LINDA BERGER – PEACH-BLOW: MONOGRAFIE/MONOGRAPH
 9783110747034, 9783110744750

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LINDA BERGER – PEACH-BLOW MONOGRAFIE MONOGRAPH Linda Berger, Maria Christine  Holter Hrsg. | Eds.

7 The Straight Quiet Line Hermanus de Jongh

8 Dompteurin der Stille

9 The Tamer of Stillness Jeremias Altmann

Jeremias Altmann

10 Vergiftete Süße

13 Poisoned Sweetness Maria Christine Holter

Maria Christine Holter

34 Feder, Fotos und Fluides: Korrespondenzen

36 Photos, Ink, Fluidities: Correspondences Lina Morawetz

Lina Morawetz

80 Kraul mir den Pelz, Baby

88 Feel My Fur, Baby Linda Berger

Linda Berger

PEACH-BLOW

113

113

188 Landstriche

190 Cloudlines Michael Donhauser

Michael Donhauser 217 218

Linda Berger Autorinnen und Autoren

217 219 221 222

Linda Berger Authors Credits Imprint

The Straight Quiet Line Hermanus de Jongh

7

a life so new and beautiful a bright shining star reflects a whole new universe and I see this long tunnel the straight quiet line in me a vision of infinity the burning candy store a gateway to serenity and I see this long tunnel so I go along, so I go along, to get stronger to balance sometimes, I feel as if I am… sometimes, sometimes, I feel but god says I am in the straight quiet line in me

Dompteurin der Stille Jeremias Altmann

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Im kühlen Neonröhrenlicht eines modernen Labors steht die Wissenschaftlerin still und aufmerksam. Ihr linkes Auge beobachtet durch ein Weltraumteleskop die Geburt einer fernen Sonne, ihr rechtes Auge untersucht durch ein Quantenmikroskop die Choreografie einiger Wasserstoffatome. Fast lautlos notiert sie Strich für Strich auf ihrem Klemmbrett, was währenddessen in ihr selbst geschieht. Aus einer wohligen Unschärfe schälen sich konkrete Strukturen und funkelnde Details einer wabernden Oberfläche, die in jedem Moment von einem anderen Licht beleuchtet scheint. Farbige Schatten, schneller, als dass ihnen je ein Augenwinkel folgen könnte. Die verwaschene Erinnerung an eine verrauchte Super-8-Filmvorführung. Eine Kugel aus Stanniol, ganz nahe ans Auge geführt, bis die Wimpern an ihr streifen. Vier Liter Milch versickern in einem dichten Teppich aus Beistrichen. Auch mein Gehirn ist in seiner ewigen Figurensuche schwer zu überlisten. Dieser sonst so nützliche Instinkt wird mir zur Herausforderung, wenn die monumentale Vieldeutigkeit von Linda Bergers Werken über mich hereinbricht. Alles zugleich ohne die kleinste Spur von Beliebigkeit. Den Rücken an die Wand des Raumes gedrückt, versuche ich zum Bild den größtmöglichen Abstand für einen tatsächlichen Überblick einzunehmen, während ich mich gleichzeitig mit der Nase am Papier durch die Komposition wühlen möchte. Wieder hin, wieder weg – und wieder bleibt der

Eindruck in mir zurück, noch immer nicht alles gesehen zu haben. Ein dunkler Tag im Leben der Zeichenfederspitze. Lindas Zeigefinger zieht das bisher unberührte Stück Metall behutsam aus einer kleinen Kartonschachtel hervor. Wie ein getrocknetes Insekt, als letztes fehlendes Exemplar zur Vervollständigung einer gewissenhaften Sammlung, liegt die Federspitze vor ihr. Mit dem Schaft im Federkiel versenkt, gibt es nun kein Entrinnen mehr. Erst die erbarmungslose Materialermüdung wird jene Feder wieder aus ihrer Zwangslage befreien. Der Abrieb von Stahl auf Papier. Den Ursprung der immensen Überzeugungskraft in Linda Bergers Arbeiten vermute ich nicht zuletzt in ihrer eigenen Überzeugung beim Setzen der ersten Linie – jenem Zeitpunkt, zu welchem sich das makellose Weiß in alle Richtungen noch bis zum Horizont erstreckt. Ich unterstelle ihr eine zutiefst ungewöhnliche Furchtlosigkeit gegenüber ihren selbst erdachten Herausforderungen. Eine Furchtlosigkeit, die sich bei längerer Betrachtung ihrer Zeichnungen wundersam auf mich überträgt. Wie der Blick in die zerklüfteten Wände eines Gebirgsmassivs zwingt mich auch die Erscheinung jener Blätter zur Annahme, dass ihre Erhabenheit unbeeindruckt den Verlauf unserer alltäglichen Banalitäten überdauern wird. Im Zweifelsfall jahrtausendelang, unaufgeregt und mühelos. Und plötzlich geht es wieder nur um den gegenwärtigen Moment; die Bergspitze, die hinter einer kleinen Wolke verschwindet und gleich darauf erneut erscheint; den einen einzigen Tuschestrich an eben dieser Stelle; den Tautropfen am Weidezaun. Eine Erleichterung, die mir bei all dem, was es hier festzustellen gibt, bei Weitem das größte Rätsel ist. Linda Berger hat entweder mehr verstanden, als ich in der Lage bin wahrzunehmen, oder die unauffällige Fähigkeit entwickelt, universelle Wahrheiten dermaßen verständlich zu formulieren, dass sich mein Unbewusstes aus lustvollem Schamgefühl dazu veranlasst sieht, ihre Bildsprache als Abstraktion zu interpretieren. Wie dem auch sei.

The Tamer of Stillness Jeremias Altmann

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In the cool neon light of a modern laboratory, the scientist stands still and attentive, alternately witnessing the birth of a distant sun through a space telescope and examining the choreography of discrete hydrogen atoms through a quantum microscope. And almost silently, line by line, she jots down on her clipboard what is also occurring inside her the whole time. Unfolding out of a soothing haziness are concrete structures and sparkling details of a billowing surface seemingly illuminated by a different light at every instant. Colored shadows, fleeter than the corner of an eye could ever follow. The faded memory of a smokefilled screening of a Super 8 film. A ball of tinfoil brought so close to the eyeball that eyelashes brush up against it. Four liters of milk slowly seeping into a thick carpet of commas. My brain, too, is difficult to outwit in its sempiternal pattern-seeking behavior. This instinct, otherwise so useful, becomes a challenge as the monumental ambiguity of Linda Berger’s works bursts out at me. And all at the same time, without the tiniest trace of randomness. With my back pressed up against the wall of the room, I try to maintain the greatest possible distance from the painting so I can gain an actual overview; and yet, at the same time, I long to burrow my way through the composition, to press my nose tight up against the paper. Stepping up, then stepping back—and still I am left with the impression I have yet to see it all.

A dark day in the life of an ink-pen nib. Gently, Linda’s index finger draws the hitherto immaculate sliver of metal out of its small cardboard box. The nib lies before her like a desiccated insect, the last missing specimen needed to complete a painstaking collection. With its shaft now sunk deep into the quill, there is no escape. Only the relentless course of material fatigue will ever free that nib from its dire straits. The wear and tear of steel on paper. I suspect that the tremendous powers of persuasion that permeate Linda Berger’s works originate not least in her own inner conviction as she applies her pen for the first time: at that moment the immaculate white still extends in every direction, as far as the horizon. I might even suggest that she possesses an utterly exceptional fearlessness as she faces up to challenges of her own making. A fearlessness which, the longer I contemplate her drawings, is somehow wondrously transferred onto me. Much like gazing into the fissured rocky faces of a mountain massif, the appearance of those sheets of paper compels me to assume that their majesty will outlast, unfazed, the course of our quotidian banalities—for millennia, arguably, without agitation or effort. Then, suddenly, it’s all about the present moment once again; the mountain peak that disappears behind a small cloud only to reappear the very next instant; a single stroke of the ink pen in that very spot; the dewdrop on the meadow fence. A relief which, to me, is by far the greatest mystery, given all there is to ascertain here. Linda Berger has either understood far more than I am capable of perceiving or developed the quiet and discreet ability to formulate universal truths in such an intelligible way that my unconscious, out of a lustful sense of shame, feels compelled to interpret her imagery as an abstraction. Be that as it may. Translated by Stephen Grynwasser

Zu Linda Bergers Burning Candy Store im Bildraum 07

Vergiftete Süße Maria Christine Holter

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Dieser Ort ist Opfer eines Brandes geworden. Es gilt, sich mit dem allgegenwärtigen Mund-NasenSchutz nicht nur vor SARS-CoV-2 zu schützen, sondern auch vor den bittersüßen, möglicherweise giftigen Dämpfen eines in Flammen aufgegangenen Zuckerlgeschäfts in der Burggasse 7– 9. So mochte es einem durch den Kopf gegangen sein, als man im September 2020 an besagter Wiener Adresse vorbeischlenderte oder wagte, sie trotz innerer Warnrufe zu betreten. Diese alarmierenden Gedanken sind indes nur das Weiterspinnen einer Fiktion der bildenden Künstlerin Linda Berger, die in Übereinstimmung mit einer Liedzeile aus der Feder Hermanus de Jonghs ihre gesamtkunstwerkartige Präsentation im Bildraum 07, dem Ausstellungsraum der künstlerischen Verwertungsgesellschaft Bildrecht, mit Burning Candy Store überschrieb. Außergewöhnliche Zeiten bedürfen ebensolcher Ausdrucksmittel. Schon mehrmals vor Burning Candy Store hatte die in Wien lebende und arbeitende Kunstschaffende über das bloße Papierformat hinausgehend raumgreifend und raumverändernd gestaltet (Stricheraum I–III, 2013 – 2016). In den ersten Herbsttagen des Jahres 2020 musste die sonst so zurückhaltende White Box des Bildraums 07 dran glauben: Berger verwandelte sie im vorderen, von der Straße her einsichtigen Bereich mittels wandfüllend aufgebrachter Grau- und Braunschlieren in einen abgefackelten, abgeranzten Unort und konterkarierte damit deren Sinn – für Kunstwerke ein möglichst neutrales Tableau zu bieten.

Mit der bewussten Störung des üblichen ArtspaceSettings, einer konzeptuellen Vorgangsweise, die Berger als ein „Auf-den-Kopf-Stellen“ der gewohnten Ausstellungs- und Wahrnehmungsbedingungen intendierte, reagierte die sensible Künstlerin nicht zuletzt auf die fundamentale Erschütterung durch die Covid-19-Pandemie, die den kulturellen Veranstaltungsbetrieb und ein auf Interaktion mit dem Publikum abzielendes künstlerisches Schaffen nahezu verunmöglichte. Wie bei der Eröffnung von Burning Candy Store bereits befürchtet, traten unmittelbar danach neuerlich verschärfte Präventionsmaßnahmen in Kraft, die eine Begehung der Raumintervention gänzlich verbaten. Zudem spiegelt sich in Bergers „Inszenierung der Auslöschung“ eine wohl noch wesentlich bedrohlichere, dauerhafte Krise wider: jene der kontinuierlichen Erderhitzung und der damit verbundenen, nicht enden wollenden Flächenbrände globalen Ausmaßes, die zugleich Ursache und Symptom der massiven Klimaveränderung unseres Jahrhunderts sind. Beide krisenhaften Phänomene müssen nicht eins zu eins in das Werk Linda Bergers eingeflossen und schon gar nicht darin abgebildet sein, auch wenn eine der im Bildraum 07 gezeigten Arbeiten, The Flame That Put Words in Her Mouth, an eine lodernde Hügellandschaft denken lässt. Bergers beeindruckende großformatige Tuschfederzeichnung von 2019 entstand selbstredend nicht im „luftleeren Raum“. Dem Ausstellungstext zu Burning Candy Store folgend, „fokussiert die Künstlerin in ihren Arbeiten auf Aspekte des Zeigens und Verbergens“. Mit dem Einschreiben, Zusammenballen, Aufschichten unzähliger feiner Federstriche werde eine Leerstelle zum Verschwinden gebracht – nämlich jene des unbearbeiteten, geschichtslosen Zeichengrundes. Das Zum-VerschwindenBringen des „geschichtslosen Zeichengrundes“ (Edith Almhofer) durch einen langwierigen, nicht nur physisch, sondern auch psychisch herausfordernden Zeichenprozess ist Geschichtsschreibung in höchstem Maße – eine rein subjektive, aber um nichts weniger eindrücklichere. Berger berichtet in einem ihrer Artist Statements über den einsamen Prozess des Schaffens, über den Gedankenfluss, den sie zunehmend weniger steuert, bis „so etwas wie ein gedachtes Nichts“

vorherrscht. Dieses wandelt sich während des Zeichnens zu einer „momentbezogenen Aufmerksamkeit“, was einer Transformation der eigenen Empfindsamkeit gleichkommt, die auf das Chaos der Zeit reagiert, reagieren muss. Der Zeichenvorgang Linda Bergers mutet in dieser Hinsicht kontemplativ und nach innen gerichtet an, manifestiert sich zugleich jedoch äußerst expressiv, ja obsessiv. Man möge sich den Kraftakt vergegenwärtigen, Bildformate, die es mit riesigen Gemälden aufnehmen können und von der Ferne auch so wirken, mit aus der Hand geschüttelten, circa fünf Millimeter bis einen Zentimeter langen Federstrichen zu füllen. Berger arbeitet, Jackson Pollocks Herstellungsprozess der Drip Paintings nicht unähnlich, um den am Atelierboden liegenden Bildträger herum und mitten in diesen hinein, doch nicht tänzelnd wie Pollock, sondern auf einem Kissen kniend und dieses dorthin verschiebend, wo es der Zeichnung nottut. Wie der bekannte amerikanische abstrakte Expressionist verliert sie sich dabei in ihrer Schöpfung und muss nach einer Phase der körperlichen und geistigen Verausgabung zurücktreten, um ihr Tun aus neuer Perspektive zu bewerten: Wo verdichtet sich der Strich, wo bleiben Leerstellen, wo muss aus der zunehmenden Auslöschung und Verdunkelung wieder etwas genommen werden, damit der Gesamtduktus, der gewollte All-over-Rhythmus oder eine richtungsgebende Dynamik erreicht wird? Natürlich spielt in Bergers Kompositionen nicht nur der Strich – dessen Stärke, Richtung und Überlagerung – als grafische Spur eine maßgebliche Rolle, sondern auch die Farbe sowie deren Auslassung, die Leerstelle. Die bevorzugte Farbsubstanz der Zeichnerin ist Tusche – Farbtuschen, deren Nuancen sie untereinander bei Bedarf mischt. Die Farbmischung geschieht nicht nur materiell, in kleinen Behältnissen, sondern, als hervorzuhebendes Charakteristikum ihrer Kunst, vorwiegend im Auge der Betrachterin oder des Betrachters. Damit können Bergers Werke in der Tradition der wegbereitenden Strömungen für die Moderne gelesen werden: Pointillismus respektive Divisionismus, wie ihn Paul Signac und Georges Seurat verkörpern, sowie Postimpressionismus, wie wir ihn unter anderem mit der aufge-

regten Écriture Vincent van Goghs verbinden. Van Gogh hat im Übrigen die gesehene Realität nicht nur in seinen weltberühmten Ölgemälden, sondern auch in den weniger geläufigen Tuschfederzeichnungen in emotional-dynamische Strichbündel aufgelöst. Diesen kunsthistorischen Errungenschaften des späten 19. Jahrhunderts gemein war das wissenschaftliche Interesse der Protagonisten an den neuesten Erkenntnissen der Naturwissenschaften, besonders hinsichtlich der Physiologie des Auges und der optischen Physik. Untersuchungen zur Entstehung von Farbeindrücken im Gehirn oder zu Phänomenen der optischen Farbmischung wurden zum Nährboden für Erneuerungen in der Kunst, was letztlich im sprichwörtlichen „Einfangen des Lichts“ oder in „farbigen Schatten“ der impressionistischen Malerei (versus die schwarz abgetönten Farbflächen überwundener Maltraditionen) resultierte und in der konsequenten Auslotung des Simultankontrasts sowie der additiven Farbmischung in Pointillismus und Divisionismus gipfelte. Die Bilder von Kunstschaffenden dieser postimpressionistischen Kunstrichtungen sind aus kleinen regelmäßigen Tupfen oder Flecken in reinen Farbwerten aufgebaut. Erst durch die optische Verschmelzung aus räumlicher Distanz formieren sich die Punkte zu farbigen Flächen und lesbaren Kompositionen. Selbiges gilt auch bei den Tuschfederzeichnungen von Linda Berger: Durch die additive Farbmischung, die nebeneinandergesetzten unterschiedlichen Farbtuschestriche auf weißem Untergrund, haben die daraus resultierenden Farbeindrücke mehr Leuchtkraft, während die Farben beim Vermischen oder durch Überlagerung am Papier dunkler werden und sogenannte „Schmutzfarben“ entstehen (subtraktive Farbmischung). An manchen Stellen der Zeichnungen ist auch bei Berger eine möglicherweise unbeabsichtigte optische Verdichtung bemerkbar, auch wegen der (wenngleich sparsamen) Verwendung schwarzer oder sehr dunkler Tuschen, und sie muss mittels Überzeichnung mit weißer Tusche gezielt dagegen angehen. Dadurch entsteht ein interessanter räumlicher Push-pull-Effekt, der einmal das Immaterielle, Transparente, ein andermal die materielle Verdichtung, das Körperhafte, in den Fokus rückt.

