement und Amüsement ohne Lachen“128 gibt. Und diese Einschätzung wird auch durch verschiedene empirische Studien bestätigt.129 Eine enge Verbindung von Komik- und Lachforschung schadet darum nicht selten beiden Bereichen gleichermaßen: Komikforschung, die das Lachen ins Zentrum stellt, bleibt über ihren eigentlichen Gegenstand zumeist nicht nur jede Auskunft schuldig; es ist in ihrem Fall überdies oft fraglich, ob sie sich auch nur mittelbar mit Komik befasst – denn das Spektrum der Ursachen des Lachens ist bekanntlich breit, es reicht vom Kitzeln über Erfolgserlebnisse, das Gefühl der Verlegenheit oder die Einnahme von Drogen bis hin zu Witzen.130 Umgekehrt laufen gelotologische Untersuchungen, die vom Lachen über komische Gegenstände ausgehen, leicht Gefahr, weit hinter den Stand der neueren biologischen, psychologischen und soziologischen Lachforschung zurückzufallen, deren Grundeinsicht Robert R. Provine auf die folgende Formel gebracht hat: „laughter has more to do with relationships than with jokes“.131 Das Konzept des Lachens und die verwandte Kategorie des Lächelns umfassen, so ist in den letzten Jahrzehnten von einer Reihe von Forschern in Erinnerung gerufen worden, vielfältige Formen des Verhaltens und Ausdrucks.132 Der Psychologe Paul Ekman etwa hat in mehreren Untersuchungen allein 18 Typen des Lächelns unterschieden; nur eine Spielart ist dabei mit positiven Emotionen verbunden, wobei auch diese Form des Lächelns nicht allein durch Komik verursacht

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Alexander Brock, Blackadder, 41. Im Original kursiv. – Vgl. auch Anton C. Zijderveld, „Trend Report: The Sociology of Humor and Laughter“, in Current Sociology (1983), 1–103, 26. Vgl. etwa Barbara Wild et al., „Humor and Smiling. Cortical Regions Selective for Cognitive, Affective, and Volitional Components“, in Neurology 66 (2003), 887–893, 889: „On average, subjects exhibited 17.6 spontaneous smiles in response to the set of 135 cartoons, of which 21 […] were designed to be ‚funny‘. […] The average number of cartoons the subjects rated as ,funny‘ […] was 40.1. Thus, only 43.9% of the cartoons […] perceived as funny were funny enough to elicit a smile.“ – Vgl. dazu allerdings auch Willibald Ruch, „Will the Real Relationship between Facial Expression and Affective Experience Please Stand up – the Case of Exhilaration“, in What the Face Reveals. Basic and Applied Studies of Spontaneous Expression Using the Facial Action Coding System (FACS), hg. v. Paul Ekman u. Erika L. Rosenberg, New York 1997, 89–108. Vgl. dazu auch die Aufstellung bei John Morreall, Taking Laughter, 1f. Robert R. Provine, Laughter. A Scientific Investigation, New York 2000, 3. – Verkannt wird Provines Beobachtung etwa in vielen Beiträgen des Merkur-Doppelheftes Lachen von 2002 und des gleichnamigen Bandes der Freiburger literaturpsychologischen Gespräche von 2006. Vgl. etwa die unterschiedlich ausgerichteten Lach-Typologien bei Walter Menzlaw, „Lachen hat viele Gesichter“, in Lach- und Clownstheater. Die Vielfalt des Komischen in Musik, Literatur, Film und Schauspiel, hg. v. Gerd Koch u. Florian Vaßen, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1995, 108–117 oder Tania Huber, „Differenzierung verschiedener Arten des Lachens: Ein historischer Überblick“, in . – Verbreitet war die Einsicht, dass es recht unterschiedliche Formen des Lachens gibt, freilich schon im 19. Jahrhundert, vgl. dazu Mark G. Frank/Paul Ekman, „Not all Smiles Are Created Equal: The Differences between Enjoyment and Nonenjoyment Smiles“, in Humor 6:1 (1993), 9–26, 10f.

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werden kann.133 Eine enge Verknüpfung von Komik- und Lachforschung verführt, kurz gesagt, in beiden Bereichen dazu, einen Sonderfall als Regelfall zu deuten und darum wichtige Merkmale und Spielarten ebenso des Komischen wie des Lachens zu übersehen.

1.2.3 Umrisse einer Komiktheorie 2: Zur Tradition der Inkongruenztheorie Auf die Anmerkungen zur allgemeinen Ausrichtung der komiktheoretischen Position der vorliegenden Studie sollen nun einige Hinweise zu ihrer konkreten Ausgestaltung folgen. Dabei wird es vorerst nur darum gehen, das zu entwickelnde Modell der langen inkongruenztheoretischen Tradition der Komikreflexion zuzurechnen und so in das Spektrum der gemeinhin unterschiedenen Typen von Komiktheorien einzuordnen. Im Rahmen dieser Einordnung wird auch zu klären sein, ob das Modell tatsächlich in einer Weise mit anderen Theorien des Komischen verbunden werden kann oder sogar sollte, wie dies in der Komikforschung bisweilen angenommen und auch gefordert wird.134 Wenn in der Forschung Typen von Komiktheorien unterschieden werden, dann handelt es sich in aller Regel nicht um systematische Klassifikationen anhand expliziter Kriterien. Die meisten Überblicksdarstellungen zum Thema begnügen sich damit, einige allgemeine Orientierungen innerhalb der Komikforschung zu benennen und sie durch einzelne Beiträge aus deren 2500-jähriger Geschichte zu veranschaulichen. Der Status der getroffenen Unterscheidungen, das Verhältnis zwischen den betrachteten Theorietypen ebenso wie das zwischen den einbezogenen Ansätzen wird dabei selten näher in den Blick genommen.135 Konkret werden in fast allen entsprechenden Publikationen die folgenden drei Formen komikbezogener Theoriebildung voneinander abgegrenzt und gegeneinander abgewogen: Inkongruenztheorien, Überlegenheitstheorien und Entlastungstheorien.136 Diese drei Traditionen der Komiktheorie sollen nun kurz vorgestellt und anschließend auf der Basis einer systematischen Analyse miteinander verglichen werden. 133

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Vgl. Paul Ekman, Telling Lies, New York 1985 und „The Argument and Evidence about Universals in Facial Expressions of Emotions“, in Handbook of Social Psychophysiology. The Biological Psychology of the Emotions and Social Processes, hg. v. Hugh Wagner u. Antony Manstead, London 1989, 143–164 sowie Wallace V. Friesen/Paul Ekman, „Felt, False, and Miserable Smiles“, in Journal of Nonverbal Behavior 6 (1982), 238–252. – Zur neurologischen Unterscheidung von Lach-Typen vgl. etwa Wild et al., „Humor and Smiling“. S. dazu oben 1.2.1. – Vgl. zu einer Verbindung komiktheoretischer Positionen exemplarisch John Morreall, „A New Theory of Laughter“, in The Philosophy of Laughter and Humor, hg. v. J. M., Albany, NY 1987, 128–138, „Humor as Cognitive Play“, Alexander Brock, „Ein integratives Modell“ oder Jeroen Vandaele, „Humor Mechanisms“. Als Ausnahmen vgl. Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“ und Noël Carroll, „Humour“. Diese Spielarten werden bereits in David Hector Monros The Argument of Laughter (Victoria 1951) unterschieden und fehlen seither in kaum einem Beitrag zur Theorie des Komischen.

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Überlegungen zu einer Inkongruenztheorie137 des Komischen und des Lachens lassen sich bis zu Platons Philebos und Horaz’ Ars poetica zurückverfolgen.138 Der Aufstieg des Ansatzes zur einflussreichsten komiktheoretischen Position beginnt freilich erst im Verlauf des 18. Jahrhunderts, angestoßen insbesondere durch Blaise Pascal, Francis Hutcheson, James Beattie und Immanuel Kant.139 Auf eine ebenso griffige wie wirkungsmächtige Formel gebracht wird die inkongruenztheoretische Interpretation des Lächerlichen schließlich in Arthur Schopenhauers Die Welt als Wille und Vorstellung von 1819: Das Lachen entsteht jedesmal aus nichts Anderem, als aus der plötzlich wahrgenommenen Inkongruenz zwischen einem Begriff und den realen Objekten, die durch ihn, in irgend einer Beziehung, gedacht worden waren, und es ist selbst eben nur der Ausdruck dieser Inkong140 ruenz.

Wie Schopenhauer gehen die Vertreter der Inkongruenztheorie des Komischen allgemein von der Annahme aus, dass sich Komik angemessen nur unter Einbeziehung der Wahrnehmung eines Missverhältnisses verstehen lässt. Im Einzelnen ist diese Idee in den vergangenen zwei Jahrhunderten in recht unterschiedlicher Form ausgestaltet worden. Gegenstand eines Dissenses unter Inkongruenztheoretikern sind insbesondere die Fragen, wie das Konzept des Missverhältnisses näher zu erläutern ist und welche Rolle es im Rahmen des Komikmodells genau spielen soll. Auch Ideen zu einer Überlegenheitstheorie141 des Lächerlichen deuten sich bereits in vielen antiken Beiträgen zum Thema an; schon Platon, Aristoteles, Cicero und Quintilian gehen von einem engen Zusammenhang zwischen dem Häßlichen und Fehlerhaf-

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In der Forschung wird diese Position oft auch als Kontrast- oder Ambivalenztheorie bezeichnet. Vgl. Platon, Philebos, 48d–48e und Horaz, Ars poetica, 5. – Zu einer detaillierten historischen Übersicht über wichtige Varianten des inkongruenztheoretischen Ansatzes, vgl. Susanne Schäfer, Komik in Kultur, 57–71. Vgl. insbes. Blaise Pascal, Lettres écrites à un provincial (1657/58), hg. v. Abel-François Villemain, Paris 1829, 215f., Francis Hutcheson, „Reflections upon Laughter“ (1727), in F. H., Reflections upon Laughter, and Remarks upon The Fable of the Bees, Glasgow 1750, 5–38, 34, James Beattie, „Essay on Laughter and Ludicrous Composition“ (1776), in J. B., Essays on Poetry and Music, as They Affect the Mind, 3. Aufl., London 1779, 297–450, 318–315 und Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft (1790), hg. v. Wilhelm Weischedel, 13. Aufl., Frankfurt a.M. 1994, 270– 277. – Auf eine Diskussion der umstrittenen Frage, ob Kants Interpretation des Lachens in der inkongruenztheoretischen Tradition steht, soll hier verzichtet werden, vgl. dazu Robert L. Latta, Humor Process, 221–224 und Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“, 391. – Zur Verbreitung des Inkongruenzmodells im 18. Jahrhundert anhand der deutschsprachigen Debatten vgl. Paul M. Haberland, Comic Theory und Manfred Frank, „Vom Lachen. Über Komik, Witz und Ironie. Überlegungen im Ausgang von der Frühromantik“, in Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur, hg. v. Thomas Vogel, Tübingen 1992, 211–231. Arthur Schopenhauer, Die Welt als Wille und Vorstellung (1819/59), 2 Bde., hg. v. Ludger Lütkehaus, Zürich 1988, Bd. 1, 102; vgl. zur weiteren Diskussion auch Bd. 2, 108–118. Die Positionen wird auch als Aggressions- oder Degradationstheorie bezeichnet.

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ten auf der einen und dem Lachhaften auf der anderen Seite aus.142 Der locus classicus der Position findet sich mit leichten Modifikationen in zahlreichen Texten von Thomas Hobbes, unter anderem in The Elements of Law von 1640: [T]he passion of laughter is nothing else but a sudden glory arising from sudden conception of some eminency in ourselves, by comparison with the infirmities of others or with our own formerly […]. It is no wonder therefore that men take it heinously to be laughed at or derided, that is, triumphed over. Laughter without offence, must be at absurdities and infirmities abstracted from persons, and where all the company may laugh together.143

Im Sinne dieser Formulierungen vertreten die Fürsprecher des Überlegenheitsansatzes die Auffassung, dass das Lächerliche mit einer Wahrnehmung von Schwächen oder Pannen im Zusammenhang steht, die im Wahrnehmenden ein Gefühl der Größe oder zumindest der Erleichterung darüber hervorruft, selbst nicht betroffen zu sein. Wie im Fall des Inkongruenzmodells lassen sich natürlich auch in dem der Überlegenheitstheorie eine Reihe von Varianten unterscheiden – umstritten ist unter den Vertretern der Position etwa, welche Formen des Überlegenheitsgefühls voneinander abgegrenzt werden sollten und welche Konsequenzen sich aus dem Ansatz für ein Modell der sozialen Effekte des Komischen ergeben. Verglichen mit den bereits vorgestellten Positionen handelt es sich bei der Entlastungstheorie144 um ein noch recht junges Modell des Komischen und seiner Wirkung.145 Gestalt gewinnt der Ansatz im 19. Jahrhundert, seine klassische Formulierung findet er in den Werken Herbert Spencers und Sigmund Freuds.146 Die Spielart der Position, für die noch heute nicht wenige Komiktheoretiker eintreten, geht auf Freuds Abhandlung Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten zurück, an deren Schluss es heißt: Wir stehen nun am Ende unserer Aufgabe, nachdem wir den Mechanismus der humoristischen Lust auf eine analoge Formel zurückgeführt haben wie für die komische Lust und den Witz. Die Lust des Witzes schien uns aus erspartem Hemmungsaufwand hervorzugehen, die der

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Vgl. etwa Platon, Philebos, 48c, Aristoteles, Poetik, 17, Cicero, De oratore, LVIII und Quintilian, Institutio oratoria, 6. Buch. – Vgl. zur Geschichte der Überlegenheitstheorie von der Antike bis zur Neuzeit die differenzierte Rekonstruktion in Quentin Skinner, „Hobbes and the Classical Theory of Laughter“, in Leviathan after 350 Years, hg. v. Tom Sorell u. Luc Foisneau, Oxford 2007, 139–166. Thomas Hobbes, The Elements of Law, Natural and Political, London 1640, 54f. – Der nach Hobbes bekannteste und einflussreichste Vertreter der Überlegenheitstheorie ist Baudelaire, vgl. Charles Baudelaire, „De l’essence du rire“. Alternativ wird die betreffende Position in der Forschung auch als Entspannungs- oder Abfuhrtheorie bezeichnet. Vgl. Herbert Spencer, „The Physiology of Laughter“ (1860), in Macmillan’s Magazine 1 (1860), 395–402 und Sigmund Freud, Der Witz. Sofern man von einem allgemeinen Konzept der Entlastung ausgeht, wird man freilich auch die Wurzeln der Entlastungstheorie in der Antike ausmachen, vgl. dazu etwa John Morreall, „New Theory“, 131.

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Komik aus erspartem Vorstellungs[…]aufwand und die des Humors aus erspartem Gefühlsaufwand. In allen drei Arbeitsbereichen unseres seelischen Apparats stammt die Lust aus der Ersparung…147

Anhänger der Theorie vertreten die Auffassung, dass Komik und verwandte Phänomene als Lust bringende Einsparungen und mithin Entlastungen im psychischen Energiehaushalt von Personen aufzufassen sind. Auch die Entlastungstheorie des Komischen ist in einer Reihe von Varianten vertreten worden – leitend für die aktuellen Diskussionen ist vor allem die Frage, ob und gegebenenfalls wie sich der Ansatz mit gegenwärtigen psychologischen und physiologischen Modellen und Positionen vermitteln lässt.148 Wenn es eine Untersuchung wie die vorliegende darauf anlegt, eine konzeptuelle Theorie des Komischen im umrissenen Sinne zu entwerfen, dann liegt es nach dem erfolgten Blick auf die historisch dominierenden Positionsvarianten nahe, wenn sie die Tradition des Inkongruenzmodells fortzuführen versucht, nicht jedoch die des Überlegenheits- oder Entlastungsansatzes. Da sich jedoch die drei vorgestellten Theorien und damit auch ihre Relation zueinander in unterschiedlicher Weise verstehen lassen, ist es notwendig, sowohl die Entscheidung für den Anschluss an die inkongruenztheoretische Position als auch die gegen eine wie auch immer geartete Berücksichtigung der anderen skizzierten Positionen etwas genauer zu begründen. Zu diesem Zweck sollen nacheinander die beiden grundlegenden Interpretationen der Beziehung zwischen den drei Theorien vorgestellt und ihre Konsequenzen hinsichtlich der Ausgestaltung des oben umrissenen Komikmodells abgewogen werden: Zunächst wird der Vorschlag betrachtet, dass zwischen den Theorien eine Komplementaritätsrelation besteht – in diesem Fall werden sie als Antworten auf unterschiedliche Fragen verstanden; anschließend soll dann die Auffassung untersucht werden, dass zwischen den Positionen eine Konkurrenzrelation anzunehmen ist, in diesem Fall werden sie als unterschiedliche Antworten auf eine Frage aufgefasst.149 In der Humorologie scheint mittlerweile die Einschätzung vorzuherrschen, dass die drei skizzierten Ansätze miteinander kompatibel sind.150 Zu einer entsprechenden Auffassung gelangt man etwa, wenn man das Inkongruenzmodell als stimulus-Theorie, das Entlastungsmodell und das Überlegenheitsmodell jedoch als response-Theorien deutet, wobei zugleich angenommen wird, dass die beiden response-Modelle weder miteinander noch mit der inkongruenztheoretischen Interpretation der stimulus-Seite von Ko147 148 149

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Sigmund Freud, Der Witz, 249. Hervorhebungen im Original. S. hierzu oben 1.2.2. Einige jüngere Publikationen verstehen die drei Modelle nicht als Komik-, sondern als Lachtheorien und kommen darum bei deren Vergleich nur zu bedingt überzeugenden Resultaten, vgl. etwa John Morreall, Taking Laughter und „New Theory“, Charles R. Gruner, The Game of Humor: A Comprehensive Theory of Why We Laugh, New Brunswick, NJ 1997 oder Brian Boyd, „Laughter and Literature“. Vgl. als Beispiele Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 40, Vittorio Hösle, Woody Allen. Versuch über das Komische, München 2001, 16f., Aaron Smuts, „Humor“, § 1b oder Joshua Shaw, „Philosophy of Humor“, 118.

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mik-Ereignissen im Konflikt stehen.151 Etwas anschaulicher gesagt: Es wird bei einer solchen Deutung davon ausgegangen, dass die drei Theorien einander bei der Erklärung komischer Konstellationen potenziell ergänzen – die Inkongruenztheorie erläutert, was das Komische ist, und die Überlegenheits- und die Entlastungstheorie führen aus, welche Wirkungen es hat. Für den Ansatz der vorliegenden Studie stellt eine entsprechende Sichtweise kein Problem dar und muss darum hier auch nicht weiter betrachtet werden – die Situation ändert sich freilich in den durchaus nicht seltenen Fällen, in denen die skizzierte Kompatibilitätsthese mit einem mehr oder weniger expliziten Kooperationsappell verbunden wird. „Though none of them is adequate as a general theory“, so macht beispielsweise John Morreall mit Blick auf die drei komiktheoretischen Positionen geltend, „they each have features which belong in a general theory“.152 So wünschenswert es auf den ersten Blick erscheinen mag, verschiedene komiktheoretische Positionen in einem integrativen Modell zusammen zu fassen, so fragwürdig ist das Projekt einer entsprechenden Theorienkollaboration bei genauerer Betrachtung: Zunächst ist festzuhalten, dass die Vertreter einer Kooperation im Feld der Humorologie zumeist zweifelhafte Vorstellungen von der Theorie haben, die sich aus der vorgeschlagenen Zusammenarbeit zu ergeben vermag. Nahe gelegt wird gemeinhin, dass es sich bei dem entstehenden Modell um eine anspruchsvolle Synthese von Theorien handelt; deutlich wahrscheinlicher ist indes, dass es in einer bloßen Konjunktion von Theorien bestehen wird. Wie bereits angedeutet wurde, behandelt die Komikforschung eine Vielzahl recht unterschiedlicher Probleme und umfasst darum Modelle verschiedenen Typs – es ist nicht zu sehen, wie sich diese humorologischen Modelle, selbst wenn sie nicht konfligieren, miteinander amalgamieren oder gar aufeinander reduzieren lassen sollten.153 Doch selbst wenn solche grundsätzlichen Vorbehalte vernachlässigt werden, spricht einiges dagegen, dem komiktheoretischen Kooperationsappell umstandslos Folge zu leisten. Wie die Erörterung der Verbindung des Komikmodells der vorliegenden Studie mit anderen Ansätzen gezeigt hat, ist es keine Selbstverständlichkeit, dass eine als möglich eingestufte Kooperation von Theorien immer auch sinnvoll ist. Vor allem in zwei Fällen scheint eine denkbare Zusammenarbeit von Ansätzen nicht ratsam: Einerseits, wenn die gleichzeitige Betrachtung verschiedener grundlegender Aspekte von KomikEreignissen mit einer Entdifferenzierung der Rekonstruktionen einher geht – dies ist etwa in den zahlreichen vorliegenden Versuchen zu beobachten, Komik- und Lachfor151 152 153

Auf weitere denkbare Interpretationen der drei Theorien, die deren Kompatibilität zur Konsequenz haben, braucht hier nicht eingegangen zu werden. John Morreall, „New Theory“, 129. Vgl. etwa auch John Morreall, Taking Laughter, 3, Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 40 oder Alexander Brock, „Ein integratives Modell“, 83. Vgl. zum Projekt interdisziplinärer Kooperation im Feld der Humor Studies Paul Lewis, Comic Effects, Victor Raskin, „Afterword“, in Humor 17:4 (2004), 429–436 sowie „Theory of Humor and Practice of Humor Research: Editor’s Notes and Thoughts“, in Primer, 1–16. Als Beispiel für eine überzeugende transdisziplinäre Zusammenarbeit vgl. Christian F. Hempelmann/Willibald Ruch, „3 WD Meets GTVH“.

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schung miteinander zu verbinden.154 Andererseits, wenn die Triftigkeit und Anerkennung der Theorien, die zu einem Ansatz zusammen gefasst werden sollen, weit auseinander geht – dies gilt beispielsweise im Fall einer Kooperation zwischen dem Inkongruenz-, dem Überlegenheits- und dem Entlastungsmodell, während Ersteres eine umfassend bewährte stimulus-Theorie darstellt, handelt es sich bei Letzteren um bestenfalls ausschnitthafte und zudem vielfach angezweifelte response-Theorien.155 Bevor sich die Auffassung durchgesetzt hat, dass die drei vorgestellten Modelle des Komischen miteinander verträglich sind, wurde lange Zeit wie selbstverständlich angenommen, dass es sich bei ihnen um konkurrierende Positionen handelt, dass also möglicherweise keine, aber höchstens eine von ihnen eine adäquate Theorie darstellen kann. Auch wenn diese Idee mittlerweile nicht mehr vertreten wird, so gehen doch noch immer einige Komikforscher davon aus, dass die inkongruenz-, überlegenheits- und entlastungstheoretischen Modelle Geltungsansprüche erheben, die zumindest partiell miteinander konfligieren. Im Fall einer solchen Sichtweise wird angenommen, dass die drei Theorien inkompatible konzeptuelle Modelle der stimulus-Seite von Komik-Ereignissen darstellen oder doch enthalten, dass sie – kurz gesagt – als unvereinbare Antworten auf die Frage nach dem Begriff des Komischen zu verstehen sind. Eine entsprechende Deutung liegt den verschiedenen vergleichenden Evaluationen der drei Ansätze zugrunde, die sich in der Forschung finden lassen und bei allen Unterschieden im Einzelnen sämtlich auf das Ergebnis hinauslaufen, dass die Inkongruenztheorie den beiden Konkurrenzmodellen vorzuziehen ist.156 Vor allem aufgrund ihrer funktionalen Perspektive sind die Überlegenheits- und die Entlastungstheorie offenkundig weniger ‚sachangemessen‘ und zugleich weniger ‚umfassend‘ als die formal orientierte Inkongruenztheorie,157 und mit Blick auf weitere Kriterien der Theorienevaluation wie etwa die der ‚Konsistenz‘, ‚Fruchtbarkeit‘ oder ‚Einfachheit‘ sind sie ihr bestenfalls ebenbürtig.158 Konkret gesprochen: In recht vielen Komik-Ereignissen spielen Überlegenheitsgefühle 154 155

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S. oben 1.2.2. Dies spricht etwa gegen eine Kooperation von Inkongruenz- und Superioritätsmodellen, vgl. Jeroen Vandaele, „Humor Mechanisms“. Vgl. auch die Übersicht über die empirische Validierung der Überlegenheitstheorie in Mark A. Ferguson/Thomas E. Ford, „Disparagement Humor“. Vgl. etwa John Morreal, Taking Laughter, Michael Clark, „Humour and Incongruity“, Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“ oder Noël Carroll, „Humour“. Vgl. auch Elliott Oring, Jokes and Their Relations, Lexington, Ky. 1992, 1f., der allerdings die Hobbes’sche Überlegenheitstheorie als Spielart der psychoanalytischen Entlastungstheorie einstuft. Vgl. etwa hierzu John Allen Paulos, Mathematics and Humor, Chicago/London 1980, 2, Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“, 392f. oder Noël Carroll, „Humour“, 346. – Die begrenzte Reichweite der auf Hobbes und Freud zurückgehenden Sichtweisen wird mitunter übersehen, weil Begriffe wie Überlegenheit oder Entlastung sehr weit gefasst oder in übertragenem Sinne verstanden werden, vgl. etwa Bjørn Ekmann, „Wieso und zu welchem Ende wir lachen“, 16–18. Zu Kriterien der Evaluation von Theorien und Interpretationen vgl. insbes. Dagfinn Føllesdal/Lars Walløe/Jon Elster, Rationale Argumentation. Ein Grundkurs in Argumentations- und Wissenschaftstheorie (1977), Berlin/New York 1988, 107–115 oder Göran Hermerén, „Interpretation: Types and Criteria“, in Grazer philosophische Studien 19 (1982), 131–161.

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schlicht keine Rolle. Zu den potenziellen affektiven und emotionalen Einstellungen gegenüber komischen Gegenständen sind neben derjenigen der Überlegenheit etwa auch die der Indifferenz oder die der Empathie und Sympathie zu zählen,159 was Humorformen wie das Wortspiel oder Genres wie die Tragikomödie anschaulich vorführen.160 Und im Fall des Komischen sind auf Seiten seiner Produzenten oder Rezipienten oftmals auch keine emotionalen, moralischen und intellektuellen Entlastungen zu konstatieren. Komik kommt vielfach ohne normative Dimension aus, und ihre Verarbeitung kann aus kognitiver Perspektive ausgesprochen aufwendig sein, was sich beides musterhaft an einem Phänomen wie dem Metahumor sehen lässt.161 Ähnliche Indizien für Einschränkungen der Reichweite der Inkongruenztheorie lassen sich nicht finden. Bevor im Folgenden zunächst die humanwissenschaftliche und dann die inkongruenztheoretische Tradition der Humorologie näher betrachtet wird, soll noch kurz auf einen Vorbehalt eingegangen werden, der sich gegen die vorangegangenen Einlassungen und damit gegen die Entscheidung vorbringen lässt, das umrisshaft entworfene Komikmodell als Inkongruenztheorie auszugestalten. Wer die Vorzüge des Inkongruenzmodells durch einen Theorienvergleich verdeutlichen wolle, der müsse – so der nahe liegende Einwand – auch solche Komiktheorien berücksichtigen, die sich aufgrund ihres Formats wesentlich unstrittiger als Konkurrenten der inkongruenztheoretischen Position identifizieren lassen als etwa der Überlegenheits- oder der Entlastungsansatz. Anders gesagt: Die Entscheidung für die Inkongruenztheorie sollte nicht zuletzt über ihren Vergleich mit alternativen konzeptuellen Modellen gerechtfertigt werden, die sich um die formale Charakterisierung der stimulus-Seite von KomikEreignissen bemühen. Eine solche Forderung mag sich aufdrängen, sie schätzt aber die Situation in der Komikforschung falsch ein: Es liegen zwar verschiedene formale stimulus-Theorien des Komischen vor, die sich selbst als Alternativen zur inkongruenztheoretischen Position verstehen; genau betrachtet handelt es sich bei ihnen aber nicht um Konkurrenten, sondern um Varianten des Inkongruenzmodells. Ansätze wie etwa die Erwartungsbruch-, die Normverletzungs- die Transgressions- oder die Mechanisierungstheorie des Komischen sind im Kern Inkongruenzmodelle; sie beruhen anders gesagt darauf, dass sie einen bestimmten formalen oder materialen Typ von inkongruen159 160

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S. dazu auch unten 1.4 oder 2.1. Zu Wortwitz und Wortspiel vgl. Christian F. Hempelmann, „Script Opposition and Logical Mechanism in Punning“, in Humor 17:4 (2004), 381–392; zur Tragikomödie vgl. Karl S. Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, Göttingen 1961. – Ein weiteres Beispiel dafür, dass Komik und Superiorität nicht notwendig miteinander zusammen hängen, sind einige Ausprägungen des Phänomens des sogenannten ‚Self-deprecating humor‘, vgl. dazu etwa Christie Davies, „Exploring the Thesis of the Self-Deprecating Jewish Sense of Humor“, in Humor 4:2 (1991), 189–209. Zum Phänomen des Metahumors vgl. etwa Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms: Modeling Incongruities and Their Resolutions“, in Humor 15:1 (2002), 3–46, 16f. oder John Morreall, Humor Works, Amherst, MA 2007, 181f. – Zu Komik und Moral sowie zur Verarbeitung des Komischen s. unten 1.4.3.

Perspektiven des Naturalismus

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ter Struktur als zentral auszeichnen – das Missverhältnis zwischen Erwartung und Erfahrung etwa, das zwischen normativen Vorstellungen und konkreten Verhaltensweisen, das zwischen dem Verlauf und der Beachtung von Grenzen oder auch das zwischen der Idee der Lebendigkeit und der Beobachtung der Starrheit.162 Es kann aus diesem Grund nicht erstaunen, dass die erwähnten Modelle nicht annähernd so umfassend sind wie die Inkongruenztheorie und all den Fällen von Komik nicht gerecht werden, die zwar unter den Begriff der Inkongruenz fallen, nicht aber unter den des Erwartungsbruchs, der Normverletzung, der Transgression oder der Mechanisierung. Bemerkenswert ist freilich, dass in ihnen der Verlust an extensionalem Umfang nicht mit einem Gewinn an intensionaler Klarheit einher geht: Alternativkategorien wie „Norm“, „Erwartung“ oder „Grenze“ sind in den humorologischen Auseinandersetzungen bislang nicht genauer gefasst worden als das Konzept „Inkongruenz“ – und das bedarf, wie sich noch zeigen wird, dringend der Explikation.

1.3

Perspektiven des Naturalismus

Vor der weiteren Ausgestaltung der anvisierten Inkongruenztheorie des Komischen soll nun ein näherer Blick auf die bereits erwähnte intensive und vielfach interdisziplinär vernetzte Beschäftigung mit dem Phänomen Komik geworfen werden, die in den letzten Jahrzehnten, fast unbeachtet in kulturwissenschaftlichen Zusammenhängen, in den empirischen Humanwissenschaften entstanden ist. Welch große Beachtung Lachen, Humor und Komik in Fächern wie den Kognitionswissenschaften, der Psychologie, der Biologie oder der Medizin seit einiger Zeit finden, lässt sich anhand der aufwendigen Versuche erahnen, eine Bibliographie der zahlreichen Publikationen des stetig wach-

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Vgl. zu den genannten Positionen etwa Henri Bergson, Le rire, Joachim Ritter, „Über das Lachen“, Hellmuth Plessner, „Lachen und Weinen. Eine Untersuchung der Grenzen menschlichen Verhaltens“ (1941), in H. P., Gesammelte Schriften VII, hg. v. Günter Dux, Frankfurt a.M. 1982, 201–388, Rainer Warning, „Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie“, in Das Komische, 279–333, Bernhard Marfurt, Textsorte Witz. Möglichkeiten einer sprachwissenschaftlichen Textsorten-Bestimmung, Tübingen 1977, Bjørn Ekmann, „Wieso und zu welchem Ende wir lachen“, Horst Weber, „Der Serva-Padrona-Topos in der Oper. Komik als Spiel mit musikalischen und sozialen Normen“, in Archiv für Musikwissenschaft 45:2 (1988), 87–110, Rüdiger Steinlein, „Kinderliteratur und Lachkultur. Literarhistorische und theoretische Anmerkungen zu Lachen und Komik im Kinderbuch“, in Komik im Kinderbuch. Erscheinungsformen des Komischen in der Kinder- und Jugendliteratur, hg. v. Hans-Heino Ewers, Weinheim/München 1992, 11–32, Thomas C. Veatch, „A Theory of Humor“, in Humor 11:2 (1998), 161–201, Rolf Lohse, „Überlegungen“ und „Pour lire sous la douche“, Daniela Toscan, Form und Funktion des Komischen in den Komödien von Andreas Gryphius, Frankfurt a.M. u.a. 2000, Brian Boyd, „Laughter and Literature“ oder Jan Siebert, Flexible Figuren. Medienreflexive Komik im Zeichentrickfilm, Bielefeld 2005.

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senden Forschungsfeldes zu erstellen.163 Wenn im Folgenden Debatten, Modelle und Resultate des Gebiets betrachtet werden, dann kann dies angesichts der Dimensionen, die es mittlerweile angenommen hat, nur sehr ausschnitthaft geschehen. Um zumindest einen exemplarischen Eindruck der Entwicklungen zu vermitteln, soll ein Überblick über die Auseinandersetzungen in drei Fachzusammenhängen gegeben werden, die für die humanwissenschaftliche Komikforschung in den letzten Jahren prägend gewesen sind – über die Beschäftigung mit dem Komischen und verwandten Phänomenen erstens in der Evolutionsbiologie, zweitens in den Neurowissenschaften und drittens in den Kognitionswissenschaften.164 Bei der Vorstellung des Forschungsfeldes wird es nicht zuletzt um die Auseinandersetzung mit zwei Fragen gehen, die in den vorangegangenen Kapiteln aufgeworfen wurden: Zum einen wird zu prüfen sein, welche Anregungen sich aus den rekonstruierten Debatten für das Vorhaben einer empirisch informierten Explikation des Komikbegriffs ergeben; zum anderen soll betrachtet werden, wie im Rahmen der humanwissenschaftlichen Humorologie die Idee eines komiktheoretischen Inkongruenzmodells beurteilt wird.

1.3.1 Komikforschung und Evolutionsbiologie Die evolutionäre Beschäftigung mit dem Lachen, seinen Spielarten und deren verschiedenen Anlässen ist annähernd so alt wie die evolutionstheoretische Betrachtung der Natur selbst. Schon in seiner Untersuchung The Expressions of the Emotions in Man and Animals von 1872 nimmt Charles Darwin aus evolutionärer Perspektive das Phänomen des Lachens, seine Ursachen, Formen und Funktionen in den Blick.165 Und er führt so nicht allein eine Frage in die evolutionstheoretische Debatte ein, die diese noch immer umtreibt; er zeichnet überdies bereits die Bahnen vor, in denen sich die Diskussion bis heute bewegt: Ausgangspunkt der evolutionsbiologischen Rekonstruktionen ist in der

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Vgl. etwa die Internetbibliographie des Redes-Projektes: . Einen Eindruck der rasanten neueren Entwicklungen vermittelt ein Vergleich mit entsprechenden bibliographischen Bestandsaufnahmen aus vergangenen Jahrzehnten, vgl. Jeffrey H. Goldstein/Paul E. McGhee, „An Annotated Bibliography of Published Papers on Humor in Research Literature and an Analysis of Trends: 1900-1971“, in The Psychology of Humor, 263–284. Ein weiterer Bereich der Humorologie, von dem in Zukunft interessante Resultate zu erwarten sind, ist das gerade entstehende Feld des ‚Humor Computing‘, vgl. dazu etwa Graeme Ritchie, „Computational Humor“, G. R. et al., „Evaluating Humorous Properties of Texts“, in Proceedings of the AISB 2008 Symposium on Affective Language in Human and Machine, 2008, 17–20, Rada Mihalcea/Stephen Pulman, „Characterizing Humour: An Exploration of Features in Humorous Texts“, in Lecture Notes in Computer Science 4394 (2007), 337–347 und Christian F. Hempelmann, „Computational Humor: Beyond the Pun?“, in Primer, 333–360. Vgl. Charles Darwin, The Expression of the Emotions in Man and Animals, 3. Aufl., hg. v. Paul Ekman, London 1999, insbes. Kap. 8.

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Regel das Lachen, insbesondere dasjenige, das Ausdruck von Lust und Freude ist;166 und auf der Grundlage einer evolutionären Erklärung dieser Spielart des Lachens geht es dann zumeist auch um die funktionale und formale Bestimmung des Komischen als eines wesentlichen Lachanlasses.167 Das Phänomen des Lachens hat die evolutionstheoretische Reflexion seit ihren Anfängen herausgefordert, weil ihm in Kultur und Natur offenkundig einige Bedeutung zukommt, zugleich aber nicht ohne Weiteres ersichtlich ist, inwiefern es Einfluss auf die Überlebenstüchtigkeit von Gattungen zu haben vermag.168 Mehr noch: Wenn man das Lachen aus physiologischer Perspektive betrachtet, dann erscheint es nicht abwegig, in ihm sogar einen Selektionsnachteil zu vermuten – denn es hat epileptoide Züge und schränkt mithin die sensorischen und motorischen Fähigkeiten von Individuen zumindest temporär stark ein.169 „We are hindered from physically responding to […] experiences by spasmodic expulsions from our lungs that interfere with breathing“, so umschreibt Wallace Chafe in diesem Sinne die Situation lachender Menschen: „At the same time, we are psychologically distracted from giving them serious thought by an accompanying euphoria.“170 Wie auf die meisten vergleichbaren Fragen ist in der evolu166

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Schon Darwin weist auf den Unterschied zwischen unwillkürlich auftretenden und willentlich herbeigeführten Formen des Lachens und Lächelns hin, der in der Gelotologie bis heute grundlegende Bedeutung besitzt. Im Anschluss an die Untersuchungen des französischen Anatomen Guillaume-Benjamin Duchenne wird die erste Form in der Forschung zumeist als ‚Duchenne laughter‘ bzw. ‚Duchenne smile‘, die zweite als ,Non-Duchenne laughter‘ bzw. ‚Non-Duchenne smile‘ bezeichnet, vgl. dazu grundlegend Guillaume-Benjamin Duchenne, Mécanisme de la physionomie humaine, ou analyse électro-physiologique de l’expression des passions, Paris 1862 und für einen Überblick insbes. Mark G. Frank/Paul Ekman, „Not all Smiles Are Created Equal“. Zur verstärkten evolutionstheoretischen Beschäftigung mit dieser Seite von Komik-Ereignissen vgl. William Fry, „The Biology of Humor“, in Humor 7:2 (1994), 111–126 oder James E. Caron, „From Ethology to Aesthetics: Evolution as a Theoretical Paradigm for Research on Laughter, Humor, and Other Comic Phenomena“, in Humor 15:3 (2002), 245–281. Anders als vor allem in der Philosophie seit der Antike immer wieder behauptet wurde, ist das Lachen durchaus kein Privileg des Menschen, sondern auch bei verschiedenen Tierarten zu beobachten, vgl. etwa Robert R. Provine, Laughter, 75–98, Jaak Panksepp/Jeff Burgdorf, „,Laughing‘ Rats and the Evolutionary Antecedents of Human Joy“, in Physiology & Behavior 79 (2003), 533– 547 und J. P., „Neuroevolutionary Sources of Laughter and Social Joy: Modeling Primal Human Laughter in Laboratory Rats“, in Behavioural Brain Research 182 (2007), 231–244. Auch die These, dass Komik und das durch Komik ausgelöste Lachen eine Besonderheit der menschlichen Kultur seien, stößt mittlerweile auf Widerspruch, Jennifer Gamble, „Humor in Apes“, in Humor 14:2 (2001), 163–179. Vgl. dazu Gerald W. Grumet „Laughter: Nature’s Epileptoid Cartharsis“, in Psychological Reports 63:3 (1989), 1059–1078 und Jyotsna Vaid, „The Evolution of Humor: Do Those Who Laugh Last?“, in Evolution of the Psyche, hg. v. David H. Rosen u. Michael C. Luebbert, Westport, CT 1999, 123–138. Vgl. auch die allgemeinen Hinweise zur Physiologie des Lachens in Christian F. Hempelmann, „The Laughter of the 1962 Tanganyika ‚Laughter Epidemic‘“, in Humor 20:1 (2007), 49–71, 65f. Wallace Chafe, Not Being Earnest, 11.

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tionstheoretischen Debatte zwar auch auf die nach der Rolle des Lachens in der Gattungsentwicklung ein Spektrum recht unterschiedlicher Antworten gegeben worden; in den letzten Jahrzehnten ist in den Auseinandersetzungen jedoch eine deutliche Konvergenz der Auffassungen zu beobachten: Spätestens seit den 1980er Jahren herrscht in der evolutionsbiologisch fundierten Gelotologie die Auffassung vor, dass die gattungsgeschichtliche Rolle des Lachens im Rahmen der dominierenden evolutionären Theorie des Spielens von Tieren und Menschen zu erklären ist.171 Diesem Modell zufolge hat Spielen und spielerisches Verhalten vor allem zwei Funktionen, es ist einerseits „als Training und Exploration für Ernstfälle im Erwachsenenalter“ und andererseits „als Mittel der Bindung der Individuen aneinander“172 zu verstehen. Anders gesagt: Beim Spielen werden im sozialen Zusammenhang und ohne konkrete Gefährdung kognitive und motorische Fertigkeiten entwickelt und erprobt, wobei diese Fähigkeitenschulung zwar auch als „training for the expected“ aufzufassen ist, vor allem aber als „training for the unexpected“.173 Im Zusammenhang einer entsprechenden evolutionären Theorie des Spielens lässt sich die phylogenetische Rolle des Lachens wie folgt rekonstruieren: Lachen ist zum einen als Artikulation der lustvollen Emotionen zu deuten, die mit dem Spielen verbunden sind, und es verweist insofern auf die adaptive Relevanz, die dem handlungsentlasteten Training von Fertigkeiten zukommt. „Pleasure is nature’s way of ensuring“, so fasst Boyd in einer scherzhaft teleologischen Formulierung zusammen, „that creatures perform an activity“.174 Lachen stellt zum anderen aber auch eine ritualisierte Verhaltensform dar und dient so wesentlich dazu, Spielsituation als solche zu markieren; es zeigt mit anderen Worten an, dass Aktionen und Expressionen im ‚Als ob‘-Modus erfolgen. Im Sinne einer solchen evolutionären Funktionsanalyse wird das lachende Gesicht auch als ‚Spielgesicht‘ (oder ‚Relaxed open mouth display‘) bezeichnet und vom lächelnden Gesicht als dem ‚Zahnentblößungsgesicht‘ (oder ‚Bared teeth display‘) abgegrenzt. Auch das Lächeln, das in der Evolution zunächst offenbar sowohl Drohge171

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Vgl. hierzu etwa Charles R. Gruner, Game of Humor, 3–26, Robert R. Provine, Laughter, 75–98 und Brian Boyd, „Laughter and Literature“, 6–8. – In den Jahrzehnten zuvor wurde Lachen aus phylogenetischer Perspektive eher im Sinne Albert Rapps als „laugh of triumph in the primitive all-out duell in the forests“ (Albert Rapp, „The Dawn of Humor. The Transition from Ridicule to True Humor Seen in Homer“, in The Classical Journal 43:5 [1958], 275–280, 278) verstanden. Vgl. zum Zusammenhang auch Albert Rapp, The Origins of Wit and Humor, New York 1951 und zu einer weiteren Ausgestaltung der Rapp’schen These in Form einer Aggressionstheorie der Komik Leonard Feinberg, The Secret of Humor, Amsterdam 1978. Karl Eibl, Entstehung der Poesie, 18. Brian Boyd, „Laughter and Literature“, 7. Ebd., 7. Vgl. dazu auch Karl Eibl, Entstehung der Poesie, 18 und „Naturwissenschaften“, in Handbuch Literaturwissenschaft, 3 Bde., hg. v. Thomas Anz, Stuttgart/Weimar 2007, Bd. 2, 486– 495, 489–491. – Vgl. hierzu auch aus neurophysiologischer Perspektive Karli K. Watson/Benjamin J. Matthews/John M. Allman, „Brain Activation During Sight Gags and Language-Dependent Humor“, in Cerebral Cortex 17 (2007), 314–324, 314.

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bärde als auch Unterwerfungsgeste war, hat sich der Phylogenese freilich zu einem Signal der Ungefährlichkeit oder sogar zu einem Zeichen sozialen Kooperationsinteresses entwickelt.175 Die umrissene phylogenetische Interpretation des Lachens lässt der Gestaltung einer evolutionären Theorie des Komischen zweifellos einigen Spielraum, und es erstaunt darum nicht, dass auch in diesem Bereich eine Konkurrenz von Ansätzen zu beobachten ist.176 Wie hinsichtlich der Evolutionstheorie des Spielens und Lachens so scheinen sich allerdings auch hinsichtlich der des Komischen die Positionen allmählich einander anzunähern. Als größter gemeinsamer Nenner der jüngeren evolutionstheoretischen Überlegungen zum Thema können die konzisen Hinweise zur Komik bzw. ‚Protokomik‘177 gelten, die Matthew Gervais und David Sloan Wilson in einem neueren integrativen Forschungsbericht geben. Zur Charakterisierung des Komischen und der Umstände, unter denen es sich beobachten lässt, heißt es hier: There is […] an intuitive family resemblance among the different proximate causes of Duchenne laughter, such that they can be characterized as sharing a single form or structure: a sudden unexpected change in events that is perceived to be at once not serious and in a social context – that is, nonserious social incongruity. […] Taking together, the laughter of nonhuman primates, the spontaneous laughter of human infants, tickling, and formal adult humor all share what is essentially a phylogenetically and ontogenetically conserved structure and context […], here referred to as nonserious social incon178 gruity.

Es ist im vorliegenden Kontext weder möglich noch nötig, auf die vorliegenden Versuche einzugehen, ausgehend von der zitierten Position ein spezifischeres evolutionsbiologisch fundiertes Komikmodell zu konzipieren, etwa eine ‚Mind Reading-Theorie‘,

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Vgl. dazu grundlegend Jan van Hoof, „A Comparative Approach to the Phylogeny of Laughter and Smiling“, in Non-Verbal Communication, hg. v. Robert A. Hinde, Cambridge 1972, 209–241 und für eine Übersicht über die aktuellen Debatten James E. Caron, „From Ethology to Aesthetics“, 252f. sowie Ernst Peter Fischer, „Vom Zeigen der Zähne und dem Lächeln der Lippen. Die Evolution auf dem Weg zum Lachen“, in Humorstrategien, 39–45, 40–45. Vgl. nur als Beispiele Gerald W. Grumet, „Laughter“, Marina L. Butovskaya/Alexander G. Kozintsev, „A Neglected Form of Quasi-Aggression in Apes: Possible Relevance for the Origins of Humor“, in Current Anthropology 37:4 (1996), 716–717, Vilayanur Rachmanandran, „Neurology and Evolution of Humor“, Jyotsna Vaid, „The Evolution of Humor“, Geoffrey Miller, The Mating Mind: How Sexual Choice Shaped the Evolution of Human Nature, New York 2000, Robert Storey, „Humor and Sexual Selection“, in Human Nature 14:4 (2003), 319–336 oder Brian Boyd, „Laughter and Literature“. Matthew Gervais/David Sloan Wilson, „The Evolution and Functions of Laughter and Humor: A Synthetic Approach”, in The Quarterly Review of Biology 80:4 (2005), 395–430, 399. Von ‚Protokomik‘ bzw. ‚protohumor‘ sprechen die Autoren mit Blick auf solche Lachanlässe, aus denen sich die Komik von Erwachsenen nach ihrer Einschätzung in der Phylo- und Ontogenese entwikkelt. Ebd. Hervorhebung im Original.

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eine ‚Erwartungsbruchtheorie‘ oder eine ‚Fehlalarmtheorie‘ des Komischen.179 Hier sollte die Feststellung ausreichen, dass evolutionstheoretische Interpretationen des Komischen in der Regel auf inkongruenztheoretische Positionen hinauslaufen: Beim Spielen kann der Mensch lustvoll Kompetenzen im Umgang mit dem Überraschenden, dem Neuen oder dem Unstimmigen erwerben und schulen, beim Spielen vermag er, Vergnügen an Inkongruenzen zu haben. „The spirit of humor“, so hat Morreall in diesem Sinne konstatiert, „is to enjoy incongruity“.180 Ein Forschungsfeld, das in den letzten Jahren zusehends heuristische und argumentative Relevanz für die evolutionstheoretische Humorologie gewonnen hat, ist der Bereich, um den es im folgenden Abschnitt gehen soll – die Neurophysiologie und vor allem ihre Resultate zur Verarbeitung des Komischen.181

1.3.2 Komikforschung und Neurowissenschaft Wie die Gehirnforschung insgesamt so hat auch die neurophysiologische Beschäftigung mit dem Lachen, Lächeln und Komischen im vergangenen Jahrzehnt einen immensen Aufschwung erlebt.182 Bei den neurologischen Stellungnahmen zur Komikforschung handelt es sich in der Regel um empirische Untersuchungen zur response-Seite von Komik-Ereignissen. Konkret geht es in diesem Zweig der Humor Studies vordringlich um die Frage, welche Regionen des Gehirns in welcher Chronologie und Intensität bei der Verarbeitung von Komik aktiv sind. Dass die untersuchten Prozesse tatsächlich als Reaktionen auf komische Gegenstände einzustufen sind, wird in den Studien entweder durch den Verweis auf das Votum der Probanden oder einer Kontrollgruppe183 oder

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Vgl. zu diesen Positionen N. E. Howe, „The Origin of Humor“, in Medical Hypotheses 59:3 (2002), 252–254, Brian Boyd, „Laughter and Literature“ und Vilayanur Rachmanandran, „Neurology and Evolution of Humor“. John Morreal, „Enjoying Incongruity“, in Humor 2:1 (1989), 1–18, 18. Schon in Morrealls Taking Laughter Seriously findet sich die Formulierung: „[T]he essence of humor lies in the enjoyment of incongruity“ (John Morreall, Laughter, 47). Vgl. etwa Matthew Gervais/David Sloan Wilson, „Evolution and Functions“, 404–408. Untersuchungen, die sich allein der Gehirntätigkeit während des Lachens oder Lächelns widmen, werden im Folgenden ausgeklammert, s. dazu oben 1.2.2. Als Beispiel vgl. Prathiba Shammi/Donald T. Stuss, „Humor Appreciation: A Role of the Right Frontal Lobe“, in Brain 122 (1999), 657–666, Vinod Goel/Raymond J. Dolan, „The Functional Anatomy of Humor: Segregating Cognitive and Affective Components“, in Nature Neuroscience 4:3 (2001), 237–238 oder Karli K. Watson/Benjamin J. Matthews/John M. Allman, „Brain Activation“.

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aber durch die Voraussetzung eines Konzepts des Komischen184 gerechtfertigt, wobei in aller Regel von inkongruenztheoretischen Positionen ausgegangen wird.185 Bis vor etwa zehn Jahren wurden Ergebnisse zur Aktivität des Gehirns bei der Komikverarbeitung vor allem anhand von Probanden mit Hirnschäden, durch operative Eingriffe oder EEG-Untersuchungen gewonnen;186 seither stehen für entsprechende Untersuchungen verschiedene nicht-invasive bildgebende Methoden wie insbesondere das Magnetic Resonance Imaging (MRI) und die Positron Emission Tomography (PET) zur Verfügung.187 Auch wenn die neurologische Komikforschung durch diese Entwicklung einen erkennbaren Schub erhalten hat, so lässt doch schon eine kursorische Sichtung neuerer Beiträge deutlich werden, dass das Forschungsfeld noch in den Anfängen steckt: Die bisherigen Untersuchungen bringen allenfalls einige Aspekte der Gehirnaktivitäten in den Blick, die bei der Komikrezeption von Relevanz zu sein scheinen; aus ihnen lassen sich jedoch kaum die Umrisse eines Modells entsprechender Verarbeitungsvorgänge gewinnen. Das liegt einerseits zweifellos an der zwar wachsenden, aber noch immer geringen Zahl an Forschungsarbeiten, die schon für sich betrachtet recht ausschnitthaft angelegt sind und zusammen genommen viele Lücken lassen.188 Es dürfte zum anderen aber auch darauf zurückzuführen sein, dass die einzelnen Studien im Hinblick auf ihre Konzeption und Argumentation kaum voneinander Notiz nehmen; so wird im Regelfall nicht allein darauf verzichtet, die erzielten Resultate aufeinander zu beziehen, es wird gemeinhin auch davon abgesehen, die nicht seltenen Konflikte zwischen den empirisch gewonnenen Untersuchungsergebnissen zu diskutieren oder zu 184

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Als Beispiele vgl. Bruce F. Katz, „Neural Resolution“ oder Fukujiro Ozawa et al., „The Effects of Listening Comprehension of Various Genres of Literature on Response in the Lingustic Area: An fMRI study“, in NeuroReport 11:6 (2000), 1141–1143. Vgl. Barbara Wild et al., „Neural Correlates of Laughter and Humour“, in Brain 126 (2003), 2121–2138, 2131f. Vgl. z.B.: Howard Gardner et al., „Comprehension und Appreciation of Humorous Material Following Brain Damage“, in Brain 98 (1975), 399–412, Amy M. Bihrle/Hiram H. Brownell/John A. Powelson, „Comprehension of Humorous and Nonhumorous Materials by Left and Right BrainDamaged Patients“, in Brain and Cognition 5 (1986), 399–411, aber auch Robin L. Heath/Lee X. Blonder, „Spontaneous Humor among Right Hemisphere Stroke Survivors“, in Brain and Language 93:3 (2005), 267–276. Zu einer frühen Übersicht vgl. Hiram Brownell/Howard Gardner, „Neuropsychological Insights into Humour“, in Laughing Matters. A Serious Look at Humor, hg. v. John Durant u. Jonathan Miller, London 1988, 17–34; zu einer rezenten Zusammenfassung vgl. Barbara Wild et al., „Neural Correlates“, 2132f. und William Fry, „Humor and the Brain: A Selective Review“, in Humor 15:3 (2002), 305–333, 307–310. – Einen Forschungsbericht zur Beeinträchtigung der Komik- und Ironieverarbeitung bei Patienten mit Hirnschädigungen liefert Ilaria Cutica, „The Neuropsychology of Irony and Verbal Humor: Patterns of Impairment in Different Types of Cerebral Damage“, in New Approaches, 111–139. Zu einer Erläuterung der einschlägigen Untersuchungsverfahren vgl. William Fry, „Humor and the Brain“, 310f. Vgl. dazu auch das Fazit in dem Forschungsbericht Barbara Wild et al., „Neural Correlates“, 2134: „[I]t must be stated frankly that at the present time the description of the neural correlates of laughter and humour remains fragmentary“.

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kommentieren.189 Gegenwärtig muss man sich hinsichtlich der Erforschung der Hirnaktivitäten bei der Komikverarbeitung wohl dem Urteil des Neurowissenschaftlers Jaak Panksepp anschließen und von einem „abundant disagreement about the brain systems involved“190 sprechen; man sollte dabei allerdings nicht übersehen, dass bereits einige fundierte Vorschläge vorliegen, die zumeist isolierten und mitunter konfligierenden Ergebnisse zusammenzuführen. Hervorzuheben sind in dieser Hinsicht insbesondere die Ansätze zu einem integrativen Modell, die von der Forschungsgruppe um Barbara Wild und Willibald Ruch erarbeitet worden sind, auch wenn ihre eingehende systematische Diskussion und empirische Validierung noch aussteht: Sie zeichnen ein differenziertes Bild des neuronalen Netzwerks, dessen Elemente für die Verarbeitung von Komik sowie für das Zustandekommen der mit ihr einher gehenden mimischen und emotionalen Reaktionen verantwortlich sind; dabei lässt sich die Wahrnehmung und Deutung komischer stimuli ihnen zufolge im Wesentlichen im vorderen Stirnlappen sowie im Grenzbereich von Schläfen-, Scheitel- und Hinterhauptslappen der linken Hemisphäre verorten.191 Aufgrund ihrer Anlage gelangen neurophysiologischen Studien zur Komikverarbeitung in aller Regel zu Resultaten, aus denen sich keine konkreten Konsequenzen für die traditionellen Projekte der Humorologie ableiten lassen, also etwa für das Vorhaben einer Definition des Komikbegriffs oder das einer Charakterisierung der stimulus-Seite von Komik-Ereignissen. Barbara Wild und andere heben zu Recht hervor: „[W]hat one means by humor and laughter will influence what kinds of experiments one designs for their analysis“.192 Anders gesagt: Was komisch ist, wird in den Untersuchungen nicht 189

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Vgl. beispielsweise die divergierenden Resultate in Fukujiro Ozawa et al., „Listening Comprehension“ und Vinod Goel/Raymond J. Dolan, „Anatomy of Humor“ oder in Dean Mobbs et al., „Humor Modulates the Mesolimbic Reward Centers“, in Neuron 40 (2003), 1041–1048 und Seana Coulson/Robert F. Williams, „Hemispheric Asymmetries and Joke Comprehension“, in Neuropsychologia 43 (2005), 128–141. Zu Ansätzen einer Erklärung der Differenzen vgl. Jennifer Uekermann/Irene Daum, „Toward a Cognitive and Social Neuroscience of Humor Processing“, in Social Cognition 25:4 (2007), 553–572, 567 oder auch Jaak Panksepp, „Neuroevolutionary Sources of Laughter“, 239. Ebd. – Dies stellt für die Neurophysiologie ein recht gravierendes Problem dar, weil sie von der ‚Unspezifizität‘ neuronaler Aktivitäten ausgeht, so dass dem ‚Ortsprinzip‘ zentrale Relevanz zukommt, vgl. dazu Gerhard Roth, Aus der Sicht des Gehirns, Frankfurt a.M. 2003, 81–84. – Neuere empirische Studien legen nahe, dass unterschiedliche Komikformen divergierende neuronale Areale aktivieren – insofern scheint die Frage nach der Region des Gehirns, die der Komikverarbeitung dient, ohnehin nicht sonderlich sinnvoll zu sein, vgl. insbes. Andrea C. Samson et al., „Neural Substrates of Incongruity-Resolution and Nonsense Humor“, in Neuropsychologia 47 (2009), 1023–1033, 1029. Vgl. Barbara Wild et al., „Humor and Smiling“, 892 und „Neural Correlates“, 2134. Die genannten Bereiche sind zugleich maßgeblich an komplexen Kommunikationsprozessen beteiligt, also etwa an der Modellierung einer ‚theory of mind‘, an der Sprachverarbeitung oder an Erinnerungsleistungen. Ebd., 2131.

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herausgefunden, sondern in der einen oder anderen Form vorausgesetzt. Dies gilt auch für den bislang einzigen Versuch, eine ‚neuronale Komiktheorie‘ zu entwickeln, für Bruce F. Katz’ „connectionist model of humour“ aus dem Jahr 1993.193 Es besteht im Kern in einer empirisch ungeprüften Hypothese über die Hirntätigkeit bei der Komikverarbeitung, wobei von der grundsätzlichen Adäquatheit einer Inkongruenztheorie des Komischen ausgegangen wird: „The neural theory suggests that humour results when the brain is ‚fooled‘ into an unstable, high-arousal state by a misdirection that plays off prior expectations.“194 Letztlich fällt Katz’ Vorschlag sowohl aus konzeptueller als auch aus empirischer Perspektive enttäuschend aus – konzeptuell fasst er lediglich die psychologischen Debatten der 1970er Jahre zum Inkongruenzmodell des Komischen zusammen, empirisch geht er nicht über den Entwurf eines erst noch zu validierenden Modells hinaus, dessen Prognosen und Elemente überdies nicht für die Verarbeitung von Komik spezifisch sein dürften.195 Auch wenn sich aus den bisherigen neurophysiologischen Beiträgen zu dem Humor Studies keine unmittelbaren Vorgaben für die konzeptuell ausgerichtete Komikforschung ergeben, so haben sie doch einige Resultate erbracht, die auch in den Auseinandersetzungen um ein Konzept oder eine Theorie des Komischen nicht einfach vernachlässigt werden sollten. Insbesondere für die Anhänger eines Inkongruenzmodells der Komik hält die Hirnforschung einige Ergebnisse bereit, die sich als zumindest mittelbare Bestätigung ihrer Position deuten lassen: So haben Untersuchungen etwa eine Zweischrittigkeit in der Komikverarbeitung aufgezeigt, wie sie von den Vertretern des sogenannten ‚incongruity-resolution‘-Modells angenommen wird,196 oder sie konnten eine Beteiligung von Gehirnregionen bei der Humorrezeption nachweisen, die auch bei der Deutung von Metaphern und damit bei der Auflösung von inkongruenten Strukturen aktiv sind.197 193 194 195 196

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Bruce F. Katz, „Neural Resolution“. Der Ansatz wird von Katz abwechselnd als „connectionist model“, „neurally inspired model“ oder „neural theory“ bezeichnet, vgl. ebd., 59 und 71. Ebd., 71. S. dazu unten 1.3.2 u. 1.4.1. Vgl. etwa Peter Derks et al., „Laughter and Electroencephalographic Activity“, in Humor 10:3 (1997), 285–300, Seana Coulson/Marta Kutas, „Getting It: Human Event-Related Response to Jokes in Good and Poor Comprehenders“, in Neuroscience Letters 316 (2001), 71–74, Dean Mobbs et al., „Humor Modulates“, Joseph M. Moran et al., „Neural Correlates of Humor Detection and Appreciation“, in NeuroImage 21 (2004), 1055–1060, Barbara Wild et al., „Neural Correlates“, Jennifer Uekermann/Irene Daum, „Cognitive and Social Neuroscience“ und Andrea C. Samson et al., „Neural Substrates“. Jennifer Uekermann und Irene Daum weisen freilich auf weiteren Untersuchungsbedarf hin: „Taken together, with respect to the incongruity resolution theory, studies conducted so far suggest the need for a separation of cognitive and affective components“ („Cognitive and Social Neuroscience“, 568). – S. zum ‚incongruity-resolution‘-Modell unten 1.4. Vgl. dazu Barbara Wild et al., „Humor and Smiling“, 891. Zu weiteren indirekten Belegen für inkongruenztheoretische Überlegungen vgl. William Fry, „Humor and the Brain“, 315–326. – Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen komischen und metaphorischen Texten s. auch unten 1.4.3: Noch einmal Komik und Auflösbarkeit.

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Im Gegensatz zur neurowissenschaftlichen Forschung hat die kognitionswissenschaftliche Modellbildung auf die Auseinandersetzungen in allen Bereichen der Komikforschung der letzten Jahrzehnte großen Einfluss gehabt – mit ihrer Vorstellung soll der skizzenhafte Überblick über die humanwissenschaftliche Humorologie nun abgeschlossen werden.

1.3.3 Komikforschung und Kognitionstheorie Die kognitionswissenschaftliche Komikforschung hat sich seit den 1970er Jahren zum wichtigsten Impulsgeber der humorologischen Debatten entwickelt. Maßgeblich für ihre Entstehung und Entwicklung ist freilich nicht die Kognitionswissenschaft selbst gewesen, sondern die kognitionswissenschaftlich inspirierte Theoriebildung insbesondere innerhalb der Psychologie und der Linguistik. Die im Verlauf der vergangenen zwei Jahrzehnte in diesen Disziplinen entstandenen Modelle lassen sich mit Blick sowohl auf die stimulus- als auch auf die response-Seite von Komik-Ereignissen als ‚State of the Art‘ im Feld des Humor Research bezeichnen.198 Als Gründungsdokument der kognitionswissenschaftlich ausgerichteten Komikforschung ist Arthur Koestlers einflussreiches Buch The Act of Creation von 1964 einzustufen. Koestler sucht hier eine funktionale Erklärung für das Phänomen menschlicher Kreativität zu liefern, indem er ein kognitives Verfahren beschreibt, für das er den Terminus ‚Bisoziation‘ prägt.199 Dieses Verfahren sei nicht allein für Vorgänge des Schaffens oder Entdeckens in den Künsten und Wissenschaften grundlegend; ihm komme überdies auch bei der Erzeugung und mithin Erklärung von Komik entscheidende Bedeutung zu. Was mit Bisoziation gemeint und wie ihre Relation zur Komik beschaffen ist, erläutert Koestler im Anschluss an die Präsentation zweier kurzer komischer Geschichten: The pattern underlying both stories is the perceiving of a situation or idea, L, in two selfconsistent but habitually incompatible frames of reference, M1 and M2. The event L, in which the two intersect, is made to vibrate simultaneously on two different wavelengths, as it were. While this ununsual situation lasts, L is not merely linked to one associative context, but bisociated with two.200

Nach dem obigen Überblick über die historisch dominierenden Komikmodelle dürfte auf der Hand liegen, dass Koestlers Begriff der Bisoziation als Versuch einer kognitivi198

199 200

Vgl. zur Entwicklung und zum Stand der Debatten in diesen Forschungsfeldern Willibald Ruch, „Psychology of Humor“, in Primer, 17–100 und Salvatore Attardo, „A Primer for the Linguistics of Humor“, in Primer, 101–156. Zu Erklärungsformen in den Kognitions- und Humanwissenschaften vgl. Tilmann Köppe/Simone Winko, Neuere Literaturtheorien. Eine Einführung, Stuttgart/Weimar 2008, 301f. Arthur Koestler, The Act of Creation. A Study of the Conscious and Unconscious Processes of Humor, Scientific Discovery, and Art, London 1964, 35. Hervorhebungen im Original.

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stischen Explikation der Inkongruenztheorie des Komischen zu betrachten ist. Als ein solcher Versuch ist The Act of Creation nicht allein der erste wesentliche Beitrag zu einer kognitionswissenschaftlich orientierten Humorologie; die Monographie stellt zugleich die Frage in den Mittelpunkt, der seither das vordringliche Augenmerk der psychologischen und linguistischen Komikreflexion gilt – die Frage, ob und wie das Inkongruenzmodell des Komischen mit den Mitteln der Kognitionswissenschaft zu einem umfassenden Ansatz weiterentwickelt werden kann.201 Die zentrale Bedeutung dieser Fragestellung für die kognitionswissenschaftliche Komikforschung zeigt sich bereits in vielen Beiträgen der vorwiegend psychologisch ausgerichteten Sammelbände The Psychology of Humor, Humor and Laughter und It’s a Funny Thing, Humour aus den 1970er Jahren;202 sie ist aber auch in den linguistischen Debatten im Anschluss an Victor Raskins Semantic Mechanisms of Humor von 1985 und in den jüngeren psychologischen Humor Studies im Zusammenhang mit Willibald Ruchs The Sense of Humor von 1998 noch immer unübersehbar.203 Seit Koestler verfolgen die kognitionswissenschaftlichen Versuche einer Weiterentwicklung des inkongruenztheoretischen Komikmodells vor allem zwei Ziele: Zum einen bemühen sie sich, die Idee der Inkongruenz im Rückgriff auf kognitive Konzepte genauer zu bestimmen; es wird mithin erörtert, inwiefern Begriffe wie etwa die des Schemas, des frame oder des script bei einer Explikation und typologischen Differenzierung der Inkongruenzkategorie von Nutzen sein können.204 Zum anderen versucht die kognitionswissenschaftliche Komikforschung, ein differenziertes Modell der Verarbeitung inkongruenter Strukturen zu konzipieren, das es zugleich erlaubt, eine Abgrenzung komischer von unkomischen Inkongruenzen vorzunehmen, also insbesondere von solchen, die eher geeignet sind, rätselhaft und mithin erklärungsbedürftig zu wirken als belustigend.205 201 202

203 204

205

S. dazu im Einzelnen unten 1.4. Vgl. Jeffrey H. Goldstein/Paul E. McGhee (Hg.), The Psychology of Humor, Anthony J. Chapman/Hugh C. Foot (Hg.), Humour and Laughter und A. J. C./H. C. F. (Hg.), It’s a Funny Thing, Humour, Oxford u.a. 1977. Vgl. Victor Raskin, Semantic Mechanisms und Willibald Ruch (Hg.), The Sense of Humor. Vgl. dazu Victor Raskin, Semantic Mechanisms, Neal R. Norrick, „A Frame-Theoretical Analysis of Verbal Humor: Bisociation as Schema Conflict“, in Semiotica 60 (1986), 225–245 sowie Lambert Deckers/Robert T. Buttram, „Humor as a Response to Incongruities within or between Schemata“, in Humor 3 (1990), 51–64. – Zu einem Überblick über die Diskussion vgl. Graeme Ritchie, „Developing the Incongruity-Resolution Theory“, in Proceedings of AISB Symposium on Creative Language: Stories and Humour, 1999, 78–85, G. R., The Linguistic Analysis of Jokes, London/New York 2004, Kap. 4 und Rod A. Martin, The Psychology of Humor. An Integrative Approach, Amsterdam u.a. 2007, Kap. 4. Vgl. dazu insb. Thomas R. Shultz, „The Role of Incongruity and Resolution in Children’s Appreciation of Cartoon Humor“, in Journal of Experimental Child Psychology 13 (1972), 465–477, Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model for the Appreciation of Jokes and Cartoons: An InformationProcessing Analysis“, in The Psychology of Humor, 81–100 und „Cognitive Processes in Humor Appreciation“, in Handbook of Humor Research. Vol. 1: Basic Issues, hg. v. Paul E. McGhee u. Jeffrey Goldstein, New York u.a 1983, 39–57, Mary K. Rothbart, „Incongruity, Problem-Solving

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Zur Theorie literarischer Komik

Die Auseinandersetzungen um ein solches Modell kreisen seit den frühen 1970er Jahren um die Frage, ob die Auflösung von Inkongruenzen für Komik oder zumindest für verbale Komik konstitutiv oder optional ist. Weniger Beachtung gefunden hat im Kontext der kognitionswissenschaftlichen Debatten das in der Philosophie und der Literaturtheorie viel diskutierte Problem einer Unterscheidung zwischen komischen und bedrohlichen Inkongruenzen.206 Als Fortsetzung entsprechender Diskussionen lassen sich die verschiedenen neueren Vorschläge aus der kognitionstheoretisch orientierten Linguistik sehen, verbalen Humor vor dem Hintergrund eines Sprachverständnisses zu betrachten, das Bedeutungen als Ergebnis kognitiver Konzeptualisierungen versteht.207 In dieser Strömung der Humorologie wird einhellig von der Annahme ausgegangen, dass sprachliche Komik auf Abweichungen beruht, die atypische und insofern markierte Formen semantischer Konstruktionsoperationen (Inkongruenzen) notwendig machen und zum retrospektiven Versuch ihrer kognitiven Motivierung (Auflösung) herausfordern.208 Im Hinblick auf die Konkretisierung dieser These sind deren Vertreter – hier ist Salvatore Attardo zuzustimmen – freilich bislang nicht über eine „notational variant of previously available analyses“209 hinaus gelangt. Da den Schwierigkeiten und Möglichkeiten einer Explikation des komiktheoretischen Inkongruenzmodells in den folgenden Kapiteln im Einzelnen nachgegangen werden soll, kann hier auf eine weitere Rekonstruktion der kognitionswissenschaftlich orientierten Debatten in den Humor Studies verzichtet werden.

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209

and Laughter“, in Humor and Laughter, 37–54, M. K. R./Diana Pien, „Elephants and Marshmallows: A Theoretical Synthesis of Incongruity-Resolution and Arousal Theories of Humour“, in It’s a Funny Thing, 37–40, Christopher P. Wilson, Jokes, Form, Content, Use, and Function, London 1979 sowie Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „A Two-Stage Model of Humor Appreciation: Its Relation to Aesthetic Appreciation and Simplicity-Complexity of Personality“, in The Sense of Humor, 109–142. – S. dazu unten 1.4.3 Noch einmal Komik und Auflösbarkeit. Als Ausnahme ist zu nennen: L. Alan Sroufe/Everett Waters, „The Ontogenesis of Smiling and Laughter: A Perspective on the Organization of Development in Infancy“, in Psychological Review 83:3 (1976), 173–189. – S. dazu auch unten 1.4.3 Noch einmal Komik und Harmlosigkeit. Vgl. dazu allgemein Geert Brône/Kurt Feyaerts, „The Cognitive Linguistics of Incongruity Resolution: Marked Reference-Point Structures in Humor“, Kap. 2 < http://www.ling.arts.kuleuven.ac. be/iclc/Papers/BroneFeyaerts.pdf >. Vgl. dazu allgemein Rachel Giora, On Our Mind. Salience, Context, and Figurative Language, Oxford 2003 sowie – mit Hinweisen auf weitere Literatur – Geert Brône/Kurt Feyaerts/Tony Veale (Hg.), Cognitive Linguistic Approaches to Humor, Berlin/New York 2006. Salvatore Attardo, „Cognitive Linguistics and Humor“, in Humor 19:3 (2006), 341–362, 341.

Zum Potenzial der Inkongruenztheorie

1.4

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Zum Potenzial der Inkongruenztheorie

„Dies ist in Kürze die richtige Erklärung des Lächerlichen.“210 Diese vollmundige Bemerkung Schopenhauers, mit der er den Abriss seiner Inkongruenztheorie des Komischen in Die Welt als Wille und Vorstellung beschließt, bringt die opinio communis der neueren Komikforschung auf die Formel. Anders gesagt: Dass ein enger Zusammenhang zwischen dem Inkongruenten und dem Komischen besteht, ist gegenwärtig vielleicht der einzige markante Konvergenzpunkt innerhalb der ansonsten äußerst vielstimmigen Humorologie. Fürsprecher findet die Inkongruenztheorie fach- und richtungsübergreifend, zu ihren Anhängern zählen Philosophen, Psychologen oder Biologen, Soziologen, Linguisten, Literatur-, Kognitions- und Neurowissenschaftler ganz unterschiedlicher Couleur.211 Das heißt selbstverständlich nicht, dass die Inkongruenztheorie des Komischen nicht auch schon Gegenstand mehr oder weniger grundlegender Kritik geworden wäre. Im Gegenteil: Gerade wegen seiner großen Beliebtheit scheint das Inkongruenzmodell die Kritiker herauszufordern. Im Folgenden soll in drei Schritten den Einwänden gegen die Theorie entgegengetreten und ihr Potential herausgearbeitet werden: Zu diesem Zweck sind zunächst die maßgeblichen kritischen Vorbehalte gegen den Ansatz zu charakterisieren und in Ansätzen zu diskutieren. Anschließend soll dann, um die Basis für eine weiter gehende Beschäftigung mit den Einwänden zu schaffen, eine neuere sprachwissenschaftliche Formulierung der inkongruenztheoretischen Position vorgestellt werden; auf diese Weise wird zugleich die Modellierung einer Theorie des Komischen in der Literatur vorbereitet. Schließlich soll die charakterisierte linguistische Variante der Inkongruenztheorie anhand einiger Beispiele komischer Literatur einem Praxistest unterzogen, problematisiert und modifiziert werden.

1.4.1 Kritik der Inkongruenztheorie Gegen die Idee eines Zusammenhangs von Inkongruenz und Komik sind von verschiedenen Seiten immer wieder grundsätzliche Einwände vorgebracht worden. Die wichtigsten Kritikpunkte scheinen die folgenden vier zu sein: (1) Inkongruenz ist keine notwendige Bedingung für die komische Wirkung eines Gegenstands; (2) Inkongruenz ist zwar eine notwendige, aber keine wesentliche Bedingung für die komische Wirkung eines Gegenstands; (3) Inkongruenz ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende 210 211

Arthur Schopenhauer, Die Welt, Bd. 1, 102. An der Bedeutung des Inkongruenzkonzepts für die Komiktheorie zweifeln neben kontextualistischen Radikalskeptikern nur wenige Humorologen, von denen zudem einige übersehen, dass sie in Wahrheit für eine Variante des Inkongruenzmodells eintreten. Ansätze zu einer anspruchsvollen Kritik des Modells und zum Entwurf einer tatsächlichen Alternativposition finden sich vor allem in Publikationen von John Morreall, Jerrold Levinson oder Robert L. Latta.

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Zur Theorie literarischer Komik

Bedingung für die komische Wirkung eines Gegenstands; (4) Inkongruenz ist ein vages und darum uninformatives Konzept. Zu diesen vier Einwänden soll nun der Reihe nach in freilich noch vorläufiger Form Stellung genommen werden.212 Die Thesen 1 und 2 lassen sich im Zusammenhang betrachten, denn sie stellen beide in Frage, dass es sich bei Inkongruenz um einen relevanten Aspekt des Komischen handelt. Der erste Einwand richtet sich gegen die Notwendigkeit von Inkongruenzen im Fall von Komik, der zweite gegen ihre Wichtigkeit.213 Für die Verteidiger der Inkongruenztheorie ist es nicht leicht, solchen Kritikpunkten zu begegnen, weil gegen sie strenggenommen kein systematisches Argument angeführt werden kann. Es geht bei der Abwägung von Thesen dieser Art letztlich um die Klassifikation und also Interpretation von Beispielfällen – und diese lassen sich nur in begrenzter Zahl auswerten. Anders gesagt: Die Vertreter der ersten beiden Thesen sind aufgefordert, einschlägige Fälle von Komik zu benennen, die geeignet sind, ihre Einwände zu untermauern. Dies ist bislang nicht passiert: Wenn bezweifelt wird, dass Inkongruenzen für Komik notwendig oder zumindest wichtig sind, dann geschieht dies bisher auf der Grundlage problematischer Interpretationen von Beispieltexten, wobei zudem oft von einem unbegründet restringierten Inkongruenzmodell ausgegangen wird. Zur Veranschaulichung sei kurz auf einen typischen Versuch eingegangen, die Irrelevanz von Inkongruenzen in der Komik zu plausibilisieren: In einem Artikel, der 2004 in der Zeitschrift Humor erschienen ist, zweifelt Tony Veale an der Annahme, dass Inkongruenzen als „driving force in the creation of humor“ anzusehen seien; es handelt sich bei ihnen nach seiner Auffassung eher um ein „epiphenomenon“ des Komischen.214 Musterhaft für die Textanalysen, mit denen er seine Vermutung zu stützen versucht, ist seine komiktheoretische Interpretation des folgenden kurzen Witzes: [said by old man] I still have sex at 74. I live at no. 75, so it’s no distance for me.

215

In diesem Text und seiner Rezeption kommt einer Inkongruenz nach Veale durchaus eine gewisse Relevanz zu, nämlich der zwischen dem zunächst nahe liegenden Verständnis der Zahl 74 als Altersangabe und ihrer späteren Deutung als Hausnummer. Der Witz des Textes ergebe sich jedoch nicht aus der Enttäuschung der anfänglich aufgebauten Erwartung; er komme vielmehr zustande, weil der Sprecher sich auf seinen oder seine Sexualpartner durch die bloße Nennung einer Hausnummer beziehe – komisch ist, so Veales These, „the speaker’s curious emphasis on location rather than identity“.216 Es kann hier dahingestellt bleiben, ob eine entsprechende Interpretation des Witzes angemessen ist; ausreichend ist die Feststellung, dass sich aus ihr kein Argument für die Annahme gewinnen lässt, Inkongruenzen seien nur ein Epiphänomen des Komischen. 212 213 214 215 216

Zur Fortsetzung der Abwägung dieser Einwände s. unten 1.4.3. Vgl. insb. Robert L. Latta, Humor Process und Tony Veale, „Incongruity in Humor“. Ebd., 420. Ebd. Ebd., 421.

Zum Potenzial der Inkongruenztheorie

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Sofern man nicht von einem ziemlich idiosynkratischen Inkongruenzkonzept ausgeht, kommt man kaum umhin, Veales Analyse ihrerseits als inkongruenztheoretische Interpretation des Textes zu verstehen; denn nach seiner Deutung ergibt sich der Witz des Beispieltextes aus der offenkundigen Spannung zwischen der üblichen und der vorliegenden Redeweise über Sexualpartner – also aus einer Inkongruenz.217 Damit entsprechende Überlegungen zu Beispieltexten und ihren Analysen Aussicht haben, auch die Fürsprecher der Thesen 1 und 2 zu überzeugen, sollten sie freilich mit einer Bestimmung des Inkongruenzbegriffs verbunden werden, wie sie in den nachfolgenden Teilen entwickelt werden soll. Auch den Thesen 3 und 4 kann letztlich nur vor dem Hintergrund einer differenzierten Explikation der Inkongruenztheorie und ihres Zentralkonzepts begegnet werden. Bereits an dieser Stelle scheinen allerdings ein paar Anmerkungen zum dritten Kritikpunkt – Inkongruenz ist zwar eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für Komik – sinnvoll zu sein. Bei dieser These handelt es sich strenggenommen nicht um einen Einwand gegen das Inkongruenzmodell, sondern um eine Aufforderung zu dessen Spezifizierung. Unter Vertretern der Inkongruenztheorie des Komischen wird mittlerweile fast ausnahmslos angenommen, dass nicht jede Inkongruenz als komisch einzustufen ist,218 dass man also – sofern man an der Grundidee des Modells festhalten will – 217

218

In ähnlicher Form lässt sich gegen die von Latta angeführten Beispiele für komische Texte argumentieren, vgl. insb. Robert L. Latta, Humor Process, Kap. 8. Wie sich im zweigliedrigen Untertitel von Lattas Monographie bereits andeutet – A Cognitive-Shift Theory and the Case against Incongruity –, handelt es sich bei ihr um den derzeit vermutlich umfassendsten Versuch einer Kritik des Inkongruenzmodells. Im vorliegenden Zusammenhang kann auf eine detaillierte Diskussion dieser Kritik verzichtet werden, da sie im Wesentlichen auf einer verengten Konzeption davon beruht, was Gegenstand und Leistung komiktheoretischer Reflexionen zu sein hat. Nach Latta besteht Komiktheorie in dem Versuch einer deskriptiv-empirischen Definition des Erlebnisses von Komik mit den Mitteln der Psychologie oder anderer Humanwissenschaften, vgl. etwa ebd., 11f. und 28–30. – Es sollte deutlich geworden sein, dass die vorliegende Untersuchung von einer grundlegend anderen metatheoretischen Positionen ausgeht, s. oben 1.2. Diese Überzeugung findet sich schon im 18. Jahrhundert, s. dazu unten 2; seit den frühen 1970er Jahren ist sie zur Standardsichtweise der Komikforschung geworden, vgl. dazu grundlegend Michael Clark, „Humour and Incongruity“, Thomas R. Shultz, „The Role of Incongruity“, Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model“, Rolf Arnold Müller, Komik und Satire, Zürich 1973 oder Haddad LaFave/W. A. Maesen, „Superiority, Enhanced Self-Esteem, and Perceived Incongruity Humour Theory“, in Humor and Laughter, 63–92. – Die in Rede stehende These geht mithin an den meisten inkongruenztheoretischen Publikationen zur Humorologie vorbei, so etwa bei Rolf Lohse, „Überlegungen“, Mark-Stefan Tietze, „Komische Kommunikation“ oder Tomas Kulka, „The Incongruity of Incongruity Theories of Humor“, in Organon F. Philosophical Journal 14:3 (2007), 320–333. – Eine Identifikation von Inkongruenz und Komik ist seit Koestlers The Act of Creation kaum mehr zu finden, als Varianten seiner Position lassen sich die Auffassungen verstehen, die in den Studien Göran Nerhardts oder Bruce F. Katz’ vertreten werden, vgl. Göran Nerhardt, „Humor and Inclinations of Humor. Emotional Reactions to Stimuli of Different Divergence from a Range of Expectancy“, in Scandinavian Journal of Psychology 11 (1970), 185–195 und „Operationalization of Incongruity in Humour Research: A Critique and Suggestions“, in It’s a Funny

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Zur Theorie literarischer Komik

eine bestimmte Spielart der Inkongruenz durch die Unterscheidung von anderen auszeichnen muss.219 Ausgehend von dieser Überzeugung sind von den Verteidigern der Inkongruenztheorie einige weitere notwendige Bedingungen vorgeschlagen worden, die sich zusammen mit der Anforderung der Inkongruenz zu einer hinreichenden Bestimmung des Komikbegriffs fügen sollen.220 Die Bedingungen, die teils gesondert, teils im Paket erwogen werden, seien kurz eingeführt und auf ihren Beitrag zu einer traditionell konzipierten Definition des Begriffs ‚Komik‘ hin überprüft. Die von den Anhängern des Inkongruenzmodells vermutlich am häufigsten in Anschlag gebrachte ergänzende Anforderung, ist die, dass eine Inkongruenz, um komisch zu sein, eine Auflösung haben muss. Die Grundidee dieser Einschätzung ist erstmals von Jerry M. Suls in seinem wirkungsmächtigen Beitrag „A Two-Stage Model for the Appreciation of Jokes“ erläutert worden, in dem es einleitend heißt: It is suggested here that a joke or a cartoon is found to be funny as the result of a two-stage process. In the first stage, the perceiver finds his expectations about the text disconfirmed by the ending of the joke or, in the case of a cartoon, his expectations about the picture disconfirmed by the caption. In other words, the recipient encounters an incongruity – the punch line. In the second stage, the perceiver engages in a form of problem solving to find a cognitive rule which makes the punch line follow from the main part of the joke and reconciles the incongruent parts.221

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Thing, 34–53, sowie Bruce F. Katz „Neural Resolution“. Eine eingehende Diskussion der bei Nerhardt und Katz vertretenen Position findet sich in Lambert Deckers, „On the Validity of a WeightJudgment Paradigm for the Study of Humor“, in Humor 6:1 (1993), 43–56. Einen anderen Weg beschreitet nur Michael Clark: Er begnügt sich, das Vorliegen einer Inkongruenz als notwendige Bedingung für Komik auszuweisen, und verzichtet auf eine Charakterisierung hinreichender Bedingungen, vgl. Michael Clark, „Humour and Incongruity“ und „Laughter and Structure“. – Ein solches Vorgehen, das sich mit der Formulierung partieller Definitionen zufrieden gibt, hat in den Debatten über das Wesen und die Bestimmung von Begriffen mittlerweile einige Popularität gewonnen, vgl. dazu vor allem Stephen Laurence/Eric Margolis, „Concepts“, 52– 59. – Als Weiterführung der Position Clarks lassen sich die Überlegungen Neil Schaeffers verstehen; er regt an, zwischen komischen und unkomischen Inkongruenzen unter Bezugnahme auf den Kontext zu unterscheiden: „laughter results from an incongruity presented in a ludicrous context“ (Neil Schaeffer, The Art, 17). Gegen dieses Vorgehen hat Jerry Farber eingewandt, es sei bloßes „patchwork“: „What we need is a humor theory where stipulations […] don’t have to be added on, because they follow logically from the theory itself“ (Jerry Farber, „Theoretical Framework“, 68). Eine entsprechende Kritik zeugt von einer unangemessenen Sichtweise des Zustandekommens und Aufbaus von Definitionen und Theorien. Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model“, 82. Zu einer zeitgleich vorgelegten empirischen Studie, die sich ‚incongruity-resolution‘-Aspekten bei der Komikrezeption widmet, vgl. Thomas R. Shultz, „The Role of Incongruity“. – Zu Varianten der Position von Suls und Shultz vgl. etwa Paul E. McGhee, „Cognitive Development and Children’s Comprehension of Humor“, in Child Development 42 (1971), 123–138 und Humour. Its Origin and Development, San Francisco, CA 1979, Mary K. Rothbart, „Incongruity“, M. K. R./Diana Pien, „Elephants and Marshmallows“ und „Incongruity Humour, Play, and Self-Regulation of Arousal in Young Children“, in Children’s Hu-

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Der Vorschlag von Suls verweist zu Recht darauf, dass Inkongruenztheorien, in denen die Auflösung von Inkongruenzen keine Beachtung finden, nicht als angemessene Modelle des Komischen gelten können. Er hilft jedoch bei der Suche nach einer überzeugenden Definition des Komikkonzepts aus zwei Gründen nur bedingt weiter: Zum einen lassen sich einschlägige Fälle von Inkongruenzen finden, die als komisch einzustufen sind, obwohl es für sie keine oder bloß die Auflösung gibt, dass sie sich nicht auflösen lassen.222 Zentrale Formen des Komischen, in denen Inkongruenzen ohne Auflösungen eine wichtige Rolle spielen, sind insbesondere der Nonsens oder der absurde Humor.223 Zum anderen gibt es offensichtlich zahlreiche Inkongruenzen, die aufgelöst werden können, ohne deshalb komisch zu sein. Beispiele für entsprechende Konstellationen lassen sich in großer Zahl ebenso in Alltagskontexten wie in bestimmten Gattungen der Literatur oder des Films finden, hier sind Inkongruenzen oftmals nicht lustig, sondern erschreckend oder bedrohlich.224 Durch die Bedingung der unmittelbaren Auflösbarkeit lassen sich komische Inkongruenzen von solchen abgrenzen, die nicht ohne Weiteres erklärt und insofern als rätselhafte Ungereimtheiten eingestuft werden können;225 die Anforderung vermag zu einer hinreichend distinkten Charakterisierung komischer Inkongruenzen jedoch allenfalls einen Beitrag zu leisten.226

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223 224

225 226

mour, hg. v. Paul E. McGhee u. Antony J. Chapman, Chichester u.a. 1980, 1–26, Frank W. Wicker et al., „Relationships among Affective and Cognitive Factors of Humor“, in Journal of Research in Personality 15 (1981), 359–370, Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „A Two-Stage Model of Humor Appreciation: Its Relation to Aesthetic Appreciation and Simplicity-Complexity of Personality“, in The Sense of Humor, 109–142 oder auch Dana L. Alden/Ashesh Mukherjee/Wayne D. Hoyer, „Extending the Contrast Resolution Model of Humor in Television Advertising: The Role of Surprise“, in Humor 13:2 (2000), 193–218. Im Sinne von Suls besteht in entsprechenden Fälle eine Auflösung in der Erkenntnis, dass es nicht möglich ist, eine kognitive Regel zu rekonstruieren, durch die sich die wahrgenommene Inkongruenz erklären lässt. Vgl. zum Zusammenhang auch Mary K. Rothbart, „Incongruity“, M. K. R./Diana Pien, „Elephants and Marshmallows“ und zuletzt Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“. Vgl. zu Nonsens und absurdem Humor vor allem Peter Köhler, Nonsens. Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung, Heidelberg 1989. Vgl. dazu die Betrachtungen zu Witzen und zum Zusammenhang von Horror und Humor in Noël Carroll, „On Jokes“ (1991), in N. C., Beyond Aesthetics. Philosophical Essays, Cambridge/New York 2001, 317–335 und „Horror and Humor“ (1999), in ebd., 235–254, sowie die Einlassungen zur Relation zwischen Komik und Angst in Gothic-Texten in Paul Lewis, Comic Effects, Kap. 4. Vgl. dazu Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model“, 85–91. Zu ‚incongruity-resolution‘-Prozessen in Komik und wissenschaftlichen Kontexten, vgl. zuletzt Tim De Mey, „Tales of the Unexpected“. Vgl. hierzu beispielsweise Tim R. Hillson/Rod A. Martin, „What’s so Funny about That? The Domains-Interaction Approach as a Model of Incongruity and Resolution in Humor“, in Motivation and Emotion 18:1 (1994), 1–29, 10 und Noël Carroll, „Humour“, 350f. – Dass ähnliche Theorien wie etwa das unter anderem von John Allen Paulos vertretene ‚surprise-disambiguation‘-Modell entsprechende Schwächen aufweisen, hat Graeme Ritchie in verschiedenen Vergleichsuntersuchungen gezeigt, vgl. J. A. P., Mathematics and Humor und G. R., „Developing the IncongruityResolution Theory“ und zuletzt „Variants of Incongruity Resolution“, in JLT 3:2 (2009), 313–332.

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Zur Theorie literarischer Komik

In Reaktion auf Beobachtungen dieser Art wird zur Spezifizierung des Inkongruenzmodells oftmals eine Bedingung in Erwägung gezogen, die so alt ist wie die Theorie des Komischen selbst, nämlich die Bedingung der Harmlosigkeit. Eine solche Anforderung an komische Gegenstände findet sich schon bei Platon und Aristoteles227 – dass sie sich jedoch nach wie vor einiger Popularität erfreut, machen grundlegende Beiträge zur kulturwissenschaftlichen Komikforschung wie etwa András Horns Untersuchung Das Komische im Spiegel der Literatur deutlich. Horn geht in seinen Betrachtungen von der aristotelischen Idee aus, dass sich das Lächerliche aus Fehlern oder Schwächen ergibt, die sich dann als harmlos einstufen lassen, wenn sie nicht mit Schmerz und Verderben verbunden sind: [W]orüber wir lachen sollen, muß überhaupt harmlos, unschädlich sein, nicht nur für uns, die außenstehenden Beobachter, sondern auch für jene, die vom fraglichen Fehler betroffen sein können […] und auch für den komischen Gegenstand, den zu verlachenden Menschen selber. […] Harmlosigkeit ist […] eine notwendige Bedingung des Komischen, das heißt: im gleichen 228 Maße, als der Eindruck der Harmlosigkeit schwindet, schwindet auch die Komik.

