Linguistische Studien: 2 [Reprint 2012 ed.] 9783110854459, 9783110124859

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Linguistische Studien: 2 [Reprint 2012 ed.]
 9783110854459, 9783110124859

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LINGUISTISCHE STUDIEN II

S P R A C H E DER G E G E N W A R T Schriften

des Instituts

für deutsche Sprache in

Mannheim

Gemeinsam mit Hans Eggers, Johannes Erben, Odo Leys und Hans Neumann herausgegeben von Hugo Moser Schriftleitung: Ursula Hoberg

BAND X X I I

LINGUISTISCHE STUDIEN II

PÄDAGOGISCHER

VERLAG

DÜSSELDORF

SCHWANN

© 1972 Pädagogischer Verlag Schwann Düsseldorf Alle Rechte vorbehalten • 1. Auflage 1972 Umschlagentwurf Paul Effert Druck Lengericher Handelsdruckerei Lengerich (Westf.) Einband Schwann Düsseldorf ISBN 3-7895-0185-9

INHALT

Shoko Kishitani: Prädikation im Deutschen und Japanischen. Ein Beitrag zur kontrastiven Grammatik

7

Georg Objartel: Zur Semantik einfacherer Vergleichssätze im Deutschen

31

Wolfgang W. Settekorn — Wolfgang H. Teubert: Bemerkungen zum Konditionalsatz

49

Burkhard Schaeder: Inhaltfaktoren, Inhaltfunktionen und Inhaltfunktionsklassen. Zu einer funktionalen strukturellen Semantik des Deutschen

68

Monika Kolvenbach: Verbvalenzuntersuchungen: Eine Voraussetzung für die Monosemierung von Verbinhalten

83

Joachim Ballweg — Hans-Jürgen Hacker — Helmut Schumacher: Valenzgebundene Elemente und logisch-semantische Tiefenstruktur 100 Ursula Booß — Klaus Günther Schweisthal: Voruntersuchungen zu einer semantischen Syntax des deutschen Adjektivs

147

Reinhold Glas: Zur Semantik des Genitiv-Attributes

159

Bjarne Ulvestad: Zum postpositiven Attribut im Deutschen: ein Becher aus Gold..., der Mann gestern ...

166

Horst Sitta: Semantische Probleme beim deutschen Possessivpronomen

182

Franciszek Grucza: Zur Stratifikation morphemischer Alternationen im heutigen Deutsch

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SHOKO KISHITANI PRÄDIKATION IM DEUTSCHEN UND JAPANISCHEN. Ein Beitrag zur kontrastiven Grammatik Prof. Dr. Hennig Brinkmann zum 70. Geburtstag

1. Wenn zwei — genetisch nicht verwandte — Einzelsprachen wie das Deutsche und das Japanische miteinander verglichen werden, kann es sich dabei nur um einen typologischen Vergleich handeln, gleichviel, ob damit eine kontrastive Grammatik angestrebt wird oder eher eine konfrontative, 1 ob man damit einen Beitrag zum praktischen Sprachunterricht leisten will oder vielmehr zum Aufdecken der sogenannten Universalien.2 Ein solcher typologischer Sprachvergleich kann auch verschieden motiviert sein. So möchte ich hier kurz erwähnen, warum ich die deutsche und die japanische Sprache miteinander vergleichen will. Meine kontrastive Sprachbetrachtung ist ursprünglich durch ein gewisses vorwissenschaftliches Interesse an der Beziehung zwischen Sprache und Denken im allgemeinen motiviert, und dabei insbesondere durch das persönliche Bedürfnis, mir von dem sprachlichen Zwang, dem ich mich beim Gebrauch der deutschen Schriftsprache (d.h. wenn ich selber etwas auf deutsch schreibe) unterworfen fühle, objektive Rechenschaft zu geben. Jede natürliche Sprache übt auf den einzelnen Menschen, der von ihr zweckentsprechenden Gebrauch machen will, einen gewissen Zwang aus, und zwar insofern, als sie ein ihm übergeordnetes System ist. Da dieses System (la langue) aber dem einzelnen Menschen bei seiner Sprachtätigkeit (la parole) einen sehr großen Raum der Auswahlfreiheit zur Verfügung stellt, wird er trotz dieses Zwangs in seinem sprachlichen Denken nicht so weit durch die betreffende Sprache festgelegt, daß er sich die Verantwortung für das, was er in dieser Sprache denkt, absprechen könnte. Das Sprachsystem zwingt ihn nicht, in einer bestimmten Weise zu denken. Es wäre also nicht richtig, hier von einem Zwang im Sinne von Unfreiheit zu sprechen. Der sprachliche Zwang scheint vielmehr als eine führende bzw. verführende Kraft bei der "allmählichen Verfertigung der Gedanken beim Reden" auf den einzel-

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nen Menschen zu wirken, wie es Heinrich von Kleist gemeint hat. Ob der Sprachträger das Sprachsystem als einen Zwang empfindet oder nicht, ist hier im Grunde nicht wichtig. Das Zwangsgefühl ist ein subjektives Phänomen und mag nicht jedem in gleicher Weise bewußt werden. Das Gefühl als solches kann jedenfalls nicht zum Gegenstand einer linguistischen Untersuchung gemacht werden. Wir können aber fragen, worin der sprachliche Zwang besteht. Er besteht faktisch in den grammatischen Regeln der betreffenden Einzelsprache, die bei deren Gebrauch vom einzelnen Sprachträger befolgt werden müssen. Der sprachliche Zwang, den ich beim Gebrauch der deutschen Schriftsprache empfinde, ist also die Summe ihrer grammatischen Regeln. Diese grammatischen Regeln lassen sich als objektive Tatbestände erfassen und beschreiben. Das bedeutet freilich nicht, daß der Zwang, den sie ausüben, auf diese Weise auch den muttersprachlichen Sprachträgern bewußt gemacht werden könnte. Dies ist erst dann möglich, wenn man eine Sprache, die die betreffenden Regeln nicht kennt und deswegen auf ihre Sprachträger keinen entsprechenden Zwang ausübt, als Vergleichs- und Kontrastsprache heranzieht. Eine solche Sprache ist das Japanische. Ich möchte deshalb durch eine kontrastive Beschreibung der deutschen und der japanischen Grammatik plausibel machen, daß es sich bei meinem Zwangsgefühl keineswegs um eine bloße Einbildung, sondern um eine objektiv erkennbare sprachliche Tatsache handelt. Der vorliegende Aufsatz nun ist als ein kleiner Teil einer aus diesem Grunde geplanten kontrastiven oder konfrontativen Grammatik konzipiert, und zwar nur als ein paar erste Überlegungen zu der Frage, ob und wie eine solche Grammatik methodisch möglich ist. Zunächst ist es wichtig, danach zu fragen, auf welche Weise man die deutsche und die japanische Sprache einander gegenüberstellen kann und in welchem Fall eine solche Gegenüberstellung nicht nur wissenschaftlich legitim, sondern auch zweckmäßig ist. Man kann zwar alles Mögliche miteinander vergleichen, aber für einen typologischen Vergleich wäre es nicht nur sinnlos, sondern auch irreführend, wenn man seine vergleichenden Beobachtungen über die beiden miteinander zu vergleichenden Systeme an einander nicht entsprechenden Stellen anstellte, d.h. wenn man z.B. das Schriftsystem des Japanischen mit dem Lautsystem des Deutschen vergliche oder wenn man eine syntaktische Einheit des Japanischen und eine lexikalische Einheit des Deutschen

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einander gegenüberstellte. Nun wird man zwar solche groben Fehler ohne weiteres vermeiden zu können glauben. Dennoch aber ist es in Wirklichkeit keineswegs einfach, bei diesen voneinander so verschiedenen einzelsprachlichen Systemen legitim vergleichbare, d.h. einander entsprechende Stellen zu finden. Entsprechungen sind vielmehr erst als Ergebnisse einer vergleichenden Beobachtung feststellbar, während ein erfolgreicher Vergleich selber das Vorhandensein solcher Entsprechungen voraussetzt. In einem solchen — jedem wissenschaftlichen Verfahren vertrauten — Zirkel 3 befinden wir uns, wenn wir deutsche und japanische Sätze als einander entsprechende Phänomene einander gegenüberstellen, vergleichend beobachten und Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Klassen feststellen, 4 aber erst danach die Frage aufwerfen, ob die Einheit, die man unter dem Begriff "Satz im Japanischen" versteht, und die Einheit, die man unter dem Begriff "Satz im Deutschen" versteht, wirklich auf ein und derselben Ebene vergleichbar sind, d.h. ob der Satz als syntaktische Einheit des Japanischen wirklich dem Satz als syntaktischer Einheit des Deutschen entspricht. Einerseits haben wir zwar keinen Zweifel daran, daß es sowohl im Deutschen wie auch im Japanischen Wörter (jap. go), Sätze (jap. bun) und Texte (jap. bunsho) gibt, daß der Satz für jeden Sprachträger mit normalem Sprachgefühl als eine syntaktische Einheit erkennbar ist, und zwar als eine solche, die — grob formuliert — größer als das Wort und kleiner als der Text ist, und daß also zwischen dem deutschen und dem japanischen Satz als syntaktischen Einheiten eine gewisse Entsprechung besteht, die einen typologischen Vergleich zwischen den beiden Einheiten legitimiert. Andererseits aber stellt sich für uns unvermeidlich die Frage, ob der Satz in diesem Sinne, d.h. der Satz als eine syntaktische Einheit, uns eine den beiden Einzelsprachen, dem Deutschen und dem Japanischen, gemeinsame Vergleichsbasis bieten kann, eine Basis, auf der der deutsche Satz und der japanische Satz als einzelsprachliche syntaktische Einheiten miteinander verglichen werden können. Denn in dem Fall, wo der Satz als eine syntaktische Einheit definiert wird, basiert die Satzdefinition notwendigerweise jeweils auf den morphologischen Kriterien einer Einzelsprache, also des Deutschen oder des Japanischen, und wenn irgendein von einzelsprachlichen morphologischen Kriterien unabhängiger, allgemeinsprachlicher Satzbegriff mög-

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lieh sein sollte, wäre uns Sprachbetrachtern ein solcher universell definierter Satz nicht mehr als eine syntaktische Einheit vorstellbar. Unsere Satzvorstellung ist irgendwie an ein sinnlich erfaßbares Satzmerkmal gebunden, das faktisch von Sprache zu Sprache verschieden ist: die allgemein übliche Vorstellung vom deutschen Satz ist mit dem Vorhandensein des finiten Verbs in einer Personalform verbunden, und die allgemein übliche Vorstellung vom japanischen Satz ist mit dem Vorhandensein bestimmter am Satzende stehender Sprachmittel, denen die sogenannte "Chinjutsu"-Funktion zukommt, verbunden, worauf ich später eingehen werde. Wenn jemand gegen die obigen Bemerkungen den Einwand erheben sollte, daß die deutsche Satzvorstellung nicht unbedingt mit dem finiten Verb verbunden zu sein brauche, da es doch so viele deutsche Sätze gebe, die kein finites Verb enthielten, wäre der Einwand eher auf Unterschiede in der Verwendungsweise des Terminus " S a t z " zurückzuführen als auf die Entdeckung irgendeiner sachlichen Unrichtigkeit. Denn sowohl auf der Seite der deutschen als auch auf der Seite der japanischen Grammatik gibt es eine Vielzahl verschiedener Satzdefinitionen. Die meisten freilich kann man als Varianten der folgenden zwei Grundtypen betrachten: 1) Satz als sprachliche Gestalt 5 und 2) Satz als Kommunikationseinheit. 6 Wenn wir nun den Satz als eine syntaktische Einheit betrachten, so verwenden wir dabei den Terminus v S a t z " in dem ersteren Sinne. Was eine sprachliche Gestalt von einer anderen sprachlichen Gestalt unterscheidet, ist zwar nicht nur morphologisch, aber es ist dennoch nur in Abhängigkeit von einzelsprachlichen morphologischen Merkmalen erkennbar. Dagegen kann jeder sprachliche Ausdruck, der in einer Situation gebraucht wird und durch den ein Kommunikationsziel erreicht bzw. erstrebt wird, für einen Satz im zweiten Sinne gehalten werden, unabhängig davon, in welcher Einzelsprache er formuliert ist und welche sprachliche Gestalt er hat, also gleichviel, ob er aus nur einem Wort besteht oder aus mehreren syntaktisch miteinander verbundenen Wörtern. Ein Ausdruck, der Satzgestalt hat, kann selbstverständlich auch als eine Kommunikationseinheit fungieren. So vergißt man o f t die Tatsache, daß die beiden Definitionen auf verschiedenen Kriterien beruhen, und ist versucht, die allgemein übliche Satzlehre, die im finiten Verb bzw. in der Subjekt-Prädikat-Struktur ein wesentliches Merkmal

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des deutschen Satzes sieht, mit dem Hinweis darauf zu kritisieren, daß , auch ein Ausdruck wie Feuer!, in einer bestimmten Situation gebraucht, als ein vollständiger Satz (d.h. als eine sinnvolle Mitteilung) fungieren kann und also nicht etwa als Ellipse oder Abweichung von der Norm angesehen zu werden braucht. Solche Mißverständnisse könnten aber vermieden werden, wenn wir für den Satz im zweiten Sinne einen anderen Terminus als "Satz" verwendeten, z.B. den Terminus "Rede", wie es Porzig tut. 7 Die Ein-Wort-Rede Feuer! ist als Rede wohl keine Ellipse und keine Abweichung von der Norm, sie hat aber auch keine Satzgestalt und ist also kein deutscher Satz in unserem Sinne. Nachdem ich die Verwendung des Terminus "Satz" auf dessen Gebrauch im Sinne von "Satz als sprachliche Gestalt" beschränkt habe, muß ich noch darauf hinweisen, daß man trotzdem, und zwar mit Recht, die Frage stellen kann, ob das finite Verb allein als Satzmerkmal ausreicht. Das Vorhandensein eines finiten Verbs reicht als Kriterium für die Bestimmung des deutschen Satzes offensichtlich nicht aus, wenn man einen Nebensatz (vor allem einen Relativsatz) als Satzteil von einem Satzgefüge als Satz unterscheiden will. Auch wenn man die Wortstellung des finiten Verbs als zweites Kriterium heranzieht, entscheidet man in Wirklichkeit doch nicht auf Grund dieser zwei — auch im optischen Medium der Schrift erkennbaren — Kriterien allein darüber, ob man einen Satz vor sich hat oder nicht. Für die Entscheidung darüber kommt schließlich etwas Intuitives hinzu: man empfindet einen Satz eben als Satz. Die Tatsache, daß die Intonation, die bei der gesprochenen Sprache — sowohl im Deutschen wie auch im Japanischen — eine so wichtige Rolle für die Bestimmung des Satzes spielt, bei der geschriebenen Sprache nicht als solche in Erscheinung tritt, sondern nur durch die Interpunktion notdürftig ersetzt wird, legt den Gedanken nahe, daß der Geltungsbereich des anhand der geschriebenen Sprache herausgearbeiteten, herkömmlichen Satzbegriffes begrenzt sein muß. Ferner stellt sich die Frage, ob es den Forschern, die sich um die Erforschung der gesprochenen Sprache bemühen, gelingen wird, nur anhand der gesprochenen Sprache (also ganz unabhängig von der herkömmlichen Satzvorstellung) einen Begriff des Satzes als sprachlicher Gestalt zu konzipieren. 8

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Der schon erwähnte Zweifel, ob der deutsche und der japanische Satz wirklich als auf ein und derselben Ebene stehende syntaktische Einheiten miteinander vergleichbar sind, könnte eventuell auf die Einseitigkeit meiner auf die optischen Erscheinungsmöglichkeiten beschränkten Sprachbetrachtung zurückgeführt werden. Es ist also wohl möglich, daß dieser Zweifel sich — wenn man auch die akustischen Erscheinungsmöglichkeiten in Betracht zieht — als unbegründet erweist. Trotzdem wird der Versuch, auf diesen Zweifel näher einzugehen und ihn einmal von der Seite der geschriebenen Sprache her zu begründen, vielleicht ein kleiner Beitrag zur methodischen Frage des typologischen Sprachvergleichs sein. 2. Wenn ich den deutschen und den japanischen Satz im Rahmen der geschriebenen Sprache miteinander vergleiche, so scheint mir der deutsche Satz als syntaktische Einheit auf einer höheren Abstraktionsstufe zu stehen als der japanische, und zwar auf einer höheren Abstraktionsstufe innerhalb einer von der Parole zur Langue führenden Abstraktionsskala. Anders ausgedrückt, mir scheint der japanische Satz als syntaktische Einheit dem Phänomen der Parole näher zu stehen als der deutsche. Diese Bemerkung dürfte sowohl den Deutschen, die die japanische Sprache nicht kennen, als auch den Japanern, die die deutsche Sprache kennen, zunächst befremdlich vorkommen. Sie bedarf also einer Erklärung. Diese betrifft das Verhältnis zwischen Parole und Langue und die Lokalisierung des Satzes zwischen diesen Größen. Das "Wort" aus jeweiligen einmaligen Reden (= Texten), in denen es vorkommt, herauszunehmen und als eine Einheit auf der Ebene der Langue anzusehen, ist sowohl für die deutsche wie auch für die japanische Sprache möglich, und zwar in gleichem Maße leicht möglich. Dagegen ist es sowohl für die deutsche wie auch für die japanische Sprache sehr schwierig, die "Rede" aus jeweiligen einmaligen Reden herauszunehmen und zu einer Einheit auf der Ebene der Langue zu abstrahieren; denn eine Rede ist nichts anderes als das unmittelbare Dokument einer jeweils einmaligen Sprachtätigkeit, d.h. der Parole selbst. In dieser den beiden Sprachen, vielleicht allen natürlichen Sprachen gemeinsamen Tatsache gründet auch die weitere Tatsache, daß der Austausch sprachlicher Zeichen entweder in Wörtern (: Nennungen) oder in Reden (: Prädikationen) möglich ist. Für eine deutsche Nennung kann

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man ohne weiteres eine entsprechende japanische Nennung finden bzw. neu bilden, solange im außersprachlichen Bereich ein Korrelat der betreffenden Nennung erkennbar ist und die Austauschbarkeit zwischen den beiden Nennungen im Hinblick auf ihr gemeinsames außersprachliches Korrelat überprüfbar ist. Die Übersetzung ist dagegen nur in bezug auf eine Prädikation (eine Rede, einen Text) möglich. Einen deutschen Satz wie Er ist Student, glaubt man normalerweise ohne weiteres ins Englische oder ins Französische übersetzen zu können; erst bei dem Versuch, ihn ins Japanische zu übersetzen, stellt man fest, daß die Übersetzung dieses Satzes eigentlich nicht möglich ist, ohne zu wissen, wer mit er gemeint ist, in welcher Situation der Satz gebraucht wird, ob der Sprecher sich dabei dem Partner gegenüber höflich verhält oder nicht, usw. Ubersetzen kann man den Satz nur als die Prädikation, die auf eine bestimmte Situation bezogen ist und die man deswegen nicht nur sprachlich, sondern auch dem Gemeinten nach versteht. Also gibt es in der Sprache zwei Ebenen, auf denen die einzelsprachliche Verschiedenheit auf Grund der außersprachlichen Gemeinsamkeit ausgeglichen werden kann: 1) die lecikalische Ebene, auf der etwas genannt wird, 2) die syntaktische Ebene, auf der etwas prädiziert wird. Was in einem Sprachsystem genannt ist, kann auch in einem anderen Sprachsystem genannt werden; was in einer Sprache prädiziert worden ist, kann auch in einer anderen Sprache prädiziert werden. Ohne diese allen Sprachen gemeinsame Grundeigenschaft wäre eine kontrastive Sprachbetrachtung überhaupt nicht möglich. 9 Eine Schwierigkeit bei diesem Gedanken besteht allerdings darin, daß unsere Dichotomie von "Nennung"und "Prädikation" sich zu der Saussureschen Dichotomie von "langue" und "parole" in folgender Weise verhält: die Prädikation als konkretes syntaktisches Phänomen gehört zur Parole, aber die Prädikation als die abstrakte Struktur dieses Phänomens gehört zur Langue, genauso, wie eine Nennung als lexikalische Einheit zur Langue gehört. Eine syntaktische Untersuchung befaßt sich immer mit der Parole als ihrem unmittelbaren Gegenstand, aber das Ergebnis der Untersuchung liegt auf der Ebene der Langue. Solange die einzelsprachliche Syntax es sich zur Aufgabe macht, die Regeln, die vom Sprachträger beim Prädizieren in der betreffenden Sprache befolgt werden müssen, aufzudecken und zu beschreiben, ist

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es auch verständlich, daß nicht nur die einzelnen Regeln für das Prädizieren, sondern auch der Rahmen, in dem prädiziert wird, dem System dieser Sprache zugeschrieben werden. Die Prädikation fällt im einzelsprachlichen System faktisch mit dem Satz zusammen, der einen solchen Rahmen darstellt, während die Prädikation als unmittelbarer Gegenstand der syntaktischen Untersuchung mit der Rede zusammenfällt, die von einem bestimmten Sprachträger in einer bestimmten Situation prädiziert wird und also jeweils einmalig ist. Unsere Gleichsetzung der Prädikation einmal mit dem Satz, zum andern mit der Rede könnte einem befremdlich vorkommen, wenn man den Satz als einen Teil der Rede ansieht. In der Tat können sich die Rede und der Satz — wenn sie beide als Phänomene auf der Ebene der Parole betrachtet werden — wie Ganzes und Teil verhalten, da eine Rede in mehrere Sätze zerlegt werden kann. 1 0 Wir siedeln den Satz und die Rede aber auf zwei verschiedenen Ebenen an: den Satz als Prädikation auf der Ebene der Langue und die Rede als Prädikation auf der Ebene der Parole. Diesen weiten Begriff von "Prädikation" brauchen wir, um den deutschen und den japanischen Satz als einzelsprachliche syntaktische Einheiten auf der Ebene der Langue miteinander vergleichen zu können. Da die Prädikation als Vergleichsbasis dabei als eine zwar syntaktische, aber doch allgemeinsprachlich syntaktische Einheit konzipiert ist, ist es nicht verwunderlich, daß wir für diese Einheit kein objektsprachliches Beispiel zitieren können. Wenn wir aber trotzdem konkrete Beispiele anführen wollen, um den Begriff der Prädikation zu erläutern, so können wir deutsche oder japanische Sätze mit ihrem jeweiligen ihre Übersetzung ermöglichenden Kontext zitieren. Es gibt aber kein Beispiel für die Prädikation als solche. Wenn die Prädikation auf der Ebene der Parole jeweils auf eine einmalige Situation bezogen ist, muß sie eigentlich auch auf der Ebene der Langue als eine solche sprachliche Einheit aufgefaßt werden, nämlich als situationsbezogene syntaktische Einheit. In der Tat wird der Satz in der japanischen Grammatik als die syntaktische Einheit definiert, die dem Sprachträger ermöglicht, zum Aussageinhalt (zum besprochenen Sachverhalt) im Hinblick auf die Situation Stellung zu nehmen und diesen auf sie zu beziehen und dadurch zur Aussage zu machen. Diese syntaktische Funktion, die dem Satz als Ganzem zukommt, nennt man auf japanisch "chinjutsu" (Aussagen) und unterscheidet sie von der Auf-

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gäbe, den Aussageinhalt zu formulieren, d.h. "jojutsu" (Besprechen), die auch einem Satzteil zukommt. 1 1 Auf diese Auffassung des Satzes als situationsbezogene syntaktische Einheit kommt man bei der Analyse japanischer Texte deswegen leicht, weil man hier vielen Sprachmitteln begegnet, die nicht zur Formulierung des Aussageinhalts, sondern ausschließlich zur Bezeichnung der Situation (der persönlichen Beziehung des Sprechers zum Partner, seiner Empfindung im Augenblick des Prädizierens) und gleichzeitig als finale Formen zur Markierung der Prädikation dienen. Solche Sprachmittel (emotionale finale Postpositionen und honorative Verbalsuffixe) 12 bilden im System der japanischen Sprache Kategorien, mit deren Hilfe unendlich viele verschiedene außersprachliche Situationen sprachlich erfaßt und unter ein paar Typen subsumiert werden können, obwohl sich daraus kein grammatisches Paradigma ergibt. Indem die jeweils einmalige konkrete Situation als ein Situationstyp aufgefaßt wird, wird auch die Situationsbezogenheit — von der Ebene der Parole in Richtung auf die Ebene der Langue — abstrahiert; aber auch auf der Ebene der Langue gehört sie der Prädikation (dem Satz) als ihr Wesensmerkmal zu. Wie steht es demgegenüber mit dem deutschen Satz? Ein deutscher Satz wie z.B. Es regnet, kann in recht verschiedenen Situationen bzw. Kontexten vorkommen; auf der Ebene der Parole ist er sicher auf irgendeine Situation bezogen. Aber wenn man vom deutschen Satz als sprachlicher Gestalt ausgeht und über die Situationsbezogenheit des Satzes nachdenkt, kommt es einem so vor, als ob es sich hier um kein innersprachliches Phänomen handle; denn der Satz Es regnet, wird jedesmal — wenigstens auf den ersten Blick — nur dadurch auf eine Situation bezogen, daß er in dieser Situation gebraucht wird, und die Bezugnahme auf die Situation wird nicht zusätzlich, wie im Japanischen, durch ein sprachliches Mittel bezeichnet. Die Situationsbezogenheit kann deswegen auf der Ebene der Langue nicht mehr aufgefaßt werden. So scheint der deutsche Satz auf der Ebene der Langue eine syntaktische Einheit darzustellen, die ohne Bezug auf die Situation nur der Formulierung eines Sachverhalts dient, und in dieser Hinsicht, wie schon gesagt, mehr als der japanische Satz abstrahiert zu sein. 1 3 Gibt es aber in der deutschen Sprache wirklich kein sprachliches Mittel, das zur Bezeichnung der Situation dient? Das wäre doch unwahrscheinlich, und so gibt es in der Tat auch im Deutschen zahlreiche

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Sprachmittel, die in einer Prädikation zu dem Zweck gebraucht werden, die Stellungnahme des Sprechers zum besprochenen Sachvethalt, seine Stimmung in der Situation, seine persönliche Beziehung zum Angesprochenen usw. zum Ausdruck zu bringen: Ein und derselbe Sachverhalt kann nämlich auf verschiedene Weise prädiziert werden, so z.B. der Sachverhalt "es regnet" als Es regnet, nicht wahr?, Es wird wohl Regen geben., Es regnet bestimmt., Hoffentlich regnet es bald., Na, es regnet, usw. Die Grammatiker der deutschen Sprache sind aber nicht dazu gelangt, solche Ausdrücke als "situationsbezogene Sprachmittel" als Kategorien auf der Ebene der Langue zu etablieren. Denn sie haben die Sprachmittel, die ausschließlich zur Bezeichnung der außersprachlichen Situation dienen, die aber bei der Prädikation nicht in die fest an das finite Verb gebundene syntaktische Fügung eingegliedert werden, — vor allem solche, die hauptsächlich in der gesprochenen Sprache vorkommen und selten schriftlich fixiert werden, — von vornherein aus ihrem grammatischen Interesse verbannt. Die Hilfsverben werden zwar den Kategorien Modus und Tempus eingegliedert; aber die Tatsache, daß sie bei der Prädikation als finites Verb in einer Personalform erscheinen und so in die grammatische Subjekt-Prädikat-Struktur hineingezogen werden müssen, scheint den Betrachter der deutschen Sprache in der Erkennung der Tatsache, daß es sich bei den Kategorien Modus und Tempus mehr um die Stellungnahme des Sprechers zum besprochenen Sachverhalt im Hinblick auf die Situation als um die Formulierung des Sachverhalts selber handelt, eher zu hindern als zu fördern. Denn das finite Verb, durch das die deutsche Prädikation markiert wird, kann zwar gleichzeitig auch zur Bezeichnung der Situation dienen; aber solange es immer in einer Personalform erscheinen muß, ist es nicht imstande, — unabhängig von der Klassifikation des besprochenen Sachverhalts nach der grammatischen Person — unmittelbar auf die außersprachliche Situation Bezug zu nehmen, was übrigens für eine Interjektion wie na! sowie für die japanischen emotionalen finalen Postpositionen möglich ist. 3. Wir würden sicherlich der deutschen Grammatik nicht ganz gerecht, wenn wir von ihr sagten, daß sie bei ihrem Satzbegriff die Situationsbezogenheit der Aussage überhaupt außer acht ließe. Was uns bei der obigen Beobachtung interessiert, ist vielmehr folgendes: Die

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Tatsache, daß die Prädikation in der deutschen Sprache durch das finite Verb in einer Personalform markiert wird, scheint uns, wenn wir im Deutschen prädizieren, dazu zu verhelfen bzw. zu verführen, daß wir uns das, was im Rahmen eines Satzes formuliert worden ist, wie einen Sachverhalt, der unabhängig von jeder Situation denkbar ist und immer wieder vorkommen kann, vorstellen, d.h. den besprochenen Sachverhalt von seinem ursprünglichen Bezug auf die einmalige Situation lösen und ihm im sprachlichen Bereich eine gewisse Selbständigkeit verleihen, kurz, den im Rahmen des Satzes besprochenen Sachverhalt hypostasieren. Die Potenz der Hypostasierung kommt zwar jeder Sprache als eine wesentliche Leistung des Zeichens zu, aber diese Art Hypostasierung auf der syntaktischen Ebene sicherlich nicht allen Sprachen in gleicher Weise. Sie scheint jedenfalls der deutschen Sprache in weit höherem Grade als der japanischen inhärent zu sein. Und dies ist auch ein Grund dafür, daß ich die deutsche Sprache für eine günstigere Metasprache halte als meine Muttersprache. Die Hypostasierung stellt zwar eine gewisse geistige Gefahr dar, eine Entfremdung von der Wirklichkeit, vor der man sich stets hüten muß; sie bietet uns aber ohne Zweifel auch eine Hilfe, mit der allein die geistige Tätigkeit für uns eine erfaßbare objektive Wirklichkeit wird. Über die Sprache z.B. könnte man ohne Hilfe der Hypostasierung überhaupt nicht sprechen, genauso wenig wie über Gott. Es ist mir bewußt, daß die Hypostasierungskraft der Sprache als solche nicht zum Gegenstand einer linguistischen Untersuchung gemacht werden kann, genauso wenig wie das Zwangsgefühl, das ich beim Gebrauch der deutschen Schriftsprache empfinde. Im folgenden möchte ich nur versuchen, die Eigentümlichkeit der durch das finite Verb markierten, d.h. durch die grammatische Person geprägten Prädikation von diesem speziellen Interesse an der Hypostasierung her zu interpretieren, und zwar im Kontrast zur japanischen Prädikation, die der Bedingung der grammatischen Person nicht unterworfen ist. 1 4 Wenn man unter dem Phänomen der grammatischen Person nichts anderes als die sprachliche Möglichkeit verstehen sollte, die Rolle des Sprechers und des Angesprochenen von der besprochenen Welt abzuheben, bzw. die personale Beziehung in der besprochenen Welt als in die drei Kategorien des Sprechers, des Angesprochenen und eines Dritten gegliedert zu bezeichnen, hätte man eigentlich keinen Grund, in diesem Phänomen eine Eigentümlichkeit der deutschen (bzw. einer in-

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dogermanischen) Sprache zu sehen. Da auch in der japanischen Sprache die spezielle Kategorie der Personalwörter, die sich von normalen Gattungsnamen unterscheiden und nur die Rolle des Sprechers oder des Angesprochenen in der Situation bezeichnen, vorhanden ist, ist es auch für die japanische Sprache selbstverständlich möglich, eine besprochene Person entweder als "mit dem Sprecher identisch", oder als "mit dem Angesprochenen identisch", oder als "weder mit dem Sprecher noch mit dem Angesprochenen identisch" zu bezeichnen. Das Phänomen der grammatischen Person in den indogermanischen Sprachen ist aber nicht auf diese Bezeichnungsmöglichkeiten beschränkt; die Bezeichnung der Person ist hier ein grammatisches Phänomen, und zwar in der Hinsicht, daß die Person als Träger der besprochenen Handlung die Form des finiten Verbs, durch das die Prädikation markiert wird, bestimmt und dadurch für die Syntax relevant wird. Um den wesentlichen Unterschied zwischen der durch die grammatische Person bestimmten und der durch diese nicht bestimmten Prädikation klar zu machen, ist es angebracht, zuerst darauf hinzuweisen, daß bei einer jeden Prädikation — wenigstens theoretisch — zwei Dimensionen voneinander zu unterscheiden sind: die Formulierung des Aussageinhalts und die sprachliche Bezugnahme auf die Situation, obwohl diese de facto — einzelsprachlich in verschiedener Weise — ineinandergreifen und nie voneinander getrennt werden können. Bei der japanischen Prädikation ist der Unterschied zwischen den beiden Dimensionen deswegen ziemlich deutlich erkennbar, weil es hier, wie schon erwähnt, spezielle Sprachmittel für die Bezugnahme auf die Situation gibt, Sprachmittel, die sich von den üblichen Sprachmitteln, die zur Formulierung des Aussageinhalts dienen, kategorial unterscheiden. 15 Dieser Dimensionsunterschied ist aber, wenn man von der Seite der deutschen Prädikation ausgeht, schwierig zu erkennen; denn die Eigentümlichkeit der durch die grammatische Person geprägten Prädikation besteht gerade darin, daß durch die Verwendung des finiten Verbs in einer Personalform die beiden Dimensionen so fest miteinander verkoppelt werden, daß man als naiver Sprachträger nicht einmal dazu kommt, sich dieser Verkoppelung der verschiedenen Dimensionen bewußt zu werden. 1 6 Bei der Verwendung des finiten Verbs ir einer Personalform handelt es sich nämlich einmal um die Klassifikation der besprochenen Welt im 18

Hinblick auf die Situation, zweitens aber, umgekehrt gesagt, um die durch die Klassifikation der besprochenen Welt versprachlichte Bezugnahme auf die Situation. Denn welche Personalform verwendet werden soll, wird vor allem danach geregelt, ob der Träger der besprochenen Handlung mit einem der beiden Teilnehmer an der Kommunikation, also mit einer der personalen Komponenten der Situation, identisch ist oder nicht, und wenn ja, mit welchem Teilnehmer er identisch ist, mit dem Sprecher oder dem Angesprochenen. Die sich daraus fast mechanisch ergebenden drei Kategorien, die 1., die 2. und die 3. Person, gelten eigentlich nur für die Klassifikation der besprochenen Welt; aber dadurch, daß sich das finite Verb durch diese sprachliche Klassifikation mittelbar auf die Situation bezieht, kommt es einem bei der deutschen Prädikation so vor, als ob die Situation selbst in diese drei Kategorien gegliedert sei. Um diesen eigentümlichen Mechanismus der grammatischen Person zu klären, ist es aufschlußreich, dieser für das europäische Sprachleben selbstverständlichen Dreiteilung der personalen Beziehung eine andere Klassifikationsmöglichkeit gegenüberzustellen. 17 Denn die Dreiteilung nach dem Modell der Kommunikation ist zwar insofern für alle natürlichen Sprachen möglich, als dieses Modell im außersprachlichen Bereich gründet; sie ist aber nicht die einzige Möglichkeit, die zu besprechende personale Beziehung im Hinblick auf die Situation zu klassifizieren. Dem Handlungsausdruck des Japanischen liegt eine andere Klassifikation zugrunde, nämlich die Zweiteilung der personalen Beziehung in die eigene Person (jap. ji) und die andere Person (jap. ta). Die besprochene Handlung wird hier entweder als eine Handlung der eigenen Person oder als eine solche der anderen Person aufgefaßt und dementsprechend in verschiedener Weise formuliert. Auch diese Zweiteilung dürfte wohl ursprünglich — genauso wie die Dreiteilung nach dem Kommunikationsmodell — im Hinblick auf die Sprechsituation entstanden sein, in der ja der Sprecher als eigene Person dem Angesprochenen als anderer Person gegenübersteht. Aber als Prinzip für die Klassifikation der zu besprechenden menschlichen Welt ist sie nicht mehr an die Rolle des Sprechers und des Angesprochenen in der Situation gebunden: der Sprecher wird normalerweise von sich selber als eigene Person aufgefaßt, in ironischer Sprechweise kann er aber sich selber auch als andere Person auffassen. Ein jeder Mensch kann als eigene Person aufgefaßt werden,

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wenn der Sprecher ihn eben als auf der eigenen Seite stehende Person beurteilt und sozusagen mit sich selbst identifiziert. Diese Beurteilung aber ist nicht auf die zwischen dem Sprecher und dem betreffenden Menschen bestehende persönliche Beziehung als solche fixiert, sondern abhängig von dem vom Sprecher selbst jeweils erkannten Verhältnis unter den verschiedenen dabei mitspielenden interpersonalen Beziehungen: nicht nur die Beziehung des Sprechers zum betreffenden Besprochenen, sondern auch die Beziehung des Angesprochenen zu diesem, die Beziehung zwischen Sprecher und Angesprochenem und manchmal auch noch die Beziehung zwischen dem betreffenden Besprochenen und einem anderen Besprochenen, diese müssen alle in Betracht gezogen und untereinander abgewägt werden, damit der Sprecher beurteilen kann, ob er den Betreffenden als eigene Person auffassen soll oder als andere Person. Wenn ich z.B. mit meinem Vater über eine seiner Handlungen spreche, formuliere ich sie als eine Handlung "der anderen Person"; wenn ich aber mit einem Fremden über sie spreche, formuliere ich sie als Handlung "der eigenen Person" und eine Handlung dieses Fremden dagegen als eine Handlung "der anderen Person". Wenn es sich dabei um eine zwischenmenschliche Handlung wie z.B. "geben", "mitteilen", "bitten" usw. handelt, verhält es sich noch komplizierter. Wenn einer der beiden Besprochenen (z.B. der Träger der Handlung) als eigene Person aufgefaßt wird, muß der andere (z.B. der an der Handlung Beteiligte) als andere Person aufgefaßt werden, da die eigene und die andere Person ein sich gegenseitig bestimmendes Begriffspaar darstellen. Die Zweiteilung der menschlichen Welt in die eigene und die andere Person beruht im Grunde auf einem relativen Prinzip. Aus diesem Grunde wird bei der Verwendung eines japanischen Handlungsausdrucks, dem diese Zweiteilung zugrundeliegt, weit mehr auf den konkreten Fall der Situation Rücksicht genommen als bei der Verwendung eines deutschen Verbs in einer Personalform, bei der die Situation stets nur in der Form des Kommunikationsmodells berücksichtigt wird. Die zu besprechende Welt nach dem Kommunikationsmodell zu klassifizieren bedeutet nichts anderes als sie zwar im Hinblick auf die Situation, aber unabhängig von dem jeweiligen konkreten Fall der Situation zu klassifizieren und zu besprechen. In dieser Hinsicht scheint die deutsche Prädikation auf Grund der Dreiteilung in die 1., 2. und 3. Person

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eine Abstraktion in höherem Grade darzustellen als die japanische auf Grund der Zweiteilung in die eigene und die andere Person. Wenn wir nun die beiden Sprachen in dieser grundlegenden Verfahrensweise der Prädikation miteinander vergleichen wollen, stellt sich aber wiederum die bekannte Frage, ob wir hier zwei legitim vergleichbare, d.h. einander entsprechende Phänomene vor uns haben. Die Wahl einer Personalform für die 1., 2. oder 3. Person ist ohne Zweifel ein Phänomen auf der syntaktischen Ebene-, ob es sich bei der Wahl eines Verbs (: Handlungsausdrucks) für die zu besprechende Handlung der eigenen oder der anderen Person um ein Phänomen auf der syntaktischen Ebene handelt oder nicht, ist dagegen sehr schwierig zu entscheiden. Für die Bezeichnung der Handlung "geben" z.B. haben wir im Japanischen verschiedene Wörter: yaru für das Geben in der Richtung von der eigenen zur anderen Person, ageru bzw. sashiageru, wenn die andere Person dabei als höherstehende geehrt wird, kureru für das Geben in der Richtung von der anderen zur eigenen Person, kudasaru, wenn die andere Person dabei als höherstehende geehrt wird. Wenn der japanische Sprachträger von diesen Wörtern eines auswählt und für die Bezeichnung der betreffenden Handlung verwendet, so scheint es sich hier um ein Phänomen auf der lexikalischen Ebene zu handeln, genauso wie in dem Fall, wo der deutsche Sprachträger von mehreren Synonymen wie geben, reichen, darreichen, überreichen, schenken usw. eines auswählt, um eine zwischenmenschliche Handlung zu bezeichnen. Aber der Unterschied zwischen kureru und yaru in ihrer Verwendung ist von anderer Natur als der zwischen zwei Synonymen bestehende semantische (bzw. stilistische) Unterschied. Er entspricht vielmehr einem semantischen (bzw. grammatischen) Unterschied, wie er z.B. zwischen Aktiv und Passiv (oder Faktitiv), zwischen Intransitiv und Transitiv, zwischen sein und haben, zwischen kommen und bringen, zwischen bleiben und lassen usw. besteht. 1 8 In diesem Bereich eines Genus verbi in weiterem Sinne greifen — sowohl in der deutschen als auch in der japanischen Sprache, aber in einzelsprachlich verschiedener Weise — syntaktische und lexikalische Phänomene ineinander. Zwischen der syntaktischen und der lexikalischen Ebene ist hier keine scharfe Grenze zu ziehen. Wenn wir die der deutschen Prädikation und die der japanischen Prädikation zugrundeliegenden Regeln beide als "grammatische Regeln" miteinander vergleichen wollen, müssen wir wohl den Begriff "gramma-

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tisch" zunächst sehr weit fassen und danach unter den grammatischen Regeln zwei Typen voneinander unterscheiden: 1) systemgebundene, im rein sprachlichen Bereich begründete Regeln (z.B. grammatische Kongruenz) und 2) auf den außersprachlichen Bereich bezogene, eine Interpretation erfordernde Regeln (z.B. die Verwendungsweise des bestimmten Artikels, der modalen und temporalen Formen). Da zwischen den beiden Typen eine ziemlich breite Zwischenzone (z.B. die Verwendungsweise der Kasus und Präpositionen) besteht, können sie zwar de facto nicht so scharf gegeneinander abgegrenzt werden, die Unterscheidung ist aber für einen Vergleich zwischen der deutschen und der japanischen Prädikation dennoch sehr aufschlußreich. Denn die deutsche Sprache verfügt über sehr viele systemgebundene grammatische Regeln, während die japanische Sprache — abgesehen von den Flexionsformen und der Reihenfolge bestimmter Sprachmittel — solche Regeln kaum kennt. Die Verwendungsweise der Personalform bei der deutschen Prädikation ist an das System des Deutschen gebunden und sprachlich geregelt; diese systemgebundene Regelung ist deswegen möglich, weil die Dreiteilung nach dem Kommunikationsmodell, unabhängig von jedem subjektiven Urteil des Sprachträgers, fast mechanisch durchgeführt werden kann. Bei der japanischen Prädikation, die der grammatischen Person nicht unterworfen ist, ist dagegen die Verwendungsweise aller der Sprachmittel, die zur Bezeichnung der personalen Beziehungen dienen, abhängig davon, wie die betreffende außersprachliche Beziehung vom Sprachträger jeweils interpretiert wird; nicht nur die Verwendungsweise von Sprachmitteln, die die interpersonalen Beziehungen in der besprochenen Welt bezeichnen (z.B. der sogenannten stoffbezogen honorativen Verben, der Verbalsuffixe für Passiv und Faktitiv, der Handlungsausdrücke mit Richtungscharakter usw.), sondern auch die Verwendungsweise der sogenannten partnerbezogen honorativen Hilfsverben, die auf die persönliche Beziehung zwischen Sprecher und Angesprochenem in der Situation Bezug nehmen und gleichzeitig zur Markierung der Prädikation dienen, ist nicht so an das sprachliche System gebunden wie die Verwendungsweise der Personalform. 19 Der japanische Sprachträger wird zwar dazu gezwungen, entweder mit einer höflicheren Form oder mit einer weniger höflichen Form den Satz abzuschließen; aber welche Form gewählt werden soll, hängt im Grunde nur von seinem eigenen Urteil in Bezug auf den außersprachlichen Bereich