Vergiftete Süße Maria Christine Holter

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Wiederholt wurden Linda Bergers Kompositionen in kunstkritischen Texten mit astronomischen Aufnahmen unseres Kosmos in Beziehung gesetzt, besonders die vorwiegend blauen und dunkelvioletten von 2018 / 2019. Assoziationen zu bewegtem Wasser wie in Tide (2020) sind schon wegen des Titels gegeben. Tide und die meisten anderen im „ausgebrannten Candy Store“ präsentierten Werke evozieren jedoch auch Landschaften in einem dichteren Aggregatzustand – Bergland aus der Vogelperspektive, bewaldete oder eben versengte Hügelketten, die von weißen Adern (Flusstälern oder anderen Einschnitten) grafisch durchzogen sind. Die Großformate von 2020 sind gegenüber früheren Arbeiten dynamisch ruhiger geworden und stärker durchkomponiert, was möglicherweise dem erzwungenen Mehr an Zeit im Atelier während des ersten coronabedingten Lockdowns im Frühjahr 2020 geschuldet ist. Zudem hat sich ihr taktiler Charakter verstärkt, der sensorische Empfindungen wie das Streichen über Grashalme, Ähren oder Fell in sich trägt. Und dann gibt es in Burning Candy Store auch die transparenten, nahezu primärfarbenen Kompositionen, die tatsächlich Reminiszenzen an die mit picksüßen, quietschbunten Bonbons gefüllten Gläser eines Wiener Süßwarengeschäfts vor dem fiktiven Brand wecken, wie etwa Guilded Splinters (2018) und die mit der Ausstellung den Titel teilende Serie von Tuschzeichnungen auf Holz, Burning Candy Store 1–5. Gezielt setzt Berger im Bildraum 07 ihre emotional mehrheitlich positiv besetzten, in jedem Fall höchst ästhetischen Werke in Kontrast mit dem künstlich oder, besser gesagt, künstlerisch erzeugten Dreck des Umraums. Wie überhaupt das Dialektische in ihrer Arbeit auffällt: Obsession /  Kontemplation, Nähe  / Ferne, Rein- / Rauszoomen. All dies wird für die Betrachterinnen und Betrachter zur nachvollziehbaren Realität, wenn sie sich individuell und mit einem Vorrat an Zeit ausgestattet dieser Kunst aussetzen. Der Sog des künstlerischen Handlungs- beziehungsweise Projektionsraums überträgt sich und zieht mitten hinein in diese Speicher künstlerischer Lebensund Arbeitszeit. So übersetzt sich entlang der millionenfachen Spur der strichsetzenden Hand

Linda Bergers Narrativ zum Burning Candy Store als eine giftig-süße Erzählung, die sich in den Köpfen weiterschreiben und mit der persönlichen Geschichte verbinden lässt.

Linda Berger’s Burning Candy Store at Bildraum 07

Poisoned Sweetness Maria Christine Holter

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This place has been consumed by fire. It is therefore a matter of using the ubiquitous facemask as protection not just from SARS-CoV-2, but also from the bittersweet and possibly toxic fumes of a candy store that went up in flames at Burggasse 7– 9. Thoughts not unlike these may well have gone through your mind as you strolled past said address in Vienna in September 2020 or if, against your better judgment, you dared to venture onto its premises. But these alarming thoughts are merely the extrapolation of a fiction created by visual artist Linda Berger who, embracing the lyrics from a song by Hermanus de Jongh, gave the title “Burning Candy Store” to her gesamtkunstwerk-like presentation at Bildraum 07, the exhibition space operated by Bildrecht, an Austrian artistic copyright collecting society. Extraordinary times call for equally extraordinary means of expression. On numerous occasions preceding “Burning Candy Store,” the Vienna-based artist created space-defining and space-altering works that went beyond the mere paper format (Stricheraum I–III, 2013–2016). In the first autumn days of 2020, it was Bildraum 07’s turn, a white box otherwise so reserved and restrained. In the front area, visible from the street, Berger used grey and brown streaks applied to the entire wall surface to transform the space into a torched and dilapidated non-place, frustrating its very purpose, namely to provide as neutral a tableau for artworks as possible. In deliberately disrupting the usual art-space setting—a conceptual approach intended by Berger in order to turn conventional exhibition and perception conditions on their head—the sensitive artist was

responding not least to the seismic shock waves triggered by the COVID-19 pandemic, one that has made cultural events and public interaction-based artistic creation nigh on impossible. Already at the official opening of “Burning Candy Store” it was feared that stricter preventative measures would soon be implemented and indeed immediately afterwards they were, prohibiting any viewing of the spatial intervention. What’s more, Berger’s “staging of extinguishment” reflects an arguably even more threatening, long-term crisis: that of continual global warming and the associated, never-ending wildfires on a similarly global scale, the cause and symptom of our century’s massive climate change. These two critical phenomena were not necessarily incorporated one-to-one into Linda Berger’s work, let alone depicted in it—even if one of the works on show at Bildraum 07, The Flame That Put Words in Her Mouth, was evocative of a rolling landscape set ablaze. But of course Berger’s stunning large-format pen-and-ink drawing from 2019 was not created in a “vacuum.” According to “Burning Candy Store”’s exhibition text, “in her works the artist focuses on aspects of showing and concealing.” A blank space—the untouched and unblemished drawing surface, bereft of any history—is gradually made to disappear as the artist inscribes, accumulates, and layers her countless, delicate pen strokes. The incremental process involved in making the “drawing surface bereft of history” (Edith Almhofer) disappear through a protracted drawing process that is challenging, not just physically but also psychologically, is tantamount to historiography of the highest order—a purely subjective one, but no less impressive for it. In one of her artist statements, Berger offers an account of the loneliness of the creative process, the flow of thoughts over which she has less and less control until eventually “something resembling thoughts of nothing” establishes itself. In the course of the drawing process this is then transformed into an “attentive awareness that is very much of the moment,” akin to a transformation of one’s own sensibility that reacts—and has to react—to these chaotic times. So while Linda Berger’s drawing process may seem contemplative and introspective, its manifestation is also extremely expressive, even obsessive. Consider

Poisoned Sweetness Maria Christine Holter

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the tour de force involved in filling picture formats akin to monumental paintings which, from a distance, boast a similar impact—but using pen strokes some 5 mm to 1 cm in length, each one of them drawn by hand. In a way not dissimilar to the process involved in Jackson Pollock’s drip paintings, Berger works all around the support medium laid out on the studio floor, but also within the very heart of it. But unlike Pollock, she is not sashaying around it, preferring instead to kneel on a cushion, shifting it about as the drawing dictates. Like the famous American abstract expressionist, she too loses herself in her creative work. And after each phase of physical and mental exhaustion, she is then forced to step back and evaluate her output from a different perspective. Where have the pen strokes accumulated? Where are the remaining blank spaces? Where is subtraction required from the incremental extinction and obscuration so that her signature flow, the intended “all-over” rhythm and guiding dynamics are achieved? Of course, in Berger’s compositions it’s not just the pen stroke—its thickness, direction and overlaying—that plays a key role as a graphic trace: it’s also the color, its omission, and the blank space. The artist’s color substance of choice is ink: colored inks, their nuances mixed as required. The blending of these colors doesn’t just occur physically in little pots. Indeed, it is a notable characteristic of Linda Berger’s art that such blending actually occurs mainly in the eye of the beholder. Thus Berger’s works can be seen in the tradition of trends that paved the way for modernism, the Pointillism and Divisionism of Paul Signac and Georges Seurat, but also Post-Impressionism of the kind we associate with, among others, the agitated écriture of Vincent van Gogh. Incidentally, van Gogh resolved the reality he perceived into emotionally charged and bundled brushstrokes not just in his world-famous oil paintings but also in his lesser-known ink-pen drawings. A common trait of these late 19 th century art history achievements was the scientific interest the protagonists had in the latest findings of natural science, especially with regard to the physiology of the eye and to optical physics. Studies of the way color impressions are formed in the brain, or of optical color mixing phenomena, are fertile ground for innovations in art, resulting ultimately in the

proverbial “capturing of light” or “colored shadows” of Impressionist painting (as opposed to the blacktoned color fields of somewhat passé painting traditions), but they also culminate in the continual sounding-out of concurrent contrast and additive color-mixing in Pointillism and Divisionism. The paintings by artists from these Post-Impressionist movements are comprised of small regular spots and specks featuring pure color-values. It takes the visual blending resulting from the spatial distance from the work for these individual dots to cluster into areas of color and “readable” compositions. The same holds true with regard to Linda Berger’s ink-pen drawings. The additive color blending, the juxtaposition of different strokes of colored inks on a white background, creates color impressions characterized by greater luminosity, with the colors themselves darkening as they are mixed or overlaid on the paper, creating so-called “dirt colors” (subtractive color-mixing). Optical compression, which may or may not be unintended, is also noticeable in some areas of the drawings in Berger’s work, due partly to the (admittedly frugal) use of black or very dark inks, an effect she deliberately has to counteract by overlaying white ink. This in turn creates an interesting spatial push-pull effect that alternately emphasizes the immaterial and the transparent, the material compression and the corporeal. In art critiques, Linda Berger’s compositions have repeatedly been likened to astronomical photographic images of our cosmos, particularly so her predominantly blue and dark purple works of 2018/2019. Associations with moving water, as in Tide (2020), come naturally, given the titular hint; however, Tide and most of the other works featured at this “burnt-out candy store” also evoke landscapes in a denser state of aggregation—bird’s-eye views of mountainous terrain, forested or indeed scorched ranges of hills graphically permeated by white rivulets (river valleys and other cleaving cuts). Compared with earlier works, the large formats of 2020 have become dynamically calmer and more precisely composed, a consequence perhaps of the artist having had to spend more time in the studio as a result of the first Corona-related lockdown in the spring of 2020. What’s more, their tactile character has increased, enhancing sensations

evocative of caressing blades of grass, ears of corn, or even fur. “Burning Candy Store” also features transparent compositions of almost primary colors that are reminiscent of the jars filled with sickeningly sweet and garishly colored confectionery of the kind to be found in a Viennese confectionery shop before the imaginary fire, i.e. Guilded Splinters (2018) and the series of ink drawings on wood, Burning Candy Store 1– 5, from the eponymous exhibition. At Bildraum 07, Berger deliberately contrasts her works—the majority of which are charged with positive emotion and, in any case, highly aesthetic— with the artificially or, rather, artistically generated grime of the surrounding space. In fact, her oeuvre as a whole is permeated by a sense of dialectic: obsession/contemplation, proximity/distance, zooming in/out. All of which becomes a graspable reality for any viewer who chooses to engage individually with her art and is willing to afford it a modicum of time. The pull of the artistic action or projection space is relayed, drawing us right into the very core of these reservoirs of artistic life and working hours. Thus Linda Berger’s plot line for her “Burning Candy Store” is translated along the million-fold trace of pen strokes set by the artist’s hand as a poisonously sweet narrative that goes on writing itself in the viewer’s mind, connecting with their own personal history. Translated by Stephen Grynwasser

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Tide 2020 220 × 435 cm Tusche auf Papier

Bildraum 07, Wien/Vienna 2020

ink on paper

Burning Candy Store 1+ 2 2020 115 × 95 cm Tusche auf Holzplatte ink on wood panel

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Guilded Splinters 2018 149 × 108 cm Tusche auf Papier

Bildraum 07, Wien/Vienna 2020

ink on paper

Tide 2020 220 × 435 cm Tusche auf Papier ink on paper

Bildraum 07, Wien/Vienna 2020

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Guilded Splinters 2018 149 × 108 cm Tusche auf Papier ink on paper

Bildraum 07, Wien/Vienna 2020

22

Tide 2020 220 × 435 cm Tusche auf Papier ink on paper

Bildraum 07, Wien/Vienna 2020

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The Flame That Put Words in Her Mouth 2019 158 × 204 cm Tusche auf Papier ink on paper

Bildraum 07, Wien/Vienna 2020

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Run My Clouds

Walking on Waves

2019

2019

115 × 96 cm

115 × 96 cm

Tusche auf Holzplatte

Tusche auf Holzplatte

ink on wood panel

ink on wood panel

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A Brand New Age 2017 219 × 424 cm Tusche auf Papier

Kunst- und Rahmenhandlung Christine Ernst, Wien/Vienna 2020

ink on paper

Basement, Wien/Vienna 2019

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The Mountain Never Moves 2019 220 × 320 cm Tusche auf Papier ink on paper

Basement, Wien/Vienna 2019

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The Mountain Never Moves 2019 220 × 320 cm Tusche auf Papier ink on paper

Feder, Fotos und Fluides: Korrespondenzen Lina Morawetz

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Der Strich hat kein gutes Image. Man verfolgt eine Linie, keinen Strich, geht jemandem auf den Leim, nicht den Strich, aber die Schlussstrichmentalität, die leider gibt es. Das schlechte Image des Striches ist Grund genug, sich ihm zuzuwenden. Denn Striche sind immer auch das, was sie nicht sind. In Linda Bergers Bildern werden sie fluide Topografien, Alpen oder Galaxien, Wellen – oder, geschrieben mit Tinte und Feder, eine „Schrift von keinerlei Sprache“.1 Grüne, blaue, rötliche … schwarze, bläuliche, violette … Striche. Gerade ihre Nichtsprachlichkeit soll es Bildern möglich machen, jenen Raum in uns freizulegen, der für gewöhnlich von der Kritik besetzt ist.2 Dort entstehen dann Umschlagplätze für das Nichtzielgerichtete oder die „berühmte post-avantgardistische Mischung aus Sublimity (Erhabenheit) und Stupidity (Dummheit)“.3 Ein Buch wiederum bündelt Welten und kultiviert die Linien des Seitenspiegels. Bücher sind Vorkämpferinnen des Zusammendenkens (auch mit Fäden, mit Leim) von großen Gegensätzlichkeiten. Ohne gutes Verhältnis zwischen Bögen und Seiten geht gar nichts. Der Anlass dieses Buches ist ein Werk aus millionenfach wiederholten Strichen: Können sie, kaum einzeln in Betracht zu ziehen, im Rahmen von wenigen Linien Platz finden? Mitte des 19. Jahrhunderts wurden in Europa Schreibfedern zu einem Massenprodukt, wurden von Maschinen massenhaft aus Stahlbändern gestanzt. In der Wiederholung erweitere sich die Aufmerksamkeit, schreibt Monika Rinck in

Risiko und Idiotie, „weil sie schon erfahren hat, worauf sie sich nicht mehr zu richten hat, weil sie das schon kennt“.4 Wiederholung führt aber auch bergab in Richtung Erschöpfung, zu nachlassender Aufmerksamkeit, also „Abmerksamkeit“. Während sich hier dünne Striche zu gestisch-abstrakten Oberflächen, zu Topografien von entgrenzten Körpern erweitern, beschwört das Nutzen von Tinte und Feder gleichzeitig jenen historischen Moment herauf, als die Modernisierungsprozesse der Arbeitsteilung im 18. und 19. Jahrhundert die Entkörperlichung der Figur beschleunigten und „das Individuum selbst“ geteilt – und erschöpft – wurde.5 In Peach-Blow passiert die Sinnübergabe entsprechend im Liquiden, zwischen Strichen, Zeilen und Linien.6 Sogar im Transparenten, auf Bibeldruckpapier, im „blow-up“. Man könnte das Ergebnis als correspondance 7 bezeichnen, als Entsprechung zwischen Binden und Blättern, Körpern und Flächen, Wiederholen und Wiedergeben. Dieser Austausch der Aufmerksamkeiten geht langsam und visuell vor. Die eingefügten Fotografien der Werke an physischen Orten etwa versetzen die künstlerische Prozessmaterie in den Bildraum der Wirklichkeit. Formalästhetische Entsprechungen und Gegensätze werden sichtbar. Die farblich verwandten Galaxien, die immer auch keine sind, entfalten sich vor Ort im aufgespürten Grid von Innenhöfen, ehemaligen Fabriken, Ufern. Die Fotos sind gebündelte Reflexionen der Medien Fotografie, Buch und Zeichnung. Sie wollen weniger auf gewohnte Rezeptionsabläufe aufmerksam machen als eine Korrelation zwischen Werk und Buch herstellen und im Sinne des Werkes nichtsprachliche Umschlagplätze freilegen. Und dort, und so, zwischen der Perspektive der Fotografie und dem Sog der Wiederholung kreuzen sich zwischen Peach-Blow und blow-up die Wege des Noch-nicht- und des Nicht-mehrGewussten und verständigen sich die Makro- und die Mikroebene über die Dialektik von Aufmerksamkeit und Abmerksamkeit.