Im Rahmen seiner Beschäftigung mit der Schopenhauer’schen Komiktheorie erläutert Horn dann Aristoteles’ ‚harmlosen Fehler‘ näher als Konflikt mit verhaltensbezogenen Normvorstellungen und damit als Spezialfall einer ‚harmlosen Inkongruenz‘.229 Horns Ausführungen sind für eine Diskussion der Harmlosigkeitsbedingung unter anderem deshalb ein guter Ausgangspunkt, weil sie darauf hindeuten, dass das Kriterium recht unterschiedlich verstanden wird. Mit der Anforderung der Harmlosigkeit kann gemeint sein, dass von einem Gegenstand, der als komisch gelten soll, für seinen Betrachter keine Gefahr ausgehen darf; wenn es sich bei dem betreffenden Gegenstand um eine beobachtete Alltagssituation handelt, dann kann die Bedingung aber auch auf die These hinauslaufen, dass Komik mit dem Leid der beteiligten Personen unverträglich ist, ganz unabhängig davon, ob der Beobachter seinerseits gefährdet ist oder nicht; im Hinblick auf Texte und andere semiotische Objekte lässt sich die Forderung nach Harmlosigkeit in diesem Sinne als eine nach der Unversehrtheit der präsentierten realen oder fiktiven Akteure verstehen; mitunter geht es bei der Bezugnahme auf das Krite227

228

229

Vgl. etwa Platon, Philebos, 49b–d und Aristoteles, Poetik, 17. – Die derzeit einflussreichste Reformulierung der Harmlosigkeitsbedingung stammt von Bergson, der davon ausgeht, dass sich das Komische nur im Fall einer „anesthésie momentanée du coeur“ (Henri Bergson, Le rire, 11) einstellt. S. dazu unten 1.4.3. András Horn, Das Komische im Spiegel der Literatur. Versuch einer systematischen Einführung, Würzburg 1988, 42. Hervorhebung im Original. – Als weitere jüngere Beispiele für die Aufnahme einer Variante der Harmlosigkeitsbedingung in eine Inkongruenztheorie des Komischen vgl. John Morreall, Taking Laughter, 52–59 und Humor Works, 37–46, Vittorio Hösle, Woody Allen, 40– 42, Simon Critchley, On Humour, 87f., Helmut von Ahnen, Das Komische auf der Bühne. Versuch einer Systematik, München 2006, 7–14 oder Gudrun Sander-Pieper, Das Komische bei Plautus, Berlin/New York 2007, 56. András Horn, Das Komische, 92f.

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rium allerdings gar nicht um die konkreten gesundheitlichen Folgen von Ereignissen für Beteiligte oder Beobachter, sondern um ihre allgemeinen sozialen Auswirkungen; etc. Bei einer Abwägung der Relevanz der Harmlosigkeitsbedingung für eine KomikDefinition sollten, wie sich zeigen wird, solche und weitere Fälle auseinander gehalten werden. Die grundlegende Bedeutung, die der Anforderung der Harmlosigkeit von Horn und anderen Komiktheoretikern zugesprochen wird, kommt ihr offenkundig nicht zu. Es lassen sich in Alltagszusammenhängen ebenso wie in Literatur und Film zahlreiche einschlägige Fälle von Inkongruenzen finden, deren Komik nicht dadurch geschmälert wird, dass sie keineswegs harmlos sind.230 Mehr noch: Einige Formen des Komischen scheinen ihre Lustigkeit gerade ihrem Mangel an Harmlosigkeit zu verdanken – zu denken ist hier etwa an Genres wie die Satire, den schwarzen Humor, den Sick Humor, die Splatter-Comedy im Stile von From Dusk Till Dawn oder die Anarcho-Komik in der Nachfolge von Monty Python’s Flying Circus.231 In Fällen dieser Art bewährt sich die Konsequenz, die Robert Gernhardt aus der Beobachtung zieht, dass Witze letztlich von den „Grenzen des Erlaubten“ leben: „Je grenzverletzender, desto witziger“.232 Und dass Harmlosigkeit nicht nur kein notwendiges, sondern auch kein hinreichendes Kriterium für das Vorliegen inkongruenzbasierter Komik darstellt, zeigt bereits ein flüchtiger Blick auf einige harmlose Inkongruenzen. So lässt sich etwa zwischen dem Selbst und dem Selbstbild von Personen oder fiktiven Figuren nicht selten ein Missverhältnis feststellen, das trotz seiner Harmlosigkeit nicht als komisch einzustufen ist.233 Und ganz 230

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Vgl. zum Zusammenhang auch die empirische Studien Thomas R. Herzog/Meagan R. Anderson, „Joke Cruelty, Emotional Responsiveness, and Joke Appreciation“, in Humor 13 (2000), 333–351 und T. R. H. et al., „Joke Cruelty and Joke Appreciation Revisited“, in Humor 19:2 (2006), 139– 156. Vgl. zu dieser Auffassung mit zahlreichen Beispiele Dieter Lamping, „Ist Komik harmlos? Über Veränderungen der komischen Literatur seit dem 19. Jahrhundert“ (1994), in D. L., Literatur und Theorie. Poetologische Probleme der Moderne, Göttingen 1996, 86–99 sowie Alexander Brock, „Wissensmuster im humoristischen Diskurs. Ein Beitrag zur Inkongruenztheorie anhand von Monty Python’s Flying Circus“, in Scherzkommunikation. Beiträge zur empirischen Gesprächsforschung, hg. v. Helga Kotthoff, Opladen 1996, 21–28 und Blackadder. Vgl. zum Zusammenhang auch Peter Nusser, „Einleitung: Zur Phänomenologie des schwarzen Humors“, in P. N. (Hg.), Schwarzer Humor, Stuttgart 1987, 6–16, Alan Dundes, Cracking Jokes: Studies of Sick Humor Cycles and Stereotypes, Berkeley, CA 1987, Michael Hellenthal, Schwarzer Humor. Theorie und Definition, Essen 1989 oder Alan R. Pratt, Black Humor. Critical Essays, New York 1993. Robert Gernhardt, „Mutmaßungen über DDR-Komik“ (1983), in R. G., Was gibt’s denn da zu lachen?, 139–146, 145. Vgl. dazu auch Klaus Cäsar Zehrer, „,Ich als schwarze Deutsche bin empört…‘ Robert Gernhardts Komik und die Political Correctness“, in Robert Gernhardt, hg. v. Heinz Ludwig Arnold, München 1997 (Text + Kritik 136), 59–65. Vgl. hierzu mit Hinweisen auf weitere Literatur etwa Richard Holton, „What Is the Role of the Self in Self-Deception?“, in Proceedings of the Aristotelian Society 101:1 (2001), 53–69. Im Bereich der fiktionalen Literatur ist etwa auf unzuverlässige Erzähler zu verweisen, deren verzerrte Interpretation ihrer selbst oft harmlos, aber nicht komisch ist, vgl. dazu Tom Kindt, Unzuverlässiges Erzählen.

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Zur Theorie literarischer Komik

ähnlich beruhen Fälle indirekter Kommunikation auf ebenso ungefährlichen wie unkomischen Inkongruenzen zwischen Gesagtem und Gemeintem oder erwartbaren und tatsächlichen Gesprächsverläufen.234 Die skizzierten Überlegungen richten sich freilich nur gegen den Nutzen einer nicht weiter spezifizierten Harmlosigkeitsbedingung für eine Bestimmung des Komikbegriffs. Wenn man im Sinne der oben vorgestellten Modelle des Komischen nicht die Komikstimuli, sondern die response-Seite von Komik-Ereignissen betrachtet, gelangt man zu einem anderen Bild: Offenbar muss ein Gegenstand, damit sich gerechtfertigt sagen lässt, er sei komisch, zumindest für seinen Betrachter ungefährlich und also harmlos sein; sofern er bedrohlich erscheint, ist er nicht geeignet, belustigend zu wirken.235 „[W]e will not be amused“, so stellt Noël Carroll treffend fest, „if a gallumphing threehundred pound man is headed on a lethal collision course towards us“.236 Eine solche begrenzte Rehabilitierung der Harmlosigkeitsbedingung legt den Schluss nahe, dass sie im Kontext alltagspraktischer Komik zwar relevant ist, im Zusammenhang textueller und mithin auch literarischer Komik aber keine Bedeutung besitzt. So einfach liegen die Dinge jedoch nicht: Dass Inkongruenzen im umrissenen Sinne für ihre Rezipienten harmlos sein müssen, um komisch sein zu können, ist nicht ohne Konsequenz für die mögliche Gestaltung von Objekten und mithin auch Texten, die belustigend wirken sollen. Genauer gesagt, hängt die Disposition eines Textes, komisch zu wirken, nicht zuletzt von der Art und Weise ab, in der er zur Identifikation mit seinen Figuren einlädt.237 Im Fall von Figuren, die Gegenstand der Sympathie von Lesern sind, scheint Komik zumindest in gewisser Weise an Harmlosigkeit gebunden zu sein. So ist etwa das offenkundig inkongruente Verhalten des Vaters in Franz Kafkas Erzählung „Das Urteil“ nicht geeignet, komisch zu erscheinen; denn es hat für Georg Bendemann und damit für die Identifikationsfigur des Textes weit reichende Folgen, die sich schwerlich als harmlos einstufen lassen.238

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Vgl. dazu etwa Gisela Harras, „Auf dem Weg zu einer einheitlichen Theorie der Indirektheit des Sprechens“, in Rhetorik – Figuration und Performanz, hg. v. Jürgen Fohrmann, Stuttgart/Weimar 2004, 219–245 und Andreas Böhn, „Thesen zum Verhältnis von Indirektheit und Komik“, in Von der Intentionalität zur Bedeutung konventionalisierter Zeichen. Festschrift für Gisela Harras zum 65. Geburtstag, hg. v. Kristel Proost u. Edeltraud Winkler, Tübingen 2006, 219–225. Vgl. hierzu aus entwicklungspsychologischer Perspektive insbes. Mary K. Rothbarth, „Incongruity“ und L. Alan Sroufe/Everett Waters, „The Ontogenesis of Smiling“. Zu einer evolutionsbiologischen Fundierung s. oben 1.3.1. Noël Carroll, „Humour“, 349. Vgl. zu einem entsprechenden Beispiel John Morreall, „Humor and Work“, in Humor 4:3/4 (1991), 359–373, 364. Zur Empathie, Sympathie und Identifikation mit Figuren in Texten und Filmen vgl. umfassend – mit Hinweisen und Stellungnahmen zu den historischen und aktuellen Positionen der Forschung Jens Eder, Die Figur im Film. Grundlagen der Figurenanalyse, Marburg 2008, Kap. 12 u. 13. Vgl. Franz Kafka, „Das Urteil“ (1912), in F. K., Drucke zu Lebzeiten, hg. v. Wolf Kittler, HansGerd Koch u. Gerhard Neumann, Frankfurt a.M. 1994, 41–61. S. dazu genauer unten 1.4.3.

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Ausgehend von dieser Beobachtung bietet sich zugleich eine plausible Reinterpretation der oben genannten Formen nicht-harmloser Komik an: In den erwähnten und ähnlichen Fällen werden zwar Ereignisse präsentiert, die nicht harmlos sind; die Darbietung erfolgt dabei aber in einer Form oder in einem Zusammenhang, dass sich das betreffende Geschehen so rezipieren lässt, als sei es harmlos.239 Carroll fasst die Verfahren, durch die eine entsprechende Rezeption nahe gelegt werden kann, wie folgt zusammen: Invented humour deploys various external and internal conventions in order to assure that its incongruities will not be anxiety-producing. The incongruity is generally introduced as nonthreatening by conventional signals […] that herald a joking situation, which type of situation, in turn, is marked by custom as an arena for playfulness. Indeed, these conventional markers not only announce that the participants should not feel threatened themselves, but also call for a kind of comic distance […] that relieves us of worries and anxieties about what is happening to the beings that inhabit the joke worlds and other fictional envirements of invented humor. […] And, of course, […] comic distance or comic anaesthetics is not merely a function of conventions external to the humour in question. Jokes, slapstick, and the like are also internally structured in a way that supports bracketing anxiety be refraining from dwelling upon or calling attention to the consequences – physical, moral, or psychological – of harms that befall comic characters.240

Es ist auf Überlegungen dieser Art zurückzuführen, dass in der Komiktheorie, vor allem aber in der Komödienforschung, oft von der Annahme ausgegangen wird, dass das Komische notwendigerweise harmlos sei.241 Wie gesehen, ist die These in dieser Allgemeinheit nicht zu halten – den Beobachtungen, die ihr zugrunde liegen, sollte eine anspruchsvollere komiktheoretische Position aber zweifellos Rechnung tragen.242 Neben Anforderungen wie denen der Auflösbarkeit und Harmlosigkeit werden oft auch Bedingungen wie die der Plötzlichkeit oder der Anschaulichkeit als notwendige Kriterien des Komischen und mithin als Vorschläge zur Komplettierung des inkongruenztheoretischen Komikmodells in Erwägung gezogen.243 Mit Blick auf beide Bedin239

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S. dazu unten 1.4.3. – Vgl. zu diesem Vorschlag einer Reinterpretation auch Dieter Lamping, „Ist Komik harmlos?“, 89f.; da er nicht hinreichend zwischen den Strukturen des Komischen und den Funktionen seiner Nutzung unterscheidet, lehnt er allerdings nicht allein die gegenstandsbezogene, sondern auch die darstellungsbezogene Formulierung der Harmlosigkeitsbedingung ab, ebd., 90– 92. Noël Carroll, „Humour“, 350. Vgl. zur Lustspielforschung zuletzt – mit Hinweisen auf weitere Literatur – Georg-Michael Schulz, Einführung in die deutsche Komödie. Darmstadt 2007. S. dazu unten 1.4.3. Vgl. zu beiden Bedingungen und der Geschichte ihrer Diskussion in der Komiktheorie András Horn, Das Komische, 146–152 und zur Wirkung der Horn’schen Position etwa Ruth Petzoldt, Albernheit mit Hintersinn. Intertextuelle Spiele in Ludwig Tiecks romantischen Komödien, Würzburg 2000 oder Clara Ervedosa, „Vor den Kopf stoßen“. Das Komische als Schock im Werk Thomas Bernhards, Bielefeld 2008. – Dass Überraschung wesentliches Element bestimmter Formen

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gungen kann hier auf eine eingehende Diskussion verzichtet werden, da sich leicht gewichtige Beispiele für Komik und insbesondere textuelle Komik finden lassen, die den Anforderungen nicht genügen. Viele Abschnitte in Romanen von Thomas Mann etwa sind komisch, ohne dass sich erkennen ließe, inwiefern ihnen zugleich das Charakteristikum der Plötzlichkeit zukommen sollte.244 Und zahlreiche Witze, wie beispielsweise der von Veale angeführte über den Mann, dessen Liebesleben sich in dem Haus mit der Nummer 74 abspielt, lassen sich in keinem spezifischen Sinn als anschaulich charakterisieren – sie können, anders gesagt, so anschaulich oder unanschaulich sein wie jeder andere unkomische Text.245 Zudem kann, wie das Carroll-Zitat deutlich gemacht haben sollte, Anschaulichkeit der Komik eines Textes auch im Weg stehen.246 Die These, Komik habe stets etwas Plötzliches, liegt nur dann nahe, wenn die Auseinandersetzung mit dem Komischen und die mit dem Lachen nicht in der oben empfohlenen Form auseinander gehalten werden.247 Und die Erwägung des Kriteriums der Anschaulichkeit hängt offenbar mit dem recht orthodoxen Festhalten an der Variante der Inkongruenztheorie zusammen, die Schopenhauer vor dem Hintergrund der idealistischen Epistemologie entwickelt.248 Dass die Inkongruenztheorie auf die Frage nach den hinreichenden Bedingungen für Komik bislang keine überzeugende Antwort gegeben hat, liegt freilich nicht zuletzt daran, dass die notwendige Bedingung ihrerseits noch nicht angemessen klar gefasst worden ist. Wie schon oft zu Recht hervorgehoben und beanstandet wurde, ist „Inkongruenz“ ein schillernder Begriff, der schon in der Humorologie sehr unterschiedlich verwendet und bestimmt wird.249 Eine Idee des breiten Spektrums der Begriffsdeutungen gibt Jerrold Levinson in der folgenden Bemerkung: „Incongruity […] has been variously interpreted, and ranges from logical impossibility or paradoxicality, through absurdity and irrelevance, to unexpectedness and unaccustomedness, to general inap-

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des Komischen ist, zeigt überzeugend etwa Rachel Giora, „On the Cognitive Aspects of the Joke“, in JoP 16 (1991), 465–485. Umgekehrt gibt es offenkundig viele Inkongruenzen, die sich als plötzlich, nicht aber als komisch einstufen lassen – zu denken ist etwa an Metaphern in der Lyrik, vgl. Neil Schaeffer, The Art, 11f. Eine Form von Witz, die sich durch große Unanschaulichkeit auszeichnet, ist etwa der ‚Mathematik-Scherz‘. Wie Witze dieser Gattung gebaut sind, macht der folgende Scherz anschaulich: „Treffen sich ein Operator und eine Funktion. Sagt der Operator: ‚Lass mich vorbei, oder ich leite dich ab!‘ Sagt die Funktion: ‚Mach doch, mach doch… Ich bin die Funktion ex‘“ . S. dazu im Einzelnen unten 1.4.3. S. oben 1.2.2. Das macht sich etwa in Morrealls Theorie bemerkbar, in der die Bedeutung von ‚suddenness‘ für Fälle von ‚humorous laughter‘ deulich überschätzt werden, vgl. John Morreall, Taking Laughter, 48–50 oder „Humor as Cognitive Play“, 251–255. Vgl. als Beispiel Andras Horn, Das Komische. Vgl. hierzu allgemein John Allen Paulos, Mathematics and Humor, Noël Carroll, „Horror and Humor“ und „Humour“, kritisch Robert L. Latta, Humor Process und konstruktiv Graeme Ritchie, „Developing the Incongruity-Resolution Theory“.

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propriateness.“250 Eine Entgegnung auf These 4 – Inkongruenz ist ein vages und mithin uninformatives Konzept – setzt ebenso wie eine weiter gehende Auseinandersetzung mit These 3 – Inkongruenz ist keine hinreichende Bedingung für Komik – die Einführung eines konkreten inkongruenztheoretischen Modells voraus. Diesem Zweck soll der folgende Abschnitt dienen; in ihm wird durch die Vorstellung einer aktuellen linguistischen Explikation der Inkongruenztheorie des Komischen einerseits deren Verteidigung abgeschlossen und andererseits der Entwurf eines Modells literarischer Komik vorbereitet.

1.4.2 Auf dem Weg zu einer Theorie textueller Komik 1: ,General Theory of Verbal Humor‘ Reconstructed Grundlage des angestrebten Modells ist die Theorie sprachlichen Humors, die Viktor Raskin in den 1980er Jahren als ‚Semantic Script Theory of Humor‘ (SSTH) entwickelt und gemeinsam mit Salvatore Attardo und anderen in der Folgezeit zur ‚General Theory of Verbal Humor‘ (GTVH) ausgebaut hat.251 Bei der GTVH handelt es sich nicht allein um eine differenzierte Erläuterung des inkongruenztheoretischen Komikverständnisses;252 sie kann zugleich als der derzeit theoretisch am weitesten elaborierte und empirisch am besten erprobte Vorschlag zur Modellierung sprachlicher Komik gelten.253 250 251

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Jerrold Levinson, „The Concept of Humor“, 391. Vgl. grundlegend Victor Raskin, Semantic Mechanisms, Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“ sowie Salvatore Attardo, „The Semantic Foundations of Cognitive Theories of Humor“, in Humor 10:4 (1997), 395–420, Humorous Texts und „A Primer“. Zur Einordnung der SSTH und der GTVH als Inkongruenztheorien sprachlichen Humors, vgl. Salvatore Attardo, „The Semantic Foundations“, 398–340, Humorous Texts, 25, „Cognitive Stylistics of Humorous Texts“, in Cognitive Stylistics. Language and Cognition in Text Analysis, hg. v. Elena Semino u. Jonathan Culpeper, Amsterdam/Philadelphia 2002, 231–250, 232 und „Cognitive Linguistics and Humor“, 357 sowie Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 3f. Zur Problematisierung einer solchen Einordnung vgl. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 39 und „Afterword“, in Humor 17:4 (2004), 429– 436, 431, Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“, 330f., Salvatore Attardo, Linguistic Theories of Humor, Berlin/New York 1994, 332f. sowie Alessio Aymone/Victor Raskin, „Interview“, 218f. Zur theoretischen Weiterführung und empirischen Überprüfung der GTVH vgl. etwa Willibald Ruch/Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Toward an Empirical Verification of the General Theory of Verbal Humor“, in Humor 6:2 (1992), 123–136, Salvatore Attardo et al., „The Linear Organization of Jokes: Analysis of Two Thousand Texts“, in Humor 7:1 (1994), 27–54, Argiris Archakis/Villy Tsakona, „Analyzing Conversational Data in GTVH Terms: A New Approach to the Issue of Identity Construction via Humor“, in Humor 18:1 (2005), 48–61, Christian F. Hempelmann, „Script Opposition and Logical Mechanism“ oder Christian F. Hempelmann/Willibald Ruch, „3 WD Meets GTVH“. – Auf die maßgeblichen Konkurrenzmodelle zum verbalen Humor wird hier und im Weiteren allenfalls in den Fußnoten eingegangen. Dabei sind insbesondere drei Richtungen hervorzuheben: Erstens die pragmatisch-konversationsanalytische Komiktheorie (vgl.

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Zur Theorie literarischer Komik

Aufgrund ihrer nun im Einzelnen zu charakterisierenden Konzeption ist die Theorie von Raskin und Attardo überdies ein idealer Ausgangspunkt für Überlegungen zum Komischen in der Literatur, denen es um die Rekonstruktion textueller Wirkungsdispositionen zu tun ist.254 Die folgende Vorstellung soll von einer kritischen Diskussion des Ansatzes weitgehend absehen, eine entsprechende Auseinandersetzung wird anschließend im Kontext der Erprobung des Modells bei der Betrachtung literarischer Texte nachgeholt.255 Die GTVH ist eine linguistische Theorie in der Nachfolge von Noam Chomskys generativer Transformationsgrammatik. Wie Chomsky geht es auch Raskin und Attardo um ein formales Modell eines Teils der Kompetenzen, die der verbalen Performanz von Sprechern zugrunde liegen; anders als er streben sie jedoch kein Modell der Fähigkeit an, die Grammatikalität von Sätzen zu bewerten, sondern eines der Fertigkeit, die Lustigkeit von Texten zu beurteilen: „The ability of the native speaker to pass judgements as to the funniness of a text is also part of his competence and, therefore, a formal lingustic theory is possible which models the native speaker’s competence in this particular respect.“256 Die Grundidee des Modells, das Raskin und Attardo entwickeln, um diese Kompetenz abzubilden, ist von erstaunlicher Einfachheit – sie besteht in einer These über die zwei notwendigen und zusammen hinreichenden Bedingungen, die ein Text erfüllen muss, um als „komisch“ eingestuft zu werden: „[I]f a text is compatible fully or in part with two scripts, and the two scripts happen to be opposed to each other, then, and only then, will the text be classified as ‚funny‘.“257

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exemplarisch Helga Kotthoff, Spaß verstehen. Zur Pragmatik konversationellen Humors, Tübingen 1998 oder Alexander Brock, Blackadder), zweitens die kognitionslinguistische Humorologie (vgl. etwa Geert Brône/Kurt Feyaerts, „The Cognitive Linguistics of Incongruity Resolution“ und „Assessing the SSTH and GTVH: A View from Cognitive Linguistics“, in Humor 17:4 (2004), 361–372) und drittens die computerlingustistischen Humor Studies (vgl. beispielsweise Graeme Ritchie, „Computational Humor“ und Rada Mihalcea/Stephen Pulman, „Characterizing Humour“). Vgl. zu diesen Positionen aus Sicht der GTVH Salvatore Attardo, „Cognitive Linguistics“ sowie Christian F. Hempelmann, „Computational Humor: Beyond the Pun?“ und „Recent Revisions in Linguistic Humor Theory“, in Humor 21:4 (2008), 455–481. S. dazu oben 1.2.2. Zu einer differenzierten und kritischen Diskussion der GTVH vgl. Arvo Krikmann, „Contemporary Linguistic Theories of Humour“, in Folklore: Electronic Journal of Folklore 33 (2007), 27–57. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 51. Im Original gefettet. Salvatore Attardo, Linguistic Theories, 205. – Die für die GTVH grundlegende Idee, dass verbale Komik nicht im Modus von bona fide-, sondern in dem von non-bona fide-Kommunikation stattfindet, hat in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten für umfangreiche Diskussionen gesorgt. Von einer Fortsetzung der Debatten kann hier abgesehen werden, da es sich bei literarischer Kommunikation zumeist um non-bona fide-Kommunikation handelt. Vgl. zum Zusammenhang etwa Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 100–104 und Alessio Aymone/Victor Raskin, „Interview“, 220f., Helga Kotthoff, Spaß verstehen, 53f. sowie John Morreall, „Verbal Humor without Switching Scripts and without Non-Bona Fide Communication“, in Humor 17:4 (2004), 393–400, 394–396. Zu einer deutlichen Differenzierung und leichten Modifikation der GTVH-Position vgl. Salvatore Attardo, Linguistic Theories.

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Um den Vorschlag von Raskin und Attardo sinnvoll beurteilen und ihn als Ausgangspunkt für den Entwurf eines eigenen Modells literarischer Komik nutzen zu können, scheint es geboten, sich zunächst zu vergegenwärtigen, welchen Status er hat und wie seine zentralen Elemente zu verstehen sind. Die erste dieser Fragen ist leicht zu beantworten: Die mittlerweile in einer Reihe von Varianten vorliegende Bestimmung soll nach Raskin und Attardo vorderhand nicht als Definition, sondern als empirische Hypothese gefasst werden.258 Sofern sich also ein Text finden ließe, der beiden Bedingungen genügt, ohne komisch zu sein, oder einer, der mindestens eine der beiden Anforderungen nicht erfüllt, aber komisch ist, würde dies für den Ansatz ein recht grundlegendes Problem darstellen.259 Die Antwort auf die zweite Frage ist aufwendiger, selbst wenn man sich darauf beschränkt, nur zwei Aspekte der Bestimmung näher zu erläutern, und zwar die Begriffe „script“ und „opposition“260: Die Verwendung des scriptKonzepts bei Raskin und Attardo knüpft an Vorschläge der Kognitionswissenschaften und der KI-Forschung an, den zunächst in der Psychologie verbreiteten Terminus als Bezeichnung für strukturierte Mengen von Informationen über spezifische Gegenstände zu nutzen.261 Konkret werden scripts dabei in der Regel als Einheiten von konzeptbezogenen Informationen modelliert, die unter dem Namen des jeweiligen scripts in sogenannte slots gegliedert sind; diese slots enthalten Angaben zu Aspekten, die im Hinblick auf das fokussierte Konzept elementar sind. Das wohl bekannteste Beispiel für ein script im umrissenen Sinne ist das ‚Restaurant-script‘, das auf einen frühen, sehr einflussreichen Beitrag von Roger Schank zurückgeht: Das script setzt sich zusammen aus den zentralen Ereignissen eines musterhaften Restaurantbesuchs in ihrer typischen Abfolge, von der Platzsuche über die Wahl und das Verzehren des Essens bis zum Bezahlen.262 Die Kommunikation und kognitive Orientierung von Menschen sei, so die These der Anhänger des Konzepts, schlicht unverständlich ohne die Annahme internalisierter Repräsentation entsprechender Informationscluster. 258

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Zur ersten Annäherung an den Vorschlag vgl. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 99, wobei es hier noch darum geht, die Bedingungen anzugeben, unter denen ein Text als „single-joke-carrying“ einzustufen ist (also nicht die, unter denen er als „funny“ gilt). In Salvatore Attardos Humorous Texts ist in der These bemerkenswerterweise wieder von „single-joke-carrying text“ die Rede. Vgl. dazu auch Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“, 328, Salvatore Attardo, Linguistic Theories, 205 und Victor Raskin, „Afterword“, 433. Allerdings wird in diesen und entsprechenden Passagen zwar der Idee der Falsifikation das Wort geredet, eine orthodox Popper’sche Sicht der Evaluation von Theorien aber zugleich in Frage gestellt. Seit Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“ wird in der GTVH nicht mehr von „oppositeness“, sondern schlicht von „opposition“ gesprochen. Vgl. zu einer eingehenden Auseinandersetzung mit dem Begriff Salvatore Attardo, Humorous Texts, 2–8. Vgl. dazu grundlegend Roger C. Schank, Conceptual Information Processing, New York 1975 und Roger C. Schank/Robert Abelson, Scripts, Plans, Goals, and Understanding, Hillsdale, NJ 1977.

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Der script-Begriff der GTVH schließt nun zwar grundsätzlich an das vorherrschende Verständnis des Konzepts an, er weicht zugleich aber in zwei Punkten leicht von ihm ab.263 Er unterscheidet sich zum einen dadurch vom gegenwärtig dominierenden scriptVerständnis in den Kognitions- und Kulturwissenschaften, dass er als Bezeichnung für recht unterschiedliche Typen von strukturierten Informationsmengen fungiert.264 Während unter scripts in der Regel standardisierte Ereignisabfolgen verstanden werden, steht der Begriff bei Raskin und Attardo ebenso für allgemeine kulturelle Regelmäßigkeiten wie den typischen Ablauf von Handlungen oder auch die lexikalische Bedeutung von Ausdrücken.265 Das Verständnis des Begriffs, das der GTVH zugrunde liegt, hebt sich zum anderen auch darin von der vorherrschenden Konzeptualisierung ab, dass es die Aktualisierung spezifischer scripts in der Kommunikation sehr eng an die Verwendung bestimmter Wörter bindet. Bei Raskin heißt es in diesem Sinne: „The script is a large chunk of semantic information surrounding the word or evoked by it.“266 In jüngeren Publikationen sind die Vertreter der GTVH von dieser Auffassung allerdings nach und nach abgerückt: Sie heben nun zum einen hervor, dass es neben semantischen scripts auch etwa phonologische, morphologische oder syntaktische gebe, und sie weisen zum anderen darauf hin, dass für semantische scripts zwar zumeist, aber nicht notwendig ein ‚lexematic handle‘ vorhanden sei – ausgehend von dieser Beobachtung unterscheidet die GTVH nun unter anderem zwischen lexikalischen und inferenziellen semantischen scripts.267 Sofern man sich über den genauen Zuschnitt des script-Begriffs der GTVH Klarheit zu schaffen versucht, sieht man bald, dass er für den opposition-Begriff, der in der Komik-Bestimmung von Raskin und Attardo auftaucht, folgenreich ist. Da scripts recht unterschiedlich aussehen können, liegt auf der Hand, dass das opposition-Konzept der GTVH recht weit bestimmt ist und nicht nur Antonymieverhältnisse umfasst, wie sie zwischen Wörtern vorzuliegen vermögen, oder Kontradiktionsverhältnisse, wie sie zwischen Sätzen bestehen können. Als Erläuterung für das opposition-Konzept hat Raskin in seinen Semantic Mechanisms of Humor zunächst den Begriff der sogenannten ‚lokalen Antonyme‘ eingeführt: „two linguistic entities whose meanings are opposite only within a particular discourse and solely for the purposes of this discourse“.268 Da mit 263 264

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Vgl. auch Helga Kotthoff, Spaß verstehen, 48–50. Gemeinhin wird der Begriff eher als eines von verschiedenen Hyponymen des „Schema“-Konzepts gebraucht, in diesem Sinne ist oft von ‚scripts‘ und ‚frames‘ als unterschiedlichen kognitiven Schemata die Rede, vgl. dazu am Beispiel der Humorologie Rod A. Martin, The Psychology of Humor, 85–92. Im deutschen Sprachraum wird alternativ der Terminus ‚Wissensmuster‘ genutzt, vgl. etwa Alexander Brock, „Wissensmuster im humoristischen Diskurs“. Vgl. Salvatore Attardo, Humorous Texts, 3. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 81. Vgl. etwa Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 20f. oder Christian F. Hempelmann, „Script Opposition and Logical Mechanism“, 383f. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 108.

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diesem Vorschlag die GTVH-Definition des komischen Textes jedoch der Zirkularität zum Opfer fällt,269 hat Attardo in verschiedenen Beiträgen die seither maßgebliche Idee entwickelt, Oppositionen als Wertdifferenzen von zwei scripts auf einer semantischen Skala aufzufassen, die sich auf der Basis eines begrifflichen tertium comparationis ergibt.270 Während die von der GTVH betrachteten script-Oppositionen formal äußerst variabel ausfallen können, bewegt sich ihre mögliche inhaltliche Ausgestaltung nach Raskin und Attardo in recht engen Bahnen: Erstens liege jedem komikkonstitutiven script-Konflikt in einem Text die Opposition zwischen einer ‚realen‘ und einer ‚nichtrealen Situation‘ zugrunde, wobei diese in drei Varianten auftreten könne – als Opposition zwischen einer ‚existierenden‘ und einer ‚nicht-existierenden Situation‘, zwischen einer ‚normalen‘ und einer ‚nicht-normalen Situation‘ oder einer ‚möglichen‘ und einer ‚unmöglichen Situation‘.271 Zweitens handle es sich bei vielen textuellen script-Gegensätzen um Variationen auf binäre Oppositionen von gleichsam anthropologischer Tragweite, wie etwa ‚wahr vs. falsch‘, ‚gut vs. schlecht‘, ‚lebendig vs. tot‘, o.ä.272 – Zur Veranschaulichung der umrissenen Idee komikkonstitutiver script-Opposition sei der Witz angeführt, den die Vertreter der GTVH oft zur Verdeutlichung ihrer Überlegungen betrachten, der sogenannte ‚Docotor’s Wife Joke‘: „Is the doctor at home?“ the patient asked in his bronchial whisper. „No“, the doctor’s young and pretty wife whispered in reply. „Come right in“.273

Im Sinne der GTVH-Bestimmung des komischen Textes ruft der Witz teils nach-, teils nebeneinander zwei scripts auf, zwischen denen ein opposition-Verhältnis besteht: Der Textbeginn ist mit dem Arztbesuch-script verträglich, das Textende mit dem Liebhaberscript, die beiden scripts stehen miteinander im Konflikt, weil sie auf der semantischen Skala zwischen den Polen ‚Sex vs. kein Sex‘ deutlich voneinander abweichend zu verorten sind.274 Wie schon die SSTH versteht die GTVH sprachlichen Humor als Resultat von scriptKonflikten in Texten; anders als jene beansprucht sie jedoch, eine nicht allein semantische, sondern allgemein linguistische Theorie verbaler Komik zu sein, und versucht 269

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Denn: Einerseits soll Komik über script-Oppositionen bestimmt werden, anderseits soll, ob eine script-Opposition vorliegt, über den kommunikativen Kontext zu bestimmen sein und das heißt über dessen komische oder unkomische Orientierung. Vgl. dazu Salvatore Attardo, „The Semantic Foundations“, 400 und Humorous Texts, 18f. Vgl. Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“, 308. Hier werden Raskins – noch etwas umständliche – ursprüngliche Überlegungen zu den Verhältnissen zwischen scripts in Witzen bündig zusammengefasst, vgl. insbes. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 108–113. Zu einer weiteren Explikation der Varianten von Situationsoppositionen vgl. Christian F. Hempelmann/Willibald Ruch, „3 WD Meets GTVH“, 361–365. Vgl. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 113f. Ebd., 100. Vgl. auch Salvatore Attardo, Humorous Texts, 21f. Die Wendung „pretty wife whispered“ ist dabei mit Raskin als ‚script-switch trigger‘ zu verstehen, als das textelle Element, durch das die Reinterpretation des Witzes eingeleitet wird, vgl. dazu Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 114–117.

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deshalb, neben script-Oppositionen weitere Aspekte der Kommunikation komischer Texte einzubeziehen. Ein umfassendes Modell sprachlichen Humors sollte nach Raskin und Attardo die folgenden sechs Parameter komischer Texten beachten: (1) die vorhandenen script-Oppositionen; (2) die verwendete Sprache; (3) das vordringliche Angriffsziel, das heißt, die Position, Person oder Personengruppe, gegen die sich ein komischer Text richtet; (4) die zugrunde liegende Situation, das heißt, die Konstellation von Handlungen, Akteuren, Objekten, etc., auf die sich ein komischer Text bezieht; (5) die verfolgte narrative Strategie, das heißt, das Genre, dem ein komischer Text zuzurechnen ist; und (6) die ausgenutzten logischen Mechanismen, das heißt, die systematischen Relationen, die zwischen den oppositionellen scripts und deren Elementen bestehen.275 Bei den sechs Parametern, die in der GTVH als ‚knowledge resources‘ bezeichnet werden, handelt es sich um die Aspekte, in denen komische Texte voneinander abweichen können.276 Das bedeutet natürlich nicht, dass die verschiedenen ‚knowledge resources‘ für sprachliche Komik alle gleichermaßen grundlegend sind. Der Aspekt, dem die Vertreter der GTVH neben den script-Konflikten das größte Gewicht zumessen und mithin auch die meiste Beachtung schenken, sind die logischen Mechanismen, das heißt die verschiedenen Verfahren, die im Einzelfall genutzt werden, um eine semantische Opposition in einem Text aufzulösen.277 Der begonnenen Erweiterung des Modells in diesem Sinne liegt zwar die Überzeugung zugrunde, dass die Auflösbarkeit von scriptKonflikten für textuelle Komik prinzipiell keine notwendige Bedingung darstellt; zugleich nehmen die Vertreter der GTVH aber an, dass logische Mechanismen mit Blick auf die überwiegende Zahl komischer Texte zentrale Relevanz besitzen.278 Einen ersten 275 276

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Vgl. vor allem Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“, 297–309 und Salvatore Attardo, Humorous Texts, 22–27. Aus diesem Grund fassen Christian F. Hempelmann und Willibald Ruch die Ausrichtung der GTVH wie folgt zusammen: „The GTVH at large […] is a joke representation model intended to distinguish variants and invariants of jokes as the most representative subset of verbal humor“, Christian F. Hempelmann/Willibald Ruch, „3 WD Meets GTVH“, 355. Zugleich sind die logischen Mechanismen die umstrittenste ‚knowledge resource‘. Christie Davies, ein Komiksoziologe in der GTVH-Tradition, fordert etwa: „It is time to discard logical mechanism (LM) from the General Theory of Verbal Humor because it is a variable that does nothing for the theory“ (C. D., „Victor Raskin on Jokes“, in Humor 17:4 [2004], 373–380, 379). Und Raskin selbst hat die Auflösungsfrage 2007 als ein im Rahmen einer linguistischen Theorie nicht zu lösendes psychologisches Problem charakterisiert, Alessio Aymone/Victor Raskin, „Interview“, 219. Vgl. dazu bereits Victor Raskin, „Afterword“, 430. – Fortgeführt wird die Debatte – unter Beteiligung von Salvatore Attardo, Christian F. Hempelmann, Christie Davies und Elliott Oring – in Humor 24:2 (2011) mit dem Themenschwerpunkt „The General Theory of Verbal Humor, Twenty Years After“; die einzelnen Texte des Heftes konnten im Zusammenhang der vorliegenden Studie nicht mehr berücksichtigt werden. Vgl. Salvatore Attardo, Humorous Texts, 25 und Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 25f. – Zu einer empirischen Studie zum Zusammenhang zwischen Inkongruenzauflösung und Komikbeurteilung vgl. Andrea C. Samson,

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differenzierten Überblick über die Formen von inferenziellen Verfahren, die bei der Erklärung von script-Oppositionen zum Einsatz kommen, haben Salvatore Attardo, Christian F. Hempelmann und Sara Di Maio in einem Beitrag von 2002 gegeben – sie liefern eine offene Liste mit den derzeit bekannten logischen Mechanismen: vom Rollentausch und der Figur-Grund-Umkehrung über den Parallelismus und den Chiasmus bis zu Varianten von Schlussfehlern, wie etwa im Fall von Über- oder Untertreibungen, und Formen des Ebenenwechsels, wie beispielsweise im Fall von Metahumor oder sogenannten ‚Garden Path‘-Strukturen.279 Durch die Rekonstruktion der verschiedenen logischen Mechanismen, die lustigen Texten zugrunde liegen, stellt sich die GTVH nun ganz explizit in die Tradition der ‚Incongruity-Resolution‘-Modelle des Komischen.280 Im Hinblick auf die Überlegungen zur konkreten Ausgestaltung dieser Position sollte allerdings ein markanter Unterschied zwischen den vorliegenden Theorien und der von Raskin und Attardo nicht übersehen werden: Während in den Ansätzen bislang ein mehr oder weniger differenziertes Bild komischer Ungereimtheiten, aber ein simples ihrer Auflösung gezeichnet wird, ist es in der erweiterten GTVH genau umgekehrt – sie geht von einem vergleichsweise einfachen Typ der Inkongruenz aus und unterscheidet zahlreiche Varianten seiner logischen Interpretation. Auf die Folgen dieser Differenz wird im Weiteren noch genauer einzugehen sein. Neben die Differenzierung des Ansatzes über die Identifikation und Explikation von ‚knowledge resources‘ sind in den letzten Jahren verstärkt Versuche getreten, die GTVH zu einem Modell auszubauen, das nicht nur für die Betrachtung kurzer Witztexte geeignet ist, sondern auch eine Untersuchung längerer komischer Erzähltexte anzuleiten vermag.281 Als wichtigste, wenngleich noch vorläufige Ergebnisse der entsprechenden Anstrengungen sind mit Attardo282 die folgenden drei Vorschläge anzusehen:

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Cognitive and Neural Humor Processing: The Influence of Structural Stimulus Properties and Theory of Mind, Fribourg 2008 und Andrea C. Samson et al., „Neural Substrates“. Vgl. Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 18. Vgl. dazu auch John C. Paolillo, „Gary Larson’s Far Side: Nonsense? Nonsense!“, in Humor 11:3 (1998), 261–290. Vgl. Salvatore Attardo, „Cognitive Stylistics“, 233. – S. dazu auch oben 1.4.1 und unten 1.4.3. Vgl. dazu neben Salvatore Attardo, Humorous Texts und Christian F. Hempelmann, Incongruity and Resolution die weiterführenden Überlegungen in Christopher Holcomb, „Nodal Humor in Comic Narrative: A Semantic Analysis of Two Stories by Twain and Woodhouse“, in Humor 5:3 (1992), 233–250, Wladyslaw Chlopicki, „An Approach to the Analysis of Verbal Humor in Short Stories“, in Humor 10:3 (1997), 333–347 und „Humorous and Non-Humorous Stories: Are There Differences in Frame-Based Reception?“, in Stylistika 10 (2001), 59–78, Cristina Larkin Galiñanes, „Funny Fiction; or, Jokes and Their Relation to the Humorous Novel“, in Poetics Today 26:1 (2005), 79–111, Villy Tsakona, „Towards a Revised Typology of Humorous Texts and Humorous Lines“, in New Approaches, 35–43, Ralph Müller, „The Interplay of Metaphor and Humor in Oscar Wilde’s Lord Arthur Savile’s Crime“, in ebd., 44–54, Tes Howell, „Two Cognitive Approaches to Humorous Narratives“, in ebd., 55–71 oder Salvatore Attardo, „A Primer“. Vgl. dazu ebd., 117.

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Erstens die Differenzierung zwischen ‚punch lines‘ und ‚jab lines‘, also zwischen Pointen am Ende und anderen Stellen von Texten;283 zweitens die Analyse der Distribution komischer Elemente in Texten;284 und drittens die Klassifikation von Plottypen nach ihrer spezifischen Funktionalisierung des Komischen.285 Im Rahmen der unten zu skizzierenden Taxonomie maßgeblicher Spielarten literarischer Komik werden die beiden letzten Vorschläge noch näher betrachtet werden.286

1.4.3 Auf dem Weg zu einer Theorie textueller Komik 2: ‚General Theory of Verbal Humor‘ Revisited Da in der literaturwissenschaftlichen Komikforschung die langsame Herausbildung der Humor Studies weitgehend unbemerkt geblieben ist, erstaunt es nicht, dass ihr auch entsprechende Entwicklungen innerhalb der Linguistik fast vollkommen entgangen sind. Davon etwa, dass mit der GTVH seit mittlerweile zwei Jahrzehnten ein avanciertes Modell sprachlichen Humors vorliegt, das sich als Ausgangspunkt für Überlegungen zu einer Theorie literarischer Komik anbietet, hat die Literaturwissenschaft und insbesondere die im deutschsprachigen Raum kaum Notiz genommen.287 Selbst ausdrückliche Hinweise auf ein entsprechendes Potenzial der Theorie haben bislang keine Früchte getragen – „a GTVH-theoretic analysis of a text“, so hat etwa Attardo in seinem Aufsatz „Cognitive Stylistics of Humorous Texts“ von 2002 hervorgehoben, „can reveal the aspects of a text that are funny and to what extent each part of the text is meant to be so, thereby providing the literary analyse with vital clues on what a text is supposed to do and in fact does.“288 Im Folgenden wird diese These auf die Probe gestellt. Es soll im Detail geklärt werden, ob sich die GTVH in der Praxis der Analyse von Literatur bewährt, welche Probleme mit ihrer Nutzung verbunden sind und welche Modifikationen in ihrer Anlage und Ausrichtung mit Blick auf eine Verwendung innerhalb der literaturwissenschaftlichen Komikforschung geboten erscheinen. Ein wesentlicher Aspekt der zugrunde gelegten Interpretation des Vorschlags von Raskin und Attardo soll dabei nicht gerechtfertigt, sondern vorausgesetzt werden: In Abgrenzung von der Einordnung der GTVH 283 284 285 286 287

288

Vgl. insbes. Salvatore Attardo, Humorous Texts, Kap. 5.3. Vgl. Salvatore Attardo, „Cognitive Stylistics“, 234–247. Vgl. Salvatore Attardo, Humorous Texts, Kap. 5.5. S. zum Zusammenhang unten 1.5.2. Als wegweisende Ausnahme ist Ralph Müllers grundlegende Untersuchung Theorie der Pointe hervorzuheben. Vgl. zum Zusammenhang ferner Wladyslaw Clopicki, „An Approach“ und „Humorous and Non-Humorous“, Ralph Müller, „Art. Script-Theorie“, in RLW 3 (2003), 415–416 sowie Katrina Triezenberg, „Humor Enhancers in the Study of Humorous Literature“, in Humor 17:4 (2004), 411–418 und „Humor in Literature“, in Primer, 523–542. Salvatore Attardo, „Cognitive Stylistics“, 239. Vgl. dazu den Theorieentwurf und die Fallstudie zu Oscar Wildes Lord Arthur Savile’s Crime in Salvatore Attardo, Humorous Texts.

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durch deren Vertreter wird sie im Weiteren nicht als empirische Theorie des Komischen in Texten, sondern als explikatives Modell des Begriffs textueller Komik aufgefasst.289 Eine entsprechende Deutung der Theorie ist für deren Aufbau und Ausgestaltung kaum folgenreich; sie hat aber natürlich Auswirkungen auf die Bahnen, in denen eine Evaluation, Infragestellung und Verteidigung des Modells sinnvollerweise verlaufen kann.290 Zu einem Urteil über die Adäquatheit der definitorischen Bestimmung eines Begriffs gelangt man wesentlich, indem man prüft, ob dessen Extension im Definiens so gefasst wird, dass sie mit der konventionellen Begriffsverwendung im Einklang steht.291 Im vorliegenden Kontext gilt es in diesem Sinne einerseits zu untersuchen, ob Texte, die gemeinhin als komisch eingestuft werden, unter den vorgeschlagenen Begriff fallen, und andererseits zu klären, ob Texte, die unter den Begriff fallen, tatsächlich als komisch einzuordnen sind. Um eine solche Prüfung in nachvollziehbarer Weise vornehmen zu können, ist es nötig, sich ihre Rahmenbedingungen kurz vor Augen zu führen: Wie oben erläutert, soll die Explikation des Konzepts textueller Komik in der vorliegenden Untersuchung in einer Klärung des Begriffs der textuellen Disposition bestehen, komisch zu wirken.292 Dabei wird zudem von der selbst in literaturwissenschaftlichen Zusammenhängen zunehmend anerkannten Auffassung ausgegangen, dass Texte als intentional strukturierte und insofern historisch situierte Gebilde zu betrachten sind;293 welche Eigenschaften ein Text besitzt, lässt sich einer solchen Sichtweise zufolge letztlich nur im Rahmen einer intentionalistischen Interpretation im Kontext der Zeit seiner Entstehung klären.294 Diese prinzipiellen Festlegungen sind natürlich folgenreich, wenn geprüft werden soll, ob sich die GTVH-Bestimmung textueller Komik als adäquate Charakterisierung der komischen Wirkungsdisposition von Texten verstehen lässt: An die Stelle der vorliegenden synchron ausgerichteten rezeptionsorientierten Bewertun-

289 290 291 292 293

294

Zur metatheoretischen Einordnung der GTVH und ihrer Weiterentwicklungen vgl. zuletzt Victor Raskin/Christian F. Hempelmann/Julia Taylor, „Understand and Assess a Theory“, 286–289. S. dazu auch oben 1.2.1 und 1.4.2. Es gibt natürlich Varianten von Definitionen, für die dies nicht oder nur bedingt gilt, vgl. etwa Tilmann Köppe, „,Was ist Literatur?‘“, 160f. S. oben 1.2.2. Vgl. zur Auseinandersetzung um das Textkonzept und um dessen Relation zum Werkbegriff insbes. Gregory Currie, Arts and Minds, Oxford 2004, 9–27 und Paisley Livingston, Art and Intention. A Philosophical Study, Oxford 2005, 112–134. Zu einer Übersicht über die Debatte vgl. Carlos Spoerhase, „Was ist ein Werk? Über philologische Werkfunktionen“, in Sciencia Poetica 12 (2008), 276–344. Eine solche intentionalistische Interpretation kann im Einzelnen freilich recht unterschiedlich ausgestaltet werden, etwa im Sinne des ‚actual intentionalism‘ nach Carroll oder Robert Stecker, des ‚hypothetical intentionalism‘ nach Levinson oder Gregory Currie, des ‚partial intentionalism‘ nach Paisley Livingston, usf. Vgl. dazu Tom Kindt/Tilmann Köppe, „Conceptions of Authorship and Authorial Intention“, in Authorship Revisited. Conceptions of Authorship around 1900 and 2000, hg. v. Liesbeth Korthals Altes, Gillies Dorleijn u. Ralf Grüttemeier, Groningen 2010, 213–228.

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Zur Theorie literarischer Komik

gen295 des Modells von Raskin und Attardo wird im Folgenden eine diachron ausgerichtete interpretationsfundierte Beurteilung296 treten. Dies bedeutet, dass die Ermittlung der zentralen scripts und script-Oppositionen in Texten an bestimmte Auflagen gebunden sein wird, dass die Einzelanalysen – konkret gesprochen – bestimmen sollen, ob sich auf der Basis einer historisch-intentionalistischen Interpretation eines literarischen Textes gerechtfertigt behaupten lässt, dass er zwei einander überlagernde scripts enthält, zwischen denen eine Oppositionsbeziehung besteht.297 Wird von dieser Fragestellung ausgegangen, liegt es aus zwei Gründen nahe, dass die Resultate von denen einer gewöhnlichen GTVH-basierten Textanalyse abweichen können: erstens, weil andere Kontexte in die Betrachtung einbezogen werden, und zweitens, weil von einem anderen Konzept der Bedeutung ausgegangen wird.298 Insbesondere die Relevanz des letztgenannten Grundes wird allzu leicht verkannt: Je nachdem, welchen Bedeutungsbegriff man zugrunde legt, wann man beispielsweise von ironischer Kommunikation sprechen oder wie man mit textuellen Allusionen umgehen will, kann man zu unterschiedlichen Antworten im Hinblick auf die Frage gelangen, ob in einem Text ein script-Konflikt zu finden ist oder nicht.299 In diesem Sinne hängt es nicht zuletzt vom vorausgesetzen Bedeutungsverständnis ab, ob sich etwa Gernhardts Buchtitel Die Blusen des Böhmen als Fall textueller Komik im Sinne der GTVH klassifizieren lässt. 295

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‚Rezeptionsorient‘ soll dabei sowohl rezeptionsempirisch als auch rezeptionssystematisch heißen, vgl. etwa Willibald Ruch/Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Toward an Empirical Verification“ oder Salvatore Attardo et al., „The Linear Organization of Jokes“. Zur Unterscheidung zwischen Rezeptionsvorgängen und Interpretationshandlungen vgl. allgemein Tom Kindt/Tilmann Köppe, „Moderne Interpretationstheorien. Eine Einleitung“, in Moderne Interpretationstheorien. Ein Reader, hg. v. T. K. u. T. K., Göttingen 2008, 7–26, 8f. und 11f. sowie Christoph Dennerlein/Tilmann Köppe/Jan C. Werner, „Interpretation: Struktur und Evaluation in handlungstheoretischer Perspektive“, in JLT 2:1 (2008), 1–18, 4–7. Zu Ansätzen einer entsprechenden Historisierung der GTVH vgl. Salvatore Attardo, Humorous Texts. Grundsätzlich liegt dem Modell von Raskin und Attardo ein Verständnis von Semantik zugrunde, das mit einer intentionalistischen Position wie etwa der von Herbert Paul Grice durchaus vermittelbar ist, vgl. dazu insbes. Salvatore Attardo, „Violation of Conversational Maxims and Cooperation: the Case of Jokes“, in JoP 19 (1993), 537–558 und „On the GTVH and SSTH: Comments on Raskin’s Interview“, in New Approaches, hg. v. Diana Popa u. S. A., 226–229. – Zum Profil der intentionalistischen Position, von der im Folgenden ausgegangen wird, vgl. Göran Hermerén, „Intention und Interpretation in der Literaturwissenschaft“ (1975), in Hermeneutik. Basistexte zur Einführung in die wissenschaftstheoretischen Grundlagen von Verstehen und Interpretation, hg. v. Axel Bühler, Heidelberg 2003, 121–154 und Robert Stecker, „Interpretation and the Problem of the Relevant Intention“, in Contemporary Debates in Aesthetics and Philosophy of Art, hg. v. Matthew Kieran, Oxford 2006, 269–295. Vgl. hierzu allgemein Lutz Danneberg, „Wie kommt die Philosophie in die Literatur?“, in Philosophie in Literatur, hg. v. Christiane Schildknecht u. Dieter Teichert, Frankfurt a.M. 1996, 19–54. Dieser grundlegende Zusammenhang ist in der Humorologie bislang zumeist nur mittelbar beachtet worden, etwa im Kontext der Debatten um die Relevanz des ‚Ungesagten‘ für die Komikerzeugung, vgl. dazu insbes. Marlene Dolitsky, „Humor and the Unsaid“, in JoP 7 (1993), 39–48 und „Aspects of the Unsaid in Humor“, in Humor 5:1/2 (1992), 33–43.

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Bei den Texten oder Textpassagen, durch deren Analyse die Aussichten und Schwierigkeiten des anvisierten Theorietransfers bestimmt werden sollen, wird es sich zumeist um Gedichte oder Gedichtausschnitte handeln, deren Zurechnung zur komischen Lyrik nicht sonderlich gewagt erscheint. Obgleich Gernhardt zweifellos Recht hat, wenn er das komische Gedicht als „Königsweg zum Lachen“300 einstuft, beruht die Auswahl der exemplarisch analysierten Texte vor allem auf pragmatischen Kriterien wie etwa denen der Kürze, der Anschaulichkeit oder der Eignung, die Stärken und Schwächen der GTVH und die Perspektiven ihrer Umgestaltung für die Zwecke einer literaturwissenschaftlichen Humorologie transparent zu machen; im Bedarfsfall wird es sich bei den Beispielen darum auch um Texte aus anderen literarischen Gattungen oder um Lyrik ohne komische Stoßrichtung handeln. Damit nun endlich zum Praxistest der GTVH. Da das Modell, wie bereits angemerkt, unter vornehmlicher Bezugnahme auf die Textsorte Witz entworfen, überprüft und weiterentwickelt wurde, überrascht es nicht, dass ihm lyrische oder andere literarische Texte, die wie Witze angelegt sind, wenig Probleme bereiten. Der erste Beispieltext, eines der sogenannten ‚Sinngedichte‘ von Gotthold Ephraim Lessing, ist ein solcher Fall: Beispiel 1: Auf einen Brand zu ** Ein Hurenhaus geriet um Mitternacht in Brand. Schnell sprang, zum Löschen oder Retten, Ein Dutzend Mönche von den Betten. Wo waren die? Sie waren – – bei der Hand. Ein Hurenhaus geriet in Brand.301

Offenkundig funktioniert das fünfversige Sinngedicht ganz ähnlich wie der von Raskin und Attardo gern exemplarisch angeführte „Doctor’s Wife“-Witz.302 Zunächst wird in dem Gedicht eine nicht weiter außergewöhnliche Situation umrissen: Mönche versuchen, bei einem Bordellbrand zu helfen; dann aber wird plötzlich eine Interpretation des Geschilderten nahe gelegt, die dem anfänglich vermittelten Eindruck erkennbar entgegen steht: Die Mönche sind schnell am Ort des Geschehens, weil sie Bordellbesucher sind. Im Sinne der GTVH lässt sich also sagen, dass für das Gedicht zwei scripts wesentlich sind, zwischen denen ein Verhältnis der Opposition festzustellen ist: Den ersten drei Versen liegt das Hilfsbereitschaft-script zugrunde, den letzten beiden das Hurerei-

300

301 302

Robert Gernhardt, „Zehn Thesen zum komischen Gedicht“, in Hell und Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten, hg. v. R. G. u. Klaus Cäsar Zehrer, Frankfurt a.M. 2004, 11–14, 13. Vgl. zu dieser These bereits Robert Gernhardt, „Von deutschem Volk“, 316. Gotthold Ephraim Lessing, Werke 1754–1757, hg. v. Conrad Wiedemann, Frankfurt a.M. 2003, 808. S. dazu oben 1.4.2.

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script.303 Die Opposition zwischen den beiden scripts, aus der sich die Komik des Textes ergibt, besteht konkret gesprochen in dem Konflikt ‚moralkonform vs. nicht-moralkonform‘ und abstrakt betrachtet in den Konflikten ‚normal vs. nicht-normal‘ und ‚gut vs. schlecht‘.304 Kurzum: Ein Text wie Lessings „Auf einen Brand zu **“ führt die komische Wirkung von script-Oppositionen eines bestimmten Typs anschaulich vor Augen und ist darum für die GTVH ein gefundenes Fressen. Scripts und Oppositionen zum Ersten Dass es die GTVH keineswegs mit allen komischen Texten so leicht hat, wird schon das zweite Gedicht zeigen, an dem die Überlegungen von Raskin und Attardo erprobt werden sollen – es handelt sich um ein Sonett Gernhardts, das bei seiner Erstveröffentlichung im Jahr 1979 noch für einige Empörung gesorgt hat, mittlerweile aber einen festen Platz im Kanon der deutschsprachigen Lyrik inne hat: Beispiel 2: Materialien zu einer Kritik der bekanntesten Gedichtform italienischen Ursprungs Sonette find ich sowas von beschissen, so eng, rigide, irgendwie nicht gut; es macht mich ehrlich richtig krank zu wissen, daß wer Sonette schreibt. Daß wer den Mut hat, heute noch so’n dumpfen Scheiß zu bauen; allein der Fakt, daß so ein Typ das tut, kann mir in echt den ganzen Tag versauen. Ich hab da eine Sperre. Und die Wut darüber, daß so’n abgefuckter Kacker mich mittels seiner Wichserein blockiert, schafft in mir Aggressionen auf den Macker. Ich tick nicht, was das Arschloch motiviert. Ich tick es echt nicht. Und wills echt nicht wissen: Ich find Sonette unheimlich beschissen.305

Zur Vorbereitung des Praxistests der GTVH scheinen in diesem Fall einige kurze allgemeine Hinweise zum Sonett und seiner Einordnung als komischer Text sinnvoll zu sein. Die Konzeption von Gernhardts Gedicht ist auch ohne detaillierte Analyse leicht zu durchschauen: Bei den „Materialien…“ handelt es sich um eine Kritik der Gattung Sonett in Form eines Sonetts. So simpel die Grundidee des Textes ist, so originell ist ihre Umsetzung: Die sonettförmige Sonettkritik wird im Jargon linksalternativer Kreise der bundesrepublikanischen 1970er Jahre vorgetragen. Anders gesagt: Was inhaltlich 303 304 305

Die Phrase „von den Betten“ in der dritten Zeile ist dabei als ‚script-switch trigger‘ einzustufen, s. zu diesem Begriff oben 1.4.2. S. auch dazu oben 1.4.2. Robert Gernhardt, Gedichte 1954-1994, Zürich 1996, 116f.

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eine Aneinanderreihung von Vulgarismen und Psychophrasen darstellt, löst formal alle Vorgaben an das Genre Sonett ein, und zwar in kunstvoller Weise – mit Anaphern, Alliterationen, Parallelismen und Enjambements.306 Die Komik des Textes scheint mithin zwei Quellen zu haben, sie ergibt sich einerseits aus dem Widerspruch zwischen Form und Inhalt und andererseits aus der Spannung zwischen hoher Gattung und niedrigem Stil, die aus der Missachtung der aptums-Regel resultiert. Was nun ist aus Sicht der GTVH zu Gernhardts Sonett zu sagen? Zur Beantwortung dieser Frage empfiehlt es sich wiederum, die „Materialien…“ am Leitfaden der Bestimmung des komischen Textes zu untersuchen, die von Raskin und Attardo vorgeschlagen wird. Es gilt mit anderen Worten nacheinander zu prüfen, ob Gernhardts Text mit mindestens zwei scripts kompatibel ist, ob sie sich partiell oder komplett überschneiden und ob sie zudem im Verhältnis der Opposition zueinander stehen.307 Bezugspunkt der Prüfung wird der Einfachheit halber nur eine der beiden umrissenen Erklärungen für die Komik des Gedichts sein, nämlich die Annahme, dass in ihm die aptums-Regel markant verletzt wird.308 Auf den ersten Blick nun scheint sich die GTVH-basierte Analyse des Gernhardt-Textes schnell erledigen zu lassen: Ausgehend von der vorangegangenen kurzen Rekonstruktion zum Gedicht liegt die Deutung nahe, dass die „Materialien…“ in Gänze ebenso mit dem Sonett- wie mit dem Jargon-script verträglich sind und dass zwischen beiden ein Verhältnis der Opposition festzustellen ist. Bereits eine etwas genauere Betrachtung zeigt freilich, dass die Sache so einfach nicht ist. Schon die Klärung der grundlegenden scripts des Textes stellt keine Selbstverständlichkeit dar. Wird das script-Konzept der SSTH zugrunde gelegt, so ist bei den genannten Kandidaten für die einander überlagernden scripts ausgesprochen zweifelhaft, ob es sich überhaupt um solche handelt. Für das vermeintliche Jargon-script ist dies schon allein deshalb der Fall, weil der Text über kein ‚lexematic handle‘ verfügt, das die Einschlägigkeit des scripts anzeigen würde – weder das Wort ‚Jargon‘ noch ein Ausdruck mit ähnlicher Bedeutung ist in Gernhardts Sonett zu finden. Mit Blick auf beide script-Kandidaten gilt zudem, dass es sich bei ihnen nicht um semantische scripts in dem von Raskin stillschweigend vorausgesetzten Sinne handelt, also nicht um scripts, die sich als Modelle von Situationen mit Handlungen, Akteuren und Objekten verstehen lassen wie etwa das Arztbesuch- und das Liebhaber-script.309 306

307 308

309

Insofern leuchtet es durchaus ein, dass Gernhardt selbst das Hauptanliegen der „Materialien…“ nicht als „Verscheißerung des Sonetts“, sondern als „Verarschung der kurrenten Szenesprache“ (ebd., 488) bestimmt. Der Übersichtlichkeit halber sollen hier weitere Parameter komischer Texte, die im Modell von Raskin und Attardo ausgezeichnet werden, nicht berücksichtigt werden, s. oben 1.4.2. Die Orientierung an dieser Deutung des Textes ist für eine Klärung der Unzulänglichkeiten des GTVH aufschlussreicher; die meisten der Prüfungsergebnisse ließen sich freilich auch unter Bezugnahme auf die andere Interpretation der Komik des Gedichts erzielen. Dass Raskin von einem solchen Verständnis von semantischen scripts ausgeht, lässt sich insbesondere an seinen Beispielen ablesen, vgl. etwa Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 25f. oder 248–257.

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Zur Theorie literarischer Komik

Doch auch wenn vom script-Begriff der GTVH ausgegangen wird, lassen sich die erwogenen Kandidaten nicht ohne Weiteres als maßgebliche scripts des Textes einstufen. Wie gesehen, geht die GTVH von einem deutlich liberaleren Konzept des scripts aus als die SSTH: „[A] script can be understood [...] as an interpretation of the text of the joke“,310 schreiben Raskin und Attardo in der Gründungsurkunde der GTVH von 1991, und in Anknüpfung an diese Definition treten die Vertreter des Modells seither dafür ein, verschiedene Spielarten von scripts zu unterscheiden.311 Im vorliegenden Zusammenhang verdienen zwei der vorgeschlagenen Typendifferenzierungen besondere Beachtung, und zwar die zwischen lexikalischen und inferenziellen semantischen scripts und die zwischen semantischen und nicht-semantischen scripts. Ausgehend von diesen Unterscheidungen wird nicht allein deutlich, warum auch die GTVH noch mit script-Kandidaten wie dem Jargon-script ihre Probleme hat; mit den Typendifferenzierungen zeichnet sich zugleich ab, wie sich diese Schwierigkeiten beheben lassen: Die Probleme ergeben sich, weil eine Einordnung des Jargon-scripts vor dem Hintergrund der beiden Typenunterscheidungen zwangsläufig schnell ins Stocken gerät. Es liegt zwar auf der Hand, dass das Jargon-script kein lexikalisches, sondern ein inferenzielles script darstellt; zugleich ist aber unklar, ob es sich bei ihm auch um ein inferenzielles semantisches script handelt, weil fraglich ist, ob es als semantisches oder nicht-semantisches script einzustufen ist. Kurz gesagt: Da Raskin und Attardo auch in der GTVH noch vom Witz als dem Musterfall des komischen Textes ausgehen, arbeiten sie mit einem Begriff des semantischen scripts, der so eng ist, dass sie textuelle Komik, die nicht auf einem Widerspruch von Situationsmodellen, sondern auf einer Inkongruenz zwischen Formen der Textgestaltung beruht, nicht angemessen in den Blick bekommen.312 Durch eine Verfeinerung und Erweiterung der erwähnten script-Typologien lässt sich dieses Defizit der GTVH freilich einfach beheben: Um Fällen wie dem Jargon-script oder auch dem Sonett-script sinnvoll Rechnung tragen zu können, ist es einerseits nötig, neben semantischen und nicht-semantischen scripts auch solche zuzulassen, die Bestandteile beider Varianten miteinander verbinden, also etwa nichtsemantisch definierte scripts mit mehr oder weniger stabilen semantischen Implikationen, und andererseits erforderlich, die Liste der Typen von scripts, die nicht im strikten Sinne als semantische einzustufen sind, um solche der Gestaltung von Texten aufzustocken, also beispielsweise um stilistische oder generische scripts.313

310 311 312

313

Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“, 307f. Vgl. Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 20f. S. dazu oben 1.4.2. Vgl. zu einer verwandten Kritik an der GTVH etwa auch Helga Kotthoff, Spaß verstehen, 86, Alexander Brock, Blackadder, 76f. oder Graeme Ritchie, The Linguistic Analysis, 72–74. Vgl. zu einer differenzierten Klassifikation von script-Typen etwa Jeroen Vandaele, „Humor Mechanisms“. S. zum Zusammenhang auch unten 1.5.

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Sofern der script-Begriff in der skizzierten Form modifiziert wird, kann zu Recht behauptet werden, dass Gernhardts Sonett mit zwei einander gänzlich überlagernden scripts verträglich ist, eben mit dem Sonett- und dem Jargon-script. Besteht zwischen diesen beiden scripts aber auch, wie es die GTVH in ihrer Charakterisierung komischer Texte verlangt, eine Oppositionsrelation? Wenn man die Hinweise von Raskin, Attardo und anderen zum Begriff der opposition beim Wort nimmt, dann wird man Probleme haben, ihn auf das Gedicht anzuwenden. Auch diese Schwierigkeiten ergeben sich aus der bereits problematisierten Orientierung der GTVH am Witz und der mit ihr einher gehenden engen Bestimmung des Konzepts des semantischen scripts: Oppositionen im Sinne Raskins und Attardos sind Konflikte von semantischen scripts und damit Kollisionen von Situationsmodellen; in komischen Texten muss dieser Auffassung zufolge stets die eine oder andere Spielart eines Nebeneinanders von ‚realer‘ und ‚nicht-realer Situation‘ zu beobachten sein.314 In Gernhardts „Materialien…“ ist ein entsprechendes Nebeneinander nicht zu finden; hier lassen sich die beiden zentralen scripts nicht auf die Pole fundamentaler Oppositionen wie ‚existierend vs. nicht-existierend‘, ‚normal vs. nicht-normal‘ oder ‚möglich vs. unmöglich‘ abbilden; hier entsteht durch die Verbindung der beiden scripts vielmehr eine Situation, die im Ganzen als ‚nicht-existierend‘, ‚nicht-normal‘ oder ‚unmöglich‘ einzustufen ist, deren Elemente aber ohne Weiteres als ‚existierend‘, ‚normal‘ und ‚möglich‘ gelten können. Anders gesagt: Gernhardts Gedicht liegt zwar offenkundig eine Inkongruenzrelation in dem ganz unspezifischen Sinne zugrunde, dass das Sonett- und das Jargon-script nicht recht zueinander passen; es ist in dem Sonett aber nur mit einigem Deutungsaufwand eine Oppositionsrelation in dem spezifischen Sinne zu finden, dass ein Konflikt zwischen einer realen und einer nichtrealen Situation besteht. Kurzum: Gernhardts „Materialien…“ legen nahe, dass das Oppositionskonzept der GTVH das nur bedingt leistet, was es zu leisten beansprucht – nämlich, das notorisch vage Konzept der Inkongruenz zu präzisieren.315 Es mag der Fall sein, dass sich Inkongruenzen in Witzen und damit in der Variante sprachlichen Humors, von der die GTVH ausgeht, stets als Oppositionen deuten und insofern genauer fassen lassen; viele inkongruente Konstellationen in anderen Varianten verbaler Komik, etwa in literarischen Texten oder konversationellen Situationen, werden durch eine entsprechende Explikation aber nicht angemessen abgebildet.316 Von einer überzeugenden Klärung des Inkongruenzkonzepts für die Zwecke einer allgemeinen Theorie sprachlichen Humors ist freilich genau dies zu verlangen: Sie kann an der Beobachtung, dass komische Inkongruenzen potenziell auf oder auch zwischen verschiedenen Ebenen ei314

315 316

S. dazu oben 1.4.2. In neueren Publikationen wird der Begriff der script-Opposition liberaler und zugleich differenzierter bestimt, vgl. etwa Victor Raskin/Christian F. Hempelmann/Julia Taylor, „Understand and Assess a Theory“, 290f. Vgl. zu diesem Anspruch Salvatore Attardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“, 331. Vgl. zu diesem Kritikpunkt auch die Hinweise in Helga Kotthoff, Spaß verstehen, 86, Alexander Brock, „Wissensmuster im humoristischen Diskurs“, 21f. und Blackadder, 75f. oder John Morreall, „Verbal Humor“, 397.

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Zur Theorie literarischer Komik

nes Textes auftreten, nicht vorbeigehen; sie hat Fälle wie das Beispielgedicht einzubeziehen, in dem keine Inkongruenz auf der Inhaltsebene vorliegt, aber sowohl eine auf der Formebene (Sonett – Jargon) als auch eine zwischen der Form- und der Inhaltsebene (Sonetttradition – Sonettkritik); sie kann kurzum nicht in einem Konzept der scriptOpposition im Sinne eines Konflikts von Situationsmodellen bestehen. Diese Konsequenzen der Betrachtung des Gernhardt-Gedichts sollten indes nicht zu voreiligen Verallgemeinerungen verleiten: Texte wie Gernhardts „Materialien…“ widerlegen nicht die Annahme, dass für textuelle Komik stets eine semantische Opposition konstitutiv ist; sie machen nur deutlich, dass es Fälle von textueller Komik gibt, in denen sich eine bestimmte Form von semantischer Opposition nicht ausmachen lässt. Anders gesagt: Die Beispielanalyse liefert kein Argument gegen die von der GTVH entwickelte Bestimmung des komischen Textes, sondern bloß eines gegen ein spezifisches Verständnis eines ihrer zentralen Elemente, nämlich das der script-Opposition.317 Und das heißt zugleich, dass die Definition aufrecht erhalten werden kann, sofern script-Opposition mit Attardo als Wertunterschied von grundlegenden Wissensclustern verstanden wird und eben nicht mit Raskin als Gegensatz von Ereignismodellen.318 Auf der Grundlage einer solchen Reinterpretation lassen sich auch Spannungsverhältnisse zwischen Aspekten der Form oder zwischen Form und Inhalt eines Textes als Fälle von script-Konflikten betrachten. Bei Gernhardts „Materialien…“ handelt es sich, in diesem Sinne gedeutet, um ein komisches Gedicht, weil ihm scripts zugrunde liegen, die im Hinblick auf semantische Merkmale wie ‚Stilhöhe‘ und ‚Traditionstreue‘ deutlich voneinander abweichen. Scripts und Oppositionen zum Zweiten Anhand des ersten Beispieltextes wurden einige Vorschläge zu einer geringfügig gewandelten Deutung der Elemente entwickelt, die für die GTVH-Definition textueller Komik zentral sind – die Notwendigkeit jener Elemente für eine entsprechende Begriffsbestimmung stand bislang noch nicht zur Diskussion. Dies wird sich nun ändern: In Auseinandersetzung mit einigen recht kurzen lyrischen Texten soll untersucht werden, ob semantische script-Oppositionen im vorgeschlagenen erweiterten Sinne notwendiger Bestandteil textueller Komik sind. Näher betrachtet, läuft dieses Vorhaben auf die Beschäftigung mit zwei Fragen hinaus: Zum einen ist zu untersuchen, ob es Spielarten von komischen Texten gibt, in denen script-Oppositionen keine Bedeutung besitzen. Und zum anderen wird zu klären sein, ob sich Fälle von textueller Komik finden lassen, in denen der Typ der semantischen Inkongruenz und also Semantik allgemein keine oder 317 318

Zu einer weniger besonnenen Interpretation der Konsequenzen aus der skizzierten Textanalyse vgl. Tom Kindt, „Die zwei Kulturen der Komikforschung“, in Literatur und Kognition, 253–276. S. dazu oben 1.4.2. Ganz entsprechend schlägt etwa auch Ritchie vor, den unscharfen Begriff der script-Opposition im Sinne von „two interpretations [of a text] differ in non-peripheral content“ (Graeme Ritchie, The Linguistic Analysis, 74) zu erläutern.

Zum Potenzial der Inkongruenztheorie

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nur eine nachgeordnete Rolle spielt. Der ersten Frage soll anhand eines bekannten Vierzeilers von Ror Wolf nachgegangen werden, der zweiten anhand dreier Zweizeiler von Heinrich von Gyldenfeldt: Beispiel 3: Wetterverhältnisse Es schneit, dann fällt der Regen nieder, Dann schneit es, regnet es und schneit, Dann regnet es die ganze Zeit, 319 Es regnet und dann schneit es wieder.

Zunächst wiederum eine sehr kurze theoretisch voraussetzungslose Annäherung an das lyrische Gebilde: Die vier Verse des Textes halten, was dessen Titel verspricht – sie berichten von Wetterverhältnissen. Wie im Fall von Gernhardts Gedicht wird auch in Wolfs Vierzeiler ein bedeutungsloses Thema in kunstvoller Form behandelt: Der Wandel des Wetters wird in sauberen auftaktig-alternierenden Versen geschildert, die eine Blockreimstrophe bilden und Parallelismen, eine Anapher sowie ein Polyptoton enthalten. Anders als bei Gernhardt lässt sich bei Wolf die Komik des Gedichts allerdings nicht oder zumindest nicht allein aus dem Spannungsverhältnis zwischen Gestalt und Gehalt erklären: Dass der Text komisch ist, scheint im Wesentlichen daran zu liegen, dass er in kleinen Variationen immer wieder das Gleiche beschreibt. Genau dies nun macht „Wetterverhältnisse“ zu einem interessanten Prüfstein für die Thesen von Raskin und Attardo zum verbalen Humor. Bei dem Gedicht handelt es sich augenscheinlich um einen komischen Text, obwohl es die beiden Grundbedingungen der GTVH für das Vorliegen textueller Komik nicht erfüllt.320 Außer dem Wetter-script lässt sich in „Wetterverhältnisse“ kein weiteres script finden – und das heißt, anders ausgedrückt, dass der Text nicht mit zwei einander überlagernden scripts kompatibel ist und folglich auch keine script-Opposition zu bieten hat. Angesichts eines solchen Befunds, der nicht spezifisch für Wolfs Vierzeiler sein dürfte, gibt es verschiedene Möglichkeiten, Komiktheorie und Textanalyse miteinander zu versöhnen: Eine nahe liegende Strategie besteht in der Verteidigung der skriptsemantischen Theorie durch die Infragestellung der skizzierten Analyse. In diesem Fall würde die umrissene Interpretation des Gedichts zurückgewiesen und an ihre Stelle eine Reinterpretation gesetzt, die vorführt, dass es mit der Bestimmung von Raskin und Attardo im Einklang steht. Die scripts, auf die sich eine entsprechende Neudeutung beziehen könnte, müssten freilich einen vergleichsweise abstrakten Charakter haben; als Kandidaten für oppositionelle 319 320

Ror Wolf, Hans Waldmanns Abenteuer: sämtliche Moritaten von Raoul Tranchirer, Zürich 1985, 212. Der Einfachheit halber wird hier die Forderung, dass ein komischer Text mit zwei scripts verträglich sein muss, mit der Bedingung, dass diese sich vollständig oder teilweise zu überlappen haben, zu einer Bedingung zusammengefasst. Vgl. zur Relevanz der letztgenannten Forderung Christian F. Hempelmann, „Script Opposition and Logical Mechanism“.

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scripts dieses Typs kämen beispielsweise das Wandel- und das Stillstand-script in Betracht. So nahe liegend die angedeutete apologetische Argumentation sein mag, so offensichtlich sind allerdings ihre problematischen Konsequenzen: Geht man von abstrakten scripts wie den vorgeschlagenen aus, findet man in vielen Texten, die offenkundig nicht komisch sind, script-Oppositionen und mithin Indikatoren textueller Komik. Der Konflikt ‚gegenständlich vs. nicht-gegenständlich‘etwa lässt sich in Unmengen von lyrischen Texten ausmachen, deren Zurechnung zur komischen Literatur stark kontraintuitiv erscheint – ein sehr kurzes Gedicht von Paul Celan mag zur Veranschaulichung ausreichen: Beispiel 4: ZERR DIR den Traum vom Stapel, pack deinen Schuh rein, Rauschelbeeräugige, komm, 321 schnür zu.

Ausgehend von entsprechenden Einwänden gegen den interpretativen Rekurs auf abstrakte scripts erscheint ein anderer Weg der Vermittlung zwischen der GTVH und Texten der Art des Wolf’schen Gedichts sinnvoller – nämlich der Weg, an der skizzierten Interpretation festzuhalten und Änderungen nicht an ihr, sondern am theoretischen Modell vorzunehmen. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, sich zunächst noch einmal etwas genauer zu vergegenwärtigen, was die Komik der „Wetterverhältnisse“ ausmacht. Wie in den bisher betrachteten lustigen Texten ergibt sich auch in Wolfs Vierzeiler die Komik aus einer Inkongruenz; anders als in jenen Gedichten lässt sich diese Inkongruenz im vorliegenden Fall freilich nicht als Effekt der Verbindung zweier scripts erklären, sondern sie ist offenbar als Konsequenz der Verwendung eines scripts zu verstehen. Präziser formuliert: Die Komik der „Wetterverhältnisse“ beruht in der Hauptsache auf dem Spannungsverhältnis zwischen der normalen und einer devianten bzw. der konventionellen und einer unkonventionellen Nutzung des Wetter oder Wetterbericht-scripts.322 So verstanden, lässt sich das Gedicht als Hinweis auf zwei Aspekte deuten, in denen die GTVH-Definition textueller Komik einer Ergänzung bedarf: Zum einen verweist es darauf, dass komische Texte bisweilen mit nur einem script und mithin ohne script-Opposition auskommen.323 Zum anderen zeigt das Gedicht an, dass sich komische Inkongruenzen mitunter nicht durch die Verbindung, sondern allein durch die Verwendung von scripts ergeben – und das bedeutet zugleich, dass für verbale Komik neben der Frage nach der Oppositionalität von scripts offenbar auch der nach der Kon321 322 323

Paul Celan, Gesammelte Werke, hg. v. Beda Allemann, 3 Bde., Frankfurt a.M. 1983, Bd. 2, 405. Vgl. zum Zusammenhang David K. Lewis, Convention: A Philosophical Study, Cambridge 1969. Vgl. dazu schon Lambert Deckers/Robert T. Buttram, „Humor as a Response to Incongruities“ und vor allem Alexander Brock, „Analyzing Scripts in Humorous Communication“, in Humor 17:4 (2004), 353–360. Brock liefert beispielgestützte Überlegungen zur „quantitative manipulation within one script“ (ebd., 357; Hervorhebung im Original), die Grundlage von Komik sein kann.

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ventionalität ihrer Nutzung einige Relevanz zukommt.324 Zu klären ist damit freilich noch, welche fundamentalen Spielarten einer devianten script-Nutzung unterschieden werden sollten und wie das Verhältnis zwischen inkongruenten Verwendungen und Verbindungen von scripts beschaffen ist.325 Scripts und Oppositionen zum Dritten Vor einer näheren Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeiten der umrissenen strukturellen Varianten textueller Komik soll allerdings noch der oben aufgeworfenen Frage nachgegangen werden, ob verbaler Humor als semantisches Phänomen einzustufen ist. Für die GTVH ist diese Frage, das dürfte deutlich geworden sein, mit einem entschiedenen Ja zu beantworten – sie beruht auf der von Attardo wiederholt zum Ausdruck gebrachten Auffassung: „all humor is semantic“.326 Was von dieser Überzeugung zu halten ist, soll nun durch die angekündigte Analyse dreier Kurzgedichte aus von Gyldenfeldts erstmals 1981 erschienener Sammlung Verse von der Brechstange geprüft werden: Beispiele 5–7: Voltaire Liebt man sich am Schwarzen Meer, So schmiert man sich die Knie Voltaire. Lenin „Opa’s voll bis an den Rand!“ „Dann Lenin einfach an die Wand.“ Feuerzeug Die zweite Halbzeit gleich beginnt, 327 Doch Feuerzeug ich noch ein Kind.

Die drei Beispiele sind wie alle weiteren – mittlerweile 160 – Gedichte der Verse von der Brechstange einer Untergattung des Wortspiels zuzurechnen, dem Kalauer in Reim324 325

326 327

Vgl. etwa zur Iteration als Quelle von Komik John Allen Paulos, Mathematics and Humor, Kap. 2. S. dazu unten. – Harald Fricke widmet sich in seiner Devianztheorie der Kunst auch dem Zusammenhang von Wiederholung und Komik, wie er in Wolfs Gedicht beispielhaft zu beobachten ist; seine Typologie der Komikformen im Drama beruht allerdings nicht auf einer Unterscheidung von Devianzspielarten, sondern auf der Auflistung von Textmerkmalen, auf denen die Komik eines Textes zu beruhen vermag, vgl. Harald Fricke, Gesetz und Freiheit, Kap. 4.6. Vgl. dazu auch Harald Fricke/Angelika Salvisberg, „Art. Bühnenkomik“, in RLW 1 (1997), 279–282, 279f. und Harald Fricke/Rüdiger Zymner, Einübung in die Literaturwissenschaft. Parodieren geht über Studieren, Paderborn 1991, 193f. Salvatore Attardo, „Cognitive Linguistics“, 348. Heinrich von Gyldenfeldt, Verse von der Brechstange. Gesamtausgabe, 7. Aufl., Hannover 1987, 23, 46 u. 52.

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form. Die Komik von Kalauern und mithin auch die der vorliegenden Texte lässt sich im Wesentlichen wie folgt erklären: Sie spielen klanglich mehr oder weniger gut auf Wendungen, Begriffe oder Namen an, ohne inhaltlich etwas zu verstehen zu geben, das mit der Bedeutung der betreffenden Ausdrücke im Zusammenhang stehen würde – die Folgen eines Liebesaktes am Schwarzen Meer haben so wenig mit Voltaire und seiner Philosophie zu tun wie die Behandlung eines betrunkenen Großvaters mit Lenin oder der Plan einer Kindszeugung mit einem Feuerzeug. Der Grund dafür, dass Kalauer komisch sind, ist offensichtlich zugleich einer der maßgeblichen Gründe dafür, dass ihr Ruf nicht der beste ist: In der Literaturwissenschaft, deren Urteil in diesem Fall durchaus der Standardauffassung zu entsprechen scheint, gilt der Kalauer gemeinhin als „fauler Wortwitz aus z.T. gesuchten Ähnlich- und Gleichklängen“.328 Im vorliegenden Zusammenhang verdienen die Kalauer von Gyldenfeldts Beachtung, weil sie für die GTVH-Definition textueller Komik eine ähnlich grundlegende Herausforderung darstellen wie Wolfs „Wetterverhältnisse“. Für die angeführten und vergleichbare Texte sind zwar jeweils zwei einander überlagernde scripts grundlegend, zwischen diesen besteht aber offensichtlich keine semantische Opposition, wie sie beispielsweise das Verhältnis zwischen dem Sonett- und dem Jargon-script oder zwischen dem Arztbesuch- und dem Liebhaber-script prägt.329 Auch auf Fälle wie „Voltaire“, „Lenin“ und „Feuerzeug“ lässt sich komiktheoretisch grundsätzlich in zwei Weisen reagieren – einerseits, indem die Einschlägigkeit der Textbeispiele bestritten wird, und andererseits, indem diese als Anlass zu einer Theorieänderung aufgefasst werden. Die erste Reaktionsvariante machen die Stellungnahmen zum Thema aus dem Umkreis der GTVH anschaulich: Dass Kalauer in der oben skizzierten Form funktionieren, erläutert Raskin schon in seinen Semantic Mechanisms of Humor, wo er Fälle von „quasiambiguity“330 betrachtet, „based on purely phonetical and not semantical relations between words“.331 Dass Kalauer aufgrund dieses Konstruktionsprinzips für eine Bestimmung verbaler Komik über semantische Konflikte problematisch sind, ist den Anhängern der GTVH allerdings erst unlängst aufgefallen: In Reaktion auf die Herausforderung ihres Modells schlagen sie nun vor, zwischen Wortwitzen (oder ‚puns‘) und Wortspielen wie Kalauern (oder ‚bad puns‘) zu unterscheiden, wobei die ersteren, nicht aber die letzteren als komische Texte verstanden werden: „[I]n humorous punning, in addition to the overlap in sound […] there needs to be semantic opposition, if of the feeblest kind imaginable […]. Otherwise the punning text will not be a joke.“332 Ein 328 329 330 331 332

Gero von Wilpert, „Art. Kalauer“, in G. v. W., Sachwörterbuch der Literatur, 6. verb. u. erw. Aufl., Stuttgart 1979, 393. S. dazu oben. Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 116. Im Original gefettet. Ebd. Vgl. Christian F. Hempelmann, „Script Opposition and Logical Mechanism“, 387. Zuvor werden Kalauer des beispielhaft betrachteten Typs bereits als „mere wordplay rather than humor“ (ebd., 386) eingestuft. – Hempelmann führt damit die Überlegungen zu Wortspielen aus Salvatore At-

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Beispiel für einen Text, der diese Anforderungen im Gegensatz zu den Kalauern von Gyldenfeldts erfüllt, liefert offenkundig der folgende Witz: „Professor: ‚Mr. Twirp, what do you know about French syntax?‘ Student: ‚Gosh, I didn’t know they had to pay for their fun.‘“333 Da die umrissene Umgangsweise mit Kalauern offensichtlich ad hoc-Charakter besitzt und zugleich nicht zu den sonstigen Stellungnahmen der GTVH zum Nonsenshumor334 passt, wird im vorliegenden Kontext der anderen oben erwogenen Reaktionsvariante der Vorzug gegeben; es soll im Weiteren also davon ausgegangen werden, dass Kalauer im Regelfall als Beispiele textueller Komik einzustufen sind und mithin Grund zur Theoriemodifikation besteht. Um der Erweiterung des Komikmodells die Richtung zu weisen, ist es auch in diesem Fall ratsam, noch einmal genauer zu betrachten, was Kalauer wie die vorliegenden eigentlich zu komischen Texten macht. Hilfreich ist bei einem solchen Vorhaben der Gernhardt’sche Hinweis, dass das Komische oft als Ergebnis einer Auseinandersetzung mit Regeln zu verstehen ist. „Komik lebt“, so Gernhardt in seinen „Zehn Thesen zum komischen Gedicht“, „von vorgegebenen Ordnungssystemen, ganz gleich, ob die außer Kraft gesetzt oder lachhaft penibel befolgt werden“.335 Kalauer wie „Voltaire“, „Lenin“ und „Feuerzeug“ sind nun einer Spielart von komischen Texten zuzurechnen, in der Regeln nicht als inhaltlicher Bezugspunkt, sondern als formale Grundlage fungieren. Anders gesagt: Kalauern der hier interessierenden Machart liegt eine zumeist implizite, mitunter aber auch ansatzweise explizierte Aufgabenstellung zugrunde – die lyrische Aufgabe, einen Ausdruck im Rahmen eines Zweibis Vierzeilers klanglich zu evozieren, ohne dabei inhaltlich etwa zu sagen, das mit der Ausdrucksbedeutung auch nur in einem entfernten Zusammenhang steht. Gestützt wird eine entsprechende Einordnung der Kalauer von Gyldenfeldts nicht zuletzt dadurch, dass in ihnen der Ausdruck, auf den in einem Text angespielt wird, zugleich dessen Überschrift darstellt.336 Damit zeichnet sich nun umrisshaft ab, weshalb Texte wie „Voltaire“, „Lenin“ und „Feuerzeug“ komisch sind: Auch sie lassen sich als Fälle von

333 334

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336

tardo/Victor Raskin, „Script Theory Revis(it)ed“ weiter; hier wird noch davon ausgegangen, dass die meisten Puns zwar schwache Witze, aber eben doch Witze sind, ebd., 306f. Jerry M. Suls, „Cognitive Processes“, 43. Vgl. etwa Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 25f. – Es war nicht immer unumstritten, ob Nonsens dem Feld der Komik zuzurechnen ist, mittlerweile scheint es aber die allgemein bestimmende Auffassung zu sein, vgl. zum Zusammenhang Peter Köhler, Nonsens, 17–20. S. ferner unten 1.4.3 Noch einmal Komik und Auflösbarkeit. Robert Gernhardt, „Zehn Thesen“, 11. – Zu den Einwänden gegen Komiktheorien, die vorschlagen, das Komische als Regelverletzung oder als Auseinandersetzung mit ‚Ordnungssystemen‘ zu erläutern, s. oben 1.2.3. Mehr oder weniger ausdrücklich wird die umrissene Aufgabenstellung in den Überschriften verschiedener Sammlungen mit gereimten Kalauern formuliert, die nach dem Muster der Kurzgedichte von Gyldenfeldts gebaut sind, wie beispielsweise Gernhardts „Bilden Sie mal (noch) einen Satz mit…“ (Robert Gernhardt, Gedichte, 82 u. 93f.) oder auch Günter Nehms „Sammansatz mit…“ (Robert Gernhardt/Klaus Cäsar Zehrer [Hg.], Hell und Schnell, 345).