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ab. Der deutsche Sprachträger, der einen Satz bildet, wird dagegen nicht nur dazu gezwungen, eine Personalform für das finite Verb zu wählen; welche Personalform gewählt werden soll, ist auch sprachlich geregelt und steht für ihn nicht mehr frei, wenn er sich entschieden hat, worüber er sprechen will. Hierin besteht ein wesentlicher Unterschied zwischen der deutschen und der japanischen Prädikation auf der Satzstufe. 4. Die grammatische Person ist nicht nur auf der Satzstufe, sondern auch auf der Textstufe für die deutsche Syntax relevant. Dies zeigt sich vor allem darin, daß die anaphorischen Personalpronomina nach systemgebundenen grammatischen Regeln verwendet werden. Wir können einmal sagen: auf der Textstufe besteht für den Sprachträger kein sprachlicher Zwang; denn nachdem er einen Satz formuliert hat, wie z.B. Es war einmal ein König., steht es ihm noch völlig frei, was für einen Satz er auf diesen folgen lassen will. Er kann sich frei entscheiden, wie er seine Rede konstituieren will. Aber in dem Moment, in dem er sich dazu entschließt, im nächsten Satz über den im ersten Satz genannten König weiter zu sprechen, wird die Freiheit des Sprachträgers in eine bestimmte Richtung hin eingeschränkt, in der nun die Auswahlmöglichkeit der verwendbaren Sprachmittel bereits an das System des Deutschen gebunden ist. Der nächste Satz könnte z.B. heißen: Er hatte drei schöne Töchter. Anstelle des anaphorischen Pronomens er kann auch ein anderer Ausdruck wie z.B. der König, dieser König, der alte König, dieser mächtige Mann usw. verwendet werden. Aber die Möglichkeit, anstelle von er hatte einen Ausdruck wie sie hatte, es hatte, sie hatten zu verwenden, ist hier genauso ausgeschlossen wie die Möglichkeit, im zweiten Satz den im ersten Satz genannten König noch einmal mit dem Ausdruck ein König zu bezeichnen. Die Regel, daß der unbestimmte Artikel bei der zweiten Nennung nicht mehr verwendet werden kann, ist dabei in der — außersprachlichen — Tatsache begründet, daß der betreffende König durch die erste Nennung dem Kommunikationspartner bereits bekannt ist. Die Regel, daß das anaphorische Pronomen, das das vorausgehende Substantiv König wiederaufnimmt, das Personalpronomen der 3. Person, ein Maskulin Singular sein muß, ist dagegen nur im sprachlichen Bereich begründet, nämlich im System des Deutschen, das über die grammatischen Kategorien "Person", "Ge-

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nus" und "Numerus" verfügt und auch auf der Textstufe, d.h. zwischen "Substituendum" und "Substituens" eine grammatische Kongruenz verlangt.20 Was die Kongruenz im Genus und Numerus betrifft, so ist auch die Verwendungsweise der adjektivischen Demonstrativpronomina der, dieser, jener usw. nicht frei von den systemgebundenen Regelungen. In diesem Fall handelt es sich aber um eine grammatische Kongruenz zwischen dem Pronomen und dem von ihm bestimmten Substantiv auf der Satzstufe. 21 Obwohl ein durch ein Demonstrativpronomen bestimmtes Substantiv unter Umständen an der Stelle eines anaphorischen Personalpronomens auftreten kann, ohne das Gemeinte zu ändern, wie es z.B. in dem Text: Es war einmal ein König. Er (Der König) hatte drei schöne Töchter, der Fall ist, unterscheidet das anaphorische Pronomen sich vom Demonstrativpronomen wesentlich darin, daß seine Verwendungsweise — über den Rahmen des Satzes hinaus — an das System des Deutschen gebunden ist. Durch die im sprachlichen System gesicherte Identität (d.h. die grammatische Kongruenz zwischen Substituendum und Substituens) nimmt das anaphorische Pronomen einen im vorausgehenden Satz schon genannten sprachlichen Ausdruck als solchen wieder auf und bezieht sich nur mittelbar durch diesen auf dessen außersprachliches Korrelat. Eine klare Unterscheidung zwischen der primären Sprachtätigkeit auf der Satzstufe und der Wiederaufnahme des bereits Genannten bzw. Versprachlichten auf der Textstufe ist eigentlich nur auf Grund des Vorhandenseins der Kategorie der anaphorischen Pronomina möglich, die ihrerseits nur im Zusammenhang mit der durch die grammatische Person geprägten Prädikation existieren können. Bei den Demonstrativpronomina haben wir dagegen keinen zwingenden Grund, von ihrer deiktischen Verwendung in bezug auf die Situation oder den Horizont ihre ebenso deiktische Verwendung in bezug auf den Kontext abzuheben und sie als "anaphorische Verwendung" zu bezeichnen.22 Der Kontext unterscheidet sich zwar insofern von der außersprachlichen Situation, als er selber ein sprachliches Produkt ist. Aber zur Prädikation als der primären Sprachtätigkeit stehen der Kontext und die Situation sowie der Horizont in der gleichen Beziehung: sie sind alle insofern "außersprachlich", als nur im Hinblick auf sie prädiziert wird und sie selber nicht prädiziert werden. 23 Auf das

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Außersprachliche in diesem Sinne nimmt ein Demonstrativpronomen stets unmittelbaren Bezug. Auch bei der Verwendung einer Konjunktion, von der man mit Recht sagen kann, daß sie eine Verbindung zwischen zwei Sätzen herstellt und also ihre Aufgabe über den Rahmen eines Satzes hinausgeht, kann man wiederum mit gleichem Recht behaupten, die Konjunktion verbinde die Sätze nicht als sprachliche Einheiten miteinander, sondern nehme unmittelbar Bezug auf den Sachverhalt, der im vorausgehenden Satz formuliert worden und jetzt auch dem Partner bekannt geworden ist, der also — vom Standpunkt der Gegenwart des Prädizierens her gesehen — bereits zum gemeinsamen Horizont der Kommunikationspartner gehört. Die japanische Sprache verfügt zwar über viele Sprachmittel, die in etwa den Demonstrativpronomina und den Konjunktionen des Deutschen entsprechen. Die Satzstufe und die Textstufe sind aber bei der japanischen Prädikation deswegen schwierig auseinanderzuhalten, weil hier erstens eine so eindeutige Substitution eines Sprachmittels durch ein anderes Sprachmittel, wie sie bei der Verwendung eines anaphorischen Personalpronomens vorliegt, nie vorkommt und zweitens die Bezugnahme auf die Situation und die Bezugnahme auf den Kontext hier sehr oft von ein und demselben Sprachmittel wahrgenommen werden, nämlich von dem Sprachmittel, das zur Markierung der Prädikation dient und am Satzende steht. 2 4 Das Prädizieren in einer Einzelsprache ist im Grunde ein Prozeß, der einerseits eine Möglichkeit der betreffenden Einzelsprache (d.h. einer Langue) ist und andererseits als individuelle Sprachtätigkeit (d.h. als Parole) jeweils ein einmaliges sprachliches Produkt (eine Rede) hervorbringt, das nur in Abhängigkeit vom jeweiligen Außersprachlichen in eine andere Einzelsprache übersetzt werden kann. Zwischen diesen beiden Polen, Möglichkeit einer Sprache und deren individueller Realisierung, finden sich die zwei Ebenen, deren Mitwirken für das Prädizieren in einer jeden Einzelsprache notwendig ist, die lexikalische und die syntaktische Ebene. 2 5 Die lexikalische scheint dabei dem Pol der Möglichkeit und die syntaktische dem der Realisierung näher zu stehen; es ist jedoch ohne Zweifel nicht richtig, das Wort als lexikalische Einheit der Langue und den Satz als syntaktische Einheit der Parole zuzuordnen. Bei dem Versuch, zwischen der lexikalischen und der syntakti-

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sehen Ebene zu unterscheiden, kann man die Unterscheidung zwischen • Wort und Satz (bzw. Rede) zwar mit der Unterscheidung zwischen Nennung (dem Lexikalischen) und Prädikation (dem Syntaktischen) gleichsetzen. Bei unserem Anliegen, die deutsche und die japanische Prädikation miteinander zu vergleichen, müssen wir aber "Wort", "Satz", "Text" alle als einzelsprachlich geprägte Einheiten auf der syntaktischen Ebene ansehen, wobei der Satz eben die syntaktische Einheit darstellt, die dem Sprachträger als Rahmen für seine Prädikation bewußt und vom Grammatiker als günstiger Anhaltspunkt für die Beschreibung der syntaktischen Phänomene der betreffenden Einzelsprache benutzt wird. Beim Vergleich zwischen der deutschen und der japanischen Prädikation stellt sich gerade heraus, daß die Wort-Satz-Relation sowie die Satz-Text-Relation von Sprache zu Sprache verschieden ist, daß im japanischen Satzbegriff z.B. die deutschen syntaktischen Einheiten "Satz" und "Text" beinahe zusammenfallen können. 2 6 Umgekehrt gesagt: es ist gerade das Charakteristische an der durch die grammatische Person geprägten deutschen Prädikation, daß das Prädizieren auf den beiden Stufen zustandekommt. Etwas überspitzt könnte man sagen: der Trick der grammatischen Person für die sprachliche Hypostasierung besteht in der Isolierung der besprochenen Welt aus der unmittelbaren Situationsbezogenheit, und zwar auf zwei Stufen, erstens auf der Satzstufe, auf der die zu bezeichnende Situation selbst bereits von der sprachlichen Klassifikation der zu besprechenden Welt nach dem Kommunikationsmodell versprachlicht wird, zweitens auf der Textstufe, auf der das schon sprachlich Gewordene vom anaphorischen Pronomen systematisch, d.h. ohne unmittelbaren Bezug auf das Außersprachliche, wiederaufgenommen und auf diese Weise sozusagen doppelt versprachlicht werden kann. Gegen diese überspitzte Bemerkung könnte ein muttersprachlicher Sprachträger vielleicht den Einwand erheben: wenn er du sage, denke er dabei nicht an die 2. Person im Kommunikationsmodell, sondern an den Angesprochenen selber; wenn er das Wort Wagen mit er wiederaufnehme, meine er damit nicht das Wort Wagen, sondern den Wagen selber; ohne Bezug auf das Außersprachliche könne er doch nicht sprechen. Ich würde ihm dann gerne glauben und zustimmen. Trotzdem beunruhigt es mich etwas, wenn ich daran denke, was dieses System der deutschen Sprache seinen Sprechern manchmal ermöglicht. 27

26

Anmerkungen

1

Vgl. L. Zabrocki, Grundfragen der konfrontativen Grammatik, in: Probleme der kontrastiven Grammatik (= Sprache der Gegenwart, Bd. 8), Düsseldorf 1970, S. 31 ff. und Zusammenfassung der Ergebnisse von E. Coseriu, S. 175 ff. In dem vorliegenden Aufsatz möchte ich mich weder zur kontrastiven noch zur konfrontativen Grammatik bekennen.

2

Vgl. E. Coseriu, Ober Leistung und Grenzen der kontrastiven Grammatik, in: Probleme der kontrastiven Grammatik, S. 29 f.

3

Der hier erwähnte Zirkel ist ohne Zweifel eine Erscheinungsform der zwischen Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsmethode vorliegenden gegenseitigen Abhängigkeit und Wechselwirkung, deren Unausweichlichkeit W.G. Admoni mit Recht betont, vgl. Grundfragen der Grammatiktheorie, Heidelberg 1971, S. 21 ff.

4

Vgl. Verf., Überlegungen zur Frage der Verbalität. Ein Vergleich zwischen der deutschen und der japanischen Prädikation (demnächst in: Wirkendes Wort).

5

Vgl. H. Brinkmann, Der deutsche Satz als sprachliche Gestalt, in: Wirkendes Wort, 1. Sonderheft, S. 1 2 - 2 6 , wiederaufgenommen in: Das Ringen um eine neue deutsche Grammatik, hrsg. v. H. Moser, Darmstadt 1962, S. 333 - 359. W.G. Admoni, Der deutsche Sprachbau, 3. Aufl. München 1970, S. 223 ff.

6

Vgl. S. Grosse, Mitteilungen ohne Verb, in: Festgabe für Friedrich Maurer zum 70. Geburtstag, hrsg. v. W. Besch, S. Grosse und H. Rupp, Düsseldorf 1968, S. 50 ff.

7

Vgl. W. Porzig, Das Wunder der Sprache. Probleme, Methoden und Ergebnisse der modernen Sprachwissenschaft, 2. Aufl. Bern 1957, S. 109 ff. Satz und Rede terminologisch sauber auseinanderzuhalten ist in der Praxis dennoch sehr schwierig. Vgl. auch Anm. 10.

8

Die Probleme und Ergebnisse der Forschung zur gesprochenen Sprache sind mir hauptsächlich durch das Seminar zur "Syntax der gesprochenen Sprache", das im Sommersemester 1971 an der Ruhr-Universität Bochum von Herrn Prof. S. Grosse gehalten wurde, bekannt geworden.

9

Vgl. das Nennen und das Sagen bei M. Wandruszka, Interlinguistik. Umrisse einer neuen Sprachwissenschaft, München 1971, S. 11 f.

10

Auch bei Porzig sind Rede und Satz als Ganzes und Teil und damit als auf ein und derselben Ebene liegend gefaßt, so wenn er sagt: "Undes gibt Reden, die längere, manchmal erheblich längere Zeit in Anspruch nehmen; man denke an verwickelte Aufträge, ausführliche Mitteilungen, eingehende,

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Beratungen. Dann muß die Rede in Teile zerlegt werden, die als gleichzeitig aufgefaßt werden können. Diese Stücke der Rede, innerhalb deren die Zeit aufgehoben ist, sind die Sätze." (Das Wunder der Sprache, S. 113). Wenn Brinkmann mit der Formel "Nacheinander als Miteinander" an die Satzauffassung Porzigs anknüpft (vgl. Das Ringen um eine neue deutsche Grammatik, S. 335; Die deutsche Sprache. Gestalt und Leistung, 2. Aufl. Düsseldorf 1971, S. 915), so ist dies wohl nur deswegen möglich, weil Porzig gleichzeitig auch dem Satz als Einheit auf der Ebene der Langue "die Aufhebung der Zeit" als Wesensmerkmal zuschreibt (S. 114). 11

Vgl. Minoru Watanabe, Jojutsu to chinjutsu, in: Kokugogaku 13/14, T$kyÄ 1953, S. 20 ff.; auch Verf., Überlegungen zur Frage der Verbalität, Kap. 3. Die Chinjutsu-Funktion wird zwar vom inhaltlich belanglosesten Satzteil, einer Partikel oder einer Flexionsform, getragen, der aber für den Satz als Ganzes gilt. Die Jojutsu-Funktion wird dagegen von allen Satzgliedern, also — quantativ gesehen — beinahe vom ganzen Satz, getragen, da jedes Satzglied eine Nennung enthält. Sie kommt aber nicht dem Satz als Ganzem, sondern jeweils nur einem Satzglied zu. Watanabe unternimmt in seiner umfangreichen japanischen Syntax, Kokugo-köbunron (TSkyo 1971) eine weitere Klassifikation der Jojutsu-Funktion: 1) "tojo" (die Funktion, die Formulierung des Aussageinhalts abzuschließen) und 2) "tenjo" (die Funktion, die Formulierung des Aussageinhalts fortzusetzen). Diese "tenjo"-Funktion wird weiter in zwei Unterklassen aufgeteilt: 1) "rental" (die Funktion, einen nominalen Ausdruck zu determinieren) und 2) "renyo" (die Funktion, den Inhaltswert eines verbalen Ausdrucks zu determinieren).

12

Vgl. die japanischen Beispielsätze in dem in Anm. 4 genannten Aufsatz.

13

In diesem Zusammenhang scheint es mir interessant, daß J. Fourquet es für eine "Gefahr" hält, "daß dem Satz die Eigenschaften des Redeaktes (Reaktion auf eine Situation) zugeschrieben werden". Vgl. Prolegomena zu einer deutschen Grammatik (= Sprache der Gegenwart, Bd. 7), Düsseldorf 1970, S. 69.

14

Die Beschäftigung mit der grammatischen Person bedeutet für mich die konsequente Fortsetzung meiner Dissertation, in der ich die sprachliche Formulierung "got als Person" als Hypostasierung der grammatischen Person zu interpretieren versuchte. Wegen des Zusammenhanges zwischen dem vorliegenden Aufsatz und der Dissertation vgl. 'got' und 'geschehen'. Die Vermeidung des menschlichen Subjekts in der ritterlichen Sprache (Hartmann von Aue), Düsseldorf 1965,1. § 2. (3) und (4); Anm. 16; II. § 4. (8); III. § 8. (14) und (15); IV. § 13. (1); Nachwort.

15

Zum Beispiel die Kategorie "shu-joshi" (finale Postpositionen): -ka, -ne, -yo, -sa usw. und die Kategorie "taisha-keigo': bzw. "teineigo" (partnerbezogen honorative Verbalsuffixe); -desu, -tnasu usw.

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16

Dieses Thema habe ich in dem Aufsatz "Sprechsituation und Kommunikationsdreieck. Ein Beitrag aus japanischer Sicht" (in: Poetica 1, 4, S. 427 ff.) ausführlicher behandelt.

17

Eine ausführlichere Darstellung der japanischen Zweiteilung der personalen Beziehung in die eigene und die andere Person und konkrete Beispiele dafür finden sich in meinem Aufsatz "Zum Phänomen der Person in der Sprache. Ein Vergleich zwischen der deutschen und der japanischen Auffassung der personalen Beziehung" (Doitsu Bungaku, hrsg. v. der japanischen Gesellschaft für Germanistik, Heft 45, 1970, S. 77 ff.).

18

Es handelt sich hier um den Problemkreis, auf den Brinkmann mit seinem anregenden Aufsatz "Die 'haben'-Perspektive im Deutschen" (in: Sprache — Schlüssel zur Welt. Festschrift für Leo Weisgerber, Düsseldorf 1959, S. 176 ff.) zum erstenmal aufmerksam gemacht hat. In welcher Weise das Phänomen des Genus verbi einer Sprache sich auf die lexikalische und die syntaktische Ebene verteilt, steht ohne Zweifel im Zusammenhang mit der Relevanz bzw. Irrelevanz der grammatischen Person für die Syntax der betreffenden Sprache.

19

Wegen der Unterscheidung zwischen dem stoffbezogenen und dem partnerbezogenen Honorativ des Japanischen und der Verwendungsweise der honorativen Verben und Hilfsverben s. Verf., Der japanische Honorativ und seine Verwendung in der Sprache der Gegenwart, und Die Honorativkategorien des Japanischen im verbalen Bereich — ein kritischer Versuch —, in: Beiträge zum interpersonalen Bezug im Japanischen, hrsg. v. B. Lewin (Veröffentlichungen des Ostasien-Instituts der Ruhr-Universität), Wiesbaden 1969, S. 1 - 1 7 und 185 - 214. Wegen der Verwendungsweise der Verbalsuffixe für Passiv und Faktitiv, der Handlungsausdrücke mit Richtungscharakter s. den in Anm. 17 genannten Aufsatz.

20

Die Termini "Substituendum" und "Substituens" nach R. Harweg, Pronomina und Textkonstitution, München 1968, S. 20 ff. Da bei Harweg die anaphorische und die deiktische Verwendung der pronominalen Sprachmittel unter dem Oberbegriff "syntagmatische Substitution" zusammengefaßt werden (vgl. S. 53), können die oben angeführten Ausdrücke, die im Kontext den vorausgehenden Ausdruck ein König ersetzen können, alle — genauso wie das Personalpronomen er — als "syntagmatische Substituentia" angesehen werden. Die syntagmatische Substitution beruht in jedem Fall auf der im außersprachlichen Bereich liegenden Identität, diese Identität wird aber nicht immer durch die grammatische Kongruenz zwischen Substituendum und Substituens sprachlich so gesichert, wie es bei der Verwendung eines anaphorischen Personalpronomens der Fall ist.

29

21

Bei der substantivischen Verwendung eines Demonstrativpronomens (z.B. ein König; der) kann man kaum entscheiden, ob es sich hier um ein deiktisches oder ein anaphorisches Pronomen handelt; die Grenze zwischen beiden ist fliegend.

22

Die "anaphorische Verwendung" der Demonstrativpronomina nennt K. Bühler "die Deixis am Phantasma", s. Bühler, Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache, 2. Aufl. Stuttgart 1965, S. 123.

23

Diese drei am Zustandekommen einer Rede beteiligten Faktoren, nämlich Gesprächssituation, Horizont und Redefolge (= Kontext), die Brinkmann auseinanderhält (s. Die Konstituierung der Rede, in: Wirkendes Wort 15/3, 1965, S. 158), werden bei M. Tokieda, einem japanischen Sprachwissenschaftler, unter dem Oberbegriff "bamen" (Situation) zusammengefaßt, der seinerseits mit "shutai" (Sprachträger) und "sozai" (Stoff) zusammen die außersprachliche Bedingung für das Zustandekommen des Sprechens darstellt. Vgl. Verf., Zur Legitimierung der Philologie als Sprachforschung. Die Sprachtheorie Motoki Tokiedas, in: Poetica 3, 3/4, 1970, S. 340 und 348 ff.

24

Auch auf der Seite der japanischen Sprache sind bisher noch keine genaueren Untersuchungen in bezug auf die Konstituierung der Rede bzw. die Textkonstitution gemacht worden. Meinerseits möchte ich hier zunächst nur auf diejenigen Sprachmittel des Japanischen hinweisen, die als Satzschlußformeln die Stellungnahme des Sprechers zum Aussageinhalt im Hinblick auf die Situation zum Ausdruck bringen, die aber normalerweise nicht im ersten Satz der Rede ("Textanfangssätze" bei Harweg, Textanfänge in geschriebener und in gesprochener Sprache, in: Orbis XVII, 2, 1968, S. 352) vorkommen: -no-desu, -kara-desu, -kara-nano-desu, wakedesu, -to tu wake-desu usw.

25

Vgl. "zwei Klassen von Setzungen", "Wortwahl und Satzbau" bei K. Bühler, Sprachtheorie, S. 73 ff.

26

Es scheint mir kein Zufall zu sein, daß die japanischen Wörter bun und bunsho, die heute als linguistische Termini zur Differenzierung von "Satz" und "Text" verwendet werden, im allgemein üblichen japanischen Sprachgebrauch sich nicht voneinander unterscheiden, sondern beide gleicherweise "geschriebene Texte" bezeichnen und daß die japanischen Grammatiker — bevor sie den europäischen Terminus "Satz" (oder "sentence") ins Japanische zu übersetzen versuchten — kein eigenes Wort für "Satz" hatten.

27

Ich denke dabei nicht nur an die sprachlichen Leistungen der großen Philosophen von Kant bis Heidegger, sondern auch an die der modernen Linguisten.

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GEORG OBJARTEL ZUR SEMANTIK EINFACHERER VERGLEICHSSATZE IM DEUTSCHEN

1.1. In jüngster Zeit finden Komparativkonstruktionen starkes Interesse. Die meisten Arbeiten haben das Englische zum Gegenstand, benutzen das Beschreibungsmodell der generativen Grammatik auf der Linie Chomskys und sind demgemäß syntaxorientiert. Seit Lees (1961) herrscht weithin Einigkeit darüber, daß Sätze wie (1) a. b.

John is taller than Bill. John is as tall as Bill.

(2) a. b.

Fritz ist größer als Franz. Fritz ist so groß wie Franz.

(und entsprechend alle komplexeren Konstruktionen) von einer zugrundeliegenden Struktur abzuleiten sind, die aus einem Matrix- und einem Konstituentensatz besteht. Dennoch weichen die Vorstellungen über die Form des Konstituentensatzes und sein Verhältnis zum oberen Satz z.T. erheblich voneinander ab. Das soll hier nicht im einzelnen diskutiert werden. 1 Anzumerken ist aber, daß in die syntaktische Beschreibung auch — allerdings nicht immer explizit gemachte — inhaltliche Überlegungen eingegangen sind, die insgesamt andeuten, daß über die semantischen Relationen und Implikationen in Vergleichssätzen noch wenig bekannt ist. Da Vergleichssätze typischerweise Adjektivphrasen enthalten, und die graduierbaren Adjektive meist als antonyme Paare auftreten, scheint ein geeigneter Ansatz der Versuch einer semantischen Charakterisierung der verschiedenen Antonymengruppen zu sein. Wichtige Beobachtungen dazu bieten insbesondere die Arbeiten von Doherty (1970) und Wunderlich (1970). Doherty präzisiert die traditionelle Unterscheidung relationaler (z.B.groß-klein) und absoluter (z.R. fleißig-faul) Adjektive, indem sie deren Verhalten in Vergleichssätzen überprüft. Zu Dohertys Beschreibungsapparat gehören Basisregeln, die semantische Baumstrukturen erzeugen, ferner Transformationsregeln zur Lexikalisierung und Überführung in Oberflächenstrukturen, schließlich eine Komponente

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'Logische Bewertung', die Kontradiktionen ausschalten sowie äquivalente und implikative Ausdrücke feststellen und gegebenenfalls ineinander umformen soll. Wunderlich hat die Arbeit von Doherty ausführlich kritisiert und u.a. dieselben sprachlichen Fakten auf der Grundlage der Chomsky-Version von 1968 unter strikter Trennung von Merkmalsyntax und interpretativer Semantik neu beschrieben. Der Unterschied in Auffassung und Darstellung sei am Beispiel des Satzes (3)

Fritz ist faul.

kurz demonstriert. (3) erhält bei Doherty die folgende Repräsentation: GEN(FLEISS(aj (xj)) (FLEISS(NEG(SOLL(x))))). Dem entspricht die Verbalisierung: "Der Fleißwert (aj) von Fritz (xj) genügt einem negativen Soll, das den Fleiß von χ bestimmt" (wobei wohl x j € x). Die Einführung des zunächst wenig plausiblen Terms NEG SOLL wird unter Hinweis auf Sätze wie (3')

Fritz ist faul genug, um

sitzenzubleiben.

begründet. Wunderlich notiert die semantische Interpretation von (3) mit: a < N : "Der Fleißwert (a) von Fritz liegt unter der Bewertungsnorm (N)." Den Begriff NEG SOLL ersetzt Wunderlich durch den der -Norm und führt zudem ein Merkmalpaar ±Sanktion ein. (3') hat danach zwei Lesarten: a) Eine +Norm (z.B. die Bewertungsnorm der Lehrer) wird unterschritten; eine Sanktion wird verhängt. b) Eine -Norm (z.B. Schülernorm) wird erfüllt. 1.2. Während Doherty und Wunderlich nur einzelne 'modale' Adverbien berücksichtigen und mehr zur Illustration des Normbezugs der Adjektivformen benutzen, möchte ich gerade von den Modalwörtern ausgehen und zeigen, daß sie nicht nur diverse Spezifikationen bewirken, sondern bei der Konstituierung der Vergleichsrelation selbst eine wesentliche Rolle spielen, zumindest unter systematischem Gesichtspunkt. Danach komme ich auf die Frage der semantischen Klassifikation von Adjektiven zurück. Der letzte Abschnitt enthält einige Ausblicke auf das Ver-

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hältnis lexikalisierter Vergleiche zu Quantorenausdrücken. 2.1. Die von Wunderlich verwendete Notationsform hat gegenüber derjenigen Dohertys den Vorteil, daß die Sinnrelationen zwischen Sätzen (vor allem Synonymie, Hyponymie) übersichtlicher dargestellt werden können. Ich wähle im folgenden ein ähnlich abgekürztes Verfahren. Es versteht sich, daß nach einer Syntax der Semantik der Satz (4)

Fritz ist groß.

die Struktur eines Vergleichssatzes hat: "Fritz ist größer als N " (wobei Ν eine Vergleichsnorm ist, z.B. der Durchschnittswert für die Altersklasse, der Fritz angehört 2 ). Konsequenterweise müßte das Prädikat GROSS sogar in seine semantischen Grundterme zerlegt werden. 3 Für die hier verfolgten Zwecke genügt es, die Komparativstruktur von groß durch ein relationales Merkmal [a > N ] zu kennzeichnen. Die Beschreibung einfacher Vergleichssätze mit Adverbien besteht aus zwei prinzipiell getrennten Teilen. Die syntaktische Basis (A.) entspricht der eingangs erwähnten üblichen Analyse, insbesondere den Vorschlägen von Bowers (1970) und Wunderlich (1970). Sie ist nur als Bezugsrahmen gedacht und daher stark vereinfacht. 4 Die Hauptlast trägt ein Lexikon (B.), das Transformationsregeln enthält und die hier interessierenden satzsemantischen Lesarten auf möglichst direktem Wege herstellen soll. 2.2.

A.

S1 fi - Ϋ V^ V V -»· (SpezVgj - ) V S p e z V s l -> (Neg - ) (Av) Äv -> [Äv, R c ] ; (Av - ) { £ } - S2 Av

[Av, D, Or, R s ]

V -> [V, +Adj, Kop, R n ] Die Regeln erzeugen neben einfachen Sätzen wie (4) explizite Vergleichssätze wie (2), die letzten wahlweise mit Av.

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Das Subskript zu SpezV besagt, daß die Konstituente wohl auf S1 zu beschränken ist, da rekursive Konstruktionen wie ι epptcK)... ungebräuchlich sind. 5 S2 hat im übrigen die gleiche Konstituentenstruktur wie S1 (aber nicht notwendig die gleiche Merkmalstruktur). Die Negation in den hier untersuchten Strukturen verstehe ich als partielle Negation. 6 Die Funktion von nicht hängt bekanntlich sehr eng mit dem Umfang lexematischer Paradigmen zusammen. Da antonyme Adjektive, wie auch etwa die Gruppe viel^wenig, minimale Paradigmen bilden, entsteht eine genaue Information über das Negierte hinaus: (6) a.

nicht wenig = (ziemlich) viel

b.

nicht klein = mittelgroß oder groß

c.

nicht groß und nicht klein = mittelgroß

Ausdrücke, die konträre Alternativen anbieten, wie nicht etwas, nicht mittelgroß, sind entweder abweichend oder als Zitatformen (wie sie in der richtigstellenden Wiederaufnahme einer Äußerung vorkommen) einzustufen. 2.3.1. B. ι. ν ,

2. a Ρ· Γϋ • a· = a·/ Al- Crt fWo-S2) : -er (als-S2)

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: nicht,

=

4. a. Avl, Av2, Av3, Av4,

kaum10

Γ < / γ - ρ - A [+] =>s > /Υ - Ρ - A [-] ^ /Ανί - Ρ - Α [+]

+P; [D:0]: genau +K; [D.g]: viel, wesentlich -Neg, +K; [D:k]: etwas, ein wenig +K; [D:k]: wenig

Av5, + Neg, +P; [R n : D:k]·. ganz Av6, +Neg, +P; [D:g]: längst, bei weitem b. Av7 (& + Avl), +Neg; lR n : Qr-.t, Rs= ΓΑν2~ Av8 (+ Av3 ^ ), -Neg, +K; [R n : ^ ] : noch |&Av7J c. Av9 (& +

ΓΑνίΊ Av8 J . "Neg; [R c :

R

AvlO ι >(+ i&Av7 f ), -Neg; [R n :

einmal

D:k]: fast, beinahe

sogar

_ Av8J , T a v ? ! , r r R n ^ . O r : i , R s : g / N e g = 0-l A v i l (+< Avs f η > l"l LavöJ LRn:^'0r:i.%: aj oder aj > aj, so ist der Einschub einer adversativen Partikel erforderlich; die Orientierung wird umgekehrt. Die festgestellten Normmarkierungen bleiben davon unberührt: (13)

Fritz ist klein, aber £ ζ*™^*™^

&rößer

als

Franz

-

Entsprechend bei aj > Ν im Vordersatz: (14)

Fritz ist groß, aber . Die primäre Relation > führt weiter auf K. Aus den jeweiligen syntaktischen Spezifikationen — hier: Neg, Av7, Κ, A [+] — bauen die Syntaxregeln die volle Satzstruktur auf. Mit der Lexikalisierung setzen die semantischen Transformationen ein, so daß zu der Lesart (15') der Satz (16)

Fritz ist nicht einmal größer als Franz.

entsteht, der als Paraphrase von (15) gelten kann. Als umkehrbar gedacht ist demnach die Beziehung zwischen einer Lesart und einer Paraphrasenklasse. (15*) steht in Hyponymiebeziehung etwa zu (17)

R c : aj < a:: Fritz ist nicht größer als Franz.

39

Weitere Beispiele für Paraphrasen sind: (18) a. b.

Fritz ist nicht so groß wie Franz. ^ Fritz ist kleiner als Franz.

(19) a. b.

Fritz ist nicht wenig größer als Franz. Fritz ist viel größer als Franz.

(20) a. b.

Fritz ist mindestens so klein wie Franz. Fritz ist nicht weniger klein als Franz.

Satzpaare wie (21) a. b. (22) a. b.

Fritz ist nicht viel kleiner als Franz. R c : a; < aj, D: k Franz ist etwas größer als Fritz. R c : aj > aj, D: k Fritz ist weniger groß als Franz. R c : aj < aj, R n : aj, aj > Ν Franz ist noch größer als Fritz. R c : aj > aj, R n : aj, aj > Ν

können wegen der unterschiedlichen Thema-Rhema-Verhältnisse (vgl. oben 2.3.2.) nicht als Alternanten in einem konkreten Kontext angesehen werden, sie paraphrasieren aber denselben Sachverhalt. Die Regel zur Bildung solcher Konversen ist relativ einfach zu formulieren: aj und aj (und die zugeordneten Nominalphrasen) können bei Umkehrung der primären Relationen (im Lexikon unter Ρ und K) vertauscht werden, wenn die Lesarten der Sätze im übrigen identisch sind. 3.1. Die bisherigen Ausführungen bezogen sich auf relationale Adjektive, zu denen häufig objektive, wissenschaftliche Maßskalen existieren. Doherty (1970) und Wunderlich (1970) ziehen zwischen diesen relationalen und den 'absoluten' 20 Antonymen einen scharfen Trennungsstrich. Beim Gebrauch von Adjektiven wie fleißig-faul sei stets, und sowohl für aj wie für aj, ein Normbezug impliziert. Zweifellos bestehen Unterschiede zu den relationalen hinsichtlich des Normverhaltens, doch scheint es mir fraglich, ob z.B. in den Sätzen

40

(23)

Fritz ist fleißiger als Franz.

(24)

Fritz ist nicht so fleißig wie Franz.

Fritz und/oder Franz unbedingt als 'fleißig' zu verstehen sind. Wierzbicka (1971) meint gegen Sapir, daß Adjektive wie good-bad (deren deutsche Äquivalente Doherty wohl den absoluten Adjektiven zurechnen würde) nicht implizite Komparative darstellen, sondern eine absolute Bewertung ausdrücken; sie hält den Text (25)

χ is better than y, but neither of them is really good.

jedoch nicht für widersprüchlich. 2 1 Offensichtlich sind hier mehrere Deutungen möglich. Ein starkes Argument gegen die Analyse von Doherty ist aber aus Vergleichssätzen mit Adverbien zu gewinnen: (26) Fritz ist i?niM8fau?> L faul

J

, er i5t Τ ™ht einmal fleißiger als Ί \bestenfalls so fleißig wie ]

p rranz

-

Wertende Adverbien können, wie (26) zeigt, die Normmarkierung 'absoluter' Adjektive außer Funktion setzen und sogar eine Markierung herstellen, die mit dem modifizierten Adjektiv in keiner phonologischen Beziehung steht. Bemerkenswert ist auch, daß bei Wertungsadjektiven wie fleißig-faul beim Übergang von einem +Soll zu einem -Soll nicht die Wörter selbst ausgetauscht werden, vielmehr tritt eine Verlagerung des Bereichs gewünschter Werte ein. Die Sätze (27) a. b.

Fritz ist faul genug, um nicht sitzenzubleiben. Fritz ist fleißig genug, um sitzenzubleiben.

wären sowohl aus der Sicht eines +Solls wie eines -Solls nur dann nicht abweichend, wenn faul durch fleißig substituiert würde, und umgekehrt. Dies setzte aber die Möglichkeit eines Sprechens in Antonymen voraus. 2 2 3.2. Die Beobachtungen in 3.1. ließen grundsätzliche Gemeinsamkeiten zwischen den Adjektiven des Typs 1 groß-klein und des Typs 2 fleißig-faul erkennen. Es scheint mir berechtigt, Antonyme des zweiten Typs, sofern sie nicht ausschließlich Werturteile ausdrücken (wie die primitiven Terme GUT-SCHLECHT, bei denen die Unterscheidung zwischen +Soll und -Soll sinnlos wäre), sondern zugleich.noch Eigenschaften bezeichnen, auf einer obersten Stufe als skalare Prädikate zu analysieren wie die Adjektive des Typs 1 und die Normmarkierung unabhängig davon vorzunehmen, ob ein Sollwert erfüllt ist oder nicht.

41

Das Plusadjektiv besetzt diejenige Achse der Dimension, die generell durch ein Mehr an Quantität, Intensität, Aktivität usw. zu charakterisieren ist. 2 3 Bei Adjektiven des Typs 2 ist die Übertragung von Erfahrungsdaten auf die Skala intensionaler Werte klarerweise komplizierter und stärker den individuellen Bedingungen des Sprechers unterworfen. Ob das Phänomen Wertung allein mit Hilfe des Faktors Subjektivität hinreichend beschrieben werden kann, bleibe dahingestellt. Dem Satz (28)

Fritz ist fleißig.

entspricht nach der hier dargelegten Auffassung die Lesart a > Ν : "Der Fleißwert a liegt über der Norm (= über dem Punkt, der mit 'nicht faul und nicht fleißig' zu umschreiben wäre)." Ein Sollwert ist damit nicht automatisch erreicht, wie aus der möglichen Fortsetzung (28')

Aber er ist immer noch nicht fleißig genug.

hervorgeht. 4. Nach dem zuletzt Gesagten liegt es nahe, über den durch antonyme Adjektive bezeichneten Bedeutungsdimensionen jeweils unidirektionale Maßskalen und eine Maßfunktion (GROSS, FLEISSIG usw.) anzusetzen, die Objekten oder Objektemengen χ indefinite Werte a zuordnet. Dennoch muß wohl gerade eine bidirektionale Orientierung als charakteristisch für die Struktur der Dimensionen angesehen werden. Dies wurde schon in 2.3.3. daran deutlich, daß etwa die Relation R n : < sich zwar mit =, < , < unter R c verträgt, aber die Kombination von R n : < mit > , > den Einschub von aber erfordert. Man betrachte unter diesem Aspekt die Folge (29)

*kaU

wenn nicht sogar um nicht zu sagen

*kühl, warm,

42

'. ;

*heiß,

;

*warm,

!

kühl,

:

k m / w a r m / h e i ß 1

warm/heiß heiß warm/kühl/kalt kühl/kalt kalt

Die Wörter kühl und warm sind eindeutig, und jeweils verschieden, orientiert, obwohl keine Extreme innerhalb der Dimension. Der interessante Punkt ist hier, daß Quantorenausdrücke sich ganz ähnlich verhalten: (30)

Ich habe — *nicbts, um nicht zu sagen *wenig, viel,

viel/alles alles

*alles,

viel/wenig/nichts

*viel,

wenig/nichts

wenig, davon

wenig/viel/alles

nichts

verstanden.

In manchen Dimensionen erscheinen nicht-orientierte, neutrale Wörter, die für Mittelwerte stehen und in der Regel nicht negierbar sind (z.B. mittelgroß, lauwarm, etwas; vgl. oben 2.2. zur Negation). Beobachtungen zur Distribution von absolutely im Englischen haben verschiedene Autoren auf die Verwandtschaft skalarer Prädikate mit Quantoren aufmerksam gemacht. G. Lakoff (1971) vermutet sogar, daß Quantoren sich als Spezialfälle solcher Prädikate erweisen könnt e n . 2 4 Mehr im Sinne des hier Ausgeführten ist die von Lakoff angedeutete alternative Auffassung, daß nämlich ein Primitivprädikat (als Maßfunktion) über einer Skala operiert, deren einzelnen, relativ gegeneinander abgegrenzten Wertebereichen einzelne Wörter entsprechen (z.B. die Reihe in (29)), die deshalb wie indefinite Quantoren anmuten. Auf der Basis der bisher vorliegenden empirischen Daten sind wohl kaum tragfähige Hypothesen aufzustellen. Immerhin ist die Hoffnung begründet, daß eine genauere Analyse der internen Struktur von Antonymenpaaren oder -gruppen ohne Rücksicht auf Wortarten auch neue Perspektiven für das Verständnis der Quantifikation in natürlicher Sprache eröffnen könnte.

43

Anmerkungen 1

Einen Überblick der wichtigsten Arbeiten gibt König (1971), S. 99 ff.; die von der üblichen Beschreibung abweichende These von Campbell/Wales (1969) wird dort nach eingehender Prüfung abgelehnt.

2

Verschiedene Normtypen behandelt Leisi (1953), S. 99 f. Vgl. ferner Bierwisch (1970), S. 282 ff.; Wunderlich (1970), S. 31 ff. Wenn mehrere Normen impliziert sind, können Scheinantinomien auftreten wie in dem bekannten Satz: Ein kleiner Elefant ist ein großes Tier — formal etwa: el C El A GROSS(el) < GROSS(El)A el C Tier Λ GROSS (el) > GROSS (Tier).

3

Zur Bedeutungscharakterisierung von Raumadjektiven vgl. Bierwisch (1970); zu ihren relationalen Merkmalen Bierwisch (1971), S. 425 ff.

4

Die Vereinfachung betrifft vor allem die Konstituenten Ν (vgl. Satz (f), Anm. 14), Av sowie den syntaktischen Status der Partikeln -wie und als. Möglicherweise haben Sätze mit Ρ nicht die gleiche Ausgangsstruktur wie solche mit Κ (vgl. Anm. 18).

5

Analog zu (5) läßt sich bilden: Die Tür ist um 10 cm breiter als der Flur länger ist als der Teppich ... Wie in (5) verringern sich die Differenzwerte zunehmend. Sätze dieses Typs sind nur in engen Grenzen akzeptabel.

6

Mit der Einordnung von Neg unter SpezVgj ist Neg zugleich aus S2 ausgeschaltet, wo es nur unter speziellen Bedingungen auftreten kann (einige Beispiele bei Härtung (1964), S. 186 und Huddieston (1967), S. 97).

7

Im weiteren statt "+Adj" einfach " A " .

8

Y ist ein beliebiger Kontext (auch 0).

9

Die Reihenfolge der Alternativen D, R c , R n ist fest. Allerdings muß D bei Av5 und Av6 übersprungen werden, d.h. Neg wirkt hier auf R c .

10

kaum hat nicht ganz die gleiche Distribution wie nicht; vgl. z.B. ?kaum wenig größer; ferner die Av mit +Neg.

11

In dem Ausdruck sehr viel größer scheint sehr eine Steigerung von viel zu bewirken, doch die Negation stellt nicht die Differenz g (viel), sondern k (etwas) her.

12

Für die Unterscheidung von R n und R s sprechen z.B. die Verhältnisse in dem Satz: Fritz ist wenigstens so groß wie Franz. Fritz und Franz werden als 'klein' im Hinblick auf 'normale Größe' verstanden, doch scheint ein momentan aufgestellter Sollwert nicht unbedingt unterschritten zu sein. Eine Interpretation dieser Art liegt nahe für den Satz: Fritz ist wenigstens fleißig genug, um das Klassenziel zu erreichen. Dem Sollwert entspricht hier eine — wenn auch sehr niedrige — Form der Gratifikation.

44

13

Adjektive dieser Klasse sind syntaktisch daran zu erkennen, daß sie Maßausdrücke zulassen. Außerhalb expliziter Vergleichssätze sind Maßausdrücke im allgemeinen auf das Plusadjektiv beschränkt, dessen Normmarkierung dann neutralisiert ist. Ausdrücke wie 17 Jahre jung zeigen eine sekundäre Normmarkierung aufgrund des definiten Maßwertes. In dem Satz: Der Schrank ist 2 m hoch und 70 cm tief sind hoch und tief keine Antonyme (sondern hoch-niedrig, tief-flach). Hierher gehören etwa auch Adjektive wie laut-leise, zu deren Dimensionen keine Maßskalen — oder nur in wissenschaftlichem Sprachgebrauch — existieren. Des öfteren verbinden sich Maßausdrücke nicht mit dem Plusadjektiv eines antonymen Paares, sondern mit anderen Ausdrücken aus derselben Dimension; vgl. z.B. *dreiMark teuer gegen drei Mark wert, kostet drei Mark — aber auch: drei Mark teurer.

14

Die Syntaxregeln wurden auch Sätze erzeugen wie: (a) Der Bach ist so tief wie er breit ist. (b) Das Bett ist fast breiter als lar.g. (c) Bier ist so schmackhaft wie (Milch) gesund. (d) Fritz ist so faul wie Franz fleißig ist. (e) Fritz ist mehr/eher faul als dumm. (f) Fritz ist für einen Dreijährigen größer als Franz für einen

Elfjährigen.