1 Henri Michaux, zit. n. Michael Lentz, „Stimmenleben. Das visuelle und akustische Werk von Carlfriedrich Claus“, in: Text + Kritik 184 (2009), S. 87–101, hier: S. 88. 2 Vgl. Rachel Cusk, Second Place (E-Book), London: Faber & Faber, 2021, o. S. 3 Monika Rinck, Risiko und Idiotie. Streitschriften, Berlin: kookbooks, 2015, S. 242. 4 Ebd., S. 268. 5 Die Konsequenzen der Modernisierung, als Kultur erfahrbar gemacht, brachen die geistige Autorität der Malerei (weil die Modernisierung mit ihrer Entwicklung von Maschinen den Zugriff der Perspektive auf die Kultur verstärkte). Siehe Jeff Wall, „Einheit und Fragmentierung bei Manet“, in: ders., Szenarien im Bildraum der Wirklichkeit. Essays und Interviews, Hamburg: Philo Fine Arts, 1997, S. 235 –248, hier: S. 240 f. 6 Vgl. Rinck, a. a. O. (zit. Anm. 3), S. 242: „Die Sinnübergabe passiert im Liquiden.“ 7 Der französische Begriff wird von Baudelaire geborgt, der, wie Jeff Wall schreibt, als Dichter absolute Polaritäten für einen äußeren Schein hielt und in dessen Universum die „correspondances“, Korrespondenzen oder Entsprechungen, überwogen. Vgl. Wall, a. a. O. (zit. Anm. 5), S. 238.

Photos, Ink, Fluidities: Correspondences Lina Morawetz

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The stroke could do with a better image. One might follow a particular line, certainly, but not the stroke of a pen; one might even be drawn in by someone, but not at a stroke; and the final stroke is not, unfortunately, the same as the end of the line. So the poor image that the stroke has is reason enough to take a closer look at it. After all, strokes are nearly always what they are not, too. In Linda Berger’s paintings, for instance, they become fluid topographies, alpine landscapes, galaxies, waves or, written in ink and pen, a “script from no language at all.”1 Green, blue, reddish...black, bluish, purple: all strokes of the pen. It is precisely because they are non-linguistic in nature that images are supposed to expose a location within us, a place to be that is normally taken up because the criticism got there first.2 That is where “transfer points” are created for the non-purposive or “famous post-avant-garde mix of sublimity and stupidity.”3 By contrast, a book bundles worlds and cultivates the lines of the page layout. Books are the spearheads of thinking together vast dichotomies (even with stitches and glue). Nothing works if the relationship between the pages and the sheets is off. This book has been prompted by a work itself comprised of pen strokes repeated millions of times. But can they, barely discernible individually, find space within the framework of just a few lines? In the mid-19th century, ink pens became a mass product in Europe, machine-stamped in bulk from coiled strips of steel. In repetition, our attention expands, writes Monika Rink in Risiko und Idiotie,

“because it has already experienced what it no longer has to focus on, because it is already familiar with it.”4 But repetition also leads rapidly downhill towards exhaustion, to waning attention, to nonattention. As these slender pen strokes evolve into gestural-abstract surfaces and topographies of bodies unconfined, the use of pen and ink simultaneously evokes the historical moment when the modernizing processes of the division of labor in the 18 th and 19 th centuries accelerated the disembodiment of the figure and “the individual itself” became divided—and exhausted.5 Accordingly, in Peach-Blow, the transfer of meaning occurs in the fluid, between the pen strokes, the lines, and the rows.6 And also in the transparent, on bible paper, in a “blow-up.” One might refer to the result as a correspondance,7 a close match between binding and browsing, bodies and surfaces, repeating and reproducing. This exchange in attention states proceeds slowly and visually. The photograph inserts of the works in physical locations, for instance, transfer the artistic process matter into the pictorial space of reality. Formal-aesthetic correspondences and contrasts become visible. The color kinships of galaxies, which never are galaxies, unfold in situ in the located grid of inner courtyards, former factories, and shorelines. The photographs are bundled reflections of the media of photography, book, and drawing. Rather than looking at the usual processes of critical reception, their aim is to establish a visual correlation between the work and the book and, in keeping with the intent of the work, to reveal non-linguistic transfer points. There and thus, between the perspective of photography and the inexorable pull of repetition, the paths of the not-yet-known and the no-longerknown cross between Peach-Blow and blow-up, and the macro level and the micro level communicate through the dialectics of attention and the lack thereof. Translated by Stephen Grynwasser

1 Henri Michaux, cited in Michael Lentz, “Stimmenleben. Das visuelle und akustische Werk von Carlfriedrich Claus,” in: Text + Kritik 184, (2009), pp. 87–101: 88. 2 See Rachel Cusk, Second Place, ebook, London: Faber & Faber, 2021. 3 Monika Rinck, Risiko und Idiotie. Streitschriften, Berlin: kookbooks, 2015, p. 242. 4 Ibid., p. 268. 5 The consequences of modernization, rendered palpable as culture, broke the intellectual authority of painting (because modernization, in developing machines, strengthened the grip of perspective on culture). See Jeff Wall, “Einheit und Fragmentierung bei Manet,” in: Szenarien im Bildraum der Wirklichkeit. Essays und Interviews, Hamburg: Philo Fine Arts, 1997, pp. 235 – 248: pp. 240f. 6 Rinck, Risiko und Idiotie, p. 242: “The transfer of meaning occurs in the fluid.” 7 The French term is borrowed from Baudelaire, who as a poet (Jeff Wall writes) considered absolute polarities to be an external appearance and in whose universe the correspondances, i.e. correspondences, prevailed. See Wall, “Einheit und Fragmentierung,” p. 238.

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The Ink in the Well 2019 149 × 108 cm Tusche auf Papier

Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

ink on paper

Your Craft Will Come 2019 149 × 108 cm Tusche auf Papier ink on paper

Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

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Your Craft Will Come

The Ink in the Well

2019

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149 × 108 cm

149 × 108 cm

Tusche auf Papier

Tusche auf Papier

ink on paper

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Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

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Your Craft Will Come 2019 149 × 108 cm Tusche auf Papier ink on paper

Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

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Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

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Your Craft Will Come

The Ink in the Well

2019

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149 × 108 cm

149 × 108 cm

Tusche auf Papier

Tusche auf Papier

ink on paper

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Off Line

2021

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153 × 251 cm

153 × 251 cm

Tusche auf Papier

Tusche auf Papier

ink on paper

ink on paper

Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

Slow Emotion Replay

Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

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Slow Emotion Replay

Off Line

2021

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153 × 251 cm

153 × 251 cm

Tusche auf Papier

Tusche auf Papier

ink on paper

ink on paper

Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

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Slow Emotion Replay

Off Line

2021

2021

153 × 251 cm

153 × 251 cm

Tusche auf Papier

Tusche auf Papier

ink on paper

ink on paper

Eslarngasse, 1030 Wien/Vienna

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carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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Oscillation 2021 80 × 70 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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When Meanings Have No Reason 2021 200 × 160 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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When Meanings Have No Reason 2021 200 × 160 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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Disoriented You Enter 2020 110 × 90 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

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Spoon Distance Fading 2019 150 × 108 cm Tusche auf Papier

Fichtegasse, 1010 Wien/Vienna

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Pretending to Swim 2019 150 × 108 cm Tusche auf Papier ink on paper

Fichtegasse, 1010 Wien/Vienna

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Spoon Distance Fading

Pretending to Swim

2019

2019

150 × 108 cm

150 × 108 cm

Tusche auf Papier

Tusche auf Papier

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Fichtegasse, 1010 Wien/Vienna

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So You Can See 2017 150 × 200 cm Tusche auf Papier

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

ink on paper

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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So You Can See 2017 150 × 200 cm Tusche auf Papier ink on paper

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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Gerlgasse, 1030 Wien/Vienna

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The Ancient Form of Weaving 2020 260 × 213 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

Gerlgasse, 1030 Wien/Vienna

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The Ancient Form of Weaving 2020 260 × 213 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

1 Vilém Flusser, Die Revolution der Bilder, Mannheim: Bollmann, 1995, S. 8.

Kraul mir den Pelz, Baby Linda Berger

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„Was nicht kommuniziert wird, ist nicht, und je mehr etwas kommuniziert wird, desto mehr ist es.“ — Vilém Flusser 1 Der Anfang. Ein weißes Blatt Papier. Schwarze Tusche. Etwas unterhalb der horizontalen Mitte, etwas rechts von der vertikalen Mitte beginne ich zu stricheln. Kleine schwarze Striche, ziemlich viel mit einmal Eintauchen, circa zweihundert, formen sich zu einem Haufen wie ein Berg mit einer Spitze, die letzten Striche werden kürzer, ich spüre schon, dass sich die Tusche in der Feder zu Ende neigt. Der Haufen ist offen zu allen Seiten, die Striche haben einen Abstand von drei bis fünf Millimetern, nicht geordnet. Noch keine Form im Kopf. Der Strich als Gestalt einer Idee. Direkte Verbindung von Arm, Hand, Feder, Papier. Auf dem Blatt fängt alles an. Ich tauche eine andere Feder in das Fässchen, die Spitze ist bereits benutzt, stumpfer, die Striche werden breiter. Ich zeichne sie dichter aneinander, die Fläche wird dunkel. Das Fass steht offen neben mir auf dem Papier, nur eine Unaufmerksamkeit und es könnte umfallen. Der Tuschestrich ist variabel. Anders als bei einem Stift oder Kugelschreiber kann ich mit der Spitze spielen, sie drehen, mit der Vorder- oder Rückseite der Feder zeichnen. Durch schnelles oder langsames Stricheln die Form des einzelnen verändern, den Anfang des Strichs dicker als sein Ende machen, fast wie ein Tropfen, wenn man ihn vergrößern würde. Ich setze eine neue Feder auf den Federhalter,

der Strich ist sagenhaft anders. Anscheinend aufmerksam tunke ich die Feder in die Tusche. Durch die glatte, ungebrauchte Oberfläche haftet sie nicht, und bevor ich noch den ersten Strich setze, tropft ein schwarzer Fleck aufs Papier. Die Feder zeichnet nicht so, wie ich will. Sie kratzt und hält die Tusche fest, es dauert ewig, bis sie meine Zeichnung annimmt, es macht mich etwas aggressiv, ich zeichne viel zu fest und verletze das Papier. Natürlich bringt das nichts, ich lass’ mich trotzdem provozieren. Irgendwann hab’ ich sie. Es läuft. Wie die Zeit vergeht, ohne dass die Zeit vergeht. Protokollarische Notizen, Gedanken während des Zeichnens, ein Einblick in die paar Monate intensive Zeichenphase entsteht. Die Bemerkungen, die ich hier aufschreibe, bleiben Fragen, subjektive Spekulationen und Ansichten, auch wenn sie als Behauptung rüberkommen. Es sind Gedankenüberwucherungen. Manche bedecke ich mit anderen, es können nie alle sichtbar werden. Natürlich ist es so, dass mir die Zeichnungen nicht aus dem Kopf gehen, wenn ich den Zeichenprozess unterbreche. Trotzdem werde ich in meiner Niederschrift nur die Impulse sichtbar werden lassen, die ich letztendlich während des Zeichnens bekomme. Es gibt Zeiten, in denen ich nicht nur selber denken kann. Da ich nicht in einem hermetisch abgeriegelten Raum sitze, sind meine Gedanken durch unterschiedlichste Einwirkungen, die ich teilweise selbst auswähle oder die passieren, gesteuert und beeinflusst. In der Nachbearbeitung der Aufzeichnungen habe ich die Sätze teilweise ausformuliert, um ein besseres Verständnis dieser zu bekommen, oder auch als Gedankenfetzen und einzelne Gedankenworte stehen lassen. Ich zeichne eine Form wie eine Schlange. Hebe die Form hervor, an den Rändern Verdichtungen. Es ist ein Tunnel. Ich denke an Tausendfüßler. So dicke, eklige, schwülstig und dunkel – ein leiser Gedanke von Rache überfällt mich. Es ist kein schöner Moment. Ich merke gar nicht, wie ich zeichne, und zeichne diese Form zu lang, zu stark in den Gedanken und jetzt … darüberzeichnen. Neu und anders. O. k. Raus aus dem Tunnelgedanken. Ich halte die Feder weiter oben am Griff. Der Strich

3 Zit. n. Konrad Paul Liessmann, Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen, Wien: Zsolnay, 2010, S. 73.

Die aufgelesenen Früchte in einen Korb leeren heißt: ihnen diesen Ort bereiten. Die Leere ist nicht nichts. Sie ist auch kein Mangel. In der plastischen Verkörperung spielt die Leere in der Weise des suchend-entwerfenden Stiftens von Orten. Die Wahrheit als die Unverborgenheit des Seins ist nicht notwendigerweise auf Verkörperung angewiesen. Goethe sagt: „Es ist nicht immer nötig, daß das Wahre sich verkörpere; schon genug, wenn es geistig umherschwebt und Übereinstimmung bewirkt, wenn es wie Glockenton ernst-freundlich durch die Lüfte wogt.“ 2 Dominanz des Nichtgestaltens. Was wir sehen, ist auch individuell verzerrt, je nachdem, was unsere persönlichen Bedürfnisse oder eigenen Vorstellungen uns zeigen. Shitty, die Zeichnung sieht aus wie ein Hühnchen. Ich ändere das! Oh Mann, ich kann das echt verkacken, brauch’ eine Pause … Ich denke daran, wie man ein Bild sehen kann, was daraus lesen, wie beschreiben auf eine verständliche Art. Was immer sich in der Zeichnung ausdrückt, kann man nur mit der Zeichnung ausdrücken. Adorno hat es mit diesem Ausspruch auf die Spitze getrieben: „Die Werke sprechen wie Feen in Märchen: du willst das Unbedingte, es soll dir werden, doch unkenntlich.“3 Hinter mir blitzt es sehr hell, jemand schweißt. Es wird kalt, die Fenster sind oben undicht, es zieht und wird immer kälter. Die alten Efeublätter, die vor Jahren in den Raum gewachsen sind, wackeln im Wind. Es nervt mich. Ich bewege mich auf dem Blatt Papier weiter nach links, dort ist es noch so leer, beginne mit schwarzer Tusche. Nein, Blau, Taubenblau. Wenn man versucht, an etwas Bestimmtes zu denken, wird es nichts Bestimmtes, nur Allgemeines, Banales, eine Suppe, Matsch, grau, unkonkret. Warum gehen denn als für perfekt empfundene Zustände vorbei? Und warum ist das Gefühl so scheiße und unerträglich, wenn das scheinbar (mal wieder) so gut erdachte Konstrukt zerbröselt? Ich sollte ab jetzt nur noch rational denken und handeln. Gut und Schlecht abwägen, der Vernunft nachgehen. Emotionales Desaster. Ich komm nicht raus aus meiner Haut. Befreie mich, was auch immer. Kunst gegen Kummer und für emotionales Flachland.

2 Zit. n. Martin Heidegger, Die Kunst und der Raum  /  L’Art et L’Espace, Frankfurt/M.: Vittorio Klostermann, 2007, S. 12 f.

wird härter, ebenso dünn, mehr Druck, nicht so gleichmäßig. Es kratzt auf dem Papier. Mit einem Eintauchen bekomme ich nicht sehr viele Striche hin. Die Feder ist in steilem Winkel auf das Papier gerichtet, die Striche bekommen eine Richtung. Aufgeschnappt: Artistically Screenshot. Mit dem Gedanken bin ich hergekommen, ich denke: Artistic Snapshot. Mache Musik an. Vom Hundertstel ins Tausendstel. Meisterin des Reinsteigerns. In meinen Gedanken ist etwas, was zu viel Platz einnimmt. Wenn ich es nicht ausspreche, dann löst es sich vielleicht auf. Ganz naiv. Einsame Momente des Zeichnens. Ich versuche, jemanden anzurufen. Niemand da. Akzeptiere die Einsamkeit. Ich beginne, sie anzunehmen, zu bedenken, zu genießen. Ich konzentriere mich darauf, nichts zu denken, gedankenlos sozusagen. Gedachtes Nichts. Gequirlte Scheiße. Ignoranz. PAH! Eine Form wird sichtbar. An verschiedenen Orten füge ich Striche zu einem Haufen. Verbinde diese Flächen wiederum miteinander. Es geht mir jetzt um die Proportion und ein Gleichgewicht, Einheit und Vielfalt. Wenn ich das Blatt aufhänge, einige Meter davon entfernt stehe, wird es klarer. Ich mache ein Foto. Dann klebe ich wieder mit der Nase auf dem Papier. Variationen für eine Millisekunde. Ich stelle mich auf einen Tisch und blicke von oben herab auf das Bild. Ich bestimme, was passiert. Es sieht anders aus. Ein Wirbel. Ein Netz hält einzelne Flächen zusammen. Irgendwas passt mir nicht. Ich denke anders darüber, bin mir noch nicht im Klaren, was das wird. Was wird aus der Leere des Raumes, aus den fehlenden Stellen auf dem Papier? Die Flecken und Löcher, das Fehlen einer Ausfüllung von Hohlräumen und Zwischenräumen. Die Leere ist vielleicht mit dem Eigentümlichen des Ortes verbunden und darum kein Fehlen, sondern ein Hervorbringen. Die Sprache gibt uns einen Wink: Im Zeitwort „leeren“ spricht das „Lesen“ im ursprünglichen Sinne des Versammelns, das im Ort waltet. Das Glas leeren heißt: es als das Fassende in sein Freigewordenes versammeln.

5 Ludwig Wittgenstein, Das Blaue Buch. Werkausgabe Band 5, Frankfurt/M.: Suhrkamp, 1984, S. 268.

4 http://www.arte.tv/de/philosophie-gefuehle/ 2235124,CmC=2727798.html, Sendung vom 31.05.2009, gesehen am 25.04.2014.