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Inkongruenzkomik verstehen, jedoch nicht im Sinne der bisherigen Erläuterungen dieses Konzepts. Wie beim ‚Doctor’s Wife‘-Witz zeigt sich die Inkongruenz in den betrachteten Kalauern in einem Überraschungseffekt; anders als im Lieblingsbeispiel Raskins und Attardos ergibt sich dieser Effekt in von Gyldenfeldts Gedichten aber nicht durch das Dargestellte oder Nahegelegte, sondern durch die Art und Weise, in der dargestellt und nahe gelegt wird. Überraschend ist, wie sich etwas im Grunde Vorhersehbares ereignet; nur in Bezug hierauf ist von Belang, was genau gesagt wird.337 Und wesentlich dafür, dass die lyrische Umsetzung der Ankündigung in der beschriebenen Weise zu erstaunen vermag, ist offenbar, dass die Anspielung des Kalauers phonologisch, aber vor allem semantisch unwahrscheinlich ist, dass es, anders gesagt, zwischen dem Zusammenhang und dem Gegenstand der Allusion nicht einmal einen assoziativen Konnex gibt. Bereits diese kurzen Hinweise zum Nonsenshumor, wie er beispielhaft durch die Kalauer von Gyldenfeldts veranschaulicht wird, sollten deutlich gemacht haben, dass er auf einer Form von Inkongruenz beruht, die nicht als semantische Opposition im Sinne der GTVH expliziert werden kann. Die scripts, die in den vorliegenden und anderen Fällen von Nonsenstexten miteinander verbunden werden, sind nicht als gegensätzlich, sondern als unzusammenhängend einzustufen. Diese Beobachtung legt nun freilich nahe, dem Fall des Nonsenshumors in einer ‚incongruity-resolution‘-Theorie des Komischen in anderer Weise Rechnung zu tragen, als es im Anschluss an Raskin und Attardo geschieht – also auch über die Bestimmung des ‚incongruity‘-Konzepts und nicht allein über die Modellierung des ‚resolution‘-Prozesses.338 Im Hinblick auf die von der GTVH vorgeschlagene Definition textueller Komik drängt es sich mit anderen Worten auf, eine weitere Änderung oder – genauer gesagt – Erweiterung des Definiens vorzunehmen: Die komische Wirkungsdisposition eines Textes kann offenkundig nicht nur auf die deviante Verwendung mindestens eines scripts oder die Verbindung mindestens zweier oppositioneller scripts zurückgeführt werden, sondern auch auf die Verknüpfung disparater scripts. Die Erörterung der genauen Relation zwischen diesen Varianten komikförderlicher Strukturen steht damit freilich noch aus.

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Es liegt also nahe, in Anlehnung an die Unterscheidung zwischen einer Was- und einer WieSpannung auch zwischen einer Was- und einer Wie-Komik zu unterscheiden. Jene Gegenüberstellung geht auf Clemens Lugowski zurück, die Bezeichnungen Was- und Wie-Spannung stammen allerdings von Peter Pütz, vgl. Clemens Lugowski, Die Form der Individualität im Roman (1932), mit einer Einleitung v. Heinz Schlaffer, Frankfurt a.M. 1994, 40f. und Peter Pütz, Die Zeit im Drama. Zur Technik dramatischer Spannung, Göttingen 1970, 11f. Vgl. zum Zusammenhang von Komik bzw. Witz und Spannung grundlegend Ralph Müller, „Witz und Spannung. Am Beispiel von Markus Werners Am Hang“, in Zwischen Text und Leser. Studien zu Begriff, Geschichte und Funktion literarischer Spannung, hg. v. Ingo Irsigler, Christoph Jürgensen u. Daniela Langer, München 2008, 283–297. S. dazu oben 1.4.2. Vgl. zur Position der GTVH Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“.

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Scripts und Oppositionen zum Vierten Mit Blick auf die grundsätzliche Frage nach dem Verhältnis von Komik und Semantik hat die Auseinandersetzung mit von Gyldenfeldts Kalauern zwar keine klare Antwort erbracht, wohl aber weitere Hinweise, wie eine solche aussehen könnte. Wird Attardos These ‚Komik ist immer semantisch‘ als Kurzfassung von ‚Komik beruht immer auf der Opposition semantischer scripts‘ verstanden, so haben die zuletzt betrachteten Beispielgedichte deutlich gemacht, dass sie unzutreffend ist. Komik in Texten hängt offenkundig nicht in allen Fällen mit einer Opposition zwischen semantischen scripts zusammen. Damit ist natürlich nur eine sehr restriktive Interpretation der These von Attarda zurückgewiesen – eine etwas permissivere könnte nun wie folgt lauten: ‚An textueller Komik sind stets semantische scripts wesentlich beteiligt‘. Dass die Annahme auch in dieser Deutung noch an vielen Fällen verbalen Humors vorbeigeht, hat die Beschäftigung mit Wolfs Gedicht „Wetterverhältnisse“ gezeigt – augenscheinlich kann Komik bereits durch die deviante Verwendung nur eines scripts entstehen. Und selbst die folgende, vermutlich liberalste Interpretation der These vor dem Hintergrund der GTVHDefinition des komischen Textes scheint unzureichend zu sein: ‚An textueller Komik ist stets mindestens ein semantisches script wesentlich beteiligt‘. Angedeutet hat sich dies bereits in der Auseinandersetzung mit Gernhardts „Materialien…“; offensichtlich wird es, wenn man sich Beispielfälle des Komischen in der Literatur anschaut, die als Ergebnis einer spezifischen Verwendung oder Verbindung von scripts nicht-semantischer Art zu erklären sind. Zu denken ist hier etwa an Gedichte, für die zunächst ein festes Reimschema prägend ist, von dem dann jedoch überraschend abgewichen wird – zur Veranschaulichung seien fünf Strophen eines Gernhardt-Gedichts aus dem ‚Dichter Dorlamm‘-Zyklus angeführt, wobei der abschließende Bruch mit dem formalen Paarreim-script natürlich nicht die einzige Quelle der Komik des Textes darstellt.339 Beispiel 8: Die letzte Reise I Dichter Dorlamm spricht: „Ich will es wissen!“ Und er macht sich auf den Weg nach Füssen. Läßt sich aber erst den Kopf verbinden, blicklos will er zu dem Ziele finden. […] II Doch der Süden ist ein weites Feld, Dorlamm zieht seit Jahren durch die Welt. 339

Vgl. zur Reimkomik am Beispiel Gernhardt’scher Texte auch Daniel Arnet, Der Anachronismus anarchischer Komik. Reime im Werk von Robert Gernhardt, Frankfurt a.M. u.a. 1996 und Wilhelm Solms, „Reimkomik bei Bernstein und Gernhardt“, in Risiken und Nebenwirkungen. Komik in Deutschland, hg. v. Nils Folckers u. Wilhelm Solms, Berlin 1996, 226–243.

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Zur Theorie literarischer Komik Wird ganz wirr. Betastet einen Herrn. „Herr, sind wir in Füssen?“ „Nein, in Bern.“ […] III Kommt in eine Stadt, wähnt sich am Ziel, reißt die Binde ab und steht in Kiew.340

Um nicht-semantisch fundierte komische Inkongruenzen kann es sich aber auch schlicht bei grammatischen Abweichungen handeln – im Rückgriff auf die eingeführte Terminologie ist der folgende kurze Textabschnitt, der Beginn von Ernst Jandls einaktigem Konversationsstück die humanisten, als Fall einer devianten Verwendung von morphologischen scripts einzuordnen: Beispiel 9: die humanisten m1 betritt die bühne raschen schrittes, sofort auch m2 und f, von m1 aufgefordert zu beginnen m1

m2 f

ahnenfangen! ahnenfangen! – ich hier sein damit sein ein stücken ich auch hier sein damit sein ein stücken ich hier sein damit sein ein frauen in stücken 341 damit sein ein stücken

Sofern man über das Feld komischer Texte im engeren Sinne hinausblickt, findet man leicht viele weitere Beispiele dafür, dass Komik nicht immer auf die Verwendung semantischer scripts zurückzuführen ist.342 Ein Bereich, in dem dies besonders anschaulich wird, ist die Musik. Den Standardfall musikalischer Komik hat Fred Fisher im Sinne des Inkongruenzmodells wie folgt bestimmt: „The evocation of humor in music […] depends upon disruption of a tendency or expectation within the musical content.“343 Die musikalischen Beispiele, die er zur Veranschaulichung dieses Prinzips auflistet, weisen erkennbar Ähnlichkeiten mit den betrachteten Fällen nicht-semantisch 340 341

342

343

Robert Gernhardt, Gedichte, 130f. Ernst Jandl, Peter und die Kuh. Die Humanisten. Aus der Fremde, hg. v. Klaus Siblewski, München 1997, 161. – In den Vorbemerkungen zu den humanisten heißt es unter anderem: „sprechund darstellungsweise sind durchweg ernst, hart und ohne spur von kabarettistischem. die dem stück eigentümliche sprache ist von den schauspielern ohne anzeichen von irritation so darzubieten, als handle es sich dabei um die deutsche normalsprache“ (ebd., 160). Zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit Komik, die durch metrische, stilistische und andere formale Merkmale von Texten zustande kommt, vgl. Walter Nash, The Language of Humour: Style and Technique in Humour Discourse, London 1985, 155–165. Fred Fisher, „Musical Humor: A Future as Well as a Past?“, in JAAC 33:2 (1974), 375–383, 378.

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fundierter textueller Komik auf: „Undue silence […], strange chord progressions, or unaccustomed angularity in a melodic line respectively might serve as examples.“344 Die Überlegungen im Ausgang vom Nonsenshumor, wie er für Kalauer kennzeichnend ist, sollten deutlich gemacht haben, dass textuelle Komik auch durch spezifische Verwendungen und Verbindungen nicht-semantischer scripts zustande kommen kann. Sie haben jedoch keine Gründe für die Annahme geliefert, dass textuelle Komik prinzipiell ohne Semantik zu haben ist – und dies wohl nicht zuletzt deshalb, weil die Annahme falsch ist. Grammatische Fehler, phonologische Absonderlichkeiten, Abweichungen vom vorgegebenen Metrum, Verletzungen des gewählten Reimschemas oder Ähnliches – entsprechende Mermale eines Textes sind nicht per se komisch, sie werden vielmehr unter einer Deutung des betreffenden Textes als Grundlage seiner Komik eingestuft. Anders gesagt: Von der Komik eines Textes zu sprechen, heißt, seine verschiedenen Merkmale – seien diese nun semantisch oder nicht-semantisch – in bestimmter Weise zu verstehen.345 Genau diese Beobachtung nun scheint der Attardo’schen These ‚all humor is semantic‘ zugrunde zu liegen; sie bezieht sich offenkundig nicht auf potenzielle Konstituenten des Komischen in Texten, sondern auf essenzielle Aspekte der Verwendung des Komikkonzepts.346 Noch einmal Komik und Harmlosigkeit Wurde anhand der ersten Beispielgedichte untersucht, wie die von der GTVH vorgeschlagenen notwendigen Bedingungen für das Vorliegen textueller Komik zu taxieren und zu modifizieren sind, soll nun in Auseinandersetzung mit einigen Texten überprüft 344

345

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Ebd., 379. Es sind seit den Überlegungen von Fisher eine Vielzahl von systematisch und typologisch weiter führenden Studien zur musikalischen Komik entstanden – eine Einführung in das Thema mit zahlreichen Hinweisen auf weitere Literatur bieten etwa Michael Stille, Möglichkeiten des Komischen in der Musik, Frankfurt a.M. u.a. 1990 und Laurie-Jeanne Lister, Humor as a Concept in Music. A Theoretical Study of Expression in Music, the Concept of Humor and Humor in Music with an Analytical Example – W. A. Mozart, „Ein musikalischer Spaß, KV 522“, Frankfurt a.M. u.a. 1994; einige Beispiele werden in Rudolf Gäbler, „Humor in der Musik“, in Lachund Clownstheater, 80–84 zusammengetragen. Vgl. zum Thema zuletzt Peter Kay, „Music and Humor. What’s So Funny?“, in Music Reference Services Quarterly 10:1 (2007), 37–53. Dabei ist ‚Verstehen‘ oder auch ‚Deuten‘ in einem voraussetzungslosen Sinne gemeint. Es geht hier mit anderen Worten um ein ‚epistemologisches‘ und nicht um ein ‚technisches‘ Konzept von Interpretation, vgl. zum Zusammenhang Axel Spree, Kritik der Interpretation. Analytische Untersuchungen zu interpretationskritischen Literaturtheorien, Paderborn 1995, 44–51, Gregory Currie, Arts and Minds, 291f. und Tom Kindt/Tilmann Köppe, „Moderne Interpretationstheorien“, 8f. – Vgl. zum Bedeutungsaspekt von Komik bereits David Thoreau Wieck, „Funny Things“, in JAAC 25:2 (1967), 437–447, 438. Im Sinne dieser Interpretation der Attardo-These ist Brocks Einwand „Nicht jede komische Inkongruenz ist […] semantisch“ (Alexander Brock, „Rez. Helga Kotthoff, Spaß verstehen“, in Gesprächsforschung – Online-Zeitschrift zur verbalen Interaktion 1 (2002), 17–22, 18) zu widersprechen: Jede komische Inkongruenz beruht letztlich auf einer semantischen Interpretation, auch wenn ihr keine semantischen Elemente zugrunde liegen.

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werden, ob die Definition von Raskin und Attardo in der modifizierten Form ein angemessenes Bild der hinreichenden Bedingungen für sprachlichen Humor liefert und wie sie gegebenenfalls zu erweitern ist. Wie gesehen, kommt der Frage nach den Kriterien, mit denen die für sich genommen unzureichende Bestimmung von Komik über Inkongruenz in eine zureichende verwandelt werden kann, im Wettstreit inkongruenztheoretischer Komikmodelle recht grundlegende Bedeutung zu.347 Konkret wird in entsprechenden Debatten vor allem zu klären versucht, wie sich komische Inkongruenzen einerseits von verängstigenden und andererseits von rätselhaften abgrenzen lassen.348 Die Beschäftigung mit diesen Fragen im Hinblick auf die GTVH soll durch eine vergleichende Betrachtung zweier Texte eingeleitet werden, die einander in Anlage und Inhalt sehr ähnlich sind, von denen sich jedoch nur einer gerechtfertigt als komisch einordnen lässt. Die Rede ist von Gernhardts Gedicht „Frage“, das er für das 1966 von ihm, F. K. Waechter und F. W. Bernstein vorgelegte Gemeinschaftswerk Die Wahrheit über Arnold Hau verfasst hat, und Hans Sahls Gedicht „De Profundis“, erstmals 1942 in seinem Band Die hellen Nächte veröffentlicht, der Lyrik aus seiner Zeit im französischen Exil versammelt: Beispiel 10: Frage Kann man nach zwei verlorenen Kriegen, Nach blutigen Schlachten, schrecklichen Siegen, Nach all dem Morden, all dem Vernichten, Kann man nach diesen Zeiten noch dichten? Die Antwort kann nur folgende sein: Dreimal NEIN!349 Beispiel 11: De Profundis Ich bin der Zeit und ihrem Reim entfremdet, Es hat die Zeit mir meinen Reim entwendet. Wo Welten stürzen, Völker sich vernichten, kann sich das Wort zum Reim nicht mehr verdichten. Wer wagt es noch, das Grauen zu besingen, Dem Ungereimten Reime zu entringen. […]

347 348 349

S. dazu oben 1.4.1. Vgl. zu diesen Inkongruenzformen insbes. Mary K. Rothbarth, „Incongruity“, John Morreall, „Enjoying Incongruity“ und Noël Carroll, „Humour“. Robert Gernhardt, Gedichte, 17.

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Schwer ist mein Mund, und meine Lippen finden Die Kraft nicht mehr, die Sätze zu verbinden. […] Es ist der letzte Reim noch nicht gefunden Auf diesen Jammer und auf diese Wunden. Der tiefste Schrei, den je ein Mensch vernommen, Er wird von uns, aus unserm Schweigen kommen.350

Es bedarf keiner detaillierten Analyse der Gedichte von Gernhardt und Sahl, um zu sehen, dass es zwischen ihnen einige formale und thematische Parallelen gibt: Beide Texte bestehen aus zweiversigen Strophen mit recht einfachen Paarreimen, und beide sind der Gattung der Metalyrik zuzurechnen – es handelt sich bei ihnen also um Gedichte, die das Dichten selbst zum Thema machen.351 Wie Gernhardts oben analysierte „Materialien…“ führen auch „Frage“ und „De Profundis“ in Gedichtform vor, was in der Pragmatik als ‚performativer Selbstwiderspruch‘ bezeichnet wird: Sie üben in lyrischer Form Kritik an der lyrischen Form.352 Neben diesen Gemeinsamkeiten fällt freilich auch ein Unterschied zwischen beiden Gedichten schnell ins Auge: Während es sich bei Gernhardts „Frage“ um einen komischen Text handelt, scheint eine entsprechende Einordnung von Sahls „De Profundis“ unangemessen. Man mag das Sahl’sche Gedicht komisch finden, etwa, weil man es für ästhetisch missglückt hält oder weil man seinen historischen Äußerungszusammenhang vollständig außen vor lässt; man wird jedoch nicht gerechtfertigt behaupten können, dass es – im erörterten Sinne – geeignet ist, komisch zu wirken, dass es also – kurz gesagt – komisch ist. Gernhardts Text ist ein ironischer Kommentar zu der in den 1960er Jahren virulenten Debatte über Adornos berühmtes Diktum, dass es „barbarisch“ sei, „nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben“.353 Der performative Selbstwiderspruch tritt erst im letzten Vers des Textes zutage und übernimmt so die Funktion einer Pointe; er dient dazu, eine vereinfachende Interpretation der Adorno’schen These ad absurdum zu führen. Sahls Text stellt demgegenüber eine elegische Reflexion der Unangemessenheit und Ohnmacht von Gedichten in Zeiten von Krieg und Vertreibung dar, wie sie in der

350 351

352 353

Hans Sahl, Die hellen Nächte. Gedichte aus Frankreich, New York 1942, 46. Vgl. zur Metalyrik Eva Müller-Zettelmann, Lyrik und Metalyrik. Theorie einer Gattung und ihrer Selbstbespiegelung anhand von Beispielen aus der englisch- und deutschsprachigen Dichtkunst, Heidelberg 2007. Zum Begriff des ‚performativen Selbstwiderspruchs‘ vgl. Matthias Gatzemeier, Philosophie als Theorie der Rationalität, Würzburg 2007, Bd. 2: Reflektierte Praxis, 31–34. Theodor W. Adorno, „Kulturkritik und Gesellschaft“ (1951), in T. W. A., Prismen, Frankfurt a.M. 1955, 7–31, 31. Vgl. zum Zusammenhang auch Wolfgang Emmerich, „Wer spricht? Lyrik nach Auschwitz als Generationenproblem“, in German Life and Letters 60:3 (2007), 365–382, insbes. 378–382.

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Lyrik des deutschsprachigen Exils nicht selten ist.354 Der performative Selbstwiderspruch wird einerseits als Verfahren genutzt, um die Unangemessenheit der Lyrik im Gedicht nicht nur zu verkünden, sondern auch vorzuführen, und andererseits als Mittel, um die Selbstbehauptung des Lyrikers unter widrigen Bedingungen anschaulich zu machen. Es dürfte schon nach diesen abrissartigen Analysen der beiden Texte deutlich sein, weshalb sich aus Gedichten wie den vorliegenden für die GTVH ein Problem ergibt: Obgleich sich nur eines von ihnen als komisch einzustufen lässt, gehen sie aufgrund ihrer Bauweise gleichermaßen als Fälle textueller Komik im Sinne der Bestimmung von Raskin und Attardo durch. Und das heißt nichts anderes, als dass die GTVH-Definition auch nach den erwogenen Modifikationen noch keine angemessene Explikation der komischen Wirkungsdisposition von Texten liefert – sie unterscheidet nicht zwischen Inkongruenzen, die geeignet sind, komisch zu erscheinen, und solchen, die geeignet sind, bedrohlich, befremdlich, verängstigend oder ähnlich zu wirken. In der GTVHBestimmung textueller Komik fehlt mit anderen Worten das, was in den humorologischen Debatten seit Platon als ‚Harmlosigkeitsbedingung‘ des Komischen diskutiert wird.355 Da diese Bedingung, wie gesehen, zumeist nicht sonderlich klar gefasst wird, sollte vor ihrer Integration in das bislang skizzierte Modell textueller Komik geklärt werden, wie sie näher zu bestimmen ist.356 Als erster Schritt in diesem Unternehmen wurde oben vorgeschlagen, sich in der textbezogenen Humorologie nicht an der Frage zu orientieren, ob das, was in einem Text behandelt wird, harmlos ist; es gelte stattdessen zu klären, ob es so dargestellt wird und sich darum so betrachten lässt, als sei es harmlos. Das bedeutet, kurz gesagt, dass Harmlosigkeit im Zusammenhang der Komikforschung nicht allein gegenstandsbezogen, sondern zumindest auch darstellungsbezogen gefasst werden sollte. Nur sofern die Harmlosigkeitsidee grundsätzlich in diesem Sinne verstanden wird, lässt sie sich mit den vielen Fällen des Komischen vereinbaren, deren

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Vgl. zur Metalyrik des Exils Wolfgang Emmerich, „Einleitung“, in Lyrik des Exils, hg. v. W. E. u. Susanne Heil, Stuttgart 1987, 21–77, 50f. S. dazu oben 1.4.1. – Dass es der GTVH an einer entsprechenden Anforderung an textuelle Komik mangelt, macht etwa auch ein Beispiel von Morreall deutlich, vgl. John Morreall, „Verbal Humor“, 394f. Raskin und Attardo schließen in dieser Hinsicht eng an die psychologische Humorforschung der 1970er Jahre an, in der vor allem die Frage der Auflösbarkeit, kaum jedoch die der Harmlosigkeit komischer Inkongruenzen erörtert wurde, vgl. dazu etwa Victor Raskin, Semantic Mechanisms, 32f. und s. oben 1.3.3. Ebenso unklar wie die Harmlosigkeitsbedingung sind verschiedene Paraphrasen, die für sie vorgeschlagen worden sind, vgl. dazu beispielhaft die Überlegungen zur ‚Enthobenheit‘ des Komischen in Karlheinz Stierle, „Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung“, 251f. oder zur Komisierung von Regelverletzungen durch deren ‚ästhetische Dämpfung‘ in Bjørn Ekmann, „Wieso und zu welchem Ende wir lachen“, 19.

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Gegenstände auch dann nicht unter den Harmlosigkeitsbegriff fallen, wenn er sehr weit gefasst wird.357 Eine entsprechende Umdeutung des Kriteriums lässt freilich noch vollkommen offen, was es heißt, dass die Darstellung in einer Textpassage so gestaltet ist, dass sich deren Gegenstände als harmlos wahrnehmen lassen. Um in dieser Frage zu einer Klärung zu kommen, scheint es sinnvoll, sich an einem der konkurrierenden Konzepte zu orientieren, die in der komiktheoretischen Debatten vorgeschlagen worden sind, um die Grundidee der Harmlosigkeitsforderung zu erläutern – nämlich am Konzept der ‚mentalen Distanz‘, auf das Morreall in verschiedenen Beiträgen zur Komikforschung hingewiesen hat.358 In seinem Buch Comedy, Tragedy, and Religion schreibt er zur Komik in der Komödie: Laughing about a situation […] involves a lack of practical concern about its incongruity. When comic protagonists show this lack of concern, we share it with them and laugh. At other times we may be emotionally disengaged when they are serious, so that we laugh when they do not. Comedies are written to allow us a certain mental distance from the characters and their problems.359

Morrealls Bemerkung zeichnet recht klar vor, wie eine Bestimmung des Begriffs textueller Komik vorgehen sollte, die der Harmlosigkeitsbedingung Rechnung tragen will: Sie hat sich mit der Frage zu beschäftigen, in welcher Form ein Text es seinen Rezipienten erlauben oder sogar nahe legen kann, die dargestellten Gegenstände aus mental distanzierter Perspektive zu betrachten.360 Im Sinne dieser These können im Folgenden die vielen möglichen nicht-textuellen Hintergründe für die mentale Distanz von Lesern gegenüber den Bestandteilen textueller Welten unberücksichtigt bleiben.361 Notwendig 357 358 359

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Zu Beispielen s. oben 1.4.1. Vgl. etwa John Morreall, Taking Laughter, 53f. und 115f. oder Humor Works, 37–46. John Morreall, Comedy, Tragedy, and Religion, Albany, NY 1999, 18. – Vgl. zum Zusammenhang aus rezeptionsbezogener Perspektive Dolf Zillmann/Jennings Bryant/Joanne R. Cantor, „Brutality of Assault in Political Cartoons Affecting Humor Appreciation“, in Journal of Research in Personality 7 (1974), 334–345 oder D. Z./J. R. C., „A Disposition Theory of Humour and Mirth“, in Humor and Laughter, 93–115. Die Betonung des Zusammenhangs zwischen Komik und mentaler Distanz sollte nicht missverstanden werden: Verstehen und mithin auch Komikverstehen kann ohne gewisse Formen der Empathie nicht zustande kommen, vgl. dazu – mit zahlreichen Hinweisen auf weitere Literatur – Andrea C. Samson, Cognitive and Neural Humor Processing, Kap. 4. Für die mentale Distanz von Rezipienten kann es grundsätzlich sehr viele unterschiedliche Erklärungen geben, in denen der Text keine oder nur eine nachgeordnete Rolle spielt, zu denken ist etwa an Müdigkeit, Drogeneinnahme, psychische Erkrankungen, biographische Prägungen, etc. – In der englischsprachigen Komikforschung wird zwar nicht selten nach dem Verhältnis von ‚humor‘ und ‚mental distance‘ gefragt, gemeinhin soll dabei geklärt werden, inwiefern in verschiedenen Zusammenhängen des Lebens ‚humor‘ zur ‚mental distance‘ beizutragen vermag – und nicht umgekehrt, vgl. etwa Avner Ziv, „The Influence of Humorous Atmosphere on Divergent Thinking“, in Contemporary Educational Psychology 8 (1983), 68–75, 73f., John Morreall, „Humor and Work“, 364–366 oder Humor Works, 40–46.

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ist im vorliegenden Kontext lediglich, sich zumindest umrisshaft klar zu machen, wie eine mental distanzierte Einstellung in typischer Form textuell induziert werden kann. Von besonderer Relevanz im Hinblick auf diese Frage sind, wie oben bereits angedeutet wurde, die diversen Verfahren, mit denen in Texten Anteilnahme an Personen oder Figuren und damit an Ereignissen und Gegebenheiten der realen oder einer fiktiven Welt ermöglicht, befördert, behindert oder gar verhindert wird.362 Eine Variante der entsprechenden Verfahren scheint dabei für das Zustandekommen und die Steuerung aller wesentlichen Spielarten der Anteilnahme an Textakteuren grundlegend zu sein – nämlich die Variante, die in der Erzähltheorie unter der Überschrift ‚Perspektivgestaltung‘ betrachtet wird.363 Ob die Personen oder Figuren eines Textes Gegenstände der Identifikation, Empathie oder Sympathie von Rezipienten werden, das hängt offenkundig entscheidend davon ab, aus welcher Perspektive sie, ihre Handlungen und deren Umstände vermittelt werden. Und Perspektive meint hier wie in der Narratologie allgemein nicht bloß perzeptuelle, sondern etwa auch epistemische, emotionale oder evaluative Perspektive.364 Wie eng die Gestaltung der Perspektive und die Anteilnahme an den Akteuren in einem Text miteinander verbunden sind, machen musterhaft die Gedichte von Gernhardt und Sahl anschaulich, von denen die vorangegangenen Reflexionen ihren Ausgang genommen haben: Der Sprecher in Gernhardts Text äußert sich in prinzipieller Form zu einer ästhetisch-ethischen Frage, die in wenig anschaulicher Form zum Thema gemacht wird; in dem Gedicht wird, anders gesagt, ein theoretisches Problem aus einer bestimmten evaluativen Perspektive betrachtet, ohne dass sich freilich eine emotionale Involviertheit des Sprechers erkennen ließe. Im Fall des Sahl-Gedichts liegen die Dinge erkennbar anders: Hier sind die Überlegungen zur Unangemessenheit der Lyrik eingebettet in einen Erfahrungsbericht; hier gibt ein Sprecher detailliert Einblick in seine affektive Lage, berichtet vom Gefühl der ‚Entfremdung‘, von der ‚Schwere‘ seines Mundes und der ‚Kraftlosigkeit‘ seiner Lippen; hier wird nicht zu einer Fragestellung ein evaluativer Kommentar abgegeben, sondern aus vor allem emotionaler und motivationaler Perspektive eine Erfahrung geschildert. Kurzum: Als Gedicht in der Tradition der Lehrdichtung legt Gernhardts „Frage“ mentale Distanz nahe; Sahls „De Profundis“ ist demgegenüber ein Beispiel für das, was im Anschluss an Goethe oft als Erlebnisdichtung bezeichnet wird, die perspektivische Gestaltung des Textes soll eine mental distanzierte Lesehaltung gerade verhindern.

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Vgl. hierzu grundlegend Jens Eder, Die Figur, Kap. 12 und 13. Vgl. etwa die integrativen Ansätze in Manfred Pfister, Das Drama, München, 2., durchges. Aufl., München 1988 oder Ansgar Nünning, Grundzüge eines kommunikationstheoretischen Modells der erzählerischen Vermittlung: Die Funktion der Erzählinstanz in den Romanen George Eliots, Trier 1989 und den interdisziplinären Überblick über rezente Positionen in Willie van Peer/Seymour Chatman (Hg.), New Perspectives. Vgl. zu diesen Varianten bzw. Aspekten von Perspektive in Filmen Jens Eder, Die Figur, 585f.

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Dass die textuell induzierte mentale Nähe zu den Akteuren eines Textes dessen Eignung beeinträchtigt, komisch zu wirken, machen nicht zuletzt viele der Erzählungen und Kurzgeschichten Franz Kafkas deutlich. Als Beispiel seien hier einige charakteristische Absätze aus der oben bereits erwähnten Erzählung „Das Urteil“ von 1912 zitiert und kurz kommentiert.365 In der Passage wird der Wendepunkt eines Gesprächs geschildert, in dem Georg Bendemann, der Protagonist des Textes, seinem Vater berichtet, dass er einem Petersburger Freund seine Verlobung angezeigt habe; der Vater zweifelt freilich an der Existenz dieses Freundes: Beispiel 12: Das Urteil […] Währenddessen war es Georg gelungen, den Vater wieder niederzusetzen und ihm die Trikothose, die er über den Leinenunterhosen trug, sowie die Socken vorsichtig auszuziehn. Beim Anblick der nicht besonders reinen Wäsche machte er sich Vorwürfe, den Vater vernachlässigt zu haben. Es wäre sicherlich auch seine Pflicht gewesen, über den Wäschewechsel seines Vaters zu wachen. Er hatte mit seiner Braut darüber, wie sie die Zukunft des Vaters einrichten wollten, noch nicht ausdrücklich gesprochen, denn sie hatten stillschweigend vorausgesetzt, daß der Vater allein in der alten Wohnung bleiben würde. Doch jetzt entschloß er sich kurz mit aller Bestimmtheit, den Vater in seinen künftigen Haushalt mitzunehmen. Es schien ja fast, wenn man genauer zusah, daß die Pflege, die dort dem Vater bereitet werden sollte, zu spät kommen könnte. Auf seinen Armen trug er den Vater ins Bett. […] Kaum war er aber im Bett, schien alles gut. Er deckte sich selbst zu und zog dann die Bettdecke noch besonders weit über die Schulter. Er sah nicht unfreundlich zu Georg hinauf. „Nicht wahr, du erinnerst dich schon an ihn?“ fragte Georg und nickte ihm aufmunternd zu. „Bin ich jetzt gut zugedeckt?“ fragte der Vater, als könne er nicht nachschauen, ob die Füße genug bedeckt seien. „Es gefällt dir also schon im Bett“, sagte Georg und legte das Deckzeug besser um ihn. „Bin ich gut zugedeckt?“ fragte der Vater noch einmal und schien auf die Antwort besonders aufzupassen. „Sei nur ruhig, du bist gut zugedeckt.“ „Nein!“ rief der Vater, daß die Antwort an die Frage stieß, warf die Decke zurück mit einer Kraft, daß sie einen Augenblick im Fluge sich ganz entfaltete, und stand aufrecht im Bett. Nur eine Hand hielt er leicht an den Plafond. „Du wolltest mich zudecken, das weiß ich, mein Früchtchen, aber zugedeckt bin ich noch nicht. Und ist es auch die letzte Kraft, genug für dich, 366 zuviel für dich.“

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Entsprechende Passagen werden in den mittlerweile recht zahlreichen Beiträgen zur Komik in Kafkas Texten zumeist vernachlässigt – das liegt vor allem daran, dass die Untersuchungen entweder von einem ausgesprochen vagen oder recht idiosynkratischen Konzept des Komischen ausgehen, vgl. etwa Pavel Petr, Kafkas Spiele. Selbststilisierung und literarische Komik, Heidelberg 1992, Peter Rehberg, lachen lesen. Zur Komik der Moderne bei Kafka, Bielefeld 1997, Joseph Vogl, „Kafkas Komik“ oder Anja Gerigk, Literarische Hochkomik. Franz Kafka, „Das Urteil“, 54–56.

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Der Rezipient von „Das Urteil“ wird, wie die Textpassage zeigt, in der Geschichte mit einer massiven Inkongruenz auf der Handlungsebene konfrontiert.367 Der Vater, der als pflegebedürftiger alter Mann eingeführt wird, verwandelt sich von einem Moment zum anderen in eine kraftstrotzende Gestalt, die dem Sohn schließlich verkündet: „Ich verurteile dich jetzt zum Tode des Ertrinkens!“368 Dass Kafkas Text trotz dieser Inkongruenz an zentraler Stelle nicht komisch ist, liegt an seiner perspektivischen Gestaltung: Das Geschehen der Erzählung wird im Modus einer fixen internen Fokalisierung präsentiert, aus der Sicht Georg Bendemanns; seine perzeptuelle, emotionale und motivationale Perspektive prägt den Blick des Lesers auf die Element des fiktiven Universums und damit nicht zuletzt auf das Verhalten des Vaters. Kurz gesagt: Weil der Text zur rezeptiven Anteilnahme am Schicksal seiner Hauptfigur auffordert, besitzt die betrachtete Passage keine komische Wirkungsdisposition. Ein instruktives Beispiel dafür, wie umgekehrt Distanz zu den nicht durchweg harmlosen Ereignissen in einem Text hergestellt und so dessen Komik sichergestellt werden kann, liefert eines der berühmtesten expressionistischen Gedichte – Jakob van Hoddis’ „Weltende“ von 1911: Beispiel 13: Weltende Dem Bürger fliegt vom spitzen Kopf der Hut, In allen Lüften hallt es wie Geschrei. Dachdecker stürzen ab und gehn entzwei Und an den Küsten – liest man – steigt die Flut Der Sturm ist da, die wilden Meere hupfen An Land, um dicke Dämme zu zerdrücken. Die meisten Menschen haben einen Schnupfen. Die Eisenbahnen fallen von den Brücken.369

Van Hoddis’ eigentümliche achtversige Apokalypse wird oft angeführt, um die typische Bauweise expressionistischer Lyrik zu veranschaulichen – dass es sich bei dem Gedicht zugleich um einen musterhaften komischen Text handelt, bleibt in den zahlreichen Analysen in der Regel jedoch unbemerkt.370 Die Komik von „Weltende“ ist darauf zurückzuführen, dass das Gedicht mit Inkongruenzen geradezu gespickt ist und zugleich dem Leser mentale Distanz gegenüber den dargestellten Ereignissen nahe legt. Dies geschieht zum einen auch in Van Hoddis’ Text durch die Gestaltung der Perspektive und 367 368 369 370

Weitere Unstimmigkeiten in der Erzählung seien hier der Einfachheit halber vernachlässigt. Ebd., 60. Jakob van Hoddis, „Weltende“ (1911), in Robert Gernhardt/Klaus Cäsar Zehrer (Hg.), Hell und Schnell, 25. Vgl. etwa Silvio Vietta/Hans-Georg Kemper, Expressionismus, München 1974, 30f. – Vgl. zur Zurechnung des Gedichts zur komischen Literatur Robert Gernhardt, Gedanken zum Gedicht, Zürich 1990, 34f. oder Hans H. Hiebel, Das Spektrum der modernen Poesie, Würzburg 2006, 128– 130.

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das heißt in diesem Fall durch die vorwiegend externe Fokalisierung. Distanz zum Geschehen entsteht zum anderen aber auch durch verschiedene textuelle Hinweise auf die intendierte generische und stilistische Einordnung des Gedichts – zentrale Bedeutung kommt dabei den Inkongruenzen selbst zu, die anzeigen, dass es sich bei „Weltende“ nicht um einen Text mit schlichtem realistischen Anspruch handelt. Das Gedicht befasst sich zwar unter anderem mit abstürzenden Dachdeckern und verunglückenden Eisenbahnen, es tut dies aber in einer Art und Weise, die nicht an das Sterben von Menschen, sondern an das Zerspringen von Tonfiguren oder an Unfälle von Spielzeugzügen denken lässt. Überdies stehen die entsprechenden Passagen unmittelbar neben Ausführungen zu unerheblichen Missgeschicken wie dem Verlieren des Hutes, die in einem „Weltende“ betitelten Gedicht unschwer als Ironiesignale zu durchschauen sind. Ausgehend von den verschiedenen näher untersuchten Beispielen mag nun die Versuchung recht groß sein, eine weitere Ergänzung der GTVH-Definition textueller Komik vorzuschlagen, die etwa die folgende Gestalt hat: Um komisch zu sein, muss ein Text nicht nur mindestens eine der oben unterschiedenen Spielarten von Inkongruenz enthalten; er hat zudem im Hinblick auf die Akteure, die von der Inkongruenz betroffen sind, eine Haltung mentaler Distanz zu induzieren. Ein entsprechender Vorschlag ist freilich als Folge dessen zu erklären, was Wittgenstein als „einseitige Diät“ bezeichnet: „Man nährt sein Denken mit nur einer Art von Beispielen“.371 Eine etwas umsichtigere Betrachtung bringt schnell einschlägige Fälle des Komischen in den Blick, die vor Augen führen, dass der Klärungsvorschlag aus mindestens zwei Gründen sein Ziel verfehlt: Wer eine Korrelation zwischen der Komik eines Textes und der in ihm nahe gelegten mentalen Distanz gegenüber seinen Akteuren annimmt, der übersieht erstens, dass textuelle Komik mitunter ohne mentale Distanz zustande kommt, und zweitens, dass es trotz mentaler Distanz bisweilen zweifelhaft ist, ob textuelle Komik vorliegt. Beide Fälle des Komischen in Texten seien kurz anhand von Beispielen erläutert. Zum ersten Fall: Dass ein Text Empathie und Sympathie für einen Akteur weckt, sich zugleich aber in gewisser Form über die betreffende Person oder Figur lustig macht, kommt oft vor.372 Es ist in vielen fiktionalen und faktualen Texten zu beobach-

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Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (1953), Frankfurt a.M. 2003, § 593. Trotzdem wird diese Möglichkeit in Überlegungen zur Komikforschung nicht allein oftmals übersehen, sondern sogar ausdrücklich geleugnet, vgl. etwa Henri Bergson, Le rire, H. A. Wolff/C. E. Smith/H. A. Murray, „The Psychology of Humor“, in Journal of Abnormal and Social Psychology 28 (1943), 341–365 oder Walter Haug, „Schwarzes Lachen“. Um eine überzeugende Differenzierung dieser offenkundig verkürzten Sichtweise handelt es sich bei der sogenannten ‚Dispositionstheorie des Komischen‘, die zu klären versucht, wie die Witzigkeitsbewertungen von Rezipienten mit deren Einstellungen gegenüber den ‚Opfern‘ von lustig gedachten Situationen oder Texten zusammenhängen, vgl. für einen Überblick Dolf Zillmann, „Humor and Comedy“, in Media Entertainment. The Psychology of Its Appeal, hg. v. D. Z. u. Peter Vorderer, Mahwah, NJ 2000, 35– 55, 39f. Vgl. ferner Dolf Zillmann/Joanne R. Cantor, „A Disposition Theory“ oder Dolf Zillmann, „Disparagement Humor“, in Handbook of Humor Research, 85–107.

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ten, aber auch in Filmen, Comics, Performances und anderen Artefakten.373 In der Literatur findet sich der Fall, dass sympathische Figuren zugleich Vehikel komischer Effekte werden, etwa in zahlreichen Exemplaren der Gattung des Entwicklungsromans.374 Zur Illustration der in Rede stehenden Variante textueller Komik sollen im vorliegenden Zusammenhang allerdings einige Auszüge aus einem vergleichsweise kurzen Text betrachtet werden, und zwar aus Eckhard Henscheids Erzählung „Poschiavo – Graz einfach“, die erstmals 1998 in dem Band 10:9 für Stroh erschienen ist. Die Erzählung besteht – wie es ihr Untertitel bereits ankündigt – in dem Bericht über eine Bahnfahrt: „Wolfgang Hildesheimer durchquert mit seiner Frau im Zuge einer Lesereise die Alpen“.375 Erzählt wird die Fahrt von Poschiavo nach Graz aus der Perspektive Hildesheimers, die Präsentation der Ereignisse erfolgt also vorwiegend in Form einer fixen internen Fokalisierung. Beispiel 14: Poschiavo – Graz einfach […] Der Zug […] passierte den bekannten Skiort Diavolezza und seine kleine und schmucke Bahnstation und gelangte, die spätherbstliche Sonne begann nun stärker zu leuchten und kündigte einen schönen warmen Tag an, vorbei an den gewaltigen Bergmassiven der Bernina und des Piz Palü, auf die Minute rechtzeitig in Pontresina an, und zum wiederholten Male freute sich Wolfgang Hildesheimer an dem Gedanken, daß man diesen besonders schönen und vielversprechenden Weg nach Graz gewählt hatte und nicht etwa die vielleicht naheliegendere, aber weniger aussichtsreiche und vielleicht sogar umständlichere südliche Route über Veltin und Addatal…376

Die Komik in „Poschiavo – Graz einfach“ lässt sich im Wesentlichen aus einer grundlegenden texuellen Inkongruenz erklären – aus dem Missverhältnis zwischen der perfekten Planung und der überaus chaotischen und strapaziösen Wirklichkeit der Reise, mit dessen allmählichem Sichtbarwerden die Überforderung Hildesheimers stetig wächst: [J]etzt wieder ein bißchen schläfrig im Kopf, erwog der Dichter abermals und minutenlang, wie es wohl wäre, jetzt auszusteigen, umzukehren und einfach wieder zurückzufahren. Zurückzubrausen – zurückzubrummen. […] Und den Veranstaltern nicht einmal Bescheid zu sagen, vielleicht fiele es ja gar nicht auf […]. Hildesheimer seufzte zwiefach auf. Er verspürte Lust auf eine Nudelspeise. […] Schon fuhr der Zug in Spittal ein. 17.50 Uhr hieß die Uhr.

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Musterbeispiele liefern viele der Filme, die Woody Allen seit Annie Hall von 1977 vorgelegt hat. Vgl. zum Zusammenhang auch Vittorio Hösles Buch Woody Allen, in dem allerdings die Kontinuität von Allens Werk seit den späten 1960er Jahren deutlich überschätzt wird, vgl. etwa ebd., 8– 11. Vgl. zur Tradition des Entwicklungsromans Tom Kindt, Unzuverlässiges Erzählen, 154–156. Eckhard Henscheid, 10:9 für Stroh. Drei Erzählungen, Berlin 1998, 173. – Ein weiterer Beispielfall, der unten eingehend untersucht wird, ist Lessings Minna von Barnhelm, s. dazu 2.1. Eckhard Henscheid, 10:9 für Stroh, 173f.

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Leider war weder für Nudeln in der Bahnhofsgaststätte noch auch nur für ein Erfrischungsgetränk ausreichend Zeit, am Bahnsteig gegenüber wartete nämlich bereits der Anschlußzug nach Villach, der auch mit lediglich zwei Minuten Verspätung um 17.56 Uhr schon startete. […] Es wunderte sich Wolfgang Hildesheimer ein nicht geringes, daß dieser Zug im Zuge seiner südöstlichen Route heute dabei auch schon Städte wie Koblenz, Heidelberg, Ulm und Badgastein gestreift, nein, praktisch mitgenommen hatte – schon kurz nach Spittal beschlich den davon leicht Erregten und zugleich neuerlich Erschöpften der vorübergehend unabweisbare Verdacht, daß man zu Hause vermutlich, ja wahrscheinlich doch die Katze zu 377 füttern vergessen hatte, vorgestern…

Die mentale Nähe zur Hauptfigur Hildesheimer und deren insgesamt sympathische Darstellung tun der Komik der Henscheid’schen Erzählung offenkundig keinen Abbruch. Und dass dies so ist, lässt sich recht einfach erklären: Es liegt an der zweifelsfreien Harmlosigkeit der Situationen und mithin auch der Inkongruenzen in der Erzählung. Das Ärgste, was das Ehepaar Hildesheimer durchzustehen hat, sind Abweichungen von den Fahrplänen, die sie dazu zwingen, ihr Reiseziel in anderer Weise zu erreichen als erhofft. Anders gesagt: Die Inkongruenzen in Henscheids Geschichte sind so harmlos, dass sie auch ohne mentale Distanz zu den Akteuren des Textes geeignet sind, komisch zu wirken. Henscheids „Poschiavo – Graz einfach“ zeigt an, dass sich eine differenzierte Explikation des Zusammenhangs von Komik und Harmlosigkeit in Texten nicht allein auf deren Darstellungsweise beziehen kann, sondern auch deren Gegenstände zu beachten hat. Vor dem Hintergrund der vorangegangenen Analysen macht die Erzählung so auf einen weiteren Grund dafür aufmerksam, dass sich die Ereignisse in einem Text als harmlos wahrnehmen lassen – dies muss nicht darauf zurückzuführen sein, dass sie als harmlos dargestellt werden, es kann auch schlicht daran liegen, dass sie harmlos sind.378 Zum zweiten Fall: Es ist ein Leichtes, viele Texte – und zweifellos auch andere Formen von Artefakten – aufzulisten, die aus mental distanzierter Perspektive Inkongruenzen inszenieren, bei denen jedoch nicht ohne Weiteres klar ist, ob sie eine komische Wirkungsdisposition aufweisen. Texte dieser Art sind seit Platon immer wieder Gegenstand in den Diskussionen zum Zusammenhang von Komik und Harmlosigkeit gewesen379 und haben in den letzten Jahren vor allem in den philosophischen und psychologischen Debatten zum Verhältnis von Kunst und Moral gewinnbringend Beachtung gefunden.380 Die Rede ist von Texten, deren Funktionsweise musterhaft in der Form des 377 378

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Ebd., 185–187. Mehr noch: Die Komik des Henscheid-Textes scheint sich wesentlich durch die – aus der Sicht Hildesheimers erfolgende – Dramatisierung der Ereignisse zu ergeben; es besteht ein komisches Missverhältnis zwischen ihrer Präsentation als nicht-harmlos und ihrem offenkundig harmlosen Charakter. S. dazu oben 1.4.1. Vgl. insbes. Ronald de Sousa, „When Is It Wrong to Laugh?“, in The Philosophy of Laughter, 246–249 und The Rationality of Emotion, Cambrige, Mass. 1990, Berys Gaut, „Just Joking? The Ethics and Aesthetics of Humor“, in Philosophy and Literature 22:1 (1998), 51–58 und Art, Emotion, and Ethics, Oxford 2007 oder Noël Carroll, „On Jokes“ und „Humour“.

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tendenziösen Witzes zur Anschauung kommt.381 In entsprechenden Fällen wird der Versuch, Komik zu erzeugen, mit der Verächtlichmachung eines Gegenstands verbunden, bei dem es sich selbstverständlich nicht um eine Person oder Figur handeln muss; Angriffsziel kann eine Personengruppe, ein Geschlecht, eine Religionsgemeinschaft, eine Generation oder Ethnie sein, aber auch eine Idee, eine Weltanschauung, eine Kultur oder eine Theorie.382 Auch wenn Texte wie etwa ethnische oder sexistische Witze ihren Gegenstand in mental reservierter Form in den Blick nehmen, was sie gemeinhin tun, ist die Frage nach ihrer Harmlosigkeit und damit die nach ihrer Komik oft Anlass zu Diskussionen. Wenn in entsprechenden Kontroversen Harmlosigkeit zum Thema wird, dann geht es allerdings weniger um die physische Versehrtheit oder Unversehrtheit der Textakteure als vielmehr um die moralische Bedenklichkeit oder Unbedenklichkeit des Textes selbst bzw. der in ihm zum Ausdruck kommenden Positionen. Bevor diese Kontroversen hier anhand einiger Beispiele aufgegriffen und fortgesetzt werden, gilt es zunächst kurz zu erläutern, welche Frage genau dabei im Zentrum stehen wird. Dies ist deshalb ratsam, weil sich bei näherer Betrachtung der Diskussionen um die moralische Akzeptabilität von vermeintlich oder tatsächlich komischen Texten schnell zeigt, dass in ihnen viele verschiedene Probleme betrachtet und nicht immer hinreichend klar auseinander gehalten werden. Wer eine Frage der folgenden Struktur stellt: „Kann über X (in der Form Y) ein Witz gemacht werden?“, für den können recht unterschiedliche Dinge von Interesse sein. Es kann ihm um die Einordnung eines Textes in moralischer Hinsicht gehen,383 aber auch um die Abschätzung seiner sozialen Folgen,384 um die Abwägung seiner juristischen Anfechtbarkeit,385 um die Klärung der prinzipiellen Darstellbarkeit bestimmter Zusammenhänge,386 um die Erörterung der imaginativen Vermögen von Personen,387 um die Bestimmung der positiven und negati381 382 383 384

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Ohne sich auf Debatten zur Harmlosigkeitsbedingung zu beziehen, unterscheidet Freud grundlegend zwischen ‚tendenziösen‘ und ‚harmlosen Witzen‘, vgl. Sigmund Freud, Der Witz, 108f. In der englischsprachigen Forschung wird allgemein vom ‚target‘ oder ‚butt‘ witziger Bemerkungen gesprochen, s. dazu oben 1.4.2. S. dazu unten. Vgl. dazu insbes. die empirisch fundierten Thesen zu den Wirkungen sexistischer Komik in Thomas E. Ford, „Effects of Sexist Humor on Tolerance of Sexist Events“, in Personality an Social Psychology Bulletin 26:9 (2000), 1094–1107 und – mit Hinweisen auf weitere rezente Literatur – Thomas E. Ford/Mark A. Ferguson, „Social Consequences“ und „Disparagement Humor“. Vgl. etwa Christian Schmidt, „Titanic. Die verbotenste Zeitschrift Deutschlands“, in Risiken und Nebenwirkungen, 176–191, der die Rechtsstreitigkeiten um die Zeitschrift Titanic darstellt. Dies ist etwa in den Diskussionen um einen komisch angelegten Umgang mit dem Holocaust eine der zentralen Fragen, vgl. dazu beispielsweise Rüdiger Steinlein, „Das Furchtbarste lächerlich? Komik und Lachen in Texten der deutschen Holocaust-Literatur“, in Kunst und Literatur nach Auschwitz, hg. v. Manuel Köppen, Berlin 1993, 97–106, Sander L. Gilman, „Is Life Beautiful? Can the Shoa be Funny? Some Thoughts on Recent and Other Films“, in Critical Inquiry 26 (2000), 279–308 oder Sidra DeKoven Ezrahi, „After Such Knowledge, What Laughter?“, in The Yale Journal of Criticism 14:1 (2001), 287–313. S. dazu unten die Hinweise zum ‚Puzzle of Imaginative Resistance‘.

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ven individual- oder sozialpsychologischen Leistungen von Humor388 und um andere Fragen mehr.389 Im vorliegenden Zusammenhang können diese diversen Projekte und ihre konkreten Resultate, so interessant sie im Einzelnen sein mögen, weitgehend vernachlässigt werden. Hier reicht es aus, wenn im Sinne des umrissenen konzeptuellen Klärungsvorhabens die folgende Reformulierung der oben gestellten Frage diskutiert wird: Gibt es Gegenstände, deren Thematisierung ausschließt, oder Haltungen, deren Artikulation verhindert, dass sich einem Text gerechtfertigt eine komische Wirkungsdisposition zuschreiben lässt? Oder etwas allgemeiner gefragt: Ist ein Zusammenhang zwischen dem Begriff der Komik und dem der Moral eines Textes anzunehmen?390 Auch bei der Diskussion dieser Frage sollen zwei kurze Texte als Bezugspunkt dienen. Es seien wiederum zwei Beispielfälle vergleichend betrachtet, und zwar einige Strophen eines Gernhardt-Gedichts, das erstmals 1981 in der Titanic erschienen ist, und die Parodie eines Lexikoneintrags, bei dem es sich um einen repräsentativen Beitrag zu einer vom Ku-Klux-Klan unterhaltenen Webseite mit rassistischen Witzen handelt: Beispiel 15: VATER, MEIN VATER! Ja, mein Sohn, was ist? Vater, mein Vater! Wie werde ich Rassist?

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Vgl. zu diesem Problem etwa Willie Smyth, „Challenger Jokes and the Humor of Disaster“, in Western Folklore 45:4 (1986), 243–260, Bill Ellis, „The Last Thing … Said: The Challenger Disaster Jokes and Closure“, in International Folklore Review 8 (1991), 110–124 und „Making the Big Apple Crumble: A Model for Collecting and Interpreting World Trade Center Disaster Jokes“, in New Directions in Folklore 5 (2001), , Elliott Oring, Jokes, Mark Cory, „Comedic Distance in Holocaust Literature“, in Journal of American Culture 18:1 (1995), 35–40 oder Lajos Csaszi, „World Trade Center Jokes and Their Hungarian Reception“, in Journal of Folklore Research 40:2 (2003), 175–210, die sich sämtlich mit Witzen als Form der Verarbeitung von ‚Katastrophen‘ wie Aids, dem Challenger-Absturz oder den 9/11-Anschlag beschäftigen. Hingewiesen sei überdies auf Leon Rappaports Buch Punchlines. The Case for Ethnis, Racial, and Gender Humor (Westport, Conn. 2005), das die Bedeutung ethnischen Humors für multikulturelle Gesellschaften analysiert. Vgl. zum Zusammenhang auch Michael Billig, „Humour and the Hatred: the Racist Jokes of the Ku Klux Klan“, in Discourse & Society 12:3 (2001), 267–289, der den Funktionen von Witzen auf Internetportalen des Ku-KluxKlan nachgeht, sowie Schuyler W. Hendersen, „Disregarding the Sufferings of Others: Narrative Comedy, and Torture“, in Medicine and Literature 24:2 (2005), 181–208, der den verharmlosenden Einsatz von Komik im Kontext von Folter und Folterdarstellungen untersucht. Zu einer differenzierten Diskussion dieser und weiterer Fragen anhand der Auseinandersetzungen um die sogenannten ‚Mohammed-Karikaturen‘ vgl. die Stellungnahmen in Paul Lewis (Hg.), „The Muhammad Cartoons and Humor Research. A Collection of Essays“, in Humor 21:1 (2008), 1–46. Vgl. auch die empirische Studie von Thomas Herzog und anderen zum Zusammenhang von ‚joke cruelty‘ und ‚joke appreciation‘, die zu folgendem Ergebnis gelangt: „the relation between appreciation and cruelty is negative, modest in magnitude, and occurs only for female raters“ (T. R. H. et al., „Joke Cruelty“, 153).

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Nun – ein Rassist hält nichts von anderen Rassen. Du müßtest, beispielsweise, Neger hassen. Den Neger? Nein, den haß’ ich nicht, den dummen schwarzen Mohr. Ich haß’ doch keinen Stinkemann, wie komm’ ich mir da vor? […] Mein Sohn, ach mein Sohn! Mein Vater, was ist? Mein Sohn, ach mein Sohn, du wirst nie ein Rassist! Mein Vater, mein Vater, warum wird’ ich keiner? Ach Heiner, meiner Kleiner, du bist ja schon einer! Ehrlich? Wie herrlich!391 Beispiel 16: Definition of Nigger Nig-ger (nig’er) n. An African jungle anthopoid ape of the primate family pongidae (superfamily cercopithecoidea). Imported to the United States as slave labour in the late 1700’s1800’s, these wild creatures now roam freely while destroying the economic and social infrastructures of American and various other nations. These flamboyant subhumans love to consume large quantities of greasy fried chicken.392

Das Gernhardt- und das Ku-Klux-Klan-Beispiel unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht, es gibt zwischen ihnen aber natürlich auch einige Berührungspunkte – eine kleinere Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie ein abwertendes Bild von Schwarzen entwerfen, eine grundlegende darin, dass es sich bei ihnen um komische Texte im Sinne der bisherigen Annäherungen an eine Klärung des Komikkonzepts handelt. „Definition of Nigger“ liegen zwei einander in Gänze überlagernde oppositionelle scripts zugrunde, nämlich das Lexikon- oder Information-script auf der einen und das Stammtisch- oder Ideologie-script auf der anderen Seite; als Parodie eines Lexikonartikels ist der Text zugleich durch einen pseudoneutralen Duktus charakterisiert, die script-Opposition und damit die rassistische Position werden also in mental distanzierter Form entwickelt. „Vater, mein Vater!“ ist ein etwas komplizierter gebauter Text: Die Komik ergibt sich hier wesentlich aus der kuriosen Weise, in der die Form eines Erziehungsgesprächs umgesetzt und dabei die Skizze einer Selbstfindungsgeschichte mit der Präsentation mehr oder weniger gängiger Vorurteile verbunden wird. Es sind in dem Text also auf und zwischen verschiedenen Ebenen komische Inkongruenzen zu finden – als grundlegend 391 392

Robert Gernhardt, Gedichte, 183f. Michael Billig, „Humour and the Hatred“, 276.

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lässt sich das Missverhältnis zwischen der Unsicherheit des Jungen über seine Entwicklung zum Rassisten und seiner Sicherheit im Herunterbeten der Überzeugungen eines Rassisten einstufen.393 Damit deutet sich zugleich an, worin der entscheidende Unterschied zwischen den beiden Texten besteht: Im Gernhardt-Gedicht ist die rassistische Perspektive Gegenstand des Textes; es bringt die Umgereimtheiten der Position und die Schlichtheit ihrer Exponenten zur Anschauung. Im Ku-Klux-Klan-Witz entspricht die rassistische Perspektive der Sichtweise des Textes; er bringt eine entsprechende Haltung in zugespitzter Form zum Ausdruck.394 Ungeachtet dieses Unterschieds kann für beide komisch intendierten Texte als sicher gelten, dass viele Rezipienten über ihre Lustigkeit recht skeptisch urteilen würden. Im Hinblick auf die Ku-Klux-Klan-Parodie lässt sich dies ohne Weiteres voraussetzen, im Hinblick auf den Gernhardt-Text gibt es viele Belege über entrüstete Reaktionen auf ähnliche Gedichte oder Zeichnungen, die eine solche Hypothese stützen.395 Bei den meisten entsprechenden Stellungnahmen scheint es sich um moralische Urteile zu handeln, mit denen keine konzeptuellen Folgerungen zum Begriff des Komischen verbunden sind – man nimmt kurzum Anstoß daran, wie Komik genutzt wird und welche Ideen mit ihrer Hilfe vermittelt werden; dass man es mit Komik zu tun hat, wird jedoch nicht in Frage gestellt.396 Eine solche Position kommt beispielhaft in vielen der Vorwürfe zum Ausdruck, die Gernhardt für seinen Artikel „Selbstanzeige“ von 1987 aus Leserbriefen zusammengestellt hat; da heißt es etwa mit Bezug auf einen Text wie den oben angeführten, er würde „in bester Stürmermanier“ vorgehen und „ausländerfeindliche Tendenzen mit der Waffe des Humors“397 zu verstecken versuchen. Wie das letzte Beispiel vorführt, fallen Kommentare des betrachteten Typs im Einzelnen bisweilen eigentümlich aus; grundsätzlich jedoch beruhen sie auf einer Sichtweise, die mit den bisherigen Erläuterungen zum Komikkonzept in der vorliegenden Studie offensichtlich im Einklang steht. Weitaus weniger offensichtlich ist dies im Fall einer anderen, selteneren Form von Stellungnahmen zu komisch intendierten Texten wie den zitierten – für Kommentare nämlich, denen die Überzeugung zugrunde liegt, dass sich die moralische Einordnung eines Textes nicht von der Beurteilung seines komischen Potenzials trennen lässt. 393 394

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Auf die Schmähung des ‚Negers‘ folgt noch die Verächtlichmachung des ‚Chinamanns‘ sowie der ‚Rothaut‘ und die Preisung des ‚Weißen‘, vgl. Robert Gernhardt, Gedichte, 183. Mögliche interpretative Subtilitäten können hier vernachlässigt werden, zumal die weitere Argumentation nicht von der Adäquatheit der Interpretationsskizzen abhängt, vgl. zu unterschiedlichen Lesarten entsprechender Texte Berys Gaut, „Just Joking“, 55 oder Noël Carroll, „Humour“, 359f. Vgl. dazu im Einzelnen Robert Gernhardt, „Selbstanzeige oder: Prozeß in eigener Sache“ (1987), in Was gibt’s denn da zu lachen?, 436–446 und Klaus Cäsar Zehrer, „,Ich als schwarze Deutsche bin empört‘“. Vgl. hierzu auch die Analyse eines Korpus von Beschwerdeschreiben an das englische Satiremagazin Private Eye in Sharon Lockyer/Michael Pickering, „Dear Shit-Shovellers: Humour, Censure and the Discourse of Complaint“, in Discourse & Society 12:5 (2001), 633–651. Vgl. Robert Gernhardt, „Selbstanzeige“, 437 u. 445.

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Ebenso wie die zunächst betrachtete Spielart der Reaktion ist diese Variante sowohl in wissenschaftlichen als auch in außerwissenschaftlichen Zusammenhängen anzutreffen,398 und ebenso wie jene wird auch sie selten genauer ausgeführt, geschweige denn begründet.399 In kaum einem Kommentar findet sich die ausdrückliche Behauptung, dass die mehr oder weniger massive Amoralität eines Textes negative Konsequenzen für dessen Komik hat; eine entsprechende Auffassung zeigt sich zumeist nur mittelbar, etwa darin, dass Ausdrücke wie ‚Humor‘ oder ‚Komik‘ in Anführungsstriche gesetzt werden oder dass nicht mehr von ‚komischen Texten‘ gesprochen wird, sondern von solchen, die ‚komisch gemeint‘ sind oder aus bestimmten Gründen ‚als komische Texte‘ behandelt werden sollen.400 Eines der wenigen anspruchsvollen Plädoyers für die These eines Zusammenhangs zwischen den moralischen und den komischen Qualitäten von Texten und anderen Artefakten hat der Philosoph Berys Gaut in verschiedenen Publikationen in Form des sogenannten ‚merited response argument‘ ausgeführt.401 Gauts Überlegungen stellen für ein Projekt, wie es in der vorliegenden Studie verfolgt wird, eine Herausforderung dar – denn wenn sie einleuchtend erscheinen, dann ist es notwendig, zu klären, wie sie mit dem bislang erläuterten Vorschlag einer Explikation des Komikkonzepts zusammen passen. Sie sollen darum nun kurz rekonstruiert und diskutiert werden. Gaut vertritt hinsichtlich des Zusammenhangs zwischen der Moral und der Komik von Texten eine Position, die er selbst als ‚ethizistische‘ bezeichnet und ebenso von einer ‚amoralistischen‘ und einer ‚immoralistischen‘ abgrenzt wie von einer ‚moralistischen‘: Im Unterschied zum Amoralismus nimmt der Ethizismus grundsätzlich an, dass die moralischen Einstellungen, die in einer Äußerung zum Ausdruck kommen, deren Komik positiv oder negativ beeinflussen; und im Unterschied zum Immoralismus geht er dabei davon aus, dass Moralität der Komik eines Textes zuträglich, Immoralität ihr aber abträglich ist. Stimmt der Ethizismus in diesen Abgrenzungen mit dem Moralismus überein, so folgt er diesem doch nicht in der Überzeugung, dass ein Text, der moralisch 398

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Vgl. dazu beispielsweise Hermann Wiegmanns Geschichte des literarischen Humors, in der neben rekonstruierenden Abschnitten auch kritische Meinungsbekundungen wie etwa die folgenden zu Günter Grass’ Blechtrommel zu finden sind: „Schlicht und einfach geschmacklos ist […] die Passage über den gekreuzigten Jesus als ‚süßen Vorturner‘ […]. Man mag zum Christentum stehen, wie man will […], wer aber Jesus, der auch für Kirchengegner eine verehrungswürdige Gestalt ist, so blasphemisch verspottet, der handelt nach Ansicht des Verfassers nicht nur in unüberbietbar und singulärer Weise geschmacklos, sondern verabscheuungswürdig“ (H. W., Und wieder lächelt die Thrakerin. Zur Geschichte des literarischen Humors, Frankfurt a.M. u.a. 2006, 357). Texte zur Komödientheorie, die vor dem 19. Jahrhundert entstanden sind, stellen eine Ausnahme dar, s. dazu unten 2. Vgl. dazu etwa Sharon Lockyer/Michael Pickering, „Dear Shit-Shovellers“, 647 oder Sander L. Gilman, „Is Life Beautiful?“, 283. Vgl. zum Zusammenhang auch Alan Dundes/Thomas Hauschild, „Auschwitz Jokes“, in Western Folklore 42 (1983), 249–260. Vgl. Berys Gaut, „Just Joking“ und Art, Emotion and Ethics. – Zu einer genauen Analyse und Diskussion des Arguments vgl. Philip Percival, „Comic Normativity and the Ethics of Humour“, in The Monist 88:1 (2005), 93–120.

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bedenklich oder verwerflich erscheint, keinesfalls lustig sein kann.402 Die ethische Haltung, die sich in einer Äußerung zeigt, ist für deren Komik nach ethizistischer Einschätzung zwar bedeutsam, aber nicht allein bestimmend: „What is funny is partly dependent on what is ethical: ethical badness of attitudes manifested counts against the funniness of a joke, and their ethical goodness counts towards it“.403 Gauts Argumentation für diese Überzeugung ist denkbar einfach: Grundlegend ist zunächst die Annahme, dass der Ausdruck ‚ist komisch‘ wie andere ästhetische Prädikate als normatives Konzept anzusehen ist. Für ein adäquates Verständnis des Komikbegriffs kann es nach Gaut darum nicht maßgeblich sein, was Menschen für komisch halten; entscheidend ist in seinen Augen vielmehr, was es gerechtfertigt erscheinen lässt, dass Gegenstände als komisch eingestuft werden: „The notion of the funny (or amusing, or humorous) is a normative one: it is not simply what causes humorous reactions that makes it funny, it is what merits or makes appropriate such reactions“.404 Im Hinblick auf komisch ausgerichtete Texte ergibt sich damit die grundlegende Frage, ob die von ihnen vorgesehene Reaktion auch durch sie gerechtfertigt wird, ob sich in ihrer Machart also Gründe für das angestrebte Vergnügen auf Seiten der Rezipienten finden lassen. Anknüpfend an seine allgemeinen Betrachtungenzur moralischen Dimension von Reaktionen auf ästhetische Objekte405 nimmt Gaut an, dass die Adäquatheit bzw. Legitimiertheit von Eindrücken wie etwa dem des Amüsiertseins nicht allein von den strukturellen, sondern nicht zuletzt auch von den ethischen Qualitäten der betrachteten Gegenstände abhängt. Wie moralisch verwerfliche Haltungen grundsätzlich der ästhetischen Wirkung von Kunstwerken abträglich seien, so würden sie auch der komischen Wirkung von Äußerungen schaden, die prinzipiell darauf abzielen, Vergnügen hervorzurufen. Gauts Beispiel, das die Sphären der Kunst und der Komik zusammen bringt, ist das folgende: „A comedy presents certain events as funny (prescribes a humorous response to them), but, if this involves being amused at heartless cruelty, then the work is not funny or at least is humour is flawed, and that is an aesthetic defect in it.“406 In pointierter Form und exemplarischer Anwendung lautet das ,merited response argument‘ also: „Given the normative dimension of humor we can […] insist that racist and sexist jokes are flawed in their humor“.407 402

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Eine solche Position vertritt etwa Ronald de Sousa, vgl. Ronald de Sousa, „When Is It Wrong to Laugh?“ und The Rationality of Emotion. Zu ihrer detaillierten Kritik vgl. Berys Gaut, „Just Joking“, 54–57 und Noël Carroll, „Humour“, 359–361. Zur Diskussion verwandter Fragen vgl. Aaron Smuts, „Problems with the Attitudinal Endorsement Theory of Joke Appreciation“, in media / culture 6:5 (2003) und „Do Moral Flaws Enhance Amusement?“, in American Philosophical Quarterly 46:2 (2009), 151– 162. Berys Gaut, „Just Joking“, 67. Hervorhebung von mir, T. K. Ebd., 61. Hervorhebungen im Original. Zur Grundidee des Ethizismus vgl. Berys Gaut, Art, Emotion, and Ethics, 10. Ebd., 233. Berys Gaut, „Just Joking“, 62.

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Die umrisshaft nachgezeichnete Argumentation ist in den vergangenen Jahren verschiedentlich zum Gegenstand mehr oder weniger grundlegender Kritik geworden. Im Zentrum stand dabei der Einwand, dass Gaut keine überzeugende Begründung liefere für den Übergang von der Prämisse, dass der Begriff des Komischen ein normatives Konzept darstellt, zu der These, dass er als Kategorie mit normativer Dimension zu verstehen ist. Es gelinge ihm nicht, angemessen zu erläutern, weshalb eine gerechtfertigte Zuschreibung des Komikprädikats eine nicht zuletzt in moralischer Hinsicht gerechtfertigte sein sollte.408 So hartnäckig Einwände dieses Typs vorgebracht werden, so entschieden gehen sie an Anspruch und Ausrichtung der ethizitischen Position vorbei: Gaut leitet nicht aus der formalen Bestimmung des Komikbegriffs Aspekte seiner inhaltlichen Bestimmung ab, und er nimmt im Rahmen seiner Charakterisierung des Konzepts auch keine bloße Setzung vor. Was er in seinen Reflexionen zu entwickeln versucht, ist vielmehr eine mehr oder weniger umfassende Erläuterung des Komikkonzepts, die sowohl dessen allgemeine Form – ‚nomatives Konzept‘ – als auch dessen inhaltliche Struktur – ‚moralisch sensitives Konzept‘ – transparent werden lässt. Bezugspunkt und Bewertungsgrundlage ist dabei, wie stets bei entsprechenden Erläuterungsvorhaben, die alltägliche Verwendung und mithin das gängige Verständnis des fraglichen Begriffs.409 Macht man sich diesen Anspruch von Gauts Vorschlägen klar und betrachtet man sie im Vergleich mit konkurrierenden Erläuterungsversuchen, fällt die Plausibilität der ethizististischen Sichtweise des Verhältnisses von Komik und Moral ins Auge: Anders als der Amoralismus kann der Ethizismus der Erfahrung Rechnung tragen, dass die Beurteilung der komischen Qualität einer Äußerung und die ihrer moralischen Akzeptabilität miteinander im Zusammenhang stehen können; anders als jener muss er darum auch Formulierungen wie ‚Hier hört der Spaß aber auf‘ oder ‚Dies hat mit Komik nichts mehr zu tun‘ nicht als haltloses Gerede abtun, sondern kann sie als Hinweis auf einen wesentlichen Zug des Ausdrucks und seines Gebrauchs deuten – als Hinweis auf die Moralsensitivität des Komikbegriffs. Und umgekehrt ist die ethizistische Position, weil sie einen Zusammenhang zwischen Komik und Moral annimmt, vor verschiedene Folgerungen gefeit, die in amoralistischen Kontexten verbreitet sind, obgleich sie im Licht der komikbezogenen Urteilspraxis kaum plausibel erscheinen – vor der These etwa,

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Vgl. zu ähnlichen Einwänden gegen Gauts und vergleichbare Positionen, die bisweilen auf den Vorwurf hinauslaufen, er mache sich einer petitio principii schuldig, Philip Percival, „Comic Normativity“, Daniel Jacobson, „In Praise of Immoral Art“, in Philosophical Topics 25:1 (1997), 155–199 oder Justin D’Arms/Daniel Jacobson, „The Moralistic Fallacy: On the ,Appropriateness‘ of Emotions“, in Philosophy and Philosophical Research 61 (2000), 65–90. S. zum Verfahren der Explikation auch oben 1.2.1. – Die Explikation eines Begriffs muss sich nicht notwendig an dessen bestimmender Deutung ausrichten, sie sollte sich im Interesse der Anforderung der Ähnlichkeit zwischen Explikans und Explikandum aber natürlich auf eine wichtige Verwendungsweise des betreffenden Ausdrucks stützen, vgl. dazu Rudolf Carnap, The Logical Foundations, 7f. und Lutz Danneberg, „Innovation und Tradition“, 62.

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dass „anything could be made laughable“, weil „laughter […] a matter of style“410 sei, oder vor der, dass dem Bereich des Komischen Autonomie zukomme und er sich darum als eine Art „Schutzsphäre“ ansehen lasse, in der „Grenzüberschreitungen ohne das Risiko von Sanktionen“411 stattfinden können. Die Anhänger der ersten Position verkennen, dass sich mit dem Stil von komischen Äußerungen oftmals unter der Hand auch deren Ziele wandeln, und sie übersehen darum, dass es Gegenstände gibt, die sich einer Komisierung entziehen.412 Und die Vertreter der zweiten These missachten, dass Wendungen wie ,Bloß Spaß‘ oder ,Nur ein Witz‘413 zwar bisweilen kommunikative Missverständnisse verhindern, aber selbstverständlich keine kategoriale Klarheit schaffen.414 Witze und andere Formen komischer Texte sind eben oftmals nicht nur komische Texte, sondern gleichzeitig Sticheleien, Gemeinheiten, Beleidigungen, Gesetzesverstöße oder anderes mehr.415 Witzemacher und andere Verfasser komischer Texte müssen darum vielfach nicht allein mit dem Risiko, sondern auch mit der Realität von Sanktionen leben, von gesellschaftlicher Ächtung über moralische Verurteilung bis hin zu physischer Bedrohung und juristischer Bestrafung.416 Kurz gesagt: Die Intention, zu belustigen, mag mitunter das Absehen von einer moralischen Evaluation zur Folge haben; oftmals läuft die Interferenz der Beurteilungsperspektiven allerdings auch darauf hinaus, dass eine Äußerung als komisch anerkannt wird und trotzdem Sanktionen nach sich zieht; nicht selten lässt sich aber auch beobachten, dass lustig gemeinten Texten, die Anlass zu Sanktionen sind, zugleich die Komik abgesprochen wird.

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Neil Schaeffer, The Art, 4. Schaeffer spricht hier zwar vom „Lachen“, es geht ihm aber um „Komik“ im hier untersuchten Sinne. Vgl. zu einer Variante von Schaeffers These Wolfgang Preisendanz, „Zum Vorrang des Komischen“, 154. Rolf Lohse, „Pour lire sous la douche“, 37f. Vgl. dazu die Beispiele in Philip Percival, „Comic Normativity“. Vgl. zu solchen Formulierungen auch Michael Billig, „Humour and the Hatred“. Vgl. dazu A. Michael Johnsons empirische Untersuchung zu der Neigung, die ideologische Haltung eines Witzes mit derjenigen des Witzerzählers zu identifizieren – diese Neigung scheint bei den Rezipienten von Witzen deutlich verbreiteter zu sein als bei dessen Präsentatoren, A. Michael Johnson, „The ‚Only Joking‘ Defense: Attribution Bias or Impression Management?“, in Psychological Reports 67:3 (1990), 101–106. – Zu einer empirisch fundierten Analyse der Handlungsund Gesprächszusammenhänge, die Anlass zu der Formel „Just Teasing“ geben, vgl. Dacher Keltner/Lisa Capps/Ann M. Kring/Randall C. Young/Erin A. Harvey, „Just Teasing. A Conceptual Analysis and Empirical Review“, in Psychological Bulletin 127:2 (2001), 229–248. Vgl. hierzu zuletzt die Stellungnahmen in Paul Lewis (Hg.), „The Muhammad Cartoons and Humor Research. A Collection of Essays“, in Humor 21:1 (2008), 1–46. – Dabei sollte freilich nicht übersehen werden, dass komische Texte neben provokativen natürlich oft auch kooperative kommunikative Funktionen erfüllen, vgl. dazu grundlegend Joan P. Emerson, „Negotiating the Serious Import of Humor“, in Sociometry 32 (1969), 169–182 oder Thomas R. Kane/Jerry Suls/James T. Tedeschi, „Humor as a Tool of Social Interaction“, in It’s a Funny Thing, 13–21. Vgl. etwa zur Sanktionierung von Komik im Nationalsozialismus die Darstellung in Gudrun Pausewang, Erlaubter Humor im Nationalsozialismus (1933–1945), Frankfurt a.M. 2007, Kap. VI.1.

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Der Ethizismus bildet den Gebrauch des Komikbegriffs freilich nicht allein angemessener ab als der Amoralismus, sondern auch als andere Positionen, die von einem Zusammenhang von Komik und Moral ausgehen. Anders als der Moralismus vermag der Ethizismus den oft zu beobachtenden Fall einzubeziehen, dass Texte komisch erscheinen, obgleich sie aus ethischer Perspektive zweifelhaft sind. In diesem Sinne spricht man etwa von ‚abstoßender Komik‘, ‚tasteless jokes‘ und ‚sick humor‘ oder verweist umgekehrt darauf hin, dass man zu ‚dieser Spielart des Komischen‘ und ‚jener Form von Scherzen‘ keinen Zugang finde.417 Sich abgrenzend von der moralistischen Sichtweise sieht die ethizistische – im Einklang mit der Erfahrung – eine graduelle positive oder negative Beeinflussung der Komik von Texten durch deren Moralität bzw. Immoralität vor. Und anders als der Immoralismus widerspricht der Ethizismus der Annahme, dass ein größerer Grad an moralischer Bedenklichkeit in einem Text dessen komische Wirkung erhöht. Für eine entsprechende Überzeugung, die etwa Freud zugeschrieben wird und oben mit Hilfe des Gernhardt-Zitats ‚Je grenzverletzender, desto witziger‘ auf die Formel gebracht wurde, mag auf den ersten Blick einiges sprechen. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich freilich, dass sie ihre Plausibilität wesentlich einem Mangel an Differenzierung verdankt – erstens unterscheidet die Grundidee des Immoralismus nicht zwischen dem Komischfinden und dem Komischsein von Texten und zweitens hält sie verschiedene Ausprägungen der Lust am Text nicht hinreichend auseinander, so macht sie etwa ohne Begründung zwischen der Freude über Tabubrüche und derjenigen über die Komikinszenierung in Äußerungen keinen Unterschied. Die entscheidende Schwäche der immoralistischen Sichtweise besteht aber offenkundig darin, dass sie im Gegensatz zum ethizistischen Ansatz keine Erklärung für Fälle anzubieten hat, in denen die Immoralität von Texten deren Komik beeinträchtigt oder sogar vollständig zum Verschwinden bringt.418 So einleuchtend Gauts Erläuterung des Komikkonzepts und seiner moralischen Dimension erscheint, so gering sind ihre Konsequenzen für die Begriffsklärung, um die sich die vorliegende Studie bemüht, und zwar aus dem folgenden Grund: Während Gaut eine Analyse des alltäglichen Begriffs des Komischen als komparatives Prädikat anstrebt, geht es hier um eine Explikation des literaturwissenschaften Begriffs des Komischen als klassifikatorisches Prädikat. Anders gesagt: Das Gaut’sche Unternehmen 417

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Vgl. dazu etwa Alan Dundes/Thomas Hauschild, „Auschwitz Jokes“, Alan Dundes, Cracking Jokes, Sharon Lockyer/Michael Pickering, „Dear Shit-Shovellers“ oder V. I. Želvys, „Obscene Humor: What the Hell?“, in Humor 3:3 (1990), 323–332. Vgl. zum Zusammenhang auch die verschiedene vorliegende Studien zu den Faktoren der Witzigkeitsbewertung von Texten, etwa D. Byrne/J. Terrill/P. McReynolds, „Incongruency as a Predictor of Response to Humor“, in The Journal of Abnormal and Social Psychology 62:2 (1961), 435– 438, Frank W. Wicker et al., „Relationships among Affective and Cognitive Factors“, Franz-Josef Hehl/Willibald Ruch, „The Location of Sense of Humor within Comprehensive Personality Spaces: An Exploratory Study”, in Personality and Individual Differences 6:6 (1985), 703–715 oder Thomas R. Herzog/Beverly A. Bush, „The Prediction of Preference for Sick Humor“, Humor 7:4 (1994), 323–340.

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widmet sich den Eigenschaften, die dazu beitragen, dass Texte mehr oder weniger komisch sind; das hier verfolgte Vorhaben möchte die Merkmale benennen, die Texte aufweisen müssen, um überhaupt komisch erscheinen zu können.419 Es gibt darum nur einen von Gaut berücksichtigten Fall der Interferenz zwischen der Moralität und der Komik von Texten, der auch für die vorliegenden Überlegungen einschlägig ist – der Fall grundsätzlich belustigend gedachter Äußerungen, denen aber aufgrund ihrer moralischen Verwerflichkeit eine komische Wirkungsdisposition abzusprechen ist. Texte dieser Art sind in jüngerer Zeit vor allem im Zusammenhang mit einem Phänomen betrachtet worden, für das sich der Begriff des ‚puzzle of imaginative resistence‘420 durchgesetzt hat. Kendall Walton fasst die Beobachtung, die als Ausgangspunkt der Analysen und Debatte anzusehen ist, wie folgt zusammen: „People are sometimes unwilling or unable to engage in certain imaginings“.421 Es kann im vorliegenden Kontext darauf verzichtet werden, verschiedene Spielarten und Ursachen von ‚imaginativer Resistenz‘ zu unterscheiden; es reicht hier vollkommen aus, darauf hinzuweisen, dass sie nicht zuletzt durch die massive Immoralität von Texten bedingt sein kann. Anders gesagt: Es ist offenkundig so, dass Texte, die in drastischer Weise fundamentale moralische Vorstellungen verletzen, ganz ungeachtet ihrer spezifischen Gestaltung allein geeignet sind, imaginative Resistenz hervorzurufen – sie sind in einem solchen Fall also, selbst wenn sie aus mentaler Distanz Inkongruenzen inszenieren, nicht geeignet, komisch zu wirken.422 Ein literarischer Text, der dies anschaulich macht, ist etwa Urs Allemanns durch den Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb des Jahres 1991 bekannt gewordenes Werk Babyficker.423 Allemanns Wettbewerbsbeitrag mag nicht komisch gemeint gewesen sein, er erfüllt aber die bisher explizierten Bedingungen, denen ein Text zu genügen hat, damit ihm gerechtfertigt eine komische Wirkungsdisposition zugeschrieben werden kann; zugleich allerdings wird hier die Grenze überschritten, ab der ein Text als solcher und damit eben auch als komischer nicht mehr funktioniert. So verstanden mögen Fälle wie Allemanns Wettbewerbsbeitrag eine Ergänzung gängiger Definitionen

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S. zur Unterscheidung zwischen komparativen und klassifikatorischen Konzepten oben 1.1. Vgl. etwa – mit vielen Hinweisen auf weitere Stellungnahmen zur Auseinandersetzung – Tamar Gendler, „The Puzzle of Imaginative Resistance“, in Journal of Philosophy 2 (2000), 55–81 und „Imaginative Resistance Revisited“, in The Architecture of the Imagination. New Essays on Pretence, Possibility and Fiction, hg. v. Shaun Nichols, Oxford 2006 148–171 oder Kendall Walton, „Morals in Fiction and Fictional Morality“, in Proceedings of the Aristotelian Society 68 (2004), 27–50 und „On the (So-Called) Puzzle of Imaginative Resistance“, in The Architecture of the Imagination, hg. v. Shaun Nichols, 137–148. Ebd., 141. Vgl. zum Zusammenhang auch Noël Carroll, Humour“, 638f. Vgl. Urs Allemann, Babyficker. Erzählung, Wien 1992.

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des Textes bzw. der Textualität nahe legen, sie können aber im Rahmen einer Explikation des Konzepts der komischen Wirkungsdisposition vernachlässigt werden.424 Noch einmal Komik und Auflösbarkeit Die vorangegangenen Einlassungen haben die Differenzen aufzuzeigen versucht, die sich zwischen komischen und bedrohlichen oder abstoßenden inkongruenten Strukturen in Texten ausmachen lassen. Auf diese Weise sollte zugleich der Boden für eine Diskussion über die Frage bereitet werden, ob und wie sich zwischen komischen und rätselhaften Inkongruenzen unterscheiden lässt,425 also zwischen solchen, die geeignet sind, belustigend zu wirken, und solchen, die geeignet sind, nachdenklich zu stimmen.426 Diese Differenz scheint der zunächst betrachteten nachgeordnet zu sein: Gemeinhin lässt sich nur im Hinblick auf Inkongruenzen, die nicht bedrohlich erscheinen, sinnvoll die Frage stellen, ob sie komisch oder rätselhaft sind.427 Im Sinne der bisherigen Überlegungen wird es auch bei der Diskussion dieses Unterschieds vordringlich um die Klärung der textuellen Strukturen gehen, an denen er sich festmachen lässt. Es sollen also wiederum die verschiedenen kontextuellen Faktoren ausgeklammert werden, von denen es in der Praxis zweifellos auch abhängen kann, ob eine textuelle Ungereimtheit als Belustigung oder Rätsel rubriziert wird – wie Fisher in seinem Aufsatz „Musical Humor“ treffend bemerkt hat: „The cultist’s enigma may be the mathematician’s absurdity“.428 Die Explikation der Auflösbarkeitsanforderung an textuelle Komik wird in zwei Schritten erfolgen; wesentlicher Bezugspunkt werden dabei wiederum verschiedene lyrische Texte sein, daneben wird aber auch auf zwei Werke eingegangen, die dem Genre der Bildergeschichte zuzurechnen sind. Konkret gesprochen soll zunächst anhand von Heinz Erhardts bekanntem Text „Der Berg“ geklärt werden, was unter der Auflösung einer Ungereimtheit genau zu verstehen ist. Anschließend wird dann am Beispiel zweier 424

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Zum Textkonzept vgl. etwa Heinz Vater, Einführung in die Textlinguistik. Struktur, Thema und Referenz in Texten, München 1992 oder Klaus Brinker, Linguistische Textanalyse. Eine Einführung in Grundbegriffe und Methoden, 3. Aufl., Berlin 1993. Vgl. zu einer Übersicht über die Debatte zu dieser Frage Jerry M. Suls, „Cognitive Processes“. S. zum Zusammenhang auch oben 1.4.1. Durch die Klärung dieser Unterscheidung lassen sich en passant die Differenz und der Konnex zwischen den beiden grundlegenden Verwendungsweisen des Komikprädikats erhellen, die zwischen „komisch“ im Sinne von „lustig“ und „komisch“ im Sinne von „seltsam“. Ausdrücke, die über einen entsprechenden Bedeutungsumfang verfügen, finden sich in verschiedenen Sprachen, vgl. zum Englischen etwa John Morreall, „Funny Ha-Ha, Funny Strange, and Other Reactions to Incongruity“, in The Philosophy of Laughter, 188–207. Vgl. dazu auch das Diagramm in Mary K. Rothbarth, „Incongruity“, 39. – Die Diskussionen von Ausnahmefällen kann hier vernachlässigt werden, vgl. dazu etwa die Erörterung einiger Typen von Unstimmigkeitsauflösungen im Gothic-Roman in Paul Lewis, Comic Effects, Kap. 4. Fred Fisher, „Musical Humor“, 379. Vgl. auch Howard Leventhal/Gerald Cupchik, „A Process Model of Humor Judgment“, in Journal of Communication 26:3 (1976), 190–204.

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Bild-Text-Verbindungen sowie einiger Abschnitte aus komischen und nicht-komischen literarischen Texten der Frage nachgegangen, welche Rolle das Konzept der Auflösung bzw. der Auflösbarkeit von Inkongruenzen im Kontext einer Bestimmung des Begriffs der komischen Wirkungsdisposition spielen sollte. Beispiel 17: Der Berg Hätte man sämtliche Berge der ganzen Welt, zusammengetragen und übereinandergestellt und wäre zu Füßen dieses Massivs ein riesiges Meer, ein breites und tief’s, und stürzte nun, unter Donnern und Blitzen der Berg in dieses Meer – – – na, das würd’ spritzen!429

Es dürfte auf der Hand liegen, weshalb es vor dem Hintergrund der bisherigen Überlegungen gerechtfertigt erscheint, Erhardts Gedicht eine komische Wirkungsdisposition zuzuschreiben. Der Text lebt von der Opposition zwischen zwei einander partiell überlagernder scripts, zwischen dem Naturgewalten-script, das in den ersten fünf Versen in würdevollem Ton entwickelt wird, und dem Planschbecken-script, das im letzten Vers in umgangssprachlichem Stil angedeutet wird. Zudem lassen sich die Schilderungen des Textes offenkundig als harmlos wahrnehmen – einerseits, weil es sich bei „Der Berg“ um ein lyrisches Gedankenspiel handelt, und andererseits, weil ein Naturgeschehen Gegenstand der hypothetischen Betrachtungen ist und mithin eine mental distanzierte Lesehaltung nahe gelegt wird. Dass eine Analyse dieser Art die Komik des Textes nur unzureichend in den Blick bringt, mag nicht zuletzt an ihrer Skizzenhaftigkeit liegen. Es erklärt sich vor allem aber daraus, dass sie bloß ausschnitthaft einfängt, was es bedeutet, dass ein Gedicht wie das vorliegende als komischer Text verstanden wird – denn ein entsprechendes Verständnis von „Der Berg“ hat offenkundig über die Beobachtung eines Spannungsverhältnisses zwischen den ersten fünf und der letzten Zeile hinauszugehen. Anders gesagt: In der knappen Analyse des Erhardt-Gedichts bleibt unbeachtet, was spätestens seit dem 19. Jahrhundert weithin als grundlegendes Merkmal komischer Texte gilt – dass das Verhältnis zwischen ihren komiktragenden Bestandteilen in der Regel nicht allein eines der Differenz, sondern zugleich eines der Korrespondenz ist.430 Diese Beobachtung, die mit Friedrich Theodor Vischer oft auf die Formel vom „Sinn im Unsinn“431 gebracht wird, ist seit den 1970er Jahren Anlass für intensive, vor allem psychologische Diskus429 430 431

Heinz Erhardt, „Der Berg“ (1949), in H. E., Von der Pampelmuse geküßt. Gedichte, Prosa, Szenen, hg. v. Heinrich Detering, Stuttgart 2005, 28. Vgl. zu dieser Idee und ihrer Geschichte, die mindestens bis zu Aristoteles zurückverfolgt werden kann, Ralph Müller, Theorie der Pointe, 110–112. Vgl. Friedrich Theodor Vischer, Aesthetik oder Wissenschaft des Schönen, Reutlingen/Leipzig 1846, Teil 1: Die Metaphysik des Schönen, 422. Ihre Verbreitung verdankt die Formel wesentlich dem Umstand, dass sie in der Einleitung von Freuds Der Witz aufgegriffen wird, vgl. ebd., 27–29.