Als Antwortsätze auf eine wie-Frage kommen davon wohl nur (a) und (b) in Betracht, Proportionsvergleiche mit Raumadjektiven. In wtV-Fragen mit absoluten Adjektiven liegt bereits eine bestimmte Erwartung oder ein Vorverständnis. Konstruktionen wie (e) unterscheiden sich grundsätzlich von Vergleichssätzen, z.B. sind Av nicht möglich, (f) zeigt, daß die Relation R c : > unter gewissen Bedingungen, die unter Rückgriff auf Erfahrungswissen zu formulieren wäfen, nicht als absolut verstanden werden kann. Diese Bemerkungen mögen genügen. Auch auf die Problematik von Vergleichen, die sich auf mehr als zwei Objekte beziehen, wie Selbst/sogar Fritz ist größer als Franz soll hier nicht weiter eingegangen werden. 15

Die Zitatform nicht genau wird nur aufgenommen, weil sie eine Lücke unter R c verdeutlicht ( ).

16

Vgl. Doherty/Schwartz (1967), S. 906, Anm.; ferner etwa A. Haie (1970), S. 53, Anm. 9 unter Bezug auf eine mir nicht zugängliche Arbeit von McCawley (1964). Syntaktische Parallelen zwischen Frage- und Vergleichssätzen stellen im übrigen die meisten der im Literaturverzeichnis aufgeführten Spezialuntersuchungen fest.

17

Sätze wie: Wie groß bist du? oder Wie groß bin ich? sind unter normalen Bedingungen (d.h. wenn beide Kommunikationspartner in unmittelbarem Kontakt stehen) wohl nur zulässig, wenn ein numerischer Wert erfragt wird. Komparativkonstruktionen wie

45

(h) Fritz ist größer als zwei Meter. (i) He is as tall as six feet (*Er ist so groß me zwei Meter) fügen sich nicht der üblichen Beschreibung; vgl. die Verbalisierung der analogen Ausgangsstruktur: "Fritz ist größer als zwei Meter groß/hoch sind." Für Sätze wie (h) gilt wohl, daß der Maßausdruck einen vagen Schätzwert oder einen bewußt unpräzisen, den Verständigungserfolg aber bereits sichernden Wert darstellt, denn Sätze mit definiten Maßangaben wirken abweichend: (h') ?Das Zimmer ist länger als 4,37 m. (h") ?Er ist schwerer als 90,523 kg. 18

Dies ist der Inhalt des Vorschlags von König (1971), S. 107 ff. Für nichtäquative Konstruktionen setzt König einen negierten Konstituentensatz an: "Fritz ist in dem Maße klein, in dem Franz nicht klein ist." Ob der Relativsatz hier an eine definite NP (aj) anschließt und überhaupt etwas präsupponiert, erscheint mir zweifelhaft, da aj ja nicht über eine Identitätsrelation zu aj definiert ist. Nicht klar ersichtlich ist auch, wie die Ausgangsstruktur von Sätzen mit den Relationen ^ und ^ zu verbalisieren wäre. Gewisse Schwierigkeiten würden ferner Sätze wie: Er kommt öfter als er nicht kommt bereiten; hier müßte der Skopus der zweiten Negation gegenüber dem der Satznegation eingeschränkt werden.

19

Für (18) a. ergeben sich aus den Regeln unter A n t r e j zwei Lesarten: a) R c : aj < aj; b) R c : aj < aj; R n : aj > N. Der Satz ist also nur partiell synonym mit (18) b.

20

Doherty beruft sich für die Unterscheidung von relationalen und absoluten Adjektiven auf Leisi. Dort werden aber als absolut solche Adjektive bezeichnet, bei denen "der Komparativ (lebendiger, weißer, nässer usw.) streng genommen ausgeschlossen wäre oder uns jedenfalls auf eigenartige Weise frappiert (Dichtersprache)" (S. 103).

21

Wierzbicka, S. 42 und Anm. 9. Vgl. zu diesem Punkt auch Campbell/Wales (1969), S. 219. Es ist nicht anzunehmen, daß zwischen dem Englischen und dem Deutschen hier ein wesentlicher Unterschied besteht.

22

Solch ein zweiter, umpolender Code wird bei den Walbiris, einem zentralaustralischen Stamm verwendet; vgl. K. Haie (1971).

23

Das Plusadjektiv ist in der Regel durch linguistische Proben zu ermitteln; vgl. Bierwisch (1970), S. 279 ff.

24

G. Lakoff (1971), S. 129 mit Bezug auf eine Arbeit von R. Lakoff.

46

Literatur Bierwisch, Manfred. 1970; Einige semantische Universalien in deutschen Adjektiven, in: Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen, hgs. H. Steger, Darmstadt 1970: 269 - 318; engl. Original in: Found, of Lang. 3 (1967). . 1971: On classifying semantic features, in: Semantics. An interdisciplinary reader in philosophy, linguistics and psychology, hgs. D.D. Steinberg und L.A. Jacobovits, Cambridge 1971: 410 - 435. Bowers, John. 1970: Adjectives and Adverbs in English. MIT (mimeo). Campbell, R.N. und Wales, R.J. 1969: Comparative structures in English, in: Journal of Ling. 5: 215 - 251. Doherty, Monika. 1970: Zur Komparation antonymer Adjektive. ASG-Bericht Nr. 6, Berlin. Doherty, Paul C. und Schwartz, Arthur. 1967: The syntax of the compared adjective in English, in: Lang. 43: 903 - 936. Hale, Austin. 1970: Conditions on English Comparative Clause Pairings, in: Readings in English Transformational Grammar, hgs. R.A. Jacobs und P.S. Rosenbaum, Waltham (Mass.), Toronto, London 1970: 3 0 - 55. Hale, Kenneth. 1971: A note on a Walbiri tradition of antonymy, in: Semantics, hgs. D.D. Steinberg und L.A. Jacobovits, Cambridge: 472 - 482. Härtung, Wolfdietrich. 1964: Die zusammengesetzten Sätze des Deutschen, Berlin ( 2 1966). Studia Grammatica IV. Huddieston, Rodney. 1967: More on the English comparative, in: Journal of Ling. 3: 91 - 102. König, Ekkehard. 1971: Adjectival constructions in English and German. A contrastive analysis. Heidelberg. Lakoff, George. 1971: Linguistik und natürliche Logik, hgs. W. Abraham, Frankfurt/M. Schwerpunkte 6. Engl. Original Dordrecht 1970. Lees, Robert Β. 1961: Grammatical analysis of the English comparative construction, in: Word 17: 171 - 185. Leisi, Ernst. 1953: Der Wortinhalt. Seine Struktur im Deutschen und Englischen, Heidelberg ( 3 1967). Morscher, Edgar. 1971: Über Positive, Komparative und Superlative, in: Zs. f. allg. Wissenschaftstheorie 2: 66 - 88. Pilch, Herbert. 1965: Comparative constructions in English, in: Lang. 41: 37 58.

47

Smith, Carlota S. 1 9 6 1 : A Class o f Complex Modifiers in English, in: Lang. 37: 3 4 2 - 365. Wierzbicka, Anna. 1 9 7 1 : The deep or semantic structure o f the comparative, in: Ling. Ber. 16: 3 9 - 4 5 . Wunderlich, Dieter. 1 9 7 0 : Vergleichssätze. Arbeitspapier, Berlin.

48

WOLFGANG W. SETTEKORN - WOLFGANG H. TEUBERT BEMERKUNGEN ZUM KONDITIONALSATZ

1. Neuere linguistische Ansätze 1.1. Im Rahmen der generativen Transformationsgrammatik wurde bisher den zusammengesetzten Sätzen, darunter auch und gerade den Konditionalsätzen, wenig Beachtung geschenkt. Zu den wenigen Arbeiten, die sich mit diesem Problemkreis auseinandersetzen, gehören für das Deutsche Härtung (64), für das Französische Lamerand (70) und Rohrer (71). Deren Ansätze sollen kurz umrissen werden. Härtung (64) basiert noch auf dem Modell von Chomsky (57). Die Generierung zusammengesetzter Sätze erfolgt noch nicht durch Rekursivität im P-Marker, sondern allein durch Transformationen, die über Endketten des Formationsteils operieren. Ein Konditionalsatz kann so nur auf der Grundlage zweier isoliert generierter Sätze beschrieben werden. In seiner Arbeit scheint Härtung den Begriff des Konditionalsatzes implizit vorauszusetzen. Wir können eine genauere Erläuterung des Hartungschen Vorverständnisses von Konditionalität nur durch eine Betrachtung der von ihm vorgesehenen Ableitungen erreichen. Er fordert, daß nur solche Endketten des Formationsteils in den DannTeil (forthin Konsequens) eines konditionalen Wenn-Dann-Geiüges transformiert werden können, die konditionale Platzhalter folgender Art enthalten: 1 unter dieser Bedingung in diesem Fall unter der Voraussetzung unter diesen Umständen

Diese Ketten machen eine Aussage über ein vorausgegangenes bzw. folgendes Textstück, das ebenfalls eine Endkette des Formationsteils ist. Umgangssprachlich formuliert würde der Satz (1)

Falls du dich beeilst, erreichst

du den Zug.

2

49

abgeleitet aus: (Γ)

Du erreichst den Zug + kond. Platzhalter

(1")

Du beeilst dich.

und

Da es sich bei (Γ) und (1") um Endketten des Formationsteils handelt, kommt ihnen noch kein Satzrang zu. Dieser wird erst nach Durchlauf durch obligatorische Transformationen erreicht. Im vorliegenden Fall wird (1") durch Transformation an die Stelle des konditionalen Platzhalters von (1') eingebettet und die so erreichte Kette durch Umstellung in (1) überführt. 3 Hartungs Ansatz muß als unvollständig und ungenügend angesehen werden, da er innerhalb seiner weitgehend asemantischen Theorie keine Definition des konditionalen Platzhalters bzw. des Konditionalverhältnisses gibt, die nur semantisch begründet werden könnte. Der Ausschluß der Semantik impliziert aber auch, daß er keine ausreichende Möglichkeit hat, die semantische Wohlgeformtheit der durch das Konditionalverhältnis gegebenen Beziehung zwischen dem WennTeil (forthin Antezedens) und dem Konsequens in allen Fällen zu gewährleisten. Schließlich macht Härtung keinen Unterschied zwischen realen und irrealen Konditionalsätzen, die, wie noch zu zeigen sein wird, einer unterschiedlichen Behandlung bedürfen. Wenn nämlich gilt, daß im Sinne Hartungs ein Konditionalsatz aus zwei zugrundeliegenden Sätzen abgeleitet wird, kann in dieser Theorie, selbst wenn semantische Verträglichkeit gewährleistet sein sollte, nicht entschieden werden, ob aus zwei zugrundeliegenden Sätzen ein indikativisches oder konjunktivisches Gefüge generiert werden kann. Ungrammatische Sätze können so nicht ausgeschlossen werden: (la)

Wenn wir gestern in Berlin gewesen wären, hätten wir Härtung besucht.

(lb)

*Wenn wir gestern in Berlin waren, haben wir Härtung besucht.

Zwar schließt Härtung für den Konditionalsatz bestimmte Tempuskombinationen aus, durch die möglicherweise die Generierung von (lb) unterbunden würde, doch ist damit das thematisierte Problem der Unter-

50

Scheidung zwischen indikativischen und konjunktivischen Konditionalsätzen nicht gelöst, da es sich hier nicht um morphosyntaktische, sondern um semantische und möglicherweise pragmatische Fragestellungen handelt. So ist der Satz (lc)

Wenn er gestern in Berlin war, hat er Härtung

besucht.

durchaus grammatisch wohlgeformt. Die Notwendigkeit zu einer Unterscheidung zwischen indikativischen und konjunktivischen Konditionalsätzen wird durch Hartungs Tempusrestriktionen nicht berührt. Schon aus diesen beiden Einwendungen geht hervor, daß Hartungs Ansatz seinem Ziel, alle und nur die grammatischen Konditionalsätze zu generieren, nicht gerecht zu werden vermag. 1.2. Lamerand (70) geht empirisch von dem Corpus der im F r a n c i s fondamental enthaltenen Konditionalsätze aus und erstellt eine Syntax mit Formations- und Transformationsteil, die ihm zumindest die Generierung der in seinem Corpus enthaltenen Sätze erlaubt. Gegenüber Hartungs Ansatz hat die Syntax von Lamerand zunächst den Vorteil, daß sie eine ungleich größere Zahl verschiedener Oberflächenstrukturen hypothetischer Verbindungen zu generieren vermag. Da eine Reihe dieser Oberflächenstrukturen auch nicht-hypothetischen Tiefenstrukturen entsprechen (Temporal-, Kausal-, Konzessiv- und Konsekutivsätze), führt Lamerand einen "facteur de contexte" (F) e i n 4 , der Ambiguitäten aufgrund von Kontextinformation auflösen soll. So notwendig und nützlich die Einführung dieses Kontextfaktors ist, stellt er in Lamerands Arbeit noch nicht mehr als einen Hinweis auf die Notwendigkeit zur Einbeziehung des Kontextes dar, doch mindert die Tatsache, daß F theoretisch noch nicht expliziert ist, nicht Lamerands Verdienst, diesen Faktor ausdrücklich eingeführt zu haben. Allerdings kann die durch den Faktor bereitzustellende Information im Rahmen von Lamerands Modell nicht erbracht werden. Obwohl sich Lamerand auf die syntaktische Komponente beschränkt, betont er im Gegensatz zu Härtung die Rolle der Semantik bei der Beschreibung von Konditionalsätzen: "Laisser de cote la composante semantique d'une grammaire, ce n'est nier son utilite ni son importance." 5

51

Als tiefenstrukturelle Darstellung der Relation zwischen Antezedens und Konsequens im Konditionalsatz wählt Lamerand das Implikations( D = si.„alors) und Äquivalenzzeichen ( ξ = si et seulement si) 6 der Aussagenlogik unter ausdrücklichem Verweis auf die entsprechenden Wahrheitswertetafeln. 7 1.3. Auch Rohrer (71) glaubte, im Implikationszeichen eine adäquate Darstellungsmöglichkeit für Konditionalsätze gefunden zu haben: ' Die Konditionalsätze bereiten uns keine Schwierigkeiten, denn unsere Tiefenstruktur enthält schon den Junktor ' -> ' (si... alors), der zu ihrer Symbolisierung ausreicht." Daß eine Beschreibung der Bedeutung von Konditionalsätzen mittels einer unspezifizierten Implikation unzureichend ist, soll im folgenden gezeigt werden. 1.4. Wir unterscheiden dabei zwei Typen von Konditionalsätzen: R ea1is: Mit Realis wird ausdrucksseitig der Satztyp des Konditionalsatzes bezeichnet, in dem sowohl das finite Verb des Antezedens als auch das des Konsequens im Indikativ stehen. Inhaltsseitig bezeichnet Realis den Satztyp des Konditionalsatzes, bei dem der Sprecher die Frage der Faktizität des im Antezedens ausgedrückten Sachverhaltes offenläßt. Irrealis: Mit Irrealis wird ausdrucksseitig der Satztyp des Konditionalsatzes bezeichnet, in dem sowohl das finite Verb des Antezedens als auch das des Konsequens im Konjunktiv II (Konj. Präteritum, Konj. Plusquamperfekt, lüimfe-Umschreibung) stehen. Inhaltsseitig bezeichnet Irrealis den Satztyp des Konditionalsatzes, bei dem der Sprecher die Frage der Faktizität des im Antezedens enthaltenen Sachverhaltes verneint, unabhängig davon, ob dieser Sachverhalt faktisch möglich ist oder nicht.

52

2. Der reale Konditionalsatz in sprachphilosophischer Sicht 2.1. Bei der Betrachtung der Bedeutung des realen Konditionalsatzes gehen wir von folgendem Textbeispiel aus: (2)

Alle Smaragde sind grün.

(3)

In dieser verschlossenen

(4)

Wenn dieser Stein ein Smaragd ist, ist er grün.

Schachtel liegt ein Stein.

Der Satz (4) enthält zwei Aussagen: (5)

Dieser Stein ist ein Smaragd.

(6)

Dieser Stein ist grün.

Es wird vorausgesetzt, daß zwischen ein Stein (3), dieser Stein (4) und er (4) Referenzidentität vorliegt. Die Bedeutung des realen Konditionalsatzes (4) soll nun mit Hilfe der Aussagenlogik beschrieben werden. Angeregt durch die Verwendung des Implikationszeichens bei Lamerand und Rohrer, legen wir zunächst als Beschreibungsmodell die zweiwertige Aussagenlogik mit den beiden Wahrheitswerten "wahr" (W) und "falsch" (F) zugrunde. Dabei ergibt sich für die Implikation folgende Verteilung der Wahrheitswerte: Ρ q

3)

w w W w F F F w W

4)

F

1) 2)

F W

Zu diesem Schema ergeben sich folgende vier Kombinationen der in (4) enthaltenen Aussagen: 1')

Der Stein ist ein Smaragd. Er ist grün.

2')

Der Stein ist ein Smaragd. Er ist nicht grün.

3')

Der Stein ist kein Smaragd. Er ist grün.

4')

Der Stein ist kein Smaragd. Er ist nicht grün.

Unser Satz entspricht nur dann einer Implikation, wenn die erste Aussage mit der zweiten Aussage in der Aussagenkombination 1') verträg-

53

lieh ist, d.h. wenn beide Aussagen zugleich im angegebenen Kontext (2) und (3) wahr sein können; entsprechendes muß für 3') und 4') gelten; hingegen dürfen die Aussagen der Aussagenkombination 2') im gegebenen Kontext nicht miteinander verträglich sein. In unserem Beispiel ist unter den angegebenen Kontextbedingungen die Verträglichkeit von 1') und die Nicht-Verträglichkeit von 2') gewährleistet, hingegen erscheint Verträglichkeit in 3') und 4') problematisch. 2.2. Wir müssen davon ausgehen, daß unser Stein, wenn er kein Smaragd ist, ein anderer Stein (vielleicht ein Nierenstein) ist, über dessen Farbe nichts ausgesagt wird. Nehmen wir zunächst an, daß es sich bei diesem Stein um einen blaubemalten Kieselstein handelt. Wir setzen dann an die Stelle der ersten Aussage von 3')·. Dieser Stein ist kein Smaragd.

Wir erhalten dann die neuen Aussagenkombinationen: 3")

Dieser Stein ist ein nicht-grüner Stein. Er ist grün.

4")

Dieser Stein ist ein nicht-grüner Stein. Er ist nicht grün.

Von diesen Aussagenkombinationen ist 3") unverträglich, 4 " ) dagegen verträglich. Wir können jedoch auch annehmen, daß es sich bei dem Stein um einen grünbemalten Kieselstein handelt. Wir erhalten dann die Aussagenkombinationen: 3"')

Dieser Stein ist ein grünbemalter Kieselstein. Er ist grün.

4"')

Dieser Stein ist ein grünbemalter Kieselstein. Er ist nicht grün.

Hier tritt der Fall ein, daß 3"') verträglich und 4 ' " ) nichtverträglich ist.

54

Die Aussagenkombinationen 3 " ) / 4 " ) und 3 " ' ) / 4 ' " ) stellen Beispiele für zwei sich ausschließende Klassen von Aussagen dar. Eine Aussage der ersten Klasse muß darstellbar sein in der allgemeinen Formel: (is) ( ~ S m ( s ) A ~ G ( s ) )

(umgangssprachlich: der Stein ist kein Smaragd und ist nicht grün) Eine Aussage der zweiten Klasse muß darstellbar sein als: (is) ( ~ Sm(s)AG(s)) (umgangssprachlich: Der Stein ist kein Smaragd und ist grün) 2.3. Daraus folgt im Rahmen unserer Argumentation, daß nicht, wie es die Implikation der zweiwertigen Aussagenlogik fordert, die Aussagenkombinationen 3') und 4') zugleich wahr sein können. Denn ist die eine Aussagenkombination verträglich, ist damit die Verträglichkeit der anderen ausgeschlossen. Über die Wahrheitswerte von 3) und 4) kann demnach keine Aussage gemacht werden, die Fälle bleiben unentschieden. Der reale Konditionalsatz sagt nur etwas aus über den Wahrheitswert der Aussage des Konsequens unter der Bedingung der Wahrheit der Aussage des Antezedens; er macht jedoch keine Aussage darüber, was geschieht, wenn die Aussage des Antezedens falsch ist. Ihm kommt demnach folgende Wahrheitswerteverteilung zu: wenn p, dann q W W W F F W F F

W F unbestimmt unbestimmt

Diese Wahrheitswerteverteilung entspricht der Quasiimplikation in Reichenbachs dreiwertiger Logik. 9 Es scheint, daß sich jeder reale Konditionalsatz als Quasiimplikation beschreiben läßt. Damit soll nicht gesagt sein, daß diese Beschreibung hinreichend ist, d.h. daß sie alle semantisch wohlgeformten Konditionalsätze und nur diese beschreibt. 1 0 Es dürfte jedoch deutlich geworden sein, daß die Implikation der zweiwertigen Aussagenlogik keine adäquate Darstellung umgangssprachlicher Konditionalsätze sein kann.

55

3. Der irreale Konditionalsatz in sprachphilosophischer Sicht 3.1. Wir gehen bei unserer Betrachtung von folgendem Beispielsatz aus: (7)

Wenn Herr B. sympathisch ler.

wäre, wäre er

Bundeskanz-

Dieser Satz enthält zwei Aussagen: (8)

Herr B. ist

sympathisch.

(9)

Herr B. ist

Bundeskanzler.

Der Unterschied zwischen realen und irrealen Konditionalsätzen erweist sich bei dem Versuch, (7) wie einen realen Konditionalsatz mittels einer Quasiimplikation zu beschreiben. Dieser Versuch muß scheitern, weil sich der irreale Konditionalsatz nur auf die Fälle 3) und 4) der Wahrheitswertetafel bezieht, für die ~ p gilt. Wenn ein Sprecher einen irrealen Konditionalsatz äußert, verneint er durch die Setzung des grammatischen Konjunktivs die Wahrheit des Antezedens. Bei Zugrundelegung von Implikation und Quasiimplikation zur Beschreibung irrealer Konditionalsätze müßte in der Aussagenverknüpfung von ρ und q sowohl die Verbindung ~ p / q als auch ~ p / ~ q wahr sein. Das hieße, daß im gleichen Kontext sowohl Satz (7) als auch (10)

Wenn Herr B. sympathisch Bundeskanzler.

wäre, wäre er jetzt

nicht

semantisch wohlgeformt sein müßten. Die Aufgabe des Linguisten muß nun darin bestehen, die Bedingungen zu formulieren, unter denen ein gegebener Konditionalsatz als semantisch wohlgeformt verstanden wird, während der entgegengesetzte Konditionalsatz mit negiertem Konsequens als semantisch nicht wohlgeformt aufgefaßt wird. 1 1 Da im irrealen Konditionalsatz aufgrund von Annahmen, die im Antezedens nicht explizit aufgeführt sind, eine hypothetische Aussage darüber gemacht wird, was bei Wahrheit des durch den Konjunktiv negierten Antezedens der Fall wäre, kann eine Aussage über die semantische Wohlgeformtheit des ganzen Satzes nicht allein mittels der Beschreibung seiner Elemente gewährleistet werden. Vielmehr ist zur Beurteilung irrealer Gefüge eine Kenntnis der über den Satz hinausgehenden

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Annahmen notwendig. So läßt sich für Satz (7) etwa folgende Liste von Annahmen erstellen: 1) B. will Bundeskanzler werden 2) B. wird von einem führenden bayerischen Politiker unterstützt 3) Ein führender Zeitungsmagnat tritt für B. ein 4) Viele Wähler lassen sich von einem führenden Zeitungsmagnaten und dessen Blättern beeinflussen 5) Sympathische Kandidaten werden lieber gewählt usw. Die Liste der Annahmen, die einen irrealen Konditionalsatz plausibel machen, ist prinzipiell offen; denn es könnte noch eine beliebige Reihe weiterer Argumente herangezogen werden. Aus der Gesamtheit dieser Annahmen und dem Antezedens kann das Konsequens gefolgert werden. Für Linguisten stellt sich somit das Problem, aus dem Kontext die Annahmen zu entnehmen, zusammen mit denen das Antezedens die Folgerung des Konsequens zuläßt. Jedoch sind nicht alle Argumente gleichermaßen notwendig. So läßt sich z.B. für die im Hinblick auf Satz (7) erstellte Liste von Annahmen nicht ohne weiteres entscheiden, ob und auf welche Listenelemente verzichtet werden kann. Mit Goodman (47) bezeichnen wir die Angaben, die unabdingbar sind, als die relevanten Bedingungen des Konditionalsatzes. Wir wollen uns in der Folge zunächst dem Problem, das sich in Verbindung mit den relevanten Bedingungen stellt, zuwenden und kurz die dazu geführte Diskussion zusammenfassen. 1 2 In seinem Versuch, das Problem der relevanten Bedingungen zu lösen, ging Goodman von der Annahme aus, daß es zunächst nichts ausmachen würde, auch die irrelevanten Bedingungen miteinzuschließen. In diesem Falle ließe sich sagen, daß das Antezedens zusammen mit allen wahren Aussagen hinreichende Bedingung für das Konsequens wäre. Aber unter allen wahren Sätzen ist auch das Negat der im Antezedens enthaltenen Aussage, so daß aus einer Konjunktion dieses Negats jedes beliebige Konsequens gefolgert werden könnte. Mindestens dieses Negat muß aus der Menge der wahren Sätze ausgeschlossen werden, welche die Liste der relevanten Bedingungen konstituieren. Man vergleiche die Abänderung unseres Beispielsatzes (7)

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(7')

Wenn Herr Β. sympathisch re, dann...

und nicht sympathisch

wä-

In einer Reihe von Einzelschritten reduziert Goodman die Menge der Sätze, die als relevante Bedingungen gelten, auf solche, die zusammen mit dem Antezedens kotenabel sind, d.h., die zugleich mit dem Antezedens wahr sein können. Um zu entscheiden, ob in einem gegebenen Fall Kotenabilität vorliegt, muß bestimmt werden, ob der irreale Konditionalsatz: Wenn das Antezedens wahr wäre, wäre die Menge der Sätze, die mit dem Antezedens kotenabel sind, nicht wahr. selbst wahr ist oder nicht. Kotenabilität wird also durch irreale Konditionalsätze und diese wiederum werden durch Kotenabilität definiert. Wir befinden uns demnach in einem regressus ad infinitum, aus dem Goodman keinen Ausweg sah. Ähnlich problematisch erweist sich der Nachweis, daß zwischen den relevanten Bedingungen sowie dem Antezedens einerseits und dem Konsequens andrerseits eine gesetzmäßige Beziehung besteht. Gerade im Zusammenhang mit der Diskussion um Gesetzmäßigkeiten kommt der Problematik des irrealen Konditionalsatzes besonderes Gewicht zu, da jeder beliebige irreale Konditionalsatz aus einer Allaussage ableitbar sein muß. So könnte etwa unserem Beispielsatz (7) folgende Allaussage zugrundeliegen: (11)

Jeder Mensch, der Bundeskanzler werden will, der von einem führenden bayerischen Politiker unterstützt wird, für den ein führender Zeitungsmagnat eintritt und der sympathisch ist, wird Bundeskanzler.

Weitere Beispiele für Allsätze sind: (12)

Alle Steine, die Smaragde sind, sind grün.

(13)

Alle Bewohner des Hauses Bahnhofstr, liken.

15 sind Katho-

Es ist jedoch offensichtlich, daß zwischen Smaragd und grün eine gesetzmäßige Beziehung besteht, während gleiches für Bewohner des Hauses Bahnhofstraße 15 und katholisch nicht gilt. Allsätze des zwei-

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ten Typs werden als akzidentell bezeichnet. Irreale Konditionalsätze können jedoch nur aus gesetzmäßigen Allaussagen abgeleitet werden. So ist der irreale Konditionalsatz (12')

Wenn dieser Stein ein Smaragd wäre, wäre er grün.

semantisch wohlgeformt, jedoch nicht der Satz (13')

Wenn Herr Meier, der in der Luisenstraße 3 wohnt, in der Bahnhof Straße 15 wohnen würde, wäre er ein Katholik.

Der Unterschied zwischen gesetzmäßigen Allaussagen und akzidentellen Allaussagen ist im Sprachgebrauch und in der Verwendungsweise der Wörter, d.h. ihrer Bedeutung zu suchen. So gehört zu der Bedeutung des Wortes Smaragd die Bestimmung seiner Farbe als grün hinzu, während es nicht zur Bedeutung von Haus in der Bahnhofstraße 15 gehört, daß es nur von Katholiken bewohnt wird. Es ist jedoch der Fall denkbar, daß dieses Haus von einer katholischen Baugenossenschaft erstellt wurde, die nur an Katholiken vermietet. Wird dies als relevante Bedingung herangezogen, gilt ein gesetzmäßiger Zusammenhang zwischen dem Haus und dem Katholisch-Sein seiner Bewohner. Wenn nun unser Herr Meier aus der Luisenstraße, der möglicherweise Hindu ist, in dieses Haus in der Bahnhofstraße einziehen will, muß er Katholik werden. Im Falle des hier skizzierten Kontextes würde es sich bei (13') um einen semantisch wohlgeformten irrealen Konditionalsatz handeln, was ohne diesen Kontext nicht der Fall wäre. 3.2. Unter anderen Gesichtspunkten als Goodman nähert sich Rescher dem Problem der irrealen Konditionalsätze. Rescher geht es zunächst darum, hypothetische Schlußprozeduren zu beschreiben und dann die für das Schließen notwendigen Bedingungen einzuführen. Er geht davon aus, daß bei jedem hypothetischen Schluß, der in der Form eines irrealen Konditionalsatzes vorgenommen wird, eine mehr oder weniger stark glaubenswiderstreitende Annahme gemacht wird. Doch reicht diese Annahme allein noch nicht zur Schlußfolgerung, sondern es bedarf hierzu einer Reihe zusätzlicher Annahmen. Hierzu ein Beispiel: 13 Nehmen wir an, es sollte aufgrund der Annahme (14}

Wenn Caesar ein Löwe gewesen wäre, ...

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ein Schluß gezogen werden, so zeigt sich, daß diese Annahme allein nicht ausreicht. Zunächst nehmen wir zusätzlich folgende geglaubten Sätze an: 1) Caesar war kein Löwe (bekannte Tatsache) 2) Caesar hatte keinen Schweif (bekannte Tatsache) 3) Alle Löwen haben Schweife (akzeptierte Gesetzesaussage) Die in 1) formulierte bekannte Tatsache wird durch die hypothetische Annahme negiert, d.h. es gilt: ~ (1)). Bei einer Schlußfolgerung aufgrund der Sätze 2)/3) muß jeweils einer der beiden beibehalten und der andere verworfen werden. Unter Beibehaltung von 2) ergibt sich der Satz: (15)

Wenn Caesar ein Löwe gewesen wäre, hätte es mindestens einen schweiflosen Löwen gegeben (denn Caesar hatte keinen Schweif).

Unter Beibehaltung von 3) jedoch: (16)

Wenn Caesar ein Löwe gewesen wäre, hätte er einen Schweif gehabt (denn alle Löwen haben einen Schweif).

Rescher sieht (16) als natürlicher an, weil er der Überzeugung ist, daß bei irrealen Gefügen dieser Art Gesetzesaussagen beim Schließen eine höhere Rangstufe als anderen Annahmen zuzuordnen ist. Das heißt, daß die Liste der für die hypothetische Schlußfolgerung notwendigen Annahmen hierarchisiert werden muß. In sie gehen für wahr gehaltene Sätze ein, die sich nicht widersprechen dürfen. Diese Liste ist aus der Menge aller möglichen für wahr gehaltenen Sätze selektiert. Die Selektion erfolgt mittels eines von Rescher nicht explizierten Auswahlmechanismus. Da nun über diesen Listen der Prozeß des Beibehaltens und Verwerfens operiert, ergeben sich aufgrund der verschiedenen Wahlmöglichkeiten unterschiedliche Listen, die zu unterschiedlichen Schlüssen führen. Dies läßt sich an einem vieldiskutierten Beispiel erläutern: Für wahr gehaltene Sätze 1) Alle trockenen Streichhölzer in einem sauerstoffhaltigen Medium brennen, wenn sie gerieben werden (umfassendes Gesetz) 2) S ist ein trockenes Streichholz (Hilfshypothese) 3) S ist in einem sauerstoffhaltigen Medium (Hilfshypothese)

60

4) S ist nicht gerieben worden 5) S hat nicht gebrannt Annahme: S wäre gerieben worden Durch diese Annahme ist 4) zu verwerfen. Da es sich bei 1) um eine Gesetzesaussage handelt, soll es beibehalten werden, wodurch sich drei Schlußmöglichkeiten ergeben; wenn man sich als Minimum auf die Verwerfung eines einzigen weiteren Satzes beschränken will: Möglichkeit i) beibeh.

verw.

1) 3) 5)

4) 2)

(17) Wenn das Streichbolz S gerieben worden wäre, wäre es nicht trocken gewesen

Möglichkeit ii) beibeh.

verw.

1) 2) 5)

4) 3)

(18) Wenn das Streichholz S gerieben worden wäre, wäre es nicht in einem sauerstoffhaltigen Medium gewesen

Möglichkeit iii) beibeh.

verw.

1)

4) 5)

2)

(19) Wenn das Streichholz S gerieben worden wäre, hätte es gebrannt.

3) Die Hilfshypothesen 2) und 3) gewährleisten die Anwendbarkeit der Gesetzesaussage 1). Aus diesem Grund erscheint es sinnvoll, sie nicht zu verwerfen. Der einzig plausible Konditionalsatz wird demnach durch Möglichkeit 3) geliefert: (19)

Wenn das Streichholz S gerieben worden wäre, hätte es gebrannt.

während die Möglichkeiten i) und ii) weniger plausibel erscheinen. Bei Konditionalsätzen dieser Art unterscheidet Rescher aufgrund der

61

gemachten Beobachtungen drei Gruppen von Listenelementen: 1. laws operative in the case at issue (Gesetze, die über dem vorliegenden Fall operieren) 2. boundary-value facts needed for the applicability of the laws in the case at issue (Grenzwertdaten, die für die Anwendbarkeit der Gesetze im vorliegenden Fall benötigt werden) 3. other matters of fact (weitere Tatsachen) Diese Anordnung entspricht der abnehmenden Unwilligkeit, die Sätze der Liste angesichts der glaubenswiderstreitenden Hypothese zu verwerfen. Dabei entsprechen die der zweiten Gruppe zuzuordnenden Sätze denen, die nicht explizit in dem jeweiligen irrealen Konditionalsatz aufgeführt werden, die jedoch zur Erklärung dessen Inhalts benötigt werden. In dieser Hinsicht entsprechen sie Goodmans relevanten Bedingungen. Rescher ist sich darüber im klaren, daß es nicht möglich ist, auf mechanische Weise zu bestimmen, welche Sätze mit welcher Position in die Liste eingeführt, welche dann verworfen und welche beibehalten werden sollen. "This recasting is not only not a matter of logic ..., but cannot even be achieved by any automatic or mechanical methods. ... Belief-contravening suppositions lead us into a mire of ambiguity from which no road map of purely logical revision or mechanical manipulation can extricate us. If such suppositions are viewed as a sort of "make-believe", then we must recognize that the problem of where to "draw the line" between make-believe on the one hand and the "real thing" upon the other is a subtle one that cannot be solved in any automatical way whatever." 1 5 An Reschers Vorgehensweise, nicht an seinem System ist problematisch, daß er bei seiner Argumentation zu sehr Gewicht auf die im Antezedens geäußerte glaubenswiderstreitende Hypothese legt: "Anyone (including ourselves) who invites us to make a beliefcontravening supposition must be ready to adjudicate doubtful interpretations and to resolve uncertainties as to the bearing of the assumption upon other relevant beliefs." 1 6

62

Nun kann aber die Liste der Sätze, über denen das Prinzip des Beibehaltens und Verwerfens operiert, sinnvoll nur dann begrenzt werden, wenn nicht nur die glaubenswiderstreitende Hypothese, sondern die Intention zur Äußerung eines vollständigen irrealen Konditionalsatzes mit Antezedens u n d zugehörigem Konsequens vorliegt. Was Quine im Hinblick auf Wahrheitsweite und irrealen Konditionalsatz formulierte, läßt sich unseres Erachtens auch auf Reschers Vernachlässigung der Beziehung zwischen Antezedens und Konsequens übertragen: Any adequate analysis of the contrafactual conditional must go beyond mere truth-values and consider causal connections, or kindred relationships, between matters spoken of in the antecedent of the conditional and matters spoken of in the consequent."17 Natürlich ergibt sich beim Streichholzbeispiel durch die zugrundegelegten Annahmen sinnvoll nur e i η Konsequens, was jedoch daran liegt, daß die Liste einzig und allein im Hinblick auf dieses Konsequens erstellt wurde. Aus der gleichen Hypothese hätte man zu dem entgegengesetzten Schluß kommen können, wenn nur eine der Annahmen 2) oder 3) negiert worden wäre. So gesehen kommt Rescher immer nur zu dem Schluß bzw. den Schlüssen, auf den bzw. die seine Liste konzipiert war. Die Liste liefert den Schluß und der Schluß die Liste.

4. Konditionalsatz und linguistische Theorie 4.1. Was in 3.1. und 3.2. exemplarisch an Goodman und Rescher dargestellt wurde, gilt für alle uns bekannten sprachphilosophischen Arbeiten zum Konditionalsatz. 1 8 Das Problem des Konditionalsatzes ist von der Sprachphilosophie nicht gelöst worden: "Wie aus den ... angestellten Überlegungen klargeworden ist, kann von einer vollständigen Lösung bzw. Auflösung dieses Problems nicht gesprochen werden." 1 9 Das Problem des hypothetischen Folgerns, in anderen Worten: das des induktiven Schließens, kann solange nicht gelöst werden, wie linguistische Methoden nicht in die Betrachtung einbezogen werden und eine

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ausführliche semantische Analyse der Verwendungsweise von Wörtern und Sätzen nicht vorliegt. Zu diesem Ergebnis gelangte auch Goodman: " I f I am at all correct, then, the roots of inductive validity are to be found in our use of language. A valid prediction is, admittedly, one that is in agreement with past regularities in what has been observed; but the difficulty has always been to say what constitutes such agreement... thus the line between valid and invalid predictions (or induction or projection) is drawn upon the basis of how the world has been described and anticipated in w o r d s . " 2 0 Die Beschreibung der Bedeutung des Konditionalsatzes muß deshalb als gemeinsame Aufgabe von Sprachphilosophie und Linguistik angesehen werden. Welchen Anforderungen hat nun aber eine linguistische Theorie zu genügen, um dieser Aufgabe gerecht zu werden? 4.2. Wie bei der Erörterung der sprachphilosophischen Arbeiten deutlich wurde, kann sich eine semantische Beschreibung der Konditionalsätze nicht auf die in Antezedens und Konsequens enthaltenen Elemente und beider Verknüpfung beschränken. Sie muß vielmehr die für das Verständnis des Konditionalsatzes relevanten Bedingungen einbeziehen. Geht man von der Annahme aus, daß die zugrundegelegte Grammatiktheorie nicht über den Satzrang (Satzgrammatik) hinausgeht, müßten a l l e relevanten Bedingungen durch Hyponymierelation bzw. Präsupposition erschlossen werden können. Diese Leistung müßte durch ein geeignetes Lexikon erbracht werden. Zu diesem müßte neben der morphosyntaktischen Komponente eine semantische Syntax treten. In ihr würden Typen von Sachverhalten in Satzbegriffsstrukturen i.S. von Brekle präsentiert: "Jeder aktualisierte Aussagesatz behauptet das Bestehen eines bestimmten Sachverhalts, d.h. ein Satz läßt sich zerlegen in einen semantischen Kern, den wir Satzbegriff nennen, und eine Anzahl von modalen Relationen wie Assertion, Quantifikation, Negation, Modi etc., die den Satzbegriff bzw. einzelne Teile desselben in Beziehung zu bestimmten Ebenen der Kommunikation bringen." 2 1 Diese Satzbegriffe sind abgeleitet aus allgemeineren Satzbegriffsstrukturen in prädikatenlogischer Notation, indem deren Variablen durch lexikalische Einheiten gefüllt werden. Um eine semantisch wohlgeformte Füllung der Satzbegriffsstrukturen zu gewährleisten, müßten im Le-

64

xikon für jeden Eintrag die möglichen Bedeutungsrelationen zu allen anderen Einträgen angegeben werden. Daraus ergibt sich für das Lexikon eine komplexe Netzwerkstruktur, die die Verbindbarkeit der Einträge untereinander beschreibt. Die semantischen Relationen entsprechen dabei denen der Satzbegriffsstrukturen. 4.3. Mittels eines solchen utopischen totalen Lexikons müßte auch zumindest e i n e koheränte Liste relevanter Bedingungen zu einem gegebenen irrealen Konditionalsatz generierbar bzw. erschließbar sein. Die dargestellten Mittel reichen jedoch für die meisten irrealen Konditionalsätze nicht aus, da es für jeden dieser Sätze eine mehr oder weniger große Anzahl von Listen relevanter Bedingungen, also Begründungen für den betreffenden Konditionalsatz, gibt. So sind beispielsweise für den Satz: (20)

Wenn Napoleon die Schlacht bet Waterloo nicht verloren hätte, wäre er eines gewaltsamen Todes gestorben,

u.a. folgende Begründungen möglich: a) ein Hellseher hat es vorausgesagt b) der Attentäter hatte schon seinen Plan gefaßt c) die meisten Diktatoren sterben eines gewaltsamen Todes usw. Aus jeder dieser Begründungen ließe sich die semantische Wohlgeformtheit des irrealen Konditionalsatzes ableiten. Das Wissen, welche Begründung dem Beispielsatz zugrunde liegt, muß aus dem Kontext oder der Konsituation des Satzes entnommen werden. Dazu kann u.U. auch die Kenntnis des Hörers vom Sprecher gehören, d.h. die Kenntnis früherer, vom Sprecher gemachter Äußerungen. Aus diesem Grunde bedarf eine zutreffende semantische Beschreibung irrealer Konditionalsätze einer Grammatik, die über den Satzrang hinausgeht und Prozesse der Textkonstitution einbezieht.

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Anmerkungen

1

Vgl. Härtung (64), S. 129.

2

mit Abänderung übernommen aus Härtung (64), S. 130, (107) - (107'").

3

Vgl. Härtung (64), S. 130.

4

Vgl. Lamerand (70), S. 22, 27, 62.

5

Lamerand (70), S. 17.

6

Lamerand (70), S. 25 ff. und S. 121.

7

Lamerand (70), S. 121.

8

Rohrer (71), S. 196 f.; Rohrer (persönliche Mitteilung) ist inzwischen von dieser Auffassung abgekommen.

9

Vgl. O'Connor (51), S. 351 f. Anm. 1.

10

Vgl. Savigny (70), S. 61 f.

11

Vgl. Goodman (47), S. 113 f.

12

Im folgenden wird nach Goodman (47) argumentiert.

13

Vgl. Rescher (64), S. 13.

14

Nach Rescher (64), S. 32 ff.

15

Rescher (64), S. 19.

16

Rescher (64), S. 20.

17

Quine (50), S. 14 f.

18

Einen Uberblick über die Arbeiten bis 1951 gibt Schneider (53), die neueren Arbeiten werden berücksichtigt bei Stegmüller (69) und in: The Encyclopedia of Philosophy, Bd. 2 (67), S. 212 ff.

19

Stegmüller (69), S. 334.

20

Goodman (47), S. 117.

21

Brekle (70), S. 69.

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Literatur

Brekle, Herbert (70): Generative Satzsemantik und transformationelle Syntax im System der englischen Nominalkomposition, München 1970. Goodman, Nelson (47): The problem of counterfactual conditionals, in: The Journal of Philosophy XLIV, No. 5 (1947), S. 113 - 128. Härtung, Wolfdietrich (64): Die zusammengesetzten Sätze des Deutschen, Studia Grammatica IV, Berlin 1964. Lamerand, Raymond (70): Syntaxe transformationelle des propositions hypothetiques du fran^ais parle, Bruxelles 1970. O'Connor, D.J. (51): The analysis of conditional sentences, in: Mind, Vol. 60 (1951), S. 351 - 362. Quine, W.V. (50): Methods of Logic, New York 1950. Rescher, Nicholas (64): Hypothetical Reasoning, Amsterdam 1964. Rohrer, Christian (71): Funktionelle Sprachwissenschaft und Transformationelle Syntax, München 1971. von Savigny, Eike (70): Grundkurs im wissenschaftlichen Definieren, München 1970. Schneider, Erna F. (53): Recent discussion of subjunctive conditionals, in: The Review of Metaphysics, Vol. VI, 1953, S. 623 - 650. Stegmüller, Wolfgang (69): Probleme und Resultate der Wissenschaftstheorie und Analytischen Philosophie, Bd. I, Berlin 1969.