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Ist doch irgendwie nicht das Meine, ich finde es so gut, auf Berge zu steigen. Doch, es lohnt sich! Es lohnt sich alles. Ich arbeite ja auch mit dem Gefühl, jeder arbeitet mit seinen Gefühlen. Ich höre mir jetzt an, was andere dazu sagen: „Emotionen können geschickt eingesetzt, vorgetäuscht oder aufgeführt werden. Kann ich also die Emotion als Werkstoff betrachten, der existiert, den man bearbeiten kann? Bewegungen und Empfindungen kann man beeinflussen wie einen Rohstoff, wie ein Material, das verändert wird oder das selbst verändert. Erst mal ist die Emotion da, ohne Kontrolle. Was ein Charakteristikum davon ist, ebenso irritierend. Sie ist als Rohform nicht in Worte zu fassen, lässt sich nicht beeinflussen, es bricht einfach so aus uns heraus. Was sich den Gedanken entzieht, was die Vorstellung übersteigt, was man rational nicht mehr versteht.“4 Ich bin mir selbst zu viel. Würde am liebsten zwischen die Striche ins Bild schlüpfen und mich verkriechen. Kann die Gedanken immer noch nicht formulieren. Bin nur noch Werkzeug – ich zeichne weiter. Gedanken vom Tod. Wichtigkeiten verteilen. – Probleme – Gerade war eine Freundin hier. Sie hat mir etwas erzählt, was mich sehr bewegt hat. Wie relativiert sich plötzlich alles, wenn man hört, dass eine Person einfach so die Treppe runterfällt und stirbt! Einfach so. Aus. (Gedankenpause) Und was ist das Eigene für ein Drama, mit diesem Emotionschaos in einem drinnen. Nichtigkeiten. Passieren. Wissen von der Zeit. Der Tod bringt den Menschen mit der Zeit einfach nicht zurück. Vielleicht ist das Leben gleich vorbei, was sind meine Probleme wert, wenn ich doch weiß, dass es mit der Zeit besser wird. Es wird besser. Drehe am Zeitrad. Es wird besser, und dann ist es wieder gut. Ich manipuliere das Zeitrad, will schneller drehen. Und nur noch über wichtigere Dinge nachdenken, was gehört der Gegenwart, was gehört ins Jetzt. Ein Anruf in Abwesenheit. Ich hab’s nicht gehört. Jetzt ist es zu spät. Kleine schwarze Ameisen kriechen über pastellfarbene Gräser. 1/2 Stunde später: extrem mühsam. Ich denke an

die Aussprache bestimmter Personen und einzelner Wörter. Schmunzle. Mit Sprache wird ein Gegenstand erzeugt. Das Wort ist der eigentliche Gegenstand? Ein Text von Wittgenstein interessiert mich: „‚Es ist doch sinnvoll zu sagen, was ich sehe, und wie könnte ich das besser tun als dadurch, daß ich das, was ich sehe, für sich sprechen lasse.‘ Doch die Wörter ‚Ich sehe‘ in unserem Satz sind überflüssig. Ich will nicht zu mir selbst sagen, daß ich es bin, der dies sieht, […] unmöglich, daß ich nicht dieses sehe. […] Es ist, als ob der Satz die bestimmte Farbe, die ich sah, aussonderte; als ob er sie mir darreichte. Es scheint, als ob die Farbe, die ich sehe, ihre eigene Beschreibung sei.“ 5 Man kann also eine bestimmte Aufmerksamkeit auf etwas richten. Was man sieht oder fühlt, ist wie ein Muster (Symbol), wovon aber kein Gebrauch gemacht wird. Dann sind die Wörter im Satz nicht so wichtig, denn sie beschreiben mir nur das Muster. „In Wirklichkeit spreche ich nicht über das, was ich sehe, sondern zu dem, was ich sehe.“ 6 Beim Betrachten durchläuft man einen Prozess, es sind Handlungen der Aufmerksamkeit. Es erweckt den Anschein, dass wir Gebrauch von einem Muster machen. Dann ist es auch ein Irrtum zu glauben, „eine hinweisende Definition sage etwas über den Gegenstand, auf den sie unsere Aufmerksamkeit lenkt“.7 Also sehen wir die Dinge nicht selber, sondern meistens nur die ihnen aufgeklebten Etiketten. Was wir daraus machen, sind das unsere Wünsche und Vorstellungen? Wir betrachten Material und Materie, die Realität. Sie hat eine Form: das Bild. Es verbirgt nicht, was es ist. Es ist das Machwerk des Schöpfers und des Betrachters, also gleichzeitig das Vorgegebene und das, was verarbeitet werden kann. Und es verbirgt nicht, was es verbirgt. Ein Ausschnitt, eine Andeutung, etwas, was über das Bild hinausgeht. Immanuel Kant sagt: „[D]as Bild ist ein Produkt des empirischen Vermögens der produktiven Einbildungskraft […].“ 8 Vergeistigung von Materie. Schlafende Schöne. Meine Striche haben sich zu einem Gesicht geformt, schlafend. Schön. Mein Arm schwebt, und die Hand fliegt übers Papier.

9 Vgl. dazu http://www.youtube.com/watch?v=BoB_VZEAhUo, Sendung vom 15.10.2010, gesehen am 18.05.2014.

8 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Wiesbaden: Insel, 1956, S. 190.

7 Ebd.

Notwendigkeit sehen und es uns unsinnig erscheint zu glauben, dass die einschneidendsten Erlebnisse im Leben zufällig sein sollen. Wir suchen einen Grund, der unser Dasein in der Welt begründet, weil die Welt nicht dafür da ist, uns einen Gefallen zu tun. Das Bezaubernde am Zufall ist, dass er Formen schafft und neue Formen erfindet. Wir bewegen uns in ihnen und mit ihnen, können ihren Sinn verändern und mit ihrer Hilfe Existenzen schaffen. Oder Kunstwerke. Der Zufall macht Dinge sichtbar, die oft unbemerkt bleiben, er bringt uns zum Staunen. Den Zufall zu leben heißt, sich für das zu begeistern, was uns keinen unmittelbaren Nutzen bringt, für das Unbekannte. Es heißt nicht nur zu staunen, sondern auch zu akzeptieren, dass man etwas daraus machen muss, die eigene Existenz aus diesem Geschehen ohne gerichteten Sinn heraus zu gestalten.9 Oh, das hört sich gut an. So auch fürs Leben. Mit diesem Gedanken zeichne ich weiter. Mit meiner Zeichnung hat es nur partiell zu tun. Am Telefon: (…) Seit halb vier. Jetzt ist es halb zwölf. Mit einigen Unterbrechungen. Was hast du denn untergebrochen? Ich lache … Wie nervig diese Klogeherei. Weggehen, zurückkommen, weitermachen. Manchmal weiß ich gar nicht mehr, ob ich weg war, wenn ich darüber nachdenke. Alles verschwimmt. Meditation. Anstrengung. Tusche. Touché. Gerade waren viele Leute im Raum, auch bei mir, zu denen ich mehr oder weniger guten Zugang habe. Jemand wollte wissen: Was machst du da? Ungläubig. Ich denke sofort: Angriff! Ich fühle mich beobachtet, ignoriere sie teilweise, schau’ ab und zu hoch. Dann kommen die Fragen: Warum zeichnest du mit Tusche und warum nur so Striche und das muss ja ewig dauern und was ist das für eine Form und wie viel zeichnest du noch und ich würde das so lassen und so filigran auf der einen Seite und hier wieder nicht, durch die große Anhäufung. Gegenfrage: Was denkst du darüber? Und es wird sehr lange geschaut und beobachtet, bevor eine Antwort kommt. Gut. Dann sind sie weg. Jetzt ist es passiert: Ich zeichne, bin so tief in Gedanken, habe drei Tuschefässer offen vor mir

6 Ebd.

Tiefschwarz. Ganz kleine, schnelle Striche, so schnell, ich kann nicht mitzählen. Ich denke den Rhythmus. Keine Richtung. Nichts ist gleichmäßig. Kekse mit Schokolade. Tusche kleckst auf das Papier. Mit meinem Ärmel wische ich die vielen Keksbrösel vom Blatt, verwische diesen Fleck. Jetzt sieht es aus, als ob eine Sternschnuppe quer übers Papier geflogen wäre. Das gibt eine neue Richtung vor. Ich werde das überzeichnen und überlege, was Zufall ist. Ich höre auf das Pfeifen des Windes. Es ist unheimlich garstig draußen – „Heulen“ ist ein besseres Wort, der Wind heult durch die undichten Fenster. Richtig laut. Ich streiche das Papier mit der Feder. Es klingt weich. Die Striche sind dünner als zuvor, alle ungefähr gleich lang, alle ungefähr eins Komma drei Zentimeter. Aneinandergereiht, geschichtet. Homogen. Fläche füllen. Ich schaue auf die Striche und beobachte mich beim Zeichnen. Jeder Strich ist so schnell da, wird schnell zu diesem Geflecht von vielen, ist wichtig. Ein Strich, dieser ist der wichtigste, der beste. Irgendwann verschwindet er irgendwo zwischen den anderen. Die Striche schlagen Wellen. Was ist denn der Zufall? Es ist ein gleichzeitiges Aufeinandertreffen von Kausalketten, an deren Schnittstellen sich unabsichtlich jemand befindet. Wichtig ist, dass Zufall von dem abhängt, was man erwartet oder als Grund voraussetzt. Ich höre mir eine Sendung auf YouTube an. Ist der Zufall nur ein Ausdruck eigener Unwissenheit? Das ist eine schwierige Frage: Wir unterscheiden Aberglauben und Wissen. „Zufall“ ist ein Wort ohne zielgerichteten Sinn, ohne Ursache kann nichts existieren. Das heißt, wir kennen die Ursache nicht, aber suchen einen Sinn in dem, was passiert. Deshalb betrachten wir den Zufall als Umschreibung einer Ursache. Aber wir wollen noch mehr wissen, nicht nur die Ursache, sondern einen Grund. Dann wird aus Zufall schicksalhafte Bestimmung. Muss denn hinter allem eine Notwendigkeit stehen? Weil es uns unsinnig erscheint, weil wir Veränderungen in unserem Leben meistens als

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auf der Zeichnung stehen, schiebe zwei mit meinem linken Handrücken weiter nach oben, mach irgendeine Bewegung und bamm: Magenta fliegt um. Das Fass bis zur Hälfte voll, ziemlich viel Tusche läuft, ich schaue, bin für Millisekunden gelähmt und geschockt, stelle schnell das Fass wieder aufrecht, merke, dass es Quatsch ist, hebe es hoch, stelle es hinter mich und suche Papiertücher, um den Fleck aufzuhalten. Ich bin mehr erschrocken als schockiert, erregt erfreut, Adrenalin steigt mir in den Körper. Magenta leuchtet sehr, dann fällt mir ein, dass es möglicherweise durch das Papier sickern kann, aber ich weiß schon, dass ich auch deshalb so ein starkes Papier gewählt habe, weil nichts durchsickern kann. Muss kurz den Raum verlassen, Luft holen. Nein, ich ärgere mich nicht, insgeheim wusste ich: irgendwann, irgendwann … Nur gerade habe ich am wenigsten damit gerechnet. So überhaupt nicht damit gerechnet. Einmal ist mir das passiert, ich fahr’ Auto auf einer schmalen Landstraße, finstere Nacht, genau auf meiner Seite kommt mir ein Mensch entgegen, ich auch in Gedanken, bin zu Tode erschrocken und fast in den Graben gefahren. So wie jetzt. Weiß nicht, warum mir gerade diese Situation einfällt. Und alles sieht plötzlich wieder anders aus, nichts wird zur Routine! Neue Ausgangssituation. Ich überlege, wie weiter. Schaue meine vielen bunten Papiertücher an, mit denen ich die Tuschekleckse aufsauge, wenn ich zu unvorsichtig mit der Feder umgehe, die Feder abputze oder eben Flecken aufwische. Sie sind wie Farbdokumentationen meiner Zeichnungen, ich finde sie wunderschön. Ich bin wieder bei der Zeichnung, halte das Gläschen in der linken Hand fest, zur Vorsicht. Erst mal. Das legt sich. Wenn ich farbig zeichne, provoziere ich eine andere Unwegsamkeit. Die Farbe ändert alles, ich treffe andere Entscheidungen. Heute kann ich schwer meine Gedanken fassen und formulieren, kann nicht über die Zeichnung nachdenken. Ein Knoten in meinem Kopf. Ich fühle mich trotzdem gelöst, freier. Es geht um mich, um die Einsamkeit beim Zeichnen. Ausdauer. Ich überlege mir, so lange am Stück zu zeichnen, bis ich umfalle.

Oder eben nicht mehr kann. Bis jetzt waren es erst sechs Stunden am Stück. Es ist sehr hell draußen, bin ungewöhnlich früh da. Beobachte die Blätter und den Wind, starre irgendwohin und lass Zeit vergehen. Wenn ich hier vor meinem Blatt sitze und die Tuschefeder in der Hand halte, fühle ich mich sicher. Ich weiß, dass ich zeichnen werde, es einfach passieren lasse, und das Gute dabei ist, dass es keinen Plan dafür gibt. Niemand lenkt mich ab, ich bin neugierig, was passiert. Ich überlege und zeichne weiter mit Farbe. Tanz in den Mai. Ich tanze mit meinen Strichen. Laute Musik, Türe nach draußen auf, ich lache laut. Gut, dass alle weg sind und mich niemand sieht. Ich komme rein ins Zeichnen, denke nicht an die Uhrzeit, obwohl ich hundemüde bin. Es läuft ein elektronisches DJ-Set ohne Vocals. Auf einmal fängt eine Stimme an, etwas zu erzählen, ich verstehe nicht alles, versuche, genauer hinzuhören, kann mir nur Satzstücke merken, etwa wie: nur ein einziges Mal auf allen Millionen Sternen … dann genügt es völlig, da rauszuschauen und glücklich zu sein … Hm, ich schaue hoffnungsvoll an die Decke, über mir ist ein Glasdach. Na ja, meine Zeichnung spiegelt sich darin und ich und alle Gegenstände aus meinem Blickfeld. Selber Tag, ein paar Stunden später, habe etwas geschlafen. Es ist so schön draußen, bin aber zu schlapp rauszugehen, ist so anstrengend. Habe Lust auf Menschen und auch wieder nicht. Sitze und schau erst mal. Ich überlege, ob mein gestriger Plan, auf der Zeichnung dort weiterzuzeichnen, gut ist. Ich will mehr Kontrast, mehr Hell-Dunkel-Abstufungen. Wenn ich so ruhig dasitze, merke ich erst richtig, wie müde ich eigentlich bin. Hab’ Lust auf Kaffee, aber keine Lust, Milch zu kaufen. Ich fange an. Es gibt eine Künstlerin, deren Arbeiten mich sehr faszinieren, obwohl ich sie noch nie in echt gesehen habe; über die ich einen Text gelesen habe, der mich sehr anspricht. Weil einerseits die künstlerische Auseinandersetzung extrem anders ist, das Thema andererseits durchaus Parallelen aufweist. Es geht um Jorinde Voigt. In ihren Tuschezeichnungen stellt sie die Linie in Verbindung mit Text dar, indem sie tatsächliche

11 Ausst.-Kat. Max Weiler. Der Zeichner, Albertina, Wien; Ostfildern: Hatje Cantz, 2011, S. 266.

„Wenn ich so zeichne“, beschreibt Weiler: „Das Blatt ist meine ganze Welt. Was sich auf ihm begibt, das ist das Wertvolle. Das ist die Vielfältigkeit und der Formenreichtum der Striche, die Häufung der Striche – wo sie am Blatt stattfindet, die Leere, wo sie am Blatt ist, ist alles von größter Wichtigkeit. Alles ist dargestellt.“ 11 Ich höre die Musik und denke an Melodien zu meinen Strichen. Benannt hat Weiler die Zeichnungen nach dem, was er anscheinend gezeichnet hat: Erde. Felsspalt. Schlucht. Vegetation. Nein! Das ist es doch gar nicht, wenn ich mir die Arbeiten ansehe. Alles, aber doch kein Waldbezirk, eben, oder doch ein Waldbezirk. Ist schon so, die Zeichnungen sind nach der Natur gebildet, doch sehen oder erkennen kann man alles andere auch. Es war einer meiner intensivsten Museumsbesuche. Ab der Mitte der Ausstellung, sie war chronologisch aufgebaut, ab dort war ein richtiger Sog in mir, möglichst lang und innig zu schauen. Ich habe viel von der Besessenheit in Weilers Werken gespürt und gut nachvollziehen können mit einem Gefühl, das mich mit Freude erfüllt. Was eher unbeschreiblich bleiben sollte. Im letzten Raum in einem Vitrinentisch, wie ein Sarkophag aufgebahrt, seine letzte Zeichnung. Er hat sie eine Woche vor seinem Tod gemacht. (Eine Woche! Mit 90 Jahren!) Das hat mich sehr beeindruckt, fasziniert, ein starkes Anwesenheitsgefühl war spürbar. Das kleine Blatt Papier hat gestrahlt, ich bin traurig geworden, auf eine melancholische freudige Weise, diese bunten Wachsmalkreiden – die auch von einem Kind hätten sein können. Es geht mir nicht aus dem Kopf: Wie soll ich meine Arbeit nennen? Der Titel! Das Wort ist wie das Wort: Deadline. Überall. Besonders gut muss er sein, aussagekräftig, intelligent. Aber ich will keine intelligente Kunst machen, muss keinen Logarithmus berechnen und dann Linien setzen, die sich durch die Berechnung ergeben. Nein. Ich bewundere das, keine Frage, aber ich mache eben was anderes. Echt schwer. Eben deshalb, da es keine Art von mir ist, zuerst einen Titel finden, dann dazu eine Arbeit machen. Erst Konzept, dann Ausführung.