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sionen über die Frage gewesen, ob und, falls ja, wie der Inkongruenzansatz um ein Modell der Inkongruenzauflösung erweitert werden sollte.432 Die in den Debatten erwogenen Auflösungsbegriffe unterscheiden sich zwar in Abhängigkeit von den jeweils vorausgesetzten Inkongruenzkonzepten;433 die meisten von ihnen aber lassen sich als Variante der Bestimmung verstehen, die Suls schon 1972 vorgeschlagen hat: Ihm zufolge kann von der Auflösung einer textuellen Umgereimtheit dann gesprochen werden, wenn eine kognitive Regel erfasst wird, die es möglich macht, die Verbindung der inkongruenten Bestandteile zu motivieren.434 Der Anthropologe Elliott Oring hat die Idee, dass es sich bei komischen textuellen Inkongruenzen um entsprechend motivierte Strukturen handelt, mit dem Begriff der „appropriate incongruity“435 einzufangen versucht. In seinen Erläuterungen zu diesem Konzept geht er von Witzen in Rätselform wie dem folgenden aus: ‚When is a door not a door? When it’s ajar / a jar.‘ Oring merkt hierzu an: The appropriate incongruity is often transparent in riddles because it is generally the function of a riddle question to propose an incongruity that the riddle answer must in some way appropriately resolve. What may serve as an ,appropriate‘ relation between incongrous categories is rather open. […] Appropriateness need not be rooted in any kind of logical validity, however; it requires only a psychological validity – the recognition of a connection even if that connection is logically or empirically questionable. […] Humorous expressions often, although not always, establish appropriateness through means that would be regarded as spurious in expository forms of discourse.436

Wie gesehen, umfasst auch der Inkongruenzansatz der GTVH mit dem Modell der ‚logischen Mechanismen‘ eine Auflösungskomponente.437 Grundlegend für die Ausgestaltung dieser Komponente sind Beobachtungen, wie sie musterhaft in dem Oring-Zitat zum Ausdruck kommen: Auch in der GTVH wird darauf hingewiesen, dass für die Motivierung von textuellen Inkongruenzen empirische Plausibilität oder logische Validität oftmals ohne Relevanz seien; die Mechanismen, die bei der Auflösung inkongruenter Strukturen in komischen Texten zum Einsatz kommen würden, seien zumeist vielmehr 432

433

434 435 436

437

S. dazu auch oben 1.3.3 und 1.4.1. In den zurückliegenden hundert Jahren sind für die Formulierung „Sinn im Unsinn“ zahlreiche Paraphrasen vorgeschlagen worden, so wird beispielsweise von der „Kongruenz des Inkongruenten“ (Peter Köhler, Nonsens, 18) oder der „Übereinstimmung im Nichtstimmigen“ (Ralph Müller, Theorie der Pointe, 99; im Original kursiv) gesprochen. Vg. zu einer Übersicht über Auflösungsbegriffe in der Komikforschung Graeme Ritchie, The Linguistic Analysis, 54–56 und Arvo Krikmann, „On the Similarity and Distinguishability of Humour and Figurative Speech“, in Trames 13:1 (2009), 14–40, 22f. Vgl. Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model“, 82. Vgl. hierzu zuletzt Andrea C. Samson et al., „Neural Substrates“, 1030. Elliott Oring, Jokes, 2. Ebd., 2f. Vgl. zum Konzept der „appropriate incongruity“ auch Elliott Oring, Engaging Humor, Kap 1. – Orings Position ist in dieser Hinsicht angeregt durch David Hector Monros grundlegendes Buch The Argument of Laughter (Victoria 1951), in dem es zu komischen Inkongruenzen unter anderem heißt: „[T]here must be some appropriateness concealed in the inappropriate“ (ebd., 65). S. dazu oben 1.4.2.

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Beispiele für eine „,local‘ logic, i.e., a distorted playful logic, that does not necessarily hold outside the world of the joke“.438 Gleichwohl hebt sich die GTVH in drei Hinsichten von den meisten ‚incongruity-resolution‘-Modellen des Komischen ab: Zum einen versteht sie das Konzept der Auflösung nicht als psychologische, sondern als semantische Kategorie;439 in diesem Sinne werden die logischen Mechanismen von Attardo auch als Möglichkeiten beschrieben, die „mapping function“ auszugestalten, über die „a spurious similarity between the elements in the scripts involved“440 hergestellt wird.441 Zum zweiten sind im Rahmen der GTVH umfassende Anstrengungen zu einer Auflistung, Analyse und Klassifikation der verschiedenen Verbindungs- und Schlussregeln der spielerischen Logik komischer Texte unternommen worden; gegenwärtig umfasst die Liste der logischen Mechanismen knapp 30 Einträge und weitere Kandidaten sind Gegenstand der Diskussion.442 Und zum dritten sind die Vertreter der GTVH einleuchtend einer simplifizierenden Interpretation von ‚incongruity-resolution -Strukturen in komischen Texten entgegen getreten; sie haben deutlich gemacht, dass eine Textpassage mehrere Inkongruenzen zu enthalten vermag, dass eine Inkongruenz verschiedene Auflösungen haben kann und dass es unterschiedliche Grade der Auflösung von Inkongruenzen gibt.443 Auf der Grundlage der GTVH-Rekonstruktionen zu den Auflösungsformen textueller Inkongruenzen ist es ein Leichtes, die oben begonnene Analyse von Erhardts „Der Berg“ abzuschließen. Bei dem Konflikt zwischen dem Naturgewalten- und dem Planschbecken-script handelt es sich um eine motivierte Inkongruenz; zu ihrer Erklärung lässt sich eine Form der Relationierung von Wissensmustern nutzen, die als „differential potency mapping“ bezeichnet wird: „elements of one script are mapped on those of another with either greater or lesser potency“.444 Konkret gesprochen: Die Komik von „Der Berg“ ergibt sich maßgeblich daraus, dass die Konsequenz des vorgestellten 438 439

440 441 442 443

444

Salvatore Attardo, Humorous Texts, 25. – Zum Begriff der „local logic“ vgl. auch Avner Ziv, Personality and Sense of Humor, New York 1984, 90. Die zumeist vertretene psychologische Interpretation findet sich etwa im angeführten Oring-Zitat, aber überraschenderweise auch in einem jüngeren Raskin-Interview, vgl. dazu Alessio Aymone/Victor Raskin, „Interview“, 219 und den Kommentar in Salvatore Attardo, „On the GTVH and SSTH“, 227f. Salvatore Attardo, Humorous Texts, 25. Vgl. zur Kritik an einer entsprechenden Sicht der logischen Mechanismen Graeme Ritchie, The Linguistic Analysis, 74 und Arvo Krikmann, „On the Similarity“, 23. Vgl. Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 18 und Salvatore Attardo, „On the GTVH and SSTH“, 227f. Vgl. dazu den Überblick in Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 25–28 – die Überlegungen knüpfen an Mary K. Rothbart, „Incongruity“ und Mary K. Rothbart/Diana Pien, „Elephants and Marshmallows“ an. – Vgl. zur Differenzierung der Rede von ‚incongruity-resolution‘-Strukturen auch Alexander Brock, „Wissensmuster im humoristischen Diskurs“ und Blackadder. Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 6.

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Naturereignisses wie das Resultat eines durchschnittlichen Badevorgangs beschrieben wird. Ergänzend kann sich die Auflösung des script-Konflikts auch auf das Verfahren der Über- oder Untertreibung als Form unangemessenen Folgerns stützen.445 Die vorangegangenen Hinweise sollten zumindest angedeutet haben, was unter der Auflösung einer textuellen Inkongruenz zu verstehen ist; sie haben aber noch weitgehend offen gelassen, ob und wie das Konzept der Inkongruenzauflösung im Rahmen einer Explikation des Begriffs der komischen Wirkungsdisposition von Texten einzubeziehen ist. Will man diese Frage beantworten, sollte man sich mit zwei Problemen etwas genauer beschäftigen, die das Verhältnis zwischen komischen und motivierten Inkongruenzen betreffen: Einerseits sollte man untersuchen, ob sich lustige Inkongruenzen immer auflösen lassen, und zum anderen hat man zu betrachten, ob auflösbare Inkongruenzen stets lustig sind. Mit Blick auf die erste Fragestellung besteht in der Humorologie im Allgemeinen und in der GTVH im Besonderen seit Langem große Einigkeit. Nicht jede komische Inkongruenz kann, so die vorherrschende Auffassung, in der skizzierten Form motiviert werden. Die Variante der Komik, die gemeinhin zur Stützung dieser These angeführt wird, ist der Nonsens.446 Er wird mittlerweile überwiegend darüber bestimmt, dass er auf Inkongruenzen beruht, bei denen eine Auflösung nicht oder doch nicht restlos möglich ist.447 Auch wenn es nicht offensichtlich ist, entspricht eine solche Auffassung im 445

446

447

Vgl. dazu ebd., 14f. – Vgl. zur Komik der Über- und Untertreibung auch Herbert L. Colston, „I’ve Never Seen Anything Like It: Overstatement, Understatement and Irony“, in Metaphor and Symbol 12:1 (1997), 43–58, Herbert L. Colston/Jennifer O’Brien, „Contrast and Pragmatics in Figurative Language: Anything Understatement Can Do, Irony Can Do Better“, in JoP 32:11 (2001), 1557–1583 und „Contrast of Kind vs. Contrast of Magnitude: the Pragmatic Accomplishment of Irony and Hyperbole“, in Discourse Processes 30 (2000), 179–199 sowie Tom Kindt, „,Ich bin traurig und pfeife vor mich hin‘. Komik bei Kempowski am Beispiel des Tagebuchs Alkor“, in Walter Kempowski. Bürgerliche Repräsentanz – Erinnerungskultur – Gegenwartsbewältigung, hg. v. Lutz Hagestedt, Berlin/New York 2010, 275–292. Nonsens wird im Folgenden als literarische Gattung verstanden; die philosophischen Fragen die mit den Konzepten des Unsinns bzw. der Sinnlosigkeit verbunden sind, müssen hier unberücksichtigt bleiben, vgl. dazu etwa George Pitcher, „Wittgenstein, Nonsense, and Lewis Carroll“, in The Massachusetts Review 6:3 (1965), 591–611 oder Benjamin R. Tilghman, „Literature, Philosophy, and Nonsense“, in BJA 30:3 (1990), 256–265. Vgl. dazu etwa Thomas R. Shultz, „Development of the Appreciation of Riddles“, in Child Development 45 (1974), 100–105, Paul E. McGhee/Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „A PersonalityBased Model“, Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „A Two-Stage Model of Humor Appreciation“, Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, Christian F. Hempelmann/Willibald Ruch, „3 WD Meets GTVH“ oder Andrea C. Samson et al., „Neural Substrates“. Zur kritischen Diskussion vgl. Elliott Oring, Engaging Humor, Kap. 2, zu einer konkurrierenden Position vgl. neben Peter Köhlers Buch Nonsens insbes. Dieter Baacke, „Spiele jenseits der Grenze. Zur Phänomenologie und Theorie des Nonsense“, in Deutsche Unsinnspoesie, hg. v. Klaus Peter Dencker, Stuttgart 1978, 355–377 und Theo Stemmler/Stefan Horlacher (Hg.), Sinn im Unsinn. Über Unsinnsdichtung vom Mittelalter bis zum 20. Jahrhundert. Vorträge eines interdisziplinären Kolloquiums, Tübingen 1997. Mit dem verwandten Phä-

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Großen und Ganzen der Interpretation des Nonsenshumors, die oben anhand der Kalauer von Gyldenfeldts entwickelt wurde. In dieser Interpretation wurde Nonsens als Ergebnis von Inkongruenzen beschrieben, die sich aus der Verbindung zweier nicht oppositioneller, sondern disparater scripts ergeben.448 Im Sinne der umrissenen Klärung des Oppositionskonzepts der GTVH lässt sich das Verhältnis der beiden scripts also nicht als eines der Wertdifferenz auf einer semantischen Skala verstehen, da kein begrifflicher Vergleichspunkt zu finden ist.449 Und das ist nun offenkundig nur eine andere Formulierung für die These, dass man es im Fall von Nonsenskomik mit Inkongruenzen zu tun hat, die man nicht im Rückgriff auf einen semantischen Mechanismus zu motivieren vermag, die man also nicht auflösen kann. Zumindest angemerkt sei allerdings, dass die Begriffe der Nicht-Auflösbarkeit von Inkongruenzen und der Zusammenhangslosigkeit von scripts nicht koextensiv sind; die Verknüpfung disparater Wissensmuster führt zwar stets zur Nicht-Auflösbarkeit der entstehenden inkongruenten Gebilde, für diese kann es aber offenkundig noch andere Gründe geben.450 Um noch etwas anschaulicher zu machen, was hier mit der Nicht-Auflösbarkeit von Inkongruenzen und also mit der Komik des Unsinns gemeint ist, seien die Einlassungen kurz anhand der Einträge zu drei Buchstaben aus Wilhelm Buschs Werk „Naturgeschichtliches Alphabet“ erläutert.451

448 449 450

451

nomen des ‚Blödelns‘ beschäftigen sich aus zumeist funktionaler Perspektive Dieter Wellershoff, „Infantilismus als Revolte oder das ausgeschlagene Erbe – zur Theorie des Blödelns“, in Das Komische, 335–357, Wolf-Dieter Stempel, „Blödeln mit System“, in ebd., 449–452 und Harald Weinrich, „Blödeln, bummeln, gammeln“, in ebd., 452–455. – Zu Varianten der Nicht-Auflösung von Inkongruenzen und zugehörigen Spielarten des Nonsens vgl. Mary K. Rothbart/Diana Pien, „Elephants and Marshmallows“ und auch Paul E. McGhee/Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „A Personality-Based Model“. S. oben 1.4.3 Scripts und Oppositionen zum Dritten. S. hierzu oben 1.4.2. Inkongruenzen ohne Auflösung, die nicht auf der Verknüpfung von disparaten scripts basieren, lassen sich etwa aus Paradoxa gewinnen wie dem berühmten ‚Barbier von Sevilla‘-Paradoxon. John Allen Paulos schreibt dazu: „He was the only barber in Seville, and he was reportedly ordered by law to shave all those man and only those men who did not shave themselves. The paradoxical nature of this order is apparent when we ask who shaves the barber“ (J. A. P., Mathematics and Humor, 41). Freilich sind umgekehrt, wie sich noch zeigen wird, bei Weitem nicht alle Paradoxa im Sinne der vorliegenden Studie als komisch einzustufen, s. unten. Zum Paradox vgl. auch die Beiträge des Sammelbandes Paul Geyer/Roland Hagenbüchle (Hg.), Das Paradox. Eine Herausforderung des abendländischen Denkens, Tübingen 1992. Busch hat hier das Gedicht eines bis heute unbekannten Verfassers verwendet, vgl. Wilhelm Busch, Historisch-kritische Gesamtausgabe, 4 Bde., hg. v. Friedrich Bohne, Wiesbaden/Berlin 1960, Bd. 3, 572.

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Beispiel 18: Naturgeschichtliches Alphabet – für größere Kinder und solche, die es werden wollen […]

[…]

[…]

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[…]452

Schon dieser kurze Auszug macht deutlich, worum es sich bei Buschs Werk handelt: Es bietet zu jedem der 24 Buchstaben des Alphabets ein Kapitel mit einer Zeichnung und einem Zweizeiler, auf denen jeweils zwei Elemente aus Fauna und Flora vorgestellt werden, deren Bezeichnungen mit dem betreffenden Buchstaben beginnen. Die Komik von „Naturgeschichtliches Alphabet“ hat dabei verschiedene Quellen: Sie ergibt sich etwa daraus, dass die durch den Titel geweckte Erwartung, mit seriösen Informationen versorgt zu werden, nicht eingelöst wird; stattdessen liefern Illustrationen und Text zu den betrachteten Gegenständen nur Unspezifisches, Nebensächliches und Selbstverständliches – wie der Vers „Der Löwe brüllt, wenn er nicht schweigt“ musterhaft deutlich macht. Als eine weitere wichtige Quelle der Komik von „Naturgeschichtliches Alphabet“ ist nun die bereits mehrfach angesprochene Verbindung des Disparaten anzusehen. Die Einträge zu den Buchstaben legen in Bild und Schrift nahe, dass ein Zusammenhang zwischen den jeweils behandelten Gegenständen besteht; in den Illustrationen geschieht dies durch gemeinsame Darstellung, in den Texten durch lautliche Entsprechungen. Zugleich ist freilich leicht zu erkennen, dass die Gemeinsamkeiten zwischen den script-Pärchen, auf die in den Kapiteln Bezug genommen wird, bestenfalls oberflächlicher Natur sind – es lässt sich mit anderen Worten keine semantische Regel angeben, die geeignet ist, die Verbindung der Wissensmuster zu motivieren. Was Gernhardt allgemein über den Nonsens anmerkt, gilt auch für Buschs „Naturgeschichtliches Alphabet“: „Nonsens meint nicht baren – und beliebigen – Unsinn, sondern systematisch betriebene Sinnverweigerung.“453

452 453

Wilhelm Busch, „Naturgeschichtliches Alphabet“ (1860), in ebd., 154–165. Robert Gernhardt, „Alles falsch“ (1985), in Was gibt’s denn da zu lachen?, 230–232, 232.

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Noch etwas markanter zeigt sich diese Sinnverweigerung und damit die NichtAuflösbarkeit von Nonsenskomik im Fall von Texten oder Bild-Text-Verbindungen, die nach dem Modell von Witzen gebaut sind, aber nicht mit einer gewöhnlichen Pointe, sondern mit einer sogenannten ‚Antipointe‘ enden – mit einem Schluss, der vor allem aus gattungsbezogener, weniger jedoch aus inhaltlicher Perspektive witzig erscheint.454 Eine Fundgrube für diese Form des Nonsens ist die Welt im Spiegel oder schlicht WimS genannte Beilage, die Bernstein, Gernhardt und Waechter zwischen 1964 und 1976 für die Zeitschrift Pardon gestaltet haben.455 Zur Veranschaulichung sei ein typischer Comicstrip aus Gernhardts berühmter WimS-Rubrik „Schnuffis Abenteuer“ angeführt, und zwar die folgende erstmals 1975 publizierte Episode, in der Nonsens- und Metahumor miteinander verbunden werden.456 Beispiel 19: Schnuffis Abenteuer

Nach den bisherigen Hinweisen fällt es leicht, die Komik des Strips zu erläutern: Wie im bereits wiederholt angesprochenen ‚Doctor’s Wife Joke‘ wird auch in diesem Schnuffi-Abenteuer am Schluss eine Interpretation der dargestellten Ereignisse angedeutet, die von der zuvor nahe gelegten Deutung abweicht – es ergibt sich also eine Inkongruenz. Anders allerdings als im Lieblingswitz der GTVH wird in diesem Fall mit der Inkongruenz nicht zugleich die Perspektive zu ihrer Auflösung entwickelt457 – das vierte und letzte Bild in Gernhardts Comicstrip liefert bestenfalls eine unvollständige Motivation für die Ungereimtheiten, die es entstehen lässt; zudem ergeben sich aus der

454

455 456 457

Zum Begriff der Antipointe vgl. Peter Köhler, Nonsens, 18 und 83f. Zu Unterschieden und Gemeinsamkeiten von Witzen und Cartoons vgl. Christian F. Hempelmann/Andrea C. Samson, „Visual Puns and Verbal Puns: Descriptive Analogy or False Analogy?”, in New Approaches, 180– 196. Vgl. die Buchausgabe Robert Gernhardt/F. W. Bernstein/Friedrich K. Waechter, Welt im Spiegel: WimS 1964-1976, Frankfurt a.M. 1979. Robert Gernhardt/F. W. Bernstein/Friedrich K. Waechter, Welt im Spiegel, 279. Vgl. dazu die entsprechenden Kurzdeutungen des ‚Doctor’s Wife‘-Witzes bei Tim De Mey, „Tales of the Unexpected“, 73 und Willibald Ruch, „Psychology of Humor“, in Primer, 17–100, 26.

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in ihm angedeuteten Auflösung neue erklärungsbedürftige Inkongruenzen.458 Dass es sich bei diesem Abeuteuer nun nicht allein um Nonsenskomik handelt, liegt ironischerweise gerade daran, dass der Nonsenscharakter der Bildergeschichte im letzten Panel in Form einer Metalepse explizit zum Thema gemacht wird: „Ganz schön absurd, die Pointe, wie?“ Durch diese Bemerkung tritt hier neben den Nonsens- noch der Metahumor, der – wie auch die vorliegende Bildergeschichte vorführt – prinzipiell auf motivierten Inkongruenzen beruht und sich von konventioneller Komik nur dadurch abhebt, dass er selbstbezüglich ist.459 Wie in vielen anderen Schnuffi-Comics beruht der Witz auch im angeführten Abenteuer nicht zuletzt darauf, dass die ursprüngliche Pointenerwartung unerfüllt bleibt, gerade dies aber als Quelle von Komik verstanden werden kann.460 Die Bild-Text-Beispiele von Busch und Gernhardt machen nicht allein die Möglichkeit von komischen Inkongruenzen anschaulich, die sich nicht auflösen lassen. In ihnen deutet sich zugleich an, dass im Fall des Komischen Nicht-Auflösbarkeit in einem bestimmten Sinne vorliegt. Willibald Ruch hat auf diesen Umstand verschiedentlich aufmerksam gemacht, unter anderem in dem gemeinsam mit Franz-Josef Hehl verfassten Beitrag „A Two-Stage Model of Humor Appreciation“: [T]he notion of unresolved incongruity in nonsense should not be mistaken as not comprehensible. People who successfully process nonsense humor know that they have gotten what there is to get. They enjoy the play of absurd ideas, the contrast of sense and nonsense; it is not that they enjoy something which they did not understand.461

Im Anschluss an diese Thesen und die vorangegangenen Analysen liegt es nahe, zwei grundlegende Situationen des Fehlens einer Auflösung von Inkongruenzen in Texten und anderen Typen von Artefakten auseinander zu halten. Wenn von einem solchen Fehlen gesprochen wird, dann kann das zum einen auf Unklarheit darüber verweisen, worin eine Auflösung bestehen könnte; es kann zum anderen aber auch Klarheit darüber anzeigen, dass eine entsprechende Auflösung nicht zu finden ist. Die erste Situation ergibt sich im Fall vieler Paradoxa, Rätsel und andere Denkaufgaben, ganz unabhängig davon, ob ihre Auflösung unmöglich oder möglich, aber verhältnismäßig schwierig ist. Die zweite Situation ergibt sich im Fall des Nonsens; hier sind keine komplexeren Reflexionsprozesse nötig, um zu erkennen, dass eine Auflösung vorhandener Inkongruen458

459 460 461

Vgl. hierzu die verbreitete Unterscheidung dreier Formen von ‚punch lines‘ im Nonsens: „the punch line may (1) provide no resolution at all, (2) provide a partial resolution (leaving an essential part of the incongruity unresolved), or (3) actually create new absurdities or incongruities“ (Paul E. McGhee/Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „A Personality-Based Model“, 124). Zum Metahumor s. oben 1.2.3. Vgl. dazu allgemein Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 16–18. Willibald Ruch/Franz-Josef Hehl, „A Two-Stage Model of Humor Appreciation“, 114. Vgl. dazu auch Willibald Ruch, „The Sense of Nonsense Lies in the Nonsense of Sense“, in Humor 12 (1999), 71–93.

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zen unmöglich ist; hier bietet es sich also an, von offensichtlicher Nicht-Auflösbarkeit zu sprechen. Konzeptuell und terminologisch soll darum zwischen dem Fall unklarer Auflösbarkeit und dem klarer Nicht-Auflösbarkeit differenziert werden. Mit Blick auf diese Unterscheidung sind zwei nähere Erläuterungen angebracht. Erstens: Bei Konzepten wie dem der „Klarheit“ oder dem der „Offensichtlichkeit“ handelt es sich um Relationen. Ob etwas „klar“ oder „offensichtlich“ ist, kann mit anderen Worten nur relativ zu einem Bezugsrahmen – zu bestimmten kognitiven Fertigkeiten und historischen Kenntnissen – rekonstruiert werden.462 Im vorliegenden Kontext ergibt sich dieser Bezugsrahmen aus dem umrissenen Projekt, eine Klärung des Komikprädikats über eine Bestimmung des Begriffs der komischen Wirkungsdisposition von Texten herbeizuführen. Hier sollen also, wie oben ausgeführt, solche textbezogenen Zuschreibungen als akzeptabel gelten, zu denen ein gewöhnlicher zeitgenössischer Rezipient gelangen würde, die sich also auf der Basis durchschnittlicher Fähigkeiten und im Rekurs auf allgemein geteilte Wissensbestände vornehmen und rechtfertigen lassen. Zweitens: Da der Übergang zwischen unklarer Auflösbarkeit und klarer Nicht-Auflösbarkeit fließend ist, lassen sich zweifellos Texte finden, die im Hinblick auf die unterschiedenen Situationen als Grenzfälle einzustufen sind, bei denen sich also nicht ohne Weiteres sagen lässt, ob sie dem ersten oder dem zweiten Typ zugerechnet werden sollten. John Allen Paulos schätzt bestimmte Spielarten von Rätseln, „trick problems, paradoxes, and ‚brain teasers‘“ vollkommen zu Recht als „bridge between humor and mathematics“ ein: „[M]ore intellectual than most jokes, lighter than most mathematics“.463 Eine solche Beobachtung ist freilich nicht als Argument gegen die vorgeschlagene Unterscheidung zu werten; sie sollte vielmehr als Anlass verstanden werden, die voneinander abgegrenzten Situations- und Texttypen noch etwas genauer zu erläutern und so die Konsequenzen zu klären, die ihre Unterscheidung im Hinblick auf die Definition des Konzepts der komischen Wirkungsdisposition von Texten hat. Dass den Unterschieden zwischen Konstellationen klarer Nicht-Auflösbarkeit und solchen unklarer Auflösbarkeit bislang kaum nachgegangen wurde, liegt keineswegs allein an der häufigen Orientierung an Grenz- statt an Regelfällen; es erklärt sich vor allem aus der zumeist versäumten Präzisierung der seit den 1970er Jahren verbreiteten Position, dass zwischen dem Begreifen von Komik und dem Lösen von Problemen grundlegende Gemeinsamkeiten bestehen.464 Wie jedes Verstehen so kann natürlich auch das Komikverstehen als Problemlösen aufgefasst werden;465 man sollte jedoch, wenn man von einer entsprechenden Deutung des Komikverstehens ausgeht, nicht übersehen, dass man es hier mit einer so einfachen und voraussetzungslosen Form des Pro462 463 464 465

Vgl. zu diesem Problem auch John C. Paolillo, „Gary Larson’s Far Side“. John Allen Paulos, Mathematics and Humor, 15. S. dazu oben insbes. 1.3.3 und 1.4.1. Zum Zusammenhang von Texverstehen und Problemlösen vgl. insbes. Karl Eibl, Entstehung der Poesie, Anhang sowie Dagfinn Føllesdal/Lars Walløe/Jon Elster, Rationale Argumentation, 107– 115.

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blemlösens zu tun hat, dass zweifelhaft erscheint, ob die Rede vom Problemlösen nicht eher irreführend ist.466 Anders gesagt: Wer etwas Komisches versteht, der hat zuvor in aller Regel nicht lange nachgedacht – egal, ob er einen Zusammenhang oder dessen Fehlen bemerkt hat.467 Der zentrale Grund hierfür liegt in den Texten selbst, wie sich nicht zuletzt durch eine vergleichende Betrachtung von Äußerungen verdeutlichen lässt, die Rezipienten mit der Situation klarer Nicht-Auflösbarkeit oder der unklarer Auflösbarkeit konfrontieren. Texte der ersten Spielart unterscheiden sich von solchen des zweiten Typs vor allem dadurch, dass sie die Kenntnisse, die zu ihrem Verständnis nötig sind, entweder selbst bereit stellen oder aber gerechtfertigt als geläufig voraussetzen können; sie sind also in dem Sinne ‚aus sich selbst‘ verständlich, dass sich ihre Pointe mit Hilfe des ‚gesunden Menschenverstandes‘, grundlegender Sprachkenntnisse und allgemeinen Weltwissens ohne Probleme erschließen lässt.468 Besonders deutlich treten die skizzierten Differenzen zwischen Fällen klarer Nicht-Auflösbarkeit und solchen unklarer Auflösbarkeit in Texten aus Gattungen hervor, die oft angeführt werden, um zu belegen, dass die Übergänge zwischen komischen und unkomischen Äußerungen fließend sind – etwa in Texten der Rätselform. Drei Beispiele: Beispiel 20: Why did the elephant sit on the marshmallow? Because he didn’t want to fall into the hot chocolate.469 Beispiel 21: Ein Schiff ist 99 Meter lang, hat drei Masten und 157 Quadratmeter Segelfläche; an Bord befinden sich 36 Mann Besatzung, darunter 11 Chinesen und ein Puertoricaner, ferner zwei Hunde, fünf Katzen und ein Papagei. Wie alt ist der Kapitän?470 Beispiel 22: Man weiß Folgendes: Das Produkt aus dem Alter des Kapitäns (in Jahren), der Anzahl seiner Kinder und der Länge seines Schiffes (in Metern) beträgt 15.933. Wie alt ist der Kapitän?471

Bei Beispiel 20 handelt es sich um ein in der Humorologie ausgesprochen viel zitiertes Textexempel. Seine Beliebtheit dürfte vor allem darauf zurückzuführen sein, dass es die Funktionsweise von Nonsenshumor musterhaft zur Anschauung bringt: Der Text setzt ein, indem er in Form einer Frage eine Inkongruenz entwirft; es folgt nun zwar unmit466 467 468 469 470 471

Vgl. zu dieser Kritik vor allem Peter Derks/Rosemary E. Staley/Martie G. Haselton, „,Sense‘ of Humor: Perception, Intelligence, or Expertise?“, in The Sense of Humor, 143–158. Vgl. dazu die empirische Studie Jyotsna Vaid et al., „Getting a Joke: the Time Course of Meaning Activation in Verbal Humor“, in JoP 35 (2003), 1431–1449. Vgl. zu diesem Typ des Verstehens auch Gregory Currie, Arts and Minds, 291f. Mary K. Rothbart/Diana Pien, „Elephants and Marshmallows“, 37. . .

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telbar eine Antwort, durch diese wird die Ungereimtheit aber nicht oder doch nur sehr unzureichend aufgelöst – geliefert wird eine Scheinerklärung, die neue Inkongruenzen entstehen lässt.472 Instruktiv erscheint der Text im vorliegenden Zusammenhang überdies, weil er vorführt, wie die Rätselform in Komikkontexten typischerweise genutzt wird; er verweist darauf, dass komische Rätsel tatsächlichen wesentlich weniger ähnlich sind, als häufig angenommen wird. Wie im Beispielfall ist es nämlich in Komikzusammenhängen oftmals so, dass man zum Rätsel die Lösung mitgeliefert bekommt, dass man es also eher mit ‚Pseudo-Rätseln‘ zu tun hat.473 Um ein Pseudo-Rätsel handelt es sich auch bei Beispieltext 21, obgleich die in ihm aufgeworfene Frage ohne Antwort bleibt. Eine solche ist in diesem Fall nicht nötig, weil durch die Formulierung der Frage nicht allein eine Inkongruenz erzeugt, sondern zugleich deren Nicht-Auflösbarkeit deutlich angezeigt wird. Das Alter des Kapitäns, so ist ohne längeres Nachdenken ersichtlich, lässt sich vor dem Hintergrund der zuvor gegebenen Informationen nicht bestimmen; zwischen den Angaben besteht ein narrativer, aber kein mathematischer Zusammenhang. Die Komik des Textes beruht also im Wesentlichen darauf, dass die eingangs evozierte Erwartung, hier werde eine Denkaufgabe formuliert, unterlaufen wird – die einleitende Umschreibung der Situation und die abschließende Formulierung der Aufgabenstellung stehen in keinerlei hilfreichem Zusammenhang miteinander. Anders als bei den Beispielen 20 und 21 kann man bei Beispiel 22 nicht ohne Weiteres sehen, ob es auflösbar oder nicht-auflösbar ist; anders als in jenen Fällen hat man es bei diesem Text also mit einem tatsächlichen Rätsel oder – im Sinne der unterschiedenen Texttypen – mit unklarer Auflösbarkeit zu tun. Wenn man den Text unmittelbar im Anschluss an das Beispiel 21 liest, mag man kurz geneigt sein, ihn ebenfalls der Komik der Zusammenhangslosigkeit zuzurechnen – sobald man jedoch feststellt, 472

473

Mary K. Rothbart/Diana Pien, „Elephants and Marshmallows“, 39f. Vgl. zu diesem Beispiel auch Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 25–28 oder Graeme Ritchie, The Linguistic Analysis, 53–57. Unterschiede dieser Art werden von Theoretikern wie etwa Paulos oder Oring in ihren Einlassungen zu komischen Texten in Rätselform weitgehend vernachlässigt, was nicht zuletzt daran liegen dürfte, dass sowohl das Verstehen von Komik als auch das Lösen von Problemen oder Auflösen von Rätseln Vergnügen bereitet. Wie ein Blick in die jüngere Lachforschung zeigt, wird dabei verkannt, dass es problematisch ist, die beiden Vorkommnisse von Vergnügen ohne Weiteres miteinander zu identifizieren, vgl. dazu allgemein Christian F. Hempelmann, „The Laughter“. Das Vergnügen etwa, das Resultat der Bewältigung einer Aufgabe ist, wird in der Forschung auch als ‚pleasure in mastery‘ beschrieben, vgl. Thomas R. Shultz, „A Cognitive-Developmental Analysis of Humour“, in Humor and Laughter, 11–36, 27–30; für eine Identifikation dieses Vergnügens mit der Freude am Komischen tritt einzig Latta ein, vgl. Robert L. Latta, Humor Process, 92. – Auch bei den witzigen Bilderrätseln, die gemeinhin als ‚Droodle‘ (oder ‚Drudel‘) bezeichnet werden, handelt es sich um Pseudorätsel im umrissenen Sinne – es gibt in ihrem Fall nicht die eine richtige, sondern stets mehrere mögliche Lösungen, vgl. zum Zusammenhang Reuven Tsur, „Droodles and Cognitive Poetics: Contribution to an Aesthetics of Disorientation“, in Humor 7:1 (1994), 55–70.

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dass vom Alter des Kapitäns nicht erst in der Frage am Textende, sondern bereits in der vorangegangenen Situationsbeschreibung die Rede ist, wird man von einer entsprechenden Einordnung Abstand nehmen. Aus dem Beispiel ergibt sich eine prinzipielle und eine konkrete Frage, auf die nur ein mathematisch versierter Leser ohne nachdenkliches Zögern antworten könnte. Die prinzipielle Frage lautet: Ist es möglich, Gleichungen mit drei Unbekannten der folgenden Form aufzulösen: x × y × z = n, und die konkrete Frage ist: Lässt sich, sofern eine Auflösung grundsätzlich möglich erscheint, auch eine für den vorliegenden Beispielfall überzeugende finden, also Einsetzungen für x, y und z, die sich einleuchtend als Werte für Kapitänsalter, Kinderzahl und Schiffslänge deuten lassen. Beide Fragen sind mit Ja zu beantworten. Prinzipiell gilt: Gleichungen des relevanten Typs können durch das Verfahren der Zerlegung der Ergebniszahl in ihre Primfaktoren aufgelöst werden.474 Konkret ergibt sich aus dieser Einsicht die Aufgabe, ein Tripel von Primfaktoren zu finden, deren Produkt 15.933 ist und deren Interpretation im umrissenen Sinne einleuchtet; im vorliegenden Fall ist dies das Tripel (3, 47, 113).475 – Texte der Bauart des Beispiels 22 besitzen keine komische Wirkungsdisposition. Und dies gilt selbstverständlich ganz unabhängig davon, ob sie sich im Einzelfall als auflösbar oder als nicht-auflösbar erweisen.476 Der Grund dafür, dass entsprechende Texte nicht komisch sind, liegt in der Unklarheit über die Möglichkeit ihrer Auflösung, in der sie gewöhnliche zeitgenössische Rezipienten lassen. Als erstes Ergebnis der Erörterung des Zusammenhangs zwischen der Auflösbarkeit und der Komik von Ungereimtheiten kann festgehalten werden: Nicht jede komische Inkongruenz ist zugleich motiviert; wenn sie nicht-auflösbar ist, dann ist sie dies allerdings in besonderer und das heißt offensichtlicher Form. Damit nun zur Erörterung der zweiten oben aufgeworfenen Frage zum Zusammenhang zwischen der Motiviertheit und der Komik von Ungereimtheiten – zu der Frage, ob auflösbare Inkongruenzen stets lustig sind. Die Bedeutung dieser Frage für eine Klärung des Komikkonzepts hat man lange Zeit unterschätzt, weil man im Anschluss an die in den 1970er Jahren entwickelten psychologischen Prozessmodelle des Komikverstehens davon ausging, dass mit der Auflösung einer Ungereimtheit deren Klassifikation als komisch einher gehe. Die wirkungsmächtigen Vorschläge von Suls oder Mary K. Rothbart etwa sind sich hierin bei allen Differenzen im Detail vollkommen einig;477 ihre Flussdiagramme der Verarbeitung von Inkongruenzen sehen am Ende gleichermaßen 474 475 476

477

Vgl. dazu . Zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden zwischen Witzen und Gleichungen vgl. auch Ted Cohen, Jokes. Philosophical Thoughts on Joking Matters, Chicago/London 1999, Kap. 1. Es fällt nicht schwer, das Beispiel 22 so zu verändern, dass sich die Frage nach dem Alter des Kapitäns nicht mehr bzw. nicht mehr eindeutig beantworten lässt. Nähme man als Produkt der drei Werte etwa die Zahl 4.371 an, käme man auf das Primfaktorentripel (3, 31, 47) – es ließe sich in diesem Fall nur sagen, dass der Kapitän entweder 31 oder 47 Jahre alt sein muss. Vgl. Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model“ und Mary K. Rothbart, „Incongruity“. Vgl. zum Zusammenhang Jerry M. Suls, „Cognitive Processes“ sowie Diana Pien/Mary K. Rothbart, „Measuring Effects of Incongruity and Resolution in Children’s Humor“, in It’s a Funny Thing, 37–50.

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die folgende Verlaufsalternative vor: Ist eine Auflösung möglich, kommt es zu „laughter“, ist sie nicht möglich, entsteht „puzzlement“.478 Dass die Dinge etwas komplizierter sind, als es die Modelle von Suls, Rothbart und anderen nahe legen, ist im Grunde nicht neu – es ist aber erst in der jüngeren linguistischen, psychologischen und kognitionstheoretischen Komikforschung Anlass für intensive Auseinandersetzungen geworden. Ausgangspunkt der Debatten sind Beobachtungen zum Standardmodell der Komikverarbeitung, wie sie etwa Ruch in seinem Aufsatz „The Perception of Humor“ entwickelt: Why should the resolution immediately lead to laugher? […] While the model describes the comprehension part well, it does not explain appreciation. […] If the processes indeed would end with the resolution of the incongruity, we would not be able to distinguish whether we just resolved a problem (as in riddles) or whether we processed humor.479

Neben bestimmten Fällen von Rätseln gibt es freilich noch weitere Formen von inkongruenten Strukturen, die motiviert zu sein scheinen, aber trotzdem nicht oder zumindest nicht immer komisch sind. Der Beispielfall, von dem die Debatten gemeinhin ihren Ausgang nehmen, ist die Metapher. Auch wenn dieser Begriff seit der Antike ähnlich unterschiedlich gefasst worden ist wie derjenige der Komik, so teilen doch die meisten Verständnisse des Metaphorischen eine Reihe von Grundannahmen, die einen näheren Vergleich mit dem Phänomen des Komischen sinnvoll erscheinen lassen: Wie die Komik so wird auch die Metapher weithin als Ergebnis einer Verbindung von zwei Bedeutungen oder Bedeutungszusammenhängen gefasst, zwischen denen zugleich ein Verhältnis des Kontrasts und eines der Korrespondenz besteht.480 Von Arvo Krikmann wird diese Idee in einem jüngeren Forschungsbericht wie folgt ausgeführt: Both metaphor and humour are embodied in texts with two planes of meaning. When a recipient encounters such a text for the first time, he/she encounters a semantic contradiction (inconsistency, incompatibility, ambiguity) and feels a need for it to be disambiguated (conceptualized, interpreted, construed) via certain semantic alterations using his/her linguistic competence and encyclopaedic knowledge.481

Die umfangreichen Auseinandersetzungen, die ausgehend von Feststellungen dieser Art in den letzten Jahren entstanden sind, brauchen hier nicht im Einzelnen nachgezeichnet

478 479 480

481

Jerry M. Suls, „A Two-Stage Model“, 85. Vgl. zu alternativen Termini Mary K. Rothbart, „Incongruity“, 38f. Willibald Ruch, „The Perception of Humor“, 415. Eine entsprechende ‚dualistische Konzeption‘ der Metapher ist von der aristotelischen Rhetorik bis zu aktuellen Modellen wie der ‚blending theory‘ die dominierende Position, vgl. etwa Ralph Müller, „A Metaphorical Perspective on Humor“ (Ms. 2007), 1–6 oder Katrin Kohl, Metapher, Stuttgart/Weimar 2007, Kap. 5. – Zur Theorie der Metapher vgl. allgemein Jeffery Scott Mio/Albert N. Katz (Hg.), Metaphor. Implications and Applications, Mahwah, NJ 1996, Raymond W. Gibbs/Gerard J. Steen (Hg.), Metaphor in Cognitive Linguistics, Amsterdam/Philadelphia 1999 oder Helge Skirl/Monika Schwarz-Friesel, Metapher, Heidelberg 2007. Arvo Krikmann, „On the Similarity”, 17.

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zu werden.482 Im vorliegenden Kontext genügt es, die Beiträge zu der Diskussion näher in den Blick zu nehmen, die sich mit der für eine Bestimmung des Komikkonzepts grundlegenden Frage nach dem Verhältnis von komischen und metaphorischen Textpassagen befassen. Anschließend an einige neuere Vorschläge zur Präzisierung dieser Frage soll die Sichtung entsprechender Stellungnahmen nicht auf den Versuch hinauslaufen, Komisches und Metaphorisches grundsätzlich voneinander abzugrenzen;483 da sich zweifellos Textpassagen finden lassen, die zugleich komisch und metaphorisch sind, wird es in den folgenden Reflexionen vielmehr darum gehen, Differenzen zwischen komischen und unkomischen Metaphern zu bestimmen.484 Dabei sollen die folgenden Auszüge aus fünf Texten als Bezugspunkte dienen – einige Zeilen aus einem Gedicht Christian Hoffmann von Hoffmannswaldaus, ein Zitat aus einem Sportbericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Titel eines Opernführers von Henscheid, zwei Verse aus einem Gedicht Celans und eine Passage aus einem Aufsatz Max Goldts. Beispiel 23: Es wird der bleiche tod mit seiner kalten hand Dir endlich mit der zeit um deine brüste streichen / Der liebliche corall der lippen wird verbleichen; Der schultern warmer schnee wird werden kalter sand / […].485 Beispiel 24: Ion Tiriac hat für solche Entwicklungen eine feine Nase. 2004 begann der Bau der „Caja Magica“, 180 Millionen Euro wurden investiert. Das Geld stellte die Stadt Madrid im Zuge der Bewerbung für die Olympischen Spiele 2016 zur Verfügung. „Das ist der Taj Mahal des Tennis“, sagt Tiriac über den Tennistempel der Extraklasse mit den drei Hauptplätzen, die bei Bedarf überdacht werden können.486 Beispiel 25: WORTAUFSCHÜTTUNG, vulkanisch, 482 483 484

485

486

Zu einer Übersicht über die Debatten vgl. Ralph Müller, „The Interplay of Metaphor and Humor“ oder Arvo Krikmann, „On the Similarity“. Vgl. dazu etwa noch Salvatore Attardo, Linguistic Theories, 204 oder Howard R. Pollio, „Boundaries in Humour and Metaphor“, in Metaphor: Implications and Applications, 231–253, 248. Vgl. etwa Ralph Müllers Hinweis: „However, any differentiation of humour and metaphor begs the question of whether we can explain how humorous metaphors function in contrast to nonhumorous metaphors. In particular, we should be able to explain why we rarely laugh at the inherent incongruity of metaphors“ (R. M., „A Metaphorical Perspective“, 4). Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, „Vergänglichkeit der Schönheit“, in Herrn von Hoffmannswaldau und andrer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Theil, nebenst einer vorrede von der deutschen poesie, hg. v. Benjamin Neukirch, Leipzig 1697, 14. Hervorhebungen von mir, T. K. Hervorhebung von mir, T. K.

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meerüberrauscht. […]487 Beispiel 26: Verdi ist der Mozart Wagners […]488 Beispiel 27: Von dem vielumwisperten englischen Wunderstaubsauger gab es bald auch Bilder. Das Gerät sah herrlich aus. […] Nach einem halben Jahr gab es die grau-gelbe Designpreziose […] irgendwo. Leicht waren die Einzelteile zusammengesteckt, enorm war die Saugkraft. […] Ich zog ein elektronisches Goldfischglas hinter mir her, in dem ein Wetter herrschte wie auf der Venus. Das ist mehr als Staubsaugen, das ist Staubernte, das ist nicht einfach Schmutz, das ist kosmischer Prachtschmutz, jubilierte ich.489

Dass die kursiv gesetzten metaphorischen Passagen in den Textauszügen 26 und 27 im Gegensatz zu denen in den Beispielen 23, 24 und 25 eine komische Wirkungsdisposition besitzen, dürfte auf der Hand liegen. Keineswegs klar ist allerdings, was genau den Unterschied zwischen den Beispieltexten ausmacht, warum also, allgemein gefragt, einige Metaphern lustig sind, andere jedoch nicht. Die neueren komik- und metapherntheoretischen Debatten zu dieser Frage haben viele Vorschläge entwickelt und zumindest ein wenig Aufklärung gebracht: Auch wenn die Versuche, komische von unkomischen Metaphern abzugrenzen, in ihrer terminologischen Ausgestaltung, ihren theoretischen Voraussetzungen und ihren konkreten Ergebnissen nicht selten deutlich voneinander abweichen, so lässt sich doch in ihren allgemeinen phänomenologischen Charakterisierungen des Unterschieds eine markante Parallele ausmachen – sie setzen gemeinhin bei der Beobachtung an, dass im Fall unkomischer Metaphern die Ähnlichkeit (oder Korrespondenz) zwischen den aufeinander bezogenen Bedeutungbereichen betont wird, in komischen Metaphern jedoch die Unähnlichkeit (oder der Kontrast).490

487 488 489 490

Paul Celan, „Wortaufschüttung“ (1967), in P. C., Gesammelte Werke, Bd. 2, 29. Hervorhebung von mir, T. K. Vgl. Eckhard Henscheid, Verdi ist der Mozart Wagners. Ein Opernführer für Versierte und Versehrte, erw. Neuausg., Stuttgart 1979. Max Goldt, Für Nächte am offenen Fenster. Die prachtvollsten Texte 1987-2002, Reinbek bei Hamburg 2003, 32f. Hervorhebung im Original. Vgl. zu Varianten dieser Auffassung etwa Howard Leventhal/Martin A. Safer, „Individual Differences“, 340, Candace D. Lang, Irony/Humor. Critical Paradigms, Baltimore 1988, 159, Rachel Giora, „On the Cognitive Aspects“, 470f. und On Our Mind, 175, Jeffery S. Mio/Arthur C. Graesser, „Humor, Language, and Metaphor“, in Metaphor and Symbolic Activity 6:2 (1991), 87– 102, 94, Tim R. Hillson/Rod A. Martin, „What’s so Funny about That?“, 9f., Howard R. Pollio, „Boundaries in Humour and Metaphor“, 248, Salvatore Attardo, „Cognitive Linguistics“, 345, Geert Brône/Kurt Feyaerts/Tony Veale, „Introduction: Cognitive Linguistic Approaches to Humor“, in Humor 19:3 (2006), 203–228, 209, Sakis Kyratzis, „Laughing Metaphorically: Metaphor and Humour in Discourse“, 7 , Ralph Müller, „A Metaphorical Perspective“, 4 oder Arvo Krikmann, „On the Similarity“, 32.

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Diese Beobachtung erscheint als Annäherung an die Differenz zwischen komischen und nicht-komischen metaphorischen Strukturen durchaus einleuchtend, wie sich etwa anhand der obigen Beispiele nachvollziehen lässt. Sie trägt zur Klärung der Frage bei, inwiefern sich die Exempel 23, 24 und 25 von den Texten 26 und 27 abheben: In Komposita wie „Wortaufschüttung“ oder Genitivkonstruktionen wie „corall der lippen“ oder „Taj Mahal des Tennis“ fügen sich die beteiligten Bedeutungsbereiche tatsächlich eher zu einer spannungsfreien Einheit als in Formulierungen wie „Prachtschmutz“ oder „Verdi ist der Mozart Wagners“. Gleichwohl ist mit der gemeinsamen Ausgangsbeobachtung der vorliegenden Unterscheidungen zwischen dem Komischen und dem Metaphorischen noch nicht viel gewonnen – denn sie lässt offen, was es heißt, dass in einem Textabschnitt, in dem zwei gemeinhin nicht assoziierte Bedeutungssphären korreliert werden, deren Ähnlichkeit oder aber deren Unähnlichkeit akzentuiert wird. Auf diese grundlegende Frage gehen erstaunlicherweise nur einige der zahlreichen Stellungnahmen zum Thema genauer ein und sie gelangen dabei auf den ersten Blick zu recht unterschiedlichen Resultaten491 – eine nähere Betrachtung der Vorschläge lässt allerdings deutlich werden, dass sie zumeist auf einen von zwei Rekonstruktionsversuchen hinauslaufen, die sich durch ihre Akzentsetzung voneinander abgrenzen lassen: Für einige Publikationen besteht der Schlüssel zur Unterscheidung zwischen komischen und unkomischen Metaphern vor allem in den Inkongruenzen, die ihnen zugrunde liegen, für andere eher in den Prozeduren der Auflösung, die zur Motivierung der betreffenden Inkongruenzen nötig sind.492 Den elaboriertesten Vorschlag des ersten Typs haben Tim R. Hillson und Rod A. Martin im Rekurs auf den ,Domains-Interaction‘-Ansatz aus der Metapherntheorie entwickelt.493 Ganz im Sinne der obigen Erläuterungsskizze fassen sie Metaphern grundsätzlich als Ergebnis der Interaktion zwischen Begriffen aus unterschiedlichen Bedeu-

491

492

493

Vielfach geben sich Autoren mit mehr oder weniger erhellenden Umschreibungen der Ausgangsbeobachtung zufrieden, bei Krikmann heißt es etwa: „[A] (fresh) metaphor crosses the border, reaches the obstacle, backtracks to the left, looks around, returns to the right, takes something along and returns to the left; joke crosses the border, reaches the obstacle, backtracks to the left, looks around, takes something along, returns to the right and remains“ (Arvo Krikmann, „On the Similarity“, 32). Nur wenige Beiträge zum Komik-Metaphern-Verhältnis gehen bei ihren Vergleichsanalysen nicht allein von einem ‚incongruity-resolution‘-Ansatz aus – Jeffery S. Mio und Arthur C. Graesser etwa prüfen zugleich die Plausibilität eines Überlegenheitsmodells der Komik, vgl. J. S. M./A. C. G., „Humor, Language, and Metaphor“. Vgl. dazu grundlegend Roger Tourangeau/Robert J. Sternberg, „Aptness in Metaphor“, Cognitive Psychology 13 (1981), 27–55 und „Understanding and Appreciating Metaphors“, Cognition 11 (1982), 203–244 oder Lana Trick/Albert N. Katz, „The Domain Interaction Approach to Metaphor Processing: realting Individual Differences and Metaphor Characteristics“, in Metaphor and Symbol 1:3 (1986), 185–213. – Zu einem interaktionistischen Modell von Metaphern vgl. allgemein Rüdiger Zymner, Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel, Paderborn 1991, Kap. 2.1.

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tungsdomänen auf.494 Mit Blick auf die Verarbeitung metaphorischer Strukturen ergibt sich aus dieser Auffassung nach Hillson und Martin die folgende Konsequenz: „In understanding a metaphor, an individual must compare the similarity of the relative positions of the two higher-order domains as well as the similarity of the relative positions of the two concepts within their respective domains.“495 Zur Beschreibung und Unterscheidung von Metaphern sind im Rahmen der Domains-Interaction-Theorie mithin zwei Größen grundlegend: einerseits der Abstand zwischen den beteiligten Bedeutungsdomänen (die sogenannte ,between-domain-distance‘) und andererseits der Abstand zwischen den Begriffspositionen in ihren jeweiligen Domänen unter Voraussetzung eines Vergleichsgesichtspunkts (die sogenannte ,within-domain-distance‘). Um dies an einem der obigen Beispiele zu veranschaulichen: Im Fall der metaphorischen Formulierung „Die Anlage Caja Magica ist das Taj Mahal des Tennis“ ergibt sich die betweendomain-distance aus dem Abstand zwischen den Domänen ‚Sportstätten‘ und ‚Sakralstätten‘ und die within-domain-distance aus dem Abstand zwischen der Stellung, die das Taj Mahal im Hinblick auf Merkmale wie Ausmaße und Ausstattung unter den Sakralstätten einnimmt, und derjenigen, die das Caja Magica in eben diesen Hinsichten unter den Sportstätten inne hat; beide Abstände sind eher gering.496 Für die Komikforschung ist der Domains-Interaction-Ansatz insofern hilfreich, als er natürlich auch zur Analyse lustiger Metaphern genutzt und dabei sinnvoll mit dem Standardmodell der Komikverarbeitung verbunden werden kann. Wie Hillson und Martin zeigen, lässt sich die Größe der between-domain-distance als Gradmesser für die Ungereimtheit und die der within-domain-distance als Maßstab für die Auflösung von komischen und unkomischen Metaphern verstehen.497 Ausgehend von einem solchen Verständnis der Interund Intradomänen-Abstände gelangen sie zu der folgenden These über den Zusammen hang zwischen der Gestaltung und der Komik von Metaphern, die sie in einer empirischen Studie zur Lustigkeitsbewertung von Aussagen des Typs „A ist der B von As Bereich“ überprüfen und stützen: Die Komik von metaphorischen Strukturen ergibt sich maßgeblich aus der Between-Domain-Distance (dem Grad der Inkongruenz) zwischen den beteiligten Bedeutungsbereichen; ist zugleich die Within-Domain-Distance gering (liegt also die Auflösung der Inkongruenz nahe), so erhöht dies die Lustigkeit der be treffenden Struktur.498 Der Vorschlag von Hillson und Martin benennt mit dem Inkongruenzgrad ein Merkmal metaphorischer Textpassagen, das für deren Lustigkeit zweifellos wichtig ist; zu494 495 496

497 498

Vgl. Tim R. Hillson/Rod A. Martin, „What’s so Funny about That?“. Vgl. zu der Studie auch Rod A. Martin, The Psychology of Humor, 93f. Tim R. Hillson/Rod A. Martin, „What’s so Funny about That?“, 6. Zur Bestimmung entsprechender Distanzen vgl. Michael Godkewitsch, „Correlates of Humor: Verbal and Nonverbal Aesthetic Reactions as Functions of Semantic Distance within AdjectiveNoun Pairs“, in Studies in the New Experimental Aesthetics, hg. v. Daniel E. Berlyne, Washington, DC 1974, 279–304. Tim R. Hillson/Rod A. Martin, „What’s so Funny about That?“, 8–10. Vgl. ebd., 24f.

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gleich ist mit dem Ansatz jedoch eine Reihe von Problemen verbunden, die ihn zu mindest als Antwort auf die Frage nach dem Unterschied zwischen komischen und unkomischen Metaphern ergänzungsbedürftig erscheinen lässt: Wie die Autoren selbst einräumen, ist zunächst festzustellen, dass die Reichweite des Vorschlags deutlich eingeschränkt ist; betrachtet wird mit anderen Worten nur ein kleiner Ausschnitt aus der großen Menge der komischen oder unkomischen Metaphern.499 Darüber hinaus ist nicht zu übersehen, dass sich selbst auf dem vergleichsweise übersichtlichen Feld der von Hillson und Martin analysierten Metaphern leicht Beispiele finden lassen, die mit der von ihnen formulierten These im Widerspruch stehen. Henscheids Titel „Verdi ist der Mozart Wagners“ ist ein entsprechender Fall. Schließlich liegt auf der Hand, dass die Domains-Interaction-Theorie für sich genommen nur Aussagen darüber zu machen erlaubt, wann und warum eine Metapher komischer erscheint als eine andere; sie erhellt jedoch nicht, welche Bedingungen erfüllt sein müssen, damit metaphorische Strukturen überhaupt komisch sind.500 Angesichts entsprechender Überlegungen liegt es nahe, sich bei der Explikation des Unterschieds zwischen komischen und unkomischen Metaphern nicht allein auf Abgrenzungsversuche des ersten, sondern auch auf solche des zweiten Typs zu stützen, also neben den Ungereimtheiten metaphorischer Formulierungen auch die Auflösungen einzubeziehen, die sie nötig machen. Bislang gibt es für diese Variante der Abgrenzungsbemühung keinen so gut ausgearbeiteten und breit anerkannten Vorschlag wie den von Hillson und Martin; es sind in den letzten Jahren aber eine Reihe von Publikationen vorgelegt worden, die wichtige Hinweise darauf geben, inwiefern sich die Verarbeitung komischer von derjenigen metaphorischer Textpassagen unterscheidet; entsprechende Studien bieten also zumindest einen Ausgangspunkt für eine Erhellung der strukturellen Differenzen zwischen komischen und unkomischen Metaphern. Sichtet man die vorliegenden Untersuchungen zu der Frage, wie komische und metaphorische Textpassagen verarbeitet werden, begegnet man immer wieder einer Beobachtung, die Rachel Giora 2003 wie folgt zum Ausdruck gebracht hat: „[W]hile jokes and other tropes (irony, metaphor) share similar early processes activating salient meanings initially, they diverge with regard to integration processes“.501 Die näheren Erläuterungen dieser Differenz zwischen der Auflösung textueller Komik und metaphorischen Strukturen fallen der Form nach zwar durchaus unterschiedlich aus, der Sache nach aber sehr einheitlich: Einhellig wird angenommen, dass die Verarbeitung von Metaphern im Wesentlichen darin besteht, die involvierten Konzepte in integrierender Form aufeinander zu beziehen;502 Ergebnis des Verstehens metaphorischer Strukturen 499 500 501 502

Vgl. dazu etwa Rod A. Martin, The Psychology of Humor, 94f. Vorausgesetzt wird dabei, dass sich das Konzept der semantischen Distanz genau und einleuchtend bestimmen lässt, s. dazu unten. Rachel Giora, On Our Mind, 175. Hervorhebung von mir, T. K. Vgl. zum Zusammenhang allgemein auch Friedrich Keller-Bauer, Metaphorisches Verstehen. Eine linguistische Rekonstruktion metaphorischer Kommunikation, Tübingen 1984, Kap. 2.24–2.26.

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ist demnach eine ‚Verschmelzung‘ oder – im Sinne der sogenannten ‚Blending Theory‘ – ein ‚blend‘ aus Bestandteilen der miteinander vermittelten Bedeutungen.503 Im Fall textueller Komik heißt ‚Auflösung‘ nach allgemeiner Überzeugung etwas anderes; hier geht es in der Hauptsache nicht um die Integration, sondern um die Konkurrenz von Bedeutungen oder Bedeutungsbereichen; hier werden Konzepte allenfalls vorübergehend miteinander verbunden, letztlich aber wird eines auf Kosten des anderen als maßgeblich ausgezeichnet. Dieses Merkmal des Komikverstehens steht in Rede, wenn die Vertreter der GTVH vom ‚script-switch‘ in Witzen sprechen,504 wenn Giora anmerkt, dass Bedeutungsbereiche im Fall von Komik nicht gegeneinander aufgewogen werden, sondern einer an die Stelle des anderen tritt,505 wenn Seanna Coulson geltend macht, dass das Komische einen ‚frame shift‘ voraussetzt,506 oder wenn Graeme Ritchie darauf hinweist, dass es sich aus einer ‚reinterpretation of viewpoints‘ ergibt.507 Bestätigt werden entsprechende Modellvorstellungen mittlerweile durch einige empirische Untersuchungen etwa zu Augenbewegungsprozessen oder Primingvorgängen bei der Komikverarbeitung; die betreffenden Studien machen deutlich, dass das Verstehen komischer Texte mehr Phasen und aufwendigere Inferenzen umfasst als die Deutung metaphorischer Strukturen.508 Mit diesen knappen Hinweisen ist nicht allein die markanteste Differenz charakterisiert, die sich zwischen Standardfällen der Komik- und Metaphernverarbeitung ausmachen lässt; sie vermitteln zugleich eine Idee davon, wie der Sonderfall der komischen 503

504 505

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507 508

Vgl. zur ‚Blending Theory‘ allgemein Gilles Fauconnier/Mark Turner, „Conceptual Integration Networks“, in Cognitive Science 22 (1998), 133–187 und The Way We Think: Conceptual Blending and the Mind's Hidden Complexities, New York 2002, vgl. ferner zusammenfassend John E. Grady/Todd Oakley/Seanna Coulson, „Blending and Metaphor“, in Metaphor in Cognitive Linguistics, 101–124 sowie im Hinblick auf textuelle Komik Seana Coulson, „What’s So Funny? Conceptual Integration in Humorous Examples“ und Semantic Leaps. Frame-Shifting and Conceptual Blending in Meaning Construction, Cambridge 2001. S. oben 1.4.2. Rachel Giora, „On the Cognitive Aspects“, 470. – Vgl. zu Parallelen und Differenzen zwischen den Positionen von Giora und denen von Raskin und Attardo auch Neal Norrick, „Issues in Conversational Joking“, 1334–1338. Vgl. Seana Coulson, „What’s So Funny?“, Semantic Leaps und „What’s So Funny? Cognitive Semantics and Jokes“, in Cognitive Psychopathology/Psicopatologia cognitiva 2 (2005), 67–78 sowie Seanna Coulson/Thomas P. Urbach/Marta Kutas, „Looking Back: Joke Comprehension and the Space Structuring Model“, in Humor 19:3 (2006), 229–250. Vgl. zum Zusammenhang auch David Ritchie, „Frame-Shifting in Humor and Irony“, in Metaphor and Symbol 20:4 (2005), 275– 294. Vgl. etwa Graeme Ritchie, „Reinterpretation and Viewpoints“, in Humor 19:3 (2006), 251–270. Vgl. insbes. Jyotsna Vaid et al., „Getting a Joke“ oder Seanna Coulson/Thomas P. Urbach/Marta Kutas, „Looking Back“. – Zur Metapherninterpretation vgl. Rachel Giora, „On the Priority of Salient Meanings: Studies in Literal and Figurative Language“, in JoP 31 (1999), 919–929. – Zur Diskussion und Kritik von sogenannten ‚single stage‘-Modellen der Prozessierung von Metaphern und Komik vgl. Neal Norrick, „Issues in Conversational Joking“, 1348–1352.

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Metapher zu beschreiben ist.509 Vor dem Hintergrund der skizzierten Positionen liegt es nahe, das Verstehen komischer Metaphern als einen Vorgang zu fassen, der eine Art Zwischenstellung einnimmt zwischen der vergleichsweise einfachen Verarbeitung von Metaphern und der aufwendigeren von Komik: Das Verstehen komischer Metaphern geht insofern über die gewöhnliche Verarbeitung von Metaphern hinaus, als es nicht mit der Zusammenführung von Bedeutungen oder Bedeutungsbereichen endet – dieses Merkmal verbindet es mit der Auflösung komischer textueller Strukturen im Allgemeinen. Zugleich bleibt das Verstehen komischer Metaphern insofern hinter der Verarbeitung von Komik zurück, als es nicht in die Auszeichnung einer der beteiligten Bedeutungen oder Bedeutungsbereiche mündet – dieses Merkmal teilt es mit der Deutung von metaphorischen Strukturen im Allgemeinen.510 Zur Konkretisierung dieser Auffassung hat Sakis Kyratzis den Begriff des ‚de-blending‘ entwickelt – im Fall komischer Metaphern, so die zugrunde liegende Idee, wird der Versuch, die beteiligten Bedeutungen miteinander in einem ‚blend‘ zu verschmelzen nicht oder nur vorübergehend unternommen, um dann in den Vorgang des ‚de-blending‘ überzugehen, in dem die Spannung zwischen den aufeinander bezogenen Bereichen in den Vordergrund tritt.511 Eine noch präzisere und zugleich instruktivere Erläuterung der Besonderheit komischer Metaphern hat Ralph Müller in Weiterführung von Kyratzis Vorschlag umrissen: [I]t is not necessary to assume a de-blending effect, instead we assume that humorous metaphors differ from non-humorous metaphors by additional emphasis on the input spaces. Consequently, humorous metaphors are particular examples of metaphors where the inherent incongruity of input spaces is made apparent.512

Ausgehend von einer solche Bestimmung zeichnet sich nun recht deutlich ab, was komische metaphorische Textpassagen strukturell von unkomischen abhebt: Komisch ist eine Metapher offenbar dann, wenn sie so konstruiert ist, dass sie als Metapher nicht oder nur bedingt funktioniert, weil sie eine stabile Verschmelzung der mobilisierten Bedeutungen blockiert.513 Dies scheint sich vor allem auf zwei Wegen erreichen zu lassen: 509 510

511 512 513

Zu der These, dass es sich hier um einen Ausnahmefall handelt, vgl. etwa Ralph Müller, „The Interplay of Metaphor and Humor“, 49–52. Dies übersehen Theoretiker wie Arvo Krikmann, wenn sie Gegenüberstellungen von metaphorischen und komischen Strukturen wie die folgende vorschlagen: „In metaphors the first isotopy wins, in jokes the second“ (A. K., „On the Similarity“, 31). Vgl. dazu Sakis Kyratzis, „Laughing Metaphorically“, 15. Ralph Müller, „A Metaphorical Perspective“, 4. Das heißt nicht, dass allen Metaphern, die in bestimmten Kontexten als ‚misslungen‘ oder ‚unangemessen‘ eingestuft werden, eine komische Wirkungsdisposition zugeschrieben werden kann. – Vgl. zum Problem der Evaluation von Metaphern etwa Nelson Goodman, Languages of Art. An Approach to a Theory of Symbols, London 1969, L. T. Kozlowski, „Similarity of Affective Meaning and the Evaluation of Metaphor“, in Perceptual and Motor Skills 41 (1975), 787–790, Roger Tourangeau/Robert J. Sternberg, „Aptness in Metaphor“ oder Allyssa McCabe, „Conceptual Similarity and the Quality of Metaphor in Isolated Sentences Versus Extended Contexts“, in Journal of Psycholinguistic Research 12:1 (1982), 41–68.

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zum einem durch die Auswahl der aufeinander bezogenen Bedeutungsbereiche, zum anderen durch die Art und Weise ihrer Verbindung. Die erste Variante ist im Zusammenhang der skizzenhaften Hinweise zum Domains-Interaction-Ansatz bereits exemplarisch betrachtet worden. Metaphern der entsprechenden Bauart verhindern eine Begriffsverschmelzung und erzeugen Komik, weil sie dazu auffordern, Bedeutungen aufeinander zu beziehen, die aus zu weit voneinander entfernten Bedeutungsbereichen stammen.514 Das Beispiel 27, Goldts Metapher „Prachtschmutz“, macht diesen Fall anschaulich. Die zweite Variante liegt vor, wenn eine Wendung zwar der Form nach als Metapher eingeordnet werden kann, ihre Ausgestaltung aber grundlegende Regeln der Metaphernkonstruktion missachtet. Illustriert wird dieser Fall durch metaphorische Formulierungen wie in Beispiel 26, Henscheids Titel „Verdi ist der Mozart Wagners“.515 Aus den vorangegangenen Vergleichsbetrachtungen zur Verarbeitung metaphorischer und komischer Textstrukturen ergibt sich neben einer klaren Vorstellung von der Bauweise lustiger Metaphern auch ein deutlicher Fingerzeig für das Vorhaben einer Explikation des Komikbegriffs: Wie sich gezeigt hat, kann das Konzept der Auflösung oder Auflösbarkeit von Inkongruenzen recht Unterschiedliches umfassen. In einer anspruchsvollen Begriffsklärung, die das Komikprädikat nicht zuletzt von Begriffen wie etwa denen des ‚Metaphorischen‘, ‚Witzigen‘ oder ‚Geistreichen‘516 abzugrenzen hat, sollte von Auflösung aus diesem Grund nicht ohne spezifizierendes Attribut die Rede sein. Im Fall des Komischen besteht Auflösung nicht bloß im Erfassen eines nicht offensichtlichen Zusammenhangs, hier beinhaltet es zudem stets die Einsicht, dass das Nahegelegte doch nicht gegeben ist oder das Verbundene nur bedingt oder bloß scheinbar zueinander passt – komische Ungereimtheiten sind also solche, deren Auflösung sich nicht von der Erfahrung trennen lässt, auf eine falsche Fährte gelockt worden zu sein.517 Schon Kant stellt in der Kritik der Urteilskraft im Anschluss an eine Auflistung von Beispielen komischer Situationen in diesem Sinne fest: „Merkwürdig ist: daß in allen solchen Fällen der Spaß immer etwas in sich enthalten muß, welches auf einen Augenblick täuschen kann, daher, wenn der Schein in nichts verschwindet, das Gemüt wieder zurücksieht, um es mit ihm noch einmal zu versuchen…“518 Und Ruch bringt eine ähnliche Beobachtung in seiner bereits erwähnten Kritik an einem Verständnis von Komikauflösung nach dem Modell des Problemlösens wie folgt zum Ausdruck:

514

515 516 517

518

Vgl. zur ‚semantic differential‘-Analyse grundlegend Charles E. Osgood/George J. Suci/Percy H. Tannenbaum, The Measurement of Meaning, Urbana 1957 und zusammenfassend Walter Nash, The Language of Humour. Systematisch betrachtet ist die erste Variante der Bildung einer komischen Metapher ein Sonderfall der zweiten. Vgl. dazu auch Gioras Unterscheidung zwischen ‚humorous‘ und ‚witty texts‘, Rachel Giora, „On the Cognitive Aspects“, 476–478. Vgl. hierzu auch Daniel D. Perlmutter, „On Incongruities and Logical Inconsistencies in Humor: The Delicate Balance“, in Humor 15:2 (2002), 155–168. Immanuel Kant, Kritik der Urteilskraft, 274.

Zum Potenzial der Inkongruenztheorie

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It is likely that the cognitive processes continue after resolving the incongruity. Unlike after real problem solving, the recipient is aware that the fit of the solution is an „as if“-fit. Already Lipps […] noted that what makes sense for a moment is subsequently abandoned as not really making sense. At a meta-level we experience that we have been fooled; our ability to make sense, to solve problems, has been misused.519

Um die Form der Auflösung, die für textuelle Komik charakteristisch ist, von derjenigen auch terminologisch abzugrenzen, die etwa für metaphorische Strukturen typisch ist, soll sie im Folgenden als scheinbare Auflösung bezeichnet werden.520 Nun sind die Voraussetzungen geschaffen, um als zweites wichtiges Ergebnis zum Zusammenhang zwischen der Auflösbarkeit und der Komik von Ungereimtheiten festhalten zu können: Nicht jede motivierte Inkongruenz ist zugleich komisch; lustig ist eine Ungereimtheit aber immer dann, wenn sie sich in besonderer, nämlich nur scheinbarer Weise auflösen lässt. Noch einmal Scripts, Oppositionen, Harmlosigkeit und Auflösbarkeit In den vorangegangen Abschnitten wurde in Auseinandersetzung mit den Positionen der GTVH der Versuch unternommen, zu einer Bestimmung des Konzepts textueller Komik zu gelangen. Auf diese Weise sollte die Basis für die nachfolgenden Überlegungen zum Komischen in der Literatur geschaffen werden. Als Zusammenfassung der Beschäftigung mit dem Modell von Raskin und Attardo erscheint ein kurzer Klärungsvorschlag samt einiger ergänzender Erläuterungen ausreichend. Vor dem Hintergrund der detaillierten Evaluation der GTVH in komiktheoretischer und analysepraktischer Perspektive wird vorgeschlagen, den Begriff der „textuellen Komik“ wie folgt zu fassen: Explikat „textKom“: Eine Textpassage soll genau dann gerechtfertigt als „komisch“ gelten, wenn es in ihr durch die Verwendung oder Verbindung von scripts zu Inkongruenzen kommt, die sich erstens als harmlos wahrnehmen lassen und die zweitens entweder nur scheinbar oder aber offensichtlich gar nicht aufgelöst werden können.521

Um Missverständnisse zu vermeiden, seien die folgenden erläuternden Hinweise noch einmal wiederholt: Wenn eine Textpassage im Sinne der entwickelten Bestimmung komisch ist, dann muss das nicht heißen, dass sie von ihrem Urheber komisch gemeint war oder von Lesern je komisch gefunden wurde oder wird. Der Satz „Dieser Textabschnitt ist komisch“ steht hier als Abkürzung für den Satz „Dieser Textabschnitt besitzt eine komische Wirkungsdisposition“, der seinerseits als Kurzfassung des folgenden Satzes 519 520 521

Willibald Ruch, „The Perception of Humor“, 415. Vgl. dazu auch Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“. Unter „Textpassage“ soll hier ein Ausschnitt aus einem Text verstanden werden, der im Extremfall nur ein Wort umfassen oder aber dem Gesamttext entsprechen kann.

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Zur Theorie literarischer Komik

zu verstehen ist: „Dieser Textabschnitt ist geeignet, auf einen durchschnittlichen Rezipienten der Textentstehungszeit komisch zu wirken“. Aus diesen Erläuterungen zum Definiendum der obigen Bestimmung geht zugleich hervor, wie der Status der Begriffe und damit der Bedingungen einzuschätzen ist, die im Definiens genannt werden: Die Explikation benennt transhistorische Bedingungen textstruktureller Art, die erfüllt sein müssen, damit eine Textpassage gerechtfertigt als komisch eingestuft werden kann; sie setzt allerdings zugleich voraus, dass bei ihrer Applikation auf historisches Wissen und rezeptionsprozessuale Modellvorstellungen rekurriert wird. Anders gesagt: Ob in einem Text eine Inkongruenz im Sinne der unterschiedenen Spielarten zu finden ist und ob sich diese als harmlos wahrnehmen und nur scheinbar oder offenkundig gar nicht auflösen lässt, das liegt dem Klärungsvorschlag zufolge nicht im Ermessen des jeweiligen Lesers oder Hörers; es soll vielmehr als eine Frage verstanden werden, die es aus der Perspektive eines zeitgenössischen, durchschnittlich informierten und kognitiv gewöhnlich begabten Rezipienten zu beantworten gilt. Neben diesen Anmerkungen zur entwickelten Definition des Konzepts textueller Komik scheint auch ein nochmaliger Hinweis zu ihrem Status angezeigt: Auch wenn der Fluchtpunkt der bisherigen Einlassungen in einer Explikation des Komikbegriffs bestand, so ging es in ihnen doch nicht darum, das Vorhaben einer Bestimmung des Komischseins gegen das der Untersuchung des Komischfindens von Texten auszuspielen. Im Gegenteil: Grundlage der Überlegungen war die Annahme, dass die Ermittlung der Bedingungen textueller Wirkungsdispositionen eng mit der Erforschung textueller und natürlich auch anderer objektinduzierter Wirkungen verknüpft werden sollte. In diesem Sinne sind in der allgemeinen Konzeption des Komikmodells der vorliegenden Arbeit und in der anschließenden Explikation des Komikbegriffs und seiner zentralen Bestandteile stetig empirische Befunde zur Komikverarbeitung und -beurteilung einbezogen worden. Auf diese Weise wurde eine konzeptuelle Idee gewonnen, die nicht zuletzt geeignet sein sollte, in der einen oder anderen Form als Ausgangs- und Bezugspunkt empirischer Forschung zu dienen, die sich also etwa im Rahmen der Erhebung und Erklärung experimenteller Daten zu Aspekten und Varianten der Verarbeitung von Komik nutzen lässt.522 Statt diesem Potenzial des entwickelten Vorschlags weiter nachzugehen, soll nun jedoch vorgeführt werden, wie er für den Entwurf eines Modells des Komischen in der Literatur fruchtbar gemacht werden kann.

522

Als begrifflicher Klärungsvorschlag ist das Explikat zwar keiner direkten empirischen Falsifikation zugänglich; seine Akzeptabilität kann aber auf erfahrungswissenschaftlichem Weg mittelbar durchaus geprüft und also auch erschüttert werden. So sind etwa Versuche zur Auflösung von Inkongruenzen denkbar, deren Resultate dem Bestimmungsvorschlag gegebenenfalls erhebliche Schwierigkeiten bereiten könnten. S. zum Zusammenhang auch oben 1.2.2.

Literatur und Komik

1.5

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Literatur und Komik

In den bisherigen Überlegungen hat die Literatur nur als Fundus von Beispielen für die Erprobung und Umgestaltung eines allgemeinen Modells textueller Komik eine Rolle gespielt, im Folgenden soll sie zum eigentlichen Gegenstand der humorologischen Theoriebildung werden.523 Dabei wird sich die Vorgehensweise des vorangegangenen Kapitels umkehren: Wurde im Fall textueller Komik ausgehend von der Erarbeitung eines Modells der Vorschlag einer Definition gemacht, soll im Fall literarischer Komik die Definition am Anfang stehen und als Grundlage der Konzeption eines differenzierten Modells fungieren. Die Begriffsbestimmung, die den Ausgangspunkt des Theorieentwurfs darstellt, ist denkbar einfach und dürfte nach den Ausführungen zum Textkomischen kein großes Überraschungspotenzial besitzen: Explikat „litKom“: Unter „literarischer Komik“ ist textuelle Komik zu verstehen, die in literarischen Texten zu 524 finden ist.

Dieser vermutlich kaum kontroverse, aber auch nicht sonderlich informative Vorschlag soll nun in drei Schritten expliziert und konkretisiert werden: In einem einleitenden Teil wird das bislang noch nicht näher betrachtete Element der Explikation zu erläutern sein, nämlich das Konzept der Literatur bzw. das des literarischen Textes. Dies kann hier in recht pragmatischer Form geschehen – der Literaturbegriff soll zunächst im Anschluss an eine plausible vorliegende Definition charakterisiert und dann in Form eines elementaristischen Modells literarischer Kommunikation elaboriert werden. Ein zweiter Abschnitt wird ausgehend von den Hinweisen zum Literaturkonzept einen Katalog mit typischen Formen des Komischen in literarischen Texten entwickeln. Im dritten und letzten Teil schließlich sollen die entfalteten Vorstellungen von textueller und literarischer Komik genutzt werden, um ein geschärftes Verständnis von Verfahren, Schreibweisen und Gattungen zu gewinnen, die gemeinhin mit dem Komischen im Bereich der Literatur in Verbindung gebracht werden.

1.5.1 Literarische Texte Wie eine trennscharfe Bestimmung des Literaturkonzepts für die Gestaltung der Literaturwissenschaft bei Weitem nicht so wichtig ist, wie oft angenommen wird, so ist auch ihre Relevanz für die Ausarbeitung eines literaturwissenschaftlichen Komikmodells 523 524

Zu den Gründen dafür, dass die Beziehung zwischen Literatur und Komik erst nach einem so langen Vorlauf unmittelbar in den Blick genommen wird s. oben Einleitung. Wenn von „literarischer Komik“ die Rede ist, dann wird bisweilen auch von einem engeren Begriff ausgegangen, der nur die Formen textueller Komik umfasst, die typischerweise in literarischen Texten zu finden sind, s. dazu unten 1.5.2.

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Zur Theorie literarischer Komik

nicht so hoch einzuschätzen, wie es das umrissene Verständnis von literarischer Komik nahe legen könnte.525 Modelle literarischer Komik beruhen gemeinhin auf einem Begriff des Komischen und einer mehr oder weniger differenzierten Vorstellung davon, welche Bestandteile literarischer Werke potenziell am Zustandekommen komischer Wirkungen beteiligt sind. Die Aspekte von Literatur, auf die sich entsprechende Modelle beziehen, sind dabei in aller Regel nicht diejenigen, die im Streit um das Konzept der Literatur zur Diskussion stehen: Literaturdefinitionen sind mittlerweile vornehmlich an notwendigen relationalen Merkmalen literarischer Texte interessiert, sie widmen sich beispielsweise der Frage, ob bestimmte Intentionen Voraussetzung für das Vorliegen von Literatur sind;526 Komikmodelle nehmen demgegenüber vor allem auf verbreitete strukturelle Eigenschaften literarischer Texte Bezug, also etwa auf das Charakteristikum, dass in ihnen Figuren, Ereignisse und Handlungen oftmals große Relevanz besitzen.527 Es scheint also kein Zufall zu sein, dass die meisten komiktheoretischen Positionen, die in der Literaturwissenschaft vertreten werden, mit einem sehr breiten Spektrum gängiger Literaturbegriffe verträglich sind. Durch die folgenden allgemeinen Ausführungen zum Literaturkonzept soll aus diesem Grund im Wesentlichen dem Gebot theoretischer Explizitheit Genüge getan werden.528 Sie suchen zwar ein Verständnis des literarischen Textes zu erläutern, das mit den text-, kommunikations- und komiktheoretischen Positionen der vorliegenden Arbeit nicht nur grundsätzlich vereinbar, sondern eng verschränkt ist; sie werden aber für die Überlegungen zum Komischen in der Literatur nur den Rahmen abgeben. Als we525

526

527

528

Vgl. zur begrenzten Bedeutung des Literaturbegriffs für die Literaturwissenschaft etwa Tilmann Köppe, „,Was ist Literatur?‘“, Simone Winko/Fotis Jannidis/Gerhard Lauer, „Geschichte und Emphase. Zur Theorie und Praxis des erweiterten Literaturbegriffs“, in Was ist Literatur?, 123–154, Klaus Weimar, „Funktionen des Literaturbegriffs“, in Grenzen der Literatur, 78–91 oder Oliver David Krug/Hans-Harald Müller/Tom Kindt, „Was ist Literatur? Bemerkungen zu einer Frage der Literaturwissenschaft“, in ebd., 92–102. Dies scheint zumindest seit der Einsicht in die Defizite formalistischer bzw. strukturalistischer Literaturdefinitionen eine der Leitfragen in den betreffenden Auseinandersetzungen zu sein, vgl dazu etwa Lutz Rühling, „Fiktionalität und Poetizität“, in Grundzüge der Literaturwissenschaft, hg. v. Heinz Ludwig Arnold u. Heinrich Detering, München 1996, 25–51, Stein Haugom Olsen/Anders Petterson (Hg.), From Text to Literature. New Analytic and Pragmatic Approaches, Houndmills/New York 2005, Peter Lamarque, The Philosophy of Literature, Oxford 2009 oder Simone Winko, „Auf der Suche nach der Weltformel. Literarizität und Poetizität in der neueren literaturtheoretischen Diskussion“, in Grenzen der Literatur, 374–398. Vgl. allgemein Robert Stecker, „Is It Reasonable to Attempt to Define Art?“. S. dazu unten 1.5.2. Vgl. zur Unterscheidung verschiedener Typen von Eigenschaften, auf die bei der Definition von Begriffen wie dem der Literatur Bezug genommen wird, etwa Jürn Gottschalk/Tilmann Köppe, „Was ist Literatur? Eine Einleitung“, in Was ist Literatur?, 7–21 oder Peter Lamarque, The Philosophy of Literature, 34. Vgl. zum Folgenden bereits Tom Kindt/Tilmann Köppe, „Literatur und Psychologie. Systematische und historische Überlegungen anhand programmatischer Texte des europäischen Naturalismus“, in Medizinische Schreibweisen. Ausdifferenzierung und Transfer zwischen Medizin und Literatur (1600-1900), hg. v. Nicolas Pethes u. Sandra Richter, Tübingen 2008, 265–283, 266f.

Literatur und Komik

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sentlich wichtiger für die Unterscheidung von Typen literarischer Komik und damit für die Entwicklung eines Instrumentariums zur komikorientierten Textanalyse wird sich das elementaristische Modell literarischer Kommunikationsprozesse erweisen, das im Anschluss eingeführt werden soll. Wenn in der vorliegenden Untersuchung von Literatur die Rede ist, dann geht es stets um literarische Texte.529 Der Ausdruck ‚Literatur‘ soll hier also weder im Sinne der Sozialgeschichte oder der Empirischen Literaturwissenschaft ein gesellschaftliches Handlungssystem bezeichnen530 noch in der Nachfolge formalistischer oder strukturalistischer Positionen zur Bezugnahme auf eine Menge von Texteigenschaften genutzt werden.531 Ein solcher Hinweis macht freilich weitere explikative Anmerkungen erforderlich – denn das Konzept des literarischen Werks wird kaum weniger heterogen bestimmt und verwendet als das der Literatur.532 Der Ausdruck ‚literarischer Text‘ nun soll im vorliegenden Zusammenhang im Sinne eines Bestimmungsvorschlags verstanden werden, der auf Überlegungen der Philosophen Peter Lamarque und Stein Haugom Olsen zurückgeht.533 Sie haben in einer Reihe von Arbeiten die Idee entwickelt, „Literatur“ als „institutionelles Konzept“ zu verstehen, als ein Konzept also, „that is defined within a practice involving authors (as producers), texts, and readers“.534 Was literarische Texte sind und ausmacht, das lässt sich nach Lamarque und Olsen nur im Rekurs auf die Institution Literatur verständlich machen: „the very being and nature of literary works depends on an ‚institution' in a manner analogous to that in which a chess piece or an item of currency depends on a corresponding game or practice.“535 Konkret heißt dies, dass ein Text hier genau dann als literarischer Text verstanden werden soll, wenn ihm zum einen die Absicht zugrunde liegt, im Sinne der Regeln der literarischen Praxis behandelt zu werden, und zum anderen die übergeordnete Absicht, dass entsprechende Einstellungen ihm gegenüber nicht zuletzt aufgrund der Wahrnehmung jener ersten In529

530

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534 535

Eine Übersicht und weiterführende Überlegungen zu den Debatten um den Begriff der Literatur bieten Jürn Gottschalk/Tilmann Köppe (Hg.), Was ist Literatur? sowie Simone Winko/Fotis Jannidis/Gerhard Lauer (Hg.), Grenzen der Literatur. Vgl. zu dieser Position etwa Renate von Heydebrand/Dieter Pfau/Jörg Schönert (Hg.), Zur theoretischen Grundlegung einer Sozialgeschichte der Literatur. Ein struktural-funktionaler Entwurf, Tübingen 1988 sowie Siegfried J. Schmidt, Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1989 und Grundriß der empirischen Literaturwissenschaft, Neuausg., Frankfurt a.M. 1991. Vgl. hierzu die Titelliste in Michael Titzmann, Struturale Textanalyse. Theorie und Praxis der Interpretation, 3. Aufl., München 1993, 65. Hier soll auf die oftmals sinnvolle Unterscheidung zwischen Text und Werk verzichtet werden, vgl. dazu Paisley Livingston, Art and Intention, 112–134. Vgl. dazu insbes. Stein Haugom Olsen, The Structure of Literary Understanding, Cambridge 1978 und „The Concept of Literature: An Institutional Account“, in From Text to Literature, 11–35, Peter Lamarque/Stein Haugom Olsen, Truth, Fiction, and Literature. A Philosophical Perspective, Oxford 1994 sowie zuletzt Peter Lamarque, The Philosophy of Literature. Peter Lamarque/Stein Haugom Olsen, Truth, Fiction, and Literature, 255. Peter Lamarque, The Philosophy of Literature, 61f.

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Zur Theorie literarischer Komik

tention zustande kommen. Ob es sich bei einem Text um ein literarisches Werk handelt, folgt nach dieser Position nicht aus seinen formalen Merkmalen; entscheidend ist vielmehr, ob ihm eine Rolle in der institutionellen Praxis Literatur zukommt, deren Handlungen und Hervorbringungen durch ein Menge historisch variabler Konzepte und Konventionen konstituiert und reguliert werden. Unter ‚Konventionen‘ sind nach Lamarque und Olsen dabei leitende Orientierungen im Umgang mit literarischen Texten zu verstehen, wie zum Beispiel die Fokussierung ihrer kreativ-kompositorischen und thematischexplorativen Aspekte.536 Und als ‚Konzepte‘ fassen sie Begriffe und Begriffszusammenhänge, die einen Beitrag zur Erschließung und Wertschätzung von Dichtung leisten; die Bandbreite reicht von allgemeinen formalen bis hin zu werkbezogenen thematischen Kategorien.537 Mit den letztgenannten Elementen gibt der Vorschlag von Lamarque und Olsen zugleich einen Hinweis auf die Eigenschaften literarischer Texte, die sich als Bezugspunkte einer Unterscheidung relevanter Formen des Komischen in der Literatur eignen. Die Rede ist von Merkmalen, die literarische Werke in grundlegender Weise charakterisieren, ohne jedoch Alleinstellungsmerkmale des Literarischen darzustellen – Eigenschaften wie insbesondere die, von etwas zu handeln und dies in sprachlicher Form zu tun.538 Merkmale dieser Art spielen in Bestimmungen des Literaturkonzepts nachvollziehbarerweise keine Rolle; sie haben aber im Kontext einer anderen ebenfalls seit Jahrzehnten laufenden Debatten einige Beachtung gefunden – in den Auseinandersetzungen über die Modellierung literarischer Kommunikationprozesse, die vor allem im Bereich der Narratologie, aber auch in dem der Dramen- und Lyriktheorie geführt worden sind.539 Im vorliegenden Zusammenhang brauchen die entsprechenden Diskussionen nicht im Detail betrachtet zu werden; hier reicht es aus, einige vorliegende Überlegun536 537

538

539

Vgl. Peter Lamarque/Stein Haugom Olsen, Truth, Fiction, and Literature, 261–267. Vgl. ebd., 257–261. Ein ‚institutioneller‘ Literaturbegriff, wie er hier zugrunde gelegt wird, ist nicht zu verwechseln mit einem ‚pragmatischen‘ Literaturbegriff, wie er etwa in Michael Titzmann, Strukturale Textanalyse, 65f., vorgeschlagen wird. Problematisch an einer entsprechenden Form der Begriffsbestimmung ist vor allem, dass sie uninformativ ist. – Der vorgeschlagene Literaturbegriff soll im vorliegenden Zusammenhang lediglich der Erläuterung des Literaturverständnisses dienen, das sich in Europa seit der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts durchgesetzt hat. Gemeinhin werden mit der institutionellen Definition von Literatur allerdings weitergehende Ansprüche verknüpft, vgl. dazu Stein Haugom Olsen, „The Concept of Literature“, 20f. Dass ein literarischer Text von etwas handelt, ist hier in einem weiten Sinne zu verstehen. Es soll nicht allein von Texten gelten, die sich durch Repräsentationalität auszeichnen, sondern auch von solchen, denen sich gerechtfertigt ein Thema zuschreiben lässt, die also nach dem Verständnis Arthur C. Dantos über etwas sind, vgl. dazu Arthur C. Danto, The Transfiguration of the Commonplace. A Philoyophy of Art, Cambridge, Mass. 1981 sowie Jasper Liptow, „Kunstwerke als Darstellungen und Symbole“, in Symbole, Systeme, Welten. Studien zur Philosophie Nelson Goodmans, hg. v. Jakob Steinbrenner, Oliver R. Scholz u. Gerhard Ernst, Heidelberg 2005, 75– 88. Vgl. zu einem Überblick mit Hinweisen auf weitere Literatur Tom Kindt/Hans-Harald Müller, The Implied Author, 96–101.