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BURKHARD SCHAEDER INHALTFAKTOREN, INHALTFUNKTIONEN UND INHALTFUNKTIONSKLASSEN. Zu einer funktionalen strukturellen Semantik des Deutschen Inhalt: 0.0 1.0 2.0 3.0 4.0

Vorbemerkungen Zur Theorie der Semantik natürlicher Sprachen Inhaltfaktoren als minimale Bedeutungselemente Inhaltfunktionen und Inhaltfunktionsklassen Abschließende Bemerkungen

0.0 Vorbemerkungen 0.1 Der hier vorgelegte Aufsatz ist die überarbeitete Fassung eines Vortrags, den ich unter ähnlichem Titel auf der Jahrestagung der Gesellschaft für angewandte Linguistik am 7. Oktober 1971 in Stuttgart gehalten habe. 0.2 Das semantische System, das hier in Ausschnitten vorgestellt wird, ist Teil der Kommunikativen Grammatik^ und soll im Rahmen eines maschinellen Übersetzungsverfahrens, das von der Forschungsgruppe LIMAS zunächst für das Sprachenpaar Deutsch-Englisch entwickelt wird, die inhaltliche Analyse und Synthese von Texten dieser Sprachen leisten. 0.3 Da wir bei dem von uns entwickelten maschinellen Übersetzungsverfahren von geschriebenen Texten ausgehen, die in die jeweils andere Sprache übersetzt werden sollen, gehört es nicht zu den Aufgaben des Systems, sinnvolle Sätze und Texte frei zu generieren. Von den Generierungen, die wir zur Prüfung unserer Algorithmen maschinell mit Hilfe begrenzter Lexika erstellen lassen, ist lediglich verlangt, daß sie systemrichtige, aber nicht notwendig sinnvolle Phrasen, Sätze, Texte erbringen. 0.4 Aus diesem Grunde beschränken wir die Semantik auf innersprach-

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liehe Erscheinungen und Funktionen und berücksichtigen Außersprachliches nur insofern, als es innersprachlich nachweisbare Relevanz besitzt. 0.5 Da dies den Rahmen dieser Arbeit sprengen würde, muß hier darauf verzichtet werden, die Semantik der Kommunikativen Grammatik mit anderen Semantiktheorien auf Übereinstimmungen und Unterschiede hin zu vergleichen. Die am Schluß dieser Arbeit aufgeführte Literatur soll Auskunft darüber geben, welche Theorien und Darstellungen der Semantik ein solcher Vergleich aus unserer Sicht vorrangig zu berücksichtigen hätte. 1.0 Zur Theorie der Semantik natürlicher Sprachen 1.1 Wie wir es verstehen, ist es das Ziel der Theorie der Semantik einer natürlichen Sprache, die Art und Weise zu erklären, — in der die Bedeutung eines Wortes oder Morphems dieser Sprache durch ihre Bedeutungselemente konstituiert wird, und in der der Wortschatz dieser Sprache aufgrund semantischer Kongruenzen inhaltlich strukturiert ist; und — wie die vollständig bestimmten Bedeutungen seiner Teile die Globalbedeutung eines Satzes bzw. Textes dieser Sprache konstituieren. Diese beiden Aufgaben einer Theorie der Semantik natürlicher Sprachen, die die Fähigkeit eines Sprechers/Hörers zur Generierung und Analyse sprachlicher Inhalte bzw. Ausdrücke gleichermaßen interpretieren soll, werden seit geraumer Zeit zwei Teilgebieten der Semantik zur Lösung übertragen: einmal der paradigmatischen oder Wort-Semantik, zum anderen der kombinatorischen oder Satz-Semantik. Wir verzichten auf diese strikte Trennung der Aufgaben, da sie aus noch zu erklärenden Gründen für das hier vorgestellte Semantiksystem weder sinnvoll, noch überhaupt möglich erscheint. 1.2 Die Kommunikative Grammatik ist die Grammatik des sprachlichen Kommunikationsprozesses. Ihre Semantik stellt den Ablauf des Formulierungsprozesses des Sprechers und den Ablauf des Verstehensprozesses des Hörers dar. Für diese beiden Prozesse des Formulierens und des Verstehens benötigten Sprecher und Hörer nur diese eine Grammatik, die

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ihnen außer dem Lexikon mit Einträgen einer Menge phonologischer, einer Menge syntaktischer und einer Menge semantischer Merkmale noch Regeln über die sprachinhaltlich möglichen Relationen von Bedeutungselementen bzw. von Bedeutungskomplexen zur Generierung und Analyse von Syntagmen, Sätzen, Texten zur Verfügung stellt. 1.3 In unserer Theorie der Semantik heißt es: Die Kommunikationsintention eines Sprechers generiert sprachliche Inhalte, die auf der Nomoebene in strukturierte Bedeutungseinheiten und im folgenden auf dem Weg über das von uns so bezeichnete Wechselwirkwerk^ auf der Morphoebene in Satz- bzw. Texteinheiten überführt werden, und vice versa im Verstehensprozeß des Hörers. Wir vermeiden die Termini Tiefenstruktur (deep structure), und Oberflächenstruktur (surface structure) nicht aus begrifflicher Eigenwilligkeit, sondern deshalb, weil sich unsere Begriffe und die der Transformationellen Grammatik inhaltlich nicht decken. Nicht nur uns erscheint die Tiefenstruktur der Transformationellen Grammatik als eine syntaktische und keineswegs semantische Beschreibung von Oberflächenstrukturen. Coseriu meint zu demselben, daß verschiedene Oberflächenstrukturen mit gleicher Tiefenstruktur zwar gleich sind im Hinblick auf den von ihnen bezeichneten außersprachlichen Sachverhalt, nicht aber sprachlich gleiche Bedeutung haben. Nach Coseriu handelt es sich bei der Tiefenstruktur um eine synonyme Bezeichnung desselben in mehreren Oberflächenstrukturen verschieden dargestellten Sachverhaltes, und nicht, wie es die Transformationelle Grammatik erkärt, um die syno•3 nyme Bedeutung verschiedener Oberflächenstrukturen. Die Semantik der Kommunikativen Grammatik nimmt für sich dagegen in Anspruch, die - u m die Terminologie der Transformationellen Grammatik zu gebrauchen - Tiefenstruktur der Tiefenstruktur bzw. die Semantik der Tiefenstruktur von Syntagmen, Sätzen, Texten darzustellen. Zu den wichtigsten Bestandteilen unserer Semantik gehören die Inhaltfaktoren, die Inhaltfunktionen und die Inhaltfunktionsklassen, von denen im folgenden die Rede sein soll.

70

2.0 Inhaltfaktoren als minimale Bedeutungselemente 2.1 Seit ihren Anfängen war es das Bestreben der Semantikforschung, globale Bedeutungen in Bedeutungskomplexe und Bedeutungselemente zu zerlegen (componential analysis) 4 , bzw. jene Bedeutungselemente festzustellen, die globale Bedeutungen und Bedeutungskomplexe von Wörtern sowie Syntagmen, Sätzen, Texten begründen (meaning postulates) 5 . Außerdem galt dasselbe Bemühen der Entdeckung der Summe aller Bedeutungselemente einzelner natürlicher Sprachen, ihrer systematischen Darstellung und dem Auffinden einer hierarchischen Ordnung der Bedeutungselemente einer Sprache. Um die Übersetzbarkeit natürlicher Sprachen erklären zu können, wird obendrein nach wie vor versucht, den sprachuniversalen Charakter von Bedeutungselementen nachzuweisen. Schließlich gehört es zu den Aufgaben von Darstellungen der Semantik, die in einer bestimmten Sprache möglichen und gleichzeitig sinnvolle Bedeutungskomplexe und Globalbedeutungen begründenden Relationen von Bedeutungselementen aufzufinden und als klar strukturiertes System zu beschreiben. Es ist hinreichend bekannt, in welchem Maße all diese Unternehmungen gelungen bzw. mißlungen sind. Der Grund des Mißlingens liegt unseres Erachtens darin, daß die verschiedenen Semantiktheorien sich nicht am sprachlichen Kommunikationsprozeß, sondern an einem fiktiven statischen Gebilde von Sprache orientierten, und sich damit bereits im Ansatz den Zugang zu den Bedeutungen und ihren innersprachlichen Funktionen versperrten. Da die Kommunikative Grammatik die Grammatik des sprachlichen Formulierungs- und Verstehens-, d.h. des sprachlichen Kommunikationsprozesses darstellt, und nicht eine Grammatik der Ergebnisse von Sprechakten ist, handelt sie notwendig und von vornherein von den Bedeutungen der Sprache und deren innersprachlichen Funktionen. 2.2 Jene minimalen Bedeutungselemente, deren Leistung es ist, Bedeutungskomplexe bzw. Globalbedeutungen zu konstituieren, werden u.a. semantic markers, sememes, semantic components oder Seme ge-

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nannt. Gewonnen sind sie in der Regel auf dem Wege einer componential analysis oder Komponentenanalyse, d.h. der Zerlegung von globalen Bedeutungen in ihre einzelnen Bedeutungselemente. Dabei bereitet es nicht geringe Schwierigkeiten, Kriterien anzugeben, die die Entscheidung erlauben, ob etwas ein Bedeutungselement ist oder nicht; dies nicht so sehr deshalb, weil semantische Regeln zur Bestimmung der Bedeutung von Wörtern und Sätzen metasprachliche Aussagen sind, die sich äußerlich von Aussagen der Objektsprache nicht unterscheiden lassen, sondern vor allem deshalb, weil unklar zu sein scheint, was im Verstehen von sprachlichen Äußerungen auf der Kenntnis außersprachlicher Zusammenhänge, und was auf der Fähigkeit des Hörers, sprachliche Bedeutungen und ihre innersprachlichen Funktionen zu interpretieren, beruht. Wir meinen, daß eine große Zahl von sogenannten Bedeutungselementen verschiedenster Semantiktheorien bloßen Bezeichnungscharakter haben und ohne jegliche innersprachliche Funktion sind, mithin nichts zur Konstituierung sprachlicher Globalbedeutungen beitragen. 2.3 Wir nennen diejenigen minimalen Bedeutungselemente, die neben anderen Leistungen auch die Globalbedeutungen von Wörtern, Sätzen und Texten konstituieren, Inhaltfaktoren. Nach unseren Untersuchungen der deutschen Sprache gibt es annähernd 100 solche Inhaltfaktoren. Eine etwa gleiche Anzahl von Inhaltfaktoren haben unsere Untersuchungen der englischen Sprache herausgefunden. Einen Vergleich von Inhaltfaktoren des Deutschen und des Englischen haben wir bisher erst innerhalb kleinerer, semantisch-syntaktisch ähnlicher Teilbereiche beider Sprachen angestellt.^ Insgesamt eignet den Inhaltfaktoren, den Prozeß der Formulierung der von einem Sprecher intendierten Inhalte und generierten Bedeutungskomplexe von der Nomo- hin zur Morphoebene zu steuern, und umgekehrt den Verstehensprozeß des Hörers von der Morpho- hin zur Nomoebene, zu den vom Sprecher generierten Bedeutungskomplexen und intendierten Inhalten. Die Inhaltfaktoren sind somit zugleich Steuerungsfaktoren und Informationen im Formulierungs- und Verstehensprozeß, d.h. im sprach-

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liehen K o m m u n i k a t i o n s p r o z e ß . Im weiteren sind die Inhaltfaktoren nach ihren spezifischen Leistungen in verschiedene Gruppen unterteilt. Dabei ist zu bemerken, daß einzelne Inhaltfaktoren, insofern sie mehrfaches leisten, verschiedenen solcher Gruppen gleichzeitig angehören. Eine erste Unterscheidung sämtlicher I n h a l t f a k t o r e n in zwei Hauptgruppen ergibt sich daraus, daß der eine Teil der Inhaltfaktoren innersprachliche Bedeutungsrelationen begründet, der andere dagegen nicht. Zu den relationalen I n h a l t f a k t o r e n zählen sowohl solche, die Textk o n s t i t u e n t e n sind, als auch solche, die semantisch-syntaktische Beziehungen konstituieren. Nicht-relationale Inhaltfaktoren sind insbesondere jene, die o h n e weitere F u n k t i o n paradigmatische Bedeutungen letztlich differenzieren. 2.4 Wir unterscheiden folgende G r u p p e n von I n h a l t f a k t o r e n : 2.4.1 Zu einer ersten G r u p p e von I n h a l t f a k t o r e n gehören jene, die mitwirken, innertextliche Zusammenhang- und Verweisstrukturen aufzubauen. Diese I n h a l t f a k t o r e n sind Bestandteil der S u m m e der Bedeutungselemente von Hinweis- und Artikelwörtern, P r o n o m e n , Pronominaladverbien und anderen Proformen. 2.4.2 In einer zweiten G r u p p e sind diejenigen Inhaltfaktoren zusammengefaßt, die an der Konstituierung globaler Bedeutungen von Sätzen beteiligt sind. Dies sind einmal Inhaltfaktoren wie "selbständige Setzung", "unselbständige Setzung", " F r a g e " , "Wunsch", die in der Folge Satzbaupläne begründen, zum anderen Inhaltfaktoren wie " R e a l i t ä t " , "Irrealität" u n d " P o t e n t i a l i t ä t " , die zusätzlich den Modus einer sprachlichen Ä u ß e r u n g charakterisieren. 2.4.3 Im weiteren bilden solche Inhaltfaktoren eine Gruppe, die Inhaltfunktionsklassen anzeigen, gleichzeitig Namen von Inhaltfunktionsklassen sind. Diese Inhaltfaktoren, von denen später noch im Zusammenhang mit der Besprechung der Inhaltfunktionsklassen die Rede sein wird, konstituieren G e m e i n s c h a f t s f u n k t i o n e n bzw. V e r k e t t u n g e n 7 auf der Nomoebene. Zu dieser G r u p p e gehören die Inhaltfaktoren " O r t " , " Z e i t " , "nicht-Ort-und-nicht-Zeit" bzw. " A b s t r a k t " .

73

2.4.4 Eine weitere Gruppe wird von jenen Inhaltfaktoren gebildet, die die zentralen Morphemklassen der Substantive, Verben, Adjektive und Adverbien begründen. Diese Inhaltfaktoren sind "Größe", als semantisches Merkmal für die Morphemklasse Substantiv; und "Geschehen" als semantisches Merkmal für die Morphemklasse Verb; und "Merkmal" als semantisches Merkmal für die Morphemklasse Adjektiv und Adverb. Den randlichen Morphemklassen Artikel, Präposition, Konjunktion usw. fehlt ein solches semantisches Merkmal. Sie werden als Synsemantika durch ein entsprechendes semantisch-syntaktisches Merkmal identifiziert. Aufgrund anzugebender Steuerungsregeln kann eine " G r ö ß e " als "Größe" oder als " Geschehen" oder als "Merkmal" (z.B. Haus hausen häuslich), ein "Geschehen" als "Geschehen" oder als "Größe" oder als "Merkmal" (z.B. eilen Eile eilig), ein "Merkmal" als "Merkmal" oder als "Größe" oder als "Geschehen" (z.B. rot Röte röten) formuliert werden, bei welchen Transformationen zwar die weiteren primären Inhaltfaktoren und semantisch-syntaktischen Merkmale, wie z.B. Valenzen und ihre inhaltliche Besetzung, beibehalten werden, die sekundären Faktoren, wie z.B. Flektionseigenheiten, sich entsprechend den Eigenheiten der betreffenden Morphemklasse ändern. Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, daß auch Mitglieder randlicher Morphemklassen z.B. als "Größe" oder "Merkmal" formuliert werden können, wie z.B. jenseits : das Jenseits : jenseitig; vor: vorig; sonst: sonstig; alle Nominalisierungen von Präpositionen, Konjunktionen usw.. 2.4.5 Außerdem stellen solche Inhaltfaktoren eine Gruppe dar, die in der Folge der Generierung von größeren Bedeutungseinheiten auf der Nomoebene die semantisch-syntaktische Funktion der einzelnen Inhaltfaktorenkomplexe bestimmen. Diese Inhaltfaktoren sind z.B. "Geschehensträger", "Geschehen", "Geschehensziel", "Beziehungsgröße", "Zuwendgröße". 2.4.6 Bleibt schließlich die Gruppe der Inhaltfaktoren, die ohne weitere Funktion allein differenzierende Bedeutungselemente der Globalbedeu-

74

tungen von Paradigmen sind. Mitglieder dieser verhältnismäßig großen Gruppe von Inhaltfaktoren sind z.B. "Ort", "Zeit", "Abstrakt", "Lage", "Richtung", "Herkunft", "Ziel", " S t o f f " , "Person", "Mittel", "Begleitung", "Einschluß", "Ausschluß", "Bereich", "Zeitpunkt", "Zeitdauer", "Bestimmtheit", "Unbestimmtheit". 2.5 Eine von uns bisher nicht letztlich beantwortete Frage ist die der hierarchischen Ordnung der Inhaltfaktoren. Allgemein darf gelten, daß in einer angenommenen hierarchischen Ordnung der Bedeutungselemente die Inhaltfaktoren mit zusätzlich semantisch-syntaktischer Funktion höher stehen als diejenigen mit bloß semantisch-paradigmatischem Charakter. Die Frage einer hierarchischen Ordnung der Bedeutungselemente einer Sprache kann unserer Meinung nach allein aufgrund des Wertes der inhaltlichen Funktion entschieden werden, die ein Inhaltfaktor bei der Konstituierung von Bedeutungskomplexen bzw. Globalbedeutungen hat. Nicht behandelt ist an dieser Stelle, wie ein und derselbe Inhaltfaktor auf der Morphoebene o f t mehrere Formulierungsmöglichkeiten erlaubt. Der Inhaltfaktor "Begleitumstand" kann z.B. mit Hilfe eines Adverbs, einer Präposition (Präpositionalphrase) oder einer Konjunktion (Konjunktionalsatz) auf der Morphoebene sprachlich realisiert werden. Mit dem eben Gesagten hängt eng die zu Beginn angeschnittene Frage nach der inhaltlichen Struktur des Wortschatzes einer Sprache zusammen. Wir meinen, daß sich nach der vollständigen Beschreibung der Morpheme einer Sprache sowohl eine Ordnung ihres Wortschatzes ergibt, die die Wortfelder der paradigmatischen Semantik darstellt, als auch eine weitere Ordnung, die durch die inhaltliche Funktion der Bedeutungen der Morpheme begründet ist. Diese letztgenannte Ordnung bzw. Struktur des Wortschatzes könnte eventuell auch das Problem der Wortarten lösen helfen. 3.0 Inhaltfunktionen und Inhaltfunktionsklassen 3.1 Im vorigen war bereits eine Gruppe von Inhaltfaktoren genannt, deren spezifische Leistung es ist, Gemeinschaftsfunktionen von Bedeutungskomplexen zu konstituieren. Auf der Morphoebene begründet die Summe der in ihm vorkommenden Gemeinschaftsfunktionen die Formalsyntax des Satzes und seiner Teile,

75

auf der Nomoebene begründet die Summe der in ihm vorkommenden Gemeinschaftsfunktionen die semantisch-syntaktischen Beziehungen des Metalinguasatzes und seiner Teile. Die Inhaltfunktionen und Inhaltfunktionsklassen gehören in den Bereich der kombinatorischen Semantik, oder - wie es in der Kommunikativen Grammatik heißt - in den Bereich der semantischen Syntax. Korrelate der Gemeinschaftsfunktionen auf der Nomoebene sind auf der Morphoebene Syntagmen, Satzgefüge, auch ausgedehntere referentielle bzw. nicht-referentielle Kontextbeziehungen. 3.2 Im einzelnen untersucht wurden die Inhaltfunktionen, gleichzeitig Inhaltfunktionsklassen gewonnen bei der Analyse der Präpositionalphrasen des Deutschen und des Englischen 8 , übernommen für die Analyse der deutschen Komposita, übernommen und modifiziert für die Darstellung der semantischen Syntax des deutschen Adjektivs®. 3.3 Die Hauptklassen von Inhaltfunktionen sind im Deutschen: Inhaltfunktionsklasse (IFK) " O R T " , Inhaltfunktionsklasse (IFK) "ZEIT", Inhaltfunktionsklasse keine Selektionsbeschränkungen (Der Kollege, der Hund, das Institut, die Lampe, die Idee, das Schwimmen erfreut sich großer Beliebtheit.) Sg —> Abstr (Beliebtheit, Respekt, Hochachtung, Vertrauen, Ruf, Achtung. . .) (Er erfreut sich großer Beliebtheit.) Ρ = an, pSd —* keine Selektionsbeschränkungen (Er erfreut sich an dem Mädchen, an dem Hund, an dem Theater, an der Lampe, an seinem Ruf, an dem Schwimmen.) NS —* Act(Er erfreut sich daran, daß er helfen kann.) Inf —> Act(Er erfreut sich daran, den Kindern zu helfen.)" Hierbei wird auf Stufe I die Anzahl der Mitspieler als Index angegeben. Auf Stufe II werden die obligatorischen und fakultativen Mitspieler als syntaktische Umgebungen des Verbs bestimmt. Auf Stufe III werden die obligatorischen und fakultativen Mitspieler des Verbs (vgl. ebd. S. 69 ff.) als semantische Umgebungen fixiert. Für unser Beispiel bedeutet das auf der semantischen Stufe III, das außer den oben gemachten Angaben folgende Beschränkungen für die Variante 1 angegeben werden (S. 150): "Wenn bei V [ariante] 1 ρ [räpositionales] S [ubstantiv] [im] D [ativ] keine Selektionsbeschränkungen hat, muß Sn [=Nominativ] •—• Hum oder Abstr (als Hum) sein; wenn Sn keine Selektionsbeschränkungen hat, muß Sg [=Genitiv] —> Abstr. folgen." Bei dieser linearen Darstellung ist es jedoch schwierig, die sich ergebenden Selektionsbeschränkungen sichtbar zu machen. So sind nach den o.a. Eintragungen für diese eine Verbbedeutung von sich erfreuen folgende Sätze zulässig: a) *Die Idee erfreut sich daran, daß es schneit. b) *Das Schwimmen erfreut sich daran, daß es so gesund ist. c) *Die Lampe erfreut sich daran, zu leuchten. usw. (In [ J stehen die Auflösungen der Abkürzungen.)

7

S. dazu u. S. 89 f.

8

Vgl. den Vortrag von U. Engel, Dependenzgrammatik in der Schule, gehalten auf der GAL-Tagung 1971 in Stuttgart, abgedr. im IRAL-Sonderband 1972 (i.V.)

9

Das Beispielmaterial wurde anfangs aus Lexika und der Kompetenz des Bearbeiters gewonnen. Seit einiger Zeit stehen jedoch auch Beispielsätze aus Texten zur Verfügung, die jedoch auch weiterhin aus der Kompetenz

98

des Bearbeiters und aus Lexika zu ergänzen sind, da seltene, jedoch mögli-. che Verwendungsweisen wegen des noch zu geringen Textumfangs nicht belegt sind. 10

Als Beispiel: Die SPD vereinigte sieb mit der DKP. - Die linken Parteien vereinigten sich. (Wohlgemerkt, dies ist nur e i n Beispiel für die Verwendung von sich vereinigen.)

11

Bindungsgrad 1 besagt, daß dieses Verb in dieser Bedeutung notwendig mit der fraglichen Präposition vorkommt, Bindungsgrad 2, daß es, wenn es mit einer Präposition steht, dann mit dieser einen. Bei Bindungsgrad 3 und 4 verhält es sich ähnlich, nur daß statt einer auch mehrere Präpositionen ähnlichen Inhalts vorkommen können.

12

Vgl. dazu den Aufsatz von B. Schaeder in diesem Band.

13

Vgl. dazu K.G. Schweisthal, Präpositionen in der maschinellen Sprachbearbeitung, - In: Schriftenreihe zur Kommunikativen Grammatik, Bd. 1, Bonn 1971.

14

Vgl. dazu den Aufsatz von Booss-Schweisthal im gleichen Band.

15

Alle weiteren Differenzierungen, die zu einer solchen Valenzuntersuchung als Grundlage für die Monosemierung von Verbinhalten gehören, sind eben ausgeführt worden.

16

Ein Algorithmus zur maschinellen Analyse ist dabei nur für die Valenzuntersuchung als ganzes und nicht, wie bei Meier-Volkmann,für jedes Verb notwendig.

Literatur Ballweg, Joachim; Hacker, Hans-Jürgen; Schumacher, Helmut: Satzbaupläne und Semantik. Vorüberlegungen zur semantischen Subkategorisierung deutscher Satzbaupläne mit gegebenem Verb. - In: Muttersprache 81, 1971, H. 4, S. 224-34. Heibig, Gerhard: Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben, Leipzig 1969. Heibig, Gerhard: Zum Problem der Stellung des Negationswortes "nicht". - In: Deutsch als Fremdsprache, Jg. 8, 1971, H. 2, S. 66-76. Hoppe, Alfred: Die semantische Syntax der Kommunikativen Grammatik auf EDV-Anlagen, Preprint Nr. 67, 1969, International Congress on Computational Linguistics, Stockholm/Sweden, Stockholm 1969. Meier, Barbara; Volkmann, Eva: Monosemierungsalgorithmen polysemer deutscher Lexeme. - In: ZPSK, Bd. 24, 1971,H. 1-2, S. 91-120. Schweisthal, Klaus Günther: Präpositionen in der maschinellen Sprachbearbeitung. - In: Schriftenreihe zur Kommunikativen Grammatik, Bd. 1, Bonn 1971. Stötzel, Georg: Ausdrucksseite und Inhaltsseite der Sprache = Linguistische Reihe, Bd. 3, München 1970.

99

JOACHIM BALLWEG - HANS-JÜRGEN

HACKER

HELMUT SCHUMACHER

VALENZGEBUNDENE ELEMENTE UND LOGISCHSEMANTISCHE

TIEFENSTRUKTUR

0. Eines der Hauptprobleme bei der Erstellung einer Verbvalenzgrammatik besteht darin, Kriterien zu formulieren, die es erlauben, eindeutig zwischen valenzgebundenen und nicht valenzgebundenen Elementen des einfachen Verbalsatzes zu unterscheiden. Es hat sich gezeigt, daß die Kriterien der "Weglaßbarkeit" zur Identifizierung der freien Elemente und der "verbspezifischen Erwartungswahrscheinlichkeit" 1 zur Bestimmung der Verbergänzungen nicht ausreichen. Daher wird seit einigen Jahren in steigendem Maße die Frage diskutiert, ob die Abhängikeitsverhältnisse zwischen dem Prädikat und seinen Ergänzungen nicht nur als oberflächensyntaktische Vorkommensrelationen zu beschreiben, sondern primär in einer Tiefenstruktur anzusetzen sind, als deren Reflex sie sich an der Oberfläche niederschlagen. Auf diesem Hintergrund hat G. Heibig ein operationalisiertes Verfahren entwickelt, das das Problem der valenzgebundenen Elemente auf der Ebene einer syntaktischen Tiefenstruktur entscheiden soll. Der folgende Beitrag setzt sich kritisch mit Helbigs Vorschlag auseinander und stellt ihm eine Alternative auf der Basis der von K. Heger 2 a entwickelten Aktantenmodelle entgegen. 1. Im Folgenden sollen die verbvalenzgebundenen Elemente Ergänzungen, die nicht verbvalenzgebundenen sollen Angaben genannt werden. 1.01 Die Ergänzungen wollen wir - in Übereinstimmung mit Heibig - einteilen in obligatorische und fakultative: Obligatorische Ergänzungen sind solche, die im Gegensatz zu den fakultativen nicht weglaßbar sind (siehe unten).

100

1.1 Daraus ergibt sich die folgende Einteilung: a) verbvalenzgebundene Elemente: a^) obligatorische Ergänzungen z.^) fakultative Ergänzungen b) nicht verbvalenzgebundene Elemente freie Angaben 1.2 Die erste Unterscheidung, für die Kriterien erstellt werden müssen, ist diejenige zwischen obligatorischen Ergänzungen einerseits und fakultativen Elementen (d.h. fakultativen Ergänzungen und freien Angaben) andererseits. Diese Unterscheidung läßt sich mit Hilfe einer "Weglaßprobe" 3 treffen: Nach Eliminierung eines Satzgliedes wird der Restsatz daraufhin überprüft, ob er grammatisch oder ungrammatisch 4 ist. 1st der Restsatz grammatisch, so ist das betreffende Glied nicht notwendiger Bestandteil des Satzes, d.h. es handelt sich um ein fakultatives Element; ist der Restsatz ungrammatisch, so ist das betreffende Glied notwendiger Bestandteil des Satzes, d.h. ein obligatorisches Element. 5 1.3 Die Probleme, die sich bei der zweiten notwendigen Unterscheidung stellen, nämlich derjenigen zwischen fakultativen Ergänzungen und freien Angaben, lassen sich nicht in ähnlich einfacher Weise lösen. Obwohl diese Unterscheidung ein zentrales Problem innerhalb einer Valenztheorie darstellt, scheinen uns noch keine befriedigenden Unterscheidungskriterien vorzuliegen. 6 2. Zunächst wollen wir den oben erwähnten Vorschlag von G. Heibig7 zur Unterscheidung von Ergänzungen und freien Angaben diskutieren. Heibig zeigt am Beispiel der Sätze (2) Er wartete auf seinen

Freund.

(3) Er aß sein Brot in der

Schule.

und daß die beiden vorliegenden Präpositionalphrasen sich durch Anwendung des oben (in 1.2) dargelegten Oberflächentests als weglaßbar erweisen und damit als fakultative Elemente klassifizieren lassen. Sowohl (2a) Er wartete. als auch (3a) Er aß sein Brot, sind grammatische Sätze.

101

2.1 Dennoch unterscheiden sich die beiden Präpositionalphrasen (PrNP) grundsätzlich in ihrem syntaktischen Status, da die PrNP in (2) als fakultative Ergänzung, die PrNP in (3) dagegen als freie Angabe interpretiert wird. 2.101 Heibig vertritt die Auffassung, daß diese unterschiedlichen Valenzbeziehungen der Oberflächenstruktur durch unterschiedliche Verhältnisse in einer syntaktischen Tiefenstruktur motiviert sind und daher nur von dort her beschrieben werden können. Während die Unterscheidung von obligatorischen und fakultativen Ergänzungen nur in der Oberflächenstruktur gilt und diese beiden Gruppen in der syntaktischen Tiefenstruktur zu der Kategorie "enge Verbergänzungen" zusammenfallen, entsprechen den "freie Angaben" der Oberfläche auf der syntaktisch-tiefenstrukturellen Ebene die "freien Verbergänzungen". 2.102 Heibig beschreibt die "engen Verbergänzungen" als Konstituenten der Verbalphrase, da sie valenzgebunden sind. Die freien Verbergänzungen dagegen, die nicht durch Valenzrelationen gebunden sind, werden als unmittelbare Konstituenten des Satzes betrachtet. ο 2.103 Heibig will diese Verhältnisse durch folgendes Diagramm darstellen : 2.1031 (1)

S

(Im Diagramm steht EV für "enge Verbergänzung", die sich an der Oberfläche als obligatorische oder fakultative Ergänzung realisiert, FV steht für "freie Verbergänzung", der an der Oberfläche die "freie Angabe" entspricht). Leider werden keine näheren Hinweise gegeben, wie dieses Modell der syntaktisch-tiefenstrukturellen Verhältnisse zu lesen ist. Es erweckt den Eindruck, als handle es sich dabei um eine Verbindung eines in der Phra-

102

senstrukturgrammatik üblichen Graphen mit einem Graphen der Dependenzgrammatik, wobei Kategorialsymbole aus verschiedenen Grammatiktheorien auf verschiedenen Ebenen miteinander in Beziehung gebracht werden. 9 Heibig geht wohl von der Beschreibung des Satzes durch die Konstituenten NP und VP aus, wie sie in der Phrasenstrukturgrammatik üblich ist: 2.1032

S (2)

NP

VP

Dabei fällt für den Fall des einfachen Verbalsatzes die Kategorie S mit der tiefenstrukturellen Katergorie 'Proposition' zusammen. Treten FVs hinzu, so gelten diese als unmittelbare Konstituenten des Satzes, ohne die 'Proposition' zu tangieren; dadurch spalten sich S und Proposition in zwei Knoten auf, die eine neue Kante bilden: 2.1033

Die Verbalphrase VP hat bei Heibig die Konstituenten NP, V und EV: 2.1034 VP

103

Auffällig bei dieser Art der Beschreibung ist, daß eine NP und eine EV auf einer Ebene getrennt voneinander angesetzt werden, ohne daß klar wird, ob es sich hier um verschiedene Kategorien handeln soll, oder ob damit die gleiche Kategorie auf verschiedenen Beschreibungsebenen gemeint ist. Die Verwirrung wird noch größer, wenn man in Modell (3) an Stelle des Kategorialsymbols VP das Modell (4) einhängt und so das ursprüngliche, von Heibig gegebene Modell rekonstruiert. Jetzt erscheinen sowohl unter dem Knoten 'Proposition' als auch unter dem VP-Knoten eine NP, deren Verhältnis zueinander vollkommen unklar bleibt. Nimmt man an, daß das Modell (1) eine Strukturbeschreibung der Sätze (2) und (3) sein soll, so liegt der Gedanke nahe, daß NP hier als ein Kategorialsymbol gemeint ist, welches das Subjekt des Satzes vertritt. Auch diese Erklärung bleibt jedoch unbefriedigend, da Heibig in Übereinstimmung mit der Mehrzahl der Dependenzgrammatiker das Subjekt stets zu den Ergänzungen rechnet. 1 0 Damit müßten die Substantive im Nominativ in den Sätzen (2) und (3) in einer Strukturbeschreibung als von dem Knoten VP dominiert erscheinen. 2.1035 Ein weiterer Interpretationsversuch könnte das Modell (4) als die Beschreibung eines einfachen Verbalsatzes interpretieren und diesen Graphen als Ausgangsmodell betrachten. Durch die Einführung höherer Zentralknoten, die S dominieren, würde das Modell zu (3) und schließlich zu (1) expandiert, wobei NP jeweils die gleiche Kategorie unter verschiedenen Zentralknoten symbolisieren würde. 1 1 2.2 Heibig führt zum Problem der Unterscheidung von EV und FV weiter aus: "Da jedoch . . . der Unterschied zwischen . . . fakultativer Valenz (=EV) einerseits und freien Angaben (=FV) andererseits in der Tiefenstruktur motiviert ist, muß auch ihr Unterscheidungskriterium aus der Tiefenstruktur stammen: Die FV sind auf Sätze (meist Adverbialsätze) zurückführbar, als deren Reduktionen sie verstanden werden können. . . . Durch die Erklärung der freien Angabe als Reduktion aus einem Satz grenzen wird diese gegenüber der obligatorischen und fakultativen Valenz ab. Wird vergleichen:

104

Er wohnte in Dresden. *— *Er wohnte, als er in Dresden war. < 5> Er starb in Dresden. Die Kinder spielten *— Die Kinder spielten, als sie hinter dem Haus. Der Obstgarten lag *— *Der Obstgarten lag: als er hinter dem Haus. hinter dem Haus war. 1 "7 In (4) und (7) handelt es sich um eine EV, in (5) und (6) um eine FV." Es ist auffällig, daß Heibig bei der Rückführung von FVs auf Sätze keinerlei Zuordnung von bestimmten Angabeklassen zu bestimmten Satztypen vornimmt. Es wird lediglich gesagt, daß es sich m e i s t um Adverbialsätze handle, ohne daß erkennbar ist, welche anderen Satzarten noch in Frage kommen. Seine Beispielsätze haben alle die Struktur : Subjekt - Verb Lokalergänzung bzw. Lokalangabe in Form einer PrNP. Diese PrNPs werden ausschließlich durch als - Sätze paraphrasiert. Hier wäre die Frage zu stellen, welche Paraphrasierungsmöglichkeiten bei anderen Angabetypen gegeben sind. 2.3 Helbigs Vorgehen läßt sich wie folgt beschreiben: Er analysiert die Grammatikalität von Paraphrasen 1 3 und schließt vom Ergebnis auf den syntaktischen Status bestimmter Satzglieder. Überprüft man dieses Verfahren auf seine Berechtigung, so fällt zunächst auf, daß hier zwei Ebenen der linguistischen Beschreibung vermischt werden: Die Paraphrasierungen finden an der Oberfläche statt, die Unterscheidung " E V " versus " F V " , auf die geschlossen werden soll, bezieht sich auf die syntaktische Tiefenstruktur. 1 3 1 2.31 Daraus wird deutlich, daß Heibig das Instrumentarium einer höheren Ebene dazu benutzt, um strukturelle Gegebenheiten auf einer tieferen zu ermitteln - in diesem Falle auf der syntaktischen Tiefenstruktur. 2.32 Ein solches Verfahren würde bei Heibig wohl als 'Tiefenprobe' gelten, wie aus dem folgenden Zitat aus Heibig 69 hervorgeht: "Es ist theoretisch durchaus denkbar, daß die Valenzbeziehungen selbst in der Oberflächenstruktur lokalisiert sind, daß aber die Kriterien für ihre Beschreibung und Festlegung in der Tiefenstruktur zu suchen sind - und umgekehrt. In der Tat benutzt Chomsky bei der Beschreibung der Valenzbeziehungen . . . als Kriterien sowohl Oberflächen- als auch Tiefenproben. Eine Tiefenprobe ist etwa die transformationelle Zurückführung

105

auf einen selbständigen Satz; als Oberflächenprobe anzusprechen sind dagegen die Tests, die Chomsky benutzt, um die Kohäsionsbeziehungen (=Valenzbeziehungen, vgl. Aspects, S. 101, unsere Ergänzung) in den beiden Sätzen He worked at the job. und He worked at the office, zu unterscheiden, nämlich: 1. die mögliche oder nicht mögliche Permutation an den Satzanfang: At the office, he worked. Aber: M i the job, he worked. 2. die mögliche oder nicht mögliche Passiv-Transformation: The job was being worked at seriously. >> 14 Aber: * The office is being worked at. 2.321 Insbesondere interessiert hier Helbigs Verwendung des Terminus 'Tiefenprobe', die er u.a. als "transformationelle Zurückführung auf einen selbständigen Satz" beschreibt. Hier ergibt sich für uns ein Bezug zu seiner oben (in 2.2) beschriebenen Paraphrasenprobe. 2.4 An dieser Stelle scheint es uns notwendig, einige grundsätzliche Erwägungen über 'Proben', d.h. über standardisierte Überprüfungsmechanismen anzustellen. 2.41 Ein solcher Mechanismus hat drei Aspekte: 1.) 2.) 3.)

Er will Aussagen machen ü b e r die Strukturen einer bestimmten Beschreibungsebene. Er findet a u f einer bestimmten Ebene statt. Er bezieht sein Instrumentarium a u s einer bestimmten Ebene.

2.42 'Proben' sollen hier als solche Mechanismen definiert werden, deren Instrumentarium aus der gleichen Ebene stammt, auf der die Analyse stattfindet und dessen Ergebnisse sich grundsätzlich auf Strukturen der selben Ebene beziehen. Daraus folgt, daß eine Oberflächenprobe' ausschließlich Aussagen über Strukturverhältnisse der Oberfläche macht und nur auf dieser Ebene operiert. Dagegen arbeitet eine 'Tiefenprobe' auf einer jeweils zu spezifizierenden Tiefenstruktur und macht Aussagen über Strukturen dieser Ebene.

106

2.43 Schlüsse von Strukturverhältnissen e i n e r E b e n e auf Verhältnisse a n d e r e r E b e n e n können nur durch explizite Überführungsregeln zwischen diesen Ebenen legitimiert werden. Dabei bleibt noch das Problem ungeklärt, o b Schlüsse von einer tieferen Ebene auf eine höhere den gleichen Bedingungen unterliegen wie Rückschlüsse von einer höheren Ebene auf eine tiefere. Die Entscheidung hierüber kann wahrscheinlich nicht durch Erwägungen allgemeiner Art getroffen werden, da sie von der jeweiligen Struktur der Ebenen innerhalb einer speziellen Grammatiktheorie abhängt. 2.5 Wenn man - wie hier - die Schlüsse bzw. Rückschlüsse auf Grund von Überführungsregeln nicht als impliziten Bestandteil des Probemechanismus betrachtet, so können 'Proben' also nur indirekt Aufschluß über Verhältnisse anderer Ebenen geben als der, auf der sie operieren. 2.6 Überprüft man nun Helbigs in 2.1 und 2.32 zitierte Äußerungen auf dem Hintergrund dieser Überlegungen, so hat es den Anschein, als ob Heibig die Schlußmöglichkeiten zwischen Ebenen als Bestandteil der Probe betrachtet und die Überführungsregeln davon weder trennt noch sie explizit macht. 2.61 So bleibt vor allen Dingen unklar, wodurch Helbigs Verfahren, von der Möglichkeit von Paraphrasen an der Oberfläche auf eine syntaktische Tiefenstruktur rückzuschließen, legitimiert ist (vergleiche auch unten 3.11). Es erscheint uns nicht einleuchtend, die Bedingungen der Möglichkeit von Paraphrasen in einer s y n t a k t i s c h e n Tiefenstruktur zu suchen, weil Paraphrasen auf dieser Ebene verschiedene Strukturbeschreibungen zugeordnet werden können. Man vergleiche miteinander: Hans liebt die Arbeit. S

Ν

Det

Hans

liebt

die

Ν A rbeit

107

und: Hans arbeitet gern.

s VP

NP

Hans

V arbeitet

Adv

gern

2.611 Daher erscheint es uns einleuchtender, zur Lösung der Frage, ob es sich bei Oberflächenelementen um valenzgebundene oder nicht valenzgebundene handelt, nicht auf eine syntaktische Tiefenstruktur zurückzugehen, sondern diese als Reflex einer tieferliegenden logisch-semantischen Tiefenstruktur zu interpretieren und folglich zu versuchen, das Problem auf einer solchen Ebene zu lösen. Eine Untersuchung in dieser Richtung schließt sich an. 3.1 Eine Schwäche liegt in Helbigs Wahl der Beispielsätze; es handelt sich um zwei Sätze, die neben der fraglichen PrNP nur noch e i n e weitere NP - nämlich die Subjekts-NP - aufweisen. Somit stellt sich die Frage, was geschieht, wenn man versucht, die Helbig'sche Probe auf Sätze komplexerer Struktur anzuwenden. Wir betrachten den folgenden Satz: (I) Wir beschwerten uns beim

Chef

über die Löhne.

