Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung: Band I: Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungsgeschichte – Band II: Grundlagen und Wege der Forschung [1 ed.] 9783428543724, 9783428143726

Die Beurteilung Leopold von Rankes – vielfach als ›Begründer‹, ›Goethe‹ und ›Papst‹ der Geschichtswissenschaft bezeichne

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Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung: Band I: Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungsgeschichte – Band II: Grundlagen und Wege der Forschung [1 ed.]
 9783428543724, 9783428143726

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GÜNTER JOHANNES HENZ

Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung Band I Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungsgeschichte

Duncker & Humblot · Berlin

GÜNTER JOHANNES HENZ

Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung Band I

GÜNTER JOHANNES HENZ

Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung

Band I Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungsgeschichte

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Abbildung auf Umschlag: Leopold von Ranke, Zeichnung von Wilhelm Hensel, 1859 (© akg-images) Alle Rechte vorbehalten 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin © Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany ISBN 978-3-428-14372-6 (Print) ISBN 978-3-428-54372-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84372-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorliegendes Werk geht zurück auf die Jahre 1965-1975, in denen ich die Arbeiten an meiner 1968 erschienenen, dem jungen Ranke gewidmeten Dissertation mit weiter ausgreifenden bibliographischen und archivalischen Studien verband. Aus beruflichen Gründen mußte ich diese Arbeiten, welche 1972 noch zu einem Forschungsbericht über Rankes Briefwechsel geführt hatten, abbrechen und konnte sie erst im Jahre 2007 wieder aufnehmen. Dank gilt zuallererst meiner Frau. Ohne sie wäre dieses Werk nicht entstanden. Ich danke ihr nicht allein für ihre Unterstützung bei Arbeiten in Archiven und Bibliotheken, vor allem in der Bayerischen Staatsbibliothek, im Bayerischen Hauptstaatsarchiv und Geheimen Hausarchiv, und - bereits vor 45 Jahren - im Ranke-Nachlaß der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, und in verschiedenen Beständen des dortigen Geheimen Staatsarchivs, mehrfach im Archiv des Ranke-Vereins Wiehe, sondern auch für die Betreuung von ca. 4.000 Titeln und Kopien der Ranke-Literatur und -Editorik, für wertvolle Korrekturhinweise und die Mitarbeit am aufwendigen Register. Über allem stand ihre stetige Ermunterung, das Begonnene zu Ende zu führen. Ein wenig in diesem Sinne gewirkt haben ferner zahlreiche, hier nicht zu nennende Fachvertreter und Mitglieder historischer Kommissionen, welche mir bei meinen kritischen Veröffentlichungen der Jahre 2008 und 2009 ihre Zustimmung ausgedrückt haben. Dies gilt auch für die ungescheute und qualifizierte Berichterstattung mehrerer Presseorgane. Dank habe ich meinem gymnasialen Geschichtslehrer Dr. Gisbert Bäcker von Ranke, dem Urenkel Leopold von Rankes, abzustatten, der mir bereits Mitte der 1960er Jahre die damals noch in seinem Besitz befindlichen, später an das Archiv des Ranke-Vereins Wiehe übergegangenen Bestände aus dem Nachlaß seiner Mutter Ermentrude von Ranke uneingeschränkt zur Verfügung gestellt hat. Dr. Siegfried Baur, dem verdienstvollen Ordner des Ranke-Nachlasses der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, verdanke ich sowohl Ermunterungen zur Wiederaufnahme meiner Ranke-Studien als auch zahlreiche Hinweise archivlicher und bibliographischer Art. Letztere stellten die Professoren Katsumi Nishii und Shinichi Sato für den japanischen Bereich zur Verfügung. Den in Anspruch genommenen Bibliotheken und über siebzig Archiven kann mit zwei Ausnahmen hier nur pauschal gedankt werden. Zum einen dem Geheimen Hausarchiv München und dessen Leiter, Archivdirektor Dr. Gerhard Immler, zum anderen dem RankeVerein Wiehe e. V., dessen Archiv und Bibliothek mir durch seinen Vorsitzenden, Pastor i. R. Gottfried Braasch, und die Wieher Bürgermeisterin, Frau Dagmar Dittmer, zugänglich gemacht wurden. Frank Bigeschke, stellvertretender Vorsitzender des Vereins, gab aus seiner Ranke-Sammlung wertvolle bibliographische Hinweise. Reinhard Markner/Berlin sind solche auf einige ferner liegende Stücke der Ranke-Korrespondenz zu verdanken. Dr. Florian R. Simon schließlich sei gedankt für die Aufnahme in das Programm seines Verlages, dessen Geschichte die Namen der eher antipodisch ausgerichteten Größen vereint: Goethe als „größter Dichter“, Hegel als „größter Philosoph“ und Ranke als „größter Geschichtsschreiber“ (Constantin Rößler, 1886, 298).

INHALT Band I Einführender Überblick über die Bände I und II (I/0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 1. Teil (I/1)

WISSENSCHAFTLER ODER LITERAT? Eine kritische Studie zu Persönlichkeit und Werkentstehung

21

1. Kapitel: „Der ungewöhnlich kleine, unscheinbare Mann“ und das Faszinosum ‚Buch‘ (I/1.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2. Kapitel: Fehlgeplantes und Unvollendetes (I/1.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 32 3. Kapitel: Atelier und Amanuensen (I/1.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 4. Kapitel: Buchgestalter und Verleger (I/1.4). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 5. Kapitel: Ohne „System und Regel“ (I/1.5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 6. Kapitel: Fachliche Mängel und fachliche Sünden (I/1.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 7. Kapitel: Widersprüchlichkeiten (I/1.7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 8. Kapitel: Die Gunst des Publikums (I/1.8) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 9. Kapitel: Die Gunst der irdischen und der himmlischen Gewalten (I/1.9) . . . . . . . . . 96 2. Teil (I/2)

RANKE IN DEUTUNG UND SELBSTBESINNUNG DES GESCHICHTSDENKENS

109

Einführung (I/2.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111

1. Abteilung (I/2.1) R ANKE

IM

G ESCHICHTSDENKEN

SEINER

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Vorbemerkung (I/2.1.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 1. Kapitel: Das Frühwerk 1824-1831 und die Gründungssage der Geschichtswissenschaft (I/2.1.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Kapitel: Die Kritik der historischen Kritik, Objektivität und Unparteilichkeit (I/2.1.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 3. Kapitel: Das Geschichtswerk als Kunstwerk? (I/2.1.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 4. Kapitel: Das Scheitern der politischen Publizistik Rankes. Die Aufnahme der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ 1832-1836 (I/2.1.4) . . . . . . . . . . . . . . . 205

-7-

Inhalt

5. Kapitel: Das ‚Religionswerk‘ und seine Aufnahme 1834-1847 (I/2.1.5) . . . . . . . . 213 Vorbemerkung (I/2.1.5.0) 213 - Die römischen Päpste (I/2.1.5.1) 214 - Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (I/2.1.5.2) 229

6. Kapitel: ‚Preußische Geschichte‘ 1847-1848 (I/2.1.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 256 7. Kapitel: Nationalgeschichte als europäische Universalgeschichte 1852-1867 (I/2.1.7) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Vorbemerkung (I/2.1.7.0) 267 - Die Aufnahme der ‚Französischen Geschichte‘ (I/2.1.7.1) 269 - Die Aufnahme der ‚Englischen Geschichte‘ (I/2.1.7.2) 277

8. Kapitel: Im Banne der glorreichen Gegenwart. ‚Sämmtliche Werke‘ und preußisch-deutsches Spätwerk 1867-1881 (I/2.1.8) . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 Einführung (I/2.1.8.0) 296 - Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England (I/2.1.8.1) 302 - Zur Deutschen Geschichte (I/2.1.8.2) 303 - Geschichte Wallensteins (I/2.1.8.3) 304 - Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges (I/2.1.8.4) 310 - Die deutschen Mächte und der Fürstenbund (I/2.1.8.5) 312 - Abhandlungen und Versuche (I/2.1.8.6) 316 Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen (I/2.1.8.7) 317 - Zwölf Bücher Preußischer Geschichte (I/2.1.8.8) 321 - Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg (I/2.1.8.9) 324 - Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792 (I/2.1.8.10) 325 - Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg und Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813 (I/2.1.8.11) 328 - Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien (I/2.1.8.12) 336 - Historisch-biographische Studien und Zur Venezianischen Geschichte (I/2.1.8.13) 338

9. Kapitel: Die unvollendete, begrenzte Universalität. Die Zeiten der ‚Weltgeschichte‘ 1881-1886 (I/2.1.9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 341 Einführung (I/2.1.9.0) 341 - Amanuensen, Schüler und Hörer als Kritiker (I/2.1.9.1) 345 Sonstige fachhistorisch geprägte Stimmen (I/2.1.9.2) 353 - Konfessionelle und religionswissenschaftliche Kritik (I/2.1.9.3) 363 - Ausländische Stimmen (I/2.1.9.4) 368 - Das letzte Jahr (I/2.1.9.5) 369

10. Kapitel: Letzte Tage - Tod - Nachrufe (I/2.1.10) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375

2. Abteilung (I/2.2) R ANKE

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W ILHELMINISCHEN Z EIT

385

Einführung (I/2.2.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 1. Kapitel: Die Erweiterung der Diskussionsgrundlagen. Die posthumen Werkfortführungen und ihre Aufnahme (I/2.2.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 391 Vorbemerkung (I/2.2.1.0) 391 - Die Fortführung der ‚Weltgeschichte‘ (I/2.2.1.1) 391 - Die Fortführung der ‚Sämmtlichen Werke‘ (I/2.2.1.2) 400 - Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert (I/2.2.1.2.1) 401 - ,Abhandlungen und Versuche. Neue Sammlung‘ (I/2.2.1.2.2) 404 - ,Zur eigenen Lebensgeschichte‘ (I/2.2.1.2.3) 405

2. Kapitel: Die philosophische Perspektive (I/2.2.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 3. Kapitel: Die fachhistorische Perspektive. Zwischen Kulturgeschichte und politischer Geschichte (I/2.2.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427 4. Kapitel: Die historisch-politische Perspektive. ‚Die großen Mächte‘ und der Primat der auswärtigen Politik (I/2.2.4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448

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Inhalt

3. Abteilung (I/2.3) R ANKE

IM

G ESCHICHTSDENKEN

DER

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Einführung (I/2.3.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 1. Kapitel: Philosophische und theologische Stimmen (I/2.3.1) . . . . . . . . . . . . . . 468 Oswald Spenglers Kritik und seine Kritiker (I/2.3.1.1) 468 - Ernst Troeltschs Kritik und seine Kritiker (I/2.3.1.2) 469 - Sonstige philosophisch ausgerichtete Stimmen, besonders zur ‚Ideenlehre‘ (I/2.3.1.3) 475

2. Kapitel: Die Romantik-Diskussion (I/2.3.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 483 3. Kapitel: Die historische und politische Perspektive (I/2.3.3) . . . . . . . . . . . . . . . 491

4. Abteilung (I/2.4) R ANKE

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Z EIT

DES

N ATIONALSOZIALISMUS

Einführung (I/2.4.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Kapitel: Das Jahr 1936. Populäre Idolatrisierung und Hegel-Komparatistik (I/2.4.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kapitel: Stimmen der nationalsozialistischen ‚Elite‘ (I/2.4.2) 3. Kapitel: Stimmen von Fachhistorie, Geschichtstheorie und Philosophie (I/2.4.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kapitel: Religion im ‚Dritten Reich‘ (I/2.4.4) . . . . . . . . .

497

. . . . . . . . . . . . . . 499 . . . . . . . . . . . . . . 502 . . . . . . . . . . . . . . 508 . . . . . . . . . . . . . . 512 . . . . . . . . . . . . . . 529

5. Abteilung (I/2.5) R ANKE

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SEIT DEM

Z WEITEN W ELTKRIEG

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Einführung (I/2.5.0) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 1. Kapitel: Mangelnde und erste Versuche von Vergangenheitsbewältigung und Neuorientierung (I/2.5.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 2. Kapitel: Die historisch-politische Perspektive (I/2.5.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 Vorbemerkung (I/2.5.2.0) 555 - Ranke und die politischen Bewegungen seiner Zeit, Preußische Gestalten in Geschichte und Gegenwart, Das Problem der Zeitgeschichtsschreibung (I/2.5.2.1) 556 - Staaten, Nationen, ‚Große Mächte‘, Europa (I/2.5.2.2) 563 - Rankes Nationalgeschichten. Religionskriege und das Problem der Revolution (I/2.5.2.3) 580

3. Kapitel: Die historiographie- und philosophiegeschichtliche Perspektive (I/2.5.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 Vorbemerkung (I/2.5.3.0) 589 - Das Verhältnis zur Aufklärungshistorie (I/2.5.3.1) 589 Ranke in ‚Goethezeit‘ und Romantik (I/2.5.3.2) 594 - Idealistische und neoidealistische Philosophie: Hegel und Croce. Ranke als Geschichtsphilosoph und sein Ideenbegriff (I/2.5.3.3) 597

4. Kapitel: Geschichtstheoretische Fragen (I/2.5.4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Methodologisches (I/2.5.4.1) 610 - Zum Problem von Objektivität und Unparteilichkeit (I/2.5.4.2) 616 - Weltgeschichte, Universalgeschichte (I/2.5.4.3) 629

5. Kapitel: Historie und Religion (I/2.5.5) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 638 Vorbemerkung (I/2.5.5.0) 638 - Religiosität und Geschichtsanschauung (I/2.5.5.1) 640 Luther und ‚Lutherfragment‘ (I/2.5.5.2) 646 - Zur Deutung der ‚Päpste‘ und der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ (I/2.5.5.3) 650

6. Kapitel: Die literaturwissenschaftliche und ästhetische Perspektive (I/2.5.6) . . . . . 659

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Je schärfer die Abgrenzung, desto größer ist der Gewinn in der Wiederbegegnung mit Ranke H EINRICH L UTZ (1997, 29). (I/0)

EINFÜHRENDER ÜBERBLICK über die Bände I und II Leopold von Ranke (1795-1886) gelang eine der glänzendsten Karrieren, die sich einem Wissenschaftler seiner Zeit überhaupt erschließen konnten. Als Professor der Geschichte kam er in der späteren kaiserlichen Haupt- und Residenzstadt zu höchsten Ehren: Er erlangte die Mitgliedschaft der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin, wurde von König Friedrich Wilhelm IV., dessen Politik er durch Denkschriften zu fördern gedachte und dessen Abende er gelegentlich mit Lesungen bereicherte, zum Historiographen des Preußischen Staates und zum Mitglied des Preußischen Staatsrats ernannt, wurde Kanzler des Ordens ‚Pour le Mérite‘, erblich geadelt, Wirklicher Geheimer Rat mit dem Titel ‚Exzellenz‘ und war als nahezu freundschaftlicher Berater König Maximilians II. von Bayern Mitbegründer und erster Präsident der Münchener Historischen Kommission und Mitglied des Maximilians-Ordens für Wissenschaft und Kunst, wurde überhäuft mit zahlreichen höchsten in- und ausländischen Orden und mit Ehrenmitgliedschaften internationaler historischer Gesellschaften und Akademien. Ranke schuf ein eindrucksvolles Œuvre, nicht allein in der Vielzahl seiner - posthum erweitert - über fünfundsechzig Bände, vor allem in der kenntniserweiternden Neuigkeit der Forschung, der Anschaulichkeit der Darstellung und in der raumzeitlichen Erstreckung der Thematik. Er schrieb Werke über deutsche, französische, englische, spanische, italienische Geschichte, deren Schwerpunkt im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert liegt. Doch er widmete sich auch der französischen, preußischen, deutschen und südosteuropäischen Geschichte im 18. und 19. Jahrhundert und befaßte sich angelegentlicher mit zeitgeschichtlicher Thematik, als gemeinhin angenommen wird. Auch seine wenig beachtete editorische Tätigkeit ist nicht unerheblich. Er wandte die kritische Methode der Quellenuntersuchung und -interpretation in konsequenterer Weise, als dies zuvor geschehen war, auf die neuere Geschichte an. In einer außerordentlich ausgedehnten internationalen archiv- und quellenorientierten Arbeit erweiterte und vertiefte er die Kenntnis der europäischen Geschichte des 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts hinein beträchtlich. Auf dieser empirischen Grundlage entwickelte er auch eine in Teilen visionäre wissenschaftspolitische Tätigkeit von erstaunlich eindringlicher und nachhaltiger Wirkung. Von landespartikularen und konfessionellen Einseitigkeiten schien er weitgehend frei, und ein aggressiver Nationalismus lag ihm, in dessen Geschichtsdenken die Einheit der romanischen und germanischen Völker die erste Grundlage gebildet hatte, völlig fern. Seine seminaristische Arbeits- und Ausbildungsmethode befähigte ihn, eine Art ‚Schule‘ zu bilden, die in sehr unterschiedlichen bedeutenden Historiker-Persönlichkeiten und wiederum deren Schülern - man spricht gar von ‚Enkeln‘ - oder Anhängern bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts hinein zu großer Wirkung kam. Seine Kunst der Darstellung wurde bewundert und wird heute vielfach untersucht. Bereits 1843 und 1844 fanden Ranke-Texte als Muster vorbildli- 11 -

I/0 Einführender Überblick über die Bände I und II

cher Prosa Aufnahme in deutschen Schulbüchern (Wackernagel/1843; Kletke/1844). Die Fülle permanenter Hervorbringungen während einer außerordentlich langen Zeitspanne von über sechzig Schaffensjahren begleitete eine seit seiner Geschichte der ‚Päpste‘ in der Mitte der 1830er Jahre und der ab 1839 erscheinenden ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ sich verstärkende, auch internationale Wirkung, welche sich mit der 1876 beginnenden und bis über seinen Tod hinaus laufenden Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ weiter belebte. Im höchsten Alter unternahm er es, eine ‚Weltgeschichte‘ zu schreiben, bzw. sehbehindert zu diktieren. Sie erregte schon durch das Alter ihres nunmehr breitere Popularität gewinnenden Verfassers außerordentliches Aufsehen. Ranke war in seinen letzten Jahren „unbestritten unter die deutschen Classiker aufgenommen, die jeder Gebildete besitzen muß“, wie der ansonsten nicht unkritische Literarhistoriker Julian Schmidt (1818-1886) in einer Besprechung der ‚Weltgeschichte‘ schrieb (Schmidt/1884, 193), ja, Paul Kleinert, Rektor der Berliner Universität, stand nicht an, Ranke anläßlich des neunzigsten Geburtstages in Analogie zur praeceptor Germaniae-Formel als „Lehrer eines ganzen Volkes“, gar als „fruchtbarsten Lehrer dieses Jahrhunderts“ zu rühmen (Toeche/1886, 14). Diese Darstellung eines höchst erfolgreichen Lebens ist in der Tat aus zutreffenden Elementen gefügt. Doch sie leidet in ihrer dekorativen Vordergründigkeit an eklatanten und folgenschweren Auslassungen und wirft damit über ihre Richtigkeiten hinaus die Frage nach ihrer Wahrheit auf. Nur einem einzigen mit Ranke mehrfach befaßten Historiker sind öffentlich Zweifel gekommen: Hans Schleier fragte sich 1988 in einem Beitrag zu dem von Wolfgang J. Mommsen herausgegebenen Sammelband ‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft‘: „Es bliebe überhaupt zu untersuchen, inwieweit das spätere Bild über Ranke dem wirklichen Ranke entspricht, ob nicht bei der nachträglichen Restauration des Ranke-Bildes durch Anhänger und Gegner manche Übermalungen oder andere Farbnuancen hinzugetan wurden.“ (129). In der Tat fanden diese Übermalungen, aber auch Beschweigungen schon zu seinen Lebzeiten statt, und überdies werfen seine Selbstzeugnisse wie auch seine theoretischen Äußerungen Fragen nach ihrem Verhältnis zu einer noch verborgenen ‚Realität‘ auf. Weitere Gründe seiner Verzeichnung liegen in dem Drang einzelner Historiker, sich selbst und der Geschichtswissenschaft eine den Heroen anderer Disziplinen entsprechende ideale Leit- und Identifikationsfigur zu verschaffen und in deren Nähe panegyrisch und zunft- wie selbsterhebend zu verharren. Auch nach seinem Tod galt Ranke in einem weithin wirksamen, wissenschaftlich wie charakterlich vollausstattenden Übertrumpfungsrausch als „der reichste historische Geist aller Zeiten“ (D. Schäfer/(1891) I. 1913, 303), von „lauterer Herzensgüte“ getragen (M. Ritter/1896, 13), als „beyond comparison the greatest historical writer of modern times“ (Gooch/(1913) 1928, 102), als „deutscher Thukydides“ (Max Lenz/(1918) 1922, 284), als „unendlich liebenswerte Gestalt“ (Simon/1925,1926), als „Inkarnation des historischen Sinnes“ (Wach/1933, 89). Man zählte ihn zu den „gewaltigsten Epikern aller Völker und Zeiten“ (Rudolf von Delius/1933). Hierhin gehört auch die maßlose ‚Feststellung‘ „Die deutsche Prosa hat keinen größeren Schilderer als ihn“ (Fritz Ernst/1936, 94). Da war es nur konsequent, ihn überdies als „Goethe der Geschichtswissenschaft“ zu bezeichnen (Rothfels/1965), als „historisch-politischen Weltweisen“ (Küntzel/1936, 845), ausgestattet mit „unbestechlicher Zuverlässigkeit und ... Wahrheitsliebe“ (Koppen/1936), mit „nationalem Ethos und ... sittlicher Humanität“ (Lenz, W./1936, 7f.), dem „Gerechtigkeit“ und „edle“, „tiefschauende, weitherzige Menschlichkeit“ eigen waren (Andreas/1945). - 12 -

I/0 Einführender Überblick über die Bände I und II

Diese häufig in Idolatrie verfallende, heute peinlich wirkende Verehrung ging einher mit einer weit verbreiteten Archivscheu und zum Teil beschämend geringen Literaturkenntnis, - gering nicht allein im Bereich der Forschungsliteratur, gering auch in der Kenntnis von Kritiken und Selbstzeugnissen der Rankeschen Zeitgenossenschaft. Dies begünstigte eine kanonisierte Verfestigung des hoch erhobenen Persönlichkeitsbildes, im wesentlichen fundamentiert auf der sehr bald nach Rankes Tod von seinem Spätschüler Alfred Dove (1844-1916) aus dem teils vorgereinigten, teils - wie sich später zeigte - nicht überblickten Hausnachlaß getroffenen Briefauswahl und den dort ebenfalls herausgegebenen autobiographischen Diktaten (SW 53/54: ‚Zur eigenen Lebensgeschichte‘, 1890), deren Aussagewert nur mit kritischem Vorbehalt zu nutzen ist (Henz/1968, passim; Muhlack: Die Genese/2006). Darüber hinaus ist das RankeSchrifttum geprägt durch ein außerordentliches Mißverhältnis von untersuchenden und rhetorischen Beiträgen, von Forschungs- und Feiertagsliteratur. * Rankes Werk ist weder ein rundum gelungenes, lediglich zu übernehmendes oder nur zu bewunderndes Kunst-Stück, noch ein kurzerhand hervorzuholendes oder beiseite zu rückendes Versatz-Stück. Auch stellt es nicht mehr, wie gelegentlich vor dem Ersten Weltkrieg, ein Nationalepos mit vermeintlich macht- und hegemonielegitimierender Eignung, zumindest allgemeinpolitischer Lehrbefähigung dar, noch bildet es, wie zwischen den Weltkriegen, ein ‚Volksgut‘ und, wie in beiden Kriegen, ein der Erbauung oder Verführung dienendes Front-Vademecum. Auch kann es sich heute nicht mehr darum handeln, Ranke aus fachlichen, politischen, religiösen, ästhetischen oder anderen Gründen zu akzeptieren oder abzulehnen. Vielmehr ist er weitgehend zum Objekt wissenschaftlicher Untersuchung und zum zwar umstrittenen, aber unstrittig herausragenden Bezugspunkt historiographiegeschichtlicher, methodologischer und allgemeinhistorischer Erörterung und Selbstbesinnung geworden. Zum einen bietet sein Werk für die Frage nach den Mitteln, Methoden und Grundsätzen der Forschung und ihre mehr oder minder konsequente Anwendung ein reiches Anschauungsmaterial. Da ergeben sich ganz konkrete, kaum ansatzweise behandelte Fragen nach den zugrundeliegenden Quellenstrukturen und den bei ihrer Erschließung angewandten oder vernachlässigten Methoden. Dazu gehört ferner die nicht einmal in Grundzügen beantwortete Frage nach seinem insgesamt unvergleichlichen NeuigkeitsBeitrag zur Kenntnis der europäischen Geschichte des 16. bis 19. Jahrhunderts und dessen offene oder stillschweigende Übernahme. Nicht allein über die Frage, wie Geschichtswissenschaft handwerklich zu arbeiten vermag, auch über die Frage, was Geschichtswissenschaft überhaupt aus- und anrichtet, wo ihre Möglichkeiten und wo ihre Grenzen in Erkenntnis und Darstellung liegen und welchen Gefahren sie erliegen kann, sollte angesichts des stark ausgebildeten Rankeschen Erkenntnisoptimismus anhand seiner Werke und theoretischen Äußerungen nachgedacht werden. Die Betrachtung ist besonders ergiebig, da Persönlichkeit und Werk neben hohem Forschungsertrag und Darstellungsvermögen, durchaus auch von bisher kaum bekannten Widersprüchlichkeiten, Fehlern und Schwächen behaftet sind, wodurch die Differenz von erstrebter Idealität und erreichter Realität erkenntnisfördernd wirken dürfte. Mit keinem anderen Historiker ist der Grundsatz von Unparteilichkeit und Objektivität so sehr in Verbindung gesehen worden, ablehnend oder zustimmend, freilich - 13 -

I/0 Einführender Überblick über die Bände I und II

überwiegend plakativ und verabsolutierend mißverstanden, selten in Rankes Darstellungen detailliert untersucht. Wieweit und mit welchen Mitteln er sich diesem Ziel nähern konnte und welche Subjektivitäten eine beeinträchtigende Rolle spielten, auch dies ist gerade bei seinem Werk einer darüber hinaus weisenden Betrachtung wert. In diesem Komplex bietet gerade sein vielfältiges und unbestreitbar hochstehendes Darstellungsvermögen Gelegenheit, über die Faktizitäts- und Wahrheitsfähigkeit der Historie in ihrer jeweiligen Wortgestalt nachzudenken. Ferner sind seine Positionen zum Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politik im Zusammenhang zu sehen mit zahlreichen, jedoch einseitigen Kontakten und dem Gewicht politischer Mächte, wie sie sich in seinem Leben ausgeprägt und seinem Werk eingeprägt haben. Das im Ausmaß unterschätzte Verhältnis Rankes zu den Herrschenden und zum Publikum wirft die zeitlosen Fragen nach Aufgabe, Verantwortung, Abhängigkeit, Verführung und auch Schicksal der Geschichtswissenschaft und ihrer Vertreter in Staat und Gesellschaft auf. Wenn von Ranke auch weder eine ‚Historik‘ noch gar ein philosophisches System hinterlassen wurde, man sollte dies im Hinblick auf sein Naturell vielleicht begrüßen, so rufen Werk und nachgelassene Aufzeichnungen gerade in ihrer nicht selten mangelnden Eindeutigkeit oder ‚Verschwiegenheit‘ immer wieder die Frage nach dem Verhältnis seines und jedes anderen historischen Denkens zu Philosophie, Religion, Politik, Literatur und Kunst auf. Darin einbeschlossen ist Rankes häufig behandeltes, jedoch keineswegs eindeutiges persönliches wie fachliches Verhältnis zur Transzendenz, zu den Fragen nach Teleologie und Kausalität, nach Werten und Moral, nach dem Verhältnis des Einzelnen zum Allgemeinen in personaler, sozialer und allgemein philosophischer Hinsicht, ein Verhältnis, das in der historiographischen Praxis oft unbedacht bleibt. Es wäre unangemessen und erkenntnisbegrenzend, ihn überwiegend einer immanent personalistischen Analyse zu unterziehen oder ihn lediglich als ungewöhnlich vielfältiges Exempel oder Kontrastfolie neuerer Methodenlehre und Darstellungsmanier heranzuziehen, obgleich die Historie solcher Vergleiche bedarf. Es gilt vor allem, sein Werk und Wirken als bedeutendstes personales, als weitreichendes materiales und als wesentliches ideelles Strukturelement neueren Geschichtsdenkens aufzufassen. Seine Wirkung war und ist fachwissenschaftlich nicht nur kontingenzbildend - wobei sie nicht in einem hinderlichen Sinne kontinuitätsbildend sein sollte - sondern nach innen und außen in starkem Maße überhaupt identitätsbildend. Ranke-Forschung vermag nicht nur - was mehrfach bemerkt wurde - Selbstbesinnung des Geschichtsdenkens zu sein, sondern auch Ergründung der Wissenschaftsgeschichte in einer kaum vergleichbaren Tiefe und Weite, womit zukunftsorientierte Selbstbesinnung eine Verbreiterung ihres empirisches Fundaments gewinnt. * Das vorliegende Werk unternimmt auf der Grundlage einer ausgedehnten bibliographischen Recherche und Durcharbeitung sowie der Heranziehung Rankescher und rankenaher Bestände aus einer Vielzahl von Archiven eine durchgreifende Revision und Erweiterung des bisherigen Kenntnisstandes vor allem in den Bereichen Biographie, Werkbestand, Werkentstehung und nicht zuletzt Wirkungsgeschichte, damit auch in Wissenschafts- und Geistesgeschichte, soweit sie mit Ranke in Zusammenhang stehen. - 14 -

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Die Notwendigkeit grundlegender bibliographischer Arbeit ergab sich auch aus Alter und hochgradiger Unvollständigkeit der einzigen Ranke-Bibliographie in selbständiger Schrift-Form, welche der Ranke-Forscher Hans Ferdinand Helmolt (18651929) im Jahre 1910 zum Erscheinen gebracht hatte. Allein den von ihm ermittelten 15 Besprechungen Rankescher Werke stehen in vorliegender Arbeit etwa 500 gegenüber, eine für die zeitgenössische Wirkung außerordentlich bedeutungsvolle, im Gegensatz zu Diaristik und Korrespondenz ‚öffentliche‘, gelegentlich detaillierte, jedenfalls häufig meinungsbildende Gattung. Nachdem schon Eduard Fueter (18761928) geklagt hatte: „Die Literatur über Ranke ist sehr umfangreich“ (Fueter/1911, 473), bildete sich für die folgende Zeit nicht ganz zu Unrecht als stehende Wendung die Feststellung heraus, sie sei „unüberschaubar“ geworden (Blanke/1991, 212, A. 545). Die Unüberschaubarkeit hängt indes nicht ab von der geringen Zahl nachhaltig tätiger Ranke-Forscher, sondern von der Fülle von Einmal-Beiträgern, die sich nicht selten ohne eigene und in geringer Kenntnis fremder Vorstudien, auch teils in vom Markt mehr oder minder erwarteten Gesamt- und Gelegenheitswürdigungen ergehen, teils nicht selten in Ranke ein Opfer vermeintlich leichten Fabulierens mit eigenschmückender Funktion gefunden zu haben glauben. Sie hängt auch ab von der in der Tat unüberschaubaren Fülle mehr oder minder beiläufiger, jedoch nicht stets unwesentlicher Äußerungen, welche der Ranke-Literatur im engeren Sinne nicht angehören, aber zur Darstellung der Wirkungsgeschichte unverzichtbar sind. Rankes Urenkel, der sich gerade mit dieser Thematik befaßt hat, fand schon zu Anfang der 1950er Jahre, auch die Fülle dieses Materials sei so groß geworden, „daß fast ein ganzes Leben zu seiner Durchdringung erforderlich wäre“ (Bäcker[-von Ranke]/1952, 32, unveröff.). - Zu den entscheidenden Mängeln der Helmholtschen Bibliographie gehört ferner die Nichtbeachtung der bibliographischen Verwicklungen des Rankeschen Werkes, welche infolgedessen später weitgehend unbekannt blieben. „La biographie d’un tel homme que M. Ranke est tout entière dans ses écrits.“ Dieser Satz von Saint-René Taillandier (1854, 44) mag beruhigend klingen, wenn biographische Kenntnisse fehlen. Andernfalls dürfte seine Umkehrung sinnvoller sein. Es soll daher der Versuch unternommen werden, einer allgemeinen Anregung Reinhard Wittrams zu folgen: „Es müßte möglich sein, bei allen großen neueren historischen Darstellern noch tiefer in die Welt der Grund- und Vorlieben hineinzuleuchten, verständlich zu machen, wo wesensmäßige Affinitäten und ungebrochene Sympathien gegeben sind, wo etwa ein verborgenes Kompensationsbedürfnis wirkt oder ästhetische Lust vorwaltet. Man könnte dadurch vielleicht etwas vom feineren Wurzelwerk der geschichtswissenschaftlichen Determiniertheit erschließen.“ (Wittram/1947, 95). Inhaltlich steht also, soweit dies möglich ist, der Zusammenhang von Persönlichkeit und Werk im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit. Dies gilt nicht allein für den ersten Band ‚Persönlichkeit, Werkentstehung, Wirkungsgeschichte‘, sondern auch für den mit ‚Grundlagen und Wegen der Forschung‘ befaßten zweiten Band, verbunden mit dem Bemühen, den fast verlorenen Begriff ‚Geistesgeschichte‘ für Rankesche Zusammenhänge mit detaillierter Empirie zu fundieren. In einem für die folgenden Abteilungen als grundlegend anzusehenden ersten Teil des e r s t e n B a n d e s - ‚Wissenschaftler oder Literat?‘ - wird der Versuch unternommen, bei Nutzung Rankescher Selbstzeugnisse und zeitgenössischer Stimmen ein neues, realistischeres Bild zu zeichnen. Dabei werden Eigenheiten von Persönlichkeit und Werk sichtbar, die von Rankes Rolle als Mensch, Wissenschaftler und Autor, - 15 -

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seiner arbeitsorganisatorischen und archivlichen Praxis, nicht zuletzt seiner historiographischen Einstellung ein stark korrigiertes Bild vermitteln, das zu neuer, kritischerer Betrachtung und Benutzung seines Werkes Anlaß geben sollte. Der zweite Teil des ersten Bandes befaßt sich mit Rankes über die Historiographiegeschichte hinaus weit hinein in die Gefilde von Philosophie, Theologie und Literaturwissenschaft reichender zeitgenössischer und späterer Wirkung. Neben der mangelnden Kenntnis seiner Persönlichkeit als Mensch und Autor ist auch seine vielstimmige, höchst kontrovers verlaufende Wirkungsgeschichte bis auf wenige zumeist prominente, immer wieder bemühte personale Ausnahmen in Ausdehnung und Tiefe nahezu unbekannt geblieben oder häufig stereotypen und anonymisierenden Pauschalierungen zum Opfer gefallen. Betrachtet wird ferner die mit Rankes Erstlingswerk verbundene Gründungssage der Geschichtswissenschaft und die Gültigkeit des Begriffs ‚Historismus‘ für ihn und seine Zeit. Völlig falsch eingeschätzt wurde nicht minder seine Wirkung zu Zeiten des ‚Dritten Reichs‘. Nach Deutungen, die in ihm einen politischen Führer, anderen, die in ihm einen Philosophen und dritten, die in ihm einen Geschichtstheologen sahen, sind in den letzten Jahrzehnten - nicht zuletzt ausgehend von Arbeiten Hans Robert Jauß’ - vorwiegend literaturwissenschaftliche und ästhetische Betrachtungen angestellt worden, welche für Ranke wie für die Geschichtswissenschaft in Teilen eine bedenklich ambivalente Bedeutung haben. Der z w e i t e B a n d sucht zunächst den Historiker in der Fülle seiner textlichen Hervorbringungen umfassend und im Detail vorzustellen. Der Begriff ‚Text‘ ist dabei ein weitgefaßter. Er umschließt neben dem Buchwerk auch jede andere Art überlieferter wortmäßiger Äußerung, sei es in Briefen, Tagebuchblättern, Gutachten, Vorträgen und Gesprächen, also in schriftlicher wie mündlicher Form. Der erste Teil gilt dem W e r k Rankes. In der Eingangsabteilung werden zunächst die zumal durch Kriegseinwirkung selten gewordenen eigenhändigen Ausgaben verzeichnet. Nicht nur zur allgemeinen Orientierung, sondern auch mit Blick auf weitreichende Irrungen (s. II/9.1) werden die bibliographischen Daten der Werke durch Inhaltsangaben ergänzt, und es wird - nach Möglichkeit - in knapper Form auf äußere Entstehungsumstände, wesentliche Veränderungen der einzelnen Ausgaben und andere Besonderheiten hingewiesen. Eine zweite Abteilung gilt den n i c h t s e l b s t ä n d i g e n S c h r i f t e n Rankes. Einige kamen nach ihrem ersten Erscheinen - so Artikel der von ihm herausgegebenen ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ (1832-1836) - später an verschiedenen Stellen seiner selbständigen Werke unter, während andere zu seinen Lebzeiten, über sechzig Jahre hin, nicht mehr in Erscheinung traten. Es dürfte z. B. schwerfallen, allein für die bekanntesten Aufsätze Rankes und der historischen Zunft insgesamt, ‚Die großen Mächte‘ und das ‚Politische Gespräch‘, sogleich Sicherheit über die Ausgaben letzter Hand zu gewinnen. Bei der Suche wird sich die peinliche Tatsache ergeben, daß Rankes als besonders bedeutend und wirkmächtig angesehenes ‚Politisches Gespräch‘ von 1836 (HPZ II/4, 775-807), in den Augen Friedrich Meineckes „das Höchste und Bedeutendste dessen, was er als Politiker und Publizist je geboten hat“ (Rankes ‚Politisches Gespräch‘. Zuerst als Einl. zur Ausg. von 1924, später u. a. in: Fr. M. WW VII/1968, 74) in fünfzigjähriger Abgeschiedenheit zu Rankes Lebzeiten nie mehr erschienen ist von einer zeitgenössischen Rezeption der Schrift kann also nicht annähernd die Rede sein - und sich damit mancher spätere historiographiegeschichtliche Interpretationsansatz nurmehr als rückprojizierende Hypothese erweist. Insofern wurde auch nie die - 16 -

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weitreichende Frage nach den Gründen der zeitgenössischen Wirkungslosigkeit und der Zurückhaltung Rankes in der publizistischen Weiterverwertung der Schrift gestellt. Eine dritte Abteilung befaßt sich mit Rankes H e r a u s g e b e r s c h a f t e n , zunächst in seiner problematischen Eigenschaft als Zeitschriftenherausgeber, sodann, was über seiner Rolle als Darsteller meist unbeachtet bleibt, als großzügiger Quelleneditor. Die Darlegungen zum N a c h l a s s - der zweite Teil des zweiten Bandes - bieten in ihrer 1. Abteilung eine kritische Einführung in die Nachlaß- und Editionsgeschichte. Daraufhin wird in einem inventarischen Abschnitt neben dem 1921 angekauften eigentlichen Nachlaßbestand der Staatsbibliothek Berlin und dem durch Kriegseinwirkung vernichtete Depositum ‚Leopold von Ranke‘ des Geheimen Staatsarchivs Berlin - aus Benutzungsaufzeichnungen der Ranke-Enkelin Ermentrude von Ranke (1892-1931) hier erstmals im Bestand skizziert - eine Vielzahl weiterer mit Ranke in Zusammenhang stehender Bestände aufgeführt. Der werkchronologische Teil erfaßt und verzeichnet erstmals kritisch - intendiert - alle verstreut edierten nachgelassenen Papiere Rankes aus den Jahren 1808 (?) bis 1886 nach Entstehungszeit, Herkunft und Druckort, nach Möglichkeit auch editorischer Qualität. Der dritte Teil wendet sich dem B r i e f w e c h s e l Rankes zu. Eine Einführung befaßt sich mit seiner bisher unbekannten fragwürdigen Rolle als Korrespondent sowie mit der diffusen Editionsgeschichte der Gattung. Das Fehlen einer dringend benötigten ‚Gesamtausgabe‘ und die nicht seltenen Mängel der in großer Zahl aufgetretenen kleinen Gelegenheitsveröffentlichungen - Hermann Oncken bezeichnete das Material bereits 1922 als „unsagbar zersplittert“ (Oncken/1922, IV) - machten eine Zusammenstellung intendiert aller von 1829 bis 2012 erschienenen Veröffentlichungen mit Briefen von oder an Ranke erforderlich. Dabei werden etwa 160 Schriften mit Briefwechsel in dieser Fülle erstmals nachgewiesen und kritisch regestiert. In einem eigenen Abschnitt folgen Hinweise auf epistolarische Nachlassbestände, wobei zahlreiche unveröffentlichte Briefe von und an Ranke - trotz des Verdikts älterer Ranke-Forschung nachgewiesen werden. Ein die Abteilung beschließendes, Archivbestände und Druckorte verbindendes Register weist erstmals etwa 650 Korrespondenten nach und dürfte somit auch über die Ranke-Forschung hinaus von Interesse sein. Der vierte Teil stellt D e n k s c h r i f t e n Rankes vor: in seiner 1. Abteilung zunächst in Anlaß und Adressat sehr unterschiedliche w i s s e n s c h a f t l i c h e Denkschriften, Gutachten, Empfehlungen, Pläne, Entwürfe etc. der Jahre 1826-1884, über hundert an der Zahl, welche für die preußische, bayerische und deutsche ‚Wissenschaftspolitik‘ Rankes und insofern auch für die Wissenschaftsgeschichte der Zeit, zum Teil noch heute wirksam und von Bedeutung, nur zu einem geringen Teil zu seinen Lebzeiten weiter bekannt geworden sind, jedoch hier aus zeitgenössischen und neueren Quellen erstmals in diesem Umfang nachgewiesen werden konnten. - Die sich anschließenden h i s t o r i s c h - p o l i t i s c h e n Denkschriften, Gutachten und Reflexionen der Jahre 18311885 gehen über die bisher ausschließlich betrachteten Schriftstücke für Edwin von Manteuffel aufgrund eines weiter gefaßten Gattungsbegriffs entsprechend hinaus. Zudem werden generelle Hinweise auf bisher nicht bekannt gewordene politisch relevante Zeitungsartikel Rankes gegeben. Mit dem fünften Teil des zweiten Bandes beginnt die Reihe der mündlichen Werkformen, zunächst Rankes V o r l e s u n g e n und Ü b u n g e n an der Universität zu Berlin, wobei das verdienstvolle, korrekte Verzeichnis von Ernst Schulin (1958, 306-308) angereichert werden konnte. In diesem Zusammenhang werden auch Nachweise über - 17 -

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Kolleghefte Rankes und - mit Blick auf die Forschungen von Gunter Berg (1968), Volker Dotterweich und Walther Peter Fuchs (WuN IV/1975) - in deutlich vermehrtem Umfang über Hörernachschriften erbracht. Beiden Textgattungen gilt auch eine Betrachtung ihrer im Falle Rankes tiefgreifenden, zum Teil unlösbaren editorischen Problematik, welche zuweilen Züge philologischer Archäologie annimmt. Der sechste Teil schließt an mit ‚V o r t r ä g e n und A n s p r a c h e n ‘ . Er beginnt mit der Frankfurter Oberlehrerzeit, geht über zu einer erstmaligen, der offiziellen Publikation Adolf Harnacks (1900) nicht zu entnehmenden vollständigen Übersicht über Rankes Lesungen vor der Berliner Königlichen Akademie und wendet sich dann seinen Äußerungen bei der Versammlung der Germanisten in Frankfurt a. M. vom Jahre 1846 zu, sodann dem bisher unbekannten Auftreten in der Pariser Académie sowie den Vorträgen vor der Historischen Kommission bei der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, welche sich in der heute nicht mehr bewußten Gefahr befand, Rankes weiterreichenden Planungen zum Opfer zu fallen. Den Abschluß bilden Ansprachen zu besonderen persönlichen Anlässen. Der siebente Teil - ‚B e g e g n u n g e n und G e s p r ä c h e ‘ - stellt eine in ihrer Art neue, über 150 Positionen umfassende Nachweisung - größtenteils mit inhaltlichen Vermerken - von nichtöffentlichen Vorträgen, Gesprächen und Begegnungen Rankes mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Gesellschaft, Politik, Militär und aus Fürstenhäusern dar. Er wird eingeleitet durch eine Einführung in die Geschichte der höchst unzureichenden Ranke-Biographik. Der achte Teil - ‚S a m m l u n g e n ‘ - befaßt sich mit Rankes Bibliothek und Handschriftensammlung. Der 1888, zwei Jahre nach seinem Tod, in die Syracuse University/USA verschifften Sammlung, welche nicht allein seinen Bücherschatz, sondern auch seine Sammlung zahlreicher handschriftlicher Quellen des 16. bis 18. Jahrhunderts sowie persönliche Papiere - manches später hinzuauktioniert - birgt, gilt ein ausführlicher Überblick. Der neunte Teil - ‚B i b l i o g r a p h i e ‘ -, in der Forschung mehrfach als Desiderat bezeichnet, enthält in seiner ersten Abteilung eine kritische Übersicht über Geschichte und Situation der Ranke-Bibliographik. Seine zweite Abteilung stellt eine ‚Chronologische Werkübersicht 1824-1886‘ zusammen, während eine dritte die Ausgaben eigener Hand um in ihrem Umfang bisher unbekannte fremdhändige, sowohl deutschsprachige - spätestens beginnend 1843 - als auch fremdsprachige, 1834 einsetzend, ergänzt. Erstere entströmen, zumal seit 1917, als Rankes Werk gemeinfrei wurde, mit Hilfe z. T. renommierter Herausgeber endlos einer Vielzahl von Verlagen, geben indes für die Ranke-Forschung im engeren Sinne eher zu kritischen Bedenken Anlaß, wenn sie nicht gar gänzlich zurückzuweisen sind. Es gehört zu den Aufgaben der vorliegenden Arbeit, auf die notwendigen Vorbehalte gegenüber diesen Sekundärausgaben im einzelnen aufmerksam zu machen. - Der bibliographische Teil schließt mit einem ‚Chronologischen Literaturverzeichnis‘. Es enthält Schriften, in denen Ranke Erwähnung findet. Mit seinen über 3000 Positionen geht es einerseits zwar über ein bloßes Verzeichnis von Ranke im Titel führenden Schriften weit hinaus, beispielsweise mit einer größeren Zahl von Selbstzeugnissen und historiographischen, literaturgeschichtlichen und lexikalischen Werken des 19. Jahrhunderts, vermag andererseits jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit zu erheben. Der zehnte Teil schließlich - ‚P e r s o n e n r e g i s t e r ‘ - verzeichnet nicht allein die Vertreter von Geschichtsdenken und Forschung, von Kultur, Gesellschaft und Politik, - 18 -

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sondern auch die in Rankes Darstellungen auftretenden Akteure - soweit hier genannt -, was eine gezielte und werkübergreifende Suche nach von ihm behandelten Themen und Zeiten ermöglicht. Beiläufig kann damit auch ein alphabetischer Zugriff auf die chronologisch angelegte Bibliographie durchgeführt werden. * Das vorliegende Werk sucht seine Aufgabe nicht zuletzt in der Bewußtmachung des auf der Ranke-Forschung lastenden mehrfachen editorischen Abbruch-Schicksals und im Versuch, durch Überblick und Einblick Grundlagen für eine Besserung zu schaffen. Alle für die Ranke-Forschung und die breitere wissenschaftliche Öffentlichkeit wichtigen Großunternehmungen sind diesem Abbruch-Schicksal zum Opfer gefallen: die beiden von Ranke selbst als Torsi zurückgelassenen Projekte seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ (1867-1886) und der ‚Weltgeschichte‘ (1881-1886), der abgebrochene erste und einzige Versuch einer strictu sensu nicht historisch-kritischen Werk-Gesamtausgabe der Deutschen Akademie (1925, 1926, 1930), eine nicht wissenschaftlich zu nennende auswählend-kürzende Zweitdruckausgabe seiner Briefe unter dem irreführenden Titel ‚Briefwerk‘ (1949), der verkürzte, mehrfach umgeplante und zum Teil von schweren Mängeln gezeichnete Versuch einer wiederum falsch titulierten Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ (1964, 1971, 1973, 1975) seitens der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, nebst verfehlten Aktivitäten zur Ordnung des Nachlasses und schließlich der zunächst eklatant gescheiterte Versuch einer dort ebenfalls angesiedelten Briefwechsel-Gesamtausgabe (2007). Dies zusammengenommen stellt mit der Vielzahl kleiner und kleinster, nicht selten mit Mängeln behafteter editorischer Beiträge trotz einiger fördernder, ordnender und hervorbringender Elemente eine weit ausgebreitete Zersiedelungs- und Trümmerlandschaft dar, die nur mit kritischem Überblick zu betreten und nicht in absehbarer Zeit in wohlstrukturierte sanierte Komplexe zu verwandeln ist. Werk und Nachlaß Leopold von Rankes stellen in ihren weiten Dimensionen, ihren mannigfaltigen inneren Entwicklungen und textlichen Verwicklungen eines der schwierigsten Probleme und umfangreichsten Projekte wissenschaftlichen Edierens dar. Dies gilt - abgesehen von ökonomischen und strategischen Fragen der Wissenschaftsförderung - sowohl für inhaltlich konzeptionelle Entscheidungen als auch für die damit verbundenen, in seinem Fall nicht zu unterschätzenden äußeren Gestaltungsfragen. Ernst zu nehmen ist die Gefahr, daß editorische Aufgaben, v. a. die Möglichkeiten einer historisch-kritischen Gesamtausgabe unterschätzt werden. Ein solches Unternehmen erfordert nicht nur eine fachübergreifende editionswissenschaftliche Kompetenz, sondern bedarf auch - mit Blick auf Rankes multinationales und über weite Zeiträume der Geschichte sich erstreckendes Werk - eines über mehrere Jahrzehnte tätigen, vielfältig historisch-thematisch spezialisierten und damit mehrpersonigen Fachwissens, denn gerade bei Ranke ist neben allgemein geistesgeschichtlichen, geschichtstheoretischen, literaturwissenschaftlichen und verwandten Fragestellungen auch eine Klärung bzw. Dokumentation der wissenschaftsgeschichtlichen Stellung und Bedeutung der einzelnen Werke und ihrer nicht immer klar oder korrekt zu Tage tretenden internationalen quellenmäßigen Substrukturen vonnöten und ergiebig. Der Zustand der skizzierten Trümmerlandschaft hängt nicht zuletzt zusammen mit der geringen Neigung einer vorwiegend interpretatorisch und selbstdeutend orientierten - 19 -

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Forschung, sich mit den arbeitsaufwendigen Gemengelagen verstreuter und im Falle Rankes schwer zu überblickender und zu entziffernder Archivbestände überhaupt und überdies nachhaltig zu befassen. Diese Archivscheu wird ergänzt durch eine Einstellung, welche schon in der oft dem wissenschaftlichen Nachwuchs überlassenen oder aufgebürdeten Editionsarbeit, und erst recht in der empirisch unabdingbaren bibliographischen Recherche lediglich einen niederen Dienst zu erblicken vermag. Die incohärente Geschichte der Ranke-Forschung hat desgleichen gezeigt, daß es nicht nur auf die - gelegentlich unabdingbare - munifizierende und leitende Patronage wissenschaftlicher Institutionen ankommt, sondern mehr noch auf das nachhaltige Engagement einzelner Forscher, zu denen man trotz dieser oder jener Mängel beispielgebend Rankes langjährigen Amanuensen und Sammlungsdokumentaristen Theodor Wiedemann, Rankes ersten Nachlaßherausgeber und Deuter Alfred Dove, seinen ersten Bibliographen und späteren Biographen Hans Ferdinand Helmolt, zu Rankes Korrespondenz nach Hermann Oncken und Karl Alexander von Müller vor allem Bernhard Hoeft, zur Heranziehung der Vorlesungen Eberhard Kessel und Rudolf Vierhaus, zur Einrichtung und Bestandsmehrung des Wieher Ranke-Archivs Gottfried Braasch sowie zur Erschließung und Ordnung des Ranke-Nachlasses der Berliner Staatsbibliothek Siegfried Baur zählen muß. Dabei haben - neben den um die Internationalisierung der Diskussion verdienten Georg G. Iggers, Shinichi Sato und Fulvio Tessitore - vor allem Ernst Schulin und Ulrich Muhlack häufig ein diskussionsförderndes oder klärendes Wort gesprochen.

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1. Teil WISSENSCHAFTLER ODER LITERAT? Eine kritische Studie zu Persönlichkeit und Werkentstehung

(I/1)

„Zwischen den Klippen der Irrung, In chaotischer Verwirrung Führen meine Pfade.“ Aus Rankes Tagebuch, zum 30. Sept. 1881

1. Kapitel (I/1.1) „DER UNGEWÖHNLICH KLEINE, UNSCHEINBARE MANN“ UND DAS FASZINOSUM ‚BUCH‘ Der aus einem kargen Elternhaus im kursächsischen Städtchen Wiehe stammende zarte und ungewöhnlich kleinwüchsige zwölfjährige Schüler Franz Leopold Rancke (!) hatte auf der nahegelegenen Klosterschule Donndorf schon erkannt, daß es nicht sinnvoll war, die Wissenschaften zu vernachlässigen und sich „auf seine Geburt“ oder „auf seinen Reichtum zu stützen“. Wie leicht konnte man da, wie in seiner Vorfahrenschaft mehrfach geschehen, „durch einen Unglücksfall sogleich in die größte Dürftigkeit und Armut versetzt“ werden. Hingegen zeige uns die Geschichte, „wie weit man es bringen“ könne (‚Welchen Einfluß hat die Erlernung der Geschichte auf das Leben der Menschen?‘, Henz/1968, 304f.). „Arbeit und Tätigkeit“, so schreibt später sein Bruder Karl Ferdinand in einer Skizze ‚Zu Leop. Biogr.‘ (unveröff., FR NL GStA PK), „sind das einzige Streben; vorwärts kommen, lernen, sich unter den Menschen hervortun ...“. Ein selbstverfaßtes Buch galt in Rankes Elternhaus nicht allein als öffentliches Dokument besonderer Leistung, sondern auch als greifbarer und beruhigender Beweis aussichtsreicher Befähigung, höherer gesellschaftlicher Weihe und Teilhabe an der Sphäre schöpferischen Geistes. Schon als Schüler hatte Ranke zuhause buchähnliche Arbeiten mit „Zeichnung und Goldschrift … erlesen in Folio schön gebunden“, vorgelegt (ebd): „In des Vaters Stube paradirten mehrere solch eingebundene Geburtstagsgeschenke von Leopold’s Hand, z. B. eine metrische Übersetzung einer Tragödie von Sophocles“, wie sich sein Bruder Wilhelm erinnerte. „Während er Schüler in Pforta war, arbeitete er in jedem Jahr ein solches Werk aus und an jedem Geburtstage des Vaters erschien ein Bote, welcher ihm ein solches Geschenk überbrachte“ (unveröff. WR NL, GStA PK). Ranke selbst erinnerte sich in seinem 1. autobiographischen Diktat, vom Oktober 1863, an eine vollständige Übersetzung der ‚Elektra‘ des Sophokles, mit deren Reinschrift er dem Vater „zu seinem Geburtstag ein Geschenk“ gemacht hatte. Auch bei der Übersetzung des ‚Philoktet‘ hatte er sich große gestalterische Mühe gegeben (SW 53/54, 23f.). Anläßlich von Rankes 50jährigem Doktorjubiläum schilderte Leopolds Bruder Ernst die freudige Ergriffenheit des Vaters im Angesicht des nun wirklich gedruckten öffentlichen Beweismittels, keineswegs einer nie geschriebenen Dissertation, sondern der 1824 erschienenen ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ und ihrer Beilage ‚Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber‘: „Da, Abends, lag in rothem Saffian/Mit goldnem Schnitt ein stattlich Bücherpaar/Vor unserm Vater offen aufgeschlagen,/Er las daraus mit innigstem Behagen./ ... Und wie ein Blatt neu umgeschlagen rauschte,/Erhob, das Auge freudenhell benetzt,/Der Vater sich und rief im Jubelton:/Mein Sohn ist er! mein Sohn, mein lieber Sohn!/ Es war Dein erstes Buch, - 23 -

I/1.1 „Der ungewöhnlich kleine, unscheinbare Mann“

mein Leopold,/Das Doppelwerk, das solche Gluth entzündet/... Die Träger deutscher Wissenschaft, sie tragen/Bausteine Dir heran zum Ehrenmal./ ...“ ([Ranke, Ernst:] Dem theuren Jubilar Leopold von Ranke zum 20. Februar 1867). Den - später doch wieder geänderten - Titel seines Werkes hatte Ranke zuerst in einem Brief an Heinrich genannt, als er ihm, und nur ihm, „das Geheimnis von dem Buch“ entdeckte, und Gott gebeten, daß er es ihm nicht anrechnete, wenn er „vor der Tat“ einmal davon redete ([3. u. 4. 12. 23], NBrr 37), und er hatte Heinrich gebeten, „für das Gelingen“ des Werkes „zu seiner, der Deutschen und unsrer Ehre ein Wort bei Gott einzulegen.“ (18. 2. 24, SW 53/54, 124). Übersandt hatte Ranke das Erstlingswerk Weihnachten 1824, gerade zu Beginn seines dreißigsten Lebensjahres, und dies war von besonderer Bedeutung. Sein Pfortaer Lehrer E. J. G. Schmidt, dessen Famulus er in der Nachfolge Johann Gottlieb Fichtes gewesen war, hatte, wie Ranke sich in seinem autobiographischen Diktat von 1863 erinnerte, „vor dem dreißigsten Jahre keine Stelle annehmen wollen, weil unser Herr und Heiland auch erst im dreißigsten Jahre zu lehren angefangen“ (SW 53/54, 17f.). Der Zusammenhang mag zunächst befremden, doch Ranke hatte noch während der Arbeiten an seinem Werk zur Weihnacht des Vorjahres Bruder Heinrich gemahnt: „Und nur vor dem Druckenlassen einer excentrischen Meinung hüte Dich bis zum dreißigsten Jahr. Es ist nicht mehr lange hin; ich hab es bald erreicht.“ (28. 12. 23, SW 53/54, 120). Dies war freilich, nach vergeblichen Veröffentlichungsversuchen, eine kaum aufrichtig zu nennende Sublimierung seines bisherigen Scheiterns. Denn Rankes Erstlingswerk waren zahlreiche zur Veröffentlichung drängende philologische, poetische und theologische Versuche vorausgegangen (s. II/2.3), so, neben einer ‚Luther-Novelle, um die Frauengestalten einer „Therese“ („ ... Meine liebekundigen Leser denken nun wohl ...“), ein andermal einer „Caroline“ kreisende epische Fragmente (WuN I,52 u. 57f.), gar „einem Werk über Luther“, an dem er den Erinnerungen seines Bruders Heinrich zufolge im Luther-Jahr 1817 schrieb und „das er noch in demselben passenden Jahre unter dem Titel ‚Martin Luthers Evangelium‘ erscheinen lassen wollte“ (HR: Jugenderinnerungen 21886, 90). Er hatte - ein Grundzug seines Schaffens - schon damals „zuviel angefangen, zuviel unternommen“ (1. autobiogr. Diktat, Okt. 1863, SW 53/43, 31). Eine Dissertation war gleichwohl nicht dabei. Sie wird von Ranke, der selbst frühe Übersetzungsübungen nicht unerwähnt läßt, in keinem bisher bekannt gewordenen Lebenszeugnis oder in einem amtlichen Dokument genannt. Auch seine Leipziger Alma Mater weiß nur von der Promotion, nichts von einer Dissertation. Das Thema wird vielmehr von Ranke ein Leben lang beschwiegen. Dabei läßt sich leicht vorstellen, daß mit dieser Hervorbringung kein geringerer Aufwand dedikatorischer Art getrieben worden wäre als mit seinem tatsächlichen ‚Erstling‘. So war also dieses Doppelwerk von 1824 die endlich erreichte Verwirklichung eines großen in der RankeFamilie und -Vorfahrenschaft angelegten Faszinosums. Übrigens entdeckte Rankes Bruder Ernst bei späteren Untersuchungen zur Familiengeschichte, daß wohl kein direkter Urahn, doch immerhin der Bruder eines Urahns, publizistitisch tätig gewesen war, mit einem Werk über die Sprache der Engel (Rancke, Andreas: De Locutione Angelorum, Leipzig 1678). Ranke schrieb Ernst darüber dankbar: Er ist „der erste dieses Namens oder vielmehr der einzige, der vor mir hat etwas drucken lassen. Wir müssen ihn also in Ehren halten.“ (an ER, 9. 7. 75, SW 53/54, 517). Eine Ausgabe der Septuaginta, 1772 von seinem Großvater erworben, war das älteste Buch in der - 24 -

I/1.1 „Der ungewöhnlich kleine, unscheinbare Mann“

Familie. Ranke zählte es als Zweiundachtzigjähriger „zu den Laren und Penaten unsres gelehrten Haushaltes“, nahm es zur Hand und ließ sich damit ablichten (R an ER, 30. 12. 77, SW 53/54, 540). Für den Frankfurter Oberlehrer ist das Buch nicht allein Mittel der Darstellung und Selbstdarstellung, sondern wird überhaupt, und in seinem Fall wohl zu Recht, als das wahre und einzige zur Verfügung stehende Karriereinstrument angesehen: „will ich anders mein Leben nicht ganz verlieren und verderben, so muß diese Schrift sich und mir Freunde und Unterstützung suchen…“, schreibt er über seinen Erstling (an HR, 18. 2. 24, SW 53/53, 121). Dieser hatte ihn „zu der Welt in einen neuen Bezug gesetzt“ (an HR, 17. 11. 24, SW 53/54, 137), ja stellte den „glücklichen Beginn“ seines „Eintrittes in die Welt“ dar (an HR., 17. 2. 25, SW 53/54, 139). In der Tat hatte er diesem Werk, allerdings nicht ohne eine wohlwollende Besprechung Varnhagens, zunächst seinen Eintritt in die Berliner Universität zu verdanken. Die besondere Beziehung Rankes zu seinen literarischen Hervorbringungen blieb auch seinem Wiener Förderer Bartholomäus Kopitar nicht verborgen. Am 23. 5. 1829 schrieb er über Rankes ‚Serbische Revolution‘ an Jakob Grimm: „Rxx ist allerdings ein guter Kopf, und (aber) wiewohl ein geborner Thüringer, doch auch stark lerisch (λέριος). Namentlich ist das E n d r e s u l t a t seines Buchs mehr b e r e c h n e t e s Votum (für sein n ä c h s t e s p e r s ö n l i c h e s Interesse) als g e f u n d e n e s , n a t ü r l i c h e s Resultat. Er will sein Glück machen, und dieß bald, und ein glänzendes.“ (Vasmer: B. Kopitars Briefwechsel mit Jakob Grimm/1938, 63). Sperr. u. Klammern i. T.). - ‚Lerisch‘ erläutert der Herausgeber (ebd., A. 2) wie folgt: „Die Lerier waren berüchtigt wegen ihrer Bösartigkeit.“ Später gewinnt ‚das Buch‘, nunmehr sein angewachsenes großes ‚Werk‘, wie noch zu zeigen sein wird, in den Augen Rankes eine weitere, erhabenere Bedeutung. Es wird zum Monument seiner selbst und der Wissenschaftsgeschichte, ja, es ist göttlichen Segens würdig, zumindest bedürftig („... des neuen Buches, das von Gott gesegnet werden möge...“ An Geibel, 19. 1. 74, Geibel/1886, 57). * Zum tieferen Verständnis Rankes hätte man sich einen Blick auf sein Äußeres und sein öffentliches Auftreten gern erspart, ein Zusammenhang, der in der Forschung bisher nicht beachtet wurde, doch sind die Phänomene der Rankeschen Körperlichkeit derart extrem gestaltet, daß nicht angenommen werden kann, sie seien ohne Einfluß auf Persönlichkeit und Umwelt geblieben. Die Natur hatte ihm äußere Vorzüge in ungewöhnlichem Maße versagt, hatte doch die Erscheinung des „kleinen, etwas verwachsenen Mannes“ ... „nichts Gefälliges“ (Geiger/1918). „Die Gestalt war sehr unansehnlich und nicht wohlgewachsen“, schreibt auch Rankes Hörer Bernhard von Simson (1895, 6). Franklin L. Ford weiß zu berichten, Ranke sei fünf Fuß groß gewesen [ca. 1,52 m.], „even when standing“ (Ford/1975, 64). Er erschien unbedeutend: „Ranke is a little, insignificant-looking man, very like a Frenchman - small, vivacious, and a little conceited-looking” schrieb seine angesehene, auch im Hause Schelling verkehrende Übersetzerin Sarah Austin (Three Generations of Englishwomen I/1888, 171f.), „his head just appears above his desk“, bemerkte William Wetmore Story bei einer Vorlesung (H. James I/1903, 213f.). Ferdinand Gregorovius (1821-1891) lernte ihn im Alter als „kleines Männchen mit einem leise markirten Buckel“ kennen und notierte: „Er imponirt nicht, aber interessirt sehr.“ (Tgb.-Eintrag, 28. 4. 67, Gregorovius/²1893, - 25 -

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353f.). Seine jüngeren Brüder Ferdinand und Wilhelm erschienen Leopold „größer und schöner“, als er es war, - so schrieb er um Weihnachten 1823 an die Eltern ([ca. 16. 12. 23], SW 53/54, 116). Er sah sich da wohl ganz als Gegenteil der schönen, bewunderten Erscheinung seines geliebten Bruders Heinrich, des Vertrauten seiner frühen Jahre, Dieser galt ihm als „einer der lieblichsten Knaben, die man sehen konnte“, er sei „auch später als Jüngling vollkommen schön gewesen“ (Simson/1895, 6). Von einem Empfang in Windsor schrieb Ranke als Siebzigjähriger selbstironisch, eine Haltung, die er gerne einnahm, an seine Frau, er sei dort hinter einem hochgewachsenen Herrn als ihr „kleiner und nicht gerade schöner Ehegemahl“ einhergeschritten (25. 6. 65, SW 53/54, 451). Doch es war nicht allein seine unansehnliche Statur mit einem „außer Verhältniß stattlichen Haupt“ (Dove: Schriftchen/1898, 151). Letzteres bezeugt auch sein Amanuense Paul Bailleu, der bemerkt: „Auf einem kleinen Körper saß ein unverhältnißmäßig großer Kopf“ (P[aul] B[ailleu]: Leopold v. Ranke/1895, 1). Bailleu kannte natürlich auch Rankes Redeweise „in schönstem thüringer Deutsch“ (ebd.) oder, wie es bei Dove heißt, „Thüringer Mundart in hoher Tonlage, mit Gurgellauten versetzt“ (Dove: Schriftchen/1898, 172). Auch Karl Frenzel (1827-1914) hatte Mühe, ihn zu verstehen: „Seine Stimme war dünn, ohne Wohlklang“ (Frenzel/1912, 45). Ranke war überdies leicht pockennarbig (FvR/1903, 195), seine Unterlippe ragte vor, seine Augen waren starrend (Jaffé an A. Thorner, 10. 5. 39, Vier Briefe aus der Jugendzeit Philipp Jaffé’s/1880, 454). Varnhagen von Ense schrieb später an ein Konterfei Rankes in der Leipziger ‚Illustrirten Zeitung‘ „Ranke in seiner ganzen Hässlichkeit“ (Nr. 708, 24. 1. 57, aus dem NL Varnhagens mitgeteilt von Helmolt/1921, 192, A. 167). Dabei mag ein wenig Gehässigkeit mitgespielt haben, doch selbst der unverdächtige Alfred von Arneth (1819-1897), der Ranke Ende Oktober 1863 im Wiener Staatsarchiv kennenlernte, fand, „daß der erste Eindruck, den sein Aeußeres und sein Auftreten“ auf ihn „hervorbrachten, kein durchaus günstiger war. Dazu war der ungewöhnlich kleine, unscheinbare Mann mit seinen lebhaften, eigenthümlich linkischen Bewegungen, welche bei Jemand, der so viel in hoher Gesellschaft verkehrt hatte, in Verwunderung setzten, mit seinem mächtigen Kopfe, der durch einen Wald grauer Haare fast unförmlich groß erschien, mit unschönen, wie durch Blatternarben verwischten Gesichtszügen wirklich nicht angethan. Nur der sprühende Blick seiner kleinen, aber ungemein sprechenden Augen verrieth, daß man es mit einem ungewöhnlichen Manne zu thun habe.“ (v. Arneth/1892, 235). Andere schilderten ihn als „kleinen, beweglichen, immer lachenden Dreikäsehoch“ (Fontane an Lepel, 25. 5. 57, Theodor Fontane und Bernhard von Lepel II/1940, 180), der, „in der ihm von Natur verliehenen heiteren Gemütsstimmung“ (Wiedemann IV/1892, 209) sehr unterhaltend sein konnte, nach den Erinnerungen seines Amanuensen Georg Winter auch „eine unvergleichliche Munterkeit und Heiterkeit der Seele“ besaß (Winter: Erinnerungen/1886, 224), gern provokativ Diskussionen auslöste, so im Varnhagen-Kreis mit der bezeichnenden Behauptung, vor der französischen Revolution sei mehr Freiheit in der Welt gewesen als seitdem. Er wurde, besonders von A. W. v. Schlegel, „stark bestritten.“ (Aus dem Nachlasse Varnhagen’s von Ense. Bll. aus d. preuß. Gesch. IV/1869, 260). Die Defizite seiner Körperlichkeit führten also keine gesellschafts- und weltabgewandte, resignative Reaktion herbei, sondern wurden mithilfe eines lebhaften bis ungezügelten Temperaments, gepaart mit durchgängiger Heiterkeit und steter interes- 26 -

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sierter Kontakt- und Gesprächsbereitschaft, durch einen immensen Zustimmung heischenden Öffentlichkeitsdrang, einen von Herman Grimm, der im Hause Ranke verkehrte (FvR/1903, 13), festgestellten „gewaltigen Drang, sich mitzuteilen“ (H. Grimm/ 1948, 243), wohl unter großem nervlichen und motorischen Einsatz verdeckt, versuchsweise ausgeglichen, zumindest bekämpft, - Bemühungen, die sich im Alter auf unangenehme Weise gesteigert haben dürften. Varnhagen zeichnete eine Begegnung mit ihm im Jahre 1858 in seinem Tagebuch auf: „Ueberhaupt war das Benehmen des kleinen, schiefen Mannes, sein Kopfwerfen, seine Händeschwingungen, seine Verdrehungen und Wackelungen des ganzen Körpers, sein Stimmwechsel zwischen leisem Flüstern und nachdrücklichstem Herausschreien, bei überstürzter, sächsischer, undeutlicher Sprache - ein vollständiges Zerrbild dessen geworden, was seine frühere Erscheinung gewesen.“ (Tagebuchblätter Varnhagens zu einer Begegnung am oder vor dem 2. 6. 1858, Wiedemann: L. v. R. u. V. v. E./1901, 365). Er betrage sich, wie Varnhagen nach einer Begegnung mit Ranke im Tiergarten aufzeichnete, „in Gebärden, Ausrufen und Gelächter ... wie ein Narr“ (ebd, 365). Das dürfte - einer Unterhaltung Varnhagens mit Frau von Treskow am 12. Mai 1855 zufolge - in Rankes frühen Jahren in der Tat anders gewesen sein. „Wir besprachen“, schreibt Varnhagen in sein Tagebuch, „seine frühere liebenswürdige Erscheinung, seine naive Lebhaftigkeit, geistreiche Gewandtheit, und mußten es rätselhaft finden, wie aus diesem frischen Jungen ein solcher Kerl hat werden können. Das Rätsel löst sich durch zwei Worte: ‚Eitelkeit, Schwäche‘“ (ebd., 364). Noch positiv gefaßt hatte Gotthilf Heinrich von Schubert seine Eindrücke vom Auftreten des jungen Ranke im Jahre 1825, als diesem „sein munterer, heller Geist so mächtig in die Augen, Mund und alle Glieder“ hereintrat, „daß er wie ein Wind vom Gebirge, dem die dunkle Wolke vorhergeht, uns Alle, gleich kleinen Schiffen im See, in muntere Bewegung setzte“. Der Schwiegervater seines Bruders Heinrich sah da in ihm ein „Menschenbild von solch’ lachender Natur, mit ihrer Fülle der lebenden, lichtstrahlenden Kräfte (v. Schubert III, 2/1856, 603f.). Später war man bestenfalls geteilter Meinung über sein Auftreten. Immerhin hatte er trotz äußerer Defizite aufgrund seiner lebendigen, geist- und humorvollen Konversation bedeutende gesellschaftliche Erfolge, nicht allein die von Karl Immermann entdeckten: „Der kleine Ranke quirlte auch eines Abends vor mir umher; munter und lustig; übrigens das enfant chéri der Damen“ (Tagebucheintrag Okt. 1833, GSA Weimar, nach WuN I, 179, A. 1). Auch sein häufiger Umgang mit Kg. Maximilian II. und anderen gekrönten und fürstlichen Häuptern spricht für eine teils positive Aufnahme, zumindest in diesen Kreisen. Schon in seinen jungen Jahren war er von dem ungeduldigen und unstillbaren Drang erfüllt, aus der Alltäglichkeit in das öffentliche Leben zu gelangen. Sein Selbstwertgefühl, verbunden mit einem ausgeprägten Erkenntnisstreben mußte sich naturgemäß nach außen, an die Öffentlichkeit wenden. Sein Genie mußte dargestellt werden, es mußte Eindruck machen, mußte anerkannt und gelobt werden. Als Zwölfjähriger hatte er bereits bemerkenswert gefunden, daß die „berühmten Männer ... denen die Kultur der Menschen so viel zu danken hat ... von allen gekannt und geschätzt werden.“ (Aufsatz ‚Welchen Einfluß hat die Erlernung der Geschichte auf das Leben der Menschen?‘. In: Henz/1968, 305). Da wird schon sein Streben nach Anerkennung wissenschaftlicher und gesellschaftlicher Art sichtbar. „Man hört nicht drauf, was meine Klugheit spricht“, heißt es aber noch unerfüllt und klagend in einem Gedicht um 1814 (WuN I, 51), verbunden mit einem fachlich noch unentschiedenen, aber schon - 27 -

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ganz entschiedenen Blick auf das Ruhmes-Symbol: „Nach welchem Kranz soll meine Sehnsucht streben?“ (ebd.). Einem unansehnlichen Menschen wie ihm, mit seinen unübersehbaren körperlichen Mängeln, half Mittelmäßigkeit nicht weiter: „Auch ist [es] wohl so, dass ich, um irgend etwas zu gelten, nach der höchsten Reputation streben muß. Jedoch man ist nicht mehr, als man ist; und soll nicht mehr scheinen.“ (an Varnhagen, Dez. 1828, Wiedemann: Briefe R.s an V./1895, 438). Daß man „gut“ von ihm denkt, sieht er später als seinen „einzigen Besitz in dieser Welt“ an (an Varnhagen, 10. 10. 29, ebd., 442). Das Eindruck machen-Wollen reicht bis hin zu seinem Sterbebett: Am 19. Mai 1886 kam er noch einmal zu „freierem Bewußtsein“. Auf die Mitteilung seines Sohnes Otto: „,Se. Majestät der Kaiser läßt sich erkundigen, wie es Dir geht‘, klärte sich sein Gesicht auf; er wollte sprechen - aber die Worte versagten. Nach einer Minute etwa äußerte er dann: „Es macht also doch Eindruck.“ (OvR: Die letzten Lebenstage/1886, 12f.). Ranke liebte öffentliche Auftritte, bedurfte des Zuspruchs und der Bewunderung, für sein ‚Ich‘ und seine Karriere, bedurfte der „wohlwollenden Aufmerksamkeit so sehr“ (an Perthes, 29. 9. 29, Oncken/1925, 223) und begann bereits während seiner Frankfurter Oberlehrerzeit, nicht allein eine begeisterte Auferstehungspredigt in der Kirche zu Donndorf zu halten oder das Wort vor Frankfurter Bürgern zu führen (s. II/6.1), sondern mehr noch die von ihm hochgeschätzte Rolle eines „guten Gesellschafters“ zu erlernen. Neben Selbstdarstellung und Amusement suchte er, sobald dies irgend möglich war, Eingang in fördernde höhere, adelige Kreise, so in Frankfurt/Oder in die Häuser des Präsidenten von der Reck und des Präsidenten von Wißmann (s. II/7, 1817-1825) und näherte sich der verwitweten Generalin Wilhelmine von Zielinski in ihrer „schönen Gestalt“ (An HR, 17. 2. 25, SW 53/54, 141). Später in Berlin, wo er zunächst gar als „Kourmacher“ gilt, „schlechtestes Wort hier!“, schreibt Rahel Varnhagen an ihren Mann Karl August (15. 9. 27, Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Briefwechsel zw. Varnhagen u. Rahel, VI/1875, 173), verkehrte er bis ins hohe Alter in mehreren Salons (Wilhelmy/1989, 591, 603, 666, 695. 761, 827, 863, 871) und Palais, ging bis Mitternacht „aus einer Gesellschaft in die andere“ (an HR, 26. 11. 44, SW 53/54, 329), war dort schließlich „in allen Gesellschaftskreisen zuhause“, wie Wilhelm von Doenniges an König Maximilian II. von Bayern berichtete (‚Notizen für die Reise nach Berlin‘, 1853, bei Hoeft/1940, 109), und ließ auch bei Auslandsaufenthalten keine Einladung, Festlichkeit oder sonstige Attraktion aus, befand sich in Paris im „Saus und Braus von anstrengenden Vergnügungen“ (an CvR, 24. 8. 55, SW 53/54, 377). Lord Acton, der Ranke besuchte und eine seiner Vorlesungen hörte, fand, er habe „in seinem Wesen nichts ernsthaftes oder würdiges“ (Acton an Döllinger, 14. 3. 55, Döllinger Briefwechsel I/1963, 57). Sein Benehmen erschien gelegentlich unkultiviert und indezent: „His articulation is bad, his manner not pleasant nor gentlemanlike. He is not so good as his books”, mußte Sarah Austin im November 1842 anläßlich einer Gesellschaft bei Schelling, wo auch die beiden Grimms, Pertz und Savigny zugegen waren, peinlich berührt feststellen (Three Generations of Englishwomen I/1888, 171f.). Mit seinem Französisch trat er so auf: „bubbling over with most horrible French, which almost chokes him.” (Letters and Recollections of Julius and Mary Mohl/1887, 33). Sein unangemessenes Benehmen erlebte auch Alfred von Arneth bei einer Generalversammlung der Historischen Kommission (s. II/6.5). Hermann Fürst von PücklerMuskau fand ihn als „beau esprit“ interessant, vermißte jedoch, „was die aristokratische Welt gute Erziehung nennt, und sich bei diesem Mangel nie recht behaglich - 28 -

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fühlt.“ (Aus Pücklers Tagebüchern, 4. 10. 47: Briefwechsel u. Tgbb. d. Fürsten Hermann v. Pückler-Muskau IX/1876, 257). Wahrscheinlich hatte der Fürst allzu sehr unter dem dominanten Allein-Unterhalter Ranke zu leiden, den Theodor Fontane später bei einem Diner kennenlernte, wo dieser „wie ein breites, wimpelgeschmücktes Festschiff im Flusse lag und rechts und links hin manövrirend, da eine Salve und hier ein Ruderschlag, keinen Zollbreit Terrain für irgend ein andres Mitglied der Gesellschaft übrig ließ“ (Fontane an Lepel, 25. 5. 57, Theodor Fontane und Bernhard von Lepel II/1940, 179f.). - Aus Paris schrieb Ranke in seinem siebzigsten Jahr: „...außer den Studien - ich bekenne es - haben auch die Beziehungen des Lebens noch immer viel Reiz für mich.“ (An ER, 22. 5. 65, SW 53/54, 42). Und nach einem Konzert in Buckingham Palace: „Ich bin doch noch sehr amüsabel, wie ich finde.“ (An CvR, 25. 6. 65, SW 53/54, 452). Gelegentlich muß es ihm selbst bewußt, jedoch kaum zum Problem geworden sein, als er - gerade in sein 88. Lebensjahr eingetreten -, bei einem Besuch des späteren Kaisers Friedrich III., „überhaupt etwas viel“ sprach (SW 53/54, 645), ähnlich bei einer seiner gelegentlichen Begegnungen mit Kaiserin Augusta. Er „sprach viel ... fast zu viel“, fürchtete er, „doch schien das nicht der Fall gewesen zu sein.“ (SW 53/54, 600). Nicht wenig mißbilligte Wilhelm Ranke (1804-1871) das im Greisenalter noch exaltierte Verhalten seines Bruders: Er „lacht, jubelt und lärmt so laut und so fürchterlich über jeden Wortwitz und jede tausendfach abgedroschene schale Redensart, dass einem sanften [oder: ernsten?] Manne dabei angst und bange wird“ (unveröff., NL WR, Rep. 92, NL Geschw. Ranke, GStA PK). Gelegentlich wurde nicht nur sein Auftreten, auch seine Haltung beanstandet, so, als Jacob Burckhardt schrieb: „Von Ranke ist es leider allzu bekannt, daß er ein guter Gesellschafter ohne Charakter ist“ (an Heinrich Schreiber, 11. 8. 40, Burckhardt: Briefe I/1949, 158). Seine „wenig solide Gesinnung“ sei „völlig sprichwörtlich in ganz Berlin“ (ebd. 160). Ähnlich beurteilte ihn auch, was wenig bekannt ist, König Maximilian II. von Bayern, der am 3. März 1853 über Ranke an seinen Staatsminister von Zwehl schrieb: „Er ist übrigens, wie ich aus selbsteigener Erfahrung weiß, beides, von so biegsamem Charakter und einnehmenden Formen...“ (Hoeft/1940, 85). Pertz soll sich anläßlich des v. Raumerschen Akademie-Skandals 1847 über Ranke geäußert haben: „die Kanaille“ (Wiedemann/1901, 360), und Heinrich von Treitschke schrieb am 24. 12. 72 über Ranke an J. G. Droysen: „Für die preußische Geschichte fehlt ihm worauf Alles ankommt: der Charakter.“ (Treitschke, Briefe III/1920, 361). Rankes Bruder Wilhelm, übrigens Jurist mit höchstem Examensprädikat (s. R an HR, 10. 7. 28, SW 53/54, 206), hat in einer zur Veröffentlichung bestimmten, jedoch unveröffentlicht gebliebenen Charakteristik überaus harte Worte gefunden. Er schreibt über Leopold: „Er ist geizig und erbarmungslos, weil seine Seele sich … auf Studien wirft und sich von den Personen seiner Umgebung abwendet. Er verwendet alle seine Kraft auf Dinge, es bleibt ihm nicht Kraft und Zeit genug übrig, an den ihm nahe stehenden Personen theilzunehmen und sich mit ihnen zu verständigen.“ (NL WR, Rep. 92 NL Geschw. Ranke, GStA PK). Auch Rankes bewunderte Frankfurter Bekanntschaft, Frau von Treskow, entdeckte später „Züge seiner dünkelhaften Eitelkeit, seiner schnöden Härte gegen seine Nächsten“ (Tagebuch-Notiz Varnhagens über ein Gespräch mit ihr am 12. Mai 1855. Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 364). - Als „selbstselig“ hatte ihn früher schon Friedrich Christoph Perthes bezeichnet (an Heinrich Leo, 13. Dez. 1835, Moldenhauer/2008, 597). So dürfte es auch Johann Gustav - 29 -

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Droysen empfunden haben, der in einem Brief klagte: „Ranke wird - mit vollem Recht - wegen seiner Feinheit, seiner tiefen Gelehrsamkeit, seines weiten Blickes bewundert; aber man hat kein Herz zu ihm, da er keins - für niemand außer für sich - hat.“ (An Arendt, 8. Mai 1857. Briefwechsel II/1929, 450). Herzlosigkeit warf ihm auch Reinhold Pauli vor, der für ihn 1852 in England „viel gearbeitet“ hatte (Pauli/1895, 179). Seine Anfrage betreffend Habilitation in Preußen blieb gleichwohl, „wie zu erwarten stand“, ohne Antwort. „Wie es Ranke leider an aller Courage in den grossen Dingen des Staats und Vaterlandes gebricht“, schrieb der Enttäuschte, „so hat er auch kein Herz für kleine persönliche Angelegenheiten“ (ebd., 187). Man mag diesen Charakterzug in seinem bisher falsch gedeuteten Korrespondenzverhalten weiterverfolgen (s. II/3.1.1f.). Gelegentlich scheint dies Ranke selbst empfunden zu haben: „Über unsere Arbeiten vergessen wir sammt und sonders unsere Freunde und einer den andern. Es ist eine gute [!] Eigenschaft - so weit. Ich übertreibe sie leider auch“, gestand er seinem Bruder Heinrich (Brief vom 30. 11. 32, SW 53/54, 262). Dazu gehörte im weitesten und tiefsten Sinne auch sein Nicht-Erscheinen bei den Beerdigungen seiner beiden Elternteile. Bezeichnend sind die fadenscheinigen Ausreden. Beim Tod des Vaters schrieb er: „O geliebte Mutter, zürne nicht, daß ich nicht komme. Ferdinand wird gewiß kommen, wahrscheinlich Wilhelm; den Ernst schicke ich Dir; es möchte zu viel Gedräng werden. Auch halten mich Pflichten, von denen der Vater nicht wünschen würde, daß ich sie verletzte.“ (17. 5. 36, SW 53/54, 282). - Die Vorrede zu seinem ‚Wallenstein‘ enthält eine Äußerung - unbedacht, später unbeachtet - welche einen Einblick in die tieferen Schichten seines an der Oberfläche sich - zumal in adäquaten Kreisen - exaltiert freundlich bis aufdringlich vollziehenden mitmenschlichen Umgangs zuläßt: „Wie die lebenden Menschen einander berühren, ohne einander gerade zu verstehen, oder auch verstehen zu wollen, in wetteifernder oder feindseliger Thätigkeit...“ (WALL/1869, VII). Die Überwindung seiner äußerst geringen körperlichen Wertigkeit gelang nicht nur durch einen ausgeprägten Öffentlichkeitsdrang, der sich zunächst als gesellschaftlicher Konversationsdrang, sodann als popularitätsorientierter Veröffentlichungsdrang darstellte, sondern dürfte auch ersatzweise dazu beigetragen haben, das Bewußtsein seiner zweifellos in Fülle vorhandenen geistigen Fähigkeiten bis zur Selbstüberschätzung zu steigern. Diese in seinem Fall selbsterhaltende Einschätzung - er stand bereits als Schüler nicht an, etwa den Kantischen Schönheitsbegriff aus der ‚Critik der Urtheilskraft‘ (3. Aufl., Berlin 1799, 1. Teil, 1. Abschn., 1 Buch, § 2) zu kritisieren (Text bei Henz/1968, 343) - dürfte schon sehr früh durch schulische Erfolge bestärkt worden sein. Bettina von Arnim (1785-1859), die in seinen ersten professoralen Jahren zeitweilig mit Ranke einen erstaunlich vertrauten Umgang pflegte und dem Drastischen nicht abhold war, sprach von „seiner Besoffenheit von seinem eignen Wert noch aus alter Gewohnheit, als er Quartanerkönig war“ (Bettina von Arnim: Ilius, Pamphilius und die Ambrosia/1920, 269). Seine Selbstüberschätzung, von der später noch zu handeln sein wird, konnte sich mehr und mehr befestigt und gerechtfertigt sehen durch wissenschaftliche Erfolge, errungen mit einem ungewöhnlich starken Intellekt und zielgerichtetem Willen, einem lebenslangen leidenschaftlichen Arbeitseinsatz, verbunden mit einem in bestimmten Bereichen grenzenlosen Erkenntnisstreben. Doch es gab eine Folge unliebsamer Retardationen: Schon der Eintritt in die Klosterschule Pforta war mit Verzögerung erfolgt, erst in seinem vierzehnten Lebens- 30 -

I/1.1 „Der ungewöhnlich kleine, unscheinbare Mann“

jahr, nach zwei unbefriedigenden, unterfordernden Jahren auf der weniger bedeutenden Klosterschule Donndorf. Und auch von Pforta, wo er für eigene Studien zu wenig Zeit fand, schied er im Jahre 1814 zwar mit einer umfangreichen ‚dissertatio de tragoediae indole et natura‘ (Erstdr. Henz/1968, 444-479) jedoch auch mit großer Ungeduld. Obgleich der dortige Unterricht auf die Dauer von sechs Jahren angelegt war, verließ er die Einrichtung gegen den Rat des Schulinspektors bereits nach dem fünften Schuljahr (HR: Jugenderinnerungen/21886, 44). Die der Altphilologie und Theologie gewidmeten Studienjahre in Leipzig befriedigten ihn zumindest in letzterem Fach nicht. „Wie sehr muß ich mich nach dem Öffentlichen sehnen ... Mich ergreift die Sehnsucht hinaus und Zorn über den Jammer der Alltäglichkeit...“ (Erstdr. Keibel/1928; WuN III, 471), schrieb er nach unspektakulärem, das heißt, buchlosem Abschluß des Studiums gegen Anfang 1818 in den ‚Papieren eines Landpfarrers‘, mit deutlich autobiographischem Bezug. Daß ihn, wie er im Alter formulierte, aus seinen damaligen Studien eine „Berufung“ an das Gymnasium „gerissen“ hätte (SW 53/54, 60), stellt eine starke Schönung der Verhältnisse dar. Er erhielt die Stelle erst nach der gescheiterten Bewerbung, ohne berufliche Erfahrung, um ein Konrektorat in Merseburg (7. 2. 18, Berger/1942,12-19). Für Ranke folgten „Unter täglicher Schule lastender Pein“ (WuN I, 63) sieben lange, pädagogisch wohl erfolgreiche, aber letztlich wenig erfüllende Jahre als Oberlehrer am Friedrichs-Gymnasium in Frankfurt/O. (Johannis 1818 bis Ostern 1825), denen er zumindest 1822 schon zu entfliehen suchte. Hatte er sich bereits 1818 problemlos von seiner sächsischen Heimat getrennt, so beabsichtigte er 1822 ernstlich, auch Preussen den Rücken zu kehren und bemühte sich vergebens um eine Anstellung in Bayern (an Friedrich Wilhelm Thiersch, 28. 4. 22, Helmolt: Ein merkwürdiger Brief/1907). Auch dabei wieder - es gelang nicht - der Drang, aus bestehenden Verhältnissen zu fliehen, eine instabilitas loci, die sich in Berlin, wo er lange auf eine ordentliche Professur wartete, umgehend in befreienden Reisegedanken niederschlug. Erst Ende 1833, acht Jahre nach seiner Ernennung zum a. o. Professor, seine Antrittsvorlesung hielt er erst 1836, da war sein vierzigstes Lebensjahr bereits überschritten, wurde er zum ordentlichen Professor ernannt. Sein Gegner Heinrich Leo, wie er seit 1825 Extraordinarius in Berlin, war schon 1830 und gerade dreißigjährig in Halle zum Ordinariat aufgestiegen (Maltzahn/1985). Diese mehrfach und bis an sein vierzigstes Lebensjahr erduldeten Retardationen mögen für einen Teil der sein ganzes Leben durchziehenden schädlichen Ungeduld und Hektik bei der Verwirklichung seiner um Anerkennung bemühten Unternehmungen mitverantwortlich sein.

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2. Kapitel (I/1.2) F EHLG EP LAN TES UND UNVO LLEN DETES „... zur Erkenntniß des lebendigen Gottes, des Gottes unsrer Nationen und der Welt sollen alle meine Sachen gereichen“ (SW 53/54, 140), schrieb Leopold Ranke im Februar 1825 nach Erscheinen seines Erstlingswerkes in frommer Unbescheidenheit an seinen Bruder Heinrich. Denn eine realistische Sicht dessen, was er als wissenschaftlicher Autor bewirken konnte, fehlte dem jungen Frankfurter Oberlehrer nicht nur hinsichtlich der historiographisch unerreichten und später zurückgestellten Transzendenz, sondern auch in Hinsicht der zu bewältigenden Stoffmassen. Von beträchtlicher Selbstüberschätzung zeugte dann auch die weit ausgreifende Thematik seiner ersten Berliner Vorlesungen (s. II/5.1). Er hatte hochfliegende Pläne, verglich sich als a. o. Professor auf Reisen mit den größten Entdeckern, vermeinte gar „ein Columbus der venetianischen Geschichte zu werden“, wie er aus Wien an Heinrich Ritter schrieb (28. 10. 27, SW 53/54, 176), und dachte, „wenn nicht wie Columbus, doch wie eine Art Cook für so manch schöne, unbekannte Insel der Welthistorie“ zu werden (an Varnhagen, 9. 12. 27, Wiedemann, L. v. R. u. V. v. Ense. Ungedr. Briefw./1895, 187), nein, eigentlich nicht für eine Insel: Er suchte sogleich die ganze Weltgeschichte: „Mich tröstet, dass ich die Weltgeschichte suche“ (an Varnhagen, 9. 12. 27, Helmolt/1921, 40; dieser Satz fehlt Wiedemann). „Die Entdeckung der unbekannten Weltgeschichte wäre mein größtes Glück“, vertraute er wiederum seinem Bruder Heinrich an (16. [bis Ende] Apr. 28, SW 53/54, 195), ja, er baute für eine erhoffte steile Karriere „oft in Gedanken die neue Welthistorie auf“ (an Varnhagen, 10. 10. 29, Wiedemann: Briefe/1895, 443). Seine „alte Absicht, die Mär der Weltgeschichte aufzufinden“ (an HR, 24. 11.26, SW 53/54, 162; rev.: NBrr 89f.), weist - über ein deutlich ausgeprägtes Selbstbewußtsein noch weit hinausgehend - auf Züge einer mit Naivität gemischten frühen Hybris hin, die bis in sein höchstes Alter nicht verloren gehen sollte. Wo sich mangelnde publizistische Erfahrung mit extremer Ungeduld und diese wiederum mit einer von Selbstüberschätzung geleiteten Fülle und Weite wissenschaftlich-literarischer Planung paaren, treten sogleich schwerwiegende Probleme auf, die sich bibliogenitorisch und bibliographisch nachteilig auswirken. Das nicht ausreichend oder allzu weit Geplante, in der Folge Unvollendete des Rankeschen Werkes, steht nicht nur sehr deutlich am Anfang und am Ende seines langen Schaffens, sondern ist, bisher nicht näher betrachtet, geradezu ein Charakteristikum der ersten Lebenshälfte und steht mit ausgeprägten, auch sonst wirksamen Eigentümlichkeiten seines Wesens in Zusammenhang. Von dem bis an sein vierzigstes Lebensjahr erscheinenden Werk blieb tatsächlich das Allermeiste unvollendet, oder das Erscheinen wurde eingestellt. Doch ist wohl eine mit Ranke so oft verbundene schönende Sicht auch hier noch wirksam. Sein Erstlingswerk, so weiß eine 2005 erschienene italienische Arbeit stellvertretend für andere zu berichten „È la sua unica opera che resta incompiuta.“ (Di Bella/2005, 47, A1). Waren es zu Beginn seiner Laufbahn die ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535‘, deren einziger Band mit der ‚Beylage‘ ‚Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber‘, obgleich als „erster“ bezeichnet, doch nie von einem zweiten gefolgt und nie über das Jahr 1514, also die erste Hälfte der Darstellung, hinausgeführt wurde, so war es am Ende seines Lebens und Schaffens im Jahre 1886 gar ein unge- 32 -

I/1.2 Fehlgeplantes und Unvollendetes

heurer Doppeltorso: die von ihm selbst nicht mehr beendete Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘, welche aufgrund besonderer Vorkehrungen zu seinen Lebzeiten die hohe Zahl von 48 Bänden erreichte, vor allem aber seine außerordentlich unvollendete, aufsehenerregende ‚Weltgeschichte‘. Nicht allein der Abbruch, auch der inhaltliche und bibliologische Zusammenhang seines unvollendeten Erstlingswerkes mit der selbständig erschienenen ‚Beylage‘ ‚Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber‘ war ein durchaus problematischer, denn eine Beilage erscheint in der Regel nicht selbständig. Nachdem dies schließlich erkannt war, entfiel der unglückliche Beilagen-Untertitel ab der zweiten, erst 50 Jahre später erscheinenden Auflage. Doch die von Ranke, wie aus der Korrespondenz zu ersehen ist, in auffallender Konfusion und Hektik realisierte duale Seltsamkeit gibt auch heute noch zu der Frage Anlaß, welches der beiden Werke vor dem anderen, aus dem anderen oder für das andere entstanden sei, Fragen, die, sollte man ihnen Bedeutung beimessen, aus dem Nachlaß zu klären sein mögen. Von tiefgreifenden sich durchkreuzenden Konzepten zeugt die Änderung des Buchtitels seines Erstlings, der zunächst - und dabei ist die für einen Anfänger verwegene zeitliche Unbegrenztheit zu beachten - lauten sollte: „Das erste Buch einer Geschichte der Roman. und German. Nationen seit 1494. Nebst einer Kritik der Geschichtschreiber“ (an G. A. Reimer, 12. 4. 24, SW 53/54, 129). Dies deutet nicht unbedingt auf eine selbständige Beilage hin und erst recht nicht auf zwei Bücher im Inneren, wenn nur von dem „ersten Buch einer Geschichte“ die Rede ist. Hinsichtlich des schon von der Zeitgenossenschaft immer wieder falsch zitierten Werktitels ist folgende Bemerkung Rankes aus der Vorrede zu beachten: „Es [das Buch] umfaßt aber bey weitem nicht die gesammte Geschichte dieser Nationen, sondern nur einen kleinen Theil derselben, den man wohl auch den Anfang der neuern nennen könnte; nur Geschichten, nicht die Geschichte.“ (IV). Die Begründung wirkt freilich als modestas-Formel aufgesetzt im Hinblick auf den ersten Titelentwurf, der durchaus den Begriff ‚Geschichte‘ verwendete. Gleichwohl ging Ranke gelegentlich sehr bewusst mit dem Begriff um, wie auch sein von allen Deutern - gegenüber einer ‚reinen‘ oder ‚einfachen‘ Biographie - geschätzter Einsatz bei der ‚Geschichte Wallensteins‘ und seine bisher nicht vermerkte, aber befragenswerte durchgängige Vermeidung in den Bandtiteln der ‚Weltgeschichte‘ zeigt. Dem Erstlingswerk schloß sich nicht dessen Fortsetzung, sondern sogleich ein neues ehrgeiziges Vorhaben an, die von seinem zweiten Verleger Friedrich Christoph Perthes (1772-1843) bereits „im allgemeinen angenommenen“ ‚Erläuterungen der neuern Geschichte‘. In ihnen beabsichtigte Ranke, wie er wieder anpreisend verkündete, „aus gewissen ächten Handschriften, welche unbekannte, sichere, höchst interessante Nachrichten enthalten“, „von Carl V. ausgegangen, der Hauptpuncte der allgemeinen Geschichte bis zum und bis in den dreyßigjährigen Krieg sämmtlich“ zu gedenken, „keines aber ohne neue Aufschlüsse“. Die Realisierung sollte, so hoffte er, „bald geschehen seyn“ (an Perthes, 12. 6. 25, Oncken/1925, 217; Paulsen/1922, 58f. las: 17. 6.). Doch dazu kam es nicht. Übrig geblieben ist davon wohl sein im Nachlaß vorhandenes Heft „Literatur. Besonders Geschichtschreiber, angefangen am 13. November 1824“ (RNL/SBB PK 33 D), und Wege führen auch zu seinem nächsten, tatsächlich realisierten Werk (siehe dazu seinen Brief an Perthes, 24. 8. 25, Oncken/1922, 85). Die währenddessen Perthes gegebene Zusage zur Übernahme der ‚Geschichte Englands‘ in der Heeren/Ukertschen Sammlung der ‚Europäischen Staatengeschichte‘ nahm Ranke im Dezember 1832 zurück. - 33 -

I/1.2 Fehlgeplantes und Unvollendetes

Nun zu seinem nächsten, tatsächlich verfaßten Werk. Es erschien 1827 unter dem Titel ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert‘. Indes hatte Ranke in seinem zeitlebens beibehaltenen Drang zu monumentaler Mehrbändigkeit publizistisch und im Hinblick auf die Abschätzung seiner wissenschaftlichen Möglichkeiten, auch in Unkenntnis der auf seiner ersten großen Archivreise in Wien und Italien erst noch zu gewinnenden Schätze, - ohnedies hatte er zunächst nach Paris reisen wollen (an G. H. v. Schubert, 13. 12. 26, NBrr 93) - nur wenig dazugelernt, erklärte auch dieses zweite seiner Werke ausdrücklich wieder als „ersten Band“ und gab ihm unpraktischer Weise keinen Titel - lediglich im Inhaltsverzeichnis findet sich etwas über ‚Osmanen und Spanische Monarchie‘. Der zweite Band sollte, wie Ranke großsprecherisch seinem Verleger verhieß, „eins der wichtigsten Werke werden, was je in diesem Fach erschienen“ sei, sofern man ihm das venezianische Archiv öffnen würde (an Perthes, 8. 8. 27, Oncken/1922, 109). Dies geschah, doch der angepriesene zweite Band erschien nie. So wartet man noch heute auf die Einlösung seines im ersten Band gegebenen Versprechens (445), „im zweiten Bande“ eine „ausführlichere Notiz“ über die benutzten Handschriften geben zu wollen. Da ist auch etwaigen historisch-kritischen Editoren ein hartes Stück Arbeit übriggeblieben. Doch man glaube nicht, in ‚Fürsten und Völker‘ mit dem versteckten inhaltlichen Hinweis auf ‚Osmanen und die spanische Monarchie‘ ein einheitliches Werk vorzufinden. Eher handelt es sich um zwei recht disparate und im Aufbau deutlich unterschiedliche Werke, die hier zusammengeführt wurden. Auffallend, daß, wie bei seinem ersten Werk mit der widersprüchlich selbständigen Beilage, erneut ein Werk-Dualismus vorliegt. In seltenen Momenten seiner Frühzeit gelangte Ranke zu der Einsicht, die er seinem Verleger Perthes eingestand: „Sie sehen, wie es steht. Arbeiten die Menge: Versuche! Aussichten: nichts fertig.“ (Wien, 28. 1. 28, Oncken/1922, 120c), deutlicher noch an seinen Bruder Heinrich: „Wir sind aber alle Fragmentisten. Ich besonders, glaube ich, bringe in meinem Leben nichts als Fragmente zu Stande.“ ([Ende Nov. 1827], SW 53/54, 179). Dies war wohl auch in einem ehrenwerten höheren Sinne gemeint, wäre im Hinblick auf die Gesamtheit seines Lebenswerkes gewiß ungerecht gewesen, doch es traf auf nicht wenige seiner Hervorbringungen zu. Arnold Hermann Ludwig Heeren (1760-1842), durch eine Vielzahl von Publikationen erfahren, in seiner Reputation damals noch haushoch über Ranke stehend, hatte wohl nicht Unrecht, als er im Juni 1831 an Perthes schrieb: „Der Mann scheint mit sich selber wegen seiner künftigen literarischen Unternehmungen nicht im Reinen zu sein.“ (Oncken/1922, 71). Nun dürfte hinter ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa‘, wie bereits der Titel sagt, ein anspruchsvoller, großer, wohl allzu großer Plan gestanden haben. Umso deutlicher die öffentliche Peinlichkeit eines erneuten Abbruchs nach nur einem einzigen Band. Darüber konnte und wollte der noch auf keinen ordentlichen Lehrstuhl gelangte, ohne Dissertation und Fakultätsvotum vom Ministerium okroyierte Neuling mit dem verschwindend geringen Hörerzuspruch nicht einfach, wie bei seinem abgebrochenen Erstlingswerk, hinweggehen. Seine Werkabbrüche müssen umso schmerzvoller gewesen sein, als sie sich unter den Augen unvergleichlicher, hochberühmter, in Preußen, Deutschland, ja über Europa hinaus bekannter Größen wie Alexander von Humboldt, Hegel, Schleiermacher, auch Boeckh, Raumer und Savigny, Carl Ritter vollzogen. Was war zu tun? So brachte er denn zusammenhanglos ein ganz und gar neues Werk in dieses Unternehmen ein, seine Darstellung der ‚Römischen Päpste‘, erhob den bishe- 34 -

I/1.2 Fehlgeplantes und Unvollendetes

rigen Werktitel ‚Fürsten und Völker‘ zum Reihentitel und ließ als dessen Bände II bis IV die Bände I bis III der ‚Päpste‘ einhergehen. Dieser verwirrende Zustand wirkt sich noch heute höchst nachteilig in Leihverkehr und Beleg aus. Die ersatzweise Unterbringung der ‚Päpste‘ unter dem Mantel der ‚Fürsten und Völker‘ war nun allerdings, wie sich später zeigen sollte, auch thematisch ein gänzlich mißlungener Schachzug, weil völlig unpassend, denn Päpste sind weder Fürsten noch sind sie Völker. Erst 1874 wurde der verwirrende Zustand mit der 6. Auflage der ‚Päpste‘ beendet. Bei dieser späten Aktion wurde das Werk endlich von der Bürde des unpassenden Reihentitels der ‚Fürsten und Völker‘ befreit und erhielt überdies einen neuen Werk-Titel: ‚Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten‘. Die während Rankes erster Wien- und Italienreise im Anblick des vorgefundenen Quellenreichtums spontan aufkommenden Pläne waren verständlicherweise von mannigfaltiger Natur. Eine Abhandlung über Don Carlos zerlegte er wieder in zwei Teile (an Perthes, 29. 9. 29, Oncken/1925, 222f.), deren ersten er 1829 in den von Kopitar herausgegebenen ‚Jahrbüchern der Literatur‘ erscheinen ließ, deren zweiten er hingegen fast 50 Jahre zurückhielt. Er dürfte 1877 als ‚Geschichte des Don Carlos‘ in den ‚Historisch-biographische Studien‘ wieder begegnen. Damals hat Ranke auch - nachdem ihm das von Savigny ans Herz gelegte Mediceische Archiv in Florenz eröffnet worden war (s. II/8.1.2) - ein „Heft über Mediceische Geschichte“ angelegt (an A. v. Reumont, nach 29. 12. 73, nicht abgesandt, FvR V/1904, 61), daraus jedoch nichts veröffentlicht. Ob die später in den ‚Historisch-biographischen Studien‘ mitgeteilten Abhandlungen ‚Savonarola und die florentinische Republik gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts‘ und ‚Philippo Strozzi und Cosimo Medici, der erste Großherzog von Toskana‘ (359-445) auf diese frühen Aufzeichnungen zurückgehen, ließe sich allenfalls aus dem Nachlaß klären. Ein enger Zusammenhang mit seinem AkademieVortrag ‚Über das Emporkommen der Mediceer in Florenz‘ vom 22. März 1841 darf vermutet werden. Von großartigerer Natur war sein Projekt einer ‚Geschichte Venedigs‘. Es wurde nicht realisiert. Mag sein, daß er von der Verwirklichung absah, um dem als Erzfeind empfundenen Heinrich Leo und seiner ‚Geschichte von Italien‘ (5 Bde, 1829ff.) nicht in den Weg zu treten. Auch von einer ‚Geschichte des modernen Roms‘ ist jetzt, gerade nach dem Ableben Niebuhrs (2. 1. 31) ungemein auffallend und prätentiös, aber unrealisiert die Rede. Schon in einem Brief an Bunsen vom 28. März des Jahres sprach Ranke davon, „sobald als möglich an Rom zu gehen“, das er „in dem zweiten Bande von Fürsten und Völkern behandeln will.“ (SW 53/54, 252f.) und teilte diesen Plan voreilig immerhin auch Kultusminister Altenstein mit (28. 8. 31, Lenz IV/1910, 469). Fünfzig Jahre danach glaubte er ein solches Unternehmen mit Band II seiner ‚Weltgeschichte‘ verwirklicht und Niebuhr übertroffen zu haben: In einem Widmungsschreiben an Kaiser Wilhelm I. bezieht er sich ganz direkt auf Niebuhrs ‚Geschichte Roms‘, wobei er bemerkt, Niebuhr sei darin „doch nicht weit über die frühesten Zeiten von Rom hinaus vorgedrungen. In dem vorliegenden Bande habe ich dagegen die erste Zeit nur kurz behandelt und die Gesamtgeschichte der Republik bis auf die Zeiten des Kaisertums zu umfassen gesucht.“ (Brief vom 15. 12. 81, NBrr 697). Auch bei einer Begegnung mit Varnhagen war er „auf Niebuhr gar nicht gut zu sprechen“ Tagebuchblätter Varnhagens zu einer Begegnung am oder vor dem 2. Juni 1858 (Wiedemann: L. v. R. u. V. v. E./1901, 365).

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I/1.2 Fehlgeplantes und Unvollendetes

Anfang 1831, „mit gar mannigfaltigem Stoff“ auf der Rückreise aus Italien, gingen seine Pläne hinsichtlich der ‚Fürsten und Völker‘ noch erheblich weiter, denn nicht allein ‚Rom‘ wollte er darin behandeln: „Fürsten und Völker“, so schrieb er Perthes am 5. Febr. während eines Zwischenaufenthalts in München, „müssen unter anderm reformirt und erweitert werden. Einmal bin ich Willens, Frankreich aufzunehmen, über welches Land meine venezianischen Entdeckungen besonders wichtig sind, sodann in allem bis gegen die Zeiten der Revolution heranzugehen... Fertig ist davon freylich wenig.“ (Oncken/1925, 227). Erweiterungen dieser Art kamen jedoch nie zustande. Dem Folgemonat - er hatte es nicht eilig, nach Berlin zurückzukehren - entstammt seine neue Verheißung: „Jetzt denke ich ungefähr den 20. März in Berlin zu sein. Ich werde mich sogleich einrichten und unverweilt an meinem zweiten Band anfangen.“ (4. 3. 31, NBrr 143). Nach alledem mußte es wie Hohn, zumindest wie Phantasterei klingen, daß er in demselben Brief seine Absicht kundtat, „jetzt einen Band kritischer Untersuchungen über causes célèbres der neueren Geschichte zu vereinigen“ und daran Spekulationen über einen passenden Verleger anzuschließen, zumal er erklärte, in seinen „Sachen auf eine fast lächerliche Weise gewissenhaft“ zu sein (ebd.). Aus diesen Plänen wurde jedoch nichts. Rankes zweites Werk ging nach Bruch mit seinem zweiten Verleger - wie auch seine ‚Serbische Revolution‘ und die 1832 begonnene ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ - an den mit Perthes in Verbindung stehenden Verlag von Duncker und Humblot über. - Auf den Gedanken der causes célèbres übrigens hatten ihn in der Münchener Bibliothek wohl Papiere in Zusammenhang mit der Geschichte Wallensteins gebracht, die er allerdings erst 1869 und in anderer Weise verwirklichte. Zeitlich und gattungsmäßig sehr nahe stand dem Celebritäts-Gedanken sein Werkchen ‚Über die Verschwörung gegen Venedig‘ von 1831. Doch einen Sammelband dieser Art hat er nie veröffentlicht. Vor allem die seit 1832 von Ranke im preußischen Regierungsauftrag herausgegebene, aufgrund ihrer in „verzagtem Hin- und Herschwanken“ (En., 1833, Sp.193) sich ergehenden antiliberalen Tendenz weitgehend abgelehnte ‚Historisch-politische Zeitschrift‘, welche der mit Karl Marx befreundete Karl Friedrich Köppen (1808-1863) in den von den ‚Junghegelianern‘ Th. Echtermeyer u. A. Ruge herausgegebenen ,Hallischen Jahrbüchern für deutsche Wissenschaft und Kunst‘ als „historisches Schellengeklapper“ zur Besänftigung der „guten Deutschen, die nach der Julirevolution etwas unruhig geworden waren“, wertete ([Köppen]/1841, Sp. 435), war nach zwei Bänden am Ende, - überwiegend von Ranke selbst in eine glänzende Sackgasse geschrieben. Von den ursprünglich vorgesehenen sechs Heften jährlich erschienen 1832 lediglich vier, und die nächsten vier verteilten sich gar auf die folgenden vier Jahre. Bereits in ihrem ersten Jahr war sie in eine Krise geraten, ja die nahende Katastrophe hätte eigentlich schon zu Zeiten des ersten Heftes sichtbar werden können. Von dessen 174 Seiten stammten nicht weniger als 165 von Ranke selbst. Nach dem ersten Band kam es bereits zu einem Verlagswechsel, da der rechtschaffene Anreger des Unternehmens, Perthes, im Hinblick auf die staatliche Finanzierung bei geringem Erfolg die verlegerische Verantwortung nicht mehr glaubte tragen zu können und Ranke überhaupt eine andere Konzeption vorschwebte als die ursprüngliche des Verlegers. Doch Ranke hatte sich ja mit diesem Unternehmen am Beginn einer „gefährlichen, aber ... großen Laufbahn“ (an HR, 21. 11. 31, SW 53/54, 258) gesehen und in permanenter, kaum zu überbietender Selbstüberschätzung geglaubt, sein Blatt könne „allmählig die beste Zeitschrift in Europa werden.“ (an Perthes, 24. 12. 31, Oncken/1925, 230). Sie wurde - 36 -

I/1.2 Fehlgeplantes und Unvollendetes

eine der kurzlebigsten. - Ein erstmaliger Vergleich des Inhalts der Zeitschrift mit dem in ihrer Einleitung von Ranke ausgebreiteten systematischen Programm zeigt deutlich, wie weit er hinter diesen ehrgeizig unrealistischen Zielen zurückblieb. Es werde, so war dort und zuvor in einer Ankündigung der ‚Leipziger Literatur Zeitung‘ (No. 97, Lpz., Apr. 1832, Sp. 771f.) zu lesen gewesen, in einer ersten Abteilung darauf ankommen „die innere Entwickelung der europäischen Staaten seit 1789, vornehmlich aber seit 1815“, darzulegen. Doch hat er u. a. Spanien, Portugal und Schweden außer acht gelassen und von Entwicklungsgeschichte kann kaum die Rede sein. In einer zweiten Abteilung sollten „die deutschen Verhältnisse“ ins Auge gefaßt werden, dabei „vorzüglich“ der „Zusammenhang der Institutionen des preussischen Staates“ erläutert und „seine Richtung und innere Entwickelung aufmerksam“ begleitet werden. Es finden sich zwar je ein Beitrag über preußische Städteordnung, preußisches Zollwesen und preußische Handelspolitik, jedoch wenig über deren Zusammenhang. Eine dritte Abteilung sollte Aufsätzen „historischen“ und „allgemeinen Inhaltes“ offen stehen. Hieran werde sich in einem Anhang „eine Uebersicht der öffentlichen Stimmen aus Flugschriften und Zeitungen reihen“. Auch dies ist hinsichtlich der Flugschriften nur sehr eingeschränkt und für Zeitungen nicht durchgeführt worden. - Seine Zeitschrift scheiterte in zweifacher Hinsicht: Sie fand nicht nur zu wenig interessierte Abnehmer, sie fand auch zu wenig Beiträger. Selbst Rankes späterer Bewunderer Max Lenz mußte - übertreibend - zugeben: „der Kreis seiner Leser war nicht viel größer als der seiner Mitarbeiter“ (Lenz: Die Bedeutung/(1918)/1922, 283). Auch die nachdrücklichen, mehrmaligen Bitten Savignys konnten etwa die Grimms nicht zu einem Beitrag bewegen (s. I/2.1.4). Kontakte zu Beiträgern suchte Ranke nicht nur durch Savigny, sondern auch durch seinen Verleger zu erlangen, den er so reichlich mit entsprechenden Aufträgen bedachte (an Perthes, 31. 1. 32, Oncken/1925, 232-234), daß er sich schließlich ihm gegenüber die Erklärung abringen mußte: „Auch haben Sie schon an diesen Aufträgen genug“ (20. 2. 32, Oncken/1925, 237. Dazu Neues bei Moldenhauer/2008, 553). Zudem hatte Ranke wohl die Rolle von Herausgeber und beitragendem Autor, die natürlich, besonders zu seiner Zeit, keine gänzlich ungeteilte war, sein mußte oder sein konnte, gründlich mißverstanden und in seiner hierbei unangebrachten Scheu vor dezidierten Aussagen auch das von einem Wissenschaftswerk in Machart, Intention und Publikum unterschiedliche Wesen einer Zeitschrift fehlgedeutet. Von den 41 Beiträgen der HPZ verfaßte er selbst 24, von den gut 1600 Seiten ihres Umfangs schrieb er selbst zwei Drittel. Freilich verdient dies keine Bewunderung, wie heute gelegentlich anklingt, sondern ist Ausdruck des Scheiterns. Letztlich ist es wohl so, daß er dieses Übermaß an Beitrags-Anzahl und -Umfang verfaßte, ja verfassen mußte, da er allzu wenige Beiträger suchte oder fand oder diese seinen hohen Ansprüchen nicht genügten. Der ihm attachierte Regierungsrath und Dichter Joseph Frhr. von Eichendorff - Ranke lehnte auch eines seiner Beitragsangebote ab - blieb wirkungslos (s. F. A. v. Stägemann an Ignaz v. Olfers, 9. 4. 32, Briefe und Aktenstücke III/1902, 495). So wurde seine Arbeitslast immer größer und die Zeitschrift immer langsamer. Ein mühevolles Sterben. Als Achtzigjähriger sah er ein: „Das Unternehmen ging eigentlich über meine Kräfte.“ (3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875, SW 53/54, 50). Nicht zuletzt stand auch, unabhängig vom anspruchsvollen Inhalt, allein der gewaltige, fast buchartige Umfang mancher seiner Beiträge der gesollten politischen Wirkung entgegen. Doch es war natürlich leichter, eine vertraute, beherrschte, begrenzte Themenzahl nahezu unbegrenzt selbst zu behandeln, als eine nicht zur Verfügung stehende größere Themenzahl in angemessen geringerem Umfang - 37 -

I/1.2 Fehlgeplantes und Unvollendetes

durch nicht vorhandene Dritte behandeln zu lassen. Der Gedanke liegt nahe, daß er die Peinlichkeit des überwiegenden Alleinschreibens durch eine - freilich nicht unübliche Anonymität seiner und einiger anderer Beiträge zu verdecken suchte. Er stand nun neben einer Fülle nicht realisierter Pläne vor seinem dritten abgebrochenen publizistischen Bauwerk. Ranke war kein auf kollektives Wirken bedachter oder gar angewiesener Wissenschaftler: Er hatte den Satz verinnerlicht: „Chi ha compagno, ha padrone“ (an W. Giesebrecht, 13. 12. 62, NBrr 425). So sehr er sich später wissenschaftsorganisatorisch interessiert, projektierend befähigt und nachhaltig einflußnehmend zeigte, so wenig hat er sich nach seinem Scheitern als Zeitschriften-Herausgeber nach Möglichkeit an publizistischen Gemeinschaftsunternehmungen beteiligt. Die ihm 1838 angetragene Leitung der ‚Preußischen Staatszeitung‘ - eine „so zerstreute und zerstreuende Beschäftigung..., der ich nicht gewachsen bin, die mich zerstört“ (an Johann Albrecht Eichhorn, 11. 3. 38, FvR I/1904, 84 und weitere Briefe an dens. Helmolt: Polit. Aufs./1907, 562f. und an seinen Bruder Heinrich SW 53/54, 302f.), lehnte er entschieden ab. - Gemessen an den gewaltigen Dimensionen seines Gesamtwerks und im Vergleich mit den Produktionen seiner Kollegen finden sich aus seiner Feder nur verschwindend wenige Beitrage zu Gemeinschaftswerken, Serien, Sammelwerken (ADB) und Zeitschriften. Offensichtlich scheute er in der enormen Konzentration auf seine großen Werke die zeitlichen Verpflichtungen und personellen wie inhaltlichen Abhängigkeiten von Kollegen und gar Kollektiven. Wohl unter dem Eindruck der hochrenommierten Mitwirkung der Herren A. Boeckh, J. und W. Grimm und G. H. Pertz hat er sich - sehr skeptisch - zu einer herausgeberischen Teilnahme an einem weiteren Periodicum bitten lassen. Es war die von seinem Früh-Schüler Wilhelm Adolph Schmidt herausgegebene ‚Zeitschrift für Geschichtswissenschaft‘, die allerdings, als wäre Ranke Hauptherausgeber gewesen, schon nach zwei Jahren und vier Bänden ihren Titel wechselte und nach vier Jahren und neun Bänden ebenfalls an ihr frühes Ende kam. Ranke hat sich später herausgeberisch nur noch der ‚Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde‘ formell zur Verfügung gestellt, die zwischen 1864 und 1883 immerhin 20 Jahrgänge erreichte. Bezeichnenderweise erhielten beide Zeitschriften von ihm nichts Eigenes, Persönliches. Er überließ ihnen lediglich Editorisches in kleiner Münze: zum einen aus dem British Museum, London, zum anderen aus dem Kgl. Preuß. Staatsarchiv Berlin. Später sah er sich auf absoluter Höhe angelangt. Da mußte ihm jedes nähere Zusammengehen mit Kollegen wie eine Entwürdigung seiner Person erscheinen. Man erkennt: Die bisher in der Literatur als Abbruchobjekte bewußten ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ und die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ stehen bei weitem nicht allein. Vorausgegangen war ihnen bereits im Reformationsjahr 1817 nach und neben allerlei literarischen Versuchen der ehrgeizige und ausgebreitete Versuch eines Werkes über Luther. Auch die später von ihm herausgegebenen, wissenschaftshistorisch bedeutenden, von seinen ersten Schülern verfaßten ‚Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause‘ wurden nach drei Bänden (1837-1840) abgebrochen. Siegfried Hirsch (1816-1860) hatte schon anfangs über das „eher schläfrige, als eifrige“ Betreiben der Jahrbücher durch seinen Lehrer geklagt (an Waitz., 6. 12. 36, Jugendbriefe von Georg Waitz/1920, 247, A. 2), so auch Waitz (1813-1886) selbst über „das immer noch nicht Erscheinen“ (246f.) seines eigenen Werkes in den ‚Jahrbüchern‘ (an Ernst Adolf Herrmann, 4. 2. [1837], ebd., - 38 -

I/1.2 Fehlgeplantes und Unvollendetes

246f.). Der dritte Band enthielt noch eine sogenannte ‚Erste Abteilung‘, der jedoch nie eine zweite folgte, und bemerkenswert ist auch: Er enthielt kein Jahrbuch mehr, wie es der Titel der Reihe verlangte, sondern aushilfsweise und wiederum gänzlich unpassend auffüllend eine Abhandlung. Dieses Ende war nicht einmal ganz erreicht, da hatte Ranke zur Jahreswende 1838/39 bereits ein neues Projekt für seine Schülergruppe ins Auge gefaßt, eine „kritische Durchforschung der Geschichte des alten Papstthums“. Er entwickelte es in Briefen vom [9. 12. 38] und 27. 1. 39 an Waitz (53/54, 306f., 307f.). - Der Plan umfaßte sechs Bände und sollte bis zu den Avignonschen Päpsten und den Konzilen reichen. Als Verfasser waren Rankes alte Schüler Roger Wilmans (1812-1881), Rudolf Anastasius Köpke (1813-1870), Hirsch, Waitz, Wilhelm Giesebrecht (1814-1889) und Wilhelm von Doenniges (1814-1872) vorgesehen. „Ich denke den lebendigsten Antheil zu nehmen ....“ (ebd. 308), versicherte Ranke und stellte bereits Honorar in Aussicht. Der Plan wurde jedoch aus noch unbekannten Gründen nicht verwirklicht. Ebenfalls unrealisiert blieb das Vorhaben einer differenzierten Editionsreihe „Monumenta historiae Brandenburgo-Borussicae“, 1841 (s. II/4.1.2.), und nicht minder der Plan einer „kritischen Bearbeitung der karolingischen Periode“, von ihm „und einigen jüngeren Freunden“ beabsichtigt. Dafür erhielt er gar im voraus eine „reichliche und unerwartete“ finanzielle Beihilfe durch Kg. Maximilian II. v. Bayern (R an M., 30. 4. 55, SW 53/54, 372). Hermann Oncken vertrat übrigens die Auffassung, Rankes ‚Preußische Geschichte‘ sei „im Grunde ein Torso“ geblieben, wozu das „äußere Erleben“ wohl beigetragen habe (Oncken/1922, 79). Dies empfand auch Hans Delbrück (1848-1929) in seinen weltgeschichtlichen Vorlesungen, in denen er von Rankes „ungleichmäßiger und fragmentarischer Darstellung gerade der preußischen Geschichte“ sprach (Delbrück III, 1926, 638. - Siehe auch ebd., 469). Hier sei geschlossen mit Rankes nicht verwirklichtem Plan eines „Leben Jesu“. Er hatte ihn Mitte der 1840er Jahre im Zusammenhang mit einer Reise zu den „heiligen Stätten im Orient“ gefaßt, die später wohl mit Rücksicht auf die Gebrechlichkeit seiner Frau unterblieb (an OvR, 25. 5. 73, Dove: Erinnerungen/1895, 874).

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3. Kapitel (I/1.3) ATELIER UND AMANUENSEN Während Rankes wichtigster Amanuense, Dr. Theodor Wiedemann, in seinen Erinnerungen den handwerklichen Begriff ‚Werkstatt‘ wählte (Sechzehn Jahre in der Werkstatt Leopold von Ranke’s, Wiedemann/1891-1893), bevorzugte Ranke für seinen Arbeitsbereich, mag sein, nicht ganz ohne Ironie, jedoch auch getragen von dem Bestreben, in seinen Werken eine Einheit von Wissenschaft und Kunst zu erreichen, den Begriff ‚Atelier‘ (Brief an HR., 1. 3. 55, NBrr 367 u. an Geibel, 21. 12. 82, Geibel/1886, 148). Innerhalb und außerhalb dieses Ateliers verfügte Ranke über eine erstaunlich große Zahl hilfreicher Geister. Er rekrutierte sie eine Weile - mit der üblichen Sorglosigkeit aus dem Kreis der Familie - Gattin und Söhne - jedoch überwiegend aus Studenten, frisch Promovierten und jüngeren Kollegen. Von seiner Frau Clara ist bekannt, daß sie bis zum baldigen Ausbruch ihrer Krankheit für ihn in Düsseldorf ein „recht wichtiges Dokument über die Zeiten Richelieus“ und auch in Brüssel „einige Dokumente“ abgeschrieben hat (R. an FR., 2. 9. 52, NBrr 347). In London, 1857, kopiert Luise Ranke, geb. Tiarks, die Schwiegertochter seines Bruders Heinrich, für ihn: „Sie begleitet mich fast täglich ins Museum und kopiert italienisch für mich.“ (an HR, 12. 4. 57, NBrr 377, auch bereits in Briefen an CvR, 26. u. 29. 3., 4. 4. 57, SW 53/54, 385, 389, 392). Wahrscheinlich ist es zu begrüßen, daß sich schließlich ein Italiener fand, der diese Arbeit übernahm (R. an CvR, 16. 4. 57, NBrr 379). 1862 gibt man Ranke im Londoner Archiv „einige junge Leute“ zur Hilfe bei, denn während er in Frankreich „die besten Reinschriften zu lesen hatte“, hat er hier die „unleserlichsten Concepte zu entziffern. Zuweilen ist das ganze Archiv über ein Wort - nämlich, wie es zu lesen sei - in Entzweiung.“ (An CvR, [Aug.] 1862, 418). Auch Rankes Söhne werden bei Auslandseinsätzen zum Kopieren mitgeführt. Mit dem älteren Sohn Otto (1844-1928) unternahm Ranke Archivreisen nach Venedig (Okt. 1863) und Wien (Okt. 1873, OvR/1923), wo er ihm im Kaiserlich Königlichen Staatsarchiv „so manches zum Abschreiben“ überließ (OvR 47/48, 1923, 17). Der jüngere, Friduhelm (1847-1917), berichtet ausführlich über die aufgrund der Knauserigkeit seines Vaters entbehrungsreiche gemeinsame Archivreise von Mai bis August 1865 nach Paris, London, Windsor, Dublin, Cheltenham, Den Haag (FvR/1903, 189194). In Paris oblag ihm bereits die Aufgabe - der Siebzehnjährige hatte gerade sein Abiturexamen bestanden -, Abschriften in verschiedenen Bibliotheken (R. an ER, 22. 5. 65, SW 53/54, 442f.), dann auch täglich, vor- und nachmittags, Abschriften aus den Akten des Kriegsministeriums zu fertigen, die später in den Analekten der ‚Englischen Geschichte‘ Aufnahme fanden. Weitere Abschriften nahm Friduhelm im British Museum. Dort hatte es, wie Ranke berichtet „viel Schwierigkeit“ gegeben, für seinen Sohn „die Erlaubnis zu erlangen, mit mir zu arbeiten und für mich zu schreiben“ (an CvR, London, 19. 6. 65, NBrr 446). Auch fand dieser „das bloße Abschreiben der alten Berichte doch recht öde“ (FvR/1903, 192). Im Schloß Windsor erhielt er Gelegenheit, aus den Stuart-Papers „sogleich einiges“ abzuschreiben (R. an CvR, 19. 6. 65, NBrr 447). Bedenklich ist daran nicht nur die mangelnde Bildung und Reife, sondern auch die Handschrift Friduhelms, über den Ranke schrieb, er wetteifere mit seinem Vater „in undeutlicher Schreiberei“ (R an seine Tochter Maximiliane, 25. 7. 65, NBrr 451). - 40 -

I/1.3 Atelier und Amanuensen

Bei der Vielzahl und dem gewaltigen Umfang der von Ranke visitierten Archivalien war der Einsatz von Kopisten nicht zu vermeiden, aber auch nicht unproblematisch und wohl gelegentlich, zumal wenn es ans Exzerpieren ging, kaum zu verantworten. Weitere Archivhelfer, freilich wesentlich qualifiziertere und z. T. von erstaunlich weitreichendem, in anderer Hinsicht wenn nicht bedenklichem, so doch bedenkenswertem Einfluß, gewann Ranke aufgrund seiner hohen Reputation allerorten. Aus Paris berichtet Hans Heinrich Vögeli (1810-1874) in einem Brief an Ferdinand Meyer, 20. 10. 39: „Herr Professor Ranke, der gestern von Paris abreiste, beauftragte mich, Sie bestens zu grüßen: wir arbeiteten während seines Aufenthaltes in hier zusammen; auch gab ich ihm meine Exzerpten aus den Depeschen der französischen Gesandten des 16. Jahrhunderts.“ (Vischer/1953, 391, A. 15). In England traf Reinhold Pauli (1823-1882) 1852 Ranke, „mit dem und für den ich viel gearbeitet habe“ (Pauli/1895, 179). In Wien ist es im Oktober 1873 (nicht 1883!) August Fournier (1850-1920), der ihm von Ottokar Lorenz (1832-1904) für Archivarbeiten empfohlen wird (Fournier/1923, 106f., 130f.). Er sollte für Ranke „Extracte“ machen (R. an A. v. Arneth, 12. 11. 73, Henz/1972, 315). Ranke wußte sich auch der Beihilfe von Archivaren zu versichern: Ein häufig beschäftigter Dr. Carl Platner, Bibliothekar und Archivar, liest im Sept. 1868 mit Korrektur (Geibel/1886, 7), d. h., er kann „die Citate nachsehen und verificiren“. Er wird in der Korrespondenz Rankes mit seinem Verleger auch noch 1869 (15), 1870 (20, 23), 1871 (26) und 1872 (37) genannt. Ein Archivar Dr. Sudendorf kollationiert für die Ausgabe der Briefe der Elisabeth Charlotte, Herzogin von Orléans, die Druckbogen mit dem hannoverschen Archivmaterial (11f.). Zu den qualifizierteren gelegentlichen Helfern zählen auch Rankes wissenschaftlich tätige Brüder Ferdinand (1802-1876) und Ernst Constantin (1814-1888) - dieser Professor der Theologie, jener Philologe. Ferdinand unternahm, während Ranke in Paris und London weilte, die „beschwerliche Korrektur“ von Bd. V der ‚Deutschen Geschichte‘, (R an FR, 8. 7. 43, NBrr 298). Auch bei anderen Auslandsreisen Rankes, so 1857 (London) und 1858 (Venedig) war Ferdinand in der Heimat korrigierend tätig. Seine Mühe war Ranke „unschätzbar“ (an FR, 10. 10. 58, NBrr 395). Zudem war Ferdinand an der „Verbesserung“ von Bd. II der DtG, 5. Aufl. und bei den PÄPSTEN I, 6. Aufl. beteiligt (Ranke an Geibel, 6. 2. 73, Geibel/1886, 45). „Ranke ist jedoch hierin“, wie sein Amanuense Wiedemann wußte, „auch von andern unterstützt worden, wie denn der dritte Band der ‚Deutschen Geschichte‘ (für die fünfte Auflage) und der erste Band der römischen Päpste (behufs der sechsten Auflage) von seinem Bruder Ferdinand, der zweite dieses letzteren Werkes von Fräulein Henriette Michaelis, der Herausgeberin eines italienischen und portugiesischen Wörterbuches, durchgesehen worden sind.“ (Wiedemann II/1891, 326f.). Vermutlich ist sie das „gelehrte Fräulein“, das nicht nur Korrektur las, denn Ranke bemerkt alsdann: „Ich hoffe nun doch zu einem leidlich lesbaren Text zu gelangen.“ (an seinen Verleger, 21. 10. 77, Geibel/ 1886, 109). Diese unbegreiflich qualifizierte Hilfe muß für ihn, der als lebenslanger Verehrer jugendlich schöner Weiblichkeit strikt gegen Frauenbildung war - für die eigene Tochter wollte er „gar nichts von der Schule wissen“ (FvR, 1903, 9) -, eine besondere Irritation dargestellt haben. Sein Bruder Ernst Constantin diente ihm 1847 bei Arbeiten im Wolfenbütteler Archiv als Kopist und Exzerpierer friderizianischer Briefe und Gesandtschaftsberichte (ER an HR, 28. 11. 47, Hitzig/1906, 206), unterstützte ihn später bei der ‚Weltge- 41 -

I/1.3 Atelier und Amanuensen

schichte‘ auch in den Analekten zur alttestamentlichen Literatur (in WG III/2), wozu aufschlußreicher Briefwechsel vorliegt (von Anfang Mai, 31. 8. u. 1. 9. 81 sowie 22. 12. 81 bei Hitzig/1906, 335-337, 341). Generalkonsul Georg Rosen in Belgrad unterzog die Bogen von ‚Serbien und die Türkei‘ einer Revision (Geibel/1886, 123f.). Der mit Ranke befreundete Edwin von Manteuffel (1809-1885), zeitweilig Flügeladjutant des Königs, erhielt, wie aus der Korrespondenz ersichtlich, Einfluß auf die Darstellung Friedrich Wilhelms IV. (s. I, 72). Auch von Rankes ‚Ansicht des siebenjährigen Krieges‘ (in: ‚Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg‘, 1875, 271-383) hat Manteuffel die Druckfahnen zur Korrektur erhalten, und dies gewiß nicht zur Behebung von Setzerfehlern. (Siehe dazu seinen Brief an Ranke vom 3. 8. 75 bei Dove: Schriftchen/1898, 271). Hierhin gehört auch die Hilfe oder der Rat Alfred von Reumonts (1808-1887) bei Rankes Aufsatz über ‚Savonarola und die florentinische Republik gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts‘, der erweitert in die ‚Historisch-biographischen Studien’ aufgenommen werden sollte. Dies machte „eingreifende Untersuchungen erforderlich, die einen wiederholten Gedankenaustausch mit Alfred von Reumont begleiteten.“ (Helmolt/1921, 57f.,143f.). Sie hatten 1830 in Florenz eine Reihe gemeinsamer Tage verbracht. - Ranke erhoffte sich aus Reumonts Kenntnis der „Localitäten und Familien … einige Verbesserungen“ (R an seinen Verleger, 28. 6. u. 29. 8. 77, Geibel/1886, 105, 107f.), und dieser erklärte sich bereit, die Korrekturbogen zu lesen. Einen weiten Kreis wechselnder Helfer bildeten Rankes Amanuensen, ein von Ranke geschätzter Begriff, da er ja wörtlich nicht mehr als ‚Handlanger‘ bedeutet. Höher qualifizierte Bezeichnungen, wie ‚Assistent‘, lehnte er wegen der damit verbundenen „unerträglichen Anmaßung“ entschieden ab (Wiedemann II/1891, 325). Entsprechend seiner bereits betrachteten familiär geübten extremen Dominanz erwartete er von ihnen eine „rege, ungeschmälerte, in gewissem Grade selbstlose Hingebung an das jedesmalige Object seiner Studien“ (Wiedemann IV/1892, 212), eine „unbedingte Hingabe an sich und an seine Arbeit“ (P[aul] B[ailleu]: Leopold v. Ranke/1895, 1). Sein gesondert zu betrachtender Hauptamanuense Theodor Wiedemann führte den Beginn des regelmäßigen Einsatzes dieser Kräfte spätestens auf die Mitte der 1850er Jahre zurück, ja, er vermutete, diese Dienstverhältnisse könnten schon seit 1831 bestanden haben (Wiedemann II/1891, 324). Sie sind wohl noch früher anzusetzen. Schon bei den ersten, voritalienischen Vorlesungen Rankes war einer seiner Frankfurter Schüler bei ihm als Amanuense tätig (s. II/5.1). Formen wissenschaftlicher Dienstbarkeit waren Ranke schon seit seiner Schulzeit vertraut. Nicht allein das in der Klosterschule Pforta unter den Schülern als Unter-, Mittel- und Obergesellen hart praktizierte Dienst- und Lehrverhältnis dürfte - gelegentlich leidvoll - prägend gewesen sein, besonders in seiner Famulatur bei Prof. J. G. Schmidt hatte Ranke sich in der ehrenvollen Nachfolge Fichtes sehen dürfen (HR/21886, 37f.). Ein Anonymus, der auch Rankes Vorlesung vom Wintersemester 1857/58 besuchte, berichtete in einem Artikel über ‚Die Berliner Universität‘ öffentlich von Rankes Praktiken wie folgt: „Ranke hat geringere dienstbare Geister in seinem Solde, die für ihn die Bibliotheken nach alten Chroniken, und diese wieder nach besonders angedeuteten Stellen durchforschen: so sieht man in dem Lesezimmer der königlichen Bibliothek oft einen alten, kümmerlichen Doctor in einem Rock, der recht fadenscheinig ist, und man hört ihn leise als einen derer bezeichnen, die für Ranke arbeiten. Es hat dies Aehnlichkeit mit der Art der - 42 -

I/1.3 Atelier und Amanuensen

großen Meister, die den kleinen herabgekommenen Proletarier in halbem Handwerkersolde stehen haben. Man wagt das nicht zu tadeln, Angesichts einer so ungeheuren Thätigkeit, wie sie Ranke in der raschen Folge seiner Bände entwickelt...“ ([Anonym] in: Berliner Revue/1858, 321). Seit Herbst 1871, also seit dem Tod der Gattin und dem Ende seiner Vorlesungstätigkeit, beschleunigte Ranke - wieder zum Junggesellen geworden und mit dreiköpfigem Aufwartungspersonal versehen - die Produktion und hielt zwei Amanuensen gleichzeitig (Wiedemann V/1892, 350). Einige dieser Hilfskräfte erlangten später eine nicht geringe eigene Bedeutung. Zu nennen sind - in ihren späteren Funktionen - v. a.: der Direktor der preußischen Staatsarchive, Paul Bailleu (1853-1922), der Kgl. Archivdirektor Georg Winter (1856-1912) von April 1877 bis Sept. 1879, der spätere Prof. Wilhelm Pfeifer (1880/81, nicht ADB/NDB), Anton Hagedorn, Ignaz Jastrow (18561937), Prof. für Nationalökonomie, von Okt. 1879 bis 1880, Prof. Wilhelm Altmann, der Hg. der Dt. Literaturzeitung, Paul Hinneberg (1862-1934), Georg Gäbel und Max Handloike (Wiedemann II/1891, 323; Hoeft/1937, 8ff.), auch kurze Zeit der Historiker Prof. Max Lehmann (1845-1929, [Selbstdarstellung]/1925). Einige haben interessante Erinnerungen über ihre Tätigkeit in Rankes Atelier hinterlassen, neben den ausführlichsten und wichtigsten von Theodor Wiedemann sind es die von Bailleu, Winter und Jastrow. Die Erinnerungen Paul Bailleus - in seiner Studienzeit war er von Sommer 1873 bis 1876 als Amanuensis tätig - gelten v. a. der Arbeitsweise Rankes und der Entstehung der Werke dieses Zeitraums, der ‚Genesis des Preußischen Staates‘ und den ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘. 1876 war Bailleu zeitweilig mit der Abschrift der Dokumente zu ‚Hardenberg‘ beschäftigt (an Geibel, 13. 9. 76, Geibel/1886, 93) - in erster Linie aber war er bei dem ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792‘, 1875 erschienen, tätig. (Siehe dazu in Abt. II/1 unter ‚Ursprung ...‘ 1875 und II/7, 1873). Die Erinnerungen von Georg Winter, als Student von April 1877 bis Sept. 1879 Amanuense, später Direktor des Staatsarchivs Magdeburg (Winter: Erinnerungen an Leopold von Ranke/1886), bilden eine beachtenswerte Quelle v. a. zur Arbeitsweise und zur Bibliothek Rankes, zur Entstehung der Biographien Friedrich Wilhelms IV. und Friedrichs d. Gr. sowie der ‚Weltgeschichte‘. Nach Rankes Tod war Winter an der Herausgabe der ‚Weltgeschichte‘, Bd. VIII u. IX beteiligt (s. II/2.1.1). - Seine Schrift ‚Ranke und die Entstehung seiner Weltgeschichte‘ (1889) stellt im wesentlichen eine gestraffte Fassung der ‚Erinnerungen‘ dar. Der spätere Professor für Nationalökonomie Ignaz Jastrow, der von Okt. 1879-1880 Amanuensis Rankes war, berichtet aus Anlaß von Rankes Tod über „einige kleine Irrthümer“ der Ranke-Biographik, wobei er u. a. den Beginn der Arbeiten an der ‚Weltgeschichte‘, Rankes Arbeitsstil und Manuskripte behandelt. (In: Jastrow: Leopold von Ranke†/1886 u. [Jastrow: Zuschrift]/1886). Unter den zahlreichen Amanuensen Rankes ist Dr. phil. Theodor Wiedemann (1833?-1901?), Hörer Rankescher Vorlesungen der Jahre 1854 bis 1856 und Teilnehmer an seinen historischen Übungen, mit weitem Abstand der für Ranke wichtigste geworden. Wiedemann zufolge hat Ranke ihm gegenüber bei Beginn seiner Amanuensentätigkeit im Oktober 1870, wenige Monate vor dem Tod seiner schon lange schwer leidenden Frau, geäußert, „ihm liege ... die Ausführung noch mancher litterarischen Entwürfe am Herzen, dabei wünsche er meine Unterstützung zu haben, er - 43 -

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beabsichtige eine Art geistiger Vermählung mit mir einzugehen“ (Wiedemann I/1891, 167). Die heute selten herangezogenen Erinnerungen des Privatgelehrten (Wiedemann I/1891-XV/1893) stellen eine Quelle ersten Ranges für nahezu alle Bereiche der Ranke-Forschung dar und sind unter den ihn berührenden zeitgenössischen Memoiren von einmaliger Reichhaltigkeit. Ihr Wert liegt nicht zuletzt darin, daß sie vorwiegend eine Zeit betreffen, die von den autobiographischen Diktaten Rankes (in SW 53/54) nicht mehr abgedeckt ist. Sie berühren u. a. den Tod Clarissa v. Rankes, die Herausgabe von ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ (1873), Rankes Korrekturverhalten [I], die Herausgabe der ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘ (1874) [I-II] und des ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792‘ (1875), sodann Rankes sonstige Amanuensen [II], die Stilistik seines Werks [III], die ‚Weltgeschichte‘, besonders deren römischen Teil, die Vorlesungen (für den Nachlaß von Bedeutung) [IV-V]. - Enthalten ist auch die Wiedergabe von Äußerungen Rankes über einzelne Persönlichkeiten: Ancillon, Chr. D. Beck, Bismarck (s. u.), Bunsen, Friedrich Wilhelm III. u. Friedrich Wilhelm IV., Gentz, L. v. Gerlach, Karl XII., E. v. Manteuffel (s. u.), O. v. Manteuffel, Napoleon I., J. v. Radowitz, Roon, Varnhagen v. Ense, E. K. Wieland [VI]. - Sodann berichtet Wiedemann über Rankes ‚Historischpolitische Zeitschrift‘ und, in Form einer die eigentlichen Erinnerungen sprengenden Abhandlung, ausführlich über die politischen Denkschriften Rankes und seine Stellung zu den politischen Ereignissen [VI ff.]. - Ferner über Harry Gf. v. Arnim, nochmals Bismarck, Judenfrage [XIII], erneut E. v. Manteuffel [XIII-XIV], die ‚Weltgeschichte‘, Rankes Religiosität und Selbstgefühl, Gf. Friedrich zu Dohna, Lepsius, Plato, Treitschke, Waitz, K. W. Nitzsch, W. A. Schmidt, Papencordt, Maurenbrecher [XIV]. Besuche des Kronprinzen Friedrich. Über Rankes Bibliothek; Vortragsstil; Hegel, Schelling, Heinrich Ritter, Eugen Dühring, Ed. v. Hartmann, Goethe, Schiller, Wildenbruch, Schlosser, Schröckh, Droysen, Friedrich v. Raumer, Boeckh, Mommsen, Letzte Tage, Tod [XV]. Für Wiedemann, der „recht eigentlich seine ausschließliche Lebensaufgabe darin zu sehen schien, mit Ranke und für ihn zu arbeiten“ (Winter: Erinnerungen/1886, 216), war neben dem vormittags von etwa 9.30 bis 14 Uhr tätigen jeweiligen Sekundäramanuensen abends von etwa 19 Uhr bis Mitternacht oder darüber hinaus, auch an Sonn- und Feiertagen, gemeinsam mit Ranke bei der Arbeit. Wiedemann war ein ausgedehntes, selbst produktives Arbeitsgebiet reserviert, das er in seinen Erinnerungen an die sechzehnjährige Zusammenarbeit so beschreibt: „Das Aufspüren litterarischer Notizen, die Zusammenstellung bibliographischer Nachweisungen, die Anfertigung von Exzerpten, die von Ranke für seine Darstellung benutzt wurden, die Durchsicht der ersten Korrekturbogen und wenn nicht dieser, so der zweiten nach Elimination der Druckfehler, falls Ranke nicht die einen oder die andern sich sogleich vorlesen ließ; endlich die Revision der zuletzt eingehenden sind vorwiegend und fast ausschließlich mir übertragen worden. Zum größten Teil lag mir auch die Vorbereitung für die neuen Ausgaben, die als solche letzter Hand in die sämtlichen Werke aufgenommen sind, ob.“ (Wiedemann II/1891, 326f.). - „Es geschah auch, daß Ranke mir die Beantwortung scientifischer Spezialanfragen, mit denen man sich an ihn gewandt hatte, oder die Erwiderung auf briefliche Einwendungen gegen seine Darstellung in Bezug auf Einzelheiten überließ, oder von mir die Einholung von Informationen durch Gespräch mit wissenschaftlichen Autoritäten erheischte.“ (Ebd., 327). All dies wird von Georg - 44 -

I/1.3 Atelier und Amanuensen

Winter bestätigt, der neben der umfassenden Korrekturtätigkeit Wiedemanns hervorhebt: „außerdem aber leistete er Ranke unschätzbare Dienste dadurch, daß er, unterstützt von einer außerordentlichen bibliographischen Kenntniß, auf den Bibliotheken die Bücher heraussuchte, die den jeweiligen Studienkreis Rankes betrafen, und ihm dann hie und da selbständig lange Auszüge über Fragen, die ihn besonders interessirten, machte.“ (Winter: Erinnerungen/1886, 217). Die Bedeutung der Wiedemannschen Tätigkeit ist neben seinen Werkstatterinnerungen zumindest ansatzweise auch aus Rankes Briefen an seinen Verleger Carl Geibel ersichtlich. Dort heißt es nicht allein: „...die Correcturen, die immer unmittelbar an ihn gegangen sind“ (R. an Geibel, 21. 12. 1878, Geibel/1886, 118), sondern auch, zu den Arbeiten an der ‚Weltgeschichte‘ (Erster Theil und Zweiter Theil, 3. Aufl. 1883): „Doctor Wiedemann wird die Bände durchsehen und einige leichte Verbesserungen beibringen“ (21. 12. 82, ebd., 148). - „Doctor Wiedemann ist bereits beschäftigt, die wenigen, zum zweiten Theil gemachten Einwendungen zusammenzutragen und zu prüfen.“ (26. 12. 82, ebd., 149). - „Wiedemann sagt mir aber, dass trotz des kurzen Zeitraums, der seit der Ausgabe verlaufen ist, doch ein und das andere Werk erschienen ist, worin sich möglicherweise Berichtigungen finden können.“ (28. 3. 83, ebd., 149f.). Die posthum veröffentlichten Analekten zu Bd. VIII der Weltgeschichte (625-655) waren 1885 noch von Ranke Wiedemann „dictirt und mit ihm erwogen worden“ (Dove auf p. XII des Vorworts), und Wiedemann schien auch später qualifiziert genug, „dem Schlusse beider Erörterungen die noch mangelnde in sich zusammenhängende Redaction angedeihen“ zu lassen (Dove ebd.). Bereits 1877 war die Abhängigkeit des Greises so groß, daß er über seinen Helfer schrieb: „ich wüsste Niemand, der ihn ersetzen könnte“ (28. 6. 77, Geibel/1886, 105). Er war schlechthin „ganz unentbehrlich“, fand auch Rankes Sohn Friduhelm (FvR/1903, 198). Man darf ohne Übertreibung feststellen: Wiedemann hat mit seinen vielfältigen Hilfestellungen das Alterswerk Rankes nebst Revisionen früherer Werke im gegebenen ungeheuren Umfang erst ermöglicht. Seine Beihilfe ist in erster Linie anzunehmen für die in den letzten sechzehn Lebensjahren Rankes neu erscheinenden Werke, vor allem die durch die Reichsgründung hervorgerufenen ‚preußisch-deutschen‘ Werke, zunächst ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘ (1871/72). Für das Werk ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ (1873) suchte Wiedemann aus der „einschlagenden Literatur ... die in Betracht kommenden Stellen bereits im voraus“ auf (Wiedemann I/1891, 175). Ähnlich bei der ‚Genesis des preußischen Staates‘ (1874), wo Wiedemann aus Droysens ‚Geschichte der preußischen Politik‘ (14 Bde in 5 Teilen, 1855-1881) das „für Ranke brauchbare Material“ heraussuchte (ebd., II, 322). Sodann seine Hilfe bei den folgenden Werken: ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘ (1874), ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792‘ (1875), ‚Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen‘ (1875), ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘ (1877), ‚Historisch-biographische Studien‘ (1877), ‚Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien‘ (1878), ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ (1878), ‚Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘ (1879), letztlich bei der ‚Weltgeschichte‘ (1881-1886). Für diese hatte Wiedemann u. a. eine wahrhaft gigantische Sammlung von Exzerpten angelegt, man bedenke: 62 Konvolute, zumeist in Quart. Sie bezogen sich auf „byzantinische und islamitische Geschichte“ sowie „besonders auf die griechische Geschichte seit der Zeit des jüngeren Cyrus, auf die römische seit Constantin, auf die Beilage: Zur Chronologie des Eusebius ... auf dessen Leben Constantins ... und auf die Darstellung der Geschichte des Moses in den Antiquitäten - 45 -

I/1.3 Atelier und Amanuensen

des Flavius Josephus“ (Wiedemann V/1892, 347, A. 3). Dabei waren auch „vorläufige, zusammenfassende, bisweilen recht ausführliche Bearbeitungen einzelner Themata, wie beispielsweise eine solche, die auf die pseudo-isidorischen Dekretalen sich bezog“. Neben einer „von Ranke selbst fortgeführten Materialsammlung“ bildeten sie „das wesentlichste Fundament seiner Darstellung“ (ebd., 346). - Nicht gering einzuschätzen ist, wie bemerkt, nach Wiedemanns und Rankes Äußerungen die Beihilfe bei den Revisionen bereits früher erschienener Werke. Insgesamt handelte es sich bei Neuschöpfungen und Revisionen um nicht weniger als einhundert Bände, die in der Wiedemann-Phase, den letzten sechzehn Lebensjahren Rankes, das Atelier verließen. Diese für Ranke höchst wertvollen Zuarbeitungen sind in vielfacher Hinsicht bedenklich: Zum einen ist der Einfluß auf sein Werk offensichtlich nicht nur formaler Art gewesen, sondern hat sich über die Vermittlung des von ihm nicht mehr ausreichend verfolgten Forschungsganges hinaus auch strukturell für Auswahl und Aufarbeitung einzelner thematischer Komplexe geltend gemacht. Dies mag in manchen Teilen vielleicht aus dem Nachlaß ersichtlich werden, dürfte jedoch überwiegend nicht abzuschätzen sein, zumal ohnedies nicht immer klar sein wird, ob Ranke diktierend als Urheber für die fremdhändigen Niederschriften im Spät-Nachlaß anzusehen ist, oder ob der jeweilige Schreiber mehr oder minder Eigenes formuliert hat. Als eine der von Wiedemann gefertigten zahlreichen Ausarbeitungen für Ranke könnte z. B. das von Vierhaus (Soz. Welt/1957, 50 m. A. 28) im Nachlaß erwähnte Folioheft „Literatur über die neuere Geschichte seit dem Tode Friedrichs des Großen“ (Fasz.35) gelten. - Hinzu kommt die bei aller intensiven Zuwendung und Detailliebe durchschimmernde Flüchtigkeit des eifrigen, von seinem stets ungeduldigen und gelegentlich aufbrausenden Meister getriebenen Amanuensen, zumindest in dem, was der Ranke-Forscher Hans F. Helmolt überprüfen konnte. Er spricht von „Flüchtigkeitsfehlern, von denen die Wiedemannschen Veröffentlichungen leider so reich sind.“ (Helmolt/1921, 168, A. 28). „Wo ich in der Lage war, seine Kopistentätigkeit zu kontrollieren, bin ich stets auf bedauerliche Unzulänglichkeit gestoßen.“ (ebd., 201, A. 228). Ja, nach „gewissenhafter Kollationierung“ der Wiedemannschen Briefausgaben (Dt. Revue 20, Bd. 2, Apr. Juni 1895, 56-71, in den Biogr. Bll. 1, 1895, 435-447 u. in der Beil. z. AZ, 19. 12. 1895, Nr. 351, Beil. Nr. 293, 1-5) mit den Originalen kam Helmolt zu dem vernichtenden Urteil: „direkt lüderlich, um nicht zu sagen: miserabel ... Auslassungen und Zusätze, namentlich aber Verlesungen, die bei dem langjährigen Amanuensis doppelt bedauerlich sind und einen für manche Stellen in der ‚Weltgeschichte‘ recht mißtrauisch machen können, jagen sich förmlich.“ (Helmolt, Verschollener politischer Aufsatz/1907, 549, A. 1). - Zu den Nachlässigkeiten Wiedemanns äußerte sich auch Hermann Oncken in massiver Weise: „die Art und Weise, wie Wiedemann den Abdruck von Briefen besorgt hat, ist über alle Maßen nachlässig und fehlerhaft. Sie wirft auf die Exaktheit des langjährigen Rankeschen Gehilfen kein erfreuliches Licht.“ (Oncken/1922, 45, Anm). Diese Informationen sind beunruhigend und müssen wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit auf Wiedemanns gesamtes Engagement bezogen werden. Sein Einsatz reichte bekanntlich über Rankes Tod hinaus. Er war bei der Ausgabe der posthumen Teile der ‚Sämmtlichen Werke‘ ebenso beteiligt wie bei der fremdhändigen Abrundung der ‚Weltgeschichte‘. Über Rankes Tod hinaus verfaßte er auch für dessen nach Syracuse veräußerte Bibliothek und die damit verbundenen Relationen eine ungewöhnlich detaillierte und umfangreiche Ausarbeitung, die den dortigen Bemühungen um Übersicht und Einblick sehr zugute gekommen ist und ihren Wert noch bei weitem nicht verloren hat (s. II/8). - 46 -

I/1.3 Atelier und Amanuensen

Zusammenfassend darf man feststellen, daß Ranke sich seit jeher, jedoch in der zweiten Lebenshälfte durchgehend und ausgedehnt einer Vielzahl von Helfern bedient hat, die es ihm zunächst wenigstens erleichterten, später gar erst ermöglichten, sein umfangreiches Werk quellenmäßig vorzubereiten und darstellerisch nebst permanenten Revisionen in kürzester Zeit hervorzubringen. Dabei sind altersbedingt zunehmand fremde formale und materiale Elemente in das Werk ‚eingedrungen‘, die seinen Charakter nicht alteriert haben können, jedoch die Beurteilung seiner bleibend herausragenden Leistung als Forscher und Darsteller erschweren. Dies gilt nicht allein für seine Leistung in ihren quantitativen Dimensionen, sondern auch für Bereiche der eigentlichen Werkstruktur, zumindest soweit diese durch Literaturauswahl bestimmt ist. Nicht zuletzt ist die Präzision der seinen Darstellungen zugrunde liegenden Quellenabschriften und seiner der Forschung kaum vor Augen stehenden Fülle an helfergestützten Editionen permanent in Zweifel zu ziehen sowie die Authentizität der seit dem Eintritt Wiedemanns durchgeführten Revisionsmaßnahmen seiner Darstellungen infrage zu stellen.

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4. Kapitel (I/1.4) BUCHGESTALTER UND VERLEGER Die Titelgebung seiner Werke war - wie sich schon bei seinem Erstling zeigte - für Ranke von außerordentlicher Bedeutung: „Dem Beginn der Ausarbeitung voraus ging fast immer die Wahl des Titels für das neue Werk; noch bevor eine einzige Zeile von diesem geschrieben war, wurde derselbe oft unmittelbar hinter einander ein halbdutzend Mal geändert...“, wußte sein wissenschaftlicher Hauptgehilfe Theodor Wiedemann (II/1891, 334) zu berichten. Es wurden oben bereits die editorischen Anfänge der ‚Fürsten und Völker‘ mit ihrer Verbindung von Reihen- und Werktitel betrachtet, eine Verbindung, die durch die Inkohärenz des darin Untergebrachten zu Problemen führen mußte. Dabei wurde das Schicksal des sogenannten „ersten“ und einzigen wirklichen Bandes der ‚Fürsten und Völker‘ aus den Augen verloren: Das Werk erhielt überraschenderweise in der dritten Auflage einen völlig neuen Titel: ‚Die Osmanen und die spanische Monarchie im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert‘, wobei jedoch der bisherige Werktitel, der ja bereits bei den ‚Päpsten‘ als Reihentitel fungierte, hier die Funktion eines Obertitels oder auch Reihentitels annahm. Erst 1877 entfiel die verwirrende und peinliche Bandzählung ‚Erster Band‘, und der zeitweilige Reihentitel der ‚Fürsten und Völker‘ verschwand bei dieser Aktion zwar nicht ganz, wurde aber auf das Niveau eines Untertitels herabgestuft. Der Titel ‚Fürsten und Völker‘ tritt also im Laufe von Jahrzehnten insgesamt auf drei bibliographischen Ebenen auf: als Werktitel, als Reihentitel und als Untertitel. So hat es denn 50 Jahre gedauert, bis die nicht ausgereifte Planung von 1827 und die gescheiterte Kaschierung des Abbruchs durch Einbringung der ‚Päpste‘ auf Irrwegen bibliographisch einigermaßen korrigiert war. Noch 1875, bei den Vorbereitungen zur vierten Auflage, hatte Ranke seinem Verleger gegenüber in einem gewissen Starrsinn auf diesem Titel beharrt: „diesen Titel ‚F. u. V. ‘ wünsche ich festzuhalten“ (an Geibel, 3. 9. 75, Geibel/1886, 79). Wegen der ‚Römischen Päpste‘ haben wir die zuvor, 1829, erschiene ‚Serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mittheilungen‘ übersprungen. Eine zweite Auflage erschien erst 15 Jahre später im Zusammenhang mit einem Verlagswechsel unter der Bezeichnung „Zweite Ausgabe“ und verlor später ihren Charakter als selbständige Schrift, da Ranke sie, ebenfalls 50 Jahre nach der Erstauflage, in sein Werk ‚Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘ aufnahm, (= SW 43/44), nicht ohne zuvor den Titel geändert zu haben. Das Werk bzw. Teilwerk hieß nun ‚Geschichte Serbiens bis 1842‘. Gleichwohl wurde es dort als „Dritte Auflage“ bezeichnet, in einer Schrift also, die ihrerseits als 1. Auflage anzusehen war. Auch das 1831 erscheinende Werk ‚Ueber die Verschwörung gegen Venedig, im Jahre 1618‘ verlor später seine Selbständigkeit. Es wurde mit leichter Titeländerung (Fortfall des ‚Über …‘), als „Zweite Abtheilung“ des Werkes „Zur Venezianischen Geschichte“ (= SW 42), allerdings anders als etwa beim Drittdruck der ‚Serbischen Revolution‘, nicht als ‚Auflage‘ bezeichnet. Der Fülle seiner rasch wechselnden Einfälle entsprach auch im August 1870 der Gedanke, den Titel seines Werkes ‚Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ mit dem Zusatz ‚Das zehnte Buch der preußischen Geschichte‘ zu versehen (an Geibel, 2. 8. 70, Geibel/1886, 19), was - und dies wurde nicht bedacht - später Probleme bei den - 48 -

I/1.4 Buchgestalter und Verleger

‚Zwölf Büchern preußischer Geschichte‘ aufgeworfen hätte. Das Jahr war noch nicht beendet, da sollte es einen anderen Reihen- oder Untertitel führen „Zur preußischen Geschichte I[.] Heft“ (an Geibel, 1. 12. 70, ebd., 23). „Es würde dann“, so verhieß Ranke dem Verlag, „ein zweites ähnlichen Inhalts, auf den Ursprung des Revolutionskrieges bezügliches folgen können.“ (ebd.). Diese Konzeption kam jedoch weder in dem einen noch in dem anderen Fall zum Tragen. Mit einer solchen selbstverpflichtenden Reihen-Konzeption war Ranke schon früher gescheitert. Auch seine publikumsorientierte Erwägung, den 1884 erscheinenden 5. Teil der ‚Weltgeschichte‘ mit dem Titel ‚Mahomet und Karl der Große‘ zu versehen, hatte nur kurzen Bestand. Schon nach drei Tagen zog er ihn der Druckerei gegenüber zurück. Ein besonderes verwirrendes Modell schuf Ranke durch die Kombination folgender Phänomene: Da ist zunächst seine lebenslange Vorliebe für die Aufteilung der Werke in ‚Bücher‘, dem antiken liber-Modell folgend, wie man es etwa aus Livius kennt und wofür auch Johannes von Müller mit seinen ‚Vier und zwanzig Büchern Allgemeiner Geschichten, besonders der europäischen Menschheit‘, zuerst Tübingen 1810, verbreitetes Vorbild sein konnte, dies um so mehr, als kein Geringerer als Friedrich Christoph Schlosser, freilich anonym, Ranke in den Kreis der „auf Stelzen einhergehenden Sprache der Müller nachahmenden Schriftsteller“ aufgenommen hatte (‚Ueber die neusten Bereicherungen der Literatur der deutschen Geschichte‘, 1831, 300f.). Bei Müller waren auch ‚Geschichten‘ statt ‚Geschichte‘ zu finden. Das von ihm und anderen vorgegebene Bücher-Modell wollte Ranke bereits im Titel seines Erstlings zum Einsatz bringen, kam dann jedoch nicht früher als während des Druckes davon ab. Im Inneren jedoch blieb es bei zwei ‚Büchern‘. Auch dies ein Hinweis auf mehrfache Planänderungen, denn ein Buchtitel „Das erste Buch einer Geschichte der Romanischen und Germanischen Nationen seit 1494. Nebst einer Kritik der Geschichtschreiber“ konnte, wie bereits bemerkt, schwerlich zu zwei Büchern im Inneren passen. - Problematisch wird das Bücher-Modell besonders, wenn sich dieses inhaltliche Gliederungsprinzip mit einem speziellen äußerlichen, buchbinderischen Prinzip verbindet: der Einrichtung von Doppelbänden. Die von Ranke und Verlag favorisierte Doppelband-Zählung führt, zumal bei der Ausgabe ‚sämtlicher Werke‘, schnell zu hohen Bandzahlen, was die Imposanz des Gesamtwerkes erheblich steigert. Mit der Ausgabe der ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘ war dieses Verfahren eingeführt worden. 1873 wies ein anonymer Rezensent der Londoner ‚Academy‘ auf das Ungewöhnliche der Bandzählung hin. Er sah in Doppelband 25/26 „a unique specimen even in the German book trade“ (15. 11. 1873, 436). Statt 44 Bänden gewann man auf diese Weise bei gleichem Inhalt 10 Nummern dazu und kam so auf 54. - Tritt nun zum inhaltlichen ‚Bücher‘-Modell nicht nur die buchbinderische Doppelbandform hinzu, sondern es werden vom Autor auch Erweiterungen des Werkes vorgenommen, die überdies zu Titeländerungen führen, dann ist eine hochgradig verwirrende Form erreicht. In der Entwicklung der ‚Preußischen Geschichte‘ Rankes gestaltet sich dies auf folgende Weise: Da begegnen nicht nur ‚Vier Bücher preußischer Geschichte‘, sondern auch ‚Neun Bücher‘ und später gar ‚Zwölf Bücher‘. Doch zurück zu den ‚Vier Büchern‘: Gab es diese in einem Band, so traten die Neun Bücher in drei Bänden auf. Nun aber die 12 Bücher: Diese erschienen in gezählten fünf, jedoch gebundenen drei Bänden der Doppelbände Bd. 25/26, 27/28, und des Einzelbandes 29 der ‚Sämmtlichen Werke‘. Da ist es nützlich zu wissen, daß die ‚Vier Bücher preußischer Geschichte‘ eigentlich nur irgendwo als Untertitel auftreten, und zwar in der ‚Genesis des preußischen Staates‘, - 49 -

I/1.4 Buchgestalter und Verleger

doch das nicht ständig, denn diese ‚Genesis‘ erschien gleichzeitig in drei Ausgaben: in den ‚Sämmtlichen Werken‘, sodann als Separatabdruck derselben und darüber hinaus als eigenständige Publikation in Form eines Separatabdrucks des Separatabdrucks. Der Titel ‚Vier Bücher preußischer Geschichte‘ findet sich eben dort als Untertitel. - Führte Ranke hier mehrere ‚Bücher‘ in einem Band zusammen, so war es in den ‚Jahrbüchern des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause‘ geradezu umgekehrt. Hier wurden unter dem Oberbegriff ‚Bücher‘ mehrere Bände zusammengefaßt, die allerdings ihrerseits als ‚Abtheilungen‘ bezeichnet werden. In deren Titelseiten findet sich überhaupt eine Besonderheit. Bei der Verteilung der Haupttitel- und Reihentitelplätze hat sich Ranke mit dem Reihentitel der ‚Jahrbücher‘ und in persona als Herausgeber jeweils auf die (rechte) Haupttitelseite gesetzt und dem Werktitel und Verfasser lediglich das (gegenüberliegende, linke) Reihentitelblatt überlassen, was eine korrekte bibliographische Erfassung im Grunde undurchführbar macht. Ranke hatte die ungeduldige, freilich nicht gar so seltene Gewohnheit, stets schon den ersten Band seiner meist mehrbändigen Werke in Verlag und Druckerei zu geben, wenn der große Rest noch nicht geschrieben war, ja seine Quellenrecherchen noch in den Anfängen standen. Sein hektischer Drang, mit Büchern an die Öffentlichkeit zu treten, war größer als die Einsicht, in Ruhe und mit weiterem Überblick und gereifter Konzeption zu stärker gesicherten Erkenntnissen zu gelangen. Bedenken wegen dieses permanent geübten Verfahrens findet man von Ranke nicht geäußert, obgleich damit das zweifache Problem der eingeschränkten Kenntnis des noch Darzustellenden und nach weiteren Bänden - der Unveränderbarkeit des bereits Dargestellten verbunden war. Da er sich in gewohnheitsmäßiger Selbstüberschätzung häufig auch hinsichtlich der Arbeits- und Werkumfänge sowie der sich daraus ergebenden Schaffens- und Herstellungszeiträume massiv täuschte - nicht eingerechnet Dauer und unabsehbare Ergiebigkeit seiner ausgedehnten in- und ausländischen Archivreisen -, kam es zu unangenehmen Überdehnungen des Gesamterscheinungszeitraums mancher Werke und zum Vergriffensein erster Bände, wenn die letzten noch nicht erschienen waren. Nahezu chaotische Erscheinungen treten vor allem auf, wenn sich langgezogene Mehrbändigkeit mit einem bandweise unterschiedlichen Abverkauf und einer verzögerten Überarbeitung einzelner Bände verbindet. Seine ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, zunächst völlig irrig auf drei Bände eingeschätzt, die er „im künftigen Winter, wo möglich zusammen erscheinen lassen“ wollte - so hatte er noch ein Jahr vor Erscheinen des ersten Bandes Johann Georg von Cotta (1796-1863) voreilig mitgeteilt (1. 5. 38, Henz/1972, 300f.), der freilich nicht den Zuschlag erhielt - zog sich dann aber mit ihren sechs Bänden über acht Jahre hin. Dies wäre noch verhältnismäßig unproblematisch gewesen. Doch der VI. Bd. der 1. Auflage erschien erst, als die Bände I bis III schon in die 2. Auflage gegangen waren. Die Bände IV bis VI indes erschienen nie in zweiter Auflage, später allerdings in 3. und 4. Da wurde mit einem Teil des Werkes einfach eine Auflage übersprungen. Anders wußte man sich nicht zu helfen. Bei genauerer Betrachtung erkennt man zudem, daß die sechs Bände in der 3. Auflage auf fünf Bände reduziert wurden, was in der folgenden Auflage allerdings wieder rückgängig gemacht wurde. Die Gründe werden an anderer Stelle betrachtet. - Ähnlich der ‚Deutschen Geschichte‘ gestalteten sich die Dinge bei seiner ‚Französischen Geschichte‘. Bei der überwiegend unveröffentlichten Korrespondenz Rankes mit Cotta (NL Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N., s. II/3.3, Pos. 97) befindet sich auch der entsprechende Verlagsvertrag - 50 -

I/1.4 Buchgestalter und Verleger

(datiert vom 29. 9. 51). Er sah für das Werk nicht fünf, sondern lediglich zwei Bände vor. Aus der Korrespondenz wird auch der interessante, freilich nicht verwirklichte Gedanke Rankes sichtbar, „der französischen Geschichte den ihr noch mangelnden Theil über die Revolutionsepoche hinzuzufügen“ (R an C., 23. 7. 58 bei Henz/1972, 303). Sowohl die Erstauflage seiner ‚Französische Geschichte‘ mit ihren fünf Bänden als auch die seiner ‚Englische Geschichte‘ mit ihren sieben Bänden zogen sich über jeweils neun Erscheinungsjahre hin. So erschienen bei der ‚Englischen Geschichte‘ die Bde III-IX der 2. Auflage erst mit einem Abstand von acht bis zehn Jahren auf die Bände I u. II. Kein Wunder, daß im Jahre 1870 bei diesem Werk Sonderbares geschah: Leser, die mit dem Erwerb erst bei der 2. Auflage eingesetzt hatten und von dieser gerade einmal die Bände I-IV, nicht jedoch bereits die Bände V bis IX hatten beziehen können, mußten erleben, daß noch vor deren Erscheinen die Bände I und II einer dritten Auflage erschienen und diese darüber hinaus noch eine Titeländerung aufwies, aus der ‚Englischen Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert‘ war überraschend eine ‚Englische Geschichte vornehmlich im 17. Jahrhundert‘ geworden - so daß sie sich im Besitz eines in mehrfacher Hinsicht veralteten Werkes sahen, das überdies noch weit davon entfernt war, abgeschlossen zu sein. Die Verwirrung wurde noch gesteigert durch eine 1865 unter Beibehaltung der Normalausgabe erscheinende partielle Separatausgabe unter dem Titel ‚Geschichte der Restauration und der Revolution in England‘, die überdies nicht zu Ende geführt wurde (s. II/1.1). Verwirrend dürfte auch in der 4. Auflage der ‚Französischen Geschichte‘ das Auftreten von Band VI mit dem Titel ‚Briefe der Herzogin von Orléans‘ als „zweite Auflage“ gewirkt haben. Das heißt, dieser Band gehörte einer 4. Auflage an, in seinem Inhalt jedoch stellte er eine zweite Auflage dar. - Verschlimmert wurde das Problem durch das im Laufe seines Lebens mehr und mehr sich häufende bandweise Überkreuzen verschiedener Neu- und Alt-Werke und Auflagenteile, wodurch sich weitere Verzögerungen und Verwirrungen geltend machten. Der Verdacht, Ranke sei zu vielen minder vernünftigen Entscheidungen, gerade auch zu der unglaublichen Produktionshektik der späteren Jahre (s. u.), durch seine Verleger getrieben worden, ist völlig unbegründet. Im Gegenteil war es so, daß Ranke nicht nur die Rolle des Autors innehatte, sondern mehr und mehr auch die des Verlegers und Buchgestalters in maßgeblicher Weise übernahm, in jedem Fall druckvoll auszuüben versuchte, - ein im Hinblick auf seine geschilderten wirren und verwirrenden Eigenheiten nur zum geringen Teil sinnvolles Unterfangen. Kurzum, auf seine Verleger hatte er, der auch im häuslichen Kreis, Feststellungen seiner Verwandten zufolge, den „grand tyran“ gab (unveröff., NL WR, Rep. 92 NL Geschw. Ranke, GStA PK.), - „Im Hause war sein Wort absolutes Gesetz“ (FvR/1903, 8), und schon sein Vater war „ein gar gestrenger Herrscher“ gewesen (EvR/1966, 128), - einen durchaus starken Einfluß. Ranke suchte und fand die Verbindung zu einigen der angesehensten Verleger Deutschlands, es kam jedoch durch seine unmäßigen Korrekturen und seine zum Teil nicht eingehaltenen großsprecherischen und unrealistischen Pläne und Voreiligkeiten erst spät zu einer dauerhaften und ausschließlichen Bindung, die dann um so fruchtbarer wurde. Seinen ersten Verleger Georg Andreas Reimer quälte er durch eine Vielzahl wirrer Unternehmungen im Zusammenhang mit seinem Erstlings-Doppelwerk (siehe i. e. - 51 -

I/1.4 Buchgestalter und Verleger

II/1.1). Schließlich hatte er Reimer so weit gebracht, daß dieser „zu allem“, was er wünschte, „bereit“ war (An HR, 8. 10. 24, SW 53/54, 135). - Aus den komplizierten Verhältnissen, in denen Ranke zu seinem zweiten Verleger, Friedrich Perthes, stand, sei hier nur Folgendes mitgeteilt: Bei seinen ‚Fürsten und Völkern‘ suchte er nach weit fortgeschrittenen Satzarbeiten die Planung über den Haufen zu werfen, sprach überraschend von drei Bänden, die dann nie erschienen, „indessen im Kauf nicht getrennt werden dürfen“, wovon indes der 1. und 3. Band bereits „zu Ostern“ erscheinen sollten (an Perthes, „Jan. 27“, Oncken/1922, 100). Über eine zweite Auflage des allein erschienenen „ersten“ Bandes wurde zwischen Ranke und Perthes in den Jahren 1828 bis 1831 - nicht gerade einvernehmlich und auch nicht eindeutig korrespondiert. Für eine etwaige Neuauflage hatte Ranke vor, sich „an dem großen Publicum ein wenig zu versuchen“. Dazu sollten Fußnoten entfallen und durch engeren Satz eine geringere Bogenzahl und damit eine „wohlfeile Ausgabe“ erreicht werden. Dazu schlug er dann auch sogleich eine Titeländerung vor: „Osmanen und Spanier im 16. u. 17. Jahrh.“ (An Perthes, 25. 2. 28, Oncken/1922, 111). - Für seine ‚Verschwörung gegen Venedig‘ hatte er anläßlich des Manuskriptangebots an Perthes bereits genaueste Vorstellungen: „Ich wünschte“, so schrieb er, „daß diese Schrift, bey der die wichtigeren Urkunden anzuhängen sind, so daß sie ungefähr 10 Bogen betragen kann, unmittelbar gedruckt würde. Auf eine zweite Auflage ist nicht voraus zu denken, da der Stoff keine Vermehrung zuläßt, und daher würde ich für 750 Exemplare seyn“, die sich „auf die letzt sämmtlich absetzen werden.“ ([5. 2. 31], Oncken/1925, 227f.). Ranke konnte seinen verlegerischen Weitblick nicht unter Beweis stellen, denn es kam mit Perthes zu keinem Vertragsabschluß, und Ranke wandte sich dem Berliner Verlag Duncker und Humblot zu. Außerordentlich starken Einfluß hatte Ranke, etwa ab 1866, auf den jungen und rechtschaffenen, zudem bald kränkelnden Carl Geibel (1842-1910), den Inhaber des Verlages, im Ton zumeist verbindlich-freundlich, aber in der Sache nahezu überwältigend. Rankes Einfluß reichte, wie der von Geibel zusammengestellten Ausgabe von Briefen Rankes an ihn bzw. den Verlag (Geibel/1886, s. auch II/3.1.4) zu entnehmen ist, die leider erst mit dem Jahre 1867 einsetzt und auch den einzigen bekanntgewordenen Gegenbrief enthält, von den zu bestimmenden Auflagenhöhen über die Abfolge der Erscheinungen bis hinab zur Größe der in den Werken zu verwendenden Lettern. Besonders im Zusammenhang mit der Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ waren viele Entscheidungen hinsichtlich der Revisionen, der Abfolge und der äußeren Aufmachung der Werke erforderlich, wozu noch unnötige, aber drängende Terminprobleme bei der ‚Weltgeschichte‘ traten. 1874 schreibt er: „Ich denke, dass wir im nächsten Jahre den 30, 31, 32ten, sowie den 35 und 36ten Band dem Publicum werden darbieten können.“ (22. 12. 74, Geibel/1886, 68). All dies gab Ranke Gelegenheit in Fülle, eigene Vorstellungen für die Buchgestaltung, aber auch für jede andere verlegerische Aufgabe und Verantwortung immer stärker geltend zu machen und seine hohe wissenschaftiche Reputation und öffentliche Stellung dem noch nicht vierundzwanzigjährigen Verleger gegenüber ohne große Rücksichten auszunutzen. Ihm trägt er u. a. Folgendes auf: Bei der ‚Genesis des preußischen Staates‘ könne er eine Auflage von „750 Exemplaren ... besonders drucken lassen“ (24. 10. 72, ebd., 44). Für seinen noch nicht beendeten, vermeintlich wenig umfangreichen ‚Wallenstein‘ verlangt er schon vorab zum Erreichen einer gewissen Stattlichkeit „besonders starkes Papier“ (10. 9. 68, ebd., 7). Das angeblich „kleine Werk“ erschien dann im folgenden - 52 -

I/1.4 Buchgestalter und Verleger

Jahr mit überraschend ansehnlichen 532 Seiten. - Bei seinem Werk ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ fordert er: „das Papier müßte das beste sein, das sich in Deutschland finden läßt, nicht sehr glänzend, aber stark“ (20. 5. 72, ebd., 34f.). Bei der Ausgabe der Briefe der Hzgn. von Orléans (FranzG 5, 2. Aufl. 1870) soll es sein: „compresser, aber lesbarer Druck“ (12. 6. 69, ebd., 11). Die Analekten der ‚Päpste‘ in 6. Auflage wünscht er „mit besonderer Paginirung gedruckt“ zu sehen (21. 4. 74, ebd. 58). In ‚Wallensteins‘ Inhaltsverzeichnis sollen „die Beilagen in kleinerer Schrift erscheinen“ (18. 9. 69, ebd., 17). Doch gelegentlich findet er auch - so beim Anhang des siebenten Bandes der ‚Englischen Geschichte‘ den Druck „zu eng ... und die Lettern zu klein“ (29. 6. 67, ebd., 3). Seinen ‚Hardenberg‘ wünscht er als Vierbänder, schließt dann jedoch noch einen fünften Band an. Er ist es auch, der in seinem unstillbaren Publizitätsdrang Tempo und Termine bestimmt, ungeachtet der von ihm verursachten technischen Probleme - Erscheinungstermine sind nicht durch technische und kaufmännische Möglichkeiten, sondern allein durch seine permanente Ungeduld bestimmt, haben sich auch an Feiertagen wie dem Weihnachtsfest und an fürstlichen Geburtstagen auszurichten, damit in besonders sinnvoller Weise Dedikationen vorgenommen werden können. Die zweite Auflage seiner ‚Kritik neuerer Geschichtschreiber‘ gibt er im August 1874 in Satz. Dazu nötigt er den Verlag: „Ich wünsche, daß das ganze Werk bis gegen Ende October fertig werde; dann werden gerade 50 Jahre seines ersten Erscheinens um sein.“ (6. 8. [74]), doch wird noch im September peinlicherweise erkennbar, daß sich das Manuskript in erheblicher Unordnung befindet (an Geibel, 22. 9. 74, Geibel/1886, 62).

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5. Kapitel (I/1.5) OHNE „SYSTEM UND REGEL“ Nachrichten über die innere und äußere Entstehungsgeschichte seiner Werke sind selten. Ranke machte gern ein Geheimnis daraus, falls er nicht in seinen Anfangsjahren, besonders Perthes gegenüber, großsprecherisch vielfältige Pläne offenlegte. Weder äußert er sich später darüber detailliert oder zusammenhängend in Autobiographica, noch auch brieflich und mündlich konkret gegenüber Dritten, wie dies zuweilen unter Kollegen der Fall sein mag. Als gelegentliche Ausnahme könnte man Waitz gelten lassen, seltener noch Alfred von Reumont. Ranke hat aus verständlichen Beweggründen seine archivgestützten neuen Erkenntnisse nicht vorzeitig preisgegeben, und mit den Jahren sah er sich wohl auch der Kollegenschaft gegenüber als zu hochstehend an, um sich wissenschaftlich auszutauschen. Mit dem Nicht-Kollegen Edwin von Manteuffel hielt er sich trotz des extremen Größenunterschieds auf Augenhöhe und überdies war der General-Feldmarschall ein gern genutzter Zeitzeuge, was im einzelnen Friedrich Wilhelm IV. und Militaria im allgemeinen anging. Im wesentlichen ist man auf Rankes nur andeutende Werkvorreden, auf ein wenig Archivkorrespondenz und die Erinnerungen seiner Amanuensen angewiesen. Nahe an den jeweiligen Beginn von Rankes operativer Arbeit führen Erinnerungen seines Amanuensen Georg Winter. Da gab es ein „Collectanenbuch“. In dieses „für die Sammlung der Quellen bestimmte Buch“ mußte der Amanuense „hie und da eine Stelle ... abschreiben“. Oder Ranke diktierte ihm ein Exzerpt „und fügte alsbald einige kritische Bemerkungen hinzu, die dann im Verein mit den aufgezeichneten Quellenstellen später immer wieder gelesen wurden und schließlich zur Grundlage der Darstellung dienten.“ (Winter: Erinnerungen/1886, 214). Eine höhere Stufe scheinen Rankes „Hyle“ gebildet zu haben. Über diese berichtet Winter (ebd., 221), es habe sich dabei um „besondere große Foliobücher“ gehandelt, in denen „quellenkritische Bemerkungen mit den Quellenauszügen selbst“, also der „Rohstoff“ der Darstellung zusammengestellt worden seien (ebd. 221). Auch die später ungenutzt gebliebenen Erinnerungen eines anderen Amanuensen (vermutlich Ignaz Jastrow/1886, Seite L, bzw. 11) wissen davon: „Ranke pflegte die ersten Ergebnisse seiner Forschung in große Foliobücher zu diktiren, welche er ‚Hyle‘ nannte; sei es, daß er in Aristotelischem Sinne in diesen Thatsachen das ‚Material‘ erblickte, dem die Form fehle, oder wie er zuweilen scherzweise bemerkte, den dichten ‚Urwald‘, durch den man so schwer hindurch finde. Diese ‚Hyle‘ bildete für sich eine kleine Bibliothek von Folio-Manuscripten.“ (11). Nach Auskunft des Nachlaßordners Dr. Siegfried Baur ist dieser Bestand noch heute im Ranke-Nachlaß der Staatsbibliothek vorhanden. ‚Hyle‘ ist der Gattung nach verwandt mit den späteren, von Wiedemann für die ‚Weltgeschichte‘ angelegten zweiundsechzig Konvoluten, enthaltend „Auszüge aus Schriftstellern oder auch vorläufige, zusammenfassende, bisweilen recht ausführliche Bearbeitungen einzelner Themata“ (Wiedemann V/1892, 346f. mit A. 3. Näheres in I/1.3). Ein grundsätzlicheres Instrument konzeptioneller Art bildeten Rankes ‚Regulative‘. Es war dies etwas, das sich „zwischen formaler Disposition, leitenden Ideen, Entwurf einer Ausarbeitung im Umriß hielt, ... war die Fassung kurz, allgemein und von Spezialien völlig freigehalten, so hatte Ranke dafür die Bezeichnung ‚Regulativ‘“ (Wiedemann II/1891, 332). Ein solches wurde von Wiedemann (in SW 51/52, 18, - 54 -

I/1.5 Ohne „System und Regel“

Anm.) genutzt, ein anderes von Schulin (1958, 318f.) aus dem Nachlaß veröffentlicht (Regulativ zur Vorrede der ‚Weltgeschichte‘, vermutlich nach Ende 1880 bis Anfang 1881 abgefaßt, s. II/2.3). Dies erweckt den Eindruck einer geordneten Arbeitsorganisation. Doch der Eindruck täuscht. Zur Charakteristik Rankes als Autor gehört bei aller Genialität und fachlicher Professionalität doch auch ein Aufweis seiner tiefgreifenden Schwächen. Es sind Wesenszüge seiner Persönlichkeit, die in einem offenkundigen Wirkungs-Zusammenhang stehen, der einmal aufgewiesen werden muß, da sie für die organisatorische und darstellerische Bewältigung seiner Aufgaben als Autor, Vortragender und Briefschreiber von beträchtlichem Nachteil und entsprechender Auswirkung waren und insofern für die Benutzung und Beurteilung seines Werkes und seiner sonstigen Lebensäußerungen von Bedeutung sind. Ranke selbst schrieb: „Ich mache an mir die Bemerkung, dass die Eigenschaften, die man übrigens hat, die uns in Haus und Stube vielleicht selbst lästig fallen, wie man sich auch anstellen mag, in litterarischen Dingen immer hervortreten.“ (an Varnhagen, 9. 6. 29, Wiedemann: Briefe L. v. R.s an Varnhagen von Ense und Rahel aus der Zeit seines Aufenthaltes in Italien/1895, 440). Man darf erweitern: Sie treten im Lebensganzen auf. Als harte Hauptaussage Wiedemanns kann gelten: In Rankes „Arbeitsmethode“ gab es „System und Regel“ nicht (Wiedemann III/1892, 100). Dies scheint auch anzuklingen im freilich noch weiter reichenden, unbeachteten Urteil der wohl geistvollsten Frau im Leben Rankes, Rahel Varnhagens. An ihren Mann Karl August schreibt sie am 23. 8. 27: „Ranke kam, bis 10; Gespräch über Ehe. Geschichte. Was sie ist: warum er sie treibt. Alles gedankenvoll. Er liebt sie aber nur als Einfall, die Gedanken; und zu k u r z e m [i. T.] Gebrauch; nicht zu anhaltendem noch schärfstem Gebrauch; ward mir gestern ganz klar.“ (Aus dem Nachlaß Varnhagen’s v. Ense. Briefwechsel zw. Varnhagen u. Rahel, VI/1875, 105.) Und wenig später nochmals:„Er liebt Geist, und bedarf Geist: er findet Gedanken, und nimmt sie auf: aber ‚zu kurzem, nicht strengem Gebrauch‘“. (15. 9. 27, ebd., 173). Auch der Freund seiner frühen Jahre, Heinrich Ritter, kam auffallend zu der Einsicht: daß Rankes „Gefühl noch mehr an der Mannigfaltigkeit der Persönlichkeiten haftet, als in die Tiefe dringt; es ist mehr regsam, als die letzten Gründe erforschend. Dies kann sich jedoch noch mit seiner weiteren Ausbildung finden. Dagegen fürchte ich, daß es an eigentlich philosophischem Geist ihm fehle, wenn auch nicht gänzlich“ (Ritter an R.s Verleger Perthes, 26. 11. 28, Schreiber/1932, 622). Ritter kannte auch bereits die Jahrzehnte später von Wiedemann konstatierten Ordnungs- und Planungsmängel Rankes. Anläßlich der scheiternden ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ korrespondierte er mit Perthes, der sich nicht an die „wenige Ordnung, an die Nachlässigkeit und Flüchtigkeit, auch Übereiltheit Rankes in seiner Geschäftsführung“ gewöhnen konnte, die ihm Ritter freilich prophezeit hatte (Ritter an Perthes, 12. 4. 33, ebd., 626). Daß mit dieser System-, Regel- und Konsequenzlosigkeit auch sein geringes fachliches Theorie-Vermögen oder -Bedürfnis, sein Zurückhalten mit einem eigenen ausgearbeiteten System der Historik zusammenhängen, darf wohl angenommen werden. Auch Theodor Wiedemann berichtet: „…dem Schematischen, Systematischen und Konstruktiven“ sei Ranke „an sich abgeneigt“ gewesen (Wiedemann: L. v. R. über die Eintheilung der Geschichte/1896, 5). Und über ihre Zusammenarbeit: „In den kurzen Unterhaltungen, durch welche das Studium bisweilen unterbrochen wurde, oder vielmehr an dasselbe anknüpften, war von den allgemeinen Problemen der Geschichts- 55 -

I/1.5 Ohne „System und Regel“

wissenschaft fast nie die Rede“ (Wiedemann V/1892, 352). Diese Zurückhaltung oder Kargheit hat Ranke zeitlebens auch jedem anderen Zeitgenossen gegenüber geübt. Hinzu kommt ein Drittes: seine mangelnde Kraft, angesichts einer bewegten Phantasie mit ihren bedrängenden und erregenden Bildern, die besonders bei seiner Vorlesungstätigkeit körperlich zur Erscheinung gelangten, in Kürze und auf Dauer erkenntnismäßige Entscheidungen zu treffen. Seinem mangelnden systematischen Denken und Handeln entspricht im Gegensatz zu der enormen assoziativen, imaginativen und memorativen Kraft - sein Amanuense Winter spricht von einem „phänomenalen Gedächtniß“ (Winter: Erinnerungen/1886, 214) - jedenfalls ein „nicht eben sehr“ entwickelter Ordnungssinn, wie Wiedemann schonend berichtet (Wiedemann III/1892, 101). Ja, Ranke befand sich mit seiner „quecksilberartigen Natur“ ([Ungern-]Sternberg/1919, 232) in der beständigen Gefahr, äußerlich wie innerlich in Konfusion zu verfallen: „Gab man ihm etwa ein Dutzend Bätter in die Hand, so konnte man sicher sein, daß er sie durch unwillkürliches Wenden und Umlegen in wenigen Sekunden in eine ganz andere Folge gebracht haben würde, in der er sich dann nicht zurechtfand.“ (Wiedemann III/1892, 100). Sein Ordnungsschwäche, die ihn hinderte, Überblick über was auch immer zu behalten, äußerte sich für jedermann augenfällig bereits in der geringen Ordnung von Arbeitszimmer und Bibliothek (s. II/8.1), worüber nicht nur seine Amanuensen bei vergeblicher Büchersuche klagten (siehe auch Helmolt/1921, 201, A. 228). Es ging so weit, daß einer seiner Helfer mehrere Tage vergebens nach dem Teil eines neunundzwanzigbändigen Werkes fahndete (hsl. Bericht Wiedemanns, 73. Syracuse Library, Zitat Hoeft/1937, 13). Die Unordnung in Rankes ‚Atelier‘ war so arg, daß sogar der ihn gelegentlich aufsuchende Kronprinz Friedrich huldvolle Höflichkeit fallen ließ und sein „Mißfallen“ äußerte (Wiedemann XV/1893, 253). Auch über Rankes sorglosen Umgang mit den ihm aus dem Staatsarchiv häuslich anvertrauten eigenhändigen Denkwürdigkeiten Hardenbergs - von Bismarck entsiegelt - hat sich Kronprinz Friedrich gegenüber Dritten „mit nachdrücklichem Tadel“ ausgesprochen (ebd., 253f.). So konnte es nicht ausbleiben, daß zumindest kleinere Verluste der Hardenbergschen Korrespondenz eintraten, deren Rückgabe nach mehrmaligen Anfragen Sophie von Hardenberg schließlich bei Rankes Nachlaßverwalter und Sohn Otto anmahnen mußte (Brief vom 3. 6. 1886, unveröff., Ranke-Museum, Wiehe). Gerade an Rankes großem Hardenberg-Werk wird auch wieder sein übliches Verfahren sichtbar, einerseits schon sehr konkrete Planungen durchzuführen, ohne einen ausreichenden Überblick über die Quellenlage zu besitzen, und andererseits später immer noch archivlich zu forschen, während die Druckerei bereits dem Ende zuarbeitete. Seine Ordnungsschwäche machte sich neben der Büchersammlung (s. II/8), auch bei seinen epistolarischen Gewohnheiten (s. II/3.1), in seinen Manuskripten, besonders seinen Vorlesungsskripten bemerkbar (s. II/5.1). Diese, als gleichsam iterative Schriftzeugnisse editionstypologisch von besonderem Interesse, entwickelten sich unter seinen zerschneidenden und überklebenden Händen über die Jahrzehnte hin zu einer interpretatorisch und editorisch hochproblematischen Zeitschicht-Masse, in der Neues in Altes und Altes in Neues transferiert, auch Sichtbares in Unsichtbares verwandelt war. Seine System- und Regellosigkeit, sein mangelnder Ordnungssinn waren verbunden mit Hektik und Ungeduld, mit einer unruhigen, sprunghaften geistigen Beweglichkeit, Eigenheiten, welche das höhere, abstrakte Analogon seiner körperlichen Beweglichkeit und instabilitas loci darstellten. Auf das höchst unruhige und befremdende Verhalten in - 56 -

I/1.5 Ohne „System und Regel“

Mimik und Gestik beim Vortrag seiner schwer verständlichen Vorlesungen ist an anderer Stelle näher einzugehen (s. II/5). Doch auch außerhalb der Vorlesungen konnte sein Verhalten anstößig wirken: Während einer Sitzung der Kgl. Akademie saß Ranke neben Friedrich Wilhelm IV. „Ranke was not understood by many, but seemed to endeavour to be distinct, and Steffens [als Sekretär der Akademie] pulled his coat-tail whenever he hurried too much.“ (Pertz an Waitz, 30. 1. 43. Pertz/[1894], 107). Auch Wiedemann bestätigt Rankes „innere Regsamkeit, die sich auch äußerlich in körperlicher Beweglichkeit bezeigte“ (Wiedemann III/1892, 100). Man könnte auf seine ein Leben lang durchgehaltenen täglichen Laufschritt-Spaziergänge abheben, doch wenigstens sollte auf sein Lebens-Itinerar hingewiesen werden, das zwar in seinen großen Zügen archivlich bedingt ist, jedoch im Detail eine unglaubliche Fülle von Einzelstationen, Bewegungen, Begegnungen und Unternehmungen aufweist. Auf unangemessenes Verhalten in den späteren Amtsgeschäften deuten Äußerungen Alfred von Arneths hin, der 1865 in München an der jährlichen Zusammenkunft der Historischen Kommission teilnahm: Ranke präsidierte in einer Weise, die nach Arneth „selbst bescheidenen Erwartungen kaum genügt“ (v. Arneth/1892, 235f, s. II/6.5). - Da Ranke „bisweilen sein lebhaftes Temperament nicht beherrschen“ konnte, kam es anderwärts auch zu „Aufwallungen“, die den Charakter des „Aufbrausens“ an sich trugen (Wiedemann/1892, III, 101). Darin war er seinem verehrten und von ihm historiographisch sehr nachsichtig behandelten gleichaltrigen Gönner Friedrich Wilhelm IV. sehr ähnlich, dessen aufbrausende Heftigkeit und mangelnder Ordnungssinn von Ancillon beanstandet worden waren. (Haake/1920). Bettina von Arnim gar schilderte ihren zeitweiligen Verehrer so: „R. war bei mir ... und war artig in seiner gränzenlosen Unart, wo er springt wie ein H ä n s p e r (dies ist ein preußisches Thier, welches ich nur dem Namen nach kenne) und statt zu sprechen j ö e l t er (dies ist ein Ton, welchen ein Thier von sich giebt, welches ich auch nicht kenne) ...“ (an Rahel, 5. 6. 27, Sperr. u. Klammern i. T., Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense/1865, 277). Sein Vortrag konnte schlimmer kaum sein. War er doch nicht nur inhaltlich ungeordnet. Rankes bereits betrachtete dialektgefärbte Aussprache war undeutlich und verlief in den unterschiedlichsten Tempi. Dies ist nun von unerwarteter Bedeutung. Denn Rankes inhaltlich wie artikulatorisch problematische Kundgebungen sollten sich noch unheilvoll bei seinen Vorlesungen, auch bei seinen Diktaten, der vorrangigen Äußerungsform seines Alters, auswirken. So hatte sein Amanuense Georg Winter erhebliche Schwierigkeiten, seinem Diktat zu folgen: „Mit der ihm eigenen Lebhaftigkeit sprudelte er dann die Worte förmlich hervor, und da er leise und zuweilen in Folge der mangelnden Vorderzähne sehr undeutlich sprach, so war es oft unmöglich, ihm zu folgen.“ (Winter: Erinnerungen/1886, 212). Wir haben es also mit einem geistig stark angeregten und erregten Menschen zu tun, einem „von momentanen Eindrücken und Stimmungen sehr erregten Mann...“ (Noorden an Maurenbrecher, 8. 8. 67. Philippsborn/1963, 113), dessen sich überstürzendes „Wirbelgestöber von Gedanken“ (Dahn: Erinnerungen, II/1891, 456) eher inspirativ und visionär als systematisch und deduziert zu entstehen schien und sich auch entsprechend äußerte. Höchst selten findet sich eine direkte Selbst-Äußerung über diese innerlich wie äußerlich versatilen, kontroversen, auseinanderstrebenden, ja geradezu explosiven Wesenszüge: „Ich bin jetzt zum Sammler geworden...“, schreibt Ranke einmal inmitten von Archivalien aus seinem ersten Wiener Aufenthalt, „Oft fühle ich das Bedürfniß, mich auch selber zu sammeln.“ (an HR, 10. 7. 28, SW 53/54, 205). - 57 -

I/1.5 Ohne „System und Regel“

Daß bei den geschilderten persönlichen Voraussetzungen eine schwierige, oft unleserliche Handschrift zu erwarten war, scheint selbstverständlich. Sie machte den Umgang mit ihm als Autor zu Lebzeiten, aber auch noch heute außerordentlich schwierig. Die Ausgabe von Texten seiner Hand stellt sich denn auch als eine nur gelegentlich unterbrochene Kette von Peinlichkeiten dar (s. bes. II/2.1.5). Ranke selbst wußte um seine „unglückliche Handschrift“, nahm sie aber bezeichnenderweise als gegeben hin. Seinem Wiener Förderer Bartholomäus Kopitar schrieb er mit Bezug auf seinen Aufsatz ‚Zur Geschichte des Don Carlos‘ am 24. 4. 30: „Einige Druckfehler waren bey meiner unglücklichen Handschrift nicht zu vermeiden.“ (Valjavec/1935, 17). Auch seinem Freund Heinrich Ritter mußte er in einem Brief vom 27. 3. 29 über seine ‚Serbische Revolution‘ zugeben: „es ist sehr möglich, daß meine Schriftzüge, wie in den Namen, so auch in anderen Dingen Unkorrektheiten veranlaßt haben.“ (SW 53/54, 218). In späteren Jahren schrieb er aus England gar an die Familie: „Solltet Ihr mein Gekritzel nicht lesen können, so legt es bei Seite.“ (an CvR, 29. 3. [57], SW 53/54, 389). Nur bei Schriftstücken, die ihm besonders wichtig erschienen, wie etwa Briefen an Kg. Maximilian II. von Bayern, gab er sich Mühe. Doch auch darin kommt es, wie Briefausgaben zeigen, noch leicht zu Fehlentzifferungen. So wurde, um das Schlimmste zu verhindern, später permanent ein seiner Handschrift „einigermaßen kundiger Setzer“ benötigt (Geibel/1886, 20). Doch war selbst dieser überfordert, denn Ranke bot nicht nur eine gelegentlich ans Unleserliche streifende Handschrift, er bot dem Setzer auch ein exorbitantes Korrekturaufkommen. Bei Rankes Werk ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ (1873) erlaubte sich der solcherart Geschundene auf den Korrekturabzügen des 7. Durchgangs die aufständische Bemerkung: „In diesem Chaos kann ich mich nicht zurecht finden“ (Wiedemann I/1891, 177, A. 1.). Darüber klagte sogar Rankes sonst duldsamer Bruder Carl Ferdinand (ebd. II/1891, 337). Rankes Korrekturen betrafen „außer der Veränderung von Worten, Ausdrucksweisen, Redewendungen, Konstruktionen, Satzteilen und Sätzen“ auch „Umstellungen nicht nur von einzelnen Perioden, sondern ganzer Abschnitte, Versetzung derselben aus einem in das andere Kapitel ... völlige Tilgung seitenlanger Ausführungen oder deren Ersetzung durch andere Fassungen, neue Hinzufügungen“, wobei selbst die für die Post fertiggemachten Sendungen „drei bis viermal nach einander wieder geöffnet“ wurden (Wiedemann II/1891, 336). Daß Wiedemann sich dabei keiner Übertreibungen schuldig machte, darf angenommen werden, denn seine Erinnerungen erschienen noch zu Lebzeiten der Söhne Rankes, von denen zumindest Otto aufmerksam die Veröffentlichungen über seinen Vater verfolgte (s. z. B. Ranke, [Otto] v./1912). Aus der einschlägigen Korrespondenz Rankes mit seinem Verleger Geibel hier nur ein korrekturbezogener Satz zu seinem Werk ‚Zur deutschen Geschichte‘: „In den beiliegenden Foliobogen findet sich neben vielem Anderen, was wegfallen kann, an den bezeichneten Stellen das, was aufgenommen werden muß. Mir thut es leid...“ (11. 10. 68, Geibel/1886, 8). Wichtig Wiedemanns Feststellung, daß durch Rankes Korrekturen im Manuskript auch seine „ursprüngliche Konzeption sehr wesentliche Umgestaltungen erfuhr“ (Wiedemann II/1891, 336.). Sein entsagungsvoller Hauptamanuense hatte in sechzehn Jahren nahezu täglich Gelegenheit, der Entstehung von Werken Rankes fördernd beizuwohnen: „Die Werke Ranke’s, wie sie vorliegen, sind nicht in einem Zuge entstanden, nicht die Produktionen seines Geistes in der ersten und urprünglichen Form, sie gelangten im Prozeß man- 58 -

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nigfacher Metamorphosen, die den Charakter fortschreitender Weiterentwickelung an sich trugen, zur Reife und definitiven Gestaltung.“ (Wiedemann II/1891, 338). Rankes zeit-, kosten- und für alle Beteiligten nervenaufreibendes Korrekturverhalten ist für sein gesamtes literarisches Leben bezeugt. Die Verbindung mit seinem ersten Verleger, Georg Andreas Reimer (1776-1842), der „wohl markantesten deutschen Verlegerpersönlichkeit in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts“ (Kraus/2003, 338f.), der sich auch dem von Ranke zunächst bewunderten Niebuhr widmete, überdauerte das Erstlingswerk nicht. Ranke mußte ihm bekennen: „Es hängt mir aber eine besondere Neigung an, Alles was ich gemacht habe, zehnmal verbessern zu wollen.“ (Brief vom 13. 11. 24, Helmolt/1921, 21). Und Johann Georg von Cotta, seinem fünften Verleger, mußte er gestehen: „Ich weiß nicht, welcher französische Autor - oder ist es ein italiänischer - gesagt hat, ein Buch sey erst halb fertig, wenn man es der Druckerei übergebe. Es ist viel wahres daran ...“ (Brief vom 9. 8. 38, Henz/1972, 301f.). Wenn er seinem letzten Verleger, Carl Geibel, gegenüber zu Beginn ihrer Beziehung noch bedauernd geäußert hatte: „Leider muß ich noch neue recht beschwerliche Correcturen für die nächsten Bogen … in Aussicht stellen. Aber es ist nun einmal nicht anders. Solche Schwierigkeiten sind mit dem Verlag meiner Arbeiten und zwar selbst gegen meinen Wunsch immer verknüpft gewesen.“ (17. 11. 67, Geibel/1886, 4), so ist sein Auftreten 1880 entschieden selbstbewusster geworden: „das lässt sich bei einem Ranke’schen Manuscript nun einmal nicht ändern“, heißt es lapidar in einem Brief vom 12. 9. 80 (ebd., 132). Welche Ausmaße diese mit Rücksichtslosigkeit gepaarte Skrupulosität annahm, wird erst voll sichtbar, wenn man die in der Regel fünfmaligen Durchgänge des Manuskripts hinzunimmt, die den vielmaligen Korrekturarbeiten des Setzers erst vorausgingen (Wiedemann/1891, II, 336). Auch sein Spätschüler und späterer Nachlaßherausgeber Alfred Dove wußte um diese Dinge, er kannte die „unzähligen, wieder und wieder umwälzenden stilistischen Correcturen bei der ersten Drucklegung seiner Schriften“ (D[ove]/(1888) 1898, 178). Selbst Rankes Sohn Friduhelm kam nicht umhin zu erklären: „Jedes einzelne Kapitel, fast jeder einzelne Satz wurde wiederholentlich umgeschrieben, ehe das Manuskript in die Druckerei kam. Auch nachher beschränkten sich die Korrekturen keineswegs auf die Druckfehler: alles wurde noch einmal auf Inhalt und Form geprüft; vier-, fünfmal gingen die Druckbogen hin und her. Wie mögen die Verleger gestöhnt haben ...“ (FvR/1903, 190). Doch sind, trotz Rankes hoch entwickeltem Stilempfinden, selbst in höheren Auflagen noch einige wenige Absonderlichkeiten stehen geblieben. Dazu als Beispiel ein Satzteil aus der immerhin vierten Auflage des ‚Wallenstein‘ (1880): „... der nach dem durch die Erhebung ...“ (170). Dabei konnte nicht ausbleiben, daß auch Konfusionen etwa folgender Art auftraten: Anläßlich der zweiten Auflage seines Erstlingswerkes musste er seinem Verleger im September 1874 mitteilen: „Die Bogen des Heftes zur Kritik sind dadurch in eine große Unordnung gerathen, dass das Manuscript, das in den vierten Bogen gehörte, irrthümlich an das Ende geworfen ist, was dann eine durchgreifende Umstellung nothwendig macht.“ (Geibel/1886, 62). Doch es kam im Zusammenhang mit seiner durch die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ immer höher drehenden Hektik auch gelegentlich zu Nachlässigkeiten, die noch zu betrachten sein werden. Es war wohl nicht allein die unsystematisch sich ergießende Überfülle seiner Gedanken, bildhaften Vorstellungen und Einfälle, die ihn an einer unmittelbaren geordneten, stilistisch befriedigenden textlichen Gestaltung seiner Werke hinderten. - 59 -

I/1.5 Ohne „System und Regel“

Hier stießen auch hektische Impulsivität und Spontaneität zusammen mit lähmender Skrupulosität, Unsicherheit, Unschlüssigkeit. Das Gefühl körperlicher Geringwertigkeit und innerer Unsicherheit im Verein mit einem schwach ausgebildeten System- und Ordnungssinn wird versuchsweise ausgeglichen oder verdeckt durch die Gegenextreme von Extrovertiertheit und Selbstüberschätzung, wobei seine unkoordiniert wirkende hyperaktive Motilität, seine nicht minder extreme Sprechweise, gepaart mit greller Gestik und Mimik, seine ans Unleserliche grenzende Schrift, sein ausuferndes Korrekturverhalten, seine Dominanz Abhängigen und seine Devotion gesellschaftlich höher Stehenden gegenüber als nach außen hin untaugliche, befremdende Mittel eingesetzt werden. In einem höchst seltenen wirklichen ‚Selbstzeugnis‘ spricht er von „Unbestimmtheiten“, in denen er sich befindet, „die von dem Gleichgewicht dessen, was sich dafür, und dessen, was sich dagegen sagen läßt, herrühren“ (an FR, 9. 7. 34, NBrr 188f.). Dies weist hin auf tiefere, psychische Gründe seiner historiographisch erstrebten ‚Unparteilichkeit‘. Gleichwohl ist er geleitet von höchsten Ansprüchen an die zu erreichende „Wahrheit“ und literarische End-Gestalt und überdies angetrieben von den Katalysatoren Ehrgeiz und Geltungsbedürfnis. Bei dem gewaltigen Abstand von quecksilbriger Gedankenfülle und zu erreichender fester Textgestalt mußte so ein ungeheuer komplizierter und langwieriger Objektivierungsprozeß im Sinne einer über viele Manuskriptstufen, Satzkorrekturen und auch Auflagenrevisionen sich hinziehenden Versuchs- und Entwicklungsreihe entstehen, durch eine ans Unleserliche grenzende Handschrift zeitlich und nervlich bereits vorbelastet, im Grunde wohl nie endend, doch zumeist vollauf gelungen erscheinend, eine Entwicklung, die seinen Lesern und späteren fachlichen Beurteilern gänzlich verborgen blieb, die vielmehr einen Text vorfanden, den man den höchsten Leistungen der Literatur zurechnete. Wenn Ranke in seinen Vorlesungen den Grundsatz vertrat und in seinen Werken betätigte, die Historie müsse „zugleich Wissenschaft und Kunst“ sein (WuN IV, 73), so wußte sich Herman Grimm auch einer Äußerung zu erinnern, und dies mußte kein Widerspruch sein, „die Dauer eines Geschichtsbuches hänge allein ab von der Schönheit des Stiles.“ (Grimm: Heinrich von Treitschke’s Deutsche Geschichte/(1896), 1897, 27). Es sind jedoch, wie sich zeigte, nicht allein ästhetische Momente, welche den Gestaltungsprozess derart umständlich und langwierig werden ließen, sondern auch das Bändigen einer allzu stark belebten Phantasie, das Ringen um gedankliche Ordnung und um die Kraft zur Entscheidung, auch der Wunsch, einer für wahr gehaltenen Erkenntnis die angemessene Gestalt zu verleihen. Für seinen Arbeits- und Forschungsstil ist bezeichnend, daß er wohl nie zu einer wenn auch nur geringen konsekutiven Gliederung der Phasen aus Materialbeschaffung, kritischer Sonderung, Verstehen der Zusammenhänge und Gestaltung der Erkenntnisse innerhalb eines einzelnen Werkes gelangte, wohl nur selten eine ruhige Phase längerer Besinnung und Selbstbesinnung suchte oder gar zustande brachte. Auch seine Tagebuchblätter sind ja nicht nur unzusammenhängend, sondern auch mehr zeitgeschichtlich historiographischer als persönlich reflektierender Natur. Die Suche nach Kenntnis des Neuen, Unerhörten, wie es nur unbekannte Quellen und allenfalls eine durchgreifende Kritik der bekannten bieten können, sowie ein ausgeprägter literarischer Hervorbringungstrieb sind die wechselseitigen Katalysatoren seiner getriebenen Existenz. Stets wird mit heißer Feder geschrieben. „Bin ich nicht im Flug und Feuer der Arbeit, so fühle ich, ich will es nicht leugnen, etwas Unbefriedigtes, liege es worin es wolle, in meiner Existenz.“ (an Heinrich Ritter [Apr./Mai 1835], SW 53/54, 275). - 60 -

I/1.5 Ohne „System und Regel“

Stets war er noch körperlich oder in Gedanken im Archiv, wenn sein Manuskript sich schon in der Druckerei befand und noch „alle Tage etwas Neues zum Vorschein“ kam (an Geibel, 13. 9. 76, Geibel/1886, 93). Stets war er schon in neuen Werken tätig, wenn alte noch nicht beendet waren. Einige Beispiele von vielen mögen genügen: Während der Satzarbeiten an seinem Werk ‚Zur deutschen Geschichte‘ fand er in Wien und München „so wichtige Materialien“, daß eine Unterbrechung erforderlich wurde (an Geibel, 11. 10. 68, Geibel/1886, 8). „Der Satz des Werkes ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘, dessen Manuskript Ranke der Verlagsbuchhandlung durch ein Schreiben vom 26. April 1870 angetragen hatte, war nicht allein begonnen, sondern bereits ziemlich weit vorgeschritten; das Manuskript des Buches: Ursprung des siebenjährigen Krieges, welches ebenfalls bereits nach Leipzig geschickt worden war, das aber Ranke auf Anlaß neuerdings (im Sommer 1870) im Staatsarchiv zu Wien vorgenommener Ermittelungen sich hatte zurücksenden lassen, befand sich in seinem ganzen Umfang in Berlin.“ (Wiedemann I/1891, 167f.), vor allem aber war wohl problematisch das Durch- und Nebeneinander verschiedener Produktionen: Neben der Ausarbeitung von Akademievorträgen und Universitätsvorlesungen hatte er etwa im Jahre 1844 mit den Abschlußarbeiten seiner ‚Deutschen Geschichte‘ zu tun, verschob jedoch „den Druck des sechsten Bandes der deutschen Geschichte bis nach Vollendung des serbischen Buches“, um zugleich „in der Geschichte des 18. Jahrhunderts...“ zu arbeiten (an Georg Waitz, 5. 6. 44, SW 53/54, 327). - Nicht allzu fern dem achtzigsten Lebensjahr schrieb er an seinen Bruder Heinrich: „ich bewege mich noch in unaufhörlicher drangvoller Thätigkeit“ (28. 11. 73, SW 53/54, 510). Man muß diesen von Planungsfehlern, exzessiven Manuskript- und Satz-Korrekturen, Werkabbrüchen, Titeländerungen geprägten, mit monatelangen Archivreisen, Amusements, Begegnungen, Anregungen durchsetzten Schaffensprozess kennen, um auf die schwere Zugänglichkeit seines Nachlasses, die Unterschiede der Auflagen, die bibliographischen Kompliziertheiten und Überraschungen seiner Werke, auch seinen Vortragsstil zumindest allgemein eingestellt zu sein. Auch sollte man sich nicht der Täuschung hingeben, einer seiner Briefentwürfe könne identisch sein mit der abgesandten Ausfertigung, sofern eine solche existiert, oder ein Redemanuskript mit der gehaltenen Rede, ein Vorlesungsmanuskript mit der gehaltenen Vorlesung.

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6. Kapitel (I/1.6) FACHLICHE MÄNGEL UND FACHLICHE SÜNDEN Ranke ging bei seinen Publikationen, was nie in systematisch-kritischen Untersuchungen behandelt wurde, in der Kennzeichnung und formalen Verwertung von Quellen und Literatur häufig nachlässig, jedoch auch konsequent zurückhaltend vor. Eberhard Kessel hat dies, allerdings ohne dem Problem weiter nachzugehen, sehr freundlich und pauschal so formuliert: „Das Verhältnis Rankes zu seinen Quellen, das bisher noch nicht ausreichend untersucht worden ist, war ja ein sehr freies.“ (1962, 27). Häufig liefern seine Quellenangaben keinen Hinweis, ob es sich um bislang unveröffentlichte Archivmaterialien oder um gedrucktes Material handelt, zuweilen ist ein und dieselbe Quelle in unterschiedlicher Weise benannt, gelegentlich nur vage angedeutet. Da finden sich Wendungen folgender Art: „Fr. Vettori sagt…“ (DtG II, 1. Aufl., 1839, 323, A. 2). - „Vettori: Sacco di Roma, scritto in dialogi ...“ (394, A. 1). – „Vettori Storia d’Italia erzählt ...“ (395, A. 2). - „Francesco Vettori Storia d’Italia MS fügt hinzu ...“ (397, A. 1). Hier ist zumindest die erste Angabe unbestimmt. Von noch abstrakterer Art sind folgende Formulierungen: „Wie eine venezianische Relation ausführt“ (DtG II, 6. Aufl. 1881, 299, A. 2), „wie ein italienisches Manuscript sagt“ (FranzG I, 1. Aufl. 1852, 537), „wie ein Venetianer sagt“ (EnglG V, 1. Aufl. 1865, 383). Das hat in seinen Narrationen vielleicht literarisch-athmosphärische Bedeutung, eine quellenbelegende hat es nicht. Auch Aussteller oder Empfänger von Schreiben werden gelegentlich nicht genannt. In FranzG III, 1. Aufl. 1855, 185 (und in allen weiteren) benutzt er die Relation Nanis von 1660. Doch handelt es sich um Agostino, Battista, Bernardo, um einen der beiden Giacomos oder gar um Zuanne? Man muß zumindest die Lebensdaten aller kennen, um sich hier vielleicht für den letzten entscheiden zu können. Auch ein Hinweis der Art: „wie der Venetianer Ziane sich ausdrückt, Disp[accio]. 29 Martio“ (DtG II/1839, 137, A. 137) ist wenig hilfreich, und woher das Schreiben „Erasmus an Herzog Georg von Sochsen [!] 1524 12 Dez.“ (DtG I/1839, 318, A. 1) stammt, bleibt ebenso ungesagt wie die des „Schreibens von Minkwitz: Leipzig Sonntag nach Francisci“ (DtG II/1839, 479, A. 1). Auch der Hinweis „Richard Pace erzählte dem Venezianer Suriano...“ (DtG II, 1839, 300, A. 1) bietet keinen Nachweis. Vermutlich stammt das Zitat aus der „Relatio n. v. Antonii Suriani de legatione Florentina 1529“, die Ranke, freilich ohne Herkunftsangabe, in Bd. III/1840, 212, A 2) zitiert. Nicht selten verwertet er auch Quellen, ohne sie im Fluß der Darstellung überhaupt nur andeutungsweise zu benennen. In seiner ‚Französischen Geschichte‘, Bd. II heißt es immerhin von den sogenannten ‚Memoiren‘ Richelieus „auf die ich mich meistens gründe, auch ohne sie zu citiren“. - Als eine der Quellen seines Bosnien-Aufsatzes (1834/1879), wo er von den Konversionen bosnischer Landesbewohner zum Islam handelt, nennt Ranke die ‚Mémoires‘ des Ibrahim Manzour, allerdings ohne die Belegstelle genauer zu bezeichnen (wie Grimm/1971, 24f. bemerkt). Für die längeren Ausführungen über Mustapha Pascha von Skutari wird auf Quellenhinweise gänzlich verzichtet (ebd., 25). Auch zeitgenössisch blieb nicht verborgen, daß in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ aus den „Berichten der Gesandten, aus den Reichstagsacten, aus der Correspondenz des Kaisers [Karls V.] ... oft mit, oft ohne Anführungszeichen charakteristische Worte und Wendungen herausgehoben, in die Erzählung verflochten“ werden (Rettberg/1845, 201). - 62 -

I/1.6 Fachliche Mängel und fachliche Sünden

Das aus heutiger Sicht befremdliche Nachweis-Verhalten Rankes ist indes nicht stets als Nachlässigkeit zu werten. Es ist wohl auch gelegentlich Ausdruck fehlgeleiteter fachlicher Souveränität, Stilmittel einer literarisch geprägten, vergegenwärtigenden Darstellungsweise, die zuweilen phantasievoll über das historiographische Ziel hinausschießt, und dürfte vereinzelt auch von forschungstaktischen Gründen bewußten Verdeckens bestimmt gewesen sein. Überdies ist zu berücksichtigen, daß die heutigen Zitier- und Nachweis-Standards zu Rankes Zeiten noch nicht allenthalben angewandt wurden. Diese Gegebenheiten, welche heute jede Seminararbeit in den Abgrund reißen würden, stellen indes an eine wissenschaftliche Benutzung und gar an einen historischkritischen Werk-Editor hohe und nicht in vollem Umfang zu erfüllende Anforderungen. Selbst das erfreuliche Überdauern der Rankeschen Bibliotheks-Bestände in Syracuse/ USA mitsamt einer Vielzahl von ihm gesammelter, für seine Veröffentlichungen genutzter historischer Manuskripte, die ja bei weitem nicht sein gesamtes gewaltiges Quellen-Repertoire bilden, kann da nur wenige Probleme lösen. Nachweis-Mängel gehören allerdings nicht zu den gravierenden Fehlleistungen in Rankes Quellen- und Literaturbenutzung. Bereits Heinrich Leo hatte in seiner legendären Kritik des Rankeschen Erstlings von einigen angeblich auf Pirkheimer beruhenden lebendigen Schilderungen in seiner eigenen Ausgabe (Frankfurt 1610) „keine Sylbe“ gefunden (Manin, H. L. [d. i. Heinrich Leo]/1928, 136). Es traf auch, wie Leo (ebd.) zeigte, auf andere dargestellte „poetische Zusätze“ „sentimentaler“ Art zu. Dies mußte schmerzhaft sein, hatte Ranke sich doch programmatisch in seinem Erstlingswerk vorgenommen: „nur kein Erdichten, auch nicht im Kleinsten, nur kein Hirngespinst.“ (ZKritik/(1824) 21874, 24*). - Zeitgenossen warfen ihm in den ‚Päpsten‘ auch eine unkritische Benutzung der venezianischen Relationen und deren ungenaues Zitieren vor (so z. B. der Vf. E. in: L’Ami de la religion, Paris 1838). Später beurteilte Paul Fridolin Kehr (1860-1944), der es wahrlich wissen mußte, Rankes ‚Päpste‘ als ein „durch keine neue Forschung zerstörbares Kunstwerk, aber die quellenmäßige Grundlegung ist unzureichend“ [aufgrund der Unzugänglichkeit des Vatikanischen Archivs]. (Dok. 10 in: Blanke: Transformation/1994, 254). Massiv sind auch die Beanstandungen einiger Schüler. Einer der frühesten, Felix Papencordt (1811-1841), hatte gerade einen Preis der Pariser Akademie erlangt und war auf dem Wege zu einer a. o. Professur in Bonn, als er 1838 in einer Besprechung der Rankeschen ‚Päpste‘ einzelne Momente der Darstellung wie auch allgemeine Anschauungen einer deutlichen Kritik unterzog. So beanstandete er die Begründung für den Rückzug des Konzils von Trient nach Bologna ([Papencordt:] Ranke’s History of the Popes/1838, 39), vermißte die Benutzung der von Mansi in den beiden letzten Bänden zu ‚Stephani Baluzii Miscellanea‘ (4 Bde. 1761-1764) herausgegebenen Materialien (44), warf Ranke eine unkritische Einschätzung der generellen Bedeutung seiner bevorzugten Quellengattung, der Relationen, vor (43f.) und gestand anhand von Beispielen, es sei ihm nicht gelungen, zu ergründen, weshalb Ranke manche Gegenstände ausführlich darstelle und andere vernachlässige (44. Weiteres I, 221f.). Von noch robusterer Art ist die nicht öffentliche Kritik der Ranke-Schüler und Freunde Carl von Noorden (1833-1883) und Wilhelm Maurenbrecher (1838-1892) an der Oberflächlichkeit und Einseitigkeit der Forschung ihres Lehrers. Dies konnte Maurenbrecher bei seinen Archivarbeiten in Simancas feststellen, als er zu den von Ranke benutzten Relationen nun das entsprechende Aktenmaterial heranzog und oft über Rankes „Sachen wirklich laut lachen“ mußte. So habe Ranke über das Konklave - 63 -

I/1.6 Fachliche Mängel und fachliche Sünden

von 1559 „statt aller Berichte darüber ... eine ... nichtssagende Anekdote“ gegeben (an Noorden, 28. 8. 62 bei Philippsborn/1963, 102). Ihm schwand „die Achtung vor Rankeschen Büchern; er trifft das Allgemeinste wohl, aber schief oft jede nähere Bezeichnung...“ (ebd.). Maurenbrecher erschienen bei seinen Archivforschungen überhaupt „die spanische Monarchie und die Venezianer in Morea in einem ganz anderen Lichte ... als in Rankes Darstellung“ (ebd., 103). Im fünften Band von Rankes ‚Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ gerät er „oft in Verzweiflung, weil Ursache und Wirkung, Vorhergehendes und Nachherkommendes durcheinander geworfen ist, dass einem die Haare zu Berge stehen.“ (an Noorden, 26. 7. 63, ebd., 102). Ähnliches stellte später Peter Hanns Reill in Rankes ‚Französischer Geschichte‘ fest: „it is fascinating to see how often Ranke consciously ignored chronology, violated the already established rules of evidence, and avoided specification. Important developments seem to take place by themselves, often without direct connection to specific occurences.“ Weiterhin bemerkte er unbestimmte Angaben und den Gebrauch von Anachronismen (Reill/1990, 33). Doch Reill interessierte dies vornehmlich im Hinblick auf Rankes Darstellungskunst und allgemeine Geschichtsanschauung. Überhaupt muß man in Rankes Beiseitelassen des höchst bedeutenden ‚Archivo General de Simancas‘ eine beträchtliche Schwäche seiner ansonsten ausgedehnten Archiv-Forschungs-Reisen sehen. Er verzichtete auf Material, das nahezu für jede seiner Arbeiten zum sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert von großer Bedeutung gewesen wäre. Sie wurden nicht nur von Maurenbrecher, sondern unter anderem auch von seinem Schüler Bergenroth (1813-1869) durchgeführt. Von Rankes Lieblingsschüler Ernst Dümmler (1830-1902) werden 1886 bei der ‚Weltgeschichte‘ Mängel in Quellen- und Literaturbenutzung beanstandet (s. I, 349f.), findet er doch manches vor, das „mindestens in den Urtheilen der [quellenerzeugenden] Zeitgenossen keine Stütze“ hat (52), ja, die Rankesche Schilderung historischer Gestalten falle „vielfach günstiger aus, als es die von der Einseitigkeit der Quellen beherrschte landläufige Auffassung zugeben möchte“ (54), wozu einige Beispiele gegeben werden. Kennzeichnend für diese mit leiser Ironie vorgebrachte Kritik ist auch die Bemerkung, Ranke schienen die Jahrbücher Ottos von der Hand Doenniges’ lieber zu sein als deren neuere Bearbeitung (55). Ferner überzeugen ihn einige Schuldminderungen und Inschutznahmen historischer Gestalten nicht (55). Dem späteren MGH-Direktor können auch unzutreffende oder inkonsequente Beurteilungen und Nutzungen bestimmter Quellen nicht entgehen, z. B. Liudprand, Widukind von Corvey, Benedikt vom Sorakte, die Chronik von Salerno (56). Nicht minder werden Mängel in der Berücksichtigung der Forschungsliteratur vermerkt. Abweichungen von den Ansichten der Vorgänger würden von Ranke „bisweilen eigens bekannt, viel häufiger mit Stillschweigen übergangen oder nur angedeutet“ (ebd.): Die Benutzung der Göttinger Dissertation von Johannes Moltmann über ‚Theophano, die Gemahlin Ottos II. in ihrer Bedeutung für die Politik Ottos I. und Ottos II.‘ (Schwerin: Bärensprung 1878) und von Ferdinand Hirschs ‚Byzantinischen Studien‘ (Lpz.: Hirzel 1876) beispielsweise würde „vielleicht wenig an den Sachen, aber manches an den Citaten geändert haben“ (57). Auch Josef Edmund Jörg (s. I/2.1.5.2) kritisierte in seinem „aus den diplomatischen Correspondenzen und Original-Akten bayrischer Archive erarbeiteten“ Werk über ‚Deutschland in der Revolutions-Periode von 1522 bis 1526‘, im Jahre 1851 erschienen, einige Stellen in Rankes Darstellung ‚Deutscher Geschichte‘, die quellenmäßig unbelegt seien (85) oder „die der Wahrheit wenig“ entsprächen (83, ähnlich 88, 91, 93, - 64 -

I/1.6 Fachliche Mängel und fachliche Sünden

95, 602). Auch ein mutiger Rezensent von Rankes ‚Französischer Geschichte‘ fand: „Manchem Leser würde er einen guten Dienst erweisen, wenn er sich die Quellencitate etwas mehr, etwas genauer und etwas sorgfältiger angelegen sein lassen wollte.“ (E.: [Bespr. von FranzG I u. II]. In: Kathol. Lit.-Ztg./16. 4. 1855, 123). - Harry Bresslau (1848-1926), dem quellenbezogene Professionalität nicht abzusprechen ist, erblickte in Rankes Studie über Fredegar und die Gesta Francorum in ihrem Verhältnis zu Gregor von Tours, behandelt in den Analekten zu Band IV der ‚Weltgeschichte‘, gar „eine Abkehr von ... Grundsätzen gesunder Quellenkritik“, gegen die Waitz sogleich „Verwahrung“ eingelegt habe (1890, 292). Hinzu kommen Mängel, über die Johannes Janssen 1873 an Onno Klopp schrieb: „Sie können kaum glauben, auf welchen Dingen ich Ranke attrappiert habe. Unter seinen Zitaten aus dem hiesigen Archiv [Frankfurt/M] ist fast kein einziges richtig!“ (Johannes Janssens Briefe I/1920, 440). Ähnlich sein Brief an Klopp aus dem Jahre 1875: „Über Ranke urteile ich wie Sie. Ich kann ihm furchtbare Verstöße nachweisen.“ (ebd, II, 29). Auch Pastor, dessen defensorisches Gegen- und Lebenswerk ganz im Banne der Rankeschen ‚Päpste‘ stand, blieb da nicht untätig. An Klopp, 1877: „Ich habe deshalb in Berlin die betreffenden Handschriften, die Ranke benutzt hat, verglichen und gefunden, wie liederlich und ungenau, zum Teil auch wie parteiisch Ranke dieselben benützt hat.“ (Klopp, W./1934, 31, s. auch I/2.1.5.2). Zu diesem Thema gehört auch die gelegentlich dokumentierte Geschwindigkeit, ja Flüchtigkeit, mit der Ranke ganze Berge von Akten mit offensichtlich überwiegend vorgefaßten Suchzielen visitierte, was nicht illegitim ist, aber die Bereitschaft nicht ausschließen sollte, Unerwartetes wie Umfassendes in Ruhe zu prüfen. August Fournier erinnerte sich, 1873 im Wiener Staatsarchiv für Ranke tätig gewesen zu sein: „Ich habe denn auch redlich und mit begreiflicher Liebe für den großen Geschichtsforscher auf dem Staatsarchiv kopiert, was er mit einer imponierenden Schnelligkeit in ganzen Stößen von Akten an einem Vormittag ausgewählt und als Exzerpt bezeichnet hatte.“ (Fournier/1923, 106). Auch seinen Amanuensen Georg Winter hat anfangs „die großartige Schnelligkeit, mit der er aus dem bloßen Vorlesen aus dicken Convoluten die einzigen Stellen, die für ihn von Erheblichkeit waren, herausfand, in bedenkliche Unruhe“ versetzt (Winter: Erinnerungen/1886, 214). Otto Hintze charakterisierte später den Unterschied Rankescher und Droysenscher Archivarbeit so, als sei Ranke „gleichsam nur mit spitzen Fingern“ in Berichten über die Geschäfte tätig geworden, wohingegen Droysen sich mit Hilfe der in den Akten vorliegenden geschichtlichen Überreste „an die Geschäfte selbst“ gemacht habe (Hintze: Drosen, Johann Gustav. In: ADB 490 48 (1904), 82-114, u. in: Hintze/1982, 453-499, hier 490.). - Skepsis hinsichtlich Rankes archivalischen Studien ist also nicht unbegründet. John Lord Dalberg Acton vermutete, daß Ranke für Band VI seiner ‚Englischen Geschichte‘ die Manuskripte des British Museum, darunter die Berichte Melforts, wohl nur „rather hastingly“ konsultiert habe. Auch die Heinsius-Papiere böten erheblich mehr, als Ranke herausgeholt habe ([Acton, John Lord Dalberg:] Ranke/1867, 393, 395), und Pastor schreibt zum 31. 7. 79 über Rankes Benutzung der römischen Handschriften in sein Tagebuch: „Ungenauigkeiten, Fehler und sogar ... eine Fälschung.“ - „ ... seine Auswahl sehr willkürlich und unvollständig“ (Pastor, Tagebücher/1950, 135). Hingegen biete die Darstellung Johannes Janssens für die Zeit von 1525-1555 „weitaus mehr“ als Ranke, besonders über das von diesem „arg - 65 -

I/1.6 Fachliche Mängel und fachliche Sünden

vernachlässigte innere Leben der Nation“, zudem sei er besonders in archivalischen Angaben viel genauer (Pastor: Johannes Janssen/1892, 92). Janssen, Klopp und Pastor (s. I/2.1.5.2) mögen als ultramontane Historiker nicht ganz vorurteilsfrei erscheinen, doch nach näherer Betrachtung des allgemeinen Rankeschen Arbeitsstils und der Art seiner Archivarbeit kann man ihre Äußerungen für glaubhaft halten, zumal sich auch Stimmen vernehmen ließen und lassen, denen man keine Missgunst nachsagen würde. So hat Vuk Stefanović Karadžić in einem Schreiben vom 12. 1. 45 an Ranke (Vukova prepiska, V/1910, 668-670), bereits auf sachliche Fehler, mangelnde Vollständigkeit und Deutlichkeit der 2. Auflage der ‚Serbischen Revolution‘ hingewiesen. Selbst der Ranke mehr als gewogene Bibliograph und Biograph Hans F. Helmolt mochte Mängel im Werk nicht ganz verschweigen, lastete sie aber Rankes Helfern an oder verbrachte sie in seine Anmerkungen. Zur ‚Französischen Geschichte‘ bemerkt er als fehlgeleiteter Bewunderer „rankischer Akribie und Zuverlässigkeit“, der Briefwechsel der Herzogin von Orléans mit der Kurfürstin Sophie sei „von bezahlten Hilfskräften kollationiert worden und nur mit Vorsicht zu benutzen“ (Helmolt/1921, 140). An anderer Stelle spricht er von „einer Zahl grober Fehler“ (ebd., 161.). Ranke hingegen - und darauf kam es an - hatte ausdrücklich einen „buchstäblich genauen Abdruck der Originale“ in Aussicht gestellt (FranzG V, 1861, 281). Ähnlicher Herkunft mögen Fehler in der Ausgabe des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen (1. Aufl. 1873) sein. Über das ihr pflichtgemäß vorgelegte Manuskript urteilte die Königinwitwe Elisabeth (1801-1873) in einem Brief vom 11. 1. 72 an Alfred von Reumont: „Er hat es diktiert, wahrscheinlich sehr schnell mit seiner undeutlichen Aussprache; daher ist er wohl nicht immer von seinem Schreiber verstanden worden. Es ist unbegreiflich schwer zu lesen, dabei auch sehr nachlässig geschrieben, man kann es die meiste Zeit nur erraten“ (Hüffer/1904, 213f.). Eine Bestätigung dazu mag man einem Brief Alfred Doves an Heinrich von Treitschke entnehmen. Bei Neuausgabe des Briefwechsels nach Rankes Tod in Bd. 49/50 der ‚Sämmtlichen Werke‘ habe er „eine Anzahl unzweifelhafter Lesefehler in den Briefen des Königs … kurzerhand verbessert.“ (Stadler-Labhart/2008, 67f.). „Kurzerhand“ dürfte bedeuten: ohne Rückgriff auf die Originalvorlagen. Nun sind es nicht allein Mängel in Nachweis, Benutzung und Wiedergabe seiner Quellen. Ranke hat, und auch dies ist in größerem Umfang nicht untersucht worden, weder stets den jeweils neuesten Forschungsstand in ausreichender Weise in seine Arbeit einbezogen, noch stets notwendige persönliche Voraussetzungen für die Behandlung bestimmter Themata geschaffen. Mit Recht empfand er bei der Ausarbeitung der ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert‘ (1827) seine Unzulänglichkeit in Hinsicht spanischer und gar arabischer Sprachkenntnisse (an Perthes, 12. [Paulsen/1922, 58f.] Juni 1825, Oncken/1925, 218), setzte sich jedoch darüber ebenso hinweg wie über seine Unkenntnis des Serbischen. Es war auch - wie bereits bemerkt Rankes „Pech, daß Maurenbrecher in Simancas zu den venezianischen Relationen auch das einschlägige Aktenmaterial fand, durch das die spanische Monarchie und die Venezianer in Morea in einem ganz anderen Lichte erscheinen als in Rankes Darstellung“ (Philippsborn/1963, 103). Dies hat natürlich über die Bedenken hinsichtlich der ‚Vollständigkeit‘ bzw. Auswahl seines Quellenmaterials und der Angemessenheit seiner Interpretation hinaus grundsätzliche Bedeutung: Ranke verfügt gelegentlich über die Bereitschaft, sein hohes Wissenschaftsethos und die Schärfe seiner Kritik in praxi preiszugeben, wenn anders eine Veröffentlichung nicht zu verwirklichen ist. - Doch sollte - 66 -

I/1.6 Fachliche Mängel und fachliche Sünden

man ihm immerhin zugute halten, daß er sich nachdrücklich für eine entsprechende Förderung Wilhelm Maurenbrechers eingesetzt hatte (Brief R.s an den preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Heinrich v. Mühler, 11. 2. 63 (NBrr 430), betr. die Förderung seines Schülers Wilhelm Maurenbrecher, i. b. von dessen Projekt einer ‚Publikation der in Simancas befindlichen Aktenstücke zur Deutschen Geschichte aus der Zeit Philipps II.‘ (s. II/4.1). Bei Rankes mehrbändigen Werken sei „die neueste Literatur zu verschiedenen Zeiten ungleich benutzt worden“, weiß Wiedemann (III/1892, 98). Bei Neuauflagen seien „sehr bedeutende Werke gar nicht oder doch nicht genügend berücksichtigt worden“, z. T. wegen „Zeitmangels und zufälliger Verhältnisse“ (ebd.). Wiedemann weiß noch mehr darüber. Die Rankesche Chaotik und Produktionshektik habe bei ‚Wallenstein‘ dazu geführt, und Ranke glaubte, hier sei es ihm „zuerst“ [!] begegnet, daß er „einige für dieses Werk nutzbare Bücher, von denen er sehr wohl wußte, im Grunde bloß aus Zufall nicht eingesehen“ hatte, „was ihm äußert unlieb war“ (ebd. XIV/1893, 353). Zu einem weiter reichenden Ergebnis kam Josef Pekař in seinem Werk ‚Wallenstein 1630-1634. Tragödie einer Verschwörung‘ (1937), v. a. in Bd. I, 149 mit einer „Einführung in das Problem und dessen Literatur“, worin er feststellt, Ranke habe „das seinerzeit zugängliche Material“ - z. B. die Arbeiten Karl Helbigs „nicht ausreichend benutzt“ (33f. Weiteres 303, 708f. u. ö. in Bd. II, Anm.-Bd.). Ähnlich hatte auch John Lord Dalberg Acton über Ranke - anonym - geurteilt: „He devines much that he does not prove; and the weight of his own opinion makes him careless of his authorities.“ (Acton/1867, 393). Vielleicht spielt auch ein wenig mit, daß der weitaus größte Teil der neueren Erscheinungen in Rankes Bibliothek nicht vorhanden war (Hoeft/1937, 20), was auch für sich genommen als bezeichnend angesehen werden kann. Freilich wurde für ihn manches aus der Königlichen Bibliothek herbeigeschafft. Einige Mängel dürften darauf zurückzuführen sein, daß Ranke neben fortschreitender Schwerhörigkeit durch Sehbehinderung - von einer Erblindung kann allerdings keineswegs die Rede sein - auf eine vorwiegend verbal-akustische Zusammenarbeit mit seinen Amanuensen angewiesen war. Dove führt darauf zurück, daß „zumal in den Analekten - selbst erhebliche Irrthümer zutage“ traten (D[ove]/(1888), 1898, 184). Selbst Rankes Verehrer Hans Delbrück kam in seinen Berliner weltgeschichtlichen Vorlesungen nicht umhin, zu bemerken: „Vieles war sogar schon veraltet in dem Augenblick, als Ranke es veröffentlichte“ (Delbrück: Weltgeschichte I/1923, 8f.). Auf ungleichmäßige und unzureichende Aktualisierungen der Analekten in Rankes ‚Päpsten‘ machte Alfred von Reumont 1884 noch zu Lebzeiten Rankes aufmerksam. Auch habe Ranke in den fünf Auflagen von 1834 bis 1874 in seiner Darstellung die „außerordentlich reiche neuere Literatur“ für die Zeit des Tridentinum und „die deutschen Religionsangelegenheiten ... unberücksichtigt gelassen“ (Reumont/1884, 633). - Rodolphe Ernest Reuss gewann bei der Lektüre von Rankes ‚Wallenstein‘ den Eindruck, daß fast die gesamte voraufgehende Forschung, so von Förster, Helbig und Opel ignoriert worden sei, wozu er den Begriff der „inaperception“ benutzte (1870, 95, s. I, 307). Bedenklicher noch erscheine der dadurch hervorgerufene Eindruck, die meisten der von Ranke geschilderten Tatsachen seien vor ihm nicht bekannt gewesen, während doch nur wenige Resultate wirklich neu seien. Grete Freitag hat in ihrer kaum beachteten Dissertation ‚Leopold von Ranke und die Römische Geschichte‘ einen Blick auf „Rankes Arbeit mit der ‚modernen‘ Forschung“ - 67 -

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geworfen. Immerhin fand sie Nachweise für „zunächst rund 250 Titel..., welche er für den römischen Teil der ‚Weltgeschichte‘ benutzt hat; doch sprechen diese nicht für eine gleichmäßige und systematische Sichtung der Forschung.“ (Freitag/1966, 39). Gleichwohl habe, wie Freitag betont, bei diesem Werk eine gewollte Orientierung an der neuesten Forschung stattgefunden. Allerdings wurde schon zeitgenössisch u. a. beanstandet, daß Ranke in Band I seiner ‚Weltgeschichte‘ nicht die Resultate kenne, zu welchen die Bibelforschung durch Julius Wellhausen (1844-1918) gelangt sei (Floigl/ 1881, 286). Auch Heinrich Holtzmann wies darauf hin, daß für Ranke „eine eigentliche Kritik der neutestamentlichen Geschichtsquellen einfach nicht“ existiere (Holtzmann/ 1883, 266). * Schwerer noch als der teils nachlässige, teils altersbehinderte Umgang mit Quellen und Forschungsliteratur wiegt das bewußte Verschweigen von Vorgängern und Vorbildern, von Hilfen und Übernahmen, schwerer wohl noch das Verschweigen oder Verfälschen historischer Tatsachen. Schon sehr früh fiel Zeitgenossen der verdeckende Umgang Rankes mit seinen Quellen und Informationsmitteln auf. Ein anonymer Rezensent seiner ‚Päpste‘ bemerkte darin die „umfangreichsten Studien gedruckter, zugänglicher Werke, von welchen der Verf. freilich kein Wort sagt, die man aber doch überall durchmerkt...“ ([Rez. Nr.] 74/1836, 911). Auch Rodolphe Ernest Reuss (1841-1924) wußte später: „rien n’est plus rare que de le voir citer un des nombreux historiens qui, depuis d’un demi-siècle, ont suivi ses traces“ (Reuss/1878, 147). Während John Lord Dalberg Acton in einem vor 1864 verfaßten Rezensionsentwurf zu Rankes ‚Englischer Geschichte‘ lapidar bemerkte, „Ranke deceives ... by selection“ (Papers in: Butterfield/1955, 222), fand der Ranke-Verehrer Alfred Stern (1846-1936) in seiner Gedächtnisrede die verunglückte diplomatische Formel: „Es kommt öfter vor, daß er durch Verschweigen fehlt, aber viel seltener fehlt er durch Behaupten.“ (Stern 1887, 1914, 49). - Von unbestimmter Art sind auch folgende Beanstandungen bzw. Bemerkungen. Jacob Burckhardt lobt während seines Studiums bei Ranke dessen „herrliche Darstellung“, sie gehe jedoch z. T. auf Kosten der Wahrheit (an H. Schreiber, 2. 10. 42, Burckhardt, Jacob: Briefe I/1949, 216f.). Der bereits herangezogene Wilhelm Maurenbrecher muß bei Archivarbeiten erfahren und liefert dafür J. L. Fr. Weizsäcker, Mitarbeiter der Historischen Kommission und Verehrer Rankes, „den Nachweis schlagend ..., wie Ranke gearbeitet hat. Die Dokumente, die ich vorhatte, hatte Ranke ebenfalls gelesen, da er sie zitiert, und es steht geradezu das Gegenteil von dem darin, wie er die Dinge darstellt ...“ (Maurenbrecher an Noorden, 13. 9. 63, bei Philippsborn/1963, 102.). Nach diesen allgemeinen Bemerkungen darf man unter den konkreteren Feststellungen zunächst eine geringfügige Manipulation heute noch wissenschaftsüblicher Natur, die Behandlung Johannes Janssens anläßlich einer am 30. September 1868 gehaltenen Rede Rankes zur Eröffnung der IX. Plenarversammlung der Historischen Kommission, verbuchen: „Ranke besprach in dem Vortrag das dreibändige Werk Janssens über Böhmer, wobei er das Kunststück ausführte, den Namen des Verfassers auch nicht einmal zu nennen!“ (Briefe von Onno Klopp an Johannes Janssen [hg.] von Ludwig Freiherrn von Pastor/ 1919, 396). Der Katholik Janssen hatte sich damals im wesentlichen erst mit einer Edition der „Frankfurts Reichskorrespondenz“ (2 Bde., 1863) hervorgetan. Später wurde er Ranke gefährlicher. - 68 -

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Von ernsterer Art ist die Behandlung eines Ranke näherstehenden Verfassers: Vuk Stefanović Karadžić. Seine Mitwirkung bzw. Verfasserschaft an der allein unter dem Namen Rankes 1829 erschienenen ‚Serbischen Revolution‘ wurde von diesem karrierebewußt unterdrückt, obgleich der Serbe - wie die Forschung immer deutlicher herausarbeiten konnte - einen Platz auf dem Titelblatt verdient hätte. Jelesijević (2007) geht so weit, zu erklären: „Nur das zwölfte Kapitel hat Leopold Ranke selbst verfaßt.“ (144f. - Siehe dazu i. e. II/1.1). Bartholomäus Kopitar, der Anreger des Werkes, fand nicht einmal im Vorwort eine Erwähnung. So ist es auch - wie bereits Selesković (1941) nachweisen konnte -, Čedomil Mijatović und Djordje Popović ergangen, deren Ausarbeitungen von Ranke in seinem ‚Fürstentum Serbien‘ benutzt, aber nicht genannt wurden. Sehr früh hätte zu denken geben müssen, wie Ranke die im Untertitel ‚Aus serbischen Papieren und Mittheilungen‘ genannten ‚Papiere‘ hatte benutzen können, da er doch der serbischen Sprache nicht mächtig war, was auch sein Amanuense Georg Winter bestätigt (W[inter]/1879, 361-363), überhaupt, welche ‚Papiere‘ im einzelnen herangezogen wurden, denn darüber schweigt sich Ranke aus. Und hinsichtlich der dort ebenfalls hervorgehobenen „Mittheilungen“ steht es kaum besser: Schon Heinrich Wuttke (1818-1876), Schüler Stenzels und Rankes und 1839 über dessen Vorbild Thukydides promoviert, wies 1848 darauf hin, daß Ranke die in seiner Vorrede (IV) genannten „bejahrten, wohlbewanderten Leute“, seine Gewährsmänner, denen die „Mittheilungen“ zu verdanken seien, nicht persönlich vernommen hatte: „Nur aus dritter Hand empfing er, was er wieder gab ... Nicht auf dem Worte der zwölf Genannten[,] sondern auf dem, was Wuk ihren Berichten entnahm[,] ruht die Glaubwürdigkeit der Ranke’schen Erzählung.“ (Wuttke/1848, 230). Bemerkenswert an Wuttkes Kritik, die v. a. die Glaubwürdigkeit Vuks in Zweifel zieht, ist neben der Tatsache, daß er RankeSchüler war, auch: Sie erschien in der von Rankes Schüler Wilhelm Adolph Schmidt begründeten und von Ranke nominell mitherausgegebenen ‚Allgemeinen Zeitschrift für Geschichte‘, wenn auch im letzten ihrer Bände. Erstaunlich, daß Wuttke später noch eine Professur in Leipzig erhielt. Inhaltlich beanstandete der liberale Wuttke (s. MüllerFrankenstein, Georg in ADB 44/1898, 569-572), daß Rankes damals meinungsbestimmendes Werk durch die einseitige Fundierung durch Vuk, „um es kurz zu sagen, eine Lobschrift auf den Fürsten Milosch“ darstelle und damit „den Ruhm eines Despoten enthalte“ (229). Zu bedenken ist auch, daß das von Goethe gelobte Werk - „ein verdienstliches Büchlein“ (WW, Sophien-Ausg., III. Abt., 12. Bd./1901, 39) - in seiner farbigen, lebendigen Darstellung Ranke auch in dieser Hinsicht nicht eigentlich angehört, sondern, wie Kopitar am 4. 2. 29 an Jakob Grimm schrieb, „ex ore Vukii“ herrührte: „Sie werden es gerne lesen.“ (Vasmer: Kopitars Briefwechsel mit Jakob Grimm/1938, 61). Kein Wunder, daß auch Niebuhr, der mit Rankes Verleger befreundet war, das Werk unwissentlich in seiner geborgten Eigenart loben konnte (s. I/2.1.1). Beide Stimmen erwiesen sich für Ranke als sehr nützlich, obgleich sie im Grunde einer Täuschung erlagen. Er selbst, der es besser wußte, fühlte sich jedenfalls bestärkt und erhoben: „Ich habe über diese Schrift eine Stimme gehört, die mich wider alle Afterreden waffnet“, schrieb er aus Rom an seinen tiefgläubigen Bruder Heinrich, 15. 11. 29 (SW 53/54, 228). Der bereits herangezogene Carl von Noorden stellte nach Archivarbeiten und Begegnungen mit Ranke zu dessen ‚Englischer Geschichte‘ fest: „Er verdankt dem preußischen Residenten in London das meiste Neue, von Macaulay abweichende im 6ten Bande [EnglG VI 11866] weit mehr als in den Noten angegeben.“ (an Sybel, 8. 12. - 69 -

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66, Philippsborn/1963, 111). Ein Rezensent des ‚Literarischen Centralblatts‘ hielt das Urteil Macaulays über Charles I. und Cromwell für richtiger als das von Parteilichkeit geprägte Rankes. Charles‘ „Zweizüngigkeit“ werde von Ranke „vertuscht, entschuldigt“ (Anonym: Bespr. von EnglG III/1862, 185) und mitunter geradezu verschwiegen (ebd.), die ganze Charakteristik sei „offenbar viel zu günstig“ (186). In gemäßigter Form wird verschwiegen bei der Untersuchung des bereits von Voltaire in seiner Echtheit bestrittenen ‚Politischen Testaments‘ Richelieus. Rankes nicht ganz vorurteilsfreier, aber historisch versierter beständiger Leser Varnhagen von Ense notierte dazu am 7. 11. 54: „...die nähere Prüfung zeigte, daß Voltaire’s kritischer Scharfblick durch dies [von Claude Bernard Petitot: Collection des mémoires relatifs a l’histoire de France: depuis l’avènement de Henri IV jusqu’ à la paix de Paris conclue en 1763. T. 25: Mémoires de Richelieu, Paris: Foucault 1823] vermehrte Material nur gerechtfertigt werde. Ranke hat dies überzeugend dargethan, durch eindringende Prüfung, bei der es ihm doch nicht beliebte, Voltaire’s in verdienten Ehren zu gedenken.“ (Aus dem Nachl. Varnhagen’s v. Ense. Tgbb. XI/1869, 303). Ob das Verschweigen sich im Folgendem mit ‚Täuschung‘ verbindet, oder ob man nur von fehlgeleiteter Begeisterung reden sollte, mag hier unentschieden bleiben. Der angesehene Wallenstein-Forscher Anton Gindelý (1829-1892) jedenfalls hat mit Bezug auf Rankes ‚Französische Geschichte‘ 1861 geäußert, die Flachheit seiner Studien sei erstaunlich, die Quellenzitate seien mehr durch Zufall zusammengefügte Brocken, dazu bestimmt, den Eindruck zu erwecken, sie seien das Ergebnis systematischer Studien, während überdies die Kenntnis der gesamten Literatur fehle. Auch von der des öfteren durch Ranke genannten Simancas-Sammlung habe dieser nie ein Dutzend Bände gesehen (bei Dickens/1982, 575). - Der englische Reformationshistoriker Arthur Geoffrey Dickens (1910-2001) vertrat später ergänzend die begründete Auffassung, daß Ranke in wesentlich geringerem Maße, als in der anschaulichen Entdeckungsgeschichte seiner Vorrede geschildert, in der ‚Deutschen Geschichte‘ archivalische Quellen benutzt habe, vielmehr in weitem Umfang auf gedruckten Quellen zahlreicher Vorgänger beruhe (1982, 574): „...his enthusiasm for manuscript sources, and his desire to excel as a practioner in this sphere, do tend to obscure his immense debts to other workers, and even to exaggerate the novelty of his own discoveries.“ (1982/576). Auch habe er, wie Dickens aus eigener Erfahrung weiß, von den angeblich durchforsteten wände- und raumfüllenden Bestandsmassen in der zur Verfügung stehenden Zeit überhaupt nur einen winzigen Teil benutzen können (575). Verschwiegen wird manches auch in Rankes ‚Weltgeschichte‘. Von seiner intensiven Benutzung der Schlosserschen ‚Weltgeschichte für das deutsche Volk‘ (zuerst 19 Bde., 1844-57), zumindest des Mittelalter-Teils, sind lediglich fünf Stellen sichtbar geworden, obgleich Ranke Wert darauf legte, „daß die auf den jedesmal in Bearbeitung befindlichen Zeitraum bezüglichen Bände derselben stets zu unmittelbarer Verfügung bereit standen.“ (Wiedemann, XV/1893, 260). Daneben wurde, „sobald ein kirchenhistorischer Abschnitt zu behandeln war“, die ‚Christliche Kirchengeschichte‘ von Johann Matthias Schröckh (1733-1808, 45 Bde, 1768-1812) „am häufigsten“ benutzt (ebd. 261). Das Register weist allerdings nur zwei Stellen auf. Ob es sinnvoll ist, Abhängigkeiten dieser Art im einzelnen nachzugehen, sei dahingestellt. Für den römischen Teil hingegen - und dies ist der Präsenz seines fachdominanten Berliner Kollegen und Akademie-Sekretärs zu danken - ging Rankes Bestreben dahin, „die Schriften, Abhandlungen und einzelnen Erörterungen Mommsen’s ... soviel als - 70 -

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möglich vollständig und sorgfältig zu benutzen, so oft er sich auch in Bezug auf einzelne Fragen mit ihm in Dissens befand“ (ebd., 263). Eine Untersuchung zu einem Teilbereich von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘, dem Täuferreich zu Münster, führte zu dem Ergebnis, daß Ranke „zwar bei der Verwendung archivalischer Quellen stark selektiv“ verfahren sei, aber „zeitgenössische Drucke oder edierte Quellen in bemerkenswertem Umfang herangezogen“ habe (Vogler/1997, 277). Ranke habe sich „erkennbar um eine unparteiische Darstellung“ bemüht, doch diesen Standpunkt spätestens verlassen, als er darzustellen hatte, „wie die täuferischen Lehren in Münster zur gewaltsamen Neuordnung des Lebens führten.“ (279). Das Verschweigen nimmt besonders in Rankes preußischen Werken andere Züge an und verbindet sich mit einem beschönigenden Bemänteln: In seinem Benutzungsantrag an Archivdirektor Georg Wilhelm von Raumer vom 11. 11. 47 (NBrr 325f.) für die Materialien zu seinen ‚Neun Büchern Preußischer Geschichte‘ hatte er sich beeilt zu versichern, daß er das ihm „geschenkte Vertrauen durch möglichste Diskretion zu erwidern suchen werde.“ Das wurde nicht sogleich ruchbar. Zunächst hatte der liberale Karl August Varnhagen von Ense - wie die meisten Zeitgenossen - anderes auszusetzen. So wird von ihm die mangelnde offene Beachtung der Vorarbeiten von Förster und vor allem Preuß, „ohne dessen vorarbeitenden Fleiß das Buch von Ranke wohl nie geschrieben worden wäre“ (zum 11. 8. 47: Aus dem Nachl. Varnhagen’s v. Ense. Tgbb. IV/1862, 130), zu Recht beanstandet. - Julian Schmidt äußerte Ähnliches öffentlich: Ranke sei „zu vornehm“, sich in seinen Schriften über das Verhältnis zu Vorgängern auszusprechen, so auch in seiner ‚Preußischen Geschichte‘ im Hinblick auf die Arbeiten Stenzels (S[chmidt], J[ulian]/1847, 448). Auch die folgenden anonymen Beanstandungen Johann Gustav Droysens dürften eher in den Bereich der fachlichen Sünden als in den der bloßen Mängel fallen, wobei nun Rankes spezielle Archivarbeit zum Thema wird. Jedenfalls habe Ranke in seinen ‚Neun Büchern preußischer Geschichte‘ nicht nur wissenschaftliche Literatur selbstgefällig unbeachtet gelassen - Schlosser, Stenzel und Preuß behandele er „wie nicht dagewesen“ -, sondern habe beispielsweise auch die zahlreichen Aktenstücke im Prozeß gegen den jungen Friedrich nicht angemessen gedeutet (* [Droysen:] Aus Preußen/ 1847, 2276). - Noch genauer befaßt mit Rankes preußischen Geschichten hat sich Eduard Reimann (1820-1900), Verfasser einer ‚Neueren Geschichte des preussischen Staates vom Hubertusburger Frieden bis zum Wiener Kongress‘ (2 Bde, Gotha 1882, 1888). Ranke hielt ihn für einen „sehr gründlichen Forscher“, der ihm auch „ein sehr werther Freund und Studiengenosse“ war (an Geibel, [Nov. 1868], Geibel/186, 9). Reimann hat sich erst nach Rankes Tod in einem Vortrag ‚Ueber die Stellung Friedrichs des Grossen zur Religion und Philosophie in den Jahren 1736-1738‘ vor der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur sehr kritisch über Rankes Friedrich-Darstellung geäußert: „Nun hat Ranke, der hochberühmte Geschichtschreiber, eine ganz vorzügliche Schilderung der späteren Jugendjahre Friedrichs II. gegeben, die ich früher mit dem grössten Entzücken gelesen; aber als ich an die Quellen selbst heranging, da bemerkte ich zu meinem schmerzlichen Erstaunen, dass er durch kleine Wendungen und indem er viele Stellen der Briefe ganz ausser acht liess, den Kronprinzen gläubiger gemacht hat, als er gewesen ist. Man stösst hier auf die nämliche Absichtlichkeit wie bei dem, was der Altmeister über den Ursprung der ersten polnischen Theilung geschrieben“ (Reimann/1891, 54). - Dem Urteil schlossen sich später u. a. Georg Küntzel (1936), Stefan Skalweit (1951) und Walter Bußmann (1951) - 71 -

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an. Auch in der Darstellung Friedrich Wilhelms IV. bemerkte selbst Friedrich Meinecke in der Nachfolge Georg Kaufmanns (Kaufmann/1902) eine „gar zu sehr glättende Auffassung Rankes“ (Meinecke: Friedrich Wilhelm IV. u. Dtld./(1902), 1918, 218). Daß Rankes Werk ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ von 1873 sowohl inhaltlich wie formal nur mit Vorsicht zu benutzen ist, ergibt sich nicht zuletzt aus Rankes Brief an Geh.-Rat Heinrich v. Obstfelder, ca. Febr. 1872 (FvR V/ 1904, 55. Dort auch weitere aufschlußreiche Korrespondenz zum Werk), worin er erklärt: „Ich habe, wie sich versteht, alles zu vermeiden gesucht, was begründeten Anstoß erregen könnte.“ - Rankes „unbedingte persönliche Verehrung“ Friedrich Wilhelms (Wiedemann I/1891, 172), führte u. a. dazu, daß er sich in manchen Fällen „statt der Anführung der Thatsachen, auf die Bezug genommen wird, auf bloße Verweisungen beschränkt“ hat (ebd., 177). Auf dieser Linie liegt auch seine spätere biographische Darstellung Friedrich Wilhelms IV. von 1878, zu der sich Ks. Victoria nach Rankes Tod mit Verachtung geäußert haben soll (s. I/1.9). Die Rankesche ‚Objektivität‘ wird bei dieser Edition nicht zuletzt an dem zu messen sein, was er an Korrespondenz ausließ oder in eigenes, milderndes Referat umsetzte. In der Korrespondenz wird nicht zuletzt der Einfluß Edwin von Manteuffels auf Rankes Darstellungen Friedrich Wilhelms IV. sichtbar. Aufs ganze gesehen ging es Manteuffel darum, die günstige Darstellung Rankes noch günstiger zu gestalten. (Siehe dazu die in der RankeForschung kaum einmal herangezogene wertvolle, von Friedrich Meinecke angeregte empirische Dissertation von Elisabeth Schmitz mit dem Titel ‚Edwin von Manteuffel als Quelle zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV.‘ aus dem Jahre 1921). Auch in der Edition der ‚Eigenhändigen Memoiren des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘ (Denkwürdigkeiten II/1877) machte Ranke unprofessionelle Zugeständnisse. Sein Textverhalten entspricht dem bei der Ausgabe des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen (1873) geübten Verfahren: Er selbst bekennt: „In dem Ausdruck konnte man nur hie und da einige kleine Mängel, die dem Autor entschlüpft waren und den Leser unangenehm berührt haben würden, verwischen“ (VIII). Beiläufig ist auch nicht ersichtlich, ob Aktenstücke ganz oder teilweise entfallen sind. Heinrich von Treitschke schrieb über das Werk an Heinrich Hirzel, 2. Juni 1877: „Den Ranke’schen Hardenberg halte ich ... [Auslassung i. T.]. Alles so hübsch abgeleckt und angepinselt und so durch und durch unwahr.“ (2. 6. 77, Briefe III/1920, 367). Zumindest ungewöhnlich ist der Versuch Hermann Barges, an Beispielen nachzuweisen, daß Ranke durch seine „geschichtsphilosophischen Voraussetzungen teils dazu geführt“ worden sei, „gewichtige Charakterzüge“ der dargestellten Persönlichkeiten „zu verschweigen“ (Barge/1898, 15). Zusammenfassend ist festzustellen: Ranke begeht gelegentlich nahezu jede Art von Sünde, die ein Historiker begehen kann. Art und Intensität seiner Verfahren deuten auf das Bestehen grundsätzlicher flexibler bis ambivalenter Einstellungen hin. Sie mögen zwar über eine Grundprägung von Wahrheitswillen und Unparteilichkeit verfügen, sind jedoch nicht selten begleitet oder überlagert von eintrübenden oder völlig abträglichen Momenten. Dazu gehören mangelnde Gründlichkeit und Organisation der Arbeit mit selektiver und flüchtiger Quellenbenutzung, fachliche Überheblichkeit mit Mißachten oder Verschweigen von Forschungsliteratur und Zuarbeitungen, mangelnde Selbstkritik, ohne die historische Kritik nicht durchführbar ist, politische und religiöse Oboedienz mit dem Entstellen oder Unterdrücken einer quellenmäßig nahegelegten Fakti- 72 -

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zität. Nicht unbedenklich ist auch bisweilen ein Mangel in der Grundbegabung historiographischer Profession, im Authentizitätssinn, zumal, wenn eine Poetisierung der Darstellung im Vordergrund steht, wie dies beim Umgang mit wörtlichen Reden, bei der Konstruktion von Anachronismen und anderen Kunstgriffen in dramaturgischer Absicht, gar, wie sich noch zeigen wird, bei künstlich patinierenden Angleichungen an die Stilistik von Vorauflagen der Fall ist.

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7. Kapitel (I/1.7) WIDERSPRÜCHLICHKEITEN Mit den Kategorien des Alten und des Neuen hatte Ranke sich forschend und darstellend in mehrfacher Hinsicht auseinanderzusetzen. Er war, seine unbändige lebenslange Quellensuche zeigt es, in außerordentlich starkem Maße an der Erarbeitung von Neuem interessiert, wollte er doch nicht nur sagen, „wie es eigentlich gewesen“ (GRGV/1824, VI), sondern nicht minder, „was zuvor nicht gesagt worden“ (ZKritik/ 1824, VIII). Dies wirkte sich zunächst in besonderer Weise auf das in seiner Historiographie auftretende Verhältnis eigener Forschung zum allgemeinen, als gesichert geltenden und verbreiteten Forschungs- und Wissensstand aus. Ranke verlieh darin dem selbstgefundenen, archivgeborenen Neuen eine Dominanz, welche das bereits Bekannte, für gesichert Gehaltene, das zumeist auf der großen Linie des Geschehens lag, zurücktreten ließ. Dies wäre kaum bedenklich gewesen, hätte er lediglich forschungsbezogene ‚Studien‘ zu den von ihm behandelten Themen, Zeiten und Gebieten geliefert. Doch er hatte stets große Ganzheiten im Sinn: die ‚Römischen Päpste‘, die ‚Französische Geschichte im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert‘, die ‚Englische Geschichte im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert‘ usw., und dies nicht nur aus ideellen Gründen. Nur so glaubte er das ‚große‘ Publikum erreichen zu können. Auf diese Weise entstand seine tiefste darstellerische Widersprüchlichkeit, die ‚versagte Vollständigkeit‘ (Begriff spätestens bei Schaedel/1886, 740), ein Grundproblem in mehrfacher Hinsicht, das von seinen Zeitgenossen, besonders den Literaten, sogleich erkannt, beanstandet und zu einem vielfach angewandten Topos der Kritik erhoben wurde (s. I/2.1.3). In der versagten Vollständigkeit führte die Dominanz, ja die weitreichende Exklusivität des Selbstgefundenen zu einer Verzerrung der Proportionen des Geschehenen, ein grundsätzliches, schwerwiegendes Problem, auf das bereits Rodolphe-Ernest Reuss aufmerksam gemacht hat: „On dirait qu’il dédaigne de passer là où d’autres ont passé avant lui, et cette façon d’agir a le grave inconvénient de modifier les proportions réelles des événements qui se passent devant nos yeux.“ (Reuss/1870, 94). - Neben dieser strukturellen historiographischen Fehlstellung zeigt sich in der versagten Vollständigkeit auch eine von Ranke nicht mit Konsequenz bedachte publizistische Widersprüchlichkeit. Mußte doch die Zurückstellung des Bekannten gegenüber dem selbst erforschten Neuen beim großem Publikum, das er doch zu erreichen strebte, zu Schwierigkeiten des Verständnisses führen. Ein anonymer Rezensent der ‚Grenzboten‘ bemerkte, es sei unklar, ob Ranke für ein allgemein gebildetes Publikum oder für die Fachwelt geschrieben habe (1881, 48). Julian Schmidt sah das Problem deutlicher: Zwar unterhalte Ranke den Leser so, „als wenn man einen Roman läse“ (S, J./1857, 317), doch erliege das auf diesen Umstand gerichtete Interesse einer „gewissen Selbsttäuschung“, denn Ranke setze „eine ziemlich weitgehende Kenntniß voraus“ und vermeide „geflissentlich, zu sagen, was jedermann weiß“ (318. Näheres in I/1.8 u. I/2.1.3). Die Kategorien des Alten und des Neuen, mit denen Ranke sich in Forschung und Darstellung auseinanderzusetzen hatte, betrafen ihn mit der Zeit auch persönlich, - in seinem eigenen wie im Alterungsprozeß seiner Werke. Er stand, je mehr er hervorbrachte, und dies geschah - ganz ungewöhnlich - in über sechzig produktiven Lebensjahren, immer deutlicher vor dem Problem des Veraltens seiner Werke. In zweifacher - 74 -

I/1.7 Widersprüchlichkeiten

Hinsicht: Zum einen ergab sich da die Konfrontierung seiner vorlängst veröffentlichten Werke mit dem allgemeinen Fortschreiten der Wissenschaft, zum anderen die Weiterentwicklung eigener An- und Einsichten. Verständlicherweise war er, wie bemerkt, in außerordentlich starkem Maße an der Erarbeitung von Neuem interessiert, weniger an der Überarbeitung von Altem. Bei diesem quellengeborenen Neuen sollte es sich denn auch weniger um solches handeln, das Altes, von ihm bereits Dargestelltes ergänzte oder gar wesentlich umgestaltete, letzteres hätte ihn nicht nur im Fluß seiner Neuproduktionen behindert, gar bloßgestellt, sondern um solches, das die unablässige Hervorbringung thematisch neuer Werke ermöglichte. Hier wäre nun ein Konflikt der unbändigen Lust des Neuen mit der wachsenden Last des Alten zu erwarten gewesen. Denn Ranke mußte sich bei jeder neuen Auflage und in besonders auffallender und grundsätzlicher Weise bei der Herausgabe seiner 1867 einsetzenden ‚Sämmtlichen Werke‘ dieser Revisions-Entscheidung stellen, vor der es kein Ausweichen zu geben schien. Ein allgemeiner, objektiver Konflikt ist damit natürlich nicht bezeichnet, da jeder Wissenschaftler den Standpunkt der Forschungsaktualität einnehmen wird oder sollte, sofern innere und äußere Möglichkeiten dazu gegeben sind. Nicht so Ranke. Er verfolgt zunächst eine Verschleierungstendenz, hat eher die Neigung, seine Revisionen herunterzuspielen als sie, wie dies andere tun würden, hervorzuheben. Schon Eugen Guglia, sein erster Buch-Biograph, konnte feststellen: „Überhaupt sind die Änderungen, die Ranke an seinen Erstlingswerken vornahm, keineswegs so gering, als man nach den Vorreden glauben möchte. Sachlich freilich sind sie unverändert, aber das Charakteristische liegt bei Ranke nicht bloß im Stoff.“ (Guglia/1893, 68, Anm.). Neben den Vorreden dienten auch seine Titelblätter dazu, den Eindruck des Unveränderten hervorzurufen. Ihnen fehlen fast durchgängig Zusätze wie ‚durchgesehen‘, ‚revidiert‘, ‚verändert‘, ‚vermehrt‘ usw. Nur in seiner ‚Französischen Geschichte‘ [3D-Auflage] 5. Bd. 1870 findet sich einmal der TitelblattHinweis „Umgearbeitet und vermehrt“. Dies dürfte ihm kaum schwer gefallen sein, denn es handelte sich dabei nicht um eigene Darstellung, sondern lediglich um „Analecten der französischen Geschichte vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert“ (1-374). Indes sind auch seine Vorreden nicht stets entschieden in der Frage, wie mit dem Problem der Forschungsaktualität umgegangen wird. Häufig schweigen sie sich gänzlich darüber aus, ob der Leser in einer Neuauflage auch Neues erwarten könne. Seine Vorrede zum Wallenstein-Werk von 1869 druckt er ungerührt und unverändert in jeder der folgenden eigenhändigen Auflagen (1870, 1872, 1880) ab, ohne Hinweis auf die Hereinnahme neuer Literatur oder sonstiger Änderungen. Besonders aufschlußreich jedoch ist seine ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘. In deren Auflagenverlauf scheint Ranke zunächst bemüht, so viel wie möglich an neuer Forschung zu berücksichtigen. Heißt es doch in der Vorrede zu Band I der dritten Ausgabe: „Forschungen und Publicationen dieser Art sind seit der ersten Ausgabe der beiden ersten Bände dieses Buches im J. 1839 fortgegangen: ich habe sie bei der zweiten und dritten, so viel möglich, benutzt. Auch habe ich nicht versäumt dasjenige einzutragen, was sich mir selbst in Brüssel und Paris zur Ergänzung dargeboten hat.“ (XI, Anm.). Nun aber zur 4. Auflage. Da schreibt er 1868 (Bd. III, S. 3, A. 1): „Nur da habe ich wesentliche Veränderungen vorgenommen, wo urkundliche Publicationen zum Vorschein gekommen sind, welche ich benutzt haben würde, wenn sie mir bei der ersten Abfassung vorgelegen hätten“, also 1840. Das scheint bizarr und logisch wie wissenschaftlich kaum nachvollziehbar. - 75 -

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In der 2. Auflage der ‚Osmanen‘ vom Jahre 1837 heißt es hingegen: „Ich bitte es auch in Zukunft als eine Arbeit des Jahres 1827 anzusehen.“ (Vorrede, XVIII [Fußnote]. Dieser Standpunkt wird jedoch in der 3. Auflage von 1857 aufgegeben, wo man liest: „Ich habe … nur solche Zusätze und Verbesserungen aufgenommen, welche unerläßlich schienen, um den heutigen Standpunkt der Wissenschaft zu erreichen, oder die einmal angeregte Wißbegier zu befriedigen.“ In der 4. Auflage desselben Werkes, 1877, erfährt der Leser dann aber völlig überraschend: „Bei dem Wiederabdruck der voranstehenden Capitel über die spanische Monarchie habe ich vermieden, irgendwie nennenswerthe Veränderungen in denselben vorzunehmen; sie sollen als eine Arbeit des Jahres 1827, in welchem sie zuerst erschienen, angesehen werden“ (336), ein Widerspruch, der sich wohl nicht auflösen läßt. In seiner ‚Französischen Geschichte‘ heißt es einmal: „Dennoch habe ich auch an dieser Stelle nichts ändern wollen, um nicht die Zeiten der Hervorbringung zu verwischen“ (FranzG V, 3D-Aufl. 1870, 107f. A. 3). Seine ‚Bemerkung über Capefigue: histoire de la réforme, de la ligue et de Henri IV, besonders über die Darstellung der Bartholomäusnacht in diesem Buche‘, zuerst 1835 in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ erschienen, wiederholt er unverändert und ungerührt 1870 in Bd. V seiner ‚Französischen Geschichte‘ ([3D]-Aufl.) „nach dem Standpunkt der Forschung jener Jahre und mit Bezug auf die damaligen Zustände“ (97). - Beim Wiederabdruck seiner erst posthum berühmt gewordenen Abhandlung ‚Die großen Mächte. (Fragment.)‘ sah er die Dinge dann entgegengesetzt. Da hielt er es „für geboten am Schlusse einige Sätze wegzulassen, die dem Streite des Momentes, in dem der Aufsatz erschien, angehören.“ (AuV, 1. Slg/1872, 3, A. 1). - Während seine HPZ-Abhandlung ‚Ueber die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II.‘ von 1832 bei ihrem Zweitdruck in ursprünglicher Gestalt weiterbestehen soll: „Sie bleibe zugleich ein Denkmal jener Jahre“ (‚Zur Deutschen Geschichte‘, 1869, 4, A. 2), da denkt er nicht daran, die zweite Auflage seiner ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ „als bloße Antiquität … vorzulegen“. Er findet, daß man die Mängel wegräumen könne, ohne dem ursprünglichen Gepräge des Buches zu nahe zu treten …“ (GRGV. Aus der „Vorrede zur zweiten Ausgabe. October 1874.“, X). Doch gegen Ende seiner Beilage ‚Zur Kritik‘ bemerkt er: „... ich lasse den vorliegenden Abschnitt absichtlich so, wie er ursprünglich lautete. Der Standpunkt der Studien, wie er in jenem Momente lag, tritt darin unmittelbarer hervor. Alles das, was seitdem an das Licht getreten, oder was sich sonst vielleicht erreichen ließ, herbeizuziehen, würde ... ein neues Buch gegeben haben und den Gang der Studien, die nicht bloß persönliche sind, verdunkeln.“ (Zusatz der neuen Ausgabe. In: ZKritik 21874, 150*). In diesen widersprüchlichen Beispielen, welche so deutlich dem schwankenden Wesen Rankes entsprechen, werden zunächst keine festen Grundsätze sichtbar. Ranke war eben kein Mensch, der Probleme oder gar Konflikte in ihrer Schärfe empfand, empfinden wollte oder gar darstellte. Dies erschwert die Klärung seiner Einstellung. Auch hat er sich mit dem in allem Fortschreiten verfangenen fundamentalen Vergänglichkeitsproblem der Wissenschaft in ausführlicher Weise, soweit publiziert, nicht auseinandergesetzt. Er scheint von Fall zu Fall zu entscheiden, wobei innere Gründe, aber auch einfach sein durch Werkvielzahl und sich verkürzende Lebenserwartung immer prekärer werdender Zeitmangel eine Rolle gespielt haben dürften. Indes gibt die weitgehend beibehaltene inhaltliche und formale Struktur seiner Werke bis hin zu den kleinsten Gliederungseinheiten einen Hinweis auf eine gleichwohl wirkende Grund- 76 -

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tendenz: Oberhalb seines Schwankens mit unterschiedlichen, in der Regel kleineren Änderungsentscheidungen dominiert als nicht stets verwirklichte, auch gelegentlich von ihm selbst verworfene Einstellung, doch der Vorrang von Werk-Historizität gegenüber Forschungsaktualität. Das ursprüngliche, in außergewöhnlichem Maße durch eigene Archivforschungen erarbeitete und ästhetisch gestaltete Werk soll nach Möglichkeit unangetastet bleiben, und dies in zweifacher Hinsicht. Es soll zum einen ganz sein eigenes bleiben, nicht durch die Hereinnahme fremder, vielleicht zweifelhafter ‚Ergebnisse‘ - ohnedies hätte er kaum Zeit der Überprüfung gefunden - in Eigenart und Verdienst alteriert werden. Zum anderen soll es als ein Monument seines Urhebers und seiner Zeit auch von eigenen späteren Änderungen möglichst frei bleiben. Von einigen Zeitgenossen wurde sein zwar stilistisch, allerdings kaum inhaltlich und forschungsbezogen eingreifendes Revisions-Verhalten gelegentlich konträr gesehen. Während John Lord Dalberg Acton 1867 anonym über Rankes ‚Päpste‘ urteilte, heute, in seiner fünften Auflage, könne das Werk nicht mehr, wie bei seinem ersten Erscheinen, als Klassiker gelten, stehe doch diese letzte Ausgabe auf dem Stand des Wissens, den die Kenntnis des 16. Jahrhunderts in ihren Kindertagen besessen habe (Acton/1867, 393), und auch Rodolphe-Ernest Reuss feststellen mußte: „M. de R. soit négligence, soit dédain, a depuis longtemps renoncé à revoir en détail les nouvelles éditions de ses ouvrages afin de les tenir au courant de la science historique. On se tait respectueusement en Allemagne sur ce fait qui de la part de tout autre soulèverait de vives clameurs“ (Reuss/1870, 94), und gleichwohl Ferdinand Hirsch (1843-1915) öffentlich bedauerte, daß Ranke sich auch bei der vierten Auflage seiner ‚Osmanen‘ wieder nicht zu einer Umarbeitung der gesamten Darstellung veranlaßt gesehen habe (Hirsch/1878), da fand vermutlich Rankes Schüler oder nur Hörer Martin Philippson (1846-1916) anläßlich der sechsten Auflage der ‚Päpste‘, an „klassischen Werken, wie die Rankens sind“, müsse „auch so wenig wie möglich geändert werden; wie sie waren, sind sie Gemeingut des deutschen Volkes geworden.“ (P. M./1874, 343). - Auf dieser Linie lag auch die Ansicht eines anonymen Rezensenten, Ranke hätte besser von einer Überarbeitung seiner Werke für die Gesamtausgabe abgesehen, um sie als „literarische Denkmale“ in der Form zu belassen, „wie sie auf ihre Zeit und die Wissenschaft gewirkt haben.“ (ων/1872, 311). Theodor Wiedemann, dem ein Großteil der Revisionsarbeit an Rankes Werk zufiel, bemerkt dazu in höchst aufschlußreicher Weise, wobei eine bedenkliche Einstellung seines Meisters sichtbar wird: „Es konnte nicht die Absicht sein, die bereits schon einmal erschienenen Schriften einer eigentlichen Umarbeitung zu unterziehen, sie dem jedesmaligen Standpunkt der Forschung gemäß umzuformen. Ranke betrachtete es vielmehr und gewiß mit Recht als eine Art litteraturgeschichtlicher Verpflichtung, wie er dies auch ausgesprochen hat, dieselben im wesentlichen in der Gestalt zu lassen, wie sie zuerst in die Öffentlichkeit getreten und litterarisches Gemeingut geworden waren. Änderungen im einzelnen wurden dadurch an sich nicht ausgeschlossen; sie sollten aber doch die Ausnahme sein. Und bei dem Versuch, sie anzubringen, ergaben sich in Beziehung auf den Text, da dieser dem Inhalt und der stilistischen Form nach in der bisherigen Komposition ein einheitliches Ganzes bildete, dessen harmonischer Aufbau nicht zerstört werden durfte, meist sehr erhebliche Schwierigkeiten. Es war mühsam und zeitraubend, die für Einfügung von ergänzenden Zusätzen oder für Berichtigungen passende Stelle zu ermitteln und einen der alten Konzeption angemessenen Ausdruck dafür zu treffen.“ (Wiedemann III/1892, 97). - 77 -

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Jetzt wird die oben zitierte bizarre Bemerkung Rankes aus der vierten Auflage seiner ‚Deutschen Geschichte‘ vom Jahre 1868 verständlich, er habe nur da wesentliche Veränderungen vorgenommen, „wo urkundliche Publicationen zum Vorschein gekommen sind, welche ich benutzt haben würde, wenn sie mir bei der ersten Abfassung vorgelegen hätten“, also 1840. Dies entspricht genauestens den Wiedemannschen Feststellungen, und es ergibt sich daraus, daß Ranke die wissenschaftlich sich stellende Alternative von Werk-Historizität und Forschungsaktualität bei Dominanz der ersteren nicht allein durch Mischlösungen glaubte umgehen oder bewältigen zu können, er unternahm es überdies bewußt, die vorgeblich historische Werk-Gestalt durch spätere Einbringung pseudo-synchroner und pseudo-homogener Elemente zu verfälschen und damit in diesen Teilen die „Zeiten der Hervorbringung“ lediglich vorzuspiegeln. Vergleichbares geschieht auch in der Beilage zu seinem Erstlingswerk ‚Zur Kritik‘. Hier lassen sich in der Vorrede des Jahres 1824 nachträgliche unauffällige Eingriffe des Jahres 1874 aufspüren. Dies wäre nicht unbedingt verwerflich, doch Ranke unterschrieb sie trotz dieser Änderungen wieder mit: „Geschrieben Frankfurt a. d. O., im October 1824.“ (ZKritik 21874, V). Dies weist auf ein nicht so feines Gefühl für Authentizität hin, wie man es ihm bisher gern zugetraut hat. Da ist es auch sehr befremdend, gerade bei seiner Kritik der Authentizität wörtlicher Reden (darüber bes. ZKritik. 2. Aufl., 1874, *19-21), daß er solche mit literarischem Impetus und begleitender Sorglosigkeit zum Einsatz bringt, nicht allein in seinen überreich mit direkter und indirekter Rede versehenen ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘. Da heißt es ohne Unterlass: „Der Doge sagte...“ (GRGV ²1874 u. ³1884, 50), „... sprach der Doge...“ (51) „doch Karl sagte mit gutem Bedacht...“ (ebd., 52). Neben der Redeform ist nicht minder der auf das Innere einer Figur abzielende Zusatz bedenklich. Ja, Ranke läßt solche Reden überdies nicht selten gänzlich unbelegt, so unter vielen möglichen Beispielen eine wörtliche Rede Lodovicos („Ich will Euer Fürst...“) (127). Dort auch Maximilians indirekte Rede: „in ihrem Bunde mit dem französischen Könige...“ (128), Maximilians direkte Rede: „Man hätte uns gern entsetzt ...“ (132). Im vierten Kapitel des zweiten Buches (276) findet sich gar völlig uneingeschränkt die Übernahme einer den Grundsätzen der Authentizität geradezu spottenden mehrteiligen wörtlichen Wechselrede aus „L’histoire du bon chevalier Bayard 310, 311.“ Selbst sein im Verhältnis zum Frühwerk ein wenig trockener und unanschaulicher geschriebener ‚Wallenstein‘ bietet dazu - wie überhaupt jedes seiner Werke - Beispiele (u. a. Friedland: „So lieb mir meiner Seele Seligkeit ist...“, 41880, 169). Völlig verwerflich dort der unbelegte tiefe Einblick in das Innerste eines Groß-Kollektivs, der evangelischen Truppen, 1633: „das Herz schlug ihnen vor Freude...“ (ebd., 195). Ein letztes Beispiel verminderten Authentizitätssinns aus einem ganz anderen historischen Bereich sei noch angeführt, um die unterschiedliche Art und weitläufige Verbreitung im Werk anzudeuten. Im fünften Band seines ‚Hardenberg‘ bringt Ranke in die Edition der von Hardenberg persönlich zusammengestellten Aktenstücke, zumeist Denkschriften und Briefe der politisch und militärisch Handelnden - neben Hardenberg vor allem Haugwitz, Hzg. Karl Wilhelm Ferdinand v. Braunschweig, Friedrich Wilhelm II. u. Friedrich Wilhelm III., Zar Alexander - auch Aktenstücke unter, die in Hardenbergs eigener Zusammenstellung und Hinterlassenschaft nicht vorhanden waren, die Ranke vielmehr selbst - mit Hilfe von Alfred von Arneth - im Wiener Archiv gefunden hatte, wie z. B. eine Depesche Metternichs vom 22. November 1805 - 78 -

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(HARD V, 571). So wird also eine Hardenberg-Edition, bei der Ranke sich im übrigen nicht enthalten konnte, sie bandmäßig in eine eigene Darstellung einzufügen, auf diese Weise um einen weiteren Schritt entindividualisiert. Erschwerend kommt hinzu, daß Ranke in dieser Darstellung Akten, welche in Hardenbergs Denkwürdigkeiten mitgeteilt werden, gelegentlich nach anderen Ausgaben zitiert. Dies fiel bereits Arnold Schaefer auf (Schaefer/1878, 131), der dazu ein Beispiel gab (HARD IV, 47). - Im übrigen mag die Hardenberg-Forschung auch der Frage nachgehen, ob etwa die in der Sammlung enthaltenen Briefe Friedrich Wilhelms III. an Gustav IV. von Schweden oder an Alexander v. Rußland anders als in Konzept oder Abschrift zur Verfügung standen (s. Werk ‚Hardenberg‘ in II/1). Zu den tieferen Widersprüchlichkeiten muß man ferner seine im Erstlingswerk als Grundthese vorgetragene, unzählige Male zitierte Anschauung der Einheit der romanischen und germanischen Völker zählen („Als Einleitung, Umriß einer Abhandlung von der Einheit der romanischen und germanischen Völker und von ihrer gemeinschaftlichen Entwickelung“, GRGV, p. XVII-XL). Sie war schon bald nach Erscheinen des Werkes als „mehr in der Phantasie als in Wahrheit begründet“ angesehen worden ([Anonym: Bespr. von GRGV und ZKritik]/1828, Sp.185), was nicht beunruhigend wäre, wenn nicht Ranke sich in demselben Werk zugleich zum Gegenteil seiner Grundthese bekannt hätte. Im 2. Kapitel des 1. Buches heißt es unbedacht und unbeachtet: „Es ist das Leben und das Glück der germanisch-romanischen Völker, daß sie nie zur Einheit gelangen.“ (S. 63 der 1. Aufl. 1824, S. 51 der 2. u. 3. Aufl. 1874 u. 1885). Zurückkehrend zur Alternative von Werk-Historizität und Forschungsaktualität, die sich bei Ranke auch als eine Frage der Selbstauthentizität betrachten läßt, ging es da, wie er selbst bemerkt, nicht darum, seine Werke als bloße „Antiquität“ zu konservieren und in der Werkhistorizität allein eine Position der Wissenschaftsgeschichte zu deklarieren. Eine Selbsthistorisierung Rankes, von der in Teilen - etwa bei seinen autobiographischen Diktaten und Äußerungen zu besonderen Anlässen - mit Recht die Rede sein mag, ging doch nicht so weit, sich und sein Werk einfach der Vergangenheit, ja der Vergänglichkeit anheimzugeben. Hier sollte vielmehr - wie seine noch zu behandelnden außerordentlichen Selbstüberhöhungen (Plato-Identifikation, Priestertum) zeigen, im Werk-Monument das über allen Wandel hinaus Bleibende, Unvergängliche seines Wirkens dokumentiert werden. So hat er denn durch eine aktive Selbsthistorisierung nicht nur eine überzeitliche Selbst-Monumentalisierung zu erreichen gesucht, sondern beiläufig auch das kleinere Problem seiner Revisionen einer Scheinlösung zugeführt. Er nimmt dabei nicht in erster Linie die Position eines weiterarbeitenden Forschers ein, sondern eher die eines zurückhaltenden, gleichsam posthumen SelbstHerausgebers. Aufs Ganze gesehen hat er sich später wenig geschert um die in den ‚Jahrbüchern des Deutschen Reiches‘ von ihm festgestellte Notwendigkeit einer „fortlaufenden Sichtung des Ueberlieferten“ und die Notwendigkeit permanenter Revisionen historischen Wissens (Jbb. I/1: Waitz/1837, Vorrede R.s, VIII). Der Rankesche Problemkomplex ‚Selbsthistorisierung versus Forschungsaktualität‘ steht in Zusammenhang mit einem weiteren, vor allem editorisch bedeutsamen Phänomen (dem hier eine kurze Digression eingeräumt wird). Es ist die Zeitschichtung seiner Werke. Dabei muß, was naheliegend ist, zunächst an die Unterschiedlichkeit der Auflagen seiner Werke gedacht werden, die ‚Auflagenzeitschichtung‘, bis hin zu den Ausgaben letzter Hand. Daß Ranke diese als gewollte Endgestalt ansah, ist angesichts seiner permanenten Detail-Korrekturneigung nicht anzunehmen. Selbst die mit beson- 79 -

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deren Revisions-Maßnahmen verbundene Aufnahme seiner Werke in die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ hat diese bei später stattfindenden Neuauflagen nicht vor Veränderungen bewahrt, so daß Rankes Ausgaben letzter Hand per se nicht als gewolltes wirkliches Endprodukt, sondern als je letztes Glied einer durch den Tod ihres Verfassers an dieser Stelle abgerissenen Revisions-Kette anzusehen sind. Ob und welche Bedeutung dieser Gesichtspunkt für die Ranke-Editorik in historisch-kritischer Absicht hat, ist allerdings schwer einzuschätzen. Es wäre wohl sinnvoll, alle Auflagen bzw. Fassungen seiner Werke aus einer zweifachen Perspektive zu betrachten. Zum einen könnten sie in gewisser Weise als gleichwertig, als ‚unmittelbar zu Ranke‘ angesehen werden, gleichwertig in der jeweiligen Lebensphase ihrer Entstehung. Doch zugleich sollten sie in ihrem aufgehäuften Modifikationsbestand und in ihrer Modifikationsmotivation betrachtet werden. Ob dazu editorisch eine von der Ausgabe letzter Hand ausgehende retrospektive oder von der Erstausgabe ausgehende prospektive Darbietungsform zu wählen ist, dürfte von weiteren Gesichtspunkten abhängen. Steht nicht die Historizität, sondern wie in der von Paul Joachimsen 1925/26 edierten ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ die Forschungsaktualität und Gültigkeit der Rankeschen Darstellung des Werkes im Vordergrund, so dürfte eine retrospektive Edition in Betracht kommen. Stehen hingegen, wie bei Rankes Erstlingswerk, die (vermeintliche) Wirkung auf die damalige Zeitgenossenschaft und die Beziehungen zur vorgängigen und gleichzeitigen historischen Forschung etc. im Vordergrund und sind zudem die weiteren Auflagen erst mit einem Abstand von 50 und mehr Jahren erschienen, so ist man wohl geneigt, prospektiv von der Erstausgabe auszugehen. Bei Überlegungen dieser Art dürfte auch eine Rolle spielen, ob ein Werk eher als bloße Vorstufe zu einer erheblich ausgereifteren und vielleicht auch wesentlich umfangreicheren Fassung anzusehen ist, wobei auch retrospektiv vorzugehen wäre, so bei seiner ‚Preussischen Geschichte‘. Man könnte allerdings mit Blick auf die irgendwann digital gegebene textliche Gesamtverfügbarkeit und die Möglichkeiten des Datenabgleichs nebst Entwicklung einer selbst-layoutenden editionstechnischen Software überhaupt geneigt sein, den Gedanken an traditionell handwerkliche historisch-kritische Editionen seines und anderer Werke zumindest teilweise aufzugeben bzw. einzuschränken. Von haltbarerem Sinn und Interesse dürfte ohnedies die editorische Zusammenführung einzelner Werke Rankes mit ihren vorbereitenden Manuskripten sein. Die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens liegen indes nicht im Mangel des Materials, vielmehr in seiner Fülle und in der erforderlichen Spezialkompetenz. Der zweite Bereich von Zeitschichtung liegt im Einzelwerk selbst. Es geht dabei weniger um die bei Rankes Arbeitsstil wohl nicht durchführbare Aufklärung eines im wesentlichen fortschreitenden Niederschriftverlaufs mit den mehr oder minder komplizierten Erscheinungen einer Manuskript- und Drucksatzerstellung, sondern um textliche Schichtungen größeren Ausmaßes und weiterer zeitlicher Distanz. Als Beispiele seien hier nur Rankes ‚Weltgeschichte‘ und seine Vorlesungsskripten genannt. Erstere stellt nicht allein in ihren von Dove zusammengefügten posthumen Teilen VII bis IX, sondern auch in Rankes eigenhändigen Bänden ein Kompositum dar, in dem, wie Sybel (Sybel: Gedächtnisrede/1886, HZ-Fassung, 480) schrieb, „Ausarbeitungen der Jugendund Mannesjahre der Erzählung zu Grunde gelegt sind.“ Diese diachrone Schichtung ist natürlich nicht chaotisch zu nennen, aber doch ein editorisch und interpretatorisch beunruhigendes Phänomen der innersten Struktur seiner Werke, zumal in ihrem Zusammenhang mit Rankes fließend veränderten Vorlesungen, die in einer mehr oder - 80 -

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minder engen geistigen Wechsel-, ja wörtlichen Import-Exportbeziehung zum gedruckten Werk stehen. Es gibt in dieser iterativen Quellenform mit unter Umständen jahrzehntelangen Modifikationen - Ranke ist kein Ausnahmefall, aber doch wohl ein auffallender - Inhomogenitäten oder Diskontinuitäten, die, falls man sie überhaupt ergründen möchte, nur in dem einen oder anderen Fall aus dem Nachlaß aufzuklären sein werden. Ranke hat zum Beispiel seine Mittelaltervorlesung während 35 Jahren (WS 1834/35-WS 1869/70) an die fünfzehnmal gehalten. Schwierig ist auch die Situation in seinen Notizheften (s. II/2), soweit die Eintragungen einen dem Heftkontinuum nicht entsprechenden chronologischen Verlauf nehmen und neben der sprunghaften Vielfalt seiner Einfälle auch wieder seinen mangelnden Ordnungssinn bezeugen, der wenig Gefühl zu haben scheint für persönliche Kontinuitäten und ihre eigene spätere Betrachtung. In noch erheblich kompliziertere Verhältnisse würde man geführt, wenn editorisch die Frage aufgeworfen würde, welche Textanteile der ‚Serbischen Revolution‘ Ranke, Vuk Karadžić und ungenannten Dritten zuzuweisen wären. Im Zusammenhang mit Rankes Widersprüchlichkeiten, Unbestimmtheiten und Verdeckungen bleibt ferner zu betrachten, wieweit er sich der Wissenschaft und ihrem Fortschreiten überhaupt verbunden und verpflichtet fühlte. In der Tat verstand er sich kaum als mitwirkend empfangenden und geprägten, vielmehr als führend gestaltenden und schöpferisch gebenden Teil ihres Entwicklungsprozesses. Dabei nahm er in seiner exzeptionellen und transzendierten Position gelegentlich für sich in Anspruch, in der Wissenschaft nicht allein Konzessionen und Abschläge zu machen, wenn damit ein Mehr an Popularität zu erhoffen war (s. I/1.8), sondern auch sozusagen außerhalb der fachlichen Gesetze der Zunft zu agieren. Denn neben dem Übersehen, Nicht-Benennen und gezielten Beiseitelassen von Forschung brachte Ranke es auch durchaus fertig, Forschung aus einer Art hybriden Übermuts zu ignorieren. Als typisch darf eine Geschichte gelten, welche Dilthey (1833-1911) 1883 dem Grafen Yorck von Wartenburg (1835-1897) von Ranke erzählte, der gerade den vierten Band seiner ‚Weltgeschichte‘ diktierte: „Waitz ging zu ihm ihn zu bitten, er möge seine kritischen Beilagen zum neusten Band über Gregor v. Tours nicht veröffentlichen. Die Sachen seien ganz unhaltbar. Er müßte ihm darauf antworten. Es fehle ihnen die exakte, kritische sc - Sie kennen das. Worauf der Alte es zwar versprach zu unterdrücken, dann aber konnte er das Druckenlassen sich nicht versagen [WG IV/Analekten] und meinte vergnüglich: ‚ich kann mir schon so was erlauben‘.“ (Briefwechsel Dilthey/Yorck v. Wartenburg/ 1923, 37). Auf Eigenwilligkeit dieser Art traf auch Walther Schultze beim Studium von Bd. VII der ‚Weltgeschichte‘, deren Charakter einer posthumen Zusammenstellung allerdings zu bedenken ist. Schultze sah darin durch Ranke eine Notiz des ‚Chronicon Cavense‘ übernommen, obgleich „dessen Unechtheit auch von ihm anerkannt wird.“ (Schultze: [Bespr. von WG VII/1888], 125, s. I, 362f.). Auch gründe Ranke die Darstellung der Ereignisse von 1075-1080 „so gut wie ausschließlich auf Berthold“ und erkläre ausdrücklich, „von Lambert absehen zu wollen, was ihn freilich nicht hindert, gerade recht anfechtbare Nachrichten aus diesem aufzunehmen“ (ebd.). Auf der Linie einer - man weiß nicht, durch Starrsinn, Übermut oder Zeitmangel geprägten - Scheinsouveränität liegt auch Rankes Behandlung seiner „Analecten zu der Abhandlung über die Staatsinquisitoren“ aus dem Jahre 1827. 1878 übergeht er skrupellos fünfzig Jahre Wissenschaftsentwicklung, als er den Beitrag in seinen Sammelband ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ (114-133) aufnimmt, mit der Bemerkung, er sei „zwar durch spätere Forschungen der Venezianer, namentlich Romanins [Samuele Romanin: Storia - 81 -

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documentata di Venezia, 10 Bde, Venedig 1853-1861] überholt worden …, den ich aber doch noch zu publiciren mich entschließe, wie er damals niedergeschrieben worden ist.“ (114). - Recht widersprüchlich erschien auch Hans Delbrück eine nicht unwesentliche Partie in Rankes ‚Weltgeschichte‘, da, wo er über Israeliten und ihre Urgeschichte schreibt: „Ich wage nicht das alles für geschichtlich zu erklären“, dann aber doch „die Geschichte von Abraham und den Erzvätern, die er selber für Sagen erklärt [...] in einem Ton“ erzählt, „als ob es sich um Historisches handelt“ (I, 1923, 94f.). Fraglos war Ranke durch einen fortwährend starken Erkenntnisoptimismus geleitet, der zwar von entschiedener, jedoch nicht von gänzlich bestimmter Natur war. Zuweilen glaubte er - so bei seiner ‚Deutschen Geschichte‘ - in den „Grundwahrnehmungen“ über die Wahrheit zu verfügen. Nicht ganz logisch schlußfolgernd war er „muthig an die Ausarbeitung“ geschritten, „überzeugt, daß wenn man nur mit ernstem und wahrheitsbeflissenem Sinne in den ächten Denkmalen einigermaßen umfassende Forschungen angestellt hat, spätere Entdeckungen zwar wohl das Einzelne näher bestimmen werden, aber die Grundwahrnehmungen doch zuletzt bestätigen müssen. Denn die Wahrheit kann nur Eine sein.“ (DtG I/1839, X). Doch gelegentlich gab er sich auch damit zufrieden, die Ereignisse seiner ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ nur „zu so viel möglich objectiver Anschauung zu vergegenwärtigen.“ (9BPreußG I/1847, XII). Rückhaltloser äußerte er sich Maximilian II. gegenüber. Da erblickte er in der Objektivität lediglich ein „Streben“, ein „Ziel“, das der Historiker sich „um so mehr setzen“ müsse, „da persönliche Beschränktheit ihn doch hindert, es zu erreichen: das Subjective giebt sich von selbst.“ (26. 11. 59, SW 53/54, 404). Der Zusammenhang von Objektivität und Unparteilichkeit, der sich teilweise in seinem Diktum äußert: „Objectivität ist zugleich Unparteilichkeit“ (Die deutschen Mächte und der Fürstenbund I/1871, III) erscheint bei ihm nur angedacht, zumindest nicht differenziert dargelegt. Beide beginnen bekanntlich nicht erst in der Darstellung, wie man bei Ranke schließen muß, beschränken sich nicht auf Urteile und Wertungen, sondern sind bereits vor und in der Quellensuche und Auswahl allseitig wirksam, was gerade bei Rankes Verhältnis zu bestimmten Quellenarten - so den Relationen und Reichstagsakten - von Bedeutung ist. Daß Unparteilichkeit nicht unbedingt zur Objektivität führt und diese mehr darstellt als jene, überhaupt ein ganzheitliches Bemühen ist, wurde von ihm wohl nicht deutlich gesehen. Überdies können beide Begriffe auch unabhängig voneinander gedacht werden. Finden sich doch Darstellungsbereiche und Themen, die nicht unter einen selbst weit gefaßten Begriff von ‚Partei‘ fallen. Ranke geht in seiner Parteilichkeitsvorstellung indes wohl allzu sehr von einer durchgängigen Sicht dualistischer geschichtlicher Auseinandersetzungen aus. Dieser Dualismus wird in vielen von ihm geschilderten Konflikten sichtbar. So sieht er einen „Kampf zwischen dem orientalischen und okzidentalen Prinzip“ (Stenogramm in WuN II, 103), auch den die damalige ‚moderne‘ Welt bestimmenden Konflikt von Monarchie und Volkssouveränität (ebd., 158): „Diese beiden Ideen bilden den Kampf“, und wo er von den alten Ständen und den konstitutionellen Ständen handelt, glaubt er feststellen zu können: „Diese beiden Prinzipien stehen einander gegenüber wie zwei Welten. Und die moderne Welt besteht aus nichts als aus einem Konflikt zwischen beiden.“ (Ebd., 418). Seine nicht nur historiographische, auch im allgemeinen Leben geübte Zurückhaltung im Urteil, die er als Unparteilichkeit verstand, dürfte nicht zuletzt mit der in der eigenen Psyche befindlichen Angst, zumindest Sorge, Fehler zu begehen, anstößig zu wirken, unliebsam zu sein zusam- 82 -

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menhängen, wohl auch mit seinem das Häßliche und Böse meidenden ästhetischen Darstellungsprinzip. * Der Problemkomplex ‚Objektivität und Unparteilichkeit‘ ist noch in anderen Zusammenhängen zu betrachten. Zu den tieferen Widersprüchlichkeiten Rankes gehört nicht die mangelnde Entschiedenheit zwischen einem publikumsorientierten, poetisch ausgerichteten Literatentum und einer forschungsgebundenen Wissenschaftlichkeit, sondern der Glaube an ihre Vereinbarkeit. Rankes zwangsläufiges Mißlingen in diesem Punkt zeigt sich an der vom Publikum nicht geschätzten versagten Vollständigkeit ebenso wie in der von diesem oft empfundenen Unklarheit der ins Auge gefaßten Zielgruppe. Äußerlich macht sich der ihm verborgen bleibende Zwiespalt seiner Konzeption auch in der Ausgrenzung von Forschungsdetails aus der Erzählung mithilfe dennoch vorhandener beigebundener Analekten geltend. Ranke erstrebte nicht nur eine künstlerische Form seiner Geschichtswerke, er suchte auch permanent seiner Darstellung Elemente dichterischer Vergegenwärtigung des Geschehenen als Geschehen zu verleihen. Diese Elemente, zumeist augenfällige physische Details in Kostüm und Kulisse, doch auch Reden, darunter vom Leser gleichsam mitgehörte wörtliche (s. I, 78), dürften zwar weitgehend den Quellen entnommen und mit entsprechender Detailfreude am Gefundenen vorgetragen worden sein, daß sie in allen Fällen einer quellenkritischen Betrachtung standhalten, ist freilich kaum anzunehmen (s. I/1.6). Diese sinnenhaften Elemente sind denn auch der Darstellung in einer Weise eingebunden, welche das Geschichtswerk zu denaturieren droht, dienen sie doch nicht nur - oder nicht - dazu, das ‚wie es eigentlich gewesen‘ funktional zu bereichern, sondern es auch in die Richtung eines sich ‚jetzt Ereignenden‘ zu leiten. Über das Alterieren und Reduzieren der Realität hinaus wird bei Ranke ein besonderer Zusammenhang von Ästhetik, Unparteilichkeit und Objektivität sichtbar. Das „Wesen der Unparteilichkeit“ bestand für ihn, seinen eigenen bereits vernommenen Worten (s. I, 163) zufolge eben „nur darin, daß man die agirenden Mächte in ihrer Stellung anerkennt, und die einer jeden eigenthümlichen Beziehungen würdigt. Man sieht [!] sie in ihrem besonderen Selbst erscheinen, einander gegenübertreten, und mit einander ringen; in diesem Gegensatz vollziehen sich die Begebenheiten und die weltbeherrschenden Geschicke. Objectivität ist zugleich Unparteilichkeit“ (DtMächte I/1871, III). Anders als bei einer aus vermeintlich interesseloser oder unentschiedener Unparteilichkeit des Schreibenden herrührenden Schein-Objektivität vermag ein ästhetisch ausgerichtetes und poetisch angelegtes Darstellen und Zeigen eine Form von Objektivität zu fördern, welche in den ‚Dingen‘ selbst - ein von Ranke allenthalben genutzter Unbestimmtheitsbegriff - begründet zu sein scheint. Sich selbst darstellende und sich damit als solche begrifflich aufhebende Objekte bewegen und begegnen sich auf seinen Buchseiten - zumeist kämpferisch -, sie sind da, doch wie könnten sie sich beurteilen! Sie besitzen verständlicherweise nicht die Perspektive oder etwaige Parteilichkeit ihres Erzählers, sondern lediglich das Eigeninteresse und die Motorik ihres Handelns, sie sind selbst ‚Partei‘. Aus historiographischer Sicht erliegt der Darsteller damit seiner eigenen darstellerischen Illusion: Die von ihm ohnedies eingeschränkt erzeugten ‚Dinge‘ verlieren den Charakter des Geschaffenoder Erkanntseins, sie treten vielmehr selbständig dinglich-persönlich auf: „man sieht - 83 -

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sie erscheinen“. Ranke schildert nicht einmal das, was er ‚sieht‘, sondern er sieht, wie etwas geschieht. Mit dem Leser gemeinsam betrachtet er das gegenwärtig ‚Erscheinende‘ als Wirklichkeit. Jenseits der papierenen Buch-Empirie wird beiden eine mitlebende Empirie inmitten der Ereignisse vergönnt. Die dichterische Phantasie geht hier zwar, wie Ranke sich schon 1824 vorgenommen hatte, nicht so weit, ein NichtGewesenes zu erzeugen, doch wird ein Nicht-mehr-Anwesendes in eine sinnenhafte und beiläufig damit auch nicht mehr zu bestreitende und zu diskutierende Gegenwart überführt. - Unparteilichkeit ist in Rankes Auffassung nicht der bewußte Verzicht auf ein Urteilen, sondern ein stummes, jedoch in angenehmer bis erschauernder Weise sich vollziehendes Betrachten des Erscheinenden: „die Vergangenheit wie ein Gegenwärtiges gleichsam mit eigenen Augen zu sehen“, ist der Zweck der modernen Historie (Analekten zur EnglG, SW 21, 113). Schon in seinen frühen Werkstudien hatte er in romantischem Schwärmen gestanden: „Das ist gar so süß, schwelgen im Reichthum aller Jahrhunderte, all die Helden zu sehn von Aug zu Aug, mitzuleben noch einmal, und gedrängter fast, lebendiger fast: es ist so gar süß, und es ist so gar verführerisch.“ (an HR, Ende März 1820, SW 53/54, 89). - Der historiographische Fach-Erzähler hat dem Poeten Platz gemacht und mischt sich unter das betrachtende Publikum, dem eine Beurteilung, wenn sie denn sein soll, anheimgegeben wird. Dies blieb auch seinen Zeitgenossen nicht verborgen. Er habe, so hieß es in den ‚Philosophischen Monatsheften‘ des Jahres 1872, das „geschichtliche Werden g e s e h e n “ (Hülsmann/1872, 106. Sperr. i. T.). Der mit ihm vertraute Wilhelm Giesebrecht wußte von Rankes „wunderbarer Kraft der Intuition“ zu berichten, „womit er zeitlich oder örtlich weit Entferntes sich vollständig vergegenwärtigen konnte, ... Männer, die Jahrhunderte lang im Grabe ruhten“, habe er „wie Mitlebende vor sich“ gesehen (Giesebrecht: Gedächtnisrede/ 1887, 15). Man könnte geneigt sein, auch das bei Ranke auftretende Verhältnis von Geschichte und Politik zu seinen Widersprüchlichkeiten zu zählen. Max Lehmann schien diese Auffassung zu vertreten, als er bei einer Betrachtung der posthum herausgegebenen, kontrovers beurteilten politischen Denkschriften Rankes der Jahre 1848 bis 1851 urteilte: „Merkwürdig, daß Ranke, der doch sonst so nachdrücklich die Scheidung von Politik und Historie gefordert hat, sich verführen ließ, fremdes Gebiet zu betreten“ (Lehmann/1890, 286). Dabei dürfte jedoch zu berücksichtigen sein, daß Ranke nach dem Ende der von ihm herausgegebenen ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ (1836) unter seinem Namen wohl keine weiteren öffentlichen Ausflüge in die Politik unternommen hat. Eines der schwierigsten Probleme rankebezogener Forschung besteht in der Ergründung des Zusammenhangs von persönlicher Religiosität und ihrer Wirksamkeit im Werk. Die Betrachtung dieses fundamentalen Problemkomplexes wird erschwert durch die mangelnde Entschiedenheit, Schärfe und Klarheit, mit der Ranke sich auch darüber nur höchst gelegentlich ausgesprochen hat, und durch die von seiten der Forschung überwiegend unbeachtete Notwendigkeit, seine Einstellungen nicht allein in der Jugendzeit, sondern nicht minder in dem sich entwickelnden Lebensganzen zu betrachten. Dies bedarf freilich einer gründlicheren und ausführlicheren Untersuchung, die auch hier nicht geleistet werden kann. Kurze Hinweise mögen genügen, zumindest die Schwierigkeit und Notwendigkeit einer umfassenden Behandlung des Themas anzudeuten und dem vorliegenden Zweck entsprechend auf Widersprüchlichkeiten im Werk hinzudeuten (s. v. a. I/1.9 u. I/2.5.5). - 84 -

I/1.7 Widersprüchlichkeiten

Auch hier sind schwankende Einstellungen Rankes zu bemerken. Hatte er noch wie eingangs zitiert, in seinen jüngeren Jahren die Erkenntnis Gottes in der Welt als Aufgabe seiner Wissenschaft betrachtet, - „... zur Erkenntniß des lebendigen Gottes, des Gottes unsrer Nationen und der Welt sollen alle meine Sachen gereichen“ (SW 53/54, 140) - , so scheint seine Sicht in den mittleren Jahren realistischer zu werden, ohne daß jedoch transzendente Prämissen gänzlich aufgegeben worden wären. In der Tat konnte man nachweisen, daß die sogenannten ‚Finger Gottes-Stellen‘ seines Erstlingswerkes bei dessen fünfzig Jahre später vollzogener Aufnahme in die ‚Sämmtlichen Werke‘ abgeschwächt worden waren (Backs/1985, 277-279). Eberhard Kessel hatte bereits 1954 darauf hingewiesen, daß in Rankes Werken von den 1830er Jahren an „vom ‚Finger Gottes‘ im konkreten Fall ... nicht mehr die Rede“ sei (Kessel/1954, 278). Ganz auf die Seite einer religionsfreien, unabhängigen Wissenschaft scheint Ranke sich zu schlagen mit einem Ausspruch vom Sommersemester 1855, den ein Teilnehmer anläßlich der Verleihung des Ehrenbürgerrechts der Stadt Berlin in der ‚Vossischen Zeitung‘ preisgab, und dem nicht widersprochen wurde: „der Historiker braucht keinen bestimmten Glauben zu besitzen, er glaubt an die Wahrheit“ ([Anonym:] Leopold von Ranke’s Verdienst um Berlin/1885, unpag.). Es ist auch zu denken an sein sehr weltliches, wiederum nicht öffentliches Wort von der Ausbreitung des romanisch-germanischen Geistes, der sich „nicht mehr durch die Kirchenform gefesselt … frei als Kultur ausbreitet.“ (WuN II/1971, 443, Stenogr.). Während also ein innerweltlich waltender oder nur gegenwärtiger und als solcher erkennbarer Gott aus seiner Historiographie mählich entschwindet, scheint es so, als sei ihm nurmehr der jenseitig geglaubte Gott erhalten geblieben. Öfter spricht er distanziert und weniger personal von der ‚Gottheit‘. Dennoch betrachtet er sein eigenes Leben vorsehungsgläubig, ohne den Providenzgedanken in teleologischer Weise in seinen Darstellungen greifbar oder gar strukturell zum Ausdruck zu bringen. In diesen späteren Jahren spricht er auch - wiederum nicht öffentlich - sein berühmtes Diktum von der Unmittelbarkeit einer jeden Epoche zu Gott aus, das in seiner hochgelagerten spekulativen visio Dei die Erkenntnisfähigkeit des Historikers bei weitem übersteigt und in eklatantem Widerspruch zu seiner professionellen Forderung steht, nur die realen Ergebnisse der Forschung zu berücksichtigen, nach den ersten und echtesten Quellen zu arbeiten und sich an das zu halten, was historisch nachweisbar ist. Dies scheint seine tiefste fachliche Widersprüchlichkeit. Sie stellt sich im versuchten Nachweis göttlichen Waltens, Wirkens oder nur Schauens ebenso dar wie im allgemeinen historiographischen Objektivitätsbemühen, - als zugelassenes Nebeneinander einer durch priesterlichen, geradezu missionarischen Auftrag überkommenen höheren, vorsehungsgeleiteten Erkenntnisfähigkeit und einer gelegentlich bewußt werdenden professionellen Beschränkung, die er vielleicht weniger auf seiner Seite als auf der einer ungenügenden Quellensituation sieht. (s. I, 105-107).