Literatur und Komik

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gen zur Differenzierung von Niveaus und Elementen der literarischen Kommunikation zusammen zu führen und so eine klarere Vorstellung davon zu gewinnen, was es heißt, dass Texte der Literatur in sprachlicher Form von etwas handeln.540 Auf diese Weise kann zugleich eine solide Basis für die angestrebte Bestimmung relevanter Varianten des Komischen in der Literatur geschaffen werden. Grundlegend für Modelle literarischer Kommunikation oder solche ihrer genrespezifischen Varianten ist die Unterscheidung zwischen dem Wie und dem Was von Texten, also zwischen der Ebene der Darbietung und der des Dargebotenen.541 Von den verschiedenen Fragen, die in literaturwissenschaftlichen Kontexten zum Wie literarischer Texte diskutiert werden, soll hier nur eine aufgegriffen werden, und zwar die nach den Niveaus und Instanzen der sprachlichen Vermittlung. Im Hinblick auf diese Frage scheint wesentlich größere ontologische Sparsamkeit nötig und auch möglich, als sie in literaturtheoretischen Auseinandersetzungen verbreitet ist. Notwendig und zugleich ausreichend scheint die Differenzierung zwischen drei Kommunikationsebenen und damit drei Typen von Vermittlungsinstanzen zu sein – zwischen Autoren, textinternen Sprechern, die allein auf der Ebene der Darbietung anzusiedeln sind, und textinternen Sprechern, die sich auch der Ebene des Dargebotenen zurechnen lassen. Im Rekurs auf diese drei Größen ist es möglich, alle tatsächlichen und denkbaren Vermittlungsvorgänge in literarischen Texten zumindest aspektbezogen erschöpfend zu erfassen.542 Das bedeutet aber natürlich nicht, dass in Beschreibungen der kommunikativen Vermittlung in literarischen Werken stets auf alle drei Niveaus und Instanzen zurückgegriffen werden müsste. Unvermeidlich ist beim Nachvollzug konkreter literarischer Kommunikationsprozesse nur die Bezugnahme auf den Autor,543 die unterschiedenen textinternen Vermittlungsrollen sind jedoch in dem Sinne optional, dass sie in vielen Werken der Literatur unbesetzt sein können – und diese Möglichkeit wird in vielen Texten auch genutzt: So fehlt etwa in Dramen zumeist und in epischen Werken nicht selten ein text540

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Um Missverständnisse zu vermeiden: Bei literarischen Werken mag es sich typischerweise um Fälle fiktionaler Rede handeln, prinzipiell sind das Literarische und das Fiktionale aber nicht koextensional, vgl. dazu grundlegend Lutz Rühling, „Fiktionalität und Poetizität“ oder zuletzt Jan Gertken/Tilmann Köppe, „Fiktionalität“. Im vorliegenden Zusammenhang geht es, sofern nicht anders angegeben, stets um fiktionale und nicht-fiktionale literarische Werke; allerdings wird etwa auf didaktische oder essayistische Dichtungsformen nicht im Einzelnen eingegangen. Vgl. dazu die Zusammen- und Weiterführungen vorliegender Modelle in Matias Martinez/Michael Scheffel, Einführung in die Erzähltheorie, München 1999, 20–26, Peter Hühn/Jörg Schönert, „Zur narratologischen Analyse von Lyrik“, in Poetica 34 (2002), 287–305, 291–295, Peter Wenzel, „Übergreifende Modelle des Erzähltextes“, in P. W., Einführung in die Erzähltextanalyse. Kategorien, Modelle, Probleme, Trier 2004, 5–22 oder Jörg Schönert/Peter Hühn/Malte Stein, Lyrik und Narratologie. Text-Analysen zu deutschsprachigen Gedichten vom 16. bis zum 20. Jahrhundert, Berlin/New York 2007, 1–18. Beschreibungen der kommunikativen Konstellationen in literarischen Texten sind mit anderen Worten nicht auf Instanzen wie etwa die des impliziten oder abstrakten Autors angewiesen, vgl. dazu ausführlich Tom Kindt/Hans-Harald Müller, The Implied Author, 155–158. Diese Bezugnahme kann freilich sehr unterschiedlich aussehen, s. dazu oben 1.4.3.

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Zur Theorie literarischer Komik

interner Sprecher des ersten Typs,544 und so kommen beispielsweise lyrische Gedichte oftmals ohne textinterne Sprecher des zweiten Typs aus.545 Im Hinblick auf das Was literarischer Texte ist die Diskussion nicht weniger ausufernd und vielstimmig als im Hinblick auf ihr Wie. Auch in diesem Fall müssen darum zahlreiche Auseinandersetzungen unberücksichtigt bleiben; es soll wiederum genügen, einige wichtige Begriffe und grundlegende Unterscheidungen einzuführen. Von zentraler Bedeutung für ein Verständnis der Ebene des Dargebotenen in literarischen Werken ist zunächst zweifellos die auf Seymour Chatman zurückgehende Unterscheidung zwischen ‚existents‘ und ‚events‘, also zwischen Zuständen und Zustandsveränderungen in den Textwelten.546 Mit Blick auf beide Typen von Bausteinen des Dargebotenen sind in den Debatten zur literarischen Kommunikation recht einhellig weitere einleuchtende Differenzierungen vorgeschlagen worden, von denen hier die Folgenden aufgegriffen werden sollen: Im Fall von events oder – wie fortan gesagt wird – Ereignissen liegt es nahe, nicht-intentionale und intentionale Veränderungen von Zuständen und das heißt Vorkommnisse und Verhaltensweisen auseinander zu halten.547 Im Hinblick auf die existents oder – so der hier gebrauchte Ausdruck – Gegebenheiten scheint es sinnvoll, mindestens zwischen Zuständen und Akteuren zu unterscheiden.548 Im Interesse einer leidlich differenzierten Vorstellung von den Möglichkeiten der Gestaltung textueller Welten sollten neben den bisher eingeführten elementaren Spielarten von Ereignissen und Gegebenheiten überdies komplexere Einheiten der Ebene des Dargebotenen einbezogen werden, und zwar einerseits Handlungen und andererseits Situationen. Von einer Handlung wird dabei im Fall bestimmter Formen der Verbindung von Ereignissen gesprochen;549 als Situationen sollen Konstellationen von Gegebenheiten verstanden werden.550 544

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Vgl. zum Drama Manfred Pfister, Das Drama, zur Epik Dietrich Weber, Erzählliteratur. Schriftwerk, Kunstwerk, Erzählwerk, Göttingen 1998 und zuletzt Tilmann Köppe/Jan Stühring, „Against Pan-Narrator Theories“, in JLS 40:1 (2011), 59–80. Vgl. etwa Dieter Burdorf, Einführung in die Gedichtanalyse, 2. Aufl., Stuttgart/Weimar 1997. Vgl. dazu Seymour Chatman, Story and Discourse. Narrative Structure in Fiction and Film, Ithaca 1978, 22–27 sowie Peter Hühn/Jörg Schönert, „Zur narratologischen Analyse“, 292–295. Vgl. dazu – mit freilich leicht abweichenden Terminologien – Matias Martinez/Michael Scheffel, Einführung, 108f. oder Peter Hühn/Jörg Schönert, „Zur narratologischen Analyse“, 292f. Verbreiteter als der Ausdruck ‚Verhaltensweise‘ ist zweifellos der Begriff der ‚Handlung‘, er soll hier jedoch anderen Bausteinen der Ebene des Dargebotenen vorbehalten bleiben, s. dazu unten. Vgl. hierzu etwa Seymour Chatman, Story and Discourse, 25. Hier ist von ‚Akteuren‘ die Rede, weil es in literarischen Texten im oben umrissenen Sinne ebenso um Personen wie um Figuren gehen kann, vgl. zu dieser Unterscheidung Fotis Jannidis, Figur und Person. Beitrag zu einer historischen Narratologie, Berlin/New York 2004. Zu Typen von Ereignisverbindungen vgl. Tilmann Köppe/Tom Kindt, „Das Selbst – eine Erzählung?“, in Ambivalenz und Kohärenz. Untersuchungen zur narrativen Sinnbildung, hg. v. Julia Abel, Andreas Blödorn u. Michaels Scheffel, Trier 2009, 227–251, 233–235. Zur Relation zwischen Handlungen und Situationen vgl. auch Beate Müller, Komische Intertextualität, 196f.

Literatur und Komik

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Als Einheiten sollte das anvisierte Kommunikationsmodell neben den genannten Bausteinen schließlich auch Konzepte für grundlegende interpretative Abstraktionen vorsehen, die auf der Basis der deskriptiv rekonstruierbaren Elemente von literarischen Texten vorgenommen werden551 – zu denken ist hier insbesondere an den Begriff des Themas und den der These eines Werks.552 Bei der Integration entsprechender Größen in das Modell gilt es freilich im Blick zu behalten, dass sie nicht in gleicher Weise Gegenstände von Texten sind wie etwa Figuren oder Situationen, dass sie sich also nicht ohne Weiteres dem Was von Werken zurechnen lassen. Thema und These eines literarischen Werks ergeben sich in der Regel wesentlich aus dem Zusammenspiel zwischen dem Wie und dem Was auf seiner textinternen Ebene – also etwa aus der Art und Weise, in der ein Autor einen in bestimmter Form modellierten Erzähler eine spezifische Geschichte präsentieren lässt. In Form eines Schaubilds lassen sich die vorstehenden stichwortartigen Überlegungen zum Wie und Was literarischer Werke folgendermaßen resümieren: Kontexte Text Ereignisse: - Vorkommnisse - Verhaltensweisen

Autor (Sprecher)

Gegebenheiten: - Akteure - Zustände

Handlungen

Rezipient Situationen

Themen, Thesen…

Schaubild 1: Modell wesentlicher Ebenen und Einheiten literarischer Texte

551

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Vgl. zur Unterscheidung zwischen Deskription und Interpretation für die Zwecke der Literaturwissenschaft Tom Kindt/Hans-Harald Müller, „Wieviel Interpretation enthalten Beschreibungen? Überlegungen zu einer umstrittenen Unterscheidung am Beispiel der Narratologie“, in Regeln der Bedeutung. Zur Theorie der Bedeutung literarischer Texte, hg. v. Fotis Jannidis et al., Berlin/New York 2003, 286–304. Vgl. zu diesen Begriffen die allgemeinen Hinweise in Gottfried Gabriel, Fiktion und Wahrheit. Eine semantische Theorie der Literatur, Stuttgart/Bad Cannstatt 1975. – Zum Thema-Konzept in kognitionswissenschaftlicher Perspektive vgl. Max Louwerse/Willie van Peer (Hg.), Thematics. Interdisciplinary Studies, Amsterdam/Philadelphia 2002.

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Zur Theorie literarischer Komik

1.5.2 Literarische Komik An Unterscheidungen wesentlicher Varianten des Komischen in der Literatur besteht kein Mangel. Die entwickelten Typologien unterscheiden sich in vielerlei Hinsicht recht grundlegend voneinander, gemein ist den meisten von ihnen aber, dass sie einen durchaus soliden Überblick über das breite Spektrum der bekannten und denkbaren Formen literarischer Komik geben.553 Wenn die lange Liste der vorliegenden Vorschläge im Folgenden um einen weiteren ergänzt wird, dann geschieht dies auf der Grundlage von Vorstellungen, wie sie etwa auch bei der Klärung wissenschaftlicher Begriffe leitend sind.554 Es soll mit anderen Worten eine Typologie ausgearbeitet werden, die maßgeblichen traditionellen Unterscheidungen von Komikformen in einem systematisch hergeleiteten und differenziert ausgestalteten Rahmen einen Platz zuweist. Bezugspunkt des Typologieentwurfs ist einerseits das explizierte Konzept textueller Komik und andererseits das skizzierte Modell literarischer Kommunikation. Grundstein der folgenden Aufstellung literarischer Komikformen ist eine Opposition, die seit Ciceros De oratore eine der Leitunterscheidungen in humorologischen Debatten darstellt – die Differenz zwischen Sach- und Wortwitz.555 Sie soll hier im Sinne der vorangegangenen Einlassungen freilich etwas allgemeiner gefasst werden, und zwar als Unterscheidung zwischen der Komik der Darbietung und der Komik des Dargebotenen. Die erste dieser grundlegenden Spielarten liegt dann vor, wenn komische Inkongruenzen in der einen oder anderen Form durch die sprachliche Vermittlung erzeugt werden, die zweite, wenn sie auf der Basis des sprachlich Vermittelten zustande kommen. Dabei dürfte auf der Hand liegen, dass die beiden basalen Komikformen ebenso wie diejenigen, denen ihre Gegenüberstellung zugrunde liegt, miteinander kompatibel sind; manche Textpassage kann mit anderen Worten sowohl der Komik der Darbietung wie der des Dargebotenen zugerechnet werden.556 Zu einer Illustration der unterschiedenen Grundformen des Komischen sei an bereits genauer betrachtete Beispiele erinnert: So handelt es sich etwa beim ersten Textexempel (Lessings „Auf einen Brand zu **“) um einen Fall der Komik des Dargebotenen und beim zweiten (Gernhardts „Materialien…“) um einen der Komik der Darbietung.

553

554 555 556

Vgl. etwa die Überlegungen in Rolf Arnold Müller, Komik und Satire, Kap. 2, András Horn, Das Komische, Kap. 2–3, Harald Fricke/Rüdiger Zymner, Einübung, 193–195, Beate Müller, Komische Intertextualität, 183–203, Harald Fricke/Angelika Salvisberg, „Art. Bühnenkomik“, 279f., Daniela Toscan, Form und Funktion des Komischen, 89–119, Jeroen Vandaele, „Humor Mechanisms“, 226–246, Jan Siebert, Flexible Figuren, Kap. 1 oder Helmut von Ahnen, Das Komische, Kap. 3. S. zur Explikation von Begriffen mit Hinweisen auf grundlegende Literatur oben 1.2.2. Vgl. dazu insbes. Cicero, De oratore, LIX. Vgl. zu dieser Unterscheidung auch Ralph Müller, Theorie der Pointe, 31f. Zu dem hier zugrunde liegenden Verständnis der Kompatibilität von Prädikaten vgl. Ernst Tugendhat/Ursula Wolf, Logisch-semantische Propädeutik, Stuttgart 1983, 60f.

Literatur und Komik

147

Um die Voraussetzungen für eine genauere komikorientierte Analyse literarischer Texte zu schaffen, sind mit Blick auf beide Spielarten des Komischen natürlich einige weitere Differenzierungen erforderlich. Was zunächst die Darbietungskomik anbelangt, so scheint es auch in diesem Fall sinnvoll, zwei Grundformen auseinander zu halten, nämlich die Sprachkomik auf der einen und die Vermittlungskomik auf der anderen Seite.557 Von ersterer soll im Folgenden dann gesprochen werden, wenn komische Inkongruenzen allein auf sprachlicher Ebene entstehen und also nicht an den gegebenenfalls behandelten Gegenstand gebunden sind, von letzterer dann, wenn sie sich aus der Darbietung im Allgemeinen oder aber aus deren Beziehung zum Dargebotenen ergeben. Im Hinblick auf beide Fälle der Darbietungskomik liegt es wiederum nahe, zwei grundlegende Spielarten voneinander abzugrenzen. Im Anschluss an die obigen Reflexionen zu unterschiedlichen script-Typen und den Zusammenhängen von Komik und Semantik558 bietet es sich zunächst in Bezug auf das Sprachkomische an, zwischen Formkomik und Inhaltskomik zu unterscheiden: Jene liegt vor, wenn sich komische sprachliche Ungereimtheiten wesentlich aus der Verwendung oder Verbindung nichtsemantisch bestimmter Wissensmuster ergeben; mit dieser hat man es zu tun, sofern Sprachkomik aus der Spannung zwischen semantischen scripts resultiert. Ein Beispiel für Formkomik liefern die letzten Verse von Gernhardts fünfstrophigem Gedicht „Folgen der Trunksucht“: Beispiel 28: Folgen der Trunksucht […] Seht ihn an, den Dichter. Trinkt er, wird er schlichter. Ach schon fällt ihm gar kein Reim Auf das Reinwort „Reim“ mehr eim.559

Als Beispiel für Inhaltskomik im umrissenen Sinne sei ein Wortspiel Heinrich Heines angeführt, das durch Freud zu einiger Berühmtheit gelangt ist. In seinem Reisebericht „Die Bäder von Lucca“ lässt Heine den einfachen Herrn Hyazinth von einer Begegnung mit dem Baron von Rothschild unter anderem das Folgende berichten:

557 558 559

Zu einer differenzierten Typologie von Formen der Darbierungskomik vgl. Alison Ross, The Language of Humour, London/New York 1998. S. dazu oben 1.4.3 Scripts und Oppositionen zum Ersten sowie Scripts und Oppositionen zum Dritten. Robert Gernhardt, Gedichte, 121.

148

Zur Theorie literarischer Komik

Beispiel 29: Die Bäder von Lucca […] „Und so wahr, wie mir Gott alles Gut’s geben soll, Herr Doktor, ich saß neben Salomon Rothschild, und er behandelte mich ganz wie seinesgleichen, ganz famillionär.“560

Wie bereits angekündigt, soll auch mit Blick auf die andere oben eingeführte Grundform des Darbietungskomischen eine weitere Unterscheidung vorgenommen werden: Hinsichtlich der Vermittlungskomik empfiehlt es sich, komische Inkongruenzen, die durch die Verletzung der kommunikationslogischen Voraussetzungen von Darbietungen entstehen, von solchen abzugrenzen, die durch die Abweichung von kommunikationspraktischen Gepflogenheiten und Vorgaben zustande kommen.561 Die erste Spielart, die hier als Ebenenkomik verstanden wird, ist musterhaft in vielen Werken zu finden, die Metalepsen enthalten,562 in denen also die Grenzen zwischen textinternem und textexternem Bereich oder zwischen den ontologischen Ebenen der Werkwelt durchbrochen werden.563 Der zweite Fall, der als Darstellungskomik bezeichnet werden soll, lässt sich insbesondere in einer großen Zahl von Texten beobachten, die textintern durch ein Missverhältnis zwischen Thema oder These und Form oder aber zwischen Zielsetzung und Umsetzung charakterisiert sind.564 Auch die beiden Haupttypen der Vermittlungskomik seien durch kurze Textbeispiele veranschaulicht. Ein frühes und zugleich berühmtes Beispiel für die Nutzung von Ebenenkomik in der deutschsprachigen Literatur findet sich in Ludwig Tiecks Stück Der gestiefelte Kater – hier streiten sich im dritten Akt der Hofgelehrte Leander und der Hanswurst über die angemessene Beurteilung des Stücks, dessen Figuren sie sind:

560

561

562

563 564

Heinrich Heine, „Die Bäder von Luca“ (1830), in H. H., Werke und Briefe in zehn Bänden. Bd. 3: Reisebilder, hg. v. Gotthard Erler u. Hans Kaufmann, 2. Aufl., Berlin 1972, 273–356, 307. Vgl. zum Zusammenhang Sigmund Freud, Der Witz, 33–36. Dabei sollte klar sein, dass sich im Laufe der Zeit wandeln kann, was als kommunikationslogisch bzw. kommunikationspraktisch angemessen oder unangemessen gilt, vgl. dazu etwa Anja Cornils, „La métalepse dans les Actes des Apôtres: uns signe de narration fictionelle“, in Métalepses. Entorses au pacte de représentation, hg. v. John Pier u. Jena-Marie Schaeffer, Paris 2005, 95–108. Hier ist nicht von „allen“, sondern nur von „vielen“ Werken mit Metalepsen die Rede, weil entsprechende Strukturen nicht immer geeignet sind, komisch zu wirken – bisweilen erscheinen sie etwa auch „unheimlich“, vgl. zu einer Unterscheidung verschiedener Typen der Wirkung von Metalepsen schon Gérard Genette, „Discours du récit. Essai de méthode“, in G. G., Figures III, Paris 1972, 65–292, 243. Vgl. zum Konzept der Metalepse grundlegend David Herman, „Towards a Formal Description of Narrative Metalepsis“, in JLS 26:2 (1997), 132–152 sowie die Texte in Métalepses. Auch hier gilt natürlich: Komisch sind entsprechende Inkongruenzen nur dann, wenn sie weiteren Kriterien genügen, s. dazu oben 1.4.3.

Literatur und Komik

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Beispiel 30: Der gestiefelte Kater […] PRINZESSIN

Liebster Herr Vater, wollen Dieselben nicht gnädigst erlauben, daß jetzt die gelehrte Disputation ihren Anfang nehmen könnte? Mein Herz schmachtet nach dieser Geistesbeschäftigung. KÖNIG Ja, es mag jetzt seinen Anfang nehmen. […] Leander und Hanswurst verneigen sich. LEANDER Das Thema meiner Behauptung ist, daß ein neuerlich erschienenes Stück: der gestiefelte Kater, ein gutes Stück sei. HANSWURST Das ist gerade das, was ich leugne. Beweise, daß es schlecht sei. LEANDER HANSWURST Beweise, daß es gut sei. […] LEANDER HANSWURST

Ich behaupte, es ist Witz darin. Ich behaupte, es ist keiner drin.565

Zur Veranschaulichung der Darstellungskomik seien Auszüge eines Gedichts Simone Borowiaks angeführt, das ihrer in den frühen 1990er Jahren in der Titanic erschienenen „Hessen nimmt Abschied von…“-Reihe entstammt. In dem Text wird, wie in den anderen Werken der Serie auch, der Tod eines Prominenten zum Anlass für einen lyrischen Nekrolog genommen, der sich von dem, was mit Abschiednehmen gemeint sein kann und mithin in der Nachrufdichtung üblich ist, weit entfernt. Bei Borowiak zieht ein hessischer Spießer in Dialektform und mit einer Mischung aus Teilnahmslosigkeit und Kumpelhaftigkeit die Lehren aus der Lebensgeschichte eines Verstorbenen – im Beispielgedicht aus der von Serge Gainsbourg: Beispiel 31: Hessen nimmt Abschied von Serge Gainsbourg Wer raucht als wie der Gainsbuur Sersch, dem seine Lung’ wird bald zum Zwersch. In Sersch sei Lung’ ging nix mehr rein, da half ihm auch kaan Krankeschein. Der hat geraucht, als wie ein Schlot, der Gainsbuur Sersch. Jetzt isser dot. Was hat der üwwähaupt gemacht? Geraucht! Bis ihm die Lung´gekracht. Mer munkelt auch von scharfem Trinke. Sei Lebä fing schon an zum Stinke.

565

Ludwig Tieck, Der gestiefelte Kater (1797), hg. v. Helmut Kreuzer, Stuttgart 2001, 48. Kursivierungen im Original. – S. zu einer eingehenden Analyse der Komiknutzung in Tiecks Drama unten 2.4.

150

Zur Theorie literarischer Komik

Die Lebä war bald völlisch morsch. Des war das End vom Gainsbuur Schorsch. Sein Tod warn net zuletzt die Weibä, vor allem die mit Luxusleibä: Bardots Brischitt und Jane Birkin, die machten Schorschis Lebä hin Und war er voll von Schmerz und Wein, ging ihm die Kippe Stangweis’ rein. Der Lunge-Lebä-Kreis sisch schließt, dergleischen mer im Brockhaus liest. Der Sersch, der wurd so loang net klug, bis mehr ihn uff den Friedhof trug. Drum, Leut! Wollt Ihr net gleisch danebä, gebt acht uff euä Lung und Lebä!566

Im Hinblick auf die Komik des Dargebotenen lässt sich eine einleuchtende Typendifferenzierung am Leitfaden der Unterscheidungen, Ebenen und Bausteine vornehmen, mit denen oben das Was literarischer Texte erläutert worden ist.567 Es gilt also allgemein, Gegebenheitskomik und Ereigniskomik auseinander zu halten, und es soll ferner im ersten Fall zwischen Figurenkomik, Zustandskomik und Situationskomik und im zweiten Fall zwischen Vorkommniskomik, Verhaltenskomik und Handlungskomik unterschieden werden. Leitend für eine Analyse der Komik des Dargebotenen in einem Text ist kurzum die Frage, ob und gegebenenfalls wo sich in dessen Welt komische Inkongruenzen finden lassen. Dabei sei noch einmal daran erinnert, dass es sich bei den skizzierten Unterscheidungen von Komikformen um analytische handelt – aus ihnen sollte also nicht die These abgeleitet werden, dass die aufgelisteten Spielarten des Komischen in literarischen Texten nur oder gemeinhin isoliert auftreten. Dass dies in der Regel gerade nicht der Fall ist, zeigt eine genauere Betrachtung der Varianten, in denen die Komik des Dargebotenen in der Literatur genutzt wird – denn sie lässt etwa in den Blick kommen, dass Figurenkomik oft durch das Vorliegen von Sprach-, Darstellungs- und Verhaltenskomik angezeigt wird, oder dass sie häufig in recht enger Verschränkung mit Situations- und Handlungskomik auftritt.568 Aus diesen Grund wird im Folgenden von der bisherigen Illustrationspraxis abgewichen und darauf verzichtet, alle genannten Typen der Komik des Dargebotenen durch Einzelbeispiele zu veranschaulichen; stattdessen sollen vier ihrer in der Literatur besonders häufig genutzten Ausprägungen in ihrem Nebeneinander und Zusammenspiel anhand eines komplexeren Textexempels kurz beleuchtet werden – und zwar anhand

566 567 568

Simone Borowiak, „Hessen nimmt Abschied von Serge Gainsbourg“, in Hell und Schnell, 257f. S. dazu oben 1.5.1. S. dazu unten die eingehenden Analysen zum Komischen in Komödien von Lessing, Lenz, Kotzebue und Tieck in 2.1.–2.4.

Literatur und Komik

151

von Leo Perutz’ Roman Turlupin aus dem Jahr 1924.569 Der Erzähler des historischen Romans verfolgt mit seinen Schilderungen ein ausgesprochen ambitioniertes Projekt: Er möchte erläutern, warum es erst 1789 und nicht bereits 1642 zur französischen Revolution gekommen ist, obgleich nach seiner Überzeugung schon zu diesem Zeitpunkt genau die „Kombination von Menschen, Ideen und besonderen Umständen“ gegeben war, „die am Ende des 18. Jahrhunderts den Sturz des Königtums herbeigeführt hat“.570 Zu diesem Zweck berichtet er nun freilich nicht über die Intrigen innerhalb der politischen Führungsschicht im Frankreich Richelieus; er verfolgt vielmehr den Weg des Barbiergehilfe Tancrède Turlupin an vier Tagen im November des Jahres 1642. Dass es sich bei Turlupin um eine komische Figur handelt, zeigt der Erzähler gleich einleitend deutlich an – zunächst, indem er den Barbiergehilfen als ‚Narr‘571 und „voll von Wunderlichkeit“572 beschreibt, dann, indem er die grundsätzliche Inkongruenz zwischen Selbst und Selbstsicht verdeutlicht, die Turlupins Existenz prägt: Beispiel 32: Turlupin […] [I]n Wahrheit gedachte er nicht, sein Leben als Barbier in der Apostelgase zu beenden. Als elfjähriger Knabe war er aus einem brennenden Haus gerettet worden, und seit diesem Ereignis fühlte er die Gewißheit in sich, daß er zu großen Dingen ausersehen sei, daß das Schicksal ihn am Leben erhalten hatte, weil es seiner bedurfte. Er wartete geduldig, denn seine Zeit musste kommen. Während er mit dem Schermesser in der einen und dem Wischlappen in der andern Hand seiner Arbeit oblag, träumte er von der Zukunft. Er sah sich als königlicher Feldhauptmann in einem Brustharnisch an der Spitze seiner Reiter und Hellebardiere in eine spanische Stadt einziehen, die sich ihm ergeben hatte…573

Im weiteren Verlauf der Schilderungen wird die damit knapp umrissene Lächerlichkeit der Figur Turlupin vom Erzähler nicht mehr umschrieben, sondern über die Komik seines Verhaltens anschaulich vorgeführt. 574 Kern dieser Komik ist zumeist die offenkundige Unangemessenheit der Situationsdeutungen des Barbiergehilfen – er sieht nur das, was er sehen will, und deutet es zugleich so um, dass es seinen Vorstellungen entspricht.575 Schaut man sich nun einige Vorkommnisse von Verhaltenskomik näher an, stellt man fest, dass die Beharrlichkeit, mit der Turlupin seine Erlebnisse missversteht, 569

570 571 572 573 574 575

Zu einer eingehenden Analyse des Romans vgl. Tom Kindt, „Turlupin. Oder: Und wo bleibt das Ethische, Herr Perutz?“, Leo Perutz’ Romane. Von der Struktur zur Bedeutung, hg. v. Tom Kindt u. Jan Christoph Meister, Tübingen 2007, 69–79. Leo Perutz, Turlupin. Roman (1924), hg. v. Hans-Harald Müller, Wien 1995, 14. Vgl. ebd., 17 u.ö. Ebd., 19. Ebd., 20. Als jemand, der sich selbst grundlegend falsch einschätzt, bringt Turlupin geradezu den Musterfall des Lächerlichen im Sinne Platons zur Anschauung, vgl. dazu Platon, Philebos, 48d–48e. Vgl. etwa auch Leo Perutz, Turlupin, 67f. u.ö.

152

Zur Theorie literarischer Komik

in dem Paris des Romans keineswegs der närrische Ausnahmefall ist – hier sieht die große Mehrheit der Akteure vor allem das, was sie sehen will, hier neigen fast alle zu egozentrischen und zugleich idiosynkratischen Interpretationen von Geschehnissen und Handlungen. Die Verständigung zwischen den Figuren ist darum nicht nur oft Anlass für Verhaltenskomik, sie führt zudem immer wieder zu Situationskomik – denn sie läuft nicht selten auf Gespräche hinaus, in denen im trügerischen Gefühl gelungener Kommunikation durchweg aneinander vorbeigeredet wird. Ein in dieser Hinsicht exemplarischer Abschnitt schildert Turlupins Besuch einer Beerdigung, dem ein doppelter Irrtum seinerseits vorausgeht: Er nimmt nicht nur abwegigerweise an, den Tod eines Bettlers mitverschuldet zu haben, er geht zudem irrtümlich davon aus, bei der besuchten Messe handle es sich um die Trauerfeier für sein vermeintliches Opfer. In dieser Überzeugung wundert sich der Barbiergehilfe über die Feierlichkeit der Veranstaltung und fragt einen Schaulustigen, in welcher Kirche er sich gerade befinde: „In der Trinitarierkirche, Ihnen zu dienen, mein Herr“, sagte der alte Mann. „Auch ich bin zum erstenmal hier. Ich beichte bei den Barfüßern, und die Sonntagspredigt höre ich in der Kirche Saint Jacques de la Boucherie. Pater Eustache ist es, der dort die Predigt hält.“ „Das ist zum Staunen“, sagte Turlupin, der nun wußte, wo er war, und versank in Schweigen. „Zum Staunen, wahrhaftig“, fuhr der Mann fort. „Der gute Pater ist heut weit über achtzig Jahre alt. Siebenundvierzig Jahre, daß mich mein Vater zum erstenmal in die Sonntagspredigt nahm.576

Die zitierte Passage führt nicht allein die Nutzung von Situationskomik in Perutz’ Roman musterhaft vor Augen; sie lässt zugleich erahnen, wie die Verhaltenskomik im Turlupin zur Handlungskomik im Text beiträgt: Diese nämlich ergibt sich wesentlich aus der erstaunlichen Reibungslosigkeit, mit der Turlupin trotz seiner verzerrten Weltsicht und trotz seiner unverkennbaren Tölpelhaftigkeit schließlich dorthin gelangt, wo er seinem Selbstverständnis nach hingehört – in die vordersten Reihen des französischen Adels.577 Um Missverständnissen vorzubeugen, sei am Ende der kurzen komikorientierten Analyse von Perutz’ Turlupin zumindest erwähnt, dass das Komische hier nicht zur bloßen Belustigung genutzt, sondern in den Dienst einer ernsten Sache gestellt wird – in den der Thematisierung des ethischen Problems der Selbstannahme.578 Vor einer abschließenden Anmerkung zu zwei Möglichkeiten, die skizzierte Typologie grundlegender Komikformen in literarischen Texten weiter zu differenzieren, scheint es vernünftig, sie in Form eines Baumdiagramms noch einmal übersichtlich zusammenzufassen:

576 577 578

Ebd., 46. Vgl. insbes. ebd., 173–175. Vgl. dazu Tom Kindt, „Turlupin“, 77–79.

Literatur und Komik

153 Literarische Komik

Komik der Darbietung

Sprachkomik: - Formkomik - Inhaltskomik

Komik des Dargebotenen

Vermittlungskomik: - Ebenenkomik - Darstellungskomik Gegebenheitskomik: - Figurenkomik - Zustandskomik

Ereigniskomik: - Verhaltenskomik - Vorkommniskomik

- Situationskomik

- Handlungskkomik

Schaubild 2: Grundformen des Komischen in der Literatur 1 Um die gewonnene Übersicht nicht aufs Spiel zu setzen, soll im vorliegenden Kontext darauf verzichtet werden, die vorgenommenen Unterscheidungen von Formen des Komischen in Texten der Literatur noch weiter zu führen. Hingeweisen sei abschließend allerdings auf zwei Perspektiven, die sich aus den oben angestellten Überlegungen zum Komikbegriff für eine Verfeinerung der entworfenen Typologie ergeben: Erstens ist daran zu erinnern, dass sich die Inkongruenzen, die den Kern aller differenzierten Komikformen bilden, in drei Weisen ausgestalten lassen – sie entstehen entweder durch die deviante Verwendung eines scripts oder aber durch die Verbindung von mindestens zwei oppositionellen bzw. disparaten scripts.579 Bei Berücksichtigung der potenziell konstitutiven Inkongruenzvarianten sind also je drei Subtypen der zehn eingeführten Typen literarischer Komik zu unterscheiden. Zweitens ist im Blick zu behalten, dass es unter Umständen aufschlussreich sein kann, bei der systematischen und historischen Analyse von Ausprägungen des Komischen in literarischen Texten einzubeziehen, welche Arten von Wissensmustern zur Inkongruenzkonstruktion genutzt werden und welche nicht.580 Einige Bedeutung für eine differenzierte Rekonstruktion der Komiknutzung in einem Text oder Textkorpus dürften vor allem Unterscheidungen besitzen wie 579 580

S. dazu insbes. oben 1.4.3 Scripts und Oppositionen zum Zweiten sowie Scripts und Oppositionen zum Dritten. S. hierzu oben 1.4.2 sowie 1.4.3 Scripts und Oppositionen zum Ersten.

154

Zur Theorie literarischer Komik

etwa die zwischen extratextuell, intertextuell und intratextuell etablierten scripts581 oder die zwischen lexikalisch manifesten und inferenziell zu rekonstruierenden scripts.582 In graphischer Form lässt sich das Gesagte in der folgenden verfeinernden Fortsetzung aller Endknoten des obigen Baumdiagramms abbilden: Komische Inkongruenzen

Verwendung eines scripts

Verbindung mehrerer scripts

deviant …

oppositionell

disparat …

extratextuell intertextuell intratextuell

Schaubild 3: Grundformen des Komischen in der Literatur 2

1.5.3 Komische Literatur Wer in der Literaturwissenschaft von Spielarten des Komischen spricht, dem geht es oftmals freilich nicht oder zumindest nicht maßgeblich um Komiktypen, wie sie im vorangegangenen Kapitel unterschieden und bestimmt worden sind. Häufiger wird in literaturwissenschaftlichen Zusammenhängen mit dem Ausdruck ‚Komikformen‘ auf ein breites Spektrum von Phänomenen Bezug genommen, die mit dem textuell oder literarisch Komischen zwar in einem offenkundigen Zusammenhang stehen, sich aber nicht einfach als dessen Ausprägungen einstufen lassen – auf so unterschiedliche Phänomene etwa wie den Witz, die Satire, die Parodie, die Ironie, das Burleske, das Humoristische, das Absurde oder das Groteske.583 Zum Abschluss der vorliegenden Rekon581 582 583

Vgl. Peter Hühn/Jörg Schönert, „Zur narratologischen Analyse“, 293. Vgl. Salvatore Attardo/Christian F. Hempelmann/Sara Di Maio, „Script Oppositions and Logical Mechanisms“, 20f. Vgl. zu diesem Begriffsfeld zuletzt auch die Hinweise in Anna Uhrmacher, Spielarten des Komischen. Ernst Jandl und die Sprache, Tübingen 2007, 22–30.

Literatur und Komik

155

struktionen und Reflexionen zum Komikbegriff sei durch den kurzen Blick auf drei dieser Phänomene verdeutlicht, dass der entwickelte Explikationsvorschlag nicht allein als Ausgangspunkt für den Entwurf eines Analyseinstrumentariums, sondern überdies als Bezugspunkt für die Klärung verwandter Konzepte von Nutzen sein kann. Die ansatzweise Verortung des Komikprädikats in einem vielschichtigen Begriffssystem dient dabei nicht allein dazu, seine Explikation zu einem vorläufigen Abschluss zu bringen;584 sie soll zudem die literarhistorische Analyse der nachfolgenden Abschnitte vorbereiten.585 Mit dieser doppelten Zielsetzung seien nun die Beziehungen zwischen dem Komischen auf der einen und dem Grotesken, dem Ironischen und dem Satirischen auf der anderen Seite in den Blick genommen.586 Das Phänomen des Grotesken hat in den vergangenen zweieinhalb Jahrhunderten zu ähnlich intensiven und kontroversen Debatten Anlass gegeben wie das der Komik.587 Geprägt werden die Auseinandersetzungen dabei schon seit einigen Dezennien durch das Nebeneinander zweier Positionen, deren spannungsreichem Verhältnis zueinander selten nachgegangen wird: Einerseits wird das Groteske im Anschluss an Justus Möser oder Michail Bachtin vielfach als besondere Spielart des Komischen verstanden, als eine derbe, oft körperlich ausgerichtete Weise, Lachen hervorzurufen.588 Andererseits wird es spätestens seit Wolfgang Kayser vergleichbar häufig vom Komischen entschieden abgegrenzt und als „die entfremdete Welt“ verstanden, die „sich verwandelt hat“ und in ihrer Fremdheit „Grauen“589 hervorruft. Wie sich eine Vermittlung der Grundpositionen der Forschung gewinnen lässt, die zugleich geeignet ist, zur Schärfung des Groteskekonzepts beizutragen, das sieht man, wenn man ihre Konfrontation vor dem Hintergrund des geklärten Komikbegriffs etwas näher betrachtet. Eine entsprechende Analyse lenkt den Blick zunächst auf eine grundlegende Gemeinsamkeit der beiden Traditionen der Beschäftigung mit dem Grotesken – beide deuten es im Kern als Inkongruenzphänomen, als das Ergebnis nämlich einer markanten Verfremdung oder aggressiven Verformung von Bekanntem. Die Ausrichtung der Betrachtung an der entwickel584 585 586

587

588

589

Vgl. zu diesem Schritt im Rahmen von Begriffsklärungen insbes. Tadeusz Pawłowski, Begriffsbildung, Kap. V. S. dazu unten 2.1–2.4. Gegenstand sollen also nicht Gattungen, sondern Formen sein, vgl. zu diesem Unterschied etwa Rolf Haaser/Günter Oesterle, „Art. Grotesk“, in RLW 1 (1997), 745–748 und Reto Sorg, „Art. Groteske“, in RLW 1 (1997), 748–751. Zu den Auseinandersetzungen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert vgl. für einen Überblick Otto F. Best (Hg.), Das Groteske in der Dichtung, Darmstadt 1980, für eine systematische Diskussion Peter Fuß, Das Groteske. Ein Medium des kulturellen Wandels, Köln/Weimar/Wien 2007 und für eine historische Rekonstruktion Alexander Scheidweiler, Maler, Monstren, Muschelwerk. Wandlungen des Grotesken in Literatur und Kunsttheorie des 18. und 19. Jahrhunderts, Würzburg 2009. Vgl. zu dieser Tradition Justus Möser, Harlekin oder Verteidigung des Groteske-Komischen (1761), hg. u. mit einem Nachwort v. Dieter Borchmeyer, Neckargemünd 2000 und Michail Bachtin, Literatur und Karneval. Wolfgang Kayser, Das Groteske in Malerei und Dichtung, Reinbek bei Hamburg 1960, 198f.

156

Zur Theorie literarischer Komik

ten Komikexplikation lässt allerdings auch einen wesentlichen Unterschied zwischen den vorherrschenden Verständnissen des Grotesken hervortreten: Sie gehen deutlich in der Frage auseinander, ob das Groteske wie das Komische begrifflich mit dem Harmlosen zusammenhängt, ob es sich also dem Belustigenden oder dem Erschreckenden zurechnen lässt.590 Angesichts der langen Geschichte und starken Verbreitung beider Positionen liegt es nahe, diesen Befund nicht als Anlass für eine Entscheidung zwischen den umrissenen Konzeptualisierungen zu nehmen, sondern als Grund für eine Begriffsbestimmung, die davon ausgeht, dass Groteskes komisch sein kann, aber nicht muss.591 Eine entsprechende Definition lässt sich aus der obigen Klärung des Komikkonzepts durch zwei kleinere Änderungen gewinnen, die beide die kriteriologische Spezifikation des konstitutiven Inkongruenztyps betreffen: Im Fall des Grotesken ist erstens auf das Kriterium der Harmlosigkeit zu verzichten, und es gilt zweitens die abweichende Verwendung von scripts als Regelfall der Inkongruenzkonstitution auszuzeichnen.592 Die Diskussionen über das Ironische als Form uneigentlichen Sprechens, bei der „das Gemeinte durch sein Gegenteil ausgedrückt wird“,593 setzen bereits in der Antike ein und sind darum ausgesprochen umfangreich und vielstimmig.594 In einer Hinsicht allerdings lässt sich in der zumeist kontroversen Ironie-Debatte eine markante Konvergenz der Sichtweisen ausmachen – und zwar in der Frage, wie das Verhältnis zwischen Ironie und Komik im Allgemeinen zu bestimmen ist. Opinio communis ist in der Forschung offenkundig, dass das Ironische stets mit dem Komischen einher geht, das Komische aber nicht immer auf dem Ironischen beruht.595 Eine Theorie textueller Komik 590

591

592

593 594

595

Mitunter wird das Groteske auch als das ‚Nicht-Auflösbare‘ vom Komischen abgegrenzt, vgl. etwa Rolf Arnold Müller, Komik und Satire, 58f. Entsprechende Vorschläge beruhen jedoch auf unangemessen weiten Vorstellungen von der ,Auflösung‘ von Missverhältnissen, s. zum Zusammenhang oben 1.4.3 Noch einmal Komik und Auflösung. Wie in der Komikforschung sind auch in der Groteskeforschung starke definitionsskeptische Tendenzen zu beobachten, vgl. etwa Peter Fuß, Das Groteske, 13. – Zu den Argumenten, die sich gegen entsprechende Vorbehalte vorbringen lassen, s. oben 1.1. In diese Richtung gehen etwa Rolf Haaser/Günter Oesterle, „Art. Grotesk“ oder Sven Hanuschek, „Groteske“, in Handbuch der literarischen Gattungen, hg. v. Dieter Lamping, Stuttgart 2009, 346–354. Wolfgang G. Müller, „Art. Ironie“, in RLW 2 (2000), 185–189, 185. Zu einem jüngeren Überblick vgl. Marika Müller, Die Ironie. Kulturgeschichte und Textgestalt, Würzburg 1995. Vgl. dazu systematisch Wolf-Dieter Stempel, „Ironie als Sprechhandlung“, in Das Komische, 205–235 und David Ritchie, „Frame-Shifting in Humor and Irony“ sowie empirisch Roger J. Kreuz/Debra L. Long/Mary B. Church, „On Being Ironic. Pragmatic and Mnemonic Implications“, in Metaphor and Symbolic Activity 6:3 (1991), 149–162, Richard M. Roberts/Roger J. Kreuz, „Why Do People Use Figurative Language?“, in Psychological Science 5 (1994), 159–163, Shelly Dews/Joan Kaplan/Ellen Winner, „Why Not Say It Directly? The Social Functions of Irony“, in Discourse Processes 19 (1995), 347–367 und Ilaria Cutica, „The Neuropsychology of Irony and Verbal Humor: Patterns of Impairment in Different Types of Cerebral Damage“, in New Approaches, hg. v. Diana Popa u. Salvatore Attardo, 111–139. – Eine leicht abweichende Auffassung findet sich in Salvatore Attardo, Humorous Texts, 122f.

Literatur und Komik

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muss zwar keine grundsätzliche Konzeption des Ironischen enthalten, sie sollte ihm aber zumindest insoweit in der Modellbildung Rechnung tragen, dass sie den intuitiv einleuchtenden Konsens in der Forschungsdiskussion systematisch verständlich zu machen vermag. Im vorliegenden Zusammenhang lässt sich dieser Anforderung durch zwei Hinweise nachkommen, die deutlich machen, inwiefern es sich beim Ironischen in seinem Grundverständnis um einen Sonderfall dessen handelt, was oben als das Komische erläutert worden ist: Gemein hat das Ironische mit dem Komischen zunächst, dass es sich bei ihm um ein Inkongruenzphänomen handelt; es lebt von der Opposition zweier Wissensmuster. Seine besondere Stellung im Zusammenhang der Formen textueller Komik ergibt sich nun daraus, dass diese Opposition in seinem Fall eine bestimmte Gestalt hat – das Ironische ergibt sich stets aus einem Konflikt zwischen dem lexikalisch manifesten script des Gesagten und dem inferenziell zu rekonstruierenden script des Gemeinten. Da die entsprechend inszenierten script-Konflikte in der Regel als harmlos wahrgenommen und aufgelöst werden können, lässt sich das Ironische als Spielart des Komischen verstehen – dieses kann aber selbstverständlich noch auf vielfältige andere Weise erzeugt werden.596 Von den hier in ihrem Zusammenhang mit dem Komischen betrachteten Konzepten ist das des Satirischen zweifellos dasjenige, dessen Bestimmung am einvernehmlichsten verlaufen ist.597 Unter Satire oder dem Satirischen ist, das scheint unstrittig zu sein, der literarische Angriff auf reale Zustände zu verstehen, „mit einem Spektrum vom scherzhaften Spott bis zur pathetischen Schärfe“.598 Auch im vorliegenden Kontext wird dieser Vorschlag nicht in Zweifel gezogen, ihm soll aber eine Anmerkung zur Beziehung zwischen dem Satirischen und dem Komischen an die Seite gestellt werden. Wie die umrissene Begriffsbestimmung bereits erahnen lässt, ist das Verhältnis zwischen den beiden Phänomenen nicht konzeptueller, sondern empirischer Natur: Satire ist oft, aber nicht ausnahmslos komisch, und Komik ist bisweilen, aber keineswegs immer satirisch. Genauer gesagt: Beim Komischen handelt es sich um eine von verschiedenen Formen, in denen das Satirische auftritt; und das Satirische stellt eine von mehreren Funktionen dar, die das Komische haben kann.599 Während ersteres für die Satireforschung eine Selbstverständlichkeit darstellt, kann letzteres für die Komikforschung kaum nachdrücklich genug betont werden: Anders als gelegentlich angenommen wird, lässt sich das Komische nicht per se als Angriff auf gesellschaftliche Zustände verstehen, ist es 596

597

598 599

Verschiedene historische Sichtweisen von Ironie – wie insbesondere die romantische Idee des Verfahrens – sind hier nicht berücksichtigt, sie bedürfen einer gesonderten Analyse, vgl. dazu etwa Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, 2. Aufl., Tübingen 1977. Zu einer Übersicht über die Geschichte und Spielarten der Definition des Satirischen vgl. Jürgen Brummack, „Zu Begriff und Theorie der Satire“, in DVjs 45 (1971), 275–377, Satirische Dichtung, München 1979 und „Art. Satire“, in RLW 3 (2003), 355–360 sowie Rolf Arnold Müller, Komik und Satire. Jürgen Brummack, „Art. Satire“, 355. S. zu den Funktionen des Komischen oben 1.2.3.

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Zur Theorie literarischer Komik

also nicht schon seinem Wesen nach kritisch, satirisch oder gar subversiv.600 Komik kann offenkundig in all seinen Spielarten sehr unterschiedliche Funktionen haben und der Vermittlung verschiedenartiger menschenfreundlicher, aber auch menschenverachtender Ideologien dienen; sie ist nur dann subversiv oder aber affirmativ, wenn sie subversiv oder aber affirmativ verwendet wird. Wie Victor Raskin treffend festgestellt hat: Humor is just icing on the cake, and there are great icing aces, but there are also the farmers who produce the ingredients of the cake, the workers who process and package foodstuffs, the sales people who deliver the products to the consumer, and the bakers of the cake, whether professional or amateur. Their counterparts in politics determine our reality and its perception. Humor just adds a visual and only slightly culinary effect.601

Diesem Hinweis folgend soll es im Weiteren nicht mehr nur um die Glasur, sondern um den ganzen Keks gehen, um sein Rezept, seine Herstellung und seine Auslieferung – nicht mehr nur um das Komische, sondern um seine Rolle im Kontext der Komödie.

600 601

Vgl. zu dieser Auffassung Michail Bachtin, Literatur und Karneval. S. zum Zusammenhang auch oben 1.2.2. Victor Raskin, „On the Political Impotence of Humor“, in Humor 21:1 (2008), 26–30, 29.

2. Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

„Comedy is tragedy plus time.“ (Steve Allen)

In den folgenden Kapiteln soll das entworfene Modell literarischer Komik in der Analysepraxis erprobt werden. Gegenstand des Praxistests werden deutschsprachige Komödien aus der Zeit zwischen 1760 und 1800 sein. Die Wahl dieses Gegenstands für die Erprobung des Modells dürfte zwar nahe liegend, aber doch wenig einleuchtend erscheinen: Sie liegt nahe, weil die Komödie eine der literarischen Gattungen ist, in der das Komische zentrale Bedeutung besitzt. Und sie mag gleichwohl wenig einleuchten, weil das deutschsprachige Lustspiel und insbesondere seine Entwicklung von Gotthold Ephraim Lessing bis zu Ludwig Tieck von der Literaturwissenschaft in den zurückliegenden Jahrzehnten keineswegs stiefmütterlich behandelt worden ist.1 Neben einer Reihe grundlegender Überblicksdarstellungen zur Geschichte der deutschen Komödie und ihrer Stellung innerhalb der europäischen Komödienliteratur sind seit den 1960er Jahren zahlreiche Einzeluntersuchungen ebenso zu Autoren, Phasen, Traditionen und Texten der Gattung vorgelegt worden wie zu Fragen ihrer Poetik.2 Dass es im Folgenden den1

2

Wie in der Forschung üblich, werden die Ausdrücke ‚Lustspiel‘ und ‚Komödie‘ im Folgenden als gleichbedeutend behandelt, vgl. dazu Hans Joachim Schrimpf, „Komödie und Lustspiel. Zur terminologischen Problematik einer geschichtlich orientierten Gattungstypologie“, in ZfdPh 97 (1978), 152–182 und Ulrich Profitlich/Frank Stucke, „Art. Komödie“, in RLW 2 (2000), 309–313 Vgl. etwa Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18. Jahrhunderts und die italienische Komödie. Commedia dell’arte und théatre italien, Stuttgart 1965, Helmut Prang, Geschichte des Lustspiels von der Antike bis zur Gegenwart, Stuttgart 1968, Walter Hinck (Hg.), Die deutsche Komödie. Vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Düsseldorf 1977, Horst Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, 3., durchg. u. bearb. Aufl., Stuttgart 1978, Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel. Von der Aufklärung bis zur Romantik. Stuttgart u.a. 1982, Bernhard Greiner, Die Komödie. Eine theatralische Sendung: Grundlagen und Interpretationen, 2., aktual. Aufl., Tübingen/Basel 1992, Ulrich Profitlich (Hg.), Komödientheorie. Texte und Kommentare vom Barock bis zur Gegenwart, Reinbek bei Hamburg 1998, Franz Norbert Mennemeier (Hg.), Die großen Komödien Europas, Tübingen/Basel 2000, Ralf Simon, Theorie der Komödie – Poetik der Komödie, Bielefeld 2001, Volker Klotz, Bürgerliches Lachtheater. Komödie, Posse, Schwank, Operette, 4., aktual. ud erw. Aufl., Heidelberg 2007, Georg-Michael Schulz, Einführung in die deutsche Komödie, Darmstadt 2007 oder Andrea Bartl, Die deutsche Komödie. Metamorphosen des Harlekin, Stuttgart 2009.

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Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

noch um die Analyse deutscher Lustspiele des ausgehenden 18. Jahrhunderts gehen wird, rechtfertigt sich durch die Perspektive, aus der die Texte in den Blick genommen werden. Bei aller Unterschiedlichkeit im Detail verbindet die zahlreichen vorliegenden Forschungsbeiträge, dass sie der Frage, die hier im Zentrum stehen wird, in der Regel keine angemessene Beachtung schenken – der Frage nach den Formen und Funktionen des Komischen in der Komödie.3 In den nachfolgenden Untersuchungen kanonischer und nicht-kanonischer Lustspiele aus der Zeit von Lessing bis zu Tieck soll auf diese Frage eine zumindest exemplarische Antwort gewonnen werden.4 Dass das Komische in der literaturwissenschaftlichen Komödienforschung allenfalls am Rande Beachtung findet, ist aus wissenschaftshistorischer Perspektive betrachtet nicht erstaunlich. Seit dem 19. Jahrhundert hat sich die enge Verschränkung von Komik- und Komödienforschung, die für beide Bereiche von der Antike an prägend gewesen ist, nach und nach gelöst. Die Komikforschung wird spätestens in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts von einer Entwicklung erfasst, die sich innerhalb der vergangenen Jahrzehnte noch entschieden verstärkt hat – sie verwandelt sich zusehends in einen Bereich der Theoriebildung, an dem unterschiedliche Wissenschaften wie die Philologie, Philosophie, Soziologie, Psychologie oder Biologie beteiligt sind, zumeist ohne dabei miteinander im Austausch zu stehen.5 Im Zuge dieser Entwicklung wird das Lustspiel immer weniger als ein Gegenstand wahrgenommen, an dem das Komische in gleichsam paradigmatischer Form zur Erscheinung kommt; in verschiedenen Feldern der Humorologie dienen vielmehr recht unterschiedliche Ausprägungen des Komischen als Ausgangspunkt der Theoriebildung; der einzige Gegenstand, der noch immer in vielen Fächern und Zusammenhängen als Muster des Komischen und mithin als Modellfall der Komikforschung gilt, ist offenkundig der Witz.6 Umgekehrt zeigt die Komödienforschung seit rund eineinhalb Jahrhunderten nur noch selten größeres Interesse an den je aktuellen Debatten der Komikforschung.7 Als Bereich der Literaturwissenschaft, die sich im 19. Jahrhundert als historische Disziplin 3

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Auch diese Regel wird selbstverständlich durch Ausnahmen bestätigt, vgl. etwa Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel, Reinhold Grimm/Klaus L. Berghahn (Hg.), Wesen und Formen des Komischen im Drama, Darmstadt 1974 oder Daniela Weiss-Schletterer, Das Laster des Lachens. Ein Beitrag zur Genese der Ernsthaftigkeit im deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts, Wien u.a. 2005. Angesichts der immens großen Zahl deutschsprachiger Komödien, die im 18. Jahrhundert entstanden sind, besteht im vorliegenden Zusammenhang zu einem exemplarischen Vorgehen keine Alternative. Eine Ahnung der Zahl vermittelt: Reinhart Meyer (Hg.), Bibliographia dramatica et dramaticorum. Kommentierte Bibliographie der im ehemaligen Reichsgebiet gedruckten und gespielten Dramen des 18. Jahrhunderts. I. Abteilung: Werkausgaben, Sammlungen, Reihen, 3 Bde., Tübingen 1986, II. Abteilung: Einzeltitel, Bde. 1-30 (1700–1789), Tübingen 1993–2009. S. oben insbes. 1.1–1.4. Vgl. auch Georg-Michael Schulz, Einführung, 35f. So spätestens seit Sigmund Freuds wirkungsmächtiger Studie und noch in den Beiträgen von Victor Raskin und Salvatore Attardo zu einer allgemeinen Theorie sprachlichen Humors, s. dazu oben 1.2.3 und 1.4.1. Zu einer Skizze der Forschungsgeschichte vgl. Georg-Michael Schulz, Einführung, 21–28.

Einleitung

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konstituiert und etabliert,8 ist Komödienforschung in der Regel Gattungsgeschichtsschreibung. Als solche kann sich die wissenschaftliche Beschäftigung mit Lustspielen schlicht an die Einordnung von Dramen durch Autoren oder Rezipienten halten und also grundsätzlich ohne einen expliziten Begriff der Komödie und auch ohne konkrete Vorstellungen von deren möglichen Konstituenten wie etwa dem Komischen auskommen. Doch selbst wenn Komödienforschung mit eingehenderen Überlegungen zum Komödienbegriff verbunden wird, führt das oftmals nicht dazu, dass sie in differenzierter Form humorologische Reflexionen einbezieht und die analysierten Dramen unter komiktheoretischer Perspektive betrachtet. Das liegt einerseits daran, dass keineswegs ausgemacht ist, welche Rolle das Komische im Rahmen einer Bestimmung des Begriffs der Komödie spielen sollte. Nimmt man die Geschichte des Genres und seiner Theorie etwas genauer in den Blick, stellt man fest, dass sich viele Autoren finden lassen, „in deren Komödien-Verständnis das Element Komik überhaupt nicht oder jedenfalls nicht an prominenter Stelle vorkommt“.9 Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert wird der Ausdruck ‚Komödie‘ in recht unterschiedlicher Weise verwendet und bestimmt – nicht selten eben auch in Formen, die ohne Bezugnahme auf das Komische auskommen, etwa zur Bezeichnung aller Dramen mit einem guten Ende, als Oberbegriff für Stücke mit niedrigem Personal oder als Gattungsname für solche mit einer bestimmten Adressatengruppe.10 In Reaktion auf diese Beobachtung widmet sich die Literaturwissenschaft zwar des Öfteren der ‚Stigmatisierung des Komischen‘11 oder auch der ‚Etablierung des Ernsten‘12 in Komödie und Komödientheorie, nur selten aber der Komiknutzung und ihrem Wandel in unterschiedlichen konzeptionellen und historischen Kontexten. Die Komödienforschung schenkt dem Aspekt des Komischen andererseits aber auch deshalb nur wenig Beachtung, weil sie ihm für die Evolution des Genres und die Interpretation einzelner seiner Exemplare gemeinhin nur nachgeordnete Bedeutung zumisst – und dies gilt für gattungsgeschichtliche Studien ganz unabhängig davon, ob sie Komik als zentrales Genreelement ansehen oder nicht. In komödienhistorischen Studien geht es schwerpunktmäßig um andere Fragen als die nach dem Verhältnis von Komödie und 8

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Vgl. dazu den Überblick in Tom Kindt/Hans-Harald Müller, „Historische Wissenschaften – Geisteswissenschaften“, in Handbuch Fin de Siècle. 1885-1914, hg. v. Sabine Haupt u. Stefan Bodo Würffel, Stuttgart 2008, 662–679. Ulrich Profitlich, „Komödien-Konzepte ohne das Element Komik“, in Theorie der Komödie, 13– 30, 13. Hervorhebung im Original. – Dies wird bisweilen nicht hinreichend beachtet, vgl. etwa Rainer Warning, „Elemente einer Pragmasemiotik der Komödie“, in Das Komische, hg. v. Wolfgang Preisendanz u. R. W., München 1976, 279–333, 279, András Horn, Das Komische im Spiegel der Literatur. Versuch einer systematischen Einführung, Würzburg 1988, 263–265 oder Helmut von Ahnen, Das Komische auf der Bühne. Versuch einer Systematik, München 2006, 55. Vgl. dazu Bernhard Asmuth, Einführung in die Dramenanalyse, 5., aktual. Aufl., Stuttgart/Weimar 1997, 24–36, Ulrich Profitlich, Komödientheorie, 37–39, „Komödien-Konzepte“, 15–23 sowie U. P./Frank Stucke, „Art. Komödie“, 310. Vgl. dazu zuletzt Daniela Weiss-Schletterer, Das Laster des Lachens. Vgl. hierzu grundlegend Christian Neuhuber, Das Lustspiel macht Ernst. Das Ernst in der deutschen Komödie auf dem Weg in die Moderne: von Gottsched bis Lenz, Berlin 2003.

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Komik, etwa um die Stellung des Lustspiels im System der Gattungen und insbesondere in Relation zum Trauerspiel, um epochen- und autorenspezifische Probleme oder um den Zusammenhang von Komödientheorie und Komödienpraxis.13 Die folgenden vier Fallstudien zum deutschsprachigen Lustspiel in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts versuchen Komödien- und Komikforschung wieder stärker miteinander ins Gespräch zu bringen.14 Sie sollen neben der Erprobung des entwickelten Komikmodells der Verdeutlichung der Perspektiven und des Potenzials einer Zusammenarbeit zwischen beiden Forschungsbereichen dienen. In Auseinandersetzung mit Dramen und Dramenpoetologien von Lessing über Lenz und Kotzebue bis zu Tieck werde ich vorzuführen versuchen, wie eine fruchtbare Verbindung von komiktheoretisch informierter Komödienforschung und komödienhistorisch perspektivierter Komikforschung aussehen könnte: Von der Ausrichtung der meisten vorliegenden Beiträge zur Komödienforschung werde ich in den folgenden Fallstudien nicht allein insofern abweichen, als ich dem Komischen, seiner Modellierung und Funktionalisierung im Gattungszusammenhang größere Beachtung schenke; ein wesentlicher Unterschied zum Mainstream der Lustspielgeschichtsschreibung wird sich zudem dadurch ergeben, dass im Rahmen der Analysen nicht nur mit einem historischen, sondern auch mit einem systematischen Komikbegriff gearbeitet werden soll, auf dessen Basis sich die geschichtliche Wirkungsdisposition der untersuchten Texte herausarbeiten lässt. Die Bestimmung dieses transhistorischen Begriffs des Komischen, dessen Verwendung freilich an historische Bedingungen gebunden ist, habe ich oben im Einzelnen entwickelt.15 Doch auch von der Mehrzahl der Studien im Feld der Komikforschung werden sich die vorgesehenen Falluntersuchungen abheben, und zwar durch die Fokussierung der Geschichtlichkeit des Komischen. Während die Historizität von Komik in humanwissenschaftlichen Studien zumeist keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielt,16 wird sie im kulturwissenschaftlichen Kontexten zwar oft behauptet, aber kaum einmal näher betrachtet, geschweige denn veranschaulicht.17 In Auseinandersetzung mit Komödien des 18. Jahrhunderts möchte ich in Abgrenzung von beiden Tendenzen zu verdeutlichen 13

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Eine Ausnahme bilden – wenngleich eher dem Programm als den Textanalysen nach – literaturwissenschaftliche Studien zur Tradition des sogenannten ‚Lachtheaters‘, vgl. dazu Volker Klotz, Lachtheater, 15–17. Eine Art ‚Pilotstudie‘ zu einigen der folgenden Kapitel ist Tom Kindt, „Wo der Spaß aufhört. Zur Rolle des Komischen in der deutschen Komödie des 18. Jahrhunderts“, in Komik als Institution. Ergebnisse des Kasseler Komik-Kolloquiums, hg. v. Friedrich Block u. Rolf Lohse, Bielefeld 2011 (im Druck). S. dazu insbesondere 1.2 und 1.4. Eine Ausnahme sind die verschiedenen, insbesondere von Willibald Ruch vorgelegten psychologischen Studien zum Zusammenhang von Charakter und Humor, vgl. für eine Übersicht W. R. (Hg.), The Sense of Humor. Explorations of a Personality Characteristic, Berlin/New York 1998. Das gilt nicht für Susanne Schäfers theoretische Reflexionen zu Komik in Kultur und Kontext (München 1996), die bislang allerdings nicht Grundlage für weitere historische oder empirische Studien geworden sind. – S. zum Zusammenhang allgemein oben 1.1.

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versuchen, dass die Geschichtlichkeit des Komischen in der Transformation seiner Gestaltung und Nutzung in unterschiedlichen Kontexten besteht. Die Fallstudien sind mithin nicht nur als alternativer Blick auf die Geschichte einer Gattung, sondern zugleich als exemplarischer Beitrag zum wechselhaften Umgang mit einer Schreibweise zu verstehen.18 Wie im Fall des Komikkonzepts werde ich auch in dem des Komödienkonzepts mit zwei Begriffen arbeiten: Historisch wird das jeweilige Verständnis von Komödie zu bestimmen sein, das für das Lustspielschaffen der betrachteten Autoren mehr oder weniger ausdrückliche Leitidee ist; systematisch wird davon ausgegangen, dass der Komödienbegriff im Sinne Wittgensteins als ‚Familienähnlichkeitskonzept‘ zu fassen ist.19 Im Anschluss an Ulrich Profitlich nehme ich also an, dass es sich beim Lustspiel um ein Genre handelt, „bei dem die einzelnen Exemplare wie auch die einzelnen historischen Typen, auch wenn kein Merkmal sie verbindet, doch ein und derselben Familie […] angehören, einem Kollektiv von Werken, deren Gemeinsames ihre Geschichte ist“.20 Konkret erfolgt die Analyse des Verhältnisses von Komödie und Komik in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts in vier Kapiteln: Am Beginn der Rekonstruktionen wird die Beschäftigung mit Lessings Komödienkonzeption sowie seiner Komödie Minna von Barnhelm stehen, dem vermutlich ersten deutschsprachigen Lustspiel, dem ein Literaturverständnis zugrunde liegt, wie es noch heute maßgeblich ist – die Einschätzung nämlich, Literatur sei nicht als „Thesen-Verkündigungsanstalt“, sondern als „Organon der Problemreflexion“21 zu verstehen. Um den Umbruch zu verdeutlichen, der sich mit Lessings Œuvre in der Geschichte der Komödie ebenso wie in ihrer theoretischen Reflexion ereignet, werde ich seine Position in Abgrenzung von der für die Frühaufklärung paradigmatischen Lustspielpoetik Johann Christoph Gottscheds erläutern (2.1 Komische Ungereimtheiten). Ein zweiter Teil wird sich dem Zusammenhang von Theorie und Praxis der Komödie bei Lenz widmen. Vor dem Hintergrund einer Analyse seiner 18

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Zum Begriff der ‚Schreibweise‘ und zur Beziehung zwischen Gattungen und Schreibweisen vgl. Rüdiger Zymner, Gattungstheorie. Probleme und Positionen der Literaturwissenschaft, Paderborn 2003, 172–190 und „Texttypen und Schreibweisen“, in Handbuch Literaturwissenschaft, 3 Bde., hg. v. Thomas Anz, Stuttgart/Weimar 2007, Bd. 1, 25–80, 25f. – Vgl. zur Vernachlässigung dieses Zusammenhangs in der Komödienfoschung Georg-Michael Schulz, Einführung, 36. Vgl. dazu Ludwig Wittgenstein, Philosophische Untersuchungen (1953), Frankfurt a.M. 2003, §§ 66f. Zur Nutzung des Modells mit Blick auf literarische Genres vgl. Werner Strube, „Die komplexe Logik des Begriffs ‚Novelle‘. Zur Problematik der Definition literarischer Gattungsbegriffe“, in Germanisch-Romanische Monatshefte 32 (1982), 379–386. Ulrich Profitlich (Hg.), Komödientheorie, 13. Hervorhebung im Original. Vgl. zu diesem Vorschlag im Einzelnen Ulrich Profitlich, „Geschichte der Komödie. Zu Problemen der Gattungsgeschichte“, in ZfdPh 116 (1997), 172–208. – Vgl. zur Diskussion um die Bestimmung des Begriffs der Komödie etwa auch Wolfgang Trautwein, „Komödientheorien und Komödie. Ein Ordnungsversuch“, in Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 27 (1982), 86–123 und Uwe Japp, „Komödie“, in Handbuch der literarischen Gattungen, hg. v. Dieter Lamping, Stuttgart 2009, 413– 431. Karl Eibl, Die Entstehung der Poesie, München 1995, 87.

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Stellungnahmen zur Konzeption des Lustspiels sollen Formen und Funktionen des Komischen in seinem Drama Der Hofmeister untersucht werden, dessen Einordnung als Komödie bis heute Gegenstand von Diskussionen ist (2.2 Komik und Erziehung). In einem dritten Abschnitt werde ich der Inszenierung und Funktionalisierung des Komischen in den Lustspielen Kotzebues nachgehen. Nach einer Rekonstruktion seiner Überlegungen zu den Aufgaben und Möglichkeiten des Dramas im Allgemeinen und der Komödie im Besonderen soll anhand seines frühen Stücks Die Indianer in England beispielhaft untersucht werden, welche Formen von Komik Kotzebue in seinen Lustspielen einsetzt, in welcher Weise er dies tut und welche Ziele er dabei verfolgt (2.3 Komische Zweideutigkeiten). Der vierte und letzte Teil wird sich mit Tiecks Komödie Der gestiefelte Kater befassen und dabei zu verdeutlichen versuchen, wie das von ihm selbst als „Kindermärchen in drei Akten“ eingestufte Werk seine ‚Poetik des Unsinns‘ und das Modell des Aufklärungslustspiels in eine spannungsreiche Verbindung bringt (2.4 Komik und Konfusion). Die vier Fallstudien werden sich, dies bedarf vermutlich keiner ausdrücklichen Betonung, nicht zu einer Geschichte des deutschsprachigen Lustspiels in der Zeit zwischen 1760 und 1800 fügen. Mit ihnen ist aber durchaus der Anspruch verbunden, einen Beitrag zur Analyse der Gattungsentwicklung zu leisten, der in zukünftigen Komödiengeschichten für den fraglichen Zeitraum zu berücksichtigen ist. Was die exemplarischen Untersuchungen konkret leisten werden, ist im besten Fall dreierlei: Sie werden ein genaues Bild von typischen und zugleich komplexen Formen der Gestaltung und Nutzung des Komischen in der Literatur zeichnen, einen Überblick über markante Tendenzen der Gattungsgeschichte in den betreffenden Dezennien geben und einige Bausteine zur philologischen Rekonstruktion des Schaffens von vier maßgeblichen Autoren des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts beitragen, deren Werke als musterhaft und mithin aufschlussreich für maßgebliche Strömungen, Prozesse und Konstellationen in der Dichtung der betrachteten Zeit gelten können.22 Sollte dies im Rahmen der folgenden Kapitel gelingen, werden sie zugleich einen anschaulichen Eindruck vom heuristischen Potenzial des oben entworfenen Modells literarischer Komik vermitteln.23

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Auf Fragen der Periodisierung der Literaturgeschichte im fraglichen Zeitraum und der Modellierung von Grundkonzepten der Literaturgeschichtsschreibung kann dabei nicht eingegangen werden, vgl. hierzu Michael Titzmann, „Skizze einer integrativen Literaturgeschichte und ihres Ortes in einer Systematik der Literaturwissenschaft“, in Modelle des literarischen Strukturwandels, hg. v. M. T., Tübingen 1991, 395–438. Zum zugrunde liegenden Verständnis von Interpretationsheuristik vgl. am Beispiel der Erzähltheorie Tom Kindt/Hans-Harald Müller, „Narrative Theory and/or/as Theory of Interpretation“, in What Is Narratology? Questions and Answers Regarding the Status of a Theory, hg. v. T. K. u. H.-H. M., Berlin/New York 2003, 205–219.

Komische Ungereimtheiten: Lessing

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2.1 Komische Ungereimtheiten: Zur Komik in Lessings Minna von Barnhelm Gotthold Ephraim Lessings Lustspiele bilden eine markante Zäsur in der Geschichte der deutschsprachigen Kömodie. Dies gilt zweifellos schon für seine frühen sogenannten ‚Problemkomödien‘24 wie die Dramen Der Freigeist und Die Juden, auch wenn sie noch in mancherlei Hinsicht Positionen und Traditionen verpflichtet sind, die im Anschluss an Johann Christoph Gottscheds Beiträge zur Literatur- und Theaterreform die deutschsprachige Dramenproduktion in der Mitte des 18. Jahrhunderts insgesamt prägen. Bereits in den zwischen 1746 und 1750 entstandenen Problemkomödien lässt sich jedoch der Versuch erkennen, sich vom bestimmenden Muster der sächsischen Typenkomödie zu lösen, dem die deutschen Lustspiele der Zeit in aller Regel folgen.25 Lessings frühe Stücke entfernen sich von diesem Modell der Komödie, indem sie andere Traditionen des Lustspiels wie etwa die Commedia dell’arte einbeziehen, zentrale Gattungsvorgaben nicht oder nur in ungewöhnlicher Weise einlösen und in der intendierten Wirkung deutlich über die in Gottscheds Versuch einer critischen Dichtkunst kodifizierten Ideen hinausgehen.26 Lessings maßgeblicher Beitrag zur Erneuerung der Komödie besteht aber natürlich in seinem Lustpiel Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück, das Mitte der 1760er Jahre entsteht und 1767 sowohl erstveröffentlicht als auch uraufgeführt wird.27 An die ungeheure Wirkung, die das Lustspiel schon auf viele Zeitgenossen hatte, erinnerte sich Goethe im Gespräch mit Eckermann ein halbes Jahrhundert später: „Sie mögen denken […], wie das Stück auf unsere jungen Leute wirkte, als es in jener dunkelen Zeit hervortrat. Es war ein glänzendes Meteor. Es machte uns aufmerksam, daß noch etwas Höheres existierte, als wovon die damalige schwache literarische Epoche einen Begriff hatte.“28 24

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Vgl. zu dieser Bezeichnung Karl S. Guthke, „Lessings Problemkomödie Die Juden“, in Wissen aus Erfahrung. Festschrift für Herman Meyer zum 65. Geburtstag, hg. v. Alexander von Bormann, Tübingen 1976, 122–134 und Klaus Bohnen, „Nachwort“, in Gotthold Ephraim Lessing, Der Freigeist (1749), Stuttgart 1980, 101–117. – Zitate aus den Werken Lessings werden nachgewiesen nach der Ausgabe des Deutschen Klassiker-Verlags (Werke und Briefe in zwölf Bänden, hg. v. Wilfried Barner et al., Frankfurt a.M. 1985–2003) unter Angabe der jeweiligen Bandnummer. Vgl. dazu grundlegend Horst Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, Kap. II. Vgl. mit vielen Hinweisen auf weitere Literatur Wolfgang Albrecht, Gotthold Ephraim Lessing, Stuttgart/Weimar 1997, 3–11, Wilfried Barner et al., Lessing. Epoche – Werk – Wirkung, 6. Aufl., München 1998, 123–134, Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie und Komödienschaffen Gotthold Ephraim Lessings, Berlin 2003, 221–223 und Monika Fick, Lessing-Handbuch. Leben – Werk – Wirkung, 2., durchg. u. erg. Aufl., Stuttgart/Weimar 2004, 59–74. Vgl. Monika Fick, Lessing-Handbuch, 242f. Goethe 39, 475 (27.3.1831). – Zitate aus den Werken Goethes werden nachgewiesen nach der Ausgabe des Deutschen Klassiker-Verlags (Sämtliche Werke, Briefe, Tagebücher und Gespräche in 40 Bänden, hg. v. Henrik Birus et al., Frankfurt a.M. 1985–1999) unter Angabe der jeweiligen Bandnummer.

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Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

Für die immense Wirkung und literarhistorische Bedeutung von Minna von Barnhelm hatte Goethe bereits vor seiner Bemerkung gegenüber Eckermann eine Erklärung geliefert, die bis heute die Deutung und Einordnung des Stücks ebenso in der LessingPhilologie wie in der Kömodienforschung prägt. Das Lustpiel sei, so heißt es in Dichtung und Wahrheit, die im deutschsprachigen Raum „erste, aus dem bedeutenden Leben gegriffene Theaterproduktion, von spezifisch temporärem Gehalt“.29 Im Sinne dieser Beobachtung sieht die Literaturwissenschaft Lessings entscheidenden Beitrag zur Entwicklung des Lustspiels noch immer vor allem darin, dass er der Gattung eine ‚Verankerung im Geschichtlichen‘30 und damit einen „Zugewinn an Realitätshaltigkeit“31 beschert habe: In Fortführung der Problemkomödien wird in Minna von Barnhelm dem Gattungsmuster der Typenkomödie endgültig der Garaus gemacht, Lessing setzt an die Stelle karikaturhaft gezeichneter Charaktere historisch situierte und psychologisch profilierte Figuren und gestaltet so die satirische Verlachkomödie Gottsched’scher Provenienz in eine liberale Lachkomödie um, die den Ideen der Toleranz und Integration verpflichtet ist.32 Gegen diese hier nur umrisshaft paraphrasierte Auffassung lässt sich aus gattungshistorischer Sicht wenig einwenden, sie ist in den letzten Jahrzehnten in zahlreichen Untersuchungen erhärtet und zugleich verfeinert worden.33 Doch so angemessen die vorliegenden Rekonstruktionen zu Minna von Barnhelm aus komödiengeschichtlicher Perspektive sein mögen, so unbefriedigend fallen sie zumeist in komikgeschichtlicher Hinsicht aus. Wie verändert sich das Verhältnis von Komödie und Komik im Zeichen der Lessing’schen Neuausrichtung des Lustspiels? Auf welche Formen des Komischen greift das Stück in welcher Funktion zurück? Worin besteht das Spezifische und das Innovative seiner Komiknutzung? Wie verhalten sich in Minna von Barnhelm Programm und Praxis des Lustspiels zueinander? Abgesehen von wenigen Ausnahmen finden Fragen dieser Art in der Forschung zu Lessings Lustspiel allenfalls am Rande Beachtung.34 Und das gilt keineswegs nur für die Untersuchungen zu Minna von Barnhelm, die das Stück im Anschluss an Karl S. Guthke als ‚Tragikomödie‘35 oder in der 29 30 31 32

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Goethe 14, 307. So Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel, 256. Monika Fick, Lessing-Handbuch, 242. Vgl. zu den zahlreichen Zeitbezügen, die sich in dem Stück finden lassen, zuletzt Hugh Barr Nisbet, Lessing. Eine Biographie, München 2008, 444–449. Vgl. hierzu grundlegend schon Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel, 287–301. Zu einer Übersicht über einige Zusammenfassungen der Lessing’schen Leistung vgl. Michael Böhler, „Lachen oder Verlachen? Das Dilemma zwischen Toleranzidee und traditioneller Lustspielfunktion in der Komödientheorie“, in Lessing und die Toleranz, hg. v. Peter Freimark, Franklin Kopitzsch u. Helga Slessarev, München 1986, 245–262, 252. Vgl. dazu zusammenfassend Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie und Monika Fick, Lessing-Handbuch. Zu den Ausnahmen s. unten 2.1.2. Vgl. Karl S. Guthke, Geschichte und Poetik der deutschen Tragikomödie, Göttingen 1961. Vgl. dazu zuletzt Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 79f.

Komische Ungereimtheiten: Lessing

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Nachfolge Helmut Arntzens als ‚ernste Komödie‘36 verstehen. Auch die Literaturwissenschaftler, die in ihren Interpretationen darauf eingehen, dass dem Komischen in Lessings Überlegungen zur Komödie einige Bedeutung zukommt, legen über die Komik des Dramas selten eingehender Rechenschaft ab. Im Folgenden soll in zwei Schritten versucht werden, die vernachlässigte Frage nach der Komik in Minna von Barnhelm ansatzweise zu klären: In einem ersten Abschnitt wird zu diesem Zweck die Konzeption der Komödie nachgezeichnet, die Lessing im Jahr der Erstveröffentlichung und Uraufführung des Lustspiels in seiner Hamburgischen Dramaturgie ausführt.37 Zwar liegen auch zu diesem Aspekt von Lessings Theorie des Dramas verschiedene Studien vor, das Verhältnis zwischen Komödie und Komik wird in den betreffenden Untersuchungen aber selten näher betrachtet.38 Ein zweiter Teil soll sich dann dem Problem widmen, ob und inwiefern Minna von Barnhelm als Umsetzung der nachgezeichneten Komödienpoetik zu verstehen ist; im Zuge der entsprechend perspektivierten Analyse wird eine Deutung des Dramas skizziert, die gegenüber den kaum mehr zu überblickenden vorliegenden Untersuchungen einen neuen Akzent zu setzen versucht. Die Betrachtungen werden als historisch orientierte Analyse des Textes einsetzen, nach und nach aber verschiedene Ergebnisse der oben erfolgten systematischen Reflexionen zur Komik einbeziehen. Ihr Ziel besteht in einer Erkundung der Beziehungen zwischen der Theorie und der Praxis des Lustspiels bei Lessing; sie werden darum einerseits nach den komischen Elemente in Minna von Barnhelm fragen, die komödienkonzeptionell ohne Funktion sind, und anderseits nach den komödienkonzeptionell gerechtfertigten Aspekten, die sich aus systematischer Perspektive nicht als komisch einstufen lassen.

2.1.1 Konzeptionelles: Hamburgische Dramaturgie In der Hamburgischen Dramaturgie entfaltet Lessing, so kasuistisch und rhapsodisch der Gang seiner Argumentation auch sein mag, die Theorie zu der Erneuerung des Dramas, an der er in der Praxis schon seit seinen frühen Stücken arbeitet.39 In vielen wichtigen Fragen entfernt sich die Dramenpoetik, die er in 104 Stücken zwischen dem Mai 36

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Vgl. Helmut Arntzen, Die ernste Komödie. Das Lustspiel von Lessing bis Kleist, München 1968. Vgl. zum Zusammenhang auch Hans-Georg Werner, „Minna von Barnhelm in der Geschichte des ernsthaften Lustspiels“, in Bausteine zu einer Wirkungsgeschichte Gotthold Ephraim Lessings, hg. v. H.-G. W., Berlin/Weimar 1984, 50–94. Vgl. Lessing 6, 181–694. Fortan zitiert unter Verwendung der Sigle „HD“. Eine Ausnahme, auf die noch im Einzelnen einzugehen sein wird, ist Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 77–114. Bisweilen wird geltend gemacht, Lessings Betrachtungen zur Dramenpoetik seien nicht als ‚Theorie‘ gedacht gewesen und folglich auch nicht als solche zu verstehen. Entsprechende Kommentare beruhen in der Regel auf einem unangemessen engen Verständnis von Theorie – hier soll aus diesem Grund an der gewählten Redeweise festgehalten werden, s. dazu auch oben 1.1.

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Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

1767 und dem April 1768 ausführt, mehr oder weniger weit von Positionen der Frühaufklärung; in seiner Bestimmung der Aufgabe des Theaters allerdings hält Lessing an Ideen fest, wie sie in Gottscheds Critischer Dichtkunst musterhaft entwickelt werden: Die Bühne habe, so heißt es in der Einleitung zum zweiten Stück der Hamburgischen Dramaturgie grundlegend, „die Schule der moralischen Welt“40 zu sein.41 Dieser Anspruch an das Theater ist Lessing zufolge natürlich auch für die Komödie bindend. Wie nun Lustspiele ihrem Moralisierungsauftrag gerecht werden können, das erläutert er in dem vermutlich am häufigsten zitierten komödientheoretischen Credo in deutscher Sprache, im Übergang vom 28. zum 29. Stück der Hamburgischen Dramaturgie. Im Ergebnis setzen sich Lessings systematische Überlegungen zum Lustspiel weniger radikal von der Tradition ab, als es einige seiner okkasionellen Bemerkungen zu einzelnen Lustspielen anzukündigen scheinen, wie beispielsweise seine Hinweise zu Voltaires Nanine, in denen er sich auf die Form einer Komödie ohne Komik beruft, auf die „ganz ernsthafte Komödie“.42 Lessings Theorie des Lustpiels ist jedoch nur insofern konservativ, als sie die Elemente nutzt, die schon bei Aristoteles und noch bei Gottsched das Fundament der Gattungsbestimmung bilden; sie ist zugleich innovativ, weil sie die altbekannten Bestandteile der Komödienpoetik in neuartiger Weise interpretiert und vor allem funktionalisiert: Ganz im Sinne traditioneller Auffassungen geht Lessing grundsätzlich davon aus, dass Komödien moralisch wirken sollen, indem sie zum Lachen veranlassen, und das heißt, indem sie Lächerliches zur Anschauung bringen. Ein solcher erläuternder Nachsatz ist unerlässlich, da ausgehend von Lessings griffiger Formel „Die Komödie will durch Lachen bessern; nicht durch Verlachen“43 lange Zeit unterschätzt worden ist, welch immense Bedeutung der Idee des Lächerlichen und mithin der des Komischen in seiner Konzeption der Komödie zukommt.44 In einer weniger 40

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HD, 192. Eng verknüpft mit dieser Idee ist bei Gottsched, Lessing und anderen bekanntlich das Projekt der Begründung eines ‚Nationaltheaters‘. Im vorliegenden Zusammenhang braucht auf dieses Vorhaben nicht im Einzelnen eingegangen zu werden, vgl. etwa HD, 191 und für einen Überblick Reinhart Meyer, „Von der Wanderbühne zum Hof- und Nationaltheater“, in Deutsche Aufklärung bis zur Französischen Revolution 1680–1789, hg. v. Rolf Grimminger, München 1980, 186– 216 und Roger Bauer/Jürgen Wertheimer (Hg.), Das Ende des Stegreifspiels – die Geburt des Nationaltheaters. Ein Wendepunkt in der Geschichte des europäischen Dramas, München 1983. Zur Vorgeschichte dieser Idee in Komödien und Komödienpoetiken des Barock vgl. Hartmut von der Heyde, Die frühe deutsche Komödie Mitte 17. bis Mitte 18. Jahrhundert. Zur Struktur und gesellschaftlichen Rezeption. Versuch eines hochschuldidaktischen Curriculums, Frankfurt/M. u.a. 1982 oder Stefanie Stockhorst, „Lachen als Nebenwirkung der Barockkomödie. Zur Dominanz der Tugendlehre über das Komische in der Komödientheorie des 17. Jahrhunderts“, in Anthropologie und Medialität des Komischen im 17. Jahrhundert (1580–1730), hg. v. Stefanie Arend et al., Amsterdam/New York 2008, 27–48. HD, 288. Vgl. zu Lessings Sicht der Tradition des ‚ernsthaften Lustspiels‘ Hans-Georg Werner, „Minna von Barnhelm“. HD, 323. Vgl. dazu etwa noch Wilfried Barner et al., Lessing und Monika Fick, Lessing-Handbuch. – Hier und im Weiteren werden die Ausdrücke ‚lächerlich‘ und ‚komisch‘ als gleichbedeutend verwendet.

Komische Ungereimtheiten: Lessing

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geschliffenen, aber erhellenden Paraphrase läuft die berühmte Eröffnung des 29. Stücks der Hamburgischen Dramaturgie auf die folgende These hinaus: Die Kömodie soll durch die Darstellung einer spezifischen Ausprägung des Lächerlichen moralisch wirken. Wenn man sich verständlich machen will, worin nach Lessing der Unterschied zwischen Lachen und Verlachen besteht, dann muss man sich also vergegenwärtigen, wie er das Lächerliche und dessen Spielarten fasst.45 Die allgemeine Bestimmung des Lächerlichen in der Hamburgischen Dramaturgie fällt knapp aus: „Jede Ungereimtheit, jeder Kontrast von Mangel und Realität, ist lächerlich.“46 Wie in neueren Studien zu Recht herausgestellt worden ist,47 bekennt sich Lessing mit diesem Vorschlag zur Tradition der Kontrast- oder Inkongruenztheorie des Komischen, die im Verlauf des 18. Jahrhunderts zur dominierenden komiktheoretischen Position avanciert.48 Das Komische entsteht, so lässt sich Lessings nicht unmittelbar eingängige Bestimmung erläutern, wenn eine Gegebenheit nicht an die Vorstellung ihrer musterhaften Verwirklichung heranreicht, wenn also – anders gesagt – ein Missverhältnis zwischen empirischer Wirklichkeit und idealer Möglichkeit vorliegt. Es ist der jüngeren Forschung überzeugend gelungen, Lessings aus heutiger Sicht eigenwillige Verwendung der Ausdrücke ‚Mangel‘ – im Sinne von „Realität“ – und ‚Realität‘ – im Sinne von ‚Idealität‘ – auf philosophische Traditionen zurückzuführen, wie sie etwa mit den Namen Christian Wolff oder Gottfried Wilhelm Leibniz verbunden sind.49 Im Zuge entsprechender Kontextualisierungen ist jedoch zugleich verkannt worden, dass sich der

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Dies entspricht sowohl dem allgemeinen Ausdrucksgebrauch im 18. Jahrhundert als auch dem besonderen in den näher betrachteten Zusammenhängen, vgl. etwa Wolfgang Preisendanz, „Art. das Komische / das Lachen“, in HWP 4 (1976), 889–893, Roger W. Müller-Farguell/Markus Winkler, „Art. Komik / das Komische“, in HWR 4 (1998), 1166–1176 oder Andreas Kablitz, „Art. Komik, Komisch“, in RLW 2 (2000), 289–294. – Étienne Souriaus seit einigen Jahrzehnten diskutierter Vorschlag, zwischen dem ‚Lächerlichen‘ als einem Phänomen der Lebenswelt und dem ‚Komischen‘ als einem Phänomen der Kunst zu unterscheiden, erscheint nur bedingt überzeugend, da er dem empirischen Gebrauch der Ausdrücke nicht hinreichend Rechnung trägt, vgl. E. S., „Le risible et le comique“, in Journal de psychologie normale et pathologique 41 (1948), 142–169 und dazu Hans Robert Jauß, „Zum Problem der Grenzziehung zwischen dem Lächerlichen und dem Komischen“, in Das Komische, 361–372, Karlheinz Stierle, „Komik der Lebenswelt und Komik der Komödie“, und „Das Lachen als Antwort“, in ebd., 372–376 sowie Rainer Warning, „Vom Scheitern und vom Gelingen komischer Handlungen“, in ebd., 376–379; einen weiteren – aus den gleichen Gründen zweifelhaften – Vorschlag umreißt András Horn, Das Komische, 13–19. Vgl. hierzu auch Ulrich Gaier, „Das Lachen des Aufklärers. Über Lessings Minna von Barnhelm“, in Der Deutschunterricht 6 (1991), 42–56, Michael Böhler, „Lachen oder Verlachen?“ und Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie. HD, 322. Vgl. insbes. Ulrich Gaier, „Das Lachen des Aufklärers“, 45f. und Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 86f. Elemente einer Inkongruenztheorie der Komik finden sich freilich schon bei Platon und Aristoteles, s. zu dem Ansatz und seiner Geschichte oben 1.2.3. Vgl. hierzu insbes. Ulrich Gaier, „Das Lachen des Aufklärers“, 45, Fn. 10 und Agnes KornbacherMeyer, Komödientheorie, 87.

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umrissene Komikbegriff Lessings auch ohne Rekurs auf die erwähnten Traditionen aus der Hamburgischen Dramaturgie selbst herleiten lässt50 und dass er zudem im Zusammenhang der zeitgenössischen Komödienpoetiken durchaus nicht so ungewöhnlich ist, wie es seine Definition nahe legen könnte.51 Lessings grundlegende Charakterisierung des Komischen ist zwar so allgemein gehalten, dass offen bleibt, in welchen Varianten sich das Missverhältnis zwischen Realität und Idealität im Einzelnen ausgestalten lässt; aus dem Zusammenhang, in dem die Definition erfolgt, ist aber zu ersehen, dass der Musterfall dessen, was hier als ‚Ungereimtheit‘ bestimmt wird, das ist, was in der Tragödien- und Komödientheorie in der Nachfolge Aristoteles’ als ‚Fehler‘ im Verhalten einer Figur bezeichnet wird.52 Indem Lessing von einem ‚Kontrast‘ spricht, legt er im Wesentlichen bloß offen, was bei einer Verwendung des Terminus ‚Fehler‘ stillschweigend vorausgesetzt wird – die Annahme, dass das Verhalten von Figuren vor dem Hintergrund anthropologischer und nicht zuletzt auch moralischer Normen zu betrachten ist. Wie eine Erläuterung seiner Formel von einem Missverhältnis zwischen einer mangelhaften Gegebenheit und ihrer höheren Wirklichkeit liest sich darum auch der Schlussabschnitt in Lessings Auslegung der aristotelischen Tragödientheorie – die Reinigung der Leidenschaften durch das Trauerspiel beschreibt er hier als Beitrag zur Annäherung an eine Norm, die in unterschiedlicher Weise verfehlt werden kann: Da nemlich, es kurz zu sagen, diese Reinigung in nichts anders beruhet, als in der Verwandlung der Leidenschaften in tugendhafte Fertigkeiten, bei jeder Tugend aber, nach unserm Philosophen [Aristoteles], sich diesseits und jenseits ein Extremum findet, zwischen welchen sie inne stehet: so mus die Tragödie, wenn sie unser Mitleid in Tugend verwandeln soll, uns von beiden Extremis des Mitleids zu reinigen vermögend sein […]. Das tragische Mitleid muß

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Oder auch aus anderen Werken Lessings, worauf schon Klaus Bohnens Kommentar zur Ausgabe des Deutschen Klassiker-Verlags aufmerksam macht, vgl. K. B., „Kommentar“, in Lessing 6, 779– 1140, 991. – Seinen eingehendsten und zugleich hellsichtigsten Beitrag zur Inkongruenztheorie des Komischen hat Lessing mit der erstmals 1771 erschienenen Schrift „Zerstreute Anmerkungen über das Epigramm und einige der vornehmsten Epigrammatisten“ vorgelegt, auch wenn hier ausdrücklich weder von Komik gehandelt noch von Inkongruenzen gesprochen wird, vgl. Lessing 7, 179– 290; zu einer ‚pointentheoretisch‘ perspektivierten Zusammenfassung der Lessing’schen Positionen vgl. Ralph Müller, Theorie der Pointe, Paderborn 2003, 62–64. Die Folgerungen, die etwa Agnes Kornbacher-Meyer aus ihren einleuchtenden philosophiehistorischen Kontextualisierungen der Lessing’schen Komikdefinition ableitet, gehen in diesem Sinne entschieden zu weit: Komödienhistorisch ist die Position der Hamburgischen Dramaturgie zweifellos bahnbrechend, komikhistorisch lässt sie sich jedoch keineswegs als „revolutionär“ (A. K-M., Komödientheorie, 88) einstufen – im Kern entspricht sie in dieser Hinsicht der Auffassung, die schon Gottsched in der Critischen Dichtkunst vertritt, s. dazu unten. ‚Fehler‘ ist seit Michael Conrad Curtius’ Übertragung der aristotelischen Poetik im Jahr 1753 der übliche deutsche Ausdruck für ‚harmatia‘ und wird neben stilistischen Varianten wie ‚Gebrechen‘ oder ‚Untugenden‘ auch von Lessing verwendet, vgl. etwa HD, 322. Vgl. zum Zusammenhang Peter-André Alt, Tragödie der Aufklärung. Eine Einführung, Tübingen/Basel 1994, Kap. 1.