Zur Ermittlung des syntaktischen Status der gesperrten PrNp wenden wir die Helbig'sche Paraphrasenprobe an und erhalten: (Ia) Wir beschwerten uns über die Löhne, als wir beim Chef waren. Da (Ia) ein grammatischer Satz ist, müßten wir gemäß Helbigs Vorschlag die PrNP beim Chef als freie Angabe klassifizieren. 3.11 Gegen diese Analyse spricht jedoch folgendes: In der möglichen Paraphrase zu (I) (Ib) Wir teilten dem Chef unsere Beschwerde über die Löhne mit. ist die NP . . . dem Chef. . . schon auf Grund der Weglaßprobe ein-

108

deutig als valenzgebundener Dativ identifizierbar. Das aber würde bedeuten, daß ein Element, das in einer - zunächst noch intuitiven - gemeinsamen semantischen Interpretation von (I) und (Ib) dieselbe Funktion hat, in der Oberflächenausprägung (I) aen syntaktischen Status einer freien Angabe zugeschrieben erhielte, in der Oberflächenausprägung (Ib) jedoch den Status eines valenzgebundenen Satzglieds. Die Tatsache, daß Paraphrasen auf dem Hintergrund einer Theorie wie der Helbig'schen verschiedene syntaktische Beschreibungen erhalten, scheint uns problematische Konsequenzen zu beinhalten für ein Verfahren, das durch Paraphrasierungsproben an der Oberfläche den Status von Elementen in einer sy ntaktischen Tiefenstruktur ermitteln soll. 3.111 Vielmehr scheint es uns erforderlich, zu untersuchen, welche Bedingungen es überhaupt ermöglichen, von zwei Sätzen als von Paraphrasen zueinander zu sprechen, d.h. das, was oben als " . . . - zunächst noch intuitive - gemeinsame semantische Interpretation . . ." eingeführt wurde, im Rahmen einer konsistenten Theorie zu leisten. Da eine solche Theorie jedoch den Sachverhalt vorhandener Paraphrasierungsmöglichkeiten nicht bloß konstatiert, sondern auch die Bedingungen der Möglichkeit von Paraphrasen angibt, wird sie sich als erklärungsmächtiger erweisen als bloße Paraphrasenproben. 3.12 Es gibt jedoch noch ein stärkeres Gegenargument. Wir stellen dem Satz (I) den folgenden gegenüber: (II) Wir beschwerten uns telefonisch beim Chef über die Löhne, Unterwerfen wir diesen Satz der von Heibig vorgeschlagenen Probe, so erhalten wir: (IIa) Wir beschwerten uns telefonisch über die Löhne, als wir beim Chef waren. Da dieser Satz als Paraphrase von (I) inakzeptabel ist, würde folgen, daß es mit der von Heibig vorgeschlagenen Probe möglich ist, dieselbe PrNP in einem Satz (I) als freie Angabe, in einem zweiten Satz (II), der sich vom ersten nur durch das Hinzutreten eines Elements unterscheidet, als Ergänzung zu beschreiben. 3.121 Diese Analyse impliziert allerdings nur dann einen Widerspruch,

109

wenn das hinzutretende Element nicht bewirkt, daß sich die Bedeutung des Verbs ändert, wie es z.B. in den folgenden Sätzen der Fall ist: a) Er findet das Buch schwer. b) Er findet das Buch schwer im Schrank. Durch Paraphrasen kann man zeigen, daß sich hier durch das Hinzutreten der PrNP in b) die Bedeutung des Verbs verändert hat: a/) Er beurteilt das Buch als eines, das schwer zu lesen ist. b/) Es ist schwierig für ihn, das Buch im Schrank zu finden. Eine genauere Analyse dieses Phänomens wird erst mit einem Instrumentarium möglich, wie wir es unten einführen wollen. 4. Den in 3.12 aufgezeigten Widerspruch wollen wir überwinden, indem wir (I) mit den Mitteln einer Theorie zur Beschreibung logisch-semantischer Strukturen betrachten, wie sie von K. Heger entwickelt und in seinem Buch "Monem, Wort und Satz" dargestellt w u r d e . 1 5 4.1 Zu diesem Zweck gliedern wir die Aussage von Satz (I) in Teilaussagen auf, die wir analysieren, um später aus ihnen die Gesamtaussage zu rekonstruieren. Auf dem Hintergrund dieser Analyse wollen wir dann nochmals das Problem des syntaktischen Status der PrNP in (I) aufgreifen. 4.101 Zur Analyse der Teilaussagen gehen wir von einem Modell aus, das allgemein "Übermittlung von Information" darstellt: Modell I j

Ex.: Wir

110

info

bekannt

Chef

Zur besseren Verständlichkeit paraphrasieren wir das Modell: "Wir bewirken, daß dem Chef eine Information bekannt ist." Dabei m u ß ausdrücklich darauf hingewiesen werden, daß sich die folgenden Erläuterungen in keiner Weise auf die Paraphrasierungen der Modelle stützen werden; die Paraphrasen dienen lediglich der besseren Veranschaulichung. Zu den Aktantenmodellen verweisen wir auf die angehängten "Erläuterungen zum Aktantenmodell" (S. 136 ff.). 4.102 Im folgenden Analyseschritt wird das Medium der Informationsübermittlung in das Modell einbezogen:

Ex.: Wir

Lautkette

Ε

info

bekannt

Chef

(E= Existenzoperator) Zur Erläuterung paraphrasieren wir: "Wir bewirken, daß eine Lautkette existiert, welche bewirkt, daß dem Chef eine Information bekannt ist." 4.103 Die nächste zu analysierende Teilaussage ist: "Unsere Unzufriedenheit mit den Löhnen."

111

Modell I,

Ex.:

Löhne

Bewertung

Wir

negativ

Dieses Modell läßt sich paraphrasieren als: "Für uns besteht eine negative Bewertung der Löhne." Ihm entspricht die einzelsprachliche Formulierung Wir sind mit den Löhnen unzufrieden. 4.104 Hängt man in Modell I 2 an Stelle von A 4 das Modell I j ein, so ergibt sich, bei entsprechender Angleichung der Indices: Modell I.

Ex.: a) Wir b) Wir

112

Lautkette

Ε

Löhne

Schriftstück

Ε

Löhne

Bewertung A . = A . bekannt Chef 4 1 negativ —" —

A^=A J b e k a n n t Chef

Eine mögliche Paraphrasierung zu diesem Modell lautet: "Wir bewirken, daß eine Lautkette existiert, die bewirkt, daß dem Chef bekannt ist, daß für uns eine negative Bewertung der Löhne besteht." bzw. für die Belegung b): "Wir bewirken, daß ein Schriftstück existiert, welches bewirkt, »j 4.105 Durch zweimalige Anwendung des speziellen Temporalfunktors erweitern wir die in Modell I 4 gegebene Analyse und erhalten so das Modell I 5 , in dem unter dem zweiten C-Funktor statt der beiden Prädikationsbeziehungen zwei Vorgangsbeziehungen stehen.

113

Μ

Si

Eine Paraphrasierung zu Modell I 5 könnte lauten·. "Wir bewirken, daß eine vorher nicht existente Lautkette existiert, welche bewirkt, daß dem Chef bekannt ist, was ihm vorher nicht bekannt war, daß wir die Löhne negativ bewerten." Diesem Modell entspricht die natürlichsprachliche Formulierung Wir beschweren uns beim Chef über die Löhne. Im Sinne eines Tiefenkasus-Modells stehen in Modell I 5 A j in KausalFunktion, A , in Instrumental-Funktion, A , in Final-Funktion bezogen auf j R , A 4 in Final-Funktion bezogen auf jR und schließlich A $ in Prädikativ-Funktion. 1 6 1 7 4.2 Nimmt man eine Grammatik an, die solche noematischen bzw. logisch-semantischen Strukturen auf einzelsprachliche Oberflächenstrukturen abbildet, so kann man sowohl. . . beim Chef... in (1) als auch . . . dem Chef. . . in (Ib) als Oberflächenrepräsentation eines Aktanten in Final-Funktion interpretieren. 18 4.21 Diese Analyse erlaubt es nun, dem Helbig'schen Kriterium zur Unterscheidung von valenzgebundenen und nicht valenzgebundenen Satzgliedern eine Alternative gegenüberzustellen: 4.2101 Zur Überführung von Modell I 5 an die Oberfläche soll es in diesem Zusammenhang genügen, eine vereinfachte Lexikonregel anzusetzen, die den Teil von Modell Ig , der innerhalb der Hilfslinie alpha steht, als Semem von sich beschweren beschreibt. A j und A g ließen sich somit analysieren als Aktanten, die von dem Funktorenkomplex abhängig sind, den wir als Semem dem einzelsprachlichen Verballexem sich beschweren zugeschrieben haben. 4.211 Realisiert sich nun ein Funktorenkomplex einzelsprachlich als ein Verballexem, so wollen wir diejenigen Oberflächenelemente als valenzgebunden bezeichnen, die Oberflächenrealisierungen von Aktanten, Relatoren oder Teilmodellen sind, die im zugrundegelegten Aktantenmodell von dem entsprechenden Funktorenkomplex dominiert werden. Von diesen können wiederum Oberflächenrealisierungen von Aktanten etc. abhängig sein. Dabei sind zwei Fälle zu unterscheiden: a) die fraglichen Elemente sind n u r von den vom Verb abhängigen Elementen dominiert; in diesem Fall sprechen wir von einem Depedenzverhältnis; b) die fraglichen Elemente sind auf

115

dem Umweg über die vom Verb abhängigen Elemente mittelbar verbabhängig; in diesem Fall nennen wir sie "mittelbar verbabhängige Elemente" (z.B. Pertinenzelemente). 4.22 Die Frage, ob es sich bei den wie oben definierten valenzgebundenen Elementen um obligatorische oder fakultative handelt, wird - gemäß Helbigs Vorschlag - durch eine Weglaßprobe gelöst. Ihre Anwendung auf unser Beispiel würde das aus Modell I 5 abgeleitete Verballexem sieb beschweren als obligatorisch zweiwertig beschreiben, wobei A j aus Modell Ig obligatorisch zu realisierender Aktant ist. Für die zweite Leerstelle liegt der Fall insofern etwas komplizierter, als diese zwar obligatorisch besetzt werden muß, jedoch nicht festgelegt ist, durch Realisierung welches Aktanten dies zu geschehen hat. Sowohl der Satz: Wir beschweren uns beim Chef, als auch: Wir beschweren uns über die Löhne. sind grammatisch und akzeptabel; daraus folgt, daß sowohl A $ als auch A. Aktanten sind, die nicht zwingend realisiert werden müssen, von denen einer jedoch realisiert sein muß. Bei A 2 handelt es sich eindeutig um eineinen Aktanten, dessen Realisierung fakultativ ist. 4.221 Eine grammatische Theorie, die Oberflächenstrukturen aus Aktantenmodellen ableitet, kann zur Beschreibung solcher Phänomene mehr leisten als eine Theorie, die auf der Basis einer syntaktischen Tiefenstruktur operiert. Durch die oben gegebene Analyse wird es möglich, über die einfache Opposition von obligatorischen und fakultativen Elementen hinauszugehen und zu unterscheiden zwischen von einem Funktorenkomplex dominierten Aktanten, die, wenn sich der betreffende Funktorenkomplex einzelsprachlich als Verb realisiert, als Ergänzungen realisiert werden müssen, und solchen, deren Realisierung fakultativ ist, die jedoch in den Fällen, in denen sie nicht realisiert sind, praesupponiert sind. 4.22101 Geht man bei der linguistischen Beschreibung über die Satzgrenze hinaus, so läßt sich zeigen, daß solche Praesuppositionen ähnlich wie Anaphern - auch zur Anknüpfung von Sätzen und damit zur Vertextung dienen können. Wo dies der Fall ist, können sich sogar Änderungen im Stellenplan des Verbs ergeben, wie er in Bezug auf Obligatheit und Fakultativität von Ergänzungen durch eine Weglaß-

116

probe für den einfachen Verbalsatz festgelegt wurde. Zwei Beispiele sollen dies erläutern: Α Die Löhne sind zu niedrig. Wir wollen uns beim Chef beschweren. Β Der Chef zahlt zu niedrige Löhne. Wir wollen uns beschweren. Diese Beispiele zeigen unseres Erachtens, daß man mit dem hier gezeigten Ansatz von Aktantenmodellen und ihrer Entsprechung an der Oberfläche auf dem Hintergrund der Unterscheidung von realisierten und praesupponierten Aktanten die 'im Kontext mögliche Abweichung' präzise dahingehend beschreiben kann, daß durch den jeweiligen Kontext zusätzliche Bedingungen gegeben werden, die es ermöglichen, gegen den in Bezug auf die Satzgrenze festgelegten Stellenplan eines Verbs insofern zu "verstoßen", als weitere Aktanten praesupponierbar und damit die ihnen an der Oberfläche entsprechenden Ergänzungen fakultativ werden. 4.3 Nachdem wir in 3.2 - 4.1 gezeigt haben, daß sich die von Heibig vorgeschlagene Probe in bestimmten Fällen als unbefriedigend erweist, wollen wir nun eine Methode angeben, die es erlaubt, den Status syntaktischer Einheiten in Bezug auf die Opposition Ergänzungen - Angaben zu definieren mit Hilfe der Stellung der ihnen zugrundegelegten Aktanten bzw. Teilmodelle im gesamten, dem entsprechenden Satz zugrundegelegten Aktantenmodell. Wir übernehmen aus Heger 71 zunächst zwei Modelle: 19

Ex.: ((Hans

Ρ

wohn )

(Köln))

Ρ

Τ

Ρ (L

1 "in" 2 )

117

In natürlicher Sprache entsprechen diesen Exemplifizierungen die Formulierungen (1) "Hans wohnt in Köln", . . . Modell 12:

Ex.: ((Hans

Ρ

Ρ

Τ

Ρ schlaf-)

(Köln))

Ρ

(L

1" in" 2 )

In natürlicher Sprache entsprechen diesen Exemplifizierungen die Formulierungen (1) "Hans schläft in Köln", . . . "· Heger erläutert diese Modelle wie folgt: " . . . . Ausdrücklich ist jedoch auf den Unterschied hinzuweisen, den die Gegenüberstellung der Modelle 11 und 12 illustriert und dessen Berücksichtigung in einem Kasusmodell ebenfalls die Einführung zusätzlicher Spezifizierungen voraussetzen würde. Dieser Unterschied ist kein anderer als der o f t gesuchte zwischen obligatorischen (Modell 11) und fakultativen (Modell 12) Ortsbestimmungen, oder, in der Terminologie L.Tesnieres, zwischen actants und cjfconstants. Er kann anhand der beiden Modelle dahingehend definiert werden, daß ein Aktant in LokalFunktion in einem Fall (Modell 11) demselben Temporalfunktor untergeordnet ist wie der Aktant in Prädikativ-Funktion (und eventuelle weitere Aktanten), im anderen Fall (Modell 12) hingegen mit diesem Aktanten in Prädikativ-Funktion nur indirekt über einen dessen TemporaiFunktor übergeordneten Prädikator oder anderen Funktor verbunden j st '· 20 21 21a)

118

4.31 Im Sinne des in 4.211 Ausgeführten läßt sich das von Heger gegebene Kriterium so umformulieren: Ist - wie in Modell 11 - der Aktant in Lokal-Funktion (A ) von dem Funktorenkomplex dominiert, der sich einzelsprachlich als Semem eines Verballexems interpretieren und folglich an der Oberfläche als Verb realisieren läßt (Komplex innerhalb der Hilfslinie alpha), so handelt es sich bei der Oberflächenrealisierung dieses Aktanten um ein v a l e n z g e b u n d e n e s E l e m e n t . Ist dagegen - wie in Modell 12 - der Aktant in LokalFunktion (A ) nicht von dem Funktorenkomplex dominiert, der sich einzelsprachlich als Verballexem realisieren kann (Komplex innerhalb der Hilfslinie beta), so handelt es sich bei der Oberflächenrealisierung dieses Aktanten um eine f r e i e A n g a b e . 4.4 Die an diesen beiden Beispielen eingeführte Methode der Unterscheidung, zusammen mit den in 4.22 skizzierten Überlegungen zur Realisierung von Modellteilen einerseits und der Praesupponierung von Modellteilen andererseits, setzt uns nun instand, die Analyse unseres Beispielsatzes (I) in Modell Ig im folgenden weiter zu spezifizieren und im Anschluß daran zu zeigen, warum Helbigs Probe in ihrer Anwendung auf unseren Satz zu einem falschen Ergebnis führte. 4.41 Wir erweitern das Modell Ig dadurch, daß wir die Bedingung der Möglichkeit zur Übermittlung von Information in unsere Analyse aufnehmen, und erhalten dadurch das folgende Modell ·.

119

120

Die diesem Modell entsprechenden einzelsprachlichen Formulierungen lauten: (1) Wir beschwerten uns (mündlich) beim Chef über die Löhne. (2) Wir beschwerten uns (telefonisch/fernmündlich . . .) beim Chef über die Löhne. 4.42 An Modell in seinen verschiedenen Belegungen sieht man zunächst, daß der ursprüngliche Satz (I) Wir beschwerten uns beim Chef über die Löhne, mehrdeutig ist, weil der Aktant Ay in verschiedenen Ausprägungen präsupponiert sein kann. Ferner wird deutlich, daß sich die von uns vorgenommene Paraphrasenprobe im Sinne von Heibig im Satz (Ia) Wir beschwerten uns über die Löhne, als wir beim Chef waren, nur auf die oben gegebene Formulierung (1) beziehen kann, die der Belegung (1) von Modell Ig entspricht. 4.43 Weiter läßt sich zeigen, daß in Modell Ig die Stellung des Aktanten in Lokal-Funktion ( Ay) dem oben in Anlehnung an Heger entwickelten Kriterium für einen Aktanten entspricht, dessen Oberflächenrealisierung wir als freie Angabe klassifizieren. 4.5 Wie man von Modell Ig zur der entsprechenden Oberflächenralisierung kommt, kann auf zwei Arten erklärt werden, die beide in der Lage sind, zu zeigen, warum Helbigs Probe hier fehlschlagen mußte: a) Wir interpretieren den Teil des Modells, der dem höchststehenden Kausalfunktor übergeordnet ist, als lediglich praesupponiert. Damit erhalten wir als Oberflächenausprägung: Wir beschwerten uns beim Chef über die Löhne. b) Wir nehmen an, daß dieser Komplex sich realisiert in Form von: . . . als wir am selben Ort wie der Chef waren. . ., was sich durch Ersetzen der NP am selben Ort wie durch die Präposition bei verkürzen läßt zu . . .als wir beim Chef waren. . . . Somit würde eine Oberflächenrealisation von Ig lauten: Wir beschwerten uns beim Chef über die Löhne, als wir beim Chef waren. Durch Reduktion des Adverbialsatzes erhält man: *Wir beschwerten uns beim Chef über die Löhne beim Chef. Dieser Satz enthält zwei identische Nominalphrasen, die jedoch in ihrer Funktion verschieden sind: die erste PrNP : beim Chef ist die Oberflächenrealisierung eines Aktanten in Final - Funktion, die zweite,

121

an der Oberfläche identische PrNP ist Realisierung eines Aktanten in Lokal-Funktion, der gemäß seiner Stellung in dem der gesamten Aussage zugrundegelegten Modell I 6 dem Kriterium für Aktanten entspricht, deren Oberflächenrealisierung als freie Angabe definiert ist. Führt man nun eine Tilgung der identischen PrNP durch, so verbleibt e i n e PrNP beim Chef, die jedoch nun an der Oberfläche b e i d e A k t a n t e n f u n k t i o n e n repräsentiert. Dieses Phänomen wollen wir "Doppelrepräsentation" nennen. 4.51 Gemäß 4.5a) und b) läßt sich auch das Scheitern der Heibig'sehen Probe auf zwei Weisen erklären: a) Die Probe funktioniert auf Grund eines lediglich praesupponierten Teiles aus dem zugrundegelegten Aktantenmodell, der im entsprechenden Satz nicht realisiert ist. Im Sinne des oben in 4.22 Gesagten ist dieser praesupponierte Modellteil die Bedingung der Möglichkeit einer Paraphrase gemäß Helbigs Vorschlag. Die Probe erweist sich als irreführend, weil sie nur auf dem Hintergrund einer Praesupposition funktioniert, die Aktantenfunktion des in der PrNP enthaltenen Aktanten A j im zugrundeliegenden Modell (Final-Funktion) jedoch außer acht läßt. b) Die zweite Erklärung bezieht sich auf die Ausführungen in 4.5b) über die Doppelrepräsentation und zeigt, daß die Paraphrasierungsprobe möglich ist, weil die PrNP beim Cbef die Lokalfunktion von A ? in Modell I 6 mit-repräsentiert. Auch auf Grund einer Erklärung von Satz (I) durch die "Doppelrepräsentation" von Aktanten erweist sich die Heibig'sehe Probe deshalb als irreführend, weil sie die ebenfalls in der PrNP repräsentierte Final-Funktion von A^ nicht berücksichtigt. 4.6 Man mag gegen diese Ausführungen - mit einigem Recht - einwenden, daß die Überführungsregeln von solchen semantisch-logischen Modellen zu einzelsprachlichen Oberflächenstrukturen noch nicht genügend erforscht sind. Dies kann jedoch kein Argument gegen eine Untersuchungsrichtung sein, die versucht, linguistische Phänomene von einer solchen Basis ausgehend zu beschreiben. Denn auch wer, wie es Heibig tut,versucht, tiefenstrukturelle Gegebenheiten durch Proben an der Oberfläche zu ermitteln und somit Oberflächenerscheinungen und Paraphrasierungsmöglichkeiten als Reflexe tiefenstruktureller Gegebenheiten auf-

122

faßt, muß zeigen, wie tiefenstrukturelle Gegebenheiten sich auf die Oberfläche abbilden. 5. Bisher haben wir vorausgesetzt, daß bei der von Heibig vorgeschlagenen Paraphrasenprobe die Präposition aus der PrNP in dem paraphrasierenden Adverbialsatz nicht verändert werden darf - was allerdings bei Heibig nirgends explizit steht. Nun wollen wir diese Annahme fallen lassen und uns dem folgenden Beispiel zuwenden: 5.1

(III) Sie wirft den Ball vom

Balkon

auf die Wiese.

Dieser Satz ließe sich dann gemäß Helbigs Probe wie folgt paraphrasieren: (lila) Sie warf den Ball auf die Wiese, als sie auf dem Balkon war. Da diese Paraphrase ein grammatischer Satz ist, müßten wir gemäß Heibig die gesperrte PrNP vom Balkon in (III) als freie Angabe klassifizieren. Diese Analyse erscheint uns insofern unbefriedigend, als sie in Satz (III) die gesperrte PrNP als freie Angabe klassifiziert, die folgende PrNP auf die Wiese jedoch nicht, weil diese nicht in analoger Weise paraphrasierbar ist: (1Mb) *Sie warf den Ball vom Balkon, als sie / er / auf der Wiese war. 5.2 Auch hier wollen wir wieder durch eine Analyse mit Hilfe der Heger'schen Modelle zeigen, wie eine Lösung des Problems der Orts- und Richtungsergänzungen bzw. - angaben vorstellbar ist. Wir segmentieren die Aussage und setzen aus den Analysen der Teile das Gesamtmodell zusammen.

123

5.21

Modell III l

Die entsprechenden einzelsprachlichen Formulierungen lauten: a) Der Ball ist auf dem Balkon. b) Der Ball ist auf der Wiese. 5.22

Modell III 2

124

( " χ " und " y " fungieren als Aussagevariablen und werden nur in Modell III- und III. verwandt.) 2 4 Eine Paraphrasierung des Modells lautet: " S i e bewirkt, daß x, welches vorher der Fall war, nicht mehr der Fall ist und daß y, welches vorher nicht der Fall war, nun der Fall ist." 5.23 Hängt man in Modell III 2 an Stelle von χ das Modell I I I j in der Belegung a) ein, an Stelle von y Modell IIIj in der Belegung b), so ergibt sich das folgende

Eine Paraphrase dieses Modells wäre: "Sie bewirkt, daß der Ball, der vorher auf dem Balkon war, nun auf der Wiese ist." Eine entsprechende einzelsprachliche Formulierung könnte lauten: Sie wirft den Ball vom Balkon auf die Wiese. 5.2301 Um Unterscheidungen zwischen werfen und tragen zu treffen, müßte man das Modell weiter spezifizieren, da es eigentlich lediglich Sie bewegt den Ball. . . darstellt; zur Vereinfachung verzichten wir hier darauf. 5.24 Durch Einhängen eines Kausalfunktors an Stelle von A j unter dem Pro-Aktanten in Modell I II ^ erhalten wir das folgende Modell III 4

Dieses Modell läßt sich paraphrasieren als: "Das Bewirktwerden von 'x' durch sie findet auf dem Balkon statt." 5.25 Hängt man das in Modell 1113 unter dem T-Funktor stehende Teilmodell an Stelle von χ in das Modell III 4 ein, so erhält man das Gesamtmodell III 5 : 126

Μ

127

5.251 Eine Betrachtung dieses Modells zeigt, daß sowohl für das Teilmodell über dem C-Funktor (innerhalb der Hilfslinie alpha) als auch für A j (innerhalb der Hilfslinie beta) eine identische Lokalprädikation steht. Im Sinne der Ausführungen in 4.5 können wir die Lokalprädikation innerhalb alpha entweder a) als lediglich praesupponiert betrachten,b) auch hier wieder der PrNP in Satz (III) vom Balkon die Funktion der Doppelrepräsentation zusprechen. 5.252 Beide Interpretationen liefern eine Erklärung für das Scheitern der Helbig'schen Probe bei Satz (III): a) Die Paraphrasenprobe ist möglich, weil sie sich auf die praesupponierte Lokalprädikation innerhalb alpha bezieht, die dem in 4.3 bzw. 4.31 angegebenen Kriterium für die Stellung eines Aktanten in Lokalfunktion entspricht, dessen Oberflächenrealisierung wir als freie Angabe klassifizieren. Sie führt deshalb zu einem unbefriedigenden Ergebnis, weil sie die Lokalprädikation innerhalb beta nicht berücksichtigt, die dem in 4.3 und 4.31 gegebenen Kriterium für die Stellung eines Aktanten entspricht, dessen Oberflächenrealisierung wir als Ergänzung definieren. b) Die Paraphrasenprobe ist möglich, weil sie sich auf e i n e der beiden in der PrNP vom Balkon repräsentierten Aktantenfunktionen bezieht (Lokalprädikation innerhalb alpha), die dem in 4.3 und 4.31 gegebenen Kriterium für die Stellung eines Aktanten (Α ό ) entspricht, dessen Oberflächenrealisierung wir als freie Angabe identifizieren. Sie führt zu einem unbefriedigenden Ergebnis, weil sie die zweite in der fraglichen PrNP repräsentierte Aktantenfunktion (A^) nicht berücksichtigt, die dem in 4.3 und 4.31 gegebenen Kriterium für die Stellung eines Aktanten in Lokalfunktion entspricht, dessen Realisierung an der Oberfläche wir als valenzgebunden definiert haben. 6. Die in 4 und 5 gegebenen Analysen ermöglichen es, auf dem Hintergrund von Modell III 5 die Begriffe Ortsbestimmung (=Ergänzung oder Angabe) und Richtungsergänzung zu definieren: Ortsbestimmung = ^ ^ Oberflächenelement (PrNP), das eine Lokalprädikation repräsentiert, die im zugrundeliegenden Aktantenmodell n i c h t Teil einer Vorgangsbeziehung ist und folglich einen Aktanten in einfacher Lokal-Funktion enthält.

128

Zu unterscheiden sind L o k a l e r g ä n z u n g e n , bei denen der entsprechende Aktant im zugrundeliegenden Modell von einem sich an der Oberfläche als Verb realisierenden Funktorenkomplex dominiert wird (vgl. Modell 11, 4.3), von L o k a l a n g a b e n , die nicht von diesem Funktorenkomplex dominiert werden (vgl. Modell 12, 4.3; siehe 4.31.). Richtungsergänzung= ^ ^ Oberflächenelement (PrNP), das eine (oder mehrere) Lokalprädikationen repräsentiert, die im zugrunde liegen de η Aktantenmodell Teil (bzw. Teile) von Vorgangsbeziehungen ist (bzw. sind), die einen (oder mehrere) Aktanten in spezifizierter Lokal-Funktion enthalten. Spezifizierte Lokal-Funktionen sind: 1) Lokal-Ausgangs-Funktion ( A j in Modell IIIj) 2) Lokal-Ziel-Funktion (A 2 in Modell III 5 ) 2 4 6.01 Richtungsangaben sind im Rahmen dieser Theorie ausgeschlossen, weil lokale Vorgangsbeziehungen stets von den Funktorenkomplexen im zugrundeliegenden Modell dominiert werden müssen, die sich als Verben an der Oberfläche realisieren und mit diesen niemals nur durch einen anderen Prädikator oder Funktor verbunden werden können (vgl. 4.3 4.31). 2 5 6.1 Diese Definitionen mit dem Instrumentarium der Heger'schen Theorie der Aktantenmodelle ermöglichen auch eine Erklärung der folgenden Oberflächenphänomene: a) Die Expandierbarkeit von Ortsbestimmungen kann mit der Rekursivität von Ρ erklärt werden. i) . ... in Weinheim an der Bergstraße über der Rheinebene . . . b) Die Expandierbarkeit von Richtungsergänzungen kann mit der Rekursivität von Τ erklärt werden. ii) . . . von Mannheim über Heidelberg nach Karlsruhe . . . c) Aus der Interpretation von Richtungsergänzungen als Oberflächenrealisierungen von Lokalprädikationen unter einer Vorgangsbe-

129

ziehung auf der Ebene der logisch-semantischen Struktur ergibt sich aus a) die Expandierbarkeit der Teile von Richtungsergänzungen. iii) . . . von Mannheim am Rhein über Freiburg im Breisgau nach Konstanz am Bodensee . . . 6.2 Auf dem Hintergrund der Definitionen in 6. und der Erläuterungen zu Modell III g in 5.25 - 5.252 können wir nun präzise die Bedingungen formulieren, unter denen Helbigs Probe bei einer Anwendung auf Lokalelemente zu einem unbefriedigenden Ergebnis führen muß: Sie wird sich immer dann als ungenügend erweisen, wenn sie auf einen Satz angewandt wird, der aus einem Aktantenmodell abgeleitet ist, in dem referenzidentische Aktanten unter verschiedenen zweistelligen R e k t o r e n mit lokaler Dimension einmal in einfacher und einmal in spezifizierter Lokalfunktion auftreten. 6.21 Insbesondere wird dies oft der Fall sein in Sätzen, die Verben enthalten, die aus einem Aktantenmodell abgeleitet sind, in dem eine lokale Vorgangsbeziehung einem Kausalfunktor untergeordnet ist, wie werfen, schleudern, schicken etc. 7. Es hat sich gezeigt, daß das Problem der Trennung zwischen valenzgebundenen und nicht-valenzgebundenen Oberflächenelementen weder mit Paraphrasenproben noch mit syntaktischen Tiefenstrukturen allein zufriedenstellend zu lösen ist. Vor allem scheitern solche Lösungsversuche, weil sie das oben beschriebene Problem der "Doppelrepräsentation" nicht beschreiben können. Die Tatsache, daß sich aus einer logisch-semantischen Tiefenstruktur Kriterien gewinnen lassen, mit deren Hilfe sich das Problem lösen läßt, scheint uns ein starkes Argument dafür zu sein, weitere und detailliertere Untersuchungen anzustellen über die Möglichkeit, Grammatiktheorien auf eine logisch-semantische Basis zu gründen.

130

Anmerkungen 1

Vgl. U. Engel, Die deutschen Satzbaupläne, in: Wirkendes Wort 20, 1970, S. 361 - 392, vor allem Punkt 6.

2

G. Heibig, Theoretische und praktische Aspekte eines Valenzmodells (Heibig 71/1), in: G. Heibig, Hrsg., Beiträge zur Valenztheorie, Halle 1971 (Heibig 71/U), zitiert nach der Lizenzausgabe Den Haag 1971; vgl. auch G. Heibig, Valenz und Tiefenstruktur, in: DaF 1969, H. 6, S. 159 - 169 (Heibig 69).

2a

K. Heger, Monem, Wort und Satz, Tübingen 1971 (Heger 71).

3

Vgl. H. Glinz, Die innere Form des Deutschen, Bern 1961, S. 96 f.

4

Zu diesem Begriffspaar vgl. J. Ballweg - H.J. Hacker - H. Schumacher, Semantik und Satzbaupläne, in: Muttersprache 81, 1971, S. 224 - 234, insbesondere das Kapitel "Grammatikalität und Akzeptabilität",(S. 225 - 227).

5

Vgl. Heibig 71/1, S. 36, Punkte 3.1 und 3.2.

6

Auch neuere Arbeiten kommen zu keinen in jeder Hinsicht befriedigenden Lösungen: Vgl. H.J. Heringer, Einige Ergebnisse und Probleme der Dependenzgrammatik, in: Der Efeutschunterricht, Jg. 12, H. 4, 1970, S. 42 - 98, insbes. S. 77 ff; H. Andresen, Ein methodischer Vorschlag zur Unterscheidung von Ergänzung und Angabe im Rahmen der Valenztheorie. Referat März 1971, Freiburg (mimeo); G. Zifonun, Ergänzungen und Angaben (Arbeitstitel), erscheint demnächst in den Forschungsberichten des IdS, Bd. 13; G. öhlschläger, Zur Inhaltssyntax der Angaben, Magisterarbeit, Heidelberg 1970.

7

Vgl. Heibig 71/1, Punkt 3.2 ff., S. 36 ff.

8

Heibig 71/1, S. 37.

9

Die Symbole S, NP und VP stammen aus der Chomsky'sehen TG; EV und FV sind dependentielle Kategorien, und 'Proposition' (bzw. Prop.) findet sich in den Arbeiten der sogenannten "Generativen Semantiker"; vgl. z.B. W. Abraham - R. Binnick, Syntax oder Semantik als erzeugende Komponenten eines Grammatikmodells?, in: LB 4, 1969, S. 1 - 28.

10

Vgl. G. Heibig - W. Schenkel, Wörterbuch zur Valenz und Distribution deutscher Verben, Leipzig 1969.

11

Zu diesem Punkt verdanken wir Fräulein I. Zint, z.Zt. Kiel, und Fräulein H. Günther, IdS Mannheim, wertvolle Hinweise.

12

Heibig 71/1, S. 37 f.

13

Zwei Sätze sind Paraphrasen voneinander, wenn sie mindestens eine semantische Interpretation gemeinsam haben.

131

13a

Zu Helbigs Begriff der Tiefenstruktur verweisen wir auf Heibig 69, S. 163.

14

Heibig 69, S. 164.

15

Wir möchten an dieser Stelle Herrn K. Heger, Heidelberg, für seine wertvollen Hinweise zu den folgenden Punkten und für seine stets freundliche Diskussionsbereitschaft danken.

16

In der Kasustheorie Fillmores entspräche A j dem Agentiv, A 2 dem Instrumentalis, Α j und A^ dem Dativ und A5 dem Objektiv, vgl. Ch.J. Fillmore, The Case for Case, in: Bach/Harms (eds.), Universals in Linguistic Theory, New York 1968, S. 1 - 88, insbesondere S. 24 f. (Fillmore 68).

17

Die hier gegebene Analyse durch Aktantenmodelle müßte eigentlich weiter spezifiziert werden, vor allem durch temporal-deiktische Symbole, die es erlauben würden, das Modell I5 so zu spezifizieren, daß es eine Entsprechung zu dem im Imperfekt stehenden Satz (I) wäre. So ließe sich auch A j noch weiter spezifizieren, indem man ihm durch einen j R mit der Belegung "Eigenschaft X" eine Begründung für die negative Bewertung zuschreibt. Wir verzichten auf weitergehende Spezifizierungen und verweisen auf Heger 71, Kapitel 5, S. 169 - 222.

18

Einem solchen Ansatz begegnet man o f t mit dem Argument, daß die Überführungsregeln von solchen konzeptuellen Strukturen zu einzelsprachlichen Oberflächen noch nicht genügend erforscht sind - so z.B. Chomsky in den "Aspects", wenn er spricht von "vague and unsupported assertions about the 'semantic basis for syntax'" (pg. 116), von denen er an anderer Stelle (op. cit.,pg. 75) sagt: they "... make no contribution to the understanding of these questions"; P.F. Strawson zitiert diese Stellen in "Grammar and Philosophy" und führt dagegen an: "Vague and unsupported assertions, of course, do not make much of a contribution to the understanding of anything. But if a general direction of inquiry seems promising, if indeed one can see no alternative to it, one should surely seek in that direction for assertions which are not vague and which one can support." (Yearbook of the Aristotelian Society 1969/70, London 1971, pg. 11).

19

Heger 71, S. 91.

20

Heger 71, S. 92/93.

21

Wir stellen die Heger'sche Terminologie der unseren gegenüber. Unter Berücksichtigung der Ebenen, auf die sich die verschiedenen Termini beziehen, ergibt sich: logisch - semantische Ebene: obligatorisch

fakultativ

syntaktische Tiefenstruktur (Heibig): EV

132

FV

Oberflächenstruktur: Ergänzungen

freie Angaben

obligatorische E. fakultative E. 21a

Bei Tesniere scheinen allerdings die Ortsbestimmungen grundsätzlich zu den circonstants zu gehören; siehe L. Tesnifcre, Elements de syntaxe structurale, Paris 1959, vor allem die Kapitel 51: "Les especes d'actants", S. 107 111, 56: "Les circonstants" und 57: "Limite entre actants et circonstants", S. 125 - 127, S. 127 - 129. Siehe auch K. Heger, Valenz, Diathese und Kasus, ZRPh 82, S. 138 - 170, vor allem S. 147 und S. 148. Wir danken Frl. A. Schramm, IdS Mannheim, für diesen Hinweis.

22

Bei diesen Aktanten handelt es sich jeweils um Verkürzungen komplexerer Modelle, vgl. Heger 71, S. 158 - 168.

23

Eine ähnliche Auffassung findet sich in Fillmore 68, S. 24 f., wenn auch weniger explizit.

24

Daraus folgt, daß wir Sätze wie: a Erfährt in Köln ab. und b Erfährt von Köln ab. aus dem gleichen Aktantenmodell ableiten. Der Unterschied zwischen den beiden Sätzen läßt sich dann dahingehend beschreiben, daß in a n u r d e r A u s g a n g s p u n k t der lokalen Vorgangsbeziehung r e a l i s i e r t ist, die B e w e g u n g und der Ζ i e 1 ο r t lediglich p r a e s u p p o n i e r t , in b dagegen s o w o h l der A u s g a n g s p u n k t a l s a u c h die B e w e g u n g r e a l i s i e r t sind und nur der Z i e l p u n k t p r a e s u p p o n i e r t wird. Wir betrachten also die PrNP in a nicht als Ortsbestimmung.

25

Scheinbare Beispiele für das Auftreten von Richtungsangaben, wie etwa: Er keucht die Treppe hinauf,

oder

Das Fuhrwerk rumpelt die Straße entlang. wären als Reduktionen zu beschreiben, etwa aus den Sätzen Ergeht die Treppe hinauf und keucht. Er rennt die Treppe hinauf und keucht, bzw. Das Fuhrwerk fährt die Straße entlang und rumpelt. und den entsprechenden zugrundeliegenden Modellen (siehe auch Anm. 24 und 4.221 und 4.2201).

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Zitierte

Literatur

Andresen, H.: Ein methodischer Vorschlag zur Unterscheidung von Ergänzung und Angabe im Rahmen der Valenztheorie, Freiburg 1971 (mimeo). Ballweg, J. — Hacker, H.J. — Schumacher, H.: Semantik und Satzbaupläne, in: Muttersprache 81, 1971, S. 224 - 234. Engel, U.: Die deutschen Satzbaupläne, in: Wirkendes Wort 20, 1970, S. 361 392. Fillmore, Ch.: The case for case, in: Bach/Harms (eds.), Universals in Linguistic Theory, New York 1968, S. 1 - 88. Glinz, H.: Die innere Form des Deutschen, Bern 1961. Heger, K.: Valenz, Diathese und Kasus, in: ZRPh 82, S. 138 - 170. : Monem, Wort und Satz, Tübingen 1971. Heibig, G.: Valenz und Tiefenstruktur, in: DaF 1969, H. 6, S. 159 - 169. : Theoretische und praktische Aspekte eines Valenzmodells, in: G. Heibig (Hrsg.), Beiträge zur Valenztheorie, Halle 1971 (zitiert nach der Lizenzausgabe den Haag 1971). Heringer, H.J.: Einige Ergebnisse und Probleme der Dependenzgrammatik, in: Der Deutschunterricht 12, H. 4, 1970, S. 42 - 98. öhlschläger, G.: Zur Inhaltssyntax der Angaben. Magisterarbeit, Heidelberg 1970. Strawson, P.F.: Grammar and Philosophy, in: Yearbook of the Aristotelian Society 1969/70, London 1971. Tesniere, L.: Elements de syntaxe structurale, Paris 1959. Zifonung, G.: Ergänzungen und Angaben (Arbeitstitel), demnächst in: Forschungsberichte des IdS, Bd. 13.