10 John Yau, „Im Glutbecken des Sinnes“, online unter http://jorindevoigt.com/blog/wp-content/wp-content/ uploads/J.Yau_J.Voigt_DE1.pdf [2021-02-11].

und fiktive Aktivitäten schematisiert. Dabei geht es um Studien, wie Windverhältnisse, Top-TenPopcharts, oder um Rotationen. Mit übereinandergelagerten oder sich verschlingenden Pfeilen und Linien kennzeichnet sie unaufhaltsame Veränderung. Diese tragen in sich ein Potenzial von Chaos und Ekstase, das jedem System innewohnt. Der wesentliche Unterschied ihrer Arbeiten im Vergleich zu meinen ist das grundlegende Prinzip der Zeichenart: Es ist die Anwendung strikter Abläufe, Algorithmen und Fibonaccifolgen, um Richtung und Anzahl der Linien festzulegen, die von einer Ursprungslinie ausgehen. Zufall und Beharrlichkeit spielen eine große Rolle, das Netz der Linien zeigt den Vorstellungsraum der Künstlerin und verwandelt das Bild in eine visuelle Landkarte von Bewegungen verschiedener Elemente in der Zeit. John Yau, ein amerikanischer Essayist und Kunstkritiker, der den Text geschrieben hat, begreift die Arbeit, indem er grundsätzliche Fragen philosophischer Natur stellt: „Wie kann man angesichts all dessen, was rund um uns geschieht, die eigene Empfindsamkeit zu einem empfänglichen Bewusstseinszustand erhöhen? Wie akzeptiert man das unaufhaltsame Fortschreiten der Zeit, sogar während man versucht, zu enthüllen, was es bedeutet, in ihrem Fluss zu leben?“ 10  Diese Fragen finde ich so gut und essenziell, dass ich aufhöre, den Text zu Ende zu lesen, und anfange, darüber nachzudenken. Ruhe. Fantastisch. Später: Trompeten ganz leise aus dem Raum gegenüber. Anwesenheiten. Strudel im Strich. Viel Energie, eine Trunkenheit im nahezu schon gruselig nüchternen Zustand. Vor fast drei Jahren hatte ich ein eingehendes Erlebnis in einer Max-Weiler-Ausstellung in der Albertina. Stark im Gedächtnis ist mir der mittlere Teil dieser Ausstellung geblieben, diese imposanten Zeichnungen mit Tusche, viele Linien, Punkte, Striche mit dem Pinsel gezeichnet, starke Verdichtungen, die Natur abbildend. Ich blättere im dicken Katalog Max Weiler. Der Zeichner, der damals zur Ausstellung erschien.

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weiß läuft schwarz davon dancing turbulence Neutronensterne und Weiße Zwerge aus der Astronomie: Rote Riesen und Weiße Zwerge am Himmel abgrundtiefschwarz und schneeweiß An Zahlen habe ich gedacht und Buchstaben, finde ich zu langweilig. Oder so: Tauri Elektra. Norela. Zetamisar. Lilin und Hysephales. Der Gehalt von Schweigsamkeit steigt. Nichts sagen. Tagelang. Sie sprechen eh für sich. Ich könnte eine Geschichte erfinden. Warum nicht? Ich war vorher im Naturhistorischen Museum und denke an die Meteoritensammlung, habe sie schon öfter angeschaut, jedes Mal entdecke ich etwas Neues. Unglaublich: Geometrie fällt vom Himmel! Bin begeistert, bleib ewig dort stehen und staune. In Eisenform aber so was von einem Würfel, rechte Winkel, Dreiecke, perfekte Formen. Diese Formen sind einfach immer schon da. Mal wieder sehe ich ganz klar, was ist. Ohne es beschreiben zu können. Man kann sich so gut mit den Ellenbogen auf den Rand der uralten hölzernen Vitrinen stützen und ganz nah hinschauen. Ich drücke fast meine Nase darauf, um noch näher zu sehen. Gabonionta. Etwas entsteht. „Ältestes bekanntes vielschichtiges komplexes Leben mit koordiniertem Wachstum. Dreidimensionale Scheiben mit gewaltigem Rand und radialem Innenaufbau, bis zu 17 cm groß.“ Das steht auf dem Täfelchen zu Gabonionta, daneben die Steinscheiben. Cooles Wort. Mit dieser Bedeutung. Ah. Titel. Ich schau’ auf die Steine, sie sind auch echt cool und unglaublich alt, ich bilde mir ein, dass sie mir Energie abgeben. Monoklin-prismatisch / TIRODIT; Dunn und Roy. Oder: AKTINOLITH. Kirwan, rhombischdipyramidal. Disko. Dolomit. Grönland. Es gibt dort die Diskoinsel, habe ich recherchiert. Hm, ich überlege. Ich klebe einen Kaugummi hinter mir an die Wand. Uuuuh, voll assi. Irgendwann mach’ ich

ihn wieder weg. Aber ein bisschen lass’ ich ihn noch kleben. Denke an früher, als ich noch mit dem Bus zur Schule in die nächste Stadt gefahren bin. Es war fast schon ein Sport, am Nachhauseweg an einer bestimmten Stelle einen Kaugummi auf die Straße zu spucken. Ein Gullydeckel war dort, der hatte aber nur eine Alibifunktion und wurde nie aufmerksam angepeilt. Nach Jahren habe ich mich irgendwann gefragt, woher die weißen Flecken auf dem Boden kommen. Und nach sorgfältiger Analyse (oder nur genauem Nachdenken) ist mir das mit den Kaugummis eingefallen. Das Lustige war, meine Schwester hat das auch gemacht. Ich muss schmunzeln und denke an sie. O. k., entspann dich! Bin auch echt selber schuld, dass ich dann noch alle nach ihrer Meinung fragen muss. KRAUL MIR DEN PELZ, BABY.

Ich freue mich. Einfach mal genießen. Sagen die Striche. Echt, hallo Entscheidungen treffen, hallo Selbstvertrauen. Stell ich mir mal vor, ich müsste allen gefallen! Ne. Bin motiviert. Und ich denke weiter an Geometrie. Manchmal habe ich Lust, einfach mit einem großen Pinsel da reinzugehen. Radikal in die Zeichnungen. Ich sollte das ausprobieren. Wenn ich einen Gedanken fünftausendmal von einer Waagschale auf die andere lege, wird er deshalb auch nicht an Gewicht verlieren oder sich umformen, dann komme ich doch nie zu einem Bauchgefühl. Wie lustig, ich bin wieder bei der Zeichnung mit dieser Form wie eine Schlange, die ich zu lang gezeichnet habe. Aber ich habe ein ganz anderes Gefühl dabei. Wie war das mit der Zeit? Zeit vergeht. Ohne dass die Zeit vergeht? Vor einem Dreivierteljahr habe ich mir aus einer Zeitung einen Artikel ausgeschnitten, der mir jetzt zufällig wieder in die Hände gefallen ist. Es geht um die Zeit im Zen und darum, dass sie als solche von sich heraus ständig weitergeht. Als diese Bewegung ist sie paradoxerweise zeitlos. Die Zeit vergeht also nicht!

13 Vgl. ebd.

12 Diethard Leopold, „Was ist Zeit im Zen?“, online unter https://www.derstandard.at/story/1376535136435/diethardleopold-was-ist-zeit-im-zen [2021-02-11].

So wenig, wie Feuer brennt oder Wasser an sich selbst ertrinkt. Zeit ist eine Existenzform, die man so oder so nehmen kann. Und Zeit und Zeitlosigkeit? Man kann sich die Gegenwart als eine Art Membran vorstellen, mal dicker, mal dünner, zwischen Vergangenheit und Zukunft. Eine, die das Noch-nicht und das Nicht-mehr trennt. Vergangenheit, Zukunft, Gegenwartsmembran, alles Konstrukte. „Unbeholfene Kartografie eines nicht voll zu erfassenden Gebiets. Weder mehr noch weniger esoterisch als die Formel Zeit = zeitlos. […] Der Mensch […] glaub[t], die Zeit zu betrachten, doch die Zeit betrachtet den Menschen.“ 12 Es gibt Menschen, die sich Bilder ansehen und nichts Besonderes erwarten, eine gute Zeit haben, einfach so, weil sie es genießen, wie sich der Geist bewegt und zwischen Künstler und Betrachter eine Verbindung entstehen lässt. Und es gibt Menschen, die in diesem Moment nichts anderes als das Bild wahrnehmen, und es zu einem jener Momente des Lebens werden lassen, wo es kein Bedürfnis nach etwas anderem gibt.13 Draußen kullert eine Dose, vom Wind getrieben. Ich stelle mir vor, etwas kullert über mein Papier, schwarz und hinterlässt Schwärze. Ich trinke aus einer Plastikflasche, stelle sie hinter mich auf die Heizung. Schwarze Striche. Denke an nichts, an Größe, Form, Dichte. Bin konzentriert. Plötzlich knackt die Flasche hinter mir, und ich erschrecke fast zu Tode. Schwarzer kleiner Fleck. Mist. Pittoresk. Ich halte dich auf dem Laufenden.

1 Vilém Flusser, Die Revolution der Bilder, Mannheim: Bollmann, 1995, p. 8.

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“What is not communicated does not exist, and the more something is communicated, the more it exists.” — Vilém Flusser 1 In the beginning. A white sheet of paper. And black ink. Then, slightly below the horizontal center, and slightly to the right of the vertical center, my pen strokes begin. Little black lines, quite a lot of them for each dip of the pen, some two hundred or so, cluster into a heap, like a mountain with a peak, the last few lines getting shorter as I sense the ink running out in the nib. The cluster is open on all sides; the lines, disarrayed, three to five millimeters apart. No shape in mind just yet. The line as an idea emerging. A direct link between arm, hand, pen, and paper. It all begins on that sheet of paper. I dip another pen into the little inkpot, its nib already a little worn, a little blunter, the lines therefore broader. The area darkens as I draw them ever tighter together. The inkpot is open next to me on the paper; a moment of inattention and it could topple. The line of ink is variable. I can toy with the nib, unlike a pencil or a ballpoint pen, turn it and angle it, and draw with the front of it, or the back. With quick or slow strokes of the pen I can alter the shape of each line, make the start of each thicker than the end, almost like a droplet, were it magnified. I insert a new nib into the penholder and the line is fabulously different. With apparent attentiveness I dip the pen into the ink. Because the surface is smooth and untouched, the ink doesn’t hold, and even before I’ve made the first line, a black splodge

has dripped onto the paper. The pen will not draw the way I want it to. It scratches and retains the ink; it takes forever for it to accept my drawing; it makes me aggressive and I draw too firmly, bruising the paper. It’s pointless, of course, but still it riles me. Then, at some point, I’ve got it. I’m up and running. How time passes, without time passing. Minutes, protocol notes, thoughts occur as I draw, insights that have emerged in the last couple of months of intensive drawing. The observations I jot down here remain questions, subjective speculations and views, even if they come across as statements of fact. For these thoughts are rampant, and proliferating. Some I overlay with others; they can never all be manifest. Of course, just because I interrupt the drawing process doesn’t mean the drawings leave my mind. Even so, my written record will only reveal those impulses that ultimately come to me as I draw. There are times when I just can’t think for myself. Since I’m not sitting in a hermetically sealed room, my thoughts are channeled and affected by all sorts of influences: some of my own making; others, simply happen. As I rework these notes, I formulate some of the sentences more fully for a better understanding of them, or left them as thought snippets and individual “thought words.” I draw a snake-like shape. I highlight the shape, making it denser, more concentrated, along the edges. It’s a tunnel. I’m put in mind of millipedes. Thick ones, yucky ones, all florid and dark. A faint thought of revenge overcomes me. Not a lovely moment. I fail to notice what I’m drawing and end up making the shape too long, too lost in my thoughts, and now… I have to draw over it. Start over again and make it different. Fair enough. Let’s leave those tunnel-thoughts behind. I grip the pen further up. The line becomes harder, just as thin, more pressure, not as regular. It scratches at the paper. I don’t get as many lines out of one dip of the pen. The pen is now angled more steeply on the paper, and the lines take on a particular direction. A snapshot: artistically screenshot. This is where my thoughts have taken me, I’m thinking: artistic snapshot. I put on some music. One thing leads to another. I’m a master of the immersive. Something in my

3 Cited in Konrad Paul Liessmann, Das Universum der Dinge. Zur Ästhetik des Alltäglichen, Vienna: Zsolnay, 2010, p. 73. [English translation: Theodor W. Adorno, Aesthetic Theory, published 1997 by The Athlone Press Ltd, p. 173].

What we see is also individually distorted, depending on what our personal needs show us—or our ideas. Shit—now the drawing looks like a little chicken. Need to change that! Man, I could really screw this up; I need a break… I think about how an image can be seen; what to take from it; how to describe it in a way that’s comprehensible. Whatever is expressed in the drawing can only be expressed with the drawing. Adorno took this to the extreme when he said: “Artworks speak like fairies in fairy-tales: If you want the absolute, you should have it, but you will not recognize it when you see it.” 3 Suddenly there are very bright flashes behind me: someone’s doing some welding. It’s turned chilly; the windows are not tight along the top, there’s a draught, and it’s getting colder. The old ivy leaves that began to grow into the room years ago wiggle in the wind. It bugs me. I move further across to the left on the sheet of paper, where it’s still so very empty, and begin with black ink. No, with blue, dove blue. Whenever you try and think of something specific, you end up thinking of nothing in particular: it’s all generic, banal, slush, mush, so grey and non-specific. Why do states that we perceive as perfect pass by so fleetingly? And why is the feeling so crap and unbearable when the construct, which is supposedly so well-conceived (for a change), begins to crumble? From now on I should just think and act rationally. Weigh the good and the bad, and surrender to reason. An emotional disaster. I can’t free myself from my skin. Liberate myself; whatever. Art as the antidote to sorrow and emotional lowlands. Still, somehow lowlands are not my thing; I enjoy hiking up mountains too much. No, really, it is worth it! Everything’s worth it. After all, I work with my feelings; everyone works with their feelings. I can hear what others might say to that: “Emotions can be sneakily deployed, simulated or staged.” Does that mean I can consider emotion as a material that exists, which can be worked? Movements and sensations can be influenced like raw material, like a material that’s modified and modifies itself. But the emotion is there first, without control, which is a defining characteristic and all the more irritating

2 Cited in Martin Heidegger, Die Kunst und der Raum / L’Art et L’Espace, Frankfurt am Main: Vittorio Klostermann, 2007, pp. 12 f. [English translation: Art and Space, translated by Charles H. Seibert, Loras College, p. 8].

thoughts is taking up too much space. If I don’t express it, then maybe it’ll go away again. How naive. Drawing and its solitary moments. I try and call someone. No one there. I accept the solitude. I start to embrace it, to ponder upon it, to enjoy it. I focus on not thinking of anything, unthinkingly, as it were. Thoughts of nothing. What drivel. Ignorance. Pah! A shape becomes visible. I add pen strokes in various areas to create a cluster. And then connect those areas with one another. What’s important now are the proportions, the balance, the unity and diversity. If I hang the sheet of paper up and stand a few meters away, it becomes clearer. I take a photo. Then I’m back with my nose on the paper again. Variations for a millisecond. I stand on a table and look down at the picture from above. I determine what happens. It looks different. A vortex. A meshwork holding discrete areas together. Something doesn’t look right to me. I’m thinking differently about it, still not quite sure what it’s going to be. What’s going to happen to the emptiness of the space, the missing areas on the paper? The splodges and the holes, the absence of (ful)fill(ment) for those voids and gaps. The emptiness is perhaps linked to the peculiarity of the locus and is therefore not an absence, but a disclosure. Language itself gives us a hint: The German verb leeren [“to empty”] references the verb lesen [“to pick, to harvest”] in the original sense of “gathering,” which prevails in that locus. Emptying a glass means gathering it in its collectedness into the emptied space made ready for it. Emptying the gathered fruit into a basket means readying that place for them. Emptiness is not nothing. Nor is it a deficiency. In its vivid embodiment, emptiness plays out like the questing, conceptualizing creation of a locus. Truth as the “unconcealedness” of being is not necessarily reliant on corporeal embodiment. Goethe said: “Truth need not always take corporeal form; enough for it to be around in spiritual form, bringing about harmony as it floats on the breeze as a spiritual presence like the solemn-friendly sound of bells.” 2 The dominance of the unfilled space.

7 Ibid.

6 Ibid.

5 Ludwig Wittgenstein, Das Blaue Buch. Werkausgabe Band 5, Frankfurt am Main: Suhrkamp, 1984, p. 268. [English translation: The Blue and Brown Books, Harper & Row Publishers, 1958, p. 175].

4 http://www.arte.tv/de/philosophie-gefuehle/ 2235124,CmC=2727798.html, broadcast on 31.05.2009, viewed on 25.04.2014.