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nicht allein […] die Seele desjenigen reinigen, welcher zu viel Mitleid fühlet, sondern auch desjenigen, welcher zu wenig empfindet.53

Versteht man Lessings Konzept der ‚komischen Ungereimtheit‘ in diesem Sinne, also als ‚Übertreibungen‘ im Verhalten oder Wesen von Figuren oder Personen,54 kann man schnell feststellen, dass es für sich genommen nicht geeignet ist, den Beitrag der Hamburgischen Dramaturgie zur Neuausrichtung der Komödientheorie zu erhellen. Lessing liefert mit seiner allgemeinen Bestimmung des Komischen im Großen und Ganzen bloß eine originelle Paraphrase für eine Überzeugung, die in vielen Kunsttheorien und Lustspielpoetiken des 18. Jahrhunderts zu finden ist.55 Ganz entsprechend weicht sie nur geringfügig etwa von der Definition ab, die in der Critischen Dichtkunst im Rückgriff auf Aristoteles entwickelt wird. Schon Gottsched erläutert das Lächerliche im Wesentlichen als Kontrast, wobei er im Sinne der antiken Tradition Harmlosigkeit als ergänzendes notwendiges Merkmal nennt.56 Er schreibt: Die Comödie ist nichts anders, als eine Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann. So hat sie Aristoteles beschrieben, und zugleich erkläret, was er durch das Lächerliche verstünde. Er sagt aber sehr wohl, daß es was ungestaltes oder ungereimtes sey, das doch demjenigen, der es an sich hat, keinen Schmerz verursachet […].57

Was für Gottsched und Lessing gilt, scheint für die überwiegende Zahl der Komödientheoretiker zwischen der Frühaufklärung und der Goethezeit zu gelten, die Komik als wesentliches Gattungsmerkmal verstehen: Sie sind sich im Wesentlichen einig über die Antwort auf die Frage, was das Komische sei.58 Dass und inwiefern sich ihre Positionen voneinander abheben, zeigt sich, wenn ihre jeweiligen Stellungnahmen zu dem Problem 53

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HD, 574. Vgl. zum Zusammenhang auch Dietrich Harth, Gotthold Ephraim Lessing, München 1993, 148–154. – Die in der Forschung viel diskutierte Frage, ob die Lessing’sche Deutung der aristotelischen Ideen angemessen ist, kann hier ignoriert werden, vgl. zu der Diskussion Monika Fick, Lessing-Handbuch, 282–284. Für ein entsprechendes Verständnis von Lessings Komikdefinition spricht nicht zuletzt, dass er in Minna von Barnhelm die titelgebende Protagonistin die folgenden Worte sagen lässt: „Und ist es meine Einrichtung, daß alle Übertreibungen des Lächerlichen so fähig sind?“ (Lessing 6, 82; fortan zitiert unter Verwendung der Sigle „MvB“). S. dazu allerdings auch unten 2.1.2 Theorie und Praxis zum Dritten: Komik und Moral. Ab der Mitte des 18. Jahrhunderts wird die Inkongruenztheorie von einer stillschweigend in Anspruch genommenen langsam zu einer ausdrücklich vertretenen und bald auch zur führenden Position mit Blick auf das Komische. Dies zeigen neben den Werken Lessings etwa diejenigen Moses Mendelssohns, Justus Mösers, Friedrich Just Riedels, Johann Georg Sulzers oder Carl Friedrich Flögels, vgl. dazu den Überblick in Paul M. Haberland, The Development of Comic Theory in Germany During the Eighteenth Century, Göppingen 1971, 74–108. Zur Harmlosigkeitsfrage s. oben 1.4.1. und 1.4.3 Noch einmal Komik und Harmlosigkeit. Johann Christoph Gottsched, Versuch einer critischen Dichtkunst, 2 Bde., hg. v. Joachim Birke u. Phillip M. Mitchell, Berlin/New York 1973, Bd. 2, 348. Zu Komödientheorien, in denen Komik keine oder nur eine nachgeordnete Rolle spielt, vgl. Ulrich Profitlich, Komödientheorie, 35–42 und „Komödien-Konzepte“, 13–21.

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in den Blick genommen werden, wie das Komische in der Komödie genutzt werden soll, und das heißt vor allem, welche Formen des Komischen in der Komödie notwendig und welche zumindest erlaubt sind. Vergleicht man Gottscheds und Lessings Überlegungen zu diesen Fragen miteinander, sieht man deutlich, inwiefern die Hamburgische Dramaturgie auf Distanz zur Lustspielpoetik der Frühaufklärung geht. Gottsched zufolge gibt es eine Spielart des Komischen, die einerseits in Komödien nicht fehlen darf und andererseits die einzige Komikform darstellt, die in ihnen gestattet ist. Komödienkomik wird in der Critischen Dichtkunst als gleichzeitige Darstellung von Lachhaftem und Lasterhaftem gefasst: Es ist […] wohl zu merken, daß weder das Lasterhafte noch das Lächerliche für sich allein, in die Comödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird. Vieles läuft wider die Tugend ist aber mehr strafbar und widerlich, oder gar abscheulich, als lächerlich. Vieles ist auch lächerlich; wie zum Exempel die Harlekinspossen der Italiener: aber darum ist es doch nicht lasterhaft.59

Für Lessing kommen die komödienkonstitutiven und die komödienlegitimen Komikformen nicht mehr miteinander zur Deckung. In seiner Klärung des Zusammenhangs zwischen dem Lächerlichen und dem Lustspiel geht es ihm nur noch um die Bestimmung derjenigen Spielarten des Komischen, die in der Komödie erforderlich sind, nicht mehr um die Festlegung derjenigen, die in ihr verboten sind. Im Hinblick auf die komödienlegitimen Formen des Komischen vertritt Lessing bekanntlich eine liberale Position: Um sie zu belegen, wird gemeinhin auf den Spott verwiesen, den er für das Gottsched’sche Projekt übrig hat, die Figur des Harlekin von den deutschen Bühnen zu verbannen.60 Grundsätzlich zeigt sich Lessings Liberalität in der betreffenden Frage aber vor allem darin, dass er zwischen auf Amüsement abzielenden ‚Possenspielen‘ und auf Moralisierung hin angelegten ‚wahren Lustspielen‘ unterscheidet und beide für zulässig erachtet,61 und darin, dass er auch in einer Komödie der letztgenannten Spielart

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61

Johann Christoph Gottsched, Versuch, Bd. 2, 348. Vgl. etwa HD, 270. – Vgl. zur Diskussion um den Harlekin allgemein Horst Steinmetz, „Der Harlekin. Seine Rolle in der deutschen Komödientheorie und -dichtung des 18. Jahrhunderts“, in Neophilologus 50 (1966), 95–106 und Eckart Schörle, Die Verhöflichung des Lachens. Lachgeschichte im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2007, Kap. 5.1 sowie mit Blick auf Lessing Agnes KornbacherMeyer, Komödientheorie, 114–124. – Zu dem nur bedingt einleuchtenden Versuch, die Geschichte der deutschsprachigen Komödie als Geschichte des Umgangs mit der Harlekin-Figur und deren Metamorphosen zu deuten vgl. Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, insbes. Kap. I. Vgl. dazu grundlegend Lessings „Abhandlungen von dem weinerlichen oder rührenden Lustspiele“ aus dem Jahr 1754, wo es heißt: „Noch einmal […] mit einem Worte; das Possenspiel will nur zum Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beides“ (Lessing 3, 280; Hervorhebung im Original). – Zur Bedeutung dieser Unterscheidung in der Hamburgischen Dramaturgie vgl. etwa Lessings Bemerkungen zu Jean-François Regnards Demokrit, HD, 268f.

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alle Varianten der Lächerlichkeit für erlaubt hält, vorausgesetzt, dass in dem betreffenden Stück zugleich auch ein ganz bestimmter Typ des Komischen zu finden ist.62 Diesen Typ und damit die komödienkonstitutive Form des Komischen erläutert Lessing, indem er sein weites Konzept des Lächerlichen durch die mehr oder weniger explizite Formulierung ergänzender Anforderungen in drei Hinsichten näher bestimmt: Erstens geht er davon aus, dass sich die Komik, die im Mittelpunkt der Komödie steht, aus Fehlern im Verhalten oder Wesen von Figuren ergibt. Zweitens macht Lessing geltend, dass es sich bei den betreffenden Fehlern nicht um unverbesserliche, also etwa physiologische Unzulänglichkeiten, sondern nur um verbesserliche, das heißt moralische Schwächen handeln darf. Auf die Frage, wo „es denn geschrieben“ stehe, „daß wir in der Komödie […] nur über verbesserliche Untugenden lachen sollen“,63 gibt er zwar keine ausdrückliche Antwort; seine anschließenden Ausführungen zur idealtypischen Wirkung von Lustspielen lassen aber keinen Zweifel daran, dass es ihm um Fehler moralischer Art geht: Die Komödie dient, so fasst er bekanntlich zusammen, „der Übung unserer Fähigkeit das Lächerliche zu bemerken“ und wirkt auf diese Weise als „Preservatif“: „die ganze Moral hat kein kräftigers, wirksamers, als das Lächerliche“.64 Drittens schließlich fordert er, dass es sich bei den verbesserlichen charakterlichen Defiziten um Eigenschaften von Figuren zu handeln hat, die differenziert gezeichnet sind und insgesamt moralisch vorbildlich oder zumindest unzweifelhaft erscheinen.65 Rousseaus Kritik an der Wirkung von Komödien tritt Lessing in diesem Sinne mit den folgenden Überlegungen entgegen, in denen sich zugleich abzeichnet, wie er die für ihn zentrale Differenz zwischen Lachen und Verlachen verstanden wissen möchte: Moliere, sagt er [Rousseau] z. E., macht uns über den Misanthropen zu lachen, und doch ist der Misanthrop der ehrliche Mann des Stücks; Moliere beweiset sich also als ein Feind der Tugend, indem er den Tugendhaften verächtlich macht. Nicht doch; der Misanthrop wird nicht verächtlich, er bleibt, wer er ist, und das Lachen, welches aus den Situationen entspringt, in die ihn der Dichter setzt, benimmt ihm von unserer Hochachtung nicht das geringste. Der Zerstreute gleichfalls; wir lachen über ihn, aber verachten wir in darum? Wir schätzen seine übrigen guten Eigenschaften, wie wir sie schätzen sollen; ja ohne sie würden wir nicht einmal über seine Zerstreuung lachen können. Man gebe diese Zerstreuung einem boshaften, nichtswürdigen Manne, und sehe, ob sie noch lächerlich sein wird? Widrig, ekel, häßlich wird sie sein; nicht lächerlich.66

Während die ersten beiden Lessing’schen Anforderungen an das komödienkonstitutive Lächerliche letztlich Gottsched’sche Ideen paraphrasieren, stellt die dritte Bedingung die Grundlage für die Neuausrichtung der Theorie des Lustspiels dar, die mit der Ham62 63 64 65

66

S. z.B. die Hinweise zu Minna von Barnhelm unten 2.1.2. HD, 322. Ebd., 323f. Hervorhebung von mir, T. K. Dass Lessing beides fordert, dass es ihm also nicht nur um die Individualisierung der Hauptfiguren von Lustspielen geht, wird in der zweifellos berechtigten Absicht, ihn als Überwinder Gottscheds zu würdigen, bisweilen übersehen, vgl. zuletzt etwa Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 79. Ebd., 323.

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burgischen Dramaturgie verbunden ist: In der zitierten Passage wird die praktisch bereits erfolgte Distanzierung von der sächsischen Typenkomödie auch in programmatischer Form vollzogen; in ihr wird das Frühaufklärungsmuster des Komödienprotagonisten verabschiedet, der einzig der Verkörperung eines moralischen Defizits dient; in ihr wird für die Idee einer Zentralfigur im Lustspiel geworben, die sich ebenso durch komisches Verhalten wie durch ein individuell konturiertes und zugleich sympathisches Wesen auszeichnet. Wie sich bereits angedeutet hat, ist die Forderung nach einer neuen Form der Gestaltung von Komödienhelden für Lessing kein Selbstzweck – an ihre Einlösung knüpft er weit reichende Hoffnungen im Hinblick auf die Komödienwirkung: Komplexe integere Charaktere können ihm zufolge Belustigung auslösen und zugleich zur Anteilnahme einladen, sie geben mit anderen Worten zum Lachen Gelegenheit und nicht zum Verlachen Anlass. Lustspiele, denen dies gelingt, können nach Lessing zwei Konsequenzen haben, die Typenkomödien verwehrt sind: Lachen über differenziert gezeichnete und überdies sympathische Figuren vermittelt Rezipienten erstens keine Überlegenheitsgefühle und macht diese darum eher geneigt, auch das eigene Verhalten zu hinterfragen. Und ein entsprechendes Lachen lässt Zuschauer und Leser zweitens erkennen, dass Lächerliches überall zu finden ist; durch die Mobilisierung dieser Einsicht gewinnen Komödien die Möglichkeit, nicht mehr bloß fallbezogen, sondern allgemein bessernd zu wirken – denn sie dienen im Fall der geforderten Ausrichtung nicht der konkreten Päsentation einzelner moralischer Mängel, sie geben vielmehr Gelegenheit zu einem prinzipiellen Training der Fertigkeit, charakterliche Ungereimtheiten zu erkennen.67 Der „Nutzen“ von Lustspielen liegt, so fasst Lessing selbst seine Überlegungen zusammen, in der Übung unserer Fähigkeit, das Lächerliche zu bemerken; es unter allen Bemäntelungen der Leidenschaft und der Mode, es in allen Vermischungen mit noch schlimmern oder mit guten Eigenschaften, sogar in den Runzeln des feierlichen Ernstes, leicht und geschwind zu bemerken.68

Die rekonstruierten komödientheoretischen Innovationen, die in der Hamburgischen Dramaturgie auf den Begriff gebracht werden, sind bereits einige Male mehr oder weniger klar herausgearbeitet worden – ihre komiktheoretischen Implikationen aber haben bislang kaum angemessene Beachtung gefunden. Als ‚State of the Art‘ gilt in dieser Frage schon seit einigen Jahren die These, Lessing habe einen von Francis Hutcheson angeregten inkongruenztheoretischen Komikbegriff an die Stelle der von Thomas Hobbes beeinflussten überlegenheitstheoretischen Komikvorstellungen gesetzt, die für die Poetik und Praxis des Lustspiels vom Barock bis zu Gottsched und seinen Schülern 67

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HD, 323f. – Vgl. zu einer solchen Idee der Wirkung des Theaters schon Lessings Position im rund ein Jahrzehnt früher entstandenen „Briefwechsel über das Trauerspiel“ mit Moses Mendelssohn und Friedrich Nicolai, Lessing 3, 662–736. Vgl. dazu auch zusammenfassend Jochen SchulteSasse, „Poetik und Ästhetik Lessings und seiner Zeitgenossen“, in Deutsche Aufklärung, 304–326, 309–311. HD, 324.

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grundlegend gewesen seien.69 Gegen diese Einschätzung ist grundsätzlich wenig zu sagen, sie steht allerdings einer genauen Analyse des Aufbaus und der Besonderheiten der Komiktheorie, die in der Hamburgischen Dramaturgie entwickelt wird, eher im Weg. Dies liegt nicht zuletzt daran, dass sie auf stark vereinfachten Vorstellungen vom Verhältnis zwischen inkongruenz- und superioritätstheoretischen Auffassungen des Komischen beruht. Die paraphrasierte These übersieht, kurz gesagt, dass sich die unterschiedenen humorologischen Positionen prinzipiell miteinander verknüpfen lassen und historisch oft miteinander verknüpft worden sind.70 Und sie verführt darum dazu, traditionelle Aspekte des Lessing’schen Komikkonzepts für revolutionär zu halten.71 Wenig hilfreich ist die betrachtete komiktheoretische Bilanz zur Hamburgischen Dramaturgie aber vor allem aus einem anderen Grund: Sie lenkt von den tatsächlich innovativen humorologischen Beobachtungen ab, die Lessing in seinen Reflexionen zur moralisierenden Nutzung des Komischen in der Komödie macht und die weder mit der Vernachlässigung superioritätstheoretischer Ideen noch mit dem Bekenntnis zu inkongruenztheoretischen Vorstellungen zusammenhängen. Die vermutlich bekannteste dieser Beobachtungen besteht in der Einsicht, dass sich Belustigung über Akteure und Anteilnahme an ihnen nicht ausschließen müssen – eine grundlegende Erkenntnis, auch wenn sie in der Komödienhistorie nur wenig Spuren hinterlassen hat und in der Komiktheorie immer wieder in Vergessenheit geraten ist.72 Die betreffende Einsicht ist freilich nur eine von verschiedenen Konsequenzen aus einer anderen grundlegenderen Idee, die in der Hamburgischen Dramaturgie zumindest andeutungsweise zum Ausdruck gebracht wird – aus der Idee, dass sich das Komische nicht unabhängig vom jeweiligen Kontext verstehen lässt, in dem es zur Erscheinung kommt, und in der Komödie mithin nicht unabhängig von der Figur, die es zur Anschauung bringen soll. Deutlich wird diese Idee insbesondere in Lessings Umgang mit der komikbezogenen Harmlosigkeitsanforderung, wie sie sich schon bei Aristoteles und noch bei Gottsched formuliert findet.73 In der Hamburgischen Dramaturgie fehlt diese Bedingung schlicht. Für die Komik einer Figur wird hier nicht mehr als entscheidend angesetzt, ob ihr charakterlicher Fehler harmlos ist; als maßgeblich gilt nun vielmehr, ob er in einem insgesamt moralisch akzeptablen Zusammenhang vorgeführt wird. Darum kann es nach Lessing, wie gesehen dazu kommen, dass ein und dieselbe Eigenschaft oder Verhaltensweise mitunter lächerlich, mitunter aber auch häßlich erscheint: „Man gebe diese Zerstreuung einem boshaften, nichtswürdigen Manne, und sehe, ob sie noch 69

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Vgl. zu dieser Beschreibung etwa schon Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 13f. und Michael Böhler, „Lachen oder Verlachen?“, 250–253 sowie zuletzt Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 86–91. S. zur vergleichenden Betrachtung der beiden Theorien oben 1.2.3. Verbunden werden sie etwa, wie angedeutet, in Gottscheds Konzeption des Lustspiels. S. dazu oben. S. dazu oben 1.4.3. – Zu Vorläufern von Lessings Einsicht vgl. Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 83f. Vgl. Aristoteles, Poetik, 17 und Johann Christoph Gottsched, Versuch, Bd. 2, 348.

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lächerlich sein wird? Widrig, ekel, häßlich wird sie sein; nicht lächerlich.“74 Lessings Einlassungen zur Komödie laufen kurzum auf den Vorschlag hinaus, die Harmlosigkeit und damit die Komik von Aktionen und Akteuren nicht allein gegenstandsbezogen, sondern zumindest auch darstellungsbezogen zu verstehen.75 Lessing ist dieser Idee weder in der Hamburgischen Dramaturgie noch in einem anderen theoretischen Text weiter nachgegangen. Er hat das Resultat seiner Überlegungen also nicht zum Anlass für eine Revision seiner Ausgangsbestimmung genommen, obgleich es ihr offenkundig widerspricht – er gelangt im Verlauf seiner Reflexionen zwar zu dem Schluss, dass durchaus nicht jede Ungereimtheit lächerlich ist, lässt dies in der Theorie aber auf sich beruhen.76 In der Praxis liegen die Dinge freilich anders: Hier hat sich Lessing, das werden die folgenden Rekonstruktionen zu Minna von Barnhelm zeigen, recht hartnäckig mit der Frage befasst, unter welchen genauen Umständen eine Ungereimtheit als lächerlich einzustufen ist, wo also die Grenzen des Komischen verlaufen.

2.1.2 Komisches: Minna von Barnhelm Obgleich die nochmalige Deutung von bereits vielfach ausgelegten Texten ein weitaus sinnvolleres Unternehmen ist, als oft geargwöhnt wird,77 soll die Komödie Minna von Barnhelm – einer der meistgedeuteten Texte der deutschen Literatur – im Folgenden nicht zum Gegenstand einer weiteren umfassenden Interpretation gemacht werden.78 Im vorliegenden Zusammenhang wird es nur um eine aspektbezogene Analyse des Dramas gehen; es soll geklärt werden, wie sich Lessings letztes abgeschlossenes Lustspiel zu der Konzeption des Lustspiels verhält, die er in seiner Hamburgischen Dramaturgie entwickelt.79 Auf diese Weise wird zwar ein Drama in Beziehung zu einer Dramentheo74 75 76

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HD, 323. Zum Versuch einer Explikation eines vergleichbaren Vorschlags s. oben 1.4.3 Noch einmal Komik und Harmlosigkeit. Strenggenommen beruft sich Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie also zugleich auf einen weiten und einen engen Begriff des Lächerlichen, dem ersten zufolge ist jede Ungereimtheit komisch (vgl. etwa HD, 322 oder 324), dem zweiten zufolge lässt sich dies nur von mancher sagen (vgl. beispielsweise HD, 323). Vgl. dazu Tom Kindt/Hans-Harald Müller, „Die Einheit der Philologie“, in Grenzen der Germanistik. Rephilologisierung oder Erweiterung?, hg. v. Walter Erhart, Stuttgart/Weimar 2004, 22–44, 42–44. Vgl. zur Rezeptions- und Interpretationshistorie des Stücks Horst Steinmetz, Gotthold Ephraim Lessings „Minna von Barnhelm“. Dokumente zur Rezeptions- und Interpretationsgeschichte, Königstein, Ts.1979, zu seiner ersten Aufnahme Monika Fick, Lessing-Handbuch, 256–258 und zu seinen neueren Auslegungen Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 268–272. Lessing hat zwar nach Minna von Barnhelm kein Lustspiel mehr fertig gestellt, das Element des Komischen spielt aber noch in Dramen wie Nathan der Weise eine große Rolle, vgl. dazu Frank Schlossbauer, „Nathans Witz: Zur Neubestimmung des witzigen Formprinzips bei Lessing“, in

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rie gesetzt, die zeitlich nach ihm entstanden ist; ein entsprechendes Vorgehen erscheint im vorliegenden Fall aber unproblematisch, weil ein enger Zusammenhang zwischen den Kontexten der Entstehung beider Texte besteht80 und weil die Hamburgische Dramaturgie in ihren Abschnitten zur Komödienpoetik lediglich Ideen auf die Formel bringt, die Lessing offenkundig schon zuvor systematisch erwogen und praktisch erprobt hat.81 Über viele Interpretationsprobleme, die Minna von Barnhelm aufwirft, ist auch fast 250 Jahre nach der Entstehung des Stücks keinerlei Konsens erzielt worden.82 Für die Frage, ob die Komödie als Umsetzung der Komödientheorie zu lesen ist, die in der Hamburgischen Dramaturgie entfaltet wird, gilt dies allerdings nicht. So zahlreich die Interpretationen sind, die sich dieser Frage annehmen, so übersichtlich ist das Spektrum der Antworten, für die sie eintreten: Einhellig wird davon ausgegangen, dass Minna von Barnhelm als eine Art vorweggenommene Einlösung von Lessings Hamburger Komödienpoetik betrachtet werden kann; umstritten ist nur, wie diese im Rahmen des Lustspiels umgesetzt wird. Diesem Wie sei nun nachgegangen, indem vorderhand die komödienlegitimen und sodann die komödienkonstitutiven Komikelemente des Werks auf der Grundlage der Theorie analysiert werden. Theorie und Praxis zum Ersten: Komik ohne Moral Dass sich in Minna von Barnhelm diverse Elemente des Komischen finden lassen, die keine oder nur eine sehr mittelbare moralisierende Funktion haben, ist in den zurückliegenden Jahrzehnten wiederholt ausführlich gezeigt worden und sei hier darum nur überblicksartig in Erinnerung gerufen.83 Für wesentliche Komikelemente dieser Art sorgen bekanntlich vor allem Anlage, Aktionen und Repliken von wichtigen Nebenfiguren des Stücks wie dem Wirt, dem Chevalier Riccaut de la Marliniere, Major von Tellheims Diener Just oder seinem ehemaligen Wachtmeister Paul Werner.84 Mit dem Wirt und dem Chevalier Riccaut lässt Lessing offenkundig Weiterentwicklungen komischer Typencharaktere aus dem reichen Figurenrepertoire der europäischen Lustspieldichtung auftreten. Der Wirt steht in der langen Tradition neugieriger

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German Quarterly 62:1 (1989), 15–16 und Literatur als Gegenwelt. Zur Geschichtlichkeit literarischer Komik am Beispiel Fischarts und Lessings, Frankfurt/M. u.a. 1998. – Zu Lessings nicht abgeschlossenen Komödienprojekten aus den 1760er Jahren vgl. Lessing 6, 111–177. Vgl. hierzu Klaus Bohnen, „Kommentar“, 786–797 und auch Dieter Janik, „Minna von Barnhelm, oder die deutsche Art zu lachen“, in Die großen Komödien Europas, 153–166, 159. S. dazu – mit Hinweisen auf Literatur – oben 2.1.1. Vgl. dazu Simonetta Sanna, Lessings „Minna von Barnhelm“ im Gegenlicht. Glück und Unglück der Soldaten, Bern u.a. 1994, 22, Wolfgang Albrecht, Lessing, 52 oder Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 269. Vgl. dazu erstmals Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel und zuletzt eingehend Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie. Zu Minna von Barnhelms Zofe Franciska vgl. im Einzelnen ebd., 275–279.

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Gastwirt-Figuren, hinter deren vermeintlicher Freundlichkeit zumeist nur das Interesse am eigenen Vorteil steht. Dass er diese harmlosen charakterlichen Defizite im Sinne der vorlessingschen Komödientheorie aufweist, wird im Stück gleichsam nebenbei vorgeführt – etwa, indem wiederholt gezeigt wird, wie er geradezu gezwungen werden muss, Minnas Zimmer zu verlassen.85 Auch bei Riccaut handelt es sich um einen satirisch gezeichneten Typencharakter;86 er ist unschwer als Capitano-Figur in der Nachfolge der Commedia dell’arte einzustufen, als Variante des großsprecherischen Abenteurers und ‚glorreichen Soldaten‘.87 Seine Lächerlichkeit ergibt sich wesentlich – wie die aller miles gloriosus-Gestalten – aus dem Kontrast zwischen seiner vorgeblich großen und tatsächlich geringen Bedeutung, aus seiner ‚blendenden Nichtigkeit‘.88 Anders als im Fall des Wirts tritt die Figurenkomik im Fall des Chevaliers in enger Verbindung mit einer Spielart des Sprachkomischen auf, die von Walter Hinck treffend als „Sprachkomik des Radebrechens“89 bezeichnet worden ist. Die Figuren des Wirts und des Chevaliers zeigen an, dass das spöttische Verlachen in der Lessing’schen Komödie zwar an Bedeutung verliert, aber durchaus noch zum Einsatz kommt. Unter den Nebenfiguren in Minna von Barnhelm finden sich freilich außer Charakteren wie dem Wirt und Riccaut auch solche wie etwa Just oder Werner. Ihre Konzeption lässt zwar noch eine grundsätzliche Orientierung an Vorlagen aus verschiedenen Traditionen des komischen Typendramas erkennen, in ihr macht sich zugleich aber das Bemühen um eine mehr oder weniger starke Individualisierung des gesamten Komödienpersonals bemerkbar, wie sie Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie nur für die Protagonisten von Lustspielen fordert.90 Figuren wie Just oder Werner nehmen also eine Art Zwischenstellung zwischen satirisch typisierten Charakteren wie dem Wirt und Riccaut und individuell konzipierten wie Tellheim und Minna ein: Mit der Figur Just greift Lessing das Muster der ungehobelten Diener-Gestalt auf, um es im Verlauf 85 86

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Vgl. z.B. MvB, 37 und 43. Eine Zusammenfassung der Stellung Riccauts in der Capitano-Tradition und im Lessing’schen Œuvre liefert Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel, 294f. – Zur Rezeption der Capitano-Gestalt im deutschsprachigen Theater des 16. und 17. Jahrhunderts vgl. Fausto De Michele, „Der ‚Capitano der Commedia dell’arte und seine Rezeption und Entwicklung im deutschsprachigen Theater“, in Daphnis 31:3/4 (2002), 529–591. Gleichwohl kommt der Figur, wie Fritz Martini überzeugend gezeigt hat, eine recht große Bedeutung für die Anlage und den Handlungsgang des Dramas zu, vgl. Fritz Martini, „Riccaut, die Sprache und das Spiel in Lessings Lustspiel Minna von Barnhelm“, in F. M., Lustspiele – und das Lustspiel: J. E. Schlegel, Lessing, Goethe, Kleist, Grillparzer, G. Hauptmann, Brecht, Stuttgart 1974, 64–104. Zu dieser Formulierung vgl. Walter Hincks Analyse von Andreas Gryphius’ Horribilicribrifax in Das deutsche Lustspiel, Kap. IV. Ebd., 294. S. hierzu oben 2.1.1. Vgl. zur tendenziellen Differenzierung fast aller Figuren des Dramas Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel, 293–299, Klaus Bohnen, „Kommentar“, 790 und 806f., Michael Böhler, „Lachen oder Verlachen?“, 257–260 oder Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 274–277.

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des Dramas nach und nach hinter sich zu lassen. Im Sinne des Tellheim’schen Urteils, dass es ,keine reinen Unmenschen‘91 gibt, erhält Just im Zuge seiner näheren Darstellung weitere, zumeist sympathische Züge, durch die er sich von den typischen DienerGestalten der Bühne des 18. Jahrhunderts deutlich abhebt. Komisch ist er mithin nur in den ersten Auftritten als Figur, in den weiteren vor allem aufgrund seiner Repliken. Wie Just erscheint der Wachtmeister Werner eingangs wie ein Charakter aus einer Typenkomödie; wie Riccaut weist er verschiedene Eigenschaften auf, die es rechtfertigen, ihn als Abkömmling der Figur des miles gloriosus zu sehen.92 Im Sinne dieser Tradition lebt die Komik seiner Auftritte von einer Mischung aus Selbstbewusstsein und Unbeholfenheit, wie sie insbesondere für sein Verhalten und seine Äußerungen gegenüber Franciska prägend ist.93 Auch Werner ist freilich – dies machen vor allem seine gemeinsamen Szenen mit Tellheim deutlich – keine eindimensionale komische Figur, auch er gewinnt im Handlungsverlauf ein recht facettenreiches individuelles Profil. – Bei Just und Werner handelt es sich fraglos um Charaktere, die nicht verlacht, sondern belacht werden sollen. Da sie jedoch weder einen hinreichend differenzierten und sympathischen Charakter noch ein klar konturiertes Defizit besitzen, können sie nicht der ausschlaggebende Grund dafür sein, dass Minna von Barnhelm im Sinne der Lessing’schen Gegenüberstellung als Komödie und nicht als bloße Posse einzustufen ist.94 Theorie und Praxis zum Zweiten: Komik mit Moral Einen wesentlichen Beitrag dazu, dass sich das Stück als Anschauungsbeispiel für das Lustspielverständnis der Hamburgischen Dramaturgie geradezu aufdrängt, leistet die Figur des Majors von Tellheim. Er ist ein Komödienprotagonist, der Lessings Anforderungskatalog rundum gerecht wird: Bei Tellheim handelt es sich um einen vielschichtig und zugleich einnehmend angelegten Charakter. Durch sein Handeln und Reden, aber auch durch viele Urteile anderer Figuren wird nachdrücklich nahe gelegt, Minnas Überzeugung, er habe „das rechtschaffendste Herz“95 und sei überhaupt der „beste Mann unter der Sonne“,96 für allenfalls leicht übertrieben zu halten. Ist Tellheim mithin einerseits eine Gestalt, die im Sinne der Hamburgischen Dramaturgie mit ‚Hochachtung‘ 91

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Nachdem Just wegen seines Wunsches, den Wirt zu erdrosseln, von Tellheim zunächst als „Bestie“ (MvB, 16) bezeichnet wird, gelangt der Major nach einem weiteren Gespräch mit seinem Diener zu der Einsicht, dass dieser durchaus auch schätzenswerte Eigenschaften besitzt: „Nein, es giebt keine völlige Unmenschen!“ (MvB, 23). Vgl. hierzu auch Klaus Bohnen, Kommentar“, 806. – Zu dem Versuch, Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück im Sinne des Untertitels als ‚Soldatenstück‘ zu verstehen, vgl. Martin Kagel, „Militärisches Heldentum und symbolische Ordnung in Gotthold Ephraim Lessings Philotas und Minna von Barnhelm“, in „Krieg ist mein Lied“. Der Siebenjährige Krieg in den zeitgenössischen Medien, hg. v. Wolfgang Adam u. Holger Dainat, Göttingen 2007, 296–316. Vgl. dazu auch Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 275–277. S. dazu oben 2.1.1. MvB, 29. Ebd., 36.

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betrachtet werden soll, so ist in seinem Auftreten doch andererseits eine deutliche ‚Ungereimtheit‘ auszumachen.97 Einer der Tugenden des Majors fehlt es, in den Worten der Lessing’schen Aristoteles-Interpretation, am rechten Maß.98 Wie eine Vielzahl von Studien aus den vergangenen Jahrzehnten überzeugend deutlich gemacht hat,99 ist Tellheims Fehler in der Lessing-Forschung lange Zeit etwas vorschnell auf die Formel vom ‚übertriebenen Ehrgefühl‘ gebracht worden.100 Verschafft man sich ein genaues Bild von Tellheims finanzieller, gesellschaftlicher und rechtlicher Situation bei Handlungsbeginn und betrachtet man sein Verhalten ebenso wie seine Äußerungen im Kontext mentalitätsgeschichtlicher Untersuchungen, sieht man, dass er durchaus gute Gründe hat, verzweifelt zu sein und sich entehrt zu fühlen. Es lässt sich mit anderen Worten nicht als Ausdruck unverhältnismäßiger Ehrsucht abtun, wenn er auf Minna verzichten will und ihr dies bei ihrem Wiedersehen wie folgt erklärt: Aber Sie meinen, ich sei der Tellheim, den Sie in ihrem Vaterlande gekannt haben; der blühende Mann, […] vor dem die Schranken der Ehre und des Glückes offen standen […]. – Dieser Tellheim bin ich eben so wenig, – als ich mein Vater bin. Beide sind gewesen. – Ich bin Tellheim, der verabschiedete, der an seiner Ehre gekränkte, der Kriepel, der Bettler.101

Auch wenn nun die lächerliche Ungereimtheit im Verhalten des Majors nicht in seinem ausgeprägten Ehrverständnis zu sehen ist, so hängt sie mit diesem doch eng zusammen: Ohne rechtes Maß ist zwar nicht Tellheims Orientierung an Ehrvorstellungen, aber sehr wohl seine Reaktion auf deren Verletzung. Um zu dieser erstaunlich selten konstatierten Einsicht102 zu gelangen, ist nur wenig interpretativer Scharfsinn erforderlich – denn sie wird von den Hauptfiguren in Minna von Barnhelm selbst gewonnen und mit großer Differenziertheit zum Ausdruck gebracht. Zunächst ist es Minna, die Tellheims charak97

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Dass Tellheim nach Lessings Verständnis mithin einen lächerlichen Zug aufweist, scheint in der Literaturwissenschaft einzig von Daniela Weiss-Schletterer bestritten zu werden; sie geht dabei allerdings – ohne es zu bemerken – von einem ahistorischen Konzept des Komischen aus, vgl. D. W.-S., Das Laster des Lachens, 137f. S. oben 2.1.1. Vgl. dazu bereits Peter Michelsen, „Die Verbergung der Kunst. Über die Exposition in Lessings Minna von Barnhelm“ (1973), in P. M., Der unruhige Bürger. Studien zu Lessing und zur Literatur des 18. Jahrhunderts, Würzburg 1990, 221–280, aber auch Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel und Günter Saße, Liebe und Ehre oder: wie sich die Spontaneität des Herzens zu den Normen der Gesellschaft verhält. Lessings „Minna von Barnhelm“, Tübingen 1993. Vgl. zu einer entsprechenden Interpretation der Figur etwa Richard Alewyn, „Tellheims Erziehung“ (1962), in R. A., Probleme und Gestalten. Essays, Frankfurt a.M. 1974, 247–250, Emil Staiger, „Lessing: Minna von Barnhelm“ (1955), in E. S., Die Kunst der Interpretation. Studien zur deutschen Literaturgeschichte, 2. Aufl., München 1972, 63–81, Karl S. Guthke, Poetik der Tragikomödie oder auch Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel. MvB, 45f. Als Ausnahmen sind Agnes Kornbacher-Meyer, Monika Fick und Hugh Barr Nisbet hervorzuheben. Bei Fick heißt es treffend: „Nicht daß Tellheim auf der Wiederherstellung der Ehre beharrt, ist der springende Punkt. Alles Licht der dramatischen Analyse fällt auf die Art und Weise, wie Tellheim Ehre und Glück verteidigt“ (M. F., Lessing-Handbuch, 252; Hervorhebung im Original).

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terliche Schwäche präzise auf den Begriff bringt. Nachdem sie den Plan entworfen hat, Tellheim durch einen Streich wiederzugewinnen, führt sie gegenüber Franciska aus: „Bloß ein wenig zu viel Stolz […] scheint mir in seiner Aufführung zu sein. Denn auch seiner Geliebten sein Glück nicht wollen zu danken haben, ist Stolz, unverzeihlicher Stolz!“103 Minna sieht Tellheims Schwäche also nicht grundsätzlich in seinem ‚Stolz‘, sondern in dessen Folgen für seine ‚Aufführung‘ – und dieses Übermaß an ,Stolz in der Aufführung‘ bezeichnet sie im Anschluss bemerkenswerterweise noch einmal ausdrücklich als seinen ‚Fehler‘. Auf Franciskas Frage, ob sie unter den gegebenen Umständen auf Tellheim verzichten wolle, entgegnet sie: „Nein, liebe Närrin, Eines Fehlers wegen entsagt man keinem Manne.“104 Tellheim selbst sieht erst durch Minnas Streich langsam die Ungereimtheit seines Verhaltens ein. Nachdem Franciska ihm fälschlich berichtet hat, Minna sei wegen ihrer Treue zu ihm vollständig enterbt worden, beginnt er an der Angemessenheit seiner bisherigen Haltung zu zweifeln: „Mein […] Unglück schlug mich nieder; machte mich ärgerlich, kurzsichtig, schüchtern, lässig“.105 Gegenüber Minna gesteht Tellheim seinen Fehler schließlich ganz treffend ein – die Verletzung seiner Ehrauffassung habe bei ihm zur Verweigerung jeden Mitleids geführt: Ärgernis und verbissene Wut hatten meine ganze Seele umnebelt; die Liebe selbst, in dem vollsten Glanze des Glückes, konnte sich darin nicht Tag schaffen. Aber sie sendet ihre Tochter, das Mitleid, die, mit dem finstern Schmerze vertrauter, die Nebel zerstreuet, und alle Zugänge meiner Seele den Eindrücken der Zärtlichkeit wiederum öffnet.106

Die Figur des Majors kann kurzum als Einlösung der Vorgaben gedeutet werden, die Lessing mit Blick auf die Komödie entwirft. Tellheim zeigt an, dass Minna von Barnhelm als ein Lustspiel angelegt ist, das Leser und Zuschauer im Sinne der Hamburgischen Dramaturgie durch Lachen bessern soll. In Minna von Barnhelm werden die Anforderungen der Lessing’schen Poetik an gelungene Lustspiele allerdings nicht allein erfüllt, sondern in eigentümlicher Weise übererfüllt. Dies ist in der Forschung bislang nahezu unbemerkt geblieben, weil das Stück – zumindest, wenn es im Zusammenhang der Entwicklung des deutschsprachigen Lustspiels im 18. Jahrhundert betrachtet wurde – in aller Regel mit Karl S. Guthke als „Tellheim-Drama“107 aufgefasst worden ist. So wurde vor allem verkannt, dass sich in Minna von Barnhelm offenkundig beide Hauptfiguren als musterhafte Komödienhelden nach Maßgabe der Hamburgischen Dramaturgie einstufen lassen: Wie Tellheim wird 103 104 105 106 107

MvB, 68. Hervorhebung von mir, T. K. Ebd. Hervorhebung von mir, T. K. Ebd., 91. Ebd., 95. Vgl. zum Zusammenhang auch Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie, 282f. Karl S. Guthke, Poetik der Tragikomödie, 34. Konkret stellt Guthke apodiktisch fest: „Minna von Barnhelm ist trotz des Titels ein Tellheim-Drama.“ Das scheint angesichts des Stücks zweifelhaft und übersieht zudem die Relevanz, die Lessing den Titeln von Dramen beigemessen hat. So heißt es etwa in der Hamburgischen Dramaturgie mit Blick auf das Werk Ist er von Familie?: „Der Titel […] braucht den Inhalt weder anzuzeigen, noch zu erschöpfen; aber er sollte doch auch nicht irre führen“ (HD, 267).

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Minna als komplexe Figur charakterisiert, die in hohem Maße über gewinnende Eigenschaften verfügt.108 Und wie im Verhalten und Wesen des Majors lässt sich auch in dem des Fräuleins eine merkliche Unausgewogenheit und also ein lächerlicher Fehler ausmachen: Für Minna ist, wie der Handlungsverlauf nach und nach enthüllt, eine ‚übergroße Spielleidenschaft‘ kennzeichnend.109 Auch diese charakterliche Ungereimtheit wird in Minna von Barnhelm explizit zur Sprache gebracht: Unmittelbar nachdem sie Tellheims Fehler erkannt hat, benennt Minna im Dialog mit dem Chevalier Riccaut ihren eigenen, ohne ihn zu diesem Zeitpunkt freilich schon als solchen zu durchschauen. Auf Riccauts Bericht von seiner Spielsucht erwidert sie: „Ich muß Ihnen bekennen, daß ich – gleichfalls das Spiel sehr liebe“.110 Gesteht Minna damit nur eine Neigung ein, so bekennt sie gegenüber Franciska, als die verschiedenen Folgen ihres Streichs schließlich deutlich werden, sich in ihrem Verhalten einer Übertreibung und also einer Lächerlichkeit schuldig gemacht zu haben: „Ah, liebe Franciska, ich hätte dir folgen sollen. Ich habe den Scherz zu weit getrieben“.111 Auch die Titelfigur in Minna von Barnhelm ist also eine Gestalt ganz im Sinne der Lustspielpoetik der Hamburgischen Dramaturgie; auch ihr Verhalten ist grundsätzlich so angelegt, dass Rezipienten die Gelegenheit bekommen sollen, mit Sympathie zu lachen und so die Kompetenz zu schulen, „das Lächerliche […] unter allen Bemäntelungen […] leicht und geschwind zu bemerken“.112 Theorie und Praxis zum Dritten: Komik und Moral Die Konsequenzen von Lessings vorweggenommener praktischer Überbietung seiner theoretischen Überlegungen zum Zusammenhang von Komik und Komödie sind weitreichend. Aus ihnen ergibt sich, wie nun abschließend verdeutlicht werden soll, der wesentliche Beitrag, den das Lessing’sche Œuvre zur Poetik des Lustspiels und zur Reflexion des Komischen leistet.

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Vgl. dazu zusammenfassend Georg-Michael Schulz, Einführung, 92f. Klaus Bohnen scheint lange Zeit der einzige gewesen zu sein, der dies bemerkt hat, ohne es freilich weiter zu verfolgen. Seinen Blick auf die Hauptfiguren des Dramas schließt er mit dem Hinweis: So „bedarf Tellheims ‚Halsstarrigkeit der Tugend‘ […] ebenso der Korrektur wie Minnas Mutwilligkeit in der Durchsetzung ihrer Ziele“ (K. B., „Kommentar“, 806). Hugh Barr Nisbet ist 2008 zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt, macht sie aber ebenfalls nicht für seine Deutung des Stücks fruchtbar, vgl. H. B. N., Lessing, 459. MvB, 73. Hervorhebung von mir, T. K. Ebd., 105. Hervorhebung von mir, T. K. HD, 323. – Andrea Bartl schreibt: „Wäre dieses Stück eine ‚Sächsische Typenkomödie‘, so hieße sie vielleicht ‚Der Ehrsüchtige‘.“ (A. B., Die deutsche Komödie, 81) Wie demonstriert, könnte Minna von Barnhelm in diesem hypothetischen Fall allerdings auch „Die Spielerin“ betitelt sein. Vgl. hierzu bereits Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, wo die überzeugende Begründung dafür, dass das Stück nicht „‚Der Stolze‘ oder ‚Der Ehrsüchtige‘“ heißt, allerdings mit der zweifelhaften Vermutung verbunden wird, Lessing habe es nach Tellheims „Gegenspielerin“ benannt, weil diese „nicht in den Verdacht geraten konnte, eine Schwäche zu personifizieren“ (ebd., 67).

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Ein Grund für Lessings Kunstgriff, in Minna von Barnhelm gleich zwei ebenso individuelle wie sympathische Hauptfiguren mit einen Fehler auftreten zu lassen, ist sicherlich schlicht darin zu sehen, dass das Stück dem Zuschauer und Leser durch eine entsprechende Konzeption mehr anspruchsvolle Möglichkeiten bietet, sich im Erkennen und in der Vorbeugung von Ungereimtheiten zu üben. Jener Kunstgriff lässt sich also nicht zuletzt als Versuch sehen, die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass die Komödie die Wirkungsziele tatsächlich erreicht, die in der Hamburgischen Dramaturgie vorgegeben werden: Dadurch, dass es zwei schätzenswerte Menschen sind, die lächerliche Unarten aufweisen, werden Zuschauer und Leser noch entschiedener dazu angeregt, das Erkannte auch auf sich zu beziehen. Und dadurch, dass es zwei Schwächen sind, die zur Anschauung kommen, wird ihnen noch deutlicher nahe gelegt, der genauen Ausprägung der Fehler kein allzu großes Gewicht beizumessen.113 Erklärungen dieser Art tragen zweifellos zum Verständnis von Minna von Barnhelm bei, die eigentliche Pointe der von Lessing erprobten Konstellation bringen sie jedoch nur unzureichend in den Blick. Dass das Stück über zwei individuell profilierte Protagonisten mit kleineren Fehlern verfügt, erhöht nicht allein die Zahl, sondern erweitert vor allem die Bandbreite der Möglichkeiten, Rezipienten mit charakterlichen Ungereimtheiten zu konfrontieren. Inwiefern dies ein wesentlicher Unterschied ist, sieht man, sofern man sich vergegenwärtigt, dass die Vorgänge des Bemerkens und Bewertens der Schwächen Tellheims und Minnas zumeist eng miteinander verschränkt sind. Lessing nutzt dies geschickt aus: Er vermag im Rahmen der skizzierten Konstellation nicht nur in Abgrenzung von Gottscheds Critischer Dichtkunst zu veranschaulichen, dass Ungereimtheiten mitunter komisch sind, weil es sich um Eigenschaften einnehmender Charaktere handelt. Er kann zudem in vorauseilender Überbietung seiner eigenen Hamburgischen Dramaturgie vorführen, dass Fehler bisweilen unkomisch sind, obwohl es sich um Merkmale schätzenswerter Figuren handelt – nämlich vor allem dann, wenn sie sich zu Lasten anderer Figuren auswirken, deren Schicksal ebenfalls mit Empathie und Sympathie verfolgt wird.114 Ungereimtheiten dienen in der Komödie Minna von Barnhelm also nicht allein dazu, Verlachen oder Lachen auszulösen; sie werden von Lessing darüber hinaus immer wieder eingesetzt, um Zuschauer und Leser über eine angemessene Reaktion auf das Bühnengeschehen unschlüssig werden zu lassen: Die Unstimmigkeit in Tellheims Charakter lässt sich nur so lange zweifelsfrei als lächerlich einstufen, wie sie Minnas Situation nicht erheblich beeinträchtigt. Und umgekehrt droht Minnas Fehler seine Komik zu verlieren, sobald Tellheim von ihm in starkem Maße betroffen ist. Vor dem Hintergrund dieser Hinweise beginnt sich abzuzeichnen, weshalb Minna von Barnhelm in der Geschichte der Nutzung des Komischen im Lustspiel einen Einschnitt darstellt. Ungewöhnlich sind nicht die Formen von Komik, die Lessing in der 113 114

S. zu diesen Zielen oben 2.1.1. S. dazu auch oben 1.4.3 Noch einmal Komik und Harmlosigkeit.

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Komödie einsetzt: Wie die deutschsprachige Lustspieldichtung seit dem Barock115 sucht er Belustigung zu erreichen, indem er Spielarten einerseits der Figurenkomik und andererseits der Sprachkomik zum Einsatz bringt.116 Grundlegend neu ist allerdings, dass er die Anwendung dieser Komikformen mit einer Auslotung des Komikbegriffs verbindet: Was in der Hamburgischen Dramaturgie als Schlusspunkt des Reflexionsgangs zum Lustspiel nur anklingt, das bildet in Minna von Barnhelm den Ausgangspunkt der Szenenfolge, in der Tellheim und Minna auf Umwegen wieder zueinander finden – die Beobachtung nämlich, dass sich Ungereimtheiten nicht grundsätzlich, sondern nur unter bestimmten Umständen als komisch einstufen lassen.117 Anders als in der Dramenpoetik heißt es im Drama nicht: ‚Jede Ungereimtheit ist lächerlich‘, sondern bloß: ,Jede Übertreibung ist des Lächerlichen fähig‘.118 Und anders als in der Theorie setzt sich Lessing in der Praxis darum eingehend mit der Frage auseinander, unter welchen genauen Bedingungen eine Unart als komisch gelten kann und unter welchen nicht. Aus komiktheoretischer Perspektive erscheint Minna von Barnhelm mithin als Versuch, im Medium des Dramas zu eruieren, von welchen unterschiedlichen Faktoren es in welcher Weise abhängt, ob eine Ungereimtheit als lächerlich einzustufen ist.119 Lessing führt gerade über die Konfrontationsszenen zwischen Tellheim und Minna vor, dass sich die Komik einer Inkongruenz allein in Abhängigkeit von ihrem Grad, dem Charakter, der sie aufweist, und den Charakteren, die unter ihr zu leiden haben, beurteilen lässt. So verweist Minna von Barnhelm auf die Dringlichkeit von Vorhaben, die in der Humorologie erst im ausgehenden 20. Jahrhundert wieder in den Blick gekommen sind – von Vorhaben wie etwa dem einer differenzierten Explikation der komikbezogenen Harmlosigkeitsbedingung oder des inkongruenztheoretischen Komikmodells insgesamt.120 115

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Vgl. für die Epoche des Barock etwa Hartmut von der Heyde, Die frühe deutsche Komödie oder Daniela Toscan, Form und Funktion des Komischen in den Komödien von Andreas Gryphius, Frankfurt a.M. u.a. 2000 und für die Phase der Frühaufklärung Horst Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung. S. dazu etwa oben 1.5.2 und 2.1.2 Komik ohne Moral. – Weshalb Georg-Michael Schulz die Komik in Minna von Barnhelm wesentlich als ‚Situationskomik‘ einstuft, bleibt unklar, vgl. G.-M. S., Einführung, 98. S. zu dieser Beobachtung oben 2.1.1. Vgl. zu diesen Paraphrasen HD, 322 und MvB, 82. Zu diesem Versuch leistet die in der Forschung oft untersuchte explizite Thematisierung des Lachens in einigen Äußerungen der Hauptfiguren keinen wesentlichen Beitrag und kann im vorliegenden Zusammenhang darum vernachlässigt werden, vgl. vor allem MvB, 82–84 und zusammenfassend Dieter Janik, „Minna von Barnhelm“, 162–164. – Vgl. zur Darstellung einer Spielart des Lachens in Minna von Barnhelm, die nichts mit dem Komischen zu tun hat, Stefan Busch, „Blasphemisches Lachen in Klopstocks Messias und Lessings Minna von Barnhelm. Zur Herausbildung eines literarischen Leitmotivs“, in Lessing Yearbook XXXIII (2001), 27– 54. S. dazu oben insbes. 1.4. – Um Missverständnissen vorzubeugen, sei ergänzt: Die Auffassung, die in Minna von Barnhelm der skizzierten Interpretation zufolge zum Ausdruck kommt, ist nicht mit der im ausgehenden 18. Jahrhundert aufkommenden Einschätzung zu verwechseln, dass Komik kein Merkmal von Gegenständen sei, sondern im Auge des Betrachters entstehe, s. dazu oben 1.1.

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Lessings Auslotung der Grenzen des Lächerlichen in Minna von Barnhelm stellt freilich keinen Selbstzweck dar; die neuartige Nutzung des Komischen im Lustspiel ist vielmehr als Beitrag zu dem Versuch zu deuten, der Gattung Komödie im Ganzen eine neuartige Ausrichtung zu geben. Dies ist nicht ohne Weiteres zu sehen, weil Lessing dem Lustspiel keine neue Funktion zuweist, sondern dessen traditionelle nur in neuer Weise interpretiert. Mit der Einschätzung, dass die Komödie der moralischen Erziehung der Zuschauer zu dienen habe, hält er grundsätzlich an der seit dem Beginn des 18. Jahrhunderts dominierenden Sichtweise fest; zugleich gewinnt in seinen Werken aber ein Verständnis von Moralisierung durch das Lustspiel Gestalt, das sich etwa von demjenigen, das den Texten Gottscheds und seiner Nachfolger zugrunde liegt, deutlich abhebt. Was die Lessing’sche Idee von der Erziehungsleistung der Komödie ausmacht, hat sich im Rahmen der Auseinandersetzung mit der Hamburgischen Dramaturgie und insbesondere mit der in ihr vorgeschlagenen Unterscheidung zwischen Verlachen und Lachen bereits angedeutet – auf der Grundlage der vorangegangenen Betrachtungen zu Minna von Barnhelm lässt es sich nun im Einzelnen auf den Begriff bringen: Eine moralisierende Wirkung sucht die Spielart der Typenkomödie, von der sich Lessing in Minna von Barnhelm absetzt, auf zwei Wegen zu erzielen – einerseits durch die satirische Darstellung einer Figur mit einem harmlosen Fehler und andererseits durch die sympathisierende Darstellung der zumeist durch eine Intrige in die Wege geleiteten Heilung des betreffenden Charakters von seiner Unausgewogenheit.121 Die normative Orientierung durch Bühnenwerke mit entsprechender Konzeption erfolgt mithin recht direkt, die Stücke machen mehr oder weniger ausdrücklich deutlich, welche Laster zu vermeiden und welche Tugenden zu beherzigen sind. Wie nicht zu übersehen ist, greift Lessing in Minna von Barnhelm auf das Muster der Typenkomödie mit Intrigenschema zurück, er gibt ihm jedoch eine völlig neue Ausrichtung.122 Die Pointe der Umgestaltung des Modells besteht dabei darin, dass die strikte Opposition von Laster und Tugend, von der die Typenkomödie lebt, aufgelöst wird – und zwar dadurch, dass die figuralen Repräsentanten des Laster- und des Tugenhaften in gleicher Form anlegt werden. Lessing stattet nicht allein den zu belehrenden Charakter mit einnehmenden Merkmalen aus; er versieht zudem die belehrende Figur mit einem deutlichen Fehler.123 Ganz entsprechend unterscheidet sich auch das Ergebnis der didaktisch intendierten Intrige in Minna von Barnhelm erkennbar von dem in traditionellen Typenkomödien. Die Figuren

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Eine entsprechende Sichtweise findet sich offenbar erstmals bei Johann Georg Heinrich Feder um 1780, vgl. J. G. H. F., Untersuchungen über den menschlichen Willen… (1779), Brüssel 1968 und zusammenfassend Paul M. Haberland, The Development of Comic Theory, 94–96. Vgl. zu diesem Komödientyp im Einzelnen Horst Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, 39–46. Dass sich Lessing auf die umrissene Variante der Typenkomödie bezieht, ist in der Forschung oftmals bemerkt worden; worin genau seine Rekonzeptualisierung des Modells besteht, ist dabei allerdings zumeist im Dunkeln geblieben, vgl. etwa Michael Böhler, „Lachen oder Verlachen?“, Wilfried Barner et al., Lessing, Agnes Kornbacher-Meyer, Komödientheorie oder Monika Fick, Lessing-Handbuch. S. dazu oben 2.1.2 Komik mit Moral.

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gewinnen zwar auch bei Lessing eine Ahnung der Fehler in ihrem Verhalten, mit der betreffenden Erkenntnis ist in diesem Fall aber keine Abkehr von ihren grundlegenden Wertvorstellungen verbunden. Minnas Bemerkungen gegenüber Tellheim nach dem Ende ihrer Intrige lassen darüber keinen Zweifel zu: Unmittelbar auf ihre Einsicht, „den Scherz zu weit getrieben“124 zu haben‚ folgt ihr Bekenntnis: „Nein, ich kann es nicht bereuen, mir den Anblick Ihres ganzen Herzens verschafft zu haben! – Ah, was sind Sie für ein Mann!“125 Es erscheint mithin nicht sonderlich gewagt, Lessings Überlegungen zum Ende von Terenz’ Lustspiel Die Brüder im 99. Stück der Hamburgischen Dramaturgie als eine Art Kommentar zum Schluss von Minna von Barnhelm zu verstehen: „Die Intrigue ist längst zu Ende, aber das fortwährende Spiel der Charaktere läßt uns kaum bemerken, daß sie zu Ende ist. Keiner verändert sich; sondern jeder schleift nur den andern eben so viel ab, als nötig ist, ihn gegen den Nachteil des Excesses zu verwahren.“126 Moralische Anleitung durch die Komödie heißt bei Lessing nicht mehr explizite oder exemplarische Vermittlung von Normen. Einen Beitrag zur Erziehung des Rezipienten leistet komisches Theater in seinem Sinne nicht durch die Präsentation von Wertvorstellungen, sondern durch die Problematisierung ihrer Zuschreibung, Voraussetzungen und Folgen. Insofern trifft Lessings Diktum, dass das Lustspiel durch Lachen bessere, den Kern seiner eigenen Komödienkonzeption nicht ganz. Wie Minna von Barnhelm oder das Soldatenglück eindrucksvoll vorführt, ist der moralisierende Effekt des Lustspiels kein Resultat des Lachens selbst, sondern eines der Reflexion seiner Grenzen.

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MvB, 105. Ebd., 106. HD, 670f. Hervorhebung von mir, T. K. – Vgl. zu dieser Passage auch Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 75f.

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2.2 Komik und Erziehung: Zum Komischen in Lenz’ Der Hofmeister Jakob Michael Reinhold Lenz gilt als einer der Vorboten und Wegbereiter der literarischen Moderne im deutschen Sprachraum. Eine entsprechende Stellung in der Literaturgeschichte wird ihm vor allem unter Verweis auf seine Komödien und seine Einlassungen zur Komödienpoetik zugemessen: In Dramen wie Der Hofmeister und dramentheoretischen Texten wie den Anmerkungen übers Theater habe er, so wird weithin angenommen, Problemstellungen, Gestaltungsprinzipien und Darstellungstechniken vorweggenommen, die für die deutschsprachige Literatur erst ab dem späten 19. Jahrhundert prägend werden sollten.127 Gegen eine entsprechende Kategorisierung ist inhaltlich wenig einzuwenden, sie hat in der Forschung allerdings zu der Tendenz beigetragen, Lenz und sein Werk weniger im Kontext seiner Zeit zu betrachten als vielmehr für die Antizipation von Eigenheiten der Literatur des 20. Jahrhunderts zu rühmen. Ganz entsprechend wird in Überlegungen zum Lenz’schen Werk nur selten darauf verzichtet, auf die Beziehungen seines Lustspielschaffens zu dem von Autoren wie Gerhart Hauptmann, Bertolt Brecht oder Friedrich Dürrenmatt hinzuweisen128 – an einer näheren Untersuchung etwa des Verhältnisses zwischen den Komödien und Komödienkonzeptionen von Lessing und Lenz fehlt es jedoch bis heute.129 Bemerkbar macht sich die vorherrschende Ausrichtung der Forschung nicht zuletzt in den vorliegenden Versuchen, die Stellung der Lenz’schen Lustspiele im Zusammenhang der Gattungsentwicklung zu bestimmen. In der Auseinandersetzung mit Lenz’ Komödien gibt man sich aus genrehistorischer Perspektive zumeist mit recht allgemeinen Einordnungen zufrieden, die geeignet sind, die Modernität der Texte zu unterstreichen, allerdings nur wenig dazu beisteuern, deren Beitrag zur Transformation traditio-

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Vgl. etwa Hans-Gerd Winter, J. M. R. Lenz, Stuttgart 1987, 60, Hans H. Hiebel, „Das ,offene‘ Kunstwerk als Signum der Moderne“, in J. R. M. Lenz als Alternative? Positionsanalysen zum 200. Todestag, hg. v. Karin A. Wurst, Köln/Weimar/Wien 1992, 179–197, 180f., Franz Lösel, „Melodrama und Groteske im Werk von Reinhold Lenz“, in Jakob Michael Reinhold Lenz. Studien zum Gesamtwerk, hg. v. David Hill, Opladen 1994, 202–213, 202, Matthias Luserke, LenzStudien. Literaturgeschichte – Werke – Themen, St. Ingbert 2001, 89, Andreas Meier, „Vorwort“, in Jakob Michael Reinhold Lenz. Vom Sturm und Drang zur Moderne, hg. v. A. M., Heidelberg 2001, 7–9, 7, Rüdiger Zymner, „Shakespeare und Lenz“, in Vom Sturm und Drang zur Moderne, 11–21, 20f. oder Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 97. – David Hill stuft Lenz gar als ‚postmodern‘ ein, verweist dabei aber auf die Merkmale der Texte, die gemeinhin deren Einordnung als ‚modern‘ rechtfertigen sollen (vgl. D. H., „Vorwort“, in Studien zum Gesamtwerk, 7–9, 7). Vgl. dazu etwa Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 110, Bernhard Greiner, Die Komödie, 170 oder Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 100. Bausteine zu einer solchen Studie liefert insbes. Martin Rector, „Lenz und Lessing. Diskontinuitäten der Dramentheorie“, in Lessing und die Literaturrevolten nach 1770, hg. v. Dieter Fratzke u. Wolfgang Albrecht, Kamenz 1998, 53–81. – S. zum Zusammenhang auch unten 2.2.1 und 2.2.2.

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neller Komödienmodelle detailliert zu erhellen.130 So wird es zwar immer wieder als zentrales Spezifikum der Lustspiele hervorgehoben, dass es in ihnen zu einer Aufwertung des ‚Ernsthaften‘ und zu einer Abwertung des ‚Lustigen‘ kommt; dies wird aber kaum einmal zum Anlass genommen, der zweifellos angemessenen Beobachtung weiter nachzugehen und im Einzelnen zu untersuchen, wie Lenz Ernst und Komik im Lustspiel miteinander zu verbinden versucht und was aus dem Komischen unter der Bedingung seiner prinzipiellen Marginalisierung wird.131 Die Diskussion entsprechender Fragen ist auch durch verbreitete Thesen wie die, dass es sich bei Lenz’ Komödien in Wahrheit um Tragikomödie handle, oder die, dass es in ihnen zu einer Rehabilitierung der Form des Grotesken komme, eher behindert als befördert worden132 – denn sie vermitteln den irreführenden Eindruck, es sei etwas verstanden worden, wo tatsächlich nur etwas in durchaus noch klärungsbedürftiger Weise eingeordnet worden ist.133 Die folgenden Überlegungen werden sich um die Klärung, Diskussion und Revision solcher und verwandter Einordnungen bemühen, indem sie in zwei Schritten den Formen und Funktionen des Komischen im Lenz’schen Lustspiel nachgehen.134 Zu diesem Zweck soll in Auseinandersetzung mit Lenz’ maßgeblichen Stellungnahmen zur Komödienpoetik zunächst seine Idee des Lustspiels und in diesem Zusammenhang insbesondere die Rolle geklärt werden, die er der Komik in Texten der Gattung zuweist; im Zentrum der Betrachtungen werden dabei die in den frühen 1770er Jahren verfassten Anmerkungen übers Theater stehen. Vor dem Hintergrund der Untersuchungen zu Lenz’ Komödientheorie soll dann seine Komödienproduktion am Beispiel seines ersten und zugleich bekanntesten Lustspiels untersucht werden, anhand des Dramas Der Hofmeister oder Vortheile der Privaterziehung,135 dessen Entstehung und Überarbeitung für die Publikation ebenfalls in das Jahrfünft zwischen 1770 und 1775 fällt. Das Hauptaugenmerk der Analysen wird der Frage gelten, in welcher Weise und Absicht Lenz das 130

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Als Ausnahmen sind die unterschiedlich überzeugenden Überlegungen in Karl Eibl, „‚Realismus‘ als Widerlegung von Literatur. Dargestellt am Beispiel von Lenz’ Hofmeister“, in Poetica 6 (1974), 456–467, Karl S. Guthke, Poetik der deutschen Tragikomödie und Christian Neuhuber, Das Lustspiel macht Ernst zu nennen. Dies lässt sich ebenso in Beiträgen zur Lenz-Philologie wie in solchen zur Komödienhistoriographie beobachten. – Zu den allgemeinen Gründen für die Missachtung des Komischen in der Lustspielforschung s. oben 2. S. zu diesen Thesen – mit Hinweisen auf Literatur – unten 2.2.1 und 2.2.2. S. dazu am Beispiel des ‚Grotesken‘ oben 1.5.3. Zitate aus den Werken Lenz’ werden nachgewiesen nach der Faksimileausgabe des Röhrig Universitätsverlags (Werke in zwölf Bänden, hg. v. Christoph Weiß, Trier 2001) unter Bandnummerangabe mit arabischen Ziffern sowie nach der Werk- und Briefausgabe des Hanser Verlags (Werke und Briefe in drei Bänden, hg. v. Sigrid Damm, München 1987) unter Bandnummerangabe mit römischen Ziffern. Der Hofmeister ist nicht allein Lenz’ erste Komödie, sondern zugleich sein erstes veröffentlichtes Drama; von seinen Jugendwerken ist lediglich das empfindsam ausgerichtete Stück Der verwundete Bräutigam von 1766 überliefert, vgl. dazu Georg-Michael Schulz, Jacob Michael Reinhold Lenz, Stuttgart 2001, 68f.

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Komische in seinem Drama zum Einsatz bringt. Bei der Beschäftigung mit diesem Werkaspekt soll freilich stets zugleich untersucht werden, ob und inwiefern er in Theorie und Praxis des Lustspiels Positionen der Aufklärungpoetik aufnimmt, umgestaltet oder vollständig hinter sich lässt.

2.2.1 Konzeptionelles: Anmerkungen übers Theater und andere Schriften Bei den erstmals 1774 erschienenen Anmerkungen übers Theater handelt es sich um eines der grundlegenden poetologischen Manifeste des Sturm und Drang. Mit dem Haupttitel seines vermutlich schon drei Jahre zuvor entstandenen Textes136 stapelt Lenz also gleich in doppelter Hinsicht tief: Erstens liefert die Schrift nicht bloß ‚Anmerkungen‘, sondern entwirft ein zwar rhapsodisch dargebotenes, aber systematisch ausgefeiltes Gedankengebäude;137 und zweitens widmet sie sich keineswegs allein dem ‚Theater‘, sondern verbindet Betrachtungen zum Drama mit Reflexionen zu Fragen der Poetik, Ästhetik und Epistemologie.138 Die Anmerkungen übers Theater setzen mit allgemeinen Überlegungen zum Wesen der Poesie ein. Grundsätzlich schließt Lenz dabei an die aristotelische Vorstellung an, dass Dichtung als ‚Mimesis‘ zu verstehen ist; im Zuge seiner Betrachtungen gelangt er allerdings zu einem Verständnis dieser Vorstellung, das sich ebenso von demjenigen Aristoteles’ wie von demjenigen der vielen Kommentatoren seiner Poetik im 17. und 18. Jahrhundert erkennbar abhebt.139 Eigenwillig sind Lenz’ Ausführungen zur Poetik insbesondere, weil sie den Begriff der Mimesis enger fassen als im Anschluss an die aristotelische Position üblich. Zum einen tritt Lenz dafür ein, dass Mimesis ausschließlich als „Nachahmung der Natur“140 verstanden werden und nicht zugleich für die Orientierung an musterhaften Werken antiker Autoren stehen sollte.141 Zum anderen wendet er sich gegen allzu liberale Vorstellungen davon, wie die wesentlichen Elemente des Kompositums ‚Naturnachahmung‘ zu interpretieren sind: Natur ist für Lenz die über die Sinne erfahrbare Natur, es sollen also die „Dinge“ dargestellt werden, „die wir um uns herum sehen, hören etcetera, die durch die fünf Thore unserer Seele in dieselbe 136 137

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Der vollständige Titel lautet Anmerkungen übers Theater nebst angehängten übersetzten Stück Shakespears. Zur Entstehung vgl. Lenz 5, 3 sowie Georg-Michael Schulz, Lenz, 257f. Vgl. hierzu auch Fritz Martini, „Die Einheit der Konzeption in J. M. R. Lenz’ Anmerkungen übers Theater“, in Jahrbuch der deutschen Schillergesellschaft 14 (1970), 159–182 und Martin Rector, „Anschauendes Denken. Zur Form von Lenz’ Anmerkungen übers Theater“, in Lenz-Jahrbuch 1 (1991), 92–105. Zu einer eingehenden Rekonstruktion des Aufbaus und Inhalts des Manifests vgl. Georg-Michael Schulz, Lenz, 257–269. Vgl. zum Zusammenhang allgemein Jörg Schlieske, Lenz und die Mimesis. Eine Untersuchung der Nachahmungsproblematik bei Jakob Michael Reinhold Lenz (1751-1792), Frankfurt a.M. 2000. Lenz 5, 10. Fortan zitiert unter Verwendung der Sigle „AT“. Vgl. hierzu Matthias Luserke, Sturm und Drang: Autoren – Texte – Themen, Stuttgart 1997, 271.

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hineindringen“.142 Und Nachahmung ist ihm zufolge eine Darstellungsweise, die ihren Gegenstand in seinem Wesen erfasst und anschaulich macht143 und die als solche an die Gestalt des Genies gebunden ist: „Wir nennen die Köpfe Genies, die alles, was ihnen vorkommt, gleich so durchdringen, durch und durch sehen, daß ihre Erkenntniß, denselben Werth, Umfang, Klarheit hat, als ob sie durch Anschaun oder alle sieben Sinne zusammen wäre erworben worden“.144 Um nun gerechtfertigt nicht allein von Naturnachahmung, sondern von dichterischer Naturnachahmung sprechen zu können, müssen Darstellungen nach Lenz allerdings noch eine weitere Bedingung erfüllen – in ihnen hat sich neben dem Genie ihres Urhebers auch dessen „Schöpfungskraft“ bzw. „Dichtungsvermögen“145 zu zeigen.146 Grundlegend für Lenz’ Überlegungen zur Poesie und damit auch zum Theater ist kurzum die Interpretation des Dichters als alter deus: „Man könnte sein Gemählde mit der Sache selbst verwechseln und der Schöpfer sieht auf ihn herab, wie auf die kleinen Götter, die mit seinem Funken in der Brust auf den Thronen der Erde sitzen und seinem Beyspiel gemäß eine kleine Welt erhalten.“147 Vor dem Hintergrund der nachgezeichneten einleitenden Reflexionen wendet sich Lenz in den Hauptabschnitten seiner Schrift dem Drama zu, erörtert dessen Bauweise und Möglichkeiten, Aufgaben und Spielarten. Angesichts seines allgemeinen Verständnisses von Poesie kann es nicht erstaunen, dass er sich in den betreffenden Passagen deutlich vom Theater und der Theatertheorie der Aufklärung abzugrenzen versucht; in Fortführung seiner Auseinandersetzung mit Aristoteles, die freilich im Wesentlichen eine mit den Auffassungen der Aristotelesexegeten ist, gibt er einigen ehernen Regeln der Dramaturgie der Zeit wie etwa der Idee des Primats der Handlung vor den Figuren, der Einheitenlehre oder der Ständeklausel den Abschied. Gleichwohl rückt Lenz in den Anmerkungen übers Theater keineswegs so weit von Vorstellungen der Aufklärungspoetik ab, wie er selbst bisweilen nahe legt und wie in der Forschung oft behauptet wird.148 Dass zwischen den Grundannahmen der Genieästhetik und denen der Regelpoetik ein recht grundsätzliches Spannungsverhältnis besteht, deutet sich im Text allen-

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AT, 10. Martin Rector schreibt Lenz zu Recht eine Auffassung von Dichtung als „Wesensschau“ zu, vgl. M. R., „Optische Metaphorik und theologischer Sinn in Lenz’ Poesie-Auffassung“, in Studien zum Gesamtwerk, 11–26, 16. – S. zum Zusammenhang auch unten 2.2.2. AT, 15. Ebd. – Dass Lenz’ Bestimmung der Dichtkunst durch diese zentrale Zusatzbedingung Gefahr läuft, zirkulär zu werden, liegt auf der Hand, kann im Folgenden aber vernachlässigt werden. Zum Hintergrund und zur Entwicklung der Lenz’schen Position vgl. Hans-Gerd Winter, Lenz, 38f. und Gerhard Sauder, „Geniekult im Sturm und Drang“, in Deutsche Aufklärung, 327–340 und „Lenz’ eigenwillige Anmerkungen über das Theater“, in Études Germaniques 52 (1997), 49–64, insbes. 58–60. AT, 16. So spricht Matthias Luserke etwa von „Lenz’ radikalem Bruch mit Positionen der aufgeklärten Dichtungstheorie“ (M. L., Sturm und Drang, 271; Hervorhebung von mir, T. K.).

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falls an, etwa in Lenz’ Kommentar zur „erschröcklichen jämmerlichberühmten Bulle von den drey Einheiten“149 im Drama: Was heissen die drey Einheiten? hundert Einheiten will ich euch geben, die alle immer doch die eine bleiben. […] Der Dichter und das Publikum müssen die eine Einheit fühlen aber nicht klassifizieren. Gott ist nur Eins in allen seinen Werken, und der Dichter muß es auch seyn, wie groß oder klein sein Wirkungskreiß auch immer seyn mag. Aber fort mit dem Schulmeister, der mit seinem Stäbchen einem Gott auf die Finger schlägt.150

Ungeachtet entsprechender Passagen ist indes schwerlich zu übersehen, dass Lenz’ Aufbegehren gegen die an Aristoteles orientierte Dramentheorie der Zeit nicht in einer prinzipiellen Ablehnung des Projekts der Regelpoetik, sondern in der konkreten Unzufriedenheit mit der Orientierung an bestimmten Regeln gründet.151 Schaut man sich nun die Kritik noch etwas genauer an, die in den Anmerkungen übers Theater an Aufklärungspositionen geübt wird, so kann man zwei weitere Beobachtungen machen, die der Literaturwissenschaft bislang zumeist entgangen sind: Erstens ist festzustellen, dass sich Lenz’ Einwände zwar gegen die Verfahrensregeln, nicht aber gegen die Zielvorgaben aufgeklärter Dramentheorie richten. So entschieden er einzelne Bestandteile der Bühnenpoetik seiner Zeit ablehnt, so entschlossen hält er zugleich an deren grundsätzlicher Wirkungskonzeption fest – wie für die meisten Autoren und Theoretiker des Theaters von Gottsched bis weit über Lessing hinaus besteht auch für Lenz die wesentliche Funktion des Dramas darin, durch anschauende Erkenntnis eine erzieherische Wirkung zu erzielen.152 Zweitens zeigt eine nähere Analyse seiner Auseinandersetzung mit dem Theater der Aufklärung, dass seine Vorbehalte weniger auf seinen genieästhetischen Ideen als vielmehr auf seiner Annahme der historischen Bedingtheit von Kunst beruhen. Lenz’ Forderung, sich von bestimmten dramentheoretischen Maximen aristotelischer Provenienz zu verabschieden, erklärt sich mit anderen Worten wesentlich aus seiner Einschätzung, dass sie nicht zeitgemäß sind.153 Für Lenz’ Anmerkungen übers Theater, so lassen sich die umrissenen Beobachtungen zusammenfassen, ist die Frage leitend, in welcher Weise es Stücken gelingen kann, in einer gegebenen historischen Situation eine allgemeine moralisierende Funktion zu erfüllen. In seiner Antwort auf diese Frage sind, wie bereits angedeutet wurde, ein pars destruens und ein pars construens zu unterscheiden: Ersterer stellt in Abgrenzung von Aristoteles und seinen Anhängern einige Grundregeln der aufgeklärten Poetik in Fra149 150 151

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AT, 27. Ebd., 29. Bei Lenz’ Poetik handelt es sich also ebenso wie etwa bei der von Gottsched oder Lessing um eine normative Theorie der Dichtung – dies wird aufgrund ihrer Präsentationsform nicht selten verkannt, vgl. zum Beispiel Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 95. S. hierzu oben 2.1 sowie unten 2.3. Vgl. dazu etwa auch Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 111 oder Carsten Zelle, „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Drei Bemerkungen dazu, was bei Lenz gespielt wird“, in Lenz als Alternative, 138–157, 146f.

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ge,154 Letzterer sucht in Anknüpfung an Shakespeares Theater Leitvorstellungen für eine Dramaturgie zu entwerfen, die der geschichtlichen Konstellation im deutschsprachigen Raum des ausgehenden 18. Jahrhunderts angemessen ist.155 Im Zentrum von Lenz’ Vorschlägen zur Konzeption eines entsprechenden ‚zeitgemäßen Theaters‘ steht die Forderung, dass das Hauptaugenmerk von Dramen nicht mehr der Handlung, sondern den Figuren zu gelten habe und dass die Gestaltung des Personals in Stücken der Unterschiedlichkeit, Eigenheit und Vielschichtigkeit von Charakteren Rechnung tragen müsse.156 „Was können wir dafür“, so merkt Lenz zum aristotelisch ausgerichteten Theater an, „daß wir an abgerissenen Handlungen kein Vergnügen mehr finden, sondern alt genug worden sind, ein Ganzes zu wünschen? daß wir den Menschen sehen wollen, wo jene nur das unwandelbare Schicksal und seine geheimen Einflüsse sahen.“157 Wie Lessing verlangt also auch Lenz eine Abkehr von positiv oder negativ typisierten Charakteren und eine Hinwendung zu psychologisch differenziert gezeichneten Figuren, und wie jener stützt er sich dabei auf wirkungsbezogene Überlegungen.158 Anders als in der Hamburgischen Dramaturgie geht es in den Anmerkungen übers Theater allerdings eher mittelbar um die erzieherischen Leistungen von Dramen – im Mittelpunkt der Lenz’schen Reflexionen steht nicht die Frage, wie die Moral der Zuschauer oder Leser gebessert, sondern die, wie ihr Interesse geweckt werden kann: Da ein eisernes Schicksal die Handlungen der Alten bestimmte und regierte, so konnten sie als solches interessiren, ohne davon den Grund in der menschlichen Seele aufzusuchen und sichtbar zu machen. Wir aber hassen solche Handlungen, von denen wir die Ursache nicht einsehen, und nehmen keinen Theil dran.159

In seinem Aufsatz „Ueber die Veränderung des Theaters im Shakespear“, der eine Art Seitenstück zu den Anmerkungen übers Theater bildet, verallgemeinert er diese Einschätzungen wie folgt: Das Interesse ist der grosse Hauptzweck des Dichters, dem alle übrigen untergeordnet seyn müssen – fordert dieses – fordert die Ausmahlung gewisser Karaktere, ohne welche das Inter-

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Luserkes These, dass es Lenz in den betreffenden Passagen eigentlich um die Kritik Lessing’scher Positionen geht, erscheint – vorsichtig gesprochen – recht unplausibel, vgl. Matthias Luserke, Jakob Michael Reinhold Lenz: Der Hofmeister – Der neue Menoza – Die Soldaten, München 1993, 29 oder auch Lenz-Studien, 91. Zur gegenteiligen Auffassung vgl. etwa Georg-Michael Schulz, Lenz, 258f. – Zu Lessings Sicht der Lenz’schen Positionen, vgl. Gerhard Sauder, „Lenz’ eigenwillige Anmerkungen“, 64. Vgl. zu Shakespeares Bedeutung für das Lenz’sche Werk Rüdiger Zymner, „Shakespeare und Lenz“, Hans-Günther Schwarz, „Lenz und Shakespeare“, in Jahrbuch der deutschen Shakespearegesellschaft (1971), 85–96 sowie Eva Maria Inbar, Shakespeare in Deutschland: Der Fall Lenz, Tübingen 1982. Lenz selbst spricht von der „Mannigfaltigkeit der Charaktere und Psychologien“ (AT, 39). Ebd., 30. Hervorhebung von mir, T. K. S. hierzu oben 2.1. AT, 27. Hervorhebung von mir, T. K.

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esse nicht erhalten werden kann, unausbleiblich und unumgänglich Veränderung der Zeit und des Orts, so kann und muß ihm Zeit und Ort aufgeopfert werden […].160

Dass Lenz in seiner Beschäftigung mit der Wirkung von Dramen vor allem nach dem Interesse der Zuschauer fragt, liegt nicht daran, dass er dem Ziel theatralischer Moralisierung weniger Relevanz zumisst als die Vertreter der Aufklärung von Gottsched bis zu Lessing. Es erklärt sich vielmehr daraus, dass er von der Geschichtlichkeit des Theaters und der Vielfältigkeit des Theaterpublikums ausgeht und darum die Aufgabe der Rezipientenerziehung im Wesentlichen als Vermittlungsproblem begreift.161 Für Lenz gibt es keinen wesentlichen Unterschied zwischen der Frage, wie es Dramen gelingen kann, auf Rezipienten erzieherisch zu wirken, und derjenigen, wie es ihnen gelingen kann, überhaupt zu wirken. Ihm zufolge wird jedes Stück, das die Zuschauer und Leser einer Zeit in ihrer Unterschiedlichkeit erreicht, zugleich eines sein, das sie auch erzieht – denn ein entsprechendes Werk vermittelt den Betrachtern auf dem Weg der Anschauung Einsichten in das Wesen der Dinge und Haltungen zu Menschen und Ereignissen.162 Im Einzelnen ausgeführt hat Lenz diese Auffassungen freilich nicht in den Anmerkungen übers Theater, sondern in einem Brief an die Schriftstellerin Marie Sophie von la Roche aus dem Jahr 1775, in dem er zu ihrer Kritik an seinen Stücken Der Hofmeister, Der neue Menoza und seinen Bearbeitungen einiger Plautus-Dramen Stellung nimmt: Sie haben recht; Ihre Anmerkungen über meine Stücke habe ich mir zuweilen selbst gemacht, […]. Doch bitte ich Sie sehr, zu bedenken, gnädige Frau! daß mein Publikum das ganze Volk ist; daß ich den Pöbel so wenig ausschließen kann, als Personen von Geschmack und Erziehung, und daß der gemeine Mann mit der Häßlichkeit seiner Regungen des Lasters, nicht so bekannt ist, sondern ihm anschaulich gemacht werden muß, wo sie hinausführen. Auch sind dergleichen Sachen wirklich in der Natur; leider können sie nur in der Vorstellung nicht gefallen, und sollen’s auch nicht. Ich will aber nichts, als dem Verderbnis der Sitten entgegen arbeiten, das von den glänzenden zu den niedrigen Ständen hinab schleicht, und wogegen diese die Hülfsmittel nicht haben können, als jene.163

Lenz’ Theatertheorie lässt sich, so innovativ sie im Einzelnen sein mag, nicht als Bruch mit der aufgeklärten Dramenpoetik interpretieren;164 sie führt vielmehr die Einwände 160 161 162

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Lenz 10, 88. Hervorhebung von mir, T. K. S. zu einer anderen Variante dieser Auffassung unten 2.3.1. S. dazu oben. Zu einer eingehenden Untersuchung der ethisch-theologischen Implikationen von Lenz’ Begriff der Poesie vgl. Martin Rector, „Optische Metaphorik“. Näher führt Lenz die umrissene Überzeugung in seinen zwischen 1774 und 1775 entstandenen „Briefen über die Moralität der Leiden des jungen Werthers“ aus, auch hier macht er deutlich, dass sich die moralische Wirkung von Dichtung nach seiner Überzeugung nicht durch normative Anschauungsbeispiele, sondern durch eine authentische Wirklichkeitsdarstellung ergibt, vgl. insbes. Lenz II, 674f. S. zum Zusammenhang auch unten 2.2.2. Lenz III, 326. Vgl. dazu etwa auch Fritz Martini, „Die Einheit der Konzeption“, 171 oder Carsten Zelle, „Drei Bemerkungen“, 128f. – Zu einem ähnlichen Ergebnis gelangt Werner Rieck in Auseinandersetzung mit Lenz’ Schrift Pandämonium Germanicum aus dem Jahr 1775, vgl. W. R., „Poetologie als

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weiter, die schon in programmatischen Texten der späten Aufklärung gegen die dramaturgischen Positionen der frühen in Anschlag gebracht werden, ohne dabei jedoch deren Fundamente in Zweifel zu ziehen.165 Eine entsprechende Kontinuität zu aufgeklärten Vorstellungen lässt sich auch in den Schlussabschnitten der Anmerkungen übers Theater feststellen, in denen Lenz in zwei Schritten eine Skizze seines Verständnisses der Komödie entwirft. In der LenzForschung ist dies in aller Regel übersehen worden; sie deutet die fraglichen Passagen zumeist gerade als Beleg für die Originalität der Lenz’schen Dramenpoetik und macht in ihnen etwa die Geburtsstunde der „Situationskomödie“,166 den Abgesang auf die „Typen- und Charakterkomödie“,167 das „Programm einer modernen Tragikomödie“168 oder gar „innovative Thesen zum Komischen bzw. Tragikomischen“169 aus. Wie grundlegend Einordnungen dieser Art an den lustspielbezogenen Schlussüberlegungen der Anmerkungen übers Theater vorbeigehen, sieht man, wenn man die entsprechenden Absätze genauer betrachtet und sich vor allem den Anspruch vergegenwärtigt, der mit ihnen verbunden ist.170 Zu einem angemesseneren Verständnis der betreffenden Passagen ist es zunächst erforderlich, sich klar zu machen, dass sie in erster Linie der ‚Abrundung‘ eines Manifests dienen, in dem zwar zumeist allgemein von „Theater“ gesprochen wird, damit aber im Regelfall nur „Tragödie“ gemeint ist. Dass die Komödie erst am Ende der Schrift in den Blick kommt, erklärt sich dabei keineswegs aus Lenz’ zweifellos großer Wertschätzung der Gattung und ist folglich nicht als eine Art ‚Höhepunkt‘ der vorgetragenen Theatertheorie gedacht.171 In der späten Thematisierung des Lustspiels zeigt sich vielmehr, dass sie vor allem im Interesse dramaturgischer Vollständigkeit und einer noch

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poetisches Szenarium. Zum Pandämonium Germanicum von J. R. M. Lenz“, in Lenz-Jahrbuch 2 (1992), 78–111. Auch mit Blick auf Lenz’ Theatertheorie trifft also Gerhard Sauders Einordnung des Sturm und Drang als ‚Dynamisierung und Binnenkritik der Aufklärung‘ zu, vgl. dazu Matthias Luserke, LenzStudien, 51. Ebenfalls einleuchtend erscheint Luserkes Vorschlag, Lenz und die Dichtung des Sturm und Drang insgesamt als „leidenschaftlich aufgeklärt“ zu verstehen, vgl. insbes. Matthias Luserke, Lenz, Kap 1. – Vgl. zum Zusammenhang allgemein Christoph Siegrist, „Aufklärung und Sturm und Drang: Gegeneinander oder Nebeneinander?“, in Sturm und Drang. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch, hg. v. Walter Hinck, Kronberg/Ts. 1978, 1–13. Karl S. Guthke, „Lenzens Hofmeister und Soldaten. Ein neuer Formtypus in der Geschichte des deutschen Dramas“, in Wirkendes Wort 9 (1957), 274–286, 279. Fritz Martini, „Die Einheit der Konzeption“, 178. Matthias Luserke, Sturm und Drang, 274. Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 95. Vgl. dazu wegweisend: Ulrich Profitlich, „Zur Deutung von J. M. R. Lenz’ Komödientheorie“, in DVjs 72 (1998), 411–432. Diese Vermutung findet sich etwa bei Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 111 oder Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 97. – Vgl. zum Zusammenhang auch die plausible These in GeorgMichael Schulz, Lenz, 263: „Auf eine Gegenüberstellung von Komödie und Tragödie ist Lenz zunächst wohl gar nicht aus gewesen“.

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markanteren Bestimmung der zuvor umrissenen Konzeption des Trauerspiels erfolgt. Nicht zufällig setzt der Absatz, in dem Lenz erstmals auf das Lustspiel zu sprechen kommt, mit der folgenden Erläuterung ein: „Damit wir nun […] die Gränzen unsers Trauerspiels richtiger abstecken, als bisher geschehen, so müssen wir von einem anderen Punkt ausgehen, als Aristoteles“.172 Und Lenz’ erste Annäherungen an die Komödie zeugen denn auch eher von dem Bemühen um eine „pointierte Antithese“173 zu seinem Verständnis der Tragödie als von dem Bedürfnis nach einer eigenständigen Charakterisierung der Gattung: „Die Hauptempfindung der Komödie ist immer die Begebenheit, die Hauptempfindung in der Tragödie ist die Person, die Schöpfer [!] ihrer Begebenheit.“174 Die zentrale Voraussetzung für eine adäquate Deutung und Einordnung der Komödienreflexionen in den Anmerkungen übers Theater dürfte jedoch in der Einsicht bestehen, dass jene keine präskriptiven Vorgaben entwickeln, sondern eine explikative Bestandsaufnahme liefern. Lenz legt es hier gar nicht darauf an, ein eigenes Programm des Lustspiels zu entwerfen, und er hält deshalb, so hat Profitlich treffend bemerkt, „kein Plädoyer für einen Komödientypus (‚Begebenheitskomödie‘) und gegen einen anderen“.175 In den Schlussabschnitten seiner Schrift bemüht er sich stattdessen, nachzuvollziehen und zusammenzufassen, was gemeinhin – und darum vernünftigerweise – in Rede steht, wenn von einem „Lustspiel“ gesprochen wird.176 Zum Ausgangspunkt nimmt Lenz in diesem Sinne nicht Aristoteles oder einen anderen kanonischen Dramentheoretiker, sondern den „Volksgeschmack“: Und da find ich, daß er beym Trauerspiele oder Staatsaktion […] immer drauf losstürmt (die Aesthetiker mögens hören wollen oder nicht) das ist ein Kerl! das sind Kerls! bey der Komödie aber ists ein anders. Bey der geringfügigsten drollichten, possirlichen unerwarteten Begebenheit rufen die Blaffer mit seitwärts verkehrtem Kopf: Komödie! Das ist eine Komödie! ächzen die alten Frauen.177

Der Anspruch, das tatsächlich vorherrschende Verständnis der Gattung Komödie zu bestimmen, liegt auch der berühmt-berüchtigten einzigen Passage der Anmerkungen übers Theater zugrunde, in der sich Lenz näher zum Lustspiel äußert:

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AT, 51. Ulrich Profitlich, „Zur Deutung“, 422. AT, 52. Gemeint ist hier vermutlich ,Schöpferin ihrer Begebenheit‘. Ulrich Profitlich, „Zur Deutung“, 422. Hervorhebungen im Original. Dieses Vorgehen wird hier mit Bedacht als ‚explikative Bestandsaufnahme‘ verstanden, weil es neben den häufiger bemerkten empirischen Bestandteilen offenkundig auch normative enthält, was freilich zumeist verkannt wird, vgl. dazu neben Ulrich Profitlich, „Zur Deutung“ etwa Holger A. Pausch, „Zur Widersprüchlichkeit in der Lenzschen ‚Dramaturgie‘. Eine Untersuchung der Anmerkungen übers Theater“, in Maske und Kothurn 17 (1971), 97–108 oder Thorsten Unger, Handeln im Drama. Theorie und Praxis bei J. Chr. Gottsched und J. M. R. Lenz, Göttingen 1993. – Zum Verfahren der Explikation s. oben 1.2.2. AT, 52.