134

Erläuterungen zum Aktantenmodell 0. Die hier gegebene Erläuterung ist eine Zusammenfassung der Seiten 80 - 96 von Heger 71. 1. Grundeinheiten 1.1 Der zweistellige P r ä d i k a t o r Ρ stiftet eine Prädikationsbeziehung; in seinem Vorbereich steht eine Argumentvariable, in seinem Nachbereich eine Prädikatvariable. 1.11 Der Prädikator kann der Spezifizierung durch die in der formalen Logik üblichen Wahrheitswerte unterworfen werden: p/p entsprechend den Werten wahr und falsch. 1.2 Argumentvariablen des Prädikators sind die im Vorbereich von Ρ stehenden A k t a n t e n A. Aktanten können als Symbole jeden beliebigen Allgemein- und Individualbegriff vertreten, es sei denn, es bestünden in einem speziellen Fall besondere Selektionsrestriktionen. 1.3 Prädikatvariablen von Ρ sind die R e 1 a t ο r e η R. Die Unterscheidung nach Anzahl der Stellen wird durch links unten angebrachte Indices besorgt, z.B. ^R, 2 R , . . . n R . R e k t o r e n können als Symbole weder Individualbegriffe noch diskontinuierliche Allgemeinbegriffe vertreten, sondern lediglich kontinuierliche Allgemeinbegriffe. Bei scheinbaren Verstößen gegen diese Regel handelt es sich um "kurzgeschlossene" Prädikationen (vgl. Heger 71, S. 158 - 169). 1.4 Einige Beispielmodelle sollen das in 1.1 bis 1.3 Gesagte verdeutlichen: 1.41 Beispiel einer Prädikationsbeziehung zwischen e i n e m und e i n e m einstelligen Relator: Modell I

Aktanten

Ρ

/

Ex.: Himmel

blau

135

Belegt man in Fall I A j mit Himmel, j R mit blau, so ergeben sich einzelsprachliche Formulierungen wie Der blaue Himmel, Der Himmel ist blau. etc. 1.42 Bei Prädikationsbeziehungen zwischen z w e i einstelligen Rektoren und e i n e m Aktanten (bzw. z w e i r e f e r e n z i d e n t i s c h e n Aktanten) sind vier Fälle zu unterscheiden: 1.421 ρ Modell II

Ex.: Schnaps

bekannt

beliebt

Eine diesem Modell entsprechende einzelsprachliche Formulierung wäre Der bekannte und beliebte Schnaps. 1.422 Die übrigen drei Fälle illustrieren die r e k u r s i v e n möglichkeiten von P: 1.4221 Modell U M

Anwendungs-

P

Ρ

A2

A1

Ex.: Schnaps

136

A·. = A,

bekannt

beliebt

Eine diesem Modell entsprechende einzelsprachliche Formulierung wäre Der beliebte, bekannte Schnaps. (Die Subskripte rechts von R weisen auf den Aktanten, auf den sich R bezieht, rechts oben stehen die laufenden Nummern.) 1.4222 Durch eine davon unterschiedene rekursive Anwendung von Ρ erhalten wir das folgende Modell: Ρ

Modell III b)

Ex.: Schnaps

beliebt

bekannt

Diesem Modell entsprechende einzelsprachliche Formulierungen wären: Die Bekanntheit der Beliebtheit des Schnapses oder etwa: Es ist bekannt, daß Schnaps beliebt ist. 1.4223 Eine letzte rekursive Anwendungsmöglichkeit von Ρ zeigt das nächste Modell: Modell III c)

Ρ

A1

Ρ

2

Ex.: Schnaps

A 2 =A

2

beliebt

bekannt 137

Als eine der möglichen einzelsprachlichen Formulierungen, die diesem Modell entsprechen, geben wir: Der als beliebt bekannte Schnaps. 2. Spezifizierungsmöglichkeiten von Aktanten und Rektoren 2.1 Aktanten und Rektoren innerhalb eines Modells können untereinander referenzidentisch bzw. äquivalent sein. 2.2 Mehrstellige Rektoren werden aufgespalten in die R e l a t i o n s d i m e n s i o n D und die Stellenaufzählung 1/2/ . . . /n/. R

Modell IV

D

1/2/ . . . / η /

2.21 Steht im Nachbereich von Ρ ein mehrstelliger Relator, so steht im Vorbereich ein P r o - A k t a n t (* A *), der in ebensoviele Aktanten aufgespalten wird, wie der Relator Stellen hat. Wir stellen dies in Modell V dar: Modell V Ρ

1/2

Ex.: a)

Hund

Maus

Q(3d)

Ex.: b)

Hund

Wolf

Q (3d)

+

/ -

(vgl. Heger 71, S. 81) Q. = Quantität

138

3d = 3-dimensional

Diesem Modell entspricht in natürlicher Sprache unter anderem für die Belegung a) Hunde sind größer als Mäuse, für die Belegung b) Hunde und Wölfe sind gleich groß. 3. Bestimmte Modelle mit häufig wiederkehrenden zweistelligen R e k t o r e n sollen aus Gründen der Ökonomie vereinfacht dargestellt werden. Dabei wird aus dem jeweiligen Modell mit dem zweistelligen Relator ein zweistelliger F u η k t ο r. Hier sollen zunächst nur 2 abgeleitete Funktoren eingeführt werden ^vas keine Vorentscheidung darüber impliziert, ob es sich nicht später doch noch als zweckmäßig erweisen könnte, weitere abgeleitete Funktoren einzuführen ). Diese beiden Funktoren sind der T e m p o r a l f u n k t o r T, der die zeitliche Vorher- Nachher-Relation darstellt, sowie die K a u s a l f u n k t o r C, der die Ursache - Wirkung - Relation repräsentiert. 3.1 Der Temporalfunktor 3.11 Der allgemeine Temporalfunktor Die Prädikationsbeziehung mit einem zweistelligen Relator mit der Dimension Zeit (T) und der Stellenaufzählung vorher/nachher (v/n) wird durch den Temporafunktor Τ verkürzt wiedergegeben: Modell VI Ρ



1/2

Τ

ν/η (vgl. Heger 71, S. 8 5 )

139

Wir verdeutlichen die Anwendung von T: Modell VII

Τ

τ

Ex.:

Ρ

Napol. III.

kaiser-

Thiers

präsid(vgl. Heger 71, S. 85)

Diesem Modell entspricht in natürlicher Sprache die Formulierung Der Übergang vom Kaisertum Napoleons III. zur Präsidentschaft Thiers. 3.12 Der spezielle Temporalfunktor Für den Spezialfall A j = A 2 und JRJ = J R 2 gilt der spezielle Temporalfunktor: Modell VIII

Ex.: a) Hans

Ρ

Ρ

schlaf-

Ex.: b)

Hans

Ρ

Ρ

schlaf-

Ex.: c) Hans

Ρ

Ρ

schlaf-

140

In natürlicher Sprache entsprechen diesem Modell die Formulierungen: a) Hans schläft. b) Hans schläft ein. c) Hans wacht auf. (vgl. Heger 71, S. 86) 3.13 Da sowohl der allgemeine als auch der spezielle Temporalfunktor aus Ρ abgeleitet sind, können sie ebenso wie Ρ unbegrenzt rekursiv angewendet und durch logische Wahrheitswerte spezifiziert werden. 3.2 Z u s t a n d s b e z i e h u n g e n und V o r g a n g s b e z i e h u n g e n lassen sich mit Hilfe des Temporalfunktors darstellen und definieren. 3.21 Stehen im Vor- und im Nachbereich des T-Funktors Prädikationsbeziehungen zwischen identischen Aktanten und Rektoren und sind beide Prädikationsbeziehangen durch den gleichen Wahrheitswert spezifiziert, so stellt das Modell eine Zustandsbeziehung dar (siehe Modell VIII, Belegung a) ). 3.22 Stehen im Vor- und Nachbereich des T-Funktors Prädikationsbeziehungen zwischen verschiedenen Aktanten und Rektoren (vgl. Modell VII), oder sind die im Vor- und Nachbereich des T-Funktors stehenden Prädikationsbeziehungen durch verschiedene Wahrheitswerte spezifiziert ( wie in Modell VIII in der Belegung b) und c ) ) , so stellt das Modell eine Vorgangsbeziehung dar. 3.3 Der Kausalfunktor C wird analog zu Τ abgeleitet:

kausal

Ursache/Wirkung (vgl. Heger 71, S. 9 4 )

141

Bei der Anwendung des Kausalfunktors sind drei Fälle zu unterscheiden: 3.31 Im Vorbereich des Kausalfunktors steht ein Aktant, im Nachbereich ein Prädikator oder Temporalfunktor. In diesem Fall ist der Aktant derjenige theoretische Ort, von dem die U r s a c h e der betreffenden Zustands- oder Vorgangsbeziehung ausgeht. Ein Beispiel: Modell X C

Ex.:

I I Hans

ι I Tür

ι I offen

Ihm entspricht in natürlicher Sprache die Formulierung Die von Hans aufgehaltene Tür. 3.32 Im Vorbereich des Kausalfunktors steht ein Prädikator oder Temporalfunktor, im Nachbereich steht ein Aktant. In diesem Fall ist der Aktant derjenige theoretische Ort, an dem sich die W i r k u n g der betreffenden Vorgangs- oder Zustandsbeziehung vollzieht. Ein Beispiel: Modell XI

I I Ex.:

Baum

I I sichtbar

I I Hans (vgl. Heger 71, S. 96)

142

Dem Modell entspricht in natürlicher Sprache die Formulierung Der dem Hans siebtbare Baum. 3.33 Sowohl im Vor- als auch im Nachbereich des Kausalfunktors steht eine Vorgangs- oder Zustandsbeziehung; in diesem Falle ist die im Vorbereich stehende Beziehung Ursache derjenigen Beziehung, die im Nachbereich steht, bzw. die im Nachbereich stehende Beziehung die Wirkung der im Vorbereich stehenden. Ein Beispiel: Modell XII

Ex.:

Tür

schlaf-

Diesem Modell entsprechen Formulierungen in natürlicher Sprache wie Das Schließen der Tür weckt Hans auf. Hans erwacht durch das Schliessen der Tür. etc.. 3.301 Der Fall, daß sowohl im Vor- als auch im Nachbereich des Kausalfunktors nur ein Aktant steht, wird ausdrücklich ausgeschlossen. Fälle, in denen dieser Fall scheinbar vorkommt, erweisen sich bei eingehenderer Analyse als unzulässige Verkürzungen komplexerer Prädikationen, z.B.:

143

< II c·)


FI

Symbol Λ steht für Verknüpfung von Argumenten in einer G F Symbol => steht für: "hat als Funktionsinhalt" Auf dieser Ebene (Inhaltebene) können z.B. folgende Argumente miteinander in Gemeinschaftsfunktion treten:

147

Inhaltfunktionen von: Merkmal Grundgröße Verhältnisrelation

- Merkmalträger - Bestimmungsgröße - Größe

2.2 Auf der syntaktischen Ebene bilden sie ein Syntagma bzw. eine Phrase oder ein Kompositum, z.B. Nominalphrase bzw. Teile einer Nominalphrase Verbalphrase usw. 2.3 Auf der morphologischen Ebene sind es mindestens zwei Wörter meist unterschiedlicher Wortart (Ausnahmen z.B. Komposita), z.B. Präposition Adjektiv Nomen Adjektiv (unflektiert)

+ + + +

Nomen Nomen Nomen Verb

(Ρ Α Ν) (Α Α Ν) (Ν Α Ν) (AAV)

deren Bezug untereinander oft durch die Flexion ausgedrückt ist. (Das Symbol Α berücksichtigt nicht die Wortfolge im Satz). 2.4 Auf der Ausdrucksebene (Zusammenfassung von morphologischer und syntaktischer Ebene) bildet die Summe der Gemeinschaftsfunktionen unter der Voraussetzung, daß auch Gemeinschaftsfunktionen miteinander Gemeinschaftsfunktionen bilden können, den Satz. Unter der gleichen Voraussetzung bildet die Summe der semantischen Gemeinschaftsfunktionen auf der Inhaltebene den Metalinguasatz. Erst nachdem alle Gemeinschaftsfunktionen eines Satzes bzw. Metalinguasatzes analysiert sind, also das in Einzeloperationen aufgeteilte semantisch-syntaktisch-morphologische Parsing komplett durchgeführt ist, kann die Satzbedeutung maschinell analysiert bzw. synthetisiert werden. Auf diese Weise können auch sprachliche Informationen analysiert bzw. generiert werden, die nicht in Satzbindung vermittelt werden. 2.5 Erster Schritt einer Operationalisierung der Analyse von seman-

148

tischen Gemeinschaftsfunktionen ist die Zusammenfassung von Inhaltfunktionen (IF) in Inhaltfunktionsklassen ( I F K ) 4 und von Funktionsinhalten (FI) in Funktionsinhaltklassen (FIK), die nach Globalinhalten wie Ort, Zeit geordnet sind und nach linguistischen Kriterien aufgrund einer distributioneilen Analyse gewonnen werden. Z.B. IFK α IFK

=>

FIK

2.6 Folgende semantische Funktionsgesetzlichkeiten können auf der Basis der Inhaltfunktionsklassifizierung für die maschinelle Analyse von semantischen Gemeinschaftsfunktionen genutzt werden: 2.6.1 Übereinstimmung von Inhaltfunktionsklassen; Symbol: ι—ι Wenn die IFK der ersten Inhaltfunktion mit der I F K der zweiten übereinstimmt, ist die Funktionsinhaltklasse ( F I K ) der Gemeinschaftsfunktion gleich den Inhaltfunktionsklassen der beiden Inhaltfunktionen und das Analyseergebnis ist eindeutig. Z.B. IFKJA IFKJ

=>

FIKJ

IFK2 A IFK2

=>

FIK2

IFK3aIFK3

=>

FIKj

Wenn beide Inhaltfunktionen mehreren Inhaltfunktionsklassen angehören, kann ein eindeutiges Analyseergebnis vorliegen, wenn jeweils nur eine Inhaltfunktionsklasse übereinstimmt. Z.B. I F K

i,2,3-IFKi,4

^

F I K

1

In dem Fall, wo mehrere Inhaltfunktionsklassen jeweils übereinstimmen, können mehrere Funktionsinhaltklassen entstehen. Z.B. I F K

' 1 2 3Λ

I F K

; ι 1 3

^

F I K

1

u n d

F I K

3

2.6.2 Aktualisierung von Inhaltfunktionsklassen; Symbol:

und

Wenn eine der beiden Inhaltfunktionen einklassig ist und die andere Inhaltfunktion mehreren IFKn angehört, wobei eine davon mit der ein-

149

klassigen Inhaltfunktion der anderen übereinstimmt, induziert 5 die einklassige die ihr entsprechende IFK der anderen in der Weise, daß sie die ihr entsprechende IFK der anderen aktualisiert, so daß ein einklassiger FI der Gemeinschaftsfunktion entsteht, der der aktualisierenden und damit auch der aktualisierten IFK der beiden Inhaltfunktionen entspricht. Z.B. IFK j λ I F K j 2 3



IFKU

=> F I K 2

3A

IFK2

2.6.3 Überlagerung von Inhaltfunktionsklassen; Symbol: f

*

Es gibt Inhaltfunktionen in Gemeinschaftsfunktionen, die ohne Rücksicht auf die Klassifizierung der anderen Inhaltfunktionen immer den FI bewirken, der ihrer IF entspricht. Diese Inhaltfunktionen werden einer besonderen Klasse zugeordnet. Wenn also eine der beiden Inhaltfunktionen dieser Sonderklasse angehört, überlagert die IFK dieser Inhaltfunktion die IFK bzw. IFKn der anderen so,daß die FIK dieser Gemeinschaftsfunktion der überlagernden IFK entspricht 6 . Nach den bisherigen Untersuchungen können die IFKn von Nomina keine Überlagerungsfunktion ausüben, jedoch z.B. die der Präpositionen und möglicherweise die der Adjektive. Z.B. ΙΡκΓΤϊ^

2

3

-

FIK Ü

3.0 I n h a l t f u n k t i o n s k l a s s e n d e r A d j e k t i v e a t t r i b u t i v e r S t e l l u n g (AA)

in

Aufgrund einer distributioneilen Analyse von Gemeinschaftsfunktionen Adjektiv in attributiver Stellung (AA) + Nomen als Merkmalträger (A^-N), die sich auf etwa 10.000 Belege der deutschen Gegenwartssprache stützt, wurden die Adjektive in ihrer Rolle als Merkmal entsprechend den IFKn ihrer Merkmalträger klassifiziert. Hierbei wurden die bei der Analyse der deutschen Präpositionalphrase 7 ermittelten Nomeninhaltfunktionsklassen (NIFK) zugrundegelegt.

150

3.1 Adjektivinhaltfunktionsklassen (AIFKn) Merkmalklasse für Nomen: 11 12 111 112 III

Ort, belebt Ort, unbelebt Zeit, reine Zeit Zeit, Aktion nicht Ort, nicht Zeit

tüchtig viereckig verstrichen allmählich mathematisch

3.2 Als Inhaltfunktionsklassen für Nomina in der Gemeinschaftsfunktion Α Α Ν erscheinen: NIFK 11 12 111 112 III

Ort, belebt Ort, unbelebt Zeit, reine Zeit Zeit, Aktion nicht Ort, nicht Zeit

Anwalt Brett Jahr Anlauf Methode

3.3 Da die meisten Nomina innerhalb dieser Gemeinschaftsfunktion mehreren IFKn angehören, lassen sich kombinierte IFKn für Nomina und entsprechend für die mit ihnen in Gemeinschaftsfunktion stehenden Adjektive aufstellen. Z.B. NIFK IV (kombiniert aus NIFK II und 12) Mutter, Reiter, Engländer, Leiter usw. AIFK IV (kombiniert aus AIFK II und 12) dick, faul, frisch usw. Wie in diesem Beispiel können sämtliche IFKn miteinander kombiniert werden. Dabei ist jedoch zu bemerken, daß nicht alle so gewonnenen kombinierten Klassen durch Beispiele lexikalisch besetzt sind. 3.4 Die Erstellung eines umfänglichen Lexikons mit IFKn-Angaben bei Adjektiven in Bezug auf die entsprechenden NIFKn ist in Arbeit. 3.5 Im folgenden werden die in 2.6 ff. dargestellten semantischen Gesetzlichkeiten an einigen Beispielfällen demonstriert: 151

3.5.1 Eindeutige Analyseergebnisse aufgrund von Ü b e r e i n s t i m m u n g v o n I n h a l t f u n k t i o n s k l a s s e n zeigen z.B. folgende Α Λ Ν - Gemeinschaftsfunktionen mit je einer einklassigen IF: tüchtig (II)

Λ Lehrer (II)

=>

viereckig (12) Α Brett (12) verstrichen (III) Λ Jahr allmählich (l'l2) mathematisch

Α Anlauf

(III)

=>

(Π2)

(III) Λ Methode

(III)

=>

II

(Ort, belebt)

12

(Ort, unbelebt)

III

(Zeit, reine Zeit)

112

(Zeit, Aktion)

III

(nicht Ort, nicht Zeit)

Mehrdeutige Analyseeigebnisse aufgrund von Ü b e r e i n s t i m m u n g v o n I n h a l t f u n k t i o n s k l a s s e n zeigen folgende Α Λ Ν - Gemeinschaftsfunktionen, bei denen beide Inhaltfunktionen mehreren (also kombinierten) IFKn angehören: ι i 1 I mutig AIFK X (II, 112) Α Geriebt NIFK V (11,12,112) =>

II (Ort, belebt) und 112 (Zeit, Aktion)

3.5.2 Eindeutige Analyseergebnisse aufgrund von A k t u a l i s i e r u n g von Inhaltfunktionsklassen zeigen folgende Α Λ Ν - Gemeinschaftsfunktionen, bei denen die IF des Adjektivs einklassig, die des Nomens mehrklassig ist:

tüchtig AIFK (II) Α Gericht NIFK V (II, 12, 112) =» II (Ort, belebt) • viereckig AIFK (12) Λ Gericht NIFK V (II, 12, 112) =*• II (Ort, unbelebt) Eindeutige Analyseergebnisse aufgrund von A k t u a l i s i e r u n g

152

von

Inhaltfunktionsklassen zeigen folgende Α Α Ν - Gemeinschaftsfunktionen, bei denen die IF d e j Nomens einklassig, die des Adjektivs mehrklassig ist:
II (Ort, belebt)

uralt AIFK XIII (II, 12, III) ^ Brett NIFK 12 =• 12 (Ort, unbelebt) 3.6 Diese recht grobe Klassifizierung gibt keinen Aufschluß über die lexematischen Inhalte der Adjektive und ist somit für die maschinelle Generierung von sinnvollen Α Α Ν - Gemeinschaftsfunktionen nicht ausreichend. Die Operabilität dieses Verfahrens muß durch Subklassifizierungen optimiert werden. Für die Lösung der unter 1.0 angedeuteten semantischen Bezugsrpobleme bedeutet diese Klassifizierung jedoch eine ausbaufähige Basis, die im folgenden eingesetzt wird. 4.0 I n h a l t f u n k t i o n s k l a s s e n d e r A d j e k t i v e p r ä d i k a t i v e r S t e l l u n g (APR)

in

Aufgrund einer distributioneilen Analyse von Gemeinschaftsfunktionen Adjektiv unflektiert in prädikativer Stellung + Nomen (Nominativ) + Verb (transitiv) + Nomen (Akkusativ) (Ν A V Α Ν A APR), z.B. Helga bläst fröhlich die Fröhlich bläst Helga die Helga bläst die Trompete

Trompete Trompete fröhlich,

die sich auf ca. 8.000 Belege der deutschen Gegenwartssprache stützt, wurden unter Bezugnahme auf die Klassifizierung der AA (s. 3.1) folgende AIFKn gebildet: 4.1 AIFK Merkmalklassen für Nomina bzw. Verben:

153

11

Ort, belebt

fröhlich

12

Ort, unbelebt

hellblau

II

Zeit

ständig

IUI

nicht Ort, nicht Zeit

vergeblich

(Bezug hauptsächlich auf Verb, nur in Ausnahmefällen auf N o m e n möglich) II12

durchführbar

nicht Ort, nicht Zeit (Bezug nur auf N o m e n möglich)

Für IUI u n d II 12 gilt die Einschränkung, daß sie zwar mit anderen IFKn, nicht aber miteinander kombiniert werden k ö n n e n . 4.2 Die Nomina der G e m e i n s c h a f t s f u n k t i o n Ν λ V Α Ν ^ APR lassen sich wie folgt klassifizieren: NIFK 11

Ort, belebt

Pianist

12

Ort, u n b e l e b t

Rad

II

Zeit

Sommer

III

nicht Ort, nicht Zeit

Theorie

4.3 Da die meisten APR u n d Nomina innerhalb dieser Gemeinschaftsf u n k t i o n mehreren IFKn angehören, lassen sich kombinierte IFKn für Nomina und entsprechend für die mit ihnen in G e m e i n s c h a f t s f u n k t i o n stehenden Adjektive u n t e r Berücksichtigung der Einschränkung für die IFKn I U I u n d III2 (s. 4.1) wie folgt aufstellen: N I F K IV ( I I , 12)

Reiter

A I F K IV ( I I , 12)

zierlich

NIFK VII ( I I , 12, III2) A I F K XIX ( I I , 12, III2)

154

Aufsichtsrat unfertig

Für die der Gemeinschaftsfunktion mit APR angehörenden eine vollständige Klassifizierung noch nicht vor. Der Bezug auf Geschehen als Merkmalträger (APR zu Verb) ist jedoch Adjektivklassifikation schon berücksichtigt (s. A1FK II und III1), so daß Verben vorläufig zu II (Zeit) zu rechnen sind.

Verben liegt Merkmal in deri AIFK

4.4 Das umfangreiche Lexikon der APR mit Kodierungen für das semantische Bezugssystem (Merkmal, Größe, Geschehen, Größe) unter Verwendung der ^Klassifizierungen für APR, entsprechende Nomina und Verben wird zusammen mit den Lexikalisierungen der AA laufend vervollständigt. Nach seiner Fertigstellung kann mit der automatischen Analyse von Gemeinschaftsfunktionen mit Adjektiven begonnen werden. 4.5 Im folgenden werden die den Gemeinschaftsfunktionen zugrundeliegenden semantischen Gesetzlichkeiten, die für die Algorithmierung genutzt werden, an signifikanten Beispielen demonstriert: 4.5.1 Eindeutige Analyseergebnisse aufgrund von Ü b e r e i n s t i m m u n g v o n I n h a l t f u n k t i o n s k l a s s e n zeigen folgende Ν Λ V Α Ν A APR - Gemeinschaftsfunktionen mit je einer einklassigen IF: Paul (II)

I Paul (II)

I 1 ißt (II) sein Brot (12) trocken (12) => 12 (Ort, unbelebt), daher eindeutiger Bezug von trocken auf Brot 1 ißt (II) sein Brot (12) traurig (II) => II (Ort, belebt), daher eindeutiger Bezug von traurig auf Paul

I Paul ( I I ) ißt (II) sein Brot (12) unaußörlich => II (Zeit), daher eindeutiger Bezug von unaufhörlich auf ißt.

1 (II)

Mehrdeutige Analyseergebnisse aufgrund von Ü b e r e i n s t i m m u n g v o n I n h a l t f u n k t i o n s k l a s s e n zeigen folgende Gemeinschaftsfunktionen, bei denen beide IF mehreren (kombinierten) IFKn angehören:

155

Die Schieber

I i i (11,12) pressen

i i (II) die Reiter

1

1

11

(11,12) hart (11,12,1111)

Das Ergebnis der Analyse zeigt, daß drei verschiedene Bezüge möglich sind (zwischen Adjektiv und den beiden Nomina sowie zwischen Adjektiv und Verb), die aufgrund von 5 Inhaltfunktionsklassenübereinstimmungen zustande gekommen sind. 4.5 2 Eindeutige Analyseergebnissse aufgrund von A k t u a l i s i e r u n g von Inhaltfunktionsklassen zeigen folgende Ν Λ V Λ N A A P R Gemeinschaftsfunktionen, bei denen die IF des Adjektivs einklassig, die anderen Inhaltfunktionen mehrklassig sind: Der Regen

(12,11) macht

(II) die Mutter

-

12 (Ort, unbelebt). In beiden Fällen liegt eindeutiger Bezug der Adjektive auf das Nomen im Akkusativ (Mutter) vor, der allerdings auf der Aktualisierung unterschiedlicher Inhaltfunktionsklassen beruht. 4.5.2 Die zur AIFK IUI die IFKn der Nomina in in Abhängigkeit von der funktionsklassifizierung Verb. Z.B. Der Koch

gehörigen Adjektive haben ohne Rücksicht auf der Gemeinschaftsfunktion Ν Λ V Λ Ν Λ APR noch nicht vollständig ermittelten Verbinhaltin der Regel einen eindeutigen Bezug auf das

(II) zerkleinert

ι (II) das Gemüse

(12) mechanisch

1 (IUI)

Für die maschinelle Analyse eines solchen Satzes liefert diese Erscheinung ("Bezugsüberlagerung") eindeutige Ergebnisse.

156

Anmerkungen 1

Zit. nach Erben, Deutsche Grammatik, S. 105.

2

Mötsch, Syntax des deutschen Adjektivs.

3

Bierwisch, Some Semantic Universals of German Adjectivals.

4

Schweisthal, Präpositionen in der maschinellen Sprachbearbeitung, S. 19 ff.

5

Ebd., S. 34 f.

6

Ebd., S. 31 f.

7

Ebd., S. 48.

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157

REINHOLD GLAS ZUR SEMANTIK DES GENITIV-ATTRIBUTES

1.1 Zur semantischen Beschreibung des Genitiv-Attributes wählen die deutschen Grammatiken zwei verschiedene Wege: die eine Gruppe, zu der z.B. die Grammatiken von Curme und von Glinz gehören, gehen von einer allgemeinen grammatischen Bedeutung der Attributbeziehung aus, die sich gemäß der verschiedenen lexikalischen Bedeutungen des Bezugsoder Attributwortes gliedern und differenzieren läßt; die andere Gruppe, zu der etwa die Grammatik von A d m o n i und die Duden-Grammatik zu rechnen sind, verzichtet auf die Angabe einer allgemeinen grammatischen Bedeutung und beschreibt die semantischen Relationen zwischen Bezugsund Attributwort als grundsätzlich verschiedene. 1.2 Der erstgenannte Weg hat zu verschiedenen Beschreibungen der allgemeinen grammatischen Bedeutung des Genitiv-Attributes geführt: W. Flämig 1 z.B. umschreibt sie als "Teilhabe", "Anteil", Glinz als "Zugehörigkeit", Curme als "modification". Dabei scheint Glinz seiner Beschreibung ein wenig skeptisch gegenüberzustehen, indem er sie als einen "vielleicht sehr "vagen", ja "primitiven" gemeinsamen Nenner" charakterisiert. In Wahrheit leidet sie, wie auch die von Flämig, an dem gegenteiligen Mangel: es fällt nicht schwer, Genitiv-Attribute zu finden, die sich, wie etwa der genitivus definitivus, einer solchen Beschreibung entziehen. Es ist zu vermuten, daß Flämig sich bei der Entscheidung für die Termini "Teilhabe, Anteil" am genitivus partitivus und Glinz sich am genitivus possessivus orientiert hat. Die Beschreibung Curmes ist in anderer Weise einseitig: Curme charakterisiert die semantische Relation zwischen Bezugs- und Attributwort ganz allgemein als "modification", zeichnet dabei aber das Attributwort als den " m o d i f i e r " 3 aus. Genau den umgekehrten Weg wählt Heibig 4 , der das Bezugswort als den " m o d i f i e r " bestimmt. Wie im folgenden gezeigt werden wird, wechselt die semantische Funktion der beiden am Genitiv-Attribut beteiligten Größen entsprechend der jeweiligen lexematischen Repräsentation der beiden Größen.

158

1.3 Verzichtet man auf eine Beschreibung der allgemeinen grammatischen Bedeutung des Genitiv-Attributes, so stellt sich die Frage, wie differenziert die verschiedenen semantischen Relationen beschrieben werden sollen. Tatsächlich sind die Relationen, gemäß den unterschiedlichen Einteilungskriterien bei den einzelnen A u t o r e n , von sehr ungleicher Anzahl. Wie S o m m e r f e l d t 5 u n d andere gezeigt haben, werden überdies die Einteilungs- bzw. Differenzierungskriterien in den meisten Untersuchungen vermischt. Sommerfeldt hat selbst demgegenüber ein einheitliches Einteilungskriterium vorgeschlagen, das in zwei Schritten eine Differenzierung der semantischen Relationen zwischen Bezugs- und A t t r i b u t w o r t durch Kernsatztransformationen erlaubt: in einem ersten Schritt werden die A t t r i b u t k o n s t r u k t i o n e n in zwei Klassen eingeteilt je nachdem, ob der attributive Genitiv in einem Kernsatz als Subjekt wie in d e m Beispiel das Haus des Nachbarn

T: der Nachbar besitzt

ein

Haus6

oder als Teil des Prädikatsverbandes wie in d e m Beispiel ein Feind der Reaktion

Τ: X ist der Reaktion

feind7

a u f t r i t t ; in einem zweiten Schritt gewinnt S o m m e r f e l d t eine Differenzierung in Subklassen, indem er die bei der Kernsatztransformation eingeQ

setzte "lexisch-semantische Verbvariante" , z.B. besitzen u n d sein, berücksichtigt. Gegen dieses Verfahren ist mehreres, vor allem in Hinblick auf die Angewandte Sprachwissenschaft, einzuwenden: 1. Nicht in allen Fällen ist eine Kernsatztransformation möglich, wie Sommerfeldt selbst einräumt. 2. Die semantische Relation zwischen Bezugs- und Attributwort ist neutral hinsichtlich Zeitstufe und Aktionsart, das in der Kernsatztransformation eingesetzte Verb aber nicht. 3. Das im Kernsatz eingesetzte Verb ist nicht immer frei von Ambiguitäten, d.h. die semantische Relation zwischen Bezugs- und A t t r i b u t w o r t wird durch die "lexisch-semantische Verbvariante" nicht interpretiert, sondern lediglich durch einen ebenfalls interpretationsbedürftigen Ausdruck dargestellt. 4. Es besteht immer die Möglichkeit, im Kernsatz ein stärker oder schwächer differenzierendes Verb einzusetzen, d.h. die Anzahl der Beziehungen zwischen Bezugs- und A t t r i b u t w o r t ist beliebig. 1.4 Behaghel hat in seiner Deutschen Syntax einen anderen Ansatz zur semantischen Beschreibung des Genitiv-Attributes gewählt. Zur allgemeinen Charakterisierung des Genitiv-Attributes schreibt er:

159

Die Zusammenstellung eines Substantivs oder Pronomens mit einem Genitiv besagt, ebenso wie die Zusammenfassung zweier Substantivstämme in der Zusammensetzung, an sich nichts anderes, als daß irgendeine Beziehung zwischen den durch sie dargestellten Größen besteht. Die Art der Beziehung ergibt sich aus der Beschaffenheit der einzelnen Größen und aus der Art der zwischen den beiden Größen überhaupt möglichen Beziehungen. Unter Umständen läßt die Zusammenstellung verschiedene Beziehungen als möglich erscheinen, dann ergibt sich die Entscheidung über die Auswahl aus den übrigen Gliedern des Satzes oder aus dem gesamten Zusammenhang. 9 Damit wendet sich Behaghel zum einen gegen die Behauptung einer allgemeinen grammatischen Bedeutung der Attributkonstruktion, zum anderen sieht er beide Größen als gleichermaßen beteiligt am Zustandekommen des Phraseninhalts an. Die Beziehung zwischen Phraseninhalt und Bezugsund Attributwort wird von Behaghel wechselseitig gesehen: einerseits ergibt sich der Phraseninhalt aus der Gemeinschaftsfunktion 1 0 der beiden Größen, andererseits wird die Vielfalt der zwischen den beiden Größen denkbaren Beziehungen durch die begrenzte Ausdrucksfähigkeit der Attributkonstruktion auf die wenigen vorkommenden Beziehungen reduziert. Welche Beziehung im Einzelfall vorliegt, hängt, wie im folgenden in Anschluß an Behaghels Überlegungen gezeigt werden soll, von der Beschaffenheit, genauer gesagt, der Inhaltfunktion der beiden in Gemeinschaftsfunktion stehenden Größen ab. Die Unterschiedlichkeit der Inhaltfunktionen ergibt sich daraus, daß beide Größen in verschiedener Weise am Zustandekommen der verschiedenen Phraseninhalte beteiligt sind. Gemäß dieser unterschiedlichen semantischen Funktion beider Größen in der Phrase ergeben sich Nomeninhaltfunktionsklassen. 1.5 Entsprechend der Teilfunktion, die beide Größen beim Zustandekommen der Phraseninhalte ausüben, lassen sich drei Fälle unterscheiden: 1. Ist das Nomen χ die Bezugsgröße und gehört es der Nomeninhaltfunktionsklasse Nj an, so ist Pj der Phraseninhalt. Dafür sei im folgenden abkürzend gesagt, daß der Phraseninhalt durch die r >ezugsgröße bestimmt ist. 2. Ist das Nomen y die Attributgröße und gehört es der Nomeninhaltfunktionsklasse N^ an, so ist P^ der Phraseninhalt. Dafür sei abkürzend gesagt, daß der Phraseninhalt durch die Attributgröße bestimmt ist. 3. Ist das Nomen χ die Bezugsgröße und gehört der Nomen-

160

inhaltfunktionsklasse N q an und ist das Nomen y die Attributgröße und gehört der Nomeninhaltiunktionsklasse N r an, so ist P s der Phraseninhalt. Dafür sei abkürzend gesagt, daß der Phraseninhalt durch Bezugsund Attributgröße bestimmt ist. 2.1 Der erste Fall, daß die Relation zwischen beiden Größen bereits durch die Wahl des Bezugswortes eindeutig bestimmt ist, tritt z.B. ein, wenn das Bezugswort eine Qualitätsbezeichnung im weitesten Sinne ist wie etwa die Nomina das Alter, der Geschmack, die Farbe, der Geruch, die Schönheit, die Unsinnigkeit usw. Hierher gehören auch die substantivierten qualitativen Adjektive wie die Süße, die Röte, die Härte, die Schwere usw. In der Rolle als Bezugsgröße bestimmen diese Nomina die Beziehung zur Attributgröße als die Beziehung von Ding und Eigenschaft. Diese allgemeinste denkbare Beziehung zwischen den beiden Größen erlaubt keine weitere Differenzierung des Phraseninhaltes. Eine weitere Unterteilung wäre eine Unterteilung der Bezugs- oder der Attributwörter, keine des Phraseninhaltes. 2.2 Der maschinellen Analyse dieser Beziehung muß die maschinelle Monosemierung des Bezugswortes vorausgehen. Wie diese erfolgt, kann hier nicht im einzelnen ausgeführt werden. Es sei in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen K.G. Schweisthals 1 1 über semantische Induktion und Maximalübereinstimmung verwiesen. Hier sei nur vermerkt, daß für die Monosemierung eine Nomeninhaltklassifizierung, die sich nur an der unterschiedlichen Inhaltfunktion der Nomina beim Zustandekommen des Phraseninhaltes orientiert, nicht ausreicht. Nicht selten ist eine Subklassifizierung notwendig. In den beiden Phrasen die Schwere des Körpers die Schwere des Verbrechens ist zwar nach der hier vorgeschlagenen Analyse die Beziehung zwischen Bezugs- und Attributwort beide Male dieselbe, die Bedeutung des Bezugswortes aber eine jeweils verschiedene. Zur Monosemierung des Bezugswortes würde also die Klassifikation von Schwere als Qualitätsbezeichnung nicht hinreichen. 2.3 Relationsbezeichnungen wie die Ähnlichkeit, der Unterschied, der Zusammenhang, die Unverträglichkeit usw. bestimmen als Bezugsgrö-

161

ße ebenfalls eindeutig den Phraseninhalt. Das Nomen im Genitiv stellt hier jeweils eines der Relate dar, die anderen Relate sind entweder in irgendeiner Weise an das Bezugswort angeschlossen wie in dem Satz Die Ähnlichkeit verblüffend

seines Kopfes mit einer Birne war

oder ellipsiert wie in dem Satz Die Ähnlichkeit

der Argumentation

war

verblüffend.

Im letzteren Falle muß deutlich geschieden werden zwischen Ellipsierung und denjenigen Fällen, in denen das Bezugswort nicht als Relationsbegriff, sondern als Qualitätsbezeichnung gebraucht wird wie in dem Satz Die Unverträglichkeit

des Mensaessens ist berüchtigt.

2.4 Zu den bisher genannten Fällen rechnen auch die, in denen das Bezugswort eine Mengenbezeichnung ist wie die Hälfte, das Drittel, die Gesamtheit usw. Sie bestimmen ebenso wie die Qualitätsbezeichnungen und die Relationsbegriffe eindeutig den Phraseninhalt. 2.5 Als letztes Beispiel für die Bestimmung des Phraseninhaltes durch das Bezugswort seien schließlich noch die nomina actionis und die nomina agentis angeführt. Die Beziehung, die die nomina agentis zum Attributwort herstellen, ist ähnlich der zwischen Geschehensträger und Geschehensziel im Satz; die Beziehung, die die nomina actionis zum Attributwort herstellen, entspricht der von Geschehen und Geschehensziel im Satz. Nicht selten erlaubt hier nur der weitere Kontext die Entscheidung darüber, ob der Phraseninhalt durch das nomen actionis bestimmt ist oder nicht, wie der Satz Die Beschreibung

des Mannes war ungenau

zeigt. Die Interpretation Die Beschreibung, war ungenau

die der Mann gegeben hat,

kann erst nach einer satzüberschreitenden Analyse des Kontextes ausgeschlossen werden. 3. Für die Gemeinschaftsfunktionen, in denen das Attributwort den Phraseninhalt bestimmt, seien nur zwei Fälle angeführt: der Genitiv

162

als Ortsangabe wie in den Phrasen die Araber Siziliens die Marktplätze Roms und der Genitiv als Zeitangabe wie in den Phrasen die Philosophen des 11. Jhs. die Bauten der Gründerzeit die Ereignisse des Jahres 1871. 4. Zu den Gemeinschaftsfunktionen, in denen beide, Bezugs- und Attributwort, gleichermaßen am Zustandekommen des Phraseninhaltes beteiligt sind, rechnen solche Phrasen wie das Haus des Nachbarn die Strafe der Exmatrikulation die Probleme der Philosophie. Eine Differenzierung oder Einteilung der Phraseninhalte fällt hier außerordentlich schwer und kann nicht nach rein theoretischen Gesichtspunkten vorgenommen werden. Bei der maschinellen Analyse wird die jeweilige praktische Zielsetzung ausschlaggebend sein. Für die maschinelle Sprachübersetzung etwa ergibt sich eine Einteilung nach zwei Gesichtspunkten: zum einen danach, welche Transformationen in äquivalente Ausdrucksformen die einzelnen Attributkonstruktionen zulassen, zum andern nach den unterschiedlichen Entsprechungen für die Attributkonstruktion in der Morphosphäre der Zielsprache.

Anmerkungen

1

W. Flämig: Die Wortarten, in: Die deutsche Sprache, Bd 2, Leipzig 1970, S. 8 8 1 .

2 3

H. Glinz: Die innere Form des Deutschen, Bern 1952, S. 2 34. G.O. Curme: A grammar of the German Language, N e w York 1964, S. 4 7 6 .

4

G. Heibig: Funktion und Inhalt in der Sprache am Beispiel der reinen Kasus des Substantivs in der deutschen Gegenwartssprache, Habilitationsschrift, Leipzig 1 9 6 7 .

163

5

K.E. Sommerfeldt: F o r m und Bedeutung der Attribute beim Substantiv in der deutschen Sprache der Gegenwart, in: ZPSK Nr. 6, Berlin 1970, S. 545 - 572.

6

Ebd., S. 561.

7

Ebd., S. 562.

8

Ebd., S. 561.

9

O. Behaghel: Deutsche Syntax, Bd 1, Heidelberg 1923, S. 4 8 4 f.

10

Zu den Termini Gemeinschaftsfunktion und Inhaltfunktion vgl. K.G. Schweisthal: Präpositionen in der maschinellen Sprachbearbeitung, Bonn 1971.

11

Ebd.

164

BJARNE ULVESTAD ZUM POSTPOSITIVEN ATTRIBUT IM DEUTSCHEN: Ein Becher aus Der Mann gestern

Gold

... ...

Wer sich mit grammatischer Beschreibung beschäftigt hat, weiß, wie schwer es ist, das richtige Verhältnis zwischen relativer Regelvalidität und sprachlicher "Wahrheit" zu finden. Dies ist nicht nur eine Frage des Ziels der jeweiligen Beschreibung, sondern auch ein sprachstatistisches Problem. Allenfalls bestimmt auch das Format der Grammatik zum Teil den Grad der deskriptiven Exhaustivität und Adäquatheit mit. Die meisten Linguisten, vor allem die Fremdsprachenlehrer, sind sich wohl darüber einig, daß eine Sprachregel als adäquat anzusehen ist, ohne hundertprozentige Geltung zu haben. Dieser Sachlage muß besonders auf dem Gebiet der pädagogischen (kontrastiven) Grammatik Rechnung getragen werden. Dabei ist aber zu bemerken, daß eine positiv ausgesagte Regel, deren Restriktionen nicht oder nur teilweise angeführt werden, sowohl logisch als auch psychologisch und praktisch einer Regel vorgezogen werden muß, welche die Unmöglichkeit gewisser syntaktischer Konstruktionen behauptet. Denn Ausnahmen von einer Vorkommen-Regel (V-Regel) sind normalerweise erwartet, während Ausnahmen von einer Unmöglichkeit-Regel (U-Regel) unerwartet sind. 1 Es ist dies eine Beobachtung, die wohl auf allen Gebieten regelbezogener Beschreibbarkeit gemacht werden kann. Eine verhältnismäßig leicht (ohne größeren Aufwand an Zeit und Arbeit) falsifizierbare U-Regel ist eigentlich als untragbar zu betrachten. Hinzu kommt, daß eine syntaktische V-Regel ohne Schwierigkeit anhand einwandfreier sprachlicher Daten validiert werden kann, während die Gültigkeit einer U-Regel häufig sehr schwer zu beweisen ist, und oft leicht zu negieren. Wenn z.B. O. Leirbukt in seiner Abhandlung "Synchronische Untersuchungen zur Verbindung von Verb und Akkusativgröße im heutigen Deutsch" 2 konkludiert, daß eine schriftsprachliche Sequenz wie [hat] Schluß damit/mit ihm gemacht unmöglich sei, dann genügt es zur Falsifizierung, den folgenden Satz aus einem Leserbrief in Quick (4.2.70) zu zitieren: "Deshalb habe ich Schluß mit ihm ge-

165

macht." 3 Allerdings darf nicht verschwiegen werden, daß es Linguisten gibt, die mit U-Regeln und Ausnahmen davon arbeiten 4 , aber hier will ich nur kurz auf diese ohne Zweifel noch existierende regellogische Problematik hinweisen. Im Folgenden werde ich zwei verschiedene Typen von m.E. unzulänglichen U-Regeln diskutieren. Den Ausgangspunkt für meine Erörterung der beiden Typen findet man S. 115 in W. Mötsch, Syntax des deutschen Adjektivs. 5 1. Attribut-Typ ein Becher aus Gold: Nach Mötsch ist diese Nominalphrase mit postsubstantivischem adverbialem Attribut eine Transform aus etwa ein Becher, der aus Gold ist (vgl. Regel Τ 16, S. 114). Aber nach dieser einleuchtenden Beschreibung kommt die Restriktionsregel (U-Regel), die hier diskutiert werden soll: "Steht die Präpositionalphrase [awsj + Nonr^] (zum Beispiel: aus Holz) als Prädikativ des Relativsatzes, so sind besondere Einschränkungen zu berücksichtigen. Ein postsubstantivisches Attribut kann sie [ = die Präpositionalphrase] n u r d a n n werden, wenn die Nominalphrase, an die sich der Relativsatz anschließt, den unbestimmten Artikel (D u ) gewählt hat. Es ist möglich: (113) Sie kaufte sich einen Ring aus purem Gold. (114) Häuser aus Lehmziegeln standen an der Straße, aber nicht: (115) *Die Häuser aus Holz wurden niedergebrannt. (116) *Die Figuren aus Porzellan waren verschwunden." 6 Aus dieser U-Regel muß man mindestens Folgendes schließen: ein Ring aus Gold ist eine mögliche, der Ring aus Gold eine unmögliche Nominalphrase. Andere, grundsätzlich ähnliche, Nominalphrasen mit Präpositionalattribut treten mit sowohl unbestimmtem als auch bestimmtem Artikel auf: der Baum vor meinem Haus, ein Baum vor meinem Haus. Ohne Zweifel bedeutet die U-Regel eine Regelkomplizierung, und da Mötsch meines Wissens der erste Grammatiker ist, der eine solche Restriktion behauptet, liegt es schon apriori nahe, die Validität der URegel in Frage zu stellen. Was die U-Regel behauptet, ist ganz einfach:

166

Der ideal speaker, die Kompetenz, kann die Konstruktion der Ring aus Gold nicht akzeptieren als eine grammatisch richtige deutsche Nominalphrase. Das heißt, daß eine englische Nominalphrase wie the pistons of aluminium nicht wortwörtlich ins Deutsche übersetzt werden darf: *die Kolben aus AluminiumJ Diese und andere Überlegungen, die ich hier nicht weiter ausführen kann, haben mich dazu veranlaßt, die Möglichkeit einer Falsifizierung der U-Regel zu untersuchen. Auch vom Gesichtspunkt der deskriptiven Ökonomie aus gesehen, ist ja eine nichtrestringierte Regel einer restringierten vorzuziehen. Hier erhebt sich eine wichtige Frage: Was für Daten dürfen zur Falsifizierung herangezogen werden? Diese Frage ist besonders ernst zu nehmen seitens eines Ausländers, der ja unter normalen Umständen nicht in der Lage ist, dem deutschen Sprachgefühl nachzuempfinden. Das einfachste, was man in solchen Situationen tun kann, ist bekanntlich, deutsche Gewährsleute zu befragen; nur darf man sich nicht allzusehr auf das Resultat verlassen. Daniele Clement findet z.B., daß "...certains informateurs acceptent des phrases comme die Krüge sind irden, que la plupart des grammaires traditionelles refusent enc o r e . " 8 Dazu k o m m t die Tatsache, daß man nie wissen kann, ob man die Informanten durch die Art der Befragung beeinflußt hat oder nicht.^ Die meisten meiner Gewährspersonen akzeptieren Nominalphrasen wie die Ringe aus Gold, das Kleid aus Papier, aber nicht alle, und man kann selbstverständlich nicht davon ausgehen, daß die Informanten ideal speakers sind. Aber an sich gibt es keinen ideal speaker; es gibt nur Linguisten, die zu wissen meinen, wie ein Idealsprecher reden und Sätze beurteilen würde. Diese Idealgestalt, diese Idealkompetenz, kann demnach nicht als Kriterium verwendet werden bei der Feststellung von sprachrichtigen Sätzen. Sowohl ideal Speaker als auch Kompetenz sind Undefinierte und letzten Endes wohl undefinierbare Begriffe von zweifelhaftem wissenschaftlichen Wert. Wir müssen uns auch hier an die Performanz wenden, um brauchbare Antworten auf unsere Frage zu erhalten. Es zeigt sich, daß die U-Regel kaum validierbar ist. Substantive in bestimmter Form und mit postpositiven Präpositionalattributen vom Typ aus Holz (oder [älter] von Holz) finden sich allzu häufig, um als unmöglich angesehen werden zu können. Einige Beispiele: "... leg ihm den schlechteren Sattel von Holz und Leder auf und ja nicht den goldenen . . . " 1 0 , "... den Leuchter aus feinem Gold mit den Lampen zum Aufsetzen ..." "Dieses ... Gebilde aus Glas und