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8. Kapitel (I/1.8) DIE GUNST DES PUBLIKUMS Das Publikum hat Ranke bei allem, was er schreibt, im Sinn und führt es oft im Munde: Stets kommt es darauf an, dem Publicum etwas „darbieten“ zu können (an Geibel, 22. 12. 74, Geibel/1886, 68). Es ist ihm wichtig, „…dass das Publikum befriedigt wird“ (an Geibel, 17. 11. 67, ebd., 4), und dabei handelt es sich nicht um das gelehrte Publikum, um seine Fachgenossen, nicht einmal um das gebildete, es geht um das „große Publicum“ (an Geibel, 17. 10. 72, ebd., 43). Denn nur das große Publikum verheißt eine große Wirkung. Schon von seinem frühen Verleger Perthes wünschte er zu hören, ob dieser erachte, daß sein Buch über ‚Fürsten und Völker‘ „für ein größeres oder blos [!] für das gelehrte Publicum gedruckt werde“ (18. 9. 26, Oncken/1922, 94). Er legt großen Wert auf die äußere Gestaltung des Buches und möchte nicht, daß es „gleich beym ersten Anblick als ein rein gelehrtes erscheine, was ihm denn nicht eben förderlich seyn könne“ (an Perthes, 25. 10. 26, ebd., 95). Seine Werke sollen auch äußerlich handlich, „dem Publicum bequem und angenehm“ sein (an Geibel, 16. 9. 79, Geibel/ 1886, 127) und, so auch die ‚Serbische Revolution‘, „von jedermann gekauft werden“ (an Perthes, 22. 1. 29, NBrr 118). Für ihn ist eine literarische oder wissenschaftliche Hervorbringung nicht in erster Linie ein Gefäß der Erkenntnis, sondern ein „Denkmal“ der Bekanntheit, und ein „schlechtes Denkmal“ bestimmt sich in seinen Augen nicht durch seinen Inhalt, sondern daraus, daß es nur „fünf, sechs vielleicht lesen“ (an HR, 1. 9. [1822] SW 53/43, 99). Eine neue Ausgabe der ‚Osmanen‘ unternimmt er nicht aus wissenschaftlichen Gründen, sondern „allein“, um der vorausgesetzten „Nachfrage des Publicums“ entgegenzukommen (FuV, 2. Aufl., 1837, XVIII). Gelegentlich fürchtet er, das Publikum „allzusehr“ zu „überhäufen“ (an Geibel, 21. 10. 70, Geibel/1886, 22), ein andermal fürchtet er, das Publikum werde „eher ungeduldig“ (an Geibel, 2. 5. 73, ebd., 48). In aufklärerischer Attitüde hofft er, „auch für das Publicum ist es besser, dass ich meine Ansicht darüber ausspreche“, wobei das Papsttum gemeint ist (an Geibel, 21. 4. 74, ebd., 58). Schon in der Frühzeit seiner wissenschaftlichen Tätigkeit war Ranke bestrebt, Wirkung beim großen Publikum hervorzurufen. Bei einer zweiten Auflage des „ersten“ Bandes der ‚Fürsten und Völker‘ beabsichtigte er, sich „an dem großen Publicum ein wenig zu versuchen“. Dazu sollten Fußnoten entfallen und durch engeren Satz eine geringere Bogenzahl und damit eine „wohlfeile Ausgabe“ erreicht werden. Als Titel schlug er vor „Osmanen und Spanier im 16. u. 17. Jahrh.“ (An Perthes, 25. 2. 28, Oncken/1922, 110f.). Doch dazu kam es nicht. Auch sein nicht realisiertes Projekt einer Sammlung von „kritischen Untersuchungen über causes célèbres der neueren Geschichte“ (s. I, 36) ging in diese populäre Richtung. - Selbst in seinen bedeutenden, aber staubtrockenen ‚Jahrbüchern des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause‘ beschließt er die Vorrede zum ersten Band mit dem Wunsch: „Möge uns ... die Gunst des Publicums nicht fehlen“ (1837, XII). - Da das Publikum von der zweiten Auflage der ‚Deutschen Geschichte‘ lediglich die Bände I bis III angenommen hatte, für die weiteren Bände, besonders für die in Band VI mitgeteilten Analekten, bestand offenbar kaum Interesse, versuchte man es 1852 mit einer Popularisierung. Ungeachtet bisher geltender wissenschaftlicher Grundsätze oder nur Gesichtspunkte wurden 540 Seiten mit ‚Urkunden, Auszügen und kritischen Bemerkungen‘ über Bord geworfen. Das somit auf fünf Bände reduzierte Unternehmen erwies sich jedoch nicht als erfolgreich, - 86 -

I/1.8 Die Gunst des Publikums

und man kehrte in der folgenden, vierten Auflage zu den alten Grundsätzen und Bandzahlen zurück. Stets gilt es, Entscheidungen und Vorkehrungen zu treffen, die „den Käufern gewiß willkommen“ sind (an Geibel, 23. 6. 72, Geibel/1886, 35). So wird denn auch bei dem Werk ‚Ueber den Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Prinzeß Royal von England‘ die Sammlung der Briefe anläßlich des Drittdrucks von Ranke entgegen wissenschaftlichen Belangen gekürzt, „weil sie für das große [!] Publikum wenig Interesse darbieten“ (an Geibel, 25. 4. 72, ebd., 33). Eine wohl aus Friedrich Christoph Dahlmanns Erfolg bei seiner ‚Geschichte der englischen Revolution‘ gewonnene Anregung - davon waren allein im Jahre 1844 beneidenswerte drei Auflagen nötig geworden und bis 1848 insgesamt fünf. (Springer: Friedrich Christoph Dahlmann, II, 1872, 147) - führte dazu, daß 1865 unter Beibehaltung der Normalausgabe ein passender Teil der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes flugs zur ‚Geschichte der Restauration und der Revolution in England‘ umgetitelt wurde, welche ein interessanteres, in sich kontrastives Angebot darzustellen schien. Doch ein Erfolg war auch diesem Popularisierungsversuch nicht beschieden. Das vermeintlich attraktive Separat-Unternehmen wurde nicht nur nicht in weiteren Auflagen fortgeführt, sondern nach zwei der thematisch eigentlich erforderlichen drei Bände abgebrochen und die Leser mit einer Teildarstellung düpiert, die vor dem 19. Buch, der erwarteten ‚Durchführung der Revolution in den drei Reichen 1688-1691‘, abbrach, wo sie nicht hätte abbrechen dürfen. Die Vermutung, Rankes Werk sei bei diesen Popularisierungsversuchen Opfer verlegerischer Unvernunft oder unangemessenen Gewinnstrebens geworden, ist, wie sich aus seiner bereits dargestellten starken Einflußnahme auf Verlage zeigte, unbegründet. Im Gegenteil: Der Gedanke, seinen Aufsatz ‚Ansicht des siebenjährigen Krieges‘ auch in selbständiger Buchform „nicht in sieben, sondern etwa in vierzehn Bogen, elegant gedruckt … besonders ins Publicum zu bringen“ (Brief vom 18. 10. 75, Geibel/1886, 81), stammte von ihm selbst. Zu seinen Popularisierungstendenzen gehörte auch der Wunsch, sein Analekten-Stück ‚Analyse der Traditionen über die Eroberung Roms durch die Gallier‘, das er seiner ‚Weltgeschichte‘ (III/2, 1883, 151-168) beigegeben hatte, zurückzuziehen, weil es für das Publikum „viel zu abstrus“ sei und daher einer anderen Publikation zugewiesen werden sollte. Sein allzu später Einfall kam nicht zum Tragen: Der Druck war schon zu weit fortgeschritten (an Geibel, 30. 8. 82, ebd., 145f.). Unter den zahlreichen gescheiterten Versuchen war natürlich der eine oder andere verlegerische Vorschlag dabei, so etwa die bereits erwähnte, nicht sehr erfolgreiche Buchausgabe der ADB-Artikel über Friedrich d. Gr. und Friedrich Wilhelm IV., so auch 1878 eine Textausgabe der ‚Päpste‘. Zu deren 7. Auflage, besonders zur Textausgabe, ist Rankes Brief an Geibel vom 8. 6. 78 nachzulesen (ebd., 115 mit A. 1). Die Erwartung des Verlegers, mit dieser Ausgabe in einer Auflage von 1000 Exemplaren dem ermüdeten Werk neue Leserkreise zu gewinnen, erwies sich als irrig, vielmehr blieb die Ausgabe zu einem großen Teil unverkauft. Rankes gesuchtes Publikum ist die deutsche Nation und mehr noch die Welt. Sie bedürfen seiner als eines mit reichstem Wissen ausgestatteten ‚praeceptor Germaniae‘, ein Titel, den ihm bei seinem Tod die ‚Times‘ verlieh ([Anonym:] Death of Leopold von Ranke/1886, 9). - „ ... was ich Neues und Wahres über ein so wichtiges Ereigniß [die deutsche Reformation] gefunden zu haben glaube, nun der Nation ohne längeren - 87 -

I/1.8 Die Gunst des Publikums

Verzug mitzutheilen, ist doch wohl die höhere Pflicht“, schreibt er in dieser Attitüde anläßlich der unbesucht gelassenen Hochzeit seines Bruders Ernst an den Vater der Braut, den bedeutenden Bonner Mediziner Christian Friedrich Nasse (10. 9. [42], SW 53/54, 320). Der Nation legt er 1871 mit seinem Werk ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘, Bd. I, „ein Stück ihrer Geschichte vor …“ (Vorw., V) und im selben Jahr „der Welt“ den ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ (Vorw., V). Im Jahre 1873 bringt er mit der Herausgabe des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen nicht nur „dem Vaterlande“, sondern wiederum „der Welt eine Gabe von hohem Werte“ dar (Vorw., V), was manche Zeitgenossen indes ganz anders sahen, so auch K. W. Nitzsch am 23. 6. 73 an Maurenbrecher: „Ich habe ein Grauen vor dem Buch und begreife, daß der Kaiser gar nicht damit zufrieden ist.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 333). Bei seinem ‚Fürstentum Serbien‘ ist Ranke besorgt und „weit entfernt davon zu glauben, daß die Welt die neue Production so günstig ansehen wird als die frühere“ (an Reumont, 15. 4. 79, Or. UB Bonn, Autographenslg. S 1065, mit kleinen Fehlern: Hüffer/1904, 204). Letztlich will er in seinen Werken „das lange Verborgne“ gar „zum Gemeingut der Welt“ machen (an ER, 21. 5. 62, Hitzig/1906, 253). Noch in seinen letzten Lebenstagen äußert er in ungebrochener Maßlosigkeit: „Ich hoffte, der Welt noch über die größten, weltbewegenden Ereignisse etwas sagen zu können“ (OvR: Die letzten Lebenstage/1886, 11). Das von ihm dargestellte ‚Neue‘ und ‚Wahre‘ genügte nun, wie er wohl häufiger erfahren haben dürfte, nicht, um das Interesse des großen Publikums zu wecken. Es bedurfte darüber hinaus zumindest der Eigenschaft des ‚Angenehmen‘. Sogar seine „päpstlichen Historien“, so schreibt er am 29. 8. 33 ebenso demaskierend wie irritierend an seinen theologischen Bruder Heinrich (NBrr 180), sollen „mit Vergnügen“ gelesen werden. Und mit frühem Blick auf seine ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ hat er den Wunsch: „Geb es Gott, dann will ich der Welt wieder ein wahres und auch angenehmes Buch über die wichtigste Epoche der deutschen Geschichte schreiben. Unendlich freue ich mich darauf.“ (an FR, 23. 10. 36, NBrr 225). Hier tritt das der antiken Literatur-Theorie entstammende ‚prodesse aut delectare‘, bzw. ‚docere, movere, delectare‘ deutlich hervor, das sich in dem von Ranke aufgestellten Postulat der Einheit von wahrer Wissenschaft und Kunst idealisiert widerspiegelt. Das so gern in seinem gesellschaftlichen Auftreten an den Tag gelegte Gefallen-Wollen erstrebt er auch in seinem Werk. Ranke hat - wie angedeutet - in seinen Anfängen keine historisch fachliche, vielmehr eine allgemeinere, weit ausgreifende Einstellung gehabt, welche von vielerlei altphilologischen, ästhetischen, kunsthistorischen, theologischen, religionsgeschichtlichen, poetischen und poetologischen Interessen geprägt war - er selbst spricht von „incohärenten“ (SW 53/54, 60), d. h. wohl auch: wenig zielgerichteten Studien - an anderer Stelle von deren „unbestimmten Tendenzen“ (an ER, 5. 9. 76, SW 53/54, 525). Jedenfalls drängten sie alle zu konkreter öffentlicher Hervorbringung. Sein Nachlaß der Frühzeit bezeugt dies in vielfältiger Weise (s. II/2.3). Ob ihn tatsächlich ein Zuviel an ungeschichtlicher Phantasie bei den zunächst begeistert gelesenen Poeten Walter Scottscher Art abgehalten oder doch nur ein Mangel an eigener dichterischer Phantasie gehindert hat, sich der ‚reinen‘ Poesie zuzuwenden und sich unter Wahrung seiner vielfältigen Neigungen ersatzweise den Quellen der Historie zu nähern, mag dahingestellt sein. Auch nach den Arbeiten an seinem geschichtswissenschaftlichen Erstlingswerk hat er zunächst noch den Gedanken aufrechterhalten, die Wissenschaft - 88 -

I/1.8 Die Gunst des Publikums

einmal beiseite zu lassen und sich wieder an Literarischem zu versuchen: „Hätte ich in Kurzem Musse und glückliche Stunden, so schriebe ich etwas Anderes, nichts Historisches, wenigstens nicht geradezu...“, bekennt er Varnhagen (10. 10. 29, Wiedemann: Briefe an V. u. Rahel/1895, 443) „Ich hoffe noch einmal ein Werk zu schreiben, welches jedermann lesen kann, und welches doch die Fülle des geistigen Lebens der Geschichte enthält“ (an HR, 5. 5. 27, SW 53/54, 166). Das „jedermann lesen“ dürfte nicht zufällig an erster Stelle stehen. Noch nach seiner Italienischen Reise möchte er in seinem bezeichnenden Totalitätsdrang alles, was die Welt „Schönes und Großes hervorgebracht hat“ an sich „heranziehen“, sich „aneignen und den Gang der ewigen Geschicke mit ungeirrtem Auge ansehen, in diesem Geiste auch selbst edle und schöne Werke hervorbringen“ (an Heinrich Ranke, 30. 11. 32 SW 53/54, 261). Ranke selbst nimmt damit das Wort des Grafen Paul Yorck von Wartenburgs vorweg, der ihn als „ein großes Okular“ deutete (Y. an D., 6. 7. 86, Briefwechsel zwischen Wilhelm Dilthey und dem Grafen Paul Yorck v. Wartenburg/1923, 60). Den tieferen Gründen konnte sich bereits Theodor Wiedemann aus jahrelangem Umgang mit Ranke in einer seiner wesentlichsten Einsichten nähern: „Die schriftstellerische Ambition auf Grund einer angeborenen Neigung und ungemeiner Befähigung zu litterarischer Gestaltung bildete bei Ranke den ursprünglichen und vornehmsten Antrieb, … nicht oder doch keineswegs ausschließlich das theoretische Bedürfnis des Erkennens an sich oder die durch umfassende Lektüre erworbene Fülle des Wissens.“ (Wiedemann VI/1892, 102f., A 5). - Rankes persönliches Streben und wissenschaftliches Suchen - gerade auch seine Quellensuche - stehen im Dienst darstellenden Zeigens. Er will zwar suchen und finden, wie es wirklich gewesen; doch er will es vor allem sagen, einen Schritt genauer noch - so 1874 in der zweiten Auflage seiner ‚Geschichten‘ - er will es „zeigen“. Er ‚präzisiert‘ seine Formulierung von 1824, indem er das beschreibende und deutende Sagen revidierend zum vorstellenden, vergegenwärtigenden Zeigen erhebt. Was er zeigen will, ist neben der Wahrheit vor allem das „Schöne und Große“. Bei der Besprechung der ‚Annalen des Einhard‘ von 1854/55 fühlte er sich bemüßigt zu erklären: „Überhaupt suchen wir in der Geschichte nicht allein Schönheit und Form, sondern die exakte Wahrheit...“ (SW 51/52, 97). Seine Ästhetik stellt sich damit in den Dienst des Publikums. Er will, seinem verengten Wirklichkeitsbegriff entsprechend, dies in „edlen und schönen“, nicht in „gelehrten“ Werken vorweisen. Das Häßliche, Niedrige wird, soweit es nicht überhaupt übersehen ist, übergangen, jedenfalls wird es weitgehend als unangemessen, anstößig, nicht darstellungswürdig empfunden. So gehen in Rankes gewollt „edler und schöner“ Darstellung nicht allein bestimmte Charakterzüge, Verhaltensweisen und Äußerungen mehrerer preußischer und anderer Monarchen verloren - darunter ‚litten‘ neben Heinrich VIII. auch Cromwell und Luther -, sondern in Volksschichten und ganzen Völkern auch große Bewegungen, Bedrängnisse und Bedürfnisse. Zu einer weiteren Behinderung seiner Realitätssicht tritt neben der Ästhetik seiner Betrachtung überhöhend eine nicht rationale Einstellung hinzu, die ihn in der Geschichte eine nicht vorhandene „Erhabenheit der Entwicklung“ (SW 53/43, 278) sehen läßt. Wo der bevorzugte Blick auf das Publikum zu einer Schwächung der Sicht wissenschaftlicher Notwendigkeiten führt, da ist es nur konsequent, auch das Urteil des Publikums über das der Fachwelt zu stellen. Fach-Rezensenten als Richter über sein Werk schätzte Ranke nicht: Über „beschränkte und von Eifersucht eingegebene Recensionen“ ist er schon lange belehrt, - da vertraut er lieber auf das Publikum, in dem er - 89 -

I/1.8 Die Gunst des Publikums

schon „immer einen gewissen Instinct [!] für das Echte und Gute wahrgenommen“ hat (an Geibel, 21. 3. 79, ebd., 120). „Wenn ich es bloß mit den Gelehrten zu thun hätte“, äußerte er einmal, „könnte ich mein Buch zumachen; aber ich habe das Publikum für mich“ (Wiedemann V/1892, 348). - Wo das ‚Buch‘ schlechthin Karriereinstrument ist, da vermag das populäre Buch zum Vehikel des Ruhmes zu werden. ‚Buch‘ und ‚Ruhm‘ sind für Ranke ein Leben lang eng verbundene Begriffe (s. I/1.1). „Das ist der Vorteil, wenn man viel geschrieben hat, daß man von jedermann gekannt ist und manche sich beeifern, einem Freundlichkeiten zu erweisen“, schreibt er seinem Bruder Ferdinand ([31. 8. 39], NBrr 268f.). Gern hört er sich später in Paris Schmeicheleien an, die er seiner Frau nach Berlin mitteilt: „que je suis le plus grand historien de l’Allemagne et peutêtre de l’Europe...“ (15. 8. 55, SW 53/54, 376). Es ist ein nachhaltiger, gern empfangener Eindruck: „jedermann kennt mich“, schreibt er nach neuen Bekanntschaften, die er in Paris oder Versailles gemacht hat ([Ende Aug. 1855], SW 53/54, 380). Auch in Cambridge 1857 fühlte er sich „glücklich, jedermann bekannt zu sein. Was hat man mir alles gesagt!“ (an CvR, 4. 4. 57, SW 53/54, 391). - „Wohlbekannt meine Feder, wohlaufgenommen von vielen...“, so befindet er sich sehr wohl in London (an CvR, 7. 6. 57, SW 53/54, 396). Doch seine Ruhmsucht braucht ständig neue Nahrung, entbehrt eine beständige Erfüllung, denn „erst im höheren Alter“ sei Ranke „zu der allgemeinen Anerkennung gelangt ..., deren er sich gegenwärtig“ erfreue, schrieb August Kluckhohn 1885 (435), und nicht einmal dies war uneingeschränkt zutreffend. - Alfred Dove vermag beizusteuern, Ranke habe die „Huldigungen gelehrter Körperschaften und Vereine, die Ehrenbezeigungen deutscher und fremder Staatsoberhäupter ... mit Wohlgefallen“ betrachtet. „... für den Reiz des Ruhmes war er nicht unempfänglich“ (D[ove]: Ranke, Leopold v. (1888)/1898, 185). Dies kann Theodor Wiedemann nach langen Jahren der Zusammenarbeit in freundlicher Form bestätigen: „Es war ihm schon an sich lieb, daß man sich mit seiner Person beschäftigte“ (Wiedemann XIV/1893, 347), „Er kam oft darauf zu sprechen, daß es mehr große Dichter gegeben habe als wahrhaft große Geschichtschreiber. Im Grunde seines Herzens lebte die feste Überzeugung, wenn auch bisweilen durch seine Äußerungen ein andrer Anschein erweckt werden konnte, daß er als solcher von der Nachwelt anerkannt und dauernden Nachruhms teilhaftig werden würde“ (ebd., 346f.). Schon früher scheint ihm die seinen Werken hier und da entgegengebrachte Anerkennung zu Kopfe gestiegen zu sein, denn Varnhagen vertraute am 13. 10. 41 [nicht wie bei Wiedemann irrtümlich: 1831] seinem Tagebuch an, Bettina v. Arnim habe über Ranke geäußert, „er liege in seinem Ruhme wie ein Schwein in seinem Fette“ (Wiedemann/1901, 356). In seiner unveröffentlichten, außerhalb des Einflußbereichs von Rankes Erben erhalten gebliebenen biographischen Skizze stellte Rankes Bruder Wilhelm fest: „Sich selbst ein Ebenmaß zu verleihen und seine herrlichen Gaben von Humanität durchgeistigen zu lassen, dafür hat er keinen Sinn. Man decke die grünen Ranken seiner Ruhmsucht auf; nichts wird man darunter finden, als nackte Selbstliebe“ und „in ihm ist die Ich- und Ruhm-Sucht zu höchster Macht gelangt“ (NL WR, Rep. 92 NL Geschw. Ranke, GStA PK). Diese Äußerung wird ergänzt durch eine unabhängige Stimme: „12. Mai 1855. Besuch von Frau v. Treskow. Sie ergießt sich in Unwillen und Verachtung über Ranke ... Züge seiner dünkelhaften Eitelkeit“ (Tagebuchblätter Varnhagens bei Wiedemann: L. v. R. u. V. v. E./1901, 364). Seine Ruhmsucht ist nicht allein mitbestimmend für die Thematik und in späteren Jahren für die fast unglaublich dichte Erscheinungsfrequenz seiner Werke; sie steht - 90 -

I/1.8 Die Gunst des Publikums

auch auf ungeahnte Weise in Zusammenhang mit seiner Auffassung von Wahrheit. Nicht nur sein Objektivitätsbegriff ist ästhetisch und publizitätsorientiert, auch sein Wahrheitsbegriff ist aus dieser Richtung angegriffen: „Der allgemeine Consensus: das ist die Wahrheit“ (nachgelassene Aufzeichnung, SW 53/54, 570), eine äußerlich quantifizierende, substanzlose Begriffsbestimmung, die in ihrer Gefährlichkeit kaum zu überbieten ist. In Rankes an Ehrungen reichem Professoren- und Autorenleben sind neben glänzenden Erfolgen auch immer wieder Misserfolge aufgetreten. Sie begleiten ihn wie ein Schatten, den er selbst - und in seiner Folge die spätere Forschung - nicht wahrzunehmen scheint. Erstaunlich bleibt, mit welch tatsächlicher oder scheinbarer Ungerührtheit er über den Zusammenbruch seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ hinwegzusehen vermochte. Wenn sein Amanuense Wiedemann bemerkt, bei Ranke habe, „wie in der Geschichtsbetrachtung, so auch im wirklichen Leben die Neigung“ vorgewaltet, „in Verhältnissen und Persönlichkeiten das Günstige und Positive wahrzunehmen, über das Gegenteilige hinwegzusehen...“ (Wiedemann III/1892, 102), so dürfte er dies auch sich selbst gegenüber erreicht haben. Als Mißerfolge sind nicht allein die seinem Werk und seiner Persönlichkeit geltenden kritischen Stimmen und die jeden anderen schwer belastenden Werkabbrüche anzusehen, auch die Verbreitung und Beurteilung seiner Werke war nicht stets zufriedenstellend. Auf Rankes ungeheuren, geradezu leidenschaftlichen Arbeitsdrang, verbunden mit dem Willen, nicht allein die Universalität, sondern auch die Totalität der Geschichte zumindest aus dem Zentrum der romanischen und germanischen Völker heraus zu erfassen und darzustellen, auf diese ohnedies schon sehr hoch drehende Imagination und Produktivität haben drei, seine beiden letzten Lebensjahrzehnte bestimmende Ereignisse wie Katalysatoren gewirkt: Die Einrichtung seiner ‚Sämmtlichen Werke‘, die Reichsgründung, und letztlich der Plan einer ‚Weltgeschichte‘. All dies stand zudem unter der fortwährenden unerlösten Spannung von Erfolg und Mißerfolg seiner Werke und einem langsamen Sinken seines wissenschaftlichen Ansehens. In den auf seine großen, bis zu neunbändigen religionsgeschichtlichen und nationalgeschichtlichen Werke folgenden Zeiten beschleunigte sich der Ausstoß neuer Produktionen, welche nun auch von wesentlich geringerem Umfang sind, beträchtlich. Hatte es früher einmal ein sozusagen ‚buchleeres‘ Jahr gegeben, so machte sich mit Beginn seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ ein immer schneller erfolgender Ausstoß geltend. Der Wunsch, das Publikum publizistisch beständig unter Feuer zu halten, wird jetzt überdeutlich. Schon 1852 hatte er sich darüber gefreut, „in einem Jahr in sechs Bänden“ zu erscheinen (an FR, 6. 10. 52, NBrr 351). Im Jahre des Beginns seiner ‚Sämmtlichen Werke‘, 1867, hatte er 5 Bände aus zwei Werken als Verfasser bzw. Neuausgaben-Herausgeber bearbeitend und korrigierend zu betreuen. Im Jahre 1874 waren es bereits 14 Bände aus 7 Werken und im Jahre 1877 23 Bände aus 8 Werken. Man stelle sich vor: In zwölf Monaten waren 23 Bände an Neuerscheinungen und Neuauflagen zu bearbeiten, wobei zwei überanstrengte Amanuensen in zwei Tagesschichten mitwirkten. Rankes Schüler K. W. Nitzsch, bereits Ordinarius in Berlin, der den „großen Meister“ gelegentlich aufsuchte, schrieb am 8. 1. 76 an Wilhelm Maurenbrecher: „Rankes Amanuensis, der seit 3 Jahren bei ihm, meint, er verändere sich allmälig, werde flüchtiger im Arbeiten und haste, möglichst viel fertig zu machen.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 362). Auch Rankes Spätschüler Alfred Dove sprach aus persönlicher Kenntnis von „leidenschaftlich erhöhter Arbeitsamkeit“ in diesen spätesten Jahren - 91 -

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(Vorrede zu SW 53/54, VIII). Dies wurde wohl auch in Rankes Familie so empfunden: „kein Tag genügte ihm; immer legte er sich mit dem Bewußtsein schlafen, die beabsichtigte Tagesarbeit sei unvollendet geblieben...“ (FvR/1904, I, 77). Rankes Produktionshektik begann in dieser Zeit manische Züge anzunehmen. Er selbst sprach gelegentlich von der Gefahr einer Überreizung (an Geibel, 11. 3. 82, Geibel/1886, 143). Dies konnte keinen guten Einfluß auf die Präzision seiner Arbeit haben, zumal sein getreuer und gehetzter Wiedemann, wie sich später zeigen sollte, bei allem Eifer und großen Kenntnissen nicht ganz unliederlich war. Insgesamt hat Ranke in den verschiedenen Auflagen seiner Werke bis zu seinem Tod die ungeheure Zahl von annähernd 200 Bänden verfaßt oder revidiert, wobei noch deren nicht seltener besonders arbeitsaufwendiger editorischer Charakter zu berücksichtigen ist. Ranke suchte nicht nur die Aufmerksamkeit des Publikums, er suchte natürlich auch dessen ‚Beistimmung‘. Unter dem Titel „Beifall“ vertraute er seinen Tagebuchbättern an: „Inwiefern ist deine Zeit in dir, oder bist du selber? Ist die Produktion so recht eine Produktion des Allgemeinen, so wird die Beistimmung ungeheuer, unermeßlich sein. Je weniger jenes, desto minder kann dieses der Fall sein.“ (SW 53/54, 571). Sein Werk zu einer Produktion des Allgemeinen zu machen, sah er nach 1870 eine glänzende Möglichkeit. Dabei ging es darum, sein Werk thematisch mit der ruhmvollen Gegenwart - früher hatte es keinen Reiz gehabt und wenig Sinn gemacht - in Verbindung zu bringen. Doch die Reichsgründung hatte ihn „ganz in Feuer und Flammen“ zu dem Ausruf veranlaßt: „Das deutsche Imperium ist die größeste That der Menschheit!“ (Gregorovius: Röm. Tgbb., 21893, 354: Tgb. 2. 12. 71). Da ward es ihm „zum Bedürfniß“, schrieb Alfred Dove in seiner nach Rankes Tod zunächst grundlegenden biographischen Skizze, „seine eigenen Werke, deren innerer Ursprung doch so fern von jeder Rücksicht auf die Fragen des Tages zu suchen ist, wenigstens in Bezug auf ihr äußeres Erscheinen in eine gewisse Verbindung mit so eingreifenden Erlebnissen zu setzen.“ (D[ove]: Ranke, Leopold v./1888. Unter dem Titel ‚Ranke’s Leben im Umriß‘ in: Dove: Ausgewählte Schriftchen/1898, 181). Dies geschah nicht nur in Bezug auf ihr äußeres Erscheinen, es geschah auch in Bezug auf ihre Thematik. Ranke, der ansonsten seine Werke gern vorgeblich als unwandelbare Monumente der Wissenschaftsgeschichte bestehen ließ, entschloß sich doch, drei seiner ‚Altwerke‘ an die Zeit seiner eigenen Gegenwart heranzuführen: Er aktualisierte die ‚Päpste‘, die ‚Serbische Revolution‘, die ‚Preußische Geschichte‘. Auffallender noch und erheblich näher am äußeren Anlaß: Bei seinen ‚Neuwerken‘ ließ er sich durch die von Preußen/Deutschland erlangte Weltstellung dazu bestimmen, gänzlich von den bisher behandelten Jahrhunderten und Nationen Abschied zu nehmen und sich ausschließlich den letzten hundert Jahren und dabei vorzugsweise der preußischen Geschichte zuzuwenden, in der Tat ein markanter, nicht stets erkannter Wendepunkt in seinem Schaffen. Die Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ rief allerdings nur ein mäßiges Echo hervor, und die siebziger Jahre mit ihrem preußisch-deutschen Spätwerk wurden, trotz großer publizistischer Bemühungen und der Beihilfe zweier Amanuensen, kein rechter Erfolg, bis auf das stets interessierende Wallenstein-Thema mit vier Auflagen zwischen 1869 und 1880. Hinzu kam: „Unser alter Ranke kränkelt dieser Zeit viel“, ist „immer noch leidend“, wie K. W. Nitzsch seinem Freund W. Maurenbrecher im Dezember 1873 berichtete (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 341). Schon länger war das öffentliche und studentische Interesse an seinen Vorlesungen geschwunden. Das thematisch durchaus anziehende Kolleg vom Sommersemester 1871 - 92 -

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über ‚Geschichte der neuesten Zeit‘, er hatte sich darauf besonders vorbereitet, brach er wegen der deprimierenden fünf Hörer, die sich eingetragen hatten, ab. So fehlte nun auch die Möglichkeit, durch Vorlesungen und Übungen öffentlich zu wirken. Dies schloß den Kreis, denn mit ähnlich wenigen Hörern hatte er 1825 begonnen. Auch sein direkter Einfluß auf die Historische Kommission als deren Präsident war im Abnehmen begriffen, und von ihm angesichts der Reichsgründung erneut betriebene hochfliegende Pläne zur Errichtung einer ‚Akademie für deutsche Geschichte und Sprache‘, welche de facto das substanzielle Ende der Kommission bedeutet hätten, kamen nicht zum Tragen (s. II/6.5). Der Plenarversammlung von 1872 hatte er aus gesundheitlichen Gründen nicht präsidieren können. So wurde die Rede zur Eröffnung der 14. Plenarversammlung am 20. Okt. 1873 aus eben diesen Gründen seine letzte. Und am 2. Dez. 1872 hatte er zum letzten Mal in der Kgl. Preussischen Akademie der Wissenschaften gelesen. In diesen Jahren ging manches zu Ende: Auch seine Frau Clarissa war im April 1871 nach langen Leiden gestorben, - Leiden, in denen sie schließlich ein körperlich nicht mehr bewegliches Gegenbild - selbst das Umblättern einer Buchseite war ihr nicht mehr möglich - zu der ruhelosen Beweglichkeit ihres dominanten Mannes erreicht hatte. Es mußte eine neue literarische Sensation geschaffen werden, zumal vor dem nicht fernen Lebensende, eine letzte und entscheidende Maßnahme, ein Werk von großartiger Natur, ein Wunderwerk, das zunächst geheimzuhalten war. Thematisch ebenso auffallend wie bedeutend mußte es sein, monumental im Auftritt und damit attraktiv für das breite Publikum, das Ranke stets im Auge, aber nie so recht erreicht hatte. Es gab für ihn keine größere Sensation als das Verfassen einer Geschichte mit thematisch vorgeblicher Totalität, eine ‚Weltgeschichte‘. Beiläufig mußte das Werk für seinen greisen und sehbehinderten Verfasser auch altersgerecht sein, zu verwirklichen ohne Archiv- und mit nur mäßiger Literaturarbeit. Auf einer Äußerung Rankes, Giesebrecht gegenüber, beruht angeblich die Mitteilung, daß zum Entschluß, eine Weltgeschichte zu schreiben, als „äusserer Grund“ auch die altersbedingte Unfähigkeit zu weiteren Archivarbeiten mitgewirkt habe (Giesebrecht: Gedächtnisrede/1887, 24). Das Nebeneinander seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ und der ‚Weltgeschichte‘ führte schon quantitativ zu einem über den Abnehmerkreis der Wissenschaft hinausgehenden Aufsehen. Doch es stellten sich noch entscheidende weitere Umstände ein: Zum Wunder der Menge seiner ‚Sämmtlichen Werke‘, deren Bandzahl vermehrt wurde durch die Einführung von gezählten Doppelbänden, und der durch technische Kunstgriffe in ihrem Umfang gehobenen ‚Weltgeschichts‘-Bände - es wurde ein lediglich dreißigzeiliger Satzspiegel mit großen Lettern eingesetzt - kam mehr und mehr das Wunder des Alters ihres Verfassers hinzu, der bereits im 87. Lebensjahr stand, als er 1881 den ersten ‚Theil‘ seiner ‚Weltgeschichte‘ herausbrachte. Ein weiteres Wunder wurde mit der unglaublich kurzen Regelmäßigkeit der Produktion und ihrer Anbindung an ein herausragendes, alle Schichten und Zwistigkeiten der Nation überragendes, emotional geprägtes Ereignis erzeugt, mit dem jährlich zu rechnen war, dem vertrieblich höchst ergiebigen Weihnachtsfest: Die einzelnen Bände der ‚Weltgeschichte‘ wurden, so bezeichnete Ranke sie selbst, zur jährlichen „Weihnachtsgabe an das deutsche Volk“ (s. II/1.1). Schon 1826, bei seinem zweiten Werk, hatte nicht sein Verleger, sondern er selbst, Weihnachten als günstigen Erscheinungstermin im Sinn, wo sein Werk als „Weihnachtsgeschenk“ versandt werden könne (an Perthes, 2. 7. 26, Oncken/1922, 92). Natürlich lag die Bedeutung des Weihnachtstermins nicht allein in seinem Anlaß zum Bücherkauf, sondern steigerte die Aufmerksamkeit, welche die Nation und ihre - 93 -

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Presse dem Unternehmen des vor aller Augen scheinbar unsterblich schöpferischen greisen historiographischen Nationalheros schenkte, noch ungemein. Doch wurde dieser Erfolg teuer erkauft, denn dem vertrieblichen Primat wurde in Rankes Atelier alles untergeordnet. Ganz undenkbar, daß etwa aus wissenschaftlicher Notwendigkeit dieser Erscheinungstermin wäre geändert worden. Nicht die Wissenschaft, nicht die historische Erkenntnis bestimmte die Termine, der vorgefaßte Erscheinungstermin bestimmte die Wissenschaft und die Darstellung ihrer Ergebnisse. Es ging ihm nicht darum, das wissenschaftlich beste Ergebnis zu erzielen, es ging darum, seine Buchproduktion zu steigern: „Wollte ich den Stoff vollkommen so behandeln, wie er es verdient, so würde ich Jahre lang brauchen. Aber diese Jahre habe ich eben nicht, und ob ich es später besser machen würde als jetzt, steht doch sehr dahin.“, so äußerte er sich in bezeichnend unbefriedigender Logik und mangelnder wissenschaftlicher Verantwortung anläßlich des vierten Bandes (an Geibel, 28. 3. 83, Geibel/1886, 150). In der Tat „gelang es Ranke nicht, die einzelnen Teile der Weltgeschichte ordnungsmäßig und der gefaßten Absicht entsprechend jedesmal innerhalb des bestimmten Zeitraums zum Abschluß zu bringen“, wie sich sein Hauptmitarbeiter dieser Jahre erinnert (Wiedemann V/1892, 347). Er hatte sich auch und gerade bei diesem Unternehmen überschätzt. Es mußte zu Kompromissen, wie Ausscheidungen bereits hereingenommener Ausarbeitungen, Verkürzungen etc, Beiseitelassen aktueller Forschunsgliteratur kommen. An der Hektik der jährlichen ‚Weltgeschichts‘-Ausgaben mußten auch innerhalb seiner beiläufigen Gesamtausgabe Neuauflagen älterer Werke leiden: Hierzu hatte Ranke am 28. 12. 83, mitten in den wichtiger erscheinenden Arbeiten an Band V der ‚Weltgeschichte‘, seinem Verleger geschrieben: „Nur die allernothwendigsten Ergänzungen können bei der neuen Ausgabe [der GRGV] erwartet werden“ (Geibel/1886, 154). Mit Blick auf den Weihnachts-Erscheinungstermin stößt er auch ursprüngliche Bandkonzeptionen seiner ‚Weltgeschichte‘ um: Im November 1883 zieht er den noch änderungsbedürftigen ‚Paulus Diaconus‘ zurück, um den Erscheinungstermin zu Weihnachten zu gewährleisten (an Geibel, 8. 11. 83, ebd., 153). In den Jahren 1884 und 1885 zieht er wiederum bereits gesetzte korrekturbedürftige Kapitel, diesmal der Bände V und VI zurück, um den Weihnachtstermin nicht zu gefährden (an Geibel, 15. 11. 85, ebd., 161), übrigens nicht einmal auf Bitten des Verlegers. Seine ‚Weltgeschichte‘ wurde zu einer besonders in ihren allgemeineren Betrachtungen qualitätvollen, aber - als der Vorsprung seiner Vorarbeiten eingeholt war - im Grunde von Fortsetzungszwängen beherrschten Terminarbeit. Und dabei nahm der niemals nur sachorientierte Forscher immer mehr Züge eines publikumsorientierten Literaten an. Pointiert: Die ‚Geschichte‘ ist nicht Zweck, sondern Mittel der Darstellung geworden. Zweck ist nicht die historische Erkenntnis in ideeller Zusammenarbeit mit der historischen Gesamtwissenschaft, sondern die durch extrem gehäufte und auffallende Buchproduktion erreichte Selbstdarstellung vor einem breiten Publikum. Nicht das Suchen der Vergangenheit, nicht das lediglich rhetorisch eingesetzte AuslöschenWollen des eigenen Selbst: Hauptzweck ist geradezu das Zeigen des eigenen Selbst in seiner Schöpferkraft und Genialität geworden. So sehr ihm zunächst seine ‚Weltgeschichte‘ „auch dadurch zu einer unversiegbaren Quelle der Genugthuung geworden“ war, „daß sie ihn zu einer volkstümlichen Persönlichkeit gemacht“ hatte, wie seine Söhne Friduhelm und Otto zu berichten wußten (FvR/1903, 201; OvR/1912, 1), so wenig nachhaltig ist sie doch in das große Publikum gedrungen, wie hingegen manch andere ‚Weltgeschichte‘, so Karl von Rottecks ‚Allgemeine Geschichte vom Anfang - 94 -

I/1.8 Die Gunst des Publikums

der historischen Kenntnis bis auf unsere Zeiten‘, 9 Bde (1812-27), von der bis 1866/67 25 Auflagen erschienen waren, vor allem die auch von Ranke intensiv herangezogene, 1844 begonnene 19bändige Schlossersche ‚Weltgeschichte für das deutsche Volk‘, wovon 1909 die 27. Auflage erschien, oder das zuerst 1846 erschienene ‚Lehrbuch der Weltgeschichte mit besonderer Rücksicht auf Cultur, Literatur und Religionswesen‘ von Georg Weber, wovon 1879 die 18. Auflage erschienen war. Rankes ‚Weltgeschichte‘ wurde zunächst in ihren ersten Bänden stark nachgefragt. Dann jedoch ging das Interesse zurück und bald verloren, - ein schnell abbrennendes Strohfeuer, was nicht gegen wissenschaftliche Qualitäten spricht. Daß sie nicht die Popularität erreichte, die Ranke sich von ihr versprochen hatte, hing u. a. mit ihrer geringen empirischen Anschaulichkeit und nicht zuletzt mit der Unbestimmtheit ihrer Zielgruppe zusammen. Man fand, es sei keineswegs leicht, seine Erwägungen zu erkennen, besonders, an welche Leser er eigentlich gedacht habe. Er hätte gut daran getan (wie er auch tatsächlich ähnliches erwogen hat), „seinem Werke einen anderen Titel zu geben, der annähernd durch ‚Ideen zu einer Weltgeschichte‘ ausgedrückt werden könnte“ (Pantenius/1881, 495). Die Tragik: Er hat ein Leben lang wissenschaftlich unter dem Drang seines Öffentlichkeitstriebes gearbeitet, in seiner frühen Sehnsucht „nach dem Öffentlichen“ (s. I, 31) und seinem Wunsch, Wahres und zugleich Angenehmes für „jedermann“ zu bieten, hat zeitlebens die Nähe des Publikums gesucht und dafür wissenschaftlich manches preisgegeben, doch in seiner Breite erreicht hat er es nicht. „… populär kann man ihn eigentlich nicht nennen“, hieß es unter zahlreichen ähnlichen Stimmen in der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ von 1855 (Anonym/1855, 116f.). Und schließlich sah man auch in seiner ‚Weltgeschichte‘ vor allem ein Werk für die „höchstgebildete Welt“ (Horawitz/1881, 102, s. auch I/2.1.3). Bei aller Bewunderung für Rankes Altersleistung lässt sich in diesem mehr als reifen, mit Erfahrungen gesättigten Alter die mit einem guten Quantum Selbstüberschätzung und mangelnder Voraussicht gepaarte Unmäßigkeit seines selbstdarstellenden Publizitätsdranges kaum übersehen. Immerhin stand er bereits im 91. Lebensjahr, als er den sechsten Band der ‚Weltgeschichte‘ beendete, der lediglich bis zur Zeit Ottos d. Gr. reichte, gleichwohl spielte der Greis noch mit dem Gedanken, sein Werk in weiteren Bänden bis zur Reichsgründung hinaufzuführen. Doch damit nicht genug: Als Neunzigjähriger hatte er noch eine Fülle weiterer Pläne. Er beabsichtigte, über seinen ersten italienischen Aufenthalt „künftig einen näheren Bericht zu erstatten“ (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 64). Und nach einer Mitteilung, die Georg Winter von Ernst Ranke erhielt, trug er sich ferner mit dem Gedanken, „im Anschluß an seine Weltgeschichte eine besondere Philosophie der Geschichte zu schreiben, in welcher er die Ideen, welche sich ihm bei der Erforschung der ersteren über das der weltgeschichtlichen Bewegung zu Grunde liegende Princip aufgedrängt hätten, in systematischer Form darzustellen beabsichtigte.“ (Winter: Erinnerungen/1886, 206). Nach dem Abfassen einer vorgeblichen ‚Weltgeschichte‘ ein problematischer Gedanke, denn hätte dies nicht gerade grundsätzliche Mängel letzterer bezeugt! Ja, er hatte gar den kaum nachvollziehbaren Vorsatz gefaßt, wie die Söhne nach seinem Tod anläßlich der üblichen Ordensrückgabe in einer Audienz Kaiser Wilhelm I. zu berichten wußten, seiner ‚Weltgeschichte‘ als - bezeichnenden - Lebensabschluß eine Selbstdarstellung folgen zu lassen, die zweifellos erst nach seinem 100. Lebensjahr erschienen wäre. (FvR. an seine Schwester Maximiliane, unveröff., Archiv Wiehe).

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9. Kapitel (I/1.9) DIE GUNST DER IRDISCHEN UND DER HIMMLISCHEN GEWALTEN Ranke suchte zeitlebens die Nähe zu den beiden höchsten Instanzen, die er zu erkennen und zu kennen glaubte: zur weltlichen und zur himmlischen Herrschaft. Er suchte die persönliche Unmittelbarkeit zu den gesellschaftlich, politisch und staatlich Herrschenden oder zumindest Einflußreichen - und zu Gott. Schon sehr früh erreicht es der aus kleinen Verhältnissen stammende, vor kurzem noch im Stande eines Oberlehrers befindliche, in Körperlichkeit und Auftreten wenig gewinnende Ranke, der „zur Historie die Gunst der Menschen“, und er „ganz besonders“, zu benötigen glaubte (an HR, 29. 1. 29, SW 53/43, 21), in die Nähe der kulturell Einflußreichen und der politisch Mächtigen zu gelangen. Während seiner Frankfurter Oberlehrerzeit hatte er als lebhaft geistreicher Gesellschafter Zutritt zu den großen gastlichen Häusern des Präsidenten von der Reck und des Präsidenten von Wißmann erlangt (s. II,457). In Berlin sodann befindet er sich ohne Verzug im Salon der Rahel Varnhagen und des dort verkehrenden vorwiegend adeligen, ja gelegentlich fürstlichen Kreises, hat Umgang mit Bettina von Arnim und erhält für seine erste große Archivreise Empfehlungen für Friedrich von Gentz, der ihn Metternich vorstellt. Doch ist all dies von minderer Bedeutung im Vergleich zu dem, was ihm durch glücklichen Zufall zweifach zuteil wird. 1829 und 1831 begegnet er den beiden später in Politik und Wissenschaft eine Weile einflußreichsten Persönlichkeiten Deutschlands, den Kronprinzen Preußens und Bayerns, und es gelingt ihm, mehr oder minder, ihre Sympathie zu gewinnen. Kronprinz Friedrich Wilhelm, dem er im November 1828 in der Biblioteca Marciana in Venedig begegnet, behandelt ihn „sehr gnädig“ (an Heinrich Ritter, 29. 1. 29, SW 53/54, 216). Sein Bild hat seitdem seine „Seele sehr erfüllt“ (an Varnhagen, Dez. 1828, Wiedemann: Briefe/1895, 438). „Er war unser aller Meister“, urteilt er später über ihn (Borries/1961, 566). Doch die in Venedig jäh aufsteigende Sorge ist, wie auch Friedrich von Gentz gegenüber, daß seine gerade im Erscheinen begriffene ‚Serbische Revolution‘ als liberales, ja verdeckt aufrührerisches, zumindest politisch inopportunes Machwerk mißverstanden wird: „Gott gebe, daß ihn mein neues Buch nicht disgustirt, weder ihn noch einen andern Wohlwollenden“ (an Heinrich Ritter, 29. 1. 29, SW 53/43, 216). Die Sorge war - zumal auch frühere Kontakte zu Jahn hätten ins Spiel gebracht werden können - nicht unbegründet. Sein Bruder Wilhelm bemerkte in dieser Hinsicht einen deutlichen Wandel, und auch Rankes Protestantismus - in Berlin war das höchst gefährliche Gerücht eines Übertritts zum Katholizismus aufgekommen schien in Wien und Rom tatsächlich gelitten zu haben. Wilhelm schrieb in einer unveröffentlichten biographischen Skizze: „Mit Unterstützung von Seiten des preußischen Ministeriums reiste Leopold auf lange Zeit nach Italien, um alte Archive auszubeuten. Als vollendeter Reaktionair kam er zurück. Bei seinem ersten Besuch in Wiehe sagte er: ‚Die Reformation war ein Raub.‘ Das nahm ihm mein Vater, ein redlicher Protestant, sehr übel.“ (NL WR Rep. 92, NL Geschw. Ranke GStA PK). Nach seiner Rückkehr aus Italien, 1831, hält Ranke Fühlung mit dem preußischen Außenminister Christian Günther Gf. v. Bernstorff und speist dann nicht selten mit dessen Nachfolger Johann Peter Friedrich Ancillon, dem „vornehmsten seiner damaligen Protektoren“ (Wiedemann VI/1892, 108f.): Den Erzieher des preußischen Kron- 96 -

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prinzen hatte er bereits in Italien als dessen Begleiter kennengelernt. Ranke trat somit „in ein sehr nahes und geradezu freundschaftliches Verhältnis zu einigen Spitzen der preußischen Büreaukratie“, dabei v. a. zu dem Direktor im Außenministerium und späteren (seit 1840) Kultusminister Johann Albrecht Friedrich Eichhorn (1779-1856), der zu seiner „täglichen Gesellschaft“ gehörte (SW 53/54, 50). Für ihn war er „von der ersten Begegnung an“, die ebenfalls in Venedig stattfand, „mit Bewunderung und enthusiastischer Verehrung erfüllt.“ (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 355). Rankes Bruder Wilhelm weiß davon, wohl mit einiger Übertreibung, zu berichten: „Leopolds Einfluß stand am Höchsten in den 10 Jahren vor 1848. Mit dem Minister Eichhorn war er innig befreundet; Eichhorn that nichts ohne Leopolds Rath; alle die frommen Künste, welche Eichhorn ausheckte - die Freiheit der Forschung, aber nur innerhalb des Katechismus - die Unterdrückung Diesterwegs - die Maßregelung der Seminarlehrer - die Anstellung reaktionairer, sonst unbrauchbarer oder unbedeutender Universitätslehrer - waren Leopolds Werk“ (unveröff., NL WR, Rep. 92, NL Geschw. Ranke, GStA PK). Schon 1836 war Varnhagen aufgefallen, daß Ranke „eine große Schwäche gegen hergebrachte, herrschende, in Glanz und Macht auftretende Meinungen“ zeigte. Er fand: „ ... die politischen und religiösen Ansichten, welche hier am kronprinzlichen Hofe gelten, imponieren ihm unwiderstehlich!“ (Tgb. vom 26. 3. 36 bei (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 221). Auch pflegte Ranke den Kontakt zu Leopold von Gerlach (1790-1861), der seinerseits nahezu täglichen Umgang mit dem Kronprinzen hatte (Schoeps/1964), ferner zu dem Sekretär des Kronprinzen und späteren einflußreichen Berater Friedrich Wilhelms IV., Carl Graf v. Voss-Buch (1786-1864), bei dem er im Rahmen des „Klubs in der Wilhelmstraße“ dinierte, sowie mit Joseph von Radowitz, militärischer Lehrer Prinz Albrechts von Preußen und kurzzeitig preußischer Außenminister (Holtz/2003), also wohl der sogenannten ‚Camarilla‘ (Schoeps/1964), jedoch auch mit General Ludwig Gustav v. Thile (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/ 1901, 355). Mit Prinz Albrecht verband ihn überhaupt eine „intime“, von Edwin v. Manteuffel vermittelte Bekanntschaft. Der Prinz hat ihn noch im Alter „oft besucht“ (SW 53/54, 634), wobei die Gespräche nicht nur um wissenschaftliche, auch um politische Themen kreisten. Bei ihm war Ranke 1848 zusammengekommen mit Justizminister Karl Albrecht Alexander v. Uhden und Rudolf Maria Bernhard v. StillfriedRattonitz ([v. Müller:] Tagebuchdiktate/1935, 334f.). Ranke hatte sich also vielfältige Verbindungen zu den einflußreichsten Beratern des zur Königswürde aufgestiegenen Friedrich Wilhelm geschaffen. „Die Intentionen, von denen die Regierung auf kirchlichem und politischem Gebiete geleitet wurde, die allgemeine Direktion, die sie einschlug, hatten in der Hauptsache und im Wesentlichen seinen Beifall.“ (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 355). Es läßt sich nicht sagen, daß Ranke später mit seinen politischen Denkschriften großen Einfluß auf Friedrich Wilhelm ausgeübt hätte, doch hat stets ein gewisser Umgang stattgefunden, der sich durch gelegentliche abendliche Lesungen am Hofe und die Übersendung von Dedikationsexemplaren aufrecht erhielt und auch durch Rankes Beziehungen zu König Maximilian und das - seltene - Überbringen vertraulicher Mitteilungen gefördert wurde. Ranke habe „für seine politische Ausbildung das größte Gewicht auf diese seine Beziehungen zu den an ersten Stellen im Staatsdienst, vornehmlich im auswärtigen Ministerium wirksamen Persönlichkeiten“ gelegt, so bemerkt Wiedemann (VI/1892, - 97 -

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108), was sich auch in gelegentlichen Diners bei Justus von Gruner jr. - 1847 bis 1851 vortragender Rat im Ministerium des Äußeren - zeigte. Durch diese Kontakte habe Ranke „Einblick in die Thätigkeit der praktischen Politik, insbesondere in Natur und Wesen der Diplomatie gewonnen, wodurch dann seine spätere historiographische Richtung in ihrem Unterschied von der früheren bestimmt worden sei.“ (Ebd.). Er hat dadurch, wie man hinzufügen muß, nicht nur Einblick erhalten, sondern auch Einfluß, wie etwa seine gutachtende Tätigkeit und seine Gespräche zeigen, und nicht zuletzt einen gewissen Schutz vor öffentlicher Beschädigung von Amt und Werk. Letzteres muß Ranke bewußt gewesen sein, denn Wiedemann zufolge sprach er davon, „daß die zu seinen Lebzeiten aus einer gewissen Scheu zurückgehaltenen Ausstellungen in bezug auf die Weltgeschichte und seine andern Werke nach seinem Tode offen hervortreten, daß dann viel ungünstigere Urteile über seine Geschichtschreibung verlauten würden. Die eben nicht erfreuliche Perspektive ließ indes keinen Mißmut und Arbeitsüberdruß in ihm aufkommen“ (Wiedemann V/1892, 348). Auffallend ist bei der großen Zahl der seinen Werken nicht im einzelnen, aber insgesamt gewidmeten Besprechungen der geringe Anteil fachlich qualifizierter Rezensenten: Führende Historiker haben sich, wohl aufgrund der Gefährdung, der sie sich beruflich oder gesellschaftlich aussetzten, weithin zurückgehalten, nicht so in ihren privaten Lebenszeugnissen. Der zu inniger Servilität neigende und nach Berufung und Reise zu tiefer Dankbarkeit sich verpflichtet fühlende Ranke wurde als williges Instrument geschätzt und eingesetzt, zunächst nach seiner aufwendigen Italienischen Reise als von Heinrich Heine verhöhnter Herausgeber der staatstragenden ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘, sodann eher unwillig als Herausgeber des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen - Sybel wußte zu berichten, die Ausgabe sei Ranke „durch die Königin-Witwe nach langem Widerstreben abgepreßt worden“ (an Baumgarten, 11. 4. 73. Deutscher Liberalismus II/1926,77f.) - schließlich als Herausgeber der Denkwürdigkeiten Hardenbergs. Ranke ließ keine Gelegenheit aus, sich zu besonderen Anlässen bei den Mächtigen brieflich bemerkbar zu machen, sei es, daß er Bezug nahm auf Fest- und Memorialtage im Leben der Herrscher, sei es, daß er seine neuesten Werke übersandte oder beides verband. Für seine ‚Serbische Revolution‘ erteilte er aus Venedig zumutende VersandAufträge an die Varnhagens, unter anderem für den Russischen Hof. Doch ist dies vielleicht nicht gelungen. Karl August Varnhagen an Rahel, 12. 2. 29: „Sind die Ranke’schen Exemplare angekommen, so thue damit, wie Du schon vorhattest; durch Herrn von Massow das an den Kronprinzen, das an Herrn Geheimrath Ancillon durch ein Billet; das für Herrn von Humboldt in seine eigne Hand, und der soll auch das für den König besorgen, und den Brief dazu schreiben lassen, wenn er es für gut findet, daß letzterer von fremder Hand sei. Da ich die russische Sendung nicht besorgen kann, so lasse, der anderen Bestimmung nach, das eine Exemplar der Frau von Zilinski [Zielinski, L. W. A. v., spätere v. Treskow], das andere Herrn von Savigny abgeben. Ein nach Paris bestimmtes [wohl für Karl Benedikt Hase, s. SW 53/54, 163 und von Hase/1978] soll noch bei mir liegen bleiben, und eines bleibt ohnehin für mich. Das wären ja die sämmtlichen acht. Für diese Bemühungen soll er Dir ganz besonders danken, oder er ist trotz aller seiner Kenntnisse und Redlichkeit doch ein ...“ (Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Briefwechsel zw. Varnhagen u. Rahel, VI/1875, 234f. Auslassung i. T.). - 98 -

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Von seinem 1835 erschienenen einhundertseitigen Aufsatz über ‚Die Venezianer in Morea 1685-1715‘ ließ Ranke Sonderdrucke herstellen, die er an nicht Geringere als Kg. Ludwig I. von Bayern und Kg. Otto I. von Griechenland sandte (s. II, 152). Später trägt ihm sein konsequent geübter Versand von Dedikationsexemplaren allein wenigstens vierzig Dankesbriefe von Kaiser Wilhelm und Kaiserin Augusta ein. Denn es hat einen „ganz besonderen Wert“ für ihn, wenn die Persönlichkeiten, „welche die höchste Stelle in der Gesellschaft einnehmen“, den Beifall der Zeitgenossen teilen (an Ksn. Augusta, [Ende Febr. 1877] (NBrr 642). Groß ist sein Entsetzen, als 1848 das politische System, dem er sich nicht allein durch seine Stellung als ‚Historiograph des preußischen Staates‘ im vollen Wortsinn ‚verschrieben‘ hatte, revolutionär gefährdet wird. Da sieht er sogleich seine eigene Existenz bedroht. Schon zwanzig Jahre zuvor hatte er sich durch die Kritik Heinrich Leos nicht allein wissenschaftlich, sondern auch in seiner bürgerlichen Existenz als gefährdet betrachtet. Um wieviel mehr mußte dies bei den revolutionären Berliner Ereignissen der Fall sein. Er war als „Höfling“ bekannt und so nicht allein von Heine (WW IV, 374f. und V, 377f.), Burckhardt (Schulenburg/1926, 42) und Stenzel (Stenzel, K. G. W./1897, 449) apostrophiert, - hätte, wie er wohl glaubte, bei einem Umsturz Stellung und vielleicht sein Leben gelassen. Zum 28. März 1848 trägt Varnhagen Äußerungen Minna v. Treskows, Rankes Schwarm der Frankfurter Zeit, in sein Tagebuch ein, die dieser, da sie noch zu seinen Lebzeiten veröffentlicht wurden, nicht gern gelesen haben wird: „Ranke ist vollends unsinnig geworden, jammert und wüthet, hält alles für verloren und auf immer, glaubt an völligen Untergang der gebildeten Welt, an Barbarei der wilden Gewalt, so was sei noch nie gewesen. (Der Alfanz will ein Historiker sein!). ‚Bösewichter bewachen den König, der Pöbel herrscht nach Willkür, alle Sittlichkeit, alle Religion ist dahin!‘ (Wegen Eichhorn und Savigny?) Er möchte fliehen, aber weiß nicht wohin! - Feigheit, wie verbreitet ist sie doch!“ (Tgbb. von K. A. Varnhagen v. Ense IV/1862, 355). Bei Wiedemann, der auch unterdrückte Stellen aus Varnhagens Nachlass bringt, schließt der Eintrag mit „Elender Schächer!“ (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 362). Auch Sybel fand ihn „tief erschüttert und gebeugt“ (Gedächtnisrede auf Leopold von Ranke/1886, 478). Ranke ist freilich nicht der Einzige vorübergehend aus der Bahn Geworfene. Auch sein Kollege Schelling, verwöhnt durch noch weit engere Beziehungen zu König Maximilian, „hat alle Fassung verloren; alle Stützen der Gunst und Macht, die ihn hielten, sind zerbrochen“. Varnhagen schildert ihn „so blindwütend, daß er schon lange zu sagen pflegte, das Volk müßte man mit Kartätschen zusammenschießen! Ganz erbärmlich hat auch Ranke sich gezeigt. Solche Stürme prüfen Herz und Sinn! (Varnhagen an Troxler, 5. 4. 48. Der Briefwechsel zwischen I. P. V. Troxler u. K. A. Varnhagen v. Ense/1953, 337). Währenddessen hält Rankes Lieblings-Bruder Heinrich, Konsistorialrat in Erlangen, Predigten, welche von der Überzeugung getragen waren, „daß das Heil des deutschen Volkes nicht in der Revolution, sondern allein in Christo zu finden, und daß der Geist der Revolution mit dem Geiste des Abfalls von Gott ein und derselbe sei.“ (HR/1849, III). Nach dem Scheitern der Revolution zeigt Rankes Umgang mit den Brüdern Gerlach, mit Hans Hugo von Kleist-Retzow und mit Adolf von Senfft-Pilsach, auch die permanente bevorzugte Lektüre sowie höchstwahrscheinlich gelegentliche Mitarbeit, seine Nähe zu der 1848 gegründeten christlich-konservativen ‚Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung und zu der sogenannten ‚Kreuzzeitungpartei‘. Georg Beseler (1809- 99 -

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1888) schildert in seinem ‚Erlebten und Erstrebten‘ (1884, 96) ein entsprechendes Mittagessen bei Otto Frhr. von Manteuffel (1805-1882), damals preußischer Innenminister und kurz vor seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten stehend (Grünthal, G. in: NDB 16/1990), im engeren Familienkreise (1849), an dem außer Beseler Bismarck, v. Kleist-Retzow, Eduard von Simson (1810-99) und außerdem „als Besänftiger Leopold Ranke“ teilnahmen. Ranke findet sich auch, wohl zwischen 1847 und 1850, zu Gesellschaften des konservativen russischen Barons Peter von Meyendorff (17961863) ein, zeitweilig Gesandter in Berlin, später Botschafter in Wien (Hartmann, St. in: NDB 17/1994), versagt sich in ferneren Jahren nicht einer ‚Cour‘ bei Prinz Friedrich Wilhelm v. Preußen, dem späteren Kaiser Friedrich III. (1858), noch weniger einem Diner der Königin-Witwe Elisabeth in Anwesenheit Kg. Wilhelms I. von Preußen (1866). Zu den späteren Bekanntschaften Rankes gehört auch August Graf v. Itzenplitz, an dessen Gesellschaft Ranke (1866) gemeinsam mit dem preußischen Finanzminister Karl v. Bodelschwingh und dem preußischen Innenminister Friedrich Graf zu Eulenburg teilnimmt (E. L. v. Gerlach. Aufzeichnungen II/1903, 290). Wohl ab 1871 genießt er die Tafelrunde des Prinzen Friedrich Karl von Preußen. Unter den deutschen Fürsten pflegt Ranke Beziehungen zu Ghzg. Karl Friedrich und Ghzgn. Maria (Pawlowna) v. Sachsen-Weimar-Eisenach und nimmt in späteren Jahren Tee mit Ghzg. Karl Alexander und Ghzgn. Sophie v. Sachsen-Weimar-Eisenach. Auch von Kg. Georg V. von Hannover wird er empfangen. In die günstige Lage, den bayerischen Kronprinzen Maximilian kennenzulernen, war Ranke, wie bemerkt, bereits unmittelbar nach der Rückkehr aus Italien gelangt, als er unverhofft, wie andere seiner Kollegen, dem bayerischen Thronfolger einige wenige Vorlesungen halten durfte, woraus sich eine in Korrespondenz und längeren Begegnungen immer weiter wachsende persönliche und wissenschaftsfördernde Beziehung ergab, die sich vor allem in der Gründung der Historischen Kommission, in Gutachten zu Lehrstuhlbesetzungen, aber auch im Einfluß auf die historisch-politische Bildung des Monarchen, in geringerem Maße auf sein politisches Handeln auswirkte (s. II/4 u. II/6.5). Rankes Lohn bestand nicht nur in der Möglichkeit der Einflußnahme wissenschaftspolitischer Art, in vielfältigen Vergünstigungen durch Ordensverleihungen und materielle Zuwendungen. Der Monarch zeichnete ihn auch durch besondere Gesten persönlicher Wertschätzung gegenüber den Mitgliedern der Historischen Kommission aus, ja, übernahm die Patenschaft von Rankes Tochter Maximiliane. Zu den ausländischen Kontakten Rankes gehören Gespräche und Vorstellungen bei Kg. Leopold I. von Belgien, eine Vorstellung bei Kgn. Victoria von England und ein Gespräch mit Prinzgemahl Albert, Audienzen bei Ks. Napoleon III., bei Ksn. Eugénie, Ks. Dom Pedro II. von Brasilien, mehrere Begegnungen und vertrauliche Gespräche mit der von ihm ungemein verehrten Kgn. Sophie der Niederlande. Treffen mit dem österreichischen Ministerpräsidenten Friedrich Ferdinand Gf. v. Beust, dem englischen Prime Minister Lord Palmerston, dem italienischen Ministerpräsidenten Carlo Minghetti, dem serbischen Ministerpräsidenten Jovan Ristić und engere Beziehungen zu dem französischen Ministerpräsidenten Thiers seien am Rande erwähnt. Die Bevorzugung und mehr und mehr Ausschließlichkeit, mit der Ranke als Wissenschaftler den Umgang mit dem Adel, mit der Ministerialbürokratie und den Angehörigen der regierenden Häuser suchte und fand, dürfte in solchem Ausmaß ungewöhnlich sein. Zum Bedürfnis wird ihm dies durch eine „natürliche [!] Hingebung gegen die Obern“ (an HR, 12. 10. 32, NBrr 173). „Das Verhältniß also der Unterordnung unter - 100 -

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eine höchste Gewalt - oder das, was die Älteren die Obrigkeit nannten - besteht, freilich mit lebendigem persönlichen Gefühl durchwoben.“ (SW 53/54, 643). Über seine „entschiedene Vorliebe für die ... legitime Monarchie, das starke Königtum“ konnte man anläßlich seines 50jährigen Doktorjubiläums auch öffentlich, in der ‚Gartenlaube‘ lesen ([Giesebrecht?:] Eine goldene Hochzeit mit der Wissenschaft/1867, 102), eine Haltung, die auch im Ausland hinlänglich bekannt war. Adolphe de Circourt sah Ranke mehrmals im März des Jahres 1848 in Berlin und beschrieb ihn so: „il adhérait de cœur à toutes les bases de la monarchie prussienne, convaincu, disait-il, que dans une administration éclairée, telle que l’Etat en avait la possession, la liberté pratique et les lumières de la civilisation trouvaient des garanties complètement suffisantes“ (Circourt I/1908, 131ff.). Diese kulturtragenden - man vergleiche auch seinen Brief an Kg. Wilhelm I. v. Pr., (1. 1. 67, SW 53/54, 472) über den Schutz der Gelehrten - und ihm besonders zugute kommenden Gründe werden auch sichtbar, wenn er im hohen Alter seinem Tagebuch anvertraut: „Meine Sympathien gehörten von jeher der Monarchie an, welche der Kultur eine sichere Grundlage giebt und in die Weltbegebenheiten selbständig eingreift.“ (Betrachtung, Januar 1877, SW53/54, 613). Doch es ist nicht allein dieses Sicherheits- und damit gepaarte Erfolgsdenken, das ihn in die Nähe der Mächtigen treibt. Er hat, so schrieb er schon aus seiner Italienischen Reise an Varnhagen über Kronprinz Friedrich Wilhelm „gute Anlage, ein Anbeter von ihm zu werden“ (Dez. 1828, Wiedemann: Briefe/1895, 438). Varnhagen macht sich denn auch Gedanken um Rankes Servilität, wenn er schreibt: „der vornehme Beifall nimmt ihn ganz gefangen; er macht sich für den Augenblick so servil als möglich. Da er sich doch nie ganz und dauernd servil machen kann, wogegen seine bessere Natur streitet“ - die Varnhagen später weiter zum Schlechten gewandelt sah -, „so wird auch der Erfolg nie vollkommen sein, und die Befriedigung der Eitelkeit schwerlich eine Befriedigung des Ehrgeizes werden.“ (Varnhagen an Bettina v. Arnim, 11. 2. 33, Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 219). Rankes servile Haltung bleibt auch anderen nicht verborgen: Eduard von Simson hat er einmal anvertraut, „wie besonders genehm ihm immer der Verkehr mit hochgestellten Persönlichkeiten gewesen“ sei (Spiero/1929, 63), was sich auch deutlich in seinem Briefwechsel ausspricht (s. II/3.1. Frau von Treskow ergießt sich Varnhagen gegenüber „in Unwillen und Verachtung über Ranke“, verurteilt die „Züge seiner unterwürfigsten Anbetung der Vornehmen, auch der dümmsten und verächtlichsten“ (12. 5. 55, Wiedemann/1901, 364). Es ist der auf ihn selbst herniederfallende sakrale Glanz vermeintlich gottverliehener, geschichtlich tief verwurzelter Legitimität und irdischer ‚Allmacht‘, der ihn anzieht und fesselt, und der er gerade in der Person seines verehrten Königs in besonderem Maße begegnet, verfügte dieser doch über „ein deutliches, nicht ohne Überheblichkeit sich äußerndes Bewußtsein seines hohen, von Gott ihm verliehenen Amtes“ (Borries: NDB 5/1961), ein Bewußtsein, das auch Maximilian II. nicht fremd war: Noch zwei Tage vor Rankes Eintreffen zu einer Einladung nach Berchtesgaden hatte Maximilian eine sorgsam selbstbestätigende Niederschrift verfaßt: „Ueber die Bezeichnung ‚von Gottes Gnaden‘, in der ihm „klar geworden, daß eine Autorität seyn muß und von Gott eingesetzt ist“ (unveröff., GHAM Kabinettsakten Maximilians II. 36a), ein Thema, das Ranke in seinem Vortrag vor Maximilian aufgriff (St in WuN II, 417f.). Verehrungswürdiges Gottesgnadentum wird auch in der sakrosankten Leiblichkeit ihrer hohen Träger faßbar. Ein erwähnenswertes, gewiß beglückendes Erlebnis vermel- 101 -

I/1.9 Die Gunst der irdischen und der himmlischen Gewalten

det Ranke im Herbst des Jahres 1854 aus Berchtesgaden nach Hause: „Ich berührte die Hand der Großherzogin von Mecklenburg-Schwerin“ (an CvR, 6. 10. 54, SW 53/54, 369). Dies mag einer Segnung gleichgekommen sein. Mehr noch: Maximilian legt ihm - in der Tat ungewöhnlich auszeichnend - im Gebirge bei Berchtesgaden seinen eigenen Mantel um (an CvR, 22. 9. 54, SW 53/54, 363), reicht ihm eine „späte Alpenrose“ (an CvR, 27. 9. 59, SW 53/54, 402). Der Berührte hofft, sie nach Berlin verbringen zu können. Dort, während eines Spaziergangs im Tiergarten, führt er im Beisein von Großherzog Friedrich I. von Baden und Gemahlin Luise mit Kaiserin Augusta in teilnahmsvoller Zugehörigkeit ein Gespräch über das Befinden Kaiser Wilhelms nach dem Nobilingschen Mordversuch und läßt in seinem Tagebuch nicht unerwähnt, daß Augusta ihm die Hand gereicht habe (16. 6. 78, SW 53/54, 620), erwähnt dies auch in einem Brief an seine Tochter (hier zunächst über die begleitende Großherzogin von Baden: „Sie reichte mir die Hand, wie auch die Kaiserin“. ‚Darf auch ich Ihnen die Hand reichen?‘, habe der Begleiter beider Damen sich vorstellend gebeten: ‚Großherzog von Baden‘. Eine liebenswürdig bescheidene Geste, die wohl ein Erschauern bewirkt haben dürfte (NBrr 662). Diese ‚Handreichungen‘ fürstlichen Umgangs sind nicht die einzigen Formen von Gnade und Gunst. Durch seine Ernennung zum ‚Historiographen des preußischen Staates‘, seine Mitgliedschaft im preußischen Staatsrat, seine vielfältigen Beziehungen zu Hof und hohem Beamtentum, seine Wahl zum Mitglied des Ordens ‚Pour le mérite‘, seine Nobilitierung, die Ernennung zum Geheimrat und die Verleihung des Titels ‚Exzellenz‘ ist Ranke über seine - nach Ablehnung des Münchener Rufes - in exorbitanter Höhe dotierte Professur und seine Akademiemitgliedschaft hinaus ein Teil Preussens, des herrschenden Systems und der herrschenden Klasse geworden. Mit der Verleihung des Titels ‚Exzellenz‘ wurde Ranke, wie er dankend Kaiser Wilhelm I. gegenüber fomulierte, „in die höchste Rangklasse“ erhoben, „die der Civildienst überhaupt darbietet.“ (13. 2. 82, SW 53/54, 549). Da konnte er es sich nicht versagen, Teile des persönlichen Glückwunschschreibens Kaiser Wilhelms zur Verleihung des Titels ‚Exzellenz‘ ohne die Genehmigung des Hofes an die Presse zu geben, wofür er sich in einem Brief vom 13. 2. 82 - unentschuldbar - zu entschuldigen versuchte (SW 53/54, 550). Er hatte nun alles erreicht, was er als einfacher Untertan hatte erreichen können, zugleich manches, was er als Historiker hätte meiden müssen, um seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit zu bewahren. Alfred Dove hat Rankes Einstellung in einer feinsinnig kritischen Charakterisierung gewürdigt: „... auf der Höhe fürstlichen Umgangs fühlte er sich durch den Standpunkt seiner Geschichtschreibung gewissermaßen heimisch.“ (D[ove]: Ranke, Leopold v. (1888)/1898, 185). Schon mit seinen ‚Fürsten und Völkern‘ hatte Ranke in dieser Hinsicht kritische Stimmen heraufbeschworen, die in dem Werk des „Hofmannes“ nach dem Verbleib der im Titel neben den ‚Fürsten‘ genannten ‚Völker‘ gefragt hatten ([Köppen]/1841, Sp. 432). Einen „Hofmann“ hatte ihn auch Stenzel genannt (Stenzel/ 1897, 449), und Karl Gutzkow sah ihn als „Hofmann der Historie“ an (Gutzkow/1857, 399). Im Leben wie in der Historie finden die Herrschenden sein vorrangiges, ja fast ausschließliches Interesse. So auch in seiner mehrfach herangezogenen ‚Preußischen Geschichte‘, deren erster Band nach der 1841 erfolgten Ernennung zum ‚Historiographen des preußischen Staates‘ 1847 erschien. Sie verdiene, wie Theodor Mundt empfand, als „preußische Kabinettsgeschichte“ nicht den Namen einer „preußischen Staatsgeschichte“ (Mundt/1847,688), und selbst dies wäre zu wenig gewesen. - 102 -

I/1.9 Die Gunst der irdischen und der himmlischen Gewalten

Zum Historiographen des preußischen Staates war Ranke von Friedrich Wilhelm IV. bei dessen Regierungsantritt ernannt worden „unter der Bedingung, daß derselbe Uns und Unserm Königlichen Hause jederzeit treu und eifrig ergeben bleibe, und die Pflichten seines Amtes mit Sorgfalt und Fleiß, rein und gewissenhaft zu erfüllen suche, überhaupt aber, so viel er vermag, zum Wohl des Staats, Unsers Königlichen Hauses und unsrer getreuen Unterthanen beitrage.“ (Unveröff., s. II, 204, Rudolstadt). Da konnten sich leicht Konflikte einstellen. Ob und wie tief sie für Ranke fühlbar wurden, bleibt wohl ungewiß. Erstaunlich ist die von einem bereits herangezogenen anonymen, gut informierten Teilnehmer an Rankes ‚Historischer Gesellschaft‘ - also nicht in einer öffentlichen Vorlesung - in ihrer Art ansonsten nicht überlieferte Äußerung Rankes, „es ist oft eine verzweifelte Sache, in einer Monarchie Geschichte zu schreiben“ ([Anonym:] Leopold von Ranke’s Verdienst um Berlin/1885, unpag.). Seinen Darstellungen ist diese Verzweiflung jedenfalls nicht anzumerken. Julian Schmidt sprach wohl eine allgemeine Empfindung aus, als er in seiner ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert‘ urteilte: „Noch schlimmer hat seine Pietät ihm bei der Preußischen Geschichte mitgespielt“, 379). Selbst dort, wo Ranke „Streben nach Objectivität“ zugebilligt wurde, empfand man in seiner ‚Preußischen Geschichte‘ auch von fachlicher Seite doch ein unverhohlenes Zurschaustellen „streng altpreußischer, streng hohenzollernscher, streng königlicher Gesinnung“ (Prutz: R über die Genesis/1875, 214). - Auch David Friedrich Strauß kam nach der Lektüre des Werkes zu dem lapidaren Befund: „Ranke ist ein Hofhistoriograph geworden“ (Strauß an Ernst Rapp, 11. 11. 49. Ausgew. Briefe/1897, 251f.). Da nimmt es nicht wunder, daß der Gescholtene in diesem Punkt eine gewisse Dünnhäutigkeit an den Tag legte, denn daß zwischen seiner Ernennung zum Historiographen des preußischen Staates und seinen ‚Neun Büchern preußischer Geschichte‘ „irgendein Zusammenhang bestände“, habe Ranke, so erinnerte sich sein Amanuense Ignatz Jastrow, „auf das Entschiedenste bestritten“ (Jastrow: Leopold von Ranke†/1886, 490). Auch den gelegentlich laut werdenden Vorwurf, „er schreibe Geschichte zu gunsten der Fürsten und Höfe“, wies Ranke sogar in seiner Vorlesung vom Sommersemester 1864 in „heftiger Erregung“ zurück (Lindner/1896, 1). Tatsächlich aber ging es in seiner ‚Preußischen Geschichte‘ auch darum, wie Ranke selbst mit Genugtuung äußerte, den „übel berufenen“ Friedrich Wilhelm I. „von einer würdigen und bewunderungswerthen Seite“ zu zeigen. Dies jedoch äußerte er lediglich in einem unveröffentlichten autobiographischen Diktat (Nov. 1885, SW 53/54, 74). Und er schmeichelte sich in einem Dedikationsbrief an Ks. Wilhelm I. vom 4. 12. 71, „die Geschichte der Politik weiland Sr. Majestät König Friedrich Wilhelms des Zweiten besser in das Licht gestellt zu haben, als es bisher geschehen war. Ich folge damit der mir einst von Ew. Majestät zuteil gewordenen ehrenvollen Aufforderung, meine Kräfte wieder der vaterländischen Geschichte zu widmen“ (NBrr 568). Kein anderer bedeutender deutscher Historiker des 19. Jahrhunderts dürfte sich in einem derart starken Maße den Herrschenden ‚an-gedient‘ haben wie Ranke. Er hat die Nähe und Gunst gesucht, und er hat sich in den erreichten Verbindungen und Bindungen teils behauptet, teils behaglich verfangen. Die damit gegebenen Möglichkeiten hat er genutzt, die Gefahren und Zwänge entweder nicht gesehen oder zumindest doch unterschätzt, so besonders seine Verpflichtung als Historiograph des preußischen Staates. Bei Varnhagen von Ense ist von der negativen Seite des Verhältnisses die Rede, wenn er schon 1850 über Raumer, Ranke, Schlosser den Stab bricht: „sie taugen alle - 103 -

I/1.9 Die Gunst der irdischen und der himmlischen Gewalten

nichts, sind Knechte, wie unsre meisten Gelehrten. Die letzten dreißig Jahre waren eine schlechte Schule für sie, alle die emporkamen, die Namen, Titel, Gunst erlangten, mußten heucheln und schmeicheln, und sie lernten es leicht. Preußen besonders war eine Kastrieranstalt; wer einige Mannheit bewahren wollte, mußte ausscheiden, so Wilhelm v. Humboldt, Boyen, Grollmann, Beyme, und ich darf auch mich hier nennen.“ (Tgb. Varnhagens zum 20. 1. 50 bei Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 363). - Ranke empfand dies ganz anders: Im neunzigsten Lebensjahr verlieh er rückblickend seiner Begeisterung Ausdruck: „Wie blühte hier Alles auf unter dem Schutz der Hohenzollern! Es war eine Lust zu leben!“ (Anonyme Notiz betr. die Verleihung des Ehrenbürgerbriefes. In: 3. Beil. z. Voss. Ztg., Nr. 153, 1. 4. 1885, keine Pag.). Zwischen Ranke und den weltlichen Mächten war eine Symbiose entstanden. Die Gunst, die er historiographisch und gesellschaftlich gesucht hatte, war ihm gewährt worden, denn er hatte monarchie- und staatserhaltend gewirkt, wie Reinhold Pauli erkannte: „In fact, the Hohenzollern dynasty, among other pieces of good luck, has reason to rejoice in the possession of its historiographer royal.“ (Pauli/1872, 195). Rankes „natürliche [!] Hingebung gegen die Obern“, mit der er auch seinem Karrierismus eine höhere Deutung zu geben suchte, hat sich ausgeprägt in seinen der Aristokratie zugewandten Lebensformen, seinen stark konservativen Anschauungen, in der Wahl seiner Themen, in der Art seiner aus der Perspektive der Herrschenden gestalteten machtorientierten und überhaupt politiklastigen Darstellung. Sein grundsätzliches Streben nach Objektivität soll nicht in Abrede gestellt werden. Doch hält es sich besonders in seinen preußischen Werken nicht auf größerer Höhe. Dort wurde auch bewußt und in noch stärkerem Maße als in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ und den ‚Päpsten‘ (s. o.) manches beschönigt und beschwiegen. Letztlich hat er sich den Einflüssen des Systems nicht entgegengesetzt oder innerlich entzogen, sie vielmehr geradezu verinnerlicht. Wie sehr dies für sein Preußentum und seinen Monarchismus gilt, wird aus einer Ansprache seines Sohnes Otto am Sarg Rankes „in der Wohnung des Verewigten vor einem kleinen Kreise der Verwandten und Freunde“ noch einmal besonders sichtbar: Hier wird „seine Liebe, seine Verehrung zu unserem Herrscherhause“ über alle Maßen gerühmt: „einen königstreueren Unterthan konnte es nicht geben! Mit ganzer Seele war er der Historiograph des preußischen Staates.“ (Zu Leopold von Ranke’s Heimgang/1886, 25). Es entbehrt nicht einer traurigen Ironie, daß Rankes Dienstbarkeit gerade bei den Mächtigen, so bei Kaiserin Victoria, Verachtung hervorrief. An Friedrich Nippold schrieb sie nach Rankes Tod: „Prof. Ranke hat das Leben Friedrich Wilhelms IV. behandelt - wie der hiesige Hof es w ü n s c h t e . Ähnliche Bücher sind nun mit Autorisation über den Kaiser Wilhelm erschienen ... Alle diese Darsteller sind aber streng konservativ und kirchlich orthodox - darum e i n s e i t i g ...“ (an Friedr. Nippold, 22. 1. 98, Nippold/1906, 427f., Sperr. i. T.). Nicht gänzlich unrealistisch, wenn auch kaum von modestas geprägt, war Rankes Selbsteinschätzung hinsichtlich seines Ranges unter den Zunft- und Zeitgenossen. „Ranke wohnte das Bewußtsein inne, in die erste Reihe der großen Schriftsteller aller Zeiten und Nationen, insbesondere der Geschichtschreiber zu gehören“ (Wiedemann XIV/1893, 346). Wiedemann hat seine Aussage indes gesteigert präzisiert: „Daran ist nicht zu denken, dass Ranke einen Geschichtschreiber der Gegenwart, insbesondere einen Deutschen, als ihm selbst ebenbürtig oder irgendwie auch nur mit ihm in Vergleich zu stellen angesehen, neben sich als dem Goethe der historischen Muse der Deutschen einen Schiller der deutschen Geschichtschreibung wahrzunehmen geglaubt - 104 -

I/1.9 Die Gunst der irdischen und der himmlischen Gewalten

habe“ (ebd., 348). Daß der stets zu Scherzen aufgelegte Ranke sich am 31. März 1885 vor einer Berliner städtischen Deputation unter Hinweis auf den ihm von Serbien verliehenen Orden des Hl. Sabbas als „Homer der Serben“ bezeichnete ([Anonym:] L. v. R. und die Stadt Berlin/1895), mag mit einer Prise Selbstironie einhergegangen sein, doch war die Vorstellung in seinem Kopf. Seine zu allen Zeiten, mit besonderer Deutlichkeit bei seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘, aufgetretene Selbstüberschätzung ließ ihn auch und gerade im Alter nicht los: So soll er über ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792‘ seinem Gehilfen Paul Bailleu gegenüber maßlos geäußert haben: „Das Buch ist von einer Importanz, daß dadurch die ganze Auffassung der neueren Geschichte umgestaltet wird.“ (B[ailleu]: L. v. R./1895, 2), eine Ansicht, die man freilich nicht teilte. Bailleu, der von Rankes ‚Hardenberg‘ „zuletzt ausschließlich in Anspruch“ genommen war, weiß ferner zu berichten, Ranke habe die Bedeutung auch dieses Werkes hoch angeschlagen und gemeint, „daß schwerlich je eine Veröffentlichung erschienen sei, die so viel neues enthalte.“ (Ebd., 2). Die Hochschätzung seiner Hervorbringungen, welche überhaupt ein ungutes Licht auf sein nicht selten zum übertreibend Superlativischen neigendes historiographisches Urteil wirft, hatte nicht allein wissenschaftliche Gründe. Sein „Selbstgefühl, das er lebendig in sich trug...“ (Wiedemann XIV/1893, 347), seine Arbeit als Historiker und zugleich seine Sicht der Geschichte waren vielmehr getragen von im einzelnen freilich kaum zu bestimmenden transzendenten Einstellungen. Jedenfalls hatte die Herausgabe seiner Werke für ihn „auch ein höheres, an die göttlichen Dinge streifendes Interesse“, wie er sich nicht scheute, seinem Verleger mitzuteilen (Brief an Geibel, 2. 11. 77, SW 53/54, 538, bei Geibel/1886, 108: 2. 10. 77). Er faßte, so wird von seinen Amanuensen bezeugt, „seine wissenschaftliche Arbeit ... als eine Art religiöser Mission“ auf (Winter: Erinnerungen/1886, 204). Das bestätigt auch Paul Bailleu: „Denn wie er seine eigene wissenschaftliche Arbeit als eine Art religiöser Mission immer auffaßte, so erschien ihm auch unsere Unterstützung dabei, insofern sie ihm unentbehrlich war, im Lichte einer hohen sittlichen fast religiösen Pflichterfüllung.“ (B[ailleu]: L. v. R./1895, 1). Es entspricht nicht ausschließlich einem Sich-Einstellen auf das Priestertum seines Sohnes Otto, wenn er diesem schreibt: „Die historische Wissenschaft und Darstellung ist ein Amt, das sich nur mit dem priesterlichen vergleichen läßt, so weltlich auch die Gegenstände sein mögen, mit denen sie sich eben beschäftigt“ (an OvR, 25. 5. 73, Dove: Erinnerungen/1895, 874). Diese hohe Vorstellung eines priesterlichen Historikers hatte er schon in frühen Jahren gehegt, als er an seinen Bruder Heinrich schrieb: „Wohlan! Wie es auch gehe und gelinge, nur daran, daß wir an unserm Theil diese heil’ge Hieroglyphe enthüllen! Auch so dienen wir Gott, auch so sind wir Priester, auch so Lehrer.“ (Ende März 1820, SW 53/54, 90). Das zu etwas Bestimmtsein, Erwähltsein, sein Priestertum ist eine von ihm mehr und mehr vorgenommene sakralisierende Selbst-Auszeichnung höchster Art, Rechtfertigung und Krönung seiner Hybris und Beglaubigung seiner Forschungsergebnisse und der verkündeten ‚Wahrheit‘. Trotz gelegentlich auftretender einschränkender Bemerkungen (s. I/1.7) glaubt er sie wohl doch überwiegend zu besitzen, denn er sieht seinen wissenschaftlichen Werdegang, sein Leben getragen von der göttlichen Vorsehung. So kann Ranke, der Historiker, als „Priester“, als Berufener, zumal von der Vorsehung Geleiteter, nur frei von Irrtum sein und findet sich durch die Gunst der weltlichen und der himmlischen Gewalten nach allen Seiten hin, existenziell wie erkenntnismäßig, gesichert, herausgehoben, transzendiert, obgleich er, wie sein Bruder - 105 -

I/1.9 Die Gunst der irdischen und der himmlischen Gewalten

Wilhelm urteilte, der als Regierungsrat in Breslau Schriften über ‚Die Verirrungen der christlichen Kunst‘ (Breslau 1855, 2. verm. Aufl. Breslau 1855, 3., verm. Aufl. Lpz. 1856) und ‚Die Verirrungen der christlichen Welt‘, (Lpz. 1857) verfaßt hatte, „niemals in die Kirche gegangen“ sei und „niemals Sinn für Religion gehabt“ habe: „Aber von anderen Leuten verlangte er Pietismus“ (unveröff. NL WR. Rep. 92, NL Geschw. Ranke, GStA PK). Göttliches Walten nimmt Ranke in sich selbst als fördernd und leitend wirksam wahr, zunächst auch im Weltgeschehen: In seinen frühen Studien glaubte er „das unmittelbare Walten, sichtbare Handeln Gottes wenigstens von fern gesehen“ zu haben (Brief an Heinrich Ranke, 18. 2. 24, SW 53/54, 122). „...zur Erkenntniß des lebendigen Gottes, des Gottes unsrer Nationen und der Welt sollen alle meine Sachen gereichen“ (an HR, 17. 2. 25, SW 53/43, 140). Hier stellt er seine Werke gar in den Dienst einer missionierenden Verbreitung. Er ist „der Allgegenwart Gottes gewiß“ und meint, „man könnte ihn bestimmt mit Händen greifen“ (ebd., 139). In seiner Historiographie ist davon später weniger die Rede. Sich selbst jedoch sieht er auch fürderhin unter dem Einfluß der göttlichen Vorsehung, auch wenn er einem Irrtum erliegt: „Gott hat mich eigens zum Cölibat bestimmt“, schreibt er ein Jahr vor seiner Hochzeit an Bruder Ernst (1. 9. 42, Hitzig/1906, 185). Die bestimmte Aussicht auf eine außerordentliche Professur an der Berliner Universität veranlaßt ihn zu der Aussage: „Laß mich denn glauben, daß auch in dem ersten glücklichen Beginn meines Eintrittes in die Welt Gottes Hand ist“ (an HR, 17. 2. 25, SW 53/54, 139). Jedenfalls weiß er sich auf dem Wege, den Gott ihm „vorgeschrieben“ hat (an HR, [20. u. 21. 11. 28], SW 53/54, 211). Auch lebt er in der sich als allzu eingeschränkt erweisenden Überzeugung, „für deutsche Geschichte geboren“ zu sein...“ (an Varnhagen, 9. 12. 27, Helmolt/1921, 40), ja, sie ist ihm als „Aufgabe ... schon angewiesen“, teilt er ungescheut dem Direktor im preußischen Außenministerium, Johann Albrecht Friedrich Eichhorn, mit (13. 3. 38, Helmolt: Verschollener polit. Aufs./1907, 563). Nach Erlangung des Ordinariats und der Akademie-Mitgliedschaft sieht er sich durch „himmlischen Auftrag“ in eine „wichtige Stellung in Literatur und Unterweisung“ versetzt. Diese „ganz auszufüllen und die Idee, die mir als ein himmlischer Auftrag und Besitz gegeben worden, rein auszuarbeiten, das allein soll mein Ehrgeiz sein.“ (An HR, 15. 12. 33, NBrr 184). „Ich danke Gott täglich, daß er mich an diese Stelle geführt, mir diesen Beruf angewiesen hat“ (an HR, 26. 11. 35, SW 53/54, 277). Er kann es nicht oft genug beteuern: „...mein ganzer Ehrgeiz geht dahin, die Stelle auszufüllen, wohin mich Gott gestellt hat.“ (an HR, 24. 11. 39, ebd., 310). Für seine Buchproduktion ist viel „Segen himmlischer Gewalten ... vonnöten“, zumal, damit es gelinge, „in einem Jahr in sechs Bänden“ zu erscheinen (an FR, 6. 10. 52, NBrr 351). Auch später ist Gottes Segen bei neuen Werken erwünscht (an Geibel, 19. 1. 74, Geibel/1886, 57). Über die zur Vollendung seiner ‚Weltgeschichte‘ noch erforderlichen Lebensjahre hat er gar „einen Pact mit Gott gemacht“, wie er wiederholt sagt (Dove/1888, Zitate nach Dove/1898, 183). Dies erinnert über das noch zu betrachtende Moses-Vorbild hinaus an die Umgangs- und Vertragsformen einer zu beiderseitigem Nutzen abgeschlossenen Partnerschaft und entspricht wiederum der theologisch hochproblematischen, „unerschütterlich“ festgehaltenen Auffassung, die in einer ausschließlich persönliche Vorteile gewährenden Vorsehung die „Summe alles Glaubens“ erblickt (an OvR, 25. 5. 73, Dove: Erinnerungen/1895, 874). Dieses Gefühl nicht nur einer Unmittelbarkeit seiner Person zu Gott, nicht nur eines noch engeren Geleitetseins, gar eines Beauftragtseins, ja einer Partnerschaft ist Aus- 106 -

I/1.9 Die Gunst der irdischen und der himmlischen Gewalten

druck einer ins Religiöse hinein zugleich gesteigerten wie sublimierten Ichbezogenheit und Selbstüberschätzung. Sie ist gleichwohl nicht allein von religiöser, sondern auch von allgemein geistiger und geistesgeschichtlicher Natur: Hatte Ranke sich in seinen frühen Jahren mit Columbus und Cook verglichen, so im Alter mit dem einzigen Philosophen, den er schätzte und den er für den bedeutendsten hielt, mit Plato. Das versichert nicht allein Theodor Wiedemann (Wiedemann/1893, XIV, 346; s. auch WG I/2, 80). Rankes Amanuense Paul Bailleu attestierte Rankes Geist im Alter „...gewiß noch die Kraft des Verständnisses, der Erkenntniß und der Anschauung in dem höchsten Maße, das dem Menschen überhaupt beschieden ist. Er verglich sich hierin gern mit Plato, in dem er die höchste Intellektualität des Alterthums verehrte.“ (B[ailleu]: L. v. R./1895, 1). Dies trug nicht nur hybride Züge, sondern stellte zugleich eine exzessive geistesgeschichtliche Blasphemie dar, die jedoch noch weiter reichte: „Eine der Lieblingsvorstellungen Ranke’s war es..., daß er im Jenseits mit den auserlesensten Geistern aller Epochen in Gedankenaustausch treten, von ihnen ihrer Gemeinschaft gewürdigt und als ihresgleichen betrachtet werden würde.“ (Wiedemann XIV/1893, 346f.). Auch König Maximilian II. von Bayern, über dessen geheimem ‚Sanctuarium‘ in der Münchener Residenz, seinem wertvolleren Charakter entsprechend, der wesentlich bescheidenere diesseitige Spruch stand Vivere cum immortalibus (Kohut, Adolf: König Maximilian II. von Bayern und der Philosoph F. W. J. Schelling. Lpz. 1914, 34), glaubte er im Jenseits wieder zu begegnen (SW 53/43, 427). Ranke jedenfalls erstrebte Unsterblichkeit auf höchstem Niveau, ein nicht endendes Fortwirken im Jenseits, eine unio mystica nicht mit Gott oder der Gottheit, davon war keine Rede, sondern eine unio intellectualis et spiritualis im Olymp der großen Geister aller Zeiten. Doch Rankes Hybris war noch einer weiteren, fachbezogenen Steigerung fähig. Bei seinem fünfzigjährigen Doktorjubiläum, am 20. Februar 1867, sah er sich in einer Ansprache nicht allein als große, sondern als entscheidende wissenschaftliche Führerpersönlichkeit: „Ich blicke wie Moses in das gelobte Land einer zukünftigen deutschen Historiographie, wenn ich es auch nicht sehen sollte, in der sich das vollenden wird, wonach ich zeitlebens gestrebt, und was ich auf andere zu übertragen gesucht habe.“ (SW 51/52, 591). So ist er auch zum Seher geworden. Moriz Ritter hat es erlebt: „Blitzartig durchleuchtete er all|tägliche Gegenstände mit bedeutenden, oft nur halb ausgedachten Gedanken, und wenn sich das Gespräch zu idealer Höhe erhob, so redete er wohl wie ein Seher, über den die Inspiration kommt.“ (Ritter, Moriz/1896, 12f.). In seiner ‚Deutschen Geschichte‘ kannte er noch „die Geschicke Gottes in der Welt“ (DtG I/1839, 81). Sein Sehertum macht sich in den Berchtesgadener Vorträgen vor Maximilian II. von 1854 desgleichen unhaltbar, doch nunmehr verheißungsvoll mystifiziert, universell geltend: Er sieht die Menschheit, der eine „unendliche Mannigfaltigkeit von Entwickelungen“ innewohne, die „nach und nach zum Vorschein kommen nach Gesetzen, die uns unbekannt sind, viel geheimnisvoller und größer, als man denkt, weit entfernt von einem Ende.“ (St in WuN II, 67). Der unwissend Wissende weiß um diese Gesetze, zumindest um ihr Bestehen, ihr Geheimnis und ihre Größe. - Als „letztes Resultat“ historischer Forschung sah er in einer nachgelassenen Aufzeichnung an: „Mitwissenschaft des Alls“ (SW 53, 569), was sich in gnoseologischer Gottgleichheit als höchste Stufe geschichtswissenschaftlicher Hybris deuten läßt.

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2. Teil RANKE IN DEUTUNG UND SELBSTBESINNUNG DES GESCHICHTSDENKENS (I/2)

EINFÜHRUNG (I/2.0) Hinsichtlich der Auseinandersetzung mit Ranke in seiner und in späterer Zeit kann weithin Neuland betreten werden, da über seine Wirkungsgeschichte außer einigen im Folgenden betrachteten stark eingeschränkten, überwiegend auslandsbezogenen Darstellungen häufig realitätsferne Betrachtungen angestellt wurden. Man mutmaßte, Rankes „lebendige Wirkungsgeschichte“ habe bei seinem Tod „kaum mehr als ihren Anfang genommen“ (Hansen/1986, 6), ja hinsichtlich der „Rankeliteratur“ überhaupt war man der völlig unbegründeten Meinung, sie habe erst „Ende der achtziger/Anfang der neunziger Jahre“ eingesetzt (Berthold/1989, 599). Die Hochschätzung Rankes, so glaubte man im Gegensatz dazu dramatisch feststellen zu sollen, sei nach seinem Tod so weit gegangen, „daß eine ausführlichere Beschäftigung mit seinem Werk überhaupt ganz unnötig erschien (ja, überspitzt formuliert, dies sogar gefährlich, zumindest dysfunktional gewesen wäre - denn Mythen kann man bekanntlich nicht mehr diskutieren, ohne sie zu zerstören). Die Ausklammerung Rankes war gewissermaßen Programm (so bei Meinecke).“ (Blanke: Entstehung/1994, 63). Dies mag zurückgehen auf eine Äußerung des Ranke-Forschers Hans Ferdinand Helmolt, der geurteilt hatte, die Kritik an Ranke habe „ungefähr seit 1860 auch im Auslande nahezu stillgeschwiegen: sie beugte sich vor der anerkannten Meisterschaft des Doyens der Geschichtswissenschaft. Und nach seinem Tode verharrte man dabei“ (Helmolt/1921, 161), ein - wie vorliegendes Werk zeigt - krasses verbreitetes Fehlurteil. Ein wiederum anderes Urteil lautete: „die Enkelgeneration wandte sich seit 1890 wieder bewußter Ranke zu“ (Kupisch: Hieroglyphe/1949, 190, A. 1). Doch man mutmaßte auch, in den zwanziger Jahren habe die „deutsche Historikerzunft“ sich seiner Wirkung „immer wieder zu entziehen versucht, „zunächst vereinzelt und weitgehend folgenlos“ (Hardtwig/1996, 27). Gänzlich unzutreffend ist auch die ‚Feststellung‘, Ranke sei „im Dritten Reich alles andere als populär“ gewesen (so Schleier/1994, 71. Siehe dazu I/2.4). Die Gründe der Wissensdefizite und -unterschiede bei durchaus vorhandenem Interesse an der Geschichte der Geschichtswissenschaft und des allgemeinen historischen Denkens liegen vor allem in seiner höchst theoretischen Ausrichtung und damit geringen empirischen Ausstattung, das heißt, in der geringen Kenntnis des entsprechenden Schrifttums in seinen vielfältigen Facetten. Suche und Auswertung wurden bisher nur ansatzweise durchgeführt. Symptomatisch für die deutende Behandlung des Themas ‚Ranke‘ ist die permanent gepflogene extreme Bevorzugung der von allgemeinen Eindrücken und besonderen Anlässen getragenen Gattungen ‚Essai‘ und ‚Rede‘, wodurch oft nicht nur eindringlichere, nachweisende Untersuchungen entfallen, sondern häufig auch unangemessene Zu- und Überspitzungen, metaphorische Unbestimmtheiten und emphatische Bestimmtheiten zum Ausdruck kommen. Bei der nach seinem Tod fortgeführten Auseinandersetzung ist festzustellen, daß die kühnsten und entschiedensten Urteile und Theorien - wie üblich - überwiegend von Autoren gefällt bzw. aufgestellt werden - und dies gilt auch für Fachhistoriker -, welche nicht der geringen Zahl der unmittelbar an seinem Werk tätigen oder orientierten Forscher zuzurechnen sind. Insofern geht es dabei seltener um die Erkenntnis Rankes als um seine Hilfe bei der - durchaus legitimen - Eigen-Orientierung und bei der Deutung der Historiographie- und allgemeinen Geistesgeschichte, nicht selten wohl auch um eine pauschale Instrumentalisierung zum Zwecke der Selbstdarstellung und der Selbstbestätigung bzw. Kritikabweisung. - 111 -

I/2.0 Deutung und Selbstbesinnung - Einführung

Lediglich zu einer geringen Entschuldigung dient der extrem lückenhafte Zustand der vor über hundert Jahren erschienenen, damals für vollständig gehaltenen (Fueter: Bespr./1910) Ranke-Bibliographie des Ranke-Forschers Hans Ferdinand Helmolt. Bezeichnend für das dort geschaffene geringe Fundament ist: Den fünfzehn von Helmolt nachgewiesenen zeitgenössischen Besprechungen stehen in vorliegendem Werk fünfhundert gegenüber (s. II/9.1). Ähnliches gilt für andere wirkungsempfängliche und -dokumentierende Gattungen, wie Diaristik und Korrespondenz. Eine tatsächliche Schwierigkeit ergibt sich aus dem Umstand, daß von Ranke vieles beschwiegen oder uneindeutig zurückgelassen wurde, zudem sein Werk in Ausdehnung und Zeitschichtung nur schwer zu erfassen oder gar zu durchdringen ist. Auch hat er sein eigenes Verhältnis zum zeitgenössischen Geschichtsdenken lediglich in sehr geringem Maße direkt angesprochen. Äußerungen über die Entwicklung der Geschichtswissenschaft seiner Zeit, über Schüler und Kollegen und die ihm entgegengebrachte Bewunderung oder Ablehnung sind selten. Rankes Bruder Wilhelm war diese Haltung bekannt: „Leopold aber hatte Scheu vor der Öffentlichkeit; außer seinen Büchern war nichts von ihm herauszukriegen. Oft wurde er in öffentlichen Blättern angegriffen, aber er antwortete nie“ (unveröff. NL WR. Rep. 92, NL Geschw. Ranke, GStA PK). Ähnlich äußerte sich Varnhagen in einem Brief vom 18. 12. 32 an Bettina: „...er hütet sich wohl, jemanden zu loben, anzuerkennen.“ (Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense/1865, 304). * Die sachverständige Darstellung der zeitgenössischen Kritik eines einzelnen Werkes, der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, durch Paul Joachimsen war aufgrund einer allzu kleinen Materialbasis doch nicht aussagekräftig genug (DtG/ed. Joachimsen I/1925). Dies galt letztlich auch für die maschinenschriftliche Dissertation des Fuchs-Schülers Rainald Stromeyer aus dem Jahre 1950, betitelt ‚Ranke und sein Werk im Spiegel der Kritik‘. Sie gehört zwar zu den informationsreicheren der RankeForschung, kann jedoch aufgrund immer noch stark erweiterungsbedürftiger Materialbasis und einseitiger Orientierung an prominenten Namen und negativer Kritik - überdies wird aus der posthumen Zeit auf wenigen Seiten (217-226) nur wenig Konkretes geboten - keinen Eindruck der Gesamtauseinandersetzung vermitteln. - Der unvoreingenommenen Untersuchung des Ranke-Urenkels Dr. Gisbert Bäcker-von Ranke über ‚Rankes Geschichtschreibung im Urteil der deutschen Öffentlichkeit‘ mußte aufgrund ihres Status einer 1952 vorgelegten Examensarbeit eine Wirkung versagt bleiben. Sie ist u. a. bemerkenswert ob einiger von ihrem Verfasser zum Thema ‚Ranke‘ erhaltener Zuschriften und geführter Gespräche mit Persönlichkeiten wie Hubert Jedin, dem ehemaligen Reichskanzler Heinrich Brüning und dem ersten Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, D. Heinrich Held (Kopie im Archiv Wiehe). Vom Einfluß Rankes auf englische Historiker handelte Klaus Dockhorn in seiner 1950 erweitert erschienenen Habilitationsschrift ‚Der deutsche Historismus in England. Ein Beitrag zur Englischen Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts‘. Hierin versuchte er einen Überblick über Einflüsse des deutschen ‚Historismus‘ auf England in den Disziplinen Altertumswissenschaft, Historische Theologie, Volks- u. Verfassungsgeschichte, Rechts- u. Wirtschaftsgeschichte zu geben, - Wirkungen, die er um 1900 enden sieht. Dockhorn gibt auch einige Informationen über Rankes hoch angesehene erste Übersetzerin in England, Sarah Austin (141). - 1990 nahm Doris S. Goldstein - 112 -

I/2.0 Deutung und Selbstbesinnung - Einführung

Dockhorns Thema auf in einem kleinen Beitrag ‚History at Oxford and Cambridge. Professionalization and the influence of Ranke‘ (141-153). Über einige der bei Dockhorn genannten Historiker hinaus (s. I, 289) betrachtete sie John Robert Seeley, Frederick York Powell, Adolphus William Ward und Frederic William Maitland, doch scheint ihr, bei Vertrautheit mit der Primärliteratur, die Arbeit Dockhorns nicht bekannt gewesen zu sein. Die aus dem 19. Jahrhundert überkommene einseitige Verehrung Rankescher Objektivität in den ‚Vereinigten Staaten‘ schränkte sich in den folgenden Jahrzehnten so weit ein, daß Theodore Clarke Smith (1870-1960) in der ‚American Historical Review‘ des Jahres 1935 schließlich von einem tiefen Graben sprach, der sich aufgetan habe zwischen den im Rankeschen Sinne um eine unparteiische, objektive Darstellung historischer Wahrheit bemühten bzw. darüber verfügenden Historikern - ein Ideal, auf das sich die ‚American Historical Association‘ gründe - und solchen, die teils voreingenommen oder doktrinär, teils besonders aus wirtschaftswissenschaftlichem Interesse tätig seien. - Charles Austin Beard (1874-1948), angesehener Verfasser u. a. eines höchst erfolgreichen Werkes über ‚The Rise of American Civilization‘ (2 Bde, New York 1927) hielt einen in der ‚American Historical Review‘ von Oktober 1935 veröffentlichten Vortrag vor der von ihm präsidierten ‚American Historical Association‘ mit dem plakativ geflügelten Titel ‚That noble dream‘. Er war nicht nur gegen T. C. Smith gewandt, sondern hatte überhaupt großen Einfluß auf das amerikanische Geschichtsdenken. Es geht hier um den edlen Traum von der Wahrheit, - um die allerdings bereits zu Lebzeiten Rankes mehrfach aufgeworfene Frage -, ob die von ihm in Anspruch genommene, aber nach Beard keineswegs verwirklichte ‚Unparteilichkeit’ in sich selbst Gültigkeit besitze. So wie Ranke in Wirklichkeit einer der parteiischsten Historiker des 19. Jahrhunderts gewesen sei, so sei auch sein Anspruch ganz allgemein unhaltbar und von modernen Denkern wie Croce und Heussi zurückgewiesen worden. Die Rankesche Formel des ‚zeigen, wie es eigentlich gewesen’ habe, entgegen der Meinung von Smith, nie das offizielle Glaubensbekenntnis der ‚American Historical Association‘ dargestellt. - Schon im Vorjahr hatte Beard in einem appellativen Beitrag der ‚American Historical Review‘ mit dem Titel ‚Written history as an act of faith‘ Ranke mit seiner kalten Neutralität (?) ganz im Dienst der Herrschenden gesehen: „His formula of history has been discarded and laid away in the museum of antiquities“ (221). Beard stand übrigens der Person und Kritik Croces nahe, veröffentlichte im Anhang (229-231) einen Brief Croces mit grundsätzlichen Aussagen über „la vita del pensiero storico“. - Mit Beards Ablehnung von Rankes keineswegs uneingeschränktem Glauben an die Möglichkeit objektiver Geschichtserkenntnis und der nachfolgenden Diskussion, u. a. von Samuel Eliot Morison, befaßte sich Fritz Fischer 1954 unter dem Titel ‚Objektivität und Subjektivität - Ein Prinzipienstreit in der amerikanischen Geschichtsschreibung‘ (170ff.) sowie 1960 Fritz Wagner in seinem Werk ‚Moderne Geschichtsschreibung. Ausblick auf eine Philosophie der Geschichtswissenschaft‘ (bes. 74ff.). - Einem ahnungslosen Irrtum ins genaue Gegenteil der Realität hinein erlag Allan Nevins (1890-1971) mit der Ansicht, daß Ranke als Repräsentant der „scientific school“, welche der Genauigkeit der Tatsachen ein überwältigendes Gewicht beigelegt habe, den zu fordernden formalen literarischen Qualitäten der Geschichtsschreibung keine besondere Mühe zugewandt habe (The Gateway to History, Boston 1938, 350). Zutreffender sind andere Feststellungen: Ranke bleibe das große Muster politischer Geschichtsschreibung: „even his studies in church history were essentially studies in - 113 -

I/2.0 Deutung und Selbstbesinnung - Einführung

statecraft and state-organization“ (267). Als führendem Exponenten unparteiischer Geschichtsschreibung sei es ihm doch nicht gelungen, völlig objektiv zu sein; vieles aus seinem Werk sei unbewußt vom Standpunkt der konservativen Reaktion seiner Zeit in Preussen geschrieben (43). - James Westfall Thompson (1869-1941), Professor für europäische Geschichte in Berkeley, erarbeitete 1942 mit vergleichsweise guter Literaturkenntnis zwei rankebezogene Kapitel seines Werkes ‚A history of historical writing‘, zum einen ‚Niebuhr and Ranke‘, zum anderen ‚The Ranke School‘ und gelangte zu einem nur scheinbar abgewogenen, tatsächlich übertreibenden und undifferenzierten, auf den Versuch einer Vernichtung hinauslaufenden Gesamturteil: „Ranke’s great contribution to historiography lay in his whole-hearted devotion to history as a science per se ... Hence his efforts to develop a method which would lead to ‚objective‘ truth in history, his rejection of all that was unproven or unprovable, his refusal to enter mystical or speculative realms. Nevertheless, despite worldwide recognition, Ranke was not a ‚scientist‘ and was not ‚objective‘. His method, his sole use of diplomatic documents, his purely political approach - all these were but the shadow of history, not history, and certainly not ‚truth‘. Ranke misled a whole generation into believing that he was writing ‚objective‘ history, that he was at last approximating the truth. Actually, the most that can be said for his method is that it led to greater detachment, finer poise, and a broader outlook than had been customary before him, and this should be glory enough.“ (186). Der aus dem Jahr 1952 stammende Beitrag des amerikanischen Historikers Ferdinand Schevill (1868-1954) zum ‚Journal of Modern History‘ mit dem Titel ‚Ranke: Rise, Decline, and Persistence of a Reputation‘ bringt zu dem umfangreichen Thema überaus wenig bei: Der Bereich des „rise of reputation“ wird eigentlich nur durch die Überschrift abgedeckt, der des „decline“ konzentriert sich auf die immer wieder bemühte Ranke-Kritik Charles Beards in den 1930er Jahren. Der von Schevill behauptete parallele Niedergang der Reputation Rankes in Deutschland konnte aus einer kurzen allgemeinen Historismus-Diskussion nicht deutlich hervorgehen, selbst wenn er eingetreten wäre. Die sich anschließende „re-examination of his work to the end of setting forth its leading characteristics and evaluating the total achievment“ (216-234) ist geprägt von unbekümmerter Literaturlosigkeit. Bemerkenswert und von nachhaltigem Eindruck war ein Beitrag des nicht allein um die Ranke-Thematik im weiten Umfang, auch um die Entwicklung, Vertiefung und Revision des deutsch-amerikanischen Ranke-Dialogs verdienten Georg G. Iggers (geb. 1926), Professor emeritus der University of Buffalo: ‚The Image of Ranke in American and German Historical Thought‘ der Zeitschrift ‚History and Theory‘ des Jahres 1962. Hierin vertrat er die allgemein historiographiegeschichtlich bemerkenswerte Ansicht, daß Ranke in den USA einerseits und Deutschland andererseits, entsprechend den beiden, wie er glaubt, sehr unterschiedlichen Seiten seines Geschichtsdenkens, auch zwei diametral entgegengesetzte Rollen gespielt habe: hier als Quelle der Inspiration für neo-idealistische Historiker gegen eine rationalistische und positivistische Auffassung der Geschichte, dort hingegen gerade als der geistige Vater eines im wesentlichen positivistischen Zugangs zur Geschichte. Iggers versuchte dies in einem räumlich leider etwas eingeschränkten Überblick über Äußerungen u. a. von C. K. Adams, H. B. Adams, E. G. Bourne, E. Emerton, H. E. Barnes, E. W. Dow, C. L. Becker, C. Beard, T. C. Smith, J. W. Thompson, A. Nevins einerseits und v. a. Sybel, C. Rößler, W. Dilthey, E. Fueter, Fr. Meinecke, W. Hofer andererseits zu dokumen- 114 -

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tieren. Iggers hat hier das traditionelle, zunächst naive US-amerikanische Ranke-Bild (hauptsächlich entstanden aus Unkenntnis des sich zur Formel ‚wie es eigentlich gewesen‘ verkürzenden Werks) wohl treffend gekennzeichnet, auf der deutschen Seite jedoch allzu sehr den bloßen Gegensatz, nämlich die idealistischen Interpretationsansätze gesucht. Besonders das 19. Jahrhundert kommt hier erheblich zu kurz (Stromeyer/1950, der als Maschinenschrift vermutlich nicht zur Verfügung stand, wäre dem Beitrag bereits differenzierend zugute gekommen). Mit dem Einfluß Rankes auf das amerikanische Geschichtsdenken befaßten sich außer Iggers u. a. Jürgen Herbst, Dorothy Ross, Peter Novick, David S. Potter und Gabriele Lingelbach. Auf Selbstbesinnung in der Art einer splendid isolation hatte es Jürgen Herbst in seinem Werk ‚The German Historical School in American Scholarship‘ (1965) abgesehen, der eine Loslösung der geistesgeschichtlichen Beziehung forderte, indem er verkannte, daß zwar nicht einzelne Ideen, doch eine historische Ideenlehre, sofern sie überhaupt Gültigkeit beanspruchen kann, allgemeingültig ist. Er bot einige unbestimmte und zumeist nicht belegte Bemerkungen über Einflüsse Rankes als „the patron saint of German-trained American historians of the 1870’s and 1880’s“ (103, 108-111), denen er vorwarf: „Had they really grasped the Ideengeschichte of Humboldt and Ranke, they would have realized that not only the facts but the ideas of American history had to come from American sources. When they mixed American facts with German ideas, they could not but founder upon the shoals of cultural diversity.“ (128). - Ross, Professorin für Geschichte an der Universität von Virginia, suchte in einem Artikel ‚On the misunderstanding of Ranke and the origins of the historical profession in America‘ des 1988 erschienenen Syracuse-Sonderhefts (Zweitdr. 1990) nachzuweisen, daß die von Iggers vertretene Auffassung, die meisten amerikanischen Historiker der Frühzeit hätten Rankes ‚Methodologie‘ getrennt von seinen idealistischen Voraussetzungen vertreten und ihn insofern als Unterstützer ihres eigenen nominalistischen Positivismus benutzt, nicht für das ‚Goldene Zeitalter‘ gelte. Dessen Historiker hätten Geschichte nicht als ein eigenes Studiengebiet betrachtet, sondern als Teil eines verbundenen ‚historisch-politischen‘ Bereichs. - Im selben Jahr wandte sich auch Peter Novick (1934-2012), Geschichtsprofessor an der Universität Chicago, in einem umfangreichen Werk, betitelt ‚That Noble Dream: The ‚Objectivity Question‘ and the American Historical Profession‘ (21-46: ‚The European legacy: Ranke, Bacon, Flaubert‘), dem Thema zu. Er allerdings behandelte wiederum die Auffassung Iggers eines amerikanischen Mißverständnisses Rankes als „unphilosophical empiricist“ (30), wozu nicht zuletzt unzutreffende Übersetzungen der Dicta des ‚eigentlich gewesen‘ und des ‚Selbst auslöschen‘ beigetragen hätten (31). - ‚Literary texts and the Roman historian‘, erschienen London 1999, ist ein Werk des US-amerikanischen Althistorikers David S. Potter. Im Hinblick auf das Kapitel ‚Ranke‘ (122127) ist der Werktitel gänzlich irreführend. Potter arbeitet dabei weder mit literaturwissenschaftlicher Begrifflichkeit noch geht es um einen römischen Historiker. Betrachtet werden hauptsächlich einige Erscheinungen der US-amerikanischen RankeRezeption bzw. Gegnerschaft, wie wiederum der unvermeidliche Charles Beard. - Über die Ergebnisse Novicks gelangte auch Gabriele Lingelbach in ihrer 2003 erschienenen Arbeit ‚Klio macht Karriere. Die Institutionalisierung der Geschichtswissenschaft in Frankreich und den USA in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts‘ nicht wesentlich hinaus: Während Ranke in Frankreich als „Vertreter eines faktologischen Positivismus“ (396) gegolten habe, sei in den USA nach 1870 und 1880 ein „regelrechter Ranke- 115 -

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Mythos“ entstanden, in dem er als „Inkarnation eines unphilosophischen Empirismus“ angesehen worden sei: „Die geschichtsphilosophischen, idealistischen Implikationen des Rankeschen Historismus wurden genausowenig wahrgenommen wie dessen politische, ideologische und religiöse Ausrichtung. Auch die Hypostasierug des Staats in Rankes Geschichtsschreibung blieb zumindest unkritisiert, wenn nicht gar unbemerkt. Auffallend häufig erwähnte man hingegen die öffentliche Rolle der deutschen Historiker, ihr hohes Prestige und ihren politischen Einfluß.“ (Ebd.). Beate Gödde-Baumanns behandelte 1971 in ihrer Dissertation ‚Deutsche Geschichte in französischer Sicht‘ in knapper Form Begegnung oder Auseinandersetzung - gelegentlich im Zusammenhang mit der Darstellung Friedrichs d. Gr. - folgender französischer Historiker mit Ranke: Auguste Himly (65, Hörer R.s), Ernest Lavisse (73), Georges Pariset (88f.), Charles Seignobos (228, Hörer R.s), Arsène Legrelle (240, 329), Ernest Denis (244), Rodolphe Reuss (247, 337), Charles Andler (376). - Karl Heinz Metz fügte seiner 1979 erschienenen Dissertation über ‚Grundformen historiographischen Denkens. Wissenschaftsgeschichte als Methodologie. Dargestellt an Ranke, Treitschke und Lamprecht‘ Abschnitte über ‚Ranke im Lichte aktueller Erörterungen‘ und ‚Standpunkte der zeitgenössischen Ranke-Kritik‘ bei. - Wolfgang [E. J.] Weber, Direktor des Instituts für europäische Kulturgeschichte in Augsburg, hat in seinem 1984 erschienenen wichtigen Werk über ‚Priester der Klio. Historisch-sozialwissenschaftliche Studien zur Herkunft und Karriere deutscher Historiker und zur Geschichte der Geschichtswissenschaft 1800-1970‘ einen wesentlichen Abschnitt dem Thema ‚Leopold von Ranke und seine Erben‘ gewidmet (210ff.). Dabei werden zutreffende kritische Blicke auf die bisherige Darstellung von Rankes frühem Werdegang gerichtet, Hinweise für seine schülerbezogene Wissenschaftspolitik gegeben und die für die allgemeine Historiographiegeschichte aufschlußreiche Entwicklung seiner Enkelschüler bis in die fünfte Generation hinein verfolgt. Die Jahre 1987 und 1988 waren im Zusammenhang mit Rankes hundertstem Todestag von vielfältiger Ergiebigkeit. Andrzej F. Grabski verfaßte 1987 einen Beitrag über ‚Historiografia polska wobec Leopolda von Ranke‘, worin er u. a. auf die RankeInteressen von Jósef Kazimierz Plebański, Klemens Kantecki, Tadeusz Korzon und Fryderyk Hendryk Lewestam einging. - Im selben Jahr wandte sich der damals noch an der Universität Leipzig tätige Historiker Lutz-Dieter Behrendt der Bewertung Rankes durch sowjetische Historiker zu, - eine erste kurze Aufarbeitung der russischen RankeRezeption. Obgleich Ranke in den 1880er Jahren für russische Studenten eine „große Autorität“ gewesen sei (121), habe er in der umfangreichen sowjetischen Literatur „zur Auseinandersetzung mit der nichtmarxistischen Historiographie ... keinen Schwerpunkt“ gebildet (120). Die Zahl seiner Anhänger sei sehr gering gewesen: M. N. Petrov, E. N. Ščepkin, V. I. Ger’e und V. P. Buzeskul (s. Bibl. 1926). Bei seiner Beurteilung hätten „eindeutig die kritischen Äußerungen, u. a. von T. N. Granovskij, S. V. Eševskij, M. S. Kutorgi und V. V. Bauer“ überwogen (121). „Auf Ablehnung stießen vor allem Rankes ‚Objektivität‘, seine konservative Haltung, seine Geringschätzung der Slawen und seine Mißachtung der inneren Entwicklung der von ihm untersuchten Staaten.“ (121). Anfang der 1960er Jahre habe „eine breitere Beschäftigung der sowjetischen Historiker mit Leopold von Ranke“ begonnen (123), wozu folgende Namen genannt werden: O. L. Vajnštejn, E. A. Kosminskij, B. G. Veber und das „von A. I. Danilov begründete Forschungskollektiv an der Tomsker Universität, aus dem sich in erster Linie N. I. Smolenskij auf die Erforschung des Wirkens Rankes - 116 -

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spezialisierte“ (123). Behrendt erklärt diese Hinwendung einleuchtend durch die Notwendigkeit, die rankegeprägte bürgerliche Geschichtsschreibung der frühen BRD aus ihren Wurzeln heraus zu verstehen (124). - Einem DDR-Historiker ist auch ein weiterer kurzer ‚Länderüberblick‘ zu verdanken. Konrad Irmschler veröffentlichte 1986/87 einen Kurzbeitrag ‚Zu den Einflüssen der Geschichtsauffassung Leopold von Rankes auf die Entwicklung der britischen Historiographie in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts‘, nachdem er 1983 über ‚Analyse und Kritik einiger theoretischmethodologischer Entwicklungstendenzen in der bürgerlichen Historiographie Großbritanniens vom Ende des 2. Weltkrieges bis zum Anfang der 80er Jahre‘ veröffentlicht hatte. Später schrieb er passend ein Werk über ‚Historismus und Positivismus in der britischen Historiographie des 19. und 20. Jahrhunderts‘ (1991). In seinem thesenartigen Kurzbeitrag von 1986/87 deutet er Wirkungen Rankes auf William Stubbs, Charles Firth, John Seeley, George Prothero, Lord Acton, John Bagnall Bury an. Dabei kann als Hauptaussage gelten, die Rezeption der Rankeschen Geschichtsanschauung habe sich bei den genannten britischen Historikern „fast völlig auf die von ihm entwickelte Methode der kritischen Quellenerschließung“ beschränkt. „Deren Durchsetzung“ sei „auch in Großbritannien epochemachend“ gewesen (111). Bemerkenswert die Vermutung Irmschlers, daß es durch die dortige „partielle Rezeption ... weder zu einer Verabsolutierung der idiographischen Geschichtsmethodologie noch zu einer massiven Kritik an Rankes historiographischer Theorie und Praxis gekommen“ sei (112). - Knappe Einblicke in die Ranke-Befassung von Karl Marx und Franz Mehring und in Urteile von DDR-Historikern nach 1945 mit Hinweisen auf einige Erscheinungen der westlichen Literatur gab auf wenigen Seiten Hans Schleier in einem ZfGAufsatz von 1987 mit dem Titel ‚Leistungen und Grenzen des idealistischen deutschen Historismus: Leopold v. Ranke‘. - Rankes Einfluß auf Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken in Ungarn ging 1988 Attila Pók bei Henrik Marczali, Dávid Angyal, Gyula Szekfű, Bálint Hóman, István Dékány, József Szigeti, Ágnes R Várkonyi und Lajos Elekes nach. - Der kanadischen Ranke-Forscherin Helen Liebel-Weckowicz verdankt man einen Beitrag von 1988 zu ‚Ranke’s theory of history and the German modernist school‘, in dem u. a. Jürgen Kocka, Hans-Ulrich Wehler, Wolfgang Mommsen, Thomas Nipperdey, Gerhard Schulz, Theodor Schieder genannt werden, vor allem aber Reinhart Koselleck, Hans Michael Baumgartner, Karl-Georg Faber und Jörn Rüsen Berücksichtigung finden, in deren Revision der modernistischen Theorie anstatt eines Bruchs mit Ranke eine Kontinuität sichtbar werde. - Thomas Brechenmacher betrachtete in seiner bemerkenswerten Dissertation von 1996 die Ranke-Kritik der großdeutschen Katholiken oder Konvertierten Böhmer, Hurter, Klopp, Döllinger, Höfler und Pastor (465-475). - Einen anderen, zwar schmalen, doch nach dem Vorgang Joachimsens für die ‚Deutsche Geschichte‘ allzu selten freigelegten Strang der EinzelWerk-Rezeptionsgeschichte führte im Jahre 2003 Holger Mannigel (1969-2012) in seiner beachtenswerten Tübinger Dissertation vor Augen. Er skizzierte in knapper Form Teile der zeitgenössischen Rezeption des Rankeschen Wallenstein-Bildes anhand der Publikationen von Arnold Gaedeke, Hermann Hallwich, Georg Irmer, Karl Wittich, Anton Gindelý, Edmund Schebek, Onno Klopp, Moriz Ritter, Max Lenz und später Heinrich Ritter von Srbik. - Neuerdings hat sich Philipp Müller in einem sechsseitigen Abschnitt seiner 2008 erschienenen Dissertation über ‚Erkenntnis und Erzählung‘ (98103) die in dieser Form unlösbare Aufgabe gestellt, „Eigen- und Fremdwahrnehmung Rankes um die Jahrhundertmitte“ zu skizzieren, wobei eine Handvoll prominenter Rezipienten betrachtet wird. - 117 -

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Mit Rankes Einflüssen auf die serbische Geschichtsschreibung zwischen den Jahren 1892 und 2002 befaßte sich Bojan Mitrović in Beiträgen der Jahre 2006 und 2011. Behandelt werden Stojan Novaković (1892), Svetozar Marković (1969), Miodrag Popović (1963) und Radoš Ljušić (1992). Die politisch unterschiedlich ausgerichteten Deutungen, welche Ranke teils als konservativ und nationalistisch, teils als sozialistisch, demokratisch oder pro-jugoslawisch einschätzen, spielen in der sonstigen Ranke-Literatur bisher keine Rolle. Einen dankenswerten Überblick über Teile der Ranke-Forschung in Japan gab Prof. Shinichi Sato/Tokyo in einem Vortrag auf dem Ranke-Symposium in Wiehe am 23. Mai 2009 (Ms. im Archiv des Ranke-Vereins Wiehe). Sato, der sich seit dem Jahre 2000 in einer Vielzahl von Beiträgen (s. II/9.5) selbst beträchtliche Verdienste um Ranke-Forschung und Kulturaustausch erworben hat, wies dabei vor allem auf Ludwig Rieß (1861-1928, s. auch I,359f.) hin, der in den Jahren 1887 bis 1902 an der Reichsuniversität Tokyo als Verbreiter Rankescher Quellenkritik mit Gründung eines ‚Quellenforschungsinstituts‘ im Jahre 1888 und der bedeutenden geschichtswissenschaftlichen Zeitschrift ‚Shigakukaizasshi‘ vielseitig tätig war. Als Ergänzung seines Hinweises auf Akira Muraoka (1959 u. 1983) sind rankebezogene Schriften von Naritaka Suzuki (1939), Katsumi Nishii (1947, 1948 u. 1965), Senroku Uehara (1954), Akira Muraoka 1956, Tatsuya Kishida (1958) und Editionen der Jahre 1950 bis 1998 zu nennen (s. II, 605). * Es geht darum, oft allzu allgemein und unpersonalistisch verfahrende historiographiegeschichtliche Reflexionen empirisch weiter zu fundieren. So werden - wie angedeutet - in allzu vielen Darstellungen bei differenzierter oder klischeehafter Theorie auffallend wenige, jedoch prominente, vermeintlich exemplarische oder meilensteinbildende Fachvertreter, auch wenige Textbelege aufgeführt, wodurch risikoreichen Konstruktionen Vorschub geleistet wird. Auch auf Seiten Rankes werden nur höchst selten ausgreifende Textuntersuchungen unternommen, vielmehr bis zum Überdruß einige einsätzige Deutungs-dicta herangezogen. Beispiele bieten sich in der Nachfolge oder Art Diltheys und Meineckes in Fülle. Unter den Ausnahmen mit Sicht auf die Fachvertreter ist der verdienstvolle, reichhaltige Überblick von Georg G. Iggers aus dem Jahre 1965 mit dem Titel ‚The dissolution of German historism‘ zu nennen, der auch Positionen der Fachphilosophie berücksichtigt, aufgrund seines Aufsatzcharakters allerdings Wesentliches nur in knappster Form vermitteln konnte und die große Zahl kleinerer Geister beiseite lassen mußte. Ihm folgte 1968 Iggers’ einflußreiches Werk ‚The German Conception of History. The national tradition of historical thought from Herder to the present‘, auf das noch zurückzukommen ist. Zu kurz kommt generell, so auch bei vorliegendem Werk, eine schwer durchführbare ausgreifende Betrachtung der Hervorbringungen spezialisierter fachhistorischer Praxis und ihrer gegebenenfalls von Ranke abhängigen oder abweichenden fußnotenplazierten Forschungsdetails. Mit Recht bemerkte Eduard Fueter in seiner ‚Geschichte der neueren Historiographie‘ bereits im Jahre 1911: „Die Literatur über Ranke ist sehr umfangreich; doch ist der Geschichtschreiber verhältnismäßig wenig behandelt worden. Die meisten Arbeiten befassen sich mit dem Geschichtstheoretiker“ (1911, 473). Dieser Satz hat bis heute Gültigkeit. Die Betrachtungen des vorliegenden Werkteils gelten auch, wie sein Titel besagt, vor allem der allgemeinen Deutung des Rankeschen Geschichtsdenkens sowie - 118 -

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der auf Ranke bezogenen Selbstbesinnung. Anderes Schrifttum ist in der Regel eigenen Abteilungen zugeordnet. Obgleich Rankes Wirken und Wirkung dem Gesamt des Geschichtsdenkens in einer unvergleichlichen Weise inhärent sind, ergibt die Darstellung der Auseinandersetzung mit ihm natürlich - dies wäre ohnedies ein verfehlter Ansatz - keine allgemeine Historiographiegeschichte. Auch kann bei der Vorstellung einzelner für Deutung und Selbstbesinnung aussagefähiger Schriften nicht der Anspruch erhoben werden, deren Bedeutung oder gar die ihrer zum Teil geistesgeschichtlich hochstehenden Autoren gänzlich zu erfassen, eine Bedeutung, die ja in aller Regel nicht in ihrer Eigenschaft als Ranke-Deuter oder gar Ranke-Forscher begründet ist. Andererseits können bei ihrer Beurteilung Erkenntnisse späterer Forschung, Übersicht und Einsicht nicht unberücksichtigt bleiben, wodurch indes gelegentlich sichtbar wird, daß sich Ranke-Deutungen auch beträchtlich unterhalb des hohen allgemeinen Niveaus geistesgeschichtlich herausragender Persönlichkeiten vollziehen können. Rankes Wirkung war anfänglich schwach und die seine wachsende Verehrung stets begleitende Kritik beträchtlich. Beides wird von der Forschung unzureichend eingeschätzt. Schon zu späteren Lebzeiten Rankes werden wesentliche Argumente der zuvor eingetretenen Kritik verharmlost, umgedeutet, beiseitegeschoben und Ranke in seinen letzten Jahren weithin zu einem wissenschaftlichen Nationalheros erhoben. Man darf annehmen, daß Unkenntnis oder Nicht-Sehen-Wollen der zeitgenössischen Kritik posthumer Bewunderung zugute gekommen sind. Auch hat sich der Mangel unter anderem in einer späteren Vernachlässigung der Eigen-Sicht der in Rede stehenden Zeiten und Personen ausgewirkt. Doch es bestehen noch andere Gefahren der Fehleinschätzung. Überhaupt haben sich famae unterschiedlichster Art gebildet, deren Abbau nun erleichtert wird. Manches, was nach Rankes Tod und heute im Mittelpunkt der Interpretation steht, hat zu seinen Lebzeiten keine Wirkung gezeigt oder war unbekannt. Sein als grundlegend für die Entwicklung der ‚Historischen Schule‘ angesehenes Werk ‚Zur Kritik‘, 1824 erschienen, wird im 19. Jahrhundert zwar gelegentlich pauschal lobend erwähnt, doch hat sich damals kaum jemand im Detail mit dieser erst nach fünfzig Jahren verlegerisch wieder hervorgeholten Schrift befaßt. Das später hochberühmte ‚Politische Gespräch‘, Rankes Schlußbeitrag seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ (II/4, 1836, 775-807), nach Meinecke - wohl nicht nach Ranke - „das Höchste und Bedeutendste dessen, was er als Politiker und Publizist je geboten hat“ (Meinecke WW VII/1968, 74), ist - wie eingangs bemerkt - nach Erscheinen in der kaum verbreiteten Zeitschrift zu Rankes Lebzeiten von ihm nie mehr für einen Zweitdruck in einem seiner Sammelbände oder anderweitig freigegeben worden (unv. Zweitdr.: SW 49/50 (ZGDF 1887), 314-339). Dies gilt annähernd auch für ‚Die großen Mächte‘ (HPZ II,1/1833, 1-51). Ein veränderter Zweitdruck erschien erst nahezu vierzig Jahre später, 1872 in Band 24 seiner ‚Sämmtlichen Werke‘. Es ist eine Trivialität, festzustellen, daß eines der international bekanntesten Erzeugnisse Rankeschen Denkens, die 1854 vor Maximilian gehaltenen Berchtesgadener Vorträge, nicht zu seinen Lebzeiten erschienen ist, sondern - übrigens in nicht authentischer Gestalt - erst 1888 von Alfred Dove herausgegeben wurde. Gleichwohl ist dieser Umstand von Interesse, denn seine Vorträge, das Hauptdokument jeglicher rankebezogener Philosophie-Betrachtung, konnten insofern bis gegen Ende des 19. Jahrhunderts keinerlei öffentliche Wirkung hervorrufen. Dies scheint gelegentlich übersehen worden zu sein, worauf auch Formulierungen des ehemaligen Vor- 119 -

I/2.0 Deutung und Selbstbesinnung - Einführung

sitzenden der Ranke-Gesellschaft, Michael Salewski, hindeuten: Nicht zuletzt seine nicht öffentlichen! - Vorträge vor Maximilian von 1854 hätten „Ranke der Welt bekannt gemacht. Es war schon atemberaubend, wie er in diesen knappen historischen Skizzen den Fortschrittsgläubigen und den Ungläubigen, den Aufgeklärten und den Mystikern, vor allem aber Georg Wilhelm Friedrich Hegel sein eigenes Bild vom Gang der Weltgeschichte entgegenstellte.“ (Salewski/1996, 17). Hier kann es schnell zu völlig falschen Projektionen kommen, wenn aus heutiger Sicht über Historismus, im besonderen über Ideenlehre, Idealismus- und Hegelkritik oder den Fortschrittsbegriff im 19. Jahrhundert geschrieben wird. Auch dies bezeugt die Notwendigkeit detaillierten bibliographischen Wissens. Allgemeinhistorische Strukturierungs-, im besonderen Periodisierungsprobleme treten bekanntlich nicht minder in der Historiographiegeschichte auf. Man ist geneigt, sie nicht allein für die Stadien Rankeschen Schaffens und der Auseinandersetzung mit ihm lösen zu wollen, sondern daraus auch Lösungshilfen für den allgemeinen Gang des Geschichtsdenkens zu gewinnen. Hier wie da sind es indes vor allem große politischsoziale, nationale wie internationale Entwicklungen und Ereignisse, welche mehr oder minder periodenbildenden Einfluß auf Geschichtswissenschaft und Geschichtsdenken ausüben. Für die Rankesche und Nachrankesche Zeit sind es die Revolutionen von 1789, 1830, 1848, der Krieg von 1866, der die großdeutschen Pläne und Positionen vorübergehend beendete, der Krieg von 1870/71, der mit dem Ereignis der Reichsgründung die Aufgabe der kleindeutschen Richtung erfüllte und zugleich weit ausgreifende machtstaatliche und schließlich hegemoniale Perspektiven eröffnete, der Erste Weltkrieg mit seinem national-martialischen Überschwang und der folgenden Depression sowie der Auseinandersetzung nationaler, konservativer, liberaler und revolutionärer, sozialistischer und demokratischer Kräfte, der Nationalsozialismus mit dem Zweiten Weltkrieg. Dabei spielt stets das Auftreten höchst unterschiedlicher wirkmächtiger Persönlichkeiten und Ideen in Politik und Geschichtsdenken eine große Rolle, welche das Entstehen, Aufdecken oder Beenden kohärenter Entwicklungslinien beeinflussen. Der inhaltlich wie zeitlich bis zur Unbrauchbarkeit hin unterschiedlich definierte und damit der Auflösung nahegebrachte Begriff ‚Historismus‘, als dessen Hauptvertreter Ranke allgemein angesehen wird, findet in vorliegendem Werk keine Verwendung - ohne bereits der isolierten Auffassung Franz Schnabels von einem „Zeitalter ungeschichtlichen Denkens“ (Schnabel/1936, [2]) für das 19. Jahrhundert nähertreten zu wollen -, zum einen, da aufgrund der auffallenden Unterschiedlichkeit sowohl von Historiographen als auch von Geschichtsdenkern im weiteren Sinne von einem für das 19. Jahrhundert oder darüber hinaus geltenden Einheitsbegriff ‚Historismus‘ in ergiebiger Weise nicht gesprochen werden kann, was so unterschiedliche Persönlichkeiten wie Schlosser, Sybel, Waitz, Droysen, Burckhardt, Janssen und zahlreiche andere unterstreichen. Zum anderen erscheint der Begriff in seinen von Meinecke auf die Prinzipien von ‚Entwicklung‘ und ‚Individualität‘ gestellten Charakteristika als zu unspezifisch, ist insofern ebenfalls auf einzelne frühere Epochen, Persönlichkeiten, Haltungen und Phänomene bis hin zur Antike anwendbar, gehört schlechterdings auch nicht zum vorrangigen Selbstverständnis des Geschichtsdenkens Rankescher Zeit. Die These eines Historismus mit den Grundprinzipien von ‚Individualität‘ und ‚Entwicklung‘ ergibt keine Epochenbeschreibung, sondern lediglich eine inhaltlich-darstellerische Teilbeschreibung dieser oder jener Geschichtsanschauung. Als Detail mag man gelten lassen, daß bereits Rankes im Objektivitätsglauben kulminierendes Wort vom - 120 -

I/2.0 Deutung und Selbstbesinnung - Einführung

‚Selbst-Auslöschen‘ im Widerspruch oder Gegensatz zum unterstellten Individualitätsgedanken steht, zumindest was die nicht zu vernachlässigende Seite des historiographischen Subjekts angeht. Doch auch Rankes Darstellungs-‚Objekten‘ wurde, neben durchaus positiven Urteilen (s. I, 200f.), gelegentlich jede Individualität abgesprochen. Ludwig Häusser konnte sich „nicht überzeugen, daß etwas besonders Hohes damit erreicht“ sei, wenn bei Ranke „die theilnahmslose Reflexion den Menschen und das was ihn bewegt völlig erdrückt“ habe (Bespr. DtG I-III/1842, zitiert nach Häusser I/1869, 147). Ferdinand Gregorovius sah Rankes Gestalten wie auf einem „anatomischen Theater“ agieren (28. 4. 67, Gregorovius/1893, 239f.). Gustav Bergenroth sprach sehr deutlich von „hazy phantoms, rather shadowy embodiments of general ideas than living men ...“ (G. B./1866, 496), ein Urteil, dem sich Acton 1867 mit dem Wort „They are effigies, but they are not men“ recht ähnlich anschloß ([Acton:] Ranke/ 1867, 394). Karl Frenzel warf Ranke vor, wegen seines Absehens „von den Persönlichkeiten … in gewisser Weise an den Menschen sowohl wie an den Thatsachen“ zu sündigen (1861, 1f., s. I, 283), George Strachey sah in Rankes Friedrich d. Gr. 1878 lediglich eine „abstraction“ (s. I, 336), und Wilhelm Kiesselbach schrieb 1861 zu Rankes ‚Englischer Geschichte‘: „man sehnt sich dabei förmlich nach Individualität, nach Fleisch und Blut …“ (Kiesselbach/21. 7. 1861, 230). Von ihm wurde auch einmal der Zusammenhang von historiographischem Subjekt und Objekt gesehen: „Wenn der Verfasser … wünscht, sein ‚Ich‘ völlig zu vergessen, um nur die durch einander wogenden Kräfte in seinem Werke darzustellen, so hat er mit seinem Ich auch vergessen, daß die Menschen, auf die er stößt, doch ein Ich besitzen.“ (231). Martin Philippson hat diesen Mangel ebenfalls empfunden. Rankes ‚Geschichte des Don Carlos‘ ließ ihn die aufbegehrende Frage stellen: „Ist die Verschiedenheit der individuellen Anlage und Persönlichkeit nichts?“ (Bespr. HBS/1879, 169). Die Individualität der Persönlichkeitsschilderung, im besonderen aus der biographisch zurückhaltenden Feder Rankes, bestimmt sich bekanntlich nicht allein aus Aspekten der Porträtierungskunst, sondern auch aus der grundsätzlicheren Frage nach einem geschichtlichen und anthropologischen Determinismus, welcher individuelle Regungen beschränkt. Und was damit zusammenhängend den Begriff der Entwicklung anbelangt, so wurde er Ranke nicht erst von Karl Lamprecht und Kurt Breysig abgesprochen. Letzterer fand, Rankes ‚Weltgeschichte‘ sei von dem „entwickelnden“, „vergleichenden“, „wirklich Welt und Menschheit umspannenden Sinn“ Herders, Meiners’ und K. F. Eichhorns weit entfernt (Breysig/1932, 61, s. I, 482). Bereits 1845 hatte wohl Jacques de Mas Latrie das Fehlen von „développements suffisants“ beanstandet (s. I, 136f.). Statt des verbrauchten ‚Historismus‘-Begriffs werden für die infragestehenden Zeiten andere, schon damals benannte Kriterien wieder sichtbar. Nicht ein mit den Gedanken von Individualität und Entwicklung definierter ‚Historismus‘ erscheint als die prägende Kraft der Geschichtsanschauung des 19. Jahrhunderts und darüber hinaus, ist nicht die signatura temporis - es gab in dieser Zeit kein entsprechend ausgeprägtes Selbstverständnis -, sondern das empirisch-sachlogisch, auch ethisch gegründete, zu starker fachlicher und öffentlicher Bewußtheit ausgebildete Prinzip der Objektivität, wie es sich mit besonderer Deutlichkeit in Gervinus’ Schrift ‚Ueber Börne’s Briefe aus Paris‘ vom Jahre 1835 ausspricht. Hier wird das 19. Jahrhundert - allerdings kritisch gekennzeichnet als „die mit diesem Jahrhundert allgemein werdende Epoche der Objectivität“ (320). Dazu gehörte neben der Weiterentwicklung methodologischer und darstellerischer Fähigkeiten, Absichten oder nur Anforderungen ein wachsendes - 121 -

I/2.0 Deutung und Selbstbesinnung - Einführung

wissenschaftliches und gesellschaftliches Selbstbewußtsein der sich glanzvoll eine Weile zur begünstigten ‚Leitwissenschaft‘ entwickelnden Disziplin, auch die durch nationalpolitisches Einheits- oder Machtstreben in materieller Abhängigkeit und dienstrechtlicher Oboedienz geprägte Staatsorientiertheit der Historiker, mehr oder weniger verfangen im Spannungsfeld von Obrigkeit und Objektivität, gelegentlich auch ihre geistige, politische und gesellschaftliche Lager fördernde Konfessionsgebundenheit. Ranke steht teils mitten in diesen Bewegungen, teils darüber, wobei sein enormer Faktizitätsertrag weniger gewürdigt wird als sein Darstellungsvermögen. Dieses und seine erstrebte Objektivität haben in besonderer Weise auf Zeitgenossenschaft und Nachwelt - anziehend oder abstoßend - gewirkt. Doch sollte er nicht, wie es permanent zu seinem und zahlreicher Zunftgenossen Nachteil geschieht, als typischer oder exemplarischer Repräsentant der vielfältigen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts angesehen werden. Er tritt vielmehr als eine herausragende Ausnahmeerscheinung auf, über die ein vielleicht Gustav Freytag zuzuschreibender Beitrag der ‚Grenzboten‘ von 1856, betitelt ‚Deutsche Geschichtschreiber‘, zu einem treffenden Urteil gelangt sein dürfte: „Gewiß müssen uns alle Nationen um einen Künstler wie Ranke beneiden; aber ein eigentliches Vorbild kann er nicht sein. Die Richtung seines Geistes ist zu eigenthümlich, und selbst seine Schönheiten sind zu individueller Natur.“ (43f.). Bei der im Folgenden vorgelegten Darstellung wird sich aufgrund erweiterter Materialbasis auch zeigen, daß spätere Periodisierungen und Klassifizierungen wie ‚RankeRenaissance‘, ‚Jung‘- oder ‚Neurankianer‘ und ‚Ranke-Epigonen‘ usw. in der Auseinandersetzung mit ihm bei weitem nicht die signifikante Rolle spielen, die man nach dem späteren häufigen Gebrauch der Begriffe hätte erwarten sollen. Bei beständiger Zustimmung oder Ablehnung handelt es sich mit größerer Berechtigung um eine nie abgebrochene, bis heute reichende wissenschaftliche und populäre Ranke-Permanenz.

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1. Abteilung

RANKE IM

GESCHICHTSDENKEN SEINER

ZEIT

(I/2.1)

VORBEMERKUNG (I/2.1.0) Die durch Persönlichkeit und Werk Rankes seit dem Erstling der ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ von 1824 hervorgerufenen Beurteilungen seiner Zeitgenossen wie auch der Nachwelt reichen zu allen Zeiten in ihren Extremen von verächtlicher Ablehnung bis hin zu euphorischer Jüngerschaft - Urteile aus verschiedenster fachlicher, politischer, philosophischer, literarischer, ästhetischer, religiöser und nicht zuletzt menschlich-charakterlicher Motivation. Die Auseinandersetzung oder nur Kenntnisnahme vollzieht sich in der Öffentlichkeit, in den Höhen wissenschaftlicher Untersuchung und Betrachtung, bei Werken der Historiographie, Historik sowie der Historiographie- und Literaturgeschichte, Werken der Philosophie oder in weiteren Kreisen, die sich teils feuilletonistisch, teils als Lesepublikum im persönlichen, privaten Bereich äußern, wie eine Vielzahl von Lebenserinnerungen, Tagebüchern und Briefwechseln der Zeitgenossenschaft hier erstmals zeigt, schließlich in der Literatur zu besonderen lebensgeschichtlichen Anlässen Rankes, ausführlicher in den nach Vielzahl und Ausrichtung bisher weitgehend unbekannten in- und ausländischen Besprechungen seiner Werke. Die Auseinandersetzung scheint durch ihre Vielstimmigkeit aus Hegelianismus, Liberalismus, Konservativismus, Borussismus, Kleindeutschtum, Großdeutschtum, Protestantismus und Katholizismus und deren verschiedene Mischungen zunächst einen kaleidoskopischen Charakter aufzuweisen, verfügt jedoch durch die häufige Gebundenheit an das jeweilige Auftreten seiner Werke, durch bestimmte Leitthemen und Medien sowie die anhaltende Hingabe bestimmter Kritiker über gewisse Strukturen. Dabei wird die Zugehörigkeit zu bestimmten fachlichen ‚Schulen‘, politischen Richtungen und literarischen Strömungen selten so deutlich wie persönliche und konfessionelle Voreingenommenheit. Die protestantische, wie überhaupt die hochkonservative preußische Presse steht im allgemeinen auf seiner Seite. Gegen sich hat er die subdominante katholische Presse, die gelegentlich eine gewisse Simplicität und Aggressivität nicht verleugnen kann. Zeittypisch ist das Auftreten nicht weniger nahezu oder völlig Konvertierter, wie Ignaz Döllinger, Karl Ernst Jarcke, Wilhelm Volk, Onno Klopp, Julius Langbehn und anderer. Nicht selten handelt es sich bei seinen Kritikern um Personen mit einem politisch oder konfessionell verursachten Sonderschicksal: Liberale bis Revolutionäre, zum Teil mit Festungshaft, wie Heinrich Heine, Georg Gottfried Gervinus, Johannes Scherr, Heinrich Kurz. Es gab eine offene, publizierte Auseinandersetzung mit Ranke und eine stille. Wie Georg von Below treffend bemerkte, wurde zu Rankes Lebzeiten auch ein „stiller Kampf“ gegen ihn ausgetragen (Below/1921, 27). Es war wohl aufgrund der weitreichenden wissenschaftspolitischen Machtposition Rankes, wobei besonders seine Nähe zum preußischen und bayerischen Hof bedacht werden mußte, nicht ohne Risiko, gegen ihn aufzutreten: Der preußenfeindliche, ultramontane Historiker Onno Klopp (1822-1903) gab gegenüber Franz von Löher in einem Brief vom 3. Oktober 1858 zu bedenken: „Wie dürfte ich auf einer prot. Universität [Göttingen] das Werk von Ranke über die Reformation eine Advokatenschrift nennen?“ (Briefe Onno Klopp’s an Franz von Löher/1923, 341), und gegenüber Johannes Janssen bekannte er in einem Brief vom 2. Sept. 1861: „Ich wage jetzt nicht einmal eine Kritik der Rankeschen Geschichte zu schreiben. Man würde mich erkennen und dann wäre der Sturm unausbleiblich.“ (Briefe von Onno Klopp an Johannes Janssen/1919, 249). So flüchtete sich der Archivar Ernst Friedländer (1841-1903), wie viele, in das reine Referieren, denn angesichts - 125 -

I/2.1.0 Geschichtsdenken seiner Zeit - Vorbemerkung der hervorragenden Bedeutung Rankes könne nichts ferner liegen, „als ein einem Urtheile nahe kommendes Wort“ über seine historische Darstellung sprechen zu wollen (Friedländer/1877, 134). Auch ist zu berücksichtigen, daß manche Besprechung und Replik von RankeSchülern, Ranke-Schüler-Schülern und Ranke-Amanuensen stammt. In einigen Fällen befand sich auch die Schriftleitung eines Rezensionsorgans in den Händen von RankeSchülern: Alfred Dove war vorübergehend bei der ‚Allgemeinen Zeitung‘ tätig, später gab er die Zeitschrift ‚Im neuen Reich‘ heraus. Siegfried Hirsch schrieb für die konservative ‚Literarische Zeitung‘, die unter Regierungs-Einfluß stand. Sybel gab die ‚Historische Zeitschrift‘ heraus, der bekanntlich noch eine Reihe anderer führender Historiker nahestand, Maurenbrecher das ‚Historische Taschenbuch‘. Ranke selbst war - zumindest formell - Mitherausgeber der ‚Zeitschrift für Geschichtswissenschaft‘ und der ‚Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde‘. Auch auf ‚seine‘ Verlage dürfte hin und wieder Rücksicht genommen worden sein. Die bedeutende ‚Allgemeine Zeitung‘ erschien im Cotta-Verlag, der Rankes ‚Französische Geschichte‘ unter Vertrag hatte. All dies hat jedoch nicht vermocht, die Kritik an Person und Werk aufs Ganze zurückzudrängen.

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1. Kapitel (I/2.1.1) DAS FRÜHWERK 1824-1831 UND DIE GRÜNDUNGSSAGE DER GESCHICHTSWISSENSCHAFT Rankes Verdienste um die Geschichtswissenschaft werden vor allem auf sein Erstlingsdoppelwerk von 1824, die ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535‘ nebst Beilage ‚Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber‘ bezogen. Ernst Bernheim schrieb in seinem bekannten ‚Lehrbuch der Historischen Methode mit Nachweis der wichtigsten Quellen und Hülfsmittel zum Studium der Geschichte‘ (Lpz. 1889), Ranke habe mit den ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ „die Geschichte als Wissenschaft im modernen Sinne eigentlich inauguriert“ (144), und die Beilage ‚Zur Kritik‘ sei „von epochemachender Bedeutung für die Entwickelung der Methodik“ (145). „Der Erfolg seines ersten Werkes ist außergewöhnlich“, schrieb Hans Hofmann in einer zu ihrer Zeit bekannten Ranke-Ausgabe ‚Geschichte und Politik‘ (1942, XII). Auch Jörn Rüsen urteilte, „Rankes Schrift Zur Kritik neuerer Geschichtsschreiber“ sei „damals als epochemachender Schritt zur Verwissenschaftlichung der Neueren Geschichte angesehen“ worden (Rüsen: Die vier Typen/1982, 576). Die weite Ausbreitung dieses Einflusses geschah angeblich, ehe man sich dessen versah: „Im Dezember 1824 lag das Buch vor und war sogleich ein großer Erfolg“, wußte später eine Veröffentlichung der ‚Historischen Kommission zu Berlin‘ (Escher/ 1989, 113). Auch Felix Gilbert glaubte über Rankes Beilage ‚Zur Kritik‘ vermelden zu können: „Bereits unmittelbar nach der Veröffentlichung war dieser Ergänzungsband Gegenstand großen wissenschaftlichen Interesses ...“ (Gilbert/1992, 22). Das stand nicht minder für Ulrich Muhlack fest: „Die Zeitgenossen haben Rankes Anspruch und Leistung von vornherein erkannt und anerkannt und niemals in Frage gestellt. Gleich die kritische Abhandlung von 1824 erregte größtes Aufsehen und erfüllte alle Erwartungen, die Ranke in sie gesetzt hatte“ (Muhlack/2003, HMR, 24). Nach weitreichender Auffassung gehört Rankes Erstlingsschrift zu den „Büchern, die die Welt verändern“ (Bücher…/1968). Und: „If any single piece of writing influenced the worldwide development of professional history, it was the introduction to Ranke’s first book the 1824 History of the Latin and Teutonic Nations“ (Curtoys, Docker/2005, 56). So ist also mit seinem Erstling verbunden die Rolle, die man ihm zuwies als Gründer seiner Wissenschaft. Nach seinem Tod wurde Ranke bezeichnet als „Begründer der deutschen Geschichtswissenschaft“ (Salomon/1888), als „Begründer der modernen Geschichtswissenschaft“ (H. Lehmann/1970), als „Begründer der bürgerlichen Geschichtswissenschaft“ (Lozek/1986), als „Begründer des Historismus“ (Hofmann/1995), schließlich als „Begründer der modernen Historiographie“ (Stolzenau/1996). - Diesen Aussagen ist gemein ihre mangelnde Gültigkeit. Über Albrecht von Roon äußerte Ranke einmal, sein Verdienst bei der preußischen Militärreorganisation sei „das der Ausführung, nicht der Erfindung“ gewesen (SW 53/54, 627). Dies galt auch für Rankes Beziehung zur historischen Kritik. In der Tat wurde er zunächst weder als Begründer historischer Übungen oder Seminare angesehen (s. II/5), noch erblickte man in ihm den Erfinder der in Werk und Übungen vermittelten historischen Kritik im Sinne einer gänzlich neuen oder so noch nie geübten Technik. - 127 -

I/2.1.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - Frühwerk und Gründungssage

Ranke galt überwiegend als eindrucksvoller historiographischer Darsteller, als wirkungsvoller Anwender und Verbreiter, zunächst keineswegs als Erfinder historischer Kritik oder gar als Begründer der Geschichtswissenschaft. Sein angeblich epochemachendes Erstlings-Werk wurde nur sehr vereinzelt als erwähnenswert betrachtet, geriet vielmehr der Zunft weithin für Jahrzehnte aus den Augen und war auch verlegerisch geradezu ein Mißerfolg (s. u.). Nach Rankes Erstlingswerk wurde historische Kritik Instrument und Hauptthema seiner ab dem Wintersemester 1825/26 abgehaltenen nicht öffentlichen Historischen Übungen (s. II/5.2). Sie setzte sich auch deutlich in den dezidiert quellenkritischen, anfangs nahezu Jahr für Jahr erscheinenden Dissertationen seiner frühen Schüler fort: Wilhelm Adolph Schmidt (1834), Roger Wilmans (1835), Georg Waitz (1836), Heinrich von Sybel (1838), Siegfried Hirsch (1839), Rudolf Anastasius Köpke (1841) behandelten allesamt mit auffallenden neuen Ergebnissen eine oder mehrere historische Quellen des Mittelalters, zumeist unter der Formel ‚de fontibus‘. Historische Kritik steht auch bei der einzigen von Ranke je herausgegebenen Buchreihe, den forschungsgeschichtlich bedeutenden ‚Jahrbüchern des deutschen Reiches unter dem sächsischen Hause‘ (1837-1840) im Vordergrund. Später begegnet sie in der großen Zahl seiner Akademie-Lesungen und Werk-Analekten. Fraglos hätte all dies schon bald den Eindruck eines programmatisch und konsequent schulebildenden Vorgehens und Vorgangs, einer Art quellenkritischer Aufklärung in breiter Front hervorrufen können. Doch es läßt sich nicht sagen, daß ein solcher forschungsgeschichtlich bedeutender Vorgang damals schon von vielen Zeitgenossen wahrgenommen oder vorwiegend mit Ranke in Verbindung gebracht worden wäre. Zu den ersten überlieferten nichtöffentlichen Beurteilungen Rankes gehören einige wenige Würdigungen und Empfehlungen angesehener und einflußreicher Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Dichtung und Gesellschaft, die jedoch fast durchweg zu Beginn der 1830er Jahre aufgrund ihres Ablebens verstummten und Ranke insofern eine weitere direkte Förderung nicht mehr zuteil werden lassen konnten. Letzteres galt nicht für seinen baldigen Berliner Kollegen Friedrich von Raumer (1781-1873), der nach einem Forschungsaufenthalt in Rom (1816/17, Jordan, Stefan: Raumer, Friedrich Ludwig Georg. In: NDB 21/2003, 201f.) gerade durch seine sechsbändige ‚Geschichte der Hohenstaufen und ihrer Zeit‘ (1823-1825) Aufsehen erregte. Veranlaßt durch eine Aufforderung des preußischen Kultusministeriums gab er am 20. Januar 1825 das erste bisher bekanntgewordene förmliche Urteil über Rankes Werk ab. Es hieß darin unter anderem: „Dem Wesentlichen nach darf ich behaupten: Herr Ranke zeigt eine, für seine Jahre und seine Lage ganz ungemeine Gelehrsamkeit, in der Prüfung der Quellen Scharfsinn und Genauigkeit, und nicht minderes Lob verdient die Sinnesart und der Charakter. Nur gegen die Anordnung der Theile ließen sich einige Erinnerungen machen, und die Sprache ist noch ungelenk, zerschnitten und unkünstlerisch. Auf jeden Fall bleibt das vorliegende Werk ein specimen, wogegen die meisten Dissertationen und Probeschriften ganz unbedeutend erscheinen...“ (GStA PK, I. HA Rep. 76 .V. f. Lit. R., Nr. 10, auch bei Lenz IV/1910, 460). Dem war ein ähnlich lautender Brief Raumers an Ranke vorausgegangen (2. 1. 25, bei Varrentrapp/1910, 111f.). Bei allem Lob wird weder hier noch da auf die Anwendung einer neuen, historisch-kritischen Methode abgestellt. Sodann ist es der Reichsfreiherr Heinrich Friedrich Karl vom und zum Stein (1757-1831), der sich zu Rankes Erstlingsschrift äußerte. Er schrieb an den für die Monumenta tätigen Georg Heinrich Pertz, 17. Okt. 1825: „Kennen Sie Rankes - 128 -

I/2.1.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - Frühwerk und Gründungssage

in Frankfurt an der Oder historische Arbeiten, sie fallen in eine spätere Periode, zeigen aber Scharfsinn und Gründlichkeit.“ (Briefwechsel VI, [1937?], 311). Und an den ersten Herausgeber des 1820 begonnenen ‚Archivs der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde‘, Lambert Büchler (1785-1858), schrieb er am 23. März 1829: „Ranke ist ein vortrefflicher geistvoller Geschichtsschreiber, kennen E. H. seine Fürsten und Völker?“ [FuV I, 1827] (Briefwechsel VII/[1937?], 19). Epochemachend Neues wird auch bei diesem Lob an Ranke nicht entdeckt, und der Begriff der ‚historischen Kritik‘ scheint ein Fremdwort zu sein. Als erste der wenigen Stimmen, die sich publizistisch, also öffentlich, zu Rankes frühen Werken einfanden, ist die Karl August Varnhagen von Enses (1785-1858) zu nennen. Varnhagen hat in der ‚Spenerschen Zeitung‘ vom 12. Febr. 1825 die erste und für Rankes wissenschaftliche Laufbahn wichtigste Besprechung geschrieben, nicht mit der Qualifikation eines Fachhistorikers, doch aus der Position eines hochgebildeten und weltläufigen Allgemeinschriftstellers. Es heißt dort u. a.: „Wir begrüßen in ihm einen neuen Geschichtsforscher vom ersten Range“ (Varnhagen v. Ense/1825, Zitate nach 1833, 597). „Die Grundlage seiner Arbeit ist eine durchaus neue, umfassende Erforschung der Quellen, deren genaue Nachweisung im Einzelnen bei einem Werke dieser Art mit Recht geschehn ist. Diese Quellen sind aber selbst wieder der Gegenstand einer besondern Untersuchung geworden, und dieser Theil der Arbeit ist von vorzüglicher Wichtigkeit.“ (598) .... „Was dürfen wir von Hrn. Dr. Ranke nicht erst erwarten, wenn ihm vergönnt wird, ein so ergiebiges Quellenstudium ... durch Benutzung so vieler noch unerforscht liegender Schätze der Vorzeit in den Ländern selbst, welche hierzunächst in Betracht kommen, zu erweitern.“ (599. - Siehe dazu v. a. Wiedemann: L. v. R. und V. v. Ense vor R.s ital. Reise/1896, 197ff. und V. v. E.: Bll. aus d. preuß. Gesch. III/1868, 237f. - Äußerungen R.s über die Bespr. in Brief vom 19., nach Helmolt/1921,169, A. 41 nicht: 2. Febr. 1825 bei Wiedemann, Dt. Revue, Aug. 1896, 198). Der Neuigkeitshinweis Varnhagens mag hinsichtlich der Rankeschen Quellenobjekte zutreffend sein, hinsichtlich der angewandten Methode ist er unzutreffend, wurde auch von der damaligen Fachwelt nicht aufgegriffen. Varnhagens privates Urteil ist differenzierter. In einem Brief an Carl von Rotteck (1775-1840), 28. Juli 1825, heißt es erstaunlich weitsichtig: „Dieser junge Mann wird [!] in der Wissenschaft Epoche machen. Doch in der Wissenschaft genügt hier vielleicht am wenigsten, in der Welt bei weitem nöthiger! Die Geschichte steht in dem Anspruch auf allgemeine Theilnahme am nächsten der Poesie, in beiden haben gelehrte esoterische Werke nur einen halben Werth“ (Rotteck/1843, 249f.). - Vermutlich Christian Daniel Beck (1757-1832), bei dem Ranke in Leipzig altphilologische Vorlesungen gehört hatte, verfaßte in dem von ihm herausgegebenen ‚Allgemeinen Repertorium der neuesten in- und ausländischen Literatur für 1825‘, das nicht nur in Leipzig, sondern auch in Wien erschien, eine wohlwollende Besprechung des Doppelwerkes, in der er die mit „Umsicht“ durchgeführte, lehrreiche „strenge Musterung“ der Quellen lobte (341). Auch sei Ranke eine „strenge Darstellung der Thatsachen ... erstes Gesetz“ gewesen, „ein zweites die Entwickelung der Einheit und des Fortgangs der Begebenheiten“, der Vortrag sei „meist gedrängt“ und habe „eigene Wendungen“, sei aber „gehaltvoll und kräftig“ (339). Zwar hält Beck Rankes Werk für geeignet, „manche schöne Erwartungen für die Zukunft“ zu erregen (338), doch ist keine Rede von einer wissenschaftlichen Sensation oder gar einer Begründung der längst begründeten Geschichtswissenschaft.

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I/2.1.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - Frühwerk und Gründungssage

Auch das Jahr 1826 brachte positive fachliche Stimmen hervor. In den ‚Wiener Jahrbüchern der Literatur‘ war es wohl Josef von Hormayr (1781-1848), der eine sehr ausführliche, zumeist nacherzählende und zitierende Besprechung des Rankeschen Erstlings verfaßte: „Werke ... wie das vorliegende Rankes, wie [Karl Adolf] Menzels Geschichte der Deutschen, wie Raumers Hohenstauffen, halten den Glauben an deutsche Kraft und deutschen Fleiß mächtig aufrecht.“ (Hormayr/1826,1). Hormayr widmete sich v. a. der Rankeschen Darstellung Maximilians, die er ausdrücklich mit der Hormayrs, vermutlich seiner eigenen, verglich („... treffen in den Grundzügen haarscharf zusammen“, 16). Mit gleicher Ausführlichkeit würdigt der Rezensent den Anhang ‚Zur Kritik‘, der nach der „wahren Historiographie“ der voraufgehenden ‚Geschichten‘ eine „wahre Historiomathie“ darstelle (26). - Einige Ausstellungen („Gar zu wenig finden wir bey Ranke über die Angelegenheiten Ungerns“, „...hätte auch Maxens Stellung zum deutschen Ritterorden in Preußen ... erwähnt werden sollen“, 39) vermochten nicht das Gesamturteil zu beeinträchtigen, daß es sich bei Rankes Werk um „eine der erfreulichsten Erscheinungen des letzten Jahrzehnds“ [!] handele (ebd.). - Der erfahrene Breslauer Literatur- und Historiographiehistoriker Johann Friedrich Ludwig Wachler (1767-1838) nahm im selben Jahr 1826 in die vierte Auflage seines ‚Lehrbuchs der Geschichte zum Gebrauche in höheren Unterrichtsanstalten‘ folgenden allgemeinen Satz auf: „Das vollständige Studium (der neueren Geschichte) wird sehr erleichtert und gefördert werden, wenn mehrere den von dem wackeren Leopold Ranke betretenen Weg verfolgen.“ (p. VIII, nach Wiedemann VI/1891, 103). Doch nun regte sich auch bereits der später zu massiver Kritik schreitende streitbare Heinrich Leo (1799-1878) in seiner Ausgabe der ‚Briefe des Florentinischen Kanzlers und Geschichtschreibers Niccolo di Bernardo dei Machiavelli an seine Freunde‘ (Bln. 1826). Leo war, wie Ranke, 1825 ein Geschichts-Extraordinariat in Berlin zuteil geworden. Seine Briefausgabe enthält in dem der Charakteristik Machiavellis und Guiccardinis geltenden Vorwort Anspielungen auf Rankes Beurteilung Machiavellis in der Beilage ‚Zur Kritik‘ und ist damit Vorläufer der in seiner Besprechung verdeutlichten und ausgeweiteten Kritik; u. a. liest man in der Briefausgabe Folgendes: Wie Machiavelli „früher wegen Eigenschaften, die er nie besaß, oft heftig getadelt worden ist, so ist er neuerdings wegen anderer angedichteter Eigenschaften meiner Ansicht nach eben so unpassend gelobt worden“ (p. IV). - Des weiteren direkt nur noch: „Eine Vergleichung bestimmter einzelner Stellen aus der Politik des Aristoteles mit Stellen aus dem Buche vom Fürsten, hat ganz kürzlich Herr Professor Ranke in seinem Werke ‚Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber‘, S. 195 angestellt.“ (p. XX, Fn.). Dazu ist Rankes Brief an Leo vom 21. Apr. 1826 (SW 53/54, 155-157) zu vergleichen. - Eine Besprechung der Schlosserschen ‚Universalhistorischen Uebersicht der Geschichte der alten Welt und ihrer Kultur‘, die Leo 1827 in den ‚Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik‘ verfaßte, nannte Ranke zwar nicht, doch enthielt sie ausführliche, schon Droysen und Dilthey nahe stehende Reflexionen über das Problem der „Wahrheit des Geschehenen“ - „ ... nicht die Bestimmtheit des Geschehenen als eines bloß Geschehenen“ sei „das geistig Interessante daran ... sondern dieses andere, daß das Geschehene ein geistig reflectirtes, ein vom Geist durchdrungenes und von ihm Zeugniß ablegendes sei“ (Sp. 355) - welche wiederum als Vorgriff auf seine direkte RankeKritik von Bedeutung sind. Zunächst konnte sich Ranke noch in Sicherheit wiegen, denn Leos später berühmte Besprechung des Doppelwerks von 1824 erschien erst 1828 unter der von Herausgeberseite erzwungenen Anonymität bzw. Pseudonymität ‚H. L. - 130 -

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Manin‘ (dazu Leo: Replik/1828, Sp. 352) in den Ergänzungsblättern der ‚Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘. Sie hätte bei einem früheren Erscheinen eine ernste Gefahr für Rankes Karriere dargestellt, denn es hieß darin nach Heranziehung zahlreicher, zumeist überzeugender Beispiele: „Fassen wir Alles, was wir über dieses Werk zu sagen haben, in Ein Urtheil zusammen: so ist es folgendes. Die Quellen, woraus Hr. R. zu schöpfen hatte, hat er fleissig, aber ungenau gelesen - sein politisches Räsonnement ruht nirgends auf einem festen Grund vorausgegangener, staatswissenschaftlicher Studien; nirgends weiss er das politisch Wichtige von dem Unwichtigen zu unterscheiden. - Sein Urtheil ist die Aeusserung eines nicht zu klarer Einsicht durchgebildeten Gefühles - sein ganzer wissenschaftlicher Charakter ist mehr der eines Dilettanten, als eines ernst Forschenden, und sein Buch daher für jeden unbrauchbar, der etwas Anderes darin sucht, als das, was eben Hn. R. an der Geschichte der Zeit von 1494-1535 subjectiv interessirt hat. - Dieses Einmischen seiner Subjectivität geht bis auf den Grad, daß er zuweilen ausdrücklich (wie z. B. S. 310), zuweilen ohne es zu sagen, seine Leser ǀ nicht mit der Geschichte, sondern bloss mit seinen Phantasieen unterhält. Wessen Bildung nun eine ähnlich subjective Wendung genommen hat, der mag sich an dem Buche erfreuen; Rec. prophezeyt desshalb Hn. R. besonders bey gelehrten Weibern viel Beyfall. [Gewiß eine Anspielung auf Rankes Umgang mit Bettina von Arnim und Rahel Varnhagen] - Nutzen kann niemand daraus schöpfen, denn für den minder Gelehrten, der aber gründliche, historische und politische Belehrung sucht, ist das Buch zu leichtferig und durch die kauderwelsche Sprache zu unverständlich; den eigentlich Gelehrten überhebt es aber auch durch keine Zeile der Mühe, selbst an die Quellen zu gehen, da nirgends in dem Werke ein zuversichtliches Vertrauen erweckt wird.“ (Sp. 139f.). Leo spricht in überzogener Weise und destruktiver Tendenz auch von „jugendlicher Verirrung“ (Sp.129) „weinerlicher Menschenliebe“ (Sp. 133), „weibisch abergläubischen Beobachtungen“ (Sp. 137), vor allem aber seien die Urteile Rankes „ohne philosophische Bildung und überhaupt ohne eigentliche Wissenschaft“ (ebd.). Ranke, den diese während seiner archivbedingten Abwesenheit von Berlin erschienene „teuflische Recension“ (an HR, 16. [bis Ende] Apr. 1828, SW 53/54, 196) schwer erschütterte, replizierte seinem „Feind und bösen Schulmeister“ (Ranke: Replik/1928, Sp. 196), der „sehr viel Böses“ von seinem Werk gesagt habe (Sp. 193), im Mai in der ‚Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ auf eigene Kosten und auf eher unbeholfene Weise, die manche angeblich „kleinmeisterlichen und gehässigen Wortklaubereien“ seines Kritikers überging (Sp. 196). Vor allem ist die Zurückweisung der durch Hegel geschulten Kritik Leos (H. L. Manin/1828, 137) an der leichtfertig und unnötig hochgreifenden Sentenz „In dem entscheidenden Augenblick tritt allemal ein, was wir Zufall oder Geschick nennen, und was Gottes Finger ist“, wobei ihm Ranke letztlich als „sentimentaler Abergläubischer“ erschien (H. L. Manin/1828, Sp. 137), wenig überzeugend (Ranke: Replik/1928, Sp. 198). Leo wiederum - diesmal mit seinem Namen - kündigte dort noch am 31. Mai eine Replik, eigentlich Duplik, an, welche bereits im Folgemonat im Intelligenzblatt der ‚Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ erschien. Nachdem er auf die Punkte von Rankes Replik eingegangen war, bemerkte er (Sp. 311:) „... was soll ich nun, nachdem ich gezeigt, wie Alles, was er unter No. I und II gegen meine Recension sagt, völlig schiefes und nichtswürdiges Geschreibsel ist, zu No. III sagen, in welcher Partie seiner Antikritik er abermals an den Rändern und auf den Rainen der Philosophie herum - 131 -

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taumelt, und den Stellen meiner Recension, die ihn aufmerksam machen sollten, doch ein wenig klarer sich über seine Gedanken Rechenschaft zu geben, ehe er sie niederschreibt, und die zugleich das Publicum warnen sollten, sich durch den gemüthlich religiösen Anstrich des Buches nicht [Sp. 312:] beschleichen zu lassen, eine Deutung unterlegt, als hätte ich es gewissermassen auf seinen bürgerlichen Ruin abgesehen, ihn verketzern, Verläumdungen und Insinuationen gegen ihn ausstreuen wollen? Alles, was ich gegen ihn gesagt habe, bezieht sich bloss auf sein Buch, Alles habe ich urkundlich belegt aus seinem Buche selbst - ...“ [Kursivierungen i. T.]. Leo gab sich später versöhnlich. In der Vorrede seiner ‚Geschichte der italienischen Staaten‘, Fünfter Theil [und Fünfter Band]. Vom Jahre 1492 bis 1830‘, 1832 erschienen, brachte er einen wohlwollenden Hinweis auf Ranke: „Da nun überdies die neuere Geschichte Italiens ganz im Argen gelegen hat, bis sich Ranke ihrer annahm...“, und er weist darauf hin, für sein eigenes Werk „einzelne Beiträge zur Geschichte dieser Zeit von Ranke und von Raumer...“ (IX) benutzt zu haben. Dabei handelt es sich um Rankes doppelbändiges Erstlingswerk, um die ‚Fürsten und Völker‘ I und um ‚Ueber die Verschwörung gegen Venedig‘, und dies geschieht ohne die Geringschätzung seiner voraufgehenden Rezension. Zurück ins Jahr 1828. Auch die gänzlich unpolemische Besprechung des ErstlingsDoppelwerkes durch einen Anonymus der ‚Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ vom Februar 1828 war für Ranke nicht durchweg erfreulich. Der Rezensent lobte zwar mehrfach die unbedingte Wahrheitssuche des Forschers Ranke, widersprach ihm jedoch in einem wesentlichen, in der Tat problematischen Punkt, dessen vergleichsweise differenzierte Erörterung auch den Schwerpunkt der Besprechung bildet: die von Ranke angenommene und nach seinem Tod häufig unreflektiert übernommene These von der Einheit der romanischen und germanischen Völker. Diese sah der Rezensent zu Recht „mehr in der Phantasie als in Wahrheit begründet“ an ([Anonym: Bespr. von GRGV und ZKritik]/1828, Sp.185). Zudem bleibe Ranke bei der Ausführung des Gedankens selbst „nicht getreu seiner Idee“, denn es mangele an einer Darstellung des Gemeinschaftlichen und Zusammenhängenden (188). Damit verbunden wurde auch die zwar klarer als bisher gezeichnete, jedoch unangemessen übergewichtige Darstellung Italiens gegenüber den anderen unter den Begriff fallenden romanischen und germanischen Völkern beanstandet (ebd.). Rankes Erstlingswerk konnte auch verlegerisch keineswegs als erfolgreich gelten. Vielmehr ist es recht befremdlich, daß gerade dieses Werk über lange Zeit buchhändlerisch gesehen gänzlich entschwand. Reimer, der Verleger der Erstauflage, bat in einem Brief an Ranke vom 10. 12. 39 um ein neues Werk für seinen Verlag und befaßte sich zugleich mit der zwischen ihnen eingetretenen Entfremdung, wobei er bemerkte: „...Rührt es vielleicht daher, dass Ihr erstes Buch, womit Sie sich Bahn in der Literatur brachen und Ihren Ruf begründeten, nicht den gewünschten Erfolg gehabt hat? Ich habe das wenigstens nicht verschuldet und darf ehrlich und treu versichern, dass ich bisher noch weniger Genuss davon gehabt habe als Sie, indem der bisherige Absatz nicht einmal zur Deckung der Kosten gedient hat...“ (Schwarz/1923, 119, A. 3). Das Werk erlebte erst nach 50 Jahren eine zweite Auflage, und dies nicht aufgrund einer über die Jahrzehnte hin aufgestauten, sich verstärkt bemerkbar machenden allgemeinen Nachfrage, sondern aus Gründen der Vollständigkeit innerhalb der ‚Sämmtlichen Werke‘. Die Genehmigung des Erstverlages Reimer zur Aufnahme in die bei Duncker und Humblot erscheinende Gesamtausgabe wurde 1866 ohne jeden Wider- 132 -

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stand erteilt, denn, wie man Ranke in einer Unterredung eröffnete, werde das Buch „fast gar nicht mehr gekauft“ (R. an G. Reimer, 20. 11. 66, unveröff., SBB/PK Archiv Walter de Gruyter). Woraus auch ersichtlich ist, daß die geringe erste Auflage selbst nach über vierzig Jahren nicht zur Gänze abgesetzt war. Einen weiteren Hinweis auf die schwache bzw. nicht existente internationale Wirkung des Werkes bietet auch die Tatsache, daß zu Rankes Lebzeiten keine Übersetzung erschienen ist. Sein in der Vorrede des Erstlingswerkes enthaltenes Diktum - „... bloß sagen, wie es eigentlich gewesen“ (GRGV/1824, VI) -, „the most famous statement in all historiography“ (Krieger/1979, 4) kam, was für die Historiographiegeschichte des 19. Jahrhunderts zu denken gibt, erst im 20. Jahrhundert zu dieser Wirkung. Zu den verlegerischen Misserfolgen sind neben Rankes Erstlingswerk, den beiden folgenden Werken und der ‚Historisch-politischen Zeitschrift zunächst seine 18471848 in drei Bänden erschienenen ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ zu zählen, wovon lediglich der erste Band in eine zweite Auflage gelangte. Das Werk ist, wie sich zeigen wird, ohnedies sein am meisten verurteiltes, und das geschah nahezu einhellig. Bedeutende Erfolge als Autor erzielte Ranke mit keinem seiner frühen Werke. Nicht sein Erstlings-Doppelwerk hat ihn bekannt gemacht, sondern seine ‚Römischen Päpste‘. Dieses Werk war auch das einzige, das im Ausland erfolgreich in Erscheinung trat, freilich nur in England. Das Jahr 1828 hielt für den archivreisenden Ranke noch weiteres Ungemach bereit. Nicht nur war in Berlin das seine Karriere in Preußen gefährdende „boshafte Gerücht“ entstanden, er sei in Wien katholisch geworden, so schrieb Bettina am 5. Mai an Achim von Arnim, (Briefwechsel II/1961,728), auch eine seinem Ansehen abträgliche Bloßstellung aus dem Munde höchster philosophischer Autorität traf ihn. Während Hegel seinem ehemaligen Hörer Leo einige Förderung zukommen ließ (Maltzahn, Christoph Freiherr von: Leo, Heinrich. In: NDB 14/1985, 243-245), durfte sich Ranke dieses Wohlwollens nicht erfreuen. Vielmehr stellte der Philosoph ihn während einer Vorlesung bloß. Bei der kommunikativen Dichte der Berliner Verhältnisse darf man annehmen, daß sie dem Kritisierten alsbald zugetragen wurde. Bisher war freilich nicht ganz klar, wann Hegel Ranke vorgeführt hat, denn Hegel hielt seine Vorlesung über die Philosophie der Weltgeschichte vom Wintersemester 1822/23 an in zweijährigem Turnus, jeweils wöchentlich vierstündig, also fünfmal, das letzte Mal im Wintersemester 1830/31, wie Johannes Hoffmeister in seiner „neuen kritischen“ Ausgabe der Sämtlichen Werke Hegels erklärt (Bd. XVIII A, I. Teilbd./1955). Auch Heinrich Leo hatte sie in ihrer frühen Form gehört (Maltzahn, 243). Den ersten Entwurf u. d. T. „Arten der Geschichtsschreibung“ hielt Hegel 1822 und 1828. Laut Hoffmeister (15, Anm. g) ist es die einzige Stelle in Hegels Werken, wo der Name Rankes erwähnt ist, also auch nicht in der erheblich veränderten Fortführung der Vorlesung im WS 1830/31. Da 1822 nicht in Betracht kommt, ist anzunehmen, daß nicht nur Rankes Name, sondern der, wie zu vermuten ist, erst durch ihn veranlaßte ganze Abschnitt, 1828 in den Vorlesungstext gelangte, als Ranke fern von der Berliner Universität in Italien weilte. - (Klammern beiderlei Art und Sperrungen sind der Edition entnommen:) „Gegen d[iese] allgemeine Weise [versuchen gewisse Geschichtschreiber,] wenigstens, wenn nicht diese Lebendigkeit der Empfindung, doch [die] der Anschauung, der Vorstellung dadurch [zu gewinnen,] daß [sie] a l l e e i n z e l n e n Z ü g e gerecht, lebendig darstellen, nicht durch eigene V e r a r b e i t u n g die alte Zeit reproduzieren wollen, sondern durch s o r g f ä l t i g e T r e u e ein Bild derselben geben. [Sie] lesen diese allent- 133 -

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halben her zusammen (Ranke). Die bunte Menge von Detail, k l e i n l i c h e n I n t e r e s s e n , Handlungen der Soldaten, P r i v a t sachen, die auf die p o l i t i s c h e n Interessen keinen Einfluß haben, - unfähig, ein Ganzes, einen allgemeinen Zweck [zu erkennen]. [Eine] Reihe von Zügen - wie in einem Walter Scott’schen Roman - überall her aufzulesen, f l e i ß i g und mü h s e l i g zusammenzulesen, - dergleichen Züge kommen in den Geschichtschreibern, Korrespondenzen und Chronikenschreibern vor, - solche Manier verwickelt uns in die vielen zufälligen Einzelheiten, [die] historisch w o h l r i c h t i g [sind]; aber das H a u p t i n t e r e s s e [wird durch sie] um nichts klarer, im Gegenteil verworren...“ „[Man sollte] dies den Walter S c o t t ’ s c h e n R o m a n e n überlassen, diese A u s ma l e r e i im Detail mit den kleinen Zügen der Zeit, wo die Taten, Schicksale eines einz[elnen] Individuums das mü ß i g e Interesse ausmachen, auch das g a n z P a r t i k u l ä r e | von dem g l e i c h e n I n t e r e s s e ; aber i n G e mä l d e n v o n d e n g r o ß e n I n t e r e s s e n d e r S t a a t e n , in diesen verschwinden jene Partikularitäten der Individuen. Die Züge sollen charakteristisch, b e d e u t e n d für den Geist der Z e i t sein, - dies ist zu leisten auf eine höhere, würdigere Weise, [nämlich dadurch, daß] die p o l i t i s c h e n Taten, Handlungen, Situationen selbst zur Geltung kommen, daß das A l l g e me i n e der Interessen in ihrer Bestimmtheit [dargestellt wird].“ (15f.). Daß Hegel in Ranke keinen bedeutenden Neuerer sah, auch keinen Blick auf das grundlegende, zukunftsträchtige empiristische Phänomen der historischen Kritik warf, nimmt nicht Wunder, kann aber als beiderseitig bezeichnend vermerkt werden. Auch August Wilhelm v. Schlegel (1767-1845), den Ranke im Hause des Verlegers Andreas Reimer kennengelernt hatte (s. II, 460), verspottete ihn. Allerdings kennt man die Gründe nicht. Varnhagen schrieb am 4. März 1829 an Rahel: „Ueber Ranke spottet Schlegel wie über einen Schuljungen“ (Briefw. Varnhagen/Rahel VI/1875, 317). * Die Freude an seinem zweiten Werk, den 1827 erschienenen ‚Fürsten und Völkern von Süd-Europa‘, hatte Ranke noch in Berlin mit den Arnims, vornehmlich mit der bereits zitierten Bettina, geteilt, bevor er zu seiner ersten großen Archivreise in den Süden aufbrach: In einem Brief von Ende Juli 1827 schrieb sie - Ranke damals noch gewogen - darüber an ihren Mann Achim von Arnim (1781-1831): „Meine treuherzigste, wohlwollendste Gesellschaft ist Ranke, er kömmt die Woche ein paar Mal, sein Buch was eben herausgekommen, Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16ten und 17ten Jahrhundert, hat er mir für Dich geschenkt; es liest sich vortrefflich und ist so eingerichtet, daß auch der Zerstreuteste, Unteilnehmendste eingeführt wird, es wird Dir gewiß gefallen.“ (Achim und Bettina in ihren Briefen II/1961, 691). Auch Rahel Varnhagen (1771-1833) sah darin wohl zuallererst ein Werk der Literatur. In einem Brief an die Fürstin [Lucie] von Pückler-Muskau (1776-1854) schrieb sie am 6. Dez. 1828: „Ich werde mich eilen, Fürsten und Völker von Südeuropa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert von Ranke auszulesen - wunderschön - um es Ihnen zu schicken.“ (Rahel III/1834, 350). Ein Urteil, das bei den Verbindungen, die sie in Salon und Korrespondenz bis hin zu Goethe und Gentz pflegte, und dem Ansehen, das sie genoß, nicht ohne Belang war. Besprechungen zu ‚Fürsten und Völkern‘ - wie überhaupt zu Rankes Frühwerken konnten indes nur wenige, und auch nur solche mit geringer Bedeutung oder Eigentümlichkeit nachgewiesen werden. Die Besprechung eines Anonymus der ‚Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ vom Februar 1828 enthält wenig Charakteristisches und noch weni- 134 -

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ger Sachkundiges. Gelobt werden an diesem Werk eines „jungen, fleißigen Forschers“ (Sp. 177) neben der Heranziehung von Gesandtschaftsberichten (Sp. 178) die „vorzüglich gelungenen Schilderungen“ Karls V., Philipps II., Philipps III., Albas und Lermas (Sp. 179f.), allgemein: seine Klarheit und Gründlichkeit. Der offensichtlich liberale Rezensent betrachtet mit großer Emotion die angeblich das ganze Werk durchziehende „Schilderung des Fluches, welcher auf despotisch beherrschten Ländern und Völkern, ja auf den Despoten selbst und ihren Häusern liegt“ (Sp. 179). Auch über die „unerträgliche Last einer übermüthigen Aristokratie“ breche Ranke „bloß durch Erzählungen der Thatsachen ... den Stab.“ (Sp. 182). Diese beruflich und gesellschaftlich schädigende Sicht der Dinge dürfte Ranke kaum zugesagt haben. Beiläufig ist in der Besprechung nicht die Rede von historischer Kritik oder gar von der Begründung der oder einer neuen Geschichtswissenschaft. Mag sein, daß der liberale Freiburger Historiker Carl von Rotteck durch seine Korrespondenz mit Varnhagen zu einer Besprechung des Rankeschen Zweitwerkes ‚Fürsten und Völker‘ angeregt worden war. Für seine Verfasserschaft des anonym in den ‚Jahrbüchern der Geschichte und Staatskunst‘ vom Jahre 1828 erschienenen Beitrags spricht neben seinem Auftreten in der Mitarbeiterliste der Zeitschrift besonders das neuerliche Hervorkehren ‚freisinniger‘, antidespotischer Ranke-Zitate. Hier ist der Schluß erlaubt, daß Ranke in seinem vor Übernahme der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ erschienenen Frühwerk, nicht nur, wie naheliegend, in seiner ‚Serbischen Revolution‘, sondern auch in den ‚Fürsten und Völkern‘ (I), als ein dem Liberalismus nicht gänzlich fernstehender Historiker angesehen werden konnte, dies allerdings nicht wollte, denn er war dieser Bemerkungen „mit Erschrecken ansichtig geworden“. „Wie der Recensent denkt, ist der Sinn jenes Buches schlechterdings nicht“, schrieb Ranke abstoßend besorgt an Heinrich Ritter, „vielmehr eher das Gegentheil und lauter Loyalität“ (22. 3. 28, SW 53/54, 193). - Der Rezensent betont die frühe Reife des Historikers Ranke und lobt Darstellung und Quellenarbeit. Doch unmittelbar auf seine Besprechung von Rankes ‚Fürsten und Völker‘, Bd. I folgt eine solche von G. A. H. Stenzels ‚Geschichte Teutschlands unter den fränkischen Kaisern‘, Bd. I., Leipzig 1827, und an deren Ende mußte Ranke lesen: „Ein Werk dieser Art zeigt die Kraft des Einzelnen, und sichert seinem Namen den Ehrenplatz in den Reihen der ausgezeichneten Geschichtsschreiber des teutschen Volkes und Reiches.“ (221f.). Der in Rottecks genannter Besprechung über Ranke erhobene Gustav Adolf Harald Stenzel (1792-1854), erster professioneller, stark quellenkritisch orientierter Historiker, mit dem Ranke während seiner Leipziger Studienzeit in belehrende Berührung gekommen war, hatte in eben dieses Werk auch eine Anspielung auf Rankes ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ und deren Beilage eingebracht, indem er schrieb: „Es durfte ferner nicht alles mühsam Erforschte gegeben, vielmehr mußte die Untersuchung unterdrückt, nur das Ergebnis mitgetheilt und immer der falsche Schimmer der Gelehrsamkeit vermieden werden, welcher das Lesen vieler Deutschen Geschichtswerke so beschwerlich macht.“ (Stenzel I/1827, p. VIIIsq.). In Band II (1828, 3) jedoch lobte der mittlerweile in Breslau zum Ordinariat Aufgestiegene die von Ranke in ‚Zur Kritik‘ vollzogene „…meisterhafte Beurtheilung der Glaubwürdigkeit einzelner Schriftsteller…“ Über die später zwischen ihm und Ranke aufgetretenen Spannungen wird im Zusammenhang mit der ‚Preußischen Geschichte‘ zu sprechen sein. Eine in Nordamerikas erster Literatur-Zeitschrift, der ‚North American Review‘, im Oktober 1830 anonym erschienene Besprechung der ‚Fürsten und Völker‘ ist doch nicht - 135 -

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so ertragreich, wie man gern gesehen hätte. Aus Rankes und zwei Werken von Joseph von Hammer stellte sie einen kurzen Überblick über die Gründe des Niedergangs des Osmanischen Reiches zusammen. Ranke wird nur einmal - wohl zum ersten Mal auf dem amerikanischen Kontinent - kurz erwähnt mit einer auf die venezianischen Relationen bezüglichen Bemerkung: „Several modern authors have availed themselves of these historical treasures; and in the valuable work of Mr. Ranke, Professor of History at Berlin, the title of which is placed at the head of this article, we see the fortunate result of a diligent and judicious study of them.“ (293). Rankes ‚Fürsten und Völker‘ wurden erst nach 10 Jahren wieder aufgelegt, vermutlich, um die zu dieser Zeit erscheinenden Bände II-III, die freilich keine wirkliche Fortsetzung von Bd. I bildeten, äußerlich angebotsmäßig abzurunden. So wurden sie denn auch zusammen mit dem ersten, 1834 erschienenen Band der ‚Päpste‘ in den ‚Ergänzungsblättern zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ (A. H. L. [Heeren?] und A. Schr./1837) besprochen. Indes verdient die Besprechung des ersteren Werkes diesen Namen nicht, da sie sich in einer nahezu stichwortartigen ‚Inhaltsangabe‘ erschöpft. Auch die ‚Observations sur la marche, le caractère et l’état actuel des études historiques en Allemagne‘, die Rotteck im September und Oktober 1840 in der Pariser ‚Académie des sciences morales et politiques‘ las und die im Folgejahr sowohl in deren ‚Mémoires‘ als auch in deutscher Fassung in ‚Dr. Carl von Rotteck’s gesammelten und nachgelassenen Schriften‘ erschien, sagt über Ranke wenig aus. Hier ist nicht von etwaigen Verdiensten um die historische Kritik, auch von keiner neuen Methode, nicht einmal von Darstellungskunst die Rede. Rotteck sieht in seiner sehr summarischen Skizze, beginnend mit dem 15. Jahrhundert, die Entwicklung der historischen Literatur vornehmlich in Zusammenhang mit der des Freiheitsgedankens, nennt in enzyklopädischer Manier eine große Zahl deutscher Historiker, erwähnt Ranke nur sehr beiläufig und einschränkend als Verfasser der falsch zitierten und v. a. datierten ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘: „Une période un peu postérieure, et qui touche aux temps modernes, a été explorée par L. Ranke, dans son Histoire des peuples romans et germains des XVIe et XVIIe siècles (1827).“ (Rotteck: Observations/1841, 657). Im Jahre 1840 waren jedoch bereits erschienen: ‚Zur Kritik‘, ‚Fürsten und Völker‘ I, ‚Päpste‘ I-III und ‚Deutsche Geschichte‘ I-III. Die deutsche Fassung der ‚Observations‘ ist um ein Werk ausführlicher: „Eine etwas spätere, den Anfang der neuen Zeit umfassende, Periode bearbeitete L. Ranke, gleichfalls aus von ihm sorgfältig erforschten, zum Theil bisher noch unbenützten Quellen in seiner ‚Geschichte der romanischen und germanischen Völker von 1494-1535 (1824), und in dem Werke ‚Fürsten und Völker des sechzehnten und siebenzehnten Jahrhunderts‘ (1827)“, - kein Wort über Rankes ‚Zur Kritik‘ (Rotteck: Betrachtungen/1841, 392). - Pascal Duprat wartete in seinen ‚Études critiques sur les historiens allemands contemporains‘ in der Pariser ‚Revue indépendante‘ von 1843 mit einer nicht ganz abzuweisenden weitreichenden fachlichen Kritik auf: Ihm erschien es unverständlich, weshalb Ranke in seinen ‚Fürsten und Völkern‘ nicht - Hammer und anderen folgend - tiefer in orientalische Quellen eingedrungen war (Duprat/1843, 379). Der noch weiterhin zu betrachtende Frühmarxist Karl Friedrich Köppen konnte über die von Ranke bei seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ der Jahre 1832 bis 1836 eingenommene ‚Haltung‘ nicht hinwegsehen und warf 1841 für das Werk ‚Fürsten und Völker‘ des „ Hofmannes“ Ranke die nicht zu beantwortende Frage auf: „Wo sind die Völker geblieben?“ ([Köppen]/1841, Sp. 432). - Eine wohl von Jacques de Mas Latrie (1815-1897), damals Secrétaire der ‚Société de l’Ecole des Chartes‘, stammende Bespre- 136 -

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chung einer in Frankreich erschienenen Übersetzung stieß sich daran nicht. Das lobende Kurzreferat des ‚ausgezeichneten‘ Werkes schloß mit einem einzigen, auch in Deutschland häufig zu vernehmenden Vorwurf: „c’est de manquer de développements suffisants“. Diesen Mangel des Rankeschen „laconisme“ habe der Übersetzer [!] erfreulicherweise durch lektüreerleichternde Anmerkungen zu beheben gesucht (J. M./1844, 477). Spätere Anzeigen von Neuauflagen des Werkes haben nur noch nichtssagenden Routinestatus. Dies gilt jedenfalls für die kurze wohlwollende Anzeige des „most valuable sketch, well worthy of the hand of the veteran, whose store of knowledge appears to be inexhaustible“ in einem Heft von 1878 der Londoner ‚The Academy’ ([Anonym:] [Bespr. von FuV I,4]/1878, 164), gilt auch für die Besprechung, welche Rodolphe Ernest Reuss 1878 in der Pariser ‚Revue historique‘ erscheinen ließ. - Eine erste Übersetzung des Werkes war 1839 in Frankreich erschienen. Eine erste englische Übersetzung trat 1843 hervor, eine spanische 1857, schließlich eine türkische im Jahre 1971. * Zu den bedeutenden frühen, nichtöffentlichen Stimmen gehört die Goethes, der sich aufgrund eines Dedikationsexemplars von Rankes 1829 erschienenem dritten Werk, der ‚Serbischen Revolution‘ äußerte, - wenn auch nicht Ranke, sondern dessen Verleger Friedrich Christoph Perthes gegenüber. Der vorgebliche Allein-Verfasser des ‚Büchleins‘ durfte sich eines ersehnten persönlichen Kontakts mit dem Dichterfürsten allerdings nicht erfreuen, wohl vor allem, da Goethe bereits ein Jahr nach Rankes Rückkehr aus Italien starb. Am 15. März 1829 hatte er einen Tagebucheintrag verfaßt: „Ich las nachher Professor Ranke Serbische Revolution, ein verdienstliches Büchlein, das ich so eben von Perthes erhalten hatte.“ (Goethes Tgbb., XII/1901, 39). Schon am folgenden Tag „endigte“ er „gedachtes Werk“ (ebd.). An Perthes schrieb er: „Weimar [etwa 16.] März 1829“, „[Concept] Ew. Wohlgeboren gefällige Vermittelung hat mich abermals mit einem angenehmen Büchlein bereichert, welches über die serbischen Zustände hinlängliche Auskunft gibt. Des Verfassers beygelegter Brief ist aus Venedig datirt; mein Dank wird ihn durch Ihre Geneigtheit wohl eher zu treffen wissen, als es unmittelbar von mir geschehen könnte.| Eine frühere, auch in Ihrem Verlag herausgekommene Schrift [FuV I] kenn ich nur dem Titel nach, allein die gegenwärtige gibt mir auch für seine Person besonderes Interesse. Er unterschreibt sich [in seinem Brief vom 22. 1. 29, Goethe-Jb. 9, 1888, 74f.] als außerordentlicher Professor an der Universität von Berlin … Mögen Sie mir etwas Näheres von ihm, von seiner Herkunft, so wie von seinen nächsten Studien und Absichten mittheilen, so werden Sie mir eine besondere Gefälligkeit erweisen.“ (Goethes Briefe, 45. Bd./1908, 199f.). Goethe ist nicht der einzige getäuschte Bewunderer von Rankes ‚Serbischer Revolution‘. Auch Friedrich von Gentz wußte Ranke das Werk, nicht ohne Bedenken, näher zu bringen. Dieser schrieb am 28. April 1829 in sein durchweg höchst karges Tagebuch „ ... las den größten Teil einer neuen Schrift von Ranke über die Serbische Revoluzion“ (Tgbb. V/1920, 52) und am nächsten Tag: „ ... Die Lectüre von Ranke’s Buch vollendet.“ (Ebd.). Letztlich ist Barthold Georg Niebuhr (1776-1831) zu nennen, mit dem Ranke für kurze Zeit in einem geringen, wenn auch noch nicht ausreichend erfaßten Briefwechsel stand. Niebuhr erwähnte seinen jungen Kollegen in Briefen an den Historiker Jakob Philipp Fallmerayer (1790-1861), 14. Nov. 1828 (Niebuhr: Briefe III/1983, 396), an den Rechtshistoriker Friedrich Bluhme (1797-1874), 13. März 1829 (ebd., 433) und vor allem an den Verleger Friedrich Christoph Perthes (1772-1843), 21. Juni 1829. In - 137 -

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Niebuhrs Brief an Perthes heißt es: „Ich wünsche Ihnen grosses Glück zu Rankes Serbien, welches ich laut anpreise, wie Ihr Haus an den hier abgesezten Exemplaren | spüren wird. Es steht mir zu, zu sagen, dass dies kleine Buch, als Historie, das vortrefflichste ist was wir in unsrer Litteratur besizen. Ranke hat alles abgestreift was früher an seiner Manier störte. Ich habe das Buch auch nach England und Frankreich empfohlen.“ (ebd., 445f.). Überdies hat Niebuhr in der 39. Vorlesung an der Bonner Universität - über das Zeitalter der Revolution - geäußert: „Rankes Schrift über den servischen Aufstand ist die einzige vortreffliche Geschichte gleichzeitiger Ereignisse unserer Zeit; ein Werk, auf das wir Deutschen stolz sein können“. (Ebd, 446). - Es entbehrt nicht einer gewissen traurigen Ironie, daß das Abstreifen dessen, was früher an Rankes Manier gestört hatte, in der ‚Serbischen Revolution‘ vor allem Vuk Stefanović Karadžić zu danken war, der nicht nur die Faktizität, sondern unter Beihilfe von Kopitar weithin auch deren Anschauung und gelobte Darstellung geliefert hatte (s. II/1.1). Zu den prominenten Getäuschten gehörten neben Goethe, Gentz und Niebuhr später auch Johannes Scherr und Gustav Freytag. Scherr hielt die ‚Serbische Revolution‘ für Rankes vorzüglichstes Werk, bei dem dieser „das Volk schlechterdings nicht ignoriren“ konnte (Scherr/(1862) 1864, 177). Das entsprach dem frühen Ranke-Artikel des ‚Conversations-Lexikons der neuesten Zeit und Literatur‘ von 1833, dessen Anonymus gefunden hatte, Ranke habe im Vergleich mit seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ in seiner ‚Serbischen Revolution‘ „vielleicht unwillkürlich eine bei weitem freiere und liberalere politische Ansicht an den Tag gelegt“ (III/1833, 686). - Gustav Freytag (1816-1895) sah darin gar „das liebenswürdigste Buch Rankes“ (Gustav Freytags Briefe an Albrecht von Stosch/1913, 190. Brief vom 28. 3. 87). Im übrigen hat das Werkchen mit zwei bemerkenswerten Ausnahmen durchweg eine freundliche, aufgrund der kaum bekannten Thematik kenntnisarme und wenig besagende Aufnahme gefunden, schon früh auch in London, wo im Jahr des Erscheinens die ‚Foreign review and continental miscellany‘ ein bedeutungsarmes Referat hervorbrachte, welches gerade die - damals nicht zu klärende -„accuracy and authenticity“ der Tatsachen lobt (231). - Eine anonyme Besprechung der ‚Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ brachte ein Referat des „auf gutem Papier gut gedruckten Werkchens“ ([Anonym: Bespr. von SerbRev]/Okt. 1830, Sp. 246) mit Bemerkungen über die wesentlichen Unterschiede der serbischen und der griechischen Revolution. Daß eine mit K. gezeichnete Besprechung in den ‚Ergänzungsblättern zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ aus dem Jahre 1830 von Bartholomäus Kopitar stammt, ist eher unwahrscheinlich. Kopitar verfaßte zwar tatsächlich eine Besprechung - sie ist in einem Brief Rankes vom 24. April 1830 an seinen Wiener Förderer erwähnt (Brief bei Valjavec/1935, 17-19) -, Kopitar ist jedoch von allzu großer geistiger und sprachlicher - auch charakteristisch sprachmischender - Beweglichkeit, um den schlichten, überwiegend referierenden Text verfaßt haben zu können. Der Rezensent sieht die beiden Revolutionen „in der Hauptsache“ als gleich an (K./1830, 373) und schließt mit einem Lob der Sprache des Verfassers: „... kurz und kräftig, wie es die erzählten Thaten der Serbier selbst heischen, und lebendig genug, um das Interesse selbst an der Darstellung lebendig zu erhalten.“ (376). - Wesentlich später findet sich noch einmal eine Bemerkung zur Erstauflage des Werkes. Sie stammt aus Pascal Duprats bereits genannten ‚Études critiques sur les historiens allemands contemporains‘ in der Pariser ‚Revue indépendante‘ von 1843. Man schulde Ranke Dank, doch sei sein Werk aus einem rein militärischen Gesichtspunkt aufgefaßt: „Pourquoi ne nous a-t-il pas donné un livre plus complet sur ces peuples ...?“ (Duprat/1843, 385). Duprat wirft auch die - 138 -

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Frage auf, wie Ranke sich im Hinblick auf die Rolle des Milosch und den Tod des Georg Tserni bei den von ihm benutzen Dokumenten aus der Anhängerschaft des Milosch einseitig den für diesen in Deutschland gehegten Sympathien habe anschließen können (386). - Anläßlich der zweiten, erst nach 15 Jahren, 1844 erschienenen Auflage des Werkes gab ein Anonymus der ‚Literarischen Zeitung‘ den bedenkenswerten Hinweis, daß Rankes Schrift von 1829 eine „doppelte Bedeutung“ gehabt habe, „denn sie hat nicht allein über die bis dahin vielfach mißverstandenen oder unbekannten politischen und historischen Verhältnisse Serbiens in anziehender Weise aufgeklärt und die allgemeine Aufmerksamkeit auf einen wichtigen Punkt der orientalischen Frage gelenkt, - sondern sie hat selbst auf die innere Entwickelung der serbischen Verhältnisse, auf die seitdem gemachten Versuche einer Organisation anregend und fördernd hingewirkt.“ ([Anonym: Bespr. SerbRev 2. Aufl.]/1844, Sp. 1498). - Anonyme Besprechungen der englischen Übersetzung des Werkes in den Londoner Zeitschriften ‚Athenæum. Journal of English and Foreign Literature, Science, and the Fine Arts‘ und ‚Westminster and Foreign Quarterly Review‘ des Jahres 1847 boten überwiegend Referat und Auszüge des „opportune and important“ Buches (Athenæum, Nr. 1031, 31. Juli 1847, 807) oder des „excellent work“ (Westminster and Foreign Quarterly Review, Bd. 48, Nr. 94, Okt. 1847, 233). Letzteres mit dem Hinweis „In England, especially, less is known of Servia and its people than of almost any other portion of the world.“ (Ebd.). - Massive Kritik stellte sich nach Erscheinen der zweiten Auflage wohl nur von Seiten des Ranke-Schülers Heinrich Wuttke ein (Wuttke/1848, s. I, 69). Nachdem 1879 ein Drittdruck des Werkes von 1829 erschienen war, entselbständigt als Teil von ‚Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘, traten noch einige minder qualifizierte, beurteilungsarme Besprechungen auf, wie die der ‚Neuen Evangelischen Kirchenzeitung‘ (14. 8. 1880) oder des ‚Literarischen Centralblatts‘ (2. 9. 1882). Dies gilt auch für eine kurze Anzeige der ‚Revue historique‘ von 1881 aus der Feder des Slavisten Louis Léger (1843-1923), der immerhin auf serbische und russische Übersetzungen sowie auf die Arbeit des an Ranke sehr interessierten Saint-René Taillandier (1817-1879): La Serbie, Kara-George et Milosch (Paris 1872) aufmerksam machte. Dessen Werk beruht in weiten Teilen (u. a. 4, 14, 17, 23f., 30, 35, 46-48, 59f., 62, 72ff. usw.) auf Ranke (s. I, 146f.). - Hervorzuheben sind zwei Besprechungen: Georg Winter, zeitweilig Amanuense Rankes, verfaßte eine solche für die Berliner Wochenschrift ‚Die Gegenwart‘: Ranke habe zur Wiederaufnahme seiner serbischen Studien keinen geeigneteren Zeitpunkt wählen können als den jetzigen, wo die Emanzipation der Serben eine „vollendete Thatsache“ sei (Winter/1879, 361). Winter gibt eine allgemeine Einführung in die vier entstehungsgeschichtlich disparaten Schichten des Werkes und die von Ranke - „ohne selbst der serbischen Sprache mächtig zu sein“ verwendeten Quellen, wobei die Berichte Meronis besonders gewürdigt werden. Winters Sachkenntnis ist jedoch offensichtlich nicht ausreichend, um eine detaillierte Beurteilung zu bewerkstelligen. - Eine Besprechung der ‚Historischen Zeitschrift‘ von 1880 des Rezensenten G. H. erblickt in Rankes Werk „das bedeutendste“ unter den zahlreichen Erscheinungen seit dem letzten Krieg zwischen Rußland und der Pforte. Der Hinweis auf den Zusammenhang der inneren Zustände Serbiens mit der sie stärker beeinflussenden „jedesmaligen Konstellation der großen europäischen Politik“, der orientalischen Frage, stellt die Hauptaussage der Besprechung des Werkes dar, das sich durch eine „eben so geschmackvolle wie spannende und fesselnde Darstellung“ auszeichne (557). - 139 -

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Unter den Übersetzungen Rankescher Werke kann seine ‚Serbische Revolution‘ als vergleichsweise erfolgreich angesehen werden. Es sind englische (1847), russische (1857), serbische (1864) und türkische (1890), gelegentlich mit Folgeausgaben nachweisbar (s. II/9.3). - Auch die Forschungsliteratur der Nach-Ranke-Zeit ist nicht gering und hinsichtlich der Verfasserschaft des Werkes zu weitreichend beunruhigenden, jedoch noch nicht eindeutig ‚abschließenden‘ Ergebnissen gelangt (s. II/1.1). * Außerordentlich gering war das Echo auf Rankes 1831 erschienenes Werkchen über ‚Die Verschwörung gegen Venedig‘. Ein anonymer Rezensent der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ des Jahres 1832 kam nach einem kenntnisreichen Referat - wobei anerkannt wurde, daß es einem jungen deutschen Gelehrten nunmehr gelungen sei, „das völlig Willkürliche und Unhaltbare in Daru’s Hypothese aus Urkunden zu beweisen“ ([Rez. Nr.] 34./1832, 293) - zu dem Schluß: „So wahr es nun auch ist, daß diese ganze Begebenheit unbedeutend und gleichgültig im Vergleich zu Dem erscheinen mag, was täglich unter unsern Augen geschieht; so ist doch auch wahr, daß die Gegenwart trübe ist, die Durchforschung der Vergangenheit aber uns mit den klaren Augen reiner Wissenschaftlichkeit anblickt. Dank daher dem Verf. dieser wichtigen und anziehenden Schrift für das Licht über ein dunkles Ereigniß eben jener Vergangenheit, das sein Fleiß und seine mühevolle Forschung uns endlich völlig klar und übersichtlich gemacht hat.“ (296). - Ein anonymer Rezensent der ‚Foreign Quarterly Review‘, lieferte dazu 1832 eine der frühesten ausländischen Besprechungen eines Ranke-Werkes. Er sah das Interesse englischer Leser vor allem in der Beziehung zum „drama of Otway, and the recollection of Pierre and Belvidera“ [‚Venice preserv’d‘] und hielt, wie sein englischer Kollege, Rankes Schrift für eine triumphale Zurückweisung der Darstellung Darus. - Der Schriftsteller und zeitweilige Theaterdirektor Karl Immermann (17961840) war an der Historie und im besonderen an Rankes Werk sehr interessiert, wie auch sein später noch einmal heranzuziehender Briefwechsel mit Amalie von Sybel, der Mutter Heinrich von Sybels, zeigt. Immermann notierte am 27. April 1832 in sein Tagebuch: „Ich lese das Buch von Ranke über die Verschwörung gegen Venedig im Jahre 1618. Die Untersuchung lebhaft kritisch, an Lessing erinnernd. Auch darin Aehnlichkeit mit ihm, daß das eigentliche Resultat im Grunde unbedeutend ist, und die Hauptsache die Sachen sind, die sich so auf dem Wege dahin ergeben. Schöne und lebhafte Darstellung.“ (Immermann I/1870, 349). Wenige Monate später las ein anderer Literat, der Ranke seit ihrer Begegnung in Italien nahestand (s. II/7, 1829), August Graf von Platen, in Rankes ‚Verschwörung‘. Er fand sie, lakonisch, „sehr interessant“ (Platen: Tagebücher II/1900, 942). Das Werkchen erlebte erst nach 47 Jahren, und dies mit Aufgabe seiner Selbständigkeit, eine zweite Auflage. Doch war bereits 1834 in der Schweiz eine italienische Übersetzung erschienen, die erste, die überhaupt einem Werk Rankes zuteil wurde. Allerdings blieb es auch weltweit die einzige des Werkes. * Der Marburger Historiker Friedrich Rehm (1792-1847) soll Rankes Werke nicht für würdig befunden haben, in der Universitätsbibliothek aufgenommen zu werden (Guglia/1893, 319). Es nimmt daher nicht Wunder, daß er in seinem 1830 erschienenen bekannten, aber geistig bescheiden zugeschnittenen ‚Lehrbuch der historischen Pro- 140 -

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pädeutik und Grundriß der allgemeinen Geschichte. Zum Gebrauche bei academischen Vorlesungen entworfen‘, Ranke an keiner einzigen der in Betracht kommenden Stellen erwähnt, seine Vorrede vielmehr so beginnen läßt: „Die großen Fortschritte, welche die zu historischer Forschung und Kritik unentbehrlichen Elementar- und Hülfswissenschaften in den neueren Zeiten, besonders durch Kopp, Ideler und Ritter gemacht haben...“ (III). Doch er hatte als Anspielung auf Rankes ‚Fürsten und Völker‘ einen Seitenhieb parat: „Mit so vollem Rechte auch diejenigen Geschichtschreiber getadelt werden, welche statt der Völker nur die Regenten derselben, statt der Verhältnisse des öffentlichen Lebens nur die der hohen Familien berücksichtigen, und alle historische Erinnerung an berühmter Personen Namen knüpfen...“ (39). Dies blieb auch in der von Sybel bearbeiteten 2. Auflage von 1850 so stehen. Einige Werktitel Rankes wurden von ihm zwar den Literaturangaben dieser Auflage in nicht gerade akribischer Weise eingefügt, doch ist da die Nichtnennung der 1827 erschienenen ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa‘, Bd. I bereits auffallend und die Unterschlagung der ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ nebst ihrer Beilage ‚Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber‘ fast verstörend. Hier wie da wurde Ranke jedenfalls völlig unter Wert behandelt. Selbst Friedrich Christoph Schlosser (1776-1861), dem man im Vergleich mit Rehm einen erheblich größeren Weitblick zubilligen muß, nahm die kritische Leistung in Rankes Erstlingswerk, auf die doch alles ankam, nicht zur Kenntnis. ([Schlosser]/1831, 240-318). Desgleichen wird in dem erstaunlich wohlunterrichteten anonymen RankeArtikel des ‚Conversations-Lexikons der neuesten Zeit und Literatur‘ von 1833 (III, 685687) die kritische Beilage seines Erstlingswerkes nicht erwähnt und überhaupt von seinen Leistungen im Bereich der historischen Kritik nichts vermeldet, indes die aus den Gesandtschaftsberichten gewonnene Lebendigkeit seiner Figuren gewürdigt. Auch Georg Gottfried Gervinus (1805-1871), überzeugter Schlosser-Schüler und in dieser Hinsicht noch zu betrachten, nimmt Ranke längere Zeit nicht zur Kenntnis. In den 1838 erscheinenden, früh ‚Gesammelten kleinen historischen Schriften‘ des Göttinger Professors, mit Beiträgen der Jahre 1831 bis 1838, wird Ranke ebensowenig genannt wie in den 1837 erschienenen ‚Gründzügen der Historik‘, immerhin dreizehn Jahre nach Rankes angeblich epochemachenden Erstlingsschriften. - In seiner ‚Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen‘ (VIII/1866, 71f.) hat Gervinus Ranke recht positiv dargestellt, jedoch lediglich „die Eröffnung neuer Quellen und die Kunst der formalen Verarbeitung“ gelobt. Dabei kennt auch er die Titel der ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ wie auch der ‚Fürsten und Völker‘ nicht genau, nennt Rankes Beilage ‚Zur Kritik‘ nicht und läßt überhaupt dessen Verdienste um die historische Kritik wie auch eine mögliche wissenschaftsgründende und schulebildende Rolle gänzlich beiseite. Immer wieder auffallend der Unterschied in der öffentlich und privat geäußerten Beurteilung. In einer Gesellschaft in Rom, April 1867, zusammen mit Ferdinand Gregorovius, erklärte er, „die Bewunderung der Ranke’schen Geschichtschreibung nicht begreifen“ zu können (Gregorovius/1893, 239). Gewiß wäre Rankes vermeintlich epochemachende Leistung auch würdiger Gegenstand eines Artikels der gerade (1838) gegründeten ambitionierten ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ gewesen, dessen Titel lautete ‚Auf welchem Standpunkt steht die vaterländische Geschichtsforschung?‘, doch wurde Ranke in dieser Übersicht nur einmal kurz gestreift mit einer seine ‚Päpste‘ betreffenden Bemerkung (s. I, 219). - 141 -

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Stenzel immerhin vermerkte 1842 in einer Besprechung des Werkes von Heinrich von Sybel, ‚Geschichte des ersten Kreuzzugs‘ (Düsseldorf 1841), nachdem er sich einleitend mit allgemeinen Fragen der historischen Kritik und ihrer Entwicklung befaßt hatte, zu der in neuerer Zeit v. a. Dahlmann, Palacky und Ranke, ferner Kries, Loebell und Jacobi, Aschbach, Papencordt und Lappenberg Beispiele geliefert hätten, mit Einschränkungen, bezeichnend für das gespannte Verhältnis: „Auch Rancke [! Stenzel kannte aufgrund seines frühen Umgangs mit Ranke diese genealogisch korrekte Schreibweise und verwendet sie hier provokativ] hat den in seiner Schrift zur Kritik neuerer Geschichtschreiber im J. 1824 mit so glücklichem Erfolg eingeschlagenen Weg seitdem nicht ganz [!] verlassen. Er hat wenigstens [!] einen Kreis studirender Jünglinge um sich versammelt, welche dann im Lauf der Jahre schätzbare Beweise ihrer Thätigkeit und Kenntnisse gegeben haben.“ (Stenzel/1842, 541). Auch hier wird Ranke keine herausragende Rolle beigemessen. Der spät und schwach entfachte Funke historiographiegeschichtlichen Interesses war mittlerweile auf einige ‚Schulmänner‘ übergesprungen, doch wurde Ranke, dessen ‚Päpste‘ unübersehbar bereits in zweiter Auflage vorlagen, in den ‚Andeutungen über den Entwickelungsgang der deutschen Geschichtschreibung‘ aus der Feder des am königlichen katholischen Gymnasium in Gleiwitz tätigen historiographiegeschichtlich interessierten Theodor Liedtki völlig übergangen. In dieser Abhandlung zum Osterprogramm 1842 - später äußerte er sich in dieser Reihe noch ‚Ueber die philosophische Auffassung der Weltgeschichte seit dem Ende des vorigen Jahrhunderts‘ (1856) - nannte er stattdessen u. a. Friedrich von Raumer und Josef von Hormayr. Nach Auffassung Liedtkis und „nach dem Urtheile der Einsichtvollen“ gebührte Johannes von Müller „die erste Stelle unter den neuern deutschen Geschichtschreibern. So Glänzendes und Preiswürdiges auch nach seinem Hinscheiden auf dem historischen Felde erwachsen ist; durch dasselbe sind die ‚Geschichte schweizerischer Eidgenossenschaft‘ und die ‚24 Bücher der allgemeinen Weltgeschichte‘ nicht verdunkelt worden.“ (Liedtki/1842, 23f.). - Liedtkis Kollege am Stiftsgymnasium zu Zeitz, der Oberlehrer und Hegelianer Karl Friedrich Rinne, wandte sich in einem Kapitel ‚Von der objectiven Prosa überhaupt und der oratorischen und historischen insbesondere‘ seines Werkes ‚Innere Geschichte der Entwickelung der deutschen National-Litteratur. Ein methodisches Handbuch für den Vortrag und zum Selbststudium‘ zunächst der Betrachtung zu, „wie sich der subjectiv-objective oder der Charakter des realen Bewußtseins, der das 19te Jahrh. auszeichnet, an der eigentlichen Geschichtschreibung zeigt“ (Rinne, 2. Theil/1843, 607) und stellte fest, daß „ohne eine deutliche Idee der Freiheit ... eine Kunst der Geschichtschreibung nicht möglich“ sei (608), mußte allerdings konstatieren, daß diese Prinzipien bei den sodann aufgeführten Werken nicht nachzuweisen seien (609). Es folgt ein Überblick über eine Vielzahl von Historikern des 19. Jahrhunderts mit jeweils kurzen, v. a. bibliographischen Einträgen. - Bei Ranke (611) ist von Interesse, daß auch hier sein Erstlings-Doppelwerk nicht genannt wird, sondern lediglich ‚Fürsten und Völker‘ (I), ‚Päpste‘ (I-III) und die ‚Deutsche Geschichte‘ (I u. II). Der - sofern man von Besprechungen absieht - vielleicht erste ausführliche Rankemonographische Zeitschriften-Artikel überhaupt, die ‚Études critiques sur les historiens allemands contemporains. I. Léopold Ranke‘ in der Pariser ‚Revue indépendante‘ von 1843, aus der Feder von Pascal Duprat (1815-1885), später Minister der Dritten Republik, erwähnt weder ‚Zur Kritik‘ noch Rankes besondere Verdienste in diesem Bereich - 142 -

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und billigt im Gegensatz zu ‚Fürsten und Völkern‘ dem „essai“ der ‚Geschichten‘ keine „travail approfondi“ - lediglich eine „médiocre importance“ zu (373). Auch ziehe Ranke nicht die allgemeine Geschichte in ihrer Entwicklung an, ihn interessierten, wie zutreffend bemerkt wird, vorzugsweise die „époques les plus vives et les plus emportées“ (ebd.). Nicht genannt, so Ranke überhaupt, ist sein Werk auch in einem Vortrag von W. A. Schickedanz, ‚Ideen über Studium und Vortrag der Geschichte‘ (Vorgetragen im historischen Verein zu Münster, am 7. März 1843), 1844 erschienen, immerhin in der ‚Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde‘ (7/1844, 1-38). - Der dänische Historiker Frederik Schiern (1816-1882) war noch 1845 der übertriebenen Meinung, es gebe in Deutschland zwar „nicht wenige historische Forscher..., aber vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Schweizers Johannes Müller - keine ächte[n] Geschichtschreiber“ (Schiern, F.: Ueber die Entwickelung und den gegenwärtigen Standpunkt der Geschichtschreibung. [Aus dem Dän. übers.] In: Archiv für Geschichte, Statistik, Kunde der Verwaltung und Landesrechte, Kiel, Jg. 4. 1845, H. 2, 274-316, hier 275). - August Arnold (1789-1860), Schulmann und Redakteur mit starker Hinneigung zur Philosophie (s. [?] Richter: Arnold, August. In: ADB 1/1875, 584), der 1828 ein Schriftchen ‚Ueber den Begriff und das Wesen der Geschichte so wie ueber den Unterricht in derselben‘ (Gotha) verfaßt hatte, schenkte auch in seinem 1847 erschienenen Werk ‚Ueber die Idee, das Wesen, die Bedeutung, die Darstellung und das Erlernen der Geschichte nebst den Grundzügen des Entwicklungsganges der Menschheit‘ Ranke und seinem kritischen Werk und Wirken keine Beachtung, äußerte sich jedoch ausführlich über historische Kritik, wobei er Niebuhrs gedachte. Arnold versuchte bereits ein tieferes Verständnis von Kritik zu entwickeln, indem er formulierte: „Dasselbe Verhältniß, welches die Dialektik zu Philosophie, als ihr Zweck und Ziel, z. B. von Aristoteles, angewiesen wird, hat die Kritik auch zur Geschichtsdarstellung.“ (69). Der später von Droysen in seiner ‚Historik‘ als Vorgänger gern gescholtene Leipziger Geschichtsordinarius Wilhelm Wachsmuth (1787-1866) hatte (Halle) 1820 den ‚Entwurf einer Theorie der Geschichte‘ verfaßt und hielt nun 1856 in der ‚Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig‘ einen eigenwilligen Vortrag mit ungewöhnlicher Thematik, ‚Über die Quellen der Geschichtsfälschung‘. Darin nimmt er den Begriff ‚Fälschung‘ eng und zugleich sehr weit und grundsätzlich bis hin zur bloßen Subjektivität. Auch an dieser passenden Stelle wird Rankes oder seiner Kritik nicht gedacht, und es ist auch nicht zwingend anzunehmen, daß es sich im Folgenden um eine Anspielung auf ihn handelt: „Wenn endlich sich die Zahl der Zweifelnden und Prüfenden ansehnlich vermehrt hat, so wird wiederum die Glaubensfähigkeit in Versuchung geführt durch die Phantasiespiele historischer Hyperkritiker und durch die philosophirende Construction der Geschichte, die mit der Aufstellung kühner Hypothesen und Systeme zu einer sehr gewagten Wanderung aus dem Gebiet des Zweifels in das des Glaubens anleiten.“ (127). Dabei stand Wachsmuth der Arbeit Rankes nicht allzu fern, wie sich an seinen ‚Darstellungen aus der Geschichte des Reformationszeitalters mit Zugaben aus der Quellenforschung‘ (Lpz.1834) und seinen peinlich nachgetitelten ‚Fürsten und Völkern Europa’s‘ (4 Bde. Bln. 1846-48) andeutet. Die ersten Impulse zu einer Würdigung der historischen Kritik Rankes und ihrer Wirkungen auf die Zunft rühren wohl von Hörern bzw. Schülern her. Julian Schmidt als Ranke-Hörer war 1847 in einem Artikel der von ihm neben Gustav Freytag - 143 -

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demnächst redigierten höchst einflußreichen ‚Grenzboten‘ jene Beilage ‚Zur Kritik‘ „bei weitem wichtiger, als das Werk selbst, dem sie nur als Anhang dienen sollte“ (J. Schmidt/1847, 403). Er scheint die Bedeutung der sich verstärkenden und ausbreitenden kritischen Bewegung verspürt zu haben, als er in einem Beitrag mit dem Titel ‚Moderne Historiker. Leopold Ranke‘ schrieb: „So war uns der Boden unter den Füßen entzogen; die Kette der Tradition war gebrochen, und es galt nun, aus eigenen Kräften, mit sparsamem, aber zuverlässigem Material, den Grund zu dem eingerissenen Gebäude von Neuem zu legen.“ (404). - Rankes „jahrelange Einführung jüngerer Talente in das Studium der Geschichte“ wird auch anläßlich einer Besprechung von Rankes ‚Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten‘ (s. II/6.2) und der Schrift des RankeSchülers Hartwig (nicht Heinrich!) Floto ‚Kaiser Heinrich IV. und sein Zeitalter‘ (Teil 1, 1855), von einem Anonymus der Augsburger ‚Allgemeinen Zeitung‘ des Jahres 1855 anerkannt. Ranke habe, wie irrtümlich bemerkt wird, „eine gewisse Technik der Kritik geschaffen“. Dabei bilde die Grundlage seiner „Behandlungsweise“ eine „möglichst objective Darlegung der Thatsachen und Verhältnisse nach vorausgehender allgemeiner Richtung der Quellen und Vergleichung ihrer einzelnen Nachrichten“ ([Anonym:] Zur deutschen Geschichtsforschung/1855, S. 4617). Doch selbst in den 1850er und 1860er Jahren bildete sich noch kein überwiegend positives Urteil über Rankes historiographiegeschichtliche Verdienste. Im Gegenteil: Man sieht sein noch nicht allenthalben gewonnenes Ansehen bereits schwinden. Schon 1854 wird seine Geschichtsschreibung in Deutschland als Hervorbringung einer vergangenen „Epoche“ betrachtet, der gegenüber jetzt „in Leben und Literatur sich ein bestimmtes Streben nach Herstellung allgemeinerer, umfassender Grundlagen nationaler Bildung und Entwicklung“ zeige, wie ein kecker anonymer Rezensent des ‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘ glaubte feststellen zu sollen (Anonym in: LCD, 30. 12. 1854, 836). Dies mag zunächst als singuläre Ahnung angesehen werden, einer allgemeinen Ansicht entsprach es damals nicht. Doch 1859 tritt bereits ein ausländischer Beobachter der deutschen historiographischen Szene auf, Saint-René Taillandier. In einem Beitrag zur ‚Revue des deux mondes‘ über die deutsche Literatur der Gegenwart sieht er Ranke und seine Schule in einem Vorgang der Entthronung begriffen: „cette vaillante école d’historiens, les Mommsen, les Sybel, les Häusser, qui détrônent en ce moment l’école studieuse, subtile, mais trop froide et trop diplomatique, de M. Léopold Ranke“ (395). Der Franzose dachte dabei wohl weniger an die Kategorien von ‚kleindeutsch‘, ‚national‘ und ‚liberal‘, die in den Genannten doch recht unterschiedlich gemischt und ausgeprägt waren, als an einen erwünschten emotionalen Impetus politischen Einwirkens auf das Publikum. Erstaunlich, daß der Rektor der ‚Ludewigs-Universität‘ Gießen und ‚Ordentliche Professor der Geschichte‘, Heinrich Schäfer (1794-1869), in einer 1864 gehaltenen Akademischen Festrede mit dem Titel ‚Ueber heutige Aufgaben der Geschichtschreibung‘ Ranke weder nannte, noch auf ihn anspielte. Schäfer befaßte sich vielmehr überwiegend mit Historiographie zur römischen Geschichte, i. b. mit Niebuhr und Mommsen (Heinrich Schäfer/1864). - Heinrich Wuttke, Verfasser einer 1848 erschienenen scharfen Kritik an Rankes ‚Serbien‘ (s. I/1.6), ließ 1865 eine Abhandlung mit dem Thema ‚Über die Gewißheit der Geschichte‘ erscheinen. Auch hier hätte man eine Berücksichtigung Rankes erwarten dürfen, doch trat sie nicht ein. In größeren kultur- und literaturgeschichtlichen oder lexikalischen Darstellungen seines letzten Lebensdrittels wird Ranke, wie sich später noch zeigen wird, sehr - 144 -

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unterschiedlich behandelt. Der politisch tätige, mit einer Schwäche für bildhaft kräftige Formulierungen versehene Literatur- und Kulturhistoriker Johannes Scherr (18171886) wies 1851 in seiner ‚Allgemeinen Geschichte der Literatur von den ältesten Zeiten bis auf die Gegenwart‘ Raumer, Ranke und Dahlmann einen „hohen Rang unter den historischen Forschern und Stylisten“ zu, wobei Ranke, wie auch andere Historiker der Zeit, nur kurz gestreift wird unter Nennung einiger Werke (490f.: GRGV, FuV, SerbRev, DtG). ‚Zur Kritik‘ scheint nicht bekannt zu sein. Wenige Jahre später wird Ranke in Scherrs ‚Geschichte Deutscher Cultur und Sitte‘ bei einem sehr pauschalen Überblick über „unsere vaterländische Historik“ nur kurz erwähnt als „das Haupt der diplomatisch-kritischen Schule“ (Scherr/1854, 557). Was Scherr darunter verstand, wird klar aus einem noch mehrfach heranzuziehenden Beitrag zu den ‚Deutschen Jahrbüchern für Politik und Literatur‘ der Jahre 1861 und 1862 über ‚Geschichtschreibung und Geschichtschreiber der Gegenwart‘. Ranke habe, so Scherr dort, zwar „ganze Perioden der mittelalterlichen und modernen Geschichte in eine neue und richtigere Beleuchtung gerückt“ (Scherr 1861/62, Zitate nach 1864, 173), obgleich er nie eine ausführliche Darstellung gebe, sondern vor allem danach strebe, „dem Gegenstande neue Seiten abzugewinnen“ (181), doch habe sein „Lieblingswerkzeug, ... die diplomatische Korrespondenz“ (173), zur Einseitigkeit einer „diplomatisirenden Auffassung der historischen Erscheinungen“ (175) geführt, - ein „aristokrätelnd-exklusives Nichtwissenwollen vom Volke“ (174), wie der Republikaner Scherr bemerkt - welche auch seine Darstellungsweise bestimmt habe (175). „Die Weltgeschichte ist keineswegs das Weltgericht - dummer Schnack! - sondern sie ist vielmehr ein eleganter Diplomatensalon ...“ (176). Der anonyme Verfasser eines Artikels der ‚Anregungen für Kunst, Leben und Wissenschaft‘ des Jahres 1859 kannte Rankes erste Werke so schlecht, daß er nicht nur deren Titel verschandelte („Völker und Fürsten von Südeuropa im sechszehnten Jahrhundert“ und „Geschichte der romanischen und germanischen Völkerschaften“), sondern auch dem Irrtum erlag, Ranke habe seine „scharfe Kritik des Guiccardini und anderer für mustergiltig gehaltener Geschichtsschreiber“ in den ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ nebst Beilage aus venezianischen Relationen und Briefen verfaßt ([Anonym:] Gesch. d. sechszehnten Jahrhunderts/1859, 150), die Ranke jedoch erst später kennengelernt hatte. - Wilhelm Kiesselbach, der anläßlich von Rankes ‚Englischer Geschichte‘ näher zu betrachten sein wird, sah in einem Beitrag mit dem Titel ‚Ranke und die Geschichtschreibung‘ dessen Verdienst weder im Bereich der Methode noch in dem der Darstellung, sondern völlig singulär darin, „daß er zuerst in Deutschland … wenigstens den allgemeinen politischen Mächten und Gesetzen Rechnung trägt und somit einer objectiven Geschichtsbetrachtung die Bahn eröffnet.“ (Kiesselbach/14. Juli 1861, 222). - Zwar wünschte ein Anonymus des ‚Allgemeinen literarischen Anzeigers für das evangelische Deutschland‘ 1868, Ranke möge „der Lehrer Vieler, der Lehrer des deutschen Volkes werden“ (561), doch mußte er zugeben, daß Ranke noch „nicht in weiten Kreisen eine Popularität“ gewonnen hatte (562). In der 1881 erschienenen ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts‘ aus der Feder von Ludwig Salomon (1844-1911) wird Ranke in einer Reihe mit Karl von Rotteck, Friedrich Christoph Schlosser, Friedrich von Raumer u. a. in keineswegs herausragender Weise kurz behandelt und sein Erstlingswerk in entlarvender Unkenntnis sogar ins 14. Jahrhundert zurückversetzt: Ranke, „der in seiner ‚Geschichte der romanischen und germanischen Völkerschaften des 14. und 15. - 145 -

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Jahrhunderts‘, seiner ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ und seinem bedeutendsten Werke ‚Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert‘ sich besonders durch geistvolle Charakteristik auszeichnet, während sein Urtheil oft zu vorsichtig und unbestimmt bleibt.“ (Salomon/1881, 222). Von Forschung, gar von historischer Kritik, ist auch hier keine Rede. Der Verfasser des 1882 erschienenen ‚Lexikons der deutschen Nationallitteratur. Die deutschen Dichter und Prosaiker aller Zeiten, mit Berücksichtigung der hervorragendsten dichterisch behandelten Stoffe und Motive‘, Adolf Stern (1835-1907), Professor der Literaturgeschichte am Kgl. Polytechnikum in Dresden, führt in seinem Artikel. „Ranke. Leopold von“ (285f.) nahezu alle Werke Rankes vor, nennt jedoch nicht die ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ und die Beilage ‚Zur Kritik‘. Ranke wird als „Bahnbrecher einer neuen, namentlich auf die kritische Benutzung der ungedruckten Berichte gestützten Geschichtsforschung“ bezeichnet (285) und zugleich jenen zugezählt, welche „die Geschichtsdarstellung als eine ebensowohl künstlerische als wissenschaftliche Aufgabe erfassen.“ (Ebd.). Seinen Darstellungen eigne eine „plastische Form von hoher Vollendung.“ (Ebd.). Seinem „universalhistorischen Gesichtspunkt“ entspreche eine „von nationalen und religiösen Gefühlen und Stimmungen beinahe freie, kühle Objektivität...“ (285f.). Unerwähnt ist Ranke in Sterns Werk ‚Die Deutsche Nationallitteratur vom Tode Goethes bis zur Gegenwart‘ (Elwert, Marburg und Leipzig 1886). Stern verfaßte 1891 anonym in den ‚Grenzboten‘ noch eine schlichte Besprechung von Rankes Selbstbiographie und Briefen (SW 53/54 s. u.). Unter Rankes „bedeutendsten Werken“ werden im ‚Handbuch zur Einführung in die deutsche Litteratur mit Proben aus Poesie und Prosa‘, das zunächst 1884, sodann in zweiter Auflage 1895 erschien, u. a. nicht genannt die ‚Geschichten‘ sowie ‚Zur Kritik‘, doch auch die ‚Weltgeschichte‘. - Unerwähnt blieb Rankes ErstlingsDoppelwerk auch in ‚Payne’s Biographischem Lexikon. Nach den neuesten Quellen bearbeitet‘ (Anonym/1884, 350). Und Oscar de Watteville (s. I, 275) sprach von Rankes ‚Päpsten‘ als von dessen erstem Werk (Watteville/1853 401). Selbst Rankes Sohn Friduhelm, der mit zwei wichtigen Veröffentlichungen zur Kenntnis seines Vaters beitrug, hielt - und dies darf man als besonders aufschlußreich, nicht nur innerhalb der Familie, ansehen - ‚Fürsten und Völker‘ für Rankes „Erstlingswerk“ (FvR VIII/1906, 328). Man mag daraus schließen, daß Rankes Abstand zu seinem problematischen Erstlingswerk so groß geworden war, daß er es nicht nur auf einen ferneren Platz seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ verschob, sondern auch in dem tyrannisch beherrschten Familienkreis nicht erörterte. Frankreich, wo man die Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft aufmerksam zu verfolgen begonnen hatte, zeigte sich erst spät und sodann keineswegs einheitlich in der Würdigung der kritischen Leistung und des Erstlingswerks Rankes, der seit 1841 korrespondierendes Mitglied der Pariser ‚Académie des sciences morales et politiques‘ war (s. II/6.4). Der bereits herangezogene französische Literaturhistoriker Saint-René Taillandier verfaßte 1854, entsprechend dem Beitrag von Julian Schmidt aus dem Jahre 1847, - wie dieser Ranke-Hörer - für die ‚Revue des deux mondes‘ einen Beitrag mit dem Titel ‚Historiens modernes‘, eine der umfassendsten, auch biographisch informierten Gesamtwürdigungen Rankes in seiner Zeit: „... quel judicieux contrôle des témoignages, quel sentiment de la méthode! comme on voit bien que M. Ranke ... veut que l’histoire ait la précision de la science.“ (48). In den 1870er Jahren stützte er übrigens zwei seiner Veröffentlichungen auf Vorarbeiten Rankes: zum einen - 146 -

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‚La Serbie. Kara George et Milosch‘ (1872), das in weiten Teilen auf Ranke, „un des rénovateurs de la science historique du dix-neuvième siècle“ (4) beruhte, zum anderen ‚Dix ans de l’histoire d’Allemagne. Origines du nouvel empire d’après la correspondance de Frédéric-Guillaume IV et du baron de Bunsen, 1847-1857‘ (1875), das neben den Bunsenschen Memoiren die Briefwechsel-Ausgabe des nunmehr als „froid et sec“ gedeuteten Léopold de Ranke (7) benutzte (s. auch II/2.2.3, Dt. Literaturarchiv Marbach). - 1857 billigte Ernest Grégoire, obgleich er resumierend feststellte „Ses idées fondamentales sont fausses“ (688), Ranke bei einer Betrachtung der kritischen Beilage sogar zu: „Le procédé de contrôle sûr et systématique employé par M. Ranke est l’opposé du pyrrhonisme superficiel de Voltaire“ (661), und auch Jules Grenier fand 1859 in einer bedeutenden allgemeinen Würdigung nicht nur anerkennende Worte für Rankes universelle Sicht - „Sous sa plume, toute autre histoire particulière devient européenne“ (308) -, sondern auch lobende Worte für die „critique pénétrante“ (ebd.) seines Erstlingswerks. - Der Philosoph und Kulturkritiker Hippolyte Taine (18281893) bemerkte 1864 in einem Beitrag ‚L’histoire, son présent et son avenir’ der in Paris erscheinenden ‚Revue germanique et française‘, die Geschichtswissenschaft habe sich in Deutschland seit hundert [!] Jahren gewandelt, in Frankreich seit sechzig Jahren, und zwar durch das Studium der Literaturen (Taine/1864, 625): „ ... depuis ce temps on voit tout changer en histoire: l’objet, la méthode, les instruments, la conception des lois et des causes.“ (626). Hier wird Ranke, inzwischen zum ordentlichen Mitglied der ‚Académie‘ avanciert und in Frankreich auch durch eine Übersetzung seiner ‚Französischen Geschichte‘ vertreten, nicht genannt, geschweige denn sein Erstlingswerk als epochemachend angesehen, zumal der von Taine angenommene Wandel diesem deutlich vorausliegt. Rodolphe-Ernest Reuss gab dafür eine Erklärung in der ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ des Jahres 1870 mit der noch heute gültigen Bemerkung, „les ouvrages de R. sont très-peu connus en France“ (92). Fustel de Coulanges (1830-1889), der bis zur Eingliederung Elsass-Lothringens in das Deutsche Reich, 1871, eine Geschichtsprofessur in Straßburg innegehabt hatte, verfaßte im Folgejahr für die ‚Revue des Deux Mondes‘ einen Artikel ‚De la manière d’écrire l’histoire en France et en Allemagne depuis cinquante ans‘. Mag sein, daß er darin aus politischen Gründen Ranke nicht nannte. Doch verkündete er ein allgemeines Lob der Unparteilichkeit: „Assurément il serait préférable que l’histoire eût toujours une allure plus pacifique, qu’elle restât une science pure et absolument désintéressée. Nous voudrions la voir planer dans | cette région sereine où il n’y a ni passions, ni rancunes, ni désirs de vengeance. Nous lui demandons ce charme d’impartialité qui est la chasteté de l’histoire. Nous continuons à professer, en dépit des Allemands, que l’érudition n’a pas de patrie.“ (Fustel de Coulanges/1872. Zitat nach 1893, 15f.). Gabriel Monod (1844-1912) sah dies genauer. In seinem zugleich rückblickenden wie programmatischen Eröffnungsbeitrag zu der von ihm herausgegebenen ‚Revue historique‘, betitelt ‚Du progrès des études historiques en France depuis le XVIe siècle‘, gab er nicht zuletzt eine erstaunlich unbefangene Würdigung der Leistungen der deutschen Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts: „C’est l’Allemagne qui a contribué pour la plus forte part au travail historique de notre siècle.“ (Monod/1876, 27). Monod stellte Ranke dabei nicht sonderlich in den Vordergrund, nannte ihn vielmehr in der Reihe der Christian Lassen, Boeckh, Niebuhr, Mommsen, Savigny, K. F. Eichhorn, Waitz, Pertz und Gervinus (28). Der von ihm der Zeitschrift gewiesene Weg - „Nous prétendons rester indépendants de toute opinion politique et religieuse“ (36) -, die - 147 -

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Anerkennung der „rigueur scientifique“, die Deutschland den historischen Studien verliehen habe, das hier aufgestellte Ideal des Historikers der „sympathie respectueuse, mais indépendante“, der „impartialité scientifique“ (37), all dies weist nicht ausdrücklich, doch ganz deutlich auf die Wissenschaftskonzeption Rankes hin. - Interessant, daß der in Deutschland stark hervorgehobene Niebuhr in Frankreich keine auffallende Rolle zu spielen schien. * Bedeutende wissenschaftliche Zeitgenossen, darunter Teilnehmer seiner Übungen, sahen nicht Ranke, sondern geradezu pointiert Barthold Georg Niebuhr als führenden Vertreter des Forschungsprinzips der historischen Kritik wie ihrer Wissenschaft überhaupt an. Man steht hier an den Anfängen einer in sich widersprüchlichen Doppelfama, denn weder Niebuhr noch Ranke kommt das Verdienst zu, Begründer einer quellenbezogenen historischen Kritik zu sein. Beide hatten eine nicht geringe Zahl - wenn auch unterschiedlicher - Vorgänger. Doch am Ende ihres Schaffens oder Lebens stand jeder von ihnen eine Weile als Begründer nicht allein der Methode, sondern auch der Geschichtwissenschaft schlechthin da. - Der Bonner Geschichtsordinarius Johann Wilhelm Loebell (1786-1863) schrieb in seiner Skizze ‚Ueber die Epochen der Geschichtschreibung und ihr Verhältniß zur Poesie‘ Niebuhr - bei mancher Beanstandung - das bleibende Verdienst zu, „der historischen Kritik das belehrendste und anregendste Muster“ gegeben zu haben (Loebell/1841, 368): „Auch sind nach seinem Vorgang und Beispiel schon in der Bearbeitung anderer Perioden schöne Früchte gebrochen worden, mehr als die Meisten wahrnehmen oder zugeben, ja an sich selbst bemerken. Denn das ist eben das Siegreiche einer großen Methode, daß man sie sich theilweise, ohne es selbst zu bemerken, aneignet, ja wider den eignen Willen aneignen muß. Ein solcher Grad von Scharfsinn in der Sonderung und Prüfung der Quellen, von steter Beleuchtung des zeugenden Autors, von Eindringen in seine Kenntnisse und Stimmung, von Zurückführung der Zeugnisse auf ihren genauen Werth, ehe sie gebraucht werden, ist vor Niebuhr nicht da gewesen ...“ (ebd.). - Georg Weber (18081888), Professor der Geschichte und deutschen Sprache und Literatur bei der höheren Bürgerschule in Heidelberg, behandelte in der 1850 in zweiter Auflage aktualisierten ‚Geschichte der deutschen Literatur nach ihrer organischen Entwickelung in einem leicht überschaulichen Grundriß‘ nach Möser, Schlözer, Spittler v. a. Johannes v. Müller ausführlicher, von Raumer und Ranke nur kurz: „Leopold Ranke suchte das bewegte Leben und die verwickelten Zustände der Reformationszeit durch neue Forschungen aufzuhellen und durch lichtvolle und gewandte Darstellung anschaulich zu machen.“ (Weber/1850, 51). Kein Wort über epochemachende kritische Leistungen. Stattdessen folgt ausführlich Niebuhr - mit Hinweis auf die „Fackel der historischen Kritik“, mit der er die Geschichte des alten Roms beleuchtet habe (ebd.) - sodann Schlosser, Rotteck, Leo, Heeren, Wachsmuth und Dahlmann (51f.). Hermann Bischof befaßte sich 1857 eindringlicher mit der Thematik. In einem Beitrag für das ‚Deutsche Museum‘ über ‚Die Regeln der Geschichtschreibung und Deutschlands Historiker im 19. Jahrhundert‘ stellte er ab auf das Bestehen zweier Arten historischer Kritik: „Die eine wurde in allen Zeiten und unter allen Nationen angewendet; letztere ist das Product unsers Jahrhunderts und bildet den Charakter der sogenannten historisch-kritischen Schule.“ (Bischof/1857, 759). In seiner Auffassung gründet erstere „die erzielte Wahrheit des geschichtlichen Bildes auf die formelle Prüfung des überlieferten historischen Materials; während letztere durch die historisch-kritische - 148 -

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Schule als nicht genügend befunden, vielmehr der Einklang ihrer Resultate mit der Natur der Dinge gefo[r]dert wird.“ (ebd.). Niebuhr komme das Verdienst zu, „uns das Wesen und die Bedeutung der modernen kritischen Methode in ihrer Anwendung auf die Geschichte zum ersten male erschlossen zu haben.“ (ebd.), einer Methode, die dann auch von Böckh und Otfried Müller geübt, von Ranke jedoch „mit siegreichem Erfolge auf die moderne Geschichte angewandt“ worden sei. (760). Ähnlich sah dies John Lord Dalberg Acton, als er im April 1858 zu Ranke seinem Notizbuch anvertraute: „The critical tendency is due to Niebuhr entirely” (Butterfield/1955, 210). Wilhelm Giesebrecht (1814-1889) einer der ältesten und bedeutendsten Schüler Rankes, konnte in seiner eben damals erschienenen Habilitationsrede über ‚Die Entwicklung der modernen deutschen Geschichtswissenschaft‘ Niebuhr in überdeutlicher und ausführlicher Weise als „den vorzüglichsten Begründer unserer modernen deutschen Geschichtswissenschaft“ feiern (Giesebrecht/(1858), 1859, 9). Die „Kunst der historischen Kritik“ sei „vor Allem durch Niebuhr feiner und schärfer ausgebildet“ worden (ebd., 12). Ranke wird da nur kurz mit einem allgemeinen Kompliment gestreift: „Unser erster lebender Geschichtschreiber ist zugleich der scharfsinnigste, der am meisten kritische Forscher unserer Tage“ (ebd.). Es folgt noch ein Vergleich Rankes - und dabei fällt dessen Name zum ersten und letzten Mal - mit Schlosser, denen beiden bei aller Verschiedenheit doch „das Trachten nach der Wahrheit der Geschichte“ (ebd.) zugeschrieben werden müsse. Auffallend, daß bei dieser kargen Würdigung keinerlei Wirkungen Rankes sichtbar gemacht werden, stattdessen lenkt Giesebrecht die Aufmerksamkeit auf die Monumenta Germaniae historica: „Ein tieferes Studium unserer Geschichte, wie es den jetzigen Anforderungen der Wissenschaft entspricht, hat sich erst [!] an den Monumenta Germaniae entzündet.“ (Ebd., 15). Mit diesen hatte Ranke freilich wenig zu tun. In Giesebrechts Gedächtnisrede auf Ranke werden sich die Akzente allerdings ein wenig verschieben (s. u.). - Auch Rankes Schüler Reinhold Pauli, damals Professor in Tübingen - Ranke hatte ihm dringend zur Annahme des Rufes geraten - zeigte sich in einem 1860 erschienenen Beitrag für die ‚Preußischen Jahrbücher‘ mit dem Titel ‚Unsere Historiker‘ nicht sehr freundlich. Wie Sybel und Burckhardt hatte er, später eifriger Rezensent von Werken Rankes, ein zwiespältiges Verhältnis zu seinem Lehrer (s. II, 238). Der Beitrag erschien anonym. Von Verdiensten Rankes um die historische Kritik ist da ebenso wenig die Rede wie in Paulis gleichzeitigem Aufsatz über ‚Heinrich VIII und seine neuesten Beurtheiler‘. Auch von seinem Schüler Heinrich von Sybel (1817-1895) hatte Ranke - wie schon in dessen Dissertation zu bemerken war - wenig gleichgestimmte Dankbarkeit zu erwarten. Bei einer Festrede in der Universitäts-Aula zu Bonn, am 3. August 1864, mit dem Titel ‚Ueber die Gesetze des Historischen Wissens‘ bestimmte Sybel, in Fragen der Theorie weniger begabt, zunächst „die beiden Operationen der historischen Kritik“ in karger Äußerlichkeit so: „die Prüfung der Berichterstatter nach dem Wesen ihrer Persönlichkeit - und die Prüfung der Thatsachen nach ihrem Zusammenhang in Zeit und Raum und Causalverkettung“ (Sybel: Vortrr. u. Aufsätze/1874, 12), um sich dann dem Lob Niebuhrs hinzugeben, „der wie kein Anderer dieses Jahrhunderts für die Bethätigung der kritischen Grundsätze, für die Entwickelung ächten Wissens schöpferisch gewirkt“ habe (ebd., 20). Über Ranke verlor Sybel kein Wort. (Dazu R in Brief an Sybel, 1. 9. 64, SW 53/54, 430). - Noch deutlicher als in seiner Bonner Festrede von 1864 wurde Sybel in seiner Bonner Rektoratsrede von 1867. Auch in dieser Würdigung Niebuhrs, Loebells und Dahlmanns wird Ranke bewußt herabgesetzt, wie an der fast - 149 -

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verächtlichen Formulierung kenntlich wird: „Niebuhr hat hier in höchstem Maße epochemachend gewirkt, und Ranke’s Kritik so wie die seiner Schule ist nichts als Entwickelung der durch Niebuhr für immer festgestellten Technik.“ (ebd, 26). Man gewinnt nahezu den Eindruck, Sybel habe sich dieser Schule nicht zugehörig gefühlt. Ganz extrem wurde das - nicht öffentliche - Urteil Sybels in Rankes letzten Lebensjahren, - möglicherweise im Zusammenhang mit der ‚Weltgeschichte‘. Im Oktober 1883 berichtet Dilthey an Yorck von Wartenburg von einer Sitzung der Verdunpreis-Kommission: „Treitschke wird den historischen Preis erhalten: eine schöne Satisfaktion für ihn. Und denken Sie, es kam dabei in der Sitzung zu lebhaften Debatten, in denen Sybel und Duncker sich sehr scharf gegen Ranke erklärten, wollten ihn nur als historischen Essayisten gelten lassen. So ändern sich die Zeiten.“ (Dilthey/Yorck v. Wartenburg Briefwechsel/1923, 35). Damit wurde Ranke an seinem Ende das abgesprochen, was ihm seit seinen mittleren Jahren vermehrt zugesprochen worden war, die Anwendung der Kernmethode seiner Wissenschaft, der ‚historischen Kritik‘. Doch geschah dies nicht öffentlich und nicht durchgängig. Öffentlich suchte Sybel seinen Lehrer gerade im Felde der praktischen historischen Kritik zu übertrumpfen. In einem 1879 erscheinenden Beitrag über ‚Die karolingischen Annalen‘ versuchte er in Auseinandersetzung mit der umfangreichen Literatur, v. a. mit Waitz, Giesebrecht und Wattenbach, den Nachweis, daß die von Ranke in seiner Akademie-Abhandlung ‚Zur Kritik deutscher Reichsannalisten‘ behauptete offizielle, amtliche Abfassung der ‚Annales Laurissenses‘ im Sinne von ‚Reichsannalen‘ unzutreffend sei (Sybel/1879). 1865 veröffentlichte der junge österreichische Historiker Adalbert Heinrich Horawitz (1840-1888) ein Schriftchen ‚Zur Entwicklungsgeschichte der Deutschen Historiographie‘. In einer Zeit, da „in Deutschland ... die historische Wissenschaft eine Macht geworden“ sei (Horawitz/1865, 2), war dies ein seltener historiographiegeschichtlicher Versuch, „Schülern gereifteren Alters Winke für die Auswahl ihrer geschichtlichen Lektüre und eine Übersicht über die hervorragendsten Erscheinungen unserer historischen Literatur“ zu geben. (2, A. 2) Horawitz ist dabei auf breiter Literaturbasis um ein auffallend differenziertes und vertieftes Urteil bemüht. In Niebuhrs Arbeit mit ihrer „Aufweisung der Gesetze der historischen Kritik“ (10) sieht er „die Grundlegung der modernen Geschichtswissenschaft“ (8), seine „Methode, fortgebildet durch Ranke und dessen Schüler“ (10). Auch das Verhältnis Ranke-Schlosser wird berührt. - Horawitz veröffentlichte später nach Rankeschem Vorbild ‚Analecten zur Geschichte der Reformation und des Humanismus in Schwaben‘ (Wien 1878) sowie eine Besprechung der ‚Weltgeschichte‘ (s. I, 353f.). Indes waren als Vorgänger Rankes noch andere zu nennen: neben August Böckh (1785-1867) mit seiner 1817 erschienenen ‚Staatshaushaltung der Athener‘, Erster Band, Georg Heinrich Pertz mit seiner Dissertation ‚Die Geschichte der merowingischen Hausmeier. Mit einer Vorrede von Hofr. Ritter [Arnold H. L.] Heeren‘ (Hannover 1819) und Otfried Müllers (1797-1840) ‚Orchomenos und die Minyer‘ von 1820 nebst ‚Die Dorier‘ von 1824. August Kluckhohn machte darauf aufmerksam, daß nicht allein Niebuhr für die alte Geschichte, sondern auch Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860) für die mittelalterliche quellenkritisch gearbeitet habe. In dessen 1822 und 1823, also ebenfalls vor Rankes ‚Zur Kritik‘ erschienenen ‚Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte‘ (Altona) habe er u. a. „eine Einleitung in die Kritik der Quellen [im Or.: Geschichte] von Alt-Dänemark“ gegeben. Dahlmann stellt darin z. B. die später typisch Rankesche Frage, welche Schriften Saxo Grammaticus - 150 -

I/2.1.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - Frühwerk und Gründungssage

„wol kennen und benutzen konnte“ (I, 151ff.). „Ranke aber hat“, so fährt Kluckhohn fort, „das eigentümliche und große Verdienst, daß er die Grundsätze der kritischen Methode zum erstenmale auf eine lange Reihe von Quellen der neueren Geschichte angewendet hat ...“ (Kluckhohn/(1885), 1894, 427). - Hermann Wesendonck griff noch weiter zurück. In seiner bekannten Schrift ‚Die Begründung der neueren deutschen Geschichtsschreibung durch Gatterer und Schlözer nebst Einleitung über Gang und Stand derselben vor diesen‘ (Lpz. 1876) datierte er die eigentlich kritische historische Behandlung der Geschichte nicht ab Niebuhr oder Ranke, sondern ab August Ludwig von Schlözer (1735-1809); „das Gebiet eines Jeden dieser drei Männer“ habe „sich in einem jedesmal veränderten Schwerpunkte concentrirt, so bei Ranke in dem der neueren Zeit, vom 15. bis ins 17. Jahrhundert“ (Wesendonck/1876, 195). Hermann Bischof sah, nicht abwegig, in Hermann Conring (1606-1681) für Deutschland den „eigentlichen Vater der kritischen Methode“ (Bischof/1857, 763). Dem entsprach die spätere Darstellung Diltheys, der auf die Entwicklung der historischen Kritik am Beispiel der kritischen Tätigkeit der Philologen und Theologen des 16. und 17. Jahrhunderts, konkret auch der Urkundenlehre, aufmerksam machte (Dilthey III/1927, 219). In diesem Bereich, obgleich später ansetzend und mit anderer Zielrichtung, sah der Bonner klassische Philologe Hermann Usener (1834-1905) die Anfänge kritischer Geschichtswissenschaft. In seinem 1882 erschienenen Schriftchen über ‚Philologie und Geschichtswissenschaft‘ formulierte er selbstbewußt, jegliche Geschichtsforschung lasse sich auf zwei elementare Operationen zurückführen, recensio und interpretatio, welche in grundlegender Weise von der Philologie ausgeführt würden. Philologie sei damit „die grundlegende Methode der Geschichtswissenschaft“ (Usener/1882, 35). „Philologische methodenlehre und encyklopädie darf ich kurz h i s t o r i k nennen.“ (Sperr. i. T., 34). Der Philologe - wegweisend namentlich Wolf und Boeckh - ist für Usener der „pionier der geschichtswissenschaft.“ (39). Für den im höchsten Alter stehenden Ranke blieb statt einer Anerkennung seiner Verdienste um die historische Kritik nur eine geringschätzige Anspielung: „Aus archivalien allein, und wären es venezianische gesandtschaftsberichte, lässt sich nicht geschichte schreiben; die litteratur ist es welche die treibenden kräfte der zeit kündet.“ (28). - Nicht mehr zu überbieten war die Herleitung des instrumentellen Prinzips oder nur prinzipiellen Instruments der Historie durch Rankes Schüler Hartwig Floto (1825-1881). Er verkündete 1856 in seiner zunächst Burckhardt folgenden, gleichwohl intellektuell sehr schlichten Baseler Antrittsrede mit dem Thema ‚Über historische Kritik‘, bereits „die großen Geschichtschreiber der Alten“ hätten historische Kritik „mit vollkommener Virtuosität geübt“ (Floto/1856, 5). Ranke freilich schrieb sich als Achtzigjähriger nun doch ein ganz entscheidendes, wenn nicht alleiniges Verdienst für die Findung oder Entwicklung der historischen Kritik zu, als er in seinem 3. autobiographischen Diktat in vorgeblicher, akzentuierter Bescheidenheit feststellte: „Das Verfahren ist auf einem eigenen Weg ohne alle Anmaßung, durch eine Art Nothwendigkeit entstanden ...“ (SW 53/54, 62).

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2. Kapitel (I/2.1.2) DIE KRITIK DER HISTORISCHEN KRITIK, OBJEKTIVITÄT UND UNPARTEILICHKEIT Während sich das Prinzip der ‚historischen Kritik‘ in der historiographischen Anwendung seit den 1820er Jahren allgemein auszubreiten schien, Rankes Verdienste jedoch eher in Gebrauch und Verbreitung desselben als in seiner ‚Erfindung‘ wahrgenommen wurden, sah man nicht ohne Ironie von Frankreich aus im Zusammenhang mit einer Besprechung von Rankes ‚Päpsten‘ unter deutschen Historikern den Grundsatz der Unparteilichkeit nahezu im Übermaß herrschen: „Ils ont du dédain, presque de la fureur contre la partialité de l’histoire. Qui ne sait pas juger les évènemens [!] de haut, les comprendre sous toutes leurs faces, apprécier le double mouvement d’action et de réaction, de bien et de mal, d’accroissement et de décadence qui fait osciller les choses humaines, est indigne, selon eux, de tenir la plume.“ ([Anonym]: De l’action/April 1836, 194). Dieser Zustand war indes weder so allgemein wie geschildert, noch hielt er lange Zeit an. Nicht erst im 20. Jahrhundert erhob sich - als Gegenströmung, Mahnung zur Vertiefung oder Korrektiv eine später gern übersehene vielfältige Kritik der historischen Kritik und der damit verbundenen höheren Prinzipien von ‚Objektivität‘ und ‚Unparteilichkeit‘, als Teil einer überhaupt anwachsenden Theorie-Diskussion, - eine erste Krise der sich methodologisch zögernd formierenden Wissenschaft. Damit verbunden ist hier und da eine verständliche Sorge vor den anwachsenden Quellenmassen und ein wider die praktische historische Vernunft laufendes Vorurteil überhaupt gegenüber der Benutzung unveröffentlichter Archivalien, dies auch Ausdruck einer unvertilgbaren überzeitlichen Phobie. In dieser Krise verbinden sich grundsätzliche Kritik und Skepsis von Zeit und Zunft mit keinem Historiker mehr als mit Ranke und seinem je nach Standpunkt teils schwer faßbaren, teils leicht und fundamental angreifbaren Werk. Für Argumentation und Verlauf der sich in der Kritik an seinem Werk ausbreitenden und diffundierenden Diskussion ist von Bedeutung, daß, wie Ranke selbst, so auch kaum einer seiner bekannteren Schüler, eine ausgesprochen geschichtstheoretische Begabung besaß, weder Giesebrecht, noch Waitz, noch Sybel, noch Doenniges, noch später Dove. Sie waren Editoren, spezialisierte Forscher oder passable bis geistreiche Darsteller, von deren Seite eine qualifizierte Teilnahme an der Diskussion zwar gelegentlich versucht, aber kaum ertragreich durchgeführt werden konnte. Hermann Bischof stellte 1857, als die Diskussion schon längst im Gange war, fest: „Man spricht in unsern Tagen, sobald von Geschichtschreibung die Rede ist, über nichts so beredt als über Kritik, kritische Methode und kritische Schule. Dennoch wird das Verständniß gerade dieser Begriffe auch unter den Gebildetern durch die einseitigsten Irrthümer beeinträchtigt“ (Bischof/1857, 759). Dieser Zustand hält noch an. Rankes im allgemeinen wohlwollend duldsamer Berliner Kollege Friedrich von Raumer äußerte in einem Brief an Ludwig Tieck vom 8. März 1840 seine „Abneigung gegen die jetzt herrschende negative, minutiöse, atomistische Kritik“. So auch an dens., 11. März 1841 (v. Raumer II/1869, 192). Ähnlich hatte Schlosser bereits die Methoden von Niebuhr und Otfried Müller als „kritische Mikrologie“ angesehen (Gervinus/1861, 24). - In gelegentlich zwiespältigen Beiträgen der bereits erwähnten ‚Gesammelten kleinen historischen Schriften‘ aus Georg Gottfried Gervinus’ Feder, welche in man- 152 -

I/2.1.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - Kritik der historischen Kritik

chen Punkten zumindest allgemein auf Ranke bezogen werden können, trat eine Kritik der historischen Kritik, Objektivität und Unparteilichkeit keineswegs als Ablehnung, jedoch als Skepsis gegenüber einer Verabsolutierung dieser Prinzipien hervor, verbunden mit der frühzeitigen Warnung vor einem endlosen Sammeln von Quellen - einem immer noch als aktuell empfundenen unausweichlichen Problem. Gervinus’ Aufsatz von 1832 ‚Ueber die historische Grösse‘ (135-160) enthielt zu diesen Fragen bereits Folgendes: „Wir pflegen uns viel auf Gewissenhaftigkeit, auf Unpartheilichkeit und Quellenstudium einzubilden; Dinge, die wir doch bald in dem Maße sollten als selbstverstanden voraussetzen dürfen, daß es vergönnt werde, endlich einmal einen Schritt weiter zu gehen und an jeden fähigern jungen Historiker die Forderung zu stellen, in allgemeiner Bildung von Charakter und Geist, wie in einem gleichmäßig nach den Richtungen der Weite und Tiefe eindringenden Fachstudium, sich so mit dem Wesen der Weltgeschichte einzustimmen, daß er sich mittelst einer freieren Erfassung des Thatsächlichen in der Geschichte vollständiger darüber aufzuklären, sich über den inneren Zusammenhang und Verband der Dinge reiner und gründlicher zu verständigen lerne, als er es jemals über der blos kritischen Sichtung des Factischen lernen kann...“ (137f.). Dies nimmt zu einem nicht geringen Teil Warnungen und Wünsche vorweg, die Rankes ehemaliger Freund, der Philosoph Heinrich Ritter, 1867 in einem offenen Brief zu dessen 50jährigem Doktorjubiläum äußern sollte und die zudem dem Droysenschen ‚sapere aude‘ entprechen. - Auch in der ‚Einleitung in die deutschen Jahrbücher. 1835‘ (313-332) wie in ‚Ueber Börne’s Briefe aus Paris. 1835‘ (383-410) streifte Gervinus das Problem der Objektivität: Sie wurde „ein so verbreitetes Modewort, ein so schreckhaftes Losungswort ... das eine so allmächtige Gewalt erhielt, daß Niemand mehr wagte, sich dagegen aufzulehnen...“ (320). Sodann über „die mit diesem Jahrhundert allgemein werdende Epoche der Objectivität“ (ebd.): „... in der Geschichte“ dürfe „vielleicht der Anfang gemacht werden ..., den ausschließlichen Weg der objectiven Forschung zu verlassen und indem man darstellende Werke gibt, die von Ideen ausgehen, welche die Zeit und ihr Bedürfniß bedingen, die Wissenschaft für die gegenwärtige Umgebung fruchtbar zu machen.“ (322). Das „Versenken unserer Gelehrten in ihr sogenanntes objectives Forschen“ könne „nicht mehr das sein, was hinfort die Literatur allein bestimmen und beherrschen wird.“ (327). „Das ganz rücksichtslose Sammeln, Sichten und kritische Untersuchen muß immer dankenswerth bleiben ..., ohne darum fortwährend das letzte Ziel bleiben zu können...“ (ebd., ähnlich 386). - In Gervinus’ ‚Selbstanzeige der Geschichte der deutschen National-Literatur. 1835‘ (573592) trifft man wieder auf ein kurzes Streifen des bereits 1832 bemühten und auch in Rankes Selbstverständnis wesentlichen Prinzips der „Unpartheilichkeit, die des Geschichtsschreibers erste Tugend ist. Es ist keine angenehme Tugend, diese Unpartheilichkeit, so wie es keine angenehme Pflicht ist, Recht zu sprechen. Sie stört so unwohlthätig das Gefühl und den Genuß mit der dürren Wahrheit und dem trocknen Verstande...“ (587). Die mit dem Begriff verbundene Problematik wurde anläßlich einer Besprechung von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ des Jahres 1840 angerissen. Auch hier wird gefordert, der Historiker solle „völlig unparteilich“ sein, allerdings nur „im Durchforschen des Stoffes, im Eruiren seines Inhalts ...; aber in der Beurtheilung desselben soll er sich ganz parteiisch für alles Heilige, Wahre und Schöne eingenommen zeigen und immer der Idee, nicht der gemeinen indifferenten Wirklichkeit, oder gar noch etwas Schlimmern, äußern Rücksichten und - 153 -

I/2.1.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - Kritik der historischen Kritik

Verhältnissen, die Ehre geben.“ Insofern dürfe man vom Historiker Charakter, „sittlichreligiösen Charakter“, fordern. Dies scheint wiederum spätere Gedankengänge Droysens (Historik ed. Hübner/41960, 287, ed. Leyh/1977, 235f.; s. I, 179) vorwegzunehmen. In Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ nehme man, fährt der Anonymus fort, im Gegensatz zu seinen früheren Werken einen „bedeutenden Fortschritt zu diesem höchsten Ziele der Wissenschaft wahr“ ([Vf. Nr.] 43/1840, 818). - Der praktische Nutzen dieser idealistischen Gedankengänge war zweifelhaft, denn gerade im Umgang mit dem „Heiligen, Wahren und Schönen“ äußern sich Subjektivität und Parteilichkeit bekanntlich am stärksten. Von ähnlicher Natur waren Gedanken des Rezensenten zur „historischen Methode“, denen zumindest in der Intention das Verdienst zukommt, eine ungewöhnliche, frühe, hochabstrakte, wenn auch für die Praxis untaugliche Betrachtung der „historischen Methode“ Rankes versucht zu haben: „Letztere könnte man füglich eine Dialektik der historischen Thatsache nennen, welche sie, ganz wie die philosophische Dialektik den Gedanken, immanent sich aus ihrer innersten Natur entwickeln läßt und so die sich ergebenden einzelnen Erscheinungen in ihrer innern Nothwendigkeit zur Anschauung bringt. Dabei ergibt sich dasselbe Spiel der nothwendigen Entfaltung zu Gegensätzen und deren gegenseitigen Überschlagens, wie bei der begrifflichen Dialektik; nur freilich mit dem Unterschiede, daß Alles durchaus concret gehalten ist, wie es dem echten Historiker geziemt, und nirgend der abstracte Begriff, sondern überall die historische Thatsache das Bestimmende und Formgebende ist. Viele Anhänger der neuern Philosophie, die sich niemals ihres starren Formalismus entäußern können, werden freilich in diesem Mangel des abstract Begrifflichen einen Grund finden, das Buch unwissenschaftlich zu schelten: wir würden ihnen beistimmen, wenn der Verf. eine Philosophie der Geschichte hätte geben wollen; da er aber Geschichte selbst schreiben will, können wir darin nur einen Vorzug erblicken, weil er damit ein Beispiel geliefert hat, wie man den empirischen Stoff durchaus philosophisch durchdringen und dennoch seinen Inhalt in ganz historisch-objectiver Form zur Darstellung bringen kann.“ (822). Dies eine Distinktion, die später selbst von Benedetto Croce nicht völlig mitvollzogen wurde. Auf den rankekritischen Spuren Droysens (s. I, 168ff.) wandelte sein kulturhistorisch ausgerichteter und nicht minder an geschichtstheoretischen Fragen interessierter Hörer Alexander Brückner (1834-1896), der auch Vorlesungen Rankes besucht hatte, später Professor der russischen Geschichte an der Universität Dorpat wurde (s. Richard Hausmann: Brückner, Alexander. In: ADB 55/1910, 688-691). Er verfaßte 1869 einen Aufsatz für die ‚Baltische Monatsschrift‘ mit dem Titel ‚Zur Geschichte der Geschichte‘. Der erste Teil dieses schlichten, gleichwohl anregenden Beitrags ist der Frage nach Wesen und Aufgabe der Geschichte als Wissenschaft gewidmet, eine Frage, die vor allem aus der Kritik Schopenhauers heraus aufgeworfen wird, und auf welche, so Brückner, die Historiker selbst, weder historiographiegeschichtlich noch theoretisch, eine genügende Auskunft gegeben hätten. Man habe es versäumt, an Humboldts Gedanken (‚Über die Aufgabe des Geschichtschreibers‘) anzuknüpfen, und - wie überzogen ausgeführt wird - v. a. die Rankesche Schule, insbesondere Sybel in seiner Festrede ‚Ueber die Gesetze des Historischen Wissens‘ von 1864 habe „die Technik der Beschäftigung mit den Quellen verwechselt mit den Aufgaben der Geschichtswissenschaft überhaupt.“ (Brückner/1869, 331). Hier scheint ganz deutlich Droysen durch. Andererseits: „Ranke’s Schule thut selbst natürlich viel mehr, als sie verspricht. Ihre Praxis ist viel weiter als ihre Theorie.“ (336). Doch in ihrer „unbedingten Herr- 154 -

I/2.1.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - Kritik der historischen Kritik

schaft über das Material, in der reichen Fülle desselben“ habe sie nicht vermocht, „das Wesen der Geschichte zu bestimmen“ (338). In einem 1886 gehaltenen Vortrag vertrat Brückner die Auffassung, „die als Hauptaufgabe der Geschichte hingestellte Forderung, zu sagen, wie es eigentlich gewesen, gebe allenfalls das Gerippe der Begebenheiten, nicht aber die Geschichte selbst; erst durch die Emancipation von dem Besonderen wird die Geschichte zur Wissenschaft“ (Hausmann a. a. O). Auch dies beruht auf einem Mißverständnis, denn die genannte Rankesche Forderung beschränkt sich nicht auf das Besondere. Vielmehr war Ranke stets und vor allem bemüht, dieses im Zusammenhang mit dem Allgemeinen zu betrachten. In seiner 1886 gehaltenen Festrede ‚Ueber Thatsachenreihen in der Geschichte‘ sprach Brückner sogar von einer „Quasiwissenschaft“, die „nichts lehren, nichts beweisen und nur zeigen“ wolle, „wie die Dinge waren und wie Alles gekommen ist.“ (Dazu Kolde/1890, 6f.). Die Skepsis hinsichtlich einer Vereinseitigung oder einer allerdings nur schwer vorstellbaren Verabsolutierung der historischen Kritik und deren Folgen führte unter Historikern nur selten zu einer letztlich in die Selbstaufgabe führenden völligen Aufgabe jeglichen Objektivitätsglaubens. - 1860 erschien anonym eine Schrift mit dem Titel ‚Die moderne Geschichtswissenschaft und ihre Bundesgenossen, Skepticismus und akatholischer Confessionalismus im Kampfe mit der Kirche, als Beitrag zur Erwägung einer der wichtigsten Zeitfragen von einem „Dilettanten“‘, Schaffhausen 1860 (62 S.). Als Dilettant im abträglichen Sinne war ihr Verfasser freilich nicht anzusehen. Karl Heinrich Roth von Schreckenstein (1823-1894), um den es sich handelte, war 1859 als Mediävist zum zweiten Direktor des ‚Germanischen Museums‘ in Nürnberg berufen worden und erlangte später die Leitung des großherzoglich badischen General-Landesarchivs in Karlsruhe (Frankhauser: Schreckenstein, Karl Heinrich. In: ADB 54/1908, 184f.). Seine Ernsthaftigkeit geht auch aus dem 1864 erschienenen, nicht alltäglichen Schriftchen hervor ‚Wie soll man Urkunden ediren? Ein Versuch‘ (Tüb.: Laupp, 54 S.). Die Schrift über die moderne Geschichtswissenschaft nun wendet sich gegen die „nichtige“ „Voraussetzungslosigkeit der modernen Wissenschaft“ (8), die eine „Fiktion“ sei. Insbesondere sei „die behauptete Unparteilichkeit und Voraussetzungslosigkeit der modernen Schule eine völlige Fiktion“ (21) „Man hat sich aus Eitelkeit ein Ideal der Geschichtschreibung construirt, dem man aber durchaus nicht zu genügen vermag, denn wie sollte es dem Historiker möglich sein, völlige Objektivität gewähren zu können?“ (30). Auch die offenkundige Flüchtigkeit eines bestimmten vielschreibenden Historikers wird getadelt: „Ein Menschenleben wäre zu kurz, um alle gedruckten Urkunden der Hohenstaufenzeit in gründlicher Weise kennen zu lernen, aber in einigen Decennien beurtheilt man das Papstthum, schreibt eine deutsche, eine französische und eine englische Geschichte, und nebenher noch Abhandlungen und Denkschriften, treibt auch wohl noch zur Abwechslung etwas Politik und lebt nicht etwa in der Studierstube, sondern inmitten der geselligen Pflichten der Residenz. Da liegt es denn doch auf der Hand, daß man in der Quellenbenützung wenigstens nicht scrupulös gewesen ist, und wohl auch manches Wichtige übersehen hat.“ (47) Dies war ganz deutlich und auch bei Inrechnungstellung der prononcierten Katholizität des Verfassers mit ausreichender Berechtigung auf Ranke gemünzt. Von allzu schlichtem Realitätssinn war die Einstellung des neben Ranke in Berlin wirkenden theorieschwachen, mit einem eher problematischen Verhältnis zur historischen Kritik belasteten (s. o.) Friedrich von Raumer zum Thema ‚Objektivität‘ geprägt. Brachte er doch die überhaupt fragliche Wahrheit der Historie mit der womög- 155 -

I/2.1.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - Kritik der historischen Kritik

lich eher erreichbaren Wahrheit der Kunst allzu simpel in Eins. In seinem ‚Handbuch zur Geschichte der Litteratur‘ bemerkte er: „Man hat behauptet: der Geschichtschreiber solle durchaus objektiv seyn; das heißt man müsse von seinen persönlichen Ansichten, Grundsätzen, Charakter, Schreibart u. s. w. gar nichts merken; die Ereignisse müßten durch seinen Geist ganz unverändert hindurchlaufen, wie Wasser durch einen Trichter. - Ich halte diese Forderung für unverständig, für unausführbar. Bei gleicher Wahrheitsliebe unterscheiden sich die größten Geschichtschreiber am Bestimmtesten durch ihre persönliche Auffassung und Behandlungsweise, sie sind gar nicht zu verwechseln. Und warum soll das, was man z. B. an Malern und Musikern anerkennt und rühmt, nicht auch für begabte Geschichtschreiber gelten.“ (v. Raumer IV/1866, 115). Kaum wiederzuerkennen ist der 1870 auf traditionellen Wissenschaftspfaden wandelnde Verfasser von ‚Beiträgen zur Quellenkunde und Kritik des Laertius Diogenes‘, welcher damals in der dritten Klasse des Pädagogiums zu Basel ‚Griechische Sprache‘ unterrichtete, in dem Verfasser der 1874 erschienenen ungeheuer aufsehenerregenden ‚Unzeitgemäßen Betrachtungen. Zweites Stück: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben‘. In Friedrich Nietzsches (1844-1900) letzterer Schrift ist Ranke nicht genannt, aber die übersättigte historische Bildung seiner Zeit - von der freilich nicht in allen Volksschichten gesprochen werden konnte, was man dramatisierend übersah sollte hier einmal als „Schaden, Gebreste und Mangel“ verstanden werden. (V). „Dass das Leben … den Dienst der Historie brauche, muss eben so deutlich begriffen werden als der Satz … dass ein Uebermaass der Historie dem Lebendigen schade.“ (19). Ähnliches war u. a. schon bei Barthold Georg Niebuhr zur Sprache gekommen, der „im Gegensatz zur deutschen Romantik“ davor gewarnt hatte, „daß man sich durch träumerische Betrachtung der Vergangenheit um alle Gegenwart bringe“ (W. Mommsen/1952, 415). Angeklungen war das Erschrecken vor dem Massenhaften von Quellen, Geschichte und Historie auch bereits bei Varnhagen von Ense, der 1837 bemerkt hatte: „ ... In diesem Kunstbestreben liegt allein die Gewähr einer vollständigern und dauernden Aneignung des unermeßlichen Gebietes der Geschichte, in ihm allein das aushelfende Maß für die Auffassung … so wird die Kunst jetzt hauptsächlich dahin streben müssen, dem ausgedehnten Stoffe vermittelst jener Eigenschaft überlegen zu bleiben, und sie daher aufs äußerste zu steigern. Wir bedürfen neuer Darstellungsarten, die Geschichtschreibung erwartet eine neue Wendung. Ohne vorgreifend bestimmen zu wollen, bis zu welcher Kürze der Formeln oder Einfachheit der Bilder die ungeheuren Massen künftig zu epitomisiren sein dürften, wagen wir nur die Andeutung, dass die neue und fruchtbare Weise, wie Ranke die Geschichtsquellen, selbst indem er sie reichlicher öffnet, doch nur enger zusammenzieht, uns ein großer Vorschritt in jener Richtung dünkt...“ (Varnhagen v. Ense/1837, Sp. 525f.). - Bekanntlich unterscheidet Nietzsche drei Arten der Historie: „Wenn der Mensch, der Grosses schaffen will, überhaupt die Vergangenheit braucht, so bemächtigt er sich ihrer vermittelst der monumentalischen Historie; wer dagegen im Gewohnten und Altverehrten beharren mag, pflegt das Vergangene als antiquarischer Historiker; und nur der, dem eine gegenwärtige Noth die Brust beklemmt und der um jeden Preis die Last von sich abwerfen will, hat ein Bedürfniss zur kritischen, das heisst richtenden und verurtheilenden Historie.“ (27). - Auch Letzteres war ja keineswegs neu und dabei zugleich schon überholt. Es entsprach dem überwundenen Schlosserschen Standpunkt. Wohl deutlicher noch auf Ranke bezogen sind Nietzsches, wie so oft von emotional übersteigerter Metaphorik belastete Gedankenspäne zur Objektivität: „Oder sollte als Wächter - 156 -

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des grossen geschichtlichen Welt-Harem ein Geschlecht von Eunuchen nöthig sein? Denen steht freilich die reine Objectivität schön zu Gesichte. Scheint es doch fast, als wäre es die Aufgabe, die Geschichte zu bewachen, dass nichts aus ihr heraus komme als eben Geschichten, aber ja kein Geschehen!“ (47). Das Eunuchen-Bild war beiläufig schon in Droysens Historik-Vorlesung von 1857 aufgestellt worden (ed. Leyh/1977, 236). Auch die Vorstellung vom „historischen Virtuosen der Gegenwart“ zielt in Rankes Richtung - „er ist zum nachtönenden Passivum geworden“ (55f.) -, läßt an das Selbst-Auslöschen-Diktum denken - oder die polemischen Bemerkungen zur historischen „Methode“ (70). In die Tiefe von Geschichtsanschauung und Wesen Rankes zielt weniger Nietzsches Vorwurf vom „klügsten aller klugen ‚Thatsächlichen‘“ (‚Zur Genealogie der Moral‘. Nietzsche’s Werke, 1. Abt., Bd. VII/1921, 454) und vom „‚Objektiven‘ mit schwachem Willen“ (‚Der Wille zur Macht‘. Nietzsche’s Werke. 2. Abt., Bd. XV/1922, 235), als vielmehr sein unmittelbar nach Rankes Tod formulierter Ranke-Aphorismus vom „gebornen klassischen advocatus jeder causa fortior“ (1887, ‚Zur Genealogie der Moral‘, 454), in dem auch vielfach geäußerte ältere CharakterVorwürfe anzuklingen scheinen. Ranke, dem zwar keineswegs der Wille zur geistigen Macht abging, stand in der Tat stets auf der Seite und unter dem Schutz der gesellschaftlichen und politischen Macht, er war auch, wie seine Schrift ‚Die großen Mächte‘ zeigt, ein Freund des Heraklit-Satzes vom Krieg als dem Vater aller Dinge und sah aus ihm weitgehend moralfrei „die neuen Entwicklungen am entschiedensten“ hervorgehen (s. u. Max Lenz, I, 452), woraus sich sogar eine gewisse Nähe zu Nietzsche begründen ließe. Georg Kaufmann hat Nietzsches causa fortior-Wort treffend so formuliert: „Das Gewordene erscheint hier regelmäßig als das besser Berechtigte“ (Kaufmann/1889, 275). - Bei Nietzsches Anklage wird übrigens nicht selten übersehen, daß sie sich in ihrer Übermaß-Kritik nicht gegen die Historie schlechthin wendet. Immerhin spricht er noch von der Notwendigkeit und Möglichkeit, sich der „Vergangenheit“ zu „bemächtigen“. - Zu Nietzsches „leidenschaftlicher Anklage wider den Historismus“ äußerte sich später vor allem Friedrich Meinecke (Persönlichkeit u. geschichtl. Welt, WW IV, ²1965, 50ff.). - Der liberale Essayist Karl Hillebrand (18291884) unternahm 1874 unter dem Titel ‚Über historisches Wissen und historischen Sinn‘ eine Besprechung von Nietzsches Schrift. Aus seinen allgemeinen zeitkritischen Bemerkungen verdient zumindest folgende im Zusammenhang mit Ranke Beachtung: „Die Herren Professoren mögen sich noch so viele Illusionen über ihre Objectivität machen, über ihre wissenschaftliche Unbestechlichkeit und Gewissenhaftigkeit, über die Unfehlbarkeit ihrer wunderbaren Methode - und ich glaube wirklich, käme heute Thukydides vor’s Publikum, ein Privatdocent aus Leipzig oder Göttingen würde dem unglücklichen Historiker, der nicht aus dem Ranke’schen oder Waitz’schen Seminar hervorgegangen, in irgend einem ‚literarischen Centralblatt‘ schon seinen Mangel an Methode recht gründlich auseinanderzusetzen wissen - unsere akademischen Lehrer der Geschichte mögen sich noch so sehr über die Unsicherheit alles historischen Wissens und über die Unmöglichkeit aller Feststellung anderer als der gröbsten, summarischesten Thatsachen zu täuschen suchen - sie haben, ohne es zu wollen und zu wissen, den protestantischen und nationalen Interessen gedient, ihnen zuliebe die Geschichte gebeugt, in diesem Sinne die Thatsachen gesichtet und zusammengestellt.“ (K. Hillebrand 1874/1875, 317f., weiteres 319f.). Zur Kritik der historischen Kritik gehört im weiteren Sinne die Aufforderung bzw. das Streben, sie wirkungsvoller zu gestalten und auch allgemeiner auszurichten. Das Bedürfnis ergab sich hier und da aus der Einsicht, daß ihr als bloßem Wort-Werkzeug - 157 -

I/2.1.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - Kritik der historischen Kritik

nicht Genüge getan werde, eine Auffassung, der allerdings Droysen mit seinem vergröbernden Spruch vom Chronisten als „armen Teufel“ nicht beigetreten war. Die Abhandlung des bedeutenden, Niebuhr und besonders Hegel verpflichteten protestantischen Kirchenhistorikers Ferdinand Christian Baur (1792-1860), betitelt ‚Kritische Beiträge zur Kirchengeschichte der ersten Jahrhunderte, mit besonderer Rücksicht auf die Werke von Neander und Gieseler‘ (Baur/1845) nennt Ranke nicht, ist jedoch in seinem Zusammenhang von Interesse, da sie mit bemerkenswerten Überlegungen zu einem vertieften Begriff von historischer Kritik beginnt (207-209). Diese geht nach Baur über bloße Quellenkritik weit hinaus und hat „die höhere Aufgabe des geschichtlichen Begreifens überhaupt“ (217). Auch wirft Baur die unbeantwortete Frage auf nach der Möglichkeit, „eine Theorie der historischen Kritik aufzustellen.“ (219). Nach Eduard Fueters plakativer Auffassung wandte Baur „zum ersten Male systematisch Rankes kritische Grundsätze auf die neutestamentlichen Schriften an“ (Fueter: Geschichte/1911, 441), ob bewußt rankebezogen, oder ob dies bereits im Zug der Zeit lag, sei dahingestellt. - Gerade in der historischen Kritik erblickte der Theologe Otto Zöckler noch Jahrzehnte später eine Gefahr. Er betrachtete 1883 ‚Die Person des Herrn in der Weltgeschichte von Ranke‘ und gelangte in dem zwar „auf edler sittlicher Grundlage ruhenden Werke“ doch zur Wahrnehmung eines „modernen Geist[es], dem es einmal unmöglich ist, Wunder und Weissagung zu glauben.“ (201f.). Dies sei „die Tiefe der Noth unserer Zeit“. „Das Historisch-Kritische beherrscht uns und - entleert uns.“ (202). Hier war mit Recht und mit Rückfall in vorreformatorische Zeiten die zerstörerische Bedrohung erkannt, welche nicht nur von Seiten der Naturwissenschaft, sondern auch durch die philologisch und allgemein historisch arbeitende Geschichtswissenschaft dem Glauben bei Untersuchung seiner zeit- und phantasiegebundenen Hervorbringungen erwuchs. Allerdings läßt sich nicht sagen, daß Ranke hinsichtlich der testamentlichen Geschichtsquellen sein volles kritisches Rüstzeug eingesetzt hätte (s. u. Bespr. der WG durch Holtzmann, I, 366). Gegenüber Baur vertrat Hartwig Floto in seiner bereits herangezogenen Antrittsrede von 1856 ‚Über historische Kritik‘ die nicht eben bestärkende Auffassung, „eine Theorie, ... bestimmte Grundsätze, Regeln und Rezepte über historische Kritik“ ließen sich nicht aufstellen“ (Floto/1856, 13). Dem widersprachen später indirekt u. a. Sybel in seiner Bonner Festrede ‚Ueber die Gesetze des Historischen Wissens‘ vom Jahre 1864 und Adolf Rhomberg (1851-1921) in einer Schrift mit dem prätentiösen Titel ‚Die Erhebung der Geschichte zum Range einer Wissenschaft oder die historische Gewißheit und ihre Gesetze‘ von 1883. Rhomberg, der hiermit den Titel eines Aufsatzes von Droysen (HZ 9, 1863, 1-22) aufgriff, beabsichtigte - nach einer Einleitung über das „gegenwärtige Stadium [!] der Geschichtswissenschaft“ und nach einem Kapitel über „Begriff und Wesen der Wissenschaftlichkeit“, in denen er sich mit Niebuhr, Droysen, Floto, Wuttke, Sybel, v. a. Buckle kritisch auseinandersetzte - die Aufstellung „historisch-kritischer Axiome von unbedingter Geltung“ (16), welche der Tatsachenfeststellung dienen sollten. Dabei wird Ranke häufig (4, 7-9, 14, 30, 33f., 38-40, 70f., 88, 90, 93) als Ausgangspunkt oder Beweismittel benutzt, so z. B. für das „III. Historisch-kritische Axiom: Es ist für Jeden unmöglich, seine Zeitverhältnisse und seine eigenen Anschauungen und Lebensumstände vollständig zu verleugnen.“ (37). Hierzu werden (39f.) Rückschlüsse Rankes herangezogen, die er aus den Annalen Einhards auf die Lebensumstände ihres Verfassers gezogen hatte. Was Rhombergs sogenanntes III. Axiom anbelangt, so war natürlich an einen Quellenverfasser gedacht und der diesen - 158 -

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deutende Historiker - auch Rhomberg selbst -, für den es ebenfalls gelten mußte, nicht mitbedacht. Rankes Zeitgenossen gingen schon bald seinen Quellen, im besonderen den Gesandtschaftsberichten und den Folgen ihrer Benutzung kritisch nach. Es dürfte sich selbst da, wo Polemik im Spiel war, nicht um billiges Mäkeln, sondern - wie die Vielzahl der Stimmen zeigt - um den Ausdruck eines durchaus ernst zu nehmenden Problembewußtseins gehandelt haben, das, nachdem es später beiseitegestellt und nahezu vergessen worden war, in jüngster Zeit wieder erwachte (s. II/8.2.3). Von Interesse ist, daß sich, wie bereits in der Kritik Heinrich Leos, Rankesche Prinzipien gegen ihn selbst wandten. Als in der ‚Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ bei Lektüre der ‚Päpste‘ noch unbeschwert der „Hauch des unmittelbaren Lebens“ verspürt wurde, „welchen Hn. Ranke aus seinen so aus dem Leben selbst hervorgegangenen Quellen festzuhalten gelungen“ sei, (A. H. L. [Heeren?] und A. Schr./1837, 350), hatte der mehrfach erwähnte Joseph Aschbach bereits eine störende Forderung erhoben. Anläßlich zweier Besprechungen von Rankes ‚Päpsten‘ hatte er verlangt, die Papiere hätten in Hinsicht ihrer Parteilichkeit „einer näheren Prüfung ... unterworfen werden müssen“ (Aschbach/1835, Sp. 629). Aschbach versuchte sich sodann aus eigener Kenntnis der Relationen-Sammlung der Frankfurter/M. Stadtbibliothek an einer inneren Typologie, wobei er auf Ergänzungsmöglichkeiten durch die Glauburgsche Sammlung italienischer Handschriften hinwies (Aschbach/1836, 917). Es folgte der auch aus anderen Besprechungen geläufige Vorwurf, auf „das Bekannte, Gedruckte, Abgehandelte“ werde von Ranke „nicht häufig Rücksicht genommen“ (Aschbach/1835, Sp. 635), und vor allem der damals noch seltene Hinweis, daß - bei aller Wertschätzung dieser Gattung - aus Relationen allein die Geschichte eines Landes nicht vollständig und richtig geschrieben werden könne (Aschbach/1835, Sp. 633). - Auch der zwanzigjährige Gustav Freytag fand an Rankes ‚Päpsten‘ keinen rechten Gefallen. Während seines Studiums an der Berliner Universität, [um 1836], habe ihn - so liest man in seinen ‚Erinnerungen‘ - von Ranke dessen Geschichte der Päpste ferngehalten: „das gefeierte Werk jener Jahre, in welchem seine Methode, die Charaktere so darzustellen, wie sie etwa einem vornehmen Italiener aus der Zeit Macchiavells erschienen wären, meiner teutonischen Empfindung wehe that, weil sie mir die Wahrheit der Schilderungen zu beeinträchtigen schien.“ (Freytag/1887, 136). - Eine uneingeschränkte Wertschätzung der Relationen vermochte auch Rankes Schüler Felix Papencordt nicht recht zu akzeptieren. Er warf seinem Lehrer in einer anonymen Besprechung der ‚Päpste‘ eine unkritische Einschätzung der Bedeutung seiner bevorzugten Quellengattung vor (Papencordt/1838, 43f.). Unangenehm berührte alsbald die in einem Artikel ‚Zur Feier der Thronbesteigung Friedrich’s II.‘ abgesetzte Polemik Karl Friedrich Köppens in den ,Hallischen Jahrbüchern für deutsche Wissenschaft und Kunst’ von 1840 gegen das „buntscheckige“ Zusammenflicken von „diplomatischen Papieren, Gesandtschaftsberichten und Anekdoten, untermischt mit etwas Zeitgeist und Vorsehung“ (1840, 1177). 1841 legte Köppen nach, in einem gelegentlich polemischen, aber durchaus unterrichteten Artikel der Jahrbücher, betitelt ‚Die berliner Historiker‘. Hierin warf er die Frage auf, ob die von Ranke benutzten Aktenstücke und diplomatischen Papiere „überall der letzte Halt und das non plus ultra, ob sie je Alles in Allem sein können, und ob nicht deren ausschließlicher Gebrauch und das Beharren in ihnen zum nüchternsten, einseitigsten, beschränktesten Pragmatismus, ja zu wirklicher Abgeschmacktheit führen müsse.“ - 159 -

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Schließlich sei ja, wie Köppen listig bemerkt, die Geschichte der letzten 25 Jahre auch nicht allein aus Quellen dieser Art zu schreiben ([Köppen]/1841, 431). Dem ähnelte stark die spätere bon-mot-artige Feststellung eines anonymen Rezensenten von Rankes ‚Englischer Geschichte‘ in der Wiener ‚Katholischen Literatur-Zeitung‘ vom 27. Februar 1860: „ ... wie die Gegenwart nicht blos nach gesandtschaftlichen Depeschen beurtheilt werden darf, so bestand die Vergangenheit nicht aus den internationalen Beziehungen der Staaten allein.“ (67). - Ähnlich den Hegelschen Komponenten der Kritik Köppens sah auch dessen Freund Karl Marx (1818-1883) wenig später die Dinge. Er las 1843 in Bad Kreuznach den zweiten Band von Rankes ‚Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ und den Aufsatz ‚Über die Restauration in Frankreich’ aus der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ (Berthold/1989, 600), besaß jedoch „weder in seiner ersten noch in der Londoner Bibliothek Bücher von Ranke“ (Behrendt/1987 nach Vajnštejn/1961 und Veber/1968). Er nahm ihn nicht ernst, sah das „kleine Rabunzel“ und „tanzende Wurzelmännchen“ nur als „geborenen Kammerdiener der Geschichte“, der seine „spielende Anekdotenkrämerei und die Rückführung aller großen Ereignisse auf Kleinigkeiten und Lausereien“ für Geist halte (an Engels, [London], 7. 9. 64. Marx/Engels, WW 30/1974, 432). Ein Rezensent der ‚Grenzboten‘ von 1847 hält es - in Schlosserscher Sichtweise für einen „Uebelstand“, „aus Archiven vorzugsweise Geschichte zu schreiben“ und „das zu ignoriren, was gleichzeitige Memoirenschreiber und Augenzeugen ausführlich und wiederholt schildern“, wie etwa die von Ranke nicht recht in den Blick genommenen körperlichen Exzesse Friedrich Wilhelms I. ([Anonym:]/Jg. 6, Bd. III, Nr. 33, Lpz. 1847, 307). Die Kritik an Rankes Quellenarbeit und -material bezog sich also nicht allein auf die ‚diplomatischen‘ Gattungen, sondern auch auf den Primat der Archivalien schlechthin, wie dies der Argumentation eines Kritikers von Rankes ‚Preußischer Geschichte‘ zu entnehmen ist, der - unfassbar - vor der Gefahr des „Studiums authentischer Archivalien“ warnt (Zimmermann: Über Ranke’s Auffassung König Friedrichs II./1848, 23). Durch dieses werde zwar „die Fähigkeit zu ursprünglicher Auffassung der Geschichte erhöht und gestärkt“, jedoch sei, „da man aus den Archivalien in überwiegender Masse einzelne kleine Züge zur Bestimmung der Physiognomie eines großen Zeitabschnittes zu sammeln“ habe, die „Uebersicht des Ganzen und Großen“ (ebd.) dabei nur schwer zu bewahren. Ähnlich äußerte sich auch der Rezensent M. der Beilage zur ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 24. Febr. 1848 in einem Artikel über ‚Historik und Dramatik‘: Ranke sei in seiner preußischen Geschichte „so weit gegangen daß eigentlich nur noch das historischen Werth für ihn hat was er in seinen Archiven gefunden, und was sich durch dieselben beglaubigen läßt. Dieß verleitet ihn denn manches andere auch sonst Feststehende in seiner Darstellung zurücktreten zu lassen oder zu ignoriren, und dadurch auf manches charakteristische Element zu verzichten.“ (874). - Auch Rankes mit Undank gestrafter ehemaliger entscheidender Förderer Varnhagen von Ense befaßte sich mit der Thematik. Zum 11. August 1847 schrieb er in sein Tagebuch: „Ranke’s ‚Preußische Geschichten‘ las ich mit Unlust weiter. Seine alten Fehler zeigen sich hier in ganzer Blöße, vor allem der Wahn, die Hauptsache der Geschichte finde sich in dem von ihm zuerst aufgeschlossenen oder benutzten Material“ ([Aus dem Nachlaß Varnhagen’s v. Ense. Tgbb. IV/1862, 128f.). Eine ähnliche Ansicht äußerte er 1848 nach weiterer Lektüre: „Ranken waren alle Archivquellen geöffnet; er hat aber nur Schlamm daraus gezogen! Die amtlichen Aktenstücke allein können überhaupt kein treues Geschichtsbild liefern; sie verschweigen oft das Wich- 160 -

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tigste, das Lebendigste; oft sind sie ganz und gar im Dienste der Lüge zusammengestellt.“ (Briefw. Troxler-Varnhagen/1953, 332). Von Bedeutung war der wissenschaftsgeschichtlich folgenreiche und andernorts noch zu betrachtende Nekrolog auf Schlosser (s. I, 179f.) aus der Feder von Georg Gottfried Gervinus, u. a. weiter behandelt von Johann Wilhelm Loebell in seinen ‚Briefen über den Nekrolog Friedrich Christoph Schlossers von G. G. Gervinus’ (1862). Gervinus vertrat nicht nur die Auffassung, bei Rankes Methode liege immer die Gefahr nahe, daß sie ihre ungedruckten Quellen überschätze, nur weil sie neu seien und desgleichen „ihre diplomatischen Gewährsleute, nur weil sie amtliche Eingeweihte“ seien, er stellte auch den Quellenwert von Gesandtschaftsberichten und ähnlichen Dokumenten grundsätzlich in Frage. Hierzu wird Ranke unterstellt, er messe dem „Wochenbericht“ eines Diplomaten eine höhere Bedeutung bei als den „großen Combinationen eines Machiavelli“, da aus diesem „nichts Neues zu excerpiren und zu registriren“ sei (Gervinus/1861, 26). Überhaupt verstärkte sich diese Kritik seit den 1860er Jahren, nachdem die Bevorzugung der Quellengattung in nahezu allen Werken Rankes auch für weitere Kreise als mehr und mehr aufdringliche Spezialität nachhaltig sichtbar geworden war. Auch im Ausland finden sich kritische Stimmen hinsichtlich seiner Quellen. In der bedeutenden Pariser ‚Biographie générale‘, Bd. 41 von 1862, wird festgestellt, die von Ranke benutzten, einseitig auf Staatsmänner und Diplomaten zurückzuführenden Quellen seien weit entfernt, sichere Führer zu sein (594). Acton stieß sich mehr an der Art der Benutzung. In einem Ranke-Artikel des Chronicle vom 20. Juli 1867 beanstandete er: „The manuscripts served him rather as a magazine of curiosities than as the essential basis of a connected history“ (393. Mit der RankeKritik Actons befaßte sich später Pieter Geyl in seinem Vortrag ‚Ranke in the light of the catastrophe‘, 1952). Ferdinand Gregorovius, nicht der Geringste unter den Rombegeisterten und Romhistorikern, mit so unterschiedlichen Geistern wie Acton und Gervinus in Verbindung stehend, schrieb am 28. April 1867 in sein römisches Tagebuch: „Ranke kennt nur die Diplomatie in der Geschichte - ‚das Volk‘ kennt er nicht“ (Gregorovius/1893, 239). Dem glich auch das Urteil Constantin Frantz’, der in seiner bereits herangezogenen, 1874 erschienenen Schrift ‚Die preußische Intelligenz und ihre Grenzen‘ geschrieben hatte: „Wie für die Diplomatie, [deren Berichte Ranke vorwiegend nutze], so werden auch für ihn die Machtfragen zur Hauptsache. Der moralische und sociale Zustand der Völker kommt dabei nur in soweit in Betracht, als darin selbst Machtmittel für die Staatsgewalten liegen.“ (50, Anm.) ... „Sein Streben nach Objectivität bewegt sich auf der Grenze der Gesinnungslosigkeit.“ (Ebd., s. I, 301). Der noch weiter zu betrachtende Heinrich Ulmann (1841-1931), Professor der Geschichte an der Universität Greifswald, ließ 1874 seine dem Lehrer Georg Waitz gewidmete Antrittsrede erscheinen, mit dem Titel ‚Ueber den Werth diplomatischer Depeschen als Geschichtsquellen‘. Anhand von Beispielen (u. a. über den brandenburgischen Residenten in England, Bonnet, S. 10, der auch in EnglG/Analekten eine Rolle spielt) warnte er vor der Überschätzung des Quellenwertes diplomatischer Depeschen und Gesandtschaftsberichte, „aus denen beispielsweise Ranke die herrlichen Characterköpfe zum guten Theil entlehnt hat, welche seine Werke zieren!“ (5). Die „kritiklose und unvorsichtige Benutzung“ dieser Quellen habe „mancherlei Unheil angerichtet“ (22). Eine Feststellung, welche dem Nekrolog Gervinus’ auf Schlosser (1861, 26) hätte entstammen können. - 161 -

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Auch unter Literaten und Philologen gewann Rankes Archivarbeit nur wenige Freunde. Nachdrücklich wird auf die Folgen einer Einseitigkeit der Quellen hingewiesen. Man erkennt weithin, daß sie nicht nur die Abfassung eindrucksvoller und lebendiger Porträts begünstigen, sondern auch die Gefahr tiefgreifender Einseitigkeit in sich tragen. So sieht es der bereits beachtete Johannes Scherr in seinem Aufsatz über ‚Geschichtschreibung und Geschichtschreiber der Gegenwart‘: Rankes „Lieblingswerkzeug, ... die diplomatische Korrespondenz“ (173), habe zur Einseitigkeit einer „diplomatisirenden Auffassung der historischen Erscheinungen“ (175) geführt (Scherr 1861/62, Zitate nach 1864). Auch der wie Scherr in die Schweiz emigrierte liberale und protestantische Heinrich Kurz (1805-1873) behauptete in seiner erfolgreichen ‚Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller‘, Rankes Werke seien „Geschichte vom Standpunkt ... des kalten Diplomaten“ - „Ranke freut sich am Spiel der Intrigue...“, des weiteren: Ranke gehe oft an der Wahrheit vorbei, ihm sei die geschriebene Urkunde alles, bei ihm herrsche Willkür in der Auswahl der Quellen - „sittliche Weltanschauung“ und „das Streben nach Erforschung der absoluten Wahrheit“ gingen ihm ab. Hingegen zollt Kurz, worauf noch zurückzukommen ist, Rankes Darstellungskunst hohe Bewunderung (Kurz III/1859, 697). Kurz’ Ranke-Kritik forderte eine Besprechung Sybels in der soeben gegründeten ‚Historischen Zeitschrift‘ heraus, wo er dessen historiographiegeschichtliche Abschnitte und v. a. den Versuch einer Charakteristik Rankes entschieden als „dilettantisch“ zurückwies (Sybel/1860). Karl Frenzel, Ranke-Hörer, Poet und Theaterkritiker, lobte in einer ‚Studie‘ mit dem Titel ‚Aufgaben der Geschichtschreibung‘ (1868) zwar die „meisterhaften Züge“, mit denen Ranke die „tiefe Umwandlung“ des Katholizismus im 16. Jahrhundert geschildert habe (334), und die „bewunderungswürdige Weise“ seiner Darstellung Karls V. (352). Über Ranke hinaus tadelte er jedoch an „unserer Geschichtschreibung“, daß sie „die Archive nach halbvermoderten Urkunden“ durchwühle und „die vergilbten Depeschen der Diplomaten“ lese, „als enthielten sie das Weltgeheimnis. Niemand wird den Werth dieser Studien und den Reiz solcher Erzählungen für die Biographie und die Detailgeschichte läugnen, aber Weltgeschichte, wie sie ein immer dringenderes Bedürfniß für das Volk wird, ist es nicht.“ (324). Die Aufgabe der Geschichtsschreibung sei hingegen die Darstellung des „Ganzen“, „eines geschichtlichen Kosmos“. Daher habe auch „die Gewohnheit unserer Historiker ..., nachdem sie den Königen und Ministern Bände gewidmet, auch den Denkern und Dichtern ein kurzes Kapitel zu schenken... etwas Kleinliches und Verkehrtes. Die Anschauungen und Stimmungen einer Zeit, die in ihrer Kunst und Literatur zum vollsten und untrüglichsten Ausdruck kommen, laufen nicht neben oder gar hinter den politischen Erscheinungen her: umgekehrt, sie helfen diese Ereignisse mit erzeugen.“ (367). Der Vorwurf zielte ganz deutlich auch auf Ranke ab, der dieses Verfahren, wie etwa in seiner ‚Französischen Geschichte‘ (I/1852, „Blick auf die Literatur“) oder in seiner ‚Englischen Geschichte‘ (I/1859 „Ein Blick auf die Literatur der Epoche“) mit Vorliebe praktizierte. Theodor Fontane (1819-1898), der sich gerade der Lektüre von Rankes ‚Weltgeschichte‘ gewidmet hatte, ging sogar so weit, sich in einem Schreiben vom 2. 6. 1881 an den Ranke-Verehrer Hermann Wichmann grundsätzlich ablehnend über die Benutzung von Archivmaterial auszulassen (Fontane. Werke, Schrr. u. Briefe III/1980, 134f. Dazu Komm. V/2/1994, 513). - 162 -

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Immer wieder finden sich Stimmen, welche nicht anstehen, eindeutige Befunde zu leugnen und das Gegenteil zu behaupten. In einem Nachruf auf Ranke war es vor allem sein noch zu behandelnder Späthörer Alfred Stern, der ihn in Schutz zu nehmen suchte gegen einige Hauptpunkte der älteren Kritik (s. I, 379f.) und dabei auch die mit der „vorwiegenden Benutzung diplomatischer Zeugnisse“ verbundene Gefahr für Ranke nicht gelten ließ (Stern/1886, 512). Dies dürfte Eduard Fueter nicht überzeugt haben. Er nahm in seiner ‚Geschichte der neueren Historiographie‘ vom Jahre 1911 (Zitate nach dieser Erstaufl.) die ältere Kritik wieder auf: „Erstens verwendet Ranke seine Gesandtschaftsberichte doch wohl zu wenig kritisch...“ - „Schlimmer war eine andere Folge seiner einseitigen Quellenbenutzung. Ranke wurde durch sein Material dazu geführt, geschichtliche Ereignisse in der Hauptsache vom Standpunkte der Regierungen aus zu beurteilen...“ (480f.). Seine Methode könne auch „nur für einen verhältnismäßig kleinen Abschnitt der Geschichte zur Verwendung kommen“. Sie versage, „wo sie sich anderen Quellen als erzählenden“ gegenüber sehe (481). * Zur Unparteilichkeit pragmatischer Historiker hatte Gervinus in seinen ‚Grundzügen der Historik‘ von 1837 bemerkt, sie sei „häufig ... gezwungen, neutral, apathisch, oder absichtlich bezweckt“ und nicht „Ausfluß einer angeborenen und natürlichen Vorurtheilslosigkeit“ (54), wozu sich Carl Hegel in den ‚Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik‘ vom Dezember 1839 (Nr. 115-117) äußerte. Es ist bemerkenswert, daß hingegen Rankes posthum immer wieder zitierte und diskutierte prägnante Hauptaussagen zum Thema ‚Objektivität‘ und ‚Unparteilichkeit‘ in ihrer sodann beigelegten Bedeutung oder gar Brisanz zu seinen Lebzeiten kaum wahrgenommen wurden. Dies gilt vor allem für das Diktum aus der Vorrede seines Erstlingswerkes von 1824 - „Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, bey- [GRGV, VI:] gemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will bloß sagen, wie es eigentlich gewesen“ -, doch es gilt auch für das im zweiten Band seiner ‚Englischen Geschichte‘ veröffentlichte Diktum „Ich wünschte mein Selbst gleichsam auszulöschen, und nur die Dinge reden, die mächtigen Kräfte erscheinen zu lassen ...“ (EnglG II, 3). Hinsichtlich der kaum feststellbaren zeitgenössischen Wirkung ist auch zu berücksichtigen, daß sein Erstlingswerk fünfzig Jahre lang in Erstauflage brach lag und sein Auslöschungs-Diktum erst im Jahre 1860 veröffentlicht wurde. Das Verhältnis von Unparteilichkeit zu Objektivität ist zudem von Ranke 1871, sehr spät, im Vorwort des ersten Bandes seines Werkes ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘ publiziert angedeutet worden, eine seiner wenigen und stets unausgeführten Hauptaussagen zu diesem Thema: „Unmöglich wäre es, unter allen den Kämpfen der Macht und der Ideen, welche die größten Entscheidungen in sich tragen, keine Meinung darüber zu haben. Dabei kann aber doch das Wesen der Unparteilichkeit gewahrt bleiben. Denn dies besteht nur darin, daß man die agirenden Mächte in ihrer Stellung anerkennt, und die einer jeden eigenthümlichen Beziehungen würdigt. Man sieht sie in ihrem besonderen Selbst erscheinen, einander gegenübertreten, und mit einander ringen; in diesem Gegensatz vollziehen sich die Begebenheiten und die weltbeherrschenden Geschicke. Objectivität ist zugleich Unparteilichkeit“ (III). Darin mag man auch eine seiner Hauptaussagen in Richtung eines später angeklagten amoralistischen Indifferentismus und Relativismus erblicken (s. u. a. I, 449, 453, 547, 554). - 163 -

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Das Verhältnis der Rankeschen Zeitgenossenschaft zur Frage der Objektivität ist ein sehr differenziertes. Ein Teil der Spannungen, welche sich in der zeitgenössischen Objektivitätskritik abzeichnen, ergibt sich schematisiert aus folgenden unterschiedlichen bis gegensätzlichen Positionen: Man hält mit Ranke Objektivität für unabdingbar und möglich. Man hält sie für möglich, jedoch nicht in jeder Weise oder nicht in der Weise Rankes für wünschenswert. Zu anderen Zeiten hält man sie für wünschenswert, jedoch nicht in jeder Weise oder schlechthin für möglich, ja, man hält Parteilichkeit im Sinne moralischen Urteilens geradezu für unbedingt geboten und nicht unbedingt in Widerspruch zur Objektivität stehend. Auffallend ist die völlige Gegensätzlichkeit von Beurteilungen, die Ranke einerseits Objektivität attestieren, andererseits geradezu Subjektivität vorwerfen oder diese fordern. Seine sich in praxi verkürzt als Unparteilichkeit gebende Objektivität ist dabei Urteilen ausgesetzt, die sich teils aus moralischen und konfessionellen, teils aus politischen, im besonderen patriotischen, nationalen, sogar aus literarästhetischen Positionen heraus begründen. Dabei ist völlig kontrovers und in der Regel unreflektiert die Rede von reiner Objektivität, vollkommener Objektivität, absoluter Objektivität, gar von allzu großer Objektivität, auch von falscher Objektivität, blutloser Objektivität, von kalter Unparteilichkeit und zugleich einseitigster Parteilichkeit. Interessant ist vor allem die in der Kritik sich hier und da vollziehende Auflösung der Verbindung von Objektivität und Unparteilichkeit. Noch 1882 beklagte Wilhelm Maurenbrecher, über die Objektivität einer historischen Darstellung werde „lobend sowol als auch tadelnd“ gesprochen (Maurenbrecher/1882, 329). Diese Feststellung ist, wie sich zeigen wird, durchaus zutreffend, und eine von Max Lenz in seiner Rede beim Eintritt in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften geäußerte Ansicht nur teilweise und sehr bedingt zutreffend: Nach dem Sieg von 1870/71 habe man „mit kälteren Blicken, unbefangener und von einem universalen Standpunkte aus ... auf die Epochen unserer Geschichte zurückblicken“ können, „in denen unsere Lehrer immer nur nach der Mission Preußens ausgeschaut und alle seine Gegner verfolgt hatten. So näherten wir uns wieder den Grundsätzen der Objektivität, welche Ranke in allen Kämpfen der Gegenwart behauptet hatte ...“ (Lenz/1897, 704-708). Dies sah Walter Goetz später auffallend ähnlich. Nachdem die großdeutsche Richtung mit 1866 „erledigt“ gewesen sei und die kleindeutsche mit 1870 „ihre Aufgabe erfüllt“ habe, sei in der Zeit von 1870 an bis in die neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts die Bahn für eine Geschichtsforschung frei“ geworden, „die sich ganz den Grundsätzen Rankescher Objektivität“ habe „widmen und sich von dem Einfluß der Zeitverhältnisse“ habe freimachen können (Goetz: Die dt. Geschichtsschreibung (1919)/1957, 100). Letzteres sicher nicht. Hier hätte bereits Goetz von einer Ranke-Renaissance sprechen können. Doch wäre dies nicht zutreffend gewesen. Denn jahrzehntelang noch steht neben der Forderung nach ‚absoluter Objektivität‘ die Forderung oder nur Praxis einer ethisch und politisch teils gefärbten, teils ausgerichteten ‚Objektivität‘, welche mit dem Rankeschen Verständnis wenig oder nichts gemein hatte. Doch gehen auch nie die Bedenken gegenüber einer uneingeschränkt wirksamen Objektivität verloren, wie sie der protestantische ordentliche Professor der „historischen Theologie“ in Erlangen, Theodor Kolde (1850-1913), in seiner Rede ‚Über Grenzen des historischen Erkennens und der Objectivität des Geschichtsschreibers‘ (Erlangen 1890) äußerte, was mit einer bei Theologen nicht ungewöhnlichen antirationalistischen Einstellung zusammenhängen mochte. Die gegen Ranke - neben vielfachem Lob - gerichteten Vorwürfe mangelnder Objektivität beziehen sich, wie bemerkt, in materialer Hinsicht auf die bevorzugte Be- 164 -