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Meiner Meynung nach wäre immer der Hauptgedanke einer Komödie eine Sache, einer Tragödie eine Person. Eine Misheurath, ein Fündling, irgend eine Grille eines seltsamen Kopfs (die Person darf uns weiter nicht bekannt seyn, als in so fern ihr Charakter diese Grille, diese Meynung, selbst dieses System veranlaßt haben kann: wir verlangen hier nicht die ganze Person zu kennen.) […] Die Personen sind für die Handlungen da – für die artigen Erfolge, Wirkungen, Gegenwirkungen, ein Kreiß herumgezogen, der sich um eine Hauptidee dreht – und es ist eine Komödie. Ja warlich, denn was soll sonst Komödie in der Welt seyn? Fragen Sie sich und andere! Im Trauerspiele aber sind die Handlungen um der Person willen da – sie stehen also nicht in meiner Gewalt […], sondern sie stehen bey der Person, die ich darstelle. In der Komödie aber gehe ich von den Handlungen aus, und lasse Personen Theil dran nehmen welche ich will. Eine Komödie ohne Personen intereßirt nicht, eine Tragödie ohne Personen ist ein Widerspruch.178

Dass es sich auch im Fall dieser vielzitierten Überlegungen um eine explikative Stellungnahme handelt, mag nicht ganz so offensichtlich sein wie in dem der oben angeführten begriffsanalytischen Anmerkungen zum ‚Volksgeschmack‘, es ist ihnen jedoch ohne großen interpretativen Aufwand zu entnehmen: Lenz leitet seine Hinweise zwar mit der Formel „Meiner Meynung nach“ ein, gibt aber schon durch Wendungen wie „wäre immer“, „wir verlangen“ oder „Fragen Sie sich und andere“ zu erkennen, dass es ihm hier um die Erläuterung und Klärung eines Lustspielbegriffs geht, der auf allgemeine Zustimmung hoffen kann. Deutlich wird dies freilich nicht allein auf sprachlicher, sondern gerade auch auf inhaltlicher Ebene: Mit seiner These, dass der Kern von Lustspielen stets in einer „Sache“ zu sehen ist, liefert Lenz eine Charakterisierung der Gattung, die nur der Form nach neu ist – dem Inhalt nach handelt es sich bei ihr um eine verallgemeinernde Zusammenfassung verbreiteter Vorstellungen.179 Dies machen insbesondere die angeführten Beispiele für das deutlich, was genau „Sache“ eines Lustspiels sein kann („eine Misheurath, ein Fündling, irgend eine Grille eines seltsamen Kopfs“) – denn hinter ihnen verbergen sich, wie Profitlich überzeugend gezeigt hat, einflussreiche Komödienformen, für die Lenz mit seinem Vorschlag gleichsam den größten gemeinsamen Nenner aufzuzeigen versucht: Die „Grille eines seltsamen Kopfs“ ist offenbar das, was in einem Großteil der sog. Charakterkomödie (bzw. Typenkomödie) thematisiert wird. […] Den Typus „Findling“ dagegen, der Schicksale verlorengegangener Familienmitglieder bis zur Wiedervereinigung thematisiert, repräsentiert ein Großteil der hellenistisch-römischen Komödie und ihre Nachbildungen. […] „Mißheirat“ schließlich läßt sich generalisieren als ‚verfehlte soziale Beziehungen‘. Man mag zuerst an Molières Georges Dandin denken, doch auch wichtige von Shakespeares Komödien gehören hierhin.180

Die Anmerkungen über das Lustspiel am Ende der Anmerkungen übers Theater sind kurzum kein grundlegender Gegenentwurf zu den Verständnissen des Lustspiels, die in 178 179 180

Ebd., 54f. Kursivierungen im Original gesperrt gedruckt. Anders gesagt: Lenz versucht nicht, eine neuartige Bestimmung des Lustspiels zu entwickeln, es geht ihm darum, eine neuartige Sicht auf altbekannte Bestimmungen zu vermitteln. Ulrich Profitlich, „Zur Deutung“, 413.

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den Poetiken der Aufklärung zu finden sind. Lenz’ Thesen mögen durch einige formelhafte Zuspitzungen einen anderen Eindruck nahe legen, erweisen sich bei genauerer Betrachtung aber als Erläuterung eines integrativen Begriffs des Lustspiels, der die aufgeklärte Tradition der Typen- und Charakterkomödie als eine übliche Genrevariante ausdrücklich einbezieht.181 Und so wenig Lenz am Schluss seines Manifests einen Bruch mit herkömmlichen Komödienkonzeptionen vollzieht, so wenig nimmt er dort die Ideen zu einer Verbindung des Komischen mit dem Tragischen vorweg, die seinen Lustspielen der Zeit wie etwa dem Drama Der Hofmeister ganz offenkundig zugrunde liegen. Die Lenz’schen Reflexionen, die sich ausdrücklich nur der allgemeinen Bauweise von Lustspielen widmen, lassen zweifellos einige Rückschlüsse auf die vorausgesetzte mögliche Wirkungsweise von Komödien zu; vom Tragikomischen oder von der Tragikomödie ist hier jedoch auch zwischen den Zeilen nicht die Rede.182 Zu entnehmen ist der Passage in wirkungsbezogener Perspektive nur, dass Komödien es gemeinhin ebenso auf komische wie auf erzieherische Effekte anlegen und auch anlegen sollten: Ersteres zeigt sich in den Kommentaren zu den „Sachen“ bzw. „Begebenheiten“, die in Lustspielen im Zentrum stehen; bei ihnen handelt es sich offenkundig stets um ‚komische Sachen‘ oder ‚komische Begebenheiten‘.183 Letzteres deutet sich vor allem in Bemerkungen wie „Eine Komödie ohne Personen intereßirt nicht“ an, in denen Lenz’ Überzeugung zum Ausdruck kommt, dass Stücke, die Interesse wecken, notwendig der Moralisierung von Zuschauern und Lesern dienen.184 Für die umrissene Interpretation der Schlussabsätze von Lenz’ Manifest spricht freilich nicht allein der Text selbst, sondern auch sein zweiter berühmter Beitrag zur Poetik der Komödie – die „Recension des Neuen Menoza, vom Verfasser selbst aufgesetzt“, die er 1775 aus Anlass der Reaktionen auf sein Lustspiel Der neue Menoza veröffentlicht.185 In diesem Text nämlich stellt Lenz Überlegungen zur Komödie an, zu ihrem Wesen und ihren Zielen, die entbehrlich gewesen oder zumindest anders ausgefallen wären, wenn er in seinen Anmerkungen übers Theater tatsächlich die Theorie des Lustspiels entworfen hätte, die ihnen oft entnommen wird.186 Die „Recension des Neuen Menoza“ liefert keine Erläuterung, Weiterentwicklung oder Neufassung der Positionen, die Lenz in seiner Schrift von 1774 einnimmt187 – bei ihr handelt es sich um einen Text 181 182 183 184 185

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Vgl. zur gegenteiligen Auffassung beispielsweise Matthias Luserke, Lenz, 36 oder Thorsten Unger, Handeln im Drama, 177f. Die Gegenposition findet sich beispielsweise in Matthias Luserke, Lenz, 27–29, Sturm und Drang, 247f. oder Lenz-Studien, 90f. und Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 95f. Vgl. insbes. AT, 52–54. S. dazu oben. Vgl. hierzu etwa die Rezeptionsdokumente in Peter Müller (Hg.), Jakob Michael Reinhold Lenz im Urteil dreier Jahrhunderte. Texte der Rezeption von Werk und Persönlichkeit; 18.–20. Jahrhundert, 3 Bde., Bern 1995, Bd. 1: 18. Jahrhundert, 87–102. Zu Beispielen s. oben. Dies wird in der Regel anders gesehen, vgl. dazu zuletzt Christoph Jürgensen/Ingo Irsigler, Sturm und Drang, Göttingen 2010, 88.

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mit grundlegend anderer Ausrichtung und anderem Anspruch, sie umreißt tatsächlich programmatische Thesen zum Verständnis des Lustspiels. Ganz entsprechend kündigt Lenz seine Überlegungen als Hinweise an, die er bisher schuldig geblieben ist, und macht dabei überdies deutlich, dass ihnen nicht allein im Hinblick auf das Stück Der neue Menoza Bedeutung zukommt: Vorzüglich […] seh ich mich gedrungen neuauftretende Dramenschreiber in den Standpunkt zu stellen, aus dem sie meine bisherigen Arbeiten fürs Theater anzusehen haben, damit sie nicht etwa glauben, ich habe mich von den Einflüssen eines glücklichen oder unglücklichen Ohngefehrs blindlings regieren lassen, nieder zu schreiben was mir in die Feder kam.188

Was Lenz in der Folge als seinen „Standpunkt“ entwickelt, ist eine weitere, ausgesprochen originelle Möglichkeit, die allgemeine Idee der Komödie, die in den Anmerkungen übers Theater herausgearbeitet wird, konkret umzusetzen. Er regt in Abgrenzung von traditionellen Bestimmungen an, die Gattung nicht formal oder funktional, sondern adressatenbezogen zu definieren, und zwar wie folgt: „Ich nenne durchaus Komödie nicht eine Vorstellung die blos Lachen erregt, sondern eine Vorstellung die für jederman ist“.189 Mag diesen Vorschlag auch prima facie nichts mehr mit der im 18. Jahrhundert vorherrschenden Idee verbinden, dass das Lustspiel durch Komik der Moralisierung der Zuschauer zu dienen habe, so zeigt doch der Fortgang der Lenz’schen Argumentation im Anschluss an seine Gattungsbestimmung, dass er diese Auffassung in seinem Modell nicht preisgibt, sondern bloß in einen weiteren Kontext stellt. Er geht durchaus noch davon aus, dass das Lustspiel der Moralisierung der Zuschauer zu dienen habe, nimmt zugleich aber an, dass dazu nicht unbedingt der Einsatz von Komik notwendig ist: Tragödie ist nur für den ernsthaftern Theil des Publikums, der Helden der Vorzeit in ihrem Licht anzusehn und ihren Werth auszumessen im Stande ist. So waren die griechischen Tragödien Verewigung merkwürdiger Personen ihres Vaterlandes […]; so waren die Tragödien Schackespears wahre Darstellungen aus den Geschichten älterer und neuerer Nationen. Die Komödien jener aber waren für das Volk, und der Unterscheid von Lachen und Weinen war nur eine Erfindung späterer Kunstrichter, die nicht einsahen, warum der gröbere Theil des Volks geneigter zum Lachen als zum Weinen seyn, und je näher es dem Stande der Wildheit oder dem Hervorgehn aus demselbigen, destomehr sich seine Komödien dem Komischen nähern musten. Daher der Unterschied unter der alten und neuen Komödie, daher die Nothwendigkeit der französischen weinerlichen Dramen, die alle Spöttereyen nicht hinwegräsonniren können, und die nur mit der totalen Verderbnis der Sitten ganz fallen werden.190

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Lenz 4, 149. Lenz 4, 155. Hervorhebung von mir, T. K. Auf namhafte Vorläufer eines entsprechenden Lustspielverständnisses wie Aristophanes, Plautus und Dante wird in Roger Bauer, „Die Komödientheorie von Jakob Michael Reinhold Lenz, die älteren Plautus-Kommentare und das Problem der ‚dritten‘ Gattung“, in Aspekte der Goethezeit, hg. v. Stanley A. Corngold, Michael Curschmann u. Theodore J. Ziolkowski, Göttingen 1977, 11–37 und Carsten Zelle, „Drei Bemerkungen“ hingewiesen. Lenz 4, 155.

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Wie in Lenz’ Theorie des Dramas so lassen sich auch in seiner Konzeption der Komödie eine transhistorische und eine historische Komponente unterscheiden: Zeitunabhängig gilt ihm zufolge, dass das Lustspiel das Ziel zu verfolgen hat, die Zuschauer in ihrer Unterschiedlichkeit zu erreichen und zu erziehen; zeitabhängig bleibt für ihn zu klären, wie diese Aufgabe erfüllt werden kann, ob also etwa der Einsatz von Komik erforderlich oder entbehrlich ist.191 Wie eine Komödie gebaut sein sollte, die dem Anspruch, „für jederman“ zu sein, im deutschsprachigen Raum der 1770er Jahre Genüge tun möchte, das umreißt Lenz am Ende der angeführten Abschnitte seiner Selbstrezension, wobei er noch einmal an die in seinen Augen wesentliche Aufgabe des Lustspiels erinnert – an die Erziehung der Zuschauer zur Ernsthaftigkeit und damit nicht zuletzt zur Würdigung von Tragödien192: Komödie ist Gemählde der menschlichen Gesellschaft, und wenn die ernsthaft wird, kann das Gemählde nicht lachend werden. […] Daher müssen unsere deutschen Komödienschreiber komisch und tragisch zugleich schreiben, weil das Volk, für das sie schreiben, oder doch wenigstens schreiben sollten, ein solcher Mischmasch von Kultur und Rohigkeit, Sittigkeit und Wildheit ist. So erschaft der komische Dichter dem Tragischen sein Publikum.193

Die Komödienpoetik, die in der „Recension des Neuen Menoza“ entworfen wird, läuft auf den Vorschlag hinaus, mit dem Aufklärungsvorhaben der Einrichtung eines ‚Nationaltheaters‘ im Medium des Lustspiels Ernst zu machen.194 Lenz will die Komödie als eine Bühnengattung verstanden wissen, die tatsächlich „für jederman“ ist und unter Umständen also die Ungebildeten und ‚Wilden‘ ebenso zu erreichen und zu erziehen vermag wie die Gebildeten und ‚Ernsthaften‘. Im Zuge der Ausarbeitung dieser Idee gelangt er zu einem Gattungsverständnis, das sich zumindest in einer Hinsicht von den meisten aufgeklärten Lustspielbestimmungen abhebt: In den Lenz’schen Reflexionen spielt die Idee komödienkonstitutiver Komikformen keine Rolle mehr – denn sie sehen die Möglichkeit einer Komödie ohne Komik vor.195 Gleichwohl ist Lenz’ Komödienpoetik nicht als Beitrag zur Liberalisierung der Komiknutzung im Lustspiel zu ver-

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S. dazu auch oben. Vgl. zum Zusammenhang auch Fritz Martini, „Die Einheit der Konzeption“, 176f., Ulrich Profitlich, „Zur Deutung“, 428–431, Georg-Michael Schulz, Lenz, 264 oder Christian Neuhuber, Das Lustspiel macht Ernst, 124f. Lenz 4, 155. Vgl. zum Nationaltheaterprojekt mit Hinweisen auf weitere Literatur insbes. Reinhart Meyer, „Von der Wanderbühne“, Roger Bauer/Jürgen Wertheimer (Hg.), Das Ende des Stegreifspiels oder Karl Eibl, Die Entstehung der Poesie. Vgl. zur Tradition einer solchen Auffassung Christian Neuhuber, Das Lustspiel macht Ernst und Ulrich Profitlich, „Komödien-Konzeptionen“. – Es ist Lenz’ Einlassungen nicht zu entnehmen, ob und gegebenenfalls wie eine entsprechende Komödie noch von einer Tragödie zu unterscheiden ist. – Offen bleiben kann hier ferner, ob es sinnvoll ist, die Lenz’sche Theorie der Komödie als Programm der Tragikomödie einzustufen, vgl. dazu etwa schon die gegenteiligen Auffassungen in Karl S. Guthke, Poetik der Tragikomödie, 51f. und Helmut Arntzen, Die ernste Komödie, 84f.

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stehen, die sich im 18. Jahrhundert beobachten lässt;196 sie gibt zwar die Vorstellung komödienkonstutiver Komikformen preis, hält aber an der Unterscheidung zwischen komödienlegitimen und komödienillegitimen Komikformen fest: Wieviel und welche Komik in einem Lustspiel erforderlich und zugleich erlaubt ist, darüber entscheiden die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen und auf die das betreffende Stück wirken soll.

2.2.2 Komisches: Der Hofmeister Einen engen Zusammenhang zwischen Lenz’ Poetik des Dramas und seinem Drama Der Hofmeister anzunehmen, liegt aus zwei Gründen ausgesprochen nahe. Für eine solche Vermutung spricht zum einen, dass die betrachteten theatertheoretischen Überlegungen und das zu betrachtende Theaterstück zur selben Zeit entworfen und für den Druck überarbeitet worden sind: Wie im Fall der Anmerkungen übers Theater entsteht eine erste Textversion im Fall des Hofmeister zwischen 1771 und 1772, und wie das Manifest nimmt sich Lenz auch die Komödie 1774 für die Veröffentlichung im gleichen Jahr noch einmal vor197 – zu einem Zeitpunkt also, zu dem er auch den Gegenstand seiner „Selbstrecension“, das Stück Der neue Menoza, fertigstellt und in den Druck gibt.198 Auf einen weiter gehenden Zusammenhang zwischen Dramenpoetik und Drama lässt zum anderen aber auch die Änderung des Gattungsvermerks schließen, die Lenz für die Publikation des Hofmeister-Stücks vornimmt: Stuft er das Drama in der Handschrift von 1771/72 noch als „Lust- und Trauerspiel“ ein, veröffentlicht er eine nicht unerheblich überarbeitete Version des Stücks 1774 mit der Gattungsangabe „Komödie“.199 Es erscheint nicht sonderlich gewagt, dies als Konsequenz der schrittweisen Neufassung des Lustspielbegiffs zu sehen, die in Lenz’ Stellungnahmen zur Kömodienpoetik zu beobachten ist.200 Mit diesen Hinweisen ist freilich noch nicht gesagt, dass Lenz in seiner Selbstrezension, wie er behauptet, nachträglich den „Standpunkt“ erläutert, der für sein Komödienschaffen der frühen 1770er Jahre insgesamt leitend gewesen ist – ob dies tatsächlich zutrifft, soll nun durch eine Analyse der Komiknutzung im Hofmeister geklärt werden. Die Untersuchung zielt zwar nicht auf eine umfassende Interpretation des Lustspiels; mit ihr ist aber durchaus der Anspruch verbunden, einige wesentliche Aspekte des Lenz’schen Stücks zu beleuchten und so ein paar Fixpunkte für die Auseinander-

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S. zu zwei Stationen dieser Emntwicklung 2.1 und 2.3. Zur Entstehung von Der Hofmeister vgl. Georg-Michael Schulz, Lenz, 69. Zur Entstehung von Der neue Menoza vgl. Matthias Luserke, Lenz, 55. Vgl. ebd., 36. S. hierzu oben 2.2.1. – Vgl. zu Lenz’ uneinheitlicher Einordnung seiner ‚Komödien‘ allerdings auch die Synopse in Carsten Zelle, „Drei Bemerkungen“, 140–142.

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setzungen um dessen Interpretation zu bestimmen, die in ihrer Unübersichtlichkeit den Debatten um die Deutung von Lessings Minna von Barnhelm nicht nachstehen.201 Lachhaftes und Ernsthaftes zum Ersten: Karikaturen statt Typen Weiß man um Lenz’ grundsätzliche Ablehnung des sächsischen Typenlustspiels,202 hat man Schwierigkeiten, den Anfang des Hofmeister-Dramas ohne Verwunderung zu lesen.203 Die Eröffnung des Geschehens, die Einführung der leitenden Fragestellungen, die Gestaltung der Charaktere und auch die ersten Umrisse der Figurenkonstellation scheinen deutlich anzuzeigen, dass das Stück eine bestimmte Tradition der Typenkomödie fortführt – nämlich die der aufgeklärten ‚Berufssatire‘.204 Vom Beginn eines Lustspiels in der Nachfolge Gottscheds hebt sich der Anfang von Der Hofmeister offenbar nur dadurch ab, dass hier gleich mehrere Figuren unterschiedlicher gesellschaftlicher Stellung auftreten, die allesamt mehr oder weniger markante komische Ungereimtheiten in ihrem Charakter aufzuweisen scheinen: Neben dem Hofmeister Läuffer, der sich gleich im Eingangsauftritt selbst als Inbegriff charakterlicher Unausgewogenheit entlarvt, begegnen dem Zuschauer oder Leser in den sechs kurzen Szenen des ersten Aktes etwa noch der sich capitanohaft gebährdende Major von Berg, seine dünkelhafte Frau und ihre lesesüchtige Tochter Gustchen, deren Dasein in der Inszenierung von Romanlektüren besteht.205 Der Eindruck, Lenz habe sich in der Praxis über die Vorgaben der eigenen Theorie hinweggesetzt, trügt jedoch. Wie der Fortgang des Hofmeister-Dramas nach dem ersten Akt schnell deutlich macht, handelt es bei den meisten der auftretenden Figuren dem ersten Augenschein zum Trotz keineswegs um Typencharaktere, die zum Verlachen Anlass geben sollen.206 Dass der Beginn des Stückes die gegenteilige These zu stützen scheint, erklärt sich daraus, dass sich Lenz bei der Zeichnung seiner Figuren einer Darstellungsform bedient, die sich auf der Grundlage kurzer Textpassagen nicht immer eindeutig vom Verfahren der Typisierung unterscheiden lässt – nämlich derjenigen der Karikatur. Die Gestaltungsweisen des Typisierens und Karikierens verbindet, dass sie auf Übertreibung beruhen und oftmals Komik erzeugen – während im Fall der Typi201

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Karl Eibl hat schon vor fast vier Jahrzehnten zu Recht festgestellt: „Das Hofmeister-Drama wurde relativ häufig interpretiert“ (K. E., „,Realismus‘ als Widerlegung“, 458). Gleichwohl sind in den vergangenen Dezennien den zahlreichen vorliegenden Deutungen viele weitere hinzugefügt worden, vgl. etwa die Übersicht bei Angela Hansen, „Der Hofmeister“ von J. M. R. Lenz. Ein Versuch einer Neuinterpretation, New York 2000, 283–302. S. dazu oben 2.2.1. Vgl. Lenz 3. Fortan zitiert unter Verwendung der Sigle „HM“. Zu einer Zusammenstellung der Textaspekte, die einen solchen Schluss nahe legen, vgl. Karl Eibl, „,Realismus‘ als Widerlegung“, 459f. Vgl. dazu HM, 5–25. Hier ist mit Bedacht von den „meisten“ Charakteren im Hofmeister-Drama die Rede, denn einige der Nebenfiguren sind ohne Zweifel als traditionelle Typencharaktere konzipiert, vgl. dazu die Hinweise in Georg-Michael Schulz, Lenz, 74f.

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sierung aber nur ein spezifischer Aspekt eines Charakters übertrieben wird, um gleichsam an dessen Stelle zu treten, wird im Fall der Karikatur das zumindest potenziell komplexe Gesamtprofil eines Charakters übertrieben und so im Ganzen kenntlich gemacht. Deutlich lässt sich dieser Unterschied insbesondere an der Figur Läuffer nachvollziehen: Die Eigenheiten des Hofmeisters werden zwar in stets zugespitzer Form zur Anschauung gebracht; die überzeichnende Präsentationsform nimmt Läuffer aber natürlich nicht seine Mehrdimensionalität, sie dient vielmehr gerade dazu, seine Eigenwilligkeit und Vielschichtigkeit zu unterstreichen.207 Am Ende der Handlung mag man als Rezipient unsicher sein, wie man diesen Hofmeister einzustufen hat, der nach der Zeugung eines Kindes mit einer Schutzbefohlenen, nach Flucht und Selbstentmannung in der Aussicht auf eine Kastratenehe überzeugt ist, nun „der glücklichste Mensch auf dem Erdboden“208 zu werden – sicher wird man allerdings sagen können, dass es sich bei ihm nicht um die Verkörperung eines allgemein oder innerhalb eines Berufstandes verbreiteten Charakterfehlers handelt.209 Wie für die Typisierung sind auch für die Karikatur Verfahren der Überteibung wesentlich; anders als bei jener dienen die entsprechenden Techniken der Akzentuierung bei dieser allerdings genau der Zielsetzung, die Lenz in seinen Reflexionen zur Poetik als Zielsetzung von Dichtung bestimmt. Karikaturen sollen durch Übertreibung das Wesentliche ihres Gegenstandes herausarbeiten, und eben darum geht es Lenz, wenn er von der Poesie verlangt, sie müsse „Sachen wie sie da sind“210 darstellen – hiermit wird nicht die Abschilderung von Menschen, Dingen und Ereignissen gefordert, sondern die Durchdringung und Erhellung ihres Wesens.211 Das Karikieren stellt kurzum eine der maßgeblichen Darstellungweisen im Rahmen von Lenz’ Poetik der Naturnachahmung dar, der es um ‚Wahrheit‘, nicht unbedingt jedoch um ‚Wahrscheinlichkeit‘ geht.212 So voraussetzungreich der Wechsel von typisierten zu karikierten Figuren poetologisch ist, so folgenreich ist er komödienpoetologisch: Durch diesen Übergang nämlich werden die Voraussetzungen für die besondere Form der Verbindung von Komik und Ernst geschaffen, die das Hofmeister-Stück prägt – die Voraussetzungen also, für 207 208 209

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Vgl. dazu insbes. Angela Hansen, Neuinterpretation, 40–44. HM, 154. Dass nicht unumstritten ist, ob Läuffer der Vater von Gustchens Kind ist, sei hier zumindest erwähnt, auch wenn von der Klärung der Vaterschaftsfrage im vorliegenden Zusammenhang nichts abhängt, vgl. zu der Auseinandersetzung die Liste der Beiträge in Bernhard Greiner, Die Komödie, 173, Fn. 60. Lenz II, 675. S. dazu oben 2.2.1. Vgl. zum Zusammenhang zwischen dem Verfahren des Karikierens und dem Projekt der Wesensschau auch Lenz 4, 152 und 5, 24. – Diesen Konnex verkennt Fritz Martini, wenn er insbesondere mit Blick auf die Form der Karikatur in Lenz’ Lustspielen feststellt: „Die authentische Abbildung der Gesellschaft erhielt dort ihre Grenze, wo die Personen der komischen oder tragischen Spielsituation unterzuordnen waren“ (Fritz Martini, „Die Einheit der Konzeption“, 179). Vgl. dazu vor allem Lenz’ Betrachtungen zu dem Drama Der tugendhafte Verbrecher, in denen er etwa notiert: „Die Geschichte ist wahr – sie war mir nicht wahrscheinlich“ (Lenz 10, 91).

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das „Mischmasch von Kultur und Rohigkeit, Sittigkeit und Wildheit“213 der Lenz’schen Lustspiele. Lachhaftes und Ernsthaftes zum Zweiten: Komisches oder Groteskes Die Darstellungsform der Karikatur ist in der Lenz-Forschung nicht unbemerkt geblieben, zumeist aber nicht als solche, sondern als ‚Groteske‘ eingestuft worden.214 Ein entsprechender Kategorisierungvorschlag ist grundsätzlich durchaus nachvollziehbar, kann er sich doch auf das in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts vorherrschende Groteske-Verständnis berufen, wie es musterhaft in Mösers wirkungsmächtiger Schrift Harlekin oder Verteidigung des Groteske-Komischen von 1761 dargelegt wird. In diesem gegen die Gottsched’sche Theaterreform gerichteten Pamphlet wird ein Zusammenhang zwischen dem Grotesken als einer Sonderform des Komischen, den Aufgaben der Literatur und dem Verfahren der Karikatur hergestellt, der zweifellos geeignet ist, einige Aspekte des Lenz’schen Hofmeister-Dramas zu erhellen: Dasjenige, was man in der Malerei Karikatur nennt und welches in einer Übertreibung der Gestalten besteht, ist eigentlich die Art, wie ich die Sitten der Menschen schildere. So nun jene Gemälde ihre eignen Regeln und Vollkommenheiten haben, ebensogut sind auch meine Gemälde der Torheiten einer eigenen Vollkommenheit fähig, ja ich getraue mich zu behaupten, daß die Karikatur, insoweit sie die schöne Natur übertreibt, in ihrer Art unvollkommener als die meinige sei, weil der moralische Mensch geschickter dazu ist als der natürliche.215

Trotz der markanten Berührungspunkte zwischen Lenz’ Stück und Mösers Überlegungen ist es jedoch nicht sinnvoll, das Hofmeister-Lustspiel als groteske Komödie im historischen Sinne zu rubrizieren. Mehr noch: Eine entsprechende Einordnung scheint eine angemessene Rekonstruktion der Bauweise des Dramas sogar erheblich zu erschweren – denn sie ignoriert die für die Anlage des Stücks grundlegende Unterscheidung zwischen komischen und unkomischen Karikaturen. Anders gesagt: Lenz’ Hofmeister lebt gerade davon, dass sich in ihm nicht allein das Groteske nach dem Verständnis der Zeitgenossen, sondern auch das Groteske nach den bestimmenden Begriffsklärungen des 20. Jahrhunderts finden lässt, also sowohl das Grotesk-Komische als auch das Gro-

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Lenz 4, 155. Vgl. dazu grundlegend Wolfgang Kayser, Das Groteske in Malerei und Dichtung, Reinbek bei Hamburg 1961 und beispielhaft – wenngleich oftmals in anderer Ausrichtung als Kayser – Dieter Liewerscheidt, „J. M. R. Lenz Der neue Menoza, eine apokalyptische Farce“, in Wirkendes Wort 33 (1983), 144–152, Bernhard Greiner, Die Komödie, 175f., Franz Lösel, „Melodrama und Groteske im dramatischen Werk von Reinhold Lenz“, in Studien zum Gesamtwerk, 202–213, Helga S. Madland, „Lenz, Aristophanes, Bachtin und ‚die verkehrte Welt‘“, in „Unaufhörlich Lenz gelesen...“ Studien zu Leben und Werk von J. M. R. Lenz, hg. v. Inge Stephan u. Hans-Gerd Winter, Stuttgart 1994, 167–180, Geog-Michael Schulz, Lenz, oder Andrea Bartl, Die deutsche Komödie. Justus Möser, Harlekin oder Verteidigung des Groteske-Komischen (1761), hg. u. mit einem Nachwort v. Dieter Borchmeyer, Neckargemünd 2000, 23.

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tesk-Unkomische.216 Die Ausrichtung am historischen Konzept der Groteske birgt darum die Gefahr, die systematische Pointe des Dramas zu verfehlen – und das bedeutet, zu verkennen, wie bei Lenz der Ernst ins Lustspiel gelangt. Karikaturen von Menschen, ihren Auffassungen, Verhaltensweisen oder Lebensbedingungen erzeugen offenkundig nicht immer komische Effekte – sie tun dies nur, sofern sie sich als harmlos wahrnehmen lassen; andernfalls wirken sie erschreckend oder zumindest verunsichernd.217 Lenz beutet diesen Umstand in seinem Hofmeister-Drama mit einigem Geschick aus: Mitunter tut er dies, indem er Lachhaftes und Ernsthaftes einfach nebeneinander stellt; zumeist verfährt er aber so, dass er das eine in das andere umschlagen lässt – und damit zugleich den fließenden Übergang zwischen dem Harmlosen und dem Erschreckenden vor Augen führt. Zur Anschauung kommt Lenz’ eigenwillige Technik, ein ‚Mischmasch‘ aus Komik und Ernst herzustellen, auf unterschiedlichen Ebenen des Hofmeister-Dramas, vor allem in der Gestaltung des Figurenverhaltens und in der Anlage der Handlungsdramaturgie.218 Viele Beispiele für den Übergang vom Komischen zum Grotesken finden sich etwa in den Repliken des Majors, ein besonders anschauliches schon in der vierten Szene des ersten Aktes, in der er den Unterricht seines Sohnes Leopold begutachtet: So recht; so lieb’ ichs; hübsch fleißig – und wenn die Kanaille nicht behalten will, Herr Läuffer, so schlagen Sie ihm das Buch auf den Kopf, daß ers Aufstehen vergißt, oder wollt’ ich sagen, so dürfen Sie mirs nur klagen. Ich will Dir den Kopf zurecht setzen, Heyduk Du! Seht da zieht er das Maul schon wieder. Bist empfindlich, wenn Dir Dein Vater was sagt? Wer soll Dirs denn sagen? Du sollst mir anders werden, oder ich will Dich peitschen, daß Dir die Eingeweide krachen sollen, Tuckmäuser! […] Den Kopf in die Höhe, Junge! (richtet ihn) Tausend Sakkerment den Kopf aus den Schultern! Oder ich zerbrech Dir Dein Rückenbein in tausendmillionen Stücken. […] Ich will Dich zu Tode hauen –219

Wie in dieser und ähnlichen Passagen das Lächerliche ins Bedrohliche und Beunruhigende umschlägt, so wandelt sich die Welt des Dramas spätestens nach dem zweiten Akt allmählich in einen Ort, an dem die Schwächen der Figuren nicht mehr folgenlos bleiben und mithin auch nicht mehr komisch erscheinen.220 An die Stelle harmloser Übertreibungen von Charakterzügen treten nun zusehends massive Missachtungen von Moralvorstellungen – von unehelichen Kindszeugungen über Gewaltausbrüche und Selbstkastrationen bis hin zu Mord- und Selbstmordversuchen. Schaut man sich den Einsatz des Grotesken im Hofmeister genauer an, bemerkt man mithin ein wesentliches Merkmal, das Lenz’ Drama mit Lessings Minna von Barnhelm verbindet: Beide Komödien bringen die Grenzen des Komischen in den Blick, indem 216 217 218 219 220

S. zu dieser Differenzierung und einer Explikationsskizze zum Begriff des ‚Grotesken‘ oben 1.5.3. S. hierzu allgemein oben 1.4.1 und 1.4.3. Zu weiteren grundlegendenVerbindungsformen von Komik und Ernst im Lustspiel s. unten 2.3.2. HM, 15f. Zum Zusammenhang von Handlungsfolgen und Komik vgl. allgemein die Hinweise in Karlheinz Stierle, „Komik der Handlung, Komik der Sprachhandlung, Komik der Komödie“, in Das Komische, 237–268.

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sie das komikbezogene Harmlosigkeitsgebot verletzen.221 Durch die Art und Weise, in der sie dies tun, unterscheiden sich das Lenz’sche und das Lessing’sche Lustspiel allerdings grundlegend voneinander: In Minna von Barnhelm werden die Grenzen des Komischen über die Evokation von Mitgefühl zur Anschauung gebracht, im Hofmeister über die Drastik der Geschehnisse und ihrer Schilderungen. Und dieser Verfahrensdifferenz entspricht ein markanter Unterschied in den Wirkungskonzeptionen der beiden Lustspiele, auch wenn es ihnen im Allgemeinen gleichermaßen um die ethische Besserung der Theaterbesucher zu tun ist: Lessings Stück legt es darauf an, eine Reflexion der Praxis moralischen Urteilens anzuregen. Lenz’ Stück zielt demgegenüber auf eine Entlarvung der Defizite moralischer Zustände – es soll, um eine Formulierung aus Mösers Pamphlet aufzugreifen, als „moralischer Hohlspiegel“222 dienen. Um die Veranschaulichung genau dieser konzeptionellen Differenzen scheint es Lenz in der oft erwähnten, aber selten erläuterten Szene im Hofmeister-Lustspiel zu gehen, in der sich eine intertextuelle Referenz auf Lessings Drama findet.223 Geschildert wird in der betreffenden Szene, wie der Student Bollwerk seine Kommilitonen Pätus und Fritz von Berg, den Neffen des Majors, zum Besuch der Aufführung einer Wandertruppe zu überreden versucht, die Minna von Barnhelm gibt; vorgeführt wird in ihr darüber hinaus allerdings noch etwas anderes – nämlich, dass dem Ernst der gesellschaftlichen Verhältnisse weder die Inszenierung des Lächerlichen noch der Appell an das Mitleid gewachsen ist, sondern einzig die Schonungslosigkeit der Groteske: BOLLWERK FRITZ BOLLWERK FRITZ FRITZ BOLLWERK PÄTUS

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[…] – Berg, kommen Sie mit in die Komödie? (zerstreut) Was? – Was für Komödie? Es ist eine Gesellschaft angekommen. – Legen Sie die Schmieralien weg. Sie können ja auf den Abend schreiben. Man giebt heute Minna von Barnhelm. O die muß ich sehen. – – (steckt seine Briefe zu sich) Armer Pätus, daß Du keinen Rock hast. – Ich lieh ihm gern einen, aber es ist hol mich der Teufel mein einziger, den ich auf dem Leib habe – (gehen ab) (allein) Geht zum Teufel mit Eurem Mitleiden! Das ärgert mich mehr als wenn man mir ins Gesicht schlüge – – Ey was mach ich mir draus (zieht seinen Schlafrock aus) Laß die Leute mich für wahnsinnig halten! Minna von Barnhelm muß ich sehen und wenn ich nackend hingehen sollte! (zieht den Wolfspelz an)224

Zu Lessings Minna von Barnhelm s. oben 2.1.2. Justus Möser, Harlekin, 25f. Vgl. zu den zumeist ausgesprochen uninformativen Hinweisen auf den betreffenden Abschnitt exemplarisch Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 101. HM, 54. Hervorhebung von mir, T. K. – Zu einer plausiblen Interpretation des Nachspiels der Szene vgl. Christian Neuhuber, Das Lustspiel macht Ernst, 126, Fn. 288.

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Lachhaftes und Ernsthaftes zum Dritten: Tragisches und Ironisches Lenz nutzt das Komische in seiner Hofmeister-Komödie offenbar ganz im Sinne seiner Komödientheorie: Es erfüllt im Rahmen des Stücks wesentlich die Aufgabe, zu gewährleisten, dass es unter den gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen wirklich ‚für jedermann‘ und also tatsächlich ein Lustspiel ist, dass es auch dem ‚gemeinen Mann‘ die ‚Häßlichkeit seiner Regungen des Lasters‘ anschaulich macht, dass es also neben den ‚glänzenden‘ auch die ‚niedrigen Stände‘ zu erreichen und damit zugleich zu erziehen vermag.225 Wie für Gottsched oder Lessing hat also auch für Lenz die Komiknutzung im Lustspiel dem Projekt der theatralischen Moralisierung der Nation zu dienen;226 anders als jene geht er dabei freilich von der Heterogenität des Publikums und das heißt von der Pluralität der Methoden aus, die zu dessen Besserung in Anschlag zu bringen sind – Lenz ist mit Möser überzeugt, dass „die Dorfgemeinde von eben dem Redner eingeschläfert“ wird, „der die Hofkapelle entzückt“.227 Die Auswirkungen dieser Überzeugung für den Einsatz des Komischen im Hofmeister-Stück sind groß: Ist Komik bei Gottsched und Lessing noch der Weg zur Besserung des Rezipienten, so ist sie bei Lenz im Wesentlichen nur noch der Köder, um einen Teil des Publikums auf jenen Weg zu locken, auf dem es freilich nicht mehr viel zu lachen gibt. Damit mag die wesentliche Aufgabe des Komischen im Hofmeister benannt sein – ein Blick auf den Schluss des Stücks zeigt freilich schnell, dass es nicht die einzige ist, ja, dass Lenz durch das Finale seines Lustspiels in bemerkenswerter Weise über seine Theorie des Lustspiels hinausgeht. Das Drama endet nicht mit der oben skizzierten Auflösung der Komödienwelt, sondern vielmehr mit deren ironischer Wiederherstellung: Durch eine bemerkenswerte Verkettung von Zufällen tritt an die Stelle der umfassenden Entzweiung im Hofmeister schließlich eine allgemeine Versöhnung, die auf eine Dreifachhochzeit hinausläuft.228 Die Ironie und damit Komik der Schlusswendung ist keine, die auf eine wie auch immer vermittelte Erziehung der ‚Rohen‘ und ‚Wilden‘ zielt – Lenz geht es bei der Gestaltung des Lustspielendes vielmehr um die Besserung der ‚Kultivierten‘ und ‚Sittigen‘. Genauer gesagt führt er durch den Schluss des HofmeisterStücks vor, wie sich der ‚gebildete Mann‘ erheitern und auf diese Weise entlasten lässt, ohne dass der ‚gemeine Mann‘ hierdurch gefährdet wird. Die Idee zu einer entspre-

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S. zu den Nachweisen für die Passagen in einfachen Anführungszeichen oben 2.2.1. S. dazu oben 2.1. Justus Möser, Harlekin, 23. Vgl. zur Ironie des Hofmeister-Endes etwa Karl Eibl, „,Realismus‘ als Widerlegung“, Claudia Albert, „Verzeihungen, Heiraten, Lotterien. Der Schluß des Lenzschen Hofmeisters“, in Wirkendes Wort 39 (1989), 63–71, Dieter Arendt, „J. M. R. Lenz: Der Hofmeister oder der kastrierte ‚pädagogische Bezug‘“, in Lenz-Jahrbuch 2 (1992), 42–77, Georg-Michael Schulz, „Das Lust- und Trauerspiel“ oder Die Dramaturgie des doppelten Schlusses. Zu einigen Dramen am Ende des 18. Jahrhunderts“, in Lessing Yearbook 23 (1991), 111–126, Andrea Bartl, Die deutsche Komödie , 99 oder Christoph Jürgensen/Ingo Irsigler, Sturm und Drang, 92.

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chenden Nutzung des Komischen hat Lenz in einer 1777 entstandenen Skizze „Abgerissenen Beobachtungen über die launigen Dichter“ umrissen: Es gibt Augenblicke, in denen durch Überladung von Geschäften die Lebensgeister ausgetrocknet sind; dieses sind die günstigen Augenblicke für den komischen Dichter. Die Welt in all ihren Torheiten, ihrer wahren Natur und Gestalt nach, ohne Schmuck und Verschönerung, zu durchschauen und zu belachen, rächet uns auf die unschuldigste Art an den Beschwerden, die sie uns verursachet, und zerstreuet alle aufsteigenden Dämpfe von Schwermut und Menschenfeindlichkeit. Man merke aber wohl, daß nur der Starke Schwache belachen darf; der Schwache läuft Gefahr, unterwegs angesteckt zu werden. Dichter dürfen das, was seiner Natur nach reizend ist, nicht häßlich darstellen, können es nicht: Doch können sie dafür sorgen, daß die, so sich ihnen überlassen, nicht Hals und Bein brechen.229

Als ein Versuch, diese Ideen umzusetzen, zeigt der Schluss der Hofmeister-Komödie an, dass sich das Komische in Lenz’ Lustspielen, auch wenn es stetig durch die Auflösung ins Groteske bedroht ist, im Satirischen zu behaupten vermag.230

2.3 Komische Effekte: Zur Komik in Kotzebues Die Indianer in England Wenn der Erfolg von Theaterstücken ausschlaggebend für ihre Beachtung in der Literaturgeschichtsschreibung wäre, dann käme den dramatischen Werken August von Kotzebues ein fester Platz in literarhistorischen Darstellungen über die Goethezeit zu. Kotzebue war vom ausgehenden 18. bis weit ins 19. Jahrhundert der meist gespielte deutschsprachige Dramatiker; für die Jahre 1795 bis 1825 waren seine Stücke gar „mit etwa 25% am Repertoire der deutschen Bühnen beteiligt“.231 Doch auch in fast allen anderen europäischen Ländern erfreuten sich seine Dramen großer Beliebtheit, ob Schweden, Portugal, Frankreich, England oder Russland – Kotzebues Werke lagen übersetzt vor

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Lenz II, 769. Vgl. zur Satirekomik im Sturm und Drang Wolfgang Stellmacher, „Die Neuentdeckung des Komischen in der Dramatik des Sturm und Drang“, in Ansichten der deutschen Klassik, hg. v. Helmut Brandt u. Manfred Beyer, Berlin/Weimar 1981, 45–73. Benno von Wiese, „Einführung“, in August von Kotzebue, Schauspiele, hg. v. Jürg Mathes, Frankfurt a.M. 1972, 7–39, 7. Vgl. zu Kotzebues Erfolg ferner Hans Schumacher, „Materialien zum Verständnis des Textes“, in August von Kotzebue, Die deutschen Kleinstädter, hg. v. E. S., Berlin 1964, 84–110, 86f., Simone Winko, „ Negativkanonisierung: August v. Kotzebue in der Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts“, in KANON MACHT KULTUR. Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildungen, hg. v. Renate von Heydebrand, Stuttgart/Weimar 1998, 341–364, 345f. und Jörg F. Meyer, Verehrt. Verdammt. Vergessen. August von Kotzebue – Werk und Wirkung, Frankfurt a.M. u.a. 2005, 9–11.

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und wurden vielfach aufgeführt.232 Nun ist Erfolg bekanntlich kein Grund für die Würdigung oder auch nur Berücksichtigung eines Autors im Rahmen von Literaturgeschichten – und dass dies so ist, zeigt sich nicht zuletzt im Umgang der Philologie mit Kotzebue und seinen Werken. Das Kotzebue’sche Œuvre hat seit seiner Entstehung nicht allein keinen Platz im Kanon der deutschen Literatur erlangt; seine wissenschaftliche Rezeption im 19. Jahrhundert liefert geradezu ein Musterbeispiel für einen Prozess, den Simone Winko als „Negativkanonisierung“ bezeichnet hat, für die „Bildung und Bewahrung negativer Muster, den Gegenbildern des Kanonischen“.233 Die Gründe dafür, dass Kotzebue und seine Dramen in der Literaturwissenschaft lange Zeit gering geschätzt und folglich vernachlässigt wurden, sind vielfältig. Sie reichen, wie schon verschiedentlich herausgearbeitet worden ist, vom Zweifel provozierenden großen Erfolg der Dramen234 über Kotzebues gespannte Beziehungen zu Zeitgenossen wie Goethe oder den Vertretern der Frühromantik235 bis zum Seichtheit suggerierenden bemerkenswerten Umfang des Œuvres.236 Im vorliegenden Kontext wird es allerdings nicht darum gehen, den verschiedenen Gründen für Kotzebues fragwürdigen Ruf im Kreis der Philologen nachzugehen; es soll vielmehr der Versuch unternommen werden, den noch immer erkennbaren Folgen seiner schlechten Reputation ein wenig entgegenzuarbeiten.237 In dieser Absicht wird in den folgenden Kapiteln ein zentraler Aspekt des Werks in exemplarischer Form untersucht werden, der trotz seiner offenkundigen Bedeutung bislang auf bemerkenswert wenig Interesse von Seiten der Literaturwissenschaft gestoßen ist – Kotzebues Konzeption der Komödie und die Rolle, die das Komische innerhalb dieser Konzeption spielt.238 Dass dieser Aspekt vor den 1970er 232 233 234 235 236

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Vgl. insbes. Doris Maurer, August von Kotzebue. Ursachen seines Erfolges, konstante Elemente der unterhaltenden Dramatik, Bonn 1979, 239–248. Vgl. hierzu Simone Winko, „Negativkanonisierung“, 343. Eine rezente Bilanz findet sich in Jörg F. Meyer, Verehrt. Verdammt, Kap. 1 und 7. Vgl. etwa Frithjof Stock, Kotzebue im literarischen Leben der Goethezeit. Polemik – Kritik – Publikum, Düsseldorf 1971. Von Wiese fasst zusammen, man sei „beim philologischen Nachrechnen“ allein der Theatertexte Koetzebues auf „bis zu 230 Stücken gekommen“ (Benno von Wiese, „Einführung“, 10). Diese Zahl scheint sogar im Vergleich mit den verschiedenen anderen viel schreibenden Theaterautoren der Zeit erstaunlich, vgl. Johannes Birgfeld/Claude D. Conter, „Das Unterhaltungsstück um 1800. Funktionsgeschichtliche und gattungstheoretische Vorüberlegungen“, in Das Unterhaltungsstück um 1800. Literaturhistorische Konfigurationen – Signaturen der Moderne, hg. v. J. B. u. C. D. C., Hannover 2007, VII–XXIV, IX. Schaut man sich den gegenwärtigen Stand der Kotzebue-Forschung näher an, ist man doch ein wenig erstaunt, in Gustav Sichelschmidts mittlerweile vier Jahrzehnte alter Geschichte der deutschen Unterhaltungsliteratur die folgende Einschätzung zu lesen: „Heute ist die Leistung des Dramatikers Kotzebue […] längst wieder aufgewertet“ (G. S., Liebe, Mord und Abenteuer. Eine Geschichte der deutschen Unterhaltungsliteratur, Berlin 1969, 115). Als beobachtungsreiche Ausnahme sind Ernst Jaeckhs freilich nicht sehr systematische Studien zu Kotzebue’s Lustspieltechnik (Stuttgart 1901) hervorzuheben. Oscar Mandels Untersuchung August von Kotzebue: The Comedy, the Man (University Park/London 1990) hilft in den hier interessierenden Fragen nicht weiter, obgleich sie sich dezidiert auf Kotzebue als Lustspielautor konzent-

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Jahren keine Beachtung gefunden hat, erscheint angesichts der allgemeinen philologischen Vernachlässigung des Kotzebue’schen Œuvres verständlich. Er ist jedoch auch im Rahmen verschiedener Untersuchungen nur ungenügend in den Blick genommen worden, die sich seither um die Wiederentdeckung von Kotzebues Werk bemüht haben. Bei einem Teil der betreffenden Arbeiten gründet dies darin, dass sie erkennbar im Kontext der Bemühungen um eine Erweiterung des Literaturbegriffs entstanden sind.239 In ihnen werden Kotzebues Werk und dessen Wirkung vor allem untersucht, um Aufschlüsse über bestimmte Varianten und Aspekte der literarischen Kommunikation zu gewinnen, die in der traditionellen Literaturwissenschaft zumeist unbeachtet bleiben. Umgekehrt heißt dies freilich auch, dass sie auf genaue Textbetrachtungen in der Regel zugunsten von Einlassungen zur Sozial- und Kulturgeschichte verzichten. Die fraglichen Untersuchungen legen es mit anderen Worten nicht auf eine Diskussion oder gar Korrektur der hergebrachten Einordnung Kotzebues an; sie suchen vielmehr zu verdeutlichen, dass er für die Literaturwissenschaft von Interesse sein könne, obgleich er ein Autor bloßer ‚Unterhaltungsliteratur‘ sei – Benno von Wiese schließt seine Einführung in eine Edition Kotzebue’scher Komödien in diesem Sinne mit der Bemerkung: „Kotzebue war gewiß kein Dichter von Rang, aber er war und bleibt ein Theaterpraktiker von Format“.240 Neben Arbeiten, die von Thesen wie dieser ausgehen, sind zumindest in den letzten Jahren einige Studie vorgelegt worden, die versuchen, Kotzebues literarische Texte differenzierter in den Blick zu nehmen.241 Dass freilich auch diese Untersuchungen seiner Idee der Komödie und seiner Nutzung des Komischen keine besondere Beachtung schenken, liegt im Wesentlichen daran, dass es ihnen stets auch um die Verteidigung Kotzebues gegen seine Kritiker zu tun ist. Sie versuchen mit anderen Worten nachzuweisen, dass es sich bei Kotzebue um einen ‚ernstzunehmenden Schriftsteller‘ handelt, und sie sehen für die Zwecke eines solchen Projekts in der Verdeutlichung der ‚sozialreflexiven Dimension‘ seiner Werke ein überzeugenderes Argument als in der Würdigung ihrer komischen Aspekte.242

239

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riert. Einige hilfreiche Hinweise zur Nutzung des Komischen bei Kotzebue finden sich in Stephan Kraft, „Identifikatorisches Verlachen – distanziertes Mitlachen. Tendenzen der populären Komödie um 1800 (Iffland – Schröder – Kotzebue – von Steigentesch – von Voß)“, in Das Unterhaltungsstück um 1800, 208–229. In diesem Zusammenhang sind neben Jürg Mathes Edition einiger Kotzebue’scher Schauspiele mit einer umfangreichen Einführung Benno von Wieses vor allem die Untersuchungen von Doris Maurer und Markus Krause zu sehen, vgl. D. M., Kotzebue und M. K., Das Trivialdrama der Goethezeit. 1780–1805. Produktion und Rezeption, Bonn 1982. – Vgl. zur Erweiterung des Literaturkonzepts den Rückblick in Simone Winko/Fotis Jannidis/Gerhard Lauer, „Geschichte und Emphase. Zur Theorie und Praxis des erweiterten Literaturbegriffs“, in Was ist Literatur? Basistexte Literaturtheorie, hg. v. Jürn Gottschalk u. Tilmann Köppe, Paderborn 2006, 123–154. Benno von Wiese, „Einführung“, 39. Vgl. dazu – mit Hinweisen auf weitere Literatur – Jörg F. Meyer, Verehrt. Verdammt. In diesem Sinne betont etwa Jörg F. Meyer, dass „gesellschaftliche Spannungen in den Kotzebueschen Stücken nicht ausklammert, sondern entgegen allen politischen und moralischen Forderungen der damaligen Gesellschaft thematisiert“ (ebd., 197) werden.

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In den folgenden Kapiteln wird nun genau dies im Zentrum stehen. Durch die Betrachtung des Komischen in den Lustspielen Kotzebues soll auch, aber natürlich nicht allein dazu beigetragen werden, eine erstaunliche Lücke der Kotzebue-Forschung zu schließen. Dass hier neben Werken der ‚Höhenkammliteratur‘ auch eines der sogenannten ‚Unterhaltungsliteratur‘ der Zeit untersucht wird, dient vor allem dem Zweck, einen zumindest beispielhaften Eindruck von den Tendenzen zu gewinnen, die das Lustspielschaffen und die Spielpläne der Theater in den Jahren um 1800 wesentlich stärker und nachhaltiger geprägt haben, als die Positionen Lessings oder die der Weimarer Klassiker.243 Auch die Auseinandersetzung mit dem Komischen bei Kotzebue ist im Wesentlichen in zwei Abschnitte untergliedert: In einem ersten Teil wird es darum gehen, die theoretischen Ideen zu Theater, Komödie und Komik zu rekonstruieren, die er begleitend zu seinem Lustspielschaffen entwickelt hat; Bezugstexte werden dabei vor allem die umfangreichen Entgegnungen sein, die Kotzebue aus Anlass verschiedener – nicht selten vernichtender – Kritikerurteile verfasste. Ein zweiter Abschnitt wird die Ausrichtung und Anlage seiner Komödien anhand seines Lustspiels Die Indianer in England erörtern. Bei dem Drama, dem ersten Lustspiel Kotzebues, handelt es sich um ein Werk, dessen Bauweise für eine große Gruppe seiner Stücke formbildend werden sollte; die Ergebnisse, die sich am Beispiel des Textes gewinnen lassen, können darum ohne Weiteres auf die anderen Komödien des Korpus übertragen werden.244

2.3.1 Konzeptionelles: Recensenten-Unfug und andere Schriften Dass Kotzebue keine Theorie des Lustspiels oder einer seiner Untergattungen vorgelegt hat, unterscheidet ihn nicht von den meisten Komödienautoren des ausgehenden 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts.245 In seinem Fall wurde dieser Umstand freilich lange grundlegend anders eingestuft als im Fall seiner Zeitgenossen, nämlich als Indiz für ein Theaterverständnis, das mit demjenigen Lessings, Goethes oder Schillers keinerlei Berührungspunkte aufweist. Das Fehlen eingehenderer dramentheoretischer Reflexionen galt als weiterer Beleg für die Angemessenheit einer Rubrizierung Kotzebues als Vertreter einer reinen ‚Effekt-Dramaturgie‘, für die eine systematische Fundierung ent-

243

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Vgl. dazu ideologiekritisch Horst Albert Glaser, Das bürgerliche Rührstück. Analekten zum Zusammenhang von Sentimentalität mit Autorität in der trivialen Dramatik Schröders, Kotzebues und anderer Autoren am Ende des 18. Jahrhundert, Stuttgart 1969, sozialhistorisch Markus Krause, Das Trivialdrama sowie aspektbezogen die Artikel in Johannes Birgfeld/Claude D. Conter (Hg.), Das Unterhaltungsstück um 1800. Vgl. zu dieser Gruppe von Kotzebue-Stücken Doris Maurer, Kotzebue, 107–147 oder Armin Gebhardt, August von Koetzebue. Theatergenie zur Goethezeit, Marburg 2003, Kap. V und VI. Natürlich auch nicht von der Mehrzahl der Lustspieldichter im 20. Jahrhundert, vgl. zu einem Überblick Ulrich Profitlich (Hg.), Komödientheorie.

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behrlich sei.246 Über die Leitideen des Kotzebue’schen Schaffens für die Bühne schien von Wiese 1972 in einem Satz alles Wesentliche gesagt zu haben: „Sein Theater wollte nur unterhalten, und darum blieb der Beifall des Publikums für ihn der alleinige Maßstab.“247 Diese Sichtweise greift zwar entschieden zu kurz, es ist aber kein Zufall, dass sie sich seit rund zwei Jahrhunderten großer Beliebtheit erfreut – denn Kotzebue hat ihr durch eine Reihe leicht misszuverstehender Bemerkungen selbst Vorschub geleistet. Zu diesen Bemerkungen sind insbesondere die häufigen skeptischen Einwände zu rechnen, in denen er den Optimismus der Aufklärung sowie dessen Ausprägungen in Drama und Dramentheorie problematisiert: Das Menschengeschlecht bleibt immer dasselbe, sein sogenanntes Fortschreiten ist eine Chimäre, ist sogar eine gottlose Einbildung, denn der Mensch ist nicht auf der Welt, um hier schon vollkommen zu werden. Die Menschennatur bleibt immer dieselbe. Was vor fünfzig und fünfhundert Jahren die Menschen beglückte, kann und wird sie auch jetzt beglücken: Liebe und Gerechtigkeit.248

Auf einer Linie mit Überlegungen dieser Art liegen verschiedene pessimistische Urteile über die Wirkungsmöglichkeiten der Bühne in moralischer Hinsicht. Gegenüber dem Grafen Brühl etwa zeigte sich Kotzebue 1815 gewiss, dass kein Theaterautor sein Publikum wird „jemals höher hinaufziehen“ können: Was hat nicht Goethe versucht! Und wie klein ist in Weimar dasjenige Publikum, welches sich in solchen Vorstellungen nicht gelangweilt hat! […] Sobald ein Schauspiel den Geist mehr beschäftigt als die Einbildungskraft, so wird es nimmermehr ein großes Publikum haben. Das Publikum nach und nach erziehen, hieße also mit anderen Worten bewirken, daß es die Vergnügungen der Einbildungskraft den Vergnügungen des Geistes unterordnete, und das kann Gott selbst nicht, so wie er die Menschen nun einmal geschaffen hat.249

Entsprechende Bemerkungen könnten den Schluss nahe legen, Kotzebue habe im Hinblick auf die Literatur und das Theater mit einer Überzeugung gebrochen, die für die deutschsprachigen Schriftsteller des gesamten 18. Jahrhunderts eigentlich unumstößlich war – mit der sakrosankten Überzeugung, dass die Bühne in Lessings Worten ‚die 246

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Die vielfach aufgegriffene Wendung ‚Effekt-Dramaturgie‘ findet sich erstmals bei Christoph Köhler, Effekt-Dramaturgie in den Theaterstücken August von Kotzebues. Eine theaterwissenschaftliche Untersuchung, Berlin 1955. – Der Vorwurf, in seinen Dramen gehe es einzig um ‚Effekte‘, ist allerdings schon bei seinen Zeitgenossen zu finden, s. dazu unten. Benno von Wiese, „Einführung“, 9. Doris Maurer liefert eine eingehende Betrachtung der Kotzebue’schen Theatertheorie, gelangt am Ende aber zum gleichen Resultat wie von Wiese, vgl. Doris Maurer, Kotzebue, 35–49. Zitiert nach Karl-Heinz Klingenberg, Iffland und Kotzebue als Dramatiker, Weimar 1962, 85. Vgl. auch August von Kotzebue, Fragmente über Recensenten-Unfug. Eine Beylage zu der Jenaer Literaturzeitung, Leipzig 1797, 135. Fortan „RU“. August von Kotzebue an den Grafen Karl von Bühl, 15.10.1815, in Curt Müller (Hg.), Ifflands Briefwechsel mit Schiller, Goethe, Kleist, Tieck und anderen Dramatikern, Leipzig 1910, 246f. Hervorhebungen im Original.

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Schule der moralischen Welt‘250 zu sein habe. Wertet man Kotzebues theoretische, programmatische und apologetische Texte indes etwas genauer aus, stellt man fest, dass der umrissene Bruch mit der traditionellen Dramenpoetik von ihm nicht einmal erwogen, geschweige denn vollzogen wird. Ebenso häufig wie die Forderung, zu unterhalten, lässt sich in seinen Reflexionen zum Theater die Zielvorgabe finden, zu belehren – ganz im Sinne der Aufklärung von Gottsched bis zu Lessing hält Kotzebue in seinen Schriften an der Horaz’schen Idee des delectare et prodesse fest.251 Musterhaft kommt dies vor allem in den zahlreichen Stellungnahmen zum Ausdruck, in denen er der Kritik entgegen tritt, seine Stücke würden zum Niedergang der Sitten beitragen.252 So schreibt er etwa in seiner umfangreichen Antikritik Fragmente über Recensenten-Unfug von 1797: Wenn man mich überzeugen könnte, daß auch nur ein einziges meines Schauspiele, [!] auch nur eine einzige sittliche Tugend herabwürdige; so würde ich aus allen meinen dramatischen Werken einen Scheiterhaufen machen. […] Was kann man von einer sittlich dichterischen Darstellung mehr verlangen, als daß sie das Laster verhüte, und, wo es bereits aufkeimte, im Keim ersticke.253

In einem Brief an seine Mutter aus demselben Jahr vergleicht Kotzebue seine Arbeit als Schriftsteller gar mit der eines „Volckslehrer[s]“, der „durch moralische Darstellungen […] nicht allein auf das deutsche Publicum, sondern […] auf das Publicum von ganz Europa“ einwirke.254 Gleichwohl sieht er sich auch zwei Jahrzehnte später noch gezwungen, gegen die hartnäckig wiederholte These vorzugehen, seinen Stücken fehle es an Moral; in seinen 1817 erschienenen „Betrachtungen über mich selbst bei Gelegenheit zweier Recensionen in der jenaischen Literatturzeitung“ merkt er an: Der einzige Vorwurf, der mich würklich schmerzt, den jeder Lump zu Markte bringt und bis zum Ekel wiederholt, wenn er mir nicht auf andere Weise schaden zu können vermeint, ist der: daß meine Schriften unsittlich seyen. Gott sey dank! ich nähre die innigste Überzeugung, die keine Recension mir jemals erschüttern wird, daß Niemand auf der Welt aus irgend Einem meiner Schauspiele die Vertheidigung einer unsittlichen Handlung schöpfen kann; daß vielmehr die meisten derselben darauf abzwecken, irgend eine Tugend einzuprägen.255

An der Rede vom ‚Einprägen einer Tugend‘ lässt sich bereits ablesen, dass Kotzebues Ideen einer moralischen Orientierung durch das Theater nicht ganz mit denjenigen zur 250 251 252 253 254 255

S. dazu oben 2.1.1. Hier ist Arntzens Einlassungen zu Kotzebue entschieden zu widersprechen, vgl. Helmut Arntzen, Die ernste Komödie, 169. Vgl. zu dieser Auseinandersetzung im Einzelnen Frithjof Stock, Kotzebue, Kap. V sowie Markus Krause, Das Trivialdrama, 137–145 und 292–312. RU, 27f. Jürg Mathes, „Kotzebues Briefe an seine Mutter“, in Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1970), 304–436, 409f. (19.3.1797). August von Kotzebue, „Betrachtungen über mich selbst bei Gelegenheit zweier Recensionen in der jenaischen Literatturzeitung“ (1817), in A. v. K., Aus August von Kotzebue’s hinterlassenen Papieren, hg. v. Paul Gotthelf Kummer, Leipzig 1821, 3–64, 10. Fortan „BS“.

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Deckung kommen, die Lessing in der Hamburgischen Dramaturgie oder Minna von Barnhelm entwickelt256 – grundsätzlich jedoch hebt sich seine Position in der betreffenden Frage nicht von der Auffassung ab, die spätestens seit Gottscheds Critischer Dichtkunst bestimmend ist.257 Dass Kotzebue, wie gesehen, immer wieder Zweifel an allzu großen Hoffnungen in das Moralisierungspotenzial des Dramas äußert, steht hierzu keineswegs im Widerspruch – denn die entsprechenden Stellungnahmen richten sich nicht gegen ein Verständnis des Theaters als Erziehungsanstalt, sondern gegen einige Varianten dieser Auffassung; ihnen liegt, anders ausgedrückt, die Überlegung zugrunde, dass derjenige, der die Bühne nutzen will, um zu unterhalten und zu belehren, der spezifischen Kommunikationssituation des Theaters Rechnung tragen sollte. Konkret gibt es für Kotzebue vor allem zwei Dinge, die Theaterautoren mit entsprechenden Wirkungsabsichten zu berücksichtigen haben – zum einen, dass Dramen nicht gelesen, sondern gesehen werden, und zum anderen, dass sie von einem ausgesprochen heterogenen Publikum gesehen werden. In seinen Fragmenten… schreibt er hierzu: Man werfe doch einen Blick auf die Zuschauer: hier ein Geschäftsmann, der Erholung, dort eine Dame, die Zerstreuung sucht; hier ein guter Bürger mit träger Fassungskraft, dort ein flüchtiger Jüngling, dessen Aufmerksamkeit schwer zu fesseln ist; hier ein Hofmann, der ein paar Stunden tödten will, dort ein Mädgen, zu dessen Kopfe der Weg nur durch das Herz führt u.s.w. Welcher von Allen, ich bitte euch, wird […] dem Verfasser dasjenige in einer Minute nachdenken, wozu Jener vielleicht eine Stunde brauchte, es hervorzubringen? – Man will unterhalten und belehrt seyn, aber ohne große Anstrengung, und nur unter der Bedingung, daß es unmerklich geschehen erlaubt man dem Volksdichter, auch die Köpfe seiner Zuhörer in Thätigkeit zu setzen. Sie dürfen gleichsam nicht gewahr werden, daß sie denken.258

So eingehend Kotzebues Überlegungen zu den besonderen Kommunikationsbedingungen von Theaterstücken vielfach sind, so umrisshaft bleiben die meisten seiner Versuche, aus ihnen Folgerungen abzuleiten, die für das Dramenschaffen als Leitlinien dienen könnten. In der Regel begnügt er sich in seinen theoretischen Texten mit dem kaum weiter ausgeführten Hinweis, dass für gelungene Dramen nicht der Appell an den ‚Geist‘, sondern die Mobilisierung der ‚Einbildungskraft‘ grundlegend sei.259 Was dies genau bedeutet, wie es einem Bühnenstück also gelingen kann, sowohl Amüsement als auch moralische Orientierung zu bieten, das wird von Kotzebue eher modellhaft veran256 257 258

259

S. dazu oben 2.1.1 und insbes. 2.1.2 Theorie und Praxis zum Dritten: Komik und Moral. Vgl. dazu bereits Horst Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung, 31f. RU, 69f. Vgl. zum Zusammenhang auch ebd. 71: „[M]an mache einen Unterschied zwischen Schauspielen für die Bühne, und Schauspielen für die Lektüre; man gestehe diesen höhere idealistische Schönheit, und jenen natürliche Anmut zu; […] man fodere [!] daher nicht von lezteren [!], daß sie allen Ansprüchen der Kritik ein Genüge leisten sollen, und man erwarte nicht von den Ersteren, daß ein gemischtes Publikum sie mit allgemeinem Beyfall aufnehmen werde.“ Beide Begriffe werden von Kotzebue offenkundig umgangssprachlich genutzt, also nicht in spezifisch terminologischer Weise, etwa in einem kantischen oder vorkantischen Sinne, vgl. dazu zum Beispiel August von Kotzebue, „Betrachtungen über mich selbst“, 30f. und 43 oder August von Kotzebue’s ausgewählte prosaische Schriften, Bd. 36, Wien 1843, 74 und 284–287.

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schaulicht als systematisch ausgelotet. Zumeist bedient er sich dazu einer um 1800 recht verbreiteten Analogie,260 er vergleicht seine Dramen mit Predigten und seine Rolle als Dramatiker mit derjenigen eines Predigers in der Kirche: Ein Dichter, wird man mir einwenden, muß sein Publikum zu sich hinaufziehen. Das mag von mancher Gattung gelten, aber wahrlich nicht vom Schauspiel. Eine zweckmäßige Predigt muß faßlich seyn für Jedermann, so auch ein zweckmäßiges Schauspiel, das so nahe mit der Predigt verwandt ist.261

Die zitierte Passage ist nicht allein instruktiv im Hinblick auf Kotzebues Vorstellungen von den potenziellen moralischen Wirkungen des Theaters; sie enthält, so lässt sich ohne Übertreibung sagen, die Quintessenz seiner Überlegungen zum Drama überhaupt. Sofern ein Stück wirken und das heißt eben unterhalten und belehren soll, muss es Kotzebue zufolge nach dem Modell einer gelungenen Kirchenansprache gebaut sein. Damit ist nicht gemeint, dass Dramen bündige didaktische Botschaften zu transportieren haben; Kotzebue bringt die Predigt als Modellfall ins Spiel, um zu verdeutlichen, worin nach seiner Einschätzung die grundlegende Gelingensbedingung von Theaterstücken besteht, in ihrer ‚Allgemeinverständlichkeit‘ oder – mit seinen Worten – in ihrer ‚Fasslichkeit‘. Allgemeinverständlich im Sinne Kotzebues wird ein Drama zweifellos auch dadurch, dass es sich vor allem auf Wissensbestände bezieht, die zu einer gegebenen Zeit als weithin bekannt gelten können. Ausschlaggebend für die Fasslichkeit eines Stücks ist ihm zufolge aber etwas anderes, und zwar, dass es nicht bloß ‚Gedanken‘, sondern ‚Bilder‘ vermittelt262 und so mit der Vorstellungskraft der Zuschauer ein geistiges Vermögen anspricht, über das nach seiner Überzeugung alle Menschen in gleichem Maße verfügen: „[D]ie Menschen besitzen seit Adam immer dieselbe Einbildungskraft“, und dieser nun verdanken „Lust- und Schauspiele [...] ihr eigentliches Leben“.263 260 261

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Vgl. hierzu Markus Krause, Das Trivialdrama, 136f. RU, 68. – Vgl. hierzu auch den Schluss von Kotzebues Bemerkungen gegenüber seiner Mutter in dem oben bereits angeführten Brief: „Ich würcke durch moralische Darstellungen […] auf das Publicum in ganz Europa. Welcher Prediger kann sich dessen rühmen? u[nd] welcher Beruf ist schöner?“ (Jürg Mathes, „Kotzebues Briefe an seine Mutter“, 410 [19.3.1797]). Und im Vorbericht zum Wiederabdruck des Schauspiels Das Kind der Liebe im Rahmen einer Werkausgabe führt er in diesem Sinne etwa aus, dass „in dem dicksten Bande Predigten nicht mehr Moral enthalten ist, als in meinen Schauspielen, die überdies nicht so langweilig sind als jene“ (August von Kotzebue, „Vorbericht zu Das Kind der Liebe“ [1810], in A. v. K., Theater, 40 Bde., Leipzig/Wien 1840– 1841, Bd. 2, 121–128, 124f.). Kotzebue führt freilich nicht im Einzelnen aus, unter welchen Bedingungen von einem Stück gesagt werden kann, dass es in diesem Sinne anschaulich und also fasslich ist. Er schlägt aber einen originellen Test vor, mit dessen Hilfe sich feststellen lässt, ob ein Drama den umrissenen Anforderungen gerecht wird: „Der Probierstein in dieser Hinsicht ist: man entkleide ein Schauspiel von seiner Form und Sprache, man fasse es in eine kurze Erzählung, und wenn auch dann noch, in solcher Skizze, die Einbildungskraft des Zuhörers ein ergreifendes Bild erfaßt, so wird dieses Schauspiel nicht untergehn“ (BS, 43). Ebd., 39.

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In Kotzebues theoretischen Texten kommt es kurzum nicht zu einer Neubestimmung der Aufgaben des Dramas; in ihnen wird vielmehr eine neuartige Interpretation des Wegs umrissen, auf dem sich die altbekannten Ziele des Theaters am besten erreichen lassen. Aus dieser Interpretation erklärt sich auch, weshalb Kotzebue der um 1800 verbreiteten Beurteilung seiner Stücke als zwar wirkungsvoll, aber nicht gehaltvoll mit Unverständnis oder sogar Verärgerung gegenübersteht: Da er das Theater als Kunst der Einbildungskraft versteht, sind für ihn Wirkung und Gehalt von Dramen unauflösbar miteinander verknüpfte Größen.264 Ausführlich verdeutlicht Kotzebue dies insbesondere in einer Passage seiner bereits erwähnten „Betrachtungen über mich selbst…“, die im Rahmen der zahlreichen späteren Charakterisierungen Kotzebues als Vertreter einer reinen ‚Effekt-Dramaturgie‘265 freilich stets unbeachtet geblieben ist: Was den Effect betrifft, so ist er eine Würkung der Einbildungskraft, folglich ein Verdienst des dramatischen Dichters. Ein Schauspiel, das keinen Effect macht, ist ein schlechtes Schauspiel. Daß ich aber auf Kosten der Wahrheit und Natur ihn hervorbringe, ist eine Behauptung, die auf Kosten der Wahrheit geschrieben ist. Alle die effectvollsten Situationen in meinen Schauspielen sind aus der Natur geschöpft. Ich behaupte sogar, daß, ohne Natur und Wahrheit, sich gar kein Effect hervorbringen lasse […].266

Anlass für Kotzebues Überlegungen zum Theater ist, das dürfte deutlich geworden sein, weniger das Interesse, die Aufgaben und Verfahrensweisen des Dramas im Allgemeinen zu erkunden, als vielmehr die Ambition, für die Ausrichtung und Anlage seiner eigenen Dramen eine Rechtfertigung zu liefern. Angesichts dieses Umstands ist es nicht überraschend, dass in den betreffenden Einlassungen keine eingehende Betrachtung zum Lustspiel und seinen wesentlichen Bestandteilen oder gar ein Bestimmungsvorschlag für den Gattungsbegriff zu finden ist.267 Wie sich bereits angedeutet hat und auch durch eine Synopse von Kotzebues verstreuten Hinweisen zur Komödie nahe gelegt wird, gibt es für das Fehlen entsprechender Überlegungen in seinen theoretischen Texten freilich noch einen weiteren Grund: Er scheint nicht zuletzt deshalb auf nähere komödienpoetische Erörterungen zu verzichten, weil er in seinem Verständnis des Lustspiels eng an fest etablierte Auffassungen anschließt. 264

265 266 267

Insofern erscheint es unangemessen, Kotzebue eine alleinige Orientierung an den Verfahren von Dramen bei weitgehendem Desinteresse an ihren Zielen zuzuschreiben, wie es etwa Ruprecht Wimmer nahe legt: Kotzebue „spürt unermüdlich hinter allgemeinen, wertneutralen Wirkungsmöglichkeiten des Theaters her, sittliche Maximen sind bei ihm eher Konsequenzen aus Gattungsund Typenzwängen, als daß sie […] das dramaturgische Verfahren zu steuern vermöchten“ (R. W., „Vehikel des Zufalls oder des Schicksals erkorenes Werkzeug. Zur Dramatik August von Kotzebues“, in Inevitabilis vis fatorum. Der Triumph des Schicksalsdramas auf der europäischen Bühne um 1800, hg. v. Roger Bauer, Michael de Graat u. Johannes von Schlebrügge, Bern u.a. 1990, 236–248, 236). S. hierzu oben. BS, 58f. Kotzebues Reflexionen sind in dieser Hinsicht freilich kein Ausnahmefall, vgl. Ulrich Profitlich, „Komödien-Konzeptionen“, 14f.

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Im Einklang mit der großen Mehrheit von Theaterautoren und -theoretikern im deutschsprachigen 18. Jahrhundert geht Kotzebue davon aus, dass sich auch das Lustspiel an die delectare et prodesse-Anforderung zu halten hat268 und also zugleich komische und moralisierende Wirkungen anstreben sollte.269 Kotzebues Festhalten am Moralisierungsanspruch des Lustspiels zeigt sich, wie gesehen, in seinen vielen Stellungnahmen zu dem vor allem gegen sein Komödienschaffen gerichteten Vorwurf, die Sitten zu verderben.270 Und seine gleichzeitige Orientierung an der Auffassung, dass Komik als wesentliches Element der Komödie anzusehen ist, kommt in verschiedenen beiläufigen Bemerkungen zum Ausdruck, beispielsweise in der nicht weiter erläuterten Feststellung, dass der „Witz“ als „Hauptbestandteil des Lustspiels“271 aufzufassen sei. Was für die Grundzüge von Kotzebues Verständnis des Lustspiels gilt, das lässt sich auch über die seines Begriffs des Lächerlichen sagen: Sie folgen der bestimmenden Auffassung des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Wie eine Zusammenschau relevanter Textpassagen deutlich macht, geht auch Kotzebue mit Blick auf das Komische von einem Inkongruenzmodell aus.272 Wenn er über das ‚Lächerliche‘, das ‚Komische‘ oder den ‚Witz‘ spricht, dann bezieht er sich mit anderen Worten stets auf ‚Ungereimtheiten‘, ‚Zweideutigkeiten‘, ‚Übertreibungen‘ oder ‚Fehler‘, die sich als Spielarten eines Missverhältnisses entweder zwischen Wirklichkeitsdeutung und Wirklichkeit oder zwischen Sein und Sollen verstehen lassen.273 Aus Kotzebues theoretisch ausgerichteten Texten mögen sich die Umrisse seiner Sicht der Aufgaben und Bestandteile der Komödie gewinnen lassen; sie klammern jedoch eine Frage vollkommen aus, deren Klärung für eine wirkliche Durchdringung und überzeugende Einordnung der Kotzebue’schen Komödienkonzeption unerlässlich ist – die Frage nämlich, wie er sich die Verbindung zwischen dem Komischen und dem Moralischen im Lustspiel genau vorstellt. Anders gesagt: Im Gegensatz zu vielen Komödientheoretikern seit Gottsched bezieht Kotzebue in der Debatte um die gebotene Nutzung des Komischen im Lustspiel keine Position; er schweigt sich dazu aus, ob er weitere Anforderungen an die Komikformen stellt, die im Komödienkontext zum Einsatz kommen, ob auch er also eine Unterscheidung zwischen komödienkonstitutiver,

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Vgl. zu dieser Kontinuität bereits Horst Steinmetz, Die Komödie der Aufklärung und zuletzt Stephan Kraft, „Identifikatorisches Verlachen“. Ganz im Sinne der Tradition unterscheidet Kotzebue bei der generischen Einordnung seiner eigenen Stücke konsequent zwischen zwei Spielarten von komischen dramatischen Werken, zwischen Lustpielen und bloßen Possenspielen, s. zu dieser Gegenüberstellung oben 2.1 und 2.2. S. dazu oben. BS, 38. S. dazu auch oben 2.1.1. Vgl. etwa August von Kotzebue, Die jüngsten Kinder meiner Launen. 2. Band, Leipzig 1794, 254, 257 und 314, Aus August von Kotzebue’s hinterlassenen Papieren, 14 und 86 oder August von Kotzebue’s ausgewählte prosaische Schriften, Wien 1843, Bd. 37: 11, 218, 230, 250 und 324 sowie Bd. 43: 25, 173 und 202.

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komödienlegitimer und komödienillegitimer Komik treffen möchte.274 Es mag nahe liegen, Kotzebues Vernachlässigung dieser Fragen nicht als Ausdruck mangelnden theoretischen Interesses, sondern als Hinweis auf die komödienpoetische These zu deuten, dass sich auf entsprechende Unterscheidungen verzichten lässt. Ob dies tatsächlich so ist, ob sich bei Kotzebue also die Liberalisierung der Komiknutzung in der Komödie fortsetzt, deren Anfänge oben in der Analyse von Lessings Minna von Barnhelm nachgezeichnet worden sind, das soll nun anhand des Lustspiels Die Indianer in England geklärt werden.

2.3.2 Komisches: Die Indianer in England Wenn man ein genaues Bild von Kotzebues Konzeption des Lustspiels gewinnen möchte, dann bietet es sich offenkundig an, dies am Beispiel seiner ersten Komödie zu tun, in Auseinandersetzung also mit dem Drama Die Indianer in England. Wie aus den vorliegenden Überblicksdarstellungen zu seinem voluminösen dramatischen Œuvre zu ersehen ist,275 schuf Kotzebue mit der 1788 geschriebenen und seit 1789 mit immensem Erfolg gespielten Komödie276 ein Werk, das für zahlreiche seiner Stücke der Folgejahrzehnte in vielerlei Hinsicht Modellcharakter haben sollte.277 Als musterhaft kann das Lustspiel nicht allein für die große Gruppe seiner komischen Dramen gelten, die er ausdrücklich als „Lustspiele“ bezeichnete und so von seinen „Schwänken“, „Burlesken“ oder „Possen“ abgrenzte. In seiner Bauweise nimmt Die Indianer in England überdies viele maßgebliche Aspekte der ebenfalls umfangreichen Menge seiner Dramen vorweg, die er selbst schlicht als „Schauspiele“ einstufte. Von einer differenzierten komik- und komödientheoretischen Analyse des Werks ist mithin eine zumindest aspektbezogene Rekonstruktion der ‚poetischen Matrix‘ zu erwarten, die einem nicht unbeträchtlichen Teil der Kotzebue’schen Dramen zugrunde liegt.278 274 275

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S. dazu oben den Vergleich der Positionen von Gottsched und Lessing in 2.1.1. Vgl. insbes. Doris Maurer, Kotzebue, Armin Gebhardt, Kotzebue und Yvonne-Patricia Alefeld, „August von Kotzebue – Das dramatische Werk“, in Kindlers Literatur-Lexikon, hg. v. Heinz Ludwig Arnold, Stuttgart/Weimar 2009, 363–366. Zur Entstehung und zum Erfolg von Die Indianer in England vgl. Jürg Mathes, „Aus den Briefen Kotzebues an seinen Verleger Kummer“, in Jahrbuch des Freien Deutschen Hochstifts (1969), 233–307, 246–248 und „Anhang“, in Schauspiele, 525–606, 546–552. – Zugrunde gelegt wird im Folgenden die Neuedition des Lustspiels von 1972; Zitate aus dieser Ausgabe werden unter Verwendung der Sigle „IE“ nachgewiesen. Yvonne-Patricia Alefeld macht in einem jüngeren Überblick über Kotzebues Dramen zunächst zwar geltend, dass die Annahme von werkübergreifender „Strukturkonsistenz“ angesichts „der Vielfalt der Einzeltexte eine unhaltbare Pauschalisierung“ (Y.-P. A., „Das dramatische Werk“, 365) darstelle, sie arbeitet in ihrer Darstellung dann aber eine Reihe recht prägnanter Parallelen zwischen einer großen Zahl von Stücken heraus. Zum Begriff der ‚poetischen Matrix‘ vgl. Karl Eibl, Kritisch-rationale Literaturwissenschaft. Grundlagen zur erklärenden Literaturgeschichte, München 1976, 78. – Die Übertragbarkeit der

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Vor einer entsprechenden Analyse scheinen im Fall von Die Indianer in England einige kurze Hinweise zur Handlung und Ausrichtung des Dramas sinnvoll zu sein. Im Zentrum des Lustspiels stehen die im Zuge des Geschehens mehr und mehr miteinander verbundenen Geschichten zweier Familien aus unterschiedlichen Kulturkreisen. Die dem höheren englischen Bürgertum zugehörige, aber kurz vor dem unverschuldeten Bankrott stehende Familie des gichtkranken Sir John Smith hat eine bei der Flucht aus Indien in Seenot geratene Familie bei sich aufgenommen, ohne zu ahnen, dass deren Oberhaupt Kaberdar der aus seiner Heimat vertriebene Herrscher der Provinz Mysore ist. Das Stück schildert nun einerseits, wie langsam ans Licht kommt, dass es sich bei Kaberdar und den Seinen nicht um eine mittellose Familie von niederem Stand, sondern um eine wohlhabende von hoher Abstammung handelt, und es beschreibt andererseits die verschiedenen Irrungen und Wirrungen, die das Zueinanderfinden der Söhne und Töchter von Smith und Kaberdar erschweren, am Ende aber nicht zu verhindern vermögen. Nachdem mehrere sich anbahnende Mesalliancen im letzten Moment abgewendet werden können, schließt die Komödie mit der Doppelhochzeit zwischen Smiths Kindern Liddy und Robert und Kaberdars Kindern Fazir und Gurli. Bereits in dieser kurzen Übersicht über den Plot von Die Indianer in England deutet sich an, dass das Stück die Variante des ‚rührenden Lustspiels‘ weiterführt, die Lessing in Minna von Barnhelm ausarbeitet279 und in Abgrenzung von der Position Christian Fürchtegott Gellerts als ‚wahres Lustspiel‘ bezeichnet: „[D]as Possenspiel will nur zum Lachen bewegen; das weinerliche Lustspiel will nur rühren; die wahre Komödie will beides“.280 Freilich gehen die konzeptionellen Parallelen zwischen Die Indianer in England und Minna von Barnhelm nicht über die gemeinsame Wirkungsabsicht hinaus, sowohl komische als auch identifikatorische Effekte zu erzielen und durch eine entsprechende Verknüpfung moralisierende Konsequenzen zu gewinnen. Kotzebue sucht dieses Ziel auf einem Weg zu erreichen, der sich von demjenigen Lessings deutlich unterscheidet, vor allem in der Nutzung des Komischen. Dies sei nun im Einzelnen verdeutlicht. Lachen und Rührung zum Ersten: Tradition und Innovation Komik ist in Die Indianer in England wie in den meisten deutschen Lustspielen des 18. Jahrhunderts vor allem Figurenkomik.281 Um Zuschauer und Leser zum Lachen zu bringen, setzt auch Kotzebue vorzugsweise auf Charaktere, deren Verhalten oder Wesen harmlose Fehler aufweist. Wie Lessing entfernt er sich dabei von den Mustern der Figurengestaltung im Typenlustspiel, indem er nicht mehr anhand einer Zentralgestalt

279 280 281

Untersuchungsergebnisse auf weitere Werke Kotzebues wird im Weiteren stillschweigend vorausgesetzt und nicht in jedem Einzelfall wieder ausdrücklich hervorgehoben. S. dazu oben 2.1.2. Lessing 3, 280. Hervorhebungen im Original. Vgl. zu den Hintergründen hierfür oben 2.1 und zu einer Ausnahme 2.2.

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einen ungereimt erscheinenden Charakterzug dem Spott preiszugeben versucht. Figurenkomik erzeugt Kotzebue durch eine ganze Reihe mehr oder weniger wichtiger Nebenfiguren wie Sir Johns Frau Mistriss Smith, ihren Sohn Samuel oder die Notare Staff und Strussel, so dass ein breites Spektrum an Charakterfehlern zur Anschauung kommt.282 Anders als Lessing löst sich Kotzebue allerdings nicht so weit von Gottscheds Ideal der Komödienfigur, dass er den Versuch unternimmt, durch einzelne Charaktere zugleich komische und identifikatorische Effekte zu evozieren. Für keine der Figuren des Stücks, die der Belustigung dienen, wird in nennenswerter Weise Empathie oder gar Sympathie geweckt. Mag es die Figurenkomik in Die Indianer in England auch nicht immer auf erbarmungsloses ‚Verlachen‘ anlegen, so beruht sie doch stets, auch wenn sie nachsichtiges ‚Belachen‘ zum Ziel hat, auf satirischer Entlarvung.283 Musterfall der komischen Kotzebue-Figur im umrissenen Sinne ist Samuel Smith. Dass es sich bei ihm um eine Gestalt handelt, die zur Umstandskrämerei und Entschlussunfähigkeit neigt, deutet sich bereits in seinem ersten Auftritt an: „Für sich. Hm! Hm! Ich habe doch wohl alles verschlossen? Seine Taschen befühlend. Das ist der Schlüssel zur Schatulle, da der zum Coffre, der zum Klavier, der zum Schrank – alles richtig!“284 In ihrem ganzen Ausmaß zeigt sich Samuels Verschrobenheit dann im Zuge des Versuchs, Kaberdas Tochter Gurli zu seiner Frau zu machen: Unterbrochen von Selbstgesprächen, in denen er sich Situationen in Frage-Antwort-Form verständlich zu machen versucht,285 gelingt es Samuel zwar, Gurli zu dem Versprechen zu bewegen, ihn zu heiraten; durch die Bestellung zweier Notare und einer Reihe weiterer Vorsichtsmaßnahmen verhindert er aber schließlich selbst, dass es zur Eheschließung kommt. Obgleich ihm die finanziellen Konsequenzen der geplanten Hochzeit mindestens ebenso verlockend erscheinen wie seine Braut, ist es ihm noch im Moment der Trauung unmöglich, seine Zögerlichkeit abzulegen: „Halt! schöne Gurli! halt noch einen Augenblick! mir wird auf einmal so ängstlich. Ist denn auch gewiß nichts vergessen? keine Klugheitsregel? keine Klausul?“286 So kommt es, dass die Trauung noch nicht vollzogen ist, als Samuels Bruder Robert von einer langen Schiffsreise heimkehrt – er macht auf Gurli gleich einen solchen Eindruck, dass sie sich entschließt, ihn und nicht Samuel zu heiraten. Als diese Entscheidung schließlich in die Tat umgesetzt wird, fügt sich Samuel mit einer Überlegung in den Gang der Dinge, die deutlich anzeigt, dass er im Verlauf der Handlung nichts gelernt hat: „Es entsteht hier billig die Frage: was wird Sir Sa282 283 284 285 286

Vgl. dazu bereits Ernst Jaeckh, Kotzebue’s Lustspieltechnik, 7 und 15–46 und mit etwas anderer Akzentsetzung Hans Schumacher, „Materialien“, 97f. Die Figur Gurli stellt in dieser und anderen Hinsichten eine Ausnahme dar, s. dazu unten 2.3.2 Lachen und Rührung zum Dritten: Affirmation oder Irritation. IE, 135. Hervorhebungen im Original. Jaeckh ist bei einer Zählung auf 31 Samuel’sche Selbstgespräche dieser Bauart gekommen, vgl. Ernst Jaeckh, Kotzebue’s Lustspieltechnik, 47. IA, 188.

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muel Smith nunmehro anfangen? Antwort: sich hängen – wenn es nämlich die Vorsicht gestattet. Ab.“287 Kotzebues Komikverwendung hebt sich von derjenigen vieler Komödienautoren des 18. Jahrhunderts allerdings nicht allein durch eine besondere Weise der Gestaltung von Figurenkomik ab; sie sticht auch dadurch hervor, dass sie ein ungewöhnlich breites Spektrum von Formen des Komischen zum Einsatz bringt. Festzustellen ist zunächst, dass Kotzebue neben lächerlichen Charakteren noch eine Reihe weiterer Ausprägungen der Komik des Dargebotenen nutzt, insbesondere die Situationskomik. Auch wenn diese Variante des Lustigen in Die Indianer in England stets eng mit der Lächerlichkeit der jeweils beteiligten Charaktere zusammenhängt, so lässt sie sich mit dieser doch offensichtlich nicht einfach verrechnen. Ein anschauliches Beispiel für die Kotzebue’sche Situationskomik findet sich in dem Auftritt, in dem die gleichermaßen eitlen Notare Staff und Strussel aufeinander treffen und beleidigt feststellen müssen, dass sie zur Abwicklung derselben Hochzeit bestellt worden sind. Die Szene setzt ein mit ihrer Begegnung vor der Tür des Hauses der Familie Smith, bei der sie sich in Höflichkeit gegenseitig zu überbieten suchen: MÄSTER STRUSSEL MÄSTER STAFF MÄSTER STRUSSEL MÄSTER STAFF MÄSTER STRUSSEL MÄSTER STAFF MÄSTER STRUSSEL MÄSTER STAFF MÄSTER STRUSSEL

Unvermutete Freude! Angenehme Überraschung! Mäster Staff auf meinem Weg anzutreffen. Mäster Strussel hier zu finden. Bitte hineinzuspazieren. Wird nicht geschehen. Muß geschehen! Muß geschehen! Bin nicht so unhöflich, weiß recht gut, daß der erste Platz unter den Rechtsgelehrten meinem würdigen Freunde Mäster Strussel gebührt. Späßchen! Späßchen! Doch wozu die Umstände unter ein paar solcher Herzensfreunde! Er zieht ihn mit sich herein.288

Nachdem den beiden Notaren aufgegangen ist, dass sie in ein und derselben Angelegenheit vor Ort sind, geht das heitere Hin-und-her der Schmeicheleien zunächst nahtlos in einen Austausch von Beleidigungen über, um schließlich fast in eine Schlägerei zu münden: MÄSTER STAFF MÄSTER STRUSSEL MÄSTER STAFF MÄSTER STRUSSEL MÄSTER STAFF

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288

Sie werden am besten tun, Herr Konfrater, wenn Sie wieder dahin gehen wo Sie hergekommen sind. Und Sie werden am besten tun, wenn Sie zum Teufel gehen! Da müßte ich Sie nach Hause begleiten. Ich würde mich schämen, mit Ihnen über die Straße zu gehen. Die Leute würden sich wundern, Sie doch auch einmal in honetter Gesellschaft zu sehen.