167

Draht umschließt der maschinell geblasene Glaskolben . . . " 1 2 , "Die Kolben aus Leichtmetall mit Stahleinlage sind ,.." 1 3 . Man braucht kaum weitere Belege anzuführen, um konkludieren zu dürfen, daß die U-Regel ungültig ist 1 4 , d.h. unbrauchbar als eine für die normale deutsche Hochsprache verbindliche Regel. Nach den Aussagen mehrerer Gewährspersonen ist-diese U-Regel auch für eine Reihe regionaler Umgangssprachen falsch. Eine U-Regel ist qua Regel sehr gefährdet. Da die sogenannte Sprachkompetenz, was auch darunter zu verstehen sei, nicht als Kriterium benutzt werden kann, um zu bestimmen, was möglich ist oder nicht, bleibt dem Grammatiker nur die Beschreibung der attestierten Performanz, oder des Sprachgebrauchs, wie man früher zu sagen pflegte. Eine befriedigende Regel-Kollektion ist also eine, die beschreibt, wie eine bestimmte Sprachgemeinschaft spricht und schreibt, nicht, wie sie nach der Intuition des Beschreibers sprechen und schreiben sollte. Das Primat der Sprache als kollektiven Kommunikationssystems über die individuelle Intuition des Grammatikers müßten auch heute unsere Linguisten anerkennen. Zumindest in diesem Sinne hat die sogenannte traditionelle Sprachwissenschaft noch ihre Mission. Der Begriffsgegensatz Kompetenz:Performanz gehört in die preskriptive, nicht in die deskriptive Sprachwissenschaft. 2. Attribut-Typ der Mann gestern: Nominalphrasen mit postpositivem temporaladverbialem Attribut findet man in vielen europäischen Sprachen, z.B. englisch: that old fellow yesterday, norw.: den gamlingen igar, russisch: tot starik vcera, deutsch: der alte Mann gestern. Nach Mötsch, S. 115, ist die deutsche Nominalphrase dieser Art eine Transform. Das Adverbialattribut wird aus einem zugrunde liegenden Relativsatz erzeugt: "Die ... Reduktion [Relativsatz ->• Attribut] ist auch möglich, wenn die Kopula durch Verben wie stehen, sitzen, kommen, gehen, liegen, stattfinden ... ersetzt wird. Vergleiche dazu die folgenden Satzpaare: ... (118) Das Buch, das auf dem Tisch liegt, ... Das Buch auf dem Tisch ... (120) Der Mann, der gestern kam, ... Der Mann gestern...." 1 5

168

Es sind die Nominalphrasen vom Typ (120), die uns hier interessieren. Die Reduktion der gestern kam gestern scheint auf den ersten Blick einwandfrei. Statt der alte Mann, der gestern zu uns in die Scheune kam, war schwerkrank kann man tatsächlich sagen: der alte Mann gestern war schwerkrank. Aber hier erhebt sich für die generative Transformationsgrammatik ein schwieriges Problem, das mit der folgenden Beobachtung in Zusammenhang steht: Das Nominalphrase-Attribut kann aus ganz verschiedenen Relativsätzen reduziert worden sein, wie z.B. aus der alte Mann, den wir gestern im Wald trafen, oder der alte Mann, der dir gestern zwei Mark gab, Renate Steinitz schreibt hierzu: "Eine Reduktion des Relativsatzes von (218) Der Mann, der gestern kam zu (219) * Der Mann gestern wie sie Mötsch ... erlaubt, ergibt eine grammatisch abweichende Konstruktion, wenn sie auch umgangssprachlich üblich ist. Die Inkorrektheit ist noch deutlicher in: (220) *Der Mann wegen des Staubsaugers." 1 6 Der Grund für das Sternchen vor diesen Sätzen sei: "... beliebig viele Möglichkeiten der Rekonstruktion des eliminierten Teilsatzes [Relativsatzes]" seien denkbar, denn Adverbialewie gesienz und wegen des Staubsaugers könnten "... im Prinzip j e d e m Verb f a k u l t a t i v beigefügt werden" (ibid.). Wir notieren, daß Nominalphrase (220) nach Steinitz noch inkorrekter sei als (219). Das dürfte wohl besagen, daß Parallelen zu (220) kaum in der Normalprosa zu finden wären. Persönlich habe ich bisher sieben solche Parallelen in deutscher Prosa gefunden, z.B. die folgende: [Der Concierge verbeugt sich und sagt zum Grafen:] "Die Herrschaften wegen der Yacht lassen sagen, sie erwarten die Herrschaften nebenan in der Bar." 1 7 Erst einige Seiten später erfährt der Leser, worum es geht, nämlich "... um den Vertrag, den der Graf unterzeichnen soll, damit die Yacht fortan sein Eigentum wird...." 1 8 Nominalphrase (220) ist also kaum als ungrammatisch anzusehen, und Phrase (219) also noch weniger. Und selbstredend löst man das Beschreibungsproblem nicht dadurch, daß man die Konstruktion der Mann gestern aus der Hochsprache verweist. Die Umgangssprache ist ja nicht

169

einfach eine ungrammatische, inkorrekte Hochsprache. Der Grund, weswegen (219) und (220) mit einem ausschließenden Sternchen versehen werden, liegt auf einem wissenschaftlich tieferen Plan, in der generativ-transformationalen Beschreibungstheorie, die die Verfasserin adaptiert hat. Nach dieser Theorie, deren in diesem Zusammenhang wichtigste Begriffe "Tiefenstruktur" und "Oberflächenstruktur" sind, muß ja die Vielfalt der Bedeutungsmöglichkeiten einer Phrase wie (219) in einer entsprechenden Vielfalt von formalisierten Tiefenstrukturen expliziert sein. 1 9 Die Exklusion der Phrase der Mann gestern repräsentiert mit anderen Worten ein unlösbares theoriebezogenes Dilemma. Daniele Clements Dissertation (Sorbonne) erwähnt den Typ der Mann gestern nicht, obwohl das Ziel der Abhandlung "... est de decrire les differentes structures syntaxiques qui peuvent 3tre complements du substantif d'un G[roupe]N[ominal], et leur comportement a l'interieur du G N . " 2 0 Aber für eine Ausländerin besteht wohl dazu kein Anlaß, da ihre Vorläuferin den Typ ja als eine grammatisch abweichende Konstruktion bezeichnet hat. Dagegen fin\ * det man in Daniele Clements Abhandlung Nominalphrasen vom Typ Der Schah-Besuch im Juni letzten Jährest Es ist dies ein wenig problematischer Typ, wie wir unten sehen werden, und er kann ohne Schwierigkeit dem heutigen generativ-transformationalen System zugeordnet werden. Die drei genannten Forscher verwenden ein Transformationssystem, in dem die Verbselektion eine fundamentale Rolle spielt. Die relevante Verbliste, die Mötsch anführt, besteht aus Verben, die "... eine wenig spezifizierte Eigenbedeutung h a b e n . " 2 2 Eine Nominalphrase wie der Hund vor meiner Tür kann also erzeugt sein aus dem Subjekt + Relativsatz mit Verb von wenig spezifizierter Bedeutung: der Hund, der vor meiner Tür sitzt/liegt/steht. Dies leuchtet ein. Aber solche Verben oder Verbklassen sind nicht geeignet, um Phrasen vom Typ der Mann gestern (Temporalattribut) zu generieren. Das ist die Crux der Beschreibung: Die Verben der Relativsätze können überhaupt nicht mit bezug auf klassifizierbare semantische Merkmale prädiziert werden. Grundsätzlich kann jedes Verb im Relativsatz auftreten. Es gibt noch weitere Schwierigkeiten, die einer transformationalen Erzeugung, im herkömmlichen Sinne des Begriffs, im Wege stehen. Darauf wird unten eingegangen. Aber vorerst werde ich den grammatischen Status solcher

170

Phrasen untersuchen. Bekanntlich spielt der Begriff "sprachliche Ambiguität" eine große Rolle in der Entwicklung der generativen Transformationsgrammatik. In diesem Punkt überschneidet sich die jüngste Theorie mit der sogenannten traditionellen Auffassung von Sprachrichtigkeit. Was in der alten Schule nicht möglichst eindeutig war, galt als unlogisch und falsch. Es ist also begreiflich, daß auch die Vorläufer des Strukturalismus semantisch vieldeutige Phrasen wie der Mann gestern zum Teil beanstandet haben. Um die Jahrhundertwende wurde z.B. der in "einer naturwissenschaftlichen Schrift" gefundene Satz "Erst wir beute fangen an, die deutsche Landschaft durch und durch zu sehen" von hervorragenden Germanisten wie O. Behaghel, F. Kluge, Th. Matthias, W. Wilmanns et al. als unrichtig empfunden und verbessert zu: "erst heute fangen wir an oder: erst wir heutigen Menschen ,..." 2 3 Vergleiche hierzu die folgende typische Aussage: "Der attributive Gebrauch des Adverbs bei einem eigentlichen Subst. [z.B. Mann] ist von manchen Grammatikern beanstandet worden. Indessen läßt sich gegen eine derartige Verwendung eines ö r t l i c h e n Adverbs, die althergebracht ist, nichts Erhebliches einwenden. Andere erklären sich nur gegen den attributiven Gebrauch der Z e i t a d v e r b i e n (...wie Andresen...)." 2 4 Nach den Beispielen, die der Verfasser anführt, scheint es klar, daß er unter "Adverbien" auch Präpositionalphrasen versteht. 2 5 J. C. A. Heyses Regelformulierung stimmt in der Hauptsache überein mit denen von Blatz und den oben angeführten heutigen Linguisten: "Zeitverhältnisse können nur bei V e r b a l s u b s t a n t i v e n oder Z e i t b e n e n n u n g e n (wie Jahr, Tag, Stunde etc.) durch unmittelbare präpositionale Zusätze ausgedrückt werden, da nur verbale Vorgänge oder Zeitmomente unmittelbare Beziehung auf die Zeit haben..." 2 6 , obwohl in dieser Aussage reine Zeitadverbia nicht explicite erwähnt werden. Den heutigen Status solcher Nominalphrasen gibt u.a. die Duden-Grammatik an: "Ein Adverb kann in gleicher Weise wie ein attributives Präpositionalgefüge ... ein Substantiv näher bestimmen. Meist sind es Orts- und Zeitadverbien: ... Die Sitzung gestern war sehr aufregend. "27 Es ist also heute nicht mehr angängig, die Grammatikalität von Nominalphrasen mit temporalem Attribut, sei es Adverb oder Präpositionalphrase, zu verneinen. Sie kommen allerdings nicht sehr häufig vor, was die Schwierigkeit ihrer Beschreibung auf individualintuitiver Basis er-

171

klären mag, aber man darf ihre hochsprachliche Existenzberechtigung kaum in Frage stellen. Im Folgenden werde ich eine vorläufige Diskussion einiger einschlägiger deskriptiver Probleme erörtern, denn eine vollständige Beschreibung solcher im Grunde heterogenen syntaktischen Gebilde ist im Rahmen der vorliegenden Abhandlung nicht möglich. Eine tiefergehende Diskussion bleibt einer späteren Arbeit vorbehalten. 2 8 Um die Beschreibung unten zu erleichtern, führe ich eine numerierte Liste von 20 ausgewählten, vorwiegend in moderner deutscher Prosa gefundenen Belegen an. Die Belege sind nicht als eine im statistischen Sinne repräsentative Zufallsgruppe anzusehen. Die statistische Seite der Problematik wird in dieser Abhandlung wenig berücksichtigt, wenn sie auch letzten Endes von ausschlaggebender Bedeutung sein dürfte. Ausgewähltes Belegmaterial 29 : ( 1) ...noch keines der Tiere war schwer verletzt. 3 0 ( 2) Die Sache gestern abend, auf dem Sunrise Highway. 3 1 ( 3) Im Taxi eben habe ich dieses Käseblatt gelesen ,... 3 2 ( 4) ... und vorhin die Pyramide des Turnvereins war wunderschön. 3 3 (5)

Und immer die Alten sind so. 3 4

( 6) ... und ihr Brief neulich war so dick, weil ,... 3 5 (7)

... nur immer das fremde Hundchen

bellte .... 3 6 ,...37

( 8) Es war jetzt ein ganz andrer Blick als der Blick kürzlich ( 9) Bloß das heute hatte ja mit dem Bau nichts zu tun ,... 3 8 (10) Neulich das Attentat

auf Hitlers Botschaft

in Ankara

...39

(11) Die Studenten kürzlich, die von der Münchner Universität: sie haben nicht e i n e n Nazi e r m o r d e t . 4 0 (12) Trotzdem hatte Jan ... ein böses Gewissen wegen der sonderbaren Seesäcke gestern.41 (13) Jetzt dieser Blick war ganz der des Vaters (Braun). 4 2 (14) Aber das Antlitz gessen. 4 3

172

des Menschen damals, wer dürfte es je ver-

(15) Sie, sagen Sie mal, der Dicke gerade, war das der Brandt? 4 4 (16) Sein Opfer damals stehe nicht so hoch, daß .... 4 5 (17) Die Nacht dann hat ihn weggewischt. 4 6 (18) Mit euren Gläsern abends könnt ihr mich sehen ,... 4 7 (19) Das mit Lennart gestern war ja scheußlich ..., 4 8 (20) Und wie Fanny gestern ... meinst du, ich habe nicht gesehen, wie du Fanny deine Glupschaugen gemacht h a s t . . . du bist ein alter Bock! 4 ^ Das Material dürfte ein zuverlässiges Bild geben von der grundsätzlichen strukturellen Uneinheitlichkeit der deutschen Nominalphrasen vom generellen Typ der Mann gestern. Es ist nicht schwer zu verstehen, daß die jungen Generativisten geneigt sind, solche Phrasen als ungrammatisch zu bezeichnen, daß sie es unmöglich finden, angemessene formalisierbare Tiefenstrukturen zu postulieren, und nicht nur wegen der problematischen Verbselektion. Daß es hier um noch andere Probleme geht, wird meine Diskussion der semantischen Grundlagen darlegen, aber vorerst einige Worte zur Struktur, besonders zur Position des Attributs. Nach Daniele Clement sind die Adverbialattribute "... obligatoirement places ä droite du noyau substantival" 5 0 . Nur Lide-Magnussons Grammatik, wo ich Beleg (13) gefunden habe, gibt explizit die Möglichkeit einer Position auch vor dem Nukleus an, mit der folgenden erklärenden Aussage: "In der Schriftsprache werden mitunter Adverbialattribute und nicht allzu lange Präpositionalattribute vor das Hauptwort placiert. Dies ist anscheinend eine rein literarische Konstruktion, die in der gesprochenen Sprache nicht verwendet wird." 5 1 Natürlich ist dies keine eigentliche Regel, eher ein Hinweis auf sehr selten auftretende Nominalphrasen, auf die die Deutschstudierenden stoßen könnten, und die Annahme, daß Konstruktionen dieser Form nur in der Schriftsprache heimisch seien, ist kaum haltbar. Die meisten der obigen Belege finden sich nach meinem Gesamtmaterial in der direkten (zitierten) Rede (vgl. in der Belegliste (2), (3), (4), (10), (15) u.a.). M.E. trifft Maurer das Richtige, wenn er schreibt: "In volkstümlich beeinflußten Texten kommt es vor, daß eine adverbiale Bestimmung [vor das Subjekt] tritt, die aber nur die Bedeutung eines Attributs hat und daher mit dem Subjekt zusammen als ein Satzglied zu fassen ist, so daß dem Verbum die regelmäßige Zweitstellung verbleibt." 5 ^ In der Belegliste oben gibt es anscheinend folgende

173

Konstruktionen mit präpositivem Adverbialattribut: (1), (4), (5), (7), (10), (13). Als Nichtdeutscher finde ich es aber schwer, hier ganz sicher zu sein. Fontanes Satz: (5) "Und immer die Alten sind so", könnte unter Umständen anders zu deuten sein 5 3 , und vielleicht auch (1). Möglicherweise habe ich mich von meinem norwegischen Sprachgefühl beeinflussen lassen. Auf Norwegisch kann man nämlich sagen: enda noen kommer, wie auf Deutsch: noch einige kommen. Aber die wortwörtliche Entsprechung von noch keine sind da gibt es in meiner Muttersprache nicht. Solche Probleme sind wohl von einem ausländischen Germanisten nicht zu bewältigen. Auch (17) "Die Nacht dann ..." ist schwer zu beurteilen in diesem Kontext, aber der Typ kommt in meiner Materialsammlung öfters vor. Hinsichtlich der nuklearen Wortart bemerkt man, daß nicht nur Substantive vorkommen, sondern auch (Demonstrativ-) Pronomina ( (9) "... das heute ...", (19) "Das mit Lennart gestern ..."). Von persönlichen Pronomina als Nuklei gibt es übrigens nur einen Fall in meinem gesamten Material: wir heute, und vielleicht ist das Pronomen wir in diesem Falle als ein funktionales Demonstrativum anzusehen. In den meisten Fällen mindestens scheint es, als ob das präpositive Attribut, ohne daß sich die Nominalphrase-Bedeutung ändert, hinter den Nukleus gestellt werden kann, z.B. (10) könnte wohl auch in dieser Form auftreten: Das Attentat auf Hitlers Botschaft in Ankara neulich, vgl. (4) die Pyramide des Turnvereins vorhin. Die umgekehrte Attributpermutierung aber, von hinten nach vorne, scheint normalerweise nicht möglich. So kann (12) kaum verändert werden in: ... wegen gestern der sonderbaren Seesäcke. M.E. sind die Nominalphrasen mit präpositivem Temporalattribut noch nicht hinreichend grammatikalisiert, um die Aufstellung adäquater Regeln zu ermöglichen. In diesem Sinne dürfte es erlaubt sein, von grammatisch abweichenden Konstruktionen zu sprechen. Weitere Mutmaßungen im Hinblick auf positionale Möglichkeiten und Unmöglichkeiten wage ich nicht meinen Lesern zu unterbreiten. Nur der native speaker darf diese Diskussion weiterführen. Mir muß es genügen, die Problematik in dieser skizzenhaften Weise anzuschneiden. Hinsichtlich der semasiologischen Fragen, die Phrasen wie der Mann gestern aufwerfen, scheinen die oben angeführten Belege folgende Stellungnahme zu ermöglichen. Renate Steinitz hat natürlich recht, wenn sie gegen Mötsch' Erzeugungsformel konkludiert, daß der Mann gestern

174

nicht nur aus der Mann, der gestern kam deriviert werden könne, aber wenn sie ihre Begründung vor allem mit Hinweis auf die Tatsache gibt, daß die Adverbiale (gestern, heute, morgen usw.) j e d e m Verb f a k u l t a t i v beigefügt werden können, daß also jedes Verb im Relativsatz vorkommen kann, geht sie nicht weit genug. Denn die Nominalphrase kann sich normalerweise überhaupt nicht auf spezifizierte (linguistische) Tiefenstrukturen beziehen, sondern auf weitgehend unspezifizierten situationalen Kontext. Nehmen wir das Beispiel der alte Mann gestern. In der normalen Sprechsituation genügt die vom Sprecher geäußerte Nominalphrase, um das Thema der Kommunikation anzuschlagen. Der Sprecher muß voraussetzen, daß der alte Mann dem Hörer irgendwie "bekannt" ist. Und dabei brauchen Sprecher und Hörer nicht an die gleichen "Erfahrungen" mit dem alten Mann zu denken. Das gestern hat situationsdeiktische Funktion. Es gibt also keine Relativsätze oder andere linguistische Sequenzen, die zu rekonstruieren sind. Es gibt mit anderen Worten keine Tiefenstruktur, aus der die Nominalphrase erzeugt werden kann. Renate Steinitz schreibt über die Phrase der Mann gestern: "... zwar können nur Verben mit menschlichem Subjekt gewählt werden, es gibt aber keine zusätzliche Selektion durch das Adverbial, gestern zur fakultativen Kategorie Advb gehört, die fast allen Verben hinzugefügt werden kann. Daraus ergibt sich, daß die Forderung der Rekonstruierbarkeit des Verbs hier nicht sinnvoll aufrecht erhalten werden kann .... Aus der augenscheinlichen Vielfalt möglicher Verbeinsetzungen wird durch den Kontext (bzw. durch die Sprechsituation) auch hier eine Auswahl getroffen. Voraussetzung dafür scheint aber erstens Vorerwähntheit des Nomens [hier: der Mann] und zweitens Wahl eines bestimmten Typs von Advb zu sein." 5 4 Zu dieser in vieler Hinsicht weiterführenden Diskussion möchte ich ein paar Bemerkungen machen. Es scheint, als ob die Verfasserin, wie übrigens auch ihre Vorläufer, sich von einer deskriptiven "Subjektbezogenheit" irreleiten läßt. Bemerkenswert ist auch, daß das Verb nicht das semantische Merkmal (+menschlich) zu haben braucht. Der Nukleus braucht nicht Subjekt zu sein, und das darauf folgende Relativum natürlich auch nicht. Man kann zum Beispiel sagen·, mit dem alten Mann gestern habe ich mich schön unterhalten und, um eine Relativsatzentsprechung zum gestern mit "nichtmenschlichem" Verb zu wählen: der alte Mann, den gestern mein Karo angebellt hat, hat sich sehr aufgeregt der alte Mann

175

gestern hat sich sehr aufgeregt. Weiter scheint es nicht notwendig, mit einer "Vorerwähntheit des Nomens" als Voraussetzung für diese Nominalphrase zu rechnen. Man kann hier auf eine gut denkbare Situation hinweisen, wo Sprecher und Hörer den alten Mann getroffen und sich gemeinsam mit ihm unterhalten haben. Am nächsten Tag kann der Sprecher dann sagen: der alte Mann gestern war sehr liebenswürdig, nicht? Es genügt also mit der Kommunikationsvoraussetzung Vorbekanntheit, direkt oder indirekt zustandegebracht. Eine Nominalphrase dieser Art weist für den Sprecher/Hörer/Leser oft auf eine lange "Geschichte" hin, auf ein komplexes, dem Sprecher und dem Hörer gemeinsames oder letzterem nur berichtetes Ereignis, eigentlich auf die Gesamterinnerung an das Thema der Kommunikation. Aber auch frühere Erfahrung und Erinnerung sind nicht notwendige Voraussetzung für den Gebrauch der Konstruktion, vgl.: der alte Mann morgen, soll er bei dir übernachten? Es ist in der zugrunde liegenden Situation dem Sprecher (und dem Hörer) bekannt (und der Sprecher weiß oder geht davon aus, daß es dem Hörer bekannt ist), daß morgen ein alter Mann zu Besuch kommen soll. Die fundamentale Voraussetzung kann folglich in einem Wort ausgedrückt werden: Vorbekanntheit (im weitesten Sinne). Ob diese Vorbekanntheit durch Hören, Sehen, Fühlen, Schmecken usw. zustandekommt, spielt anscheinend keine Rolle. Fast alle meine Belege sind brauchbare Illustrationen zu meinen Erklärungsversuchen, was jedem Leser, der sie im weiteren Kontext liest, klar sein wird. Eine eingehende Erörterung der 20 Belege würde viele Seiten in Anspruch nehmen, und ich muß aus Raummangel darauf verzichten. 5 5 Wenn meine Auseinandersetzung mit früheren und heutigen Sprachforschern das Interesse einiger native speakers für diesen faszinierenden Problemkomplex erwecken kann, habe ich ein wesentliches Ziel erreicht. Ich hoffe auch, überzeugend demonstriert zu haben, daß die deutsche Sprache zu weit und zu tief ist, als daß sie durch die Intuition und Introspektion einiger weniger Linguisten dazu gebracht werden kann, ihre grammatikalischen Geheimnisse auszuliefern. Endlich m e i n j ich dargelegt zu haben, daß die Oberflächenstruktur einer syntaktischen Konstruktion in vielen Fällen nicht semantisch differenziert oder expliziert werden kann als transformationales Erzeugnis einer spezifizierten Menge von Tiefenstrukturen. Nicht nur ist es, der Meinung der Transforma-

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tionalisten nach, möglich, eine unendliche Anzahl Sequenzen aus ein und derselben Tiefenstruktur zu generieren. Ein und dieselbe Oberflächenstruktur kann auch das Erzeugnis einer unendlichen Anzahl von Tiefenstrukturen sein. Meines Erachtens müßten aus diesem Sachverhalt gewisse theoretische Konklusionen gezogen werden. Man müßte sich ernstlich fragen, ob die semantische Beschreibung nur auf der Grundlage tiefenstrukturaler Formeln rationell möglich ist. Braucht man wirklich einen Hinweis auf Tiefenstruktur, um z.B. die zweifache Bedeutung von einer Konstruktion wie dem genitivus subjectivus/objectivus zu erklären? Daß ein Wort mehr als eine Bedeutung, d.h. mehr als eine syntaktische Verwendung, haben kann, gilt seit jeher als eine Binsenwahrheit. Man muß sich fragen, ob es einen reellen Grund gibt, die Ambiguität der Tagmeme, Sätze oder anderer höherer Einheiten grundsätzlich anders zu beschreiben als die Ambiguität der kleinsten Satzeinheiten, der Worte.

Anmerkungen 1

Man bemerke, daß auch eine Regel, die restringierende Wörter wie nur enthält, eine U-Regel ist. Regeln wie nur X kommt vor und Y kommt nicht vor sind also als synonym anzusehen.

2

Oslo 1968 (Masch.schr.).

3

B. Ulvestad, Innstilling for professorat i Trondheim, Bergen 1970 (Masch, sehr.), S. 13.

4

L. Saltveit ist der Ansicht, daß z.B. der Satz aus Quick als "unntaksbelegg" (Ausnahmebeleg) anzusehen sei (Brief an Verf. vom 15.1.1971), indem er auf meine in Innstilling angeführte "Sammlung von Ausnahmebelegen" hinweist. Meine Ausnahmebelege sind alle Sätze, die Leirbukts U-Regeln falsifizieren, oder die zumindest die Gültigkeit der behaupteten U-Regeln stark einschränken.

5

Studia grammatica III, 5. Aufl., Berlin 1968.

6

W. Mötsch, Syntax, S. 115, meine Hervorhebung. Vgl. S. 114: "D = D u wenn ausj + N o n ^ " (Norr^ sind Stoff- oder Materialnamen wie Höh, Gold, Schnee u. dgl.).

7

Ich wage hier und im Folgenden davon auszugehen, daß ich die U-Regel richtig verstanden habe; sicher darf man nie sein.

177

8

La structure des groupes nominaux complexes en allemend [ sic] moderne, Universität Stuttgart, Lehrstuhl für Linguistik, Papier N r . 10, 1969, S. 40. Man bemerke, daß solche prädikative Stoffadjektive noch in der modernen deutschen Luther-Bibel zu finden sind, z.B. in der Ausgabe von 1967, Stuttgart: " . . . sie seien wollen oder leinen ..." (3. Mose 13.59), "... und die Scheren waren golden . . . " (2. Chronik 4.21).

9

Vgl. B. Ulvestad, Die Fügung werden + Part.Präs. im Bairischen, Z M F 34, 1967, S. 269, und ders., Vorschlag zur strukturellen Beschreibung der deutschen Wortstellung, in: Vorschläge für eine strukturale Grammatik des Deutschen, hrsg. von H. Steger, Darmstadt 1970, S. 180.

10

J. Grimm und W. Grimm, Kinder- und Hausmärchen I, 6. A u f l . , Marburg 1941, S. 324.

11

2. Mose 39.37 [ A n m . 8 ] .

12

H. Rabsilber, Kleine Technik fürs Haus, Berlin und München o.J., S. 54.

13

D. Korp, Jetzt helfe ich mir selbst, 8. A u f l . , München 1966, S. 185.

14

Dutzende von Kontrabelegen aus der erzählenden Prosa könnten auch angeführt werden, aber der Leser wird ohne Zweifel solche Belege in seiner täglichen Lektüre finden. Zum Beispiel im letzten von mir gelesenen Roman, J. M. Simmel, Liebe ist nur ein Wort, München/Zürich 1971, finden sich u.a. die Belege: " I c h höre, wie die T r o p f e n auf das Dach aus Wellblech fallen" (S. 312), "Durch die Seitenwände aus Glas sieht man ..." (S. 465), "... er schläft... in dem Pinienhain hinter dem Haus aus Glas" (S. 477).

15

Mötsch, Syntax, S. 115. Nur zwei der dort angeführten Satzpaare werden hier zitiert.

16

Renate Steinitz, Adverbial-Syntax = Studia grammatica X , Berlin 1969, S. 116.

17

M. Frisch, Tagebuch, Frankfurt/M. 1950, S. 106. S. 109 sagt der Graf: "Überlegen Sie es sich bis morgen, das wegen der Y a c h t . "

18

Frisch, Tagebuch, S. 110.

19

Vgl. H. Whitakers Kritik an J. Deese, der in einer Abhandlung "... fails to point out clearly that an ambiguous sentence must be represented by as many different deep structures as there are different meanings" (Language 46 (1970), S. 993).

20

La structure [ A n m . 8], S. 26.

21

La structure, S. 31.

171

22

Renate Steinitz, Adverbial-Syntax, S. 27. Die Liste inkludiert solche Verben wie entstehen, geschehen, eintreten, sich ereignen, sich zutragen. Vgl. Daniele Clement, La structure, S. 144: "... ces verbes sont d'un contenu semantique tres faible...."

23

H. Dunger, Zur Schärfung des Sprachgefühls, Berlin 1906, S. 62. Die Liste der befragten Germanisten findet man S. ν und vi.

24

F. Blatz, Neuhochdeutsche Grammatik, 2, dritte völlig neubearb. Aufl., Karlsruhe 1896, S. 634.

25

Z.B. den Herbst darauf, meiner guten Unterrichtsmethode op. c i t , S. 632.

26

Ausführliches Lehrbuch der deutschen Sprache, 2, neu bearb. von K.W.L. Heyse, Hannover 1849, S. 370.

27

Grammatik der deutschen Gegenwartssprache, bearb. von P. Grebe et al., 2. verm. und verb. Aufl., Mannheim 1966, S. 518. Die Beschränkung auf Phrasen mit Subst. als Kern findet man m.W. bei den meisten Grammatikern, aber es gibt in deutscher Prosa auch Phrasen wie das heute, wir heute. Statistisch gesehen ist diese Regel-Beschränkung aber ohne weiteres vertretbar.

28

In vorliegender Abhandlung werden nur Phrasen mit reinem attributivem Adverb exemplifiziert, also nicht Belege mit Präpositionalattribut, wie der Mann von gestern, die Frau vom Abend vorher etc. In meiner Materialsammlung gibt es auch viele Belege dieser Art. Ihre Behandlung würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen.

29

Hervorhebungen durch Kursivdruck von mir.

30

Vicki Baum, Liebe und Tod auf Bali, Frankfurt/M. und Berlin 1970, S. 222.

31

J. Cotton (Pseudonym), Wir jagten das Menschengesicht, Bergisch-Gladbach 1970, S. 41.

32

Cotton, op. cit., S. 57.

33

F. Dürrenmatt, Der Besuch der alten Dame, Zürich 1956, S. 28.

34

Th. Fontane, Irrungen Wirrungen, Frankfurt/M. — Berlin — Wien 1970, S. 7.

35

M. Frisch, Stiller, Frankfurt/M. und Hamburg 1970, S. 140.

36

Frisch, op. cit., S. 282.

37

G. Gaiser, Schlußball, Frankfurt/M. und Hamburg 1971, S. 124.

38

H. Härtung, Timpe gegen alle, Frankfurt/M. und Berlin 1969, S. 77.

im Anfange,

179

39

R. Hochhuth, Soldaten, Reinbek bei Hamburg 1967, S. 156.

40

Hochhuth, op. cit., S. 159.

41

H. Leip, Jan Himp und die kleine Brise, Hamburg 1949, S. 73.

42

Beleg zitiert in S. Lide und R. Magnusson, Tysk grammatik, Stockholm 1970, S. 341.

43

Η. E. Nossack, Dorothea, Hamburg 1948, S. 226.

44

H. W. Richter, Die Mauer oder Der 13. August, Reinbek bei Hamburg 1961, S. 49.

45

E. Schaper, Der Gouverneur, Frankfurt/M. und Hamburg 1957, S. 117.

46

E. Schnabel, Der sechste Gesang, Frankfurt/M. und Hamburg 1961, S. 57.

47

W. E. Schäfer, Die Himmelfahrt des Physikers Μ. N., in: Sechzehn Deutsche Hörspiele, hrsg. von H. Schmitthenner, München 1962, S. 454.

48

Maj Sjöwall und P. Wahlöö, Der Mann auf dem Balkon, übertr. v. DagmarRenate Jehnich, Reinbek bei Hamburg 1970, S. 111.

49

K. Tucholsky, Und überhaupt..., Auswahl von W. Mehring, Hamburg 1955, S. 342.

50

La structure, S. 29; vgl. z.B. U. Engel, Regeln zur Wortstellung, in: Forschungsberichte des Instituts für deutsche Sprache, 5, Mannheim 1970, S. 113: "Das Adverbiale, das jedem substantivischen Nukleus zugeordnet werden kann, steht immer hinter diesem Nukleus: Der Lärm dort, Diese Aufregung gestern."

51

Tysk grammatik, S. 342; meine Übersetzung.

52

F. Maurer, Untersuchungen über die deutsche Verbstellung in ihrer geschichtlichen Entwicklung, Heidelberg 1926, S. 197.

53

Das Wort immer hat ja viele unterschiedliche Bedeutungen, wie 'immerhin' und wohl auch 'jeweils', wie vielleicht im folgenden Satz: "Immer 15 bis 20 Frauen zogen einen großen Wagen, den ...." (in: Dokumentation der Vertreibung der Deutschen aus Ost-Mitteleuropa, bearb. von Th. Schieder, o.O., o.J., S. 416).

54

Adverbial-Syntax, S. 197.

55

Verzichten muß ich hier auch darauf, interessante syntaktische Relationen zwischen Nominalphrase und Verbphrase zu beschreiben; z.B. kann man sagen: der alte Mann gestern war sehr unglücklich, aber wohl nicht: *der alte Mann gestern ist noch unglücklich/kommt morgen zu mir/steht draußen im Garten. Besonders die Tempusrelationen sind durch anscheinend klar beschreibbare Restriktionen begrenzt und reguliert. Man steht einer Art consecutio temporum gegenüber; nur gibt es eine Reihe subtiler Nuancen, die auf den ersten Blick etwas verwirrend wirken.

18(

HORST SITTA SEMANTISCHE PROBLEME BEIM DEUTSCHEN POSSESSIVPRONOMEN

"Sprechende" Termini haben bekanntlich den großen Nachteil, daß sie allzu leicht als Definitionen mißverstanden werden. Das gilt in gleicher Weise für Fälle, wo sie von denen, die sie eingeführt haben, erklärtermaßen als bloße Kennmarken ohne definitorische Funktion eingeführt worden sind, wie für die Fälle, wo der Anspruch besteht, mit der Nomenklatur einen wesentlichen Aspekt des Phänomens zu beleuchten. Ein sehr altes Beispiel dafür ist die Bezeichnung "Possessivpronomen" oder "besitzanzeigendes Fürwort", und ein Beleg für die Deutung des kategorialen Werts aus dem Namen ist etwa die Formulierung der Dudengrammatik, die über das Possessivpronomen vermerkt 1 : Das Possessivpronomen ist die attributive Form zum substantivischen Personalpronomen und zeigt den Besitz, die Zugehörigkeit des Wesens oder Dinges, bei dem es steht, jeweils für die sprechende, angesprochene oder besprochene Person an. Es vertritt den Namen des Besitzers. Es liegt auf der Hand, daß eine derartige Bestimmung unangemessen eng ist. Formulierungen wie Ich habe heute meine erste Prüfung, Heute schmeckt mir aber dein Essen gar nicht oder Anredewendungen wie Meine Damen und Herren wären auf diese Weise gar nicht erklärbar, und die Dudengrammatik setzt denn auch konsequenterweise im weiteren Verlauf ihrer Darstellung 2 zu einer Differenzierung an, die freilich sehr allgemein bleibt und überdies durch die Überschrift "Zum Gebrauch des Possessivpronomens"die Vorstellung suggeriert, als sei neben dem zunächst definierten W e r t d e s P r o n o m e n s a n s i c h eine Differenzierung im G e b r a u c h zu unterscheiden. Ansätze zu weiterer Differenzierung in verschiedene Richtungen finden sich hier und da verstreut in den Grammatiken, detailliertergeht A. Schweckendiek 3 in einer Darstellung in "Muttersprache" 77 (1967) — gegen die freilich einige methodische Einwände möglich sind — auf den Komplex ein, aber insgesamt läßt sich sagen, daß das Bewußtsein für die Notwendigkeit einer Unterscheidung verschiedener Werte nicht annähernd so deutlich

181

ausgeprägt ist wie etwa bei der in manchem vergleichbaren Struktur "Nomen + angefügter Genitiv", wo mit der Differenzierung nach genitivus subiectivus, obiectivus, possessoris usw. eine Beschreibung der unterschiedlichen nomosyntaktischen Werte schon seit langem angezielt worden ist. Im folgenden wird nun der Versuch unternommen, eine Skizze der verschiedenen semantischen Werte zu entwerfen, die durch die Morphostruktur "Possessivpronomen + Nomen" signalisiert werden. Dabei sei zunächst durchaus zugestanden, daß sich eine ganze Reihe von Beispielen für diese Struktur von der Kategorie des Besitzes her verstehen läßt, die dem Pronomen den Namen gegeben hat, mindestens dann, wenn man diese Kategorie nicht zu eng faßt. Daneben aber stehen sehr viel mehr Belege, für die das nicht zutrifft, und wir wollen daher vorab die Erscheinungen der Struktur "Possessivpronomen + Nomen" in den Blick nehmen, die n i c h t in eine Wendung des Typs das gebort mir/ dir/dem X usw. transformierbar sind. Das gilt z.B. für Formulierungen wie meine Damen und Herren oder meine Freunde, d.h. für den Fall, wo die Struktur "Possessivpronomen + Nomen" in der Anrede gebraucht wird. Auffällig ist hier in allen Beispielen, daß immer das Possessivpronomen der 1 . P e r s o n S i n g u l a r steht. Kann der Umstand, daß die 3. Person gar nicht und die 2. Person nur in so altertümlichen Wendungen wje Eure Heiligkeit und dgl. vorkommt, noch damit erklärt werden, daß diese eben in einer Anredestruktur keinen Platz haben, so bleibt immerhin auffällig, daß auch die 1. Person nur im Singular akzeptiert wird, denn nach allgemeiner Reaktion ist es nicht möglich zu sagen unsere Damen und Herrn oder unsere Freunde, auch nicht, wenn der Sprecher für eine Gruppe spricht und sich im weiteren Verlauf seiner Rede mindestens beim Personalpronomen, aber auch in anderen Formen des Possessivpronomens der 1. Person Plural durchaus bedient. Beispiele dafür finden sich bei jeder Analyse von Reden, und diese Regularität läßt sich schon in den ältesten deutschen Texten aufweisen. Ein Beleg ist etwa der Vers 30 des Ludwigsliedes, der lautet: Quadhun al 'fro min,

So lango beiden uuir thm.

Die Stelle des Possessivpronomens in der Struktur "Possessivpronomen + Nomen" erweist sich in den herangezogenen Beispielen als praktisch

182

nicht variabel. Variationsproben an der Nominalstelle bei diesem Typ erweisen nun auch für die Nomina gewisse Beschränkungen. So fällt auf, daß an Nominalstelle nicht jedes Nomen stehen kann, auch dann nicht, wenn man sich bei den Ersatzproben in sehr enger semantischer Umgebung der Ausgangsbesetzung hält. Möglich wäre (nach Ausweis von Informantenreaktionen) durchaus meine Hörerinnen und Hörer oder auch — in der pathosgeladenen Sprache eines Vereinsvorsitzenden etwa — meine Brüder; eine Reihe von Informanten akzeptiert aber z.B. nicht meine Kollegen oder meine Genossen, und allgemein abgelehnt wird etwa meine Anwesenden. In diesem Zusammenhang ist die Frage sinnvoll, welche anderen Epitheta in vergleichbarer Funktion wie mein bei den Nomina vorkommen können, die das mein zulassen, und welche a n s t e l l e von mein gebraucht werden, wo dieses nicht üblich ist. Eine Antwort auf diese Frage verspricht deswegen aufschlußreich zu werden, weil die Struktur "Possessivpronomen + Nomen" bei diesem Typ ja nur eine von mehreren unterschiedlichen Repräsentationen einer allgemeineren Struktur "Begleiter + Nomen" ist und sich der Wert dieser einen Repräsentation nur aus dem Vergleich mit den Möglichkeiten erschließen läßt, die sonst noch bestehen. Hier ist nun zweierlei möglich: 1. Vor dem Nomen steht ein Adjektiv wie lieb, verehrt, wert, also: liebe Freunde, sehr verehrte Damen und Herren, werte Anwesende. 2. Vor dem Namen steht nichts, also: Kollegen, Soldaten,

Freunde.

Den unterschiedlichen Wert dieser verschiedenen Strukturen kann man durch eine Art Kontrastprobe herausarbeiten, indem man sie nämlich in unterschiedlich geprägte Kontexte hineinstellt, in sachlich gehaltene, in persönlich gehaltene, in agitatorisch oder pathetisch gestimmte usw. und dann danach fragt, was sicher nicht zueinander paßt. Das Ergebnis derartiger Proben, die hier nicht im Detail vorgeführt werden können, ist: Die Struktur "Possessivpronomen + Nomen" signalisiert in der Anrede gegenüber der sachlich/nüchternen oder mindestens neutralen Form o h n e Epitheton und der gelegentlich fast zudringlich wirkenden Form mit Adjektiv den Wert einer höflichen bis ausgesprochen freundlichen Zuwendung an ein Gegenüber.

183

Eine zweite semantische Kategorie, die durch die Struktur "Possessivpronomen + Nomen" repräsentiert wird, ist in sehr engem Zusammenhang mit der eben behandelten zu sehen. Mit ihr hat sie gemeinsam, daß sie an bestimmte Situationen — im weitesten Sinn — gebunden ist und daß bestimmte Restriktionen im formalen Bereich bestehen. Ich meine die Anredeformeln des Typs mein lieber Kurt oder unsere Lieben und die dazugehörigen Klauselformen dein/euer/Ihr Fritz, wie sie in Briefen vorkommen. Die morphosyntaktische Restriktion betrifft hier allerdings nur e i n e Person, die besprochene, während für die sprechende wie für die angesprochene — für die eine in der Anrede, für die andere im Schluß — keine Beschränkungen bestehen. Die Möglichkeiten sind hier auch insofern umfassender als in der oben besprochenen Kategorie, als hier keinerlei Beschränkung für zusätzliche Attribuierungen zwischen Possessivpronomen und Nomen besteht (also z.B.: mein lieber, einziger usw. Kurt). Eine Analyse des semantischen Wertes bei diesem Typ muß berücksichtigen, daß in den Anredeformeln in aller Regel sehr viel weniger spontan und das heißt hier sehr viel seltener und dann viel gezielter zu der Form "Possessivpronomen (+ Attribuierung) + Nomen" gegriffen wird als in der Schlußformel. Komplizierend tritt bei der letzteren hinzu, daß allem Anschein nach bei Anrede mit du die Auswahl zwischen "Possessivpronomen + Nomen" und einfachem Nomen {dein Fritz — Fritz) häufig anderen Strategien folgt als die entsprechende Auswahl bei Anrede mit Sie (Ihr Fritz Müller — Fritz Müller): Für eine ganze Reihe von Informanten entspringt im zweiten Fall die Verwendung der Struktur "Possessivpronomen + Nomen" einer reinen Automatik, während sie im ersten Fall sehr genau überlegen, ob sie das Possessivpronomen gebrauchen sollen und damit einen höheren Grad von Zuwendung ausdrücken oder nicht. Freilich ist dieser Befund nicht einheitlich, und insgesamt läßt sich wohl sagen, daß mit der Struktur "Possessivpronomen + Nomen" in der Schlußformel eine Kategorie der freundlichen, aber nicht eigentlich intimen Zuwendung anzusetzen ist, während wir in der Anredeform die ausdrückliche Betonung einer herzlichen Verbundenheit fassen können, wie sie nur unter Menschen möglich ist, die einander sehr nahe stehen. Vergleichbar in der Beschränkung auf eine einzige formale Möglichkeit ist der ersten Kategorie, die wir herausgestellt haben, eine weitere, die

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wir sehr oft in der Wissenschaftssprache antreffen. So finden sich etwa Formulierungen wie die folgende an Stellen, wo ein Autor resümiert: Wir sind am Ende unseres Analysegangs angelangt und können nun daran geben, die wichtigsten Einzelheiten zusammenzufassen. Unsere Arbeit hat auf folgende Ergebnisse geführt: ... Es geht hier um dem plural auctoris, wie man ihn nennen könnte, den Verfasserplural, der für das Possessivpronomen zwangsläufig eintritt, wenn er beim Personalpronomen steht. Wir treffen also hier zunächst auf so etwas wie einen morphosyntaktischen Mechanismus, und wir müssen erst prüfen, ob über diesen hinaus semantische Werte zu konstatieren sind. Jedenfalls scheint es sinnvoll, an dieser Stelle den engeren Bereich der Struktur "Possessivpronomen + Nomen" zu verlassen und auch einen Blick auf den Gebrauch des Personalpronomens zu werfen. Dabei wird sehr schnell deutlich, daß mit diesem Plural ein besonderer Wert verbunden ist, zunächst bezogen auf die landläufige Bestimmung: er steht ja in dem schlechten Ruf, ein plural maiestatis zu sein; man sieht also hier die Betonung von Gewicht und Autorität, in Abhebung von der Singularform, die das nicht hätte. Diese Deutung, so altehrwürdig sie ist, scheint mir nun ganz falsch, und ich sehe mich in meinem Eindruck durch die Reaktion aller meiner Informanten bestätigt, denen eine Formulierung in der 1. Person Singular mit dem entsprechenden Possessivpronomen sehr viel apodiktischer, autoritätsheischender und sehr viel weniger verbindlich vorkam als die gleiche Formulierung bei Verwendung der 1. Person Plural, in der Gegenüberstellung: Ich bin am Ende meines Analysegangs angelangt und kann nun daran geben, die wichtigsten Einzelheiten zusammenzufassen. Meine Arbeit hat auf folgende Ergebnisse geführt: ,.. Wir sind am Ende unseres Analysegangs angelangt und können nun daran gehen, die wichtigsten Einzelheiten zusammenzufassen. Unsere Arbeit hat auf folgende Ergebnisse geführt: ... Ich höre — mit den meisten — in der zweiten Formulierung so etwas wie den Versuch, das Publikum — den Leser, den Hörer — in die aktive Arbeit, in die gedankliche Entwicklung usw. mit einzubeziehen, und zwar in tätiger Teilnahme, also im Grunde gerade das Gegenteil

185

dessen, was man herkömmlich dieser Formulierung entnehmen zu müssen glaubt; in Schlagworten ausgedrückt: kollegiale, nicht autoritäre Haltung. Man könnte hier von einer Kategorie des freundschaftlichen Einbezugs sprechen. Noch bei einem weiteren Typ der Kombination von Possessivpronomen und Nomen ist eine Verbindung zum Personalpronomen zu schlagen, und auch hier handelt es sich um einen Typus, wo enges Verständnis des Possessivpronomens als Pronomen der Anzeige von Besitz ausgesprochen irreführend ist. Sehr deutliche Belege für diese Kategorie fassen wir etwa in Formulierungen wie·.