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nutzung diplomatischer Papiere. Diese befördern in der Sicht mancher Zeitgenossen nicht nur eine ungesicherte, sondern auch eo ipso eine unvollständige und überdies diplomatisierende und damit nicht mehr objektive Auffassung. Tiefer reicht der vielfach erhobene Vorwurf einer konfessionell geprägten Parteilichkeit. Tadel wird ihm daher in erster Linie und massiver Form von katholischer Seite zuteil. Dies gilt vor allem für seine beiden ‚Religionswerke‘ und seine beiden ‚Nationalwerke‘. Teils werde die Bedeutung der Reformation, teils die des Papsttums und des Katholizismus nicht angemessen dargestellt. Die Kritik bezieht sich dabei auch auf die je nach Konfession bewundernde oder ‚neutrale‘ Darstellung bestimmter agierender Charaktere. Die Religionskriege schildere Ranke zu Lasten der katholischen und mit Schonung der protestantischen Seite. - Sodann wird ihm soziale und politische Parteilichkeit vorgeworfen, die ihn stets auf der Seite der Stärkeren, der ‚großen‘ Persönlichkeiten, der Führer stehen lasse. Das niedere Volk in seinen Nöten, wie auch die Masse in ihren Wirkungen blieben weithin unbeachtet. Damit zusammenhängend wird seine verehrungsvolle Haltung gegenüber den Herrschenden in Gegenwart und Vergangenheit getadelt, die ihn zur Schönfärberei verführt habe. Auch wird seine Unparteilichkeit, soweit man sie ihm zugesteht, häufig nicht nur als Unentschiedenheit, sondern vor allem als Gleichgültigkeit und Kälte, ja als unethische Partei- und Teilnahmslosigkeit empfunden. Vor allem aber werden charakterliche Dispositionen Rankes als Beeinträchtigungen seiner Objektivität angesehen. Sein schon von Varnhagen als schwächlich beurteilter Charakter, verbunden mit ästhetischen Neigungen, höfischer Subordination und diese ausgleichender aristokratischer Attitüde wird verantwortlich gemacht für einen Mangel, der besonders in der Zurückhaltung gegenüber den menschlichen Unzulänglichkeiten und derberen Persönlichkeitszügen seiner hohen Helden sichtbar wird. Dies gilt besonders für Luther, Heinrich VIII., Cromwell, Friedrich Wilhelm II. und Friedrich Wilhelm IV. Ludwig Häusser (1818-1867), hat sich dazu - neben zahlreichen anderen Kritikern - zunächst 1842/43 allgemein und ein wenig verklausuliert, jedoch massiv in einer Besprechung der ‚Deutschen Geschichte‘ geäußert. Ranke dehne „die Objectivität der Alten bis zu einer ängstlichen Gleichgültigkeit aus, die vom Stoff erwärmt zu werden voll scheuer Besorgniß sich hütet...“ (Gesammelte Schrr. I/1869, 144) und „dem großen unbezwinglichen Stoff“ sei „seine ‚objective‘ Kälte und Gleichgültigkeit zum guten Theil unterlegen...“ (145). Dann auch beklagt Häusser, er könne sich „nicht überzeugen, daß etwas besonders Hohes damit erreicht“ sei, „wenn die theilnahmslose Reflexion den Menschen und das was ihn bewegt völlig erdrückt“ habe (147). Deutlicher noch wird er 1849 im Zusammenhang mit der ‚Preußischen Geschichte‘. Dazu äußert er anonym: „Jene Zurückhaltung [,] die Dinge scharf und bestimmt aufzufassen[,] hat indessen der Objectivität bisweilen Eintrag gethan; neben den milden und weichen Contouren vermissen wir oft die harten und kräftigen Striche [,] wie sie der Zeit und den Charakteren entsprechen. Ranke hat eine Neigung [,] die mildeste und günstigste Seite hervorzukehren, die sich mit der wahren Objectivität nicht gut verträgt; das läßt sich an Personen und an Zuständen nachweisen.“ ([Häusser, Ludwig]/1849, I/1869, 182. - Siehe auch I, 197f. u. 238). Tatsächlich wurde Ranke öfter das Fehlen von Subjektivität vorgeworfen als das Fehlen von Objektivität. Zum Thema wird dies auch bei einigen Literaten der Jahrhundertmitte. Seine ‚Unparteilichkeit‘ wird als Gleichgültigkeit gewertet, welche neben den ethischen Aspekten - vornehmlich dem Mangel an sittlichem Urteil - zu ästheti- 165 -

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schen Bedenken, wie dem Mangel an Lebendigkeit der Darstellung, Anlaß gibt, zweifellos ein weiter zu verfolgender Gedanke. Obgleich man Literaten eher eine Hochschätzung des „Unterhaltens“ auf höherem Niveau im Sinne des ‚prodesse aut delectare‘ zutrauen würde, ist es doch so, daß nicht allein Julian Schmidt bei seiner ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert‘ in Rankes „Virtuosität“ der Zeichnung zugleich seinen „Hauptfehler“ erblickte: „In der Freude an den Gegenständen geht er ganz in sie auf und verliert zuweilen jenes feste, der Gegenwart angehörige politisch-sittliche Urtheil, welches wir von dem ächten Historiker, der uns nicht blos unterhalten, sondern erheben und bilden soll, ebenso verlangen, als das Talent der Darstellung.“ (J. Schmidt I/1853, 322). Diese von Ranke kaum gewollte oder gar erreichte Wirkung entsprach der später von Dilthey charakterisierten Forderung Schmidts nach einer Dichtung bzw. Literatur, „welche eine gesündere Entwicklung des nationalen Lebens fördere“ (Dilthey XI ²1960, 234), - eine Forderung, mit der Schmidts Literaturgeschichte damals „wahren Enthusiasmus“ hervorgerufen habe (ebd.). Auch für Hermann Bischof gehörte es in seinem Beitrag über ‚Die Regeln der Geschichtschreibung‘ um diese Zeit zu den Aufgaben des Historikers „das sittliche Gefühl zu bilden, zu stählen und zu begeistern...“ (Bischof/1857, 827f.). Hier zeigen sich ganz deutlich Forderungen an eine als poetische und ethische Hilfskraft mißverstandene Historie. Der Dramatiker und Literarhistoriker Rudolph Gottschall (1823-1909, 1877 geadelt), der zeitlich unbestimmt (vermutlich um 1844) bei Ranke „hospitiert“ hatte (Gottschall/1898, 163f.), brachte in seinem 1855 erschienenen Werk über ‚Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt‘ nach Nennung der bis dahin erschienenen Hauptwerke Rankes, wobei sein Erstlingswerk wiederum falsch als „Geschichte der romanischen und germanischen Völkerschaften von 1494-1535“ zitiert wird (Gottschall I/1855, 416), eine Julian Schmidt verwandte, scharfe, verhältnismäßig ausführliche Kritik, in der es unter anderem hieß: Ranke „berührt nie Gleichgültiges, aber Alles in gleichgültiger Weise. Diese Gleichgültigkeit erscheint als vollendete Objectivität der Darstellung; aber diese Objectivität ist ein subjectiver Mangel, der Mangel am vollen, warmen Herzschlage der Ueberzeugung und einer großen, sittlichen Gesinnung, ohne welche es keinen Tacitus und keinen Thukydides giebt.“ (417) ... „Wir meinen damit nicht die aufdringliche Tendenz, sondern die latente Wärme, welche auch der objectivsten Darstellung erst intensive Kraft verleiht...“ (418). - Diesem Urteil Gottschalls entsprach auch die Einschätzung Gustav Freytags, der 1856 in einem anonymen Artikel der ‚Grenzboten‘ über ‚Deutsche Geschichtschreiber. Heinrich v. Sybel‘ bemerkte, bis jetzt sei „die deutsche Geschichtschreibung nur zu oft und gerade in ihrem glänzendsten Repräsentanten, Ranke, am meisten in Gefahr“ gewesen, „aus überverfeinerter Humanität gewissenlos zu werden, und das eigne moralische Urtheil einer falschen Objectivität zu opfern“ (243). „Sybel hat nicht die kalte Glätte Rankes, welche den Leser empören kann, wenn eine kunstvolle Phrase da eintritt, wo wir den warmen Ausdruck von Liebe und Haß erwarten, er ist nie ohne Gesinnung ...“ (247). - Gottschall griff das Thema in einem bereits herangezogenen Beitrag der von ihm herausgegebenen ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ des Jahres 1869 wieder auf mit der Frage, ob nicht „die höchste Objectivität und Unparteilichkeit, welche allerdings als ein Vorzug der Geschichtschreibung angesehen“ werde, „nicht auch ... ihre Grenzen“ habe (545f.). „Soll die Geschichtschreibung nicht über die blos verstandesmäßige Erwägung des Zu- 166 -

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sammenhangs der Dinge hinausgehen zu einer Prüfung der Charaktere nach ihrem innern Werth?“... „‚Kühl bis ans Herz hinan‘ - das ist allerdings der Eindruck der Ranke’schen Geschichtschreibung.“ (546). Doch liegt die eigentliche Bedeutung des Beitrags in dem seltenen Verdienst, auf die Zusammenhänge von Quellenbehandlung, Darstellungskunst, allgemeiner Geschichtsanschauung und historischer ‚Wahrheit‘ in vergleichsweise subtiler und überzeugender Art hingewiesen zu haben, - Erkenntnisse, die auch in neueren Betrachtungen aufgegriffen zu werden verdienten: „Die feinere Kunst der Geschichtschreibung“, so stellte Gottschall fest, „wurde durch Ranke erst in unsere Nationalliteratur eingeführt“. Hierdurch sei die „ganze Physiognomie der Geschichte selbst ... verändert, freilich auch ihr Verständniß wesentlich erschwert worden. ... Was ... in großen Zügen und festen Umrissen im Bewußtsein des Volks lebt: das wird durch die Ranke’sche Darstellung wieder schwankend gemacht. Denn diese im Pragmatismus der Motive und im Detail der archivarischen Actenstücke heimische Darstellung gefällt sich vorzugsweise darin, jene vermittelnden Linien hervorzuheben, welche zwischen den schroffen Gegensätzen hin- und hergehen ... Tritt aber eine derartige Auffassung und Darstellung in den Vordergrund, so erscheint die Geschichte trotz der sorgfältigsten Motivirung und gerade wegen derselben, nicht als ein Product der N o t h w e n d i g k e i t [i. T.], sondern mehr als ein Erzeugniß der O p p o r t u n i t ä t [i. T.]. Die unendliche Biegsamkeit und Bestimmbarkeit der Ereignisse theilt sich auch den Charakteren mit und eine ausnehmend elastische Dialektik der Darstellung läßt uns zuletzt in dem beständigen Fluß der Dinge alles Feste vermissen.“ (545). Hinzu komme, daß Rankes Geschichtsschreibung, wie Gottschall erneut betont, „in erster und letzter Linie auf den Pragmatismus der Motive“ gehe „und die Schilderung der Ereignisse“ verschmähe. „Sie gibt gleichsam nur die feine, geistige Seele der Geschichte, nicht ihren Leib.“ (546). Der umtriebige, zunächst freisinnig, später eher vaterländisch eingestellte Poet und Herausgeber Arnold Schloenbach (1807-1866, s. A. Beck: Schlönbach, Karl Arnold. In: ADB 31/1890, 526f.) hatte 1863/64 eine Anthologie der Roman- und Novellendichter der Neuzeit, begleitet von biographisch-kritischen Skizzen herausgegeben, denen schon 1864 eine ähnlich angelegte Anthologie der ‚Denker und Forscher der Neuzeit‘ folgte. In diesem Band der ‚Bibliothek der Deutschen Klassiker‘ hatte er auch Ranke einen Platz eingeräumt mit einigen ‚Historischen Charakterbildern‘, einer für Ranke später immer wieder gern verwendeten personalistischen Editions-Gattung. In der Einleitung äußerte sich Schloenbach allerdings überraschend kritisch: Ranke sei „objektiv bis zum Gefrierpunk; er experimentirt mehr, als er schöpferisch schafft, und er herrscht und richtet nicht mit der olympischen Ruhe eines historischen Zeus, sondern mit der marmorglatten Ruhe eines innerlich theilnahmlosen gewaltigen Verstandes, im Haupte eines ebenso kühnen als feinen Diplomaten. Es fehlt der göttliche Funke, der auch den Historiker entzünden muß, wenn er Andere begeistern will. - Er ist sehr groß, wo er im Kleinen schildert; aber das wahrhaft Große und Gewaltige macht ihn selbst nicht größer. Seine Darstellungen sind Maschinenwerke der bewundernswerthesten Technik und Wirkung; offene Uhrgehäuse, in denen man den Gang der weltgeschichtlichen Zeichen deutlich verfolgen kann; aber es fehlt ihnen das organische Leben.“ (607). - Zu einem kaum minder harten Urteil kam Heinrich von Sybel in seiner 1856 gehaltenen Rede ‚Über den Stand der neueren deutschen Geschichtschreibung‘. Hierin heißt es: „Denn so gewiß der echte Historiker nicht ohne sittliche Gesinnung heranreifen kann, so gewiß gibt es keine echte Gesinnung ohne ein bestimmtes Verhältniß zu - 167 -

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den großen weltbewegenden Fragen der Religion, der Politik, der Nationalität. Der Historiker,| der sich hier in vornehme Neutralität zu ziehen sucht, wird ohne Rettung entweder seelenlos oder affectirt, und so gründlich und weit er dann etwa zu forschen, oder so sententiös und geschmückt er zu reden vermöchte, nimmermehr wird er sich zu der Fülle, der Wärme und der Freiheit der wahren Natur erheben.“ (355f.). Diese Äußerungen nehmen nicht wunder, sind sie doch bereits in Sybels Dissertation von 1838 ausgedrückt. Dort hatte er zwar seine Vorlesungen und Übungen bei Ranke erwähnt, jedoch im Gegensatz zu anderen Schülern jedes Wort des Dankes vermieden, stattdessen konfrontativ gegen Tacitus und Ranke die These „Historiae scriptor scribat cum ira et studio“ vertreten. Auch seine später kaum praktizierte These: „Sine philosophia non potest effici historiae scriptor“ - war eher im Gegensatz zu Ranke formuliert (De fontibus libri Jordanis: De origine actuque Getarum. Dissertatio inauguralis ..., unpag. 48). - Später wird Paul Graf Yorck von Wartenburg an Wilhelm Dilthey schreiben: „Das ist doch das Wesentliche, daß ein Charakter sich ganz ausspricht, daß sonach nicht eine Rankeske Schilderung gleichsam einer natürlichen Abwandelung gegeben wird, sondern eine ethische Wertung. Alle wahrhaft lebendige und nicht nur Leben schillernde“ [!] „Historie ist Kritik“ (9. 5. 81, Briefw. Dilthey-Wartenburg/1923, 19). Auch hier hat sich historische Kritik vom Quellenboden erhoben, steht auch nicht in direktem Zusammenhang mit einem höheren Begreifen, hat also überhaupt ihre Bedeutung als Instrument der Erkenntnis verloren, gilt nunmehr - und dies vor allem erwartet man von Ranke - als ein Sprachrohr ethischer, zumeist politischer Beurteilung. Dem damit verbundenen Problem einer Einschränkung von Objektivität und Unparteilichkeit hat sich Yorck von Wartenburg hier nicht gestellt. In einem bereits erwähnten anonymen Beitrag der ‚Preußischen Jahrbücher‘ von 1860 über ‚Unsere Historiker‘ warf Reinhold Pauli die bezeichnende Frage nach dem Wert der zeitgenössischen deutschen Geschichtsschreibung für die „nationale Kräftigung“ auf, wobei er außer Ranke Mommsen, Duncker, Sybel, Häusser und Droysen betrachtete. Rankes historiographische Streiflichter lassen ihn dort jedoch „kalt“ „wie die Sonnenstrahlen an hellen Frosttagen“ ([Pauli]/1860, 535). Pauli sah, wie viele andere, wohl keinen Widerspruch von Unparteilichkeit und historiographisch manifestiertem nationalem Wollen des Historikers. Untauglich war der von Heinrich Ulmann in seiner bereits herangezogenen Antrittsrede von 1874, betitelt ‚Ueber den Werth diplomatischer Depeschen als Geschichtsquellen‘, versuchte Kompromiß. Das Ende seiner Rede bezog sich deutlich auf Ranke: „Darin, und nicht in dem mißverständlich dem Historiker zugemutheten Verzicht auf selbständiges Urtheil, besteht meines Erachtens jene vielgenannte ‚Objectivität’, daß die Geschichtsforschung gleichsam alle Parteien vorfordert und die Geschichtsschreibung sie alle zu Worte kommen läßt, womöglich mit ihren eigenen Auslassungen.“ (23). Dies allerdings eine zwar dem Rankeschen Grundsatz der Unparteilichkeit folgende, doch nur im Vorfeld historiographischer Deutung und Darstellung verharrende Empfehlung. * Zu den schärfsten Kritikern der Rankeschen ‚Unparteilichkeit‘ zählen neben Sybel vor allem Droysen, Mommsen und Treitschke, mehr oder minder in der unheilvollen Personalunion von Historiker, politischem Publizisten und praktischem Politiker verfangen. Der direkte öffentliche Angriff wird dabei jedoch weitgehend vermieden, um so - 168 -

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schärfer sind die privaten Urteile. Zusammengefaßt sind sie einer Feststellung des ganz anders gearteten Constantin Frantz (s. I, 301) verwandt - woraus wiederum die Gemeinplätzigkeit des Urteils sichtbar wird -, der in seiner 1874 erscheinenden Schrift ‚Die preußische Intelligenz und ihre Grenzen‘ über Ranke schrieb: „Sein Streben nach Objectivität bewegt sich auf der Grenze der Gesinnungslosigkeit.“ (50, Anm.). Johann Gustav Droysen (1808-1884) hatte sich seit Mitte der 1830er Jahre, zunächst nur in privater Form, zu Ranke und der von ihm geübten historischen Kritik und angestrebten Objektivität geäußert. Dies war John Lord Dalberg-Acton nicht verborgen geblieben, der seiner Frau in einem Brief vom 10. Juli 1877 rückblickend anvertraute: „His criticism of Ranke and of Waitz was capital“ (Döllinger-Acton Briefwechsel III/1971, 182). - Zwei Hauptpunkte sind, verkürzt dargestellt, für die Droysensche Ranke-Kritik von Bedeutung, zum einen eine angeblich völlig unzureichende erkenntnistheoretische Vorgehensweise Rankes, zum anderen eine Charakterschwäche, die Ranke hindere, in Historiographie und allgemeinem Wirken angemessene Urteile und Entscheidungen moralischer und politischer Art zu fällen. Zusammen sind sie in den Augen Droysens verantwortlich für Rankes mangelnde Fähigkeit als Historiker und erlauben ihm lediglich, die Rolle eines Literaten einzunehmen. In der ‚Deutschen Geschichte‘ Rankes sah Droysen zwar ein „mit unglaublicher Kunst gemaltes Bild“, doch zugleich „nur die Verwicklungen eines spannenden Romans“ (an seinen Sohn Gustav, 19. 8. 1864, Abschr. aus dem NL Hübner der UB Jena, Stromeyer/1950, 101). Die erkenntnistheoretische Kritik ist ebenso ungewöhnlich wie unhaltbar, die charakterliche verbreitet und nicht gänzlich unbegründet. In der von Droysens Enkel herausgegebenen Briefwechsel-Sammlung sind aus der Frühzeit besonders folgende Passagen von Interesse: an Friedrich Perthes, 30. Okt. 1836: „Ranke oder wenigstens seine Schüler ... haben das an sich, die Sicherheit des Faktums über alles zu stellen, ja für die Tendenz der Historie zu erklären; dann wäre die Arbeit endlos und eines absolut nichtigen, negierenden Resultates gewiß.“ (I/1929, 104). In diesem Sinne ist auch ein Brief an Perthes vom 8. Jan. 1837 gehalten (ebd. 119). Droysens briefliche Äußerungen gehen in ihrem pauschalen und zum Teil maßlos übertreibenden Charakter an Ranke und am Ziel vorbei. So schrieb er am 29. 7. 1856 an Wilhelm Arendt „... der Historiker hat nicht bloß Kritik zu treiben, wie Ranke in seiner Schule voranstellt, sondern ist Interpret, muß verstehen lernen und lehren“ (Briefwechsel II/1929, 424), und am 20. 3. 1857 ebenso amüsant wie simpel: „Wir sind in Deutschland durch die Rankesche Schule und die Pertzischen Arbeiten auf unleidliche Weise in die sogenannte Kritik versunken, deren ganzes Kunststück darin besteht, ob ein armer Teufel von Chronisten aus dem andern abgeschrieben hat.“ (ebd., 442). Auch in seinen von 1857 an gehaltenen Historik-Vorlesungen kommt diese Auffassung in flüchtiger Form zum Ausdruck, wo unterstellt wird, Ranke oder die sogenannte ‚Kritische Schule‘ hätten ihre Arbeit nach Durchführung der bloßen Quellenkritik bereits beendet. Wäre dies zutreffend, so hätte nie ein Werk Rankes entstehen können, vor allem nicht die von Droysen inkonsequent gelobte ‚Deutsche Geschichte‘ (Historik, ed. Hübner/1960, 83; ed. Leyh/1977, 237), der er überdies, nicht nachvollziehbar, gar den Rang einer „ersten Quelle“ zusprach (Historik, ed. Leyh/1977, 154). Von Droysen wurde in seiner Korrespondenz und Historik-Vorlesung völlig übersehen oder aus überstarkem Ressentiment verkannt, daß gerade für den herausragenden Darsteller Ranke historische Kritik letztlich nur Mittel und Vorstufe des ‚Verstehens‘ sein konnte: „Das Geschehende ist nicht das letzte, was wir zu erkennen haben. Es gibt etwas, was darin geschieht. Erst - 169 -

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aus einer geistig kombinierten Reihe von Tatsachen resultiert das Ereignis ... Nach der Arbeit der Kritik ist die Intuition vonnöten.“ (WuN IV/1975, 177). Dies hatte Ranke bereits v o r Droysen in einer Vorlesungseinleitung der 1840er Jahre verkündet. Das krasse Fehlurteil Droysens wird als solches noch um einiges deutlicher, wenn es mit Diltheys späterem Ranke-Urteil verglichen wird. In seinen ‚Erinnerungen an deutsche Geschichtschreiber‘ erschien ihm das Wesen der Rankeschen Darstellung gerade darin zu liegen, daß dieser „den äußersten Moment“ sah „und in jedem Moment ein Allgemeines, das sie alle umfaßt. Denn eben dies, daß sein ungeheures Gedächtnis eine äußerste Mannigfaltigkeit umfaßt und in jeder Erfassung eines Teils im Ganzen lebt, nicht abstrakt, sondern im Bewußtsein seiner Bedeutungsrelationen zu diesem Ganzen, macht das Wesen seiner Darstellung aus.“ (Dilthey: Vom Aufgang des geschichtlichen Bewußtseins, GS XI/1960 217). - Den Rang eines Vermächtnisses hat in seinem Todesjahr ein Brief Droysens an seinen Sohn Gustav vom 8. März 1884: „Wenn der alte, sehr prätenziöse Böhmer gelehrt hatte, daß das Höchste der Geschichtschreibung eigentlich die Regesten seien, und wenn Ranke das große Wort gesprochen hat, als er den Stuartschen Teil seiner englischen Geschichte begann: ‚ich möchte mein Selbst auslöschen können‘ usw., so ist die jetzige junge Generation mit Schrecken an der Linie angekommen, wo ein nicht ganz Bornierter merkt: daß er auf diesem Wege dazu kommt, allerdings ein Vakuum, eine Rechenmaschine zu werden ... Wer so Geschichte zu reproduzieren glaubt, der hat auf das sapere aude verzichtet...“ (Briefwechsel II/1929, 977). Auch hier ein nicht näher bestimmter Verstehens-Begriff, der dem ebenfalls unbestimmten Objektivitätsbegriff Rankes gegenübergestellt wird. Auffallend die aller Distinktion ausweichende Flucht Droysens in die Metapher und ins geflügelte Wort. Es gehört zu den beunruhigenden Skurrilitäten der Geistesgeschichte: Wo Droysen bei Ranke den Sinn für das ‚Verstehen‘ gänzlich vermißte, da sah später Joachim Wach - in gegensätzlicher und weil übertrieben, verfehlter Weise - bei Ranke geradezu eine bestimmte Verstehens-Konzeption wirksam und schrieb über „Die Lehre vom geschichtlichen Verstehen bei Ranke“. Sie habe besonders auf Dilthey Einfluß ausgeübt (Wach/1933, 94, s. I, 474f.). Droysen verlangte vom Historiker wie von jedermann ein festeres Auftreten von charaktervoller Überzeugung, besonders in nationalpolitischer Hinsicht. Davon ist besonders seine Kritik der ‚Preußischen Geschichte‘ Rankes getragen (s. I, 258-261). Er hielt nicht allein „objektive Unparteilichkeit“ für „unmenschlich“ und war der Überzeugung: „Menschlich ist es vielmehr, parteilich zu sein“ (Historik ed. Leyh/1977, 236) - was gewiß in hohem Maße seiner eigenen Natur und Betätigung sowie seinem persönlichen Verhältnis zu Ranke entsprach -, er verlangte gar „sittlichen Zorn“: Dies liest man vor allem aus seinen Briefen an Wilhelm Arendt. Am 17. Nov. 1855 schrieb er über Ranke: „... weder bin ich für seine kosmopolitische Betrachtungsweise eingenommen, noch gar kann ich ihn als Charakter ausstehn, und pectus facit historicum. Er gehört mit seiner feigen Intelligenz recht in die derzeitige Berlinerei; von sittlichem Zorn, von Erhabenheit der Gesinnung ist in ihm keine Spur“ (Briefwechsel II/1929, 373f.). Dem Wort von der ‚feigen Intelligenz‘ entspricht Treitschkes Wort vom „furchtsamen Ranke“ (an Lina von Schönfels, 22. 7. 86, Heinrich v. Treitschkes Briefe III/1920, 583). Auch die Altliberalen Varnhagen und Alexander von Humboldt hatten sich bereits ähnlich geäußert. Am 8. Mai 1857 schrieb Droysen wiederum an Arendt: „Ranke wird - mit vollem Recht - wegen seiner Feinheit, seiner tiefen Gelehrsamkeit, seines weiten Blickes bewundert; aber man hat kein Herz zu ihm, da er - 170 -

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keins - für niemand außer für sich - hat.“ (ebd., 450). Welchen grundsätzlichen Unterschied Droysen beiläufig zwischen „sittlichem Zorn“ und „moralischem Pauken“ machte, ist nicht bekannt. Bei ihm scheinen auch Verletzungen im persönlichen Umgang eine Rolle zu spielen, die sich im folgenden Jahr noch beträchtlich verschärft haben dürften. Da verfaßte Ranke, der sonst eher zurückhaltend oder gar nicht urteilte, ein vernichtendes Gutachten (s. II/4.1) über Droysens zum Verdunpreis eingereichtes Werk zur ,Geschichte der preußischen Politik‘, ein Urteil, das in Wissenschaftskreisen nicht unbekannt geblieben sein dürfte. Auch Rankes Spätschüler Alfed Dove erklärte das Werk öffentlich als „ungenießbar“ (D[ove], A[lfred] und [Vf.] ξ: Literarischer Festbericht. II/1873, 1019). - Unangenehm war für Droysen auch, in einer Besprechung seiner ‚Geschichte der preußischen Politik‘, die der Preußen-Hasser Onno Klopp 1861 in den ‚Historisch-politischen Blättern‘ veröffentlichte, zu lesen, daß er „dem Herrn Ranke ... nicht bloß in Thatsachen“ folge, sondern ihn „auch in geringen und unbedeutenden Kleinigkeiten des Styls ...“ nachahme (96, s. I, 248). Ranke verurteilte, allerdings im privaten Rahmen, Droysens Abhandlung über das Testament des Großen Kurfürsten „in scharfen Worten und sprach in Beziehung auf dieselbe sogar den Vorwurf einer Fälschung aus“, wie sich Theodor Wiedemann erinnerte (XV/1893, 261). Überhaupt schien er es für selbstverständlich zu halten, daß Droysens „Informationen vielfach unrichtig und mangelhaft seien“ (ebd.). Nicht nur mit der ‚Geschichte der preußischen Politik‘, auch mit Droysens ‚Grundriß der Historik‘ war er „keineswegs einverstanden“ (Hintze 1904/1982, 484). Für Ranke war Droysens Wirken am Ort insgesamt schmerzhaft, denn er schrieb ihm - ohne nähere Begründung - zu, „seine Schule in Berlin vernichtet“ zu haben (Wiedemann XV/1893, 261). Vergebens hatte er sich 1859 mit einer Empfehlung für Ludwig Häusser gegen Droysens Berufung zur Wehr gesetzt (Hintze 1904/1982, 484). In Droysens Aufsatz von 1863 mit dem ebenso grundsätzlich wie polemisch zu verstehenden Titel ‚Die Erhebung der Geschichte zum Rang einer Wissenschaft‘, (HZ 9/1863, 1-22), welche eine Besprechung der positivistischen ‚History of civilisation in England‘ von H. T. Buckle (I u. II 1858?, 1861) darstellt, ist Ranke wohl bewußt nicht mit bedacht. - 1872 tritt der Begriff der „Leisetreterei“ in einem Brief Heinrich von Treitschkes an Droysen auf: „Rankes Geschichte der Jahre 1780-90 [DtMächte] füllt die Lücke wahrhaftig nicht aus. Diese Leisetreterei, die über das Wichtigste gar nichts sagt, ist doch schrecklich. Ranke sollte in England und Italien bleiben, da kann man seine Größe ohne Vorbehalt bewundern. Für die preußische Geschichte fehlt ihm, worauf alles ankommt: der Charakter“ (Briefwechsel II/1929, 905). Ein Gegensatz von objektivitätsorientierter Historie und nationalpolitischem Engagement wird auch hier nicht gesehen, ist vielmehr in seinem - unmöglichen - Verbund völlig erwünscht, ja geradezu wissenschaftskonstitutiv und wissenschaftsethisch unabdingbar. In Rankes ‚Genesis des preußischen Staates‘ stieß Hermann Baumgarten, wie er in einem Brief an Droysen 1873 formulierte, „die höfische Art“ ab, „jedes fürstliche Haupt hübsch zu frisieren, so daß sie in einer gewissen Entfernung alle sehr stattlich aussehn und für die Masse der Leser alle höchst verehrungswürdig werden.“ (908). Hier wurde Ranke also eine im weitesten Sinne politisch geprägte, charakterlich passende Subjektivität des Beschweigens und Beschönigens vorgeworfen. An Treitschke schrieb Droysen 1873 selbst über Ranke ähnlich: „Ich bewundere sein großes literarisches Talent und seine schöne Gabe, alles wie im heiteren Sonnenlicht zu sehn oder doch zu zeigen, als gäbe es in den menschlichen Dingen kein Weh und Ach, keine Schuld und Leidenschaft.“ - 171 -

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(911f.). Der Bewunderer des literarischen Talents bekundete jedoch an anderer Stelle seine Bedenken vor dem im tiefsten Sinn ‚an-schaulichen‘ Darstellungsstil Rankes (Historik ed. Leyh/1977, 239. Siehe auch I, 203f.). Das „heitere Sonnenlicht“ - bei Pauli waren es die „Sonnenstrahlen an hellen Frosttagen“ ([Pauli]/1860, 535) gewesen - wird auch in der Kritik Treitschkes (1834-1896) auftreten, der zunächst 1864 als Dreißigjähriger in einem Brief an seinen Vater Ranke ob seiner „blutlosen Objectivität“ leichthin „den rechten historischen Sinn“ absprach (Briefe II/1913, 351), obgleich er nicht preisgab, worin dieser bestand. Ja, wie Droysen sah er unter dem Einfluß der „allerneuesten Mode der sogenannten vollkommenen Objectivität“ überhaupt den „eigentlichen Sinn der Geschichte und zuweilen ihren thatsächlichen Inhalt verloren“ gehen. Beides blieb wiederum unbestimmt (an Ulmann, 28. 3. 73, Briefe III/1920, 367). Schon 1872 hatte sich ein merkwürdiges Zwischenspiel ereignet, das Treitschke durch die überraschende Zusendung seiner ‚Historischen und politischen Aufsätze‘ (vermutlich in der vierten, vermehrten Auflage von 1871) an Ranke veranstaltet hatte. Dieser erkannte in freundlicher Form lediglich die „außerordentliche schriftstellerische Begabung“ des sich in einer ihm „nicht ganz homogenen Richtung“ bewegenden Absenders an, sah jedoch in der Zuwendung, zu der sich ein Droysen nie hätte hinreißen lassen, den Versuch der Anbahnung eines „freundlichen Verhältnisses“ (Brief vom 27. 3. 72, NBrr 547f.). Karl von Normann (1827-1888) schrieb darüber irritiert an Gustav Freytag, 21. Febr. 1872 (NL Freytag): „Treitschke scheint überhaupt allgemach unter die Mamelucken zu gehn. Neulich hat er seine gesammelten Schriften an Leopold Ranke mit einem Briefe geschickt, in dem er sagt: ‚je mehr er (Treitschke) die Irrtümer seiner liberalen Zeit verurteile, desto höher steige ihm Ranke empor‘.“ (Dt. Liberalismus II/1926, 45). Ob diese Anbahnung aus Überzeugung zustande gekommen war, mag bezweifelt werden, denn Treitschkes Kritik richtete sich, der Annahme konservativerer Züge zum Trotz, weiter und unvermindert, wie die Droysens und Dunckers, gegen Rankes preußische Unternehmungen, doch auch gegen dessen Geschichtsanschauung schlechthin. Ihn überkam, wie er im selben Jahr an Hermann Baumgarten schrieb, „immer ein Schauder“, wenn er „Ranke an die neueste und nun gar an die preußische Geschichte herantreten“ sah. (Briefe Heinrich von Treitschkes an Historiker und Politiker vom Oberrhein/1934, 27. Siehe dazu allg. I/2.1.8). Nun trat er auch in publizierter Form gegen Ranke auf: 1874 veröffentlichte er in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ einen 1875 zugleich selbständig erscheinenden Beitrag, betitelt ‚Der Socialismus und seine Gönner‘, in dem er gegen die objektivitätsmindernden sozialen Defizite der Rankeschen Darstellung vorging: „Denn wer die Geschichte nimmt, wie sie ist, der bemerkt freilich nur selten das milde, kaum durch ein leichtes Gewölk getrübte Sonnenlicht, das in Ranke’s Erzählungen einen zierlichen Kreis vornehmer und satter Menschen bestrahlt ... er darf den Blick nicht scheu abwenden von jener Welt viehischer Leidenschaft, frecher Sünde, herzbrechenden Elends ... Aber er sieht auch nicht ... beständig einen schwarzen, von grellen Blitzen durchzuckten Gewitterhimmel über der historischen Welt. Er kann den holden Aberglauben an die natürliche Harmonie der Interessen nicht theilen, sondern bescheidet sich, in dem natürlichen Kampfe der Interessen das Walten sittlicher Gesetze aufzusuchen.“ (72f.). Auch in den folgenden Jahren scheint sich diese Position nicht geändert zu haben. 1877 bekannte er gegenüber Heinrich Hirzel (1836-1894): „Den Ranke’schen Hardenberg halte ich ... [Auslassung i. T.]. Alles so hübsch abgeleckt und angepinselt und so durch und durch unwahr.“ (Briefe III/1920, 367). - 172 -

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Und als Rudolf Haym ihn 1878 wegen Vergabe des Verdun-Preises um Rat fragte, äußerte er: „Nur um Gotteswillen nicht die lackierten und verlogenen neuesten Bücher von Ranke!!“ (Ausgewählter Briefwechsel Rudolf Hayms/1930, 309). Damit waren die ‚Genesis des preußischen Staates‘, die ‚Deutschen Mächte‘ und der ‚Hardenberg‘ gemeint. Was Ranke selbst anbetraf, so ließ er sich in späteren Jahren des öfteren aus Treitschkes ‚Deutscher Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert (Lpz. 1879-1894) vorlesen, allerdings ohne sie mehr zu loben als mit den von Theodor Wiedemann überlieferten Worten: „er hat nicht ganz unrecht“ (Wiedemann XIV/1893 348). Erstaunlicherweise begrüßte Ranke die moralisch-politische Wirkung von Treitschkes schließlich konservativ ausgerichteten Vorlesungen „mit Beifall“ (ebd.). In den dritten Band seiner ‚Geschichte‘ hatte Treitschke noch zu Lebzeiten Rankes (1885) eine Würdigung vor allem mit Blick auf das Frühwerk eingebracht, wobei er Rankes Verdienste um die Ausbreitung der Quellenkritik betonte, jedoch auch einschränkend von dessen „neuer diplomatischer Geschichtschreibung“ sprach, welche „wesentlich politisch“ „den Staat stets von oben“ betrachtet habe und dabei zu einer „vornehmen Zurückhaltung“ gelangt sei. Seine „Erzählung“ habe „die ruhige Schönheit des Kunstwerks“ erlangt. Insgesamt schien Treitschke hier um ein ausgewogenes, bleibendes Urteil bemüht, wiederholte jedoch indirekt die Hauptpunkte seiner älteren Kritik, indem er sie nicht nur in einer Möglichkeitsform darbot, sondern auch auf eine Vielheit imaginärer „diplomatischer Historiker“ bezog: „Wohl lag die Gefahr nahe, daß die Stimme des Gewissens ... ganz verstummte, daß der breite Unterbau der Gesellschaft, die Masse des Volks mit ihrer Noth und Sorge, mit ihrer Tapferkeit und ihren dunklen Instinkten nicht genugsam beachtet würde, und auch die Kräfte des Gemüths, deren jede lebenswahre Schilderung des Menschendaseins bedarf ... nicht ganz zu ihrem Rechte kämen“. Aussagen, die nun ihrerseits Fragen charakterologischer Art aufwarfen, wie sich schon in dem scherzhaften Vorwurf „Mameluck“ angedeutet hatte. Man nahm ihm seinen Wandel nicht ab, und er mußte sich bemühen, ihn Erich Marcks (1861-1938) gegenüber glaubhaft zu machen. 1893 schrieb er: „Ich habe in jungen Jahren Rankes kalte, blutlose Weise verabscheut und erst bei reifender Erfahrung seine Weisheit bewundern gelernt. Ich würde mich schämen, wenn ich als junger Mann anders gedacht hätte, und auch heute lerne ich dankbar von ihm, ohne ihm nach zuahmen. Wollen Sie Sich die Mühe nehmen, meine Aufsätze mit der Deutschen Geschichte zu vergleichen, so werden Sie unmöglich leugnen können, daß ich ihm näher getreten bin.“ (Briefe III/1920, 630). Das ist nicht ganz glaubhaft, denn noch 1886 hatte er in einem Nachruf auf Max Duncker diesen Ranke mit den alten Vorwürfen positiv gegenübergestellt: „Mit seiner preußischen Auffassung der neuen deutschen Geschichte trat er sogar in bewußten Gegensatz zu den Ansichten Rankes, die sich von der alten kursächsisch-österreichischen Tradition nicht sehr weit entfernten... Er suchte die Objektivität des Historikers nicht im Verschweigen des eigenen Urteils, sondern in der unerbittlich genauen Feststellung des Tatbestandes. Sparsam mit Betrachtungen, sprach er doch immer unzweideutig aus, auf welcher Seite die treibenden Kräfte der Zeit recht erkannt worden seien. Dies Recht des relativen Urteils, des einzigen, das dem Historiker zusteht, ließ er sich nicht nehmen; die absolute Sonderung der Böcke von den Schafen überließ er als geistreicher Mann den Sittenpredigern und dem Jüngsten Tage.“ (Treitschke: Max Duncker/(1886) 1929, 631f.). Auch lehnte Treitschke trotz großer Bemühungen Alfred Doves die Übernahme einer Besprechung von Rankes posthum herausgegebener Sammlung ‚Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert‘ ab (s. I, 403). - Jedenfalls billigte er in seiner ‚Deutschen - 173 -

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Geschichte des Neunzehnten Jahrhunderts‘ Ranke zu, den „festen Grund“ gelegt zu haben, „auf dem sich die deutsche Geschichtsforschung zur Höhe einer gesicherten Fachwissenschaft erheben konnte“ (III/1885, 698). Dies stellte allerdings die schlichte Übernahme einer damals in Umlauf gekommenen Vereinseitigung und Verkürzung der Gesamtleistungen dar, welche die Geschichtswissenschaft vor und neben Ranke erbracht hatte. Was ihn vor allem mit Ranke einte, war sein von hohem Vermögen getragener literarischer Impetus. Was ihn vor allem von ihm trennte, war die Auffassung der Geschichtswissenschaft als - wie Goetz es formulierte - „Mittel zu einem höheren Zweck: zur Erziehung der Nation, zur Erringung des Einheitsstaates, zur Vertiefung des nationalen Bewußtseins.“ (Goetz: Heinrich v. Treitschke/(1934)/1957, 262). Die Ablehnung, welche Ranke durch Theodor Mommsen (1817-1903) erfuhr, ist nur schwach dokumentiert und später noch dürftiger behandelt worden. Von Interesse bei diesem Verhältnis sind auch die Vergleiche, welche schon sehr bald, und bei Rankes ‚Weltgeschichte‘ verstärkt, angestellt wurden (s. I/2.1.9). 1857 verfaßte der auch mit Varnhagen von Ense in Kontakt stehende Literat, Zeitschriftenherausgeber und Hörer Rankes, Karl Gutzkow (1811-78), unter dem Titel ‚Ein gekröntes Geschichtswerk‘ eine Besprechung der ‚Römischen Geschichte‘ Mommsens (I-III, 18541856), in der er einen nicht unpassenden Vergleich anstellte: „Mommsen hat etwas von Demosthenes’ oratorischer Leidenschaft, Vaterlandsliebe, Ranke noch viel mehr von der wunderbaren Biegsamkeit jenes Mazarin, der durch alle Irrfahrten durch nichts als ‚Geist und Politik‘ zum Herrn von Frankreich geworden. Weil Ranke eine künstlerische Natur, nicht mitleidende Seele ist, bleibt er über, neben, vor seinem Werke, jeden Meißelschlag berechnend.“ - „ ... Mommsen lebt in seinem Werke ... er arbeitet sein Urtheil in das Geschehene hinein...“ „Er, der Demagog, wie der Hofmann der Historie, Beide schließen gern mit Sentenzen ... Mommsen legt darin seine tragisch-herbe Ansicht vom Verlauf der Dinge, Ranke seine melancholische Stimmung über ihre Nichtigkeit nieder.“ (399). Ranke mag dieser aufgrund der thematischen Unterschiede nicht gerade naheliegende Vergleich zu Gesicht gekommen sein, jedenfalls kam er Theodor Wiedemann gegenüber auf das Werk zu sprechen. Überhaupt habe Ranke, wie Wiedemann bemerkt, zwar Mommsens Leistungen auf dem Gebiet der „historischen Hilfswissenschaften in weiterem Umfang“ geschätzt, „ausschließlich der Kritik der Überlieferung und der Chronologie“, ihn jedoch nicht als „eigentlichen Geschichtsschreiber, als mit historisch-politischem Verständnis der Begebenheiten begabt“, betrachtet (Wiedemann XV/1893, 263). Der Vorwurf Rankes hinsichtlich der chronologischen Fähigkeiten Mommsens scheint nicht abwegig gewesen zu sein, mußte sich dieser darin doch auch von anderer Seite Versagen vorwerfen lassen. Der Philologe und Archäologe Otto Jahn (1813-1869) unterbreitete Mommsen in einem Brief vom 16. Mai 1867 Äußerungen von dessen Schüler und später bedeutenden Philologen und Althistoriker Heinrich Nissen (1839-1912): „Er sagte mir, offenbar innerlich tief affiziert und wie unter einem Gewissensdruck, er sei in einigen wesentlichen Punkten, namentlich der Chronologie, und rücksichtlich der zu Grunde liegenden Methode, die Quellen zu behandeln zu abweichenden Resultaten von Dir gekommen, er glaube, Deine Versehen in diesen Punkten mit Sicherheit nachweisen zu können und mit Erfolg die Rankesche Methode auf die Quellen anzuwenden.“ (Mommsen/Jahn Briefwechsel/1962, 319). Wenig angenehm für Mommsen waren in den 1880er Jahren die oft zu seinen Ungunsten ausfallenden Vergleiche seiner ‚Römischen Geschichte‘ mit entspre- 174 -

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chenden Partien der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘, wobei auch seine Objektivität angegriffen wurde. Doch scheint er überhaupt bei weitem nicht so stark von Ranke berührt worden zu sein wie Treitschke oder gar Droysen. Daß Mommsens Verurteilung der Rankeschen ‚Objektvität‘ sichtbar geworden ist, verdankt man im wesentlichen seiner Aufgabe, als Sekretär der Philosophisch-historischen Klasse der Berliner Akademie bei Ranke-Feiern eine Gratulationsansprache zu halten. Über einen solchen Anlaß berichtet Mommsen am 6. März 1877 in einem Brief an Wilhelm Henzen: „...bei der letzten Ranke-Feier habe ich die Ansprache für die Akademie und den Haupt-Toast gehabt, was mir um so unbequemer war, als ich gegen diese Gattung der Geschichtschreibung bei allem großen Respekt ernstliche moralisch-politische Bedenken habe. Es ist aber ganz gut abgelaufen, besonders deswegen, weil ich so frei war diese in schicklicher Weise anzudeuten; der alte Herr hat mir zum Dank seinen Hardenberg verehrt und ist vergnügt wie ein Wiesel.“ (Wickert III/1969, 430). Bei der (Wickert unbekannten) Feier dürfte es sich um Rankes 60jähriges Doktorjubiläum am 20. Febr. 1877 gehandelt haben. In diesem Jahr erschienen auch die ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘. 1882 ergab sich erneut die Notwendigkeit eines Auftritts. Dabei soll, wie Droysen seinem Sohn Gustav am 6. August 1882 berichtete, „der edle Mommsen phrasenhaft wie ein richtiger Journalist“ dem alten Ranke bei festlichem Anlaß eine „‚Lobhudelei‘ an den Kopf geworfen haben“ (III, 30). Es handelte sich dabei wohl um das am 13. Februar gefeierte fünfzigjährige Akademie-Jubiläum Rankes. Bei der letzten Gelegenheit, zu Rankes 90. Geburtstag am 21. Dezember 1885, in Anwesenheit zahlreicher Notabilitäten, steigerte sich Mommsen zu einem maliziösironischen Lob des „seltenen Talents“ Rankes, „an jedem Menschen das Beste zu finden ... so haben auch Sie es verstanden, die Menschen darzustellen, vielleicht nicht immer wie sie waren, sondern wie sie hätten sein können.“ (Toeche/1886, 13. Die Ansprache scheint Wickert unbekannt zu sein.). Dies vielleicht auch eine Anspielung auf das Sagen oder Zeigen des „wie es eigentlich gewesen“. - Der noch zu betrachtende Droysen- und Ranke-Schüler Max Lehmann stand diesem verbreiteten, wenn auch unter den gegebenen Umständen deplazierten Urteil schon länger nahe. Seine bei einer Besprechung der ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘ 1874 geäußerte Objektivitätskritik bezieht sich bei Ranke auf den „optimistischen Grundzug seines Wesens“, der Lehmann aus seiner Tätigkeit als Amanuense wohlbekannt war. Dementsprechend habe Ranke sich bei der „Beurtheilung der österreichischen Politik und Libertät bemüht ..., wenn nicht alles zum Guten zu wenden, so doch mindestens die vorhandenen Spitzen und Stacheln abzubrechen“ und verhalte sich „auch gegenüber den Persönlichkeiten der Herrscher meist apologetisch“ (M. L./1874, 150). Droysen, Mommsen, Treitschke gemein ist die Kritik an Rankes zurückhaltendem bis fehlendem historisch-politischen Urteil. Während Droysen ein Leben lang, nicht fern von kollegialem Neid und Hass, vor allem den Charakter Rankes kritisiert, ist Troeltsch in seinen späten Jahren um ein ausgewogenes Urteil bemüht, vermag jedoch seine Augen nicht vor den sozialen Defiziten und der ethischen Emotionslosigkeit in Rankes Geschichtsanschauung zu verschließen. Mommsen schließlich sieht dies ähnlich, doch scheint er Ranke nicht mehr ernst zu nehmen und für abgetan zu halten. Schon Jahrzehnte zuvor hatte Julian Schmidt in einem 1847 in den ‚Grenzboten‘ erschienenen Aufsatz ‚Moderne Historiker. Leopold Ranke‘ die von Mommsen kritisierten harmonisierenden und euphemisierenden Tendenzen in Rankes Darstellung zum Gegenstand seines Spotts gemacht: „Er würde auch in Lucifer positive Seiten auffinden - 175 -

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und ihn als eine interessante, wenn auch etwas barocke Persönlichkeit darzustellen wissen.“ (410). Noch 1875 fand er anläßlich der Besprechung einer Spätauflage der ‚Päpste‘, Ranke nehme in seiner Objektivität „die Distance zu weit“ (Schmidt/1875, 388). Es sei der „Standpunkt der deutschen Renaissance aus dem Ende des 18. Jahrhunderts“ (415), auf dem Ranke hier stehe: „Es ist die Bildung, die sich bemüht in allen Farbenreichen, das Gute zu finden“ (ebd). Hier wurde Ranke eine wohl ästhetisch begründete fehlgeleitete Subjektivität vorgeworfen, die freilich auch mit psychischsozialen Praedispositionen aus Kindheit und Elternhaus zusammenhing. * Vor der Betrachtung des in seinen letzten Jahren überwiegend harmonischen Endes der Diskussion um Rankes Objektivität und Unparteilichkeit ist einer besonderen personalen Kontrastierung zu gedenken, die freilich nicht von einer persönlichen Kontroverse ausging oder zu einer solchen gedieh, jedoch als „Schlosser-Ranke-Streit“ (Eugen Guglia: Leopold von Rankes Leben u. Werke/1893, 320-322) toposhaft in die Literatur eingegangen ist. Der 1839 aufgekommene Plan einer Berufung Rankes nach Heidelberg mag dabei eine kleine rivalitätssteigernde Rolle gespielt haben. Auf Seiten des badischen Ministeriums war man unzufrieden mit der Lehrtätigkeit Friedrich Christoph Schlossers und wünschte, seine Nachfolge zu regeln. Ranke ließ den Plan jedoch an allzu hochgeschraubten Bedingungen scheitern (Bresslau: Versuch/1921). Der überzeitliche Sinn der Kontroverse und ihrer Erörterung, wie auch der späteren Ranke-Lamprecht-Kontrastierung, liegt nicht in der Feststellung eines personalen Vorrangs, sondern in ihrem Beitrag oder nur Versuch zur Klärung von Methodenfragen, die von Ranke in publizierter Form nicht erörtert wurden und jedenfalls über ihn hinausführen. Freilich ging es damals nicht allein um fachliche, sondern auch um politische und konfessionelle Unterschiede, wie etwa die Konstruktion des Gegensatzes einer ‚Heidelberger‘ und einer ‚Ranke-Schule‘ zeigt und die von Georg Waitz 1846 vorgenommene Unterscheidung in eine nördliche und eine „südliche Hälfte deutscher Historiker“ - zu letzterer zählte er v. a. Schlosser, Kortüm, Gervinus, Hagen, Häusser, Hormayr, Hurter, J. E. Kopp, Chmel, Mailath und Höfler (Waitz/1846, 523). Nicht, wie vielfach angenommen, erst nach dem Tod Schlossers im Jahre 1861, sondern bereits Jahrzehnte zuvor war Gegensätzliches vermerkt worden. Schon 1840 hatte ein Anonymus der ‚Blätter für literarische Unterhaltung' bedauert: „Schade ist, daß die Natur nicht Schlossers Charakter und Ranke’s Geist in einem Individuum vereinigt hat.“ ([Vf. Nr.] 43 in: BLU/1840, 818). Dem folgte 1843 Johann Wilhelm Schaefer in seinem ‚Grundriß der Geschichte der deutschen Literatur‘. Jedoch erkannte er Raumer, Ranke und Schlosser in der Darstellung der Entwicklung des europäischen Staatensystems bei „verschiedenen Standpuncten“ noch eine gleiche Bedeutung zu (Schaefer, ³1843, 156). Auch in seinem ‚Handbuch der Geschichte der deutchen Literatur‘ (Aufl. ²1855) urteilte Schaefer sehr gleichgewichtig, die Geschichtsschreibung sei durch „Männer wie Schlosser und Ranke zu der universalhistorischen Klarheit und Vielseitigkeit erhoben“ worden, „welche auf verwandte Wissenschaften überging.“ (539f.). Die ‚Augsburger Allgemeine Zeitung‘ stellte jedoch 1848 anläßlich der in Rankes kompromittierender ‚Preußischer Geschichte‘ auftretenden „Abschwächung und Verdünnung des historischen Stoffs“ eine Kontrastierung in Form eines verdeckt beleidigenden Wunsches her: „Möge der Ruhm edler, gradsinniger, und wahrheitseifriger Geschichtschreibung, in der bisher die Deutschen ausgezeichnet waren, uns in - 176 -

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einer Zeit nicht geschmälert werden wo die Gränzen des freien Wortes sich auf andern Gebieten glücklich erweitern, und wo ein Schlosser, Dahlmann, Gervinus, Raumer und andere fortwährend ein würdiges Beispiel geben!“ (* [Unter der Rubrik] Deutschland. Litterarisches aus Berlin/28. 2. 1848, 937). - Einen völligen Gegensatz sah auch Julian Schmidt in seiner 1853 erschienenen ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert‘. Schlosser bilde, so schrieb er bei seinem Kapitel ‚Die historisch-kritische Schule‘, „in allen Punkten zu Ranke den entschiedensten Gegensatz“ (Schmidt/1853, 331). Schmidt schließt mit dem Wunsch: „In Ranke und Schlosser sehen wir auf diesem Gebiete unsere beiden Pole versinnlicht: unendliche Receptivität und eigensinnige Integrität ...“ (332). Sein Kollege Heinrich Kurz überspitzte in seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller‘ das Verhältnis Ranke-Schlosser allzu sehr auf eine andere Weise, indem er formulierte „Dieser ist ganz Wahrheit, jener ganz Kunst“ (Kurz III/ 1859, 697). Sogar in Berlin gab es einflußreiche Persönlichkeiten, welche - nicht unbedingt aus wissenschaftlichen Motiven - Schlosser bevorzugten. August Boeckh, Mitglied und später Kanzler der Friedensklasse des Ordens pour le mérite, erklärte nach der durch den Tod Schellings (1854) verursachten Vakanz, nicht den von Friedrich Wilhelm IV. gewünschten Ranke wählen zu wollen, sondern „den alten Schlosser“ (Aus dem Nachlaß Varnhagen’s v. Ense. Tgbb. XI/1869, 398). - Heinrich August Lübben (1818-1884), der um 1840 Ranke gehört hatte (Strackerjan, Karl: Lübben, Heinrich August. In: ADB 19/1884, 813-815), veröffentlichte 1855 eine Skizze betitelt ‚Zur Charakteristik dreier deutscher Geschichtschreiber‘. Darin stellte er zum Bauernkrieg des Jahres 1524 und 1525 drei Darstellungen einander gegenüber, die Schlossers, des „Hauptes der moralisirenden Richtung“, die Leos, des „Hauptes der romantischen, absolutistisch gesinnten Geschichtschreibung“ und die Rankes, des „Hauptes einer ... diplomatischen Geschichtschreibung, im edleren Sinne des Wortes“ (Lübben/1855). Ihr schien Lübben - wenn auch nicht ausdrücklich - als der ausgewogeneren den Vorzug zu geben. Damit waren die Klischees verteilt. Mit tieferer Einsicht wurde die Konstellation, nach Austausch von Leo durch Gervinus, behandelt von Karl Hagen. Dieser war bisher vor allem durch sein Ranke nach Möglichkeit ergänzendes Werk ‚Deutschlands religiöse und literarische Verhältnisse im Zeitalter der Reformation‘ (3 Bde, Erlangen 18411844, s. I, 241f.), hervorgetreten. Bei seiner Antrittsrede nun an der Hochschule in Bern, gehalten den 27. Oktober 1855, mit dem Titel ‚Ueber die verschiedenen Richtungen in der Behandlung der Geschichte‘ charakterisierte er mit einigen Sätzen Rankes „historische Kunst“, die keiner „zu einer höhern Vollendung gebracht“ habe (Hagen/ 1861, 14). Hagen verstand darunter allerdings lediglich Rankes „Darstellungstalent“ (15) und behandelte in akzeptabler Weise zusammenfassend Schlosser, Ranke und Gervinus, „die mit Recht zu den Ersten unserer Wissenschaft gerechnet werden“ (13), ja als „Repräsentanten der gegenwärtigen Epoche“ (17) gelten dürfen: „Schlosser, dessen Hauptverdienst in der neuen geistreichen Behandlung der Cultur und Literatur und in der schonungslosen Wahrheitsliebe liegt, mit welcher er die Nachtseite der Geschichte, die Gebrechen und Fehler der Herrschenden aufdeckt, der nun aber durch das Vorwaltenlassen des moralischen Gesichtspunktes einseitig wird und den Anforderungen der historischen Kunst nicht genügt; Ranke, der in letzterer Beziehung zwar das Ausgezeichnetste geleistet hat, aber durch das Vorherrschen des conservativen diplomatischen Gesichtspunktes verhindert wird, den ganzen Inhalt der - 177 -

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Geschichte aufzunehmen; endlich Gervinus, der den Gang der Geschichte, ihre leitenden Principien verfolgt und dabei sich zu den höchsten Gesichtspunkten | hinaufzuschwingen versucht, aber nicht eine gleiche Meisterschaft in der Gestaltung erreicht hat.“ (17f.). Das Thema der Schlosser-Ranke-Gegenüberstellung war bedeutend genug, 1856 auch in den ‚Abend-Unterhaltungen über den Zeitgeist‘, einem von Maximilian II. eingerichteten ‚Symposion‘, behandelt zu werden. Die protokollierende Zusammenfassung, welche zugleich die sonst nicht bekannte Quintessenz der Maximilianeischen Beurteilung Rankes darstellen dürfte, enthält darüber Folgendes: „1. Leop. Ranke, einer der größten Historiker, dem an ausgebreiteten Kenntnissen, gründlichen Quellenund Archivstudien, kritischem Geiste, sowie an der Kunst machtvoll plastischer Darstellung, feiner Charakteristik und geistvoller Zeichnung des geschichtlichen Gewebes wenige Geschichtschreiber der ältern und neuern Zeit gleich stehen. Er verhält sich den historischen Thatsachen und Charakteren gegenüber rein objektiv, läßt Zustände und Persönlichkeiten sich selbst Licht und Schatten geben, bleibt für sich selbst aber immer diplomatisch kühl und offenbart weder Zuneigung noch Abneigung. Es bewegt sich daher sein Stil um so freier und kräftiger, je weiter ihm sein Stoff abliegt. 2. Friedr. Schlosser ist der gerade Gegensatz von Ranke. An tiefen und gründlichen Kenntnissen und an Reichthum der Ideen, an großartig historischem Blick und an Kraft der Sprache steht er ihm gleich, - aber es fehlt ihm die objektive Ruhe und die plastische Darstellung und Gruppirung, welche den ächten Historiker auszeichnet. Während Ranke nur die Quellen kritisirt, kritisirt Schlosser die Thatsachen; Ranke überläßt jedem sich selbst ein Urtheil zu bilden, Schlosser drängt ungestüm jedem sein eigenes auf. Wenn auch jeder Schlossers ehrlichen und streng sittlichen Charakter anerkennen muß, so mag man doch nicht mitten in der Geschichtsdarstellung immer die Leidenschaft und den Zorn dieses Sittenrichters vor sich haben. Ein besonderes Verdienst Schlossers ist, daß er in seinen Werken, namentlich in der Geschichte des achtzehnten Jahrhunderts und des Alterthums, die gesammte Kulturgeschichte zur Unterlage der Thatsachen und Persönlichkeiten machte.“ (Unveröff. BSB Cgm 5440/5, fol. 59f.). Interessant ist auch das Ungesagte. So findet sich hier kein Wort über Ranke als Erfinder einer neuen historisch-kritischen Methode, gar als Begründer der Geschichtswissenschaft und Gründer einer historischen Schule. Vielmehr werden in den Aufzeichnungen sowohl Ranke als auch Schlosser zu Vertretern einer „Neueren Schule“ (fol. 58) gezählt, die sich „in zwei Gruppen“ spalte, „je nachdem sie bloß die Thatsachen, oder auch die Ansichten über die Thatsachen sprechen lassen. Man könnte die einen die Objektiven, die anderen die Politischen nennen, im Gegensatze zu den politischen Romantikern gehören die letzteren aber zur liberalen Partei. Die beiden Endpole in dieser Beziehung sind Ranke und Schlosser.“ (fol. 59). Eine weitere Notiz der ‚Abendunterhaltungen‘ bemerkt übrigens zu Varnhagen von Ense: „der feine Biograph mit sorgfältig polirtem Stile, welcher den Ranke’schen häufig noch überbietet.“ (fol. 61). In eben diesem Jahr erhielt Heinrich von Sybel unter Einwirkung und mit Zuspruch Rankes seinen Ruf nach München. In der damaligen Rede ‚Über den Stand der neueren deutschen Geschichtschreibung‘, noch zu Lebzeiten Schlossers, kam er allerdings zu einer das gemäßigte Urteil der ‚Abendunterhaltungen‘ übersteigenden, zumal öffentlich erledigenden Verurteilung Schlossers. Dieser werde, „während Ranke für Jahrhunderte lehrreich“ bleibe, vergessen sein, sobald das deutsche Volk ein gesunderes Verhältniß - 178 -

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zu dem deutschen Staatswesen erreicht“ habe (Sybel 1856, Zitat nach 3. Aufl.1880, 359). - Beidseitig vernichtend sah Droysen die Dinge, war er doch der Auffassung, die „Leisetreterei“ Rankes „so gut wie das unfruchtbare moralische Pauken Schlossers“ seien „ganz verdrängt aus der Teilnahme der Nation“. Bei dieser nichtöffentlichen Äußerung (Brief an Wilhelm Arendt, 8. Mai 1857) dürfte ein Gutteil vergeblichen Wunschdenkens des erbitterten Berliner Konkurrenten Rankes im Spiel gewesen sein. (Droysen Briefwechsel II/1929, 450). „Wir sind“, so äußerte Droysen damals auch in seiner Historik-Vorlesung, „... in die unglückselige Art geraten, es für vortrefflich zu halten, wenn man gar keinen Standpunkt hat, sondern die Dinge, um ja für alle denselben Gesichtwinkel zu bekommen, aus der Vogelperspektive ansieht, was man dann objektiv nennt und als Unparteilichkeit rühmt... Ich danke für diese Art von eunuchischer Objektivität ... Ich will nicht mehr, aber auch nicht weniger zu haben scheinen als die relative Wahrheit m e i n e s [i. T.] Standpunktes, wie mein Vaterland, meine religiöse, meine politische Überzeugung, meine Zeit mir zu haben gestattet. Der Historiker muß den Mut haben, solche Beschränkungen zu bekennen...“ (Historik ed. Leyh/1977, 235f.). Das Wort von der „Vogelperspektive“ findet sich 1861 auch bei Karl Frenzel (s. I, 283f.). - Gerechter urteilte Wilhelm Giesebrecht in seiner 1858 gehaltenen Habilitationsrede über ‚Die Entwicklung der modernen deutschen Geschichtswissenschaft‘. Bei seinem Schlosser-Ranke-Vergleich verkündete er, wohl mit Blick auf die Formulierung von Kurz, versöhnlich, beiden müsse bei aller Verschiedenheit doch „das Trachten nach der Wahrheit der Geschichte“ zugeschrieben werden (Giesebrecht/1859, 12). - Dieser Auffassung war wohl auch der gern zu Harmonisierungen neigende Ranke selbst. Zwar ist der Text seiner Rede zur Eröffnung der III. Plenarversammlung der Münchener Historischen Kommission aus dem Jahre 1861 bisher nicht bekannt geworden (s. II/6.5), in der er seinem allenfalls ideellen Kontrahenten einen Nachruf widmete, doch weiß man aus Erinnerungen seines Amanuensen Wiedemann, daß er die erfolgreiche Schlossersche ‚Weltgeschichte‘ so sehr schätzte, daß er sie bei den Diktaten zu seiner eigenen stets zur Verfügung haben mußte (Wiedemann XV/1893, 260). Ein anderer Nekrolog auf Schlosser ist erhalten, und eben dieser führte nach seinem Erscheinen 1861 zu einer Steigerung der Auseinandersetzung. Der bereits herangezogene Heidelberger Liberale Georg Gottfried Gervinus als einer der ‚Göttinger Sieben‘ und Verfasser einer bedeutenden und erfolgreichen ‚Geschichte der poetischen National-Literatur der Deutschen‘ (5 Bde, Lpz. 1835-1842), damals noch befaßt mit einer ,Geschichte des 19. Jahrhunderts seit den Wiener Verträgen‘ (8 Bde, Lpz. 18531866), politisch und wissenschaftlich eine Berühmtheit, schrieb diesen 86seitigen Nekrolog seinem überaus verehrten Lehrer und „väterlichen Freund“. Er kennt die Schlosser vorgeworfenen Fehler durchaus und legt sie auch offen, fühlt sich hier jedoch zu einer „berichtigten und bereinigten Beurtheilung desselben“ verpflichtet (Gervinus/1861, 12). Dabei stellt er einen wissenschaftsgeschichtlich bedeutenden Vergleich Schlosser-Ranke an - er spricht nur unpersönlich von der „diplomatischen und archivalischen Geschichtschreibung der Ranke’schen Schule“ (24) -, der die Unterschiede, ja Gegensätze beider scharf akzentuiert bzw. übertreibt. Von einem epochemachenden Verdienst Rankes um die historische Kritik und die Entwicklung der Geschichtswissenschaft insgesamt ist auch hier keine Rede, zumal bereits die Methoden von Niebuhr und Otfried Müller, wie bemerkt (s. I, 152), in den Augen Schlossers als „kritische Mikrologie“ gegolten hätten (24), vielmehr wird Rankes Forschungsansatz - 179 -

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und Darstellungsweise als mit wesentlichen Mängeln behaftet dargestellt. Zwar sei Schlosser wie Ranke eine Methode wesentlich kritischer Natur und ähnlich fragmentarischer Art eigen, doch wo Schlosser „die historische Materie in aller umfänglichen Breite“ ergreife, in einer „trockenen annalistischen Darstellung, aber von allen Seiten beleuchtend“ vorführe und „doch das Ganze der Geschichte durch ungleiche, formund kunstlose Behandlung leicht wieder wie in Bruchstücke“ zerstückele, da stelle Ranke „mehr nur einzelne Momente auswählend aus einzelnen Gesichtspuncten“ dar und feile sie „in formgefälliger Memoirenmanier pragmatisch“ aus, suche „umgekehrt aus Bruchstücken zusammenhängende Ganze zu bilden“ (24f.). Schlosser suche angesichts der sich immer unübersehbarer auftürmenden Stoffmassen in „Geist und Kern der Geschichte vorzudringen“ (25), wohingegen Ranke auf der „gründlichen Erforschung des Einzelnen“ bestehe und „das Andere Gott befohlen“ lasse (26). Schlosser achte vorzugsweise auf die Taten in der Geschichte, Ranke auf die Worte. Daher könnten auch „Gesinnung, ethischer Ernst und politisches Urtheil ... unmöglich gleich arten.“ (27). Bei Schlosser lobt er die „Beleuchtung der ideellen Antriebe in der Geschichte, die Heranziehung des offenst liegenden Theiles aller Geschichte, der Literatur“. In deren Gebrauch zur „Erhellung des Geistes der politischen Geschichte“ liege dessen „eigenstes bahnbrechendes Verdienst“ (28). - Ähnliches findet sich auch in Gervinus’ 1893 veröffentlichter Selbstbiographie von 1860. (Gervinus/1893, 163-166, 262, 296). Georg Waitz kam seinem Lehrer, wie bereits in seinem Beitrag über ‚Falsche Richtungen‘ von 1859, nochmals zu Hilfe, indem er 1861, wiederum in Sybels ‚Historischer Zeitschrift‘, in einem Beitrag ‚Zur Würdigung von Ranke’s historischer Kritik‘ unmittelbar nach Erscheinen des Schlosser-Nekrologs, Gervinus in dessen eigenem Werk auf die Benutzung der bei Ranke geschmähten Quellenarten hinwies (Waitz/1861, 351), zugleich Punkte der allgemeinen Ranke-Kritik zurückwies, wie die „Auffassung und Beurtheilung einzelner Charaktere und Begebenheiten“ (350). Durch das Eingreifen von Johann Wilhelm Loebell verschärfte sich die Auseinandersetzung nochmals. Dieser veröffentlichte im Folgejahr anonym eine Broschüre ‚Briefe über den Nekrolog Friedrich Christoph Schlossers von G. G. Gervinus. Ein Beitrag zur Charakteristik Schlossers vom litterarischen Standpunkt‘. Hierin wies er die Hauptvorwürfe gegen Ranke, im besonderen auch bezüglich der Beurteilung Machiavellis und der Benutzung von Gesandtschaftsberichten zurück und sah - vor Meinecke - Ranke im Gegensatz zu Schlosser in innerlicher Beziehung mit der durch Niebuhr, Herder, Möser und Spittler bezeichneten Kette der Entwicklung des deutschen Geistes (Loebell/1862, 28f.). Jedoch steht er Ranke nicht unkritisch gegenüber, wie seine Beurteilung der Rankeschen Darstellungsform zeigt (s. I, 193). Daraufhin ließ sich ein Anonymus der ‚Preußischen Jahrbücher‘ von 1862 vernehmen. In seinem Beitrag, ‚Friedrich Christoph Schlosser‘ betitelt, äußerte er sich teils einschränkend, teils vertiefend positiv über Gervinus’ Nekrolog und gegen die Loebellschen Briefe. Schlosser ist ihm der „Schöpfer der Universalgeschichte“ (432), gleichwohl formuliert er: „Die Concentration eines Zeitalters zu einem Idealbild, die dialektische Construction der Momente, in denen die Geschichte verläuft, welche selbst auf einen so rein historischen Kopf, als Ranke ist, einen bedeutenden vergeistigenden, zum künstlerischen Aufbau der Geschichte ermuthigenden Einfluß geübt hat ... fand in ihm [Schlosser] und seinen Schülern ihre schärfsten Gegner. Je älter desto härter ... stellt er seinen derben und abrupten Realismus jeder durch Abstraction erreichten - 180 -

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Einheit des geschichtlichen Bildes gegenüber.“ (Anonym. PrJbb 9, H. 4, Apr. 1862, 422). - Carl von Noorden, nicht nur Hörer Rankes, sondern mit ihm auch entfernt verschwägert, machte 1856 seine persönliche Bekanntschaft, hörte „mit Begeisterung“ seine Vorlesungen (Noorden/1884, 4*), nahm im Sommersemester 1857 an Rankes Seminar über Nithard teil (Philippsborn/1963. Siehe auch II/5) und sprang nun 1862 dem Lehrer in einem Beitrag der ‚Historischen Zeitschrift‘, ‚Zur Beurtheilung Friedrich Christoph Schlosser’s‘, bei. Er fertigte Schlosser ab mit der Feststellung, Ranke sei bestrebt, „das Ideal der Geschichtsschreibungskunst in einer mit Schlosser schlechterdings nicht mehr vergleichbaren Weise zu verwirklichen.“ (Noorden/1862,139). - Die wesentlichen geistesgeschichtlichen Unterschiede beschrieb, wenn auch in pauschaler Form, Johannes Scherr (s. o.). Er fand, Ranke sei „im Grunde ... nicht weniger subjectiv als Schlosser“ (Scherr [1862]/1864, 172). Gleichwohl seien sie „Gegenpole“: „Schlosser ist ein Kind der Aktion des achtzehnten, Ranke ein Kind der Reaktion des neunzehnten Jahrhunderts. Die schlosser’sche Historik ist ein Produkt des emanzipativen Rationalismus, die ranke’sche ein Produkt der restaurativen Romantik.“ (173. Siehe auch I, 483). Der sogenannte Schlosser-Ranke-Streit klang noch lange, bis in die 1880er Jahre, nach. Zu einem in mehrfacher Hinsicht unerwarteten Ergebnis eines Vergleichs gelangte der bereits betrachtete (s. I, 150) österreichische Historiker Adalbert Heinrich Horawitz in seiner Schrift ‚Zur Entwicklungsgeschichte der Deutschen Historiographie‘ von 1865, die von Sybel einer Besprechung in der ‚Historischen Zeitschrift‘ gewürdigt wurde (Sybel/1866). Wo an Schlosser, so bemerkte Horawitz, die „Popularisierung der gelehrten Arbeit, die Beziehung auf das Leben und vor Allem der sittliche Werth und Gehalt“ zu rühmen sei (19), zeichne Ranke vor allem „das Herbeibringen neuen Materials, die Prüfung dieses, sowie des bereits Bekannten, nicht minder aber die herrliche Darstellung, das feine Verständnis für Entwickelung und Persönlichkeiten“ aus (25), und der ihm immer vorschwebende „universalhistorische Zusammenhang“ leite Rankes „Geist zu den umfassendsten Umblicken, den feinsten Combinationen“ (27). Überraschend ist das von Horawitz gezogene Fazit: „das Höchste“ sei von dem „zwischen Ranke und Schlosser“ (31) stehenden Gervinus erreicht, bei dem „die sorgsamste, auf die eingehendsten Quellenstudien basierte Forschung überall den warmen Antheil des Darstellers am Rechten und Guten, das für sein Volk fühlende Herz aufweist...“ (ebd.). Der bereits herangezogene Essayist Karl Hillebrand brachte anläßlich einer Würdigung Ludwig Häussers in der Pariser ‚Revue moderne‘ von 1867 einen neuen historisch-politischen Gesichtspunkt ins Spiel. Bei Schlosser nehme das moralische Urteil die erste Stelle ein, wohingegen die Helden Rankes für diesen nur wie die Blätter einer Pflanze für den Botaniker seien. Im Gegensatz zu Schlosser seien die Wirkungen Rankes auf den einfachen deutschen Leser gering. Hingegen vermöge Schlosser - ohne die fast unfehlbare kritische Methode Rankes und den hochstehenden Stil seiner Darstellung - dem intellektuellen Leser wenig zu bieten. Dennoch sei der Einfluß des Moralisten und Patrioten Schlosser nach 1813 sehr heilsam gewesen, und es sei der Zukunft vorbehalten, zu entscheiden, ob die Ranke-Schule als Begründerin der neuen historischen Wissenschaft oder der kraftvolle Geist der Schlosser-Schule, der den neuen deutschen Staat gemacht habe, seinem Land und der Menschheit den größeren Dienst erwiesen habe. Hillebrands Achtung vor Schlossers Leistung ging indes nicht so weit, diese auf dessen Schüler und Verehrer Gervinus zu übertragen, in dem jedenfalls - 181 -

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Horawitz das Höchste erreicht sah. In einem 1875 erschienenen - wohl auch schon früher veröffentlichten - Essay über Gervinus brachte Hillebrand eine Analyse von Persönlichkeit und Werk Gervinus’ mit der Intention einer Paralyse, in der auch auf die „provocirende Eitelkeit des Mannes“ verwiesen wird, „der sich ganz naiv als Geschichtschreiber mit einem Ranke, Macaulay oder Thierry ... auf eine Linie stellt.“ (Hillebrand, K.: G. G. Gervinus/1875, 265). Dabei fällt auch ein Blick auf die Rankesche ‚Historische Schule‘: „Man mag zugeben, daß eine gewisse historische Schule Deutschlands den Werth ihrer wissenschaftlichen Methode überschätzt; es mag sogar unbestreitbar scheinen, daß die reconstruirende Phantasie des Geschichtschreibers einen freieren Spielraum haben müsse als ihr in jener Schule gegönnt wird; es mag endlich mit Recht behauptet werden, daß die aller Geschichtsforschung innewohnende Zufälligkeit und Unsicherheit ... von unseren Quellenforschern nicht genugsam gewürdigt wird: es bleibt deßhalb nicht minder gewiß, daß der Historiker ohne Quellenkenntniß ... sich immer in großem Nachtheil befindet ...“ (218f.). - Gervinus’ abfällige Urteile über Guiccardini seien nur Folgen „schwerfälliger Tactlosigkeit und ... Mangels an Perspective“ (221). Noch 1878 nahm sich Ottokar Lorenz, damals Wiener, später Jenaer Geschichtsordinarius, des Schlosser-Ranke-Themas an, in einem Akademie-Vortrag ‚F. Chr. Schlosser und über einige Aufgaben und Principien der Geschichtschreibung‘, der 1886 in überarbeiteter Form seinem bekannten Werk ‚Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben kritisch erörtert‘ eingefügt wurde. Er glaubte mit einem philosophisch zukunftsträchtigen Begriff das Wesentliche zu treffen, doch waren die Unterschiede tiefer und weitreichender: „Was in Wahrheit den größten Unterschied zwischen diesen Geschichtschreibern begründet, liegt weder in dem formalen Prinzip der Darstellung, noch in der Stellung der Aufgabe als solcher, noch in den höchsten Zielen der Wissenschaft, sondern in der Art und Weise der Lösung jenes Problems, welches man als die Werthbeurtheilung in der Geschichte zu bezeichnen hat.“ (Lorenz/1886, 55). Dies war weniger bezeichnend als die Charakteristik, die Gervinus in seinem Nekrolog von 1861 geboten hatte. Das Thema verflachte zusehends und beschränkte sich in den 1880er Jahren im wesentlichen auf einen Vergleich der ‚Weltgeschichten‘ beider, wobei Schlosser stets ins Abseits gestellt wurde (z. B. Evers/1881, Müller-Frauenstein/1882 und 1883). * Ungeachtet der massiven, jedoch überwiegend unpublizierten Kritik führender Historiker erfreute sich Rankes Objektivität, vorbereitet durch einige frühere Stimmen, spätestens seit den 1870er Jahren, freilich zumeist im Verein mit einem nun bei ihm vermeintlich entdeckten sittlichen Urteil, größeren Lobes. So hatte bereits ein Rezensent der ‚Französischen Geschichte‘ bei Rankes „Streben nach leidenschaftsloser Objectivität“ keinen Widerspruch in dessen „edler Wärme des Gefühls“ gesehen, „mit der der Verf. die Geschicke der Bekenner der gereinigten Kirchenlehre berichtet ...“ (Anonym in: LCD, 30. 12. 1854, 837). Ranke habe sich aber „sehr zu hüten“ vor dem Extrem „jener kalten gleichgültigen Objectivität, die so oft als Höhe der Kunst gepriesen wird …“ (ebd.). Denn unter Rankes späteren Zeitgenossen waren einige, welche nicht nur im Grundsatz dasselbe verfehlte Misch-Ideal von Objektivität vertraten, das der ethisch-politisch-national geprägten Kritik Droysens, Troeltschs, Mommsens und vieler anderer zugrunde lag, sondern sie waren auch der verblüffenden Ansicht, - 182 -

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dieses Ideal sei von Ranke tatsächlich verwirklicht. Hier wie da wurde eine Objektivität propagiert, die ihre Vollkommenheit geradezu im Verein mit entschiedener Subjektivität, einer bestimmten Gesinnung oder Ideologie und dem daraus fließenden Gefühl und Urteil zu finden glaubte. - Zu letzteren scheint auch Georg Waitz (1813-1886) gehört zu haben, bekanntlich einer der profiliertesten Schüler und Schildträger Rankes - welch letzterer beiläufig neben Schelling Pate seines Sohnes Friedrich war (E. Waitz/1913, 36) -, wenngleich eher quellenkritisch und editorisch als geschichtstheoretisch begabt. Waitz verfaßte 1859 ein an Heinrich von Sybel, den Herausgeber der soeben gegründeten ‚Historischen Zeitschrift‘, gerichtetes Schreiben, betitelt ‚Falsche Richtungen‘. In diesem auffallenden, wissenschaftsgeschichtlich interessanten Text wird Ranke zwar nicht genannt, doch werden zwei Grundfragen der Historie angesprochen, welche mit ihm in Zusammenhang stehen. Es ist zum einen die Warnung vor dem übertreibenden „Mißbrauch“ des Grundsatzes, die Geschichte solle dazu „dienen, die Gegenwart richtig zu fassen und zu beurtheilen“ (Waitz/1859, 19), der auf dem Hintergrund von Rankes Berliner Antrittsrede von 1836 ‚Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine‘ zu sehen ist. Der Schriftsteller und Politiker Wolfgang Menzel (1798-1873) hatte ein Vierteljahrhundert zuvor noch gewünscht, „unsere gar zu sehr am Schreibtisch in ihren Bibliotheken verhockten Historiker möchten sich mehr der Tagespolitik, dem gegenwärtigen Staatsleben widmen, und in den Leidenschaften und Interessen der heutigen Welt die der Vergangenheit studiren“ (Menzel II/1836, 144). Für Ranke von unmittelbarerer Bedeutung sind Waitz’ in den ‚Falschen Richtungen‘ seinem Meister zu Hilfe eilende Betrachtungen zum Problem der Objektivität, die auch ihre Gegner habe, „die sie farblos, kalt und gleichgültig gegen ewige Güter der Menschheit oder der Nation schelten. Aber sicherlich mit Unrecht. Sie ist wohl vereinbar mit festen Ueberzeugungen in religiösen und staatlichen Fragen, mit sittlicher Klarheit und patriotischer Wärme.“ (Waitz/1859, 27). Dies war freilich ein wenig am Problem vorbeiargumentiert, denn wo die vermeintlichen Objektivitätsgegner geradezu die Notwendigkeit eines Zusammengehens von Objektivität mit ethischen und politischen Emotionen betonten, sah Waitz dies doch lediglich als Möglichkeit an, wobei überdies offenblieb, ob Ranke in seinen Augen davon Gebrauch machte. - Ein Anonymus der ‚Berliner Revue. Social-politische Wochenschrift‘ von 1861 lobte die Rankesche Objektivität ohne Wenn und Aber: Ihr Vorzug sei „um so höher anzuschlagen, da er in der Gegenwart so außerordentlich selten“ sei. „Die Befangenheit und Einseitigkeit der Geschichtsschreiber hat gerade in den letzten Jahrzehnden [!] in so bedauerlicher Weise zugenommen, daß eine Darstellung, welche die Thatsachen selbst sprechen läßt, einer blühenden Oase“ gleiche (147). - Auch Adalbert Heinrich Horawitz gehörte zu der Minderheit, welche Ranke in Schutz nahm. Dazu wagte er den Versuch, die Verhältnisse auf den Kopf zu stellen. In seiner bereits herangezogenen Schrift ‚Zur Entwicklungsgeschichte der Deutschen Historiographie‘ von 1865 stellte er den Versuch einer subtileren Beurteilung der ‚Objektivität‘ Rankes an. Horawitz wendet sich gegen „jene falsche Anschauung, Ranke betrachte die gesammte Weltgeschichte mit dem kalten, blos für das Ästhetische fühlenden Auge des Diplomaten, und lasse das sittliche Urtheil vermissen“ (27), - so hatte sich nicht allein Heinrich Kurz in seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur‘ geäußert (Kurz III/1859, 697). Tatsächlich aber zeige sich in Rankes Darstellung trotz Verzicht auf ein bestimmtes „damnatur“ oder „laudatur“ eine „große wahrhaft sittliche Auffassung der Weltbegebenheiten“ (27). „Dadurch, daß Ranke die Genesis jeder Handlung, die Nothwendigkeit, unter der sie sich vermöge der gegebenen Verhältnisse vollzog, den Zwang in der - 183 -

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Entwickelung eines Charakters darlegte, dadurch, daß er das Berechtigte in jeder Auffassung, das E i n e in dem Verschiedenartigen aufwies, ist Ranke der Vater einer ganz neuen, versöhnenden, echt objectiven historischen Darstellungsweise geworden, die geschichtliche Einseitigkeit ist vermieden und wir sehen mit warmer Freude seit Ranke in der Geschichtsschreibung eine Methode vorherrschen, welche es für ihre Pflicht erachtet, auch des Gegners Ansichten und Handeln in ihrer Nothwendigkeit und Vernünftigkeit aufzuweisen.“ (28). Hier wird mit dem zum Scheitern verurteilten Versuch, unter Annahme von Notwendigkeit, allseitiger Vernunft und Berechtigung eines jeden Geschehens eine sittlich orientierte Objektivität zu gewinnen, relativistischen und deterministischen Deutungen Rankes Vorschub geleistet oder diese Wirkung seiner Geschichtsschreibung offengelegt, wie sie auch weit später von so unterschiedlichen Denkern wie Wilhelm Dilthey (s. I, 413ff.) und József Szigeti (s. I, 572f.) gefürchtet oder nur verspürt wurde. Über die Herkunft der beanstandeten ‚Objektivität‘ Rankes machte sich zu dessen fünfzigjährigem Doktorjubiläum im Jahre 1867 ein Anonymus der ‚Gartenlaube‘ Gedanken. Vielleicht handelte es sich um Wilhelm Giesebrecht. Jedenfalls wertete es der Verfasser nicht unbedingt als Charakterlosigkeit, daß, „die bewegliche Seele“ Rankes „an den Felswänden der Ereignisse zu zerrinnen“ scheine und die Begebenheit an uns vorüberrolle „wie eine Naturerscheinung, unbekümmert, ob wir Ja oder Nein dazu sagen“ ([Anonym:] Eine goldene Hochzeit/1867, 102). Die Objektivität Rankes müsse man sich allerdings „nicht durchaus als eine grenzenlose vorstellen“ (ebd.). Diese nun scheint der Verfasser mit Rankes „innerer Religiosität“ und seiner „entschiedenen Vorliebe für die ... legitime Monarchie, das starke Königtum“ (ebd.) - durchaus ohne Vorwurf - in Verbindung zu sehen. Solches wird später auch in Giesebrechts Gedächtnisrede, gehalten in der öffentlichen Sitzung der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München zur Feier ihres einhundert und achtundzwanzigsten Stiftungstages am 28. März 1887, anklingen. Hier schilderte er seinen nicht sehr klaren Eindruck, daß es „historische, vielleicht auch religiöse Bedenken“ waren, die Ranke „im sittlichen Urtheil so vorsichtig machten. So oft hat man die Objectivität seiner Darstellung gepriesen, und doch hängt sie wesentlich mit dem zusammen, was man als Mangel an sittlicher Wärme in seinen Schriften gerügt ... hat“ (Giesebrecht/1887, 29f.). Der im Zusammenhang mit der Aufnahme von Rankes ‚Weltgeschichte‘ noch zu betrachtende Gymnasialprofessor Georg Kaufmann verfaßte 1870 einen Beitrag mit der sehr direkt aufgeworfenen Frage ‚In wie weit darf die Geschichtschreibung subjectiv sein?‘ Dem vorwiegend an einem Aufsatz von Bernhard Erdmannsdörffer orientierten Schriftchen mangelt es ein wenig an Systematik und Tiefe, zumal die aufgeworfene Frage eigentlich in der Form ‚In wie weit m u s s die Geschichtschreibung subjectiv sein?‘ behandelt wird. Auch das Urteil über Ranke weist auf Widersprüche oder Fehleinschätzungen hin. Dieser gilt dem Verfasser als „ein wirklich objectiver Geschichtschreiber“. In Rankes ‚Wallenstein‘ werde der Leser „leicht ...eine Anzahl von Stellen finden, welche beweisen, dass die sittliche Würdigung der Personen und Ziele zu der Aufklärung des thatsächlichen Zusammenhangs unentbehrlich ist und dass dies Gefühl von dem Werth der Güter auch ausserdem ein ... bedeutsamer Theil der Gesammtdarstellung ist.“ (10, A. 1). Der liberale Rudolf Doehn (1821-1895) schrieb, ohne dazu eine spezielle fachliche Kompetenz zu besitzen, im Jahre 1871 in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ eine Besprechung des ‚Siebenjährigen Krieges‘, worin er bemerkte, Ranke habe „dies- 184 -

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mal entschieden unter dem Eindrucke der Gegenwart geschrieben“ (Doehn/1. 10. 71, 634), ja er habe mit seinem Werk den „großen Ereignissen“ des letzten Jahres „einen schönen Tribut dargebracht“ (638). Dieses Urteil war allerdings durch Ranke selbst in seinem Vorwort (VII) hervorgerufen worden und entsprach nicht unbedingt dem Inhalt des Werkes. Habe man der Rankeschen Geschichtsschreibung, so fuhr Doehn fort, „nicht mit Unrecht den Vorwurf gemacht … daß sie meistens die Objectivität zu weit“ treibe (634), so komme in diesem Werk „der nationale Gedanke und der berechtigte Patriotismus - unbeschadet der thatsächlichen Wahrheit - zu Geltung“, wodurch sich zeige, daß die „deutsche Geschichtschreibung in ihrem innersten Wesen und wahren Werthe nichts verliert, sondern nur gewinnt, wenn sie von der unwiderstehlichen Macht des nationalen Gedankens erfaßt und durchleuchtet wird.“ (ebd.). - Auch die ‚Grenzboten‘ schließen sich in einer sehr anerkennenden Besprechung der ‚Deutschen Mächte und der Fürstenbund‘ (I) dem Urteil an und wenden sich jetzt gegen die weitverbreitete Ansicht, „Ranke’s Objectivität bestehe in dem Mangel oder der Zurückhaltung eines eigenen Urtheiles“ ([Vf.] ων: Ranke’s neueste Werke/1872, 310), ja Jakob Hülsmann (s. I, 313f.) findet ihn „dem landläufigen Urtheil entgegen - wärmer, wahrer, tiefer theilnehmend an dem, was er behandelt, als fast irgend einen unserer Geschichtsschreiber sonst.“ (Hülsmann/1872, 106). Der noch mehrfach heranzuziehende Hans Prutz (1843-1929, der einer Skizze in NDB ermangelt), gelangte bei Rankes ‚Genesis des preußischen Staates‘ sogar zu dem Urteil, daß der neukonzipierte Beginn des Werkes den „schlagendsten Beweis“ dafür liefere, mit welch „warm pulsirendem Herzschlag“ Ranke die Gegenwart mitlebe (Prutz: Ranke über die Genesis/1875, 215). Das bezog sich nun freilich nicht auf Rankes Darstellung, jedoch äußerte sich Prutz dazu später in einer 1877 erscheinenden Besprechung der ‚Denkwürdigkeiten Hardenbergs‘. Bei den in den letzten Jahren erschienenen Werken Rankes sei der nicht selten gemachte Vorwurf „allzu großer Objectivität“ nicht mehr recht am Platze, und gerade das vorliegende Werk sei „subjectiv … im besten Sinne des Wortes, d. h. bei aller Objectivität in der Auffassung und Darstellung tritt uns doch … der Autor selbst … mit seiner Meinung von den Dingen … unmittelbarer nahe“ (520). Dem entsprach dann noch 1886 das Urteil in einem Ranke gewidmeten Essay, in dem Prutz festhielt, das „subjective Moment“ gebe „zusammen mit der universalhistorischen Tendenz der Geschichtschreibung Ranke’s ihr charakteristisches, ihr classisches Gepräge“ (158). Wilhelm Maurenbrecher, hier bereits mehrfach behandelter Sybel- und RankeSchüler, damals Professor in Bonn, lieferte 1882 einen kurzen Beitrag ‚Ueber die Objectivität des Historikers‘ in das gerade von ihm herausgeberisch übernommene ‚Historische Taschenbuch‘. Er sah in Ranke, dem man des öfteren eine kalte oder eingeschränkte oder auch falsche Objektivität vorgeworfen hatte, nun „den Meister der wahren Objectivität“ (338) und definierte - einem Satz Rankes folgend - in schlichter Weise und unter nahezu gänzlicher Nicht-Beachtung passender Literatur anhand einiger Beispiele Objektivität als „das Streben nach Unpartheilichkeit und Gerechtigkeit des Urteils.“ (Ebd.). Dabei glaubte er eine befriedigende Position gefunden zu haben zwischen der „relativen Berechtigung“ einer jeden historischen Erscheinung, etwa der „subjectiven Motivirung“ (337), und der Ansicht, die sich der Historiker „über die Bedeutung und Stellung des von ihm behandelten Gegenstandes innerhalb der ganzen Entwicklungsreihe“ selbst gebildet habe (342). Bemerkenswert ist in jedem Fall, daß Maurenbrecher sich im Zusammenhang mit Ranke deutlich von jeder bewuß- 185 -

I/2.1.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - Kritik der historischen Kritik

ten politischen Parteinahme als Aufgabe des Historikers lossagte (336ff. Siehe auch Maurenbrecher: Gesch. u. Politik/1884), wenn auch nach wie vor von einem „unmännlichen Verzicht auf eigenes Urtheil“ nicht die Rede sein dürfe. Nach Rankes Tod Maurenbrecher hatte auch an der Feier zum 90. Geburtstag teilgenommen - erhob er sich in einem Kondolenzbrief zu der Würdigung: „...Unendliches und Gewaltiges dankt seinem Geiste schon lange die deutsche Nation.“ (Bäcker-Ranke/1967, 37). Sehr ähnlich ist - ebenfalls aus den 1880er Jahren - das coincidentia oppositorum-Urteil Ludwig Oelsners. Er glaubt in der Objektivität Rankes „den vollen Mut der Meinung“ gepaart mit „Unparteilichkeit“ und „erforderlicher Leidenschaftslosigkeit“ (Oelsner/1885, 100f.) zu erblicken. Auch Gottlob Egelhaaf (1848-1934) sah nicht den geringsten Widerspruch im Zusammentreffen kaum zu vereinbarender Gegensätze. An Ranke anklingend veröffentlichte er nicht nur ‚Analekten zur Geschichte‘ (Stg. 1886), denen später eine Fülle zumeist schulbezogener Schriften - von Tacitus bis Bismarck reichend - folgten, in seiner ‚Gekrönten Preisschrift des Allgemeinen Vereins für Deutsche Literatur‘, titelte er Ranke sogar völlig identisch nach: ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ (1885). Im Vorwort nun gesteht er, sicher zutreffend, wieviel er Rankes „staunenswürdigem Werk“ zu verdanken habe, in dem „die Wärme protestantischer Gesinnung“ wirksam sei: „Das taciteische sine ira et studio ist vollkommener und freier von Kälte nie verwirklicht worden.“ (III). Ein Rezensent des ‚Magazins für die Literatur des Auslandes‘ urteilte allerdings genau entgegengesetzt über Rankes Papstwerk lobend: „nirgends möchte man den überzeugungstreuen Protestanten herauserkennen“ (Pn.: Die Päpste/1875, 345). - Wohl nur wenige Stimmen haben die Rankesche Objektivität und Unparteilichkeit in ihrer besonderen Ausprägung vorbehaltlos anerkannt. Dazu gehört jedenfalls der später noch zu betrachtende Historiker Constantin Bulle (1844-1905). Bemerkenswert ist nicht seine anspruchslose allgemeine Würdigung zum 60jährigen Professorenjubiläum Rankes, jedoch die darin enthaltene gewandelte Beurteilung der Rankeschen ‚Unparteilichkeit‘: „Weniger als die meisten Geschichtsschreiber unserer Tage ist Leopold von Ranke der Mann einer Partei. Er verwirklicht in dem ruhigen Gleichmuth seiner Forschung und Darstellung ein Ideal, das der Vergangenheit angehört, aber dem auch die Zukunft wieder gehören wird.“ (Bulle/1885, 391). Die ehedem so kritischen ‚Grenzboten‘ loben in einer uneingeschränkt bewundernden Skizze von Leben und Wirken die Objektivität des Neunzigjährigen nun als „die größtmögliche“ (Anonym/Dez. 1885, 573), wohingegen Franz Mehring sich aus sozialdemokratischer Sicht in einem Nachruf auf Ranke gänzlich für dessen Subjektivität entschied (s. I, 376f.).

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3. Kapitel (I/2.1.3) DAS GESCHICHTSWERK ALS KUNSTWERK? Über die Beschaffenheit eines von ihm erstrebten historiographischen ‚Kunstwerks‘ hat sich Ranke nicht ausführlich geäußert, weshalb offenbleibt, ob darunter eine besondere prae- oder extrapoetische historiographische Kunstform zu verstehen sei - eine solche hatte möglicherweise Paul Joachimsen vor Augen, als er sich in den 1920er Jahren mit Rankes „Reformationsgeschichte als Kunstwerk“ editorisch befaßte - oder ob dabei an ein poetisches Kunstwerk historisch ‚wahren‘ Inhalts zu denken sei. Allgemein wurde die Rankesche Darstellungsweise wegen ihres tatsächlichen oder nur gewollten, ihres vermeintlichen oder bestrittenen künstlerischen Charakters, negativ anhebend mit seinem Erstlingswerk, sogleich als Besonderheit wahrgenommen. Später waren sich so gänzlich unterschiedliche Geister wie Karl Friedrich Köppen und Reinhold Pauli einig in der Feststellung, daß Ranke seinen „großen Namen“ durch die „volle Farbenpracht“ seines „Gemäldes“ erlangt habe (Pauli: Heinrich VIII./(1860) 1869, 105), ja, daß er „wegen seines kritischen Scharfsinns ... nicht so laut gepriesen“ worden sei, „als wegen dieser Kunst zu zeichnen, zu malen, zu portraitiren.“ (Köppen/1841, 432). Die Bedeutung der Thematik ergab sich aus dem zu Zeiten noch engen Zusammenhang von Historie und Literatur im Sinne kunstvoller Poesie, der sich in vielen mehrspurigen Lebensläufen, Werken, vor allem auch Zeitschriften nicht erst des 19. Jahrhunderts manifestiert, auch in späten Ranke-Schülern wie Alfred Dove und Felix Dahn noch lebhaft wirksam war, welche als Historiker nicht minder im Bereich des historischen Romans tätig waren. Zum Thema ‚Historie und Poesie‘ ist um die Jahrhundertmitte von Historikerseite wenigstens die ausdrückliche Abhandlung von Johann Wilhelm Loebell ‚Ueber die Epochen der Geschichtschreibung und ihr Verhältniß zur Poesie‘ vom Jahre 1841 zu nennen, die freilich zum neunzehnten Jahrhundert nur Niebuhr namhaft macht. Lediglich angedeutet ist dort das Verdienst anderer „ausgezeichneter Deutsche“, „die zurückgedrängte Erzählungsform wieder in ihre Rechte einzusetzen“ (370). Dies konnte auf Johannes von Müller, Friedrich Wilken, Friedrich von Raumer, Gustav Adolf Harald Stenzel, doch wohl auch auf Ranke bezogen werden. Schon hier wird sichtbar, daß die Emanzipationproblematik der Geschichtswissenschaft nicht nur in ihrem Verhältnis zu Religion, Philosophie und Politik bzw. Obrigkeit bestand, sondern auch in ihrem Verhältnis zur Poesie, überdies als solche zumeist nicht erkannt wurde und sich verstärkte, indem umgekehrt die Poesie wie alle anderen ‚Künste‘ weithin im Banne der Historie stand. In diesem emanzipatorischen Sinne trat erst Jahrzehnte später, ein Jahr vor Rankes Tod, in ebenso verwegener wie unpopulärer Weise Heinrich Ulmann, Professor der Geschichte in Dorpat und Greifswald, mit einem ungewöhnlichen Beitrag ‚Über wissenschaftliche Geschichtsdarstellung‘ auf, dem die Redaktion der ‚Historischen Zeitschrift‘ gleich zu Beginn die ungnädige und selbstrichtende Bemerkung mit auf den Weg gab, daß ihre „Auffassung zu jener des Hrn. Verfassers in vollständigem Gegensatze“ stehe (Ulmann/1885, 42, A. 1). Der neunzigjährige Ranke blieb in diesem Beitrag namentlich verschont, wie überhaupt kein zeitgenössischer Historiker genannt wird, doch die Grundthese Ulmanns berührt die gerade für das Werk Rankes höchst relevante und von seinen Anfängen an bis in die neueste Zeit behandelte Frage nach dem Geschichtswerk als Kunstwerk: „Es wird durchaus nicht in Abrede gestellt, daß, wie andere Wissen-

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I/2.1.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - Geschichtswerk als Kunstwerk?

schaften, auch die Geschichte die Pflicht hat, bei ihren Darstellungen die schöne Form nicht zu vernachlässigen: aber im weiteren müssen sich die Anforderungen an Einheitlichkeit, Durchsichtigkeit, Proportion der Theile in allererster Linie richten nach der wissenschaftlichen Aufgabe und keineswegs nach dem Zweck, einen kunstmäßigen Eindruck hervorzurufen.“ (44). Diese Ansicht blieb auch außerhalb höherer Fachkreise nicht unwidersprochen, - sogleich im Rankeschen Sinne eines zu erstrebenden Ideals von Bruno Gebhardt in seinem Schriftchen ‚Geschichtswerk und Kunstwerk. Eine Frage aus der Historik‘ (Breslau 1885; zu Gebhardt s. I, 371), wurde jedoch wenig später von Ernst Bernheim in seinem ‚Lehrbuch der historischen Methode‘ (1889, 82-96: „Das Verhältnis der Geschichte zur Kunst“) gestützt. Seiner Auffassung nach lassen sich „in den wesentlichsten Punkten ... die wissenschaftlichen Forderungen mit den künstlerischen regelmäßig nicht, nur ganz ausnahmsweise vereinen“ (88). Es sei auch ein Unterschied zu machen zwischen der „Phantasie des Historikers“ und der „rein künstlerischen Phantasie“ (152). Für Ranke selbst bildete die ästhetisch-konstruktive und auch kommunikative Seite seiner Geschichtsschreibung stets ein ganz wesentliches Element (s. I/1.8). Bereits in seinem Erstling war zweierlei beabsichtigt: Zum einen die dichterische Phantasie des Nicht-Gewesenen zu unterdrücken, zum anderen, in der wissenschaftlichen Darbietung des eigentlich Gewesenen eine künstlerische Form zu erreichen. In beidem wurde ihm jedoch neben Lob sogleich schweres Versagen vorgeworfen. Da war der schmerzhafte Hegelsche Vergleich mit Walter Scott (s. o.), da waren Vorwürfe Heinrich Leos, der befand, er unterhalte seine Leser zuweilen „nicht mit der Geschichte, sondern bloss mit seinen Phantasieen“ (Manin/1828, 40), und da war die herbe, sprachbezogene Kritik Schlossers, - Vorwürfe, die noch in Rankes höchstem Alter Bestand zu haben schienen, als Sybel und Duncker ihn nur als historischen Essayisten gelten lassen wollten (s. I, 150). Rankes ästhetischer Impetus erschließt sich bei der Lektüre seiner Werke unmittelbar, ergibt sich auch aus seinen nahezu endlosen, überwiegend kleinformatigen stilistischen Korrekturen (s. I/1.5) und wird durch direkte Äußerungen bezeugt. Die Historie, so hat er in das Manuskript einer Vorlesungseinleitung zur ‚Idee der Universalhistorie‘ von Anfang der dreißiger Jahre eingetragen, „muß [...] zugleich Wissenschaft und Kunst sein. Sie ist nie das eine ohne das andere. Doch kann wohl bald das eine, bald das andre mehr hervortreten...“ (WuN IV/1975, 73). - Im Jahre 1861 hielt er im ‚Eingang‘ des letzten Bandes seiner ‚Französischen Geschichte‘ die bei den dortigen Analekten nicht zu erwartende Sentenz bereit, welche zugleich bezeichnend ist für die mangelnde Tiefe, ja hedonistische Ausprägung seines Kunstbegriffs: „Die Aufgabe des Historikers ... ist zugleich literarisch und gelehrt; die Historie ist zugleich Kunst und Wissenschaft. Sie hat alle Forderungen der Kritik und Gelehrsamkeit so gut zu erfüllen wie etwa eine philologische Arbeit; aber zugleich soll sie dem gebildeten Geiste denselben Genuß gewähren, wie die gelungenste literarische Hervorbringung.“ Allerdings hielt er dies dann doch für ein „Ideal, das kaum jemals erreicht worden und unendlich schwer zu erreichen ist.“ (FranzG V/1861, 6). Der im Hause Ranke verkehrende Herman Grimm glaubte sich später einer Äußerung Rankes zu erinnern, „die Dauer eines Geschichtsbuches hänge allein ab von der Schönheit des Stiles.“ (Grimm: Heinrich von Treitschke’s Deutsche Geschichte/(1896), 1897, 27). Für eine schon bald recht weitreichende Hochschätzung gerade des Literaten Ranke spricht auch seine frühe Beachtung im Unterrichtswesen. Bereits 1843 nahm Wilhelm - 188 -

I/2.1.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - Geschichtswerk als Kunstwerk?

Wackernagel einige Seiten aus Rankes ‚Päpsten‘ als Proben deutscher Prosa - nicht: deutscher Geschichtsschreibung - in sein ‚Deutsches Lesebuch‘ auf (Sp. 1471-1486), neben Auszügen aus Werken von Goethe, Hegel, Herder, Kant, Lessing, Johannes von Müller, Niebuhr, Friedrich von Raumer, Savigny, Schelling, Varnhagen von Ense und anderen mehr. Und auch die 1844 erscheinenden ‚Deutschen Aufsätze nebst Anmerkungen und Aufgaben. Für die oberen Classen höherer Bildungsanstalten wie auch zum Selbststudium‘ hatten nichts Geschichtliches im Sinn, als sie aus ‚Fürsten und Völkern‘ Bd. I einen Text über Karl V. aufnahmen (439-444, 635), sondern beabsichtigten, „... zunächst Lehrern der oberen Classen höherer Bildungsanstalten eine Reihe mustergültiger Aufsätze für den deutschen Unterricht an die Hand zu geben. Sie sollen dem Lehrer dazu dienen, sie mit den Schülern ganz oder theilweise in der Unterrichtsstunde durchzugehen, eigne Gedanken aus ihnen entwickeln zu lassen, Geist, Erfindungskraft, Darstellung durch gediegene Muster zu bilden.“ (V). Neben Ranke standen da unter anderem noch W. v. Humboldt, Johannes Müller, Friedrich Schleiermacher, Friedrich Ancillon, Ludwig Wachler, Arnold Hermann und Ludwig Herren. Man darf sich Rankes Darstellungsweise jedoch - so sehr er solches erstrebt hat nicht als durchaus populär vorstellen. Die Wirkung von Thomas Buckles ‚History of civilisation in England, London 2 Bde 1859, 1861 (Dt.: Geschichte der Zivilisation in England. Übers. von A. Ruge, 2 Bde, Lpz. 1860, 1861) sei „durchschlagender“ gewesen, so Alexander Brückner in einem Aufsatz des Jahres 1869 ‚Zur Geschichte der Geschichte‘ (327). Dies galt in noch höherem Maße von Macaulays Erfolgen in Deutschland, wie 1896 Edward Gaylord Bourne bemerkt. Auch er sah - obgleich Ranke-Verehrer - dessen Wirkung so: „The air of Ranke is too rarified for the mass of readers. They need the warmth and glow of national or democratic feeling. But Ranke is still a power in the academic world.“ (Bourne: Leopold von Ranke/1896, 399). Weithin wurde eine allzu große Bildungsdistanz beklagt, welche sich einerseits aus der Höhe Rankescher Betrachtung und Reflexion, andererseits aus der noch zu erörternden versagten Vollständigkeit seiner Darstellung ergab. In den ‚Grenzboten‘ hielt man Ranke vor, daß ihn im Gegensatz zu Macaulay „nur die Aristokratie der Bildung verstehen“ könne, sei er doch „viel zu vornehm, um einfach zu erzählen, um sein eigenes überlegenes Nachdenken mit der gewöhnlichen Fassung unserer Begriffe zu vermitteln ...“ ([Anonym:] Macaulay/1853, 487). Dies war desgleichen die Auffassung eines Anonymus der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ von 1855. Auch in seinen Augen war Ranke „nur für einen auserwählten Kreis von Lesern, welche die Geschichte schon kennen, vollständig genießbar“ ([Anonym:] Der gegenwärtige Stand/1855, 116f.), - ein Punkt, in dem die Kritik der Zeitgenossen nahezu einhellig ist. Ja, vielfach war man der Meinung, Rankes Werke könnten „in ihrer wissenschaftlichen Bedeutung nur von Fachmännern gehörig gewürdigt“ werden: „die plastische Ruhe, diplomatische Vorsicht und Gelassenheit, der Farbenreichthum seiner Darstellungsweise“ werde „nicht eigentlich populär“, rege aber „doch in weiteren Kreisen zur Beschäftigung mit der Geschichte“ an. (Brückner/1869, 327). Zwar hatte Heinrich Laube (1806-1884) noch 1840 in seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur‘ geschrieben: „Dies feine historiographische Talent Ranke’s, was bei genauerem Zusehen scheinbar bekannte Verhältnisse neu und anders für unsere Kenntniß geschaffen, dieser historiographische Takt kann freilich nicht in gewöhnlichem Style der Nachahmung eine Schule werden.“ (IV/1840, 71. Zu Laube siehe weiter unten 192). Doch schon 1849 fand ein anonymer Rezensent von Rankes ‚Preu- 189 -

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ßischer Geschichte‘: „Die schriftstellerischen Eigenschaften des Verfassers bleiben sich gleich, Quellenforschung, Art der Benützung der durch Forschung gewonnenen Resultate, Oekonomie des Ganzen, Styl, Vortrag ist bereits zur stehenden Manier geworden, deren Nachahmung auch bei bedeutenden Schriftstellern nicht ohne Verwunderung wahrzunehmen ist.“ (*: Neun Bücher preußischer Geschichte von Leop. Ranke. In: Beil. zu Nr. 169 der AZ vom 18. 6. 1849, S. 2614). Übrigens glaubte Onno Klopp, nicht ohne Bosheit, dies bei Droysen nachweisen zu können (s. I, 247ff.). Der zitierte Anonymus der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ von 1855 sah nicht nur die Wirkung von Rankes Forschungsstil und Werkthematik in der Zunft angekommen, sondern zugleich die Wirkung seiner Darstellungsweise: „Obgleich nun Ranke einzig in seiner Art dasteht und seine Darstellungsweise nicht nachgeahmt wurde, was auch nur zur Manier hätte führen müssen, so wirkte doch sein Beispiel und seine persönliche Anregung so nachhaltig, daß die Anforderungen an den Geschichtschreiber sich nun bedeutend steigerten und man sich überzeugte, daß ein gründliches Quellenstudium mit künstlerischer Gestaltung des Stoffes wohl zu vereinigen sey. Eine ganze Reihe tüchtiger Historiker verfolgt nun diese Bahn.“ ([Anonym]: Der gegenwärtige Stand/1855, 116f.). Das wurde auch anders gesehen. In einem bereits mehrfach herangezogenen (s. I, 122, 166), vielleicht Gustav Freytag zuzuschreibenden Beitrag der ‚Grenzboten‘ von 1856 über ‚Deutsche Geschichtschreiber‘ wurde dem entgegengehalten: „Gewiß müssen uns alle Nationen um einen Künstler wie Ranke beneiden; aber ein eigentliches Vorbild kann er nicht sein. Die Richtung seines Geistes ist zu eigenthümlich, und selbst seine Schönheiten sind zu individueller Natur.“ (43f.) Das Urteil über Rankes Geschichtswerk als Kunstwerk ist, wie nahezu alles Urteilen über ihn, kontrovers. Neben der Einschätzung seiner Werke als „klassische Kunstwerke“ ist vielen Kritiken gemein der Tadel eines allzu starken Hervortretens reflektierender, konstruierender und stoff-excludierender Subjektivität, doch auch, so etwa Droysen, das Unbehagen an einer im Detail oft allzu forcierten realitätsillusionierenden Poetisierung der Darstellung, andererseits an einer Reflexion, welche der Narration hier und da eingelagert, funktionslos überlagert und oft ohne weitreichende strukturelle Bedeutung dasteht - ähnlich der gelegentlich erwähnten, doch nie wirklich sichtbar gemachten ‚Hand Gottes‘ - insgesamt die Kritik an allzu viel darstellerischer Subjektivität und einer gerade nicht erreichten Harmonie von gewolltem historischliterarischem Kunstwerk und spezialisierter historischer Forschung nebst entsprechender Ausführung. - Die kontroverse Beurteilung seiner Darstellungsweise war nur zu einem geringen Teil dem Wandel zuzuschreiben, dem sie in den sechs Jahrzehnten seines Publizierens unterlag. Nicht selten stand sie, wie bemerkt, im Vordergrund einer Gesamtwürdigung, worin sich auch die Tatsache manifestiert, daß die fachlichen Leistungen Rankes als eines Historikers, der unverkennbar in staunenswürdigem Maße neue Faktizität offenlegte bzw. generierte, nicht stets als vorrangig bemerkenswert oder gar als überragend angesehen wurden, oft sich wohl auch aufgrund mangelnder Sachkenntnis der Kritiker, zumal in Anbetracht bislang unbekannter oder ungenutzter Materialien, einer entsprechenden Beurteilung überhaupt entzogen. Auch tritt, wie in der Beurteilung seiner ‚Objektivität‘, im Rahmen einer generellen Alters-Idolatrisierung gegen sein Lebensende eine überwiegend positivere Beurteilung seines Darstellungsvermögens ein, hier und da auch vorbereitet von einer gewissen Unterwanderung der Meinung durch breitere Übernahme Rankescher Eigentümlichkeiten. * - 190 -

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Schon die gleichsam unterste Werk-Schicht, der sprachliche Ausdruck, wie er sich in Wortwahl und Satzbau manifestiert, ist - überwiegend auf sein Erst- bzw. Frühwerk bezogen - Gegenstand der Kritik, welche nicht von Schulen und Parteiungen bestimmt scheint. In Verbindung mit anderen Phänomenen seiner Darstellung wird sein Stil bisweilen gar als Manier gewertet. Nachdem sogleich Friedrich von Raumer die „ungelenke, zerschnittene und unkünstlerische“ Sprache des Werkes in einem nichtöffentlichen, dienstlichen Gutachten beanstandet hatte (s. I, 128), hielt doch eine 1826 möglicherweise von Josef von Hormayr verfaßte anonyme Besprechung des ErstlingsDoppelwerks in den Wiener ‚Jahrbüchern der Literatur‘ die von Ranke gebotenen „Umrisse“ in zweifelhaftem Lob „nicht unwerth, den Meisterbildern Johannes Müllers zur Seite zu stehen“ (Anonym/1826, 16), doch war ein anderes öffentliches Urteil eingreifender. Die Sprache von Rankes Erstling widerte keinen Geringeren als Friedrich Christoph Schlosser geradezu an. Gelegentlich einer ausführlichen anonymen Besprechung von Stenzels ‚Geschichte Deutschlands unter den Fränkischen Kaisern‘ (1827, 1828) kam er kurz auf Ranke zu sprechen: „Hr. Ranke, dessen erstes Buch, die germanischen und romanischen Stämme [auch er kannte den Titel nicht genau], ebenfalls in dem sonderbaren Deutsch und in der auf Stelzen einhergehenden Sprache der Müller nachahmenden Schriftsteller geschrieben war, scheint sich nachher besonnen zu haben, denn seine letzten Schriften sind in einem natürlichen Styl abgefaßt. Die Sprache der Geschichte der germanischen und romanischen Stämme war dem Verf. dieser Anzeigen so widrig, daß er sich lange nicht entschließen konnte, das Buch zu lesen. Hr. Stenzel ist von dieser Affektation frei.“ ([Schlosser]: Ueber die neusten Bereicherungen/1831, 300f). - Eine im Jahre 1828 anonym im ersten Band der ‚Jahrbücher der Geschichte und Staatskunst‘ erschienene Besprechung von Rankes zweitem Werk, den ‚Fürsten und Völkern‘, ist möglicherweise dem mit Varnhagen in Kontakt stehenden Karl von Rotteck zuzuschreiben. Hierin wurde - eine erstaunliche Ausnahme - gerade die „Sparsamkeit, fast Kargheit in der Wahl der Wörter, Besonnenheit, Abgemessenheit und Einfachheit im Ausdrucke“ und die „mit keinem andern neuern Geschichtsschreiber vergleichbare Individualität in Hinsicht der Form der Darstellung“ gelobt ([Anonym, Karl von Rotteck?/1828], 217). Das Wohlwollen mag durch den Umstand gefördert sein, daß der Herausgeber der Zeitschrift, Karl Heinrich Ludwig Pölitz (1772-1838), zu Zeiten des Studiums Rankes in Leipzig Professor der sächsischen Geschichte und Statistik gewesen war (Friedrich, Manfred: Pölitz, Karl Heinrich Ludwig. In: NDB 20/2001, 562 f.) und Ranke selbst zu einer Teilnahme an der Zeitschrift aufgefordert hatte (R. an Pölitz, 25. 4. 28, SW 53/54, 197f.). Heinrich Leo beanstandete in seiner berühmten Besprechung von 1828 in Rankes ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ manirierte und durch den Wegfall von Verben und Pronomina sinngetrübte Satzkonstruktionen, kurzum die unverständliche „kauderwelsche Sprache“ (Manin, d. i. H. Leo/1828, Sp. 140). Er hielt dafür, auf jeder Seite Rankes werde „die Sprache aus Nachlässigkeit auf das gräßlichste gemißhandelt“ (129). Dies war richtig und falsch zugleich, denn aus Nachlässigkeit hatte Ranke gewiß nicht formuliert. Die Merkwürdigkeiten, im besonderen „die Constructionen, die Sätze, die Periode“ waren nach der späteren Einsicht Köppens geradezu „mit Fleiß verschränkt und verschroben“ ([Köppen]/1841, 434), entsprangen Rankes damaligem unselbständigen und ungefestigten Stilempfinden, das sich unter anderem bei Aufenthalten im Varnhagenschen Salon besserte. - Wolfgang Menzel, der zu Rankes ‚Päpsten‘ und ‚Französischer Geschichte‘ zu beachten sein wird, gelang in - 191 -

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seinem ‚Literatur-Blatt‘ vom April 1835 nahezu ein Oxymeron-Urteil, als er feststellte: Ranke „überläßt sich aber vielleicht zu sehr der eigenthümlichen Wollust seiner gemäßigten und besonnenen Stylisation, seiner in gewissem Betracht Goetheschen Prosa ...“ (133). - Boshaft originell war das Urteil Alexander von Humboldts. Er hegte, unter anderem aufgrund seiner von Ranke erst spät entdeckten Liberalität, diesem gegenüber eine mehrfach bezeugte durchgängige Abneigung. In einem Gespräch mit Varnhagen, der Liberalität wie Abneigung schon früh geteilt hatte, formulierte er seinen Tadel an Rankes Ausdrucksweise so: es sei, als ob Ranke „eine fremde Sprache ungeschickt nachahmte.“ (Tgb. zum 1. 3. 37. Aus dem Nachlaß Varnhagen’s v. Ense. Tgbb. I/1861, 39). - Der bereits erwähnte Literat Heinrich Laube war Ranke zum ersten Male 1834 ‚Unter den Linden‘ und später „ein paarmal“ auf Gesellschaften begegnet (Erinnerungen/1875, 75). Angeblich war er begeisterter Leser seiner Werke und fand, daß niemand „der Phrase so standhaft aus dem Wege“ gehe wie er (75, weiteres 268), was Laube von sich selbst nicht sagen konnte. In der vierbändigen ‚Geschichte der deutschen Literatur‘, mit der er 1839 und 1840 - wie Hermann Bischof (1857, 804) schrieb, „in seiner schwächsten Stunde“ - hervortrat, gab er eine überwiegend literarische, darin allseits verwendbare und stilistisch ihrerseits eigentümlich palavernde Würdigung, welche in den Sätzen gipfelt: „Viel feiner und sauberer, maßvoller und darum wahrer [als Heinrich Leos] ist die Ranke’sche Art. Von geschichtlicher Kunst in großem architektonischem Verhältnisse, in klarstem, durchgehenden Urtheile kann eine Zeit der Prosa nur Annäherndes leisten, wenn nicht ein Genius überrascht.“ (Laube IV/1840, 70). „... Ranke hat Geist, Talent und Geschmack. Darum lockte schon sein Anfang einer ‚Geschichte [!] der romanischen und germanischen Völkerschaften [!] im 14ten [!] und 15ten Jahrhunderte‘ so lebhaft, und in den ‚Fürsten und Völkern des 16ten und 17ten Jahrhunderts‘ war bereits ein eigenthümlicher, ein rascher, fein pragmatischer Geschichtsstyl entfaltet, der in der ‚serbischen Revolution‘, in der ‚Verschwörung gegen Venedig‘ und in den ‚römischen Päbsten‘ glänzend fortschritt, als bloßer Styl des Satzes oft frappant nachläßig, immer aber knapp lebendig, scharf, tüchtig, immer interessant. Da ist nirgends die erstickende Dicke dessen, was man gern vorzugsweise Pragmatismus nennt, nirgends ermüdender Parallelismus alles Untergeordneten, das Herumschnaufen in ausdruckslosem Detail, und nirgends der vorlaut dogmatische Abschluß, welcher dem Standpunkte unserer Zeit so übel steht.“ Von einem „feinen historiographischen Talent“ Rankes war da noch die Rede (71), beiläufig auch hier kein Wort über historisch-kritische und überhaupt epochale Verdienste Rankes um die Geschichtswissenschaft. Nicht als „fein“, sondern geradezu als „kräftig und kernig“ bezeichnete der „Königl. Consistorialassessor, Archidiakonus an der Nikolaikirche, Professor am Königl. Cadettencorps in Berlin“, Friedrich August Pischon, den Stil Rankes (Pischon/1841, 177). In seinem mehrfach aufgelegten ‚Leitfaden zur Geschichte der deutschen Literatur‘ (Zitate nach der 6. Aufl. 1841), führt er im Abschnitt ‚Geschichtliche Prosa‘ nach Joh. v. Müller, J. W. v. Archenholz, K. L. v. Woltmann, G. J. Planck, J. C. F. Manso, E. M. Arndt, Friedrich v. Raumer schließlich Ranke als „kritischen und gediegenen Historiker“ auf (ebd.). Karl Friedrich Köppen nannte in seinem mehrfach herangezogenen Beitrag über ‚Die berliner Historiker‘ von 1841 Rankes Stil „klein, kurz, selbstgefällig hüpfend und tänzelnd, immer mit sich beschäftigt, rhetorisch hin und her coquettirend, dem alle historische Würde und Haltung fehlt ... Es ist eigentlich gar kein Stil, es ist etwas durch - 192 -

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und durch Absichtliches, Affectirtes, Gemachtes, kurz es ist eine Manier.“ (433). In seinem Erstlingswerk sei sein „Mosaik des Ausdrucks bis zur höchsten Unnatur gesteigert ... Dadurch fällt die Darstellung völlig auseinander, und es entsteht ein Flimmern und Klingeln, daß uns Hören und Sehen vergeht ...“ (ebd.). In seinen späteren Werken trete dies zurück, doch bleibe „noch immer eine bedeutende Affectation übrig“ sowie „viele Reminiscenzen, Expectorationen, Exclamationen und Vorschiebungen des eigenen Ich“ (ebd.), - was sich nicht leugnen läßt. - Doch konnte man wohl nicht so weit gehen wie Anton Gubitz in einer nicht nachvollziehbaren Kritik seines ‚Gesellschafter. Blätter für Geist und Herz‘ vom Jahre 1848. Er glaubte bei Rankes ‚Neun Büchern preußischer Geschichte‘ „Kanzlei- und Beamten-Stil“ vorzufinden (Gubitz: Noch ein paar Worte/1848, 216). Der bereits erwähnte Rudolph (von) Gottschall gab in seinem 1855 erschienenen Werk ‚Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt‘ ein im Ganzen vernichtendes Urteil ab: „…Ranke’s Styl ist der Styl eines Virtuosen, beweglich, glatt, vornehm; aber er hat nicht die Kraft und den Adel, mit dem Klio’s Griffel für die Ewigkeit schreibt“ (I, 418). - Herman Grimm (1828-1901), Sohn Wilhelm Grimms und Schwiegersohn Bettina v. Arnims, der bei Ranke gehört hatte, auch respektlos im Hause Rankes verkehrte (dazu FvR/1903, 13), später Literat und Professor der Kunstgeschichte, hinterläßt den Eindruck, er habe Ressentiments seines Vaters und seines Onkels übernommen, kam Jahrzehnte später zu einem dem Köppenschen ähnelnden Urteil: Rankes Schriften ermüden ihn. Sein Stil lasse „zu sehr die Mühe erkennen, mit der er ihn zu der ihn auszeichnenden Einfachheit“ erhoben habe (H. Grimm: Heinrich von Treitschke/1896, Zitat nach 1897, 38). - Der junge Dilthey ging ins Detail, als er 1861 in sein Tagebuch schrieb: „Merkwürdige Manier bei Ranke, die etwas sehr verlockendes hat. Einen näher erklärenden Satz neben den andern, durch ein Kolon getrennt, zu stellen. Ohne Bindewort, ja so, daß irgend ein Hauptbegriff vorgeschoben wird, damit auch die Verbindung, die in dem Gleichmaß der Sätze liegt, aufgehoben werde. Die Sätze bekommen dadurch etwas Unbedingtes.“ (Der junge Dilthey/1933, 149). Verwandt ist die schlichtere Feststellung Rudolf von Gottschalls (?), Ranke schreibe „in kurzen Sätzen und mit Vorliebe in Hauptsätzen“ (Gottschall?/1879, 102). - An „der Grenze der Manier“ sieht Johann Wilhem Loebell Rankes Sprache (Loebell/1862, 24). ). Seine „ungemeine Kunst, zu gruppiren und zu componiren“ habe sich „in einen einfachen Sprachton nicht fügen“ lassen. „So wurde er Manierist, aber ein höchst geistreicher ...“ (25). Von Manieriertheit ist auch in Schriften von Karl Klüpfel, Tübinger Universitäts-Bibliothekar (1870, 79), und Max Lehmann (?) (1871, 902) die Rede. - Ludwig Freiherr von Pastor scheint auf alte Kritikelemente Hegels und Leos zurückzugreifen, wenn er Ranke mit Janssen vergleicht: „Rankes Stil gleicht etwa einer chinesischen Porzellanoder Detailmalerei, während der Stil Janssens an die altdeutschen Gemälde erinnert, in denen Anmut und Kraft vereinigt sind.“ (Zum 6. Juni 1875. Pastor/1950, 58). Theodor Fontane ist bei der Lektüre von Rankes ‚Weltgeschichte‘„an ihren großen Stellen entzückt, im ganzen aber, namentlich als stilistische Leistung, wenig befriedigt“ (in Tagebucheintragungen vom 1. Jan. bis 28. April und vom 29. April bis 15. Sept. 1886. Das Fontane-Buch/1919, 161-163). Dieses Urteil ist freilich für Rankes Gesamtwerk nicht zu verallgemeinern, da seine ‚Weltgeschichte‘ in stärkerem Maße als zuvor auf Diktate zurückging. - Für Karl Frenzel, der Rankes Geschichtsanschauung gegenüber durchaus Vorbehalte hatte (I, 121 u. ö.), sich in seinem Stil jedoch ihm und - 193 -

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Heine verpflichtet fühlte, blieb Ranke „...einer unserer hervorragendsten Stilisten“ (Frenzel/1912, 47f.). Auch ausländische Stimmen sind von vielfältiger Art, darunter folgende: Rankes Stil sei ein wenig schwer und sogar langweilig, schrieb 1860 Ernest Grégoire im Pariser ‚Correspondant‘ (Grégoire/1860, 102). Sein Landsmann, Rodolphe Ernest Reuss, der 1862 an einer Vorlesung und Übung Rankes teilgenommen hatte (Reuss/1926, 16), hielt Rankes Sprache bei aller Klarheit in ihrer harmonischen Monotonie auf die Dauer für ermüdend. Es sei zu wenig Leben in seinem Stil. Seine Porträts seien wunderbar, doch im allgemeinen gebe er nur Zeichnungen, keine Gemälde (Reuss/1870, 94). Dem ähnelte ein Urteil von Victor Cherbuliez, der in Rankes Todesjahr von einem dem Stoff angemessenen, eleganten und klaren, wenn auch ein wenig blutarmen Stil sprach ([Cherbuliez, V.; Pseudonym:] Valbert, G./1886, 693). In Italien erkannte Angelo de Gubernatis, daß zwischen dem manierierten Stil und der Wahrheit des Historikers kein Widerspruch bestehen müsse: „il suo stile è suppergiù manierato, ma sempre arguto ed evidente; non entusiasma il lettore, ma gli pone innanzi tutta la verità che fu possible rintracciare.“ (De Gubernatis/1879, 860). * Von größerer Bedeutung als der Tadel seines sprachlichen Ausdrucks ist die Kritik der Struktur der Werke Rankes. Davon werden mehrere deutlich auftretende Phänomene berührt, zunächst die am häufigsten beanstandete oder zumindest vermerkte Eigenart: der gestörte oder fehlende Zusammenhang der Erzählung, hervorgerufen durch eine besonders gegründete ‚versagte Vollständigkeit‘, ein Begriff, der spätestens von Ludwig Schaedel in einem Beitrag ‚Zur Würdigung Leopold v. Rankes‘ der ‚Allgemeinen konservativen Monatsschrift für das christliche Deutschland‘ (Jg. 43, Juli 1886, 740) für eine der „auffallendsten Eigentümlichkeiten Rankescher Kunst“ geprägt wurde, aber in der Sache schon längst beanstandet worden war. Auf „das Bekannte, Gedruckte, Abgehandelte“, so fand schon früh der bereits erwähnte Historiker Joseph Aschbach in einer Besprechung der ‚Päpste‘, werde von Ranke „nicht häufig Rücksicht genommen“ (Aschbach/1835, Sp. 635). Aschbach lobte zwar den Ideenreichtum und die „höchst lebendige Darstellung“, „einzelne sehr gelehrte Ausführungen“ des Werkes, „aber ein in sich geschlossenes historisches Ganze“ liefere das Werk nicht (Aschbach/1835, Sp. 640). Des „Raumes wegen“, wie möglicherweise Heeren 1837 allzu gutmütig in den ‚Ergänzungsblättern zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ vermutete, ließ Ranke es an einer vollständigeren Erzählung fehlen: „Wenn sich Rec. auch öfter durch das mitunter Desultorische und Abgerissene des Stils und der Darstellung gestört sah, wenn er Mangel an Vollständigkeit und oft Berücksichtigung der wichtigsten Puncte vermisste: so hält er diess doch Hn. Ranke zu gut, und erklärt es sich am wahrscheinlichsten aus dem Streben, das Gewöhnliche und allgemein Bekannte nicht in seine Darstellung des Raumes wegen aufzunehmen, und nur Neues und Bedeutendes zu bieten“ (A. H. L. und A. Schr./1837, 350). - Varnhagen, der in Rankes Wesen und Schriften den von ihm einst gelobten jungen Historiker kaum noch wiederzuerkennen meinte, sah eine strukturelle Schwäche in einem fehlenden „Maß der Behandlung, Kürze und Ausführlichkeit wechseln ohne Grund“ (Tgb. zum 7. 10. 1853: Tagebücher, X/1868, 296). Die sehr subjektiven Gründe wurden von der Zeitgenossenschaft vorwiegend zutreffend beurteilt. Das von einer „Gesellschaft deutscher Gelehrten“ bearbeitete ‚Con- 194 -

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versations-Lexikon der neuesten Litteratur-, Völker- und Staatengeschichte‘ wußte in seinem 1845 erschienenen zweiten Band über Ranke zu sagen: „er giebt häufig keine erschöpfende Darstellung des ganzen vorhandenen Materials, sondern begnügt sich, das Neue, was er gefunden und erforscht, hervorzuheben, das Bekannte kaum anzudeuten oder ganz bei Seite zu lassen. Hierdurch wird der Eindruck und der Reiz seiner Darstellung erhöht, doch hat dieser Punkt ihn auch am häufigsten dem Tadel seiner Gegner blosgestellt“ (386). - Auch Theodor Mundt glaubte in Rankes ‚Preußischer Geschichte‘ erkannt zu haben, daß dieser in seiner „gänzlich fragmentarischen Manier“ (Mundt/1847, 688) fast alles ignoriere, was außerhalb des selbst bearbeiteten neuen Archivmaterials als feststehend und charakteristisch überliefert sei. Ein anonymer Rezensent der ‚Allgemeinen Zeitung‘ warf Ranke vor, er sei „in seiner preußischen Geschichte so weit gegangen daß eigentlich nur noch das historischen Werth für ihn“ habe, „was er in seinen Archiven gefunden, und was sich durch dieselben beglaubigen“ lasse. Dies verleite „ihn denn manches andere auch sonst Feststehende in seiner Darstellung zurücktreten zu lassen oder zu ignoriren, und dadurch auf manches charakteristische Element zu verzichten.“ (M.: Historik und Dramatik/1848, 874). - Eine der frühesten umfangreicheren Gesamtwürdigungen Rankes findet sich in der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ von 1855 mit dem Titel ‚Der gegenwärtige Stand der deutschen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung‘. Hier heißt es: „… populär kann man ihn eigentlich nicht nennen, denn er setzt von dem Thatsächlichen zu viel voraus, als daß ein mit den Einzelheiten des Stoffes noch unbekannter Leser die feinen Anspielungen, die er macht, die Schlaglichter, die er da und dorthin wirft, die geistreichen Ueberblicke, die er gibt, gehörig würdigen könnte ... er ist nur für einen auserwählten Kreis von Lesern, welche die Geschichte schon kennen, vollständig genießbar.“ (Anonym/1855, 116f.). Dem entspricht auch das Urteil Julian Schmidts: Er fand, durch das Vermeiden dessen, ‚was jedermann weiß‘, komme „nicht blos in seine Composition, sondern selbst in seinen Styl ... zuweilen etwas vornehm Fragmentarisches. Es ist kein zusammenhängendes Ganze, aber doch ein abgerundetes Bild ...“ (Schmidt: Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert. I/1853, 326). Schmidt wiederholte diese Einsicht mehrfach, war gleichwohl der Ansicht, Ranke sei ein „Schriftsteller ..., auf welchen Deutschland das Recht hat stolz zu sein“ (S[chmidt]/ 1857, 318). - Der Eindruck versagter Vollständigkeit - in grundsätzlicher Weise und in denkbar größtem Maßstab liegt sie in seiner ‚Weltgeschichte‘ vor - wurde auch bei Rankes späteren Werken verspürt. Ein Rezensent der ‚Allgemeinen Zeitung‘ fand bei den ‚Deutschen Mächten‘ von 1871, daß Ranke unter Hintansetzung bzw. Auslassung des bereits Bekannten aus dem, was seine Quellenstudien Neues bieten, den „Eindruck zusammenhängender Geschichte“ erzeuge. Es gebe „keinen andern Geschichtschreiber, dessen Art zu schaffen so verwandt“ sei „mit der des Dichters“ (W. L./1871, 1905). Nun wurden allerdings zunehmend auch die essentiellen Folgen der Versagung benannt. George Strachey wies in der Londoner ‚Academy‘ anläßlich einer ‚Hardenberg‘-Besprechung (s. u.) darauf hin, daß in Rankes Darstellungssystem von Sprüngen und Anspielungen manchmal die Kontinuität der Erzählung verloren gehe (Strachey/ 1877, 79). Die „Sprünge“ und „Lücken“ in Rankes Arbeit über Friedrich Wilhelm IV. hätten keine vollständige Biographie ergeben, doch sei sie - ein Ausnahme-Urteil der ‚Allgemeinen Zeitung‘ - ein „vollendetes Kunstwerk“ (G.: Zwei preußische Könige/ 1878, 51). - Sogar der zu den ältesten Schülern Rankes zählende Wilhelm Giesebrecht erörterte in seiner Gedächtnisrede vor der Bayerischen Akademie der Wissenschaften - 195 -

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Rankes Abneigung, „zu wiederholen, was oftmals von Anderen gesagt war“. Dadurch werde „seine Darstellung ... öfters aphoristisch. So reich sie an dramatischem Leben ist, fehlt ihr die epische Ruhe.“ (Giesebrecht/1887, 29). Dies hatte man schon 1845 empfunden. Das bereits herangezogene ‚Conversations-Lexikon der neuesten Litteratur-, Völker- und Staatengeschichte‘ hatte konstatiert, sein Stil sei „von einer gewissen Unruhe, einer gewissen subjectiven Beweglichkeit nicht frei“ (386). - Doch es gab im Zusammenhang der versagten Vollständigkeit wesentlichere Kritik. Ein Rezensent der ‚Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ lieferte im September 1840 unter dem Autorenkürzel A. Schr. eine Besprechung der ersten beiden Bände der ‚Reformationsgeschichte‘ (s. u.), wobei er Rankes „aphoristische andeutende Manier“ (403) beanstandete und feststellte, daß bei dem „leitenden Grundsatz, ... nach Möglichkeit überall nur Neues... zu geben“ (394), neben versagter Vollständigkeit, doch auch gelegentlich zuviel Detail an der falschen Stelle zu beklagen sei. - Der gewichtigste, überstilistische und überstrukturelle Einwand gegen die versagte Vollständigkeit wurde jedoch 1870 von Rodolphe Ernest Reuss im Sinne einer von Ranke in Kauf genommenen Realitätsverzerrung vorgetragen: „On dirait qu’il dédaigne de passer là où d’autres ont passé avant lui, et cette façon d’agir a le grave inconvénient de modifier les proportions réelles des événements qui se passent devant nos yeux.“ (94). Damit zusammenhängen dürfte Reuss’ Vorwurf einer allzu geringen Erzählung der Fakten gegenüber den eine Epoche bestimmenden Ideen (ebd.). Der Eindruck eines gestörten Zusammenhangs der Erzählung wurde nicht allein durch die versagte Vollständigkeit der Faktizität hervorgerufen, sondern ergab sich auch durch häufige Themen- und Schauplatzwechsel, auch durch eingestreute Sentenzen, Reflexionen und Anspielungen des bisweilen unbescheiden auftretenden historiographischen Subjekts. Maximilian Duncker (1811-1886) bemerkte in seiner bereits genannten anonymen Besprechung des ersten Bandes der ‚Päpste‘, 1834 in der ‚Literarischen Zeitung‘ erschienen, „... Das Einzige was Vielen ... in diesem Buche unangenehm seyn wird, ist der Stil u. die Darstellungsmanier des Verf., die allerdings seine Subjectivität mehr als billig hindurchscheinen läßt.“ ([Duncker]/1834, Sp. 563). Was Duncker dabei nicht bedachte, war die indirekte Wirkung einer sich derart stark geltend machenden Individualität der Gestaltung, daß sie als Subjektivität der Aussage gelten mußte und die gewollte Objektivität der Darstellung äußerlich in Frage stellte. Karl Friedrich Köppen ging noch weiter. Mit Bezug auf Goethes Faust (I: 575-577) formulierte er: Nicht die Zeiten bespiegeln sich in seinem Geiste, „sondern er ist es, der sich im Geiste der Zeiten bespiegelt.“ (Karl Friedrich Köppen/ 1841, 434). Wenn Köppen einen Beitrag ‚Zur Feier der Thronbesteigung Friedrich’s II.‘ von 1840 zum Anlaß eines groben Seitenhiebes auf Ranke nahm, in dem er sich über dessen „buntscheckiges“ Zusammenflicken der Geschichte mokierte (Köppen/1840, 1177), so wurde dies im Grunde von anderer Seite, wenn auch in zurückhaltenderer Form, bestätigt. Der anonyme Rezensent von Rankes ‚Päpsten‘ in der Londoner ‚Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art‘ vom 15. Dez. 1866 fand überhaupt, Ranke habe sich nie fest entschlossen, welche Art von Buch er zu schreiben beabsichtigte. In seinen ‚Päpsten‘ habe er weniger eine fortlaufende Geschichte der Päpste als eine Serie philosophischer Kommentare über die Verbindung ihrer Politik und Geschichte mit dem Fortgang der europäischen Geschichte (735) gegeben. „As a work of historical art and skill it fails to satisfy us, both in its form and its substance. As to its form, it is one of the most uncomfortable books to read that we know. We are - 196 -

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carried on, not continuously, but by a series of jerks. At one moment we are reading general European history, then we are thrown into a chapter of abstract speculation, and thence we pass into the minute and curious intrigues of a conclave, or the domestic habits of a Pope. We have the disjecta membra of a deeply interesting history; but reading Ranke is like reading the excerpta, and most important passages of a course of philosophical lectures, of which the connecting form and arrangement have been dropped...“ (734). Beachtet wurde auch das Verhältnis von Reflexion und Narration. Während Häusser in Rankes ‚Französischer Geschichte‘ „manchmal versucht“ ist, „über der reichen Reflexion ein gewisses Gleichgewicht des thatsächlichen Stoffes zu vermissen“ (1852, I 1869, 194), sah ihn der Verfasser der aufsehenerregenden Schrift ‚Das Leben Jesu, kritisch bearbeitet‘ (Tüb. 1835) als gänzlich reflexiv an. David Friedrich Strauß (18081874), Philosoph und Züricher Theologieprofessor‚ der sich 1847 in seinem Vortrag ‚Der Romantiker auf dem Throne der Cäsaren, oder Julian der Abtrünnige‘ (Mannheim 1847), ironisch mit Friedrich Wilhelm IV. befaßt hatte, kam in Briefen an Ernst Rapp zu einer zunächst völlig ungeläufigen Charakteristik des „Hofhistoriographen“ (11. 11. 1849, Strauß/1895, 251f.): „Ranke ist ein lyrischer Geschichtschreiber. Sein Standpunkt ist nicht der des Erzählens, sondern der der Reflexion über den Erzählungsstoff, einer Reflexion mit Empfindung und Phantasie, daher ganz eigentlich lyrisch ... Dem entspricht auch sein Styl...“; „einhüllender Farbenton, eine elegante Glätte“. Strauß wertete dies als ein „Zeichen mehr von unserer blasirten Zeit et senectutis mundi“ (3. 6. 1853, Strauß/1895, 316f.). Nicht ganz fern stand diesem Urteil später Loebell, der in seinen ‚Briefen über den Nekrolog Friedrich Christoph Schlossers‘ von 1862 in Rankes Darstellung eine „stete Verschmelzung der Thatsache mit der Betrachtung“ vorzufinden glaubte, bei der „die Ereignisse oft ganz in ihre Resultate“ aufgelöst seien (23). Damit zusammenhängend wurde von Julian Schmidt anonym ein weiterer, heute nicht mehr beachteter interessanter Kritikansatz bei Rankes ‚Preußischer Geschichte‘ vorgetragen, der unter dem Gesichtspunkt der Rankeschen ‚défauts de ses vertus‘ zu sehen ist: Durch den „Hinblick auf die großen Weltbegebenheiten außerhalb der eigentlichen Sphäre der Darstellung“ werde bei diesem Werk, im Gegensatz zu den ‚Päpsten‘ die „Einheit des Gemäldes nur zerstört“ ([Schmidt, Julian]: Leopold Ranke/1848, 516). - Sehr ähnlich urteilte ein Kritiker des ‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘, der sich 1854 der ‚Französischen Geschichte‘ annahm. Auch er machte den „universalhistorischen Charakter“ als „ hervorragendste Eigenthümlichkeit der Rankeschen Geschichtschreibung“, nicht allein für die meisten „Vorzüge“ in Inhalt und Form verantwortlich, sondern auch für deren „Mängel“ (Anonym in: LCD, 30. 12. 1854/836). Mit der „universalhistorischen Richtung“ gehe eine „fragmentarische Behandlungsweise der Geschichte ... Hand in Hand.“ (Ebd.). Diese habe Ranke „fast zu einer Manier“ ausgebildet, „den Ton seiner Werke möglichst hoch zu spannen. Indem sich Ranke mehr und mehr der Aufgabe, eine gleichmäßige Erzählung und Darstellung der Ereignisse zu geben, entzieht, erhält seine Geschichte viel zu sehr nur den Charakter einer tiefgehenden und umfassenden Betrachtung des Geschehenen...“ (836). Jedem, der die französische Geschichte aus Rankes Werk kennen lernen wolle, „würde es ein Buch mit sieben Siegeln bleiben.“ Darum habe die Rankesche Geschichtsschreibung „doch im Ganzen nur engere Kreise … erfassen können…“ (836). Hier, wie bei Julian Schmidt, wurde Rankes außerordentliche, mit Recht oft gerühmte Begabung einer möglichst allseitigen Verknüpfung des Besonderen mit dem Allgemeinen in ihrer - 197 -

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höchsten, universalhistorischen Ausrichtung als überzogen, unpassend oder mißlungen empfunden. - Eine ähnliche Erfahrung machte später Albert Sorel bei der Lektüre des ‚Hardenberg‘. Er bemerkte eine starke gattungsmäßige und perspektivische Disproportion zwischen dem personalen und dem europäisch-universalen Element, indem sich, ausgehend und wieder zurückkehrend zu Hardenberg, ein sehr enger Säulengang zu einem Werk mit der Gestalt eines Monuments ergebe (Sorel, Albert: [Bespr. Hard IV]/1879, 494). Eine ähnliche Disproportion hatte Alexander von Humboldt in einem Vortrag des gelegentlich zu Übertreibungen neigenden Ranke beanstandet: „Welch eine Albernheit, die pathosreiche Rede von Ranke[,] eine Reise durch die Magellanische Meerenge nach dem Pichelswerder.“ (Briefe A. v. Humboldts an I. v. Olfers/ [1913], 59). * Der Betrachtung einer teilweisen Theorie-Auffälligkeit des Rankeschen Stils steht eine solche seiner empirisch-naturalistisch gefärbten Anschaulichkeit gegenüber. Bedenklich ist nicht Rankes Streben nach künstlerischer Form seiner Geschichtswerke, sondern es ist die Gefahr, bestimmten Versuchungen der Poesie zu erliegen. Dabei spielte nicht nur ein starkes ästhetisches Motiv mit, sondern auch der Wunsch, über die Fachgelehrten hinaus eine Teilnahme des großen Publikums zu erreichen (s. I/1.8). Für Ranke stellen sich diese Versuchungen oder Neigungen in der Manier dar, wo immer möglich, einen geistvollen Einfall, Ungewöhnliches und Pikantes zu bieten, sodann, den Stoff überfordernde dramatisierende Gruppierungen und Strukturierungen vorzunehmen, schließlich, und bedenklicher als alles andere, der Neigung dichterischer Vergegenwärtigung nachzugeben. Einer der frühesten Teilnehmer an seinen ‚Übungen‘, der bereits erwähnte Felix Papencordt, erhob anläßlich einer Besprechung der ‚Päpste‘ in der ‚Dublin Review‘ anonym Einwände. Das Werk sei zwar leichter lesbar als deutsche Werke im allgemeinen, doch störe das Bemühen des Autors, auf jeder Seite einen besonderen Effekt hervorzurufen oder einen glücklichen Einfall preiszugeben. ([Papencordt]/1838, 49). Dies wurde auch als nachteilig für die Einheit des Werkes angesehen. Gustav Freytag (?) vermerkte in einem Beitrag der ‚Grenzboten‘ von 1856 über ‚Deutsche Geschichtschreiber. Georg Waitz‘, Ranke besitze und erwecke „einen großen Sinn für das Originelle und Ungewöhnliche, aber eigentlich nur insofern es ‚Caviar ist fürs Volk‘.“ (43f.). - Karl Gutzkow ([Gutzkow]/1857, 399), Karl von Hase (v. Hase/1920, 64) und Ludwig Geiger (Geiger/1888, 115) waren unter denen, welche Rankes im Alter noch zunehmende Sentenzenhäufung bemerkten. Dem konfessionell voreingenommenen Ludwig Frhr. von Pastor schien in Rankes Interesse weckender Einbringung von „Anekdoten und geistreichen Zügen“ abwegig gar die Absicht verborgen, eine „Ummodelung der Tatsachen weniger bemerkbar“ zu machen (zum 26. 3. 1875, Pastor/1950, 47, s. auch I, 245ff.). Ähnlich sah es jedenfalls ein immer noch beachtenswerter Beitrag der linkshegelianischen und bald als „Gefahr für die öffentliche Gesinnung“ verbotenen ‚Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst‘ (s. Obenaus/1973, 79). Unter dem Kürzel …..r. teilte wohl Theodor Echtermeyer (1805-1844), Literarhistoriker und gemeinsam mit Ruge Herausgeber der ‚Jahrbücher‘, 1840 die Zuschrift eines nicht genannten „geistreichen Freundes“ zu Rankes ‚Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ mit: „...Ein wie ganz anderes Werk hätte aus so ausgebreiteten Quellen- 198 -

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studien hervorgehn müssen ... Diese ernsthaften Studien abgerechnet, behandelt er die Geschichte wirklich nicht besser als die Männer der ‚jungen Litteratur‘, in eitler Effectmacherei das Particulärste unmittelbar mit dem Allgemeinsten verknüpfend. - So wird ein Charakterzug, ein Witzwort, eine Schilderung, eine piquante Situation, mit abstracten Reflexionen und der skizzenhaftesten Angabe der allgemeinen Verhältnisse so unmittelbar verflochten und so willkürlich, daß die wahre Wirklichkeit der Geschichte und ihr reicher innerer Organismus völlig verdunkelt wird. Diese Anekdotengeschichte, welche sich an nebelhaften Allgemeinheiten und Halbwahrheiten eine Art vornehmen, philosophischen Hintergrundes zu geben sucht, leidet an einer solchen Unruhe und Zersplitterung, daß der Leser wohl für den Augenblick in Spannung erhalten und immer von neuem angestachelt wird, wenn er aber das Buch aus der Hand legt, so gut wie gar nichts profitirt hat.“ Ranke mit der liberalen Literatur des verbotenen ‚Jungen Deutschland‘ gleichzusetzen, war, ungeachtet der Frage, ob sachlich zu begründen oder nicht, eine für den erzkonservativen Ranke politisch höchst unangenehme Bosheit. Was er von der Bewegung hielt, hat er einer tagebuchartigen Notiz, vermutlich nach 1835, anvertraut: „Auf eine tolle Weise lieben, sich erschießen, verrückt werden, spuken, das sind die Ideen des jungen Deutschland.“ (WuN I/1864, 199. Abweichende Lesung Vierhaus: Soziale Welt/1957, 34). Schwerer als der Pikanterie-Vorwurf wog auch hier wiederum der bereits bei Julian Schmidt und anderen angeklungene Hinweis auf ein allzu forciertes Zusammenbringen von Besonderem und Allgemeinem, schwerer noch wiegen wohl Vorwürfe hinsichtlich einer in künstliche Logik gepreßten Kausalisierung von Ereignisfolgen, eines ästhetischen Gruppierens, kurz eines dramatisierenden Konstruktivismus. - Eindringlich hat sich Ludwig Häusser mit formalen Aspekten einiger Werke Rankes befaßt. Seine Besprechungen, die er in den Jahren zwischen 1842 und 1856 anonym in der ‚Allgemeinen Zeitung‘ über Rankes ‚Deutsche‘, ‚Preußische‘ und ‚Französische Geschichte‘ schrieb, glänzen weniger durch historische Sachkunde als durch einige damals ungewöhnliche Struktur-Betrachtungen. Vor allem machte er aufmerksam auf ein bei Ranke „sehr bedeutend“ vorwaltendes „mächtiges ästhetisches Bewußtsein“: „Aeußere Schönheit des künstlerischen Ganzen wie der kleinsten scheinbar zufälligsten Nuancirung ist ihm von so überwiegender Wichtigkeit, daß sich meistens der Stoff mehr nach der Form bequemen muß, als umgekehrt...“ (Bespr. DtG I-III/(1842) Häusser I/1869, 147). In seinen Besprechungen der ‚Französischen Geschichte‘, welche mehrfach Rankes „feine, elegante Zeichnungen, mit pikanten und fesselnden Zügen“ (1852, I/1869, 194; 1855, I/1869, 230) hervorheben, sieht Häusser bei aller Anerkennung der interessanten und gewichtigen Betrachtungen doch auch eine „Vorliebe des Pragmatisirens, eine Neigung des dramatischen Verknüpfens ..., die dem schlichten natürlichen Verlauf der geschichtlichen Dinge jezuweilen Eintrag thut.“ (1852, I/1869, 194). Mit einem Drama verglich beiläufig auch ein Rezensent des ‚Magazins für die Literatur des Auslandes‘ von 1871 die Darstellung Rankes. Ihr sei der Charakter eines „Kunstwerks“ eigen (I. [oder J.]: [Bespr. von USK], 501f.). - Um wieder zu Häusser zurückzukehren, so fand dieser, wenn überhaupt in der „logischen Verknüpfung der Erscheinungen des Lebens“ bereits „etwas Unhistorisches, Künstliches“ liege, so träten auch bei Ranke „einzelne Partien in etwas gemachter, pragmatisirender Manier hervor; man spürt hier auf einmal einen ganz gefährlichen Einfluß der Subjektivität des Darstellers und der ästhetisch schönen Gruppirung; dem logisch strengen Hervortreten der Gegensätze muß sich bisweilen die geschichtliche Treue und Wahrheit fügen, allein - 199 -

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es sind dieß einzelne Schattenseiten ... Die Entwicklung der religiösen Bewegung, ihre Anfänge, ihre Fortbildung, das allmähliche Gestalten contrastirender Principien, die verschiedenen Phasen, in denen die neue Bewegung in Literatur, Staat und Kirche erscheint - alles das hat Ranke mit kunstreicher, wirklich meisterhafter Gewandtheit zu gruppiren gewußt; es ist eine Art Dialektik drin, die nicht immer sich auf ausschließlich geschichtlichem Boden hält, aber um so schärfer und bestimmter die Entstehungsgeschichte welthistorischer Ideen in die Augen fallen läßt.“ (148f.). Heinrich von Sybel sah als „innersten Grund“ der Geschichtsauffassung Rankes einen „ästhetischen“ an (Gedächtnisrede/1886, 468). In dieser Auffassung war er mit dem Literaturhistoriker Julian Schmidt einig (Schmidt/1886). Doch ist diese vornehmliche Sicht Rankes zugleich stark idealisierend, sowohl hinsichtlich des Objekts, des „Schönen und Großen“, als auch hinsichtlich des Subjekts, seiner Selbst, das sich in „edlen und schönen Werken“ zu verwirklichen sucht, - eine Realitätssicht, welche das allumfassende geschichtliche Seins-Ganze, das sich im „Schönen und Großen“ weder erklärt noch erschöpft, in seiner Faktizität reduziert und in seiner Realität alteriert. Auch auf Ranke trifft der allgemeine Satz zu, den Wilhelm Dilthey anläßlich einer Würdigung Julian Schmidts formulierte: „Der ästhetische Mensch sucht in sich und andern Gleichgewicht und Harmonie der Gefühle zu verwirklichen; von diesem Bedürfnis aus gestaltet er sein Gefühl des Lebens und seine Anschauungen der Welt...“ (Dilthey: Vom Aufgang des geschichtlichen Bewußtseins. Ges. Schrr., XI, 2., ²1960, 232). Dies gilt nicht zuletzt für Rankes Zurückhalten seines historiographischen Urteils und überhaupt das Meiden des Un-Schönen. Viele lobten Rankes nicht selten relationengestützte Porträtierungskunst. Sie wurde als Mittel der Individualisierung gesehen und blieb in dieser Hinsicht wohl mit Recht unbeanstandet. Allerdings geht die Kunst, wie bemerkt wurde, so weit, daß der Leser gelegentlich Rankes Helden in voller Lebendigkeit vor sich zu sehen meint. Hier befindet man sich zumindest im Vorhof der Poesie. Manche sahen in der anschaulichen Verlebendigung jedoch zunächst nur Positives. Maximilian Duncker bemerkte in seiner bereits genannten anonymen Besprechung des ersten Bandes der ‚Päpste‘ 1834 in der ‚Literarischen Zeitung‘ erschienen, „besonders in der Darstellung der Individualitäten“ bewähre sich Rankes Talent: Durch „scheinbar kleine, aber charakteristische Züge ... werden alle seine Personen lebendig, u. treten uns größtentheils in ganz neuem Lichte entgegen.“ ([Duncker]/1834, Sp. 563). Auch in den Augen eines Rezensenten der ‚Serbischen Revolution‘ in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ des Jahres 1848 wuchs das von Ranke allerdings nur mitwirkend hervorgebrachte Werk ob seines „klaren und fließenden Stiles“ „zum Interesse einer romantischen Erzählung auf“ ([Vf.] 16/1848, 208). Im ‚Handbuch der Geschichte der deutschen National-Literatur für Gymnasien und höhere Bildungsanstalten‘ des Franz Biese (1803-1895), damals Professor und erster Oberlehrer am Königlichen Pädagogium zu Putbus, findet sich Ranke in der Nachbarschaft von G. A. H. Stenzel und Heinrich Leo und wird gelobt ob seiner „sorgfältigen Erforschung und Nachweisung der Quellen“ (Biese II/1848, 682). In literarischer Hinsicht bemerkt Biese eine „große Kunst im Schildern und Portraitiren, kleine anekdotenartige Züge hervorzuheben und auf diese Weise die Charaktere bis ins Kleinste zu individualisiren“ (ebd.). „Einer solchen historischen Portraitmalerei ist der scharf pointirte, in kurzen, kleinen Sätzen sich bewegende Stil angemessen“ (ebd.). Dem entsprach das Urteil des Liberalen Theodor Mundt (1808-1861), Hörer Rankes (s. Weber, Johannes: Mundt, Theodor. In: NDB 18/1997, 588-590, hier 588), der auch - 200 -

I/2.1.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - Geschichtswerk als Kunstwerk?

thematisch rankenah über ‚Macchiavelli und den Gang der europäischen Politik‘ (Lpz. 1851) gearbeitet hatte, in seiner ‚Geschichte der Literatur der Gegenwart ... Von dem Jahre 1789 bis zur neuesten Zeit‘ (1. Aufl. 1842, 2., neu bearb. Aufl., Lpz. 1853). Mundt, Literat und Literaturhistoriker, war damals Professor und Bibliothekar der Kgl. Universitäts-Bibliothek in Berlin. Nach Gervinus, Johannes v. Müller, Niebuhr, Fr. Chr. Schlosser, K. v. Rotteck, K. Th. Welcker folgt in seiner Darstellung Ranke: „Der künstlerische Charakter der deutschen Geschichtschreibung entwickelte sich in der letzten Zeit am eigenthümlichsten in den Darstellungen von Leopold Ranke ...“ (884). „Dieser Historiker erscheint als Meister in der Kunst, die Geschichte zu individualisiren, und die Persönlichkeiten in einer reizenden Wechselwirkung mit den allgemeinen Verhältnissen zu zeichnen“ (885). - Der bereits erwähnte Literaturhistoriker Heinrich Kurz, der Ranke in seiner erfolgreichen ‚Geschichte der deutschen Literatur‘ nicht weniger als „das Streben nach Erforschung der absoluten Wahrheit“ abgesprochen hatte (III/1859, 697), fühlte sich jedoch hinsichtlich der Darstellungskunst Rankes zu überwiegend positiven Feststellungen bewogen, die er freilich mit einer kleinen Bosheit verband.: Sie mache „beinahe den Eindruck einer von der schaffenden Phantasie gestalteten Dichtung“. Ranke sei ein „vollendeter Meister in der Anordnung des Stoffs“. Kurz lobt seine meisterhaften Charakterschilderungen: Am glücklichsten sei er „in den Zeichnungen derjenigen Charaktere, welche weniger durch sittliche Größe als durch schlaue Gewandtheit sich ausgezeichnet haben“ (ebd.). Doch Rankes häufig gelobte Porträtierungskunst wurde, wie eingangs hervorgehoben (s. I, 121), auch in Frage gestellt. Wo ein Anonymus der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ 1855 in einer der frühesten umfangreicheren Geamtwürdigungen Rankes mit dem Titel ‚Der gegenwärtige Stand der deutschen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung‘ von Rankes „nach Anordnung und Ausdruck wahrhaft künstlerischer“ Form sprach und lobend bemerkte, er führe lebendige, aus dem Geiste und der Phantasie wiedergeborene Gestalten“ vor (116), da trug Ferdinand Gregorovius in sein römisches Tagebuch ein: „Er hat die feinste Combinationsgabe und logische Schärfe, aber keine Gestaltungskraft. Seine Menschen und Dinge zeigen ihr inneres Gefaser, aber nur wie auf einem anatomischen Theater. Ranke geht durch die Geschichte wie durch eine Bildergallerie, wozu er geistreiche Noten schreibt. Ich vergleiche ihn als Geschichtsschreiber dem, was Alfieri als Dichter ist.“ (28. 4. 67, Gregorovius/1893, 239f.). - Erstaunlich die bereits 1840 zutage getretene weitgefaßte abstrakte Auffassung von Rankes „Kunst der Individualisierung“. Der anonyme Rezensent der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ des 21. Juli 1840 bezog sie nicht ausdrücklich auf personale Individuen, sondern begrifflich sehr weit auf die wechselseitige Veranschaulichung von Gedanke und Stoff: „Diese Kunst der Individualisirung besteht ... hauptsächlich darin, die Hauptfactoren der Geschichte mit feiner Hand herauszufühlen und aus der Wechselwirkung ... das concrete Verhältniß sich ergeben zu lassen, in welchem der Grundgedanke jedesmal erscheint.“ Dies aber ist, wie der Rezensent beim Beispiel von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ mit Recht betont, „der nothwendige Gegensatz von nationalem und religiösem Leben“ (Rez. 43/1840, 822). Freilich gab es auch einen beträchtlichen Einwand, den Rudolph (von) Gottschall in seinem 1855 erschienenen Werk ‚Die deutsche Nationalliteratur in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts. Literarhistorisch und kritisch dargestellt‘ gegen Ranke bereit hielt: „Auch die Lebendigkeit seiner Darstellung ist nur eine bedingte; denn er ist nicht zu Hause im Drange der Massenbewegungen und im Feuer der großen Actionen, - 201 -

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nur in lichtvoller Darstellung der Motive, des Calculs, der Interessen.“ (418). Hier war nicht der Verlebendigungstendenzen gedacht, die sich, um einen Begriff der Hegelschen Kritik aufzugreifen, zumeist in Partikularitäten darstellten, hier wurde auf die mangelnde Größe und Dynamik des ganzen Gemäldes abgezielt. Schon Heinrich Leo hatte neben stilistischen Defiziten ein bedeutenderes Moment beanstandet. Es war das Mißverhältnis von größter Ausführlichkeit der „unwesentlichsten Verhältnisse und Begebenheiten“, verbunden mit dem Außerachtlassen des „geistig Größten und Wichtigsten“ (Manin, d. i. H. Leo/1828, Sp. 132), wobei Ranke etwa über eine Gestalt wie Kolumbus allzu leicht hinweggehe und stattdessen „lieber von dem Meergras und dem aufgerichteten Kreuz, von der ersten Nachtigall und den scheuen, guten Menschen“ rede (132) oder an anderer Stelle vermerke, daß „Ferrantin eine Zeitlang den Panzer nur beym Hemdewechseln gelöst habe“ (133). Hier war eben ganz deutlich Rankes originär poetischer Impetus durchgeschlagen, der sowohl seine intime okulare Nähe zu den Agierenden und ihrer Lebenswelt als auch seinen Drang zu ihrer den Leser einbeziehenden Vergegenwärtigung bezeugte. Dabei war Ranke wohl noch kaum bewußt, daß Objektivität, die er durchaus anstrebte, nicht allein eine Frage kritisch erforschter Einzel-Faktizität, sondern auch eine solche gesamtkonzeptioneller, ausgewogener darstellerischer Kompositorik ist. Leo sah wohl die eigentliche Gefahr des Details nicht, wenn auch das dadurch herbeigeführte Ungleichgewicht. Dieses zentrale Problem der Rankeschen Darstellung, bei dem es letztlich um das Verhältnis von Wissenschaft und Dichtung und die damit verbundene Existenz-, Realitäts- und Wahrheitsfrage geht, schien für eine Reihe führender Literaten und Literarhistoriker seines Jahrhunderts kaum zu existieren. Eine Ausnahme bildete der später noch im Zusammenhang mit Rankes Romantik-Verhältnis zu betrachtende LiteraturÄsthetiker und ordentliche Professor der Philosophie an der Universität Gießen, Joseph Hillebrand (1788-1871. Prantl, Carl von: Hillebrand, Joseph. In: ADB 12, 1880, 415417). Er gab in seinem 1845 und 1846 erschienenen Werk ‚Die deutsche Nationalliteratur seit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts‘ ein positives Urteil mit einem bemerkenswerten und seltenen Vorbehalt ab. Ranke werde „vor Andern der Ruhm genetischer Anschaulichkeit, innerer Belebung des Gegenstandes, Kunst der Charakteristik und der Schilderung unangefochten bleiben müssen. Ranke sucht die Geschichte auf den Standpunkt künstlerischer Idealität zu erheben, was als ein lobenswerthes Streben anzuerkennen, wofern dabei die objektive Wahrheit der Sache als das unverrückliche Ziel und Princip aller Darstellung festgehalten wird.“ (III/1846, 432f.). - Anderen literaturnahen Zeitgenossen ging es zumeist nicht um eine dem Historiker zu erteilende Zurecht- oder Zurückweisung dichterischer Ambitionen, sondern lediglich um Lob und Tadel eines durch ihn jedenfalls zu gestaltenden Kunstwerks. Auch Rankes ‚Englische Geschichte‘ wird als „geschichtliches Kunstwerk“ gewürdigt, mit „trefflichen Ueberblicken über das Ganze der Englischen Geschichte in ihrem Zusammenhange mit den Weltereignissen ...“, so Karl Klüpfel in seinem ‚Wegweiser durch die Literatur der Deutschen‘ (4. Aufl. 1870, 155). - Julian Schmidt fühlte sich von Rankes ‚Fürsten und Völkern‘ (I) unbedenklich so unterhalten, „als wenn man einen Roman läse“ (S[chmidt]/1857, 317). Überhaupt sah er dieses Werk als „individuelles Kunstwerk“ an (318). Noch höher schätzte er die ‚Päpste‘ ein. Sie erschienen ihm als das „Höchste“, was Ranke geleistet: „Hier haben wir ein vollendetes, classisches Kunstwerk“, schrieb er in den ‚Grenzboten‘ von 1847 (S[chmidt], J[ulian]: Moderne Historiker/1847, 409). Diese lange über Ranke hinaus wirkende Einschätzung - auch - 202 -

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Alfred von Reumont sah damit „das Geschichtsbuch zu einem Kunstwerk“ erhoben (Reumont/1886, 614) - trug Schmidt noch mehrfach vor. In seiner einflußreichen ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert‘ beurteilte er Rankes „Hauptwerk“ als „... ein Kunstwerk, das in der Tendenz mit der herrschenden ästhetischen Theorie Hand in Hand ging, in der Ausführung sie aber weit zurückließ. Ranke’s wunderbare Kunst besteht darin, die Ideen in den einzelnen Individualitäten zu verkörpern.“ (Schmidt/1853, 328). Noch in einer Ranke-Würdigung seiner letzten Lebensmonate bewunderte er es als „das vollendetste historische Kunstwerk“, „das wir in deutscher Sprache besitzen“ (Schmidt/1886, 230). - Die von Droysen aufgewiesene Problematik (s. u.) war Schmidt dabei fremd: Die ideale Einheit von Geschichtswerk und Kunstwerk, wo eines nicht ohne das andere sein konnte oder sein sollte, war bei ihm innerlich nahezu aufgelöst. Das Werk bleibt ihm ein Kunstwerk, auch wenn die darin herrschende Geschichtsanschauung hinsichtlich ihrer Objektivität nicht standhält (Schmidt: Die Päpste/1875, 388). Konkreter war die Beurteilung des „Meisters“, die vermutlich Friedrich Wilhelm Rettberg 1841 in den ‚Göttingischen gelehrten Anzeigen‘ bei Band III des „wahrhaft Epoche machenden Werks für die Geschichte der Reformation“ (1384) vornahm. Die Darstellung Rankes erinnerte ihn - wie bereits Hegel - an Walter Scott, wozu treffende Beispiele gegeben werden. Die Kritik wiederholte sich 1842 in der ‚Allgemeinen Literatur-Zeitung‘, wo Rettberg bei Besprechung des Reformationswerks in der „Colorierung“ und in der detailreichen Schilderung des „Costümes“ nicht nur den „Charakter des Pikanten“, sondern gerade auch den des „Objectiven“ gefördert sah (517). Gleichwohl erschienen bei Ranke, wie Rettberg schließlich doch hellsichtig vermerkt, häufig kleine Zeichnungen lediglich als „Kunstgriff, um dem Gemälde Leben und Anschaulichkeit zu geben“. Solche Beschreibungen streiften „bis dicht an die Grenze, wo die Geschichte aufhört, und der unebenbürtige Bastard derselben, der historische Roman, beginnt“ (518). Dieses Ranke seit Hegels Urteil verfolgende böse Wort tritt auch und gerade in der Kritik Droysens auf. Die Beanstandung des Rankeschen Darstellungsstils dürfte den berechtigten Teil seiner im übrigen unsachlichen Kritik bilden. Wo andere gerade Rankes Anschaulichkeit lobten, da äußerte Droysen in seinen Historik-Vorlesungen „die größte Scheu“ vor der häufig bis in die kleinsten äußerlichen Details getriebenen Darstellung, „so daß man die Menschen wie leibhaftig vor sich zu sehen meint ... Allerdings nähert sich so die Erzählung der Anschaulichkeit eines historischen Romans.“ Droysen kann sich „nicht bekehren zu diesem falschen Realismus, der freilich dem stumpfen Geschmack des großen Publikums zusagt...“ (Historik ed. Leyh/1977, 239). In der Tat sagte er besonders den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ zu. Ihr Rezensent sah sich bei Rankes ‚Päpsten‘ „gleichsam durch ihn selbst in jener Zeit...“ leben ([Rez. Nr.] 74/1836, 910). Auch die ‚Berliner Revue‘ hatte ihre Freude an der „wahrhaften Meisterschaft“, mit der „Personen und Verhältnisse anschaulich vor die Seele“ geführt wurden, „als ob wir das vollendetste Kunstwerk vor uns hätten“ ([Anonym:] Ranke über England/1859, 100). Davon genug: Droysen wollte es scheinen, „als wenn man nicht anspruchslos und keusch genug in der Darstellung“ sein könne: „und in dem Maße, als der Historiker mehr seine Kunst zu bewundern Anlaß gibt, um so weniger, dünkt mich, erzielt er den starken sachlichen Eindruck, um den es ihm doch allein zu tun sein darf.“ (240). Der Historiker hat seine Forschungen so weit zu führen, bis ihm alle Äußerlichkeiten, „soweit sie bedingend e i n w i r k e n “ (i. T.), vor Augen stehen, - 203 -

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erst dann habe er „das Recht“, sie „in der Erzählung hinwegzulassen, aber sie werden dann wie ein leiser Hauch um die Worte unserer Erzählung spielen ... und die Phantasie des Lesenden wird sie sich sofort ergänzen und plastisch ausbilden.“ (240). - Auch Dilthey hat einen Eindruck empfangen von dieser Art Realismus. Er hielt es für „bezeichnend genug, daß auch unter uns gerade die neuere kritische Schule, Ranke und Mommsen an der Spitze, in der Kühnheit der Veranschaulichung am weitesten gegangen ist“. Zum Problem wurde ihm dies weiterhin nicht. (Zur Geistesgesch. d. 19. Jh.s, GS XVI/1972, 5f.). * Gegen Anfang der 1870er Jahre nehmen die positiven Stimmen über Rankes Darstellungskunst zu und steigern sich im Umfeld des Neunzigjährigen, vor allem aus nichtfachlichem Munde, ins Superlativische. Mancher Rezensent, besonders in der Ranke stets gewogenen ‚Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung‘, „weiß oft nicht, was er höher bewundern soll: ob die unerbittliche Wahrhaftigkeit des bis zur Wurzel der Ereignisse eindringenden Forschers oder die plastische Hand des Künstlers, welche die Thatsachen dergestalt zu gruppiren und ins rechte Licht zu rücken weiß, daß gleichsam das Factum selbst zur feurigen Zunge des Geistes der Geschichte wird.“ (φ: Leopold v. Ranke, 20. 6. 1869). Das ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ sieht nun in Rankes Werk „eine Zier auf dem Gebiete deutscher Geschichtsdarstellung“, in einer „Feiertagsstimmung“ [1871!] geschrieben (I. [oder J.]: [Bespr. USK]/1871, 501). Es vereinigten sich darin „historische Objectivität mit eigenen Herzenswünschen in schönster Harmonie“ (502). Rankes Berliner Ehrenbürgerbrief kennt ihn als denjenigen, „welcher, um das Geschehene zu erzählen, die Kunst der Griechen in deutscher Sprache erneute“ ([Anonyme Notiz der Nationalztg./31. 3. 1885, 2). - Für Ludwig Oelsner wird er zum „Vater der modernen deutschen Historiographie, er ist ihr Lehrer sowohl in der Forschungsmethode wie in der Darstellungskunst“ (Festvortr., 20. 12. 1885, 103). Rankes 90. Geburtstag inspirierte auch das ‚Berliner Tageblatt‘ am 20. Dezember 1885 zu einer Gesamtwürdigung, welche sein Hauptverdienst nicht in wissenschaftlicher Methode und schulebildendem Wirken, sondern in seiner Darstellungskunst, nunmehr gar gültig für das Gesamtwerk sah: „Ranke’s Hauptverdienst ist, daß er die Geschichte lesbar gemacht hat, indem er sie unerträglich gewordener Langweiligkeit und Trockenheit entzog. Den dürren Schematismus ersetzte er durch prachtvolle Charakterzeichnung und poesiereiche Schilderung der Thatsachen. Minutiöse Genauigkeit versteckt sich hinter einfach schöner Form, und so wurden alle seine Einzelschriften Kunstwerke.“ ([Anonym:] Leopold v. Ranke. In: Berliner Tagebl., Morgen-Ausg. 20. 12. 1885, 1). Nachdem Eugen Guglia, Rankes erster Buch-Biograph, 1893, am Ende seiner Darstellung die überraschende rhetorische Frage gestellt hatte, ob Rankes Lebenswerk „nicht aus einer Kette von Irrtümern zusammengesetzt“ gewesen sei (Guglia/1893, 404), suchte er sich mit dem unbefriedigenden Gedanken zu beruhigen, Rankes Werk sei „schön, schön wie die Geschichten des Herodot und des Thukydides, schön wie Sophokles, wie Homer, wie Goethe. Wäre es ein Schauspiel nur, so ist es ein göttliches“ (406).

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4. Kapitel (I/2.1.4) DAS SCHEITERN DER POLITISCHEN PUBLIZISTIK RANKES Die Aufnahme der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ 1832-1836 Rankes im Auftrag der preussischen Regierung in den Jahren 1832 bis 1836 herausgegebene ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ ist als staatlich gelenkte Reaktion auf die französische Juli-Revolution mit den sich anschließenden Bewegungen in mehreren europäischen und deutschen Staaten zu verstehen. Das Organ ging nach - schließlich veränderten - Ideen von Friedrich Perthes aus Verhandlungen mit Rankes Kollegen und Förderer Savigny, mit Graf Bernstdorff, Eichhorn, und dem gebildeten und sehr interessierten preußischen General und Militärschriftsteller Rühle von Lilienstern hervor. Man war sich einig, daß die „Hefte als wesentlicher Theil der Anstalten zur Leitung öffentlicher Meinung“ eingesetzt werden sollten, wie Perthes an Rühle schrieb. Der preußische Staat könne „an Ranke einen großen Schatz gewinnen, nicht allein für die Wissenschaften, sondern auch als Publicisten, und daß er dies werde, kann die Herausgabe den Lehrcursus machen.“ (12. 11. 1831, Aus den Papieren der Familie von Schleinitz/1905, 238f.). - Savigny stellte den beiden Grimm das Unternehmen vor: „... Nun soll hier eine Zeitschrift herauskommen unter der Leitung unsres Ranke, der ein braver, frischer Mensch ist, und woran auch ich Theil zu nehmen denke ... Ihr Character soll seyn friedlich und versöhnend, das Wahre willig anerkennend selbst in jeder Übertreibung, und nur das Unwesen mit hohlen Worten und Formen abweisend, nur gegen Unterdrückung und Despotismus und Intoleranz soll sie intolerant seyn. Ohne Haß, vielmehr mit Liebe, auch gegen andere Völker, soll sie eine nähere Familienliebe zu allem Deutschen darlegen ... (13. 12. 1831, Stoll II/1929, 441). Im Gegensatz zu ihrer späteren, im besonderen auf zwei ihrer Beiträge gründenden Hochschätzung, wurde sie von zeitgenössischen Lesern weitgehend abgelehnt und dann nahezu vergessen. Bei gelegentlicher Anerkennung geistvoller Betrachtungen bemerkten oder unterstellten die Vorwürfe entweder eine illiberale Haltung oder deren allzu schwache Formulierung oder ein Schwanken, Zweideutigkeit, eine tatsächliche oder vorgebliche Standpunktlosigkeit, Praxisferne. Vielfach herrschten mangelndes Verstehen und Ratlosigkeit, so daß die Zeitschrift - auch wohl aufgrund mangelnder Beiträgervielfalt und des quantitativen wie qualitativen Anspruchs der Beiträge zu wenig Leser fand. Insgesamt ist auch hier in Rankes literarisch-politischem Wirken neben seiner Obrigkeitsverbundenheit das Objektivitätsproblem im Hintergrund wirksam, bei dem aus seiner Sicht Unparteilichkeit notwendig und möglich ist. Denn seine Absicht war, „nach und nach das Wichtigste zu umfassen, was ein denkender Zeitgenosse zu erfahren wünschen kann, um seine Zeit nicht nach irgend einem Begriff, sondern in ihrer Realität zu verstehen und völlig mitzuleben. Dies in dem Geiste eingehender Erforschung zu versuchen, in dem Geiste reiner und unparteiischer Wahrheitsliebe, das ist unser Vorsatz.“ (HPZ I,1/ 1832, 8). Gerade dies wurde bestritten. Das im Februar 1832 erschienene erste Heft rief bereits im Folgemonat entsprechende Reaktionen hervor. Zunächst war es wohl das ebenfalls im Regierungsauftrag tätige ‚Berliner Politische Wochenblatt‘, welches vermutlich durch seinen erzkonservativen Herausgeber Karl Ernst Jarcke (1801-1852) in einer ‚Außerordentlichen Beilage‘ das Schwesterunternehmen nicht ohne einen speziellen Tadel begrüßte. Der Jurist - 205 -

I/2.1.4. Geschichtsdenken seiner Zeit - Scheitern der politischen Publizistik

Jarcke war übrigens, wie Ranke, 1825 in Berlin zu einer außerordentlichen Professur gelangt (Winter, Eduard: Jarcke, Karl Ernst. In: NDB 10/1974, 353 f.) und wie dieser Instrument weitreichender preussischer Kultur- und Indoktrinationspolitik geworden. Gerade einer „Doktrin“ hatte sich Ranke ausdrücklich entschlagen wollen. Dieser Vorsatz wurde ihm nun vorgeworfen. Zieht der Rezensent doch „insbesondere in Zweifel“, daß es „wirklich eine Aufgabe unserer Zeit sey, sich der Doctrin zu entäußern“ ([Anonym, Karl Ernst Jarcke]/3. 3. 1832, 60). Tatsächlich verfüge auch Ranke über eine bewußte oder unbewußte Doctrin, wie sein Aufsatz über einige französische Flugschriften zeige: „In dem was er über die Flugschrift von Thiers ... gesagt, liegt die schärfste Kritik der politischen Lehre des s. g. Juste milieu, deren unsittliche Geistlosigkeit wir uns nicht erinnern in irgend einer anderen Schrift so scharf characterisirt gefunden zu haben.“ (60). Im übrigen gebe es vielleicht „unter allen deutschen Geschichtschreibern wenige“, die wie Ranke die „Gabe der historischen Intuition in so hohem Grade, als angebornes Talent besäßen, wie der Verfasser der Zeitschrift“ (59f.). Lediglich eine von atmosphärischem Wohlwollen umhüllte Inhaltsübersicht gab das von Rankes Leipziger Philologie-Lehrer Christian Daniel Beck redigierte ‚Allgemeine Repertorium der neuesten in- und ausländischen Literatur für 1832‘. - Zu den Leipziger Lehrern Rankes gehörte auch der bereits betrachtete Geheime Rath Karl Heinrich Ludwig Pölitz. In seinen ‚Jahrbüchern der Geschichte und Staatskunst‘ verfaßte er nun wohlwollende Besprechungen der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ und attestierte nicht unzutreffend „Gründlichkeit der Forschung“, „Ruhe und Mäßigung einer - im Ganzen zum Princip der Stabilität sich hinneigenden Politik, ohne doch das, selbst historisch begündete, Recht besonnener Reformen auszuschließen, und dieselbe Würde der stylistischen Darstellung ...“ ([Anonym: Bespr. HPZ II, 1/1833]/1833, 450-462, hier 450) u. (P[ölitz, K. H. L.: Bespr. HPZ I, 4/1833, 91-96]. - Interessanter ist der für Ranke völlig bezeichnende Hinweis, den Pölitz mit der Bemerkung liefert, statt, wie Ranke, „den Wechsel der auswärtigen Verhältnisse“, möchte er selbst mehr die innere Zerrüttung zu den Ursachen der Französischen Revolution rechnen. (455). Anders der am ‚Akademischen Gymnasium‘ in Hamburg tätige Professor der Geschichte, Christian Friedrich Wurm (1803-1859, s. Wohlwill, Adolf: Wurm, Christian Friedrich. In: ADB 44/1898, 326-332). Er redigierte seit ihrer Gründung im Jahre 1830 die ebenda erscheinenden ‚Kritischen Blätter der Börsen-Halle‘. Mit großer Wahrscheinlichkeit (auch Moldenhauer/2008, 554f mit A. 505f. hält ihn für den Vf.) aus der Feder des sich in seinen politischen Artikeln „unumwunden zu liberalen Anschauungen“ bekennenden, doch „aller radicalen Kundgebungen“ sich enthaltenden Wurm (Wohlwill, ebd.), stammen zwei Besprechungen von Rankes Zeitschrift vom März und Juli 1832, die ganz in diesem Sinne geschrieben sind. Auch hier sei - in Rankes Aufsatz ‚Ueber die Trennung und die Einheit von Deutschland‘ (HPZ I/2, 340388) - die „historische Entwickelung ... „sehr anziehend“, und der „doctrinaire Effect meisterhaft berechnet“ (Wurm, 2. 7. 1832, 211). Dies bedeutete nicht weniger als Zweifel an Rankes politischer Tendenzlosigkeit als Entsprechung der in seiner BuchHistoriographie beanspruchten Unparteilichkeit. Der erste Aufsatz Rankes - ‚Ueber die Restauration in Frankreich‘, HPZ I/1, 9-76) - werde „wohl ohne Widerspruch für den belehrendsten erklärt werden, der in deutscher Sprache innerhalb der gesteckten Gränzen versucht worden“ (Wurm, 5. 3. 1832, 75). Jedoch beklagt Wurm „das Behutsame des Ausdrucks“, mit dem Ranke die ständischen Verfassungen - „wie über glühende Kohlen“ gehend - behandele, welche nach dessen Worten „Gefahr fast allenthalben in - 206 -

I/2.1.4. Geschichtsdenken seiner Zeit - Scheitern der politischen Publizistik

unsern Zeiten hervorzurufen g e s c h i e n e n h a b e n “ (76, Sp. i. T.). So hält Wurm es für unentschieden, ob Ranke „das in Deutschland bestehende Repräsentativsystem billigt oder mißbilligt“ (78). Und auch die Bundesverhältnisse würden - selbst da, „wo es unmöglich war sie ganz zu ignoriren“, nämlich in Rankes Aufsatz ‚Ueber die Trennung und die Einheit von Deutschland‘ -, „nur so leise als möglich berührt“ (213). Die im April erscheinenden ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ gingen in einer Folge ihrer ‚Briefe über die Zeit, Ansichten, Begebenheiten und Menschen‘ nicht von allgemeinen Gesichtspunkten der Beurteilung aus, wurden stattdessen bei einem Detail des Eröffnungsbeitrags der Zeitschrift, betitelt ‚Ueber die Restauration in Frankreich‘ (HPZ I/1, 1832, 9-76), deutlicher: Auch Rankes Zeitschrift wird der „in der politischen Literatur Preußens“ verbreitete „Charakter der Unwahrheit“ zugesprochen, indem der Rezensent Ranke einer „Lüge“ überführt zu haben glaubt, die darin bestehe, bei der „Rückkehr Ludwigs XVIII. nach Paris (1813) hätten sowol er als seine Umgebungen, und überhaupt die ehemaligen Ausgewanderten, alle Pläne der Wiederherstellung des alten Frankreichs, wenn sie dieselben überhaupt je gehegt, ganz aufgegeben.“ ([Vf. Nr.] 97/1832, 505f.). - Die ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ führten ihre Kritik am 5. und 6. Mai mit einer anonymen Besprechung von Heft 1 fort. Daß sie tatsächlich von dem Philologen und Altertumsforscher Ludwig Roß (1806-1859) stammt, wie der Rankeforscher H. F. Helmolt ohne Begründung annahm (Helmolt: R.-Bibliogr./1910, 52 u. Helmolt/1921, 183, A. 119), ist m. E. wegen dessen gänzlich abweichender Interessenlage und seinem am 23. Mai vollzogenen Aufbruch nach Griechenland (Baumeister, A.: Roß, Ludwig. In: ADB 29 (1889), 246-253) von geringer Wahrscheinlichkeit. Die unverblümte Besprechung ist jedenfalls beachtenswert. Es heißt darin: „... Herr Ranke hat nun freilich wol einen en ts ch ie den en Standpunkt; es ist der Berolinismus vom Spätjahr 1830; aber statt sich entschieden dazu zu bekennen, was gleich von vorn herein das nöthige Licht in seine Zeitschrift bringen würde, gibt er sich in der Einleitung die Miene, als wolle er einen rein objectiven Standpunkt nehmen ...“ ([Vf. Nr.] 50/1832, 543). Die Tendenz des Aufsatzes ‚Ueber die Restauration in Frankreich.‘ [HPZ I/1, 9-76] sei „mit wenig Worten diese, das ganze Treiben und Streben des französischen Volkes seit 1789 als ein eitles, nichtiges, auf keine Nothwendigkeit gegründetes, keines Zieles sich bewußtes zu verdächtigen. Diese ganze Periode des Ringens nach gesetzmäßiger Freiheit wird unter dem Namen der Revolution kurzhin verdammt ... (544). - „... So wie er sich jetzt gibt, die eine Richtung tadelnd, ohne der andern entschieden das Wort zu reden, verfehlt er alle Wirkung auf den Leser; der Mangel an festem Gehalt, das Ausbleiben eines festen Resultats wird durch das viele Treffliche in der Form und im Einzelnen nicht ersetzt; es bleibt dem Leser sogar ein Zweifel, ob Herr R. seinen Standpunkt aus Ueberzeugung, oder nur nach den Umständen genommen hat.“ (548). - Eine unter dem Kürzel Hn. wohl von A. H. L. Heeren, dem damaligen Redakteur, stammende Besprechung von Band I der Rankeschen Zeitschrift, welche unter dem 1. April 1833 in den ‚Göttingischen gelehrten Anzeigen‘ erschien, hatte, zumeist referierend und weder politisch noch historisch zu nennen, wenig Eigentümliches an sich, es sei denn, daß sie bei ihrem Lob eine deutlich konservative, beschwichtigend versöhnende Haltung an den Tag legte: Die Aufsätze geben nach Auffassung des Rezensenten „immer Stoff zu ruhigem Nachdenken, welches uns bey dem jetzt herrschenden Geiste das erste und größte Bedürfniß scheint“ (522). Auch appelliert er an die loyale Einsicht, „wie wenig Regenten und ihre Minister, auch bey dem besten Willen, auszurichten vermögen, wenn nicht das Volk ihnen entgegen - 207 -

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kommt“ (526). Dabei ist wohl zu berücksichtigen, daß Heeren mit Perthes, dem Verleger der Rankeschen Zeitschrift, befreundet war. Zurück zu den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘. Diese unterzogen sich im Dezember des Jahres 1833 einem starken Wandel. Es ist nun in erster Linie eine „Vertheidigung“ der Zeitschrift Rankes „gegen den ihr gemachten Vorwurf der Unfreiheit“ beabsichtigt ([Vf. Nr.] 204/1833, 1386). Rankes Name gilt als „geachtet und mit Auszeichnung bekannt unter den Historikern Deutschlands“ (ebd.). Es gehört zur unfreiwilligen Ironie des Beitrags, daß er sich in lobender Weise mit zwei heute kaum mehr beachteten staatswirtschaftlichen Beiträgen befaßte (über Handelspolitik von Ranke und über Benutzung und Ertrag der Landgüter von Georg Wilhelm Kessler) und den später bekanntesten und folgenschwersten allgemeinhistorischen Essai aus der Feder Rankes ablehnte. Tatsächlich entspricht der 1833 als Eingang des zweiten und letzten Bandes erschienene Aufsatz ‚Die großen Mächte. Fragment historischer Ansichten‘ „den Erwartungen keineswegs“ (1394). Dieser „Ueberblick des Ganzen der äußern Politik Europas“ sei zwar „meisterhaft geschrieben“, doch die Darstellung bleibe „im Aeußern stehen“, habe „keinen wahren, geistigen Inhalt“ (ebd.). Der Hegel zugeneigte Rezensent verlangt vielmehr die Darstellung eines in jedem Teil der Geschichte waltenden allgemeinen „inneren Princips“, auch in den von Ranke genannten „einzelnen Kräften“. Dies könne nur sein „der menschliche Geist“ in seiner Entwicklung (ebd.). Ein Rezensent der ‚Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ - als Verfasser schlug Helmolt (R.-Bibliogr./1910, 26) Chr. Friedr. Mühlenbruch, Varnhagen von Ense oder Koeppen vor - fand in der programmatischen Einleitung Rankes statt „Klarheit“ vielmehr „Nebelgestalten“ vor, kein „kräftiges, entschiedenes Hervortreten“, sondern ein „verzagtes Hin- und Herschwanken“, vor allem auch hinsichtlich des Verhältnisses von politischer Praxis und der von Ranke stark problematisierten Theorie (En./1833, Sp. 193). Nach insgesamt bemerkenswerten, z. T. auch positiven Feststellungen äußert der Rezensent abschließend die Überzeugung. „daß eine in dem Sinne geschriebene Zeitschrift ... zu den wahren Bedürfnissen unserer Zeit gehört, und daß sie um so nützlicher wirken wird, je mehr sie Klarheit und Sicherheit gewinnt.“ (Sp. 200). - Die ‚Leipziger Literaturzeitung‘ gab sich Mühe in der Betrachtung eines jeden einzelnen Beitrags der vier Hefte des ersten Bandes. Die allgemeinen Feststellungen des Rezensenten sind vor allem folgende: „Ist es auch eine wesentlich antifranzösische Richtung, die hier sich geltend macht, so ist es doch weder das weiland Deutschthum von Arndt und Vater Jahn, noch das Preussenthum Raumers. Beyden, wie dem Treiben der französischen Schule, ist es geistig weit überlegen. Was aber ist es?“ (Ch. U./1833, Sp. 196). „Skepsis ist der Charakter dieser Zeitschrift.“ (Ebd.). „Ueberall Winke, Andeutungen, Fingerzeige, nirgends offenes, männliches Aussprechen.“ (Sp. 197). - „Wir wollen die vielen geistvollen Beobachtungen, die in dieser Zeitschrift niedergelegt sind, dankbar anerkennen. Aber erklären müssen wir uns gegen das Streben, das die Forderungen der Zeit bezweifelt, statt ihr Wesen und ihren Grund oder Ungrund mit Gründen zu entwickeln, das ihre Bestrebungen als nichtig und bedrohlich zu schildern sucht, ohne der Bedrängniss einen sicherern Lösungsweg zu eröffnen. Eine treffliche Taktik, die Gegner des Liberalismus in ihrer Abneigung, die Unentschiedenen gleichgültig zu erhalten.“ (Sp. 203). Eine der letzten Anzeigen - von einer Besprechung kann keine Rede sein - fand sich in der bei Rankes ‚Preußischer Geschichte‘ noch zu betrachtenden regierungsnahen und -abhängigen ‚Literarischen Zeitung‘. Sie erschien - wie das angezeigte Heft - 208 -

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im Verlag Duncker und Humblot, was ohne jeglichen Tadel zu dem Urteil führte: „Hier ist kein leeres politisches Räsonnement; hier ist gründliche Forschung, genaue Kenntniß der Verhältnisse, wohl erwogenes Urtheil“ ([Anonym: Bespr. von HPZ II/4]/10. 8. 1836, Sp. 638). Eine der frühesten lexikalischen Berücksichtigungen Rankes findet sich im ‚Conversations-Lexikon der neuesten Zeit und Literatur‘ von 1833. Die Hauptaussage des recht gut informierten Artikels liegt in der Gegenüberstellung der „ausgezeichneten Darstellungen“ eines der „geistreichsten deutschen Geschichtschreibers“ ([Anonym, Vf. (47) Artikel:] Ranke (Leopold)/1833, 686) mit dessen „weniger erfolgreich zu nennender Theilnahme an der Tagespolitik“ (ebd.) in der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘. Ranke scheine hierin „über die Zeit und ihre wichtigsten Fragen zu wenig eins mit sich selbst zu sein“ (687). In der Art und Weise, wie er die Partei des ‚Berliner politischen Wochenblatts’ repräsentiert habe, als dessen „Nebenläufer“ seine Zeitschrift ursprünglich bestimmt gewesen sei (686), finde sich „so viel mit Absicht zweideutig Gestelltes, daß für das lesende Publicum nur unangenehme, für die Sache selbst nur schiefe Resultate dabei herauskommen.“ (Ebd.). Der Artikel schließt mit der Bemerkung: „Aus dem Geiste des Mittelalters ist sein ganzer genialer Charakter als Geschichtschreiber hervorgegangen, freilich aber auch die weniger erfreuliche Färbung seiner politischen Ansichten.“ (687). Nichtöffentliche Urteile über Rankes Zeitschrift sind unterschiedlicher als die veröffentlichten. Sein konservativer Förderer Savigny bemühte sich allenthalben um Beiträge. Der bereits erwähnte Einsatz bei den Grimms, seinen Schülern, blieb, trotz mehrmaliger Vorstöße, erfolglos. Jacob antwortete ihm am 24. Juli 1832, er habe „wirklich den guten willen gehabt ... etwas über die hessischen verhältnisse aufzuschreiben und Ihnen für Ranke mitzuteilen. Bei näherer überlegung sammelten sich aber auch immer gründe, die es zu tun widerrieten ... In der zeitschrift finde ich vieles schön und wahr gesagte, es ist darin das meiste sanft und mit bleistift gezeichnet, während auf unser publicum jetzt nur stark aufgetragne farben eindruck machen.“ (Briefe der Brüder Grimm an Savigny/1953, 370f.). Savigny sah ganz andere Dinge als lobenswert an, als er sich werbend an Friedrich Bluhme wandte mit der Empfehlung von Rankes Artikel über Consalvi (I/4), der „ungemein viel gesunden, eindringenden Verstand“ besitze (1. 3. 33. Savigny Briefw. mit Bluhme/1962, 245). Friedrich Christoph Dahlmann hingegen hatte damals „manche Streitzüge ... z. B. gegen Rankes Politische Zeitschrift“ beabsichtigt, aber dann doch aufgegeben, wie noch zu dessen Lebzeiten bekannt wurde (Springer I/1870, 377). In seiner bedeutenden Schrift ‚Die Politik auf den Grund und das Maß der gegebenen Zustände zurückgeführt‘ (Gött. 1835, 2. Aufl 1847. Zitate nach Ausg. 1924) hat sich Dahlmann ebenfalls zurückgenommen. Man trifft lediglich auf kurze Hinweise zum Thema ‚Volkssouveränität‘ (195) in den Aufsätzen Rankes ‚Die großen Mächte‘ und ‚Die Idee der Volkssouveränetät [!] in den Schriften der Jesuiten’, sowie (184ff.) auf Band II der ‚Päpste‘. Auch von Interesse (189f.) ist Dahlmanns dortige Auffassung Machiavellis unter Heranziehung von Gervinus (Histor. Schrr., 1833). Im übrigen enthält die Schrift nur noch Hinweise auf Beiträge Savignys zu Rankes Zeitschrift: ‚Die Preussische Städteordnung’ (212, 217f.) und ‚Wesen und Werth der deutschen Universitäten‘ (253). Zu den wenigen uneingeschränkten Verehrern und eifrigen Lesern Rankes in den Jahren der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ gehört Karl Leberecht Immermann (1796-1840), Poet und Theatermann. Er vermerkte 1832 [in Ed. nicht genauer datiert] - 209 -

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in seinem Tagebuch: „Ranke’s neue politische Zeitschrift ist eine höchst anregende Erscheinung, seine Ansicht über die Charte [Eine Bemerkung über die Charte von 1830. HPZ I/1/1832, 103-113] ist mir besonders interessant.“ (Immermann. Sein Leben und seine Werke I/1870, 346). Immermanns Briefwechsel zeugt ebenfalls von einem großen anhaltenden Interesse, das er auch bei anderen anzuregen bestrebt war, so bei dem frühverstorbenen jüdischen Dramatiker Michael Beer (1800-1833. Immermann. Briefe II/1979, 34), vor allem aber in seiner Korrespondenz mit Amalie von Sybel. Ihr schrieb er am 8. März 1833: „In beiliegendem Hefte [HPZ I/4] finden Sie einen Aufsatz über Pius 7 u. Consalvi aus dem das Individuell-Historische und Persönliche Sie interessiren wird.“ (II, 151). Auch auf Ranke ‚Päpste‘ machte er lobend aufmerksam (II, 324f.). - An Dieselbe, nach dem 6. Dez. 1834: Ihn erinnert der gerade verstorbene Adolph von Lüzow „immer an Don Juan d’Austria, wie ihn Ranke [in FuV I] gezeichnet hat.“ (II, 367). Ein Einfluß des Immermannschen Ranke-Interesses auf den Sohn Amaliens, den jungen Heinrich v. Sybel, wurde bisher nicht beachtet, ist aber doch anzunehmen. Auch in der Korrespondenz von Friedrich August von Stägemann (1763-1840) mit Friedrich Cramer (1779-1836) ist der Zeitschrift Rankes gedacht. Der Literat und Historiker Cramer, der auch Umgang mit Rankes Bruder Ferdinand hatte, schreibt am 31. Mai 1832 an den preußischen Staatsmann und Dichterkollegen Stägemann: „So vernünftig auch im Ganzen genommen der Inhalt der Ranke’schen Zeitschrift ist, so gestehe ich doch gern, dass er mich nicht sonderlich angezogen hat. Geschichtsforschungen in den Regionen des Mittelalters, scheinen das Fach zu seyn, für welches der Mann mit mehr Talent ausgerüstet ist, als für die gar bewegliche moderne Politik, welche sich nicht gut auf dem Berlinischen Professorenleisten fixiren lässt.“ (Briefe und Aktenstücke III/1902, 503. Siehe dort auch 540). Ranke hatte Heinrich Heine (1797-1856) gegen Ende 1828 in Venedig kennengelernt (s. II/7). Der in nahezu jeder Hinsicht ein Gegenbild darstellende Dichter goß denn auch seinen Spott in einem Aufsatz betitelt ‚Verschiedenartige Geschichtsauffassung‘ über Ranke aus, ein Aufsatz, der von Anfang der 1830er Jahre stammt und noch zu Ranke Lebzeiten und wohl auch Pein im Jahre 1869 veröffentlicht wurde. Er enthält deutliche Anspielungen auf Ranke, dessen italienische Archivreise und die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘: „…in der kleinen Chronik von Hoffnungen, Nöten, Mißgeschicken, Schmerzen und Freuden, Irrtümern und Enttäuschungen, womit der einzelne Mensch sein Leben verbringt, in dieser Menschengeschichte sehen sie auch die Geschichte der Menschheit. In Deutschland sind die Weltweisen der Historischen Schule und die Poeten aus der Wolfgang Goetheschen Kunstperiode ganz eigentlich dieser Ansicht zugetan, und letztere pflegen damit einen sentimentalen Indifferentismus gegen alle politischen Angelegenheiten des Vaterlandes allersüßlichst zu beschönigen. Eine zur Genüge wohlbekannte Regierung in Norddeutschland weiß ganz besonders diese Ansicht zu schätzen, sie läßt ordentlich Menschen darauf reisen, die unter den elegischen Ruinen Italiens die gemütlich beschwichtigenden Fatalitätsgedanken in sich ausbilden sollen, um nachher, in Gemeinschaft mit vermittelnden Predigern christlicher Unterwürfigkeit, durch kühle Journalaufschläge das dreitägige Freiheitsfieber des Volkes zu dämpfen. Immerhin, wer nicht durch freie Geisteskraft emporsprießen kann, der mag am Boden ranken; jener Regierung aber wird die Zukunft lehren, wie weit man kommt mit Ranke und Ränken.“ (Heine: Werke u. Briefe V/1961, 377f.). - In der Vorrede seiner ‚Französischen Zustände‘ (Werke Bd. IV, 361-581) - 210 -

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datiert vom 18. Okt. 1832, erschienen 1833, klagt Heine, und wieder hört man ein wenig Hegel und Leo mitreden: „Dieses Preußen! wie es versteht, seine Leute zu gebrauchen!“ (374) … „Wie manch schöner Name, wie manch hübsches Talent wird da zugrunde gerichtet für die nichtswürdigsten Zwecke … Aber nicht bloß die Großen, sondern auch die Kleinen werden ruiniert. Da ist der arme Ranke, den die preußische Regierung einige Zeit auf ihre Kosten hat reisen lassen, ein hübsches Talent, kleine historische Figürchen auszuschnitzeln und pittoresk nebeneinanderzukleben, eine gute Seele, gemütlich wie Hammelfleisch mit Teltower Rübchen, ein unschuldiger Mensch, den ich, wenn ich mal heurate, zu meinem Hausfreunde wähle und der gewiß auch liberal - dieser mußte jüngst in der Staatszeitung eine Apologie der Bundesbeschlüsse [vom 28. 6. u. 5. 7. 1832, s. II/150f.] drucken lassen. Andere Stipendiaten, die ich nicht nennen will, haben Ähnliches tun müssen und sind doch ganz liberale Leute.“ (375). In den laut Herausgeber im einzelnen schwer zu datierenden ‚Aphorismen und Fragmenten‘ Heines (WW VII/1962, 361-432), zuerst 1869 veröffentlicht, findet sich Folgendes zu Ranke: „Ranke - puce travailleuse - Raumer - lederner Hanswurst Johannes von Müller - Vergleich mit Klopstock, den jeder rühmte und keiner las, steiflangweilig, Alpen und keine Idee darauf. Wir glaubten ein Epos und einen Historiker zu haben - Ranke und Johannes von Müller -“ (397). - Der genannte - anonyme Artikel der ‚Allgemeinen Preußischen Staatszeitung‘ (Nr. 220, 9. 8. 1832, 881) erfuhr nicht allein durch Heine eine Zuschreibung, sondern auch durch den mit ihm in Briefverkehr stehenden Varnhagen. Der schrieb, freilich an den Fürsten Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871), am 13. August 1832: „In jedem Fall würde ich mir auch, hätte ich in diesen Dingen etwas zu sagen und zu rathen, die schwächliche, kleingehackte Vertheidigung verbeten haben, die durch Professor Ranke in der ‚Staatszeitung’ für jene Beschlüsse versucht worden ist.“ (Briefwechsel u. Tgbb. PücklerMuskau, III/1874, 113. - Auf der Linie Heinescher Ironie lagen auch Bemerkungen über Rankes Zeitschrift in dem mehrfach herangezogenen Aufsatz von Karl Friedrich Köppen in den ‚Hallischen Jahrbüchern‘ über ‚Die berliner Historiker‘. Er wertete das Blatt als „historisches Schellengeklapper“ zur Besänftigung der „guten Deutschen, die nach der Julirevolution etwas unruhig geworden waren“ ([Köppen]/1841, Sp. 435). Dies rief den Widerspruch eines Anonymus der ‚Augsburger Allgemeinen Zeitung‘ hervor, der Ranke als „wissenschaftliche Notabilität“ ([Anonym] 11. 6. 1841) vor diesem Angriff in Schutz zu nehmen suchte, was wiederum von Arnold Ruge (18021880) als Intimus Köppens und Herausgeber der ‚Deutschen Jahrbücher für Wissenschaft und Kunst‘, vormals ‚Hallische Jahrbücher‘, nicht geduldet wurde. Es gehe nicht an, so schrieb er, Ranke, „dies berliner Stadt- und Autoritätskind“ mit dem großen Republikaner Thukydides zu vergleichen (Ruge/1841, 138). Die Resonanz auf Rankes gescheitertes Zeitschrift-Unternehmen wird in den folgenden Jahren und Jahrzehnten zusehends schwächer. Hin und wieder findet sich noch eine Anspielung in Nachschlagewerken oder Literaturgeschichten. Das von einer „Gesellschaft deutscher Gelehrten“ bearbeitete ‚Conversations-Lexikon der neuesten Litteratur-, Völker- und Staatengeschichte. Ein umfassendes Gemälde der Jahre 1830-1844. Ein unentbehrlicher Supplementband zu jedem Conversationslexikon‘ schrieb in einem nicht gezeichneten Ranke-Artikel auch verteidigend über seine Zeitschrift. Hierin habe Ranke den Nachweis versucht, „daß die liberalen Tendenzen der Zeit den gegebenen Umständen gegenüber zu abstrakt geltend gemacht würden, daß nur eine organischstätige Fortbildung der historischen Grundlagen Bestand und Dauer gewinnen könne. - 211 -

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Es war natürlich, daß eine solche Ansicht vielfache Gegner finden mußte, die den Historiker als einen Feind der Freiheit verketzerten und ihn ohne Weiteres mit dem ‚Berliner politischen Wochenblatt‘ zusammenwarfen, mit jener historischen Politik, die sich historisch nennt und doch alle Historie negirt, die nichts ist, als die reflektirte Rückkehr zur mittelalterlichen Unmittelbarkeit.“ Ranke sei „von solchen Tendenzen stets weit entfernt gewesen“ (Bd. II/1845, 386). Dem mehrfach erwähnten Liberalen Heinrich Kurz konnte nach Festungshaft und anderen von der Obrigkeit bereiteten Unzuträglichkeiten (s. Naundorf, Gert: Kurz, Heinrich. In: NDB 13/1982, 334 f.) Rankes Zeitschrift nicht zusagen. In seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur mit ausgewählten Stücken aus den Werken der vorzüglichsten Schriftsteller‘ ließ er die Bemerkung fallen, sie huldige „bei scheinbarer Freisinnigkeit und unter dem Vorwande das Bestehende zu erhalten und organisch fortzubilden, dem Rückschritt“ (III/1859, 697). Der bereits mehrfach herangezogene Demokrat Johannes Scherr, der ähnliche Erfahrungen wie Kurz gemacht hatte, sah in seinem Aufsatz über ‚Geschichtschreibung und Geschichtschreiber der Gegenwart‘ die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ in Nähe zum ‚Berliner politischen Wochenblatt‘, denn Rankes Äußerungen hätten „nicht selten mit den Versumpfungspredigten von Jarcke und Komp. eine sehr bedeutende Ähnlichkeit“ gehabt (Scherr IV/1862, Zitate nach 1864, 171). - Übrigens teilte auch rund 50 Jahre nach dem Ende der Zeitschrift Rankes überaus selbständiger und selbstbewußter Meisterschüler Heinrich von Sybel, sogar in seinem offiziösen Akademie-Nekrolog auf Ranke, mit erstaunlich harten Worten die vielstimmige Einschätzung, die Zeitschrift sei „in keiner Weise zu kräftiger politischer Einwirkung geeigenschaftet“ gewesen und habe „nur die Wirkung“ gehabt, daß Ranke „vor der gesammten liberalen Welt als serviler Anhänger des Alten verklagt“ worden sei (Sybel: Gedächtnisrede/1886, HZ-Fassung, 477). - Gefördert wurde diese Entwicklung durch das Erlebnis der 1848er Revolution, das Ranke in eine „Reaktion“ trieb, „die alles Maß und Ziel überschritt, und sein Haß gegen den Liberalismus, dem er die ganze Schuld jener Unruhen aufbürdete, hat seit dieser Zeit geradezu etwas Krankhaftes ... für Jeden, der sich mit Ranke genauer beschäftigt hat, ist es wol klar, daß er zur Politik keinen Beruf hat.“. Solches vermittelte Julian Schmidt den Lesern der ‚Illustrirten Zeitung‘ im Jahre 1857 (10836 [Schmidt, Julian]/24. 1. 1857, 79).

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5. Kapitel (I/2.1.5) DAS ‚ RELIGION SW ERK ‘ UND SEINE AUFNAH ME ‚Die römischen Päpste‘ - ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ 1834-1847 Vorb emerkung (I/2.1.5.0) ‚Die römischen Päpste im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert‘, dreibändig in den Jahren 1834 bis 1836, und die ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, sechsbändig in den Jahren 1839 bis 1847 erschienen, stellen - in der Mitte seines Lebens - die Höhepunkte im historiographischen Schaffen Rankes dar. Sie wurden und werden, zumal die ‚Päpste‘, weithin als seine Meisterwerke betrachtet. Zu seinen Lebzeiten erreichten sie acht, die ‚Deutsche Geschichte‘ sechs Auflagen und übertrafen damit jedes andere seiner Werke bei weitem. Das große Interesse schlug sich auch in der Zahl der Besprechungen nieder. (Zu den ‚Päpsten‘ konnten etwa 45, zur ‚Deutschen Geschichte‘ etwa 40 ermittelt werden). Neben der konfessionellen Diskussivität begünstigten die weiten zeitlichen Dimensionen und die Internationalität des Päpste-Themas auch das ausländische Interesse. Eine erste Übersetzung erschien bereits 1838 in Frankreich, der man allerdings bereits 1840 in England nachsagte, sie sei „gone to sleep“ ([Anonym: Bespr. PÄPSTE/Übers. Austin I-III in:] The Church of England Quarterly Review IX, 1841, 302). Ganz anders die Situation in England, wo das aus anglikanischer Sicht papale Reizthema zu Rankes Lebzeiten, beginnend 1840, sogar weit mehr Ausgaben und Auflagen als in Deutschland hervorbrachte. Hingegen wurde der 1844 erscheinenden mäßig erfolgreichen Übersetzung der ‚Deutschen Geschichte‘ nie eine französische an die Seite gestellt. Dies im Zusammenhang einer dort noch heute erheblich geringeren Ranke-Beachtung. Auch anderwärts nahm man sie nicht zur Kenntnis. Eine Ausnahme stellt eine türkische Übersetzung von 1953 dar. Beide Werke haben sich bis heute, zumindest beim nichtfachlichen deutschen Lesepublikum, eine gewisse Attraktivität erhalten können. Gemessen an der Gesamtzahl ihrer Ausgaben und Auflagen dürften sie im deutschsprachigen Raum überhaupt zu den meistgelesenen oder -nachgefragten Werken der Geschichtswissenschaft gehören. Die gesteigerte Bedeutung des Protestantismus im allgemein-kulturellen, wissenschaftlichen und politischen Leben, begleitet von konfessionellen und staatlichkirchlichen (Kölner Wirren) Auseinandersetzungen, von Mischehen, die nicht nur in den Beziehungen Friedrich Wilhelms IV. und Maximilians II. eine auffallende Rolle spielten und von Konversionen, die tief in das persönliche Schicksal manches Autors und Kritikers eingriffen, förderte in ihrer Zeit das Interesse an Rankes beiden Religionswerken erheblich. Ein anonymer Rezensent seiner ‚Deutschen Geschichte‘ sah ihren Verfasser als vom Schicksal besonders begünstigt an, da er, „wie von innerer Ahnung getrieben ... kurz vor dem Ausbruche der religiösen Wirren seine Geschichte der Päpste“ geschrieben habe (Anonym: Bespr. von DtG I u. II]/17. Juli 1839, Sp. 523). Tatsächlich bildete die Ranke schon vor dem Lutherjahr 1817 bewegende Reformation mit ihrem Umfeld, von vielen deutschen Zeitgenossen als wichtigstes Ereignis angesehen, den inneren thematischen Kern seiner Hauptwerke, nicht nur der beiden - 213 -

I/2.1.5.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - Die ‚Päpste‘

‚Religionswerke‘, auch der französischen und englischen Nationalgeschichten. Einer der gelegentlich schärfsten Kritiker Rankes, John Lord Dalberg Acton, sah darin eher ein Negativum, eine Begrenzung von Interesse und Kenntnis in zeitlicher wie geographischer Hinsicht: „This is the age to which his whole character is suited to and his style of writing perfectly correponds to a part of the character of these times.” (Acton: Papers ed Butterfield/1955, Appendix VII, 219). Allgemeiner betrachtet und zeitlich weiter gefaßt, stellen sich als Hauptthema Rankes die in der neueren Geschichte auftretenden religiösen und politischen Umwälzungen dar, an deren Anfang die Reformation. Die zeitgenössische Aufnahme der beiden ‚Religionswerke‘ war auf protestantischer Seite ob ihrer vermeintlichen ‚Unparteilichkeit‘ überwiegend positiv, weitgehend wurde ihre überragende historiographiegeschichtliche Sonderstellung wahrgenommen, jedoch mußten sich die venezianischen Relationen oder deren Nutzung heftige Kritik gefallen lassen. Die katholische Kritik an Rankes ‚Parteilichkeit‘, vornehmlich aus Bayern, trug gelegentlich eine hilflos primitive oder aggressive Note, schlug sich auch in einer päpstlichen Indizierung des Werkes nieder (s. u.). Die ausländische Kritik zeigte sich zwiespältig. Auffallend ist die schnelle gegenseitige Wahrnehmung von Urteilen innerhalb der internationalen Presse, welche nicht selten den Eindruck simpler Meinungsübernahme entstehen läßt. - Rankes Reformationswerk hat, wie angedeutet, nicht die Resonanz der ‚Päpste‘ erreicht. Er selbst äußerte sich dazu als Neunzigjähriger in einem autobiographischen Diktat wie folgt: „Man hat später selbst von befreundeter Seite das Werk über die Epoche der Reformation der Geschichte des Papstthums weit nachstehend gefunden. Ich empfand das selbst: es schien mir unmöglich, aus Reichstagsacten und theologischen Ausführungen ein lesbares Buch zusammenzustellen; aber der Stoff brachte die Form mit sich, und der Zweck war ein ganz anderer.“ (SW 53/54, 70). D i e r ö m i s c h e n P ä p s t e , ihre Kirche und ihr Staat im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert (I/2.1.5.1) Nachdem Leopold von Gerlach seinem Bruder Ludwig mitgeteilt hatte: „Ranke schreibt eine Geschichte der Päpste von Leo X. an. Das wird sehr interessant werden.“ (Neue Quellen/1968, 149), wurde der Privatsekretär des vormaligen Kronprinzen Friedrich Wilhelm, Carl von Voss-Buch, bei dem Ranke gelegentlich dinierte (s. II/7, 1849), einer der frühesten Leser des Werkes. Er war bei der Lektüre allerdings vorwiegend an national-ökonomischen, monetären Problemen interessiert und schrieb am 16. August 1834 an Leopold von Gerlach, das Werk enthalte für ihn „fast nur Neues und unendlichen Stoff zum Nachdenken, lauter halb gelöste Probleme.“ „Insonderheit“ habe ihn der Abschnitt über die Finanzverwaltung interessiert. (Neue Quellen/1968, 152). Doch er machte auch auf einen ganz wesentlichen, noch heute in allgemeiner Weise diskutierten Punkt aufmerksam: Ranke bemühe sich, die Päpste, „ihrer Individualität ungeachtet [,] den Ideen der Zeit unterliegend darzustellen.“ (153). Von Literaten wurde das Werk privat und öffentlich mit wenigen Ausnahmen hoch geschätzt. Karl Immermann, der bereits Rankes ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ Beifall gezollt und diese der Mutter Heinrich von Sybels empfohlen hatte, übersandte nun auch sogleich den vor kurzem erschienenen ersten Band der ‚Päpste‘ mit der - 214 -

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Bemerkung: „An dem mitfolgendem Ranke werden Sie aber gewiß Vergnügen haben; ich erinnre mich nicht, eine so geistvolle Darstellung des Pabstthums, und so viele neue Aufschlüsse über die Umgestaltung des katholischen Wesens durch die Reformation schon gelesen zu haben.“ (28. 9. 34, Immermann. Briefe II/1979, 324f.). Am 13. April 1836 teilte er Ludwig Tieck (1773-1853) mit, daß Peter Friedrich von Uechtritz (18001875) „mit den Vorbereitungen zu einer großen Novelle beschäftigt“ sei: „Sie soll die ersten Zeiten der Reformation u. deren Wirkungen in Italien darstellen, und er ist zu der Arbeit wohl durch Rankes Buch angeregt worden.“ Bei der Novelle handelt es sich laut Kommentar (III,2/1987, 1081) „wahrscheinlich“ um ‚Albrecht Holm. Eine Geschichte aus der Reformationszeit‘ (Bln. 1852/53). Dieser tatsächlich mehrbändige Roman wird andernorts jedoch (Mendheim, Max: Uechtritz, Peter Friedrich von. In: ADB 39/1895, 125f.) auf die Zeit um 1842 und auf Rankes Reformationsgeschichte zurückgeführt. Ranke hatte sich übrigens 1826 in einem Brief an Rahel Varnhagen über das Trauerspiel ‚Alexander und Darius‘ von Friedrich von Uechtritz geäußert (Text bei Wiedemann/1896). - Marianne Immermann führte nach dem Tod ihres Mannes die Korrespondenz mit Tieck fort und gestand, ihr habe „in dieser letzten Zeit ... keine Unterhaltung die Stunden angenehmer verkürzt, als die Lectüre von Rankes Päpsten. Es war das erste Werk dieses Schriftstellers, was ich las, und ich wählte es vorzugsweise, weil es mich in die Zeit führte, die mir durch Ihre Vittoria [‚Vittoria Accorombona. Ein Roman in fünf Büchern‘, Breslau 1840] so nah und anders belebt erscheint als manche sonst.“ (Briefe an Ludwig Tieck II/1864, 115). Der Ranke gegenüber keineswegs unkritische Literarhistoriker Julian Schmidt konnte sich nicht genug tun, Rankes ‚Päpste‘ mehrfach - freilich Jahrzehnte nach dem Ersterscheinen - in außerordentlicher Weise zu loben. Sie seien das „Höchste“, was er geleistet: „Hier haben wir ein vollendetes, classisches Kunstwerk.“ (S[chmidt]/1847, 409; s. I/2.1.3). - Der zwanzigjährige Gustav Freytag hingegen fand an Rankes ‚Päpsten‘ keinen Gefallen (s. I, 159). - Savigny, stets bemüht, Ranke ins rechte Licht zu rücken, schrieb am 30. Dezember 1834 empfehlend an Jacob Grimm, wie bereits bei Rankes ‚Historisch-politischer Zeitschrift‘: „Haben Sie denn Rankes Päpste gelesen? Es ist mir lange kein Buch vorgekommen, was neben dem vielen Neuen und Lehrreichen so sehr durch frische unbefangene Ansicht erfreute, und gerade bey einem Stoff, in welchem man fast nur hergebrachte Parteyurtheile zu lesen gewohnt ist.“ (Stoll II/1929, 480). Savigny lieh das Werk ferner im Bekanntenkreis aus, so an Wilhelmine Bardua (1798-1865), in deren biedermeierlichem Salon auch Ranke verkehrte ([Bardua]/1929, 167). Unter den öffentlichen Kritiken scheint eine anonyme Besprechung von Maximilian Duncker an erster Stelle zu stehen. Er verfaßte sie einen Monat nach Erscheinen seiner Berliner Dissertation mit dem bemerkenswerten Titel ‚De historia ejusque tractandae varia ratione‘ - welche übrigens Ranke, bei dem er ‚Neuere Geschichte‘ gehört hatte, nirgends nennt - unter dem 13. August 1834 in der mehrfach für diesen tätigen regierungsnahen Berliner ‚Literarischen Zeitung‘. Ranke soll später dem 1839 habilitierten Duncker den abweisenden „Wink“ haben zugehen lassen, „er möge sich ganz auf die Staatswissenschaft legen und an Schöns Stelle nach Breslau gehen“ (Haym/ 1891,47). Duncker hat sich in späteren Jahren als Historiker, Politiker und Direktor der preußischen Staatsarchive noch sehr geringschätzig über Ranke geäußert (s. I, 150). Seine Besprechung von 1834, die sich auch kritisch mit Rankes Darstellungskunst befaßt, bietet von fachhistorischer Seite nicht allein eine außerordentlich frühe Forde- 215 -

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rung nach allgemeiner Abkehr von der Schlosserschen Moralisierungs-Manier, sondern auch von der Heeren-Ukertschen Staatengeschichts-Konzeption und verlangt stattdessen nach Hinwendung zu einer tiefgreifenden Ideengeschichte: „ ... in der That bedarf unsre historische Literatur nicht großer prätentiöser Staatsgeschichten ..., sondern Bücher, welche uns das Charakterhafte, Geistige, die Lebensquellen u. Principien der Völker u. Zeiten vorführen ...; es kommt darauf an, nicht mehr Geschichten der Völker u. Staaten, sondern Geschichten der Ideen zu schreiben. Und wir müssen dankbar anerkennen, daß Hr. Ranke uns das Leben des 16ten Jahrhunderts, so weit es von seinem Zwecke berührt wird, fast überall in solcher Weise dargestellt hat, ohne viel sentimentales Moralisiren, ohne theologische Gelehrsamkeit bei den religiösen Streitigkeiten zu exhibiren ...“ ([Duncker, Maximilian]/1834, Sp. 563). - Die zwei Jahre später in der ‚Literarischen Zeitung‘ folgende anonyme Besprechung der Bände II und III des Werkes stammt nicht von Duncker, vertritt sie doch hinsichtlich der ‚Ideen‘ eine vermeintlich abweichende Auffassung und verhält sich auch gegenüber dem Papsttum kritischer. Rankes Erzählung vermittle den [von ihm später zwangsläufig revidierten] Eindruck, daß der Katholizismus in einem „zunehmenden Untergang“ begriffen sei, gegenüber dem Protestantismus, der sich „immer verjüngt“ habe ([Anonym]: Die Päpste/1836, 833). Wie alle protestantischen Beurteiler des Werkes lobt auch dieser Anonymus Rankes Unparteilichkeit. Sein Mißfallen erregt lediglich die mangelnde Übersichtlichkeit und die Zerstückelung der Darstellung in zahlreiche Abschnitte und daß „der Hr. Verf. dem Katholicismus am Anfang des dreißigjährigen Krieges eine vollkommene Einheit“ zugeschrieben habe (835). - Eine spätere anonyme Besprechung dieses Blattes befaßt sich in ähnlicher Weise mit der dritten Auflage von Band I ([Anonym]/4. 6. 1845). Von bescheidenem Zuschnitt ist die anonyme Besprechung, welche 1835 wohl der mehrfach herangezogene Wolfgang Menzel in seinem ‚Literatur-Blatt. Beiblatt zum Morgenblatt für gebildete Leser‘ vom ersten Band der ‚Päpste‘ veröffentlichte. Bei allem Lob eines „unserer ausgezeichnetsten Geschichtschreiber“ hätte Menzel sich bei der Darstellung neuer „Charakterzüge bedeutender Personen“ mehr „Noten“ gewünscht ([Menzel?]/1835, 133). Die zweite Besprechung, welche in demselben Blatt den Bänden II und III gilt, ist nur wenig anspruchsvoller, lobt die Einnahme eines „höheren, dem deutschen Geiste zusagenden Standpunktes“ ([Anonym]/1837, 293) und die „große Mäßigung“ des Urteils (294), wobei dem Leser doch „eine tüchtige, vollständige Unterlage“ gegeben werde, „wie ein Krankenbericht einem entfernten Arzte“ (ebd.). Von der halbwegs positiven Art dieser Äußerungen ist in Menzels ‚Denkwürdigkeiten‘, die noch peinlich zu Rankes Lebzeiten erschienen, nichts zu spüren. Da heißt es: „Dagegen war mir die Ranke’sche Schule in Berlin mit ihren vornehm thuenden Glacéhandschuhen eklig.“ (Menzel/1877, 339). Menzel (?) äußerte sich 1853 noch zu Rankes ‚Französischer Geschichte‘ (s. I, 270). Die folgenden Besprechungen der ‚Göttingischen gelehrten Anzeigen‘ machten mangels Gelehrsamkeit der Zeitschrift wenig Ehre. Der protestantische Kirchenhistoriker Friedrich Wilhelm Rettberg (1805-1849) verfaßte darin eine ausführliche Besprechung des ersten Bandes, die jedoch als im Tenor zustimmende bloße Nacherzählung hinter den Erwartungen weit zurückblieb. Rettberg bemerkte immerhin „des Verfassers Neigung und Gewandtheit zur Klarmachung der Verhältnisse durch nachgewiesene überraschende Aehnlichkeiten und Contraste ...“ (R-g./1835, 830). - Zwei Jahre später brachte die Zeitschrift eine Besprechung des dreibändigen Gesamtwerkes hervor, - 216 -

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diesmal unter dem Kürzel Hvn., die ebenfalls dem Prinzip exzessiven Nacherzählens huldigte, nunmehr schrittweise auf nahezu fünzig Seiten. Einleitende Bemerkungen gelten der „raschen Critik und Auswahl in der Benutzung“ der archivalischen Quellen und der „kurzen, schlagenden Beweisführung des Verfs, seiner Gewandtheit, häufig mit wenigen kecken Strichen die Signatur einer Zeit zu geben ...“ (Hvn./1837, 283). Eine Besprechung des ersten Bandes, die der Herausgeber des Blattes selbst verfaßte, erschien 1835 in der von Karl Heinrich Ritter von Lang (1764-1835), Historiker und Archivar, betreuten ‚Literarisch-historischen Zeitschrift in zwanglosen Heften‘, die beiläufig seinem Biographen (Bernhard Sicken: Lang, Karl Heinrich Ritter von. In: NDB 13/1982, 542 f.) unbekannt geblieben sein dürfte. Lang polemisiert sogleich gegen den Titel des Werkes (‚Die römischen Päpste, i h r e [i. T.] Kirche ...‘) und mahnt aus eigener Tätigkeit als Legationssekretär am Rastatter Kongreß (Sicken, 542), zur Vorsicht im Umgang mit Gesandtschaftsberichten (Lang/1835, 6). Besonders unter den höheren Gesandten seien oft solche, die nicht sehen können, nicht sehen wollen oder nicht sehen sollen (6). Im übrigen würde er auch eine andere Darstellungsform vorgezogen haben, nämlich, entsprechend der Anlage der Quellen, „Monographien der einzelnen Päpste“ (7). Nicht ohne Sachkenntnis fügt er dem Referat einige teils abweichende, teils ergänzende Momente hinzu. Ein durchaus selbständig denkender anonymer Rezensent der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ (trotz der unterschiedlichen Kryptonyme „74“ und „79“ identisch), verfaßte in den Jahren 1836 und 1837 zwei Besprechungen des Werkes, deren erste besonderes Interesse beanspruchen darf, unternimmt sie doch den seltenen Versuch, auf vergleichsweise eindringliche Weise die Bedeutung Rankes und seines Päpste-Werkes in der Geschichte der Historiographie zu bezeichnen. Dieses erscheine „als eine der bedeutendsten, wenn nicht als die bedeutendste Leistung unserer neuern Historiographie“ ([Rez. Nr.] 74/1836, 910). Seine hohe Bedeutung liege hauptsächlich darin, daß Ranke „ein neuerdings sehr in den Hintergrund geschobenes, fast ganz vernachlässigtes Moment aller Geschichte wieder zu Ehren gebracht“ habe, die „Darstellung des individuellen Lebens welthistorisch eingreifender Menschen.“ ( Ebd.). Das „Ausgezeichnete dieses Buches ..., worin noch keiner der neuern Historiker Ranke gleichgekommen“ sei, bestehe darin, daß er „das ganze geistige Leben und Treiben der Individuen, seinem innersten Gehalte nach ...“ zeige (ebd.). Bei Rankes Darstellung lebe der Leser „gleichsam durch ihn selbst in jener Zeit...“ und spüre in sich selbst die „Kraft und Macht ... göttlicher Gewalt“. „Wahrlich“, beteuert der Rezensent, „es ist uns fast in keinem andern Geschichtsbuche diese historische Nothwendigkeit so klar erschienen als in diesem, in welchem so wenig von ihr die Rede ist!“ (911. - Die Bespr. des Rezensenten 79/1837 ist lediglich referierend). Der u. a. mit Johann Friedrich Böhmer in Briefwechsel stehende Joseph Aschbach (1801-1882), dessen Lebenslauf ein Biograph „eine Art Priesterthum der Wissenschaft, fern von allem Ehrgeiz und jedem falschen Schein“ nachrühmte (Schrauf, Karl: Aschbach, Joseph. In: ADB 46/1902, 59-68, hier 59), und der gerade in Arbeiten am zweiten Band seiner dem Rankeschen Osmanen-Thema nicht allzu fern stehenden ‚Geschichte Spaniens und Portugals zur Zeit der Herrschaft der Almoraviden und Almohaden‘ (1833, 1837) vertieft war, verfaßte in den ‚Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik‘ der Jahre 1835 und 1836 zwei Besprechungen der ‚Päpste‘. Rankes Werk gehöre „unstreitig zu den bedeutendsten Erscheinungen in der historischen Literatur in den letzten Jahren“ (Aschbach/1836, Sp. 905). Außer der „sehr lobens- 217 -

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werthen Unparteilichkeit in der Darstellung der kirchlichen Zustände“ (Sp. 909) hebt er Rankes „lebendige, großartige Darstellung, seine scharfsinnige Auffassungsweise“, seinen „Ideen-Reichthum“ und seine „scharfsinnige Kritik“ hervor (ebd.). Aschbach ist nicht generell gegen den Einsatz von Gesandtschaftspapieren, fügt sogar den Wunsch an, Ranke möge sich ihrer auch für die deutsche, französische und englische Geschichte bedienen, doch hält er dafür, diese Quellen hätten hinsichtlich ihrer Parteilichkeit „einer näheren Prüfung ... unterworfen werden müssen“ (Aschbach/1835, Sp. 629, s. auch I, 157). - Die Einzelkritik ist überwiegend positiv gehalten. Aschbach schließt jedoch mit dem (bereits oben herangezogenen) Urteil: „Auch dieses Buch ist reich an Ideen, zieht an durch eine höchst lebendige Darstellung, giebt einzelne sehr gelehrte Ausführungen, aber ein in sich geschlossenes historische Ganze liefert es nicht“ (Aschbach/1835, Sp. 640). Es ist eher unwahrscheinlich, daß sich der 77jährige Arnold Hermann Ludwig Heeren (1740-1842) hinter den Initialen A. H. L. verbirgt, mit denen ein Rezensent der ‚Ergänzungsblätter zur Jenaischen Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ in Gemeinschaft eines A. Schr. im Jahre 1837 eine Besprechung des ersten Bandes der ‚Päpste‘ zeichnete, eines „trefflichen Werkes“, das „einen wahren Gewinn für die Wissenschaft“ darstelle. „Ruhe, Mässigung, Unparteylichkeit“ werden gelobt, wie auch der „ächt historische Blick und die Kunst..., die Verhältnisse kurz und bündig in das rechte Licht zu stellen“ (1837/350). Ein leichter Tadel fällt auf das „mitunter Desultorische und Abgerissene des Stils und der Darstellung“. Doch erkläre sich dies „am wahrscheinlichsten aus dem Streben“ Rankes, „das Gewöhnliche und allgemein Bekannte nicht in seine Darstellung des Raumes wegen aufzunehmen, und nur Neues und Bedeutendes zu bieten.“ Man fühle sich entschädigt „durch den Hauch des unmittelbaren Lebens, welchen Hn. Ranke aus seinen so aus dem Leben selbst hervorgegangenen Quellen festzuhalten gelungen ist, durch das Frische des Treibens und Drängens der Zeit, die er im Ganzen so ausserordentlich glücklich aufgefasst hat, und durch den Ausdruck der inneren Wahrheit, welchen das Getriebe menschlicher Leidenschaften und die Verwickelung der Verhältnisse gewinnt. Wie klar und besonnen ist meist das Urtheil des Vf.s, wie sehr steht er über diese Masse von Material, welches er aufs glücklichste zu gestalten weiss!“ (1837/350). Die seit 1818 in Wien erscheinenden ‚Jahrbücher der Literatur‘, das „erste, wahrhaft repräsentative, wissenschaftliche Organ des Kaiserstaates“ (Haiböck, Lambert: Die Wiener Jahrbücher der Literatur 1818-1849. Diss. Masch. Wien 1953, 3 bei Obenaus/ 1973, 61) brachte im Jahre 1837 keine Besprechung von Rankes ‚Päpsten‘, jedoch anonym - eine solche von Baptiste Capefigues Werk ‚Richelieu, Mazarin, la Fronde et le Règne de Louis XIV‘ (Paris, 8 Bde, 1835-1836). Mit Capefigue hatte sich Ranke 1835 in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ auseinandergesetzt, allerdings mit dessen ‚Histoire de la Réforme, de la Ligue et du règne de Henri IV‘ (Paris: Duféy, 8 Bde, 1834-1835). Nun kam der anonyme Wiener Rezensent Capefigues gelegentlich der Schilderung des Zustands der Kirche in Frankreich nach dem Sturz der Liga wenigstens anmerkungsweise auch auf Ranke zu sprechen: „Treffliches enthält hierüber Ranke’s Geschichte der Päpste, ein Werk, das an kolossaler Auffassung, fast durchgängig unbefangener Würdigung jener Zustände und der innern Hebel, so sie ins Leben riefen, und an meisterhafter Darstellung im Gebiete der neueren Literatur kaum seines Gleichen finden dürfte.“ ([Anonym. Bespr. von:] Richelieu .../1837, 149, Anm.). Auch später kann der Rezensent sich „nicht enthalten, nochmals auf die gedrängte Darstel- 218 -

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lung der französischen Zustände jener Zeit“ in den ‚Päpsten‘ aufmerksam zu machen, „eine Darstellung, die, indem sie sich von der Oberfläche der Erscheinung lostrennend, in die inneren Tiefen des Völker- und Staatenlebens hinabsteigt, allerdings eine Schärfe des Blickes und Meisterschaft historischer Schilderung beurkundet [!], mit welcher Hr. Capefigue in keiner Weise den Vergleich bestehen könnte. Dennoch gelangen beyde Schriftsteller mehr oder minder zu denselben Ergebnissen, nur daß sich bey Ranke mehr Tiefe der geistigen Anschauung und größere Verläßlichkeit findet, als bey Capefigue, der zwischen dem Geschichtschreiber und politischen Publicisten häufig die Mitte hält.“ (158, Anm.). - Die in Halle und Leipzig erscheinende ‚Allgemeine Literatur-Zeitung‘ brachte im Januar 1838 eine anonyme, ausführliche Besprechung des „inhaltreichen und anziehenden“ Päpste-Gesamtwerks, die neben einem kapitelweisen Referat nur wenig beurteilende Elemente enthielt, etwa, daß der Rezensent es „unbedenklich zu den bedeutendsten und gelungensten“ rechne, „welche die historische Literatur der letztvergangenen Jahre hervorgebracht“ habe (29). Dabei wird Rankes „Unpartheilichkeit“ gelobt, „ohne die einseitige Vorliebe für das Papstthum, die wir bei so vielen neuern Geschichtschreibern als einen krankhaften Charakterzug der gegenwärtgen Literaturperiode wahrnehmen.“ (4). - Von ähnlicher Art ist eine überwiegend nacherzählende Besprechung der zweiten Auflage des Werkes aus der anonymen Feder des einflußreichen, wie Ranke stark obrigkeitsorientierten protestantischen Theologieprofessors August Tholuck (1799-1877) in seinem ‚Litterarischen Anzeiger für christliche Theologie und Wissenschaft überhaupt‘ des Jahres 1839. Das Werk, das der Rez. besonders Vertretern des geistlichen Standes ans Herz legt, gehöre zu den „allerbedeutendsten Erscheinungen unserer gegenwärtigen Litteratur“ (Nr. 31, Sp. 248), und besitze „lobenswerthe Unpartheilichkeit“ (Nr. 32, Sp. 256). Zwar seien „nicht alle Partieen gleichmäßig ausgeführt“ (Nr. 31, Sp. 248), doch verfüge es über eine „lebendige ansprechende Diktion“ (Nr. 32, 256). - So sah dies auch ein Beiträger der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘, der in ihr allererstes Heft einen Aufsatz einbrachte mit dem Titel ‚Auf welchem Standpunkt steht die vaterländische Geschichtsforschung?‘ Ranke spielte darin nur eine untergeordnete Rolle, doch wurde ihm zugestanden: „Das Geistreichste und zugleich Unbefangenste, das über die katholische oder päpstliche Seite der Reformation in jüngster Zeit geschrieben wurde, verdanken wir dem trefflichen Ranke.“ (W. M./1838, 277. Betrifft PÄPSTE, nicht DtG, die noch nicht erschienen war). A u s l ä n d i s c h e S t i m m e n . - Nachdem Rankes ‚Päpste‘ im Jahre 1838 unautorisiert und katholisierend ins Französische übersetzt worden waren, was einen von Ranke verfaßten oder veranlaßten zurückweisenden Artikel der ‚Allgemeinen Preußischen Staatszeitung‘ hervorrief, wurde sein Werk zunehmend Opfer konfessioneller Auseinandersetzung, welche auf katholischer Seite zum Teil von Einfalt und Grobheit geprägt war. Am 20. März 1838 erschien im Würzburger ‚Allgemeinen Religions- und Kirchenfreund und Kirchencorrespondenten‘ folgende anonyme Notiz: „Eine andere interessante Schrift, von Frankreich her in unsere Gegenden gedrungen, macht uns manchen lehrreichen Scherz. Ein gewisser Preuße, Namens Ranke, ein Jesuitenfeind sonder Gleichen, hat ein Werk unter dem Titel: ‚die römischen Päpste‘, das von Geschichtslügen strotzt, herausgegeben und darin, wie es sich von selbst versteht, auch den Dr. Martin Luther (und andere dergleichen Leute) sehr gepriesen als einen wahren Wohlthäter des menschlichen Geschlechts, obgleich die wahre Geschichte ihn als einen Empörer und Verbrecher gegen Kaiser und Reich ansah. - Nun hat ein Pariser den - 219 -

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originellen Einfall gehabt (er nennt sich Alexander de St. Chéron), Ranke’s Opus angeblich in das Französische zu übersetzen; er hat aber das Lutherische und Protestantische darin katholisirt und alles beseitigt, was anstößig ist, und der Wahrheit oft Zeugniß gegeben. Das Merkwürdige ist nun dieß: In der Vorrede wundert sich St. Chéron, wie man in Berlin, wo das Buch fabricirt ward, so gut katholisch denke! - Daß diese Aeußerung in Berlin Aufsehen machte und Protestationen veranlaßte, versteht sich von selbst ... Wer bei der Wahrheit bleibt (und dieß wäre dem Herrn Ranke bei seiner künftigen Schreiberei zu wünschen) hat solche Ereignisse nicht zu befürchten.“ (Sp. 149). - Tatsächlich war die irreführend katholisierte Übersetzung in Frankreich von katholischer Seite zunächst sehr positiv aufgenommen worden. Die in Paris erscheinende ‚L’Université catholique, recueil religieux, philosophique, scientifique et littéraire‘ nahm sich des Werkes mit großem Wohlwollen an. Man attestierte Ranke : „Il parle de la plupart des papes dont il s’occupe avec estime, on dirait quelquefois avec affection.“ (A. Q./ Juni 1837 [!], 433). Ein weiterer Mitarbeiter des Blattes nannte das Werk „un des plus beaux monumens [!] historiques de l’Allemagne moderne“ ([Anonym] Dez. 1837 [!], 463). - Dies stieß nun allerdings in Kreisen des Vatikans auf Unwillen. Augustin Theiner (1804-1874), in Rom wirkender ordinierter Kirchenhistoriker, der Luther als „nichtswürdigsten Schwindler“ bezeichnet hatte und später das Vertrauen Gregors XVI. und Pius’ IX. gewann (Schulte, von [!]: Theiner, Augustin Th. In: ADB 37/1894, 674-677), brachte 1838 ein Werk mit dem bezeichnenden Titel auf den Weg: ‚Versuche und Bemühungen des heiligen Stuhles in den letzten drei Jahrhunderten, die durch Ketzerei und Schisma von ihm getrennten Völker des Nordens wiederum mit der Kirche zu vereinen. Nach geheimen Staatspapieren‘. In der Vorrede äußerte er sich in höchst unseriöser Weise über Ranke: „Auch er hat die kühne Prahlerei gehabt, dem guten Publikum in hochtrabender Marktschreier Weise eine sogenannte Geschichte der Päpste auf die Nase zu binden, die lediglich zusammengestoppelt aus allerlei historischem Auskehrig, den Zwerggeist der protestantischen Kirche recht bekundet, bei Auffassung der großen christlichen Nachwelt der drei letzt verflossenen Jahrhunderte.“ (Theiner: Versuche/1838, p.VI). „ ... Erst in einem der folgenden Bände werde ich ganz Gelegenheit haben, die kalte Maske diesem frostigen Machwerk abzunehmen, und es in seiner Blöße hinzustellen. [Laut Wolf/Burkard/Muhlack/2003, 81f. wurde diese Drohung nicht wahrgemacht.] Befremden muß es, wie die Université Catholique in einem ihrer jüngsten Artikel [Dez. 1837] diesem Werke von Ranke unbefangene Tendenzen zum Katholizismus zumuthen kann, der nun aber anstatt einer gediegenen Kritik nichts als eine abgeschmackte Ausmalerei ohne allen historischen Tiefsinn und Takt enthält. Der Referent (Katholik? -) dieses Artikels verräth unangenehme Anklänge an die moderne Geschichtsschule des teutschen Galimathias, die in Frankreich in blinder Selbstgefälligkeit nun ihr Scepter führt, und mit dem faltenschwulstigen Mantel affektirter und bis zum Eckel [!] hochtrabender Phrasen die schmähliche Hohlheit und Leerheit des eigenen Urtheils bedeckt. Diese sonderbare und dazu schreibselige Schule meint in ihrem blinden Enthusiasmus, jedes teutsche Buch, so nur immer in Berlin, Königsberg und Leipzig vom Stapel lauft, müsse ein vollendetes Kunstwerk seyn, und seiner Natur nach unfehlbar geschaffen, die Urtheilskraft des jungen regenerirten und regenerirenden Frankreichs zu schärfen und zu befruchten.“ (VII). Alexandre de Saint-Chéron (1808-1892) fühlte sich als Herausgeber und Einleiter der Übersetzung bemüßigt, zu der Kritik Stellung zu nehmen. In der Pariser Zeischrift - 220 -

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‚L’Univers, Journal Religieux, Politique, Scientifique et Littéraire‘ äußerte er die Überzeugung, „que l’histoire de M. Ranke, avec toutes ses imperfections et ses erreurs, pouvait encore servir à faire tomber une foule de préjugés qui survivent contre les institutions catholiques et particulièrement contre la papauté. ...Il résulte..., que l’impression générale ... est complètement favorable au catholicisme.“ (Saint-Chéron: Réponse à quelques critiques/Febr. 1838, Sp. 1598). - Trost fand de Saint-Chéron bei Friedrich v. Hurter (1787-1865), dessen großes Innozenz-Werk er zu übersetzen begonnen hatte (‚Histoire du pape Innocent III et de ses contemporains‘, Paris 1838, dt. 4 Bde 1834-1842). Hurter, öffentlich allzu spät zum Katholizismus übertretender k. k. Hofrath und Reichshistoriograph, versicherte ihm in einem Schreiben vom 20. Juli 1838, „dass diese Herren von Berlin, Göttingen und vielen andern Städten nicht läugnen können, selbst die ganze Geschichte, namentlich das Mittelalter, systematisch zu verprotestantisiren, dabei aber Lärm erheben, wenn sich ein Dritter unparteiisch erweist und an der Unfehlbarkeit der deutschen Gelehrten zu zweifeln sich erkühnt.“ (Hurter I/1876, 105). Es war Ignaz von Döllinger (1799-1890), auch eine konfessionell schicksalhaft gezeichnete Gestalt, Professor der Kirchengeschichte in München, 1871 exkommuniziert, der 1838 in den ‚Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland‘ einen kurzen anonymen Beitrag mit ‚Bemerkungen über neuere Geschichtschreibung‘ verfaßte. Darin wandte er sich u. a. - nicht abwegig - gegen die in Rankes ‚Päpsten‘ herrschende „Grundanschauung von der Religion als dem Secundären“ (55f.), verglichen mit dem Staat als dem Primären und stellte den Beitrag zugleich als Einleitung zu einer Reihe von Aufsätzen vor, in denen das Werk des näheren beleuchtet werden sollten. Dazu kam es nicht. Stattdessen wandte sich der Rezensent Rankes Folgewerk, der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ zu (s. I, 230f.). Kurze Zeit nach de Saint-Chérons Erklärung verfaßte Eugène Lerminier (18031857), über Savigny promovierter Rechtshistoriker, Journalist und Mitglied des ‚Collège de France‘, in der liberalen Pariser ‚Revue des deux mondes‘ einen konfessionell zurückhaltenden Aufsatz mit dem Titel ‚La papauté depuis Luther‘, welcher eine Besprechung der französischen ‚Päpste‘-Ausgabe darstellte. Zwar fand auch er einiges auszusetzen: die Unvollständigkeit der Darstellung, die oberflächliche Einleitung, sodann: Frankreich habe nicht genügend Aufmerksamkeit gefunden, und die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts sei zu schnell abgehandelt (Lerminier/1. 4. 1838, 43). Überhaupt stelle sich Rankes Geschichte als allzu isoliert und fragmentarisch gegenüber den voraufgehenden und folgenden Zeiten dar (56). Doch das Werk Rankes - „esprit ...pénétrant et lucide“ (44) - den er in Berlin persönlich kennengelent hatte, besitze eine wirkliche Bedeutung für die Kenntnis des Papsttums und des Katholizismus seit drei Jahrhunderten: „rapport impartial et lumineux sur des points essentiels, il peut servir de base à une appréciaton raisonnée des intérêts religieux de l’Europe depuis Luther“ (44). Zur Verschärfung der französischen Kritik trug vor allem ein in der katholischen ‚Dublin Review‘ vom Juli 1838 anonym erscheinender Aufsatz des hochbegabten katholischen Ranke-Schülers Felix Papencordt bei. Papencordt hatte Niebuhr wohl näher gestanden und auch einen mehrjährigen Studienaufenthalt in Rom verbracht (s. Wegele, Franz Xaver von: Papencordt, Felix. In: ADB 25/1887, 140f.). Unter dem Titel ‚Ranke’s History of the Popes‘ besprach er sachkundig das deutsche Gesamtwerk, wobei er einzelne Momente der Darstellung wie auch allgemeine Anschauungen einer deutlichen Kritik unterzog (s. im einzelnen I, 63). Ranke betrachte die Geschichte der - 221 -

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Päpste aus einem rein politischen Gesichtswinkel, wovon schon der Titel seines Werkes zeuge („Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat“) zeuge. Daher gelange er u. a. auch zu einer völlig irrigen Auffassung der meisten Ereignisse des Pontifikats Pauls III. (38). Abschließend fand Papencordt in Rankes Werk gleichwohl eine Vielzahl bislang unbekannter Fakten, welche für die Kirche und den Hl. Stuhl „highly creditable“ seien (50). Zum ersten Male habe ein ausgewiesener protestantischer Forscher der Welt seine Anerkennung dargelegt, daß die Päpste der späteren Zeit in ihrem Privatleben ohne Fehl und Tadel gewesen seien und daß der Zusammenbruch von italienischer Nationalität und Freiheit nicht zu ihren Lasten gehe (51). Auffallende Ähnlichkeit hat eine bereits im Mai und Juni erschienene, mit P. gezeichnete Besprechung der Bände II und III des Päpste-Werkes in den Römischen ‚Annali delle scienze religiose‘, die damit Papencordt einigermaßen sicher zuzuweisen sein dürfte. Sie setzte eine mit den Autoren-Intialen C. H. ebenda 1837 erschienene Besprechung von Band I fort, welche dem im Vorjahr aus Rom zurückgekehrten Katholiken Constantin Höfler (1811-1897, Hemmerle, Josef: Höfler, Konstantin Ritter von. In: NDB 9/1972, 313f.), der auch einige Stunden bei Ranke gehört hatte (Berg/1968, 229), zuzusprechen ist. Höfler verfaßte, wie man annehmen darf, unter dem Eindruck des 1834 bis 1836 erschienenen Papst-Werkes Rankes‚ 1839 ein Werk über ‚Die deutschen Päpste nach handschriftlichen und gedruckten Quellen‘ (2 Bde, Regensburg). Als Professor an der Münchener Universität lieferte er 1845 in die ‚Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland‘, welche sich seit ihrer Gründung 1838 zur „meistgelesenen und einflußreichsten Zeitschrift des deutschen Katholizismus“ entwickelten (Albrecht, Weber/1990, 9), einen anonymen Beitrag mit dem Titel ‚Über katholische und protestantische Geschichtschreibung‘. Hierin stellte er Vergleiche an zwischen Schlosser, Raumer, K. A. Menzel und Ranke. Dessen Werke - und mit seinem harten Wort konnten nur die ‚Päpste‘ und die seit 1839 erscheinende ‚Deutsche Geschichte‘ gemeint sein - förderten „die innern Zwistigkeiten der Deutschen“ eher, als sie beizulegen (307). Die vorgenannten ‚Annali‘ ließen 1840 noch eine ‚Notizie scientifico-religiose‘ folgen, in welcher der Redakteur, Abbate Antonio de Luca, Rankes ‚Päpsten‘ nachsagte „Raccozzamento indigesto di fatti ... inesatti, guasti e falsati ...malignità protestante” (so bereits bei Helmolt/1921, 186, A. 130). - Eine Übersetzung des Werkes in italienischer Sprache erschien erst 1862 und wurde überhaupt nur möglich, weil dabei die katholisierende französische Fassung zugrunde gelegt wurde. Die deutsche Ausgabe war 1841 unter Papst Gregor XVI., u. a. aufgrund eines Gutachtens von Augustin Theiner, indiziert worden (s. dazu das auf neuen Bahnen gründlich gearbeitete Werk Wolf, Burkard, Muhlack/2003, worin folgende ‚Notizie scientifico-religiose‘, welche doch u. a. eine treffende allgemeine Sicht bietet, beiseite blieb: „Il sig. Ranke, attenendosi alle massime sovvertitrici del suo maestro Lutero, considerò la dignità pontificia come una semplice istituzione umana, modellata sopra le istituzioni del romano imperio“ (De Luca, Antonio. In: Annali delle scienze religiose, Bd. 11, Nr. 33, Rom, Nov. u. Dez. 1840, 428f., hier 428). Zurück zum Jahre 1838. Unter Beihilfe des Aufsatzes von Papencordt folgte im September im Pariser katholischen ‚L’Ami de la religion, journal ecclésiastique, politique et littéraire‘ eine Besprechung unter der Autoren-Kürzel E. Sie unternahm mit der Absicht einer Totalzerstörung den Versuch, Ranke faktische Unrichtigkeiten, Inkonsequenzen und methodologisch-handwerkliche Fehler nachzuweisen. So habe sich dieser ausdrücklich vorgenommen, der Entwicklung der weltlichen Macht des Papsttums - 222 -

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nachzugehen, doch enthalte sein Werktitel den Begriff ‚Kirche‘. Überdies habe sich diese Macht vom 10. bis zum 14. Jahrhundert entwickelt und nicht während des 16. und 17. Jahrhunderts (530). Auch springe er gegen Ende seines 1. Kapitels unvermittelt vom 10. ins 14. und 15. Jahrhundert (531). Die Darstellung des Konzils von Trient sei „fort triste, fort incomplet et plein d’erreurs et d’inexactitudes.“ (610). Seine Relationen habe er stellenweise nicht genau zitiert, unkritisch benutzt und einen Vergleich mit der Fachliteratur unterlassen, ja ganze Quellenbestände beiseite gelassen (ebd. u. 609, s. I/1.6), so abweichende römische Handschriften über das Pontifikat Clemens’ VII. Auch scheine er nicht die wichtige Dokumentensammlung zur Geschichte des 16. Jahrhunderts zu kennen, die von Gian Domenico Mansi (1692-1769) im Anhang zur Ausgabe der ‚Miscellanea‘ von Etienne Baluze (1761) veröffentlicht worden sei, ebenso wie die wertvollen Nachrichten über die Geschichte der Konklaven in ‚les notices et extraits des manuscrits de la bibliothèque du roi‘ (609). (Rankes erste Parisreise fand erst 1839 statt, FvR/1903, 189). - Eine anonyme redaktionelle Nachschrift suchte, unter Berücksichtigung des letzten Bandes der Übersetzung, dem Artikel noch eine verschärfende Ergänzung mit auf den Weg zu geben: Rankes Werk sei keine Geschichte des Papsttums, denn der Autor übergehe die wichtigsten Tatsachen der Kirchengeschichte. Mehrere Päpste nenne er nicht, so Innozenz XIII., Benedikt XIII. und Clemens XII. Benedikt XIV. erwähne er nur kurz. Das Werk sei „un croquis informe, tracé en courant, et qui n’apprend rien.“ (612). Der französischen Aufnahme der ‚Päpste‘ nahm sich unmittelbar die in Augsburg tätige aufmerksame Redaktion des dreimal wöchentlich erscheinenden ‚Sion. Eine Stimme in der Kirche für unsere Zeit‘ an. Der im Oktober 1838 erscheinende Fortsetzungsartikel war betitelt ‚Beyträge zur Würdigung von L. Ranke’s Leistungen im Gebiete der Geschichte‘. - Rankes Werk, so ist der Grundtenor, sei in Frankreich „über die Gebühr gelobt“ worden (Sp. 937). Dies zu beweisen, werden Briefe aus dem ‚L’Univers‘ zitiert, in denen Ranke vorgeworfen wird, er habe die Behauptung aufgestellt, die Obern der ‚Gesellschaft Jesu‘ seien befugt, Sünden anzubefehlen und habe überhaupt zahlreiche Anschuldigungen gegen den Orden erhoben, im besonderen eine verfälschte Darstellung des Ignatius von Loyola und Francisco de Xavier gegeben. Vor Papencordts Kritik war 1836 in England eine möglicherweise aus der Feder des englischen Poeten und geistlichen Historikers Henry Hart Milman (1791-1868) stammende anonyme Besprechung der ‚Quarterly Review‘ erschienen. Sie war des Lobes voll: „To the high qualifications of profound research, careful accuracy, great fairness and candour, with a constant reference to the genius and spirit of each successive age, common to the historians of Germany, Mr. Ranke adds the charm of a singularly lucid, terse, and agreeable style.“ ([Milman?]1836, 289). Ein leiser Tadel mag anklingen in der „dispassionate and philosophical serenity“, mit welcher der Historiker Wachstum, Fortschritt und Einfluß der päpstlichen Macht betrachte (287). Die im folgenden Jahre anschließende Besprechung der Bände II und III wiederholte ausdrücklich das Urteil über Band I auch für diesen Teil des Werkes und setzte im übrigen die Nacherzählung fort ([Milman?/1837). Zuvor (1836) war in der ‚Revue Britannique ou choix d’articles traduits des meilleurs écrits périodiques‘ eine umgestaltete, mit eigenen Zusätzen versehene Übersetzung von Milmans erstem Artikel erschienen. Milman verfaßte später noch ein Vorwort zur englischen Übersetzung der ‚Päpste‘ (s. II, 597). Nach der gemischten Kritik Papencordts im Jahre 1838 trat 1840 in England zunächst eine kaum erwähnenswerte anonyme Kritik der ‚Päpste‘ in Austinscher - 223 -

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Übersetzung auf: Der Rezensent der ‚Eclectic Review‘ versuchte sich an einer zusammenfassenden Nacherzählung des „higly important and interesting book“. Weder gebe es aus englischer Feder ein Werk dieser Art, noch hätten englische Historiker Zugang zu einer derartigen Fülle von Material gehabt. Der Ruf Rankes, dessen Unparteilichkeit hervorgehoben wird, gewährleiste die Genauigkeit der Darstellung (291f.). - Dem stehen nun doch einige bemerkenswerte Beurteilungen gegenüber, zum einen aus nationalistisch übersteigerter anglikanischer Sicht die anonyme Kritik von J. W. Worthington in der ‚Foreign Quarterly Review‘ von 1840 und eine anonyme Bespr. der ‚Church of England Quarterly Review‘ des folgenden Jahres. Worthington lobt vor allem, daß Ranke Gerechtigkeit gegen Freund und Feind geübt habe. Jedoch sieht er als „leading fault“ Rankes an „a tendency to view Protestantism distinct from Catholicism.“ (1). In der Tat dient denn auch die Besprechung in erster Linie einer Gegenüberstellung von Protestantismus als wahrer Katholizität und ‚Romanismus‘ als römisch-katholische Kirche. Wofür Ranke keine Sensibilität besessen habe, sei die gigantisch machtvolle Stellung Englands: „England alone ... possesses more influence over the political, moral and religious tendencies of the world, than the Roman See ... and we trust she will ever use the proud position of Queen of the seas, and mistress of a mass of subjects ... to the promotion of that spread of intellect, that diffusion of morality and religion...“ (28). - Die ‚Church of England Review‘ hält zwar Rankes ‚Päpste‘ auch für ein Werk von bemerkenswerter Gelehrsamkeit, empfindet jedoch die Notwendigkeit, es lediglich als Ergänzung zu einer vollständigeren, fundamentaleren und weniger parteilichen Geschichte der Ereignisse zu betrachten (321). Der wesentliche Kritikpunkt liegt jedoch in dem Vorwurf, daß in der Darstellung kein grundsätzlicher Unterschied gemacht werde zwischen Protestantismus und Papsttum, „between the comparatively pure Christianity of the reformed creed and the polluted and polluting superstition of Rome“ (303). - Eine weitere englische Besprechung war theologisch weniger interessiert und ist vor allem durch ihre der wachsenden Popularität ihres Verfassers zuzuschreibende Wirkung von Bedeutung. Sie entstammt der Feder Thomas Babington Macaulays (1800-1859) in der ‚Edinburgh Review‘ des Jahres 1840. Macaulay, Poet, Parlamentarier und Historiker, der seine berühmte ‚Englische Geschichte‘ damals noch nicht geschrieben hatte, nahm sich in einem seiner zahlreichen Beiträge zur whigistischen ‚Edinburgh Review‘ 1840 auch Rankes ‚Päpsten‘ in der autorisierten englischen Übersetzung der bedeutenden Schriftstellerin, Übersetzerin und Salonnière Sarah Austin (1793-1867) an. Mit ihr hatte er im Frühjahr 1839 in dieser Angelegenheit bereits korrespondiert (Three Generations/1888, 130f.). Seine in mehreren Ausgaben erschienene Besprechung enthält wohl auch im Interesse dieser Bekanntschaft hohes, doch allgemeinstes Lob: „...this is an excellent book excellently translated. The original work of Professor Ranke is known and esteemed wherever German literature is studied, and has been found interesting even in a most inaccurate and dishonest French version.“ (Tauchnitz-Ausg., 97). Das Werk sei „in einem bewundernswürdigen Geiste geschrieben, gleichweit entfernt von Leichtsinn und Bigotterie, ernsthaft und ernstlich, und doch duldsam und unparteiisch.“ (60 der dt. Übers.). Dies war nun weit enfernt von einer fachlichen Beurteilung, und überhaupt stellte der Beitrag eigentlich einen mehr oder minder selbständigen Essay über die Geschichte des Papsttums dar. Die Bedeutung lag aber darin, daß sie Ranke in England bekannt machte. Noch 1885 erinnerte ein anonymer Beiträger der ‚Times‘ an Macaulays vor 45 Jahren erschienenen Essay, „which first brought the name of Ranke prominently before the people of England ...“ (The Times/22. 12. 1885). So sind in - 224 -

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England zu Lebzeiten Rankes weit mehr Ausgaben der ‚Päpste‘ erschienen als in Deutschland, und sein Sohn Friduhelm hatte bei einer Reise den Eindruck, daß „in Großbritannien der Verfasser der ‚Päpste‘ ein viel berühmterer und populärerer Mann war als in der Heimat“ (FvR/Febr. 1903, 193). Macaulays Artikel trug wohl auch zur Förderung des Rankeschen Ruhmes in Deutschland bei. Sein Sohn Otto glaubte zu wissen: „Erst als Macauley [sic] Rankes Namen unsterblich gemacht hatte, erinnerte man sich in Deutschland, daß dieser Mann ein Deutscher, ein Berliner Professor war“ (OvR/1912/1). Irische katholische Stimmen lauten hingegen außerordentlich kritisch. In der ‚Dublin Review‘ wird 1843 nicht nur die schon 1838 in Frankreich und Deutschland aufgekommene Detail-Kritik an Rankes Jesuiten-Darstellung thematisiert, derzufolge die Oberen der Gesellschaft befugt seien, die Sünde zu befehlen ([Anonym:] Recent charges/Febr. 1843, 47-49, 56.), es wird anläßlich einer Besprechung der ‚Päpste‘ sogar die Frage aufgeworfen „Is Ranke an historian?“ und, metaphorisch durchsetzt, mit ‚Nein!‘ beantwortet. Der nicht unsachverständige Rezensent erblickt „serious defects“ ([Anonym]/1843, 322) und gibt dem Bedauern Ausdruck, daß mit Rankes Werk bei bewunderungswürdiger Erzählung der äußeren Ereignisse die kirchliche und politische Geschichte der Päpste des 16. und 17. Jahrhunderts ungeschrieben geblieben sei. Rankes „theorized facts“ führten den Leser unausweichlich zu irrigen Schlußfolgerungen (323), zumal er mit seinen venezianischen Relationen nicht die reinsten Quellen der Wahrheit benutzt habe (325). Rankes Theorie bestehe in der angenommenen Herkunft von moralischen Wirkungen aus nicht-moralischen Ursachen, und sein Kardinalirrtum liege in der Darstellung der außerordentlichen eingeborenen Kräfte des Papsttums als mächtige Agentien seines Wiederauflebens, auf der Grundlage höchst mangelhafter und verderblicher Grundsätze (326), woraus folge, daß er wichtige Tatsachen in der Geschichte der Päpste unterdrücke (337). Mittlerweile gingen Rankes ‚Päpste‘ auch in die englische Forschung über: Beispielsweise beruht: ‚A History of the Articles of Religion: to which is added a series of documents from A. D. 1536 to A. D. 1615; together with illustrations from contemporary sources‘. Cambridge u. London 1851 aus der Feder von Charles Hardwick (1821-1859), „Fellow of St. Catharine’s Hall, Cambridge, and Whitehall preacher“ in Teilen auf Rankes ‚Päpsten‘, Band I, in der englischen Übersetzung von 1841, v. a. aber auf seiner ‚Deutschen Geschichte‘, Bd. III, ebenfalls von Sarah Austin übersetzt (1847). Dies gilt besonders für Kapitel II, ‚The Augsburg Confession‘ (8, 22-25, 32-37, 41, 91. - Siehe dazu auch Dockhorn/1950, 97). - Die andauernde Wirkung der ‚Päpste‘ auf die öffentliche Meinung in England wird von einem späteren Rezensenten der Londoner ‚Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art‘ anläßlich der vierten englischen Auflage ausdrücklich bezeugt, wobei auch auf den fördernden Einfluß der Besprechung Macaulays hingewiesen wird. Die 1866 mit dem Titel ‚Ranke’s History of the Popes‘ erschienene Besprechung des vorgenannten Anonymus bringt allerdings eine der nachdrücklichsten je veröffentlichten Kritiken, nicht an Rankes Objektivität, denn er sei der erste gewesen, der die Geschichte der Reformationszeit von beiden Seiten betrachtet habe (734), sondern an der unbefriedigenden Form und Substanz seiner Darstellung (s. I, 196f.). - Nicht ganz unähnlich ist die Besprechung des gerade in 5. deutscher Auflage erschienenen Werkes durch John Lord DalbergActon (1834-1902) im Jahre 1867. Dieser hatte Ranke zwölf Jahre zuvor in Berlin mehrere Besuche abgestattet, wobei ihm dessen Ansichten „durchaus oberflächlich“ - 225 -

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erschienen, so teilte er seinem Lehrer Ignaz von Döllinger mit, der dies gern gehört haben dürfte. Auch besuchte er Rankes Vorlesung, aber, so bemerkt Acton, „er leistet gar nichts als Lehrer. Es ist nicht der Mühe werth ihn zu hören“. Ranke habe „in seinem Wesen nichts ernsthaftes oder würdiges“ (14. 3. 55. Döllinger Briefwechsel I/1963, 57). Später schrieb er, Montalembert habe Ranke mit den Worten ‚Grand talent, petit esprit‘ „vortrefflich charakterisirt“ (3. 7. 1855, I/1963, 78). - Zu weiteren Begegnungen kam es in den Jahren 1861 und 1865, zuletzt 1877 (s. II/7.2). Actons Artikel erschien anonym unter dem schlichten Titel ‚Ranke‘ am 20. Juli 1867 im ‚Chronicle‘. Freundlichen allgemeinen Worten - es gebe keinen Historiker, dessen Ruhm auf einer so großen Zahl von Meisterwerken beruhe, und kein anderes Werk seitdem habe einen derartigen Einfluß auf einen bestimmten Wissenschaftszweig ausgeübt - folgt eine unnachsichtige, vor allem methodologische Beurteilung: Im Vergleich mit seinen neueren Darstellungen seien die ‚Päpste‘ in Wahrheit kein Buch von großer Kraft oder Forschung gewesen, wenn auch lehrreich für die kritische Quellenbenutzung. Diese sei von Stenzel auf das Mittelalter angewandt, von Ranke für die moderne Geschichte übernommen worden, wobei die von ihm herangezogenen Handschriften seiner Erzählung mehr „point“ als Solidität gegeben hätten. Insofern seien ihm die benutzten Relationen eher ein „magazine of curiosities“ als „the essential basis of a connected history“ gewesen. Heute könne das Werk nicht mehr, wie damals, als Klassiker gelten, stehe doch die letzte Ausgabe auf dem Stand des Wissens, den die Kenntnis des 16. Jahrhunderts in ihren Kindertagen besessen habe. Ranke versuche diesen Mangel zu ersetzen: „He devines much that he does not prove; and the weight of his own opinion makes him careless of his authorities.“ Seine Methode der Literaturbenutzung bestehe aus der Vorliebe, ein Werk wie das Darus oder Capefigues nach Nutzung eines einzelnen „extracts“ als ansonsten wertlos zu entlassen. Auch ergieße sich kein großer Strom durch sein Werk, der Lauf sei lediglich durch eine Seenkette markiert, und man sehe Scharmützel, nicht jedoch die Hauptschlachtordnung. Ranke sei nicht bereit zuzugeben, daß die moderne Geschichte verborgen sei in Myriaden noch ungesehener Dokumente und daß das Verfassen lebensfähiger Werke vorbereitet sein müsse durch die unterirdische Arbeit einer anderen Generation (393. Zu Actons Kritik der ‚Englischen Geschichte‘ s. I, 292f.). In Frankreich scheint sich das Urteil über Rankes ‚Päpste‘ nach den Kontroversen der ersten Jahre positiv abgeklärt zu haben. Pascal Duprat versicherte in seinen mehrfach genannten ‚Études critiques sur les historiens allemands contemporains. I. Léopold Ranke‘ der ‚Revue indépendante‘ vom 10. August 1843, Die ‚Päpste‘ seien eines der schönsten Bücher dieses Jahrhunderts, und niemals zuvor sei ein so großes und vollständiges Bild Roms in den letzten Jahrhunderten gezeichnet worden (379). Saint-René Taillandier erklärte in einem Artikel der ‚Revue des deux mondes‘ vom 1. April 1854 ausdrücklich nicht die ‚Deutsche Geschichte’, sondern die ‚Päpste’ zum besten Werk Rankes (53). - In der ‚Revue germanique‘ vom November 1859 ließ es sich Jules Grenier besonders angelegen sein, den Eindruck zu verwischen, der sich an die katholisierend-verfälschende französische Übersetzung geknüpft hatte: Ranke besitze die Fähigkeit, das ihm Fremde zu verstehen, er sei frei von Vorliebe oder Haß. Dies verleihe seinen ‚Päpsten‘ den Charakter der Unparteilichkeit (315). D i e s p ä t e r e A u f n a h m e d e s W e r k e s . - Ein Fortgang der Auseinandersetzung um Rankes ‚Päpste‘ in Deutschland ist in den beiden Jahrzehnten nach 1845 kaum noch feststellbar, wo überhaupt, dort wenig anspruchsvoll und vornehmlich durch das - 226 -

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Erscheinen neuer Auflagen geschäftsmäßig hervorgerufen. Eine 1845 in der ‚Literarischen Zeitung‘ erscheinende Besprechung von Band I in dritter Auflage bediente sich hauptsächlich aus Rankes Vorrede und war im Gegensatz zu Acton der Auffassung, die Zeit tue „Ranke’s historischem Urtheil keinen Abbruch“ ([Anonym]/4. 6. 1845, 699). Beiläufig nimmt sich der vierten Auflage eine 1855 in der ‚Katholischen LiteraturZeitung‘ erscheinende Besprechung der ‚Französischen Geschichte‘ an. Ein Rezensent mit dem Kürzel E. glaubt dem Werk gerecht zu werden mit der Bemerkung, Ranke habe bewiesen, daß er „mit seinem anerkennenswerthen Scharfsinne nur die kleinen und schwachen Seiten der Päpste aufzufassen und darzustellen im Stande war, ohne die gewaltige Idee des Papstthums, für die jede unbefangene Forschung begeistern muß, erfassen zu können.“ (121). - 1868 erschien in der ‚Neuen Evangelischen Kirchenzeitung‘, hervorgerufen durch das Erscheinen der fünften Auflage, eine kurze, schon panegyrisch geprägte anonyme Anzeige dieses „klassischen Werks deutscher Geschichtsschreibung“. Abgesehen von seiner „eminenten Bedeutung unter den Vätern der modernen Geschichtsschreibung“ nehme Ranke unbestritten „die hervorragende Stelle unter den Schriftstellern deutscher Nation“ ein. Er verbinde „mit dem klaren und weiten staats- und weltmännischen Blick ein so feines und innerliches Verständniß der religiösen Ideen und ihrer Triebkräfte in der Geschichte“. Seine Darstellung Loyolas und dessen Parallelisierung mit Luther (Bd. I) sei „voll Verständniß der inneren Motive evangelischer und katholischer Reformgedanken“ (334). Gerade diese Parallele war anderen Kritikern ein Dorn im Auge gewesen (u. a. [Anonym:] Beyträge zur Würdigung/1838 und [Anonym:] Is Ranke an historian? /1843). Das Interesse belebte sich ein wenig durch die 1874 dreibändig erschienene, um die Geschichte des Vaticanischen Konzils vermehrte sechste Auflage mit neuer Titelgebung: ‚Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten‘. Nur wenige Besprechungen ließen sich nachweisen, und diese sind von - ohnedies nicht fachlichem bescheidenem, routinehaftem Zuschnitt und auffallend geringem Umfang. Unter dem Kürzel a/D wandte Rankes Spätschüler Alfred Dove in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift ‚Im neuen Reich‘ im Erscheinungsjahr seine Aufmerksamkeit auch lediglich den beiden neuen bis 1870 führenden Schlußkapiteln zu, deren „gedrängte Darstellung“ sich „durch die Klarheit des Ueberblicks über die gleichzeitig einwirkenden Faktoren und durch die Tiefe der historischen Perspektive“ auszeichne (438). Für die kirchliche Entwicklung seit der Revolutionszeit bis zum Pontifikat Pius’ IX. und seiner „geistlichen Ueberhebung“ sei eine „etwas reichlichere“ Schilderung“ wünschenswert (439). - Ein Anonymus der ‚Allgemeinen Zeitung‘ nimmt das Werk des „Altmeisters deutscher Geschichtschreibung“, ohne eigentlich auf dessen Inhalt einzugehen, zum Anlaß einer scharfen Kulturkampfattacke gegen die katholische Kirche, die „den Eindruck eines wieder erneuten Heidenthumes der schlimmsten Art“ mache (zn: Ranke’s Päpste/1874, 4184) und gegen Pius IX., über dessen Pontifikat die Geschichte „nicht milder“ werde urteilen können als über das Alexanders VI.: „nicht ohne Züge von Großartigkeit und doch ein Pontificat des Verbrechens, des Verbrechens wider den Geist ...“ (ebd.). - Eine freundliche, überkonfessionelle, aber vorwiegend referierende oder zitierende Besprechung, welche ausschließlich den in dieser Auflage berücksichtigten neuesten Entwicklungen gilt, liefert ein anonymer Rezensent der ‚Schwäbischen Kronik [!]: Ranke gebe „eine treffliche, durchaus objektiv gehaltene Geschichte des vatikanischen Konzils, dessen Beschlüsse er als ein natürliches Ergebniß der modernen Entwicklung des Papstthums“ ansehe (++/1874). - Vermutlich Martin Philippson - 227 -

I/2.1.5.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - Die ‚Päpste‘

schrieb im ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ zwei Besprechungen der ‚Päpste‘ in 6. Auflage von 1874, welche nur erwähnenswert sind durch die bezeichnende Kürze, mit der das Werk des „so umsichtigen, gerechten und scharfsinnigen Historikers“ zu dieser Zeit abgetan wird (Ph.[ilippson?], M.[artin?]/14. 3. u. 6. 6. 1874. Zu Ph. s. I, 339f.). Auch ein Rezensent mit dem Kürzel Pn. (der Ranke-Hörer Theodor Hermann Pantenius?) beschränkte sich im ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ auf die erweiterte Darstellung ab 1830 und lobte - in bedenklicher Formulierung - deren Objektivität: „nirgends möchte man den überzeugungstreuen Protestanten herauserkennen“ (Pn.: Die Päpste/1875, 345). Das anerkennende Referat schließt jedoch mit dem überraschenden Tadel, daß man in dieser Darstellung die von Ranke zu erwartenden „eingehenderen Aufschlüsse, großartigen historischen Ideen“ vermisse. Hier hätte man sich etwas weniger „Behutsamkeit und Selbstbeschränkung“ gewünscht (346), ein Wunsch, der auch von Ludwig Salomon in seiner 1881 erscheinenden ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur des neunzehnten Jahrhunderts‘ geteilt wurde (222). Rankes von ihm so bezeichneter „lieber Freund“, der preußische Generalfeldmarschall Edwin von Manteuffel, einer der eifrigsten Leser Rankescher Werke (s. I, 42, 72), hatte unmittelbar nach Erscheinen der 6. Auflage der ‚Päpste‘ den Einfall, am 11. Sept. 1874 Bismarck, mit dem er sich überwiegend in gespannten Beziehungen befand, einen Band zu übersenden, verbunden mit dem Anerbieten, eine Denkschrift Rankes „über die Behandlung“ der „Tagesfrage“ zu vermitteln (s. II, 345). In eine peinliche Lage versetzte sich Julian Schmidt, der Rankes Hervorbringungen im allgemeinen aufmerksam verfolgte. Er schrieb - im Titel ohne Bezug auf Ranke 1875 für Heinrich von Treitschkes ‚Preußische Jahrbücher‘ einen Beitrag ‚Die Päpste‘, eine gehoben feuilletonistische Skizze mit z. T. polemischen Gedankenspänen zur Geschichte des Papsttums unter dem Eindruck des Kulturkampfes. Einleitend setzt sich Schmidt kritisch mit Rankes ‚Päpsten‘ auseinander, einem Buch, das „eigentlich erst die deutsche Geschichtschreibung im Ausland zu Ehren gebracht“ habe (PrJbb. 36/Okt. 1875, 385). Ein entscheidender Mangel des Beitrags ergibt sich indes aus der Unaufmerksamkeit Schmidts, die ihn lediglich die 5. Auflage, nicht jedoch die gerade auf die neueste Zeit ausgedehnte 6. Auflage (SW 37-39) benutzen ließ, auf die doch mit Blick auf das Vaticanum alles ankam. Das war auch für Ranke ärgerlich, der sogleich mit seinem Verleger über den Beitrag, „der vieles Verkehrte“ enthalte, korrespondierte (18. 10. 75, Geibel/1886, 81). - Zwei Jahre vor Rankes Tod erschien aus der Feder Alfred von Reumonts ein Beitrag im ‚Historischen Jahrbuch‘ mit dem Titel ‚Die Analecten zu Ranke’s Römischen Päpsten‘, worin der Katholik bekennt, daß dieses Werk „ungeachtet der Verschiedenheit mancher Anschauungen“ auf seine „Jugend mächtig eingewirkt“ habe (Reumont/1884, 625). Davon abgesehen hinterlassen die mitgeteilten zahlreichen Ausstellungen und Ergänzungen zu Rankes unsystematischer Revision der Analekten einen für diesen peinlichen Eindruck. Noch 1853 hatte Reumont, mit dem gelegentlich einmal Briefe gewechselt wurden, Ranke seine ‚Beiträge zur italienischen Geschichte‘ (2 Bde, Bln. 1853, s. d. V-IX) gewidmet. Auch Rankes spätere Ausgabe der ‚Päpste‘ mit ihrer Pio Nono-Heranführung von 1874 gibt Reumont in seinem Ranke-Nachruf trotz grundsätzlichen Wohlwollens und weitreichender Anerkennung der allgemeinen Meisterschaft Rankes und seines „Kunstwerks“ Anlaß zu milden kritischen Bemerkungen, welche die bisweilen auftretende skizzenhafte Unfertigkeit des Werkes betreffen; „von welchem dann manches strengere Ausführung vermissen läßt.“ (Reumont/1886, 613). - 228 -

I/2.1.5.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Deutsche Geschichte‘

Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (I/2.1.5.2) Mit der „Aufnahme des Werkes bei der zeitgenössischen Kritik“ hat sich bereits Paul Joachimsen in der Einleitung seiner historisch-kritischen Ausgabe befaßt (Joachimsen I/1925, XCII-CV). Seine noch heute zu beachtende Analyse beruht freilich nicht nur auf einem allzu kleinen Ausschnitt der Stimmen, etwa einem Viertel des hier Nachgewiesenen, wobei ausländische und nicht rezensierende überhaupt unbeachtet blieben, sondern hat auch eine zumindest unterschwellige Tendenz, die Dinge günstiger zu stellen, als sie sind. Sowohl im süddeutsch-katholischen als auch im norddeutsch-protestantischen, im besonderen konservativ preußischen Lager, wird Rankes Reformationsgeschichte gern als Verteidigungsschrift des Protestantismus gesehen, das heißt, von beiden Seiten tritt eine gewisse Instrumentalisierung im Kampf der Konfessionen ein. Während das Werk zweifellos zu einer Förderung des protestantischen, ja nationalen Selbstverständnisses und Selbstbewußtseins beitrug, - man sprach von der „sowohl religiösen als nationalen Berechtigung der Reformation“ in der Sicht Rankes ([Anonym:] Der gegenwärtige Stand/1855, 146) - entstand auf katholischer Seite der ebenfalls nicht unbegründete Eindruck, es vertiefe die bestehende Spaltung in der Nation. Auf einen höheren Standpunkt suchte sich der Politiker, Viel-Literat und glühende Bismarck-Verehrer Hans Blum (1841-1910), Sohn Robert Blums, zu begeben. Er charakterisierte seine Erzählung ‚Die Äbtissin von Säckingen‘ wie folgt: „Und diese Darstellung steht keineswegs auf dem Standpunkt des trennenden Glaubensbekenntnisses. Sie stellt sich vielmehr auf den Standpunkt, den der Altmeister Ranke in seiner Reformationsgeschichte allen Deutschen, Katholiken wie Protestanten, gewonnen hat: der alle Deutschen befähigt, mit gleicher Freude zu erkennen, welche Fülle von Segnungen diese schönste Erhebung des deutschen Gewissens, Gemütes, Glaubens und sittlichen Ernstes in Staat, Sitte, Wissenschaft, Gesellschaft, Kirche, dem Völkerleben der neuen Zeit geschenkt hat.“ (Lebenserinnerungen II/1908, 88). - Dabei sucht die katholische Kritik, deren fachliche und moralische Hilflosigkeit gelegentlich nicht zu übersehen ist, auch bei Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ ihr Heil häufig in Insinuationen. Die Kritiken insgesamt verfügen über eine weit größere Vielfalt an Gesichtspunkten und Argumenten als zum Beispiel bei Rankes ‚Preußischer Geschichte‘. Außer Fragen nach dem Verhältnis von Kirche und Staat, der historischen Bedeutung von Protestantismus und Papsttum, der selbst von protestantischer Seite ob ihrer Weichzeichnung nicht stets geschätzten Darstellung Luthers werden Grundfragen der Geschichtsanschauung berührt, dabei Rankes Objektivität und ‚Philosophie‘, ja sein Verhältnis zur Immanenz strittig beurteilt. Daneben steht, wie bereits bei den ‚Päpsten‘, seine Darstellungskunst zur Diskussion. Der Einschätzung Ludwig Häussers zufolge fanden „viele“ den Grund für eine Anerkennung der ‚Reformationsgeschichte‘ Rankes „in der glatten, anziehenden, eleganten Darstellung“ ([Häusser]/(1842),1869, 144), der Häusser allerdings persönlich ein besonderes Interesse entgegenbrachte (s. I, 199). Für eine pauschale Gesamtbeurteilung Rankes mag dieses Urteil zutreffen, bei seiner ‚Deutschen Geschichte‘ wurde indes öfter gerade der mangelnde Zusammenhang der Darstellung beanstandet, so auch, wie einleitend bemerkt, von Ranke selbst. Auch Julian Schmidt fand in seiner ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert‘, Rankes ‚Deutsche Geschichte‘ falle gegenüber den ‚Päpsten‘ ab (Schmidt I/1853, 331). - 229 -

I/2.1.5.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Deutsche Geschichte‘

Wie bei der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ und den ‚Päpsten‘, so war auch bei der ‚Deutschen Geschichte‘ Friedrich Carl von Savigny des Lobes voll. Am 9. Dezember 1839 schrieb er an Friedrich Perthes: „In dem Lobe über Rankes Buch [DtG] stimme ich ganz mit Ihnen überein. Es hat, neben dem neuen und wichtigen Inhalt, eine Frische und Lebendigkeit, wie man sie in unsrer massenhaften Literatur immer seltener antrifft, und wodurch der Leser in die günstigste Stimmung versezt [!] wird, das Dargebotene auch von seiner Seite lebendig aufzunehmen und zu fruchtbaren Gedanken zu verarbeiten.“ (Stoll II/1929, 518). Die konservative preußische ‚Literarische Zeitung‘ lieferte eine der ersten Besprechungen des Werkes. Fachlich ohne die geringste Bedeutung lobte sie den „freien, genialen Blick“ Rankes, mit dem er ein Werk geschaffen habe, „das uns in die Tiefen des menschlichen Glaubens, Wissens und Meinens“ hinabführe ([Anonym: Bespr. von DtG I u. II/Juli 1839], Sp. 523). Noch nie seien die politischen, literarischen und religiösen Gegensätze der Zeit „so scharf hervorgehoben worden“ (Sp. 524). Der bereits anläßlich seiner Kritik an Rankes ‚Päpsten‘ betrachtete Ignaz von Döllinger hielt auch diesmal nicht mit seinem Urteil zurück. In den ‚Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland‘ des Jahres 1839 vertrat er anonym eine dezidiert katholische theologische Position mit bisweilen predigthaftem Habitus, weit entfernt von quellenbezogenem Forschungsinteresse. Vielmehr begegnet auch hier ein unprofessionelles Archivalien-Vorurteil (s. I/2.1.2). Dazu ist aufschlußreich: „Als ob der Gang und die Bedeutung der Weltgeschichte, als ob die Erklärung der wichtigsten Weltbegebenheiten, als ob der Geist und das Wirken großer Fürsten und Helden aus dem Schutte und Moder zufällig erhaltener Druckschriften oder Pergamentstreifen zu erkennen und zu bemessen wäre!“ ([Döllinger: Bespr. von DtG I u. II]/1839, 660). Rankes Werk sei „eine Apologie der ‚Reformation‘“ (540), „die ganze Basis ... eine irrthümliche und verwerfliche“ (541), und was „über das Verhältniß zwischen Kirche und Staat angedeutet“ werde, müsse „als eine höchst verderbliche Ansicht erscheinen, nach welcher die Wesenheit des auf dem Gehorsame gegen eine überirdische Autorität beruhenden Glaubens zerstört, und die Religion der Politik dienstbar gemacht werden müßte“ (541). Die „ganze Stellung der römischen Kirche“ werde „als eine Usurpation, als Menschenwerk, als Geisteszwang, in Hinsicht auf ihre Verfassung sowohl als auf ihre Lehre, bezeichnet“ (544). In Rankes Darstellung, zumal der Luthers, würden „Dogma und Priesterthum ... als zufällige Formen und Ergebnisse der Scholastik und römischen Bestrebungen, der Gehorsam gegen die höchsten Autoritäten als ein durch die bessere Ueberzeugung des einzelnen Mannes bedingter, der Verstand als der höchste Richter in den wichtigsten Lebensfragen der Christenheit hervorgehoben.“ (552). „Die lange ununterbrochene Reihe der Priester, Bischöfe, Päpste...“ werde in Rankes Auffassung „zu einer Schaar von Götzendienern, von Werkzeugen eines bewußten oder unbewußten Betruges, bei welchem die Kaiser und Könige stattlich mitgeholfen, herabgewürdigt.“ (655). Ranke habe überdies eine „durchaus falsche Ansicht von der eigentlichen Bedeutung der dogmatischen Aussprüche der ... Concilien“. (661). - Die Besprechung endet mit einer Verurteilung jener idealistischen Philosophie, welche „das Absolute zu erfassen sucht in der Unbedingtheit und Ewigkeit des denkenden Geistes.“ (668), - eine Bemerkung, die vermutlich auf den beim bayerischen Kronprinzen Maximilian höchst einflußreichen Schelling gemünzt war. Auf eine nicht minder heftige Ranke-Kritik - „Insinuationen“ - des katholischen Gießener Professors der Kirchengeschichte, Kaspar Riffel (1807-1856, Weis, P. Anton: - 230 -

I/2.1.5.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Deutsche Geschichte‘

Riffel, Kaspar. In: ADB 28/1889, 606f.) wies Rettberg (1845, Sp. 224) hin. Sie findet sich wohl in der Mainzer Zeitschrift ‚Der Katholik‘, die ausdrücklich als Verteidigungsorgan des Katholizismus gelten wollte. Der Kritik der ‚Historisch-politischen Blätter‘ stellte sich die ‚Zeitschrift für Protestantismus und Kirche‘ zunächst anonym kurz in ihrem Dezemberheft von 1839 entgegen. Mit Häme konstatierte sie, die Beurteilung habe sich „hinter dem Ofen vor innerer Angst elephantenmäßig aufgeschwollen“ und „sich plötzlich in Dunst und Nebel“ aufgelöst, im übrigen bewiesen, daß Ranke kein Papist und „über Kirche, Priesterthum, Sakrament ganz anderer Meinung“ sei als das tridentiner Koncilium ([Anonym]: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation/1839, 92, Anm.). Der Rezensent ist vorwiegend an der Frage interessiert, welche Lehren sich aus Rankes Werk hinsichtlich einer „Erkenntniß und Verständniß der deutschen Kirchenerneuerung“ ziehen lassen (92). Eine Frage, in der Menzel und Leo „durch eine Unparteilichkeit, die nicht parteiischer seyn könnte, der Wahrheit und der evangelischen Sache geschadet haben...“ (ebd.). „Wie viel klarer“ sehe dies Ranke (93). - Die Zeitschrift wappnete sich jedoch erst im Mai 1840 zu einer eigentlichen Abwehr des Döllingerschen RankeAngriffs. Dem Aufsatz Döllingers widersprach dabei anonym möglicherweise Johann Christian von Hofmann (1810-1877), einer der frühen Hörer Rankes, „dessen Darstellung des Christentums in seiner weltumfassenden geschichtlichen Bedeutung“ ihn angezogen hatte (Kantzenbach, Friedrich Wilhelm: Hofmann, Johann von. In: NDB 9/1972, 454f., hier 454). Hofmann wurde später in Rostock ordentlicher Professor für Altes und Neues Testament (ebd.). Seinen Verteidigungsbeitrag gegen die „von aller Spur geschichtlicher Kennnisse entblößte Beurtheilung“ Rankes durch Döllinger ([Hofmann?]/1840, 88) brachte er im Mai 1840 mit dem Titel ‚Leopold von Ranke vor dem Richterstuhle der historisch-politischen Blätter‘ passend in der ‚Zeitschrift für Protestantismus und Kirche‘ unter. Dabei wird im wesentlichen nur die Kritik an Rankes Quellenverwertung zurückgewiesen, mit der Bemerkung: „Die historisch-politischen Blätter zeigen sich auch bei geschichtlichen Forschungen gut römisch-katholisch, nämlich der Schrift abhold und der Tradition ergeben.“ (ebd.). Auch der Herausgeber der Zeitschrift, Gottlieb Christoph Adolf (später: von) Harleß, wird als Verfasser angesehen (nach A. Portmann-Tinguely: Görres-Bibliographie 1993, 339. Zur Verfasserschaft siehe auch Merz/1934,107f.). Die ‚Historisch-politischen Blätter‘ ließen nicht ab von Ranke. Der bereits anläßlich der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ betrachtete Karl Ernst Jarcke hatte - konvertiert - anonym in die ‚Historisch-politischen Blätter‘ eine Artikelserie ‚Studien und Skizzen zur Schilderung der politischen Seite der Glaubensspaltung des sechszehnten Jahrhunderts‘ geliefert, deren elfte, 1841 erschienene Folge von ‚Luther’s Verhalten während des Bauernkriegs‘ handelte. Abschließend konnte er es nicht unterlassen, Rankes Lutherdarstellung mit einer ironisch-abfälligen Bemerkung zu versehen: „Dieß ist die historische Kunst des großen Geschichtschreibers Leopold Ranke, Professors der Geschichte zu Berlin und Mitgliedes der dortigen Akademie der Wissenschaften. Wenn die der Wahrheit abgeneigte Parthei so weit zurückgekommen ist, in einer absichtlichen Oberflächlichkeit ihr Heil suchen, und sich des affectirt leichtfertigen Drüberhinsehens als des letzten Mittels zur Verhüllung der Wahrheit bedienen zu müssen, dann ist die Zeit nicht mehr fern, wo diese wieder in ihre heilige Rechte [!] tritt.“ ([Jarcke]/1841, 192). - 231 -

I/2.1.5.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Deutsche Geschichte‘

Eine tendenziell ähnliche Fortsetzung der Döllingerschen Besprechung von 1839 fand 1843 Platz im 12. Band der ‚Historisch-politischen Blätter‘, mit ‚Bemerkungen über den IV. und V. Band‘ der ‚Reformationsgeschichte‘. Hier heißt es, wieder aus der anonymen Feder Döllingers: „Die ordinäre protestantische Auffassungs- und Darstellungsweise der Geschichte kömmt uns wie eine Art von Gasbeleuchtung vor, in welcher sich, vom neblichten Halbdunkel an bis zur Verklärung durch bengalisches Feuer, eine Menge künstlicher Nuancierungen bemerken lassen; nur Eines fehlt: das helle Sonnenlicht der Wahrheit. Einer der keckesten und gewandtesten Meister in jenen Taschenspielerkünsten ist offenbar der berühmte preußische Historiograph Leopold Ranke...“ (569). 1844 folgte ein Beitrag von Jodocus Stülz (1799-1872) über ‚Charitas Pirkheimer‘, der Ranke bewußte Irreführung in theologischen Fragen vorwarf (wie von Leonhardt/2004, 128f. erläutert). - In ihrer Ranke-Ablehnung gingen die ‚Blätter‘ so weit, den Protestanten und gar Konsistorialrat Karl Adolf Menzel (1784-1855) in beleidigender Weise über Ranke zu erheben. Eine 1847 erscheinende anonyme Besprechung von Band 12 der ‚Neueren Geschichte der Deutschen von der Reformation bis zur Bundes-Acte‘ Menzels (Breslau 1826-1848) erklärte: „Seitdem es bei uns eine Geschichtschreibung gibt, hat es keinen zweiten Meister der historischen Kunst gegeben, wie K. A. Menzel ...“ (HpBll 19/1847, 651). Sein Standpunkt sei „noch keineswegs der katholische ..., auf welchem allein der Historiker den Schlüssel zum Geheimniß der Geschichte und den rechten Einblick in die Wege Gottes auf Erden“ gewinne (651f.). Er stehe aber „an Redlicheit und Adel der Gesinnung eben so hoch über Ranke, wie an Geist und gesundem Urtheil über Friedrich v. Raumer“ (652). Die Begeisterung der ‚Blätter‘ erklärt sich aus einer Mitteilung des Ranke-Schülers Colmar Grünhagen (1828-1911): Ranke habe „sehr recht gehabt mit seinem Urtheil, übertriebenes Gerechtigkeitsgefühl für die Gegner“ habe Menzel „zu Ungerechtigkeiten gegen die Reformation verleitet, ein Vorwurf, der denn auch ganz besonders auf seine Darstellung des 30jährigen Krieges anzuwenden sein dürfte.“ (Grünhagen, Colmar: Menzel, Karl Adolf. In: ADB 21/1885, 380f.). Nach Durchführung seiner Besprechungen macht sich bei Döllinger nun das Bestreben geltend, der vergleichsweise hochqualifizierten protestantischen Geschichtsschreibung möglichst Gewaltiges und zugleich Vernichtendes entgegenzusetzen, eine begreifliche Tendenz, die später in den Werken von Janssen, Klopp und Pastor auf extreme Weise kulminierte. Döllinger, der in Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ „nicht bloß ‚eine Apologie der Reformation‘“ sah, „sondern insbesondere den Versuch, den Protestantismus als das Ideal von Kirche darzustellen ...“ (Friedrich, Teil II/1899, 240f.), veröffentlichte sein dreibändiges Gegenwerk ‚Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des lutherischen Bekenntnisses‘ in den Jahren 1846 bis 1848, um „den gewaltigen Eindruck von Rankes Reformationsgeschichte zu verwischen“ (Bornkamm/1955, 52). „Völlig dem Geiste Rankes und der neuen, nach Ursachen und inneren Zusammenhängen forschenden Geschichtsschreibung zuwider, war es kein Werk mit eigentlich historischen, sondern mit rein polemischen Absichten“ (ebd.). Die Spekulation, Ranke habe zu Band I des Werkes in der Berliner ‚Literarischen Zeitung‘ (Nr. 21, 14. 3. 1846), unter dem Titel ‚Die Reformation und des Professors I. Döllingers Ansichten von derselben’ „wahrscheinlich ... selbst“ eine Besprechung verfaßt (Friedrich Teil II/1899, 245), hat keine Wahrscheinlichkeit für sich. - Es berührt seltsam und läßt auf beträchtliche Wandlungen schließen, Döllinger zwar mit Verspätung (s. Ringseis IV/1891, 42), doch seit 1863 neben Ranke in den Sitzungen der ‚Historischen Kommission‘ wiederzufinden. Über Rankes Werk - 232 -

I/2.1.5.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Deutsche Geschichte‘

scheint der Professor der Kirchengeschichte und des Kirchenrechts öffentlich von nun an geschwiegen zu haben, wie er auch 1871 bei einem Treffen mit Giesebrecht, Gregorovius und Ranke schwieg, „stumm und in sich gekehrt, während Ranke vor witziger Rede sprudelte“ (s. II/7.2). In seinen späteren Lebensjahren distanzierte er sich gar von sich selbst und früheren Äußerungen über Ranke, indem er gestand, „viel von ihm gelernt“ zu haben. Ranke urteile „mit der größten Objektivität“ (Gesprächsäußerung, Brechenmacher/1996, 469, A. 141). - Sybel, präsidialer Nachfolger Rankes, bemerkte später in seiner Gedächtnisrede auf Giesebrecht und Döllinger anläßlich der Versammlung der Historischen Kommission im Jahre 1890, daß Döllinger Ranke 1868 angeregt habe, „einen von diesem bereits 1858 gestellten, damals aber als unausführbar zurückgelegten Antrag wieder aufzunehmen, die Herausgabe der Allgemeinen Biographie der Deutschen“ (Sybel: Vortrr. u. Abh./1897, 333). Döllinger stand übrigens mit einigen Ranke-Kritikern in Briefverkehr, so mit seinem Schüler Lord Acton und mit Johann Friedrich Böhmer. Die ‚Göttingischen gelehrten Anzeigen‘ welche sich - vermutlich in der Person Friedrich Wilhelm Rettbergs - 1835 in wenig geistvoller Weise mit Rankes ‚Päpsten‘ befaßt hatten (s. o.), brachten im Mai 1840 und im September 1841 Besprechungen der Bände I und II bzw. III der ‚Deutschen Geschichte‘, jeweils unter dem VerfasserKürzel R.-g., das wohl wiederum als ‚Rettberg‘ gedeutet werden darf. Der Rezensent betont stark den Wert des Werkes für das Verständnis der Gegenwart, lobt die „eindringliche Forschung, die durchaus klare Darstellung“ (Bd. 2/Mai 1840, 850) und die Heranziehung neuen archivalischen Quellenmaterials. Fachhistorische Vergleichs- oder Einordnungsmöglichkeiten fehlen ihm ebenso wie philosophische Fragestellungen. In der „Aufdeckung des Frappanten und Staunenerregenden“ sei die Kunst Rankes „unübertroffen“ (853). Der Rezensent beschränkt sich dann auf die Besprechung eines „besonders interessanten Puncts“, auf „die Frage nach dem Grunde, worauf die Berechtigung der protestantischen Fürsten auf die Gestaltung ihrer Landeskirchen beruht“ (855-859). - Die Beurteilung des „Meisters“, die Rettberg 1841 bei Band III des „wahrhaft Epoche machenden Werks für die Geschichte der Refomation“ (1384) vornimmt, erstreckt sich im wesentlichen auf Rankes Darstellungsweise (s. I, 203). Dem entsprechen auch Rezensionen der in Halle und Leipzig erscheinenden ‚Allgemeinen Literatur-Zeitung‘, die zunächst 1842 anonym für die Bände I-III, sodann offen unter Rettbergs Namen 1845 für die Bände IV und V der Reformationsgeschichte erschienen. (Eine dort im Okt. 1840 erschienene Kurzanzeige der Bände I und II war fünfzeilig und ohne Belang). Rettberg betätigt auch hier wiederum sein starkes Interesse an Rankes Darstellungsstil. Ihm kommt das an anderer Stelle näher zu betrachtende Verdienst zu, auf Stilmittel Rankes, besonders nachdrücklich auf den Zusammenhang von individualisierender Darstellung und Objektivitätsanmutung aufmerksam gemacht zu haben. Auf zeitgebundene reformationshistorische Einwände des von ihm nicht identifizierten Rettberg hat Joachimsen (DtG I/1925, XCIII) aufmerksam gemacht. Die ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ stellten 1840 unter dem Titel ‚Die Reformation in französischer und deutscher Auffassung‘ einen Vergleich der Rankeschen Reformationsgeschichte mit dem 1839 zweibändig in Paris erschienenen Werk von J. M. V. Audin an, betitelt ‚Histoire de la vie, des écrits et des doctrines de Martin Luther‘. Im Heft des 21. Juli wandte sich Rezensent 43 in einer nicht fachhistorischen, doch selbständig und prononciert formulierten, literarisch und philosophisch ausge- 233 -

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richteten Betrachtung dem Rankeschen Werk zu, „einer ebenso erfreulichen Erscheinung im Gebiete der historischen Literatur, als die des französischen obengenannten Werks widerwärtig für uns war“. Ausgehend von nationalistisch boshaften Vergleichen französischer Historiographie, welche „gar zu leicht in feile oder leidenschaftliche, gewissenlose Parteigängerei ausartet“, und deutsche, „der es nur um die Wahrheit an sich ... zu tun ist“, konstatiert der Rezensent doch für letztere wegen der angeblich reinen Sachbezogenheit eine häufige „Gleichgültigkeit gegen den geistigen Inhalt des Stoffes“. Insofern habe man sich in den meisten früheren Werken Rankes, „insbesondere“ seinen ‚Päpsten‘ „des Gefühls einer gewissen Kälte nicht erwehren“ können, „das uns bei allen Werken des menschlichen Geistes befällt, in denen die Kunst die Naturwahrheit überflügelt hat“, welch letztere man bei Ranke „mitunter mehr oder weniger“ vermißt habe. Diese Naturwahrheit erzeuge sich „nur aus einem unmittelbaren Hingeben und Identificiren an und mit dem Inhalt des zur Verarbeitung gegebenen Stoffes, ... aus dem gemüthlichen, reinmenschlichen Verhältniß des Subjects zum Objecte ... Dieses gemüthliche Verhältniß zum Stoff und dessen Inhalt kann bei dem Historiker in nichts Anderm als dem Antheil bestehen, den er der weltgeschichtlichen Idee ... stets bezeigt.“ (817). Der Rezensent schlägt von hier aus einen Bogen zum Problem der eigenwillig betrachteten Unparteilichkeit (s. I, 153f.). - Rankes ‚Reformationsgeschichte‘ stelle auch in dieser Hinsicht einen bedeutenden Fortschritt gegenüber seinen früheren - mitunter diplomatisierend indifferenten - Werken dar, durch „lebendigere Theilnahme an den dargestellten Begebenheiten“, „ausgesprochenere Gesinnung“, „größere Wärme der Darstellung, eine bedeutendere Schärfe des Urtheils und mehre [!] Bestimmtheit der Charakteristik“. So habe Ranke ein Werk geliefert, „das den wichtigsten Abschnitt der deutschen Geschichte ... kunstvoll und doch natürlich, fein und doch klar, mit mannigfaltigem Detail und doch übersichtlich, geistig verarbeitet und doch treu, besonnen und doch lebendig, vorurtheilsfrei und doch nicht charakterlos“ vor Augen führe, „ - wie bis jetzt noch nicht geschehen ist.“ Gleichwohl folgt dann eine manches zurücknehmende Einschränkung: Wäre Ranke „ein tieferer und energischerer Charakter gegeben“, so würde er „unter den Koryphäen der Historiographie überhaupt zählen ... Schade ist, daß die Natur nicht Schlossers Charakter und Ranke’s Geist in einem Individuum vereinigt hat.“ (818; s. auch I, 176). Mittlerweile war nach Döllingers konfessioneller Kritik von ganz anderer Seite ein neuer Angriff auf Rankes Reformationsgeschichte erfolgt. Die linkshegelischen ‚Hallischen Jahrbücher für deutsche Wissenschaft und Kunst‘ lieferten unter dem Kürzel r vermutlich Theodor Echtermeyer - einen Artikel für das Januarheft des Jahres 1840. Er enthielt die verantwortungsabweisende, möglicherweise fiktive briefliche Mitteilung eines nicht genannten „geistreichen Freundes“ zu Rankes ‚Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, bar jeglicher Fachkenntnis, welche auf das herabwürdigende Urteil hinauslief: „Anekdotengeschichte“, - ein Artikel, der vor allem unter dem Gesichtspunkt der Rankeschen Darstellungskunst zu betrachten war (s. I, 198f.). Darüber hinaus kündigte man aus anderer Feder eine fachliche Kritik an. Sie erschien im Herbst desselben Jahres, stammte von dem protestantischen Tübinger UniversitätsBibliothekar Karl August Klüpfel (1810-1894) und dürfte die Auftraggeber schließlich wenig gefreut haben (Siehe dazu Arnold Ruges Briefwechsel und Tagebuchblätter aus den Jahren 1825 bis 1880, I/1886, 214f. m. A. 2.). Möglicherweise hatte man übersehen, daß Klüpfel vordem auf einer Reise von Ranke in Berlin „freundlich aufgenommen“ worden war (Schneider, Eugen: Klüpfel, Karl August. In: ADB 51/1906, - 234 -

I/2.1.5.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Deutsche Geschichte‘

244f., hier 244). Seitdem ließ ihn das Thema ‚Ranke‘ nicht mehr los. Klüpfels Nähe zum Reformationsthema zeigt u. a. seine Bearbeitung der beiden Bände von der Reformation bis zur französischen Revolution in der ‚Allgemeinen Weltgeschichte für alle Stände mit besondrer Rücksicht auf die Geschichte der Religionen sowie auf das Bedürfniss der gebildeten Jugend beiderlei Geschlechts‘ von Ludwig Amandus Bauer (6 Bde Stg. 1836-1839) sowie seine auf Anregung Rankes unternommenen Studien zur Geschichte des Schwäbischen Bundes (s. II, 466). In seiner aktuellen Besprechung vom September und Oktober 1840 sah Klüpfel - dem Formulierer des „Anekdotengeschichte“-Vorwurfs gleichsam ins Gesicht schlagend - nach Rankes „trefflicher Geschichte des Papstthums“ in der ‚Deutschen Geschichte‘ die Reformation als „wichtige Bewegung deutschen Geistes ohne confessionelle, oder politische Befangenheit, ohne Beigeschmack einer theologischen Schule, mit dem großartigen Sinn, den der Gegenstand fordert, aufgefaßt.“ Rankes Werk stelle keine „politische Geschichte Deutschlands während der Reformation“ dar, sondern eine „eigentliche Reformationsgeschichte“ (Klüpfel/1840, Sp. 1709). Rankes ‚Päpste‘ und seine ‚Reformationsgeschichte‘ werden, wie Klüpfel mit Weitblick vermerkt, „forthin als eigentlich classische in der deutschen Geschichtslitteratur gelten.“ (Sp. 1697). Der Reformationshistoriker und Ranke-Editor Paul Joachimsen hat auf eingeschränkter Grundlage nahezu das Rechte getroffen, als er bemerkte, die Besprechung Klüpfels stelle „die weitaus tiefste und bedeutendste Würdigung der Reformationsgeschichte innerhalb der zeitgenössischen Kritik“ dar (Joachimsen in DtG I/1925, p. C). Dabei ist jedoch eine gewisse Abhängigkeit von der bemerkenswerten Besprechung der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ vom Juli des Jahres in Anschlag zu bringen, die Joachimsen unbekannt war. Klüpfel hat übrigens seine Ranke-Betrachtungen 1843 und 1844 fortgeführt (s. u.). Klüpfel sieht, und damit tritt er bereits 1840 den Interessen seiner Auftraggeber ein wenig näher, in diesem Werk Rankes eine „sehr fruchtbare Vorarbeit für eine Philosophie der Geschichte“ (Sp. 1698), ja, Ranke verstehe es, „das Leben selbst nach dessen geistigem Gehalt zu fixiren, er läßt uns die Arbeit des Weltgeistes selbst schauen. Die großartigen Begebenheiten und Resultate erscheinen in seiner Darstellung weder als willkürliche Producte menschlicher Thätigkeit, noch als Resultate einer ‚naturwüchsigen‘, mit mechanischer Nothwendigkeit fortschreitenden Entwicklung, sondern als freie Thaten des Weltgeistes, als Dramen, vom göttlichen Geiste gedichtet.“ (ebd.). Anders als die ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ bemerkt Klüpfel bei Ranke „vor Allem ein entschiedenes Bewußtsein von der Immanenz Gottes in der Welt. Die Geschichte ist ihm Offenbarung Gottes, Verwirklichung der Idee...“ (1698). Die Idee der Vorsehung sei für ihn „reale Wahrheit“ (1699), und die Reformation sei ihm „eine aus der Tiefe deutscher Nationalität und des religiösen Lebens hervorbrechende Erscheinung“ (1699). „Der durch das Ganze hindurchgehende Faden“ sei ihm „aber nicht der bloße logische Proceß, jenes reine Denken, in welchem eine einseitige philosophische Richtung den Kern der Welt und Alles Daseins sieht, sondern jenes volle Leben des Geistes, das weit mehr in sich schließt, als das bloße Denken. Dieser Geist ist ihm aber das allein Reale...“ (ebd.). Bemerkenswert, daß auch Klüpfel auf das damals wenig beachtete Prinzip der Individualität hindeutet, doch in konkreterer, auf die Akteure der Geschichte bezogener Weise: „Auf dieser tieferen Weltansicht beruht auch die Anerkennung der Individualitäten“: Die auftretenden Gestalten seien nicht „bloß ... Träger der Ideen“, sondern auch „Persönlichkeiten mit selbständigem Werth“ (ebd.). Rankes Luther-Darstellung gehöre „gewiß zum Besten, was je über ihn gesagt worden“ (1956). Eine ausführlichere Würdigung hätte sich der Re- 235 -

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zensent allerdings von Luthers hochbedeutender Schrift ‚An den christlichen Adel deutscher Nation‘ gewünscht (1964). - Kirche und Staat werden von Klüpfel, anders als in der dialektischen Betrachtung der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘, primär als „einander ergänzende Offenbarungen oder Verwirklichungen“ des „göttlichen Geistes“ angesehen (1700), und Ranke sei „unter den Neuern der erste“ gewesen, der die „dem Papstthum analoge Beschaffenheit des Kaiserthums“ „klar zum Bewußtsein gebracht“ habe (1707). - Damit sind hier pointiert Themen angesprochen, welche die Diskussion um die Substanz von Rankes Geschichtsanschauung bis heute mitbestimmen. Weitere Besprechungen des Werkes nahmen in schneller Folge ihren Lauf: Das ‚Theologische Literaturblatt‘ zählte am 26. Juni 1840 Rankes Werk unter die „tüchtigsten Vertheidigungsschriften des Protestantismus“ (D. H./1840, Sp. 617). „Ranke hatte in seiner Geschichte der Päpste eine kirchliche Unbefangenheit gezeigt, welche beinahe befürchten lassen mußte, er werde, wenn er an die Geschichte der Reformation selbst komme, wenn auch nicht in die Fußtapfen [!] eines K. A. Menzel, Fr. v. Raumer u. A. treten, doch die Berechtigung des päpstlichen Systems in einem für die Principien der evangelischen Kirche nicht sehr günstigen Sinne durchführen. Aber je näher der Verf. dem Schauplatze der kirchlichen Opposition im sechszehnten Jahrhunderte tritt, je genauer er ihre Gründe verfolgt, je treuer er sich ihre einzelnen Thätigkeiten aus den Quellen selbst vergegenwärtigt, desto beredter wird seine Vertheidigung der Reformation, desto entschiedener seine Verwerfung des römischen Princips.“ (Ebd.) „Die römischen Machinationen gegen die protestantische Kirche überhaupt und gegen Preußen insbesondere hätten, unseres Dafürhaltens, keine treffendere Widerlegung finden können, als durch das vorliegende Werk Ranke’s.“ (Sp. 618). Die ‚Jenaische Allgemeine Literatur-Zeitung‘ lieferte im September 1840, im vorletzten Jahr ihres Bestehens, unter dem Autorenkürzel A. Schr. eine Besprechung der ersten beiden Bände der ‚Reformationsgeschichte‘. Der Verfasser befleißigte sich dabei eines auffallend höflichen Tones gegenüber dem „hochverehrten, trefflichen“ Verfasser (413) und der „historischen Meisterschaft“ (386) dieses „eben so interessanten als gründlichen und geistreichen Buches“ (391), so daß man geneigt ist, an einen Schüler Rankes zu denken. Ranke nehme unter den neueren Historikern „wegen seiner umfassenden Quellengelehrsamkeit und seines hellen geistreichen Blickes ... eine eben so bedeutende als ehrenvolle Stelle ein.“ (385). Dies mag Paul Joachimsen dazu geführt haben, die Besprechung „fast enthusiastisch“ zu nennen und alles Abträgliche beiseite zu lassen (DtG/ed. Joachimsen I/1925, p. XCII). In die überwiegend nacherzählende, positiv gestimmte Besprechung ohne fachhistorischen Charakter und ohne konfessionell aggressive Polemik sind doch einige bemerkenswerte Andeutungen eingestreut, so über Rankes Unparteilichkeit. Er habe die damalige Religiosität „in ihrer Totalität mit ächt historischem Geiste, ohne Liebe und Leid oder Haß“ aufgefaßt (Sp. 393). Doch wisse er „überall den Standpunct der Beurtheilung anzudeuten“ (Sp. 396). Und wo Köppen später nur von „Redensarten“ sprach, da sieht der Rezensent der ‚Jenaer Allgemeinen Literatur-Zeitung‘ „Gedankenblitze ein Licht“ anzünden (396). Auch die von fast allen Rezensenten bemerkte Gegenüberstellung des religiösen und politischen Elements in der Reformationsgeschichte wird hier für „trefflich“ erklärt (393). Ein mehrfach geäußerter Vorwurf des Rezensenten betrifft die Proportionen der Darstellung, Rankes „aphoristische andeutende Manier“ (403. Siehe dazu I, 196). Von grundsätzlicherer Bedeutung ist die Feststellung, Rankes Darstellung der „Tendenzen der Bauern dürfte indessen noch mancher Ergänzung und Vervollständigung bedürfen“ - 236 -

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(411), oder in der Darstellung Friedrichs des Weisen seien die „Schattenseiten in seinem Charakter“ übergangen (397) und ein Wunsch, der später bei Gelegenheit von Rankes ‚Französischer‘ und ‚Englischer Geschichte‘ geäußert wird, „weniger ausführlich die auswärtigen Verhältnisse, die Schlangenwindungen der auswärtigen Politik, die Details der französisch italiänischen Kriege und der Schlachten und Feldzüge darzustellen, und sich dagegen noch mehr an seine eigentliche Aufgabe, an die ‚Geschichte der Deutschen im Zeitalter der Reformation‘ zu halten“ (413). Die abschließenden Bemerkungen des Rezensenten über Rankes „philosophische Auffassung und Betrachtung“, die „nicht eine in die Geschichte hineingetragene, sondern unmittelbar und unwillkürlich aus derselben hervorgehende und sich von selbst mit Nothwendigkeit gleichsam aufdrängende ist“ (414), tritt doch mehr als eine Pflichtübung auf, denn der Rezensent zeigt sich sonst nirgends an Fragen interessiert, die zu den bedeutenderen in den Besprechungen der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ von Juni/Juli 1840 und der Klüpfelschen in den ‚Hallischen Jahrbüchern für deutsche Wissenschaft und Kunst‘ vom Sept./Okt. 1840 zählten. Die auf Hegel zurückgehenden ‚Jahrbücher für wissenschaftliche Kritik‘ wurden damals immer noch von Seiten des preußischen Kultusministeriums unterstützt, kräftig zensiert und kaum noch gelesen (Obenaus/1973, 72, 75f.). Sie brachten im Oktober 1840 eine Besprechung der ersten beiden Bände von Rankes Reformationsgeschichte aus der Feder eines Rezensenten ‚Binder‘. Ob bei dessen erheblicher Kritik nicht nur der Einfluß des Ministeriums, sondern auch der gemeinsame Verlag (Duncker und Humblot in Berlin) von Besprechungsorgan und Besprechungsgegenstand noch eine mäßigende oder keine Rolle gespielt haben, wird kaum zu entscheiden sein. Bei dem Rezensenten dürfte es sich um den protestantischen „liberalen Theologen und Schulmann“ Gustav von Binder (1807-1885) handeln (s. ‚Ein Liberaler Theologe und Schulmann in Württemberg. Erinnerungen von Dr. Gustav v. Binder 1807-1885‘. Im Auftrag des Württembergischen Geschichts- und Altertumsvereins hg. von Max Neunhöffer, Stg. 1975). Binder veröffentlichte, immerhin thematisch passend, 1843 ‚Zwei Ablaßbriefe aus dem Stadtarchiv zu Heidenheim‘ und 1844 eine Abhandlung ‚Über den Nutzen der Geschichte und ihres Unterrichts, besonders auf Gymnasien‘ (Kgl. Gymnasium zu Ulm, Programm). Seine Besprechung bringt in ihren harmlosen Partien gelegentlich ein Lob aus für die „genauere“ oder „sehr lebendige“ Schilderung mancher Einzelheiten, beanstandet auch teils die Korrektheit, teils das Fehlen einzelner Chronologica (612, 620) und eine nicht überzeugende Periodisierung (609f.), erhebt aber im wesentlichen schwerwiegende Vorwürfe, die teils theologisch, teils hegelisch, auch fachhistorisch gegründet sind: zunächst den Vorwurf des „geflissentlichen Vermeidens eines tieferen Eingehens auf die religiösen Fragen“ (Sp. 607), sodann Rankes angebliche Auffassung einer gewissen Inferiorität der Kirche gegenüber dem Staat, auf dessen Seite „alle historischen Ehren“ kämen (Sp. 607). Hieraus leite sich die Ansicht her, „als sei die Reformation wesentlich nur das Product einer sittlich-politischen Erhebung gegen den römischen Katholicismus“ (608). Dabei sei der „innere Gegensatz in der Kirche selbst, die allmählige Befreiung des religiösen Selbstbewußtseins von der harten Knechtschaft des Gesetzes, wodurch allein die Reformation wahrhaft vorbereitet wurde, ... gänzlich übersehen“ (609). Bei seiner Beschäftigung mit Hegels Philosophie der Geschichte, auf die Binder ausdrücklich hinweist, habe sich gezeigt, daß „aus der Betrachtung des politischen Weltlaufs dem Geschichtschreiber das Unendliche nur als unerkannte Macht der Dinge überhaupt, als abstractes Schicksal“ resultiere. Wenn nun - 237 -