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for it. In its raw state it cannot be put into words, cannot be influenced; it just comes out of us. What escapes our thoughts, what exceeds our imagination, what can no longer be rationally understood.”4 I’m too much for my own good. Ideally, I’d love to slip in between the pen strokes, into the picture, and hide away inside. I still can’t formulate my thoughts. All I am is an instrument, a tool—I carry on drawing. Thoughts of death. Of passing on the essentials. —Problems— A girlfriend was just here. She told me something that really moved me. It’s amazing how everything becomes relative when you hear that someone simply fell down the stairs and died! Just like that. Over and out. (Pause for reflection) And what a drama our own lives are, with this chaos of emotions inside us. Mere trifles. Happenstance. Knowing about time. Death simply doesn’t bring people back with time. Perhaps life is over in a flash anyway; what price my problems when I know that everything will get better as time goes by? It will get better. I turn the wheel of time. It gets better, and then all is well again. I tamper with the wheel of time, wanting it to turn more quickly. And think only about more important things, what belongs to the present, what belongs to the now. A missed call. I didn’t hear it. Now it’s too late. And now tiny black ants crawling across pastelcolored blades of grass. Half an hour later: extremely tedious. I think of the way certain people speak and pronounce certain words. I have to smile. Language generates an object. So is the word the actual object? There’s a text by Wittgenstein I find interesting: “Surely‚ it makes sense to say what I see, and how better could I do this than by letting what I see speak for itself. But the words ‘I see’ in our sentence are redundant. I don’t wish to tell myself that it is I who see this [...] it is impossible that I should not see this. […] It is as though the sentence was singling out the particular color I saw; as if it presented it to me. It seems as though the color which I see was its own description.” 5 So you can direct a particular attention at something. What I see, or feel, enters my sentence as

a sample does; but no use is made of this sample; the words in my sentence don’t seem to matter, they only serve to present the sample to me. “I don’t really speak about what I see, but to it.” 6 You go through a process when you’re considering something; these are actions of attention. And this is what makes it seem as though I was making use of a sample. This error is akin to that of believing that “an ostensible definition says something about the object to which it directs our attention.” 7 So we don’t see the things themselves, usually just the labels with which they have been affixed. So are our wishes and our ideas just what we then do with them? We consider material and matter, and reality. It has a shape: the image. It does not conceal what it is. It is the product manufactured by the creator and the observer, in other words, both that which is given and that which can be processed. And it does not conceal what it conceals. An excerpt, a suggestion, something that goes beyond the image. Immanuel Kant said: “[T]he image is a product of the empirical faculty of the productive imagination [.]” 8 The spiritualization of matter. Sleeping beauty. My lines have formed into a face, asleep. Beautiful. My arm floats, and my hand flies across the paper. Jet black. Tiny dashes, so fleet I can’t keep up. I conceptualize the rhythm. No direction. Nothing is regular. Biscuits with chocolate. Ink splashes onto the paper. With my sleeve I wipe the biscuit crumbs off the paper and smudge the ink spot. Now it looks as if a shooting star had flown right across the paper. It gives me a new direction. I’ll draw over it and think about the nature of coincidence. I hear the wind whistling. The weather’s incredibly nasty out there—“howling” would be a better word: the wind is howling through the draughty windows. Really loudly. I stroke the paper with my pen. It sounds soft. The lines are thinner than before; all roughly the same length, all roughly 1.3 centimeters. Juxtaposed, layered.

9 See http://www.youtube.com/watch?v=BoB_VZEAhUo, broadcast on 15.10.2010, viewed on 18.05.2014.

half-past eleven. With a few interruptions. What did you interrupt? I laugh... Having to go to the loo all the time is such a drag. Getting up, coming back, carrying on. Come to think of it, sometimes I can’t even remember whether or not I was gone. All a bit of a blur. Meditation. Exertion. Ink. Inky. There were lots of people in the room just now, also around me, people I get on with more or less well. Someone wanted to know: what is it you’re doing there? Incredulous! Immediately I’m thinking: assault! I feel observed; I try and ignore them, looking up from time to time. Then come the questions: Why do you draw in ink? Why do you just do lines and stuff? It must take ages! What kind of shape is that? How much more of it will you be drawing? And: I’d leave it at that if I were you. So filigree on one side, but there not so much, what with that big accumulation. I counter with a question of my own: What do you think about it? And they stare and gaze for a very long time before replying. Good. And then they’re gone. And now it’s happened: I’m drawing, deep in thought, with three inkpots open in front of me on the drawing; I push two of them further up with the back of my left hand, make some sort of movement and boom!—magenta everywhere. The pot was half full, so plenty of ink running all over the place; I stare down in shock, paralyzed for milliseconds, then I quickly right the inkpot again, realize how pointless that is, so I pick it up and put it behind me and look around for paper tissues to contain the ink stain. I’m more startled than shocked, somehow energized with excitement, the adrenaline kicking in through my body. Magenta glows very brightly, but then I realize it might seep through the paper, even though I know I deliberately chose thick paper so nothing could seep through. I need to leave the room and get some air. I’m not angry, no; deep down I knew it: at some point, at some point… It’s just that I wasn’t expecting it right then. I wasn’t expecting it at all. It happened to me once before: I was driving along a narrow country road on a dark night when suddenly someone appeared out of nowhere on my side of the road, with me lost in thought. It scared me to death and

8 Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, Wiesbaden: Insel, 1956, p. 190.

Uniform. Filling the space. I look at the lines and observe myself as I’m drawing. Each line appears so quickly, and quickly becomes part of this meshwork of lines, and is important. One line, this is the most important one, the best one. Then, at some point, it disappears among the others. The lines create ripples. What is coincidence? It is the concurrent occurrence of causal chains at the intersections of which someone unwittingly finds themselves? What’s important is that coincidence depends on what you expect or assume as a reason. I listen to a broadcast on YouTube. Is coincidence merely the expression of one’s ignorance? That’s a tough question: We differentiate between superstition and knowledge. “Coincidence” is a word without a purposeful meaning; nothing can exist without causation. It means we don’t know the cause, but search for a meaning in what happens. Which is why we consider coincidence as a cause circumscribed. But we want to know more, not just the cause, but the reason. Coincidence then becomes fateful determination. Indeed, does there have to be a necessity behind everything? It seems nonsensical to us because we usually see changes in our lives as a necessity, and it seems nonsensical to believe that our most lifechanging experiences should be coincidental. We search for a reason to justify our presence in the world; after all, the world does not owe us a favor. What’s so delightful about coincidence is that it creates shapes and invents new shapes. We move among them and with them, are able to alter their meaning and, with their help, create existences. Or artworks. Coincidence renders visible things that often remain unnoticed; it astounds and amazes us. Being alive to coincidence means being excited about something that affords us no immediate benefit, about the unknown. It means not only being astounded, but also accepting that we have to do something with it, shaping our own existence of out these events without purpose. 9 Well, that sounds good. Good for life, too. With that thought in mind, I carry on drawing. It only has to do in part with my drawing. On the phone: (…) Since half-past three. Now it’s

10 John Yau, “Im Glutbecken des Sinnes,” online at http://jorindevoigt.com/blog/wp-content/wp-content/ uploads/J.Yau_J. Voigt_DE1.pdf [2021-02-11].

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I nearly drove into the ditch. Just like now. No idea why I just thought of that situation. All of a sudden everything looks different; nothing’s routine! A new starting point. I think about how I want to carry on. I look at the many brightly colored paper towels I use to mop up the ink stains that happen when I’m a little careless with my pen, wiping the nib or wiping away the splotches. They’re like color documentaries of my drawings; I think they’re magnificent. I’m back at my drawing, holding the little inkbottle firmly in my left hand, just to be on the safe side. For now. That’ll pass. When I’m drawing in color, I provoke a different type of impassibility. The color changes everything; I reach different decisions. Today I’m finding it hard to gather and formulate my thoughts; I’m struggling to think about the drawing. There’s a knot inside my head. But I do feel more relaxed, freer. It’s about me, about the solitude of drawing. Perseverance. I think about carrying on drawing until I collapse. Or until I can’t any more. So far I’ve managed six hours on the trot. It’s very bright outside; I’m here unusually early. I gaze at the leaves and the wind, staring out into space and letting time pass. I feel safe and secure when I’m sitting here in front of my sheet of paper, holding my dip pen in my hand. I know that I’ll draw, that I’ll just let it happen, and the good thing is that there’s no plan. There’s no one to distract me; I’m curious about what will happen. I ponder, and carry on drawing in color. A witches’ night. I revel in my lines. Loud music, the door to the outside wide open; I laugh out loud. Good job everyone’s away and no one can see me. I get caught up in my drawing, lose track of time, even though I’m exhausted. An electronic DJ set without vocals is playing. Suddenly, a voice starts talking about something; I can’t quite hear what’s being said and try and listen in more carefully; all I pick up are fragments of sentences like: just once, in all the millions of stars…then it’s simply enough to just look out and be happy… Hmm, I look up at the ceiling, expectantly: the ceiling above my head is made of glass. In fact, my drawing is reflected in it, as I am, and all the objects in my field of vision. Same day, a few hours later; I slept a little. The weather outside is so beautiful, but I can’t be

bothered to go out; too much of an effort. I want to be among people, but then I don’t. So I sit there and take stock. I consider whether the plan I hatched yesterday to continue where I left off on the drawing is a good one. I want more contrast, more shades of light and dark. As I sit there calmly, I suddenly realize just how tired I am. I fancy a coffee, but don’t fancy going to buy milk. I make a start. There’s a female artist whose works fascinate me even though I’ve never seen them for real; I read a text about them that really appealed to me. On the one hand because her artistic exploration is so extremely different, but on the other because there are lots of parallels with my theme. I’m talking of Jorinde Voigt. In her India ink drawings she depicts the line in connection with text by sketching actual and fictional activities. It’s about studies, like wind conditions, top-ten pop charts, and even rotations. Through superimposed and intertwined arrows and lines she manages to characterize inexorable change. They bear within them a potential for chaos and ecstasy that’s inherent in any system. The main difference between her works and mine is the fundamental principle that underpins the manner of drawing. It’s the application of rigid processes, of algorithms and Fibonacci sequences to determine the direction and number of lines that emanate from the original line. Coincidence and persistence play a big role; the meshwork of lines indicates the artist’s sphere of imagination and converts the picture into a visual map of movements of different elements across time. John Yau, the American essayist and art critic who wrote the text, apprehends the work by posing fundamental philosophical questions. “Given all that’s going on around us, how can we heighten our sensitivity to a receptive state of consciousness? How does one accept time’s relentless passing, even while trying to reveal what it means to live in its flow?” 10 I find those questions so good and so essential that I stop reading the text to the end and start thinking about them. Tranquility. Fantastic. Later on: trumpets, very faintly, from the room opposite. Presences.

The title! It’s a word is like the word “deadline.” It’s omnipresent. It’s got to be particularly good, meaningfully expressive, and intelligent. But I don’t want to do intelligent art; I don’t want to have to calculate logarithms and then sketch out the lines that result from those calculations. No. I admire it, no question about it, but what I do is different. It’s really tough. Precisely because it’s not my thing to first come up with a title and then create a work to match. Concept first, then execution. white fleeing black dancing turbulence neutron stars and white dwarfs From astronomy: red giants and white dwarfs in the sky abysmal black and snow-white I’ve thought of numbers and letters, but feel that’s too boring. Or maybe: Tauri Electra. Norela. Zetamisar. Lilin and Hysephales. The taciturn content increases. Saying nothing. For days on end. They speak for themselves anyway. I could invent a story. Why not? I was at the Natural History Museum earlier and think of its meteorite collection; I’ve looked at it many times before and discover something new each time. It’s incredible: geometry that drops out of the sky! I’m ecstatic and spend an eternity there in awe and amazement. A cube like you wouldn’t believe, in iron form: right angles, triangles, shaped to perfection. These shapes have simply always been there. Once again I see quite clearly what’s what. Without being able to describe it. It’s so nice to be able to prop your elbows on the edge of those ancient wooden display cases and gaze inside. I’ve almost got my nose pressed up against the glass to get even closer. Gabonionta. Something coming into being. “The oldest known multi-layered complex life with coordinated growth. Three-dimensional discs with a sizeable margin and radial internal structure, up to 17 cm in size.” That’s what the Gabonionta caption has to say, with the discs of rock next to it. Cool word. With that meaning.

11 Max Weiler. Der Zeichner, exhibition catalogue, Albertina, Vienna; Ostfildern: Hatje Cantz, 2011, p. 266.

Vortices within the lines. Lots of energy, a drunken intoxication in an almost weirdly sober state. A little less than three years ago I had a deeply moving experience at a Max Weiler exhibition at the Albertina. I still vividly recall the middle section of the exhibition, those monumental ink drawings, lots of lines, dots, brushstrokes, all densely compacted, a depiction of nature. I browse through the thick catalogue, Max Weiler. Der Zeichner, published to coincide with the exhibition. “When I’m drawing,” writes Weiler, “the page is my whole world. What happens on it is what’s precious. It’s the variety and the wealth of shapes of the lines, the accumulation of lines – where the emptiness occurs on the page, where it is on the page, all of it is of the greatest importance. Everything is represented.” 11 I hear the music and think of melodies for my lines. Weiler named his drawings after what he appeared to be drawing: Earth. Crevice. Gorge. Vegetation. No! When I look at his works, that’s not it at all. It’s everything, just not a forest area, right, or perhaps a forest area after all. It’s true: the drawings are made from nature, but it is possible to see and recognize everything else too. It was one of my most intense visits to a museum ever. From the middle part of the exhibition onwards (it was chronological in its layout), I felt a genuine pull within me to gaze at the works for as long and as profoundly as possible. I sensed a great deal of the obsessiveness in Weiler’s works and could empathize with it, with an emotion that fills me with joy. Which should, in fact, remain impossible to describe. In the last room, laid out inside a glass display table as in a sarcophagus, was his final drawing. The one he drew one week before he died. (One week! At the age of 90!) That made a huge impression on me; it fascinated me, with such a strong sense of presence palpable. The small sheet of paper gleamed; I became sad, in a melancholy yet joyful way, all these colorful wax crayons—it could also have been a child’s. I can’t get it out of my head: what should I call my work?

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Feel My Fur, Baby Linda Berger

Ah. Title. I look at the rocks; they really are genuinely cool and incredibly ancient; I even feel as if they’re giving me energy. Monoclinic-prismatic / TIRODITE; Dunn and Roy. Or: ACTINOLITE. Kirwan, rhombic-dipyramidal. Disco. Dolomite. Greenland. My research tells me there’s a disco island there. Hmm, I wonder. I stick a piece of chewing gum to the wall behind me. Ooh, how very rad. At some point I’ll need to remove it again. But I’ll leave it there for now. I think back to the times when I used to ride the bus to school in the next town. And of spitting chewing gum out onto the street at a particular point along the journey home had become almost a sporting discipline. There was a manhole cover, but that was just an excuse as it was never deliberately targeted. Years later, I suddenly wondered where all the white marks on the ground had come from. After careful analysis (or just thinking about it) I realized it was the wads of chewing gum. The funny thing is, my sister did it too. I have to smile and think of her. OK, relax! I’ve only got myself to blame anyway, going around asking everyone for their opinion. FEEL MY FUR, BABY

13 cf. ibid.

12 Diethard Leopold, “Was ist Zeit im Zen?” online at https://www.derstandard.at/story/1376535136435/diethardleopold-was-ist-zeit-im-zen [2021-02-11].

I’m happy. Just enjoy it. The lines say so. No, really: decisions, self-confidence: here I come. Imagine if I had to please everyone! No way. I’m motivated. And carry on thinking about geometry. Sometimes I really do feel like going at it with a big brush. Powering into the drawings. I should try it. Weighing up a particular thought for the five thousandth time won’t make it any less weighty, or any different; it just means I’ll never get a gut feeling about it. How odd: I’m back with this particular shape in my drawing, the one that’s snake-like, but I’ve made too long. However, the feeling I’ve got is a completely different one. What was that about time again? Time passes. Without time passing. Some nine months ago I cut an article out of a newspaper and now, coincidentally, I’ve come across it again. It’s about time in Zen and the fact that time as such just goes on of its own accord. And in that movement, paradoxically, it is timeless. So time doesn’t pass!