Mein Versuch ist mißlungen Deine Frage ist schwer zu beantworten Seine Zustimmung kam überraschend Sie lassen sich alle als Nominalisierungsphänomene verstehen, bei denen das Possessivpronomen auf ein Personalpronomen und das Nomen auf ein Verb zurückgeführt werden kann (nicht im Sinne der Entstehung, sondern lediglich explikativ), in folgender Weise:

Ich habe etwas versucht, und das ist mißlungen Du hast etwas gefragt, und darauf ist schwer zu antworten Er hat zugestimmt, und das kam überraschend Mit diesem Typ der Morphostruktur "Possessivpronomen + N o m e n " sind nun einige ziemlich komplizierte Detailprobleme verknüpft, denen im einzelnen nachzugehen hier nicht möglich ist, weil sie sehr eng mit der Problematik der semantischen Klassifikation der Nomina überhaupt verbunden sind. Die Komplikation liegt darin, daß eine ganze Reihe von hierher gehörigen Belegen der Kombination von Possessivpronomen und Nomen in zwei verschiedene Richtungen auflösbar ist, einmal aktivisch und einmal passivisch. Ein Satz wie

Sein Sturz war zu erwarten kann bedeuten:

Er stürzte, und das war zu erwarten aber auch:

Er wurde gestürzt, und das war zu erwarten

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und einen Satz wie den zu Anfang zitierten: Ich babe heute meine erste Prüfung kann sowohl der Prüfer sprechen, der zum ersten Mal prüft, als auch der Kandidat, der zum ersten Mal geprüft w i r d . Dazu kommt, daß man hier sinnvollerweise auch Formulierungen einzuordnen hat, wo ein Verb des gleichen Stamms nicht zur Verfügung steht und sich daher etymologieorientierte Sprachwissenschaft weigern mag, die gleiche Beziehung wie oben anzusetzen. So läßt sich etwa ein Satz wie Seine Visite dauerte lange nicht umformen in: *Er visitierte, und das dauerte lange während eine entsprechende Umformung bei der Formulierung sein Besuch keine Schwierigkeiten bereiten würde. Trotzdem scheint mir dieselbe Kategorie hier wie dort ansetzbar zu sein. Das gleiche gilt für Wendungen wie Seine Krankheit

verzögerte den Fortgang der Arbeit

Seine Schwäche hat mich

überrascht

wo lediglich Umformungen nach folgendem Muster möglich sind: Er war krank, und das verzögerte den Fortgang der Arbeit Er war schwach, und das hat mich

überrascht.

Hier kann man Nominalisierungen von verbalen Wortketten mit sein sehen, also auch verbalen Strukturen, aber eben solchen besonderer Art. Das hindert uns jedoch nicht, sie mit den oben angeführten zusammenzunehmen. Diese Kategorie ist die letzte, bei der es möglich war, die semantische Interpretation auf einer morphosyntaktisch abgesicherten Gruppenbildung aufruhen zu lassen. Für weitere Fälle stehen morphosyntaktische Operationen nicht mehr zur Verfügung, es bleibt einzig die streng sinngebundene Ersatzprobe, also die Frage, welche andere Formulierung an einer bestimmten Stelle das Gemeinte angemessen wiedergibt. Die Hauptschwierigkeit liegt dabei in der Abgrenzung der anzusetzenden Kategorie, denn es geht ja jetzt nicht mehr allein darum, eine morphosyntaktisch

187

abgegrenzte Gruppierung semantisch zu interpretieren, sondern auch darum, die Reichweite einer Kategorie zu bestimmen. Als Kriterium soll hier die Frage gelten, ob man das, was in einer bestimmten konkreten Formulierung gemeint ist, mit Hilfe der angesetzten Kategorie angemessen verstehen kann. An einem konkreten Fall erläutert: Keines der Beispiele, die wir bei unseren bisherigen Untersuchungen angeführt haben, wäre über die Ansetzung einer Kategorie "Besitz" angemessen zu verstehen gewesen, während eben diese Kategorie zum Verständnis eines Satzes wie Ich verschenke meine Bücher durchaus ausgereicht hätte. Das gilt freilich wieder nur unter der Voraussetzung, daß ich Bücher aus meinem B e s i t z , meinen B e s t ä n d e n usw. meine. Nicht mehr zu einem adäquaten Verständnis ausreichen würde diese Kategorie dagegen dann, wenn ich diese Bücher geschrieben hätte, wenn also der streng sinngebundene Ersatz nicht lauten würde Ich verschenke die in meinem Besitz befindlichen

Bücher

sondern leb verschenke die von mir verfaßten

Bücher

Wir hätten damit für die Struktur "Possessivpronomen + Nomen" eine semantische Differenzierung anzusetzen, der vergleichbar, die seit langem in der Grammatik für die Struktur "Nomen + angefügter Genitiv" geläufig ist, wenn man die Angabe des Besitzers (genitivus possessoris: das Haus meines Vaters) unterscheidet von der Angabe dessen, der etwas gemacht hat (genitivus subiectivus: das Haus des Architekten van der Rohe = das Haus, das der Architekt van der Rohe gebaut hat). Gebrauch des Possessivpronomens in diesem letzten Sinne finden wir sehr häufig und ohne Beschränkung auf eine der drei möglichen Personen, etwa in der Formulierung Ich danke dir für deinen Brief (nicht: den Brief, der dir gehört, sondern: den Brief, den du hast) oder in dem oben schon herangezogenen Beispiel Heute schmeckt

mir aber dein Essen gar nicht

(nicht: das Essen, das dir gehört, sondern: das Essen, das du gekocht hast).

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geschrieben

gemacht/

Eine neue Kategorie müssen wir ansetzen für das Verständnis der Struktur "Possessivpronomen + Nomen" in einem Satz wie Jeder will beute seine Krise haben Eine streng sinngebundene Ersatzprobe führt bei diesem Beleg auf die Formulierung Jeder will heute seine persönliche, ihm eigene, fast: für ihn gemachte, auf ihn zugeschnittene Krise haben. Nicht ganz leicht fällt bei dieser Kategorie die Entscheidung, wie weit bzw. wie eng wir sie zu fassen haben. Konkret: Kann man sie so weit halten, daß z.B. auch ein Satz wie Ich will mein Recht

haben

unter Ansetzung dieses Typs richtig zu verstehen ist, wo zu explizieren wäre: das mir zustehende Recht, und vielleicht auch noch eine Wendung wie Unser tägliches Brot gib uns heute was ja völlig falsch verstanden würde, wenn man unterlegte: das Brot, das uns gehört, was aber auch nicht bedeuten kann: das Brot, das uns zusteht, sondern am ehesten: das Brot, das wir brauchen, das wir nötig haben usw. Will man alles zusammenfassen, so kann man hier von einer Kategorie des persönlichen Anspruchs sprechen, innerhalb deren sich wohl gewisse Differenzierungsmöglichkeiten abzeichnen, ohne daß es jedoch von einem wissenschaftsökonomischen Standpunkt aus sinnvoll wäre, sie auseinanderzudividieren. Gewiß nicht mehr unter dieser Kategorie zu subsumieren ist ein Beispiel wie Das ist mein Mann Hier kann eine besondere Intonation signalisieren, daß Mann nicht im Sinne von Ehemann zu verstehen ist, und man kann das Gemeinte noch dadurch verdeutlichen, daß man ein zusätzliches Signal einführt, indem man nämlich sagt: Das ist genau mein Mann also: der Mann, den ich suche, der richtige.

189

Bei den Informantentests war keine Einigkeit darüber zu beobachten, ob dieser Typ auf bestimmte Personen beschränkt ist oder nicht. In der 1. Person wurde Singular und Plural akzeptiert: Das ist mein Mann Das ist unser Mann Für die 2. und 3. Person waren die Reaktionen sehr unterschiedlich. Wenn sich hier morphosyntaktisch faßbare Beschränkungen wirklich nachweisen ließen, wäre natürlich viel gewonnen, weil dann die bislang allein semantisch begründete Kategorialisierung eine zusätzliche Absicherung erhalten würde. Die Vermutung liegt aber nahe, daß die Informantenreaktionen in diesem Fall mehr auf geringere Häufigkeit des G e b r a u c h s der 2. und 3. Person bei diesem Typ als auf grundsätzliche Akzeptabilität bzw. Nichtakzeptabilität verweisen. Die Frage drängt sich nun auf, wie die Struktur "Possessivpronomen + Nomen" bei Das ist mein Mann zu beurteilen ist, wenn Mann durch Ehemann substituierbar ist. Die Frage kann ausgedehnt werden auf Formulierungen wie meine Frau, mein Assistent, mein Lehrer, meine Schüler, aber auch mein Bekannter, mein Freund, mein Feind usw. Hier kann die Beobachtung einer Besonderheit weiterhelfen, die für diese Gruppe konstitutiv ist. Das Possessivverhältnis, wenn ich es einmal abkürzend so nennen darf, ist hier nämlich reziprok, d.h. wie der Mann sagen kann meine Frau, so kann dieselbe Frau von demselben Mann auch sagen mein Mann, und die gleiche Beziehung besteht überall innerhalb dieser Kategorie. Das hängt natürlich damit zusammen, daß sich innerhalb dieser Gruppierung an der Nominalstelle nur Variable finden, für die das semantische Merkmal "belebt" gilt. Wo aber diese Reziprozität der Beziehung besteht, scheidet das Verhältnis "Besitzer — Besessenes" eindeutig aus, mindestens innerhalb des soziokulturellen Rahmens, der für uns gilt, denn das kennt nur e i n e Richtung. Wir könnten hier von einer Kategorie wechselseitiger Zuordnung aufeinander sprechen, die ihre genauere Spezifikation aus der Klassenzugehörigkeit des Nomens bezieht, dem das Possessivpronomen zugeordnet ist. Eine weitere Kategorie müssen wir bei einem Beleg der Verbindung von Possessivpronomen und Nomen ansetzen, den ich F. Dürrenmatts Roman "Der Verdacht" 4 entnehme:

190

Wann ist er denn zurückgekommen, ge kommt, Neble zu sein?

dein Mann, der nicht in Fra-

Wir haben hier einen besonderen Fall des Rückgriffs auf eine Vorinformation 5 durch das Possessivpronomen vor uns, der etwa zu explizieren wäre als der Mann, von dem du eben gesprochen bast, der eben genannt worden ist, an den du denkst. Für das Possessivpronomen gibt es hier keinerlei Beschränkung, jede Person ist möglich, und ebenso bestehen keinerlei Restriktionen für die Besetzung der Nominalstelle. Stärker in die Nähe der Beispiele, die sich von dem Verhältnis "Besitzer — Besessenes" her verstehen lassen, kommen wir bei der Kategorie, für die der Satz Er gab mir seine Hand als Beispiel stehen kann. Es geht hier um die in der wissenschaftlichen Literatur vielbeachtete Teil-von-Relation, um das keineswegs selbstverständliche Faktum also, daß i c h von einem Bestandteil m e i n e r s e l b s t , meinem Kopf, meinem Bein, meinem Arm usw. sagen kann, daß sie mein seien. Das Problem ist zuletzt von M. Bierwisch und A. Isacenko in den Studia Grammatica V sehr ausführlich behandelt und auch früher schon in den Arbeiten von H. Brinkmann, L. Weisgerber und vor diesen von W. Havers diskutiert w o r d e n 6 . Die Frage ist auch hier, wie weit man die Kategorie ansetzen soll. Soll man sie auf die "Syntax der Beziehungen von Körperteilen" (so der Titel des Aufsatzes von Isacenko) beschränken? Wie verfährt man dann bei Wendungen wie mein Gewissen oder meine Seele? Und wie verfährt man in Fällen, wo es nicht um Körperteile geht, aber deutlich um die Beziehung eines Teils zu einem Ganzen wie etwa in dem Beispiel Auf dem Berg steht eine Hütte; ihr Dach ist zerstört Die Frage kann im Rahmen dieser Skizze nur gestellt, nicht diskutiert werden. Gleichfalls nur angedeutet werden kann an dieser Stelle, daß sich von hier aus sehr gut eine weitere Kategorie entwerfen läßt, die man geradezu als eine Art Umkehrung der Teil-von-Relation verstehen kann. Ich meine den Umstand, daß ein einzelner von einer Gruppierung, die er mit konstituiert oder der er angehört, deren Teil er also in gewissem

191

Sinne ist, in der Struktur "Possessivpronomen + Nomen" sprechen kann, von seiner Partei also, seiner Klasse, seinem Verein usw. Faßt man nun das, was man herkömmlich als Kategorie des Besitzes zu beschreiben versucht hat, etwa als Kategorie der Zugehörigkeit, einseitig von etwas Belebtem her gesehen und gerichtet auf etwas, das als Sache betrachtet wird, so läßt sich damit in etwas neuer Beleuchtung eine letzte Kategorie den oben beschriebenen als eine Art Grobkategorie hinzufügen. Es muß nur klar sein, daß diese Kategorie nicht zu eng gesehen werden darf, keineswegs z.B. im Sinne der juristischen Definition von Besitz. Feinheiten wie die Unterscheidung von Besitz und Eigentum, aber auch von Pacht, Miete oder Nutzung usw. dürfen dabei keinesfalls mitgehört werden. So mögen etwa Formulierungen wie mein Zimmer, unsere Wohnung und dergleichen durchaus problemlos hier einzuordnen sein, schwieriger aber ist das schon, wenn wir von unserem Planeten oder von unserer Epoche sprechen, wo eine räumliche Umgebung oder ein Zeitraum zwar in ihrem Bezug auf ein Wesen bezeichnet werden, aber nicht im engen Sinne als eigen gefaßt werden können. Es muß weitergehenden Überlegungen und Analysen vorbehalten bleiben, ob man sich damit begnügen darf, hier eine Globalkategorie anzusetzen, die gegenüber den feiner bestimmbaren, wie sie oben skizziert worden sind, relativ undifferenziert oder neutral zu sehen ist, oder ob es möglich ist, die Differenzierung weiterzutreiben. Daß die Probleme für jede Verstehensanalyse wichtig sind, zeigt sich daran, daß immer wieder Mißverständnisse zu beobachten sind, die darauf zurückgeführt werden können, daß unterschiedliche semantische Kategorien von e i n e r Morphostruktur signalisiert werden und daß der Hörer im Verstehensprozeß eine andere Kategorie ansetzt, als der Sprecher im Hervorbringungsakt intendiert hat. Neben dieser Möglichkeit, daß ein "Empfänger" Signale anders entschlüsselt, als sie ein "Sender" intendiert hat, gibt es aber auch noch die andere Möglichkeit, daß ein Sprecher b e i m S p r e c h e n gleichsam unter dem Einfluß eines ihm sehr geläufigen sprachlichen Musters unversehens in eine falsche Kategorie gerät. Was ich meine, kann ich an einer kleinen Szene explizieren, die ich auf einem Kinderspielplatz beobachtet habe. Ein kleiner Junge schlägt ein Mädchen. Ein

192

anderer will dem Mädchen helfen und sucht ihn zurückzuhalten. Die Reaktion des Kleinen ist: Geh weg, das ist meine Schwester, mit der kann ich machen, was ich will. Befund: Der kleine Junge hat ganz offenbar die Struktur "Possessivpronomen + Nomen" in meine Schwester harmlos und unreflektiert in dem Sinn verwendet, in dem er — ganz legitim — von seiner Eisenbahn oder seinem Auto sprechen könnte. Was in diesem Falle harmlos und unreflektiert geschehen ist, kann schließlich auch gezielt und überlegt getan werden, mit bewußter Einrechnung möglicher Wirkungen, dort nämlich, wo mit Sprache etwas erreicht werden soll, in der politischen Rhetorik beispielsweise oder in der Werbung. Hier liegen Möglichkeiten von Manipulation durch Sprache vor, auf die es hinzuweisen gilt. Die kritische Analyse dieser Möglichkeiten und im Zusammenhang damit die Bewußtmachung der Wirkungsmöglichkeiten von Sprache im Rahmen verschiedener Textsorten gehört zum zentralen Aufgabenbereich einer Sprachwissenschaft, die sich als Sozialwissenschaft versteht.

Anmerkungen 1

Dudengrammatik 2645.

2

Dudengrammatik 2675 - 2690.

3

A. Schweckendiek: Gedanken über das Possessivpronomen, in: Muttersprache 77 (1967),S. 371 - 376.

4

F. Dürrenmatt: Der Verdacht, Rowohlt-Taschenbuch Nr. 4 4 8 , S. 8.

5

Vgl. dazu die Bemerkungen von H. Weinrich in seinem Aufsatz "Textlinguistik" in: Jahrbuch für internationale Germanistik I, 1, S. 61 - 74, insbesondere S. 73 f.

6

Vgl. dazu P. v. Polenz: Der Pertinenzdativ und seine Satzbaupläne, in: Festschrift für Hugo Moser, Düsseldorf 1969, S. 146 - 171.

193

FRANCISZEK GRUCZA ZUR STRATIFIKATION MORPHEMISCHER ALTERNATIONEN IM HEUTIGEN DEUTSCH

1. Von keiner der bisher bekannten linguistischen Theorien kann in einer sinnvollen Weise behauptet werden, daß in ihr alle relevanten Forschungsziele erfüllt bzw. erreicht werden könnten. Das bezieht sich auch auf die Theorien des Deutschen 1 . Bei der Bewertung der einzelsprachlichen Theorie, d.h. bei der Bewertung der als linguistisches Modell rekonstruierten "Grammatik" der zu untersuchenden konkreten Sprache muß aber naturgemäß von der zugrunde liegenden allgemeinen linguistischen Sprachtheorie ausgegangen werden ^. Die einzelsprachliche Theorie kann man in einer nicht formellen Ausdrucksweise als eine gewisse Realisierung der allgemeinen Sprachtheorie charakterisieren. Daß dabei vom genetischen Standpunkt aus wohl der einzelsprachlichen Theorie der Vorrang gegeben werden muß, hat für den hier zu untersuchenden Sachverhalt nichts zu besagen. Es ist nicht schwer festzustellen, daß zwischen zwei heterogenen Theorien Α und Β hinsichtlich der durch sie zu erfüllenden Ziele folgende vier Verhältnisse bestehen können (Z(^) und Z ( B ) seien die Mengen der Ziele der Theorie Α und Β respektive): (1) Alle Ziele aus Α sind auch in Β erfüllbar, aber nicht umgekehrt, d.h., daß C Z( B ), aber Z(g) t(2) Alle Ziele aus Α sind auch in Β erfüllbar, und alle Ziele aus Β sind auch in Α erfüllbar, d.h., daß Z ( ^ ) = Z(gj; (3) Einige, aber nicht alle Ziele aus Α sind auch in Β erfüllbar, und einige, aber nicht alle Ziele aus Β sind in Α erfüllbar, d.h., daß Ζ

(Α)Π

Z

(B)

φ

0

·

aber Z

( A ) 4- Z ( B )

und Z

(B) £

Z

(A);

(4) Α und Β haben keine gemeinsamen Ziele, d.h., daß die in A erfüllbaren Ziele nicht in Β erfüllbar sind und umgekehrt, also: Π Z(ß) = 0. Es wäre zwar noch genauer zu untersuchen, aber ich glaube es richtig zu schätzen, daß wir es meist in der linguistischen Praxis mit dem

194

Fall (3) und (4) zu tun haben, d.h., daß die diversen Sprachtheorien bezüglich der in ihnen erreichbaren Ziele zumeist teilweise bzw. ganz komplementär sind. Was die Wahl zwischen Α und Β anbelangt, so bietet der Fall (1) keine Schwierigkeiten: Hier muß notwendigerweise zugunsten der Theorie Β entschieden werden. Der Fall (2) stellt die einzige echte Alternative zum Standpunkt der zu erreichenden Ziele dar; diese Alternative kann nur mit Hilfe ihr gegenüber externer Kriterien entschieden werden, z.B. mit Hilfe des Kriteriums der Einfachheit. In den Fällen (3) und (4) sind aber die konkurrierenden Theorien — soweit es sich um das Zielkriterium handelt — nicht antagonistisch, sondern — wie gesagt — ganz oder teilweise komplementär. Als solche sind hier beide Theorien existenzberechtigt und zwar wenigstens solange, wie keine ihre Ziele vereinigende Theorie C gefunden wird, deren Z ^ q = Z ^ ) U Z(g) wäre. In den Fällen (3) und (4) muß man eine Koexistenz beider Theorien postulieren. Es ist natürlich eine andere Frage, daß die zu erfüllenden Ziele nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ zu bewerten sind, und daß sich demgemäß die Theorien auch darin unterscheiden können, daß sie diversen Zielen den Primat zuzuschreiben bestrebt sind 3 . 2. Gegenwärtig hat sicher die generativ-transformationelle Theorie die weiteste Anerkennung gefunden. Aber sogar die Transformationalisten selbst sehen sich gezwungen zuzugeben, daß auch diese Theorie bezüglich der linguistisch relevanten Forschungsziele nicht allumfassend ist. Man könnte es anhand der "Transformationsgeschichte" der generativ-transformationellen Theorie selbst nachweisen. Die generativ-transformationelle Theorie ist sicher immer noch ausbauoder — genauer gesagt — bezüglich neuer Ziele aufnahmefähig; es wurde aber bisher nicht gezeigt, daß in dieser Theorie alle linguistisch relevanten Ziele erreicht werden könnten. In letzter Zeit wurde jedoch gezeigt, daß einige andere Theorien vom Standpunkt der in ihnen erreichbaren und in den Vordergrund gestellten Ziele umfassender als die generativ-transformationelle Theorie sind. Hierher gehören unter anderem die stratifikationell-kommunikativen Theorien, von denen im Augenblick sicher die von S.M.LAMB, H.A.GLEASON, G.SAMPSON u.a. vorgeschlagene am weitesten entwickelt ist 4 . Die stratifikationellen Theorien haben die linguistische

195

Welt nicht so sehr revolutioniert wie die transformationeilen, aber sie verdienen nichtsdestoweniger beachtet zu werden, weil sie eben hinsichtlich der Zielsetzung zweifelsohne eine wichtige Ergänzung der letzteren bilden. Die Unterschiede in der Zielsetzung zwischen der transformationeilen Theorie hat G.SAMPSON wie folgt zusammengefaßt: "As is widely known, transformational theory is centrally concerned with the problems of speech acquisition and linguistic universals; the main goal of the theory is to characterise as narrowly as possible the set of natural languages as a subset of the set of languages in the mathematical sense" 5 . Demgegenüber: "A stratificational grammar is a device that accepts as input a set of semantic units, and associates with them the appropriate set of phonetic units as output, or accepts phonetic units as input and associates with them the corresponding set of semantic units as o u t p u t " 6 . Die stratifikationelle Theorie widmet also ihre Aufmerksamkeit insbesondere den kommunikativen Erscheinungen, den sprachlichen Codierungs- und Decodierungsprozessen. S.M.LAMB behauptet wohl mit Recht, daß man innerhalb der transformationeilen Theorie grundsätzlich nur mit Algorithmen zur Ableitung der Oberflächenstruktur aus der gegebenen Tiefenstruktur, aber nicht umgekehrt, operieren könne. In den stratifikationellen Theorien werden aber beide Richtungen berücksichtigt. Genauer können wir jedoch auf das Problem der unterschiedlichen Zielsetzung in der transformationellen und der stratifikationellen Theorie in diesem Zusammenhang nicht eingehen 7 . Man könnte jedoch zu zeigen versuchen, daß im Laufe ihrer Entwicklung in die transformationelle Theorie immer mehrere stratifikationelle Gesichtspunkte aufgenommen wurden, d.h., daß wir es hier mit einer bestimmten Konvergenz zu tun haben.

3. In der transformationellen Theorie arbeitet man bekanntlich mit nur einer Basiskomponente, und die Klasse der möglichen Strukturen ist nur auf der Ebene dieser Komponente definiert. In der stratifikationellen Theorie werden demgegenüber mehrere solcher Basiskomponenten zugelassen und als unterschiedliche Strukturierungsebenen gekennzeichnet. Unter den Stratifikationalisten bestehen jedoch Meinungsunterschiede hinsichtlich der Zahl der notwendig anzunehmenden Ebenen.

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Charakteristisch für jede stratifikationelle Betrachtungsweise ist die Berücksichtigung von zwei Typen von Relationen: Einmal sind es Relationen horizontaler und zum anderen Relationen vertikaler Natur. Die ersteren determinieren die Syntax der gegebenen Ebene und die anderen den Übergang von den Einheiten dieser zu den Einheiten der nächst höher und der nächst tiefer liegenden Ebene. Die vertikalen Relationen determinieren zugleich die Struktur der Hierarchie der Ebenen. J e d e Ebene wird unter anderem durch die Menge der elementaren Einheiten und durch die genannten horizontalen und vertikalen Relationen charakterisiert. Die einzelnen Ebenen unterscheiden sich nicht nur durch die Größe der elementaren Einheiten, sondern auch durch ihre syntaktischen Muster. Eine besondere Art vertikaler Relationen bilden die sog. Realisierungsrelationen, die die Alternationsmuster innerhalb der betreffenden Ebene charakterisieren. Die der Realisierung entgegengesetzte Richtung kann als Generalisierung gekennzeichnet werden. Genauer habe ich mich zu den allgemeinen Problemen der stratifikationellen Betrachtung sprachlicher Systeme an anderer Stelle geä u ß e r t 8 . Im Folgenden soll nur das Problem der Realisierungsrelationen im Bereich der Ebene der Morpheme des Deutschen behandelt werden. 4. Die Morpheme werden hier als die elementaren Einheiten auf der Ebene der grammatischen Gliederung der sprachlichen Ausdrucksschicht aufgefaßt. Die grammatische Gliederung geschieht unter semantischen (inhaltlichen) Gesichtspunkten. Die Morpheme brauchen aber auf der inhaltlichen Seite nicht unbedingt als elementare Einheiten interpretiert werden. Solche Sprachen wie die deutsche lassen sich sicher besser beschreiben, wenn man die morphemischen Inhaltsquanten in noch kleinere Einheiten aufsplittert. Das bedeutet, daß die Morpheme lediglich als biplane sprachliche Einheiten weiter nicht gliederbar sind. Aber sowohl die Ausdruckskörper als auch die Inhalte der Morpheme, voneinander getrennt betrachtet, können weiter gegliedert werden. Der Inhalt eines Morphems kann dabei bekanntlich als ein Bündel grammatisch relevanter Einheiten behandelt werden. Wir müssen aber auch diese Frage beiseite lassen. Wir wollen uns hier

197

lediglich mit den synchronen Alternationen der morphemischen Ausdruckskörper im Deutschen befassen. Es ist Aufgabe einer jeden Grammatik, zunächst Informationen über die elementaren Einheiten zu geben und erst dann darüber, wie diese Einheiten zu komplexen Größen organisiert werden. 5. Über der Ebene der Morpheme liegen die Ebenen der komplexen grammatischen Einheiten und unter ihr die phonemischen Ebenen. Es gibt aber bekanntlich im Deutschen keinen einfachen kompositioneilen Übergang von den Morphemen zu den Phonemen einerseits und zu den komplexen Einheiten andererseits, und zwar unter anderem gerade deswegen, weil wir es im Deutschen mit der Erscheinung der Alternationen zu tun haben. Die Ebene der Morpheme muß daher innerlich in gewisse Subebenen aufgespaltet werden. Wir werden im Folgenden die Subebenen als Infraebenen und die ganzen Ebenen von Einheiten gleicher Größe als Intraebenen bezeichnen. Wir unterscheiden demgemäß eine Intraebene der Morpheme gegenüber einer Intraebene der Phoneme, der Lexeme usw., sowie eine Infraebene der Morpheme gegenüber einer Infraebene der morphemischen Alternanten. Diese Unterscheidung ist wenigstens insofern wichtig, als es sich in beiden Fällen um die Berücksichtigung anderer Relationen vertikaler Natur handelt: Einmal sind es vertikale Relationen kompositioneller Natur und zum anderen die erwähnten Realisierungsrelationen. In den stratifikationellen Modellen werden die Morpheme qua Einheiten einer ganz bestimmten morphemischen Infraebene hinsichtlich der Ausdruckskörper als diverse Einheiten gegenüber ihren Realisierungsaiternanten betrachtet. Die Einheiten der Infraebene der Morpheme werden also in den stratifikationellen Modellen im Gegensatz zu den transformationellen Modellen mit keiner der Infraebene ihrer Realisierungsaiternanten (Allomorphen) identifiziert. So ist also hier das Morphem £ VA TER } weder mit dem Allomorph < vater > noch mit dem Allomorph < väter > zu identifizieren. Die teilweise graphische Identifikation wird hier lediglich aus mnemotechnischen Gründen zugelassen. Die Infraebene der Morpheme bildet somit eine gewisse Tiefenstruktur der morphemischen Intraebene. Die morphemischen Alternanten

198

werden einerseits auf die Morpheme zurückgeführt und andererseits von den Morphemen abgeleitet. In den stratifikationellen Modellen spricht man von der Realisierung der Morpheme durch ihre Allomorphe. Die morphemischen Alternationen werden also in diesen Modellen in Gestalt einer auf die Realisierungsrelation zurückgehenden Stratifikation der Intraebene der Morpheme in entsprechende Infraebenen abgebildet. Es entsteht nun die Frage, ob die Struktur der morphemischen Alternationen der modernen deutschen Sprache mit Hilfe eines stratifikationellen Modells, in dem nur zwei morphemische Intraebenen unterschieden werden, entsprechend abgebildet werden kann. Die Zahl der für eine Sprache anzunehmenden Ebenen sowie die Relationen zwischen den Ebenen müssen empirisch festgelegt werden. Daß es in der deutschen Sprache die Ebene der Allomorphe gibt, unterliegt keinem Zweifel. Es ist aber zu untersuchen, wie sich die Allomorphe der deutschen Morpheme zueinander verhalten. Im Lichte obiger Erörterungen können wir die nun gestellte Frage auch folgenderweise formulieren: Sind die Allomorphe der Morpheme der deutschen Sprache stets gleichgeordnet, oder gibt es auch solche Morpheme im Deutschen, deren Allomorphe als hierarchisch abgestuft betrachtet werden müssen?

6. Von grundsätzlicher Bedeutung für die Festlegung des Modells der Intraebene der Allomorphe des Deutschen ist die Frage nach dem strukturellen Unterschied zwischen den sog. morphemisch (morphologisch) bedingten und den phonemisch (phonologisch) bedingten Allomorphen. Es scheint nun so, als ob die morphemisch bedingten Allomorphe als den phonemisch bedingten übergeordnet zu betrachten seien, d.h., daß die phonemisch bedingten Allomorphe zunächst als Suballomorphe der morphemisch bedingten Allomorphe zu behandeln sind und somit einer untergeordneten Ebene zugewiesen werden müssen. Nehmen wir als Beispiel die Morpheme {.BUND} und{AL4t/s}, die auf der Phonemebene in der Gestalt folgender Einheiten realisiert werden: Bund (/bunt/), Bund-es (/bund/), Bünd-chen (/bvnt/), Bünd-e (/bynd/) und Maus (/maus/), maus-en (/mauz/), Mäus-chen (/mays/), Mäus-e (/moYz/). Wir können die hierarchisch geordneten Infrastrukturen dieser Morpheme zunächst folgenderweise darstellen:

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{BUND} < bunT>

{ΜΑ US }


\

/bunt/ /bund/ /bunt/ /bund/

Figur (1)




I. Infraebene (Morphem)

< mäuS >11. Infraebene \ (Allomor\ phe) /

/maus/ /mauz/ /moYs/ /moyz/ III. Infraebene (Suballomorphe) Figur (2)

Der Unterschied zwischen den Alternationen auf der II. und III. Infraebene besteht vor allem darin, daß die Alternation der morphemisch bedingten Allomorphe, d.h. der eigentlichen Allomorphe, grammatisch und die Alternation der Suballomorphe phonologisch geregelt ist. Die letztere Alternation wird sozusagen auf die grammatische Ebene aus der phonemischen mechanisch übertragen. Sie fungiert auf der grammatischen Ebene automatisch, weil sie sich aus den horizontalen oder "taktischen" Regeln der Intraebene der Phoneme ergibt. Die auf den Umlaut zurückgehende Alternation ergibt sich aber nicht aus den "taktischen" Regeln der Intraebene der Phoneme, sondern wurzelt synchronisch in den "taktischen" Regeln der Intraebene der Morpheme, d.h., daß sie erst auf der grammatischen Ebene aufgeführt wird. Daß es diachronisch anders gewesen sein mag, hat hier zunächst nichts zu bedeuten. Dabei muß aber zugegeben werden, daß sich an dieser Stelle die Koinzidenz der Synchronic und der Diachronie besonders stark aufdrängt. Es ist daher in den Einzelfällen gar nicht einfach zu entscheiden, ob wir es mit phonemisch oder morphemisch bedingten Alternationen zu tun haben. Vollständige Listen der morphemisch und phonemisch bedingten Alternationen im Deutschen sind erst aufzustellen. Es scheint jedenfalls, daß die Einheiten der III. Infraebene nicht direkt auf die Morpheme im Decodierungsprozeß zurückführbar oder von den Morphemen im Codierungsprozeß ableitbar sind, sondern nur mittelbar über die Einheiten der oben postulierten II. Infraebene (d.h. über die grammatisch bedingten Allomorphe), daß also die morphemischen Alternationen hierarchisch zu ordnen sind. Dies ist besonders bei den sog.

200

suppletiven Allomorphen, die notwendigerweise als grammatisch bedingte Realisierungsaiternanten betrachtet werden müssen, der Fall. Die Hierarchie der morphemischen Alternationen ließe sich zum Teil sicher auch in dem transformationeilen Modell durch eine entsprechende Reihenfolge der Ableitungsregeln abbilden. Der Unterschied zwischen beiden Betrachtungsweisen besteht aber zunächst darin, daß der phonemischen Komponente innerhalb eines transformationeilen Modells eine ganz andere Rolle zugeschrieben wird, und daß man außerdem das Morphem innerhalb eines solchen Modells mit einem der alternierenden Submorphe identifizieren müßte. Ein genauerer Vergleich beider Betrachtungsweisen würde uns jedoch weit über den Rahmen des Aufsatzes hinausführen. Das Drei-Ebenen-Modell der internen Struktur der morphemischen Intraebene des Deutschen muß man aber wahrscheinlich noch durch eine vierte Infraebene vervollständigen, auf der die allophonisch bedingten morphemischen Alternationen wiedergegeben werden könnten. Es sei nur erwähnt, daß es sich dabei in erster Linie um Allophone handelt, deren Verteilung nicht ausschließlich signalassimilativer Natur ist, sondern letzten Endes sprachlich (konventionell) geregelt ist. Als solche müssen jedenfalls die Allophone [x] und [5] des deutschen Phonems /x/ betrachtet werden. Die Verteilung dieser Alternanten muß man sich im Lernprozeß aneignen. Man kann sie nicht auf gleicher Ebene mit den sog. fakultativen (Pseudo-) Alternationen stellen, denn letztere beziehen sich auf erstere. Das heißt, daß die sog. kombinatorischen Varianten selbst Gegenstand fakultativer Alternationen sind. Der Begriff " A l l o p h o n " soll hier nur als auf die kombinatorischen Varianten eingeschränkt verstanden werden. Wir müssen somit die Infrastruktur solcher Morpheme wie

{LOCH}

oder { H O C H } folgenderweise darstellen:

201

{LOCH}

{HOCH'

~~~

I

I

/bx/ [Jx]

/lcex/

/hox/

[lce ? ]

[hox]

I

Figur (3)

I

I

/h0x/

/h0/

[hJ?]

[her]

Figur (4)

Entsprechend müssen nun auch die Infrastrukturen der Morpheme { B U N D } und { M A U S } ergänzt werden: {_MA US'}

{BUND}



/ \ /bunt/ /bund/



/ \ /bvnt/ /bvnd/

/maus/

/mauz/

/mays/

/maYz/

[bunt] [bund] [bvnt] [bvnd]

[maus]

[mauz]

[moYs]

[moYz]

Figur (5)

Figur (6)

Die Phoneme dürfen in diesem Modell genauso wie die Morpheme mit keinem ihrer Realisierungsaiternanten identifiziert werden. Die allophonisch bedingten morphemischen Alternationen sind natürlich automatischer Natur. Sie müssen einer gegenüber den phonemisch bedingten Alternationen untergeordneten Ebene zugewiesen werden, weil sie sich erst auf die letzteren beziehen. Von der allophonischen Ebene gelangt man schon direkt zu den freien oder fakultativen Varianten, d.h. zu der phonetischen Ebene. Es wurden hier also letzten Endes vier aufeinander abgestimmte morphemische Infraebenen unterschieden. Mit Hilfe dieser Ebenen läßt sich die interene Struktur der Alternationen der Morpheme des Deutschen erfassen. Sowohl die Morpheme als auch ihre Realisierungsaiternanten qua Größen der morphemischen Intraebene müssen dabei auf allen ihren Infraebenen als ganzheitliche Gestalten betrachtet werden. Als morphemische Realisierungsaiternanten sind weder die Einheiten vom Typ , , , noch vom Typ /bx/, /lcex/, /maus/, /moYs/ oder vom Typ [ b x ] , [ΐ«ς] weiter gliederbar.

202

Die Morpheme werden ja eben als elementare Einheiten der grammatischen Gliederungseinheiten definiert, und diese Eigenschaft b e t r i f f t notwendigerweise zugleich ihre Allomorphe, Suballomorphe usw. Weiter gliederbar wären diese Einheiten lediglich als bloße Ausdruckselemente. Um unter anderem dieser Tatsache gerecht zu werden, werden, wie erwähnt, in den stratifikationellen Modellen mehrere Basiskomponenten zugelassen oder postuliert. Von jeder solcher Basiskomponente kann man dabei zur Oberfläche gelangen und von der Oberfläche zu jeder Basiskomponente. Im Ergebnis wird zugleich die Hierarchie der phonemischen und grammatischen Gliederung der sprachlichen Ausdrucksschicht modellhaft abgebildet. Das Vier-Ebenen-Modell der morphemischen Infrastruktur des Deutschen ist natürlich als ein Generalisierungsergebnis zu betrachten. Die einzelnen Morpheme des Deutschen können Realisierungsaiternanten auf unterschiedlichen Infraebenen besitzen. Aus dieser Tatsache ergeben sich bestimmte Alternationstypen für das Deutsche. So zeigt z.B. das Morphem { T I S C H } (vgl. Fig. (7)) auf keiner Infraebene Realisierungsaiternanten. Bei den Morphemen { H O C H } und { L O C H } (vgl. Fig. (3) und (4)) werden Realisierungsaiternanten nur auf der Ebene (II) eingeführt, die aber auf der Ebene (IV) zusätzlich differenziert werden. Bei den Morphemen {MAUS} und { ß t / N D } (vgl. Fig. (5) und (6)) treten Realisierungsaiternanten auf der Ebene (II) und (III), und bei { R A U C H } auf der Ebene (II) und (IV) auf. {TISCH}

{W/ND}





/tij/

/vint/

/vind/

[tij]

[vint]

[vind]

Figur (7)

{RAUCH}

Figur (8)

/raux/ [raux]

[raug]

/ΓΟΥΧ/

[τογς]

Figur (9)

Ein zusätzlicher Unterschied zwischen den Alternationsstrukturen der einzelnen Morpheme ergibt sich aus der Zahl der jeweils eingeführten Realisierungsaiternanten. Zum Schluß sei nur erwähnt, daß ein ganz anderes Problem bei der Betrachtung der deutschen Gegenwartssprache die morphemischen Alter-

203

nationen vom T y p [ fo:g3l] vs. [ f o : g l ] zu Vogel, [ le:ban ] vs. [ le:bg ] vs. [ le:bjji] zu leben usw. bilden. 9 Bezüglich dieser Alternationen m u ß zunächst genau untersucht werden, inwiefern sie idio-, sozio- oder dialektal bedingt sind. Dabei ist zu beachten, daß ein und derselbe Sprecher, je nach der Situation, sich lektal unterschiedlicher Normen bedienen kann. Soweit sie in einen vom lektalen Standpunkt aus homogenen Bereich gehören, könnte man sie als grammatisch freie Realisierungsaiternanten betrachten. Die oben untersuchten Typen von Realisierungsaiternanten wären demgemäß als grammatisch gebundene Realisierungsaiternanten zu kennzeichnen.

Anmerkungen 1

Wir wollen im Folgenden an der von N. Chomsky explizit eingeführten Unterscheidung zwischen einer allgemeinen Sprachtheorie einerseits und den Theorien einzelner Sprachen andererseits festhalten.

2

Gleiches bezieht sich aber im Grunde auch auf unterschiedliche Versionen (Fassungen) derselben Theorie.

3

Die unterschiedliche Verteilung von Schwerpunkten bildet oft ein Kriterium ganzer Epochen.

4

Vgl. vor allem: S.M. Lamb, Outline of stratificational Grammar, Washington: Georgetown University Press, 1966; H.A. Gleason, The organisation of language: A stratificational view, in: Monograph Series on Languages and Linguistics 17, Report of the 15 th Annual RTM on Linguistics and Language Studies, Washington: Georgetown University Press, 1964, 75-95; G. Sampson, Stratificational Grammar. A definition and an example ( = Janua linguarum, Nr. 88), The Hague-Paris: Mouton, 1970. Siehe auch: C.F. Hockett, Language, mathematics and linguistics ( = Janua linguarum, Nr. 60), The Hague-Paris: Mouton, 1967; P. Sgall, L. Nabesky, A. Goralcfkova, E. Hajicova, A functional approach to syntax in generative description of language ( = Mathematical Linguistics and Automatic Language Processing, Bd. 7, ed. by D.G. Hays), New York: Elsevier, 1969. Die von P. Sgall et aL vertretene Theorie könnte man vielleicht am besten im Gegensatz zu der von S.M. Lamb et al. als "stratificationell-generative" kennzeichnen.

5

G. Sampson, op. cit., S. 7.

6

Ibidem, S. 8.

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7

Es sei bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam gemacht, daß selbst solche wie die sich auf die Auffindungsprozeduren beziehenden und von N. Chomsky stark kritisierten Forschungsziele linguistisch nicht ganz irrelevant sind. Sie müssen ja bekanntlich im Bereich der sog. computational linguistics wieder aufgenommen werden und zwar vor allem dann, wenn man sich an den von z.B. Paul L. Garvin genannten höchsten Grad der Anwendung von Rechenanlagen im linguistischen Forschungsprozeß, d.h. an die Ersetzung des Linguisten durch eine Rechenanlage bei der Beschreibung unbekannter Sprachen heranarbeiten möchte (vgl. P.L. Garvin, Computer participation in linguistic research, in: Language 38, 1962, 385 - 389).

8

Vgl. F. Grucza, Sprachliche Diakrise im Bereich der Ausdrucksebene des Deutschen. Beiträge zur allgemeinen Sprachtheorie (= Poznanskie Towarzystwo PrzyjaciofNauk Wydzia^Filologiczno-Filozoficzny, Prace Komisji Jfzykoznawczej Bd. IV, H. 2), Poznan 1970.

9

Zu diesen Alternationen siehe G. Meinhold, Die Realisation der Silben (-an), (-am), (-al) in der deutschen hochgelauteten Sprache, in: Zs. f. Phon., Sprachw. und Kommunikationsforschung 15, 1962, 1 - 19.

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