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der Historiker sich „nur mit seiner sittlich-politischen Einsicht auf das Feld religiöser Erscheinungen“ begebe, sei zu befürchten, „daß er uns mehr nur unbestimmte Reflexionen, erhabene Sentenzen u. dergl. ... darbieten werde“ (608). Bei Rankes Werk komme zudem sehr viel darauf an, ob die von ihm vorgenommene „Zurückstellung der religiösen Energie, welche in der Reformation sich kundgegeben hat, durch eine um so unbefangenere und liberalere Würdigung ihrer weltlichen Momente ersetzt werde.“ (Ebd). Insofern erscheint dem Rezensenten „die Ansicht des vorliegenden Werkes im Religiösen oft zu nüchtern und kühl, im Politischen bisweilen zu ängstlich“. Darunter habe auch „hie und da“ - nicht jedoch in Rankes zweitem Band mit einzelnen Abschnitten „künstlerischer Vollendung“ - die „Auswahl und Anordnung des geschichtlichen Stoffes ... gelitten“, weswegen man gern auf „eine Anzahl der abstracten, als bloßer Schmuck überflüssigen, als Erklärung unzureichenden Bemerkungen“ verzichten würde. Unter deren Einmischung habe die Darstellung anfangs „eine ungleiche, zerrissene Gestalt erhalten.“ (Ebd.). - Als allzu weit hergeholt erscheinen dem Rezensenten die zu Beginn des 2. Buches vorgeführten orientalischen Religionen: „Auf einem weiteren Umwege, als diesem, ist doch wohl die Nothwendigkeit der Reformation noch selten deducirt worden“ (613. Siehe auch I, 253). Hingegen erscheint die Darstellung des Bauernkrieges nicht umfassend genug (619), und die Darstellung Luthers ermangele der Tiefe, verbunden mit der von Ranke nicht hinreichend beantworteten Frage, „warum hat Ein Subject an die Spitze der ganzen Bewegung treten müssen, und warum ist gerade dieses Subject auf diesem und keinem andern Wege zum reformatorischen herangebildet worden?“ (614). Die ‚Hallischen Jahrbücher‘ glaubten offensichtlich, es sich schuldig zu sein, die vermeintlichen Klüpfelschen Verfehlungen im Sinne Hegels richtigzustellen und zugleich der ‚Jenaischen Allgemeine Literatur-Zeitung‘ vom September 1840 entgegenzutreten: In einem (noch mehrfach heranzuziehenden) anonymen Beitrag vom Mai 1841 über ‚Die berliner Historiker‘ behandelte Karl Friedrich Köppen besonders Gans, Raumer (sehr abwertend), Stuhr, Helwing, Ranke und Doenniges („Möge er sich immer mehr von Ranke emancipiren“, 438f.). Ranke selbst gilt der gelegentlich geistreiche, aber im Ganzen doch unsubtile Versuch einer allseitigen Vernichtung. Im „diplomatischen Pragmatismus“ seiner Geschichtsschreibung träten „substantielle Mächte, ideale Potenzen“ nur als „Redensarten“ auf: von philosophischer Anschauung sei bei ihm „keine Spur“ (431). Die in Wien erscheinenden ‚Jahrbücher der Literatur‘ hatten sich 1837 lobend über Rankes ‚Päpste‘ geäußert. Damit war es nun vorbei. In den Jahren 1841 und fortgeführt 1846 nehmen sie anonym Rankes ‚Deutsche Geschichte‘ vor, zunächst die Bände I bis III, sodann die Bände IV und V. Es handelt sich bei dieser Besprechung im Gesamtumfang von gut 200 Druckseiten um die umfangreichste je einem Werk Rankes zuteil gewordene kritische Studie, die auch - heute noch unverbraucht - zu den bedeutendsten zu zählen ist (Joachimsen in DtG I/1925 nennt sie nicht). Sie steht natürlich auf einem dezidiert katholischen Standpunkt, enthält jedoch keine der auf dieser Seite gelegentlich auftretenden Platitüden und Invektiven. Der noch unbenannte Verfasser dürfte erfahrener Historiker sein. Er zieht Schriften von Bensen, Gfrörer, Karstenbruck, Leo, Menzel, von Müller, Raumer, Rühs, Schroeckh und Voigt heran. So ist auch seine Kritik nicht primär philosophischer, theologischer oder literarischer Natur, jedoch getragen von bemerkenswerten allgemeinen Grundbeobachtungen. Es ist dies vor allem die als „Grundprinzip“ der Rankeschen Darstellung gedeutete „Nothwendigkeit eines - 238 -

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beständigen Kampfes zwischen dem nationalen und kirchlichen Elemente“, ein Prinzip, das der Rezensent aus österreichischer Sicht gänzlich verwirft, denn die Nationalität könne „mit dem religiösen, kirchlichen Prinzip nimmer in Widerspruch gerathen“, da sie „eine unzerstörbare Einheit“ bilden (Bd. 93, Jan./Febr./März 1841, 156). Dies zu stützen, sucht er in der Geschichte des Mittelalters aufzuzeigen, daß es sich „damals fortwährend um ein harmonisches Zusammenwirken beyder Gewalten ... gehandelt“ habe (161). Ranke kenne in der Mittelalter-Darstellung seiner ‚Päpste‘ „diese Meinung einer nationalen Opposition gegen die religiösen Institutionen und Autoritäten durchaus noch nicht“ (162, siehe auch 179). Doch nun sei es ihm darauf angekommen, „die Reformation als eben den Kampf der deutschen Nationalität mit dem religiösen Prinzipe ... nachzuweisen“ (157). Und zwar in der Weise, daß „die nationale Opposition gegen ... die kirchliche Hierarchie“ bereits in den Anfängen des Deutschen Reiches vorhanden gewesen, in der Reformation dann „in ihrer Allgemeinheit“ hervorgetreten sei (163) und „alles, was gegen die katholische Kirche geschehen, eine bloße n a t i o n a l e [i. T.] Bewegung und Fortschritt gewesen“ sei, „die leider durch die künstlichen Reaktionen der Gegner auf das nachtheiligste unterbrochen wurden.“ (Bd. 95, Juli/Aug./Sept. 1841, 28). - Eine weitere Grundthese der Kritik liegt in der Annahme, Ranke habe die Reformation „vorzugsweise als den Ausdruck der neueren Ausbildung des Menschengeistes in wissenschaftlicher und intellectueller Hinsicht“ aufgefaßt. Dieses Moment gelte ihm mehr als das religiöse. „Dadurch aber gewinnt ... jene Ueberzeugung ... immer mehr Raum: die Reformation habe, der Hauptsache nach keine religiöse Restauration bewirken können oder auch nur wollen, sondern dieselbe leitete ... eine bloße geistige Entwicklungsstufe ein“. Es haben also „nicht zwey verschiedene religiöse Elemente gegen einander gekämpft, sondern die Kirche ... führte nur einen Vertheidigungskrieg gegen die neben ihr aufwachsende, neue geistige Macht...“ (Bd. 96, Okt./Nov./Dez.1841, 25). Bemerkenswert auch die Zurückweisung der Rankeschen Auffassung, die Spaltung in der Nation sei erst durch die Gegner der Reformation eingeführt worden (Bd. 95, Juli, Aug., Sept. 1841, 7). Nicht ungefährlich, zumindest unangenehm für Ranke war die Behauptung des Rezensenten, von Ranke sei „bey weitem mehr Verschuldung von Oben her angedeutet“ worden, „dagegen die Opposition von unten herauf durch die Massen als nothwendige Gegenwehr erklärt“ (Bd. 93, Jan./Febr./März 1841, 173), wozu auch Rankes Satz herangezogen wird, daß sich in der Reformation „der nationale Geist nach Jahrhunderten langer innerer Bildung ... gleichsam selber inne“ geworden, „sich von der Ueberlieferung“ losgerissen habe. Da stelle sich die Frage: „Spricht dadurch nicht der Verf. gewisser Weise, ja unverhohlen die Revolution aus?“ (183). Ranke verstehe es auch, „offene Auflehnung gegen die legitime Gewalt und das wahrste anarchische Streben geistreich und künstlich genug zu verkleiden“ (Bd. 94, Apr./Mai/Juni 1841, 296). Zwar findet Rankes Darstellung gelegentlich Lob, so die Schilderung der „Lage der Dinge um die Mitte des funfzehnten Jahrhunderts“ und der vorreformatorischen ständischen Angelegenheiten (Bd. 93, Jan./Febr./März 1841, 163f.), ja es ist die Rede von „hinreißendster Darstellung“, freilich „oft in gefährlichste Dialectik“ ausartend (Bd. 96, Okt./Nov. Dez. 1841, 25), doch es wird auch stellenweise Unkenntnis (Bd. 114, Apr./Mai/Juni 1846, 159) und bewußte Irreführung vorgeworfen (162). In summa sieht der Rezensent Rankes Werk als „eine Tendenzgeschichte des reformatorischen Zeitalters“ an (131), allerdings nicht im gewöhnlichen platten Sinn, sondern insofern die Reformation als „das allein Berechtigte, das vorzugsweise Geltende“ auftrete, als „jenes geistige Fluidum, welches die älteren Zustände überwunden und als das allein Bestimmende des neueren Welt- 239 -

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und Kulturganges anzusehen ist“ (132). Auch suche er „die Moralität und den rechtlichen Moment in diesem großen geschichtlichen Drama möglichst in den Hintergrund zu stellen ... und mehr oder weniger die Zeit und die handelnden Personen als von einer unwiderstehlichen höheren Gewalt getrieben darzustellen.“ (132f.). Der bereits mehrfach bemühte, damals 24jährige, Schlosser nahestehende Heidelberger Privatdozent Ludwig Häusser, versehen mit ausgeprägten journalistischen und preußisch kleindeutschen politischen Neigungen, erhielt 1842/1843 erstaunlicherweise Gelegenheit, die Reformationsgeschichte Rankes - anonym - ausführlich in der Augsburger ‚Allgemeinen Zeitung‘ zu besprechen. Er hatte sich 1839 und 1840 erst nur durch kleinere Arbeiten ausgewiesen, die wenigstens historiographiegeschichtlicher und überlieferungskritischer Natur waren (s. Fuchs, Peter: Häusser, Ludwig. In: NDB 7/1966, 456-459), allerdings der Reformationsgeschichte fern lagen. Doch er trat den Themen Rankes noch näher, obgleich er diesem kaum wesensverwandt war: Durch seine 1845 erscheinende ‚Geschichte der rheinischen Pfalz nach ihren politischen, kirchlichen und literarischen Verhältnissen‘ (2 Bde, Heidelberg 1845) gewann er erstes Ansehen. Seine Ranke-Nähe zeigt sich thematisch später auch in der mehrfach aufgelegten ‚Deutschen Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes‘ (4 Bde, 1854-57). Ferner hielt er Vorlesungen zum Reformationsthema, die allerdings Ranke in ausdrücklicher Form nur in kurzen Literatur-Nachweisen berühren (‚Ludwig Häusser’s Geschichte des Zeitalters der Reformation 15171648‘. [Aus dem NL] Hg. von Wilhelm Oncken, Bln. 1868). Außer der Besprechung der ‚Reformationsgeschichte‘ lieferte er in den Jahren 1849 und wiederum 1852 bis 1856 mehrteilige Besprechungen der ‚Preußischen‘ und der ‚Französischen Geschichte‘ Rankes (s. u.). Seit 1858 gehörte Häusser, über den auch Berufungsgutachten Rankes für München und Berlin vorliegen (s. II, 327, 329), zu den Gründungsmitgliedern der ‚Historischen Kommission‘, was ihn als Rezensenten Ranke gegenüber zum Verstummen brachte, wohingegen diesem in seiner Rede zur Eröffnung der VIII. Plenarversammlung am 2. Okt. 1867 die Pflicht eines Nachrufs auf den früh Verstorbenen zufiel (s. II/6.5). - Häussers Besprechung nun von 1842/1843 widmet sich nicht der forschungsgeschichtlichen Bedeutung Rankes, wirft auch kaum philosophische oder theologische Fragen auf, befaßt sich vielmehr, abgesehen von dem üblichen Geschehensreferat, in erster Linie mit der Darstellungsweise Rankes und seiner ‚Objektivität‘. Das Treffende mancher Beobachtungen gerät jedoch in die Gefahr des Zwielichts, denn es ist gelegentlich fast unklar, ob Häussers Urteil aufs Ganze gesehen zu unentschieden oder gar widersprüchlich ausfällt oder ob er lediglich einzelne de facto uneinheitliche Befunde formuliert und daraus kein angemessenes Gesamturteil bildet. Doch kann letztlich kein Zweifel sein, daß in seinen emotionalisierten Verklausuierungen eine massive Objektivitätskritik vorgetragen wird (s. I, 165). Karl August Klüpfel wandte sich nach seiner positiven Besprechung in den ‚Hallischen Jahrbüchern für deutsche Wissenschaft und Kunst‘ von September und Oktober 1840 im Jahre 1843 der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ zu, mit einer Abhandlung über ‚Das philosophische Prinzip in der Geschichtschreibung‘, in der er wiederum das Thema der Rankeschen Reformationsgeschichte aufgriff, verbunden mit der in seiner Besprechung von 1840 bereits vorgebildeten allgemeinen Forderung einer Ideendarstellung. In den ‚Jahrbüchern der Gegenwart‘ veröffentlichte er im Folgejahr einen Beitrag über ‚Nationale Bestrebungen in der neuesten deutschen Geschichtschreibung‘. Auch hierin nahm er Bezug auf Rankes ‚Deutsche Geschichte‘: „Ranke - 240 -

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hat die Reformation als eine wesentlich deutsche Bewegung dargestellt. Die Beschäftigung mit kirchlichen und religiösen Dingen ist ihm ein charakteristisches Moment des deutschen Nationallebens und die Epoche der Reformation diejenige unserer Geschichte, in welcher die Lebensthätigkeit des Volkes in seinen kraftvollsten, productivsten Trieben stand. Die in Folge der Reformation eingetretene Trennung in zwei feindliche Parteien leitet er davon ab, daß der eine Theil durch fremden Einfluß der volksthümlichen Bewegung abtrünnig gemacht wurde, und daß ein Kaiser an der Spitze stand, welcher den deutschen Interessen fremd war. Es ist ... eine entgegengesetzte, aber gewiß viel wahrere, auf richtigerem Verständniß des Volksgeistes beruhende Ansicht, als diejenige, welche uns glauben machen will, der Protestantismus sei eine willkührliche Störung der nationalen Entwicklung. Auch in anderer Beziehung ist Ranke’s Werk für die nationale Geschichtschreibung von Wichtigkeit, es giebt ein Beispiel, wie das geistige Leben eines Volkes, dessen politische, religiöse, sociale und litterarische Seite als ein Ganzes aufgefaßt werden muß. Eine Geschichte von Deutschland, in dieser Art geschrieben, müßte der Idee entsprechen, welche wir oben davon aufgestellt haben.“ (650f.). - Später stellte er in dem mit Gustav Schwab erarbeiteten ‚Wegweiser durch die Literatur der Deutschen. Ein Handbuch für Gebildete‘, Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ das Werk von Karl Hagen gegenüber: ‚Deutschlands literarische und religiöse Verhältnisse im Reformationszeitalter. Mit besonderer Rücksicht auf Wilibald Pirkheimer (3 Bde, Erlangen 1841-1844): Dieses Werk kehre „eine früher vernachlässigte Seite der Reformation hervor“ und bilde „eine sehr wichtige Ergänzung zu Ranke.“ (Klüpfel/1870, 103). Klüpfel war es auch, der Hagen (1810-1868) einen biographischen Artikel widmete (ADB 10/1879, 341-343). In den Jahren 1841, 1843 und 1844 war Hagen, damals noch Heidelberger Privatdozent, mit seinem dreibändigen Werk hervorgetreten, das in mehrfacher Beziehung unter dem Eindruck von Rankes ‚Reformationsgeschichte‘ stand, doch nicht, wie das baldige Döllingersche Reformationswerk, polemischen, sondern in erster Linie ergänzenden Charakter hatte, wie sich schon im Titel zeigte. Zum einen hatte sich Hagen darin gleichzeitige Flugschriften aus der Windsheimer Stadtbibliothek zunutze gemacht (Klüpfel/341), eine Gattung, die auch Ranke nicht verachtete, zum anderen war es ihm darauf angekommen, gerade im Gegensatz zu diesem, wie er glaubte, nicht die äußeren Begebenheiten zu schildern, sondern „die geistige Bewegung, welche damals die Gemüther ergriffen hatte, zu schildern, darzuthun, wie sich die neue öffentliche Meinung gebildet...“ Die „äusseren Begebenheiten“ kenne man „hinlänglich aus den früheren Bearbeitungen, neuerdings aus der Ranke’s“ (Hagen II/1843, p. VII), dieser habe „die politische Seite“ der Reformationszeit behandelt (XII). „Ich glaube“, so schrieb er im Vorwort zu Band I, „daß meine Arbeit auch neben dem ausgezeichneten Werke Leopold Rankes nicht überflüssig ist, da ich ein viel spezielleres Ziel verfolge.“ (VI). Der Hauptzweck seines dritten Bandes bestand in dem Nachweis, „wie die protestantische Kirche ... schon in dem dritten Decennium des 16ten Jahrhunderts von dem Prinzipe der Reformation abfiel ... und daß hingegen die ächt reformatorischen Ideen von den ketzerischen Sekten und Parteien vertreten wurden ... Jene ketzerischen Sekten sind bisher viel zu wenig beachtet worden...“ (Hagen III/1844, p. VIII). „Neuerdings erst hat man auf sie aufmerksam gemacht, wie z. B. Ranke im dritten Bande seiner deutschen Geschichte.“ (IX, A. 1). - Es liegt auf der Hand, daß Ranke diesem Werk und seiner „demokratischen Richtung“ (Klüpfel/1879, 341), ja Modernität, nichts abgewinnen konnte, und Georg Waitz, der - 241 -

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sich stets zu seiner Verteidigung berufen fühlte, verfaßte 1846 in Briefform einen Beitrag betitelt ‚Deutsche Historiker der Gegenwart‘, in dem er darzulegen suchte, daß sich in Rankes Darstellung die Reformation „zu einem grossen Ziel, zu unvergänglichem Heil für das deutsche Volk und die Menschheit überhaupt“ hin bewegt habe, wohingegen Hagen mit der Behauptung hervorgetreten sei, „dass die Reformation ihre Absicht verfehlt, die Erwartungen der Zeitgenossen getäuscht, für die Nachkommen kaum etwas Segensreiches, Grosses und dauernder Anerkennung Würdiges geschaffen habe.“ (Waitz/1846, 16). Im Gegensatz zu früheren kritikarmen Beurteilungen der regierungsgestützten ‚Literarischen Zeitung‘ ist eine (von Joachimsen DtG/I/1925 wiederum übersehene) 1844 erschienene anonyme Besprechung der nunmehr in fünf Bänden vorliegenden ‚Deutschen Geschichte‘ bei allem vorgeblichen Bemühen, dem Werk Rankes nichts von seiner Bedeutung zu nehmen, doch von der Absicht einer Fundamentalkritik getragen, die man als überwiegend treffend bezeichnen muß. Ranke habe der „Reformationsepoche die Stellung gegeben, welche ihr in der Weltgeschichte zukommt, er hat die positive Bedeutung, welche sie hat, gefaßt und auf überzeugende Weise im Einzelnen dargelegt.“ (1078). Die ganze reformatorische und nachreformatorische Geschichte könne „nur vom protestantischen Prinzip aus richtig ... aufgefaßt werden“, und Ranke habe die Betrachtung auf diesen Standpunkt gehoben, „der vielleicht noch tiefer begründet, aber nie wieder umgestoßen werden kann. Von dieser Seite ist sein Werk gewiß klassisch zu nennen.“ (1079). Doch der Rezensent hätte erwartet, daß Ranke, der eine „Neigung zur philosophischen Betrachtung“ habe, sich dieser auch „ganz“ hingegeben hätte: „Unterdrücken läßt sich dieselbe doch nicht, wenn er ihr also nicht ganz folgt, so wird sie sich so äußern, wie wir es bei R. finden, nämlich in allgemeinen Sätzen, welche mit feinem Takte aus dem geschichtlichen Stoff abstrahirt oder ganz richtig auf denselben angewendet werden, denen aber in den meisten Fällen die letzte Bestimmtheit und Gewißheit fehlt“ (920). Auch habe eine „gründliche Durchführung“ des von Ranke betonten Gedankens einer Wechselbeziehung von Kirche und Staat nicht stattgefunden (921). „Wenig Auskunft“ werde man daher aus Rankes Werk über die Tatsache erhalten, daß die Reformation „ein ganz bestimmtes Moment, eine eigene Stufe“ in der Geschichte der „Ideen von Kirche und Staat“ repräsentiere (ebd.), und erschöpfend seien auch nicht Natur und Geist „der deutschen Nation in Bezug auf ihre Stellung innerhalb der christlichen Welt“ erforscht worden. (ebd.). Die Schilderung der religiösen Stellung des Papsttums sei lediglich gekennzeichnet durch eine Besprechung der „praktischen Mängel der Kirche“. Es hätte indes auch gezeigt werden müssen, „daß die Natur des Papstthums in religiöser Hinsicht kein Genüge leistete.“ Man habe hier ein „Beispiel davon, daß sich R. auf jene letzten Gedanken, welche den Grund der Dinge enthalten, nicht gern einläßt, während er allerdings die in der Geschichte unmittelbar liegenden allgemeinen Gedanken recht gut herauszuheben weiß“ (1083). Von Interesse ist auch die Verbindung, die der Rezensent in Rankes diplomatischer Quellenbenutzung und Darstellungsweise sieht. Ranke gerate bei der „unleugbar meisterhaften Dialektik“, mit der er „die Wendungen der Diplomatie“ verfolge, „so tief in dieses Netz hinein, daß er den anderweitigen Stoff nicht immer gehörig verarbeiten“ könne. Dies führe zu dessen äußerlicher Einbringung, in der Art: „da war es nun merkwürdig“ (1080) oder durch allgemeine Gedanken. Daher rühre auch seine Eigentümlichkeit, „unzählige, meist kleine Abschnitte“ zu bilden: „er theilt ins Unendliche, setzt die Theile zusammen, und kaum ist er in diesem Geschäft - 242 -

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begriffen, so unterbricht er sich wieder ...“ (1080). Dies eine Kritik, die mehrfach erhoben wurde, so auch bereits von Acton zu Rankes Papstwerk. Zwar sei Ranke darin „Meister, Uebersichten zu geben“, doch seien diese „in der Regel zu kurz, erstrecken sich meist nur über ein beschränkteres Gebiet, und ihre Anzahl ist daher zu groß“ (1080). Nach Erscheinen des fünften Bandes, im Jahre 1843, war der darstellerische Teil der Reformationsgeschichte an ein Ende gelangt. Der nicht unbedingt noch erwartete sechste Band mit ‚Urkunden, Auszügen und kritischen Bemerkungen‘ erschien erst 1847. Ranke wurde daher die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Marburg bereits im Mai 1844 zuteil. Theodor Brieger hat 1883 in einer Festrede bei der Luther-Feier der Universität Marburg dieser Verleihung gedacht und Ranke gerühmt als einen Mann, „welcher, der überzeugteste Protestant, seine historische Forschung frei von allen Einflüssen der Tagesströmungen betrieben“ habe, und Brieger fährt fort: „Die folgenden Jahrzehnte haben es glänzend bewährt, daß dieses Vertrauen begründet war. Denn wie gewaltig hat doch gerade durch seine strenge und freie Arbeit Leopold Ranke auf das Leben des deutschen Volkes, der protestantischen Welt gewirkt!“ (Brieger/1883, 24. Siehe dazu R.s Brief an Brieger, 18. 11. 83). Im Übergang vom vierten auf das fünfte Jahrzehnt scheinen auch die Besprechungen des Werkes zunächst ein Ende zu nehmen. Beiläufige Urteile finden sich nun jedoch in den unterschiedlichsten Veröffentlichungen. In Franz Bieses ‚Handbuch der Geschichte der deutschen National-Literatur für Gymnasien und höhere Bildungsanstalten‘ von 1848 wird vor allem die „genetische Anschaulichkeit“ der kunstvollen Darstellung Rankes hervorgehoben (683). - Ganz anders der Döllinger-Schüler Joseph Edmund Jörg (1819-1901), Mitarbeiter und bald Herausgeber der ‚Historisch-politischen Blätter‘. In seinem 1851 erschienenen Werk, provokativ katholisch betitelt ‚Deutschland in der Revolutions-Periode von 1522 bis 1526, aus den diplomatischen Correspondenzen und Original-Akten bayrischer Archive dargestellt‘ (Freiburg i. Br.), das ohne Rankes Vorbild nie entstanden wäre, nutzt er dessen ‚Reformationsgeschichte‘ an einigen Stellen (6, 13, 16, 17, 60, 67, 68), kritisiert jedoch an anderen die Darstellung, welche dort quellenmäßig unbelegt sei (85) oder „die der Wahrheit wenig“ entspreche (83, ähnlich 88, 91, 93, 95, 602). Seine schärfste Kritik lautet: „Für die künstlichen Täuschungen und absichtlichen Dementi’s, welche sich dieser Historiker zu Schulden kommen läßt, um in einem sehr kurzen Ueberblick die Haltung Luthers im Bauernkrieg zu verunschuldigen, hat ihn der Verfasser der ‚Studien und Skizzen‘ [s. o. Karl Ernst Jarcke/1846] ... nach Verdienst gegeißelt.“ (289, A. 12). - In dieses Fahrwasser begab sich auch Wilhelm Volk (1804-1869), der unter dem Pseudonym Ludwig Clarus publizierte. Er stand mit den Herausgebern der ‚Historisch-politischen Blätter‘ in enger Verbindung, verkehrte neben Vater und Sohn Görres mit dem konvertierten Georg Phillips, konvertierte selbst (s. Fränkel, Ludwig: Volk, Wilhelm. In: ADB 40/1896, 227-230) und verfaßte in missionarischem Eifer u. a. ein dreibändiges Werk mit dem Titel ‚Wanderungen und Heimkehr eines christlichen Forschers‘ (Schaffhausen Bd. I u. II 1862; Bd. III, 1863). In Band II (98-146) richtete er ein eigenes barock betiteltes Kapitel ein: ‚VIII. Capitel. Ranke’s deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, ein Muster, wie man nicht Geschichte schreiben soll, und wie empfindlich sich die Vernachlässigung des Grundsatzes: sine ira et studio et sine praejudicio namentlich in kirchlichen Dingen rächt. - Betrachtungen über diese geistvolle, fleißige und doch verkehrte Weise der historischen Forschung und Darstellung. - Die Fehler- 243 -

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haftigkeit dieser Weise wird auch in Raumers Auffassung Friedrichs des Großen speciell nachgewiesen.‘ - Mit Rankes Luther-Darstellung war man gelegentlich auch auf protestantischer Seite nicht ganz zufrieden. Häusser fand die derberen Züge in Luthers Natur nicht dargestellt (Häusser (1842)/1869, 164, s. I, 165). Sein Urteil wurde noch 1853 in der von Gustav Kühne herausgegebenen Zeitschrift ‚Europa. Chronik der gebildeten Welt‘ zustimmend aufgegriffen ([Anonym:] Ranke’s Luther/1853, 424, siehe auch ebd. 447f. mit weiteren Urteilen über Ranke und die Charakteristik Huttens). - Dem entsprach, wenn auch in bildhaft übertreibender Manier, das Urteil des Demokraten Johannes Scherr. Er fand, Rankes „diplomatische Schablone“ passe nicht auf Kolosse wie Luther, Cromwell und Friedrich Wilhelm I. von Preußen. Aus Luther habe er einen „diplomatischen Waschlappen“ gemacht (Scherr (1862)/1864, 176f.). Ferdinand Christian Baur hat in seinem 1852 erschienenen Werk über ‚Die Epochen der kirchlichen Geschichtschreibung‘ sein bedeutendes geistiges Potential nicht hinsichtlich einer tiefer gehenden Beurteilung Rankes ausgeschöpft. Er vergleicht darin lediglich den „subjektiven Pragmatismus“ Gottlieb Jakob Plancks (1751-1833) mit der „objektiv gehaltenen und ebendarum auch weit einfacheren und durchsichtigeren Geschichtschreibung“ Rankes. Für einen weiteren Vergleich empfiehlt Baur „besonders die bei den beiden Historikern wesentlich verschiedene Schilderung Carls V. und die ganze Periode vom Reichstag in Augsburg ... bis zum Ausbruch des schmalkaldischen Kriegs“ (176, s. I, 158: Baur, Kritische Beiträge zur Kirchengeschichte 1845). Bei seiner Übersicht über die geschichtswissenschaftlichen Institutionen und Fachrichtungen, über die Arbeiten an größeren Bereichen der deutschen „Gesammtgeschichte“ und der Landesgeschichte betrachtete ein anonymer Verfasser der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ von 1855 in einem bemerkenswerten eigenständigen Beitrag, betitelt ‚Der gegenwärtige Stand der deutschen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung‘ besonders auch die ‚Deutsche Geschichte‘ und die ‚Neun Bücher preußischer Geschichte‘. In ersterer habe Ranke die Reformationszeit „zuerst wieder in Verbindung mit der deutschen Reichsgeschichte gebracht, und die ganze politische Reformbewegung ... gleichsam neu entdeckt“. Die Dinge seien hier „von hoher Warte aus ... welthistorisch und staatsmännisch betrachtet, und die sowohl religiöse als nationale Berechtigung der Reformation mit aller Entschiedenheit ...“ vertreten ([Anonym:] Der gegenwärtige Stand/1855, 146). Mit dem Jahre 1867 belebte sich das Interesse an Ranke und an seiner ‚Deutschen Geschichte‘ wieder ein wenig, bildete diese doch den Auftakt der Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘, den man geschickt mit der Feier des 50jährigen Doktorjubiläums und damit auch dem 350jährigen Reformationsjubiläum zusammengelegt hatte. Doch fällt der Umgang mit seinem Werk ganz anders aus als bei dem ersten Erscheinen vor nahezu drei Jahrzehnten. Überwiegend wird auf den Inhalt dieser vierten Auflage nicht mehr eingegangen, das Erscheinen lediglich zum Anlaß klischeehaft euphorischer ‚Gesamtwürdigungen‘ Rankes oder knapper formaler Hinweise genommen, die gelegentlich gerade das Gegenteil von dem preisen, was in früheren Zeiten mehrheitlich geurteilt worden war. Auch ließ sich kein ausgewiesener Historiker finden, der eine ausführliche zusammenfassende Bewertung und historiographiegeschichtliche Einordnung des Werkes abgegeben hätte. Konfessionell geprägte Äußerungen finden sich kaum noch. Gelegentlich gewinnt man den Eindruck, daß - zum Teil mit beträchtlicher Verspätung - Pflichtübungen vorgenommen werden. Letzteres gilt für eine mit dem Kürzel pp. gezeichnete, außerordentlich nüchterne Besprechung, eher Anzeige des - 244 -

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Werkes, in Band 18, 1867, der ‚Historischen Zeitschrift‘, von der mancher anderes erwartet haben dürfte, die jedoch kein beurteilendes Wort, keine allgemeinen Gesichtspunkte bot, sich vielmehr auf formale Hinweise zu den Änderungen gegenüber der Vorauflage beschränkte. Dies entsprach einer Haltung, welche Sybels Zeitschrift auch gegenüber Rankes ‚Französischer Geschichte‘ einnahm (s. u.). Zu den interessanteren Würdigungen gehören hier einmal zwei Besprechungen des ‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘ vom Mai 1867 und Januar 1869. Ranke stehe neben Niebuhr als „zweiter moderner Classiker“ der deutschen Nation. Erst das „jetzt heranwachsende Geschlecht“, das „wieder nach den großen und eisernen Menschen“ suche und geneigt sei, „sich einer starken Leitung willig unterzuordnen“ - und solche Gestalten habe Ranke „in die Lichthöhe seiner Darstellung gerückt“ - werde ihm Popularität „voll und wirklich und wohl für lange Dauer zollen“ (Sp. 542). Die des öfteren geübte Kritik an Rankes schwächlicher Darstellung großer ‚Charaktere‘ von Luther über Heinrich VIII. bis zu Friedrich Wilhelm I. ist hier vergessen. Obgleich der Rezensent des ‚Centralblatts‘ bei dieser Neuauflage einige veraltete Zitate zu monieren hat, sind ihm doch Rankes „Resultate ... von dauernder und gemeingültiger Wahrheit.“ (Sp. 542). - Das ‚Centralblatt‘ vom 16. Januar 1869 fährt in dieser Art fort: Vorzugsweise an der ‚Deutschen Geschichte‘ Rankes habe „die jüngere Generation der Geschichtsforscher die methodische Arbeit gelernt“, habe sie „den künstlerischen Aufbau als ein unerreichbares Vorbild studiert“, - den Ranke bei diesem Werk selbst ganz anders beurteilte (s. I, 214) -, „ ... Tausende von gebildeten Laien sind durch dieses Werk Freunde einer ernsten geschichtlichen Wissenschaft geworden“ (Sp. 84). Auf eine inhaltliche Beurteilung verzichtet der Rezensent und hält nur noch einige mehr äußerliche Beobachtungen zu den Abweichungen der neuen Auflage fest. - Eine laienhafte und unkritische ‚Besprechung‘ lieferte auch das ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ 1867 in seinem 36. Jahrgang unter dem Autorenkürzel E. M. Worin Ranke „epochemachend in der Historiographie“ dastehe, sei seine Methode. Die Ergebnisse seiner Forschungen seien „längst Gemeingut“ geworden, seine Schriften würden „wegen ihres einfach [!] klaren Inhaltes und ihrer ansprechenden Form immer gern gelesen werden.“ (505). So hatte das bisher wohl kaum jemand gesehen, vielmehr war die allgemeine Meinung die gewesen, man könne ihn „populär ...eigentlich nicht nennen“, denn er setze „von dem Thatsächlichen zu viel voraus, als daß ein mit den Einzelheiten des Stoffes noch unbekannter Leser die feinen Anspielungen, die er macht, die Schlaglichter, die er da und dorthin wirft, die geistreichen Ueberblicke, die er gibt, gehörig würdigen könnte“ ([Anonym:] Der gegenwärtige Stand der deutschen Geschichtsforschung/1855, 116. Siehe ferner I, 189f.). - Auch der anonyme Rezensent des ‚Allgemeinen literarischen Anzeigers für das evangelische Deutschland‘ von April 1868 dürfte nur über geringe Lektürekenntnisse verfügt haben. Er urteilte entsprechend: „... sind seine Gedanken und Darstellungen ursprünglich, tiefsinnig und dabei wunderbar einfach, ja oft lieblich. Seine maßvolle Schönheit erinnert an Sophocles.“ (361). Da waren denn auch die zahlreichen gegen Ranke erhobenen ManierismusVorwürfe vergessen. - Von uneingeschränkter Bewunderung für den „Stifter der neuen historischen Schule“, „einen der ersten Historiker aller Zeiten“ und seine Darstellungskunst und Objektivität ist nun auch eine Kurzbesprechung der ersten elf Bände der ‚Sämmtlichen Werke‘ geprägt, die unter dem Kürzel φ am 20. Juni 1869 in der ‚Neuen Preußischen (Kreuz-)Zeitung‘ erscheint, aber wie ihre Vorgänger die ‚Deutsche Geschichte‘ nicht beachtet. - 245 -

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Rudolph von Gottschall, bereits mehrfach behandelt, nahm das Erscheinen der ‚Sämmtlichen Werke‘ zum Anlaß einer Besprechung der ersten zwölf Bände und des ‚Wallenstein‘, von vier Werken also, die er in den von ihm herausgegebenen ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ des Jahres 1869 unter dem Titel ‚Leopold von Ranke‘ zusammenfaßte. Auf den Inhalt der ersten sechs Bände, der ‚Deutschen Geschichte‘ also, ging er dabei nicht ein, denn im Falle ‚Ranke‘ hieße es, „Eulen nach Athen tragen, über seine großen Hauptwerke, welche der Nationalliteratur angehören, Neues sagen zu wollen“ (546). Vielmehr bietet Gottschall bemerkenswerte Darlegungen zu Rankes Darstellungskunst und Objektivitätsstreben im allgemeinen (s. I, 166f., 193, 201f.). Auch Rankes Schüler Reinhold Pauli faßte bei seiner Besprechung in der ‚Academy‘ vom 15. Mai 1872, fünf Jahre nach Beginn des Unternehmens, mehrere Werke Rankes, diesmal gleich sieben, zusammen. Wie Gottschall geht Pauli auf den Inhalt der ‚Deutschen Geschichte‘ nicht mehr ein, macht vielmehr aufmerksam auf Rankes Übernahme der vermeintlich von F. A. Wolf für die Philologie und von Niebuhr für die Geschichte geschaffenen systematischen Forschungsmethode, die von Ranke als feste Grundlage für jede Abteilung der Geschichte verallgemeinert worden sei. (193). Und wie Gottschall gibt er sich Betrachtungen über die Kritik an Rankes Darstellungsweise und ‚Objektivität‘ hin (s. auch I, 168). Nicht minder lassen die gleichfalls verspäteten ‚Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen‘ vom Juni 1873 den Inhalt des Werkes beiseite, nehmen vielmehr das „Nationalwerk“ der ‚Sämmtlichen Werke‘ zum Anlaß einer Gesamtwürdigung, in der Ranke „weite Universalität des Blickes, glänzende Darstellung im Lichte klarer Wahrhaftigkeit“, ja sogar „frische männliche und nationale Kraft“ zugesprochen wird (54). Hier, wie bereits bei Gottschall, wird eine Tendenz sichtbar, Rankes ‚Deutsche Geschichte‘ nicht mehr zu analysieren, doch jedenfalls zu nationalisieren, eine Tendenz, welche mit einer stellenweise auftretenden Heroisierung Rankes einhergeht, die auch möglicherweise Wilhelm von Giesebrecht zu Rankes 50jährigem Doktorjubiläum im Jahre 1867 ausgesprochen hatte: Die ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ sei „eine wahrhaft nationale That“, und er wies zugleich den Vorwurf zurück, daß Ranke „von den tiefen Bewegungen des eigentlichen Volksgeistes keine rechte Anschauung habe oder gebe“ ([Giesebrecht?:] Eine goldene Hochzeit/1867, 102). Neu war die Verteidigung freilich nicht, schon 1844 hatte Karl August Klüpfel in einem Beitrag über ‚Nationale Bestrebungen in der neuesten deutschen Geschichtschreibung‘ sehr ähnlich über die Themen ‚Volksgeist‘ und nationale Bedeutung geurteilt (s. I, 241). Ähnlich sah es August Kluckhohn anläßlich Rankes neunzigstem Geburtstag im Dezember 1885: Das Werk erscheint ihm als „das wichtigste Stück vaterländischer Geschichte“ (Kluckhohn (1885)/1894, 432). Dem pflichtete auch Hans Prutz bei, der die Bedeutung Rankes für die deutsche Nation in einem im August 1886 erschienenen Essay des Blattes ‚Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart‘, nicht abwegig, wenn auch übertrieben vor allem darin sah, daß die „Grundlage unsers nationalen Lebens, die deutsche Reformation ... doch eigentlich durch Ranke entdeckt und in ihr Recht eingesetzt worden“ sei (Prutz/1886, 158). Nun gab auch Sybel seine Zurückhaltung auf und erklärte im Überschwang seiner Gedächtnisrede auf Ranke, dessen ‚Deutsche Geschichte‘ sei „durchtränkt von der Begeisterung des deutschen Patrioten für die höchste That des deutschen Geistes“ (HZ 56/1886, 473). - Nur Rankes Bekanntschaft aus den Tagen seiner ersten Italien-Reise, der ihm gegenüber stets mit leichter Skepsis auftretende Katholik Alfred von Reumont, - 246 -

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hatte sich noch etwas Distanz bewahrt: „Man wird nicht behaupten können“, so ließ er sich über die ‚Deutsche Geschichte‘ in seinem Nachruf auf Ranke im Jahre 1886 vernehmen, „daß diese Darstellung ein völlig wahres Bild der deutschen Zustände gebe: dazu sind auch die inneren Verhältnisse und Regungen des Protestantismus und seiner verschiedenen Richtungen nicht scharf genug charakterisiert.“ (HJb 7/1886, 616), ein wohl treffendes Urteil. Wie ganz anders erschien gerade dies später - in der üblich verallgemeinernden Weise - Wilhelm Dilthey. Er schrieb in den nachgelassenen ‚Erinnerungen an deutsche Geschichtschreiber‘: „Rankes Geschichte der Reformation zeigt, wie erst der universale Überblick über ein Zeitalter den Z u s a m m e n h a n g [i. T.] in demselben aufschließt.“ (GS XI/²1960, 218). * D i e K r i t i k e i n e r k a t h o l i s c h e n T r i a s . - Von besonderer, wenn nicht Bedeutung, so doch Auffälligkeit ist die in den 1860er Jahren einsetzende Kritik einer in der Geschichte der Auseinandersetzung mit Ranke einmaligen Trias von Historikern, welche mehr in konfessioneller als politischer Hinsicht einander nahe standen, jedenfalls als verbündete Gegner Rankes anzusehen sind: Onno Klopp (1822-1903), Johannes Janssen (1829-1891) und Ludwig Freiherr von Pastor (1854-1928), denen Hurter und Döllinger vorausgegangen waren, Persönlichkeiten, welche in Glaubensdingen von tiefgreifenden bis extremen Überzeugungen, zum Teil mit kämpferischer Ausprägung, getragen oder getrieben waren. Klopps fast manisch zu nennende Ranke-Fixierung ist destruktiv ausgerichtet. Pastors früh angelegte Fixierung ist wohl in erster Linie von dem lebenslangen Wunsch bestimmt, Ranke zu übertreffen. Janssen nimmt Ranke gegenüber eine freiere Position ein, sein Urteil zeigt sich sachlich an Details interessiert. Die in diesem Kreis geäußerte Kritik richtet sich sowohl auf Ranke ad personam als auch auf die von ihm repräsentierte preußische, protestantische, vermeintlich kleindeutsche Geschichtsschreibung. Schon 1839 hatte Johann Friedrich Böhmer (1795-1863), legendärer Historiker und Archivar, welcher dem katholischen Glauben nicht allzu fern stand (Opitz, Gottfried: Böhmer, Johann Friedrich. In: NDB 2/1955, 393 f.), in einem Brief an Clemens Brentano geklagt: „Möchten doch von katholischer Seite auch auf dem Gebiete der Geschichte mehr Leute erstehen, die gründliche Kenntnisse mit richtigem Urtheil und einigem Talent in der Darstellung verbinden, damit die Andern, ich meine Ranke und Consorten, deren Einwirkung bedeutend ist, das Wort nicht allein behalten.“ (Böhmers Leben II/1868, 286). Dies galt auch noch einige Zeit für Bayern, wie die späteren headhunter-artigen Bemühungen Maximilians II. unter Beihilfe Rankes zeigen (s. II/4.1.2). In Österreich standen die Dinge nicht besser. Der Kunsthistoriker Anton Springer (1825-1891) schildert in seinen Lebenserinnerungen Eindrücke vom Stand der Geschichtswissenschaft in Österreich gegen Ende der 1840er Jahre, die dort „heimatlos“ gewesen sei: „Kein Studium lag so tief zu Boden“ - „Niebuhr, Ranke waren unbekannte Namen, ihre Bücher geradezu unauffindbar“ (Springer/1892, 99f.). Dem standen in Norddeutschland, nicht nur aus der Feder Rankes, bekanntlich bemerkenswerte Leistungen gegenüber. Ob sie stets von dem Selbstverständnis und Selbstbewußtsein des Ranke-Schülers Hartwig Floto getragen waren, möchte man nicht glauben. Er war der Überzeugung, „daß der Protestant, der in der Freiheit und in der Zucht des Evangelii aufwächst, vorzugsweise dazu berufen ist, historische Kritik zu üben, weil er am wenigsten Ursache hat, die Wahrheit zu verhüllen.“ (Floto/1856, 19). - 247 -

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Klopp, Janssen und Pastor suchten nach den umfangreichen Werken des späteren k. k. Hofraths und Reichshistoriographen Friedrich (v.) Hurter (‚Geschichte Papst Innocenz des Dritten und seiner Zeitgenossen‘, 4 Bde., Hmbg. 1834-42), und Ignaz (v.) Döllinger (‚Die Reformation...‘, 3 Bde, 1846-48, s. o.) dem von Böhmer geschilderten Mangel in Gegnerschaft zu Ranke mit größter Hingabe, betont exzessiver Archivarbeit und kodikologischem Monumentalismus abzuhelfen. Bevor der ursprünglich lutherische, 1873 konvertierte Onno Klopp zu einem entsprechenden vierzehnbändigen Werk ansetzte, verfaßte er 1861/1862 nach Beendigung einer dreibändigen antipreußischen Geschichte Ostfrieslands (1854-1858) in den ‚Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland‘ anonym einen Beitrag betitelt ‚Kleindeutsche GeschichtsBaumeister‘, welcher 1863 leicht verändert und um einen Beitrag über J. C. Bluntschli vermehrt wieder erschien. Hierin behandelt der Friedrich-, Bismarck- und überhaupt Preußenhasser Werke Häussers, Sybels und Droysens und wendet sich als Großdeutscher, der eine Reichseinigung unter der Führung Habsburgs erstrebt, gegen „die einseitig kleindeutsche Richtung in der deutschen Geschichtschreibung“, durch welche „die Thatsachen der Vergangenheit in ein falsches Licht gestellt“ würden und „verwirrend ... auf das Urtheil der Deutschen in der Gegenwart eingewirkt werde...“ (p. V). - „Meine Thesis nämlich ist, daß das Kleindeutschthum oder der Fridericianismus und der Protestantismus nicht zusammenfallen, daß dagegen das Kleindeutschthum, in ähnlicher Weise wie Friedrich II. selber persönlich den Religionskrieg predigte, es darauf anlege, den confessionellen Spalt der Deutschen auch zugleich zu einem politischen zu machen...“ (p. VII. Siehe auch: Onno Klopp: Der König Friedrich II. von Preussen und Seine Politik, Schaffhausen: Fr. Hurter’sche Buchhandlung 1867. 602 S.). - Im Hinblick auf Ranke unmittelbar ist der Beitrag Klopps über ‚Geschichte der preußischen Politik von J. G. Droysen‘ (HpBll. 48/ 1861, 886-917, zitiert nach der Buchausgabe v. 1863, 58-150) von Interesse: Klopp unternimmt dabei gelegentlich den Versuch, Droysen in einzelnen Punkten, sei es Abhängigkeit (104-106), sei es Abweichen von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ nachzuweisen. So zeige die Darstellung der Packischen Händel „sehr auffallende, und offenbar sehr lehrreiche Unterschiede“ (98). Andererseits folge Droysen „dem Herrn Ranke zu anderer Zeit nicht bloß in Thatsachen ...“, sondern ahme ihn „auch in geringen und unbedeutenden Kleinigkeiten des Styls, im Gebrauche der Inversionen, der Worte ‚doch‘ und ‚wohl‘, des Perfectes statt des Imperfectes u. s. w.“ nach. (96). Nach Möglichkeit werden bei der Konfrontierung Ranke-Droysen auch Ranke Fehler vorgehalten, so in der Beurteilung Hzg. Ludwigs v. Bayern (89-91). - In den Jahren 1875 bis 1888 erschien schließlich Klopps vierzehnbändiges Werk ‚Der Fall des Hauses Stuart und die Succession des Hauses Hannover in Großbritannien und Irland im Zusammenhange der europäischen Angelegenheiten von 1660-1714“ (Wien). Den ersten acht Bänden widmete Pastor in den ‚Historisch-politischen Blättern‘ der Jahre 1877 bis 1880 eine über hundertseitige Serienbesprechung, in der er Ranke gegenüber weit ausholte und ihm „protestantisch-preußische“ Parteilichkeit bei Quellenbehandlung und Darstellung in den ‚Päpsten‘, der ‚Französischen‘, ‚Englischen‘ und ‚Preußischen Geschichte‘ vorwarf. Schon bald folgte auch der mit Böhmer befreundete Johannes Janssen mit einer achtbändigen ‚Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters‘ (Freiburg i. Br., 1878-1894). Hierin ist Ranke mit kluger Zurückhaltung nur anmerkungsweise bezüglich weniger Details kritisch namhaft gemacht (so Bd. V/1886, 284, 546; Bd. VII/1893, 282). Überboten wurde beides durch Pastors sechzehnbändige (in - 248 -

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21) ‚Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters. Mit Benutzung des päpstlichen Geheim-Archives und vieler anderer Archive bearb.‘ (Freiburg i. Br. 18861933, div. Auflagen). Die Trias pflegte eine intensive Korrespondenz, in der die Kritik an Ranke rückhaltloser geäußert wird. Ergänzt wird sie durch Tagebücher und nahestehende Biographien. Geradezu als aggressiver Agitator betätigte sich Klopp in seinen Briefen. Aus dem Briefwechsel Hurters wird eine Nachricht Klopps von etwa Januar 1858 mitgeteilt, in der es hinsichtlich der Reformationszeit und nach Charakterisierung des schwachen, überschätzten Döllingerschen Werkes als eines „Arsenals“ und einer „reichen Rüstkammer“ heißt: „... Wir bedürfen eines anschaulichen Bildes, einer concentrirten Darstellung jener Zeit, lesbar für jeden gebildeten Deutschen, in welcher man erkenne, welche Schläge unmittelbar und mittelbar durch Luther dem kirchlichen Wesen, der wissenschaftlichen Bildung, der Gesittung, der politischen Einheit und Machtstellung unseres deutschen Vaterlandes zugefügt sind. Ranke’s sophistisches Werk ist mit grosser Kunst abgefasst: um die Sophismen aufzudecken, um nachzuweisen, dass er trotz seiner ‚ungedruckten Gesandtschaftsberichte‘ dennoch wesentlich in die Fussstapfen der Advocatenschrift des Hudanus wandelt, bedürfen wir eine Leistung die nicht bloss in Bezug auf den Stoff, sondern auch auf die Form, den künstlerischen Werth, sich ein hohes Ziel vor Augen steckt...“ (Hurter II/1877, 379). Im selben Jahr korrspondierte Klopp auch mit Franz von Löher: „Als Protestant erzogen und gebildet war ich lange der festen Meinung, daß der Geschichtsschreiber L. Ranke die marmorglatte Unparteilichkeit besitze, die man so oft ihm zugeschrieben. Wie sehr erstaunte ich, als ich überall da, wo ich selbständig meine Ansicht begründen mußte, zu ganz anderen, oft zu entgegen gesetzten Ergebnissen kam! Um es mit einem Worte zu sagen: ich erkannte, daß unsere bisherige deutsche Geschichtsanschauung ein schmähliches Unrecht gegen die [katholische] Mehrheit der Nation sei. Ich erkannte namentlich, daß die Geschichte des sechszehnten Jahrhunderts, durch Ranke selbst noch mehr, als zuvor völlig im Argen liege. Ranke ist ein Meister der Composition, und dazu ein Meister der ruhig kalten überlegenen Sprache; aber seine deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation ist bei dem Allen eine der einseitigsten Parteischriften.“ (22. 5. 1858, Briefe Onno Klopp’s/1923, 337f.). Im Herbst des Jahres legte er noch einmal nach, indem er die ‚Reformationsgeschichte‘ eine „Advokatenschrift“ nannte (31. 10. 1858, 341). 1865 hatte Rankes Schüler Wilhelm Maurenbrecher sein Werk ‚Karl V. und die deutschen Protestanten 1545-1555. Nebst einem Anhang von Aktenstücken aus dem spanischen Staatsarchiv von Simancas‘ zum Erscheinen gebracht und dieses Ranke gewidmet, wobei er erklärte, sich dessen Ansicht der Periode im Großen und Ganzen anzuschließen. Dies war verständlich, denn Ranke hatte sich 1863 für die Förderung des Projekts eingesetzt (s. II/4.1.2). Klopp verfaßte daraufhin anonym eine hauptsächlich gegen Ranke und Maurenbrecher gerichtete ‚Studie über den Kaiser Karl V.‘ für die zur Aufnahme antiprotestantischer Kritiken stets aufgeschlossenen ‚Historischpolitischen Blätter für das katholische Deutschland‘ des Jahres 1867. Mit Johannes Janssen korrespondierte Klopp über Ranke in den Jahren 1861 bis 1886. Noch 1874 findet sich hier die Zeitklage des nach Österreich Emigrierten über das Fehlen einer „historischen Literatur, durchtränkt vom Geiste katholischer Weltanschauung und lesbar“, gegenüber Ranke als dem „gefährlichsten aller dieser preußischen Lügner“ (6. Dez. 1874. Briefe von Onno Klopp an Johannes Janssen/1919, - 249 -

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484f.). In einem Brief vom 6. Okt. 1875 weist er Janssen an: „Ihre besondere Aufgabe aber ist es, den Ranke totzuschlagen in seiner Geschichte der Reformation. Sie werden mich nicht mißverstehen. Jedes polemische Wort gegen ihn, wenn es nicht der Nachweis eines gefälschten Aktenstückes ist, wäre zu viel. Aber ein positiver Aufbau jenem elenden Werke gegenüber muß es über den Haufen werfen. Rankes Werk ist nichts weiter als der aufgewärmte Sleidan.“ (496f.). Die Janssen zugewiesene Aufgabe bezog sich offensichtlich nicht auf eine Besprechung, sondern auf Janssens von 1878 an erscheinende ‚Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters‘. Mit Blick auf seine umfangreichen Archivarbeiten und seine ausgebreiteten Fachliteraturstudien kommt Klopp zu dem Eindruck: „Die Ranke, No[o]rden, Droysen und Konsorten mit ihrer gespreizten Unwissenheit sind zum Lachen.“ (2. Sept. 1879, 582). Wiard Klopp, der Sohne Onno Klopps, hat 1934 über ‚Die Beziehungen Ludwig Pastors zu Onno Klopp‘ geschrieben, wobei er ein Tagebuch Pastors und Teile des Briefwechsels Pastor-Janssen-Klopp nebst eigenen Erinnerungen verarbeitete, mit zum Teil vehementer Kritik an Rankes „preußisch-protestantischer Geschichtsmacherei und -verdreherei“ (31) in dessen ‚Päpsten‘, ‚Deutscher‘, ‚Französischer‘, ‚Englischer Geschichte‘ und ‚Wallenstein‘ (20, 23, 26f., 30-33, 49f., 63) sowie seiner „liederlichen“ Benutzung von Handschriften (31). Der Johann Friedrich Böhmer außerordentlich verbundene ordinierte Johannes Janssen besaß nicht die hochemotionale, aggressive Natur Onno Klopps. Das 1868 seinem Förderer errichtete bemerkenswerte dreibändige Monument ‚Joh. Friedrich Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften‘ nutzte sogar Ranke bei seinem Nachruf in der ‚Historischen Kommission‘ (s. II, 441). - Aus Janssens Feder wurden zwei anonyme Besprechungen von Werken Rankes bekannt, zum einen aus dem Jahre 1860 (s. I, 279-281) für die ‚Englische Geschichte‘, zum anderen von 1873 in milderer Form für den ‚Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ (s. I, 321). Auch in seiner Korrespondenz zeigte sich Janssen gemäßigt: An Onno Klopp schrieb er am 10. Dez. 1873: „Sie können kaum glauben, auf welchen Dingen ich Ranke attrappiert habe. Unter seinen Zitaten aus dem hiesigen Archiv [Frankfurt/M] ist fast kein einziges richtig!“ (Johannes Janssens Briefe I/1920, 440). Janssen hat „zahlreiche dieser Irrthümer, die namentlich die Benutzung von Archivalien betreffen“ in sein Handexemplar der ‚Deutschen Geschichte‘ Rankes eingetragen (ebd., A 2). Mit Klopp stimmt er auch in einem Brief vom 20. 6. 75 in dessen ablehnender Beurteilung Rankes überein (II/1920, 23). So am 30. 10.: „Über Ranke urteile ich wie Sie. Ich kann ihm furchtbare Verstöße nachweisen.“ (Ebd., 29). Ferner in einem Brief an Senator Dr. Johann Speltz, 16. 11. 81: „Wie wird die Zukunft über einen Schönmaler wie Ranke urteilen?“ (Ebd., 122). Janssens bereits erwähnte ‚Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters‘ rief einige Kritik hervor, der sich ihr Verfasser in zwei hochauflagigen Schriften mit dem Titel ‚An meine Kritiker‘ (Freiburg i. Br. 1882, 10. Tsd. 1883) und ‚Ein zweites Wort an meine Kritiker‘ (11. Tsd., Freiburg i. Br. 1883) entgegensetzte. Lediglich in ersterer nimmt Janssen Bezug auf Ranke, indem er, ähnlich seiner ‚Geschichte des deutschen Volkes‘, mit bewußter Zurückhaltung nur an sehr wenigen Stellen beiläufig und zusammenhanglos auf ihn zu sprechen kommt. Ein unbedeutender, aber Aufmerksamkeit erregender Kritikpunkt war bereits vor Jahrzehnten vorgetragen worden (E./1855, 122), nämlich, Ranke habe in seiner ‚Französischen Geschichte‘ (FranzG I, 3C. Aufl. 1877, 409) den Begriff der ‚Irregularitas‘ mißverstanden. Daraus habe sich seine unzutreffende Behauptung ergeben, die Pariser Domi- 250 -

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nicaner hätten erklärt, wenn ein Priester einen Tyrannen ermorde, so sei das keine Todsünde, sondern eine ‚Unregelmäßigkeit‘ (70f.). Janssen nun erklärt den Begriff hingegen als „physische oder moralische Mängel resp. durch letztere veranlaßte kirchliche Strafen...“ (Janssen: An meine Kritiker., 70f., A. 1). Des weiteren setzt sich Janssen hier u. a. mit der Kritik Baumgartens (Janssen’s Deutsche Geschichte. In: Beil. z. AZ, 8. 2. 1882) auseinander, welche betonte, man finde bei Janssen „nie und nirgends ... die entfernteste Aehnlichkeit mit dem, was man aus Ranke kennt“ (10). In der Tat, so Janssen, besitze seine Schilderung der Doppelehe des Landgrafen Philipp „nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit dem, was man aus Ranke kennt“ (163). Dies gelte auch für die von Ranke geschilderte „sittlich strenge Haltung“ des Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen. Sie habe „nicht die entfernteste Aehnlichkeit mit einer Enthüllung, welche Philipp von Hessen in einem Briefe an Butzer macht“. (163). - Nietzsche hat in seiner Streitschrift ‚Zur Genealogie der Moral‘ von 1887 den Unterschied der Reformationsgeschichten Janssens und Rankes in der üblichen übersteigerten Form anzudeuten unternommen: Hier die „moralistische Einfalt eines Landgeistlichen“ „mit seinem über alle Begriffe viereckig und harmlos gerathenen Bilde“, dort die „süssliche und rücksichtsvolle Schamhaftigkeit protestantischer Historiker“ (Nietzsche WW, 1. Abt., Bd. VII/1921, 454). Demgegenüber wünschte sich Nietzsche - ähnlich 1862 bereits Johannes Scherr - die Darstellung eines „wirklichen Luther“ aus der Feder eines „wirklichen Psychologen“ (ebd.). Wie Johannes Janssen Böhmer ein biographisches Monument errichtet hatte, so Ludwig von Pastor seinem Lehrer und väterlichen Freund Janssen, und wie später auf Pastor, so zeigte sich auch hier der Einfluß von Rankes ‚Päpsten‘ auf Janssens geschichtliche Studien (Pastor: Johannes Janssen/1892, 55). - Pastor zitiert eine „verbürgte Aeußerung“ von Waitz nach Erscheinen von Janssens ‚Geschichte des deutschen Volkes‘: „‚Janssen ist der erste jetzt lebende deutsche Historiker‘ - und damals lebte noch Ranke!“ (75). Dieser bedauerte übrigens, den Erinnerungen seines Amanuensen Theodor Wiedemann zufolge, in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ „eine Polemik“ gegen Janssens Werk unterlassen zu haben; „er glaubte, dieses Werk durch ein paar Bemerkungen wissenschaftlich vernichten zu können“ (WiedemannIII/1892, 98, A. 1). Zumindest wurde Janssen, nach der Einschätzung des allerdings ebenfalls katholisch ordinierten Hubert Jedin, im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts zum einflußreichsten katholischen Historiker Deutschlands (NDB 10/1974, 343f.). - Ranke habe, wie Pastor dessen Leistungen zusammenfaßt, für das Reformationszeitalter „neben der theologischen Seite die historisch-politischen Beziehungen in den Vordergrund treten“ lassen, bei Janssen kämen „noch umfassendere Gesichtspunkte“ zur Geltung, nämlich kulturhistorische und sozialpolitische (Pastor/1892, 85). Janssen biete für die Zeit von 1525-1555 „weitaus mehr“ als Ranke, besonders über das von diesem „arg vernachlässigte innere Leben der Nation“, zudem sei er besonders in archivalischen Angaben viel genauer (92). Zur Unterstreichung von Janssens Objektivität wird auf sein Urteil über Papst Clemens VII. hingewiesen, das „fast schärfer als dasjenige Ranke’s“ sei (95). Obgleich Pastor der Meinung war, Janssen habe „die ganze Sache“ viel tiefer aufgefaßt als Ranke, mußte er diesem doch zugestehen, es werde „stets eines der größten Verdienste Ranke’s bleiben, daß er, von der Großartigkeit des Gegenstandes erfaßt, zum ersten Male ein Bild von der Regeneration der katholischen Kirche im sechzehnten Jahrhundert entwarf, das grell abstach von den bisher üblichen Declamationen wider die ‚abgöttischen Papisten‘ (121. Weitere Einzelheiten dort 132). - 251 -

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Die Tagebücher, Briefe und Erinnerungen (Pastor/1950) des unter dem Einfluß Klopps und Janssens stehenden Pastor enthalten im Zusammenhang mit Ranke zahlreiche bedeutende oder zumindest kennzeichnende Äußerungen. Zwei Pläne Pastors werden dabei deutlich, wovon jedoch nur einer realisiert oder publiziert wurde: zunächst der gewaltige Lebensplan des Neunzehnjährigen, angesichts der „Parteilichkeit Rankes“ eine eigene Papstgeschichte zu schreiben, wozu seine Aufzeichnungen vom 5. und 8. Dezember 1873 und 8. Dez. 1874 besonders aufschlußreich sind (32f., 43, 48). Pastors Beanstandungen sind nicht neu, doch nimmt ihnen dies natürlich nichts von ihrer Berechtigung. Der weit verbreitete, besonders aus den Federn von Varnhagen und Scherr bekannte Harmonisierungs- und Abschleiftadel wird auch von ihm geübt: „Bei Ranke ist alles Markante der Zeit durch eine glättende, äußerst geschickte Feile hinweggewischt. Man kann den Charakter des 15. und 16. Jahrhunderts nicht mit Glacéhandschuhen zeichnen“ (zum 28. 2. 1875, 45). Altbekannt, bis auf Hegel und Heinrich Leo zurückgehend, ist seine Charakterisierung des Rankeschen Stils. Er gleiche „etwa einer chinesischen Porzellan- oder Detailmalerei, während der Stil Janssens an die altdeutschen Gemälde erinnert, in denen Anmut und Kraft vereinigt sind.“ (zum 6. Juni 1875, 58). Gleichwohl ist Pastor imstande, Rankes ‚Fürsten und Völkern I‘ eine anerkennende Beurteilung zu gönnen (zum 3. April 1875, 48f.). - Im Zusammenhang mit Rankes Darstellungsstil referiert er auch eine angebliche Äußerung Mommsens über Ranke: „bei Ranke sei das Charakteristische die Häufung der Einzelheiten, was [wie P. fortfährt] ich zum Teil bezweifeln möchte. Etwas Wahres ist jedoch sicher daran: Ranke erhält durch Anekdoten und geistreiche Züge stets das Interesse des Lesers wach und macht dadurch auch seine Ummodelung der Tatsachen weniger bemerkbar“ (zum 26. März 1875, 47). Beiläufig wartet Pastor mit einer Reihe weiterer angeblicher Äußerungen über Ranke auf, so von Heinrich Joseph Floß (zum 23. Juli 1875, 61), von Moriz Ritter über Ranke im Vergleich mit Döllinger (zum 28. Juli 1875, 62), von Georg Gf. Hertling über Ranke und den Begriff ‚Gegenreformation‘ (zum 24. 2. 1876, 72), von Onno Klopp über Rankes ‚Wallenstein‘ (Ende April 1877, 102), von Papst Leos XIII. über Rankes ‚Päpste‘: „Nicht wahr, das Buch dieses Berliner Professors ist in Leipzig gedruckt“ (zum 11. 2. 1879, 123). Das Thema ‚Gegenreformation‘ wird von Pastor mehrfach erwogen (zum 8. 12. 1874, 43, zum 2. u. 3. 6. 1875, 57f.). Klopp hielt den Begriff, der später besonders bei Moriz Ritter und Eberhard Gothein bis hin zu Heinrich Lutz und Thomas A. Brady eine Rolle spielen wird (s. I, 428, 655f.), für eine „Erfindung Rankes“, wie er in einem Brief vom 19. 10. 1886 an Janssen schrieb, für einen „Kunstgriff zum Zwecke der Befestigung des Begriffes, den man auf protestantischer Seite mit diesem Worte ausdrücken will.“ (Briefe von Onno Klopp an Johannes Janssen/1919, 599). - Pastor plante für sein Werk die Sicht einer Gleichzeitigkeit von Mittelalterende und Ausbruch der Kirchenspaltung, und es erschien ihm „unzweifelhaft“, daß „die Stellung der Päpste zu dieser Katastrophe bei Ranke zu kurz gekommen“ sei. Auch plante er zu Recht, daß sein Werk sich von dem des „Berliner Historikers“ durch eine ausführlichere Berücksichtigung des „kulturhistorischen Elements“ unterscheiden müsse. (Zum 2. 8. 1879, 136). Die Unterschiede sollten auch in einer größeren Sorgfalt und Präzision liegen. Nach Beginn seiner Archivarbeiten mußte er, wie bereits Klopp und andere (s. I/1.6) in Rankes Benutzung der römischen Handschriften „Ungenauigkeiten, Fehler und sogar ... eine Fälschung.“ vorfinden, auch sei Rankes Quellenauswahl „sehr willkürlich und unvollständig“ (zum 31. 7. 79, 135). - Von seinem zweiten rankebezogenen Vorhaben ist zum 4. 7. 76 die Rede, einem „Plan zur Kritik Rankes“ (87). Nachdem er diesem im März - 252 -

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1877 einen Besuch hatte abstatten dürfen (s. II, 499), ließ er sich im Juni in einem Brief an Klopp weiter über seine geplanten „Angriffe gegen Ranke“ aus (106f.), worauf dieser Ranke bezeichnete als jemanden, der „die Wahrheit nicht will“ (108). Zum 1. November 1882 notierte Pastor: „Mein alter Plan, ein Werk ‚L. v. Ranke als Historiker‘ zu schreiben, drängt sich mir täglich mehr auf. Habe ich mich doch mit keinem Historiker mehr beschäftigt als mit ihm.“ (169). Der Plan wurde wohl nicht realisiert, ein Werk dieser Art jedenfalls nicht publiziert. * S t i m m e n d e r a u s l ä n d i s c h e n K r i t i k . - Das ausländische Echo auf Rankes ‚Deutsche Geschichte‘ war geringer und ablehnender als das auf sein Päpste-Werk. Gelegentlich werden Vergleiche mit Jean-Henri Merle d’Aubignés (1794-1872) ‚Histoire de la Réformation du seizième siècle‘ (I-III, Bruxelles ²1841) angestellt. Während das Aufsuchen neuer Quellen gelobt wird, besteht weitgehend Übereinstimmung in der berechtigten Feststellung des Fehlens einer durchgängigen, zusammenhängenden Erzählung. Auch ein Mangel an Eindringen in die innere Geschichte der Reformation mit ihren theologischen Fragen wird beklagt. Wie später bei Rankes ‚Englischer Geschichte‘ ergeht sich auch jetzt die irisch-katholische Seite in harscher, kaum sachlicher Kritik. Der für mehrere bedeutende englische Reviews tätige Essayist und spätere Chefbibliothekar der ‚London Library‘, William Bodham Donne (1807-1882. Dictionary of National Biography, 1885-1900, Vol. 15/1888), unternahm in der ‚British and Foreign Review or European quarterly journal‘ des Jahres 1843 unter dem Titel ‚Histories of the Reformation‘ eine umfangreiche Besprechung der Werke Rankes und d’Aubignés, in welcher er die bei den drei ersten Bänden der Reformationsgeschichte in deutscher Ausgabe zutage tretende gründliche Forschung anhand neuer Quellen lobte. Er konstatierte jedoch eine „fragmentary conciseness“, welche dem Werk an vielen Stellen eher den Charakter historischer Notizen oder Illustrationen als einer verbundenen Erzählung verleihe. Andererseits wecke es großes Interesse durch die Bedeutung seines Gegenstandes und das starke Gefühl, mit dem sein Verfasser in Charakter und Beweggründe Luthers eindringe (101). Die formalen Vorwürfe begegnen auch in einem anonymen Artikel der ‚Times‘ vom 27. März und 9. August 1845, wobei diesmal die englische Übersetzung des Werkes zugrunde liegt. Der Rezensent glaubt, bei aller Wertschätzung, die Ranke in Deutschland und England erfahre, feststellen zu müssen, daß sein Ton gegenüber der wunderbaren Unparteilichkeit der ‚Päpste‘ nun doch entschieden protestantischer geworden sei, ja, daß er gelegentlich zum glühenden Parteigänger werde. Auch stelle sein Werk eher eine bedeutende Kompilation als eine Geschichte dar (9. Aug. 1845, 7). Ob es Ranke an Überblick über die großen Stoffmassen gemangelt habe oder ob ihm anderweitige Beschäftigungen zu wenig Muße gegeben hätten, das mit so großer Mühe Zusammengebrachte bedürfe noch der Gestaltung. Letztlich habe er doch eher den Part eines tatkräftigen Pioniers als den eines gestaltenden Künstlers gespielt. Der Fluß seiner Erzählung sei weder zusammenhängend noch sehr klar. Obgleich sich Passagen von bemerkenswerter Kraft und von Geist finden ließen, seien Feldzüge und Schlachten aufs Ganze gesehen in einer schwerfälligen und gelegentlich ziemlich unverständlichen Weise beschrieben. Sehr befremdet zeigt sich der Rezensent über den von Ranke - 253 -

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indirekt nahegelegten Vergleich von Reformation und gleichzeitigem Wandel in der Religion des Islam und in Hindustan, was ihn zu dem erfrischenden Ausruf veranlaßt: „What a dream is this!“ (7). Ähnliches war schon 1840 in den ‚Jahrbüchern für wissenschaftliche Kritik‘ angeklungen (s. I, 238). Der unsachlich operierende Rezensent der katholischen ‚Dublin Review‘ vom Juni 1845 beginnt mit einem Rückblick auf Rankes ‚Päpste‘: „a graphic sketch of biography, but never can become authority, never can be considered as a truthful record of past events fairly told ...“ (284). In seiner ‚Deutschen Geschichte‘ nun - die noch nach der deutschen Ausgabe besprochen wird - walte ein Ton der Selbstzufriedenheit und Genugtuung vor, der für Rankes Landsleute sehr charakteristisch sei und kaum einer preußischen Hervorbringung fehle (ebd.), eine sich hinziehende Studie von Selbstgefälligkeit, eine Beweihräucherung der preußischen Nationalität und eine ebensolche von protestantischer Nichtigkeit und Stolz (285). Die anonymen Besprechungen der von Thomas Price herausgegebenen Londoner ‚Eclectic Review‘ von 1846 und 1847 stellen, wie die der ‚British and Foreign Review‘ von 1843, einen Vergleich mit der Reformationsgeschichte von Merle d’Aubigné an. Da Rankes Werk bei großem Kombinations- und Darstellungsvermögen doch nur wenig beitrage zur Erörterung der geistlichen Konflikte und theologischen Diskussionen der deutschen und schweizer Reformer, überhaupt mehr dem äußeren Leben der Reformation zugewandt sei, sollte es in Verbindung mit dem D’Aubignés gelesen werden und nicht stattdessen (Bd. 19/1846, 346). Diesem Urteil entspricht teilweise auch ein Eintrag, den John Lord Dalberg Acton am 26. Juni 1857 in seinem römischen Tagebuch vornahm: „Ranke’s Reformation not good. He has never understood or explained the importance of the religious movement. He did not know, and he did not wish to do so.“ (Acton: Papers ed. Butterfield/1955, 219). - Eine anonyme Besprechung der Londoner ‚Academy‘ von 1873 schließlich zeigt nur noch geringes Interesse an ihrem Gegenstand: Ein Dutzend Zeilen gönnt sie dem Werk des „father of the modern critical school in Germany, and perhaps the most celebrated historian living“. Für Frankreich, wo zwar Rankes ‚Päpste‘ in Übersetzung erschienen, nicht jedoch, wie bemerkt, seine ‚Deutsche Geschichte‘, ließen sich keine Besprechungen nachweisen. Beurteilungen finden sich indes zumindest in drei umfassenderen Artikeln, bereits mehrfach herangezogenen wichtigen Dokumente internationaler historiographiegeschichtlicher Deutung, welche das anhaltende französische Interesse an der zeitgenössischen deutschen Geschichtswissenschaft bezeugen. Wie manch anderer deutscher oder englischer Rezensent konstatiert Pascal Duprat in seinen ‚Études critiques sur les historiens allemands contemporains. I. Léopold Ranke‘ der Pariser ‚Revue indépendante‘ von 1843, Ranke habe in seiner Reformationsgeschichte mehr die äußere Entwicklung dieser großen Revolution (der Reformation) untersucht als ihre innere Geschichte (381). - Aus dem Jahr 1854 liegt ein entsprechender Artikel von Saint-René Taillandier vor: ‚Historiens modernes de l’Allemagne‘. Wieder wird hier der mangelnde Zusammenhang der Darstellung beanstandet: Die ‚Päpste‘ seien Rankes bestes Werk (53), nicht die ‚Deutsche Geschichte‘, welche vielmehr eine Folge von Bildern biete. Statt der feinen Studien hätte man sich ein großes Fresko gewünscht (65). - Jules Grenier bringt in seinem Beitrag zur ‚Revue germanique‘ von 1859 mit dem Titel ‚Historiens allemands contemporains‘ einen neuen, modernen Gesichtspunkt zur Sprache. Rankes ‚Deutsche Geschichte‘ kreise mit den ‚Päpsten‘ und der ‚Französischen Geschichte‘ um die grundlegende Idee der Errichtung des protestantischen - 254 -

I/2.1.5.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Deutsche Geschichte‘

Prinzips in der Politik, wonach also die Reformation nicht nur den intellektuellen und moralischen Horizont der Menschheit erweitert, sondern auch eine neue politische Welt begründet habe (328). Letztlich verfällt 1862 die in Paris erscheinende ‚Nouvelle biographie générale depuis les temps les plus reculées jusqu’à nos jours avec les renseignements bibliographiques et l’indication des sources à consulter‘ wieder in den Vorwurf, Ranke habe, trotz viel geübter Unparteilichkeit, in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ zum Ziel gehabt, Luther und sein Werk zu verherrlichen (Bd. 41/395).

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6. Kapitel (I/2.1.6) ‚PREUSSISCHE GESCHICHTE‘ 1847-1848 Wilhelm Dilthey sah mit 1848 „die Wendung zur neuen politischen Zeit“ eintreten. Von da an sei das politische Interesse herrschend geworden und die politische Geschichtsschreibung habe sich umgebildet: „Sie wurde national und liberal“. In „diesem Moment“ habe Ranke seine ‚Preußische Geschichte‘ verfaßt (Dilthey: Vom Aufgang des geschichtlichen Bewußtseins. Ges. Schrr., XI/²1960, 220). Daraus könnte man schließen, Rankes Werk sei durch die revolutionären Ereignisse beeinflußt, vielleicht sogar im liberalen Sinne. Davon kann jedoch keine Rede sein. Abgesehen von Rankes lebenslanger streng konservativer Ausrichtung, waren die beiden ersten Bände noch 1847 erschienen und natürlich früher verfaßt. Der abschließende dritte Band erschien 1848. Das Werk war keine ‚Preußische Geschichte‘ und trug daher den vorsichtig unbestimmten, partitiven Titel ‚Neun Bücher preußischer Geschichte‘. Lediglich der erste Band erlebte eine zweite Auflage. Das Werk ruhte sodann ein Vierteljahrhundert und wurde von Ranke erst anläßlich der Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ 1874 überarbeitet, zeitlich erweitert und, um Analekten vermehrt, unter dem Titel ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘ wieder herausgebracht. Die mit insgesamt drei Subskriptionen auf eine 1., 2. und 3. Gesamtausgabe der Werke verbundenen Lieferzwänge führten in den Jahren 1878 und 1879 zu einer zweiten, letzthändigen Auflage. Im Ausland blieb das Werk ohne größere Wirkung, was vielleicht dem Mangel an Übersetzungen geschuldet ist oder diesen erst verschuldet hat. Lediglich in den Jahren 1847 und 1849 (mit Reprint in 1969) sind Übersetzungen in England erschienen (s. II/9.4). An Besprechungen ließen sich insgesamt rund vierzig nachweisen, wovon - und dies spricht nachdrücklich für das geschwundene Interesse - trotz der international und in Preußen-Deutschland mittlerweile immens gewachsenen Presse lediglich ein Viertel den 1874 erschienenen ‚Zwölf Büchern‘ zuzuweisen war. Zunächst sah es so aus, als hätte Rankes erwartetes Werk ein Erfolg werden können. Doch es wurde sein größter Mißerfolg und nach den überwiegend positiv aufgenommenen ‚Päpsten‘ und der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ ein tiefer Sturz des 1841 zum ‚Historiographen des preußischen Staates‘ Erhobenen, der mit diesem Werk seiner Verpflichtung nachgekommen war, jedoch damit auch seinen Ruf als charakterschwacher ‚Hofmann‘ befestigte und das bereits durch die Unbestimmtheiten seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ angekränkelte Ansehen seiner ‚Objektivität‘, vor allem seiner historisch-politischen Urteilsfähigkeit weiter zersetzte. Rankes ‚Preußische Geschichte‘ stieß nicht nur im Inland, auch im Ausland, nicht nur bei Liberalen und Laien, auch bei Historikern und Konservativen auf Ablehnung, ja, das liberale Moment der Kritik war nicht einmal das ausschlaggebende. Hier wurde eher ein gesellschaftlich und parteilich übergreifender, historisch geprägter preußischer Patriotismus gekränkt, denn es kollidierte dabei ein vor allem an kantigen Gestalten und starken Taten orientiertes traditionelles Geschichtsbild mit Rankes weichgezeichneten, diplomatisierten, von Roheiten befreiten, ästhetisch veredelten Wesen, die, zumal gesteigert durch die üblichen Rankeschen Exklusionen des Bekannten, in den Zusammenhängen und Reizen eines vor Augen stehenden vertrauten Gesamtgemäldes wie Fremde erscheinen mußten. - 256 -

I/2.1.6 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Preußische Geschichte‘

Zumindest drei sogleich nach Erscheinen des ersten Bandes einsetzende Besprechungen waren noch des Lobes voll. Die in Berlin erscheinende ‚Literarische Zeitung‘ wandte sich am 4. August verdächtig vorauseilend gegen nahezu jeden der üblicherweise berührten Kritikpunkte, indem sie schrieb, dieses Werk „unseres Historiographen“ schließe sich „würdig den früheren“ an, übertreffe sie wo möglich noch, „da an die Stelle jener manchem Mißtrauen unterworfenen Gesandtschaftsberichte“ jetzt die Resultate von Forschungen aus „vaterländischen Archiven“ getreten seien. „Neben dieser Solidität und der Tiefe des Eindringens in die speciellen Verhältnisse vermissen wir weder die höhere Betrachtung vom weltgeschichtlichen Standpunkte aus, noch den belebenden Geist, welchen der Verf. selbst dem scheinbar dürren Stoffe einhaucht, noch endlich den damit verbundenen Glanz der Darstellung und die in einer ebenso überzeugenden als anschaulichen Gruppirung sich darlegende kritische Beherrschung der Thatsachen.“ ([Vf.] 1971/4. Aug. 1847, Sp. 1006). Das Lob wird verständlich, wenn man berücksichtigt, daß die ‚Literarische Zeitschrift‘, der auch Rankes früher und loyaler Schüler Siegfried Hirsch (1816-1860) nahestand (s. I, 261f.), „besonders die Bestrebungen des Ministeriums Eichhorn“ vertrat, wie schon Georg Waitz in Hirschs Biographie (ADB 12/1880, 468-470) bemerkt. Johann Albrecht Friedrich Eichhorn zählte als preußischer Kultusminister zu Rankes Freunden und Förderern (s. II/7.2), mit dem er zeitweilig täglichen Umgang pflog. In der Tat hatte sich Eichhorn, „gestützt auf Vorschläge Rankes und Alexander v. Humboldts, das Blatt mittels Zuschüssen gefügig gemacht.“ (Obenaus/1973, Sp. 90). - Auch die offiziöse Berliner ‚Allgemeine Preußische Zeitung‘ wußte, was sie dem Historiographen des preußischen Staates schuldig war und schrieb am 22. August 1847 in einer unbedarften, zumindest gewollt wohlwollenden Nacherzählung ohne nennenswerte beurteilende Elemente über „unseren kenntnißreichen und talentvollen L. Ranke“: „Alle seine Schriften haben dies Gepräge, es sind Bilder für die höhere Politik.“ Es war wohl als Kompliment gedacht, war aber bloßstellend. (D.: Zur vaterländischen Geschichte/1847, 1). - Dies wußte ein Rezensent der Augsburger ‚Allgemeinen Zeitung‘ im folgenden Monat in qualifizierterer Weise zu übertreffen, indem er ein Lob der „leidenschaftslosen Auffassung“ und der „Ruhe des Urtheils“ hinzufügte (D/17. Sept. 1847, 2073). Währenddessen hatte Karl August Varnhagen von Ense bereits am 9. August seinem Tagebuch anvertraut: „Ranke’s ‚Neun Bücher preußischer Geschichte‘ zu lesen angefangen, mit Eifer und Spannung, aber nicht mit Befriedigung. Er scheint mir in diesem Buche von seiner bisherigen Höhe um viele Stufen herabzusteigen. Er will zwar möglichst gegenständlich, ohne Rücksicht auf heutige Neigungen oder Abneigungen, schreiben, aber er vermag es nicht, die Versicherung ist nur eine Phrase. Er kann nichts darstellen, was in das gegenwärtige Leben eingreift, was unsre und seine Verhältnisse noch nahe berührt, dazu gehört Karakter, Entschiedenheit und Selbstständigkeit, und die hat er nicht. ... Ich fühle bei seinem Buch immerfort, daß der Autor unter dem Einflusse schreibt, den der Gedanke - nicht etwa an den König, so weit versteigt er sich nicht einmal -, sondern an Eichhorn, Savigny, Canitz und andre solche auf ihn ausübt. Er fälscht natürlich keine Thatsachen offenbar, allein er verschweigt oder hebt hervor, legt zurecht und er giebt im Ganzen von den preußischen Zuständen ein unrichtiges Bild. Glänzende und gelungne Einzelheiten können dies nicht gut machen. Die Schilderung der Königin Sophie Charlotte ist beredt und theilweise treffend, allein die Aehnlichkeit ist nicht die rechte.“ (Varnhagen. Tagebücher IV/1862, 128f.). - Zum 11. Aug. 1847: „Ranke’s ‚Preußische Geschichten‘ las ich mit Unlust weiter. Seine alten - 257 -

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Fehler zeigen sich hier in ganzer Blöße, vor allem der Wahn, die Hauptsache der Geschichte finde sich in dem von ihm zuerst aufgeschlossenen oder benutzten Material, dann in der Anmaßung, als ein Staatsweiser zu sprechen, wozu er am wenigsten Zeug hat. Ich kann ihm nicht helfen, aber ich sehe nicht viel Unterschied zwischen seiner Art, über die Dinge hinzureden, und der von Friedrich Buchholz, den er doch tief verachten zu können glaubt. Die Abneigung, Andre anzuerkennen, ist auch hier wieder auffallend; er zitirt wohl Förster mehrmals ... aber nur Einmal Preuß, als wären dessen Arbeiten nicht vorhanden, oder doch nicht erheblich, da doch ohne dessen vorarbeitenden Fleiß das Buch von Ranke wohl nie geschrieben worden wäre.“ (IV, 129f.). - Über Rankes Charakterlosigkeit korrespondierte er auch mit der Schriftstellerin Amely Boelte (1811-1891, s. Fränkel, Ludwig: Bölte, Amalie. In: ADB 47/ 1903, 92-95). Die ‚Preußische Geschichte‘ errege „allgemeines Mißfallen durch die Abschwächung und Verflachung, die er unsern schroffsten Persönlichkeiten und Ereignissen giebt, durch den Mangel alles politischen Blickes, und durch die kindische Lebhaftigkeit seiner Schreibart“ (1. 2. 48, Varnhagen. Briefe an eine Freundin/1860, 71). Ranke habe sich damit „in den Augen aller wackern Leute ganz zu Grunde gerichtet“ (18. 2. 1848, 76). Und da die Boelte auf seine Empfehlung hin in England Umgang mit Thomas Carlyle (1795-1881) hatte, empfahl er zugleich: „Warnen Sie Herrn Carlyle, sich ja nicht an dieses schlechte Buch zu halten, wenn er jemals noch mit Friedrich dem Großen sich zu beschäftigen denkt! Er muß vielmehr die Bücher von Preuß zur Hand nehmen, wenn diese auch nicht so bequem zu lesen sind.“ (1. 2. 1848, 71). Doch Carlyle war schon unterrichtet. In einem Brief an Varnhagen hatte er am 5. 11. 1847 geschrieben: „Ranke’s Fehlschlag überrascht mich nicht ...“ (Briefe Thomas Carlyle’s an Varnhagen/1892, 109). Carlyle hat sich bei den Vorarbeiten zu seiner ‚History of Friedrich II. of Prussia‘ (1858ff.), für deren Entstehungsgeschichte die genannte Briefausgabe in erster Linie aufschlußreich ist, dann doch neben Preuß auch an Ranke gemacht, die er beide zu den „vielen stumpfen Berichterstattern“ zählt, durch die er sich „durchgekämpft“ habe (129). - Durch seine ‚Preußische Geschichte‘ habe Ranke, wie Varnhagen am 7. 2. 1848 auch an den bedeutenden schweizer Demokraten, Professor der Philosophie und Pädagogik, Ignaz Paul Vital Troxler (1780-1866. Daniel Furrer: Gründervater der modernen Schweiz. Ignaz Paul Vital Troxler, Freiburg 2009) schrieb, „Aufsehen gemacht, aber im schlimmsten Sinne; man sieht seine preußischen Geschichten als einen trostlosen Bankrott des Autors an, als eine Enthüllung seiner ganzen Charakterschwäche, die auch seinem Talente den Garaus zu machen beginnt.“ (Briefwechsel Troxler - Varnhagen/1953, 330). Varnhagen verfolgte das Werk und seinen Verfasser weiter. Zum dritten Band notierte er am 7. 8. 1848 in sein Tagebuch: „Der siebenjährige Krieg bleibt ausgeschlossen. Elendes Buch. Anmaßlich, kindisch, geziert einseitig, im Ganzen höchst unzuverlässig, wie der Autor selbst.“ (Varnhagen. Tgbb. V/1862, 152). Die nichtöffentliche Kritik an Rankes ‚Neun Büchern‘ war anhaltend. Johann Gustav Droysen, einer der stärksten Kritiker, sorgte, wie Varnhagen, für eine qualifizierte Verbreitung seines Urteils. Am 1. Nov. 1847 schrieb er an den frühen Förderer Rankes im preußischen Unterrichtsministerium, Johannes Schulze: „Weiß Gott, wäre ich preußischer Historiograph, ich wollte was Besseres tun, als über den Großen Kurfürsten und den gestrengen Herrn Friedrich Wilhelm ein parfümiertes Buch schreiben; ich wollte was mehr aus den Archiven herauslesen als jenes vornehme Garnichts, womit nun geprunkt wird, und ist doch sozusagen nicht ein Tütelchen neu - 258 -

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und wichtiger als das längst schon Bekannte. Aber freilich, man muß zur Geschichte ein Herz haben...“ (Droysen. Briefwechsel I/1929, 364). Tragisch, daß gerade dieses geplante Ranke-Gegenwerk, Droysens ‚Geschichte der preußischen Politik‘ vom Publikum als unlesbar bezeichnet wurde. - Ähnlich wie Droysen stand Max Duncker zu Ranke. Am 2. Dez. 1847 schrieb Droysen ihm über die ‚Neun Bücher‘: „Man wird ... den Rankeschen Ungesalzenheiten die Standrede halten. Dergleichen Bücher sind verderblicher noch als dergleichen Personen ...“ (370). Auch an Theodor von Schön, ehedem Oberpräsident von West- und Ostpreußen (s. Sösemann, Bernd: Schön, Heinrich Theodor von. In: NDB 23/2007, 378-380) schrieb Droysen [Febr./März 1848]: „...unsere besten Historiker bringen es dahin, das Heldenleben Friedrichs II. zu verwässern und zu parfümieren.“ (391). Noch 1853 wandte er sich an Heinrich von Sybel: Ranke wecke in seiner „wundervoll feinen und kunstreich schillernden Darstellung doch selten mehr als ein intellektuelles Interesse.“ (II/1929, 169). Dies nahm sehr genau ein Urteil Bergenroths vom Jahre 1866 vorweg (s. I, 278ff.). Zuvor hatte aber Alexander von Humboldt, der sich im Urteil über Ranke besonders mit Varnhagen eins fühlte, seiner tiefen Antipathie Ausdruck verliehen in einem Brief an Graf Ludwig von York, 30. 3. 1851, über Droysens ‚Das Leben des Feldmarschalls Grafen York von Wartenburg‘ (Bd. I, Bln. 1851): Wie verschieden dieses doch sei „von der Darstellung des kleinlichen, sich selbst immer spatzenartig anschütternden und dann erschreckt das ganz Gegebene zurücknehmenden Ranke.“ (Droysen. Briefwechsel I/1929, 725). So verschiedene Geister wie der Philosoph David Friedrich Strauß und Rankes erster fachlich ausgewiesener Geschichts-Instruktor, Gustav Adolf Harald Stenzel, waren in ihrem privaten Urteil einig. Nach Lektüre der ‚Preußischen Geschichte‘ stellte Strauß in einem Brief an Ernst Rapp vom 11. November 1849 fest: „Ranke ist ein Hofhistoriograph geworden“ (Strauß. Ausgewählte Briefe/1895, 252), und Stenzel hielt ihn schlicht für einen „Hofmann“ (an seine Frau Emy, Ende März 1851, K. G. W. Stenzel/1897, 449). Neben der ablehnenden nichtöffentlichen Kritik führten 1847 in der zunächst wohlwollenden Publizistik zwei Artikel der in Leipzig erscheinenden liberalen ‚Grenzboten‘ die Wende herbei. Auf den anonymen Verfasser einer Notiz, betitelt ‚Ranke über Friedrich II.‘, macht die „Darstellung von Friedrichs des Großen Jugendleben ... keinen besonders günstigen Eindruck“ ([Anonym:]/Jg. 5, Bd. III, Nr. 33, Lpz. 1847, 307): In Rankes Werk finde sich „nicht blos Verwischung der Thatsachen, sondern auch der Charaktere“ (307f.). Nahezu zeitgleich erschien der andere, bereits mehrfach herangezogene Artikel, der zum Geistreichsten gehört, das im 19. Jahrhundert über Ranke geschrieben wurde. In einer Folge über ‚Moderne Historiker‘ widmete sich darin Julian Schmidt einer Würdigung Rankes. An deren Schluß, zum 18. September, ging er auf den gerade erschienenen ersten Band der ‚Preußischen Geschichte‘ ein. Auch hier gründe, so der Literat und Literaturhistoriker, die Darstellung „fast ausschließlich auf Urkunden aus den Archiven; was die Zeitgenossen berichtet, wird entweder ignorirt oder mit einem gewissen Argwohn angesehen“ (S[chmidt], J[ulian]/1847, 447), „viel schätzbarer Stoff ... über Bord geworfen“. Die „Pietät gegen das Herrscherhaus“ habe Ranke zu einer vollständigen Ignorierung der „Schattenseiten“ geführt: „Das Ganze sieht wie ein Familiengemälde aus, in welchem das Gesinde nur im Hintergrund erscheinen darf. Und auch selbst hier ist alles Anstößige übertuscht.“ (448). - Die in ein voreiliges Lob Rankes verfallene ‚Allgemeine Zeitung‘ mußte sich nun am 12. Oktober eine Zuschrift ‚Aus Preußen‘ gefallen lassen, in der Johann Gustav - 259 -

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Droysen nachdrücklich zitierend anonym auf die anderweitig erschienenen kritischen Stimmen und auf fachliche Mängel aufmerksam machte, etwa bei der Behandlung des jungen Friedrich: „Nein, damit wird auch nimmermehr einer kräftigen Dynastie ein Dienst geleistet daß man alle starken Eigenschaften zu diplomatischen Wendungen abdämpft.“ (* [Droysen, Johann Gustav:] Aus Preußen/1847, 2276). - Tatsächlich wurde das höheren, militärisch geprägten Orts wohl auch so gesehen, denn um den 20. Oktober befand sich Varnhagen beim preußischen General und Außenminister Wilhelm Ernst von Canitz und Dallwitz, in Gesellschaft des Generals Leopold von Gerlach, und dieser verwarf, wie Varnhagen aufzeichnete, „zu meinem größten Wunder ganz und gar Ranke’s neuestes Buch, erklärt sich ganz einverstanden mit dem Artikel gegen dasselbe in der augsburger ‚Allgemeinen Zeitung‘.“ (Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Tgbb. IV/1862, 150). An Julian Schmidts Beurteilung und Droysens Zuschrift schloß sich eine Reihe öffentlicher Ablehnungen des Bandes an. Theodor Mundt (s. I, 200f.) veröffentlichte in der von seinem liberalen Freund Gustav Kühne herausgegebenen Zeitschrift ‚Europa. Chronik der gebildeten Welt‘ noch im Oktober 1847 eine beachtenswerte Besprechung, ‚Studien Preußischer Geschichte. Mit Beziehung auf Leopold Ranke’s „Neun Bücher Preußischer Geschichte“‘. - Mundt weist auf die Bedeutung des gegenwärtigen Moments hin, in dem „der Staat ... Volk werden will, und das Volk ... sich in den Staat hineinbildet“, ein Moment, der „dem Historiker seiner Nation eine Berechtigung und ein Pathos“ verleihe, „woraus die höchsten Wirkungen einer geschichtlichen Darstellung gezogen werden können“ (Mundt/1847, 687). Der Historiker erfülle damit an Preußen als dem „jugendfrischesten und sittlich stärksten Staatskörper des Jahrhunderts“, dem „ächten Vertreter und Bildner der deutschen Nation“ einen „universalen historischen Beruf“ (ebd.). Ranke jedoch entspreche mit seiner „preußischen Kabinettsgeschichte“ (688), die als solche zwar zum Teil vortrefflich gearbeitet sei, nicht der Forderung nach einer „preußischen Staatsgeschichte“, deren notwendiger volkstümlicher Wirkung übrigens auch die „gänzlich fragmentarische Manier“ (ebd.) der Behandlung hinderlich sei. Mundt kommt damit zu dem häufig erhobenen Vorwurf, daß Ranke fast alles ignoriere, was außerhalb des selbst bearbeiteten neuen Archivmaterials als feststehend und charakteristisch überliefert sei. Von der Jugend Friedrichs d. Gr. gebe er angesichts der von Preuß schon zusammengestellten Materialien ein „dürftiges und bedeutungsleeres Bild“ (689). Das „tendenziöse Wesen seiner preußischen Geschichtsschreibung“ (ebd.) wird für Mundt auch sichtbar in der „durchweg gemilderten und abgedämpften Gestalt Friedrich Wilhelms I.“ (688). Der Berliner Privatdozent (oder bereits Professor) für Philosophie, Friedrich Adolf Maercker (1804-1889), der 1843 eine Schrift über ‚Die Willensfreiheit im Staatsverbande‘ verfaßt hatte, brachte in der Beilage zu den liberalen ‚Berlinischen Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen‘, Nr. 244 vom 19. 10. 1847, zunächst die Empfehlung, Ranke möge „seine Aufgabe charakterfester, und nicht mit höfischer Zeichnung der handelnden Personen“ durchführen und „die schönen Einzelheiten, welche ihm seine Forschungen geboten, in ein lebensvolleres Ganze“ verarbeiten. Ranke habe hier nämlich nicht ‚Preußische Geschichte‘ geschrieben, „sondern Akten über Staatshandlungen excerpirt und zusammengestellt“. Seine Schilderung hätte „ihr Leben nur gewinnen“ können, „wenn die Volkskraft und ihre Würdigung neben der des Regenten gestanden hätte“. Maercker vermißt daher - und diese Kritik war neu weitgehend eine „Beurtheilung und Darstellung der Staatskräfte Preußens und seines - 260 -

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ganzen Haushalts“, konkret: der „administrativen Maßregeln“ Friedrich Wilhelms I. und Friedrichs II. (Maercker/1847, 1f.). Andere gingen noch weiter ins Detail. In dem von Friedrich Wilhelm Gubitz (1786-1870) herausgegebenen ‚Der Gesellschafter oder Blätter für Geist und Herz‘ erschien im November 1847 die Besprechung eines „Hb.“, welcher zu wissen glaubte: „Der berühmte preußische Geschichtsschreiber und Berliner Professor L. R a n k e hat in seinen Geschichtsbüchern manche Probe von mangelhafter Rechts- und Staatswissenschafts-Kenntniß gegeben, nirgends aber wohl so auffallend als in seinem Werke: ‚Neun Bücher preußischer Geschichte‘“. Es folgt als Beispiel die Rankesche Darstellung der Förderung der Tuchproduktion unter Friedrich Wilhelm I. (9BPreußG I, 147f.), bei der Logik und Stil der Darstellung kritisiert werden (Hb./1847, 868). Zur Jahreswende 1847/48 erschien in Berlin die kleine, aber aufsehenerregende selbständige Schrift August Zimmermanns, eines Schulmannes, ‚Ueber die neueste preußische Geschichtsschreibung‘, eine entschiedene Kritik des ersten Bandes der ‚Preußischen Geschichte‘. Zimmermann erkennt Rankes „scharfen Forschergeist, seine geschickte und elegante Kombination, seine große Fertigkeit im Herausfinden des Bedeutsamen aus dem Wuste der Archivalien“ an (Zimmermann: Über die neueste/1848, 4). Ihn „verletzt“ aber die „entschieden hervortretende Neigung, überall wo die Geschichte mit scharfen und kühnen Zügen eine Persönlichkeit gefaßt und gezeichnet hat, zu glätten, dämpfen und zu verwaschen“ (4f.). Besonders die Darstellung Kg. Friedrich Wilhelms I. fordert seinen Widerspruch heraus: Es habe diesem nicht an Macht, sondern an „Einsicht, Willen und rechtem politischen Muth“ gefehlt (22). Hier mache sich Rankes „Manier, welche alle Spitzen wegnimmt, die doch der menschlichen Natur nach vorhanden sind“, geltend (31). - Zimmermann beruft sich in seinem Kampf um die Wahrheit auf Vorkämpfer wie Dahlmann, Gervinus und den „alten ehrlichen Schlosser“ (32). Die Kritik Zimmermanns wurde mehrfach aufgegriffen. Auch Varnhagen trat ihr in seinem Tagebuch zum 14. Januar 1848 bei, indem er schrieb: „Was hier gegen Ranke’s ‚Preußische Geschichten‘ gesagt wird, hab’ ich längst gesagt, aber auch schon gegen seine ‚Geschichte der Reformation‘. Es fehlt der Karakter.“ (Varnhagen: Tgbb. IV/1862, 234). Die von Droysen zurechtgewiesene ‚Allgemeine Zeitung‘ schloß sich nun der Zimmermannschen Kritik an und tadelte Rankes „Abschleifen und Glätten des Harten, ... dieß Verhüllen und Beseitigen des Tadelnswerthen“ (* Litterarisches/23. Jan. 1848, 361). Ein Anonymus der in Leipzig erscheinenden ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ suchte nicht allzuviel Schaden anzurichten und lobte an Rankes Werken generell die „Feinheit seiner Combination, die Tiefe der Anschauung, dieses Belauschen der geheimsten Motive in der Entwickelung des geistigen Lebens von Völkern und Individuen, verbunden mit der Frische der Darstellung und dem über dem Ganzen lagernden Duft der Poesie“ ([Rezensent. Nr.] 21, am 12. u. 13. Jan. 1848, 45). Auch bei diesem neuen Werk werde „des Neuen und Trefflichen unendlich viel geboten“ (46), es lasse sich jedoch „das Geständniß nicht zurückhalten, daß die Darstellung Stenzel’s in allen Beziehungen mehr auf einer freien, durch keine Rücksichten gebundenen Entwickelung der Thatsachen“ beruhe, „ohne irgend eine aus der Jetztzeit übertragene Beimischung“ (ebd.). - Rankes bereits erwähnter loyaler Schüler Siegfried Hirsch, seit 1844 a. o. Kollege in Berlin, suchte in einem Brief an die Redaktion der ‚Literarischen Zeitung‘ die Kritik Zimmermanns zurückzuweisen (H[irsch], S[iegfried]/29. 1. 1848), wiederum in mehrfacher Hinsicht passend, denn seine Replik erfolgte erneut in dem die - 261 -

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Bestrebungen des mit Ranke befreundeten preußischen Kultusministers vertretenden willfährigen Organ. Hierin wurden Gelehrte „zur Mitarbeit bewogen, da es sich rasch herumsprach, daß am sichersten auf Beförderung rechnen könne, wer an der ‚Literarischen Zeitung‘ rezensiere.“ (Obenaus/1973, Sp. 91). Dies konnte nicht hindern, daß Anton Gubitz (1821-1857) am 4. Februar in dem von ihm herausgegebenen Blatt ‚Der Gesellschafter. Blätter für Geist und Herz‘ im wesentlichen eine Wiederholung der Kritik Zimmermanns bot. Der 1816 von seinem Vater Friedrich Wilhelm Gubitz (1786-1870) gegründete ‚Gesellschafter‘ war unter Beihilfe hochbedeutender Autoren „während der langen Zeit des Erscheinens (32 Jahrgänge) ... die führende geistige Stimme des biedermeierlichen Berlin“ gewesen (Marx, Eberhard: Gubitz, Friedrich Wilhelm. In: NDB 7/1966), 247). Jetzt schrieb er über ‚Ranke’s altpreußische Phantasieen‘ [!], es sei schade um dessen „Wissen und Talent, daß sie sich abgewendet haben von der Wahrheit der Geschichte“ (Gubitz/4. 2. 1848, 100). Wenig später setzte Anton Gubitz seine Kritik fort mit ‚Noch ein paar Worte von Hrn. Ranke als preußischem Geschichtschreiber‘. Hier ließ er sich aus über einige Stellen von Band II der ‚Preußischen Geschichte‘, in denen er „Kanzlei- und Beamten-Stil“, „philosophische Brühe“ und eine „geschichtliche Fälschung“ glaubte konstatieren zu müssen (Gubitz/17. 3. 1848, 216), - namentlich letzteres, die entstellende Übersetzung eines ‚Antimachiavell‘-Zitats Friedrichs d. Gr., wohl nicht völlig ohne Berechtigung. - Die Augsburger ‚Allgemeine Zeitung‘, welche sich zunächst wohlwollend gezeigt hatte, vollzog nun in mehreren Beilagen eine völlige Kehrtwende. In dem mit M. gezeichneten Beitrag über ‚Historik und Dramatik‘, einer scharfen, ironischen Kritik, heißt es u. a.: „Man ist jetzt in Berlin ziemlich einstimmigen Urtheils über das Buch von Ranke, besonders nachdem dessen zweiter Theil erschienen, der über die Gestalt Friedrichs des Großen dieselben Schwefelätherdämpfe zum Behuf einer künstlichen politischen Operation ausgießt wie dieß im ersten Theil mit den markigen Urcharakteren des großen Kurfürsten und Friedrich Wilhelms I geschehen. Sein großer Friedrich ist ebenfalls nur eine verwaschene Combination, wozu nicht einmal die bekannte historische Porträtirungskunst Ranke’s wesentlich beisteuert, obwohl sie aus den kostbarsten Materialien, die dem preußischen Historiographen allseitig geöffnet vorlagen, eine Fülle von unmittelbaren Lebenszügen zu diesem Bilde schöpfen konnte [...] Ranke ist in seiner preußischen Geschichte so weit gegangen daß eigentlich nur noch das historischen Werth für ihn hat was er in seinen Archiven gefunden, und was sich durch dieselben beglaubigen läßt. Dieß verleitet ihn denn manches andere auch sonst Feststehende in seiner Darstellung zurücktreten zu lassen oder zu ignoriren, und dadurch auf manches charakteristische Element zu verzichten.“ (M/24. Febr. 1848/874). Ein weiterer Artikel der ‚Allgemeinen Zeitung‘ folgte bereits vier Tage später anonym unter der Rubrik ‚Deutschland. Litterarisches aus Berlin‘. Beanstandet wird für den ersten wie für den zweiten Band „dieselbe Abschwächung und Verdünnung des historischen Stoffs. Ignoriren des Allbekannten, Wichtigthun mit Archivschnitzeln“. Der Rezensent schließt mit dem für Ranke ehrverletzenden Wunsch „Möge der Ruhm edler, gradsinniger, und wahrheitseifriger Geschichtschreibung, in der bisher die Deutschen ausgezeichnet waren, uns in einer Zeit nicht geschmälert werden wo die Gränzen des freien Wortes sich auf andern Gebieten glücklich erweitern, und wo ein S c h l o s s e r , D a h l m a n n , G e r v i n u s , R a u m e r und andere fortwährend ein würdiges Beispiel geben!“ (*/28. Febr. 1848, 937. Sperr. i. T.). August Zimmermann ließ seiner ersten kritischen Schrift anläßlich des Erscheinens von - 262 -

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Band II der ‚Preußischen Geschichte‘ ein weiteres Libell folgen‚ betitelt ‚Über Ranke’s Auffassung König Friedrichs II.‘. Darin wendet er sich in durchaus gemäßigtem Ton gegen die in Rankes Werk angeblich zutage tretende Auffassung, Friedrichs „Laufbahn sei nicht seine Wahl, sondern sein Geschick“ gewesen (Zimmermann: Über Ranke’s Auffassung/1848,19). Ranke habe, indem er Friedrichs Taten als „durch den Zufall begünstigte glückliche Unbesonnenheit“ (6) darstellte, „die Größe des Helden ... beeinträchtigt“ (11). Eine Sicht, die von F. v. Bülow in der ‚Vossischen Zeitung‘ vom 29. 2. 1848 geteilt wurde. Nun folgt eine merkwürdig taumelnde Kritikentwicklung der ‚Grenzboten‘, die mit der 1848 vollzogenen Übernahme der Herausgeberschaft durch Julian Schmidt und Theodor Fontane zusammenhängen mag. War 1847 noch von ‚Verwischung‘ und Übertuschen‘ die Rede gewesen (s. o.), so unternimmt der national-liberale Julian Schmidt nun in auffallender Kehrtwende eine rein literarisch urteilende, nahezu euphorische Besprechung, ja Verteidigung von Band II der ‚Preußischen Geschichte‘: Im Hinblick auf Friedrich, den „jugendlichen Helden“, sei das „universelle Wohlwollen“, mit dem Ranke seine Gegenstände anzusehen liebe, berechtigt (S[chmidt], J[ulian]: Ranke’s Preußische Geschichte/1848, 266). Mit „Virtuosität“ erhasche Ranke die unscheinbarsten Züge, „um nicht der Reflexion, sondern der Phantasie ein bestimmtes Bild zu geben. Es ist nicht die Genremalerei eines Walter Scott, ... es ist der künstlerische Sinn eines Goethe, der mit einer Andeutung, die wir kaum merken, bei der es uns gar nicht einfällt, daß geschildert wird, plötzlich das fertige Bild in seinen wesentlichen Zügen vor unsere Seele stellt.“ (267). Julian Schmidt erkennt in diesem zweiten Band ein ebenso bedeutendes „Kunstwerk“ an „als in dem grandiosen Gemälde von der Herrlichkeit und dem Verfall des neuen Rom [267], ... so wollen wir uns die Freude an einem Kunstwerk nicht verkümmern lassen, weil es aus den Händen eines Mannes kommt, der als Politiker in den Reihen der Feinde steht.“ (268). - Dieses dezidierte Urteil aus dem ersten Semester des Jahres 1848 ändert sich bereits im zweiten. Schmidt läßt nun auch seine Initialen fallen und bemerkt anonym: „Als Ganzes betrachtet“, müsse er doch gestehen, „daß das Werk keinen guten Eindruck“ mache ([Schmidt, Julian]: Leopold Ranke/1848, 516). Der Stoff des dritten Bands ertrage keine „künstlerische Behandlung“ (ebd.). Auch verliere man „durch das viele Detail alle Uebersicht“ (ebd.). Durch den „Hinblick auf die großen Weltbegebenheiten außerhalb der eigentlichen Sphäre der Darstellung“ werde bei diesem Werk, im Gegensatz zu den ‚Päpsten‘, die „Einheit des Gemäldes nur zerstört“ (ebd.). Im ersten Teil sei auch ein „falscher Patriotismus ... sehr widerlich“ aufgetreten (517). Die Besprechung schließt mit dem Satz: „So ist denn das Werk als unterhaltende und belehrende Lectüre immer von großem Interesse, als wesentliches Glied der Literatur wird es aber kaum eine Stelle beanspruchen können.“ (Ebd.). Diese Formulierung dürfte der, wie bemerkt, von Eichhorn abhängigen ‚Literarischen Zeitung‘ mißfallen haben, denn vermutlich ihr als Kustos an der Berliner Königlichen Bibliothek im Staatsdienst stehender Redakteur Karl Heinrich Brandes (geb. 1811, Obenaus/1973, Sp. 89, A. 381) verkündete in einer sehr wohlwollenden Besprechung des dritten Bandes, die Ranke auch vor nicht näher bezeichneten kritischen Stimmen in Schutz nahm: „Ranke’s neun Bücher preussischer Geschichte werden in der historischen Literatur Deutschlands einen ehrenvollen Platz bleibend einnehmen.“ ([Brandes?]/23. Nov. 1848, Sp. 964), was sich gegen Julian Schmidt (s. o.) zu richten scheint. Dessen negatives Urteil hat sich indessen womöglich noch gesteigert, denn er schrieb 1853 in - 263 -

I/2.1.6 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Preußische Geschichte‘

seiner ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur im neunzehnten Jahrhundert‘ über Ranke u. a.: „Noch schlimmer hat seine Pietät ihm bei der Preußischen Geschichte mitgespielt“, seine „Pietät gegen Preußen und die Hohenzollern, die er gern | so heilig als möglich darstellen möchte.“ (Schmidt I/1853, 330f.). Stenzels „ehrliche einfache Darstellung“ [Geschichte des Preußischen Staates von 1688-1739. 3 Teile, Hmb. 1841] stehe „unendlich höher, als dieses geistreich gezierte Hin- und Herreden“ (331). Mehrfach fiel der Vergleich zugunsten Stenzels aus (so bei [Rezensent. Nr.] 21 in BLU, 12. u. 13. 1. 1848, 46 und J. A. Frhr. v. Helfert: ‚Sylvesterspende 1858, 6). Der anonyme Rezensent des Londoner ‚The Athenæum. Journal of English and Foreign Literature, Science, and the Fine Arts‘ vom 27. Januar 1849, der sich der englischen Übersetzung von Rankes ‚Neun Büchern preußischer Geschichte‘ annnahm, machte - eine Seltenheit - darauf aufmerksam, daß es sich bei diesem Werk nicht um eine Geschichte Preußens handele, sondern um eine Monographie, die einen Beitrag zu den äußeren und inneren Angelegenheiten des preußischen Staates während des Siebenjährigen Krieges liefere, nebst einer kurzen historischen Einführung ([Anonym]/1849, 85). Das Werk stelle eine Verteidigung der preußischen Politik des Hauses Brandenburg dar. Man könne es als Geschichtswerk ansehen, doch auch als „exculpatory statepaper (in fact, a Prussian blue-book)“. Ranke habe dies in einer derart parteilichen und einseitigen Weise verfaßt, daß seine Intention nicht mißverstanden werden könne (ebd.). Im übrigen fällt dem Rezensenten wohl zu Recht auf, daß Ranke gerade bei dem vorliegenden Thema nicht von Quellen des Wiener Hofs spreche, mit dem die preußischen Könige doch wesentlich mehr zu tun gehabt hätten, als mit den herangezogenen von Paris, Dresden und London (86). Auch sei die Gesellschaft von Sanssouci mit geringerer Genauigkeit gezeichnet als die diplomatischen Verhältnisse (87). Vor allem schätze Herr Ranke Voltaire nicht und tue ihm häufig Unrecht. (87). Nach Vorliegen des dritten, abschließenden Bandes bemühte sich die ‚Allgemeine Zeitung‘ in einem anonymen Artikel um ein differenzierteres Urteil: Rankes Buch habe es möglich gemacht, die Motive Friedrichs II. „auf das genaueste kennen zu lernen; die bisher geheim oder unbenützt gebliebenen Actenstücke, besonders Briefe mit vertraulichen Aeußerungen über die wichtigsten Verhältnisse sind aus den Archiven und aus dem Privatbesitz zur Kenntniß des Verfassers gekommen und von ihm zur genauen Darstellung der Ansichten und Entwürfe des Königs benützt worden. Was uns nun bei dieser die Motive wenigstens in vollständigster Glaubwürdigkeit vorführenden Darstellung vor allem auffällt, ist daß von allen Seiten nur das Interesse der Regierungen ins Auge gefaßt, und daß das Wohl der Unterthanen nur insofern berücksichtigt war als es nöthig ist um ihre Kraft zur Wahrung der staatlichen Interessen zu erhöhen.“ (*/18. Junius 1849, 2613). - Von Betrachtungen dieser Art war ein mit O. gezeichneter Zuschrift-Artikel ‚Ranke über Friedrich den Großen. Dritter Band‘ der ‚Allgemeinen Zeitung‘‚ im August des Jahres weit entfernt. Hier handelte es sich lediglich um eine mit positivem Grundton vorgetragene simple Nacherzählung einiger weniger Szenen des Werkes. [Bespr. von 9BPreußG III]. In: Beil. z. Nr. 214 der AZ, 2. 8. 1849, 3305f. - Doch nun folgte eine der äußerst seltenen Besprechungen des Werkes durch werdende oder bereits ausgewiesene Historiker. Ludwig Häusser, der sich bereits Rankes ‚Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ kritisch angenommen hatte (s. o.), plazierte in der ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 5. und 6. August 1849 - freilich anonym eine Gesamtbesprechung des preußischen Werkes unter dem Titel ‚L. Ranke’s preußische Geschichte‘. Seine Besprechung fällt ein wenig milder aus als die der ‚Deutschen - 264 -

I/2.1.6 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Preußische Geschichte‘

Geschichte‘ (s. I, 240). Die „äußern Verhältnisse“ habe Ranke „mit einer eindringenden Sorgfalt behandelt, wie das bis jetzt für diese Periode noch nirgends unternommen worden“ sei ([Häusser]/1849, Zitate nach Ges. Schrr./1869, 179). Dem politischen Historiker mißfällt jedoch die „fatalistische Betrachtung“ der „landesfürstlichen Entwicklung deutscher Zustände“. Ranke habe „die Zeiten, die uns fast als die unglücklichsten erscheinen, z. B. die letzte Periode des 16. Jahrhunderts, in den blühendsten Farben“ gezeichnet (181). Überhaupt habe er „eine Neigung die mildeste und günstigste Seite hervorzukehren, die sich mit der wahren Objectivität nicht gut verträgt; das läßt sich an Personen und an Zuständen nachweisen.“ So erschienen Friedrich I. und Friedrich Wilhelm I., wie Häusser im einzelnen nachweist, „in sehr günstiger Beleuchtung.“ (182). Die Darstellung Friedrichs II. scheint Häusser hingegen befriedigt zu haben. Er hat diesen später als ‚Heldenkönig‘ bezeichnet, - ein „zweifellos geplantes eigenes großes Friedrich-Buch hat Häussers früher Tod verhindert“ (s. Fuchs, Peter: Häusser, Ludwig. In: NDB 7/1966 456-459). In den 1850er und 1860er Jahren werden Rankes ‚Neun Bücher preußischer Geschichte‘ kaum mehr genannt. Die zwischen 1848 und 1874 stagnierende Auflagenentwicklung spricht deutlich für die Enttäuschung oder Gleichgültigkeit des Publikums auch außerhalb gelehrter Kreise. In diesen äußerte sich der historisch-kritisch arbeitende, längst angesehene Johann Martin Lappenberg (1794-1865), dem keine extremen wissenschaftlichen oder politischen Überzeugungen unterstellt werden können, als einer der Preisrichter der ‚Wedekingschen Preisstiftung für deutsche Geschichte‘ nichtöffentlich ablehnend (Erstdr. bei Postel/1972, 257, A. 214; FLapp). Auf österreichischer Seite mußte vor allem Rankes Darstellung der Politik Friedrichs II. und seines schlesischen Unternehmens in Band II der ‚Preussischen Geschichte‘ Widerspruch hervorrufen. Joseph Alexander Frhr. von Helfert (1820-1910), damals im Kabinett Schwarzenberg-Stadion Unterstaatssekretär im Ministerium für Kultus und Unterricht und „kein großer, aber ein außergewöhnlich fleißiger und gewissenhafter Historiker“ (Weinzierl, Erika: Helfert, Joseph Alexander Freiherr von. In: NDB 8/1969, 469 f.), veröffentlichte bei der Unzahl seiner Schriften in Wien auch eine zwanzigseitige ‚Sylvesterspende 1858 für Freunde vaterländischer Geschichtsforschung‘ mit dem Titel ‚Eine patriotische Rüge und ein Bruchstück aus Slawata’s grossem Geschichtswerke‘. Hierin warf er - auch juristisch gebildet - Ranke, im Gegensatz zu dem wiederum „aufrichtigen Stenzel“ (6) eine verzerrte Darstellung des „völkerrechtswidrigen Einfalls Friedrichs in das Nachbarland“ vor (6), wobei er hinsichtlich der ‚Rechtsansprüche‘ des brandenburgischen Hauses auf einige Teile Schlesiens zum Zwecke der Widerlegung aus einem handschriftlichen Werk Wilhelm von Slawatas (1572-1652) über die Geschichte der Zeiten Ferdinands I., Maximilians II. und Rudolfs II. zitierte. Als einer der besten Kenner Rankes in dieser Zeit erwies sich der Paläograph und Jurist Ernest Grégoire (1828-1902) im Pariser ‚Correspondant‘ des Jahres 1857. Es war eine ausführliche, perspektivreiche, jedoch besonders hinsichtlich der Rankeschen ‚Unparteilichkeit‘ kritische Gesamtwürdigung, mit der er diesen in einer Folge von ‚Historiens allemands‘ als ersten vorstellte. Ihm war 1854 eine ähnliche Serie aus der Feder von Saint-René Taillandier vorausgegangen, der beklagte, in seiner ‚Preußischen Geschichte‘ beherrsche Ranke nicht sein Sujet mit der Kraft, mit der Unparteilichkeit, welche das herausragende Verdienst seiner ersten Arbeiten seien. (65). Um auf Grégoire zurückzukommen, der noch zu Rankes ‚Französischer Geschichte‘ zu be- 265 -

I/2.1.6 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Preußische Geschichte‘

trachten sein wird, so war auch ihm nicht die in Rankes unpreußisch-preußischem Werk auftretende höfische Weichzeichnung entgangen: „mais ses goûts épurés, son talent châtié, étaient mal à l’aise au milieu des faits de barbarie repoussants et des traits de grossièreté inculte qu’il avait à raconter. Il a sévèrement élagué tous les traits de mœurs brutales qui caractérisent l’histoire de la maison de Brandebourg; le récit lui en a répugné; mais alors on ne sait plus de qui il veut parler.“ (657). Einen der Hauptpunkte der untertänigen Zeichnung von Rankes Hand griff der auch hier wieder zu grobgeschnitzten Urteilen neigende Johannes Scherr (s. o.) auf, der 1862 in seinem Essay über ‚Geschichtschreibung und Geschichtschreiber der Gegenwart‘ schrieb: „Ebenso wenig wie für Luther und Cromwell paßte die diplomatische Schablone für den grobklotzigen König Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der in seiner Art auch ein Riese gewesen. Zu was für einem kläglichem Schemen ist in den ‚Neun Büchern preußischer Geschichte‘ der handfeste Schlagadodro von König-Korporal unter Ranke’s Hand geworden!“ (Scherr/1862, 194). - Selbst ein Lieblingsschüler Rankes (nach Wichmann II/1887, 175f.), Richard Bürde (geb. 1825), 1853 in Berlin mit einer Dissertation ‚De missis dominicis‘ promoviert, verglich 1865 in einer der ersten nicht rezensionsartigen Spezialuntersuchungen zu Rankes Werk - ‚Carlyle und Ranke über Friedrich den Großen‘ - die Friedrich-Biographie Thomas Carlyles (History of Friedrich II. of Prussia, called Frederick the Great, Lnd. 1858, div. Ausg.) mit der ‚Preußischen Geschichte‘ Rankes. Bürde ist sich jedoch der aus den verschiedenen Darstellungsgattungen notwendig entspringenden Unterschiede nicht recht bewußt geworden, wenn er z. B. hervorhebt, bei Ranke seien die allgemeinen politischen Verhältnisse besser dargelegt, wohingegen Carlyle nur dann auf sie eingehe, wenn sie auf die persönlichen Schicksale seines Helden von Einfluß seien (198). Davon nicht ganz unberührt bleiben auch andere Grundaussagen des Vergleichs: Ranke erzeuge im Gegensatz zu Carlyle „aus Documenten erster Hand“ ein Bild, das aber doch nicht zu voller Wirkung gelange, weil das „Allbekannte und oft Erzählte“ weithin darin fehle (194). Ranke habe in seiner „feinen künstlerischen Manier“, in seiner „milden Weise“ bei der Schilderung der Persönlichkeit Friedrichs und seiner Umgebung - ganz anders als Carlyle - „starke Züge, kräftige Farben, helles Licht und dunklen Schatten“ vermieden und so „nicht die rechte Wirkung hervorgebracht“ (198). Seinen „bleibenden, selbständigen Werth“ verleihe dem Werk indes die den Mittelpunkt bildende Darstellung der politischen Wirksamkeit Friedrichs bis zum Beginn des Siebenjährigen Krieges (200). - Urteile dieser Art haben u. a. auch Eingang gefunden in allgemeine Literaturgeschichten, wie etwa in G. Schwabs und K. Klüpfels ‚Wegweiser durch die Literatur der Deutschen. Ein Handbuch für Gebildete. Vierte Auflage. Gänzlich umgearbeitet und bis auf die Gegenwart fortgeführt‘ (Lpz. 1870, 119).

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7. Kapitel (I/2.1.7) NATIONALGESCHICHTE ALS EUROPÄISCHE UNIVERSALGESCHICHTE Zur Aufnahme der ‚Französischen‘ und der ‚Englischen Geschichte‘ 1852-1867 Vorb emerkung (I/2.1.7.0) Ranke erfuhr seit den 1840er, zunehmend seit den 1850er Jahren, von hoheitlicher Seite, vor allem auch von bedeutenden wissenschaftlichen Gesellschaften und Einrichtungen, ehrenvolle Anerkennung in Fülle. Man darf annehmen, daß sie seinen Ruf als erste wissenschaftliche Kapazität weiter gemehrt, seine wissenschaftsorganisatorische sowie Adel und Hof verbundene gesellschaftliche Position weiter gestärkt, die Wirkungen seines Werkes in verschiedener, doch überwiegend positiver Weise beeinflußt und dessen Kritik nicht befördert hat. Nach der Ernennung zum ‚Historiographen des Preußischen Staates‘ im Jahre 1841 war ihm 1844 nicht nur die Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Marburg, sondern auch die Ernennung zum Mitglied der ‚New-York Historical Society‘ zuteil geworden. Sodann häuften sich Ernennungen dieser Art, so 1854 zum Mitglied der ‚Royal Irish Academy‘ in Dublin und der ‚Royal Society of Literature‘ in London, 1857 zum Mitglied der ‚Academia literarum et scientiarum Regia Boica‘, 1858 zum korrespondierenden Mitglied der Ungarischen Akademie der Wissenschaften. Den Höhepunkt bildete im Februar 1860 die Wahl zum auswärtigen Mitglied der Pariser ‚Académie des sciences morales et politiques‘ (s. II/6.4). Von großer, in jeder Weise schützender und gesellschaftlich hebender Bedeutung war der öffentlich bekannte gelegentliche Umgang mit Friedrich Wilhelm IV., mehr noch die Wertschätzung, die ihm Maximilian II. entgegenbrachte, nebst den Einflußund Gestaltungsmöglichkeiten, die Ranke durch die Präsidentschaft der von ihm angeregten ‚Historischen Kommission‘ erhielt. Durch Maximilian wurde ihm im Jahre 1852 auch das Komturkreuz des ‚Kgl. Verdienstordens vom Hl. Michael‘, 1853 der ‚Bayerische Maximiliansorden‘ und 1859 die Maximilians-Medaille zuteil. In Preußen wurde er 1854 zum Mitglied des Staatsrats ernannt und 1855 zum Mitglied des preußischen Ordens ‚Pour le mérite‘ gewählt. 1856 durfte er sich der Verleihung des Ritterkreuzes des ‚Ordens vom Zähringer Löwen‘ durch den Großherzog von Baden erfreuen. Sogar zum 64. Geburtstag, am 21. Dez. 1859, erhielt er ein Huldigungsschreiben, - von Wiener Studenten, bei deren Unterzeichnern sich auch der ihm besonders ergebene, später näher zu betrachtende Heinrich von Zeißberg befand. In den Jahren seiner ‚Englischen Geschichte‘ setzen sich die öffentlichen Ehrungen in hoheitlicher wie wissenschaftlicher Art unvermindert fort: die Ernennung zum Mitglied der Akademie der Wissenschaften in Petersburg (1860), die Verleihung des Komturkreuzes 1. Kl. und des Ritterkreuzes des Württembergischen Friedrichs-Ordens (1865), die Ernennung zum Kgl. preußischen Geh. Regierungsrat (1866), die Ehrenpromotion zum Dr. iuris utr. der Universität Dublin, Trinity College (Juli 1865), der Ehrenbürgerbrief seiner Vaterstadt Wiehe (17. Okt. 1866). Das wichtigste Ereignis dieser Art war seine erbliche Nobilitierung (22. März 1865). - 267 -

I/2.1.7.0 Geschichtsdenken seiner Zeit - Nationalgeschichte, Vorbemerkung

Trotz dieser nicht zu übersehenden Fülle von Ehrungen war doch der merkwürdige Zustand eingetreten, daß Ranke in den 1850er bis zu Beginn der 1880er Jahre zwar weithin als bedeutendster Historiker Deutschlands wie Europas angesehen wurde, aber - wie bereits bemerkt (s. I, 95) - keineswegs als populär galt. „Nur populär kann man ihn eigentlich nicht nennen“, urteilte 1855 ein Anonymus der ‚Deutschen Vierteljahrs Schrift‘ in einer Abhandlung mit dem Titel ‚Der gegenwärtige Stand der deutschen Geschichtsforschung und Geschichtschreibung‘ (116f.). Hartwig Floto, der an Rankes Vorlesungen und Übungen teilgenommen hatte, auch, wie er, Portenser war, (Floto/ 1856, 18), widmete ihm zwar seine beiden Bände ‚Kaiser Heinrich der Vierte und sein Zeitalter‘ (Stg. u. Hmbg. 1855 u. 1856), jedoch als der „größte Geschichtschreiber, der jetzt lebt“, galt ihm Macaulay, wie er ungescheut ausgerechnet in seiner akademischen Antrittsrede verkündete (Floto/1856, 18). Dieser Auffassung war auch ein Anonymus in den ‚Anregungen für Kunst, Leben und Wissenschaft‘ (151), der 1859 schrieb, eine Popularität, wie die Macaulays in England, genieße Ranke nicht. „In das Volk kann Ranke nie dringen“, hieß es anonym in dem biographischen Lexikon ‚Männer der Zeit‘ von 1860 (Sp. 226), „dazu ist er zu marmorglatt und marmorkalt in der Form, zu exclusiv-ästhetisch in der Auffassung, und zudem giebt er nur neuerforschtes, und setzt früher festgestelltes als bekannt voraus“, dies der gängigste Topos zeitgenössischer Ranke-Kritik. Ein wenig mißgünstig klingt die Bemerkung Max Lehmanns zu Rankes 70. Geburtstag (1865): Da hätten die „paar Bewunderer seines Genius Mühe“ gehabt, „noch einige Unterschriften für einen Glückwunsch zusammenzubringen“ (1925, 221). Ranke war, wie Adalbert Heinrich Horawitz 1865 bemerkte, „wiewohl nunmehr unbedenklich der größte Meister auf dem Gebiete der Historik, im großen Publicum viel weniger bekannt und geachtet, als gar manche seiner Schüler … und noch weniger als Schlosser“ (Horawitz/1865, 26f.). Auch August Kluckhohn fand, Ranke habe sich bis „über die Mitte des Jahrhunderts hinaus“ die Wertschätzung des Publikums mit dem „stolzen Heidelberger Moralisten“ teilen müssen (Kluckhohn/1894, 435f.; zuerst 1885; s. I, 176ff.). Ob Rankes lang anhaltende Abwendung von preußisch-deutscher Thematik mit dem durch die revolutionären Bewegungen von 1848 erlittenen Schock zusammenhängt, wohl eher noch mit dem bei dieser Thematik eingetretenen Mißerfolg, sei dahingestellt. Zwar hat er sich aus der im Wintersemester 1847/48 vorgelesenen ‚Geschichte der neuesten Zeit‘ im Sommersemester 1848 spontan in die ‚Römische Geschichte‘ geflüchtet, doch tritt die französische und englische Thematik schon früher in seinen Vorlesungen und Akademie-Vorträgen auf, ergibt sich auch nahezu zwingend aus seinen früheren Archivarbeiten und seiner europazentristischen ‚universalhistorischen‘ Konzeption.

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I/2.1.7.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Französische Geschichte‘

Die Aufnahme der ‚Französischen Geschichte‘ (I/2.1.7.1) Rankes ‚Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert‘ erschien in Erstauflage fünfbändig in den Jahren 1852 bis 1861. Das späte Auftreten von Band V mit seinen Analekten ließ die Rezensenten zunächst in der Annahme, das Unternehmen sei nach vier Bänden beendet. Eine zweite Auflage erschien 1856 bis 1862, weitere Auflagen in den Jahren 1868 bis 1870, 1876, 1877 und 1877 bis 1879 (s. II/1.1), deren Vielzahl mit dem verwirrenden Erscheinen in zwei Verlagen zusammenhängt. Gleichwohl gehört dieses Werk Rankes nicht zu den von seiner Zeitgenossenschaft am stärksten beachteten. Selbst Rankes Lieblings-Schüler Georg Waitz fand 1861 in einer der ‚Historischen Zeitschrift‘ zugewiesenen Besprechung des letzten Bandes der ‚Französischen Geschichte‘, Rankes große Arbeiten fänden „nur selten noch eine ausführliche Besprechung“ in den kritischen Blättern (349). Dies mochte nicht zuletzt mit der Mißachtung zusammenhängen, welche man dem Werk bisher in der ‚Historischen Zeitschrift‘ selbst entgegengebracht hatte. In der späteren Forschung ging man gar so weit, Rankes ‚Französische Geschichte‘ „das ignorierte Werk“ zu nennen (Stromeyer/1950, 65), mit Blick auf die rund 35 hier - freilich für alle Auflagen zusammengenommen - nachgewiesenen Besprechungen und andere Urteile eine Fehleinschätzung, der auch keinerlei Kenntnis französischer Stimmen beiwohnte. Wilhelm Dilthey jedenfalls hielt Rankes ‚Französische Geschichte‘ später für „sein größtes Werk“, wenn auch mit der wohl fragwürdigen Begründung: „Das Eckige, Enge der deutschen Geschichte ist ihm nicht naturgemäß - er braucht den Glanz der weit ausschreitenden Persönlichkeiten“, wobei wohl vor allem an Richelieu und Ludwig XIV. gedacht sein mochte. (‚Erinnerungen an deutsche Geschichtschreiber‘, GS XI/²1960, 218). - Das Werk erlitt in seiner französischen Fassung ein auffallend sprechendes Schicksal, indem nach den 1854 und 1856 erschienenen Bänden I bis III (entsprechend den Bänden I und II der dt. Ausg.) erst rund dreißig Jahre später, von 1885 bis 1889, auch die Bände IV bis VI zu Tage traten, wie Jules Grenier mit Bedauern bemerkte, „parce que le public n’a fait que peu d’accueil aux deux premiers.“ (Grenier/1859, 329, A. 1). Weitere Übersetzungen weltweit konnten nicht ermittelt werden, wie überhaupt das französische Interesse an Ranke, gemessen an der Zahl von Ausgaben und Untersuchungen und im Vergleich mit der anglo-amerikanischen Welt, äußerst gering war und im 20. Jahrhundert, wohl aufgrund der mit Deutschland gemachten Kriegserfahrungen, nahezu völlig zusammenbrach. Immer wieder begegnet man indes auch Versuchen, die Aufnahme Rankes zu schönen. Sein fachlich autoritätvoller Frühschüler Georg Waitz verstieg sich 1861 in der nicht minder autoritätvollen ‚Historischen Zeitschrift‘ zu der Behauptung, Rankes Werke zur französischen und englischen Geschichte hätten „in Frankreich und England reiche Anerkennung gefunden“ (Waitz/1861, 350). Dies entsprang entweder einem Irrtum oder einer wunschgeprägten Übertreibung, welche jedenfalls imstande waren, an einer bis heute bestehenden Tradition von Irrtümern mitzuwirken. - In jüngster Zeit, anhebend mit Untersuchungen von Hans Robert Jauß, haben sich literarästhetische und geschichtstheoretische Arbeiten gerade dem französischen Werk besonders zugewandt. Bei den zeitgenössischen Kritiken der ‚Französischen Geschichte‘ spielt historische Fachkunde nur selten eine Rolle. Auch Vergleiche mit der entsprechenden französischen Literatur, überhaupt Betrachtungen der historiographiegeschichlichen Position - 269 -

I/2.1.7.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Französische Geschichte‘

und Bedeutung Rankes und des vorliegenden Werkes werden dabei kaum angestellt. Den Hauptpunkt der allgemeinen Kritik bildet, wie so oft, die fragmentierende Darstellung, Rankes versagte Vollständigkeit, eine Kritik, welche immer deutlicher die fundamentalen Züge annimmt, welche ihr zukommen. Daneben wird unter den französischen Kritikern vor allem seine konfessionelle Parteilichkeit getadelt. Eine andere Art von Parteilichkeit, die vornehmlich in den preußischen Werken auftritt, beanstandete der mehrfach herangezogene Republikaner Johannes Scherr. Er meinte den oft beklagten monarchistischen Devotionalismus Rankes (s. I/1.9), als er in einem Beitrag über ‚Geschichtschreibung und Geschichtschreiber der Gegenwart‘ der ‚Deutschen Jahrbücher für Politik und Literatur‘ des Jahres 1862 davon sprach, Ranke habe in seiner ‚Französischen Geschichte‘ „den Absolutismus möglichst verherrlicht“ (195): „Dieses Buch bezeugt übrigens Seite für Seite, wie weit es der Meister in der höfischen Glattstreichelung selbst des Widerborstigsten gebracht. Mit welcher zarten Kourtoisie wird z. B. die königliche Anstifterin der Bartholomäusnacht behandelt! Wenn dies historische Objektivität sein soll, dann mögen die Götter namentlich die Jugend vor den Einflüssen solcher Objektivität bewahren!“ (195). Damit stand Scherr nicht ganz allein. Noch 1870 konnte man in G. Schwabs und K. Klüpfels ‚Wegweiser durch die Literatur der Deutschen. Ein Handbuch für Gebildete‘ (4. Aufl.) über Rankes ‚Französische Geschichte‘ lesen: „Ein glänzendes Werk historischer Kunst, das in formeller Vollendung die früheren Werke des berühmten Verfassers noch übertrifft ... die Hauptbedeutung des Werkes beruht auf der welthistorischen Auffassung ... Die Charakteristik oft sehr treffend und das tiefere Verständniß der Personen und Dinge erschließend, hin und wieder aber die schroffen Seiten abschleifend und die sittliche Würdigung abschwächend oder umgehend...“ (162). Zu den ersten Besprechungen des Werkes im deutschsprachigen Raum kann man nicht den am 18. November 1852 erschienenen anonymen Artikel des ‚Magazins für die Literatur des Auslandes‘ mit dem anspruchsvollen Titel ‚Leopold Ranke über die Bedeutung der französischen Geschichte‘ zählen, denn dieser enthielt lediglich Zitate aus der Vorrede des „berühmten Historikers“. Auch eine wesentlich spätere Besprechung des ‚Magazins‘ brachte es nicht zu mehr als zu einer überaus anspruchslosen anerkennenden Besprechung, die hauptsächlich aus einem Auszug des Rankeschen Vorworts bestand (E. M./13. 2. 1869). Eine erste, ernstzunehmende Kritik stammte vielmehr wiederum von Ludwig Häusser. Er hatte sie für die ‚Allgemeine Zeitung‘ vom 28. und 29. November 1852 geschrieben und setzte sie in den Jahren 1853, 1855 und 1856 fort. Obgleich diese Skizzen der Bedeutung Häussers kaum gerecht werden und auch nicht das Niveau seiner Besprechungen der ‚Deutschen‘ und der ‚Preußischen Geschichte‘ erreichen, sind sie von Interesse wegen der überwiegenden Behandlung des Rankeschen Darstellungsstils und wurden daher in dem entsprechenden Zusammenhang betrachtet (s. I, 199f.). Vermutlich hatte Wolfgang Menzel die 1853 anonym in seinem ‚Literaturblatt‘ erschienene Besprechung des ersten Bandes der ‚Französischen Geschichte‘ selbst verfaßt (Obenaus/1973, 108: „Einen sehr großen Teil des Blattes schrieb Menzel selbst“). Schon 1835 war dort aus seiner Feder eine Besprechung von Rankes ‚Päpsten‘ erschienen (s. o.). Seiner nunmehrigen Nacherzählung gehen wenige kurze beurteilende Bemerkungen über die „geistvolle und umfassende Darstellung“ voraus. Man begegne „neuen Gedanken und interessanten Erwägungen“. Dazu rechnet Menzel - wie sonst keiner - „die Erörterung der städtischen Verhältnisse.“ (115). - Eine andere unter- 270 -

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haltende kritische Zeitschrift, die von Friedrich Bran in Jena herausgegebene ‚Minerva. Ein Journal für Geschichte, Politik und Literatur‘ nahm sich 1855 der ersten drei Bände an. Dem anonymen Rezensenten geht es hauptsächlich um den Nachweis, daß der „Einfluß des französischen Geistes auf unsre eigene wahrhaft gesunde Entwicklung ein höchst verderblicher gewesen“ sei (80). Dann äußert er sich verklausuliert und an Schlosser orientiert zu Ranke: „Es ist nicht sittlicher Indifferentismus, sondern allein das Uebergewicht der künstlerischen Anlage, die nichts nach dem sittlichen Werthe der sie anziehenden Objecte, sondern allein nach ihrer Schönheit fragt, welche auch in diesem großen Geschichtschreiber den Schein hervorbringt, als sei ihm der Sinn für das, was Andern als der eigentliche Werth der Geschichte gilt, für ihre practischsittliche Bedeutung verschlossen“ (101f.). Es gebe jedoch einen „wenigstens für den deutschen Geist und den Geist dieser Gegenwart insbesondere geeigneteren und berechtigteren Standpunkt“ (170), nämlich die „Betrachtung des sittlichen Entwicklungsganges der Menschheit“ (215). Mittlerweile war eine anonyme Besprechung der ‚Französischen Geschichte‘ des ‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘ erschienen, die sich durch eine größere Urteilsfähigkeit auszeichnete, sich aber, wie die entsprechenden Beiträge Häussers, in bemerkenswerter Weise überwiegend zu Rankes Darstellungskunst äußerte (LCD, 30. 12. 1854, s. I, 197). Dies setzt sich in einem Artikel des Blatts vom 23. Februar 1856 zu Band III fort. Dort kann das Vorhandensein „einzelner glänzender Partieen“, etwa die Darstellung Mazarins und Turennes, den Rezensenten nicht entschädigen für die allzu skizzenhafte und fragmentarische Behandlung, besonders im Abschnitt ‚Ludwig XIV. auf der Höhe seiner Macht‘. Das „Wichtigste“ sei „zu farblos dargestellt und zu sehr mit Details und Nebensächlichem vermischt, als daß man einen klaren und bestimmten Eindruck“, namentlich über die großen Gegensätze des europäischen Staatensystems, gewinnen könne. Die späteren anonymen Besprechungen der Zeitschrift (22. 5. 1869 u. 18. 6. 1870), nach Aufnahme des Werkes in die ‚Gesamtausgabe‘, sind Teil von Sammelbesprechungen, wenig charakteristisch, verzeichnen indes (18. 6. 1870) wenigstens Änderungen gegenüber der früheren Auflage. Sachverständige, auch mit den einschlägigen Archivbeständen allgemein vertraute Besprechungen des vermeintlichen Gesamtwerkes, überraschend unpolemisch und streckenweise nicht ohne Wohlwollen und Bewunderung, begegnen in der Wiener ‚Katholischen Literatur-Zeitung‘ der Jahre 1855 bis 1857, zunächst am 16. April 1855. Ranke habe, so bemerkt der als Kürzel E. auftretende Rezensent, mit „Geschick und Glück ... in diesem Buche die nationale wie die welthistorische Seite der französischen Geschichte in Betracht gezogen und behandelt“ und lasse sich „nirgends eine Schmähung oder absichtliche Ungerechtigkeit und Entstellung zu Schulden kommen“ (121). In den beiden ersten Büchern habe Ranke „bei seiner objectiven lichtvollen Darstellung noch durch Nichts den Protestanten verraten“. Erst im dritten Buch könne er den „protestantischen Standpunkt nicht verläugnen“. Ihm fehle überhaupt „das wahre Verständniß des Katholicismus“ (ebd.). Während dieser „selbst jede eigentliche Veränderung“ ausschließe, sei der Protestantismus „lediglich eine Entwicklung des mit der Kirche stets im Kampfe liegenden Ungehorsams, eine Folge des ungefügen Eigensinns“. Man vermisse eine größere Ausführlichkeit bei der Darstellung der Ständeversammlung von 1614 und des Friedenskongresses von Loudon im Jahre 1616. Auch sei Ranke „auf dem Gebiet des Kirchenrechts schlecht zu Hause“ (122f.). Über Gustav Adolf urteile er „etwas zu glimpflich“ und über Wallenstein bringe er „nichts Neues; im - 271 -

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Gegentheile scheint er das Vorhandene nicht sorgfältig genug benützt zu haben, namentlich was Mailath [1786-1855] über die Katastrophe Wallensteins berichtet.“ (123. Johann Mailath: Geschichte des österreichischen Kaiserstaates, 5 Bde, 1834–50). - Die sich im September 1855 anschließende Besprechung des dritten Bandes dürfte, obgleich sie nicht mit E. gezeichnet ist, von demselben Rezensenten verfaßt sein. Ranke stehe mit seiner Darstellung „vollkommen auf eigenen Füßen“, einzelne Abschnitte seien „meisterhaft“ gezeichnet, von der Regierung Ludwigs XIV. werde ein „klares und anschauliches Bild“ gegeben (192), und in Rankes Ansichten, etwa der jansenistischen Frage, spreche sich „rühmliche Billigkeit und Toleranz“ (192) aus. Doch nun fällt ein Tadel auf Bereiche, an denen Ranke stets besonders gelegen war, wobei die Literatur- und wohl auch Archivkenntnis des Rezensenten zum Tragen kommt: Zum einen seien die auswärtigen Verhältnisse „etwas zu stiefmütterlich“ behandelt - das Gegenteil lobte 1878 ein Rezensent der , Allgemeinen Zeitung‘ (Rd. 3.2. 1878) - und zum anderen blieben in diesem Werk, obgleich es sich auf „viele werthvolle archivalische Forschungen“ gründe, doch noch zahlreiche Wünsche offen, etwa über die „französischen Intriguen beim westphälischen Friedensgeschäft, über den damaligen Rheinbund, über die Devolutionskriege und über die niederländischen Invasionen“. Der Rezensent hatte gehofft, daß Ranke das zu Paris „in den wohlgeordneten Archiven der Ministerien des Kriegs und der auswärtigen Angelegenheiten“ „massenhaft aufgehäufte Material“ wenigsten teilweise benutzen würde. „Sein Werk würde eine bei weitem höhere Anerkennung beanspruchen können, wenn ihm der Briefwechsel des französ. Ministeriums mit den Gesandten auf den Friedenscongreß, dann die Actenstücke, welche Oesterreich, Bayern, Mainz, Trier, Köln, Münster, Hannover, Brandenburg, Holland u. s. w. betreffen, und endlich die im Kriegsministerium liegenden Kriegsberichte und militärischen Relationen zu Grunde gelegt worden wären.“ (191). - Die anonyme Besprechung von Band IV, erschienen am 23. Februar 1857, welche gelegentlich Veröffentlichungen des Katholiken Leonhard Ennen (18201880) beizieht, vertritt keine härteren Positionen mehr, hat vielmehr, und dies spricht neben der gewandelten Stilistik für das Auftreten eines anderen Rezensenten, selbst den Charakter der Rankeschen Darstellung angenommen: „Ueberall herrscht eine gewiße Ruhe und Milde in der Auffassung und Darstellung“ (65). Sie bewundert die großartige Anlage des Werkes. „Ueber solch ein reichhaltiges Material und einen im verschiedenartigsten Gebilde hingeworfenen Stoff erhebt sich der Geist des Meisters, ordnend und belebend, und seine Gestalten treten plastisch und vom Hauche schaffender Originalität beseelt, in solch psychologischer Wahrheit vor uns hin...“ (ebd.). Zumindest zwei renommierte und Ranke besonders nahestehende Rezensenten hätten sachverständig tätig werden können: Georg Waitz und Reinhold Pauli, doch sie versagten sich dieser Aufgabe. Zwar verfaßte Waitz 1861 in Band 6 der ‚Historischen Zeitschrift‘ einen Artikel ‚Zur Würdigung von Ranke’s historischer Kritik‘ (s. auch I, 178), doch beschäftigte er sich darin vor allem mit den in Band V angelegten Analekten, wodurch er einer genaueren Betrachtung der voraufgehenden vierbändigen historiographischen Leistung aus dem Wege ging. Bedeutung und Ausmaß dieser Zurückhaltung werden noch deutlicher durch das Auftreten einer peinlichen erneuten Anzeige des Bandes, diesmal anonym in Band 8 der ‚Historischen Zeitschrift‘ von 1862, welche aus 7 Zeilen besteht und lediglich ein Verzeichnis der Analekten „des vortrefflichen Werkes“ bietet, dies die einzigen Hinweise der Zeitschrift auf Rankes ‚Französische Geschichte‘, - vielleicht Ausdruck des schwierigen Verhältnisses, in dem - 272 -

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sich ihr von Ranke geförderter und an französischer Geschichte nicht minder interessierter Herausgeber Sybel Ranke gegenüber sah. - Der zweite hochqualifizierte Rezensent wäre Reinhold Pauli gewesen, doch ließ er sie in einer 1872 erschienenen, insgesamt 24 Bände aus Rankes ‚Sämmtlichen Werken‘ umfassenden Sammelbesprechung der in London erscheinenden ‚Academy‘, welche auch die ‚Französische Geschichte‘ mit einschloß, bei aller Bewunderung des „great master of modern historiography in Germany“ (193), fast unerwähnt. Stattdessen überließ man das Feld der Kritik schlichteren Geistern. Die Ranke stets gewogene ‚Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung‘, die er selbst allen anderen Blättern vorzog, brachte in einer Beilage vom 20. Juni 1869 eine kurze, verehrungsvolle Sammelbesprechung, in der vermerkt wird, seine ‚Französische Geschichte‘ leuchte „schon seit ihrem ersten Erscheinen durch jene Vorzüge der Form und Methode, welche den Stifter der neuen historischen Schule als einen der ersten Historiker aller Zeiten legitimiren.“ Was solle man mehr bewundern, fragt sich der Rezensent: die „unerbittliche Wahrhaftigkeit ... des Forschers“ oder die „plastische Hand des Künstlers?“ (φ: Leopold v. Ranke: „Sämmtliche Werke“/1869 ohne Pag.). In der ‚Allgemeinen Zeitung‘ war eine gewisse Vorsicht angeraten, denn Rankes ‚Französische Geschichte‘ erschien neben den ‚Sämmtlichen Werken‘ immer noch im Ursprungsverlag des Werkes, bei Cotta, dem höchst einflußreichen Verlag der Zeitung. Der Rezensent, welcher die Bände I-III der dritten Auflage in der Beilage vom 3. Februar 1878 besprach, geht nicht in Details, bietet indes einige bemerkenswerte allgemeine Betrachtungen, wobei früher Vorgeworfenes nunmehr in einem milderen Licht erscheint: „Daß wir endlich eine anderen Nationen mindestens gleichberechtigte Machtstellung uns erworben haben, das hat dem großen Publicum die Gleichgültigkeit oder gar Abneigung gegen die Leistungen der Geschichtswissenschaft benommen ...“ „Selbst Ranke“ sei in wenigen Jahren schon wieder aufgelegt worden. „Denn von allen modernen Geschichtschreibern ist er vielleicht derjenige, welcher dem Leser am wenigsten den geistigen Verkehr mit sich erleichtert. Vornehm, wie er ist, verschmäht er es anders als nur andeutend bei dem zu verweilen was er als gemeinsamen Wissensschatz bei dem gebildeten Publicum voraussetzen zu sollen glaubt. Und dieß ist, wie jedermann weiß, nicht wenig. Auch die Betrachtungspunkte unter denen ihm die Ereignisse erscheinen, seine Auffassung der historischen Dinge als des Kampfes der Freiheit, die sich ihm in den leitenden und einflußreichen Individuen repräsentirt, mit der Nothwendigkeit die in den großen Gemeinsamkeiten und ihren wechselvollen Verwicklungen zum Ausdruck kommt, mehr noch seine Art die concreten Gewalten in der Form abstracter Begriffe zusammenzufassen, mit allgemeinen Resultaten zu operiren, die mehr noch geschichtsphilosophischer, um mich so auszudrücken, als politischer Natur sind: alle diese Besonderheiten des großen Geschichtschreibers sind der Menge wenig geläufig.“ - So sei es das „Hauptverdienst“ seiner ‚Französischen Geschichte‘, „die allgemeinen Beziehungen Frankreichs zu den einzelnen Staaten des Welttheils gezeichnet zu haben, seinen Einfluß auf den Gesammtzustand Europa’s.“ (497). S t i m m e n d e s A u s l a n d s . - Auch französische Stimmen sind nicht durchweg positiv ausgefallen. Die Hauptpunkte der im allgemeinen qualifizierten Beurteilung gelten der Rankeschen ‚Objektivität‘ und ‚Unparteilichkeit‘, die zum Teil schwere Vorwürfe hinnehmen muß, und der Auslassung von Tatsachen, welche für den Zusammenhang wesentlich sind, begleitet von der Kritik seiner Benutzung diplomatischer Quellen. - 273 -

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Ranke hatte Edouard Renée Lefebvre de Laboulaye (1811-1883) im Sommer 1843 in Paris kennengelernt. 1865 besuchte er den „alten Freund“ in dessen Landhaus in Versailles, trotz dessen „republikanischer Ader“ (s. II/7.2). 1853 verfaßte dieser, damals ‚Professeur de législation comparée au Collège de France‘, eine Besprechung des ersten Bandes der ‚Französischen Geschichte‘: Der größere Erfolg Rankes in England - womit nur seine ‚Päpste‘ gemeint sein konnten - , dessen Name, so mutmaßt Laboulaye, in Frankreich bekannter sei als seine Werke, sei wohl auch auf seinen Protestantismus zurückzuführen. Was Ranke auszeichne, sei weniger die Einführung neuer Tatsachen, als eine besondere Art der Persönlichkeitsschilderung : „Ce ne sont plus des abstractions, des personnages de tragédie ...; ce sont au contraire des individus ondoyans et divers comme nous, moins grands que ne les voudrait l’imagination, mais aussi moins coupables, et presque toujours faibles, ignorans ou trompés bien plutôt que méchans.“ Allerdings erläßt Laboulaye Ranke nicht den schwer wiegenden Tadel, in seiner Darstellung die Rolle der als Quellen benutzten Diplomaten nebst deren Kälte übernommen zu haben. Und der Verfasser späterer ‚Études morales et politiques‘ (Paris: Charpentier 1862) fordert von einem Historiker und von Ranke ganz entschieden: „Il faut sans doute qu’il soit impartial; mais l’impartialité est-ce l’indifférence? L’historien n’est pas un témoin, c’est un juge; c’est à lui d’accuser et de condamner au nom du passé opprimé et dans l’intérêt de l’avenir ... on aimerait mieux un art moins grand et plus de passion.“ (Laboulaye/1853, 3). Ebenfalls im Jahr 1853 konnte sich Ranke einer Besprechung seiner ‚Französischen Geschichte‘ in der ‚Bibliothèque universelle de Genève‘ erfreuen, - nunmehr uneingeschränkt positiv - aus der Feder von Adolphe de Circourt (1801-1879), den er im März 1848 in Berlin kennengelernt hatte. Circourt befand sich damals auf einer ‚mission à Berlin‘ als von Lamartine eingesetzter Gesandter an den preußischen Hof (Robert C. Winthrop: Tribute to the memory of Count Adolphe de Circourt, [Boston 1880], 3), wobei er Gelegenheit hatte, sehr bezeichnende politische Äußerungen Rankes zu vernehmen (s. II, 475, 1848, auch Helmolt/1921, 103f). Ranke verkehrte bei seinen Archivaufenthalten in Paris auch im Salon von Circourts Gattin Anastasia de Circourt (1808-1863, s. II, 478, 1852). - Circourts Besprechung von Band I der ‚Französischen Geschichte‘ in deutscher Ausgabe stellt wie so oft eine mit Zitaten durchsetzte Nacherzählung dar, der jedoch folgende allgemeine Beurteilung vorangeht: Ranke „rassemble toutes les qualités dont l’union est nécessaire pour former l’historien complet et donner de l’autorité aux jugements sortis de sa plume: ardeur infatigable dans le travail ; sagacité dans l’interprétation des textes et la comparaison des témoignages; ordre lumineux dans l’arrangement de ses matériaux; sévère impartialité dans la peinture des caractères ; réprobation inflexible du mal [! Eine ganz ungewöhnliche Feststellung], indulgence pour l’humanité ; style pur, lucide, d’une simplicité élevée, ne hasardant aucune expression équivoque ou forcée, évitant également la bassesse et l’enflure, ne cherchant à produire d’effet que par la splendeur de la raison.“ (Circourt/1853, 43). Zu den weiteren Vorzügen zählt Circourt, wie auch Laboulaye, die historischen Porträts: „Les siens sont d’une vérité, pour ainsi dire, familière et persuasive, sans minutie, sans bassesse, sans le moindre trait d’exagération.“ (193) - „Un des principaux mérites du travail de M. Ranke ... est de rendre sensible l’enchaînement des causes générales, et de réduire à ses justes limites l’action des caractères personnels, sans affaiblir en rien pourtant la responsabilité individuelle des acteurs du grand drame dont il présente le résumé.“ (S. 201). Wiederum eine vom Üblichen völlig - 274 -

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abweichende Bemerkung, die auch im Gegensatz zu Laboulayes Formulierung der „moins coupables“ steht - Circourt wünscht dem Werk eine baldige Übersetzung ins Französische: „nous ne connaissons aucun travail contemporain qui soit plus propre à faire pénétrer dans les consciences, et adopter par les esprits, un plus grand nombre de principes sains et de disposition profitables.“ (43) Die Übersetzung durch J.-Jacques Porchat erschien ab 1854. Auch von Oscar de Watteville (1824-1901) stammt zunächst eine 1853 erschienene Besprechung des ersten Bandes der deutschen Ausgabe. Nicht minder hier im ‚Athénæum français’ wird übersetzend viel zitiert, weniger beurteilt, dann jedoch zwiespältig. Ranke „est juge intègre au milieu des débats les plus passionnés. Il s’efforce de n’ être ni catholique ni protestant, il n’étudie plus les questions que dans leur ensemble et sous le rapport de la politique“ (Watteville/1853/401). Hierauf indes werden aus der Sicht des Rezensenten schwere Mängel aufgezeigt: zum einen die Auslassung von Tatsachen, welche durchaus in das Gesamttableau der französischen Geschichte hineingehört hätten, wie etwa die ersten Unternehmungen zur See, die Entdeckungen in Nordamerika. Bedauerlicher jedoch seien andere, an denen man Rankes Parteilichkeit festmachen könne. Er behandele die unzähligen Grausamkeiten der Religionskriege ohne darauf näher einzugehen, jedoch wo er von denen der Katholiken spreche, bedecke er die der Protestanten mit Schweigen, wozu eine Reihe von Beispielen herangezogen wird. Seine Unparteilichkeit zeige sich jedoch in der Darstellung der großen Persönlichkeiten (454). Im ganzen sei er „Esprit sérieux et étudiant avec curiosité les questions politiques et économiques, recherchant avec amour tout ce qui peut éclairer l’étude du droit publique ...“ (456). - Zu Wattevilles Besprechung erschien im ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ umgehend ein ausführliches anonymes Referat ([Anonym/16. 6. 53]). Im folgenden Jahr widmete sich Watteville den ersten beiden Bänden der soeben erschienenen französischen Übersetzung. Ranke wird hierin wieder, begleitet von ausführlichen Zitaten, gelobt als „plein d’élévation dans l’esprit, de force et de finesse dans le jugement, d’une sagacité profonde et d’une érudition puisée aux meilleures sources“ (Watteville/1854, 598). Nun wird seine „noble impartialité“ gepriesen, um so mehr, als man dieser seit langem nicht mehr von jenseits des Rheins begegnet sei (ebd.). Für den ‚Correspondant‘ des Jahres 1860 schrieb der bereits anläßlich seiner Kritik der ‚Preußischen Geschichte‘ betrachtete Ernest Grégoire eine scharfe Besprechung der ersten drei Bände der französischen Ausgabe (entsprechend den ersten beiden der deutschen) unter dem spezialisierten Titel ‚Le calvinisme en France au seizième siècle‘. Auch seine neue Beurteilung hat zwiespältigen Charakter. Zwar verdiene die Arbeit Rankes jedes Lob, seine Porträts seien im allgemeinen wieder kunstvoll ausgeführt, seine Darstellung der Regierung Ludwigs XIV. ein Kunstwerk, die Zahl der nicht genannten Tatsachen im zweiten Band stärker eingeschränkt als sonst, sein Stil indes ein wenig schwer und sogar langweilig. Von größerer Bedeutung aber sei: „ce livre est empreint en faveur du protestantisme d’une partialté déguisée sous les dehors d’une fausse équité“ (Grégoire/1860, 102). Für die erforderlichen Berichtigungen in Rankes Darstellung der ‚Réforme‘ in Frankreich glaubt Grégoire nicht weniger als den Umfang eines Bandes benötigen zu müssen (133) und nachgewiesen zu haben, daß Ranke in seinem ersten Band die meisten dem Protestantismus ungünstigen Tatsachen versteckt oder bemäntelt habe. Vom zweiten Band an mache sich dies nur noch selten geltend (133). Eine „objection capitale“ betrifft die von Ranke zugrunde gelegten - 275 -

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Quellen. Die von Diplomaten herrührenden Mitteilungen seien weit davon entfernt, sicher und unfehlbar zu sein. (134). Zwei besondere Bemerkungen Grégoires müssen abschließend hervorgehoben werden: „Les nations ... ne sont pas pour lui des êtres moraux ayant leurs mouvements et leurs lois.“ (Ebd.). Nahezu dies aber wird von Ranke - u. a. im ‚Politischen Gespräch‘ - in Anspruch genommen. Der Rezensent läßt indirekt den Unterschied von Rankes später stets betrachteten theoretischen Äußerungen und in diesem Punkt kaum beachteten praktischen Darstellungen erkennen. Auch sei die Geschichte für ihn ein Drama, das sich stets nur unter einer eingeschränkten Zahl von Personen ereigne. Fast niemals sei Ranke bemüht, das Wirken der großen geheimnisvollen Kräfte aufzuweisen, welche dazu dienen die Welt zu regieren (ebd.). - Dem steht eine Beurteilung aus der Feder von Jules Grenier entgegen, der 1859 Ranke in der ‚Revue germanique‘ ebenfalls eine hier mehrfach herangezogene Folge über ‚Historiens allemands contemporains‘ erscheinen ließ, in der er Ranke gegen zwei Vorwürfe in Schutz nahm: zum einen, daß er für die „hommes supérieurs‘ Partei ergreife, ungeachtet des moralischen Wertes ihrer historischen Rolle, zum anderen, daß er sein Talent, politische Verwicklungen zu verstehen, auch dort anwende, wo davon gar nicht die Rede sein könne. Grenier fürchtet allerdings, daß das ausschließliche Studium der großen diplomatischen Zeitalter des 16. und 17. Jahrhunderts Ranke auf die Dauer weniger geeignet mache zum Verständnis der neueren Zeit, in der nicht mehr die Individuen, sondern die Massen sprächen (329f.). Jahrzehnte später schrieb der Historiker und Theologe Alfred Baudrillart (18591942) im ‚Bulletin critique‘ des Jahres 1888 eine sehr wohlwollende Besprechung des vierten, 1885 erschienenen Bandes der französischen Übersetzung. Er war zu dieser Zeit befaßt mit der Vorbereitung einer Arbeit über ‚Philippe V et la cour de France‘ nach unveröffentlichten Dokumenten der Archive von Simancas, Alcalá de Henares und des Pariser Außenministeriums (Paris: La Revue 1889), weshalb wohl eine gewisse Sachkenntnis anzunehmen ist. Angesichts der späteren französischen Darstellungen von Pierre Adolphe Chéruel, Pierre Clément, Jules Joseph Valfrey oder Camille Rousset, bewundert er die Sicherheit der Information, auf der die rd. 30 Jahre zurückliegende, keineswegs veraltete Arbeit Rankes beruhe. Sein Werk werde neben den größten historischen Werken des Jahrhunderts fortleben. Besonders den Zusammenhang der äußeren und inneren Verhältnisse habe Ranke stark ins Licht gerückt. Auch im Detail begegne man großer Genauigkeit und - wie etwa bei den Corneille gewidmeten Seiten - Beredsamkeit. Noch nie sei jemand so tief zum Wesen Ludwigs XIV. vorgedrungen wie Ranke. Baudrillarts Vergleich Rankes mit Augustin Thierry führt auf eine wichtige allgemeine Frage, welche den späteren Kardinal Baudrillart verständlicherweise besonders bewegte, vordergründig: weshalb es gerade zwei Würdenträger der römisch-katholischen Kirche waren, durch welche das französische Königtum vollends zu einer unbegrenzten Macht aufgestiegen sei. Während Augustin Thierry in Richelieu und Mazarin vor allem den Nationalgedanken am Werk sehe, glaube Ranke, ihr Eintreten für Absolutismus und Zentralisation fälschlicherweise gerade dem Katholizismus beider zuschreiben zu müssen. Wie eingangs bemerkt, war das Echo auf Rankes ‚Französische Geschichte‘ in England äußerst gering. Hier gelang nur der Nachweis einer Berücksichtigung von Band V innerhalb einer anonymen Sammelbesprechung der ‚Saturday Review‘ vom 19. Oktober 1861 in der Rubrik ‚German Literature‘. Der anonyme Rezensent lobt die in Rankes ‚Analecten der französischen Geschichte im sechzehnten und siebzehnten - 276 -

I/2.1.7.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Englische Geschichte‘

Jahrhundert‘ geübte sorgfältige Quellenkritik, besonders nützlich für Geschichtsstudenten. Ranke sei darin kein nachsichtiger Richter. Anders stehe es mit den von ihm bevorzugten Relationen, da sage er nichts über deren Zuverlässigkeit (415). Eine Besprechung der ‚Französischen Geschichte‘ von ungarischer Seite wurde durch David Angyal (‚Falk Miksa és Kecskeméthy Aurél elkobzott levelezése‘ (‚Der beschlagnahmte Briefwechsel von Maximilian Falk und Aurel Kecskemethy‘), Budapest 1925, 611) nachgewiesen. Sie stammt aus der Feder von Simon Bánffay (1819-1902) und wurde von Fritz Valjavec in seinem wertvollen Beitrag über ‚Ranke und der Südosten‘ (1935, 15) als „sehr abfällig“ bezeichnet, auch werfe sie Ranke „Fehler in der Begründung der Ereignisse“ vor. Die Aufnahme der ‚Englischen Geschichte‘ (I/2.1.7.2) Rankes ‚Englische Geschichte vornehmlich im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert‘ erschien in Erstauflage siebenbändig in den Jahren 1859 bis 1868. Zu Rankes Lebzeiten kam es - bis 1877 - zu vier Auflagen, wovon den ersten beiden Bänden stets eine größere Aufmerksamkeit zuteil wurde. - Die wahrlich lange Reihe englischer Übersetzungen seiner Werke hatte 1840 eingesetzt. Obgleich Ranke in keinem außerdeutschen Land auch nur annähernd so erfolgreich war wie in England - wohl hauptsächlich wegen der hier besonders interessierenden Thematik des Papsttums, doch auch in der Vielfalt seiner übersetzten Werke -, stellte dies Ranke selbst nicht zufrieden: „... ich weiß“, schrieb er 1857 aus London an seine Frau Clarissa, „daß ich nicht gerade allzuviel hier studiert werde“ (26. 3. 57, SW 53/54, 386). Es dürfte im besonderen Maße für seine ‚Englische Geschichte‘ gegolten haben. Wie in Frankreich die ‚Französische Geschichte‘, so zählte in England die ‚Englische‘ nicht zu den Erfolgen. Erst 1875, nachdem fast alles andere, z. T. mehrfach, in Übersetzung vorlag, unternahm man eine solche. Seine ‚Englische Geschichte‘ sei nie ein populäres Buch gewesen, konnte man auch in einem anonymen Nachruf des ‚Manchester Guardian‘ (Nr. 12, 411 [sic!], 25. Mai 1886, 89) lesen. Man mag kaum glauben, daß die englische Version fast ein Jahrhundert lang völlig vereinsamte und erst 1966 durch einen amerikanischen Reprint wieder hervorgeholt wurde. Auch Rankes Sohn Friduhelm wußte: „Nur die Päpste haben in England eine wirklich gute Aufnahme gefunden, und das wohl hauptsächlich dank der Macaulayschen Empfehlung.“ (FvR I/1904, 80). - Die Bemerkung Friduhelms galt der Besprechung aus Macaulays Feder in der Edinburgh Review (Nr. 145, Oct. 1840, 227-258 u. öfter; s. o.). Rankes Werk hat trotz des geringen englischen Verbreitungs-Erfolgs dort und in Deutschland eine Fülle von Reaktionen hervorgerufen. In den hier nachgewiesenen rund 50 Besprechungen liegen einige fachlich im besonderen Maße qualifizierte Specimina vor. Auf deutscher Seite treten besonders jüngere Schüler Rankes und einige Schulmänner nicht unkritisch auf. Kein anderes Werk Rankes bietet in seinen Beurteilungen eine derartige Fülle historiographiegeschichtlicher Vergleiche. Er selbst hatte solches geradezu veranlaßt. In der Vorrede des Werkes war - wie bereits in der ‚Französischen Geschichte‘ - nicht nur auf die unterschiedliche Lage eines einheimischen oder ausländischen Autors in der Behandlung einer Nationalgeschichte hingewiesen, es - 277 -

I/2.1.7.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Englische Geschichte‘

fand sich dort auch eine später selten bemerkte freundliche Anspielung auf den im Erscheinungsjahr des ersten Bandes der ‚Englischen Geschichte‘ verstorbenen Macaulay und seine vielgelobte, weitverbreitete ‚History of England‘ (EnglG I/1859, XIsq.). So wird neben Blicken, die von Rezensenten gelegentlich auf John Richard Green (1837-1883), John Lingard (1771-1851), François Guizot (1787-1874), Henry Hallam (1777-1859) und James Anthony Froude (1818-1894) geworfen werden - in fast allen Kritiken seiner ‚Englischen Geschichte‘ der naheliegende Vergleich mit Macaulay geprobt, der nicht selten zu dessen Gunsten ausfällt. Die Vielfalt der Ranke gemachten Vorwürfe ist groß. Sie reicht von geringer Eindringlichkeit der Studien, mangelnder Kultur- und Sozialgeschichte, Ungleichgewicht durch Bevorzugung der auswärtigen Beziehungen, fehlendem sittlichem Urteil bis hin zu konfessioneller Parteilichkeit und Verherrlichung des Absolutismus. Doch wird auch in manchen Punkten das Gegenteil gelobt. Die anonyme Begrüßung des Werkes in den ‚Anregungen für Kunst, Leben und Wissenschaft‘ des Jahres 1859 fiel bereits gemischt aus. Die im mittleren Feuilletonstil gehaltene Besprechung ging auf den Inhalt des Werkes im einzelnen nicht ein, bot jedoch eine allgemeine Charakteristik des „größten Historikers, dessen wir uns gegenwärtig erfreuen“ (150). „Die Geistreichigkeit und das überexclusive Vermeiden gewöhnlicher Voraussetzungen und Anschauungen, die viel voraussetzende und erst dann gewährende Weise Ranke’s machen ihn zu einem Schriftsteller, dessen Verständniß und Bewunderung den Einzelnen aufbehalten bleibt.“ (151). In Rankes „sehr treffender und scharfer, manchmal allzufein zugespitzter“ Charakteristik wie in seinem Stil, „in seinem Unberücksichtigtlassen gewisser culturhistorischer Partien“ zeige sich seine „aristokratische Natur“ (ebd.), ein Begriff, der u. a. von Johannes Scherr und Karl Frenzel benutzt wird. - Auch in Ranke nahestehenden Kreisen wurde ein berechtigter Hauptkritikpunkt nicht übersehen. Leopold von Gerlach schrieb am 15. Okt. 1859 an seinen Bruder Ernst Ludwig: „Ranke behandelt England zu einseitig parlamentarisch und daher oberflächlich. Hirsch führte das auf einem Voß’schen Diner letzthin sehr gut aus.“ (Von der Revolution zum Norddeutschen Bund/1970, 1028). In diesem Monat erschienen auch in der von Hermann Keipp redigierten ‚Berliner Revue‘ mit dem Untertitel ‚Social-politische Wochenschrift‘ zwei Artikel, die sich weder sozal-politisch noch auch sonst bedeutungsvoll mit Rankes ‚Englischer Geschichte‘ befaßten. Der Rezensent bemerkte neben seinen Nacherzählungen lediglich, daß sich Band I „wesentlich von dem Style und der Darstellungweise, die in den letzten Werken herrschten, vorteilhaft“ unterschieden (62). Mit „wahrhafter Meisterschaft“ würden „Personen und Verhältnisse anschaulich vor die Seele“ geführt, „als ob wir das vollendetste Kunstwerk vor uns hätten“ ([Anonym:] Ranke über England/1859, 100). Der Beginn des Folgejahres brachte eine aufsehenerregend massive Kritik der national-liberalen, gothaisch-protestantischen ‚Grenzboten‘. Sie stammte von Rankes bereits mehrfach herangezogenem Schüler oder nur Hörer Gustav Adolf Bergenroth. Er glaubte feststellen zu sollen, Rankes „Grundfehler“ sei, daß er „für das Wachsthum und die allmälige Entwicklung des Landes kein Auge“ habe (Bergenroth/1860,121). Er verfalle damit vornehmlich in den „Fehler der Vergrößerung“, wie an einer Reihe einleuchtender Beispiele nachgewiesen wird: Rankes übertriebene Auffassung der frühbritischen wirtschaftlichen und kulturellen Zustände, i. b. Kg. Alfreds, oder sein Versuch, „die Familie Tudor ihrer Abstammung nach als vornehm und legitim darzustellen“ (122,128f.). Während Ranke Heinrich VIII. aufgrund von Burnet und Froude - 278 -

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eine bewundernde Darstellung zuteil werden, Elisabeth als eine „Beschirmerin der Reformation“ (135) auf dem Kontinent erscheinen lasse, behandele er Maria Stuart, „als ob ihre Ansprüche als Thronfolgerin beachtet zu werden aller Begründung entbehrten“ (134). Ohnedies habe es Ranke an den nötigen „langjährigen, sehr ernsten Studien“ gemangelt (127). - Die Besprechung rief bei Johann Gustav Droysen, der wahrlich kein Freund Rankes war, eine eher professoral-kollegiale als fachlich gegründete Empörung hervor, die er in einem Brief an Heinrich von Sybel äußerte (5. 2. 60, Droysen: Briefwechsel II/1929, 661). Die Notwendigkeit einer Verteidigung Rankes war für dessen Schüler Reinhold Pauli, der die Geschichte Englands für die Jahre 1154 bis 1509, also bis zu Rankes eigentlichem Beginn dargestellt hatte, noch nicht sichtbar, als er an einem Aufsatz über ‚Heinrich VIII und seine neuesten Beurtheiler‘ schrieb, der den ersten Band der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes mit einbezog, aber in einer ausführlichen Darstellung Heinrichs VIII. weit über eine Besprechung hinausging. Beim Vergleich mit der seit 1856 erscheinenden ‚History of England from the fall of Wolsey to the death of Elizabeth‘ von James Anthony Froude stellte Pauli in Band 3 der ‚Historischen Zeitschrift‘ von 1860 fest: „Die Charakteristik Heinrich’s VIII verdankt der letzten englischen Arbeit wesentliche Aufschlüsse; nichts desto weniger ist es ausgemacht, daß Froude’s paradoxe Vergötterung ein Mißgriff gewesen. Ranke dagegen hat auf kaum hundert Seiten den Mann und seine Zeit behandelt, darin aber nach allseitiger Prüfung und mit sicherem Takt die Schätzung beider auf das wahre Maß zurückgeführt.“ (106). Als Pauli von Bergenroths Angriff erfuhr, verfaßte er noch im selben Jahr für Band 4 der ‚Historischen Zeitschrift‘ vorgeblich eine Besprechung von Band I der ‚Englischen Geschichte‘, welche jedoch lediglich eine von Empörung getragene Verteidigung Rankes darstellt, bei der er bemüht ist, die Kritikpunkte - etwa die Beurteilung der Tudors - als „eigene Schnitzer“ (R[einhold] P[auli]: [Bespr. von EnglG I]/(1860), 475) Bergenroths nachzuweisen. Pauli forderte mit seinem Beitrag nicht zuletzt die Kritik Johannes Janssens heraus (s. u.). Noch später, 1865, hatte er in dieser Angelegenheit die ‚Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland‘ mit einem provokativen anonymen Artikel aus der Feder von Karl Heinrich Frhr. Roth von Schreckenstein, ‚Ob die Historische Zeitschrift des Herrn von Sybel dem Fortschritt huldigt?‘, gegen sich. Bergenroth konnte immerhin nicht als inkompetent bezeichnet werden. Vor Erscheinen seiner Besprechung hatte er mehrere Jahre lang zu den „eifrigsten Besuchern des jüngst für Nachforschungen aller Art eröffneten Staatsarchivs (Public Record Office)“ gehört (Pauli, Reinhold: Bergenroth, Gustav Adolf. In: ADB 2/1875, 369-372, 370) und machte sich nach Abfassung seiner Ranke-Besprechung auf nach Simancas, wo er sehr erfolgreich an einem Ort tätig war, den Ranke zu seinem nicht unerheblichen Nachteil unbesucht gelassen hatte. Seine Kritik der Rankeschen Darstellung der ersten 1500 Jahre englischer Geschichte scheint nicht völlig unberechtigt zu sein; diese wird auch später selbst von Reinhold Pauli, „was die Durchsichtigkeit der Continuität betrifft“, für „nicht ganz so gelungen“ (Pauli: Heinrich VIII./1860, 103), von Edward Augustus Freeman gar als „poor enough“ bezeichnet (Freeman/1875, 363, s. u.). Nicht minder entspricht es Freemans allgemeinen Feststellungen, wenn Bergenroth die „Wechselwirkungen zwischen England und dem Kontinent“ als „im Ganzen vortrefflich erzählt“ darstellt, jedoch Rankes Eingehen auf „die eigenen Zustände von England ... beschränkt und einseitig“ findet (128). - 279 -

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Pauli erhielt auch über den frühen Tod Bergenroths hinaus die fragwürdige Gelegenheit, den mit starken revolutionären und sozialistischen Neigungen versehenen, weltumtriebigen, „herrlich begabten, jedoch von starken, unklaren Trieben beseelten Menschen“ (Pauli in: ADB 2/1875, 369) zurechtzuweisen und seinen Meister zu verteidigen. Pauli wurde zugestanden, in der gerade begonnenen, von Ranke angeregten ‚Allgemeinen deutschen Biographie‘ eine Lebensskizze Bergenroths zu verfassen. Hierin sprach er von „maßloser Ueberhebung, sich selber aber arge Blößen gebend“, mit der Bergenroth Rankes Werk „wie das Werk eines Stümpers“ habe heruntermachen wollen. Dafür sei er „von deutscher Seite nach Gebühr abgefertigt“ worden. Dies bezog sich freilich nur auf Paulis eigenen Beitrag zu Band 4 der ‚Historischen Zeitschrift‘. Pauli warf Bergenroth in seiner ADB-Skizze vor, „Der Gegensatz des politischen Standpunkts und ein anmaßender, leidenschaftlicher Charakterzug“ habe ihn blind gemacht „gegen andere Verdienste“ und ihn später noch einmal in einem Aufsatz über Karl V. und Franz I. in Fraser’s ‚Magazine‘, 1866, „wie gegen Mignet und Gachard so zu ungerechten Aeußerungen über Ranke“ fortgerissen. Doch habe er „guten Freunden“ gestanden, daß er, „schon besser mit den Werken dieses Meisters vertraut, sich solcher Aufwallungen schäme.“ (Pauli in: ADB 2/1875, 369-372). Dies klingt wenig glaubhaft, hatte Bergenroths Ranke-Urteil von 1860 doch im Jahre 1866, drei Jahre vor seinem Tod, noch Bestand. In seinem von Pauli genannten Aufsatz von diesem Jahr wirft er Ranke vor, er stelle die Tatsachen in mehr oder weniger allgemeiner Form dar, verbinde dies jedoch mit „superabundant detail“ (G. B.: Mignet’s Charles V and Francis I/1866, 495). Auch seien die handelnden Personen lediglich „hazy phantoms, rather shadowy embodiments of general ideas than living men ...“ (496), und „Ranke is not seldom almost unintelligible, even when he is well informed.“ In der Darstellung seiner Geschichte sei Ranke „confused, and wearies us“. Und während man Mignet lese, um informiert und unterhalten zu werden, unternehme man die ermüdende Aufgabe, Ranke zu enträtseln, lediglich, weil man von ihm zu lernen hoffe (ebd.). Die in Wien erscheinende ‚Katholische Literatur-Zeitung‘ versuchte im Februar 1860 in einer anonymen, nicht polemisch, eher bedauernd zu nennenden Besprechung von Band I als „größten Fehler“ des Werkes aufzudecken: „Mangel an innerem Leben, an innerer Fülle und an W a h r h e i t s l i e b e (Sp. i. T.) (67). Ersteres zeige sich in der vorherrschenden Darstellung der auswärtigen Beziehungen, wohingegen das Volk „lebend und handelnd, fühlend und denkend...“ nicht „an unseren Blicken vorübergeführt“ werde (67). Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Rankesche Quellenwahl. Ranke aber habe nur „schöne Rahmen ohne Bilder, eine Zeit ohne Zeitgenossen, ein Leben ohne Menschen, ein Königreich ohne König und Unterthanen gegeben.“ (Ebd.). Der Mangel an Wahrheitsliebe schließlich betrifft die „confessionelle Parteilichkeit und Befangenheit“ (68), etwa in der Darstellung Maria Stuarts. Abgesehen von diesen grundsätzlichen Fehlern sei das Buch - ein „Meisterwerk“ - zu empfehlen als „das beste“, das bisher in der deutschen Literatur zur englischen Geschichte dieser Zeit erschienen sei (ebd.). - Der Beitrag wurde im Dezember desselben Jahres ergänzt durch die Besprechung eines (ausdrücklich) anderen anonymen Rezensenten der ‚Katholischen Literatur-Zeitung‘. Ein Text, der sich durch seine spätere Aufnahme in Johannes Janssens Briefen als aus dessen Feder stammend identifizieren ließ. Darin wurde Pauli und den protestantischen Historikern um Sybels ‚Historische Zeitschrift‘ vorgeworfen, für sie sei Ranke ein nicht kritisierbares „halb übermenschliches Wesen geworden“ - 280 -

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(411), dessen immer noch zu milde Darstellung Heinrichs VIII., der „durch Grausamkeit und Wollust ... den Thron besudelte“ (412), nicht beanstandet werde. Demgegenüber ist Janssen bestrebt zu zeigen, daß es auch „auf der Seite der Gegner“, also bei Protestanten, Stimmen gebe, die sich von Rankes „blendenden historischen Schaugerüsten nicht täuschen lassen.“ (414). Dazu zählt er die allgemeine Kritik in den Literaturgeschichten der Nicht-Katholiken Heinrich Kurz und Julian Schmidt. Begrüßt wird auch der Artikel des Protestanten Bergenroth. An sonstigen rankekritischen Stimmen werden die von Roth v. Schreckenstein, Jarcke, Jörg und Helfert genannt, was für deren Verbreitung spricht. Die wohlwollende, einigermaßen sachkundige (mit Bezügen zu Lingard, Hallam und Macaulay) Nacherzählung eines der „schönsten Erzeugnisse“ der deutschen historischen Litteratur (5746), das an „Eleganz und Fluß der Darstellung“ Rankes frühere Werke „in einzelnen Partien“ sogar übertreffe (5709), findet sich in der Beilage zur ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 10.-12. Dezember 1860. Allerdings, so schreibt der anonyme Rezensent (Pictogramm: gekreuzte Degen, Griffe unten) über Band I der ‚Englischen Geschichte‘, habe Ranke diesmal nach einem anderen Maßstab gearbeitet, indem „alles so kurz wie möglich gefaßt“ sei: Ranke „setzt Kenntniß des Gegenstandes in nicht geringem Maß voraus“. Gleichwohl gebe er hier - schon wegen des fragmentarischen Charakters der infragekommenden venezianischen Relationen - „weniger neue Thatsachen“ (ebd.). Ranke, der „größte jetzt lebende Kenner des 16. Jahrhunderts“ (5709) habe „auch dießmal die gleiche Unparteilichkeit in der Auffassung des Streites der Confessionen walten lassen“ wie bisher. Er entsage „der Leidenschaft des Parteiwesens. Aber indem er diese Tugend bis zum Uebermaß übt, tritt eine Schwäche hervor, die man um so mehr beklagen muß je höher man den Werth seiner Leistungen anschlägt. Indem es seinem feinfühlenden Geist widerstrebt einer der Parteien zu huldigen, verzichtet er beinahe auf das Pathos des sittlichen Urtheils.“ (5710). Dies gelte vor allem für die Beurteilung Heinrichs VIII. „Ranke schreibt die Geschichte mit der Gemüthsruhe eines Genremalers. Diese Ruhe ist ihm zu lieb. Von den finstern Mächten welche in der Menschenbrust sich regen, wendet er gern den Blick ab, und arge Thaten malt er nicht so schwarz als sie sind.“ (5710). Der Rezensent hält es, gegen Bergenroth, für unbillig, auf „einigen Ungenauigkeiten“ der Einleitung Rankes ein Urteil über das Ganze zu bauen, denn auch diese sei „reich an Lichtblicken und feinen Bemerkungen“ (5725). - Die Fortführung der Besprechung für Band II, welche unter dem 30. u. 31. Januar und 2. Februar 1861 erschien (Pictogramm: gekreuzte Degen, Griffe oben) ist uneingeschränkt zustimmend. Der zweite Band übertreffe den ersten an Bedeutung. Ranke habe „dießmal weit mehr zum Verständniß der Charaktere und Ereignisse gegeben als Lingard, und ein reichhaltigeres Gemälde als Guizot. Lingard erscheint hier neben Ranke’s geistvoller Auffassung als der trockene englische Matter of fact man. Guizot hat zwar den Entwicklungsgang des politischen Conflicts und der streitenden Ideen - insbesondere in dem discours sur l’histoire de la révolution d’Angleterre - mit höchster Eleganz und Einsicht entwickelt; aber bei ihm fehlen ganze Partien des Gemäldes, wie es Ranke vor uns aufrollt, auf dem der Zusammenhang der englischen Begebenheiten mit der gleichzeitigen Geschichte des Continents und das gesammte englische Leben der Zeit erscheint.“ (477). - Bei den Besprechungen der Bände III bis V in den Jahren 1862 bis 1864 scheint es zu einem Rezensentenwechsel (Kürzel: F.) gekommen zu sein. Der Rezensent von Band III ist noch um Differenzierung bemüht: Während Ranke die „eigentlich politischen Schachzüge, in denen sich - 281 -

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das historische Drama unter Heinrich VIII. abwickelt, mit einer Wärme“ verfolge, „daß man seiner Darstellung die innerliche Genugthuung“ anfühle „und sie allgemein als eines der ersten Meisterstücke historischer Klarheit und Anschaulichkeit“ bewundere, glaubt der Rezensent „in der Geschichte der religiös-politischen Volkskämpfe die Schattenseite der Objectivität, eine gewisse Kälte, einen Mangel an innerer Theilnahme herauszufinden“ (1145). Das ausführliche Referat der Darstellung Cromwells gibt dem Rezensenten Gelegenheit zu Seitenhieben auf den „Usurpator in Frankreich“, Napoleon III. (1178). - Anders die Besprechung von Band IV im Folgejahr 1863. Die vorwiegend referierende, hin und wieder gegen die englische Politik in ihrer „gleichgültigen Grundsatzlosigkeit, verbunden mit der starrsten Consequenz nach der andern Seite“ (5875) polemisierende Besprechung, wird eingeleitet durch einige aufschlußreiche allgemeine Bemerkungen: Der Rezensent, der - „von Schlosser herkommend“ - bisher das „Vorurtheil, das so viele in Deutschland“ gegen Ranke und seine Schule hegen, geteilt hatte, fühlt sich jetzt doch angenehm berührt von der „Ruhe und Leidenschaftslosigkeit der wahren Geschichtschreibung“ (5841). Es sei ein „nicht hoch genug anzuschlagendes Verdienst“ Rankes, daß er sich gegen die mittlerweile zum „Unwesen“ gewordene „Vermengung des praktischen und des objectiv historischen Standpunkts der Geschichte und der Politik … von jeher aufs nachdrücklichste ausgesprochen“ habe. (ebd.). - Der fünfte Band erfährt 1864 eine Lob mit Blick auf die „vollkommene Beherrschung des Materials“, den „weiten historischen Blick“, die „psychologische Tiefe und eine seltene Objectivität der Behandlung“ (5577). Doch wird auch hier die Kritik des ersten Bandes aufgegriffen: Das „berechtigte und unerläßliche historische Pathos“ womit der Einsatz für „das ewige und unabänderliche Recht und Gesetz der Geschichte“ gemeint ist - trete bei Ranke „zu wenig hervor“, besonders beim Sturz der Stuartschen Dynastie (ebd.). Im Gegensatz zu der „ungleich gelungeneren“ Auffassung Karls II. (5593), mißbilligt der Rezensent ausführlich die Darstellung Jacobs II., in der alle „Aeußerungen einer heimtückisch-bigotten Sinnesweise beiseite“ gelassen seien (ebd.) und erklärt dies aus der „unwillkürlich conservativen Tendenz des objectiven Geschichtschreibers“ (5578). Unübertrefflich hingegen sei Ranke „in der Darlegung allgemeiner politischer Zustände und Verhältnisse“ (ebd.). Die hier gelobte Darstellung Karls II. wird in den erst 1864 gegründeten ‚Jahrbüchern für Gesellschafts- und Staatswissenschaften‘ des Jahres 1865 gerade abgelehnt. In der anonymen, möglicherweise durch den Herausgeber der Zeitschrift, J. C. Glaser, Professor für Staats- und Cameralwissenschaften, abgefaßten Besprechung von Band V wird die Auffassung vertreten, man werde „in England selbst vergeblich nach einer Beurtheilung suchen, die Karl II. verhältnißmäßig so günstig ist, wie die unseres berühmten Historikers. Die nationale Auffassung sieht in jenem König den Erben der Fehler Karl’s I. und entwickelt aus diesen die Ursachen zur Revolution. Ranke ergreift in dem Widerstreit, in welchen das Königthum mit dem Parlament gerieth, von vorn herein die Partei der Krone.“ Er habe in seiner „Beschönigung“ (479) „die Neigung nicht unterdrücken“ können, „jenen König zu einem für seine Sache begeisterten Vorkämpfer des monarchischen Principes zu erheben“, wobei er sich auch „vorsichtig einer Verdammung der Laster Karls’s II. enthalten“ konnte (478). - In der 1864 voraufgegangenen Besprechung von Band IV hatte der anonyme Rezensent bereits deutlich die Position Rankes „auf der Seite der monarchisch-legitimen Partei“ bezeichnet. Er verfolge „mit eminenter Sicherheit eine von den bisherigen Darstellungen der englischen Revolution vernachlässigte Frage, nämlich die, welchen Einfluß die reli- 282 -

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giöse Bewegung auf den Fortgang der politischen Ereignisse gehabt“ habe. Damit kommt der Rezensent zu der nicht unbrisanten Feststellung: „Nach der Ranke’schen Auffassung werden die religiösen Gegensätze fast die vornehmste Triebfeder zu Revolution und Restauration.“ (261). - Eine anonyme, referierende Besprechung von Band II der ‚Englischen Geschichte‘ in der von J. von Moerner redigierten ‚Berliner Revue. Social-politische Wochenschrift‘ vom 27. Januar 1861 ist allenfalls wegen einer Bemerkung zu Rankes Objektivität von Interesse (s. I, 183). Rankes mehrfach herangezogener Hörer Karl Frenzel verfaßte eine Besprechung der ersten beiden Bände der ‚Englischen Geschichte‘, welche 1861 in der Berliner ‚National-Zeitung‘ erschien und mit einigen nicht unverständigen Reflexionen durchsetzt ist. Frenzel sieht in Rankes Darstellung ein „aristokratisches Gepräge“, dem der „nicht vollkommen freie und großartige Geist der venetianiche Staatsmänner“ zugrunde liege. So wie Ranke das Volk, die Massen vor dem „Glanz der Einzelnen“ habe zurücktreten lassen, könne „die englische Geschichte nicht geschrieben werden“. Der „Kern und Werth“ seines Werkes ruhe vielmehr im Aufweis der auswärtigen Beziehungen Englands. Die Gemälde Macaulays dürfe man bei ihm daher nicht suchen. Während man mit Ranke die Welt aus der „Vogelperspektive“ betrachte, wandele man bei Macaulay durch die Räume des Geschehens hindurch. Als auffallend wertet Frenzel, daß Ranke „jetzt fünfmal“ - in der Geschichte Deutschlands, Frankreichs, Spaniens, Englands und Italiens - „gleichsam um das Centrum, den Aufstand der Niederländer, herumgegangen“ sei. Den „Zusammenhang der englischen Revolution mit den Begebenheiten der Epoche“ deute er nicht, wie bisher, flüchtig an, sondern erschöpfe ihn, wobei der „einseitige Standpunkt früherer Geschichtschreiber ... vollständig verlassen“ sei. Hinsichtlich der Rankeschen Objektivität und Parteilichkeit scheint Franzel es mit Scherr und anderen zu halten, gibt jedoch eine tiefere Sicht der Konsequenzen. So mißfällt ihm die versuchsweise Verteidigung Jakobs I., auch der Mangel an Lob für die „Märtyrer“ Prynne, Elliot und Hampden. Bei anderen würden die „Fehler ihres Charakters ... in die Ferne gerückt und wie im Einzelnen so im Ganzen an die Stelle persönlicher Verschuldung das Walten der Nothwendigkeit gesetzt.“ „Das Fernhalten jeglicher Mitleidenschaft an den Gestalten und Gedanken der Epoche, das Aufgeben der eigentlichen Erzählung, für die wiederholt die philosophischpolitische Auseinandersetzung eintritt, sind die Klippen des Buches, welche eine wärmere Theilnahme nicht nahe kommen lassen.“ Eine Auffassung der englischen Revolution - sprich: Geschichte -, welche „von den Persönlichkeiten absehend, nur ihr geistiges Wesen und ihr Gesetz zu erfassen“ sich mühe, sündige „in gewisser Weise an den Menschen sowohl wie an den Thatsachen.“ (1f.). Zwischen den Besprechungen Frenzels und den wesentlich schlichteren Karl Zimmers gab es doch einige Übereinstimmungen. Zimmer, Lehrer am Gymnasium zu Freiberg, wo er 1838 im Rahmen eines Schulprogramms eine historische Abhandlung mit dem Titel ‚Wie wird das Gelingen der Reformazion [!] erklärlich?‘ verfaßt hatte, erreichte seit 1850 auch eine Mitwirkung an Umarbeitungen und Erweiterungen der von Karl Heinrich Ludwig Pölitz begründeten ‚Weltgeschichte für gebildete Leser und Studirende‘. In den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ der Jahre 1860 bis 1865 verfaßte er nun Besprechungen der ersten fünf Bände von Rankes ‚Englischer Geschichte‘, Besprechungen, welche klischeehaft lobend vermerken, daß Ranke „dem Leser jedesmal theils neues historisches Material, theils neue Gesichtspunkte“ biete, und „meisterhaft“ die Kunst verstehe, „die Einzelheiten zu einem Gesammtbilde, zu - 283 -

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einer harmonischen Einheit zu verarbeiten, sowie durch philosophische Anschauung dieselben unter den richtigen Gesichtspunkt zu bringen“ (Zimmer/1860, 212). Wie Frenzel beanstandet er jedoch Rankes Milde in der Darstellung Jakobs I. (Zimmer/1861). Ähnlich Frenzel auch spricht er von „kalter Objectivität“ in den beiden ersten Bänden, und glaubt im dritten „mehr menschliche Theilnahme und Wärme“ vorgefunden zu haben (Zimmer/1862, 474f.). - In den Besprechungen der abschließenden Bände IV und V erhebt sich Zimmer zu selbständigeren und entschiedeneren Urteilen, die in der Feststellung gipfeln, daß Ranke, während Schlosser und Macaulay „das sittliche Moment des Fürstenlebens in den Vordergrund treten“ ließen, Ranke „zwar nicht mit völliger Gleichgültigkeit, doch mit einer gewissen diplomatischen Kühle an ihm „vorüberstreife“, vielleicht aus Besorgniß, daß jedes Bloßlegen eines fürstlichen Privatlebens die Würde des Monarchismus entweihen oder von ungewaschenen Händen zum Skandal ausgebeutet werden könnte, wofür allerdings Beispiele in unserer Geschichtliteratur vorliegen“ (Zimmer/1864, 665). Der in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ naheliegende Blick auf Rankes Kapitel „Bewegung in der Literatur“ führt - unter Anerkennung des „sehr treffenden Urteils über Miltons ‚Paradise lost‘ - zu der Bemerkung, daß eine allgemeine Berücksichtigung von Hermann Hettners ‚Geschichte der englischen Literatur‘ (Braunschweig 1856) für Ranke von Vortheil gewesen wäre (ebd.). - In seiner letzten Besprechung, welche besonders die brandenburgische Komponente, so die Fuchs-Bentincksche Unterredung, beachtet, kommt Zimmer noch einmal auf den oft geübten Vergleich Macaulay-Ranke zu sprechen: Ranke sei, da er „für keine Parteigrundsätze ein Herz“ habe (Zimmer/1865, 635), Macaulay gegenüber „in dem Vortheile objectiver Auffassung und Darstellung“ (ebd.). Indes falle vom „rein menschlichen Standpunkt“ aus der Vergleich entschieden zu Macaulays Vorteil aus, denn er habe sich nicht nur um die Geschichte Englands, sondern auch um die der Menschheit und deren „höchsten und schönsten Beruf“ verdient gemacht, „zu zeigen, daß die Weltgeschichte in der That ein Weltgericht sei“ (ebd.). Auch bei R. Foss, der zeitweilig Herausgeber der von Ranke und anderen mitherausgegebenen, 1864 begründeten ‚Zeitschrift für preussische Geschichte und Landeskunde‘ war, dürfte es sich um einen Schulmann gehandelt haben. Er besprach 1860 den ersten Band der ‚Englischen Geschichte‘ verängstigt bewundernd in der ‚Zeitschrift für das Gymnasialwesen begründet im Auftrage des Berlinischen Gymnasiallehrer-Vereins‘, indem er seiner reinen Nacherzählng ohne jedes beurteilende Wort den Ausruf nachschickte: „Es wäre kindisch, wollte ich das Werk lobend austrompeten ...“ (501). Lediglich sein Hinweis (498) auf Übereinstimmungen Rankes mit George Buchanans ‚Rerum Scoticarum historia‘ in der Ausgabe Frankfurt 1598 mag noch vermerkt werden. Der wirtschaftshistorische und -politische Schriftsteller Wilhelm Kiesselbach (1824-?), der während seines Studiums in Heidelberg zu Schlosser, Häusser und Gervinus Kontakt gefunden hatte, und in der ‚Deutschen Zeitung‘ sowie der ‚Allgemeinen Zeitung‘ als „Vorkämpfer für den deutschen Einheitsgedanken“ auftrat (s. G. Arnold Kiesselbach: Der Bremer Dr. phil. Wilhelm Kieselbach. In: Bremisches Jahrbuch 39/1940, 11-62), auch ein Werk über ‚Die Continentalsperre in ihrer ökonomisch-politischen Bedeutung. Ein Beitrag zur Handelsgeschichte‘ (Stg. u. Tüb. 1850) und ‚Der Gang des Welthandels und die Entwicklung des europäischen Völkerlebens im Mittelalter‘ (Stg. 1860) veröffentlicht hatte, gleichwohl noch nicht zur Ehre von ADB/NDB - 284 -

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aufgestiegen ist, verfaßte im Folgejahr zwei rankebezogene Artikel für das ‚Bremer Sonntagsblatt‘: zum einen eine allgemeine Betrachtung über ‚Ranke und die Geschichtschreibung‘, zum anderen eine Besprechung der ‚Englischen Geschichte‘ in ihren beiden ersten Bänden. Bei den angedeuteten, in die Zukunft der Wissenschaft weisenden und damit von Ranke weit entfernten Voraussetzungen - 1862 schlossen sich noch ‚Sozialpolitische Studien‘ des Verfassers an - konnte eine massive Kritik an Rankes Werk nicht ausbleiben. Ein Hauptverwurf der in Teilen unkonventionellen und ungescheuten Artikel betrifft Rankes höfisch-diplomatische Exklusivität: Wie in seiner ‚Französischen Geschichte‘ befasse sich Ranke auch hier „nur mit dem Hofe“. Doch ergebe „eine Geschichte des englischen Hofes … noch nicht eine Geschichte Englands.“ - Ähnliches war bereits seiner ‚Preußischen Geschichte‘ vorgeworfen worden -. Der Leser frage sich, „wie es nun zu jener Zeit in dem Lande ausgesehen haben mag“. Doch er erfahre nichts von den „Verhältnissen des Ackerbaues, des Handels, der Verwaltung“ (Kiesselbach/21. Juli 1861, 230). Am königlichen Hof wechselten in der Darstellung Rankes „die politischen Stimmungen, als ob London mit der ganzen europäischen Welt durch Telegraphen schon damals in Verbindung gestanden hätte, und demnach jeder neue Tag mit neuen Nachrichten ein neues staatliches Kaleidoscop hervorrufen konnte. Diese pragmatische Spielerei ermüdet uns entsetzlich, wir nehmen daraus so gar Nichts mit, man sehnt sich dabei förmlich nach Individualität, nach Fleisch und Blut …“ (230). Wie Bergenroth hat auch Kiesselbach den Eindruck, daß einige Gestalten nur als „Schattenfiguren“ vorübergleiten (231). - „Die Trennung von der römischen Kirche, die sich in England vollzog“, sei Ranke „einzig eine politische Angelegenheit. Daß der Bildungszustand des Volkes dabei in Betracht kommt, daß der König gar nicht seinen staatlichen Interessen und seinen persönlichen Neigungen in dieser Hinsicht hätte nachgeben können, wenn nicht gleichzeitig das erstarkte Nationalitätsbewußtsein des englischen Volkes einen Gegensatz zu Rom hervorgerufen hätte, tritt bei unserm Autor völlig in den Hintergrund. Es ist, als ob Heinrich VIII. ganz allein die englische Reformation gemacht hätte.“ (230). Die „genaueste Kenntniß der venetianischen Relationen allein reiche doch nicht aus, „dem eigentlichen Verständnisse tief eingreifender Thatsachen nahe zu kommen“ (230f.). - „Keine Sylbe weiter fällt … aus Ranke’s Munde über die sittliche Verworfenheit des Königs. Wenn der Verfasser … wünscht, sein ‚Ich‘ völlig zu vergessen, um nur die durch einander wogenden Kräfte in seinem Werke darzustellen, so hat er mit seinem Ich auch vergessen, daß die Menschen, auf die er stößt, doch ein Ich besitzen. Diese Art von Objectivität wird zuletzt zu einer unerträglichen Manier, die ebensosehr durch ihre ethische Kälte verletzt, als durch ihre Trockenheit langweilt.“ (231). „… die pragmatische, die objective Geschichtsschreibung ist bei ihm schließlich zur Manier geworden… Die Diplomatie mag vielleicht aus dem Werk etwas lernen, die Staatskunst findet darin schon viel weniger Anhaltspuncte, und der Mensch, welcher an die Geschichte seine letzten Fragen richtet, geht dabei ganz leer aus. Der früheren subjectiven Historiographie in Deutschland that gewiß ein Ranke noth; aber seinen ersten Geschichtsschreiber hat Deutschland in Ranke doch nicht gefunden.“ (232). Bezeichnenderweise sei er „der Historiker der absolutistischen Staatsepoche Europa’s“, der auch seine Hauptwerke gelten (14. Juli 1861, 222). Nicht minder sah Johannes Scherr, dessen Urteile meist als ironische Grobheiten auftreten, wie bereits in Rankes ‚Französischer Geschichte‘, in dessen ‚Englischer Geschichte‘, soweit sie die Revolution betreffe, „nur eine, nicht einmal sehr geschickt - 285 -

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gemachte Apologie des Absolutismus. Was mittelst Vertuschens und Bemäntelns, mittelst Verschweigens von Thatsachen sogar, zu diesem Zwecke geschehen konnte, ist hier geleistet.“ Dies gelte vor allem für die Darstellung Charles I. (Scherr 1862 in der Ausg. von 1864/178f.). Ein seltsames Schauspiel bot das ‚Literarische Centralblatt für Deutschland‘ in seinen Besprechungen der ‚Englischen Geschichte‘ in den Jahren 1862 bis 1865. Aus massivem Tadel wird - durch welche Einwirkung auch immer - zuletzt breites Lob. Die Stellung Rankes zum Publikum habe sich geändert, liest man in der anonymen Besprechung von 1862 zu Band III, „man macht in Beziehung auf den politischen Standpunkt strengere Anforderungen, und andererseits haben sich in Ranke selbst die politischen Grundsätze, denen er immer zugethan war, im Gegensatze zum vorherrschenden Zeitbewußtsein bestimmter gestaltet.“ (185). Der Rezensent rügt besonders die von Parteilichkeit bestimmte Behandlung Charles I. und Cromwells. Charles‘ „Zweizüngigkeit“ werde von Ranke „vertuscht, entschuldigt“ und mitunter geradezu verschwiegen (ebd.), die ganze Charakteristik sei im Gegensatz zu dem richtigeren Urteil Macaulays „offenbar viel zu günstig“ (186). Im Falle Cromwells breche bei Ranke nur „allmählig … die Anerkennung des gewaltigen Charakters und weisen Staatsmannes durch“, zeige sich „schließlich doch noch seine alte Meisterschaft in persönlicher Schilderung“. „Dennoch bleibt uns der Eindruck zurück, daß die puritanisch-rauhe Gestalt Cromwell‘s nicht der rechte Stoff für den feinen Geschichtsmaler gewesen sei, der gewohnt ist, seinen Pinsel in die Farben der Diplomatie zu tauchen.“ (187). Dies eine von mehreren Rezensenten, u. a. Johannes Scherr, vertretene Meinung. Auch in ‚G. Schwabs und K. Klüpfels Wegweiser durch die Literatur der Deutschen‘ hatte man sich bei der Schilderung Cromwells „eine wärmere Theilnahme für den Helden“ gewünscht, „der freilich in seiner derben demokratischen Eigenthümlichkeit dem Verfasser nicht sympathisch ist ...“ (Klüpfel/1870, 155). - In der 1864 erschienenen Besprechung des ‚Centralblatts‘ von Band IV wird noch einmal zugelegt: Dem Buch fehle „bei aller Sauberkeit der Arbeit, bei aller Schärfe der Charakteristik und richtiger Entwicklung der Thatsachen ein gewisses Etwas“. Dies habe seinen Grund darin, daß „der legitimistische Royalist … dem echt parlamentarischen Staate nicht gerecht zu werden“ vermöge (172). So sei es nicht von ungefähr, daß „das doch so bedeutende, so viele neue Aufschlüsse bietende Buch in England fast unbeachtet“ bleibe und „bisher weder einen Uebersetzer noch Reviewer gefunden“ habe (173). - Nach dieser Kritik tritt die Wende ein: In der 1865 erscheinenden Besprechung von Band V ist der Rezensent ausdrücklich bemüht, das „etwas herbe Urtheil“ über den 4. Band für den 5. „wenigstens einigermaßen zu modificiren“ (3), billigt Ranke in wichtigen Punkten „historische Gerechtigkeit“ und „Freimuth“ zu und versucht sich dann, verhältnismäßig ausführlich, an einem Vergleich Ranke-Macaulay. Die „markige Kürze“ der „gedankenvollen Erzählung“ Rankes dürfe „ebenbürtig dem Zauber novellistischer Breite“ auf Seiten Macaulays „an die Seite treten“, seine Objektivität habe „so gut ihre Berechtigung wie die überzeugungsfrohe Haltung des eingeborenen Parteimannes“. Rankes „Auffassung der allgemeinen europäischen Verhältnisse“ sei „so viel umfassender und durchdringender als Macaulay’s“ (4), auch sei sein Quellenmaterial „ohne alle Frage bei Weitem großartiger“ (5). - Übrigens hat sich der Rezensent wieder „hier und da an der gekünstelten Manier“ Rankes gestoßen und erlaubt sich in einem letzten Aufbäumen den kritischen eigenständigen Hinweis auf Rankes plötzliche Vorliebe für den Ausdruck „Cäment“ (5). - Auch das ‚Magazin für die Literatur des Auslands‘ widmet sich einem Vergleich - 286 -

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Rankes mit Macaulay, besonders hinsichtlich der Darstellung Kg. Williams III. Er fiel recht ähnlich aus: Macaulays bilderreicher, packender aber parteilicher Schilderung stehe bei dem „zunächst einigermaßen blaß und kühl“ wirkenden Ranke eine „Fülle großer politischer und geschichtlicher Gesichtspunkte“, „Zuverlässigkeit der Thatsachen“ und „Besonnenheit des Urtheils“ gegenüber (P. D. Fischer/1869, 391). Die sehr anerkennende Besprechung erblickt Rankes Meisterschaft v. a. in der Zusammenfassung der „allgemeinen europäischen Beziehungen zur Beleuchtung und Klarlegung der besonderen nationalen Gebilde“ (390). Bei Carl von Noorden lohnt eine Betrachtung der Hintergrundgeschichte in besonderem Maße. Er veröffentlichte 1867 in der ‚Historischen Zeitschrift‘ einen Aufsatz mit dem Titel ‚Ranke und Macaulay‘, der zugleich eine Besprechung der Bände IV bis VI der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes darstellte. Noorden war nicht nur Hörer Rankes, sondern auch ein Vetter Etta Hitzigs, mit Ranke also entfernt verschwägert. Er machte 1856 die persönliche Bekanntschaft Rankes, hörte „mit Begeisterung“ dessen Vorlesungen (Noorden/1884, 4*), nahm im SS 1857 an einem Seminar über Nithard teil (Philippsborn/1963, s. auch II/5.3) und korrespondierte mit Ranke (s. II, 280). 1862 beteiligte er sich in Ranke verherrlichender Weise am Schlosser-Ranke-Streit (s. I, 180f.), und 1868, ein Jahr nach der hier in Rede stehenden Besprechung, wurde Noorden durch den Ranke nahestehenden preußischen Kultusminister v. Mühler gegen die Fakultätsvorschläge, „wie man annehmen darf, auf den Rath des Altmeisters Ranke“ - so vermutete wenigstens Noordens Freund Wilhelm Maurenbrecher - auf den historischen Lehrstuhl nach Greifswald berufen (Noorden/1884, 24*). In seiner genannten Besprechung von 1867 lieferte Noorden zwar aus eigener Forschung sachkundige Beurteilungen, sie dürfte jedoch der besonderen Beziehung zu Ranke und der Karrierepläne wegen insgesamt allzu einseitig positiv ausgefallen sein. Ihre Glaubwürdigkeit leidet auch unter der Tatsache, daß Noorden nicht anstand, sich im privaten Bereich erheblich kritischer zu äußern. Er mißbilligte nicht nur Rankes Übungen (s. II, 373), in seiner nachgelassenen Korrespondenz mit Maurenbrecher und Sybel, hauptsächlich aus den 1860er Jahren, finden sich neben Positivem z. T. massiv kritische Urteile über Ranke aus seiner wie aus Maurenbrechers Feder (Philippsborn/1963, 101f., 112f., 152, 194, 207, 323. Siehe auch I/1.6). - In seiner Besprechung von 1867 nun nimmt Noorden u. a. die Rankesche Unparteilichkeit in bildhaft flacher Weise vor ihren Kritikern in Schutz: „Ranke wählt für die plastischen Kunstwerke seiner historischen Forschung die allseitige Beleuchtung von oben herab anstatt eines einseitigen Streiflichtes und überläßt für gewöhnlich dem Beschauer das abschließende Urtheil zu fällen, unbekümmert darum, daß er durch solche Zumuthung den Ungebildeten in Verzweiflung setzt ... weder sitzt er murrend über die Vergangenheit zu Gericht, noch identificirt er sich mit einer der Parteien, welche vor seinem Richterstuhl auftreten, noch macht er endlich aus der Geschichte ein politisches Capital für die Gegenwart.“ Wie wenig hätten die „das eigentliche Wesen des historischen Kunstwerkes“ begriffen, welche Ranke „einen Mangel des schneidigen sittlichen Gefühls, eine Kälte des eigenen Herzens, eine Gleichgiltigkeit gegen das Ringen und Leiden der Menschheit“, vorwarfen (110). - 1876 verfaßte Noorden noch eine Besprechung von Rankes ‚Zur Geschichte von Österreich und Preußen‘ (Noorden/1876, s. I, 324). Ottokar Lorenz (s. I, 182) hat Ranke spätestens 1867 kenngelernt und ist bis zu dessen Tod mehrfach mit ihm zusammengetroffen (s. II/7.2). Sein 1869 in der ‚Histo- 287 -

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rischen Zeitschrift‘ erschienener Beitrag über ‚Analekten zur englischen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts‘ stellt doch keine Besprechung von Band VII des Rankeschen Werkes dar, bringt vielmehr ergänzende Darlegungen zu Heinrich VIII. und Anna Boleyn, v. a. in Kritik der Geschichtsschreibung Froudes, sowie editorische Zusätze zu Rankes Analekten (s. II, 77). - Auch der quellen- und archivorientierte Reinhold Pauli befaßte sich 1872 in seiner bereits erwähnten Sammelbesprechung zahlreicher Bände der ‚Sämmtlichen Werke‘ im Falle der ‚Englischen Geschichte‘ (SW Bde 14-22) ausschließlich mit Rankes Analekten, ein beliebtes, unverfänglich zu gestaltendes Betätigungsfeld, das schon 1861 von Waitz für die ‚Französische Geschichte‘ beschritten worden war, dem Reumont 1884 für die ‚Päpste‘ folgte. Von ähnlichen Absichten war teilweise ein Aufsatz Hans Delbrücks geleitet. Der bereits mehrfach herangezogene Delbrück hatte 1873 bei Sybel mit einer Dissertation ‚Ueber die Glaubwürdigkeit Lamberts von Hersfeld‘ promoviert. Eine Arbeit, die sich nicht nur in ihrer historisch-kritischen Ausrichtung, sondern in der behandelten Quelle auch unmittelbar auf Rankes Akademie-Abhandlung ‚Ueber die Annalen des Lambertus von Hersfeld‘ von 1854 (Bln. 1855) bezog. Entsprechend nahm sich sein Lehrer Sybel 1879 Rankes Akademie-Abhandlung ‚Zur Kritik deutscher Reichsannalisten‘ kritisch vor (s. I, 150). - Delbrück befaßte sich 1876 in Aufsätzen ‚Ueber den politischen Charakter der englischen Kirchenspaltung im siebzehnten Jahrhundert‘ und ‚Whigs und Tories‘ mit Rankes ‚Englischer Geschichte‘, nicht zuletzt im üblichen Vergleich mit der des whigistischen Macaulay. Zunächst unternahm er jedoch in seinem Beitrag über die Kirchenspaltung den Versuch, „die Ranke’sche Darstellung in dieser Richtung aus den kirchenrechtlichen Urkunden der Zeit zu ergänzen“ (Delbrück: Über den politischen Charakter/(1876), 1887, 66). Ranke sei in seiner ‚Englischen Geschichte‘, obgleich er „im wesentlichen das Richtige“ biete, auf eine „Darstellung der constitutionellen Principien der Religionsgesellschaften [...] nicht eingegangen. Da es nun ohne die Kenntniß derselben nicht leicht ist, dem Causalnexus der Ranke’schen Geschichtserzählung zu folgen“, hält Delbrück seine Ergänzung für geboten (ebd.). - In einem Ausatz ‚Whigs und Tories‘ vom gleichen Jahre befaßte er sich mit den Kategorien, unter welchen Whigs und Tories in Rankes ‚Englischer Geschichte‘ auftreten. Der Vergleich Rankes mit Macaulay führt den noch des öfteren zu betrachtenden begeisterten, jedoch nicht unkritischen Ranke-Verehrer zu dem überschwänglichen Lobpreis des „unendlichen Gehalts“ und „ewigen Werts der Rankeschen Kunst“, behaftet mit dem „Glanz der Unsterblichkeit“. „Je weiter die Forschung fortschreitet in einer Zeit, welche er durchdacht, mit künstlerischer Divination gestaltet und als fertiges Gebilde der Welt übergeben hat, desto mehr ist sie imstande in Rankes Linien die Figuren zu entdecken.“ - Delbrück versucht sodann, aus Rankes Darstellung „das Wesen und die Entwickelung der englischen Parteien herauszuheben.“ (Delbrück: Whigs/ (1876) ²1907, 101). S t i m m e n d e s A u s l a n d s . - In England sei Ranke, wie der ‚Manchester Guardian‘ in einem Nachruf zu Recht bemerkte, hauptsächlich durch seine ‚Päpste‘ bekannt geworden. Seine ‚Englische Geschichte‘ sei, wie bereits bemerkt, nie ein populäres Buch gewesen ([Anonym:]/25. 5. 1886). In England war Ranke der „harten geistigen Concurrenz“ mit Macaulay ausgesetzt, die er „in Bezug auf massenhafte Verbreitung nicht zu bestehn“ vermocht habe, schrieb Ottokar Lorenz noch zu Lebzeiten Rankes (Lorenz/1869, 309). Zu dieser Konkurrenz darf man zumindest noch Buckle, Henry - 288 -

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Hallam und Froude zählen. Andererseits bildete sich in England doch auch eine gewisse Gefolgschaft. Dazu führte Edward Gaylord Bourne 1896 - er sprach übertrieben von ‚Schule‘ - Gardiner (s. I, 293f.) neben Stubbs und Creighton auf (Bourne: L. v. R./1896, 399), ein Urteil, dem die Forschung nicht widersprach. Einflüsse Rankes konstatierte man v. a. bei Thomas Arnold sr. (1795-1842, hinsichtlich der These von der Einheit der romanischen und germanischen Völker), der bereits 1841 mit seinen Schülern Ranke gelesen habe (Dockhorn/1950, 39, 132ff.), sodann bei Charles Hardwick (s. I, 225), dessen ‚A History of the Articles of Religion‘ (1851), wie auch Mandell Creightons (1843-1901; Hg. der EHR) ‚History of the Papacy‘ (5 Bde 1862-1894) z. T. auf Rankes ‚Päpsten‘ beruhten (97 bzw. 167). Rankes allgemeiner Einfluß (u. a. Selbständigkeit der Geschichte als Wissenschaft; Universalgeschichte) wurde vermerkt bei William Stubbs, Edward Augustus Freeman (143f. bzw. 146-149, s. I, 289ff.), wiederum Mandell Creighton (167), George Walter Prothero (1848-1922, 170), dem Herausgeber der 1884 erschienenen englischen Übersetzung von Rankes ‚Weltgeschichte‘, und John Bagnall Bury (1861-1927, 170f.). - William Stubbs (1825-1901), nicht nur Historiker, sondern auch Bischof von Oxford, hielt daselbst 1876 eine Lesung unter dem Titel ‚On the Present State and Prospects of Historical Study‘. Darin gab er ausgehend von der englischen Übersetzung der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes - ein außerordentlich positives Bild: Ranke als „the greatest historical scholar alive“, ja, „one of the very greatest historians that ever lived.“ Er verfüge über „unrivalled stores of knowledge, depth of research, intimate acquaintance with the most recondite sources“ (Stubbs/1887, 65) und habe für eine Epoche, die kein Engländer ohne Vorurteil betrachten könne, die Evidenz eines Zeugen und Kritikers mit unvergleichlicher Qualifikation und gänzlicher Unparteilichkeit. (Ebd.). Ranke hätte sich über die Teilnahme der bedeutendsten englischen Reviews freuen können, wenn deren positives Urteil nicht häufig mit massiver grundsätzlicher Kritik verbunden gewesen wäre. Die an seinem Werk immer wieder interessierte konservative Londoner ‚Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art‘ veröffentlichte zunächst im Februar 1860 anonym eine der frühesten Besprechungen von Band I der ‚Englischen Geschichte‘. Es sei das bedeutendste im Jahre 1859 in Deutschland erschienene Werk. „The Professor has all a modern historian’s love for minute and pictoresque details, and all a German philosopher’s love for wide generalizations; so that between the two there is not much room for the bare narrative of facts which usually constitutes a history. Evidently his object is not to furnish another catalogue of the events which he supposes everybody to know by heart, but to trace through them and among them the working of the tendencies which issued in our present civil and religious freedom.“ ... „...his usual impartiality and common sense have not deserted him” (218). - Die noch im November des Jahres folgende anonyme Besprechung von Band II unterstreicht in positiver Absicht die „absolute objectivity“ und „passionless history“ Rankes. Er hänge nicht der fatalistischen Geschichtsanschauung Buckles an: „In searching for the motive power of history, he dwells little upon national tendencies, enormously upon individual character.“ (632). - Damit nicht genug: Die Bände I und II wurden im folgenden Jahr, 1861, unter dem Titel ‚Ranke’s English History‘ einer erneuten, zusammenfassenden Besprechung der ‚Saturday Review‘ gewürdigt. Ranke sei „eminently critical, distrustful of large views and of hasty generalizations, with a diplomatic reserve of expression ...“ (145). Seine Einleitung, ‚Welthistorische Momente der früheren Geschichte von England‘, befinde sich, obgleich sie sorgfältig alle strittigen - 289 -

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Punkte vermeide, eher hinter als vor dem gegenwärtigen Forschungsstand, stelle aber eine ausgezeichnete Zusammenfassung bis zu den Zeiten Heinrichs VIII. dar, die man im Falle einer Übersetzung separat gern als Schullektüre sähe (146). Ranke habe nicht die Eloquenz Macaulays, sein hitziges Ungestüm, seine malerische Kunstfertigkeit, noch sein stürmisches Schmähen und heftiges Parteinehmen, doch es gewähre ein Gefühl der Erleichterung, seiner leidenschaftslos heiteren Erzählung zu folgen (251). Ranke „is neutrality itself, absolute and untinged.“ (251). - Eine Besprechung von Band IV fand im Januar 1864 anonym nur noch innerhalb eines Sammelartikels ‚German Literature‘ statt. Ranke wird dabei - ähnlich urteilt auch Gardiner (1875) - nicht als Haupt einer historischen Schule angesehen, vielmehr als keiner modernen zugehörig. In Denkweise und Schreibart gehöre er der voraufgehenden Generation an: „He avoids, on the one hand, the intense personal devotion to particular characters, and the elaborate picture-drawing, with which we are familiar in English historians of the present day; and, on the other hand, he shows no taste for the minute statistics from which some of his most eminent German contemporaries have sought to extract a faithful representation of the period which they were describing. In his simplicity and strict impartiality, as well as in the freedom from any straining after novel theories, he perhaps bears a stronger resemblance to Hallam than to any living writer…“. Bemerkenswert ist nicht zuletzt die Betrachtung: - „his historical theory is of the necessitarian, not the free-will type“ (The Saturday Review/16. 1. 1864, 88). - Auch der fünfte Band - stets noch in der deutschen Originalausgabe - fand im November desselben Jahres nur mit wenigen Zeilen Aufnahme in der Sammelbesprechung ‚German Literature‘, wobei Ranke von nun an in der Zeitschrift wenig Gutes widerfährt. Das Interesse an seinem Werk sei beträchtlich eingeschränkt durch das Betreten eines bereits von Macaulay bearbeiteten Grundes. Ein Vergleich mit diesem verbiete sich im Hinblick auf Beredsamkeit, Vorstellungsvermögen oder Bildhaftigkeit, und Ranke scheine auch keinen Zugang zu weiteren Materialien gehabt zu haben. Am meisten liege ihm das Entwirren staatlicher Machinationen. Er gehöre zu der Klasse von Historikern, welche im Gegensatz zu Buckle das volksmäßige Element in der Geschichte vernachlässigten (Anonym/19. 11. 1864). - Bereits im Jahr ihres Erscheinens, 1875, brachte die ‚Saturday Review‘ eine anonyme Besprechung der sechsbändig und überhaupt erstmalig ins Englische übersetzten ‚Englischen Geschichte‘ Rankes. Der Beitrag stammte von Edward Augustus Freeman (1823-1892), Fellow of Trinity College, Oxford, unter vielerlei anderem Verfasser eines Werkes über ‚The growth of the English constitution from the earliest times‘ (Leipzig 1872), vor allem einer ‚History of the Norman Conquest, its causes and its results‘ (6 Bände, 1867-1879, Oxford Clarendon Press), was für eine fachliche Besprechung qualifizierte. Der Verdacht, der verlegerische Zusammenhang seines Normannenwerkes mit der ebenfalls in der Clarendon Press erschienenen Ausgabe der Übersetzung hätte sich vorteilhaft ausgewirkt, ist ungerechtfertigt. Im Gegenteil ist das Urteil des damaligen unabhängigen Privatgelehrten durchaus kritisch abwägend: Obgleich man bei jedem Schritt von Ranke lerne - „There is so much that is really novel in the History“ (432) -, fühle man doch, er sei „not at home with our forefathers“ (363). Noch 1884 blieb der Verfassungshistoriker in seinen ‚The methods of historical study‘ dabei: „ ... Ranke can make so little of English institutions when he directly grapples with them ...“ (Freeman/(1884) 1886, 290). Dies war alles, was er dabei Ranke gönnte, kein Wort über ihn im Zusammenhang mit den dort aufgeworfenen Fragen der Methodologie. - In seiner Besprechung von 1875 ist Freeman doch „a little surprised“, daß ein Historiker wie Ranke etliche Male die Namen und - 290 -

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Formen englischer Einrichtungen nicht gründlich beherrsche. „The mistakes in titles are so common as to be quite a feature of the book“ (431). Ranke verstehe die allgemeine Stellung Englands in der europäischen Welt, aber er verstehe nicht immer, wie sich die englischen Angelegenheiten in der englischen Welt gestalten (363). Damit hänge auch der Unterschied zu Macaulay zusammen. Wo dieser die auswärtigen Angelegenheiten nur behandle, insoweit sie auf Angelegenheiten innerhalb des Königreichs Bezug nähmen, sehe Ranke die englischen hauptsächlich als Teil der allgemeinen europäischen an (463): „His primary object is not constitutional, still less ecclesiastical, matters, but the general history of Europe,... and the history of England a part of that general story“ (363). Dem mag man nicht widersprechen, denn wo Ranke ein Werk aus europäischer Perspektive geschrieben hatte, verfaßte der Rezensent eine Besprechung aus englischer. - Freemans Bedenken entsprachen in Teilen der bereits behandelten, nicht unwesentlichen Kritik Hans Delbrücks in seinem Aufsatz von 1876 ‚Ueber den politischen Charakter der englischen Kirchenspaltung im siebzehnten Jahrhundert‘ (s. I, 286). Der damals noch im Werden befindliche englische Moralphilosoph Henry Sidgwick (1838-1900), Fellow of Trinity College, Cambridge, hatte 1861 in ‚Macmillan’s Magazine‘ anläßlich einer Besprechung der ersten beiden Bände der ‚Englischen Geschichte‘ Ranke als einen bekanntermaßen „earnest, accurate, and impartial historian“ gelobt (86) und dabei in erstaunlichem Ausmaß jede nationale Voreingenommenheit beiseite gelassen. Als Deutscher sei Ranke besonders geeignet, die Geschichte fremder Staaten zu schreiben, denn deutsche Studenten seien die kosmopolitischsten in der ganzen Welt (ebd.). Auch sei die Überlegenheit der Deutschen im Bereich der Philosophie, zumindest gegenüber den Engländern, dadurch bestätigt, daß jeder tiefe oder originale Gedanke, der in England erscheine, sich stets auf eine deutsche Quelle zurückführen lasse (ebd.). Bei den Deutschen bestehe keine Gefahr einer Geschichtsfälschung aus der engen Perspektive eines Stolzes auf ihre eigene Geschichte. Ranke halte die goldene Mitte zwischen Carlyle und Buckle, denn seine Philosophie bewahre ihn vor der Betrachtung des Lebens einer Nation als einer bloßen Anhäufung von Individuen. Seine gelegentlich mysteriös klingenden Sätze seien doch in ihren Erkenntnissen völlig einfach (87), sein Urteil nicht immer tief, doch stets akkurat (88). Ungewöhnlich, und nur aus der Sicht des geläufig generalisierenden Fachphilosophen zu verstehen, ist die Feststellung: „...indeed, his mind appears not remarkable for breadth of grasp, nor particularly qualified for generalization“ (88). Bei der Beurteilung des Darstellungsstils ist zu beachten, daß Sidgwick Rankes deutsche Ausgabe vorlag. Seine Darstellung sei „careful, clear, and pleasing; not destitute of spirit or grace, though never rising to any great pitch of beauty or sublimity ... his vivacity of expression will often seem frigid and affected to our phlegmatic temperament ... He has not a very artistic execution, but yet he shows the true spirit of an artist“ (88). Sidgwick sieht in Rankes Werk eine mit größerer Wahrheit durchgeführte Betrachtung der Prinzipien der englischen Verfassung, ein Wechsel, der sich auf dem Kontinent überhaupt abzeichne, wo bei den Liberalen bisher das französische Vorbild im Vordergrund gestanden habe, nunmehr aber die Grundsätze der konstitutionellen Monarchie einen entscheidenden Sieg gewonnen hätten (91). 1863 ereignete sich - Ranke ging solchen Fehden im allgemeinen aus dem Weg eine Auseinandersetzung mit John Lord Dalberg-Acton über die Echtheit der in England erschienenen Schrift ‚Les Matinées Royales, ou l’Art de Régner, opuscule - 291 -

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inédite de Frédéric II, dit le Grand, Roi de Prusse‘. Die ‚Neue Preußische Zeitung‘ brachte dazu einen Artikel ‚Rankes Urtheil über die Matinees Royales‘ (Nr. 30, 5. 2. 1863, 3), in dem sie in deutscher Übersetzung einen Brief Rankes an den Berliner Times-Correspondenten veröffentlichte. Darin bestritt Ranke die Echtheit der Schrift und kritisierte zugleich die Besprechung des Werkes durch Acton in der ‚Home and Foreign Review‘ ([Acton, John Lord Dalberg]: Confessions of Frederick the Great. In: Home and Foreign Review, Bd. 2/Jan. 1862, 152-171). Ein weitererArtikel in dieser Sache schloß sich an ([Anonym:] Noch einmal die Matinees royales. (Sir John Dalberg Acton gegen Professor Leopold Ranke. In: Neue Preuß. Ztg., Nr. 35, 11. 2. 1863, 1). Das folgende Jahr gab Acton Gelegenheit, sich in anderer Sache kritisch über Ranke zu äußern. Er tat dies anonym in der ‚Home and Foreign Review‘ über Band IV der ‚Englische Geschichte‘. In seiner Besprechung lobt er zunächst die breite, ergebnisreiche Heranziehung neuen Quellenmaterials. Rankes Darstellung königlicher und berühmter Personen wie auch der allgemeinen Politik sei meisterhaft, hingegen vermöge er den großen popularen und nationalen Bewegungen nicht gerecht zu werden: Er sei der Historiker der Höfe und Staatsmänner (s. auch Butterfield/1955, 88 u. 224). - Unter dem schlichten Titel ‚Ranke‘ erschien 1867 im ‚Chronicle‘ eine Besprechung von Band VI der ‚Englischen Geschichte‘. Sie entstammt, wie sich aus einem späteren Abdruck ergibt (Butterfield/1955, 225-232), ebenfalls der Feder Actons. Rankes Buch leide, so heißt es in dem auf Forschungsfragen kaum näher eingehenden Beitrag, nicht nur unter dem Mangel an Farbe, sondern auch unter dem Mangel an Mitgefühl (394). Außer William III. habe das Buch keine lebenden Charaktere. Im Gegensatz zu Rankes sonst häufig gelobter Porträtierungskunst glaubt Acton feststellen zu müssen. „They are effigies, but they are not men“, - eine Kritik, die 1860 schon von Bergenroth und 1861 von Kiesselbach geäußert worden war - „Ranke knows the minutest particulars: he sees the interest of the thing; he says that it is very curious, but his account is uncredibly unreal and reflected. This want of interest in his personages contributes to make him so reserved in his moral judgments.“ (394). Acton gibt sodann eine weitgehend zutreffende Zusammenfassung der Rankeschen Wissenschaftskonzeption: „History ... is a science complete in itself, independent, and ancillary to none, borrowing no instruments, and supplying no instruction, beyond its own domain. This dignified isolation involves a certain poverty in the reflections, a certain inadequacy of generalization. The writer seldom illustrates his facts from the state of ancient or general learning, or by the investigation of legal and constitutional problems. He does not explain the phenomena by political laws, the teaching of observation and comparison; and he has no care for literature, or for the things, apart from politics, which manifest the life and thought of nations. He is more conversant with the shifting relations of cabinets and factions than with the convictions, errors, prejudices, and passions that urge the masses of mankind and sway their rulers.“ (394). Actons abschließendes Lob betrifft dann auch lediglich die politische Seite der Darstellung: „ ... Ranke has surpassed his predecessors in domestic politics, and not only in international affairs, where he is always supreme.“ (395). - Schon vor 1864 hatte Acton eine Besprechung der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes entworfen, die erst nach seinem Tod zur Veröffentlichung gelangte. Darin finden sich einige intendiert paralysierende Beanstandungen der Art: „Ignorant of the power of religious sentiments ... There is no moral warmth or zeal in his writings ... “ (Acton: Papers. In: Butterfield/1955/221) „ ... He is a great historical decorator ... Ranke deceives ... by selection“ (222) „ ... Ranke does not understand the medieval element of modern history, and only the modern elements - 292 -

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of medieval history.“ (224). - Was Acton Ranke gleichwohl verdankte, aber öffentlich nicht bekannte, findet sich in einem seiner Briefe an Lady Acton (10. Juli 1877). Mit großer Ausführlichkeit schreibt er darin über Ranke unter anderem: „there is no man whose books I have so much read, or whose footsteps I have so constantly followed. I do not owe to him the formation of my opinions, for there is some want of positive Gehalt in his thought. But he has been my guide to all the original sources of modern history“ usw. (Döllinger/Acton Briefwechsel III/1971 179f. - Zu Actons Kritik der ‚Päpste‘ s. I, 225f., zu seiner späteren Kritik s. I, 380f.). Eine qualifizierte Besprechung der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes (Übers. ed. Boase/Kitchin 1875) schrieb 1875 der bedeutende englische Historiker Samuel Rawson Gardiner (1829-1902), Professor der Geschichte am King’s College, London, später Herausgeber der ‚English Historical Review‘, vor allem aber archivorientierter kritischer Spezialist auf dem Gebiet der ‚Puritanischen Revolution‘ (William Hunt in: Encyclopedia Britannica, 11th ed., Vol. 11, p. 460). Gardiner lobt in seinem Artikel der in London erscheinenden Zeitschrift ‚Academy‘ an dem „most valuable book“ Rankes: „The principal feature of the book is its sublime and serene impartiality“ (Gardiner/1875, 285). Rankes Hauptschwäche sei sein fehlendes Mitgefühl für die religiösen und moralischen Bewegungen des 17. Jahrhunderts. „The truth is, that Professor Ranke does not care to track out the windings of religious thought, or to measure the pulsation of religious fervour“ (286). Ungeachtet dessen sei Ranke, „take him all in all, ... indeniably the first historian of the day.“ (286). Seine Gedanken bewegten sich in einer höheren Sphäre, in die einzudringen populären englischen Schriftstellern nicht gelungen sei (ebd.). - Gardiner steigerte dies in seinem Nachruf auf Ranke, „the greatest historian of his time“, der auch Macaulay übertroffen habe. Ranke habe, wie Gardiner überwiegend zutreffend bemerkt, keine Schule im nachahmenden Sinne gebildet: „He developed instinctively in himself all the tendencies which were to appear in the collective work of a younger generation.“ (Gardiner/1886, 380). Was vor allem seine Meisterschaft ausgemacht habe, beschreibt Gardiner weniger überzeugend: „It is rather in the conception of history as dealing with a succession of mental stages in which the personalities of historic characters are rooted, and which they in turn influence.“ (380f.). Ranke habe nicht das Gesetz menschlichen Fortschritts gesucht, und vielleicht deshalb die Geschichte mehrerer Nationen in ein und demselben Zeitraum beschrieben, anstatt eine Nationalgeschichte in ihrem gesamten Verlauf zu verfolgen. Ein interessanter, sonst wohl nicht geäußerter Gedanke, der allerdings durch Rankes ‚Weltgeschichte‘, die Gardiner gänzlich unerwähnt läßt, und seine Relationen-Präferenz ein wenig eingeschränkt wird. - Auch die ‚Times‘ vom 10. August 1875 nahm sich der Übersetzung der ‚Englischen Geschichte‘ anonym an. Abgesehen von größeren referierenden oder zitierenden Passagen, denen auch kritische Bemerkungen gelten, finden sich partielle Vergleiche mit Froude, Hallam und Gardiner, v. a. aber einige grundsätzliche, wenn auch zuweilen gemeinplätzige Urteile über Rankes Werk und Geschichtsauffassung: „Its main characteristics are a love of generalization, which, however, betrays the author into comparatively few errors, and the marked predominance of the intellectual over the moral element in his estimates of public men and great events.“ - „Everything with Dr. Ranke is a question rather of tactics than of principles, while through all he loves to trace the operation of causes by which the motives and aims of individuals are in the long run controlled or overruled. Without meaning for a moment that individual actors on the stage of history are swept - 293 -

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helplessly along on the wave of causation without power to retard or promote the course of contemporary events, he evidently attributes much more to circumstances and much less to volition than is customary with historians in general.“ Dies ähnelt Feststellungen der ‚Saturday Review‘ vom 16. 1. 1864, und „... moral considerations are so rarely suggested by his pages“ erinnert an kritische Äußerungen Actons und Gardiners. Zwar wird, wie fast durchgängig im englischen Urteil, Rankes „extreme and severe impartiality“ gelobt, doch andererseits der weitreichende Gedanke geäußert: „We suppose Dr. Ranke to mean that the poetic instinct can devine truths which the mere reason is unable to deduce...“ - Auch hier wird ihm - wie bei Freeman 1884 - das tiefere Verständnis für England abgesprochen: „When Dr. Ranke speaks of the Commonwealth of England representing the ‚Sovereignty of the people‘, he shows how little even he is capable of understanding England, or of emancipating himself from the Continental ideas of revolution.“ - 1875 erschien in der katholischen ‚Dublin Review‘ ein anonymer Artikel ‚Ranke’s and Green’s histories of England‘, in dem Rankes gerade ins Englische übesetztes Werk wie auch die auf Dauer recht erfolgreiche ‚Short History of the English People‘, London 1875‚ aus der Feder des englischen Historikers John Richard Green besprochen wurden. Dabei wird der erwartungsgemäß konfessionell geprägte Versuch unternommen, beide Historiker in einer Fülle von Einzelheiten einer falschen Deutung der Verhältnisse zu überführen. Dies wird zurückgeführt auf politische Motive und religiöses Vorurteil, mit dem Ranke die katholische Kirche gelegentlich als natürlichen Verbündeten des Despotismus und als Feind des Staates darstelle, wie in einem 1876 folgenden Artikel ‚Ranke’s History of England‘ desselben Verfassers weiter ausgeführt wird, so etwa in der Darstellung der Jesuiten. Rankes Werk sei zwar ein wertvoller Beitrag zur englischen Geschichte, doch habe der „great writer“ damit einen Schatten auf seinen Ruhm geworfen „by degrading the noble science of history to the furtherance of unworthy political aims and the gratification of religious bigotry“ (350). - Uneingeschränkt positiv äußerte sich anonym die ‚Edinburgh Review‘ vom Juli 1876 über „the best history of England written by one man“ (77). Gerade die von Freeman und Acton getadelte Darstellung der Verfassungsgeschichte wird, was ihren als revolutionär bezeichneten Teil anbelangt, außerordentlich gelobt, zumal er bei Clarendon, Hume, Brodie, Hallam, Forster und Carlyle vernachlässigt sei. Es entspricht der zutiefst konservativen Haltung Rankes wie der des Rezensenten, wenn dieser feststellt: „ ... von Ranke is true to the great leading features of the conservative spirit in our historical development. His services on this point are not limited to the justice that he does to our national spirit. They confer a far greater boon on the author’s countrymen, and indeed on all the continental states. He shows to them emphatically that what we have gained in the blessing of uniting perfect liberty with great constitutional strength, has not been acquired by revolution... “ (69). Aus dem übrigen europäischen Ausland war nur wenig zu vernehmen. Die in Paris erscheinende ‚Revue germanique‘ von Oktober 1859 mischte anläßlich einer Besprechung von Band I in ihr Lob - „la profonde connaissance et la lucide exposition des faits, une grande élévation, une remarquable impartialité“ - ein wenig Tadel, indem sie feststellte: „ses sentences semblent vraiment parfois un peu trop mitigées“ (A. V./1859, 207). - Gelegentlich eines Besuches bei Ranke machte der belgische Historiker Paul Frédéricq (1850-1920) aufmerksam auf die Ranke mit Macaulay vergleichenden Artikel von Pierson, die Ranke angeblich nicht kannte. Ranke habe aber geistreich die Verteidigung Macaulays übernommen (Frédéricq/1882). Bei dem ausführlichen Ver- 294 -

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gleich handelte es sich um einen Artikel in ‚De Gids‘ von Mai/Juni 1877 mit dem Titel ‚Ranke en Macaulay‘, verfaßt von Allard Pierson (1831-1896), der nach Niederlegung seines Pfarramts als Professor für Ästhetik, Kunstgeschichte und neuere Sprachen an der Universität Amsterdam tätig war (Arie L. Molendijk: Abschied vom Christentum. Der Fall Allard Pierson. In: Post-Theism. Reframing the Judeo-Christian Tradition. Hg. von H. Krop u. a., Leuven 2000, 141-157). In der Charakterisierung Piersons kommen seine theologischen und kunsthistorischen Interessen gut zum Ausdruck: „Ranke schildert als Rembrandt, het lichte op enkele punten vereenigende tegen een donkeren achtergrond. Macaulay is enkel schilder, een Rubens; Ranke Rembrandt en Montesquieu tegelijk. Bij Macaulay moet men altijd doorlezen; bij Ranke telkens stilstaan.“ (225). Zu Piersons Ranke-Deutung äußerte sich positiv auch sein Landsmann Pieter Geyl (1952, 4).

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8. Kapitel (I/2.1.8) IM BANNE DER GLORREICHEN GEGENWART ‚Sämmtliche Werke‘ und preußisch-deutsches Spätwerk 1867-1881 E i n f ü h r u n g (I/2.1.8.0) Das öffentliche Interesse an Person und Werk Rankes wurde nicht allein durch den permanenten Fluß seiner Neuerscheinungen wachgehalten. Auch das ‚Altwerk‘ konnte durch seine revidierte Zusammenfassung in einer Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ Interesse beanspruchen, zumal dabei mit besonderer Geschicklichkeit der Beginn des Unternehmens auf den Termin des im Luther-Jahr 1867 eintretenden 50jährigen Doktorjubiläums gelegt worden war, ähnlich geschickt wie die spätere jedesmalige Deklarierung der Weltgeschichtsbände als „Weihnachtsgabe an das deutsche Volk“. Bei der Sammlung war von vornherein an eine populäre Wirkung gedacht. Ein Verlagsanschreiben stellte „einen sehr billigen Preis bei würdevoller Ausstattung“ in Aussicht, welche „die Anschaffung den weitesten Kreisen“ ermöglichen sollte. Stets sind auch Schüler oder Hörer Rankes zur Stelle, sein Lob in Besprechungen, Ansprachen, Gratulationsschreiben oder in anderer Weise öffentlich vorzutragen. Einen ‚Prospectus‘ der Sammlung zu verfassen, hatte der Verlag den Ranke-Hörer und Literaten Karl Frenzel gewonnen. In dem beigegebenen genannten Anschreiben wurde jede Rücksicht auf jahrzehntelange kontroverse Urteile aufgegeben und suggestiv propagiert, die „Vorzüge und Eigenthümlichkeiten der Rankeschen Geschichtschreibung“ seien „vom Publicum und der Kritik seit langer Zeit in ... einstimmig lobender Weise anerkannt“ (in der Personalakte R.s, GStA PK, I. HA Rep. 76, V. f. Lit. R., Nr. 10). Nicht jeder ließ sich davon überzeugen. Auch für einen weiteren ‚Prospectus‘, zur zweiten Gesamtausgabe der Werke, gab sich ein Schüler Rankes hilfreich her, kein Geringerer als der auch später in Ranke-Dienstbarkeit verfangene Alfred Dove (Nachweis: SW 53/54, 507 mit A 1). Hinzu fügten sich besondere Ereignisse, wie 1867 die Wahl zum Ehrenmitglied der ‚Massachusetts Historical Society (Fr. R. Ford/1975, 66, A. 16), vor allem die von einigen prominenten Schülern Rankes vorbereitete, durch die Übersendung einer von 86 ehemaligen Hörern unterzeichneten Adresse und durch diverse universitäre Glückwunschschreiben gehobene Feier des fünfzigjährigen Doktorjubiläums (20. Febr. 1867), überdies die Wahl zum Kanzler des Ordens ‚Pour le mérite‘ (20. Sept. 1867). Erstere bot Anlaß zu erneuten Ordensverleihungen, so in Preußen mit dem Stern zum Rothen Adlerorden 2. Klasse und in Bayern dem Großkomturkreuz des Michaelordens (LCD, 9. 3. 1867, 308). Rudolf Köpke (1813-1870), Rankes stets ungemein loyaler Frühschüler, damals Berliner a. o. Professor, war der Hauptorganisator der Feierlichkeiten (s. II/7.2) und verfaßte unmittelbar post festum eine öffentliche Dokumentation mit dem Titel ‚Ranke-Fest‘, welche 1867 im Berliner Verlag von E. S. Mittler u. Sohn erschien, worin Rankes Schüler Theodor Toeche (1837-1907) als Mitinhaber tätig war. Dort erschien auch Köpkes Werk ‚Widukind von Korvei. Ein Beitrag zur Kritik der Geschichtschreiber des zehnten Jahrhunderts‘ (Bln.: E. S. Mittler 1867), das er Ranke aus Anlaß des Doktorjubiläums widmete. Die Fest-Dokumentation machte einiges, Ranke nicht durchaus angenehmes oder nützliches Aufsehen. Der Freund seiner frühen - 296 -

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Berliner Jahre, der von ihm mit allerlei Dienstbarkeiten und Vernachlässigungen arg strapazierte Philosoph Heinrich Ritter (s. II/3.1.1f.) - die Verbindung war längst gelöst verfaßte aufgrund der Fest-Dokumentation einen 77seitigen offenen Brief, betitelt ‚An Leopold von Ranke über deutsche Geschichtschreibung‘. Hierin lieferte er, unpassend an Rankes private Ansprache anläßlich der Feier anknüpfend, eine Kritik, die, wenn nicht zu den bedeutendsten, jedenfalls zu den auffallendsten und auch später noch beachteten Specimina gehört. Ritter dreht und wendet hier - was insgesamt einen für ihn eher peinlichen Eindruck hinterläßt - mit großem Aufwand einige wenige Sätze Rankes über Standort und Aufgaben der deutschen Geschichtswissenschaft, i. b. über ihr Verhältnis zu der anderer Nationen, wobei er in vielen Punkten Ranke nicht eigentlich trifft. Hinwiederum besitzt manches, angesichts der von Ranke in vereinseitigender Weise ausgehenden Wirkungen, eine allgemeine Berechtigung: „... wenn Du die deutschen Geschichtschreiber ermahnst, nur recht tüchtig auf den Moment hinzuarbeiten, so arbeitest Du dem Zuge des gegenwärtgen Augenblicks in die Hände, welcher die Fachwissenschaften, die Virtuositäten in den einzelnen Gebieten der Erkenntniss begünstigt, die allgemeine wissenschaftliche Meinung verflacht und vernachlässigen lässt.“ (68). Der Getadelte nahm dies äußerlich nur flüchtig, jedoch in bezeichnender Weise zur Kenntnis. Er fand, sein Trinkspruch sei „unvollkommen aufgefaßt und mitgeteilt worden“, und der Philosoph schreibe ihm aufgrund einiger „allerdings nicht ganz klar gefaßter Sätze ... Meinungen zu“, die er selbst verabscheue (an FR, 25. 6. 1867, NBrr, 499). Köpke fühlte sich verpflichtet, seinem Lehrer hilfreich beizuspringen und schrieb im ‚Literarischen Centralblatt für Deutschland‘ vom 6. Juli sogleich eine „Verwahrung“, in der er die „Insinuation, als seien möglicher Weise ‚erheuchelte Gedanken und Empfindungen‘ zur Schau getragen worden, ... mit tiefem Bedauern über solche Kritik des Festes und des Gefeierten ... mit voller Entrüstung“ zurückwies, wodurch sich die Publizität des Affronts nur verstärkt haben dürfte. Der Theologe Rudolf Rocholl (1822-1905) fand allerdings in seinem 1878 erschienenen Werk ‚Die Philosophie der Geschichte. Darstellung und Kritik der Versuche zu einem Aufbau derselben‘, Ritters „schöner Brief“ zeige, „Was mit Hülfe der Philosophie, aber allerdings auch nur mit dieser Hülfe, aus der Geschichte zu machen sei ...“ (341). Denn Ranke gebe für eine Philosophie der Geschichte nichts her. Er habe in seinen Schriften zwar „hin und wieder einzelne große Blicke über die Weite der Geschichtsbewegung geworfen“, sie seien „indess zu vereinzelt, um hier in Betracht zu kommen. Mehr finden wir bei Gervinus“ (309). - Auch Ernst Bernheim beklagte in seiner Schrift ‚Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie‘ (Göttingen 1880) eine „immer grössere unnatürliche Entfremdung zwischen Geschichts-Philosophie und -Forschung“ (2). Selbst in der Pariser ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ wurden Ritters Vorwürfe zur Kenntnis genommen (Reuss/1867). Die ‚Illustrirte Zeitung‘ brachte zur Feier zwar Rankes Porträt, fand jedoch, er sei „weniger als in der Geschichte ... in der Politik von seinen Zeitgenossen anerkannt worden. Den freiern Bestrebungen der deutschen Stämme von 1830 und 1848 an ist er ... immer entgegen gewesen.“ (T., 2. 3. 1867/146). - Vom selben Tage datiert ein ‚Gedenkblatt‘ in der Zeitschrift ‚Daheim‘ von Rankes Hörer Wilhelm Herbst (18251882), der damals am ‚Königlichen Gymnasium zu Cleve‘ tätig gewesen sein dürfte, eine biographische Skizze, die besonders die Themen ‚Schulpforta‘ - dessen Rektorat Herbst später übernahm - und ‚Ranke als akademischer Lehrer‘ behandelt. Der Versuch einer Charakterisierung seiner Geschichtsschreibung geschieht mit milden kritischen - 297 -

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Bemerkungen. Gleichwohl wird Ranke dort als „Fürst der deutschen Geschichtsschreibung unserer Tage“ bezeichnet (348): „Die Nation besitzt in diesem Manne viel, unendlich viel, den Vater der modernen Geschichtsschreibung auf deutschem Boden.“ (351). Herbst äußerte sich später u. a. noch zu Rankes ‚Hardenberg‘ und zur ‚Weltgeschichte‘ (s. I, 334, 351f.). - Eine 1867 in der ‚Gartenlaube‘ erschienene Würdigung mit dem Titel ‚Eine goldene Hochzeit mit der Wissenschaft‘ darf man aufgrund von Ähnlichkeiten mit seinem Nachruf auf Ranke (Giesebrecht/1887) dem Früh-Schüler Wilhelm von Giesebrecht zuschreiben. Es ist eine verhältnismäßig anspruchsvolle, nicht ganz unkritische Würdigung. In der Beurteilung des Rankeschen Objektivitätsstrebens vermeidet Giesebrecht allerdings ein dezidiertes Urteil. Daß Ranke „von den tiefen Bewegungen des eigentlichen Volksgeistes keine rechte Anschauung habe oder gebe“, diesen alten Vorwurf weist Giesebrecht mit Hinweis auf die ‚Deutsche Geschichte‘, „eine wahrhaft nationale That“, zurück (ebd., s. auch I, 246). Den politischen Mahnungen Rankes schließlich in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ billigt er freilich keine historische Wirksamkeit zu, sieht er darin doch einen an den Anschauungen Friedrich Wilhelms IV. erinnernden „Anachronismus..., dem heutigen Dasein vom Standpunkte früherer Epochen aus Maß zu geben“. (Ebd., siehe auch Giesebrecht/1872, 313f.), ein Gesichtspunkt, der später vielfach unbeachtet blieb. Angenehmere Glückwunschschreiben zum 50jährigen Promotionsjubiläum trafen aus Bonn und Göttingen ein. Die Bonner philosopische Fakultät gratulierte dem ‚Princeps‘ mit einem Blatt ‚Summo artis recte tractandae avctori ... historicorvm Germaniae principi Leopoldo a Ranke solennia semisaecvlaria venerabvndi congratvlantvr ordinis philosophorvm in vniversitate Fridericia Gvilelmia Rhenana professores PP. OO. Bonnae d. XX Febr. a. 1867‘ … (Bonnae: typ. C. Georgii 1867, 1 Bl. qu.-2), und Rankes Früh-Schüler Georg Waitz gedachte unter dem Titel ‚Die historischen Übungen zu Göttingen‘ vor allem der Historischen Übungen des „verehrtesten Herrn und Meisters“ (12), betonte, daß das Studium der Geschichte durch ihn „ganz neue Impulse“ erhalten habe (5): „Weithin haben Sie die Deutsche historische Wissenschaft zu Ehren und Ruhm gebracht.“ (8) Auffallend ist eine Bemerkung Waitz’, die vielleicht in die Richtung eines Ritterschen Kritikpunktes geht: Er sieht durch die Einrichtung staatlicher Seminare die „wünschenswerthe Freiheit der Bewegung“ in den historischen Studien beschränkt, an der, wie man hinzufügen muß, auch Ranke stets gelegen war. Ihm scheint, der Lehrer habe „heute mehr die Aufgabe abzumahnen, ja abzuschrecken, die sich dem Studium der Geschichte widmen wollen, als anzulocken“ (8). - Waitz fand jedoch, er habe für Ranke noch nicht genug getan. 1874 gab er seiner Dankbarkeit und Verehrung erneut öffentlichen Ausdruck. Dazu diente kein eigentlicher Ranke-Anlaß, sondern ein eigener Waitz-Anlaß, die Jubiläumsfeier der 25 Jahre zuvor durch ihn in Göttingen begründeten historischen Übungen. Die zu diesem Anlaß entstandene Schrift enthält eine Glückwunschadresse, unterzeichnet von 150 Schülern Waitz’, wozu als Festgabe eine von Friedrich Drake geschaffene Marmorbüste Rankes gehört, und Waitz’ Erwiderung, in der er auf sein Verhältnis zu Ranke eingeht (Die Jubelfeier der historischen Übungen/1874, 8). In einer weiteren Dankesrede lobte er an Ranke, „... dass er es ist, der, wenn auch historische Uebungen nicht zuerst gegründet, sie doch wahrhaft erst auf unsern Universitäten eingebürgert und ausgebildet hat, der uns allen darin Meister und Vorbild geworden ist.“ Die Schrift enthält zudem eine Rede des Ranke-Schülers Reinhold Pauli mit Erinnerungen an Rankes 50jähriges Doktorjubiläum. - Selbst zum 72. Geburtstag, am 21. Dezember 1867, traf noch Rühmendes ein. - 298 -

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Ranke Bruder Ferdinand hatte ein Gratulationsgedicht verfaßt, in dem es hieß: Wie still war’s in der Welt von unserm Namen,/Als er nur galt im kleinen Wiehe dort,/Und jetzt, wie viele stolze Ehren kamen/Und häuften sich auf Dich an jedem Ort!/Jetzt glänzt Dein Name in dem hellsten Lichte,/Dich kränzt und krönt die Muse der Geschichte. (Tdr. bei Vormeng/1902, 16). - Zum 80. Geburtstag ließ sich Alfred Dove in ‚Im neuen Reich‘ vernehmen. Nach Skizzierung des Verhältnisses Rankes zu Johannes von Müller, Niebuhr und J. G. Fichte, äußerte er sich irrig über die geringen Wandlungen des Rankeschen Stils, um dann die möglicherweise bedeutende Bitte an Ranke „um eine Universalgeschichte“ zu äußern (Dove/1875, 969). Auch Rankes 60jähriges Doktorjubiläum im Jahre 1877 wurde feierlich begangen. Das ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ widmete dem Anlaß einen Artikel (P. D. Fischer/3. 3. 77) und Rankes Bruder Ernst, auch er ein unermüdlicher Diener der Dichtkunst, trug mit 350 Blankversen zur Hebung des Ruhmes bei, der Art: Wie einst am Fuße der Akropolis/Sein Musenwerk der Vater der Geschichte/ Dem Volke las an den Panathenäen,/ Und jeglich Ohr an seinen Lippen hing, So lauschet, wem’s im großen deutschen Volk/ Und über seine Grenzen weit hinaus/ Ein Ernst ist mit den Lehren der Geschichte,/ Mit Spannung Deiner schönen Rede Wort,/ Und Dich zu hören, ist für ihn ein Fest ... (Zur Jubelfeier/1877). An Orden wurden zunehmend höhere und höchste Klassen verliehen: der Kgl. Preußische Kronenorden 1. Klasse und das Großkreuz des schwedisch-norwegischen Nordsternordens. Der Erfolg all dieser öffentlichen Ruhmesförderungen war doch nicht völlig durchdringend. Tatsächlich fielen Zahl und Umfang der seinem Werk der 1870er Jahre geltenden Besprechungen signifikant geringer aus als die, welche in seinen mittleren Jahren zu verzeichnen waren. „Seit dem Erscheinen des Wallenstein, das in das Jahr 1869 fällt, ging das allgemeine Urteil der deutschen Gelehrten dahin, daß in Ranke’s litterarischen Leistungen in Beziehung auf geistige Schöpferkraft und das Vermögen künstlerischer Gestaltung, auch insofern, als es darauf ankommt, den gleichzeitigen Forschungen Andrer zu folgen, eine zunehmende Minderwertigkeit bemerkbar werde“, teilt sein Gehilfe Wiedemann erbarmungslos mit (V/1892, 348, A. 1). Selbst Hans Delbrück konnte noch in einem 1885, also zu Lebzeiten des greisen Ranke, in Leipzig gehaltenen Vortrag (Erstdr. bei Philippsborn/1963, 349-352) unfreundliche Bemerkungen fallen lassen über Rankes „kunstvolles Gemälde von vielverschlungenen diplomatischen Verhandlungen“ mit dem er „noch nicht entfernt so in unser Volk eingedrungen“ sei wie Macaulay in das englische und Thiers in das französische. Man kann nicht umhin, dort, wo Zurückhaltung spürbar wird, diese teilweise einem ängstlichen, resignierten oder ehrfürchtigen Schweigen zuzuschreiben, das sich angesichts der in Wissenschaft, Wissenschaftsorganisation und Gesellschaft nahezu hoheitlichen Position Rankes einstellen mochte. Hierfür hatte man in Frankreich ein Gespür entwickelt. Der bereits erwähnte Rodolphe Ernest Reuss, verfaßte in der Pariser ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vom 6. August 1870 einen Artikel, der formal eine Besprechung von Band I bis XVI der ‚Sämmtlichen Werke‘ und des noch separaten ‚Wallenstein‘ darstellte, jedoch zunächst und vor allem zu einer allgemeinen Betrachtung Rankes gedieh, die unter die kritischsten der Spätzeit fällt und, wie Reuss betont, nur möglich war, weil er sich im Ausland, außerhalb des magischen Zirkels der Schweigenden befand („Placé en dehors du cercle magique qui semble fermer toutes les bouches de l’autre côté du Rhin“, 92). Zunächst wird Ranke, dessen Werk in Frankreich sehr wenig bekannt sei (Reuss/1870, 92), als „le Nestor des historiens de son - 299 -

I/2.1.8.0 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Sämmtl. Werke‘ und Spätwerk, Einführung

pays“ und „le grand-pontife incontesté de l’historiographie allemande“ (91f.) bezeichnet, dem die Wissenschaft einen mächtigen Fortschritt verdanke (92). Auf vier große Werke gründe sich Rankes außerordentliche Reputation, die ‚Päpste‘, die ‚Deutsche Geschichte‘, die ‚Französische‘ und die ‚Englische Geschichte‘ (ebd.), welche thematisch alle im Zeitraum von zwei Jahrhunderten angesiedelt seien. - Von seinem Erstlingswerk ist wieder einmal keine Rede. - Ranke habe die venezianischen Relationen für die Geschichte entdeckt, und die geheimen diplomatischen Verhandlungen bildeten in seiner Darstellung gleichsam den doppelten Boden der Geschichte (93). Zu seinen Fehlern gehöre, daß seine Unparteilichkeit gelegentlich zur Gleichgültigkeit gegenüber den Opfern der Geschichte werde. Jedes Mal, wenn er mit einem Wort oder Vergleich an die politische und soziale Welt rühre, spüre man, daß ihn seine Unparteilichkeit verlasse. Sein bei allgemeinen Betrachtungen so freier Geist scheine doch unfähig, die demokratischen Tendenzen der zeitgenössischen Gesellschaft gerecht zu würdigen, und hinter dem Professor der Geschichte erhebe sich das Mitglied des preußisches Staatsrats, das sich in seinen Werken mehr und mehr nur bei Fürsten und hohen Herren wirklich wohl fühle (ebd.). Auch habe Ranke seit langem darauf verzichtet, seine Werke bei Neuauflagen auf den Stand der Wissenschaft zu bringen. Über diese Tatsache schweige man in Deutschland respektvoll. Zeitgenössische oder frühere Schriftsteller, denen er hätte Korrekturen entnehmen können, schienen für ihn zumeist nicht zu existieren, und man sei geneigt zu glauben, daß der große Schriftsteller überhaupt jede Zusammenarbeit auf dem Feld der Wissenschaft zurückweisen möchte (94), wie er auch die von anderen beschrittenen Pfade meide (94. Für Reuss’ weitere Kritik s. I, 194). Neben dem sichernden Rückblick der eher unter äußerlich organisatorischen Gesichtspunkten zu betrachtenden Einführung seiner ‚Sämmtlichen Werke‘, vollzieht sich in dieser Zeit eine historiographisch substanzielle Wende durch einen neuen thematischen Ausblick. Gemeinsam bilden sie den Beginn der vielfältigen vorletzten Phase in Rankes Schaffen. Mit der nunmehr entstehenden preussisch-österreichisch-deutschen Werkgruppe verläßt Ranke um 1868 die bisher im Vordergrund seines Schaffens stehenden Zeiten des 16. und 17. Jahrhunderts, wo ihm vielleicht keine monumentalen aufsehenerregenden Arbeiten mehr möglich oder sinnvoll schienen - auch ausländische Archivreisen wurden schließlich aus Altersgründen eingestellt - und betritt, mit Ausnahme einer überleitenden Phase des Jahres 1868, in der ein erstes Sammelwerk ‚Zur Deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg‘ und die ‚Geschichte Wallensteins‘ erschienen, nachdrücklich den preußisch-deutschen Boden des 18. und 19. Jahrhunderts. Diese auffallende entschiedene Wende in seinem Schaffen dürfte wesentlich durch die sich steigernde Wirkung der Ereignisse von 1848, 1866 und vor allem 1870/71 herbeigeführt worden sein, welche Ranke nicht gleichgültig waren, den Historiographen des preußischen Staates vielmehr innerlich und äußerlich mehr und mehr mit diesem symbiotisch verbanden. Er selbst erklärt im Vorwort seiner 1871 erschienenen Schrift ‚Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ nachdrücklich, „den großen Ereignissen und Handlungen des letzten Jahres bringe ich mit derselben meinen Tribut dar.“ (VII). In diesem Jahr erschien auch ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘, und darin eröffnete er sein Vorwort mit der Bemerkung: „Ich lege der deutschen Nation ein Stück ihrer Geschichte vor, das an unsre Zeiten nahe heranreicht…“ (V). Wie in seinen Neuwerken, so spielt jetzt auch bei den für die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ vorgenommenen Revisionen einiger Altwerke der Wunsch, durch Aktualisierungen in die Gegenwart hineinzugelangen, eine bedeutende - 300 -

I/2.1.8.0 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Sämmtl. Werke‘ und Spätwerk, Einführung

Rolle (s. I/1.8). Rankes Hinwendung zur ‚vaterländischen‘ Geschichte sah schon Hans Prutz „ausgesprochenermaßen unter dem Einflusse“ stehen, „welchen die Entfaltung des nationalen Lebens in Deutschland auf ihn einübte“ (Prutz: Über nationale Geschichtschreibung/1883, 677) und erblickte darin überhaupt eine die historische Literatur mit ihrem internationalen Zug insgesamt beeinflussende Entwicklung: Sie habe, seitdem „das deutsche Volk, einig wie nie zuvor, in großen, vom Staunen der Welt begleiteten Thaten nationale Geschichte gemacht“ habe (681), „die allzu lange entbehrte Fühlung mit der Nation“ wiedergewonnen und die Fähigkeit erlangt, „auf dieselbe zu wirken, und die Nation nimmt infolge dessen auch an ihren Leistungen einen lebendigeren und frischeren Anteil.“ (679). Letzteres traf auf Rankes Schriften allerdings nicht in diesem Maße zu. Trotz ihrer größeren Aktualität waren die Veröffentlichungen dieser Zeit, mit Ausnahme des stets populären Wallenstein-Themas, in Wissenschaft und breiter Öffentlichkeit bei weitem nicht so erfolgreich wie die beiden ‚religionsgeschichtlichen‘ und die beiden nationalgeschichtlichen Werke seiner Lebensmitte. Über Rankes preußisch-deutsche Wende dachte Heinrich von Treitschke ganz anders, äußerte jedoch öffentlich nicht das, was er am 30. Oktober 1872 brieflich Hermann Baumgarten anvertraute: Ihn überkomme „immer ein Schauder“, wenn er „Ranke an die neueste und nun gar an die preußische Geschichte herantreten“ sehe. „Wie schlecht ist sein Buch über Deutschland von 1780-1790 [DtMächte/1871/72], eine fade hofmännische Weißbrennerei, wofür mir mein liebes Preußen wahrlich zu gut ist!“ Damit war, wie er schrieb, seiner „Bewunderung für Ranke’s Meisterschaft, wenn er entlegene Epochen und fremde Völkerschaften behandelt, nichts abgebrochen.“ (Briefe H. v. Tr.s an Historiker u. Politiker v. Oberrhein/1934, 27). Der nicht unbeschränkt hellsichtige, aber ungewöhnlich weitsichtige Constantin Frantz, (1817-1891, s. I, 161, 169), Verfechter einer preußisch-polnischen Föderation und eines Deutschlands als „Kern einer europäischen Föderation“ (74), massiver Kritiker eines Preußentums, das alles seinem Staatsinteresse unterworfen hat und das „unvermeidlich scheitern muß“ (84), kritisierte in seiner 1874 erschienenen Schrift ‚Die preußische Intelligenz und ihre Grenzen‘ an Ranke: „Denn nichts weiter als Gothaismus und Erfolgscultus ist es, was sich in Rankes letzten Publicationen ausspricht. Der große Geschichtsschreiber ist zum Herold des Preußenthums geworden“ (48), was er in Rankes ‚Preußischer Geschichte‘ nachzuweisen suchte. Im übrigen sei Ranke „die Sonderexistenz der einzelnen Völker und Staaten noch immer das Principale“ gewesen und damit verbunden die Feststellung, „ob diese oder jene Macht die Präponderanz gewinnt“ (49, Anm.). Im Rahmen der seit seiner Berliner Berufung sich verfestigenden Symbiose kam es auch in dieser Spätphase zu staatlichen bzw. monarchischen allgemeinen Ermunterungen und speziellen Beauftragungen. In einem Dedikationsschreiben an Ks. Wilhelm I. vom 4. 12. 1871 bezieht Ranke sich ausdrücklich auf einen entsprechenden, nicht zu ignorierenden Wunsch des Monarchen: „Ich folge damit der mir einst von Ew. Majestät zuteil gewordenen ehrenvollen Aufforderung, meine Kräfte wieder der vaterländischen Geschichte zu widmen“ (NBrr 568). Die Auftragsarbeiten - als da waren ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ (1873), ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘ (1877), ‚Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien‘ (1878) - erwiesen sich als z. T. lästig und, soweit sie editorischer Teilnatur waren, als besonders arbeitsaufwendig. Zuvor waren erschienen: ‚Briefwechsel Friedrichs des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV von - 301 -

I/2.1.8.1 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Briefwechsel Friedrich des Großen‘

Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England‘ (1868/69), ‚Zur Deutschen Geschichte‘ (1868 und 1874), ‚Geschichte Wallensteins‘ (1869), ‚Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ (1871), ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘ (1871/1872), ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ (1873), ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘ (1874), ‚Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg‘ (1875), ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792‘ (1875), sodann noch die aus Notwendigkeiten der ‚Sämmtlichen Werke‘ zustandegekommenen Sammelbände der ‚Historisch-biographischen Studien‘ (1877, 1878) und ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ (1878). Diese wie im Rausch hervorgebrachte Flut vermochte doch weder bei den Fachgelehrten noch beim allgemeinen Publikum ungeteilte Zustimmung oder gar Begeisterung auszulösen. Vielmehr mußten sich Werke dieser Zeit aufgrund mangelnder Nachfrage mit einer einzigen Auflage begnügen. Dies galt für den ‚Briefwechsel Friedrichs des Großen‘ ebenso wie für den ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ von 1871, der trotz des allgemein herrschenden preußisch-deutschen Hochgefühls als selbständiges Werk keine weitere Auflage mehr erlebte. Auch ‚Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg‘ und ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘, beide aus dem Jahre 1875, brachten es zu Rankes Lebzeiten auf kein weiteres Erscheinen, so auch die ‚Historisch-biographischen Studien‘. Seine 1878 veröffentlichten Werke ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ und vor allem die selbständig und parallel in der ‚Allgemeinen deutschen Biographie‘ erschienenen griffigen Arbeiten ‚Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien‘, die einer breiten populären Nachfrage eigentlich hätten völlig sicher sein können, erreichten keine zweite Auflage mehr, und die Erwartungen des Verlages, „hoffentlich alle Freunde vaterländischer Geschichtschreibung zu großem Dank“ zu verpflichten (aus der Vorbemerkung des Verlags), wurden nicht erfüllt. Der Erfolg des 1873 erschienenen hochinteressanten Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen kam einem Strohfeuer gleich. Er erreichte zwar sogleich im Folgejahr eine zweite Auflage, doch folgte ihr zu Lebzeiten Rankes keine weitere. Auch seinem 1879 bis hart an die eigene Gegenwart herangeführten ‚Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘ blieb eine zweite Auflage versagt. Manches frühere Werk wäre ohne Aufnahme in seine ‚Sämmtlichen Werke‘ wohl nie mehr erschienen. Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England (1868/69) (I/2.1.8.1) Bei vorliegender Ausgabe von 1869 (s. II/1.1) handelt es sich um den verselbständigten Zweitdruck einer Abhandlung der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin vom Jahre 1868. Der kleinen 92seitigen Edition war nur eine sehr geringe Aufmerksamkeit beschieden, weshalb Ranke bei dem entselbständigten Drittdruck in seinen ‚Abhandlungen und Versuchen. Erste Sammlung‘ ohne Rücksicht auf wissenschaftliche Belange minder wichtig erscheinende Briefe wegließ, „weil sie für das große Publikum wenig Interesse darbieten“ (s. II, 90). Insofern dürfte ihm das geringe Interesse an der Ausgabe von 1869 wohl bewußt gewesen sein. - Drei kurze Bespre- 302 -

I/2.1.8.2 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Zur Deutschen Geschichte‘

chungen, eher nur Anzeigen, ließen sich auffinden. Das ‚Literarische Centralblatt für Deutschland‘ vom 16. April 1870 wies anonym auf die Bedeutung der Edition für die Geschichte des „großen Königs“ hin. In seiner „trefflich geschriebenen“ Einleitung lege Ranke „mit der ihm eigenen Meisterschaft alle die feinen Fäden“ dar, „welche Personen und Ereignisse verknüpfen.“ - C. W. Boase, einer der Übersetzer von Rankes 1875 erscheinender englischer Ausgabe der ‚Englischen Geschichte‘ verfaßte 1870 in der Londoner ‚Academy‘ eine kurze Anzeige ohne beurteilende Momente. Lediglich der quellenkritisch orientierte Bonner Professor der Geschichte Arnold Dietrich Schaefer (1819-1883), „einer der hervorragendsten Forscher, Geschichtschreiber und Lehrer“ der damaligen Zeit (J. Asbach: Schaefer, Arnold Dietrich. In: ADB 30/1890, 521-524, hier 521), der im Zusammenhang mit seinen Besprechungen von ‚Hardenberg‘ und ‚Weltgeschichte‘ näher zu betrachten sein wird, ging mit Sachkenntnis an seine Kurzanzeige in den Literaturberichten der ‚Historischen Zeitschrift‘ von 1870, in der er die Beziehungen der Korrespondenten zueinander skizzierte, Ranke eine „feine und sinnige“ Darlegung eben derselben attestierte und sehr wenige kleine Lese- bzw. Datierungsversehen richtigstellte. Zur Deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg (1868, ²1874) (I/2.1.8.2) Auf dieses erste, wie auf die übrigen fünf für seine Gesamtausgabe zusammengestellten Sammelwerke erfolgte nur eine sehr geringe Reaktion, obgleich sich Ranke bemühte, als Prinzip stets eine Mischung aus Altem und Neuem durchzuführen. Der Band enthält den Zweitdruck einer Abhandlung der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘: ‚Ueber die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II‘, sowie eine unveröffentlichte Arbeit ‚Zur Reichsgeschichte. Von der Wahl Rudolfs II. bis zur Wahl Ferdinands II. 1575-1619‘. - Rudolf Gottschall (BLU/1869) wie auch Reinhold Pauli (Academy/ 1872) streiften das Werk jeweils kurz und beurteilungsarm in einer Sammelbesprechung. Das ‚Literarische Centralblatt für Deutschland‘ vom 22. Mai 1869 war der Meinung, Ranke entfalte in dieser neuen Arbeit im Vergleich mit Häberlin und Senckenberg „ein völlig neues Bild von einem bisher fast unbekannten Gebiete, dessen Bedeutung nun erst ins Licht tritt.“ (Sp. 636). Ausführlich und in wesentlichen Punkten kritisch äußerte sich allein M. Koch in der Beilage der ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 5. März 1869. Er kann Ranke nicht beipflichten in der Meinung, „daß die nachtheiligen Folgen“ der Reformation, „unsere Entzweiung, der dreißigjährige Krieg, die verschiedenartige Entwicklung der deutschen Volksstämme, nicht nothwendig aus ihr hervorgiengen, sondern durch zufällige Umtände, durch Fehler entstanden“ seien, „welche hätten vermieden werden können“ (969). Koch lehnt auch das Bemühen Rankes ab, „die vielverbreitete Meinung zu widerlegen[,] daß die geistige Entwicklung der Deutschen durch die Reformation aufgehalten worden sey. Im Gegensatz zu der „durchaus wahren“ Schilderung der Persönlichkeit Ferdinands I. und Maximilians II. sei Rudolf II. „schonender als er es verdient“ dargestellt worden. Einiges aus der Geschichte Maximilians II. wird gleichwohl beanstandet. Der Rezensent benutzt dazu eine unveröffentlichte Korrespondenz Maximilians - „einer unstreitig bessern Quelle als Micheli“ - mit seinem Gesandten Dietrichstein, ein „Beweis[,] daß man sich auf die italienischen Gesandtschaftsberichte ... nicht durchweg verlassen“ könne (969). Man vermisse eine seinen Vorgängern entsprechende Darstellung Ferdinands II., doch beeilt sich der - 303 -

I/2.1.8.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Geschichte Wallensteins‘

Rezensent, noch einen Schlußsatz über Rankes „gelehrtes Wissen, Ideenreichthum, kritische Schärfe und Anmuth der Darstellung“ (670) anzuschließen. G e s c h i c h t e W a l l e n s t e i n s (1869, 21870, 31872, 41880) (I/2.1.8.3) Rankes 1869 erschienene ‚Geschichte Wallensteins‘ gehört, gemessen an der Zahl der eigenhändigen und auch der posthumen Ausgaben wie auch der neueren Forschungsliteratur, zu seinen erfolgreicheren Werken. Dies gilt keineswegs für die Wirkung im Ausland. Einer bereits 1870 erschienenen schwedischen Übersetzung (s. II/9.4) folgte weltweit bis heute nie eine andere. Die Aufnahme des um Ausgleich bemühten Werkes war im Bereich der zeitgenössischen Besprechungen überwiegend positiv und mit einigen bedeutenderen Ausnahmen unfachmännisch. Zur Wirkungsgeschichte gehört auch das durch Rankes Veröffentlichung sich weiter verstärkende Aufkommen von Werken und Kontroversen über das schon vordem populäre Thema. So finden sich außer den im Folgenden betrachteten direkten Urteilen Einflüsse der Rankeschen Darstellung zeitgenössisch vor allem in Arbeiten von Edmund Schebek (1819-1895), Karl Wittich (1840-1916), Moriz Ritter (1840-1923), Arnold Gaedeke (1844-1892), Max Lenz (1850-1932) und Georg Irmer (1853-1931). (Zu späteren Betrachtungen s. I/2.5.6). - Es ist nicht auszuschließen, daß Ranke sich durch die 1866 kulminierende preußisch-österreichische Konfliktlage und die kleindeutsch-großdeutsch geprägte Kaisertum-Frage zu einer Aufnahme des ihn freilich schon längst interessierenden Themas bewogen gefühlt hatte. 1869, 1887 und 1892 trat der nicht gar so häufige Fall ein, daß ein Werk Rankes durch ausgewiesene Kenner der Materie besprochen wurde. Karl Helbig (1808-1875), der als Oberlehrer am Gymnasium zum Heiligen Kreuz in Dresden tätig war, hatte unter Heranziehung handschriftlicher Quellen aus dem Königlich Sächsischen HauptStaats-Archiv mehrere einschlägige Schriften verfaßt, so 1850 ‚Wallenstein und Arnim. 1632-1634‘ (Dresden), 1852 ‚Der Kaiser Ferdinand und der Herzog von Friedland während des Winters 1633-1634‘ (Dresden), 1854 ‚Gustav Adolf und die Kurfuersten von Sachsen und Brandenburg 1630-1632‘ (Lpz.). Zusammenfassend charakterisiert Helbig das Werk in den ‚Grenzboten‘ von 1869 - wenn auch die Verteidigung des Herzogs durch Ranke „eine problematische“ bleibe - als die „interessanteste und lehrreichste Arbeit über Wallenstein“ und als den „großartigsten und geistreichsten Beitrag zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges, den unsere Literatur aufzuweisen hat“ (Helbig: Ranke’s Wallenstein/1869, 30). Man ließ sogar eine Besprechung des Oberlehrers in der Sybelschen ‚Historischen Zeitschrift‘ zu, in der Tadel mit unterläuft: Ranke werde zum „beredten Vertheidiger Wallensteins“ (Helbig [Bespr. WALL]/1869,196). „Die Ungerechtigkeiten und Gewaltthätigkeiten“, die sich Wallenstein „zu Schulden kommen ließ, werden nicht geleugnet, aber milder dargestellt oder theilweise entschuldigt ...“ (196f.). Doch „es gestaltet sich alles zu einem wahren Musterstück historischer Forschung und künstlerischer Darstellung.“ (198) „Aber nicht bloß als eine Lebensbeschreibung Wallensteins, sondern auch als ein im großen Stil entworfenes Bild der ersten 16 Jahre des 30jährigen Kriegs“ sei Rankes Buch zu betrachten: „Die großen Momente des Kampfes werden überall geistvoll beleuchtet, die Entwicklung der confessionellen und politischen Bestrebungen wird zum klaren Verständniß gebracht, die bedeutenden Persönlichkeiten treten trotz der knappen Behandlung mit plastischer Objectivität vor die Augen des Lesers.“ (201). - 304 -

I/2.1.8.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Geschichte Wallensteins‘

Das Interesse an seinem ‚Objekt‘ habe der bedeutende Wallenstein-Forscher Hermann Hallwich (1838-1913) nach dem Urteil eines Biographen (Heinz Zatschek in: NDB 7/1966, 566f.) durch Rankes Werk von 1869 gewonnen. Vor allem ist hier seine Edition ‚Wallenstein’s Ende, ungedruckte Briefe und Acten‘ (2 Bde, Lpz.: D. u. H. 1879) zu nennen sowie ‚Gestalten aus Wallenstein’s Lager‘ (2 Bde Lpz.: D. u. H. 1885). Unmittelbar nach Rankes Tod äußerte sich Hallwich in einem Artikel über ‚Die neuere Wallenstein-Literatur‘. Hierin stellt er den katholisch-konservativen Arbeiten von Onno Klopp und Friedrich von Hurter das von Ranke 1869 gezeichnete „historisch treue Charakterbild“ Wallensteins als eines der „größten Heerführer und Staatsmänner“ deutscher Nation gegenüber (Hallwich/1887, 103). Die Ergebnisse der auf Ranke folgenden Literatur ließen sich „in die von seiner Hand gezeichneten Contouren fügen“ (ebd.). 1910 lieferte Hallwich im Einvernehmen mit Erben und Verlag von Rankes ‚Wallenstein‘ eine sechste, durchgesehene und mit Korrekturen versehene Auflage. Der bereits mehrfach herangezogene unmäßigste Kritiker Rankes, der zum Katholizismus konvertierte Preußenhasser Onno Klopp, welcher 1861 sein später ausgebautes Werk über ‚Tilly im dreissigjährigen Kriege‘ (2 Bde, Stg.) veröffentlicht hatte, holte 1892 eine, wie er selbst eingestand, 22 Jahre lang aufgeschobene Besprechung des Rankeschen ‚Wallenstein‘ nach, bezeichnenderweise in den ‚Historisch-politischen Blättern für das katholische Deutschland‘. Der Aufschub erklärte sich überwiegend aus Klopps zu Lebzeiten Rankes bestehender Furcht, seiner Karriere zu schaden (s. I, 125 und: ‚Briefe von Onno Klopp an Johannes Janssen‘/1919, 249). In seiner Kritik von 1892 geht es dem großdeutschen Katholiken weniger um die Beurteilung Wallensteins als um die Auffassung des Dreißigjährigen Krieges. Klopp wendet sich v. a. gegen die Rankesche Auffassung vom religiösen Charakter des Krieges und dagegen, daß die Offensive von Ks. Ferdinand II. ausgegangen sei, wozu der Versuch dient, Ranke Ungenauigkeiten, Verschweigen wichtiger Umstände, mangelnde quellenmäßige Fundierung u. ä. nachzuweisen, - Fragen, die noch einer Klärung bedürfen. Als Wallenstein-Forscher konnte man Bernhard Kugler (1837-1898), um diese Zeit a. o. Professor der Geschichte in Tübingen (Schneider, Eugen: Kugler, Bernhard. In: ADB 51/1906, 417f.), nicht bezeichnen. Er hatte 1862 einige Seiten über Hannibal geschrieben, auch über ‚Boemund und Tankred, Fürsten vom Antiochien. Ein Beitrag zur Geschichte der Normannen in Syrien‘, 1865, und 1868 Werke über die Herzöge Ulrich und Christoph von Württemberg verfaßt bzw. begonnen, sich seinem bevorzugten Thema, der Geschichte der Kreuzzüge, hinzugeben. 1869 veröffentlichte er in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ überraschend eine Besprechung des Rankeschen ‚Wallenstein‘. Hierin bringt der zu Überschwänglichkeit und Subordination neigende Kugler (siehe u. a. sein Werk ‚Deutschlands größter Held! 1797-1897. Jubel-Ausgabe zur hundertjährigen Gedächtnißfeier des Geburtstages weiland Sr. Majestät Kaiser Wilhelm I.‘ Mit zahlr. Ill. von ersten deutschen Künstlern, Dresden: Vaterländischer Buchverlag 1893) eine überwiegend referierende Darlegung der Hauptmomente jener „unvergleichlich lebenvollen [!] Darstellung“ des „hochverehrten Meisters“ (Kugler/ 1869, 462), wofür er dem „hochverehrten Haupte unserer Wissenschaft warmen Dank abzustatten“ hat (474). Dies ist vor allem die Ranke zugesprochene schärfere Erkenntnis der großartigen Pläne Wallensteins und seines Verhältnisses zu den Parteien Europas, die über die Rolle eines „wüsten Piraten“ hinausgeführt hätten. Durch Rankes Darstellung sei es möglich geworden, ihn in dem von Schiller entworfenen Bilde „doch wieder zu erkennen“ (ebd.), worauf es allerdings nicht ankam. - In den Jahren 1870 und - 305 -

I/2.1.8.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Geschichte Wallensteins‘

1871 unterhielt Kugler mit Jacob Burckhardt, dem Hörer seines Vaters, einen Briefwechsel über Ranke (Burckhardt: Briefe V/1963, 78, 132) und verfaßte, wohl angeregt durch dessen Werk, einen 1873 erschienenen „gemeinverständlichen wissenschaftlichen“ Vortrag mit dem Titel ‚Wallenstein‘ (Bln: C. Habel 1873, 39 S.). Auch ist sein Beitrag von 1877 zur ‚Neuen Volks-Bibliothek‘ über ‚Pfalzgräfin Elisabeth Charlotte. Herzogin von Orleans‘ ohne Rankes Vorgang in seiner ‚Französischen Geschichte‘ (Bd. VI, [3D-Aufl.] 1870) kaum denkbar. Nach Rankes Tod lieferte er 1889 noch eine Besprechung von Band VIII der ‚Weltgeschichte‘ (s. u.). Reinhold Pallmann mag über seine Bewunderung Schillers, der er, damals Lehrer an der Handelsschule in Magdeburg, in einer‚Fest-Rede‘ Ausdruck verlieh, zur Wallenstein-Thematik gelangt sein, eine Rede, 1859 gehalten im ‚Verein der jungen Kaufleute zu Magdeburg‘ mit dem Titel ‚Weshalb feiern wir Schiller?‘ Seine sonstigen Veröffentlichungen, so über ‚Die Geschichte der Völkerwanderung von der Gothenbekehrung bis zum Tode Alarichs, nach den Quellen dargestellt‘ (Gotha 1863/64), ‚Die Pfahlbauten und ihre Bewohner‘ (Greifswald 1866) und ‚Die Cimbern und Teutonen‘ (Berlin 1870) scheinen nicht darauf hinzudeuten. In diesem Jahr veröffentlichte er im ‚Allgemeinen literarischen Anzeiger für das evangelische Deutschland‘ einen Bericht über ‚Die neuesten Forschungen zur Geschichte des dreißigjährigen Krieges‘, eine Besprechung von Anton Gindelý: Geschichte des 30jährigen Krieges (Abt. 1, Bd. 1, Prag 1869), J. G. Droysen: Gustaf Adolf (Bd. 1, Lpz. 1869) und Rankes ‚Wallenstein‘ (1869). „Alle drei Verfasser“, so das Urteil des wenigstens geschichtsdidaktisch ausgewiesenen Rezensenten (s. ‚Der Geschichtsunterricht u. seine Hilfsmittel auf höhern Lehranstalten. In: Pädagog. Archiv. Monatsschr. f. Erziehung, Unterricht u. Wiss. 3/ 1861, 417-448), „haben das ähnliche Material freilich in sehr verschiedener Weise bearbeitet. Gindely’s Darstellung fließt dahin wie ein klarer Strom, dessen mühsames Entstehen man nicht ahnt; sie zeichnet sich durch leidenschaftslose Auffassungsweise und einfache, edle Sprache aus. Glänzend, ein wahres Meisterstück in Darstellung und Gruppirung ist Ranke’s Wallenstein; Wallenstein als Hauptfigur ist grandios aufgefaßt und meisterhaft gezeichnet, oft mit wenigen Pinselstrichen, wo Andere das Dreifache an Farbe gebrauchen würden. Ungleichmäßig und mit einer gewissen Nachlässigkeit geschrieben erscheint das Werk Droysen’s ...“ (Pallmann/1870, 243). Diese Beurteilungen werden jedoch in der historischen Darstellung, welche der Rezensent selbst vornimmt, nicht weiter ausgeführt. Eine Besprechung des Rankeschen ‚Wallenstein‘ in der ‚Baltischen Monatsschrift‘ vom 3. 11. 1870, gezeichnet Pont…x, dürfte von dem mehrfach behandelten Professor der russischen Geschichte an der Universität Dorpat, Alexander Brückner, stammen. Eine spezielle Wallenstein-Qualifikation konnte auch hier nicht nachgewiesen werden, vielmehr verfaßte Brückner, vornehmlich in den folgenden Jahren, vor allem Veröffentlichungen zur russischen Geschichte, Literatur- und Kulturgeschichte. Dies ergab ein völlig zustimmend gehaltenes Referat, welches unter zwar häufigem Hinweis auf die von Ranke „mit so grossartiger historischer Bildung, mit solcher kritischen Schärfe, mit so unermüdlicher Arbeitskraft und mit so viel Geschmack und Genuss“ (492) durchforschten Archive, sich doch einer Erörterung im Zusammenhang mit der voraufgehenden kontroversen Literatur enthält und im wesentlichen nur bemerkt, daß Ranke sich „hoch über den Parteistandpunkt, der die meisten Schriften seiner Vorgänger auszeichnet“ [!], erhebe (494), besonders auch, daß Wallensteins Sturz Ks. Ferdinand „nicht in dem Maasse, als man bisher gemeint hat“, zuzuschreiben sei (497). - 306 -

I/2.1.8.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Geschichte Wallensteins‘

Der des öfteren herangezogene Rodolphe Ernest Reuss konnte zur Zeit seiner Besprechung in der Pariser ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vom 6. August 1870 einige Veröffentlichungen zur Geschichte des Dreißigjährigen Krieges vorweisen, so ‚Graf Ernst von Mansfeld im böhmischen Kriege 1618-1651. Ein Beitrag zur Geschichte des dreissigjährigen Krieges‘ (Braunschweig 1865), sodann das Waitz und Droysen gewidmete Werk ‚La destruction du protestantisme en Bohème. Épisode de la Guerre de trente ans‘ (Strasbourg 1868) und ‚Beiträge zur Geschichte des Elsasses im dreissigjährigen Kriege. Strassburg und die evangelische Union bis zur Auflösung derselben. 1618-1621‘ (Mülhausen 1868). - Seine Besprechung enthält eine der schärfsten allgemeinen Kritiken der Spätzeit Rankes (s. I, 299f.). Zu ‚Wallenstein‘ bemerkt er die allzu ausschließliche Vorliebe für diplomatische Ereignisse, einen gewissen Mangel an Verhältnismäßigkeit des Dargestellten und des Weggelassenen. Man gewinne den Eindruck, daß Ranke fast die gesamte voraufgehende Forschung, so von Förster, Helbig und Opel ignorieren wolle. Diese „inaperception“ führe gelegentlich zu nicht mehr aktuellen Behauptungen, rufe auch den Eindruck hervor, die meisten der von ihm geschilderten Tatsachen seien vor ihm nicht bekannt gewesen, während doch nur wenige Resultate wirklich neu seien. „C’est un très-bon tableau, quoiqu’un peu rapide, de la vie publique de Wallenstein, ce n’est pas une biographie complète de cet homme ambitieux, ce n’est pas non plus une histoire complète de son époque; on pourrait voir plutôt dans L’histoire de Wallenstein une série d’aperçus fort spirituels et de réflexions très-justes sur l’homme et sur l’époque, et je n’hésite pas à dire que pour cet ouvrage l’écrivain mérite incontestablement plus d’éloges que l’historien.“ (95). Worin Ranke auch nicht Genüge tue, sei die Darstellung Wallensteins als eines unzweifelhaft nicht so fähigen Generals und Politikers, wie man ihn gerne sähe. Der von Ranke angestellte Vergleich Wallensteins mit dem weit überlegenen Cromwell sei nicht zulässig. (96). Reuss macht abschließend auf Lücken in der Darstellung und auf einige kleinere Versehen Rankes aufmerksam (95f. Anmerkungen). Charles Henry Pearson (1830-1894) gehört zu den unerwarteten Rezensenten des Rankeschen Werkes. Der in Europa, Rußland, Amerika umhergereiste Historiker, Demokrat und australische Kolonist (Tregenza, J.: Professor of Democracy: The Life and Work of C. H. Pearson, 1830-1894. Melbourne 1968), der 1861 ein Werk über ‚The early and middle ages of England‘ veröffentlicht hatte (London: Bell and Daldy), aus dem 1867 eine zweibändige ‚History of England during the early and middle ages‘ (ebd.) hervorging, hielt 1869 bis 1871 Vorlesungen in Cambridge und schrieb - vertraut mit der wesentlichen Forschungsliteratur - eine Besprechung des Rankeschen ‚Wallenstein‘, die am 12. 3. 1870 in der Londoner ‚Academy‘ erschien. Ranke habe zur Einschätzung von Wallensteins Charakter sehr wertvolles Material beigetragen. Doch sei die neue Evidenz, die wohl von den meisten Lesern angenommen werde, nicht unbedingt zwingend. Auch werde man bedauern, daß Ranke sein Sujet nicht mehr im Sinne einer psychologischen Studie behandelt habe: „Within his own range - of treaties, public documents, and confidential correspondence - he is very admirable; and the care with which he shows Wallenstein’s personal relations in every great period to the motives operating on cabinets deserves all recognition. But he writes history with a certain official impassiveness, as if the thoughts that shake the world were rather a distant fact than an ever-present reality; and he sketches character like a diplomatist, by hints and minute touches, and uncertain confidences, rather than with the free pencil of one who reads the secret of a life in the unity of its acts small or great. Perhaps, too, - 307 -

I/2.1.8.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Geschichte Wallensteins‘

like many who have opened up new sources of information, he is a little disposed to undervalue the old. Still, when all abatements are made, he has probably done more than any man living for the European history of the seventeenth century; and it is trying the History of Wallenstein by a very severe standard to compare it with the author’s other writings.“ (160). Unter den Literaten oder Literaturhistorikern befaßten sich vor allem Rudolph Gottschall, Karl Frenzel und Karl Klüpfel, zum Teil nur beiläufig, mit Rankes ‚Wallenstein‘. - Der mehrfach herangezogene, in allen Gattungen tätige Literat und Literarhistoriker Rudolph Gottschall, Herausgeber der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘, berücksichtigte anläßlich seiner dortigen Sammelbesprechung der ersten zwölf Bände von Rankes ‚Sämmtlichen Werken‘ auch dessen ‚Wallenstein‘, wobei ein überwiegend referierender und mit größeren Zitaten versetzter Text entstand. „In der That ist Ranke’s ganze Darstellungsweise nicht danach angethan, eine Biographie im engeren Sinne des Wortes zu schreiben ... Sein Sinn ist stets auf Darlegung der allgemeinen Verhältnisse gerichtet, und für Auffassung der Weltlage hat er den feinsten und schärfsten combinatorischen Weltblick.“ (Gottschall/1869, 569). Gottschall erlaubt sich lediglich im Zusammenhang mit den ehrgeizigen Plänen Wallensteins folgende kritische Bemerkung: „Ohne Frage liebt Ranke etwas sehr, den Gegensätzen die Spitze abzubrechen und allzu diplomatisch die Energie geschichtlicher Conflicte zu dämpfen.“ (572). Rankes historische Anschauung beruhe „auf dem Verständniß der oft complicirten Motive des Handelns; der Einfluß der Weltlage überwiegt bei ihm wenigstens die Initiative der freien Selbstbestimmung“ und der „Cultus des Genius“ liege ihm fern (573). - Da Gottschall auch die Zeitschrift ‚Unsere Zeit‘ herausgab, liegt der Gedanke nahe, daß er auch die darin anläßlich der zweiten Auflage des Werkes 1870 erscheinende anonyme Besprechung verfaßte, eine kurze, unfachmännische, gemeinplätzig urteilende Routineskizze: Mehr noch als die anderen Werke Rankes werde dieses „schnell zu einem Gemeingute des deutschen Volkes geworden sein.“ ([Gottschall?]/ 1870, 63). Ranke habe hier „für alle Historiker ein Beispiel gegeben, wie man eine Biographie schreiben müsse, die zugleich Geschichte ist“ (ebd.). „Was über die Geschichte des Dreißigjährigen Kriegs noch geschrieben werden wird, kann mehr oder weniger nur eine weitere Ausführung Ranke’scher Ideen … sein“ (64). - Der mehrfach bemühte Literat und Theaterkritiker, Hörer Rankes, Karl Frenzel, dessen Qualifikation sich nicht auf die von ihm verfaßten historischen Romane stützen konnte, bemerkt in der mehr auf eigene Darstellung ausgehenden Besprechung in der Berliner ‚National-Zeitung‘ vom 29. Januar 1870, daß auch in diesem Werk Rankes „das Kleid, die Form, die Aeußerlichkeit, in der sich die Begebenheiten zugetragen haben“ als allgemein bekannt vorausgesetzt würden. „Ganz und voll“ sei dagegen „die welthistorische Stellung Wallenstein’s in ihren verschiedenen Stadien … das Innere, das geistige Element der Begebenheiten“ dargelegt. Die „ohne Zweifel“ verräterischen Verhandlungen Wallensteins hinter dem Rücken des Kaisers sieht Frenzel von Ranke, „bezeichnend für seine ausgleichende Weise der Geschichtschreibung“, als „Absichten einer autonomen Erhebung“ bezeichnet. Mit Befriedigung vermerkt Frenzel, daß Ranke in den späteren Plänen Wallensteins das „deutsche Nationalinteresse“ „schön“ hervorgehoben habe, was zweifellos in der National-Zeitung gern gelesen wurde. - Karl Klüpfel, der schon dreißig Jahre zuvor Rankes ‚Deutsche Geschichte‘ besprochen hatte, stellte nun, 1870, in seinem ‚Wegweiser durch die Literatur der Deutschen‘ mehr auf das Thema ‚Objektivität‘ ab. Ranke gebe über Wallensteins Pläne „keine neuen Aufschlüsse“. Er - 308 -

I/2.1.8.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Geschichte Wallensteins‘

verwende aber „die in den veröffentlichten Aktenstücken enthaltenen Andeutungen, um Wallenstein auf eine vielleicht zu ideale Höhe zu erheben...“ (4. Aufl./1870, 106). In militärhistorisch ausgerichteten Blättern wurde Rankes ‚Wallenstein‘ ebenso sachunkundig wie überschwänglich gelobt. Die ‚Militair-Literatur-Zeitung‘ brachte zunächst im August 1869 eine allgemeine, sehr wohlwollende Besprechung dieses Werkes „des grössten Forschers unserer Zeit“ ([Rezensent Nr.] 14/1869, 358), dessen Sprache hier „noch kräftiger, markiger als früher“ erscheine (355). Wie seine anderen Werke trage auch diese ‚Biographie‘ weltgeschichtliches Gepräge, „um so grossartiger, bewundernswerther“ erhebe sich dadurch Wallensteins Bild vor der Seele (ebd.). Wie durch Rankes Werk - trotz Differenzen in „entscheidenden Punkten“ - der Genius Schillers „glänzend offenbart“ werde (358), so sei zugleich Wallensteins Bild „in grossen Zügen … für alle Zeiten von Ranke’s Meisterhand festgestellt worden“ (359). Dem schloß sich im März 1870 zur zweiten Auflage noch eine besonders für die Schlacht bei Lützen ins Detail gehende Betrachtung vom militärwissenschaftlichen Standpunkt aus an ([Rezensent Nr.] 123). - Ein Rezensent des Literaturblatts der ‚Allgemeine Militär-Zeitung‘ vom April 1870 endigte sein Referat, unter ‚Verzicht‘ auf sachkundige Erörterungen, mit dem Urteil, daß Ranke hier „eine treffende Darstellung der welthistorischen Stellung Wallensteins in ihren verschiedenen Stadien“ biete, „sein Inneres, das geistige Element der Begebenheiten“ werde „in mustergültiger Klarheit vorgeführt“. Man könne „wohl die Behauptung aufstellen, daß die Wallenstein-Literatur durch dieß neueste Werk einen mehr als vorläufigen Abschluß gefunden“ habe (K. W./1870, 106). Die Besprechungen der populären bzw. Tages-Presse sind weitgehend nacherzählender Natur. Dies gilt vor allem für die ‚Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung‘ (1. Beil. zu No. 141, 20. 6. 1869), die ‚Schwäbische Kronik, des Schwäbischen Merkurs zweite Abtheilung‘ (I. Bl., Nr. 162, 11. 7. 1869, 2019f.), das ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ (Jg. 38, Bd. 76, Nr. 32, 7. 8. 1869, 457-460), die ‚Weser-Zeitung‘ (Nr. 8097, 8098, 8100, Morgenausg., 26., 27. u. 29. Aug. 1869) und das ‚Literarische Centralblatt für Deutschland‘ (Jg. 1869, Nr. 38, 11. 9. 1869, Sp. 1113f. u. Jg. 1874, Nr. 41, 10. 10. 1874, Sp.1359-1361). Bemerkenswert sind allenfalls eine Besprechung der ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 22.-25. 6. 1869 und eine ebensolche des ‚Sonntagsblatts für Jedermann aus dem Volke‘ vom 24. 10. u. 5. 12. 1869. Der Anonymus der ‚Allgemeinen Zeitung‘ urteilt, nachdem Wallenstein bisher „weder mit der nöthigen Unparteilichkeit noch Sachkunde geschildert“ worden sei, könne mit Rankes Darstellung der „lange schwebend gebliebene Proceß über sein Wesen, die Stellung, die er in seiner Zeit eingenommen, und die Bedeutung, die er für sie gehabt hat, wenigstens in ihren hauptsächlichsten Momenten für entschieden gelten“ (2665). Neben der „Gründlichkeit und Unparteilichkeit“ der Rankeschen Forschung lobt der Rezensent die „Gabe der Darstellung“, den „durchsichtigen Styl“ (2666). Allerdings findet er bei der Schilderung der Rekatholisierung Böhmens Ranke doch einmal einer „zu milden Bezeichnung“, eines „Euphemismus“ schuldig. Während Rankes „investigatorisches Genie“ mit Recht „mehr den oft dunkeln Spuren im Thun Wallensteins nachgegangen“ sei, habe er der Kenntnis Gustav Adolfs im Ganzen „nicht viel neues hinzufügen können“ (2718). Hingegen sei Ferdinands II. Bild „in einigen Zügen“ neu (2703). - Der Anonymus des ‚Sonntagsblatts‘ bietet im Eingang seines rein referierenden Artikels eine Gesamtwürdigung, in der Rankes „lebendige und doch zugleich so duldsame Religiosität“, sein „natürliches Talent zu lebendiger Charakteristik“ (342), die Objektivität - 309 -

I/2.1.8.4 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘

als „reine Hingabe an seinen Gegenstand“ und als der „völlige Mangel eines eigenen Parteistandpunktes“ (ebd.) gerühmt werden. Im Fehlen eines „männlich kühnen Urtheils“ werde man „wohl an die Weise Göthe’scher Romane erinnert“ (ebd.). Rankes „gediegenstes Werk“ bleibe seine ‚Deutsche Geschichte‘, eine „wahrhaft nationale That“, sie beweise auch, daß er „sobald es nöthig ist, gar wohl in die Kreise des Volks herabsteigen könne“ (ebd.). Private Äußerungen sind uneinheitlich: Während der Philosoph David Friedrich Strauß in einem Brief an Ernst Rapp vom 20. August 1871 von seiner Lektüre des Rankeschen ‚Wallenstein‘ berichtet: „ein vortreffliches Buch“ (Ausgew. Briefe v. D. Fr. Strauß/1895, 530), sieht Ferdinand Gregorovius in einem Brief an Karl Hermann v. Thile (1812-1889) vom 31. März 1877 unter grundsätzlicher Bewunderung von Rankes „beispielloser Kraft“, „Massenhaftigkeit und Unerschöpflichkeit der Production“ im ‚Wallenstein‘ doch eine „Abnahme der höheren Kräfte“ spürbar werden (Briefe von Ferdinand Gregorovius an den Staatssekretär Hermann v. Thile/1894, 100). - Zur zeitgenössischen Rezeption des Rankeschen ‚Wallenstein‘ s. auch die Arbeit von Mannigel (2003, in I/2.0) und die spätere Wallensteindiskussion (in I/2.5.6). D e r U r s p r u n g d e s S i e b e n j ä h r i g e n K r i e g e s (1871) (I/2.1.8.4) Die Wirkung des 1871 erschienenen Werkes war im Inland und Ausland quantitativ betrachtet gering. Es erlangte in selbständiger Form keine zweite Auflage mehr, wurde vielmehr unter Aufgabe des Charakters einer selbständigen Schrift aufgenommen in den 1875 erscheinenden Sammelband ‚Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg‘, der seinerseits keine weitere Auflage erfuhr. Übersetzungen in Fremdsprachen konnten nicht nachgewiesen werden. Die ermittelten Besprechungen sind indes ausnahmslos positiv gehalten, wobei der von Ranke im Vorwort des Werkes mehr als in dessen Innerem betonte nationale Gegenwartsbezug mit besonderer Genugtuung zur gelegentlich wohl ausschließlichen Kenntnis genommen und damit unvermerkt seinem Objektivitätsstreben eine alterierte, in sich widersprüchliche Qualität zugesprochen wird. Das ‚Magazin für die Literatur des Auslands‘ fand, diese „Zier auf dem Gebiete deutscher Geschichtsdarstellung“ - sei in einer „Feiertagsstimmung“ [1871!] geschrieben (I. [oder J.]/9. Sept. 1871, 501). Es vereinigten sich darin „historische Objectivität mit eigenen Herzenswünschen in schönster Harmonie“ (502). Ein Anonymus des ‚Allgemeinen literarischen Anzeigers‘, sah darin eine „von Meisterhand geschriebene Apologie des großen Königs“ Friedrich (Jan. 1872, 46). Dem widersprach freilich der einsame, mit Gespür versehene Rezensent der ‚Deutschen Warte‘: Früher habe die Objektivität, „diese bezeichnende Eigenschaft für Ranke’s Geschichtschreibung, jede Bezugnahme auf die Gegenwart verhindert“, jetzt begegne man nicht allzuselten bei der Schilderung vergangener Zustände feinen Hinweisen auf Gegenwart und jüngste Vergangenheit (57). Er vermutet gar in der Hervorhebung der nationalen Gesinnung Friedrichs d. Gr. „ein nicht ganz gerechtfertigtes Uebertragen der augenblicklich herrschenden politischen Gesinnung“ (L. G./Jan. 1872, 60). - Die ‚Neue Evangelische Kirchenzeitung‘ nutzt das Werk für ihre Belange: Die darin dargestellte „Solidarität der englischen und preußischen Interessen“ habe „allmählig zu dem Siege des protestantischen Geistes über den katholischen, der germanischen Stämme über die romani- 310 -

I/2.1.8.4 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘

schen geführt“ ([Anonym]/24. Juni 1871, 385). - Mehrfach gelobt wird Rankes lebendige, kunstvolle Darstellung. Reinhold Pauli sprach in einer Sammelbesprechung in der ‚Academy‘ kurz von „a finished example of historical art, the great difficulties of which nowhere appear through the smooth surface“ (15. Mai 1872, 194). An mehr fachlich geprägten Besprechungen sind folgende zu nennen: Der preußische General und Militärschriftsteller Theodor Frhr. v. Troschke (18101876), der von der ‚Historischen Kommission‘ bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften die Aufgabe einer ‚Geschichte der Kriegswissenschaften‘ übernommen hatte, die er jedoch nicht erfüllen konnte (s. Poten, Bernhard von: Troschke, Theodor. In: ADB 38/1894, 651f.), verfaßte im August 1871 für die ‚Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde‘ eine Besprechung des Werkes. Das recht klar formulierte, kapitelweise fortschreitende Referat enthält lediglich einige wenige beurteilende Momente: Rankes „Meisterhand“ führe „den verwickelten Prozeß der mannigfachen hier zur Wirksamkeit gelangenden Kräfte und Triebfedern mit einer Anschaulichkeit und Naturwahrheit“ vor, „als ob es sich um Lösung und Neuverbindung von chemischen Wahlverwandtschaften handelte“ (466). Ranke mache - worauf Troschke jedoch nicht im einzelnen hinweist - „mit bedeutsamen, sehr oft neuen Details bekannt“, trage dabei aber „unausgesetzt Sorge …, daß wir nie das Gesammtbild verlieren“ (ebd.), Letzteres ansonsten einer der Hauptpunkte der Ranke-Kritik. - Ranke sei im Gegensatz zu anderen Schriftstellern „im Laufe seiner ganzen Arbeit bemüht“, das religiöse Element „zur gehörigen Geltung zu bringen“ (466). - Nach seiner Besprechung von Rankes ‚Deutschen Mächten‘ (s. u.) verfaßte Rudolf Doehn noch im selben Jahre 1871 in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ eine Besprechung des ‚Siebenjährigen Krieges‘, welche vor allem für die Beurteilung der Rankeschen Objektivität von Interesse ist (s. I, 184f.). - Der österreichische Historiker und Politiker Adolf Beer (18311902, T. Borodaykewycz. In: NDB/1953, 733f.) hatte, bevor er eine Professur für Geschichte am Wiener Polytechnikum erhielt (1868), 1860 und 1862 eine ‚Allgemeine Geschichte des Welthandels‘ verfaßt, jedoch auch begonnen, sich mit der Zeit Maria Theresias zu beschäftigen. 1872 schrieb er für die ‚Historische Zeitschrift‘ einen durch Rankes Werk über den ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ hervorgerufenen Beitrag mit dem Titel ‚Die österreichische Politik in den Jahren 1755 und 1756‘. Die Frage, ob es Ranke gelungen sei, die „geheimsten Ursachen“ des siebenjährigen Krieges zu klären, die „letzten Zweifel zu heben und ein in jeder Beziehung endgültiges Resultat zu erzielen“, wird so beantwortet: „Wohl ist es ihm geglückt[,] der ganzen Forschung einen mächtigen Ruck nach vorwärts zu geben; aber für vollständig abgeschlossen hält er sie, nach einigen Andeutungen in seiner Arbeit zu schließen, noch nicht. In den gröbsten Umrissen dürften die Resultate der Ranke’schen Studien wohl als unantastbar sich bewähren...“ (284). Beer bietet sodann aufgrund eigener Forschungen (‚Denkschriften des Fürsten Wenzel Kaunitz-Rittberg. Hg. von Adolf Beer Wien: In Commission bei Karl Gerold’s Sohn, 1872) eine detaillierte Schilderung der Politik des Grafen Kaunitz in den Jahren 1755 und 1756, vor allem gegenüber Alfred von Arneth in dessen damals noch nicht abgeschlossener ‚Geschichte Maria Theresias‘ und gegenüber Ranke, obgleich er sich mit diesem über die Politik des Grafen Kaunitz ... „im Wesentlichen ... in Uebereinstimmung“ (285) befinde. Eine Beurteilung des Rankeschen Werkes findet in Beers Schilderung allerdings nicht statt, abgesehen von einer Bemerkung über den Eindruck einer Instruktion von Kaunitz an Colloredo vom 12. Juli 1755 in England, wovon Ranke „kein vollständig richtiges Bild“ gebe (313). - 311 -

I/2.1.8.5 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Die deutschen Mächte‘

Möglicherweise handelte es sich bei dem Rezensenten des‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘ vom 10. 2. 1872 um Rankes kurzzeitigen Amanuensen Max Lehmann, der sich auch später zu Rankes ‚Zwölf Büchern preußischer Geschichte‘ äußerte (s. I, 323f.) Hier lieferte er eine uneingeschränkt anerkennende Besprechung, die im Rückblick auf die Arbeiten Alfred v. Arneths und Arnold Schaefers in Rankes Werk einen „völligen Neubau“ erkennt. Der Rezensent hebt besonders hervor, zum einen, daß es „erst jetzt recht deutlich“ werde, daß „die politischen Entscheidungen an keiner Stelle schroff und plötzlich“ erfolgt seien, sondern daß „überall dem Wechsel der Allianzen eifrige, auf die Erhaltung des alten Bundesgenossen gerichtete Bemühungen“ vorangegangen seien (L[ehmann?], M[ax?]/1872, 132), zum anderen, daß Ranke auf das „religiöse Moment, dem bisher für diese Periode nur eine secundäre Bedeutung zuerkannt wurde, ganz besonderen Nachdruck“ gelegt habe (ebd.; s. auch die Bespr. von Troschke I, 311). Lehmann rühmt auch die Rankesche Darstellungskunst: der „Wechsel der Scenerie“ sei „beinahe romanhaft“ (133), manche Momente „ergreifend“ oder „reizend“ (ebd.). Überrascht ist er davon, daß Ranke hier einmal „mit seinem eigenen Urtheil etwas kräftiger auftritt als sonst“: Auch Ranke habe sich „dem Kriegsgetümmel der Jahre 1870 und 1871 … nicht entziehen können“ (ebd). Gern hätte man eine Kritik aus der qualifizierten Feder von Arnold Schaefer gesehen. Er hatte bereits vor Rankes Werk von 1871 mit seiner dreibändigen ‚Geschichte des siebenjährigen Krieges begonnen (2 Bde in 3, Bln. 1867, 1870, 1874). Später äußerte er sich wenigstens zu Rankes ‚Hardenberg‘ (s. I, 333). Die deutschen Mächte und der Fürstenbund Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790 (2 Bände, 1871/1872) (I/2.1.8.5) Mit diesem zweibändig in den Jahren 1871 und 1872 erschienenen Werk näherte sich Ranke - abgesehen von der ‚Serbischen Revolution‘ - inhaltlich weiter als je zuvor seiner eigenen Gegenwart. Eine Übersetzung in eine Fremdsprache ließ sich nicht ermitteln. Die hier nachgewiesenen Besprechungen sind durchweg positiver Natur, wenn auch zumeist ohne fachliche Qualifikation. Gelegentlich fallen Seitenblicke auf die Arbeiten von Clemens Theodor Perthes, Brunner und von Arneth, Sybel und besonders Häusser. - Wieder eigene Interessen verfolgt die Ranke stets gewogene ‚Neue Evangelische Kirchenzeitung‘ und freut sich des vom „Lehrmeister“ Ranke geschilderten schroffen Auftretens Kaunitz’ gegenüber Pius VI. und auch des im Gegensatz zu den früheren Zeiten nunmehr gewonnenen erblichen protestantischen Kaisertums ([Anonym] in: NEK, 15 4. 1871 235). Des öfteren erwähnt, wenn auch kaum beanstandet wird Rankes versagte Vollständigkeit (W. L./1871; L. G./1872), besonders jedoch von einem Rezensenten des ‚Allgemeinen literarischen Anzeigers‘: Ranke beabsichtige keine Vollständigkeit. „Wer sich speciell über die Geschichte des Fürstenbundes unterrichten will, wird die Darstellung nach authentischen Quellen … von Dr. W. A. Schmidt sowie Häussers bekannte deutsche Geschichte einzusehen haben. Ranke setzt die Kenntniß der gewöhnlichen Thatsachen bei seinen Lesern voraus … seine ganze Meisterschaft beruht in der Zeichnung der allgemeinen Gegensätze europäischer Politik, welche auf den behandelten Theil deutscher Geschichte einen wesentlichen Einfluß ausgeübt haben. Nur das Gesetz der Nothwendigkeit wird in den werdenden Dingen - 312 -

I/2.1.8.5 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Die deutschen Mächte‘

ergründet, das Zufällige, Vergängliche, als das ganz Gewöhnliche, läßt ihn ganz ruhig.“ (R[u]dl[o]ff, [Carl August oder Carl Gustav v.? 1782-1872. Letzterer war Vf. einer ‚Geschichte der Reformation in Schottland, 1847‘]/1871, 453). Die ‚Grenzboten‘ mit einer sehr anerkennenden, wenn auch nicht fachmännischen Besprechung von Band I wenden sich jetzt gegen die weitverbreitete Ansicht, „Ranke’s Objectivität bestehe in dem Mangel oder der Zurückhaltung eines eigenen Urtheiles“ (ων: Ranke’s neueste Werke/1872, 310), und von Kälte der Darstellung ist nicht mehr die Rede, ja man spricht ihm „Wärme“ zu (Hülsmann/1872). Auch bei diesem Werk Rankes sind wieder Rezensenten tätig, welche mit geringer fachlicher Qualifikation wohlwollend referieren, und qualifiziertere, welche sich überwiegend allgemein äußern. Zu ersteren sind hier Beiträger des ‚Magazins für die Literatur des Auslandes‘ (I. [oder J.]/1871), der ‚Allgemeinen Zeitung‘ (W. L./1871), der ‚Grenzboten‘ (ων/1872), der ‚Deutschen Warte‘ (L. G./1872) zu nennen. - Über eine fachhistorische Eignung verfügte der im Schuldienst tätige Jakob Hülsmann (18071873) wohl kaum. Eine entsprechende Schrift aus seiner Feder ließ sich nicht nachweisen. Vielmehr hatte er ‚Über den Unterricht in der deutschen Sprache und Literatur‘ (Duisburg: Schmachtenberg 1842) und über ‚Grundzüge der christlichen Religionslehre für den Unterricht in der obersten Klasse gelehrter Schulen‘ (Essen: Verlag Bädeker 1847) geschrieben, was seine Blickrichtung andeutet, wie auch die von einem Biographen geschilderte Hinwendung zur Religionsphilosophie, „und zwar im Sinne Schleiermacher’s, über welchen er sich in seiner Schrift: ‚Zur Säcularfeier Schleiermacher’s‘ (1868) in schwärmerischer Begeisterung äußerte.“ (Prantl, Carl von: Hülsmann, Jakob. In: ADB 13/1881, 335). Seine Besprechung ist gleichwohl von Interesse, denn eine zu maßlosen Übertreibungen neigende Begeisterung prägt auch seine ‚Gelegentlichen Bemerkungen über L. v. Ranke und sein neuestes Werk: Die deutschen Mächte…‘, welche sich bezeichnenderweise in den fachfremden ‚Philosophischen Monatsheften‘ finden. Mit diesem Beitrag von 1872 lieferte er eine der ausgeprägtesten panegyrischen Ergießungen über den „grossen Gelehrten und Weisheitslehrer“ (111), welche die zeitgenössische Ranke-Literatur aufzuweisen hat und die mit Abstrichen bezeichnend ist für die nunmehr hier und da sich kundgebenden, bisherige Kritikpunkte in ihr Gegenteil verkehrenden Idolatrisierungen des Greises. „Nur dem, der mit dem Ausdruck Kunst den höchsten Begriff verbindet, mag es erlaubt sein, Ranke einen Künstler zu nennen.“ (106). „... er hat die Knotenpunkte dieser bestimmten geschichtlichen Erscheinung, dieses geschichtlichen Werden g e s e h e n [i. T.], und nun legt er sie dem Leser dar, so dar, wie er sie gesehen, und thut dies mit der Anschaulichkeit und Schönheit, mit der Wärme und Gerechtigkeit, die in seiner Seele wohnt ... Ich finde ihn - dem landläufigen Urtheil entgegen - wärmer, wahrer, tiefer theilnehmend an dem, was er behandelt, als fast irgend einen unserer Geschichtsschreiber sonst.“ (ebd.). „Ein wahrhaft gebildeter Leser könnte aus seinen Werken eine Geschichtsphilosophie herstellen, die jede bisherige überträfe. Namentlich wo es sich um Auffassung und Verständniss religiös-kirchlicher Zustände handelt. Niemand, selbst auf dem mehr theologischen Gebiet kein Theologe, hat die einzelnen Phasen religiöser Entwickelung so sehr in ihrer besonderen Eigenthümlichkeit, als auch in ihrer Bedeutung für die Gesammtheit des geistigen und nationalen Lebens aufzufassen gewusst, wie er. Aehnlich ist es auf dem Gebiete der Politik, der Literatur, der Kunst.“ (107). „Aber nicht bloss eine Geschichtsphilosophie, auch eine Theologie und eine Politik und eine Lebensweisheitslehre liesse sich aus seinen Werken zusammenstellen...“ 108). - Im Hinblick - 313 -

I/2.1.8.5 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Die deutschen Mächte‘

auf den eigentlichen Gegenstand der Besprechung lobt Hülsmann Rankes von den üblichen Schmähungen abweichendes Bild Friedrich Wilhelms II. als „offenbar das allein richtige und würdige“. (109). Ähnliches gelte von der „erschöpfenden Würdigung“ der religiösen und philosophischen Überzeugungen Friedrichs II. (111). Zu den fachlich mäßig qualifizierten Beurteilern der ‚Deutschen Mächte‘ ist David Müller (1828-1877) zu zählen. 1860 hatte er eine Schrift verfaßt mit dem Titel ‚Der Kampf um die Auctorität auf dem Conzil zu Constanz‘ (Bln.: Dümmler), 1867 ‚Die Petites Ecoles von Port-Royal‘ (Bln.: Lange) und schließlich 1870 begonnen, einen ‚Abriss der allgemeinen Weltgeschichte für die obere Stufe des Geschichtsunterrichtes‘ (Bln.: Weidmann) herauszugeben. Müller war zeitweilig an der ‚Friedrichs-Werderschen Ober-Realschule‘ tätig, erlangte aber (nach Wikipedia) 1872 an der Polytechnischen Schule Karlsruhe den Lehrstuhl für Geschichte von seinem Vorgänger Hermann Baumgarten. Zuvor jedoch hatte er in der ‚Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde‘ vom April 1871 einen Beitrag verfaßt mit dem Titel ‚Die Gründung des deutschen Fürstenbundes‘. In dieser formell von Ranke mitherausgegebenen und insofern mit einer Kritikhemmung versehenen Zeitschrift bot er eine die inhaltlichen Grundlinien der ‚Deutschen Mächte‘ (Bd. I) nachzeichnende Skizze, welche von einer direkten Beurteilung im Detail absah. An allgemeinen Bemerkungen sei genannt, daß Ranke - im Gegensatz zu der in einem engeren Horizont verlaufenden Darstellung Häussers [in dessen ‚Deutscher Geschichte vom Tode Friedrichs des Großen bis zur Gründung des deutschen Bundes‘, 4 Bde, 1854-57] - „seine Beleuchtung von der Peripherie der gesammten [!] Weltereignisse her“ sammle „und sie so auf Deutschland“ konzentriere (231). Die „Kraft der künstlerischen Gestaltung“ Rankes trete „namentlich bei der Darstellung der Persönlichkeiten hervor“, die mit „farbiger Lebendigkeit“ gezeichnet seien (ebd.). Die „ritterliche Gestalt“ des Prinzen und späteren Königs von Preußen, Friedrich Wilhelm (II.) trete bei Ranke „in einem viel bedeutenderen Lichte“ auf, „als wir bisher in der Geschichte gewöhnt waren, ihn zu sehen.“ (241). Diesem Thema widmete Müller noch im Mai 1871 am selben Ort einen Beitrag ‚Die Anfänge Friedrich Wilhelms II.‘, der eine Besprechung von Band I der ‚Deutschen Mächte‘ hätte darstellen sollen, aber doch nur zu einer nahezu ranke- und urteilsfreien Nacherzählung verkam. - Dem folgte im Mai 1872 in der Zeitschrift noch eine dritte, diesmal anonyme Besprechung, welche sich kurz und anerkennend Bd. II zuwandte. Sie betont v. a. die „meisterhafte Schilderung Hertzbergs und seines Verhältnisses zum König“. Die Motive Friedrich Wilhelms II., „welche zum Abschluß der Convention von Reichenbach führten“, treten nach Ansicht des Rezensenten hier „zum ersten Mal klar zu Tage.“ (Lt./1872). Zweifellos hätte Alfred Dove zu den berufensten Rezensenten Rankescher Werke gehören können. Er lieferte jedoch einen gehobenen, eher universell einsetzbaren Essay, in dem er einige interessante, wenn auch nicht mit Entschiedenheit durchgeführte Denkansätze vortrug, etwa hinsichtlich einer ästhetischen und periodologischen Betrachtung der Werke Rankes in ihrem Zusammenhang mit den nationalen geistigen Bewegungen. Die „Gegenstände seiner frühsten Hauptwerke“ seien „dieselben … denen die romantische Schule ihr in die Ferne schweifendes Interesse vornehmlich“ zugewandt habe (Dove: Rankes jüngstes Werk/1871, 769). Der Erörterung von Forschungsdetails geht Dove aus dem Weg; er findet z. B., daß Ranke, so „gerecht“ er Friedrich II. „überall“ werde, „von ganzer Seele … sich nicht zu ihm hingezogen“ fühle (772), - ein Vorteil, den Dove in zeittypischer Weise offenbar als Nachteil wertet. - 314 -

I/2.1.8.5 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Die deutschen Mächte‘

Von einiger Sachkenntnis scheinen hier Besprechungen der ‚Grenzboten‘ und des ‚Literarischen Centralblatts‘ zu zeugen. Nach den „genialen Arbeiten“ Sybels, so finden die ‚Grenzboten‘ von 1871 (wr/1871, 776), der einer „richtigen Auffassung der Dinge seit 1789 die Bahn eröffnet“ habe (775), ist der Rezensent nun „bereit, das kühlere Plaidoyer Ranke’s anzuhören“ (776), der bisher seine Arbeiten nicht über das Jahr 1756 hinausgeführt habe. Ein Lob gilt der „feinen Berechnung und dramatischen Geschicklichkeit“, mit welcher der „eigentliche Meister und Haupt unserer deutschen Historiker“ (775) Ereignisse in Szene setze (777). Trotz der beachtlichen Vorarbeiten von Perthes, Brunner und von Arneth sei es Ranke geglückt, „nicht unwichtige Beiträge neu auszugraben, durch seine Archivstudien auf Einzelnes noch helleres Licht zu werfen!“ (778), wodurch vor allem Kaiser Joseph und Kaunitz „in ihren gegenseitigen Beziehungen ... in ein bisher ganz ungeahntes Verhältniß“ treten (ebd.). „Und daß Kaunitz auch in der kirchlichen Frage der energischere, consequentere, principiellere Staatsmann, gewesen als der Kaiser selbst, das ist eins der überraschendsten Resultate, das Ranke gewonnen und erwiesen hat.“ (779). Was die preußische Seite anbelangt: Das Lebensende Friedrichs sei von Ranke „ergreifend ... hingemalt“ (781). Weniger beistimmend ist das Urteil hinsichtlich Friedrich Wilhelms II., dem „die Cardinaltugend der Hohenzollern, das königliche Pflichtgefühl ... so gut wie vollständig abging.“ (ebd), während Ranke ihm „Energie“ attestiere. Hingegen sei es „ein ganz unbestreitbares Verdienst Ranke’s, daß er die Intervention Friedrich Wilhelm’s in Holland [1787] zuerst unter die richtigen Gesichtspunkte gebracht“ habe: „die eigentliche Bedeutung der militärisch-diplomatischen Action ist zuerst von ihm erkannt und der politische Zusammenhang zuerst hier aufgezeigt worden.“ (782). - Auch das ‚Literarische Centralblatt‘ schließlich ist bei grundsätzlicher Anerkennung mit Rankes Urteil über Friedrich Wilhelm II. nicht völlig einverstanden: Zwar habe Ranke ihn „von mancherlei Vorwürfen gereinigt“ (733), aber sein Urteil sei - namentlich im Zusammenhang mit der Beurteilung der Reichenbacher Konvention - „doch wohl etwas zu günstig ausgefallen“ (L[ehmann?], M[ax?]: [Bespr. von DtMächte II]/1872, 732.). Nach der Vorrede Rankes (p. VIII) war, so glaubt der Rezensent weithin treffend annehmen zu dürfen, „eine stärkere Betonung des subjectiven Elementes beabsichtigt, aber, wenn wir nicht irren, so ist es bei der Absicht geblieben“ (M[ax?] L[ehmann?]: [Bespr. von DtMächte I]/1871, 901). Es schließt sich ein Vergleich Ranke-Häusser an: „Ranke ist universal, Häusser national“ (ebd.). Zumindest die jüngere Generation werde sich mehr zu letzterem hingezogen fühlen (ebd.). Von der „Manieriertheit, welche partieenweise in der Englischen Geschichte zum Vorschein kam, ist diesmal nichts zu finden“ (902). Der Rezensent lobt besonders die „wahrhaft dramatische Verknüpfung und Entwicklung“ (ebd.). Hinzu komme „die stattliche Zahl neuer Resultate, welche viel erheblicher sind, als z. B. im ‚Wallenstein‘“ (ebd.). Dazu gehört auch die „völlig veränderte Ansicht“ der Ursachen des russisch-türkischen Krieges von 1787 (DtMächte II]/1872, 732) und die Behandlung der belgischen Bewegung. - Nur kurz streift in der Londoner ‚Academy‘ ein anderer renommierter Historiker Rankes ‚Deutsche Mächte‘ in einer Sammelbesprechung. Auch bei der modernen Thematik bleibe Ranke seinen Prinzipien treu, in denen er wissenschaftliche Methode mit konservativer Überzeugung verbinde. Es ist Reinhold Pauli, der die Fülle bislang unbekannter Dokumente lobt, auf denen die Darstellung beruhe. Allerdings sei die Darstellung des 6. Kapitels ‚Ein Wort von der deutschen Literatur in kirchlicher und nationaler Beziehung‘ „far too shortly“ (Pauli/1872, 194). - 315 -

I/2.1.8.6 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Abhandlungen und Versuche‘

Abhandlungen und Versuche. Erste Sammlung (1872, ²1877) (I/2.1.8.6) Der Band wurde zum Zwecke der Vervollständigung der ‚Sämmtlichen Werke‘ aus Altem und Neuem zu den Themen ‚preußische Geschichte‘ und ‚politische Theorie‘ zusammengestellt. Unter Ersterem ist der Zweitdruck der ‚Großen Mächte‘ aus Rankes ‚Historisch-politischer Zeitschrift‘ besonders zu vermerken sowie seine Antrittsrede ‚De historiae et politices cognatione atque discrimine‘. Eine Übersetzung des Gesamtbandes in eine Fremdsprache kam wegen mangelnder Homogenität und Neuigkeit nicht zustande. Gleichwohl wurde der Band von der Londoner ‚Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art‘ von 1873 zur Kenntnis genommen, allerdings lediglich in einer Sammelbesprechung und mit einem gewissen Bedauern: „The dispassionateness and precision which constitute the most distinguishing qualities of Leopold von Ranke, appear perhaps even to more advantage in minor historical studies than in narratives on a large scale. In the latter we have been taught by great examples to look for something of the grand style, for ornateness of diction, ingenuity of construction, animation of description, and liveliness of feeling. The disappointment produced by the absence of all these attractions is largely tempered when the writer, as here, presents himself from the first in the character of a sedulous scrutinizer of isolated historical problems rather than as a combiner of the general facts of history into an artistic whole…“ ([Anonym]/18. 1. 1873, 95). Während die ‚Mittheilungen aus der historischen Litteratur‘ 1873 ein ausführliches Referat ohne jegliche Beurteilung hervorbrachten, verfaßte Rankes Schüler Constantin Rößler (1820-1896), der seinem verehrten Lehrer mehrere Besprechungen und einen Nachruf widmete, ihm auch in der Herausgabe der ‚Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde‘ verbunden war, eben in diesem Lobesorgan Rankes 1873 eine kaum einmal dem Forschungsdetail, vielmehr allgemeinen Fragen gewidmete Besprechung, die in ihren persönlichen Reflexionen zumindest für den Rezensenten selbst recht aufschlußreich ist. Als Grundaussage über Ranke darf gelten, daß Rößler die Objektivität dieses „Repräsentanten des klassischen Geistes in einer widerstrebenden Generation“ (55f.), namentlich die Aktualität seiner historisch-politischen Einsichten, für eine neue Generation sichtbar zu machen sucht. Dabei erscheint die von Ranke der positiv gewerteten Nationalität zugesprochene Bedeutung für den Staat als eine Rößler besonders verwandte Auffassung. Im einzelnen weist er auf den Rankeschen Gedanken hin, daß die Französische Revolution „wesentlich aufzufassen“ sei „als ein Ausbruch des nationalen Lebensgefühls“ (43), eine höchst eingeschränkte, dem Gedanken eines sozialen und freiheitlichen Prozesses abholde Auffassung Rankes wie Rößlers, der sich schon Heinrich von Zeißberg (1875, s. u.) nicht hatte anzuschließen vermocht. Dieses Nationalitätsprinzip, so fährt Rößler fort, habe sich nunmehr bei den Deutschen und Italienern, den „ältesten und reichst begabten Culturvölkern Europas … vollendet“ (45), - vielmehr war es mit Verspätung eingetreten.