Or as little as fire burns or water drowns in itself. Time is a form of existence that we can take one way or another. And time and timelessness? Imagine the present as a sort of membrane, sometimes thicker, sometimes thinner, between the past and the future. One that separates the yet-to-be from the no-longer. Past, future, present-time membrane: these are all constructs. “The clumsy mapping of a territory just beyond our grasp. Neither more nor less esoteric than the formula time = timeless. […] Humankind […] believes it’s observing time when it’s time that’s observing humankind.” 12 There are people who look at pictures without any expectation of anything special, just because they enjoy it, no more than that, because they enjoy the way the mind operates and establishes a connection between artist and viewer. And there are people who, in that moment, perceive nothing other than the picture, and it can become one of those moments in life when there is absolutely no need for anything else.13 A tin can rolls around outside, propelled by the wind. I imagine something rolling around my sheet of paper, something black that leaves black traces behind. I take a sip from a plastic bottle and place it on the radiator behind me. Black lines. I think of nothing, of size, shape and density. I’m fully focused. Suddenly, the bottle behind me gives a loud crack, almost scaring me to death. Another black splodge. Damn it. Picturesque. I’ll keep you updated. Translated by Stephen Grynwasser

Essling, 1220 Wien/Vienna

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The Sun, the Moon and the Stars Are Fast Asleep 2021 95 × 115 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

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The Sun, the Moon and the Stars Are Fast Asleep 2021 95 × 115 cm Tusche auf Baumwollgewebe

Essling, 1220 Wien/Vienna

ink on cotton fabric

Essling, 1220 Wien/Vienna

100

The Day Melted Down into a Sleepy Purple Glow 2021 95 × 115 cm Tusche auf Baumwollgewebe ink on cotton fabric

102

A Life So New and Beautiful 2021 95 × 115 cm Tusche auf Baumwollgewebe

Essling, 1220 Wien/Vienna

ink on cotton fabric

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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Pineapple Heart 2020 155 × 109 cm Tusche auf Papier ink on paper

carla Mittersteig, 1050 Wien/Vienna

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Pineapple Heart 2020 155 × 109 cm Tusche auf Papier ink on paper

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Dark Is the Sky, Bright Are the Stars 2021 70 × 60 cm Tusche auf Baumwollgewebe

Barawitzkagasse, 1190 Wien/ Vienna

ink on cotton fabric

Barawitzkagasse, 1190 Wien/ Vienna

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PEACH-BLOW

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Peach-Blow 2020 155 × 109 cm Tusche auf Papier ink on paper

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Dokumentationszentrum für moderne Kunst Niederösterreich, St. Pölten 2020

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Peach-Blow 2020 155 × 109 cm Tusche auf Papier ink on paper

Dokumentationszentrum für moderne Kunst Niederösterreich, St. Pölten 2020

180

Peach-Blow 2020 155 × 109 cm Tusche auf Papier ink on paper

Dokumentationszentrum für moderne Kunst Niederösterreich, St. Pölten 2020

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Out There 2020 96 × 95 cm Tusche auf Holzplatte ink on wood panel

Dokumentationszentrum für moderne Kunst Niederösterreich, St. Pölten 2020

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Out There

2020

96 × 95 cm

Tusche auf Holzplatte

ink on wood panel

Ivy Green 2019

180 × 219 cm Tusche auf Papier ink on paper

Dokumentationszentrum für moderne Kunst Niederösterreich, St. Pölten 2020

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Ivy Green

2019

180 × 219 cm

Tusche auf Papier

ink on paper

Landstriche Michael Donhauser

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Wie gestreift von einem Luftzug, Gras, durch das ein Wehen zieht, das wogt mit den Böen, ein Mäandern als Legende, als die Legende von einer Bewegung, die aufgekommen sein wird, die angehalten haben wird, für die Dauer von Wochen, während der Nachmittage, in Sekundenbruchteilen als Striche wie Silben: als wäre, was zu sagen wäre, zu sagen in Silben, wäre, was zu zeichnen bliebe, zu zeichnen in Strichen, die in Schwärmen ziehen und sich überlagern. Bis ein Strich stockt, Striche stocken und zu Formationen sich verdichten, sich lichten: als gehorchte die Bewegung einer geregelten Regellosigkeit, einer beständigen Unbeständigkeit wie auch dem Vernehmen dieses Steten wie des Nachlassens als Neige. Das Aufkommen von Strichen, das Abweichen, Verfilzen, Sichverlieren: was tun? Sich stricheln lassen, dass es strichelt, strichelt wie regnet, begleitet von Gedanken, die schweifen, die versiegen, die sickern oder wiederkehren. Denn jenseits einer Machbarkeit wie des Verzichts gibt es dieses Tun, das ein Lassen einbezieht: ein Tun, das intentionslos einer Intuition folgt und sich vergisst zugunsten eines Strichelns, das wie Wolken, die ziehen, sich von allem Wollen befreit zu haben scheint. Und es gilt dieses Tun einer Bewegung, die nicht um der Bewegung willen allein geschieht, sondern als Geschehen so kontrolliert wie entlassen der Kontrolle, noch einmal, dem Fallen von Regen gleicht. Der Strich aus dem Handgelenk setzt sich in Strichen fort, denen der Weg vom Gelenk bis zur Feder als Radius eingeschrieben ist, wobei die

Fortsetzung in die Mehrzahl eine Motorik erzeugt, deren Movens das stete Nicken der Finger bleibt. So geschieht wenig und gleichwohl sehr viel, das heißt, viel mehr als ein bloßes Addieren von Strichen, das lediglich seriell abliefe und sich als meditativer Akt verstünde. Denn obwohl aus dem Gelenk gestrichelt, als regnete es, bleibt dieses Stricheln begleitet oder geleitet von Assoziationen und Gedankenlosigkeiten, von einer Lust wie einer Wut: und so ist es unentwegt, wenn auch von Unterbrechungen durchsetzt, oder verläuft sich zuweilen, sucht den Weg zurück durch die Striche. Was so geschieht, bleibt von etwas Unbeirrbarem bestimmt, das sich so sehr verliert wie manchmal ein paar Schritte zurücktritt, um das Gespür für die Proportionen wiederzugewinnen: das nach einem Sinn nicht fragt, doch ahnt, dass der Sinn in dem Tun liegt, von dem es nicht ablässt. Und so hat dieses Zeichnen mit Konzepten wenig zu tun, sondern ist ein Tun, das mit dem rechnet, was sich ergibt und deshalb zufällig scheint: wobei die Bereitschaft, vieles zu lassen und einsam zu sein, Voraussetzung bleibt für dieses Tun, das sich einem Geschehen überantwortet, dessen Zeit einst als Muße die Bedingung für alles Gelingen war. Was am Ende dann aber großformatige Tuschzeichnung heißt, bleibt unbeschreiblich, denn eher ahnt als unterscheidet man Figurationen, die sich aus sich formenden Abläufen ergeben, dichter und loser und in wenigen Farben oder mit Auslassungen, sodass ein Weiß durchscheint. Doch das Weiß ist kaum noch jenes des Papiers, eher kommt es einer Lichtung gleich, als würde da etwas Gleichnishaftes sichtbar als Veranschaulichung dessen, was sich der Anschauung entzieht. Und die Figurationen, sie lassen kaum je so etwas wie eine Figur erkennen, denn wenn da etwas Figur wird, ist diese von der flüchtigen Art, die ein Vorhangmuster oder ein Faltenwurf auch erzeugt. Eher scheinen die Strichverläufe einer Bewegung zu folgen, die sich mäandernd einen Weg bahnt oder staut, jenem Denken ähnlich, das sich noch behauptet, während der Schlaf schon die Oberhand gewinnt. Es undulieren diese Verläufe mit Interruptionen, mit Motiven, die ostinat wiederholt oder durchlässig wiederum werden für ein fließendes Stricheln,

das wie entlassen dann ins Wirbeln gerät, verzerrt durch die versetzten Kräfte eines Zögerns wie einer Entschiedenheit. Die Unabschließbarkeit aber bleibt, die Übersetzung in Striche mit Modulationen, vagierenden, als wäre all das Gestrichelte Spur eines Streichens oder Streunens über das Papier wie durch ein Land: dieses Vagieren gehorcht einer Rhythmik, die, wenn auch mit Variationen, stets in ähnlicher Länge Striche erzeugt, wobei Risse das Fluide queren, hell und diskret oder auch oberflächlich wie subkutan, als Schwellen: Schwellen gleich. Denn all das bleibt, noch einmal, gleichsam, wird durchgeführt oder kommt ins Stocken, kehrt wieder als ein Streben, wenn sich auch sträubt, abweicht wie entzweit, was sich verdüstert oder aufbricht in ein lichteres Stricheln: in ein Sprühen wie von Spreu durch ein Worfeln, Windsichten, als hätte ein Luftzug die Striche erfasst und trennte das Dichtere vom heller Schwebenden. Und so weht etwas schlingernd, hebt sich oder zerstiebt, was kaum noch sich niederlässt in wolkigen Bänken, eher steigt hell auf als Gischt, als Blust: weithin blühend, als wäre Glück all das Lassen und leise ein Tosen, hörbar als Silben, als Striche, kratzende Stille, als ein Murmeln, sonantisch wie verstummt oder redend wie in Zungen zuweilen. Aus einer solcherart gelichteten Konsistenz diffundiert, was einer Folge von melodischen Mustern gleicht, die sich so sehr entäußern wie wiederholen, als kehrte stetig wieder der Wunsch, diesem Treiben kein Ende zu setzen oder von Neuem aufzunehmen, was sich bald verhüllt wie entblößt, bald überlagert oder kondensiert zu einem innigen Gestöber. Iterativ, also strichelnd wie stichelnd in Form einer Annäherung, wobei in das Luftige eines Äthers gesät scheint, was sich in Schwärmen durchmischt zu einer Sphäre von lichter Dichte und schattiger Helligkeit. Und so erhebt sich als Verwandlung eines Strichs in Striche, strömt und bricht, was sich vereinzelt: was als distinkte Stimmen, als hellere Silben dem Gesang entsteigt, ihm entschwebt, als öffnete sich ins Himmlische ein lichterer Himmel. Wenn auch gleichsam zu Wolken sich wieder dann sammelt eine Vielzahl von Strichen und unmerklich so zu geschehen scheint, was sich bald

windet, bald lose verflicht, schwindet oder sich vermehrt, während wir uns verlieren in ein Sehen, das uns erinnert, wie Wolken es einst waren, die uns in einer Stunde wie jener des Todes erkannten. Wer das Machbare, das den Alltag trägt, das Besorgen und Hantieren, in den Zeiten lässt, während derer die Notwendigkeit des Tuns eine andere ist, nämlich die, vieles zu lassen, wer zudem dieses Tun einer Dauer unterstellt, überlässt sich einem Geschehen, dessen Verlauf ein Kalkül bestimmt, das als Formfindung wirksam ist. Sich so zu überlassen heißt, sich mit einer träumenden Wachheit jener Bewegung anzuvertrauen, die man hervorbringt und von der man als Schreibender oder Zeichnende hervorgebracht wird. Die Zeichnung schließlich, sie ist nicht schlicht Ergebnis, sondern sie dokumentiert oder in ihr dokumentiert sich, was im Nachvollzug so fließend ist wie gebrochen und von Brüchen gegliedert bald ausweicht oder abkommt, sich staut und zerstiebt zwischen Erwachen und Traum. Ein Verschweben aber bleibt, es kündigt sich an und klingt nach, es übersetzt das Vergehen in einen Wechsel von Nachgeben und Aufbegehren, hält das Lassen fest, lässt das Halten los, in einer Interferenz von Nähe und Distanz, so variierend wie insistierend, als überlagerten sich in all dem Tun Wohlwollen und Widerstand. (Thomas von Aquin schreibt, Personen von Dingen unterscheidend: „Non solum aguntur, sicut alia, sed per se agunt.“ In der Übersetzung von Robert Spaemann: „Es geschieht nicht etwas durch sie, wie bei den anderen Dingen, sondern sie handeln durch sich selbst.“ Die mit diesem Handeln von Personen verbundene Eigenverantwortlichkeit wurde notwendigerweise immer wieder relativiert. Eine der schönsten Weisen aber, das Geschehen durch die Dinge wie etwa das Fallen des Regens mit einem Handeln zu verbinden, findet sich in den Zeichnungen von Linda Berger, denn in ihnen verwirklicht sich ein Tun, das abseits von vielem, was da gemacht wird, in ebendiesem Tun zu einer Erfüllung findet oder, was nahezu gleichbedeutend ist, den Möglichkeiten entspricht, die das je eigene Tun bereithält.)

Cloudlines Michael Donhauser

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As if brushed by a draught of air, grass, a breeze wafting through it, billows with each gust, meandering as a legend, the legend of a movement which, through afternoons, will last for weeks and, having arisen, will halt for fractions of seconds as strokes, syllable-like: as if what needed saying could be said in syllables, what still needed drawing could be drawn in strokes that sallied forth, eclipsing each other in swarms. Until a stroke falters, the strokes falter and condense or thin out into formations: as if that movement were subject to a regularized irregularity, a constant inconstancy, as well as to interrogation of such regularities and dwindling. Strokes appear, divagate, tangle, fade: what can you do? Let strokes flow, send them dashing, to dash like rain, accompanied all the while by thoughts that wander, dry up, trickle, or recur. For beyond feasibility and renunciation lies a doing that also includes non-doing: a doing which, lacking intention, follows intuition, forgetting itself in favor of a stroke-work which, like passing clouds, has seemingly freed itself of all volition. And what counts is this doing of a movement that does not happen for movement’s sake alone but which, as an activity both controlled and released from control, once again, resembles falling rain. The flick of the wrist yields repeated lines whose radius is assigned via the path from joint to nib and whose multiplication engenders a momentum driven by the steadily bobbing finger. Thus little happens, or equally, much does happen, or far more than the mere addition of strokes delivered solely in series and conceiving of itself as an act

of meditation. For though flicked from the wrist and resembling rain, these dashes are attended or swayed by associations and absentmindedness, by desire and rage: the stroke-work is continuous, albeit interspersed with interruptions, or occasional aberrancies, only to refocus by way of the strokes themselves. Such activity is nonetheless governed by single-mindedness, deviance from which amounts to taking two steps back to regain a sense of proportion: it has no interest in meaning, but senses meaning in its doing, which is unceasing. Hence this drawing has less to do with concepts than with action that is alert to whatever transpires, therefore appearing random: correspondingly, the willingness to leave much undone and to espouse solitariness is a precondition of such action, which dedicates itself to matters whose timing, implying leisure, was once the sine qua non of all accomplishment. In the end, however, what here are known as largescale ink drawings resist description, for figurations emerging from their formative flow will owe more to intuition than discrimination: denser, looser, in few colors, or with gaps, so white shines through. But the white is no longer that of the paper, rather it is reminiscent of a clearing: as if we were witnessing the allegory of something that eludes sight. And these figurations hardly ever reveal an actual figure, for should such a figure emerge, it will be as fleeting as the kind produced by curtain patterns, or a fall of folds. Instead the sequence of strokes seems to track a movement which, in its meandering, opens paths or dams up, like thought asserting itself after sleep gains the upper hand. Such trajectories undulate with interruption and recurring motifs, which themselves may nonetheless prove pervious to a flow of strokes whose apparent abandon causes a whirling motion, skewed by the shifting forces of hesitation and determination. But what remains is a boundless insistence translated into modulations of lines, roaming as if such strokes were the traces of a wafting or straying motion across paper, as through a landscape: this wandering follows a rhythm that generates strokes of similar, albeit varying, length, a flow traversed by rift-like fissures that are bright and discrete, or shallow, as if skin deep, like thresholds. For all this remains, and once again, so to speak, will be performed or falter, returning to redouble its efforts,

even­when­what­is­darkening­baulks,­swerves­or­ sunders,­or­breaks­out­into­sparser­strokes:­into­ spray­as­if­chaff­from­threshing,­winnowing­as­if­wind­ had­seized­hold­of­the­strokes­and­sorted­the­thick­ from­the­paler­and­airier.­And­thus­there­is­­lurching­ and­billowing,­a­lifting­or­scattering­of­what,­in­its­ cloudy­mass,­barely­settles­before­rising­bright­as­ spume,­as­blossom,­burgeoning­far­and­wide,­as­if­ bliss­lay­in­leaving­behind­and­roaring­quiet,­­audible­ as­syllables,­as­strokes,­a­scratching­stillness,­like­ murmuring,­sonant­or­muted,­speaking­as­if­in­ tongues­sometimes.­­­­­­­­­­­­­ What­pours­forth­from­a­texture­of­such­refinement­ resembles­a­series­of­melodic­patterns­renouncing­ and­repeating­themselves­in­equal­measure­as­if­ their­recurring­desire­were­never­to­allow­such­ goings-on­to­end,­or­to­engage­anew­with­that­which­ one­moment­veils­or­exposes­itself,­the­next­overlaps­or­condenses­to­an­intense­flurry:­an­­iteration,­ adding­strokes­and­gouges­in­a­kind­of­rapprochement,­while­seemingly­scattering­into­the­wispy­ ether­swarms­that­co-mingle­and­spawn­a­sphere­ of­luminous­density­and­shadowy­brilliance.­And­ what­transforms­one­stroke­to­many,­diffusing­and­ fracturing,­gives­rise­to­singularity:­the­ascent­out­of­ song­of­distinct­voices,­lucid­syllables,­hovering­ above­it­like­a­lighter­sky­opening­on­the­heavenly.­ But­then­myriad­strokes­regather­in­clouds,­so­to­ speak,­allowing­imperceptibly­to­unfold­what­now­ coils,­now­loosely­interweaves,­evaporating­or­ ­proliferating,­while­we­lose­ourselves­in­a­looking­ that­reminds­us­of­how­once,­in­an­hour­like­that­of­ death,­it­was­clouds­that­saw­us.­­­­­­­­­­­­­­­­­ Whoever­abandons­practicalities­that­sustain­everyday­life,­the­provision­and­use­of­things,­when­what­ needs­doing­is­something­different,­namely­leaving­ much­undone,­and­whoever­also­assigns­a­duration­ to­this­undertaking­cedes­to­a­process­whose­ course­is­plotted­by­deliberations­conducive­to­ form-finding.­To­commit­oneself­in­this­way­means­ to­place­one’s­trust,­with­oneiric­alertness,­in­a­ ­dynamic­one­shapes­and­is­shaped­by­as­a­writer­ or­artist.­A­drawing,­after­all,­is­not­simply­a­product;­ it­documents­or­contains­ongoing­documentation­of­ something­that­will­later­evince­fluency­and­fracture­ and­which,­structured­by­rupture,­one­moment­ swerves­or­divagates,­the­next­dams­up­or­scatters­ between­waking­and­dream.­A­liminal­hovering­