Ebd., 204. Hervorhebung im Original. – Vorübergehend scheint es, als würde Samuel zumindest eine Ahnung der Gründe für seine Situation gewinnen: „In welches Labyrinth habe ich mich aus lauter Vorsicht verwickelt!“ (ebd.) Diese Beobachtung bleibt jedoch ohne Konsequenzen. Ebd., 179. Hervorhebung im Original.

Komische Effekte: Kotzebue MÄSTER STRUSSEL MÄSTER STAFF

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In honetter Gesellschaft bin ich immer, wenn ich nicht in der Ihrigen bin. Herr Sie werden grob.289

In Sequenzen wie dieser, die auf die Dialogtechnik der ,Screwball Comedy‘ vorausweisen, wird die Komik einer Situation entfaltet, die sich aus der Konfrontation zweier in ihrem Charakter nahezu identischer Figuren ergibt. Zugleich leistet die Begegnung von Staff und Strussel auch einen Beitrag zur Handlungskomik in Die Indianer in England – denn mit ihr beginnt sich abzuzeichnen, dass Samuels Heiratsvorhaben gerade aufgrund der Vorkehrungen fehlschlägt, die getroffen werden, um seinen Erfolg zu gewährleisten.290 Bemerkenswert erscheint die Nutzung des Komischen in Die Indianer in England freilich nicht nur, weil sie unterschiedliche Formen der Komik des Dargebotenen einbezieht, sondern auch, weil sie verschiedene Spielarten der Komik der Darbietung in neuartiger Weise einsetzt. Sprach- und Vermittlungskomik dienen bei Kotzebue nicht mehr nur der Veranschaulichung harmloser Figurenfehler, sie treten hier vielfach auch als Komikformen eigenen Rechts auf. Deutlich zeigt sich die Emanzipation der Darbietungskomik von der Illustrationsfunktion im Hinblick auf charakterliche Inkongruenzen etwa in den Auftritten der Figur des Bootsknechts Jack. Er, ein zuverlässiger Begleiter Roberts auf dessen Handelsreisen, ist offensichtlich ein Charakter, der nicht dazu dient, einen lächerlichen Wesenszug zu veranschaulichen.291 Gleichwohl sind viele seiner Repliken komisch – und dies liegt an der Form, in der er sie vorbringt: Jack spricht eine Art ‚Seemännisch‘, er trägt seine inhaltlich zumeist eher schlichten Auffassungen stets in Begriffen der Seefahrt vor. Als sich Robert nach der Begegnung mit Gurli bei ihm erkundigt, ob es nicht zu weit gehe, dem eigenen Bruder die Frau auszuspannen, entgegnet Jack zunächst: „Ihr müsst am besten wissen, wie tief Eure Fregatte im Wasser geht“292, um kurz darauf zu einer längeren Einlassung über das Verhältnis zwischen Mann und Frau auszuholen: [E]inem Weibe ist sowenig zu trauen, als einem Wasserwirbel zur See. Anfänglich ist das Leben voll Juchhe und Heisa! aber segelt Ihr nur einmal gegen den Strom ihrer Neigungen, gleich fängt der Sturm an zu heulen aus Süden und Norden, aus Westen und Osten. Und dann bedenkt einmal Sir: jetzt regiert Ihr Euer Schiff wie es Euch beliebt, Ihr lichtet den Anker,

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Ebd., 180. Vgl. dazu Samuels Plan: „[I]ch gehe zu einem Notarius, und dann zu noch einem und bestelle sie beide auf diesen Nachmittag hieher. […] Einer könnte krank werden, ein Bein brechen, sich des Mittags betrinken, oder sonst ein Hindernis eintreten. […] Können dergleichen Geschäfte zu vorsichtig behandelt werden? Antwort: Nein“ (ebd., 167). Im Haupttext wird er als ‚treu‘ und ‚ehrlich‘ (vgl. ebd., 171 und 198) eingestuft, im Nebentext als „immer sehr ehrbar“ (ebd., 170; Hervorhebung im Original). Ebd., 196.

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wenn es Euch einfällt; Ihr steuert, wohin Ihr Lust habt; meint Ihr, wenn Ihr ein Weib an Bord nehmt, Ihr würdet das Kabeltau immer so lang und frei behalten, als bisher?293

Die Komik dieser und ähnlicher Anmerkungen Jacks ergibt sich aus der Aussichtslosigkeit des Vorhabens, das Leben im Ganzen aus einem seiner Teilbereiche zu erklären, aus den Unstimmigkeiten, die bei diesem Versuch auftreten, und den Überraschungen, die mit seiner immer wieder auch überzeugenden Umsetzung verbunden sind.294 Noch deutlicher als in Jacks Auftritten zeigt sich die relative Autonomie, die Kotzebue der Darbietungskomik zugesteht, in der Art und Weise, in der er in Die Indianer in England Formen des Sprachkomischen einsetzt. Welche Figur ein Bonmot, einen Gesprächswitz oder ein Wortspiel zu besten gibt, das erklärt sich zumeist weniger aus ihrem Charakter als vielmehr aus dem jeweiligen Dialogkontext.295 So macht etwa die wenig witzige Mistriss Smith die folgende geistreiche Bemerkung: „Der Mensch ist mit nichts in der Welt zufrieden, ausgenommen mit seinem Verstande, je weniger er hat, desto zufriedener“296, und so zeigt sich der zumeist erschöpfte Sir John in der Unterhaltung plötzlich sehr aufgeweckt: SIR JOHN MISTRISS SMITH SIR JOHN MISTRISS SMITH SIR JOHN

Aus dem Schlaf auffahrend. Auweh! Nun was gibt’s? Mein Bein. Vergessen Sie Ihr Bein: Hier ist von ganz anderen Dingen die Rede, die Sie weit näher angehn. Weit näher? Ich möchte doch wissen was mich näher anginge, als mein eigenes Bein.297

Lachen und Rührung zum Zweiten: Konjunktion statt Integration Die Betrachtung der Inszenierung von Komik in Kotzebues Die Indianer in England bestätigt die Vermutung, die durch seine Beiträge zur Theater- und Dramentheorie nahe gelegt wird: Kotzebue nimmt Abschied von der Unterscheidung zwischen komödienkonstitutiven, komödienlegitimen und komödienillegitimen Formen des Komischen. Lustspiele sind für ihn zwar Stücke, in denen Komik notwendigerweise eine wichtige Rolle spielt; es erscheint ihm aber offenkundig unnötig, die Nutzung des Komischen in 293

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Ebd., 198. – Horst Albert Glasers Einordnung der zitierten Passage als „Zote“ (H. A. G., Das bürgerliche Rührstück, 68) leuchtet wenig ein. S. zum Zusammenhang auch unten Lachen und Rührung zum Dritten: Affirmation oder Irritation. Ein Teil des Vergnügens, das Figuren wie Jack hervorrufen, dürfte mithin nicht ‚Freude am Komischen‘ sein, sondern eher das, was in der Psychologie zumeist als ‚Wohlbehagen am Gelingen‘ bezeichnet wird, vgl. dazu insbes. Thomas R. Shultz, „A Cognitive-Developmental Analysis of Humour“, in Humour and Laughter: Theory, Research and Applications, hg. v. Anthony J. Chapman u. Hugh C. Foot, London 1976, 11–36. Vgl. dazu BS, 58f., wo er ein solches Vorgehen offen eingesteht. Vgl. zum Zusammenhang auch Jörg F. Meyer, Verdammt. Verehrt, 56f. IE, 136. Ebd., 137.

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Komödien an weitere Auflagen zu binden. Anders gesagt: Im Kotzebue’schen Lustspiel muss Komik in keiner bestimmten und darf in jeder denkbaren Form zum Einsatz kommen. Aus komödienkonzeptioneller Perspektive läuft die Liberalisierung der Komikverwendung, die sich bei Kotzebue beobachten lässt, auf eine Entlastung des Komischen von Moralisierungsaufgaben hinaus. Die Figurenkomik in Die Indianer in England soll zwar zweifellos einen Beitrag zur normativen Orientierung der Zuschauer und Leser leisten; die Präsentation charakterlicher Lächerlichkeiten ist aber weder der einzige noch der maßgebliche Weg, auf dem im Rahmen des Lustspiels moralische Vorstellungen vermittelt werden. Den Erziehungsanspruch der Komödie sucht Kotzebue im Wesentlichen nicht über die belustigenden, sondern über die rührenden Elemente des Stücks einzulösen. Dies sieht man deutlich, wenn man sich einen umfassenderen Überblick über die Modellierung der Figuren und der Figurenkonstellation des Lustspiels verschafft: Wie in vielen Kotzebue-Dramen, die nach Die Indianer in England entstanden sind, ist schon hier eine Untergliederung der dramatis personae in zwei recht strikt voneinander unterschiedene Gruppen festzustellen – in solche Charaktere, die ungereimte Vorstellungen und Verhaltensweisen bloßstellen und so Belustigung hervorrufen, und solche, die musterhafte Haltungen und Handlungen veranschaulichen und dabei Anteilnahme wecken. So typisch Samuel Smith für die Vertreter der ersten Figurengruppe ist, so exemplarisch sind seine Geschwister Liddy und Robert für die der zweiten.298 Liddy Smith kümmert sich nicht allein intensiv um die Pflege ihres Gichtkranken Vaters, in Nachtarbeit bemüht sie sich überdies, die finanzielle Notlage der Familie zu lindern – eine Anstrengung, die für sie ausgesprochen erfüllend ist: „Geschwind wieder an die Arbeit! Sie zieht ein Nähzeug hervor. Es ist so süß, für einen Vater zu arbeiten, und es geht so flink von der Hand.“299 Wie weit Liddys Bereitschaft geht, für das Wohl der Familie ihre Neigungen zurückzustellen, wird deutlich, als Kaberdar sie bittet, seine Frau zu werden. In der Hoffnung, die Ihren so vor dem Ruin zu bewahren, nimmt sie den Heiratsantrag an, obgleich sie eigentlich in Kaberdas Sohn Fazir verliebt ist: Sie wischt sich die Augen. Ja diese Träne darf Liddy um Fazir weinen; aber das sei auch die letzte. – Pfui! keine romantischen Torheiten! Kaberdar ist ein braver Mann. Ihn um eines Jünglings willen verschmähen, dessen Herz ich bloß aus seinen Augen kenne; das hieße, auf der Lebensreise den Kompaß gegen einen Schmetterling vertauschen.300

Ein ähnlich musterhafter Repräsentant der Identifikationsfiguren in Die Indianer in England wie Liddy ist ihr Bruder Robert Smith. Robert ist erkennbar als Kontrastfigur zu Samuel angelegt und verkörpert mithin das, was nach Auffassung der Komödiencharaktere einen ,wahren Biedermann‘301 ausmacht – Vorurteilslosigkeit, Tatkraft und 298 299 300 301

Zum Charakter Samuel s. oben 2.3.2 Lachen und Rührung zum Ersten: Tradition und Innovation. IE, 134. Hervorhebung im Original. Ebd., 163. Hervorhebungen im Original. Vgl. etwa ebd., 190.

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Rechtschaffenheit. In diesem Sinne signalisiert Robert in Wort und Tat beharrlich, dass für ihn und sein Handeln nur moralische Überzeugungen und nicht materielle Aussichten leitend sind. Als Kaberdar ihm die Heirat mit Gurli durch den Verweis auf deren üppige Aussteuer schmackhaft zu machen versucht, entgegnet er entrüstet: „Sir, ich mache mir aus zehntausend Pfund Sterling so viel, als aus einer verfaulten Planke; und ich wollte mich auch nicht gern von meiner Frau totfüttern lassen.“302 Und als er für die Rettung Fazirs gerühmt wird und belohnt werden soll, wiegelt er verlegen ab: „Bei Gott, […] ich schäme mich; als ich den jungen Menschen da aufnahm, dacht ich weder an Dank noch an Belohnung. Ich folgt meinem Herzen, und siehe da, ich habe mir selbst einen Freund gerettet.“303 Der Grund für Kotzebues Zweiteilung des Personals seines Stücks liegt auf der Hand: Wie in Minna von Barnhelm sollen Zuschauer und Leser auch in Die Indianer in England zum Lachen gebracht und zur Anteilnahme bewogen werden; anders als dort soll dies hier jedoch nicht gleichzeitig geschehen. Im Unterschied zu den meisten der zahlreichen Autoren des 18. Jahrhunderts, die Lustspiele als komische Dramen mit erzieherischem Anspruch verstehen, versucht Kotzebue die wesentlichen Wirkungsziele des Genres im Rahmen eines konjunktiven statt in dem eines integrativen Komödienmodells zu realisieren.304 Er strebt, anders ausgedrückt, nicht eine enge Verbindung, sondern einen steten Wechsel von Lachen und Rührung, komischen Effekten und normativer Orientierung, Unterhaltung und Belehrung an.305 In dieser Absicht lässt er nacheinander und miteinander lächerliche und musterhafte Charaktere auftreten, Figuren wie Samuel, die Komik erzeugen, und Figuren wie Liddy und Robert, die der Identifikation und der Vermittlung moralischer Positionen dienen. Als Hintergrund der Kotzebue’schen Entscheidung für die skizzierte Komödienkonzeption ist zweifellos auch die bereits bei Gottsched angelegte Überlegung anzusehen, dass das Vorhaben einer Verknüpfung von Komik und Empathie die Gefahr birgt, sowohl der Belustigung als auch der Wertvermittlung durch ein Stück zu schaden.306 Angesichts der Beharrlichkeit, mit der Kotzebue an seinem Modell der rührenden Komödie nach Die Indianer in England festgehalten hat, liegt allerdings die Vermutung nahe, dass er eine konjunktive Konzeption im Hinblick auf die Umsetzung der Wir302 303 304

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Ebd., 191. Ebd., 203. Als erste deutschsprachige Stücke, denen ein entsprechendes Modell zugrunde liegt, sind Johann Christian Krügers rührende Lustspiele aus den 1840er und 1850er Jahren anzusehen, vgl. dazu am Beispiel der Komödie Der blinde Ehemann Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 47–50. Angeregt worden ist die Konzeption von Kotzebues Lustspielen vermutlich jedoch eher durch Dramen von Plautus oder Shakespeare. Dies ist in der Forschung bis heute fast ausnahmslos übersehen worden, wie sich etwa daran zeigt, dass im Hinblick auf Kotzebues Lust- und Schauspiele zumeist noch immer von der „Mischung des Komischen mit dem Rührenden“ (Benno von Wiese, „Einführung“, 13; Hervorhebung von mir, T. K.) gesprochen wird, die schon von Wiese in den Stücken auszumachen meint. Vgl. dazu Johann Christoph Gottsched, Versuch, Bd. 2, 117.

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kungsziele komischer Dramen nicht allein für nicht hinderlich, sondern sogar für ausgesprochen förderlich hielt. Kotzebues Lustspiele gehen offenkundig von der These aus, dass sich komische und moralische Wirkungen im Wechsel in optimaler Weise zur Geltung bringen lassen: Komik kann sich besser entfalten, wenn sie nicht – wie bei Gottsched oder Lessing – zugleich der normativen Orientierung der Zuschauer und Leser dienen muss, und Moralisierung kann eher glücken, wenn sie nicht – wie bei Gellert oder August Wilhelm Iffland – der Monotonie des reinen Rührstücks unterworfen ist.307 Die Komiknutzung in der Kotzebue’schen Komödie beruht also nicht auf der Lessing’schen Annahme, dass Menschen durch Lachen gebessert werden können – ihr liegt die Auffassung zugrunde, dass Lachen ein geeigneter Weg ist, um Menschen darauf einzustimmen, gebessert zu werden. Lachen und Rührung zum Dritten: Affirmation oder Irritation Nach den vorangegangenen Rekonstruktionen könnte der Schluss nahe liegen, Kotzebues Komödien seien für die bürgerlichen Theaterbesucher der Zeit um 1800 nicht mehr als eine unterhaltsame Gelegenheit gewesen, sich in den eigenen moralischen Grundorientierungen bestätigen zu lassen,308 und Komik habe dabei letztlich nur dazu gedient, Zuschauer und Leser nach Phasen starker Anteilnahme wieder zu entspannen, um sie so für eine neuerliche Mobilisierung ihres Mitgefühls empfänglich zu machen.309 Eine entsprechende Sichtweise mag noch immer verbreitet sein, sie verkennt jedoch einige zentrale Aspekte von Kotzebues Lustspielen und übersieht darum das moralische Irritationspotenzial, das die Stücke nicht zuletzt aufgrund einiger ihrer komischen Elemente besitzen. Diese Einschätzung soll nun abschließend in aller Kürze näher ausgeführt werden. Betrachtet man die normativen Vorstellungen etwas genauer, die in Komödien wie Die Indianer in England zur Anschauung gebracht werden, so stellt man fest, dass sie einerseits weniger konventionell und andererseits weniger homogen sind, als man prima facie vermuten könnte. Die erste dieser Beobachtungen ist in der Forschung in den zurückliegenden Jahren wiederholt gemacht und zumindest beispielhaft ausgeführt worden.310 Kotzebues Lust- und Schauspiele begnügen sich keineswegs damit, den mo307

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Zu den Unterschieden zwischen den Konzeptionen von Iffland und Kotzebue vgl. Gert Ueding, Klassik und Romantik Deutsche. Literatur im Zeitalter der Französischen Revolution 1789–1815, München 1987, 313–327, Jörg F. Meyer, Verdammt. Verehrt, Kap. 2.7 sowie Stephan Kraft, „Identifikatorisches Verlachen“, 211f. und 215–218. Vgl. zu einer entsprechenden Sichtweise etwa Helmut Arntzen, Die ernste Komödie, 169f., Horst Albert Glaser, Das bürgerliche Rührstück, 67f., Benno von Wiese, „Einführung“, 13f. oder auch Horst Denkler, Restauration und Revolution: Politische Tendenzen im deutschen Drama zwischen Wiener Kongress und Märzrevolution, München 1973, 68. Eine solche Sichtweise deutet sich zum Beispiel an bei Doris Maurer, Kotzebue, 107. Vgl. hierzu die Überlegungen am Beispiel von Menschenhaß und Reue in Jörg F. Meyer, Verehrt. Verdammt und im Rahmen eines Überblicks in Yvonne-Patricia Alefeld, „Das dramatische Werk“.

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ralischen Common sense des goethezeitlichen Bürgertums zu bedienen; sie behandeln stets auch stark tabuisierte Fragestellungen wie uneheliche Kinder, Ehebruch, Bigamie oder Sklaverei, und sie legen dabei oft normative Haltungen nahe, von denen anzunehmen ist, dass sie unter Zeitgenossen durchaus keinen Konsens darstellten.311 Im Fall von Die Indianer in England gilt dies insbesondere für die Idee umfassender Gleichberechtigung von Ethnien, Kulturen und Religionen, die das Stück zur Geltung bringt. Es mag sein, dass sich die zeitgenössischen Zuschauer mehrheitlich an den ethnischen und kulturellen Unterschieden zwischen den Figuren nicht gestört haben, die schließlich miteinander in den Ehestand treten, da sich diese zumeist wie gute Repräsentanten des europäischen Bürgertums benehmen – die entschiedene religiöse Toleranz allerdings, für die das Stück eintritt, dürfte einem nicht geringen Teil des Publikums Schwierigkeiten bereitet haben: LIDDY KABERDAR LIDDY KABERDAR

schlägt die Augen nieder, nach einer Pause Sie sind also kein Christ? stutzt, nach einer Pause Es ist nur ein Weg zum Himmel, der Weg der Tugend. Dieser Weg führt durch die christliche Kirche. Unsere Brahminen sagen: er führe durch die Pagoden; doch dem sei wie ihm wolle, an Ihrer Hand werde ich mich nie davon entfernen.312

Im Unterschied zur ersten Beobachtung hat die zweite auch in den letzten Jahren kaum Beachtung gefunden – die, dass die Wertordnungen der Kotzebue’schen Lustspiele bei Weitem nicht so einheitlich und mithin eindeutig sind, wie lange vermutet worden ist. Die verschiedenen Merkmale der Stücke, auf denen deren moralische Vagheit beruht, müssen im vorliegenden Kontext nicht im Einzelnen benannt oder gar betrachtet werden313 – hier kann es genügen, den offenkundig beabsichtigten Beitrag vor Augen zu führen, den eine in fast allen Kotzebue-Komödien anzutreffende Form der Komiknutzung dazu leistet, das normative Profil der Dramen zu verunklaren. Dieser Beitrag ergibt sich aus einer Variante der Verhaltenskomik, deren Besonderheit darin besteht, dass die Inkongruenz, auf der sie fußt, nicht in gewöhnlicher Weise aufzulösen ist: Verhaltenskomik, also die Diskrepanz zwischen Handlung und Handlungsregel, dient in Kotzebues und anderen Lustspielen des 18. Jahrhunderts gemeinhin zur Illustration von Figurenkomik; die Auflösung von Verhaltensinkongruenzen erfolgt also in der Regel durch den Schluss auf Charakterfehler.314 Die von Kotzebue immer 311

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Es ist also festzustellen: Kotzebues Stücke hatten oftmals nicht wegen, sondern trotz der in ihnen aufgegriffenen Probleme und vertretenen Position Erfolg beim Publikum, vgl. Gert Ueding, Klassik und Romantik, 320. Ebd., 160. Vgl. zum Zusammenhang auch: „SAMUEL [D]ie Früchte welche aus dieser Eheverbindung zu erwarten stehen, in welcher Religion sollen sie erzogen werden? […] – KABERDAR ein wenig warm Erziehen Sie sie zu ehrlichen Männern, übrigens machen Sie mit ihnen was Sie wollen“ (ebd., 186; Hervorhebungen im Original). Vgl. insbes. die Hinweise zur intendierten ‚Diskusivität‘ der Kotzebue-Dramen in Jörg F. Meyer, Verdammt. Verehrt, Kap. 2.5 und die Anmerkungen zu ihren oft parodistischen ‚Finaltableaus‘ in Stephan Kraft, „Identifikatorisches Verlachen“, 216f. Zur Auflösung von Inkongruenzen s. auch oben 1.4.3.

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wieder genutzte Ausnahme von dieser Regel lebt nun davon, dass sich abweichende Handlungen nicht einleuchtend als Ausdruck eines ungereimten Charakters deuten lassen, sondern vielmehr als Anlass zu sehen sind, die vorausgesetzte Handlungsregel aus neuer Perspektive zu betrachten. In Die Indianer in England setzt Kotzebue vor allem auf die Figur Gurli, um die charakterisierte Spielart der Verhaltenskomik zu evozieren. In ihren Auftritten verletzt Gurli, die Tochter Kaberdars, immer wieder auf harmlose und darum komische Weise Konventionen und Normen des gesellschaftlichen Miteinanders im Europa des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Da die Komödie zugleich vorführt, dass Gurlis Verhalten in ihrem unverbildeten, aber keineswegs kindischen Blick auf Menschen und Dinge gründet,315 verweisen ihre Normverstöße nicht auf eine Ungereimtheit in ihrem Wesen, sondern auf die Fragwürdigkeit der verletzten Regeln – und sind darum geeignet, einen Reflexionsprozess anzustoßen.316 Dabei mag das Irritationspotenzial der Auftritte Gurlis recht begrenzt sein, in denen sie durch ihre Handlungen und Bemerkungen bloß gegen Vorstellungen der Etikette verstößt – so etwa, wenn sie vor einer Unterhaltung mit Mistriss Smith bekennt: „Gurli hört die Alte […] gern reden, sie spricht so viel dummes Zeug“.317 Eine zweifelsfrei verstörende Wirkung in normativer Hinsicht haben jedoch die von ihr aus Unkenntnis und Unverdorbenheit erwogenen Verstöße gegen allgemeine sozial- oder auch sexualmoralische Auffassungen und Regelungen. Anschaulich machen dies insbesondere die Szenen, in denen geschildert wird, auf welchen Umwegen Gurli zu dem Entschluss gelangt, Robert zu heiraten: Nachdem sie zunächst vorhat, eine Ehe mit Liddy oder mit ihres Vaters altem Gefährten Musafferey einzugehen, lässt sie sich aus einer Laune heraus von Samuel zum Heiratsversprechen bewegen, um ihm freilich sogleich mit dessen Bruch zu drohen: „Das sag ich dir: wenn die Notarien hübscher sind als du, so heirat ich sie beide“.318 Selbst mit dem Entschluss, Robert und nicht Samuel zum Mann zu nehmen, scheint Gurlis Entscheidungsfindung nicht zu einem Ende zu kommen: „GURLI Der arme närrische Samuel! er dauert mich doch! Was meinst du Robert? ich will ihn auch heiraten. ROBERT Zween Männer auf einmal? Nein Gurli das verbitt ich mir.“319 Auch wenn es durch Gurli wie im zuletzt zitierten Abschnitt zumeist nur zu einer kur315 316

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Vgl. dazu etwa IE, 142 oder 190f. Kotzebue dürfte dies nicht entgangen sein, er war jedoch im Rahmen der Verteidigung seiner Dramen gegen den Vorwurf der Unmoral bemüht, diese Dimension der Stücke herunter zu spielen, vgl. dazu insbes. August von Kotzebue, „Betrachtungen über mich selbst“, 14. – Den vermutlich wichtigsten der Gründe dafür, dass die Kotzebue’sche Form der normreflexiven Komik dem Publikum gefiel, hat Gert Ueding wie folgt umrissen: „Längst war ja das bürgerliche Tugendsystem zu einer Zwangsjacke geworden, seine rigorose Starrheit, für die Frühgeschichte der bürgerlichen Gesellschaft als Abgrenzungsmaßnahme und um eigenes Selbstbewußtsein zu entwickeln, sicher von hoher Bedeutung, schlug nach innen und wurde zu einem Disziplinierungsinstrument, das Freiheit und Leben zu ersticken drohte“ (G. U., Klassik und Romantik, 315). Ebd., 154. Ebd., 167. Ebd., 205.

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zen komischen Unterbrechung des geordneten Handlungsgangs kommt, so geht von ihren Auftritten doch eine ausgesprochen irritierende und mithin reflexionsstimulierende Wirkung aus. Durch Gurli vermag der Rezipient von Die Indianer in England immer wieder Distanz zu den dargestellten sozialen Institutionen und moralischen Positionen zu gewinnen; durch sie kann er diese als historisch, oft kontingent und also nicht sakrosankt wahrnehmen; durch Figuren wie Gurli werden die Verhältnisse in der Welt der Kotzebue’schen Komödien zwar nicht verändert, aber doch als veränderbar in den Blick gebracht.320 Kotzebue hat mit Die Indianer von England eine Tradition des rührenden Lustspiels begründet, die bis heute fortlebt.321 In der Konzeption mögen sich die Stücke dieser Tradition nicht unerheblich von Komödien wie Lessings Minna von Barnhelm unterscheiden; in der Intention allerdings stimmen sie mit diesen erkennbar überein: Auch im Kotzebue’schen Lustspiel geht es wesentlich darum, durch Lachen und Rührung, eine Reflexion über Fragen der Moral in Gang zu setzen.

2.4 Komik und Konfusion: Zum Komischen in Tiecks Der gestiefelte Kater In den Dezennien um 1800 gelangt die Aufklärung als literarische Epoche an ihr Ende. Einen nicht unwesentlichen Beitrag zu diesem Prozess leisten die Dichtung und die Dichtungstheorie der Frühromantik – denn durch sie werden die mit Lessing einsetzende Umstellung von einem heteronomen zu einem autonomen Literaturkonzept und die zeitgleich erfolgende Herausbildung des modernen Literatursystems in entscheidender Weise vorangetrieben.322 Für den Bereich des Dramas lässt sich der Umbruch, der mit den betreffenden Entwicklungen in den 1790er Jahren einher geht, als Übergang „von der Anthropologie bzw. Psychologie der Leidenschaften und Gefühle, der Kritik sozialer Verhältnisse und des unvernünftig und sympathetisch Lächerlichen zur […] szenischen Selbstrepräsentation von Kunst und Poesie“323 beschreiben; hier läuft das Ideal 320

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Glaser zeichnet die Anlage von Kotzebues Lustspielen recht einleuchtend nach; er versteht sie allerdings als Ausdruck ‚falschen Bewusstseins‘, wie etwa seine Rede vom Kotzebue’schen „Schwanken zwischen spöttischem Aufmucken und sentimentalem Sichdreinfügen“ (Horst Albert Glaser, Das bürgerliche Rührstück, 76) zeigt. – Vgl. zum Zusammenhang auch Hans Schumacher, „Materialien zum Verständnis des Textes“, in August von Kotzebue, Die deutschen Kleinstädter, hg. v. H. S., Berlin 1964, 84–110, 94–96. Insbesondere im Genre der ‚Romantic Comedy‘, vgl. dazu auch Stephan Kraft, „Identifikatorisches Verlachen“, 223. Vgl. hierzu allgemein Siegfried J. Schmidt, Die Selbstorganisation des Sozialsystems Literatur im 18. Jahrhundert, Frankfurt a.M. 1989 und Karl Eibl, Die Entstehung der Poesie. Stefan Scherer, Witzige Spielgemälde. Tieck und das Drama der Romantik, Berlin/New York 2003, 49f.

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der ‚Selbstreferenz‘ dem Programm der ‚Realitätshaltigkeit‘ nach und nach den Rang ab;324 auch hier gewinnt also das Projekt einer ‚Transzendentalpoesie‘ an Geltung, so dass auf den Bühnen nun vielfach ,Theater über Theater‘ zu sehen ist.325 Als eines der ersten paradigmatischen Dokumente dieses Umbruchs gilt allgemein eine Komödie aus dem Jahr 1797: Ludwig Tiecks Der gestiefelte Kater. Spätestens mit diesem „Kindermärchen in drei Akten“326 – so wird in der Literaturwissenschaft weithin angenommen – findet die Ära des Aufklärungslustspiels ein Ende. Mit Lothar Pikuliks repräsentativer Bilanz gesprochen: „Es ist […] das Verdienst Ludwig Tiecks, daß der romantische Geist des Spiels sich auch im Theater manifestiert.“327 Die Analyse der Tieck’schen Komödie soll darum den Schlusspunkt der historischen Rekonstruktionen der vorliegenden Arbeit bilden. Wenn Tiecks Der gestiefelte Kater in der skizzierten Weise als Grenzmarke in der Geschichte der deutschsprachigen Komödie gelesen wird, dann sind damit in der Regel mehr oder weniger explizit ausgeführte Vorstellungen über die Nutzung des Komischen in dem Stück verbunden. Gestützt wird ein entsprechendes literarhistorisches Urteil zumeist auf die Annahme, dass Tieck in seiner Komödie den Zusammenhang zwischen Komik und Moral auflöst, der für das Lustspiel der Aufklärung konstitutiv ist,328 dass er – anders gesagt – das Komische von den Erziehungsaufgaben entbindet, die seiner Nutzung im Komödienkontext seit Gottsched zur Bedingung gemacht werden.329 So verbreitet Annahmen dieser Art sind, so selten wird der Versuch unternommen, sie auch durch eine eingehende komikbezogene Untersuchung von Der gestiefelte Kater abzusichern. Tiecks Sicht und Nutzung des Komischen wird zwar in verschiedenen Beiträgen zu seinem Frühwerk und vor allem zu seinen sogenannten ‚Märchenkömodien‘ berührt, etwa wenn seine Arbeiten zum Ironiebegriff der Romantiker oder zur Evolution der

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Zur Idee der ‚Welthaltigkeit‘ des Lustspiels im Anschluss an Lessing s. oben 2.1. Zum Begriff der ‚Transzendentalpoesie‘ vgl. Gerhard Kaiser, Literarische Romantik, Göttingen 2010, 25f. und zur Bedeutung der ‚(Selbst-)Reflexion‘ für die Frühromantik vgl. Lothar Pikulik, Frühromantik. Epoche – Werke – Wirkung, 2. Aufl., München 2000, 45–51. So der Gattungsvermerk in der ersten Einzelausgabe des Lustspiels. Zitate aus dem Stück werden fortan unter Verwendung der Sigle „GK“ nach der Ausgabe des Reclam Verlags (Der gestiefelte Kater, hg. v. Helmut Kreuzer, Stuttgart 2001) nachgewiesen, die dem Erstdruck und nicht der Phantasus-Überarbeitung des Dramas von 1812 folgt (vgl. Phantasus, hg. v. Manfred Frank, Frankfurt a.M. 1985, 490–566). Lothar Pikulik, Frühromantik, 295. Vgl. dazu auch – mit Hinweisen auf weitere Literatur – John Fetzer, „Das Drama der Romantik“, in Romantik-Handbuch, hg. v. Helmut Schanze, Stuttgart 1994, 289–310, 298f. und Detlef Kremer, Romantik. Lehrbuch Germanistik, Stuttgart/Weimar 2001, 211–213. – Zu den Beiträgen, die Einwände gegen eine entsprechende Einordnung geltend machen, s. unten 2.4.2. S. zu Spielarten der Modellierung dieses Zusammenhangs oben 2.1, 2.2 und 2.3. Vgl. dazu musterhaft Bernhard Greiner, Die Komödie, 275.

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Unsinnpoesie in Beziehung gesetzt werden;330 sie wird aber kaum einmal in den Mittelpunkt der Betrachtungen gestellt.331 Dies soll in den folgenden Kapiteln geschehen, in deren Gliederung an dem Muster der Rekonstruktion festgehalten wird, das schon für die Überlegungen zum Komischen bei Lessing, Lenz und Kotzebue leitend gewesen ist: Ausgangspunkt der Analysen wird mithin eine Betrachtung der poetologischen Positionen sein, die als konzeptionelle Basis von Tiecks ‚Kindermärchen‘ im Medium des Dramas anzusehen sind. Vor dem Hintergrund der Ausführungen zu Tiecks Dichtungstheorie, die im Hinblick auf seinen Komödienbegriff aufgrund der Materiallage recht allgemein bleiben müssen, wird anschließend zu untersuchen sein, welche Formen des Komischen in Der gestiefelte Kater zum Einsatz kommen und welchen Wirkungszielen sie im Rahmen des Lustspiels dienen sollen. Eine Frage, die im Zusammenhang der betreffenden Rekonstruktionen besondere Beachtung finden soll, wird die sein, inwiefern sich Tieck mit seiner Komödie von den Lustspielmodellen und Komikverständnissen der Aufklärung entfernt und inwiefern er ihnen in der einen oder anderen Weise verpflichtet bleibt.332

2.4.1 Konzeptionelles: Die Volksmährchen-Vorreden und andere Schriften Wer Tiecks Theorie der Komödie zur Zeit der Entstehung und Veröffentlichung von Der gestiefelte Kater nachzeichnen möchte, der sieht sich dem Problem gegenüber, dass das Textkorpus, auf das er sich bei der Rekonstruktion ohne Weiteres zu stützen vermag, ausgesprochen übersichtlich und für die Zwecke seines Vorhabens zudem nur mittelbar von Nutzen ist.333 Schmal ist das betreffende Textkorpus, weil es angesichts des beständigen Wandels, dem Tiecks ästhetische und poetologische Positionen in den 1790er Jahren unterworfen sind, äußerst problematisch erscheint, Dokumente seiner theoretischen Positionierung einzubeziehen, die vor 1794 oder nach 1798 entstanden

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Vgl. zur ersten Frage grundlegend Ingrid Strohschneider-Kohrs, Die romantische Ironie in Theorie und Gestaltung, 2. Aufl., Tübingen 1977, zur zweiten Winfried Menninghaus, Lob des Unsinns. Über Kant, Tieck und Blaubart, Frankfurt a.M. 1995. Ausnahmen sind Manfred Frank, „Vom Lachen. Über Komik, Witz und Ironie. Überlegungen im Ausgang von der Frühromantik“, in Vom Lachen. Einem Phänomen auf der Spur, hg. v. Thomas Vogel, Tübingen 1992, 211–231, Uwe Japp, Die Komödie der Romantik. Typologie und Überblick, Tübingen 1999 und Ruth Petzoldt, Albernheit mit Hintersinn. Intertextuelle Spiele in Ludwig Tiecks romantischen Komödien, Würzburg 2000. Vgl. zu einem Überblick über die romantische Beschäftigung mit der Aufklärung in Philosophie, Politik, Religion und Kunst Ludwig Stockinger, „Die Auseinandersetzung der Romantiker mit der Aufklärung“, in Romantik-Handbuch, 79–105. Dieses Problem stellt sich einem zumindest dann, wenn man – wie in der vorliegenden Studie – davon ausgeht, dass es notwendig oder zumindest sinnvoll ist, zwischen der ‚expliziten‘ und der ‚immanenten‘ Poetik von Autoren zu unterscheiden.

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sind.334 Und bloß mittelbar zielführend ist es, weil es keine Texte oder Kommentare umfasst, die sich ausführlicher mit Wesen, Zielen oder Möglichkeiten des Dramas im Allgemeinen oder der Komödie im Besonderen auseinandersetzen.335 Die skizzierte Materiallage ist hier freilich nicht als grundlegender Einwand gegen das Vorhaben gedacht, die konzeptionellen Grundlagen von Der gestiefelte Kater zu rekonstruieren – sie soll vielmehr erklären, weshalb sich die folgenden Analysen darauf beschränken, Bausteine der Tieck’schen Komödientheorie der mittleren 1790er Jahre zusammenzutragen. Im Sinne einer entsprechenden Annäherung an das Tieck’sche Lustspielverständnis sollen zunächst die Reflexionen zum Zusammenhang von Dichtung und Unsinn betrachtet werden, die sich in einigen seiner Texte der fraglichen Jahre finden lassen, und anschließend die Thesen zum Wesen des Lächerlichen, die er in den zur selben Zeit entstandenen ersten Kapiteln seines unvollendet gebliebenen Werks Das Buch über Shakespeare aufstellt.336 Der Zusammenhang zwischen Tiecks verstreuten poetologischen Reflexionen der mittleren 1790er Jahre wird offenkundig durch seine in immer neuen Anläufen zum Ausdruck gebrachte Begeisterung für das Unzusammenhängende in der Poesie gestiftet. Vor allem in den Paratexten und den zumeist in Briefen formulierten Kommentaren zu seinen eigenen Werken tritt er in jenen Jahren so hartnäckig für eine Literatur der ‚Laune‘ und ,Albernheit‘ ein, wirbt er so nachdrücklich für die Emanzipation der Dichtung von Sinn und Zweck,337 dass es nahe liegt, ihn mit Winfried Menninghaus als zeitweiligen Verfechter einer ‚Poetik des Unsinns‘338 einzustufen. Als locus classicus dieser Poetik sind die beiden „Vorreden“ anzusehen, die Tieck 1797 der dreibändigen Ausgabe seiner Volksmährchen voranstellte, in der Der gestiefelte Kater erstmals im Druck erschien; in ihnen wird das literarische Programm der Sinn- und Zweckfreiheit nicht nur umrissen, sondern zugleich zur Anschauung gebracht. Eingeleitet wird die Ausgabe durch eine „Ernsthafte Vorrede“, in der Tieck339 dem Leser, nachdem er die versammel334 335 336

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Vgl. zu diesen Daten insbesondere die Rekonstruktionen in Winfried Mennighaus, Lob des Unsinns, Kap. III oder Uwe Japp, Die Komödie der Romantik, Kap. IV. Auch Tiecks umfangreiche Shakespeare-Kommentare aus der Mitte der 1790er Jahre sind in dieser Hinsicht unergiebig. Die vermutliche Entstehungsgeschichte der Abschnitte des Buches wird in dessen ausführlicher Einleitung beschrieben, vgl. Henry Lüdeke, „Einleitung“, in Ludwig Tieck, Das Buch über Shakespeare. Handschriftliche Aufzeichnungen, hg. v. H. L., Halle a.S. 1920, XI-XXVI. Zu einer Zusammenstellung entsprechender Passagen vgl. Christoph Brecht, Die gefährliche Rede. Sprachreflexion und Erzählstruktur in der Prosa Ludwig Tiecks, Tübingen 1993, 57f. sowie Winfried Mennighaus, Lob des Unsinns, 8 und 47f. Ebd., 8 u.ö. Alternativ spricht Menninghaus auch von Tiecks ‚Poetik des Unzusammenhangs‘ (vgl. ebd., 54 u.ö.). – Vgl. zu einer entsprechenden Interpretation der Grundideen des Tieck’schen Frühwerks freilich schon Arno Schmidts Überlegungen „,Funfzehn‘. Vom Wunderkind der Sinnlosigkeit“ aus dem Jahr 1959 (in A. S., Werke. Bargfelder Ausgabe. Werkgruppe II, Zürich 1990, Bd. 2, 285–333). In den Volksmährchen-Bänden freilich unter dem Pseudonym „Peter Leberecht“.

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ten Werke gleich vorweg als unbedeutend eingestuft hat, die folgenden Hinweise und Bitten mit auf den Weg gibt: Sein Sie, wertgeschätzter Leser, wenn Sie mein Buch lesen, so gut, sich herauszusuchen, was Ihnen gefällt; vorzüglich aber wünschte ich, daß Sie es mit keinem zu ernsthaften Gesicht aufschlügen, denn ich habe es fast ohne alle Ernsthaftigkeit geschrieben. Sie brauchen mir nicht erst zu sagen, daß das unrecht von mir sei, und daß die Rezensenten mir den Mangel der Ernsthaftigkeit schon eintränken würden: ich weiß beides. Sondern, wenn Sie bei guter Laune sind, und wenn dann mannigfaltige Gedanken ohne Zusammenhang vor ihnen hinziehn, und – um es kurz zu machen: wenn Sie, mit einem Worte nicht so recht gescheut sind, dann bitte ich Sie, in einer solchen Stimmung gegenwärtige Blätter zu lesen, die Sie schwerlich über etwas belehren dürften.340

Auf die erste Vorrede der Ausgabe folgt noch eine zweite, die „Scherzhafte Vorrede“ betitelt ist, inhaltlich aber eine Variation auf die „Ernsthafte Vorrede“ darstellt – hier heißt es unter anderem: Lieber Leser, Es gibt, darin wirst Du mir Recht geben, wunderliche Stimmungen im Menschen. Die Phantasie ist so reichhaltig und tief, daß alle Kunst diesen seltsamen Brunnen vielleicht nie ausschöpfen wird. Millionen verschiedener Phantome ziehn wechselnd durch den Geist, und jeder Sinn sucht das zu ergreifen und darzustellen, was ihm am liebsten ist, von den Farben zu erzählen, die ihm am meisten wohlgefallen haben. Hast Du vielleicht Lust, mit mir ein fernes wunderliches Land zu besuchen? […] Ich will es übernehmen, Dein Führer zu sein durch ein Land, wo Poesie und romantische liebenswürdige Albernheit zusammen wohnen. Es kann sein, daß ich selbst ein Fremdling bin, und mich verirre, oder getäuscht, diese Felsen und Baumlabyrinthe für ergötzender halte, als sie sind; und dann vergib mir.341

Diesen Auszügen aus den „Vorreden“ zu den Volksmährchen-Bänden lassen sich nicht nur die wesentlichen Konturen und grundlegenden Konzepte der Tieck’schen Unsinnspoetik ohne Schwierigkeiten entnehmen; sie machen zugleich deutlich, dass es sich bei seinem Poesieverständnis der mittleren 1790er Jahre um das Resultat einer konsequenten Abkehr oder – genauer gesagt – radikalen Umkehrung von Positionen der aufgeklärten Dichtungstheorie handelt. Statt eines wie auch immer verstandenen Vorhabens der ‚Naturnachahmung‘ fordert Tieck das gedankenlose Verfolgen von ‚Geistesphantomen‘, statt ‚Ernsthaftigkeit‘ und ‚Erbauung‘ kündigt er ‚Launen‘ und ‚liebenswürdige Albernheit‘ an, statt ‚Belehrung‘ und ‚Klarheit‘ zu versprechen, stellt er ‚Träume‘ und ein Sich-Verirren in den ‚wunderlichen Ländern‘ der Phantasie in Aussicht, statt ‚Sinn‘ meint er kurzum nur ‚Unsinn‘ bieten zu können.342 Auch wenn Tieck entsprechende 340 341 342

Peter Leberecht [d.i. Ludwig Tieck] (Hg.), Volksmährchen, 3 Bde., Berlin 1797, Bd. 1, 156. Ebd., 157f. S. zu den abgelehnten Positionen oben 2.1, 2.2 und 2.3. – In der Forschung werden für den Begriff des Unsinns oftmals recht handgreifliche Übersetzungen vorgeschlagen, die durchweg wenig überzeugen. So verkennt etwa Greiner, wenn er den Tieck’schen ‚Unzusammenhang‘ mit dem ‚Dionysischen‘ in Verbindung bringt, dass Ersterem die Dimension der Körperlichkeit fehlt, die letzterem eigen ist (vgl. Bernhard Greiner, Die Komödie, 275), oder Bartl, wenn sie das Konzept des ‚Un-

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Ideen stets im Rahmen von deskriptiv angelegten Überlegungen zu seinen eigenen Werken umreißt, so ist doch offenkundig, dass er mit ihnen weitergehende normative Ansprüche verbindet – er will in den betreffenden Abschnitten nicht allein offenlegen, wie seine eigenen Dichtungen zu verstehen sind, sondern zugleich angeben, wie Dichtung im Allgemeinen gestaltet sein sollte. Auf eine Formel gebracht wird das für den frühen Tieck leitende Verständnis von Poesie in der Rahmenerzählung, in die im Phantasus von 1812 auch Der gestiefelte Kater eingebettet ist: Nach der „Vorlesung“ des Dramas durch dessen fiktiven Verfasser Theodor in geselliger Runde, diskutieren die unschlüssigen Zuhörer, was von der als „Schaum und leichter Scherz“343 angekündigten Komödie zu halten sei; die Figur Wilibald gelangt im Rahmen der Überlegungen zu einer Deutung, die mit den Zielvorstellungen des Autors Tieck zur Deckung kommen dürfte: „Ein Zirkel […], der in sich selbst zurückkehrt, wo der Leser am Ende grade eben so weit ist, als am Anfange.“344 Wenn man ausgehend von Tiecks allgemeinen poetologischen Positionen der Zeit um 1795 die komiktheoretischen Reflexionen in den Blick nimmt, die er in seinen Shakespeare-Kommentaren jener Jahre anstellt, dann kann man sich einer gewissen Verwunderung nicht erwehren: So originell und aufklärungskritisch seine Theorie der Dichtung ist, so konventionell und aufklärungskonform fällt seine Theorie des Lächerlichen aus.345 Überlegungen zu Shakespeares Romanze A Winter’s Tale nimmt Tieck zum Anlass für einen Exkurs, in dem er sich allgemein mit dem Komischen, dessen Wesen und Spielarten auseinandersetzt; den Ausgangs- und Mittelpunkt der Betrachtungen bildet eine allgemeine Charakterisierung des Lächerlichen in der Tradition des Ungereimtheitsverständnisses, die im Rahmen der weiteren Reflexionen dann noch in verschiedenen Hinsichten näher bestimmt wird. Tieck schreibt: Hobbes macht es zum Bedinge des Lachens, daß wir uns über den verlachten Gegenstand erhaben fühlen müssen, aber das Wesen des Lächerlichen kann nicht, wie er behauptet, darinn bestehen. – Besteht in einem beständigen Widerspruch des moralischen Mangels mit dem moralischen Wesen selbst und den ihn umgebenden Subjekten. – Ein Betrunkener an sich ist nicht lächerlich, aber er wird es, sobald ihn ein guter | Freund begegnet, der sich ganz ernsthaft

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sinns‘ als Variante des ‚Harlekinesken‘ deutet, dass ersterem der Aspekt des Erzieherischen abgeht, der mit Letzterem nicht selten verbunden wird (vgl. Andrea Bartl, Die deutsche Komödie, 112–114). Ludwig Tieck, Phantasus, 489. Ebd., 564. In dieser Hinsicht ist Manfred Franks Interpretation von Tiecks humorologischen Reflexionen entschieden zu widersprechen (vgl. insbes. Manfred Frank, „Vom Lachen“, 216–219). Seiner These der ‚Unoriginalität Schopenhauers‘ ist zwar zuzustimmen, seine Argumentation für die ‚Originalität Tiecks‘ kann aber angesichts der Spielarten der Inkongruenztheorie des Komischen seit der Antike nicht überzeugen, s. dazu allgemein oben 1.2.3 und vgl. für das 18. Jahrhundert ferner Paul M. Haberland, The Development of Comic Theory.

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einen vernünftigen Rath bei ihm ausbäte. Molières Geiziger ist am lächerlichsten, wenn er gern freigebig scheinen möchte, Sh[akespeares] Dummköpfe, wenn sie sich klug stellen.346

Vor dem Hintergrund der obigen Rekonstruktionen zur Hamburgischen Dramaturgie347 bedarf es keines besonderen Scharfsinns, um zu bemerken, dass Tieck hier eine Art Kondensat von Lessings komiktheoretischer Position präsentiert, ohne ihn dabei freilich zu erwähnen. In Übereinstimmung mit Lessing grenzt er nicht nur das Inkongruenzmodell des Komischen von der Hobbes’schen Überlegenheitstheorie ab,348 wie jener sieht er den Modellfall des Lächerlichen zudem in der Diskrepanz zwischen moralischer Realität und Idealität, und wie jener gelangt er schließlich durch seine Reflexionen zu der Einsicht, dass sich das Komische nicht unabhängig vom jeweiligen Kontext verstehen lässt, in dem es zur Erscheinung kommt.349 Inbesondere auf die beiden letzten Aspekte seiner Konzeption des Lächerlichen kommt Tieck in späteren Abschnitten seines Fragments über Shakespeare beharrlich zurück – auch in seinen Betrachtungen zum Drama Richard II. etwa macht er deutlich, dass er das Komische wesentlich als inkongruenztheoretisch fundierte und kontextuell spezifizierte Form der Figurenkomik versteht: [D]as Komische (s. Wintermährchen) entsteht bloß durch den Widerspruch in dem der moralische Mangel mit dem moralischen Wesen steht, ein Poltron, der den muthigen spielt, sein Zittern und Braviren, sein Drohen und zurückziehn, diese Contraste in ihm selbst sind es, die Lachen erregen. Daher können Heuchler, Verstellte und Lügner sehr brauchbare komische Personen sein, aber keiner so ächt komisch, als der tapfre Zaghafte…350

Leicht zu sehen ist allerdings nicht allein, dass Tiecks Explikation des Lächerlichen in der Tradition der Aufklärung steht, offenkundig ist zudem, dass sie sich darum mit seiner Poetik des Unsinns etwa im Rahmen einer Komödientheorie oder einer Komödie nicht ohne Weiteres verbinden lässt.351 Verlangt Tiecks Poetologie eine Dichtung ohne Moral, so beruht seine Humorologie auf der Annahme, dass Komik ohne moralische Dimension nicht zu haben ist; setzt jene auf die Launen des Geistes, so sieht diese in der Bezugnahme auf Handlungen und Haltungen von Menschen die Voraussetzung des Komischen. Wie in den folgenden Abschnitten erläutert werden soll, hat diese Spannung zwischen Dichtungs- und Komiktheorie, zwischen Romantik und Aufklärung, in der Anlage und Ausgestaltung des Lustspiels Der gestiefelte Kater prägende Spuren hinterlassen. Im Unterschied zu anderen Romantikern nämlich gelangt Tieck über seine 346 347 348 349

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Ludwig Tieck, Das Buch über Shakespeare, 18f. S. oben 2.1.1. S. zu diesen Positionen und ihrer vergleichenden Evaluation oben 1.2.3. Diese Einsicht ist nicht – wie Frank anzunehmen scheint – mit der Annahme gleichzusetzen, Komik sei ein nur subjektrelativ zu fassendes Konzept (vgl. dazu Manfred Frank, „Vom Lachen“, 217f.). – Zu Argumenten gegen eine Gleichsetzung der beiden Thesen s. oben 1.1 und 2.1.1. Ludwig Tieck, Das Buch über Shakespeare, 119. – Zur Tieck’schen Ablehnung bloßer Sprachkomik vgl. ebd., 276f. Dies wird, so offensichtlich es ist, nicht sonderlich oft bemerkt, geschweige denn eingehender betrachtet, vgl. als Ausnahmen insbes. Eckehard Catholy, Das deutsche Lustzspiel und Helmut Kreuzer, „Nachwort“, in GK, 71–87.

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Begeisterung für das Sinn- und Zweckfreie und seine Vorbehalte gegenüber der Aufklärung nicht zu dem Entschluss, in der Komödie auf das Komische zu verzichten.352

2.4.2 Komisches: Der gestiefelte Kater Tiecks Komödie Der gestiefelte Kater löste bei ihrem Erscheinen bekanntlich recht heftige positive und negative Reaktionen aus, Fürsprecher fand das Drama vor allem im Kreis der Frühromantiker, Gegner unter den Exponenten der Spätaufklärung.353 Weder die zustimmenden noch die ablehnenden Kommentare von Zeitgenossen können dabei erstaunen, hat das Lustspiel doch in seiner ‚Oberflächenstruktur‘ kaum noch etwas mit der Aufklärungskomödie gemein: Als ein Theaterstück, „dessen einziger Inhalt ein missglückender Theaterabend ist“,354 treibt das Tieck’sche Lustspiel die bis zu Aristophanes zurückreichende Tradition des ‚Spiel im Spiel‘-Stücks in einer Weise auf die Spitze, dass es – zumindest für die deutschsprachige Literatur – als Gründungsdokument eines neuartigen ‚illusionsproblematisierenden‘ oder auch ‚parabatischen Dramentyps‘355 gelten kann.356 Eine solche dramenhistorische Einordnung des Stücks ist freilich nicht ohne Weiteres als komödienhistorisches Urteil zu verstehen und die ersten Reaktionen auf den Gestiefelten Kater sollten darum nicht umstandslos als zeitgenössische Beglaubigung für die These genommen werden, dass Tiecks Komödie auch in ihrer ‚Tiefenstruktur‘ mit dem Komödienmodell der Aufklärung bricht. Ob dies der Fall ist, ob Der gestiefelte Kater also auch in der Entwicklung der deutschsprachigen Komödie eine vergleichbar herausgehobene Stellung einnimmt, wie sie ihm in der Geschichte des deutschsprachigen Dramas zukommt, dies soll nun durch eine genauere 352

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Wie es für die Romantik musterhaft von Friedrich Schlegel in seiner Schrift „Vom ästhetischen Wert der griechischen Komödie“ aus dem Jahr 1794 gefordert wird, vgl. zum Zusammenhang Ekkehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 183–192. Zu einem Abriss der frühen Rezeption des Stücks vgl. Ruth Petzoldt, Albernheit mit Hintersinn, 185–187 und Manfred Frank, „Kommentar“, in Phantasus, 1145–1520, 1381–1385. Helmut Kreuzer, „Nachwort“, 74. Vgl. zu diesem Begriff Uwe Japp, Die Komödie der Romantik, Kap. II und III. Vgl. zu diesem Urteil Manfred Frank, „Kommentar“, 1381f. – Zur Stellung von Der gestiefelte Kater innerhalb der Geschichte des ‚Spiel im Spiel‘-Stücks vgl. Robert Stockhammer, „Der lustige Literaturkritiker auf der Bühne (und im Publikum): Freisetzung des Un-Sinns in Aristophanes’ Die Frösche und Tiecks Der gestiefelte Kater“, in Die lustige Person auf der Bühne, hg. v. Peter Csobádi, 2 Bde., Anif/Salzburg 1994, Bd. 2, 577–588 und Ulrike Landfester, „,…die Zeit selbst ist thöricht geworden…‘. Ludwig Tiecks Komödie Der gestiefelte Kater (1997) in der Tradition des Spiel im Spiel-Dramas“, in Ludwig Tieck. Literaturprogramm und Lebensinszenierung im Kontext seiner Zeit, hg. v. Walter Schmitz, Tübingen 1996, 101–133. – Bei der literarhistorischen Einordnung sollte freilich nicht übersehen werden, das Tiecks Drama in der Konzeption nicht vollkommen neuartig ist, sondern ein auch in der deutschsprachigen Tradition bereits vorhandenes illusionsreflexives Dramenmodell nur radikalisiert; hingewiesen sei hier lediglich auf Andreas Gryphius ‚Stück-im-Stück‘-Lustspiel Absurda Comica oder Herr Peter Squentz von 1657.

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Untersuchung des Lustspiels beantwortet werden, die nach dessen Modellierung des Zusammenhangs von Komik und Moral fragt.357 Komik und Moral zum Ersten: Spiel oder Spott Nimmt man die Nutzung des Komischen im Gestiefelten Kater gesondert in den Blick, ahnt man schnell, weshalb das Stück von einigen Frühromantikern nicht mit rückhaltloser Zustimmung aufgenommen und von Friedrich Schlegel etwa als „nicht reich, nicht frech und nicht poetisch genung“358 beurteilt wurde. Von den besonderen Möglichkeiten der Erzeugung belustigender und verwandter Effekte, die sich mit der Einführung des illusionsreflexiven Dramas ergeben, macht Tieck offenkundig nur sehr zurückhaltend Gebrauch;359 auf die Herstellung paradoxaler Konstellationen etwa, den Einsatz fiktionslogisch subversiver Metalepsen oder die Nutzung anderer ‚mise en abyme‘-Figuren wird weitgehend verzichtet.360 Ebenenkomik im oben erläuterten Sinne361 lässt sich allein in der Passage finden, in der sich der Hofgelehrte Leander und die Gestalt des Hanswursts über die Frage streiten, ob das Der gestiefelte Kater ein ordentliches Drama sei – denn sie beziehen sich hier, wie der Verlauf ihres Disputs unter Einbeziehung des Publikums unmissverständlich deutlich macht, nicht auf das Stückim-Stück, sondern auf das Tieck’sche Stück selbst: LEANDER HANSWURST LEANDER HANSWURST

Das Thema meiner Behauptung ist, daß ein neuerlich erschienenes Stück: der gestiefelte Kater, ein gutes Stück sei. Das ist gerade das, was ich leugne. Beweise, daß es schlecht sei. Beweise, daß es gut sei.

[…] LEANDER HANSWURST LEANDER

Manche Charaktere sind gut durchgeführt. Kein einziger. So ist, wenn ich alles übrige fallen lasse, das Publikum gut darin gezeichnet.

[…]

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Zur Rechtfertigung einer entsprechend zugespitzten Fragestellung sei auf die vorangegangenen Analysen zu den Komödienkonzeptionen von Lessing, Lenz und Kotzebue verwiesen, s. 2.1, 2.2 und 2.3. Friedrich Schlegel an August Wilhelm Schlegel, November 1797, in Friedrich Schlegels Briefe an seinen Bruder August Wilhelm, hg. v. Oscar Walzel, Berlin 1890, 306. Vgl. hierzu auch die – freilich nicht komikbezogenen – Hinweise in Stefan Scherer, Witzige Spielgemälde, 314–319. Zu einer Analyse des Dramas, die diese Aspekte im Detail beleuchtet, vgl. Klaus Weimar, „Limited poem unlimited – Tiecks verkehrtes Welttheater“, in Germanistik und Komparatistik, hg. v. Hendrik Birus, Stuttgart/Weimar 1995, 144–159. – Zu den Gemeinsamkeiten und Unterschieden von komischen und paradoxalen Strukturen s. oben 1.4.3 Noch einmal Komik und Auflösbarkeit. S. 1.5.2.

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(gegen das Parterre) […] Wir stehn nun beide auf Du und Du, und sympathisieren in Ansehung des Geschmacks und er will gegen meine Meinung behaupten, das Publikum im gestiefelten Kater sei wenigstens gut gezeichnet. 362 Das Publikum? Es kömmt ja kein Publikum darin vor.

Die maßgebliche Komikquelle im Gestiefelten Kater ist allerdings – ganz im Sinne von Tiecks aufgeklärtem Verständnis des Lächerlichen – die Figurenkomik. Um Belustigung hervorzurufen, setzt das Drama mit anderen Worten wesentlich auf unterschiedliche Formen der Illustration von Ungereimtheiten im Verhalten und Wesen der Charaktere. Dabei dienen Tieck vor allem die fiktiven Zuschauer des Stücks dazu, charakterliche Unzulänglichkeiten vorzuführen; über sie spannt er ein Panorama von Fehlern aus, deren Komik in aller Regel auf dem Kontrast von Wirklichkeitsbeurteilung und Wirklichkeit beruht – was auch immer die Vertreter des fiktiven Publikums über sich selbst oder das ihnen gebotene Stück mutmaßen, sie treffen mit schlafwandlerischer Sicherheit daneben.363 Dass sich die Inszenierung von Figurenkomik im Gestiefelten Kater gleichwohl von derjenigen abhebt, die etwa bei Lessing, Lenz oder Kotzebue zu beobachten ist, ergibt sich daraus, dass sie in Tiecks Komödie eine wesentlich homogenere und zugleich konkretere Tendenz aufweist: Während Lessing, Lenz und Kotzebue Figurenkomik vorwiegend in gleichsam anthropologischer Absicht nutzen, setzt Tieck sie gegen einen klar benannten historisch-kulturellen Gegner ein – gegen die Aufklärung. Diese Stoßrichtung der Komiknutzung im Gestiefelten Kater wird bereits in dessen „Prolog“ mit großer Deutlichkeit herausgestellt – hier nämlich kommt es im fiktiven Publikum, nachdem es erfahren hat, dass es gleich ein ,Kindermärchen‘ mit dem Titel „Der gestiefelte Kater“ zu sehen bekommt, zu dem folgenden Dialog: SCHLOSSER FISCHER MÜLLER FISCHER

Ein Kindermärchen? Aber um Gottes willen sind wir denn Kinder, dass man uns solche Stücke aufführen will? Es wird doch wohl nimmermehr ein ordentlicher Kater aufs Theater kommen? Es ist am Ende eine Nachahmung der neuen Arkadier, so eine Art Terkaleon – Das wäre nun nicht übel, denn ich habe schon längst gewünscht, eine solche wunderbare Oper einmal ohne Musik zu sehen. Ohne Musik ist es abgeschmackt, denn lieber Freund, über solche Kindereien, über solchen Aberglauben sind wir weg, die Aufklärung hat ihre gehörigen Früchte getragen.364

Die Komik im Gestiefelten Kater enthält, kurz gesagt, keine Hinweise darauf, dass Tieck das Drama im Zeichen einer Poetik des Unsinns verfasst hat. Sie ist wesentlich tendenziöse Komik und lässt sich als solche weder im Sinne Tiecks noch im Sinne neuerer Erläuterungen als Nonsenskomik einordnen;365 sie beruht auf verschiedenen Ver362 363 364 365

GK, 48f. Hervorhebungen im Original. S. dazu im Einzelnen unten. GK, 5. Vgl. dazu insbes. Peter Köhler, Nonsens. Theorie und Geschichte einer literarischen Gattung, Heidelberg 1989 und s. ferner oben 1.4.3 Noch einmal Komik und Auflösbarkeit.

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Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

fahren der Satire und lässt mithin deutlich erkennen, dass das Lustspiel keineswegs radikal mit der aufgeklärten Tradition bricht.366 Tiecks Gestiefelte Kater ist zweifellos als Angriff auf die Aufklärung zu verstehen – als ein Angriff allerdings, der deren eigene Waffen nutzt. Komik und Moral zum Zweiten: Satire und Unsinn Die Rekonstruktionen des vorangegangenen Abschnitts könnten den Schluss nahe legen, dass sich Tiecks Komödie als Aufklärungssatire im doppelten Wortsinn verstehen lässt.367 Das allerdings ist nicht der Fall. Das Stück bedient sich zwar verschiedener satirischer und parodistischer Verfahren der aufgeklärten Komödie des 18. Jahrhunderts, es tut dies aber offenkundig in höchst unorthodoxer Weise. Die entscheidende Besonderheit von Tiecks Satire gegen die Aufklärung im Vergleich mit typischen Satiren der Aufklärung besteht dabei in ihrer kritischen Radikalität: Im Gestiefelten Kater werden den ‚vorgeführten‘ Auffassungen und Verhaltensweisen keine ‚besseren‘ gegenüber gestellt. Mit großer Unerbittlichkeit zeigt das Drama stattdessen vom „Prolog“ bis zum „Epilog“ stets das Selbe: Es verdeutlicht, wie Interpretationen fehlschlagen, Kategorisierungen ins Leere laufen und Orientierungen in die Irre leiten. Musterhaft sind in dieser Hinsicht die ebenso zahlreichen wie hilflosen Versuche der fiktiven Zuschauer, das ihnen präsentierte ,Kindermärchen‘ zu rubrizieren, von seiner Einordnung als „Revolutionsstück“368 über seine Deutung als „dummes Zeug“369 oder „gesunder Menschenverstand“370 bis hin zu seinem Verständnis als „rührendes Familiengemälde“.371 Was Tieck in seiner Komödie mit den Mitteln der Satire anschaulich macht, ist – so lässt sich zusammenfassen – weniger die Unzulänglichkeit einzelner Positionierungen als vielmehr die Unsinnigkeit jeder Positionierungsambition. Wie in Minna von Barnhelm stellt mithin auch im Gestiefelten Kater die Problematisierung der menschlichen Urteilspraxis einen wesentlichen Werkaspekt dar; anders freilich als in Lessings Lustspiel hat diese Problematisierung in Tiecks Stück nicht die Funktion, zu gesteigerter Urteilsvorsicht beizutragen, sondern die, einen grundlegenden Urteilsverzicht herbeizuführen. Legt es Lessing darauf an, Reflexionen anzustoßen,372 366

367

368 369 370 371 372

Vgl. zum Satirischen bei Tieck Ernst Ribbat, „Poesie und Polemik. Zur Entstehungsgeschichte der romantischen Schule und zur Literatursatire Ludwig Tiecks“, in Romantik. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch, hg. v. E. R., Königstein i.T. 1979, 577–587 und zu einer differenzierten Analyse der satirischen Aspekte von Der gestiefelte Kater Eckehard Catholy, Das deutsche Lustspiel, 198–202. – S. zum Begriff der Satire auch oben 1.5.3. Vgl. zu einem solchen vorschnellen Schluss etwa schon Hans Georg Beyer, Ludwig Tiecks Theatersatire „Der gestiefelte Kater und ihre Stellung in der Literaturgeschichte, München 1960, 24– 27 oder noch Stefan Scherer, Witzige Spielgemälde, 314f. GK, 6. Vgl. auch ebd., 58. Ebd., 21. Ebd., 17. Ebd., 10. S. zu Lessings Position im Einzelnen oben 2.1.2.

Komik und Konfusion: Tieck

239

geht es Tieck darum, Konfusion zu stiften.373 In diese Sinne sind die vielen Bemerkungen, in denen die fiktiven Zuschauer im Gestiefelten Kater über ihre wachsende Verwirrung klagen, durchaus als Hinweise auf die intendierte Wirkung des Stücks zu lesen: Wenn Fischer ausruft: „Ich fürchte toll zu werden“,374 oder wenn Schlosser bekennt: „Ich kann aus nichts mehr klug werden“,375 dann bringen sie als Zuschauer des Stücksim-Stück zum Ausdruck und zur Anschauung, wie sich der Zuschauer des Stücks selbst fühlen soll.376 Tiecks Gestiefeltem Kater scheint also durchaus die Zielsetzung zugrunde zu liegen, die seine Poetik des Unsinns der Dichung als Aufgabe vorgibt: Das Stück will Zuschauer und Leser in eine ‚Stimmung‘ versetzen, in der ihre Gedanken den Zusammenhang verlieren und sie ‚nicht mehr gescheit‘ sind; es sucht sie in ein ‚wunderliches Land‘ zu entführen, in dem sie den Überblick verlieren und sich schließlich ‚verirren‘.377 Der Weg, den Tieck in seinem Stück beschreitet, um dieses Ziel zu erreichen, ist allerdings der Weg radikalisierter Satire, nicht der liebenswürdiger Albernheit. Komik und Moral zum Dritten: Medizin statt Albernheit Tiecks Komödie Der gestiefelte Kater lässt sich allerdings nicht nur aufgrund der genutzten Komikformen, sondern auch aufgrund der verfolgten Wirkungsziele als eigenwillige Fortsetzung der Tradition des Aufklärungslustspiels verstehen. Deutlich wird dies ironischerweise dann, wenn man das Stück vor dem Hintergrund des berühmten programmatischen Briefs an Karl Wilhelm Ferdinand Solger aus dem Jahr 1810 betrachtet, in dem Tieck noch einmal in pointierter Form seine Begeisterung für das Alberne und seine Verachtung gegenüber der Aufklärung artikuliert: Ich habe die Erfahrung schon öfter gemacht, daß sich […] Menschen […] ein unrichtiges Bild von mir entworfen haben, weil sie das Unabsichtliche, Arglose, Leichtsinnige, ja Alberne nicht genug darinn hervorgefühlt haben. Es ist wahr, die Heuchelei unserer Zeit habe ich immer von Herzen gehaßt, die große Anmaßung der Unwissenheit, oder die Verspottung des Gemüths und der Kindlichkeit und des Heiligen, die besonders in meiner Kindheit und früheren Jugend so sehr auf unsern Gegenden lastete: dabei haßte ich vom frühesten Besinnen an die sogenannten Satyriker eben so sehr, die die Geißel schwingen, Thorheiten und Laster durch Lachen und Schelten bessern wollten, und was der hohlen Redensarten mehr sind. […] Schon sehr früh schwebte mir die Ahndung vor, daß es Lust, Scherz, Witz geben müsse, die nur um sich selbst 373

374 375 376 377

Insofern ist es ausgesprochen irreführend, wenn Tieck – wie dies bisweilen geschieht – als ein früher Vertreter von Brechts Idee des ‚epischen Theater‘ eingestuft wird, vgl. zu dieser Annahme Ernst Nef, „Mittel der Illusionszerstörung bei Tieck und Brecht“, in ZfdPh 83 (1964), 191–215 und zu einem Abriss der Brecht’schen Konzeption Frank Thomsen/Hans-Harald Müller/Tom Kindt, Ungeheuer Brecht. Eine Biographie seines Werks, Göttingen 2006, 73f. GK, 26. Vgl. ebd., 45. Ebd., 45. Vgl. zum Wirkungsziel der Konfusion in Tiecks Prosa Jörg Bong, Texttaumel. Poetologische Inversionen von „Spätaufklärung“ und „Frühromantik“ bei Ludwig Tieck, Heidelberg 2000. S. zu den Nachweisen der Auszüge in einfachen Anführungszeichen oben 2.4.1.

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Zur deutschen Komödie im 18. Jahrhundert

da seien, und diese medizinischen Anwendungen des Hellsten in uns erschienen mir ekelhaft.378

Den zahlreichen Anregungen, die sich aus diesen Einlassungen für die Auseinandersetzung mit dem Gestiefelten Kater ergeben, kann hier nicht nachgegangen werden. Eine ihrer Implikationen verdient im Rahmen der umrissenen Anayse der Komödie allerdings unbedingt Beachtung: Ausgehend von Tiecks Briefbemerkungen liegt der Schluss nahe, dass der Figur des Dichters unter den dramatis personae des Lustspiels ein Sonderstatus zukommt, dass sie – genauer gesagt – als ein Sprachrohr des Autors anzusehen ist. Deutlich wird dies insbesondere, wenn der Dichter am Ende des Gestiefelten Katers die Idee seines Stücks-im-Stück umreißt: „Ich hatte den Versuch gemacht, Sie alle in die entfernten Empfindungen Ihrer Kinderjahre zurückzuversetzen, dass Sie so das dargestellte Märchen empfunden hätten, ohne es doch für etwas Wichtigeres zu halten. […] Sie hätten wieder zu Kindern werden müssen“.379 Dieses Ziel teilt der Autor Tieck offenkundig mit seiner Figur des Dichters, auch ihm geht es mit seinem Stück um die Rückeroberung der Kindheit durch die Dichtung.380 Das Stück Der gestiefelte Kater ist der Versuch, den Rezipienten durch gezielte Konfusion in die Kindheit zurück zu versetzen – und es ist als ein solcher Versuch gerade kein „Zirkel“, bei dem „der Leser am Ende […] so weit ist, als am Anfange“381, sondern eine originelles Beispiel für das, was Tieck selbst als medizinische Anwendung des Komischen angreift. Das „Kindermärchen in drei Akten“ ist ein Drama des Übergangs: Es setzt die lange Tradition des Aufklärungslustspiels fort, indem es mit den Mitteln der Komik einer Moralisierung von Zuschauern und Lesern zu dienen versucht – und es setzt jener Tradition ein Ende, indem es Moralisierung nicht mit dem Erwerb, sondern mit dem Verlust von Wissen durch die Poesie gleichsetzt: DICHTER FISCHER DICHTER

378 379 380 381 382

Sie hätten dann freilich Ihre ganze Ausbildung auf zwei Stunden beiseit legen müssen, – Wie ist denn das möglich? Ihre Kenntnisse vergessen –382

Ludwig Tieck an Karl Wilhelm Ferdinand Solger, 6. Januar 1815, in Percy Matenko (Hg.), Tieck and Solger. The Complete Correspondence, New York/Berlin 1933, 155–161, 156. GK, 62. Vgl. zur ‚Kindheitsideologie‘ der Romantiker allgemein Yvonne-Patricia Alefeld, Göttliche Kinder. Die Kindheitsideologie in der Romantik, Paderborn u.a. 1996. Ludwig Tieck, Phantasus, 564. GK, 62.

Komik und Literatur: Schlussbemerkung

„Komik, also Freude an Dingen, die am falschen Platz sind, plötzlich umfallen oder anders aussehen als erwartet.“ (Max Goldt)

Die vorangegangenen vier Fallstudien zum deutschen Lustspiel des 18. Jahrhunderts haben sich einer Phase der Literaturgeschichte gewidmet, in der es zum Topos wird, dass es für Zuschauer und Leser in den Stücken der Gattung nichts zu lachen gibt. Spätestens mit Beginn des 19. Jahrhunderts wird im deutschsprachigen Lustspiel vor allem ein Beleg für die deutsche Humorlosigkeit gesehen – von Heinrich Heine werden entsprechende Überlegungen bereits 1837 bündig zusammen gefasst: „Man behauptet […] die Deutschen besäßen kein gutes Lustspiel, weil sie ein ernstes Volk seyen.“ In den Untersuchungen zur Komikbewertung in den Komödienpoetiken und zur Komiknutzung in einzelnen Komödien von Gottsched, Lessing, Lenz, Kotzebue und Tieck hat sich angedeutet, wie das deutsche Lustspiel zwischen 1730 und 1800 zu seinem schlechten Ruf gelangt ist; darüber hinaus dürften die Fallstudien allerdings auch gezeigt haben, wie sehr dieser Ruf, der die Sicht der Gattung bis heute beeinflusst, an den Texten vorbei geht. Im Rahmen der Rekonstruktionen sind mehrere miteinander verschränkte Tendenzen in den Blick gekommen, die deutlich machen, dass sich die Lustspielentwicklung im untersuchten Zeitraum mit den gängigen Formeln von der ‚Verhöflichung des Lachens‘,2 vom ‚Ernstmachen des Lustspiels‘3 oder von der ‚Austreibung des Komischen aus der Komödie‘4 nicht angemessen einfangen lässt. Was die Stichproben zum Lustspiel im ausgehenden 18. Jahrhundert stattdessen vor Augen geführt haben, ist eine schrittweise Liberalisierung und Pluralisierung der Komiknutzung,

2 3 4

Heinrich Heine, „Über die französische Bühne“ (1837), in Komödientheorie, hg. v. Ulrich Profitlich, 136–141, 136. Vgl. Eckart Schörle, Die Verhöflichung des Lachens. Lachgeschichte im 18. Jahrhundert, Bielefeld 2007. Schörle geht es freilich nur sehr bedingt um die Geschichte der Komödie. Vgl. Christian Neuhuber, Das Lustspiel macht Ernst. Das Ernst in der deutschen Komödie auf dem Weg in die Moderne: von Gottsched bis Lenz, Berlin 2003. Vgl. Daniela Weiss-Schletterer, Das Laster des Lachens. Ein Beitrag zur Genese der Ernsthaftigkeit im deutschen Bürgertum des 18. Jahrhunderts, Wien u.a. 2005.

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Komik und Literatur

die freilich nicht mit der Aufkündigung des Moralisierungsauftrags der Komödie verknüpft wird – von Gottsched über Lessing und Lenz bis zu Kotzebue und Tieck wird an der Vorstellung festgehalten, dass das Lustspiel, wie die Bühne insgesamt, als ‚Schule der moralischen Welt‘ zu konzipieren ist. Gezeigt haben die Fallstudien dabei nicht zuletzt, dass die Kontinuität in der prinzipiellen Ausrichtung des Lustspiels mit einer Diskontinuität in seiner konkreten Ausgestaltung einher geht: Dienen Komik und Komödie bei Lessing noch einer Schulung des Verstandes, so zielen sie bei Lenz und Kotzebue auf eine Mobilisierung der Einbildungskraft und bei Tieck schließlich auf eine Konfusion des Verstandes, die zu einer Evokation ursprünglicher Gefühle beitragen soll. Im Zuge dieser Entwicklung wandelt sich die Idee der Moralisierung durch die Komödie und die der Funktionalisierung des Komischen zu diesem Zweck grundlegend: Besserung durch das Lustspiel meint am Ende des Jahrhunderts meist nur noch Einstimmung auf eine Besserung, und von der Komik wird nun gemeinhin kein unmittelbarer Beitrag mehr zum Erziehungsunternehmen der Komödie erwartet.5 Wie ihre Einbettung in die vorliegende Studie bereits anzeigt, lagen den fallbezogenen Rekonstruktionen zum Zusammenhang von Komik und Komödie im 18. Jahrhundert nicht allein gattungsgeschichtliche Interessen zugrunde; Ziel der historischen Analysen war es zugleich, die Relevanz und das Potenzial von zwei theoretischen Projekten anschaulich zu machen: In historiographischer Perspektive sollten die Falluntersuchungen der traditionellen Geschichtsschreibung zum Lustspiel eine oft in Vergessenheit geratene Notwendigkeit in Erinnerung rufen – die Notwendigkeit, komödienhistorische Rekonstruktionen mit komiktheoretischen Reflexionen zu verbinden. Die Komikforschung kann die Komödienforschung unbeachtet lassen, ohne Schaden zu nehmen – umgekehrt gilt dies nicht. Und in programmatischer Perspektive wurde in den vorangegangenen Kapiteln der Versuch unternommen, das Plädoyer für eine Zusammenarbeit von Komödienhistorie und Komiktheorie mit dem für eine bestimmte Tradition der Komiktheorie zu verbinden. Die Analysen zu Texten von Lessing, Lenz, Kotzebue und Tieck sollten den heuristischen Wert und die explanative Kraft des Komikmodells in der Praxis erweisen, das im ersten Hauptteil der vorliegenden Studie in Auseinandersetzung mit der neueren linguistischen, kultur- und humanwissenschaftlichen Komikforschung entwickelt worden ist – eines Modells, das textuelle Komik als Wirkungsdisposition spezifischer Formen von Inkongruenzstrukturen begreift.6 Die Umrisse einer solchen Theorie deuten sich schon in der Antike bei Platon und Aristoteles an. Eine Ausgestaltung des Modells aber, wie sie in den theoretischen Kapiteln dieser Untersuchung versucht worden ist, beginnt – das zeigen deren historische Kapitel – in den Komödien und Komödienpoetiken des 18. Jahrhunderts. Es sind Autoren wie Lessing, die als erste erkennen, dass Komik ohne Inkongruenzen nicht zu haben ist, eine Inkongruenz allein aber noch keine Komik macht. 5 6

S. dazu oben 2.1–2.4. S. dazu oben 1.1–1.5.

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Literatur

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europäischen Bühne um 1800, hg. v. Roger Bauer in Verbindung mit Michael de Graat u. Johannes von Schlebrügge, Bern u.a. 1990 (Jahrbuch für Internationale Germanistik A 27), 236–248. Winko, Simone, „Negativkanonisierung: August v. Kotzebue in der Literaturgeschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts“, in KANON MACHT KULTUR. Theoretische, historische und soziale Aspekte ästhetischer Kanonbildungen, hg. v. Renate von Heydebrand, Stuttgart/Weimar 1998, 341–364. –, „Auf der Suche nach der Weltformel. Literarizität und Poetizität in der neueren literaturtheoretischen Diskussion“, in Grenzen der Literatur, hg. v. Simone Winko, Fotis Jannidis u. Gerhard Lauer, 374–398. Winko, Simone/Jannidis, Fotis/Lauer, Gerhard, „Geschichte und Emphase. Zur Theorie und Praxis des erweiterten Literaturbegriffs“, in Was ist Literatur?, hg. v. Jürn Gottschalk u. Tilmann Köppe, 123–154. – (Hg.), Grenzen der Literatur. Zu Begriff und Phänomen des Literarischen, Berlin/New York 2009 (Revisionen – Grundbegriffe der Literaturtheorie 2). –, „Radikal historisiert: Für einen pragmatischen Literaturbegriff“, in ebd., 3–40. Winter, Hans-Gerd, J. M. R. Lenz, Stuttgart 1987 (Sammlung Metzler 233). Wirth, Uwe, Diskursive Dummheit. Abduktion und Komik als Grenzphänomene des Verstehens, Heidelberg 1999 (Frankfurter Beiträge zur Germanistik 33). Wittgenstein, Ludwig, Philosophische Untersuchungen (1953), Frankfurt a.M. 2003. Wolff, H. A./Smith, C. E./Murray, H. A., „The Psychology of Humor“, in Journal of Abnormal and Social Psychology 28 (1943), 341–365. Wurst, Karin A. (Hg.), J. R. M. Lenz als Alternative? Positionsanalysen zum 200. Todestag, Köln/Weimar/Wien 1992. Zehrer, Klaus Cäsar, „,Ich als schwarze Deutsche bin empört…‘ Robert Gernhardts Komik und die Political Correctness“, in Robert Gernhardt, hg. v. Heinz Ludwig Arnold, München 1997 (Text + Kritik 136), 59–65. –, Dialektik der Satire. Zur Komik von Robert Gernhardt und der „Neuen Frankfurter Schule“, Bremen 2002. Zelle, Carsten, „Ist es eine Komödie? Ist es eine Tragödie? Drei Bemerkungen dazu, was bei Lenz gespielt wird“, in Lenz als Alternative, hg. v. Karin A. Wurst, 138–157. Želvys, V. I., „Obscene Humor: What the Hell?“, in Humor 3:3 (1990), 323–332. Zijderveld, Anton C., „Trend Report: The Sociology of Humor and Laughter“, in Current Sociology (1983), 1–103. –, „A Sociological Theory of Humor and Laughter“, in Semiotik, Rhetorik und Soziologie, hg. v. Lothar Fietz, Joerg O. Fichte u. Hans-Werner Ludwig, 36–45. Zillmann, Dolf, „Disparagement Humor“, in Handbook of Humor Research, hg. v. Paul E. McGhee u. Jeffrey Goldstein, 1, 85–107. –, „Humor and Comedy“, in Media Entertainment. The Psychology of Its Appeal, hg. v. D. Z. u. Peter Vorderer, Mahwah, NJ 2000, 35–55. Zillmann, Dolf/Bryant, Jennings/Cantor, Joanne R., „Brutality of Assault in Political Cartoons Affecting Humor Appreciation“, in Journal of Research in Personality 7 (1974), 334–345. Zillmann, Dolf/Cantor, Joanne R., „A Disposition Theory of Humour and Mirth“, in Humor and Laughter, hg. v. Anthony J. Chapman u. Hugh C. Foot, 93–115. Ziv, Avner, „The Influence of Humorous Atmosphere on Divergent Thinking“, in Contemporary Educational Psychology 8 (1983), 68–75. –, Personality and Sense of Humor, New York 1984. Zymner, Rüdiger, Uneigentlichkeit. Studien zu Semantik und Geschichte der Parabel, Paderborn 1991.

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Literatur

–, „Shakespeare und Lenz“, in Lenz, hg. v. Andreas Meier, 11–21. –, Gattungstheorie. Probleme und Positionen der Literaturwissenschaft, Paderborn 2003. –, „Zwerchfellakrobatik. Theorie und Praxis der Komik bei Robert Gernhardt“, in Die Sprache des Witzes. Heinrich Heine und Robert Gernhardt, hg. v. Burkhard Moenninghoff, Iserlohn 2006, 33– 54. –, „Texttypen und Schreibweisen“, in Handbuch Literaturwissenschaft, hg. v. Thomas Anz, 1, 25– 80.

Dank

Bei dem vorliegenden Buch handelt es sich um eine geringfügig überarbeitete Fassung meiner im Januar 2010 von der Philosophischen Fakultät der Georg-August-Universität Göttingen angenommenen Habilitationsschrift Literatur und Komik. Für die Aufnahme in die Akademie-Reihe „Deutsche Literatur. Studien und Quellen“ danke ich deren Herausgeberinnen Claudia Stockinger und Beate Kellner, für die Unterstützung von Seiten des Verlags Heiko Hartmann und Katja Leuchtenberger. Das Register haben Teresa Werner und Julia Woest erstellt, eine erste Version des Manuskripts hat Sinje Stange durchgesehen – auch ihnen sei gedankt. Die Ausarbeitung der Untersuchung hat davon profitiert, dass ich einzelne ihrer Ideen und Ergebnisse in verschiedenen Zusammenhängen schon einmal präsentieren und diskutieren konnte, auf dem Neugermanistischen Kolloquium des Göttinger Seminars für Deutsche Philologie im April 2006, auf dem Marburger Germanistentag im September 2007, auf Friedrich Blocks Kasseler-Komik-Kolloquium im Februar 2009 und auf Lutz Hagestedts Rostocker Kempowski-Konferenz im Mai 2009. Mehr noch als die Diskussionen dieser Veranstaltungen haben der vorliegenden Studie allerdings viele anregende Unterhaltungen mit Heinrich Detering, Fotis Jannidis, Christoph Jürgensen, Harry Müller, Daniel Nocke, Kai Sina, Matthias Schemmel und Jan Stühring weitergeholfen. Ohne Simone Winko und Tilmann Köppe wäre die Arbeit nicht nur schlechter, sondern nie abgeschlossen geworden. Ohne Justus, Jasper, Johanna und Andrea hätte ich sie gar nicht erst begonnen. Jena, im Mai 2011 Tom Kindt

Register

Allen, Steve 159 Allemann, Urs 107 Anz, Thomas 33 Aristophanes 235 Aristoteles 5, 41, 64, 168, 170f., 175, 180, 189–192, 195 Arntzen, Helmut 167 Attardo, Salvatore 58, 69–76, 78–85, 87, 89–91, 93f., 96, 117, 137 Bachtin, Michail 155 Beattie, James 41 Bergson, Henri 8, 19 Bernstein, F. W. 94, 122 Borowiak, Simone 149 Boyd, Brian 31, 50 Brock, Alexander 39 Brooks, Mel 7 Busch, Wilhelm 119, 121, 123 Carroll, Noël 66–68 Celan, Paul 86, 129 Chafe, Wallace 49 Chatman, Seymour 144 Chomsky, Noam 70 Cicero 41, 146 Clark, Michael 37 Cohen, Ted 12 Coulson, Seanna 134 Croce, Benedetto 12

Darwin, Charles 48 Di Maio, Sara 75 Eckermann, Johann Peter 165f . Eichinger Ferro-Luzzi, Gabriella 15f. Eilert, Bernd 15 Ekman, Paul 39 Erhardt, Heinz 114f., 117 Fisher, Fred 92, 114 Freud, Sigmund 8, 19, 33f., 42, 49, 112, 147 Gainsbourg, Serge 149f. Gaut, Berys 108–113 Gellert, Christian Fürchtegott 218, 225 Gerigk, Anja 31f. Gernhardt, Robert 11, 65, 78–85, 89, 91, 94f., 98, 105–107, 112, 121–123, 146f. Gervais, Matthew 51 Giora, Rachel 133f. Goethe, Johann Wolfgang von 98, 165f., 208, 210f. Goldt, Max 129, 136, 241 Gottsched, Johann Christoph 163, 165f., 168, 171–175, 183, 185, 191, 193, 201, 203, 206, 212f., 216, 219, 224f., 229, 241 Guthke, Karl S. 166, 181 Gyldenfeldt, Heinrich von 85, 87–91, 119

Register

280 Hehl, Franz-Josef 123 Heine, Heinrich 147f., 241 Hempelmann, Christian F. 75 Henscheid, Eckhard 3, 102f., 129, 133, 136 Hillson, Tim R. 131–133 Hinck, Walter 178 Hobbes, Thomas 42, 174, 233f. Hoddis, Jakob van 100f. Hoffmannswaldau, Christian Hoffmann von 129 Horaz 41, 212 Horn, András 64f. Hutcheson, Francis 41, 174 Iffland, August Wilhelm 225 Jandl, Ernst 92 Kafka, Franz 66, 99f. Kant, Immanuel 41, 136 Katz, Bruce F. 55 Kayser, Wolfgang 155 Kotzebue, August von 5, 162, 164, 207–228, 230, 237, 241f. Koestler, Arthur 56f. Krikmann, Arvo 128 Kyratzis, Sakis 135 Lamarque, Peter 141f. Latta, Robert L. 25–27 Leibniz, Gottfried Wilhelm 169 Lenz, Jakob Michael Reinhold 5, 62, 64, 187–207, 230, 237, 241f. Lessing, Gotthold Ephraim 5, 79f., 146, 159f., 162–187, 191–193, 201, 204– 206, 210–213, 217–219, 225, 228, 230, 234, 237f., 241f. Levinson, Jerrold 68f. Mann, Thomas 68

Marquard, Odo 12f. Martin, Rod A. 131–133 Mennighaus, Winfried 231 Molière 173 Morreall, John 44, 52, 97, Möser, Justus 155, 203, 205f. Müller, Ralph 135 Olsen, Stein Haugom 141f. Oring, Elliott 116 Panksepp, Jaak 54 Pascal, Blaise 41 Paulos, John Allen 124 Perutz, Leo 151f. Platon 5, 24, 41, 64, 96, 103, 242 Plessner, Helmuth 19 Preisendanz, Wolfgang 17f. Profitlich, Ulrich 163, 195f. Provine, Robert R. 39 Quintilian 41 Raskin, Victor 25f., 57, 69 – 75, 78–85, 88, 90, 94, 96, 137, 158, Ritchie, Graeme 134 Roche, Marie Sophie de la 193 Rothbart, Mary K. 127f. Rousseau, Jean-Jacques 173 Ruch, Willibald 54, 57, 123, 128, 136 Sahl, Hans 94f., 98 Schank, Roger 71 Schiller, Friedrich 210 Schlegel, Friedrich 236 Schmidt, Siegfried J. 19f. Schopenhauer, Arthur 6, 41, 59, 64, 68, Shakespeare, William 192, 196, 198, 231, 233f. Snow, Charles Percy 2 Smithers, Leonard 10

Register Solger, Karl Wilhelm Ferdinand 239 Spencer, Herbert 42 Stierle, Karlheinz 4, 13 Suls, Jerry M. 62f., 116, 127f. Terenz 186 Tieck, Ludwig 5, 148f., 159f., 162, 164, 228–242 Veale, Tony 12, 60f., 68 Vischer, Friedrich Theodor 115 Voltaire 168

281 Waechter, Friedrich Karl 94, 12 Walton, Kendall 113 Wiese, Benno von 211 Wilde, Oscar 10 Wild, Barbara 54 Wilson, David Sloan 51 Winko, Simone 208 Wittgenstein, Ludwig 101, 163 Wolf, Ror 85f., 88, 91 Wolff, Christian 169 Zehrer, Klaus Cäsar 13f.