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I/2.1.8.7 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Briefwechsel Friedr. Wilh.s IV. mit Bunsen‘

Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen (1873, ²1874) (I/2.1.8.7) Rankes Ausgabe kam auf Drängen der Königinwitwe Elisabeth zustande, welche dadurch eine ‚Richtigstellung‘ des Bildes Friedrich Wilhelms IV. in der Öffentlichkeit bewirken wollte (s. II, 91ff.). Rankes Verteidigungsauftrag kann jedoch nicht als völlig gelungen bezeichnet werden, was weniger an ihm, als an den nicht gänzlich zu unterdrückenden, weithin bekannten Auffälligkeiten Friedrich Wilhelms IV. lag. Im Vordergrund der Beurteilungen steht natürlich nicht Ranke, sondern der erst zwölf Jahre zuvor verstorbene König. Die der Edition geltenden Urteile sind geprägt von fachhistorisch interessierten, politisch engagierten und emotional gegründeten Einstellungen, welch letztere vorwiegend den unwandelbaren Bewunderern oder Kritikern des Monarchen zugehören. - Das Werk erfuhr zwar bereits ein Jahr nach Ersterscheinen eine Neuauflage, kam damit jedoch zum Erliegen. Erst posthum wurde es - bezeichnenderweise entselbständigt - wieder aufgelegt. Eine Übersetzung in eine Fremdsprache war nicht nachzuweisen, ein entsprechender Versuch von Saint-René Taillandier wurde verlegerisch nicht realisiert (s. II, 200). Alfred Dove befand sich hinsichtlich der Beurteilung Friedrich Wilhelms IV., wie er in einem Brief vom 24. Dez. 1900 Herman v. Petersdorff bekannte, in einer „lebhaften Differenz“ mit seinem Lehrer Ranke. Er halte „diesem König gegenüber mehr zu Sybel und Treitschke“ als zu Petersdorff und seinem „alten Ranke“ (Neue Briefe/1931, 64). Was Treitschke anbetraf, so schrieb dieser am 28. März 1873 an Heinrich Ulmann, „Ranke’s unglückseliges Buch über Friedr. Wilh. IV.“ zeige „genugsam, zu welcher Unwahrheit diese Objectivität schließlich führt.“ (Briefe III/1920, 367). Doves Urteil mochte auch ein wenig unter dem Eindruck einer Ablehnung stehen, die Ranke 1873 Doves Beurteilung Friedrich Wilhelms IV. in der Schrift ‚Alexander von Humboldt auf der Höhe seiner Jahre‘ (1872) hatte zuteil werden lassen, was einen Stachel zurückgelassen haben dürfte. Selbst Doves Vater, der herausragende Physiker und Klimatologe Heinrich Wilhelm Dove, hatte Ranke in dieser Angelegenheit zur Rede gestellt (s. II/7.2, 1873). Doves hier einmal ausreichende historische Sachkunde und seine generell ambivalente Einstellung Ranke gegenüber machten sich denn auch bei seiner Besprechung in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift ‚Im neuen Reich‘ vom März 1873 bemerkbar. Dove begrüßt, daß Ranke nach fast vierzigjähriger Pause einmal wieder mit einer Schrift über die jüngste Vergangenheit hervortrete (Dove: Fr. W. IV/1873, 522). Der Rankeschen Edition zufolge kann Dove Friedrich Wilhelm „in der außerkirchlichen Geschichte nur für eine negative Erscheinung“ erklären (525). Eine gewisse Kritik Doves an Ranke als Herausgeber und Darsteller ist nicht zu übersehen: „nur selten“ scheine „Rücksicht auf Lebende zur Verschleierung einzelner Stellen geführt zu haben“ (521). Selbst Ranke mit seiner „überaus gemäßigten Ausdrucksweise“ vermöge die deutsche Politik Friedrich Wilhelms in den Jahren 1848 bis 1851 „nicht von dem Vorwurfe zweideutiger Unklarheit zu befreien“ (526). Was Ranke an Friedrich Wilhelms Politik rühmenswert findet, erscheint Dove nicht in allen Punkten als „wirklich bedeutsam“ (ebd.). - Ranke war dies einen Eintrag in seinem Tagebuch zum 15. April 1873 wert, wobei er Dove „eindringendes Verständniß“ absprach, der die „Hauptsache, namentlich die große Frage über Libera- 317 -

I/2.1.8.7 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Briefwechsel Friedr. Wilh.s IV. mit Bunsen‘

lismus und Radikalismus, das Prinzip der Volkssouveränität im historischen Staat, die Ablehnung der Krone u. s. w.“ übergangen habe (SW 53/54, 598). - Für in allen Bereichen der Politik aufgrund unrealistischer Einstellungen gescheitert erklärte R. P. Mees in der Amsterdamer Zeitschrift ‚De Gids‘ vom Jahre 1874 den König nach Lektüre von Rankes Ausgabe. Mees war nicht ohne Sachkenntnis. 1867 hatte er eine kleine Schrift über ‚Wilhelm von Humboldt‘ verfaßt, 1869 eine solche über ‚De worsteling van het politieke liberalisme in Pruisen‘. Es ist auffallend, daß kritische Einwände gerade von Seiten einiger Ranke nahe stehender und tiefer blickender Historiker herrühren. Neben Alfred Dove waren dies K. W. Nitzsch (1818-1880) und Reinhold Pauli. Mit Ersterem führte Ranke in den Jahren 1872 bis 1879 gelegentlich Gespräche (s. II/7.2). Doch am 25. März 1873 schrieb Nitzsch an Maurenbrecher über seine Lektüre der Briefe Friedrich Wilhelms IV.: „Mir ist es doch räthselhaft, wie sich diese Masse ungesunder Religiosität und Romantik in dem Einen Menschen hat ablagern können. Ich glaube wirklich, mit Rücksicht auf eine Erzählung Rankes selbst, daß Lord Palmerston das Richtige traf, wenn er unserem großen Meister eine Hauptschuld an dieser verwahrlosten Fürstenseele zuschrieb. Er ist mir entschieden unheimlicher dadurch geworden.“ (Briefe von Nitzsch/1910, 330). In diesem Zusammenhang steht auch sein Brief vom 23. Juni 1873: „Was sagen Sie denn zu Rankes Friedrich Wilhelm? Ich habe ein Grauen vor dem Buch und begreife, daß der Kaiser gar nicht damit zufrieden ist ... Bei Ranke war ich lange nicht, aufrichtig gesagt, des neusten Buches wegen.“ (333). In besonderer Weise an der Briefausgabe interessiert war Reinhold Pauli, hatte er doch Bunsen als Sekretär gedient. Da begrüßt er es in den ‚Göttingischen gelehrten Anzeigen‘, daß dessen „Freimuth“, so gering auch die Mitteilungen aus seinen Briefen seien - diesen Korrespondenzteil hatte Ranke stärker gekürzt -, hier weit mehr als bisher zur Anerkennung gebracht würde. Indes stelle Ranke den König „höher … als man heute gemeinhin geneigt ist zuzugeben“ (Pauli in: GGA 14. 5. 1873, 786). Zugleich verfaßte Pauli für die Londoner ‚Academy‘ eine Besprechung, welche sehr wohlwollend ausfiel: „At last this most extraordinary batch of them [der Briefe] … has been published, to be sure with a certain necessary discretion due to the man himself and some other persons still alive, but on the whole with an incomparable fairness and a most excellent commentary both personal and general. Liberal and radical criticism will probably not spare the veteran historian, who is generally known only as the first authority for the sixteenth and seventeenth centuries; but even his opponents will be surprised by the consummate knowledge and terse, brisk style in which he sketches the European politics of the nineteenth century, as well as the special history of Church and State in Prussia.“ (Pauli in: The Academy, 2. 6. 1873, 215). - Auf die von Pauli erwähnte editorische Diskretion Rankes hatte man zuvor in der ‚Saturday Review of Politics, Literature, Science, and Art‘ hingewiesen, wobei auch Kritik an Friedrich Wilhelms IV. „entire failure of discretion and self-command“ geübt worden war ([Anonym]/17. 5. 1873, 662). Eine Besprechung, in der auch Ranke selbst eine kurze, vielleicht hintergründige Betrachtung erfährt, fand sich in der Beilage der ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 29. April 1873. Von der „trefflichen Behandlung des Herausgebers“ heißt es, er habe in seinen die Briefe einleitenden und verbindenden Erläuterungen von seinem hohen Alter nichts verraten „als nur die reifere Milde des apologetischen Urtheils und die lebhaftere Erinnerung der unmittelbaren Zeit- und Altersgenossenschaft, und der gerade zur - 318 -

I/2.1.8.7 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Briefwechsel Friedr. Wilh.s IV. mit Bunsen‘

Bethätigung eines der Hauptvorzüge seines historischen Styls, jenes ihm eigenthümlichen Talents einer doppelseitigen Beleuchtung und gleich gewichtigen Würdigung entgegengesetzter Ansichten und Handlungen, hier die dankbarste Gelegenheit gefunden.“ (μ/1873, S. 1809). Die gegen Rankes Objektivität gerichteten Wendungen einer „überaus gemäßigten Ausdrucksweise“ (Dove), einer „certain necessary discretion“ (Pauli) und seines „apologetischen Urteils“ (Anonym) setzen sich in mancher Besprechung fort. Der Literat Rudolf Gottschall bemerkte, Ranke nehme den König in Schutz gegen die „Anschauungen der Mitlebenden“, daß er „die jeweiligen Zeitumstände nicht entschlossen genug“ benutzt habe, „daß er mit allen Mitteln, über die er verfügte, doch nichts“ ausgerichtet habe, „daß seine auf Zustände der Vergangenheit begründete Doctrin“ ihn gehindert habe, in die Fragen des Tags energisch einzugreifen, und daß sein stetes Schwanken jeden Erfolg unmöglich gemacht habe (BLU/29. 5. 1873, 342). Ein Rezensent des ‚Magazins für die Literatur des Auslandes‘ stellte bei grundsätzlicher Anerkennung der Unentbehrlichkeit der Publikation zum Verständnis der Zeitgeschichte, im besonderen der „vollendeten Meisterschaft“ des Rankeschen Kommentars, einen „inneren Widerspruch“ fest, „in dem sich des Königs Weltauffassung“ mit der Rankes befinde, „der jeder das politische Leben der Kulturvölker Europas wirklich und sichtbarlich umgestaltenden Impulse seine historische Geltung durchaus nicht abzusprechen gewillt“ sei (337). Den literarischen Wert der Briefe Friedrich Wilhelms schätzt der Rezensent „durchaus nicht so hoch“ ein wie Ranke. Auch vermag er „durchaus nicht“ einen so günstigen Eindruck des Menschen Friedrich Wilhelm zu gewinnen wie Ranke (I. in: MGLA/7. 6. 73, ebd.). - Das ‚Literarische Centralblatt für Deutschland‘ erkannte die Schwierigkeit, vor der Ranke als Herausgeber stand, an, warf aber die Frage auf, ob das besondere persönliche Verhältnis Rankes zu Friedrich Wilhelm „nicht hier und dort auch etwas zu günstig combinierte“ (U/5. 7. 1873, 837). Der Gedanke liege nahe, daß bei Rankes Auswahl „ein Streben, den jedesmaligen Standpunkt des Königs mit den Zeitereignissen in Einklang zu erblicken, zuweilen maßgebender als andere Rücksichten“ gewesen sei (838). Auch beurteile er Friedrich Wilhelm „als Staatsmann doch zu hoch“ (ebd). Der Wert der bedeutenden Publikation sei „nicht am wenigsten“ darin begründet, daß sie an mehreren Stellen erkennen lasse, wie Ranke „Dinge und Menschen seiner Zeit beurtheilt und auffaßt“ (840). - Sehr, wenn nicht verdächtig ähnlich ist eine Besprechung in der ‚Jenaer Literaturzeitung‘ vom 11. April 1874, in der wiederum betont wird, Anordnung und Auswahl der Briefe ließen die „Vermuthung wohl nicht unbegründet, dass die Absicht, den jedesmaligen Standpunkt des Königs mit den Zeitereignissen in Einklang zu bringen, mehrentheils die bezügliche Auswahl nachhaltiger bestimmt habe, als andere Rücksichten.“ (Rudloff: [Bespr. von BrFrW IV./Bunsen 2. Aufl.], 217), überhaupt, daß Rankes persönliches Verhältnis zu Friedrich Wilhelm IV. „öfter zu günstig eingewirkt, hie und da einen Zusammenhang angedeutet“ habe, „welcher die Ansichten des Königs zwar erklärt, aber vielleicht dennoch nicht ganz in ihm begründet war“ (ebd.). Zu den Bewunderern Rankes wie auch des Monarchen gehören natürlich protestantische Blätter. Da ist zunächst die in Berlin erscheinende ‚Neue Evangelische Kirchenzeitung‘. Keine der zahlreichen neuesten Schriften über die letzten Jahrzehnte könne sich an Wichtigkeit mit diesem Werk des „Größten unserer jetzt lebenden Historiker“ messen (257). Der anonyme Rezensent widmete sich in seinem Beitrag vom April und Mai 1873, der sich im Dezember noch in einer kurzen Anzeige fortsetzte, dann ganz - 319 -

I/2.1.8.7 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Briefwechsel Friedr. Wilh.s IV. mit Bunsen‘

Friedrich Wilhelm IV., der in seinen hier besonders stark beachteten theologischen und kirchlichen, aber auch, damit verbunden, in seinen politischen Ansichten eine sehr günstige Beurteilung als Warner „vor Radikalismus und Socialismus“ erfährt, dessen „weise Sorgfalt … mit welcher er auf die C h r i s t l i c h k e i t [i. T.] des Baues hielt“ beim bevorstehenden Verfassungsausbau der Kirche vor Augen zu stellen sei (26. 4., 3. u. 10. 5. 1873, 298). - Sodann ist es das in Bonn erscheinende‚Theologische Literaturblatt‘ vom März 1874, welches die Veröffentlichung würdigt als eine „ebenso großherzige als kluge That … welche den König den gemeinen Gerüchten der Verleumdung entrücken“ (Rudloff/Friedrich Wilhelm IV./1874, 162). Das Buch sei „zum Verständniß der Zeitgeschichte von 1840 - 1857 ebenso unschätzbar als unentbehrlich“ (ebd.). Dies ist auch der Tenor einer dritten konfessionellen Zeitschrift, des ‚Allgemeinen literarischen Anzeigers für das evangelische Deutschland‘. Hierin wird attestiert, daß „unser erster Historiker“ (L./1874, 446) nicht nur „geistvolle Betrachtungen“ (447) geliefert habe, sondern daß die mitgeteilten Briefe „ohne Zweifel dazu beitragen, unsern Zeitgenossen das Bild des vielverkannten Königs Fr. Wilh. IV. in einem andern und günstigern Lichte zu zeigen, als sie es zu sehen gewohnt waren.“ (446). - Auch in anderen Blättern hat der König seine Verehrer. Ein erklärter Bewunderer ist der anonyme Verfasser einer Besprechung der ‚Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung‘ vom August 1873. Das Werk könne „den bedeutsamsten literarischen Erscheinungen der Gegenwart beigezählt zu werden Anspruch“ erheben. Ranke sei „Bürge dafür, daß nur wirklich Wichtiges und allgemein Interessantes dem vorhandenen Briefmaterial entnommen“ worden sei. „Wir wüßten kaum, in wessen Hände eine solche Arbeit besser hätte gelegt werden können, als in die des jetzt lebenden Altmeisters deutscher Geschichtswissenschaft, des Historikers, der namentlich an Objektivität der Auffassung die meisten jüngeren Kräfte weit hinter sich läßt…“ (377). „Das vielfach verzogene Bild, das man sich bisher von diesem Fürsten gemacht hat, erhält dadurch eine Correctur, die auch das Urtheil der Gegner dieses Monarchen wesentlich modificiren und mildern dürfte.“ (403). Diese Ansicht vertrat vermutlich auch Friedrich Steger (1811-1874), damals noch Redakteur der Zeitschrift ‚Europa. Chronik der gebildeten Welt für das Jahr 1873‘ in deren Beiblatt ‚Europa-Chronik‘. Steger hatte sich zunächst als Burschenschaftler betätigt, was einen Biographen zu der Aussage bestimmte: „Aber wenn er auch die Revolution ersehnte, so scheint ihn keineswegs der Muth, die eigene Haut dafür zu Markte zu tragen, beseelt zu haben“ (Zimmermann, Paul: Steger, Friedrich. In: ADB 54/1908, 453-456). Später wurde er zum Literaten und Popularhistoriker, der als Zweiunddreißigjähriger auch vor einer ‚Allgemeinen Weltgeschichte für das deutsche Volk‘ (3 Bde, Leipzig 1843,1844) nicht zurückschreckte. Der in späteren Jahren recht angesehene und wohl auch gesellschaftlich arrivierte Verfasser des anonymen Artikels ‚Ein König und sein Freund‘, welcher eine Besprechung des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen darstellt, steht den beiden Korrespondenten wie auch dem „greisen Meister deutscher Geschichtschreibung“ nunmehr mit Bewunderung gegenüber. „In der Anordnung des Ganzen, in der schönen Objectivität der Beleuchtung, so wie im Styl der Erläuterungen“ begegnet ihm „der volle Zauber Ranke’scher Eigenthümlichkeit“ (305). Der nicht selten geschmähte Bunsen wird hier als „edle tief- und hochsinnige“ Gestalt gepriesen (ebd.), der nie zu der „Gesellschaft der später so unheilund verhängnißvoll gewordenen Gerlach, Thile usw gehört“ (ebd.) habe, der freilich Ranke nahe stand, was dem Rezensenten wohl unbekannt gewesen ist. Bei Steger - 320 -

I/2.1.8.8 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Preußische Geschichte‘

dürfte Ranke den Zweck der Briefausgabe erreicht haben, denn dieser sah „ein Vielen gewiß doch neues Licht“ fallen „auf den Charakter und die Denkungsart des reichbegabten und im Grunde seines Herzens liebenswürdigen Königs.“ (306). Von katholischer Seite wurde dem Monarchen zumindest Mitgefühl entgegengebracht: Eine weniger für Ranke als für ihren Verfasser interessante Besprechung lieferte Johannes Janssen anonym in die ‚Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland‘ des Jahres 1873. Sie zeigt den späteren katholischen PreußenKritiker als Verehrer des protestantischen Friedrich Wilhelm IV. Janssens berühmte und außerordentlich erfolgreiche ‚Geschichte des deutschen Volkes seit dem Ausgang des Mittelalters‘ (s. I, 247ff.) war damals noch nicht geschrieben, u. a. wohl eine Ausgabe von ‚Frankfurts Reichscorrespondenz nebst anderen verwandten Aktenstücken von 1376-1549‘ (2 Bde, Freiburg i. Br. 1863-1866) und 1869 ‚Joh. Friedrich Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften‘ herausgebracht (s. I, 250). Seine Besprechung ist ein ausführlich zitierendes Referat des Briefwechsels zwischen jenem „edlen Monarchen“ ([Janssen]/1873, 420, 427) und „diesem innerlich verlogenen Individuum“ (406), gegen das auch Ranke „scharfe Spitzen“ wende (407). Der Rezensent empfindet von seinem katholischen Standpunkt aus „aufrichtiges Mitleid“ (420) mit Friedrich Wilhelm IV., der, die „positiven Grundlehren des Christenthums so lebendig“ ergreifend und „so unerschütterlich“ festhaltend wie wenige, seine Kräfte in „protestantisch-kirchlichen Reconstruirungsplanen, die auf Unmöglichkeiten hinausliefen … nutzlos verbrauchte“ (421). Mit Schmerz scheidet Janssen „von dem edlen Menschen“, der in seinen wohlmeinenden Projekten „Welt und Leben durchaus von christlichen Gesichtspunkten ansah und allen falschen Liberalismus perhorrescirte“ (427). Zu Friedrich Wilhelms Sympathisanten gehörte auch Karl Janicke (1829-1895). Zwar war der 1856 mit einer Arbeit über Leben und Schriften Hugo von Trimbergs Promovierte als Fachhistoriker anzusehen - neben seinen Urkundenbuch-Arbeiten zu Quedlinburg und Hildesheim wurde er als ADB-Mitarbeiter eingesetzt und hatte 1871 passend eine literarhistorische Studie über ‚Das deutsche Kriegslied‘ verfaßt -, doch qualifizierte ihn dies kaum für eine Besprechung des Rankeschen Werkes, die er 1873 unter dem Titel ‚Ein Beitrag zur Geschichte Friedrich Wilhelm’s IV.‘ in der Leipziger ‚Deutschen Warte. Umschau über das Leben und Schaffen der Gegenwart‘ veröffentlichte. Seine Besprechung gestaltete er in Form einer Darstellung der wesentlichen Momente der „Regierungsgeschichte“ Friedrich Wilhelms IV., dessen Briefe nach Janickes Einschätzung „zu den wichtigsten Quellen zur kirchlichen und politischen Geschichte Preußens und Deutschlands in den vierziger Jahren zählen“ dürften (227). Mehr als es jemals zuvor geschehen sei, hebe Ranke bei der Ablehnung der Krone die Rücksichtnahme Friedrich Wilhelms auf Oesterreich hervor: Seine Darstellung der Politik des Königs nehme hier „fast einen apologetischen Charakter“ an (Janicke/1873, 235). Wie auch immer die Stellung zu Friedrich Wilhelm als Politiker sein möge, „der M e n s c h [i. T.] Friedrich Wilhelm wird stäts [!] unsere wärmste Sympathie erwecken“ (228). Z w ö l f B ü c h e r P r e u ß i s c h e r G e s c h i c h t e (1874) (I/2.1.8.8) Die Sammlung seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ nahm Ranke zum Anlaß, die abgelehnten ‚Neun Bücher preußischer Geschichte‘ von 1847/48 in einer sonst selten praktizierten Weise stark eingreifend zu überarbeiten, wobei das erste ‚Buch‘, zu vier ‚Büchern - 321 -

I/2.1.8.8 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Preußische Geschichte‘

erweitert, 1874 separat als ‚Genesis des preußischen Staates‘ und zugleich - unter Hintanstellung der früheren Auflagenzählung - als Beginn eines neuen Werkes mit dem Titel ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘ erschien. Doch auch die darin folgenden acht Bücher sind in zahlreichen Einzelheiten verändert (s. II, 94f.), was jedoch von der Kritik kaum zur Kenntnis genommen wurde. Das Interesse erstreckte sich allein auf die ersten ‚Bücher‘. Die Aufnahme war im allgemeinen positiv, doch die Aufmerksamkeit im ganzen gering und lag überwiegend bei ehemaligen Ranke-Schülern. Im Vordergrund stand ein stets zu Ungunsten Droysens ausfallender Vergleich mit dessen ‚Geschichte der preußischen Politik‘ (1855ff.), was seine geradezu angeborenen Ressentiments gegenüber Ranke noch verstärkt haben dürfte. Ihm schrieb Hermann Baumgarten unmittelbar nach Erscheinen der ‚Genesis‘: „Wie mag Ihnen Rankes Genesis zusagen? Ich finde doch recht menschliche Spuren des Alterns. Mehr aber noch stößt mich hier die höfische Art, jedes fürstliche Haupt hübsch zu frisieren, so daß sie in einer gewissen Entfernung alle sehr stattlich aussehn und für die Masse der Leser alle höchst verehrungswürdig werden. Ich möchte wohl wissen, was der königliche Geschichtschreiber [Friedrich d. Gr.] davon geurteilt hätte, der sich selbst nie schonte.“ (Droysen: Briefwechsel II/1929, 908). Alfred Dove, Rankes nicht unbedeutender Spätschüler, stellte in einer Sammelbesprechung Rankes ‚Genesis‘ als eine „bei energischer Kürze alles Wesentliche umfassende brandenburg-preußische Geschichte“ bis 1715 vor, „die innerlich reifste und die äußerlich lesbarste, die es giebt - wie unendlich zeichnet sich das Buch in dieser Hinsicht vor Droysen’s bei aller Sorgfalt planloser, bei allem Geist ungenießbarer ‚Geschichte der preußischen Politik‘ aus“ (D[ove], A[lfred] und ξ: Literarischer Festbericht. II/1873, 1019). Dieses schmerzende Urteil über Droysen im Vergleich mit Ranke fällte 1873 auch ein anonymer Rezensent der Londoner ‚Academy‘: Es sei hochinteressant zu verfolgen, so charakterisierte er Rankes ersten Doppelband, wie von Anfang an das territoriale Element mit dem allgemeinen verbunden sei. Ranke habe einen lichtvollen Beitrag zur Kolonisierung von Brandenburg und Preußen, der Hohenzollernschen Kurfürsten vom 14. bis zum 17. Jahrhundert, von Friedrich Wilhelm dem Großen Kurfürsten und Kg. Friedrich I. geliefert. „Nobody can say the same of Droysen’s long-winded and entirely unreadable book on the History of Prussian Politics, in which the great outlines of the subject are perfectly smothered by the mass of diplomatic details.“ ([Anonym. In: The Academy, Bd. 4, Nr. 84, 15. Nov. 1873, 436). Ähnlich urteilte auch Hans Prutz. Der Königsberger Historiker äußerte sich noch mehrfach - überwiegend bewundernd - zu Ranke, obgleich er nach Ausweis seiner bis dahin verfaßten mediävistischen Arbeiten über Heinrich den Löwen, Kreuzzüge, Templer und Kaiser Friedrich I. kaum über eine angemessene Qualifikation für die Beurteilung irgendeines der noch erscheinenden Werke Rankes verfügte. Er gelangte hier zwangsläufig nur zu generellen Urteilen, so, daß Ranke, im Gegensatz zu Droysen in der preußischen Geschichte nicht auch die „Anläufe, die zu nichts geführt“, sondern nur die „Kette der wirklich schöpferisch gewordenen Gedanken und Thaten“ verfolge (Prutz: Ranke über die Genesis/1875, 215). Der von Ranke neukonzipierte Beginn des Werkes liefere überhaupt den „schlagendsten Beweis“ dafür, mit welch „warm pulsirendem Herzschlag“ dieser die Gegenwart mitlebe (ebd.). - Ungemein anerkennend, als ein frühes Zeugnis anwachsender Ranke-Panegyrik zu werten, war auch die Besprechung des gelegentlich unbedarften ‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘, das wiederum in einer Sammelbesprechung feststellte, auch dieses Werk des „Goethe der - 322 -

I/2.1.8.8 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Preußische Geschichte‘

Geschichtschreibung“ eröffne einen „Reichthum von fesselnden Gesichtspunkten“. Der Unterschied zwischen der Rankeschen und der Droysenschen Darstellung bestehe zu einem geringen Teil in der politischen Tendenz, vielmehr darin, daß Ranke sich nicht, wie dieser, „mit der Verfolgung und Abstraction der Politiken und Politeme“ befriedige, sondern „die mannigfachen Elemente der Cultur zu einem Gesammtbilde“ vereinige ([Anonym: Bespr. SW 20, 21, 23-26, 37, 38]/1874, Sp. 1361). In dieser neuen Arbeit habe Ranke dem preußischen Staate „ein literarisches Denkmal gesetzt, würdig der gesteigerten Hoheit dieses Staates selbst.“ (Ebd.). Nicht frei von Panegyrik ist auch die Besprechung aus der Feder des noch weiterhin zu betrachtenden Constantin Rößler. Der politische Journalist, der ebenfalls in allgemeinen staatsrechtlichen Fragen bewandert war, stand in den Jahren 1874 bis 1885 mehrfach im persönlichen Gespräch mit seinem Lehrer (s. II/7.2). 1874 unternahm er in der von Ranke mitherausgegebenen ‚Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde‘ den bedeutenden, völlig vom Üblichen abweichenden Versuch, ausgerechnet das preußische Werk Rankes als ein von diesem zum ersten Mal versuchtes „Stück Philosophie der Geschichte“ (Rößler/1874, 5) zu betrachten, welches Ranke nicht als „Philosoph im Sinne der technischen Methode“ (4), sondern als Empiriker universellen Geistes vortrage: „Seit Göthe [!] und Hegel hat Deutschland keinen universelleren Kopf besessen als Ranke“ (5). - Rößlers ihn selbst - trotz einer 1848 in Jena gefertigten Dissertation ‚De philosophandi ratione Friderici Henrici Jacobi‘ - überfordernde Auffassung dieses Rankeschen Stückes Philosophie der Geschichte wird bezeichnenderweise nicht theoretisch entwickelt, sondern in Form eines ausführlichen Auszugs der Darstellung vermittelt, aus dem als Rankesche wie Rößlersche Sicht die „Keimbildung“ des preußischen Staates, d. h. die in seiner Geschichte waltende, nicht „physikalische“, sondern „geistige Nothwendigkeit“ (4) deutlich werden soll. Eine Sicht, die nach Rößler in der „Mittelregion zwischen Skepsis und Mystik“ (5) beheimatet ist. Ein weiterer Ranke-Schüler schloß sich an, mit einem Beitrag über ‚Schlesien und die Genesis des preußischen Staates‘. Der Verfasser, Kolmar Grünhagen (1828-1911), u. a. Vorsitzender des Vereins für Geschichte und Altertum Schlesiens, konnte mit „vollster Überzeugung“ der Rankeschen Auffassung zustimmen „und sogar stärker noch als Ranke es betonen, daß in der That das Gebiet der nordöstlichen deutschen Kolonistenlande die naturgemäße Wirkungssphäre einer gesunden Brandenburgischen Politik ... sein mußte ...“ (Grünhagen/1874, 451). Grünhagens Hauptanliegen war es jedoch, in seinem Beitrag eine Ergänzung der Rankeschen Darstellung zu bieten, in der er Schlesien beiseite geschoben fand. Von einem Ranke-Schüler und kurzzeitigen Amanuensen, der freilich auch Droysen gehört hatte und von diesem wohl stärker geprägt worden sein dürfte, stammt die in inhaltlichen Details und Literatur sachkundigste Besprechung des überarbeiteten Werkes. Der damals noch in seinen Anfängen stehende, bereits früher herangezogene und auch ferner noch zu betrachtende Max Lehmann, überließ es in dieser Besprechung der ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘ mit Blick auf Droysen diplomatisch dem Leser, „aus dem Gesagten zu entnehmen, wie groß der Gegensatz zwischen den beiden Autoren“ sei (M[ax] L[ehmann]/1874, 152). Im allgemeinen werde man sagen können, daß sie „einander ergänzen“ (153). Im übrigen werde der Leser, der bei Ranke „nur eine Specialgeschichte“ erwartet habe, „... stets und überall mit einem Stück universaler Geschichte beschenkt.“ (148). Gerade dies hatte zuvor eine anonyme Besprechung der Londoner ‚Saturday Review‘ bestritten: „the perception imparts dramatic unity to a - 323 -

I/2.1.8.9 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen‘

history necessarily much engrossed in its earlier stages with particulars of an apparently trivial and uninteresting character. It would, in fact, be beyond the power of the greatest historian to elevate the details comprised in the present volume beyond the rank of provincial history; an historical classic, like the classical drama, requires dignified actors and a spacious field. Nor is the cool, penetrating, judicious, but matterof-fact, historian of Courts and Cabinets the man to exalt and transfigure an ordinary theme.“ ([Anonym: Bespr. 12BPreußG I u. II]/1873, 645). Max Lehmann kritisierte indes aus seiner politischen Perspektive das Zurücktreten des nationalen Moments hinter dem universalen. Er hätte es begrüßt, wenn Ranke „die preußische Geschichte als den Zuchtmeister auf die Einigung Deutschlands betrachtet“ hätte (M[ax] L[ehmann]/ 1874, 149). Doch Rankes Darstellung trage „einen großdeutschen Charakter; im Grunde bleibt Oesterreich bei ihm der deutsche Staat mit deutscher Politik“ (ebd. - Zu Lehmanns Objektivitätskritik s. I, 175) Gleichwohl verfehlte es Lehmann nicht, auch der „Stellen zu gedenken, an welchen der Genius des Autors zu besonders glänzender Erscheinung gelangt“ (153), dies vor allem, „wo die patriotische fable convenue so manches übertrieben habe.“ (154). Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den F r i e d e n s s c h l ü s s e n z u A a c h e n u n d H u b e r t u s b u r g (1875) (I/2.1.8.9) Dieser für die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ Rankes zusammengestellte dritte Sammelband enthielt an Neuem die ‚Ansicht des siebenjährigen Krieges‘ (s. II, 99) und erlebte lediglich eine einzige Auflage. Eine editorische oder interpretatorische Wirkung im Ausland konnte nicht nachgewiesen werden. Das inländische Interesse war ebenso gering wie an Rankes ‚Abhandlungen und Versuchen‘, dem Sammelband von 1872. Dies drückt sich bereits in Zahl und Umfang der ermittelten Besprechungen aus. Selbst in der von Alfred Dove herausgegebenen Zeitschrift ‚Im neuen Reich‘ findet sich nur eine sehr kurze Anzeige der „dankenswerthen“ Publikation ([Anonym]/26. 11. 1875, 879). - Die ‚Mittheilungen des Vereins für Geschichte der Deutschen in Böhmen‘ von 1876 (L[aube]) sind ähnlich positiv und meinungsschwach. Selbst Hans Prutz faßte sich bei einer referierenden Besprechung in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ von 1876 sehr kurz, wobei er ‚Ansicht des Siebenjährigen Krieges‘ hervorhob. Diese Arbeit sei „trotz einzelner Ungleichmäßigkeiten … ein Muster populärer Geschichtschreibung im besten Sinne des Wortes“, die es verdiene, „ein Gemeingut des Volkes“ zu werden, „um in demselben politische Einsicht, sittlichen Ernst und wahre Vaterlandsliebe zu nähren und zu stärken.“ (382). Auch Rankes Hörer und entfernter Verwandter Carl von Noorden beschränkte sich in der ‚Jenaer Literaturzeitung‘ auf eine knappe, sehr allgemeine Höflichkeits-Würdigung der hier erstmals veröffentlichten ‚Ansicht des siebenjährigen Krieges‘ des „verehrten Meisters“ (19. 8. 1876). Eine Kurzbesprechung lieferte Max Lehmann - bekanntlich stark militärgeschichtlich interessiert - 1876 in der von ihm seit dem Vorjahr redaktionell betreuten ‚Historischen Zeitschrift‘. Auch diese Besprechung befaßte sich vornehmlich mit der ‚Ansicht des siebenjährigen Krieges‘, welche „keine erheblichen neuen Resultate“ bringe. Wer „keine Spezialstudien beabsichtige“, werde es vorziehen, „sich über das Material des Wiener Archivs aus Ranke zu unterrichten.“ Aus der „Fülle“ der Rankeschen Bemerkungen hebt er positiv einige eher bedenkliche hervor, darunter die Betrachtung - 324 -

I/2.1.8.10 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Revolutionskriege‘

über die „universale [!] Bedeutung der Schlacht bei Roßbach“ und „über das gleichzeitige Emporkommen von Preußen und Nordamerika“. Lehmann, der 1878 die Herausgabe eines Quellenwerkes über ‚Preußen und die katholische Kirche seit 1640‘ begann, begrüßt besonders, daß Ranke „auch hier mit Vorliebe die religiöse Seite des Konfliktes“ hervorhebe: „man darf hoffen, daß dieser früher vernachlässigte Gesichtspunkt nun allseitig die ihm gebührende Würdigung finden wird.“ (554). - 1894 veröffentlichte Lehmann mit direktem Bezug auf Ranke seine Schrift ‚Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges‘ (Leipzig) (s. auch I, 428f). Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792 (1875, ²1879) (I/2.1.8.10) Ranke hatte eine übertrieben hohe Meinung von der Bedeutung seines Werkes über ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘ (s. II, 100), welche jedoch von den Rezensenten in diesem Maße nicht geteilt wurde. Insgesamt war das Interesse an seinem Neuwerk zwar ein wenig größer und lebhafter als an den voraufgegangenen Sammelwerken, mit kontroversen Urteilen in einzelnen Punkten, doch gering gemessen an der Thematik, deren Attraktivität durch den im Grunde verwegenen und vielleicht auch provokativen Kontrast zu Sybels fünfbändiger ‚Geschichte der Revolutionszeit von 1789 bis 1800‘ (erschienen Düsseldorf 1853 bis 1879) noch gesteigert war. Doch während dessen Werk mit entsprechender Wirkung sowohl ins Französische als auch ins Englische übersetzt worden war, blieb Rankes erheblich griffigere Schrift unübersetzt. Die ‚Neue Evangelische Kirchenzeitung‘ vom 24. April 1875 lieferte wie stets ein anonymes eigeninteressiertes Zweckreferat. Rankes ‚Feststellung‘, man dürfe vielleicht sagen, daß der große Kampf der Mächte wenigstens in Bezug auf die äußeren Verhältnisse im Jahre 1870 entschieden worden sei, fügt der Rezensent hinzu: „In den inneren Verhältnissen ist freilich der Gegensatz gegen damals ungeheuer. Die aus den Prinzipien der Revolution hervorgegangenen Richtungen vertreten heute in Preußen das conservative Element, die römische Kirche ist die Partei der Revolution. Auch dieser Kampf wird entschieden werden, und zwar gegen die Revolution.“ (271). - Das ‚Theologische Literaturblatt‘ vom 20. Dezember 1875 gab sich in einem kurzen neutralen Referat einiger Hauptsätze des Werkes weitgehend untheologisch. Eine wenig originelle allgemeine Charakteristik unterstreicht die „eigenthümliche Weise des berühmten Verfassers, welcher das Einzelne nur als einen Theil des Ganzen …“ erkenne. Die oft getroffene Feststellung, daß Ranke „die Bekanntschaft des Lesers mit dem Hauptgegenstand der Ereignisse“ voraussetze, fehlt auch hier nicht. Ranke zeichne mit „der unbedingtesten Beherrschung des geschichtlichen Stoffes bis in das kleinste Detail hinein, mit vornehmer Objectivität, ohne Liebe und Haß und mit classischer Knappheit der Form … besonders die streitigen, bisher unrichtig aufgefaßten, der Aufklärung bedürftigen Punkte“ (Rudloff /1875, 618). Heinrich von Zeißberg (1839-1899) gehörte schon in jungen Jahren zu den bekennenden Verehrern Rankes. Im Dezember 1859 hatte er sich an einem Huldigungsschreiben Wiener Studenten zu Rankes 64. Geburtstag beteiligt (unveröff. s. II/2.2.3, Wiehe). Als späterer Professor der Geschichte in Wien und von Onno Klopp als „Schweifwedler“ Rankes bezeichnet (Briefe von Onno Klopp an Johannes Janssen/ - 325 -

I/2.1.8.10 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Revolutionskriege‘

1919, 495), verfaßte er 1875, in der ‚Wiener Abendpost‘ unter dem Titel ‚Leopold v. Ranke‘ eine Besprechung der ‚Revolutionskriege‘ in Form einer Nacherzählung mit gelegentlich eingestreuten Ranke-Zitaten. Einige allgemeine Bemerkungen des sonst im Mittelalter Tätigen wiesen darauf hin, während der letzten Jahre habe sich über das Thema eine „literarische Fehde“ entsponnen, und Ranke besitze eine „fast schiedsrichterliche Autorität (Nr. 27, 4) und: „Aus den goldenen Worten, die Ranke diesmal den Principien der Intervention, des Verhältnisses der legislativen zur exekutiven Gewalt u. dgl. widmet, müßten … auch Politiker vom Fach Belehrung und Anregung schöpfen.“ (Nr. 129, 5.). Allerdings fühlt Zeißberg sich „kaum … imstande, sein Bedenken zu unterdrücken gegenüber Rankes Verfahren, „ein Ereigniß wie die französische Revolution fast ausschließlich von der politischen Seite zu betrachten …“ (Nr. 127/ 4). Eine möglicherweise von Max Lehmann stammende Besprechung der ‚Revolutionskriege‘ in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ von 1875 trifft einige ungewöhnliche Feststellungen: Mehr als ein Werk Rankes übertreffe das vorliegende an „Tiefe der Auffassung und Schönheit der Darstellung“, jedoch, und dies ist ein ungewöhnlicher Gesichtspunkt, „vom ethischen Standpunkt aus betrachtet“ stehe es „vielleicht am höchsten“ (M[ax?] L[ehmann?]/1875, 692). Der Rezensent sieht Ranke der von Sybel zurückgewiesenen älteren französischen Auffassung der Revolutionskriege - „nach welcher die Mächte des feudalen Europa das konstitutionelle Frankreich ruchlos überfallen hätten“ - wieder „einen Schritt entgegenkommen“ (ebd.), namentlich in der Darstellung Marie Antoinettes. Lehmann (?) vermißt zuweilen eine „ausreichende Motivirung“, was mit der Eigentümlichkeit der späteren Werke Rankes zusammenhänge, sich vorwiegend über Ereignisse zu verbreiten, für die er selbst neues Material zutage gefördert habe. Gerade in diesem Werk mache sich auch die Mißachtung popularer Kräfte nachteilig bemerkbar (695), was dem Zeißbergschen Standpunkt entsprach. Vermutlich von ihrem Herausgeber Guido Weiß stammte eine Besprechung in der Berliner Zeitschrift ‚Die Wage[!]. Wochenblatt für Politik und Literatur‘ vom 22. Okt. 1875. Eine im wesentlichen anerkennende Stellungnahme, die unter weitestgehendem Verzicht auf absprechende Kritik eine Anschauung des Rankeschen ‚Gedankengangs‘ vermitteln will. Der Rezensent begrüßt unter Ablehnung der Sybelschen personalistisch-pragmatischen Ursprungsthese (Brissot und die Girondisten) die Rankesche Anschauung von der in der Französischen Revolution im Staatsinnern (Unterwerfung der Exekutive) wie im -äußern (Krieg) zur Erscheinung kommende Idee der Nationalsouveränität. - In einzelnen Punkten findet der Rezensent die preußische Politik bzw. Politiker „übertrieben günstig“ beurteilt (702), so sei der Vertrag von Reichenbach als ein glänzender Sieg Preußens aufgefaßt. Es werde jedoch „nicht an Solchen fehlen, welche die Verträge vom 27. Juli 1790 bis zum 7. Februar 1792 als eine Reihe österreichischer Siege auffassen“ (ebd.). Recht kritisch setzte sich mit Rankes ‚Revolutionskriegen‘ der nicht unbedeutende Schulmann Friedrich Kreyssig (1818-1879) auseinander. Er war allerdings vorwiegend literarhistorisch ausgewiesen, wie seine recht erfolgreiche ‚Geschichte der französischen Nationallitteratur von ihren Anfängen bis auf die neueste Zeit‘ (4. Aufl. Bln. 1873 und weitere), seine ‚Studien zur französischen Cultur- und Literaturgeschichte‘ (Bln. 1865) und seine Vorträge ‚Ueber die französische Geistesbewegung im neunzehnten Jahrhundert‘ (Bln. 1873) zeigen. In der ‚Deutschen Rundschau‘ vom Juli 1875 - 326 -

I/2.1.8.10 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Revolutionskriege‘

schrieb er - wohl nicht ohne Kompetenz und ganz im Gegensatz zu der in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ gepriesenen „Schönheit der Darstellung“ -, offensichtlich habe Ranke die Absicht künstlerischer Darstellung „vollkommen fern gelegen“: „Er erzählt nicht, gruppirt nicht, sondern trägt einfach die Ergebnisse archivalischer Studien zusammen, welche ihm geeignet erscheinen, die verbreiteten Urtheile über den Ursprung des Revolutionskrieges zu ergänzen und zu berichtigen“ (131). Nach Ranke habe es nicht in der Macht einzelner Menschen gelegen, den Krieg zu vermeiden, dessen Ausbruch vielmehr „in der eisernen Nothwendigkeit der Dinge“ gelegen habe (ebd.), wie ähnlich auch später das ‚Literarische Centralblatt‘ desselben Monats urteilt (s. u.). Die von Ranke mitgeteilten Analekten seien nicht nur „in dieser Beziehung das Lehrreichste“, was man lesen könne, sondern „ganz ehrlich gestanden, wol auch das Anregendste im vorliegenden Buche“ (133). Kreyssigs Urteil über die hier praktizierte Darstellungsweise scheint wohl nicht ganz unberechtigt. Es wird auch von Albert Sorel (1842-1906) geteilt. Der nationalistisch geprägte, bedeutendste französische Kenner der Materie gönnte Ranke eine Besprechung in der ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vom 19. Februar 1876, ein ausführliches Referat, das die Bedeutung des Werkes, besonders der benutzten Quellen halber, im allgemeinen sehr anerkennt, jedoch - außer einer gelegentlichen Detailkritik - besonders in formaler Hinsicht Ausstellungen zu machen hat: Die Publikation erscheine ein wenig überhastet, daher nicht sehr klar gegliedert, besonders zu beklagen sei die Zurückhaltung Rankes in der Angabe von Daten. Ab dem 8. Kapitel, wo die eigene Forschung zurücktrete, sei auch die Anschauung weniger original, im 12. Kapitel folge er Sybel sehr eng. - In einer Besprechung von dessen ‚Geschichte der Revolutionszeit‘, die Sorel 1879 in der ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vornahm, verglich er Sybels Werk mit Rankes ‚Revolutionskriegen‘ und den ‚Denkwürdigkeiten Hardenbergs‘ und trat für Rankes Auffassung und Darstellung ein: „L’étude constante des rapports généraux et des causes profondes des événements n’a nulle part refroidi l’œuvre ... Chez M. de Sybel au contraire, l’étude minutieuse des documents suspend souvent l’intérêt ... “ und anderes. Eine kurze Anzeige der zweiten Auflage von Rankes ‚Revolutionskriegen‘ aus der Feder Sorels ist ohne Bedeutung (S[orel], A[lbert]/12. 1.1880). - Dies gilt noch mehr für eine vorgebliche Sammelbesprechung Paul Bailleus in der ‚Historischen Zeitschrift‘, wobei unter Vernachlässigung der ‚Revolutionskriege‘ ausschließlich Rankes Hardenberg-Werk betrachtet wird (P[aul]. B[ailleu]/1881). - Auch Hans Prutz hatte es sich in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ von 1875 leicht gemacht: In dem kurzen unfachmännischen Teil einer Sammelbesprechung ‚Zur Geschichte des 18. Jahrhunderts‘ verwies er wieder auf die „hinreichend bekannte Eigenart“ Rankes, „bei seinen Lesern eigentlich immer die Bekanntschaft mit dem Hauptstamme der Ereignisse“ vorauszusetzen (538). - Das ‚Literarische Centralblatt für Deutschland‘ vom 3. Juli 1875 wandte sich wieder einmal der „vornehmen Objectivität“ Rankes zu, „die wie der Geist über den Wassern schwebend, ohne Liebe und ohne Haß, ihrer Ueberlegenheit sich bewußt, auf das menschliche Getriebe herabsieht“, vermerkte auch „das Herausarbeiten der Ideen aus den äußeren Begebenheiten, das die Personen nur zu Trägern historischer Nothwendigkeiten macht“ (F. in: LCD 3. 7. 75, 867). Die Rankesche Auffassung der Revolutionskriege sei trotz zahlreicher Berührungspunkte mit seinen Vorgängern eine „durchaus originale“ (ebd.). Zum Thema ‚Ranke und Sybel‘ hebt der Rezensent treffend hervor, daß bei Ranke, anders als bei Sybel, mehr das die beiden Mächte Österreich und Preußen Verbindende als das sie Trennende sichtbar sei (ebd.), was, wie man - 327 -

I/2.1.8.11 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Hardenberg‘

hinzufügen darf, mit Rankes tiefgegründetem Reichsgedanken zusammenhing. - Dagegen fiel die in einigen Punkten verwandte Besprechung des diesmal unkonfessionell agierenden ‚Theologischen Literaturblatts‘ vom 20. Dez. 1875 recht klischeehaft aus. Rankes „vornehme Objectivität, ohne Liebe und Haß“ wird wörtlich übernommen (Rudloff: Die französische Revolution, 618). Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg 5 Bände. 1877 Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813 3 Bände. 1879-1881 (I/2.1.8.11) Obgleich man bei Rankes ‚Hardenberg‘ mit drei Besprechungen nur einen „geringen Widerhall“ der Presse glaubte konstatieren zu können (Stromeyer/1950, 145f.), war die Realität doch eine zehnfach andere. Nach längerer Zurückhaltung von Presse und Publikum erbrachte sein ‚Hardenberg‘ wieder eine größere Resonanz, und dies auch von durchaus angesehenen, ja erstrangigen Kollegen, welche sich allerdings kaum mit seiner Darstellung, vielmehr überwiegend, und dies kritisch, mit den edierten Quellen und dem für Preußen nützlichen oder schädlichen Handeln der historischen Akteure, neben Hardenberg und Haugwitz vor allem Friedrich Wilhelm III., auseinandersetzten. Das fünfteilige, bibliographisch komplizierte Werk enthält in den Bänden I und IV eine Darstellung aus Rankes Feder, in den übrigen Bänden findet sich die Edition. Die Darstellung der Bände I und IV wurde von Ranke wenig später verselbständigt unter dem neuen Titel ‚Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 17931813‘, welche 1879-1881 nunmehr dreibändig erschienen (s. II, 102ff.). Allerdings erlebte das überraschend auf fünf Bände erweiterte Gesamtwerk im Gegensatz zu dem dreibändigen Teilwerk keine zweite Auflage mehr. Eine Übersetzung des allein in Betracht kommenden darstellenden Teils ist nicht nachgewiesen. Immerhin erfolgte in England bereits auf die Planung hin eine vorankündigende Notiz der Londoner ‚Academy‘ vom 18. Sept. 1875 (J. J. Gilder). Auch K. W. Nitzsch wußte im Februar 1874 davon und schrieb am 9. Juni 1876 an Maurenbrecher: „Der Hardenberg soll freilich ein ganz ungenießbares Buch werden.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 438). - Dieser Meinung war nach Lektüre auch der Engländer George Strachey (1828-1912). Er stand in Korrespondenz mit Thomas Carlyle (vgl. ‚The Carlyle letters‘ online) und war möglicherweise durch ihn in seinem Verhältnis zu Ranke beeinflußt. Auch die Besprechung Stracheys erschien in der ‚Academy‘, und zwar am 28. Juli 1877. Der inhaltlichen Erörterung der Edition geht eine beachtenswerte differenzierte Beurteilung des ‚Nestors der europäischen Historiker‘ voraus, wobei Strachey auf die strikte Objektivität, die Gründlichkeit der Forschung, die geistige Kraft, die Individualität des Stils Rankes hinweist. Das vorliegende Werk sei „an obvious advance on the dogmatic dryness, the monotony, and the fog which pervades the disjointed narrative of the History of the Reformation. Perhaps Ranke’s manner is rather too abstract and ascetic for English palates …, his ultra-pedestrian, sometimes - 328 -

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conversational, prose strikes us as painfully bare of rhetorical embellishment, anecdote, and illustration; the march of events seems somewhat vague …“ (79). Wenn Ranke die Wirksamkeit der ‚little causes‘ in der Geschichte auch nicht leugne, so führe ihn doch seine Vorliebe für abstrakte Gesichtspunkte bisweilen in die Irre: bei Napoleons Scheitern in Russland gebe er statt der „mechanical“ eine „transcendental explanation“ (ebd.), habe er den Vorgang doch als Resultat nationaler Bewegung betrachtet. Was Rankes Unparteilichkeit betreffe, so sei er ebensosehr Russe wie Franzose und Engländer „sympathising, however, less with the nations or their leaders than with the ‚Weltanschauung‘, for which he supposes each nation to have been fighting. He is never angry with anyone.“ (Ebd.). Auf der anderen Seite stehe Ranke unter den modernen Historikern nahezu einzig da „in perfect mastery of his materials, in exuberance of weighty, statesmanlike reflection, in the power to paint mental states, schemes of policy, and skeins of negotiation, and the knack of condensing into a few words the quintessence of long strings of facts and motives.“ (ebd.). - Dagegen fiel eine die Edition der Memoiren als höchst instruktiven und bedeutenden Beitrag zur Geschichte des modernen Europa lobende anonyme Besprechung der ‚Edinburgh Review or Critical Journal‘ vom Oktober 1877 völlig ab. Der Schriftsteller Victor Cherbuliez (1829-1899), unter dem Pseudonym G. Valbert, der Ranke gehört hatte (Berg/1968, 224), ihm später auch einen Nachruf widmete (s. u.), verfaßte im März und April 1877 für die ‚Revue des deux mondes‘ eine Besprechung der ersten vier Bände, ein mit selbständigen Deutungsmomenten versehenes Referat, dem quellenkritische Bedenken allerdings gänzlich fernliegen. Die beiden darstellenden Bände des Unternehmens erfahren folgende Charakterisierung: „... dans lesquelles on retrouve cette impartialité magistrale, cette hauteur de vues et de raison, cette finesse d’aperçus, ce style ferme, élégant et lumineux, qui sont la marque distinctive de l’illustre historien dont on peut dire qu’il a deux patries, la Prusse et l’Europe.“ (216). - Auch ein weiterer Literat fand Gefallen an Rankes ‚Hardenberg‘. Unter dem Titel ‚Diplomatische Memoiren‘ veröffentlichte der österreichische Romancier und Reiseschriftsteller Karl Emil Franzos (1848-1904) eine Besprechung der ersten vier Bände. „Es gibt nicht viele Geschichtswerke“, schrieb er, wie Cherbuliez vornehmlich an der literarischen Qualität interessiert, „welche sich an Glätte und Eleganz des Styls, an vornehmer Ruhe der Darstellung, an Beherrschung des urkundlichen Materials mit diesen beiden Bänden Rankes vergleichen lassen.“ Er schließt mit dem Wunsch: „Dem Doppelwerke aber sei hiemit nochmals im Interesse der historischen Kunde und des deutschen Nationalgefühls weite Verbreitung gewünscht.“ (Unbezeichneter, undatierter u. unvollst. Zeitungsausschnitt/Feuilleton des Ranke-Museums, Wiehe. Unterzeichnet „Wien, 19. Januar. Karl Emil Franzos“. Vermutl. von 1877). Zu einer ungewöhnlichen und folgenreichen Situation kam es im Zusammenhang mit einer Besprechung des ‚Hardenberg‘ in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘. Wie K. W. Nitzsch in einem seiner Briefe an W. Schrader mitteilte, arbeitete Maximilian Duncker an einer Beurteilung der Hardenbergschen Memoiren, „zu der ihn Ranke selbst dringend aufgefordert; sie wird wol recht scharf ausfallen“ (19. 5. 1877. Briefe von K. W. Nitzsch an W. Schrader/1912, 83). Historisch-politische Sachkenntnis und Erfahrung konnte man Duncker keinesfalls absprechen. Schon Anfang August 1867, Duncker war gerade zum Direktor der preußischen Archive ernannt worden, hatte er sich mit Akten (Bericht von Möllendorf an Friedrich Wilhelm II. von 1794 mit Randbemerkungen Hardenbergs) befaßt, die Ranke eben benutzt hatte (Haym/1891, 427f.). Auch lag unter - 329 -

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anderem sein Werk ‚Aus der Zeit Friedrichs des Grossen und Friedrich Wilhelms III. Abhandlungen zur preussischen Geschichte‘ (Lpz. 1876) vor. - Duncker war von anderer Natur als Ranke. Heinrich von Treitschke schrieb nach Dunckers Tod: „Er hat am politischen Leben muthig theilgenommen, ganz anders als der furchtsame Ranke.“ (An Lina von Schönfels, 22. 7. 86, Heinrich v. Treitschkes Briefe III/1920, 583). Duncker ist der ahnungslosen Aufforderung Rankes, der dessen grundsätzliche ablehnende Einstellung unterschätzt haben dürfte, gleich mehrfach nachgekommen. Zunächst gab er in Band 39 der ‚Preußischen Jahrbücher‘ vom Juni 1877 eine sachkundige Beurteilung ‚Hardenbergs‘, in der er Ranke selbst jedoch völlig ignorierte. Dazu schrieb dieser eine private Replik (bei Hinneberg/1892), in der er feststellte, Duncker habe sich „aber wenig dabei aufgehalten, was eigentlich in dem Buche stehe, vielmehr darauf Wert gelegt, was nicht darin stehe“ (133). In einem Brief an Carl Geibel (28. Juni 1877, Geibel/1886, 105) vermerkte er: „Ich habe keine Lust darauf weiter einzugehen“. Duncker wandte sich daraufhin den ‚Mittheilungen aus der historischen Litteratur‘ von 1878 zu. Hier lieferte er eine aus souveräner Haltung heraus geschriebene einläßliche Darstellung der ersten vier Bände des ‚Hardenberg‘, welche die interpretatorischen und editorischen Verdienste Rankes wiederum mit fast keinem Worte würdigte, vielmehr an zahlreichen, zumeist bedeutenden Stellen der Rankeschen Auffassung nicht oder nicht voll beizupflichten vermochte. Man sieht sich auf den Gedanken geführt, Duncker habe nicht zuletzt zeigen wollen, wieviel besser es doch gewesen wäre, man hätte ihm diese Arbeit übertragen. Ähnliches geschah in seiner Besprechung der im fünften Band veröffentlichten Aktenstücke zu den Denkwürdigkeiten, die er unter dem Titel ‚Graf Haugwitz und Freiherr von Hardenberg‘ im 42. Band der ‚Preußischen Jahrbücher‘ vom Dezember 1878 vorstellte. Dabei war er bemüht, und das Ergebnis wurde auch von Max Lehmann (1878, s. u.) gebilligt, von der „Rechtfertigung, die Hardenbergs Memoiren seiner Staatsleitung von April 1804 bis April 1806 zu geben versuchen“, wenig übrig zu lassen (624). Ranke und seine editorische wie interpretatorische Leistung wurden wieder geflissentlich übergangen. Mit Dunckers Ausarbeitungen befaßte sich auch Wilhelm Maurenbrecher in seiner Hardenberg-Besprechung der ‚Grenzboten‘ von 1877, welche trotz der bis dahin überwiegend reformationshistorischen Arbeit des ranke- und mehr noch sybelgeprägten Bonner Professors eine immer noch nützliche sachkundige Einführung in die ein wenig komplizierten Verhältnisse der Überlieferung wie auch der handelnden Charaktere bietet. Maurenbrecher stimmte den archivgestützten Feststellungen Dunckers zu, der nachweisen konnte, daß entgegen der entschiedenen Selbstdarstellung von einem politischen Schwanken Hardenbergs in den Jahren 1803 bis 1805 auszugehen sei (11f.). Maurenbrecher bekräftigte, daß dem Werk des „Altmeisters unserer Geschichtsforschung“, des „Fürsten der neueren deutschen Geschichtschreibung“ (6) „an thatsächlichen Aufschlüssen, an Bereicherungen unseres historischen Wissens ... weniges“ gleich komme (10). Worin er mit Ranke nicht übereinstimmt, ist die Beurteilung Friedrich Wilhelms III., die von Seiten Hardenbergs zu Recht ungünstig ausfalle, was von Ranke jedoch als unbegründet zurückgewiesen werde (10). Dies dürfte auch im Hintergrund eines Briefes gestanden haben, den K. W. Nitzsch am 4. Febr. 1877 an Maurenbrecher gerichtet hatte: „Ueber Rankes Hardenberg, d. h. über die Hardenbergschen Memoiren, soll Bismarck geäußert haben, es sey das oppositionellste Opus, was neuerdings erschienen. Hermann [recte: Herman] Grimm war ganz entsetzt, daß man es habe drucken lassen.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 444). Maurenbrecher deutete die angebliche Äußerung so, daß sie eben durch das Bekannt- 330 -

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werden der für Friedrich Wilhelm III. ungünstigen Darstellung aus der Feder Hardenbergs begründet sei (Maurenbrecher/1877, 10). Diese Wirkung trat nicht überall ein. Die Sonntagsbeilage der ‚Vossischen Zeitung‘ vom 8. April 1877 ließ es sich angelegen sein, ihren Lesern den aus Rankes Werk zu gewinnenden Eindruck nahe zu bringen, „der Geschichtsfreund“ lerne, „sich mit jener schlimmen Zeit so zu sagen auszusöhnen in dem Gedanken, daß eben Unabwendbares geschehen“ sei, - ein von Ranke mit Hilfe seiner Anschauung von der ‚Notwendigkeit der Dinge‘ für die Entlastung Friedrich Wilhelms III. durchaus beabsichtigter Eindruck (Schulte/1877). Mit der durch Ranke im Gegensatz zu Hardenberg nahegelegten Beurteilung Friedrich Wilhelms III. hatte auch der Historiker und Jurist Jérôme Alexander Sillem (1840-1912) in einem ‚De Pruisische neutraliteitspolitiek in de jaren 1795-1806‘ betitelten umfangreichen Beitrag der Amsterdamer Zeitschrift ‚De Gids‘ von 1877 Schwierigkeiten. Maurenbrecher ähnlich warf er die Frage auf, ob nicht der Monarch einen Großteil Schuld am Schicksal Preußens im Jahre 1806 trage (263) und konnte nicht umhin, sie zu bejahen. 1884 übrigens wandte er sich noch Rankes ‚Weltgeschichte‘ zu (s. I, 369). Ob Gustav Freytag sich dieser Problematik bewußt war, als er am 3. Februar 1877 an Albrecht von Stosch (1818-1896) schrieb, scheint nicht ganz klar: „Für Ihr Anerbieten wegen des Hardenberg danke ich herzlich, ich habe hier ein Exemplar aufgetrieben und darin gelesen. Der alte Meister Ranke hat wieder seine Sache geschickt gemacht, und unsere preußischen Historiker mögen die betreffenden Abschnitte ihrer Geschichten neu schreiben. Im ganzen wird das Bild, das ein alter Preuße sich von Friedrich Wilhelm III. machen mußte [!], nur wenig modifiziert ...“ (Gustav Freytags Briefe an Albrecht v. Stosch/1913, 117). „Übrigens hatte der König mit seinem Mißtrauen gegen Hardenberg und später gegen W. v. Humboldt nicht ganz unrecht. Es ist schade, daß Ranke in seiner Eigenschaft als Biograph und als alter Drappierer vornehmer Herren nicht erzählt, was er im Grunde von Hardenberg hält.“ (118). In die Richtung des ‚Drappierens‘ ging auch das Urteil Heinrich von Treitschkes in einem Brief vom 2. Juni des Jahres an Heinrich Hirzel: „Den Ranke’schen Hardenberg halte ich ... [Auslassung i. T.]. Alles so hübsch abgeleckt und angepinselt und so durch und durch unwahr.“ (Heinrich v. Treitschkes Briefe III/1920, 367). Eine gewisse Unbestimmtheit im Urteil beanstandete erstaunlicherweise auch die Ranke sonst gewogene ‚Militair-Literatur-Zeitung‘ in einer Besprechung, die hinsichtlich der Beurteilung der Hardenbergschen Memoiren sehr zurückhaltend ist, sich über die Rankesche Darstellung jedoch genauer ausspricht. Dem Rezensenten mißfällt im Juliheft 1877 die „vielfach bedingende, einschränkende, fast zweiseitige Weise“ ([Rezensent Nr.] 123/1877, 305). Auch anderes wird beanstandet: Einem „Meister des Styls“ gegenüber glaubt der Rezensent - nicht zu Unrecht - auch als auffallend die große Zahl von Fremdwörtern, wie condensiren, Scission, Hesitation, bemerken zu müssen. Des weiteren: Ranke habe zwar keine Biographie geben wollen. „aber er hätte sie geben können und vielleicht geben sollen“ (306). Der mehrfach herangezogene Max Lehmann verfaßte in der ‚Historischen Zeitschrift‘ des Jahres 1878 eine die Dunckerschen Ergebnisse stützende, überhaupt in Umfang und auffallender Beschränkung auf die eigene Darstellung Hardenbergs vergleichbare Abhandlung, in der er nach Untersuchung zahlreicher Diskrepanzen von Tagebuch, Memoiren, Akten zu dem Ergebnis gelangte, von einer „eigentlichen Unglaubwürdigkeit der Memoiren“ könne zwar „nicht die Rede sein“ (88), doch habe die - 331 -

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verschleiernde und verschönernde Erinnerung Hardenbergs zu Denkwürdigkeiten geführt, denen die Überschrift ‚Dichtung und Wahrheit‘ gut angestanden hätte (110). Nach Maximilian Duncker war es ein weiterer, späterer Direktor der preußischen Archive, Paul Bailleu, der mit zwei Artikeln in quellenkritischer Weise Stellung nahm. Bailleu war zwar unpassend über Appian promoviert, dürfte sich jedoch unter dem Eindruck seiner früheren Amanuensentätigkeit bei Ranke, die gerade den Arbeiten an Hardenberg gegolten hatte (s. I, 43 u. II, 105), umorientiert haben. Nicht nur besorgte er eine deutsche Ausgabe von ‚Talleyrand’s Briefwechsel mit König Ludwig XVIII. während des Wiener Congresses. Nach den ... Handschriften hg. von G(eorges) Pallain‘ (Lpz., Paris 1881), vor allem hatte er in den ‚Publicationen aus den Königlich Preussischen Staatsarchiven‘ eine Edition ‚Preußen und Frankreich von 1795 - 1807. Diplomatische Correspondenzen‘, Leipzig 1881(-1887) begonnen. In der ‚Deutschen Rundschau‘ von August 1879 veröffentlichte er jetzt zunächst unter dem Titel ‚Haugwitz und Hardenberg‘ eine verhältnismäßig ausführliche Nachzeichnung der von Hardenberg in seinen ‚Memoiren‘ geschilderten Begebenheiten (1803-1807), wobei er ohne dies im einzelnen zu vermerken - von Widersprüchen der Hardenbergschen Darstellung mit nicht näher bezeichneten „Acten des Geh. Staaatsarchivs“ ausging. In einer Sammelbesprechung der ‚Historischen Zeitschrift‘ von 1881 äußerte er sich in erster Linie über Haugwitz und Montgelas. Mit der Zuverlässigkeit der von Ranke mitgeteilten Auszüge der Memoiren des Grafen v. Haugwitz stehe es „leider um nichts besser“ (174) als mit den früher mitgeteilten. Sie verdienten „wenig Vertrauen“ (175) und bildeten in summa „nur ein Denkmal menschlicher Schwäche…, nicht aber eine Bereicherung unseres historischen Wissens.“ (176). Bei den weitaus günstiger beurteilten Memoiren des Grafen Montgelas bedauert Bailleu. „daß sie nicht vollständig und im Original veröffentlicht“ seien. (177). Ein dritter Archivar war von anderer Natur. Ernst Friedlaender (1841-1903), der gerade mit der Vorbereitung eines ‚Ostfriesischen Urkundenbuches‘ befaßt war, erarbeitete für die ‚Gegenwart‘ vom 3. März 1877 ein das gesamte editorische und darstellerische Unternehmen, i. b. Hardenberg selbst, vorteilhaft vor Augen führendes Referat, ohne weitere Ansprüche. Angesichts der hervorragenden Bedeutung Rankes könne nichts ferner liegen, „als ein einem Urtheile nahe kommendes Wort“ über seine historische Darstellung sprechen zu wollen (134). Vorrangig mit dem Quellenwert der ‚Denkwürdigkeiten‘ befaßte sich auch Hans Delbrück. 1877 nutzte er in der Zeitschrift ‚Im neuen Reich‘ Rankes Werk zu einem selbständigen Artikel, betitelt ‚Die Ursachen der preußischen Katastrophe von 1806‘, der über den Rahmen einer Besprechung hinausging. Hierin ging er, unter Hinzunahme des Werkes von Rankes Hörer Adolf Beer (s. I, 311 ) über ‚Zehn Jahre österreichischer Politik 1801-1810‘ (Leipzig 1877) mit vielen hypothetischen Konstruktionen operierend der auch von Duncker aufgeworfenen Frage nach, ob das abfällige Urteil über das persönliche Regiment Friedrich Wilhelms III. sich aus den von Ranke herausgegebenen ‚Denkwürdigkeiten‘ bestätige, wie es auf den ersten Blick scheine (642), was Delbrück dann aber, ohne auf Ranke selbst einzugehen, zurückweist. Ein für Ranke günstiges Prüfergebnis, denn nichts konnte diesem ferner liegen, als zur Ansehensminderung eines preußischen Potentaten Veranlassung gegeben zu haben. - Delbrück war, wie bereits bemerkt, begeisterter, jedoch nicht unkritischer Rankeaner, der sich wie wenige, die sich allgemein und theoretisch äußerten, auch detailliert mit Rankes Werk befaßten. Noch zu dessen Lebzeiten hielt er Übungen ab mit dem Thema ‚Einführung - 332 -

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in das Studium der Werke Ranke’s‘, wie 1882 der teilnehmende Paul Frédéricq in seinen ‚Notes et impressions de voyage‘ über den „admirateur enthousiastique“ berichtet. Delbrück war auch begeisterter Redner. Bei Enthüllung einer Büste Carl von Noordens in Leipzig hielt er 1885 einen Vortrag, in dem er sich nicht unkritisch über Rankes Darstellungskunst und Wirkung äußerte (Erstveröffentlichung bei Philippsborn/1963, 349-352. Zu Delbrücks späteren ‚Weltgeschichtlichen Vorlesungen‘ s. I, 451f.). Arnold Dietrich Schaefer sieht unter Nichtachtung der Arbeiten von Duncker und Lehmann (letztere war möglicherweise noch nicht erschienen) in der Veröffentlichung des Hardenbergschen Materials „eine Gabe von höchstem Gewichte“ (129), welche „eine tiefere Erkenntniss entscheidender Abschnitte unserer Geschichte“ ermögliche (131). Zum Ende seines in der ‚Jenaer Literaturzeitung‘ vom 2. März 1878 veröffentlichten Referats trägt Schaefer allerdings noch Kritik an Rankes „Streben[,] jedem historischen Charakter gerecht zu werden“ vor, „auch an übel beleumundeten Personen die guten Seiten hervorzukehren, die Scheu vor scharfen Meinungsäusserungen und schroffen Handlungen“ (131), wozu einige Beispiele gegeben werden. Auch von anderen, wohl weniger kompetenten Rezensenten wurde der Quellenwert der Hardenbergschen Memoiren nicht gering eingeschätzt. Die ‚Neue Evangelische Kirchenzeitung‘ kam am 11. August 1877 anonym zu dem Urteil, es handele sich hier „alles in Allem jedenfalls“ um „die genaueste und zuverlässigste diplomatische Geschichte der preußischen Unglückszeit“ (505). In der Fortsetzung vom 29. Dezember zu Band V wurden dann Einschränkungen sichtbar. Zwar sieht der Rezensent v. a. Stein aus den von Ranke mitgeteilten Aktenstücken „mit seiner wuchtigen und großartigen Wahrhaftigkeit“ (823) hervortreten. Einzelne Stücke gäben freilich „für die Bereicherung der Kenntniß von den politischen Hergängen wenig Ertrag“ (824), wenn sie auch insgesamt wegen der aus ihnen wehenden „Odemzüge einer neuen Zeit“ patriotischen Geistes von bleibender Bedeutung seien (ebd.). Die quellenkritische Problematik war auch Gustav Schmoller (1838-1917) fremd. Er verfaßte eine ungedruckte Beurteilung der ‚Denkwürdigkeiten‘, welche er dem befreundeten Carl Geibel, Verleger Rankes, wohl im März 1879 zusandte und die von diesem an Ranke weitergeleitet wurde (Erstdr. Geibel/1886, 121f., A. 1 mit R.s kurzen, erfreuten Bemerkungen dazu ebd., 120). - Schmoller, später bekanntlich Herausgeber des ‚Jahrbuchs für Gesetzgebung, Verwaltung und Volkswirtschaft im Deutschen Reich‘, kann nichts von seiner Bedeutung für die Nationalökonomie genommen werden, doch wies er in seinen bis dahin im wesentlichen mit der Geschichte Straßburgs, seiner zweiten universitären Wirkungsstätte, und deren Tucher- und Weberzunft befaßten Veröffentlichungen keine eigentliche Qualifikation für eine Besprechung der Thematik auf. Freilich hatte das Buch auf ihn einen „elektrisirenden, hinreißenden“ Eindruck gemacht (Geibel/1886, 121, A. 1) und sein Lob hervorgerufen, Ranke beurteile, obgleich er für die Darstellung der inneren Verwaltung nicht das „Detail in seinen causalen Zusammenhängen“ beherrsche, „die Resultate und Bestrebungen der Zeit richtiger als liberale Politiker, Doctrinäre, Nationalökonomen, scholastische Juristen, weil er tiefer in die Zeit und ihre Bedingungen“ blicke. (121). Sehr günstig wird ‚Hardenberg‘ von Konrad Reichard in der Zeitschrift ‚Im Neuen Reich‘ vom 1. Februar 1877 beurteilt, dem hier lediglich ein Werk über ‚Die maritime Politik der Habsburger im XVIIen Jahrhundert‘ (Bln.: Besser 1867) zugute zu halten ist. Der Denkschrift über die Reorganisation des preußischen Staates wird geradezu - 333 -

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„divinatorische“ Qualität zugesprochen (212), kurzum, Hardenbergs Ruhm habe durch Rankes Veröffentlichung, die in „vielen Puncten … eine ganz neue Auffassung“ vermittele (203), „ganz entschieden gewonnen“ (212). Ranke gebühre für diese seit langem bedeutendste Publikation auf dem Gebiet der preußisch/deutschen Geschichte der „vollwichtige Dank des deutschen Volkes“ (ebd.). Der bereits zu Rankes 50jährigem Doktorjubiläum betrachtete Ranke-Hörer Wilhelm Herbst suchte auch in seiner Hardenberg-Besprechung, die 1877 in ‚Daheim‘ erschien, gegenüber dem „Altmeister historischer Forschung und Kunst“ (550) ein wenig Selbstbewußtsein zu wahren, das er ansonsten vor allem in der Herausgabe einer ‚Encyklopädie der Neueren Geschichte‘ betätigte, die er ‚in Verbindung mit namhaften Historikern‘ herausgab (Gotha: Friedrich Andreas Perthes 1880-1890). Seine wohlmeinende Nacherzählung sieht u. a. Rankes Verdienst darin, „das Gleichgewicht“ zwischen Stein und Hardenberg wieder hergestellt zu haben. „Andere Historiker … haben an die nämliche Epoche Hand angelegt, aber doch ist es, als wenn Ranke in dem was er angreift, das letzte und durchschlagende Wort spräche. Und dies gleichermaßen in den Resultaten der Forschung, wie in dem glücklichen Treffer des Ausdrucks.“ (568). Nicht einverstanden war Herbst mit Rankes Ansicht, nur die Bildungsjahre Hardenbergs erregten Teilnahme für dessen Person (551). Der Herbstschen Besprechung des ‚Hardenberg‘ folgten noch weitere, so über Rankes ‚Historisch-biographische Studien‘, seine beiden Biographien Friedrichs d. Gr. und Friedrich Wilhelms IV. und, im eigenen Todesjahr, Rankes ‚Weltgeschichte‘. Eine Reihe wenig fachkundiger, stets jedoch lobender Besprechungen findet sich in der Beilage der ‚Allgemeinen Zeitung‘, im ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘, im ‚Literarischen Centralblatt‘ und im ‚Theologischen Literaturblatt‘. Während in der ‚Allgemeinen Zeitung‘ die von Ranke benutzte „Masse von Quellen und Hülfsmitteln“ Erstaunen auslöst (L. G. in: Allg. Ztg. Beill. 20. u. 21. Jan. 1877, 302), bringt das ‚Magazin‘ in einem Artikel zu Rankes sechzigjährigem Doktorjubiläum auch eine überwiegend zitierende Anzeige des ‚Hardenberg‘. In der gleichfalls gebotenen allgemeinen Würdigung Rankes wird betont, daß dieser neben seinen Verdiensten um die Geschichtsforschung eine „Fülle von Bereicherung und nachhaltiger Anregung“ für die „Literatur-Kenntniß unseres eigenen Volkes wie der ausländischen Nazionen“ gewährt habe: „Kein Geschichtsschreiber hat vor ihm der in der Literatur sich abspiegelnden geistigen Bewegung der Nazionen eine so tief eindringende und so verständnißvolle Theilnahme zugewendet“ (P. D. Fischer in: MLA 3. 3. 1877, 117). - Das ‚Literarische Centralblatt‘ ist allenfalls näher zu betrachten, da hierin grundsätzliche Fragen der Geschichtsanschauung gestreift werden: Ranke begleite die Memoiren mit seiner eigenen Darstellung in der „gewohnten Objectivität“ wie der Chor die Handlung der antiken Tragödie. Zwar hebe er „im Tone einer Biographie Hardenberg’s“ an, verlasse ihn aber bald; man dürfe „ja überhaupt zweifeln, ob die Stärke von Ranke’s Genius auf dem Felde der Biographie“ liege. Die „sittliche Würdigung der einzelnen Persönlichkeiten“ trete „hinter dem Nachweise der historischen Nothwendigkeiten“ weit zurück (F. in LCD 17. 3. 1877). Ähnlich Deterministisches war auch anderen Rezensenten aufgefallen, welche nicht nur in ‚Hardenberg‘ „Unabwendbares“ (Anonym in: Voss. Ztg., 8. 4. 1877), auch in den ‚Revolutionskriegen‘ die „eiserne Nothwendigkeit der Dinge“ (Kreyssig/1875, 131) vermerken mußten. - Die Band V des ‚Hardenberg‘ berücksichtigende Fortsetzung des ‚Literarischen Centralblatts‘ bietet lediglich eine kurze Inhaltsangabe (F. in LCD 18. 5. 1878). - Das ‚Theologische Literaturblatt‘ vom - 334 -

I/2.1.8.11 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Hardenberg‘

25. Febr. 1877 schließlich kann in der Person von Carl August Rudloff feststellen: „Die diplomatische Geschichte unseres Festlandes hat in R. ihren Meister gefunden.“ (111). Zu den weniger Kundigen muß in diesem Fall auch der bereits mehrfach genannte Königsberger Historiker Hans Prutz gezählt werden, der damals wohl noch keine signifikante Eignung für eine Besprechung der ‚Denkwürdigkeiten‘ besaß, die er gleichwohl den Lesern der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ von 1877 bot. Er durfte sich jedoch freuen an der „vollreifen, vollsaftigen, köstlichen Frucht“, die der „Altmeister der deutschen Geschichtschreiber“ aus seinem „gottbegnadeten Gelehrtenleben“ hier bot (519). Bei den in den letzten Jahren erschienenen Werken Rankes sei der nicht selten gemachte Vorwurf „allzu großer Objectivität“ nicht mehr recht am Platze. Prutz’ Beurteilung der Darstellung Rankes und der ‚Memoiren‘ Hardenbergs die er sich weithin persönlicher, nicht in diesem Maße aktenmäßiger Art vorgestellt habe - ist im übrigen eine sehr allgemeine. Albert Sorel, der sich 1876 schon zu Rankes ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘ geäußert hatte (s. o.), sah 1879 in der ‚Revue historique‘ anläßlich einer Besprechung des ‚Hardenberg‘ abgestuft in Rankes eigener Darstellung ein beachtliches Werk, in den beiden Bänden Hardenbergs ein Dokument von höherem Interesse und im fünften, ergänzenden Band die interessantesten Stücke für die Geschichte Europas während Revolution und Kaiserreich, insgesamt eine der bemerkenswertesten Veröffentlichungen der letzten Jahre (Sorel: [Bespr. Hard I-V]. /1879, 500). Ranke habe jedoch Mühe gehabt, sich auf den schlecht abgegrenzten selbst gewählten Rahmen zu beschränken, und so sei der Fall eingetreten, daß dieses Werk eines der größten Historiker der Zeit auf allen Seiten über die Ufer trete. Es sei keine Biographie Hardenbergs entstanden, keine Monographie der preußischen Diplomatie, jedoch ein Tableau der europäischen Politik der Jahre 1793 bis 1813. Ausgehend und wieder zurückkehrend zu Hardenberg ergebe sich indes ein sehr enger Säulengang zu einem Werk mit der Gestalt eines Monuments (494, s. I, 198). Auch bleibe, und dies wurde bereits 1877 von Gustav Freytag und einem Rezensenten der Militair-Literatur-Zeitung bemerkt, trotz allem, eine gewisse Unentschiedenheit in Rankes Darstellung zurück. Zu Rankes unter dem Titel ‚Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813‘ separat veröffentlichter eigener historischer Darstellung, die, wie bemerkt, in den Jahren 1879, 1880 und 1881 erschien, konnten neben der bereits betrachteten Besprechung von Bailleu (HZ 46/1881) lediglich drei Specimina nachgewiesen werden: eine knappe Notiz des ‚Literarischen Handweisers‘ vom 22. Juni 1880 (W. D.), eine kurze, den zweiten Band rein referierende Anzeige der ‚Grenzboten‘ im ersten Quartal des Jahres 1881 und im 3. Quartal eine kurze, wohlwollende Anzeige des dritten Bandes, welche die „geistvolle Übersicht durch die europäische Politik“ und die „äußerst feine Charakteristik“ Steins und Hardenbergs hervorhebt.

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I/2.1.8.12 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Friedr. d. Gr./Friedr. Wilh. IV.‘

‚Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien‘ (1878) (I/2.1.8.12) Die beiden für die ‚Allgemeine Deutsche Biographie‘ verfaßten Biographien erschienen 1878 zusammengefaßt in Buchform. Von einem Erfolg der durchaus monarchismus- und patriotismusfähigen Veröffentlichung konnte erstaunlicherweise keine Rede sein. In selbständiger Form erschien zu Rankes Lebzeiten keine zweite Auflage, eine Übersetzung ist nicht nachgewiesen, und die Zahl der vorgefundenen Rezensionen auffallend gering. Das Interesse gilt dabei weniger Friedrich dem Großen, dessen von der Kritik weitgehend abgelehnte Darstellung in Rankes ‚Preußischer Geschichte‘ wohl noch in Erinnerung war, als vielmehr Friedrich Wilhelm IV. Dies ist auch in einer frühen Besprechung der Beilage zur ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 4. Januar 1878 der Fall. Ungeachtet des Titels seiner Besprechung, ‚Zwei preußische Könige‘, betrachtet der Rezensent nur kurz die Darstellung Friedrichs d. Gr., die vielfach nur die Resultate früherer Arbeiten Rankes zusammenfasse, allerdings „auf die innere Umgestaltung des preußischen Staates“ und auf Voltaire eingehe. „Von weit größerer Bedeutung ist die Arbeit über Friedrich Wilhelm IV.“ Auch dies keine „vollständige Biographie“ (50), vielmehr mit „Sprüngen“ und „Lücken“ versehen, „... aber sie ist ein vollendetes Kunstwerk“ (51), „...ein Bild, nicht bloß mit Verstand erfaßt, mit technischer Geschicklichkeit gezeichnet, sondern in Liebe angeschaut und mit Liebe geschaffen, ein Erinnerungsblatt, zu dessen Herstellung der Vaterlandsfreund und der dem König persönlich Nahestehende dem Historiker die Feder haben führen helfen.“ (ebd.). Die naheliegende Frage nach der Objektivität stellt sich dem Rezensenten offensichtlich nicht. Zwei Themen habe Ranke mit besonderer Ausführlichkeit und mit einer Fülle neuer Erkenntnisse aus unbekannten Aktenstücken des kgl. Hausarchivs behandelt, die Erziehung des Königs und die Berufung des Vereinigten Landtags (ebd.). - Ganz anders urteilt der englische Historiker George Strachey in der Londoner ‚Academy‘ vom 6. und 13. April 1878. Stracheys Kritik ist freilich im wesentlichen die gleiche wie in seiner Hardenberg-Besprechung (s. o.). Rankes „selective, skipping method, his exclusion of description and anecdote, his neglect of individual characteristics and details have here some excuse in the limits of space imposed. But a mere fragmentary Friedrich, evaporated to a royal, military, diplomatic abstraction, is not Friedrich at all.“ (296). Nicht nur liefen alle Linien der historischen Perspektive Rankes auf den Gesichtspunkt öffentlicher Politik zu, er sei auch - in der Begründung des Einfalls in Schlesien - noch friderizianischer als Friedrich (ebd.), und auch im Falle der Geschichte des Vereinigten Landtags von 1847 wiesen seine Euphemismen oft in die Irre (318). Die Beschreibung der Ablehnung der Frankfurter Kaiserkrone sei ein Beispiel für Rankes Scheu, die Dinge beim Namen zu nennen: Er mache hier aus Friedrich Wilhelm „a mild and timid conservative“ (ebd.). Andererseits sei z. B. Rankes Schilderung der Beziehungen Friedrichs d. Gr. zur Ksn. Katharina hervorragend (297) und sein Bild des Kampfes Friedrich Wilhelms zur Bewahrung des persönlichen gottesgnadenhaften monarchischen Prinzips bewundernswert (318). - Die Frage nach Rankes Objektivität bei der Darstellung Friedrich Wilhelms wird von seinem mehrfach aufgetretenem Hörer Wilhelm Herbst in einer kurzen, auf den - 336 -

I/2.1.8.12 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Friedr. d. Gr./Friedr. Wilh. IV.‘

preußischen König beschränkten Besprechung des ‚Deutschen Literaturblatts‘ vom 30 Juni 1878 tatsächlich aufgeworfen, jedoch gerade für den Ranke befreundeten Herrscher als durchaus wirksam unterstrichen. Dabei wird dieser auch unzureichend in Schutz genommen: Nicht Dilettantismus - wie Herbst gegen Julian Schmidt in ‚Im neuen Reich‘ (?) einwendet - sondern „Doktrinarismus und Enthusiasmus ohne durchsetzende Thatkraft“ seien „die wahre Signatur des königlichen Dulders“ gewesen (H[erbst], W[ilhelm]/1878, 43). - Positiv wurden die Verdienste Friedrich Wilhelms um das preußische Verfassungsleben beurteilt, die von Ranke „mit unabhängiger und freier Gesinnung erörtert“ worden seien (173), so Arnold Bodek (1847?-1894) in einer weithin nur zitierenden Besprechung der ‚Blätter für literarische Unterhaltung‘ von 1880, die auch sonst fast nichtssagend ist. Ein Artikel, der dem Thema, zumindest in Anbetracht einer Veröffentlichung des Rezensenten über ‚Marcus Aurelius Antoninus als Zeitgenosse und Freund des Rabbi Jehuda ha-Nasi. Ein Beitrag zur Culturgeschichte‘ (Lpz.: D. u. H. 1868) kaum gewachsen sein konnte. Der bei Rankes ‚Englischer Geschichte‘ näher betrachtete Ottokar Lorenz schrieb 1884 in der ‚Neuen Preußischen (Kreuz-) Zeitung‘ einen anonymen Beitrag über ‚Friedrich Wilhelms IV. neueste Beurtheiler‘. Als solche galten ihm Ranke und Hermann Wagener (1815-1889). Der „größte zeitgenössische Geschichtschreiber“ (129) vermag Lorenz aber in manchen Punkten nicht genug zu tun, etwa in der Frage, „welches Verhängniß [1848] den Truppen einen glorreichen Sieg aus den Händen zu winden vermochte“ (133). Auch sei in der bisherigen Geschichte Friedrich Wilhelms IV. zu wenig von Joseph Maria von Radowitz gesprochen worden, so auch bei Wagener und Ranke. Vor allem aber sieht Lorenz bei beiden in der „blanken Vertheidigung der officiellen Politik“ keine zutreffende Beurteilung des zwar nicht zähen, doch aufrichtigen Charakters Friedrich Wilhelms ([Lorenz:]/(1884) 1896, 137f.). 1889 wandte sich Lorenz dem Thema noch einmal in der ‚Deutschen Litteraturzeitung‘ zu. In dieser Besprechung der posthum zusammengestellten ‚Abhandlungen und Versuche‘ Rankes (SW 51/52), welche auch die beiden ‚Biographien‘ wieder aufgenommen hatten, fand er, diese seien mit „zu vielen innerlichen Wenn und Aber“ geschrieben. Rankes Bewunderung für Friedrich d. Gr. sei „mehr gemacht als empfunden“ - „er liebte ihn nicht wirklich als Mensch, er setzte ihn nur in das rechte Licht; aber es war ein sehr kaltes Licht...“ -, und über den Friedrich Wilhelm-Artikel werde man „besser schweigen, sofern man von den wertvollen Mitteilungen über dessen Jugend und Entwickelung“ absehe (Lorenz/1889, 554). Auch Gustav Freytag bemerkte in einem Brief an Alfred Dove die „vorsichtige Apologie Ranke’s“ betreffend Friedrich d. Gr. ([1883/84], Dove: Ausgew. Aufss. u. Briefe II/1925, 93). - Zur Beurtheilung Friedrich Wilhelms IV. s. auch II, 91ff. u. I/2.1.8.7).

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I/2.1.8.13 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Histor.-biogr. Studien‘, ‚Venez. Geschichte‘

‚Historisch-biographische Studien‘ (1877, 1878) ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ (1878) (I/2.1.8.13) Rankes ‚historisch-biographische Studien‘ wie auch die unmittelbar folgende Zusammenstellung ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ gehören nicht zum thematisch sehr kohärenten preußisch-österreichisch-deutschen Spätwerk, sind mit ihrer südeuropäischen Thematik vielmehr gänzlich untypisch für diese Schaffensperiode, und im Grunde auch nicht aus ihr hervorgegangen. Beide Titel kamen durch einen äußeren Anlaß, die Veranstaltung der ‚Sämmtlichen Werke‘, zustande, in die sie als vierter und fünfter Sammelband, wiederum mit einer Mischung aus Veröffentlichtem und Unveröffentlichtem, als Bände 40/41 und 42 eingereiht wurden. An Neuem enthielten die ‚historisch-biographischen Studien‘ einen Aufsatz über Savonarola und einen weiteren, betitelt ‚Philippo Strozzi und Cosimo Medici, der erste Großherzog von Toskana‘. Der Sammelband ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ brachte mit ‚Venedig im sechszehnten Jahrhundert und im Anfang des siebzehnten‘ lediglich einen einzigen unpublizierten Aufsatz bei. Das öffentliche Interesse an diesen Werken Rankes war, wie stets bei seinen Zusammenstellungen, gering bis äußerst gering. Dies zeigt sich auch im Verlagsschicksal der Werke: Eine weitere, nicht gezählte Ausgabe der ‚Studien‘ brachte der Verlag erst im Jahre 1900 in Form eines anastatischen Nachdrucks auf den Markt; der venezianische Sammelband erlebte selbst dies nicht mehr. Von einer Übersetzung dieses oder jenes Bandes konnte keine Rede sein. Gerechterweise ist zu bemerken, daß sich die Aufsätze über Savonarola und Don Carlos ab 1910 separat noch einiger verlegerisch-editorischer Zuwendung erfreuen konnten (s. II/9.3.2). Der qualifizierteste unter den wenigen Rezensenten der ‚Historisch-biographischen Studien‘, der auch zu dem Sammelband selbst kleinere Hilfen geleistet hatte (s. II, 112), war Alfred von Reumont. Der seit seiner ersten italienischen Reise Ranke bekannte Historiker und Diplomat war durch ihn auf das Studium der italienischen Geschichte hingewiesen worden, wie Hermann Hüffer in seinen Lebenserinnerungen berichtet (Hüffer/1912, 302f.). Seinen zweibändigen ‚Beiträgen zur italienischen Geschichte‘ (Bln. 1853) hatte Reumont eine Widmung und Danksagung mit Bezug auf die im Frühling 1830 in Florenz täglich mit Ranke verbrachte Zeit vorangestellt (V-IX). Nun veröffentlichte er 1878 anonym in der ‚Allgemeinen Zeitung‘ eine Besprechung mit dem Titel ‚Ranke’s historisch-biographische Studien‘, in der ihn ein Hinweis („In meinem Buch über Lorenzo il Magnifico...“) auf sein Werk ‚Lorenzo de’ Medici und seine Zeit‘ (2 Bde, Lpz. 1874) als Verfasser zu erkennen gibt, - eine sachkundige Besprechung, welche in den hier vorgelegten, z. T. ein halbes Jahrhundert zuvor erschienen Schriften „neue Zeugnisse der ans Wunderbare gränzenden Kraft und Frische“ ihres Verfassers erblickt. Einige kritische Töne werden vernehmbar, etwa wenn der Katholik Reumont bemerkt, die Verfassung der Kurie habe „doch tiefere Wurzeln als aus der vorliegenden Darstellung hervorzugehen“ scheine. (1793). Nicht ganz unkundig wird möglicherweise der von ADB/NDB unbeachtete RankeHörer und -Seminarist (Berg/1968, 229) Ferdinand Hirsch gewesen sein. Er hatte sich zumindest mit Italien im Mittelalter befaßt, wovon neben seiner frühen Dissertation - 338 -

I/2.1.8.13 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Histor.-biogr. Studien‘, ‚Venez. Geschichte‘

‚De Italiae inferioris annalibus saeculi decimi et undecimi‘ (Lpz. 1864), ein Werk über ‚Das Herzogthum Benevent bis zum Untergange des langobardischen Reiches‘ (Lpz. 1871) zeugte. 1876, zwei Jahre vor seiner Besprechung hatte er auch ‚Byzantinische Studien‘ (Lpz. 1876) veröffentlicht. Dies führte jedoch zu keinem bedeutenden Besprechungsergebnis. In den ‚Mittheilungen aus der historischen Litteratur‘ von 1878 kann er „nicht genug die Kunst des Nestors unter unsren Historikern bewundern“, nämlich: „die Darstellung der Wechselwirkung zwischen einzelnen Persönlichkeiten und allgemeinen Zeitrichtungen“ (331). Hirschs darauf folgendes nüchternes Inhaltsreferat widmet sich immerhin auch dem Aufweis von Unterschieden in Erstveröffentlichung und Überarbeitung der Aufsätze, als deren bedeutendster ‚Savonarola‘ erscheint. Einige Besprechungen der Jahre 1878 und 1879 sind - überwiegend referierend - in wenig charakteristischer Weise wohlwollend oder des Lobes voll. Dies gilt für das ‚Literarische Centralblatt‘ vom 20. Juli 1878 („Reichthum von Kenntnissen, eine Sicherheit der Auffassung, eine Frische und Anmuth der Darstellung“, 943) wie für das ‚Deutsche Literaturblatt‘ vom 30. Juni 1878, in dem Rankes Schüler Wilhelm Herbst, der zuletzt Rankes ‚Hardenberg‘ besprochen hatte, ein anerkennendes, jedoch nur oberflächliches Referat gibt, welches v. a. der Arbeit über Don Carlos gilt: „Durch die Pathologie des persönlichen Lebens läßt der Meister überall die große weltgeschichtliche Perspektive hindurchscheinen.“ (44). Selbst Rodolphe-Ernest Reuss äußert sich in einer Sammelbesprechung der ‚Revue historique‘ nur unergiebig (3/1878). Eine Art Nachtrag lieferte 1879 eine anonyme Besprechung der nämlichen Zeitschrift unter dem Autorenkürzel V, welche die „critique pénétrante des sources“, die „finesse des aperçus et l’habilité savante du pinceau“ und vor allem das „talent de replacer chaque personnage dans son milieu et de résumer à grands traits toute une époque“ betont (4/1879, 460). Größeres Interesse darf Rankes bereits herangezogener Schüler oder nur Hörer Martin Philippson beanspruchen. Er war es wohl, der schon 1874 im ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘ zwei belanglose Besprechungen der ‚Päpste‘ in 6. Auflage von 1874 verfaßt hatte, und sich 1879 in der ‚Historischen Zeitschrift‘ dem Rankeschen Sammelband der ‚Historisch-biographischen Studien‘ zuwandte. In diesem Jahr nahm er nach Veröffentlichungen vorwiegend über Heinrich IV. und Philipp II. sowie über das Zeitalter Ludwigs XIV. einen Ruf an die Universität Brüssel an, wo er „als Ordinarius das Historische Seminar gründete“ (Mehmel, Astrid: Philippson, Martin Emanuel. In: NDB 20/2001, 398 f.). Philippson beginnt mit einem völlig ahnungslosen Hinweis auf Rankes Arbeiten früherer Lebensalter, „die oft in entlegenen Zeitschriften weit zerstreut“ seien (165). Davon kann mit Blick auf gerade einmal zwei Zeitschriftenaufsätze des Lebensganzen (s. II/1.2.2) natürlich keine Rede sein, und es zeigt sich darin lediglich die mangelnde Kenntnis des Rezensenten. Philippson betritt jedoch sodann ein ihm besser vertrautes Terrain, die ‚Geschichte des Don Carlos‘. Über seine Auffassung des Prinzen hatte er in der ‚Historischen Zeitschrift‘ (NF 2, 149ff.) bereits geschrieben. Nun hält er es für bedenklich, daß Ranke hier zwar neuere Quellen, nicht jedoch neuere Literatur mit ihren Kontroversen einbeziehe. „Manche Einzelheiten“, die Ranke „zur Stütze seiner Meinungen“ aufführe, „scheinen ihm doch nicht hinreichend begründet, während die entgegengesetzten Momente etwas kurz abgefertigt“ seien. (168). Ein weiterer, grundsätzlicherer Kritikpunkt Philippsons liegt in Rankes Behandlung von Freiheit und Notwendigkeit, gerade in der Darstellung von Don Carlos’ Entwicklung und Untergang. Hier habe Rankes Streben, „den großen inneren - 339 -

I/2.1.8.13 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Histor.-biogr. Studien‘, ‚Venez. Geschichte‘

Zusammenhang der Dinge“ hervorzuheben, „eine vielleicht etwas zu starke Ausprägung“ gefunden (169), indem er die „innere Kraft“ und Entscheidungsfähigkeit der Personen und damit verbunden die Schuldfrage allzu gering achte. Philippson hat dabei auch als einer von wenigen einen Mangel empfunden, den er in die Frage kleidete: „Ist die Verschiedenheit der individuellen Anlage und Persönlichkeit nichts?“ (169, s. I, 121). Lediglich eine einzige Besprechung ließ sich zu Rankes 1878 erschienenem Sammelband ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ nachweisen. Doch trat hierbei noch einmal der seltene Fall ein, daß ein ausgewiesener Fachmann sich rezensierend eines RankeWerkes annahm, Georg Martin Thomas (1817-1887). Er hatte über zahlreiche mit Venedig in Zusammenhang stehende Themen darstellend wie edierend gearbeitet. Henry Simonsfeld zählte ihn zu den „Pionieren deutscher Geistesarbeit in Italien“ (ADB 54/1908, 697-700). In seiner kurzen Besprechung (HZ 43) von 1880 empfahl Thomas besonders Rankes darin unter anderem aufgenommenes Werkchen von 1831 über ‚Die Verschwörung gegen Venedig im Jahre 1618‘ „als ein Muster historischer Kritik“. In seinem Urteil über Daru zeige Ranke sich als „freimüthiger Richter“ (172). In Betreff des ‚Deutschen Hauses‘ in Venedig weist Thomas berichtigend auf das (Bln.) 1874 von ihm selbst herausgegebene ‚Capitolare dei visdomini del fontego dei Todeschi‘ hin sowie auf Beiträge von W. Heyd und Th. Elze. Zu den von Ranke erwähnten Paröken auf Kreta gibt er einen Hinweis auf die Einleitung seines 1878 in den ‚Abhandlungen der philosophische-philologischen Classe der bayerischen Akad. d. Wissenschaften‘ erschienenen Arbeit ‚Commission des Dogen Andreas Dandolo für die Insel Creta vom Jahre 1350‘, München 1878.

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9. Kapitel (I/2.1.9) DIE UNVOLLENDETE, BEGRENZTE UNIVERSALITÄT Die Zeiten der ‚Weltgeschichte‘ 1881-1886 E i n f ü h r u n g (I/2.1.9.0) Durch das hohe Alter des Verfassers, der in seinem fünfundachtzigsten Jahr mit einem allumfassenden „staunenerregenden Unternehmen“ ([Anonym:] Leopold v. Ranke. In: Berliner Tagebl., Morgen-Ausg. 20. 12. 1885, 2) hervortrat, dessen Bewältigung überdies weit in die Zukunft reichen mußte, sodann durch die präzis terminierte jährliche Bereitstellung eines neuen Bandes als ‚Weihnachtsgabe für das deutsche Volk‘, neben den auf 48 Bände angewachsenen ‚Sämmtlichen Werken‘, entstand zunächst ein gespanntes, erwartungsvoll emotionalisiertes Interesse an dieser ‚Weltgeschichte‘, dem sich patriotisch-nationale Momente des überwiegend euphorischen Neuen Reichs zugesellten. Damit gewann der Umgang mit Ranke in diesem letzten Lebens- und Schaffensabschnitt den Charakter einer unmittelbar und ungeheuer steil aufsteigenden Heroisierung, welche in arbeitsethischer und allgemein-menschlicher Ausrichtung seine Leistungen als Historiker weit überragte, jedoch wiederum auch auf diese zurückstrahlte. Dennoch glaubten die ‚Grenzboten‘ nach seinem Tod feststellen zu können, „der größte Historiker, den Deutschland besessen“ habe, sei „der Menge unbekannt“ geblieben ([Anonym:] Ranke als Tagespolitiker/1887, 402). Dies lag auf der Linie früherer Urteile, welche bereits seit den 1850er Jahren auf den in gewisser Weise paradoxen Popularitätsmangel Rankes verwiesen hatten. Selbst in den letzten Jahren höchsten Ansehens blieb er doch, wie sich auch in mancher Besprechung darstellt, eine distanzierte Gestalt, die freilich nunmehr im Kreis der Kundigen und gesellschaftlich Arrivierten eine breitere, vor allem auf seine äußeren Schaffensumstände gegründete Aufmerksamkeit gewann. Alfred Dove sprach später von einer „heldenmüthigen Anstrengung des Neunzigjährigen“ bei der Abfassung seiner ‚Weltgeschichte‘ (p. V der Vorrede von WG VII). Den posthum herausgegebenen Band VII werde „niemand im Vaterlande ... ohne ehrfürchtige Rührung empfangen.“ (Ebd. p. VII). Ein anonymer Rezensent des ‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘ nahm den ersten, 1881 erschienenen Band mit „ehrfürchtiger Scheu“ entgegen (LCD/7. 5. 1881, 657). Auch Rankes Hörer Constantin Rößler suchte die Sicht des Unsterblich-Übermenschlichen an Ranke zu fördern. Er sah in der ‚Weltgeschichte‘ ein Werk, „wie es in solchem Alter noch kein Sterblicher unternommen“ (Rößler 1885/1902, 237). Verständlich und unumgänglich, daß die Heroisierung mit einer Nationalisierung einherging. Das ‚Berliner Tageblatt‘ würdigte Ranke am 24. Mai 1886 in einem über alle Spalten laufenden Artikel der Frontseite als „Führer deutschen Geisteslebens“, am selben Tag die Londoner ‚Times‘ als „praeceptor Germaniae“, das ‚Deutsche Adelsblatt‘ vom 30. Mai 1886 als „Bannerträger des deutschen Ruhms“, und in der preußischen Ministerialbürokratie wurde er in Parallelität zu dem gleichaltrigen kaiserlichen Nationalheros Wilhelm I. auf den Rang eines „geistigen Nationalheros Deutschlands“ erhoben (Min.-Dir. Greif, Dez. 1886, bei: Hoeft/1937, 30). Auch der in Barcelona erscheinenden ‚Revista de Ciencias Historicas‘ galt er als Teil des „trío envidiable que consistía de Guillermo, de Moltke y de Ranke“ - 341 -

I/2.1.9.0 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Weltgeschichte‘

(Fastenrath/1887, 20). Sein Name werde „durch die Jahrhunderte nur mit Ehrfurcht genannt werden“, prophezeite der Generalsekretär der Wiener ‚Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften‘, Heinrich Siegel (1830-1899), in seinem Nachruf (167). Diese in der nekrologischen Phase fortgesetzte Heroisierung Rankes hat zunächst stärker nachgewirkt auf die Anerkennung, die Ranke in den folgenden Jahrzehnten genoß, als die Auseinandersetzung der voraufgegangenen sechzig Jahre, hat diese zu großen Teilen überdeckt oder in Vergessenheit geraten lassen. Die Wirkung des letzten in der langen Reihe seiner Werke, wie überhaupt das Ansehen seiner historiographischen Lebensleistung, wird durch besondere biographische Anlässe dieser Zeit, denen sich zahlreiche Ehrungen von verschiedenster Seite anschlossen, verstärkt. Anläßlich des 50jährigen Jubiläums seiner Mitgliedschaft in der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin wurde Ranke am 13. Febr. 1882 zum ‚Wirklichen Geheimen Rat‘ mit dem Prädikat ‚Exzellenz‘ ernannt. Verständlicherweise begann man nun auch, ‚ungerade‘ Geburtstage als öffentliche Ereignisse zu gestalten. In diesem Jahr fand eine Feier seines 87. Geburtstages statt (s. II/7.2, 1882), unter Anwesenheit von Waitz, Wattenbach, Weizsäcker, E. Zeller, C. Rößler, H. Delbrück, K. H. v. Thile, K. Friedr. Meyer und dem preußischen Kronprinzen Friedrich Wilhelm. Es folgten wissenschaftliche Ehrungen: am 10. Nov. 1883 Erneuerung der Verleihung der Ehrendoktorwürde der Theologischen Fakultät der Universität Marburg aus Anlaß der Lutherfeier, 1884 Verleihung der theologischen Ehrendoktorwürde der Universität Edinburgh, in diesem Jahr auch Ernennung zum Ehrenmitglied der Universität Kiew aus Anlaß der Stiftungs-Jubelfeier. Sogar der 89. Geburtstag am 21. Dez. 1884 wurde, wie die ‚New York Times‘ am 12. Jan. 1885 berichtete, zu einem Ereignis „of national interest“, bei dem eine große Zahl von Professoren, darunter Mommsen und Sybel, Autoren und Theologen sowie erneut der preußische Kronprinz und die Söhne des Großherzogs von Baden zugegen waren. Selbst die zeitgenössische Wirkung der ‚Weltgeschichte‘ Rankes, wie überhaupt seiner letzten Werke, läßt sich nicht auf die Dauer seiner Lebenszeit begrenzen. Zum einen riß ihn der Tod aus seiner Arbeit heraus, die zum Teil erst in den folgenden Jahren bei seinen weiterlebenden Zeitgenossen zur Wirkung gelangte, zum anderen wurde eine Vielzahl von Werkteilen und vor allem persönlichen Lebenszeugnissen noch unmittelbar nach seinem Tod bekannt (s. II/2.1.1 u. II/3.1.4ff.) und von seinen weiterlebenden Zeitgenossen zur Kenntnis genommen. Auch und gerade die nekrologische Phase mit ihrer originär rückblickenden Funktion gehört ja mehr seinem Leben und zeitgenössischen Wirken als der Zukunft an. Insgesamt hat die Kritik dieser Jahre von etwa 1880 bis 1900 viel von ihrer früheren Polemik und gelegentlich auch von ihrer Grundsätzlichkeit verloren, was neben der Achtung vor dem ehrwürdigen Alter des Verfassers und seiner allgemein bewunderten Schaffenskraft auch einer gewissen ermüdenden Gewöhnung an die seit Jahrzehnten immer stärker strömende Flut seiner Veröffentlichungen geschuldet sein dürfte. - Auch hier sind in erster Linie die seinem Werk gewidmeten Besprechungen heranzuziehen. Die Zahl der für die ‚Weltgeschichte‘ nachgewiesenen Beiträge dieser Art liegt bei 150. Auf den ersten Blick eine ansehnliche Zahl, die sich jedoch stark relativiert, wenn man bedenkt, daß sie auf neun ‚Teile‘ bezogen ist. Was die Meinungsvielfalt anbelangt, so ist einschränkend zu berücksichtigen, daß mehrere Rezensenten mehrere Besprechungen, zum Teil in wechselnden Zeitschriften, verfaßten, indes auch einzelne Zeitschriften über die Jahre hin durchgängig Besprechungen des schließlich neunbändigen Gesamtwerks vornahmen. - 342 -

I/2.1.9.0 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Weltgeschichte‘

Obgleich viele Stimmen später Rankes ‚Weltgeschichte‘ als den gleichsam teleologischen Endpunkt seines Schaffens ansahen, war Ottokar Lorenz noch 1878 der Meinung: „Ranke entschloß sich doch niemals seine gerne betonten universalhistorischen Gesichtspunkte in dem Chaos einer sogenannten Weltgeschichte untergehen zu lassen. Ranke ist stets ein Staatshistoriker geblieben, und keinem Versuche könnte es je gelingen, ihn aus der Reihe der reinpolitischen Schriftsteller und Staatsgeschichtsschreiber herauszuziehen.“ (Lorenz/1878, 178f.). Diese distinkte Peinlichkeit bedurfte einer Richtigstellung, die der gewandelte Lorenz im Sterbejahr Rankes abgab: Ranke habe in seiner mittlerweile erschienen ‚Weltgeschichte‘ „die Arbeitsgebiete der Naturwissenschaft so gut wie die Probleme einer religiösen Auffassung strenge von der Aufgabe der Geschichte“ gesondert (Lorenz/1886, 220) und „mit unvergänglichen Grundzügen ein Ideal“ aufgestellt, „welches objektiv gilt“ (220f.). Lorenz erblickt es v. a. in der Auswahl einer zusammenhängenden Reihe „von solchen Ereignissen ... welche lediglich unseren europäischen, vor allem germanischen und romanischen Gesellschaftszustand erklären.“ (220) und in der angeblichen Ablehnung jeglicher Periodisierung (224). Ein früher Rezensent konnte dem „Nestor der deutschen Historik nicht dankbar genug dafür sein, daß er ... nunmehr sich auch an die ganze Nation, ja an die ganze gebildete Welt“ wandte (Br[aun]-W[iesbaden]/1880, 335). Doch zumindest letztere erreichte Ranke bei weitem nicht. Seine ‚Weltgeschichte‘ wurde im Ausland kaum zur Kenntnis genommen. Weltweit erschien nie eine vollständige Übersetzung des Werkes. Ein 1884 hoffnungsfroh in England begonnenes Unternehmen blieb nach dem ersten Band stecken, und so geschah es auch 1932 in Italien. Mehr ereignete sich nicht. - In Deutschland, genauer, in Preußen, war das Interesse zunächst groß, doch die Zahl der bedeutenden oder nur bekannten fachlich qualifizierten Rezensenten, die auch über eine entsprechende Bereitschaft verfügten, nicht eben groß. Das Werk wurde indes sogleich von zweien seiner Amanuensen, Georg Winter und Ignaz Jastrow, und einer vergleichsweise großen Zahl seiner Schüler oder nur Hörer überwiegend Schutz gewährend besprochen. Dazu zählten Alfred Dove, Ernst Dümmler, Herman Grimm, Wilhelm Herbst, Edmund Meyer, Theodor Hermann Pantenius, Richard Roepell, Constantin Rößler, Arnold Schaefer und Julian Schmidt. Kaum einer der Genannten verfügte allerdings über eine ausgewiesene, für die ersten Bände erforderliche althistorische oder allgemein altertumskundliche Qualifikation. Schon 1863 hatte Droysen in einem Brief an Karl Weinhold geklagt: „Die jungen Historiker aus den Schulen von Ranke Waitz Sybel Häusser sind ausschliesslich auf das Mittelalter gewandt und arbeiten sich allmählig weiter in die Geschichte der letzten Jahrhunderte hinein; die alte Geschichte ist mehr und mehr in desuetudinem gekommen.“ (Historiker-Briefe/1904, 185). Noch 1889 beklagte auch Ulrich von Wilamowitz-Moellendorf (1848-1931), Professor für klassische Philologie, diese wohl überwiegend auf Ranke zurückgeführte Situation. Er fragte sich, „was man in alter Geschichte von denen verlangen soll, die weder Latein noch Griechisch verstehen, d. h. den ‚Historikern‘. Sie wollen immer bloß die ‚Bücher‘ wissen, die sie lesen sollen … Sonst nährten sie sich von Ranke!“ (Mommsen u. Wilamowitz. Briefwechsel/1935, 374). Abgesehen von der Möglichkeit allgemeiner Betrachtungen stellten spezielle Teile der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘ bevorzugte Diskussionsthemen bereit. Im 1881 erschienenen ersten Teil, ‚Die älteste historische Völkergruppe und die Griechen‘, waren es die Kapitel über ‚Amon-Ra, Baal, Jehova und das alte Aegypten‘ sowie ‚Das - 343 -

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israelitische Zwölfstämmereich‘, welche allerdings bei Fachtheologen Anstoß erregten. Der zweite Teil, ‚Die römische Republik und ihre Weltherrschaft‘ (1882), lud weithin zu einem Vergleich mit Mommsens höchst erfolgreicher ‚Römischer Geschichte‘ ein (4 Bände, Leipzig, Berlin 1854-1856. Bd. V 1885; Bd. IV über die römische Kaiserzeit ist bekanntlich nie erschienen), was überwiegend zu dessen Lasten geschah. Der dritte Teil des Rankeschen Werkes, ‚Das altrömische Kaiserthum. Mit kritischen Erörterungen zur alten Geschichte (1883), welches sich in seinem fünften Kapitel mit dem heiklen Thema ‚Ursprung des Christenthums‘ (150-193) befaßte, war wieder besonders interessant für die klerikale Presse, wie überhaupt für Religionswissenschaftler und Theologen verschiedener Richtungen. Auf protestantischer Seite finden sich neben uneingeschränkter Zustimmung der mehr laienhaften Art bemerkenswerte und zum Teil scharf kritisierende Urteile der stark differenzierten Fachtheologie. Beider Kenntnis ging später weitgehend verloren. Auch hier ergibt sich kein auch nur annähernd einheitliches Urteil, wobei sowohl Fragen historisch-kritischer Bibelexegese, die Einstellung überhaupt ihr gegenüber und die Zugehörigkeit zu verschiedenen Konfessionsrichtungen die Urteile in mehr oder minder sichtbarer Weise beeinflußt haben. Ein plakativer Rationalismus-Vorwurf wird von protestantischer wie von katholischer Seite erhoben, andererseits Ranke aber auch vor rationalistischer Theologie in Schutz genommen (s. E. v. Manteuffel zur Kritik Holtzmanns, Dove/1898, 298f.). Katholische Stimmen zu seiner ‚Weltgeschichte‘ sind in den letzten Lebensjahren Rankes und unmittelbar nach seinem Tod nur wenige vernehmbar. Sie sind, abgesehen von einem besonders groben Urteil aus den Reihen der Societas Jesu, erheblich zurückhaltender als in den Zeiten der ‚Päpste‘ und der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘. - Auch Einzelthemen wurden diskutiert, zum Beispiel die sogenannte Völkerwanderung, die Schlachten von Tertry und von Vincy, die Hervorhebung Karl Martells, das Canossa-Problem und die Darstellung Gregors VII. Generell ist die Kritik teils allgemeinhistorisch, teils ästhetisch, teils theologisch ausgerichtet. Dabei ergeben sich zum Teil völlig gegensätzlich beantwortete Fragen nach der Möglichkeit von ‚Weltgeschichte‘ und der Berechtigung des begrenzten Rankeschen Begriffs, nach dem Überwiegen kulturhistorischer, politischer oder religionsgeschichtlicher Gesichtspunkte, nach der christlichen Ausrichtung des Werkes, verbunden mit Rankes Religiosität, schließlich nach ihrem ‚philosophischen‘ Charakter. Vergleiche nicht allein mit Mommsen, auch mit Schlosser, Buckle und Lecky, Ernest Renan, Gibbon und sogar mit Felix Dahn werden angestellt. Die Spezialforschung spielt eine äußerst geringe Rolle, obgleich zu deren Eingreifen vielfältiger Anlaß bestand. Rückblickend auf das Gesamtwerk glaubte Rankes Spätschüler Harry Bresslau, der sich als Monumentist wie wenige auch mit Detailfragen befaßte, feststellen zu müssen, daß Rankes ‚Weltgeschichte‘ „überhaupt in erster Linie nicht“ darauf beruhe, „daß sie Einzelbelehrung über historische Details“ gebe. Es sei „wohl allseitig empfunden worden, daß der Spezialforscher in Bezug auf solche Einzeluntersuchungen fast ebenso oft zum Widerspruch - und zwar gerade zum Widerspruch gegen das, was sich als neu gab - gereizt, als zur Zustimmung bewogen“ worden sei. Bresslaus Lob gilt neben den Charakterschilderungen vielmehr Rankes „genialem Blick für die großen Zusammenhänge, der überall neue Gesichtspunkte“ eröffne (Bresslau/1890, 288f.). Dabei wurden und werden mit Rankes Weltgeschichtsbegriff verbundene, über methodologische Fragen weit hinausgehende Probleme, wenn man will, Gefahren, noch völlig übersehen. Jedenfalls leistete sein Werk Vorschub zur hegemonialen, - 344 -

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rassistischen Überzeugung einiger Zeitgenossen, Weltgeschichte sei eine Geschichte der zivilisierten Völker gegenüber den auszuschließenden barbarischen, ja, eine Geschichte der weißen Rasse, und wo nicht deren Kultur dazu bestimmt sei, weltweit die herrschende zu werden, da sei es jedenfalls der „Beruf des deutschen Volkes, Träger der ‚Weltgeschichte‘ auf geistigem Gebiete zu sein...“ (s. I, 450). Werner von der Schulenburg mutmaßte in seiner Biographie des jungen Burckhardt, daß zu dessen „tiefgegründeter germanischer Abwehr gegen das Asiatische, insoweit es nicht ins Abendland kommt mit dem Willen, verarbeitet zu werden, sondern um Macht auszuüben“, ein „Rankescher Gedanke die Anregung gegeben“ habe (Schulenburg/1926, 137). Allgemein hat Rankes ‚Weltgeschichte‘ viel generelle Zustimmung und viel partielle Ablehnung erfahren, jedoch selten helle Begeisterung ausgelöst. Sein Amanuense Georg Winter, der zu den Begeisterten zählt, hat bereits 1881 eine Kreislauftheorie aufgestellt, derzufolge das Werk zunächst „unbedingte Anerkennung und Bewunderung“ gefunden habe, sodann „zu Bedenken in der Beurtheilung des Einzelnen“ gelangt sei, „um dann wieder in einer definitiven und unbedingten Anerkennung der Gesammtanlage und Gesammtauffassung des Werkes auszulaufen“ (Winter/1881, 1), eine gezielte Meinungsmache, bestrebt, die Kritik als zeitweilige Verirrung gänzlich zurückzustellen. Sie war allein wegen ihres Betrachtungszeitraums, - es war damals lediglich der erste Teil erschienen - nicht aufrechtzuerhalten. Ansehen und Wirkung des Werkes liegen jedenfalls weit hinter den ‚Päpsten‘ und der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ zurück. Als Krönung der Lebensarbeit Rankes kann es lediglich im zeitlichen und äußerlich thematischen Sinne betrachtet werden. A manu ensen, Schü ler und Hö rer als Kr itik er (I/2.1.9.1) Bereits am Tag des Erscheinens von Band I der ‚Weltgeschichte‘ mit dem Titel ‚Die älteste historische Völkergruppe und die Griechen‘, dem 15. Dezember 1880, lag, zeitlich und personell wohlabgestimmt, die erste Besprechung des Werkes vor. Rankes ehemaliger Amanuense Georg Winter hatte sie anhand der Aushängebogen gefertigt (Winter/1881, 1). Er und der gleichaltrige, kooperationsbereite Ignaz Jastrow waren in den ersten Jahren der Entstehung des universalhistorischen Unternehmens als Gehilfen Rankes tätig gewesen (s. I/1.3). Zunächst zu Georg Winter. Der damals noch in seinen Anfängen stehende, kaum promovierte und gelegentlich zu nationalem Pathos sich erhebende Historiker und spätere Archivar verfaßte, ohne einschlägige Publikationen vorgewiesen zu haben, - seine Dissertation von 1878 behandelte die ‚Geschichte des Rathes in Strassburg. Von den ersten Spuren bis zum Statut von 1263‘ - mehrere Besprechungen zu Rankes ‚Weltgeschichte‘. Sein Ranke-Bezug schlug sich in den folgenden Jahren nicht nur in einem guten Dutzend Artikel auf der breiten Basis der Berliner ‚National-Zeitung‘, der ‚Gegenwart‘ und von ‚Nord und Süd‘ zu verschiedenen Ranke-Anlässen nieder, sondern später teilweise auch in deutlichen Übernahmen Rankescher Thematik, so in der Behandlung der ‚Katastrophe Wallensteins‘ (1883), Friedrichs des Großen (1888) - im Jahre 1907 widmete er dem Andenken Rankes sein zweibändiges Werk über ‚Friedrich den Großen‘ (Bln., Bd. I, p. III u. V-IX) - oder der ‚Geschichte des Dreißigjährigen Krieges‘ (1893). Seine sich bald offenbarende außerordentlich starke, geradezu bekennerhaft auftretende Hinwendung zu Karl Lamprecht - 345 -

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(s. I, 431f.) ist auf diesem Hintergrund und bei Betrachtung der voraufgehenden Begeisterung des Rezensenten der ‚Weltgeschichte‘ allerdings schwer nachzuvollziehen: Ranke habe, so erklärt Winter am 15. Dezember 1880 in seiner genannten Besprechung von Band I, „dem deutschen Volke mit dem eben herausgegebenen ersten Theile einer Weltgeschichte ein Weihnachtsgeschenk bereitet, wie es schöner und des deutschen Namens würdiger kaum gedacht werden“ könne (Winter/1881, 1). Indem Ranke „mit unerreichter Objektivität kritischer Einzelforschung von den besonderen Gestaltungen“ ausgehe, erhebe „er sich doch in philosophischem Geiste zu einer Erkenntniß der idealen und realen Bedingungen alles Seins.“ Man dürfe sein Werk „recht eigentlich als eine Manifestation jenes deutschen Idealismus ansehen, dessen schönste Blüthen wir in den Werken unserer Dichter, in den philosophischen Gedanken eines Kant und Fichte bewundern und verehren.“ (Ebd.). Rankes universalhistorischer Konzeption könne, wie Winter sich zunächst zu begründen bemüht, dies dann jedoch in Frage stellt, Ihre Berechtigung nicht versagt werden (2). - In der Besprechung von Band II mit dem Titel ‚Die römische Republik und ihre Weltherrschaft‘, am 17. Dezember 1881, versucht Winter in unverkennbarer Apologie und Stimmungsmache, das Aufkommen negativer Urteile als bereits vorübergegangene Zwischenphase hinzustellen. Dabei weist er seinem Amanuensenkollegen Ignaz Jastrow mit dessen mittlerweile erschienenem Artikel ‚Die Weltgeschichte in ihren neuesten Darstellungen‘ in der ‚Deutschen Rundschau‘ vom Februar 1881 eine entscheidende Rolle zu. Jastrow, mit dem er später eine ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Hohenstaufen 1125 1273‘ (2 Bde, Stg.: J. G. Cotta 1897, 1901) herausgab, habe die Wende herbeigeführt zu einer immer „unbedingteren und allgemeineren“ Anerkennung des Werkes. Dies sei durch den Hinweis gelungen, Ranke habe in all seinen Arbeiten „niemals etwas in allen Einzelheiten definitiv Abschließendes ... geben wollen“, vielmehr liege seine „eminente Bedeutung für die Entwickelung der gesammten Historiographie“ darin, „daß jedes seiner Werke die Anregung zu einer Fülle neuer Forschungen gegeben habe ...“ (2). Letzteres ist unbestritten, doch stehen diese Feststellungen weder in einem direkten Zusammenhang mit Rankes ‚Weltgeschichte‘, noch treffen sie seine darstellerischen Intentionen, die ihren Sinn nicht in der Vermittlung fachlicher Anregungen sahen. Gleichviel, Winter suggeriert weiterhin, es habe nach Jastrows Besprechung „immer neue Gesichtspunkte für die völlige Würdigung des großartigen Werkes“ gegeben, „bis dann immer vielstimmiger und zuletzt einstimmig das Urtheil dahin sich präzisirte, daß man in diesem Werke das Vollendetste vor sich habe, was überhaupt bisher über den Zusammenhang der menschheitlichen Entwickelung gesagt und geschrieben worden sei.“ (Ebd.). - In dieser höchst einseitigen, bewundernden Art stellen sich auch Winters sonstige Würdigungen dar. Allerdings wagte er für Band III die tadelnde Bemerkung, daß Ranke bei aller verständlichen Selbstbeschränkung doch hinsichtlich der Durchsetzung des Christentums auf eine „eingehende Darlegung des gesammten Inhalts der christlichen Sittenlehre und der spontanen und überwältigenden Gewalt, welche dieser innewohnte“, nicht hätte verzichten sollen (Winter/1882, 3). - Die Besprechung des fünften Bandes schließt mit dem Ausdruck der Hoffnung auf eine Fortführung des Werkes, „deren Erfüllung dem deutschen Volke das Glück und den Ruhm bringen würde, ein monumentales Geschichtswerk zu besitzen, um welches es die Nationen der Welt beneiden würden“ (Winter/1884, ohne Pag.). Weitere noch zu betrachtende Ranke-Artikel folgten. Auch bei dem später sich als durchaus bedeutend erweisenden Ignaz Jastrow (18561937, s. Kauder, Emil: Jastrow, Ignaz. In: NDB 10/1974, 366 f.) wies zunächst wenig - 346 -

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auf eine besondere Eignung als Rezensent einer ‚Weltgeschichte‘ hin. Doch er war an diesem Thema über seine Befassung mit Ranke hinausgehend durchaus interessiert. In seinem von Georg Winter zitierten Beitrag zur ‚Deutschen Rundschau‘ vom Februar 1881 mit dem Titel ‚Die Weltgeschichte in ihren neuesten Darstellungen‘ hatte er neben Joh. v. Müller, K. v. Rotteck, K. F. Becker, F. A. H. v. Hellwald, G. Weber u. W. Oncken v. a. Buckle betrachtet, um sich abschließend der ‚Weltgeschichte‘ Rankes zuzuwenden: Ranke habe seit der ‚Deutschen Geschichte‘ „eigentlich niemals etwas Anderes als W e l t geschichte [i. T.] geschrieben“ (269). Dies nicht erst damals ein billiger und heute abgegriffener Topos der Ranke-Deutung, dessen Gegenteil zutrifft, wenn man bedenkt, daß ‚universalhistorische Methode‘ und ‚Weltgeschichte‘ zwei recht verschiedene Dinge sind. So konnte Jastrow auch in seinem 1885 erscheinenden Werk über die „Geschichte des deutschen Einheitstraumes und seiner Erfüllung. In den Grundlinien dargestellt‘ (Berlin) in gut Rankescher, übertriebener Manier über „Die karolingische Weltmonarchie“ schreiben. In seinem Beitrag von 1881 fährt er fort, Ranke halte es für seine „Gewissenspflicht“, seine früheren Werke nicht ohne die „nothwendige Ergänzung“ durch seine ‚Weltgeschichte‘ zu lassen (ebd.). Denn wie es eine „weltgeschichtliche Bewegung“ gebe, die in den vorgängigen Werken Rankes jeweils die Frage nach ihrem Beginn und ihrer Fortsetzung aufwerfe, so sei die ‚Weltgeschichte‘ dazu bestimmt, die Einheit dieser Bewegung zu erfassen: Nur für sich lebende Kulturen hätten „an jener Bewegung keinen Antheil“ (ebd.). Unter dieser Maxime steht beiläufig auch Jastrows 1932 erschienene ‚Weltgeschichte in einem Band‘ (Bln: Ullstein, VIII, 482 S.). - 1883 wandte sich Jastrow dem dritten Band der ‚Weltgeschichte‘ zu. Dort, in ‚Unsere Zeit. Deutsche Revue der Gegenwart‘, schien er jedoch mehr an einer eigenständigen Erörterung der Epoche als an einer Beurteilung Rankes interessiert. Der Stoff sei „seinem Autor congenial“, wohingegen Ranke in den ‚Päpsten‘ genötigt gewesen sei, „den Stoff so zu gruppiren, daß er geeignet wurde, die weltgeschichtliche Auffassung des Autors zum Ausdruck zu bringen“ (521). Die über diese Epoche gebildeten Ansichten vereinige Ranke in der Weise, daß Rom wohl als die „Zwingburg der Völker“ erscheine, aber „ihre Besatzung ... doch keineswegs aus Vollblutrömern“ bestehe (520). Deutlich erkenne man „den Plan des Autors, uns alle Vorbedingungen für die welthistorische Rolle der Germanen ... vor Augen zu führen“ (525). Das „historische Raisonnement“ sei „auf ein Minimum reducirt“ (523). Ein „Hauch der Milde“, und da wagt auch Jastrow ein wenig Kritik, scheine sich über die „an Grausamkeit so reiche Periode ... zu ergießen“, indem Ranke die Phasen des Kampfes zwischen Kaisertum und Christenheit „gewissermaßen als Symptome der wechselseitigen Machtverhältnisse“ erscheinen lasse (524). - Noch im selben Jahr begab sich Jastrow in Band 80 der ‚Vierteljahrschrift für Volkswirtschaft, Politik und Kulturgeschichte‘ anonym an eine erneute Betrachtung des Werkes, in die er Georg Webers ‚Allgemeine Weltgeschichte‘ einbezog, diese allerdings nur kurz würdigte und die Unterschiede zu Ranke nicht gründlich herausarbeitete. Webers „charakteristischer Vorzug“ liege darin, daß er „immer auf die Erzählung der politischen Ereignisse die Darstellung der Kulturentwicklung folgen“ lasse (-10-/1883, 107). Ranke hingegen sei der erste bedeutende Geschichtschreiber, der sich die Aufgabe gestellt habe, die „Verbindung von Kulturgeschichte und Weltgeschichte von den ältesten bis auf die neuesten Zeiten Schritt für Schritt durchzuführen.“ (108). Unter ‚Kulturgeschichte‘ wird hier „Weltkultur“ verstanden als „gemeinschaftlicher Kulturbesitz der civilisierten Völker“, welcher „gegenüber den barbarischen Nationen ein Gefühl der Zusammengehörigkeit“ verleihe (ebd.). Nicht für die Kultur eines jeden Volkes sei Platz in Rankes - 347 -

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‚Weltgeschichte‘, „sondern nur für diejenigen, die einen Beitrag zu der [i. T.] Gesittung geliefert“ hätten, die wir ‚unsere Kultur‘ nennen und die zweifellos dazu bestimmt ist, die herrschende Kultur auf dem ganzen Erdball zu werden...“ (110). Wenige Tage nach Erscheinen des ersten Bandes der ‚Weltgeschichte‘ lag auch in der Wochenschrift ‚Im neuen Reich‘ aus der Feder des Rankeschen Spätschülers - der auch in ferneren Jahren gelegentlich Umgang mit Ranke hatte (s. II/7.2, 1870 u. 1886) und Geschichtsprofessors in Breslau, Alfred Dove, eine einfühlsame Besprechung vor, welche, wie Ranke am 22. Dez. 1880 an seinen Verleger Carl Geibel (Geibel/1886, 135) schrieb, beweise, daß Dove seine „Intention vollkommen verstanden“ habe und ihr beipflichte. Dove besaß freilich keine eigentliche fachhistorische Qualifikation für den von Ranke behandelten Zeitraum. Er war 1866 mit einer Arbeit ‚De Sardinia insula contentioni inter pontifices romanos atque imperatores materiam praebente‘ promoviert, 1873 über ‚Die Doppelchronik von Reggio und die Quellen Salimbene’s‘ habilitiert worden und hatte sich ansonsten vorwiegend mit preußischer Geschichte befaßt. Überdies ist seine Persönlichkeit, wie angedeutet, geprägt vom In- und Gegeneinander literarischer und wissenschaftlicher, journalistischer und professoraler Neigungen und entsprechenden beruflichen Unbestimmtheiten, ein von ihm wohl nicht harmonisierter Gegensatz oder Zwiespalt, der sich auch in seinem Urteil über Ranke mehr oder minder leise ausspricht. Der „größte Geschichtschreiber deutscher Nation“ (Dove/1880, 929), so hatte Dove geschrieben, beleuchte hier „die Frühe des Alterthums mit der Weisheit höchster Jahre und doch zugleich mit der unverlorenen Naivetät eines in lebendiger Anschauung vergnügten Kindergemüths“ (930). Im Sinne Rankes wendet sich Dove sodann gegen die „luftigen Abstractionen der sogenannten Geschichtsphilosophie“ (932) und bewundert die „ungezwungene Bewegung der rein historischen, durch keinerlei fremde Doctrin oder irgendwelchen Schematismus getrübten Erzählung“ (934) und die „langgeübte Kunst der Composition des Allgemeinen aus dem Besonderen“ (ebd.). Mit einigen sagenhaften Momenten der Überlieferung ist ihm Ranke jedoch „noch etwas zu conservativ umgegangen“ (935). - Diese leise Kritik verstärkt sich nicht unerheblich bei Doves Besprechung von Band II, ebenfalls in ‚Im neuen Reich‘ (Dez. 1881) erschienen. In bezeichnender Ambivalenz wird einerseits weithin Anerkennung, andererseits jedoch metaphorisch gekleideter grundsätzlicher Tadel geäußert. Dabei richtet sich ein Vergleich Mommsen-Ranke gegen die Objektivität beider Darsteller: Wer von der Lektüre Mommsens zu der Rankes übergehe, werde „ungefähr den Eindruck davontragen, als sähe er dieselbe Landschaft nach einander in der seltsamen Pracht bengalischer Beleuchtung und im schlichten Gewande sommerlichen Mondscheines ... Blendung und Hustenreiz, die ihm das erste Schauspiel zurückgelassen, wird bald verschwinden, dafür jedoch mag sich bei Manchem die Empfindung einstellen, als sei er plötzlich in eine mattfarbige und, wenn nicht frostige, so doch laue Welt versetzt worden.“ (Dove/1881, 1002f.; 1898, 203). Die Besprechungen, welche Rankes bereits genannter Schüler oder nur Hörer (Berg/1968, 237) Arnold Schaefer (1819-1883), der Ranke auch durch einen Besuch näher getreten war (s. II, 498), noch kurz vor seinem Tod zur ‚Weltgeschichte‘ verfaßte, gehören nicht zu den bedeutenden Leistungen des Bonner Geschichtsordinarius, der sich neben preußischer Geschichte überwiegend mit Alter Geschichte befaßte. Seine Besprechungen finden sich in der ‚Revue historique‘ der Jahre 1881 bis 1883 und gelten den ersten drei Bänden des Werkes. Der ausführlichen kapitelweisen Nacherzählung von Band I läßt Schaefer einige allgemeine und allgemeinplätzige, völlig - 348 -

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unkritische Bemerkungen voraufgehen: „Cet ouvrage est un don important que le patriarche des historiens contemporains fait à la science historique ...“ (RH 15/447). Rankes historische Methode sei keine andere als die philologische. Schaefer betont, daß es - wie bei den früheren Werken Rankes - auch für die ‚Weltgeschichte‘ bezeichnend sei, wie der Verfasser schnell über Bekanntes hinweggehend von allgemeinen Gesichtspunkten aus die Tatsachen gruppiere, besonders aber die beherrschenden Charaktere und ihre Triebkräfte zeichne. Dies verleihe seiner oft skizzenhaften Darstellung Originalität (447f.). Insgesamt sei dieser 1. Teil „une partie d’une véritable histoire universelle“ (457). - Dazu findet sich ein Dankesbrief Rankes an Schaefer vom 16. 2. 1882 (bei Asbach/1895, 66 u. NBrr 699). Der von Seiten der Kritik nicht Verwöhnte war gern bereit, in Schaefers Eloge, die ihm „unendlich angenehm“ gewesen sei (Asbach/1895 ebd.), einen „vortrefflichen Artikel“ zu sehen (R an seinen Verleger C. Geibel, 30. 3. 1881, Geibel/1886, 138). Schaefers Folgeartikel ergehen sich in kapitelweisen Nacherzählungen mit wenigen, blassen allgemeinen Bemerkungen, welche bemüht sind, den universalen Charakter der ‚Weltgeschichte‘ zu betonen: „le tableau d’une histoire vraiment universelle“ (RH 19/1882, 183) und: „les idées dominantes de l’histoire y sont exposées avec beaucoup de vie, de clarté ... “ (RH 23/1883, 420) „ ...vraiment une vue d’ensemble de l’histoire générale“ (421). Auch Hinweise auf Druckfehler und andere kleine Versehen vermögen nicht über den ganz erstaunlichen Mangel an allgemeinen Gesichtspunkten, überhaupt an eigener Meinung des Rezensenten hinwegzutäuschen. Auch die 1881 und 1882 in die ‚Deutsche Litteraturzeitung‘ eingelieferten Besprechungen der ersten beiden Bände der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘ stellen keine Kabinettstücke dar. Sie stammen aus der Feder des Breslauer Ordinarius Richard Roepell (1808-1893), der zu den frühesten Hörern Rankes zählt (Berg/1968, 236). Seine vorwiegend dem 18. und frühen 19. Jahrhundert gewidmeten Veröffentlichungen deuten denn auch nicht auf eine spezifische Eignung zu einer Besprechung des dargestellten Zeitraums hin. Roepells kritische Bemerkungen, die sein Referat einleiten und abschließen, vermissen „vor allem eine schärfere Sonderung der äusseren und inneren Entwickelung der verschiedenen hier vorgeführten welthistorischen Nationen“ (Dt. LittZtg/1881, 850). Zu der auch von Pöhlmann 1883 aufgeworfenen Frage nach dem, was eine jede Nation als „dauerndes Erbteil“ der Nachwelt hinterlasse, fehle es bei Ranke nicht an „gelegentlich eingestreuten Andeutungen und Hinweisen“, aber er habe es „dem Leser selbst überlassen, sich aus diesen ein Gesammtbild zu construieren“ (850f.). Immerhin führt das Überwiegen der „Tugenden“ des Werks den Rezensenten zu dem Urteil, diese Weltgeschichte übertreffe „alle bisherigen weit“ (851). Das sehr kurze Referat Roepells zu Band II des Rankeschen „monumentum aere perennius“ (Dt. LittZtg./1882) ist nicht der Rede wert. Wie Alfred Dove, so stand auch Ernst Dümmler in besonderen Beziehungen zu Ranke. Er war um 1850 der „Liebling Rankes“ in dessen Seminar gewesen (Frenzel/ 1912, 47), hatte für die ‚Jahrbücher der deutschen Geschichte‘ zunächst in zwei Bänden die Geschichte des Ostfränkischen Reiches dargestellt (1862, 1865) und vollendete 1876 das von Rudolf Köpke 1838 begonnene Werk über die Herrschaft Ottos I. in den von Ranke auf den Weg gebrachten ‚Jahrbüchern des Deutschen Reichs‘. Der fachliche und persönliche Kontakt zu Ranke riß schon durch die Mitgliedschaft beider in der ‚Historischen Kommission‘ nicht ab, doch es kam auch mehrfach zu privaten Treffen, so in den Jahren 1867, 1872, 1873 und noch wenige Wochen vor Rankes Tod - 349 -

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zu einem Gespräch über den unvollendeten siebten Band der Weltgeschichte (s. II/7.2, 1886). So mangelte es dem Hallenser mediävistischen Ordinarius, wie nur wenigen, nicht an der nötigen Sachkenntnis zu einer fachlich zielgerichteten. mit E. Dr. signierten Besprechung, die ihm aufgrund eines späteren Kondolenzbriefes (bei BäckerRanke/Kondolenzbriefe/1967, 35) mit Sicherheit zuzuschreiben ist. Dieser Artikel in der ‚Historischen Zeitschrift‘ des Jahres 1886 galt dementsprechend dem sechsten und letzten noch eigenhändigen Band der ‚Weltgeschichte‘, betitelt ‚Zersetzung des karolingischen, Begründung des deutschen Reiches‘. Dümmlers Einstellung dem „großartig angelegten Werk“ gegenüber, welches aufgrund des Rankeschen „Seherblickes“ des „Neuen und Unbekannten genug“ darbiete (57), ist bei allgemeiner Hochschätzung kritisch. In der „sehr wohl erwogenen Auswahl der Thatsachen“ (51), den „neuen und geistvollen Auffassungen“, die Ranke biete, (53) kann Dümmler doch nicht allem beistimmen, muß vielmehr Mängel in der Berücksichtigung von Quellen und Forschungsliteratur beanstanden (s. I, 64). Rankes Hörer Constantin Rößler, der seinem Lehrer bereits Besprechungen der ‚Abhandlungen und Versuche‘ (1873, s. I, 316) sowie der ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘ (1874, s. I, 323) gewidmet hatte, verfaßte auch zu Rankes ‚Weltgeschichte‘ zwei zusammenfassende, wo nicht originelle, da wenigstens eigenwillige und jedenfalls ungewöhnliche Besprechungen der Teile I bis V und der Teile V [!] bis VII. Vor und nach dem Erscheinen von Teil III (1883) hatte er mit Ranke Gespräche über „das Wesen der Lehre Christi“ und die historische Kritik führen können, nach dem 7. 12. 1885 auch über das Problem der Periodisierung (s. II/7.2). In seiner 1885 als Beilage der ‚Allgemeinen Zeitung‘ erschienenen Besprechung der Anfangsbände greift der ehemalige a. o. Professor der Philosophie (s. Urbach, Katharina: Rößler, Karl Constantin. In: NDB 21/2003, 750, wo Ranke-Bezüge gänzlich fehlen) den früheren, bei der ‚Preußischen Geschichte‘ ansatzweise unternommenen Versuch einer philosophischen Deutung der Rankeschen Geschichtsdarstellung wieder auf. Dabei verliert er sich jedoch - kreisend um den Begriff des Pragmatismus und damit verbundene „Begriffsreihen“ - vorübergehend in allgemeinen Erörterungen, die zunächst in keinem direkten Zusammenhang mit Rankes Werk stehen. Rößler beginnt - überhaupt ohne auf den Inhalt der zu besprechenden Bände einzugehen - mit einer Gegenüberstellung der ihm naheliegenden Hegelschen Philosophie der Geschichte mit der WeltgeschichtsKonzeption Rankes. Dieser fasse die Weltgeschichte als pragma: „Nicht als eine Reihe vergänglicher, sich verdrängender Zweckbestrebungen, sondern als zusammenhängende Zweckarbeit.“ (Rößler 1885/1902, 239). Sie sei ihm „Abwandlung der menschlichen Gesamtzwecke bei zunehmender innerer Lebendigkeit in immer weiteren Kreisen der Völkergemeinschaft. So wenig wie Kausalität, giebt es in der Weltgeschichte Gesetze“ (242). Diese außerordentlich zukunftsträchtige, hochdiskussive Thematik war in der speziellen Rößlerschen Festlegung wohl auch seinem anfänglichen Theologie-Studium zu verdanken. Daher auffallend und inkonsequent die mangelnde Auseinandersetzung mit der Immanenz/Transzendenz-Thematik. Rankes Werk stelle „der Kausalitätsphilosophie gegenüber einen Protest“ dar, „wie er eindringlicher nicht gegeben werden“ könne (242). - Die „Behutsamkeit des Ausdrucks, die Ranke oft zum Vorwurf gemacht“ worden sei, werde erzeugt durch die „sorgfältige Bewahrung der Grenze des wirklich Erforschten“, hänge jedoch auch mit einer stilistischen Fähigkeit zusammen, die nur er von Goethe geerbt habe, durch die Prägnanz seines Ausdrucks „Dreiviertel“ des vermittelten Eindrucks zwischen die Zeilen zu stellen (246). Er habe ein Werk - 350 -

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hervorgebracht, „wie es noch keine Litteratur geschaffen hat und das unter allen Litteraturen bestehen wird, wie sehr sich auch der Einblick in die Einzelheiten des geschichtlichen Lebens bereichern möge.“ (249). - Ranke bekundete in einem der äußerst seltenen Briefe an Rezensenten Rößler gegenüber seine Dankbarkeit („dankbarer, als Sie vielleicht glauben“, 7. 12. 85. NBrr 729). - Hier sollte daran erinnert werden, daß Rößler Herausgeber der ‚Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde‘ war (dies blieb in einem einseitig auf Bismarck bezogenen NDB-Artikel unerwähnt), an der auch Ranke titularisch mitwirkte. Undenkbar, daß er ein deutliches kritisches Wort hätte fallen lassen können. - Die Besprechung der Bände V-VII in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ von 1887 setzte die dortigen Besprechungen der ersten vier Bände aus der Feder des mittlerweile verstorbenen Julian Schmidt fort. Rößler geht dabei nun näher auf den Inhalt ein, jedoch mehr in paraphrasierender Form, verbunden mit allgemeinen Ausführungen. Für die Zeit der Zersetzung des karolingischen und die Begründung des deutschen Reiches sei jetzt „nichts mehr unverständlich“ (331). Ein forschungsgeschichtlich fundiertes Erörtern von Einzelfragen findet indes auch hier nicht statt. Doch stets wird Ranke als dem „berufensten aller Erforscher der menschlichen Begebenheiten“ (Rößler 1887/1902, 344) hohe Anerkennung gezollt und mögliche oder tatsächliche Kritik abgewiesen. Auch für die unterschiedliche Darstellung der „Katastrophe des nationalen Kaiserthums“ im 11. Jahrhundert in der ‚Weltgeschichte‘ und in der Einleitung der ‚Deutschen Geschichte‘ hat Rößler eine entschuldigende Erklärung (346f.). - (Zu Rößlers Nachruf auf Ranke in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ vom Juli 1886 s. I, 377). Der bereits anläßlich mehrerer Artikel betrachtete anhängliche Schüler Rankes, der promovierte Schulmann Wilhelm Herbst, verfaßte noch in seinen beiden letzten Lebensjahren Besprechungen der ‚Weltgeschichte‘. Neben anderen Veröffentlichungen hatte er bereits 1852 ein Werk über ‚Das classische Alterthum in der Gegenwart. Eine geschichtliche Betrachtung‘ (Lpz.: B. G. Teubner) veröffentlicht, das seine Nähe zur Thematik zeigt. Die Besprechungen der ersten beiden Bände, die er 1881 und 1882 für das von ihm mitherausgegebene ‚Deutsche Litteraturblatt‘ schrieb, sind frei von Devotion und gelegentlich kritisch. Ranke sei dieses Werk, wie A. v. Humboldts ‚Kosmos‘, „nicht bloß ein wissenschaftliches, sondern zugleich ein ethisches Bedürfnis“, ein „Vermächtnis an die Nation, an die Wissenschaft“ (Dt. Litteraturbl. 1881, 139). Sein Verfahren, in Forschung und Darstellung auswählend vorzugehen, sei „nicht ganz ohne Willkür“ (140). Als „empfindlichen Mangel“ wertet Herbst in Band I die geringe Berücksichtigung der hellenischen Kunst. Überall seien Anregungen, scharfe oder überraschende Durchblicke, charakteristische Streiflichter, aber doch keine den Kenner und Forscher auf diesen Gebieten überall befriedigenden Resultate zu finden (ebd.). Allerdings übersieht Herbst nicht, daß Ranke die alte Geschichte nur als das „Glied der großen universalhistorischen Kette“ behandelt (139). - In der auf wenige allgemeine Andeutungen beschränkten Besprechung von Band II vergleicht Herbst die Darstellung Rankes („mit wenigen Ausnahmen eine gereifte Objektivität“) mit der Mommsenschen („inmitten des ungleich reicheren Materials, das Eindringen so vieler subjektiver und auch unhaltbarer Momente“, Dt. Litteraturbl. 1882, 5), besonders hinsichtlich der Charakteristik Ciceros, die „mit einem unverkennbaren Seitenblick auf Mommsens Zerrbild“ geschrieben sei. Dem Niebuhrschen Vorbild widerstehe Ranke in dreifacher Hinsicht: Er verzichte darauf, „historische Parallelen und Analogieen zur Illustration der römischen Geschichte heranzuziehen“, verstehe es, die „synchronistische Nachbar- 351 -

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schaft römischer Geschichtsvorgänge mit denen der allgemeinen Geschichte auch hier in einen inneren Zusammenhang zu verwandeln“ und verwerfe die „Niebuhrsche Annahme einer alten Dichtung als litterarische Urquelle“, lege den „Unterschied von Tradition und Gedicht dar.“ (Ebd.). Zu Rankes Hörern gehörte auch Edmund Meyer (1840-?, Berg/1868, 233). Er hatte 1863 in Berlin seine Dissertation ‚De Aristophanearum fabularum commissionibus‘ vorgelegt und wird durch einen Beitrag ‚Über die Passio Sanctorum Quatuor Coronatorum‘ zum Schulprogramm des Königlichen Luisen-Gymnasiums Berlin vom Jahre 1886 (Bln.: Pormetter) als Professor der für die Frauenbildung bedeutenden Einrichtung ein wenig greifbarer. Er veröffentlichte 1893 noch ‚Untersuchungen über die Schlacht im Teutoburger Walde‘ (Bln.: R. Gaertner). 1882 schrieb er für die ‚Jahresberichte der Geschichtswissenschaft‘ eine Sammelbesprechung ‚Römische Geschichte bis zum Untergange der Republik‘, die er mit E. Meyer unterzeichnete, was nicht Anlaß geben sollte, ihn für Eduard Meyer zu halten. Hierin behandelte er auch den entsprechenden Band II der ‚Weltgeschichte‘ Rankes und gelangte zu der Auffassung, daß dieser „im Zusammenhange mit der allgemeinen Entwickelung der Menschheit ... die römische Geschichte wesentlich anders, und man kann wohl sagen, in vielen Punkten edler und höher“ auffasse als Mommsen (S. I, 193). Ranke habe sich nicht darauf eingelassen, „die ältere römische Geschichte ‚historisch‘ darstellen zu wollen“, so sei dies „noch weniger hinsichtlich der Entstehungsgeschichte des Christentums der Fall“ (S. I, 194). Der Rezensent erlaubt sich die kritische Bemerkung: Die „bloße Wiedergabe“ der ‚Tradition‘ in der älteren Geschichte lasse deren Bedeutung „für das Ganze der römischen Geschichte als einer Weltgeschichte ... doch eigentlich nicht“ hervortreten. (S. I, 193). Auch von einigen aus seinem Hörsaal abschweifend hervorgegangenen Literaten wurde Ranke, wie schon des öfteren zu seinen Lebzeiten, anläßlich seiner ‚Weltgeschichte‘ noch einmal betrachtet. In den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ von 1881 wertete, gehoben feuilletonistisch, Julian Schmidt die ‚Weltgeschichte‘, seiner eigenen Natur entsprechend, vor allem in künstlerischer Hinsicht. Ranke stehe deshalb „so einzig in unserer Litteratur, da die drei Gaben, welche den Geschichtschreiber machen, des Forschers, des Lehrers und des Künstlers, sich in einem Maße bei ihm vereinigen, von dem wir kaum ein anderes Beispiel haben.“ (Schmidt/PrJbb. 47, 1881, 607). Ranke gehe nicht von der Absicht aus, „im Sinn Herders eine allgemeine Welt- und Völkergeschichte zu schreiben“, sondern er entwerfe den „Plan zu seiner Geschichte vorwiegend nach Kantischer Methode: weniger ... aus philosophischen als aus künstlerischen Gründen“ (Schmidt/1881, 612). - Seiner Besprechung von Band II stellt Schmidt die von der zeitgenössischen Kritik vielfach überhörte Mahnung voran, man solle den vorliegenden Band „nicht als eine römische Geschichte auffassen, sondern als den zweiten Theil einer allgemeinen Weltgeschichte“ (Schmidt/PrJbb. 49, 1882, 81). Gleichwohl darf Schmidt sich im einzelnen zu einem Vergleich Rankes mit Mommsen berechtigt halten und hinsichtlich der Charakteristiken Ciceros, Marius’ und Pompejus’ Unterschiede verzeichnen. - Bei Band III fand sich nur Zeit zu einer kurzen allgemeinen Reverenzbesprechung: Im Vergleich mit den beiden ersten Bänden scheine dieser „den Preis zu verdienen“, „hauptsächlich als Kunstwerk“ (Schmidt/PrJbb. 50, 1882, 632). Dem entspricht auch Schmidts bei Band IV getroffene Feststellung, Ranke sei jetzt „unbestritten unter die deutschen Classiker aufgenommen, die jeder Gebildete besitzen muß“ (Schmidt/PrJbb. 53, 1884, 193). Bemerkenswert ist sein Eindruck, in - 352 -

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Rankes Geschichtsanschauung begegne eine „doppelte Spiegelung der Weltbegebenheiten“ (194), d. h., die Vergegenwärtigung des Kleinsten und des Allgemeinsten und der doppelte Gesichtspunkt des „Glaubens an die göttliche Weltregierung im Großen“, verbunden mit der „Scheu des geschulten Historikers, das Walten derselben im Einzelnen errathen zu wollen“ (ebd.). - Der Romancier Theodor Hermann Pantenius (1843-1915), der, wie er in ‚Aus meinen Jugendjahren‘ (Lpz. 1907, 182) schildert, 1862 bei Ranke gehört hatte - eine ADB/NDB-Aufnahme ergab sich nicht - , verfaßte in den Jahren 1881 bis 1886 einige Artikel zum Thema ‚Ranke‘. Eine fachliche oder thematische Beziehung zu dessen Werk ließ sich im übrigen freilich nicht nachweisen. In seiner Besprechung des ersten Bandes, die er 1881 im ‚Deutschen Familienblatt mit Illustrationen‘, betitelt ‚Daheim‘, vorlegte, hat er an dem Werk des „allen Deutschen teuren greisen Gelehrten“, dessen Urteil „natürlich vom höchsten Wert“ sei, doch einige Ausstellungen zu machen: Ranke gebe im wesentlichen eine politische Geschichte, aber er treffe die Auswahl nach philosophischen Gesichtspunkten, woraus sich Ungleichmäßigkeiten in der Behandlung ergäben. Es sei keineswegs leicht, Rankes Erwägungen zu erkennen, besonders, an welche Leser er eigentlich gedacht habe. Ranke hätte gut daran getan - wie er auch tatsächlich Ähnliches erwogen hatte „seinem Werke einen anderen Titel zu geben, der annähernd durch ‚Ideen zu einer Weltgeschichte‘ ausgedrückt werden könnte“ (495). - In einer späteren Besprechung jedoch urteilt Pantenius, die neueren Bände, zumal der gerade erschienene Band V, seien von „bewunderungswürdiger Einfachheit und Klarheit“, letzterer gar „in Komposition wie Ausführung wundervoll“ (R.s Weltgeschichte/1885, 278f.), hingegen habe man bei den ersten Bänden „nicht immer verstehen“ können, „nach welchen Gesichtspunkten Ranke über das Eine hinglitt, während er bei dem Andern überraschend ausführlich verweilte“ (278). - Auch der bereits mehrfach betrachtete phantasiebegabte Herman Grimm ließ bei einem vergleichenden Essay über ‚Ernst Curtius, Heinrich von Treitschke, Leopold von Ranke‘ von 1896 noch einige Worte über die ‚Weltgeschichte‘ fallen. Seine unsystematische Betrachtung - überhaupt ist der Vergleich der drei Historiker nicht immer ergiebig: „auch Ranke sprach mit diesem Lächeln“ (Herman Grimm/(1896) 1948, 242) - sucht durch gelegentlich anregende, stark pointierte Äußerungen zu glänzen, z. T. nicht ganz widerspruchsfrei: Rankes Epoche sei bei seinem Tod „abgetan, als er starb“ (239). Andererseits: „Der Einfluß seiner Weltgeschichte wird noch lange dauern.“ (240). Bemerkenswert ist die Feststellung, Ranke habe „Christus in die Geschichte der Menschheit nur mit gewissen Vorbehalten“ eingefügt (237). Ob sie auf dem mit Ranke gepflogenen persönlichen Umgang beruht, sei dahingestellt. Gern werden von Grimm metaphorische Wendungen eingeflochten: „Wer heute mit Ranke segelt, quartiert sich auf einem Geisterschiffe ein, das sicher durch die Stürme treibt, niemals aber in einen Hafen einläuft.“ (241). Und anderes mehr. S o n s t i g e f a c h h i s t o r i s c h g e p r ä g t e S t i m m e n (I/2.1.9.2) Schon zwei Monate nach Erscheinen von Band I hielt der mehrfach betrachtete Wiener Historiker Adalbert Horawitz im ‚Wissenschaftlichen Club‘ zu Wien einen Vortrag ‚Über Leopold von Ranke als Universalhistoriker‘. Auch hier wieder der Topos, Rankes ‚Weltgeschichte‘ setze beim Leser viel voraus; sie sei geschrieben für die „höchstgebildete Welt“. Es sei keine Philosophie der Geschichte, das politische Interesse überwiege. Ranke bringe nicht „- wie man glaubt - antiquirte Anschauungen vor, son- 353 -

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dern zeige „eine erstaunliche Kennnis der neuesten Forschungen“ (z. B. Joachim Ménants Untersuchungen über die Akkadier, s. WG IX, Reg.). (Horawitz/1881). Ähnliche Ansichten vertraten anonyme Besprechungen der ‚Grenzboten‘ in den Jahren 1881 und 1882. Sie versuchten, Rankes universalhistorisches Konzept zu referieren und gelangten zu dem Ergebnis, daß es zumindest für die alte Geschichte durchführbar sei. Doch als Gesamturteil hielten sie fest: „Der Hauptfehler des Buches liegt nach unserm Dafürhalten darin, daß es die Geschichte nicht vielseitig genug behandelt“, dies meint das Fehlen bzw. die nur ganz beiläufige Behandlung von Kunst und Wissenschaft, „daß es die Ereignisse selbst weniger erzählt als kritisiert, daß es endlich die Bedürfnisse seiner Leser nicht genügend berücksichtigt.“ Es sei unklar, ob Ranke für ein allgemein gebildetes Publikum oder für die Fachwelt geschrieben habe ([Anonym]: Leopold von Rankes Weltgeschichte/1881, 48). - Die Besprechung von Band II wiederholt die Kritik zu Band I, ist insgesamt jedoch anerkennender (u. a. ein für Ranke vorteilhafter Vergleich mit Mommsen), mit dem abschließenden Urteil: „Rankes Weltgeschichte ist nicht die Weltgeschichte, auf die wir gehofft haben, und die auch jetzt noch ein Bedürfnis bleibt, aber sie ist ein schönes und wertvolles Buch ...“ ([Anonym]: L. v. R.s Römische Geschichte/1882, 229). Von mäßiger Bedeutung sind auch die Besprechungen eines der eifrigsten und unkritischsten Rezensenten Rankes. Der Königsberger Geschichtsordinarius Hans Prutz verfaßte in den Jahren 1875 bis 1889 in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ an die fünfzehn Artikel dieser Art, worunter sich auch seine kurzen Besprechungen der zu Lebzeiten Rankes erschienenen sechs Bände der ‚Weltgeschichte‘ finden. Wo Arnold Schaefer in Rankes versagter Vollständigkeit abwegig ein Zeichen von Originalität zu entdecken glaubte, erkennt Prutz in dem Vermeiden des „Altbekannten und Landläufigen“ nicht minder abwegig einen „im besten Sinne des Wortes aristokratischen Zug“ (BLU/1884, 134f.). Erstaunlich ist auch Prutz’ Feststellung, Ranke lege „alles Gewicht auf den culturhistorischen Charakter der Weltgeschichte“ und suche die „vornehmste Aufgabe derselben in der Darstellung des Ganges, welchen die Cultur der Menschheit in ihrer Entwickelung genommen“ habe (BLU/1881, 296). Letzteres entspricht Absichtsbekundungen Rankes, ist jedoch nicht durchgeführt. Demgegenüber glaubte Robert Pöhlmann in einer noch zu behandelnden Besprechung von 1884 bei Ranke von einem „einseitigen politischen Pragmatismus“ reden zu müssen (HZ 52/1884, 496). Das Neue und Bedeutende in der Rankeschen Behandlung des Zeitraums von Band V (‚Die arabische Weltherrschaft und das Reich Karls des Großen‘) sieht Prutz hauptsächlich in der „Auffindung und lichten Hervorhebung“ der Berührungspunkte, in denen die scheinbar getrennten arabischen und fränkischen Entwicklungsprozesse als „innerlich zusammengehörige Momente eines einzigen großen einheitlichen Werdeganges“ erschienen (BLU/1885, 397). Dabei erzähle Ranke „nicht die Thatsachen, sondern er betrachtet sie in Bezug auf ihren inneren Zusammenhang und auf den welthistorischen Fortschritt, der sich in ihnen documentirt“ (297). Problematisch ist auch Prutz’ überzogene Bemerkung, in Rankes Darstellung offenbare sich eine „ungeahnte Gesetzmäßigkeit und Ordnung, eine Zweckmäßigkeit und Zielrichtigkeit“ des „chaotisch erscheinenden Stoffs“ (BLU/1883, 249), überhaupt seien noch von niemandem „so klar und durchsichtig, so scharf und sicher ... die wahrhaft welthistorischen Züge der römischen Geschichte ... aufgestellt worden“ (BLU/1882, 365). Einige wenige Forschungsdetails werden immerhin angesprochen: So sei die Darstellung Tiberius’ und Neros aus „scharfer Kritik“ an der Überlieferung gewonnen - 354 -

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(BLU/1883, 250), und die vom Gewohnten abweichende Charakteristik des Julian (Apostata) gehöre zum „Fesselndsten und tiefst Gedachten“ von Band IV (BLU/1884, 136). In Band VI, wo Ranke, mehr als bei den voraufgehenden Bänden, den gegenwärtigen Forschungsstand in sorgsamer Nachprüfung zur Anschauung bringe, ist es die abweichende Beurteilung Ludwigs d. Fr., welche besonders auffalle (BLU/1886, 668). (Zu dem von Prutz verfaßten nekrologischen Essay in der ‚Deutschen Revue der Gegenwart‘ von August 1886 s. I, 378). Zu den wenigen fachlich annähernd qualifizierten Beurteilern der ‚Weltgeschichte’ in ihrem antiken Teil gehörte Robert Pöhlmann (1852-1914). Er hatte 1879 ‚Hellenische Anschauungen über den Zusammenhang zwischen Natur und Geschichte‘ (Lpz.: Hirzel) und 1881 eine kleinere Schrift über ‚Die Anfänge Roms‘ (Erlangen: Deichert) veröffentlicht. 1883 erhielt er Gelegenheit, in den Aufsatzteil der ‚Historischen Zeitschrift‘ eine der ausführlichsten und kritischsten Besprechungen der ‚Weltgeschichte‘ Rankes, zunächst der ersten drei Bände, einzubringen. Im Folgejahr, in dem auch sein Werk, betitelt ‚Die Übervölkerung der antiken Großstädte im Zusammenhange mit der Gesammtentwicklung städtischer Civilisation‘ (Lpz.: Hirzel), erschien, wurde ihm in Erlangen eine a. o. Professur für Alte Geschichte zuteil. In seiner Besprechung von 1883 nun ist er bemüht, die von Ranke im Sinne einer besonderen universalhistorischen Methode vorgenommenen raumzeitlichen Einschränkungen der Weltgeschichte - z. B. den Ausschluß der chinesischen oder indischen Geschichte - zu rechtfertigen, eine Methode, welche sich vor allem dem „inneren Zusammenhang der Gesammtentwicklung der Kulturnationen“ (HZ 51/1883, 37) widmet und überdies die Forderung aufstellt, „nur kritisch erforschte Geschichte zu geben“ (ebd.). Daß Ranke diese Vorbedingungen sehr genau auf seine Alterssituation zugeschnitten hatte, wird nicht erörtert, desgleichen das Problem eines teilweise stark veralteten Literaturstandes nur mit großer Nachsicht behandelt. Pöhlmann vermag auch mit Ranke - fundamental irrig - „den großen Prozeß der völligen Verschmelzung der Mittelmeervölker zu einer homogenen Gesammtheit ...“ zu erblicken. (38). Von besonderem Interesse ist für den Rezensenten „Ranke’s vollendete Meisterschaft in der vielgeübten Kunst..., die von einer einzelnen Persönlichkeit oder Epoche ausgegangenen universalhistorischen Einwirkungen zu einem einheitlichen Gesamtbilde zu konzentriren.“ (39). Dazu zählt Pöhlmann vor allem die Darstellungen von Alexander d. Gr., Pyrrhus, Hannibal, Antonius. Bemerkenswert erscheint ihm auch „die Art, wie Ranke zwischen räumlich weit getrennten, wenn auch zeitlich nahe zusammenfallenden Ereignissen einen gewissen ideellen Zusammenhang aufzuzeigen weiß.“ (43). Die bereits von Niebuhr geforderte und geübte Kunst der historischen Analogie werde auch von Ranke „in der Parallele sich wechselseitig beleuchtender Gegenüberstellung verwandter und gegensätzlicher Erscheinungen des Völkerlebens mit einer sichtlichen Vorliebe und zugleich mit jenem sicheren Takt geübt, wie ihn nur eine seltene Beherrschung des Stoffes zu verleihen vermag.“ (45). Wilhelm Herbst hatte indessen Gegenteiliges vermerkt (s. I,. 351f.). - Der häufig geübte Vergleich Ranke - Mommsen fällt, wie so oft, deutlich zuungunsten des letzteren aus, bei dem sich in beträchtlichem Umfang „subjektive Auffassung ... geltend mache“, eine ungleiche Verteilung von Licht und Schatten sowie ein schroffes Urteil (49). Dem gegenüber stehe Rankes „leidenschaftslose, die Motive menschlicher Handlungsweise möglichst allseitig abwägende Prüfung der Dinge“ (ebd.). Die massive Hauptkritik Pöhlmanns spricht sich in folgendem Satz aus: „Allein ganz abgesehen davon, daß doch eigentlich nirgends eine zusammenhängende und - 355 -

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allseitige Würdigung und Darstellung der Summe dessen gegeben wird, was jede einzelne Nation zu dem gemeinschaftlichen Besitzthum der Menschheit beigetragen und als dauerndes Erbtheil hinterlassen hat, so ist doch auch insofern eine empfindliche Lücke nicht zu verkennen, als diejenigen Faktoren, welche die gesellschaftliche und materielle Entwickelung bestimmten, sicher zu wenig Berücksichtigung gefunden haben.“ (51f.). An grundsätzlichen Fragen ist Pöhlmann auch in den Besprechungen der Bände IV und V interessiert, die 1884 und 1886 in der ‚Historischen Zeitschrift‘ folgten und ebenfalls von dem um diese Zeit verbreiteten Devotionalmuster abweichen. Seine Kritik gewinnt an Fundamentalität durch die Frage, „ob das persönliche Moment nicht etwa doch zu stark betont“ sei (HZ 52/1884, 495) und die Meinung, daß in Rankes Darstellung „der größte Vorgang, den die Universalgeschichte kennt, die Auflösung der antiken Welt, in seinen Entstehungsmotiven und seinem Verlauf keineswegs soweit verständlich“ werde, „als es mit unseren jetzigen Mitteln möglich wäre.“ (496). Auch glaubt Pöhlmann bei Ranke von einem „einseitigen politischen Pragmatismus“ reden zu müssen (ebd). Der „Gedanke der Nothwendigkeit des geschichtlichen Verlaufs“ trete - wie des öfteren auch für andere Werke Rankes betont wurde (s. I, 283, 313f., 324, 328, 335) - scharf hervor (HZ 55/1886, 190), und Pöhlmann bedauert, wohl mit Recht, daß Ranke „die Konsequenzen seiner Auffassung von dem relativen Werthgehalt des Einzellebens nicht noch schärfer gezogen“ habe (ebd.), wie sich an der universalhistorisch unpassenden Aufnahme ganz spezieller Details und etlicher chronologischer Digressionen zeige. Die Streichung all dessen, „was mit der Ökonomie einer Universalgeschichte unvereinbar oder entbehrlich“ sei (192), hätte genügend Raum für eine Darstellung der „inneren Entwickelungen“ der Völker zumindest in ihren „Grundzügen“ gegeben (ebd.). Um einen Schulmann dürfte es sich bei Edwin Evers gehandelt haben. Er hatte 1877 eine Dissertation mit dem Titel ‚Ein Beitrag zur Untersuchung der Quellen der Diadochenzeit‘ verfaßt, und auch sein Beitrag über ‚Das Emporkommen der persischen Macht unter Cyrus (nach den neuentdeckten Inschriften)‘, der 1884 in Berlin erschien, läßt ihn nicht als unqualifiziert erscheinen. Seine drei Besprechungen in den ‚Mitteilungen aus der historischen Litteratur‘ der Jahre 1881 bis 1884 enthalten aufschlußreiche Vergleiche Rankes mit Schlosser und Mommsen. Ersterer, von dessen ‚Weltgeschichte‘ gerade der 15. Band erschienen war, stehe im Hinblick auf die universalgeschichtliche Betrachtung, die Selbständigkeit der Forschung wie auch die Objektivität hinter Ranke weit zurück. Mommsen gegenüber lobt Evers die Rankesche Unparteilichkeit, in der sich sein Werk vorteilhaft über dessen ‚Römische Geschichte‘ (Bd. I. II. III. 7. Aufl. Bln. 1881/82) erhebe (MHL/1882, 290). So finde man bei Ranke auch eine „gerechtere Beurteilung“ (298) Ciceros als bei Mommsen und Wilhelm Drumann (‚Geschichte Roms in seinem Uebergange von der republikanischen zur monarchischen Verfassung, oder Pompeius, Cäsar, Cicero und ihre Zeitgenossen‘, Königsberg, 6 Bde 1834-1844). Dies gelte ferner für die Beurteilung des Pompeius bei Mommsen. Die unterschiedliche Cicero-Beurteilung wurde auch von Wilhelm Herbst (1882), Julian Schmidt (1882) und Eduard Schulte (1882) bemerkt. Im einzelnen glaubt Evers feststellen zu können, daß bei Ranke „mehr wie anderswo auf die Verbindung zwischen Griechenland und Aegypten hingewiesen“ werde (MHL/1881, 299). - Auch für die Bände III und IV findet Evers in seinem positiv gestimmten kapitelweisen Kurzreferat „an manchen Stellen neue überraschende Gesichtspunkte“. Etwas zu günstig scheint ihm das Urteil über Julian Apostata ausgefallen zu sein (MHL/1884, 296f.). Ferner - 356 -

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bedauert auch er, daß Ranke „die inneren sozialen Zustände des Römischen Reiches und speziell Italiens in der Kaiserzeit gar zu wenig der Betrachtung unterzogen“ habe (289). Ein hier nicht individualisierter Rezensent, Eduard Schulte, verfaßte - immerhin für die Sonntags-Beilage der ‚Vossischen Zeitung‘ vom 22. Januar 1882 - nicht ohne Sachkenntnis eine Besprechung von Band II. Ranke setze bei den Lesern „eine nicht unbeträchtliche Summe an Kenntnissen voraus“, nicht zuletzt auch bei staatsrechtlichen Bezeichnungen. Einen Hauptunterschied zu Mommsen sieht Schulte darin, daß bei Ranke „der Sage eine viel größere Wichtigkeit“ beigemessen werde. Auch erscheine bei ihm die Gestalt Ciceros bedeutender als bei Mommsen und als bei Carl Peter (‚Studien zur römischen Geschichte. Ein Beitrag zur Kritik von Th. Mommsens römischer Geschichte, Naumburg a. S. 1861). Den von Mommsen eingeführten Begriff der ‚Dyarchie‘ habe Ranke nicht übernommen. In Rankes sehr knapper Darstellung von Literatur und Kunst dieser Zeit sei das Fehlen der älteren Literatur zu bemerken. Ranke setze erst mit Lukrez ein. Von Interesse ist auch Schultes Beobachtung, Ranke sei „in viel höherem Maße, als man ihm wohl zutrauen mag, geneigt, das gute Recht der Popularpartei den Optimaten gegenüber anzuerkennen.“ (Schulte verfaßte 1891 noch eine Bespr. von SW 53/54, s. I, 407). - Die ‚Vossische Zeitung‘ setzte die Besprechungen der ‚Weltgeschichte‘ anonym fort. Unter dem Titel ‚Leopold von Ranke’s Weltgeschichte‘ befaßte sie sich im Januar 1886 mit dem 2. Teil von Band VI, wobei allerdings eine ausgeprägte Kulturkampf-Position im Vordergrund steht. Der Rezensent erfreut sich an Rankes in der Tat ganz ungewöhnlicher Kritik des ‚Handbuchs der allgemeinen Kirchengeschichte‘ (3 Bde, Freiburg: Herder 1876-1880, I, 603) aus der Feder des mit der Kardinalswürde belohnten Historikers Joseph Hergenröther (18241890). Ranke hatte in seiner Darstellung der geheimen kriegstreiberischen Aktionen von Papst Johannes XII. erklärt, dies und die „Theilnahme des jüngsten Klerus und des Volkes“ an der Synode sei in Hergenröthers „sonst mit vieler Sachkunde und Geschicklichkeit abgefaßtem Artikel“ übergangen: „Alles wird in ein Licht gerückt, wie es mit den heutigen Doktrinen der römischen Kirche übereinstimmt.“ (WG VI,2/227, A. 1). Was den Rezensenten zu dem beipflichtenden Ausruf veranlaßt: „Es ist unglaublich, mit welcher Schamlosigkeit man ultramontanerseits die Thatsachen verdreht...“. (Zur Besprechung der Voss. Ztg. von Band VII s. I, 392). Ein Schüler des mehrfach herangezogenen rankekritischen Heinrich Wuttke, Georg Müller-Frauenstein, der später auch Wuttkes ADB-Artikel verfaßte (44/1898, 569-572) und sich um dessen Nachlaß verdient machte - weitere Qualifikationsnachweise des Schulmannes konnten nicht erbracht werden - rezensierte in den Jahren 1882 bis 1889 alle zu Lebzeiten Rankes erscheinenden sechs Bände der ‚Weltgeschichte‘ sowie die drei posthum herausgegebenen. Organ war dabei die ‚Wissenschaftliche Beilage der Leipziger Zeitung‘. In der ungescheuten Art seines Lehrers trug er dabei einige selbständige Gedanken vor: Ranke suche „nicht im Entferntesten populär zu sein“, sondern er bilde in diesem für die „Gebildeten, die Kenner der Geschichte“ geschriebenen Werke den „directen Gegensatz zu Schlosser“ (Müller-Frauenstein/1882, 233). Die Subjektivität des „Schriftstellers“ stehe sehr oft mit seinem Raisonnement im Vordergrund. Indes seien auch die Fälle, in denen Ranke - bei besonders verwickelten Fragen - vor einer „bestimmten Stellungnahme“ zurückscheue, nicht selten (ebd.). Weniger leicht werde sich der Leser in die Kürze finden, mit der das Bekannte, und in die Ausführlichkeit, mit der das Unbekannte geschildert werde, so sei z. B. die orienta- 357 -

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lische Geschichte „außerordentlich ungleich bearbeitet“ (ebd.). Man befinde sich oft im Ungewissen darüber, ob Ranke „nur aus Vorsicht, wegen der geringwerthigen Ueberlieferung oder wegen seines subjectiven Urtheils über den Werth der Ereignisse selbst so schweigsam“ sei. Der Rezensent hält dies jedoch eher für ein „Compliment für den Verfasser“ (ebd.). - Was Ranke ankündige - und dies verbindet die konträren Urteile Pöhlmanns und Prutz’ - laufe auf eine „Culturgeschichte großen Stils“ hinaus, in der Ausführung jedoch sei er „immer tiefer hinein in die Staatengeschichte“ geraten (ebd.). Dies sieht Müller-Frauenstein auch in Band V als wirksam an, wobei seine Besprechung stellenweise seltene demokratische und grundsätzliche Züge annimmt: Immer mehr enthülle sich dort Rankes - des „Herrschers im Reiche der Historiker“ Auffassung der Weltgeschichte als einer „Geschichte der politischen und kirchlichen Weltmächte“, deren Schilderung eine ganz vortreffliche sei; dagegen würden „die Bauern auf dem großen Schachbrett der Menschenkämpfe ... nur ganz selten einmal vorwärts geschoben“. Die „Lebensgeschichte von Fürstlichkeiten“ trete „in manchen Capiteln fast als der Kern der Weltgeschichte hervor“ (Müller-Frauenstein/1885, 317). - Die Anordnung des Stoffs könne man eine „künstlerische“ nennen, eine „Philosophie der Geschichte dämmert im Hintergrunde“ (Müller-Frauenstein/1882, 233). Der Rezensent kennt keine Weltgeschichte, in der die Religion „eine so außerordentliche Rolle“ spielt (234). - In der Besprechung von Band III wird festgestellt, noch vor dem langerwarteten entsprechenden Band von Mommsens ‚Römischer Geschichte‘ sei es Ranke gelungen, eine Darstellung der Kaisergeschichte zu liefern, die sich „hoch über die gleiche Partie in Schlosser’s Weltgeschichte“ erhebe und zugleich „weit populärer und allgemeiner anziehend“ geschrieben sei als die Bände I und II der ‚Weltgeschichte‘ (Müller-Frauenstein/1883, 79). Der hier geleistete „historische Fortschritt in Summa“ erscheine zwar - „wenn man nur auf den Umsturz älterer Anschauungen das Augenmerk richtet“ - „nicht gerade bedeutend“, aber die „Zusammenfassung des Ganzen“ sei „um so trefflicher“ (ebd.). Das „demokratische Element in der Culturgeschichte“ - das „Leben der großen Masse“ - werde von Ranke jedoch „grundsätzlich ... unbeachtet gelassen“ (ebd.). - Anläßlich von Band IV wird besonders die sprachliche Meisterschaft Rankes hervorgehoben, obgleich das „Uebermaß von Fremdwörtern ... ein wenig“ störe (Müller-Frauenstein/1884, 125). Für den Rezensenten bieten einen Hauptreiz die „Charakterbilder einzelner Hauptpersonen“, die von „überwältigender Naturwahrheit“ seien (ebd.). Mehrere neue Anschauungen seien durch das ganze Buch durchgeführt, z. B., daß „auch nach der theodosianischen Theilung Constantinopel stets eine Art von politischer Oberherrschaft über Rom geführt“ habe oder die ganze Auffassung der Völkerwanderungszeit ohne „tiefen Einschnitt“ (ebd.). - Von Interesse sind jedenfalls die Betrachtungen anläßlich des sechsten, letzten zu Lebzeiten Rankes erschienenen Bandes, der nicht frei sei von einer gewissen Unruhe und Ungleichmäßigkeit der Behandlung, bes. das 11. Kap., über Fatimiden und Omajjaden (Müller-Frauenstein/1886, 229). Kein früherer sei so „beziehungsreich für uns deutsche Leser“ (nach der Gründung des dt. Kaiserreichs) als dieser. Besonders in den Otto d. Gr. gewidmeten Partien häuften sich „die bewußten oder unbewußten Parallelen zu unserer Zeit“ (ebd.). - (Zu den Besprechungen der posthumen Bände VII bis IX durch Müller-Frauenstein s. I, 392, 395f.). Neunzehnjährig schon durfte Friedrich Cauer (1863-1932) an das Rezensieren von Band III der ‚Weltgeschichte‘ Rankes gehen. Der später verdienstvolle altphilologische und althistorische Schulmann, u. a. Verfasser einer ‚Römischen Geschichte‘ (Mnch. - 358 -

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1925) und beteiligt an der von Arnold Reimann herausgebrachten zwölfteiligen ‚Weltgeschichte‘, hatte nicht einmal seine schlanke Berliner Dissertation mit der reizvollen Thematik ‚De Fabulis graecis ad Romam conditam pertinentibus‘ (Berolini: C. Janke 1884) verfaßt, als ihm 1882 die ‚Historische Gesellschaft zu Berlin‘ Raum gab für eine Sammelbesprechung mit dem Thema ‚Römische Kaiserzeit‘, in der es heißt : „Nach Ranke war das römische Kaisertum nötig, um die verschiedenen Nationalitäten zu vereinigen und auszugleichen oder ... zur Vernichtung des Heidentums. Von diesem Standpunkte aus den subjektiven und objektiven Wert der Quellen scheidend zeigt sich Ranke in der Kritik der Quellenschriftsteller milder als irgend ein neuer Forscher, während er in der Auffassung, ja in dem Urteil über die Wirklichkeit der einzelnen Thatsachen sich so weit von ihnen entfernt wie vielleicht wieder kein anderer.“ (Cauer/1982, S. I, 137). - Cauer schließt mit Hinweisen auf Rankes Kritik des Cassius Dio (WG III/2, Analekten), besonders auch hinsichtlich der Varusschlacht (S. I, 139 u. 142). Auch Ludwig Rieß (1861-1928) durfte sich, kaum dem Jünglingsalter entwachsen, dem Rezensieren hingeben. Er hatte 1884 gerade seine 33seitige Dissertation über die ‚Geschichte des Wahlrechts zum englischen Parlament im Mittelalter‘ vorgelegt, - sie erschien in Rankes Haus-Verlag Duncker & Humblot - als er 1885, aus zunächst kaum nachvollziehbaren Gründen, die Gelegenheit erhielt, in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ nicht weniger als über ‚Grundprobleme der römischen Geschichte in ihrer verschiedenen Auffassung bei Ranke und Mommsen‘ einen Artikel unterzubringen. Ob dabei persönliche Bekanntschaft eine Rolle spielte, kann nur vermutet werden. Ranke hatte ihn zeitweilig als „Schönschreiber“ angestellt (Sato/2009). Rieß’ Artikel gehört nicht nur zu den ausführlichsten der zeitgenössischen Ranke-Literatur, sondern ist auch als früher systematischer Beitrag einer sich entwickelnden Ranke-Forschung zu werten. Mag sein, daß Rieß’ Beschäftigung mit Rankes ‚Weltgeschichte‘ ihn später dazu führte, die ‚Weltgeschichte‘ Georg Webers „vollständig neu“ zu bearbeiten (4 Bde, Leipzig 1919-1922), nachdem er 1912 selbstbewußt eine ‚Historik‘ als ‚Ein Organon geschichtlichen Denkens u. Forschens‘ (Bln.: Göschen) veröffentlicht hatte. Rieß war ‚klug‘ genug, in seiner Besprechung den „größten Meistern historischer Forschung“ (545) in ihren „tiefgehenden Differenzen“, ja „Gegensätzen“ (544) Tribut zu zollen, wobei doch kein Zweifel an einer höheren Wertschätzung Rankes aufkommen konnte: Dessen Werk suche „dem wissenschaftlichen Bedürfnis, den ganzen Verlauf zusammenfassend zu verstehen, ein völliges Genüge zu thun“. Hingegen sei an dem Mommsenschen „die innige Verbindung von nationalem Schwunge und liberaler Intelligenz, die in den fünfziger Jahren vorwaltete, bemerkbar ...“ (PrJbb 56/1885, 588). Einen Hauptunterschied sieht Rieß in der Tatsache, daß Mommsen die „Geschichte Italiens“ zu erzählen suche, während Ranke von einer „Specialgeschichte“ Roms ausgehe (545). Dem einen sei „das Volksthum, dem anderen die politische Formation das eigentliche Element der fortschreitenden Entwicklung“ (549). So werde der Volkscharakter, „der bei Mommsen stabiler, anthropologisch-physischer Natur war ... bei Rankes Auffassung ein historisches, der unbegrenzten Veränderung fähiges Element der Entwicklung, das variable Produkt variabler Faktoren“ (555), und während Mommsens Darstellung „mehr von dem Nebeneinander der Zustände beherrscht“ werde, trete bei Ranke „das Nacheinander der Handlungen, die Verknüpfung von Ursache und Wirkung in den Vordergrund (571). Auf einen Grundzug Rankeschen Wesens und Rankescher Geschichtsanschauung trifft Rieß unbewußt, wo er in Rankes Altertums- 359 -

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darstellung, im Gegensatz zur Auffassung Droysens, generell „ein Gleichgewicht der Mächte“ oder das Streben danach vorfindet (563), wie es besonders in der schwankenden, doch prästabilierten Harmonie der ‚Großen Mächte‘ vorgebildet war. Rieß setzte sich später stark für die Verbreitung der historisch-kritischen Methode Rankes in Japan ein (s. I, 118). Die in der Berliner Zeitschrift ‚Die Gegenwart. Wochenschrift für Literatur, Kunst und öffentliches Leben‘ in den Jahren 1880 bis 1887 unter der Kürzel K. Br.-W. erscheinenden Besprechungen entstammen der Feder von Karl Braun (1822-1893), der mit dem Ortszusatz Wiesbaden veröffentlichte. Braun hatte klassische Philologie und Rechtswissenschaft studiert, war 1858 bis 1863 Präsident der Zweiten nassauischen Kammer und von 1867 bis 1887 Reichstagsabgeordneter (Geisthardt, Fritz: Braun, Karl Joseph Wilhelm. In: NDB 2/1955, 555). Seine kurzen, wohlwollend-oberflächlichen Beiträge gehören zu den schlichtesten, die sich finden ließen. In seiner Vorankündigung vom 20. November 1880 gestand er: „Wir können dem Nestor der deutschen Historik nicht dankbar genug dafür sein, daß er ... nunmehr sich auch an die ganze Nation, ja an die ganze gebildete Welt wendet...“. In seiner Besprechung von Band VI vom 6. Februar 1886 dankt er für diese „erwünschte Weihnachtsgabe für alle gebildeten Deutschen“ und will dabei wissen, daß der „zehnte und letzte Band ... spätestens 1889 erscheinen und bis zu Kaiser Wilhelm, dem ersten deutschen Herrscher aus dem Geschlechte der Hohenzollern, reichen“ solle (87). Das ‚Literarische Centralblatt‘ brachte in den Jahren 1881 bis 1889 eine geschlossene Folge anonymer Besprechungen aller neun Bände der ‚Weltgeschichte‘ hervor. Von geschichtswissenschaftlicher Fachkunde kann dabei nur gelegentlich die Rede sein, weshalb häufig zu allgemeinen Betrachtungen Zuflucht genommen wird, die jedoch durchweg von kritischen Anmerkungen begleitet sind. Der erste Band wird mit „ehrfürchtiger Scheu“ entgegengenommen (7. 5. 1881/657), er setze indes Leser voraus, die mit dem Stoff bereits vertraut seien. Insgesamt reich an „neuen und fruchtbaren Gesichtspuncten“, bezeichne den „Höhepunct des Ganzen ... wohl der Abschnitt über die griechische Philosophie“. Das Werk gebe einen „werthvollen Fingerzeig“ dafür, wie Kulturgeschichte zu schreiben sei. Dem Rezensenten scheint es jedoch, als seien „mitunter die Dinge zu einer Höhe der Betrachtungsweise emporgeschraubt ... deren sie nicht bedürfen“ (658). - Kritischer noch im Grundsätzlichen ist die Besprechung von Band II: Der Rezensent bewundert die „vollkommene Sicherheit und Leichtigkeit“, mit der Ranke „den gewaltigen Stoff ... bemeistert“ habe (25. 3. 1882/429), findet jedoch, daß Ranke „die Dinge zwar mit tiefem historischen Verständniß, aber doch auch mit souveräner Eigenmächtigkeit“ zurechtrücke (ebd.). Dies gelte namentlich von den ältesten Zeiten, hinsichtlich deren Überlieferung Ranke „im Gegensatz zu Mommsens Radicalismus eine Art conservativen Standpunctes“ vertrete (430). Bei „reichster Fülle geistvoller Beobachtungen“ sei es doch schwer, über Rankes „Gesammtansicht“ zu „vollständiger Klarheit“ zu gelangen. Ranke sehe, wie der Rezensent zutreffend bemerkt, seine Aufgabe in der Darstellung des „Gegensätzlichen, in dem sich der Fortschritt der Geschichte bewegt“, unter Hervorhebung des religiösen Zuges (ebd.). - Mit der Besprechung des dritten Bandes im Jahre 1883 tritt eine Wende ein. In dem sehr flüchtigen Überblick wird festgestellt, das Hauptthema des Bandes sei „die Umgestaltung der Welt aus dem Polytheismus zum Monotheismus und aus diesem zum Christenthum“ (F. 14. 4. 1883/541). Die von dessen Ursprung handelnden Kapitel gehörten „zu dem Schönsten und Tiefsten, was Ranke je geschrieben, aus einem tief - 360 -

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religiösen Bewußtsein entsprungen und doch mit einer großartigen Freiheit historischer Auffassung“ (ebd.). - Die Besprechung von Band IV ist kritikarm und zugleich die qualifizierteste: Noch nie sei „der Ausgang des Alterthums von so großartigen Gesichtspuncten aus zur Darstellung gelangt wie hier“, „unendlich tiefer, eindringender“ als bei Gibbon (19. 7. 84/1012). Die christliche Welt sei als eine „organische Herausbildung“ aus der heidnischen geschildert. Das sinkende Römerreich erscheine „mehr in seiner Action als in seinem Leiden durch die Germanen, die erhaltenden Kräfte treten mehr hervor als die zerstörenden“ (ebd.). Unterschiede zu Felix Dahn sieht der Rezensent vor allem darin, daß für Ranke das Zerbrechen der Form des weströmischen Reiches „eigentlich Nebensache“ sei (ebd.), aber auch darin, daß die sogenannte Völkerwanderung von Ranke nur als „Fortsetzung der alten germanisch-römischen Kriege am Limes“ gesehen werde (1013). - Ältere kritische Argumente greift 1885 wieder die Besprechung von Band V auf: Rankes ‚Weltgeschichte‘ sei für die „obersten Zehntausend“ geschrieben: Wer „ohne eine beträchtliche wissenschaftliche Ausrüstung an sie herantritt, wird sich niemals darin zurecht finden“ (1. 8. 1885/1062). Auch in diesem Band verfolge Ranke „mit Vorliebe die Tendenz ... die Religion als einen Hauptfactor in der Entwickelung der Völker nachzuweisen“ (ebd.). Als auffallend bemerkt der Rezensent, daß Ranke nicht die Schlacht von Tertry 687, sondern von Vincy 717 als entscheidend für die Zukunft des Abendlandes ansehe und daß er Karl Martell in besonderem Maße hervorhebe. - Die nach Rankes Tod erschienenen Besprechungen der Bände VI bis IX scheinen weniger interessiert an ihrem Gegenstand. Für Band VI wird hingewiesen auf die „ganz eigenthümliche Stellung, welche Ranke zu der sagenhaften Tradition über Heinrich I.“ einnehme (3. 7. 1886). - Für die Besprechungen der Bände VII bis IX s. I, 392 u. 396. Kurz und schlicht, ein „mit Bewunderung gepaarter Dank“ (Kallsen/1883), die Besprechungen des Gothaer ‚Deutschen Litteraturblatts‘ der Jahre 1883-1887 aus der Feder von Otto Kallsen. Seine Befähigung leitete er wohl aus der Mitwirkung an ‚Bildern aus der Weltgeschichte für das deutsche Volk‘, dargestellt von H. Keck, O. Kallsen, A. Sach (Halle: Waisenhaus 1875) und einem 1882 erschienenen Werk über ‚Friedrich Barbarossa‘ her. 1891 veröffentlichte er unter dem Autorennamen „Prof. Dr. Otto Kallsen“ ein Werk über ‚Gründung und Entwickelung der deutschen Städte im Mittelalter‘ (Halle a. S. 1891). Rankes Darstellung mit ihrer „durchsichtigen, klassischen Sprache“, der „Sicherheit der Charakterzeichnung“, dem „weiten historischen Blick“ (Kallsen/1884, 5) werde durch die „kunstvolle Verflechtung der Weltereignisse, der Wechselbeziehungen zwischen den sich bildenden Staaten des Abendlandes, zwischen Abend- und Morgenland und die daraus hervorgehende Fortentwickelung der Menschheit als einer Gesamtheit ... zum Ideal einer Weltgeschichte“ (Kallsen: [Bespr. von WG VI]/1886). - Seine im März 1887 erschienene Besprechung von Band VII stellt lediglich eine sehr kurze, aus dem Doveschen Vorwort geschöpfte Anzeige dar. Gottlob Egelhaaf wurde bereits hinsichtlich seiner Stellung zur Frage der Objektivität (s. I, 186) betrachtet. Er schrieb im Februar 1888 für ‚Vom Fels zum Meer. Spemann’s Illustrirte Zeitschrift für das Deutsche Haus‘ eine zusammenfassende Besprechung der Bände I bis VII der ‚Weltgeschichte‘. Neben einem auf populäres Interesse abzielenden, sehr wohlwollenden inhaltlichen Referat, das die Rankesche universalhistorische Konzeption bejahend als eine Geschichte der weißen Rasse sieht, finden sich einige allgemeine Bemerkungen, welche Interesse beanspruchen dürfen. In Rankes hier praktizierter historischer Kritik - etwa hinsichtlich sagenhafter Elemente - 361 -

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der römischen Geschichte - liege „neben aller Schärfe des Untersuchens doch ein eigentümliches Element hinnehmender Natur“, das der Rezensent „sei es pietätsvoll, sei es naiv nennen möchte“ (1233). Auch sei Ranke „bei seinem Bestreben[,] jedermann gerecht zu werden, überall eher zu mild als zu streng“ (1237). Egelhaaf rühmt die Rankesche Darstellungskunst, welche „ganz und gar auf der Anschaulichkeit des Ausdruckes, auf jener offenen Empfänglichkeit für das sinnliche und sinnfällige Moment in der Sprache“ beruhe (1234) und womit seine „Kunst, Charakterbilder zu zeichnen“, in engstem Zusammenhang stehe (1237). Dabei hätte auch Egelhaaf „dieses grandiose Werk“ gern frei gesehen „von einer Menge unnötiger Fremdwörter“ (1248). Rankes ‚Weltgeschichte‘ bezeichne jedenfalls „den Höhepunkt unserer reichen historischen Litteratur im neunzehnten Jahrhundert.“ (Ebd.). Georg Kaufmann (1842-1929), vermutlich Gymnasialprofessor in Göttingen, schrieb in den Jahren 1885, 1887 und 1889 für die ‚Deutsche Litteraturzeitung‘ Besprechungen der Bände V bis VII und ²IV der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘. Er war 1864 in Göttingen mit einer Arbeit über ‚Die Werke des Cajus Sollius Apollinaris Sidonius als eine Quelle für die Geschichte seiner Zeit‘ promoviert worden, hatte 1870 einen Beitrag zur Frage ‚In wie weit darf die Geschichtschreibung subjectiv sein‘ veröffentlicht (Jahresbericht über das Königl. Gymn. und d. Realgymn. zu Göttingen 1869/70, s. I, 184) und 1874 eine nicht minder passende Schrift über ‚Die Fasten der späteren Kaiserzeit als ein Mittel zur Kritik der weströmischen Chroniken‘, I. ‚Die Fasten des Idatius‘, II. ‚Die Fasten von Ravenna‘ (Göttingen: W. F. Kaestner) zum Erscheinen gebracht. Trotz grundsätzlicher Zustimmung und trotz Anerkennung wertvoller Beiträge zur Einzelforschung (Datum der Schlacht bei Poitiers; Kaufmann hält Ranke für den ersten, der es gewagt habe, die Angabe der vita Stephani, Pippin habe dem Papst den Dienst des Stallmeisters geleistet, zu verwerfen) hat Kaufmann in seiner Besprechung von Bd. V manche Bedenken: Der Text verliere sich mehrfach in „noch dazu unsicher überlieferten“ Einzelheiten (Kaufmann/1885, 792); die gesellschaftlichen Zustände seien zu kurz behandelt und anderes mehr. - Kaufmanns Besprechung der Bände VI und VII ist milder gestimmt: Wer die Leistung der ‚Weltgeschichte‘ im ganzen betrachte, werde ihr „trotz aller Einreden die Bewunderung nicht versagen“. Der „universalhistorische Blick und die unparteiische Ruhe der Betrachtung“ haben sich nach Kaufmann als „großartig und fruchtbar“ erwiesen. Kaufmann holte im Jahre 1889 eine Besprechung von Band IV nach, der mittlerweile in vierter Auflage vorlag. Nunmehr verstärkt sich ganz deutlich seine bei anderen Rezensenten kaum anzutreffende sozial gestimmte Kritik: Ranke habe „zweifelsohne sehr wesentliche und maßgebende Factoren der Zeit erfaßt“ (Kaufmann/1889, 275). Es fehle aber die „Schilderung der Leidenschaften und Erbärmlichkeiten“, „der Hintergrund der entsetzlichen Not der Zeit ...“ (Ebd.). An Nietzsches Kritik des Advokaten jeder causa fortior erinnert Kaufmanns weiter reichende Bemerkung, „Das Gewordene erscheint hier regelmäßig als das besser Berechtigte“ (Ebd.). Walther Schultze (1862-1939) verfaßte in den Jahren 1887 bis 1890 für die ‚Mitteilungen aus der historischen Literatur‘ Besprechungen der Bände VI bis IX der ‚Weltgeschichte‘, die zu den massivsten Kritiken des Werkes zählen, jedoch in einigen Aussagen mit kreuzenden Besprechungen Harry Bresslaus übereinkommen. Sofern Schultze hier zutreffend identifiziert ist, hatte er erst 1883 eine Dissertation mit ‚Forschungen zur Geschichte der Klosterreform im 10. Jahrhundert‘ verfaßt (Halle a. S.: S. Schlesinger). Schultze zufolge erhalten wir im sechsten Band, betitelt ‚Zersetzung des - 362 -

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karolingischen, Begründung des deutschen Reiches‘, „lediglich ein Bild der politischen Kämpfe und eine Geschichte der religiösen Ideen, das sonstige historische Leben wird einfach ignoriert“ (Schultze/1887, 111). Es handele sich nicht um eine Weltgeschichte, obgleich sie „alle anderen Weltgeschichten turmhoch überragt“ (112), sondern um eine „Reichs- und Staatengeschichte“, in der die Begebenheiten „so gut wie ausschliesslich ein Werk der Führer“ seien (111. Zu Schultzes bemerkenswerten Besprechungen der Bände VII bis IX s. I, 393-396.). Auch Yorck von Wartenburg hatte grundsätzliche Bedenken hinsichtlich der Rankeschen Weltgeschichtskonzeption. In Briefen an Wilhelm Dilthey schilderte er verhältnismäßig ausführlich seine bei der Lektüre von Teil IV gewonnenen Eindrücke, u. a.: Die fragliche Zeit sei „besonders geeignet für die virtuose geistreiche Teppichwirkerei.“ Vortrefflich jedoch scheint ihm der „Charakter des imperiums als eines Amtes“ gesehen und andere entscheidende Momente (11. 2. 1884, Y. an D., Briefwechsel Dilthey, Yorck/1923, 252). Zum posthumen Teil VIII vermerkte er, freilich nicht überzeugend und erstaunlich antiquiert, eine Weltgeschichte sei „- wenn sie nicht Philosophie der Geschichte ist - nicht mehr möglich ... sobald der im Bewußtsein gegründete einheitliche und universale Rahmen des Weltreichsgedankens schwindet.“ (Y. an D., 4. 1. 88, Briefwechsel Dilthey, Yorck/1923, 72). K o n f e s s i o n e l l e u n d r e l i g i o n s w i s s e n s c h a f t l i c h e K r i t i k (I/2.1.9.3) P r o t e s t a n t i s c h e S t i m m e n . - Die populäre ‚Neue Evangelische Kirchenzeitung‘, die seit 1868 im Dienste Rankes tätig war, begleitete auch den Gang der ‚Weltgeschichte‘ in wohlmeinender Loyalität mit Besprechungen der Jahre 1881 bis 1885. Darunter sind allenfalls folgende Bemerkungen von Interesse: „Nicht für Jedermann ist das Buch geschrieben [WG I] ... In das Detail der Ereignisse will Ranke nicht einführen; er setzt sie im Großen und Ganzen als bekannt voraus...“ (NEK 23/1881, 85f.) „Wir kennen keinen objectiveren Geschichtsschreiber als ihn“ (86) „Der Historiker hat den Glauben an die Offenbarung nicht preisgegeben, aber auch der Kritik ihr Recht gelassen“ (ebd.). - Nach der positiv nichtssagenden Besprechung von Band II (NEK/1882) trifft der unfachmännische Rezensent für den dritten Band die nur gelegentlich aufkommende Feststellung, daß Ranke hier „keine römische Geschichte der Kaiserzeit“ schreibe, sondern daß ihn allein „die welthistorische Stellung des altrömischen Kaiserthums“ beschäftige (NEK/1883, 27). Dazu stellt es keinen Widerspruch dar, daß Ranke „mit umfassendem Blick das gesammte Geistesleben der Zeit im Auge behält“ (ebd.). So gehöre der Abschnitt über Ausbildung und Bedeutung des römischen Rechts „zu den gelungensten des Werkes“ (ebd.). - Für Band IV hebt der Rezensent die „Klarheit, Durchsichtigkeit und Objektivität der Darstellung“ hervor (NEK/1884, 11). Ranke habe „für die universalhistorische Betrachtung der Welt eine neue Epoche eröffnet“ (12). Ferner macht der Rezensent auf die neue Auffassung der sogenannten Völkerwanderung als Fortsetzung der alten germanisch-römischen Kriege an der Grenze und auf die „neue Beleuchtung“ der germanischen Heerkönige aufmerksam (ebd.). - In der Besprechung von Band V tritt Ranke auf als „vielleicht der erste Kenner der Universalhistorie und jedenfalls der letzte. Wie jetzt die Lage der Studien ist, dürfte eine gleiche Universalität der Gelehrsamkeit nicht mehr erreichbar sein“ (NEK/1885, 17). Aus den anspruchslosen allgemeinen Bemerkungen sei erwähnt, daß Ranke die Trennung von Altertum und Mittelalter „ganz aufgegeben“ habe (ebd.). - 363 -

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- Der sechste Band schließlich erhält neben allgemeiner Bewunderung einen leisen Tadel: Es sei bekannt, „daß die Untersuchung der Formen, in denen sich das Volksleben bewegte, zu bedeutsamen Ergebnissen geführt“ habe „und daß die Ausbildung des Lehnswesens und das Hervortreten der Herzogthümer als wichtige Momente erkannt worden“ seien. „Ranke ist hierauf weniger eingegangen; er hat vielmehr die Weltstellung der Herrscher vorzugsweise in das Auge gefaßt...“ (34f.) Zum Schluß „erfleht“ der Rezensent für Ranke das Glück einer Fortsetzung des Werkes (35). Eine Besprechung von Band III, 1883 in den ‚Neuen Blättern aus Süddeutschland für Erziehung und Unterricht‘ erschienen, stammt wohl aus der Feder von Maximilian August Traugott Eifert (1843-1923), protestantischem Pfarrer und Rektor eines Schullehrerseminars (Fritz Barth: Biographie C. M. Eifert, Deiningen 2011). Sie machte sich ans Paradoxe grenzende und aus theologischer Sicht wohl ablehnende Gedanken darüber, daß bei Ranke „Die einzelnen Thatsachen erscheinen ... als die Wirkungen allgemeinerer, verborgener Kräfte, die in der Tiefe wirksam sind, ohne unmittelbar einzugreifen ...“ (254). Ansonsten stellt sie ein reines Referat dar. Uneingeschränkt positiv beurteilten anonyme Rezensenten des ‚Literarischen Centralblatts für Deutschland‘, der ‚Allgemeinen evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung‘ und der ‚Protestantischen Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland‘ die Rankesche Darstellung der Einführung des Christentums. Ersteres bot 1883 nur einen sehr flüchtigen wissenschaftsfernen Überblick von Band III, konstatierte indes, das Hauptthema des Bandes sei „die Umgestaltung der Welt aus dem Polytheismus zum Monotheismus und aus diesem zum Christenthum“ (541). Die vom Ursprung des Christentums handelnden Kapitel gehörten „zu dem Schönsten und Tiefsten, was Ranke je geschrieben, aus einem tief religiösen Bewußtsein entsprungen und doch mit einer großartigen Freiheit historischer Auffassung“ (ebd.). - Der Anonymus der ‚Allgemeinen evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung‘ beschränkte sich 1884 in seiner Besprechung von Band III eben auf die Frage, „wie in dieser Weltgeschichte das Christenthum auftritt, ob und wie es in seiner weltgeschichtlichen Größe erkannt, ob und wie ihm sein höherer Ursprung gelten gelassen wird.“ (76). Diese Aufgabe sei von Ranke „glänzend gelöst“, überhaupt nehme man „mit Staunen“ wahr, „daß in dieser Weltgeschichte gerade die religiösen Dinge durchaus als die Macht des eigentlichen Werdens erkannt“ seien (ebd). Ranke beschränke sich auf das, „was mit den Mitteln seiner Wissenschaft auszumachen ist; aber er ehrt das Heilige“ (77). Die Entscheidung über das Wunder müsse „auf dem Gebiete der Philosophie und des religiösen Erlebens selbst erfolgen, nicht auf dem der Historie, so sehr auch das Wunder selbst Gegenstand der Geschichte“ bleibe. Wie die Geschichte selbst darüber geurteilt habe, sei von Ranke „mit völliger Selbstlosigkeit und hingebendem Feingefühl erfaßt und wiedergegeben“ (ebd.). - Im einzelnen begrüßt der Rezensent, daß nunmehr auch von Seiten der historischen Wissenschaft die Rolle des Apostels Paulus als eine weltgeschichtliche anerkannt sei (Sp. 78). Was Konstantin anlangt, so empfiehlt der Rezensent, Burckhardts „einseitig kritische Charakteristik“ [‚Die Zeit Constantin’s des Großen‘, Basel: Schweighauser 1853] nicht zu lesen, „ohne Ranke’s vorsichtiges, wohlwollendes, aus den Dingen selbst geschöpftes Urtheil zur Berichtigung und Ergänzung hinzuzunehmen.“ (Ebd.). - Aus den Analekten sei für den Theologen besonders beachtenswert das über Septuaginta und Josephus Mitgetheilte (Zum Nekrolog der ‚Protestantischen Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland‘ von 1886 s. I, 377). - 364 -

I/2.1.9.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Weltgeschichte‘

Auch Johann Gustav Droysen hatte eine - nicht öffentlich geäußerte - Meinung zu Rankes Einführung des Christentums. Am 23. Februar 1884 schrieb er an den Ranke ebenfalls nicht gewogenen Maximilian Duncker: „Der dritte Teil [der WG] ist so langweilig wie die früheren, aber mit großer Kunst wird das beginnende Christentum eingeführt, mit kluger Meidung der Klippen, welche die Evangelienkritik auf der einen, der rohe Orthodoxismus auf der andern Seite bietet. Darin, Standpunkte außer den Dingen zu fassen und zu stilisieren, sind wir allezeit Meister gewesen.“ (Droysen: Briefwechsel II/1929, 976f.). Droysen war, über seine Polemik hinaus, an der Thematik durchaus interessiert, hatte er doch vergebens beabsichtigt, seine ‚Geschichte des Hellenismus‘ mit einer fortgeführten Darstellung bis zur Stiftung des Christentums zu vollenden (s. Schieder, Theodor: Droysen, Johann Gustav Bernhard. In: NDB 4/1959, 135-137). Hier sind nun noch einige namentlich auftretende protestantische Theologen und Religionswissenschaftler zu betrachten: Otto Zöckler (1833-1906), einflußreicher Professor der Kirchengeschichte in Greifswald, hatte, trotz seines übereinstimmenden Bekenntnisses und trotz genereller Hochachtung Rankes Darstellung gegenüber, bedauernde Einwände, die er in den Jahren 1881, 1883 und 1886 in drei protestantischen Zeitschriften veröffentlichte. Seine Schriften (u. a. ‚Die Urgeschichte der Erde und des Menschen‘, Gütersloh 1868, ‚Die Lehre vom Urstand des Menschen, geschichtlich und dogmatisch-apologetisch untersucht‘, Gütersloh 1879, ‚Wider die unfehlbare Wissenschaft‘, Nördlingen 1887) weisen ihn als stark konservativen Theologen aus, der zum einen die Widersprüche von Seiten der Naturwissenschaft vergebens zu bekämpfen suchte und zum anderen sich in Fragen der historischen Kritik (‚Die Apostelgeschichte als Gegenstand höherer und niederer Kritik‘, Gütersloh1881) eine allzu starke Mäßigung auferlegte. In seiner Besprechung von Band I und II der ‚Weltgeschichte‘, die er 1881 als redaktioneller Mitarbeiter in die Zeitschrift ‚Der Beweis des Glaubens. Monatsschrift zur Begründung und Verteidigung der christlichen Wahrheit für Gebildete‘ einbrachte, bekannte er, keinem gebildeten Deutschen könne es gleichgültig sein, „wie der gesamte Gang der Menschheitsentwicklung in der Auffassung des ehrwürdigen Altmeisters und Reformators der Geschichtschreibung“ sich gestalte. (209). Überall sei hauptsächlich der „kulturgeschichtliche Fortschritt“ berücksichtigt (ebd.). Zöckler interessiert aber v. a. die Beurteilung Israels, und er konstatiert mit Befriedigung, daß es bei Ranke als „das wirkliche Gottesvolk der alten Welt“, als „Träger des Monotheismus“ erscheine (210), überhaupt, daß Ranke, im Gegensatz zur radikalen Kritikerschule in der alttestamentlichen Forschung, zwar manche Einzelheit preisgebend doch an einem wesentlichen Teil der Überlieferung festhalte. - In seiner Besprechung von Band III, die 1883 in der ‚Reformierten Kirchenzeitung‘ erschien, erhob er dann doch den Vorwurf, daß es „erhebend und wichtig genug gewesen“ wäre, wenn Ranke vom ‚religiösen Geheimnis‘, von ‚Gott dem Vater‘ und ‚Gott dem Sohne‘ nicht geschwiegen, stattdessen „hier ein bestimmtes Bekenntniß gewagt hätte“ (200). „Wir erkennen in dem auf edler sittlicher Grundlage ruhenden Werke doch einen modernen Geist, dem es einmal unmöglich ist, Wunder und Weissagung zu glauben.“ (201f.). Dies sei „die Tiefe der Noth unserer Zeit“. „Das Historisch-Kritische beherrscht uns und - entleert uns.“ (202). - (Zu Zöcklers Nachruf auf Ranke in der ‚Evangelischen Kirchenzeitung‘ s. I, 376 und zu seinem 1889 erschienenen Rückblick auf Rankes ‚Weltgeschichte‘ s. I, 399). Der Theologe Victor Floigl (der noch keine Aufnahme in ADB/NDB gefunden hat), 1878 in Graz mit einer Arbeit über ‚Die Chronologie der Bibel von Abraham bis - 365 -

I/2.1.9.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Weltgeschichte‘

Zedekias‘, promoviert, hatte sich vor seiner Besprechung der ‚Weltgeschichte‘ Rankes durch weitere passende Veröffentlichungen qualifiziert: 1880 erschien ein Werk über ‚Die Chronologie der Bibel des Manetho und Beros‘ (Leipzig). 1881 schrieb er über ‚Cyrus und Herodot, nach den neugefundenen Keilinschriften (Leipzig) und war schon befaßt mit einer 1882 erscheinenden ‚Geschichte des semitischen Altertums in Tabellen‘ (Leipzig). 1881 nun veröffentlichte er im ‚Magazin für die Literatur des Inund Auslands‘ eine Besprechung des ersten Bandes der ‚Weltgeschichte‘. Unter grundsätzlicher Anerkennung der „grossartigen Geschichtsauffassung“ Rankes, i. e. auch seiner Darstellung der griechischen Geschichte, übt Floigl jedoch in erster Linie eine scharfe Kritik an der Darstellung der vorklassischen Zeit. Nicht nur biete Ranke in diesem Bereich keine Chronologie, er zeige auch „ein totales Verkennen des grössten Momentes der Weltgeschichte, der Entwicklung des Monotheismus“ (286). Ranke kenne „die Resultate nicht, zu welchen die Bibelforschung durch Wellhausen“ gekommen sei (ebd., s. I, 68). Kurz, Floigl versucht an Beispielen nachzuweisen, daß Ranke „zum Verständnis des hebräischen Altertums noch nicht den Anfang gemacht“ habe (ebd.). Nicht minder ernst zu nehmen war die Kritik des Straßburger evangelischen Theologen Heinrich Julius Holtzmann (1832-1910). Er galt, nach dem Urteil eines Biographen, um die Jahrhundertwende als „der führende deutsche Neutestamentler der historisch-kritischen Richtung“, dem man als „Besonderheit im Forschen und Lehren“ „historische Gewissenhaftigkeit, sachliche Besonnenheit und Ausrichtung aufs Leben“ attestierte (Dinkler, Erich: Holtzmann, Heinrich. In: NDB 9/1972, 560f.). 1883 schrieb er in der ‚Deutschen Revue‘ eine Besprechung mit dem Titel ‚L. v. Ranke über die Entstehung des Christenthums‘. Holtzmann bemerkt bei dem Kapitel über den Ursprung des Christentums in Band III des Werkes als auffallend die „Selbstunterscheidung des Historikers vom religiösen Menschen“ (265), namentlich bei der Erwähnung des Jesus von Nazareth bzw. Jesus Christus, zumal, wie Holtzmann wenigstens grundsätzlich richtig andeutet, in dieser Scheidung von Ranke keine strenge Konsequenz geübt werde. Für Holtzmann steht das gesamte Kapitel, das er „nicht ohne ein Gefühl des Befremdens“ gelesen hat, nicht auf der Höhe der sonstigen Darstellung, besonders weil hier im Gegensatz. zu der sonst geübten Kritik der Profanquellen, für Ranke „eine eigentliche Kritik der neutestamentlichen Geschichtsquellen einfach nicht existirt.“ (266. - Darüber war der Ranke befreundete Edwin von Manteuffel verärgert und bat ihn mit Brief vom 19. 5. 1883 (bei Dove/1898, 298f.) um „ein paar Keulenschläge“, um den ihm „sonst ganz lieben“ Professor Holtzmann, den er des Rationalismus bezichtigte, „niederzuschmettern“. Rankes Antwort vom 23. des Monats bezieht sich allerdings ausweichend nur auf den Punkt eines Streits zwischen Petrus und Paulus (NBrr 708f.). K a t h o l i s c h e S t i m m e n . - Der katholische Münsteraner Präses Franz Hülskamp (1833-1911) verfaßte als Herausgeber des dortigen ‚Literarischen Handweisers‘ im Januar 1881 zu dem soeben erschienenen Band I der ‚Weltgeschichte‘ nur eine kurze, unpolemische, jedoch bezeichnende Notiz, in der es heißt: „Die Darstellung ist reich an einzelnen Lichtblicken u. zeichnet sich durch die gewohnte Formvollend[un]g aus. Zu den Lichtblicken können w i r [i. T.] es freilich nicht rechnen, wenn biblische Erzählungen, zB. die von Abraham u. Joseph, einfach als Sagen behandelt werden; wie denn überhaupt der schon in diesem Band zu Tage tretende rationalist. Standpunkt des Verf. - 366 -

I/2.1.9.3 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Weltgeschichte‘

eine unbeschränkte Empfehl[un]g des Werkes für kathol. Leser von vornherein unmöglich macht“ (22f.). Noch deutlicher wurde er nach Rankes Tod in einer nekrologischen Notiz seines ‚Handweisers‘ vom Juli 1886 (s. I, 376f.). Große Anstrengungen hatte der dreißigjährige katholische Theologe und Redakteur des ‚Historischen Jahrbuchs‘, Dr. Victor Gramich (1854-1885), für eine Besprechung der ersten drei Bände der ‚Weltgeschichte‘ Rankes unternommen. Eine besondere Qualifikation für diese universale Aufgabe war seiner Veröffentlichung über ‚Verfassung und Verwaltung der Stadt Würzburg vom 13. bis zum 15. Jahrhundert. Mit Urkunden‘ (Würzburg 1882) freilich nicht zu entnehmen. Dennoch ragt seine 1884 in Band V des ‚Historischen Jahrbuchs‘ erscheinende Besprechung unter allen anderen heraus, nicht gerade durch ein besonders hohes intellektuelles Niveau, indes durch Umfang, Einbeziehung zeitgenössischer Literatur und anderer Werke Rankes sowie durch das seltene Bemühen, die Stellung der ‚Weltgeschichte‘ in der universalhistorischen Literatur zu charakterisieren, vor allem durch Vergleiche Rankes mit Schlosser, aber auch durch Blicke auf Schiller, Schlözer und Johannes von Müller, unter den neueren auf Ernst Curtius, Burckhardt, Mommsen, der im Vergleich, wie stets, weniger günstig beurteilt wird. - Ranke habe die universalhistorische Aufgabe „wesentlich beschränkt und vereinfacht“ (6), etwa durch Ausschluß der schriftlosen Zeiten und die Begrenzung auf Begebenheiten der Nationen, soweit sie „eine lebendige Gesammtheit ausmachen.“ (7). Hatte man in der ‚Allgemeinen evangelisch-lutherischen Kirchenzeitung‘ von 1884 bei Ranke die religiösen Dinge als „die Macht des eigentlichen Werdens“ erkannt (76), so behauptet für Gramich „unstreitig“ „das Interesse für die politische Geschichte im Grunde allezeit das Uebergewicht.“ (41). Das „socialgeschichtliche Moment“ setze Ranke „beinahe gänzlich hintan“ (39). Ein besonderes Lob gilt den der Darstellung beigegebenen kritischen Erörterungen zur alten Geschichte. „Principienfragen der Historik“ seien von Ranke hierbei jedoch nicht aufgeworfen worden (27). - Gramich behandelt auch das „viel erörterte Verhältniß des künstlerischen Elements der Geschichtschreibung zu dem kritisch-wissenschaftlichen“ (28f.), die Kunst des Werkaufbaus und die Schilderung historischer Persönlichkeiten und streift vor Veröffentlichung der nachgelassenen Berchtesgadener Vorträge - bereits das Problem von Freiheit und Notwendigkeit (34f.), Fortschrittsbegriff und „Werthbeurteilung“ (38). Ein gewisses Interesse verdient auch der Gedanke Gramichs, das Christentum habe „nicht als Idee“, sondern als „Volksglaube ... die Welt überwunden.“ (47). - Die überraschende und nachdrücklichste Kritik liegt jedoch in dem auf die Interessen der Görres-Gesellschaft abgestimmten Plädoyer für eine Vereinigung und Durchdringung von „religiösem Glauben und historischem Wissen“ (51): „Den höchsten Adel ... hätte Ranke seinem Werke verliehen, wenn er uns die Hand Gottes da und dort deutlicher gezeigt, vor allem den Eintritt des Gottessohnes selbst in die Geschichte, getreulich aufgefaßt, ‚wie es eigentlich gewesen‘, seiner Weltgeschichte eingeflochten hätte.“ (51). Der vornehmlich mit ermländischer Geschichte befaßte Schüler Döllingers (Albrecht, Weber/1990, 89) und katholische Professor der Moraltheologie Dr. Franz Hipler (1836-1898) im ostpreußischen Braunsberg veröffentlichte im Jahre 1884 eine Schrift über ‚Die christliche Geschichtsauffassung‘ (Köln: Bachem, IV, 100), in der er sich mit folgender einziger Äußerung, vermutlich wenigstens teilweise, gegen Rankes Darstellung der Gestalt Christi und der Entstehung des Christentums im 1883 erschienenen Bd. III/1 der ‚Weltgeschichte‘ wandte: „Auch heute noch glauben zahlreiche - 367 -

I/2.1.9.4 Geschichtsdenken seiner Zeit - ‚Weltgeschichte‘

Meister der exacten historischen Forschung, welche im Uebrigen sich Christen nennen und es sein wollen, die Thatsachen und Wahrheiten des Christenthums entweder mit einigen wohltönenden, aber inhaltslosen Redensarten, oder auch durch ein vornehmes Schweigen genugsam gewürdigt zu haben, falls sie nicht gar, wenigstens indirect, dieselben bekämpfen. Nicht mit Unrecht sind sie in solchem Falle dem Spotte ihrer jüdischen Fachgenossen verfallen, welche das gewöhnliche Ignoriren der mit Christus und seiner Kirche unleugbar anbrechenden neuen Weltordnung treffend als eine Versündigung am Geiste der Geschichte, als Zaghaftigkeit oder absichtliche Verleugnung brandmarken.“ (98). A u s l ä n d i s c h e S t i m m e n (I/2.1.9.4) Die Aufnahme der ‚Weltgeschichte‘ im Ausland war nicht einmal zurückhaltend zu nennen, so gering war sie. Auffallend ist die Nicht-Nennung des Werkes durch John Lord Dalberg-Acton in seinem 1886 erschienenen Beitrag für die ‚English historical Review‘ unter dem Titel ,German Schools of History‘ (s. I, 372, 380f.). Allerdings hat sich Acton privat zur ‚Weltgeschichte‘, wenn auch in dürftigster Art, geäußert. Ihm erschien der Beginn, wie er an Döllinger schrieb, „besser als ich erwartete“ (30. 12. 1880, Döllinger, Acton: Briefwechsel III/1971, 221), und bei anderer Gelegenheit: „Mir scheint Ranke’s Weltgeschichte gar nicht schlecht.“ (26. 4. 1881, 253). Der französische Althistoriker und Epigraphiker, der auch bei Mommsen gehört hatte, Camille Jullian (1859-1933), in späteren Jahren Verfasser einer monumentalen ‚Histoire de la Gaule‘, besprach den dritten Band der ‚Weltgeschichte‘ in der Pariser ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vom 25. Februar 1884. Nach einem ausführlichen kapitelweisen Referat dieses Werkes des „doyen et du maître de la science historique contemporaine“ (166), letzter in der Reihe von Historikern, denen Macaulay, Guizot und Michelet angehört hätten (174), folgen einige kritische Bemerkungen: Die Hauptfrage der militärischen Geschichte Roms habe nicht Germanien, sondern dem Orient gegolten. (171). Trotz gegenteiliger Beteuerungen sei Ranke „trop chrétien, comme il est trop allemand.“ (172). Auch sei die politische Geschichte in diesem Werk vielleicht nicht so vollständig, wie man sie sich gewünscht hätte (ebd.). Jullian geht über zu kurzen Vergleichen mit Mommsen und Renan und schließt nach stilistischen Bemerkungen mit der Feststellung: Obgleich einige wesentliche Faktoren der römischen Geschichte vernachlässigt seien, bleibe Rankes Werk doch eines der vollständigsten der kaiserlichen Epoche und „le plus beau qui ait jamais paru sur l’histoire de l’empire romain.“ (174). - Jullian überschätzt übrigens völlig Umfang und Aktualität des von Ranke benutzten Materials. - (Zum Urteil Abel Lefrancs über die posthumen Bände VIII und IX s. I, 397). Die Aufnahme der ‚Weltgeschichte‘ in den Niederlanden - eine holländische Übersetzung ist nie erschienen - ist wohl vor allem in Zusammenhang mit Besprechungen in der seit 1837 bestehenden Amsterdamer Zeitschrift ‚De Gids‘ zu sehen. Hier waren es zwei nicht unbedeutende Rezensenten, welche sich des Werkes annahmen. Zunächst der überwiegend als Sprach- und Literaturwissenschaftler tätige, über Aristophanes promovierte Willem Gerard Brill (1811-1896), der sich mehrfach mit Goethes ‚Faust‘ beschäftigte, jedoch in den 1860er Jahren auch an den Fortsetzungen der ‚Algemeene geschiedenis des vaderlands, van de vroegste tijden tot op heden‘ von - 368 -

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Johannes Pieter Arend beteiligt war. In seiner Besprechung geht er eingangs auf das Verhältnis von Naturwissenschaft, Religion und Geschichtswissenschaft ein und betont Rankes „geest van den hoogsten ernst en met het uitgesproken doel om der waarheid de eere te geven“ (118). Des weiteren der bereits anläßlich einer Besprechung von Rankes ‚Hardenberg‘ betrachtete Jérôme Alexander Sillem: Er verglich 1884 in ‚De Gids‘ Rankes ‚Weltgeschichte‘ mit den von Becker, Weber, Victor Durny und Schlosser verfaßten entsprechenden Werken, von denen Ranke sich vor allem durch die selbständige und vergleichende Kritik der ursprünglichen schriftlichen Quellen unterscheide. Sillem findet seine „eenige ernstige grief“ in der Zurückhaltung Rankes mit Jahreszahlen (392), was ihm ein wesentlicher Orientierungsmangel zu sein scheint. - Das wohl 1881 erschienene Schriftchen des mennonitischen Predigers Jan Hartog (18291909) mit dem Titel ‚Leopold von Ranke over het Oude Testament‘, welches eine Besprechung des ersten Bandes der ‚Weltgeschichte‘ dargestellt haben dürfte, ist nach neuester Auskunft als weltweit einziges öffentliches Exemplar in der Koninklijke Bibliotheek Den Haag verloren gegangen. D a s l e t z t e J a h r (I/2.1.9.5) Das Jahr 1885 bringt durch das Zusammentreffen mehrerer ungewöhnlicher persönlicher Ereignisse den Höhepunkt der Ehrungen und der öffentlichen Aufmerksamkeit in Rankes nun fast neunzig Jahre zählendem Leben. Zunächst begeht er am 31. März die Feier seines sechzigjährigen Professoren-Jubiläums. Aus diesem Anlaß konnte er sich der Verleihung des Sterns der Komture des Kgl. Hausordens von Hohenzollern und des Ehrenbürgerbriefes der Stadt Berlin erfreuen. Darin wird attestiert, er habe „seit nun 60 Jahren den Ruhm der Universität durch unvergängliche Werke“ gemehrt und „indem er die Blätter der Archive in lebendige Zeugen der Vergangenheit verwandelte, die historische Forschung in eine neue Bahn“ gelenkt, sei, „um das Geschehene zu erkennen, aus der Fülle des Wissens auf des Sehers, den Streit der Interessen überragende Höhe“ gestiegen, habe „die Kunst der Griechen in deutscher Sprache“ erneuert, „dem Vaterlande sein Werden, der gebildeten Welt ihrer Gestaltungen Zusammenhang und ihrer Heroen durch die Jahrhunderte reichendes Wirken“ aufgewiesen und „so den Brennpunkt der neuen Geschichtsschreibung“ nach Berlin verlegt (Anonym in: National-Zeitung vom 31. 3. 1885. Zu Rankes Dankesrede s. II/6.6). Der noch zu betrachtende Constantin Bulle (s. I, 403), aber auch der hochgestimmte Ranke-Jünger Max Lenz widmeten ihm zu diesem Anlaß Artikel: Bulle in der ‚Nation‘ vom 4. April 1885, Lenz in Nr. 14 der ‚Gartenlaube‘ aus 1885. Gemeinsam war ihnen nicht nur die gewandelte Beurteilung der Rankeschen ‚Unparteilichkeit‘, sondern auch das positive Urteil über die Tragfähigkeit seiner ‚Prinzipien‘ (s. I, 164, 186). Und Lenz ergänzte: In dem Maße, wie die Erkenntnis der „Prinzipien“ Rankes zunehme, die eine „ewige Dauer haben werden wie Kepler’sche Gesetze“, in dem Maße werde auch der „Zusammenhang, der Ueberblick und die Gemeinsamkeit der historischen Arbeit wachsen.“ Das letzte und höchste Fest seines Lebens, fünf Monate vor seinem dann doch überraschenden Tod, konnte Ranke mit seinem 90. Geburtstag, am 21. Dezember 1885, begehen. Das ‚Berliner Tageblatt‘ vom Vortag sah wegen der weiten europäischen Wirkung Rankes für den folgenden Tag „nach der Luisenstraße Berlins die Blicke von - 369 -

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Millionen sich richten“. In der Tat wurden Feiern nicht allein in Berlin, auch in Wien und anderen Städten veranstaltet. „... einen Geburtstag wie diesen“ habe „noch nie ein deutscher Gelehrter erlebt; aber Deutschland hat auch noch nie einen Gelehrten gehabt wie ihn“, konnte man in der Ranke stets gewogenen ‚Neuen Evangelischen Kirchenzeitung‘ lesen. „Unbestreitbar“ sei „die Höhe, welche die deutsche Geschichtsforschung in der Gegenwart erreicht“ habe, zum größten Theile auf seine Anregung zurückzuführen.“ (Anonym in: NEK/2. 1. 1886, 4f.). Neben dem konfessionell empathischen Blatt waren es wohl vor allem die ‚Illustrirte Zeitung‘, die ‚National-Zeitung‘, das ‚Berliner Tageblatt‘, die ‚Norddeutsche Allgemeine Zeitung‘, die ‚Hallische Zeitung‘, die ‚Frankfurter Zeitung‘, die ‚Allgemeine Zeitung‘, ‚Die Grenzboten‘, ‚Die Gegenwart‘, die ‚Preußischen Jahrbücher‘, die ‚Berichte des Freien Deutschen Hochstiftes zu Frankfurt am Main‘, auch die ‚Times‘, diese gar mehrfach, welche dem 90. Geburtstag Rankes ihre Aufmerksamkeit schenkten, - weitere Schritte zur Entstehung eines historiographiegeschichtlichen Nationalepos, in dem Ranke die Heldenrolle zugewiesen war. Und so konnte sein Amanuense Georg Winter, der in der ‚NationalZeitung‘ stets zur Stelle war, wenn es galt, die Verdienste seines Lehrers hervorzuheben, am 22. Dezember 1885 schreiben: „Heute vereinigt sich die Nation zur Feier des Geburtstages eines Mannes, der wie kaum ein zweiter dazu beigetragen hat, ihr das Verständniß der Vergangenheit zu eröffnen und sie dadurch auf den hohen Beruf vorzubereiten, der ihr in der Gegenwart beschieden war.“ Ihm sei es „in erster Linie zu verdanken..., wenn ihr heute von allen Kulturvölkern der Ruhm eingeräumt wird, auf diesem Gebiete an der Spitze der wissenschaftlichen Bewegung zu stehen.“ Auf dieser nationalen Höhe sah ihn beiläufig auch sein Bruder Ernst, der ihm in einer ‚Festgabe zum neunzigsten Geburtstag‘ wiederum einige Blankverse widmete: „ Daß bis zu dieser Stunde Du mit Lust/ Und ungebrochner Kühnheit Tausenden/ Ein Führer bist auf dem unendlichen/ Gefild, wo Menschenthun und Gotteskraft/ Zum höchsten Schauspiel wundervoll sich eint./ Dank Ihm! und Amen sagt das deutsche Volk…“ (II-III). - Es versteht sich, daß zu Rankes 90. Geburtstag auch Ordensverleihungen nicht ausbleiben konnten, - in hohen bis höchsten Stufen, deren sich „ein Held des Geistes“ bisher kaum hatte rühmen können ([Anonym:] Leopold von Ranke’s neunzigster Geburtstag. In: Hallische Ztg., 2. Ausg., Nr. 300, Halle, 23. 12. 1885 (Titelseite): die Verleihung des Großkreuzes des Kgl. sächsischen Albrechtsordens, des Großkreuzes des großherzoglich-badischen Ordens vom Zähringer Löwen, des Großkreuzes des großherzoglich sächsischen Hausordens der Wachsamkeit oder vom Weißen Falken, des Großkreuzes des Ordens der Krone von Italien, des Kgl. serbischen St.-Sava-Ordens. Die gleichsam officiöse Dokumentation des Ereignisses und dessen Hauptquelle stammt von Rankes Schüler Theodor Toeche, der sie in seinem Verlag herausbrachte. Bei der Berliner Feier trafen Gratulationsschreiben Ks. Wilhelms I., des Preußischen Staatsministeriums, unterzeichnet von allen Mitgliedern, voran von Bismarck ein. Darin ist bemerkenswert der Wunsch, Ranke möge es vergönnt sein, „vor Allem das Werk, in welchem Sie die Thaten der ersten Kaiser aus sächsischem Stamme geschildert haben, fortzuführen bis zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches unter der Führung unseres Kaisers und Königs Majestät.“ Ferner: Gratulationsschreiben der Kaiserin Augusta, der Universitäten Greifswald, Bonn, Leipzig, Straßburg, Leiden, sowie von George Bancroft als Präsident der ‚American Historical Association‘, worin dem „greatest living historian“ (Toeche/1886, 36 u. Resolutions/1886, 62f.) die erste - 370 -

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Ehrenmitgliedschaft angeboten wurde. Bereits im Oktober war ihm solches von der ‚American Philosophical Society‘ zuteil geworden (Gilbert/1986). - Unter den Ansprachen, wozu auch die von Waitz und Sybel zählen, stammte die schmeichelhafteste von Prof. Paul Kleinert (1839-1920), Theologe und zu dieser Zeit Rektor der Berliner Universität. Er führt die nationale Erhöhung Rankes, des „Lehrers eines ganzen Volkes“ und des „fruchtbarsten Lehrers dieses Jahrhunderts“ fort (Toeche/1886, 14). Zu einer auffallend maliziösen Ansprache ließ sich Theodor Mommsen als Sprecher der philosophisch-historischen Klasse der Akademie hinreißen: „Ihr seltenes Talent, an jedem Menschen das Beste zu finden ... so haben auch Sie es verstanden, die Menschen darzustellen, vielleicht nicht immer wie sie waren, sondern wie sie hätten sein können.“ (Toeche/1886, 13). Dies zeigt, daß noch Residuen älterer Kritik vorhanden waren, obgleich sie sich um diese Zeit selten bemerkbar machten, so noch in einem aus Anlaß der Feier geschriebenen Artikel eines anonymen Ranke-Hörers im Berliner Tageblatt vom 20. Dezember 1885: Ranke habe „die absolute Objektivität zum historischen Gesetz“ erhoben. Gleichwohl übersieht der Verfasser nicht, daß „starre Objektivität ... eben nothwendig nicht ohne Schattenseiten“ bestehe, und aus ihr sei zu erklären, „daß Ranke, wie er nicht für das Volk schrieb, auch nicht nationale Geschichte schrieb“, Nachteile, die durch die Tätigkeit seines bedeutenden Schüler-Kreises aufgehoben seien. Zu den Teilnehmern der Feier gehörte auch Rankes Hörer Moritz Lazarus (18241903). Der nunmehrige Berliner Professor für Philosophie, der in seinen Lebenserinnerungen von mehreren gesellschaftlichen Treffen mit Ranke berichtet (s. II, 491, 494f., 504), hält ihn für einen „Riesengeist“ (Lazarus/1906, 492). Von biographischer Bedeutung ist Rankes Dankesrede auf die verschiedenen Gratulationsansprachen (s. II/6.6). - Ganz unkritisch und nahe am Paradoxen gab sich Rankes Hörer Ludwig Oelsner, der in einem Festvortrag vom 20. Dezember 1885 vor dem ‚Freien Deutschen Hochstift‘ gerade in der Rankeschen Objektivität „den vollen Mut der Meinung“ gepaart mit „Unparteilichkeit“ und „erforderlicher Leidenschaftslosigkeit“ glaubte erblicken zu können (Oelsner 1885/1886, 100f.). Überhaupt trifft man nun öfter auf den Austausch der bisher beanstandeten Marmor-Kälte Rankes durch einen „warmen Herzenston der Ueberzeugung“, so auch bei Bruno Gebhardt (1858-1905). Dieser hatte 1881 sein - in Überarbeitungen - äußerst langlebiges ‚Handbuch der deutschen Geschichte‘ herausgegeben und seine Nähe zu Ranke schon 1884 in seiner Dissertation ‚Die Gravamina der deutschen Nation gegen den römischen Hof. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Reformation‘ (Breslau 1884) und 1886 in einem Beitrag zur Geschichte der Kurie und der Renaissance über Adrian von Corneto bezeugt. Gebhardt „verehrt, bewundert, preist“ in einem Artikel der ‚Gegenwart‘ vom 26. Dezember 1885 zu Rankes 90. Geburtstag vor allem die Universalität, die Objektivität und die kritische Methode. Wie es vor Ranke nie einen „so universellen Historiker“ gegeben habe Ranke würdige „überall die Geschichte des einzelnen Volkes im Zusammenhange der Universalgeschichte“ -, so sei es auch einer seiner „genialsten Vorzüge“, daß er „unbeeinflußt von Vorurtheilen irgendwelcher Art und von dem Streben beseelt, alles zu verstehen, alles nachzuempfinden, sich gleichsam loszulösen aus den Fesseln seiner Zeit ... von reiner Höhe den Blick unbefangen“ zurücklenke. Beachtenswert, auch für künftige Diskussionen, war eine Bemerkung des Göttinger Waitz-Schülers und Ordinarius August Kluckhohn (1832-1893, s. Wrede, Ad.: Kluckhohn, August. In: ADB 51/1906, 241-244), der in seinem Beitrag zu Rankes 90. - 371 -

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Geburtstag in der ‚Allgemeinen Zeitung‘ vom 24., 25., 31. Dez. 1885 feststellte, Rankes Streben, „über den Streit der Parteien hinaus zu einer Auffassung zu gelangen, die nicht die Schuld großer Katastrophen einzelnen Persönlichkeiten“ beimesse, „sondern die Ereignisse aus einer inneren Notwendigkeit wie mit Naturgewalt sich vollziehen“ lasse, trete hie und da in den späteren Werken vielleicht noch deutlicher als in den früheren zu Tage“ (439). Dies entsprach auch einem Eindruck Robert Pöhlmanns (HZ 55/1886, 190, s. I, 356). Eine wohlwollende, biographisch erstaunlich gut unterrichtete Skizze verfaßte der Philosoph Friedrich Kirchner (1848-1900, s. Matthias Wolfes: Friedrich Kirchner. In: Biogr.-Bibliogr. Kirchenlexikon, Bd. 27, Nordhausen 2007, Sp. 745-750) zu Rankes 90. Geburtstag in der ‚Illustrirten Zeitung vom 19. Dez. 1885, welche allerdings trotz philosophischer Voraussetzungen des Rezensenten zu Rankes Geschichtsanschauung nicht vordrang. Kirchner bietet beiläufig ein Beispiel für die nun auf breiter Front verlaufende Verklärung oder Verkennung der einst an Rankes Werk geübten Kritik, wenn er zu dessen ‚Französischer‘ und ‚Englischer Geschichte‘ bemerkt, „in beiden Ländern“ habe „seine ruhige, objective und umsichtige Darstellung viel Beifall“ gefunden (642). Rankes Amanuense Winter versuchte in seinem bereits herangezogenen Artikel zu Rankes 90. Geburtstag weiterhin, „Wesen und Bedeutung der Ranke’schen Geschichtschreibung“, wenn auch „nicht ... in erschöpfender Weise zur Anschauung zu bringen“, wobei nun einmal besonders auf die Bedeutung des Doppel-Erstlingswerkes und der ‚Weltgeschichte‘ abgestellt wird. Letztere setze an die Stelle des Problems einer Philosophie der Geschichte „eine geniale Lösung desselben“ (Winter: Zum 90. Geburtstag/1885). Der Anlaß begünstigte auch die Entstehung eines weiteren rankebezogenen Artikels aus der Winterschen Feder. Er griff das von seinem Freund Jastrow bereits 1881 behandelte beliebte, allerdings häufiger mit Macaulay durchgeführte anglodeutsche komparatistische Thema auf und schrieb 1885 in der Zeitschrift ‚Nord und Süd‘ über ‚Buckle, Lecky, Ranke. Universalhistorische Ideen in England und Deutschland‘. Ihm geht es dabei um eine allgemeine Betrachtung des „bedeutendsten aller universalhistorischen Werke, welche die Geschichtschreibung bisher überhaupt hervorgebracht hat“ (53), der ‚Weltgeschichte‘ Rankes im Vergleich mit Buckles ‚History of Civilisation in England‘ (2 Bde, 1857, 1861) und Leckys ‚History of European morals from Augustus to Charlemagne’ (2 Bde, 3. Aufl 1877). Rankes Werk durchziehe im Gegensatz zu dem materialistischen Buckles (60) ein „echtdeutscher Idealismus“ (63), verbunden mit einer „genauen Kenntniß der realen Bedingungen“ (70). In der „Würdigung der idealen Güter der Menschheit“ stehe Ranke „dem Antipoden Buckles, Lecky, weit näher als diesem, ohne jedoch in dessen einseitige Betonung der ethischen Systeme zu verfallen“ (63). - Bei der englischen Thematik blieb Winter auch in einem Beitrag zur ‚Gegenwart‘ vom März 1888 mit dem Titel ‚Ein englisches Urtheil über deutsche Geschichtschreibung‘. Hierin besprach er die Schrift Actons über ‚German Schools of History‘ von 1886 in der Übersetzung von v. J. Imelmann u. d. T.: Die neuere deutsche Geschichtswissenschaft. Eine Skizze (Bln. 1887, s. I, 381). Das mit Blick auf Rankes Alter immer stärker bewußt werdende Fehlen einer geschlossenen ‚Historik‘ und Selbstdarstellung seiner allgemeinen Geschichtsanschauung führte anläßlich des 90. Geburtstages zu einer wenigstens von fremder Hand unter dem Titel ‚Lichtstrahlen aus seinen Werken‘ veranstalteten ersten, thematisch geschickt gegliederten Sammlung entsprechender Textabschnitte und Sentenzen nahezu - 372 -

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aus dem Gesamtwerk, die auch Ranke recht gut gefiel und immer noch eine gewisse Brauchbarkeit besitzt (s. II, 554). Das Jahr 1885 ließ endlich auch die lang bearbeitete ‚Geschichte der Deutschen Historiographie seit dem Auftreten des Humanismus‘ zu Tage treten, ein Unternehmen der Historischen Kommission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften in München, das nicht nur Ranke ausführlich berücksichtigte, sondern auch - als Teil einer ‚Geschichte der Wissenschaften in Deutschland‘ - auf eine seiner der Historischen Kommission vermittelten Anregungen zurückging (L[eopold]. Ranke: Entwurf zu einer Geschichte der Wissenschaften in Deutschland, 1859, s. Abt. II/4.1.2 u. II/6.5). Der Verfasser, Franz Xaver von Wegele (1823-1897), Professor in Würzburg und Mitglied der Kommission, fand mit diesem Werk „eine wenig freundliche Aufnahme“ (s. Du Moulin Eckart, Richard Graf: Wegele, Franz. In: ADB 44/1898), 443-448), wohl nicht zu Unrecht, denn die Darlegungen leiden - gerade auch im Abschnitt ‚Leopold von Ranke und seine Schüler‘ (1041ff.) - an einer gewissen Flachheit, die sich besonders hinsichtlich der grundlegenden Elemente und Fragen der Geschichtsanschauung Rankes - etwa zu Immanenz und Transzendenz, Kausalität, Teleologie, Ideenbegriff, Staat und Kirche, Objektivität, Quellenbehandlung, Darstellung und anderem mehr - auch hinsichtlich der auf ihn wirkenden Einflüsse und seiner zeitgenössischen Wirkung bemerkbar macht. Zumindest warnt von Wegele davor, „zu viel Gewicht“ auf Rankes Beziehung zur „romantischen Schule“ zu legen (1044). - Ein wenig muß man ihm zugute halten, daß wichtige Zeugnisse zu diesen Fragen erst nach Rankes Tod veröffentlicht wurden. Wegeles mangelnde Tiefe ist verbunden mit einer allzu geringen Distanz zum „Meister“ und einer deutsch-nationalen Haltung, die es begrüßt, wenn dieser sich „in den Dienst der vaterländischen, der nationalen Geschichte stellt“ (1056). Seine ‚Päpste‘ seien „ein Triumph des deutschen Geistes, der deutschen Wissenschaft“ gewesen (1048). Überhaupt habe in diesem 19. Jahrhundert „die Begründung einer Wissenschaft der Geschichte ihre Vollendung“ erhalten (1042). Eine leise Kritik klingt an, wenn Wegele bemerkt, Ranke sei „vielleicht dem vorwärtsdrängenden politischen Geiste der Zeit lange genug allzu ängstlich“ nachgefolgt (1048). Der wohl im Zusammenhang mit Rankes 90. Geburtstag entstandene Aufsatz Julian Schmidts in der ‚Deutschen Rundschau‘ vom Mai 1886 mit dem schlichten Titel ‚Leopold von Ranke‘ schließt als eine der bedeutenderen zeitgenössischen Gesamtwürdigungen Rankes zu dessen Lebzeiten die intensive Auseinandersetzung des am 26. März 1886, etwa zwei Monate vor Ranke, verstorbenen Literaten und Literarhistorikers ab. Kein anderer Vertreter dieser Künste oder Zünfte hat sich öffentlich angelegentlicher mit Rankes Werk befaßt. Erst aus Ranke, so bekennt Schmidt, sei ihm deutlich geworden, „was der romantischen Schule vorschwebte, wenn sie die Ironie verherrlichte; die Ironie nämlich, welche den Enthusiasmus keineswegs ausschließt“ (221). Schmidt würdigt Rankes historische Weltanschauung in erster Linie als eine ästhetische und preist in diesem Zusammenhang dessen ‚Päpste‘ als „das vollendetste historische Kunstwerk, das wir in deutscher Sprache besitzen“ (230, s. I, 203). An der „schönen Farbenharmonie dieser Bilder“ könne man sich immer wieder „ergötzen“ (230), ein Urteil, das Schmidts kaum vorhandene fachhistorische Perspektive bezeichnet, die oft zu Malerei-Metaphern greift, wie bereits Hegel, Heinrich Leo und Luwig von Pastor, und die auch in jüngster Zeit ihre Anhänger gefunden hat (Harth/1998; Christöphler, Dippel/2000; Hebekus/2004 u. a.). Alle Porträts in Rankes früheren - 373 -

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Werken, so Schmidt, sähen aus „wie Oelgemälde“, in der ‚Weltgeschichte‘ trete Ranke „zum ersten Male ... als Frescomaler auf, und zwar im größten Stil“ (235). Die Schilderung des Verhältnisses Rankes zu Schiller, wobei Schmidt an Rankes Rede zu seinem 90. Geburtstag anschließt, vor allem eine von ihm - keineswegs von Ranke betonte Nähe zu Goethe, auch des Verhältnisses zu dem sehr positiv beurteilten Walter Scott, zu Johannes von Müller, Möser und Niebuhr vermag sich indes noch nicht zu einer synthetischen Skizze der geistigen Entwicklungsgeschichte Rankes oder gar seiner historiographiegeschichtlichen Position zusammenzufügen.

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10. Kapitel (I/2.1.10) L ET ZT E TAG E - TO D - N A CH RUF E Da Ranke in den ersten Monaten des Jahres 1886 noch unvermindert an seiner ‚Weltgeschichte‘ gearbeitet und überdies Besuche zumindest von Frederic A. Bancroft, Ernst Dümmler, Alfred Dove, Bernhard von Simson, Philip A. Ashworth, Karl Lamprecht und Alfred v. Reumont erhalten hatte (s. II/7.2), trat sein Tod, obgleich seit Jahren zu erwarten, überraschend binnen kurzem ein. Diese letzten Tage erregten großes Aufsehen und Anteilnahme. Täglich ließen sich die „allerhöchsten Herrschaften und die Spitzen der Berliner Gesellschaft und Gelehrtenwelt“ „über das Befinden des Erkrankten ... Nachricht einholen.“ (Ausschnitt einer nach dem 9. Mai erschienenen Ztg., in R.s Personalakte II, GStA PK, I. HA Rep. 76). Im Ausland berichteten vor allem englische Zeitungen und Zeitschriften. Nicht nur der Berliner Korrespondent der ‚Times‘ am 18., 21. und 24. Mai, auch der ‚Manchester Guardian‘ am 25. sowie ‚Academy‘ und ‚Athenæum‘ am 29. Mai schrieben über Rankes Sterben und Tod, der am 23. Mai gegen 22.30 eintrat. Rankes älterer Sohn hielt am Sarg eine Ansprache, in der er besonders Heimatliebe, Familiensinn, Christentum und Arbeitsamkeit seines Vaters hervorhob und „seine Liebe, seine Verehrung zu unserem Herrscherhause“ unterstrich: „einen königstreueren Unterthan konnte es nicht geben! Mit ganzer Seele war er der Historiograph des preußischen Staates.“ (In: [Ranke, O. v.:] Zu Leopold von Ranke’s Heimgang/1886, 25, s. u.). - Das Leichenbegängnis war so, „wie es einem Könige im Reiche des Geistes geziemt“: Der „kolossale Trauerzug“ hatte in seiner „bunten Pracht eine nach Tausenden zählende Menge herbeigelockt ... Hinter dem Leichenwagen folgten die Angehörigen, dann die 4 Galawagen des Kaiserlichen Hofes, darauf die Professoren der Universität ... Darauf folgten in bunter Reihe hinter dem Ausschuß der Studierenden mit dem Universitätsbanner und den Fakultätsfahnen die unzähligen Vereine und Korporationen der hiesigen Universität mit ihren Bannern und Fahnen. Als der Zug ‚Unter den Linden‘ die Hauptwache passierte, trat dieselbe unter das Gewehr ...“ (P.: Die Beerdigung Leopold von Rankes. In: Akademische Bll., Jg. 1, Bln. 1886/87, 41). Bei der studentischen Trauerfeier hielt Hans Delbrück eine Ansprache (P: Die Beerdigung Dr. Leopold von Ranke’s, 1886/87, 41). ‚Zu Leopold von Ranke’s Heimgang‘ ließ sein Sohn Otto sehr bald eine Dokumentation folgen. Es ist ein verhältnismäßig rückhaltloser tagebuchartiger Bericht (datiert 22. u. 24. Mai 1886), der auch kurz auf Rankes Erkrankungen der Jahre 1867 und 1878 eingeht, aber v. a. die letzten Lebensmonate schildert, mit den vergeblichen Bemühungen Rankes, den siebten Band seiner ‚Weltgeschichte‘ zu vollenden, sodann ausführlich die letzten Lebenstage und -stunden des Sterbenden der Öffentlichkeit preisgibt. Zum Decorum der Dokumentation gehört die Veröffentlichung hoher und allerhöchster Kondolationsschreiben, von Kaiserin und Königin Augusta, Kronprinz Friedrich Wilhelm, Prinz Albrecht v. Preußen, Fürst Otto v. Bismarck. Geringere Beileidsbekundungen trafen in größerer Zahl ein, wovon etwa neunzig erhalten sind (heute im Archiv des Ranke-Vereins Wiehe). Einige in besonderem Maße wissenschaftsbezogene wurden durch Rankes Urenkel mitgeteilt: von A. Dove, W. v. Giesebrecht, E. Dümmler, C. v. Hegel, A. Stern, W. Maurenbrecher, K. Höhlbaum, M. Lazarus, A. Lasson, A. Stöcker, G. von Lauer (Bäcker-Ranke: Kondolenzbriefe/1967). Die Stimmen, die unmittelbar nach Rankes Tod, gefördert durch die familiäre und journalistische Publizität des Ereignisses, laut wurden, sind verständlicherweise zu-

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meist von harmonisierender und pietätvoll idealisierender Art, zumal wenn sie ausdrücklich nekrologischen Charakter tragen. Im ‚Berliner Tageblatt‘ vom 24. Mai 1886 wird der Verstorbene über alle Spalten der Frontseite hinweg anonym als ein „Führer deutschen Geisteslebens“, als „Apostel der Wahrheit“ gewürdigt, der „die strengste Objektivität zum kategorischen Imperativ“ erhoben habe. Man schließt mit dem Satz: „sein Geist lebt unter uns und wird segensreich fortwirken bis in die spätesten Zeiten.“ Das ‚Deutsche Adelsblatt‘ vom 30. Mai würdigt ihn anonym als „Bannerträger des deutschen Ruhms“. - Wie bei den Besprechungen der ‚Weltgeschichte‘ tritt auch nekrologisch wieder das apologetische Amanuensen-Paar Winter und Jastrow auf. Zwei Tage nach Rankes Tod veröffentlichte Georg Winter einen Nachruf, der eine Skizze von Rankes äußerem Leben, Werdegang und Werkhervorbringung, jedoch keine greifbaren besonderen persönlichen Erinnerungen bot (Winter: Leopold von Ranke†/1886) und am 2. Juni in der ‚Protestantischen Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland‘ nachgedruckt wurde. Wertvoller sind Winters im August in ‚Nord und Süd‘ veröffentlichte ‚Erinnerungen an Leopold von Ranke‘. Sie bilden eine beachtenswerte Quelle, v. a. zur Arbeitsweise und Bibliothek Rankes, zur Entstehung der Biographien Friedrich Wilhelms IV. u. Friedrichs des Gr. und der ‚Weltgeschichte‘. Sein Artikel in der ‚Gegenwart‘ vom 9. Febr. 1889 mit dem Titel ‚Ranke und die Entstehung seiner Weltgeschichte. Erinnerungen‘ stellt im wesentlichen eine gestraffte Fassung dar. - Ignaz Jastrow suchte über einige Irrtümer der Ranke-Biographik aufzuklären, erlag dabei doch auch selbst manchem Irrtum, indem er gewandelte Altersäußerungen Rankes über seine Jugend völlig unkritisch übernahm, so in Hinsicht des im Alter gänzlich abgelehnten Einflusses Gottfried Hermanns und der angeblich leicht errungenen ersten akademischen Lehrerfolge (Jastrow: Leopold von Ranke†/ 1886 u. [Jastrow, Ignaz: Zuschrift]/1886). Jastrows Versuch übrigens, eine Übereinstimmung Rankes mit Ottokar Lorenz in dessen Generationenlehre (s. I, 410) glaubhaft zu machen, wurde von Wiedemann (II/1891, 332) widersprochen. Von Interesse ist Jastrows persönliche Wahrnehmung, Ranke habe „von seiner Universitätszeit nur selten gesprochen und trotz der so oft gebotenen Gelegenheit“ habe er „niemals einen seiner akademischen Lehrer erwähnt“ (Jastrow: Leopold von Ranke†/1886, 490). Dies kann ergänzt werden durch den Hinweis auf das lebenslange Schweigen Rankes über seine Promotion bzw. nicht geschriebene Dissertation. Auch von konfessioneller Seite wurde Rankes Tod beachtet. Otto Zöcklers am 19. Juni in die ‚Evangelische Kirchenzeitung‘ verbrachte Skizze über ‚Leopold von Ranke als Christ‘ nutzte den Verstorbenen mild in seiner Reputation als Glaubenszeuge, indem sie Proben aus den Werken, im besonderen der ‚Weltgeschichte‘ vorstellte, in denen sich „sein kindlicher Glaube an die geoffenbarte Wahrheit im Gotteswort kundgiebt - hie und da auch Proben von jener reflexionsmäßigen, ja wenn man will von einer rationalisirenden, (freilich nicht rationalistischen) Art der Auffassung.“ (528). Der Katholik Franz Hülskamp (s. o.) war hinsichtlich der Objektivität ganz anderer Meinung als die preußisch-protestantische Presse, eine Meinung, die er indes im Endergebnis mit dem Sozialdemokraten Franz Mehring teilte. In Hülskamps nekrologischer Notiz seines ‚Literarischen Handweisers‘ vom Juli 1886 heißt es: „Ranke war mehr Geschicht s c h r e i b e r als Geschichtsf o r s c h e r [jew. i. T]. Außer einem umfassenden, weitausschauenden Geiste brachte er dafür namentlich eine große Gelehrsamkeit, ein maßvolles Urtheil u. eine vorzügliche Formgebung mit. Seine histor. Grundanschauungen haben ihn aber trotz aller scheinbaren ‚Objectivität‘ nicht über einen ziemlich vulgären, der Kirche abholden Protestantismus u. Rationalismus hinausge- 376 -

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führt.“ (340). Letzteres ging wohl gegen Zöcklers maßvollere Auffassung. - Für den Sozialdemokraten Franz Mehring (1846-1919), der in der Berliner ‚Volks-Zeitung. Organ für Jedermann aus dem Volke‘ vom 25. Mai 1886 unter dem entnobilitierten Titel ‚Leopold Ranke‘ einen Nachruf über alle drei Spalten der Frontseite brachte, sind Rankes Tage als Geschichtschreiber gezählt. Lediglich der Künstler Ranke im Gegensatz zum Gelehrten sei unsterblich, da seine vom „Standpunkt der Regierenden“ ausgehende Geschichtschreibung so subjektiv gewesen sei, „wie nur immer irgend eine Geschichtschreibung“. (Mehring hat sich noch mehrfach zu Ranke, teils positiv, geäußert, wie bei Berthold/1988, 388 nachgewiesen: u. a. F. M.: Ges. Schrr. III, 24; V, 219, 295f., 367; VII, 493f., 507; VIII, 117, 131, 136, 186, 371, 401; IX, 12, 19, 50, 111, 246; XIII, 90, 327, 329; XIV, 629). Die anonyme nekrologische Notiz der ‚Protestantischen Kirchenzeitung für das evangelische Deutschland‘ vom 26. Mai 1886 wischte die von fachtheologischer Seite geäußerten Bedenken gegen Rankes bibelkritische Ansätze vom Tisch. Zwar sei Ranke - ein „innig-frommer Christ in Wesen und Wandel“ - bei der Quellenkritik des Urchristentums in Band III seiner ‚Weltgeschichte‘ „erheblich conservativer als die Kirchengeschichtsschreibung des freien Protestantismus“, doch lasse seine „ebenso tiefreligiöse als großartig unbefangene Geschichtsbetrachtung ... von der Kleinlichkeit unserer theologischen Apologetik nicht das geringste verspüren.“ - Die ‚Neue Evangelische Kirchenzeitung‘ vom 5. Juni weiß in ihrem anonymen Nachruf überraschend auch um die Gründe Rankescher Fähigkeiten und Erfolge: „Weil Ranke ein vom Geiste Christi erfüllter evangelischer Christ war, ist er der größte Geschichtsschreiber unseres Volkes geworden.“ - Ranke habe „unsre Geschichtsbetrachtung ein- für allemal auf eine höhere und höchste Stufe gehoben“. Dem „religiösen, christlichen, evangelischen Factor der Geschichte“ sei er „gerecht geworden wie Wenige“, heißt es in einem anonymen Nachruf der ‚Deutsch-evangelischen Blätter‘. (1886/498). - Dem Lob der Rankeschen Objektivität, die er nicht als Gesinnungslosigkeit verstanden wissen will, gilt ein Artikel der ‚Allgemeinen konservativen Monatsschrift für das christliche Deutschland‘. Der Verfasser erinnert an den alten, soliden Kritik-Topos der „versagten Vollständigkeit“ (740) der Rankeschen Darstellungskunst und prophezeit, wohl nicht völlig unrealistisch, die Geschichte der Geschichtsschreibung müsse künftig in eine Zeit vor Ranke und nach Ranke gesondert werden (Schaedel/Juli 1886, 736). Die Nachrufe der wenigen noch lebenden gereiften Fachkollegen, die Ranke zeitlebens auf Distanz näherstanden, sind nicht frei von absprechenden Andeutungen. Der mit ihm noch aus den Zeiten des ersten Italienaufenthalts vertraute Alfred von Reumont, der bereits früher kleinere kritische Einwürfe unternommen hatte ([Reumont]/ 1878 u. Reumont/1884), die nicht seiner Katholizität geschuldet zu sein scheinen, gab in seiner auch in Italien erschienenen ‚Necrologia‘ (Reumont/1887) eine verhältnismäßig ausführliche Schilderung von Leben und Werk, welche v. a. auf die venezianischen Relationen und ihre Bedeutung für die ‚Päpste‘ abstellt. Mit diesem Werk habe Ranke „das Geschichtsbuch zu einem Kunstwerk“ erhoben (Reumont/1886, 614). Nicht erst die spätere Heranführung des Werkes bis in die Zeiten Pius’ IX. gibt Reumont trotz grundsätzlichen Wohlwollens und weitreichender Anerkennung der allgemeinen Meisterschaft Rankes Anlaß zu kritischen Bemerkungen (613f.), so auch bei ‚Zur Kritik‘ (625) und bei der ‚Deutschen Geschichte‘ (s. I, 246f.). Doch wo man Ranke Gleichgültigkeit vorgeworfen habe, habe es sich nur um ein „vollendetes Maßhalten und Abwägen des Für und Wider“ gehandelt (615). - Der Nachruf schließt mit - 377 -

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der interpretationsbedürftigen Zweideutigkeit: „Den Ruhm des größten deutschen Historikers hat er mit ins Grab genommen.“ (635). Der zu den ältesten Schülern Rankes zählende Wilhelm Giesebrecht, der in seiner Habilitationsrede von 1858 - darin Sybel (1867) ähnlich - noch Niebuhr in überdeutlicher und ausführlicher Weise als „den vorzüglichsten Begründer unserer modernen deutschen Geschichtswissenschaft“ gefeiert hatte (Giesebrecht/(1858), 1859, 9), sah doch dreißig Jahre später, zu Rankes Tod, in dessen Erstlings-Doppelwerk durch die Anwendung von „Principien der Forschung, die bisher nur für die alte Geschichte zur Geltung gebracht waren, ... auf die neuere Geschichte“ einen „epochemachenden Fortschritt..., auf welchem die weitere Entwicklung der Geschichtswissenschaft ... beruhte“ (Giesebrecht/1887, 7f.). Dies war ihm möglich durch den ausdrücklichen, jedoch bedauerlichen Verzicht, den Werken Rankes „in ihrem Zusammenhang mit der allgemeinen Geschichtsliteratur ihre Stelle anzuweisen“. Giesebrecht beschränkte sich vielmehr auf den untauglichen, halbblinden Versuch zu zeigen, wie diese „aus seiner Persönlichkeit entsprungen“ seien (4). Das bereits in den Thesen seiner Disputation und auch späterhin sichtbar gewordene, noch weiterer Untersuchung bedürftige kritische Verhältnis Heinrich von Sybels zu seinem Lehrer Leopold von Ranke zeigt sich in seiner Gedächtnisrede vor der Berliner Akademie verständlicherweise nur verdeckt. Sybel sieht in Ranke einen „jener seltenen Menschen erster Ordnung“, einen „der schöpferischen Geister, welche Goethe genial nannte, weil sie auf ihrem Gebiete der Folgezeit die Regel setzen“ (Sybel: Gedächtnisrede, 1. 7. 1886. In: HZ 56, 1886, 464). - Sybel ist einer der ersten, die sich an einer Periodisierung von Rankes Leben und Schaffen versucht haben. Er unterscheidet drei „Lebensperioden“ von jeweils etwa dreißig Jahren. Nach seiner frühen, „halb autodidaktischen Periode“ erscheine Ranke in den Schriften des „gereiften Mannesalters ... als einer der besten Prosaisten unserer gesammten Literatur“ (470). Sybel weist auf Einflüsse Savignys, Hegels und vor allem Wilhelm von Humboldts hin. Rankes (von Sybel wiederum falsch zitiertes) Erstlingswerk vermittele den „Eindruck ... einer originalen, naiven, in voller Selbständigkeit aus eigenem Kerne entfalteten Schöpferkraft.“ (467). Und: „Es sind Niebuhrs kritische Grundsätze, welche hier zum ersten Male auf die Erforschung moderner Ereignisse durchgreifend angewandt werden.“ (Ebd.) Doch: „Der innerste Grund ihrer Auffassungen war bei Niebuhr ein ethischer, bei Ranke ein ästhetischer“. (468) - Den Werken der in Sybels Sicht zweiten Schaffensperiode gibt er den Vorzug vor denen der ersten. Denn die Darstellung der ‚Deutschen Geschichte‘ sei „durchtränkt von der Begeisterung des deutschen Patrioten für die höchste That des deutschen Geistes“ (473), wobei Sybel die Bedeutung Luthers überhaupt für Rankes Werke auf dem Gebiet des 16. und 17. Jahrhunderts betont (467). Sodann - mit persönlichen Erfahrungen - über Ranke als „Gründer einer historischen Schule, die man jetzt die historische Schule Deutschlands nennen kann.“ (Ebd.). - Für Rankes angeblich etwa mit seinem 60. Lebensjahr anhebende dritte Schaffensperiode sieht Sybel den „Reiz der individuellen Erscheinung“ allmählich zurücktreten „vor dem Zuge der weltgeschichtlichen Gesammtentwickelung. Nicht der Mensch bildet die Idee seines Handelns, sondern die Idee bestimmt das Streben des Menschen“ (478). Damit verbunden sei ein Zurückweichen des „sinnlich-konkreten Elements der Geschichtschreibung vor dem idealen und abstrakten.“ (479), und die „frühere Zurückhaltung im Urtheil über Menschen und Dinge“ sei „noch weiter gesteigert“ (ebd.). Die äußere biographische Momente einbeziehende Darstellung Sybels ist auch deshalb von Interesse, - 378 -

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weil sie zeitlich vor dem Erscheinen der in Band 53/54 der ‚Sämmtlichen Werke‘ ausgebreiteten biographischen Quellen liegt. Nicht zum Tragen kommen von Friedrich Meinecke beschriebene Unterschiede der historisch-politischen und Gegenwartauffassung Rankes und Sybels. Während Ranke noch „in dem Kampfe des Prinzips der Volkssouveränität mit den alten legitimen und historischen Gewalten die Signatur der Zeit erblickte, glaubte Sybel ... diesen Gegensatz bereits aufgehoben in dem modernen Rechtsstaate, der, stark und einheitlich, zugleich dem Individuum freiesten Raum zur Entfaltung gewähre.“ (Meinecke /(1895) 1968, 177). Der Nachruf der ‚Preußischen Jahrbücher‘ vom Juli 1886 aus der Feder des mehrfach herangezogenen Constantin Rößler, würdigt Ranke, den Vertreter einer „umfassenden Empirie“, als „größten Geschichtsschreiber“, neben Goethe als „größtem Dichter“ und Hegel als „größtem Philosophen“ (298). Rankes ‚Weltgeschichte‘, der Rößler bisher Kausalismus abgesprochen hatte - ein weiterhin beachtetes Thema -, erfährt nun positiv eine Deutung als „teleologischer Pragmatismus“ (300). Kurz gestreift wird der „künstlerische Charakter der Rankeschen Geschichtschreibung“ (ebd.), ausführlicher das Wesen der von Ranke „geschaffenen Art der historischen Kritik“ erörtert, welche „aus dem lebendigen Begriff der inneren Möglichkeit“ schöpfe (298f.) und die in einem Bildbruch Rößlers ihr „Rüstzeug“ aus der „Vorahnung der Welt und der wesentlichen Arten ihrer Thätigkeiten“ schöpfe (299). Hier macht sich auch bei Rößler während im Hintergrund die Ansätze einer Art Verstehenslehre sichtbar werden - eine mehr allgemein vorahnende als systematisch vertiefte philosophische Einstellung bemerkbar. Rankes unerreichte, auch in Zukunft nicht mehr zu erreichende Unparteilichkeit sei „von allen Eigenthümlichkeiten ... vielleicht diejenige, die ihn am meisten von den Vorgängern und Zeitgenossen unterscheidet“ (301). Rößler führt sie in einer seltenen Deutung z. T. auf den „deutschen weltumfassenden Humanismus“ des 18. Jahrhunderts zurück (ebd.). In diesem Zusammenhang kontrastiert er Ranke und Goethe in ihrem Verhältnis zu Geschichte und Politik sowie Ranke und Hegel, letztere besonders im Hinblick auf ihr Verhältnis zur Religion. Interessant erscheint Rößlers Gedanke: „daß wir einen solchen Geschichtsschreiber nicht wieder bekommen werden. Denn wir Deutsche haben aufgehört, die Zuschauer des Weltdramas zu sein, wir sind an erster Stelle Handelnde und Gefährdete geworden. Die Ferne, die zur absoluten Objektivität gehört, werden wir nicht wiedergewinnen.“ (302). Bei Betrachtung von Rankes Unparteilichkeit und versagter Vollständigkeit fand der im Zusammenhang mit Fragen der Quellenkritik (s. I, 163) herangezogene Alfred Stern in seiner Gedächtnisrede auf Ranke und Waitz vor der ‚Allgemeinen geschichtsforschenden Gesellschaft der Schweiz‘ den kaum beruhigenden Satz: „Es kommt öfter vor, daß er durch Verschweigen fehlt, aber viel seltener fehlt er durch Behaupten.“ (Stern/1887, 1914, dort 49). Ranke und Waitz waren Ehrenmitglieder der Gesellschaft, Stern Schüler oder zumindest Hörer beider (s. A. Stern/1914, 38-41). In seiner Rede nun liefert er eine dem Anlaß und seiner Einstellung entsprechende verehrungsvolle, jedoch nicht gänzlich unkritische Würdigung, die mit einigen persönlichen Erinnerungen durchsetzt ist und eine sonst nicht bekannte Äußerung Rankes überliefert (s. II, 489). Was Ranke vor allem auszeichne, sei die Verbindung des „feinsten Verständnisses in der Benutzung der Quellen“ (46) mit dem Ideal der Objektivität, dem er näher gekommen sei, als jeder andere (49f.) und mit einer „starken, künstlerischen Ader“ (51). - In seinem allein Ranke gewidmeten Nachruf vom 29. Mai 1886 gibt er eine auch biographisch skizzierende Würdigung, welche in höchst anerkennender Weise den - 379 -

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„unermeßlichen Dienst“ preist, den Ranke in seinen Schriften und Übungen der historischen Methode geleistet habe (511). Stern nimmt den Verstorbenen dabei indirekt in Schutz gegen einige Hauptpunkte der älteren Kritik: Ranke habe sich „gegenüber den Aeußerungen des modernen Lebens, des Volksthums, der Litteratur, der politischen und religiösen Erscheinungen des Tages“ nicht verschlossen (512), und auch der mit einer „vorwiegenden Benutzung diplomatischer Zeugnisse“ verbundenen Gefahr (ebd.) sei er nicht erlegen. - Rankes unparteiliche Objektivität wird ferner in einem schlichten Nachruf auf ihn und Waitz in der Zeitschrift ‚Über Land und Meer‘ verallgemeinernd gelobt ([Anonym:] Zwei Veteranen/1886): „Nicht die Formulirung liberaler oder konservativer Doktrinen betrachtet diese von Ranke begründete moderne Methode als ihre Aufgabe, sondern die Aufweisung historischer Kräfte in den Schicksalen des Menschengeschlechts.“ (838). Hans Prutz gehört wohl nicht zu den Hörern Rankes, ist jedoch einer seiner hier bereits mehrfach betrachteten lebhaftesten Verehrer. Ein nekrologischer Essay, den er in der ‚Deutschen Revue der Gegenwart‘ von August 1886 veröffentlichte, stellt sich als idealisierender, panegyrischer, jedoch eigenständiger und bemerkenswerter Versuch dar, die Geschichtsschreibung Rankes, eines der „glänzendsten Sterne an dem Himmel der deutschen Wissenschaft“, eines „genialen, wahrhaft schöpferischen Künstlers“ (145), in ihrer Eigenart, mit Blick auf die voraufgehende allgemeine Historiographiegeschichte und in ihrer Wirkung auf die Geschichtsschreibung seiner Zeit darzustellen. Allerdings läßt Prutz bei aller Anerkennung einige Bedenken durchscheinen. In ihrer sachlichen Objektivität seien Rankes historische Auffassung und Darstellung doch „in hohem Grade subjectiv“ (158): „dieses subjective Moment gibt zusammen mit der universalhistorischen Tendenz der Geschichtschreibung Ranke’s ihr charakteristisches, ihr classisches [!?] Gepräge“ (ebd.). Rankes Bedeutung für die deutsche Nation sieht Prutz, wie bereits bemerkt (s. I, 246.), nicht ohne Berechtigung v. a. darin, daß die „Grundlage unsers nationalen Lebens, die deutsche Reformation ... doch eigentlich durch Ranke entdeckt und in ihr Recht eingesetzt worden“ sei (ebd.), zum anderen, und dabei wird Prutz als künftiger Verfasser einer ‚Preußischen Geschichte‘ (4 Bde, Stg. 1900-1902) sichtbar, daß Rankes ‚Preußische Geschichte‘ und seine späteren preussisch-österreichischen Arbeiten „ungesucht die wissenschaftliche Begründung des historischen Rechtes von Preußen auf die Stellung, die es eingenommen hat“, geben (159). - Auch kühlere Reaktionen machten sich geltend, welche wohl der zuvor von Droysen, Mommsen und Treitschke beeinflußten Stimmung der späteren Berliner Kollegenschaft Rankes eher entsprachen. Am 3. Juni 1886 schrieb der Altphilologe Hermann Diels (1848-1922), damals Professor in Berlin, an Hermann Usener: „Der plötzliche Tod von Ranke und Waitz hat hier tiefen Eindruck gemacht. Der erste war uns ja ferner gerückt, aber Waitz werden wir sehr vermissen.“ (Diels, Usener, Zeller Briefwechsel I/1992, 336). A u s l ä n d i s c h e S t i m m e n . - Auch ausländische nekrologische Stimmen sind nur mit Vorbehalten des Lobes voll. Zu den bedeutendsten ausländischen Würdigern zählt John Lord Dalberg Acton, der dabei jedoch seinem Rufe nicht gerecht wird. Er war Ranke aufgrund von Vorlesungen und Begegnungen bekannt. In dessen Todesjahr veröffentlichte er unter dem Titel ‚German Schools of History‘ einen - bereits herangezogenen - bezeichnenden Eröffnungsbeitrag für die erste Ausgabe der ‚English Historical Review‘, welcher bald auch ins Deutsche übersetzt wurde. Er stellt eine - 380 -

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allgemeine, im anekdotisch-essayistischen Stil verfaßte Skizze der Geschichtsschreibung Rankes dar - die bei forciertem Geistreicheln an der Oberfläche bleibt - und einzelner nicht belegter Stimmen der zeitgenössischen Ranke-Kritik (357f.). Auffallend ist die Nicht-Erwähnung der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ und - im Gegensatz zu Leos ‚Universalgeschichte‘ (359) - von Rankes ‚Weltgeschichte‘, wodurch bereits wesentliche Grundlagen der Betrachtung ungenutzt bleiben: „Ranke has not only written a larger number of mostly excellent books than any man that ever lived, but he has taken pains from the first to explain how the thing is done.“ (352). - „Ranke was the first German to pursue it [history] for no purpose but its own.“ (Ebd.). - „He expects no professional knowledge in his readers, and never writes for specialists“ (Ebd.) „... part of the story is left untold; and the world is much better and very much worse than he chooses to say.“ (353). - Ranke gilt ihm auch als „chief promoter of mediæval studies“, seine ‚Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause‘ als „the foundation of what has been for so long incomparably the first school of history in the world, not for ideas of eloquence, but for solid and methodical work.“ (375). Dazu kann die Besprechung des Ranke-Amanuensen Georg Winter beigezogen werden, der Actons Darstellung beanstandete. Winter vermißte in Bezug auf Ranke darin v. a. eine „ausführlichere Darlegung dessen, was Ranke für die Begründung einer universalen ... geschichtlichen Weltanschauung geleistet“ habe (Winter: Ein engl. Urtheil/1888, 184) und wertete es im Hinblick auf die ‚Weltgeschichte‘ als „höchst befremdlich“, daß Acton die Behauptung aufstelle, Rankes Auffassung entbehre jedes teleologischen Elementes (ebd.). - Ähnlich ist Actons Würdigung bei einer 1895 in Cambridge gehaltenen ‚Inaugural lecture on the study of history‘. Auch hier unsystematische und unpräzise Bemerkungen, z. T. in anekdotischer Manier. Er würdigt die Verdienste Rankes, des „real originator of the heroic study of records, and the most prompt and fortunate of European pathfinders“ um den Fortschritt der Geschichtswissenschaft (7) in seiner öffentlichen Lesung deutlich positiver als in seinen privaten ‚Papers‘. - Ranke habe gewöhnlich das Vorwiegen kirchlicher Interessen in der Politik bis zum Siebenjährigen Krieg betont. (9). Acton handelt auch von Rankes Fortschrittsbegriff (11) und versucht eine zusammenhängende Würdigung: „he has done more for us than any other man“ - „ ... by the extent of important work well executed, by his influence on able men, and by the amount of knowledge which mankind receives and employs with the stamp of his mind upon it, he stands without a rival.“ (18f.). Im übrigen legt man bei der Beurteilung seines Verhältnisses zu Ranke besser die von ihm 1867 anonym im ‚Chronicle‘ und zunächst unveröffentlicht in seiner Diaristik und Korrespondenz gefällten realistischeren Urteile zugrunde (s. u. a. I, 28, 65. 67f., 77). Der ‚Manchester Guardian‘ bietet einen biographisch wohlunterrichteten, ausführlichen Nachruf, der einige nicht unbedeutende Bemerkungen zum Werk enthält: Ranke sei „unreservedly acknowledged throughout the whole of Europe.“ - „Rankes labours have been fruitful in founding a new school of historical writing in almost every country of Europe ... The rising school of French historians is founded upon his principles. In England he has long been recognised by all historical students as their master.“ Sein erstes Werk sei der Schlüssel zur zentralen Idee des Gesamtwerks. „He did not only write history, but showed his reader how it was written. He ... raised history from being a branch of literature to the position of an independent science.“ Neben seinen Verdiensten habe er in den Augen vieler auch ernste Fehler gehabt: „He was no student of tendencies or ideas which did not manifest themselves in definite forms. He gives little care to the history of institutions, the growth of popular opinion, - 381 -

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or the course of social life. His history is mainly diplomatic and political history; he seeks and finds the forces at work where they are strongest ...“. Doch sei ihm zugute zu halten: „He worked within limits which are always clearly visible to his reader... “ u. a. m. Einem älteren Irrtum entspricht die Bemerkung, Ranke sei „a member of the famous Frankfort Parliament“ gewesen ([Anonym:] Leopold von Ranke. In: The Manchester Guardian, Nr. 12, 411 [sic!], 25. 5. 1886, 8). - Eine wenn auch ansprechende, so doch überholte biographische und allgemein würdigende Skizze der Bostoner ‚Andover Review‘ liegt aus der Feder des damaligen Pastors der Amerikanischen Kirche in Berlin, J. H. W. Stuckenberg, vor: „ ... his spirit, his principles, his method, the ethical earnestness in research and the conscientiousness in construction, his art in presenting the facts, and the exalted purpose and independent place he assigned to history, made him a master as an historian and a leader in the science of historiography.“ (Stuckenberg/1887, 137). - Einige völlig sagenhafte Details enthält die mit Wärme geschriebene und für die Verbreitung des Rankeschen Namens in den USA vermutlich wirkungsvolle Würdigung Herbert B. Adams’: u. a. Ranke als „a personal friend of ... Hegel ... Goethe“ (Adams, H. B./1888, 118). Die dort vor allem von der ‚American Historical Association‘, deren Ehrenmitglied Ranke war, getragene unkritische Objektivitätsverherrlichung hielt noch einige Jahrzehnte an, als in Frankreich von Ranke schon länger fast keine Rede mehr war. Zunächst jedoch war Ranke dort vor allem durch seine Mitgliedschaft in der ‚Académie des sciences morales et politiques‘ vor Schaden bewahrt. Ihr Präsident, Jules Zeller, würdigte bei gespannten deutsch-französischen Beziehungen gleichwohl seine Unparteilichkeit (Zeller/1886), so auch der Romancier Victor Cherbuliez, der sich ungemein anerkennend äußerte: Nicht nur Deutschland, dessen größter Historiker er gewesen sei, habe Rankes Tod zu beklagen, er habe überall Bürgerrecht erworben. „Si bon patriote qu’il fût, ce grand Allemand était un Européen“ ([Cherbuliez, V.; Pseudonym:] Valbert, G./1886, 693). Cherbuliez behandelt i. e. auch das ansonsten unbeachtete Verhältnis Rankes zu Commines und stellt einen Vergleich Ranke-Mignet an, u. a. bezüglich des Unterschieds der Revolutionsauffassungen. - Um eine sachliche Würdigung bemüht ist auch der Nachruf des französischen Historikers RodolpheErnest Reuss, der bereits Besprechungen Rankescher Werke verfaßt hatte. Unter diesen betrachtet er nun v. a. die ‚Weltgeschichte‘, in der auch er den wirtschaftlichen und sozialen Kräften zu wenig Raum gegeben sieht. Insgesamt habe sich in Ranke geduldiges Forschertum, Unparteilichkeit, Scharfsinn in der Erörterung der historischen Triebkräfte und der Analyse der Charaktere mit einem dem Stoff angemessenen, eleganten und klaren, wenn auch ein wenig blutarmen Stil auf eine seltene Weise vereint. Nachdem er dem Studium der Geschichte in seiner überlegenen Quellenbehandlung eine neue Richtung gewiesen habe, gehe mit seinem Tod eine ganze Epoche der Geschichtswissenschaft zu Ende. Die historische Technik vervollkommne sich zwar, aber der unparteiische wissenschaftliche Geist gehe unter dem Einfluß des Tages zurück. (Reuss/1886). Der Schweizer Antoine Guilland bestätigte Ranke 1899 in einer Arbeit über das neue Deutschland und seine Historiker - Niebuhr, Ranke, Mommsen, Sybel, Treitschke -, die im Kriegsjahr 1915 auch in England erschien, kein Genius, doch einer der großen deutschen Klassiker des 19. Jahrhunderts gewesen zu sein: „Ses œuvres sont un durable enrichissement de la littérature de son pays“ (91), getragen von universeller Richtung und ästhetischer Inspiration (81). Guilland legt indes auch großen Wert auf - 382 -

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die Charakteristik Rankes als eines „bon et fidèle serviteur de la monarchie prussienne, un serviteur désintéressé et discret surtout“ (103). Erich Marcks, als topischer ‚NeoRankeaner‘, fand darin einiges zu beanstanden: Ranke sei immer „der Sohn der Restaurationsepoche, der halkyonischen Tage zwischen den Stürmen“ geblieben, seine „Nationalitätsgesinnung und auch seine preußische Gesinnung“ seien „doch ohne jede aggressive und aktive Kraft, alles bei weitem mehr Erkenntnis, Überzeugung, Gefühl von wesentlich wissenschaftlicher Art als Wille“ gewesen. Guilland sehe im Werk Rankes, dem Marcks „sicherlich“ den Genius nicht absprechen möchte, zuviel praktische politische Absicht und unterschätze seinen geistigen Einfluß. (Marcks/(1900)/ Männer u. Zeiten I/1911, 305). Durch einen Nachruf auf Ranke und Waitz der 1887 in Barcelona erscheinenden ‚Revista de Ciencias Historicas‘ aus der Feder des um deutsch-spanischen Kulturaustausch, im besonderen die Übersetzung spanischer Literatur ins Deutsche verdienten Literaten Johannes (lit. Juan) Fastenrath (1839-1908) wurde in Spanien, das wohl aufgrund seiner Katholizität ein höchst geringes Interesse an Ranke bekundet hatte, sein Name und Werk einmal besonders ins Bewußtsein gehoben (Fastenrath/1887. Zu Fastenrath u. a.: Ursula Vones-Liebenstein: Johannes Fastenrath (1839-1908). In: Rheinische Lebensbilder 12/1991, 157-178). - Rankes Tod rief weitere Nachrufe hervor: in Holland durch den Schriftsteller und späteren Direktor der Königlichen Bibliothek in Den Haag, Willem Byvanck (1848-1925, Byvanck/1886), in Rumänien durch den bedeutenden rumänischen Historiker und Politiker Gheorghe Ionescu-Gion (1857-1904, Ionescu-Gion/1886), in Polen durch den Historiker Tadeusz Korzon (1839-1918. Siehe: Jolanta Kolbuszewska: Tadeusz Korzon (1839-1918). Między codziennością, nauką a służbą narodowi, Łódź 2011). Anonyme Nachrufe ließen sich nachweisen für: Polen ([Anonym:] Leopold Ranke. Czas, nr. 119/1886, [Anonym:] Leopold Ranke. Prawda 1886, ss. 274f.), Serbien ([Anonym:] Leopold Ranke. In: Strajilovo 21/1886, 706) und Tschechien ([Anonym:] Leopold Ranke. In: Javor 21 (1886), 669f.).

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2. Abteilung

R ANKE IM DER

G ESCHICHTSDENKEN

W ILHELMINISCHEN Z EIT (I/2.2)

EINFÜH RUNG (I/2.2.0) Daß durch und nach Rankes Tod ein Eindruck von Wende oder Ende, gar ein Gefühl der Befreiung wirksam geworden wäre, wird man nicht annehmen müssen, zumal sich nach der allgemeinen Hochstimmung und Hochschätzung seiner letzten Lebens- und ersten posthumen Jahre die gegensätzliche Beurteilung, die er früher erfahren hatte, wenn auch mit abgewandelten oder anderen Schwerpunkten und in zum Teil stärker differenzierter Weise unvermindert fortsetzte. Von einer „Ausklammerung Rankes“, die „gewissermaßen Programm (so bei Meinecke)“ gewesen sei (Blanke/1994, 63), kann jedenfalls weder allgemein noch bei Meinecke gesprochen werden. Freilich war auch eine Auffassung, welche in der Geschichte der deutschen Geschichtsschreibung und des deutschen Geschichtsdenkens nach Rankes Tod „in hohem Maße nichts anderes“ sah „als die geistige und weltanschauliche Auseinandersetzung um sein Erbe“ (Hofer/1956, 47), in gegenläufiger Richtung vereinfachend überzogen. In starkem Maße gefördert, auf Jahrzehnte hin, wurde die Auseinandersetzung durch das seinen Tod gleichsam ignorierende weitere Erscheinen des Werkes. Damit wurden sogleich und in schneller Folge wesentliche neue Quellen biographischer, geschichtstheoretischer, wissenschaftsorganisatorischer und historisch-politischer Art zu Tage gebracht. Zur Wirkungsgeschichte im ferneren Sinne gehört auch das Erscheinen einer ersten als selbständige Schrift auftretenden allzu frühen Biographie Rankes von Eugen Guglia im Jahre 1893, wohl auch 1896 die Errichtung eines Denkmals in seinem Geburtsstädtchen Wiehe und 1906 die dortige Gründung eines ersten, kaum lebensfähigen Ranke-Vereins, dessen ergiebige Jahresberichte (s. II/2.2.3, Wiehe) bereits 1910 enden. Von weitreichender, nicht durchweg positiver Bedeutung war in diesem Jahr das Erscheinen der als selbständige Schrift auftretenden Ranke-Bibliographie des RankeForschers Hans F. Helmolt (s. II/9.1). Auf Seiten der Editorik kommt nach Doves Veröffentlichungen einiges aus Rankes Briefwechsel zum Vorschein (s. II/3.2), neben bemerkenswerten Erinnerungen von Nachkommen und Amanuensen, Schriftzeugnisse, welche allerdings später zum Nachteil der Forschung nur geringe Aufmerksamkeit erfuhren. Im übrigen zeigt sich, daß Jahrestage - und dies gilt zunächst besonders für die Jahrhundertfeier der Geburt - eine vielfältig fördernde Rolle spielen. Das Jahr 1895 erbrachte allein auf Seiten der Paladine Alfred Dove, Paul Bailleu und Theodor Wiedemann zehn rankebezogene Veröffentlichungen. Nach der überwiegend allgemein würdigenden Beurteilung Rankes in seinen letzten Lebens- und ersten posthumen Jahren mit geringer geistesgeschichtlicher Fragestellung und fachhistorischer Bemühung macht sich bald eine verstärkte Selbstbesinnung des historischen Denkens sowohl in der Fachhistorie als auch in der Philosophie geltend. Dies wird zum einen sichtbar in den nunmehr vergleichsweise gehäuft auftretenden, um Klärung von Grundproblemen, Zusammenhängen, Entwicklungen bemühten größeren Rückblicken auf die Geschichte der Geschichtswissenschaft, so vor allem aus der Feder von Ottokar Lorenz, Ernst Bernheim, Johann Goldfriedrich, Eduard Fueter, George Peabody Gooch, Georg von Below und Moriz Ritter. Doch Ranke wird auch von Seiten theorieorientierter Vertreter der Fachhistorie in gravierende, noch über zwei Jahrzehnte lang die Szene beherrschende Auseinandersetzungen und Richtungskämpfe hineingezogen, welche sich aus der verstärkten Einwirkung psychologischer, ökonomischer, soziologischer, naturwissenschaftlicher Positionen, zum Teil im Verein mit politischen Überzeugungen oder nur Absichten auf das Geschichtsdenken ergaben und die - 387 -

I/2.2.0 Wilhelminische Zeit - Einführung

sich häufig auf ihn beziehen. Es geht plakativ um den Vorrang von politischer oder Kulturgeschichte und den Beteiligten dabei weniger um die Deutung Rankes, als um die Durchsetzung eigener Positionen. Die sich schnell differenzierend entwickelnde Thematik ist zum Teil seit längerem im Gespräch und hat auch bereits gelegentlich in einfacherer Form die zeitgenössische Kritik an Ranke bestimmt. Von einzelnen Historikern unternommene Teildiskussionen - wie die Auseinandersetzung Dietrich Schäfers und Eberhard Gotheins oder von Ernst Bernheim, Ottokar Lorenz und Friedrich Meinecke, auch von Richard Fester und wiederum Ottokar Lorenz - über den Vorrang von politischer oder Kulturgeschichte laufen schon bald zusammen in dem mit einer ungewöhnlichen Persönlichkeit der Zunft verbundenen Kulminationspunkt. Dabei spielt Rankes Ideenbegriff oder seine mangels systematischen Aufbaus und Intention zu Unrecht so benannte ‚Ideenlehre‘ eine signifikante Rolle, und zwar auf einer zumeist sehr theoretischen, historiographiefernen Ebene. Rankes ‚Ideen‘ - ein bedeutendes, jedoch nicht höchstrangiges Phänomen oder Problem der Theorie, mit der Möglichkeit eines weiten interpretatorischen Zurückgreifens bis in die antike Geistesgeschichte hinein - dienen nun vorzugsweise als ebenso singuläre wie universelle Nagelprobe seiner geistesgeschichtlichen Herkunft, verbunden mit der Frage nach Immanenz oder Transzendenz der dargestellten wirkenden Kräfte, nach Kausalität oder Teleologie, wiederum verbunden mit der Frage nach der Wissenschaftlichkeit seiner und jeder geschichtswissenschaftlichen Methode. Den ‚modernen‘ Kulturhistorikern‘ gilt sein Ideenbegriff als metaphysisch, zumindest mystisch, wohl auch als unaufgeklärt, oft als abgetan. Die politischen Historiker weisen dies zurück und verweisen ausweichend gern auf die generelle Schwierigkeit einer Erklärung dieser Ideen. Letztlich jedoch ging es mit Blick auf kulturgeschichtliche, sozial- und wirtschaftsgeschichtliche Forderungen und Erfordernisse um Aufrechterhaltung oder Abschaffung des Primats der politischen Historie in Schrift und Amt. Neben und zum Teil mit inbegriffen in die eher vernichtungs- als erkenntnisorientierten Auseinandersetzungen befassen sich in den ersten Jahrzehnten nach Rankes Tod erstmals mehrere bedeutende Stimmen außerhalb der Zunft im Blick auf Ranke mit einer Erörterung geschichtswissenschaftlicher Grundprobleme. Kamen die fachfremden Stimmen zu seinen Lebzeiten aus dem Lager der nunmehr zurücktretenden Literatur - philosophisch und auch politisch glaubte man ihm damals wenig abgewinnen zu können -, so sind es jetzt neben den Stimmen philosophisch ausgerichteter Historiker geradezu die Stimmen der Fach-Philosophie, im besonderen des Neukantianismus, gelegentlich der Theologie, welche hervortreten. Die Diskussion um Rankes Ideenbegriff wird auch unter ihnen geführt, wobei eine weitreichende Unterschiedlichkeit der Beurteilung anzutreffen ist, ein vor allem von Rankes Unbestimmtheiten selbst herbeigeführtes Schwanken, das sich im Zusammenhang mit einer fortgeführten Romantikund Idealismus-Diskussion verunsichernd auf die in Herkunft und Entwicklung schwierige Deutung der damaligen Historiographiegeschichte ausgewirkt haben dürfte. Allerdings gewinnt bei der Frage nach Rankes und überhaupt der Historie Stellung zur Philosophie das Verhältnis Ranke-Hegel eine sich beständig verstärkende und im Hinblick auf die Philosophie des Idealismus eine Stellvertreter-Rolle. Das Verhältnis Ranke-Hegel war und ist die in der Literatur am stärksten beachtete geistesgeschichtliche Einzel-Beziehung Rankes. Es ist zugleich die am stärksten kontrovers beurteilte. Unterhalb der Hegelschen Ebene wird in geringerem Maße sein Verhältnis zu Kant, Wilhelm von Humboldt, Fichte, Schleiermacher, Schelling betrachtet. - 388 -

I/2.2.0 Wilhelminische Zeit - Einführung

Neben der philosophischen Sphäre steht in der religionsgeschichtlichen und theologischen besonders Luther, in der historisch-politischen die idolatrisierte Gestalt Bismarcks im Mittelpunkt. - Wesen, Gültigkeitsanspruch und Übernahmefähigkeit der Rankeschen ‚Objektivität‘ bleiben weiterhin ein Thema von besonderer, doch aufgrund weithin akzeptierter Unstrittigkeit von zunächst nachlassender Bedeutung. Weniger noch beachtet werden einzelne zurückliegende Hervorbringungen seiner Historiographie, welche zu Lebzeiten ihres Verfassers in starkem Maße diskussionsauslösende Wirkung hatten. Nunmehr schwindet auch die inhaltliche Vertrautheit mit diesen Diskussionen dahin. Es scheint nicht mehr bekannt zu sein, daß seine Objektivität von vielen Zeitgenossen erheblich und in unterschiedlicher Weise kritisiert worden war. Nicht gegen Objektivität im allgemeinen, doch gegen den Rankeschen Anspruch gerichtet hatten ihm noch anläßlich seines zehnten Todestages die ‚Historisch-politischen Blätter für das katholische Deutschland‘ in Gestalt des vielfältig kulturhistorisch publizierenden katholischen Priesters und Bibliothekars Georg Grupp (1861-1922) nachgerufen: „er war nicht der objektive Geschichtsschreiber und nicht der Geschichtsphilosoph, als den man ihn häufig rühmt.“ (Grupp/1896, 744). Neben der fachhistorischen und der seit den Zeiten der ‚Weltgeschichte‘ stärker aufgekommenen philosophisch-theologischen Komponente des anhaltenden Interesses an Ranke tritt zunehmend die politische in den Vordergrund. Sie wird neben gemäßigteren Historikern in auffallender Weise von Fachgenossen vertreten, welche Rankesche Gedanken zur Bestärkung nationalistischer und zur Legitimierung hegemonialer Phantasien oder Vorhaben nutzen und deren Auftreten zu Unrecht mit dem Begriff ‚Ranke-Renaissance‘ verbunden wurde. Ob der Ausspruch von Th. H. Pantenius zutreffend ist, „Seine Werke rühmen heute alle Gebildeten; sehr viele besitzen sie; nur sehr wenige lesen sie“ (Pantenius/1907, 182), dürfte kaum nachprüfbar sein, doch kann man feststellen, daß sich das populäre Interesse an Ranke im Gegensatz zum fachwissenschaftlichen um diese Zeit ein wenig beruhigt hat, zumal die ergiebige meinungsspiegelnde wie meinungsmachende Gattung der seinen Neuerscheinungen gewidmeten Besprechungen nun an ein Ende gelangt ist. Zuvor allerdings ist der Blick noch nach Übersee zu richten, wo sich zunächst keine Beteiligung an den in Deutschland aufbrechenden Diskussionen zu ergeben scheint. In den Vereinigten Staaten, wo man sich eher folgenlos in den Besitz der Rankeschen Bibliothek gebracht hatte, machte man sich in den ersten Jahren nach Rankes Tod nur ausnahmsweise Gedanken über Grundlagen, Formen und Inhalte seines Geschichtsdenkens. Die in Deutschland im Zusammenhang mit einer Betrachtung Rankes bald im Vordergrund stehenden Kontroversen um politische oder Kulturgeschichte wie auch die Behandlung grundsätzlicher Fragen der Geschichtsanschauung von Seiten der Philosophie scheinen dort zunächst keine größere Rolle zu spielen. Im Vordergrund steht nach wie vor das Objektivitäts-Thema. - Unter nordamerikanischen Historikern im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts unterschied man, einem oft genannten, 1940 erschienenen Aufsatz ‚The Idea of Scientific History in America‘ aus der Feder des amerikanischen Historikers W. Stull Holt (1896-1981) zufolge, zwei Gruppen, deren eine die Gewinnung ihres Wissenschaftscharakters der Entwicklung der Naturwissenschaften, besonders in der Gestalt Darwins zuschrieb, deren zweite die Wissenschaftlichkeit der Geschichtsschreibung dem Ideal völliger Objektivität in der Gestalt Rankes zu verdanken glaubte. Für letztere hatte sich besonders George Burton Adams (18511925), Präsident der American Historical Association, eingesetzt, der in seinen - 389 -

I/2.2.0 Wilhelminische Zeit - Einführung

Schriften noch europäisch ausgerichtet war. Er benannte als Hauptaufgabe, die als beherrschend für die Auffassung zweier Generationen nordamerikanischer Historiker bezeichnet wurde (Holt/1940, 359f.), die Feststellung des ‚wie es eigentlich gewesen‘. Diese Aufgabe, entsprechend der Forderung Rankes als „our first leader“, stelle einen nützlicheren Beitrag zu der „final science“ oder „philosophy of history“ dar, als eine Hingabe an die Verlockungen der Spekulation oder die beim damaligen Stand des Wissens verfrühte Suche nach den die Gesellschaft bestimmenden Kräften und Gesetzen: „The field of the historian is, and must long remain, the discovery and recording of what actually happened“, schrieb G. B. Adams in einem ‚History and the Philosophy of History‘ betitelten Beitrag zur ‚American Historical Review‘ des Jahres 1909 (236). Gerade dies suchte sein ebenfalls der europäischen Geschichte noch stark zugewandter Kollege William Milligan Sloane (1850-1928) in einem Beitrag über ‚The Substance and Vision of History‘ derselben Zeitschrift von 1911/12 bereits zu hinterfragen: „Ranke told us we must be content to determine ‚wie es gewesen sei‘, how i t was; but neither he nor his followers made any serious effort to define the i t [i. T.], to fix the limit of investigation, how w h a t [i. T.] was.“ (245). - Von bescheidenem Zuschnitt war 1912/13 eben dort der Beitrag ‚The Interpretation of History‘ von J. T. Shotwell (1874-1965). Er charakterisierte in übertriebener und unergiebiger Weise die Geschichtsschreibung Rankes - „the greatest historian of the nineteenth century“ - als den nicht weiter reflektierten Versuch der Rekonstruktion der Vergangenheit vom Standpunkt ihres sich gleichsam selbst interpretierenden Zeitgeistes aus (702). - Einem interessanten Untersuchungsansatz zur amerikanischen Ranke-Rezeption ging Herman Ausubel (1920-?) 1950 in einer Visitierung der ‚Presidential addresses‘ der ‚American Historical Association‘ in den Jahren 1884 bis 1945 nach und berührte dabei das z. T. durch Mißverständnisse bestimmte Verhältnis von George Burton Adams, Charles McLean Andrews, Charles Beard, Carl Lotus Becker, Charles Howard McIlwain und William Milligan Sloane zu Ranke, vornehmlich in der Frage nach den Aufgaben und Möglichkeiten des Historikers (Ausubel/1950, bes. 79, 162, 179, 181, 183, 205f., 249).