­ onetheless­remains,­announcing­its­arrival­and­ n leaving­an­echo,­translating­its­fading­into­an­ acquiescence­that­alternates­with­protest,­holding­ onto­relinquishment­and­renouncing­retention,­all­­ in­a­mutual­interference­of­affinity­and­dissociation,­ varying­and­insisting­in­equal­measure,­as­if,­ amongst­all­this­activity,­sympathy­and­resistance­ overlapped.­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­­ (Distinguishing­persons­from­things,­Thomas­ ­Aquinas­writes:­“Non solum aguntur, sicut alia, sed per se agunt” [They­are­not­directed­to­act,­like­ other­things,­but­act­of­themselves].­Inevitably,­the­ individual­responsibility­associated­with­such­personal­action­has­been­relativized­time­and­again.­ One­of­the­most­beautiful­ways­of­linking­the­di­rect­ed­activity­of­things,­such­as­falling­rain,­with­ ­personal­action,­may­be­found­in­Linda­Berger’s­ drawings,­for­in­these­an­activity­is­brought­to­ ­fruition­which,­aside­from­much­else­that­is­being­ done,­finds­its­fulfillment­­in­just­such­action,­or,­ ­meaning­practically­the­same­thing,­corresponds­­ to­the­full­potential­a­person’s­action­can­allow.)­­­­ ­ Translated­by­Iain­Galbraith­

Friday Exit, Wien/Vienna 2016

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Stricheraum II 2016 Tusche auf Papier ink on paper

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Stricheraum II 2016 Tusche auf Papier

Friday Exit, Wien/Vienna 2016

ink on paper

Friday Exit, Wien/Vienna 2016

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Stricheraum II 2016 Tusche auf Papier ink on paper

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Stricheraum II 2016 Tusche auf Papier

Friday Exit, Wien/Vienna 2016

ink on paper

Friday Exit, Wien/Vienna 2016

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Stricheraum II 2016 Tusche auf Papier ink on paper

Galerie Loft 8, Wien/ Vienna 2016

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Stricheraum III 2016 Tusche auf Papier ink on paper

Galerie Loft 8, Wien/ Vienna 2016

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Stricheraum III 2016 Tusche auf Papier ink on paper

Galerie Loft 8, Wien/ Vienna 2016

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Stricheraum III 2016 Tusche auf Papier ink on paper

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Stricheraum IIII 2021 Tusche auf Papier

Elektrohalle Rhomberg, Salzburg 2021

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Elektrohalle Rhomberg, Salzburg 2021

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Stricheraum IIII 2021 Tusche auf Papier

Elektrohalle Rhomberg, Salzburg 2021

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Linda Berger Stricheraum II

Linda Berger

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Linda Berger studierte an der Hochschule für Gestaltung Pforzheim Modedesign. Sie arbeitete nach ihrem Diplomstudium zunächst als Modedesignassistentin bei Bogner Jeans in Künzelsau (Deutschland), bevor sie 2008 nach Wien umzog, um an der Universität für angewandte Kunst Wien Grafik und Druckgrafik im Bereich bildende Kunst zu studieren. 2014 schloss Berger das Kunststudium mit Auszeichnung und Anerkennungspreis ab. 2015 bekam sie ein künstlerisches Arbeitsstipendium des BMBWF zugesprochen und war als Artist in Residence in den Lichtenberg Studios Berlin. 2018 wurde Berger für den STRABAG Kunstforum Artaward nominiert.

Linda Berger studied fashion design at Pforzheim School of Design (DesignPF). She worked as a fashion design assistant with Bogner Jeans in Künzelsau (Germany) before moving to Vienna in 2008 to study fine arts with a focus on graphics and printmaking at the University of Applied Arts Vienna. Berger completed her studies with distinction in 2014, winning a recognition award as well. In 2015 she was awarded an artist scholarship by the Austrian Federal Ministry of Education Science & Research (BMBWF) and was Artist in Residence at the Lichtenberg Studios Berlin. Berger received a nomination for the STRABAG Kunstforum Artaward in 2018.

Ausgewählte Ausstellungen: 2012 Graphics Open Hungarian University of Fine Arts, Budapest; 2013 quartier21 – art salon Educult, MuseumsQuartier Wien; 2015 Künstlerhaus Wien; 2016 Galerie Loft 8, Wien; 2017 MUSA Startgalerie, Wien; 2018 Gartenpalais Liechtenstein, Wien mit Galerie 3, Klagenfurt; Galerie Blaugelbezwettl, Zwettl; 2019 Basement, Wien; JustMad Art Fair, Madrid mit Galerie 3, Klagenfurt; 2020 DOK Niederösterreich, St. Pölten; Bildraum 07, Wien; Bildrecht Featured Artist auf der viennacontemporary 2020; 2021 Galerie Gmünd, Gmünd; Elektrohalle Rhomberg, Salzburg; IN SITU Project Statement auf der Parallel Vienna 2021; Kunstverein Schwäbisch Gmünd (DE).

Selected Exhibitions: 2012 Graphics Open Hungarian University of Fine Arts, Budapest; 2013 quartier21 – art salon Educult, MuseumsQuartier Wien; 2015 Künstlerhaus Wien; 2016 Loft 8 Gallery, Vienna; 2017 MUSA Startgalerie, Vienna; 2018 Liechtenstein Garden Palace, Vienna with Galerie3 Klagenfurt (AT ); Blaugelbezwettl Gallery, Zwettl (AT ); 2019 Basement, Vienna; JustMad Art Fair, Madrid with Galerie 3 Klagenfurt (AT); 2020 DOK Niederösterreich, St. Pölten (AT); Bildraum 07, Vienna; Bildrecht Featured Artist at viennacontemporary 2020; 2021 Galerie Gmünd, Gmünd (AT ), Elektrohalle Rhomberg, Salzburg; IN SITU Project Statement at Parallel Vienna 2021; Kunstverein Schwäbisch Gmünd (DE ).

Berger ist mit ihren Werken in folgenden Sammlungen vertreten: Artothek des Bundes, Sammlung Wien Museum, STRABAG Kunstforum Artcollection, Sammlung der Karl-Anton-Wolf-Stiftung, Kunstsammlung BKS Bank AG Klagenfurt, Sammlung Ed Urban in Waidhofen und in weiteren privaten Sammlungen im In- und Ausland. Seit 2014 ist sie als selbstständige Künstlerin tätig.

Berger’s work is held in the following collections: Artothek of the Federal Republic of Austria, Collection Wien Museum, STRABAG Kunstforum Artcollection, collection of the Karl-Anton-Wolf-Stiftung, art collection of the BKS Bank AG Klagenfurt, collection of Ed Urban in Waidhofen, and other national and international private collections. She has worked as an independent artist since 2014.

www.lindaberger.com

Autorinnen und Autoren

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Jeremias Altmann studierte Grafik und Druckgrafik an der Universität für angewandte Kunst Wien. Seit seinem Diplom 2015 arbeitet er vorrangig in den Techniken Grafik und Malerei. Neben zahlreichen Ausflügen in Kurzfilm- und Installationsprojekte widmet sich Altmann einer regen Ausstellungspraxis. Seine Arbeiten waren bisher in Österreich, Frankreich, Deutschland, Ungarn, Serbien, Indien, Kanada und China zu sehen. Jeremias Altmann lebt und arbeitet in Wien. www.jeremiasaltmann.net Michael Donhauser lebt in Vaduz und Wien. Seit 1986 Veröffentlichung von Gedichten, Erzählungen, einem Roman und essayistischen Arbeiten zur Poetik in Werken der Literatur und Kunst. Vereinzelt Übersetzungen aus dem Französischen (Arthur Rimbaud, Francis Ponge). Er erhielt unter anderem den Georg-Trakl-Lyrikpreis 2009 und den Heimrad-Bäcker-Preis 2019. Im Sommersemester 2020 hatte er die Ernst-Jandl-Dozentur für Poetik inne, ein Gemeinschaftsprojekt der Alten Schmiede und der Universität Wien. In diesem Rahmen war der Text Landstriche Teil der 2. Vorlesung. Letzte Veröffentlichungen: Variationen in Prosa (Matthes & Seitz, Berlin, 2013), Waldwand. Eine Paraphrase (Matthes & Seitz, Berlin, 2016), Schönste Lieder. Einsame Fuge (Edition Böttger, Bonn, 2019). Maria Christine Holter ist Kunsthistorikerin und Kuratorin für Gegenwartskunst. Sie studierte an den Universitäten Wien und Berkeley, USA (FulbrightStipendium), und praktizierte am Museum of Modern Art, NYC. Neben zahlreichen Gastkurationen und -programmgestaltungen – u. a. 2012/13 Zeit(lose) Zeichen. Gegenwartskunst in Referenz zu Otto Neurath im Wiener Künstlerhaus, 2015 Brennende Fragen ebendort, 2017 Das bessere Leben im Künstlerhaus 1050, 2014 Time(less) Signs im Austrian Cultural Forum London, 2018 Bruch Spur Zeichen in Wien und NÖ, 2019 – 2021 in situ@Parallel Vienna – konzipiert und organisiert sie eigene Ausstellungs- bzw. Veranstaltungsreihen wie in situ / follow up und FUNKENFLUG und berät zu Ausstellungs- und Sammlungstätigkeit. Holter ist Verfasserin zahlreicher Publikationen zur Kunst des 20. und 21. Jahrhunderts. www.mariaholter.at

Hermanus de Jongh, 1966 in den Niederlanden geboren, lebt und arbeitet in Wien. Er studierte Feinmechanik, Industriedesign und Mixed Media Arts in den Niederlanden. Seine professionelle Karriere machte er in der Kunst- und Musikproduktion, wofür er diverse Pseudonyme benutzte: Hermanus de Jongh aka Harry Chest, Harry Canary, Richy Hermann, Tamara Bold, Prof. H. J. Eikelstein, Herr Manus, The Imagined Order und HUPL. De Jonghs visuelle Kunst ist in den Sammlungen des MoMA (NY) und des Centraal Museum Utrecht (NL) vertreten. Er kooperierte u. a. mit Leigh Bowery (UK), Bořek Šípek (CZE), den Universal Studios (USA), dem OMA (NL), Juan Muñoz (ESP), dem Atelier Van Lieshout (NL) und Brigitte Kowanz (AT). www.hhjongh.tumblr.com lenz + henrich gestalterinnen, Gabriele Lenz und Elena Henrich, konzipieren, gestalten und editieren Bücher in den Bereichen Architektur, Fotografie, Kunst und Literatur. Das von der Typografin und Gestalterin Gabriele Lenz und der Innenarchitektin Elena Henrich geführte Büro wurde u. a. mit der Goldmedaille im Wettbewerb Schönste Bücher aus aller Welt und mit zahlreichen Preisen für herausragende Gestaltungen ausgezeichnet. Tätigkeitsschwerpunkte des Büros sind die Entwicklung von Orientierungssystemen, Buchgestaltungen, Corporate Identities und Typografie. www.lenzhenrich.at Lina Morawetz lebt als Autorin und Übersetzerin in Leipzig und Wien. Studium der Aural & Visual Cultures am Goldsmiths College, London, und des Literarischen Schreibens am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 2021 erscheinen von ihr Groß- und Kleinbuchstaben (Prosagedicht, Sonderzahl Verlag) sowie Essays u. a. bei V–A–C Press, Moskau. Arbeit am ersten Roman. Lehraufträge für Schreiben/Essayistik an Kunsthochschulen in Deutschland und Österreich (Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle, Akademie der bildenden Künste Wien).

Authors

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Jeremias Altmann studied graphics and printmaking at the University of Applied Arts Vienna. Since receiving his diploma in 2015, he has focused on graphic design and painting. In addition to numerous excursions into short film and installation projects, Altmann is dedicated to exhibiting on an international level. His works have been on show in Austria, France, Germany, Hungary, Serbia, India, Canada, and China. Jeremias Altmann lives and works in Vienna. www.jeremiasaltmann.net Michael Donhauser lives in Vaduz and Vienna. Since 1986 he has published poems, short stories, a novel, and essays on poetry in literature and artworks, and translated French poetry by Arthur Rimbaud and Francis Ponge. He was awarded the GeorgTrakl-Lyrikpreis in 2009 and the Heimrad-BäckerPreis in 2019, amongst others. In summer semester 2020, he held the Ernst Jandl Lectureship of Poetry, a joint project between the Alte Schmiede and University of Vienna, which also focused on the text “Landstriche” as part of the second lecture. Recent publications include Variationen in Prosa (Berlin: Matthes & Seitz, 2013), Waldwand. Eine Paraphrase (Berlin: Matthes & Seitz, 2016), and Schönste Lieder. Einsame Fuge (Bonn: Edition Böttger, 2019). Maria Christine Holter is an art historian and curator of contemporary art. She graduated from the University of Vienna and University of California, Berkeley, USA (Fulbright scholarship), and did an internship at the Museum of Modern Art, NYC. In addition to many guest curations and programs such as “Zeit(lose) Zeichen. Gegenwartskunst in Referenz zu Otto Neurath” in 2012/13 and “Brennende Fragen” in 2015, both at Vienna Künstlerhaus; “Das bessere Leben” in 2017 at Künstlerhaus 1050; “Time(less) Signs” in 2014 at the Austrian Cultural Forum London, “Bruch Spur Zeichen” in 2018 in Vienna and Lower Austria; and “in situ@Parallel Vienna” from 2019 to 2021, she also conceptualizes and organizes independent exhibitions and event series, including “in situ / follow up” and “FUNKENFLUG.” Maria Christine Holter advises on exhibition and collection planning and has written numerous books and articles on 20 th and 21st century art. www.mariaholter.at

Hermanus de Jongh was born in 1966 in the Netherlands where he studied precision engineering, industrial design, and mixed media art. He now lives and works in Vienna. During his career in the art and music production business, he used various different pseudonyms: Hermanus de Jongh aka Harry Chest, Harry Canary, Richy Hermann, Tamara Bold, Prof. H. J. Eikelstein, Herr Manus, The Imagined Order and HUPL. De Jongh’s visual art is represented in collections at MoMA (NY) and Centraal Museum Utrecht (NL). He collaborates with Leigh Bowery (UK), Bořek Šípek (CZE), Universal Studios (USA), OMA (NL), Juan Muñoz (ESP), Atelier Van Lieshout (NL), and Brigitte Kowanz (AT), among others. www.hhjongh.tumblr.com What’s behind lenz + henrich gestalterinnen? Typographer and designer Gabriele Lenz and interior architect Elena Henrich conceptualize, design, and edit books on architecture, photography, art, and literature. Their studio won a gold medal, amongst others, in the competition Best Book Design from all over the World as well as many other prizes for their excellent designs. Lenz and Henrich focus on the development of orientation systems, book design, visual identities, and typography. www.lenzhenrich.at Writer and translator Lina Morawetz lives and works in Leipzig and Vienna. She studied Aural & Visual Cultures at Goldsmiths, University of London, as well as Literary Writing at the German Institute for Literature in Leipzig. In 2021, Groß- und Kleinbuchstaben (prose poem) was published by Sonderzahl Verlag and her essays, amongst others, by V–A–C Press Moscow. Meanwhile, her first novel is in progress. She served as a lecturer on writing and essay writing at academies of art in Germany and Austria (Burg Giebichenstein University of Art and Design Halle; Academy of Fine Arts Vienna).

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Linda Berger pp. 16–27, 31–33, 178–187, 192–215 Exhibition views, photos Stricheraum II + III Elena Henrich pp. 28–29, 38–78, 96–110 Photo essay

Credits

Rudolf Strobl pp. 208–213 Photos Stricheraum IIII

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Editors Linda Berger, Maria Christine Holter www.mariaholter.at Artist Linda Berger www.lindaberger.com With contributions by Jeremias Altmann, Linda Berger, Michael Donhauser, Maria Christine Holter, Lina Morawetz Song text by Hermanus de Jongh

Imprint

Cover image Linda Berger, A-Vienna Photo essay Elena Henrich, A-Vienna

Library of Congress Control Number: 2021934001 Bibliographic information published by the German National Library The German National Library lists this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographic data are available on the Internet at http://dnb.dnb.de. This work is subject to copyright. All rights are reserved, whether the whole or part of the material is concerned, specifically the rights of translation, reprinting, re-use of illustrations, recitation, broadcasting, reproduction on microfilms or in other ways, and storage in databases. For any kind of use, permission of the copyright owner must be obtained.

Project management “Edition Angewandte” on behalf of the University of Applied Arts Vienna: Barbara Wimmer, A-Vienna Content and Production Editor on behalf of the Publisher: Katharina Holas, A-Vienna

ISSN 1866-248X

Proofreading and copyediting Martin Gastl (German), Scott Clifford Evans (English) Translation from German into English: Stephen Grynwasser, Iain Galbraith, Marina Brandtner

www.degruyter.com

Book design lenz + henrich gestalterinnen Gabriele Lenz und Elena Henrich, A-Vienna www.lenzhenrich.at Fonts Helvetica Neue (Max Miedinger and Eduard Hoffmann, 1957, published by Linotype 1983) Paper Munken Lynx Rough 600, 300, and 130 g/m2 Lithography and reproductions Pixelstorm Litho & Digital Imaging, A-Vienna Printing and Binding Holzhausen, die Buchmarke der Gerin Druck GmbH, A-Wolkersdorf

ISBN 978-3-11-074475-0 e-ISBN (PDF) 978-3-11-074703-4 © 2021 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Thanks to STRABAG Kunstforum ArtCollection Printed with financial support of the City of Vienna/ MD 7 – Cultural Affairs, Bildrecht, Otto Mauer Fund