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1. Kapitel (I/2.2.1) DIE ERWEITERUNG DER DISKUSSIONSGRUNDLAGEN Die posthumen Werkfortführungen und ihre Aufnahme Vorbemerkung (I/2.2.1.0) Die mehrere Tausend Seiten umfassende aufsehenerregende Sturzflut der posthumen Werkfortführungen (s. II/2.1) teilte sich in zwei von Alfred Dove geleitete Ströme: Der erste ergoß sich in den Jahren 1886 bis 1888 aus Vorlesungsmanuskripten und Hörernachschriften in die dreibändige Fortsetzung der sechsbändig abgebrochenen ‚Weltgeschichte‘. Der zweite Strom floß in die Fortsetzung der 48bändigen ‚Sämmtlichen Werke‘. Gespeist wurden seine drei Doppelbände 1887 bis 1890 aus mehreren Quellen: besonders gearteten Tagebuchaufzeichnungen und mehrfach neu angesetzten autobiographischen Diktaten und Briefen. Daneben fanden Schriften und Aufzeichnungen zur Politik Interesse und lösten eine anhaltende, stark überzogene Diskussion um Ranke als Politiker aus. Was sich in beiden Bereichen nur in höchst geringem Maße findet und auch später trotz gegenteiliger Beteuerung (WuN=Aus Werk und Nachlaß) unediert bzw. unentdeckt bleibt, ist eigentlicher Werknachlaß im Sinne unveröffentlichter ausgereifter Historiographie. Von der Aufnahme durchaus vorhandener Aufzeichnungen aus der Frühzeit wurde damals überhaupt abgesehen. Nicht allein durch Editionen, ferner durch den bereits neun Jahre nach Rankes Tod zu feiernden 100. Geburtstag und den im Folgejahr zu begehenden 10. Todestag wurde das Interesse wachgehalten. Auch diese von ‚Ranke-Forschung‘ im allgemeinen noch weit entfernte, fast noch nekrologisch erscheinende Würdigungs- und Reminiszenzphase ist, wie zu seinen Lebzeiten, nicht frei von Kritik. Während auf Laienseite weithin Pietät waltet, stellen sich auf fachhistorischer Seite schließlich starke Bedenken gegen die Doveschen Continuationes, vor allem die der ‚Weltgeschichte‘, ein. Personell im wesentlichen getragen wird diese Phase auch weiterhin von Amanuensen, Hörern und Schülern Rankes, die zum Teil bis in die 1920er Jahre tätig sind. Dabei steht zunächst die Kunst der Rankeschen Darstellung weiterhin im Vordergrund. Fragen nach den Bildungsmächten Rankes, seinen historiographischen Leistungen und seiner Bedeutung für die Entwicklung der Wissenschaft und des historischen Denkens werden kaum oder nur pauschal behandelt. Die Fortführung der ‚Weltgeschichte‘ (I/2.2.1.1) Die von Alfred Dove unter Mitwirkung der Ranke-Amanuensen Theodor Wiedemann, Georg Winter und Paul Hinneberg in den Jahren 1886 bis 1888 im Auftrag von Familie und Verlag gefertigten Fortsetzungen der durch den Tod Rankes abgebrochenen sechsbändigen ‚Weltgeschichte‘ dürften dem Ansehen des Werkes wie auch Rankes selbst gelegentlich eher geschadet haben, da die Tatsache der Komposition der drei Bände (VII bis IX) aus heterogenen, zum Teil überholten älteren Materialien zunächst nicht überall verborgen blieb, später allerdings in Vergessenheit geriet oder für bedeutungslos gehalten wurde. Ohnedies wurde auch damit das Ziel einer von Ranke bis zur Reichsgründung gedachten Vervollständigung des Werkes bei weitem nicht erreicht. Der geringe Erfolg spricht sich auch darin aus, daß die Bände jeweils nur eine einzige - 391 -

I/2.2.1.1 Wilhelminische Zeit - Fortführung der ‚Weltgeschichte‘

Nachauflage erzielten. Nach 1900 ist keiner mehr in seiner originalen Form aufgelegt worden. In Band VII der ‚Weltgeschichte‘, der von manchem Rezensenten für den letzten gehalten und in Einzelheiten wieder kritisch und gegensätzlich beurteilt wird, hat man vor allem die Gestalt Papst Gregors VII. beachtet, von protestantischer Seite mit deutlichem Gegenwartsbezug. Auf Seiten der Quellenkritik stößt nicht allein Rankes eigensinnige Bevorzugung Bertholds von Reichenbach auf wenig Zustimmung. - Georg Müller-Frauenstein, der diesen Band für den „letzten Band von Leopold Ranke“ hielt, dann aber auch die Bände VIII und IX besprach (s. I, 395), schrieb dazu ein pietätvolles Referat mit geringen Urteilsmomenten und ein wenig Kulturkampf: Durch den „vorzeitigen Tod des Meisters“ mangele es der Darstellung des von Ranke „sehr hochgestellten“ Konrad II. an abrundender Begründung (Müller-Frauenstein 3. 2. 1887/58). Auch sei in diesem Band eine „geringere Zahl allgemeingiltiger geschichtsphilosophischer Beobachtungen“ zu verzeichnen (ebd.). Der bereits kurz betrachtete Karl Braun-Wiesbaden hielt in einem Artikel der ‚Gegenwart‘ vom 5. Februar 1887 zu Band VII die redaktionelle Arbeit von P. Hinneberg an diesem posthumen Werk jedoch irrigerweise für so glücklich, daß kein „Naht- und kein Flickwerk“ zu bemerken sei, ja, Georg Kaufmann erschien dieser von Ranke selbst nicht vollendete Band als „der bedeutendste von allen“ (Kaufmann 1887/1118). - Die Bemerkung Müller-Frauensteins hinsichtlich Rankescher Sentenzen dürfte zutreffen, denn diese mochten die Herausgeber wohl nicht hinzuerfinden. Die Darstellung Gregors VII., so Müller-Frauenstein gegenwartsorientiert weiter, stehe in seiner „imposanten Herrschsucht“ wie ein „warnendes Mene Tekel am Ende der Ranke’schen Schrift“ (57). Deutlicher noch wurde dann Hans Prutz - der sich später den Bänden VIII und IX zuwandte (s. I, 395, 397) - in seiner Besprechung von Band VII unter dem Titel ‚Der nachgelassene Band von Ranke’s „Weltgeschichte“‘ in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘. Der Band gab ihm auch Veranlassung, neben allgemein referierenden Bemerkungen einmal einen später noch öfter zu vernehmenden Tadel auszusprechen: Der „außerordentlich häufige Gebrauch von Fremdwörtern“, für den Ranke ohnedies eine gewisse Neigung zeige, sei hier „in einem auffallend starken und zuweilen beinahe störenden Grade eingetreten“ (BLU/1887, 123). Prutz bemerkt ferner die vom Üblichen abweichende Darstellung Gregors VII., der hier „entschieden niedriger gestellt“ werde (124): „man kann Ranke’s Darstellung Gregor’s VII. und der Hierarchie wie eine Mahnung an das deutsche Volk auffassen, vor Rom auf der Hut zu sein“ (ebd.). Gleichwohl stellt das ‚Literarische Centralblatt‘ fest, daß Ranke „in besonders auffallender Weise ... bei der Darstellung des Conflicts einerseits zwischen Heinrich IV, andererseits zwischen dem Papst und den Fürsten ... weit von einer Parteinahme entfernt“ sei, „die von den Empfindungen der Gegenwart ausgeht“ (18. 6. 1887/838). Die im Januar 1887 anonym unter dem Titel ‚Leopold von Rankes’s Weltgeschichte‘ erschienene pietätvolle Besprechung der ‚Vossischen Zeitung‘ bezweifelt nicht die Authentizität oder Homogenität des nachgelassenen Bandes, betont, daß sich Ranke hierin vielfach den Forschungen seiner Schüler (u. a. Giesebrecht, Jaffé) anlehne, sie jedoch andererseits auch ablehne. Als Kritik kann man die Bemerkung werten, der ungeübte Leser verliere „in den inneren und äußeren Streitigkeiten“ von Kaiser- und Papsttum „leicht den leitenden Faden“. Ausgangs wird noch die Canossa-Frage gestreift und ohne Bedenken auf Rankes Bevorzugung des für Heinrich nicht so ungünstigen Berichts Bertholds hingewiesen sowie - mit leiser Kritik des ausgedehnten - 392 -

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Fremdwörtergebrauchs - noch ein Wort über die „Klarheit und Gediegenheit des Ausdrucks“ verloren, mit dem Ranke „unter den Vertretern der deutschen Prosa in erster Linie“ stehe. Polemik lag dem katholischen Kirchenhistoriker Wilhelm Martens (1831-1902) fern. Er hatte u. a. mehrfach über ‚Die römische Frage unter Pippin und Karl dem Großen‘ (Stg. 1881 u. 1882) gearbeitet, und 1887, als sein Werk über ‚Die Besetzung des päpstlichen Stuhls unter den Kaisern Heinrich III. und Heinrich IV. (Freiburg i. Br.) erschien - Schriften über Gregor VII. schlossen sich an -, trat er mit der ersten umfangreichen, spezialisiert quellenkritischen Untersuchung eines Ranke-Werkes hervor: ‚Heinrich IV. und Gregor VII. nach der Schilderung von Ranke’s Weltgeschichte. Kritische Betrachtungen‘ (Danzig 1887, 91 S.). Sie beziehen sich auf die Darstellung des posthum 1886 herausgegebenen Bands VII der ‚Weltgeschichte‘, der Ranke allerdings, wie bemerkt, nicht in jedem Detail zuzurechnen ist. Martens beanstandet eine Vielzahl von Feststellungen unter jedesmaliger quellenkritischer Betrachtung. Um ein Beispiel zu geben: die Erhebung Suidgers von Bamberg zum Papst (Clemens II.) führe Ranke, irregeleitet durch Bonitho Sutrinus, auf den Mangel an römischen Kandidaten zurück (6) usw. Auch spielt überhaupt wieder Rankes problematische Heranziehung seines bevorzugten Berthold von Reichenau (dazu auch Bresslau/1887 u. W. Schultze/ 1888) in Martens’ hier im einzelnen nicht überprüfbarer Schrift eine Rolle. - Wohl noch größere Fachkunde im Forschungsdetail darf bei dem Monumentisten Harry Bresslau vermutet werden. In seiner Besprechung von Band VII in der ‚Historischen Zeitschrift‘ des Jahres 1887 führt er für diesen Band, der „fast ausschließlich der Geschichte der deutschen Kaiser gewidmet“ sei, das vollkommene Zurücktreten der „inneren wirthschafts- und verfassungsgeschichtlichen Seite der historischen Entwicklung“ auf Rankes universalhistorischen Gesichtspunkt zurück, der mit Blick auf das Verhältnis von Kirche und Staat „überall im Vordergrund“ stehe (339). Eine im Zusammenhang mit Ranke selten aufgeworfene Frage stellt sich für Bresslau in der „starken Betonung der kirchlichen Dinge“, welche zwar der Denkweise mittelalterlicher Quellen entsprächen, jedoch nicht unbedingt das Leben der Menschen damaliger Zeit in diesem Maße bestimmt hätten. (399f.). Bresslau sieht auch, wie Martens (1887) und später W. Schultze (1888), Inkonsequenzen in der Beurteilung und Heranziehung Bertholds von Reichenau und Lamberts von Hersfeld, was zu einer „sehr eigenthümlichen“, bedeutungsmindernden Auffassung von Canossa geführt habe, bei der die Verhandlungsinitiative der Gräfin Mathilde zugewiesen sei (341f.). Überhaupt werde man in vielen Einzelheiten durch Rankes Ansichten „überrascht“, wozu Bresslau Beispiele liefert. In „vielen Fragen“, in denen Ranke „von der bisher herrschenden Ansicht“ abweiche, würde er „ihm nicht zu folgen vermögen“, doch „wie viel mehr“ gewinne man „nicht aus den zahlreichen feinen und zugleich tiefen Beobachtungen“ (344). - Zum Kapitel ‚Canossa‘ ist beiläufig die spätere Behandlung in Delbrücks ‚Weltgeschichte‘ (II/1925, 503-506) ‚Zu Rankes Darstellung von Canossa‘ heranzuziehen, ein Abschnitt, welcher auch ein Schreiben von Rankes Amanuensen Paul Hinneberg enthält, in dem dieser die Auffassung Rankes im Verhältnis zu der Delbrücks näher begründet. Hinneberg hatte bei dem fraglichen Kapitel in Band VII der ‚Weltgeschichte‘ mitgewirkt. - Im folgenden Jahr setzte Walther Schultze als einer der schärfsten Kritiker Rankes seine mit Band VI in den ‚Mittheilungen aus der historischen Literatur‘ begonnenen Besprechungen fort. Bei seiner Kritik des siebten Bandes glaubte er die Mängel des sechsten „in vollster Schroffheit“ wiederzuerkennen - 393 -

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(126). So falle etwa auch das Aufkommen der deutschen Städte aus Rankes Betrachtung heraus (ebd.). Von wesentlicher Art ist der Bresslau verwandte Vorwurf, „dass der inhaltlich so reiche Zeitraum bei dem Historiker des 19. Jahrhunderts genau so wie bei dem monastischen Chronisten des 11. von dem einzigen Gegensatz Kaisertum und Papsttum beherrscht“ erscheine. Da liege die Frage nahe, „ob wenn ein Prinzip zu derartigen Konsequenzen führt, nicht eben das Prinzip - d. h. hier die von Ranke adoptierte Interpretation der Universalgeschichte - falsch ist“. (ebd.). Doch geht W. Schultze hier mehr ins Detail, wobei sich einige forschungsgeschichtlich interessante Fragen stellen. Allerdings fühlt er sich, zumindest in der Schärfe seines Urteils, „durch die dem Toten schuldige Pietät gefesselt“ (W. Schultze/1888, 125). Er beanstandet Rankes Neigung, „bisher wenig beachtete Quellen hervorzuziehen“ (ebd.), sein „Streben... nach einem neuen Gesichtspunkte für bekannte Dinge“ (128) und auffallende Inkonsequenzen und Einseitigkeiten in der Quellenkritik. Deren „bedenklichsten Punkt“ sieht er - wie bereits Martens und Bresslau - in der „so gut wie ausschließlichen“ Gründung der Darstellung der Ereignisse von 1075-1080 auf Berthold. Ferner hindere Ranke seine ausdrückliche Erklärung, von Lambert absehen zu wollen, nicht, „gerade recht anfechtbare Nachrichten aus diesem aufzunehmen“ (125). Interessant findet W. Schultze auch, „wie Ranke, trotz seines ganz offenbaren Strebens nach vollster Objektivität, doch den einzelnen Herrschern mit sehr verschiedenen Sympathieen gegenüber steht.“ (126). Für die folgenden Bände VIII und IX erheben sich schließlich doch hier und da Zweifel an der Authentizität und Qualität der nachgelassenen Texte bzw. Textbausteine. Zunächst jedoch trat Georg Winter 1888 in ‚Nord und Süd‘ mit einer Besprechung von Band VIII auf. Als Mitherausgeber der posthumen Bände VIII und IX bot er einen kurzen rechtfertigenden Einblick in deren editorische Voraussetzungen (s. II/2.1.1). In der eigentlichen, sehr allgemein gehaltenen Besprechung hob er besonders hervor, daß noch nie „mit solcher evidenten Klarheit“ nachgewiesen worden sei, wie sehr „fast in jeder einzelnen Phase“ der damalige Kampf zwischen Kaisertum und Papsttum bewirkt gewesen sei durch den „gewaltigen Kampf zwischen occidentalischer und orientalischer Cultur“ (410. Zu Winters Besprechung von Bd. IX s. I, 396f.). - Der Literaturhistoriker Otto Harnack (1857-1914), der im Vorjahr ein Werk über ‚Goethe in der Epoche seiner Vollendung (1805-1832). Versuch einer Darstellung seiner Denkweise und Weltbetrachtung‘ (Lpz.: Hinrichs 1887) verfaßt hatte, begrüßte in der Rigaer ‚Baltischen Monatsschrift‘ anläßlich einer Besprechung von Band VIII mit dem Titel ‚Leopold von Ranke über die Geschichte der Ostseeprovinzen‘, daß hier „die Entwicklung christlich-germanischer Kultur an der Ostsee eine ihrer weltgeschichtlichen Bedeutung entsprechende Darstellung gefunden“ habe (Harnack/1888, 159). Seine Überzeugung, Rankes ‚Weltgeschichte‘ werde „unzweifelhaft auf lange Zeit hinaus die populäre Geschichtsdarstellung beherrschen“ und ihr „Inhalt allmählich wol eine Art Kanon für die Geschichtskenntnis der Gebildeten werden“, erwies sich als durchaus irrig. Zu den minder bedeutenden Rezensenten Rankes muß wohl auch ein Schüler Heinrich Leos, der Hallenser außerplanmäßige Professor der alten Geschichte, Gustav Hertzberg (1826-1907) gezählt werden (s. Grimm, Gerhard: Hertzberg, Gustav Friedrich. In: NDB 8/1969, 717 f.). Er verfaßte im Gothaer ‚Deutschen Litteraturblatt‘ der Jahre 1888 und 1889 unoriginelle und fachhistorisch unorientierte Besprechungen der Bände VIII und IX der ‚Weltgeschichte‘ des „verewigten Altmeisters“. Dieser habe „dem bei uns von vielen etwas geringschätzig angesehenen Begriffe der ‚Weltge- 394 -

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schichte‘ einen ganz neuen, grandiosen Inhalt verliehen“ (1888/213). Zu Hertzbergs anspruchslosen allgemeinen Beobachtungen gehört seine - in ihrer Problematik völlig verkannte - Feststellung, die von Ranke gebotenen „vielseitigen Parallelen mit der Geschichte des Altertums“ und die „stets treffenden Vergleiche zwischen Männern und Völkern der verschiedensten Teile der damaligen Welt“ seien „ganz im Sinne dieser großen welthistorischen Ansicht der Dinge“ (214). Rankes Parallelisierungen führten beiläufig 1899 in einem Schulprogramm zu einer diesem vorwissenschaftlichen Thema gewidmeten Veröffentlichung (Schott/[1899]). Um auf Hertzberg zurückzukommen, so bricht sein Protestantismus noch durch, als er für überzeugend und „völlig überraschend“ den „wiederholt geführten Nachweis“ Rankes wertet, wie „die p o l i t i s c h e [i. T.] Ausnutzung der durch die abendländische Tapferkeit den Moslims abgewonnenen Vorteile“ (z. B. Verträge) „durch den Widerstand unmöglich gemacht“ werde, den „die Kurie aus kirchlichen Gründen solchem Vorgehen“ entgegenstelle (ebd.). (Zu Hertzbergs Bespr. von Band IX s. I, 396). - Auch Hans Prutz äußerte sich 1888 anläßlich einer Besprechung von Band VIII in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ noch einmal pietätvoll und allgemein über Rankes ‚Weltgeschichte‘, wobei er sich zu der mehrfach unhaltbaren, wohl defensorischen Behauptung verstieg, sie bringe die „wahrhaft universalhistorische Einheit der Weltentwickelung ... consequent auf allen Gebieten des geschichtlichen Lebens durchgeführt“ zur Anschauung und sei insofern „zugleich Culturgeschichte im höchsten Sinne des Wortes“ (59). Eine Behauptung, die sogleich von Walther Schultze (s. u.) richtiggestellt wurde. (Zu Prutz’ Bespr. von Band IX s. I, 397). Erste zaghafte Erörterungen inhaltlicher und formaler, im besonderen stilistischer Unterschiede in Band VIII, stellt nun sogar Müller-Frauenstein an. In seinem Beitrag, betitelt ‚Ranke über Kreuzzüge und päpstliche Weltherrschaft‘, in der ‚Wissenschaftlichen Beilage der Leipziger Zeitung‘ vom 31. Mai 1888 bleiben ihm auch inhaltliche Wiederholungen innerhalb des Bandes, besonders im 14. und 18. Kapitel, nicht verborgen. - Die vordem von Georg Kaufmann in der ‚Deutschen Litteraturzeitung‘ durchgeführten Besprechungen werden durch Bernhard Kugler, der sich bereits 1869 mit Rankes ‚Wallenstein‘ befaßt hatte (s. o.), fortgeführt. Nach zwanzig Jahren wandte er sich nun in der ‚Deutschen Litteraturzeitung‘ dem posthumen, achten Band der ‚Weltgeschichte‘ zu, für dessen Besprechung er aufgrund seiner Arbeiten zur Kreuzzugsthematik qualifiziert war. Zwar machte er sich die editorische Problematik des Bandes nicht klar - jede Seite des Buches, so glaubte er, bürge dafür, daß hier „im wesentlichen wirklich echte und ganze Rankesche Arbeit, Geist von seinem Geist“ vorliege (132) -, sah aber doch bei allem historischen Weitblick Rankes viel Veraltetes, „Irrtümer, Fehler“, welche in einzelnen Gebieten (z. B. zu den Themen Byzantiner und Kreuzfahrer) „peinlich zahlreich auftreten“ (133). Der Genuß des Fachmannes werde dadurch jedoch nicht beeinträchtigt. - W. Schultze und Bresslau werden nun sehr deutlich: Bei der 1889 gelieferten Besprechung des achten Bandes steht Schultze vor der zutreffenden Erkenntnis, daß es sich bei dieser Komposition aus über 50 verstreuten Jahren nicht um eine „homogene, von demselben Geiste getragene, von denselben Prinzipien ausgehende, dieselben Zwecke verfolgende Fortsetzung der letzten Bände von Rankes Weltgeschichte“ handele (152). Einleuchtend ist seine außerordentlich schwerwiegende Feststellung, daß die von Herausgeberseite herangezogenen Kolleghefte „nicht als eine Weltgeschichte konzipiert waren. Ranke hatte in jenen Semestern nicht Abschnitte einer historia universalis angekündigt, sondern einer historia medii - 395 -

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aevi, die als Staatengeschichte nicht den ursprünglichen Zweck seiner ‚Weltgeschichte‘ erfüllen konnten“ (152. Siehe auch II/2.1). Aus einzelnen Aphorismen Rankes ergibt sich für W. Schultze die Erkenntnis, daß „hier vollkommen bewusst Gesellschaft und Wirtschaft von der Kultur ausgeschlossen werden“ und Ranke „eine Geschichte der Zustände, der Sitten, der Verfassung nicht als notwendigen Bestandteil einer Weltgeschichte“ ansehe: „Universalhistorie ist ihm nur Religion und Politik“ (149). - Bresslau folgte, was zu denken gibt, in der ‚Historischen Zeitschrift‘ nach. Ähnlich W. Schultze sah er 1890 in diesem achten Band zu Recht „... ein Bauwerk, das aus mannigfachen Werkstücken verschiedenen Ursprungs und verschiedener Art ... mühsam hat zusammengefügt werden müssen.“ (288). Die beiden ersten Kapitel zählt Bresslau „zu dem Reifsten und Vollendetsten ..., was wir aus Ranke’s späteren Jahren besitzen“ (290). Nicht so der gesamte Rest, in dem - wie an Beispielen gezeigt wird - „manches veraltet und unrichtig“, manches widersprüchlich zu früheren Ausführungen und manches ausgelassen sei (291). Die als Nachtrag zum 6. Band aufgenommenen Analekten, die Ranke seinerzeit selbst zurückgestellt hatte, wären „besser ungedruckt geblieben“ (292). - W. Schultze schloß 1890 ab mit einer Besprechung des neunten Bandes. Hier fand er - wie später Adolf Bachmann - „ganze Abschnitte völlig veraltet“ (149) und bekannte sich zu der „ketzerischen Anschauung“, dass in Rankes anhangsweise mitgeteilten Vorträgen vor Maximilian II. von Bayern aus dem Jahre 1854 „weit mehr eine dem Ideal sich nähernde wirkliche Weltgeschichte“ vorliege als in den voraufgehenden achteinhalb Bänden (146). Auch zu diesem Abschlußband trafen sich wieder ahnungslose und zunehmend kritische bis vernichtende Urteile, wobei fast nur die im Anhang veröffentlichten Vorträge vor Kg. Maximilian II. von Bayern eine heute noch anhaltende Wirkung entfalteten, welche jedoch im wesentlichen aus Rankes Diktum von der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott und seinem Verhältnis zur Philosophie, im besonderen zu Schelling und mehr noch Hegel herrührt. Hier liegt der schwach dimensionierte Initialpunkt für die bis zum heutigen Tag lebendige, um nicht zu sagen, ausufernde Ranke-Hegel-Komparatistik Von geringer Bedeutung sind die meist wohlwollend referierenden Besprechungen, welche 1889 Gustav Hertzberg in das ‚Deutsche Litteraturblatt‘, Müller-Frauenstein in die ‚Wissenschaftliche Beilage der Leiziger Zeitung‘ und Alfred Stern in die ‚Nation‘ lieferten. - Hatte das ‚Literarischen Centralblatt‘ es sich bei der Besprechung von Band VIII noch leicht gemacht mit einer Paraphrase des Doveschen Vorworts (25. 8. 1888), so trat es für den abschließenden Band IX wieder mit einem selbständigeren Urteil auf, zunächst mit dem Hinweis auf eine Reihe veralteter Angaben der 1. Abteilung. Der Band enthalte gleichwohl „vieles Treffliche, Geistvolle und Schöne“. Noch kürzer und kühler wird im Vergleich mit späteren geradezu überschwänglichen Urteilen der die 2. Abteilung bildenden Vorträge vor König Maximilian II. gedacht, in denen der Rezensent zu Recht eine „bestimmt erkennbare Polemik gegen die HegelSchelling’sche Geschichtsconstruction“ erblickt: „Auch hier ist nicht Alles bedeutend, aber das Ganze doch recht lesenswerth“ (26. 10. 1889). Den Vorträgen, welche auf Dauer die einzige Attraktion des Bandes bildeten, wandte sich 1889 auch Georg Winter in ‚Nord und Süd‘ zu. Er bot hier keine persönlichen Ranke-Reminiszenzen, es sei denn die, daß Ranke sich „wiederholentlich energisch“ gegen die „deductive Construction der Geschichte nach einem Schema als leitend gedachter Ideen“ ausgesprochen habe (123). Die Betonung sollte hier bei ‚deductiver Construction‘ liegen, denn Ranke ist stets vom Wirken ‚leitender Ideen‘ - 396 -

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ausgegangen. Die eigentliche Besprechung bleibt hinsichtlich der Geschichtsanschauung Rankes in anerkennend-nichtssagender Weise an der Oberfläche haften. - Die unübersehbare „Gegnerschaft zu jeder Philosopie der Geschichte“ in Rankes MaxVorträgen blieb auch Hans Prutz in seinem Beitrag zu den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ von 1889 nicht verborgen. Er ergänzte sie durch die „unverkennbare Abneigung Ranke’s gegen alle aus der großen Masse des Volkes kommenden und als historisch wirksame Mächte auftretenden Bewegungen“ (Prutz/1889/51). Im zusammengefügten Darstellungsteil des Bandes vermißte Prutz für die Darstellung des 14. und 15. Jahrhunderts „die sonst so fesselnde Betonung der Momente der Einheit“ (ebd.). - In beiden Kritikpunkten steht Abel Lefranc (1863-1952) dem deutschen Kollegen nahe. Zwar hatte der französische Historiker und Literaturwissenschaftler um diese Zeit wohl nicht mehr verfaßt als eine ‚Histoire de la ville de Noyon et de ses institutions jusqu’à la fin du 13e siècle‘ (Paris 1887), was ihn kaum befähigt haben dürfte, ein qualifiziertes Urteil über die Substanz der posthum zusammengestellten Bände VIII und IX der ‚Weltgeschichte‘ abzugeben. Doch er war bei seiner Besprechung in der ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vom Jahre 1889 imstande, sich in erster Linie mit der editorischen Problematik zu befassen. Dabei beklagt er allerdings mit Recht, daß es unmöglich sei zu unterscheiden, was Ranke in dieser Komposition wirklich selbst angehöre, und was die Herausgber dazu beigetragen hätten. Und Rankes Max-Vorträge mit ihrem Eingehen auf die ‚Französische Revolution‘ veranlassen ihn zu der Bemerkung: „Dès qu’il en parle, ce conservateur intransigeant ne se possède plus; il perd du même coup cette noble sérénité qui est d’ordinaire sa caractéristique. Au fond, cette animadversion s’adresse moins à la France qu’ à la démocratie...“ (373). Noch härter waren die eher an Rankes Herausgeber als an ihn selbst gerichteten Urteile zweier unabhängig voneinander wirkender Geschichtsordinarien. Der österreichische Historiker Adolf Bachmann (1849-1914), in Prag tätig (s. Novotny, Alexander: Bachmann, Adolf. In: NDB 1/1953, 497f. Novotny erwähnt weder Bachmanns Rektorat noch dessen bemerkenswerte Rektoratsrede über ‚Die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts im Rahmen der öffentlichen Ereignisse‘, Prag 1903, s. I, 421), hatte in seiner Besprechung des posthumen neunten Bandes der ‚Weltgeschichte‘ in den 1891 erschienenen ‚Jahresberichten der Geschichtswissenschaft‘ von 1888 keine Gelegenheit, seine tiefgreifenden Kenntnisse über den von ihm bevorzugten Ks. Friedrich III. anzuwenden, doch darf man bei ihm solide allgemeine reichsgeschichtliche Kenntnisse voraussetzen. Ihm erschien es unmöglich, daß das von den Herausgebern Alfred Dove und Georg Winter in Abt. 1, Kap. 7-10 Zusammengestellte einem zuletzt im SS 1870 benutzten Vorlesungsheft Rankes entstammte. Neben trefflichen Anschauungen finde sich hier nämlich eine „beinahe endlose Zahl ganz schiefer Darlegungen, neben schweren selbst chronologischen Versehen“, entsprechend dem Forschungsstand etwa um 1850. Die Darstellung beruhe „wesentlich auf Müllers Reichstagstheatrum“ (Bachmann/1891, II, 274). - Gleichwohl, so muß man hinzufügen, mag es sich hier um ein im SS 1870 benutztes Vorlesungsheft Rankes gehandelt haben, es befand sich eben noch im Zustand von 1850 bzw. in einem chronologischen Mischzustand (s. II/5.1.4). - Ähnlich vernichtend ist das Urteil des mehrfach sich zu Ranke äußernden Max Lehmann in der ‚Historischen Zeitschrift‘ des Jahres 1890. Er befand, der erste Teil des posthum herausgegebenen neunten Bandes stehe „am tiefsten unter den Bestandtheilen der ‚Weltgeschichte‘ (294). Ganz anders sein Urteil über die - 397 -

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Dovesche Ausgabe der als zweiter Teil des neunten Bandes auftretenden Berchtesgadener Vorträge von 1854 vor Kg. Maximilian II.: „Wie hoch erheben sie sich über die Berliner Vorlesungen der sechziger und siebziger Jahre.“ Als Hörer Rankes der 1860er Jahre (Berg/1968, 232) war Lehmann dieser Vergleich möglich. Sein Lob gilt jetzt „herrlichen Worten“ Rankes (295), doch kann er der allgemeinen Fragen geltenden Einleitung der Vorträge nicht „ohne jeden Vorbehalt“ zustimmen, „schon deshalb nicht, weil Ranke nicht mit sich selber im Einklang“ bleibe (295). Widersprüche sieht Lehmann vor allem in Rankes von nun an intensiv und strittig behandeltem Fortschrittsbegriff, verbunden mit der Beurteilung der moralischen Größe einer Epoche, der von Ranke teils eine, teils keine Steigerung zugesprochen werde. Nicht ohne ähnliche Beanstandung blieben Rankes Vorträge auch bei Ottokar Lorenz in einer Besprechung der ‚Deutschen Litteraturzeitung‘ von 1890, der beiläufig in den vierzehn Vorlesungen Guizots über die ‚Allgemeine Geschichte der europäischen Civilisation‘ (dt. Übers. nach d. 5. Aufl., Stg. 1844) „ein ziemlich genaues Vorbild“ sehen wollte, was bei näherer Betrachtung nur schwer nachzuvollziehen ist. Lorenz hält es für notwendig, „den meisten Sätzen und selbst der Methode“ der Vorträge Rankes „entgegenzutreten“, weil dieser trotz Verwahrung gegen die Hegelsche Geschichtsphilosophie „auf umgekehrtem Wege doch schließlich zu sehr ähnlichen, wenn auch historisch treueren Resultaten“ gelange (389). Das Verhältnis Lorenz’ zu Ranke wird noch weiter zu verfolgen sein (s. I, 410ff., 450). - Eugen Guglia hingegen vermutete später in einem Beitrag ‚Ranke und Jakob Grimm‘, nicht abwegig, daß zur Formulierung von Rankes berühmtem Diktum von der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott aus seinen Vorträgen vor Kg. Maximilian II., eine ähnliche Stelle aus Jacob Grimms ‚Deutscher Mythologie‘ (Vorrede zur 1. Ausg., 28. Apr. 1844) beigetragen habe. Allerdings sei dieser Gedanke ohnedies ein „organisches Produkt“ der Rankeschen Geschichtsauffassung (Guglia/1912, 129). - Tatsächlich jedoch erschien die 1. Ausgabe 1835, die 2. 1844. Diese weist einen entsprechenden Passus auf, der auch in der 3. Ausgabe enthalten ist, welche gerade 1854, im Jahr der Abhaltung der Vorträge Rankes, erschien. Der durchaus verwandte, in späteren Ranke-Betrachtungen allerdings völlig verloren gegangene, weniger distanzierte Gedanke Grimms ist dort wie folgt formuliert: „Mir widersteht die hoffärtige ansicht, das leben ganzer jahrhunderte sei durchdrungen gewesen von dumpfer, unerfreuender barbarei; schon der liebreichen güte gottes wäre das entgegen, der allen zeiten seine sonne leuchten ließ ... in alle, auch die verschriensten weltalter wird ein segen von glück und heil gefallen sein...“ (Bd. I, Gött. ³1854, Vorrede, VII). Rankes Vorträge riefen auch biographisch orientierte Beiträge hervor: Der überwiegend mit bayerischer Geschichte befaßte Münchener Geschichtsordinarius Karl Theodor Heigel (1842-1915) veröffentlichte 1889 in ‚Spemanns illustrierter Zeitschrift für das deutsche Haus‘ mit dem Obertitel ‚Vom Fels zum Meer‘ einen entsprechenden Artikel über ‚König Max II. und Leopold v. Ranke‘. Der feuilletonistische Beitrag bietet einige selbstrecherchierte biographische Zusätze, u. a. einen damals unveröffentlichten Brief Friedrich Wilhelms IV. an Maxmilian II. vom 18. 3. 1853 betreffend eine Berufung Rankes nach München, ist jedoch durch Hoeft (1940) ersetzt. - Auch der anläßlich seiner ‚Geschichte der Wissenschaften in Deutschland‘ betrachtete Franz Xaver von Wegele verfaßte (1890) eine flüssig geschriebene, mit größeren Zitaten garnierte Darstellung, i. w. der äußeren persönlichen Beziehungen seit 1830 bis zu Maximilians Tod, vor allem aufgrund der in Band 53/54 der ‚Sämmtlichen Werke‘ - 398 -

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veröffentlichten Briefe. Die Berchtesgadener Vorträge von 1854 werden erwähnt, nicht jedoch auf ihren geistigen Gehalt hin betrachtet. Auch die Gründung der ‚Historischen Kommission wird nur gestreift. Von versöhnlich-anerkennender Art waren Ranke-Betrachtungen der Greifswalder protestantischen Religionswissenschaftler Otto Zöckler und Viktor (auch Victor) Schultze. Zöckler schloß seine Anfang der 1880er Jahre begonnenen Besprechungen (s. o.) mit einem wohl allzu allgemein gehaltenen Artikel in ‚Der Beweis des Glaubens‘ vom April 1889, betitelt ‚Leopold von Rankes Weltgeschichte. Ein Rückblick‘, in dem er das Gesamtwerk würdigte, jedoch wissenschaftsfern bedauerte, daß es „zwar nicht als specifisch apologetisch gehaltene Darstellung der Universalgeschichte“ gelten könne, „aber doch als mit der christlichen Weltansicht in wichtigen Hauptpunkten übereinkommende Übersicht über den Gang der menschlichen Entwicklung.“ (153). Victor Schultze (1851-1937), Professor für Kirchengeschichte und Christliche Archäologie der Universität Greifswald (s. Victor Schultze in memoriam: Ansprachen und Reden bei der Gedächtnisfeier d. Theol. Fak. Greifswald f. ihren Senior D. Dr. h.c. Victor Schultze, o. ö. Prof. d. Kirchengesch. u. christl. Archäologie, geh. am 18. Jan. 1937, Greifswald: Bamberg, 1937), der noch keiner NDB-Aufnahme teilhaftig wurde, stand gerade vor der Vollendung seines zweibändigen Werkes über die ‚Geschichte des Untergangs des griechisch-römischen Heidentums‘ (Jena: Costenoble 1887, 1892), als er 1891 in den ‚Jahresberichten der Geschichtswissenschaft‘ eine Besprechung des neunten Bandes der ‚Weltgeschichte‘ verfaßte, in der er die bemerkenswerte Anerkennung aussprach, durch die von Ranke festgehaltene „enge Beziehung der Kirchengeschichte auf die Weltgeschichte wie durch seine grundlegenden Einzeluntersuchungen“ sei „seine Geschichtschreibung auch für die kirchengeschichtliche Forschung und Darstellung vorbildlich geworden“ (IV/36). Von gröbster Machart war eine katholische Stimme. Der Jesuit Emil Michael (1852-1917, s. Wilhelm Baum: Emil Michael. Persönlichkeit, Leben und Werk 1971, 19 S.), Dr. theol. et phil., Privat-Dozent für Kirchengeschichte an der Universität Innsbruck, hatte 1889 eine Schrift über ‚Salimbene und seine Chronik. Eine Studie zur Geschichtschreibung des dreizehnten Jahrhunderts‘ (Innsbruck 1889) verfaßt. Später schrieb er eine erfolgreiche umfangreiche Charakteristik Ignaz von Döllingers (Innsbruck 1892, ³1894). Von ungestörtem Selbstgefühl zeugte seine 6bändige ‚Geschichte des deutschen Volkes vom dreizehnten Jahrhundert bis zum Ausgang des Mittelalters‘ (Freiburg i. Br. 1897-1915). 1890 nun veröffentlichte er ein Libell mit dem Titel ‚Rankes Weltgeschichte. Eine kritische Studie‘ (Paderborn: F. Schöningh, 1890, 51 S.), dessen sich sogar die ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ annahm (Pfister/1890). Zur Charakteristik des Heftchens dient eine Verlagsanzeige Michaels: „Die vorstehende Broschüre zeigt uns den Altmeister der Geschichtswissenschaft als einen der gefährlichsten, weil verstecktesten und täuschungsgewandtesten Feinde des Katholizismus und als erfolgreichsten Propheten des Rationalismus“ (Text bei Hinneberg/1892, 79). - An Michael schlossen sich einige abweisende oder zustimmende Artikel an: [Anonym] (1890), Albert Jäger (1890), Pfister (1890), Hinneberg (1892), Reusch (1892). Siehe auch Lettre de M. Michael (1890) und Michael (1895). - Gnädiger ging Bernhard Duhr S. J. (1852-1930), Verfasser einer nicht unwerten vierbändigen ‚Geschichte der Jesuiten in den Ländern deutscher Zunge‘ (1907-28) mit Ranke um. In seinen 1891 erschienenen ‚Jesuiten-Fabeln. Ein Beitrag zur Culturgeschichte‘, Freiburg i. Br. 1891 (2., unv. Aufl., Freiburg i. Br. 1892), beabsichtigte er unter prononcierter - 399 -

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Anwendung der „Regeln der wissenschaftlichen Kritik“ die Widerlegung einer Reihe von im Laufe der Zeit gegen die Jesuiten erhobenen Vorwürfen, wobei er Ranke an zahlreichen Stellen (ebd. Reg.), sei es als Zeugen anrief, sei es, ihm Irrtümer nachzuweisen suchte. Darin bietet Duhr einige noch durchaus interessante Beobachtungen, die einer Behandlung des reizvollen Themas der Rankeschen und anderweitigen Jesuitenbeurteilung zugute kommen können. Zu Rankes ‚Weltgeschichte‘ äußerte sich auch Julius Langbehn (1851-1907). Als pessimistischer Kulturkritiker wurde er zwar „immerhin von Edmund Jörg, dem Herausgeber der ‚Historisch-Politischen Blätter‘, von Politikern wie Bismarck und Theodor Heuss und von Historikern wie Th. Mommsen und J. Janssen beachtet“. Jedoch reichen „in der Diskussion ... die Urteile von ‚Heiliger‘, ‚Gottsucher‘ und ‚Christusdeutscher‘ (Nissen) über ‚Eremit‘, ‚Rufer in der Wüste‘ (Keppler) und ‚Seher‘ bis ‚Narr‘, ‚Scharlatan‘ und ‚Verführer‘“ (Ibach, Helmut: Langbehn, Julius. In: NDB 13/1982, 544-546). In seinem Werk ‚Rembrandt als Erzieher‘, 1890 anonym erschienen, einem der auflagenstärksten Werke der deutschen Literatur, das im folgenden Jahr bereits die 37. Auflage erlebte und sich bis in die Zeiten des Nationalsozialismus hielt (85. Aufl. 1936), insofern für die Verbreitung der Ranke betreffenden Aussagen von einiger Bedeutung, glaubte er feststellen zu müssen, Rankes ‚Weltgeschichte‘ liefere „nur eine Generalübersicht des bereits Bekannten“, - obgleich von anderer Seite geurteilt worden war, sie setze beim Leser viel voraus, sei geschrieben für die „höchstgebildete Welt“ (Horawitz/1881, 102). Hinsichtlich der Behandlung des Christentums sei Ranke, wie Langbehn fortfährt, „mehr vorsichtig als tief“ (291). Der alte Gegensatz zwischen Schlosser und Ranke müsse sich „wieder etwas zu Gunsten des ersteren ändern“. „Bei aller Schärfe und Klarheit der Beobachtung wie Darstellung“ sei „etwas zwar nicht sittlich, aber doch geistig Charakterloses in der Ranke’schen Geschichtschreibung“. Auch seien seine Gesinnung und Geschichtsschreibung „ihrem Wesen nach international“ (67f.), worin man noch das zutreffendste der Langbehnschen Urteile sehen mag. Eine mit Behagen zustimmende anonyme Besprechung findet sich in den katholischen ‚Historisch-politischen Blättern‘ unter dem Titel ‚Ein protestantisches Urtheil über Ranke als Historiker‘. (HpBll. 107/1891, 398-400). Die ‚Blätter‘ nahmen dabei auch mit Genugtuung „das Verdienst in Anspruch“, „von Anfang an einen kritischen Maßstab an die Leistungen des von seinem Anhange unmäßig gepriesenen Berliner Historikers“ gelegt zu haben. Übrigens konvertierte Langbehn im Jahre 1900 (Ibach, ebd.). - Zu Kurt Breysigs 1897 im ‚Literarischen Centralblatt‘ erschienener Beurteilung der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘ siehe I, 438-440. Die Fortführung der ‚Sämmtlichen Werke‘ (I/2.2.1.2) Die von Ranke auf 48 Bände heraufgeführte Sammlung seiner Werke wurde neben der Fortführung der ‚Weltgeschichte‘ unmittelbar nach seinem Tod im Auftrag der Erben durch Alfred Dove herausgeberisch fortgesetzt. In allzu rascher Folge erschienen in den Jahren 1887, 1888 und 1890 drei Doppelbände (49/50, 51/52, 53/54), welche als Sammelbände teils Bekanntes wieder aufnahmen, teils Unbekanntes aus dem Nachlaß hervorbrachten. Wies der erste der drei Doppelbände noch eine gewisse thematische Homogenität auf, so führte der unzureichende Überblick des forcierten Unternehmens in den folgenden Doppelbänden zu einer in Teilen vermeidbaren Heterogenität. Gleichwohl gilt, stark vereinfacht, der erste dem vermeintlichen ‚Politiker‘ Ranke, der - 400 -

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zweite dem Historiographie-, Literaturhistoriker und Redner, der dritte dem Menschen in seinen Lebensbeziehungen und Erinnerungen. Trotz ihrer Bedeutung für die Betrachtung von Rankes Geschichtsanschauung und Biographie war die unmittelbare Resonanz eher eine mäßige. Auch erlebte keiner der zum Teil noch heute unverzichtbaren Bände (s. II/2 und II/3) eine Nachauflage des Original-Verlags. Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert (I/2.2.1.2.1) Als erste Fortsetzung der ‚Sämmtlichen Werke‘ brachte Alfred Dove einen Sammelband mit dem damals attraktiven, aktuellen Titel ‚Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert‘ (SW 49/50) heraus. Neben dem 1873 erschienenen, nunmehr kaum noch interessierenden Briefwechsel Friedrich Wilhelm’s IV. mit Bunsen, enthält er zwei Elemente, welche für künftige langanhaltende Diskussionen auslösende Wirkung hatten: zum einen - neben anderen, nahezu vergessenen Aufsätzen der Zeitschrift - den Schlußbeitrag Rankes zu seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘, das 1836 letzthändig erschienene sogenannte ‚Politische Gespräch‘, das Ranke, vielleicht wegen seiner literarischen Form, von einer Aufnahme in die ‚Sämmtlichen Werke‘ ausgeschlossen hatte, zum anderen bisher unveröffentlichte Denkschriften für Edwin Freiherrn von Manteuffel aus den Jahren 1848-1851 zur Verwendung bei Friedrich Wilhelm IV. Hieran und an die von Ranke 1872 selbst noch nachgedruckten ‚Großen Mächte‘ von 1833 und seine Antrittsvorlesung über den Unterschied von Historie und Politik von 1836 knüpfte sich eine weit in die nächsten Jahrzehnte hinein reichende konträre Diskussion. Von einer nennenswerten öffentlichen politischen Wirkung Rankes konnte indes nach 1836, dem Jahr des Endes der Zeitschrift und seiner den Rückzug aus der politischen Publizistik dokumentierenden ‚Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine‘ nicht mehr die Rede sein. Wie weit sein Einfluß auf die politischen Ansichten oder gar Entscheidungen Friedrich Wilhelms IV. und Maximilians II. ging, ist schwer zu bestimmen (s. II/4.2). Auch sind Artikel, die er in den 1850er Jahren anonym in die von ihm ein Leben lang gelesene ‚Kreuzzeitung‘ lieferte, noch unidentifiziert. Einen charakteristischen Hinweis dazu nahm Julian Schmidt als bewußte Erweiterung gegenüber der Vorauflage in die vierte, 1858 erschienene Auflage seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur seit Lessing’s Tod‘ auf. Es heißt dort u. a.: „Wenn ein Ranke sich zum Mitarbeiter der Kreuzzeitung hergeben kann, so steht es schlimm mit der Gewalt unsrer öffentlichen Meinung.“ (431). - Vermutlich Gustav Freytag bemerkte 1856 in einem Essay über Georg Waitz, Ranke habe auf dessen politische Gesinnung keinen Einfluß ausgeübt, „wie denn überhaupt nach dieser Richtung hin seine Wirkung nicht sehr hoch anzuschlagen ist. Nur der Gläubige reißt die Jugend mit sich fort...“ ([Freytag?:] Georg Waitz/1856, 44). Indes kommt Rankes Werk, im besonderen dem preußisch-österreichisch-deutschen Spätwerk und noch mehr den ‚Großen Mächten‘, in noch unbekanntem Ausmaß auch seinen Vorlesungen, zweifellos eine allgemeine, wenn auch nur indirekte politische Wirkung zu. Hugo Landwehr (1859-1894) besaß nach Ausweis seiner althistorischen Vorveröffentlichungen - einer Berliner Dissertation von 1883 ‚De papyro Berolinensi No. 163...‘ und ‚Forschungen zur älteren attischen Geschichte‘ (Lpz. [1884]) - zwar kaum passende Voraussetzungen für eine Beurteilung der politischen Denkschriften Rankes, doch unterstrich er, ohne dies näher zu begründen, im ‚Deutschen Litteraturblatt‘ vom 26. Nov. 1887 Rankes und Bismarcks „Geistesverwandtschaft“. Auch in einer Kurz- 401 -

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besprechung der ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vom 7. Mai 1888 glaubte er in Rankes Denkschriften mehr als eine Idee vorgefunden zu haben, welche von Bismarck realisiert worden sei. (C/1888, 378). Ein wenig konkreter wurde Adolphus William Ward (1837-1924, s. P. Giles, W. E. Barnes, A. T. Bartholomew: In memoriam Adolphus William Ward, master of Peterhouse, 1900-24, Cambridge: Univ. Pr. 1924). Gemessen an seinen frühen Veröffentlichungen über die Geschichte der englischen dramatischen Literatur (Lnd. 1875) sowie über Charles Dickens (Lnd. 1882) schien auch er noch keine direkten Beziehungen zur Thematik des Bandes aufzuweisen - erst in den Jahren 1916 bis 1918 veröffentlichte er ein in der Tat passendes dreibändiges Werk ‚Germany 1815-1890 (Cambridge: Univ. Pr.). Bei einer Besprechung in der ‚English Historical review‘ von 1888 fand er in den Denkschriften des „thoroughly Prussian, or prussianised“ Ranke (186) nichts zu beanstanden und glaubte weitere Belege für die politische Übereinstimmung Rankes und Bismarcks entdeckt zu haben, seien doch in der Denkschrift von 1849 - überhaupt die bemerkenswerteste - die Keime der Verfassung des Norddeutschen Bundes von 1867 enthalten (185). - Fast provokativ wirkt der irreale Titel ‚Ranke als Tagespolitiker‘, den die anonyme Besprechung der ein wenig zahnlos gewordenen ‚Grenzboten‘ von 1887 trägt. Hierin wird die „staatsmännische Weisheit“ Rankes bewundert. Sein in den Denkschriften fixiertes „Programm von der selbständigen Stellung des Königtums innerhalb des Verfassungsrahmens“ sei „in schweren Zeiten vom Kaiser Wilhelm und seinem mutigen Minister Bismarck verwirklicht worden“ (403). Auch in der ‚sozialen Frage‘ begegnen sich mit dem Schlagwort des ‚Rechts auf Arbeit‘ in der Sicht des Rezensenten „Deutschlands größter Historiker“ und „größter Staatsmann“, so auch in der ‚deutschen Frage‘ mit dem Ausschluß Österreichs (404). Übrigens wurde und wird weithin übersehen, daß sich Rankes ‚Recht auf Arbeit‘ sehr stark auf eine staatlich gesteuerte Pflicht organisierter Massen-Arbeit zubewegt. - Trug diese Besprechung schon Züge einer gewissen Realitätsverkennung, so erhob man sich in der populären Presse zu einer Apotheose. In ‚Westermanns illustrierten deutschen Monats-Heften für das gesamte geistige Leben der Gegenwart‘, sieht der ‚literarische‘ Journalist Ludwig Salomon (1844-1911) Ranke nicht nur als „Begründer der deutschen Geschichtswissenschaft“ an (Salomon/1888, 743), vor seinen Augen erhebt sich Ranke in seinen Denkschriften auch „riesengroß ... über alle Politiker seiner Zeit“ (ebd.). Bismarck habe, „als ob er die Denkschriften Rankes sorgfältig studiert hätte ... Schritt vor Schritt den Weg, welchen Ranke einst vorgezeichnet“, verfolgt (754). Hier wird nun Bismarck gar zum politischen Schüler Rankes degradiert. Bruno Gebhardt hatte sich bereits zu Rankes 90. Geburtstag als Verehrer des Meisters vorgestellt und verfaßte nun für die ‚Gegenwart‘ einen Artikel über ‚Ranke als Politiker‘. Sein möglicherweise bei Ranke gewonnenes Interesse an politischen Denkschriften bekundete er später durch Veröffentlichungen wie ‚Wilhelm von Humboldts politische Denkschriften‘ (3 Bde, Bln. 1903/04) und ‚Zwei Denkschriften aus der Zeit Friedrich Wilhelms III‘ (Bln 1903). Er hält Rankes politische Schriften für „realpolitisch“ (Gebhardt/1887, 170). Zwar habe ihnen die historische Wirksamkeit gefehlt, sie seien jedoch als „Meisterstücke politischer Weisheit und Klarheit“ „von größtem Werthe“ (ebd.). - Mit dem preußisch-österreichischen Verhältnis in der Sicht Rankes befaßte man sich in Besprechungen der ‚Allgemeinen Zeitung‘ und des ‚Literarischen Centralblatts‘. Erstere lieferte in ihrer Beilage vom 28. Juli 1887 ein Referat, das in seinen geringen Beurteilungen der „Denkmäler hoher politischer Auffassung“ - 402 -

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und „warmer patriotischer Gesinnung“ (F. v. W. [Fr. X. v. Wegele?], 3043) immerhin festhält, daß Rankes „gewünschte Stellung Deutschlands zu Oesterreich... im wesentlichen so, wie er sie präcisirte, zur Thatsache geworden“ sei. Der „springende Punkt“ in seinen Anschauungen sei „immer wieder der Gedanke, daß die Hauptaufgabe in der Bekämpfung des Radicalismus, der Volkssouveränetät bestehe“ (3042). - Das ‚Literarische Centralblatt‘ vom 1. Jan. 1888 hingegen vermerkt, daß selbst ein Ranke sich in seinen Denkschriften „über einen der wichtigsten Puncte in Irrthum befangen“ gezeigt habe, „indem er die Geneigtheit Oesterreichs, den Interessen Preußens gerecht zu werden, für möglich“ gehalten habe. Dagegen werde man „an anderen Stellen frappiert durch die nahe Verwandtschaft von Bismarck’s Ideen mit denen Ranke’s.“ (F.,12). Übrigens gelang es Alfred Dove trotz erheblicher emotionaler Einwirkung nicht, Heinrich von Treitschke zu einer Besprechung des Bandes in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ zu bewegen, den er ihm mit Brief vom 17. Juni 1887 vorgestellt hatte (Dove: Ausgew. Aufss. u. Briefe II/1925, 121. Dazu auch Stadler-Labhart/2008, 67f.). Die Besprechung übernahm sogleich Treitschkes Herausgeber-Kollege, der auch mit praktischen politischen Erfahrungen ausgestattete Hans Delbrück (s. I, 448-452). - Über politische Erfahrung verfügte auch Constantin Bulle (s. I, 186). Sein Urteil über den Politiker Ranke war vergleichsweise differenziert. Als Verfasser einer einschlägigen ‚Geschichte der neuesten Zeit. 1815-1871‘ (2 Bde Lpz. 1876) und Mitglied des Deutschen Reichstags, verfügte er über ein gewisses Urteilsvermögen hinsichtlich der Denkschriften. Wo Ranke, so urteilt er in einer 1887 in ‚Die Nation‘ erschienenen Besprechung des Sammelbandes, „in die Rolle des praktischen Staatsmanns“ übergreife, seien „seine Vorschläge wenig einleuchtend“. Sein „eigenstes Gebiet“ sei „die Betrachtung der Tagesereignisse von einem höheren Standpunkte aus, der Versuch, in den Wirren der Gegenwart den Zusammenhang mit der Vergangenheit festzuhalten und die konservativen Prinzipien gegenüber den Forderungen des Tages zu retten, ohne den letzteren doch mit blinder Voreingenommenheit jede Berechtigung abzusprechen“ (Bulle/1887, 749). Rankes Denkschriften seien „psychologisch gut darauf berechnet“ gewesen, „das verlorene Selbstvertrauen“ des Königs nach 1848 „wieder wachzurufen“ (ebd.). - Rankes „Idee, das Recht auf Arbeit anzuerkennen, die ... Anschauung, daß der Konstitutionalismus eine republikanische Tendenz habe, und im Zusammenhange damit die starke Betonung des eigenen, nicht aus der Volkssouveränität abgeleiteten Rechtes der Monarchie“ erinnern Bulle „sehr an gleichartige Aeußerungen des Fürsten Bismarck“ (750). - Victor Cherbuliez, der Ranke 1877 eine ‚Hardenberg‘-Besprechung und 1886 einen anerkennenden Nachruf gewidmet hatte (s. I, 329 u. 382) sah anläßlich seines Beitrags ‚Frédéric-Guillaume IV et Léopold de Ranke‘ in der ‚Revue des Deux Mondes‘ des Jahres 1887 in den historisch-politischen Anschauungen von Rankes Zeitschrift und Denkschriften „un mélange de vrai et de faux“: „Si Ranke méprisait trop la théorie, nous autres Français nous méprisons trop l’histoire“ (Unter dem Pseudonym Valbert/1887, 209). Letzteres bezog sich auf den Abschnitt ‚Vom Einflusse der Theorie‘ in Rankes erneut abgedruckten ‚Reflexionen‘ der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ von 1832. - Auch Ottokar Lorenz unternahm eine kritische Besprechung der Beiträge Rankes ‚Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im 19. Jahrhundert‘ (SW 49/50, 1887), 1888 in der ‚Deutschen Litteraturzeitung‘ wie auch Max Lehmann in der von ihm redigierten ‚Historischen Zeitschrift‘ des Jahres 1890. Beide sind an anderer Stelle zu betrachten (s. I, 450).

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‚ A b h a n d l u n g e n u n d V e r s u c h e . N e u e S a m m l u n g ‘ (I/2.2.1.2.2) Der posthum 1888 herausgegebene Doppelband 51/52, der sich in seinem Titelzusatz auf die von Ranke 1872 selbst herausgegebene ‚Erste Sammlung‘ bezieht, hat ausgesprochen heterogenen Charakter. Sein zeitlicher Umfang reicht von der ‚Fluthsage‘ bis zu Friedrich Wilhelm IV. Der gleichwohl wertvolle Band ist noch heute vor allem wegen des teilweisen Erstdrucks von Reden Rankes vor der Historischen Kommission unentbehrlich (s. II/6.5.2). Den Wert dieses Teils erkannte auch sogleich Max Lehmann. Ihm erschien zwar eine bisher unveröffentlichte kleine Abhandlung über Einhards ‚Vita Karoli‘ als eine „wahrhaft glänzende Probe schöpferischer Kritik“ (HZ 65/1890, 287). Als „Perle“ des Bandes galt ihm jedoch die Sammlung der Ansprachen Rankes vor der ‚Historischen Kommission‘. Unter den Werkfortsetzungen hat dieser Band allerdings bei seinem Erscheinen die geringste Aufmerksamkeit erreicht. Auch war die erste Auflage zugleich die letzte des Original-Verlages. Was die ‚Fluthsage‘ anbelangt, so beschränkte sich der Archäologe Salomon Reinach (1858-1932) bei seiner Besprechung des Bandes in der Pariser ‚Revue critique d’histoire et de littérature‘ vom 22. April 1889 auf eine ablehnende Kritik der hier erstmals veröffentlichten Abhandlung. Allgemein billigte er Ranke jedoch als „grand esprit“ eine „merveilleuse variété de connaissances“ zu. Ob Reinachs Artikel schon zur Kenntnis eines anonymen Rezensenten des ‚Literarischen Centralblatts‘ vom 13. Juli 1889 gelangt war, sei dahingestellt. Jedenfalls glaubte dieser, daß der Rankesche Vergleich der babylonischen und der hebräischen Überlieferung hinsichtlich der sogenannten ‚Sündflut‘ bei Historikern und Naturforschern „auf starke Einwände stoßen“ werde. Die Form dieses Aufsatzes über die ‚Fluthsage‘ entbehre überhaupt der „letzten Feile“. Eine solche Kritik erlaubte sich der bereits als Rezensent der ‚Weltgeschichte‘ (s. o.) aufgetretene Gottlob Egelhaaf in der ‚Deutschen Rundschau‘ vom November 1889 nicht. Indem er sich besonders den hier erstmals veröffentlichten Abhandlungen 1-3 widmete, sah er, in welch „wunderbarer Weise“ sich bei Ranke „Achtung vor der Überlieferung und Kritik derselben“ mischten (314). Rankes Abhandlungen über die Geschichte der italienischen Kunst und Poesie zeigen ihm „die wunderbare Vielseitigkeit des großen Altmeisters von Neuem, und sie thun dar, wie wenig die ‚Weltgeschichte‘ etwa einem späten und unvermittelten Entschlusse entsprungen ist: sie ist durch Ranke’s ganzes früheres Leben und Forschen so vorbereitet gewesen, daß sie jetzt geradezu als naturgemäßer Abschluß dieses Lebens bezeichnet werden muß“ (315). - Den literargeschichtlichen Abhandlungen war auch der baltische Historiker Friedrich Bienemann (Senior 1838-1903 oder Junior 1860-1915 nach: Wikisource) in den ‚Blättern für literarische Unterhaltung‘ vom 29. Nov. 1888 über ‚Das Neueste aus Leopold von Ranke’s Nachlaß‘ besonders zugetan. In diesen Abhandlungen stelle Ranke seine Vertrautheit mit der literarischen Bewegung unter Beweis, entgegen dem ein Menschenalter zurückliegenden Vorwurf, er berücksichtige - anders als Schlosser und Gervinus - nur die Haupt- und Staatsaktionen der Geschichte (757). Dies war allerdings sehr kurz gedacht, denn Rankes speziell literaturgeschichtliche Abhandlungen konnten nicht sein Werk vertreten. Bienemann sieht auch im literaturgeschichtlichen Bereich selbst einen deutlichen Gegensatz zu Schlosser, indem Ranke unter Verzicht auf Werterörterungen lediglich den Abwandlungen des Stoffs nachgehe (758). Ludwig Geiger (1848-1919) hatte sich 1873 als Waitz-Schüler unter der Obhut Rankes habilitiert (Zastrau, Alfred: Geiger, Ludwig Moritz Philipp. In: NDB 6/1964, - 404 -

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144f.). Wie seine Dissertation war die Schrift bezeichnenderweise eine quellenkritische Arbeit. 1882 und mehrfach später hatte er Gelegenheit, Ranke Besuche abzustatten (s. II/7.2). In dessen Richtung wies in Geigers vielfältigem Werk auch eine Ausgabe ungedruckter Briefe und Aktenstücke aus der Beziehung Bettina von Arnims zu Friedrich Wilhelm IV. (Ffm. 1902), vor allem aber eine Ausgabe der Briefe der Elisabeth Charlotte von Orléans 1673 bis 1715 (Stg. 1884), denn Briefe der Herzogin an die Kurfürstin Sophie von Hannover hatte Ranke bereits in Band V seiner ‚Französischen Geschichte‘ (1861) herausgegeben. Geigers großes Werk über: ‚Berlin. 1688-1840. Geschichte des geistigen Lebens der preußischen Hauptstadt‘ (Bln. 1892, 1893, 1895) behandelte auch Rankes ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ (Geiger II/1895, 553f.), verbunden mit einer Gesamtwürdigung (ebd., 598-601). In einer Besprechung der posthumen ‚Abhandlungen und Versuche‘ betrachtete er ‚Ranke als Litterarhistoriker und Redner‘ (Geiger/1888). Dabei vertrat er die unzutreffende These, daß Ranke sich, je mehr er die neuere Geschichte und damit die Gesandtschaftsberichte als vorwiegende Quelle verlasse, desto mehr vom Staat und den Höhen der Gesellschaft der Literaturgeschichte zuwende. Hier wurde übersehen, daß Ranke im Alter mehr und mehr die neueste Geschichte, i. b. des preußischen Staates behandelt hatte, seine in den ‚Abhandlungen und Versuchen‘ veröffentlichten Artikel zur italienischen Literatur und Kunst hingegen auf Eindrücke seiner ersten italienischen Reise zurückgingen und zum Teil bereits 1837 veröffentlicht worden waren. - Geigers Betrachtung gilt dann vor allem den Abhandlungen über Seneca und über italienische Poesie: „Jene Mischung von philologischem Scharfsinn, ästhetischer Feinfühligkeit, psychologischen Erkennens und geschichtlicher Kunst, welche den Litterarhistoriker ausmacht, ist durch Ranke in wunderbarer Weise erreicht.“ (116). An der ersteren findet er jedoch auszusetzen, daß die Frage der Verfasserschaft der Tragödien „etwas leichthin“ behandelt sei (115) und überhaupt, daß Ranke in seinen späteren Jahren „eine Eigenheit zum Schaden seines Stiles“ immer mehr ausgebildet habe: „die Lust an Sentenzen“ (ebd.). Rankes Abhandlung über die italienische Poesie - hierin konnte man Geiger mit Arbeiten über ‚Petrarca‘ (Lpz. 1874) und über ‚Renaissance und Humanismus in Italien und Deutschland‘ (Bln. 1882) eine Kennerschaft nicht absprechen - sei ein „allgemeines Kulturbild“, „eine Meisterleistung“. Dies Urteil galt um so mehr, als Geiger sich über Jahrzehnte hinweg editorisch intensiv mit Burckhardts ‚Cultur der Renaissance in Italien‘ befaßte. In manchen Teilen sei das von Ranke veröffentlichte oder behandelte Material - mittlerweile verloren oder unzugänglich - „geradezu Quelle“ geworden (16). - Geiger äußerte sich dann noch einmal ‚Zu Ranke‘s Selbstbiographie‘ in Band 53/54 der ‚Sämmtlichen Werke‘ (Geiger/1891) und in einem ‚Ranke und Scherer‘ betitelten Kurzbeitrag, der nicht die Beziehung Ranke/Scherer darstellt, sondern zwei getrennte persönliche Erinnerungsbruchstücke Geigers darbietet (Geiger/1918, s. II/7.2, 1882). ‚ Z u r e i g e n e n L e b e n s g e s c h i c h t e ‘ ( I/2.2.1.2.3) Der letzte, wiederum als ‚Doppelband‘ (53/54) erscheinende Teil der ‚Sämmtlichen Werke‘ wurde von Dove 1890 unter dem Titel ‚Zur eigenen Lebensgeschichte‘ herausgebracht. Mit der Aufnahme von autobiographischen Diktaten, Briefen und Tagebuchblättern war er bis auf eine kleinere Varia-Nachlese gänzlich biographisch geprägt und mit einer geringen Ausnahme inhaltlich gänzlich neu. Der Band stellte somit erstmals die sich nun entwickelnde, zumeist kleinformatige Ranke-Biographik auf eine willkommene Grundlage, nachdem das Material vor seiner Veröffentlichung bereits 1888 - 405 -

I/2.2.1.2 Wilhelminische Zeit - Fortführung der ‚Sämmtlichen Werke‘

von Dove selbst zu einem ADB-Artikel des „größten Geschichtschreibers deutscher Nation“ (Dove/1888, Zitate nach Dove/1898, hier 150), im Blick auf Rankes Ableben fast ex eventu, genutzt worden war (s. II/453f.). Dove verfaßte in den Jahren 1871 bis 1914 nicht weniger als fünfzehn rankebezogene, teils editorisch, teil interpretatorisch ausgerichtete Beiträge, und kann somit, bei nicht allzu strenger Beurteilung (s. II/2.1.1 u. II/3.1.4), als erster Ranke-Forscher bezeichnet werden. In seinem Briefwechsel mit Gustav Freytag, Heinrich von Treitschke, Ottokar Lorenz und Otto Gierke findet sich noch manches Wort über Rankes ‚Weltgeschichte‘ und die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ (Dove II/1925, 92f. 121 125-25, 152). - Aus der Feder Friedrich Meineckes wurde dem zwischen einer Tätigkeit als nationalpolitischer Publizist der Reichsgründungszeit und einer historischen Professur hin- und herwechselnden Dove - in jedem Fall „mehr Künstler als Forscher“ - fast über Gebühr, eine geistvolle Würdigung zuteil (Meinecke/1925, 144). Die neuen biographischen Quellen führten auch zu Beiträgen Eugen Guglias über Rankes Jugendzeit (1891), über die Beziehungen zu Gentz (1891) und Goethe (1892), Vorläufer seiner damals schätzenswerten, aus heutiger Sicht allzu früh geschriebenen Ranke-Biographie des Jahres 1893, des ersten als selbständige Schrift erschienenen Werkes dieser Art (s. II/454f.). - Auch der Ranke noch länger verbundene Eberhard Gothein schrieb 1892 auf der Quellengrundlage des letzten Bandes der ‚Sämmtlichen Werke‘ schon über ‚Gustav Adolf Stenzel und Leopold v. Ranke‘, während Friedrich von Keußler in St. Petersburg einen Vortrag über ‚Leopold von Rankes Leben und Wirken‘ hielt. - Von vielfältiger ergänzender Bedeutung waren die teils Theodor Wiedemanns Erinnerung (s. I/1.3), teils seinen Ranke-Forschungen entstammenden neun Beiträge der Jahre 1891-1901 (s. II/3.1.4ff.). Der fruchtbare Band 53/54 der ‚Sämmtlichen Werke‘ entsprach überdies nicht nur ersatzweise dem Vorhaben Rankes, sein Gesamtwerk einmal mit einer Autobiographie zu krönen, sondern trug auch der Absicht von Nachkommen und Herausgeber Rechnung, einen allen früheren ‚Kälte‘-Vorwürfen wohl bewußt entgegenwirkenden, emotional geprägten, tatsächlich so formulierten ‚good fellow‘-Eindruck (SW 53/54/IX) des Verstorbenen zu fördern, was auf Dauer auch erreicht wurde (s. II/3.1.4). 1890 besprach Georg Winter, der sich nunmehr wohl zum dreizehnten Mal in der Rolle eines Paladins gefiel, in der ‚Nationalzeitung‘ unter dem Titel ‚Leopold von Ranke’s Lebenserinnerungen und Briefwechsel‘ als einer der ersten diesen letzten Band der ‚Sämmtlichen Werke‘. In seinem Beitrag wird Rankes „großartige, über den Parteien und Ereignissen schwebende Objektivität“ gepriesen. Der Vorwurf, diese sei „kühl bis ins Herz hinan“ müsse als „verwunderlich“ erscheinen (1). (Der Vorwurf stammte nicht allein aus Rudolf von Gottschalls ‚Geschichte der deutschen Nationalliteratur‘ von 1855, 546). Dem folgt eine unkritische Nacherzählung der autobiographischen Diktate Rankes mit einigen famabildenden Zusätzen: Die kritische Beilage des Rankeschen Erstlingswerkes habe „eine geradezu epochemachende Bedeutung erlangt“ (3) und die ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ hätten „in der literarischen Welt ungewöhnlichen Eindruck“ gemacht (3), wovon keine Rede sein kann. - Selbst Paul Graf Yorck von Wartenburg, einer der tiefer blickenden Kritiker Rankes ließ sich von der Stimmung der Briefauswahl gefangennehmen: „Abends im Bette“, so vertraute er Dilthey an, „lese ich die Briefe Rankes. Doch [!] sehr reizend. Seine Historiographie erhält auch von daher Licht. Die ganze Geschichte ein ineinandergreifendes Kräftespiel von nur phänomenalem Werthe“ (17. 12. 1890. Briefwechsel/1923, 113). - Diesem - 406 -

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Eindruck überließ sich auch der mehrfach herangezogene Bruno Gebhardt in einem unkritischen feuilletonistischen Referat, einem Lob Rankescher „Gemüthstiefe“, „reiner Religiosität“, „Lauterkeit der Gesinnung“, „innigen Familien- und Freundessinnes“ eines der „ersten Männer des Jahrhunderts“ (Gebhardt/1891, 218). - Bei Herbert Levi Osgood (1855-1918) treten dann in einer Besprechung des ‚Political Science Quarterly‘ von 1891 Irrtümer auf, die kaum noch zu überbieten sind. Er betont die große Dankbarkeitsschuld besonders jüngerer amerikanischer Historiker Ranke gegenüber. Gerade in Amerika seien Männer seines Charakters notwendig: „so strong with him was the ethical motive ... we admire the simplicity, the honest, free and catholic [!] spirit of the man“ (562). Osgood war beiläufig Schüler von John William Burgess, der vorgab, Ranke gehört zu haben, - als dieser schon nicht mehr las (Berg/1968, 224). Anders beurteilte Georg Kaufmann die Rankesche Religion. Zwar gab er in seiner Besprechung in der ‚Deutschen Litteraturzeitung‘ von 1891 überwiegend willkürlich zusammengestellte oberflächliche Bemerkungen, glaubte jedoch bei einem Gebet Rankes aus den achtziger Jahren eine „innige Religiosität ... die frei ist von aller dogmatischen Gebundenheit“ feststellen zu können. Überhaupt sei jene „geistige Freiheit“, die heute durch plumpen Konfessionalismus ertötet werde, das „beste Erbteil“ Rankes (Kaufmann/1891, 1381). - Ein wenig anders deutete ein Anonymus in der ‚Nation‘ vom Mai 1891 neben dem aus Rankes Briefen sprechenden „überaus wohlthuenden warmen Familiengefühl“, seine „Herzlichkeit der Empfindung“ der Familie gegenüber (L. v. R. und sein neuester Interpret/1891, 499) und die „ganz positiv christliche, im Sinne des historischen Protestantismus bestimmte Glaubensrichtung“ (ebd.). Urteile dieser Art scheinen sich festgesetzt und wohl auch ein wenig auf die historiographische Gesamtwürdigung Rankes vergoldend abgefärbt zu haben. Nicht nur Moriz Ritter sprach - in seiner Rektoratsrede von 1895 - im Zusammenhang mit Rankes Geistesentwicklung und Geschichtsschreibung über dessen „lautere Herzensgüte“ (Ritter/1896, 13). Noch 1945 wußte Willy Andreas um Rankes „Gerechtigkeit“ und „edle“, „tiefschauende, weitherzige Menschlichkeit“ (Andreas/1945, o. Pag.). - Weitere Besprechungen aus dem Jahre 1891, so von Wilhelm Goldbaum, Ludwig Geiger, Eduard Schulte, Alfred Stern und - ohne nationalistische Hetze - von Arthur Chuquet, den vor allem Rankes Begegnung mit Adolphe Thiers in Wien, Okt. (nicht Nov.) 1870 (s. II/7) interessierte, bieten viel Anerkennendes, jedoch wenig Eigenes oder Charakteristisches. - Julius Rodenberg (1831-1914), Literat und Herausgeber der ‚Deutschen Rundschau‘, der beiläufig die seltene, aber zutreffende Feststellung traf, daß Ranke ein „starkes Naturgefühl“ eigen gewesen sei (305, dazu Henz/1968, 122-133), erinnerte noch einmal daran, daß, was Ranke „über den bloßen Bereicherer und Vermehrer unseres geschichtlichen Wissens zum Geschichtschreiber ersten Ranges“ erhebe, seine „Kunst der Darstellung“ sei (J[ulius]. R[odenberg]/1891, 300). Doch spielen nun literarhistorische und -ästhetische Fragen kaum noch eine Rolle. Als bezeichnend für das zeitweilige Zurücktreten überschwänglicher Urteile aus diesem Bereich, wie sie noch ein Julian Schmidt geäußert hatte, mag die kühle Aussage des Sprach- und Literaturwissenschaftlers Eduard Engel (1851-1931) gelten, der in seiner ‚Geschichte der Deutschen Literatur von den Anfängen bis in die Gegenwart‘ (2 Bde, Wien/Leipzig 1906, hier 21. Aufl. 1917) vermerkte, was an Rankes Stil Gutes zu rühmen sei, gelte „vornehmlich seiner Klarheit“, ein „sprachreiner Schriftsteller“ sei er nicht (II, 471).

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2. Kapitel (I/2.2.2) DIE PHILOSOPHISCHE PERSPEKTIVE Schon bei Erscheinen des ersten Bandes der ‚Päpste‘ Rankes, im Jahre 1834, hatte sein Schüler Maximilian Duncker, wohl in Polemik gegen die Heeren-Ukertsche Sammlung von Staatengeschichten, gefordert und dies bei Ranke bestätigt gefunden: „es kommt darauf an, nicht mehr Geschichten der Völker u. Staaten, sondern Geschichten der Ideen zu schreiben.“ ([Duncker, Maximilian: Bespr. von PÄPSTE I]/1834, Sp. 562f.). - An Wilhelm von Humboldt schließt sich ausdrücklich auch Gervinus’ zentrale Aussage zur ‚Ideenlehre‘ in seinen ‚Grundzügen der Historik‘ von 1837 an: „Diese Ideen begleiten unsichtbar die Begebenheiten und äußeren Erscheinungen, durchdringen und gestalten innerlich die ganze Geschichte, und welcher Geschichtschreiber ihrem Wesen und Wirken nachspürt, ihr Hervorgehen und erstes Erscheinen, ihr Bestreben nach Sieg und Herrschaft und ihr Verschwinden und Weichen vor andern neuern, die an ihre Stelle treten, uns darstellt, der übt sein eigentliches Geschäft mit Meisterhand, und läßt uns in die Geschichte ganz andere Blicke thun, als die fatalistischen und naturhistorischen, die teleologischen und pragmatischen Betrachter der menschlichen Dinge.“ (66). Solche Ideen seien es, die „der Menschheit plötzlich neue Richtungen vorschrieben, mit einem besonderen Nachdrucke die Wege der Vorsehung offenbarten.“ (Ebd.). Dabei erinnert man sich des einige Jahre späteren metaphysischen Ideen-Plädoyers des Ranke-Schülers Wilhelm Doenniges. Er hatte 1841, in seiner umfangreichen ‚Geschichte des deutschen Kaiserthums im vierzehnten Jahrhundert‘, an den jungen Ranke anklingend, geschrieben: „Die Geschichte aber hat es mit der Idee in ihrer zeitlichen Erscheinung zu thun, der Historiker muß die Ideen verfolgen von ihrem Anfange durch ihre ganze Entwicklung hindurch, er muß sie an den Begebenheiten nachweisen, weil nur durch sie die Vernunft in der Geschichte, Gott selbst in der zeitlichen Welt zu erkennen ist.“ (Doenniges, 1. Abt., 1. Abschn.,/1841, 22). Das Ideen-Modell als tragendes geschichtliches Strukturelement ist also kein rankespezifisches, sondern es ist in vieler Munde. - Karl Friedrich Köppen hatte freilich damals auch bemerkt, daß die Rankeschen ‚Ideen‘ - er bezeichnete sie als „substantielle Mächte“ und „ideale Potenzen“ - von diesem lediglich als „Redensarten, als Decorationen ... hin und wieder der Veränderung halber eingestreut“ würden, ja, Rankes Sentenzen über ‚Zeitgeist‘, ‚Hand Gottes‘, Vorsehung‘ und Ähnliches seien „nur Lückenbüßer, dei ex machina, Homerische Paradegötter, die wesentlich nichts thun, sondern es den Helden, d. h. hier den Diplomaten überlassen, den Willen des Schicksals zu erfüllen. Von philosophischer Anschauung ist daher bei Ranke kaum eine Spur zu finden...“ (Köppen/1841, 431). Dies nimmt ein gut Teil der Kritik Benedetto Croces vorweg. Später glaubte Paul Bailleu, der um 1874 als Amanuensis bei Ranke tätig war, feststellen zu können: „Wenn er anfangs in der Energie eines einzelnen oder einer Nation das treibende Element der Weltgeschichte gesehen hatte, so war er im Anschluß an die Gedanken Wilhelm v. Humboldts mehr und mehr dahin gelangt, in den ‚Ideen‘ die führenden und beherrschenden Kräfte der Weltgeschichte zu erblicken. In dem Gegensatz der Ideen, in ihrem Dualismus, bewegt sich die Geschichte vorwärts.“ (P.[aul] B.[ailleu]: Leopold v. Ranke/1895, 2). Hier ist nun auf Ernst Bernheims (1850-1942) noch zu Lebzeiten Rankes 1880 erschienene Schrift über ‚Geschichtsforschung und Geschichtsphilosophie‘ hinzuwei- 408 -

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sen. Die nach Herder entstandenen beiden Hauptrichtungen, welche der Waitz- und Weizsäcker-, somit Enkel-Schüler Rankes und schließlich Greifswalder Mediävist der Philosophie zuweist, die „idealphilosophische und die sozialistisch-naturwissenschaftliche“ (Bernheim/1880, 12), bezeichnen zugleich Grundrichtungen des bald heftiger ausbrechenden Kampfes von politischer und Kulturgeschichte. In der Sicht Bernheims will die idealphilosophische Richtung „die Geschichte durch transzendentale Ideen begreifen“ (44), bei der sozialistisch-naturwissenschaftlichen sei „das Augenmerk ... auf die Massenzustände gerichtet“, mit der Absicht, deren „Gesetzmäßigkeit“ zu erkennen (77). Beide hätten „eine allseitige Auffassung unserer Wissenschaft nicht schaffen können“ (81): Während die eine „von dem Verhältniss des Einzelnen zur Idee der Gesammtheit ausging, ... alle nicht direkt in die europäische Staatenentwicklung eingreifenden Völker und Zeiten ignoriren zu dürfen“ meinte [wie es Ranke ein Jahr nach Bernheims Veröffentlichung in seiner ‚Weltgeschichte‘ tun sollte] und „bis zur Vernachlässigung die nicht staatlichen Bethätigungen des Menschen in deren historischer Bedeutung“ unterschätzte (ebd.), „dagegen ... in dem modernen Staat und seiner Entwicklung den Inbegriff aller Geschichte“ sah, habe die andere Richtung „die ganze Sphäre des Individuellen, namentlich den Staat und die politischen Vorgänge“ vernachlässigt und „in der intellektuellen Gesammtentwicklung der Gesellschaft den einzigen Inhalt der Geschichte“ gesehen. (ebd.). Zwischen beiden Lagern bestand freilich bei weitem kein Gleichgewicht. Ohne auf den noch tätigen Ranke einzugehen, jedoch dessen Auffassung übernehmend, erklärte Bernheim, daß „jede Geschichtsbetrachtung, welche Ausgangspunkt und Methode einseitig der Philosophie“ entnehme, „ ... in ihrer ganzen Richtung unverträglich mit wissenschaftlicher Geschichtsauffassung und unbrauchbar als Lenkerin der Geschichtsforschung“ sei (45). Dies bedeutete nicht, daß Bernheim jede Geschichtsphilosophie abgelehnt hätte, vielmehr beklagte er eine „immer grössere unnatürliche Entfremdung zwischen Geschichts-Philosophie und Forschung“ (2), an der Ranke allerdings nicht ganz schuldlos war und untersuchte die Bedingungen, „unter denen die Geschichtsforschung der Geschichtsphilosophie ohne eigene Schädigung zu gegenseitiger Förderung die Hand reichen“ könne (13). Letzteres entsprach wiederum einer Vorstellung Rankes, der keinen Gegensatz von wahrer Philosophie und wahrer Historie erkennen mochte. Das Interesse an Rankes Verhältnis zum Idealismus und zur Ideenlehre verstärkte sich ganz besonders durch die posthume Veröffentlichung (1888) seiner Vorträge vor Maximilian vom Jahre 1854, in denen diesem Thema nicht nur ein eigener Abschnitt gewidmet war, sondern denen sogar folgender, freilich redaktionell unterdrückter Titel verliehen worden war: „Vorträge über die s. g. ‚leitenden Ideen‘ in der Geschichte“ (dazu Henz/2009). In dem 1889 erschienenen erfolgreichen ‚Lehrbuch der Historischen Methode [später: ‚...und der Geschichtsphilosophie‘] mit Nachweis der wichtigsten Quellen und Hülfsmittel zum Studium der Geschichte‘ aus der Feder Bernheims wird neben der nunmehrigen Anerkennung der Bedeutung von Rankes Erstlingswerk - es habe „die Geschichte als Wissenschaft im modernen Sinne eigentlich inauguriert“ (237, Zitate nach der 5. u. 6. Aufl. 1908) - wieder auf Rankes Idealismus-Verbundenheit abgestellt: Es sei „nicht zu verkennen, daß Ranke mit seiner ganzen Anschauungsweise in den Gedankenkreisen der Idealphilosophie, wenngleich mit einiger Freiheit“, stehe und „den neuen von der sozialistisch[!]-naturwissenschaftlichen Richtung, einschließlich der wirtschaftsgeschichtlichen, ausgehenden Anregungen fremd geblieben“ sei (239). In seiner zuerst 1903 erschienenen, mehrfach neu aufgelegten ‚Einleitung in die - 409 -

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Geschichtswissenschaft‘ bekräftigte er erneut die Idealismusnähe Rankes und deren Folgen, indem er darlegte, durch Rankes „vorbildliche, nachhaltige Wirksamkeit“ seien „wesentliche Stücke“ der in Fichte, Schelling und Hegel ausgeprägten nachkantischen Geschichtsphilosophie, „besonders die Ideenlehre, die Bewertung des Staates und der Individuen, in die Geschichtsanschauung seiner Schüler und wieder der Schüler dieser übergegangen, so daß sie noch immer in dem großen Kreise von Fachhistorikern, die sich zur Schule Rankes rechnen, herrschen, wenn auch meist nur als praktische Anschauungen, nicht im Zusammenhang mit dem philosophischen System, dem sie entstammen.“ (28f.). Dabei waren allerdings alle anderen, zum Teil uralten Überlieferungsströme der ‚Ideenlehre‘ beiseite gelassen. Ebenfalls als Ranke-Anhänger halbwegs reinen Wassers - wenn auch hinsichtlich des Ideenbegriffs ganz anderer Ansicht als Bernheim - zeigte sich der bereits mehrfach herangezogene Ottokar Lorenz. Er war mit Person und Werk Rankes, der ihn „sehr schätzte“ (Fournier/1923, 94), recht gut vertraut, war ihm mehrfach in Wien behilflich gewesen und hatte 1885 zu Rankes 90. Geburtstag die Glückwünsche der Universität Jena überbracht (Toeche/1886), der er, nach Wiener Jahren, eben erst angehörte. In seinem frühen Schaffen begegnen rankenahe Arbeiten bzw. Vorträge zur Geschichte der Päpste (1871, 1874), über Wallenstein (1875), über ‚Die Politik als historische Wissenschaft‘ (1880), und auf seine personalistische Sicht weisen nicht nur ‚ausgewählte Bilder‘ von ‚Staatsmännern und Geschichtschreibern des neunzehnten Jahrhunderts‘ (Bln. 1896) hin, auch die Konzeption seines Hauptwerkes neben der Genealogie ist davon berührt: ‚Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben kritisch erörtert‘, 1886 im Todesjahr Rankes erschienen. Das Werk stellt auf den ersten Blick einen der wenigen größeren historiographiegeschichtlichen und geschichtstheoretischen Versuche des 19. Jahrhunderts dar, wird jedoch seinem Titel nicht gerecht: Es ist vielmehr ein Konglomerat von sechs wenig kohärenten, z. T. sich überschneidenden Kapiteln, welche überwiegend jeweils auf eine einzelne Persönlichkeit abgestellt sind: über philosophische (Fr. Chr. Schlosser; bereits 1878 erschienen), über politische „Geschichtschreibung“ (Fr. Chr. Dahlmann), über naturwissenschaftliche „Geschichte“ [!] (du Bois-Reymond), über Kulturgeschichte (W. H. Riehl), sodann über Politik als historische Wissenschaft (s. o. den Vortrag von 1880) und als unpassenden Anhang (Lorenz über Lorenz) einen Abschnitt „Ueber ein natürliches System geschichtlicher Perioden“. Zu Schlosser wird noch einmal das alte Thema eines Vergleichs mit Ranke behandelt (bes. 47ff.). - Überhaupt hätten bei Ranke „Umfang, Ziel und Methode“ der Geschichtswissenschaft „ihre bestimmten deutlichen Grenzen erhalten“ (227). Lorenz sucht auf diesem Terrain, unter z. T. gewaltinterpretatorischer Berufung auf Ranke, seine groteske Generationenlehre zu entwickeln („ein Gesetz von drei Generationen ... welches durch den Begriff des Jahrhunderts ... zutreffend ausgedrückt wird“. In diesem Zeitraum sei ein Hervortreten „qualitativer Ähnlichkeiten“ zu verzeichnen, 282). - Die späte Einsicht, in seinem Werk über Hauptrichtungen der Geschichtswissenschaft ein den anderen Dargestellten vergleichbares Kapitel über Ranke unterlassen zu haben, führte 1891 zu einem zunächst nicht vorgesehenen 2. Teil mit dem Titel ‚Leopold von Ranke. Die Generationenlehre und der Geschichtsunterricht‘. Mit diesem wiederum inhomogenen Werk kommt dem Mediävisten und führenden Genealogen Lorenz trotz durchgängiger Geschwätzigkeit das Verdienst zu, als einer der ersten Rankes historischen und historisch-politischen Anschauungen in ihren Grundlagen und ihrer Entwicklung eine breite Betrachtung gewidmet zu haben. Sie reicht von Rankes „Geistiger - 410 -

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Entwicklung“ (3-21), über „Kritische Richtung und Grundsätze“ (22-50), die „Ideenlehre“ (51-76), die „Politische Auffassung“ (77-110) bis hin zu „Weltgeschichte und Werthbeurteilung“ (111-140). - Viele Thesen des nicht unkritischen, aber häufig mit dem selbstsicheren Pathos eines alleinberechtigten Interpreten des „großen Meisters“ (41) auftretenden Verfassers (er habe „viel und häufig die principiellen Fragen mit Ranke besprochen“, 167, A. 1) bleiben unbelegt, so auch die von ihm zurechtgewiesenen Kritiker Rankes - wie bereits bei Acton - häufig identitätslos. Von einer Einwirkung der zeitgenössischen Philosophie auf Ranke dürfe, so glaubt Lorenz, „wahrscheinlich nur in Bezug auf Plato die Rede sein“ (12). Rankes „Philosophie“ sei diesem vielmehr „eklektisch zum Hausgebrauch“ entstanden (54). - Der spekulative, zugleich oberflächliche Charakter der Betrachtung verstärkt sich namentlich in dem ausführlichen Beitrag zur ‚Ideenlehre‘ Rankes (51-76), wobei dieser von Humboldt stark abgerückt und im Gegensatz zu Bernheims und später Lamprechts Auffassung in die Nähe des ‚modernen‘ „naturwissenschaftlichen Geistes“ mit seinen gesetzmäßigen Wirkungsmechanismen verbracht wird. (67). Rankes historische Ideen wirken nach Lorenz „ganz mechanisch und wenn zuweilen etwas gesagt zu werden scheint, was metaphysisch - nur im uneigentlichen Sinne des Hinausgehens über das Natürliche klingt, so liegt das bei ihm stets nur ... in der Ausdrucksweise und im Stil.“ (64). Am ehesten auf eindringlicher Ranke-Lektüre beruhen die Betrachtungen über die ‚Weltgeschichte‘, die Lamprecht - etwas nüchterner als früher - insgesamt nicht für bahnbrechend, sondern für den „Abschluß der Ideen, die auf diesem Gebiete seit so langer Zeit maßgebend waren“, hielt (115) (dazu auch Fester, s. I, 412). - Die im II. Abschnitt des Werkes (143-276) entwickelte ‚Generationenlehre‘ sieht Lorenz als Herleitung aus einer Anregung Rankes an, ja er spricht geradezu von einer „Rankeschen Generationenlehre“ (u. a. 188), was jedoch vorwiegend selbstlegitimierende Bedeutung hat. In der Tat hat sich Ranke im Schlußwort der 2. Auflage seines Erstlingswerkes (GRGV/ 1874, 322f.) in schwacher Stunde und überraschender Weise über die Generationen in der Geschichte geäußert, was auf gesprächsweise Einflüsse Lorenz’ zurückgehen wird und nicht verallgemeinert werden sollte. - Der III. Abschnitt ist dem Thema „Forschungslehre und Unterricht“ gewidmet. Dessen Unterpunkte, „II. Geschichte der historischen Kritik“ (291-304) und „III. Zielpunkte der [historischen] Kritik“ (305-357), nehmen allein aufgrund ihrer Ausführlichkeit in der Literatur eine ausgeprägte Sonderstellung ein, berühren zwar Ranke nur mittelbar, sind jedoch durchaus noch anregend. (Zu Lorenz’ Mitteilung von Passagen aus einigen Gesprächen, die er zu unterschiedlichen Zeiten mit Ranke geführt habe, s. II/7.2). Lorenz wurde sogleich (1891) von Friedrich Meinecke (1862-1954), den das Thema ‚Ranke‘ von nun an ein Leben lang begleitete, widersprochen, zum einen in Hinsicht der ‚Generationenlehre‘, die er zumindest in der Form eines dauernden und allgemeingültigen Prinzips ablehnte (Meinecke/1891, Zitat nach WW VII, 46), zum anderen und vor allem in Hinsicht der Verengung des Rankeschen Ideenbegriffs durch Lorenz, der meine, „daß die welthistorischen Ideen Rankes sich eigentlich mit dem deckten, was man Motivierung der Tatsachen nennen könne, und daß sie ganz mechanisch wirkten.“ (43). Nach Meineckes überempirisch-meditativer Eingebung - es sei schwer, Rankes „geschichtsphilosophische Ansichten genau und erschöpfend auszudrücken“ (43) - hat die ‚Ideenlehre‘ Rankes und die in seinen Berchtesgadener Vorträgen von 1854 ausgesprochene „Lehre“ von der Eigenwertigkeit jeder Epoche „starke Verwandtschaft“ mit dem Pantheismus Spinozas und Goethes (44) - eine mehrfach - 411 -

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geäußerte Lieblingsvorstellung Meineckes, die Ranke nicht geteilt hätte. Seine Meinung dazu war: „Diese pantheistische Idee ist die aberwitzigste von allen“ (s. WuN II/1971, 66). Auch Meinecke greift gern pauschalierend zum Begriff der ‚Lehre‘, nicht nur bei ‚Ideen‘ und ‚Epochen‘, auch bei den „Lehren von der Individualität der Staatspersönlichkeiten und dem Primate der auswärtigen Politik“ (Einl. zur Ausg. der ‚Großen Mächte‘, 1916, 69), doch kann davon weder hier noch da die Rede sein. Es handelt sich um Begriffe und Auffassungen, denen zu einer Lehre die Merkmale differenzierter Systematik und zusammenhängender Geschlossenheit fehlen. Richard Fester (1860-1945), der sich zuvor u. a. in einem Werk über ‚Rousseau und die deutsche Geschichtsphilosophie. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Idealismus‘ (Stg. 1890) allgemein auf die Thematik eingestellt hatte, widmete sich 1891 in einem eher plakativen als subtilen, von Walter Goetz (Nekrolog ‚Richard Fester‘ In Goetz: Historiker/1957, 373-375) unbeachteten, aber immer noch beachtenswerten Beitrag über ‚Humboldt’s und Ranke’s Ideenlehre‘ deren Vergleich, wobei er sich durchgängig mit Lorenz (Geschichtswissenschaft II/1891) auseinandersetzte, u. a. indem er dessen These von der völligen Unterschiedlichkeit zurückwies und das Gegenteil annahm. Er behandelte jedoch zunächst das Verhältnis zu Fichte, dem Ranke zweierlei zu verdanken habe: „die deutliche Einsicht in den Denkfehler der idealistischen Geschichtsphilosophie und die hohe sittliche Auffassung seines Berufes, welche ihn zum grundsätzlichen Gegner aller apriorischen Constructionen macht.“ (241). Das Verhältnis Rankes zu Hegel beschreibt Fester etwa so, daß Ranke „dem Systeme seinen pantheistischen Charakter zum Vorwurf“ mache (242), aber grundsätzlich „die Berechtigung der philosophischen Methode“ später „weit energischer“ betone als früher (243). Sodann über Rankes Verhältnis zu Schelling (244-247), dem - entgegen einer eigenen Äußerung Rankes bei Delbrück (Weltgeschichte I/1923, 9) - geringere Bedeutung für Ranke beigemessen wird. Das eigentliche Thema behandelt Fester erst abschließend und allzu flüchtig: Humboldt und Ranke seien in Hinsicht auf Kants Antagonismuslehre und Freiheitslehre „ausgesprochene Kantianer“, und ihre ‚Ideenlehre‘ decke sich „in allen wesentlichen Punkten“ (254). In einem 1908 erschienenen Beitrag der ‚Historischen Vierteljahrsschrift‘ zum Thema ‚Die Säkularisation der Historie‘ deutete Fester in einer mehr als gewagten Konstruktion diesen Vorgang so, als habe sich aus der „Verbrüderung und Selbstvergötterung des ancien régime und der Revolution“ „die bescheidenere Humanität Herders“ losgelöst und „den Übergang zu der von allem Dogmatismus befreiten rein gegenständlichen Betrachtungsweise Goethes, Alexander von Humboldts und Rankes“ ermöglicht (Fester/1908, 454). Ranke habe noch „die Andacht zum Kleinen ... mit der Andacht zum Großen so zu vereinigen gewußt, daß weder Makrokosmos noch Mikrokosmos in seinen Händen verkürzt wurden“ (ebd.). Fester, Ordinarius für neuere Geschichte, befaßte sich in anderen Veröffentlichungen und in anderer Weise auch mit den Rankeschen Themen ‚Machiavelli‘ und ‚Karl V.‘, überhaupt mit einer Vielzahl disparatester historischer Gegenstände. Das sich steigernde politisch-historische Gegenwartsinteresse des Nationalisten gipfelte in seiner Mitwirkung beim ‚Reichsinstitut für Geschichte des neuen Deutschlands‘, in dessen Schriftenreihe er ‚weltgeschichtliche Betrachtungen‘ über ‚Das Judentum als Zersetzungselement der Völker‘ (Hmbg. 1941) absetzte. Diesen Teil seiner Tätigkeit übergeht selbstbeschämend der von Walter Goetz gefertigte Nekrolog für das ‚Jahrbuch der Bayerischen Akademie der Wissenschaften‘ (s. o.), deren Mitgliedschaft, neben der der Historischen Kommission Fester innehatte. - 412 -

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Auffallend ist das nach Rankes Tod aufbrechende Interesse der Fachphilosophie, die sich zu seinen Lebzeiten eher gleichgültig gezeigt oder keine Möglichkeiten der Betrachtung gesehen hatte. Doch hier geht es nicht, wie in Nietzsches emotionalappellativer Historismus-Kritik, um die Folgen einer bestimmten Historie, sondern im Zusammenhang mit vieldiskutierten erkenntnistheoretischen Fragen um Wissenschaftsfähigkeit und Wissenschaftscharakter der Historie, wobei den noch zu betrachtenden, von Lamprecht befeuerten Auseinandersetzungen von Kulturgeschichte und politischer Geschichte eine wenn nicht auslösende, so jedenfalls belebende Wirkung zuzuschreiben sein dürfte. Es scheint so, als habe die nunmehr anhebende intensive Diskussion um Rankes Ideenbegriff fördernde Auswirkungen auch auf die von Windelband und Rickert betriebene, auf Dilthey ausgestrahlte Unterscheidung von idiographisch verfahrenden ‚Geisteswissenschaften‘ und nomothetisch arbeitenden ‚Naturwissenschaften‘ gehabt, zumindest die Akzeptanz der These eine Weile unterstützt. Mehrere Fachphilosophen stellen auf verschiedene Weise die Möglichkeiten der Historie, zumal als systematische Wissenschaft, dar oder in Frage oder in einen größeren Zusammenhang. Letzteres mag von Wilhelm Dilthey gesagt werden. Allerdings kommt die ihm zugesprochene philosophiegeschichtliche Bedeutung in seinen Äußerungen über Ranke bei weitem nicht zum Tragen. Aus seiner Feder ist eine Charakteristik Rankes bekannt, die er in seinen ‚Erinnerungen an deutsche Geschichtschreiber‘ wohl als Entwurf niedergelegt hat. Es heißt dort im wesentlichen: „Ranke ist der große Lehrer, Geschichte zu sehen objektiv, universal. ... Ranke scheint oft auf der Oberfläche der Dinge hinzugleiten: und der Kausalerkenntnis scheint er nicht zu genügen, aber er ist eben der große Lehrer, weil er nicht von den erklärenden Gründen aus darstellt; vielmehr von den großen Weltgegebenheiten selbst in ihrem universalen Zusammenhang geht er aus: ihre Bedeutung in diesem Zusammenhang möchte er erfassen: er läßt von diesen aus nur immer hindurchblicken in die Kräfte, in die großen Kombinationen. Er ist der große Epiker - ein anderer Herodot - unter den Historikern ... Er lebt in der Mannigfaltigkeit der Dinge. Die Kraft, die den Personen, den Staaten, ja jeder zusammengesetzten Erscheinung beiwohnt und von ihnen genossen wird, ist ihm immer gegenwärtig. Er sieht den äußersten Moment und in jedem Moment ein Allgemeines, das sie alle umfaßt. Denn eben dies, daß sein ungeheures Gedächtnis eine äußerste Mannigfaltigkeit umfaßt und in jeder Erfassung eines Teils im Ganzen lebt, nicht abstrakt, sondern im Bewußtsein seiner Bedeutungsrelationen zu diesem Ganzen, macht das Wesen seiner Darstellung aus.“ (GS XI, 2., unv. Aufl./1960. 217). - Dieser Text gibt indes nur geringe Hinweise auf das eigentliche Verhältnis Diltheys zu Ranke und läßt nicht vermuten, daß es sich, wenn nicht als zwiespältig, so jedenfalls als schwer deutbar erweist. Auch kommt darin noch nicht die Abhängigkeit des Philosophen von der in mancher Hinsicht überlegenen Geistigkeit Paul Graf Yorck von Wartenburgs zum Ausdruck, die in der Beziehung zu Ranke von entscheidender Bedeutung ist. - Schrieb Dilthey 1856, als er bei Ranke ‚Neuere Geschichte‘ hörte und Mitglied seines Seminars war, an seinen Vater: „Es ist mir sehr viel werth, Ranke gehört und recht von Grund auf seine Weise kennen gelernt zu haben und noch kennen zu lernen. Denn er ist jetzt gewiß der bedeutendste Historiker ...“ (Der junge Dilthey/1933, 30; s. auch 283), so hieß es in einem späteren, möglicherweise von allzu starker Anpassung geprägten Brief an Treitschke, 13. 1. 1881: „Aber ich hoffe doch die Zeit bald zu erleben, wo man erkennt, daß Ihr herrliches Werk historischer ist als Rankes verblasene, den wirklichen Sachen, Geschäften, Thatsachen, ausgenommen die diplomatischen - 413 -

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Verhandlungen, die doch auch nicht nach diplomatischem Witz, sondern nach Kenntnis der Kräfte der Staaten beurtheilt sein wollen, aus dem Wege gehende Geschichtsschreibung.“ (317). Doch in einer Vorrede von 1911 gewinnt er Ranke wiederum positive Seiten ab: Thukydides, Machiavelli und Ranke haben ihm selbst „die geschichtliche Welt“ offenbart, „die um ihren eigenen Mittelpunkt sich bewegt, keines anderen bedürftig.“ (Abhh. z. Grundlegung d. Geisteswissenschaften, GS V, 5. unv. Aufl./1857, 4). - Schwierigkeiten ergeben sich auch aus der Verstreutheit, Flüchtigkeit und gelegentlich mehr oder weniger bewirkten Widersprüchlichkeit der Diltheyschen RankeAphorismen. In einem Aufsatz ‚Zur Charakteristik Macaulays‘ von 1860 erörtert er Rankes weitgehende „Kühnheit der Veranschaulichung“ (Zur Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts, GS XVI/1972, 5f.), sieht dann aber doch die geschilderten Gestalten „in historischer Entfernung“ (20). In seiner ‚Einleitung in die Geisteswissenschaften‘, deren erster Teil 1883 erschien und deren Grundlegung er in einer „exakten wissenschaftlichen Psychologie“ (Dilthey VII/(1910)1979, Vorbericht d. Hg.s, VI) zu finden hoffte, streifte Dilthey den damals noch lebenden Ranke nur kurz: „Wenn Ranke einmal ausspricht, er möchte sein Selbst auslöschen, um die Dinge zu sehen [!], wie sie gewesen sind, so drückt dies das tiefe Verlangen des wahren Geschichtschreibers nach der objektiven Wirklichkeit sehr schön und kräftig aus. Aber dies Verlangen muß sich mit der wissenschaftlichen Erkenntnis der psychischen Einheiten, aus denen diese Wirklichkeit besteht, der dauernden Gestaltungen, die in der Wechselwirkung derselben sich entwickeln und Träger des geschichtlichen Fortschritts sind, ausrüsten: sonst wird es die Wirklichkeit nicht erobern, die nun einmal in bloßem Blicken, Gewahren nicht ergriffen wird, sondern nur durch Analysis, Zerlegung.“ (Dilthey I/1883, 94). Es entbehrt nicht einer gewissen Peinlichkeit, daß Dilthey seine Kritik auf ein Dicta-Kompositum (1824 und 1860) stützt, dessen hier interpretatorisch entscheidender Teil von ihm entstellt wurde, in dessen korrekter Form eben nicht von „sehen“, sondern von „sagen“ und später von „zeigen“ die Rede ist. Die, wenn auch mit einem unpassenden Beleg, so doch Ranke mit Recht zugesprochene Okularität, welche für Diltheys Ranke-Sicht insgesamt grundlegend ist, kommt auch in seinem Briefwechsel mit Yorck von Wartenburg mehrfach in entscheidender Weise zum Ausdruck, allerdings lediglich im Yorckschen Part, auf den der Gedanke wohl zurückgeht. Mit Yorck teilt er nicht nur seine Ranke-Deutung, auch seine Hegel-Kritik. Am 23. Nov. 1877 schreibt Yorck an Dilthey, er finde in Diltheys Abhandlung ‚Über die Einbildungskraft der Dichter‘ „besser als es Ranke in seinen großen Arbeiten gelungen, dessen Objektivität mehr oder weniger Hegelscher Art ist, das Selbst ausgelöscht und die Sache zum Reden gebracht ... zugleich aber das Selbst in höchstem Grade lebendig ...“ (Briefwechsel Dilthey/Yorck 1923, 2). In seinem Brief vom 6. Juli 1886 stellt Yorck bedeutende, höchst zukunftsträchtige Reflexionen über den ästhetischen Charakter der Geschichtsauffassung Rankes im Vergleich mit Goethe und Hegel an, u. a. folgende: „Ranke ist ganz Auge als Historiker, die Empfindung als ein rein persönliches behält er für sich, es ist eine Geschichte sehen, nicht eine Geschichte leben. Darum fehlt es am letzten Sinne solcher Geschichte.“ ... „Ranke ist ein großes Okular ...“ (Briefwechsel/1923, 60). In einem späteren Brief Yorcks [Nov./Dez. 1893] heißt es: „Ranke sah nur und erkannte daher nur ein Spiel der Kräfte, eine historische Phaenomenalität, den Reflex einer zwar bezugslosen, doch aber vorhandenen wenn auch beschwiegenen Metaphysik.“ (167). - In einer mit der ‚Einleitung in die Geisteswissenschaften‘ zusammenhängenden, 1892/1893 veröffentlichten Abhandlung über ‚Das natürliche System der Geisteswissenschaften im 17. Jahrhundert‘, posthum aufgenommen in Band 2 der - 414 -

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‚Gesammelten Schriften‘, vertritt Dilthey im hohen Ton die weitreichende These: „Die Sehnsucht nach dem echten, reinen Quell der christlichen Überlieferung ließ eine schöpferische Kritik entstehen. Und wie diese geschichtlichen Potenzen unverstümmelt, rein und mächtig im Geiste von Herder, Hegel, Ranke zusammentrafen: entstand aus dem Beleben, Verstehen und Aneinanderhalten derselben in einem geschichtlichen Bewußtsein die echte Universalgeschichte. Diese will aus den Gestalten des geschichtlichen Daseins der Menschheit zur Erkenntnis bringen, was der Mensch ist.“ (Dilthey II, ³1923, 170). Letzteres leuchtet kaum ein. Sollte bei den genannten christlichen Voraussetzungen nicht vor allem das Walten Gottes gezeigt werden? So jedenfalls sah es Ranke in seiner Jugend. So sah es auch Dilthey selbst in einer auf das Jahr 1901 zurückgehenden Abhandlung über ‚Friedrich den Großen und die deutsche Aufklärung‘, welche 1927 posthum in Band III seiner ‚Gesammelten Schriften‘ Aufnahme fand. Hier vermerkte er: „So darf die Härte, mit welcher Niebuhr, die Grimm, Hegel und Ranke sich von dem theologischen Rationalismus abwandten, nicht darüber täuschen, daß sie in der historischen Kritik die Nachfolger von Semler, Lessing und Spittler und in der Erfassung des Ewigen in der Gestalt des Geschichtlichen die Schüler von Lessing und Kant waren.“ (Dilthey III/1927, 145). Auch in seiner Schrift ‚Der Aufbau der geschichtlichen Welt in den Geisteswissenschaften‘, die in erster veröffentlichter Gestalt 1910 erschien, sah er bei Ranke „den Verlauf der Geschichte unter den Gesichtspunkt der göttlichen Weltregierung“ gestellt (s. u.). Im übrigen widmete er Ranke eine Croce verwandte kritische, wiederum nicht ganz widerspruchsfreie und kaum tiefschürfend zu nennende Betrachtung, welche beiläufig erneut von einem passend entstellten Zitat ihren Ausgang nimmt: „nur darstellen, was gewesen ist“ (Dilthey VII/1979, 101). Dilthey sieht in Ranke eine „Künstlernatur“, die kein Bedürfnis hat, „in den hinter dem Geschehenen liegenden Zusammenhang der Faktoren der Geschichte zurückzugehen ... Er bleibt vor der Analyse und dem begrifflichen Denken über die Zusammenhänge, die in der Geschichte zusammenwirken, stehen. Das ist die Grenze seiner Geschichtschreibung.“ (101). Diese übertriebene Beurteilung dürfte einen gewissen Widerspruch bilden zu Diltheys Feststellung anläßlich eines Vergleichs Rankes mit Macaulay. Im Gegensatz zu diesem gehe Ranke „überall den Fäden des Zusammenhangs“ nach (Dilthey 1860, GS XVI/1972, 27). Auch weitere Äußerungen seiner ‚Aufbau‘-Schrift entsprechen dem Vorwurf Rankescher Zusammenhangslosigkeit nicht: „Sein Horizont war die Universalgeschichte; er faßte jeden Gegenstand unter diesem Gesichtspunkt“ (102), ja, er habe „Mittel von rein historischer Art ausgebildet, den unendlichen Reichtum des Geschehenen in einen objektiven historischen Zusammenhang zu bringen, ohne doch zu philosophischer Geschichtskonstruktion zu greifen“ (102). Auch dem von Dilthey bei Ranke überraschend vorgefundenen „universalen Mitfühlen der historischen Werte“ (103) steht die Feststellung gegenüber, in Rankes Werken werde die historische Wirklichkeit „nie an einem unbedingten Wert oder Grundgedanken oder Zweck“ gemessen (106). Neben Diltheys Sorglosigkeit im Umgang mit dem Begriff der Objektivität und dem ungeklärt „hinter dem Geschehen“ Liegenden werden bei seinem Blick auf Ranke überhaupt die in der ‚Aufbau‘-Schrift „vor allem bedeutsamen Gesichtspunkte des objektiven Geistes und des Wirkungszusammenhanges“ (so B. Groethuysen im Vorbericht, VIII) kaum sichtbar. Auch ist Dilthey in fundamentaler Inkonsequenz bei der Deutung Rankes nicht seinem eigenen Hauptprinzip gefolgt: „Nicht begriffliches Verfahren bildet die Grundlage der Geisteswissenschaften, sondern Innewerden eines psychischen Zustandes in seiner Ganzheit und Wiederfinden desselben im Nacherleben.“ (136). War dieses - 415 -

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in seiner Theorie-Unbestimmtheit fragwürdige Prinzip überhaupt biographisch/geistesgeschichtlich anwendbar, und hatte Dilthey nicht zuvor auch „Analyse“ und „begriffliches Denken über die Zusammenhänge, die in der Geschichte zusammenwirken“, geradezu gefordert? (s. o.). - Der Rankesche Ideenbegriff - „Humboldt noch verwandt“, aber im Erfassen der historischen Bewegung „weit lebendiger und wahrer“ (114) - wird von Dilthey überwiegend nur zitierend gestreift. Ranke habe „den Verlauf der Geschichte unter den Gesichtspunkt der göttlichen Weltregierung“ gestellt (ebd.). Neben dieser unhaltbaren Vereinfachung werden keine weitergehenden Fragen nach Transzendenz und Immanenz, nach der Art seines Theismus, nach Kausalität oder Teleologie gestellt. - Einzelne Äußerungen Diltheys finden sich noch in einer auf das Jahr 1901 zurückgehenden Abhandlung ‚Das achtzehnte Jahrhundert und die geschichtliche Welt‘ (ebd. 218), sodann in seinen ‚Abhandlungen zur Grundlegung der Geisteswissenschaften‘ (GS V, 5., unv. Aufl./1957, 4, 8ff., 113, 260, 278, 281, 328). Georg Simmels (1858-1918) 1892 erschienenes Werk ‚Die Probleme der Geschichtsphilosophie. Eine erkenntnistheoretische Studie‘ (Zitate nach der 5. Aufl. [posthum], Mnch. u. Lpz. 1923) versteht sich - und ist damit als einer der Vorläufer heutiger Theoriediskussion anzusehen - als eine „Kritik des historischen Realismus, für den die Geschichtswissenschaft ein Spiegelbild des Geschehenen ‚wie es wirklich war‘ bedeutet“. Maurice Mandelbaum zählte ihn gegenüber Croce, Dilthey und Mannheim mit Rickert, Scheler und Troeltsch zu den „counter-relativists“ (Mandelbaum/1938, IX). Der „künstlerische Realismus“ meine, „die Wirklichkeit abzuschreiben...,“ so Simmel, „ohne zu bemerken, wie völlig schon dieses ‚Abschreiben‘ die Inhalte der Realität stilisiert.“ (p. V, aus dem der 5. beigegebenen Vorw. zur 3. Aufl.). - Diesen nicht erst zu Rankes Zeiten aufgekommenen Bedenken hatte gerade auch Gustav Buchholz (1856-1916), später neben Karl Lamprecht und Erich Marcks Mitherausgeber der ‚Leipziger Studien aus dem Gebiet der Geschichte‘, in einem 1889 erschienenen Beitrag über ‚Ursprung und Wesen der modernen Geschichtsauffassung‘ Ausdruck verliehen (beides nicht genannt in Konstantin Hermanns Art. der ‚Sächsischen Biografie‘ Online-Ausg.), der nicht nur eine deutliche Anspielung auf Rankes angeblichen Anspruch enthielt, „als könnten wir darstellen, wie die Dinge wirklich gewesen“, uns vielmehr bescheiden müssen, „nur zu sagen, wie sie uns erschienen sind...“ (34). Er nahm auch, kaum bemerkt, Gedanken in Friedrich Meineckes abgebrochenem oder falsch betiteltem Historismus-Werk vorweg, als er die von Leibniz besonders geprägte „Idee der Entwicklung“, die „genetische Betrachtungsweise“ in den Mittelpunkt der „ganz neuen geistigen Anschauungsform“ (17) der modernen Geschichtsauffassung stellte. - Zurück zu Simmels ‚Problemen der Geschichtsphilosophie‘. Seine Kritik des (falsch zitierten) Rankeschen Objektivitäts-Diktums wird - bei unbedachter, gelegentlich vermischter Verwendung der Grundbegriffe ‚historisch‘ und ‚geschichtlich‘ sowie ‚Geschichte‘, ‚Geschichtswissenschaft‘ und ‚Historik‘ - im Kapitel ‚Von den inneren Bedingungen der Geschichtsforschung‘ weiter ausgeführt: „Noch immer wird der Historik unbefangen die Aufgabe gestellt, uns das Geschehen sehen zu lassen, ‚wie es wirklich gewesen ist‘. Im Gegensatz dazu muß man sich klar machen, daß jede Erkenntnis eine Übertragung des unmittelbar Gegebenen in eine neue Sprache, mit nur ihr eigenen Formen, Kategorien und Forderungen ist. Indem die Tatsachen, die inneren nicht weniger als die äußeren, zur Wissenschaft werden, müssen sie auf Fragen antworten, die in der Wirklichkeit und in ihrem ursprünglichen Gegebensein nie an sie gestellt werden; um den Bedürfnissen des Wissens zu genügen, erhalten sie eine - 416 -

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Anordnung nach Vorder- und Hintergründen, eine Betonung singulärer Punkte, innere Beziehungen nach Werten und Ideen, gleichsam über den Kopf der Realität hinweg, die aus ihnen ein neues Gebilde eigener Art und Gesetzlichkeit schaffen.“ (54). - Das Werk weist im abschließenden 3. Kapitel ‚Vom Sinn der Geschichte‘ beachtenswerte allgemeine Gedanken über das Fortschrittsproblem auf (199-207), welche freilich auf Ranke nicht direkt Bezug nehmen. Ablehnend argumentierte auch der Philosoph Paul Barth (1858-1922), der in seiner 1897 erschienenen ‚Philosophie der Geschichte als Sociologie, Erster Teil: Einleitung und kritische Übersicht‘ - gegen Diltheys vermeintliche Unmöglichkeit der Philosophie der Geschichte als Wissenschaft und Rickerts Gegensatz von naturwissenschaftlicher und historischer Behandlung der Erscheinungen gewandt - Geschichte als „konkrete Sociologie“ und eine Theorie der Geschichte als „abstracte Sociologie“ betrachtete (IV). Ranke behandelt er unter den „einseitigen Geschichtsauffassungen“ als Vertreter einer „ideologischen Geschichtsauffassung“ (267ff.) und steht mit seinen Feststellungen als nahezu genauer Gegenpol zu Schmoller da: Die ‚Ideen‘ seien bei Ranke, wie bei Humboldt, „mystisch“ (XII, 274f.), bei beiden gebe es „keine psychologische Genesis der Ideen“ (XII, 276). Für die Ergründung der kausalen Zusammenhänge der Geschichte sei „die ideologische Betrachtung auch bei Ranke ... unfruchtbar“ geblieben (276). Dem Simmelschen Werk nachgetitelt ist die Arbeit eines weiteren dem Neukantianismus zugerechneten Philosophen, der sich ausführlich mit Rankes Geschichtsanschauung auseinandersetzte: Heinrich Rickert (1863-1936). Auch die von ihm vorgetragenen philosophiegeschichtlich bedeutenden Gedanken kommen bei der Beurteilung Rankes nicht in vollem Umfang und Zusammenhang zum Ausdruck. In einem 1899 erschienenen grundlegenden Vortrag über ‚Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft‘ - später eine höchst erfolgreiche Schrift gleichen Titels - hatte er Rankes Verlangen nach ‚Objektivität‘ für „berechtigt“ erklärt, da „besonders im Gegensatz zur willkürlichen Geschichtskonstruktion ... auf den notwendigen Respekt vor den Tatsachen hingewiesen werden“ mußte. „Darum jedoch zu meinen, daß die historische Objektivität in einer bloßen Wiedergabe der Tatsachen ohne ein leitendes Prinzip der A u s w a h l [i. T. usw.] besteht, geht nicht an, selbst wenn Ranke es geglaubt haben sollte. In dem ‚wie es e i g e n t l i c h gewesen‘ steckt ebenso wie in dem ‚i d e o graphischen‘ Verfahren ein P r o b l e m und keine Probleml ö s u n g .“ (i. T., Rickert 1899/1926, 83). Diesem treffenden Satz wird allerdings auch bei Rickert keine befriedigende Lösung zuteil, wenn er, unter Aufnahme eines Doveschen Gedankens (Dove: R. u. Sybel 1895/1898, 191ff.), bei Ranke eine „Universalität des Mitgefühls“ als wirksam erkennt, die ihn vor einseitiger Darstellung bewahrt habe, zumal dieses „Mitgefühl“ von Rickert fälschlich wohl als emotionale Regung eingeschätzt wird, während Ranke darunter „Mitwissenschaft“ („Mitwissenschaft des Alls“, SW 53/53, 569) verstand. Dieses „Mitgefühl“ unterscheide ihn „prinzipiell“ vom Naturforscher (ebd.), eine Bemerkung, die im Zusammenhang mit der fehl-erinnerten ‚Mitwissenschaft‘ wohl nicht aufrecht zu erhalten ist. Ein Auslöschen des eigenen Selbst - dessen rhetorische Konditionalität oder Irrealität von Rickert, wie von vielen, nicht erkannt wird -, führe zum Ende wissenschaftlicher Geschichte, zu einem „sinnlosen Gewimmel von lauter bloß a n d e r s a r t i g e n Gestaltungen, die alle gleich bedeutungsvoll oder bedeutungslos wären, und von denen keine ein historisches I n t e r e s s e darböte.“ (i. T., 84). - Dem ging 1896 vorauf und folgte 1902 vor allem Rickerts umfangreiches Werk - 417 -

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über ‚Die Grenzen der naturwissenschaftlichen Begriffsbildung. Eine logische Einleitung in die historischen Wissenschaften‘. Ranke betraf dann aber besonders sein 1904 erschienenes Werk ‚Die Probleme der Geschichtsphilosophie. Eine Einführung‘ (Zitate nach der 3., umgearb. Aufl., Heidelberg 1924). Rickert steht hier in dem, was er der Geschichtswissenschaft an Aufgaben und Möglichkeiten zuspricht, Ranke nahe. Das gilt v. a. für den Begriff des Fortschritts, über den der Historiker nichts zu sagen habe, da er sonst „von der historischen, rein theoretisch-wissenschaftlichen Wertbeziehung zur beurteilenden, ungeschichtlichen Wertung überginge“ (Rickert/1904/1924, 80), ausführlich im Abschnitt ‚Der Fortschritt in der Geschichte‘ (104-109, s. jedoch 130). Allerdings sieht Rickert, mit seinem Lehrer Wilhelm Windelband (1848-1915) Begründer der ‚Südwestdeutschen Schule‘, bekanntlich alles unter dem Gesichtspunkt von ‚Werten‘. Philosophie ist ihm eine „Wertwissenschaft“ (118). ‚Fortschritt‘ und ‚Rückschritt‘ sind „Wertbegriffe“ (105), und die Geschichtsphilosophie ist „als Prinzipienwissenschaft ... die Lehre von den Werten, an denen die Einheit und Gliederung des historischen Universums hängt.“ (109). (Dem Rickertschen Werk war 1894 u. a. Windelbands Straßburger Rektoratsrede über ‚Geschichte und Naturwissenschaft‘ vorausgegangen). Auch bei Ranke seien, so Rickert, „ganz bestimmte philosophische Voraussetzungen über den Sinn der Geschichte wirksam und müssen es sein, da er ja alles vom universalhistorischen Standpunkt behandeln wollte.“ (111). „... unter den Faktoren, aus denen die nichts weniger als einfachen ‚Ideen‘ bestehen, haben immer die Wertgesichtspunkte von Rankes Geschichtsauffassung eine wesentliche Rolle gespielt“ (112), eine Feststellung, deren Gegenteil eher zutreffen dürfte. - Im Kapitel „Die Geschichtsphilosophie als Universalgeschichte“ behandelt Rickert den Rankeschen Begriff der ‚Weltgeschichte‘. Diese sei „kein Universum in der eigentlichen Bedeutung des Wortes“, vielmehr habe Ranke eine „begriffliche Feststellung des historischen Universums oder gar die Ordnung seiner verschiedenen Teile zu einem systematisch geschlossenen Ganzen ... nicht nur tatsächlich nicht versucht, sondern er konnte es auch nicht, wenn er Historiker bleiben wollte. Die empirische Geschichte läßt sich in keiner Weise zu einer systematischen Wissenschaft machen.“ (124). Die Philosophie allerdings werde „das Streben nach Systematisierung niemals aufgeben.“ (125). Windelband, der, in Mißdeutung seiner eigenen Wertelehre, noch „mit stolzer Freude ... die wundervollen Tage der Mobilmachung“ erleben durfte (Wolfgang Windelband im Vorw. zu Windelband/1916, 5), hatte in der letzten Arbeit seines Lebens, einer im Winter 1914/15 gehaltenen Vorlesung über Geschichtsphilosophie, die Rankesche ‚Weltgeschichte‘ positiver beurteilt als sein Schüler und „als das reife Ergebnis einer riesigen historischen Lebensarbeit“ bezeichnet, die „wahrlich mehr wert“ sei „als ganze Dutzende sogenannter geschichtsphilosophischer Konstruktionen. Daraus kann und soll die Geschichtsphilosophie viel lernen, aber damit darf sie nicht konkurrieren wollen. Und ebensowenig mit der andern Möglichkeit. Wenn es Gesetze der Geschichte gibt, ... so müssen sie wissenschaftlich aus dem tatsächlichen Verlauf heraus gesucht werden und zwar nach induktiver Methode.“ (19). - Rickert gelangt in der o. g. Einführung in ‚Die Probleme der Geschichtsphilosophie‘ schließlich anhand der Berchtesgadener Vorträge Rankes vor Maximilian von 1854 zu der Feststellung, Ranke habe recht gehabt, „wenn er sich im Gegensatz zu den von Philosophen unternommenen universalgeschichtlichen Konstruktionen fühlte und einen Einbruch der Philosophie in das Gebiet des Historikers fürchtete“. Er sei „jedoch in seinem Urteil der Geschichtsphilosophie nicht gerecht geworden, weil er den Unterschied [von empirischer Geschichtswissenschaft und konstruierender Geschichtsphilosophie] mehr - 418 -

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fühlte als begrifflich scharf zu formulieren vermochte.“ (128), was nicht zu leugnen ist. In diesen Vorträgen habe er „etwas versucht, was einer Philosophie der Geschichte ... in gewisser Hinsicht nahe kommt. Freilich ist diese Darstellung für eine systematische Philosophie viel zu historisch und daher unsystematisch ausgefallen, und stellt sich so als eine Übergangs- oder Mischform dar, die selbstverständlich als Kundgebung einer genialen Persönlichkeit nicht das geringste an Wert verliert, aber mit Rücksicht auf ihre logische Struktur als Übergangsform bezeichnet werden muß ... Ranke will in gewisser Hinsicht systematisch sein, wo er die Epochen der neueren Geschichte darstellt, und er erkennt doch zugleich die Voraussetzungen, die keine geschichtsphilosophische Systematik entbehren kann, zum Teil nicht an.“ (Ebd.). - Bedeutungsvoll ist Rickerts Abgrenzung seiner Geschichtsphilosophie vom Historismus: Der „Gegensatz zum Historismus“ zeige sich darin, „daß die Geschichtsphilosophie die historische, rein theoretisch wertbeziehende Betrachtungsweise zugunsten einer kritischen Wertung verlassen“ müsse (130). In einer so gearteten Geschichtsphilosophie könne auch der Begriff des Fortschritts „wieder zu seinem Rechte kommen“ (ebd.). Nicht unproblematisch und widerspruchsfrei scheint Rickerts auch aus Ranke gewonnene These, „auf einem rein empirischen Boden, der jede Art von Transzendenz grundsätzlich ablehnt, verliert sogar die empirische Geschichte als Wissenschaft ihren Sinn“, wenn er andererseits den Historiker vor der Anwendung metaphysischen Denkens in der geschichtlichen Darstellung warnt: Dieser tue gut, „es bei seinem Glauben, als einem ‚bloßen Glauben‘ bewenden zu lassen“ (145). Denn: „irgendeine inhaltlich positive Beziehung der beiden Welten aufeinander | läßt sich von der Geschichte, soweit ihr besonderer historischer Inhalt in Betracht kommt, nicht herstellen.“ (145f.). Zu Rickerts Ranke-Beziehung liegen zwei russische Urteile vor, zum einen bei Celina Bobinska (1964/1967, 28f.) zum anderen bereits 1933 (?) bei Michail Pokrovskij (1868-1932, nach Bobinska (1964/1967), 28, 219. - Über ‚Die Wertschätzung in der Geschichte‘ schrieb Arvid Grotenfelt (1863-1941) 1903 eine kritische Untersuchung, in der er auch Rankes „Methode“, von der wohl kaum die Rede sein kann, darzustellen versuchte (129-150). Idealistischen Deutungen und metaphysischen Erörterungen sucht 1899 aus dem Gymnasialbereich ein Vortrag Otto Apelts (1845-1932) über ‚Rankes Geschichtsphilosophie‘ entgegenzutreten, der trotz des in dieser Ausprägung irrealen, aber unvertilgbaren Themas (noch bei Zemlin/1988, s. I, 603f.) einige realistische Betrachtungen enthält. Der ansonsten über griechische Philosophie arbeitende Verfasser beschäftigte sich v. a. mit den 1888 veröffentlichten, zunehmend stärker und in späteren Zeiten allzu einseitig beachteten Berchtesgadener Vorträgen Rankes vor Maximilian II. von 1854, worin Ranke eine „grundsätzliche Abweisung“ des „philosophischen Götzendienstes“ des durch die Namen Fichte, Schelling, Hegel bezeichneten philosophischen Idealismus unternommen habe. (Apelt/1899, 13). Dieser wird sodann, ein wenig polemisch und plakativ, näher betrachtet, wobei das Hauptaugenmerk auf Fichte kontrastierend mit Schiller - liegt, um abschließend auf Kant als „den Ahnherrn dieser geschichtlichen Hellseherei“ (16) zu kommen. Auch „die Herdersche Idee einer dereinstigen allgemeinen und vollkommenen Humanität, als Ziel der Menschengeschichte, würde vermutlich seinen [R.s] Widerspruch geweckt haben.“ (17). Als „Summe von Rankes allgemeiner Geschichtsauffassung“ erscheint Apelt: „1. Abweisung der Idee eines Weltplanes und damit eines notwendigen Endzweckes der Menschengeschichte. 2. Anerkennung der Freiheit des Menschen, wodurch die Menschengeschichte, soweit wir sie überhaupt begreifen können, als des Menschen eigenes Werk erscheint. - 419 -

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3. Anerkennung des gleichen Wertes verschiedener Zeitalter, womit zugleich das gegeben ist, was Ranke die unmittelbare Beziehung einer jeden Zeit zu Gott nennt. 4. Leugnung eines allgemeinen Fortschrittes in moralischer, dagegen Anerkennung eines solchen in materieller Beziehung.“ (21). Apelt versucht abschließend den wohl erst- und einmaligen Nachweis, daß in der zeitgenössischen Philosophie Ansichten vertreten gewesen seien, die der Rankeschen „in allen wesentlichen Punkten auf das Engste verwandt waren“ (22), nämlich die Anschauungen des positivistisch ausgerichteten Philosophen Jacob Friedrich Fries (1773-1843), was nicht gänzlich abwegig erscheint, allerdings erst völlig verständlich wird, wenn beachtet wird, daß der Vater Otto Apelts, der Philosoph Ernst Friedrich Apelt (1812-1859), Fries-Schüler war. Wilhelm Freytag (1873-?) ließ im Jahre 1902 nichts Geringeres als den ‚Versuch einer Grundlegung der Logik‘ mit dem Obertitel ‚Der Realismus und das Transcendenzproblem‘ (Halle: Niemeyer) erscheinen, dem 1904 noch eine Arbeit über ‚Die Erkenntnis der Außenwelt‘ (ebd.) folgte, beides Unternehmungen, die offensichtlich mit Grundfragen der Historie zusammenhängen. Sein zuvor verfaßter Aufsatz von 1900 ‚Über Ranke’s Geschichtsauffassung und eine zweckmässige Definition der Geschichte‘ kommt allerdings mit großem Aufwand nur zu geringen Resultaten. Auffallend und unverzeihlich ist die Nicht-Beachtung von Literatur, zumal von Lorenz (1886). Obgleich Rankes geschichtstheoretische Äußerungen, wie auch Freytag erkannt hat, „durchaus kein einheitliches Bild“ ergeben: „sie sind nicht nur vielfach missverständlich, sondern sogar widersprechend, so dass eine Ergänzung und Berichtigung [i. T.] aus der in der Geschichtsschreibung Rankes zu Tage tretenden Auffassung sich von selbst erforderlich macht“ (Freytag/1900, 133), beabsichtigt er (dennoch überwiegend aus WG IX/2 schöpfend) mittels dieser Auffassung die Aufstellung einer zweckmäßigen, treffenden Definition der Geschichte überhaupt. Dabei nutzt er, im Sinne konträrer Extreme, die Anschauungen Lamprechts einerseits und die Windelbands und Rickerts andererseits, um in einer „übrigbleibenden mittleren Meinung“ (155) Ranke und das Richtige zu treffen. Bei seiner Kritik Lamprechts (149ff.) weist er sowohl dessen gegen Ranke gerichtete Beurteilung des Allgemeinen als des alleinigen Gegenstands wissenschaftlicher Erfassung als auch dessen Auffassung einer Gleichsetzung der „allerdings mannigfach dunklen Ideenlehre“ Rankes mit der Humboldts zurück. Bei Windelband und Rickert sieht er die Historie als „eine Wissenschaft vom Individuellen“ aufgefaßt (311). Ranke wird bei diesen Erwägungen gelegentlich aus den Augen verloren. Besonders bedenklich ist Freytags Verfahren, zu dem von Ranke Gesagten häufig ein von Ranke vermeintlich Gemeintes zu suchen und dabei auch dessen Begrifflichkeit durch eine andere zu ersetzen, extrem verfälschend beispielsweise das ‚Allgemeine‘ durch das ‚Gesellschaftliche‘ (331). Freytag kommt zu dem Resultat: „die Ersetzung der eigentlichen Geschichte durch eine Soziologie“ sei „wohl überhaupt unmöglich, denn gerade dasjenige Geschehen gilt doch - wie wir sahen auch für Ranke - als das eigentlich historische, in dem die beiden Faktoren, das Individuelle und das Allgemeine oder besser Gesellschaftliche, einander gewissermassen das Gleichgewicht halten.“ (336). Von größerer Bedeutung sind die Überlegungen, die Freytag auf dem Wege zu diesem Endresultat für Rankes Fortschrittsbegriff und die Probleme um Freiheit/Notwendigkeit und Kausalität anstellt. Eine differenzierte Gegenthese zu der von Fester vertretenen Ranke-HumboldtNähe wurde von Johann Goldfriedrich (1870-1945), 1895 über ‚Die Bedeutung der kantischen Aesthetik‘ promoviert, in seinem Werk über ‚Die historische Ideenlehre in - 420 -

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Deutschland‘ (1902) entwickelt. Dank des ihm als Bibliothekar zur Verfügung stehenden Überblicks - er reichte von Plato bis Kurt Breysig und Theodor Lindner - sah er in Rankes Auffassung der Ideen zwar eine der Humboldtschen Theorie, die bei Goldfriedrich überhaupt den größten Raum einnimmt, genau entsprechende Praxis, ließ allerdings ein Zurückgehen der Rankeschen Auffassung auf diesen nicht gelten: „Wie Humboldt, so wendet sich Ranke gegen die spekulative Geschichtsphilosophie; es gibt, sagt er, aus der allgemeinen Theorie keinen Weg zur Anschauung des Besonderen. Wie Humboldt, so stellt Ranke der Geschichtschreibung die Aufgabe, dem ‚Zug der Dinge‘ nachzugehen, ihre ‚geistige Ader‘ zu verfolgen. Wie Humboldt, unterscheidet er einen rationalen und einen irrationalen Ursachenkreis; seine ‚herrschenden Tendenzen‘ entsprechen Humboldts Richtungen, seine großen Persönlichkeiten Humboldts Krafterzeugungen.“ (401). Bei Ranke gebe es eine Beschreibung der Ideen, aber, wie Goldfriedrich zu Recht betonte, „überhaupt keine Erklärung“ (402). Es zeige sich eine „Grenzverwischung, sofern und wo Ranke die ‚leitenden Tendenzen der Jahrhunderte‘ theoretisch als von übersinnlichen Ursachen bewirkt anspricht. Ranke huldigte ferner dem geschichtsmetaphysischen Universalismus“ (402f.). Der bereits 1891 bei einer Besprechung von Rankes ‚Weltgeschichte‘ mit deutlichen Worten hervorgetretene österreichische Historiker Adolf Bachmann (s. I, 397) hielt 1902 in Prag eine Rektoratsrede mit dem Thema ‚Die deutsche Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts im Rahmen der öffentlichen Ereignisse‘. Darin betrachtet er besonders die in Band I der ‚Weltgeschichte‘ geäußerte Auffassung des „genialen Geschichtslehrers“: „Die Nationen können in keinem anderen Zusammenhange in Betracht kommen, als inwiefern sie, die eine auf die andere wirkend, nach einander erscheinen und mit einander eine lebendige Gesammtheit ausmachen.“ (WG 4 I, p. VIII). Daraus erhebt sich für Bachmann die sonst wohl nirgends gestellte Frage, „Wurzelt nun aber nicht, alles in allem betrachtet, Rankes Anschauung von der Geschichte im Grunde in Materialismus? Hiess das nicht, die Geschichte ihrer Ideale berauben, die Tätigkeit der Historiker ihres eigentümlichen Wertes entkleiden?“ (41). Das Schwanken in der Deutung Rankes nimmt seinen weiteren Lauf. Fritz Medicus (1876-1956), wie Goldfriedrich über Kant promoviert (‚Kants transcendentale Ästhetik und die nichteuklidische Geometrie‘, 1898), später Professor für Philosophie und Pädagogik in Zürich (Fuchs, Erich: Medicus, Fritz. In: NDB 16/1990, 599 f.), suchte in einer ‚Studie über die Anwendung der transcendentalen Methode auf die historischen Wissenschaften‘ mit dem Obertitel ‚Kant und Ranke‘, 1903 in den ‚Kantstudien‘ erschienen, von fachphilosophischer Seite das Wesen der Rankeschen ‚Ideen‘ zu bestimmen, wobei er von der Möglichkeit einer zwar überpersönlichen, aber nicht übernatürlichen Teleologie ausging. Etwaigen Einflüssen Kants auf Ranke ging Medicus überraschenderweise nicht nach. Kant und Ranke gelten dem Verfasser vielmehr als „die klassischen Vertreter zweier Denkrichtungen, deren Gegensatz heute noch nicht als ausgeglichen oder überwunden betrachtet werden kann.“ (130). Medicus versucht sich daher an einer „transzendentalen Analytik des historischen Denkens“, bei der sich „auch die spezielleren Denkformen der historischen Wissenschaften begreifen lassen müssen.“ (178). Diese Ableitung wird unternommen am Beispiel der „Ideenlehre“ Rankes, wobei sowohl die Lorenzsche Deutung (Die Geschichtswissenschaft II/1891, 67 u. 73) als auch die Lamprechtsche (Die kulturhistorische Methode/1900, 23f.) zurückgewiesen werden. Für Medicus sind - unter Einführung eines problematisch deaktivierenden ‚Objekt‘-Begriffs - Rankes ‚Ideen‘ „ihrem Wesen nach ... Objekte der - 421 -

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die Geschichte bewegenden Wollungen“ (179), „Prinzipien von überindividuellen Willenszusammenhängen; es sind Endzwecke, sofern sie faktische Anerkennung genießen“. (180). Rankes „welterobernde Ideen“ wollen Medicus zufolge „nicht als kausal wirkende Faktoren begriffen sein“ (181), vielmehr handele es sich bei ihnen „um ein Verhältnis teleologischer Dependenz zwischen einem Zweck und den zu seiner Verwirklichung aufgebotenen Mitteln.“ (Ebd.). Dabei bleibe „kein ‚mystischer Rest‘“ (182), auch wenn Rankes „persönliche Weltanschauung ... mystische Elemente“ enthalte (182f.). Medicus wirft sodann die Frage auf: „Wie ist Universalgeschichte als Wissenschaft möglich?“ (184) und kommt zu dem Ergebnis: „Das gesuchte Prinzip der Möglichkeit einer Universalgeschichte ist die regulative Idee des Kulturbewusstseins.“ (189). - Der Gegensatz zwischen Kant und Ranke bestehe „nur so lange, als man die Kritik der reinen Vernunft nach dem Buchstaben auslegt“ (192), - was doch zu hoffen ist. Der antimetaphysischen Deutung Apelts und Medicus’ ähnlich sieht auch der Soziologe und Nationalökonom Max Weber (1864-1920) in seinem in den Jahren 1903 bis 1906 erschienenen Beitrag ‚Roscher und Knies und die logischen Probleme der historischen Nationalökonomie‘ bei Ranke wie bei dessen Schüler Wilhelm Roscher (1817-1894) als ausgemacht an, daß sie „das konkrete Geschehen lediglich aus natürlichen Motiven zu erklären gesucht“ hätten (Max Weber/1903, 20), wodurch „metaphysische Probleme, welche auf dem Boden der empirischen Geschichte nicht lösbar“ seien, „von vornherein ausgeschaltet, dem religiösen Glauben überlassen“ würden. So habe der religiöse Glaube Roscher und „ähnlich“ Ranke „immunisiert“ gegen Hegels „panlogistisches Bedürfnis“ (ebd., 21). Die Auffassung Webers vereinfacht Rankes Geschichtsanschauung, besonders seinen Ideenbegriff und sein Verhältnis zur Hegelschen Philosophie, doch allzu sehr. Jedenfalls sieht Weber in unwissenschaftlicher Metaphorik die „Nabelschnur“, welche die Geschichtsauffassung Roschers und Rankes mit der metaphysisch gedeuteten ‚Ideenlehre‘ verbinde, bei Ranke weiter durchschnitten als bei Roscher (ebd.). Ganz allgemein wurde bei der Behandlung dieser Fragen übersehen, daß metaphysische Probleme nur dann „auszuschalten“ sind, wenn sie als solche erkannt werden, was wiederum ihren metaphysischen Status aufhebt. An einer ähnlichen Aporie krankt auch Rankes Wort von der ‚Epochenunmittelbarkeit‘. Webers nächstjährige Untersuchung über ‚Die „Objektivität“ sozialwissenschaftlicher und sozialpolitischer Erkenntnis‘ streift Ranke in anderer Weise. Hier lobt er - ein älteres Thema - bei Gegenüberstellung von „Stoffhubern“ und „Sinnhubern“ die „echte Künstlerschaft“, welche Ranke „in so grandiosem Maße“ besessen habe, „durch Beziehung bekannter Tatsachen auf bekannte Gesichtspunkte dennoch ein Neues zu schaffen“ (Max Weber/1904, 214). Diese Fähigkeit ist Ranke in der Tat nicht abzusprechen. Freilich wird von Weber das bedeutendere Forschungs- und Darstellungsprinzip Rankes übersehen, welches darin bestand, unter großzügigem Beiseitestellen des Bekannten das Neue überwiegend auf der Grundlage unbekannten Archivmaterials zu gewinnen. Wie Ranke Erkenntnis gelang, sucht Weber kurz in seinen ‚Kritischen Studien auf dem Gebiet der kulturwissenschaftlichen Logik‘, 1906 erschienen, darzutun: „Ranke ‚erriet‘ die Vergangenheit“ aufgrund einer „Gabe der ‚Intuition‘“ (Max Weber/1906, 278), ein auch von Meinecke mehrfach stark beachteter, auf ihn selbst eher zutreffender Gedanke. Freilich komme es für den Historiker darauf an, - und dabei verläßt Weber bereits das Thema ‚Ranke‘ -, „das logische Resultat seiner historischen Kausalurteile“ dem Leser nicht „ohne Vorrechnung der Erkenntnisgründe“ - 422 -

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mitzuteilen (ebd.). Bemerkenswert, daß dabei von Weber hinsichtlich Intuition und kausalem Regressus zwischen Historie und Naturwissenschaft kein Unterschied gesehen wird. Zu der von Dilthey systemwidrig unterlassenen ‚psychologischen‘ Betrachtung Rankes und seines Werkes fühlte sich der historiographiegeschichtlich und historischkritisch orientierte Mediävist Bernhard Schmeidler (1879-1959) gedrängt. Er sah, von einem ungewöhnlichen, unrealistischen Verallgemeinerungsdrang getrieben, in Rankes Werken nur eine „beständig vertiefte und erweiterte Psychologie des allgemeinen historischen Menschen geliefert“ (‚Zur Entwickelung der Geschichtschreibung Rankes‘/ 1903, 488). Man müsse sagen, daß Ranke „in Wahrheit alles Geschehen für notwendig, d. h. für ursächlich bedingt hielt...“ (498f.). Das hatte Dilthey - beiläufig auch Medicus - freilich nicht so gesehen. Dilthey fand, wie oben bemerkt, Ranke scheine „der Kausalerkenntnis ... nicht zu genügen“ (GS XI, 2., unv. Aufl./1960. 217). Allerdings sei, so fährt Schmeidler fort, „mit dem unbedingtesten Glauben an die Kausalität alles historischen Geschehens die Annahme einer einzigen, gesetzmäßigen Entwickelung, eines Systems der Geschichte keineswegs verbunden“ (152f.). Später versuchte Schmeidler sich nicht nur an einer Analyse der „Seelenhaltung“ Rankes - des „größten deutschen Historikers des 19. Jahrhunderts und bis zur Gegenwart“ -, sondern übersteigert auch an der „Seelenhaltung des Historikers schlechthin“ (‚Zur Psychologie des Historikers und zur Lage der Historie in der Gegenwart‘/1925). Zu den Nachwirkungen Rankes im weiteren Sinne darf wohl auch Schmeidlers Schrift ‚Über die Aufgaben und Pflichten der wissenschaftlichen Kritik. Eine Auseinandersetzung mit heutiger Kritik nebst einigen Gedanken über Doktordissertationen und Zeitschriftenwesen‘ (Erlangen 1935) gezählt werden, ein Jahr vor seiner Zwangsemeritierung erschienen, die ihm aufgrund einer hitlerkritischen Äußerung (Wikipedia) zuteil wurde. In der Berner Dissertation von Ferdinand Erhardt ‚Ueber historisches Erkennen. Probleme der Geschichtsforschung‘ (1905 u. 1906) wird Ranke als ein in maßvoller Weise tätiger Geschichtsphilosoph gesehen. Ein Beispiel sei, „die Geschichte der alten Kulturvölker unter dem Gesichtspunkte der sie beherrschenden religiösen Ideen in eine innere Verbindung zu bringen“ (8f., A 18). Ranke vertrete einen „weit gemässigteren Individualismus“ als Carlyle, weil er die Wirksamkeit einzelner Persönlichkeiten „zugleich auf Grund der gesamten Kultur der Zeit“, jedoch vorwiegend der geistigen Faktoren, zu begreifen suche (86f., A. 37). Ranke habe - wobei wieder auf die Vorträge vor Kg. Maximilian, überinterpretierend, hingewiesen wird - eine „Anzahl ... für kürzere oder längere Perioden der Geschichte angeblich gültigen ‚Gesetze‘ aufgestellt, von denen keinem einzigen Anspruch auf Haltbarkeit zuzusprechen sein dürfte. So das Gesetz des Gegensatzes oder des historischen Kontrastes.“ (75 u. 92, A. 55). Dem jungen Dilthey-Schüler Eduard Spranger (1882-1963) erschien in seiner Berliner Dissertation, ‚Die Grundlagen der Geschichtswissenschaft. Eine erkenntnistheoretisch-psychologische Untersuchung‘ (1905), die eindringlich betrachtete ‚Ideenlehre‘ Rankes doch als ein „Grenzerzeugnis von Metaphysik und Psychologie“ (35): „Der mystische Zug der Identitätsphilosophie, ein mit Schelling verwandter, aber christlicher und theistischer gefärbter Panentheismus tritt an zahlreichen Stellen zu Tage.“ (Ebd.). „Die empirische Geschichte und die transcendente Ordnung, die bald als freier Geist, bald als göttliche Vorsehung erscheint, durchdringen sich, wie es in Kants metaphysischer Freiheitslehre, noch mehr aber in den Identitätssystemen vorgebildet war.“ (35f.). Rankes „Ideenlehre“ bildet in der Auffassung Sprangers „z. T. noch eine - 423 -

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Übergangserscheinung“, und „die gegenwärtige Auffassung vom Seelenleben“ fordere „eine psychologischere Deutung der Idee ..., wie dies bei Rachfahl, Hintze und Lindner durchgeführt“ sei (102). - In Sprangers Beitrag von 1908 über ‚Wilhelm v. Humboldts Rede „Über die Aufgabe des Geschichtschreibers“ und die Schellingsche Philosophie‘ wird der Rankesche Ideenbegriff daher eher beiläufig betrachtet, wobei die Meinung Festers (1891), Rankes und Humboldts Ideenlehre „möglichst eng aneinanderrücken zu müssen“ (543) als „bedenklich“ bezeichnet wird. Auch die Stellung Lamprechts (Alte und neue Richtungen/1896, bes. 71) zur historischen Ideenlehre, wie die Auffassung von Lorenz hinsichtlich des Verhältnisses von Humboldt und Ranke sowie Schelling und Ranke wird zurückgewiesen (ebd.). Hingegen hätten die auch hier wieder ungenannt bleibenden „Jünger Rankes sich mit der Absicht in sie versenkt, die tiefen methodischen, künstlerischen und philosophischen Motive der klassischen Geschichtschreibung zu durchleuchten und ihre ‚Ideenlehre‘ als ein ‚historisch G e w o r d e n e s ‘ [i. T.] zugleich in seinem sinnvollen Rechte zu verstehen. Aber auch die Vertreter der letzten Richtung hielten es für notwendig, sie von ihrem ursprünglichen Wurzelgrunde, der spekulativen Identitätsphilosophie der Fichte, Schelling, Hegel scharf abzuheben.“ (542). Wilhelm Wundt (1832-1920) hat sich erst in der umgearbeiteten dritten Auflage seiner ‚Logik‘ (Logik. Eine Untersuchung der Prinzipien der Erkenntnis und der Methoden wissenschaftlicher Forschung, Bd. III: Logik der Geisteswissenschaften/1908) eingehend mit Rankes Geschichtsanschauung befaßt, wenn auch wohl lediglich auf der Grundlage der ‚Weltgeschichte‘ und der Berchtesgadener Vorträge vor Maximilian von 1854. Zu Zeiten der Erstauflage von 1883 lebte Ranke noch hinderlich, und auch seine Vorträge lagen nicht vor. - Wundt, der den „großen“ Historiker durchaus schätzt, interessiert vor allem dessen Verhältnis zur Philosophie, und er nutzt beiläufig Rankes Darstellung zur Illustration bzw. Begründung eigener Prinzipien historischer Beurteilung, ja zur Integration Rankescher Ideen in seine Nomothetik. Letztlich aber gelangt er zu einer zwar zurückhaltend vorgetragenen, aber doch fundamentalen Kritik. Sie nimmt ihren Ausgang bei Rankes hier wieder im Vordergrund stehendem Ideenbegriff, über den auch Wundt keine völlige Klarheit erlangen kann, genauer wohl: dessen Unklarheit er konstatiert. Mehrfach ist die Rede von einem „gewissen Dunkel“ (393), von einem „eigentümlichen Dunkel“ (438). Überhaupt litten Rankes „geschichtsphilosophische Gedanken an einer gewissen Unbestimmtheit“ (451). Wundt sieht einerseits, daß Ranke dem Ideenbegriff „wesentlich diese Bedeutung eines dem geschichtlichen Leben immanenten, nicht transzendenten geistigen Gehaltes gegeben“ habe. Gleichwohl sei „bemerkenswert, daß auch bei Ranke Äußerungen vorkommen, in denen der transzendente Ideenbegriff“ nachwirke (391). Doch indem Rankes bei der in seinen Vorträgen angewandten historischen Betrachtung in den ‚leitenden Tendenzen der Jahrhunderte‘ die Wirkungen übersinnlicher Ursachen sehe, „also diese von der Geschichtsforschung empirisch zu erforschenden ‚Tendenzen‘ eigentlich in religiöse Ideen“ umwandele, werde sie zu einer „philosophischen Geschichtskonstruktion“ (393). Ja, seine Teleologie sei „überall von der Idee einer unmittelbaren providentiellen Lenkung der Geschichte beherrscht“ (451). Insofern gründe Ranke in seinem EpochenDiktum „wissenschaftliche Voraussetzungen auf subjektive religiöse Glaubenssätze“ (452). Hierin bestehe sein Gegensatz einerseits gegen eine „falsche Transzendentalphilosophie“, andererseits trenne er sich dabei auch von den neueren Versuchen einer immanent orientierten Kulturgeschichtsforschung (392). Wundt übersieht dabei den - 424 -

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auch gemeinhin unbeachteten Umstand, daß Rankes Äußerungen im Rahmen eines nicht öffentlichen Vortrags gefallen sind und in dieser dezidierten Form in seinem Werk weder ‚ausdrücklich‘ noch strukturell auftreten. - Die im übrigen von Wundt entwickelten drei „historischen Beziehungsgesetze“, das der „Resultanten“, der „Relationen“ und besonders das der „Kontraste“ (430), welche Ranke wohl abgelehnt hätte, sieht er auch bei diesem verwirklicht. Wiederum wird der Ideenbegriff bemüht, denn die in den historischen Resultanten wirkenden „vornehmsten Komponenten“, habe Ranke ‚leitende Ideen‘ oder ‚große Tendenzen‘ genannt (431). Um eine gelegentlich an Schelling erinnernde, letztlich wohl zurückweisende Deutung von Hauptgedanken der Rankeschen Max-Vorträge ist der Philosoph Ferdinand Jakob Schmidt (1860-1939) in einem Beitrag: ‚Ranke und König Maximilian II. von Bayern über den moralischen Fortschritt des Menschengeschlechts‘ (1908) bemüht. Schmidt, der 1888 in Berlin mit einer Arbeit über ‚Herder’s pantheistische Weltanschauung‘ promoviert worden war, auch über Kant (1903) und über ‚Die Wiedergeburt des Idealismus‘ (1907) gearbeitet hatte, sieht bei seinem literaturlosen Essai in keinem anderen Punkt den „geistigen Gegensatz“ zwischen dem 18. und 19. Jahrhundert so deutlich zutage treten wie in Rankes Ablehnung des Gedankens eines moralischen Fortschritts in der Geschichte (47). Es genüge jedoch nicht, „inbezug auf allgemeine Fragen bei dem Ergebnis bloß geschichtlicher Erkenntnis stehen zu bleiben“, sondern es bedürfe einer „philosophischen Erforschung der Gründe“ (51), wobei die „Notwendigkeit aufzuzeigen“ sei, „die einen solchen Gegensatz hervorgetrieben hat.“ (Ebd.). Dabei geht Schmidt von der These aus, daß der Moralismus als „notwendige Begleiterscheinung des Individualismus“ (53) „der Idee der christlichen Kultur schnurstracks entgegen“ stehe (51). Das Christentum sei jedoch „die absolute Religion der Wahrheit und des Geistes geworden“ (52) und insofern gebe es einen „Fortschritt der immer konkreteren Vergegenwärtigung des allgemeinen Weltgeistes im Bewußtsein der Menschheit.“ (61). Dieser sei allerdings nicht Gegenstand der historischen Forschung, sondern der Theologie und der Philosophie. Ranke habe in seinem Gespräch mit Kg. Max „den falschen Entwicklungsbegriff treffen“ wollen (62f.). Wissenschaftsgeschichtlich von weitreichender Bedeutung, zumal in späterer Auseinandersetzung mit Meineckes Historismus-Werk von 1936, war die im Jahre 1915 in Deutschland unter dem Titel ‚Zur Theorie und Geschichte der Historiographie‘, 1917 in Italien als ‚Teoria e storia della storiografia‘, vierter Teil seiner ‚Filosofia come scienza dello spirito‘ auftretende massive, wenig differenzierte Ranke-Kritik aus der Feder Benedetto Croces (1866-1952). Der Späthegelianer erhob v. a. den Vorwurf, Ranke habe „die Philosophie, und besonders die Hegelsche, stets bekämpft und viel dazu beigetragen ..., sie bei Historikern in Verruf zu bringen“ (242, ähnlich 279, Zitate nach der dt. Ausg. von 1930). Pointiert formuliert scheint er ihm - abgesehen von tatsächlich vorwerfbaren Widersprüchlichkeiten, Unbestimmtem und Ungesagtem vorzuhalten, kein Philosoph, sondern lediglich Historiker zu sein. Ranke habe „die feste Überzeugung vertreten, daß in der Geschichte die Hand Gottes sei, eine Hand, die man mit unseren Händen nicht fassen kann, die aber unser Antlitz berührt und uns ihre Tätigkeit spüren läßt“ (243). Seine ‚Weltgeschichte‘ - und anderes scheint Croce hier nicht zu kennen - habe Ranke „sorgfältig vom Universum“ getrennt (ebd.). Er habe es verstanden, „an allen Klippen vorbeizusteuern, ohne je die eigenen religiösen oder philosophischen Überzeugungen durchblicken zu lassen“ (ebd.). Croce bemerkt dabei nicht den deutlichen Widerspruch zu seiner eigenen, nicht geringen Hand Gottes- 425 -

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Kritik. - Rankes „leitende Begriffe“ seien „wenig konsequent ... fundiert“, besonders in seiner ‚Weltgeschichte‘. „Und wie ... es ihm jene geringe Konsequenz der Ideen, d. h. jener Einschlag von Ideen, die er absichtlich im Unbestimmten ließ, schwer machte, einen umfassenden historischen Bericht lebendig zu gestalten, das beweist die ganze Weltgeschichte mit ihrer Schwerfälligkeit, ihrem Mangel an Zusammenhang, ihrem Sich-Verlieren in nicht zur Sache gehörigen Reflexionen ...“ (250), eine Kritik, die bereits zu Rankes Lebzeiten hier und da vorgetragen worden war und die zumindest physischen Schwierigkeiten der Entstehung dieses Greisen-Werkes außer acht läßt. Die Romantik habe sich „in ihrer echten Form im Eklektizismus Rankes durchgesetzt...“ (257). - In Croces undatierten ‚Randglossen aus Bemerkungen und Besprechungen‘ findet sich ein Beitrag ‚Über eine geschichtsphilosophische Forderung‘ (266f.), der sich mit Rankes Diktum von der Unmittelbarkeit einer jeden Epoche zu Gott aus den Berchtesgadener Vorträgen von 1854 befaßt, sowie ein Beitrag ‚Die Universalgeschichte nach Ranke‘ (267f.), in dem Croce den eingeschränkten Begriff Rankes kritisiert, demzufolge dabei nur diejenigen Völker zu berücksichtigen seien, die aufeinander eingewirkt haben (267). - Der Beitrag ‚Geschichte der Geschichte‘ (301f.) befaßt sich wiederum kurz mit Rankes Ideenbegriff: Ranke habe „seine wenig philosophische Haltung gerade damit büßen“ müssen, „daß es ihm niemals gelungen“ sei, „klar festzustellen ..., was eigentlich die ‚Ideen‘ sein sollen, die nach seiner Redeweise ‚in der Geschichte wirken‘...“ (301). - Im 3. Teil des Werkes (‚Anhang. Betrachtungen zur Philosophie der Politik‘) ist der Beitrag ‚Staat und Kirche im idealen Sinne und ihr beständiger Kampf in der Geschichte‘ (417-422) von Belang, in dem Rankes Auffassung (in der Formulierung Croces), es sei „die Geschichte immer die Geschichte der Beziehungen zwischen Staat und Kirche“ (416), allerdings als „tiefe Wahrheit“ (ebd.) thematisiert wird. - Bei Croces Kritik ist einschränkend zu berücksichtigen, daß Ranke weder die Philosophie noch im besonderen Hegel „stets bekämpft“ hat. Mag sein, daß seinem Werk eine solche indirekte Wirkung zugesprochen werden kann, doch vor allem dürfte die auf seine Max-Vorträge von 1854 gegründete beständige Hegel-Kontrastierung in dieser Richtung gewirkt haben. Die in diesen nichtöffentlichen Vorträgen ausgesprochene Ablehnung der „Hegelschen Schule“ gelangte jedoch bei Lebzeiten Rankes, und dieser Croce nicht bekannte Umstand sollte beachtet werden, zu keiner Wirkung, da die Vorträge erst posthum veröffentlicht wurden (WG IX/2). Auch werden die schon von der damaligen Literatur (z. B. Bernheim/1889, Barge/1898) bemerkten oder behaupteten gegenläufigen Anklänge Rankes an Hegel von Croce nicht zur Kenntnis genommen. - Seine fortgeführte Kritik wird, zumal in der Auseinandersetzung mit Meinecke, weiterhin zu betrachten sein (s. I, 523f.).

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3. Kapitel (I/2.2.3) DIE FACHHISTORISCHE PERSPEKTIVE Zwischen Kulturgeschichte und politischer Geschichte Während der philosophischen Diskussion der ersten Jahrzehnte nach Rankes Tod hatte sich eine mit dieser zunächst über das Problem der ‚Ideenlehre‘ zusammenhängende, dann aber thematisch vertiefte und personell ausgeweitete Kontroverse innerhalb der Fachhistorie entwickelt, welche nach dem berechtigten Urteil eines Mitstreiters keineswegs „Gelehrten-Gezänk“, sondern ein in die Zukunft reichender „Prinzipienstreit“ war (Winter: Die Gegensätze in der deutschen Geschichtswissenschaft/1898, 1). Vergröbert läßt sich wohl sagen, daß darin die Tendenzen der letztlich doch zurückweichenden Kultur- und der aufsteigenden Sozial- und Wirtschaftsgeschichte gegenüber dem Selbstbehauptungs- und Beharrungstrieb der sich in der Tradition Rankes sehenden, durchaus führenden ‚politischen‘ Historie zum Ausdruck kamen. Kurt Breysig (18661940) beklagte 1896, „die allermeisten Gesamtdarstellungen, die in den letzten Jahrzehnten von deutschen Historikern unternommen worden“ seien, böten „zu neun Zehnteln Staatsgeschichte dar; der Rest ist dann einigen Manifestationen der geistigen oder materiellen Kultur des Volkes, mit dem man sich beschäftigt, gewidmet.“ (Über Entwicklungsgeschichte/1896, 162). Die der politischen Geschichte und auch Ranke entgegentretenden, nicht gänzlich neuen Tendenzen manifestierten sich vor allem in der Gestalt Karl Lamprechts (18561915), der sich als Überwinder Rankes darstellte, wobei er unter häufigem Rückgriff auf dessen unklaren Ideenbegriff in allzu konträrer Form und problematischer Begrifflichkeit eine neue Wissenschaft der Geschichte propagierte, die letztlich wohl imstande sein sollte, die Gesamtheit des geschichtlichen Lebens zu erfassen, wovon bei Ranke trotz seiner vorgeblich ‚universalhistorischen Methode‘ in der Tat keine Rede sein konnte. An einer Ergründung des Rankeschen Geschichtsdenkens ist Lamprecht kaum interessiert. Ranke dient ihm vor allem als Folie seiner kontrastierenden Selbstdarstellung. - Bis dahin hatte zu keiner Zeit eine derart intensive Theorie-Erörterung, ja ein allgemeiner öffentlicher Richtungsstreit der Historie stattgefunden. Die List der historiographiegeschichtlichen Vernunft lag nun darin, daß die wechselseitigen Verteidigungs- und Vernichtungsschriften zugleich Selbstklärungen und Selbsterklärungen ihrer Verfasser darstellten, zu denen sie ohne ihre Gegner kaum gelangt sein dürften. Es würde Rahmen und Sinn des vorliegenden Werkes sprengen, die gesamte Literatur zur Auseinandersetzung vorzuführen, in der Ranke mehr oder minder berührt wird. Allein in den zehn Jahren nach Erscheinen des ersten von zwölf bzw. vierzehn Bänden des Lamprechtschen Hauptwerkes ‚Deutsche Geschichte‘ (1901) erschienen wenigstens einhundertundzehn ‚Kampfschriften‘, wovon vierundzwanzig Lamprechts eigener Feder entstammten. Während Rankes Geschichtsschreibung jahrzehntelang als vorwiegend politisch angesehen, sogar gelegentlich als „einseitiger politischer Pragmatismus“ getadelt worden war (Pöhlmann/1883, 496), wurde sie ebenso außenseiterlich wie abwegig bisweilen gar als „Culturgeschichte im höchsten Sinne des Wortes“ (59) eingeschätzt (Hans Prutz/1888, 59). Doch auch die Religion, nicht nur naheliegend in den ‚Päpsten‘ und in der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, so besonders in der ‚Weltgeschichte‘, konnte als „ein Hauptfactor“ gelten ([Anonym] LCD/1. 8. 1885, 1062). - 427 -

I/2.2.3 Wilhelminische Zeit - Die fachhistorische Perspektive

Wilhelm Maurenbrecher, der bereits mehrfach bemühte Ranke-Schüler, hatte noch bei dessen Lebzeiten, 1884, zum Thema ‚Geschichte und Politik‘ eine Leipziger Antrittsrede gehalten, in der er sich zunächst auf Fournier (Über Auffassung und Methode der Staatshistorie/1875) berief, und die Auffassung vertrat, die Wissenschaft der Geschichte behandele „in erster Linie die politische Geschichte, die Verhältnisse des staatlichen Lebens der Völker und Menschen“ (7), wobei sich ihm auch die „maßgebende Bedeutung“ enthüllte, „welche im geistigen Leben unserer Nation die Geschichtswissenschaft heute einnimmt.“ (8). Für seine These vom Primat der politischen Historie wies Maurenbrecher v. a. auf Ranke hin, den „Meister und Bildner aller derjenigen, die heute in Deutschland der Geschichtswissenschaft dienen“ (14). Er hätte sich auch schon auf den oft unter Wert betrachteten Gervinus in dessen 1837 erschienenen ‚Grundzügen der Historik‘ stützen können. Hatte dieser doch erklärt, man habe mit Recht „unter Geschichte schlechtweg immer politische Geschichte verstanden ... weil sich auf das handelnde Leben alle Kräfte des Menschen concentriren. Das handelnde Leben einer geistreichen Nation, wo es in Blüthe steht, zieht immer einen Schwung des geistigen Lebens nach sich, nicht so aber umgekehrt.“ (80f.). - Zu dieser Auffassung bekannte sich auch Dietrich Schäfer (1845-1929), durch seine Lehre bei Georg Waitz eine Art Enkel-Schüler Rankes. Er suchte in seiner 1888 erschienenen Programmschrift ‚Das eigentliche Arbeitsgebiet der Geschichte‘ darzulegen, und dabei glaubte er mit Recht, die Rankesche Auffassung zu vertreten, „daß der Staat die wichtigste Errungenschaft menschlicher Kultur sei, daß alle menschliche Bildung letzten Endes in ihm wurzele“, wobei es nicht an ablehnenden Bemerkungen über eine sich höher einschätzende ‚Kulturgeschichte‘ fehlte (Schäfer: Mein Leben/1926, 113). Auch Gerhard Ritter vertrat später die Auffassung, deutsche Historiker hätten „ihre Staatsgläubigkeit von Hegel geerbt ..., aber auch von Ranke ...“ (Wissenschaftliche Historie einst und jetzt/ 1966, 580). Der Schäferschen These trat im folgenden Jahr (1889) Eberhard Gothein (18531923) mit seiner Schrift ‚Die Aufgaben der Kulturgeschichte‘ entschieden entgegen, wobei er sich nicht scheute, Ranke weitgehend für das kulturgeschichtliche Lager in Anspruch zu nehmen. Das von seiner Frau nach Korrespondenz zusammengestellte ‚Lebensbild‘ verrät einiges von dem vielfältigen Einfluß Rankes: Während der Ausarbeitung seiner Dissertation über den ‚gemeinen Pfennig auf dem Reichstage zu Worms‘ (1875) war Gothein zwar in den „entschiedensten Widerspruch“ zu Ranke geraten, namentlich in der Darstellung des Freiburger und Lindauer Reichstages, worüber er in einem Brief an Erdmannsdörffer von März 1876 berichtet (Marie Luise Gothein/1931, 23). Die herausgebende Verfasserin weist jedoch auf „Ausbrüche enthusiastischer Bewunderung“ hin, „die bei jeder erneuten Lektüre von Rankes Werken in den Briefen wiederkehren“ (24). In einem späteren Brief referiert Gothein einige z. T. übertriebene Äußerlichkeiten der Lebens- und Arbeitsweise des 90jährigen Ranke, die ihm Maurenbrecher gesprächsweise zum Besten gegeben hatte (62f.). „Charakteristisch ist: in dem Augenblick, wo die Unterhaltung auf den alten Großmeister der Geschichte kommt, hört alle Medisance auf; es ist wirklich noch das einzige Gefühl, das alle Gelehrten zusammenhält und untereinander verbindet.“ (63). Bei Gotheins ‚Ignatius v. Loyola und die Gegenreformation‘ (Halle 1895) spürte die Verfasserin „gerade in dem allmählich immer stärkeren Anwachsen des Unterbaus Rankes Einfluß“ (89). In der Ablehnung der Geschichtsphilosophie Hegels habe sich Gothein „mit Ranke und Dilthey eins“ gefühlt (106). - Gothein, später Nachfolger Max Webers auf dem Heidel- 428 -

I/2.2.3 Wilhelminische Zeit - Die fachhistorische Perspektive

berger Lehrstuhl für Nationalökonomie, dabei ausgezeichneter Kenner der italienischen Renaissance, lehnt nun in seiner genannten Schrift über ‚Die Aufgaben der Kulturgeschichte‘ eine einseitig politische Geschichtsschreibung ab, vertritt vielmehr allzu weitgehend die für die politische Schule unannehmbare Grundthese nicht nur einer Selbständigkeit, sondern gar einer Dominanz der Kulturgeschichte: „Politische Geschichte bleibt in ihrer Notwendigkeit und ihrem Wert bestehen; aber die allgemeine, die Kulturgeschichte verlangt von ihr, daß sie sich ihr ein- und unterordne.“ (3). Ihr ist nach Gothein eine vorwiegend analytische Methode eigen (11f.), und „gerade Ranke“ sei „an der Spitze derer zu finden, die diese Methode ausgebildet haben“ (12). Seine ‚Deutsche Geschichte‘ und auch die ‚Päpste‘ gelten Gothein hingegen ein wenig überraschend als die „beiden höchsten Werke synthetischer Geschichtsdarstellung, die die Welt seit Thucydides gesehen hat“; hier „mag man ... im Zweifel sein, ob sie zu der politischen oder der Kulturgeschichte zu zählen sind“ (20f.). Wie für Gothein Kulturgeschichte „in ihrer reinsten Form ... Ideengeschichte“ ist, so sieht er die „Ereignisse des Staatslebens“ bei Ranke „immer als Ausdruck von Ideen aufgefaßt“ (50). Die unmittelbare Fortführung der Diskussion findet sich in Dietrich Schäfers Gegenschrift ‚Geschichte und Kulturgeschichte‘ vom Jahre 1891, - eine weitschweifige Antikritik, in der Ranke, „der reichste historische Geist aller Zeiten“ (303) wiederum zum Zeugen angerufen wird. Ranke habe es „jedem, der sehen will und kann, vor die Seele gezeichnet, daß es die Staaten sind, an deren Geschicken die Kultur der Menschen hängt.“ (318, ähnlich 335). In die Diskussion einbezogen werden auch Ernst Bernheim (u. a. in DLZ 1889, S. 1610) und Ottokar Lorenz (1891) mit einer an Ranke orientierten Erörterung des Problems ‚Universal‘- bzw. ‚Weltgeschichte‘. Die Berufung Gotheins auf Ranke, „um Kulturgeschichte als ‚Ideengeschichte’ zu erweisen“ (345), wird von Schäfer zurückgewiesen (344ff.). Er preist es als Rankes „unvergängliches Verdienst..., daß er die Geschichte auf eigene Füße gestellt“, daß er sie befreit“ habe „von theologischem, philosophischem, politischem Dienst...“ (351). Von Letzterem kann indes, wie hinzugefügt werden muß, nicht durchweg die Rede sein. Überhaupt erstaunlich die Zurückweisung eines politischen Dienstes, denn gerade Schäfer hat sich bekanntlich zeitlebens sehr ausgeprägt politisch betätigt, sich aber wohl nie in irgendwelchen Dienstverhältnissen gesehen. Bei seiner Antrittsrede zum Eintritt in die Königlich Preußische Akademie der Wissenschaften, 30. Juni 1903 (in: Ders.: Aufss., Vortrr. u. Reden, Bd. II/1913, 232-241) gab er, wie bei diesem Anlaß üblich, „Rechenschaft“ über seine „wissenschaftliche Persönlichkeit“ (232). Die rankebezogenen Äußerungen sind um so auffallender, als sie durch die Besonderheit von Anlaß und Gremium den Charakter eines öffentlich abgelegten wissenschaftlichen Glaubensbekenntnisses erlangen, bei dem auf Zuspitzungen, allerdings auch auf tiefergehende persönliche Klarstellungen verzichtet wurde. Schäfer tritt dabei ausdrücklich der Auffassung Dahlmanns bei, „ ... die Geschichtschreibung, welche nicht stark in die Gegenwart dringt, wird in Phantasterei oder wüstem Sammlerfleiß ersterben“ (238). Dies ist nun trotz der folgenden Salvierung direkt gegen Ranke gerichtet, widerspricht der zuvor begrüßten Befreiung vom ‚politischen Dienst‘ und entspricht einem älteren Topos der Kritik, der auch von Varnhagen geäußert worden war („Er kann nichts darstellen, was in das gegenwärtige Leben eingreift...“, Tgb. vom 9. 8. 1847, Tgbb. IV/1862, 128f.), - „Ich habe mich nicht überzeugen können“, fährt Schäfer in seiner Rede fort, „daß Dahlmanns Auffassung als überwunden anzusehen, daß sie durch Rankes Art überholt worden und durch sie zu ersetzen sei. Selbstverständlich kommt es - 429 -

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mir nicht in den Sinn, die übliche Einschätzung Rankes kritisieren zu wollen; ich meine nicht niedriger von ihm zu denken und nicht kühler für ihn zu empfinden als seine wärmsten Verehrer. Aber ich habe nicht den Glauben gewinnen können, daß seine Art nun die Geschichtschreibung überhaupt sei, auch nicht den, daß sich Regeln von allgemeiner und dauernder Gültigkeit aufstellen lassen für das Maß der Zurückhaltung, das der Darsteller sich aufzuerlegen hat gegenüber seinem Stoff, oder gar daß der Darsteller hinter seinem Stoff völlig verschwinden darf und soll.“ (238). - „Das, worin er uns Meister ist und worin wir ihm nachstreben, die Achtung vor den Tatsachen, die Wahrheitsliebe und Gewissenhaftigkeit der Forschung, das ernste Bemühen, die Zeiten zu verstehen aus sich selbst, fremde Impulse und Motive nicht unterzuschieben, das alles kann bestehen neben dem berechtigten Anspruch der eigenen Zeit und der eigenen Persönlichkeit, in Darstellung und Auffassung zur Geltung zu kommen.“ (239). Schäfer läßt die Gelegenheit jedoch nicht ungenutzt, seine Grundansicht zu äußern, derzufolge es „eine Kulturgeschichte, die an die Stelle der Geschichte treten oder neben ihr eine in sich geschlossene Gesamtaufgabe lösen könnte, nicht gibt und nicht geben kann.“ (240). Dies war allerdings kaum die bekämpfte Auffassung Gotheins gewesen, der politische Geschichte nicht außerhalb der Kulturgeschichte, sondern als einen Teil derselben gesehen hatte. Auch in einem 1907 erschienenen kurzen Beitrag über ‚Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert‘ (zitiert nach Ders.: Aufss., Vortrr. u. Reden II/1913) unterstreicht Schäfer seine These, die nationale Auffassung der Geschichte werde sich „wohl auch im neuen Jahrhundert als die herrschende behaupten...“ (259). Hier ist schon eine begriffliche Verschiebung eingetreten. Noch in seinen ansonsten für Ranke unergiebigen Lebenserinnerungen vom Jahre 1926 glaubte er, in seiner Programmschrift von 1888 dargelegt zu haben, „daß es eine Kulturgeschichte, die den Staat als außenstehend betrachte, nicht gebe und nicht geben könne, daß überhaupt noch nie ein Kulturvolk ohne entwickelte staatliche Selbständigkeit bestanden habe. ... Ich glaube ... sagen zu dürfen, daß die Rankesche Auffassung, die ich vertrat, unerschüttert, ja siegreich weiterbesteht.“ (113f.). - Auch bei Schäfer war unter dem Eindruck Rankes in Thematik und Gesinnung, besonders angesichts des verlorenen Ersten Weltkriegs, eine immer stärker gewordene Nationalisierung eingetreten, die sich mit einem aufklärerischen Drang in die Öffentlichkeit verband - nach eigenem Bekunden war er als „Machtschäfer verschrien“ (Selbstbiographie. In: Deutscher Aufstieg. Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien. Hg. v. H. v. Arnim u. G. v. Below, Bln., Lpz., Wien u. Bern. 1.-5. Tsd. 1925, 441-450, hier 450). Sein Tod im Jahre 1929 bewahrte ihn vor Schlimmerem. Vor Beginn der eigentlichen, in unterschiedlichen Fachzeitschriften und PublikumsJournalen des In- und Auslandes geführten Auseinandersetzung hatte sich der, wie Hans Delbrück, den Themen ‚Militärgeschichte‘ und ‚Preußen‘ verhaftete Ranke-Schüler Max Lehmann in seiner Antrittsrede von 1893 dem nicht mehr jungen Konfliktthema ‚Geschichte und Naturwissenschaft‘ zugewandt. Dies geschah ausgerechnet und berechnet an der Wirkungsstätte Karl Lamprechts, in Leipzig. Lehmann, der auch kurze Zeit als Amanuense Rankes tätig gewesen war, schrieb zu dieser Zeit an einem direkt auf Ranke hinweisenden kritischen Werk ,Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges‘ (1894, bes. 88), dem an Ranke-Bezügen auch Besprechungen der ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘ (1874), von ‚Zur Geschichte von Österreich und Preußen‘ (1876) und von ‚Hardenberg’s Memoiren‘ (1878) voraufgegangen waren (s. o.). In seinem Vortrag nun verwahrt sich Lehmann „auf das Ent- 430 -

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schiedenste gegen die Uebertragung der naturwissenschaftlichen Methode“ auf das Gebiet der Geschichtswissenschaft (Lehmann: [Gesch. u. Naturwissenschaft. Leipziger Antrittsrede 1893]/1894, 246). Er hatte dabei vor allem die Ablehnung zu erkennender Gesetzmäßigkeiten und des Fortschritts in der Geschichte im Auge, sowie die in der Geschichte der Menschheit als „Geschichte der Persönlichkeiten“ herrschende Freiheit, im Gegensatz zur Notwendigkeit im „Reiche der Natur“ (247). Dabei wird auf Ranke verwiesen, der die Annahme einer gesetzmäßigen Reihenfolge von Staatsverfassungen abgelehnt habe (246). Gut rankisch fordert Lehmann abschließend für den Naturforscher wie für den Historiker: „strenge Objektivität ist seine erste Pflicht“ (248). Lamprecht, der in der Druckfassung der Rede nicht genannt wird, nahm dazu in seiner Vorlesung ‚Zur Einführung in das kulturgeschichtliche und politische Verständnis der Gegenwart‘ sogleich unpolemisch-versöhnlich Stellung. Er betonte zwar die gegenüber der Freiheit des Individuums stärkere Notwendigkeit der umgebenden Zustände, forderte jedoch mit Blick auf deren „fortwährendes Ineinandergreifen“ (Lamprecht: [Zur Einführung …1893]/1894, 248), der Historiker müsse „gleicherweise Zustands- und Persönlichkeitshistoriker“ sein (249). Die Leipziger Vorträge Lehmanns wie Lamprechts waren an denkwürdiger und programmatischer Stelle, im Eingang der von Georg Steinhausen 1894 neugegründeten ‚Zeitschrift für Kulturgeschichte‘ abgedruckt. Die Zeitschrift beinhaltete auch eine, wenn nicht die erste Verteidigung Lamprechts, einen Beitrag mit dem Verbeugungstitel ‚Die Begründung einer sozialstatistischen Methode in der deutschen Geschichtschreibung durch Karl Lamprecht‘. Wer dort eifrig um Verständnis warb für die Lamprechtsche „kollektivistische oder sozialpsychische“ Geschichtsanschauung war ein maßgeblicher ehemaliger Amanuense Rankes, der spätere Kgl. Archivdirektor Georg Winter. Er hatte Lamprecht, der bereits damals seine Konzeption einer „Erfassung der Einheit alles geschichtlichen Lebens“ entwickelt haben soll, 1881 in der Düsseldorfer Landesbibliothek kennengelernt (Winter: Karl Lamprecht/1898, 312). - Beziehungen Lamprechts zu Ranke dürften durch den am meisten geschätzten seiner Universitätslehrer, Wilhelm Roscher, einen Ranke-Schüler, entstanden sein. Sie gestalteten sich auf eine persönlichere Weise noch wenige Tage vor Rankes Tod, anläßlich eines Besuchs. Wie Lamprecht beteuert, habe ihn Ranke in diesem Gespräch „aufs lebhafteste zur Fortsetzung wirtschaftsgeschichtlicher Studien angespornt“ (Lamprecht/1896, 45, s. II/7.2, 1886). Übrigens waren beide Portenser. - Für Winter nun ist Ranke Vergangenheit. Im Gegensatz zu seinem Schüler Karl Wilhelm Nitzsch (1818-1880) habe es Ranke „gerade für die wirtschaftlichen Vorgänge an tiefer gehendem Interesse und Verständnis“ gemangelt (201f.). 1898 wandte sich Winter gar mit zwei den „durchaus originalen und genialen und zugleich fruchtbaren und schöpferischen Gelehrten“ Lamprecht (Winter: Karl Lamprecht/1898, 299) peinlich unterstützenden Artikeln, wobei dessen großzügiger Vernichtungston übernommen wurde, an eine breitere Öffentlichkeit. In der ‚National-Zeitung‘ läßt er Ranke - den „größten Meister der individualistischen Richtung“ - besonders in seiner als „transcendent und mystisch“ gedeuteten „Ideenlehre“ als eine Art überwundenen Widerpart Lamprechts auftreten. (Winter: Die Gegensätze in der deutschen Geschichtswissenschaft/1898). In der Zeitschrift ‚Die Gesellschaft‘ stellt er ihn als „größten und universalsten Vertreter“ einer älteren geschichtswissenschaftlichen Richtung auf, die im Singulären das Wesentliche gesehen habe und vereinfacht die ‚politische‘ zu nennen sei. Ihr stehe die von Lamprecht „begründete“ neuere Richtung gegenüber, die ihren eigentlichen Forschungsgegenstand - 431 -

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im Typischen erblicke und als die kulturgeschichtliche zu bezeichnen sei (Winter: Karl Lamprecht/1898, 300). Ranke habe zwar grundsätzlich „in dem Leben des Gemeinwesens eine Notwendigkeit, d. h. eine gesetzmäßige Entwickelung“ anerkannt, aber seine „Schilderungen der Massenerscheinungen des Volkslebens, der jeweiligen Kulturzustände“ seien „im wesentlichen dekoratives Beiwerk, Hintergrund und Voraussetzung für das freie Walten der geschichtlichen Persönlichkeiten“ gewesen (302). Rankes mehr deskriptives Verfahren - im Gegensatz zum genetischen Lamprechts habe aber einem für die „damalige Entwicklungsphase der Geschichtsschreibung durchaus richtigen Standpunkt“ entsprochen (ebd.). Die unglückliche Wahl des Gegensatzpaares in seiner begrifflich unsauberen Antithetik wurde nicht empfunden und mußte zu unzutreffenden Urteilen führen, so vor allem hinsichtlich der von Ranke geschaffenen Darstellungen, denen man Genetik bzw. Entwicklung nicht durchaus absprechen konnte. 1894 legte Lamprecht in einer Besprechung der ‚Deutschen Wirtschaftsgeschichte des 10. bis 12. Jahrhunderts‘ von Theodor Inama von Sternegg (1843-1908) wiederum programmatisch dar, wie man sich die Geschichtswissenschaft der nachrankeschen Zeit vorzustellen habe: „daß es sich ... nicht mehr um die Frage“ handele, „wie ist es eigentlich gewesen, sondern um die Frage, wie ist es eigentlich geworden [i. T.] ... Die Zeit deskriptiver Geschichtsschreibung wird durch eine Zeit evolutionistischer Geschichtsschreibung abgelöst, es handelt sich nicht um Beschreibung mehr, sondern um Entwickelung, wir stehen mitten in der Wandlung von dem einen Grundprinzipe der Forschung zum anderen.“ (Lamprecht: Bespr. Inama v. Sternegg/1894, 295). Ohne direkt in die Auseinandersetzungen einzugreifen, unternahm es Moriz Ritter (1840-1923) in seiner Rede bei Antritt des Rektorats der Rheinischen FriedrichWilhelms-Universität am 18. Oktober 1895 über Geistesentwicklung und Geschichtsschreibung Rankes (Ritter, M./1896), dessen „Grundgedanken“ zu bezeichnen. Ritter später - wie Ranke - Präsident der Historischen Kommission, hatte im Wintersemester 1861/62 Rankes Mittelalter-Vorlesung gehört, was ihn zunächst weniger beeindruckte. Sein ferneres Verhältnis zu Ranke beschreibt Walter Goetz so: „Er strebte dem großen Vorbild in einer Weise nach, die ebensowohl ein Bekenntnis zur Geschichtsauffassung des Meisters als auch ein Zeichen voller Selbständigkeit war.“ (Goetz: Moriz Ritter/ (1925) 1957, 202). - Ritter hatte bereits sein Hauptwerk ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Gegenreformation und des dreißig-jährigen Krieges (1555-1648)‘ (3 Bde., Stg. 1889-1908) begonnen, das nicht nur in seinem Titel, auch in seiner gewollten Unparteilichkeit einen deutlichen Bezug zu Rankes ‚Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ darstellte. Im übrigen soll Ritter versucht haben, im späteren Streit zwischen Lamprecht und Below „über die Konzeption einer die ‚Politische Geschichte‘ ablösenden ‚Kulturgeschichtsschreibung‘ schlichtend zu vermitteln“ (Brechenmacher, Thomas: Ritter, Moriz. In: NDB 21/2003, 668). Ritters Rede dürfte unter dem Eindruck der 1895 und 1896 sich ergebenden Beziehungen zu Rankes Geburts- und Sterbejahr gestanden haben, welche auch aus dem Amanuensen-Kreis eine Vielzahl kleinerer, z. T. editorischer Publikationen entstehen ließ. - Ritter interessierte zunächst der Gedanke, die Geschichte vollziehe sich „in der Wechselwirkung einerseits der Kultur, andererseits der Nation.“ (16). Dies sind „die in der Geschichte wirkenden Mächte“ (18). In diesem Zusammenhang folgt eine Betrachtung der Rankeschen Grundbegriffe ‚Kultur‘, ‚Nation‘ und ‚Fortschritt‘, wobei der Ideenbegriff keine eigentliche Berücksichtigung erfährt, wie überhaupt Rankes naheliegende Vorträge vor Maximilian II. - 432 -

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von 1854 hier einmal nicht beachtet zu sein scheinen. - Ranke sei, wie Ritter wohl zutreffend bemerkt, „die strenge Ausprägung der Rechtsbegriffe fremd“ geblieben (20), und auch „das Gebiet der wirtschaftlichen Kultur“ habe für ihn „gegenüber den idealen Kulturgütern eine verhältnismäßig geringe Bedeutung“ gehabt (21). Ritter behandelt sodann die „Eigenart“ der Rankeschen Forschung und die Probleme des „Ineinandergreifens des Sammelns und Gestaltens“ (27), die dem archiv- und editionsgewohnten und mit einem starken „Drang zur Objektivität“ (Goetz: Moriz Ritter/(1925) 1957, 198) versehenen Ritter besonders vertraut waren. Als beiläufiges Detail bemerkenswert ist sein Hinweis auf die Bedeutung des historischen ‚Moments‘ bei Ranke (27f.). Ritter schließt mit der „Rastlosigkeit“ der Forschung Rankes, seinem „Drang nach universaler Erweiterung“ (30). Zuzuschreiben sei ihm letztlich „eine unvergleichlich vertiefte Erkenntnis des geschichtlichen Charakters der europäischen Nationen“ (32). (Besprochen wurde Ritters Rede u. a. von Gebhardt/1896. - Siehe auch I, 475, 484f. zu Ritters Werk ‚Die Entwicklung der Geschichtswissenschaft‘ von 1919). Eine Verschärfung der Auseinandersetzung zwischen Politik und Kultur trat 1896 ein durch einen Beitrag der ‚Preußischen Jahrbücher‘, eine umfangreiche Besprechung mit dem Titel ‚Deutsche Geschichte vom wirthschaftlichen Standpunkt‘, in der sich Felix Rachfahl (1867-1925) die ersten fünf Bände der von Lamprecht in den Jahren 1891 bis 1894 veröffentlichten ‚Deutschen Geschichte‘ vornahm. Rachfahl stand Ranke in vielfältiger Weise nahe. In seiner 1926 veröffentlichten Selbstdarstellung (Rachfahl/1926) gab er u. a. eine Schilderung seines Lehrers Richard Roepell als Schüler Leos und Rankes (199f.), schrieb darin über Rankes ‚Große Mächte‘ (209) und das Verhältnis Lamprecht-Ranke (217), nicht zuletzt über seine eigene Teilnahme an einem Seminar bei Max Lenz über die Vorgeschichte der Französischen Revolution unter Vergleich der Darstellungen Rankes und Sybels (202f.). Später wandte er sich noch mehrfach gezielt Rankeschen Themen zu, so vor allem ‚Friedrich Wilhelm IV. (1901 und 1919), und befaßte sich sogar mit kritischen Untersuchungen zu Don Carlos (1921). - In seiner Besprechung nun mit dem polemisch eingeschränkten Titel des ‚wirthschaftlichen Standpunkts‘ beabsichtigt er, das Lamprechtsche Werk nicht in Hinsicht seiner Qualitäten einer „Gesammtdarstellung der deutschen Geschichte“ zu betrachten, sondern stellt lediglich die Frage, „ob in dem Buche der Hauch einer eigenartigen und selbständigen Geschichtsauffassung zu spüren ist, durch die unsere Erkenntniß vom Wesen der staatlichen Entwickelung des deutschen Volkes vertieft und erweitert werde.“ (49). Dies konnte mit Blick auf die Lamprechtsche Absicht, „neben der politischen Entwickelung vor Allem auch die Entfaltung der Zustände und des geistigen Lebens zur Darstellung“ zu bringen (ebd. aus einer Ankündigung), dem Werk im Grundsätzlichen nicht gerecht werden. Als „eigentliche Fehlerquelle der Lamprechtschen Geschichtsauffassung“ sieht Rachfahl die Auflösung des staatlichen Werdens „in einen wirthschaftlichen Prozeß“ an, also gerade die Hervorhebung eines „Teilfaktors“ (79). In die Auseinandersetzung griffen 1896 sogleich mehrere Ranke-Anhänger ein: Friedrich Meinecke, Gustav Schmoller und Max Lenz. - Friedrich Meinecke, der in Bonn u. a. Lamprecht gehört hatte (Dollinger, Heinz: Meinecke, Friedrich. In: NDB 16/1990, 657-660), trat mit einem Kurzbeitrag der von ihm seit 1893 redigierten ‚Historischen Zeitschrift‘ auf. Dieser trug den Titel ‚Zum Streit um die kollektivistische Geschichtsschreibung‘ (HZ 76/1896, 530f.) und vereinseitigte damit polemisch das Lamprechtsche gerade auf Wechselwirkung individueller und kollektiver - 433 -

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Kräfte angelegte Paradigma. Die Entgegnung Lamprechts mit dem sachlicheren Titel ‚Zum Unterschiede der älteren und jüngeren Richtungen der Geschichtswissenschaft‘ durfte im nächsten Heft folgen (HZ 77/1896, 257-261). Meinecke wiederum schloß sich bereits auf den folgenden Seiten mit einer ‚Erwiderung‘ an (262-266), welche auf Widersprüche aufmerksam machte. - In diesen Repliken und Dupliken wird - im Zusammenhang mit dem Widerstreit von Kausalitätsprinzip und Teleologie - vor allem die Rankesche ‚Ideenlehre‘, im besonderen ihr gegebenenfalls ‚mystisch-transcendentaler Ursprung‘, strittig behandelt. Lamprecht hatte betont, die Rankesche Ideenlehre beruhe darauf, „daß mystische-transzendentale geistige Kräfte, die Ideen, vornehmlich und grundsätzlich in große Individueen einfließend und von ihnen im Sinne zu verwirklichender Zwecke erfaßt gedacht“ würden. (257). In der Auseinandersetzung ist auch die unterschiedliche Ansicht vom Wesen der in der Geschichte handelnden Persönlichkeit und die Frage von Freiheit und Notwendigkeit bedeutungsvoll. Nach Meinecke stehen sich in dieser Diskussion „idealistische und positivistische Ansicht vom Wesen der Persönlichkeit … gegenüber.“ (264). Mit Rachfahls Kritik setzte sich Lamprecht hauptsächlich in seiner selbständigen Schrift ‚Alte und neue Richtungen in der Geschichtswissenschaft‘, 1896 erschienen, auseinander. Sie bietet zwei Teile: ‚I. Über geschichtliche Auffassung und geschichtliche Methode‘, ‚II. Ranke’s Ideenlehre und die Jungrankianer‘, - ein, wie Below bemerkt, von Lamprecht erfundener „geschmackloser Ausdruck“ (Below: Die neue hist. Methode/1898, 205, A. 1). Nach Lamprechts Auffassung spaltet sich die Geschichtswissenschaft „jetzt in eine mehr zu Ranke zurücklenkende Richtung, welche in dem Reichtum der Jahrhunderte schwelgt, aber die Geschichte mehr wie ein ästhetisches Schauspiel genießt und deswegen in der Gefahr der inneren Erschlaffung steht, und in eine stark positivistisch denkende…“ (1). Die mit Rankes Ideenlehre verbundenen Anschauungen seien „aufs tiefste durch den dialektischen Entwicklungsprozeß der Identitätsphilosophie beeinflußt und damit das Korrelat zur Naturphilosophie der ersten Jahrzehnte“ des 19. Jahrhunderts; „und andererseits erinnern sie an die panpsychischen Naturlehren des 16. Jahrhunderts. Die mystischen Ingredienzien jener beiden Zeiten, an deren geistigem Gehalt das Denken Rankes erwuchs, der lutherischen Reformationszeit und der Zeit der idealistischen Philosophie, treten in ihnen zu Tage.“ (43). Die Erkenntnis der Ideen sei Ranke „höchstes Moment seiner Forschung“ gewesen (47). Lamprecht schließt seine Erörterungen jedoch mit der Feststellung des „Scheiterns Rankes“ (79). „Eben seine Ideenlehre und seine Theorie vom Schein … sind nicht haltbar. Sie haben ihre Zeit gehabt, sie werden immer das große Monument einer ganzen Periode unserer Geschichtsschreibung und eines genialen Historikers bleiben. Aber die Geschichte der Wissenschaft geht über sie hinweg, wie sie über die metaphysisch-mystischen Systeme der Idealphilosophie hinweggegangen ist.“ (S. 71). Dagegen wandte sich neben Rachfahl (in PrJbb 84/1896, 542ff.) sogleich Gustav Schmoller in einem 1896 gehaltenen Vortrag, der ausschließlich dem Thema ‚Die Beurteilung Rankes durch Karl Lamprecht‘ gewidmet war. Zwar kann Schmoller allein aufgrund seines Arbeitsgebiets nicht als ‚Rankeaner‘ bezeichnet werden, ist jedoch als einer seiner größten Bewunderer anzusehen, der auch in seiner auffallenden „Glorifizierung der Geschichte des preuß. Staates“ (Knut Borchardt: Schmoller, Gustav Friedrich von. In: NDB 23, 2007, 260-262) auf Ranke-Bezüge verweist, nicht zuletzt in seiner Behandlung des Friedrich-Themas. Noch zu Rankes Lebzeiten hatte er (1879) eine bedeutende unveröffentlichte Beurteilung der ‚Denkwürdigkeiten‘ Hardenbergs - 434 -

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verfaßt (s. o.). Schmoller, der als Haupt der sogenannten jüngeren historischen Schule der Nationalökonomie gilt (Borchardt ebd.), hatte 1882 einen Ruf nach Berlin angenommen, wo er „als einer der wissenschaftlich und politisch einflußreichsten Professoren wirkte“ (ebd.). - In seinem genannten Vortrag von 1896 lehnt er die Unterstellung einer teleologischen Methode für Ranke ab, sieht ihn vielmehr - und darin Lorenz nicht unähnlich - psychologisch verfahren, womit er in die „Reihe der kausal erklärenden Historiker“ gehöre (2). Es gebe daher keinen Grund, Ranke „zum Mystiker zu stempeln“ (ebd.). Es sei ganz falsch, ihn mit der Identitätsphilosophie zusammenzuwerfen. Methodisch sei er „ihr größter Gegner“ gewesen. Er habe nur erkannt, „daß ihre idealen Erkenntnisbestrebungen ein unvertilgbarer Bestandteil des menschlichen Bewusstseins bleiben werden“. Man könne ihn „einen Nüchternen in einem Zeitalter Betrunkener nennen“ (ebd.). In diesem Jahr ließ sich auch Max Lenz, wie er gestand, durch die Redaktion der ‚Historischen Zeitschrift‘ zu einer Besprechung der ‚Deutschen Geschichte‘ Lamprechts bewegen, und zwar des 5. Bandes, einer ihm vertrauten Epoche: Indem Lamprecht erkläre, die ältere Geschichtschreibung habe ihr Interesse nur auf das ‚Wie es eigentlich gewesen‘ und nicht auf das ‚Wie ist es eigentlich geworden‘ gerichtet, womit auch eine neue Epoche der Geschichtswissenschaft eröffnet werden solle, sei „sein Antipode kein Geringerer als Ranke“ (Lenz/1896, 386). Lenz bemüht sich - häufig mithilfe rhetorischer Fragen - die in der Öffentlichkeit aufgekommenen Kritikpunkte an Ranke zu entkräften, als da seien: „er habe sich zu viel mit den auswärtigen Angelegenheiten beschäftigt, sei ein Meister in der Aufspürung und Deutung diplomatischer Papiere, aber das wirthschaftliche Leben, Verfassung und Recht, auch wohl Kunst und Litteratur, kämen bei ihm zu kurz...“ (387) und behauptet im wesentlichen überall das Gegenteil. Auf eine Diskussion über Lamprechts Versuch, Ranke „mystischen Idealismus“ und einen auf „innigsten persönlichen Überzeugungen beruhenden Spiritualismus“ zu unterstellen, läßt sich Lenz ausdrücklich nicht ein (391, A. 1). Die eigentliche Besprechung, bei der Lenz Lamprecht anhand zahlreicher Beispiele, gelegentlich mit herabwürdigender Polemik, Verzeichnungen, Leichtsinn, Widersprüche, Primitivität der Vorstellungen, groteske Übertreibung und hinsichtlich seiner „evolutions-historischen Auffassung“ „überquellende Phantasie“ vorwirft (414), nimmt auf Ranke keinen wesentlichen Bezug mehr. Lenz beanstandet nicht zuletzt, daß die „herkömmliche Auszeichnung der Renaissance und der Reformation als der beiden Grundmächte in dem Geistesleben der Epoche“ bei Lamprecht „der Verachtung“ verfallen sei (421). In einem seiner seltenen unpolemischen Aufsätze, mit dem Titel ‚Was ist Kulturgeschichte? Beitrag zu einer empirischen Historik‘, 1896 erschienen, befaßte sich Lamprecht in ausführlicher und grundlegender Weise mit den Kategorien, Strömungen und Vertretern individualistischer und kollektivistischer Geschichtsauffassung und in Abkehr von transzendenten ‚Ideen‘ mit immanenten ‚sozialpsychischen Faktoren‘, die ihm auch zu einer Definition dienten: „Die Kulturgeschichte ist mithin vergleichende Geschichte der sozialpsychischen Entwicklungsfaktoren.“ (145). - Ranke ist in diesem Beitrag allgegenwärtig, wird aber nur gelegentlich direkt aufgerufen, etwa mit der Bemerkung, hinsichtlich der Rolle des Individuums sei er mit den besten Beurteilern hoher Kulturperioden darin einig, dass auch das eminente Individuum längst nicht so viel Freiheit besitze, als gewöhnlich angenommen werde. Je älter Ranke geworden sei, um so weniger habe er von dem Einfluß großer Persönlichkeiten wissen wollen (105). - 435 -

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Die Entstehung der historischen Ideenlehre begreife sich [ein verloren gegangener Gedanke] nicht nur vom „künstlerischen Bedürfnis der Darstellung aus“ (107), sondern mehr noch von einer anderen Seite: „Glaubte nämlich diese Auffassung ein besonders starkes Einwirken einzelner Persönlichkeiten auf die Gesamtentwicklung wahrzunehmen, so übersah sie doch nicht, dass ein solches Wirken schwerlich aus eigener Kraft möglich sei: dass vielmehr die persönliche Initiative dabei durch geheimnisvolle Kräfte objektiven Charakters unterstützt werde. Indem es ihr nun nicht gelang, diese Kräfte empirisch genügend zu analysieren, hypostasierte sie dieselben zu Ideen und schrieb ihre Herkunft göttlicher Emanation zu. Die historische Persönlichkeit erschien damit als spezifischer Träger einer übrigens auch sonst in die Welt gelangenden Idee; ihre Mission war es, sie durchzuführen, oder in dem Versuch ihrer Durchführung ruhmvoll unterzugehen. Das sind die wesentlichen Züge einer bestimmten Richtung der Ideenlehre, wie sie sich bei Schlosser, Gervinus, Ranke in ziemlich identischer Form verfolgen lassen. Ranke hat bekanntlich gerade von dieser Richtung niemals gelassen, im Gegenteil sie immer entschiedener ausgebildet; und seine Schule ist in seinem Schema verharrt.“ (108). Gegen Lamprechts Theorien wandte sich im Folgejahr 1897 Rachfahl mit einem ausschließlich der Widerlegung gewidmeten Beitrag, der sich dem KollektivismusTitel Meineckes vom Vorjahr signalisierend anschloß, betitelt ‚Ueber die Theorie einer „kollektivistischen“ Geschichtswissenschaft‘: „Indem wir Lamprecht’s Lehre von der eigentümlichen Geltung der Antinomie zwischen Freiheit und Notwendigkeit auf dem Gebiete der geschichtlichen Handlungen zurückwiesen, war auch bereits der Urteilsspruch über seine Lehre von der Immanenz der psychischen Kausalzusammenhänge gesprochen...“ (680). - Dabei wird nun auch eine kurze Zurückweisung der Meinung Lamprechts, „Ranke sei von der Ansicht des Staatsvertrages ausgegangen“ (664, bezogen auf SW 24, 237f.), hauptsächlich aber eine Erörterung des Rankeschen Ideenbegriffs in der Deutung Lamprechts unternommen. Während nach Lamprecht der Schwerpunkt der Rankeschen ‚Ideen‘ in ihrer Transzendenz liege, macht Rachfahl geltend, „daß man zwischen metaphysischer und empirischer Bedeutung der Ideen zu unterscheiden habe, und daß selbst bei Ranke für die wissenschaftliche Beurteilung nur ihr empirischer Charakter in Betracht komme...“ (676). Lamprechts immanente „sozialpsychische Faktoren“ liefen schließlich auf nichts anderes hinaus, „als auf eine erneuerte und verfälschte Auflage der Ranke’schen Ideenlehre“ (686). Der „Grundfehler“ der kollektivistischen Theorie Lamprechts, welche versuche, „das Individuum zu Gunsten der Massen zu eliminieren“, sei „die Uebertragung des naturwissenschaftlichen Kausalbegriffes auf das Gebiet des historischen Erkennens.“ (688). Lamprecht wiederum wehrte sich im selben Jahr mit einem Beitrag zu den ‚Jahrbüchern für Nationalökonomie und Statistik‘, betitelt ‚Individualität, Idee und sozialpsychische Kraft in der Geschichte‘, gegen eine Verkennung seiner ‚sozialpsychischen Faktoren‘. Dem schloß sich in der Zeitschrift allerdings unmittelbar eine ‚Bemerkung zu Obigem‘ von Rachfahl an. Sie galt wiederum den Rankeschen ‚Ideen‘, wozu Rachfahl erklärte, „daß für die wissenschaftliche Auffassung der Ranke’schen Ideenlehre trotz gelegentlicher eigener Bemerkungen Ranke’s auch über ihre metaphysische Bedeutung doch nur ihr empirischer Kern in Betracht käme, und daß man demzufolge unter den Ideen Ranke’s nichts weiter zu verstehen habe als allgemein ein Zeitalter, ein Volk oder eine bestimmte Gesellschaftsgruppe beherrschende Anschauungen, und zwar in erster Reihe diejenigen, die das Werden zumal in Staat und Kirche - 436 -

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bestimmt haben…“, und diese entsprächen „ungefähr“ den sozialpsychischen Faktoren Lamprechts, „wenn man diese aus der metaphysischen Sphäre, in die sie ihr Autor gerückt“ habe, „wieder auf den Boden der Erfahrungswissenschaft“ zurückführe, „ indem man sie nämlich von dem Merkmale der Notwendigkeit“ entlaste, das Lamprecht ihnen „aufgedrückt“ habe (901). Rachfahls abträgliches Urteil einer ungefähren Entsprechung von Rankes ‚Ideen‘ und Lamprechts ‚sozialpsychischen Faktoren‘ übernahm Hermann Oncken und propagierte es in seiner Historik-Vorlesung vom Wintersemester 1900/01 (Ms.-Nachweis: Blanke: Selbstreflexion/1994, 122, A. 23). Noch im Jahre 1897 trat Lamprecht mit einem umfangreichen Beitrag ‚Über die Entwicklungsstufen der deutschen Geschichtswissenschaft‘ auf, der jenseits der Auseinandersetzung mit Rachfahl seine gelegentlich unbeachtete konzentrierteste, differenzierteste und zugleich mildeste Würdigung Rankes als „glänzendster Vertreter der in der Ideenlehre verkörperten Auffassung der Geschichte“ bietet: „…vom lebhaftesten ästhetischen Drang … getrieben, in reiner Wahrheitsliebe gewillt, durch eine Forschung, der er einen fast priesterlichen Charakter zuschrieb, die göttliche Mär der Weltgeschichte zu enthüllen, in seinem Vorhaben gestützt durch die neue geschichtliche Forschungsmethode Niebuhrs, wird er zu dem repräsentativen Historiker des Jahrhunderts. Von der kulturgeschichtlichen Strömung des vorigen Jahrhunderts soweit berührt, daß er dessen kosmopolitischen Charakter annimmt, beginnt er alsbald mit universalhistorischen Arbeiten.“ (14) … „So sehr ihm das geschichtliche Geschehen der Ausfluß göttlicher Ideen ist, so wenig geht er doch völlig in den Gedankenkreisen der Idealphilosophie auf, vielmehr verbindet er mit ihnen einen persönlichen, aus früher Lektüre Luthers besonders gefestigten Gottesglauben, und so sehr er mit der Idealphilosophie das Problem von Freiheit und Notwendigkeit, insofern es sich geschichtlich gestaltet, nur anerkennt als ein solches der Antinomie zwischen persönlicher und staatlicher Energie, so sehr er mithin den Staat als den einzigen Gesellschaftskörper von geschichtlicher Bedeutung auffaßt, so vernachlässigt er trotzdem nicht durchaus die geistige, im engeren Sinne des Worts kulturgeschichtliche Bedeutung der Kunst, der Wissenschaft und namentlich der Religion, auch soweit sich diese nicht innerhalb der Sphäre des Staates ausleben.“ (15) … Seine Schule erstrecke sich bis in die Gegenwart, „wenn auch in abgeblaßter Form und unter Verzicht auf den eigentlichen idealen Gehalt der Ideenlehre.“ (16). - Lamprechts nächstjähriger Kurzbeitrag über ‚Die Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft vornehmlich seit Herder‘, ein auf dem 5. Deutschen Historikertag gehaltener Vortrag, stellt eine den ‚Entwicklungsstufen‘ von 1897 ähnliche, wenn auch knappere Würdigung des „gewaltigsten historischen Genies dieses und vieler anderer Jahrhunderte“ dar (491). - Das Lob Rankes bereitete ihm keine Probleme. Je höher er ihn stellte, desto höher stand auch er als sein Überwinder: Erst die von ihm selbst vertretene „vergleichende Methode“ habe in die Geschichtswissenschaft an Stelle der alten Teleologie - „unbewußt teleologisch verfährt noch Ranke“ (495) - die Kausalität gebracht und damit „an Stelle eines zu erreichenden, metaphysisch entwickelten Zieles einen empirisch zu erforschenden Keim der Entwicklung“ (ebd.). Neben der Verschärfung der Auseinandersetzungen wurde doch auch schon bald von verschiedenen Seiten ein Ausgleich der sichtbar gewordenen Gegensätze von Kulturgeschichtsschreibung und politischer, von entwickelnder und deskriptiver, von individualistischer und kollektivistischer Geschichtsschreibung, von Determiniertheit - 437 -

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und Undeterminiertheit des Geschehens versucht, vor allem von so unterschiedlichen Geistern wie Kurt Breysig und Otto Hintze. - Breysig gehört zu den bedeutendsten und grundsätzlichsten Kritikern Rankes. In seinen Lebenserinnerungen schildert er die Lektüre Rankes in seiner Schulzeit, vor allem die Begeisterung, welche die ‚Osmanen‘, die ‚Französische‘, die ‚Englische Geschichte‘ und Rankes ‚Hardenberg‘, auch im Vergleich mit Treitschke - „zu laut, zu viel Meyerbeer-Fanfaren“ (Breysig/1962, 13) während der ersten beiden Tübinger Semester bei ihm ausgelöst hatten (12f., 91). Mit seiner Doktorarbeit folgt er einem Hinweis Rankes in dessen ‚Zwölf Büchern preußischer Geschichte‘ auf eine Lücke in der Kenntnis des Prozesses gegen Eberhard Danckelmann (20f.). - In seinem Tagebuch zum 9. 7. 1902 notiert Breysig für die Konzeption seiner ‚Geschichte der Menschheit‘ (Bd. I, 1907): „Schluß: Erinnerung an Herder, seinen Versuch; kein einziger der Göttingen; Ranke rückwärts wirkend, beschreibend, politisch, zu enger Bereich. Heute ist die Bahn frei. Kulturgeschichte war zu eng.“ (104). - An Hans Driesch schreibt er im Juni 1913: „... in Rankes, Treitschkes Schatten war nichts anderes denkbar als Darstellen.“ (119). - An Dens., 14. 10. 1919: Er empfindet „Hegel sehr verwandt“, den er „so ganz von dem Gedanken der Entwicklung beherrscht sieht“. „Das habe ich immer als meine eigene Losung empfunden (mit Lamprecht zusammen) gegen alle eigentliche Historik, die durch Ranke bis heute völlig deskriptivistisch abgestempelt ist.“ (135). - Schon 1896 - in diesem Jahr wurde er, wie Hintze von Schmoller gefördert, a. o. Professor in Berlin (Hering, Ernst: Breysig, Kurt. In: NDB 2/1955), 609 f.) - hatte Breysig sich öffentlich mit Ranke auseinandergesetzt. In seinem frühen und noch angenehm unpathetisch gehaltenen, systematisch angelegten Beitrag ‚Über Entwicklungsgeschichte‘ schloß er sich zunächst - uneingestanden - Rankes Ansicht vom Kunstcharakter der Historie an (161), wies zudem ausdrücklich darauf hin, daß Ranke in den meisten seiner Werke die für Institutionen wie Persönlichkeiten erforderliche „Ergänzung der Geschichte der auswärtigen Politik eines Staates durch die der inneren“ nicht vorgenommen habe (164) und insofern als „mustergültiges Beispiel“ nicht mehr gelten dürfe (164), sah auch in dessen Reformationsgeschichte „das Hauptproblem der Geschichte dieser Periode unberührt gelassen“. Ranke habe die Frage, „ob Luther denn wirklich ein Erneuerer der Lehre Christi gewesen sei, nicht einmal aufgeworfen.“ (166). Daß Ranke, wie Breysig behauptet, überdies „die Entstehung des Christentums“ aus seiner Weltgeschichte „vollständig eliminiert“ habe (166), stellt indes einen groben Irrtum dar (WG III/1883, 150-193: ‚Ursprung des Christenthums‘). - Der Beitrag ist in erster Linie dem hochaktuellen Thema ‚Kulturgeschichte versus Politische Geschichte‘ gewidmet. Zur Lösung des Problems plädiert Breysig für eine „einheitliche allgemeine Geschichtsschreibung“ mit einem gleichberechtigen Nebeneinander von „socialem, wirtschaftlichem und geistigem Leben der Völker“ mit der Politik (173). Zugleich soll diese allgemeine Geschichtsschreibung eine entwickelnde sein, wobei dem Begriff der ‚Entwicklung‘, wie bei Lamprecht, der auf einer anderen Ebene angesiedelte Begriff ‚Deskription‘ ungeschickt gegenübergestellt wird. Während die Kulturgeschichtsschreibung bereits mehrfach das Prinzip der Entwicklung anwende, verfahre die alte politische Geschichte durchweg fragmentarisch - dies war Ranke permanent vorgeworfen worden (s. I, 74, 194ff.) - und deskriptiv (194). „Geistige Basis“ wie auch „Ziel“ der Entwicklungsgeschichte ist „die Kausalität alles Geschehens“ (195). Die damit gegebene Determiniertheit gilt auch für die menschlichen Aktionen: Nach Breysigs einmal deutlich ausgesprochener Überzeugung ist damit die „Willensfreiheit ... aus der Betrachtung des Menschenlebens und der Geschichte eliminiert.“ 200). - Im Folgejahr - 438 -

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1897 lieferte Breysig im ‚Literarischen Centralblatt‘ eine später nicht mehr beachtete konzentrierte Besprechung von Rankes ‚Weltgeschichte‘, wobei er auf deren Inhalt nicht näher einging, vielmehr die Frage aufwarf: „übertraf ... Rankes Werk, und insonderheit seine Weltgeschichte, alle seine Vorgänger?“ (Br[ey]s[i]g, K./1897, 867). Und da ist es Breysigs Idol Herder, der vor Ranke zweierlei voraushabe: Er beziehe die Kulturvölker Asiens, von denen Ranke nur die westlichen in Betracht gezogen habe, „ganz und gar in den Kreis seiner Darstellung ein“, vor allem aber habe Herder „überall den großen Entwickelungsgang der führenden Nationen im Auge“, der „Geist ganzer Zeitalter“ schwebe ihm als Totalität vor“, und er sehe „die überlieferte Geschichte der Völker noch in einem viel weiteren Zusammenhang“. Sein Buch [‚Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‘] sei „voll von systematischer Wissenschaft, von Sociologie, Psychologie, Ethik, selbst von Naturerkenntniß“. Diese Verbindungen, die der Historie „im Grunde erst den nöthigen systematischen Halt“ gewährten, seien von Ranke „kurzer Hand abgeschnitten“: „im Vergleich zu Herder ist er nur Empiriker, nur Pfleger der Ueberlieferung. Die Entwickelung der Menschheit löst sich vor seinem Blick wieder auf in eine kaum übersehbare Fülle von einzelnen Ereignissen und Handlungen ... der Sinn für die Einheit ... ist ihm verloren gegangen“ (ebd.). Zu den „leuchtendsten von Ranke’s Ruhmestiteln“ rechnet Breysig dessen „historische Gerechtigkeit und Objectivität“ (Sp. 868). - 1901 befaßte sich Breysig in einem ‚Versuch begriffsmäßiger Geschichtsschreibung‘ erneut mit Ranke und der sogenannten ‚RankeSchule‘, indem er ablehnend die Warnung aussprach: “...was Ranke aus dem höchst persönlichen Recht seines Genius und aus der Richtung seiner Zeit heraus durfte, wird zur Fessel, wenn es als heute geltende Regel, und zur Thorheit, wenn es zur ewigen Richtschnur erhoben wird.“ (722). - Übrigens hat Breysig in einem Beitrag ‚Maßstäbe der Geschichtswissenschaft‘ (1902) sich zu „Marxens Verdienst um die Geschichtsforschung“ bekannt, das „von den Geschichtsschreibern längst anerkannt“ worden wäre, könnten sie sich von dem übermächtigen Bau des rankischen Erbteils befreien“ (13). Einig darin war sich mit ihm Franz Schnabel (1925, s. I, 478). In einem Vortrag auf dem ‚Internationalen Kongreß für historische Wissenschaften‘ zu Berlin im Jahre 1908 mit dem Titel ‚Über die Ziele und die Wege einer vergleichenden weltgeschichtlichen Forschung‘ nahm Breysig, nachdem er Rankes ‚Weltgeschichte‘ 1905 seine Studie ‚Der Stufen-Bau und die Gesetze der Welt-Geschichte‘ entgegengesetzt hatte, dies für seine eigene Arbeit in Anspruch. Zwar lobt er Ranke, der als einziger das „volle Recht dieses herrscherlichen Planes“ gehabt habe, in seiner ‚Weltgeschichte‘ „das Ganze der Wissenschaft in seinem Ich widerzuspiegeln“ (Breysig/1908, 218), erledigt dann jedoch die Rankesche zeitlich und räumlich höchst eingeschränkte Konzeption durch die Forderung einer umfassenden Darstellung des „geistigen und des handelnden Erlebens aller Völker, soweit es von allgemeiner Bedeutung ist“ (219). Neben dieser Forderung nach ‚Vollständigkeit‘ ist es die nach Durchführung des Entwicklungsgedankens, die er für die allgemeine und im besonderen für die weltgeschichtliche Forschung erhebt. Und so stellt er der beschreibenden, auch, wie oben, ‚deskriptivistisch‘ genannten Methode Rankes sein Modell einer ‚Entwicklungsgeschichte‘ entgegen (222ff.), ohne signifikanten Neuigkeitswert. Man erinnert sich des Wortes Lamprechts im Eingangsband seiner ‚Deutschen Geschichte‘, wo er gegen Ranke die Absicht formulierte, zu zeigen, wie es eigentlich „geworden“ (1891, 6), und Georg Winter hatte darauf hingewiesen, daß der schon früher angewandte Begriff der ‚historischen Entwicklung‘ „namentlich von Karl Wilhelm Nitzsch mit genialer Sicher- 439 -

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heit“ angewandt worden sei (Winter: Die Gegensätze in der dt. Geschichtswissenschaft/1898, 1). - Auch später (1932) wird Breysig sich, nicht minder deutlich, zu Rankes Weltgeschichts-Konzeption sowie zu seinen Objektivitätsbestrebungen und seinem Verhältnis zur Romantik äußern (s. I, 488). Es ist von Interesse zu sehen, wie desgleichen von anderer Seite eine die mehrfache Antithetik der Auseinandersetzung von politischer und Kulturgeschichte überwindende höhere Einsicht gesucht wurde, durch den 1895 bei Treitschke und Schmoller habilitierten Otto Hintze (1861-1940. Oestreich, Gerhard: Hintze, Otto. In: NDB 9/1972, 194-196), zunächst in seinem 1897 erschienenen Beitrag ‚Über individualistische und kollektivistische Geschichtsauffassung‘. Hintze konstatierte ablehnend bei Lamprecht „einen scharfen Unterschied zwischen dem Gebiet des individuellen Handelns der eminenten Persönlichkeiten und dem des kollektivistischen Geschehens. Das erste ist ihm das Gebiet des Singulären, das andere das des Generellen. Hier herrscht die Freiheit (im Sinne des inneren Determinismus), dort die Notwendigkeit (im Sinne der erweisbaren Kausalität).“ (318, Zitate nach Ges. Abhh. II/1982). Da es jedoch „im historischen Leben ebensowenig Vorgänge rein genereller Natur“ gebe „wie solche rein individueller Natur“ (320), kann Hintze „auch nicht zugeben, daß es zwei verschiedene historische Methoden gebe, eine kollektivistische und eine individualistische; und ebensowenig, daß es zwei verschiedene historische Disziplinen gebe, die sogenannte politische und die sogenannte Kulturgeschichte.“ (Ebd.). Einen Fortschritt, auch Ranke gegenüber, sieht Hintze darin, „daß die historische Wissenschaft auf die breite Basis einer möglichst in die Tiefe reichenden sozialpsychischen Forschung gesetzt werden muß.“ (321). Auch erschienen die Nationen und Staaten „mehr als große Gesamtindividualitäten wie als gleichartige Gattungsexemplare. Wo eine parallele Entwicklung vorhanden ist, wie innerhalb der romanisch-germanischen Völkerfamilie, da beruht sie auf gemeinsamen Kulturgrundlagen, die aber keine Naturausstattung, sondern weltgeschichtliche| Errungenschaften sind. Diese Auffassung, die Ranke in so genialer Weise zur Anschauung gebracht hat, wird auch die Fortbildung der Geschichte auf breiterer Basis nicht zerstören können.“ (321f.). - Was den Begriff der historischen Ideen anbelangt, so ist Hintze dagegen, ihn aufzugeben, zumal ihr immanenter Charakter „unter Historikern aller Richtungen ziemlich allgemein anerkannt“ sein dürfe. Auch könne er nicht finden, „daß Ranke in seiner Auffassung der Ideen etwas Mystisches habe“, wenn man von dem immer gegebenen „Geheimnis des Lebens“ absehe (319). - In einem seinem Lehrer Johann Gustav Droysen gewidmeten Artikel zur ‚Allgemeinen Deutschen Biographie‘ hat Hintze 1904 verschiedentlich das Verhältnis Droysen - Ranke berührt. - Hintze hat sich, so schrieb Srbik in einer anerkennenden Würdigung, „der strengsten staatlichen und gesellschaftlichen Arbeit an den Kollektivpersönlichkeiten zugewandt“ (Srbik: GeistII/1951, 10), wie er dies anläßlich der Antrittsrede in der Preußischen Akademie der Wissenschaften 1914, seine wissenschaftlichen Lebensziele formulierend, bekannt hat: „Das eigentliche Ziel, das mir bei meinen wissenschaftlichen Bemühungen vorschwebte, war von Anfang an eine allgemeine vergleichende Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte der neueren Staatenwelt, namentlich der romanischen und germanischen Völker. Nach dieser Richtung hin schien mir das große Lebenswerk Rankes am meisten der Ergänzung fähig und bedürftig...“ (564, Zitat nach Ges. Abhh. I/1970; s. auch u. 1926 u.1927). - Auf Hintze ist zur Zeit der Weimarer Republik noch einmal zurückzukommen, anläßlich seines 1927 erschienenen Beitrags über ‚Troeltsch und die Probleme des Historismus‘. Vom - 440 -

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Wandel des „schroffsten Imperialisten des Kaiserreichs“ zum „fast Sozialisten in der Republik“, wie Eckart Kehr Hintze in einer nachgelassenen Aufzeichnung nannte (Kehr/1965, 260), überhaupt von seiner politischer Einstellung, wird in der Beurteilung Rankes kaum etwas sichtbar. Hier gibt er sich nicht machtpolitisch, sondern geschichtsphilosophisch. Gut rankisch ist gewiß, was Ludwig Dehio über Hintze schrieb: „Im Ganzen herrscht der Glaube an die Harmonie eines bevorstehenden Weltgleichgewichts“. Doch daß Deutschland in der Sicht Hintzes „die Bahn für die Freiheit aller Völker“ (Dehio 1950/1955, 54) breche, war weder rankisch noch realistisch. Dem „ganz und gar verschrobenen“ System Lamprechts stellte sich 1898 in einem mit polemischen und herabwürdigenden Ausfällen versehenen Beitrag mit dem Titel ‚Die neue historische Methode‘ der bei dem Ranke-Schüler Moriz Ritter promovierte streitbare Marburger Ordinarius Georg von Below (1858-1927) entgegen. Wie Meineckes Beitrag von 1896 erschien auch der Belowsche wiederum in der von Lamprecht nunmehr als Kampforgan gegen sich empfundenen ‚Historischen Zeitschrift‘. Hermann Aubin hat Below später als einen „strengen Anwalt der historischen Methode“ bezeichnet, der „die Annahme zwingender Kausalgesetze in der Geschichte wie auch Entwicklungsschemata“ abgelehnt, „dagegen die Bedeutung des Individuums und der individuellen Vorgänge im Geschichtsablauf“ hervorgehoben habe. Sein „romantischer Idealismus“ sei „in erster Linie seiner überkommenen Religiosität lutherischer Prägung, in zweiter Linie seinem Nationalbewußtsein“ entstammt, „das trotz seiner spezifisch preußischen Abkunft ganz allgemein deutsch“ gewesen sei. (Hermann Aubin: Below, Georg Anton Hugo von. In: NDB 2/1955, 32f.). All dies, so auch sein Vortrag über ‚Die Bedeutung der Reformation für die politische Bildung‘ (Lpz. 1919), weist Below, was Aubin nicht in den Blick nimmt, als einen Rankeaner stärkerer Prägung aus. Zu Belows Ranke-Durchdrungenheit sei ferner hingewiesen auf seine Freiburger (i. Br.) Antrittsvorlesung als Ordinarius im Jahre 1905, die er unter dem Titel ‚Heinrich Leo, Leopold von Ranke und die deutsche Kulturgeschichte‘ hielt (Cymorek/1998, 62). - Zum Thema ‚Ranke‘ wird auch in Belows o. g. Beitrag über ‚Die neue historische Methode‘ hauptsächlich auf dessen ‚Ideenlehre‘ abgestellt. Von dieser habe Lamprecht, der im übrigen als bloßer „Antiquar“ (269) und als „kindlich“ (268) bezeichnet wird, „gar keine Ahnung“ (206). Den von Lamprecht unterstellten „historischen Mystizismus“ der Rankeschen Ideen weist Below mit Rückgriff auf ein in der Tat passendes Einzelzitat aus Rankes Vorträgen vor Maximilian von 1854 (WG IX/2, 7) unter Mißachtung des z. T. widersprüchlichen Gesamtfundus vorschnell zurück (206). Ranke werde von Lamprecht als „vorweltlich“ dargestellt, um auf diese Weise „die Originalität seiner Theorie“ der „sozialpsychischen Entwicklungsstufen“ zu unterstreichen (205f.). Lamprecht selbst replizierte Belows Beitrag ‚Die neue historische Methode‘ von 1898 sogleich mit seiner Schrift ‚Die historische Methode des Herrn von Below. Eine Kritik‘. Bln. 1899 (50 S.). Hierin tritt er den Auffassungen Belows über die historischen Gesetze, die geschichtliche Entwicklung und die Kausalität in der Geschichte (8ff.) entgegen. Abschließend bereitet es ihm Vergnügen, einen Ranke betreffenden peinlichen lapsus Belows richtig zu stellen: Wo Below über die „wissenschaftlichen Fundamentalfunktionen des Historikers“ spreche, deren Beherrschung Ranke vom Historiker verlangt habe und - das ist von Interesse - die einem jeden Studenten schon der ersten Semester zugeführt würden, nämlich die „Funktionen der Kritik, der Perzeption und der Penetration“ (252), operiere Below mehrfach mit „Kritik, Präcision und Penetration“. Nun muß man Below zugute halten, daß Georg Waitz in Erinnerung - 441 -

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an Rankes historische Übungen ebenfalls von „Kritik, Präcision und Penetration“ gesprochen hatte, als von diesem aufgestellte „Pflichten des Historikers“ (Waitz/1867, 4). Bevor Lamprecht seine selbstgewissen, im Aufklärungshabitus vorgetragenen, doch auch vitalisierenden Erkenntnisse bzw. Thesen weiter vorführte, veröffentlichte der in Leipzig tätige Hermann Barge (1870-1941) 1898 eine der zwar seltenen, indes nicht allein quantitativ unzureichenden historiographiegeschichtlichen Arbeiten der Zeit: ‚Die Entwicklung der geschichtswissenschaftlichen Anschauungen in Deutschland‘, Leipzig (36 S.). Sie läßt in wesentlichen Fragen Einflüsse Lamprechts ahnen. Ranke, der die Geschichtswissenschaft „zu einer bisher noch nie erreichten universellen Höhe“ erhoben habe (9), sei vom „Hauch der nationalen Begeisterung ... nie berührt worden“ (ebd.). Seine Darstellung - „wenn schon von mysticierender Manier nicht frei“ -, verrate „ein hohes künstlerisches Vermögen“ (10). In der „endgültigen Ausprägung seiner weltgeschichtlichen Anschauungen“ habe er sich „eng an die herrschende idealistische Philosophie seiner Zeit“ angeschlossen (ebd.). Barge skizziert sodann in völlig überzogener Weise den Einfluß Fichtes und Schellings und das Verhältnis Rankes zu Hegel: „Alle wesentlichen Züge der idealistischen Philosophie“ fänden sich bei Ranke „praktisch durchgeführt in seinen Werken wieder“ (13), im besonderen das Prinzip der Teleologie. Bemerkenswert - jedoch nur in seiner Begründung - ist der Versuch Barges, an Beispielen nachzuweisen, daß Ranke durch seine „geschichtsphilosophischen Voraussetzungen teils dazu geführt“ worden sei, „gewichtige Charakterzüge“ der dargestellten Persönlichkeiten „zu verschweigen“ (15). Nicht neu ist die u. a. bei Nietzsche auftretende Feststellung (causa fortior, s. I, 157), Rankes Grundsätze hätten „praktisch ... zu einer unbedingten Verherrlichung des Erfolgs“ geführt (16). Währenddessen hatte sich die Lamprechtsche Kritik in vermeintlich vernichtender Freundlichkeit weiter manifestiert. In seinem 1900 erschienenen Werk ‚Die kulturhistorische Methode‘, wurde Ranke als „größter Praktiker“ der sogenannten ‚Ideenlehre‘ neben ihrem „größten Theoretiker“, Wilhelm von Humboldt, genannt (23). Doch seien Rankes Ideen aufgrund ihres induktiven Charakters „der Kausalität enthoben“ (ebd. u. f.). Ähnlich hatte es auch Paul Barth gesehen (s. I, 417). Der Fehler der Ideenlehre sei, so Lamprecht, daß sie, nur auf das Singuläre an den Erscheinungen gerichtet, zu Anschauungen und nicht zu Begriffen führe; die Wissenschaft sei aber „niemals ein Gebäude von Anschauungen, sondern immer nur von Begriffen“ (25). Mit dieser Feststellung ist vermeintlich „die Ideenlehre als w i s s e n s c h a f t l i c h e Methode gerichtet“ (i. T., ebd.). Hier setzt nach Lamprecht die angeblich von ihm gefundene „kulturhistorische Methode“ ein. - Trotz der Einwände Belows hält Lamprecht auch in seiner Vortragssammlung von 1905 mit dem Titel ‚Moderne Geschichtswissenschaft‘ an der uneingeschränkten Auffassung des transzendenten Charakters der Rankeschen ‚Ideen‘ fest, wodurch die Feststellung ermöglicht wird, Ranke habe „im tiefsten Weltanschauungsgrunde“ der großen idealistischen Philosophie der deutschen Romantik gehuldigt (8). „...man darf sagen, daß heute so gut wie niemand mehr an die Transzendenz der historischen Ideen - wenigstens völlig oder selbst noch im Sinne Rankes - glaubt, daß dagegen die Nützlichkeit der in ihnen enthaltenen Begriffsform zur Zusammenfassung größerer individualpsychischer Ereignisreihen allgemein anerkannt ist.“ (9). Ranke sei in der Konkurrenz individualpsychologischer und sozialpsychologischer Anschauungen zum Meister gereift: „dieses Zusammenfallen, in gewissem Sinne überaus glücklich und jedenfalls einziggeartet, gibt ihm und seinen Werken für immer eine besondere Stellung.“ (12f.). - 442 -

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Zu erwähnen an dieser Stelle ist auch eine Arbeit von Wahan Nalbandian, ‚Leopold von Rankes Bildungsjahre und Geschichtsauffassung‘ (1901), die erste den Namen Rankes im Titel tragende Dissertation, welche in guter Literatur- und ausgebreiteter Werkkenntnis v. a. für Rankes Geschichtsanschauung einige grundsätzliche Fragen aufwirft. Die in Lamprechts Leipziger Seminar ziemlich unbeeinflußt entstandene, immer noch zu beachtende, wenn auch gelegentlich allzu distanzlose Arbeit befaßt sich u. a. in einem Kapitel mit Rankes ‚leitenden Ideen‘ und ihrer Deutung bei Lamprecht, Lorenz, Freytag u. a. Die von Nalbandian reichlich zusammengestellten Äußerungen Rankes, „diese dunkelen, unbestimmten, ja häufig sich widersprechenden Äußerungen an sich können ... keinen klaren Begriff über das eigentliche Wesen der Rankeschen Ideen geben.“ (60). „Hier und da“ könne man „Berührungspunkte“ zwischen Humboldts und Rankes Ideenlehre feststellen (75). Obgleich Ranke - „König der Historiographie“ (103) - „nur Begründer, aber kein Vollender“ war, sei er „einer der bedeutendsten Schöpfer der Autonomie der Geschichte als Wissenschaft“ gewesen (ebd). Von althistorischer Seite lassen sich zwei universalhistorisch ausgerichtete Stimmen vernehmen. Der Althistoriker und Ägyptologe Eduard Meyer (1855-1930) führt in einem 1902 erschienenen Beitrag ‚Zur Theorie und Methodik der Geschichte‘ (Zitate nach: Meyer: Kleine Schrr. zur Geschichtstheorie und zur wirtschaftl. u. polit. Gesch. d. Altertums, 1910) Rankes Geschichtsauffassung auf einen natürlichen Boden zurück: Obwohl Ranke als „strenggläubiger Christ gelegentlich jene Ausdrücke [‚Finger Gottes‘] verwendet“, habe er „doch niemals einer theologisierenden Auffassung der Geschichte, welche etwa in ihr die Verwirklichung eines göttlichen Planes aufzeigen wollte, Raum gegeben“ (26). - Dieser zurückgewiesenen theologisierenden Auffassung hingen später gleichwohl vor allem Carl Hinrichs im Hinblick auf Ranke und Wolfgang Hardtwig für die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts insgesamt und darüber hinaus vergebens an (s. I/2.5.5). - Der in besonderem Maße universalhistorisch und in dieser Hinsicht stark an Ranke orientierte Würzburger Althistoriker Julius Kaerst (1857-1930) betonte in einem Beitrag über ‚Die Geschichte des Altertums im Zusammenhange der allgemeinen Entwicklung der modernen historischen Forschung‘ (Kaerst/1902. Zitate nach Kaerst: Universalgeschichte/1930) die „Verbindung empirischer ... Forschung mit einer philosophischen Auffassung, die ein geistiges Erbe der deutschen Idealphilosophie bildet“ (48). - Indem Ranke „die einzelnen Nationen vornehmlich in ihrer Wirkung aufeinander, in der universalgeschichtlichen Verflechtung ihrer Schicksale“ fasse, dies hatte u. a. auch Erhardt (1905) hervorgehoben, führe er „einen wesentlichen Schritt weiter“ als Niebuhr (50). - In einem Vergleich Rankes mit Mommsen (Kaerst/1904. Zitate nach Kaerst: Universalgesch./1930) kennzeichnete er einleuchtend die unterschiedlichen Einflüsse, unter denen beider Geschichtsschreibung sich entfaltete, erstere „unter dem Einflusse einer vorwiegend konservativen gemeinsamen europäischen Politik, die in der Erhaltung und Stärkung der Solidarität der dynastischen Mächte Europas ihr Ziel zu haben schien“, letztere „vornehmlich aus den inneren, auf rein nationalem Boden sich bewegenden und zugleich auf eine freiheitliche Gestaltung des politischen Lebens gerichteten Tendenzen“ (70). Kaerst mutmaßt, daß „neben der grundlegenden, innerlich geschlossenen Rekonstruktion des römischen Volkstums“, die Mommsen zu verdanken sei, „der Universalismus Rankescher Betrachtungsweise auch für die Geschichte des Altertums in zunehmendem Maße seine Bedeutung gewinnen“ werde (86f.). So argumentierte er in seinen ‚Studien zur Entwicklung und Bedeutung der universalgeschichtlichen Anschauung mit - 443 -

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besonderer Berücksichtigung der Geschichte des Altertums‘ (1911 u. 1913) auch gegenüber Lamprecht. Kaerst zeigte sich dabei - in Auseinandersetzung mit Lamprechts typisierender Anschauung der Nationen - wieder von der „vornehmlich“ Ranke zu verdankenden Vorstellung erfüllt, daß die Nationen „aus umfassenden geschichtlichen Zusammenhängen, aus einer universalen Verflechtung historischer Elemente und Begebenheiten“ herauswüchsen (147, weiteres bes. 191 u. 210-211), wie nach Ranke überhaupt „alle historische Forschung ihrem Wesen nach universal“ sei (205). Neben der Universalität hob Kaerst auch - und daran lag ihm vor allem (s. I, 469) - die Bedeutung des Gesichtspunkts der Kontinuität des geschichtlichen Lebens hervor (156. Im Gegensatz dazu v. Wilamowitz-Moellendorff: Reden u. Vortrr./1901, 131f.). Ferner betonte er den Unterschied der empirisch gegründeten Ansicht Rankes von Geschichte und Nationalität und der Fichteschen Anschauung in ihrem „rein spekulativen Idealismus“ (146). Der Engländer George Peabody Gooch (1873-1968), Liberaler und Herausgeber der ‚Contemporary Review‘, der in seiner 1926 erschienenen ‚Selbstdarstellung‘ neben Ranke-Lektüre (115, 122) auch John Robert Seeleys (1834-1895) „grenzenlose Verehrung“ Rankes erwähnt (113, s. auch Herkless/1980), stieß doch nicht zu tieferen Problemen vor. In seinem populär-kritisch gemischten Beitrag zur ‚Cambridge Modern History‘ über die Entstehung der Geschichtswissenschaft wiederholte er im wesentlichen Gemeinplätze der Ranke-Zeit, so über das Verhältnis Ranke-Schlosser und Ranke-Leo. Vor allem aber habe der „beyond comparison ... greatest historical writer of modern times“ (Gooch/1910, 825), in seinem Werk - so vollkommen es auf seine Weise sei - doch das Volk und die der Entwicklung zugrunde liegenden Ideen nicht beschrieben. Seine harmonische Natur habe ihn blind gemacht für die großen Gefühlswallungen und Ausbrüche der Leidenschaft, blind für das Heldentum und die Tragik im Leben der Menschen (826). - Ausführlicher, wenn auch kaum anspruchsvoller stellte sich Goochs Werk über ‚History and historians in the nineteenth century‘ hinsichtlich Rankes dar (1913, Zitate nach der dt. Ausg. von 1964). In Kapitel VI: ‚Ranke‘ (87114), Kap. VII: ‚I Rankes Kritiker, II Rankes Schüler‘ (115-140) trifft man auf eine stellenweise an die Grenze des Feuilletons gehende Darstellung von Leben und Werk, die mit dem aus umfangreicher Belesenheit Erworbenen in unbekümmerter, häufig unbegründeter Selbstsicherheit umgeht. Ranke ist für Gooch ein nahezu problemloses Phänomen. Einer historiographiegeschichtlichen ‚Einordnung‘ Rankes, i. b. der Frage nach den Bildungsmächten weicht er weitestgehend aus. An die Stelle eigenen Urteils treten, auffallend gehäuft, zusammengewürfelte Urteile aus dem für Gooch allzu weiten Feld der Ranke-Kritik. Von einzelnen unglücklichen Formulierungen sei aufgeführt: „Rankes Hinwendung zur Geschichte geschah ... in Erfüllung seiner beruflichen Pflichten“ (88). - Insgesamt stehen die Ranke-Kapitel, und nicht nur diese, bei mangelnder Sorgfalt und Eindringlichkeit, auch in der späteren Fassung der 1960er Jahre, nicht auf der Höhe der Forschung, bieten aber eine unterhaltende Lektüre. Die langlebige, in mehrere Fremdsprachen übersetzte ‚Geschichte der neueren Historiographie‘ des noch jungen Schweizers Eduard Fueter (1876-1928) vom Jahre 1911 (Zitate nach dieser Erstaufl.) unterscheidet sich von der im Vorjahr erschienenen Darstellung Goochs - trotz Herausgeberschaft seines Werkes durch die Ranke besonders nahestehenden Below und Meinecke - vor allem durch eine deutliche, nahezu keine Möglichkeit auslassende Kritik Rankes. Einem eingeschränkten Lob des Geschichtsschreibers, der „einen Kompromiß zwischen der analysierenden Methode der - 444 -

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Aufklärung und der lebendig-farbigen Darstellung der Romantik“ versucht [!] habe (483), steht eine beträchtliche Beanstandung, wenn nicht gar Infragestellung des Forschers Ranke gegenüber. Seine Methode der Quellenbenutzung bedürfe „noch wesentlich der Korrektur und Ergänzung, damit sie als wissenschaftlich befriedigend gelten“ könne: Es folgen Vorwürfe hinsichtlich einer „doch wohl zu wenig kritischen“ und „einseitigen“ Quellenbenutzung, welche ihn dazu geführt habe, „geschichtliche Ereignisse in der Hauptsache vom Standpunkte der Regierungen aus zu beurteilen ...“ (480f.). Seine Methode könne auch „nur für einen verhältnismäßig kleinen Abschnitt der Geschichte zur Verwendung kommen“. Sie versage, „wo sie sich anderen Quellen als erzählenden“ gegenüber sehe (481). Mit urkundlich-geschäftsmäßigem Material habe Ranke „nichts Rechtes anzufangen“ gewußt (ebd.). Hierin sei die neuere Geschichtsforschung erfolgreich über ihn und sein „einseitig individuell-psychologisches Interesse“ hinausgeschritten (482). - Hinsichtlich der ‚Ideenlehre‘, die er in einem seltenen Hinweis auch bei August Neander vorgebildet sieht (485), schließt sich Fueter allzu schnell und unreflektiert der Immanenz-Deutung an, derzufolge es sich dabei im Falle Rankes lediglich um „konkrete Forderungen bestimmter Menschen“ handele (475). Er habe die verbreitete Neigung besessen, „materielle Interessenkämpfe mit Hilfe supponierter Ideen zu spiritualisieren“ (ebd.). Ranke habe die „spekulativ dogmatischen Konstruktionen der Romantik“ abgelehnt und „von ihren Lehren nur gelten“ lassen, „was mit seiner empirischen Betrachtung der Gegenwart übereinstimmte.“ (474). Überhaupt habe er „viele „Grundfragen der Geschichte ... nie einer exakten Prüfung“ unterzogen: „Seine geschichtsphilosophische Terminologie verzichtet mehr als billig auf die Verwendung scharf umrissener Begriffe. Nicht ganz mit Unrecht haben ihm moderne Kritiker Unklarheit und Widersprüche in der Stellung zu den wichtigsten Problemen der Politik und Soziologie vorgeworfen.“ (485). Fueter schließt mit der salvatorischen, doch nach dem Vorausgehenden kaum noch glaubhaften Formel: „keiner ist, auch in seiner Beschränkung, so vor allem Historiker gewesen wie er.“ (485). In Deutschland erreichte die Auseinandersetzung mit Karl Lamprecht in dieser Zeit keine neuen Höhepunkte, vielmehr ihre auslaufende Endphase. Walter Goetz (18671958), der Lamprecht in seinem Habilitationsverfahren nahegestanden hatte und später dessen Nachfolger in der Leitung des von diesem gegründeten ‚Instituts für Kultur- und Universalgeschichte‘ wurde - als Privatdozent hatte er dort 1895 Übungen „über Ranke“ abgehalten (Goetz: Aus dem Leben/1925, Zitate nach Goetz/1957, hier 33), so auch in den Wintersemestern 1921/22 und 1949 (Blanke, Jaeger/1994, 304, A. 166) -, verfehlte doch nicht, in einer auf Publizität abgestellten Rezension der ‚Frankfurter Zeitung‘ (‚Lamprechts Deutsche Geschichte‘, 7. 4. 1912, Zitate nach Goetz/1957) seine Meinung über dessen in den Jahren 1891 bis 1909 erschienenes Hauptwerk zu äußern: In Lamprechts Auffassung werde Ranke „in die Reihe der zwar verdienstvollen, aber doch noch ‚vorwissenschaftlichen‘ Geschichtsforscher eingefügt“ (300). Lamprechts Theorien stellten „eine vollständige Unterschätzung dessen, was Leopold Ranke war und wollte“, dar (301). - Die Beurteilung Lamprechts durch Goetz ist allerdings pauschaler und weniger belegt als die Ranke-Kritik Lamprechts, wie dessen aufgeführte Schriften zeigen. - Ferner betrachtete Goetz, am eigentlichen Problem vorbei, und dies dürfte in Leipzig besonders unangenehm berührt haben, den uneinheitlichen Darstellungsstil Lamprechts in einem kurzen Vergleich mit dem „klassischen“ Stil Rankes (304). - Ergänzungen finden sich in einer undatierten Aufzeichnung von Goetz über ‚Karl Lamprechts Stellung in der Geschichtswissenschaft‘, der in seinem Programm, - 445 -

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Staat und Kultur zu schildern, einen Gegensatz zu Ranke und seinem „unantastbaren großen Werk“ (i. T., ebd. 312) konstruiert, ja sich geradezu „zum Gegenpol Rankes“ (309) gemacht habe: „Wie Ranke selber kein ‚Individualhistoriker‘ und kein politischer Historiker im engeren Sinne war, so war auch seine Schule weit fruchtbarer und vielseitiger, als Lamprecht es die Welt glauben lassen wollte.“ (310). Die Grundlage von Lamprechts Geschichtsauffassung sei „zum mindesten schwer bestritten, wenn nicht heute schon überwunden.“ (312). Goetz, der als Neorankeaner galt, war seinem Vorbild gegenüber nur zu leisester Kritik fähig. Über Rankes ‚Weltgeschichte‘, die dieser erst mit dem Auftreten einer geschriebenen Überlieferung hatte beginnen lassen, bemerkte Goetz mit nur teilweiser Berechtigung: „Er konnte noch nicht ahnen, welche Überfülle von geschichtlichem Stoff die sogenannte Vorgeschichte seit dem 19. Jahrhundert ans Licht bringen sollte ...“ (77), dann aber: „erst der Einblick in die Entwicklung aller menschlichen Lebensformen“ führe „uns dem Sinn der Geschichte etwas näher.“ (ebd.). Für Goetz war jedoch in einem 1934 erschienenen Überblick über die mit dem neuen Jahrhundert aufsteigende „Flut von Weltgeschichten“ entscheidend: „Ob Ranke es selber verwirklicht hat, oder nicht - für ihn bedeutete die Universalgeschichte die Einheit alles Geschehens, den unauflösbaren Zusammenhang aller vom Menschen gestalteten Geschichte, die Entwicklung der Kultur.“ (Goetz/1934, 273). Die in den letzten Jahren vor seinem frühen Tod veröffentlichten Arbeiten Lamprechts sind hinsichtlich der Ranke-Beurteilung von entschärfter Natur. In seiner 1912 erschienenen ‚Einführung in das historische Denken‘, Erster Teil ‚Entwicklung des historischen Sinns in Deutschland‘ (6-53) gibt er zu, die Ideenlehre verhalte sich „zu der Frage, ob Staatengeschichte oder Geistesgeschichte, an sich indifferent. Nach beiden Seiten hin kann sie Anwendung finden, und so wird man auch nicht sagen können, daß Ranke der einen oder anderen Richtung grundsätzlich allein angehört hat. Die ganze Entwicklung der Zeitströmung wies ihm vielmehr in dieser Hinsicht eine ähnliche Stellung an wie Hegel. Darin beruht die noch heute fesselnde Universalität seiner Auffassung. Richtig ist dabei, daß er allerdings dem Gedanken der Staatengeschichte vornehmlich zugewandt war, eine Stellungnahme, die sich schon aus dem Umfange und der Aufbereitung des historischen Materials zu seiner Zeit begreift.“ (35). - Auch in seinem Beitrag ‚Neue Kulturgeschichte‘ von 1913 wird Ranke vornehmlich, sogar in übertriebener Weise hinsichtlich der ‚Ideenlehre‘ betrachtet: „Die volle Entwicklung der historischen Form der Idee ist das eigentliche Meisterwerk Rankes“ (455) und wiederum der aussichtslos, zumindest endlos scheinende Versuch einer Abgrenzung zu Hegel unternommen: „Während bei Ranke die Ideen kommen und gehen zu ihrer Zeit, im unaufklärbaren Auf- und Abschwellen aus Keimen, die wir nicht kennen, und zu Verfallsformen hin, die uns verborgen sind, nach willkürlich universalgeschichtlichen Maßnahmen eines persönlichen Gottes, ist bei Hegel die Vorstellung vielmehr die, daß das Absolute in der seelischen Entwicklung der Menschheit selbst einen Teil seiner gesetzmäßigen Verwirklichung erlebt.“ (456). Gleichwohl ähnele - und dabei wagt Lamprecht einen geistesgeschichtlichen Anachronismus - der im Hegelschen Triadensystem, von Lamprecht psychologisch gedeutet, enthaltene Entwicklungsvorgang „gleichsam einer philosophisch verlängerten und einer gewissen Gesetzmäßigkeit unterstellten Idee des historischen Geschehens nach Ranke…“ (ebd.). Nach Lamprechts Tod im Jahre 1915 erschien noch die von ihm angeregte und stark beeinflußte Dissertation von Karl Albert Märtz mit dem Titel ‚Die Methodik der Geschichtswissenschaft nach Ranke, Sigwart und Wundt‘. Sie versuchte, bei ganz - 446 -

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ungewöhnlicher Nichtbeachtung von Literatur, auf Seiten Rankes einen Aufriß seiner Geschichtsauffassung in toto (Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem, Wesen der Universalhistorie, Verhältnis der Universal- zur Nationalgeschichte und Biographie; Gott, Freiheit und Notwendigkeit, der Ideenbegriff usw.). Als Zentrum der Geschichtsauffassung Rankes erscheint Märtz die ganz auf Lamprechts Linie liegende „Hypostasierung der allgemeinen Tendenzen zu Ideen als metaphysischen Wesenheiten“ (23). Das Verhältnis von Sigwart und Wundt zu Ranke bestimmt Märtz nicht gerade differenziert so, als hätten diese „zeitlich ersten Hauptvertreter“ einer verstärkt psychologischen Richtung innerhalb der Geschichtsphilosophie die Rankeschen transzendenten Ideen „ihres transcendenten Charakters noch weiter entkleidet“, sie „noch mehr begreiflich gemacht“ (88). In der ‚Allgemeinen Zeitung‘ hingegen hoffte man, der mittlerweile begonnene „große Krieg“ werde „auch“ den beiden gegensätzlichen Schulen der politischen und der ‚Kulturhistoriker‘ „zur Einigung und zum endgültigen Frieden verhelfen“ (Hans Ring/1915, 337). Rankes Werke seien „ihrer hervorragenden Bildungswerte wegen geeignet und bestimmt, wie die eines Schiller und Goethe Gemeingut der ganzen Nation zu werden“. Durch ihn könne die „Gesamtbildung unseres Volkes nach der realen Seite hin aufs wertvollste“ gehoben und ergänzt werden, auch eine „vertiefte, politische Volksbildung“ durch ihn vermittelt werden. Allerdings habe die politische Geschichte seit Lamprecht „ein für allemal aufgehört ... als ‚die Geschichte‘ überhaupt zu gelten“ (336).

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4. Kapitel (I/2.2.4) DIE HISTORISCH-POLITISCHE PERSPEKTIVE ‚Die großen Mächte‘ und der Primat der auswärtigen Politik Die seit längerem bestehende ausgebreitete Politisierung der Historie in seiner Zeit dürfte auch Rankes Werk zuzuschreiben sein, jedoch in erheblich geringerem Maße als den politischen Verhältnissen des Jahrhunderts, welche unter dem starken Eindruck revolutionärer Bewegungen, kriegerischer Auseinandersetzungen und dem schließlich erfolgreichen Einheitsstreben standen. Dabei gilt eine Feststellung Meineckes, der daran erinnerte, „daß Ranke und seine jetzigen Jünger zur Gruppe der politischen Historiker im w e i t e r e n [i. T.] Sinne gehören. Der Staat und die Machtverhältnisse des Staatenlebens fesseln ihre Blicke mit in erster Linie. Sie unterscheiden sich aber von jener Gruppe der politischen Historiker, die sich um Droysen, Sybel und Treitschke sammelte, deutlich durch die Abwesenheit oder doch wenigstens durch ein sehr viel geringeres Maß bestimmter politischer und nationaler Tendenzen.“ (Meinecke/(1902), 1918, 212f.). Unter die jetzigen Jünger zählte er die noch zu betrachtenden Lenz, Delbrück, Rachfahl und Oncken. In den Diskussionen der ersten Jahrzehnte nach seinem Tod wird Ranke überwiegend der älteren, idealistischen politischen Geschichtswissenschaft mit individualistischer Betrachtung und deskriptiver Darstellung zugeordnet. Bei seinen Anhängern wird die ihm zugeschriebene Position begrüßt, bei seinen Gegnern getadelt. In der dezidiert politischen Komponente des Interesses an Ranke sind mehrere Ziele beschlossen. Zunächst wurde, wie sich zeigte, Ranke als Kronzeuge für den Vorrang der politischen Geschichte gegenüber der Kulturgeschichte eingesetzt. Von anderer Seite wurde gefragt, wie weit er überhaupt als Politiker anzusprechen sei. Darüber hatte man bereits unmittelbar nach seinem Tod Betrachtungen angestellt, mit überwiegend negativem Ergebnis. Dies wird sich nun wenigstens teilweise ändern, zumindest wird man im Sinne einer sich entwickelnden historiographiegeschichtlich orientierten Ranke-Forschung eine Klärung seiner Auffassung von Volk, Staat und Nation versuchen. Unmittelbar nach seinem Tod hatte man sich zunächst für die posthum veröffentlichten politischen Denkschriften interessiert, wobei zumeist dort, wo Ranke positiv beurteilt wurde, bereits eine selten im einzelnen begründete, jedenfalls doch starke Affinität zwischen seinen und Bismarcks Anschauungen vermerkt worden war. In späterer Zeit dürften der Tod Bismarcks nahe der Jahrhundertwende und das euphorische Weltmachtstreben der Wilhelminischen Epoche ins Gewicht gefallen sein. Denn die Themen ‚Bismarck‘ und auch ‚Friedrich der Große‘ scheinen sich nun zu Teil-Indikatoren für Ranke-Affinität zu entwickeln, kommen doch hier die Faktoren ‚Preußen‘, ‚Staatshistorie‘ und ‚Große Persönlichkeit‘ in machtvoller, erfolggekrönter und dramatischer Weise zusammen. Dem sich ebenso nationalgesinnt wie modisch ausbreitenden, gelegentlich strittigen Dauerthema ‚Ranke und Bismarck‘ gaben sich zahlreiche Historiker, v. a. Max Lenz, Friedrich Meinecke, Georg von Below, bis zu Franz Schnabel, Stefan Skalweit und Wilhelm Mommsen hin. Letztlich und vor allem handelte es sich im Reich der politischen Historiker jedoch nunmehr darum, einige Rankesche Gedanken zur Bestärkung nationalistischer und zur Legitimierung hegemonialer Phantasien oder Vorhaben zu nutzen. Zu seinen Lebzeiten hätte ihm kaum jemand Möglichkeiten dieser Art zugetraut - ohnedies war vor 1870 kein rechter Anlaß - 448 -

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zu solchem Streben gegeben - zumal seine in dieser Hinsicht brauchbaren Schriften damals kaum bekannt waren. ‚Die großen Mächte‘ (1833) und das ‚Politische Gespräch‘ (1836), beide aus der ehedem politisch mangels Entschiedenheit gescheiterten ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘, gewannen jedoch in der Vorkriegs- und Kriegszeit einen noch heutzutage bestehenden geradezu magischen, doch teilweise dunklen Glanz. Die Wilhelminische war auch die rechte Zeit zur Anerkennung eines ausgeprägten Konservativismus und Monarchismus, den Ranke nicht nur theoretisch vertreten, sondern auch in stets gesuchter Nähe zu den Mächtigen recht intensiv und vorteilhaft gelebt hatte. In Rankes Aufsätzen fand man nun, beglaubigt durch den vermeintlich objektivsten aller Objektiven, kaum in fertiger Form, jedoch teils in Umdeutung oder Mißverständnis, Argumente für eine Verherrlichung des Machtstaats und seine Stärkung im Inneren und nach außen. Von dem dort vorgebildeten Grundsatz eines Primats der Außenpolitik, verbunden mit dem letztlich harmonischen, jedoch hegemonial mißverstandenen actio-reactio-Verhältnis der großen, natürlich europäischen Mächte war der Schritt zu einer Verherrlichung von Kampf und Macht und zur Begründung von Vormacht auf der Grundlage eines höchsten Prinzips staatlicher Selbsterhaltung und Selbstentfaltung für manche Historiker nicht weit, all dies - bei Umdeutung von Rankes urteilsarmer Unparteilichkeit in Amoralismus - ohne Schuld. Wie später zutreffend bemerkt wurde, implizierte ja die „Tradition des Primats der Außenpolitik... nicht zuletzt das Ideal der wehrhaften geeinten Nation.“ (Faulenbach/1986,185). Für diese Entwicklung hat sich die Vorstellung der Existenz einer ‚Ranke-Renaissance‘ gebildet, ein Begriff, der sich zu einer vertrauten, wenn auch nicht durchaus vertrauenswürdigen historiographiegeschichtlichen Periodisierungsgröße entwickelte. Er wurde nicht erst 1962 geprägt, aber mit der damals erschienenen Arbeit von HansHeinz Krill, ‚Die Rankerenaissance. Max Lenz und Erich Marcks. Ein Beitrag zum historisch-politischen Denken in Deutschland 1880-1935‘, in bestimmter, weithin übernommener Weise festgelegt. Zuvor hatte sich vor allem Ludwig Dehio in einem 1950 erschienenen Beitrag über ‚Ranke und der deutsche Imperialismus‘ des Themas angenommen. Er sah in seiner Studie, die mit den Anfängen der Weimarer Republik endet, einen „Großteil unserer Historiker“, vornehmlich jedoch Max Lenz, Hans Delbrück, Otto Hintze, Erich Marcks, Friedrich Meinecke und als dii minores Gustav Adolf Rein und Wolfgang Windelband in der von Walter Vogel (Das neue Europa und seine historisch-geographischen Grundlagen, Bonn, Lpz. 1921, 51) gekennzeichneten „deutschen Auffassung von 1914“ befangen, „daß es allerdings Deutschlands geschichtlicher Beruf sei, den Zustand des europäischen Gleichgewichtes in einen solchen des Weltgleichgewichtes zu überführen“ (Dehio 1950/1955, 59f.). Diese letztlich hegemonialen Illusionen führte Dehio auf das bei den genannten Historikern expansiv wirkende Rankesche Modell der ‚großen Mächte‘ und auf von Ranke dargestellte vermeintliche Parallelen zur Vorkriegssituation zurück. Daß diese These einer auf Ranke bezogenen Ausschließlichkeit oder Vorrangigkeit eines solchen Einflusses unhaltbar ist, ergibt sich schon aus der durch Wilhelminischen Größenwahn katalytisch nationalistisch und hegemonial kanalisierten weitreichenden Euphorie des ‚Neuen Reichs‘, ein Vormachtdenken, das auch in Form eines nützlichen universalen geistigen, kulturellen Anspruchs auftrat. - ‚Gedanken über Geschichte und Geschichtschreibung‘, die der bereits behandelte Georg Weber als Verfasser eines höchst erfolgreichen ‚Lehrbuchs der Weltgeschichte‘ und einer neunzehnbändigen, im Vergleich mit Rankes Werk erheblich populäreren ‚Allgemeinen Weltgeschichte‘ in dessen Todesjahr in den ‚Grenz- 449 -

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boten‘ niedergelegt hatte, sahen „den Beruf des deutschen Volkes“ darin, „Träger der ‚Weltgeschichte‘ auf geistigem Gebiete zu sein...“ (Weber/1886, 301). Überhaupt ist ihm die Weltgeschichte, die Geschichte der Menschheit eine „deutsche Schöpfung“ (299) und „das ideale Ziel“ (301). Sie hat „die erhabne Aufgabe, die Entwicklung und die Fortschritte der Menschheit zur Freiheit und zur Herrschaft des Geistes darzulegen und der Idee der Humanität Raum und Geltung zu verschaffen.“ (302). Letzteres entsprach der Rankeschen sublimen Auffassung. Doch ließen sich bei ihm auch robustere Gedanken gewinnen, die deutlich auf eine politische Vormacht Preußen/Deutschlands in Europa und gar der Welt hinwiesen? Interessant ist zunächst, daß selbst von Ranke nahestehenden politisch orientierten Historikern seine diesbezüglichen Fähigkeiten, Einschätzungen und gar Hoffnungen doch recht gering geachtet wurden, wie die Urteile von Hans Delbrück und Max Lehmann, ferner von Ottokar Lorenz zeigen. Auch die frühe Ranke-Forschung in der Person Otto Diethers kam zu dieser Einsicht. Nach Besprechungen, die er in den Jahren 1869 und 1884 zu Werken Rankes gefertigt hatte und ausgerüstet mit den Vorüberlegungen seiner Rede über ‚Die Politik als historische Wissenschaft‘ (1880), unternahm Ottokar Lorenz 1888 in der ‚Deutschen Litteraturzeitung‘ eine Besprechung der Beiträge Rankes ‚Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im 19. Jahrhundert (SW 49/50, 1887). Zwar würdigte er die Aufsätze der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ und die politischen Denkschriften für Friedrich Wilhelm IV. als historische Offenbarungen, mokierte sich aber über den mangelnden politischen Standpunkt, was seiner ihm zugesprochenen „leidenschaftlich und nicht selten polemisch vertretenen Auffassung vom Zusammenhang von Geschichte und Politik“ (Backs, Silvia: Lorenz, Ottokar. In: NDB 15/1987, 170-172) entsprochen haben dürfte. - Schärfer und besser begründet scheint das Urteil des stets ungescheut agierenden Max Lehmann. Er hatte bereits 1874 Rankes ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘, 1878 Hardenbergs Memoiren und 1890 den Abschlußband der ‚Weltgeschichte‘ besprochen, als er sich in eben diesem Jahr, wiederum in der von ihm redigierten ‚Historischen Zeitschrift‘, auch der Bände 49 bis 51 der ‚Sämmtlichen Werke‘ annahm. Seiner Einsicht zufolge wägen Rankes Denkschriften lediglich das „Für und Wider“ ab, „anstatt mit Kraft und Bestimmtheit“ auf den Willen des Beratenen einzuwirken, erfüllen insofern nicht „die höchste Aufgabe einer politischen Denkschrift“ (286). „Merkwürdig“, so fährt er fort, „daß Ranke, der doch sonst so nachdrücklich die Scheidung von Politik und Historie gefordert hat, sich verführen ließ, fremdes Gebiet zu betreten“ Er habe sich dabei „in der Werthschätzung der Kraft des deutschen und des italienischen Nationalitätsgedankens geirrt“ (286f.). Hans Delbrück, „der letzte Vertreter jener Gruppe deutscher Historiker von Dahlmann bis Treitschke, die durch eine nationalpolitische Publizistik und aktive Teilnahme am politischen Leben über ihre Lehrtätigkeit hinaus in der breiten Öffentlichkeit wirkten“ (Timme, Anneliese: Delbrück, Hans Gottlieb Leopold. In: NDB 3/1957, 577f.), hatte sich bereits 1876 mit Rankes ‚Englischer Geschichte‘, 1877 mit dessen ‚Hardenberg‘ befaßt. Unter dem Titel ‚Historiker und Politiker‘ - einer Besprechung von Band 49/50 der ‚Sämmtlichen Werke‘ - billigte er 1887 in Band 60 der ‚Preußischen Jahrbücher‘ dem „conservativen Realisten“ Ranke in seinen Denkschriften von den zu wünschenden Eigenschaften eines Staatsmannes zwar die Fähigkeit der Erkenntnis des bestehenden Zustandes wie der einzuschlagenden Richtung und des Ziels zu, sprach ihm jedoch die Fähigkeit in der Auffindung passender taktischer Mittel ab. - Zehn - 450 -

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Jahre nach Rankes Tod beginnt Delbrück in Berlin seine ‚Weltgeschichtlichen Vorlesungen‘, temperamentvoll und sanguinisch, „eine charaktervolle und charakteristische Figur der wilhelminischen Publizistik“ (Dehio 1950/1955, 45). In der 1923 bis 1928 in fünf Bänden erschienenen Buchform erfährt Rankes ‚Weltgeschichte‘, zu deren eingeschränkter universalhistorischer Konzeption sich Delbrücks Vorlesungen in größtmöglicher Identität parallel bewegen, reiche Berücksichtigung. Ihre Lektüre empfiehlt er nachdrücklich, obgleich sie „vielfältig überholt und im einzelnen öfter fehlerhaft ist. Vieles war sogar schon veraltet in dem Augenblick, als Ranke es veröffentlichte“ (I, 8f.). - Im Zusammenhang mit dem Thema ‚Hegel und Ranke‘, die „einander näher gestanden, als ihnen selber bewußt gewesen“ sei (I, 9), berichtet er von einem persönlichen Gespräch mit Ranke (ebd.), der geäußert habe: Hegel habe auf ihn eigentlich keinen Einfluß gehabt; mehr Schelling; ein Holländer aber habe einmal geschrieben: was der Hegel sich so im allgemeinen gedacht habe, das habe der Ranke ausgeführt. ‚Das war gar nicht so dumm‘“ (I, 9f.). - Delbrück vermutet: „In Hegel und Ranke werden, wenn ich richtig sehe, die zukünftigen Jahrhunderte einmal die Höhepunkte des deutschen Geisteslebens im 19. Jahrhundert nach Goethe erblicken.“ (I, 10). Darauf kommt Delbrück in einem späteren Kapitel ‚Deutsche Bildung im 19. Jahrhundert‘ zurück, in dem Ranke als „der größte aller Historiker“ gepriesen wird, „wenn man in der Geschichte nicht bloß interessante Erzählung und farbenreiche Schilderung, sondern die Aufdeckung des inneren Zusammenhanges in dem steten Wechsel der Erscheinungen des Menschentums sucht“ (IV, 715). „Seine Geschichtsauffassung ist philosophisch“ (ebd.). Er lebe in der „von Hegel geschaffenen Atmosphäre, der Idee eines vernünftigen Weltzusammenhanges und damit des Strebens nach reiner Objektivität.“ (IV, 716). Das hatte man zuvor weithin anders gesehen. Es folgt im historisch fortschreitenden Gang der Vorlesungen über die ersten vier Bände hinweg neben grundsätzlichen Feststellungen, etwa zum Thema ‚Religion‘, die „im tiefsten Gemeingefühl der Menschheit“ wurzele (I, 22), zum Primat der Außenpolitik, dem Delbrück anhängt (I, 26, 263), und stützenden Zitaten eine Fülle von über hundert, teils zustimmenden, teils kritischen (I, 40f., 160, 239, 632; II, 51, 101, 112, 312, 382, 419, 614; III, 68, 112, 146, 281 A. 1, 471; IV, 29) unzusammenhängenden Bemerkungen zu Einzelheiten der ‚Weltgeschichte‘ Rankes, wo Delbrück u. a. eine interessante Widersprüchlichkeit bemerkt (I, 94f., s. o. I/1.7). - Einer Äußerung über Eduard Meyers „bizarre Ablehnung“ der ‚Weltgeschichte‘ Rankes (I, 565 m. A. 1) schließen sich Vergleiche Ranke - Mommsen an (bes. I, 343ff., 585ff). Auch Rankes Begriff der ‚romanischen und germanischen Völker‘ wird betrachtet (II, 399f.). Besonders zu beachten ist der Abschnitt ‚Zu Rankes Darstellung von Canossa‘ (II, 503-506, s. I, 393). Weitere interessante Themen: Rankes „ungleichmäßige und fragmentarische Darstellung gerade der preußischen Geschichte“ (III, 638. - Siehe auch III, 469), Rankes Napoleon-Bild (IV, 309-313), Georg Webers ‚Allgemeine Weltgeschichte‘, 16 Bde (1919ff.), welche „durchaus auf dem Rankeschen Boden“ stehe (I, 31). Hans Delbrücks eigentliches Arbeitsgebiet als Gelehrter war - wie Walter Goetz zu seinem 80. Geburtstag schrieb - die Kriegsgeschichte, „und eine ungebrochene Kampfeslust begleitete ihn durch die Jahrzehnte hindurch.“ (Goetz/1957, 316; zuerst 1928). Da war es naheliegend, sich Rankes ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ aus dem Jahre 1871 zuzuwenden. Delbrück tat dies in Wiederaufnahme des Rankeschen Titels in einem Aufsatz (in: Ders.: Erinnerungen/(1902) 1905, 240-269), der revidiert die Ergebnisse dreier früherer aus den ‚Preussischen Jahrbüchern‘ von 1895 u. 1896 - 451 -

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zusammenfaßte, die sich mit der Schrift von Max Lehmann - kurze Zeit Amanuense Rankes - betitelt ,Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges‘ (1894) auseinandersetzten. In Delbrücks Schrift nun geht es vornehmlich um die in seinem militärhistorischen Werk vorrangig behandelten Kategorien von Defensiv- und Offensivkrieg, die er hier mit allen prinzipiellen Weiterungen für die allgemeine Politik Friedrichs betrachtet. Aus Rankes Friedrich-Bild - „großartig und zugleich mit einem Schimmer des nationalen Idealismus verklärt“ (241) - sei jene „beiläufige, bisher immer übersehene Wendung ..., daß Friedrich stets nach neuen Erwerbungen getrachtet ...für den Ursprung des Siebenjährigen Krieges ... in den Mittelpunkt zu stellen.“ (243). Was die Wilhelminische Ära anbelangt, fühlte Delbrück einerseits durch Anwendung Rankescher Auffassungen die Möglichkeit zur Erreichung hegemonialer Ziele gegeben, andererseits fürchtete er das im Modell der ‚Großen Mächte‘ vorgesehene ausgleichend rückwirkende Zusammenstehen der angegriffenen Mächte (s. dazu Dehio 1950/1955, 48f.). Übrigens hielt nach dem Vorgang der 1896 begonnenen ‚Weltgeschichtlichen Vorlesungen‘ Delbrücks auch der Berliner Privatdozent Wilhelm Naudé (1866-1904) im Wintersemester 1901/02 und im Sommersemester 1903 Seminare mit dem Thema „Einführung in die Geschichtsschreibung Rankes“ ab (Blanke, Jaeger: Historik/1994, 275). Im Sommersemester 1913 leitete Emil Menke-Glückert (1878-1948) als Privatdozent an Lamprechts Leipziger Institut für Kultur- und Universalgeschichte einen ‚Hauptkurs‘ mit dem Thema ‚Die Geschichtschreibung Rankes und seiner Schule‘ (Blanke: Selbstreflexion/1994, 129 u. Blanke, Jaeger: Historik/1994, 296). Der mit der „Wucht seiner männlich-freudigen Persönlichkeit“ (Dehio, 1950/1955, 43) auftretende Max Lenz (1850-1932), bis dahin mit biographisch geprägten Themen aus dem Bereich von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ befaßt -, größter bekennender Verehrer Rankescher Historie dieser Zeit, jedoch als exzessiv übersteigerte Form des Rankeaners nicht typisch für diese Zeit - bezeichnete sich später bei einer Rede in der Berliner Universitätsaula als „Gefolgsmann“ seines „Meisters“ (Lenz/1912, 386). Eine Rede übrigens mit dem bereits 1895 von Dove behandelten Thema ‚Rankes biographische Kunst und die Aufgaben des Biographen‘, eine Rede auch, welche bei mangelnder Untersuchungslogik und Nüchternheit den Unterschied von „allgemeiner Historie“ und „biographischer Kunst“ nahezu verwischt. - Meinecke hat sich 1916 in einem Nachruf auf Alfred Dove zu dessen Aufsatz geäußert, wo dieser „den unbiographischen Zug Rankes als notwendige Kehrseite der reinen Historie“ nachgewiesen habe (WW VII/1968, 373), eine Bemerkung, welche mit Blick auf Rankes von vielen Zeitgenossen gelobte ‚Porträtierungskunst‘ und einige zumindest biographienahe Werke oder Werkteile nicht in dieser rigorosen Ausschließlichkeit gemacht werden sollte. Zurück zu Lenz, der an der Berliner Universität, wo Hermann Oncken und Felix Rachfahl zu seinen bedeutendsten Schülern gehörten, mehrfach Seminare über die Geschichtsschreibung Rankes abhielt, so WS 1907/08, SS 1911, SS 1920 (Blanke/Jaeger: Historik in akademischer Praxis/1994, 275). Im Jahre 1900 schrieb er als eine Art Fortsetzung einen vielgenannten Rückblick auf das abgelaufene Jahrhundert in Wiederaufnahme der Titelgebung des Rankeschen Aufsatzes der ‚Historisch-Politischen Zeitschrift‘ vom Jahre 1833, ‚Die großen Mächte‘. Der in früheren Zeiten kaum beachtete, nunmehr in seiner Attraktivität steil und auf Dauer aufsteigende Rückblick Rankes auf die fünf großen Mächte seit dem 16. Jahrhundert, bildet für Lenz „nahezu den Kern und die Summe“ der Lebensarbeit Rankes (10). Er sieht in ihr die auswärtige Politik - 452 -

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„im Vordergrunde der Ranke’schen Historie stehen, ...weil es das oberste Interesse der Macht ist, ihr Selbst zu behaupten, und weil nur im Kampfe, ‚der der Vater aller Dinge ist‘, in dem Ringen um den Boden, um Luft und Licht und Einfluß, um die Palme des Sieges die ‚moralische Energie‘, die in jedem Staate lebt, sich kräftigen und behaupten und das Prinzip eines jeden, ja das Leben der Nationalität, dem er entstammt, selbst bestehen kann.“ (8f.). Dies ist zugleich der Kernsatz der Lenz’schen Schrift, bei der Theodor Schieder mit Recht, aber doch in allzu milder Metaphorik, „das Schwinden der geistigen Patina“ fühlte, „die sich über Rankes Mächtelehre gelegt hatte“ (Nachw. seiner Ausg. der GrM/1963, 86). In der Tat ist bei Lenz kaum mehr die Rede von den „geistigen, Leben hervorbringenden, schöpferischen Kräften, ...moralischen Energien“, die Ranke in seinem Aufsatz beschworen hatte und die in seiner idealisierenden Sicht die Staaten und Nationen in ihrem Verhältnis zueinander in einen Zustand „wahrer Harmonie“ führen. Doch es gibt da die andere Seite Rankes, in der er ‚Krieg‘ in physikalischer Manier als das „Zusammentreffen entgegengesetzter Kräfte“ bezeichnet, aus dem die „neuen Entwicklungen am entschiedensten hervorgehen“ (GrM ed. Schieder/1963, 37). Diese in die Nähe einer Verherrlichung reichende Vorstellung tritt bei Lenz in einer nicht gesehenen, doch von ihm verstärkten Gefahr in den Vordergrund. Der den Staaten innewohnende „tiefste Instinkt“ der Selbstbehauptung, der Wille, „alle ihre Kräfte, Stärke nach innen und außen“ zu entfalten, bilde „die Grenze für jede Freundschaft“ (Lenz: GrM/1900, 9f.). Hier finden sich Ansätze zu einer amoralistischen Verherrlichung naturhafter staatlicher Macht, welche durch den gänzlich unrealistischen Equilibrismus jedesmaliger postmartialischer Harmonien seine Heiligung erfahren soll. Aus der Theorie in die Praxis gewandt, empfiehlt Lenz denn auch, um ein Beispiel zu geben, was die Frage der Kolonien angeht: „Niemand kommt zu spät, wer etwas vermag; nur die Ohnmacht bleibt zurück.“ (148). An anderer Stelle warnt er: „Noch freilich weichen die barbarischen Rassen vor dem Andrang der Kultur [!], die sich aus dem romanisch-germanischen Völkerkreise erhoben hat ... überall zurück“ (31). Dies entsprach genauestens einer Feststellung Rankes, wie sie gelegentlich auch in seiner Historiographie mit Befriedigung an auffallender Stelle geäußert wird: „Mancherlei Kriege giebt es und mancherlei Heldenruhm; das vornehmste Lob gebührt denen, welche der Cultur der Menschheit durch siegreiche Waffen neue Schauplätze eröffnet und die Barbarei an bedeutender Stelle überwältigt haben.“ (FranzG I, ²1856, 3). - Bemerkenswert ist die von Lenz formulierte ungewöhnliche These, der als „Prinzip seiner Forschung“ angestrebte Universalismus Rankes (Lenz spricht von „Universalität“) werde durch seine „Auffassung der Macht geradezu hervorgerufen und bedingt“ (10). - 1901 folgte aus der Lenz’schen Feder eine Parallelisierung Bismarcks und Rankes. Lenz hatte 1899 in gut rankescher Titelgebung eine Schrift ‚Zur Kritik der ‚Gedanken und Erinnerungen‘ des Fürsten Bismarck‘ (Bln.: Paetel, 132 S.) veröffentlicht, in thematischer und zeitlicher Nähe zu Erich Marcks (1861-1938). Auch dieser wies, obgleich er sich zu Ranke wohl nie ausführlich geäußert haben dürfte, alle Merkmale eines Ranke-Gefolgsmannes im damaligen Verständnis auf. Mit ‚Friedrich der Große und der Ausbruch des siebenjährigen Krieges‘, ‚Königin Elisabeth von England und ihre Zeit‘ und ‚Ludwig XIV. und Straßburg‘ hatte er zunächst in biographischer Weise Rankesche Themen gestaltet, bevor er sich im Kriegs- und Luther-Jahr 1917, wie Ranke 100 Jahre zuvor, publizitätsorientiert dem Reformator zuwandte, 1925 Preußen als „Gebilde der auswärtigen Politik“ beschrieb und aufgrund seiner „Macht- und Staatsvergottung, seiner immer wieder vorgetragenen Überzeugung vom Primat der Außenpolitik, einer der geistigen Wegbereiter des National- 453 -

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sozialismus“ wurde (Peter Fuchs: Marcks, Erich. In: NDB 16 (1990), 125). Nicht nur das. Er war der „angesehenste und mit Ehren und Titeln überhäufte deutsche Geschichtsprofessor der Zeit“ (ebd.). Wie Ranke war er Präsident der Historischen Kommission. Zurück zu Lenz: Bei dem aufgrund einer kargen, zumal ungenutzten Quellenlage und ebensolcher persönlicher Beziehungen zwischen Ranke und Bismarck schwierigen Thema suchte er nun vor allem herauszufinden, ob die historischen Ideen Rankes „in der Politik des Schöpfers unseres Reiches lebendig geworden“ seien. (Lenz/1901, Zitate nach Kl. hist. Schrr. I/1922, 391). Spekulativ und unangewandt sind die Überlegungen, anhand welcher Werke Rankes dies wohl geschehen sein mochte (eine Frage, der Fehling/1922 empirisch nachging). Lenz glaubt nun eine tiefgegründete Gleichheit der Anschauungen beider feststellen zu können, die darin bestehe, „daß die echte Politik eine historische Grundlage haben müsse, und daß der Staat keine Doktrin sei, sondern eine Wesenheit...“ (395). Wo Ranke „die historische Grundlage der Politik behauptete und die Macht als Objekt des Staatslebens“ angesehen habe (395), da sei es auch bei Bismarck immer „der Gesichtspunkt der Kämpfe und der Macht“ gewesen, „unter dem er die Weltbegebenheiten“ angesehen habe (396): „...erst sie beide haben für uns Deutsche in Historie und Politik Naturrecht und Romantik völlig überwunden.“ (396). - (Besprr.: Below/1902; Bourne/1902-1903; Meyer, Richard M./1903). Die Lenzsche These dieser völligen Überwindung griff Meinecke in seinem ebenso geistvollen wie belegarmen Beitrag ‚Ranke und Bismarck‘ (in: Weltbürgertum u. Nationalstaat/1908) auf, um korrigierend und ergänzend auf die „Kontinuität des inneren Lebens“ zwischen den alten und den neuen Gedanken hinzuweisen: „Die Brücke, die von der Romantik wie zu Ranke, so auch zu Bismarck hinüberführt, ist vor allem der konservative Nationalstaatsgedanke.“ (296). Hegel, Ranke und Bismarck sieht er auch als „die drei großen Staatsbefreier“ im Sinne einer „Befreiung des politischen Denkens von unpolitisch-universalen Ideen“ (Kap. ‚Hegel‘, ebd. 265). Als vielleicht widersprüchlich in diesem Zusammenhang könnte man Meineckes Feststellung ansehen, was Ranke an Hegel abgestoßen habe, sei, daß dessen Anschauung konsequent dahin geführt habe, „alle Individualitäten der Geschichte ihres Eigenrechtes zu berauben.“ (ebd. 271), was nicht nach Befreiung klingt. Wiederum in plakativer Vortragsmanier trat Lenz mit seinem Beitrag ‚Die Bedeutung der deutschen Geschichtsschreibung seit den Befreiungskriegen für die nationale Erziehung‘ vom Jahre 1918 auf. Auch dies ein Bekenntnis, nunmehr gar missionarisch ausgerichtet, zu Ranke, dem „Erzieher seiner Nation“ (Zitate nach Kl. hist. Schrr. II/1922, 295), dessen Stellung sehr unbestimmt, unbrauchbar und mit der Deutung von 1901 wenig übereinstimmend, „zwischen Rationalismus und Romantik, zwischen Fichte, Hegel und Schelling“ (294) gesehen wird. Seine Geschichtsauffassung, der sich „heute kaum noch ein Historiker auf deutschen Universitäten zu widersetzen“ wage [!], sei „mit dem nationalen Staate zum Siege“ gekommen (295), - ein nicht eben evidenter Zusammenhang. In allen Schularten und Schulstufen dürfe Geschichtsunterricht „nur nach Rankes Lehre, als Weltgeschichte, gegeben werden.“ (294), worunter v. a. die „Darstellung des Weltganges der Kultur“ (ebd.) zu verstehen sei. Diesem Appell waren bereits in den 1840er Jahren pädagogische Nutzungen Rankes vorausgegangen (s. II/9.3). Der bei Max Lenz promovierte Hermann Oncken (1869-1945), wie dieser und Marcks nicht zuletzt biographisch orientiert und einer der äußert raren Ranke-Beur- 454 -

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teiler, die sich auch in ergiebiger Weise mit praktischer werk- und nachlaßbezogener Ranke-Forschung befaßten (1922, 1925, 1928) - er zog überdies 1922 und 1923 zwei Schüler mit Ranke-Dissertationen heran - plädierte 1904 in einem Beitrag, betitelt ‚Politik, Geschichtschreibung und öffentliche Meinung‘, für Objektivität im Sinne Rankes. In einer teilweisen Paraphrase von Rankes Antrittsrede ‚Über den Unterschied und die Verwandtschaft von Historie und Politik‘ (1834) gelangt er für den Historiker zu dem Grundsatz, „in der quellenmäßigen Einzelarbeit absolut sachliche Objektivität zu üben, und im Urteil stets den höchsten Standpunkt, die universale Betrachtungsweise, aufzusuchen, während der nationale Gedanke nur in der Farbe und dem Blute der Darstellung durchleuchten mag.“ (Oncken/1904, 208ff.). Seine Teilnahme an einer Lenz-Festschrift (1910) nutzte er zu der dem ‚amerikanischen Imperialismus‘ gewidmeten Studie mit dem Titel ‚Amerika und die Großen Mächte‘. Dies, nach einer entsprechenden Austauschprofessur, der Versuch, die Entwicklung der USA im Lichte der Rankeschen Geschichtsbetrachtung und des ihr eigenen Individualitätsgedankens und der These vom Primat der Außenpolitik zu begreifen. 1917 zeigte er, wie Ludwig Dehio ausgeführt hat, noch deutlicher seine Auffassung einer Übertragung der Rankeschen europäischen Mächte-Harmonie auf die globalen Verhältnisse, herbeigeführt durch einen erwarteten innereuropäischen deutschen Sieg (Dehio 1950/1955, 56). Zu Oncken siehe weiterhin I, 465 u. 493f. Von bescheidenerem Zuschnitt war ein 1905 erschienener Beitrag über die Verwandtschaft von Rankes und Bismarcks religiösen Anschauungen. Er entstammte der Feder des - schließlich Straßburger - Historikers Conrad Varrentrapp (1844-1911). Varrentrapp, ein Ranke-Anhänger, der sich aus den Grundsatzdiskussionen der Zeit, soweit man sieht, heraushielt, wie etwa auch Alfred Dove, beabsichtigt eine Überprüfung der „Verwandtschaft ... zwischen den religiösen Anschauungen unseres größten Staatsmanns und unseres größten Historikers“ (Varrentrapp/1905, 531). Verwandtschaft sieht er in der Stellung beider zum Pietismus, in der beiden eigenen Auffassung von Pflichterfüllung, und letztlich: Ebensowenig wie Bismarck habe Ranke „den Glauben Anderer meistern, sondern nur das göttliche Recht des Staats schützen“ wollen, „wenn er bei der Erforschung und Beurteilung historischer Fragen nur historische Gesichtspunkte berücksichtigte, wenn er selbst vor Allen dem Kultus der Wahrhaftigkeit diente...“ (534). Varrentrapp stand Ranke, dessen Vorlesungen er gehört hatte, durch reformationshistorische und hochschulhistorische Interessen nahe. Letztere hatten ihn zu einem Werk über ‚Johannes Schulze und das höhere preußische Unterrichtswesen in seiner Zeit‘ (Lpz. 1889) geführt, das freilich Schulzes von Kamptz unterstützte Bemühungen, für Ranke eine a. o. Professur in Berlin durchzusetzen, nur kurz und unergiebig streifte (457f.). Für Ranke ertragreicher war Varrentrapps biographische Einleitung zur Ausgabe der Vorträge und Abhandlungen Heinrich von Sybels (1897). Seine Darstellung beruht z. T. auf zwei autobiographischen Aufzeichnungen Sybels von 1877 und 1888 und berührt an zahlreichen Stellen, beginnend mit Sybels Studium in Berlin (1834-38), das Verhältnis Sybel-Ranke nebst einigen Briefen Sybels an Ranke (s. II/3.2). Varrentrapp hat sich überhaupt um die handschriftenbezogene Rankeforschung verdient gemacht. In drei Veröffentlichungen der Jahre 1908 bis 1911 machte er mit Briefen von Savigny und von mehreren deutschen und ausländischen Historikern an Ranke bekannt (s. ebd.) und lieferte eine dem damaligen ausgeprägten Politik-Interesse entgegenkommende, noch immer nützliche Darstellung von Rankes ‚Historisch-politischer Zeitschrift‘ (1907). - 455 -

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Der Lenz-Festschrift von 1910 hatte sich auch Hermann von Caemmerer (1914 gest.), mit einem Beitrag ‚Rankes „Große Mächte“ und die Geschichtschreibung des 18. Jahrhunderts‘ angeschlossen. Rückblickend auf die politische Geschichtsschreibung des 18. Jahrhunderts, v. a. mit Voltaire, Bolingbroke, Schmauß, Achenwall bis hin zu Spittler, Ancillon und Heeren in ihrer Auffassung eines europäischen Staatensystems, gelangte Caemmerer zu dem Ergebnis, daß Ranke „von den Wegen der zeitgenössischen Historie“ zurückgelenkt habe „zu der Fragestellung des 18. Jahrhunderts; aber in der Antwort, die er findet, kommt der ganze Reichtum einer tieferen Einsicht in das Wesen von Staat und Nationalität zum lebendigsten Ausdruck. Seine Auffassung steht zu der des 18. Jahrhunderts in demselben Verhältnis, wie der Nationalstaat des 19. zu dem vorwiegend durch äußere Klammern mechanisch zusammengehaltenen Machtstaat der vorrevolutionären Epoche: Gegensatz zugleich und Vollendung“ (Caemmerer/ 1910, 309). Von hier aus wirft Caemmerer in seiner allzu oft nur andeutenden Skizze einen Blick auf Rankes Verhältnis zu Gentz und Ancillon (s. dazu P. Haake: Ancillon und Friedrich Wilhelm IV./1920, 6f.). - Der Ranke-Forscher Hans F. Helmolt versah die Festschrift mit einer Besprechung (Die Lenz-Festschrift/1910). Im Jahr 1911 erschien die aufsehenerregende Dissertation eines Schülers von Hans Delbrück, die bis heute zu den wichtigsten und zugleich umfangreichsten Schriften über Ranke zählt, Otto Diethers Arbeit über ‚Leopold von Ranke als Politiker. Historisch-psychologische Studie über das Verhältnis des reinen Historikers zur praktischen Politik‘. - Sogar Meinecke fühlte sich bewogen, mehrfach Stellung zu nehmen. Demnach kommt Diether zu der „eines richtigen Kernes zwar nicht entbehrenden, aber stark übertreibenden Auffassung“, Ranke „als der autonome, leidenschaftslose, im Grund unpolitische (!) [i. T.] Denker“ gehöre „mehr der Welt des 18. als des 19. Jahrhunderts“ an (Ranke u. Bismarck. In: Fr. M. Weltbürgertum, 2. [!] Aufl. 1911, 281, A. 1). Nachdem Rankes Biograph Hans F. Helmolt sich ganz auf die Seite Diethers geschlagen hatte, der „im psychologischen Erfassen des Kerns der Rankeschen politischen Historie so weit gelangt“ sei, „wie niemand vor ihm: er bietet schlechthin Abschließendes“ (Helmolt/1911), folgte 1912 die beachtenswerte Besprechung des Werkes aus der Feder Hermann von Caemmerers, wohl sein letzter Beitrag zum Thema Ranke, da er in den ersten Tagen des Krieges fiel. Er konnte zwar Diether nicht zustimmen, in Ranke den „Entdecker der politischen Kunst in der Historie“ zu sehen (v. Caemmerer/1912, 621), stimmte jedoch der Hauptthese des „geistvollen und anregenden Buches“ (622) zu, daß Rankes „Größe als Historiker durch die Alleinherrschaft des Erkenntnisdranges in ihm bedingt“ sei und insofern „seine Schwäche als Politiker nur das notwendige Komplement dieser Stärke“ sei (621). Beiläufig betont Caemmerer mit Recht, daß die „entscheidende Ursache des Mißerfolgs“ der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ „auf der Seite Rankes“ liege (617). - Meineckes eigentliche Besprechung des Dietherschen Werkes beginnt mit einem Bekenntnis zu Ranke, der „immer noch nicht aufgehört“ habe, „der große, ja der größte Lehrer unserer Wissenschaft zu sein.“ (Meinecke/(1913, 582). Meinecke weist dann in differenzierter Weise die nicht abwegige, doch verwegene Kritik Diethers an seinem Werk ‚Weltbürgertum und Nationalstaat‘ zurück, in dem nach dessen Auffassung dem „neuen liberalen und nationalen Massenwollen“ des 19. Jahrhunderts zu wenig Aufmerksamkeit zuteil geworden sei. - Meinecke hinwiederum kritisiert eine allzu scharfe Abgrenzung des angeblich voluntaristischen 19., dem Diether Bismarck zuordnet, vom kontemplativen, intellektualistischen 18. Jahrhundert, das er Ranke zuweist. Aus dieser unterschiedlichen Sicht ergeben sich gegen- 456 -

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sätzliche Beurteilungen etwa des Verhältnisses Ranke-Bismarck, das Diether - ganz anders als Max Lenz (1901) und auch Friedrich Meinecke (1907) - als konträr, ja antipodenhaft ansieht, sowie der Rankeschen ‚Staatsindividuen‘ und ‚Ideen‘. Heinrich von Srbik urteilte später über Diether, Ranke sei für ihn „im Grunde ein Intellektualist, dem die politische voluntaristische Leidenschaft fehlt und der nur für Staatsidee und politische Kunst Verständnis gewinnt und sich an kongeniale politische Mäzene anschließt, fremd der jüngsten Macht, der Massenenergie, der unitarisch-demokratischen Grundtendenz des neuen Jahrhunderts.“ (Srbik: Geist u. Gesch. I/1950, 420f.). Diether hatte bereits 1910 in den ‚Preußischen Jahrbüchern‘ eine Parallelisierung von ‚Leopold von Ranke und Johann Gustav Droysen‘ unternommen. Er stieß dabei auf ein trennendes „mächtiges, gestaltgebendes Seelenelement“ (11), eine „grundverschiedene Art des Empfindens“ (12): nämlich „leidenschaftliche Energie und Erregungsfähigkeit“ auf Seiten Droysens, reinen Intellektualismus auf Seiten Rankes (13ff.). Verständlicherweise paßten die Dietherschen Erkenntnisse bzw. Thesen nicht in eine Zeit, in der man Ranke, den Verfasser der ‚Großen Mächte‘ und des ‚Politischen Gesprächs‘, gern als politisch begnadet und aktivistisch eingestellt sah. Über den Zusammenhang von Außen- und Innenpolitik erschienen 1914 und 1915 zwei Arbeiten: die nur im Teildruck verfügbare Heidelberger Dissertation des später noch zu betrachtenden Karl Rotthaus mit dem Titel ‚Der dynamische Zusammenhang äußeren und inneren Staatenlebens bei Ranke‘ und ein Aufsatz des Kriegshistorikers Max von Szczepanski (1867-?), ‚Rankes Anschauungen über den Zusammenhang zwischen der auswärtigen und der inneren Politik der Staaten‘ in der ‚Zeitschrift für Politik‘. Szczepanski, der 1926 ein bezeichnendes Werk, betitelt ‚Politik als Kriegführung‘, herausbrachte, lieferte 1915 in schwülstiger Manier eine rein immanent interpretierende und die Entwicklung der politischen Anschauungen Rankes mißachtende redselige Untersuchung, die in manchen Begriffsbestimmungen und im Herausfinden interessanter Beispiele aus den Werken Rankes ihr in der Folgezeit nur wenig beachtetes Verdienst haben mag, für die aber insgesamt einer ihrer Schlußsätze bezeichnend ist: „nimmerruhend wie der Pulsschlag des Lebens überhaupt, aber periodisch schwächer oder stärker, je nachdem von Kopf oder Herz die Äußerungen des Innern beeinflußt werden, entringt sich der Ausdruck des Zusammenhanges auswärtiger und innerer Ereignisse, ihres Entstehens und ihrer Wirkungen dem politischen Körper, dem staatlichen Gemeinwesen.“ (623). - 1915 erschien ebenfalls das Werk ‚Die Großmächte der Gegenwart‘ von Rudolf Kjellén (1864-1922), 1918 schon in 18. Auflage. Kjellén, Professor an der Hochschule zu Upsala und Mitglied des schwedischen Reichstags, waren nach einem Wort von Ludwig Dehio „die Rankeschen Grundgedanken von der Individualität und der Lebensfunktion der großen Mächte ... in Fleisch und Blut übergegangen“ (Dehio 1950/1955, 59). Nach dem Urteil Theodor Schieders war bei ihm die „geistige Patina“, die sich über Rankes „Mächtelehre gelegt“ habe, geschwunden (Nachw. z. Ausg. Schieder/1963, 86). Was allerdings bedeutet, die Kjellénsche Auffassung habe der ursprünglichen Rankeschen entsprochen. Die 1916 erschienene, von Eduard Spranger und Walter Goetz begutachtete Dissertation Aschot Gasparians mit dem Titel ‚Der Begriff der Nation in der deutschen Geschichtschreibung des 19. Jahrhunderts‘ beginnt mit einem Kapitel „Die Nation und das Nationalbewußtsein bei Ranke“ (5-26), „weil die Grundzüge, die er über diese Fragen vorgezeichnet hat, wohl durch nachfolgende Historiker erweitert, aber nicht erschüttert worden sind.“ (1). Es folgen Untersuchungen zu Treitschke und über- 457 -

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wiegend allzu flüchtige Bemerkungen zu H. v. Sybel, J. G. Droysen, Ed. Meyer, O. Hintze, D. Schäfer und wieder in größerer Ausführlichkeit zu Lamprecht. - Gasparian kommt hinsichtlich ‚Nation‘, ‚Nationalbewußtsein‘ und ‚Staat‘ bei Ranke zu folgenden Ergebnissen: „Die Nation wird ... als ein geistiges, im Sprudel der Geschichte entstandenes Gebilde angesehen.“ (24). - „Das Nationalbewußtsein ... trägt in sich nach Ranke ein ‚geheimes Etwas‘ (‚die Natur von Gott‘), das allen geistigen Erzeugnissen der Nation vorangeht und sie belebt ...“. (Ebd.). - „Die Staaten sind für Ranke nicht vernunftmäßige Konstruktionen, die sich ‚aus der Lehre vom Vertrag erheben wie Wolkengebilde‘, sondern aus dem inneren Leben der Nation entsprungene ‚geistige Wesenheiten, originale Schöpfung des Menschengeistes‘“. (25). - Die geistesgeschichtlich unterversorgte Arbeit nutzt Rankesche Zitate weniger als Ausgangspunkt der Interpretation denn als ihren Endpunkt. Auch ein Blick auf Rankes persönliches Nationalgefühl und Verhältnis zum preußischen Staat hätte von Nutzen sein können. Der Theologe Adolf von Harnack (1851-1930) war ein höchst angesehener Wissenschaftsorganisator großen Stils, Verfasser von über 1500 Schriften, Präsident der Berliner Akademie (Goetz: Historiker in meiner Zeit/1957, 396), der er auch eine im Hinblick auf Ranke minder bedeutende Darstellung widmete (s. II/6.2). In seiner Auffassung kommt der von ihm begrifflich überwiegend falsch verwendeten „Geschichte“ „in bezug auf die Vergangenheit ein richterliches, ja ein königliches Amt“ zu (8), so formulierte er 1917 in einem Vortrag ‚Über die Sicherheit und die Grenzen geschichtlicher Erkenntnis‘ (Harnack/1923, 3-23), dem ein 1920 gehaltener Vortrag ‚Was hat die Historie an fester Erkenntnis zur Deutung des Weltgeschehens zu bieten?‘ (ebd., 171195) ähnelt. Rankes „etwas schalkhaft geredetes“ Wort von der Beschreibung ‚wie es eigentlich gewesen‘ habe „dem vorgreiflichen Konstruieren und einer anmaßenden Geschichtsphilosophie“ entgegentreten sollen, sei jedoch nicht völlig wörtlich zu nehmen. Auch habe Ranke „selbst keineswegs nur in dieser Weise Geschichte geschrieben“ (4). Im übrigen vertritt Harnack die Auffassung, daß „alle Geisteswissenschaften ... nicht reine Wissenschaften“ seien, „sondern ein Gemisch von Wissenschaften und Lebensweisheit.“ (19). Einige Anklänge an Ranke lassen sich in seinem gelegentlich an Naivität grenzendem Denken aufzeigen. So hält er „alles Denken und Reden über geschichtliche Gesetze“, besonders mit Blick auf Spengler für „verlorene, von vornherein zum Scheitern verurteilte Liebesmüh.“ (12 u. 184). Seine unzutreffende, jedoch zunächst deutlich formulierte Aussage, „Geschichte als Erkenntnis und Wissenschaft“ könne und dürfe „nichts anderes sein als der große Unterbau der Politik“ (9), wird völlig aufgelöst durch die Weite des Begriffs, die wohl nur aus der Weite seines persönlichen Wirkens verständlich wird: Politik ist ihm „zweckvolles Handeln, mag es sich nun auf den Staat, die Kirche, die Kunst, die Wissenschaft oder die Technik beziehen.“ (9). Auch betont er die bedeutende Rolle der „großen Persönlichkeit“, der „Helden“ (195) in der Geschichte (10f.). Auffallend dabei ist seine „scharfe“ Scheidung von ‚Geschichte‘ (im Sinne von Wissenschaft) und ‚Biographie‘ (173), bei der „subjektiver Charakter ... gefordert“ sei (174). Das Wichtigste, was letztere leiste, sei „die Ehrfucht vor großen und guten Personen“ (192), zu denen er sich gezählt haben dürfte. Aus dem Kriegsjahr 1916 liegen zumindest drei rankebezogene Schriften Friedrich Meineckes vor, zum einen ‚Die deutsche Geschichtswissenschaft und die modernen Bedürfnisse‘, zum anderen sein aktualitätsorientierter Festvortrag ‚Germanischer und romanischer Geist im Wandel der deutschen Geschichtsauffassung‘, gehalten in der Öffentlichen Sitzung der Kgl. Preußischen Akademie der Wissenschaften in Berlin am - 458 -

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27. Jan. 1916, schließlich seine Einleitung zu einer so recht in die Kriegsjahre passenden Ausgabe von Rankes ‚Großen Mächten‘. Das Erleben des Krieges wird von nun an das Ranke-Bild Meineckes in sich wandelnder Weise bestimmen. Er sieht einen „tiefen Riß …zwischen den zünftigen Geschichtswissenschaften und der modernen Tageskultur“ (‚Die deutsche Geschichtswissenschaft‘, zitiert nach WW IV, ²1965, 177), letzteres ein Begriff, der die Problematik verflacht. Harmonisierend und idealisierend ist seine plakative Feststellung: „Der Leidenschaftslosigkeit des sein Selbst auslöschen wollenden Ranke sind wir freilich nicht mehr fähig. Auch wir fühlen uns durchweg enger verwoben mit Schicksal, Freud und Leid des mit uns lebenden und ringenden Geschlechtes. Aber das Ideal der reinen Anschauung der geschichtlichen Welt, einmal der Seele aufgegangen und von ihr ergriffen, kann in ihr nicht wieder untergehen.“ (179). - Sein genannter Akademie-Vortrag von 1916 über germanischen und romanischen Geist steht noch deutlicher unter dem Eindruck des Krieges, der, wie Meinecke in verfehlter rankescher Manier erklärt, „aus dem Gegendrucke der eifersüchtigen Großmächte gegen die jüngste unter ihnen“ entsprungen sei (zitiert nach WW IV, ²1965, 153). - Ranke rage „von vornherein“ über die „dualistische Lehre … wie die mit ihr zusammenhängende Lehre vom Volksgeiste“ (164) hinaus. Die Auffassung des kriegerisch-priesterlichen Staates des Mittelalters als eines einzigen individuellen Gebildes hält Meinecke für eine der größten Leistungen von Rankes synthetischem Denken. - Meinecke weist hin auf „die erstaunlichen Wandlungen im Urteil über den Inhalt dessen, was germanischer und romanischer Geist sei“ (168), wendet sich (165f.) beiläufig gegen die Thesen Schemanns (s. u.) und kommt zu dem Ergebnis: „Hier wie allenthalben gilt es, die geschichtlichen Begriffe aus der Starrheit des Begriffes zu erlösen und als Ideen zu fassen, die sich immer wieder lebendig und mannigfaltig individualisieren und weiterwirkend Neues aus dem Mutterschoße gebären.“ (170). Letzteres wird erwartungsgemäß nicht erläutert. Meinecke schließt mit der mehr als bedenklichen, aber durchaus rankeschen Feststellung: „Und die Gemeinschaft des germanischen und romanischen Geistes hat immer des Kampfes untereinander bedurft, um die Lebenskeime zu entwickeln, die in dem einen wie in dem anderen schlummern.“ (171). Hier wird nicht allein Krieg als notwendige Form geistiger Auseinandersetzung und als großartiges Schauspiel verstanden, der Beitrag stellt auch ein Exempel des von Meinecke immer wieder praktizierten überelastischen synthetischen Denkens mit beständigem Harmonisieren der Gegensätze in einer höheren Stufe dar. Weder von Meinecke noch von anderen Betrachtern wurde der tiefgreifende Wandel in Rankes Auffassung der romanisch-germanischen Völker in ihrem Verhältnis zueinander und ihrer Rolle in der Welt beachtet, der vor allem aus dem 1870/71 errungenen Sieg Deutschlands über Frankreich und der Gründung des Deutschen Reiches beeinflußt ist. „Der Grundbegriff selbst“, so schreibt Ranke 1874 im Vorwort der Neuauflage seiner ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘, „zeigte sich nicht mehr umfassend genug, um der ferneren geschichtlichen Entwickelung zu genügen.“ (GRGV 21874, IX). Dieser immer wieder überlesene, freilich nur andeutende Satz bezieht sich auf eben den Grundbegriff der ‚romanischen und germanischen Völker‘, der nunmehr in seiner vordem nicht erkannten Begrenztheit richtiggestellt oder aufgegeben wird. Jetzt ist es das ‚deutsche Imperium‘, dem in Rankes Sicht eine neue, eine weltpolitische und welthistorische Stellung und Aufgabe zukommt. Beachtet wurde und wird auch nicht die eklatante Widersprüchlichkeit in Rankes Aussagen über eine ‚Einheit‘ der romanischen und germanischen Völker (s. II/1.1). - 459 -

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Zurück zu Friedrich Meinecke: Die Thesen Ludwig Schemanns (1852-1938), gegen die sich Meinecke wandte, trifft man an in seinem 1910 erschienenem Buch ‚Gobineaus Rassenwerk. Aktenstücke und Betrachtungen zur Geschichte und Kritik des Essai sur l’inégalité des races humaines‘. Schemann versucht hier (509-511), Ranke, namentlich in dessen Erstlingswerk, als Kronzeugen für Gobineaus Satz: „Das Mittelalter germanisch“ in Anspruch zu nehmen, also Rankes synthetische Konzeption des Romanischen und Germanischen zugunsten einer Dominanz des letzteren aufzubrechen. Der später in prominenter Weise nationalsozialistisch verstrickte Schemann replizierte Meinecke sogleich in einem Beitrag über ‚Ranke und die weltgeschichtliche Rolle der Germanen‘ (1917/18), in dem er, seinen Ansatz ausweitend und modifizierend, den Nachweis zu führen suchte, Rankes Geschichtsauffassung sei germanisch gefärbt gewesen, in der Jugend mehr als im Alter. Meinecke kam darauf später noch einmal zurück in einer Erweiterung seines Akademie-Vortrags (in: Meinecke: Schaffender Spiegel/1948, 94120, mit Erweiterung auf 234f. Siehe auch Krieck/1939). Meineckes dritter Beitrag zum Jahre 1916 findet sich zunächst als Einleitung seiner Ausgabe der ‚Großen Mächte‘, die allein in diesem ersten Jahr lukrativ vier Auflagen mit insgesamt 35.000 Exemplaren erlebte. Eine Ausgabe der interpretationsbedürftigen Schrift gelangte um diese Zeit von anderer Hand überdies in die ‚Oberklassen höherer Lehranstalten aller Art‘. Auch wird Ranke editorisch in starkem Maße zum Kriegseinsatz herangezogen (s. II/9.3). - Meinecke steht in seiner Ausgabe wiederum deutlich unter dem Eindruck des Weltkrieges, worauf hier nur hingewiesen werden kann. Rankes Aufsatz gehöre zu den „Kleinodien unserer Nationalliteratur“ (Zitate nach WW VII/1968, 66). Mit seiner Staatsauffassung, die keinen Normalstaat annehme, sondern jeden Staat als lebendige, individuelle Wesenheit betrachte, habe er das damals nur von wenigen verstandene „Programm des modernen historischen Realismus“ vertreten (67). Dabei wurde indes wohl nicht bedacht, daß eine staatsbezogene Individualitätsvorstellung nur bei im wesentlichen konstanten Verhältnissen eine gewisse Gültigkeit beanspruchen kann. So sei es auch ein „genialer Griff“ Rankes gewesen, aus der Fülle des Geschehens „die Dominante der auswärtigen Politik“ (68) herauszugreifen, und seine „Lehren von der Individualität der Staatspersönlichkeiten und dem Primate der auswärtigen Politik“ (69) zu entwickeln. „Keinem Historiker der Welt ist es je gelungen, zugleich so realistisch und so transzendent die Dinge zu behandeln.“ (70). Meinecke und allen anderen Betrachtern entgingen, worauf später Alexander von Hase (v. Hase/1971) in einer empirischen Studie aufmerksam machte, deutliche Zusammenhänge von wesentlichen Anschauungen der ‚Großen Mächte‘ Rankes mit Gentz’ Werk ‚Von dem Politischen Zustande von Europa vor und nach der Französischen Revolution‘ (Bln. 1801). Auch Gentz’ Schrift ‚Fragmente aus der neusten Geschichte des politischen Gleichgewichts in Europa‘ (St. Peterburg 1806) gehört in den Zusammenhang der Beziehungen Rankes zu dem politischen Instruktor seines Wiener Jahres 1827/28. (Zu Meineckes Ausgabe des ‚Politischen Gesprächs‘/1924 s. I, 493f.). Zurück zur sogenannten ‚Ranke-Renaissance‘. Die als Feststellungen auftretenden wesentlichen Thesen der o. g. begriffsverfestigenden Arbeit Krills lauten, Ranke sei „seit 1848 aus dem nationalen Bewußtsein in fast völlige Vergessenheit gedrängt worden“ (2). Der in dieser Zeit konkurrierend aufstrebenden Generation politischer Historiker - Droysen, Häusser, Sybel, Baumgarten und Treitschke - sei im „Jahrzehnt von 1880 bis 1890“ eine Generation von politischen Historikern gefolgt, die eine „Wiederbelebung von Rankes universaler, ‚objektiver‘ Geschichtsbetrachtung bewußt - 460 -

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angestrebt“ habe (1). Diese „Wiederbelebung“ sei als ‚Rankerenaissance‘ zu bezeichnen. Ihre „Grundsätze und Anschauungen“ hätten durch „außergewöhnliche Breitenund Tiefenwirkung ... das deutsche historisch-politische Denken im Zeitraum von 1880 bis 1945 geprägt.“ (2). Als „Hauptrepräsentanten“ (3) werden Max Lenz und Erich Marcks angesehen, ersterer gar als „Initiator der Rankerenaissance“ (173). Jedoch handele es sich bei dieser Renaissance nicht „um eine verarbeitende Fortführung von Rankes Geistigkeit, sondern um die Übernahme einzelner methodischer Prinzipien und politischer Aspekte - wie Streben nach Objektivität, die Anschauung der großen Mächte unter dem Primat der auswärtigen Verhältnisse und andere“ (257). Allerdings sprach Krill den Rankeanern ein „inhaltlich unverändert gebliebenes Verhältnis von Politik und Geschichtsschreibung“ zu, in dem sie sich mit „einseitigem voluntaristischen Aktivismus“ (257) „in den Dienst der Bewahrung des nationalen Machtstaates und der Verherrlichung seiner Werte in Geschichte und Gegenwart“ (256) gestellt hätten. Die „Wiederanknüpfung an Leopold von Ranke“ wird als „der bedeutendste Revisionsversuch der deutschen Geschichtsschreibung vor der zweiten großen Wende nach 1945“ (2) angesehen. Zu alldem ist zu bemerken, daß Ranke, wie sich allein an dem aufgewiesenen Echo (s. o.) auf seine in den Jahren von 1852 bis 1868 erschienenen französischen und englischen Nationalgeschichten zeigte, nach 1848 keineswegs „in fast völlige Vergessenheit gedrängt“ worden war. Daß dies nicht geschah, dafür sorgten schon manche seiner Schüler und sonstigen Anhänger. Es darf vor allem an Siegfried Hirsch, Georg Waitz, Wilhelm von Giesebrecht, Rudolf Köpke, Reinhold Pauli, Hans Prutz erinnert werden, die sich auf Seiten der Ranke-Anhänger neben anderen um die Aufrechterhaltung seiner später zwar schwindenden, aber nicht entschwundenen Reputation bemühten. Trotz gewisser Vorbehalte galt er dem jungen Wilhelm Dilthey 1856 „jetzt gewiß“ als „der bedeutendste Historiker.“ (Der junge Dilthey/1933, 30, s. auch ebd. 283). Und selbst Johann Gustav Droysen schrieb nahezu gleichzeitig: „Er ist trotz allem, was man sagen mag, jetzt der größte Historiker, nicht bloß in Deutschland, das größte historische Talent, die größte historische Gelehrsamkeit“ (an Rudolph Ehmck, 15. 10. 1856. Droysen: Briefwechsel II/1929, 434). Nicht beachtet wurde von Krill ferner die mit Rankes preußisch-deutschem Spätwerk eingetretene stärkere Annäherung an gegenwärtige politische Probleme und Entwicklungen. Auch kann mit Blick auf die substantiell eingeschränkte Ranke-Übernahme von einer „Tiefenwirkung“ der sogenannten ‚Rankerenaissance‘ und gar einer ihr zugesprochenen hochbedeutenden „Revision“ nicht gesprochen werden, denn Lenz und Marcks sahen, was Krill nicht bestreitet, für die Historie kaum andere Ziele als ihre politischen Vorgänger - allenfalls übersteigerte - und zeigten sich überdies geschichtstheoretisch publizistisch wenig fruchtbar. In dieser vielfältigen Zeit ist allein das Werk Karl Lamprechts als wirklich bedeutender Revisionsversuch anzusehen, der in Krills Arbeit systemstörend nur höchst beiläufig erwähnt ist. Indem dort mit dem Focus auf zwei extreme Historiker eine historiographiegeschichtliche signatura temporis für die Spanne von über sechzig Jahren erzeugt werden soll, gerät nicht nur die große Vielfalt der damals tätigen Historiker aus dem Blick oder wird weit zurückgesetzt, sondern auch die in dieser Zeit wirksamen Beiträge der Philosophie und des allgemeinen Geschichtsdenkens. Zudem stellt sich die Frage, wie sich die angenommene ‚Revision‘ und überhaupt Inhalt und Ausdehnung der sogenannten ‚Ranke-Renaissance‘ zu den Erscheinungen verhält, die man inhaltlich wie zeitlich kaum eindeutiger als ‚Krisis des Historismus‘ bezeichnet hat. - 461 -

I/2.2.4 Wilhelminische Zeit - Die historisch-politische Perspektive

Gerade Max Lenz und Erich Marcks können mit der Spezialität einer hegemonialen Übersteigerung des Rankeschen Modells der ‚Großen Mächte‘ unter aggressiver Deutung des Primats der äußeren Politik und ihrer zwar bekundeten, doch wohl fragwürdigen Objektivität und Unparteilichkeit nicht als Vertreter einer wirklichen RankeRenaissance im umfassenden oder wesentlichen Sinne seiner Geschichtsanschauung gelten, die zwar staatsorientiert, jedoch nicht von konkreten politischen, gar hegemonialen Absichten geprägt war. Dies war auch einigen Zeitgenossen durchaus klar: Max Fischer schrieb 1916 in einem Artikel über ‚Leopold v. Ranke und der Machtstaatsgedanke‘, Ranke habe zwar nach Adam Müller (642) „zuerst und am tiefsten unter den Geschichtschreibern des 19. Jahrhunderts das Wesen des modernen Machtstaats enthüllt und damit für die historische Wissenschaft und das politische Verständnis neue Wege aufgetan.“ Aber sein eigenes Ideal sei „dennoch nicht der Staat der bloßen Macht, sondern - der machtvolle Kulturstaat“ gewesen (645). Ähnliches deutete sich auch in einem schlichten Urteil von Gustav Wolf (1865-1940), Professor an der Universität Freiburg i. Br., an, der 1918 einen Beitrag über ‚Nationale Ziele der deutschen Geschichtschreibung seit der französischen Revolution‘, worin er beiläufig nicht Lenz und Marcks, sondern Dietrich Schäfer und Hans Delbrück in den Mittelpunkt stellte, mit dem Fazit schloß, Ranke habe „mehr Voraussetzungen für nationale und politische Ziele der deutschen Geschichtswissenschaft geschaffen, als „diese Ziele selbst. Seine nächsten Schüler eigneten sich deshalb wohl gewisse Grundanschauungen, das Verlangen nach Unbefangenheit, die strenge Methode und Quellenkritik an, nicht aber seinen Verzicht auf eigenes tatkräftiges politisches Handeln“ (Wolf/1918, 70). Was das von dieser politisierten Gruppe vertretene, formal auf Ranke bezogene Objektivitätsideal anbelangt, so war es nun gleichsam Allgemeingut, ob aus Ranke hergeleitet oder nicht. Überhaupt scheint nicht mehr bekannt, in welchem Maße Rankes ‚Objektivität‘ zu seinen Lebzeiten auch angegriffen bzw. bestritten worden war. Zudem sollte nicht jedes Streben nach Objektivität, zumal ein postrankesches, sogleich als Ranke-Übernahme oder -Nähe angesehen werden. Rankes Anschauung vielmehr war - zumindest in den Schriften, auf die man sich oberflächlich bezog - die ‚Großen Mächte‘ und das ‚Politische Gespräch‘ - weniger von robuster als vielmehr von einer Art, die in den Staaten „geistige Wesenheiten“ mit „göttlichem Anhauch“ (Politisches Gespräch) sah - wie immer man darüber denken mag -, und Lenz wie Marcks hatten wohl auch einen der Schlußsätze des ‚Politischen Gesprächs‘ unbeachtet gelassen, in dem von den Staaten und Nationen gesagt war: „Entschiedenes positives Vorwalten einer einzigen würde den anderen zum Verderben gereichen“. So war in den ‚Großen Mächten‘ auch ausführlich von der „Gemeinschaftlichkeit Europas“ die Rede. Friedrich Jaeger und Jörn Rüsen trafen den Kern der Lenzschen und Marcksschen Beziehung zu Ranke, als sie bemerkten, daß dabei nicht mehr, wie bei diesem, die „gleichgewichtige Harmonie der Staaten und einzelstaatliche nationale Hegemonie“ gemeint seien, sondern die Frage von „Existenz und Nichtexistenz“ (1992, 93). Die von Lenz und Marcks praktizierte Ranke-Anlehnung stellt daher keine Ranke-Renaissance dar, sondern liegt eher auf der Linie einer RankePerversion. Der vielfältig ausgewiesene Ranke-Kenner Justus Hashagen sah dies weniger grundsätzlich, doch letztlich zutreffend, als er bereits 1937 bemerkte, von einer Ranke-Renaissance könne eigentlich nicht gesprochen werden, „weil Ranke innerhalb und außerhalb der Zunft immer lebendig geblieben“ sei (Hashagen/1937, 60).

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3. Abteilung

R ANKE IM

G ESCHICHTSDENKEN

DER

W EIMARER Z EIT (I/2.3)

EINFÜHRUNG (I/2.3.0) Es setzen sich nach dem Ersten Weltkrieg im Umgang mit Ranke nahezu alle Themen fort, welche bereits zuvor bestanden, allerdings in unterschiedlicher Gewichtung. In der Philosophie, der sich bedeutende Theologen angeschlossen haben, ist die Auseinandersetzung weniger vielstimmig und weniger strittig als in der Vorkriegszeit. Der Rankesche Ideenbegriff und seine Idealismusnähe, im besonderen das Verhältnis zu Hegel und die Probleme um Kausalität und Teleologie werden weiterhin betrachtet. Eine herausragende Gestalt ist Ernst Troeltsch, neben Karl Heussi und Friedrich Meinecke. Auch fällt nach Breysigs Vorgang mit Spenglers Untergangs-Werk wiederum ein geschichtsphilosophischer Entwurf auf, der durch seinen hochspekulativen nomothetischen Charakter mit der Geschichtsanschauung Rankes und der von ihm angewandten historisch-kritischen Methode in Konflikt geraten muß. Auf Seiten der Historiker tritt eine zuvor nur thesenhaft angedeutete RomantikDiskussion stärker hervor, bei der Rankes „Historik“ in den 1860er Jahren als ein „Produkt der restaurativen Romantik“ bezeichnet worden war (Scherr [1862]/1864, 173), eine Diskussion, die nun detaillierter nach Einflüssen auf die Geschichtswissenschaft und auf Ranke im besonderen fragt. Ferner werden Vergleiche vorzüglich mit Droysen angestellt. Zu den in dieser Zeit aufretenden fachhistorischen Anhängern Rankes zählen vor allem Hermann Oncken, Kurt von Raumer, Paul Joachimsen, Kurt Borries, Julius Kaerst, Erich Rothacker, Justus Hashagen, die freilich alles andere als eine homogene Gruppe bilden. - Die historisch-politische Sicht auf Ranke scheint in dieser Zeit schwächer ausgeprägt als die philosophisch-theologische, obgleich Ranke noch hier und da völlig übersteigert als politischer ‚Führer‘ angesehen wird, eine Rolle, die ihm zu seinen Lebzeiten niemand zugetraut hätte. Eine Diskussion oder nur nähere Betrachtung seines Modells der ‚Großen Mächte‘ und des Primats der Außenpolitik findet nur gelegentlich und weniger vehement statt, und dies in den 1920er Jahren, so daß die Feststellung, in den frühen 1930er Jahren hätten die Historiker „den Primat der Außenpolitik als durch die Geschichte bewiesenes Grundgesetz der deutschen Politik“ betrachtet, „das zu mißachten angesichts der deutschen geopolitischen Lage verheerende Folgen haben mußte“ (Faulenbach/1986, 184), zwar nicht zurückzuweisen sein mag, für die voraufgehenden Jahrzehnte indes treffender ist. Bereits Anfang der Zwanziger Jahre hatte Meinecke erklärt, „daß die innere Verfassung unter dem Primate der auswärtigen Politik“ „längst Gemeingut der deutschen, von Ranke ausgehenden Geschichtsbetrachtung“ sei (‚Über Spenglers Geschichtsbetrachtung‘, 1922/23, WW IV, 2. Aufl./1965, 194). 1924 sprach er gar von einem „Naturgesetz des Staatenlebens“ (Ausg. des ‚Politischen Gesprächs‘, 77, s. auch Below/1920). Für das allgemeine Interesse an Ranke dürften einige äußere Umstände förderlich gewesen sein: zunächst die 1917 eingetretene und sich nun fremdeditorisch ungezügelt auslebende Gemeinfreiheit seines Werkes, sodann die Archivierung des Nachlasses zu Beginn der 1920er Jahre, vor allem aber Planung und Beginn einer mit der Gründung der ‚Deutschen Akademie‘ in Zusammenhang stehenden, 1925 begonnenen ‚historischkritischen Gesamtausgabe‘ seiner Werke (s. II/9.3.1). Eine Ausgabe, welche kaum durch die vor ihrem Abbruch edierten beiden Werke, vielmehr durch nachgelassene Aufzeichnungen der Rankeschen Frühzeit Interesse fand. Besonders das sogenannte ‚Lutherfragment‘ des jungen Ranke machte noch auf Jahrzehnte hinaus eine nicht im vollen Umfang verdiente interpretatorische Karriere, indem es eine unangemessene - 465 -

I/2.3.0 Weimarer Zeit - Einführung

Theologisierung des Historikers Ranke förderte. Auch setzt sich die Entwicklung einer unmittelbar am Werk orientierten Ranke-Forschung fort: Die Jahre der Weimarer Republik bescheren neben der zweiten als selbständige Schrift erschienenen RankeBiographie, nunmehr des Ranke-Forschers Hans Ferdinand Helmolt aus dem Jahre 1921 (s. II/7.1) und zwei wertvollen briefeditorisch ausgerichteten Veröffentlichungen von Hermann Oncken aus den Jahren 1922 und 1925 (s. II/3.2) allein zehn rankemonographische Dissertationen unterschiedlichster Thematik. Ferner erwies sich das Memorialjahr 1926 zu Rankes vierzigstem Todesjahr als förderlich, wie auch das Aufkommen von Neuem aus dem Nachlaß. Dazu dienten neben den angedeuteten Nachlaßbestandteilen der Akademie-Ausgabe Veröffentlichungen des Marcks-Schülers Erich Mülbe und von Ludwig Keibel in den Jahren 1927 und 1928, welche einerseits Text aus einem Vorlesungsmanuskript Rankes der 1830er Jahre mit dem editorisch verliehenen Titel ‚Über das Prinzip der universalhistorischen Methode‘, andererseits fünf Stücke der Leipziger Zeit darboten (s. I, 481f. u. II, 178, 283). In den 1920er Jahren setzt sich, verstärkt durch verschiedene editorische Ansätze, in Verbindung mit Ranke der bereits zu Zeiten der Wilhelminischen Ära aufgekommene nationalpädagogische Elan fort. Kurt von Raumer (1900-1982) sieht in einem 1925 erschienenen Beitrag über ‚Leopold von Ranke und die Gegenwart‘ die „heutige Jugend“ - und darin Ranke in seiner „synthetischen Lebensauffassung“ ähnlich - sich „mehr und mehr ... um die überkommenen Güter von Volkstum, Bildung, nationaler Geschichte“ schließen und „zusehends ... die Ehrfurcht vor dem Unergründlichen und Ewigen“ zurückgewinnen (34). - Auch bei Paul Joachimsen, dem Herausgeber der genannten Akademie-Ausgabe, begegnet, wie noch 1918 von Lenz betrieben und zahlreichen zeitgenössischen Editionen aus Rankes Werken eigen, ein propagandistisch volksbildender Elan, der sich in den pädagogisch orientierten Veröffentlichungen von Joachimsens Schülerin Elisabeth Schweitzer aus den Jahren 1922 und 1930, besonders aber von 1928 über ‚Das Bildungsziel der höheren Schulen nach L. von Ranke‘ bemerkbar macht. 1922 hatte Schweitzer aus dem Nachlaß den Text einer 1818 von Ranke am Friedrichs-Gymnasium zu Frankfurt/O. gehaltenen ersten von drei Stiftungsreden (s. II/6.1) veröffentlicht, welche 1927 von Kurt Borries durch die Edition der Reden von 1821 und 1824 vervollständigt wurde (Borries: Über Helden und Heldenverehrung .../1927). Zweifellos förderte die Rankesche Schul-Thematik den nationalpädagogischen Elan der Herausgeber. Paul Joachimsen hielt nicht, wie Michael Salewski anläßlich des 200. Geburtstages Rankes im Jahre 1995, einen Vortrag, betitelt ‚Ranke und ich‘, er titelte 1926 zu Rankes vierzigstem Todestag angemessener ‚Ranke und wir‘ und hielt eine Besinnung auf ihn - wenn auch nicht als „Führer oder Propheten oder Erzieher für unsere Zeit“ für ein „dringendes Erfordernis“ (296). - Joachimsen warnte in seiner RundumBetrachtung ferner vor einer Soziologie, welche die Geschichte „nicht bloß ergänzen, sondern ersetzen will ...“ (297ff.). Erstaunlich übrigens, daß Ranke um diese Zeit unter amerikanischen Soziologen recht angesehen war, wobei im Falle von Small und Barnes eine allerdings sehr unterschiedlich gegründete Deutschland-Freundlichkeit mitgespielt haben mag. Der zu den Gründern der amerikanischen Soziologie zählende Albion W. Small (1854-1926) widmete in seinen ‚Some Contributions to the History of Sociology‘ von 1923/24 einen Abschnitt dem Thema ‚Ranke and Documentation‘, ein Abschnitt, der zwar zum größten Teil aus Dove-Anleihen und Übersetzungen Rankescher Textstellen besteht, jedoch möglicherweise zum Ausdruck bringen sollte, daß die - 466 -

I/2.3.0 Weimarer Zeit - Einführung

soziologische Methodik in der „precision of data“ unter dem Einfluß Rankescher Quellenkritik stehe, daß sie jedoch nicht einer durch seine Bevorzugung offiziöser Quellen verengten Perspektive verfallen sei. Auf Harry Elmer Barnes (1889-1968) und seine ‚Historical Sociology‘ von 1948 bzw. 1951 wird später einzugehen sein (s. I, 569). - Um auf Joachimsens Vortrag von 1926 zurückzukommen, so unternahm er darin auch einen „Aufriß der geschichtlichen Welt Rankes“ (297ff.) mit Betrachtung seines Begriffs der Weltgeschichte, der Objektivität und verfolgte Rankes Stellung zur slawischen Welt, zum Orient, zur amerikanischen Welt, zum Thema ‚Luther‘ und zum Problem ‚Reformation‘. Als „der eigentliche Urtrieb seines universalen Erkenntnisdranges“ erscheint für Joachimsen - sehr fernliegend - Rankes „Streben, die subjektivistische Persönlichkeitsvergötterung ... zu überwinden.“ (301), eine Vergötterung, wie man hinzufügen muß, die er auch bei sich selbst nicht unterlassen konnte. Joachimsen schließt mit dem Wunsch: „Ich möchte, daß eine erneute Hinwendung zu ihm dazu beitrüge, in unsern historischen Seminaren neben die Behandlung quellenkritischer Probleme die anderen zu stellen, die sich aus dem universalhistorischen Zusammenhang der Geschichte ergeben; neben die Feststellung der historischen Tatsachen müßten noch mehr, als es schon geschieht, die Fragen nach ihrer Bedeutung treten.“ (315). Gerade dies gehörte nun allerdings seit Hegel zum Kanon der RankeKritik des 19. Jahrhunderts. Auch Hans Loewe, dem man einen Nachruf auf Joachimsen verdankt (Das wissenschaftliche Lebenswerk Paul Joachimsens. In: Bayer. Bildungswesen 4/1930, 477-490, 618-626), propagierte 1927 in einem Beitrag über ‚Die Stellung des Geschichtsunterrichts in Bayern‘ seine Ansicht, zumal seit Ranke habe die deutsche Geschichtsforschung zu der Erkenntnis geführt, der Staat sei „der umfassendste menschliche Verband, die maßgebende Organisation eines Volkes, das stärkste Bollwerk der Kultur, am besten befähigt, sie zu fördern“ (Loewe/1927, 224). Ranke sei für die Jugend ein „Führer, der geschichtlich denken lehrt ... ihm verdanken wir den Begriff des ‚Machtund Nationalstaates‘“ (225). - Diese nationalpädagogische Perspektive bestimmte auch einen 1926 erscheinenden Beitrag von Adolf Schwarz über ‚Rankes Bedeutung für unsere Zeit‘, der einen äußeren Impuls aus der Joachimsenschen Werkausgabe erfahren haben dürfte. - Schwarz, Verfasser einer bemerkenswerten Dissertation von 1923, der übrigens Rankes Zusammenhang mit der Romantik stark betont, sieht als Aufgabe dieser Zeit an, zu zeigen, was Ranke „dem deutschen Volke als Erzieher zu politischem Handeln und Denken sein könnte und sollte“ (614). Er denkt dabei an Ranke-Lektüre „im staatsbürgerlichen Unterricht, in Volkshochschulen und im Familienkreise“ (616). Von Ranke sei zunächst „erlernbar ... jene Haltung des interessierten Zuschauers, der aus Erkenntnis und Erfahrung der wirksamen Kräfte sich selbst zu einem politischen Weltbilde verhilft.“ (Ebd.) - Dem Memorial-Jahr 1926 entstammt auch ein Beitrag Arno Duchs, Inhaber des Drei Masken Verlages, in dem Joachimsens bald gescheiterte Ranke-Gesamtausgabe erschien. Duch verfolgt hierin die kaum verwirklichte Absicht, Rankes „Bedeutung für die Bewegung unserer Zeit“ zu vergegenwärtigen. Es handelt sich eher um eine essayistische Darstellung von Hauptelementen der Rankeschen Geschichtsanschauung, mit stärkerer Berücksichtigung des Verhältnisses Ranke-Hegel, des Problems der Universalhistorie und der Rankeschen Ideenauffassung. Von Interesse ist neben dem Titel ‚Zur Erneuerung Rankes‘ die von diesem selbst wohl kaum gebilligte These „Ranke ist recht eigentlich der Vollender der christlichen Weltgeschichtsschreibung“ (48). - 467 -

1. Kapitel (I/2.3.1) PH ILOSO PHI SCH E UND THEO LOGI SCH E STIMMEN O swald Speng lers Kr itik und seine Kr itik er (I/2.3.1.1) Oswald Spengler (1880-1936) hat sich, in der Art manches Philosophen, bei dezidierten Einzelurteilen nicht ausführlich oder eindringlich mit Ranke befaßt. In seinem beiläufigen und geringschätzigen Urteil bleibt nicht einmal ein Rest von zumindest historiographiegeschichtlicher Anerkennung ‚überholter‘ Leistung zurück, wie sie Lamprecht noch aufgebracht hatte. Hatte sich dieser ehedem als grundsätzlicher und alleingültiger Neuerer im Reich der Historie gesehen, so nun Spengler im Reich der Philosophie. Wie er im Vorwort des ersten, 1918 erschienenen Bandes seines aufsehenerregenden ‚Untergangs des Abendlandes. Umrisse einer Morphologie der Weltgeschichte‘, erklärte, handelt es sich dabei „nicht um eine neben andern mögliche und nur logisch gerechtfertigte, sondern um d i e [i. T.], gewissermaßen natürliche, von allen dunkel vorgefühlte Philosophie der Zeit ... Ein Gedanke, ... der Epoche macht“ (X). Keineswegs beiläufig oder nebensächlich ist nun Spenglers Kritik an einer Spezialität Rankes, seinen historischen Parallelen, die Spengler zwar als „morphologisch bedeutungslos“, gelegentlich aber als von „tiefer, aber zufälliger Richtigkeit“ bezeichnet: „Sie sind bei ihm wie bei andern aus einem plutarchischen, d. h. volkstümlich romantischen Geschmack gezogen worden, der lediglich die Ähnlichkeit der Szene auf der Weltbühne ins Auge faßt“, jedoch nicht die „innere Verwandtschaft“ erkenne. Gerade aber in einer methodisch ausgebildeten „Technik der Vergleiche“ sieht Spengler die einzige „Wurzel, aus der eine große Lösung des Problems der Geschichte hervorgehen kann.“ (I/1918, Aufl. 1923, 5). In der Tat hat er solches in nomethetischer Absicht mit visionärem Habitus und auf biologistische Weise versucht. Überdies: Gerade da, wo Hans Delbrück Ranke als „größten aller Historiker“ gesehen hatte, in der „Aufdeckung des inneren Zusammenhanges in dem steten Wechsel der Erscheinungen des Menschentums“ (Delbrück: Weltgeschichte. Vorlesungen geh. 1896/1920, IV/1927, 715), wird er von Spengler auf die niedrigste Stufe historischer Vorarbeit verwiesen. In Band II seines Werkes, 1922 erschienen, polemisiert er gegen Rankes Satz aus der Einleitung der ‚Weltgeschichte‘, in der dieser die Geschichte beginnen läßt, „wo die Monumente verständlich werden und glaubwürdige schriftliche Aufzeichnungen vorliegen.“ (WG I,1/1881, VI). Hierzu bemerkt er in einer nicht überzeugenden Schlußfolgerung: „Das ist die Antwort eines Sammlers und Ordners von Daten. Ohne Zweifel ist hier das, was geschehen ist, mit dem verwechselt, was innerhalb des Blickfeldes der jeweiligen Geschichtsforschung geschehen ist.“ (55). Doch auch der letzte Schein rationaler Argumentation geht Spengler verloren: Wie er die „bloße wissenschaftliche Kritik und Kenntnis von Daten“ gering schätzt, so kommt in seiner Auffassung die damit begründete „wissenschaftliche Erfahrung“ bei der historischen Betrachtung nur „nebenher oder nachher“. Was vorausgehe, sei die mit einem „Augenblick der Erleuchtung“ einhergehende „Entscheidung des Blutes“ (56). Spengler bietet mit dieser Antizipation nationalsozialistischer Blutideologie die zugleich radikalste und primitivste Zurückweisung des von Ranke und nahezu der gesamten Zunft vertretenen Prinzips der historischen Kritik und seinen persönlichen Abschied von der Geschichte als Wissenschaft und als Philosophie. - 468 -

I/2.3.1.2 Weimarer Zeit - Philosophische und theologische Stimmen

Sehr bald nach Vorliegen des Gesamtwerks befaßte sich Friedrich Meinecke kritisch mit dem ‚Untergang des Abendlandes‘ in seinem Beitrag ‚Über Spenglers Geschichtsbetrachtung‘ (1922/23, Zitate nach WW IV,/²1965): Adam Müller, „an dessen Art Spengler in manchem“ erinnere, habe „bedeutende Gedanken Rankes antizipiert …“ (182). Viele der „guten Gedanken“ Spenglers seien „übrigens Lehngut…“ (194). In seiner Lehre vom Staate z. B. sei „das Beste, die Erkenntnis, daß die Staaten individuelle Lebewesen“ seien, „daß die innere Verfassung unter dem Primate der auswärtigen Politik“ stehe, „längst Gemeingut der deutschen, von Ranke ausgehenden Geschichtsbetrachtung.“ (194). „Es war der größte Fortschritt im Erfassen der geschichtlichen Vergangenheit, als Ranke es loslöste von dem voreiligen Erklärungs- und Deutungsdrange der Geschichtsphilosophie und die Versenkung in die Eigenart und Individualität der geschichtlichen Erscheinungen lehrte … Alles, was gut und fruchtbar ist an der Spenglerschen Geschichtsbetrachtung, entspringt einer Anwendung und Weiterentwicklung dieser Prinzipien.“ (194). Grundsätzlicher noch, wenn auch nicht den Kernpunkt treffend, war Meinecke in seinem Urteil in einer Besprechung der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘, in der er eine „Widerlegung des Spenglerschen Versuches“ sah, die „weitaus wichtigste und produktivste Lebenseinheit“ der Weltgeschichte, „nämlich die im Orient entsprungene, im Okzident weiterentwickelte …“ zu zerstückeln in verschiedene große Einzelkulturwelten“ (Meinecke/1922, 156). Auch der bereits herangezogene Julius Kaerst wandte sich dem Thema ‚Spengler‘ zu (Kaerst/1925. Zitate nach Kaerst: Universalgesch./1930). In einer Besprechung der Schrift Eduard Meyers, ‚Spenglers Untergang des Abendlandes‘ (Bln. 1925, 24 S.), gelangt er aus dem Geist Rankes zu einer grundsätzlichen Ablehnung der Spenglerschen Gesamtkonstruktion, der E. Meyer indes ein wenig näher stand: Rankes „ganze wissenschaftliche Lebensarbeit würde in ihrer Bedeutung aufgehoben werden, wenn Spengler in seiner Ablehnung der Kontinuität weltgeschichtlicher Entwicklung recht behielte. Diese Rankesche Anschauung bedeute aber „in Wahrheit ... eine bleibende Errungenschaft wissenschaftlichen historischen Denkens“ (225). So zieht Kaerst auch die Rankeschen „Ideen“ dem Spenglerschen Begriff der „Pseudomorphose“ vor (226). Noch günstiger urteilte Otto Hintze in einer Abhandlung, betitelt ‚Max Schelers Ansichten über Geist und Gesellschaft‘ vom Jahre 1926 (Zitate nach Ges. Abhh. II/1982), kurz über dessen Verhältnis zu Spengler und in diesem Zusammenhang über die „eigentlich welthistorische Bewegungsform der Kultur, die auch Ranke im Sinne hatte...“ (170). - Hintze sieht bei Scheler auch „jene großen real-geistigen Tendenzen erscheinen, wie sie Ranke geschildert“ habe, „welche die Geschichte beherrschen, solange sie wirksam bleiben.“ (174). E r n s t T r o e l t s c h s K r i t i k u n d s e i n e K r i t i k e r (I/2.3.1.2) Eindringlich, wenn auch nicht in geschlossener Weise, nahm sich Ernst Troeltsch (1865-1923), protestantischer Theologe und Philosoph mit Ausflügen in die liberale Politik - nach Meineckes Urteil „einer der denkwürdigsten und gewaltigsten Menschen“ seiner Zeit (Meinecke/1923, Zitat nach ‚Schaffender Spiegel‘/1948, 211) Rankes an, gerade in Hinsicht des Unmittelbarkeits-Diktums. In seinen zwischen 1912 und posthum 1925 vierbändig erschienenen ‚Gesammelten Schriften‘ zeigte er sich wohl als einziger der bedeutenden Philosophen der Jahrhundertwende - Adolf von Harnack nannte ihn in seiner Trauerrede 1923 den „deutschen Geschichtsphilosophen unseres Zeitalters“ (Erforschtes u. Erlebtes/1923, 364) - als uneingeschränkter und - 469 -

I/2.3.1.2 Weimarer Zeit - Philosophische und theologische Stimmen

begeisterter (bes. GS III: ‚Der Historismus und seine Probleme‘/1922, 272) Bewunderer des „größten deutschen Historikers“ (GS IV/1925, 608), ja, Ranke habe die „neue Geschichtschreibung“ - und dies befremdet nicht zuletzt auch aus grundsätzlicher philosophischer Sicht - „vollendet“ (ebd. 584). - Mit Troeltschs Werk haben sich hinsichtlich seiner Beurteilung Rankes gelegentlich ablehnend vor allem Friedrich Meinecke, Otto Hintze, Justus Hashagen und Joachim Wach befaßt. Stets liegt bei Troeltsch - fast ausschließlich auf der eingeschränkten Grundlage der von ihm ungemein geschätzten ‚Weltgeschichte‘ Rankes und der Berchtesgadener Vorträge vor Maximilian von 1854 - das Hauptinteresse bei dem Verhältnis Rankes zu Hegel, wobei er zu einem nicht eingestandenen, zumindest nicht zusammengefaßten zwiespältigen Ergebnis gelangt. Auch ist Rankes Religiosität, z. T. aufgrund der damaligen eingeschränkten Quellenlage, zu undifferenziert betrachtet. In wesentlichen Elementen der Geschichtsanschauung Rankes sieht Troeltsch neben Ähnlichkeit zu Wilhelm von Humboldt „doch vor allem Geist vom Geiste Hegels“, und das mache „ihren starken Unterschied gegenüber der soziologisch und kausalitäts-psychologisch ganz anders orientierten westlichen Geschichtschreibung aus...“ (GS III/1922, 272). Ranke wolle „Niebuhrs kritische Feststellung der Tatsachen mit Hegels von jeder logischen Scholastik befreiten Dynamik verbinden“ (GS III/1922, 238). Das „Kantischnormative Element“ falle bei Ranke, der auch der ‚Historischen Schule‘ „recht ferne“ stehe (GS III/1922, 280, gemeint ist die ‚Historische Rechtsschule‘), ganz weg (GS III/1922, 301). Rankes Gedanke der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott stelle indes „die Leugnung jeder Vermittlung durch die in allgemeinen Durchgangsstufen sich auseinanderziehende Idee Hegels“ dar (GS III/1922, 131) und habe „die Hegelsche Lehre... berichtigt“ (GS II/1913, 822f.). Hier zeigt sich ein nicht mehr zu steigernder Gegensatz zur Ranke-Kritik Croces. Rankes ‚Weltgeschichte‘ stehe in Gegensatz zu den „Konstruktionen Herders, Schellings und Hegels“ (GS II/1913, 315). Der Vergleich von Rankes ‚Weltgeschichte‘ mit Spenglers 1918 und gerade 1922 erschienenem ‚Untergang des Abendlandes‘ mag Troeltsch auf den Gedanken gebracht haben, den er so äußert: „...auch fürchtet man die Philosophie in der exakten Wissenschaft. So ist die Folge, daß die Synthesen in den Händen der Historiker immer seltener werden und in die Hände der Dilettanten geraten.“ (Krit. GA XV, 443). - Rankes historische ‚Idee‘ sei keine „hypostasierte Kraft“ (GS II/1913, 722), kein „metaphysischer oder dogmatischer Gedanke, sondern eine Lebensziele und -werte in sich enthaltende und in ihrer Konsequenz und Anpassungsfähigkeit entfaltende geistige Triebkraft“ (GS II/1913, 418), ein Gedanke, den Moriz Ritter 1919 in vereinfachter Form aufgegriffen zu haben scheint (s. I, 475). - Von Interesse ist auch ein von Troeltsch (GS III/1922, 239) angestellter Vergleich des Entwicklungsbegriffs bei Ranke und Rickert. - In Band I der ‚Gesammelten Schriften‘ von 1912 findet Ranke keine ausdrückliche Berücksichtigung, und in Troeltschs Aufsatz über ‚Die Krisis des Historismus‘ von 1922 wird er nur wenig besagend gestreift, so auch sehr beiläufig behandelt in den fünf unter dem Titel ‚Der Historismus und seine Überwindung‘ (Bln. 1924) posthum zusammengefaßten fünf Vorträgen. Der Philosoph Erich Rothacker (1888-1965), der 1912 in Leipzig seine Dissertation ‚Über die Möglichkeit und den Ertrag einer genetischen Geschichtschreibung im Sinne Karl Lamprechts‘ veröffentlicht hatte, brachte 1920, noch als Heidelberger Privatdozent, seine hochgegriffene ‚Einleitung in die Geisteswissenschaften‘ heraus, welche sich Diltheys Werktitel von 1883 nicht nur mimetisch aneignete, sondern auch beab- 470 -

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sichtigte, dessen „Fragestellungen zu erneuern“ (III), freilich - keineswegs passend zum Titel - nicht eigentheoretisch systematisch, sondern in einem Rückblick von Hegel bis eben auf Dilthey historisch angelegt. Im Gegensatz zu Diether (1911) nahm sich Rothacker mehr der Rankeschen ‚Logik‘ und ‚Ethik‘ als seiner ‚Geschichtsphilosophie‘ an (Rothacker/1920, 154, A. 1), und zwar hauptsächlich auf der Grundlage des ‚Politischen Gesprächs‘. Es sei - Troeltsch hingegen sah Ranke, wie bemerkt, der Historischen Rechtsschule „recht ferne“ stehen (s. u.) - geradezu eine der „klassischen Programmschriften“ der Historischen Schule (155). Dies und damit die Nähe zu Savigny bildet überhaupt die Grundthese Rothackers in seinem Werk, soweit es Ranke betrifft. Immerhin stößt er in einer detaillierteren und auch wirkungsgeschichtlich weiter ausgreifenden Betrachtung, als Dilthey sie geboten hatte, zu tieferen Schichten vor, in denen Ranke „wesentlichste Tendenzen des deutschen Idealismus“ ausspreche (159). In einem 1923 erschienenen Beitrag zur Frage nach dem Zusammenhang der Historischen Schule, repräsentiert von ihren drei „Häuptern“, Savigny, Grimm, Ranke (1923)/1950), sah Rothacker wiederum eine „fundamentale Übereinstimmung zwischen Savigny und Ranke“ (21). Als Grundmotiv beider - v. a. wieder entwickelt aus Rankes ‚Politischem Gespräch‘ und seinen Max-Vorträgen von 1854 - gilt ihm die „gemeinschaftliche Front gegen den Rationalismus“ (38). Rothacker wendet sich in seiner subtileren Betrachtung damit gegen Troeltsch, der Ranke „um seiner universalhistorischen Einstellung willen von der Historischen Schule“ weggerückt habe: „Schließlich aber ist Rankes ‚Humanität‘ ebenfalls ein h i s t o r i s c h e r [i. T.] Begriff, keine rationale Konstruktion. Das trennt ihn endgültig von Hegel.“ (45, A. 56). - Schon im Jahre 1900 hatte Kurt Breysig in der nach Übergang von seinen brandenburgischpreußischen zu universelleren Arbeiten angenommenen Pathetik Ranke als „Testamentsvollstrecker der historischen Schule im Gebiete der neueren Geschichte“ (Kulturgeschichte der Neuzeit I, p. XV) bezeichnet, was zudem erneut auf das Problem einer Begriffsbestimmung bzw. Abstimmung des Begriffs ‚Historische Schule‘ aufmerksam machte. Daß Ranke, der eine hohe Meinung von seiner Originalität und überzeitlichen Bedeutung besaß, sich neben Grimm und Savigny als Teil der oder überhaupt einer von ihm nicht selbst oder allein gegründeten ‚Historischen Schule‘, einer noch so bedeutenden Richtung gesehen hätte, ist kaum denkbar. - 1925 bekundete Rothacker noch einmal seine Ranke-Verbundenheit durch eine Ausgabe des ‚Politischen Gesprächs und anderer Schriftchen zur Wissenschaftslehre‘. Daß er später auch dem Nationalsozialismus verbunden war, wie mancher der Ranke besonders nahestehenden jüngeren Historiker, daraus scheinen ihm nach dem Kriege keine besonderen Nachteile erwachsen zu sein. Als Troeltsch bereits im Jahre 1923 starb, hat sich auch Friedrich Meinecke (Ernst Troeltsch und das Problem des Historismus/1923) mit dem „komplizierten und faltenreichen“ Historismus-Werk (Meinecke/1923, Zitate nach 1948, hier 213) auseinandergesetzt. In Meineckes Besprechung, welche die „Zentralfrage“ des Buches darin sieht, wie „man von dem Historismus wieder zu einer Wertlehre“ gelangt (224), wird Ranke lediglich mit einem der Lieblingsgedanken Meineckes gestreift, als einer der Väter der Individualitätsidee (222). Stärker auf Ranke bezogen als Meineckes Beitrag waren die gelegentlich etwas plakativ und unabgewogen auftretenden kritischen Studien Otto Hintzes (s. auch I, 438f. u. 467) über ‚Troeltsch und die Probleme des Historismus‘ (1927, Zitate nach Ges. Abhh. II/1982). - Hintze sieht in Troeltsch den „Epigonen des mit Leibniz anhe- 471 -

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benden und in Hegel und Ranke gipfelnden deutschen Idealismus...“ (324). Der Historismus-Begriff Troeltschs sei zu weit gefaßt, „so daß die Probleme des Historismus einfach als die Probleme der Geschichtsphilosophie überhaupt erscheinen könnten. Eine strengere, aber auch engere Auffassung wird geneigt sein, die Bezeichnung ‚Historismus‘ zu beschränken auf die große geistige Umwandlung, die mit Vico, Herder und Rousseau beginnt und in der deutschen Romantik, in der historischen Rechtsschule, in Hegel und Ranke gipfelt.“ (327) - Hintzes beiläufige Behauptung, Rankes frühe Absicht, „die Mär der Weltgeschichte aufzufinden“, sei eine Anspielung auf Gottfried von Straßburg, der Wolfram als ‚vindaere wilder maere‘ bezeichnet habe (332), dürfte allzu weit hergeholt sein. Die damit verbundene intuitionistische Anschauung Hintzes vom „im Grunde künstlerischen Quellpunkt seiner gelehrten Bestrebungen...“ (ebd.) stellt eine Grundthese auch der jüngsten Ranke-Deutungen dar, die in ihrer Ausschließlichkeit umstritten bleiben dürfte. - Ausführlicher, doch weiterhin unbelegt, behandelt Hintze die historischen Ideen, die Ranke als „real-geistige“ Tendenzen bezeichnet habe, ohne näher auf ihre Herkunft einzugehen (349). Gegenüber Troeltsch stellt Hintze fest, daß er selbst darin „keine aus übermenschlicher Sphäre stammenden Offenbarungen“ sehe, „sondern recht eigentlich das Werk der menschlichen Kulturgemeinschaften und ihrer individuellen Führer und Träger selbst, womit ... das Geheimnisvolle und Unerklärliche der schöpferischen Produktion aus der Tiefe der individuellen Selbstversenkung heraus... keineswegs geleugnet werden soll.“ (352). Rankes real-geistige Tendenzen, welche nicht „schlechthin als eine Selbstbewegung des göttlichen Geistes bezeichnet werden“ können (368), zeigen nach Hintze „einen Ausgleich zwischen den realen, triebhaft bedingten Interessen und den vernünftigen geistigen Zielen...“ und „... erscheinen zugleich wie eine Versöhnung zwischen dem pragmatischen und dem Entwicklungsprinzip.“ (355). - Ranke habe zwar die Fortschrittsidee abgelehnt, doch im Grunde erkenne „auch er einen beständigen Fortgang der Weltgeschichte auf ein ideales Endziel an, so stark er auch betont, daß keine Epoche nur um der folgenden oder um dieses Endzieles willen da“ ist (356). Wiederum eine sehr weitreichende, hier allzu kurz reflektierte These Hintzes. - Zuletzt wird die Rankesche Auffassung der Weltgeschichte, der auch Hintze anzuhängen scheint, mit der v. a. von Spengler vertretenen Kulturkreislehre konfrontiert, wobei kein Widerspruch zu sehen sei, „sondern sie ergänzen sich vielmehr gegenseitig.“ (358), was allein aus formal phänomenologischen Gründen als völlig abwegig anzusehen ist: Rankes welthistorische Sicht ist mit zyklischen Vorstellungen nicht vereinbar. Von der ‚Krisis des Historismus‘ handelt in Aufnahme des Titels von Troeltschs Beitrag aus dem Jahre 1922 ein 1929 gehaltener und 1932 erweitert veröffentlichter Vortrag des bei Lamprecht promovierten (Beyreuther, Erich: Heussi, Karl. In: NDB 9, 1972, 58 f.) Kirchenhistorikers Karl Heussi (1877-1961), der sich durch seine systematische Anlage auszeichnet. Heussi hatte sich bereits 1921 in einem Werk über ‚Altertum, Mittelalter und Neuzeit in der Kirchengeschichte‘ kurz zu Ranke geäußert (s. I, 489). In seinem genannten Vortrag versteht er unter ‚Historismus‘ die Geschichtsschreibung der Zeit um 1900, was von Friedrich Meinecke in einer Skizze ‚Von der Krisis des Historismus‘ verständlicherweise als „viel zu eng bekämpft“ wurde (Von der Krisis/1942, 115). Dabei gedachte er freilich weder Rankes noch sprach er Troeltschs Krisis-Beitrag von 1922 an. - Für diese Zeit um 1900 und sein Historismus-Verständnis seien, so Heussi, „vier Momente konstitutiv: eine bestimmte Stellung zum Objektivismus-Subjektivismus-Problem, die durchgehende Einordnung aller geschichtlichen - 472 -

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Größen in umfassende Zusammenhänge, die Vorstellung durchgängiger Entwicklung und die Beschränkung der Geschichte auf die Welt der Immanenz.“ (20). ‚Krisis des Historismus‘ ist für Heussi „die Krisis des historischen Denkens in den Jahren nach dem Weltkriege.“ (21). Andererseits sieht er diese Krisis schon in den Zwanziger Jahren wieder „ermatten“ (s. u.). Die „eigentliche Krisis des Historismus“ sah auch Meinecke mit Heussi in der Nachkriegszeit (Meinecke: Von der Krisis des Historismus/1942, 120), desgleichen die Beruhigung der Krise „schon vor 1932“ (121). - Neuere historiographiegeschichtliche Ansätze sehen die Krisis bereits am Ausgang des 19. Jahrhunderts wirksam (Fehrenbach/1974, 54; Jaeger u. Rüsen/1992, 141), ältere sehen sie weder hier noch da, sondern früher. Von Fueter beispielsweise wurde unter Vermeidung des Begriffs ‚Krise‘ in seiner ‚Geschichte der Neueren Historiographie‘ ein starker Wandel in der Entwicklung der Geschichtswissenschaft durch die „Folgeerscheinungen“ des Krieges von 1870 gesehen (Fueter/Geschichte/1911, 601), ein Ereignis, das auch für Ranke von tiefgreifender Bedeutung war. Below sprach in seiner ‚Deutschen Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unseren Tagen‘ zwar von „mannigfachen und heftigen Kämpfen“ der Historiographie im 19. Jahrhundert, sah aber eine „Einheit der Entwicklung der deutschen Geschichtswissenschaft“, eine Grundlage, die der „reiche Ausbau, den die neueren Jahrzehnte gebracht haben ... nicht verändern“ (Below: Geschichtschreibung ²1924, IXsq.). - Es fragt sich: Gab es in den ersten Jahrzehnten des neuen Jahrhunderts Erscheinungen neben dem Streit um die Kulturgeschichte, die man als Krisis der Geschichtswissenschaft oder des allgemeinen historischen Denkens bezeichnen könnte, gab es sie mit oder ohne das zeitgenössische Bewußtsein einer solchen, und hat dies Auswirkungen auf das Verhältnis zu Ranke gezeitigt? - Heussi sucht in seiner bedeutenden Schrift zunächst eine Klärung des schon damals uneinheitlich verwendeten Begriffs ‚Historismus‘ (interessant auch die vielfältigen Bestimmungen des Begriffs ‚Geschichte‘, 41ff.) und wendet sich dann unter Berücksichtigung umfänglicher Literatur der Frage zu, „inwieweit die große geistige Krisis, die wir in den letzten Jahrzehnten“ [zuvor war von einem derart weiten Zeitraum bei ihm nicht die Rede] „erlebt haben, den Historismus im Sinne der um 1900 üblichen Auffassung der historischen Wissenschaft ins Wanken gebracht oder doch entscheidend abzu|wandeln vermocht hat. Es ist die Bilanz dieses Historismus, die hier gezogen wird.“ (III-IV). Mit dem „Ermatten der Krisis des Historismus“ in den zwanziger Jahren könne man „sofort den Ruf nach kontemplativer Geschichtschreibung“ [im Sinne R.s] „vernehmen.“ (65). - Heussi setzt sich im Zusammenhang mit dem Problem des historischen Relativismus mit der These Diltheys auseinander, das „Ergebnis der großen historischen Wissenschaft seit Grimm, Boeckh und Ranke“ sei die „Anarchie der Werte“ (73ff. mit A. 1). Ein Thema, das nach dem Zweiten Weltkrieg u. a. bei Rantzau und Srbik wieder zur Sprache kommt (Rantzau/1950, 520f.; Srbik I/1950, 255). Der im Rahmen des Entwicklungsbegriffs von Heussi kurz erörterte Fortschrittsbegriff bezieht sich enger auf Ranke (79f.), wobei jedoch lediglich der „materielle und geistige Fortschritt“, nicht das schwierigere Problem des moralischen betrachtet wird. - Die Abschnitte über die Möglichkeit einer Universalgeschichte und das Problem der Periodisierung (84ff.) nennen Ranke nicht, betreffen ihn jedoch. Dies gilt auch für Heussis Bemerkungen zur ‚Ideengeschichte‘ nach 1900. Durch sie sei „das Problem, das durch das Begriffspaar ‚immanent-transzendent‘ gegeben ist, verfeinert. Es ist sozusagen eine Transzendenz innerhalb der Immanenz erschlossen. Aber keineswegs ist ein Durchbruch zum Metaphysischen im strengen Sinne von der Historie her erreicht.“ (104). - Heussi äußerte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg noch zu - 473 -

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Ranke (s. I, 500, 608f.). - Beiläufig: Benedetto Croces Antihistorismus-Vortrag, 1931 in einer von Karl Voßler gefertigten Übersetzung in der ‚Historischen Zeitschrift‘ erschienen (HZ 143, 457-466), berücksichtigt Ranke nicht. Justus Hashagen (1877-1961), bei Karl Lamprecht promoviert, der sich auch in den kommenden Jahrzehnten weiterhin ausgiebig mit Ranke befaßte, billigte in einem ganz auf ‚Troeltsch und Ranke‘ zugeschnittenen Beitrag (Hashagen/1929/30) dem Religionssoziologen zu, er habe als erster in voller Schärfe die Frage aufgeworfen, welcher der großen geistigen Mächte seiner Zeit Ranke am tiefsten verpflichtet sei. Hashagen gelangt nun auf der Grundlage von Simons Dissertation über ‚Ranke und Hegel‘ (1928) zu der Ansicht, daß die von Troeltsch behauptete Verwandtschaft Rankes mit Hegel „den äußeren und inneren Tatsachen ihres wirklichen Verhältnisses nicht entspricht“ (7). Auch der Joachimsenschen (angeblichen) Überbewertung neuhumanistischer Bildungselemente bei Ranke (HZ 134, 373 u. Einleitung zur DtG, s. II/9.3, 1925) glaubt Hashagen sich widersetzen zu müssen. Seine eigene Ansicht stellt indes nur wieder eine weitere Vereinseitigung dar. Ihm geht es - und dies ohne Neuigkeitswert - in erster Linie darum, Ranke in die Romantik bzw. den Irrationalismus einzuordnen (s. auch I, 488). Dahinter scheint sich bei Hashagen eine Auffassung zu verbergen, der die allseits geistesgeschichtlich bestimmte Persönlichkeit als Individualität verloren zu gehen droht: „Was manchem bei Ranke vielleicht noch als geniale Neuerung oder als Offenbarung erscheint, ist in Wirklichkeit altererbtes Kulturgut, das sich bei Ranke, angefangen von den vorromantischen Ursprüngen, ganz kontinuierlich entwickelt.“ (10). Der Religionswissenschaftler Joachim Wach (1898-1955) ist vorgeblich weniger an Ranke als an allgemeineren Fragen interessiert. In einem Essay über ‚Die Geschichtsphilosophie des 19. Jahrhunderts und die Theologie der Geschichte‘ von 1930 (Wach/ 1930) geht er aus von Troeltsch’s Feststellung (Der Historismus und seine Probleme/1922) eines Nachlassens geschichtsphilosophischer Bemühungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und versucht, verbunden mit der Erörterung grundsätzlicher Fragen, einen Überblick über die Entwürfe christlicher Geschichtsphilosophie bei (ausschließlich deutschen) Kirchenhistorikern und Theologen bis hinein in das 20. Jahrhundert. Rankes weltgeschichtliche Betrachtung wird kurz gestreift hinsichtlich ihrer „spezifisch christlichen Züge“ (4f.) - sein ‚immanenter Theismus‘ sei desgleichen auf Droysen anwendbar (5) - und hinsichtlich ihres Europazentrismus, in dem Troeltsch ihm rechtfertigend gefolgt sei (12). Auch im dritten Band von Wachs Werk über ‚Das Verstehen‘ (1933) soll Ranke nicht „um seiner selbst willen“ betrachtet werden, „sondern um seines Beitrags zur Entwicklung der Lehre vom Verstehen willen“ (90), obgleich in erster Linie doch ausdrücklich der Versuch unternommen wird, „die Lehre vom geschichtlichen Verstehen bei Ranke“ zu entwickeln. Verspätet und vergebens wirft Wach die Frage auf: „gibt es überhaupt so etwas?“ und beantwortet sie mit ‚ja‘, obgleich er sofort zugeben muß, daß eine „systematische Lehre vom Verstehen“ bei Ranke nicht vorliegt (93). Der Erörterung der damit verbundenen Probleme gibt Wach dann unbegreiflicherweise lediglich in einer Fußnote Raum. Das dort erläuterte Findungs-Verfahren besteht darin, daß - proseminaristisch - „eine These im allgemeinen durch Anführung e i n e r [i. T.] Belegstelle“ erhärtet wird. Diese mit einer Reihe kurzer, nicht immer zum Thema gehörender Literaturreferate einhergehende Sammlung einzelner Äußerungen Rankes konnte erwartungsgemäß zu keinem zusammenhängend formulierbaren Ergebnis führen. - Im übrigen ist Wachs Hinweis auf den Einfluß der Rankeschen - von Droysen gänzlich bestrittenen - Verstehens- 474 -

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„Konzeption“ auf Dilthey festzuhalten (94), ja, diese Rankesche Konzeption sei gar „ein Anlaß geworden zu der großen Auseinandersetzung, die sich in den Geisteswissenschaften in unseren Tagen [an]geschlossen“ habe (ebd.), eine weitreichende Behauptung, der keine Nachweise folgen konnten. Zu lernen sei von Ranke „Hingabe an die Sache, Streben nach Gerechtigkeit, vornehme Gesinnung, vollendete Meisterschaft geistiger Gestaltung“ (90). Doch steht all dies in keinem Zusammenhang mit dem vorgegebenen Thema des ‚Verstehens‘. Son s tige philosoph isch ausg erich tete Stimme n , b esond ers zur ‚Ide en lehr e ‘ (I/2.3.1.3) Im Jahre 1919 erschien die dritte größere deutsche Historiographiegeschichte des Jahrzehnts, Moriz Ritters ‚Entwicklung der Geschichtswissenschaft an den führenden Werken betrachtet‘. Sie ist völlig personalistisch angelegt, enthält weit ausgeführte, weniger zusammengeführte historiographiegeschichtliche Einzelportäts, kann insofern ihrer Aufgabe kaum gerecht werden. Mit Ranke befaßt sie sich in fast überproportionaler Ausführlichkeit (5. Buch, 4. Kap.: Ranke, 362-421 u. ö.), wobei sie großes Interesse an Fragen der Religion in Rankes Werk zeigt, wohl erstmals in dieser Breite, unternimmt es ferner - und dabei mag Nalbandian (1901) gelegentlich im Hintergrund stehen - zukunftsträchtig die Begriffe Rankes von Staat und Nation, Kultur, Fortschritt und seinen Epochenbegriff zu deuten, sowie die Rollen von Einzelperson und „allgemeinen Mächten“ unter den Gesichtspunkten von Freiheit und Notwendigkeit zu betrachten. Dabei sieht Ritter Einflüsse Platos und Fichtes gegeben. Auch in Ritters Werk stehen Rankes ‚Ideen‘ mit im Vordergrund. Sie sind jedoch, trotz der Rankeschen Fassung in „einigermaßen dunklen Wendungen“ (366) und der Fülle an Synonymen, für Ritter nicht problematisch. Anhand zahlreicher Beispiele bildet er unter den ‚objektiven‘ und ‚subjektiven‘ mehrere Klassen (366ff.) und erkennt zwischen ihrer Transzendenz und Immanenz nur einen „scheinbaren Widerspruch“ (369): Zwar von Gott den Menschen eingegeben, seien sie doch nur „Keime“, welche weder Vernunft noch freien Willen determinieren (369), - eine nicht ungeschickte, aber doch wohl verharmlosende Lösung. In dieser Weise richtig verstanden, so Ritter, bestehe sogar zwischen Rankes Ideen und Lamprechts ‚immanenter Entwicklungstendenz‘ eine „nähere Verwandtschaft“ (456). Überhaupt versucht Ritter in gänzlich unpolemischer Weise gegen Lamprecht Gerechtigkeit walten zu lassen: Zwar lehnt er „eine Herabsetzung der staatlichen Geschichte auf gleichen Fuß mit jedem größeren Kulturgebiet“ ab (458), doch „mitten in den Irrtümern“ biete Lamprecht „vielversprechende Anregungen“: „Er greift in die tiefsten Aufgaben der Geschichtswissenschaft und drängt mit energischer Fragestellung auf ihre Lösung. Er lehrt uns, daß unsere Wissenschaft sich noch mitten im Fluß und nicht am Ende befindet.“ (461), eine den häufig idealisierten Rankeschen End-Zustand mit Recht auflösende Bemerkung. Erich Brandenburg (1868-1946), Schüler von Max Lenz und später in Leipzig Professor für neuere Geschichte, befaßte sich zunächst mehrfach mit dem Rankeschen Thema der Reformation, sodann mit dem Lenzschen der Bismarckzeit (W. Goetz: Erich Brandenburg/(1950). In: Ders. Historiker in meiner Zeit/1957, 376f.). 1917 trat er in seiner Schrift ‚50 Jahre Nationalliberale Partei 1867-1917‘, für eine „starke monarchische Regierung“ ein (32) und verherrlichte den „Machtgedanken“ als das „Grundprinzip alles staatlichen Lebens“ (19). In seiner dem Lehrer Max Lenz gewidmeten Schrift von 1920, ‚Die materialistische Geschichtsauffassung. Ihr Wesen und ihre - 475 -

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Wandlungen‘ vergleicht er abschließend die geschichtsphilosophischen Ansätze des Wiener Sozialphilosophen Max Adler (1873-1937) in dessen Schriften ‚Kausalität und Teleologie im Streit um die Wissenschaft‘ (Marx-Studien 1, Wien 1904) und ‚Marxistische Probleme‘ (Stg. 1913) mit den Rankeschen ‚Ideen‘. Die Schwäche der Adlerschen Theorie sieht er in der Annahme eines lediglich „einzigen für die menschlichen Handlungen bestimmenden ethischen Wertes, die sozialistische Idee“ (56), wohingegen die Ideen des „großen Empirikers“ Ranke, „die den Sozialisten so gut wie unbekannt geblieben zu sein“ schienen, auch als „sittliche Mächte“ und „moralische Energien“ doch weder hierarchisch geordnet noch in ihrem Auftreten vorherbestimmbar seien (57). - In den Sommersemestern 1929 und 1932 hielt Brandenburg ‚Übungen zur Geschichtsauffassung Rankes und Jacob Burckhardts‘ und ‚Übungen zur Geschichtsauffassung Hegels und Rankes‘ (Blanke, Jaeger: Historik/1994, 295, A.117). Sein 1941 vor der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gehaltener Vortrag, ‚Der Begriff der Entwicklung und seine Anwendung auf die Geschichte‘, gab Meinecke Anlaß zur Kritik (s. I, 526). - Brandenburgs Ranke-Aktivitäten endeten 1943 mit einer biographischen Skizze zu dem Sammelband ‚Schulpforte und das deutsche Geistesleben‘. Brandenburgs Schrift über ‚Die materialistische Geschichtsauffassung‘ fand Zustimmung bei dem vermutlich im Schuldienst stehenden, jedenfalls bei Velhagen und Klasing veröffentlichenden Dr. Paul Ostwald. Bevor er 1922 eine Schrift über den imperialistischen Gedanken in der Weltgeschichte veröffentlichte, legte er 1920 ein Heft vor mit der später von Wehler (1988, s. I, 568f.) entschiedenen Frage ‚Marx oder Ranke?‘ Ostwald wendet sich darin vor allem gegen die von Marx und Kautsky vorgenommene „Vergewaltigung des Geistigen durch das Wirtschaftliche“ (12). Mit Blick auf Rankes Ideenbegriff gelangt er zu der Feststellung: „Das Kausalverhältnis zwischen Ideen und den Umwälzungen in der Gesellschaft liegt nicht so, wie es Marx im Kommunistischen Manifest und seiner Verteidigungsrede klarlegt, sondern gerade umgekehrt. In den ideologischen Momenten, in den Ideen, den herrschenden geistigen Tendenzen haben wir mit dem Altmeister der deutschen Geschichtsschreibung die wahren und wirklichen Triebkräfte zu sehen.“ (16). Gegen die marxistische Geschichtsauffassung gewandt, sieht er bei Ranke auch die gegenseitige Bedingtheit im Wirken von Volksmasse und Einzelpersönlichkeit und schließt mit dem Wunsch: „Im Rankeschen Geiste soll uns daher die Geschichte eine Mahnerin, ein Lehrmeister und eine stete Begleiterin bleiben ... Denn bitter nötig haben wir es, ein politisch reifes Volk zu werden - dieses Ziel aber erreichen wir nur mit Hilfe der Geschichte.“ (32). Eine „Synthese von Ranke und Marx“ verlangte hingegen der Journalist und Historiker der deutschen Arbeiterbewegung Gustav Mayer (1871-1948). In seinen ‚Erinnerungen‘ berichtet er von einem Gespräch mit Friedrich Meinecke nach Kriegsende. Während Mayer Ranke für „widerlegt“ erklärte, hielt Meinecke dafür, daß „die Gegensätze der großen Weltstaaten die beherrschenden Kräfte“ blieben. Mayer gab dies zu, „verlangte“ aber die oben genannte Synthese (Mayer/1949, 298f. Dazu Faulenbach/1980, 88). Zu solchen Synthesen fanden sich die folgenden Deuter Rankes nicht bereit. Der wandlungsfähige sozialdemokratische Politiker und a. o. Professor für Sozial- und Wirtschaftsgeschichte an der Universität Berlin, Paul Lensch (1873-1926, Krause, Gisela M.: Lensch, Paul. In: NDB 14/1985, 215-217), unternahm in der ‚Deutschen Allgemeinen Zeitung‘ vom 22. 5. 1926 weniger den Versuch, Rankes Stellung in der Geschichte der Historiographie aufzuzeigen, als eine mit marxistischen Zügen durchsetzte, durch das Memorialjahr 1926 hervorgerufene platte Kritik. Ranke habe den - 476 -

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‚Ideen’ keine materielle Grundlage verliehen, und in der Frage nach ihrer Entstehung sei er mit dem „naivsten Gottglauben an den persönlichen Gott“ einem „seltsamen Versagen“ erlegen. Lensch bemerkt bei Ranke, wie zu dessen Lebzeiten des öfteren geäußert, auch eine „fast ans Komische grenzende Manier, die Sünden der Großen“ zu beschönigen u. a. m. (Lensch/1926). - Mikhail Nikolaevich Pokrowski (1868-1932) hatte sich in einer Arbeit des Moskauer ‚Instituts der Roten Professoren‘ 1927 auf den Vorwurf des Nationalismus festgelegt, der „am krassesten“ in der „deutschen historischen Schule Rankes“ zum Ausdruck gekommen sei (Pokrowski/1927, Zitat nach 1928, 30). Ein wenig differenzierter war das Urteil des KPD-Mitglieds und 1938 als Opfer des Stalinismus hingerichteten (Wikipedia) Karl Schmückle. In dem 1929 ‚Unter dem Banner des Marxismus‘ veröffentlichten Beitrag ‚Zur Kritik des deutschen Historismus. Ranke und das Legitimitätsprinzip‘ erscheint Ranke als der „hervorragendste Vertreter des alten Legitimitätsprinzips und der Restaurationsideologie“ (288): „Ranke, das ist nur ein anderer Name für Bismarck“ (288f.). Schmückle betont besonders die „umfassenden und radikalen Gegensätze zwischen der Rankeschen und der Hegelschen Auffassung von Staat, Gesellschaft, Geschichte“ (296) und gibt folgende Zusammenfassung: „Ranke ist unbestritten der Lehrmeister und eigentliche Begründer der spezifisch ‚deutschen‘, spezifisch ideologischen Geschichtsauffassung. Er selbst fußt auf den reaktionären Voraussetzungen der Restaurationsepoche, als deren Apologet er seine Laufbahn beginnt. Indem die moderne deutsche Geschichtsschreibung ihre grundlegenden Kategorien aus dem Historismus Rankes (und der ‚historischen Schule‘) übernimmt, übernimmt und konserviert sie zugleich die prinzipiell-reaktionäre Fassung dieser Kategorien. Die ‚Hieroglyphe‘ der Rankeschen ‚Staatsidee‘ insbesondere ist das Zeichen, dem diese Priester der Historie, wenn auch in Gewändern von bürgerlichmodernisiertem Zuschnitt, noch heute folgen“ (297), eine Bemerkung, die besonders auf Friedrich Meinecke gemünzt sein dürfte. Martin Haeusers Marburger Dissertation über ‚Rankes Ideenlehre‘ (1921) handelt sehr allgemein von Rankes „Stellungnahme gegen Hegel“, bei der er sich „gegen die von der spekulativen Philosophie geforderte Systematisierung der Geschichte“ wende (13). Jedoch sieht Haeuser Beziehungen zur Naturphilosophie Goethes (41f.). Im übrigen ist sein Interesse ein post-rankesches, in dem - gleichsam exterritorial - keine weiteren Einflüsse bzw. Zusammenhänge Rankes mit der zeitgenössischen Geistesgeschichte sichtbar werden können: Haeuser vergleicht Rankes ‚Ideenlehre‘ vielmehr mit Euckens ‚Syntagmenlehre‘ (29ff.), sodann mit der Diltheyschen Lehre vom Verstehen (33ff.) und wendet sich schließlich den Auseinandersetzungen Lamprechts mit Rachfahl über den Ideenbegriff Rankes zu (44ff.). Insgesamt konstatiert er einen „determinierenden Charakter der Rankeschen Idee“ (38) und stellt fest, diese Ideen seien „überhaupt nicht entstanden“, sondern bildeten „die Grundpfeiler der geschichtlichen Wirklichkeit“ (40). Rankes „Panentheismus“ sei „der metaphysisch-religiöse Hintergrund seiner Ideenlehre“. Ranke lasse „die Ideen bald der psychologisch-empirischen, bald der göttlichen Sphäre entspringen“ (49). - Die im Vorjahr erschienene, bei Brandi gefertigte Dissertation von Kurt Besser über ‚Rankes Ideenlehre, dargestellt im Anschluss an seine „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“ und seine, dieselbe Periode betreffenden Aeusserungen zur „Eigenen Lebensgeschichte“. (S. W. Bd. 53/54)‘ hat lediglich den Rang einer weithin zitierenden und referierenden Seminararbeit. Hellmuth Bötticher deutete in seiner Breslauer Dissertation ‚Rankes Geschichtsanschauung als seelische Erlebnisform‘ (1921). Ihm ging es offenbar ebensosehr um den - 477 -

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Aufweis der Fruchtbarkeit der sogenannten „geistbiologischen“ Methode seines Lehrers Eugen Kühnemann (1868-1946) wie um Ranke selbst. Geschichtsanschauung ist dabei „als die, wenn man will, individual-psychische Anschauungsform a priori“ verstanden, „die alles Inhaltliche in seinem So-sein erst begründet, d. h. erklärt“. Diese Methode führt den Verfasser dann auch zu Erkenntnissen, die zwar individuell, aber unbegründet sind, etwa zu dem allzu schematischen Dreistadiengesetz: 1) Vorherrschen des Rein-Individuellen [ob solches, sich selbst aufhebend, überhaupt denkbar ist, wird nicht erörtert] beim jungen Historiker. 2) Synthese des Individuellen und Allgemeinen „als Symbol des reifen, harmonischen Geistes“, 3) Zurücktreten des ReinIndividuellen zugunsten der Vorherrschaft des Allgemeinen, als Symptom der Altersübersichtigkeit. Der Verfasser versteht sich auch auf einen logikfreien hermeneutischen Doppelzirkel: „Nachdem der Objektivitätsgedanke durch die eigene Formung, die er bei Ranke erfährt, erkannt, also [!] der objektive Maßstab gewonnen ist, kann diese ganz spezifische Formung selber zum Gegenstand der Untersuchung werden, um darin Rankes Anschauungsart dem Geschichtsleben gegenüber zu erfassen.“ Auch Franz Schnabel (1887-1966) widmete sich 1925 dem Thema der historischen Ideenlehre, wobei er auf dem üblichen Wege von Plato über Kant, Schelling, Fichte, Hegel, Humboldt zu Ranke gelangte. Seine z. T. auf Spranger und Meinecke beruhende (Übernahme der Panentheismus-These), allzu kurze und wiederum ungenetische Betrachtung des Rankeschen Ideenbegriffs konnte auf diese Weise keine tiefere Analyse erreichen, möglicherweise war dies der gewählten Zeitschrift in ihrer jugendbildnerischen Aufgabe zuzuschreiben. Individuen sind „Träger einer Idee“ (Schnabel/1925, 92), Völker und Staaten sind „‚Ideen‘, konkrete Träger des Lebens, die eben darum ihr Gesetz in sich selber haben und keinen fremden Ideen dienen können“ (93). Der Beitrag endet mit einem Lob der Marx’schen Geschichtsanschauung, der gefunden habe, „daß nicht die Dinge aus den Ideen, sondern die Ideen aus den Dingen zu erklären seien“ (ebd.). Gleichwohl sei „der Geist der Rankeschen Forschung“ bestehen geblieben, „weil er tiefer als alle anderen in das eigentliche Wesen der Geschichte eingedrungen“ sei „und von der historischen Ideenlehre nur so viel bewahrt“ habe, „als die Ehrfurcht vor den Tatsachen gestatten konnte.“ (ebd.). Das Lob Karl Marx’ hat in Schnabels Ranke-Beitrag zum nationalsozialistischen Jahr 1936 verständlicherweise keine vernehmbare Gültigkeit mehr (s. I, 515). Der Tübinger Philosoph Theodor Haering (1884-1964) streifte, bevor er 1926 seine für Ranke im weiteren Sinne zu betrachtende Schrift ‚Über Individualität in Natur- und Geisteswelt: Begriffliches und Tatsächliches‘ herausbrachte, in seinem Werk über ‚Hauptprobleme der Geschichtsphilosophie‘ (1925) Ranke nur einige Male. Jedenfalls vertrat er zum Thema ‚Ideengeschichte‘ (s. dort 122) die These, und dabei dürfte Haerings theologische Fundierung mit ihrem zwanghaften Providenzgedanken mitgesprochen haben, eine solche werde „w i r k l i c h e [i. T.] teleologische Zusammenhänge erfassen müssen, wenn sie nicht bloß einen willkürlich-subjektiven Zusammenhang darstellen“ solle. „Dies eben ist auch der tiefere Sinn des Wortes von Ranke, daß jede Epoche ‚unmittelbar zu Gott‘ ist“ (132). Haering ist freilich entgegenzuhalten, daß der Gedanke jedesmaliger Unmittelbarkeit eher unteleologischer Art ist, ja im besonderen nicht den Gang der christlichen, eschatologisch finalisierten ‚Heilsgeschichte‘ beschreibt. Das Thema ‚Ranke und Hegel‘ bleibt weiterhin von vorrangigem Interesse. Eine Erörterung des Verhältnisses Rankes zur Philosophie scheint ohne eindringliche Be- 478 -

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zugnahme auf Hegel nicht möglich. - Ernst Simon verfaßte einen 1925/26 erschienenen Beitrag, betitelt ‚Der Einzelne und die Masse in Hegels Geschichtsphilosophie und Rankes Geschichtsschreibung‘, der 1928 in seine Dissertation ‚Ranke und Hegel‘ überging, mit der er allerdings bereits 1923 bei Hermann Oncken promoviert worden war. Er glaubte, bei Ranke, jener übrigens „unendlich liebenswerten Gestalt“, einen Widerspruch von Geschichtsphilosophie und Geschichtsschreibung, einen für Rankes Eigenart geradezu „konstitutiven“ Widerspruch feststellen zu können. Während Rankes Geschichtsphilosophie - völlig befremdlich als „ungeheurer Komplex“ bezeichnet - i. w. als teleologisch gerichtet aufgefaßt scheint, was auch den Hauptteil der Übereinstimmung mit Hegel ausmache, weist Rankes Geschichtsschreibung Simon zufolge die „Gleichzeitigkeit teleologischer und kausaler Beweisführung“ auf (406). Bei Hegel jedoch, der diese Gleichzeitigkeit auch kenne, überwiege letztlich das teleologische Element. Simon demonstriert dieses Verhältnis an der unterschiedlichen Behandlung der historischen Persönlichkeit, für deren Auswahl bei Ranke wie bei Hegel die „gleichen Gesetze“ gelten, in deren Schilderung jedoch der Unterschied walte, daß der Rankeschen Biographik - und hier fällt Simons Arbeit auf ein tieferes Niveau - mit den zwei Arten der „Porträtierungskunst“, dem Profilbildnis und dem en face-Bildnis, bei Hegel nur das Profilbildnis entspreche. Die Differenzen zwischen Ranke und Hegel entspringen Simon zufolge einer zutiefst „gegensätzlichen religiösen Stellungnahme“ (129). Gewisse Übereinstimmungen seien sichtbar, „wo es sich um das Werturteil dem Katholizismus gegenüber“ handele (132). Auch beim Problem des Fortschritts sei Rankes „historiographische Praxis verschieden von seiner geschichtsphilosophischen Theorie. In der Praxis befolgt er im wesentlichen die Hegelschen Maximen…“, die er im Gespräch mit Kg. Maximilian allerdings ausdrücklich ablehne (189). Übrigens prägte Simon hier das geistreiche Wort, Hegel habe Gott „gekannt“, und Ranke habe „an ihn geglaubt“ (204). Simon, der ferner ausführlich das heute noch mehrfach erörterte (Baur/1998, di Bella/2005/Philipp Müller/2006), wichtige, jedoch schwer zu durchdringende Verhältnis Rankes zu Heinrich Ritter, besonders in Bezug auf Hegel, das Verhältnis zu Schleiermacher und die Leo-Ranke-Auseinandersetzung behandelt, sieht Ranke in einer „milden und gemäßigten kantianischen Luft“ atmen. Von daher habe seine Ideenlehre einen „leise transzendentalen Zug.“ (127). Aufs Ganze stellt Simons vollständige Arbeit von 1928 eine der eindringlichsten, heute noch gelegentlich beachteten Studien (v. a. durch Jordan/1997) nicht nur zum Thema, sondern der RankeLiteratur überhaupt dar, wenngleich vieles heute anders gesehen werden muß, nicht zuletzt die überzogene, ruhigstellende These, von einer „nennenswerten Entwicklung des H is tor ike rs [i. T.] Ranke“ könne man „durchaus nicht sprechen“. (2). Um diese Zeit erschien als eine weitere bemerkenswerte Dissertation die Arbeit des Meinecke-Schülers Gerhard Masur, der sich hier in Fortführung von Gedanken Troeltschs (Der Historismus u. seine Probleme/1922) dem „verehrungswürdigen Gegenstand“ (V) von ‚Rankes Begriff der Weltgeschichte‘ hingibt. Masur betrachtet Rankes ‚Weltgeschichte‘ als „das letzte große Geschichtsbild, in dem sich die christliche Religiosität in ihrer Verbindung mit den philosophischen Grundanschauungen des deutschen Idealismus geäußert“ habe. Sie sei auch die erste Universalgeschichte, welche „den weltgeschichtlichen Zusammenhang unter Anerkennung der Ergebnisse der Entwicklung der historischen Wissenschaft in empirischer Weise aufzubauen sich bemüht“ habe (127). Aus der „Heterogenität dieser beiden Grundelemente“ sieht Masur allerdings „Widersprüche“ entspringen (ebd.), - dies ein von Ranke nicht bemerkter - 479 -

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Zwiespalt -, der „zwischen der Teleologie der universalhistorischen Perspektiven und der Empirie der strengen Forschung“ klaffe (106). Bei aller Verschiedenheit von Hegels Geschichtsphilosophie und Rankes ‚Weltgeschichte‘ sei beiden ein „durchgängiger dialektischer Dynamismus der Ideen gemeinsam“ (128). Im übrigen steht - wie von Ranke selbst geäußert (WG I/1, p. VII) - die (europäische) Kultur als eigentlicher Gegenstand der Weltgeschichte im Mittelpunkt der Betrachtung. - Es stellt, in dieser wie in späteren Arbeiten, eine der größeren Inkonsequenzen der Ranke-Forschung dar, die in seiner ‚Weltgeschichte‘ vermeintlich oder tatsächlich entdeckten Anschauungsprinzipien nicht auch in direktem Zusammenhang mit seinem sonstigen Werk betrachtet zu haben, welches doch auch Teile des Weltgeschehens darzustellen sucht. Dabei könnten sich freilich allgemeine universalhistorische und philosophienahe Grundsätze der ‚Weltgeschichte‘ als nicht konsequent durchgeführt bzw. als nicht existent erweisen. - Konrad Elsholz (1947, 169) warf Masurs Arbeit vor, ihr liege keine „konstruktive Linienführung“ zugrunde, und sie sei „darum als ein typisches Erzeugnis des Historismus anzusehen“. - Georg v. Below nutzte seine Besprechung (1926) eigennützig, indem er Masur mit nur teilweiser Berechtigung als Stütze für seine eigene einseitig romantisierende Ranke-Interpretation (s. G. v. B.: Die deutsche Geschichtsschreibung/1916) wertete. - Ein Beitrag Masurs von 1929 mit dem Titel ‚Geschehen und Geschichte‘ ließ genauere Begriffsbestimmungen erwarten. Doch wurde Ranke darin als Vertreter eines „historischen Objektivismus“ gewürdigt, der „immer den Stolz und die Würde der Geschichte [gemeint: Historie] darein gesetzt“ habe, daß sie zur „höchstmöglichen Deckung von Geschehen und Geschichte fortschreiten könne“ (193ff.). Auch Friedrich Meinecke befaßte sich um diese Zeit mit der Frage nach ‚Kausalitäten und Werten in der Geschichte‘ (1928, Zitate nach WW IV, 2. Aufl./1965). Die wissenschaftliche, von Ranke ausgehende Geschichtsbehandlung habe „auf alle eindeutige und generelle Kausalerklärung“ verzichtet und stattdessen „die künstlerischanschauliche Gestaltung des Geschehenen nicht nur für einen schönen, allenfalls entbehrlichen Schmuck der rein kausal erforschten Substanz der Geschichte“ gehalten, „sondern für ein wesentliches und unentbehrliches Arbeitsmittel gegenüber dem nur teilweise, nicht ganz zu enträtselnden Durcheinander der drei Prägungen“ (63). Darunter versteht Meinecke die von ihm angenommenen „drei verschiedenen Arten von Kausalität“: „die mechanische, die biologische und die geistig-sittliche“ (61). Ranke habe die von Wilhelm von Humboldt geforderte, „auf alle geistigen Werte der Menschheit - denn das sind seine ‚Ideen‘ - gerichtete Geschichtschreibung, fundiert auf Erforschung aller erkennbaren Kausalitäten“, verwirklicht. (71). Er habe „in idealer Weise Kausalitätenforschung und Wertdarstellung organisch miteinander verbunden“ (ebd.). Erstaunlich, weil wohl nicht ganz mit Obigem übereinstimmend, daß Meinecke hier keine genauere Betrachtung des Ranke später von ihm zugesprochenen entgegenlaufenden Providenzgedankens unternimmt (s. Meinecke: Gedanken über Welt- und Universalgeschichte/1942). - Es war wiederum ein Vortrag, in dem sich Meinecke über Ranke äußerte, 1930 gehalten mit dem Thema ‚Geschichte und Gegenwart‘. Nietzsches Historismus-Kritik steht hier ungenannt, aber überdeutlich im Raum. Geht es doch um das „korrosive Gift“, das „in dem alles relativierenden Historismus steckt“ (95. Zitate nach WW IV/²1965) und um Möglichkeiten, es zu überwinden. Wiederum wird Ranke als Leitstern und sein Meinecke immer wieder faszinierendes Epochen-Diktum als Leitsatz, wenn auch schon, wie es scheint, in leicht angegriffener, doch rettender Weise sichtbar. Weder „die Flucht in die Vergangenheit“ (96), noch die Flucht in die Zukunft - 480 -

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seien auf dem richtigen Weg. Doch er sei begangen worden: „Ranke hat ihn, nach noch tieferer Versenkung in das geschichtliche Leben, als sie Goethe möglich war, gefunden.“ (98). Sein Satz von der Unmittelbarkeit einer jeden Epoche zu Gott reiße „uns aus dem bloßen Werdestrom heraus“ (99). „In jeder Epoche, in jedem individuellen Gebilde der Geschichte regen sich seelische Kräfte, die über die dumpfe Natur und den bloßen Egoismus emporstreben in eine höhere Welt.“ (99). Dieser ethisch geprägte Gedanke entspringt dem Versuch Meineckes, Rankes Diktum und seine eigene Existenz vor der in der Epochen-Jeweiligkeit aufscheinenden Gefahr eines völligen Relativismus zu retten. Rankes singuläres Wort wird damit wohl überfordert. Unter den Begriffen ‚Kontinuität‘ und Universalität‘ steht ein Beitrag Julius Kaersts mit dem Titel ‚Die Geschichtsauffassung Rankes und Droysens in ihrer nationalen Bedeutung‘ (Kaerst/1928. Zitate nach Kaerst: Universalgesch./1930). Es handelt sich hier nicht um einen Vergleich Ranke - Droysen. Die kurzen darauf zielenden Bemerkungen (238) sind ohne Heranziehung der entscheidenden kritischen Äußerungen Droysens verfaßt. Kaerst bietet vielmehr Ansätze zu einer Gesamtwürdigung der Rankeschen Geschichtsanschauung, in der er v. a. dessen Kampf gegen die Aufklärung hervorhebt. Sein „Streben nach zusammenhängender Erkenntnis“ mache Ranke „in so besonderem Maße gerade der historischen Wissenschaft der Gegenwart verständlich“ (244), dies besonders betrachtet im „In- und Miteinander des universalen und des individuellen Faktors des staatlichen Lebens“ (247-249) - wobei der Begriff der ‚sozialen Welt‘ unbemerkt ausgeklammert bleibt - und im Verhältnis von deutscher Nation und „europäischer Gemeinschaftlichkeit“. - Der Beitrag endet mit Vergleichen Ranke-Hegel und Ranke-Bismarck. Die später von Kehr beschriebene Abkehr von Treitschke stellt sich bei Meinecke in einem um diese Zeit erschienenen Essay über ‚Johann Gustav Droysen, seinen Briefwechsel und seine Geschichtsschreibung‘ als wissenschaftliche Überlegenheit Rankes über die Richtung der sogenannten ‚politischen Historiker‘ dar (Meinecke/ 1930, Zitate nach WW VII/1968, 128). Dabei seien „die tiefen weltanschaulichen Grundgedanken des deutschen Historismus“ „nicht abgelöst … durch bessere Erkenntnismittel“ und somit der „Fluch des bloßen Epigonentums“ vermeidbar (ebd.). Als Gemeinsamkeit Rankes und Droysens sieht er eine „Symbiose von Glauben und Wissenschaft“ verbunden mit einer „Symbiose von Politik und Wissenschaft“ (141). Über das „sehr merkwürdige Verhältnis Droysens zu Ranke“ (162) folgen einige Andeutungen, die sich auf dessen Kritik an Ranke beziehen: „Mangel an ethischem Wollen, die Fernhaltung von den großen Lebensfragen der Nation, die höfische Leisetreterei und dann den einseitig auf Quellenkritik und Tatsachenermittlung gerichteten Schulbetrieb“ (163). Meinecke sieht v. a. „eine tiefere Differenz der Methode“ und die unterschiedliche Einschätzung möglicher Objektivität (ebd.) als wirksam an. Von Rankes Theorie und Methode handelte hingegen empirisch die bereits 1927 fertiggestellte, 1930 erscheinende Dissertation des Schülers von Erich Marcks, Erich Mülbe, welche ‚Selbstzeugnisse Rankes über seine historische Theorie und Methode im Zusammenhang der zeitgenössischen Geistesrichtungen‘ edierte und interpretierte. Es handelte sich dabei um das unveröffentlichte Fragment eines Ranke-Manuskripts aus dessen Nachlaß (SBB), das Mülbe auf 1831-1835 datierte und dem er den Titel gab ‚Über das Prinzip der universalhistorischen Methode‘ (s. I, 466). Abgesehen von ihrem editorischen Verdienst krankt die Arbeit an der mangelnden Distanz zum „großen Meister“. In seinem Schlußwort charakterisiert Mülbe, was er hat „zeigen wollen: - 481 -

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1. wie Ranke unter dem überwiegenden Gefühl der Religiosität stand, 2. auf welche Weise er sich den dogmatischen Standpunkt des Christentums aus den spekulativen Deutungen der Ideenphilosophen, namentlich aber Fichtes, zu erläutern trachtete, um dadurch zu einem tieferen Verstehen zu gelangen, und endlich 3. wie Ranke seine Auffassung mit der Fülle angeschauten geschichtlichen Daseins bereicherte, es empfangend und durchdringend zugleich“. (123). Auch die Darstellung des Verhältnisses zu Schelling ist recht ausführlich geraten (25ff.). Rankes Auffassung der Hegelschen Philosophie leide darunter, daß er „Hegel eben nicht genügend gekannt“ habe (50), was vornehmlich in seiner Verwechslung der Begriffe „Absoluter Geist“ und „Weltgeist“ (48) deutlich werde. Gegen Ende der Weimarer Zeit griff Kurt Breysig noch einmal nachdrücklich das Thema ‚Ranke‘ auf, in seinem Werk ‚Vom deutschen Geist und seiner Wesensart‘ (1932), dem er als Motto einen Satz Rankes aus dessen Frankfurter Schulrede von 1818 voranstellte: „Immer wird durch die Geschichte jedes Volkes etwas hindurchgehen, das da ewig ist und ursprünglich, das Ihr nicht zu erklären vermögt noch abzuleiten, sondern nur zu erkennen“ [gemeint: ‚wahrzunehmen‘?] (65). - Hinsichtlich der Rankeschen Objektivität und Unparteilichkeit gibt Breysig zwei beachtenswerte Anregungen: Die Rankesche „Objekthaftigkeit“ sei „in Wirklichkeit nur die feinste Maske ... für ein wahrhaft königliches Herrschertum bei der Auslese derjenigen Stoffstücke, die nun das Bild ergeben“ (66), und „eine eindringliche Seelenkunde seines Forschens, seines Urteilens“ werde „immer von neuem feststellen, daß er durch Aufnahme hier, durch Schweigen dort schon unsäglich viel Urteil gefaßt und geübt“ habe, „ohne es nach seiner leisen, ganz verdeckten Art je auszusprechen“ (67). Dennoch erfährt Rankes ‚Weltgeschichte‘ jetzt eine deutlichere Zurückweisung. Sie sei von dem „entwickelnden“, „vergleichenden“, „wirklich Welt und Menschheit umspannenden Sinn“ Herders, Meiners’ und Eichhorns weit entfernt. Niebuhr und Ranke hätten sich „so verhalten“, als hätten diese „nie gelebt“ (61). - Die nachrankesche Geschichtswissenschaft sieht Breysig unter dem Zeichen zunehmenden „Ichverlusts“ (68ff.). - Zu Breysig ist eine Arbeit von Bernhard vom Brocke zu nennen: ‚Kurt Breysig. Geschichtswissenschaft zwischen Historismus und Soziologie‘ (1971), eine in der Breysig-Forschung epochemachende Arbeit, die auch einige zumeist bibliographische Winke für eine Betrachtung des nicht gerade eindeutigen Verhältnisses Breysigs zu Ranke bereit hält (bes. 132f.). Von Interesse ist u. a. ein dort veröffentlichter Brief von Otto Hoetzsch (1876-1946) an Breysig, 7. 7. 1936, in dem dieser die Hoffnung äußert, immer mehr zu Breysigs Werken zu kommen: „Denn sie führen ins Freie, heraus aus dem wohlbehüteten, vor Zugluft geschützten Garten der Rankeschen Ideenlehre, in dem ich einfach nicht mehr atmen kann“ (125). Weniger differenziert als Meinecke und weniger sublim als Breysig behandelte der protestantische Kirchenhistoriker Walther Köhler (1870-1946) in seiner Schrift ‚Historie und Metahistorie in der Kirchengeschichte‘ von 1930 das Objektivitätsthema. Nur selten einmal wurde um diese Zeit die Geltung des Grundsatzes derart massiv angegriffen. Köhler indes polemisierte in seiner Schrift gegen das ‚sagen/zeigen, wie es eigentlich gewesen’ und das ‚sein eigenes Ich Auslöschen‘ Rankes in grundsätzlicher und doch wohl auch plumper Weise: „Die vielgerühmte Objektivität der Geschichte existiert nicht“ (20); kein Geschichtsschreiber arbeite ohne Geschichtsphilosophie, gerade Ranke nicht (21f.). Dies erinnert stark an die damals wohl nicht mehr präsente Kritik des Katholiken Roth von Schreckenstein aus dem Jahr 1860. - 482 -

2. Kapitel (I/2.3.2) DIE ROMANTIK-DISKUSSION Romantik-Zuweisungen Rankes hatten sich bereits zu seinen Lebzeiten in ganz unterschiedlicher Weise geltend gemacht. In den 1840er Jahren behandelte Joseph Hillebrand (s. auch I, 200) Ranke in einem Kapitel ‚Die Wissenschaft während der Epoche und unter dem Principe der Romantik‘ seines Werkes über ‚Die deutsche Nationalliteratur seit dem Anfange des achtzehnten Jahrhunderts, besonders seit Lessing, bis auf die Gegenwart, historisch und ästhetisch-kritisch dargestellt‘. Ranke werde „nicht bloß nach dem Ausgangspunkte seiner historischen Leistungen, sondern auch in Absicht auf den Standpunkt der geschichtlichen Auffassung und der Methode der Darstellung von dem Principe dieser Epoche getragen“ (III/1846, 432). Bei den ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ sieht er „in der Art, wie der Verfasser sich in die inneren n a t i o n a l e n [i. T.] Bezüge versetzt, wie er von hier aus die Wurzeln der europäischen Kultur aufgräbt und den Kern der gesammten neueren Geschichte hervorbildet, sowie in der Kunst organischer Entwickelung den Einfluß der romantischen Richtung.“ (Ebd.). - Johannes Scherr sah die Rankesche Historik im Vergleich mit der Schlosserschen, diese „ein Produkt des emanzipativen Rationalismus“, als ein „Produkt der restaurativen Romantik“ an. Hieraus erkläre sich „der tiefe Respekt Ranke’s vor dem Gewordenen, Gewesenen, Verwesenen, sowie seine Abneigung, seine Furcht vor dem Werdenden und Wachsenden.“ (Scherr (1862)/ 1864, 173). - Einen anderen Aspekt der Romantik nahm der Hallenser Literaturwissenschaftler Rudolf Haym (1821-1901) in seinem bekannten Werk von 1870, ‚Die romantische Schule. Ein Beitrag zur Geschichte des deutschen Geistes‘, für Ranke in Anspruch. Er fand, daß Ranke, der „anerkannte Meister historischer Darstellungskunst unter uns ... durchaus in den ästhetischen Ueberlieferungen“ der romantischen Schule wurzele (Haym/1870, 850). Das Thema erfreute sich durchgängig einer gewissen Beliebtheit, wie unter anderem die verbreitete Schrift Ricarda Huchs (1864-1947) über ‚Ausbreitung und Verfall der Romantik‘ (1902, 5. Aufl. 1917) zeigt: Insofern Ranke „mit Vorliebe diplomatische Quellen für sein Geschichtswerk benützte“ sei er, „unromantisch“ gewesen. Seinen „weltgeschichtlichen Standpunkt indessen hatte er von der Romantik übernommen. Die Idee der Einheit führt die Idee der Universalgeschichte mit, die der Entwickelung bedingt eine verhältnismäßige Entwertung der Tatsache gegenüber dem Werdegange.“ (73f.). - Auch für Karl Lamprecht stand, wie bereits berührt (s. I, 442) fest, Ranke habe „im tiefsten Weltanschauungsgrunde“ der großen idealistischen Philosophie der deutschen Romantik gehuldigt (Lamprecht: Moderne Geschichtswissenschaft/1905, 8). Benedetto Croce glaubte mit einer ebenso unwiderlegbaren wie unbeweisbaren intuitiven Einsicht feststellen zu sollen, die Romantik habe sich „in ihrer echten Form im Eklektizismus Rankes durchgesetzt...“ (Teoria e storia della storiografia, dt. 1915, ital. 1917, hier nach d. Ausg. 1930, 257). Der im Hinblick auf Rankes ‚Philosophie‘ erhobene Eklektizismus-Vorwurf war allerdings nicht neu. Er war nach einigen Vorgängern noch 1891 von Ottokar Lorenz (‚Leopold von Ranke. Die Generationenlehre und der Geschichtsunterricht‘, 544) vorgetragen worden. Ausgelöst wird die auf Ranke bezogene Romantik-Diskussion, so scheint es, noch zu Kriegszeiten besonders durch die offensichtliche Überbewertung des Einflusses der - 483 -

I/2.3.2 Weimarer Zeit - Die Romantik-Diskussion

Romantik auf das verflossene Jahrhundert, so besonders auf Ranke, in Georg von Belows historiographischem Handbuch ‚Die deutsche Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unsern Tagen. Geschichtschreibung und Geschichtsauffassung‘ von 1916. Diese zweite größere deutsche Historiographiegeschichte in diesem Jahrzehnt, (zuerst größtenteils in der ‚Internationalen Monatsschrift 1915 erschienen. Zitate nach der 2. Aufl. 1924), steht hinsichtlich Ranke ganz in Gegensatz zu der Auffassung Fueters in seiner ,Geschichte der neueren Historiographie‘ von 1911 (s. o.). Ranke wird häufig gestreift, besonders behandelt aber in Kap. III: ‚H. Leo, Ranke und seine Schule‘ (17-29) und in Kap V: ‚Die Opposition gegen Ranke und die gesamte Romantik‘ (38-63). (Die bibliogr. Nachweise Belows sind übrigens häufig formal ungenügend.). - Below sieht die allgemeine Bedeutung Rankes in der Geschichte der deutschen Historiographie in einer Verbindung der „durch die romantische Bewegung begründeten neuen Auffassung mit der durch die klassische Philologie (F. A. Wolf und Gottfried Hermann) geschaffenen methodischen Technik unter spezieller Anwendung auf das Studium des Mittelalters und der Neuzeit.“ (21). Er betont die Frontstellung Rankes gegen den Rationalismus, dies sei sein „Grundmotiv“. Er sei „echter Romantiker“, „durchaus romantisch gerichtet“ gewesen (23), sieht dies jedoch verarmt ausschließlich in Zusammenhang mit der quellenkritischen Methode und dem Universalismus Rankes. Auf weiteres, i. b. auf eine Erörterung des Rankeschen ‚Ideenbegriffs‘, sein Verhältnis zur Philosophie des Idealismus läßt sich Below diesmal nicht ein. Die Anklage der „liberalen Individualisten und Demokraten“, welche Ranke „vor allem seine Hochschätzung der staatlichen Gewalt“ vorgeworfen hätten (122), weist Below entschieden zurück. Zwar könne der politische Charakter der Geschichtsschreibung Rankes „nicht im mindesten bestritten werden“, doch sei ihm daraus kein Vorwurf zu machen (25). Die Darstellung Belows ist überhaupt gänzlich vorwurffrei. Er empfiehlt „in der Frage der Objektivität der historischen Darstellung die Rückkehr von Treitschke zu Ranke“, möchte jedoch „andererseits mit Treitschke in der Aufnahme des Stofflichen über Ranke hinaus“ gehen (122). - Nach Schwab (1953, 54ff., s. u.), der die sich anschließende grundsätzliche Auseinandersetzung Belows mit Goetz (‚Die deutsche Geschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts und die Nation‘ von 1919) und wiederum Below (‚Die parteiamtliche neue Geschichtsauffassung‘ von 1920) darlegt, ist Belows Historiographiegeschichte „wohl die auffälligste Schrift für eine Romantiküberbewertung“, in der Ranke „als gefeierter Mittelpunkt der Romantik aufgeführt“ stehe. (Siehe dazu Cassirer/1950, 233f. - Zu Below und dessen Historiographiegeschichte allgemein: Blanke: Historiographiegeschichte/1991, 621-637). Diskussionsfördernd hinsichtlich des Romantik-Verständnisses war eine nur höchst beiläufige Bemerkung in Moriz Ritters 1919 erschienener Historiographiegeschichte ‚Die Entwicklung der Geschichtswissenschaft an den führenden Werken betrachtet‘ (s. I, 475), in der Entwicklung der Geschichtswissenschaft sei die romantische Richtung als ein „Seitenarm“ erschienen, „der bald versandete.“ (333, A. 1). Sein Schwiegersohn, Walter Goetz trat ihm bei, zumal dies eine Kontroverse mit Ritters ehemaligem Doktoranden Below und einen Angriff auf das von diesem geschaffene historiographiegeschichtliche Konkurrenzwerk von 1916 ermöglichte. In seiner Leipziger Antrittsvorlesung, die der ganz anders geartete Nachfolger auf dem Stuhl von Karl Lamprecht unter dem Thema ‚Die deutsche Geschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts und die Nation‘ 1916 hielt - sie erschien überarbeitet 1919 -, schloß sich Goetz ausdrücklich der Anschauung Ritters an, „daß die Bedeutung der Romantik für die Geschichts- 484 -

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wissenschaft des 19. Jahrhunderts nicht überschätzt werden“ dürfe. „Sowohl der historische wie der kritische Sinn gehen in ihren Ursprüngen in eine Zeit zurück, in der es noch keine Romantik gab“, und auch bei Niebuhr und Ranke sei „das romantische Element doch nur ein Teil ihres Antriebs zu historischen Studien gewesen.“ (Goetz (1919)/1957, 89f., A. 2). Von Below wurde die Goetz’sche Antrittsvorlesung beiläufig als „ganz haltlos“ bezeichnet (Below/1921, 8, A. 1). - Rankes ‚Objektivität‘ betrachtet Goetz übrigens allzu oberflächlich idealisiert und nicht ohne Naivität: „Wenn man seiner Geschichtsschreibung eine gewisse Kühle, ja sogar eine zu weitgehende Zurückhaltung in sittlichen Fragen vorgeworfen hat, so sind diese Eigenschaften doch nichts anderes als der Ausdruck eines unerbittlichen Willens zur Unparteilichkeit und zur Erforschung der nackten Wahrheit.“ (94). Der von der Romantik-Thematik geradezu besessene Below, der noch in einer 1925, zwei Jahre vor seinem Tod, erschienenen Selbstdarstellung von früher RankeLektüre und Ranke-Verehrung sprach (Below/1925, 12f., 15, 27), stellte nun den Romantik-Begriff unübersehbar in einen Beitragstitel ein: ‚Romantik und realistische Geschichtsforschung‘ (1919) und verteidigte seine weite Auffassung, namentlich gegen Moriz Ritters ‚Entwicklung der Geschichtswissenschaft‘ und Troeltsch’s u. a. ‚Über den Begriff einer historischen Dialektik‘ (HZ 119 u. 120/1919, später in GS III/1922). Below schätzt den Einfluß Hegels auf Ranke geringer ein als Troeltsch und sieht Ranke sogar in nicht allzu großer Ferne von einer „realistischen“ Geschichtsbetrachtung, worunter er die Betonung des Wirtschaftlichen, das Aufsuchen aller Gemeinschaftsbeziehungen und das Fragen nach Kausalitäten und psychologischer Verwicklung versteht (88f.), eine übertriebene Sicht, die mit der für den Beitrag gewählten Zeitschrift (VSWG) mehr zusammenhängen mochte als mit der Romantik und der Realität selbst. Nicht genug: Im folgenden Jahr (1920) replizierte er Goetz mit der polemisch betitelten Schrift ‚Die parteiamtliche neue Geschichtsauffassung. Ein Beitrag zur Frage der historischen Objektivität‘, welche auch eine Rechtfertigung des von Goetz angegriffenen Belowschen Werkes ‚Die deutsche Geschichtschreibung von den Befreiungskriegen bis zu unsern Tagen‘ darstellte. - Es geht bei dieser Diskussion um eine Standortbestimmung der Geschichtswissenschaft nach der ‚Revolution‘, aus der Rückschau auf die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts, namentlich in ihrem Verhältnis zu Rationalismus und Romantik. Below sucht sich gegen Goetz in seiner Auffassung zu behaupten, „daß die deutsche Geschichtsforschung höheren Stils wesentlich auf dem Boden der Romantik sich entfaltet hat“ (10), daß es „wesentlich die Romantik war, die die Vermittlung zwischen der nationalen Bewegung und der Wissenschaft durchführte“ (8). In diesem Zusammenhang verzeichnet Below „stolz die Erkenntnisse, zu denen Ranke, vor den Historikern aller anderen Nationen gelangt“ sei: „die Anschauung von dem Primat der auswärtigen Politik, von der staatlichen Macht als Grundlage aller Politik, von dem Ineinandergreifen der Verhältnisse der verschiedenen Völker und Staaten, die universale Betrachtung ihrer Bewegung.“ (52-54; s. auch 9, 1217, 27-30, 40f., 68f). - Weiteres findet sich in Belows 1921 erschienenem umfangreichen Beitrag ‚Zur Geschichte der deutschen Geschichtswissenschaft‘, mit dem er den ersten Band der in Wien erscheinenden ‚Historischen Blätter‘ eröffnen durfte, und in dem ihm, vornehmlich gegen Troeltsch gewandt, gleichsam alles zur Romantik wurde, ohne indes eine zusammenhängende Darstellung ihrer Wesenszüge zu geben. Auch fehlt es - wie häufig - an Differenzierungen und Individualisierungen im Lager der romantischen wie der politischen Historiker. Ranke wird neben Savigny, Grimm - 485 -

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und Niebuhr glattweg als „Romantiker“ bezeichnet (Below/1921, 14). Denn nicht, wie Troeltsch annehme, „vor allem Hegel“ führe und beherrsche die Geschichtsschreibung, „sondern Führung und Einfluß gehen unvergleichlich viel mehr von der Romantik aus als von Hegel“ (ebd.), wenn auch in Rechnung zu stellen sei, „daß die großen Geister der historischen Schule wie Ranke den gesamten Gedankeninhalt ihrer Zeit auf sich haben wirken lassen ...“ (20). Savigny, Eichhorn, Grimm, Ranke seien als „Einheit“ anzusehen und stellten „eine spezifisch romantische Periode der Geschichtsforschung und Geschichtschreibung“ dar (25f.), welche „den Sieg über Hegels Geschichtsphilosophie davongetragen“ habe (26). Was die politische Geschichtsschreibung anbelange, als deren Repräsentant Heinrich von Sybel genannt wird, so sei sie „bei allem Gegensatz gegen die spezifisch romantische Geschichtschreibung, das heißt insbesondere die Rankes, doch aus ihr“ hervorgegangen. Der Unterschied liege darin, daß sie „den unmittelbaren Einwirkungen und Forderungen des Lebens mehr nachgeht und daß sie von der Betrachtung, der Doktrin zum Handeln fortschreiten will ... Zum Teil unterscheiden sich die politischen Historiker von Ranke sogar nur dadurch, daß sie ein anderes praktisch-politisches Ideal haben [27:] als er. Ihr Leitmotiv, der nationale Gedanke, stammt ja aus der Romantik.“ Die politischen Historiker seien in Mehrzahl Schüler Rankes, „und nicht etwa bloß auf dem Gebiet der formalen Methode der Quellenforschung, sondern zugleich im historisch-politischen Urteil, in der Betonung des Machtstaatsgedankens“ (27), der jedoch anderweitig auf Hegel zurückgeführt wird (30). Dennoch haben sie in der Auffassung Belows „gegen die Romantiker ihrer Zeit einen Kampf geführt ... gegen Ranke einen stillen, gegen romantische Praktiker einen offenen und heftigen...“ (27). - Ein eingeschränkteres Thema griff Below in einem posthum 1928 erschienenen Beitrag über Rankes Wort des ‚Wie es eigentlich gewesen‘ noch auf. Darin wandte er sich eingangs gegen ein Mißverständnis dieses Diktums, in dem keineswegs eine „von aller Subjektivität freie Geschichtschreibung ausgedrückt“ sei; diese sei „schlechthin unmöglich“ und auch bei Ranke „gar nicht vorhanden“ (452). Es zeigt sich dann aber sogleich, daß Below mit dem gewählten Beitragstitel lediglich einen attraktiven Aufhänger für die nun folgende Verteidigung seines Buches über „Die italienische Kaiserpolitik des deutschen Mittelalters ...“ (1927) gefunden hat, bei der ihm jedoch nur fremde, nicht die eigene Subjektivität zum Problem wird. Kurt Borries widmete in seiner 1925 vorgelegten Schrift ‚Die Romantik und die Geschichte. Studien zur romantischen Lebensform‘ dem Thema ‚Die Idee in der Geschichte‘ (144-161) ein Kapitel, das mit nur z. T. berechtigter Einseitigkeit ganz auf Friedrich Schlegel eingestellt ist. Eigentliche Verbindungslinien zu Ranke sind nur zu ahnen. An bemerkenswerten Einzelheiten läßt sich festhalten: Der Begriff der europäischen Einheit in Rankes ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ sei „ganz wie bei Friedrich Schlegel gefaßt“ (146), ein Gedanke, den Gollwitzer später auf Friedrichs Bruder August Wilhelm bezog (Gollwitzer/1951, 274f.). Die Einleitung enthalte - dies allerdings in seinem ersten Teil ein wissenschaftsgeschichtlich abgegriffener Topos - „alle Elemente, die später in seinem Lebenswerk zur Entfaltung gekommen“ seien (147), darunter auch „embryonenhaft und unbewußt verschlossen, die Ideenlehre“ (ebd.). 1927 unternahm es Borries in einem Beitrag ‚Vom Werdegang Rankes bis zum Antritt seiner Berliner Professur‘, anhand einer Interpretation des sogenannten ‚Lutherfragments‘, der ebenfalls von E. Schweitzer herausgegebenen Schulrede Rankes von 1818 und der beiden Schulreden von 1821 u. 1824 (s. II/2.3), die Borries kurze Zeit nach diesem Aufsatz edierte, in hoher, aber wenig gehaltvoller - 486 -

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Rhetorik den Einfluß der großen Bildungsmächte ‚Rationalismus‘, ‚Idealismus‘, ‚Klassik‘ und ‚Romantik‘ auf die Entstehung der Weltanschauung Rankes darzulegen: „Denn worin bestünde wohl die schicksalhafte Gewalt, mit der Zeitalter und Wertkomplexe die schöpferischen Individuen beeinflussen, worin könnte sie zum Ausdruck kommen, wenn nicht darin, daß der verborgene Keim des individuellen Daseins überall gezwungen wird, sich in sichtbar gleichmäßigen Stufen des Wachstums seinen Körper in der Erscheinung anzubilden? In solchen Symbolen allein ergreifen wir, weit über die gleichklingenden Worte und Formeln hinaus, die tiefere Beziehung, die Ranke mit der Romantik verbindet.“ (38). - In seiner 1930 veröffentlichten Tübinger Antrittsrede über ‚Grenzen und Aufgaben der Geschichte als Wissenschaft‘ behandelte Borries in wiederum eher problemverdeckender als -offenlegender Weise beiläufig das historische Erkennen bei Ranke, wobei er dessen Wort „Ich wünschte mein Selbst gleichsam auszulöschen ...“ in fehlgeleitet dramatisierender Weise das „Gefühl einer tiefen Resignation angesichts der Standpunktsbedingtheit historischer Wertungen“ zuspricht (21). Auch findet er bei Ranke das „Geständnis, daß bei dem Prozeß des historischen Erkennens dem Verstande keine Regel gegeben“ sei (20). Ranke habe „zeitlebens die Ansicht festgehalten, die er als junger Mann in die schlichten Worte kleidet: ‚In aller Geschichte lebt, wohnet, ist Gott zu erkennen‘“ (22), eine ungenetische und in seinem letzten Glied auf Rankes Geschichtsschreibung nicht zutreffende Bemerkung. - Rankes Wort, ‚nur sagen, wie es eigentlich gewesen‘, werde „in seiner einfachen und tiefen Wahrheit immer zu Recht bestehen.“ (35). - Zu Borries’ im selben Jahr erschienenen, Ranke ebenfalls berücksichtigenden Werk über ‚Preußen im Krimkrieg (1853-1856)‘ siehe II/4.2. Alfred Baeumler (1887-1968), der sich schon bald nationalsozialistisch tief verstrickte, ging es in seinem 1926 erschienenen Werk ‚Bachofen, der Mythologe der Romantik‘ darum, Ranke als „Historiker der Romantik“ (CLIII) zu erweisen, um „eine Folie“ für die Darstellung Bachofens als „Mythologen der Romantik“ zu gewinnen. Eine engere Verbindung Rankes zu Bachofen herzustellen, fiel indes schwer; es half da die gesuchte Feststellung nichts, daß beide einem Manne wie Mommsen gegenüber „ihrer Weltanschauung nach doch zusammen“ gehören (CLVII). Baeumler bot auch lediglich Ansätze zu einer Einführung in das problematische Verhältnis Rankes zur Mythologie (CLVI sq.). Von ungeistesgeschichtlichem Schubladendenken zeugt seine Alternative, Ranke müsse entweder Klassiker oder Romantiker sein, „da er zum Realismus nicht gehört“ (CLIX). Die Problematik einer reinlichen Klassifikation des hier wieder ungenetisch gesehenen ‚Normal-Ranke‘ wird auch sichtbar im Bemühen, zu zeigen, daß Ranke, im Gegensatz zu W. v. Humboldt, keine ästhetisch-kontemplative, sondern eine religiös-kontemplative Haltung dem geschichtlichen Leben gegenüber eingenommen habe (CLIV). Eine starke Polarisierung erfährt, zum Zwecke der Romantisierung Rankes, auch das Verhältnis Ranke - Hegel, die Baeumler entschieden und gemeinplätzig als „Antipoden“ darstellt (CLXV). Seine Thesen wurden bereits von Heinrich von Srbik zurückgewiesen (Srbik: Geist II/1951, 421 A. 18). Das 1929 erschiene, differenziert strukturierte Werk des Germanisten Paul Requadt (1902-1983) über ‚Johannes von Müller und der Frühhistorismus‘ gewinnt wesentliche Erkenntnisse aus dem Vergleich seines Helden mit Ranke (bes. 162-198), wobei eine Fülle von Parallelen oder Einflüssen sichtbar werden. Requadt betrachtet Müller in mehrfacher Hinsicht als „Anreger und geistesgeschichtlichen Vorläufer“ Rankes, nicht nur hinsichtlich der venezianischen Relationen, sondern auch mit seinem Gedanken - 487 -

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einer „religiös-empirischen Weltgeschichtsschreibung“ (162) und dem Einfluß seines Darstellungsstils. Es dürfte sich hier um die erste und noch lesenswerte Betrachtung Rankescher Darstellungsmittel aus literaturwissenschaftlicher Sicht handeln. Zu kurzen hymnischen Expektorationen fühlte sich der bereits betrachtete Kurt Breysig in seiner Schrift ‚Vom deutschen Geist und seiner Wesensart‘ (1932) gedrängt. Er gab eine allgemeine Würdigung Rankes, des „erlauchten Wegeweisers und Wegeüberwinders der neuen Geschichtsforschung“, der „so tief in der Romantik ... verwurzelt“ sei, „daß er wie zum Ersatz für die Ziele des Herderschen Zeitalters, denen er freilich so entschlossen wie nur einer den Rücken kehrte, eine Schönheit zeichnerischer Form für seine Einzelschilderung gewann, die ihn als Künstler des Worts und der Abspiegelung der Tat und der bewegenden Kräfte im Täter hoch über alle späteren, alle früheren Geschichtsschreiber hebt“ (65). - Justus Hashagen ging in ‚Die Romantik und die Geschichte‘ (1933) von einer ästhetischen Betrachtung über zu einer religiösethischen: Ranke sei „zwar auch von der Romantik ausgegangen“, habe sie aber dann bald weit überflügelt, weil bei ihm das Wahrheitsstreben „eine noch ganz andere, durchaus religiös, gewissensgebundene Rolle spielte.“ (202). „Erst Ranke nahm den nötigen Abstand vom Zeitgeiste, verschrieb sich der Wahrheit und brachte erst damit die romantischen Keime zu einer für die Wissenschaft so günstigen Entfaltung.“ (204). Wie sich zeigen sollte, verlor Hashagen schon bald selbst den „nötigen Abstand“. Eh dies geschah, erschien 1933 noch die von ihm angeregte, politisch unberührte Dissertation von Ulrich Busse über ‚Das Individuum in Rankes Papstgeschichte und in seinen Frühwerken‘. Die Arbeit kam unter anderem zu dem erfreulichen Ergebnis, „daß es bei Ranke an jedem ... System für die Darstellung des Individuums durchaus“ fehle (69) und daß sich erst in den ‚Päpsten‘ „auf einmal eine sehr große Gewalt der übergreifenden Mächte, namentlich der geistig-religiösen Tendenzen“ entfalte (72). Insgesamt ist diese zu einseitig werkimmanent verfahrende Suche nach Einzelheiten einer umfassenderen Anschauung, die geistesgeschichtlich selbst unlokalisiert bleibt, ohne nennenswerte Wirkung geblieben. - Der Romantik-Thematik näherstehend war die in Leipzig bei Walter Goetz und unter dessen abweisender Romantik-Auffassung gefertigte Dissertation von Rudolf Friedrich, ‚Die Jugendentwicklung Leopold von Rankes und J. G. Fichte‘ (1933, angenommen 29. 7. 1932). Hierin wird wiederum darauf hingewiesen, daß Rankes Erstlingsschrift bereits seine „gesamte Geschichtsanschauung“ zugrunde liege, „die sich künftig nicht wesentlich mehr gewandelt“ habe, „nur von einer eigentlichen Ideenlehre“ fehle „noch jede Spur“ (80). Dies scheint mit Blick auf die Bedeutung letzterer für die Gesamtkonzeption nicht widerspruchsfrei. Friedrich sieht die Einwirkungen Luthers, Fichtes und Herders als allein entscheidend für den jungen Ranke an. Rankes geschichtliche Weltanschauung selbst sei „unter dem Einfluß Herders aus dem Gegensatz zu der rationalistischen und mechanistischen Weltauffassung der Aufklärung und der konstruktiven idealistischen Geschichtsphilosophie entstanden, während sich seine kritische, objektive Geschichtsforschung unter dem Einfluß F. A. Wolfs und Niebuhrs im Widerspruch zum historischen Roman und der romantischen Geschichtsschreibung entwickelt“ habe (80). - Fortführungen der Romantik-Diskussion mit Blick auf Ranke finden sich in den Jahren des Nationalsozialismus u. a. bei Sommerlad (1936, s. u.), in bedeutenderer Weise bei Ernst Cassirer (1937, s. u.), bei O. L. Vajnštejn: Romantičeskaja istoriografija v Germanii (1800-1848). In: Istorik-marksist 1940 (4-5), 64-77 (nach Behrendt/1987, 121 „die erste marxistische Spezialuntersuchung in der UDSSR über Ranke ... das Kapitel - 488 -

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‚Ranke und die romantische Schule‘ aus einem Lehrbuch für Historiographie“), später v. a. bei Rudolf Stadelmann (1948, s. u), ferner bei Michael Schwab (1953, s. u.) und Ernst Schulin (1962, s. u.). In dieser Zeit erfährt auch Rankes Mittelalter-Auffassung eine gelegentliche, beiläufige Aufmerksamkeit. Es handelt sich dabei um Arbeiten von Karl Heussi über ‚Altertum, Mittelalter und Neuzeit in der Kirchengeschichte. Ein Beitrag zum Problem der historischen Periodisierung‘, (Tüb. 1921), der zutreffend feststellte, daß sich in Rankes ‚Weltgeschichte‘ keine eigentliche Periodisierung finde. - Karl Hampe hielt 1924 in Heidelberg eine 1925 im Druck erschienene Rektoratsrede über ‚Kaiser Friedrich II. in der Auffassung der Nachwelt‘. Rankes Darstellung in Band VIII der ‚Weltgeschichte‘ zeige „sicheres Einfühlungsvermögen in Zeittendenzen und Charaktere und ein schlichtes Begreifenwollen statt eines überheblichen Sittenrichtertums. So werden die Schwierigkeiten von Friedrichs Lage hier zuerst voll erfaßt und als seine weltgeschichtliche Aufgabe die Emanzipation der Staatsgewalt von kirchlicher Bevormundung erkannt ...“ (44f.). Nicht bewußt war wohl bei diesem Urteil die unhistorische teleologische Sicht. - Mit Rankes Auffassung des mittelalterlichen Kaisertums befaßte sich auch Walter Schieblich in seiner 1932 erschienenen Schrift ‚Die Auffassung des mittelalterlichen Kaisertums in der deutschen Geschichtsschreibung von Leibniz bis Giesebrecht‘. Für Ranke sei das mittelalterliche Kaisertum „nicht ein dem geschichtlichen Fluß entrücktes Idealbild wie noch für Schlegel und Görres“ (124) - mit ersterem verbänden ihn allerdings „die Grundgedanken der europäischen Einheit und der Kontinuität“ (120) -, vielmehr beziehe er es stets auf den „universalhistorischen Prozeß“. In seinem Bestreben, „überall die Verflechtung und Durchdringung nationaler und universaler Motive aufzudecken“ knüpfe er „zweifellos an romantische Anschauungen“ an, doch fehle seiner Auffassung „jeder Anflug von romantischer Idealisierung“, denn er sehe das Verhältnis dieser Motive mehr nach der allgemeineren, geistigen Art der Frühromantik (125). - Rudolf Stadelmann schrieb mehrfach über das Mittelalter- und Romantik-Thema. So 1930 in einem Beitrag über ‚Jacob Burckhardt und das Mittelalter‘, in dem er besonders Grundzüge des Mittelalterbildes in der politischen Geschichtsschreibung von Luden bis Ranke betrachtete. Dabei stehen Rankes „Zuwendung zu Gott“ und sein Erstlingswerk recht einseitig im Vordergrund (470). Auch seine folgende, kaum denkbare Zusammensetzung geistesgeschichtlicher Ingredienzen ist schablonenhaft und nimmt - ohne auf Rankes Werk im einzelnen einzugehen - einen entwicklungslosen Ranke an: „Indem er den religiösen Historismus Johannes von Müllers, den dramatischen Evolutionismus Herders, die Hegelsche Idee von der Wesenhaftigkeit einer Geschichte des Geistes in der Tiefe seines Genius paarte mit dem Pragmatismus der antiken Geschichtschreibung, entstand die universalhistorische Betrachtung des Mittelalters, wie sie 1824 in dem ‚Umriß einer Abhandlung von der Einheit der romanischen und germanischen Völker …‘ fast beim ersten Anlauf zu einer für ihn endgültigen Formulierung gelangte“ (470). Ranke habe das Mittelalter „universalpragmatisch als eine in der Dynamik der Bildungsgeschichte der abendländischen Menschheit funktionell wesentliche Übergangsepoche gesehen“ (471). Die Auffassung vom kriegerisch-priesterlichen Staat des Mittelalters als eines einzigen individuellen Gebildes, welche Meinecke für eine der größten Leistungen von Rankes synthetischem Denken hielt (1916, zitiert nach WW IV, ²1965, 168), spielt bei Stadelmann zunächst keine Rolle. - Im folgenden Jahr führte er das Thema weiter aus in einem Beitrag ‚Grundformen der Mittelalterauffassung von Herder bis Ranke‘, eine - 489 -

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Art „Ideographie des Mittelalters im Zeitalter der Romantik“ (Stadelmann/1931, 86), worin er v. a. Niebuhr, J. v. Görres, Novalis, Fr. Schlegel, Möser und Fr. Hurter behandelte. Von den vier oder sechs hier entwickelten Formen der Mittelalterauffassung sieht Stadelmann für Ranke, der auch „als Romantiker begonnen“ habe (84), als wirksam an „das universalhistorische Treppenbild, das dem Mittelalter seine gleichsam aus dem Namen abgelesene Zwischenstufenrolle mit höchstmöglicher Objektivität relativisch einräumt.“ (87). Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Stadelmann das RomantikThema erneut aufgegriffen (s. I, 595f.). Zu seinen Spekulationen über Ranke äußerte sich 1953 kritisch besonders Schwab in einer Dissertation über ‚Leopold von Ranke und das Mittelalter‘ (62ff., s. I, 595f.).

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3. Kapitel (I/2.3.3) DI E HI STORISCH E UND POLI TISCH E PERSPEKTI VE Die ‚Rankestudie‘ von Karl Rotthaus (1890-?) über ‚Staatsform und auswärtige Politik‘ von 1920 weist Gedankengut auf, das sich als gefahrvoll erweisen sollte. Rotthaus suchte nachzuweisen, daß der Staat Rankes „seinen Schwerpunkt außerhalb seiner selbst“ habe (4), d. h. „alle inneren Einrichtungen“ sind „auf einen äußeren Zweck bezogen“ (8). Die aus Ranke selbst nicht völlig widerspruchsfrei zu gewinnende Handlungsmaxime vom Primat der Außenpolitik wird hier gleichsam ‚realisiert‘ zur einzigen Determinanten (inner)staatlichen Lebens. Zu diesem Ergebnis gelangt Rotthaus um so leichter, als er die Staaten Rankes kaum mehr als ‚geistige Wesenheiten‘, ‚Gedanken Gottes‘, sondern als „Kampforganisationen“ ansieht, die sich in einem puren actioreactio-Mechanismus befinden, was allerdings bei der Annahme einer Staaten-Vielzahl auf logische und praktische Schwierigkeiten stoßen dürfte. Tiefergehende Fragen nach den auch der Staatsauffassung zugrunde liegenden allgemeinen Anschauungsformen Rankes werden nicht gestellt. So bedeutet es ein Verkennen seines Individualitätsgedankens, diesen aus einer reinen Zweckbestimmtheit begründen zu wollen: „Jede Form [sc. Staatsform] ist gut, welche die von den auswärtigen Zwecken des Staates erforderten Mittel gewährt.“ (19). Rotthaus trat 1943 noch mit einem Beitrag Über ‚Europa im Geschichtsbild Rankes‘ auf (s. I, 520). Eine in der Ranke-Forschung kaum einmal herangezogene wertvolle empirische Untersuchung stellt die von Friedrich Meinecke angeregte Dissertation von Elisabeth Schmitz mit dem Titel ‚Edwin von Manteuffel als Quelle zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV.‘ aus dem Jahre 1921 dar. (Siehe dazu II, 250, 266). Die vergleichsweise zahlreichen ranke-monographischen Dissertationen der Weimarer Jahre befassen sich mit weit auseinanderliegenden Themen. Neben den bereits herangezogenen Arbeiten von Besser (1920), Bötticher (1921), Häuser (1921), Masur (1925), Simon (1928) und Mülbe (1930) traten weitere mit teils historisch-politischer, teils historiographiegeschichtlicher, teils auch literaturwissenschaftlicher Ausrichtung hinzu. Im weiten Vorfeld nationalsozialistischer Gedanken findet sich, wie die Studie von Rotthaus, so auch die Dissertation von Sigurd Paulsen über ‚Leopold von Rankes Lehre vom „organischen Fortschritt“‘ aus dem Jahre 1922. Die Arbeit eines Schülers von Hermann Oncken ist „aus der Erkenntnis heraus entstanden, daß Rankes Lehre vom ‚organischen Fortschritt‘ von dem unabweislichen Bedürfnis des Germanentums, sich in Einklang mit seiner Geschichte weiter zu entwickeln, das zentrale Prinzip seiner Geschichtsschreibung“ sei (1). - Nach Paulsens völlig unbegründeter exzessiver Ansicht ist Ranke ein „politisch eminent schöpferischer Geist“ (ebd.), der seine „politische Arbeit“ „für das Resultat und für das Endziel seiner geschichtlichen Forschung“ hielt (5). Seiner Historie und seiner Politik liege „ein großer einheitlicher Sinn“ zugrunde (10). Daher lehnt Paulsen sowohl die Dietherschen als auch die Meineckeschen Thesen (bes. I, 456f.) zu diesem Thema ab. Über ‚Leopold von Rankes Staatsauffassung und Stellung zur Zeitgeschichte‘ verfaßte Martin Freytag eine 1922 in Jena vorgelegte Dissertation, die sich ebenfalls gegen Diethers Ergebnisse wandte, indem sie die „Urteilsfähigkeit Rankes in politischen Dingen seiner Zeit aufgrund seiner festen Staatsauffassung beweisen“ sollte (unpag. - 491 -

I/2.3.3 Weimarer Zeit - Die historische und politische Perspektive

Fakultätsauszug). Diese wird in allzu schlichter Weise und ohne Neuigkeitswert zusammenfassend charakterisiert als „konservativ, aber nicht reaktionär“ (ebd.). Die durch Walter Goetz geförderte maschinenschriftliche Dissertation von Adolf Schwarz mit dem Titel ‚Studien zu Leopold Rankes politischer Entwicklung, vornehmlich an den verschiedenen Fassungen der drei ersten Werke‘ von 1923 ist unverdient ohne größere Resonanz geblieben. Sie stellt eines der seltenen frühen Beispiele entschieden genetischer Betrachtungsweise unter Anwendung quellenkritischer Methode auf Leben und Werk Rankes dar. Ihre „vornehmlichste Absicht“ besteht darin, „den äusseren Anlass zur Abfassung des Einzelwerkes festzustellen, dessen Inhalt als Quelle für den jeweiligen Zustand der politischen Entwicklung Rankes auszuwerten und mit Hilfe der Veränderungen, die die späteren Auflagen aufweisen, gleichsam schlaglichtartig sowohl eine spätere Stufe der politischen Interessenssphäre des Verfassers als auch das weitere Schicksal des betreffenden Werkes zu beleuchten.“ (20f.). Schwarz gelangt in einer erstmaligen Analyse der ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘, der ‚Fürsten und Völker‘ I und der ‚Serbischen Revolution‘, die in eine sehr breite biographische Darstellung eingelagert ist, zu beachtlichen Einzelergebnissen. Die entwickelnde Gesamtcharakteristik des Historikers und ‚Politikers’ in Ranke ist jedoch ein wenig zu unbestimmt. Immerhin gewinnt Schwarz - in teilweiser Fortsetzung der Anti-Dietherschen (Diether/1911) Positionen von Meinecke (1913), M. Freytag (1922) und S. Paulsen (1922) - die nicht unerwartete Einsicht in die „Zusammengehörigkeit des Politikers und Historikers in Ranke“ (255), mit einer „völlig originalen politischen Weltanschauung“ (250), die weder restaurativ noch liberal sei (255). - Unentbehrlich ist die Arbeit durch die Benutzung zweier heute verschollener Briefmappen aus dem Besitz Selma (gen. Lily) von Rankes (siehe dazu II, 273f. u. 301f.). Eine von Bernhard Schmeidler angeregte Arbeit über ‚Die Beurteilung der Vorreformation in der deutschen Geschichtschreibung seit Ranke‘ stellte lediglich eine locker gefügte Sammelrezension reformations- und vorreformationsgeschichtlicher Literatur ab der Mitte des 19. Jahrhunderts dar. Paul Wunderlich ließ darin 1930 große wissenschaftsgeschichtliche Linien kaum sichtbar werden, und allgemeine Fragen der Geschichtsanschauung interessierten nur gelegentlich. Ranke ist dabei lediglich als kurzer isolierter Einstieg, in gar keiner Weise als im Späteren reflektierter Ausgangspunkt behandelt. Wunderlich kommt zu dem bezeichnenden Urteil, „daß Ranke dadurch der damaligen Zeit nicht ganz gerecht“ werde, „weil er ein wenig seinen Gegenwartsmaßstab“ anlege (5). Die noch heute heranzuziehende Untersuchung zum stets aktuellen Thema ‚Revolution‘ (s. I/2.5.2.3) lieferte der bedeutende Ranke-Forscher Bernhard Hoeft (18631945) mit seiner späten Eingangsschrift in die Wissenschaft, ‚Rankes Stellungnahme zur Französischen Revolution‘ von 1932. Dargestellt wird die innere Entwicklung Rankes (ausführlich über seine Beziehung zu Varnhagen und Gentz) in seiner Stellungnahme zur Revolution im allgemeinen und zur Französischen im besonderen mit guter Literatur-Kenntnis und anhand aller einschlägigen Werke Rankes (ohne Benutzung des Nachlasses), mit besonderer Ausführlichkeit über die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘, die in SW 49/50 veröffentlichten sechs politischen Denkschriften (1848-51) bis hin zu ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘ (1875) und ‚Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates‘ (1879-81). Dabei bildet das Verhältnis zu Sybel und dessen ‚Geschichte der Revolutionszeit‘ den Schwerpunkt. Nach - 492 -

I/2.3.3 Weimarer Zeit - Die historische und politische Perspektive

Untersuchung einzelner differenter Punkte, auch in ihrer Beurteilung durch die spätere Forschung, kann Hoeft die Feststellung Kluckhohns (1885, 5337) bestätigen, daß Ranke „trotz mangelhafter Materialien in der Regel das Wahre erkannt“ habe. Eine in dieser Zeit ungewöhnliche Thematik behandelte Adda Schalper in ihrer Münchener Dissertation von 1932 mit dem Thema ‚Die Stellung der Literatur in der Geschichtsauffassung und ihre Bedeutung in der Geschichtsdarstellung Rankes‘. Nach einer Ranke selbst und einen geringen Teil Literatur mehr referierenden Darstellung von Grundzügen seiner Geschichtsauffassung (Aufgabe der Geschichtwissenschaft, Weltgeschichte, Nation, Staats-, Fortschritts-, Ideen-, Kulturbegriff) und nach Durchsicht der „Literaturkapitel“ in Rankes Werken kommt Schalper in ihrer wenig beachteten Arbeit u. a. zu dem Ergebnis, daß diese ‚Kapitel‘ nicht als ‚Digressionen‘, sondern als der Vertiefung und Erweiterung dienende wesentliche Teile der Werke anzusehen seien, was zumindest Joachimsen (Die Ranke-Ausgabe/1925, 51-59) schon überaus ähnlich ausgesprochen hatte. Es folgen - die Stellung der Literatur betreffend Gegenüberstellungen Rankes mit Gervinus, Heeren, Schlosser und Treitschke. * Die frühen, Ranke streifenden Beiträge Franz Schnabels erwecken, wie bemerkt, den Eindruck flüchtiger Gelegenheitserzeugnisse mit geringem Ertrag, was z. T. einer Anpassung an Publikum und Medium geschuldet sein mag. In einem Vortrag von 1923, betitelt ‚Vom Sinn des geschichtlichen [!] Studiums in der Gegenwart‘, handelte er über das Verhältnis von Historiker und Politiker, bezogen auf Rankes Antrittsrede ‚De historiae et politices cognatione atque discrimine‘ von 1836, in der „die reine Höhe des Rankeschen Denkens“ darin bestehe, nicht als Politiker „die Reinheit des Erkennens und Forschens“ zu gefährden (57). Schnabel läßt dabei in verkürzender Idealisierung nicht nur die mannigfaltigen, mehr oder minder ausgeprägten Ausflüge Rankes in die Politik, die bereits mit der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ beginnen und bis hin zu zahlreichen politischen Gutachten und versuchter Einflußnahme in Preußen und Bayern reichen, sondern auch seine preußischen Darstellungen beiseite. Infolgedessen wird - in anderer Richtung - nicht beachtet, welche Möglichkeiten Ranke als Wissenschaftler gewann, seine politischen Überzeugungen einflußnehmend zu vermitteln. Wolfgang Windelbands (1886-1945) mehrfach neu aufgelegtes Werk über ‚Die auswärtige Politik der Grossmächte in der Neuzeit (1494-1919)‘, Stg. 1922, erneuerte, Ludwig Dehio zufolge, „mit besonderer Nachdrücklichkeit ... Gedankengänge Rankes: wiederum fand ihre Projektion in die Welt statt. Das Staatensystem, so heißt es gleich in der Einleitung, erst nur die germanischen und romanischen Völker umfassend, dehnte sich nach Norden und Osten zum europäischen System, um dann im Weltsystem seine Vollendung zu finden.“ (Dehio 1950/1955 67f.). Meineckes 1924 veranstaltete Ausgabe des ‚Politischen Gesprächs‘, Rankes Schlußbeitrag seiner 1836 abgebrochenen ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘, erwies sich, wohl aufgrund der nach dem Krieg eingetretenen Ernüchterung, als wenig erfolgreich. Meineckes Einleitung zufolge stellt es „das Höchste und Bedeutendste dessen, was er als Politiker und Publizist je geboten hat“, dar (74. Zitate nach WW VII/1968). Ranke habe mit der [von ihm nicht wörtlich formulierten] Lehre vom Primat der auswärtigen Politik „ein Naturgesetz des Staatenlebens aufgefunden“ (77). Seine Lehre vom Individual-Charakter der Staaten habe die äußerliche und schematische Lehre des Naturrechts „über den Haufen“ geworfen (ebd.). Allerdings habe er Folgendes ver- 493 -

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kannt: „Die von ihm gepriesene Leitung des Staates allein durch das aufgeklärte, staatsbewußte, geistig hochstehende Beamtentum … war geschichtlich nicht mehr lange haltbar gegenüber den sehr realen Entwicklungskräften des Bürgertums.“ (80). Und zu gering eingeschätzt habe er auch „die Triebkraft der nationalen Idee im deutschen Staatsleben“ (ebd.). Meinecke erkennt in seinem Nachkriegsaufsatz stärker als zuvor neben einer „großartigen optimistischen Weltstimmung“ Rankes auch „Züge einer übermäßigen Geistigkeit“, eine Einsicht, die wohl doch dem kritisierten Werk Diethers von 1911 zuzuschreiben ist. „Und durch diese weitgetriebene Vergeistigung und Sanktionierung elementarer Gewalten haben allerdings Ranke und der deutsche Idealismus überhaupt gewisse Voraussetzungen geschaffen für die spätere Vergröberung des Machtstaatsgedankens.“ (81). Übrigens hat sich Karl Mannheim in seinem damals erscheinenden umfangreichen Aufsatz zum Thema ‚Historismus‘ (In: Archiv für Sozialwissenschaft und Sozialpolitik 52, 1924, 1-60) nicht mit Ranke auseinandergesetzt. 1925 lieferte Below für das von ihm mitherausgegebene repräsentative Werk ‚Deutscher Aufstieg. Bilder aus der Vergangenheit und Gegenwart der rechtsstehenden Parteien‘ neben Bismarck-, Treitschke- und anderen Artikeln auch einen übermäßig angepaßten über ‚Leopold von Ranke‘, den „größten deutschen Historiker“, dessen ganzer Entwicklungsgang ihn „auf der rechten Seite“ zeige, ja, der als „Führer“ für die politische Geschichte angesehen werden müsse (181). Die Verdienste der politischen Historiker unter Rankes Schülern, Verdienste, die auf Ranke zurückzuführen seien, sieht Below darin, daß sie in dem „Kampf für die Einigung Deutschlands und die Einführung von Verfassungen ... das gute Recht und die maßgebende Stellung Preußens“ vertreten hätten (184), unter Ablehnung des Gedankens einer „Musterverfassung“ und mit Eintreten für den Gedanken eines ‚Primats der auswärtigen Politik‘. Diesen habe Ranke als „Tatsache“ der Welt zum Bewußtein gebracht (184). - Below sieht, wie auch in seinem dortigen Bismarck-Artikel (195-200) angedeutet, Ranke in Parallele mit Bismarck. Sie seien beide zur selben Zeit „von links her bekämpft“ worden, ihre Anerkennung und ihr Einfluß seien „in den gleichen Etappen gestiegen“ und „die Tätigkeit des einen“ habe „für die Geltung der Gedanken des anderen werbende Kraft“ ausgeübt. Schließlich seien die von Ranke beeinflußten politischen Historiker - ein solcher Einfluß Rankes war allenfalls eingefordert worden - „die Herolde Bismarcks“ geworden (185). Die „Erhebung Deutschlands aus seiner gegenwärtigen Not“ sieht Below - als Schlußsatz seiner Darstellung - daran geknüpft, „daß der Geist beider in Deutschland wieder zur Vorherrschaft kommt.“ (185). Gänzlich anders werden die Verhältnisse durch Friedrich Meineckes unpassenden und unangepaßten Schüler Eckart Kehr (1902-1933) gedeutet. Kehr, „unleugbar einer der bedeutendsten Köpfe unter den Nichtkonformisten der deutschen Geschichtsschreibung in der Epoche der Weimarer Demokratie“ (H. Herzfeld, Vorw. zu Kehr/(1965) 1976, V), hat sich, wie manch anderer, mit Ranke nicht unter voller Ausnutzung seines geistigen Potentials befaßt. Eine direkte, prononcierte Auseinandersetzung mit dem auf Ranke zurückgeführten ‚Primat der Außenpolitik‘, wie eine posthume Sammlung seiner Aufsätze, provokativ betitelt ‚Der Primat der Innenpolitik‘, vermuten läßt, hat wohl nicht stattgefunden. Kehr bemerkt in einem 1928 erschienenen Beitrag ‚Englandhaß und Weltpolitik‘ lediglich, daß die „Rankesche These vom Primat der Außenpolitik“ (Kehr/(1965) 1976, 152) nicht nur in Geschichtsschreibung und politischer Publizistik, auch in der offiziösen und offiziellen Machtphilosophie und politischen Theorie des deutschen Kaiserreichs gesiegt und allgemeine Anerkennung gefunden habe (149, - 494 -

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152), wobei die These des „Edelbolschewisten“ Kehr (G. Ritter an H. Oncken, 24. 9. 1931. Kehr/(1965) 1976, 29, Einl. von H.-U. Wehler) von Interesse ist, daß der Grund dieser Entwicklung in der „Forderung des Bürgertums nach Nationalismus als Kampfmittel gegen das zur Macht strebende Proletariat“ zu suchen sei (152). - Kehr sah, wie ein Manuskript über ‚Neuere deutsche Geschichtsschreibung‘ (Erstveröffentlichung in Kehr/(1965) 1976, 254-267) un-subtil und kenntnisarm zeigt, in Rankes Geschichtsschreibung die „Betrachtung einer Entwicklung, an der Gott unmittelbaren Anteil gehabt“ habe (256). Seine als künstlerische Leistung bewunderte Geschichtsschreibung habe doch nur eine „ziemlich geringe“ Wirkung gezeitigt. Er sei, „grotesk genug, der Vater der Fußnoten-Historiker geworden“ (ebd). Gegen Rankes „machtpolitische Zurückhaltung“ habe man sich sodann Treitschke, dem „harten Verehrer der Macht“ (260) zugewandt. Erst später, um 1910, habe Ranke - wie Kehr irrig annimmt - wieder Einfluß gewonnen (256). Dies sieht er in Zusammenhang mit dem Wirken seines Doktorvaters Friedrich Meinecke und der von ihm betriebenen Ideengeschichtsschreibung. Zurückzuführen sei diese in Deutschland herrschende Schule auf Ranke, dem man sich in Abkehr von Treitschke wieder zugewandt habe. Von Rankes angenommener „zarter Vorsicht und Skepsis gegen die Macht“, so die Formulierung Kehrs, kann allerdings ebenso wenig die Rede sein wie von seiner „kräftigen und etwas naiven Religion“, die zu beleben die neueren Historiker nicht im Stande seien: „die schöne Form muß genug sein“. Dies bezeichne den „Entstehungspunkt der deutschen Ideengeschichtsschreibung“ (260), - international betrachtet, eine „Spezialität“, im übrigen eine „Sackgasse“ (261), da sie sich nicht mit Dingen befassen könne, die eine „große und unmittelbare Wirkung haben“ (ebd.). Der österreichische Historiker Ferdinand Bilger, der später auch über Treitschke und Bismarck arbeitete, schrieb 1926 einen Artikel über ‚Die italienische Einheitsbewegung im Urteile Rankes, Heinrich Leos und Jakob Grimms‘. Er zeigt darin, wie während der Italienischen Reise Rankes dessen „zurückhaltende“, restaurative Stellung gegenüber der revolutionären Bewegung „auch durch persönliche Eindrücke unterstützt“ wurde (280). Zudem habe er die „Einheit der öffentlichen und privaten Bestrebungen“ als Voraussetzung der Staatwerdung vermißt (281). - Bilger schließt nach ausführlicherer Behandlung Leos, auf den er „das Künstlerische und Landschaftliche“ der Italien-Geschichtsschreibung zurückführt, und J. Grimms, von dessen Art politischen Gefühls er die „nationalpolitische Geschichtschreibung“ über Italien ausgehen sieht, mit dem Satz: „Wenn wir Deutsche heute nach den Erfahrungen des Weltkrieges und den Folgen der Friedensverträge die historische Entwicklung Italiens neu zu erfassen suchen, dann geschieht dies in dem Geiste, den uns die unparteiische Höhe Rankes gelehrt hat.“ (288). Der Mediävist Paul Kirn (1890-1965) suchte in einem populären ‚Geschichtsbüchlein‘ Ranke als „Bahnbrecher der modernen Geschichtswissenschaft“ darzustellen (Kirn/1926). In seiner schlichten Darstellung bemerkte er abschließend, alle Schriften Rankes seien noch lesenswert, die „beste und tiefste Einführung“ gebe sein „unvergleichlicher universalhistorischer Abriß“ ‚Die großen Mächte‘. Kirn veröffentlichte 1955 in wenig befriedigender Weise ‚Das Bild des Menschen in der Geschichtsschreibung von Polybios bis Ranke‘ (s. I, 662). Zu Hermann Oncken wie zu Paul Joachimsen, der als Reformationshistoriker vom Judentum zum Protestantismus konvertierte, ist für diese Zeit noch ein Wort zu sagen. Neben Onckens rankeeditorischer Tätigkeit müssen auch seine Schriften ‚Über die - 495 -

I/2.3.3 Weimarer Zeit - Die historische und politische Perspektive

Zusammenhänge zwischen äußerer und innerer Politik‘ (Lpz. 1919), ‚Politik als Kunst‘ (in: Handb. d. Politik, Bln. ³1920 u. in: Ders.: Gesch. u. Politik (1935), 361-372, bes. 362f.), sowie ‚Staatsnation u. Kulturnation‘ (Heidelb. 1922) oder ‚Cromwell. Vier Essays über die Führung einer Nation‘ (Bln. 1935) im weiteren Zusammenhang mit Ranke gesehen werden. Oncken, der Mitglied der Historischen Kommission war, erlangte überdies durch seine Tätigkeit in der ‚Akademie zur Wissenschaftlichen Erforschung und Pflege des Deutschtums/Deutsche Akademie‘ für die Ranke-Forschung besondere Bedeutung. Als Mitbegründer und Präsident der Wissenschaftlichen Abteilung der 1925 in München entstandenen Einrichtung, welche an entsprechende Pläne Rankes erinnert (s. II/6.5.1), initiierte oder förderte er zumindest die Aufnahme der von Paul Joachimsen geplanten gewaltigen historisch-kritischen Ranke-Gesamtausgabe in die Agenden der Akademie. Onckens Abteilungspräsidentschaft endete auffallend, doch nachvollziehbar mit Joachimsens Tod im Jahre 1930, der das Schicksal des für die Akademie prestigiösen Unternehmens besiegelte. Während die Akademie in das Fahrwasser des Nationalsozialismus geriet, wurde Oncken nach einem Angriff seines ehemaligen Hörers Walter Frank aus dem Universitätsdienst entfernt (G. Ritter: Dt. Gesch.wiss./1950, 129. Weiteres s. I, 509, 511). - Nicht unerwähnt bleiben darf Joachimsens noch in seinem Todesjahr als Torso in die von W. Goetz herausgegebene Propyläen-Weltgeschichte V, 1930 gelangter Beitrag ‚Die Reformation als Epoche des deutschen Geistes‘, der 1951 in vollständiger Fassung unter dem Titel ‚Die Reformation als Epoche der deutschen Geschichte‘ erschien. Sein Herausgeber Otto Schottenloher charakterisierte die Schrift wie folgt: „Was in Rankes ausgebreitetem Werk gleichsam als intuitive Produktivität des Genies erscheint, das ist in der e i n e n [i. T.] Reformationsgeschichte Paul Joachimsens überall zu einer methodischen Bewußtheit verdichtet, die an das letzte der Geschichtsschreibung Mögliche rührt.“ (XII). (Als Beispiel einer von der Rankeschen Darstellung abweichenden Ansicht Joachimsens siehe ebd. 174 betr. Reichsabschied vom 27. Aug. 1526). - Einem Wort von Heinrich Lutz zufolge zog Joachimsen darin „die Summe einer unvergleichlich tiefen Beschäftigung mit Ranke“ und knüpfte dabei „überall ... an Rankes religiöse und nationale Überzeugungen, an seine Methoden und Stilmittel“ an (Lutz/1971, 157).

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4. Abteilung

R ANKE IN DER

Z EIT DES

N ATIONALSOZIALISMUS (I/2.4)

E I N F Ü H R U N G (I/2.4.0) Häufig werden aufgrund mangelnder Literaturkenntnis oder unkritischer Voreingenommenheit Feststellungen weitreichender Art getroffen, deren Gegenteil zutreffend ist, so auch, Ranke sei „im Dritten Reich alles andere als populär“ gewesen (Schleier/1994, 71). In der Tat scheint sich die zuvor interessierte Fachphilosophie und Theologie von ihm zurückgezogen zu haben. Einige ihrer bedeutendsten Vertreter sind bereits verstorben: Dilthey 1911, Wundt 1920, Paul Barth 1922, Ernst Troeltsch 1923, Rickert 1932 emeritiert. Auch unter den Historikern waren nach dem Tod von Karl Lamprecht (1915) und Alfred Dove (1916) und der Emeritierung von Ernst Bernheim und seiner Mundtotmachung aufgrund jüdischer Abstammung im Dritten Reich große Verluste eingetreten: Moriz Ritter und Eberhard Gothein verstarben 1923, Georg von Below 1927, Eduard Fueter 1928, Dietrich Schäfer 1929, Hans Delbrück 1929, Max Lenz 1932, besonders folgenschwer für die Ranke-Forschung: Paul Joachimsen 1930. Doch nun äußern sich vor allem Franz Schnabel, Otto Vossler, Fritz Ernst, Hermann Oncken und Heinrich von Srbik, mehrfach Georg Küntzel und Friedrich Meinecke, auffallend häufig Justus Hashagen, und mehr denn je fällt das Thema ‚Ranke‘ den Feuilletons zu, was vor allem mit dem willkommenen Anlaß seines 1936 begangenen 50. Todestag zusammenhängt. Allein für dieses Jahr konnten an die fünfzig ihm gewidmete Artikel nachgewiesen werden, z. T. mit Titeln wie ‚Ein Lehrmeister unserer Nation‘, ‚Meister und Vorbild seines Fachs‘, ‚Der Geschichtsschreiber des Reiches‘. Beiträge finden sich weniger in Fachzeitschriften als in populären Blättern, auch in offiziösen NS-Organen, so im ‚Westdeutschen Beobachter. Amtliches Organ der NSDAP und sämtlicher Behörden‘, auffallend häufig in ‚pädagogischen‘ Blättern, wie der ‚Nationalsozialistischen Erziehung. Kampf- und Mitteilungsblatt des Nationalsozialistischen Lehrerbundes für den Gau Groß-Berlin‘, in der ‚Reichszeitung der deutschen Erzieher. Nationalsozialistische Lehrerzeitung‘, in den Zeitschriften ‚Die Neue Deutsche Schule‘ und ‚Die Mittelschule‘ des Nationalsozialistischen Lehrerbundes. - Die Popularität Rankes zeigt sich allenthalben: nicht nur in Feuilletons und in Schulen, auch im Arbeitsleben und, wie im Ersten Weltkrieg, bald auch an der Front (s. II/9.3). Überhaupt sind seine Darstellungen „die einzigen Geschichtswerke aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts“, welche „noch gelesen werden“ (Schnabel/1936, [1]) Auch ein neuer Ranke-Verein wird 1936 in Wiehe gegründet. Ferner sind Beispiele handgreiflich zelebrierten nationalsozialistischen Ranke-Kults anzutreffen. Für die am Wort unmittelbar orientierte Ranke-Forschung wurden zwei editorisch angelegte Veröffentlichungen Karl Alexander von Müllers (1882-1964) aus den Jahren 1935 und besonders aus 1939 bedeutungsvoll (s. II/3.2), sowie Veröffentlichungen des bereits betrachteten Ranke-Forschers Bernhard Hoeft aus den Jahren 1937 und 1940. Seine Edition von Ranke-Briefen, welche 1943 im Satz beendet vorlag, fiel der Bombardierung Hamburgs zum Opfer und wurde nach Hoefts Tod 1949 von Hans Herzfed herausgegeben (s II/3.1.6). Die Urteile der Zeit sind überwiegend positiv gestimmt, ja in keiner anderen Zeit zu Lebzeiten Rankes oder posthum - läßt sich so wenig negative Kritik feststellen. Im Ausland ist das Interesse allerdings sehr gering. Auch erschien in diesen Jahren weder in Italien oder Frankreich, noch in dem sonst mit Ranke-Ausgaben überreich versehenen anglo-amerikanischen Sprachraum eine Übersetzung seiner Werke. Die dortige herausgeberische Starre währte immerhin von 1927 bis 1950. - 499 -

I/2.4.0 Nationalsozialismus - Einführung

Währenddessen verstieg sich in Deutschland eine Leipziger Dissertation von 1939 zu der Maßlosigkeit: „Durch Leopold von Ranke sind alle früheren und gleichzeitigen deutschen Geschichtsdarstellungen so sehr überholt worden, daß sie wissenschaftlich für uns keinen Wert mehr besitzen“ (Werner Menzel/1939, 19). Durch die große Zahl der ihm positiv zugewandten Beiträge und Äußerungen wird eine Popularität erzeugt und sichtbar, die nie größer war. Dies trifft auf die breite Öffentlichkeit ebenso zu wie auf führende Nationalsozialisten -, und die Urteile sind politisch-weltanschaulich nicht so gleichgeschaltet, wie man annehmen könnte. Sie sind teils un-nationalsozialistisch neutral, gelegentlich ideologiekritisch, teils ausgeprägt nationalsozialistisch. Zu den Hauptthemen gehört das nicht einheitlich bestimmte Verhältnis oder der Vergleich Ranke-Hegel und Ranke-Treitschke, aber unerwartet auch das Thema ‚Religiosität‘. Ranke wird zum metaphysisch und zugleich volkhaft, naturhaft fundierten nationalen Kämpfer umstilisiert - zu Lebzeiten hatte man ihm das Gegenteil vorgeworfen - und seine ‚Objektivität‘ und antiliberale Haltung wird dem ‚geistigen Nationalliberalismus nach 1890‘, im besonderen seinen zu nihilistischen Epigonen degradierten Fachgenossen dieser Zeit vorgehalten. Schließlich gilt die Geschichtswissenschaft der nachrankeschen Zwischenzeit als ‚entartet‘. Es scheint, daß in Rankes Geschichtsanschauung Elemente vorliegen, welche eine Vielzahl von Deutungen begünstigen, solche aufgrund mangelnder Entschiedenheit und Klarheit seiner Äußerungen zumindest nicht ausschließen und dabei auch eine nationalsozialistische Deutung oder Umdeutung ermöglichen. Johann Albrecht v. Rantzau sah später bei ihm die „Möglichkeit des Relativismus“ „verdeckt“ angekündigt (Rantzau/1950, 520; s. I, 551). Heussi setzte sich - wie zuvor betrachtet (s. I, 473) - im Zusammenhang mit dem Problem des historischen Relativismus mit der These Diltheys auseinander, das „Ergebnis der großen historischen Wissenschaft seit Grimm, Boeckh und Ranke“ sei die „Anarchie der Werte“ (Heussi/1932, 73ff. mit A. 1). Diese Vorstellung dürfte auf den Nationalsozialismus wohl eher in der perversen Form einer Ordnung oder Herrschaft der Unwerte zutreffen. Der Soziologe Hanno Kesting (19251975) sah später in seinem Werk über ‚Geschichtsphilosophie und Weltbürgerkrieg. Deutungen der Geschichte von der Französischen Revolution bis zum Ost-WestKonflikt‘ (1959), die grundsätzliche Entscheidung, auf der die Rankesche Geschichtsschreibung theoretisch und praktisch beruhe, in der „Entscheidung für den Staat“ (128). Dieser pointierten Feststellung folgte eine weiter reichende: „Die deutsche Historiographie ist in der Gefolgschaft Rankes die Historiographie des über die Gesellschaft siegreichen Staates geworden.“ (130). Dies mag zutreffen. Doch es gilt, für die Zeit des Nationalsozialismus noch andere Elemente zu betrachten. Alfred Dove, Rankes brillanter Spätschüler, hatte 1895 einen unverdächtigen Beitrag über ‚Ranke und Sybel in ihrem Verhältniß zu König Max‘ (1895 u. 1898) veröffentlicht, der auch aufschlußreich ist für die allgemeine Geschichtsanschauung Rankes - sie wird von Dove nicht völlig ohne absprechende Kritik beurteilt, besonders hinsichtlich der sogenannten ‚Objektivität‘. Gleichwohl zeigt die enge Verbundenheit beider und hier konkret nachweisbar, eine aus Ranke gezogene Lehre der hochproblematische Satz Doves: „Objective Historie glaubt an das Daseinsrecht aller Wirklichkeit.“ (128), mit der das von Ranke in der Tat minder beachtete Schuldprinzip sowie die Frage nach Wert und Unwert von Gütern und Geschehen beiseite geschoben werden. Förderlich hat vor allem gewirkt der immer wieder beschworene ‚Primat der Außenpolitik‘ sowie der vermeintlich bei Ranke vorhandene Kult der großen Persönlichkeit, mit dem auf Adolf Hitler und die - 500 -

I/2.4.0 Nationalsozialismus - Einführung

Organisationsform des hierarchisch gegliederten Führertums in Gesellschaft und Militär abgezielt wurde. - ‚Deutsche Männer‘, Friedrich der Große und Wallenstein zumal, sind die Gestalten, die auch in den Ranke-Teileditionen dieser Zeit vorherrschen (s. II/9.3.1). Nicht zuletzt konnte aus Rankes in seiner Problematik immer wieder verkanntem Satz von der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott in der Anwendung auf die Gegenwart des ‚Dritten Reiches‘ sakralisierend Nutzen gezogen werden. Selbst Rankes Europagedanke erwies sich in der Endphase des Wahngebildes ‚Festung Europa‘ als vorteilhaft. Zur Abrundung mußte auch seine ungewöhnliche Arbeitsleistung im Höchstalter herhalten, den Leistungswillen und Aktivismus des deutschen Volkes zu stärken.

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1. Kapitel (I/2.4.1) DAS JAHR 1936 Populäre Idolatrisierung und Hegel-Komparatistik Das in die Zeit des Nationalsozialismus fallende Ereignis des 50. Todestages Rankes führte, wie bemerkt, um 1936 zu einer Fülle von würdigenden, überwiegend populären Presseartikeln, zu denen sich auch einige aus den Reihen der Fachhistoriker, Philosophen und Theologen gesellten. In Beiträgen des Auslands aus den Zeiten des ‚Dritten Reichs‘ deutet wenig auf dessen politische Realitäten hin. Schon im Jahr der Machtergreifung war der rundum panegyrische Aufruf erschollen, Ranke zu „verehren“ und zu „lieben“, v. a., weil er ein „Künstler“ sei, „der einzig dasteht unter den Schriftstellern der Welt“. Er war der Feder Rudolf von Delius’ (18781946) entflossen, der, wie Ranke Portenser, sich schriftstellerisch bis philosophisch bei einer Vielzahl von Themen betätigt hatte: ‚Das ewige China‘, ‚Die Philosophie der Liebe‘ oder auch ‚Hegel‘. Im ‚Berliner Tageblatt‘, wenige Monate nach der ‚Machtergreifung‘, fragte er sich: „Woher dieser Zauber, der aus Rankes Werken strömt? Es ist das Zusammentreffen verschiedener Eigenschaften, die selten sich harmonisch in einem Menschen vereinigen. Schneidend scharfer Verstand, der jede Verwicklung zertrennt, das wirrste Knäuel entwirrt in saubere Fäden; bohrende Kraft, die jenen Grund freilegt, wo die Motive des Geschehens sichtbar werden. Und dann die Fähigkeit zur ungeheuren weiten Bogenspannung, zur hindurchschwingenden Linie, zur Idee. Dazu kommt ein frischer, bunter Malerpinsel für das Vordergründige, Kleine. Schließlich: Erzählerkunst in reifster Vollendung. Ranke gehört zu den gewaltigsten Epikern aller Völker und Zeiten.“ Auch habe er „praktisch, durch Darstellung, dieses große Problem gelöst: das Verhältnis des Individuums zu dem Ganzen“ und seine Schriften seien „eine Schatzkammer politischer Einsicht.“ - Der ‚Völkische Beobachter‘ vom 22. 12. 1935 sah ihn „als Geschichtsdeuter zwischen Humboldt und Bismarck“. Damit solle die Art seiner „Geschichtsphilosophie gekennzeichnet werden als die Vereinigung des universalen, menschheitsgeschichtlichen Denkens mit der nationalstaatlichen Ansicht von der Geschichte.“ - Die ‚Berliner-Börsenzeitung‘ vom 23. 5. 1936 hielt für etwaige SystemKritiker einen Trost bereit, ein Zitat Rankes „über die inneren Bande zwischen Volk und Führerschaft“: „Das politische Verständnis hat etwas gemein mit der persönlichen Freundschaft; wenn man in der Hauptsache einverstanden ist, kommt man über die Nebensachen leicht hinweg.“ (W. Lenz, 8). Im übrigen seien es „nationales Ethos“ und „sittliche Humanität“, „neben der höchsten fachlichen Zuverlässigkeit“ gewesen, die das Lebenswerk Rankes ..., zu hohen Ehren in aller Welt“ gebracht hätten (7). Ohne nationalsozialistische Untertöne äußerte sich an diesem Tage auch die Kreuz-Zeitung. Ranke habe „eine neue Aera der Geschichtsforschung heraufgeführt und eine unentwegt maßgebend gebliebene Schule begründet“ (Lulves), wobei letztere Bemerkung Interesse verdient. Die immerwährende „Gültigkeit“ seiner Geschichtsschreibung bestätigte auch das ‚Amt für Schrifttumspflege‘ in seiner ‚Bücherkunde‘ von 1936. Mit seinem „historischen Realismus“ sei Ranke über die Geschichtsschreibung des deutschen Idealismus hinausgewachsen. Zudem: „Er ist unser Goethe der Geschichte“ [!]. Die folgenden Stimmen sind von leicht qualifizierterer Natur, darunter auch solche von studiert Geschichtskundigen, welche ihre nahezu unnationalsozialistischen Würdi- 502 -

I/2.4.1 Nationalsozialismus - Das Jahr 1936

gungen der Tagespresse anheimgegeben hatten. Es wird sogar beiläufig leichter Tadel angebracht. Paul Krägelin, der 1907 eine Dissertation ‚Aus dem Leben Heinrich Leos, 1830-1844‘ verfaßt hatte, schrieb zur 50. Wiederkehr des Rankeschen Todestages eine Würdigung, welche nicht nur in der Chemnitzer ‚Allgemeinen Zeitung‘, sondern auch in den ‚Leipziger Neuesten Nachrichten‘ und im ‚Sächsischen Kirchenblatt‘ erschien. Die „heutige Geschichtsforschung“ erstrecke sich auf „weitere Gebiete“, sie erhebe „viel mehr, als Ranke dies tat, den Werdegang unseres Volkes zum Ausgangs- und Mittelpunkte“, untersuche die „prähistorischen Erscheinungen mit wachsendem Erfolg“, den Ranke noch bezweifelt habe und vertiefe sich „vor allem mehr in die kulturellen und sozialen Verhältnisse der breiten Massen, um dadurch einen genaueren Einblick in die seelische Haltung des gesamten Volkes in den verschiedenen Zeitaltern zu gewinnen.“ Gleichwohl behalte sein Werk „hohe Bedeutung und anziehenden Reiz“ durch seine „klaren, sachlichen Schilderungen“ und die „feinsinnigen tiefgründigen Charakteristiken“. - War Rankes Geschichtsschreibung eine solche „ohne Standpunkt?“, fragt der ‚Hannoversche Kurier‘. Ein W. Koppen wendet sich damit gegen eine Vereinseitigung Rankes, die in seiner einzigartigen Erscheinung und seinem weitschichtigen Werk nur „ein Gegenbild zu Heinrich v. Treitschke“ sieht. Die unbestechliche Zuverlässigkeit und seine Wahrheitsliebe als oberstes Gesetz für die Arbeit des Historikers, dieses bleibend Bedeutungsvolle in seinem Schaffen werde durch sein „mangelndes Gefühl für Aktualität und vorwärtsgerichtetes Ahnungsvermögen“, etwa hinsichtlich der künftigen Rolle des Papsttums und seiner Einschätzung der Reichsgründung von 1870/71, nicht berührt. Ranke habe sich zwar moralischer Werturteile enthalten, jedoch sei es ein Irrtum anzunehmen, er habe eine „voraussetzungslose Wissenschaft“ für möglich gehalten. - Eduard Heyck (1862-1941), Historiker und Schriftsteller, war bereits 1905/06 mit einer dreibändigen ‚Deutschen Geschichte. Volk, Staat, Kultur und geistiges Leben‘ (Bielefeld) hervorgetreten. Seine nunmehrige dreifache Würdigung Rankes (Königsberger Allg. Ztg., 23. 5. 1936, Die Propyläen, Jg. 33/1936 und Schwaben-Spiegel, Jg. 30/1936) stellt indes nur eine oberflächliche Übersicht über Werdegang und Werke Rankes dar, ohne nennenswerte charakteristische Äußerungen, es sei denn die, daß „der Gegenwart ... seine Auffassung am nächsten darin“ entspreche, „daß er - viel angefochten! - die Persönlichkeit in den Vordergrund“ nehme (Schwaben-Spiegel, 156). Doch sieht er - mit Bezug auf Rankes Beziehung zu Maximilian II. - „auch in unseren Tagen sich die liebevollen Blicke aller Deutschen“ nach Berchtesgaden richten (157), - dies der einzige nationalsozialistische Zug des Artikels. - Unnationalsozialistisch gab sich Kurt Pfister (1895-?). Er hatte über Etrusker, den Untergang der antiken Welt und über mittelalterliche Buchmalerei geschrieben, als er sich in den ‚Danziger neuesten Nachrichten‘ vom Mai 1936 Ranke zuwandte. Er lobt vor allem, daß sich Ranke „mit Nachdruck gegen die Annahme eines rein mechanischen Ablaufes der Historie“ gewandt habe, „er glaubte an das Menschliche und an das moralische Leben“ (2). - Der ehemalige Assistent Max Schelers, Herbert Rüssel, hatte eine 1927 erschienene Kölner Dissertation über ‚Das Verhältnis der ästhetischen zu den ethischen Werten“ verfaßt. Nach Schelers Tod im Jahre 1928 schrieb er 1930 über Max Scheler und die Probleme der deutschen Politik. Später wandte er sich den Themen ‚Humanismus‘ und ‚Christentum‘ zu. Dies dürfte auch in seiner Ranke-Würdigung von 1936 zum Ausdruck kommen, mit dem Titel ‚Gibt es „Fortschritt“ in der Geschichte? Historisches und politisches Denken bei Leopold von Ranke‘. In dieser Zeit eine gelegentlich und wohl auch von Rüssel übersehene heikle Thematik, denn welcher Nationalsozialist oder Volksgenosse hätte für das ‚Dritte - 503 -

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Reich‘ einen Fortschritt geleugnet! Rankes Ablehnung des Fortschrittsgedankens erfolge nicht wie bei Schopenhauer „aus einem universalen Pessimismus“, sondern „von einer gläubigen, primär theologischen Position aus“, Ranke sei im Grund „eine theologische Natur“. Im übrigen stellt Rüssel Rankes „klare Absage gegen den Rationalismus der Aufklärung wie auch gegen die ... Philosophie Hegels“ fest. Zu nationalsozialistisch nahestehenden Positionen gelangt er im politischen Teil seiner Deutung, die vornehmlich Rankes Staatsbegriff gilt. Bei ihm seinen die Staaten „auch Machtstaaten“: „nicht in Parteien, sondern in ihren militärischen Institutionen kommt ihr Wesen am sinnfälligsten zum Ausdruck, denn oberstes Gesetz des Staates ist Selbstbehauptung. Eine Welt trennt Ranke von der liberalen Auffassung des Staates. Es gibt für ihn kein reines Privatleben, sondern der ganze Mensch lebt nach Ranke in einer p o l i t i s c h e n [i. T.] Existenz. Die Einheit der privaten und öffentlichen Bestrebungen charakterisiert erst den wahren Staat.“ Rudolf Dammert (1879-1946) fuhr publizistisch auf zwei weit voneinander entfernten Gleisen. Zum einen verfaßte er um Frauenschicksale kreisende historische Romane, zum anderen äußerte er sich in plakativer Weise ausnehmend national, wenn nicht nationalsozialistisch, in Schriften wie ‚Die Herren des Erdballs. Unterhaltsame Geschichte, wie Europa zu Kolonien kam‘ (Lpz. 1937) oder ‚Der Verrat an Europa. Die Greueltaten der farbigen Truppen Frankreichs im Weltkrieg‘ (Stg., Bln. [1941?]. 1939 lieferte er eine verspätete Würdigung Rankes in der ‚Neuen Gartenlaube‘, unter dem Titel ‚Mit Sechzig fing das Leben an … Schöpferische Meisterleistungen im höchsten Alter‘, eine um Rankes ‚Weltgeschichte‘ kreisende biographische Skizze feuilletonistischer Art, in der dieser gewürdigt wird als „der abgeklärte Verfechter bezwungenster Objektivität ..., der sich dem historischen Stoff unpersönlich unterordnete, ihn nicht zur Entladung der eigenen Seele benutzte. Die Weltgeschichte war in die Hände ihres gewissenhaftesten Fachgenies geraten.“ (448). - Auf der Linie brutaler Vernichtung lag letztlich eine ‚Würdigung‘ in der Zeitschrift ‚Nationalsozialistische Erziehung. Kampf- und Mitteilungsblatt des Nationalsozialistischen Lehrerbundes für den Gau Groß-Berlin‘ (P. Müller/1936): Mit dem „Wesen seines Werkes“ werde sich „noch lange jeder Historiker auseinandersetzen müssen“. Der Verfasser betont, wie bald Ernst Cassirer (s. I, 521), den Unterschied der Rankeschen von den Platonischen ‚Ideen‘: Zwar erschienen auch sie vergeistigt, „aber zu ihrem Wesen gehört vor allem der Wille, die Wirklichkeit zu gestalten.“ So stammen „wichtige Grundlagen unseres geschichtlichen Denkens“ von Ranke (265). Müller sieht Unterschiede zur nationalsozialistischen Ideologie darin, daß Ranke immer „Geschichte des Staates, nicht des Volkes“ geschrieben habe, von „Blutbedingtheit“ wisse er nichts. Die heutige Frage des ‚wie es eigentlich gewesen‘ beziehe sich auf „rassische Zugehörigkeit“ der Handelnden, „Veränderungen des rassischen Bestandes“ usw. Gleichwohl sei die Rankesche Objektivität keine „blutlose“, sondern „angemessene Wertung aus nordischem Geist“. Wie Ranke „im tatsächlichen Kampfe“ (in der Elsaß-Lothringischen Frage) „seine nationale Pflicht getan“ habe, so glaubt Müller in Rankes Geschichtsschreibung einen Beleg dafür gefunden zu haben, „daß das schwächliche Unrecht-Leiden fast unsittlicher empfunden wird als kraftvolle Gewalttat“ (266). Zur Abrundung dieser, trotz Kritik, Ranke-Idolatrisierung im NS-Dienst gehört der Hinweis auf seinen undogmatischen Gottesglauben wie auf sein zehnstündiges Arbeitspensum. Zum Jahr 1936 und seinem Umfeld gehören neben Schriftzeugnissen der Idolatrisierung auch kultische Handlungen. Im Mittelpunkt stehen die um die Zeit des - 504 -

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Todestages am 23. Mai begangenen mehrtägigen Feierlichkeiten in Rankes Geburtsort Wiehe, mit Vorträgen von Landesrat Siegfried Berger (1891-1946) und von Theo Sommerlad (1869-1940) als Vertreter der Universität Halle. Man erfreut sich auch der Teilnahme des Gaukulturwarts und des Kreisleiters, auch des ‚NS-Lehrerbundes Wiehe‘ und des ‚Reichsarbeitsdienstes Sangerhausen‘, die an diesen Tagen durch den Zusatz des Rankeschen Namens geehrt werden. Man enthüllt eine Gedenktafel, und der Bürgermeister läßt die Feier „in einem Heil auf den Führer ausklingen“. In der Predigt des abschließenden Gottesdienstes findet der Pastor auch zu Rankes Wort, jede Epoche sei unmittelbar zu Gott, und fügt frevelnd hinzu: „auch die unsere“ (Franz, W./1936). Die bei diesem Anlaß von Theo Sommerlad, Historiker und Hallenser Universitätsprofessor, gehaltene Festansprache stellt unter dem Titel ‚Rankes Werk und sein Gegenwartswert‘ eine ausführliche, pointiert nationalsozialistische Interpretation mit radikaler Vernichtungsperspektive dar: „Ranke lebt für die Geschichtswissenschaft der Welt und er lebt für die gewaltige Zeit der deutschen Wiedergeburt, die uns der Führer geschenkt hat. Rankes Geist gibt uns heute den Auftrag: gehet hin, erkennet und kämpfet, dringt durch Erkenntnis zum Kampf und durch Kampf zur Erkenntnis!“ (1). Für Sommerlad hatte in Rankes ‚Weltgeschichte‘ der „Volksgeist der deutschen Romantik ... den Endsieg errungen über den Weltgeist der Hegelschen Philosophie“ (9). Sommerlad betont auch bezeichnenderweise die äußerlich aktivistischen Züge im Lebensbild des „größten deutschen Geschichtsmeisters“ (10) und widmet sich dann der RankeKritik, dieser „böswilligen Abschlachtung Rankes durch die beiden ‚Internationalen‘ Rom und Juda“ (13). Rasse, Heimat und Volk seien von Ranke keinesfalls als geschichtsbildende Kräfte über dem „führenden Mann“ als der „Manifestation Gottes“ übersehen (14ff.). Als Herold des neuen Reiches sei Ranke Treitschke vorzuziehen, nicht zuletzt, weil sein Volksgeistbegriff „wie jeder Organismus auch die Abwehrkräfte“ enthalte, „um alle endogenen, vom Lebensprozeß selber erzeugten Krankheitsstoffe zu zersetzen, wie die von außen herantretenden zu zerstören“ (Sommerlad/1936, 19. Auch selbst. 1937. Eine weitere Schilderung der Feier v. a. bei Feise/1936). * Charakteristisch für die Ranke-Würdigungen des Jahres 1936 ist in thematischer Hinsicht vor allem die von mehreren Autoren betrachtete Beziehung zu Hegel. Angriffe von Hegelianern waren schon zu Rankes Lebzeiten vorgetragen worden. Zu eigentlichen Vergleichen kam es erst posthum nach Bekanntwerden von Rankes HegelBeurteilung in seinen Berchtesgadener Vorträgen vor Maximilian II., zunächst vor allem durch Constantin Rößler. In der Wilhelminischen Zeit wurde das Thema von Lamprecht, Delbrück, Max Lenz, Dilthey und Max Weber vorgetragen oder diskutiert, während Benedetto Croce als Neuhegelianer eine Vernichtung Rankes ins Auge faßte. Auch in der Weimarer Zeit fand die Ranke-Hegel-Komparatistik mit Brandenburg, Below, Troeltsch, Bäumler wieder Anhänger. Die Verfasser der Würdigungs-Artikel des Memorial-Jahres 1936, soweit sie dem Thema ‚Hegel‘ gelten, stehen freilich bei weitem nicht auf dieser Höhe. Der noch näher zu betrachtende spätere Pressereferent im ‚Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten‘, Paul Troebs, versuchte in einem Artikel über ‚Ranke und das Reich‘ in der Zeitschrift ‚Das Innere Reich‘ vom Februar 1936 den Versuch einer Würdigung der Geschichtsanschauung Rankes. Die Interpretation trägt trotz einiger nationalsozialistischer Elemente (z. B. „urarisches Gottvertrauen“) noch starke tra- 505 -

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ditionelle Züge. Besonders die Betonung einer weitgehenden Verwandtschaft der Geschichts- und Staatsanschauung Rankes und Hegels ist in der nationalsozialistischen Ranke-Deutung als atypisch anzusehen. Ist es doch so, daß die „künstliche und unlebendige Hegelsche Geschichtssystematik“, überhaupt „mit der nationalsozialistischen Weltanschauung unvereinbar“ sei, wie in einem Beitrag der Zeitung ‚Germania‘ vom 23. Mai 1936 mit dem Titel ‚Von Hegel bis Ranke. Volk und Weltaufgabe - Ein ideengeschichtlicher Ueberblick zum 50. Todestag Rankes‘ festgestellt wird. Ranke komme das Verdienst zu, in diese Systematik „eine Bresche geschlagen zu haben“. Im Unterschied zu Hegel kenne die Rankesche Geschichtsauffassung „noch das Mysterium in der Geschichte“. Sein „grundlegender geschichtsphilosophischer Begriff“ sei der der Ideen, die „nicht nur ein ideelles, sondern auch ein der Wirklichkeit zugewandtes Moment“ enthielten und „nichts mit allgemeinen Begriffen oder mit abstrakten Grundsätzen zu tun hätten“. ... „In seiner ständigen Betonung der individuellen und unersetzlichen Eigenart jedes europäischen Volkes sehen wir die wegweisende Bedeutung Rankes auch für unser Jahrhundert.“ Dies wurde freilich nicht nationalsozialistisches Gedankengut. Auch für den zumindest verbal radikalen Nationalsozialisten Theo Sommerlad, dem, wie betrachtet, im Ranke-Kult des Jahres eine tragende Rolle zugefallen war, hatte ja in dessen ‚Weltgeschichte‘ der „Volksgeist der deutschen Romantik ... den Endsieg errungen über den Weltgeist der Hegelschen Philosophie“ (Sommerlad/1936, 9). - Ein Beitrag ‚Ranke und Hegel‘ der Zeitschrift ‚Geistige Arbeit‘ vom Juni 1936, deren Verfasser (Ehlers-Lange) zudem in der ‚Deutschen Allgemeinen Zeitung‘ vom 21. 5. Ranke in äußerlicher Weise als „Meister und Vorbild des Fachs‘ gelobt hatte, wendet sich gegen die v. a. von Troeltsch propagierte Annahme einer nahen Beziehung zwischen Ranke und Hegel. Schon in der „weltanschaulich-religiösen Grundhaltung“ zeige sich eine „tiefe Gegensätzlichkeit“, die auch für die Auffassung vom Wirken der ‚Ideen‘ und Persönlichkeiten sowie für die Frage des Fortschritts der Geschichte gelte. Der nationalsozialistische Historiker und Schriftsteller Fritz Otto Hermann Schulz (geb. 1890) hatte 1934 eine Schrift über ‚Jude und Arbeiter. Ein Abschnitt aus der Tragödie des deutschen Volkes‘ (Bln.) verfaßt, dem sich 1936 ‚Kaiser und Jude. Das Ende der Romanows und der Aufbruch des Bolschewismus‘ (Lpz.) anschloß. Bevor er eine Reihe weiterer Publikationen dieser Art zu Tage brachte, verfaßte er eine idolatorische Ranke-Würdigung, welche er an drei Organe veräußerte (‚Die Mittelschule. Zeitschrift der Reichsfachschaft Mittelschule im Nationalsozialistischen Lehrerbund‘, Jg. 50, Nr. 19, Halle/S., 20. 5. 1936, 268f., ‚Westdeutscher Beobachter. Amtliches Organ der NSDAP und sämtlicher Behörden‘, Ausg. Köln-Stadt, Nr. 236, Jg. 12, Abend-Ausg., 22. Mai 1936, in der Beil. ‚Die Unterhaltung‘ und ‚Dresdner Anzeiger‘, 11. 6. 1936). Schulz sucht in Rankes Werk eine „Leistung“ zu würdigen, „die auf den großen Plusseiten der geistigen Geschichte Deutschlands erkennbar sein wird, solange das deutsche Volk lebt“ (Die Mittelschule, 269). Es bleibe Rankes „niemals auszulöschendes Verdienst, ... die von ihm gewählte Wissenschaft aus den Fangarmen der Hegelschen Abstraktionen und aus der Uferlosigkeit der Kombinationen dieses Philosophen ... befreit zu haben“ (268). Als „Fanatiker seines Prinzips“ sei er jedoch in der Auslöschung des eigenen Selbst „zu weit“ gegangen. „Seine Nachfolger verloren sich nicht selten auf der glatten Ebene der Objektivität und ihre Distanz zur Nation nahm mehr zu, als dem Bilde und der Entwicklung des Volkes dienlich war.“ (269). - 506 -

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Die Philosophie trat bei den Ranke-Würdigungen des Jahres 1936 nicht mit ihren bedeutendsten Köpfen auf. Hans Eibl, Wiener Universitätsprofessor für Philosophie, legte in den ‚Neuen Jahrbüchern für Wissenschaft und Jugendbildung‘ aus Anlaß von Rankes Todestag Betrachtungen ‚Vom Werte der Geschichte‘ nieder. Im Jahr der ‚Machtergreifung‘ hatte er ein Werk ‚Vom Sinn der Gegenwart. Ein Buch von deutscher Sendung‘ (Wien) verfaßt, dem 1934 ‚Die Grundlegung der abendländischen Philosophie. Griechische und christlich-griechische Philosophie‘ (Bonn) gefolgt war. Eibls Ranke-Beitrag von 1936 steht allerdings eher in Zusammenhang mit seinem Werk von 1913 über ‚Metaphysik und Geschichte. Eine Untersuchung zur Entwicklung der Geschichtsphilosophie (Leipzig [u.a.]), in dem - auch nach Auseinandersetzung mit Hegel und Nietzsche - die Überzeugung vertreten wird, daß sich Rankes „Intuition vom metaphysischen Sinn der Geschichte und vom unvergänglichen Wert des Christentums“ halten lasse (Eibl/1936, 305), besonders auch das Ideal der Objektivität, das Eibl als „stärksten idealen Schutz, die auf die Dauer wirksamste weltanschauliche Sicherung auch des deutschen Lebensrechtes“ ansieht (299). Eibl wendet sich damit bezeichnenderweise gegen die „biologistische Relativierung von Recht und Wahrheit“ (ebd.), was als Kritik an entsprechenden Positionen des Nationalsozialismus gewertet werden kann, obgleich über die ideologische Gesamtausrichtung des Verfassers hier keine Klarheit gewonnen werden konnte. Der Philosoph Reinhard Strecker (1876-1951), der neben einem Werk über ‚Deutschlands Zusammenbruch und Weltberuf (Gotha 1920) mehrfach über Fichte gearbeitet hatte, veröffentlichte 1936 im letzten Jahrgang der pazifistisch und freimaurerisch orientierten Zeitschrift ‚Ethische Kultur‘ einen Beitrag zu Rankes 50. Todestag. Darin gibt er einen kurzen Überblick über Rankes Werke und eine Betrachtung seiner historisch-politischen Anschauungen, - vorwiegend Gemeinplätziges, abgesehen von dem Irrtum, daß Ranke 94jährig gestorben sei. - Interessant allerdings ist Streckers seltene Auffassung, Hegels Geschichtsphilosophie sei „mit geschichtlichen Kenntnissen und feinfühligen Beurteilungen zu reich gesättigt, als daß sie von dem Vorwurf Rankes getroffen würde“. Zwischen ihnen stehe „nicht der Gegensatz zwischen Philosophie und Geschichte, wie Ranke meint, sondern nur der Gegensatz von zwei verschiedenen philosophischen Einstellungen“ (Strecker/1936, 25). Entsprechend seiner Dissertation von 1935 über ‚Das Problem des philosophischen Skeptizismus‘ stellte der Philosoph Hans Richtscheid (1907-1992) Ranke in die „Reihe der Denker“, welche „die Krisis des Idealismus herbeiführen“ (Richtscheid/1937, 270). In seinem Beitrag ‚Rankes Kritik an Hegel, erörtert im Hinblick auf das Problem der menschlichen Existenz‘ in den von der ‚Deutschen Philosophischen Gesellschaft‘ herausgegebenen ‚Blättern für deutsche Philosophie‘ des Jahres 1937 geht er aus von einem Vergleich Kant - Hegel, denn ihm ist die Rankesche „Kritik des Idealismus“, wie sie sich im gegensätzlichen Gottesbegriff, der unterschiedlichen Auffassung vom Wesen der Wirklichkeit und von der Methode der Geschichtsbetrachtung ausspreche, schon bei Kant enthalten.

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2. Kapitel (I/2.4.2) STI MMEN DER NATIONA LSOZIALISTISCHEN ‚ELI TE‘ Reichsleiter Alfred Rosenberg (1893-1946) - zu seinen Ehrenbürgerschaften zählten die der Städte Lübeck, Düsseldorf, Weimar, Münster und Köln - war auf dem Reichsparteitag 1937 in Anwesenheit des ‚Führers‘ die Verleihung des ersten ‚Deutschen Nationalpreises für Kunst und Wissenschaft‘ zuteil geworden. Im Jahr zuvor hatte er anläßlich der 3. Reicharbeitstagung des Amtes ‚Schrifttumspflege‘ auf einer Großkundgebung in der Berliner Kroll-Oper über das Thema ‚Weltanschauung und Wissenschaft‘ gesprochen. Der Vortrag fand Aufnahme in Band IV seiner Werke-Reihe ‚Blut und Ehre‘ (3. Aufl. 1941). Hierin wendet er sich auch Ranke zu mit der Bemerkung, dieser zähle zu den „bedeutendsten Genien des deutschen Volkes“, die „in ihrer Zeit eine große Weltschau hatten und formten“ (51). - Rosenbergs bekanntestes, bereits 1930 erschienenes Werk ‚Der Mythus des 20. Jahrhunderts. Eine Wertung der seelischgeistigen Gestaltungskämpfe unserer Zeit‘ (München 1930, 670 S.) hatte Ranke bereits berührt, jedoch in einer weniger klaren Weise. Dabei zitierte Rosenberg eine Bemerkung in den ‚Päpsten‘: „wenn in Europa nochmals (nach Rom) [i. T.] ein internationales Prinzip zur Herrschaft zu gelangen trachte, so werde urgewaltig ein organischnationales dagegen hervorbrechen“, was sich auf das Werden des nationalsozialistischen Staats bezog, und zitierte sodann Rankes für den gewordenen Staat schließlich überaus günstiges Diktum von der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott. Übergangslos erklärt Rosenberg dies für den „‚wahreren‘ Strom des echt wuchshaften (organischen) [i. T.] Wahrheitssuchens entgegen dem scholastisch-logisch-mechanischen Ringen nach ‚absoluter Erkenntnis‘“ (392). Ein anonymer Artikel der Arterner Zeitung vom 23. Mai 1936 über den ‚Nestor der deutschen Geschichtsschreibung. Zum 50. Todestag Leopold von Rankes‘ stellte eine Verbindung zwischen Ranke und einem weiteren führenden Ideologie- und Wissenschaftspolitiker her. Die mit biographischen Fehlern („Pastorensohn“; „studierte Ranke in Berlin und Halle Theologie und Geschichte“; die „Historisch-politischen Blätter“ statt der HPZ) durchsetzte kurze Skizze von Leben u. Werk endet mit der Feststellung: „Wenn die neue deutsche Geschichtsforschung des deutschen Aufbruches die Akzente anders setzt, so ist doch das Bekenntnis ihres Führers, Walter Frank, zu den ewigen großen Tugenden deutscher Wissenschaftlichkeit: ‚Deutsch sein, heißt uns Ernst, deutsch sein heißt uns Gründlichkeit, deutsch sein heißt uns Gewissen, deutsch sein heißt uns zu den Gründen gehen, selbst wenn man daran zugrunde geht‘, gleichzeitig ein unausgesprochenes Bekenntnis zu Leopold von Ranke, dem Nestor der deutschen Geschichtsschreibung.“ - Walter Frank (1905-1945), wie Theodor Schieder bei Karl Alexander von Müller promoviert, hatte bereits 1929, bevor er nationalsozialistisch hochgespült zum plenipotenten Präsidenten des 1935 gegründeten ‚Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands‘ mit einer ‚Forschungsabteilung Judenfrage‘ ernannt wurde, im ‚Akademischen Beobachter‘ einen Beitrag, betitelt ‚Den Untertanen gewidmet. Ein Wort über die Bildung‘, veröffentlicht. Darin glaubte er feststellen zu sollen, die „heutige Gelehrtengeneration“ habe durch ihre „Entfremdung vom Leben und von seinem intuitiven Erschauen“ „die Linie ihrer Vorgänger zu sehr verlassen zugunsten eines handwerkenden Epigonentums“. Die intuitive Methode billigt er nicht zuletzt Ranke zu, der „durchaus nicht so ledern“ gewesen sei „wie die patentierten Rankeaner unserer Zeit“ (Frank/(1929), 1938, 78). - Noch deutlicher wurde Frank in - 508 -

I/2.4.2 Nationalsozialismus - Stimmen der ‚Elite‘

einem Kurzbeitrag zum ‚Deutschen Volkstum‘ von November 1931 mit dem Titel: ,Das Vakuum. Zur geistigen Lage der nationalliberalen Bourgeoisie‘ (und in: Frank/1938, 163-166). Darin warf er dem bourgeoisen politischen und geistigen Nationalliberalismus nach 1890, „der immer noch maßgebend für die Oberfläche unseres öffentlichen Lebens“ sei (163) u. a. „ein schöpferisches und ethisches Vakuum“ (Frank/(1931) 1938, 163) und Hermann Oncken im besonderen „völligen weltanschaulichen Nihilismus“ vor (Eigenzitat bei Frank/1938, 165), einem Wissenschaftler, der, wie später Dehio schrieb (1950/1955, 55), damals „von dem vornehmsten deutschen Katheder herab die Rankeschen Ideen fruchtbar weiter zu führen“ wußte. Frank stellte dabei Oncken paradoxer Weise die Rankesche Objektivität entgegen, die „Ausdruck religiös und sittlich bedingten Suchens nach der ‚Mär der Weltgeschichte‘“ gewesen sei, wohingegen sie bei Oncken „nur die Flucht eines haltlos gewordenen Ich unter eine Maske“, sei, „die etwas wie Anonymität gewähren sollte: die ‚Subjektlosigkeit‘ (um Nietzsches Wort zu gebrauchen) sollte verdeckt werden.“ (165). - 1934 veröffentlichte Frank ein 32seitiges Libell mit dem Titel ‚Kämpfende Wissenschaft‘, dem Friedrich Meinecke eine akrobatische Besprechung in der ‚Historischen Zeitschrift‘ zuteil werden ließ (152/1935, 101-103. Und in WW VII/1968, 447-449). Er schrieb darin: „Die kleine Schrift … ist ein feuriges Programm dessen, was die nationalsozialistische Revolution von der Geschichtswissenschaft verlangt, und eine verdammende Kritik dessen, was die deutsche Historikergeneration der Vorkriegszeit, die Epigonen Rankes und Treitschkes[,] für die nationale Geschichtsschreibung geleistet haben.“ (447). „Gewiß, wir waren, an Ranke und Treitschke gemessen, Epigonen, und das war unser unentrinnbares Schicksal.“ (448). Entscheidend sei jedoch gewesen, daß der „verknöchernden Tendenz zu bloßer Fachwissenschaft … eine andere Tendenz entgegenwirkte, die aus tiefstem Lebensbedürfnis auf den deutschen Idealismus zurückgriff, aus ihm neue Kräfte schöpfte und damit den von Lamprecht und Genossen her drohenden Naturalismus und Positivismus innerlich überwand. Es gibt ein schöpferisches und ein unschöpferisches Epigonentum.“ (ebd.). - Auch fand ein mit ‚Dr. H‘ unterzeichneter Verfasser [nicht der bereits verstorbene Hans F. Helmolt] in einem Artikel ‚Um Rankes Erbe. Die Leistungen der deutschen Geschichtswissenschaft‘ in der Zeitschrift ‚Deutsche Zukunft‘ von Oktober 1934 den Mut, die Leistungen der sogenannten ‚RankeEpigonen‘ zu verteidigen, unter die er zählte: M. Lehmann, Fr. Meinecke, S. Kähler, H. Delbrück, M. Lenz, H. Oncken, E. Marcks, M. Ritter, E. Gothein, A. Dove, W. Andreas und G. Ritter. Kurt Leo Walter[-Schomburg], Verfasser eines 1934 erschienenen Werkes mit dem Titel ‚Die Treue ist das Mark der Ehre‘, der 1938 eine vermischte Auswahl aus Rankes ‚Weltgeschichte‘ und ‚Deutscher Geschichte‘, 1941 sogar eine eher unwahrscheinliche Ausgabe der ‚Päpste‘ auf den Weg brachte, schilderte in einem 1940 erschienenen Beitrag der Zeitschrift ‚Leben und Weltanschauung‘ die Jahrestagung 1937 des ‚Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschland‘ in Berlin, auf der Frank, bei Übernahme der vom Reichswirtschaftsminister gestifteten Büsten Leopold von Rankes und Heinrich von Treitschkes, erklärt habe, „daß diese Sinnbild seien für die wechselseitige Ergänzung universaler Erkenntnis und nationalen Kämpfertums, wie sie der Geschichtsschreibung als Ziel vorschweben müsse“ (44f.). Damit war Ranke symbolisch und als Kult-Artefakt unter die Laren des ‚Dritten Reichs‘ aufgenommen. Walter[-Schomburg] sah in seinem Beitrag Houston Stewart Chamberlain (s. dessen populäres rassistisches Werk ‚Die Grundlagen des neunzehnten Jahrhunderts‘, 1899 u. - 509 -

I/2.4.2 Nationalsozialismus - Stimmen der ‚Elite‘

ö.) als ‚Vollender der Geschichtsphilosophie Rankes und Treitschkes‘ an, ironischer Weise, obgleich Chamberlain „Ranke mit großer Schärfe und eisiger Verachtung abgetan“ hatte (so im einzelnen nachgewiesen von Bäcker von Ranke/1952, 77-79). Auf das Verhältnis Chamberlains zu Ranke geht Walter nur kurz ein: Chamberlain sei „zwar mit Ranke und Treitschke darüber einig, daß die Idee, um der steten Weiterentwicklung der Menschheit zu dienen, sich in den großen Persönlichkeiten inkarniert...“, bei Chamberlain seien die Ideen aber „durch die Rassen bestimmt, und die Rassen werden durch die Ideen geleitet...“ (45). In seiner Ranke-Weltgeschichtsausgabe von 1938, die sich bis in die Deutsche Buch-Gemeinschaft hinein verbreitete, betonte Walter Rankes „Verwandtschaft mit Otto von Bismarcks und Adolf Hitlers Anschauungen.“ (XI). An anderer Stelle (Ranke - Treitschke: Weltgeschichte der Neuzeit, 1939, IX-XIV) sah er eine Übereinstimmung Alfred Rosenbergs (‚Der Mythus des 20. Jahrhunderts‘,1930) mit Ranke. Auf dem 4. Jahrestag des ‚Reichsinstituts für Geschichte des neuen Deutschlands’ hielt der führende nationalsozialistische Pädagoge Ernst Krieck (1882-1947) einen ausgeprägt nationalsozialistischen Vortrag unter dem Titel‘ ‚Germanische Grundzüge im deutschen Geschichtsbild‘, mit dessen Veröffentlichung nicht nur die umgeschaltete ‚Historische Zeitschrift‘ (159/1939), sondern auch Ranke für die ‚Bewegung‘ in Anspruch genommen wird: „Gegen das aus rationalen Ideen konstruierte PseudoGeschichtsbild der Fortschritts- oder Entwicklungsideologie erhebt sich im 19. Jahrhundert mit Ranke das echte Geschichtsbild aus dem germanischen Lebens- und Wirklichkeitsgefühl zum Protest und zum Kampf. Rankes Kampf gegen den Hegelschen Geschichtsrationalismus hat größte weltanschauliche Bedeutung. Zwar ist Ranke mit seiner im Grunde beschaulichen und unkämpferischen Natur nicht dazu angetan gewesen, das bürgerliche 19. Jahrhundert, dessen Zwiespältigkeiten er in sich trug, von innen her sieghaft zu überwinden. Diese Aufgabe bleibt dem nationalsozialistischen Geschichtsbild vorbehalten. Doch hat ihn sein treuer und zuverlässiger Sinn für das wirkliche Geschehen, für die treibenden Kräfte und Mächte der Geschichte zu den völkischen und rassischen Charakteren als dem Grundproblem geschichtlicher Erkenntnis geführt.“ (528). - Krieck erklärt den Begriff des ‚Schicksals‘ zum „Leitbegriff der germanischen Seite“ Rankes. Das ‚Schicksal‘ walte auch in seinen ‚Ideen‘, welche von Krieck nicht als „Gedankending“, sondern als die aus den „Untergründen“ (531) des Volkes „aufbrechende und bewegende Macht in der Geschichte“ gesehen werden (530). Diese „Lehre“ falle „aus dem Rahmen jeder Rationalität und jeglichen Humanismus völlig heraus.“ (531). Die „Zwiespältigkeiten“ im Geschichtsbild Rankes erklären sich nach Krieck aus der Vereinigung einer „aus dem Blut aufsteigenden Tradition des germanischen Menschenbildes“ mit dem „der herrschenden Bildungslage angehörigen, der Fremdüberlagerung entstammenden ‚christlichen Humanismus‘.“ (533). Die Zeitschrift ‚Der deutsche Erzieher‘ stand nicht zurück. In ihrer Beilage ‚Die badische Schule‘ erschien im selben Jahr ein Aufsatz ‚Volk und Staat bei den politischen Historikern. Ranke - Droysen - Treitschke‘ aus der Feder Berthold Sütterlins. Von ihm ist eine Schrift über ‚Die Politik Kaiser Friedrichs II. und die römischen Kardinäle in den Jahren 1239-1250‘ (Heidelb.: Winter 1929) nachweisbar. In seinem Aufsatz nun betont er im Gegensatz zur üblichen nationalsozialistischen Interpretation eine kontemplative und aristokratische Grundhaltung Rankes. Er habe „neue, tiefe Einsichten in das Wesen der Staaten vermittelt“. Nach seinen „zwingenden realpolitischen Einsichten“, wie der vom Primat der auswärtigen Politik, hätten „alle großen - 510 -

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Staatsmänner der neueren Geschichte gehandelt: Richelieu so gut wie Friedrich der Große oder Bismarck; keiner folgerichtiger als Adolf Hitler!“ (228). Der spätere Pressereferent im ‚Reichsministerium für die kirchlichen Angelegenheiten‘, Paul Troebs (1904-1941, s. Paul Schütz: Die politische Religion, 1935. Hg. v. Rainer Hering, Hmbg. 2009) verfaßte in den Jahren 1933 bis 1936 fünf rankebezogene Beiträge in nationalsozialistischen Organen. In seinem schlicht ‚Ranke‘ betitelten Aufsatz der Zeitschrift ‚Deutsches Volkstum‘ von August 1934 versuchte er eine Analyse der Geschichtsauffassung Rankes mit besonderem Blick auf Staatsauffassung und Ideenbegriff, zumeist im Vergleich mit dem sehr nahe gerückten Hegel und kam dabei zwischen den Zitaten da und dort auch zu Feststellungen, die noch heute eine gewisse Anregung vermitteln. Interessanter scheint seine Betrachtung des Gegenwartswertes Rankes, der „hohen erziehlichen Wirkung seiner wesentlich p o l i t i s c h e n [i. T.] ... Geschichtsschreibung“: „Ranke kann uns in seiner politischen Geschichtsschreibung, die das Entscheidende, Wesentliche und Hintergründige in allem Vordergrundgeschehen (‚das Große‘) umschreibt, die Wirklichkeit und Würde, die Aufgabe und Größe, die Gefährdung und Herrlichkeit der einzigartigen ewigen Mächte des R e i c h e s [i. T.] der Deutschen in der europäischen Geschichte lehren und geistig-politische Antriebe für alle Zukunft geben.“ (663). Daß Troebs dann aber in stark akzentuierter Weise Rankes „Frommheit“ als den „letzten Grund seiner Geschichtsschreibung“ behandelt (665ff.), wirkt wie eine Überraschung (s. auch I, 527). - In einem Artikel ‚Der Geschichtsschreiber des Reiches. Zum 50. Todestag Leopold von Rankes am 23. Mai‘ in Heft 478 aus 1936 der in Barcelona erscheinenden ‚Deutschen Zeitung für Spanien‘ greift Troebs den Epigonen-Vorwurf Franks auf: Ranke stehe „gegenüber aller Verflachung und Verharmlosung durch die liberale Wissenschaft ... heute wieder in seiner ganzen metaphysischen Tiefe und blutvollen Lebendigkeit vor uns. Das Bild der blassen Objektivität und unerschütterlichen kontemplativen Haltung Rankes ist zerstört. Das falsche Vorurteil der Ranke-Epigonen der Jahrhundertwende ist beseitigt“. Ranke sei in Wirklichkeit „lebendig, aufgeschlossen und bekennerisch“. „Nicht mehr der vornehm über den Dingen stehende ‚objektive‘ Gelehrte steht vor uns, sondern der kämpfende Mensch und der schauende, gestaltende Geist“, der ein Geschichtsbild erbaut habe, „wie wir Deutschen es in dieser Wahrheit, Geschlossenheit und Grösse nur einmal besitzen.“ (5). Noch 1944 verfaßte Walter Frank ein Libell mit dem Titel ‚Adolf Hitler. Vollender des Reichs. Deutsche Geschichte und deutsche Gegenwart. Als Manuskript gedruckt‘ (o. O., 23 S.), in dem er kurze Zitate Rankes hinsichtlich der Beurteilung asiatischer Steppenvölker nutzte (6). Als diese eintrafen, nahm Frank sich das Leben. Es war das Jahr 1945, in dem auch Hermann Oncken verstarb und in dem die ‚Deutsche Akademie‘ mit ihrem abgebrochenen Prestige-Objekt einer Ranke-Gesamtausgabe aufgelöst wurde, dem sich Oncken als Abteilungspräsident gewidmet hatte. Das Schriftchen (Internet Archive/Texts) fand sich im Schutt vor der neuen Reichskanzlei.

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3. Kapitel (I/2.4.3) STI MMEN VON FA CHHI STO RIE, GESCHI CHTSTH EO RIE UND PHILO SOPHI E In den zwölf Jahren nationalsozialistischer Herrschaft ist die Zahl rankemonographischer Dissertationen und selbst solcher, die ihn nur beiläufig behandeln, zurückgegangen, wohingegen sich im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende ein starker Nachholbedarf bemerkbar machen wird. - Arbeiten von Ulrich Busse (1933) und Rudolf Friedrich (1933, s. I, 488.) wurden vor 1933 verfaßt und sind in diesem Sinne ideologisch unberührt. Auffallend ist das österreichische Interesse: Neben einer in der Korrespondenz Srbiks (Heinrich Ritter von Srbik. Die wissenschaftliche Korrespondenz des Historikers 1912-1945. Hg. von Jürgen Kämmerer, Boppard 1988, 506f.) aufscheinenden Grazer Dissertation von Ferdinand Brandner aus dem Jahre 1939 mit dem Titel ‚Kritik an Rankes Weltanschauung‘, welche in der Forschung unbekannt geblieben, in den ÖNB-Katalogen nicht verzeichnet und im öffentlichen Leihverkehr nicht erhältlich ist, steht die noch zu betrachtende Wiener Dissertation von Leopold Romstorfer über ‚Religion als geschichtsbildender Faktor bei Leopold von Ranke‘ aus dem Jahre 1935. Der Titel einer Wiener Dissertation von 1938 von Anna Drachsler, ‚Der Begriff der Kultur in der deutschen Geschichtsschreibung seit Ranke‘, hätte zutreffender „nach Ranke“ gelautet, denn die Arbeit behandelt - ohne auf letzteren überhaupt einzugehen den Kulturbegriff Burckhardts, Lamprechts und Spenglers. Die Dissertation von Ilse Mayer-Kulenkampff, ‚Luther in der Geschichtsschreibung Rankes‘, in Göttingen unter dem Jahr 1943 registriert, kam in ihrer maschinenschriftlichen Form nicht zur Geltung. Dies geschah erst durch ihren darauf beruhenden, 1951 erschienenen Aufsatz der ‚Historischen Zeitschrift‘ (s. I, 646f.). Nationalsozialistisch nicht unberührt war die Leipziger Dissertation von Werner Menzel aus dem Jahre 1939, welche mit ihrem Titel ‚Das Volkstum in der deutschen Geschichtsschreibung seit den Befreiungskriegen‘ freilich nicht als ‚rankemonographisch‘ gelten kann. Die Arbeit geht in extrem literaturarmer Weise dem bei Ranke nicht als eindeutig zu bezeichnenden Verhältnis der Begriffe von Volk, Volkstum, Staat und Nation nach. ‚Volkstum‘ sei für Ranke „keine ‚Urkraft‘..., sondern eher eine Art Rohstoff“ (33). Er habe - Menzel mißachtet im übrigen nicht Rankes „überragende wissenschaftliche Bedeutung“ (27) - weder „die biologischen Wurzeln des Volkstums“ zu erkennen vermocht, noch habe er „das Volk als eigentümliche Lebensgemeinschaft außerhalb staatlicher Bindungen“ betrachtet (35). Menzel stimmt Ranke „heute mehr denn je“ zu in dessen Auffassung einer „persönlichen Treueverpflichtung zwischen dem Fürsten und der Gefolgschaft“, durch die sich die Germanen von der „abstrakten Staatsgesinnung“ der Römer unterschieden hätten (34). Auch sieht er bei Ranke, im Gegensatz zur „mechanischen Ansicht der Dinge“ bei den Franzosen, als „Vorzug deutschen Geistes“ ein „organisches Denken“ wirken, das auch „heute wieder“ erstrebt werde (34f.), wobei wohl vor allem auf Gedanken Alfred Rosenbergs (s. I, 508) abgezielt wurde. - Das in der deutschen Kriegspolitik hochbrisante Thema ‚England‘ kam 1943 in einer Heidelberger Dissertation über ‚Die Stellung der deutschen Historiker zu England von den Befreiungskriegen bis zum Weltkrieg‘ zum Ausdruck. Die von Willy Andreas angeregte Arbeit Gisela Nagels behandelt in häufiger Beziehung zu Ranke: Dahlmann, Droysen, Haeusser, Sybel, Pauli, Noorden, Treitschke, Lenz, - 512 -

I/2.4.3 Nationalsozialismus - Fachhistorie, Geschichtstheorie, Philosophie

Dietrich Schäfer und Marcks. Der Ranke direkt gewidmete zentrale Abschnitt (36-45) enthält viel Überflüssiges aus zweiter Hand (darunter auch so grobe Schnitzer wie „Nach den Studienjahren in Dresden [!] wurde er 1808 [also zwölfjährig] Gymnasiallehrer in Frankfurt an der Oder“; auch „vollendete“ Ranke seine ‚Englische Geschichte‘ nicht 1859 (36, 144), sondern erst 1868. Oberflächliche Kenntnis führt die Verfasserin nur zu sehr allgemeinen Ergebnissen, denen man deshalb beipflichten kann: Ranke habe keine Geschichte Englands um ihrer selbst willen verfaßt, sondern es handele sich um Einordnung der insularen Geschichte in den Zusammenhang der europäischen (41). England liege bei ihm „im vollen Licht allseitiger Betrachtung des geschichtlichen Ablaufes und der ganzen Weite des politischen Geschehens“. Ranke stelle dies dar „mit nicht ausgesprochener aber fühlbarer Sympathie für die Stärke und Sicherheit dieses ... aristokratischen Staatswesens ... Politische Auswertung und Stellungnahme liegt Ranke fern“ (130). Das gilt nicht minder für die Dissertation. Auch bedeutendere Historiker - wie Fritz Ernst, Georg Küntzel, Franz Schnabel und Gerhard Ritter - ließen das Gedenkjahr 1936 für allgemeine Würdigungen, z. T. in kritischer Einstellung, nicht ungenutzt. Friedrich Meineckes am 23. Januar 1936 in der Preußischen Akademie der Wissenschaften gehaltene Gedächtnisrede ist die ausführlichste und bedeutendste (s. I, 522ff.). Das Memorialjahr erwies sich auch in der unmittelbaren Folgezeit als anregend für Beiträge unterschiedlicher, jedoch überwiegend historisch-politischer Thematik, wobei gelegentlich nationalsozialistische Positionen, indes auch Ausweichhaltungen sichtbar werden. Ein Zusammentreffen von Historie und Philosophie ergibt sich teils aus der aktiven wie passiven Kritik des Neuhegelianers Croce, teils aus kontroversen Erörterungen des alten und immer wieder neuen Themas des Rankeschen Ideenbegriffs unter Vertretern des Neukantianismus. Der weltläufige und über sein mediävistisches Arbeitsgebiet weit hinausschauende und -wirkende Fritz Ernst (1905-1963), dem Herbert Grundmann einen konzentrierten Nachruf widmete, erwies sich als Anhänger Rankes allein dadurch, daß er in seiner Darstellung des Ottonenreiches eine „nüchterne, fast karge Zurückhaltung von allem“ an den Tag legte, „was nicht die oft spärlichen Quellen sicher bezeugen oder erschließen lassen“ (Grundmann in: DA 20/1964, 299). Von dieser Kargheit konnte nicht die Rede sein in Ernsts Ranke-Gedenken des Jahres 1936. Hier brachte er in der Zweimonatsschrift für Dichtung und Forschung, ‚Corona‘, locker gereihte, in gut formuliertem Pathos sich gebende, z. T. übertriebene Reflexionen über Rankes Revolutionsauffassung, Objektivität, Darstellungsform („Die deutsche Prosa hat keinen größeren Schilderer als ihn“, 94), als Abgesang: Ranke und Goethe: „Ranke ist der jüngere Bruder Goethes“, dazwischen in dieser Form Frag-Würdiges, wie: Rankes „stolz bejahtes Preußentum“ gehöre zu seinen „tiefsten Seelenkräften“ (95). - Sein Artikel ‚Einführung in Ranke‘ von 1934 stellt eine späte Besprechung der RothackerAusgabe des ‚Politischen Gesprächs‘ von 1925 dar. (Über seinen Aufsatz von 1957, ‚Zeitgeschehen und Geschichtschreibung‘, in der von ihm herausgegebenen Zeitschrift ‚Die Welt als Geschichte‘, s. I, 562). - Zum publikumsorientierten und mittlerweile weltweit hypertrophisch realisierten Thema ‚Weltgeschichte‘ ließ sich 1934 Walter Goetz vernehmen. Er gab einen Überblick über entsprechende Werke von Ranke bis zu der von ihm selbst herausgegebenen, gerade abgeschlossenen zehnbändigen ‚Propyläen-Weltgeschichte‘. Dabei erkannte er erstaunlicherweise Rankes europazentristische universalhistorische Anschauung an, mit der „die rein politisch geschichtlichen Volksund Weltgeschichten ... für immer gerichtet sein“ sollten (274). - 513 -

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Als deutlich ausgeprägter Ranke-Anhänger kann zunächst auch Georg Küntzel (1870-1945) aufgefaßt werden. Er hatte über Friedrich Wilhelm IV. und über Bismarck in seiner Beziehung zu dem Ranke nahezu befreundeten Thiers gearbeitet, Werke über ‚Preussens Fall und Wiedergeburt‘, über den ‚Aufstieg Preussens im 17. und 18. Jahrhundert‘ verfaßt, auch die politischen Testamente der Hohenzollern nebst ergänzenden Aktenstücken herausgegeben. Und aus seiner Feder war im Kriegsjahr 1917 in den ‚Schützengraben-Büchern für das deutsche Volk‘ das 114.-116. Tausend der ‚Feindschaft Frankreichs gegen Deutschland‘ erschienen. Im Jahre 1929 hatte er über ‚Leopold von Ranke und Elsaß-Lothringen‘ geschrieben. Dabei glaubte er mit Befriedigung konstatieren zu müssen, daß Ranke - freilich erst, nachdem er durch die Revolution von 1848 „aufgerüttelt“ worden sei (301) - schließlich der elsaß-lothringischen Frage eine entscheidende Bedeutung beigemessen habe: Als „volle Sicherung“ der Regelung von 1871 habe Elsaß-Lothringen „in dem politischen und kulturellen Weltgebäude Rankes den Schlußstein“ gebildet (308). Merkwürdiger- und sträflicherweise interessierte Küntzel das recht gut dokumentierte Verhältnis Rankes zu dem ihm eng befreundeten Edwin v. Manteuffel als Statthalter der Reichslande nicht. - Auch Küntzel ließ Rankes Jubiläumsjahr 1936 nicht ungenutzt verstreichen. In einem Beitrag ‚Rankes Lehre von den „Großen Mächten“ und die Gegenwart‘ erprobte er die Tragfähigkeit der „Weltanschauung“ dieses „historisch-politischen Weltweisen“ (845) für das „planetarische politische Weltbild der Gegenwart“ (859) und gelangte zu dem von Ranke - dem nichts ferner lag, als das geschichtliche Leben unter die Regeln einer ‚Lehre‘ zu bannen - so wohl kaum gebilligten Ergebnis, daß dieses „Weltbild der Gegenwart weithin in innerer Übereinstimmung mit der Schilderung jenes Kräftespiels“ stehe, „das Ranke mit Meisterhand in der Entwicklung der großen Mächte Europas aufgedeckt“ habe (ebd.). Küntzel geht dabei differenzierter vor, als hier dargestellt werden kann. Jedenfalls liegt seiner Projektion die Überzeugung zugrunde, daß „im Sinne von Ranke die Weltführung durch die romanisch-germanischen Völker noch als bestehend, wenn auch nicht unbedroht“ anzuerkennen sei (863). - Ein weiterer Beitrag des Jahres 1936 ging der Rankeschen Darstellung Friedrichs des Großen nach, wozu Küntzel die von Ernst Krieck herausgegebene ‚Die Neue Deutsche Schule‘, eine Zeitschrift der Reichsfachschaft 4 (Volksschule) des Nationalsozialistischen Lehrerbundes, diente. Hierin nun tritt Küntzel, völlig zeituntypisch, als entschiedener Kritiker Rankes auf. Sachkenntnis war nicht zu bestreiten. 1930 hatte er, gerade zum Rektorat der Universität Frankfurt/Main aufgestiegen, Rankes ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘ herausgegeben, wenn auch editorisch unzulänglich (s. II/2.1.3). Nun will er u. a. zeigen, daß Rankes Friedrich-Darstellung in manchen Punkten mit besonderer Deutlichkeit dem politischen Einfluß seiner Gegenwart unterliegt, sich als „ungeschichtliche Konstruktion“ (398), ja - in seiner Auslegung, „daß mit 1745 die Großmachtbildung des preußischen Staates zu Ende gekommen war“ - als „Beugung der Quellenaussagen“ (403) erweist. Literatur, namentlich die 1923 erschienene einschlägige Dissertation von Gertrud Kohn - wegen jüdischer Herkunft? - wird von Küntzel allerdings nicht berücksichtigt. Die Verfasserin hatte in ihrer von F. Fehling angeregten Arbeit die Friedrich-Darstellung Rankes mit derjenigen Droysens, Dunckers, Häussers, Sybels und Treitschkes verglichen, bei denen sie eine nationale und liberale Idealisierung im Gegensatz zu Rankes realistischerer Darstellung vorzufinden glaubte, sowie mit der Carlyles und Macaulays. Die Arbeit endete mit einem Vergleich der historischen Methode der als Antipoden verstandenen Ranke und Droysen. - 514 -

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Franz Schnabel, bereits mehrfach betrachtet, hielt sich in seinem am 24. Mai erschienenen Beitrag zu Rankes 50. Todestag ideologisch sehr zurück. Lediglich in einigen Ranke-Zitaten mag man einen Zusammenhang mit dem Ungeist der Zeit erkennen („Nicht aus Beratungen mehrerer kann eine energische Politik hervorgehen, sie muss von einem Kopf abhängen...“, und ein am Vortag von der ‚Berliner-Börsenzeitung‘ vom 23. 5. 1936 zitiertes Wort wird auch hier besänftigend aufgegriffen: „Das politische Verständnis hat etwas gemein mit der persönlichen Freundschaft; wenn man in der Hauptsache einverstanden ist, kommt man über die Nebensachen leicht hinweg“). - Rankes ‚Objektivität‘, wie diese überhaupt, wird Schnabel nicht zum Problem. Sie sei, nach „sachlicher“ und „leidenschaftsloser“ Tatsachenfeststellung „keineswegs“ als „Standpunktlosigkeit“ aufgetreten ([1]). Der Rankeschen Staatsanschauung wird die Bismarcksche gleich erachtet, wobei sich in diesem „die Einheit des erkennenden und des handelnden Menschen ... vollendet“ habe. Als bemerkenswerteste Aussage Schnabels ist aber wohl seine nicht allein der Zeitklage Nietzsches, sondern geradezu einer Welt von Deutern entgegenstehende Auffassung festzuhalten, daß das 19. Jahrhundert „im tiefsten Grunde ein Zeitalter ungeschichtlichen Denkens gewesen und geblieben“ sei, in dem Ranke „noch das Erbe der alten Kultur, die Ganzheit und Allseitigkeit“, in sich getragen habe. [2]. Gerhard Ritter (1888-1967), 1911 bei Hermann Oncken promoviert und von ihm weiterhin gefördert, hatte 1929 eine Besprechung der Ranke-Akademie-Ausgabe Joachimsens verfaßt. In seiner Würdigung ‚Zum Gedächtnis Leopold von Rankes‘ aus dem Jahre 1936 ist sein Anliegen, die geistesgeschichtliche Stellung Rankes aus Grundbegriffen seiner „politischen Historie“, vornehmlich aus seinem Staatsbegriff durch den Zugang des ‚Politischen Gesprächs‘ zu bestimmen. Er sieht dabei - und dies weist in Nähe zu Schnabel auf Ritters Nachkriegs-Kritik hin (s. I, 543ff.) - in Ranke den Universalismus des 18. Jahrhunderts und auch in seinem „ruhig-heiteren Glauben an die Macht der menschlichen Vernunft ... ein Stück vom geistigen Erbe des 18. Jahrhunderts“ (188) fortwirken. In letzterem aber liege die Grenze des Lebenswerks des „größten Universalhistorikers des modernen Europa“ (186). 1940, als Freiburger Ordinarius, ließ er eine Abhandlung mit dem gewagten Titel ‚Machtstaat und Utopie. Vom Streit um die Dämonie der Macht seit Machiavelli und Morus‘ erscheinen, in der er „staatstheoretische Überlegungen mit einer hintergründigen Kritik an der Politik des NS-Regimes“ verband (Christoph Cornelißen: Gerhard Ritter. In: NDB 21/2003, 658660). Auch Otto Vossler (1902-1987) dürfte seine Ranke-Prägung von Hermann Oncken empfangen haben, bei dem er 1925 mit einer Arbeit über Mazzini promoviert worden war. Er betätigte seine historisch politischen Interessen 1929 mit der Schrift ‚Die amerikanischen Revolutionsideale in ihrem Verhältnis zu den Europäischen‘ und vereinte diese Einstellung sodann mit dem Thema ‚Ranke‘ zunächst in einem 1937 erscheinenden, 1949 ins Italienische übersetzten Beitrag ‚Der Nationalgedanke von Rousseau bis Ranke‘. Hierin machte sich sogleich seine mehrfach anzutreffende publikumsorientierte, essayistisch sorglose Darstellungsweise bemerkbar. Die nahezu ausschließlich einer Vorlesung an der Universität Leipzig entstammenden Skizzen gehen von Rousseau aus, über Burke, Jefferson, Fichte, Humboldt, ‚Italien und die Französische Revolution‘, Mazzini, Hegel hin zu Ranke (175-185). Der erhalten gebliebene populäre Vorlesungscharakter begünstigte das gerade bei diesem Thema folgenschwere Fehlen von Literaturbenutzung und Literaturnachweisen ebenso wie das Entstehen von speku- 515 -

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lativen Übertreibungen bzw. Simplifikationen folgender Art: „Es ist vielmehr auch so, daß da, wo Ranke von Hegel abweicht und ihn übertrifft, indem er tatsächlich der historischen Wirklichkeit besser und freier zu ihrem Recht, zur Anerkennung | verhilft, daß er da einfach noch Hegelischer ist als Hegel selber.“ (175f.). Und: „Die klassische Rankesche Geschichtschreibung ist eine geniale Anwendung Hegelischer Erkenntnisse.“ (176). Die interpretatorischen Ansätze beziehen sich dabei ausschließlich auf folgende innerhalb eines überaus kurzen Zeitraums entstandene Beiträge Rankes in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘: ‚Frankreich und Deutschland‘, ‚Über die Trennung und Einheit von Deutschland‘, ‚Politisches Gespräch‘ und ‚Die großen Mächte‘. Damit werden frühere Positionen Rankes, aber auch seine spätere Entwicklung, v. a. nach 1848 und 1871, wie überhaupt seine gesamte Historiographie, ausgeschlossen. - Ein Rezensent (-el) der Zeitschrift ‚Germania. Zeitung für das deutsche Volk‘ (Nr. 151, Bln., 2. 6. 1937) bedauerte, daß „nicht nur Herder, sondern auch die Romantik in dem Voßlerschen Buch nicht erwähnt“ werde. Vor allem wird der Abstand Rankes zu Hegel dort weiter gesehen: „Welche Klüfte gähnen noch zwischen Hegel und Ranke, hier der starre philosophische Vorkämpfer der Idee mit seinem Primat des jeweils führenden Volkes, dort der sorgfältige Erforscher der konkreten Verhältnisse, bei dem a l l e [i. T.] Nationen vor Gott sind.“ - Vossler überstand, wie es scheint, ohne äußeren Schaden zu nehmen, das ‚Dritte Reich‘, er war 1939 in Leipzig zum Ordinariat für Geschichte, das er bis zum Kriegsende innehatte, auch zum Dekanat aufgestiegen und setzte seine Laufbahn nach dem Kriege sogleich in Frankfurt a. M. fort. (Ulrich Muhlack: Otto Vossler. In: HZ 247, 1988, 214-216). Zunächst gab er jedoch mit Blick auf das besetzte Frankreich 1943 geschickt Rankes ‚Französische Geschichte‘ heraus, erneut 1954. Die Einleitung unter dem Titel ‚Rankes historisches Problem‘ nimmt andeutungsweise Bezug auf Croces Ranke-Kritik, unter anderem formuliert in ‚L’historiographie sans problème historique. Ranke et Burckhardt‘ (1938). Dies lag um so näher, als Otto Vosslers Vater, der bedeutende Romanist Karl Vossler, mit Croce in Korrespondenz stand. Wo Croce in Ranke lediglich einen begabten Erzähler ohne philosophische Substanz gesehen hatte, glaubte Otto Vossler möglicherweise in unbewußter Selbstdeutung -, das „eigentliche Problem von Rankes Geschichtsschreibung“ im „quälenden und befreienden Erlebnis des Konfliktes von Theologie und Historie“ suchen zu sollen (195), nach außen gewandt im „Widerstreit von Theologie und Politik, von Kirche und Staat“ (198). Überhaupt sieht Vossler in Rankes Religiosität „Fundament, Ursprung und Impuls“ seiner Geschichtsschreibung (194), verkennt indes völlig dessen früh ausgeprägte allgemeine publizitätsorientierte Haltung, die sich erst später zur Fachhistorie hin entwickelte und nicht nur in seinem Erstlingswerk von starken philologisch-kritischen Motiven getragen war. Vossler bietet abschließend eine immer noch beachtenswerte Betrachtung der ‚Französischen Geschichte‘ Rankes. Im Jahre 1961 hat er noch einmal - in inhaltlich überraschender Weise - zu Ranke das Wort genommen (s. I, 557f.). Justus Hashagen, eine zumindest in seinen späten Jahren schwer deutbare, jedenfalls tragische Gestalt, hatte sich im Ersten Weltkrieg in Schriften wie ‚Kriegerische Demokratien in Vergangenheit und Gegenwart‘ (Der deutsche Krieg, H. 97, Stg., Bln. 1917) deutsch-national hervorgetan. Als Anhänger Rankes zeigte er sich in einer 1926 an der Hamburger Universität gehaltenen vierstündigen Vorlesung mit dem Thema ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ (Peter Borowsky: Justus Hashagen, ein vergessener Hamburger Historiker, in: Zs. d. Vereins f. Hamburgische Gesch. - 516 -

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84/1998,163-183, hier 170), Studien, die 1931 als ‚Staat und Kirche vor der Reformation‘ und 1934 als ‚Martin Luther und die deutsche Reformation‘ zutage traten. Zugleich widmete er Ranke in den Jahren von 1929/1930 bis 1942 nicht weniger als neun Kleinstbeiträge unterschiedlichster Thematik‚ so zu ‚Troeltsch und Ranke‘ (1929/30, s. I, 474), ‚Ranke in neuer geistesgeschichtlicher Beleuchtung‘ (1937, s. I, 530f.), ‚Gottesglaube und Geschichtsdeutung bei Leopold von Ranke‘ (1940, s. I, 531). Hinzu zählen darf man noch seine Schrift ‚Die Romantik und die Geschichte‘ (1933, s. I, 488). 1936 widmete sich Hashagen fünfseitig der für Rankes Leben und Werk wichtigen Frage nach Beweggründen und Auswirkungen einer ‚Hinwendung zu Preußen‘, die gerade in der Abwägung zufällig scheinender äußerer Lebensumstände und notwendig scheinender innerer Überzeugungsmomente Schwierigkeiten bereitet. Hashagen faßte diese Hinwendung zu sehr als „Herzenssache“ Rankes (395) auf, - überhaupt ein Begriff, der bei ihm kaum anwendbar ist - und geriet damit in teilweise bewußte scharfe Widersprüche zu Leben und Denken des Pfortaer, Leipziger und Frankfurter Ranke (als Paradebeispiel der ‚Abwendungs‘-Brief an Fr. W. Thiersch, 28. 4. 1822), die sich nur ‚auflösen‘, wenn Rankes Hinwendung nicht - wie bei Hashagen - als „Ereignis“, sondern zunächst als Vorgang mit Verwicklungen und Unterbrechungen angesehen wird und wenn zugleich in charakterologischer Hinsicht zugegeben wird, daß zu Rankes Überzeugungen auch variable Größen gehörten (vgl. z. B. die Beurteilung Rankes in einem Schreiben Kg. Maximilians II. an Th. v. Zwehl, 3. März 1853 bei Hoeft/1940, 85: Ranke sei „von so biegsamem Charakter“). Bei der überwiegend begründeten, Küntzel nahestehenden Charakterisierung Rankes als „historiographischer Apologet des preußischen Staates“ (394), sollten nicht die Dimensionen des Gesamtwerkes aus den Augen verloren werden. - 1940 schwenkte Hashagen, wiederum fünfseitig, von der preußischen zur Reformationschichte um. Von einer Behandlung des Themas, ‚Karl V. im Geschichtsbild von Ranke bis Brandi‘ - namentlich des ‚bis‘ konnte allerdings keine Rede sein. Vielmehr handelt es sich ausschließlich um eine Rezension der Karls-Biographie Brandis (2. Aufl.), mit wenigen Rückgriffen auf Ranke und polemischen Angriffen auf Brandi: „Die Nachwirkung Rankes bei Brandi scheint noch so hemmungslos zu sein, daß sie ihm den Gedanken einer grundsätzlichen Ergänzung und Weiterbildung des Meisters dauernd fernhalten mußte. Wohl hat Brandi die Rankesche Art ungemein verfeinert und vertieft ... Aber man kann nicht sagen, daß er nach der grundsätzlichen Seite hin in irgendeinem entscheidenden Punkte über seinen ... großen Vorgänger hinausgekommen ist.“ (123f.). - Hashagen betätigte sich auch wie andere Ordinarien, so Meinecke, v. Srbik, W. Andreas, Gustav Roloff und der Schweizer Leonhard von Muralt, in den Jahren 1928, 1935 und 1941 als Herausgeber populärer Ranke-Ausgaben, und dies alles, obgleich er 1935 wegen regimekritischer Äußerungen suspendiert worden war (Borowsky/1998, 163). Hashagen soll „augenblicklich in Konflikte mit den neuen Machthabern“ geraten sein (Borowsky/1998, 172). Da erstaunt es sehr, daß er noch 1938 in extremer Verkennung der Realität über ‚Rankes Europa und die Gegenwart‘ geschrieben hatte, das Europaideal des „Patrioten“, „Nationalisten“ und eingeschränkten „Universalisten“ Ranke sei „unter uns noch vollkommen lebendig“ (195). Der „Verkehr mit den fremden Völkern“ könne „nicht nur im Kampf bestehen ... sondern auch im Ausgleich. Der Faschismus hat das eingesehen. Er tritt den berechtigten Interessen keiner Nation zu nahe. Man braucht ihm und dem Nationalsozialismus nicht erst klar zu machen, daß er Pflichten gegen Europa hat. Die hat er vollauf erkannt und die wird er erfüllen zum Segen der Menschheit.“ (195), - dies eine Schrift, die der früh verstorbene, wohl ein wenig zu - 517 -

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wohlwollend und zugleich dramatisch eingestellte Borowsky nicht zu kennen schien. Es gilt auch für Hashagens Aufsatz ‚Germanentum und Wirtschaft‘ (in: Anthropos 32/1937). 1942 unternahm er in der ‚Historischen Zeitschrift‘ den nationalsozialistisch angepaßten ‚Versuch einer neuen Kritik Rankes‘. Hierin ließ er sich u. a. aus über die teilweise Berechtigung der Lamprechtschen Ranke-Kritik und gab sodann zeitbedingt Übertriebenes bis Unsinniges preis: Ranke als „erklärter Nationalist“ (72) und als „Führernatur unter den politischen Historikern“ (ebd.). - Simples Formal-Resumee: „Eine Kritik Rankes hat heute nur dann Existenzberechtigung, wenn sie zu neuer positiver Arbeit hinüberleitet ... Es gilt auszuführen, was Ranke oft nur gewollt hat, Lücken auszufüllen, Unterlassungssünden wieder gutzumachen, Einseitigkeiten zu vermeiden.“ (79). Wie wenig eine solche emendierend vollstreckende Haltung mit der im Titel beschworenen ‚Kritik‘ gemein hat, blieb dem Ranke-Essayisten Hashagen freilich verborgen. Für den damaligen Rigaer Historiker Reinhard Wittram (1902-1973) war in einem 1937 gehaltenen Festvortrag zur Jahresfeier der ‚Herdergesellschaft‘ und des ‚HerderInstituts‘, betitelt ‚Historismus und Geschichtsbewußtsein‘, mit dem Nationalsozialismus eine „Weltwende“ eingetreten (Wittram/1938, 230), herbeigeführt von den „großen Männern“ mehrerer Völker, die mit „Hammerschlägen eine morsche Zuständlichkeit zertrümmert und die politischen Grundlagen eines neuen Weltgebäudes geschaffen haben.“ (229). Zugleich sieht er darin einen „Heilungsversuch“, in dem es „in der Tat berechtigt“ sei, „jede Kraft und jeden Willen, das Gefühl und den Verstand in eine große allgemeine Zucht zu nehmen, um die unserem Zeitalter gestellte Aufgabe zu erfüllen.“ Und dann folgt eine ‚carte blanche‘ für jede Art künftiger nationalsozialistischer ‚Politik‘: „Alle Totalitätsforderungen gewinnen ihre metaphysische Rechtfertigung aus diesem Boden“ (235). Das Wort Rankes vom „Real-Geistigen, welches in ungeahnter Originalität dir plötzlich vor Augen steht“ (‚Politisches Gespräch‘), überträgt Wittram von den Staaten auf die Völker, die Geschichte machen, als „politische Kraftgebilde“ (236). Rankes Vorstellung fehle aber „noch die Beziehung zu der Welt der naturhaften Voraussetzungen, die unserer Zeit als erbgesetzliche und rassenseelische Gegebenheiten zu einem unverlierbaren Erlebnis geworden ist.“ (236). Überdies werde „die Notwendigkeit, die europäischen Geschichtsabläufe unter dem Gesichtspunkt der Volksgeschichte neu zu durchdenken“, immer zwingender (236). Die Darstellung der Geschichte sei „wieder eine Sache der politischen Verantwortung geworden“ (239). - Wittram schließt mit der frommen Selbstbescheidung, über die Auffassung Rankes nicht hinausgelangen zu können, die in den realgeistigen Wesenheiten Gedanken Gottes sah. Nach dem Krieg konnte er seine professorale Tätigkeit rankebezogen weiterführen (s. I, 543). Eine der wenigen empirisch an Ranke-Texten orientierten und mit Literaturkenntnis ausgestatteten Ranke-Betrachtungen dieser Zeit lieferte Heinrich von Srbik (18781951) 1938 in einer Studie ‚Zu Leopold von Rankes Universalismus und Nationalbewußtsein‘. Der Beitrag ist zumindest frei von vulgär-nationalsozialistischen Tönen und enthält perspektivreiche Betrachtungen zu Rankes historisch-politischem Weltbild und deutschem Bild, zu seinen Begriffen von ‚Staat‘ und ‚Nation‘ u. a. m. Allerdings ist er durchdrungen von der persönlichen politischen Einstellung Srbiks, der in eben dem Jahr des Erscheinens als Freund des österreichischen Anschlusses und Mitglied der NSDAP in den Großdeutschen Reichstag einzog (Wikipedia), betont insofern die Bedenken Rankes gegenüber einem kleindeutschen Bundes- oder Einheitsstaat und - 518 -

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hebt seinen „Reichspatriotismus“ hervor. Auch der Hinweis auf Rankes Überzeugung einer „freiwilligen Pflichterfüllung gegenüber dem Staate“ (357) durfte nicht fehlen. 1870 habe nach Rankes Wort die deutsche Bevölkerung des neutralen Österreich für die preußisch-süddeutsche Waffen „nur die lebendigste Sympathie“ gezeigt (364). Srbik gab 1941 in der Insel-Bücherei Rankes ‚Politisches Gespräch‘ heraus, in dessen Geleitwort er übersteigert Rankes „Größe als eines nationalen Erziehers und Schicksalsgestalters des deutschen Volks“ zu würdigen suchte (18). - Die Wirkung solcher Ausgaben zeigte sich unter anderem in einem Artikel der Zeitschrift ‚Moselland‘. Darin wurde anhand geschickt ausgewählter Stellen des ‚Gesprächs‘ der Versuch gemacht, bei Ranke, dem größten Historiker, „den das deutsche Volk hervorgebracht hat“ (32), eine Bestätigung der „nationalsozialistischen Weltanschauung“ zu finden. Rankes Satz „Um etwas zu sein, muß man sich erheben aus eigener Kraft, freie Selbständigkeit entwickeln, und das Recht, das uns nicht zugestanden wird, müssen wir uns erkämpfen“, dient hier indirekt zur Legitimierung der „schicksalvollen Entscheidungen des Führers“ (Blume/1942, 33). Der österreichische Historiker Wilhelm Bauer (1877-1953) hatte 1921 eine noch heute bekannte ‚Einführung in das Studium der Geschichte‘ verfaßt. Bevor er 1951 im ‚Almanach der Österreichischen Akademie der Wissenschaften‘ (Jg. 101/1951) einen Nachruf auf Srbik schrieb, stellte er 1941 in das durch den nationalsozialistischen Philosophen August Faust herausgegebene Werk ‚Das Bild des Krieges im deutschen Denken‘ einen Beitrag ein, betitelt ‚Der Krieg in der deutschen Geschichtsschreibung von Leopold von Ranke bis Karl Lamprecht‘. Zwischen diesen betrachtete er kurz Burckhardt, Treitschke, Mommsen, Sybel, Ficker, Schmoller, Dietrich Schäfer, Below und Delbrück. Asendorf sprach 1984 von einer „schludrig gearbeiteten Untersuchung“, die habe beweisen sollen, „daß die deutschen Historiker niemals den Eroberungskrieg befürworteten.“ Sie gipfele in einer „Verherrlichung des Reichskanzlers Hitler...“ (259, A. 102). Letzteres ist zutreffend. Was Ranke betrifft, so weist Bauer mit Recht darauf hin, daß dieser „alles eher als ein Verehrer oder Lobredner der rohen Gewalt gewesen“ sei (142). Vielmehr erfüllt von dem Gedanken, „der Krieg erhalte nur durch sittliche Grundlegung seine höhere Weihe und Berechtigung“ (144), sei er „davon durchdrungen“ gewesen, „daß die Sprache der Waffen allein eine nur unvollkommene Legitimation für das Erreichen höchster politischer Ziele bilde.“ (146). Die seit 1870 im ‚Neuen Reich‘ gewachsenen hegemonialen Bestrebungen, welche unter Historikern vor allem auf Rankes Aufsatz ‚Die großen Mächte‘ bezogen wurden und sich auch auf seine in den Vorträgen vor Maximilian II. geäußerte Sicht einer weltweiten Ausbreitung des „romano-germanischen Geistes“ glaubten stützen zu können, obgleich Ranke dies lediglich in kultureller Hinsicht annahm (WuN II, 443), verfestigten sich im ‚Dritten Reich‘ zum Gedanken eines zunächst Europa neuordnenden Großdeutschen Reiches, ein Gedanke, der während des militärischen Niedergangs zur Vorstellung einer ‚Festung Europa‘ gedieh. Über ‚Die europäische Ausbreitung über die Erde‘ war 1931 ein Werk erschienen, das sich zu Rankes „Anschauung des fortschreitenden (nicht des von Schlözer als dauernd wirksam gesetzten) Zusammenhanges der Völker“ bekannte und „erfüllt von dem erdumspannenden Bewußtsein der Gegenwart, die Folge der Weltreiche in einem globalen Zusammenhange zu sehen“ suchte (4). Der Verfasser, Gustav Adolf Rein (1885-1979), war „ab 1933 entscheidend an der Selbstgleichschaltung der Universität [Hamburg] und des Historischen Seminars im nationalsozialistischen Sinne beteiligt und von 1934 bis 1938 Rektor der Uni- 519 -

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versität“ (Borowsky/1998, 169), nach dem Zweiten Weltkrieg Mitbegründer der ‚Ranke-Gesellschaft (s. I, 535f.). - Über ‚Rankes Europa‘ schrieb auch, wie bemerkt, Justus Hashagen im Jahre 1938 in völliger Verkennung der Situation unmittelbar vor Kriegsbeginn (s. I, 517). - Karl Rotthaus hatte sich in den Jahren 1915 und 1920 mit Rankes Staatsauffassung im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verhältnis von Innen- und Außenpolitik befaßt (s. I, 457 u. 491). 1943 veröffentlichte er in der Zeitschrift ‚Das Reich‘ einen Beitrag über ‚Europa im Geschichtsbild Rankes‘, wobei dessen Aufsatz ‚Die großen Mächte‘ eine nationalsozialistische Übersteigerung erfuhr. Rotthaus betrachtet den gegenwärtigen Krieg lediglich als „das heiße Ringen des nationalsozialistischen Großdeutschlands um eine Neugestaltung“ Europas, im Zusammenhang mit Rankes Begriffsbestimmung einer ‚Großen Macht‘, die sich gegen alle anderen zusammengenommen behaupten müsse und deren Ansprüche nur „im Kampf ... europäische Bewertung erfahren“ könne. In der Anschauung Rankes werde nur demjenigen Kämpfer im „Ringen des nationalsozialistischen Großdeutschland“ die Kraft „auf die Dauer am reichsten zuströmen ... der seine Fähigkeiten aus dem unsichtbaren Kraftlinienfeld des geheimen Europa immerfort erneuern“ könne. Zugleich betont Rotthaus die Gemeinschaftlichkeit der europäischen Völker im Rankeschen Sinne einer „geheimen Sympathie“, die jedoch nicht als eine „balance of power“ anzusehen sei, sondern durch eine biologisch begriffene „organische Steuerung in einem Körper“ erzeugt werde. Hier tritt nun auch ein Anklang an die bereits von Spengler, nunmehr von Rosenberg und Krieck ausgebaute Blut-Theorie zu Tage, die sehr direkt bei Leopold von Caprivi als Rankescher „Ansatz zum Bewußtsein seiner Blutverbundenheit“ zum Ausdruck kommen wird (s. I, 530). Bei Rotthaus heißt es: „Wer von dem lebendigen Blutumlauf des Gesamtorganismus mehr an sich ziehen will, muß sich zuvor ‚unentbehrlich für die Gesamtheit‘ erweisen.“ Rankes Satz, „Entschiedenes positives Vorwalten einer einzigen [Macht] würde den anderen zum Verderben gereichen“ (GrMächte), wird hier begreiflicherweise unterschlagen. * Der vor den Nationalsozialisten geflohene, mit Anthropologie und Kultursoziologe befaßte und wie Cassirer dem Neukantianismus nahestehende Philosoph Helmuth Plessner (1892-1985) betrachtete in seinem 1935 erschienenen Werk über ‚Das Schicksal deutschen Geistes im Ausgang seiner bürgerlichen Epoche‘, das 1959 in erweiterter Form unter dem bekannteren Titel ‚Die verspätete Nation. Über die politische Verführbarkeit bürgerlichen Geistes‘ erschien, die „Verfallsstufen des christlichen Zeitbewußtseins. Metamorphose und Auflösung des geschichtlichen Weltbildes“. Darin findet er auch Rankes Geschichtsbild vor. Es bezeichne „im Ergebnis eine neue ... Stufe der Verweltlichung des universal-historischen Bewußtseins“. Rankes Geschichtswissenschaft, gemeint ist wohl sein Geschichtsbild, stehe „unter keiner Verheißung mehr“ (102f.). Das ist unzutreffend: Die Entfaltung der Kultur in Freiheit ist, so von Ranke in den Vorträgen vor Maximilian von 1854 ausgesprochen, seine Verheißung, wenn auch keine transzendente. 1944 verfaßte Plessner in der niederländischen Emigration einen Aufsatz ‚Zum gegenwärtigen Stand der Frage nach der Objektivität historischer Erkenntnis‘, in dem er wiederum als Mahner auftrat. Er sah in Rankes „Ideal, die Dinge so darzustellen, wie sie gewesen sind … die Gefahr der Verdinglichung des historischen Bewußtseins“, die Gefahr eines illusionären, „naiven - 520 -

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Realismus, der die Geschichte als den Inbegriff der vergangenen menschlichen Wirklichkeit“ vorstelle. Indes seien „die greifbaren Zeugnisse der Vergangenheit … ohne eine Idee von dem Lebensganzen, ohne Interpretation“ nicht zum Sprechen zu bringen (285), was u. a. an Droysens unbegründete Kritik erinnert. Dem Erkenntnisproblem hatte sich auch Ernst Cassirer (1874-1945) zugewandt. Die rankebezogenen Passagen seines auf das Jahre 1937 zurückgehenden Werkes über ‚Das Erkenntnisproblem in der Philosophie und Wissenschaft der neueren Zeit‘ zeigen - wie so oft - die allgemeine Bedeutung des von Dilthey geförderten, 1933 emigrierten jüdischen Philosophen, welcher der ‚Marburger Schule‘ des Neukantianismus zugerechnet wird (s. Helmut Kuhn: Cassirer, Ernst Alfred. In: NDB 3/1957, 168f.), allerdings nicht in vollem Umfang. Im Vordergrund steht die wohl ausführlichste, jedoch nicht sehr tiefgehende, literaturarme Betrachtung des Rankeschen Ideenbegriffs in dieser Zeit, auf der Grundlage einiger üblicher Ranke-Zitate, wobei das Verhältnis, in dem Niebuhr, Humboldt und Ranke zueinander stehen, nur allgemein und nahezu unter Gleichsetzung Humboldts und Rankes - auf dem Boden des Festerschen Werkes von 1891 - beschrieben wird. Letztere erkennen nach Cassirer „neben der ‚physischen‘ Kausalität eine andere, ihr überlegene ‚supranaturale‘“ an (247). Gleichwohl lehnen sie, wie zu Recht bemerkt wird, eine Teleologie in der Geschichte ab (248). Andere, ansonsten für hochbedeutend erklärte Einflüsse, wie etwa die Fichtes, werden übergangen. Bemerkenswert ist der Hinweis auf die Unterschiedlichkeit des Platonischen und des Rankeschen Ideenbegriffs, die darin liege, daß es für Ranke, der die „Ideenschau“ als ein „wesentliches Moment aller Erkenntnis“ betrachte, „doch jene Trennung und Sonderung“ nicht geben dürfe, die Platon zwischen der Erscheinung und der Idee, zwischen dem Besonderen und Allgemeinen annimmt.“ (244f.). - Cassirer wendet sich auch dem bereits in der Wilhelminischen Zeit lebhaft diskutierten Thema eines Einflusses der Romantik auf die Geschichtsschreibung zu, mit einer zu Below (Die dt. Gesch.schreibung/1916, s. I, 484ff.) und Fueter (Gesch. d. neueren Historiographie/ 1911, s. I, 444f.) in strengem Gegensatz stehenden Sicht. Der „von der Romantik belebte Sinn für die Poesie und für die Religion“ sei für Niebuhr zum Ausgangspunkt einer „neuen Form der geschichtlichen Auffassung und des geschichtlichen Denkens“ geworden (236). Plakativ und in dieser Form unhaltbar ist die lapidare Festsetzung Cassirers, Ranke sei „der Schüler Niebuhrs“. Dieser habe ihn „zur Historie geführt...“ (Zitate der dt. Ausg./1957, 237). Indes: Erst durch das von Ranke erhobene „strenge Gebot der Objektivität“ konnte „die romantische Ästhetik und die romantische Metaphysik überwunden und die Geschichtsschreibung auf eine neue und sichere methodische Grundlage“ (238) universeller Art (240) gestellt werden. Lediglich gestreift hatte das Thema ‚Ideenlehre‘ der bekannte Kulturhistoriker Jan Huizinga (1872-1945) 1934 in einem Aufsatz mit dem Titel ‚Fortschritte der Geschichtswissenschaft seit dem Beginn des neunzehnten Jahrhunderts‘, der später u. a. in einer hier zitierten Sammlung seiner Aufsätze Aufnahme fand. Huizinga gab sich dabei mit Ranke wenig Mühe und wiederholte unter seinem Niveau liegende undifferenzierte und einseitige Alt-Urteile, v. a. über die „erhabene Ruhe der Ideenlehre Rankes ... bei der die Muse in den Kabinetten und Konsistorien oder höchstens noch im Feldherrnzelt zu Hause war, die aber Leidenschaften und Wahnvorstellungen, Not und Arbeit sowie die Masse und ihre Instinkte kaum zur Kenntnis nahm.“ (Huizinga/1954, 38). - Auch in der 1946 posthum erschienenen bekannten Schrift des von Croce beeinflußten englischen Philosophen Robin George Collingwood (1889-1943), ‚The idea of History‘ - 521 -

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spielt Ranke mit einigen kurzen oberflächlichen Bemerkungen eine auffallend beiläufige Rolle: Rankes ‚Ideen‘ - so die ‚Reformation‘ [!?], was auf ein undeutliches Verständnis des Rankeschen Begriffs hindeutet - seien solche im wahren Hegelschen Sinne (122). Im Zusammenhang mit seinem Diktum ‚wie es eigentlich gewesen‘ habe sich die Geschichtswissenschaft als Kenntnis individueller Fakten allmählich autonom abgelöst von der Kenntnis allgemeiner Gesetze (130f.). Positivistische Historiographie - wie etwa die Rankes - sei in den alten Irrtum verfallen, Geschichte mit politischer Geschichte gleichzusetzen (132). Auch der auf einen 1942 gehaltenen Vortrag zurückgehende Aufsatz von 1943 über ‚Geschichtswissenschaft und Staat in der Zeit Rankes‘ aus der Feder des Züricher Lehrstuhlinhabers für Mittlere und Neuere Geschichte, Werner Kaegi (1901-1971), weist allenfalls indirekte Beziehungen zu der dramatischen Zeit seiner Veröffentlichung auf. Der schweizer Historiker sieht die „wesentlich vom Politischen her“ konzipierte „nationale Individualität“ ‚Nation‘ in Rankes „Geschichtsphilosophie“ zur „wesentlichen Trägerin der Ideen, ja zum Ausdruck einer göttlichen Providenz“ werden, wodurch sich die „universale Geschichte des Geistes ... in eine Machtgeschichte nationaler Individualitäten“ aufgelöst habe (191). Kaegi übersieht in seinen an einigen geschichtstheoretischen Äußerungen vornehmlich der 1830er Jahre entwickelten, allzu weitgehenden Vorstellungen übrigens den von Ranke überwiegend gemachten Unterschied von Staat und Nation und spricht daher gleichbedeutend vom „nationalen Individuum“ wie vom „staatlichen Individuum“ (ebd.), das für Ranke indes von größerer Bedeutung ist. Bedenklich ist auch, daß das Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Staat bei Ranke lediglich in seiner „unabweisbaren, echten“, man möchte sagen ‚idealen‘ Problematik gesehen wird und nicht auch in der „Beeinflussung durch ... bewußte staatliche Leitung“ (192) und Begünstigungen verschiedener Art, begonnen mit der großzügigen Finanzierung von Forschungsreisen, über Dotationen bis hin zu öffentlichen Ehrungen. Zu Rankes 50. Todestag im Jahre 1936 hielt Friedrich Meinecke in der ‚Preussischen Akademie der Wissenschaften‘ eine Gedächtnisrede, in der er von einer Gegenwartsdeutung ausdrücklich Abstand nahm. Seine tiefsinnige und zugleich hochgestimmte Rede ist nicht frei von idealisierenden Zügen, deren weitreichendster lautet, Rankes Werk stelle „einen der ganz großen Lösungsversuche für ein Urproblem“ dar (584). Hier wird in zunftbezogener Selbstüberschätzung verkannt, daß gerade die Historie nicht imstande ist, Lösungen zu erarbeiten, um die sich Philosophie und Theologie weitgehend vergebens bemühen. Selbst Ranke hat gelegentlich auf den substanziellen Verfall seines und jedes Geschichtswerkes hingewiesen („die Dauer eines Geschichtsbuches hänge allein ab von der Schönheit des Stiles“, H. Grimm: Heinrich von Treitschke’s Deutsche Geschichte/(1896), 1897, 27, s. I, 188). Meineckes Rede stellt zugleich in hohem Maße eine Selbstdeutung dar. Dies gilt vor allem für die Ranke zugesprochene „Verschmelzung von Ahnen und Erkennen“ (589), möglicherweise auch für den von Meinecke immer wieder beschworenen Panentheismus (597). Auch die Frage nach dem Vorrang individualistischen oder kollektivistischen Verstehens der Geschichte behandelt Meinecke in sehr bezeichnender Weise: Die dem geschichtlichen Helden gegenüberstehenden Kollektive werden in seiner Interpretation sublim entpersonalisiert zu „Gesamtgeist“ und „allgemeiner Tendenz“, wodurch eine letztlich harmonische Polarität erzeugt wird, die sich im Innern des Helden manifestiert, der allein in einem nur noch geistesgeschichtlichen, entkörperlichten Raum - 522 -

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agiert. Wie häufig von ihm artikuliert, sieht Meinecke auch hier „Individualität und individuelle Entwicklung“ als die „polar wieder zusammengehörenden Grundbegriffe der Geschichtsbehandlung, die man Historismus im guten Sinne nennt und die in Rankes Leistung gipfelt“ (595). Von Polarität kann dabei jedoch nicht die Rede sein, denn ‚Entwicklung‘ stellt keinen Gegenbegriff, sondern eine, wenn nicht die wesentliche Funktion von ‚Individualität‘ dar. - Meineckes Interpretation geht von zwei „großen Generalworten“ Rankes aus: zum einen „Alles ist allgemeines und individuelles geistiges Leben“ (592, EnglG I/1859, IX), zum anderen „... jede Epoche ist unmittelbar zu Gott...“ (596, WuN II/1971, 59f. ). Zu den realistischeren Eindrücken Meineckes zählt die Wahrnehmung „eigentümlicher Schwächen“ (598) Rankes, u. a. seines „vielleicht zu sonnigen Glaubens an den göttlichen Anhauch der erdenhaften Kreatur“ (598), des Hinaufhebens der Dinge in eine „höhere, feinere Welt“. Meinecke wandte sich, wie Gerhard Ritter nach dem Zweiten Weltkrieg mit tadelndem Unterton bemerkte, in der Zeit der nationalsozialistischen Herrschaft „von den politisch-historischen Themen ab, schrieb über den ‚Ursprung des Historismus‘ und über methodologisch-geschichtsphilosophische Probleme.“ (G. Ritter, Dt. Gesch.wiss. im 20. Jh./1950, 134), dies vor allem in seinem 1936 zweibändig erschienenen Werk ‚Die Entstehung des Historismus‘, das Ranke des öfteren in weitreichender Weise streift, jedoch im eigentlichen Sinne ‚vor Ranke‘ abbricht, was in dessen weithin wahrgenommenen Memorial-Jahr besonders auffallen mußte. Das immer noch befremdende Beenden der Betrachtung bei dieser „Einführung in die tiefsten Fragen der Geschichtswissenschaft“ (Goetz/(1947) 1957, 360), an einer Stelle, „wo es noch einige Rätsel zu lösen“ gegeben habe, bedauerte später besonders Walter Goetz und sah in einer fundamentalen Kritik den von Meinecke betonten Einfluß Goethes als Höhepunkt des Historismus auf Ranke nicht als gegeben an. Denn so wie der Historismus Goethes erst von Meinecke erschlossen worden sei, könne Rankes „historischer Sinn nicht doch vielleicht das Ergebnis einer eigenen Entwicklung“ sein, „die sich aus dem 18. Jahrhundert und von Herder herleitete ...“ (Goetz/(1947) 1957, 359. Dazu aus den Jugendschriften R.s empirisch Henz/1968, 218-228). Die Meineckesche Goethe-Herleitung hatte zuvor bereits Benedetto Croce, allerdings nicht in Richtung auf Herder hin, kritisiert. Croce, der 1915 in seiner Schrift ‚Zur Theorie und Geschichte der Historiographie‘ eine in Historiographie- und Philosophiegeschichte eingegangene Ranke-Kritik formuliert hatte, unternahm 1938 in seiner bekannten Schrift ‚La storia come pensiero e come azione‘, welche deutsch zunächst 1944 in der Schweiz erschien, in Auseinandersetzung mit Meineckes HistorismusWerk einen weiteren heftigen Angriff. In einem Abschnitt ‚Der Historismus und seine Geschichte‘ (63-79) wies Croce Meineckes Deutung zurück, derzufolge Ranke „in Beziehung zum Historismus eine Art gekelterter und geläuterter Goethe wäre.“ (73). Meineckes Behauptung überzeuge nicht, „daß ein Gedanke, der in dem mächtigen Geist eines Vico seinen Ursprung nahm und durch den überragenden Geist eines Hegel ging, schließlich eine vollkommene Form in dem viel geringeren, philosophisch gleichgültigen und unerfahrenen Geist eines Leopold von Ranke gefunden haben soll.“ (74). Die von Meinecke gerühmte „historistische Umwälzung“ gehe nicht von Möser, Herder, Goethe und Ranke aus, sondern von der Philosophie eines Kant, Fichte, Schelling und vor allem Hegel (76f.). Ein weiterer Abschnitt, dem ein zeitgleich erschienener französischer Beitrag Croces zur ‚Revue de métaphysique et de morale‘ entspricht, lautet ‚Die Geschichtsschreibung ohne historisches Problem‘ (80 -102) und - 523 -

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befaßt sich in je eigenen Kapiteln mit Ranke (80-93), sodann mit Jacob Burckhardt und stellt eine wissenschaftsgeschichtlich bedeutende, wenn auch z. T. schiefe, z. T. überspitzte Rundum-Kritik an den „forma mentis“ Rankes dar, unter die Croce zählt: mangelnde Tiefe des ethischen und politischen Interesses, Fehlen des Bewußtseins für das Universale, Leugnen des Fortschritts, Unbestimmtheit des Ideenbegriffs im Zusammenhang mit Humboldt, kausalistische und äußerliche Erklärung von Ereignissen, zahlreiche Widersprüchlichkeiten, u. a. in den ‚Päpsten‘. Seine Bücher seien „Geschichte ohne geschichtliches Problem ... oder nur unter dem Schein von Problemen, mit verstreuten äußerlichen und allgemeinen Reflexionen, die sich bemühen, die Stelle des abwesenden geschichtlichen Denkens einzunehmen.“ (87f.). - Croce, der in Verwandtschaft mit Schelling „die geahnte Einheit von Philosophie und Geschichte mit reiferer Logik zu zeigen und zu verwirklichen“ fordert, ganz allgemein die „Identität beider in der Einheit des Erkenntnisaktes“ sieht (83), ja geradezu „die Philosophie als ‚Methodologie der Geschichte‘ definiert“ (134) und damit einen bei Ranke nicht vorhandenen „wesenhaft philosophischen Charakter der Geschichtsschreibung“ annimmt (240), endet mit dem vermeintlichen Todesstoß: „ ... aber immerhin ist er ein ungezwungener und reizvoller Darsteller“. Die ältere Ranke-Kritik Croces (Zur Theorie/1915) hatte nicht zuletzt auch Ernst Cassirer zurückgewiesen. Der Philosoph Croce habe das „philosophische Moment in Rankes Geschichtsschreibung so sehr“ verkannt (Cassirer/1937/1957, 253). Meinecke nun ließ keine Zeit verstreichen, der neuerlichen Kritik entgegenzutreten. Bereits im Folgejahr 1939 erschien seine kleine Sammlung ‚Vom geschichtlichen Sinn und vom Sinn der Geschichte‘, in der auch ein Aufsatz ‚Zur Entstehungsgeschichte des Historismus und des Schleiermacherschen Individualitätsgedankens‘ Platz fand. Bevor Meinecke sich darin der Hauptfrage zuwandte, „wie denn Schleiermacher zu seinem Individualitätsgedanken gekommen” sei (344), wies er die Kritik Croces an der Entstehungsthese des Historismus zurück und in diesem Zusammenhang auch dessen Kritik an Ranke, wenn auch ohne tiefere Begründung und der Cassirerschen Abwehr eher entgegenlaufend: Croce werfe „abschätzige und hochmütige Blicke auf die philosophische Unerfahrenheit eines Ranke, wie sie einst Hegel“ diesem habe „zukommen“ lassen. (342). Im Zusammenhang mit Arbeiten an seiner 1936 erschienenen ‚Entstehung des Historismus‘ verfaßte Meinecke anregende politikfreie Aphorismen und Skizzen, die er 1942, kaum anstößig, veröffentlichte. Im ersten, gelegentlich von überstarken Systematisierungstendenzen bestimmten Teil (‚Allgemeines über Historismus und Aufklärungshistorie‘) unterscheidet er „drei Hauptwege, die aus Naturrecht und Aufklärung zum Historismus führten… 1. den religiösen und weltanschaulichen…, 2. den ästhetischen und 3. den politisch-sozialen … Kein Weg allein hat zum Historismus geführt, nur durch Verschmelzung von mindestens zwei Wegen kam man vorwärts. Erst Ranke vereinigte alle drei Wege.“ (Zitate nach der Erstausg. von 1942, hier 18f.). Letzteres ist weniger überzeugend, zumal hinsichtlich der sozialen Komponente. Hier findet sich auch folgende in ihrer Einseitigkeit abzulehnende Feststellung: „…aus der Frontstellung gegen den mechanisierten Beamtenstaat hat sich auch Rankes Denken ursprünglich entwickelt, wie seine Jugendaufsätze zeigen [die Meinecke allerdings nur in sehr eingeschränktem Maße bekannt waren]. Das lebendige Staatsgefühl, das er zuerst vermißte, fand er dann, als er Preußen näher kennenlernte, in ihm. Kurz, erst die volle Lebendigwerdung der Aufgabe, den Staat innerlich zu erneuern und zu nationalisieren, - 524 -

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hat die Voraussetzung geschaffen für die Entfaltung des Rankeschen Historismus.“ (45). - Im zweiten Teil (‚Möser. Herder, Goethe‘) versucht Meinecke den Nachweis, daß der Gegensatz zwischen Goethe und Ranke „bei weitem nicht so tief“ (67) sei, wie Gundolf in seinem Goethe-Buch (Goethe/1916, 409f.) meine, ein Thema, das zeitgleich von Theodor Schieder behandelt wurde (s. I, 527f.). - Der dritte Teil (‚Ranke‘) stellt in verdächtig bilderreicher, nunmehr von leisen kritischen Tönen umwehter Idolatrie einen gleichsam entwicklungslosen Ranke vor, der „nach kurzer Gärungszeit den Ruhepunkt erreicht“ habe und dessen „Geist, im vollen Besitz der ihm gemäßen Grundsätze und Wahrheiten dem Adler gleich über seiner Welt schwebte.“ (73). Von Interesse ist die Erörterung des von Ranke in „gläubigem Optimismus“ gedeuteten „Übergangsaspekts“ und des von anderen gesehenen „Untergangsaspekts“ der antiken Kultur (74f.). Meinecke berührt hier mehrere Themenkreise, so - die Beamtenstaatsthese ist dabei vergessen - „Rankes Religion, die innerste Lichtquelle seines geschichtlichen Denkens“ (73), sein Verhältnis zur Antike und besonders zu Thukydides (76f.), den Aufbau seiner historiographischen Darstellung, in der Ranke, wie näher erläutert wird, „seine Historie oft auf [wiederum] drei Stockwerken übereinander gleichzeitig spielen“ lasse (77f.). Sodann über Rankes Charakteristiken geschichtlicher Persönlichkeiten (79). - Die „Zusammendrängung seiner Lehre“ in das Schlagwort vom ‚Primat der Außenpolitik‘, das nach Meinecke auf Dilthey zurückgeht (ohne bisherigen Nachweis), könne, wie weiter ausgeführt wird, „leicht zu der doktrinären Übertreibung führen, daß das gesamte Innenleben eines Staates von der auswärtigen Politik bestimmt und gestaltet würde. Das war Rankes Meinung aber nicht.“ (79). Meinecke erörtert sodann Rankes Verhältnis zu den politischen Kämpfen seiner Zeit, streift kurz seinen Universalismus und behandelt neben der Bedeutung des ‚historischen Moments‘ in Rankes Darstellung (wobei er weder auf Ritter, M./1896, 27f. noch Münnich/1924 eingeht) ausführlicher den Faktor ‚Zufall‘ in Verbindung mit Rankes Glauben an eine göttliche Providenz. Die theologische Problematik, eher noch Kontradiktorik dieses Gebindes wird freilich außer acht gelassen. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die Frage nach dem schwierigen, wenn nicht unmöglichen Verhältnis des Ranke von Meinecke in gleicher Weise zugeschriebenen Panentheismus und Providenzgedankens (s. u.). Meinecke schließt mit der für ihn bezeichnenden harmonisierenden Vermutung, „die Verschmelzung des Geistes zweier Zeiten“ - des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts einerseits und des mittleren 19. Jahrhunderts andererseits - „ist vielleicht die originalste Leistung seines Geistes“, - eine Geistvereinheitlichung und Abstraktion, die zu weit und zu hoch greifen, um noch voller Bedeutung sein zu können. Meineckes ‚Aphorismen und Skizzen‘ von 1942 enthalten in den abschließenden Aufzeichnungen, ‚Deutung eines Rankewortes‘ und ‚Gedanken über Welt- und Universalgeschichte‘, weitere diskussionsfördernde Betrachtungen, die von einer gewachsenen kritischen Haltung Ranke gegenüber und einer Schärfung des zeitgeschichtlichen Blicks getragen sind. Meineckes ‚Gedanken über Welt- und Universalgeschichte‘ stehen der noch zu betrachtenden ‚Deutung eines Rankewortes‘ inhaltlich sehr nahe. Grundlegend ist die Feststellung: „Die Weltgeschichte bedarf neben und über dem kausalen und genetischen Verständnis ihres horizontalen Verlaufs noch eines Einheitsbandes, das uns sowohl über den brüchig gewordenen Optimismus des aufklärerischpositivistischen Fortschrittsgedankens, wie über den Hegelschen Panlogismus und den Rankeschen Providenzgedanken hinaushebt, zugleich uns aber vor dem bodenlosen Pessimismus Schopenhauerscher Geschichtsentwertung bewahrt.“ (173). Dazu ent- 525 -

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wickelt Meinecke seine Gedanken von einer „tragischen Auffassung der Menschheitsgeschichte“ (ebd.ff.). Sie sieht die inneren Gefahren, in denen der „Vernunftgehalt in der Weltgeschichte“ steht, und „seine rätselhafte Problematik schärfer“ (177). Ein 1941 vor der Sächsischen Akademie der Wissenschaften gehaltener Vortrag Erich Brandenburgs, ‚Der Begriff der Entwicklung und seine Anwendung auf die Geschichte‘, berührte Ranke zwar unmittelbar nicht, gab indes Meinecke in der Spranger-Festschrift von 1942 Anlaß zur Kritik. Der Brandenburgschen These - „von geschichtlicher Entwicklung im eigentlichen Sinne“ dürfe „nicht gesprochen werden“ (Brandenburg/1941, 104) - begegnet Meinecke mit dem schwer zu entkräftenden Argument seiner Grundüberzeugung: „Wo aber Individualität ist, dort ist auch Entwicklung“ (Meinecke 1942, WW IV ²1965, 110). Thema der Skizze ‚Deutung eines Rankewortes‘ ist das in den Berchtesgadener Vorträgen von 1854 vor Kg. Maximilian II. enthaltene Wort von der Unmittelbarkeit einer jeden Epoche zu Gott. Es erschien Meinecke, der davon tief beeindruckt war, als „das höchste Vermächtnis des Rankeschen Geistes“ (127). In ihm motiviere sich Rankes „Widerspruch gegen den Fortschrittsglauben freilich nicht erkenntniskritisch, sondern religiös“ (128). Da in Rankes Sicht alles, „was zum Wahren, Schönen, Guten und Heiligen aufstrebt“, seinen Wert in sich selbst trage (ebd.), habe er mit seinem Diktum „eine ungeheure Befreiungstat…für die Geschichte im großen wie für jedes Menschenleben im einzelnen“ geleistet (130). Die Frage, was für den christlichen Erlösungsgedanken übrigbleibe, wird von Meinecke nicht gestellt. Mit der textlichen Fortführung des Diktums, dem Hinweis Rankes, es dürfe gleichwohl nicht übersehen werden, was aus einer Epoche hervorging, seien dem Historiker zwei Aufgaben gestellt, zum einen „das einzelne historische Phänomen losgelöst vom Vorher und Nachher in seiner eigenen Individualität“ zu erkennen (131) - die „vertikale Auffassung der Geschichte“ (ebd.) - und zum anderen - horizontal - „das Vorher und Nachher der einzelnen Gebilde und ihre innere Kausalverkettung“ festzustellen (ebd). - Meinecke setzt sich sodann mit dem völlig gegensätzlichen Urteil des mit ihm befreundeten Eduard Spranger über das Unmittelbarkeits-Diktum auseinander. Spranger hatte in einem bereits 1937 erschienenen, nietzschegeprägten Beitrag mit dem Titel ‚Die Wirklichkeit der Geschichte. III. Überwundene (zeitüberwindende) Geschichte‘ zwei Formen der „Gegenwehr“ gegenüber der Last der Geschichte unterschieden: „Man könnte sie die Rankesche und die Hegelsche nennen - aber nur dem allgemeinen Grundtypus nach.“ (1). Die kontemplative Rankesche bewege sich „zwischen einem religiösen und einem ästhetischen Pol“ (ebd.). Die Hegelsche hingegen beruhe im verstehenden Durchdringen des Schicksals und seiner Verwandlung in eine verständliche Vorsehung. (3). Von der „befreienden Geschichte“ geht Spranger über zur „verpflichtenden“ und letztlich zur „ewigen Geschichte“, die nur so zu verstehen sei, daß Ewigkeit „im Geschichtlichen spürbar wird“ (14). In diesem Zusammenhang tritt seine grundsätzliche Kritik an Rankes Epochen-Diktum auf: „Es ist ein schönes Wort von Ranke: ‚Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott.‘ Aber es ist im letzten Sinne nicht wahr. Denn es gibt Epochen, die Gott, d. h. den göttlichen Gehalt, verloren haben. In jenem Worte liegt etwas vom leidenden Gehorsam des Luthertums.“ (13). - Dies mußte Meinecke 1942 in seiner ‚Deutung eines Rankewortes‘ zurückweisen: Auch für Ranke gebe es „gottferne Epochen“ (133f.), wie er nicht nur in einer Verbiegung des RankeWortes, sondern auch theologisch wiederum höchst problematisch erklärt. Doch indem Ranke sich mit der von ihm gegebenen vertikalen Lösung nicht zufrieden gegeben - 526 -

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habe, sondern auch dem „horizontal betrachteten Verlauf der Weltgeschichte einen höheren Sinn“ verliehen habe, „…beginnen sich unsere Wege von ihm zu scheiden“. (150). Meinecke lehnt den Providenz-Gedanken Rankes und nun auch seinen [angeblichen] Panentheismus ab (152) und sucht in gewohnt harmonisierender Weise den unvereinbaren Gegensatz von Immanenz und Transzendenz in einer „metaphysischen Sphäre“ (153) auf der persönlichen Grundlage eines „säkularisierten Christentums“ (160) und in einem „ehrlichen Agnostizismus“ (157) zu überwinden. Eine andere grundsätzliche Kritik an Rankes Epochen-Diktum sprach der Jurist und Staatsphilosoph Ernst von Hippel (1895-1984) noch 1944 in der ‚Deutschen Zeitung in den Niederlanden‘ aus. Bei seiner wenig beachteten eigenständigen Beurteilung der sich in den Vorträgen äußernden Geschichtsbetrachtung Rankes scheint ihm deren Ausgangsposition „genau der Mittelstellung seines Zeitalters zwischen dem Idealismus der vergangenen Epoche und dem Materialismus der folgenden“ zu entsprechen (73). Die Rankesche Auffassung des Geschichtsverlaufs („Jede Epoche ist unmittelbar zu Gott...“) sei eine „Hypothese“, die „letztlich den Verlust des Geistes als innerlich gestaltenden Faktors der Wirklichkeit“ bezeuge (74). Dies allerdings eine Kritik, die auf jede theologisch gegründete Geschichtsanschauung anwendbar ist. Auch der in post-nationalsozialistischer Zeit noch zu betrachtende Schüler Hermann Onckens und Karl Alexander von Müllers, Theodor Schieder (1908-1984), hielt sich sublim aus einer nicht ungefährlichen staats- und machtbezogenen Ranke-Diskussion - weniger aus der aktenmäßigen Vertreibung des Judentums heraus - und kam mit einem 1942 erschienenen Essay über ‚Ranke und Goethe‘ auf seinem Stuhl in Königsberg während der Schlacht um Stalingrad zu geistvollen Deutungen: „Ranke und Goethe gehören zusammen, weil beider Werk vom Geiste genetischer Entwicklung, des Denkens in Gestalt und der gegenständlichen Anschauung des Konkreten, Individuellen in der Abwehr spekulativer Systematik getragen wird.“ (Schieder/(1942) 1962, 96). In den ästhetisch gestalteten, hochgestimmten Beitrag in der Art Meineckes paßte keine nähere Betrachtung der Schrift des Historiographiehistorikers Franz Xaver von Wegele über ‚Goethe als Historiker‘ (Wegele/1876, bes. 27), keine Beachtung der kontrastierenden Charakterisierung aus der Feder Constantin Rößlers (Rößler/Leopold Ranke/1886, 66) oder des Artikels ‚Ranke und Goethe‘, die Rankes erster Buchbiograph Eugen Guglia verfaßt hatte (Guglia/1892 u. 1893). Übrigens versuchte Friedrich Meinecke, wie oben berührt, im zweiten Teil seiner ‚Aphorismen und Skizzen zur Geschichte‘ im selben Jahr 1942, den aus seiner Entstehungsthese resultierenden Nachweis, daß der Gegensatz zwischen Goethe und Ranke „bei weitem nicht so tief“ (67) sei, wie Friedrich Gundolf in seinem Goethe-Buch (Goethe/1916, 409f.) meine. Doch auch letzteres ließ Schieder beiseite. Was überdies Bedenken auslöst, ist ein von Schieder nicht vernommenes Wort des Grafen Paul Yorck von Wartenburg, das er Wilhelm Dilthey über Ranke schrieb: „Die ganze Geschichte ein ineinandergreifendes Kräftespiel von nur phänomenalem Werthe. Neben anderem erstaunlich die totale Goethelosigkeit.“ (Brief vom 17. 12. 1890, Briefwechsel/1923, 113). Bedeutende Reflexionen Yorcks über den ästhetischen Charakter der Geschichtsauffassung Rankes im Vergleich mit Goethe und Hegel finden sich auch bereits in seinem Brief vom 6. 7. 1886 (60). - Bemerkenswert ist jedenfalls Schieders chiastisch fast vollendetes Diktum „Goethe wird alle Geschichte zur Biographie, Ranke alle Biographie zur Geschichte“ (Schieder/(1942) 1962, 94), was freilich die von ihm betonte Zusammengehörigkeit beider nicht eben unterstreicht. - 527 -

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Von anderer Natur war der politisch engagierte, stark universalhistorisch interessierte Ordinarius für mittelalterliche und neuere Geschichte, Fritz Kern (1884-1950). Er veröffentlichte keinen Beitrag zum Thema ‚Ranke‘, doch hielt er noch im Sommersemester 1943, ein Jahr vor seiner Mitarbeit an einer Berliner Widerstandsgruppe (Hallmann, Hans: Kern, Fritz. In: NDB 11/1977, 519 f.), in Bonn ein Proseminar zum Thema ‚Weltanschauung und Methode deutscher Geschichtsschreibung in Rankes Zeit‘ (Blanke, Jaeger/1994, 291, A. 103).

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4. Kapitel (I/2.4.4) RELIGION IM ‚DRITTEN REICH‘ Das in der Wilhelminischen Zeit vor allem von Conrad Varrentrapp (1905) behandelte Thema ‚Religion‘ und ‚Religiosität‘ bei Ranke ist in den Zeiten des Nationalsozialismus keineswegs völlig untergegangen. Sogar Walter Frank hatte in seiner 1934 erschienenen Schrift ‚Kämpfende Wissenschaft. Mit einer Vor-Rede des Reichsjugendführers Baldur von Schirach‘ nachdrücklich auf Rankes Religiosität hingewiesen (20). In der Zeit nach 1945 wird das Thema verstärkt und mit weitreichenden Verallgemeinerungen fortgeführt, indes auch im Sinne einer quellenorientierten Ranke-Forschung, welche in der Zeit des Nationalsozialismus nicht erkennbar ist. Einige der im folgenden betrachteten Arbeiten sind freilich noch kurz oder zu Beginn der NS-Herrschaft, zum Teil auch in der Schweiz und in den Niederlanden erschienen. Sie gehören zu den seltenen bedeutenderen rankebezogenen Äußerungen von Theologie seit den 1920er Jahren. Andere Stimmen stammen aus dem journalistisch-literarischen Lager. Häufig wird auch der Blick zugleich auf Hegel gerichtet. Karl Troebs (s. I, 505, 511) schrieb 1933 für den ‚Reichsboten. Deutsche Wochenzeitung für Christentum und Volkstum‘ einen Artikel über ‚Leopold v. Ranke als religiöse Persönlichkeit‘ (s. u.). Ungewöhnlich für nationalsozialistische Ranke-Deutungen betonte er die geistige Verwandtschaft Rankes und Hegels. „Die Bewertung des historischen Helden, die ‚Metaphysik des Sieges und des Todes‘ ist bei Ranke wie bei Hegel gleich; ebenso hat für beide das politische Handeln der Staaten … Eigenwert, und wird nicht an wesensfremden, moralischen oder Nützlichkeitsmaßstäben gemessen.“ Auch hinsichtlich des Rankeschen Ideenbegriffs sei der Unterschied zu Hegel „nicht so groß, wie man es bisweilen dargestellt findet.“ Er bestehe jedoch darin, daß bei Ranke „der Schöpfer und Herr der Geschichte außerhalb des Weltprozesses“ bleibe, „den sein Odem durchdringt, während bei Hegel der Begriff restlos sich in der Dialektik der Selbstbewegung auflöst.“ - Der Journalist und Essayist Jürgen Petersen (1909-1991) war mehrfach für Ranke tätig, verfaßte zu dessen 50. Todestag auf nicht nationalsozialistischem und etwas höherem Niveau als die meisten Feuilleton-Artikel dieser Zeit in ‚Die Hilfe. Zeitschrift für Politik, Wirtschaft und geistige Bewegung‘ einen Beitrag über ‚Rankes religiöse Existenz‘, der zugleich auch in der ‚Kölnischen Zeitung‘ erschien, 1944 einen Essay ‚Leopold von Ranke. Bildnis eines deutschen Historikers‘, mit dem er nicht nur in der ‚Deutschen Zeitung in Norwegen‘, sondern auch in der ‚Pariser Zeitung‘ auftrat. Seine unnationalsozialistischen Skizzen betonen die religiöse Fundierung des Rankeschen Werkes, die Ungebundenheit seines Wissenschaftsbegriffs („In ihm erscheint Historie zum ersten Mal wieder als eine in sich selbst gültige Wissenschaft“), weisen für Ranke den Vorwurf des Quietismus zurück und stellen den Unterschied zu Hegel heraus. Rankes Gedanke einer Einheit der europäischen Nationen sei Ausdruck humanistischen Kulturerbes, in dessen Weitergabe er den Sinn des welthistorischen Geschehens gesehen habe. - Der Literat Paul Weiglin hatte 1910 über Gutzkows und Laubes Literaturdramen geschrieben und veröffentlichte im Kriegsjahr 1942 ein Buch über das Berliner Biedermeier. Zu Rankes fünfzigstem Todestag brachte er in der Zeitschrift ‚Daheim‘ eine anspruchslose feuilletonistische Skizze, die von Rankes Objektivität bis hin zu seinem Altersvollbart reichte und hier nur hinsichtlich ihres Titels in gottloser Zeit von Interesse ist: ‚Ein Leben in Gottesfurcht und Historie‘ - 529 -

I/2.4.4 Nationalsozialismus - Religion im ‚Dritten Reich‘

(Weiglin/1936). - Eine reine Zitatensammlung, die aber in der abschließenden Mahnung von zeitgeschichtlichem Interesse ist, bietet ein 1936 in der bald verbotenen katholischen österreichischen Zeitschrift ‚Schönere Zukunft‘ unter dem Titel ‚Der christliche Gedanke im Geschichtsbild Leopold von Rankes‘ erschienene Beitrag von Johann Posner. Posner hat, sofern zutreffend identifiziert, noch 1962 eine Schrift mit dem Titel ‚Der deutsche Papst Adrian VI.‘ verfaßt. In seinem mutigen Artikel von 1936 schreibt er hellsichtig: „Wie jedes christliche Kulturvolk nur durch die schöne Harmonie des geistlichen und weltlichen Gehorsams groß geworden ist, wird es zweifelsohne in Zukunft nur bei Beherzigung der folgenden Wahrworte Rankes zu neuer, dauerhafter Größe gelangen können: ... ‚Die religiöse Wahrheit muß den Staat in fortwährender Erinnerung an den Ursprung und an das Ziel des irdischen Lebens, an das Recht seiner Nachbarn und die Verwandtschaft aller Nationen erhalten; er würde sonst in der Gefahr sein, in Gewaltherrschaft auszuarten, in einseitigem Fremdenhaß zu erstarren.‘“ (Posner/1936, 920). Der 1934 promovierte Historiker Leopold von Caprivi (1906-?) hatte als Mitglied des Nationalsozialistischen Lehrerbundes über dessen zweite Geschichtstagung 1936 geschrieben, später über die deutsche Ostsiedlung und über germanisch-deutsche Geschichte bis zum Ende der Stauferzeit. 1937 verfaßte er in der ‚Reichszeitung der deutschen Erzieher. Nationalsozialistische Lehrerzeitung‘ eine mit Porträt verbundene, verbiegende Würdigung Rankes. Hierin verteidigt er ihn - in dem Bestreben einer Rettung Rankes als geistigen Führer für die eigene Gegenwart - gegen Mißdeutungen und Dogmatisierungen durch seine Epigonen: gegen die Mißdeutung der Objektivität, die Ranke „nicht als Ziel, sondern als Weg seiner Geschichtsschreibung“ erstrebt habe, gegen die Mißdeutung, ihn „unter der Rubrik ‚Historismus‘ neben Hegel“ zu stellen. Der „Grundunterschied“ zwischen Ranke und seinen Epigonen liege in seiner „Gläubigkeit“, einer undogmatischen Gläubigkeit, die er „nicht als eine Gnade ... sondern als eine Verpflichtung zur eigenen Arbeit und Wirkung auf andere“ empfunden habe (18). Bezeichnenderweise hält Caprivi die ‚Deutsche Geschichte‘ für das „reifste“ unter Rankes Werken, die dieser überhaupt „nach volklichen Gesichtspunkten“ gegliedert habe, ein Prinzip, das man in der Zeit der „Entartung“ in den Hintergrund habe stellen wollen. Auch in Rankes „Ansatz zum Bewußtsein seiner Blutverbundenheit“ liege „eine Beziehung ... zu unserer Zeit über die Zeit der Entartung der Geschichtsschreibung hinweg.“ (19). Ohne erkennbare Wirkung geblieben ist die 1935 erschienene Wiener Dissertation von Leopold Romstorfer über ‚Religion als geschichtsbildender Faktor bei Leopold von Ranke‘ (Romstorfer/1935), stellt sie doch in großen Teilen eine unsinnig detaillierte Nacherzählung aus Rankes Werken dar, wobei dieser vorwiegend als bloßer Zugang zur ‚Geschichte‘ angesehen wird. Der bereits mehrfach betrachtete Justus Hashagen verfaßte 1937 in der vom ‚Forschungsinstitut für deutsche Geistesgeschichte an der Universität Salzburg‘ in der Person des Benediktiner-Paters Virgil Redlich herausgegebenen ‚Zeitschrift für deutsche Geistesgeschichte‘ einen Beitrag über ‚Ranke in neuer geistesgeschichtlicher Beleuchtung‘. Er zielte dabei auf die Notwendigkeit eines neuen, weil geistesgeschichtlich bezogenen Ranke-Bildes ab, allerdings in methodologisch nur schwach reflektierter Weise, die auch unklar läßt, wieweit einer solchen Forderung wenigstens im allgemeinen (z. B. durch Below, Troeltsch, Baeumler u. a.) bereits entsprochen worden war. Hashagen bietet indes auch einige durchaus aktuelle Anregungen, wenn er in - 530 -

I/2.4.4 Nationalsozialismus - Religion im ‚Dritten Reich‘

frühem Gegensatz zu W. P. Fuchs in dessen Beitrag zum ‚Luther-Jahrbuch‘ 1978 mit dem Titel ‚Ranke und Luther‘ (s. I, 647) bemerkt, Ranke gehöre „vor allem“ [eher: auch] „in die Geistesgeschichte des Protestantismus“ (56), wozu Hinweise zu Rankes Einfluß auf das zeitgenössische orthodoxe Luthertum folgen, so auf K. L. Kahnis, K. v. Hofmann, W. Löhe, A. v. Harleß, Chr. E. Luthardt. Besser realisiert haben sich Hashagens Anregungen zu einer eigentlichen Untersuchung des Rankeschen „Darstellungsstils“ und einer neuen „synthetisch-geistesgeschichtlichen Einordnung der Rankeschen Ideenlehre“ (58f.). - 1940 suchte er in der Monatsschrift ‚Eckart‘ das Thema ‚Gottesglaube und Geschichtsdeutung bei Leopold von Ranke‘ zu behandeln: Erst wenn man sich über Rankes eigene Religion, Theologie, kirchenpolitische Haltung und alles andere, was damit zusammenhänge, ein klares Bild gemacht habe, könne „die weitere Frage nach den religiösen Wurzeln und Grundlagen seiner Geschichtsauffassung und Geschichtsschreibung in Angriff genommen werden.“ (14). Hashagen leistet allerdings in dieser wiederum mit allzu leichter Hand hingeworfenen Skizze dazu selbst nur wenig. Der methodische Schritt ist ohnedies problematisch, in der von Hashagen vorgesehenen Form eines Nacheinander schlechterdings undurchführbar. Von fachtheologischer protestantischer Seite - katholische Stimmen lassen sich in der nachrankeschen Wirkungsgeschichte nur wenige ausmachen - werden hinsichtlich seiner Religiosität nahezu konträre Positionen eingenommen. Der schweizer reformierte Theologe Emil Brunner (1889-1966) wies in seinem bekannten Werk ‚Das Gebot und die Ordnungen. Entwurf einer protestantisch-theologischen Ethik‘ (1932, Zitate nach der 4. Aufl. 1939) kurz, aber entschieden auf den „geschichtspantheistischen Zug“ hin, der von Ranke her in die deutsche positive Theologie eingeströmt sei. Der Geschichtspantheismus aber sei „die Gefahr [gemeint: Gefährdung] des lutherischen Denkens“ (602, weiterhin 224, 595), ein Vorwurf, gegen den sich Justus Hashagen mit seinem Beitrag ‚Ranke in neuer geistesgeschichtlicher Beleuchtung‘ (1937, 55) wandte. Auch der dem Nationalsozialismus ablehnend gegenüberstehende protestantische Theologe Georg Merz (1892-1959) - er schrieb 1934 im ‚Jahrbuch der Theologischen Schule Bethel‘ über ‚Leopold von Ranke. Die kirchliche Bedeutung seiner Geschichtsbetrachtung‘ (Merz/1934) - sah im Gegensatz zu Brunner eine „entschiedene Verwandtschaft mit Luthers Christologie“ (113). Desgleichen habe sich Ranke leidenschaftlich gegen die pantheistische Lehre Hegels und gegen den Fortschrittsirrglauben seines Jahrhunderts gewandt (109). - Der protestantische Theologe Otto Eberhard (1875-1966, nicht zu verwechseln mit dem Ägyptologen Eberhard Otto 1913-1974), stellte in sein Werk ‚Zeugnisse deutscher Frömmigkeit von der Frühzeit bis heute‘, das nach dem 1938 aufgelegten 1. bis 3. Tausend bereits 1940 eine Nachauflage erfuhr, auch einen Abschnitt ein, überschrieben „Leopold von Ranke (17951886) der größte Geschichtschreiber neuerer Zeiten und Begründer der ‚Deutschen Historischen Schule‘“ (232f.). Eberhard charakterisierte die „schauende und wertende Empfindungskraft des Forschers“ Ranke als „verwurzelt in der Ehrfurcht vor einem in seinen letzten Geheimnissen nur religiös erfaßbaren Leben ...“ (232). Aus einem „dem Rationalismus abgewandten Denken“ sei Ranke „für die Geschichtswissenschaft im engeren Sinne, für die politische Geschichte ... der Führer“ geworden (233). - Der protestantische Theologe Werner Schultz (ca. 1894-?) war 1932 mit einer Veröffentlichung über ‚Die Religion Wilhelm von Humboldts‘, 1935 mit einer Schrift über ‚Das Verhältnis von Ich und Wirklichkeit in der religiösen Anthropologie Schleiermachers‘ und 1937 mit einem Werk über ‚Die Grundprinzipien der Religionsphilo- 531 -

I/2.4.4 Nationalsozialismus - Religion im ‚Dritten Reich‘

sophie Hegels und der Theologie Schleiermachers‘ hervorgetreten. 1942 lieferte er mit seinem umfangreichen Beitrag ‚Der Einfluß lutherischen Geistes auf Rankes und Droysens Deutung der Geschichte‘ eine der bedeutendsten Untersuchungen zur persönlichen Religiosität und zu den religiösen Grundlagen der Rankeschen Geschichtsanschauung. Schultz glaubte erkannt zu haben, daß die „Grundkategorien der Sinndeutung der Geschichte“ bei Ranke und Droysen trotz der bedeutenden Einwirkung der humanistisch-idealistischen Tendenz „ihre entscheidende Gestaltung von dem Einfluß lutherischen Geistes“ erhalten hätten. Als dessen Hauptwesenszüge sieht er „die lutherische Sachlichkeit bis zur Hingabe der eigenen Subjektivität, der Glaube an den Gott, der die Welt geschaffen hat und ihre Geschicke in Händen hält, der Zorn und Liebe zugleich ist, die Interpretation des menschlichen Seins als eines tragischschuldhaft-zwiespältigen und darum auf Rechtfertigung und Erlösung angewiesenen.“ (141). Der Beitrag steht, wie nicht zu verkennen war, der NS-Ideologie gänzlich fern, ja man darf wohl in Folgendem ein auf Hitler bezogenes prophetisches WiderstandsWort erkennen, das sich dem Verfasser bei Betrachtung der Rankeschen Darstellung Thomas Münzers, Lukrezia Borgias und Cromwells aufdrängte: „So kann das Dämonische den Menschen zu großer geschichtlicher Mächtigkeit führen. Es kann ihn aber auch mitten in seiner Mächtigkeit zu Fall bringen, wie Ranke es u. a. an Alkibiades aufweist (Weltgeschichte I, S. 195). Ganze Generationen können von dem Dämonischen zum Niedergang geführt werden.“ (134).

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5. Abteilung

R ANKE IM

G ESCHICHTSDENKEN

SEIT DEM

Z WEITEN W ELTKRIEG (I/2.5)

EINFÜHRUNG (I/2.5.0) Nach Kriegsende war neben einer durch ein geringes Maß an entschiedener Selbstbesinnung geprägten Literatur sogleich eine Vielzahl und Vielfalt rankebezogener Stimmen mit weit auseinanderstrebender historisch-politischer, sozialwissenschaftlicher, religiöser, philosophischer und später literaturwissenschaftlicher Perspektive zu vernehmen. Es scheint auch, als würde nunmehr die Auseinandersetzung kaum noch wie zu Rankes Lebzeiten bis hin in die Tage des ‚Dritten Reichs‘ - durch wesentliche nationale politische Entwicklungen und Ereignisse unmittelbar gefördert und bestimmt, als vielmehr durch politisch und sozial nur indirekt beeinflußte internationale fachhistorische und allgemeine geistesgeschichtliche Entwicklungen, zudem durch korporative, museal-archivlische und editorische Ereignisse, vor allem durch äußere Anlässe memorialer Art, wie bereits 1936. Die Gründung von Ranke-Vereinigungen fand zunächst statt in Gestalt der 1950 mit Sitz in Hamburg, hauptsächlich auf Initiative von Gustav Adolf Rein entstandenen ‚Ranke-Gesellschaft‘ e. V. Als weiterer ‚spiritus rector‘ (Salewski/2003, 132) kann der SS-Hauptsturmführer Gustav Franz angesehen werden, der die Schriftleitung des der Gesellschaft angeschlossenen Rezensionsorgans ‚Das historisch-politische Buch‘ innehatte. Eines der ‚Jahrbücher‘ der Gesellschaft mit dem Titel ‚Gibt es ein deutsches Geschichtsbild?‘ wurde 1955 durch den damals an der Freien Universität Berlin tätigen Schweizer Historiker Walther Hofer (geb. 1920) unter dem Titel ‚Der mißbrauchte Ranke. „Konservative Revolution“ in der deutschen Geschichtsschreibung?‘ wie folgt charakterisiert: „Die Berufung auf Rankes Objektivität dient offensichtlich nur zur Diffamierung der demokratischen Geschichtsauffassung und insbesondere ihrer Forschungsarbeit und ihres Urteils über die nationalsozialistische Zeit.“ (547). - Weiteres zum Thema findet sich vor allem bei Fuchs: Ranke und die Öffentlichkeit. (Erstdr. 1976, Zweitdr. 1980, 100-102, 118: Über Zielsetzung und Selbstverständnis der ‚Ranke-Gesellschaft‘, Vortrag und Dankesrede anläßlich der bei der Jahrestagung der Ranke-Gesellschaft in der Heimvolkshochschule Lambrecht/Pfalz am 25. Sept. 1975 verliehenen Ranke-Medaille), sodann bei Jerzykiewicz-Jagemann: Geschichtsbilder. Anmerkungen zur Ranke-Gesellschaft (1992): „Versuch einer Annäherung an das Selbstverständnis der Ranke-Gesellschaft“, wobei eine Antwort zu suchen sei auf die Frage „Warum Ranke als Namenspatron?“ (139), später bei ihrem im Jahre 2010 verstorbenen langjährigen Vorsitzenden Michael Salewski: Die Ranke-Gesellschaft und ein halbes Jahrhundert (2003). - Von den durch Hofer geschilderten Tendenzen, welche dem Andenken Rankes geschadet haben dürften - ein Nutzen für ihn stand ohnedies nicht im Vordergrund -, hat sich die Ranke-Gesellschaft laut offiziellem InternetAuftritt später befreit: „Vor dem Hintergrund ihrer eigenen Entstehung in der frühen Bundesrepublik, die angesichts des Geschichtsverständnisses ihrer Gründerfiguren durchaus Anlass zu kritischen Fragen gibt, erkennt die Ranke-Gesellschaft eine Selbstverpflichtung, neben der Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte immer wieder auch andere kontroverse Themen anzugehen. Dazu gehört die Diskussion neuer Ansätze in der Geschichtswissenschaft in gleichem Maße wie die Vernetzung von ‚Querdenkern‘ und insbesondere von jüngeren Historikerinnen und Historikern innerhalb wie außerhalb der Alma Mater. Mit Leopold von Ranke als Namensgeber macht die Gesellschaft auf die Ursprünge der modernen Geschichtswissenschaft aufmerksam und plädiert zum einen entschieden für die Integrität der Disziplin im Sinne ihrer - 535 -

I/2.5.0 Seit dem II. Weltkrieg - Einführung

fundamentalen Prinzipien, zum anderen für ihre Wandlungs- und Erneuerungsfähigkeit durch kritische und pluralistische Diskussionen, denen Raum zu geben die RankeGesellschaft sich verpflichtet fühlt.“ - Die ‚Historischen Mitteilungen‘ der RankeGesellschaft (HMRG) wurden im Jahre 1988 ins Leben gerufen und seither im Auftrage der Ranke-Gesellschaft herausgegeben (seit 1990 im Steiner Verlag, Stg.). Sie sind nicht der Ranke-Forschung gewidmet, enthalten jedoch gelegentlich Beiträge dieser Art. - Von Bedeutung für die Forschung ist der dritte, 1993 in Rankes Geburtsstadt Wiehe/Thüringen gegründete ‚Ranke-Verein‘ vor allem durch sein Archiv und seine bibliothekarischen Bestände (s. II/2.2.3 u. II/3.3). - Zu den archivlich bemerkenswerten Ereignissen ist 1983 das Erscheinen eines von Edward Muir erarbeiteten Katalogs der ‚The Leopold von Ranke Manuscript Collection of Syracuse University‘ zu zählen (s. II/8). Von wesentlich größerer, allerdings erst künftiger Bedeutung ist die ihrer Beendigung entgegensehende hochkomplizierte ordnende bis rekonstruierende Katalogisierung des Ranke-Nachlasses der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin, durch Siegfried Baur (s. II/2.2). Bisher wurden Rankes über den Krieg gerettete Nachlaßteile nur von einer Handvoll Forscher genutzt. Der Umgang mit Ranke wurde auch in dieser Zeit beeinflußt durch editorische Maßnahmen: Da sind zunächst bemerkenswert die beiden umfangreichen Briefausgaben von Bernhard Hoeft und von Walther Peter Fuchs aus dem Jahr 1949 (s. II/3.1.6), wovon allerdings lediglich die des Privatgelehrten Hoeft von wissenschaftlichem Wert ist, sodann die 1954 erschienene Veröffentlichung von Vorlesungsmanuskripten aus den 1830er und 1840er Jahren durch Eberhard Kessel, 1955 die Veröffentlichung eines Predigtentwurfs Rankes von etwa 1816 durch Franz Pahlmann, in demselben Jahr auch diverse rankebezogene Stücke aus dem Umkreis der Familie durch den Urenkel Rankes, Gisbert Bäcker-von Ranke. Hinzu traten beiläufige, überwiegend vorlesungsnahe Editionen - bzw. lediglich Nachlaß-Zitate - durch Vierhaus (1957) und Schulin (1958). In den Jahren 1964 bis 1975 erschien eine kompromißlastige Ausgabe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, mit dem Titel ‚Leopold von Ranke. Aus Werk und Nachlaß‘, welche umgeplant und nach vier Bänden abgebrochen wurde. Die Ausgabe enthält beiläufig nichts aus dem ‚Werk‘ (s. ausführlich II/2.1.5). Überhaupt ist seit 1930 kein Werk Rankes mehr in historischkritischer Ausgabe erschienen. Als Ergänzung zur Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ mag man die vollständigere und korrektere Edition von Schriften Rankes bis 1814 heranziehen (Henz/1968). 1973 und 1988 kam es durch Helen Liebel noch zur Veröffentlichung kleinerer Stücke mit universalhistorischer Thematik. - Kurze Texte aus dem Nachlaß der 1830er Jahre steuerte 1998 und 2003 Siegfried Baur bei. Eine von der Münchener Historischen Kommission geplante Gesamtausgabe der Ranke-Korrespondenz ist mit einem 2007 erschienenen, aufgrund seiner Mängelflut zurückgezogenen ersten Band zunächst gescheitert (s. Henz/2008). Hingegen werden populäre Werkausgaben in Deutschland, vor allem die ‚Päpste‘, in unverminderter Zahl fortgeführt, nicht so Übersetzungen. Mit Ausnahme zahlreicher und vielfältiger, auch theorieorientierter anglo-amerikanischer Ausgaben ist das Interesse, weltweit betrachtet, gering und thematisch jeweils einseitig: Im slawischen Raum interessiert lediglich Rankes serbisches Werk, im polnischen seine ‚Päpste‘, im schwedischen ‚Wallenstein‘, in Frankreich ist das Übersetzen seit 1890 fast ganz zum Erliegen gekommen, stattdessen lassen sich einige wenige türkische und japanische Ausgaben nachweisen. Im Gegenzug haben sich zahlreiche Reprints älterer oder gar eigenhändiger Ranke- 536 -

I/2.5.0 Seit dem II. Weltkrieg - Einführung

Ausgaben zum Teil nur kurzfristig und ‚on demand‘ auf den Markt begeben. Wichtiger ist das, wenn auch unkoordinierte, so doch wachsende Auftreten von E-books der Originalausgaben. Was das Ranke-Gedenken angeht, so tritt weniger das Jahr 1995 mit dem 200. Geburtstag Rankes hervor: Zu diesem Anlaß veranstaltete das Bayerische Hauptstaatsarchiv München für den ersten Präsidenten der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in seiner Reihe ‚kleine Ausstellungen‘ eine ebensolche mit dem Titel ‚Ranke und Bayern‘, während dieser in Berlin vor den Mitgliedern der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften eine Laudatio (s. Elm/1996) und von der Bundesregierung in Form eines Sonderpostwertzeichens eine Würdigung erfuhr. In Rankes Geburtsstadt Wiehe beging man den Bicentenar-Anlaß mit einer Festwoche. Als stärker und ergiebiger hat sich 1986, mit nachzüglerischen Hervorbringungen der Folgejahre, die Hundertjahrfeier des Todes erwiesen, durch Veranstaltungen, doch auch durch Veröffentlichungen populärer und wissenschaftlicher Art, beides unter Beteiligung von Wissenschaftlern der USA und der DDR. Unter den Veranstaltungen sind vor allem zu nennen: eine Gedenkfeier der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Stiftung Historisches Kolleg im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, eine gemeinsame Veranstaltung des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität Berlin und der Historischen Gesellschaft zu Berlin, eine wissenschaftliche Tagung der Kommission für Geschichte der Geschichtsschreibung des Comité International des Sciences Historiques in Bad Homburg mit Teilnehmern aus elf Staaten, unter Teilnahme von DDR-Historikern (Referat von Hübinger/1987 u. d. T. ‚Das historiographische Werk Leopold von Rankes‘), ein durch die ‚Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik‘ veranstaltetes Kolloquium über das Werk Leopold von Rankes unter dem gemäßigten Titel ‚Leopold von Ranke. Leistungen und Grenzen des idealistischen deutschen Historismus‘. Auch die Karl-Marx-Universität Leipzig gedachte in dieser Zeit mittels einer Dokumentation (Katsch, Schwendler/1986) der Ehrung Rankes durch die Universität anläßlich seines fünfzig- und sechzigjährigen Doktorjubiläums und schließlich hielt man in Syracuse, USA, eine Centenary Conference ab. Das 1988 erschienene Sonderheft der Syracuse University und sein erweiterter Nachfolger von 1990 stellen die ersten Sammlungen von - überdies internationalen - Ranke-Untersuchungen auf amerikanischem Boden dar. Mit den dortigen Rankeana beschäftigten sie sich allerdings nur in geringem Maße. Diesen hatte sich 1953 ein ‚Ranke Bibliographical Committee‘ gewidmet, dessen verfehltes Ergebnis 1983, wie bereits bemerkt, durch Edward Muir gebessert und erweitert wurde (s. II/8). Genutzt wurde sein ‚Complete Catalogue‘ der Manuscript Collection allerdings kaum. Venezianische Relationen gehören nicht zu den vorrangigen Interessen amerikanischer Historiker. Dies gilt auch für Rankes vielfältige, jedoch hinderlich vielsprachige alteuropäische Bibliothek. Zumeist im Zusammenhang mit diesen Veranstaltungen erschienen vier bemerkenswerte Sammelbände: 1987 ‚Leopold von Ranke. Vorträge anläßlich seines 100. Todestages. Gedenkfeier der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und der Stiftung Historisches Kolleg im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft am 12. Mai 1986‘ (Schriften des Historischen Kollegs, hg. v. d. Stiftung Historisches Kolleg, Dokumentationen 3), weiterhin, thematisch vielfältiger, ‚Leopold von Ranke. Leistungen und Grenzen des idealistischen deutschen Historis- 537 -

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mus. Kolloquium über das Werk Leopold von Rankes am 3. Dez. 1986‘. In: HistorikerGesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik. Wissenschaftliche Mitteilungen 1987/I, 51-129; im Jahre 1988 ‚Syracuse Scholar. An interdisciplinary journal of ideas‘, Bd. 9, Nr. 1, [Heftthema auf Umschlag: ‚Leopold von Ranke‘], Syracuse New York, sodann vor allem ‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft. Hg. v. Wolfgang J. Mommsen für die Kommission für Geschichte der Geschichtsschreibung des Comité International des Sciences Historiques‘. 1990 erschien als Nachzügler und zum Teil unter Aufnahme von Zweitdrucken ‚Leopold von Ranke and the shaping of the historical discipline‘. Hg. von Georg G. Iggers und James M. Powell, Syracuse, N.Y. (s. I, 601). Das hohe Aufkommen rankebezogener Klein-Beiträge, Essays, Feuilletonartikel, Vorträge, häufig von ranke-unerfahrenen Federn mit allzu klein- oder allzu großformatiger, schnell gewonnener Meinung, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß die ausführlichere Ranke-Forschung mehr und mehr im Rückzug begriffen war und ist. So hat die Zahl ranke-monographischer Dissertationen deutlich abgenommen: Von den 31 seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs erschienenen Arbeiten dieser Art erschienen in den ersten zehn Jahren siebzehn, in den letzten nahezu 60 Jahren 14. Stattdessen hat sich, wie die Geschichtswissenschaft im allgemeinen, auch die Diskussion um Ranke, besonders im Zusammenhang mit seinen Jubiläen, stark internationalisiert, wovon zu seinen Lebzeiten auch ein wenig die Rede sein konnte, nicht jedoch in den Jahrzehnten nach seinem Tod, was mit der politischen Wirkung Deutschlands im Ausland zusammenhängen mag. Für die außerhalb Deutschlands erst seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs weit in den Vordergrund getretene angloamerikanische Literatur war letztlich nicht seine von Syracuse University im Jahre 1887 angekaufte und vereinsamte Bibliothek nebst Manuskriptsammlung verantwortlich, sondern die engagierten Arbeiten deutscher Immigranten bzw. Refugee Scholars und ihrer Kollegen, die indes - mit der Ausnahme Georg G. Iggers’ - kaum Notiz von der reichhaltigen deutschsprachigen Forschung, ganz zu schweigen von der Kritik des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts nahmen und nehmen. Zunehmend nachteilig macht sich allenthalben ein ‚Verlust der Geschichte‘ bemerkbar, ein Verlust der Forschungs- und der allerdings außerordentlich weit ausgedehnten allgemeinen Rezeptionsgeschichte. In der Nachkriegszeit treten altbekannte und neue Spätrankeaner auf. Zu den zahlreichen wiedererscheinenden Vorkriegsanhängern dürfen Willy Andreas, Friedrich Baethgen, Karl Brandi, Ludwig Dehio, Fritz Ernst, Günther Franz, Justus Hashagen, Hans Herzfeld, Eberhard Kessel, Paul Kirn, Friedrich Meinecke, Karl Alexander von Müller, Leonhard von Muralt, Ulrich Noack, Kurt von Raumer, Gustav Adolf Rein, Gerhard Ritter, Erich Rothacker, Hans Rothfels, Heinrich von Srbik, Rudolf Stadelmann, Otto Vossler, Reinhard Wittram und andere gezählt werden, wobei Theodor Schieder als späterer Präsident der Historischen Kommission und Herausgeber der ‚Historischen Zeitschrift‘ in der Fülle weiterer herausragender Positionen besonderen Einfluß auf Geschichtswissenschaft und Ranke-Forschung gewann. In ihren mehr oder minder herübergeretteten, überwiegend staatsorientierten Überzeugungen und Interessen, ihrem zum Teil noch Jahrzehnte ungemindert anhaltenden Einfluß auf Bestuhlung, akademische und öffentliche Meinung bei Fortführung älterer, vertrauter Thematik liegt eine oder die Hauptursache für das Fehlen eines Bruchs in der ein wenig schwankenden, auch stärker eingeschränkten, aber noch immer anhaltenden Wertschätzung Rankes unmittelbar nach der Katastrophe und darüber hinaus. - 538 -

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Nicht ganz neue, nach dem Krieg wieder aufgestiegene Entwicklungen, wie die Thesen des Marxismus/Sozialismus, der Annales-Schule, der Historischen Sozialwissenschaft haben bei gelegentlich heftiger, aber zumeist pauschaler Kritik mit ausgesparter Werkanalyse oder gar -lektüre auf das weitreichende Interesse an Ranke keinen nachhaltig vernichtenden, stattdessen gelegentlich gar fördernden Einfluß gehabt. Auffallend ist die Kurzatmigkeit der Kritik etwa aus den Reihen der historischen Sozialwissenschaft, deren von Marxismus und Sozialismus geteilte Beanstandungen bereits zu Rankes Lebzeiten, so von Heinrich von Treitschke in seinem berühmten Aufsatz von 1874 ‚Der Socialismus und seine Gönner‘, geäußert worden, dann und wann aber in Vergessenheit geraten waren. Stets wachsen, wie in jeder Phase, neue Anhänger oder zumindest Interessierte heran: Im deutschen Sprachraum sind dies vor allem Hellmut Diwald, Walther Peter Fuchs, Wolfgang Hardtwig, Walther Hofer, Gangolf Hübinger, Ulrich Muhlack, Michael Salewski, Ernst Schulin, Rudolf Vierhaus, worunter auch solche anzutreffen sind, die mit Themen wie „Andenken bewahren für alle Zeiten“, „Meister der Geschichte“ oder „Ranke und ich“ immer noch in distanzschwacher Emotion und Devotion tätig sind und damit der Deutung Rankes und einer wissenschaftlichen Selbstbesinnung selten einen Dienst erweisen. Die Ausbreitung der Thematik im anglo-amerikanischen Raum ist, wie angedeutet, weniger Ranke selbst als den bis heute wirksamen Bemühungen deutschstämmiger Historiker und, überwiegend, deutsch-jüdischer refugee-scholars zu verdanken. Hierzu zählen vor allem Theodore H. von Laue, Hans Liebeschütz, Felix Gilbert, Georg G. Iggers und Peter Gay (geb. als Peter Fröhlich). Von Laue (gest. 2000) hatte bereits 1950 seine häufig genannte Arbeit über Rankes Bildungsjahre zum Erscheinen gebracht. Ihr Verdienst liegt vor allem darin, in schwieriger Zeit Ranke in der englischsprachigen Welt lebendig erhalten bzw. überhaupt erst eingeführt zu haben. Sie ist durch neuere Quellenveröffentlichungen heute allerdings überwiegend als überholt anzusehen. Von Bedeutung war die darin enthaltene erstmalige englische Übersetzung der ‚Großen Mächte‘ und des ‚Politischen Gesprächs‘. Ohne die Arbeiten der Genannten, unter denen die kritische Stimme Iggers’ besonders hervortritt, wäre, auch in Anbetracht der im Ausland eingeschränkten Kenntnis deutscher Sprache, Ranke in der Nachkriegszeit und darüber hinaus wohl ein überwiegend ‚deutsches‘ Phänomen geblieben. Dabei erwies sich die 1973 in den ‚Staaten‘ durch Iggers und Konrad von Moltke herausgegebene Ranke-Anthologie ‚The theory and practice of History‘ (Neuausg. 1983 u. 2011, s. II, 601) als besonders wirkungsvoll, waren ihr doch außer den bereits durch von Laue zur Verfügung gestellten Texten auch Übersetzungen von Vorlesungs- und Werkeinleitungen und der Vorträge vor Maximilian II. von 1854 (Tdr.) beigegeben. Damit standen dem wissenschaftlichen und allgemeinen Publikum des außerdeutschen Sprachraums in größerem Umfang theorienahe Texte Rankes zur Verfügung. Zutreffend war die von Walther Peter Fuchs 1986 geäußerte Auffassung, daß unter den Historikern, namentlich US-amerikanischen, die sich Ranke noch zuwandten, weniger ein biographisches Interesse, als vielmehr das „der neueren Geschichtswissenschaft insgesamt nachgesagtes Theoriedefizit“ zur Auseinandersetzung reize. Ranke-Biographik und Werkentstehung spielen in dieser Zeit, wie überhaupt, eine untergeordnete Rolle. Wo sie auftreten, sind sie überwiegend kleinformatig und standardisiert. - 539 -

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Auch die Ranke-Forschung oder -Literatur neuester Zeit leidet an mehreren Mängeln: Allzu häufig wird noch immer ein juveniler und entwicklungsloser ‚NormalRanke‘ beschrieben, und allzu selten wird - obgleich nicht durchweg Entsprechungen gegeben sind - neben Rankes überwiegend verstreuten systemschwachen TheorieÄußerungen das historiographische Werk aufgesucht, und dies nur in wenigen begünstigten Teilen. Zudem sind gewisse ermüdende thematische Standardeinstellungen entstanden, welche sich teils an wenige Dicta, teils an die Kombination bestimmter Texte mit bestimmten Fragestellungen klammern. So wird, bevorzugt nebst Diktum, Rankes subjektiv-expressives Erstlingswerk, jenes nach Burckhardt „wunderliche und wundervolle Werk“ (an B. Kugler, 11. 4. 70, Briefe V/1963, 78) nahezu für jeden Bedarf, im besonderen für Objektivitätsdiskussionen und neuerdings für Fragen der Literaturwissenschaft/Ästhetik herangezogen, eine interpretatorische Überbeanspruchung, welche mit zumeist unbeachteten Risiken die weitreichendsten Schlüsse für das in über sechzig Schaffensjahren entstandene, sich wandelnde Gesamtwerk zieht. Die ‚Großen Mächte‘ und das ‚Politische Gespräch‘ - hinzu treten nun Vorlesungen Rankes werden weiterhin im Zusammenhang seiner historisch-politischen Anschauungen betrachtet, vor allem was den Primat der Außenpolitik anbelangt, dessen Diskussion strittig bleibt. Rankes Begriffe von Staat und Nation, auffallend, aber in den Nachkriegsjahren in anderer Weise verständlich als in den Kriegsjahren, sein Europagedanke, werden noch eine Weile diskutiert. Das Thema ‚Ranke und die politischen Bewegungen seiner Zeit‘ findet eine passende Ergänzung in Erörterungen des Problems der Zeitgeschichtsschreibung. Stärker beachtet wird im Zuge historiographiegeschichtlicher Selbstdeutung die Herkunftsfrage seiner Geschichtsanschauung und damit vornehmlich das Verhältnis zur Aufklärungshistorie. Unmittelbar nach dem Krieg trat neben der historisch-politischen Betrachtung Rankes ein theologisch/religionsgeschichtliches Interesse auf, das sich vor allem an dem über Gebühr beachteten sogenannten ‚Lutherfragment‘ nährte, der auffallendsten Veröffentlichung aus seinem Nachlaß seit Doves posthumen Ausgaben. Beigezogen wird ihm gelegentlich die ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘. Hier wurde auch die Grundlage befestigt für eine übermäßige Theologisierung der Geschichtsanschauung Rankes, ein noch heute okkult virulenter Deutungsansatz, der schließlich überlagert wurde durch eine übermäßige Ästhetisierung. Im Zuge vertiefter und verfeinerter literaturwissenschaftlicher Einsichten waren nach den 1960er Jahren, ausgerichtet an Ranke, Fragen der Darstellung beherrschend in den Vordergrund getreten, deren Berechtigung und Ertrag gelegentlich nicht zu bezweifeln sind, die jedoch eine weitreichende problematisierende, um nicht zu sagen, gefährdende Bedeutung für die Gesamthistorie in sich trugen. Die Behauptung, nach dem Zweiten Weltkrieg seien „nicht mehr die philosophischen oder methodologischen Elemente seines Werkes erörtert worden“, (Metz/ 1979, 48) ist, wie sich zeigen wird, allenfalls für die ersten Jahre haltbar. Eine bereits seit den 1950er Jahren wachsende Theoriediskussion trug jedenfalls zu einer Belebung des Interesses bei. Im Mittelpunkt stand dabei, wie seit Anbeginn aller Ranke-Kritik, das Objektivitätsproblem, für dessen Behandlung es keinen positiv wie negativ geeigneteren Vertreter zu geben scheint. - Die nicht authentisch edierten Berchtesgadener Vorträge vor Maximilian von 1854 dienen weiterhin der Betrachtung seines Ideen- und Fortschrittsbegriffs sowie des Verhältnisses zur Philosophie des Idealismus, zu Hegel und zur Philosophie schlechthin. Auch hier sollte sich vorrangig die Frage - 540 -

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nach einer Verwirklichung und Bedeutung dieser zumeist an Theorie-Äußerungen festgestellten Positionen im Rahmen seiner Historiographie stellen. Das Hegel-Verhältnis gehört zu den mittlerweile stark abgetragenen Dauerthemen mit geringem Neuigkeitsertrag. Vergleiche mit Burckhardt, welche nach Kriegsende zunächst im Vordergrund stehen (s. I, 545-548), treten mehr und mehr zurück. Das Verhältnis Ranke-Droysen, letzterer wird in seiner Historik bekanntlich als der tiefere und konsequentere Denker angesehen, erfährt trotz mehrfacher Beachtung doch nicht ganz die verdiente eindringliche und umfassende Zuwendung.

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1. Kapitel (I/2.5.1) MANGELNDE UND ERSTE VERSUCHE VON VERGANGENHEITSBEWÄLTIGUNG UND NEUORIENTIERUNG Es bedurfte zweier Weltkriege, um erneut die alte, besonders von Julian Schmidt gehegte Überzeugung wieder wachsen zu lassen, daß Rankes Geschichtsanschauung hinsichtlich des Bösen oder der Missetaten im Weltgeschehen in allzu starkem Maße von Wegsicht unter heiterem Sonnenlicht geprägt gewesen sei (s. I/2.1.2), was von nicht wenigen seiner Zeitgenossen bereits beanstandet, allerdings im Zusammenhang mit einer späteren Idolatrisierung seiner Objektivität vorübergehend in Vergessenheit geraten war. Diese vermeintlich neue Einsicht in den allzu milden Schein Rankescher Darstellung, die sich besonders Friedrich Meinecke recht spät auftat, ging allerdings schon bald wieder verloren. In der ersten Nachkriegszeit besteht unter deutschen Historikern nicht nur berufliche, ja existenzielle Ungewißheit, es herrscht auch Ungewißheit hinsichtlich der Bewertung der deutschen Vergangenheit, der darin eingenommenen amtlichen Stellung und ideologischen Ausrichtung, sodann Unsicherheit über die künftig einzunehmende persönliche Haltung und die Möglichkeit glaubwürdiger Arbeit in einer neuen, noch unbestimmten Staatsform sowie deren ideologischer Ausrichtung und internationaler Verflechtung. Obgleich die sich bildende wie auch die voraufgehenden Staatsformen kaum in Rankescher Weise als ‚Gedanken Gottes‘ anzusehen waren und sein würden, wird sogleich auf keinen Standesgenossen öfter Bezug genommen als auf ihn. Im eher unsichtbaren Mittelpunkt steht die Frage seiner ‚Schuld‘ an den unheilvollen Entwicklungen seit den Zeiten des Ersten Weltkriegs, im besonderen des Nationalsozialismus. Dabei treten in Westdeutschland andere, auch vielfältigere Positionen auf als im ideologisch stärker vereinheitlichten Ostdeutschland. Zwar sieht man im Westen wie im Osten keine persönliche Beteiligung an den zum Nationalsozialismus führenden Entwicklungen und den in dieser Zeit verübten Verbrechen, doch gelingt dies unter westdeutschen Wissenschaftlern nicht selten durch Verschweigen oder Irreführung. Während im Westen daher auch Schuldbekenntnisse und Selbstanklagen kaum zu vernehmen sind und Ranke bei überwiegender Wertschätzung im wesentlichen nur beschönigende und verharmlosende Tendenzen vorgehalten werden, sieht man im Osten unter prominenten Historikern, zum Teil aufgrund von Inhaftierung, Emigration u. a. m., mit Recht keine Eigenbeteiligung an den zum Nationalsozialismus führenden Entwicklungen und nimmt Ranke gegenüber eine schuldzuweisende Haltung ein. Eine rückwärtsgewandte Halt-Suche mag man im gehäuften Auftreten westdeutscher rankemonographischer Dissertationen erblicken. In keinem Zeitraum von zehn Jahren sind deren so viele erschienen wie in den ersten zehn Jahren nach Kriegsende. Sie sind überwiegend von historisch-politischer Thematik, einige religiös interessiert. Hinübergerettete vertraute Vorstellungen der vorzeitlichen Doktorväter dürften mitgewirkt haben. Willy Andreas (1884-1967), der, wie Schieder, Srbik, Raumer, Rothacker und zahlreiche andere recht gut durch die Zeiten gekommen war - sein bezeichnender Schwiegervater war der nationalsozialistisch hofierte und hochdekorierte Erich Marcks (s. I, 383, 453, 461f.) - hatte sich vordem und auch fürderhin wie kein zweiter um das Zustandekommen populärer Ranke-Ausgaben bemüht und beeilte sich bereits im - 542 -

I/2.5.1 Seit dem II. Weltkrieg - Versuche von Vergangenheitsbewältigung

Dezember 1945 angesichts des „beispiellosen Zusammenbruchs, der auch die Geschichtswissenschaft zur Selbsteinkehr und Läuterung ...“ aufrufe, die rhetorische Frage zu stellen, ob von Rankes Vermächtnis noch eine „zeugende Kraft“ ausgehen könne. Aus dem „goldenen Schatz“ des Rankeschen Gesamtwerkes hält Andreas „in diesem bestimmten weltgeschichtlichen Augenblick“ für besonders beherzigenswert seine „Gerechtigkeit“, „edle“, „tiefschauende, weitherzige Menschlichkeit“ und sein „ehrliches gesamteuropäisches Bewußtsein“, wenngleich gegen Rankes Betrachtungsweise auch eingewandt werden könne, daß die Geschichte „den Menschen von heute weit mehr als Rankes Zeitgenossen ihr grauenvolles Medusengesicht“ zeige und daß sein „Horizont ... doch vornehmlich der europäische“ geblieben sei. Rankes schon einmal in unheilvoller Weise genutzter Essay über die ‚Großen Mächte‘ will Andreas „den angehenden Historikern“, historisch unbelehrt, „wie ein Brevier ans Herz legen.“ (Andreas, Willy: Leopold von Ranke. Zu seinem 150. Geburtstag. In: Rhein-NeckarZeitung, Jg. 1, Heidelberg, 28. Dez. 1945). Dem Nationalsozialismus nahegestanden hatte auch Reinhard Wittram, gelegentlich gar als sein Herold. Gleichwohl erhielt er am 27. Juli 1946 Gelegenheit, in der Aula der Universität Göttingen rankebezogen seine Antrittsvorlesung zu halten, unter dem Titel ‚Geschichtsauffassung und Wahrheitsfrage‘. Ob es als dreiste oder nur unvorsichtige Torheit anzusehen ist, sei dahingestellt, jedenfalls gab er vor, darin an seinen nationalsozialistisch geprägten Festvortrag von 1937 zur Jahresfeier der ‚Herdergesellschaft‘ und des ‚Herder-Instituts‘, betitelt ‚Historismus und Geschichtsbewußtsein‘, anzuknüpfen. Damals hatte er den Nationalsozialismus nicht allein als „Heilungsversuch“ begrüßt, sondern mit Blick auf Rankes staatliche ‚Gedanken Gottes‘ auch „alle Totalitätsforderungen“ als „metaphysisch“ begründet angesehen (s. I, 518). Der neuerliche Vortrag, der sich in eigentümlicher Weise mit dem Problem der Objektivität auseinandersetzt (s. die weitere Betrachtung I, 618), wirft zwar die begründete Frage auf, was in dieser Zeit „nun eigentlich in Europa zu Ende“ gehe - „das ist die Frage, die unser Geschichtsdenken unablässig beschäftigt, unsere Maßstäbe verändert, unser Urteil anhält“ - beantwortet sie jedoch nicht. Über Schuld wird kein Wort verloren, der Krieg und seine Vorgeschichte werden nicht einmal erwähnt. Es ist lediglich die Rede von „Umwälzung“ und „Zeitenwandel“ (89), obgleich gefordert wird, „das als Böse erkannte beim Namen“ zu nennen (98). Tiefer als Willy Andreas und wohl aufrichtiger als Reinhard Wittram faßte Gerhard Ritter Situation und Problematik des deutschen Zusammenbruchs auf. In seiner 1946 erschienenen Broschüre ‚Geschichte als Bildungsmacht‘, die ausdrücklich einen Beitrag zur historisch-politischen Neubesinnung bieten wollte, sah er die Deutschen „nach dem totalen Zusammenbruch des stolzen Gebäudes von Geschichtslüge und anmaßender Selbstvergötzung des deutschen Wesens“ (Ritter/1946, 14) „in einer Verwirrung und Ratlosigkeit ohnegleichen ... am Grabe ihrer Vergangenheit“ stehen (7) und hielt „eine totale Umstellung unseres deutschen Geschichtsdenkens“ für „unvermeidlich“ (37). Die „humanitär gefärbte Theologie“ Rankes ist für ihn nun „ebenso gründlich überwunden wie der philosophische Vernunftglaube und Monismus Hegels“ (12). Dies war freilich ein Irrtum. Auch sei Ranke, wie Ritter zutreffend bemerkte, nicht immer ganz frei von einer „beschönigenden Art von Historie, einem geschichtlichen Ästhetizismus“ (17f.) gewesen. Bei ihm, wie bei Hegel, finde man romantisch-idealistische Vorstellungen vom Kriege formuliert, der dabei als ein „Wettstreit moralischer Energien“, nicht jedoch als „entfesselte Dämonie der Zerstörung“ erscheine (29). Rankes - 543 -

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„tiefsinniger Gedanke“ vom Primat der Außenpolitik habe „unendlich fruchtbar fortgewirkt in der deutschen Geschichtswissenschaft“, jedoch sei in seinen wie in den Ideen Hegels die „Gefahr einer einseitigen Überschätzung des Machtgedankens, des Politischen überhaupt“, angelegt gewesen (38). In der Tat sei „ein übertriebener Kultus der politischen Macht als solcher“ gerade auch bei denen verbreitet gewesen, „die sich (wie etwa Max Lenz) als die treuesten Schüler Rankes betrachteten“ (39). Die „charakteristische Neigung des ‚Rankianers‘, rationale Staatsvernunft auch da zu suchen, wo menschliche Unzulänglichkeit, blinder Zufall oder Leidenschaft die Entschlüsse der Regierenden bestimmt hatten“, sieht er vor allem bei Hans Delbrück, Hermann Oncken und Felix Rachfahl wirksam (39). - Ritters Betrachtungen dürften fürs erste - weniger jedoch langfristig - nicht ohne Wirkung geblieben sein. Er stellte sie als Eröffnungsvortrag unter dem Titel ‚Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft‘ zum Münchener Historikerkongreß 1949 vor, - als schließlich Verfolgter des NS-Regimes wurde er erster Vorsitzender des Verbandes der deutschen Historiker. Sein Vortrag erschien zunächst, neben Beiträgen von Schieder und Rantzau, im ersten Band der neugegründeten Zeitschrift ‚Geschichte in Wissenschaft und Unterricht‘, unter dem Titel ‚Deutsche Geschichtswissenschaft im 20. Jahrhundert‘ (1950). Hierbei handelt es sich um einen bis in das 19. Jahrhundert hinein reichenden kritischen Rückblick, in dem Ranke weniger und milder beurteilt wird. Sein ganzes Lebenswerk sei als ein „großartiger Versuch“ aufzufassen, „die rationalistische Staatsphilosophie und das naturrechtliche Freiheitsevangelium durch eine eigenartig deutsche, nicht mehr rationalistische, sondern historische Welt- und Staatsansicht“ zu überwinden (Ritter: Dt. Gesch.wiss/1950, 81). Der Rankesche Freiheitsbegriff ist allerdings differenzierter zu betrachten. Freilich ist er weitgehend frei von unterschichtlicher sozialer und politischer Anwendung, vielmehr getragen von elitären, standesegoistischen kulturexpansiven Vorstellungen, wie etwa die Vorträge vor Maximilian von 1854 zeigen. Nicht ganz widerspruchsfrei oder allzu undifferenziert ist Ritters Rückführung einer durchaus vorhandenen „stark betonten Staatsfreudigkeit deutscher Historiker“ (82) auf Ranke, im Hinblick auf die Feststellung, einem im deutschen Kaiserreich vorhandenen „extremen Nationalismus und Machiavellismus der ‚alldeutschen‘ Bewegung“ hätten die meisten Historiker - „von Rankeschem Geist, vom Erbe des Liberalismus und von nüchternem Wirklichkeitssinn“ getragen - kritisch gegenüber gestanden (89). Zu den „von Ranke ererbten Grundzügen deutscher Geschichtsbetrachtung“ zählt Ritter auch den Glauben an die Einmaligkeit alles historischen Geschehens, woraus der Widerstand gegen soziologische generalisierende und nomothetische Geschichtsbetrachtung erwachsen sei (83). Ritters Beitrag erschien unter dem Titel ‚Gegenwärtige Lage und Zukunftsaufgaben deutscher Geschichtswissenschaft‘ als gekürzter Zweitdruck in der 1949 wieder aufgelebten ‚Historischen Zeitschrift‘ des Jahres 1950. - Ein Jahr vor seinem Tod gab sich Ritter ebenda (Bd. 202/1966) Betrachtungen und Erinnerungen hin unter dem Titel ‚Wissenschaftliche Historie einst und jetzt‘. Die wissenschaftliche Historie des 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts habe ‚Weltgeschichte‘ i. w. so verstanden wie Ranke: „als Geschichte des vorderasiatischen und europäischen Kulturkreises mit seiner Weltausstrahlung seit dem Kolonialzeitalter. Nur daß die Grenzen des rankeschen Geschichtsbildes durch die moderne Forschung gewaltig erweitert wurden“ (576f.). Bei seinen sonstigen beachtenswerten Darlegungen ist eine monokausalistisch überschätzende Beurteilung nicht zu übersehen: Bis zum Ersten Weltkrieg habe die Vorstellung Rankes „von der gesicherten, auf dem letztlich unzerstörbaren Gleichgewicht der fünf großen Mächte ruhen- 544 -

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den Existenz europäischer Kultur ... das ganze Geschichtsbild“ beherrscht (579). Deutsche Historiker hätten „ihre Staatsgläubigkeit von Hegel geerbt..., aber auch von Ranke...“ (580). Die Überzeugung Rankes, „daß hinter dem Gegensatz ideologischer Tendenzen sich in Wahrheit nationale Machtgegensätze zu verstecken pflegen, scheint sich ja auch in unserer Zeit mehr und mehr zu bestätigen.“ (584). Ritter geht dann der Frage nach, wie sich „die Aufgabe wissenschaftlicher Historie in dieser gänzlich neuen Welt“ nach 1945 verändert habe, im besonderen, „daß und warum es so etwas wie eine Krisis der politischen Historie als solcher gibt.“ (586). Er sieht die Gründe - gegen die Schule der ‚Annales‘ gewandt - vor allem in einer „Skepsis und Staatsentfremdung der Historiker“ (586). - Ritter erschien dem Kommunisten Leo Stern - bei Anerkennung seiner Integrität - damals als „eine eigenartige Mischung von Ranke und Burckhardt“. Er reduziere „das Geheimnis der wahren Geschichte auf eine Mischung von blindem Zufall und mystisch-sinnvollem Zusammenhang, deren letzten Sinn nur Gott allein kennt“ (Stern/1952, 45). Friedrich Meinecke, der Intuition, um nicht zu sagen, Divination zu seiner vorrangigen Erkenntnismethode, belegfrei geistvollen Erguß, gelegentlich verbunden mit befremdenden Schematisierungen, zu seiner vorrangigen Darstellungsform erhoben hatte, verband mit Ranke eine diesem allzu verwandte ästhetisch geprägte serene Sicht. Doch stand er ihm deutlich nach in der Anwendung empiriegesättigter Textorientierung, zumindest soweit sie seine eigenen Ranke-Betrachtungen betraf. Die Herkunft gelegentlich allzu flüchtiger oder allzu allgemeiner Deutungen liegt daher - auch darin Dilthey ähnlich - entweder im eigenbiographischen Dunkel oder bezieht sich auf wenige Dicta des aus hoher Warte und zugleich geringer Distanz Betrachteten. Hinzu kommt, wie Eckart Kehr formulierte: „Das ganze Lebenswerk Meineckes ist durchzogen von einer bewußten und disziplinierten Einschränkung seiner Problemstellungen.“ Man ist geneigt, darin Ironie zu erkennen (Kehr: Deutsch-englisches Bündnisproblem der Jahrhundertwende. In: Die Gesellschaft 5, 1928/II, 24-3. Und in: Kehr: Der Primat der Innenpolitik. 1965, 2., durchges. Aufl. 1976, 176-183, hier 179). In seinen rankebezogenen Äußerungen nach 1945 geht es Meinecke nicht um eine Ergründung Rankescher Geschichtsanschauung, auch kaum darum, mit oder gar gegen Ranke neue Wege für die Historie zu finden, als vielmehr alte Wege zu betrachten und wo möglich zu erhalten. - In der 1962 erschienen Auswahl aus seiner Korrespondenz steht, soweit sie Ranke betrifft, ein Thema im Vordergrund: der ihn im Zusammenhang mit seinem Akademie-Vortrag von 1948 (s. u.) stark beschäftigende Vergleich der Rankeschen und Burckhardtschen Geschichtsauffassung „unter heutigen [1947] Aspekten“ (WW VI/1962, 514). Dies geschieht in den Jahren 1943, 1947 und 1949 im Briefwechsel mit W. Goetz, G. Mayer, G. P. Gooch, A. Friis, L. Dehio und E. Spranger, vor allem aber mit seinem Schüler Siegfried A. Kaehler (1885-1963) in den Jahren 1912 bis 1950, der Meinecke gegenüber auch abweichende Positionen vertritt und das Thema der ‚Großen Mächte’ (374, 377) und der ‚Unmittelbarkeit zu Gott‘ (483f., 458, 552) berührt. Während Meineckes bereits 1946 in Zürich erschienene Schrift ‚Die deutsche Katastrophe. Betrachtungen und Erinnerungen‘ Ranke - im Gegensatz zu Burckhardt - nicht nennt, werden in seiner Korrespondenz zunehmend Vorbehalte, zumindest Einschränkungen Ranke gegenüber spürbar: Nicht nur berühren ihn die Burckhardt-Briefe „rein menschlich … tiefer“ als die Briefe Rankes (an Spranger, 25. 9. 1949. 620), Burckhardt habe auch „viel tiefer in die Nachtseite der Geschichte hineingeleuchtet als Ranke“, aber dieser habe „den helleren Glauben an den ‚göttlichen Anhauch im - 545 -

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menschlichen Antrieb‘“ gehabt (an Spranger, 19. 3. 1947. 604). Spranger hatte ihn ja längst aufmerksam gemacht auf die ‚Unwahrheit‘ des Ranke-Worts über die Unmittelbarkeit einer jeden Epoche zu Gott. 1942 hatte Meinecke dies noch mit der zurechtgebogenen Bemerkung zurückgewiesen, auch für Ranke gebe es gottferne Epochen (s. I, 526f.). Nun muß er sich nach dem Kriegsende eingestehen, daß Rankes heitere Anschauung mit einem derartigen Ausmaß an Gottlosigkeit und Unmenschlichkeit nicht in Zusammenhang zu bringen war. - Von der Erfahrung der „Nachtseite der Weltgeschichte“ (96), „auf einem Trümmerfeld von Staat und Nation“ (109) ist auch Meineckes 1948 erschienener, wiederum literaturfreier Vortrag vor der ‚Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin‘ unter dem Titel ‚Ranke und Burckhardt‘ geprägt. In seiner Auffassung sind sie - unter unbedachtem Beiseitelassen Droysens „die beiden größten historischen Denker, die das 19. Jahrhundert innerhalb der deutschen Kulturnation hervorgebracht hat.“ (WW VII/1968, 93), wobei zu fragen sei: „Wird uns und den nach uns historisch Forschenden nicht Burckhardt am Ende wichtiger werden als Ranke?“ (94). Burckhardt habe „tiefer und schärfer in das geschichtliche Wesen der eigenen Zeit hineingesehen“, habe „infolgedessen auch das Kommende bestimmter und sicherer voraussehen können als Ranke.“ (ebd.). Meinecke betrachtet im einzelnen die Verschiedenheit beider in der Beurteilung Bismarcks, des demokratischen Massenwillens, der Macht und des Machtstaates - während Burckhardt im Staat ein bloßes „Notinstitut“ erblicke (100), sehe Ranke Individualitäten, „geistige Wesenheiten“ (100f.) - schließlich die Verschiedenheit des Geschichtsbildes überhaupt, in dem Ranke mit seinem Vorsehungsglauben die Weltgeschichte „in ein sonnigeres Licht“ getaucht habe, „als wir es heute zu sehen vermögen.“ (102). Wo Ranke den Entwicklungsgedanken betone, gehe Burckhardt. mehr auf „Zustand und Typus“ aus (107): „Ranke sah die Geschichte in Längsschnitten…, Burckhardt sah sie lieber in Querschnitten“ (ebd). „Ganze Weltanschauungen und völlig verschiedene Lebensstandpunkte stehen hinter den auseinanderklaffenden Urteilen der beiden. Und doch wurzeln beide in demselben geistigen Mutterboden - im deutschen Idealismus.“ (101). Allerdings sei Ranke „ohne Mühe dem objektiven Idealismus zuzurechnen, Burckhardt dem Idealismus der Freiheit.“ (ebd.). Den Gegensatz beider „nur als den von politischer und Kulturgeschichte sehen“ zu wollen, erscheint Meinecke als „zu vereinfachend“ (103). Es entspricht dem mit Ranke verwandten harmonisierenden Wesen Meineckes, in Ranke und Burckhardt „zwei verschiedene Grundeinstellungen zur Geschichte“ wirksam zu sehen, „deren jede ihr inneres Recht und ihre Notwendigkeit“ habe (108). Meineckes Vortrag ist ein zweifacher Anhang beigegeben: ‚1. Ein Wort über Kultur und Zivilisation im Anschluß an Ranke und Burckhardt‘ (111-119) und ‚2. Ein Wort über Rankes und Burckhardts Sprache‘ (119-121), der, auf Meineckes GermanistikStudium verweisend und bezeichnenderweise ohne konkrete Beispiele zu nennen, doch eine erste, wenn auch allzu knappe Anregung darstellt. (Zuvor in: Dt. Akad. d. Wiss., Vortrr. u Schrr., H. 27, Bln. 1948, 32-35). - Der unmittelbaren Vergangenheit widmet sich auch Meineckes 1949 erschienener Essay ‚Irrwege in unserer Geschichte?‘ [!], in denen die Rankeschen „Längsschnitte“ und Burckhardtschen „Querschnitte“, auf die Nachkriegsgegenwart angewandt, erneut auftreten: „Die preußisch-deutsche Geschichte, horizontal betrachtet, wird für uns nie aufhören, Tragödie zu sein und spendet uns“ [vertikal betrachtet] „trotzdem eine Fülle individueller Kulturwerte, die wir auch fernerhin mit Liebe und oft auch mit Bewunderung in uns aufnehmen können.“ (WW IV/²1965, 210). Dies ist in Zusammenhang zu sehen mit dem Bekenntnis Meineckes: „Höher als alle Staatswerte stehen die höchsten Werte der Kultur.“ (206). Ranke hätte - 546 -

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einen Zusammenhang beider erkannt und wohl auch auf die Werte der Moral hingewiesen. - Karl Kupisch (s. I, 641f.) war allerdings im Gegensatz zu Meinecke zu der ebenso ungewöhnlichen wie unhaltbaren Meinung gelangt, Ranke habe „vielleicht noch genauer als Burckhardt, um die Realität des Bösen“ gewußt (Kupisch/1949, 195). Dabei übersah er freilich, daß in Fragen der Historiographie nicht ein unangewandtes Wissen, sondern das Darstellen oder Unterdrücken und gegebenenfalls ein Be- und Verurteilen in Rede steht. - Meineckes schließliche Ranke-Kritik und die damit zusammenhängende Kontrastierung mit Burckhardt hat die toposhafte Thematik nicht erzeugt, sondern lediglich verstärkt. Während zu Rankes Zeit vorwiegend mit Schlosser kontrastiert wurde, erhob sich die Thematik erst nach und nach mit Arbeiten von Gramich (1884) und Trog (1898). Nicht ohne Interesse ist beiläufig ein Vergleich der beiden Vergleiche und Verglichenen, denn es stellt sich die Frage, ob bei einiger Großzügigkeit nicht gar grundsätzliche Gemeinsamkeiten Schlossers und Burckhardts auszumachen wären. - Später hat sich neben Stadelmann (1930), Neumann (1934) und Kaphan (1943) vor allem Benedetto Croce (1938) der zum Plakativen und Überzeichnen verführenden Gegenüberstellung Ranke-Burckhardt hingegeben, die durch die Burckhardt-Biographie Werner Kaegis, im besonderen den die Beziehung betreffenden zweiten Band von 1950 (54-75), verstärkt an Interesse gewann, vor allem aber, wie sich zeigte, durch das aufrüttelnde Erlebnis des Zweiten Weltkriegs in den Vordergrund getreten ist. Der verdienstvolle Ranke-Kenner Eberhard Kessel (1907-1986) verfaßte 1951 einen informativen Literatur- und Forschungsbericht mit dem Titel ‚Ranke und Burckhardt‘, in dem sich beiläufig beachtenswerte Stellungnahmen zu den RankeBriefeditionen des Jahres 1949, zu Hinrichs (1950) und von Laue (1950) finden. Der Bericht gewinnt in der Auseinandersetzung mit Meinecke einen selbständigen Charakter hinsichtlich eines eigenen gleichsam metahistorisch-bilanzierenden Vergleichs Burckhardt-Ranke, in dem ausführlich auf Gemeinsamkeiten hingewiesen wird, zur anderweitig stets im Mittelpunkt stehenden Frage nach der Stellung zur ‚Macht‘ jedoch einmal nicht auf Burckhardts tieferen Realitätssinn, sondern auf seinen „Mangel an Unterscheidungsvermögen und Konsequenz“ hingewiesen wird, wenn er die ‚Macht an sich‘ als böse erklärt habe. Ranke hingegen habe die „logische Konsequenz“ aus der Tatsache gezogen, daß ‚Macht‘ „schließlich weder gut noch böse, sondern überhaupt amoralisch“ sei und auf diese Weise sich „über die moralisierende Aufklärungshistoriographie erhoben“ (369). Kessel übersah bei dieser Argumentation - Kupisch ähnlich -, daß nicht die Beurteilung von Macht schlechthin im Vordergrund stand, sondern vorrangig ihre Anwendung. - Im selben Jahre verfaßte auch Axel von Harnack (18951974), Historiker und Bibliothekar, einen Beitrag ‚Ranke und Burckhardt‘, in dem er den Versuch unternahm, sie „nebeneinanderzustellen, zu würdigen und jeden durch das Licht des anderen zu erhellen“ (73). Dies galt jedoch weniger einem Vergleich der Geschichtsanschauungen als dem der Charaktere, Temperamente, Lebensformen, und hierin mehr der Häufung als der zusammenhängenden Entwicklung einzelner Vergleichspunkte. Auch sind manche mit dem Hang zum Superlativischen getroffene Feststellungen nicht wörtlich zu nehmen: „Beide nehmen das geistige Leben ihrer Zeit in vollem Umfang auf“ (78). „Beide haben ... ein untrügliches Wertgefühl für Menschen“ (ebd.) u. a. m. Die abschließende Frage ist von enttäuschender Simplizität: „Wem soll man die Palme reichen?“. Der Verfasser beantwortet sie gut rankisch-meineckisch: „Ohne zu verarmen, können wir keinen missen. Jeder ragt in die Wolken ...“ (88). - Auf - 547 -

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spätere, im Folgenden gelegentlich noch herangezogene Veröffentlichungen zum modisch werdenden Thema ‚Ranke und Burckhardt‘, z. T. in bibliographisch versteckter Form, wird hier zunächst nur kurz hingewiesen, u. a.: Zittel (1947), Kaegi (1949, 1954/Vortr. von 1948), Trappe (1950), Schieder (1952), Axel v. Harnack (1951), Schwab (1953), Bonjour (1956), Ernst (1957), Vierhaus (1957), Bonjour (1958), Kessel (1962), Christ (1963, 1982), Berg (1968), Herkless (1970), Schnädelbach (1974), Ralf Ritter (1977), Di Costanzo (1986), Angermeier (1987), Gilbert (1988, 1990, 1992, 1993), Reinhardt (1992), Schulin (1958, 1993), Gil (1993), Helbling (1995), Brennan (1995), Mali (1996), Grosse (2001), Simonis (2002), Puff (2003). Um auf Meinecke zurückzukommen: Von großer Schlichtheit ist eine Skizze von R. Hinton Thomas mit dem Titel ‚Leopold Ranke and Friedrich Meinecke‘ aus dem Jahre 1952 getragen. Hauptsächlich Meinecke gewidmet, enthält sie zu Ranke oder dem Verhältnis Meinecke-Ranke kaum Eigenes oder nur Nennenswertes, etwa, daß Ranke („a central figure in German historiography in the nineteenth century“) sich noch am wenigsten mit philosophischen Problemen befaßt habe, oder, daß seine Auswahl der Tatsachen beeinflußt gewesen sei von seinem Glauben an die preußische Monarchie. 1954 befaßte sich gar ein japanischer Artikel mit Meineckes Kritik an Ranke (Uehara). - Franz Schnabel hat sich in seinem Akademie-Nachruf auf Meinecke vom Jahre 1955 neben Bemerkungen über „Historie und Biographie“ bei Ranke (274) auch zum Verhältnis Meinecke-Ranke geäußert: „Von da gelangte Meinecke dazu, außer Staaten und Epochen auch Ideen als historische Individualitäten aufzufassen.“ (287). Meinecke habe „die Ranke’sche Lehre von den überindividuellen Individualitäten, von den Staaten als Organismen fortgebildet“ (ebd.) und reihe sich dem unterschiedlichen Idealismus seiner Vorgänger Hegel, Humboldt, Ranke an. Dabei habe er „die ethische Bewertung stärker hervortreten lassen, als es bei den Vorgängern der Fall gewesen“ sei (277). Das Verhältnis von „individuellen und den allgemeinen Kräften ... zu ergründen“, wird als gemeinsames Anliegen Rankes und Meineckes erkannt. (276). (Ferner über das Verhältnis Lamprecht-Ranke und die „Neurankianer“, i. b. Max Lenz, sowie über Rankes Staatsauffassung). - Der Jesuit G. Friedrich Klenk hatte 1942 in Rom seine Dissertation mit dem Titel ‚Wert. Sein. Gott. Ihre Beziehungen wertphilosophisch und neuscholastisch geschaut‘ veröffentlicht. Als christlicher Geschichtsphilosoph verfaßte er in den Jahren ab 1951 eine von der Historikerzunft kaum beachtete Reihe von Artikeln in den Freiburger ‚Stimmen der Zeit. Katholische Monatsschrift für das Geistesleben der Gegenwart‘, so u. a.: ‚Benedetto Croce und das 19. Jahrhundert‘ (1951/52), ‚Vom Sinn der Geschichte‘ (1952/53), ‚Antikes und christliches Geschichtsdenken‘ (1953/54), ‚Geschichte als Kraftfeld zwischen Freiheit und Ordo. Randglossen zu einer christlichen Geschichtsphilosophie‘ (1963). Dazu gehörte auch ein Beitrag über ‚Das Absolute im Zwielicht der Geschichte. Von Ranke bis Friedrich Meinecke‘ (1962/63), welche eine Kritik der Rankeschen ‚Geschichtstheorie‘ darstellt. Sie betrifft Fragen nach dem Sinngehalt der Geschichte, dem Gottesbegriff, Individualitätsbegriff und Fortschrittsgedanken, verbunden mit einer Kritik der Meineckeschen Ranke-Deutung. Von Divergierendem abgesehen geht Klenk „mit Meinecke ganz einig, daß Rankes - allerdings bereits gedämpfter - Optimismus unserem Geschichtserlebnis widerspricht.“ (186). Von Karl Brandi (1868-1946), ihm wurde nachgesagt, er vertrete „in entscheidenden Punkten die Gedankenwelt Rankes“ (Diehl/1950, 137), erschien ein Jahr nach - 548 -

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seinem Tod eine kleine, schlichte ‚Geschichte der Geschichtswissenschaft‘ (Gött. 1947, 2., von Wolfgang Graf überarb. Aufl., Bonn 1952), in der er Ranke jenseits allen Problembewußtseins als „Bahnbrecher für Quellenkritik und Methode“ behandelte (99105). Ranke sei „ein Kind der für sein Schaffen wesentlichen Zeit, der Restaurationsepoche, geblieben.“ (103). In seiner Anschauung der ‚großen Mächte‘ seien „romantische Einwirkungen unverkennbar“ (102). Seine Geschichtsschreibung habe ihm eine „gewaltige Einwirkung auf die folgende Historikergeneration gesichert“ und mache „auch für die heutige Geschichtswissenschaft die Beschäftigung mit seinem Werk zu einer Selbstverständlichkeit.“ (103). Brandi hatte sich vor allem dem Rankeschen Thema ‚Karl V.‘ in einem Werk über ‚Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches‘ (2 Bde 1937, 1941) hingegeben und dazu drei Monate nach der deutschen Kapitulation in der Göttinger Akademie der Wissenschaften unbeirrt oder ungerührt eine Abhandlung über ‚Die Entstehung von Leopold von Rankes Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ vorgelegt (Sitzung vom 24. 8. 1945. In: Nachrr. d. Akad. d. Wiss. in Gött., philolog.-histor. Kl, 1946/47, s. I, 648f.). Der Politikhistoriker Eberhard von Vietsch (1912-?) hatte 1942 ein Werk über das Rankesche Thema ‚Das europäische Gleichgewicht. Politische Idee und staatsmännisches Handeln‘ veröffentlicht. 1950 schrieb er über ‚Die Tradition der Großen Mächte‘ und stellte fest, daß von der Zuversicht Rankes, „den in den Bewegungen der Großen Mächte waltenden Geist als ‚Gedanken Gottes‘ zu erfassen ... uns heutigen Europäern nicht mehr viel geblieben“ sei (14). „Uns will jede Epoche eher ‚unmittelbar zum Teufel‘ als im Sinne Rankes ‚unmittelbar zu Gott‘ geschaut werden“ (14f.), und das Vertrauen auf den ‚Genius Europas‘, „der unseren Kontinent noch jedesmal vor der Herrschaft einer einseitigen und gewaltsamen Richtung gerettet habe, ist gründlich vergangen. Die Annahme, daß mit fortschreitender Zivilisierung des gesellschaftlichen Lebens und im Zeitalter der modernen Technik die Politik gleichsam von selbst immer stärker gemäß den Grundsätzen von Recht und Vernunft geführt werden würde, hat sich als verfehlt herausgestellt.“ (15). Ähnliche Gedanken hatten in den Zeiten des Nationalsozialismus bereits Eduard Spranger (1937) und Ernst von Hippel (1944) bewegt. 1950, ein Jahr vor des Verfassers Tod, erschien der erste, Friedrich Meinecke gewidmete Band der Historiographiegeschichte Heinrich von Srbiks, ‚Geist und Geschichte vom deutschen Humanismus bis zur Gegenwart‘ (2 Bde, 1950 u. 1951), in der Ranke ein ausführliches, auf breiter Werk- und Literaturkenntnis beruhendes, gelegentlich auch der Kritik fähiges Kapitel gewidmet ist, dessen Lektüre noch heute anregend wirkt. Neben einzelnen allgemeinen Werkbetrachtungen - von Srbik hatte sich bereits 1938 in ebenso bezeichnender wie qualifizierter Weise über Rankes ‚Universalismus und Nationalbewußtsein‘ geäußert (s. I, 518f.) - stehen Erörterungen von Rankes ‚Gottesglauben‘, ‚Objektivität‘, sein ‚politisches Welt- und Deutschlandbild‘‚ die ‚Ideenlehre‘ u. a. m. Zu letzterer sieht Srbik - das war auch früher schon behauptet und bestritten worden - eine „weitgehende Übereinstimmung“ mit Humboldt, keine Abhängigkeit. Denn anders als Humboldts „Ausgangs- und Grundfläche“ von „philosophischer und ästhetischer Natur“, sei dies bei Ranke sein „Gottesglaube, die Idealphilosophie und das flutende, unendlich mannigfaltige geschichtliche Leben“ gewesen. Er habe die ‚Ideen‘ „nie auf ihren metaphysischen Ursprung hin zu ergründen gemeint, sondern nur ihre treibende, immanente Kraft an der Hand der empirischen Erkenntnismittel als Aufgabe induktiver Wissenschaft angesehen“ (I, 259), - eine berechtigte - 549 -

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Sicht, die weithin, so schon von Rachfahl gegen Lamprecht, ausgesprochen worden war. Wo Schieder den „großen Gang der Notwendigkeit“ zur Selbsthilfe heranziehen wird, betonte Srbik, vordem Mitglied der NSDAP und Präsident der Historischen Kommission, in auffallender Selbst-Abgrenzung zur nationalsozialistischen Zeit bei Ranke eine „Distanz zum betonten Nationalismus“ (I, 283f.) und sah in seiner Gestalt darin Willy Andreas nicht unähnlich - einen „Anwalt konservativer europäischer Friedenspolitik“ (I, 285). Obgleich Srbik hier Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs Rechnung zu tragen scheint - „Tiefer noch gilt es in diese Düsternisse hineinzuleuchten...“ (I, 291) - wirkt doch anderes von diesem Blickwinkel her kaum durchdacht, etwa, daß uns Rankes Wort von der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott „unverlierbar“ sein müsse und „unsere Liebe zur organischen, in sich gegliederten eigenen Nation“ „tiefer“ sein dürfe (ebd.). (Zum Werk: Blanke: Historiographiegeschichte/1991, 659-667, wo auch Srbiks Verhältnis zu Ranke gestreift wird. - Nachruf: Schnabel, Franz: Heinrich Ritter von Srbik. 10. 11. 1878 - 16. 2. 1951. In: Jb. d. Bayer. Akad. d. Wiss., 1951, 163-170 u. in: Ders.: Abh./1970, 239-243; 240f. über R.s Darstellung der dt. Gesch., die ‚Funktion‘ des alten Reiches). - Srbiks Ranke-Kapitel erschien 1951 mit dem Titel ‚Leopold von Ranke und sein Geschichtsbild‘ in unproportionierter Form in der auf breite Wirkung abgestellten Zeitschrift ‚Universitas‘. Theodor Schieder, dessen frühere tätige Hinneigung zum Nationalsozialismus (s. I, 527 u. a. Götz Aly: Theodor Schieder, Werner Conze oder die Vorstufen der physischen Vernichtung. In: Winfried Schulze, Otto Gerhard Oexle (Hgg.): Deutsche Historiker im Nationalsozialismus, Ffm. 1999, 163-182) erst spät bekannt wurde, spricht in seinem Essay von 1950, auffallend positioniert in Heft 1 der soeben gegründeten Zeitschrift ‚Geschichte in Wissenschaft und Unterricht‘, über ‚Das historische Weltbild Leopold von Rankes‘ zwar von der „aktuellen politischen und geistigen Not“ (106, Zitate nach Schieder: Begegnungen/1962), jedoch nicht von Verantwortung oder gar Schuld. Da ist ein Zitat, das Schieder aus Rankes ‚Hardenberg‘ einbringt, von angenehm schuldentlastender Bedeutung: „Ich weiß nicht, ob man mit Recht so viel von gemachten Fehlern, versäumten Gelegenheiten, eingetretenen Vernachlässigungen reden darf, wie es geschieht. Alles entwickelt sich über die Köpfe der Beteiligten hin mit einer Notwendigkeit, welche etwas Unvermeidliches wie ein Fatum in sich trägt.“ (120). Demgemäß wird von Schieder überhaupt der „große Gang der Notwendigkeit“ als zu Rankes „tiefsten Überzeugungen“ gehörend dargestellt (122). Schieder sucht bei Ranke weiter nach „unvergänglichen Tönen“, die „in unserem von Schrecken gezeichneten Jahrhundert eine Hoffnung aufrichten.“ (106). Trotz einiger Vorhaltungen gegenüber Ranke, der seiner Zeit doch „mehr verhaftet“ gewesen sei, als man lange habe wahrhaben wollen (127) - dies wohl eine un- bis unterbewußte milde Selbstkritik -, sieht Schieder nicht nur bei Burckhardt, sondern in völliger Verkennung der Werke auch bei Ranke „in der ständigen Ausrichtung der geschichtlichen Fakten auf die Grundfragen des menschlichen Seins die eigentliche Bedeutung“ (ebd.). In dichterisch metaphorischer Weise gelingt es Schieder, wiederum Meinecke ähnlich, allen Widersprüchen zum Trotz in Ranke „eine Stimme wie von einem anderen Ufer“ zu hören, „von dem uns ein reißender Strom trennt, aber sie beschwört eine Welt herauf, von der wir wissen: dies ist unsere Welt.“ (128). Es war Schieders Welt. Karl Kupischs Welt war es 1949 nicht ganz gewesen. Er hatte Rankes Geschichtsanschauung als „nicht von unserer Art“ beurteilt (192). - Gegen Schieder, der damals schon wieder zu einem Lehrstuhl, aber noch nicht zu seinem späteren überwältigenden Einfluß gelangt war, - 550 -

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konnte sich damals auch Johann Albrecht von Rantzau (1900-1993) als Privatdozent in einem Beitrag über ‚Das deutsche Geschichtsdenken der Gegenwart und die Nachwirkungen Rankes‘ (1950) noch äußern, freilich in einer dem Thema wiederum kaum angemessenen essayistischen Kurzform. Schieder habe, so Rantzau, bei seinen Überlegungen zum Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem bei Ranke eine „kritische Auseinandersetzung“ mit dessen „Individualitätslehre“ nicht versucht (ebd.). Wichtiger ist der Ausgangspunkt des von Rantzau gelieferten Beitrags, die Diskussion der von Erich Weniger aufgestellten und von F. Messerschmid (beide in GWU 1/1950) geteilten Forderung nach einer „Geschichtsschreibung mit ausgesprochenen politischen Überzeugungen“ (514). Rantzau weist sodann auf einige in der Ratlosigkeit der Nachkriegszeit stärker in Erscheinung getretene Standpunkte historischen Denkens hin: eine restaurative Betrachtung (Siegfried Kaehler und „bis zu einem gewissen Grade auch Gerhard Ritter“), sodann der wunschbestimmte Standpunkt, „sich auf reines Verstehen und Erklären zu beschränken“, schließlich der Standpunkt einer philosophischen Behandlung der Geschichte, „wie sie Vossler vorschwebt“. Diese Tendenzen seien jedoch nicht die bestimmenden. Die „vorherrschende Tradition“ knüpfe sich „vielmehr auch heute noch an den Namen Ranke an“. Rantzau wirft nun die Frage auf, „wieviel an den bestehenden problematischen Zuständen in unserer historischen Arbeit auf die Nachwirkungen Rankes und auf die von ihm beeinflußte historiographische Richtung zurückzuführen“ sei (517f.). Die schon aus Gründen der Systematik erforderliche Frage nach dem möglicherweise Positiven bzw. des Beibehaltens Würdigen wird nicht gestellt. Rantzau sieht bei Ranke die „Möglichkeit des Relativismus“ „verdeckt“ angekündigt (520), die bei späterem Wegfall von Glaube und Humanität zu einer „Anarchie der Werte und Überzeugungen“ geführt habe. Er lehnt auch die von Herzfeld (in NBrr XXsq.) vorgetragene Verteidigung oder Entlastung der „neurankeschen Schule“ ab, die darauf hinauslaufe, sich ohne ein „festes verpflichtendes Weltbild“ auf „die Handhabung von Methode“ zu beschränken (521). Rantzau plädiert abschließend - nun wohl eher gegen Ranke - in der Historiographie für „Wertung und Entscheidung“ (524). Aus dem Jahre 1946 ist unter dem Titel ‚Die deutsche Aufgabe‘ als Beitrag des ‚Rheinischen Merkur‘ ein Zeugnis Rankescher politischer Indienststellung überliefert. Ausgehend von dessen 1832 in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ veröffentlichtem Aufsatz ‚Ueber die Trennung und die Einheit von Deutschland‘ (HPZ I/2, 1832, 340-388) mit dem Satz „Eine uns eigene große Aufgabe haben wir zu erfüllen: den deutschen Staat haben wir auszubilden, wie er dem Genius der Nation entspricht“, plädiert ein A. Fischer im Interesse der deutschen Besatzungsmächte gegen den deutschen „Einheitsstaat“. Vom Beginn der 1950er Jahre liegen zwei in der westdeutschen Ranke-Literatur nicht sichtbar zur Kenntnis genommene Zeugnisse deutscher kommunistischer Historiker vor, welche in unterschiedlicher Weise weniger als Ausdruck der Selbstbesinnung denn als Anklage Rankes und der deutschen Historikerzunft zu verstehen sind. Walter Markov, Widerstandskämpfer und kommunistischer Neuzeithistoriker (1909-1993) legte 1950 einen Beitrag ‚Zur Krise der deutschen Geschichtsschreibung‘ vor, in dem er, ausgehend von Ranke bis hin zu Theodor Litt, in stark essayistischer Weise Entwicklungen des Geschichtsdenkens verfolgte. Die ‚Krise der deutschen Geschichtsschreibung‘ läßt er nicht später, etwa im Sinne der ‚Krisis des Historismus‘ Heussis, sondern, ein neuer Gedanke, mit dem „endlich ... als überholt“ (113) geltenden Ranke selbst einsetzen. Es geht Markov - wobei auch Meineckes Ranke-Sicht kritisch mit - 551 -

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einbezogen wird - um den Nachweis, daß sich die deutsche Geschichtswissenschaft in Rankes Nachfolge „in eine Sackgasse verirrt“ habe (113). Rankes „Objektivismus“ sei „die notgedrungen anerkannte Unvermeidlichkeit liberaler Konzessionen eines Konservativen“ gewesen, der „sich selbst für das ‚Positive und Bestehende‘“ entschieden habe (114). Die Krise setze mit ihm ein, weil sich die deutsche Geschichtsschreibung zu einem Zeitpunkt auf ihn habe verpflichten lassen, „an dem sein Geschichtsbild die Kapitulation des bürgerlichen Fortschrittstorsos mit den Mitteln einer dahinterliegenden Epoche monumentalisierte.“ (116). Die deutsche Geschichtswissenschaft habe in ihm „ein zumutbares Vorbild“ gesehen, „das ihre wenigen lebendigen Keime bis in die Gegenwart“ überwuchere, und nicht das Ende einer verspätet ausgelaufenen und festgefahrenen prävoltairianischen Linie“ (ebd.). Die These vom ‚Primat der Außenpolitik‘ sei „sachlich“ durch „jede Zeile“ Rankes bezeugt, unterstelle ein „Freund-Feindverhältnis nicht zwischen den Klassen, sondern zwischen den Nationen“ (115) und stelle den „Freipaß“ für die „totale Mobilmachung der Beherrschten für die Zwecke der Herrschenden“ dar (116). - Der durch ein bewegtes militärisches und politisches Leben gegangene Kommunist und Professor für neuere Geschichte an der Martin-Luther-Universität Halle, Leo Stern (1901-1982), veröffentlichte 1952 eine Schrift über ‚Gegenwartsaufgaben der deutschen Geschichtsforschung‘, in der er Ranke u. a. mit einem kleinen Kapitel bedachte: ‚Ranke und der Verfall der deutschen Geschichtsforschung‘ (20-25). Die „romantisch-idealistische, monarchisch-konservative Grundkonzeption der Ranke-Schule, die nationalistische Deformierung des deutschen Nationalbewußtseins und die einseitige Überspitzung des Machtstaatsgedankens in spezifisch preußischer Ausprägung ließen schon ihrer Natur nach eine Darstellung der objektiven geschichtlichen Wahrheit einfach nicht zu“ (20). Dies auch bei „subjektiv ehrlichem Wahrheitsstreben“ (21). Überdies habe sich durch ihre jeder Gesetzmäßigkeit abholde „streng individualisierende Methode“ die Geschichte auf das Besondere und Einmalige reduziert (ebd.), eine Methode, durch welche die ‚Rankesche Objektivität‘ „im Grunde zu einem geeigneten methodologischen Instrument“ geworden sei, „alles zu verstehen, d. h. alles zu rechtfertigen und alles zu verzeihen“ (22). Den deutschen Historikern insgesamt spricht Stern eine „Mission als politische Erzieher ihres Volkes“ zu, die sie nicht erfüllt hätten. Entsprechend der „Rankeschen Grundkonzeption des deutschen Historismus im 19. und 20. Jahrhundert“ hätten sie „Generationen junger deutscher Menschen im Geiste des Machtgedankens, des Militarismus, des Krieges und der Eroberung erzogen und alle fortschrittlichen, freiheitlichen, humanistischen und revolutionären Traditionen in der deutschen Geschichte bis zur Atropie verkümmern lassen.“ (41). Kurt von Raumer hingegen sah in einer an der Universität Münster gehaltenen Vorlesung, welche 1952 erweitert unter dem Titel ‚Ranke als Spiegel deutscher Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert‘ erschien, keine Veranlassung, vor Studenten das Thema ‚Ranke‘ mit einer Selbstbesinnung zu verbinden. Von diesem wußte er nur Gutes zu berichten und sprach recht neutral und metaphorisch lediglich von der „vollkommenen Umpflügung des Bodens, der als politische, soziale und geistige Wirklichkeit die bisherige Frage nach der Geschichte weithin bestimmt“ habe (244). Auch dem bedeutenden Mediaevisten Friedrich Baethgen (1890-1972) lag 1953 der Gedanke einer mittelbaren Verantwortung Rankes fern. Er konstatierte lediglich nahezu exculpierend, die „hohe Sublimierung seiner Geschichtsbetrachtung“ habe ihn „mit einer gewissen Notwendigkeit“ dazu verführt, „die dämonischen Kräfte der - 552 -

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Gewalt und des Bösen, die alle [!] menschlichen Geschicke durchwalten, in ihrer historischen Wirksamkeit zu unterschätzen“ (Baethgen: Päpste-Ausg./1953, XXXVII). Gleichwohl glaubte er in Rankes Anschauung das Streben nach „objektiver Wahrheit“ als weiterhin gültiges „verpflichtendes Ethos“ zu erkennen (XXXIX). - Auch der österreichische Historiker Karl Johannes Grauer, der 1946 einen Beitrag, betitelt ‚Vom Ersten zum Dritten Reich. Deutsche Geschichte in österreichischer Schau‘ veröffentlicht hatte, sah Ranke 1956 zu dessen 70. Todestag nicht in der Rolle eines abzulehnenden, mehr oder minder mittelbaren Förderers nationalsozialistischen Gedankenguts, ganz im Gegenteil forderte er zur „geistigen Rückgewinnung der Jugend in der Sowjetzone ... auch die Schaffung eines klaren Geschichtsbildes, so wie es Ranke im vorigen Jahrhundert erreicht“ habe (12), dies in einem Beitrag über ‚Die Aufgaben der deutschen Geschichtsschreibung‘ in der bezeichnenden Zeitschrift ‚Tradition und Leben. Monatsschrift für christliche Haltung, monarchische Staatsauffassung und nationale Besinnung‘. Grauer war der Überzeugung, es sei „der Fehler der nationalsozialistischen Zeit“ gewesen, „Weltgeschichte nur vom alldeutschen Standort aus zu treiben“, es sei aber „ein gleicher Irrweg der letzten Jahre, nun den Pendelausschlag noch mehr nach links zu richten und nur noch paneuropäische oder globale Geschichtsdarstellung treiben zu wollen. Hier liegt eine eminent wichtige Aufgabe auch im Blick auf die Wiedervereinigung Deutschlands.“ (12). Grauer war offensichtlich kein Kenner der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘ in ihrer europazentristischen Ausprägung. - Selbst der hochrenommierte und hochdekorierte Göttinger Historiker Hermann Heimpel (1901-1988), dessen etwaige nationalsozialistische Einstellungen und Handlungen hier nicht geklärt werden konnten, forderte in einem 1959 erschienenen Vortrag ‚Über Geschichte und Geschichtswissenschaft in unserer Zeit‘, bei der Suche nach einem neuen Verhältnis zur Geschichte eine „genaue Auseinandersetzung mit dem Überlieferten“, nicht zuletzt mit der Geschichtsschreibung Rankes, die „etwas fast Zeitloses“ an sich habe (Heimpel 1959/1960, 64). Der in seiner Dissertation von 1913 über ‚Christofforo Suriano, resident van de serenissime Republik van Venetië in Den Haag, 1616-1623 (‘S-Gravenhage, M. Nijhoff) Ranke thematisch recht nahegetretene niederländische Neuzeit-Historiker Pieter Geyl (1887-1966), der lebensbedrohliche Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus gemacht hatte, hielt im Wintersemester 1951/52 an der Universität Utrecht einen auch in deutscher und in englischer Übersetzung erschienenen Vortrag über ‚Ranke in het licht van de katastrophe‘. Darin bot er einige kritische Andeutungen zum Ranke-Verhältnis Meineckes, der wie viele versuche, „both to revise and to retain“ (15). Hauptsächlich jedoch wirft er darin im Anschluß an einen Artikel des ‚Times Literary Supplement‘ von 1950 die Frage auf „Ranke a pioneer of National Socialism?“ (Geyl/1952, 12). Der Times-Artikel hatte sehr frontal erklärt: „The German interest in Ranke is one attempt among many to evade the responsibilities of the day, as Ranke evaded them, by a sort of political quietism - finding God in history in the hope that He will take the blame for anything that goes wrong ... Ranke spoke of historians as priests; he regarded kings as the most sacred of priests. The State could never sin, and if it did, this was not his affair. This was the spirit of the learned classes in Germany which brought Hitler to power and which still dominates academic circles“ (nicht näher datiert bei Geyl/1952, 12). Geyl ist nach weiteren rhetorischen Fragen recht zurückhaltend und zugleich ambivalent in seiner Antwort: „Ranke assembled certain [!?] tendencies of his age into a mighty system, which then proved to be - 553 -

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possessed of a dynamic of its own. No doubt there were in it evil potentialities mixed with the good. But is not that inherent in our human insufficiency?“ (16). In der Tat gebe es in Rankes Darstellung der Vergangenheit zwar genug Amoralismus und Passivismus, Illusionismus und Spiritualisierung brutaler Kräfte, und doch seien seine heitere Tatsachentreue, sein Erkenntnisstreben, die Offenheit für historische Erscheinungen Eigenschaften, welche in völligem Gegensatz ständen zum revolutionären Fanatismus und Doktrinarismus des Nationalsozialismus (17). - In einem weiteren, am 6. Februar 1954 gehaltenen Vortrag mit dem Titel ‚Fruin tussen Ranke en Macaulay‘ suchte Geyl die Stellung von Robert Fruin (1823-1899), des „grootste Nederlandse historicus“ (so Huizinga), in seiner Geschichts- und Staatsanschauung an einer Konfrontation mit Macaulay und Ranke zu bestimmen. Hans Liebeschütz (1893-1978), deutsch-jüdischer Emigrant, verfaßte bereits 1954 als Lecturer für Geschichte an der Universität Liverpool für die ‚Historical Association‘ (London) eine Ranke-Würdigung, die ihn weder verteidigen noch angreifen, sondern in Leben und Werk lediglich erklären wollte, ebenfalls auf den EuropaGedanken Bezug nahm, indem sie sein Werk als ein Bindeglied mit der Vergangenheit ansah: „not only through its subject-matter, but also as a product of the European mind at an important stage of its development.“ (17). Auch schrieb Liebeschütz 1967 eine Abhandlung für die Schriftenreihe des Leo Baeck Instituts, ‚Das Judentum im deutschen Geschichtsbild von Hegel bis Max Weber, in dem er Ranke ein Kapitel widmete: ‚Das Geschichtsbild der Restaurationszeit: Ranke‘ (43-78). - Immerhin wurde Ranke auch in der von Matthew A. Fitzsimons, Alfred G. Pundt und Charles E. Nowe herausgegebenen, mehrfach aufgelegten Historiographiegeschichte ‚The Development of Historiography‘ (1954 u. 1967) in den ‚Staaten‘ um diese Zeit wieder als „the greatest master of historical criticism“ (188) angesprochen, dabei aber seiner ‚Deutschen Geschichte‘ ein gewisser Nationalismus beigelegt, den Ranke in den 1820er Jahren noch vermieden habe. Fitzsimons brachte ähnlich anspruchslos eine fortschreitende Betrachtung der Werke Rankes in einem 1980 erschienenen Beitrag: ‚Ranke: History as worship‘.

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2. Kapitel (I/2.5.2) DIE HISTORISCH-POLITISCHE PERSPEKTIVE Vorbemerkung (I/2.5.2.0) Mit nur geringer Übertreibung kann von einer unverzüglich in der Ranke-Editorik einsetzenden historisch-politisch geprägten pädagogischen Offensive gesprochen werden, der neben fachhistorischen auch popularisierende Initiativen folgten. Sehr bald kam es nach einer generellen Pause in den Jahren 1946 und 1947 wieder zu Ausgaben des ‚Politischen Gesprächs‘, das 1949 durch die ‚Control Commission for Germany‘ für den Gebrauch an Schulen, im besonderen für ‚Westermanns Quellen und Darstellungen zur Gemeinschaftskunde‘ genehmigt wurde und bald auch Eingang in ein ‚Deutsches Lesebuch Unterprima-Oberprima‘ fand. 1950 folgten im Bayerischen Schulbuch-Verlag in den ‚Arbeitsheften für Geschichte und Sozialkunde‘ bereits ‚Die Großen Mächte‘, wie von Willy Andreas angeregt. - 1955 schloß sich Theodor Schieder mit einer mehrfach aufgelegten Ausgabe der ‚Großen Mächte‘ und des ‚Politischen Gesprächs‘ an, welche sich durch ein bemerkenswertes Nachwort auszeichnet (s. I, 573). Überhaupt hat Schieder im Zusammenhang mit seiner Mitgliedschaft und späteren Präsidentschaft bei der Historischen Kommission - wenn auch mit eingeschränktem Erfolg - als editorischer Hauptförderer Rankes gewirkt. 1957 begann Willy Andreas, mit einigen Ungereimtheiten, Modernisierungen und Weglassungen die ‚Hauptwerke‘ Rankes in zwölf Bänden popularisierend herauszugeben, in einer Verlagsvariante identisch auch Rankes ‚Historische Meisterwerke‘. Der darin enthaltenen ‚Preußischen Geschichte‘, welche in mehreren Auflagen erschien, waren stets die ‚Großen Mächte‘ vorangestellt. - Mit rechtslastiger Bedeutung kam eine von HansJoachim Schoeps (1909-1980) 1965/1966 besorgte, 1981 posthum wiederholte Ausgabe von Rankes in dieser Form und zeitlicher Ausdehnung nie geschriebener ‚Preußischer Geschichte 1415-1871‘ daher. Kompiliert fanden sich darin vier Werke (12BPreußG, DtMächte, HARD, ZGDF) sowie kleinere Texteinheiten (aus AuV, SW 53/54, WG IX/2) wieder, - eine Ausgabe, die ausdrücklich „für die breitere Öffentlichkeit“ bestimmt war (7). Die Einleitung des bekennenden Monarchisten Schoeps endete mit dem werbenden Satz: „Der konstitutionelle Rechtsstaat auf dem Boden des monarchischen Prinzips und die Idee der religiösen Toleranz - das war für den größten deutschen Geschichtsschreiber die preußische Weltmission.“ (21). - Nachdem Kurt von Raumer im Wintersemester 1965/66 in Münster ein Mittelseminar über ‚Rankes Historisch-Politische Zeitschrift‘ abgehalten hatte (s. Angermüller/1965), kam es 1981 gar zu einem verdienstvollen Gesamt-Reprint der 1832-1836 erschienenen Zeitschrift. Aus späterer Zeit ist eine Ausgabe der ‚Großen Mächte‘ und des ‚Politischen Gesprächs‘ von Ulrich Muhlack (1995) zu nennen und 2005 ein Nachdruck des von Friedrich Meinecke 1924 herausgegebenen und eingeleiteten ‚Politischen Gesprächs‘. All dies sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß das historisch-politische Interesse an Ranke durch den späteren steilen Aufstieg einer schließlich dominierenden literaturwissenschaftlich-ästhetischen Betrachtung weit zurückfiel. Die historisch-politische Perspektive, welche nach dem Kriegsende verständlicherweise im Vordergrund stand, galt überwiegend alten Themen, dem Primat der Außenpolitik‘, der nunmehr häufig, vor allem von Seiten der Politikwissenschaft, abgelehnt wird, dem Modell der ‚Großen Mächte‘ und Rankes im allgemeinen geschätztem Europagedanken, gelegentlich seiner - 555 -

I/2.5.2.1 Seit dem II. Weltkrieg - Die historisch-politische Perspektive

Bedeutung als politischer Denker und ‚Politiker, galt seiner historisch-politischen Begrifflichkeit von ‚Volk‘, ‚Staat‘, ‚Nation‘, ‚Reich‘, auch dem Thema ‚Revolution‘ unter Einbeziehung der entsprechenden Nationalgeschichten, der preußischen Geschichte mit dem Bild Friedrichs d. Gr. und zunächst noch seinem schon immer kontrovers beurteilten Verhältnis zu Bismarck. Rankes Ansätze zu einer Theorie der Politik werden zum Teil massiv kritisiert als eine übergewichtige Staatsanschauung. Rank e und d ie po litisch en Bew egung en sein er Zeit, P reuß isch e G es ta lten in G e sch ich te und Geg enw ar t, D as Prob lem d er Zeitgesch ich tsschr eibung (I/2.5.2.1) In ihrer von Gerhard Ritter angeregten Dissertation über ‚Rankes Stellung zu den politischen Bewegungen seiner Epoche‘ versuchte Hannegrete Wallauer 1953 einleitend eine Darstellung der Entwicklung von Rankes politischen Anschauungen, um dann - in davon ungerechtfertigt getrennten Kapiteln - seine Auseinandersetzung mit den konstitutionellen (Stellung zu Monarchie u. Volkssouveränität), nationalen (u. a. Stellung zur „Bismarckschen Lösung der Deutschen Frage“) und kirchenpolitischen Problemen und Ereignissen des 19. Jahrhunderts zu schildern. Die aus Quellen (namentlich Briefen und tagebuchartigen Aufzeichnungen Rankes) und Literatur gut informierte und in der Beschreibung des ‚Wie es gewesen‘ gut lesbare Arbeit hat allerdings geringere Vorzüge hinsichtlich der Frage nach dem individuellen und allgemeinen ‚Wie es geworden‘ der Rankeschen politischen Anschauungen bzw. ad-hoc-Einstellungen. Von den beiden großen Möglichkeiten - Rankes Stellung im allgemeinen politischen Denken der Zeit (letzteres als ‚hintergründiges‘ Erkenntnisziel) und Rankes Stellung zu den politischen Bewegungen im Hinblick auf seine Geschichtsschreibung als eigentliches Erkenntnisziel zu untersuchen - nimmt die Verfasserin keine mit Entschiedenheit wahr. So oder so hätte, bei aller sonstigen Umsicht, zum einen mehr Licht auf die Abhängigkeit Rankes von Anschauungen seines konkreten und recht bezeichnenden gesellschaftlich-politischen Umgangs fallen müssen und zum anderen das historiographische Werk in stärkerem Maße auf seine staatlich-politische Prägung hin untersucht werden müssen. Im abschließenden Kapitel „Ranke und wir“ geht es der Verfasserin darum, in einer recht überzeugenden Auseinandersetzung mit L. Dehio, Th. H. v. Laue und J. Burckhardt herauszufinden, „was uns Ranke mit seinen politischen Einsichten heute noch zu sagen hat“ (2). Letzterem gegenüber - eine ungewöhnliche Feststellung erscheint ihr Rankes „vermittelnde Haltung, mit der er den neuen Bewegungen, zwar oft zögernd und vorsichtig, Lebensberechtigung und Wirksamkeit zusprach und sich um eine neue Synthese bemühte, wesentlich fruchtbarer.“ (135). Die von Kurt von Raumer angeregte, 1957 erschienene, vielbeachtete Münsteraner Dissertation über ‚Ranke und die soziale Welt‘ des späteren neuzeithistorischen Lehrstuhlinhabers Rudolf Vierhaus (1922-2011) untersuchte den „biographischen Hintergrund“, Rankes Individualitätsgedanken und „das Problem der überpersönlichen Mächte“, seinen Entwicklungsgedanken und „das Problem der Revolution“ (v. a. in GRGV, FuV, SerbRev, HPZ, DtG, 9BPreußG, den Politischen Denkschriften, FranzG, EnglG u. WG) auf außerordentlich breiter Basis also. Auch werden Vergleiche Ranke Burckhardt - Tocqueville - Lorenz v. Stein angestellt. Das Werk ist abgefaßt unter teilweiser Veröffentlichung einiger Stücke aus dem Nachlaß Rankes, u. a. von Vorlesungen (nach Berg/1968, 97, A. 64 fehlerhaft. - 242ff ist nach Kessel/1962, 26, A. 22, „mit Auslassungen und Lesefehlern gedruckt“). Die engagierte Arbeit kann bei manchen - 556 -

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Vorzügen ihrer Vielseitigkeit und Methodik eine gewisse ungerechtfertigte GrundApologetik nicht verleugnen. Die vermeintliche Erkenntnis, „daß Rankes spiritualistisch-realistisches Verständnis der geschichtlichen Welt auch die sozialen Zustände und Bewegungen“ mit eingeschlossen habe, „ohne sich indes auf diesen Bereich des historischen Lebens zu konzentrieren“ (215), ist - ein später Rettungsversuch - im Ganzen unzutreffend, und war, abgesehen von Rankes geringer standesbezogener Neigung, schon aus seiner sozial höher greifenden Quellenauswahl nicht zu konstruieren. Unter den z. T. renommierten Rezensenten der Dissertation (s. II/9.5 s. v. Vierhaus/1957) äußerte sich der Ranke-Kenner Theodore H. von Laue im Grundsätzlichen ablehnend: „How cognizant was Ranke of the corpus of social knowledge existing in his time? Vierhaus does not seem to be better informed than his hero.“ (1958/199). Ob Otto Vosslers 1961 erschienener Beitrag über ‚Ranke und die Politik‘ bereits wesentlich früher verfaßt wurde, konnte nicht geklärt werden. Jedenfalls sind hier seine wenigen beiläufigen kritischen Bemerkungen des Jahres 1943, die im Verhältnis von Historie und Philosophie zu Recht vor allem dem „schwachen Methodologen“ Ranke galten (Rankes historisches Problem, hier nach Ges. Aufss./1964, 191), in einem anderen Bereich erheblich verstärkt, so daß nun von einer der schärfsten Kritiken an Ranke überhaupt gesprochen werden muß. Die Systematik des dem Thema ‚Historie und Politik‘ literaturfrei gewidmeten anregenden Essays geht von der politischen Tätigkeit Rankes über zu seiner ‚Theorie‘, um schließlich auf Grund dessen „eine andere Lösung des Problems“ im Verhältnis von Geschichtswissenschaft und Politik vorzuschlagen. Die Betrachtung von Rankes ‚Historisch-politischer Zeitschrift‘ führt zu der Feststellung, er habe darin „die deutsche Einheit des 19. Jahrhunderts als bloßes Weiterbestehen der deutschen Einheit früherer Jahrhunderte“ aufgefaßt und damit „die stärkste politische Kraft seines Jahrhunderts, eben den nationalen Freiheitswillen“, verkannt (Vossler/(1961) 1964, 169). In Rankes Aufsatz ‚Ueber die Trennung und die Einheit von Deutschland‘ (HPZ I/2, 340-388) sieht Vossler ihn nicht als unpolitisch, sondern als „antipolitisch“. Schärfer als später Eckart Conze, der in einem Beitrag ‚Der Historiker als Politikberater. Leopold von Rankes politische Denkschriften 1848-1851‘ urteilte, sie seien „kluge historisch-politische Analysen“ gewesen, hätten jedoch „als politische Handlungsanweisungen im engeren Sinne … nur wenig“ getaugt (E. Conze/ 2001, 37) und wohl schärfer als jeder zuvor Urteilende, ließ sich Vossler über Rankes Vorschläge aus. Sie seien „politisch völlig unbrauchbar“ und „die Diagnose der politischen Lage ... völlig unbefriedigend.“ (171). Dies nimmt Vossler nicht nur in den Denkschriften für Friedrich Wilhelm IV., auch in den ‚Päpsten‘ und in der Stellung zu Bismarck wahr, den Ranke „nicht verstanden“ habe (173), ja, im Hinblick auf Bismarck gebe „Ranke als Historiker nachträglich seinen Segen zu dem, was Ranke als Politiker in der Gegenwart verflucht“ habe (174). Was Rankes politische ‚Theorie‘ angeht, so glaubt Vossler feststellen zu müssen, daß es in der Antrittsvorlesung ‚Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine‘ von 1836 „kaum einen Satz“ gebe, „der nicht zu entschiedenem Widerspruch“ reize (178). Die Bedeutung der Historie für die Politik sei „ungleich größer“, als Ranke wisse (181). Sie liege nicht in einer Meisterin- oder Dienerin-Rolle, sondern darin, daß sie überhaupt die den Menschen bildende Voraussetzung politischen Tuns sei (182). - Vossler schließt mit einem unerwarteten Dank an Ranke : „Was verdanken wir ihm nicht an tiefer Einsicht in das Menschenschicksal, in die Sinnerfülltheit und Vernünftigkeit der Geschichte, an Ehrfurcht vor der Vergangenheit, an Toleranz und Humanität“ (183). Die Vernünftigkeit - 557 -

I/2.5.2.1 Seit dem II. Weltkrieg - Die historisch-politische Perspektive

der Geschichte in der Sicht Rankes war von Vossler bereits 1943 betont worden (Rankes historisches Problem/[1943, 1954], 1964, 191). Es erstaunt, daß dies nach dem Erleben des Zweiten Weltkrieges von Vossler unbelehrbar noch um die Kategorien von ‚Sinn‘ und ‚Ehrfurcht‘ vermehrt wurde. * Nicht leicht zu bestimmen ist das Verhältnis Bismarcks zu Ranke. Es finden sich nur wenige greifbare quellenmäßige Ansatzpunkte (u. a. Ranke-Lektüre: Fehling/1922, Wissenschaftspolitik: Griewank/1952). Seine Äußerungen über Ranke sind rar. Ob folgende glaubhaft ist, sei dahingestellt: „Der alte Ranke ist doch ein Esel“ (Pflanze [I]/ 1997, 555). In der Gegenrichtung steuerte Holger Mannigel in seinem WallensteinWerk den Gedanken bei, Rankes ‚Wallenstein‘ könne „als historisch verklausulierte Kritik Rankes an der Bismarckschen Machtpolitik gelesen werden, die für die Zeitgenossen leicht zu dechiffrieren war“ (2003/541). Das seit der Jahrhundertwende mit im Vordergrund stehende Thema ‚Ranke und Bismarck‘, das hier nicht anhand der ‚gesamten‘ Bismarck-Literatur erörtert werden kann, dies gilt auch für Friedrich d. Gr., wurde nach dem Zweiten Weltkrieg u. a. aufgegriffen von Franz Schnabel in einem Beitrag ‚Das Problem Bismarck‘ (1949/50. Zitiert nach Abhh. u. Vortrr./1970), der in der abgehobenen Manier seiner Vorgänger (s. I, 448, 453-457) einen kurzen literatur- und quellenlosen Vergleich Rankes mit Bismarck versuchte, allerdings, wie seine Formulierungen und Herleitungen auch hier zur Genüge zeigen, von erheblich bescheidenerem Zuschnitt. Im Gegensatz zu Srbik, der das Verhältnis Ranke-Bismarck wohl mit Recht als distanziert ansah (Srbik: Geist I/1950, 277f.), und die im Folgenden betrachteten Wilhelm Mommsen und Stephan Skalweit, gehören nach Schnabel - so hatte man dies auch im ‚Dritten Reich‘ gesehen Ranke und Bismarck „aufs engste zusammen, und alles, was ihnen sonst noch gemein ist - die objektive Erfassung der Wirklichkeit, die Überzeugung vom Primat der Außenpolitik, die Lehre vom Machtstaat und von der Gesetzmäßigkeit des politischen Handelns -, kommt aus der Schule der alten Diplomatie.“ (204). Eine epatierende ‚Feststellung‘, der man in dieser platten Ausschließlichkeit, besonders hinsichtlich der angesprochenen Wirklichkeitserfassung, nicht zustimmen kann. - Völlig gegensätzlich urteilte der zuvor nationalsozialistischem Gedanken-‚Gut‘ nicht gänzlich fernstehende, bei Meinecke promovierte politische Historiker Wilhelm Mommsen (1892-1966). In seinem Beitrag von 1952 ‚Zur Bedeutung des Reichsgedankens‘ vertrat er die Auffassung, Rankes Preußentum wurzele in der Welt Friedrich Wilhelms IV., und als mehrfach ausgewiesener Kenner des Reichskanzlers setzte Mommsen Ranke entschieden und wohl berechtigt von Bismarck ab. Seine „Stellung zu Bismarck und zur Reichsgründung“ sei „nicht zuletzt dadurch bestimmt“, daß er „diese Politik als Bündnis mit Liberalismus und Revolution“ empfunden habe. Auch sei er „viel stärker von seinen innenpolitischen Grundanschauungen getragen, als es das sehr mißverständliche Wort vom Primat der Außenpolitik“ ausdrücke (394). Nicht minder textforschend orientiert, wenn auch mit ein wenig zu geringer Distanz, trat Mommsens 1954 erschienenes, auf ältere Vorarbeiten zurückgreifendes Werk über ‚Stein, Ranke, Bismarck. Ein Beitrag zur politischen und sozialen Bewegung des 19. Jahrhunderts‘ auf, in dem er zeigte, daß der Stein und Goethe nahestehende, aber oft an Bismarck herangerückte Ranke nur bedingt als dessen Vorläufer anzusehen sei. Dies sei „begrenzt richtig für die Auffassung von den Großen Mächten“, - 558 -

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gelte aber nicht „von Rankes politischer Haltung und im besonderen nicht von seiner Stellung zur deutschen Frage“. (79). Selbst nach 1871 sei im Grunde „die Welt des Deutschen Bundes“ Rankes „Ideal“ geblieben (174), wie Mommsen in einem Kapitel über ‚Ranke und die Reichsgründung Bismarcks‘ (160-175) zeigt. Mit ähnlicher Gründlichkeit ging Stephan Skalweit (1914-2003) vor, der wohl aufgrund seiner Archivausbildung Quellen überhaupt nahe stand. Er kam auf damals leicht verbesserter Grundlage in einer umsichtigen und methodisch durchgeführten Untersuchung ‚Ranke und Bismarck‘ (1953), welche in der Nachfolge Diethers v. a. die von Lenz und Meinecke ausgeblendete wechselseitige Sicht und Stellung Rankes und Bismarcks berücksichtigte, zu dem Ergebnis einer „tiefen Kluft“ des „schöpferischen Staatsmannes“ von der hinter den Widersprüchen zu ergründenden „politischen Anschauungsweise des Gelehrten“ (290). Wenig zuvor hatte, wie bemerkt, Heinrich von Srbik, wenn auch aus großösterreichischer Perspektive das Verhältnis RankeBismarck wohl mit Recht als distanziert angesehen (Srbik: Geist I/1950, 277f.). Noch zu nutzen gewesen wäre von Skalweit eine auch sonst unterlassene Betrachtung des gespannten Verhältnisses des mit Ranke eng befreundeten und meinungsaustauschenden Edwin von Manteuffel zu Bismarck. (Siehe ‚Denkwürdigkeiten des Generals und Admirals Albrecht v. Stosch‘/1904). - Für Skalweits Ranke-Verhältnis sind zwei weitere Spezialuntersuchungen zur preußischen Geschichte von Interesse, zunächst ein Aufsatz von 1951 über ‚Das Problem von Recht und Macht und das historiographische Bild Friedrichs des Großen‘, - eine sekundärliteraturfreie, knappe, v. a. auf Küntzel (Ed./1930, Einl.) beruhende, gleichwohl überzeugende Skizze, die von Rankes ‚Neun Büchern Preußischer Geschichte‘ bis in die Zeit des Nationalsozialismus reicht. Skalweit widmet sich v. a. dem Gegensatz Ranke („harmonisierend“) -Droysen („voluntaristisch“) und geht dann über zum Friedrich-Bild und Machtbegriff Treitschkes, zu Onno Klopp, R. F. Kaindl, greift zurück auf Macaulay und behandelt nach der Friedrich-Darstellung Goochs die Franzosen de Broglie und Lavisse, abschließend die Deutschen Koser, Meinecke, Berney u. Gerhard Ritter. - Rankes ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ stellten, so Skalweit, „eine entschiedene Absage an die herrschende nationale und liberale Zeitströmung“ dar. Seine „tiefe Sympathie mit der 1815 geschaffenen Mächteordnung“ habe ihn in seiner Darstellung Friedrichs d. Gr. zu Harmonisierungen, Verhüllungen, Entstellungen geführt. Biographisch-zeitgeschichtlich bemerkenswert ist die Feststellung Skalweits, die moralische Verantwortlichkeit der handelnden Persönlichkeiten trete bei Ranke „immer wieder zurück vor der inneren Notwendigkeit des Hergangs und der überindividuellen Macht des Staatsinteresses“ (95). Eine weitere Untersuchung Skalweits betraf 1957 ‚Friedrich Wilhelm I. und die preußische Historie‘. Hierin verglich er Rankes Darstellung Friedrich Wilhelms in den ‚Zwölf Büchern Preußischer Geschichte‘ mit der Droysens in dessen ‚Geschichte der Preussischen Politik‘, z. T. wieder auf Küntzel (Ed./1930, Einl.) beruhend. Für Droysen habe der preußische Staat seine „Daseinsberechtigung allein daraus“ empfangen, daß er „mehr als Macht unter Mächten“ gewesen sei. Er wurde für Droysen „zum Träger einer sittlichen und nationalen Mission, deren Erfüllung - die von Droysen mit heißem Herzen ersehnte Reichseinheit - nur im Kampf gegen jene Friedensordnung errungen werden konnte, in der Ranke die dauernde Grundlage Europas und der deutschen Dinge erblickte.“ (112). Die neuere Forschung sei in der Beurteilung zweifellos nicht Droysen, sondern Ranke in seiner „Konzeption von der Selbstverwirklichung des preußischen Staates im Rahmen der ‚Großen Mächte‘ (115) gefolgt. - 559 -

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Der später höchst einflußreiche, politisch orientierte Historiker Walter Bußmann (1914-1993) beteiligte sich 1951 mit einem allzu knappen Beitrag über das mehrbändige Thema ‚Friedrich der Große im Wandel des europäischen Urteils‘ an einer Festschrift für Hans Rothfels. Rankes „wissenschaftlich-politisches Ziel“ sei „der Nachweis einer inneren Zugehörigkeit Preußens sowie dessen größten Königs zur europäischen Geschichte“ geworden, im Sinne einer durch ihn erreichten „Vollendung“ der Ordnung des europäischen Staatensystems. Zweifellos habe Ranke in seinem Friedrichbild die dieser „harmonischen Auffassung“ widersprechenden Züge „wegretuschiert“. Bei Rankes „Antipoden“ Droysen hingegen gelte Friedrich nicht als Vollender, sondern als „Überwinder“ des europäischen Staatensystems (381). Bußmann behandelt ferner v. a. Klopp, Lassalle, Mehring, Koser, Dilthey, Meinecke, Srbik, G. Ritter sowie Macaulay, Carlyle, Gooch und Michelet, de Broglie, Lavisse, L. PaulDubois. Es ist reizvoll, die für Ranke wieder v. a. auf Küntzel (Ed./1930 u. 1936) beruhenden wie auch die weiteren Ausführungen Bußmanns mit der ihm erst nach Abschluß des Beitrages zugänglichen Skizze von Skalweit (1951) zu vergleichen. Anläßlich der 150. Wiederkehr des Gründungstages der Humboldt-Universität, Berlin, hielt Bußmann 1960 einen Ranke-Vortrag, der unter der Überschrift ‚Ranke war kein Wegbereiter Bismarcks‘ zumindest journalistisch teilweise überliefert ist. Dabei wird Rankes Übereinstimmung mit dem „konservativen Preußen“ konstatiert, „ohne daß er jemals einen Rest von Distanz dazu aufgab, aber nicht mit dem altkonservativen oder mit dem liberalen“ und: „Eine moralisch indifferente Realpolitik kann sich auch nicht auf den scheinbaren Positivismus der Rankeschen Historie berufen...“ (H[arm?] K[lueting?]/1960). Der Vortrag überschätzt die in einigen Früh-Sentenzen Rankes beschworene Geistigkeit und Moralität der historischen Potenzen (die sich nicht allein in seinen Vorträgen vor Maximilian anders darstellen) und verkennt v. a. die Bedeutung der Reichsgründung für Rankes preußisch-deutsches Nationalgefühl. - (Zu Bußmanns 1990 erschienenem Werk ‚Zwischen Preußen und Deutschland. Friedrich Wilhelm IV. Eine Biographie‘ s. II/342). Ein wenig umfangreicher als Bußmann behandelte der spätere Wirtschafts- und Sozialhistoriker Karl Erich Born das Friedrich-Thema in seiner Kölner Dissertation von 1953, ‚Der Wandel des Friedrich-Bildes in Deutschland während des 19. Jahrhunderts‘. Nach Borns Auffassung weicht Rankes Urteil über Friedrich d. Gr. in seinem Gutachten über die politischen Testamente erheblich ab von dem Urteil, „das er als Historiker über den König ausgesprochen hat“ (43), denn in seinem Gutachten urteile er „als Politiker, der sich der Meinung der Regierung anschließt“ (ebd.). Born betrachtet sodann Rankes Friedrich-Darstellung in den ‚Großen Mächten‘ und in den ‚Neun Büchern‘: „Friedrichs geschichtliche Leistung“ sehe Ranke „in der Erhebung Preußens zur Großmacht“ als „wesentlicher Voraussetzung des europäischen Gleichgewichts“ (71), eine Einsicht, die stark an Bußmann erinnert. Hinter dieser positiven Bewertung verschwinde bei Ranke jedoch „ganz die Schwere des von Friedrich begründeten preußisch-deutschen Gegensatzes“ (72), und es trete auch „die Bedeutung seines Machtwillens als treibende Kraft seiner Politik ... zurück hinter der Notwendigkeit, hinter dem Zwang der Verhältnisse.“ (73), dies nun eine Einsicht, die stark an Skalweit (1951, 95) erinnert. Gerade deswegen sei seine ‚Preußische Geschichte‘ „vielfach auf Ablehnung gestoßen“ (73). Born betrachtet dabei besonders (73f.) die Kritik Zimmermanns (1848). Häusser wird ausführlich behandelt, jedoch kaum im direkten Hinblick auf Ranke. Im übrigen ist Borns Kenntnis der zeitgenössischen Kritik und der - 560 -

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späteren Literatur nur gering (z. B. wurden die Arbeiten von Kohn/1923 und Küntzel/ ed. 1930 u. 1936 nicht benutzt). Abschließend ist die Bemerkung von Interesse, in den nach 1871 veröffentlichten Werken ‚Deutsche Mächte‘ (1871) und Friedrich-Biographie (1878) sei Rankes Friedrich-Bild gegenüber den ‚Großen Mächten‘ und den ‚Neun Büchern‘ gewandelt: Nunmehr sei eine stärkere Betonung der „national-deutschen, anti-österreichischen Seite an der Regierung des Königs“ eingetreten (105). - Borns GWU-Aufsatz von 1955, betitelt ‚Friedrich der Große im Urteil der preußischen Konservativen‘, ist ein verkürztes und verändertes Kapitel seiner Dissertation. - Einige geistreich pointierte Formulierungen über Ranke, i. b. seine Staatsauffassung und das Verhältnis zu Hegel (11-16), enthält Rudolf Augsteins (1923-2002) 1968 erschienenes Buch über ‚Preußens Friedrich und die Deutschen‘ (Ffm. 1968), über Rankes FriedrichBild allerdings nichts Nennenswertes. - Der DDR-Historiker Heinz Kathe (geb. 1940) war in seinem 1973 erschienenen Werk ‚Die Hohenzollernlegende‘, Berlin (Ost), der Auffassung, Ranke zeichne in seiner ‚Preußischen Geschichte‘ ein „im wesentlichen makelloses, strahlendes Hohenzollernbild“, das sich auf alle Vertreter der Dynastie erstrecke (ebd.). Seine Darstellung Friedrichs II. diene „der Verklärung und Verherrlichung des preußischen Militärstaates“ (43). Neben Hegel und Friedrich Julius Stahl habe Ranke zu jenen gehört, „die maßgeblich zur Ausprägung der unrühmlich bekannten ‚staatsfrommen Tradition‘ in Deutschland beitrugen“ (45). Kathe scheint die seinen Thesen nicht ganz entgegenkommende ablehnende zeitgenössische Reaktion auf Rankes Preußen-Werk unbekannt zu sein. * Nachdem Franzjörg Baumgart 1976 in seiner durch Rudolf Vierhaus angeregten Dissertation über ‚Die verdrängte Revolution‘ einen bemerkenswerten Abschnitt über ‚Die Rechtfertigung Friedrich Wilhelms IV. durch Ranke‘ vorgestellt hatte (109-112), in dem er vorwiegend der politischen Tendenz der antiliberalen Rankeschen Veröffentlichungen von 1873 (‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘) und 1878 (‚Friedrich Wilhelm IV.‘) und seiner als Wiederholung von 1789 gedeuteten Revolutionsauffassung nachgegangen war, hielt der Neuzeit-Historiker Hans-Christof Kraus (geb. 1958) 1999 auf einem Ranke-Colloquium in Wiehe einen 2001 unter dem Titel ‚Ranke als Zeitgenosse. Seine Arbeiten zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV.‘ überarbeitet erschienenen Vortrag, der das Thema mit solider Quellen- und Literaturkenntnis behandelte, allerdings, wie dies zumeist geschieht, erheblich einlässlicher den Untertitel als den Obertitel. Kraus ging aus von der Feststellung, Ranke habe in diesen Arbeiten von 1873 und 1878, „wie es scheint, gleich gegen drei von ihm immer wieder eingeschärfte methodische Grundprinzipien ganz bewußt verstoßen: erstens gegen das ... Objektivitätspostulat“. Schon zu Lebzeiten Rankes war, so darf man hinzufügen, Rezensenten Rankes aus persönlicher Neigung erwachsene Objektivitätsmängel bei diesem Unternehmen nicht verborgen geblieben (s. I, 317-321 u. I, 336f.), und zum Thema von Rankes Staatsauffassung und Stellung zur Zeitgeschichte war bereits 1922 eine allerdings nicht sehr ergiebige Dissertation erschienen (Martin Freytag/1922). Zweitens, so fährt Kraus fort, habe Ranke dabei verstoßen „gegen die eigenen Bedenken gegenüber der Gattung einer rein biographischen Behandlung historischer Gegenstände und drittens schließlich gegen die Beschäftigung mit der unmittelbaren Zeitgeschichte, was Ranke wegen der mangelnden Distanz des miterlebenden Betrachters für durchaus bedenklich gehalten“ habe (39). Kraus zeigt nun, welche äußeren Veranlas- 561 -

I/2.5.2.1 Seit dem II. Weltkrieg - Die historisch-politische Perspektive

sungen und inneren Gründe Ranke bewogen hatten, sich der Aufgabe dennoch zu unterziehen, damit zugleich eine „Art ‚politischer Pädagogik“ hervorzubringen, welche in der „Rehabilitierung des nach seiner Auffassung verkannten Monarchen“ und in dem Bestreben, „der frühen Gründerzeit einen historischen Spiegel vorzuhalten, um bestimmte Defizite der eigenen Gegenwart zu erkennen“ (49), bestanden habe. Für Kraus steht, wie angedeutet, Rankes allgemeines Verhältnis zur Zeitgeschichte und zum Problem der Zeitgeschichtsschreibung nicht im Vordergrund. Andernfalls hätte neben der von ihm genannten Arbeit von Vierhaus von 1957 über ‚Rankes Verständnis der „neuesten Geschichte“, untersucht auf Grund neuer Quellen‘, auch der im selben Jahr erschienene Aufsatz von Fritz Ernst über ‚Zeitgeschehen und Geschichtschreibung. Eine Skizze‘ (1957), herangezogen werden können, der Rankes, Treitschkes, Droysens und Burckhardts Stellung zum Problem der „Zeitgeschichtsschreibung“ behandelt. Ernst berücksichtigte für Ranke v. a. dessen Gervinus-Gedenkrede von 1871, der sich auch Schulin in einem Aufsatz über ‚Zeitgeschichtschreibung im 19. Jahrhundert‘ zuwandte (1971). Das für die Thematik wichtige Werk, die ‚Serbische Revolution‘, nicht zuletzt noch in der erweiterten Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘, blieb bei Ernst, wie manches andere auch, unberücksichtigt. - Die genannte Arbeit von Vierhaus aus 1957 begann mit einer allgemeinen Betrachtung des ‚epochalen‘ [!] Geschichtsbewußtseins Rankes, erwachsen aus dem überbetonten Erlebnis des „Krisencharakters seiner Gegenwart“. Daß Ranke sich „so nachdrücklich mit der neuesten Geschichte“ beschäftigt habe (87), wie Vierhaus glaubt, bedeutet eine Verschiebung der Gewichte im Gesamtschaffen Rankes, für die auch die mangelnde Einschätzung des keineswegs gleichgewichtigen Verhältnisses von Vorlesungen und Schriften Rankes bezeichnend ist. Vierhaus hat sich dabei weniger von den methodologisch-systematischen Notwendigkeiten des Themas leiten lassen, als von seiner Vertrautheit mit einer dem Nachlaß abgewonnenen bestimmten Textgattung. So gründete er seine anregende Untersuchung verdientermaßen, jedoch unzulässig einseitig, auf Teile aus Vorlesungen Rankes über ‚neueste Geschichte‘, wohingegen die diesem Zeitraum gewidmeten Aufsätze der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ und zahlreiche Werke Rankes, wie seine Arbeiten zu Friedrich Wilhelm IV. und das gesamte preußisch-deutsche Spätwerk, nicht berücksichtigt werden. Rankes Vorlesungen bediente sich hinsichtlich der ‚Neuesten Geschichte‘ auch Eberhard Kessel in einem 1962 erschienenen Beitrag über ‚Rankes Auffassung der amerikanischen Geschichte‘. Der Beitrag (dem Aufzeichnungen zu einem 1960 gehaltenen Vortrag zugrunde liegen), findet seine materiale Grundlage zum geringsten in den Werken Rankes, die von amerikanischer Geschichte nur sehr gelegentlich handeln, sondern eben in Rankes Vorlesungen, für deren teilweise mühsame Auswertung Kessel besonderen Dank verdient. Er beschränkte sich bei seiner Analyse jedoch auf die unmittelbare Vor- und Frühgeschichte der Vereinigten Staaten von Nordamerika einerseits und hinsichtlich der Quellen auf ein Vorlesungsmanuskript Rankes, ‚Neueste Geschichte‘, im Überarbeitungsstand von 1868. Gelegentlich werden Hörernachschriften von J. Burckhardt, S. Hirsch, K. v. Schlözer und G. Waitz hinzugezogen. Als „Quellen“ Rankes erweisen sich v. a. G. Bancroft, E. Burke, Chr. D. Ebeling, David Ramsay und A. de Tocqueville. Der Beitrag enthält auch hinsichtlich der ‚Amerikaauffassung‘ im weiteren Sinne aufschlußreiche Vergleiche Rankes mit Joh. v. Müller, Hegel, Heeren und Droysen. Man fragt sich, ob vielleicht auch Fäden zu Rankes Berliner Kollegen Fr. v. Raumer (u. a. ‚Die Vereinigten Staaten von Nordamerika‘, - 562 -

I/2.5.2.2 Seit dem II. Weltkrieg - Die historisch-politische Perspektive

Lpz. 1845, nach seiner Amerikareise entstanden) hätten aufgedeckt werden können. Was dem Beitrag, wie Kessel selbst bemerkt, nur den Charakter einer „vorläufigen Mitteilung“ verleiht, ist das noch nicht tief genug vorgetriebene Eindringen in den Bestand der für die Ranke-Forschung damals noch weithin neuen Quelle seiner Vorlesungen. - Den Vorlesungen allzu einseitig verhaftet blieb der überaus kurze Beitrag Eberhard Kessels von 1974 über ‚Die Zeitgeschichte in Forschung und Lehre‘, der einige grundsätzliche Betrachtungen zur Notwendigkeit und zu den Möglichkeiten der Zeitgeschichte, besonders auch in ihrem Verhältnis zur ‚Vergangenheitsgeschichte‘ enthält, wobei allerdings auf die aussagefähige Problematik der Begriffe selbst nicht eingegangen wird. (Als Beigabe kurze Zitate aus R.s Vorl. ‚Geschichte unserer Zeit‘, datiert 2. 10. 1862, und aus ‚Neuere Geschichte Theil V: Neueste Geschichte 4. Theil‘ (1862), beides im RNL der SBB PK, „Paket 36, Nr. 1 und 2“). Einen unerwarteten Versuch, die Zeitgeschichtsschreibung Rankes mit Texten Heinrich Heines zu vergleichen, unternahm 1987 Susanne Zantop in einem Beitrag der ‚Modern Language Notes‘ über ‚Re-presenting the Present: History and Literature in Restoration Germany‘ (s. I, 669). - Philipp Müller wandte sich in seiner noch im Bereich literarästhetischer Deutung zu beachtenden Dissertation von 2008 über ‚Erkenntnis und Erzählung. Ästhetische Geschichtsdeutung in der Historiographie von Ranke, Burckhardt und Taine‘ u. a. Friedrich Wilhelm IV. zu, allerdings wird dabei wenig von Rankes „ästhetischer Geschichtsanschauung“ aufgedeckt. Ranke habe - so Müller in nicht selten allzu hoher und verblassender Abstraktion - in seinen Darstellungen „die politischen Überzeugungen Friedrich Wilhelms IV. ... reflektiert und eine Verbindung zu seiner eigenen Auffassung einer wissenschaftlichen Synthese von Endlichem und Unendlichem hergestellt“ und „den Gedanken eines unaufhebbaren Wechselverhältnisses mit einem teleologischen Zeitverständnis“ kontrastiert, woraus er „den Gegensatz zwischen politischer Romantik und nationalem Liberalismus der 1840er Jahre“ habe hervorgehen lassen (112). Staaten - Nationen - ‚ G r o ß e Mä ch te‘ - Europ a (I/2.5.2.2) Nicht herangezogen werden konnten Nachkriegsschriften des japanischen RankeForschers Katsumi Nishii aus den Jahren 1947, 1948 und 1965 zur historischpolitischen Thematik, und nicht im Leihverkehr findet sich die 1949 erschienene Londoner Dissertation von J. W. Jennings mit dem Titel ‚German Historiography and the Evolution of German Political Ideas in the 19th Century‘. Theodore H. v. Laue beschrieb in seinem bereits erwähnten Werk von 1950 ‚Leopold Ranke. The formative years‘ Rankes ‚politische Theorie‘ unter dem Gesichtspunkt von Kontemplation und Realpolitik. Seine im Erstlingswerk vorgestellte Machiavelli-Analyse gilt v. Laue als der Prototyp von ‚Ideengeschichte‘: „It contains the evaluation of political philosophy for its general historical significance“ (220). 1952 befaßte sich Wilhelm Mommsen in seiner bereits herangezogenen Untersuchung (s. I, 558f.) ‚Zur Bedeutung des Reichsgedankens‘ nach Betrachtung der Reichsauffassungen Goethes und Steins, vorrangig mit Ranke, - das ‚Dritte Reich‘ wird bezeichnenderweise nur gestreift. Die Arbeit geht auf breiter quellenmäßiger Grundlage des Ranke-Werkes, sogar unter Berücksichtigung von Auflagendifferenzen, sorgfältig und perspektivreich vor, zumal im Blick auf die ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der - 563 -

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Reformation‘ und die ‚Preußische Geschichte‘. Das ‚Reich‘ ist nach Mommsen für Ranke „nicht Machtstaat, sondern, wie für das Staatsrecht des 18. Jahrhunderts, ‚Friedensstaat‘“ (408). Rankes Reichsauffassung habe sich „im grundsätzlichen nicht geändert“, wenngleich später auch eine „stärkere Absetzung“ vom universal verstandenen Kaisertum und eine Hervorhebung der „nationalen Bedeutung des Landesfürstentums“ eingetreten sei (409). - In Mommsens 1954 erschienenem, bereits betrachteten (s. I, 558f.) Werk über ‚Stein, Ranke, Bismarck‘ finden sich über den Begriff des ‚Reichs‘ hinaus (117-129) weitere bemerkenswerte Betrachtungen über den Rankeschen Gebrauch der Begriffe ‚Volk‘, ‚Nation‘, ‚Vaterland‘ (95-111). Die von Leonhard von Muralt angeregte und an allgemeinen geistesgeschichtlichen Bezügen wenig interessierte Dissertation seines Schülers Max Jucker über ‚Rankes Idee der Monarchie‘ erstellte 1954 auf Zitatschollen von Rankes ‚Französischer‘, ‚Englischer‘ und ‚Preußischer Geschichte‘ in gänzlich ahistorischer Verirrung einen Idealtypus gemäßigter Monarchie. Die Entstehung und die inneren Zusammenhänge der historisch-politischen Anschauungen Rankes werden völlig überlagert von dem abwegigen Bestreben des Verfassers, eine Art historisch ungebundenen, d. h. beliebig verwendbaren Fürstenspiegel mit Einzelvorschriften („Schwung der Seele, scharfer Verstand und energischer Wille sollen seine Persönlichkeit auszeichnen. Mit politischem Sinn und mit dem Rat und der Hilfe der Minister und Stände hat er die Politik zu leiten“, 176) zusammenzustellen. Die Arbeit, die im übrigen ein Musterbeispiel dafür abgibt, wie eine Dissertation mit möglichst geringer Berücksichtigung voraufgehender Forschung zu schreiben ist, verkennt v. a. die Geltung des Rankeschen Individualitätsgedankens für seine Staatsauffassung. - Die durch den Ranke-Forscher Walther Peter Fuchs angeregte Dissertation, welche Klaus Helberg 1955 zu ‚Rankes Staatsidee‘ veröffentlichte, sah in dieser „gewissermaßen den Kern“ seiner „Ideenauffassung“ (96), die bei Helberg überhaupt im Vordergrund steht. Indes dringt er wegen eines erstaunlichen Übermaßes an Vorbereitendem und Zweitrangigem nicht recht zur Staatsidee vor. Stattdessen stehen Fichte, Goethe und Schelling in ihren rankenahen Aspekten mit größter Breite im Vordergrund. Daß für Fichtes Einflüsse auf Ranke - denn bei ihm dürfte das Konstitutive das Analoge noch am deutlichsten überwiegen - nun gar Fichtes eigene Entwicklung in extenso dargelegt werden muß, leuchtet ebenso wenig ein wie die Notwendigkeit einer Behandlung von Goethes Geschichte der Farbenlehre auf 20 Seiten oder die der Übersiedelung Schellings nach München 1806. Mit Rankes Staatsidee hat dieser Teil besonders wenig zu tun. Der Verfasser hätte einen reicheren Ertrag aus der Bearbeitung W. v. Humbolts, Hegels u. a. ziehen können. Eine eigentliche Untersuchung der Rankeschen Staatsidee sollte auch die Mühe nicht scheuen, dem Staat in der Historiographie Rankes und in seinen Lebensverhältnissen nachzugehen. Wesentlich ist ferner, daß Helberg, wie Jucker, sich nicht in ausreichendem Maße die zweitrangige Position der Rankeschen Staatsidee hinsichtlich seines umfassenden Individualitätsdenkens klar gemacht hat. Es sei an eine wenn auch überspitzte Formulierung von Karl Troebs (1934, 662) erinnert: „ ...ist es nicht eine allgemeine Staatsidee, sondern die bestimmte Idee des bestimmten Staates, die eben nichts anderes denn seine Individualität ist.“ Walther Hofer brachte 1956 seine Schrift ‚Geschichte zwischen Philosophie und Politik. Studien zur Problematik modernen Geschichtsdenkens‘ zum Erscheinen, der u. a. 1952 ein Aufsatz über ‚Geschichte und Politik‘ voraufgegangen war. Hofer betrachtet darin vor allem die politische Macht des Staates, die in Rankes Geschichts- 564 -

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auffassung unzweifelhaft „eine bedeutende Rolle“ spiele. Sie habe „sein Geschichtsbild deshalb nicht überwuchern“ können, „weil ihr als gleichberechtigt, ja letztlich als übergeordnet, die Religion als geschichtsbestimmende Kraft“ gegenübergetreten sei: „Erst als die Zweiheit immer mehr zugunsten der staatlichen Macht zerfiel, erst als die sogenannte ‚politische Historie‘ möglich wurde, war der Weg offen für jene bekannte verhängnisvolle Einseitigkeit der Machtverherrlichung.“ (27) „Zu dieser Überwertung [!] von Macht und Krieg tritt schließlich die Radikalisierung der nationalen Idee. Bei Ranke war sie durchaus gebändigt durch die überwölbende Idee einer abendländischen Kulturgemeinschaft oder - was für Ranke typischer ist - der romanisch-germanischen Völker“ (29). - (Zu Hofers weiterer Einschätzung des Rankeschen Ideenbegriffs s. I, 599). Neben Rankes Auffassung der Begriffe von ‚Familie‘, ‚Stamm‘, ‚Stand‘, ‚Klasse‘, ‚Gesellschaft‘, ‚Masse‘, ‚Proletariat‘ stellte Rudolf Vierhaus 1957 in seiner mehrfach herangezogenen Dissertation über ‚Ranke und die soziale Welt‘ bemerkenswerte Betrachtungen zu seiner Staatsauffassung an, der er einen „so merkwürdig überzeitlichen Charakter“ zusprach (77). Auch er sieht den Staat „im Zentrum“ von Rankes Geschichtsdenken und Werk (72). Anders als Hofer in seiner These der Religion als übergeordneter geschichtsbestimmender Kraft betrachtet er jedoch das Verhältnis von Staat und Kirche im Sinne von Rankes Satz aus dem ‚Politischen Gespräch‘: „Staat und Kirche sind ewig geschieden“. Der Staat Rankes erscheint in Vierhaus’ Interpretation recht blaß als „politisch-soziale Ordnung“ (76), als „die konkrete und eigentümliche Ausprägung der ‚bürgerlichen Gesellschaft‘“ (76f.). Rankes Nation-Begriff stellt sich ihm hingegen „nuancenreich und vielfältig“ dar (67). ‚Nation‘ ist eine individuelle „kollektive Persönlichkeit“, nicht allein „organische Verbindung“..., „sondern eine solche, die ein Bewußtsein der Zusammengehörigkeit und Eigenart geschichtlich entwickelt hat und politisch geltend macht.“ (68). Bei Vierhaus feinsinnigen Bemerkungen bleibt für diese Thematik allerdings zu bedenken, daß sie hauptsächlich aus einzelnen Äußerungen Rankes im Umfeld seiner Werke, nicht unmittelbar aus deren durchgreifender Analyse gewonnen wurden. Allerdings ging Vierhaus damit von besseren Voraussetzungen aus als mancher freihändig formulierende Interpret. Den bei Vierhaus nur schwach ausgeprägten, wenn nicht fehlenden ethischen Bezug stellte Josef Engel in seinem bekannten Aufsatz von 1959 über ‚Die deutschen Universitäten und die Geschichtswissenschaft‘ bei sehr allgemeiner Auffassung seines Themas in den Vordergrund: Der „große, beispielgebende Vorzug der Rankeschen Epoche“ habe „zumindest darin“ gelegen, „daß sie wie selbstverständlich ihr Allgemeines, das Sittliche, in einer konkreten Form, im Staate, verwirklicht“ gesehen habe. (377f.). Hinsichtlich der beispielgebenden Rolle wurde freilich übersehen, daß die ‚Sittlichkeit‘ des Staates nicht allenthalben als seine hervorstechende Qualität betrachtet wurde. Roland Nitsche (1906-1981), der bereits am 9. Oktober 1945 anläßlich der 1. österreichischen Hochschulwoche in Graz eine Rede über ‚Die Aufgaben des österreichischen Geschichtsschreibers in unserer Zeit‘ gehalten hatte, verfaßte 1960 einen Essay mit dem Thema ‚Von Hegel bis Droysen. Wandlungen der deutschen Geschichtsauffassung‘, der, vieles nur andeutend, vornehmlich der berechtigten Frage nach dem „wechselseitigen Ineinanderwirken der preußisch-deutschen Politik und der immer preußischer werdenden deutschen Geschichtsschreibung“ (68) galt. Ranke sei wohl derjenige politische Historiker gewesen, „der dem Staat und der Nation unter allen menschlichen Kultureinrichtungen in der deutschen Geschichtsschreibung end- 565 -

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gültig jenes Übergewicht“ gegeben habe, „wie es Hegel und die Romantik vorbereitet hatten“. (66). Nitsche überschätzte übrigens Rankes „aktive Teilnahme an den politischen Umtrieben“ [!]; ihm hierin gar eine „wirkende Beispielhaftigkeit“ (66) zuzuschreiben, hätte Rankes Zeitgenossen, die gerade dies zum Teil vermißten, in Erstaunen versetzt. Auch der spätere philosophische Lehrstuhlinhaber Manfred Riedel (1936-2009) befaßte sich in seinem Aufsatz ‚Der Staatsbegriff der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts in seinem Verhältnis zur klassisch-politischen Philosophie‘ von 1963 mit Rankes historisch-politischen Anschauungen, wenn auch in verflachter Weise und unter weitreichender Literaturentsagung, indem er erklärte, Ranke verzichte - „und darin nimmt er innerhalb der Historiographie des 19. Jh.s eine besondere, allein ihm eigene Stellung ein“ - „ganz auf die Politik als philosophische Theorie und läßt sie nur noch für den ‚einzelnen Staat‘, und zwar als ‚Staatsverwaltung‘ gelten.“ (46). Hier scheint einmal Rankes ‚Politisches Gespräch‘ ganz unbekannt geblieben zu sein. Karl Heinz Metz (geb. 1946), späterer Lehrstuhlinhaber für Neuzeit an der Universität Erlangen, befaßte sich in seiner bedeutenden Dissertation von 1976/1979 über ‚Grundformen historiographischen Denkens. Wissenschaftsgeschichte als Methodologie. Dargestellt an Ranke, Treitschke und Lamprecht. Mit einem Anhang über zeitgenössische Geschichtstheorie‘ mit dem Thema ‚Ranke und die praktische Politik‘, sodann mit einem „Epochalen Modell politischen Handelns“ und, ganz anders als Riedel, mit der „Historischen Grundlegung einer Theorie der Politik“ bei Ranke. Metz hat tiefgehende Kenntnisse von Persönlichkeit und Werk Rankes erworben, die er allerdings nur zum Teil im Sinne ‚integrierter Biographik‘ darbietet und die hier nur stichwortartig aufzugreifen sind. Rankes Beitrag zu einer historischen Lehre von der Politik speise sich aus Plato, Burke, Schleiermacher, Gentz und Savigny. Er habe „der formellen eine inhaltliche Theorie des rechten politischen Handelns zur Seite stellen“ wollen, als deren „Modell“ seine ‚Großen Mächte‘ anzusehen seien (149), und aus welcher der Satz vom Primat der Außenpolitik abgeleitet worden sei (139). Dieser nehme in Rankes Auffassung vom „politischen Wirkgefüge“ Europas die Stelle eines „obersten Gesetzes“ ein. (142). Die „gewichtigste Schwäche“ des Rankeschen „historisch-politischen Modellbaus“ bestehe „zweifellos in der ungenügenden universalhistorischen Reflexion“, wofür auch der „bezeichnende Mangel an Fähigkeit zu systematischem Denken“ verantwortlich sei (151). An Details ist zu begrüßen der seltene Hinweis auf die Bedeutung der Relationen nicht allein für Rankes Geschichtsschreibung, sondern auch „für die Ausbildung seiner Auffassung über das Wesen der Politik“ (134). - Weniger zutreffend ist die Einschätzung Rankes als eines „wichtigen Beraters“ Friedrich Wilhelms IV. (139). - (Zu Metz siehe u. a. auch I, 609 u. 613). Der langjährige Vorsitzende der Ranke-Gesellschaft und Kriegshistoriker Michael Salewski (1938-2010) äußerte in einem Beitrag von 1987 mit dem Titel ‚Geschichte und Geschichtswissenschaft. Ihre Grundzüge im 19. und 20. Jahrhundert in Deutschland‘ den sicher zutreffenden Gedanken, dessen Einseitigkeit in Hinsicht der Rankeschen Weltgeschichtskonzeption jedoch nicht außer acht zu lassen ist: „deutlich ist doch auch, daß die Vorstellung von der ‚romanisch-germanischen‘ Völkergemeinschaft geeignet war, der Gefahr einer geradezu autistischen Abkapselung der allgemeinen Geschichte zu reiner Nationalgeschichte zu begegnen.“ (26). Der von Ranke entwickelte Begriff des Staates im Sinne von ‚Gedanken Gottes‘ habe dadurch „eine Dignität“ erhalten, „die noch weit über jene von Hegel postulierte“ hinausgegangen sei, - 566 -

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„denn anders als für den Philosophen war für Ranke die Geschichte nicht wesentlich Pantheismus, sondern Pan-Entheismus ...“ (26f.), was allerdings, gefördert durch Meinecke, des öfteren vorgetragen worden war. Der Rankesche Staatsbegriff habe „für die deutsche Geschichtswissenschaft erhebliche Folgen“ gehabt, indem ihm durch seine Göttlichkeit „eine schier unendliche Macht verliehen“ wurde, „und zwar gute“ (27), die, wie man ergänzen muß, gerade durch diese Schein-Legitimierung den Weg ins Böse erleichterte. - Die bedenkliche Göttlichkeit des Rankeschen Staatsbegriffs, die sich in seiner Historiographie vordergründig allerdings kaum bemerkbar macht, sah auch ein Artikel des 1991 von Rüdiger vom Bruch und Rainer A. Müller herausgegebenen Historikerlexikons: „Der extreme Optimismus in R.s Gesch.auffassung sieht nicht das Böse im Menschen u. seinen Institutionen. Als Äußerungen göttlichen Willens verkörpern Staaten u. Nationen schlechthin positive Werte. Sie handeln daher stets gut, wenn sie ihren Interessen folgen ... Indem allerdings alle hist. Erscheinungen ihren eigenen Wert erhalten, wird einem ethischen Relativismus Vorschub geleistet“ (C. v. M, 248f.). Dies hatte Walther Peter Fuchs, noch im Alter unbelehrbar, nicht erkannt, als er den verwerflichen Satz formulierte: „Bei Ranke kann man auch heute noch lernen, wie man einer Potenz der Weltgeschichte, man mag sie subjektiv anerkennen oder nicht, mit Achtung begegnet.“ (Vorw. zur Ausg. der ‚Päpste‘/1986, XVI). Gerhard Lozek (1923-2008), einer der führenden ostdeutschen Historiker, im besonderen mit westdeutscher, bürgerlicher Historiographiegeschichte befaßt, schrieb 1988 in dem von Wolfgang J. Mommsen herausgegebenen Sammelband, ‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft‘ unter Einsatz der üblichen groben sozialistischen Klischees, wenn auch nicht ohne jede Berechtigung, über den Epochenbegriff bei Ranke. Die „entscheidende Begrenztheit“ seines Epochenverständnisses sah Lozek - im Gegensatz etwa zu Kemiläinen (1968) - darin, daß es „allein der Staatengeschichte und dabei vorrangig der Geschichte der ‚großen Mächte‘“ gegolten habe: „Die gesamtgesellschaftlichen Triebkräfte, Strukturen und Entwicklungen, vor allem die sozialen Hauptkräfte des gesellschaftlichen Fortschritts in der jeweiligen Epoche blieben weitgehend unberücksichtigt. Die Frage nach den eigentlichen Triebkräften ... vermochte Ranke rational nicht zu begreifen, er deutete sie irrational als ‚geistige Wesenheiten‘ göttlichen Ursprungs.“ (184f.). Dem renommierten Neuzeithistoriker Wolfgang J. Mommsen (1930-2004) in seinem 1989 erschienenen Beitrag ‚Deutsche Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert‘ galt Ranke mit Recht als ein „Historiker des Staates und der großen Politik, und nicht als ein Historiker der Völker als solche“ (75). In „gewissem Betracht“ sei „der Staat für Ranke ein grundlegendes Element der Geschichte“ gewesen (75), nicht so sehr die Nation, welcher hingegen Schulin eine „archetypische Funktion“ zusprach (s. I, 571). Sowohl Rankes „kontemplative Grundeinstellung ... als auch die politisch-gesellschaftlichen Schlußfolgerungen, die sich aus seinem historiographischen Werk ergaben“, seien von der „folgenden Generation national-liberaler Historiker“ abgelehnt worden (77), bei denen die „Idee der Nationalität dem Begriff des Staates ...in spezifischer Weise vorgeordnet“ gewesen sei (78). In einer Studie über ‚Ranke und die politische Schule der deutschen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert. Zum Verhältnis von Geschichte und Politik‘ sah Ulrich Muhlack (geb. 1940), ehedem Professor für Methodenlehre und Geschichte der Geschichtsschreibung, 1993 als abgeschieden auftretender Apologet, entgegen einer weithin herrschenden Auffassung - Muhlack wendet sich vor allem gegen Nipperdey - 567 -

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(Dt. Gesch. 1800-1866, Mnch. 1983, 515, 517) - Rankes Geschichtsschreibung provokant als „Vorbereitung der politischen Schule und die politische Schule als Vollendung der Rankeschen Geschichtsschreibung“ an (94). Ist ersteres schon problematisch, so kann letzteres in keinem Fall gelten. Rankes Geschichtsschreibung war in ihrer höchst individuellen Natur nicht zu ‚vollenden‘, erst recht nicht in politischer Weise. Dementsprechend treibt Ranke in Muhlacks Deutung „mitnichten objektivistische Historie. Er treibt, ganz im Gegeneil, sogar politische Geschichte par excellence“ (98). Rankes Geschichtswerk - und damit überspannt Muhlack endgültig den politisierenden Bogen - sei „aus einem politischen Problem“ entstanden (99), was allerdings den Interessen des jungen Ranke und den historisch-kritischen Intentionen seines Erstlingswerkes völlig entgegensteht. Muhlacks Ansicht erfuhr hinsichtlich des Ranke zugeschriebenen Konzepts eines „Europas der Staatsindividualitäten“ noch eine unzuträgliche Übersteigerung (s. I, 578). - Schon 1988 hatte sich Muhlack in einem bemerkenswerten Ranke-Beitrag zu dem von Notker Hammerstein herausgegebenen Sammelband ‚Deutsche Geschichtswissenschaft um 1900‘ als Apologet Rankes gezeigt, um - nach kurzem Rückblick auf einige wenige Stimmen der Ranke-Kritik des 19. und 20. Jahrhunderts - die heutige bzw. überzeitliche Geltung des Rankeschen Geschichtsdenkens zumal als „Konzept autonomer Geschichtswissenschaft“ (20) darzutun. Seiner systematischen Analyse liegen nicht nur Theorie-Äußerungen, sondern wiederum auch Rankes ‚Französische Geschichte‘ zugrunde. Neueren Ranke-Kritikern, besonders Iggers und Berding, hält Muhlack vor, daß vielen „das Gros des Rankeschen Werkes unbekannt zu sein“ scheine (16) und daß Ranke „an vielen Stellen beharrlich mißinterpretiert“ werde (17). Dies betrifft nach Muhlacks Auffassung v. a. Rankes „Objektivitätspostulat und das Konzept der politischen Geschichte“ (18). Die Zurückweisung des Vorwurfs, Ranke schreibe lediglich „Staatengeschichte“, ist indes nicht gänzlich überzeugend. Muhlack unternimmt dies mit der Bemerkung, Ranke habe keine „Totalgeschichte“ beabsichtigt (31). Auf dessen Drang zum Totalen und Universalen deuten jedoch - ungeachtet des Nicht-Erreichens - zahlreiche theoretische Äußerungen (u. a. bei Mülbe/1930) und auch die thematisch uneingeschränkten Titel seiner Werke, zumal die ‚Weltgeschichte‘, hin. Der von Muhlack gerügte Schieder-Schüler und nachmalige Gießener Neuzeithistoriker Helmut Berding (geb. 1930) hatte 1971 im Zusammenhang mit der von ihm und Schieder unternommenen verfehlten Ausgabe (s. Henz/2009) von Rankes Berchtesgadener Vorträgen vor Maximilian von 1854 (WuN II) eine Gesamtwürdigung Rankes als Auftakt zu der von Hans-Ulrich Wehler herausgegebenen Reihe ‚Deutsche Historiker‘ verfaßt. In seiner häufig genannten Skizze war er doch im Ganzen um ein ausgewogenes Urteil bemüht: In Rankes „wissenschaftlichem Ethos“, in seinem „Sinn für das Einmalige und Unvergleichbare einer historischen Situation, die sich nicht vollständig in das Gleichförmige und Typische historischer Prozesse zwängen läßt“, in seiner „universalhistorischen Orientierung an der Totalität des geschichtlichen Ablaufs“ sah er „unverzichtbare Momente der historischen Erkenntnis“ (21). Die von Ranke „ausgebildete Methode“ habe „stärker als jeder andere Einfluß gewirkt ... Erst nach dem Zweiten Weltkrieg“ habe „sich die Geschichtswissenschaft in der Bundesrepublik von dieser Tradition zu lösen begonnen...“ (22). Die bedeutenden zeitgenössischen und späteren Wirkungen Rankes blieben bei Berding allerdings größtenteils im Dunkel. Dies galt nicht minder für seinen Schieder-Mitschüler und Bielefelder Geschichtsordinarius Hans-Ulrich Wehler (geb. 1931). Dieser schwang sich Ende der 1980er - 568 -

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Jahre in einem dreiseitigen Essay zu Rankes Hauptkritiker auf. Die Frage ‚Was bedeutet Leopold v. Ranke heute?‘ (Wehler/1988) beantwortete er im Grunde mit: ‚Nichts!‘. Bei anerkennenswerter Darstellung habe Ranke - beiläufig nicht Begründer der deutschen Geschichtswissenschaft (98) - „als Vermächtnis“ hinterlassen: „die Bevorzugung der Staatspolitik, das individualisierende Denken, den Empirismus der Archivarbeit, die verfeinerten Methoden der … Quellenkritik, aber auch die hochideologische Staatsfrömmigkeit, die konservativ-etatistische Grundüberzeugung, die extreme Einseitigkeit der Themen, die für behandlungswürdig gehalten wurden“ (99). Für die heutige, „an der Komplexität und Erklärung ausgerichtete Geschichtswissenschaft“ biete er keine Orientierungshilfe, die „am ehesten Weber und Marx, die Soziologie und Ökonomie, die Rechtswissenschaft und Kulturanthropologie, auf gar keinen Fall aber Ranke bieten“ könne (100). - Erstaunlicherweise hatte der amerikanische Soziologe und Historiker Harry Elmer Barnes (1889-1968) in seiner 1948 in den Vereinigten Staaten, 1951 in Deutschland erschienenen ‚Historical Sociology. Its Origins and Development‘, betont, daß die kritische Geschichtsschreibung Rankes und seiner Schüler - obgleich sehr wenig an soziologischen Fragen interessiert - „durch die Verbesserung der Verfahrensweisen viel zum Fortschritt und der Verfeinerung der induktiven Methode in der Geschichtssoziologie beigetragen“ und „eine Fülle konkreten Materials zutage gefördert“ habe (dt. Ausg., 19). - Zurück zu Wehlers holzschnittartiger, in der Grundfrage zurückzuweisender, in der Beschreibung Rankeschen Geschichtsdenkens und Darstellens überwiegend treffender Kritik. Winfried Schulze hielt Wehler - was die eigentliche Ranke-Kritik allerdings nicht berührte - entgegen, daß sich in dessen ‚Deutscher Gesellschaftsgeschichte‘ (I u. II 1987) keine ‚Synthese‘ von Ranke und Marx oder eine solche von Ranke und Burckhardt vorfinde, sondern: „Viel mächtiger stehen die strategischen Begabungen eines Max Weber und eines Otto Hintze hinter diesem Werk…“ (Schulze, Winfried/1988, 402). - Auch Michael Borgolte sah in einer Begrüßungsansprache zur Feierstunde des Instituts für Geschichtswissenschaften der Humboldt-Universität und des Friedrich-Meinecke-Instituts der Freien Universität anläßlich des zweihundertsten Geburtstages Leopold von Rankes (in: Demandt/Hardtwig/1996, 3-6) die verengte Wehlersche Marx-Empfehlung mit Recht kritisch: „... Wer vor zwanzig und mehr Jahren zur Gesellschaftsgeschichte aufgebrochen war, sieht sich heute mit der Erfahrung eigener Historizität konfrontiert, während Fragen, die Ranke auf seine Weise beantworten konnte, neue Aktualität gewonnen haben. Dazu gehört das Verhältnis von Geschichtsforschung und Geschichtsschreibung ...; dazu gehört das Problem der Einheit der historischen Epochen angesichts einer neuerlichen Krise des Fortschritts- und Modernisierungsgedankens und der gleichzeitigen Forderung nach einem systemsprengenden Pluralismus; dazu gehört die Frage nach der Gewißheit historischer Erkenntnisse ...“ (5). „Daß Grundsatzprobleme der Historie an dem Werk Rankes erörtert, wenn auch nicht immer mit ihm gelöst werden können, sichert ihm weiterhin seine Aktualität. Nicht als Integrationsfigur und Gründervater, sondern als Bezugspunkt im kreativen Widerstreit liegt Rankes Zukunft, wie mir scheint.“ (6). Der Neuzeit-Historiker Johannes Süßmann (geb. 1964), der im Jahre 2000 mit seiner Berliner Dissertation unter dem Titel ‚Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (17801824)‘ hervortrat (s. I, 673f.), war in einem Aufsatz von 2002, ‚Vom Arcanum zur Hieroglyphe: Das Geheimnis der frühneuzeitlichen Staaten im Geschichtsdenken Leo- 569 -

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pold Rankes‘, der Auffassung, Ranke habe „gegen die Aufklärer, aber auch gegen die idealistischen Philosophen … die Staatengeschichte wieder in ein Geheimnis“ verwandelt (502). Dies entsprach nicht nur dem 1936 in einem Beitrag der Zeitung ‚Germania‘ mit dem Titel ‚Von Hegel bis Ranke. Volk und Weltaufgabe‘ aufgestellten Urteil, im Unterschied zu Hegel kenne die Rankesche Geschichtsauffassung „noch das Mysterium in der Geschichte“ (s. I, 506), sondern war auch der von Eberhard Kessel 1954 geäußerten Auffassung des Rankeschen „großen Rätsels“ ‚Weltgeschichte‘ verwandt (Kessel/1954, 290). Der entscheidende Punkt in Rankes Historik, so Süßmann, sei „die Absage an die Erkenntnisgewißheit und das begriffliche Verfahren der idealistischen Philosophie.“ (503). Diese These des allzu einseitig auf Rankes JugendÜberzeugungen und Vortragsäußerungen von 1854 gestützten, das Hieroglyphische verabsolutierenden Beitrags verdient Interesse, kann jedoch nicht uneingeschränkt gelten, denn Rankes Geschichtsanschauung war durchaus auch von ‚Erkenntnisgewißheit‘ getragen, was sich nicht nur aus dem allgemeinen Charakter seiner von Süßmann mit Ausnahme des Erstlings nicht näher betrachteten Werke, sondern auch aus theoretischen Äußerungen ergibt, so etwa an bedeutender Stelle im Schlußsatz der Vorrede des ersten Bandes seiner ‚Deutschen Geschichte‘ (1839, X, s. I, 82 u. 105). Auch wäre eine stärkere Beachtung der Arbeiten zu Rankes Staatsbegriff von Vorteil gewesen. Auf z. T. biographischer Grundlage und in bemerkenswert genetischer Ausrichtung befaßte sich der an der University of Washington tätige Historiker John Edward Toews in seinem 2004 erschienenenWerk: ‚Becoming Historical. Cultural Reformation and Public Memory in Early Nineteenth-Century Berlin‘ u. a. mit ‚Ranke and the ChristianGerman State: Contested Historical Identities and the Transcendent Foundations of the Historical Subject‘ (372-418). Dabei geht er in Rankes Werken und nachgelassenen Aufzeichnungen dessen Verhältnis zu Philosophie und Religion, dem Problem der Objektivität, den Begriffen von Volk und Staat nach. Rankes Verhältnis zur nachkantischen idealistischen Philosophie sieht Toews als ambivalent an (404). Das Neue an Rankes Staatsbegriff scheint ihm zu sein der selbstbewußte Versuch, eine Theorie des zentral organisierten Staates in die weitere Konzeption einer ethno-kulturellen Entwicklung zu integrieren (387). - (Zu Toews’ Deutung von R.s Religiosität s. I, 646) Rankes Begriff der ‚Nation‘ steht hinter dem des ‚Staates‘ weit zurück. Die finnische Historikern Aira Kemiläinen hatte sich bereits 1950 über Rankes Auffassung der abendländischen Christenheit geäußert. 1968 legte sie eine Schrift vor über ‚Die historische Sendung der Deutschen in Leopold von Rankes Geschichtsdenken‘, worin sich mehrere Kapitel mit Rankes ‚Volks- und Nationenbegriffen‘ befassen, - eine literaturarme Darstellung (Sprachprobleme?) mit wenig prägnanten Ergebnissen. Dabei wird nicht völlig klar, wieweit eine „historische Sendung der Deutschen“ bei Ranke als nicht nur in die Vergangenheit projiziert, sondern auch für die Zukunft als wirksam angenommen wird und damit verbunden, welche Stellung der deutschen Nation in der „abendländischen Christenheit“ bei Ranke zukam bzw. zukommen wird. Letztlich ist nicht ersichtlich, ob Kemiläinen tatsächlich die Auffassung vertritt, Ranke habe der deutschen Nation die Führung der Menscheit als Sendung zugewiesen. Auch Ernst Schulin bedauerte, daß die Verfasserin „ihre Vertrautheit mit der deutschen Geschichte und mit anderen, nationaleren Denkern kaum“ ausgenutzt habe, „um Rankes besondere Haltung zu präzisieren.“ (Schulin/1969, 139). 1969 veröffentlichte sie einen wohlwollenden Beitrag mit seltener Thematik, über Kultur in Leopold von Rankes Leben und Schaffen. Als Ergebnis glaubte sie - unter Anwendung eines Begriffswechsels - fest- 570 -

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halten zu sollen: „Die staatliche Geschichte bildete zwar den Rahmen für seine Geschichtsschreibung, aber sein Hauptinteresse galt vor allem den verschiedenen Lebenserscheinungen eines Volkes oder einer Gemeinschaft“ (30), wovon auch keine Rede sein konnte. - Zu Rankes ‚Nation‘-Begriff hat sich Heinrich Lutz in einem Beitrag zur Heimpel-Festschrift von 1971 mit dem Titel ‚„Ursprung der Spaltung in der Nation“. Bemerkungen zu einem Kapitel aus Rankes Reformationsgeschichte‘ (s. I, 655f.) kurz geäußert. Er sah darin eine „straffe und nahtlose Totalität von politischen, religiösen und kulturellen Wertbezügen und Lebensformen“ (141), - was jedoch, wie man wohl ergänzen sollte, einer Beschreibung ihrer Genese und Funktionalität ermangelt. - Der mit Ranke seit Ende der 1950er Jahre wohlvertraute emeritierte Freiburger NeuzeitHistoriker Ernst Schulin (geb. 1929) machte in seinem Beitrag von 1988 über ‚Universalgeschichte und Nationalgeschichte bei Leopold von Ranke‘ darauf aufmerksam, daß dieser zwei Werke nicht geschrieben habe, eine „neuzeitliche Weltgeschichte“ und eine „Deutsche Geschichte von den Anfängen bis zur Gegenwart“ (Schulin/1988, 59). Auch wies er im Gegensatz zu W. J. Mommsen (1989, 75) darauf hin, daß „nicht die Staaten, sondern die Nationen in der Geschichtsauffassung Rankes eine archetypische Funktion besitzen“, als „die letztlich entscheidenden Faktoren geschichtlichen Wandels“ (so charakterisiert von W. J. Mommsen/1988. Einl., 12). Dies ist kaum überzeugend, wenn man das von Preußen dominierte preußisch-deutsche Verhältnis betrachtet, in dem Ranke sich lustvoll („Wie blühte hier Alles auf unter dem Schutz der Hohenzollern! Es war eine Lust zu leben!“, s. I/1.9) und erfolgreich aufgehoben fühlte. Im übrigen hält Schulin für „bleibend vorbildlich ... immer wieder Rankes Fähigkeit, Geschichte nicht einseitig oder hegemonial, sondern pluralistisch zu verstehen“ (Schulin/1988, 70). Dies mag auf seine Europaauffassung und andere hochliegende Einstellungen durchaus zutreffen; im Inneren seiner primär politischen und an den Herrschenden orientierten Staatengeschichten kann allerdings von Pluralismus, etwa im gesellschaftlichen Sinne, nicht die Rede sein. - Der im Jahre 2000 erschienene, quellen- und literaturorientierte Beitrag von Gesa von Essen zum ersten Symposion des Göttinger Sonderforschungsbereichs 529, ‚Internationalität nationaler Literaturen‘, trägt den weitgefaßten Titel ‚Leopold von Ranke zwischen Welthistorie und Nationenbiographie‘. Allgemeine Vorüberlegungen, in denen auch auf vorgängige Weltgeschichtsdarstellungen und Nationengeschichten eingegangen wird, sehen u. a. die Rankeschen Nationen sich „erst in der Relation des Kampfes ... ihres Status als Nationen bewußt werden“, wobei sie sich „konsolidieren“ und voneinander abgrenzen (300). Konkret wird das Verhältnis von Nationalgeschichte und Weltgeschichte an Rankes ‚Englischer Geschichte‘ betrachtet, die Zeugnis von seiner Auffassung ablege, daß „Nationalgeschichte ... von einem europäischen, einem universalen Gesichtspunkt aus geschrieben werden“ könne und müsse (302), was auch zu der Erkenntnis führe, daß „die Fragen von welthistorischer Bedeutung in der Regel in einem Spielraum zwischen [i. T.] den verschiedenen nationalen Biographien ausgehandelt“ würden (310. Siehe auch I/2.1.7.2 u. I/2.5.2.2f.). * Bekanntlich hatte Friedrich Meinecke die Auffassung vertreten, Ranke habe mit der Lehre vom Primat der auswärtigen Politik „ein Naturgesetz des Staatenlebens aufgefunden“ (Rankes Politisches Gespräch/1924, 77). Diese Auffassung war schon damals nicht gänzlich unbestritten geblieben (s. I/2.3), nach dem Zweiten Weltkrieg bemühte - 571 -

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man sich um eine differenziertere Betrachtung. Bei ihrer Beurteilung treten nunmehr im wesentlichen folgende Positionen auf: Man sieht diesen Grundsatz von Ranke tatsächlich als formuliert an, billigt ihn, so Meinecke und Rothfels, warnt vor seiner Fehldeutung, so Hans Herzfeld, verwirft ihn, so Carl Joachim Friedrich und József Szigeti, oder man glaubt ihn bei Ranke nicht vorzufinden, zumindest nicht in entschiedener Form, so später Ulrich Muhlack. Der Berliner Neuzeit-Historiker Hans Herzfeld (1892-1982) war 1948 der erste Nachkriegsherausgeber von Rankes bis heute verlegerisch immer wieder bereitgestellten Berchtesgadener Vorträgen vor Maximilian von 1854. Im Folgejahr fand er, man habe „lange Zeit sicherlich mit einem gewissen Recht, aber zweifellos mit viel zu ausschließlicher Akzentsetzung“ in Ranke „den Historiker des Primates der Außenpolitik“ erblickt: Diese „Rankeauffassung der Epigonen drohte zu einer Gefahr und zu einer Fehlauslegung zu werden, wenn sie übersah, daß in dem aus dem Boden einer starken protestantischen Religiosität, der Romantik und des großen philosophischen Idealismus erwachsenen Denken Rankes im Begriff staatlicher Macht und moralischer Energie der Politik untrennbar die Summe der in einem Volk enthaltenen [!] und wirksamen Energie enthalten [!] war.“ (Einl. zu NBrr/1949, XXIVsq.). - In einem 1950 erschienenen Beitrag über ‚Politik und Geschichte bei Leopold von Ranke im Zeitraum von 18481871‘ brachte Herzfeld im Zusammenhang mit dem Erscheinen der von ihm betreuten Brief-Ausgabe des Ranke-Forschers Bernhard Hoeft (NBrr) eine erste Auswertung des darin gesammelten Materials hinsichtlich eines von der Ranke-Forschung weniger beachteten Zeitraums, wobei er zu dem trivialitätsnahen Ergebnis gelangte, daß die „Objektivität des Historikers, die seine ideale kritische Grenzforderung war ... doch im Leben und Werk des größten deutschen Historikers im 19. Jahrhundert“ nicht ausgeschlossen habe, „daß seine Erkenntnisarbeit in steter Verbindung mit dem Erlebnis der eigenen Gegenwart“ gestanden habe (341). Leider diskutierte Herzfeld nicht die tiefer greifenden Dietherschen Thesen (Diether/1911) und die sich daran anschließende Literatur zum Verhältnis von ‚Historiker und Politiker‘ in Ranke. Carl Joachim Friedrich (1901-1984), deutsch-amerikanischer Politikwissenschaftler, schrieb 1950 im Gründungsheft der Zeitschrift ‚Außenpolitik‘ über ‚Das Ende der Kabinettspolitik‘. Dabei verwarf er entschieden - ohne direkten Bezug auf Ranke - die Gültigkeit des „Primates der Außenpolitik“ als eines Normbegriffs für politisches Handeln, zumindest für den demokratischen Staat: „im besten Fall“ sei „ein Verständnis für die enge Verflechtung von Innen- und Außenpolitik“ anzustreben (21). Dem wurde jedoch von Hans Rothfels (1891-1976) bereits in Heft 4 der 1950er ‚Außenpolitik‘ widersprochen. Der zwangsweise emigrierte Schüler von Meinecke und Hintze (Neugebauer, Wolfgang: Rothfels, Hans. In: NDB 22/2005, 123-125), später Professor an den Universitäten von Chicago und Tübingen, hatte über das Ranke-Thema ‚Friedrich Wilhelm IV.‘ und mehrfach über Bismarck gearbeitet. Er vertrat nun in seinem ‚Vom Primat der Außenpolitik‘ betitelten Beitrag, seinem Lehrer Meinecke in mehrfacher Weise folgend, die weitere Gültigkeit des Grundsatzes, wenn auch in einem „elastischen Sinne“ (282). Abschließend behandelte er die optimistische Ansicht Rankes vom heilsamen „Genius Europas“ und deren teilweise Aktualität. Ähnlich ist sein vor der ‚Literarischen Gesellschaft‘ in Chicago gehaltener Vortrag von 1947, der 1953 in leicht veränderter Form unter dem Titel ‚Ranke und die geschichtliche Welt‘ erschien, eine hauptsächlich an Rankeschen ‚Kernsätzen‘, kaum an einzelnen historiographischen Hervorbringungen orientierte, zur Nachsicht neigende Gesamtwürdigung. - 572 -

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Rankes „Allverstehen“ sei kein „Allverzeihen“ gewesen: „Trotz gewisser harmonisierender Neigungen blieb ihm das Böse in der Geschichte, was es für Burckhardt war: ein zugelassener Teil der Weltökonomie, der aber deshalb nicht aufhört, böse zu sein.“ (112), - eine der Auffassung Kupischs (1949, 195) ähnliche, die Funktionalität des ‚Bösen‘ beiseitelassende Bemerkung, welche nicht nur Rankes Position, sondern auch den Unterschied Rankes und Burckhardts stark verwischt. - Rothfels’ bezeichnender FAZ-Artikel von 1965 über den ‚Goethe der Geschichtswissenschaft‘ stellt eine referierende und hinsichtlich der editorischen Problematik völlig ahnungslose Besprechung des ersten Bandes der Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ dar (s. II/2.1.5). Der bereits herangezogene Eberhard von Vietsch hatte 1942 eine Arbeit über das Rankesche Thema ‚Das europäische Gleichgewicht. Politische Idee und staatsmännisches Handeln‘ veröffentlicht. In seiner Schrift von 1950 schrieb er über ‚Die Tradition der Großen Mächte‘ und äußerte sich darin sehr skeptisch über das Wirken der ‚Großen Mächte‘ (s. I, 549). - Der Historiker Heinrich Heffter (1903-1975), der im Vorjahr ein umfangreiches Werk über ‚Die deutsche Selbstverwaltung im 19. Jahrhundert‘ (Stg. 1950) herausgebracht hatte, ließ 1951 eine erweiterte Fassung seiner Hamburger Antrittsvorlesung ,Vom Primat der Außenpolitik‘ folgen, in der er feststellte, daß dieser Grundsatz seit Ranke „ein Kerngedanke der deutschen Geschichtswissenschaft“ geworden und „ ... auch für die politische Ideologie des deutschen Nationalismus bedeutsam geworden ...“ sei. (1). Theodor Schieder schrieb 1955 ein bemerkenswertes Nachwort zu einer Neuausgabe der ‚Großen Mächte‘ und des ‚Politischen Gesprächs‘, in der er betonte, daß Rankes „Idee von den Mächten als ‚real-geistigen‘ Individualitäten, sein europäisches Gleichgewichtsdenken, ja sogar sein außenpolitischer Staatsgedanke ... nicht programmatische Forderungen an die Zukunft, Ausdruck eines historischen [gemeint: ‚politischen‘?] Aktivismus irgendwelcher Art“ gewesen seien, „sondern retardierende Momente gegenüber der dynamischen Bewegung seines Jahrhunderts ...“ (85). Diese im Grundsatz zutreffenden schuldentlastend gemeinten Feststellungen dürften eine geringe Beeinträchtigung erfahren durch den Umstand, daß die fraglichen Schriften in Rankes ‚Historisch-politischer Zeitschrift‘ erschienen waren, der ein konkreter politischer, das heißt auch ‚aktiver‘ Auftrag zugrunde lag. „Erst die Nachfolger und Epigonen Rankes haben aus seiner höchst verfeinerten und überfeinerten Lehre vom Mächtespiel ... eine Auseinandersetzung vitaler Machtkörper gemacht...“ (86). Auch dies ist wohl zutreffend, doch kann von einem harmlosen „Mächtespiel“ - ein nicht unüblicher, aber verharmlosender Begriff - selbst in Rankes beständiger Heiterkeit nicht die Rede sein. Attila Pók kommt, wie bemerkt, das Verdienst zu, über ‚Rankes Einfluss auf Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken in Ungarn‘ berichtet zu haben. In seinem Beitrag zu dem von Wolfgang J. Mommsen 1988 herausgegebenen Ranke-Säkularsammelband schrieb er u. a. über den ungarischen marxistischen Historiker József Szigeti (geb. 1921) und dessen Werk ‚A magyar szellemtörténet bírálatához‘ [Zur Bewertung der ungarischen Geistesgeschichte] (Budapest 1964). Szigeti zufolge „war das Geschichtsdenken Rankes grundlegend retrograd, weil es relativistisch war und weil für Ranke jede Generation der Menschheit gleiche Rechte besaß.“ - „Szigeti schlussfolgerte außerdem abseitig: ‚Die Theorie des Primats der Außenpolitik führte zur faschistischen Ideologie...“ (Pók (1988)/2004, 106f.). Eine differenziertere Betrachtung stellte der österreichische Neuzeithistoriker Alexander Novotny (1906-1986) an, der u. a. über Kaunitz und über den ‚Berliner - 573 -

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Kongreß‘ gearbeitet hatte. Er brachte 1965 einen Beitrag ‚Über den Primat der äußeren Politik. Bemerkungen zu einem Gedankengang Leopold von Rankes‘ hervor, in dem er betonte, dieser Gedanke sei für „Leben und Lebenswerk“ Rankes „entscheidend“ geworden. Im Zusammenhang mit der Ranke-Interpretation Meineckes (R.s Politisches Gespräch/1924) sucht Novotny die in der These liegenden Bedeutungsmöglichkeiten zu erfassen bzw. einzugrenzen, weniger zu klären, wie sich Ranke diese Anschauung und mit welcher Gültigkeit - gebildet hatte. Auch bleiben wichtige Diskussionsbeiträge, etwa von Rothfels (1950), unberücksichtigt. Novotny kommt indes zu dem realistischen Ergebnis, daß es in der Geschichte „Alt-Österreichs“ Fälle gebe, „in denen Innen- und Außenpolitik in immer wieder geändertem Verhältnis zueinander stehen“ (320), sodann, daß „wenigstens in der Mehrzahl der Fälle - Stimmen der Interpreten dieses Problems bis zum Ersten Weltkriege der Außenpolitik, später jedoch Problemen der Innenpolitik einen ‚Primat‘ einzuräumen geneigt“ gewesen seien (323). Der den Themen ‚Militärgeschichte‘, ‚Bismarck‘ und ‚Judentum‘ zugewandte, zuletzt in Köln lehrende Historiker Andreas Hillgruber (1925-1989), schrieb 1973 eine appellative Studie über ‚Politische Geschichte in moderner Sicht‘. Darin beklagte er, daß die politische Geschichte „nach der Einseitigkeit und Überbetonung des ‚Primats der Außenpolitik‘ in der preußisch-deutschen Geschichtsschreibung des letzten Jahrhunderts“ durch den der Sozialgeschichte eingeräumten Vorrang „in einem nicht vertretbaren Maße an den Rand gedrängt“ worden sei. (Hillgruber/1973, 534). „Ein Rückfall in eine dogmatisch einseitige Betrachtungsweise vom ‚Primat der Außenpolitik‘“ werde „in der modernen politischen Geschichte ebenso abgelehnt wie die neuerdings propagierte Antithese vom ‚Primat der Innenpolitik ...“ (535), was sich auf Wehler und dessen Kehr-‚Protektion‘ bezogen haben dürfte. Hingegen stand für Ulrich Muhlack später fest, Ranke kenne keinen Primat der Außenpolitik, vielmehr eine „grundsätzliche Zusammengehörigkeit von innerer und äußerer Politik“ (1988, 33). * Rankes Europa-Gedanke hat eine zumindest zweifache Bedeutung, als Einheits- und als Mittelpunktsbegriff. Zum einen ist Europa in seiner Sicht eine zu bewahrende kulturelle und politisch zusammenwirkende Einheit, zum anderen ist es Weltmittelpunkt, - eine Europazentristik, die bereits in seinem Erstlingswerk zum Tragen kommt und bis in die ‚Weltgeschichte‘ hinein Bestand hat. Hier ist an Rankes unbedachten, später getilgten Satz aus der Einleitung seines Erstlingswerkes zu erinnern: „In der That gehn uns Neuyork und Lima näher an, als Kiew und Smolensk.“ (XXXIX). Sah er doch wohl in ersteren romanisch-germanische ‚Pflanzungen‘. Nicht nur ist seine Weltgeschichtskonzeption eingeengt durch eine europazentristische Einstellung, sie leidet auch wiederum an einer romano-germanischen Zentristik, eher noch Exklusivität, was in der westlich orientierten Literatur überwiegend ungesagt bleibt. Ludwig Dehio (1888-1963) lieferte in seinem 1948 erschienenen vielbeachteten Werk ‚Gleichgewicht oder Hegemonie. Betrachtungen über ein Grundproblem der neueren Staatengeschichte‘, (3. Aufl. Krefeld 1974) eine diskussionsfördernde Betrachtung, die von Rankes Einsicht in die politisch-kulturelle Einheit des ‚Abendlandes‘ ausgeht, „dabei aber die von ihm gezogenen Linien bis zu uns her verlängernd, die abendländische Expansion und Zivilisation belichtet und das von jenem hinter- 574 -

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lassene europäische Bild zu einem globalen ausweitet“ (17). Dies erinnert an hegemoniale Vorstellungen der Wilhelminischen Zeit. Starke spekulative Elemente verbinden sich bei Dehio mit einer Überschätzung der Wirkungen des Rankeschen Geschichtsbildes, wie überhaupt der Möglichkeiten einer von Dehio geforderten ‚historia activa‘. (Zu seinem 1950 erschienenem Beitrag über ‚Ranke und der deutsche Imperialismus‘ s. I, 449). Der noch eigens heranzuziehende Ulrich Noack (s. I, 631) regte eine Dissertation an, welche seine Schülerin Ursel Wolandt 1950 unter dem berechtigten Titel ‚Die Einheit des christlichen Abendlandes als Leitidee in der Geschichtsschreibung Leopold von Rankes‘ zum Erscheinen brachte. Die nahezu wirkungslos gebliebene schreibmaschinenschriftliche Arbeit verfolgte - nachdem sie eingangs unter geringem Literaturaufwand erneut Rankes „Voraussetzungen“ („Erziehung, Zeitereignisse, geistige Zeitströmungen“) referiert hatte - wobei es an Gemeinplätzigem und Unvorsichtigem nicht fehlt, z. B.: „Ranke ist wahrhaft protestantisch“ (13) -, den Gedanken der Einheit des christlichen Abendlandes in der Darstellung Rankes und in seiner „Geschichtstheorie“. In letzterer geht es der Verfasserin aber v. a. darum, zu zeigen, daß die Kategorien des Besonderen(/Individuum) und Allgemeinen, von Freiheit und Notwendigkeit, von Fortschritt und Kontinuität einer allgemeinen „Einheitsidee“ Rankes unterliegen. Wolandt kommt dabei - allerdings an anderer Stelle - zu dem Ergebnis, daß „Polarität im Einzelnen, aber Synthese in der Gesamtschau“ (30) als Grundelemente Rankescher Geschichtsschreibung anzusehen seien. Welche Stellung dieser grundlegende Komplex innerhalb der Methodik der Arbeit hat, d. h., wie sich „Einheitsidee“ und „Idee der Einheit des christlichen Abendlandes“ zueinander verhalten, ist freilich nicht eindeutig feststellbar. Auch überträgt Wolandt Rankesche Harmonisierungstendenzen auf die Probleme ihrer Arbeit, wie sie in den Zwischen-Zitat-Passagen seinen Optimismus übernimmt: „Europa hat seinen Weg zur Einheit durch die Jahrhunderte konsequent verfolgt.“ (113). Noch erstaunlicher für die Entstehungszeit der Arbeit ist ein Satz ihrer Schlußapotheose: „Wir alle haben das Organ für das Absolute. Wir alle können unterscheiden, was gut und schlecht, was wahr und falsch ist.“ (119). Der spätere Ordinarius für neuere und neueste Geschichte an der Universität Münster, Heinz Gollwitzer (1917-1999), legte 1951 seine Habilitationschrift über ‚Europabild und Europagedanke. Beiträge zur deutschen Geistesgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts‘ vor. In einem bedeutenden, klar formulierten Kapitel über „Hegel und Ranke“ (261-281) geht Gollwitzer nicht auf allgemeinere philosophische Fragen, sondern ausschließlich auf die wesentlichen Züge des Europabildes beider ein, wobei er sich für Ranke in üblicher Weise auf die ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ und die Berchtesgadener Vorträge vor Maximilian von 1854 stützt, die „in mancher Hinsicht als ein Antihegelkolleg zu bezeichnen“ seien. (273). Hegel wie Ranke sieht er verankert im „christlich-germanischen Preußen“, wobei allerdings beider „Europäismus ... nicht über einen Kamm zu scheren“ sei (ebd.). Bei Ranke werde „weltgeschichtliche Dignität ... erworben nach Maßgabe der Teilhabe an der europäischen Kultur“ (274) der romano-germanischen Völkerwelt. Vorstufen der romano-germanischen Ansicht Europas findet Gollwitzer bei Novalis und August Wilhelm Schlegel (274f. Verwechslung mit seinem Bruder Friedrich? Siehe oben Borries/1925, 146). Beinahe eine Übereinstimmung mit Hegelscher Denkweise erkennt Gollwitzer in Rankes Auffassung von einer „Translatio“ der Kultur „vom orientalischen über das hellenische Altertum zum römischen Imperium und von dort zum - 575 -

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Abendland“ (275). Während Hegel „im Protestantismus die letzte Stufe der christlichgermanischen Epoche“ gesehen habe, halte Ranke „an der fundamentalen Einheit beider Konfessionen fest“ (277). „Seiner Anteilnahme und seinem Verstehen“ sei „da die Grenze gesetzt, wo die elementaren politischen Massenbewegungen des demokratischen Nationalismus die Bühne der Zeit betraten.“ (278). Sein Europabegriff sei „als Organismus“ zu denken (281). Während Ranke, „abgesehen von seiner germanischprotestantischen Grundhaltung ... keinen Wert“ darauf lege, „den Vorrang einer europäischen Nation vor der anderen festzustellen“, so stehe für ihn, wie Gollwitzer zu Recht betont, „die Dominanz Europas gegenüber den andern Kontinenten und Kulturkreisen unumstößlich fest.“ (281). „Universalgeschichte und Universalpolitik drehen sich um die europäische Achse, und der Absolutheit des Christentums entspricht die Absolutheit Europas. Die Europäer sind das Volk Gottes der neueren Geschichte.“ (281). Der britische Historiker Geoffrey Barraclough (1908-1984), der 1946 Schriften über ‚Factors in German History‘ und ‚The Origins of Modern Germany‘ hatte erscheinen lassen, verfocht 1955 in seinem Werk ‚History in a Changing World‘ (dt. ‚Geschichte in einer sich wandelnden Welt‘, Gött. 1957), die übertriebene Auffassung, daß die „Anschauung von der europäischen Geschichte, die in England und Deutschland (weniger vielleicht in Frankreich) allen wesentlichen historischen Werken zugrunde“ liege, auf Ranke zurückgehe (dt. Ausg. 199f.). - In Rankes Anschauung, daß die Niederwerfung Napoleons eine Bestätigung des alten europäischen Systems darstelle, ist nach Barraclough übersehen, „daß die Französische Revolution von innen und das Übergewicht der außereuropäischen Mächte von außen her die ersten Ursachen des Zusammenbruches gerade dieses Systems waren.“ Rankes Blick sei „getrübt“ gewesen „durch eine falsche Vorstellung von Kontinuität und eine falsche Ehrfurcht vor nun mehr historischen Faktoren“ (212; usw.). - Mit der ‚Idee der Kontinuität im historiographischen Werk Leopold von Rankes‘ befaßte sich später in grundsätzlicherer Weise auch Rudolf Vierhaus. Auf der Grundlage seiner zutreffenden Einsicht, historische Kontinuität habe für Ranke „die Bedingung der Möglichkeit, Geschichte zu schreiben“ bedeutet, und in dem „Aufweis solcher Kontinuität“ habe er „die Aufgabe des Historikers“ gesehen (Vierhaus/1988, 166), gelangt Vierhaus zu dem konkreten Schluß, Kontinuität sei für Ranke „der fortschreitende Prozeß der abendländisch-europäischen Kultur“ gewesen, „dessen Abbruch er seit der Revolution von 1848 für möglich, bald darauf aber nicht mehr für wahrscheinlich“ gehalten habe (174). Fritz Wagner (1908-2003), später Münchener Neuzeit-Geschichtsordinarius und Sekretär der Historischen Kommission, vertrat auf einem Kolloquium ‚Wege der Universalgeschichte‘, gehalten am 19. 10. 1962 bei der 25. Versammlung Deutscher Historiker in Duisburg, in nicht ganz überzeugender Rhetorik die höchst seltene und ein wenig rätselhafte Auffassung: „Wer wie der Altmeister selbst nicht nur der Wissenschaft, sondern der Weisheit letzten Schluß sucht und darin immer wieder das Scheitern seines Strebens erfährt, hat jenes Grenzgebiet schon betreten, von dem aus mitten im 19. Jahrhundert eine Überwindung des Europäismus sich andeutet.“ (Wagner: Die Europazentrik/1963, 47). Diese Überwindung konnte Ranke allerdings nicht zugesprochen werden, nicht einmal in seiner ‚Weltgeschichte‘ der 1880er Jahre. Der Schulmann Wilhelm Münter brachte 1967 nicht nur eine Schrift über ‚Zeitgemäßen Geschichtsunterricht‘ (München: Kösel) zum Erscheinen, sondern auch in der Festschrift für Heinrich Döpp-Vorwald einen Beitrag über ‚Nationalidee und Europa- 576 -

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gedanke. Eine Untersuchung an Hand der Werke des Historikers Leopold von Ranke, zugleich ein Beitrag zu einem aktuellen pädagogischen Problem‘. Der Beitrag zur politischen Erziehung und Bildung wirft die Frage auf, „was denn uns Heutigen Ranke bedeute und wo eine Kritik seiner Geschichts- und Staatsauffassung, seines EuropaBildes anzusetzen habe.“ (134). Münter kommt zu dem Ergebnis: „Es mag wahrhaftig ein hoher ästhetischer Genuß sein, in der Weise Rankes das Drama der Weltgeschichte zu betrachten, es kann aber verhängnisvoll werden, wenn aus solchen Ansichten heraus allzu leichtfertig Politik betrieben wird.“ (136). Trotz Zurückweisung wesentlicher Punkte in Rankes Einstellung zu Europa, behalte neben seiner „universalen Grundhaltung“ (136) ein Grundelement Gültigkeit: „Europa kann und wird immer nur eine Einheit in der Vielheit und eine Vielheit in der Einheit sein, oder es wird nicht mehr Europa sein!“ (137). Felix Gilbert (1905-1991), Meinecke-Schüler und emigrierter deutsch-amerikanischer Historiker englisch-jüdischer Abstammung, dessen Herkunft aus der geistigen Rankeschen Deszendenz-Linie sich auch in seinem Interesse für Themen der italienischen Renaissance kundgab - 1965 hatte er sein Werk über ‚Machiavelli und Guiccardini. Politics and history in sixteenth-century Florence‘ (Princeton: Univ. Pr.) veröffentlicht - verfaßte auch einige kurze direkte Beiträge zum Thema ‚Ranke‘, die er im wesentlichen in einem 1990 erschienenen Sammelband mit dem Titel ‚History. Politics or Culture? Reflections on Ranke and Burckhardt‘, nicht ganz frei von idolatrisierenden Zügen, zusammenfaßte (dt. Übers. 1992, ital. Übers. 1993). Hierin (‚What Ranke meant‘/1987) wird neben der Objektivitätsthematik (s. I/2.5.4.2) in der Nachfolge Meineckes das im allgemeinen als gegensätzlich geltende Verhältnis Ranke-Burckhardt angesprochen: Wenn Burckhardt auch zur Verkörperung der Kulturgeschichte und Ranke zur Verkörperung der politischen Geschichte geworden sei, so habe doch ihr gemeinsames Band darin bestanden, das Erbe Europas zu erhalten. - In dem einen wie dem anderen liegt im wesentlichen wieder die Übernahme einer für Gilberts Lehrer typischen versuchsweisen Aufhebung von Gegensätzen in einer höheren, aber gelegentlich nicht in Rede stehenden Einheit vor. Dem entspricht der essayistische Charakter der Darlegungen und das weitgehende Beiseitelassen von Forschungsliteratur. Gilbert bietet indes anhand der ‚Päpste‘ einige anregende Gedanken zu Rankes Darstellungsstil, wenn auch nicht in literaturwissenschaftlicher Ausrüstung, auch zu seinem Europaverständnis, das eine „außergewöhnliche Leistung“ darstelle, da in seinem Werk „europäische Geschichte erstmalig reale Gestalt“ angenommen habe und seitdem die „Sicht der modernen europäischen Geschichte“ leite (36). Allerdings ist auch hier manches in Frage zu stellen. Definitiv auf abschüssigem Boden befindet sich Gilbert mit weitreichenden Schlüssen, die er (32) für den allgemeinen Europa-Gedanken Rankes zieht, wenn er dessen ‚Neuyork und Lima‘-Satz aus der Erstauflage der ‚Geschichten‘ von 1824 zitiert, ohne zu ahnen, daß Ranke ihn später verworfen hat. Für Gilberts erstaunliche Bemerkung, „zu Beginn von Rankes wissenschaftlicher Laufbahn“ habe sich dessen „historisches Interesse und die Formen, die dieses Interesse annahm, auf die jüngste Vergangenheit“ bezogen (36) findet in dieser Ausschließlichkeit weder in Rankes bisher bekannt gewordenen unveröffentlichten Aufzeichnungen noch in seinem Druck-Werk eine Stütze und muß als völlig verfehlt angesehen werden. Die Frühneuzeithistorikerin Ágnes R. Várkonyi (geb. 1928), welche 1973 ein Werk über die positivistische Geschichtsbetrachtung in der ungarischen Geschichtsschreibung verfaßt hatte, lehnte, wie Attila Pók dargestellt hat, „Arbeiten von Vertretern des - 577 -

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Historismus wegen der These von der Omnipotenz des Staates ab“ und stellte in Rankes Schaffen eine Phase vor 1848 fest, in der er „die gemeinsamen Entwicklungszüge der germanischen und lateinischen Völker, die Tatsachen des europäischen Gleichgewichts und der Suche nach Einheit“ dargestellt habe, wohingegen er in den 1870er Jahren „deshalb zum ungekrönten König der deutschen Geschichtsschreibung“ geworden sei, „weil er die Geschichtswissenschaft in den Dienst der von Preußen enteigneten nationalen Idee“ gestellt „und somit die aggressiven Bestrebungen des preußischen Staates“ unterstützt habe (Pók 1988/2004, 108). Rankes romano-germanisch zentriertes Europa mußte bei den davon Ausgeschlossenen auf Ablehnung stoßen. Über ‚Polen und polnisch-preußische Beziehungen im historiographischen Werk Leopold von Rankes‘ brachte der bekannte polnische Historiker Gerard Labuda (1916-2010, s. auch II, 539) 1981 einen Beitrag zum Erscheinen, in dem er Ranke nicht zu Unrecht den Vorwurf machte, in seinen Darstellungen Polen bewußt vernachlässigt zu haben. Labuda begründete dies mit dem bereits von Eugen Lemberg (1903-1976) (Ostmitteleuropa im dt. Geschichtsbewußtsein. In: Dt. Osten u. slawischer Westen. Hg. v. H. Rothfels u. W. Markert, Tüb. 1955, 117f.) beklagten Grundzug in Rankes Geschichtsanschauung, demzufolge die slawische Welt, „insbesondere aber Ostmitteleuropa mit seinen fluktuierenden staatlichen Verhältnissen, in einem geschichtslosen oder geschichtsunwürdigen Raum lebte“, abseits der beherrschenden romanisch-germanischen Völkergemeinschaft. Ergänzend ist auf den Beitrag des späteren Gießener Osteuropahistorikers Herbert Ludat (1910-1993) von 1952 über ‚Die Slawen und das Mittelalter‘ hinzuweisen, der ebenfalls das von Ranke fixierte, „die Slawen vom europäischen Mittelalter ausschließende Geschichtsbild“ (70 bzw.164) kritisiert hatte. 1992 widmete sich auch Klaus Zernack in einem Beitrag ‚Deutschland und der Osten als Problem der historischen Forschung in Berlin‘ kurz Rankes Russland- und Polenbild, v. a. in seiner ‚Preußischen Geschichte‘. ‚Das europäische Staatensystem in der deutschen Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts‘ war das Thema eines von Ulrich Muhlack 1990 überarbeitet veröffentlichten Vortrags von 1988. Ranke habe, so Muhlack, gegen eine „ideologische Polarisierung der europäischen Staatenverhältnisse ... die historisch gewachsene Vielfalt des europäischen Staatensystems“ gesetzt (52) und darin eine doppelte „Universalisierung“ vollzogen. Zum einen erscheine jeder Staat stets als „Träger allgemeiner Ideen oder Prinzipien“ (53), zum anderen gehe Ranke von der These einer Einheit der europäischen Staaten aus (55). Bei seinen Werken lege er, wie gegen einen späteren Ansatz von Schulin (1988, s. I, 579) weiterhin zutreffend erkannt wird, Wert darauf, „den jeweiligen Gegenstand immer im europäischen Gesamtzusammenhang abzuhandeln“ (59). Hier werden von Muhlack auch Gemeinsamkeiten und Differenzen Rankes zu Heeren sichtbar gemacht. Bei einer abschließenden Betrachtung der Droysenschen Sicht stellt sich der Unterschied zu Ranke so dar, daß dieser ein „positives“, jener ein „negatives Bild des europäischen Staatensystems“ gezeichnet habe, wobei Droysen geradezu eine „direkte Polemik“ gegen Rankes ‚Staatsindividualitäten‘ formuliert habe (76). - In einer bereits herangezogenen Studie über ‚Ranke und die politische Schule der deutschen Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhundert. Zum Verhältnis von Geschichte und Politik‘ unterstellte Muhlack 1993 dem Rankeschen Konzept eines „Europas der Staatsindividualitäten“, es enthalte zwei Forderungen, eine „Anweisung zum politischen Handeln“ und eine historiographische Anweisung, die europäischen Staatenverhältnisse „von ihren Grundlagen her verständlich zu machen und damit die - 578 -

I/2.5.2.2 Seit dem II. Weltkrieg - Die historisch-politische Perspektive

Voraussetzungen gegenwärtiger europäischer Politik klarzulegen“ (99). Dies sollte man jedoch bestenfalls nur idealiter verstehen, denn Rankes ‚Konzepten‘ jedweder Art sind Forderungen im allgemeinen fremd, vor allem widerspricht es dem Wissenschaftscharakter seiner Historiographie, als Anweisung zum politischen Handeln zu dienen. Der im Jahre 2000 erschienene anregende Beitrag von Gesa von Essen, ‚Leopold von Ranke zwischen Welthistorie und Nationenbiographie‘, weist - selten genug - auf Rankes Entwurf einer „europäischen Republik“ in der von Ludwig Keibel 1928 edierten Schrift ‚Aus den Papieren eines Landpfarrers‘ hin (s. II, 176). Dieser Entwurf erscheine „als eine zusammen und gegeneinander wirkende Staatenwelt der großen Mächte, die sich von anderen Völkergemeinschaften durch die signifikante Gleichzeitigkeit von Gleichheit und Verschiedenheit, von wechselseitiger Abhängigkeit und individueller Eigenständigkeit“ unterscheide (300). Ernst Schulin, hier bereits mehrfach herangezogen, verfaßte 2006 einen RankeArtikel für das von Heinz Duchhardt u. a. herausgegebene Werk ‚Europa-Historiker‘. Zuvor hatte er Aufsätze über ‚Universalgeschichte und Nationalgeschichte bei Leopold von Ranke‘ (1988) und über ‚Die deutschen Historiker und die Revolution von 1848/49‘ (1999) verfaßt (s. I, 584). Vergleiche mit Muhlacks Beitrag von 1990 bieten sich an, vor allem in der weitreichenden These von Schulins Beitrag ‚Universalgeschichte und Nationalgeschichte bei Leopold von Ranke‘: Ranke habe nicht „europabezogene“ Staatengeschichte geschrieben, sondern „christlich universalbezogene“ (63). Mit Blick auf Rankes ‚Französische‘ und ‚Englische Geschichte‘, der man von englischer Seite ihre europäische Sicht geradezu vorgeworfen hatte (s. I, 288ff.), kann man dies wohl nicht gelten lassen. Hingegen ist sicher zutreffend Schulins Feststellung, „deutscher Nationalismus“ sei Ranke „beinahe so fern wie Liberalismus“ gewesen (1999, 73). - Schulins aus jahrzehntelanger Beschäftigung mit Ranke erwachsene klar formulierte Darstellung seines ‚Europa-Historiker‘-Artikels, welcher sich hauptsächlich fortschreitend an der Chronologie von Werk und Werdegang orientiert und auch Rankes Vorlesungen, z. T. in Schüler-Nachschriften, berücksichtigt, verweilt dabei dem Handbuch-Charakter entsprechend - neben der Betrachtung des Europagedankens im Verhältnis von Nationalgeschichte und Weltgeschichte im Bereich überwiegend unstrittiger Grundtatsachen der Werkgeschichte. Er betont, daß Ranke in einer Zeit des Nationalismus, „als die Historiker anderer Länder“ es „als ihr höchstes Ziel betrachteten, die Geschichte ihrer Nation zu erforschen und zu erzählen“, sich vor allem mit „neuzeitlicher europäischer Geschichte“ befaßt habe (129). Hierzu muß ergänzt werden, daß Ranke, ähnlich der von ihm nach 1848 unternommenen Themenflucht in seinen Vorlesungen und der massiven Kritik an seiner ‚Preußischen Geschichte‘, mit der ‚Französischen‘ und der ‚Englischen Geschichte‘ auch im Bereich der Werke eine willkommene thematische Ausweichmöglichkeit sah, was natürlich nicht ‚alles‘ erklärt. Wesentliche Fragen des Rankeschen Geschichtsdenkens (Objektivität/Unparteilichkeit, Religiosität, Verhältnis zur Philosophie etc.) werden von Schulin im Hinblick auf die im Vordergrund stehende Europa-Thematik kaum berührt. Ältere Literatur zum Thema ‚Europa‘, wie etwa Hashagen (1938), Rotthaus (1943), Wolandt (1950), Rothfels (1950), v. a. Gollwitzer (1951), Wagner (1963), Münter (1967), findet keine Berücksichtigung, hingegen Graftons 1995 (zuerst 1994) erschienene Arbeit über ‚Die tragischen Ursprünge der deutschen Fußnote‘.

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I/2.5.2.3 Seit dem II. Weltkrieg - Die historisch-politische Perspektive

Rankes Nationalgeschichten. Religionskriege und das Problem der Revolution (I/2.5.2.3) Bei neueren Betrachtungen der ‚Französischen‘ und der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes fehlt in der Regel gänzlich die Kenntnis der Aufnahme dieser Werke in der Zeit ihres Erscheinens. Dabei finden sich doch neben einer nur rezeptorischen Einstellung dort auch verwertbare Ansätze zu sachlich-fachhistorischer Analyse (s. I/2.1.7.1f.). Schon Victor Cherbuliez hatte 1886 Betrachtungen angestellt über die unterschiedlichen Revolutionsauffassungen Rankes und Mignets (unter dem Pseudonym Valbert). Nach der 1932 erschienenen Arbeit von Hoeft über ‚Rankes Stellungnahme zur Französischen Revolution‘ ist es nicht mehr zu einem monographischen Werk über dieses Thema, wie auch über Rankes ‚Französische Geschichte‘ gekommen. Später hat Fritz Ernst das Thema der Rankeschen Revolutionsauffassung noch einmal in einem Essay gestreift (Ernst/1936). Theodor Schieders Beitrag von 1950 über ‚Das Problem der Revolution im 19. Jahrhundert‘ behandelt trotz des ansonsten erheblichen RankeInteresses seines Verfassers hier stattdessen vornehmlich das modische BurckhardtThema und mehr noch Marx. Einige kleinere oder beiläufige Untersuchungen und Betrachtungen der Nachkriegszeit sind gelegentlich von Wert, so besonders in der 1976 erschienenen Dissertation des Vierhaus-Schülers Franzjörg Baumgart über Rankes Auffassung der 1848er Revolution (s. I, 561). Bemerkenswert ist beiläufig auch das Interesse, das Rankes ‚Französische Geschichte‘ in literarischer Hinsicht gefunden hat. Es bekundete sich schon 1958 bei Heinz-Otto Sieburg, 1970 in Hans Robert Jauß‘ ‚Literaturgeschichte als Provokation‘, 2008 in Philipp Müllers Dissertation ‚Erkenntnis und Erzählung. Ästhetische Geschichtsdeutung in der Historiographie von Ranke, Burckhardt und Taine‘ (s. I, 677.). ‚Ranke und das revolutionäre Problem, eine Studie‘ war der unglückliche Titel einer 1951 erschienenen Wiener Dissertation Herbert Handls, der sich darin nichts weniger vornahm, als „in einer Dreiteilung den Menschen Ranke in seiner geistigen, religiösen und politischen Bedingtheit, den Historiker in der Beurteilung revolutionärer Bewegungen der Weltgeschichte und den Politiker in seiner Teilnahme an den großen Veränderungen seiner Zeit“ (I-II) zu zeigen. Dies rechtfertigte nicht unbedingt die fragwürdige Gliederung in die drei Hauptkapitel ‚Der Mensch‘, ‚Der Historiker‘, ‚Der Politiker Ranke‘. Im allgemeinen hat Handl Ranke gegenüber ein nicht eben kritisches Verhältnis: Im ‚Politischen Gespräch‘ und in den ‚Großen Mächten‘ habe er uns „unvergängliche Wahrheiten übermittelt“ (92). Die für das Thema völlig einschlägige Arbeit von Hoeft (1932) wurde übergangen und die „abschließende Betrachtung und Würdigung der Haltung Rankes zur Revolution“ stammt im wesentlichen von Ranke selbst. Die Dissertation wird auch von Vierhaus (Soz. Welt/1957, 137, A. 6) als „wenig ergiebig“ beurteilt. - Dies traf nicht zu auf die Arbeit von Ingeborg Horn. Sie bemerkte in einer von dem damalige Jenaer Neuzeit-Historiker Karl Griewank (1900-1953) angeregten, 1952 erschienenen Dissertation über ‚Die Darstellung und Auffassung der neuzeitlichen Revolutionen bei Ranke‘ zutreffend, dieser habe den Gedanken an einen möglichen Umsturz als eine „ständige Bedrohung seiner wissenschaftlichen wie persönlichen Existenz empfunden“ (234), und der Fortbestand des Machtstaates als eines „unbewegten Pfeilers inmitten revolutionärer Strömungen“ sei „ein Angelpunkt für Rankes Geschichtsauffassung, der ruhende Pol im Ablauf der historischen Darstellung“ gewesen (229). Horn kam u. a. zu dem Ergebnis, daß in Rankes Darstellungen von einem „durchgehenden Revolutionsbegriff“ gesprochen werden könne, der - 580 -

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„keinen wesentlichen Wandlungen im Laufe seines langen Lebens unterworfen“ gewesen sei (223). Die modernen Revolutionen, beginnend mit der nordamerikanischen, würden dabei von Ranke unter dem Aspekt von „Totalumwälzungen“ (224) gesehen. Ranke unterscheidet nach Horn vier „Revolutionsgattungen“ (die sich nicht auszuschließen brauchen): die aristokratische, die populäre, die politische und die soziale (bes. 227). - Horn gab 1955, nach Griewanks Tod, unter dem Titel ‚Der neuzeitliche Revolutionsbegriff. Entstehung und Entwicklung‘ nachgelassene Schriften ihres Lehrers heraus. In den auf die Jahre 1949 bis 1953 zurückgehenden Aufzeichnungen wird Rankes Revolutionsauffassung nur kurz behandelt, allerdings einmal auf bezeichnende Unterschiede aufmerksam gemacht: Ranke habe lediglich Erhebungen, die „auf gesellschaftlich konservativen Fundamenten standen, wie der niederländische Aufstand und die ‚serbische Revolution‘“ eine „fühlbare Sympathie“ gewidmet. Gleichwohl habe er sich „auch in und nach den vielen zerstörenden Revolutionen“ „doch immer wieder um eine zuversichtliche Gesamtbilanz des Geschehens“ bemüht, worin Griewank einen Nachklang des Hegelschen „Entwicklungsdenkens“ vermutete (217), da ihm die charakterologisch gegründete Rankesche Grundeinstellung einer schließlichen Harmonisierung aller Gegensätze nicht bewußt war. Das seltene Thema ‚Kriegsursachen und Kriegsschuld im Urteil Rankes‘ behandelte Jürgen Harden in einer heute kaum noch beachteten, bei Leonhard von Muralt entstandenen Züricher Dissertation von 1953. Harden gründet seine Untersuchung des Themas, das mit elementaren Fragen des Geschichtsdenkens (die Einschätzung individueller und kollektiver Faktoren, von Freiheit und Notwendigkeit, Kausalität, Wert und Wertung usw.) zusammenhängt, auf weite Bereiche des Rankeschen Werkes und war so auch in der Lage, Wandlungen der Auffassung festzustellen. Was die Kriegsursachen anbelangt, so glaubt Harden bei Ranke im Verlauf seines Schaffens ein Zurückweichen der finalen Erklärungsweise zugunsten der kausalen erkennen zu können, obgleich aufgrund der „Verflechtung der kausalen Sphäre mit den göttlichen Einwirkungen ... ein irrationaler Zug in seine Werke“ gelangt sei (74). Hinsichtlich der Kriegsschuld-Frage vermerkt er Rankes „Tendenz, nicht so sehr als Ankläger, sondern als Verteidiger, der auf mildernde Umstände hinweist, aufzutreten“ (76). Im übrigen teilt Harden nicht die von Sybel, Below, Meinecke und Hofer vertretene Ansicht, daß „bei Ranke im Alter die Bedeutung des Individuums vor den allgemeinen Ideen und objektiven Weltverhältnissen immer mehr zurücktrete“ (94). Die Arbeit leidet ein wenig an einer Immanenzinterpretatorik, welche versucht, Ranke „durch von ihm selbst aufgestellte historische Polaritäten“ (93) zu erfassen. Harden beendet sein auch weiterhin noch lohnendes Thema mit knappen vergleichenden Blicken auf entsprechende Anschauungen von Sybel, Brandenburg, Oncken, Werner Näf, M. N. Pokrowski, Bernadotte E. Schmitt, Sidney B. Fay und Paul Renouvin. Der später verdienstvolle Journalist Roswin Finkenzeller (geb. 1934) legte bei Otto Vossler in Frankfurt/M. eine Dissertation über ‚Die Darstellung des Zeitalters der Religionskriege bei Ranke‘ vor, welche 1962 maschinenschriftlich zu Tage trat und eine entsprechend geringe Wirkung tat. Finkenzeller weist zunächst mit Recht auf das Schwergewicht hin, das in Rankes Werken in der Epoche der religiös-politischen Kämpfe des 16. und 17. Jahrhunderts liegt (5). Allerdings wird dabei seine ‚Englische Geschichte‘ vernachlässigt. Es ist bezeichnend für die Arbeit, die ohne historiographiegeschichtliche Perspektive, jedoch mit unbewußten vulgärphilosophischen Prämissen und praktisch ohne Literatur operiert, daß die Frage für entscheidend gehalten wird, - 581 -

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„ob es Ranke gelungen“ sei, die Religionskriege nicht nur zu beschreiben, sondern auch die Notwendigkeit ihrer Entstehung wie die Notwendigkeit ihrer Überwindung zu klären und darüber hinaus auch den Eigenwert gerade dieses Abschnittes der Weltgeschichte zu erhellen“ (ebd.). Ranke habe also den Religionskrieg „unter Umständen für eine sehr vernünftige Sache“ gehalten (7). Von diesem fragwürdigen Ansatz aus gelangt Finkenzeller zu der die Arbeit abschließenden ‚Erkenntnis‘: „Das Zeitalter der Religionskriege ist bei Ranke kein Zeitalter des religiösen Wahnsinns. Alles in allem mußte es so kommen, wie es gekommen ist; und es mußte auch wieder aufhören, so wie es dann auch aufgehört hat.“ (85). * Der Saarbrücker Historiker Heinz-Otto Sieburg (1917-2003) betonte in seiner 1954 und 1958 zweibändig erschienenen Habilitationsschrift über ‚Deutschland und Frankreich in der Geschichtsschreibung des 19. Jahrhunderts‘ das keimhafte Vorhandensein der „wesentlichsten Prinzipien, durch die Rankes Methode und Geschichtsschreibung bestimmt“ werde, in dessen Erstlingswerk, v. a. die „als historische Einheit begriffenen Völker germanisch-romanischer Abkunft“ (I, 99). (Des Vf.s These, in Rankes Analekten als Gesamtheit stelle sich „etwas wie eine Gesamtgeschichte der Historiographie“ dar, I, 103, ist als Übertreibung anzusehen.) - Die universalistische Betrachtungsweise werde durch Ranke „zum leitenden Gesichtspunkt der Historiographie konkret-fachlichen Charakters.“ (I, 129). Dieser in Rankes Europabewußtsein wirksame Universalismus trage einen „mehr kultur- und geschichtsbewußten als politisch-teleologischen Charakter im Sinne eines Zusammenschlusses der Europäer.“ (I, 130f.). Eine der für sein Thema weitreichendsten Feststellungen des Verfassers liegt in Folgendem: Zwischen 1830 und 1848 habe „zunächst die frankreichfreundliche“ Verhaltensweise des Frühliberalismus dominiert, „im Zeitalter Bismarcks dann die ressentimentbestimmte. Zwischen und über beiden Blickwinkeln“ habe „sich dann eine dritte Möglichkeit der Anschauung: die universalistische und gleichzeitig indifferente“ gewölbt: „Von Hegel vorbereitet, gipfelt sie historiographisch im Werke Rankes“ (I, 131). - In der Folge untersucht Sieburg Rankes Nationalbewußtsein - ein „wesentlich defensives Nationalgefühl“ (I, 234) - und sein Frankreichbild anhand der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ (I, 229ff. u. I, 241ff.). Die Frage der nationalen Einheit sehe Ranke „eher unter dem Gesichtswinkel eines organischen Wetteifers als dem einer machtpolitischen Gewaltlösung.“ (I, 231). Sein Nationalgefühl grenze sich sehr bewußt „gegen den universalen Geltungsanspruch des neufranzösischen Nationalismus revolutionärer Ursprünge und Zielsetzungen“ ab (I, 278). - Sieburgs Werk ist nicht frei von Wiederholungen, und seine Feststellungen sind häufig von einer Allgemeinheit, die in der Nähe des Allgemeinplätzigen liegt. So werden auch Grundzüge Rankeschen Geschichtsdenkens zunächst auffallend extensiver behandelt als Rankes vom Werkthema nahegelegte Darstellung der französischen Geschichte (s. z. B. II, 187), die Sieburg in maßloser Übertreibung ansieht als „eine einzige Programmschrift zur Rechtfertigung des monarchischen Gedankens“ (II, 194). - In seinem Werk ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘ von 1875 habe Ranke den von Sybel abgelehnten Gedanken entwickelt, „daß zwischen dem revolutionären und dem konservativen Prinzip 1792 der Krieg gleichfalls mit schicksalhafter Notwendigkeit und als das Ergebnis des Wirkens überpersönlich dämonischer Mächte habe hervorgehen müssen, daß aber von einer persönlichen und moralischen Schuld bei irgend jemandem im Grunde gar nicht die Rede sein dürfte.“ (II, 244). - Anregend sind Sieburgs unerwartete Beobachtungen zur - 582 -

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Stilistik, die er in einer detaillierteren Analyse der Rankeschen „Schau der französischen Geschichte“ (II, 253-279) vornimmt. Diese bilde „den Höhepunkt der deutschen Geschichtsschreibung über den westlichen Nachbarn überhaupt.“ (II, 279), eine Aussage, die wenig mit der zuvor abträglich getroffenen einer ‚Programmschrift‘ harmoniert. Rudolf Vierhaus stützte sich in seiner kurzen, weniger beurteilenden als referierenden Behandlung der Französischen Revolution um diese Zeit hauptsächlich auf Rankes ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘, seinen ‚Hardenberg‘ und Vorlesungen aus dem Nachlaß. Für Ranke seien die in dieser Revolution „zutage tretenden Kräfte Möglichkeiten der europäischen Menschheit“ gewesen, „die sich früher schon angemeldet, aber nie durchgesetzt“ hätten „und auch in seiner Zeit noch nicht ausgetragen“ waren. Dies gelte „insbesondere für Idee und Wirklichkeit der Volkssouveränität“ (Vierhaus: Soz. Welt/1957, 197). Gründe für ihren Ausbruch waren außen- wie innenpolitischer Natur (197f.), Napoleon ihr „Erbe und zugleich Überwinder“ (199). Die Französische Revolution war „eine politische, durch die Frankreich aus der alteuropäischen Staatenwelt ausbrach und diese damit überhaupt zertrümmerte. Aber es brach auch aus der alten Gesellschaftsordnung aus!“ (200). - Auch der israelische Historiker Walter Grab (1919-2000) befaßte sich in seinem Aufsatz ‚Französische Revolution und deutsche Geschichtswissenschaft‘ von 1974 nur kurz und in wenig selbständiger Weise mit Rankes Auffassung. - Anders der an der Pädagogischen Hochschule Magdeburg tätige Historiker Dieter Elsner. Er hatte sich bereits in seiner 1985 erschienenen Leipziger Dissertation dem Thema gewidmet (‚Die große Französische Revolution im Spiegel der neueren bürgerlichen Historiographie der BRD, dargestellt am Beispiel von Eberhard Schmitt und Rolf Reichardt‘), als er sich 1986/87 Ranke unmittelbar zuwandte (‚Leopold von Ranke und die Große Französische Revolution‘). Elsner beachtet zwei Aspekte in Rankes Verhältnis zur Französischen Revolution, zum einen das persönliche Erleben der Revolutionen von 1789, 1830 und 1848, zum anderen „seine wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Problem ‚Revolution‘ in der Geschichte“. Elsners interessante These besteht nun darin, daß er beide Aspekte in einem stetigen Wandel begriffen sieht, die sich im Verhältnis zueinander „im gewissen Sinne“ als „gegenläufig“ verhalten (86). Ranke sei trotz revolutionsbedingter Existenzangst „aufgrund seiner historischen Studien zu einer die Große Französische Revolution als geschichtsbildende Kraft akzeptierenden Einschätzung gelangt, wenngleich er die ‚politischen Formen‘ der Revolution“ abgelehnt habe (91). Aus dem revolutionär stets stark interessierten sozialistischen Lager stammt auch ein Beitrag von Werner Berthold zu dem Bicentenar-Sammelband ‚1789 - Weltwirkung einer großen Revolution‘. Unter dem Thema ‚Weltgeschichtskonzeption und Stellung zur Großen Französischen Revolution - ein Vergleich der „Philosophie der Weltgeschichte“ Hegels und der „ ... Epochen der neueren Geschichte“ Rankes‘ (s. auch I, 604 u. 635) sah er Hegel geprägt „durch den jugendlichen Enthusiasmus für die Große Französische Revolution“ und die Vorstellung der „vorteilhaftesten Staatsform“ für die „bürgerliche Gesellschaft“, wohingegen es Ranke - Berthold stützt sich in seiner Darstellung stark auf Hoeft (1932) - bei seiner „negativen politisch-moralischen Bewertung“ der Revolution (625) „um die Bewahrung der legitimen Monarchien“ gegangen sei (627). Die folgenden beiden Beiträge bearbeiten Buchthemen in Aufsatzform, mit entsprechend geringen Resultaten. In Hans Schmidts Aufsatz von 1990, ‚Die Französische - 583 -

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Revolution in der deutschen Geschichtsschreibung‘, ist Ranke lediglich in einem Absatz behandelt. Dabei betont Schmidt, Ranke habe „die allgemeine Gültigkeit der Revolutionsideen“ abgelehnt. Das wußte man. Er habe darin „ein vornehmlich französisches Ereignis“ erblickt, einen „Krieg zwischen den Mächten des Ancien Régime und den Vertretern der neuen Ideen ...“ Anders als Niebuhr sei er völlig frei gewesen von Franzosenhass: „eine Haltung, die im konservativen, revolutionskritischen Lager ... noch sehr lange niemand sonst einzunehmen vermochte“ (187). - Auch in Ernst Schulins 1999 erschienenem Beitrag über ‚Die deutschen Historiker und die Revolution von 1848/49‘ ist Ranke nur gestreift. Doch weist Schulin darauf hin, daß Rankes ‚Französische‘ und ‚Englische Geschichte‘ das „ganze Gegenteil“ der entsprechenden Revolutionsgeschichten Friedrich Christoph Dahlmanns von 1844 und 1845 seien. Habe Ranke doch, zwar „möglichst neutral, aber nicht ohne Lehrabsicht“ dargestellt, „wie sich die zwei starken monarchischen Staaten Westeuropas bildeten, in schweren inneren Parteikämpfen, aber erfolgreich“ (76. - Rankes HPZ erschien nicht, wie Schulin angibt, „1830-32“ (73), sondern 1832-36). Eine quellenmäßig gut fundierte, umsichtige Arbeit, welche auch Rankes Vorlesungseinleitungen berücksichtigt, lieferte 1999 Vera Werding mit ihrer Dissertation über ‚Die Französische Revolution im politisch-historischen Denken Rankes und Droysens‘. Rankes Darstellung wird vor allem charakterisiert aus seiner Ablehnung des Prinzips der Volkssouveränität und aus seiner Orientierung an „der Position der preußischen Regierung“ (124). Werding sieht in Rankes Darstellung, besonders hinsichtlich der Frage nach den Ursachen der Revolution, Vierhaus ähnlich, eine „stetige Wechselwirkung zwischen Außen- und Innenpolitik“ (48). Wichtig auch der weitreichende Hinweis, Ranke habe „in den aus der Machtpolitik der einzelnen Staaten ständig resultierenden Konflikten ... keine Störung der europäischen Einheit“ gesehen, „sondern eine aus der Individualität der Einzelstaaten folgende Notwendigkeit, die er als ein belebendes Moment des staatlichen Lebens betrachtete.“ (43). - Aus dem Jahre 2011 stammt der Beitrag des japanischen Ranke-Forschers Shinichi Sato über Ranke und die französische Julirevolution (Text in Japanisch). * Über ‚Die Stellung der deutschen Historiker zu England von den Befreiungskriegen bis zum Weltkrieg‘ hatte schon Gisela Nagel 1943 gearbeitet (s. I, 512f.). Der spätere Geschichtsprofessor der University of New Mexico, Charles E. McClelland, griff das Thema 1971 in seinem Werk ‚The German historians and England. A study in nineteenth-century views‘ auf, in dem vor allem sein Kapitel über ‚England as first cousin Ranke and protestant-germanic conservatism‘ (91-107) zu beachten ist. McClelland widmet sich darin dem ansonsten eher vernachlässigten Thema in nur knapper Form: Ranke habe mehr zum Studium der englischen Geschichte in Deutschland beigetragen als jeder andere Autor, sowohl durch seine ‚Englische Geschichte‘, als auch durch die Ausbildung seiner Schüler, i. b. Reinhold Paulis. Bezeichnend für Ranke sei, daß er im Gegensatz zu konstitutionellen Historikern seiner Zeit die Bedeutung der Religion im englischen Leben des 17. Jahrhunderts nicht heruntergespielt, sondern sich dieser Zeit gerade wegen ihrer dramatischen Beispiele römisch-protestantischer Auseinandersetzungen genähert habe. Konstitutionelle Fragen seien da nur von zweitrangigem Interesse gewesen. Ranke habe eine bemerkenswerte Revision der deutschen Sicht der Tudors, Stuarts und der Puritaner initiiert, so seine Beurteilung Heinrichs VIII. als - 584 -

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eines volkstümlichen Kämpfers für die englische Unabhängigkeit von Rom. Kein Historiker seiner Zeit habe auch Englands Politik im 18. Jahrhundert so mild und günstig beurteilt. Für Ranke spiele England die Rolle der größten protestantischen Macht und damit die des Erhalters des europäischen Gleichgewichts gegen die nichtprotestantischen Reiche. - Zu den Nachwirkungen der Rankeschen Sicht ist bemerkenswert, wenn auch von McClelland im einzelnen nicht nachgewiesen: „It is no small irony that the later canonization of Ranke’s conservative Anglophile approach led to jettisoning the English domestic political example and focussing on the increasingly tense international relations between Britain and the Reich - a formula which fed the fires of late nineteenth-century German Anglophobia.“ (92). Andere Beiträge sind an der Aufarbeitung von Einzelfragen interessiert, so an Rankes bereits von zeitgenössischen Rezensenten beanstandetem Cromwell-Bild. Die Kieler Dissertation von Harro Voss aus dem Jahre 1952 über ‚Die Wandlung des Cromwell-Bildes in der Geschichtschreibung von 1845-1951‘ fand - zu Unbestimmtheiten neigend - heraus, Ranke habe den Charakter Cromwells „ohne grosse Sympathie“ gezeichnet, „wenn er auch ehrlich bemüht war, Oliver zu verstehen“ (102). Gelobt wird die angeblich objektive Darstellung der englischen Revolution (104). Rankes „Überblick der grossen europäischen Auseinandersetzungen“ sei „derart dominierend, dass die handelnden Figuren im englischen Kampf ihre individuelle Verantwortung in gewisser Weise einbüßen, wenn auch das persönliche Moment nicht ungebührlich unterschätzt wird.“ (104). - Bereits im folgenden Jahr erschien eine Erlanger Dissertation nahezu gleicher Thematik: ‚Die Wandlungen des deutschen Cromwell-Bildes‘, von Richard Heinold. Ranke ist in dieser mit dem 17. Jahrhundert einsetzenden Arbeit als einzigem deutschen Historiker ein eigenes Kapitel (40-52) gewidmet. Sein Urteil über Cromwell sei „bis zum heutigen Tage maßgebend und unüberholt geblieben“ und könne in seiner Objektivität „noch heute vorbehaltlos Mittelpunkt der deutschen Cromwell-Literatur genannt werden.“ (40). „Vervollkommnungen und Berichtigungen aber liegen auf dem Gebiete historischer Detailforschung“ (ebd.). Rankes „Hauptverdienst“ liege darin, „daß sich vor seinem leidenschaftslos prüfenden Auge erstmals die vielfach verschlungenen Fäden der englischen politischen und religiösen Parteien des 17. Jahrhunderts entwirren und in einem klar geformten Bild Gestaltung erfahren.“ (44). Heinold geht sehr kurz der Frage nach, welche Quellen Ranke benutzt habe. „Mehr als bei einem seiner anderen Werke“ habe dieser für seine ‚Englische Geschichte‘ „originale Quellen“ herangezogen (42). Ein Satz, den man nicht ungeprüft übernehmen sollte, zumal der Verfasser in seinen bibliographischen Angaben zu den verschiedenen Auflagen der ‚Englischen Geschichte‘ (43) massiven Irrtümern unterliegt (s. II, 540). - Ähnliche Werk-Unkenntnis lag bei dem englischen Historiker R. C. Richardson vor. Er hatte 1972 eine Schrift über ‚Puritanism in NorthWest England: a regional study of the diocese of Chester to 1642‘ veröffentlicht, bevor er sich 1977 zu dem allgemeineren Thema ‚The debate on the English revolution‘ aufschwang. An der originären Kenntnis von Rankes ‚Englischer Geschichte‘ kommen Zweifel auf bei Betrachtung der bibliographischen Angaben des hier in Rede stehenden Werkes: Rankes ‚Englische Geschichte vornehmlich im 17. Jahrhundert‘ - so der Titel ab der 3. Auflage - erschien nicht in sechs Bänden in den 1860er Jahren, sondern neunbändig in den 1870er Jahren. Die von Richardson gemeinte Erstauflage ‚Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert‘, die spätere Titeländerung ist ihm nicht geläufig, erschien zwar in den 1860er Jahren, jedoch nicht sechsbändig, sondern - 585 -

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siebenbändig. - Der Wert von Rankes Werk habe hauptsächlich in der Behandlung der Beziehungen Englands zum Kontinent gelegen. Das 17. Jahrhundert erscheine bei ihm als eine heroische Periode für England, und die Revolution von 1688 als ein Ereignis, welches den Interessen eines von Ludwig XIV. bedrohten Europa gedient habe. Auch habe er mit besonderem Interesse für die diplomatischen und religiösen Aspekte des 17. Jahrhunderts die religiösen Kontroversen mit der für einen Deutschen ungewöhnlichen Ernsthaftigkeit behandelt und die Unterschiede der Englischen Revolution und der von ihm gründlich mißbilligten Französischen von 1789 herausgestellt. Seine nachsichtige Behandlung der Stuarts sei, zumindest teilweise, gegründet auf ihren Beitrag zur Einigung Großbritanniens, welche wiederum indirekt der Sache eines belagerten Europa gedient habe (68). Richardson weist beiläufig darauf hin, daß George Macaulay Trevelyan (1876-1962) in seinem Werk ‚England under the Stuarts‘ (London 1900, zahlr. weitere Aufll.) Rankes ‚Englische Geschichte‘ beschrieben habe als „one of the great histories of our country, too much neglected“ (Richardson/1977, 80). - Ein 1985 im Druck erschienener Vortrag des englischen Historikers James Joll (1918-94) über ‚National histories and national historians: Some German and English Views of the Past‘ kommt hier weniger in Betracht. Sein darin angestellter üblicher Vergleich der Geschichtsanschauungen und Darstellungen Rankes und Macaulays gilt nur ihren jeweiligen ‚nationalen‘ Werken, nicht den ‚Englischen Geschichten‘ beider. Rudolf Vierhaus interessierte in seiner bekannten Dissertation von 1957, ‚Ranke und die soziale Welt‘, verständlicherweise vorwiegend der soziale Gesichtspunkt und damit auch das Revolutionsthema. In Rankes Darstellung der englischen Geschichte hätten sich „zwei der Verfassung innewohnende Tendenzen ‚auf gesetzlichem Grunde‘ bekämpft ..., gewaltsame Umwälzungen aber, wie sie der Kontinent erlebte“, seien „auf der Insel vermieden worden... England habe bis in die Gegenwart keine moderne Revolution erlebt, die zugleich auch eine soziale Umwälzung ist“ (194). Bei Ranke sei auch nicht von einer ‚Industriellen Revolution‘ die Rede (ebd.). Der Neuzeit-Historiker Gerhard Schilfert (1917-2001), zeitweilig Präsident der Historiker-Gesellschaft der DDR - eines seiner Spezialgebiete war westeuropäische und amerikanische Revolutionsgeschichte - beteiligte sich an dem mehrfach genannten, von der Historiker-Gesellschaft 1986 veranstalteten Kolloquium über das Werk Rankes mit einem Beitrag ‚Rankes Beurteilung der englischen Revolution des 17. Jh.‘. Der abrupt endende Kurzbeitrag verarbeitet nichts aus Ranke-Rezeption und Forschung, trifft jedoch eine Reihe marxistisch geprägter kritischer Feststellungen, ohne zu einem zusammenhängenden allgemeinen Urteil über Rankes ‚Englische Geschichte‘, ihre Stellung im Gesamtwerk und ihr Verhältnis zu verwandten, im besondern englischen Darstellungen zu gelangen. Das Hauptthema Rankes in seiner ‚Englischen Geschichte‘ sei „die Konfrontation zwischen Parlament und Dynastie“, nicht „der Klassenkampf zwischen der aufsteigenden Kapitalisten- und der absteigenden Feudalklasse“ (72). Cromwell werde „trotz aller Kritik ein konstruktives politisches Verhalten zugestanden“ (76). Ranke spare nicht mit „abschätzigen Bemerkungen über die revolutionären Kräfte“ des 17. Jahrhunderts, „um damit auch die revolutionären Kräfte des 19. ... in Deutschland herabzusetzen.“ (72). So habe er ebenso „im großen und ganzen ... die Art und Weise, wie die herrschenden Klassen Englands 1688/89 ganz in ihrem Interesse eine relativ dauerhafte Staatsordnung begründeten, auch für das Deutschland seiner Zeit als nachahmenswert“ hingestellt (78). Einen gewissen Widerspruch sieht Schilfert in Rankes Auffassung der englischen und der amerikanischen Revolution, wo - 586 -

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sich „manche radikale Auffassung der englischen Revolution ... keineswegs zerstörend ausgewirkt“ habe (76). - Aus sozialistischer Sicht schrieb 1988 auch Helgard Fröhlich über ‚Leopold v. Ranke und der englische Parlamentarismus‘. Rankes „Vorliebe für die englische Geschichte“ sei „Indiz für ein begrenztes Zurückstellen antiliberaler Vorbehalte und eine Annäherung an rechtsliberale Positionen auf der Grundlage der gemeinsamen antidemokratischen Haltung gegenüber der Volksbewegung“ gewesen. (702). Der allzu knappe, literaturarme Beitrag ist gleichwohl für Rankes Revolutionsauffassung von einiger Bedeutung. Der sowohl in englischer Geschichte als auch in der Revolutionsthematik mehrfach ausgewiesene Darmstädter Professor für Neuere Geschichte, Hans-Christoph Schröder (geb. 1933), schrieb 1992 über ‚Rankes „Englische Geschichte“ und die Whighistoriographie seiner Zeit‘. Unter deren Vertreter zählt er: Hallam, Macaulay, Stubbs und Freeman, wobei „keine unbedingte Identifikation mit der Whigpartei“ impliziert sei (29). Zu den grundlegenden Gemeinsamkeiten gehöre das „Whigaxiom von der parlamentarisch-libertären Besonderheit und Kontinuität englischer Geschichte“ (32), und dieses sei auch für Rankes Darstellung prägend. Überdies sei das Whigaxiom des „kontraktuellen Charakters der englischen Verfassung“ (32) von Ranke übernommen worden. Bemerkenswert ist v. a. der Hinweis, Ranke sehe, wie die Whig-Historiker, in der englischen Geschichte Tendenzen „zielgerichtet und auf Vollendung hindrängend, kaum dagegen epochenspezifisch“ (33). Bei diesen Übereinstimmungen handelt es sich, Schröder zufolge, „nicht in erster Linie um eine Rezeption, sondern um eine Affinität“ (37). Diese Affinität, i. b. Rankes „positive Beurteilung der parlamentarischlibertären Kräfte in England“, sei nicht nur begründet gewesen in seinem „relativistisch-individualisierenden Ansatz mit der sich aus ihm ergebenden Toleranz“, sondern habe sich auch daraus ergeben, „daß er in ihnen die Träger einer protestantischen und das Gleichgewicht in Europa wahrenden Politik“ erblickt habe (40). Eine Berücksichtigung von Delbrücks ‚Whigs und Tories‘ (1876) hätte dem soliden Beitrag womöglich zusätzlichen Nutzen verschafft. - Von Patrick Bahners (geb. 1967), Journalist und historisch orientierter Autor, wurde um 1989 in Bonn eine Magisterarbeit mit dem Titel ‚Das Bild der Glorious Revolution im Werk Rankes und Macaulays. Ein historiographiegeschichtlicher Vergleich‘ vorgelegt, welche, wie üblich, nicht zum Druck gelangte. 1993 schritt er in einem Beitrag der ‚Storia della storiografia‘ unter dem Titel ‚Die Göttliche Komödie. Leopold von Ranke und Hayden White‘ zu einer Beantwortung der Frage, ob Rankes Werk, entsprechend dem Schema Hayden Whites, „die englische Geschichte im Modus der Synekdoche“ darstelle (74f.). (Siehe dazu I, 669). Dem Verhältnis von Nationalgeschichte und Weltgeschichte in Rankes ‚Englischer Geschichte‘ wandte sich Gesa von Essen in dem mehrfach herangezogenen Beitrag ‚Leopold von Ranke zwischen Welthistorie und Nationenbiographie‘ aus dem Jahre 2000 zu. In diesem Werk habe sich Ranke „ausdrücklich auf einige wenige, nämlich welthistorisch perspektivierbare Einzelkapitel konzentrieren“ wollen (303). Jedoch gehe es „nicht allein im Sinn einer Diplomatiegeschichte um die zwischenstaatlichen Beziehungen der verschiedenen Nationen, sondern in erster Linie um das ihnen Gemeinsame und ihre Einwirkung auf das Ganze ...“ (302). Rankes Affinität, die sich auch als Anglophilie beschreiben läßt, wurde noch in ganz anderen Zusammenhängen gesehen. ‚Die Rezeption der Englischen Revolution im deutschen politischen Denken und in der deutschen Historiographie im 18. und 19. Jahrhundert‘ ist der Titel einer von Roland Ludwig verfaßten, 2003 erschienenen - 587 -

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Gießener Dissertation, die sich in einem Kapitel mit Rankes ‚Englischer Geschichte‘ befaßt, neben dieser v. a. gestützt auf die entsprechenden Vorlesungseinleitungen und die Vorträge vor Maximilian von 1854 sowie die Arbeiten von Horn (1952), McClelland (1971) und Schröder (1992). Ranke interpretiere „Englands Vormachtstellung nicht aus der Position kleinlicher nationalistischer Animosität, sondern aus der Position der gemeinsamen Rassenzugehörigkeit.“ (327). Die Untersuchung schreitet fort einerseits im gelegentlichen Vergleich mit englischen Historikern wie vorzugsweise Macaulay, Mackintosh, Hallam, Hume und Lingard, andererseits im Vergleich mit Rankes Darstellung der Französischen Revolution. Der Unterschied zwischen Englischer und Französischer Revolution beruhe „auch wesentlich darauf, dass die Wurzeln der Englischen Revolution im religiösen Bereich zu suchen“ seien. „Das Konzept einer politischen wie sozialen Revolution“ habe Ranke „eher mit Frankreich und 1789“ verbunden. „Den Germanen - ob deutschen oder Engländern“, habe er „keine wirklich revolutionäre Haltung in politischen Dingen“ zugestanden (320). - Zu Cromwell hätte Heinold (1953) herangezogen werden können. * Zur Rankeschen Behandlung der Revolutions-Thematik sind einige Sonderfälle zu vermerken: die serbische Revolution, die mittelitalienischen Revolutionen und die griechische Revolution. - Trotz zahlreicher Beiträge zu dem in seiner Entstehung hochproblematischen Werk, mangelt es doch an Untersuchungen des Begriffs in Rankes serbischem Werk. Hier sei kurz auf zwei ganz unterschiedliche Stimmen hingewiesen. Karl Griewank sah in Rankes ‚Serbischer Revolution‘ eine solche, die, im Gegensatz zu den üblichen, auf „gesellschaftlich konservativen Fundamenten“ gestanden habe und sich insofern seiner Sympathie habe erfreuen können (s. I, 580f.). - Holm Sundhaussen (geb. 1942), Berliner Professor für südosteuropäische Geschichte, war in seiner 2007 erschienenen ‚Geschichte Serbiens. 19.-21. Jahrhundert‘ gar der Meinung, die von Ranke als ‚Revolution‘ bezeichneten Aufstände hätten lediglich den „Charakter bäuerlicher Rebellionen“ (68) gehabt. - Rankes Stellung zu den mittelitalienischen Revolutionen betrachtete der spätere Würzburger Lehrstuhlinhaber für Neueste Geschichte Wolfgang Altgeld (geb. 1951) in seiner 1984 erschienenen Tübinger Dissertation über ‚Das politische Italienbild der Deutschen zwischen Aufklärung und europäischer Revolution von 1848‘, vor allem anhand des HPZ-Beitrags von 1832, ‚Staatsverwaltung des Cardinals Consalvi‘, - Ranke sprach im Anhang lieber von „Irrungen“ - wobei ihm Altgeld in „zentralen Punkten“ Unparteilichkeit attestiert, obgleich Ranke als Konservativer den „entscheidenden Faktor“, das österreichische Interesse an Italien, „ausgeklammert“ (158f.) und so die aus dem österreichischen Eingreifen in das partikulare Geschehen erwachsende „nationale Dimension übersehen“ habe (160). - Über die äußeren und inneren Gründe für Rankes Ablehnung, eine Geschichte der griechischen Revolution zu verfassen, schrieb Berthold Seewald 2010 einen Beitrag ‚Ranke und die griechische Revolution‘. Das Material dazu war Ranke im November 1829 in Rom von Karl Wilhelm von Heydeck, Oberst der bayerischen Armee, aus Griechenland zurückkehrend, zur Prüfung übergeben worden. Seewald wirft in seiner wohlunterrichteten, auch archivalisch gegründeten Darstellung, der 2007 seine Veröffentlichung ‚Heydeckiana - Fragmente einer apologetischen Autobiographie‘ voraufgegangen war, auch einen Blick auf Rankes ‚Serbische Revolution‘ und seine ‚Historisch-politische Zeitschrift‘, wie überhaupt auf den Konformismus des treffend kritisch betrachteten „Staatspublizisten“ Ranke (236). - 588 -

3. Kapitel (I/2.5.3) DIE HISTORIOGRAPHIE- UND PHILOSOPHIEGESCHICHTLICHE PERSPEKTIVE Vorb emerkung (I/2.5.3.0) Hier gilt das Interesse dem bereits zeitgenössisch betrachteten Verhältnis Rankes zu den geistigen Bewegungen von Vorzeit und eigener Zeit, im besonderen der Aufklärung und der Romantik, der ‚Goethezeit‘, zu Herder und Wilhelm von Humboldt, zur Philosophie des Idealismus in Gestalt Fichtes, Hegels und Schellings, wobei besonders zu Hegel wieder alte Vergleiche unternommen und nach wie vor Nähe oder Ferne attestiert werden. Auch nach hundert Jahren wird Rankes Ideenbegriff noch unwägbar auf die Probe gestellt. Das kaum zu seinen Lebzeiten, jedoch im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen Kulturgeschichte und politischer Geschichte während der Wilhelminischen Zeit stark diskutierte Thema, das in der Weimarer Republik und in den Zeiten des an seinem Verhältnis zu Hegel noch interessierten Nationalsozialismus mehr und mehr verflachte, tritt - als ein „Herzstück der disziplinären Struktur des Historismus“ (Blanke/1989, 369) - nun wieder stärker hervor, wird jedoch kaum in der grundsätzlichen Weise - hinsichtlich Immanenz und Transzendenz, Kausalität und Teleologie - diskutiert wie noch zu Zeiten Karl Lamprechts. Die an Interesse abnehmende Kritik Croces erfährt von verschiedenster Seite überwiegend Zurückweisung. Ganz anders als zu seinen Lebzeiten und in den Augen Croces gilt Ranke nun gelegentlich geradezu als Geschichtsphilosoph oder als geschichtstheologisch geprägt, jedoch auch wiederum als empirischer Geschichtsrealist mit wirksamen, unwirksamen oder nicht vorhandenen metaphysischen Überzeugungen, bisweilen als erkenntnistheoretisch naiv. Die Vorträge vor Maximilian von 1854, später auch - bedenklich - das von Ranke selbst nicht mehr sonderlich geschätzte Erstlingswerk sind die bevorzugten Interpretationsobjekte. D a s V e r h ä l t n i s z u r A u f k l ä r u n g s h i s t o r i e (I/2.5.3.1) Das Verhältnis Rankes zu den geistigen Bewegungen seiner Zeit und Vorzeit hat im Zusammenhang mit der Frage nach dem Verwissenschaftlichungsprozeß der Historie seit den 1970er Jahren an Interesse gewonnen. Dies gilt überwiegend für die Zeit der Aufklärung, in welcher wohl mit allzu scharfer Bildlichkeit „der Schnittpunkt zwischen vorwissenschaftlicher und verwissenschaftlichter Historie“ gesehen wird (Blanke: Entstehung/1994, 62), während jedoch auch - so Stefan Jordan - von einem „Paradigmenwechsel zwischen [!] ‚Aufklärungshistorie‘ und ‚Historismus‘“ die Rede ist (Jordan/1999, 213-217). Ranke als Hauptvertreter einer ‚historistischen‘ Geschichtswissenschaft wird zur Aufklärungshistorie jedenfalls fortschrittlich in Beziehung gesetzt. - Bevor man zu dieser Einsicht gelangte, wurde das Verhältnis von Seiten sozialistischer Historiker eher als umgekehrt angesehen. Hans Schleier (geb. 1931) vertrat 1971 als Mitglied des Zentralinstituts für Geschichte (bzw. Instituts für deutsche Geschichte) der (Ost-)Berliner Akademie der Wissenschaften die Auffassung, Ranke habe „geschichtstheoretisch ... nicht an die Errungenschaften des fortschrittlichen - 589 -

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Geschichtsdenkens der Aufklärung und der klassischen deutschen Philosophie“ angeknüpft, sondern „in Reaktion auf die Französische Revolution und die Volksbewegungen seiner Zeit wichtige Grundlehren des reaktionären bürgerlichen Geschichtsdenkens, die teilweise bis heute fortwirken“, entwickelt. (547). - Zuvor hatte die Polin Celina Bobinska in ihrem Werk ‚Historyk, fakt, metoda‘ (Warszawa 1964. Dt.: ‚Historiker und historische Wahrheit. Zu erkenntnistheoretischen Problemen der Geschichtswissenschaft‘, Berlin/Ost 1967) neben dem kurz erörterten Verhältnis Rickerts zu Ranke (28f.), letzteren als den „biederen Repräsentanten der reaktionären Variante des altväterlichen Positivismus des XIX. Jahrhunderts“ bezeichnet (34), wozu es eine einschränkende „Anm. d. Red.“ gab (214ff.). - Von ungarischer Seite liegt aus dem Jahre 1975 ein Werk des marxistischen Mediävisten Lajos Elekes (1914-1982) vor, welches sich mit der ‚Geschichte in der bürgerlichen Wissenschaft unserer Zeit‘ befaßt. Dem dankenswerten Aufsatz von Attila Pók über ‚Rankes Einfluss auf Geschichtsschreibung und Geschichtsdenken in Ungarn‘ von 1988 entnimmt man daraus folgende Feststellung Elekes’: „Der Historismus von Ranke vereinte die deutsche idealistische Philosophie, die preußische Politik und eine von Konservatismus, Romantik und Irrationalismus stark umwobene Variante des Geschichtsdenkens [...], als ob er von jedem die schlechtesten Elemente ausgewählt hätte, um sie in einem eigenartig lockeren, unsicheren geistigen Konglomerat zu vereinen. Seine Politik ist nicht deshalb konservativ, weil sie historisch eingestellt ist, im Gegenteil: sein Historismus ist retrograd, weil auch seine Politik retrograd ist.“ (145) (Pók/1988/2004, 106). - Geistige Grobheiten dieser Art lagen Helen P. Liebel (später Liebel-Weckowicz), Professorin an der Universität von Alberta fern. Die möglicherweise einzige Forscherin auf dem amerikanischen Kontinent, welche sich mit Rankes Nachlaß der Staatsbibliothek Berlin unmittelbar befaßt hat, veröffentlichte 1971 in den ‚Eighteenth Century Studies‘ eine rankebezogene Abhandlung über ‚The Enlightenment and the rise of historicism in German thought‘,die sie im Folgejahr ebenda in eine Auseinandersetzung mit Georg G. Iggers stürzte (Iggers: Comments/1972, dessen Replik sie unverzüglich eine Duplik entgegenstellte (Liebel: Reply/1972). Diskutiert wurde in üblicher unergiebiger Weise über Historismus- und Historizismus-Begriffsbestimmungen, unter Zurückweichen des Aufklärungs-Themas. Liebel sieht im frühen ‚Historismus‘ Aufklärungstraditionen wirksam, die sie vor allem mit dem erneuerten Interesse an der Antike verbindet, das in der Tat für Rankes frühe Jahre beherrschend ist, und glaubt im Zusammenhang damit das Auftreten der entscheidenden, vollentwickelten Wesenszüge des ‚Historismus‘, nicht wie Iggers bereits im frühen 19. Jahrhundert, sondern erst in dessen späterem Verlauf anzutreffen. - Einer anderen Art reaktiver Diskontinuitätstheorie verbunden war die Auffassung des vielseitigen britischen Historikers Peter Burke (geb. 1937). In einem Vortrag auf der ‚Ranke-Centenary Conference‘ in Syracuse, USA sah er „Gründe für die These ..., daß die historiographische Bewegung, an deren Spitze Ranke gestanden habe, in vieler Hinsicht nicht eigentlich eine kopernikanische Revolution, sondern vielmehr eine Gegenrevolution in der Geschichte der Geschichtsschreibung“ gewesen sei (200), die sich in einem entschiedeneren und engeren Zugang zur Geschichte gegen die ältere ‚neue Geschichte‘ des 18. Jahrhunderts mit ihren sozialen und kulturellen Interessen gewandt habe, welch letztere entsprechend Burkes Vorthese aus einer „historiographischen Revolution“ des 18. Jahrhunderts hervorgegangen sei. Der Vortrag erschien englisch (‚Ranke the reactionary‘) und deutsch (‚Ranke als Gegenrevolutionär‘) im Jahre 1988. - Wolfgang J. Mommsen (s. I, 567) betonte in einem 1989 erschienenen Beitrag ‚Deutsche Geschichtswissenschaft im 19. Jahrhun- 590 -

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dert‘, der in Zusammenhang steht mit seinem Beitrag ‚Ranke and the Neo-Rankean school in Imperial Germany‘ von 1990 - auf Reill (The German Enlightenment and the rise of historicism, Berkeley and Los Angeles 1975) fußend -, daß Ranke „in seinen methodischen Grundeinsichten“ der Historiographie der Aufklärung „durchaus näher“ gestanden habe, „als man vielfach gemeint habe“ (74). Nach Mommsen teilte Ranke zwar „in erheblichem Maße die universalistischen Grundeinstellungen der Aufklärungshistorie im Hinblick auf die Geschichte der Menschheit“ (75), doch habe er nicht ihre Auffassung einer „Absolutsetzung des Individuums als des eigentlichen Agens der Geschichte“ geteilt (74). - Peter Hanns Reill, damals Professor für Geschichte an der Universität von California, Los Angeles, wandte sich in seinem 1990 erschienenen Beitrag ‚History and the life sciences in the early nineteenth century. Wilhelm von Humboldt und Ranke‘ im Zusammenhang mit seiner differenzierten Aufklärungskonzeption, die er vor allem in seinem erwähnten nachhaltigen Werk ‚The German Enlightenment and the Rise of Historicism‘ von 1975 dargelegt hatte, gegen einige traditionelle Vorstellungen. Er beabsichtigte, die häufig als eng beschriebene Beziehung Ranke-Humboldt aufzulösen, auf die Entstehung des ‚Historismus‘ ein neues Licht zu werfen und die dabei gespielte Rolle von positivistisch-mechanistischer Naturwissenschaft, Vitalismus und Naturphilosophie zu beschreiben. Humboldt erscheint dabei als Vertreter eines spätaufklärerischen Vitalismus, Ranke als Anhänger der Vitalismus-Variante einer post-revolutionären Naturphilosophie. Während in jenem die Prinzipien Harmonie und Funktion herrschten, hätten in dieser Identität und Struktur den Vorrang gewonnen. Reill sieht dies vor allem in Rankes Staatsauffassung und in seiner angeblichen These vom Primat der Außenpolitik wirken. Dazu werden in der Nachfolge von Jauß (1982) gut gewählte Beispiele aus Rankes ‚Französischer Geschichte‘ herangezogen, welche auch über Rankes rhetorische Kunstgriffe einigen Aufschluß geben, mit denen er Ereignisse manipuliert, ihre dramatische Wirkung gesteigert, ihre Bedeutung erhöht habe. Abschließend erscheint Reill eine auf seine Vielfalt bezogene Neueinschätzung der Geschichte des ‚Historismus‘ und der Stellung Rankes unumgänglich. - Die interessanten Betrachtungen werden möglicherweise ein wenig zu einseitig aus Humboldts Beeinflussung durch den Vitalisten Johann Friedrich Blumenbach (1752-1840) und das daraus entwickelte Gegenbild Rankes gespeist. Auch hatte sich bereits Lamprecht Gedanken (‚Alte und neue Richtungen in der Geschichtswissenschaft‘, 1896, 43) zu Rankes Nähe zur Naturphilosophie gemacht und Martin Häuser 1921 Beziehungen zur Naturphilosophie Goethes (41f.) gesehen. Man mag auch fragen, ob bei der eingeschränkten Gegenüberstellung verschiedener VitalismusVarianten ohne stärkeres Eingehen auf Romantik und idealistische Geschichtsphilosophie das Fundament der Betrachtung nicht allzu schmal ausgelegt wurde. Übrigens ist die Sekundärliteratur-Nutzung, besonders für den deutschsprachigen Raum von Zurückhaltung geprägt, was u. a. dazu führte, ältere Betrachtungen des hier wichtigen Kausalitätsprinzips unberücksichtigt zu lassen, aus jüngerer Zeit Gedanken von Heintel (1960) und Werner Müller (1973). Ferner fragt sich, wo in Reills Vitalismus-Deutung Rankes am actio-reactio-Satz gewonnene mechanistische Grundanschauung einzuordnen ist, welche besagt: „ ... nur in der Wechselwirkung des Entgegengesetzten bewegt sich das Leben des Menschengeschlechts“ (Gedächtnisrede bei der Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission. In: HZ 31/1874, 150). 1991 erschien eine der beachtlichsten geschichtswissenschaftlichen Hochschulschriften der zweiten Jahrhunderthälfte, Horst Walter Blankes (geb. 1954) überarbeitete - 591 -

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Fassung einer bei Jörn Rüsen verfaßten Bochumer Dissertation. Voraufgegangen war 1989 unter dem Titel ‚Historismus und Ranke-Schule‘ ein rezensorischer Beitrag Blankes zu Wolfgang Webers 1984 erschienenem bekannten Werk ‚Priester der Clio‘. - Blankes umfangreiche Arbeit von 1991 unter dem Titel ‚Historiographiegeschichte als Historik‘ - „verbindet drei Fragestellungen systematisch miteinander: (1) rekonstruiert [!, zutreffender: konstruiert] sie die Wissenschaftsgeschichte in den letzten 250 Jahren als Abfolge der drei Wissenschaftsparadigmen ‚Aufklärungshistorie‘, ‚Historismus‘ und ‚Historische Sozialwissenschaft‘; (2) gibt sie einen historischen Abriß der Entwicklung der Historik im betreffenden Zeitraum; und (3) zeichnet sie die Geschichte der Historiographiegeschichtsschreibung detailliert nach.“ Die Arbeit läßt sich vor Rückschnitt des Übertriebenen mit Blankes eigenen Worten charakterisieren als „materialgesättigte, typologisierende Gesamtdarstellung [!] der deutschen Geschichtswissenschaft seit der Spätaufklärung.“ (7). Zu einer solchen Gesamtdarstellung hätte auch eine kaum zu leistende ‚vollständige‘ Darstellung der ungezählten wissenschaftlichen Darstellungen und Untersuchungen der Zeit gehört. - Ranke, der mit Niebuhr, Droysen, Sybel, Treitschke, Meinecke und G. Ritter als Repräsentant des ‚Historismus‘ verstanden wird, - wodurch wieder einmal ungewollt deutlich wird, wie wenig tragfähig dieser Begriff ist - findet an etwa 200 Stellen des Werkes Erwähnung. Blanke hat beim Begriff ‚Historismus‘ „vor allem folgende vier Aspekte im Auge: ein individualisierendes Moment der Geschichtsforschung, das ‚Verstehen‘ (d. h. die hermeneutisch geregelte Intuition, die quellenkritisch fundierte Interpretation) als das maßgebliche methodische Verfahren, die Historische Ideenlehre, die Beschränkung auf die Nation und den Staat als die Bezugsgrößen historischer Forschungsarbeit.“ (61). Ranke repräsentiert für Blanke „eine kontemplative, streng objektive, sich (vermeintlich) jeder politischen Wertung enthaltende Geschichtsauffassung, eine Geschichtsschreibung, die zumeist auf archivalischen Studien beruht und die universale (d. h. europäisch-okzidentale) Phänomene im nationalen Maßstab verfolgt. Im Mittelpunkt seiner Historiographie stehen vor allem die politische Ereignisgeschichte, die Handlungen einzelner überragender Persönlichkeiten, die von ihren Intentionen her interpretiert werden, und die Schicksale kollektiver Einheiten (Staaten und Nationen).“ (212). Nach Blankes hier übertheoretisierender und gewaltsystematisierender Auffassung verfügt Ranke (vielmehr Blanke selbst) über ein „Kategorien- und Theoriensystem“ sowie über ein „Interpretationsmodell“. Darin sei er für „die meisten [ungenannten] Historiker des 19. Jahrhunderts direktes Vorbild gewesen“ (ebd.), - eine Aussage, die, wie die ausgedehnte und tiefgreifende Ranke-Kritik zeigt, nicht einmal für deutsche Historiker zutrifft. - Ranke und Sybel verkörpern nach Blanke „zwei verschiedene Varianten des Historismus“, die er „diesen einen, allerdings wichtigen, Gegensatz stark zuspitzend - als die ‚objektivistische‘ und als die ‚subjektivistische‘ charakterisieren möchte.“ (213). - Bemerkenswert sind mit Blick auf Ranke v. a. folgende Partien: Ranke und die Historische Kommission hinsichtlich des Planes einer Geschichte der Wissenschaften in Deutschland (325-332), die Darstellung des Verhältnisses Lamprechts zu Ranke im Zusammenhang mit seiner Kritik der historischen ‚Ideenlehre‘ (440-449), die knappe, kritische Betrachtung der RankeRezeption Meineckes (580f.) und der Ranke-Rückbesinnung nach 1945 (650-654). Einige Detail-Irrtümer, welche allerdings hinsichtlich Rankes auch auf Untiefen der Kenntnis verweisen (s. II/538), können die allgemeine Bedeutung des Werkes nicht schmälern. - 592 -

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1994 warf Georg G. Iggers die Frage auf „Ist es in der Tat in Deutschland früher zur Verwissenschaftlichung der Geschichte gekommen als in anderen europäischen Ländern?“, so auch der Titel des Beitrags. Iggers betont darin, daß Verwissenschaftlichung in Deutschland „weniger mit Wissenschaft im strengen Sinn als mit Professionalisierung zu tun“ habe. Zwar sei der „Anspruch an quellenkritische Forschung erhöht“, doch sei die „‚Interpretation‘ ... nicht durch Verfahren bestimmt, die in ihrer methodischen Strenge anderen Wissenschaften nahekämen. Das Ergebnis war, daß Quellenkritik nicht zu einer sachlicheren, sondern zu einer zunehmend ideologischen bzw. nationalistischen Geschichtsschreibung führte“ (Iggers/1994, 75). Dieser FolgeZusammenhang scheint nicht unbedingt evident, verdeckt diese These doch die wahren Gründe der überwiegend außerhalb der Wissenschaft entfachten Ideologisierung und Nationalisierung, für die Ranke ohnedies nicht verantwortlich zu machen ist. Auch bleibt zu fragen, ob geschichtswissenschaftliche Interpretatorik als Verfahren sui generis überhaupt am Muster anderer Wissenschaften gemessen werden kann. In seiner hier nur kurz zu charakterisierenden bedeutenden Abhandlung von 1996 mit dem Titel ‚Historismus: Versuch einer Synthese‘ beabsichtigte F. R. Ankersmit (geb. 1945), damals Professor für Geistesgeschichte und Historische Theorie an der Universität Groningen, die Vereinbarkeit zweier alternativer Entstehungsgeschichten des ‚Historismus‘ aus der Geschichtsschreibung der Aufklärung unter Beweis zu stellen. Deren eine stelle den ‚Historismus‘ als „das Ergebnis einer Historisierung der ahistorischen Konzeption der sozialen und politischen Realität“ dar, während die andere gegen eine als ‚Literatur‘ verstandene Aufklärung, einem Wort Rüsens zufolge, für eine „Entrhetorisierung und Versachlichung des historischen Denkens“ (Rüsen/ 1993, 117) eingetreten sei (389). Im Einzelnen berührt Ankersmit Rankes EpochenDiktum, „das den einzigartigen Charakter jeder Phase der Entwicklung einer historischen Entität“ hervorhebe (400) sowie seinen Ideenbegriff, den Ankersmit, ohne auf die ausgedehnte zwiespältige Literatur einzugehen, mit dem Humboldtschen gleichsetzt und dessen genau sechs, hier nicht auszuführende Eigenschaften er darlegt. Die ‚historische Idee‘ ist seiner Meinung nach der „fruchtbarste Begriff, der in der Geschichte der Geschichtstheorie jemals entwickelt wurde“ (401). Dies ist unbestritten, doch entwickelt wurde der Ideenbegriff bekanntlich anderweitig. Dessen Erörterung nutzt Ankersmit auch zu einer Bestimmung der Beziehung von „Aufklärungsgeschichtsschreibung, historistischer Geschichtsschreibung und Narrativismus“ (403). Ulrich Muhlack sah Ranke nicht nur hinsichtlich der ‚alteuropäischen‘ Geschichtsforschung in einer überlegenen, fortschrittlichen Situation, sondern auch in seiner eigenen Zeit: In der „Begründung der quellenkritischen Geschichtsforschung“ habe er sich über die mit der historia magistra vitae der alteuropäischen quellenkritischen Geschichtsforschung gezogene Grenze hinweggesetzt, indem er für sie ein „neues Ziel“ proklamiert habe, „nämlich kein anderes als die geschichtliche Erkenntnis selbst“ (Muhlack: Begründung/2003, 27). Muhlack sieht in Rankes Quellenkritik den „Übergang von der Geschichte als Tradition zur Geschichte als Forschung: der eigentliche Beginn einer quellenkritischen Geschichtsforschung im strikten Sinne des Wortes“ (28). Bei Ranke sei Quellenforschung „auf eine zum Selbstzweck erhobene historische Erkenntnis hingeordnet“ gewesen, bei seinen Kritikern jedoch sei sie, „über die bloße historische Erkenntnis hinweg, auf einen normativen Endzweck hingeordnet“ gewesen (31). Im Hinblick auf diese entschiedene Polarität hätte sich für Muhlack die Frage nach der Einheit der ‚Historismus‘-Epoche stellen müssen. - In der Zweckfreiheit des - 593 -

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Rankeschen Erkenntnisstrebens hatte schon Jahrzehnte zuvor Heinz-Otto Sieburg eine „neue Wissenschaftsgesinnung“ (Sieburg/1968, 115) erblickt, was jedoch den Gehalt der Muhlackschen These nicht verbessert. Denn sollte nicht, so ist man geneigt einzuwerfen, eine solche Gesinnung doch stärker verbreitet gewesen sein? Was hätte ein Georg Heinrich Pertz ohne sie geleistet, was Rankes früher Lehrmeister, G. A. H. Stenzel, um nur die seltener angeführten Beispiele zu geben? Ranke sei von seinen Kontrahenten, so Muhlack, nicht wegen seiner Quellenkritik angegriffen worden, sondern weil er „mit ihren historischen Grundanschauungen nicht übereinstimmte“ (25). „Ranke als kritischer Quellenforscher war für sie nicht nur unangefochten, sondern auch ein Vorbild.“ (25). Von einer derart unangefochtenen Position kann, wie viele bisher unbekannte kritische Stimmen zeigen (s. u. a. I/2.1.2), nicht die Rede sein. Auch die anfängliche Wirkung von Rankes Erstlingswerk wird von Muhlack überschätzt (24), - all dies Indizien für die mangelnde Kenntnis der Ranke-Rezeption selbst bei vielfach ausgewiesenen Ranke-Forschern oder -Kennern. R a n k e i n ‚ G o e t h e z e i t ‘ u n d R o m a n t i k (I/2.5.3.2) Bei der Betrachtung Rankes in ‚Goethezeit‘ und Romantik werden Verbindungslinien zur Aufklärung und Aufklärungshistorie im allgemeinen völlig ausgeblendet. Der lutherische Historiker Carl Hinrichs (1900-1962) brachte 1954 eine der vorübergehend meistgenannten Ranke-Monographien zum Erscheinen, ‚Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit‘. Letztere wird dort allzu beiläufig in einer Anmerkung definiert als „Einheit von Sturm und Drang, Klassik und Romantik“ (1, Anm. 1), wodurch vergebens der Frage aus dem Weg gegangen wird, ob dieser weitgefaßte Begriff allgemein geistesgeschichtlich, zumal als ‚Einheit‘, verantwortbar und für Ranke im besonderen relevant sei. Hinrichs’ wenig kohärentes Werk vereint mehrere Arbeitsansätze und vermutlich auch Publikationsprojekte: zunächst (1-97) ein eigenständiges Werk über Prometheus als geschichtstheologisches Symbol der. „Goethezeit“ (v. a. bei Goethe, Herder, Fichte, A. W. von Schlegel, Schleiermacher, Hölderlin, Görres, Fr. Schlegel, Hegel). Dem schließt sich, mit Rückgriffen, ein rankebezogenes Werk an. (Siehe dazu I, 648f.). - Für Alfred Dünisch stand später allerdings fest, daß Ranke „bereits außerhalb des Horizontes der Goethe- und Herderzeit“ gestanden habe (Dünisch/1989), 93. So schnell ließ sich jedoch der von Hinrichs in der Nachfolge Meineckes und Schieders mit Nachdruck erstellte Goethezeit-Ansatz nicht beseitigen: Der Literaturwissenschaftler Daniel Fulda (geb. 1966) verfaßte nach seiner 1996 erschienenen Dissertation ‚Wissenschaft aus Kunst: Die Entstehung der modernen deutschen Geschichtsschreibung 1760-1860‘, in der er über die ‚Formierung von Rankes Konzept einer symbolischen Historiographie‘ und über ‚Rankes Geschichtsschreibung als Modell‘ schrieb (dazu im Zusammenhang mit Friedrich Schlegel kritisch Süßmann/2000, 223, A. 58), im Jahre 2002 einen ebenfalls rankebezogenen Aufsatz über ‚Goethezeitliche Ästhetik und die Ermöglichung einer textuellen Repräsentation der ‚Geschichte‘, dessen Gedanken in einem Aufsatz von 2005 mit dem Titel ‚Der Wahrheit Schleier aus der Hand der Dichtung‘. Textilmetaphern als Vehikel und Reflexionsmedium ästhetisch-wissenschaftlicher Transferenzen um 1800‘ teilweise wieder aufgegriffen sind. Fulda betrachtet dort unter - über die Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ hinausgehender - qualifizierter Nutzung von Handschriften des Jugendnachlasses zunächst Rankes Goethe-Rezeption, von der er nicht nur eine „idealistische - 594 -

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Kunsttheorie“ abgeleitet, sondern „in Auseinandersetzung mit dessen Dichtung“ „auch seine idealistische Wirklichkeitsauffassung“ entwickelt habe (167). Beides sehr weitreichende und in dieser Ausschließlichkeit wohl auch einseitige Schlußfolgerungen. Ob die Stimme des Journalisten Bernhard Guttmann (1869-1959), der 1948 für die neugegründete ‚Gegenwart‘ unter dem Titel ‚Ranke‘ eine kurze Würdigung verfaßt hatte, von Bedeutung ist, sei dahingestellt. Er vermutete, daß der „geborene Erzähler“ Ranke als „werdender Schriftsteller viel von Jean Paul“ gelernt habe (14). Sehr gering veranschlagte er den Einfluß Goethes. Doch hätte ein näheres Eingehen auf die bereits von Schieder 1942 (s. I, 527) mißachteten bedeutenden Stimmen zur Ranke-GoetheBeziehung für die Arbeit Fuldas von Vorteil sein können. Was die Ranke zugeschriebene idealistische Kunsttheorie anbelangt, so könnte davon höchstens in Ansätzen die Rede sein, und auch für eine rein idealistische Wirklichkeitsauffassung war er zu sehr kritischer Realist. Droysen sprach von Rankes „falschem Realismus“ (Historik ed. Leyh/1977, 240), Simmel von seinem „künstlerischen Realismus“ (Die Probleme der Geschichtsphilosophie. Zitate nach der 5. Aufl. [posthum], Mnch. u. Lpz. 1923, p. V, aus dem der 5. beigegebenen Vorw. zur 3. Aufl.), Meinecke von „modernem historischen Realismus“ (Meinecke WW VII/1968, 67), Plessner sah in Rankes Zusammenhang die Gefahr eines illusionären, „naiven Realismus“ (1944, 285), Diwald titelte gar „Geschichtsrealismus im 19. Jahrhundert“ (Das historische Erkennen. Untersuchungen zum Geschichtsrealismus im 19. Jahrhundert, Leiden 1955), und Heintel sprach, wohl aporiehaft fehlgeleitet, von „christlichem Realismus“ (1960, 229). Mit diesen Positionen müßte man sich zunächst auseinandersetzen. - In Rankes ‚Päpsten‘ sieht Fulda sodann das „modellgebende Werk des geschichtswissenschaftlichen Historismus“, bei dem sich, wie näher erläutert wird, auf allen Ebenen „in der Goethezeitlichen Literatur ausgebildete Denkweisen und Darstellungstechniken“ bemerkbar machten (170). * Das Verhältnis Rankes zur Romantik war spätestens seit den 1840er Jahren (s. I/2.3.2) beachtet und nach seinem Tod strittig, ja außerordentlich konträr behandelt worden, was nicht allein der Vieldeutigkeit und Bezüglichkeit des Begriffes geschuldet war. Ranke wurde dabei als tief Verwurzelter oder als Überwinder betrachtet. Romantikfern sah ihn der zuvor dem Nationalsozialismus nahestehende Historiker Rudolf Stadelmann, der sich bereits 1930 und 1931 zum Thema Romantik und Mittelalter geäußert hatte, in einer Tübinger Vorlesung, welche 1948 unter dem Titel ‚Die Romantik und die Geschichte‘ erschien. Er sah Rankes ‚Ideenlehre‘ „unnachahmbar zwischen den verschiedenen Richtungen, zwischen dialektischer, soziologischer und romantischer Geschichtsanschauung” stehen. Was seine Geschichtsschreibung trage und ihn von der „starren Volksgeistlehre der Romantik“ trenne, sei ein „sehr behutsam angewandter, freilich philosophisch im Halbdunkel bleibender Begriff des Zeitgeistes, den er fast wie das persönliche Wehen Gottes durch die Zeit zu verehren“ scheine (166). „Die beiden tiefgreifenden Neuerungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts, der Einbruch von Hegels Geschichtsphilosophie und die Ausgestaltung der kritischen Methode, sind abseits der romantischen Schule geschehen... “ (167). - Eine von Walter Goetz angeregte Dissertation über ‚Leopold von Ranke und das Mittelalter‘ kann hier ebenfalls beigezogen werden, denn Michael Schwabs 1951 fertiggestellte, 1953 erschienene, gut informierte Arbeit ist keineswegs auf das Mittelalterbild Rankes beschränkt, sondern geht folgen- 595 -

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den breit angelegten Weg: Ranke und die Romantik (Auseinandersetzung u. a. mit v. Below, Goetz, Stadelmann); sodann gegen die These vom „entwicklungslosen“ Ranke (überhaupt ein verdienstvolles Grundanliegen des Verfassers, zu zeigen: „Rankes Lebenswerk ist eine Geschichte“, 90); daraufhin eine in Ergebnis und Funktion nicht ganz klare Digression über Ranke und Burckhardt (deren Verhältnis in der Arbeit noch des öfteren berücksichtigt wird). Der 2. Hauptteil, ‚Rankes Leben und Werk‘ (bes. DtG, PreußG, EnglG, FranzG, WG, unterbrochen durch eine Darstellung der Beziehungen zu MGH und Histor. Komm.), bietet unter dem ohnedies Bekannten vieles Überflüssige, besonders Biographica. Der 3. Hauptteil ist dann endlich dem Mittelalterbild gewidmet (171-317), wobei, ausgehend von der universalhistorisch gegründeten Frage nach der Periodisierung, Rankes Kritik der mittelalterlichen Geschichtsschreiber, seine Auffassung der mittelalterlichen Kunst und Poesie, die „Völkerwanderung und das Problem der romanisch-germanischen und christlich-antiken Kontinuitäten“, Normannenstürme, Kreuzzüge, Weltentdeckung und letztlich der „innere Zeitstil Mittelalter“ als „kriegerisch-priesterlicher Staat“ behandelt werden. Ganz anders als Rudolf Stadelmann urteilte der spätere Erlanger Professor für mittlere und neuere Geschichte Hellmut Diwald (1924-1993). Als Bewunderer Rankes, der die „grössten Geschichtswerke“ geliefert habe, „die uns je ein Historiker geschenkt“ habe (105), der als „die grossartigste Ausformung des Geschichtsrealismus“ gelten könne, unternahm in einer Schrift von 1955 über ‚Das historische Erkennen. Untersuchungen zum Geschichtsrealismus im 19. Jahrhundert‘ den Versuch, neben Betrachtungen über ‚Romantik und Historische Schule‘ sowie über Johann Gustav Droysen erkenntnistheoretische Grundanschauungen Rankes herauszuarbeiten. Er rechnete - die dezidierte Position Belows (s. I, 484ff.) aufgreifend - Ranke „hinsichtlich seines historischen Sinns ... voll und ganz“ der Romantik zu (77). Aus dieser stamme sowohl sein Individualitätsbegriff, der das „Grundprinzip seiner Geschichtsschreibung“ sei, als auch sein „geschichtlicher Lebensbegriff“ [?], nicht jedoch aus der spekulativen Philosophie. Daher könne bei Ranke auch nicht mit Rothacker (1920) von einer „idealistischen Philosophie des Lebendigen gesprochen werden“ (80). Der Hauptunterschied zu Hegel liege darin, daß dieser vom Allgemeinen, gleichsam von oben her, das Individuelle suche, während Ranke den umgekehrten Weg gehe (84). Diwald streift, ohne auf die ausgedehnte Diskussion einzugehen, auch Rankes ‚Ideenlehre‘, an der sich „vielleicht nirgendwo deutlicher als hier seine realistische Haltung zeigen“ lasse (91), spricht sogar von einer „metaphysischen Verbrämung durch Ideen“, die in keinem notwendigen Zusammenhang mit Rankes „Gottglauben“ stünden (93). Ferner sei Rankes metaphysische Überzeugung gegenüber der empirischen „unerreichten historischen Erkenntnisleistung ... sekundär“ (106). Auch hinsichtlich der Rankeschen ‚Objektivität‘ sind die Ausführungen Diwalds nicht frei von Widersprüchlichkeit. Während er einerseits feststellt, Ranke habe „die Möglichkeit des Erreichens absoluter Wahrheit nie überschätzt“ (94), erklärt er andererseits, Ranke sei „in weitestgehendem Sinne“ von der „Erreichbarkeit“ „absoluter Erkenntnis“ und der „faktischen Möglichkeit der Wahrheit“ überzeugt gewesen (95), dann wiederum, Ranke habe „genau zwischen Erkenntnisziel und Erkenntnismöglichkeit geschieden“ (96). An Letzterem scheint es Diwalds ansonsten entschiedener Schrift bei diesem unlösbaren Problem doch zu mangeln. Der spätere Regensburger Geschichtsordinarius Heinz Angermeier (1924-2007) brachte 1960 einen literaturfreien Essay mit dem Thema ‚Historisches Denken in der - 596 -

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Geschichtsphilosophie und in der Geschichtswissenschaft‘ zum Erscheinen. Hier sah er in Nähe zu Meinecke den bei Herder angelegten Organismusgedanken bei Goethe zu „voller Ausprägung“ gebracht und glaubte ihn neben dem „romantischen Nationalgedanken“ als Voraussetzung für Rankes Auffassung der „Staaten, Kirchen und Städte als organisch gewachsene geschichtliche Gebilde“ erkannt zu haben, womit dieser „die Grundlagen der modernen historischen Wissenschaft“ habe schaffen können (508). Dieser Auffassung zufolge erwachse „Geschichte aus der lebendigen Wechselwirkung zwischen Individuum und Gemeinschaft, und nur in der Erfasssung dieses Konnexes“ könne „ein wirkliches Wissen von der Geschichte erlangt werden.“ Diese zunächst trivial anmutende Feststellung wird von Angermeier nahezu vertieft durch die allerdings zweifelhafte Auffassung, damit sei „für die Geschichtswissenschaft die Frage nach dem Sinn der Geschichte, wie Hegel sie gestellt“ habe, „bedeutungslos geworden“. Ähnliches gelte für die Anschauungen Diltheys und Croces. (510). Im „Erfassen der konkreten geschichtlichen Kräfte und in dem Nachspüren nach den überindividuellen Mächten in jedem geschichtlichen Wirken“ sei die Geschichtswissenschaft Ranke „bis heute gefolgt“ (513), wohingegen die Geschichtsphilosophie aus ihrer „Hypothetik ... methodisch nicht mehr herausgefunden“ habe (512). Ernst Schulin behandelte in einem 1959 gehaltenen, 1962 überarbeitet erschienenen Vortrag über den Einfluß der Romantik auf die deutsche Geschichtsforschung Herder, Möser, Savigny, v. a. aber Böhmer, - diesen als „reinen Romantiker“ - und mit ihm teilweise kontrastierend Ranke. Schulin unterschied dabei einen allgemeinen Einfluß der Romantik auf den ‚Historismus‘, „unleugbar der allerbedeutendste“ (419), und ihren vergleichsweise geringen Einfluß auf die deutsche Geschichtsforschung, - was allerdings die Frage nach dem generellen Verhältnis von ‚Historismus‘ und Geschichtsforschung aufwirft.. Idealistische und neoidealistische Philosophie: Hegel und Croce. Ranke als Geschichtsphilosoph und sein Ideenbegriff (I/2.5.3.3) Der katholische Moraltheologe Theodor Steinbüchel (1888-1949) hielt im Wintersemester 1946/47 in Tübingen eine Vorlesung, welche 1949 zu einem Aufsatz mit dem Titel ‚Ranke und Hegel‘ gedieh. Die Darstellung schwebt in Meineckescher Art spekulativ über einer nicht genannten und auch nur gering genutzten Literatur sowie einigen oft nicht nachgewiesenen Dicta Rankes, wobei von dessen entwicklungsloser NormalGestalt ausgegangen wird. Das Thema ist eingeschränkt auf eine Betrachtung von Rankes Idee der Universalhistorie und Hegels Philosophie der Geschichte, ausgehend von skizzierten Vergleichen Rankes mit Herder, im besonderen seiner ‚Humanität‘, sowie mit Schelling. Nach Steinbüchel „begegnen“ sich Ranke und Hegel - gemeinplätzig - „in der Überzeugung, daß in der Erkenntnis des historisch Wirklichen das Allgemeine nicht ohne das Besondere, das Besondere nicht ohne das Allgemeine erfaßbar“ sei (188), eine Einsicht, die getrost als eine der gängigsten Trivialitäten der RankeLiteratur anzusehen ist. Unterschiede sieht Steinbüchel „grundlegend in der religiösen Einstellung Rankes zur geschichtlichen Wirklichkeit, die sich von der philosophischspekulativen Hegels deutlich abhebe; im einzelnen in der größeren Selbständigkeit, die er dem Besonderen zuerkenne; in seiner Abneigung sodann gegen die spekulative Ergründung des Allgemeinen; in der Anschauung schließlich vom Fortschritt in der Geschichte...“ (ebd.). Die Darstellung Steinbüchels berücksichtigt die in Betracht kommenden wesentlichen Gesichtspunkte: In vergleichender Weise wird besonders Rankes - 597 -

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Ideenbegriff, die Rolle der historischen Persönlichkeit, sein Fortschrittsbegriff, seine Auffassung des Christentums, ausführlicher sein Gottesbegriff bzw. Gottglaube behandelt. Dabei halte „der Sinn für das Individuelle und eigenständig Besondere bei all seiner Überzeugung von Gottes Nähe zur Welt und von deren Durchwirktsein durch Gott“ Ranke „vom Pantheismus fern“ (176). Nicht weniger als der „Versuch zur Grundlegung eines neuen geschichtsphilosophischen Verständnisses der Historie“ (2) wollte eine Marburger Dissertation von 1947 über ‚Das politische und religiöse Moment in der Geschichtsschreibung Rankes (dargestellt am Versuch einer geschichtsphilosophischen Analyse seiner „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“)‘ sein. Diesem Zweck dient die Absicht ihres Verfassers Konrad Elsholz, aus der Geschichtsschreibung Rankes dessen „heimliche Geschichtsphilosophie“ herauszuschälen (13f.). Elsholz bedient sich dabei - u. a. auch in Auseinandersetzung mit „Meineckes Historik für den Hausgebrauch“ (141ff.) partieller Elemente der Ontologie Nicolai Hartmanns. Bedenklich stimmen ferner die einseitige Heranziehung eines einzelnen Werkes Rankes und die starken nomothetischen Tendenzen Elsholz’, dessen z. T. spekulativen Prämissen - z. B. Rankes „aus der Wurzel eines christlichen Humanismus gewachsener Panentheismus“ (144) - hier nicht im einzelnen begegnet werden kann, zumal sich letzterer in Rankes ‚Reformationsgeschichte‘ mit Gewißheit nicht nachweisen läßt. Elsholz glaubt sich - allzuweit ausgreifend - in der Lage, nicht nur ein „kategoriales System der Seinsform der Geschichte“ in den historischen Begriffen Rankes erkennen zu können, sondern auch, nach „Ablösung seiner Begriffe von dem zeitbedingten Untergrund“, in Rankes Werk die Grundlage für eine „energetische Geschichtsschreibung“, für eine Darstellung der Wirklichkeit im Sinne Spenglers als einer „Funktion Gottes“ gefunden zu haben (158). - Der bei Elsholz, zuvor kritisch bei Masur (1926, 113) angeklungene HumanismusGedanke wird im selben Jahr von Bernhard Zittel seiner Dissertation zugrundegelegt. Die maschinenschriftliche Arbeit des später leitenden bayerischen Archivars über ‚Ranke und der Humanismus‘, von Karl Alexander von Müller angeregt und von Fritz Wagner betreut, leidet an den schlechten Bibliotheksverhältnissen der ersten Nachkriegsjahre. Vor allem hätte Rankes Schulrede von 1818 über die Vorstellungen der Griechen, Römer und Deutschen vom Ideal der Erziehung (Schweitzer/1922) stark berücksichtigt werden müssen. Auch ist das über die Bildungsjahre des „Humanisten“ Ranke Gesagte mit allerdings zumeist traditionellen Irrtümern behaftet (s. Henz/1968). An Ergebnissen seien genannt: Humanismus ist bei Ranke „der Weg zu den Quellen des abendländischen Geistes“ (66); in geistesgeschichtlicher Schau „eine entscheidende Schicksalsstunde unserer abendländischen Entwicklung am Kreuzwege zweier Zeitalter“ (ebd.). Der vielberufene Gegensatz von Humanismus und Christentum sei in Rankes Wesen zu einem „harmonischen Gebilde“ zusammengewachsen (67). Dem möchte man zustimmen. Allerdings bleibt auch hier zu fragen, ob sich bei Ranke nicht überhaupt alle Gegensätze harmonisch vereinen bzw. aufheben. Rankes Geschichtsdarstellung stehe, so Zittel, unter einem „protestantisch-humanistischen Apriori“ (ebd.). Schließlich: Die „bleibende Leistung“ in seinem Humanismusbild liege darin, „den Weg zur Neubesinnung gewiesen“ zu haben (68). Die Arbeit, welche für spätere Neuansätze nicht zuletzt von methodologischer Bedeutung ist, schließt mit einem Vergleich der drei Humanisten Ranke, Wilhelm von Humboldt und Jacob Burckhardt (54-65). Der bedeutende Historiker Arnaldo Momigliano (1908-1987) wandte sich in grundsätzlicher Weise Rankes Ideenbegriff zu. 1954 veröffentlichte er in der Zeitschrift - 598 -

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‚Diogenes‘ unter dem Titel ‚Hundert Jahre nach Ranke‘ einen 1955 auch in englischer Version erscheinenden Aufsatz, in dem er, ausgehend von Boeckh, Ranke und Droysen, für welche „die Hauptaufgabe des Historikers in der Aufdeckung der leitenden Ideen in der Geschichte“ bestanden habe (925), die Frage erwog, ob auch noch heute, angesichts der von Psychoanalyse, Rassenlehren, Marxismus und Verhaltensforschung nahegelegten Erklärungen, die Ansicht von den „Ideen als Triebfedern der geschichtlichen Entwicklung“ aufrecht zu erhalten sei. - Diese grundsätzliche Frage ließ der bereits betrachtete schweizer Historiker Walther Hofer in einer formalen Analyse des Rankeschen Ideenbegriffs beiseite. Er sah dessen „zentrale Bedeutung … in der Bestimmung der Idee als konstituierendes Prinzip der historischen Individualität, als Prinzip einer überindividuellen Einheit. Es ist der bei Ranke häufigste Typus: ‚Idee des Römischen Reiches‘...“ (48 und weitere Beispiele). In diesen Studien zur Problematik modernen Geschichtsdenkens von 1956 mit dem Titel ‚Geschichte zwischen Philosophie und Politik‘, denen er einen Ranke besonders betreffenden Abschnitt ‚Der geistige Kampf um den historischen Idealismus‘ beigab (45-68), sah Hofer die „also bestimmte historische Kategorie der Idee … in drei besondere Aspekte … zerfallen, die jedenfalls in ihrer Einwirkung auf das Geschichtsdenken der Folgezeit deutlich zu unterscheiden sind. Es sind dies einmal der metaphysisch-religiöse Aspekt, dann der staatsphilosophisch-politische Aspekt und schließlich der geschichtstheoretischmethodologische Aspekt.“ (49). Den Studien Hofers mangelt es augenscheinlich an einem näheren Eingehen auf das Verhältnis von allgemeiner Idee und handelnder Persönlichkeit, nicht allein als constituens, sondern auch als movens. - Die bedeutende Dissertation von Ernst Schulin über ‚Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke‘ aus dem Jahre 1956 (s. I, 632) kommt in erster Linie für Fragen der Orientforschung und Universalhistorie, weniger für geschichtsphilosophische Vergleiche in Betracht. - Carl Hinrichs’ Beitrag von 1958 über ‚Schelling und „der Konflikt der modernen Welt“ in Rankes „Epochen der neueren Geschichte“‘ stellt eine kurze, ausgezeichnete Einführung in die Vorträge vor Kg. Maximilian II. v. Bayern, Sept./ Okt. 1854, dar (wenn auch in ihrer damals noch nicht bewußten unauthentischen Fassung und Titelgebung), unter dem wichtigen, freilich einschränkenden Gesichtspunkt ihrer Kritik an Schellings spekulativer Philosophie der Mythologie und Offenbarung und damit verbunden seiner Anschauung von der geistlich-hierarchischen Aufgabe des Monarchen, der Ranke innerhalb des die moderne Welt bestimmenden Konflikts von Monarchie und Volkssouveränität eine über den Gegensätzen stehende pragmatische Aufgabe zuwies. Hinrichs sah leider von einer Betrachtung dieser Fragen im Zusammenhang der geistigen Entwicklungsgeschichte Rankes ab. - Josef Engel betonte in seinem bereits herangezogenen Aufsatz von 1959 über ‚Die deutschen Universitäten und die Geschichtswissenschaft‘ (s. I, 565), daß für Rankes Lebenswerk das Verhältnis zur idealistischen Philosophie und zu den „Geistesmächten der ersten Jahrzehnte des 19. Jahrhunderts mit jener eigentümlichen, noch in den Vorbehalten sich äußernden Affinität ... neben seiner Bindung an die Staatlichkeit ... die entscheidenden Momente gewesen“ seien. (305. Weiteres dort, z. B. 330, bes. nach Hoeft/ 1940). In der Nähe zum deutschen Idealismus sieht ihn auch Hans-Georg Gadamer (19002002) in seinem Werk von 1960 über ‚Wahrheit und Methode‘. Er wandte sich darin bei Betrachtung der Fragwürdigkeit romantischer Hermeneutik auch Rankes „historischer Weltanschauung“ zu (191-199). Allerdings geschah dies unter zwei mehr als - 599 -

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bedenklichen Voraussetzungen. Zum einen blieb Rankes Werk bei den vor allem aus wenigen seiner nachgelassenen theoretischen Äußerungen gegründeten Feststellungen wieder einmal unbeachtet, zum anderen wurde auch die Literatur zum Thema - etwa Wach/1933 - nicht herangezogen. Während die eigentliche Wahrheitsfrage im Hintergrund und Rankes Ideenbegriff einmal gänzlich beiseite bleibt, treten in Gadamers Deutung die Begriffe ‚Freiheit‘ und ‚Kraft‘ mit besonderer Stärke in den Vordergrund, letzterer gar als „zentrale Kategorie der historischen Weltansicht“ (192). Im übrigen erscheint auch hier erneut die auf Masur (1926, 105) zurückgehende, 1949 von Kupisch (Hieroglyphe/1949, 195) adaptierte Vorstellung einer bei Ranke herrschenden Teleologie ohne Telos (191). Einleuchtend dagegen wirkt Gadamers Erkenntnis, daß die bei Ranke nachzuweisende „hermeneutische Selbstauffassung der historischen Schule“ im „Gedanken der Universalgeschichte ... ihre letzte Begründung“ finde (197). Freilich stehe der Begriff des ‚Verstehens‘ bei Ranke noch in der „Unbestimmtheit ästhetisch-pantheistischer Kommunion“ (199). Auch aus dieser Bemerkung wird deutlich, daß hier vieles unzulässig verallgemeinernd auf Jugendäußerungen Rankes erbaut ist. 1968 erschien ‚The German Conception of History. The national tradition of historical thought from Herder to the present‘, in deutscher Fassung 1971 und 1997. Dieses Werk Iggers’ war seinerzeit eines der einflußreichsten zur Geschichte des Geschichtsdenkens überhaupt und zu Ranke im besonderen. Hierin wird Wilhelm von Humboldt als „das theoretische Fundament des deutschen Historismus I“, Ranke als dessen II. behandelt, eine Auffasssung, die allerdings große Teile der Historiographie- und Philosophiegeschichte beiseite läßt, unabhängig von der Frage, ob dem, wenn nicht schwachen, so jedenfalls unwilligen Theoretiker Ranke, der zu seiner Zeit hauptsächlich literarisch beurteilt wurde, eine solche Fundament-Eigenschaft überhaupt zuzusprechen sei. Iggers behandelt zunächst die Mißverständnisse im Ranke-Bild amerikanischer Historiker seit 1880, wirft sodann (88f.) die zu beiden Seiten hin unrealistische Frage auf, ob „der neue [!] kritische Umgang mit den Quellen oder die Einführung [!] der Seminarmethode in den historischen Lehrbetrieb der Hauptbeitrag Rankes zur deutschen Geschichtswissenschaft“ gewesen sei. Weiterhin werden die traditionellen Themen ‚Ranke und Hegel‘ (Verhältnis von Philosophie und ‚wahrer Historie‘, Wahrheitsund Wirklichkeitsbegriff, Staatsauffassung) sowie treffend ‚Ranke und Heinrich Leo‘ (Fragen des Darstellungsstils und der moralischen Beurteilung historischer Charaktere, i. B. Machiavellis) gestreift. Dabei hält sich Iggers weitgehend an die in seine RankeEdition von 1973 (s. u.) aufgenommenen Quellen. Der bei seiner Neuauflage 1997 in die Jahre gekommene Text berücksichtigt nur ganz am Rande die ‚Tagebücher‘ (WuN I) und in keiner Weise die ‚Frühen Schriften‘ (WuN III), noch auch die Vorlesungseinleitungen Rankes (WuN IV). Hinrichs’ ‚Geschichtstheologie‘ von 1954 und Vierhaus’ ‚Soziale Welt‘ von 1957 werden unter die „neueren“ Arbeiten gezählt. Überhaupt geht Iggers, abgesehen etwa von den herangezogenen Arbeiten von Fueter (1936), Hans Schleier (1963-65), von Laue (1950), W. Mommsen (1954) hier einmal literaturarm zu Werke. Auch das Schrifttum zu Rankes Staatsbegriff bleibt, abgesehen von Diether (Leopold von Ranke als Politiker/1911), dem wie üblich die Kritik Meineckes (1913) folgt, weithin unberücksichtigt. - Verdienstvoll ist u. a. die deutliche Kritik an Rankes Widersprüchlichkeiten, so hinsichtlich seines Staatsbegriffs im ‚Politischen Gespräch‘ und die nachdrücklichen Hinweise auf die „optimistische Anschauung“ der „monarchistischen Überzeugung“ Rankes (112), auf die in ihren - 600 -

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Folgen nur angedeutete „Spiritualisierung der Macht“ (119) und Rankes Unverständnis für den „dämonischen Charakter des Nationalismus“ (120), jedoch auch auf seinen nicht aufgegebenen „Glauben an eine europäische Gemeinschaft“ (118). - 1973 gab Iggers zusammen mit Konrad von Moltke - später Honorarprofessor am Dartmouth College - eine verdienstvolle umfangreiche Ranke-Anthologie mit dem Titel ‚The theory and practice of History. Leopold von Ranke‘ heraus (s. I, 539). Zu erwähnen ist noch ein 1990 von Iggers und James M. Powell herausgegebener, in Syracuse, dem Aufbewahrungsort der Rankeschen Bibliothek und Handschriftensammlung, erschienener Sammelband ‚Leopold von Ranke and the shaping of the historical discipline‘ mit vierzehn Beiträgen (acht als Zweitdrucke). Er steht in Zusammenhang mit einem 1988 erschienenen Sonderheft des ‚Syracuse Scholar. An interdisciplinary journal of ideas‘, Bd. 9, Nr. 1, [Heftthema auf Umschlag: „Leopold von Ranke”]. Iggers darin befindlicher siebenseitiger Beitrag ‚The crisis of the Rankean paradigm in the nineteenth century‘ (Zweitdr. 1990) wird dem Thema allerdings, ungeachtet der fragwürdigen Anwendung des modischen Paradigmen-Begriffs auf Ranke, nur ansatzweise gerecht, allein weil das 19. Jahrhundert darin kaum in Erscheinung tritt. - Bemerkenswert, daß gerade in Deutschland mit jüdischen Wurzeln geborene und zu Zeiten des Nationalsozialismus emigrierte Historiker im Ausland das deutsche Thema ‚Ranke‘ vertraten. Weniger ergiebig sind andere ausländische Beiträge: Der australische Philosoph John Passmore (1914-2004) schrieb in der Zeitschrift ‚Philosophy‘ von 1958 über ‚The Objectivity of History‘. Dabei galt ihm in völlig überzogener Weise Ranke als „Hegel’s most distinguished historical disciple” (77. Hierzu mit Recht einschränkend Berg/1968, 215, A. 94). - Maarten Cornelis Brands hingegen, der 1965 über „Het ‚Anti-Normatieve‘ en ‚Onpolitieke‘ Element in de duitse Geschiedswetenschap“ schrieb und dabei kurz Rankes ‚Französische‘ und ‚Englische Geschichte‘ sowie das Verhältnis RankeHegel und die Kritik Croces berührte, betrachtete ausführlich Rankes Konservativismus, der sich gegen zwei Feinde kehre, welche - nach Rankes Auffassung - ein und derselbe seien: die Revolution und die spekulative Philosophie (77). - Der amerikanische Philosoph Maurice Mandelbaum (1908-1987) hatte sich in seinem 1938 erschienenen Werk über ‚The problem of historical knowledge‘ mit Ranke nur ganz beiläufig befaßt. In den schlichten Darlegungen seines 1971 erschienenen Werkes ‚History, Man & Reason. A Study in Nineteenth-Century Thought‘ finden sich auch lediglich einige wenig besagende Sätze über Rankes Verhältnis zu Hegel und Fichte. Beiläufig irrt Mandelbaum, wenn er erklärt: „Hegel had no occasion to mention Ranke“ (61. Siehe hingegen I, 133f.). Nicht als Kritiker der Philosophie, sondern als Philosoph, wenn auch als zwiespältiger, tritt Ranke bei Herbert Schnädelbach (geb. 1936) auf. Dieser, selbst Philosoph, behandelte im Kapitel „Geschichtsphilosophie zwischen Spekulation und Wissenschaft“ seines 1974 erschienenen Werkes ‚Geschichtsphilosophie nach Hegel. Die Probleme des Historismus‘ Ranke, Burckhardt und Nietzsche und beschränkte sich im Fall Rankes, zumeist aus sekundärer Quelle schöpfend, auf dessen „explizite Äußerungen als Geschichtsphilosoph“ (34), ließ also, was sogleich eine völlige und unzulässige Verschiebung der Gewichte bewirkte, Rankes Werk beiseite. Aber auch wesentliche Quellenstücke theoretischer Art (z. B. aus WuN II u. III) und eine Fülle an Literatur bleiben in der Arbeit des Ranke-Neulings unberücksichtigt. Trotz üblicher ungenetischer Betrachtungsweise einiger Ranke-Dicta sind die Ergebnisse erwägenswert: Schnädelbach besichtigt zunächst vorwiegend - gegen ein determinierendes - 601 -

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Fortschrittsmodell - „Rankes Hypothesis der menschlichen Freiheit im Sinne einer möglichen Indeterminiertheit von Handlungen“ (38), wendet sich dann dem Ideenbegriff zu, in dem Ranke die „Transformation eines apriorisch-philosophischen Prinzips in einen Begriff von empirischem Gebrauch“ (41) und auch „die Emanzipation ... der Geschichtswissenschaft als erfahrungswissenschaftlicher Disziplin von der spekulativen Geschichtsphilosophie“ (42) vollziehe. Ranke habe das „induktivistische Wissenschaftsmodell ... für die wissenschaftliche Geschichtsbetrachtung“ adaptiert. Wie alle konsequenten Induktivisten sei er jedoch „erkenntnistheoretisch naiv“, indem er übersehe, „daß jener Aufstieg zum Allgemeinen gar nicht möglich wäre, wenn ihm nicht schon allgemeine Prinzipien der Konzeptualisierung des Besonderen vorauslägen“ (44). Man darf hinzufügen: auch solche des je besonderen und des allgemein Allgemeinen. Schnädelbach betrachtet abschließend „das Problem der Weltgeschichte“, wobei er Rankes „geschichtsphilosophische Position“ durch eine „fundamentale Unstimmigkeit“ gekennzeichnet sieht (45): einerseits seine „geschichtsphilosophische Skepsis gegenüber der Möglichkeit von Systematisierungen überhaupt“ und andererseits sein nachdrückliches Festhalten an dem „Gesichtspunkt einer Weltgeschichte im objektiven [i. T.] Sinne“ (45). Indem die ‚göttliche Ordnung der Dinge‘ für Ranke „die Einheit des Gegenstandes ‚Weltgeschichte‘“ stifte, verbleibe er damit „in großer Nähe zum absoluten Idealismus Hegels“ (47). - Ein 1997 erschienener Beitrag von Rüdiger Bender über ‚Rankes Philosophie der Geschichte als Ethik der Geschichtsbetrachtung‘ hat sich stark bis wörtlich von Schnädelbach anregen lassen. Die 1985 erschienene, bei Heinz Dollinger in Münster von Silvia Backs gefertigte beachtliche Dissertation ‚Dialektisches Denken in Rankes Geschichtsschreibung bis 1854‘ geht von der in der Literatur gegensätzlich beurteilten Feststellung aus, daß Rankes Geschichtsanschauung ein dialektischer Denkansatz zugrunde liege und ein „Grundtenor in Rankes gesamten Werken“ sei (2). Dies konnte der DDR-Historiker Hans Schleier nicht dulden, der darin eine „Verzerrung“ des Begriffs ‚Dialektik‘ sah: Eher handele es sich „um eine antithetische Beschreibung von Erscheinungen und Prozessen“ (Schleier: Leistungen/1987, 959). Backs verfolgt in weitem Bogen und mit guter kritischer Literatur- und Quellenkenntnis (u. a. Zurückweisung mancher Annahmen von Fuchs) die Auseinandersetzung Rankes mit der idealistischen Philosophie bis zum Ende seines Studiums und geht sodann seiner Entwicklung (über GrMächte, PolG, Päpste, DtG) nach, bis hin zum dialektischen Verhältnis im Wandel der Ideen in den Vorträgen vor König Maximilian II. von 1854. Die abschließend gestellte Frage: „Was ist für den heutigen Historiker von Rankes Geschichtsauffassung nützlich oder vielleicht sogar unentbehrlich?“ (274) findet ihre zum Teil ansprechende Antwort in der Feststellung, daß seine „Auffassung vom Walten dialektisch aufeinander bezogener Kräfte und Mächte“ insofern von großer Hilfe sei, als sie „eine Ordnung der Geschichte zulasse, die einerseits über eine rein kausale oder gar monokausale Erklärung der Geschichte“ hinausgehe, „ohne in die Starrheit eines Systems verfallen zu müssen.“ (274f.). Sein „erkenntnistheoretischer und damit historischer Standpunkt“ habe als dialektisches Denken „eine solche Offenheit, daß er Parteilichkeit oder ideologisches Denken nicht zulasse, aber zugleich ein solches Maß an Strukturiertheit, daß (zumindest zum großen Teil) ein einheitlicher Zusammenhang der Geschichte gewahrt“ bleibe (275). Damit bleiben allerdings Rankes trotz Objektivitätsstreben deutliche Subjektivitäten, welche seinen Zeitgenossen nicht verborgen geblieben waren, gänzlich unbeachtet. - 602 -

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Michael-Joachim Zemlin unternahm 1986 in einem ‚Die historische Theoria im Geschichtsdenken Rankes‘ betitelten Beitrag der Zeitschrift ‚Saeculum‘ den eleganten Versuch, Rankes erkenntnistheoretische Einstellungen mit antiker Begrifflichkeit zu ergründen. Er gelangte bei diesem Vorhaben, ausgehend von Rankes Unterscheidung von Anschauung und Abstraktion, literaturlos zu dem Ergebnis, daß ihm „historisches Erkennen als ein Verstehen ... im letzten Resultat mitfühlend-ahnende Conscientia“ bedeutet habe (362), - beiläufig: eine Ranke von Droysen abgesprochene Fähigkeit (s. I, 169f.). Die „historische Theoria“ diene „einer Synthese von geschichtlicher Wirklichkeit und Idee, am Ende einer Versöhnung der Faktizität des Historischen mit der Idee der Universalhistorie“ (364). Das war sehr weit ausgeholt, aber auch von sehr fraglichem Aussagewert. - Im selben Jahr befaßte Zemlin sich mit Rankes Wort vom ‚Zeigen, wie es eigentlich gewesen‘ (s. I, 625). Zemlin hatte damals bereits seine Kölner philosophische Dissertation verfaßt (1984), die er 1988 überarbeitet und stark erweitert unter dem Titel ‚Geschichte zwischen Theorie und Theoria. Untersuchungen zur Geschichtsphilosophie Rankes‘ zum Erscheinen brachte. Obgleich er darin Rankes „Skepsis gegenüber allen geschichtsphilosophischen Ideen“ (272) erkannt hatte, nahm er sich gleichwohl vor, eine erste umfassende Analyse seiner Geschichtsphilosophie zu erarbeiten, die er noch bei Metz (1979) vermißt hatte. In der anerkennenswerten Absicht, den Dingen auf den Grund zu gehen, wurde er indes, verführt von einem beachtlichen, i. b. antik geprägten Bildungspotential, gelegentlich geradezu rhapsodisch und abschweifend: z. B. ausführlich über Plessners Analysen zur Philosophischen Anthropologie, zu Heideggers ‚Sein und Zeit‘ im Zusammenhang mit der Frage nach der Endlichkeit des Daseins, über Fatum bei Griechen, Römern und im Christentum, des weiteren über A. C. Danto und F. Kaulbach. Darauf hätte man gerne verzichtet zugunsten einer intensiveren Auseinandersetzung mit der einschlägigen Ranke-Literatur (Angermeier, Bobinska, Passmore, Harnack, Simon, Kon, Heintel, Richtscheid, Hinrichs, Schulin, Iggers u. a.). Für die Erweiterung der Dissertationsfassung hätte v. a. die Arbeit Backs’ (1985) herangezogen werden müssen. Die Untersuchung bringt gleichwohl einen bemerkenswerten Ertrag, vor allem zum Epochenbegriff Rankes, zur Gegenstandsproblematik, zum Begriff der Objektivität, zum Fortschritts- und Tendenzbegriff, wobei sich Zemlin allerdings wie üblich überwiegend auf die Berchtesgadener Vorträge von 1854 stützt, ausnahmsweise auch in der authentischeren StenogrammFassung. Auf die völlig unverzichtbare Erörterung des Begriffs ‚Idee‘, dem ja wesentlich größere Bedeutung im Geschichtsdenken allgemein und bei Ranke zukommt als dem Tendenzbegriff, wird in einem unzulässigen Exculpierungsversuch verzichtet: weil dazu „weitverzweigten philosophiehistorischen und allgemein geistesgeschichlichen Einzelproblemen nachzugehen“ gewesen wäre (71). Wo der Begriff dennoch gelegentlich auftritt, etwa bei der ausführlichen Betrachtung des Verhältnisses RankeHegel mit Seitenblicken auf Burckhardt und Droysen, wird er als sogenannte ‚leitende‘ und ‚universalhistorische Ideen‘ allzu weitgehend mit ‚geschichtsphilosophischen Ideen‘ (223) gleichgesetzt. Neben einer Betrachtung von Affinitäten zu Hegel sieht Zemlin Rankes Ablehnung „in erster Linie und vor allem“ als „gegen die Logizität und Abstraktheit von Hegels Geschichtsdenken“ (225) gerichtet an. Das trifft nicht den Kern. Hier fehlt ganz deutlich ein Eingehen auf Rankes darüber hinausweisende Bemerkung, die Hegelsche Philosophie stelle eine „höchst unwürdige Vorstellung von Gott und der Menschheit“ dar (WuN IV/1971, 65 App.). - Die von Zemlin durchgeführte Erörterung einzelner Elemente der Rankeschen Begrifflichkeit führt allerdings nicht zum Nachweis einer Philosophie Rankes, wie überhaupt eine Vorklärung der - 603 -

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Frage, was unter ‚Geschichtsphilosophie‘ schlechthin und in Abgrenzung zu allgemeinen philosophischen Ansätzen im Geschichtsdenken zu verstehen sei, unterbleibt (vgl. Ernst Troeltsch: Das logische Problem der Geschichtsphilosophie. In: Ders. Der Historismus und seine Probleme, Tüb. 1922, ND Aalen 1961, 459ff.). So ist denn auch in der ‚Schlußbetrachtung‘ Zemlins vom Geschichtsphilosophen Ranke keine Rede mehr: Der Philosoph erleidet dasselbe Schicksal wie ehedem der ‚Politiker‘ Ranke: Er hat sich unbemerkt wieder zum ‚Historiographen‘ und ‚Geschichtsdenker‘ (364) zurückverwandelt. Man vergleiche Rankes Vorlesung von 1831 oder 1831/32 mit ihrer starken Polarisierung von Historie und Philosophie. Dort ist die Rede von dem der Historie „einwohnenden Prinzip, dem philosophischen entgegengesetzt.“ WuN IV, 76). - Dies wurde auch von Harm Klueting übersehen, der Zemlin 1989 eine feuilletonistische Besprechung unter dem selbstrichtenden Titel ‚In den wärmeren Gefilden poetischer Bildlichkeit‘ widmete. Darin glaubte er trotz einer Fülle von Beanstandungen zustimmen zu müssen, „wenn Zemlin Rankes universalgeschichtliche Auffassung als Geschichtsphilosophie bezeichnet.“ Hans Schleier sprach über die Arbeit Zemlins das Wort, sie übe „von einer subjektiv-idealistischen Erkenntnistheorie ausgehend, Kritik an der objektiv-idealistischen Rankes“ (Schleier: Leistungen/1987, 959). Werner Bertholds (geb. 1923) Beitrag ‚Die Konzeption der Weltgeschichte bei Hegel und Ranke‘ zu dem von Wolfgang J. Mommsen herausgegebenen Sammelband von 1988 (‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft‘, s. auch Berthold: ‚Zu den Weltgeschichtskonzeptionen Hegels und Rankes. Ein Vergleich‘, in ZfG 36/1988, 387-396) kann als eine Art Einführung in die reichhaltige Literatur zum Thema angesehen werden. „Es ergibt sich zunächst, daß beide Denker im wesentlichen den gleichen politischen Standpunkt einnahmen“, so Mommsen einleitend über Bertholds Beitrag, „nämlich den eines Befürworters der Politik der Restauration. Ungeachtet dieses grundsätzlich kritischen Befundes lassen sich nach Berthold sowohl bei Hegel wie insbesondere auch bei Ranke durchaus Elemente eines ‚rationalen Fortschrittsbegriffs‘ auffinden, im materiellen, aber auch im geistig-kulturellen Sinne. Diese waren freilich eingebunden in eine Weltsicht, die den Fortbestand einer konservativen monarchischen Ordnung in Europa für unabsehbare Zeit als unabdingbar ansah.“ (Mommsen: Einl./1988, 13). Rankes Geschichtsbild sei, so Berthold selbst, „auch von marxistischen Historikern unter den Gesichtspunkten seiner wissenschaftshistorischen Einordnung neu zu sichten“. Es könne „auch unter den Aspekten partieller Anregungen für die Geschichtsforschung und -schreibung und auch der weiteren Präzisierung des theoretischen und methodischen Instrumentariums ... Interesse gewinnen.“ (89). - Der Beitrag wurde von Stefan Jordan (geb. 1967) mit der Bemerkung abgestraft, „selbst der Vorwurf ideologischer Einseitigkeit“ sei „bei diesen Zeilen zuviel des Guten“ (1997, 220). Jordan, Mitarbeiter der ‚Historischen Kommission‘, fällte sein Urteil 1997 in einem Beitrag zum ‚Jahrbuch für Hegelforschung‘, mit dem Titel ‚Der Weltgeist als Betrüger oder Das kleinliche Interesse des Historikers. Elemente geschichtstheoretischen Denkens bei Hegel und Ranke‘, ein Beitrag, dessen Wert vor allem in einer sorgfältigen Darlegung der methodologischen Probleme eines Vergleichs Ranke-Hegel liegt. - Zurück zu Werner Berthold, der 1989 einen dem Aufsatz von 1988 thematisch ähnelnden über ‚Weltgeschichtskonzeption und Stellung zur Großen Französischen Revolution - ein Vergleich der „Philosophie der Weltgeschichte“ Hegels und der „... Epochen der neueren Geschichte“ Rankes‘ nachlieferte (s. I, 583). Hinzu nehmen mag man einen kurzen Artikel Bertholds im ‚Neuen Deutschland‘, ‚Leopold - 604 -

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Ranke‘, vom 13. Januar 2002, in dem er darauf hinweist, Ranke habe „aufklärungs- wie quellenkritisch einen machtstaatsorientierten eurozentrischen Historismus“ inauguriert. Neben seiner Erzählkunst sei „die von ihm weiterentwickelte und systematisierte philologisch-quellenkritische Methode hervorzuheben, die grundlegende Bedeutung für jegliche Geschichtsschreibung“ gewonnen habe. „Sein Prinzip einer unparteiischen Objektivität, die ‚bloß zeigen‘ will, „wie es eigentlich gewesen“, habe er nicht zu verwirklichen vermocht. - Der ‚Saeculum‘-Aufsatz des Heidelberger Philosophieprofessors Rüdiger Bubner (1941-2007) über ‚Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie‘ von 1992 zeigte übrigens an Ranke kein Interesse. Von einem der Auffassung Schnädelbachs verwandten Widerspruch wußte der heutige Berliner Philosophie-Professor Thomas Gil (geb. 1954) in seiner 1990 fertiggestellten, 1993 erschienenen Habilitationsschrift ‚Kritik der Geschichtsphilosophie. L. von Rankes, J. Burckhardts und H. Freyers Problematisierung der klassischen Geschichtsphilosophie‘ vor allem wiederum anhand der Vorträge Rankes vor Maximilian von 1854 zu berichten. Ranke sei der idealistischen Philosophie, im besonderen Hegel, insofern nahegestanden, als die von ihm propagierte „antigeschichtsphilosophische Programmatik“ in einem inneren Widerspruch als geschichtsphilosophische Konstruktion der Weltgeschichte „konkret-historiographisch in variierter Form“ „quasi unter der Hand“ (249) doch wieder bei ihm zurückgekehrt sei (252). Auf diese und verwandte, wenn man so will, Diskrepanzen war man bereits zu Rankes Lebzeiten aufmerksam geworden (s. bes. die Aufnahme seiner ‚Weltgeschichte‘). Ein späteres Beispiel bot Ernst Simon in den 1920er Jahren (s. I, 479), gerade in einer Gegenüberstellung Rankes und Hegels. - Bemerkenswert sind auch Gils Überlegungen über ‚Die Auflösung von Subjektivität und die Idee historischer Objektivität‘ (90-104; s. I, 629). Der heute als Rechtswissenschaftler tätige US-Amerikaner David Aaron Jeremy Telman schrieb in seiner Dissertation ‚Clio ascendant: The Historical profession in nineteenth-century Germany‘ aus dem Jahre 1993 u. a. über das Verhältnis RankeHegel (417ff.), wobei er, Steinbüchel (1949) ähnlich, auf die religiösen Gründe der Feindschaft Rankes gegenüber einer Philosophie der Geschichte abstellte (428-433). Das war selten so gesehen worden, aber einigermaßen deutlich - wenn auch bei zu vermeidender Einseitigkeit - aus Rankes Berchtesgadener Vorträgen von 1854 herauszulesen. Häufiger hatte man auf den bloßen Gegensatz von empirischer Wissenschaft und spekulativer Geschichtsphilosophie abgestellt. - In Rankes Satz von der Unmittelbarkeit jeder Epoche zu Gott sah auch Wolfgang Bialas in einem Aufsatz über ‚Das Geschichtsdenken der klassischen deutschen Philosophie: Hegels Geschichtsphilosophie zwischen historischem Erfahrungsraum und utopischem Erwartungshorizont‘ zu dem 1997 von Wolfgang Küttler, Jörn Rüsen und Ernst Schulin herausgegebenem ‚Geschichtsdiskurs‘ (III) eine „klare Gegenthese zu der Hegels, auf Gott als Ausgangspunkt und absoluten Endzweck laufe Geschichte mit teleologischer Zwangsläufigkeit hinaus“ (40). Während Gott bei Hegel zum „Metahistoriker par excellence“ avanciere, werde er bei Ranke „zum Kronzeugen einer Dichotomie von Empirie und Theorie resp. Geschichtsphilosophie als Geschichtstheologie“ (41f.). Nun dürfte allerdings eine Geschichtstheologie, die es lediglich mit einem beobachtenden Kronzeugen zu tun hat, diesen Namen kaum verdienen. - Für Friedrich Jaeger konstituiert sich in seinem Beitrag über ‚Geschichtsphilosophie, Hermeneutik und Kontingenz in der Geschichte des Historismus‘ zu dem nämlichen Sammelband der Historismus mit Ranke „als eine hermeneutische Geisteswissenschaft mit antiteleologi- 605 -

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scher Stoßrichtung“ (49). Beunruhigend in beiden Beiträgen ist die auch hier wie so oft auftretende nahezu ausschließliche Behandlung Rankes bei beständigem Hinweis auf ein nicht individualisiertes ‚Historismus‘-Kollektiv. Jorge Navarro-Pérez hatte im Vorjahr eine Schrift über ‚La filosofía de la historia de Wilhelm von Humbolt. Una interpretación‘ verfaßt (Valencia 1996), als er 1997 im ‚Philosophischen Jahrbuch der Görresgesellschaft‘ einen Beitrag ‚Fichte, Humboldt und Ranke über die Idee und die historischen Ideen‘ veröffentlichte. Er beabsichtigte darin, die historischen Ideenlehren Humboldts und Rankes mit dem Fichteschen Begriff von ‚Idee‘ zu vergleichen, bewußt ohne der Frage nach einem Einfluß nachzugehen. Der für das Thema allzu knappe, zumal in extremem Verzicht auf die umfangreiche und zum Teil tiefschürfende Literatur verfaßte Beitrag kommt zu dem Ergebnis: „Rankes Ideenlehre wäre so etwas wie eine theologische Fassung von Humboldts Ideenlehre“ (370). Allerdings ist, wie man dem Verfasser entgegenhalten muß, keine der in Rankes Vorträgen vor Maximilian auftretenden Ideen von dieser Art. - In einem Anhang geht Navarro-Pérez auf „Droysens historische Ideenlehre“ ein. 2003 legte er noch ein Werk vor über ‚Filosofia y política en la crisis del historicismo. Friedrich Meinecke y Ernst Troeltsch‘ (Valencia). 1998 hat Andrea Jäger in ihrer Bochumer Habilitationsschrift über ‚Die historischen Erzählungen von Conrad Ferdinand Meyer. Zur poetischen Auflösung des historischen Sinns im 19. Jahrhundert‘ auch Ranke ein fremdkörperhaftes Kapitel gewidmet mit dem Titel: ‚Objektivität und Anschauung des historischen Sinns im Historismus: Leopold von Ranke‘ (66-75), welches mit Conrad Ferdinand Meyer in keinem Zusammenhang zu stehen scheint und auch überhaupt frei ist von literaturwissenschaftlicher Perspektive. Ihren Betrachtungen hat die Verfasserin nicht Rankes historiographisches Werk zugrunde gelegt, sondern lediglich die beiden heute gängigsten Aufsätze seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ (GrMächte, PolG), im übrigen hauptsächlich Sybels Gedächtnisrede (1886), obgleich ein Einblick in Arbeiten von Backs (1985), Zemlin (1986 u. 1988) und anderen sich eher empfohlen hätte. Ihr selektivungenetischer Ansatz konnte nur zu sehr begrenzten Ergebnissen führen. So weist ihre These von Rankes „Bestimmung der Geschichte als Feld der Offenbarung Gottes“ (74) wieder einmal auf eine Überbewertung von Expektorationen des jungen Ranke hin, und sein Verhältnis zur Geschichtsphilosophie wird von ihr so bestimmt, daß „die entscheidende Differenz ... nicht etwa im Zweifel daran“ bestehe, „daß sich die Geschichte als Äußerungsform des Geistigen“ mitteile, „sondern in seiner Auffassung, daß man diese Mitteilung nicht in wissenschaftlichen Kategorien fixieren“ könne und dürfe (67). Diese These dürfte zu weit gehen, denn Ranke hat auf eine Fixierung des Geistigen in seiner Historiographie nie verzichtet - auch wenn er manches nur in Sentenzen niederlegte - und hat, wie jeder Historiker, auch nicht darauf verzichten können. Um Gottsuche handelt es sich auch in dem 2001 erschienenen Essay ‚Über Systemdenken bei Ranke - mit einem Blick auf Burckhardt‘, in dem Jürgen Große bewußt „Fragen nach personal oder textual fixierbarer Beeinflussung ... zugunsten begriffsgeschichtlicher und denkstruktureller Analysen in den Hintergrund“ stellte (79, A4). Das ist bedauerlich, denn er geriet auf diese Weise zu einer Höhe der Abstraktion, die zugleich seinen erkenntnismäßigen Abstand zu Ranke beschreibt. Andererseits legte er bei wertvollen Einzelbetrachtungen eines neuen Untersuchungsansatzes dem eigenen Systemdenken den nicht zu verallgemeinernden, gelegentlichen jugendlich-literarischen Gottsucher Ranke vorab als Ergebnis zugrunde, einen Gottsucher, der in seinen - 606 -

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frühen Jahren als ein solcher nie recht erfolgreich und später kaum mehr tätig war. „Grenzen und Möglichkeiten von Systemdenken in Burckhardts und Rankes Geschichtswerken werden von einer dualistischen und perspektivitätsbewußten Ontologie und Gnoseologie der Geschichte bestimmt. Gleichwohl bestehen ein Bedürfnis und ein Selbstverständnis, immanenter Welt(geschichts)deutung [i. T.] den Vorzug zu geben. Für Ranke heißt das, Gott in der Geschichte zu suchen, für Burckhardt, ihn draußen zu lassen.“ (114). Das Systemdenken beider - wie treffend bemerkt wird - umgehe „das teleologische Denken mit seinem epochalen Höhepunkt bei Hegel. Es zeigt sich damit [?] in einer dogmatischen und in einer skeptischen Variante, als Andacht je vor der Ontologie und der Erfahrung der Weltgeschichte, ihrer Erhabenheit und ihrer Unbegreiflichkeit“ (115). Dazu sei bemerkt: ‚Andacht vor der Ontologie‘ dürfte ein qualitativ schwaches, unspezifisches Charakteristikum sein. Es trifft auch auf Görres, Janssen, Pastor und andere zu, deren Skepsis geringer ausgeprägt war als die Rankes. Die gelegentlich mangelnde Skepsis Großes zeigt sich in der Verwendung des Begriffs der ‚Erhabenheit‘ allerdings deutlich. 2006 legte er seine überarbeitete Habilitationsschrift über ‚Kritik der Geschichte. Probleme und Formen seit 1800‘ vor. - Zu einem dem Essay Großes eher entgegengesetzten Ergebnis führten Betrachtungen, welche die Literaturwissenschaftlerin Linda Simonis (geb.1965) im Jahr 2002 über: ‚Moderne Geschichtskonzepte im Spannungsfeld von Kontinuität und Diskontinuität‘ anstellte. Sie sah bei Ranke die Auffassung eines „objektiven, inneren Zusammenhangs der Geschichte“ (125), den u. a. auch Schieder (1952, 174) bereits gesehen hatte. Dieser Zusammenhang meine „offenbar mehr als das bloße (kontingente) Nacheinander der historischen Einzelereignisse in der Zeit.“ Der Begriff impliziere „vielmehr einen ‚inneren‘, entelechischen Entwicklungsimpuls, der von einem ersten Ursprung durch die Zeitalter und Jahrhunderte zu einem zukünftigen, jedoch im Vergangenen bereits angelegten Telos führt“ (124). Hier darf man wohl an Hayden Whites organizistische Erzählstruktur denken. Eine von Simonis angenommene Teleologie - eine solche ist übrigens stets in der Vergangenheit „angelegt“ - ist bei Ranke, wie besonders seine Vorträge vor Maximilian von 1854 deutlich zeigen, nicht gegeben. Auch hier folgt eine vergleichende Betrachtung Rankes und Burckhardts (125ff.). - Auf die Seite einer von Ranke angeblich geübten metaphysisch teleologischen Geschichtsanschauung hat sich auch Bradford Duane Whitener begeben. Im Hinblick auf die historiographiegeschichtlich vorzugsweise in einem eingeschränkten protestantischen Bereich verweilenden Meinecke und Iggers hält er in seiner an der Universität von Virginia eingereichten Dissertation von 2005 mit dem Titel ‚Varieties of historical consciousness in nineteenth-century Germany: Ranke, Döllinger, Marx‘ (Ms. Ranke-Archiv Wiehe) zunächst mit Recht eine größere Weite der Betrachtung protestantischer wie katholischer Historiker für erforderlich, praktiziert sie jedoch nicht. Während Ranke den Versuch einer Verbindung naturalistischer und voluntaristischer Methode darstelle, seien Döllinger und Marx voluntaristisch eingestellt (8). Rankes Geschichtsauffassung könne zusammengefaßt werden in dem Satz: „order in motion toward perfection“, während Döllingers Auffassung als „ecclesia reformanda“ oder „the church reforming itself“ zu bezeichnen sei (9), Prinzipien, die man freilich schwer einander gegenüberstellen kann. In Marx’ geistiger Entwicklung zwischen 1835 und 1845 erblickt Whitener eine Säkularisierung der Döllingerschen voluntaristischen Empfindungen (13). Ranke habe den Menschen in vitaler Verbundenheit mit einer natürlichen Ordnung gesehen, - sein Naturalismus. Jedoch ebenso stark sei er überzeugt gewesen von Gottes verborgener Hand, welche die Geschichte bewege, und von der Überzeugung, daß sich Geschichte - 607 -

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entlang eines irgendwie gearteten göttlichen Fortschritts bewege, - dies sein Voluntarismus (6). - Fast im genauen Gegensatz zu den Vorgenannten, wenn auch nicht rein immanent, deutete Jörg Baberowski (geb. 1961), Professor für Geschichte Osteuropas an der Humboldt-Universität Berlin, Rankes Sicht. Wie üblich gestützt auf die Vorträge vor Maximilian von 1854 - Ranke hat übrigens keine „Abhandlung ‚Über den Fortschritt in der Geschichte‘“ verfaßt (66) - stellt Baberowski in seinem 2005 erschienenen Werk ‚Der Sinn der Geschichte. Geschichtstheorien von Hegel bis Foucault‘ im Vergleich Rankes mit Hegel fest: „Ranke war ... keineswegs ein Positivist ohne Ziel und Absicht. Für ihn war die Geschichte einfach die bessere Philosophie“ (67). Auch habe er im Gegensatz zu den Empiristen „in den konkreten Erscheinungen nicht Abbilder [?] der Wirklichkeit, sondern Äußerungen kosmischer Mächte“ gesehen (68). Letzteres eine Vorstellung, die Ranke allein aus seiner theistischen Grundeinstellung fremd war. Ranke habe nur der Diplomatie und den Regierungen „als Repräsentanten der Nationen“ zugestanden, „mit der Geschichte verbunden zu sein.“ (Ebd.). Dies hätte, wie man entgegenhalten muß, zu seinem größten Bedauern, Ranke selbst, wie Platon, Luther und Torquato Tasso, aus der Geschichte ausgeschlossen. „Hegel gleich“ habe Ranke vorausgesetzt, „daß die Staatsmänner der Stimme der Geschichte folgten. Darin widerlegte Ranke seine Absicht, nur zu zeigen, wie es eigentlich gewesen sei, zwar selbst, aber er schützte sich vor dem Vorwurf, seine Konzeption der Geschichte sei willkürlich und beruhe auf einem ethischen Nihilismus“ (ebd.). Im Gegensatz zu Hegel habe Ranke die Überzeugung gehabt, daß sich „über den Sinn der Weltgeschichte ... nichts sagen“ lasse und habe „den Begriff des Fortschritts gegen den der Bewegung“ ausgetauscht (69). „Was Ranke über die Erkenntnismöglichkeiten des Historikers sagt, bleibt nebulös.“ (68). - Ein solcher Skeptizismus war dem RankeForscher und apologetischen Anhänger Ulrich Muhlack eher fremd. Sein Beitrag von 2010 über ‚Das Problem der Weltgeschichte bei Leopold Ranke‘ ist vielmehr von dem forcierten Versuch getragen, dieses letzte Werk mit seinen historiographischen und im besonderen Forschungs-Schwächen ersatzweise überwiegend als ein Stück ‚Philosophie‘ darzustellen (s. I, 637). - Hier war ein Satz des Ranke-Forschers Walther Peter Fuchs in Vergessenheit geraten, den er in einem Jubiläumsbeitrag zur ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ vom 24. Mai. 1986 mit dem Titel einer Ranke-Briefstelle von 1820, ‚In aller Geschichte ist Gott zu erkennen‘, geschrieben hatte, Ranke sei „nicht eigentlich ein philosophischer Kopf“ gewesen und „System und Konsequenz des bloßen Gedankens waren nicht seine Stärke“. * Die in den Jahren seit 1915 bis zu Meineckes Ranke- und selbstverteidigender Schrift von 1939 (‚Zur Entstehungsgeschichte des Historismus und des Schleiermacherschen Individualitätsgedankens‘) stärker beachtete Kritik Benedetto Croces wird in der Literatur nach 1945 mit geringerer Intensität zur Kenntnis genommen. Hier seien einige Beiträge höchst unterschiedlicher Herkunft kurz skizziert: Karl Heussi, der sich schon zu Zeiten der Weimarer Republik sehr an Ranke interessiert gezeigt hatte, verfaßte 1953/54 in der ‚Wissenschaftlichen Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena‘ einen Beitrag ‚Leopold von Ranke im Urteil von Benedetto Croce‘. Heussi bot darin eine systematische Darlegung der Kritik Croces, in der die erst zum Schluß aufgeworfene Frage nach der Bedeutung dieser Kritik jedoch höchst unbefriedigend formalistisch beantwortet wird: „Indem Croce seinen Gegenstand einer Kritik vom - 608 -

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gegenwärtigen wissenschaftlichen Bewußtsein aus unterwirft, zeigt er, wie man die vergänglichen und die bleibenden Bestandteile dieses Gegenstandes unterscheiden müsse“ (177). Es mangelt hier an einer Erklärung der Kritik Croces aus einer Gesamtsicht seiner Philosophie wie aus ihrer philosophiegeschichtlichen Stellung heraus. - In vollem Umfang ablehnend gegenüber der Ranke-Kritik Croces äußerte sich Karl Heinz Metz in seiner Dissertation über ‚Grundformen historiographischen Denkens‘ von 1976/1979. Er ließ weder den bekannten Vorwurf mangelnden Problembewußtseins, noch den Vorwurf eines Angriffs auf die Philosophie, noch den einer kontemplativen Einstellung gelten. Vielmehr seien Rankes „Meisterwerke geronnene Geschichtsphilosophie“ und „im Prinzip also das, was auch Croce“ angestrebt habe (54). Ein unglückliches Bild, könnte doch allenfalls Geschichtsphilosophie als geronnene Historiographie gedeutet werden. Jedenfalls wird hier Ranke in bedenklichem Abstandsmangel eine ihm nicht zukommende synthetische Rolle zugewiesen. Ist doch die mit jeder Geschichtsphilosophie verbundene Sinnfrage von ihm nie systematisch erörtert oder in seinem Werk konstituiert worden, und auch die von Croces Kritik unabhängige Auffassung Georg G. Iggers’, in Rankes Geschichtsanschauung habe sich eine Welt von Bedeutung und Werten widergespiegelt, wodurch die Geschichtswissenschaft die Philosophie als Wissenschaft, welche Einsicht in die Bedeutung der menschlichen Welt liefere, ersetzt habe (Historiography in the Twentieth Century/2005, 25), kann für Ranke nicht gelten, hat dieser doch in seiner politisch, sozial, kulturell, zeitlich und räumlich eingeschränkten Darstellung weder eine durchgängige Weltsicht dieser Art geboten, noch der Philosophie ihre eigenständige Rolle genommen oder nehmen wollen. - Hans-Rainer Baum, der 1982 in einer Veröffentlichung der Akademie für Gesellschaftswissenschaften beim ZK der SED eine ‚Analyse und Kritik der bürgerlichen Historiographie Italiens über den italienischen Faschismus‘ geliefert hatte, kam in einem Kurzbeitrag mit dem Titel ‚Zu Problemen von Benedetto Croces Haltung zum Werk Leopold v. Rankes‘ für das von der ‚Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik‘ am 3. Dez. 1986 veranstaltete ‚Kolloquium über das Werk Leopold von Rankes‘ zu dem Ergebnis, daß Croces Kritik an Ranke „etwas einseitig (z. B. bezüglich der fehlenden Geschichtstheorie bei Ranke) [i. T.], teilweise, was den Sinn der Nutzung der Quellen anbetrifft, überzogen“ erscheine (Baum/1987, 117). Auf italienischer Seite bleibt Croce ein großes Thema. Der italienische Historiker und Philosoph Fulvio Tessitore (geb. 1937) machte als führender italienischer RankeInterpret 1993 in einem Beitrag über ‚Il giudizio di Croce su Ranke‘ aufmerksam auf das Erhellende dieses Urteils für die Erkenntnis, daß Philosophie und Politik des „storicismo assoluto“ verschieden seien vom „storicismo critico“ nach Humboldtschem Muster und Rankeschem Geschmack (293). - Tessitores jüngerer Landsmann, der Philosophiehistoriker Santi di Bella, ging in seinem 2005 erschienenen Werk ‚Leopold von Ranke. Gli anni della formazione‘ unter weitreichendem Literatureinsatz den Einflüssen der zeitgenössischen Philosophie auf Rankes Bildung nach. Bemerkenswert ist übrigens, in der Nachfolge Siegfried Baurs (1998, 84ff.), die ansonsten seltene Berücksichtigung des Philologen Gottfried Hermann. Di Bella gelangte jedenfalls in starker Orientierung an seinem dominanten Landsmann Croce, der für sein Thema im Grunde ohne Bedeutung ist - Di Bella trat 2011 auch als Mitherausgeber einer Textausgabe mit dem Titel ‚Benedetto Croce und die Deutschen‘ hervor - zu der Erkenntnis, daß Rankes Geschichtsanschauung durchaus von philosophischen Interessen getragen sei, und durch Croces Kritik, trotz deren hoher Bedeutung, nicht als erledigt anzusehen sei. - 609 -

4. Kapitel (I/2.5.4) GESCHICHTSTHEORETISCHE FRAGEN M e t h o d o l o g i s c h e s (I/2.5.4.1) ‚Der Typus in der Geschichtswissenschaft‘ war eine der frühesten geschichtstheoretischen Arbeiten der deutschen Nachkriegszeit. Darin warf Theodor Schieder 1952, schon weitab aller Katastropheneindrücke, die Frage auf, ob Ranke in einem „uneingeschränkten Sinne“ als „Kronzeuge der geschichtlichen Individualitätslehre“ gelten könne. Schieder sieht den „Ansatzpunkt“ für Rankes Individualitätsgedanken in der „Abwehr des generalisierenden Anspruchs ..., den der Liberalismus für seine allgemeine Verfassungsidee erhoben hatte“ (173). Diese politisierende Deutung des Individualitätsgedankens, welche einseitig die Rankeschen ‚Staatsindividualitäten‘ im Blick zu haben scheint, ist in solcher Form - auch biographisch - gänzlich abwegig, umschließt sein Gedanke doch - wie Schieder ansonsten durchaus bewußt war - jede geschichtliche Erscheinung, personale im besonderen. Ranke sei bei dem Gedanken der Individualität, so fährt Schieder fort, nicht stehengeblieben, sondern sehe - wie schon allzu oft bemerkt wurde - „ein Allgemeines durch jede Individualität hindurchscheinen“. Dies entspricht theoretischen Äußerungen Rankes, wurde in seiner Historiographie natürlich nicht permanent realisiert. Dieses „allgemeine Prinzip“, so Schieder hypothetisch, sei „die Kontinuität, in der sich alle geschichtlichen Individualitäten wissen“. Von so viel, zumal verbreitetem Wissen kann natürlich nicht die Rede sei. Im Gegensatz zu Burckhardt sei Ranke „grundsätzlich nicht dazu gelangt, den Typus als höhere Erscheinungsform ... geschichtlicher Individualitäten zu entwickeln“ (174). Es fragt sich freilich, ob nicht gerade der Typus-Begriff bereits eine Aufhebung des ihm zugesprochenen Individualitätscharakters impliziert. Ranke ist im 1955 erschienenen Werk des „die wesenslogische Dialektik des Historischen Materialismus“ (Einl. der Hgg. K. H. Neumann, K. P. Thiel, W. Schella) vertretenden Leo Kofler (1907-1995) mit dem Titel ‚Geschichte und Dialektik. Zur Methodenlehre der dialektischen Geschichtsbetrachtung‘, nur beiläufig und oberflächlich absprechend - erwähnt: Im Kapitel ‚Die dialektische Struktur des Verstandes‘ betont Kofler die notwendige Identität der von Ranke (EnglG I, Vorw.) als getrennt beschriebenen beiden möglichen Aufgaben der Geschichtsschreibung: entweder noch unbekannte Informationen über Tatsachen mitzuteilen oder eine neue Auffassung des schon Bekannten aufzustellen (119). Im Kapitel ‚Der Fortschritt der Geschichtswissenschaft vom Beschreiben zum Erkennen‘ ist von der „quellenfesten Oberflächlichkeit Rankes“ die Rede, im Gegensatz zu Lorenz von Stein, „der uns mit einem einzigen Satze einen tieferen Blick in die geschichtlichen Zusammenhänge tun läßt als die auf ihre sterile Gewissenhaftigkeit so stolze moderne Geschichtsforschung.“ (250). Kofler schließt mit der aus Hegel hergeleiteten, wohl auch Ranke geläufigen Erkenntnis: „Jeglicher Versuch, den historischen Prozeß ohne die weitgehendste Berücksichtigung aller, auch der ideologischen Momente, zu erkennen, muß ebenso fehlschlagen, wie der umgekehrte Versuch, die Momente ohne die weitgehendste Bezugnahme auf den ganzen Zusammenhang des Prozesses wissenschaftlich zu erschließen.“ (252). Freilich hätte Ranke im weiteren nicht den Koflerschen Irrtum eines „von tieferen zu höheren Formen der gesellschaftlichen Existenz notwendig hinaufführenden Prozesses“ geteilt (252f.). - 610 -

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Ein überwiegend aus dem Nachlaß des 1966 verstorbenen, mehrfach herangezogenen Franz Schnabel veröffentlichter, hier nicht datierbarer Beitrag über ‚Geschichtswissenschaft - eine Einführung‘, befaßte sich v. a. mit der historischen Kritik, die in ihrer Ausprägung bei Niebuhr nicht rationalistischer Art, sondern, in ihrer Absicht, „aus den verstümmelten Fragmenten den Zusammenhang des Ganzen - des Vorganges der Entwicklung - wieder aufzubauen“, eine „schöpferische Kritik“ gewesen sei. (364). Diese habe Ranke auf die neuere Geschichte angewandt, womit durch die Auswertung von Akten und Urkunden der sich öffnenden Archive „die doppelte Grundlage der modernen Geschichtsforschung gefunden“ war (364). Weiterhin beschäftigte sich Schnabel mit den MGH und der Kritik an der „engen Bahn der Textkritik“, in die Ranke die Erforschung der Geschichte gelenkt habe (366). Ähnlich Fragwürdiges war auch Schnabels aus dem Nachlaß veröffentlichtem Vortrag von 1961 über ‚Die Geschichtswissenschaft und der Staat in den letzten hundert Jahren‘ zu entnehmen, in dem er sich mit den von Ranke mittelbar oder unmittelbar gezeugten einseitigen Akteneditoren und reinen Textkritikern sowie mit Droysens Urteil über Ranke befaßte (Schnabel/1970, 335f.). Hier war vergessen, daß das Monumenta-Unternehmen bereits vor Rankes Eintritt in die Wissenschaft und später weitgehend unabhängig von ihm seinen erfolgreichen Lauf genommen hatte. Ernst Schulins 1966 unter dem Titel ‚Rankes erstes Buch‘ bearbeitet erschienener Text seiner am 11. Nov. 1965 an der Universität Gießen als ‚Der Beginn der kritischen Geschichtsschreibung über die Neuzeit‘ gehaltenen Antrittsvorlesung stellt eine gut fundierte, z. T. aus dem Nachlaß gearbeitete Untersuchung zur inneren Entstehungsgeschichte des Erstlingswerkes und damit auch zur Entwicklungsgeschichte Rankes dar. In dem häufig zitierten Beitrag wird u. a. der Nachweis versucht, daß die ‚Geschichten‘ in ihrer erschienenen Gestalt Ergebnis eines erheblichen Konzeptionswandels vom Überpolitisch-Religiösen zum Religiös-Politischen - unter Beachtung des literarischen und künstlerischen Lebens - zum vorwiegend Politischen seien. Indes vermißt man gerade im Hinblick auf die Qualität der Untersuchung den philologischen Gesichtspunkt und eine Betrachtung der Frankfurter Jahre, der Tätigkeiten, Beziehungen und Äußerungen, kurzum des biographischen Entstehungsrahmens des Werkes, auch eine Untersuchung der von Ranke für seine Darstellung herangezogenen Literatur, zu der überdies Korrespondenz vorliegt. - Schulins Antrittsvorlesung mag man die drei Jahrzehnte später erschienene Dissertation von Siegfried Baur gegenüberstellen. Er zeichnete in seiner 1996 fertiggestellten und 1998 erschienenen Arbeit mit dem Titel ‚Versuch über die Historik des jungen Ranke‘ in strikter und kritischer Nutzung von Quellen und Literatur, unterlegt mit einem von profundem Ranke-Wissen geprägten Apparat den u. a. von Gottfried Hermann und Heinrich Ritter begleiteten Weg Rankes zum Historiker nach, von den studentischen Anfängen bis zum Ende der ‚Historischpolitischen Zeitschrift‘ (zu der voraufgehenden altphilologischen, ästhetischen und theologischen Prägung Rankes siehe Henz/1968). Im Gegensatz zu der späteren Arbeit von Süßmann (2000), welche bei der Konzeption von Rankes Erstling ein primär literarisches Motiv unterstellt, betont Baur in einem Kapitel ‚Rankes erstes Buch‘ ein forschungsbezogenes, philologisch-kritisches. Wenn man beide nicht ausschließt, ist man geneigt, bei Rankes Erstling dem kritischen den Vorrang einzuräumen. Baur sieht drei Stufen der Entwicklung, den Kritiker in seinem Erstlingswerk, den mit eigenen Quellen ausgestatteten Geschichtsforscher der ‚Italienischen Reise‘ (man beachte jedoch die voraufgehenden ‚Fürsten und Völker‘ mit der erstmaligem Verwendung von Archiv- 611 -

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material, im besonderen Relationen) und schließlich den Geschichtsschreiber, der er „erst im Scheitern der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ wurde“ (156). Wie Baur in einem Beitrag von 2003 modifiziert zeigen möchte, läßt sich Rankes frühe Entwicklung als „Dreisprung vom Klassischen Philologen über’s Historisch-Kritische zum Politischen“ hin darstellen (Die Freiräume, 67). Baurs Arbeit bietet darüber hinaus bedenkenswerte kritische Anstöße, über Inhalte und Gründe der heutigen Beurteilung Rankes nachzudenken, wobei die Tendenz vorwaltet, Rankes ‚Modernität‘ sichtbar zu machen. Zuletzt geht es Baur, wie Ulrich Muhlack in einer Rezension formulierte (1999, 683), „um eine Exemplifizierung moderner Geschichtswissenschaft überhaupt.“ (Zu Baurs editorischem Anhang s. II/2.3). - Hingegen stellte ein Beitrag zum ‚Durham University Journal‘ von 1967 mit dem Titel ‚Ranke’s Historical Theory‘ einen z. T. auf Gooch (1913) und v. a. von Laue (1950) beruhenden anspruchslosen Kleinessay ohne selbständige wissenschaftliche Bedeutung dar. Sein Verfasser, Rolf Gruner, veröffentlichte im selben Jahr einen Beitrag über ‚Understanding in the Social Sciences and History (in: Inquiry 10, 151-163) und in den folgenden Jahren eine Reihe weiterer geschichtstheoretischer Beiträge. Eine der seltenen, in jeder Weise selbständigen Schriften größeren Umfangs und größerer Eindringlichkeit, die einmal nicht der Gattung Dissertation angehört, verfaßte zum Thema ‚Ranke‘ der bedeutende amerikanische Historiker Leonard Krieger (19181990) mit seinem 1977 erschienenen Werk ‚Ranke: The meaning of history‘. Es enthält in leicht veränderter Form seinen Aufsatz von 1975 mit dem Titel ,Elements of early historicism: Experience, theory, and history in Ranke‘, in dem er sich vornehmlich der Frage zuwandte, welchen Einfluß die Revolution von 1830 auf Rankes Geschichtsdenken gehabt habe. Krieger sieht hier die Entstehung einer ersten Synthese Rankescher Ideen über Geschichte (3). - Kriegers Werk von 1977 entstand im Zusammenhang zweier Fragen. Zum einen: Wie gelang es Ranke, die wissenschaftliche Dimension als Modell kritischer Erforschung des Einzelnen zu vereinen mit der idealen Dimension, in der er universellen Werten eine lebenslange Hochschätzung entgegenbrachte? Zum anderen: Was ist im Angesicht der gegenwärtigen Krise geschichtlicher Studien aus Ranke zu lernen? - Die Arbeit bringt bei auffallendem Literatur-Verzicht einen bemerkenswerten Ertrag. Kriegers Werk ist, wie er selbst betont, keine ‚full-dress‘Biographie - davon ist sie in der Tat weit entfernt - noch eine ‚vollständige‘ historiographische Untersuchung, bewegt sich jedoch auf der Linie einer identifizierenden Betrachtung des Menschen und des Historikers Ranke. Dabei widmet sich Krieger im Rahmen eines Kapitels mit Rankes bekannten theoretischen Dicta der Entwicklung von Persönlichkeit und Werk in einzelnen Stufen von den Anfängen bis hin zur ‚Weltgeschichte‘, indem die theoretische Ausgangsbasis bewußt einer jeweiligen Revision unterzogen wird. Zu den zahlreichen diskussionswürdigen Erkenntnissen Kriegers gehört allerdings die allzu große ‚Klarheit‘, mit der er die Entwicklung Rankes, man möchte sagen, in ‚Epochen‘ nachzuweisen sucht: der ‚Patriotic History‘, der ‚World History in National Perspective‘, der ‚World History in German Perspective‘ und schließlich der ‚World History in Universal Perspective‘ (bes. 246, 290, 320), worin sich vor allem eine grundsätzliche Übertreibung hinsichtlich des Begriffs ‚World History‘ mit Bezug auf die ‚nationale‘ und die ‚deutsche‘ Perspektive geltend macht. Nicht nur ist Rankes Frühwerk bis hin zur ‚Serbischen Revolution‘ und zu ‚Fürsten und Völkern I‘ in das Schema nicht einzubringen, auch Rankes ‚Französischer‘ und ‚Englischer Geschichte‘ entspräche eher eine Bezeichnung ‚National History in universal - 612 -

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perspective‘ als „World History in National Perspective“, und zu Rankes ‚Weltgeschichte‘ hätte sich passender formulieren lassen: ‚World History in European Perspective‘. (Zu Drei-Phasen-Theorien s. auch Sybel: Gedächtnisrede/1886 u. Sieburg/1968). Eine kritischere Distanz hätte dem Werk zu noch größerem Nutzen verholfen. Es geht zu weit, Ranke mit Copernicus in der Astronomie und mit Kant in der Philosophie zu vergleichen (2f.), - auch wenn Ranke selbst sich mit Plato verglich (s. I/1.9). All dies ist man geneigt, als geistesgeschichtliche Lästerung anzusehen. Der spätere Berliner Neuzeit-Historiker Wolfgang Hardtwig (geb. 1944) hatte 1975 anläßlich des 10. wissenschaftstheoretischen Kolloquiums einen 1978 erweitert veröffentlichten Vortrag mit dem Titel ‚Konzeption und Begriff der Forschung in der deutschen Historie des 19. Jahrhunderts‘ gehalten und darin zutreffend vom Forschungsbegriff Rankes gehandelt, der damit „verschiedene Operationen des Historikers“ bezeichne, „ohne sie in eine Methodologie auseinanderzulegen oder zusammenzufassen“, wobei eine „fundierte Beziehung der Begriffe ‚Forschung‘ und ‚Methode‘ zueinander ... nicht festzustellen“ sei. Hardtwig sprach dabei auch einmal klar aus, daß in den zahlreichen Diskussionen über eine Absage Rankes an die Philosophie Geschichtsphilosophie mit Philosophie schlechthin verwechselt werde (16). Weniger überzeugend scheint Hardtwigs These - Ranke äußerte sich dazu völlig konträr (WuN IV, 76, s. auch u. a. I, 604) - dieser sehe „Philosophie und Historie als zwei Aspekte einer Form von Wissenschaft, die als philosophische Wissenschaft konzipiert ist“ (17). Kontrastiert wird mit dem „zentralen“ Forschungs- und „modernen“ Wissenschaftsbegriff Droysens. (Zum Vortrag Hardtwigs siehe weiterhin u. I, 674). Die bereits betrachtete Dissertation Karl Heinz Metz’ von 1976/79 mit dem Titel ‚Grundformen historiographischen Denkens. Wissenschaftsgeschichte als Methodologie. Dargestellt an Ranke, Treitschke und Lamprecht. Mit einem Anhang über zeitgenössische Geschichtstheorie‘ sah - auf eine einfache, überzeugende, natürlich nicht allesbesagende Formel gebracht - in Ranke eine „gegenstandsbezogene“, in Treitschke eine „gegenwartsbezogene“ und in Lamprecht eine „gesetzesbezogene Geschichtsforschung“ repräsentiert. Die bedeutende, umfangreiche Arbeit verrät neben weitreichenden Rankekenntnissen einen tiefen Einblick in und einen weiten Überblick über die Geschichte der Historiographie und vermittelt damit eine Fülle von Einsichten und Anregungen. Zu Ranke werden nahezu alle wichtigen Themen angesprochen, wovon einige, am Titel gemessen, näher liegen, wie etwa Abschnitte über Grundsätze der Methode, über Kausalität, ‚Menschenbild und Geschichtsauffassung‘, andere ferner, wie ‚Ranke und die praktische Politik‘ (s. I, 566). Zu Metz’ „vortrefflicher“ Dissertation hat sich vor allem Michael-Joachim Zemlin geäußert. Neben positiven Urteilen beanstandete er - illegitim - insbesondere, daß das von Metz an den Tag gelegte „erkenntnisleitende Interesse wesentlich wissenschaftshistorisch und nicht geschichtstheoretisch oder geschichtsphilosophisch bestimmt“ (Zemlin/1988, 5) und insofern nicht imstande sei, eine allgemein fehlende, umfassende Analyse der von Zemlin selbst angenommenen „Geschichtsphilosophie“ Rankes zu leisten (4). * In den zu Rankes Gedenkjahr 1986 hervorgetretenen Veröffentlichungen finden sich auch Stimmen aus der damaligen ‚Deutschen Demokratischen Republik‘, welche in ihren allgemeinen Würdigungen und historiographiegeschichtlichen Verortungen Rankes, die frühen Äußerungen von Walter Markov (1950) und Leo Stern (1952) - 613 -

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hinter sich lassend, ein gewisses Bemühen signalisieren, einem einseitigen sozialistischen Urteil den Charakter von Ausgewogenheit zu verleihen. Gerhard Lozek und Gerhard Schilfert, die bereits an anderer Stelle betrachteten prominenten DDRHistoriker verfaßten im Mai 1986 im ‚Neuen Deutschland‘ einen allein durch sein Erscheinen bereits auffallenden Beitrag, betitelt ‚Begründer der bürgerlichen Geschichtswissenschaft. Zum 100. Todestag von Leopold von Ranke‘. Ranke wird dabei als „bedeutendster bürgerlicher deutscher Historiker“ vorgestellt, der „Anhänger der preußischen Monarchie und der europäischen Restauration nach 1815“ und „entschiedener Gegner demokratischer, auch bürgerlich-revolutionärer Veränderungen“ gewesen sei. Ihm wird indes zugute gehalten, daß er „nationalistische Übersteigerungen“ abgelehnt - die noch um 1964 von Igor Semyonovich Kon unterstellt worden waren (s. I, 620) - und keinem krassen Militarismus angehangen habe. Zwar habe er nicht, wie von Marx beanstandet, „die tieferen, eigentlichen Ursachen des historischen Geschehens“ erfaßt, jedoch mit seiner kritisch-philologischen Methode „technisch unerläßliche Fundamente für die Entwicklung der Geschichtswissenschaft“ gelegt und sich mit seiner „weltoffenen, humanistischen und der Wissenschaft verpflichteten Haltung den Blick und die Fähigkeit“ bewahrt „sowohl zu beachtlichen realistischen Einsichten in die deutsche und europäische Geschichte als auch zur Ausarbeitung und Anwendung von Methoden der historiographischen Forschung und Darstellung, die über seine Zeit hinauswirkten.“ - Auch Hans Schleier, bereits betrachteter führender DDR-Historiker mit bemerkenswerten historiographiegeschichtlichen Kenntnissen, 1975 war sein materialgesättigtes Werk über ‚Die bürgerliche deutsche Geschichtsschreibung der Weimarer Republik‘ erschienen, veröffentlichte 1987 unter dem Titel ‚Leistungen und Grenzen des idealistischen deutschen Historismus: Leopold v. Ranke‘ ein 1986 in Berlin anläßlich des 100. Todestages Leopold v. Rankes auf der Tagung der Fachkommission Theorie, Methodologie und Geschichte der Geschichtswissenschaft der HistorikerGesellschaft der DDR gehaltenes Referat, in dem er Rankes Verdienste „in erster Linie im Bereiche der sog. Professionalisierung der Geschichtswissenschaft, ihrer Arbeitsorganisation und der Vervollkommnung der Arbeitsmethoden der Quellenkritik wie der historischen Editionen, aber auch in dem historischen Faktenwissen, das seine Hauptwerke vermittelten“ erblickte (970). Mit Hilfe seiner „anschaulich-beschreibenden Apperzeption“ habe Ranke „ein reales Bild von zahlreichen Aspekten der historischen Gegebenheiten zu zeichnen“ vermocht. Sie hätten „intuitiv-imaginär die geschichtstheoretischen Schwächen bei der Behandlung des Stoffes“ ersetzt (968), - Schwächen, die sich überhaupt als „geschichtstheoretische Grenzen des idealistischen Historismus“ bemerkbar machten und „heute auch von zahlreichen nichtmarxistischen Historikern bestätigt“ würden (970). - 1988 schloß Schleier, eingeladen zur Mitwirkung an dem in der ‚Bundesrepublik‘ von Wolfgang J. Mommsen herausgegebenen, bereits mehrfach genannten Sammelband ‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft‘, einen Beitrag über ‚Geschichtstheorie und Geschichtsschreibung bei Leopold von Ranke‘ an. Er glaubte darin feststellen zu sollen: „Die Praxis seiner Geschichtsschreibung ist ... von bleibenderem Wert als seine theoretisch-methodologischen Auffassungen, obwohl diese zu Leitgedanken des idealistischen Historismus wurden bzw. späterhin zu solchen hochstilisiert wurden“ (129). Auch Rankes Werk demonstriere „die in der Geschichtsschreibung so häufig anzutreffenden Widersprüchlichkeiten zwischen der Theorie und der Praxis der Historiographie.“ (130). Mit Recht weist Schleier in großer Seltenheit auf die Notwendigkeit hin, „überhaupt zu untersuchen, inwieweit das spätere Bild über Ranke dem wirklichen Ranke entspricht ...“ (129). - 614 -

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Der marxistische Historiker Ernst Hoffmann (1912-2003), der sich wie Schleier am Kolloquium der ‚Historiker-Gesellschaft‘ beteiligt hatte, sah in seinem Beitrag ‚Über die Stellung Rankes in der Geschichte des Historismus‘ (L. v. R. Leistungen u. Grenzen/1987, 102-108) Rankes „bleibende Hauptleistung in der Durchsetzung und Anwendung, Ausarbeitung und Institutionalisierung der historischen Quellenkritik und Quellenforschung“ (107). Es sei jedoch, wie zu Recht betont wird, an der Zeit, „exakt zu spezifizieren“, worin die Beiträge der neben Ranke als Begründer der Quellenkritik genannten Historiker bestünden und „eine Geschichte der Quellenkritik zu schreiben“ (107). Dabei sei es „unbedingt erforderlich“, die Vermengung der - von Lorenzo Valla mit seinem Nachweis der Fälschung der Konstantinischen Schenkung eingeleiteten „Quellenkritik mit dem Historismus als historischer Denkweise zu vermeiden.“ (107). Die Betrachtung von DDR-Historikern sei hier geschlossen mit einem Beitrag des bereits zu Rankes und Hegels Konzeption der Weltgeschichte (1988, s. I, 604f.) befragten Werner Berthold ‚Zur Geschichte der marxistischen sowie bürgerlichen bzw. anti- und nichtmarxistischen Geschichtswissenschaft im 19. und 20. Jahrhundert und der Internationalen Historikerkongresse‘, der 1990 als Lehrmaterial zur Ausbildung von Diplomlehrern für das Fach ‚Geschichte‘ bestimmt war. Auch Berthold ist, wie seine allerdings nicht völlig gleichgeschalteten Kollegen Lozek, Schilfert, Schleier und Hoffmann, bemüht, eine einseitige Beurteilung zu vermeiden und „rationalen Elementen in der Geschichtstheorie Rankes nachzugehen“ (so v. a. in seinem Fortschrittsbegriff), die allerdings nicht aufgehoben würden durch „seine negativen Seiten in politischer, ideologischer und geschichtstheoretischer Hinsicht“ (149), worunter Rankes „krasser Eurozentrismus sowie seine Abwertung slawischer Völker“, darin Hegel verwandt, und „seine geliebte monarchische Staatenwelt“ (148) gesehen werden. Als „eigenständige Leistungen“ Rankes werden sein methodologischer Fortschritt und seine wissenschaftsorganisatorischen Leistungen ebenso hervorgehoben wie seine „Darstellungskraft und die Leidenschaft, mit der er der Geschichtswissenschaft ergeben war.“ (150). * ‚Ranke unter den Weltweisen‘ war der nach einem von Heinrich Heine auf Ranke gemünzten Goethe-Wort gebildete Titel eines bemerkenswerten Festvortrags, den 1996 der damalige Althistoriker der Freien Universität Berlin, Alexander Demandt (geb. 1937), zu Rankes zweihundertstem Geburtstag in der Humboldt-Universität hielt. Demandts Thema war „nicht Ranke der Historiker, sondern Ranke der Denker“ (10), und die Grundlage bildeten, wie so häufig, nicht die Werke, sondern einige Dicta und Hauptbegriffe. Betrachtet werden „sein Begriff von Wissenschaft, seine Auffassung der Geschichte und sein Verhältnis zur Politik“ (10). In ersterem stelle Ranke „die Empirie über die Theorie und die Wahrheit über die Wirkung. Ranke bekennt sich zu einem methodischen Pluralismus, der sich auch selbst relativiert“ (13). Rankes „positivistische Suche nach Objektivität“ gewinne „eine postmoderne Legitimität, ja Plausibilität.“ (16). Für Rankes Auffassung der Geschichte werden vor allem sein „Zweifel am Fortschritt“ (18) und seine ausgeglichene Haltung „in der Wahl zwischen Personalismus und Kollektivismus“ namhaft gemacht (20). In seinen politischen Ansichten habe er „unrecht behalten: gegenüber den Nationalisten kurzfristig, gegenüber den Demokraten mittelfristig“ (23). Doch er sei „als politischer Denker nicht einseitig“: Sein von Demandt zu Recht hervorgehobener „kultureller Kosmopolitismus“ scheine „uns weni- 615 -

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ger veraltet als seinen deutsch-nationalen Zeitgenossen.“ (24). - Wo Demandt Bezüge zum Postmodernismus beschrieben hatte, sah Oliver J. Daddow, Senior Lecturer in Politics and International Relations an der englischen Loughborough University, im Jahre 2005 Rankes angeblich ausgesprochen quellenunkritisches, manipulativ ideologisches Werk geradezu als ungeeignet an, eine Gegenwehr gegen den Postmodernismus zu bilden. Daddows einseitige, platte Interpretation findet sich in einem Kurzbeitrag mit der allgemein zunehmenden aufdringlichen Titel-Spaßigkeit ‚Still no philosophy please, we’re historians‘. Eine tiefgreifende Unstimmigkeit erkenntnistheoretischer und darstellerischer Art glaubte der in der Waldorfpädagogik tätige Historiker Andre Bartoniczek (geb. 1965) bei Ranke feststellen zu können. Im Jahre 2009 veröffentlichte er eine Schrift über: ‚Imaginative Geschichtserkenntnis. Rudolf Steiner und die Erweiterung der Geschichtswissenschaft‘, die sich in einem Abschnitt mit Leopold von Ranke - nicht mit Rudolf Steiner - befaßt. Übrigens sind dem Ranke-Urenkel Dr. Gisbert Bäcker-von Ranke einige in seiner unveröffentlicht gebliebenen Diplomarbeit von 1952 mitgeteilte mündliche Äußerungen Rudolf Steiners über Ranke zu verdanken, welche sich als Kritik an dem „Herauslassen“ der Gestalt Christi aus der Rankeschen Geschichte des Abendlandes darstellen (93). Um auf Bartoniczek zurückzukommen, so steht bei ihm zunächst im Vordergrund die unstrittige Tatsache, daß Ranke „die wichtigsten allgemeinen Äußerungen zur Geschichte“ nicht in den Erzählungen seiner Werke angebracht habe. Die von ihm geschilderten Vorgänge seien „zwar gruppiert und strukturiert, aber immer nur nach erzähltechnischen Gesichtspunkten und nicht aus Kriterien heraus, die den tatsächlichen Zusammenhang der Einzelheiten anschaulich machen sollen.“ (32). Ein Vorwurf, der dem von Heinrich Leo und anderen Zeitgenossen Rankes nicht unähnlich ist, auch bei Jauß (1982), Reill (1990) und anderen anklingt, hier jedoch eine andere bedenkenswerte Richtung erhält. In seiner Reformationsgeschichte nämlich reihe Ranke, so Bartoniczek wahrheitsgemäß, über „Hunderte von Seiten“ hinweg, „einfach Ereignis an Ereignis ..., ohne innezuhalten und deutend die Einzelheiten in ihrer Einheit zu fassen“, welche er „doch eigentlich mit seinem Hinweis auf göttliche, in der Geschichte sich manifestierende Ideen“ voraussetze (ebd.). Bartoniczek sieht darin einen „tiefgreifenden Widerspruch“ (33). Die Ursache dieser Problematik liege darin, daß Ranke bei seinem Erkenntnisvorgang „aus zwei Quellen“ schöpfe, die er „nicht verbinden“ könne (34). Zum einen sei es die empirische Erfahrung, zum anderen eine von ihm so benannte, jedoch nicht erläuterte „geistige Apperception“, welche auf das Wesen und Innere der Dinge abziele. Die für ihn gegebene „Unmöglichkeit, eine Brücke zu schlagen zwischen Zusammenhang und Einzelheit“ führe zu einem beständigen unvermittelten Springen „von der einen Seite in die andere“. Insofern könne man von einer „regelrechten Spaltung seines Erkennens“ sprechen (35). Zum Problem von Objektivität und Unparteilichkeit (I/2.5.4.2) Objektivität als das vor allem mit Ranke in Verbindung gesehene, durch ihn und mit ihm zu stärkerer Bewußtheit gelangte zentrale Problem der Geschichtswissenschaft wurde bereits zu seinen Lebzeiten auf vielfältige Weise beurteilt. Das Prinzip wurde teils für völlig undurchführbar, teils noch als annäherungsweise durchführbar bestimmt und dabei wiederum als solches teils begrüßt, teils in seiner besonderen Anwendung durch Ranke abgelehnt. Dies hing zusammen mit der von ihm propagierten ‚Unpartei- 616 -

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lichkeit‘ des Urteils, die man weniger in grundsätzlicher Weise betrachtete, ihm vielmehr weithin als Gefühlskälte und als Gleichgültigkeit zum Vorwurf machte. Doch wurde ihm auch unterstellt, das für durchführbar gehaltene Prinzip in mehreren seiner Werke aus religiösen und politischen Gründen bewußt verletzt zu haben. In der Wilhelminischen Zeit konnte davon kaum mehr die Rede sein. Zwar kamen damals mit Verzögerung in den Vereinigten Staaten erste Zweifel an der Durchführbarkeit des Rankeschen Objektivitätsideals auf, die in Europa bereits zu seinen Lebzeiten angeklungen waren, doch warf ihm wohl kaum jemand mehr bewußte Parteilichkeit vor, was mit der abnehmenden Kenntnis seiner Werke zusammenhängen mochte. Während zu Rankes Lebzeiten noch häufig Proben seiner Objektivität und Unparteilichkeit am Werk genommen wurden, schränkte sich die spätere Diskussion im wesentlichen auf die Dicta des ‚sagen/zeigen, wie es eigentlich gewesen‘ aus der Vorrede der ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ von 1824 (VI) und des Selbstauslöschens aus Band II von 1860 seiner ‚Englischen Geschichte‘ (3) nebst weiteren seiner wenigen, nicht stets kongruenten theoretischen Äußerungen ein. Dies mag seine Erklärung auch in der mangelnden Kenntnis der von ihm benutzten Quellen und der Forschungssituation der behandelten Themen und Zeiten finden. - In Deutschland hatten sich in der Wilhelminischen Zeit vor allem die Stimmen von Heinrich Rickert, Kurt Breysig und Hermann Oncken bemerkbar gemacht. Während Rickert grundsätzliche Bedenken gegen das Auslöschen des eigenen Selbst trug, sah Breysig, wie zeitweilig mancher politische Historiker der Ranke-Zeit, in der Vereinbarkeit von Objektivität und Urteil kein Problem. Ähnlich Oncken, der ein abgestuftes Zusammenspiel von Objektivität, Universalität und zurückhaltendem politischem Urteil für erreichbar hielt. Zu solchen Kombinationen fand man sich in den Zeiten der Weimarer Republik kaum bereit. Walter Goetz ließ alle erkenntnistheoretischen Sorgen fahren und sah in Ranke nur den „unerbittlichen Willen zur Unparteilichkeit und zur Erforschung der nackten Wahrheit.“ Ähnlich sein Gegenspieler Below, der in der Objektivität eine Rückkehr von Treitschke zu Ranke empfahl. Dagegen wies Walther Köhler jeden Gedanken an Objektivität zurück. Von marxistischer Seite wurde später Objektivität für unmöglich erklärt und Parteilichkeit als positiv angesehen, was auf Positionen politischer Historiker des 19. Jahrhunderts verwies. - Im ‚Dritten Reich‘ scheint eine differenzierte Betrachtung oder gar Diskussion über Objektivität bei Ranke trotz oder wegen des ihm entgegengebrachten starken populären Interesses kaum aufgetreten zu sein. Von Bedeutung ist indes die 1944 in der niederländischen Emigration von Helmuth Plessner angesichts des Rankeschen Ideals, die Dinge so darzustellen, wie sie gewesen, beschworene „Gefahr der Verdinglichung“ (s. I, 520f.). Überhaupt wurden, und dies gilt auch für die Jahrzehnte nach 1945, die in Objektivitätsfragen stets herangezogenen Dicta immer wieder überbewertet, indem die aus einer Devotionsformel („so hoher Aemter …“) gewonnene Ironie und die mehrfachen Einschränkungen („Ich wünschte [!] mein Selbst gleichsam [!]…“), so auch von Th. Litt (s. I, 619), unbeachtet blieben. Später wandte sich Carl Hinrichs gegen das traditionelle Mißverständnis der Formel des ‚wie es eigentlich gewesen‘, mit der Ranke nicht auf die „bloße Faktizität“ abgezielt, sondern habe betonen wollen, „daß die Geschichte keine moralischen und didaktischen Ansprüche“ erhebe (Hinrichs/1956, 301). Dem kann man nicht zur Gänze zustimmen, denn Ranke lehnte mit seiner Formel auch jedes phantasiegeborene Decorum ab. Und was die Moral betrifft - Hinrichs hätte besser von ‚Moralisieren‘ gesprochen - so ist wohl das Wahrheitsstreben der Historie ohne sie undenkbar. - 617 -

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Über die mögliche Herkunft des ‚Eigentlich-Gewesenen‘ hat man sich seit 1945 in einer Folge von Spezialbeiträgen, die gelegentlich auch zu allgemeinerer Betrachtung führten, strittig Gedanken gemacht. Hier sei zunächst hingewiesen auf eine unbeachtete Formulierung des Pfortaer Schülers Ranke, der Schillers ‚Wallenstein‘-Darstellung mit der von Historikern verglich, „… qui historiam rerum, ut vere actae sunt, scribunt“ (Erstdr. Henz/1968, 431, auch 349). Bei den mannigfaltigen ‚Herleitungen‘ bleibt allzu leicht die Trivialität unbedacht, daß Ähnlichkeit nicht zwingend Abhängigkeit bedeutet. Hinweise von Seiten Rankes und seiner Zeitgenossenschaft auf eine bestimmte direkte Übernahme des Diktums fehlen. - Gunter Berg wies 1968 in seiner heterogenen, gleichwohl wertvollen Dissertation über ‚Leopold von Ranke als akademischer Lehrer‘ in einem Kapitel über „Das Problem der Objektivität bei Ranke“ (104-218) auf die „insgesamt geringe Beachtung“ des Problems bei Ranke hin, zumal darüber in extremer Weise keine Einigkeit in der Forschung bestehe (107). Letzteres ist weiterhin zutreffend. Es treten, wie oft bei Ranke, schwer zu vereinbarende Positionen der Deutung auf, so wird seine Objektivität einerseits als „geschichtstheologisch“, jedenfalls metaphysisch fundiert angesehen (Vierhaus/1977, Gilbert/1987, Hardtwig/1991, Jaeger, Rüsen/1992), jedoch auch jenseits dieser Prägung als eine „starke Theorie“ geschätzt (Nipperdey/1988). Andererseits wird Ranke eine „ästhetische Verstehenslehre“ zugesprochen (Müller/2008, 103). Darüber hinaus gilt seine Suche nach Objektivität als positivistisch und postmodern plausibel (Demandt/1996, 16), doch auch als wenig geeignet, dem Postmodernismus entgegenzutreten (Daddow/2005). * Reinhard Wittrams bereits betrachtete Göttinger Antrittsvorlesung vom 27. Juli 1946 dürfte eine der frühesten Erörterungen des Objektivitätsproblems in der Nachkriegszeit gewesen sein. Ihrem Titel ‚Geschichtsauffassung und Wahrheitsfrage‘ wird der Vortrag allerdings zumindest in persönlicher Hinsicht nicht gerecht (s. I, 518 u. 543). Zwei Grundaussagen lassen sich festmachen: zum einen die Behauptung, es gebe „einen wachsenden Bestand von kritisch gesicherten Tatsachen und Zusammenhängen“, Objektivität „in diesem Sinne“ gebe es „durchaus, auch in Wertungsfragen“ (Wittram/ 1947, 91). Zum anderen treten - und dabei denkt man an Wittrams studentische Teilnahme an religionsgeschichtlichen Vorlesungen - Ansätze zu einer in sich widersprüchlichen metaphysisch-humanitär-sentimentalen Erkenntnistheorie auf. Zugrunde liege ihr das aus Ranke, „unserem objektivsten Historiker“ (96), im besonderen seinen Jugendbriefen zu gewinnende und zu übernehmende „Bekenntnis der Liebe zum Menschen“ (96), der auch in seiner „Verderbtheit“ nicht verachtet werden dürfe (97). Nicht der Historiker, sondern Gott sei der „Richter“ der „Toten“ (97), eine im besonderen für Wittram selbst und die ihm nahestehenden Nationalsozialisten günstige Einsicht. Rankes „Objektivierungsfähigkeit“ sei „eher ein Universalismus der Zuneigung gewesen, nicht Neutralität“ (98). Die „einzige uns angemessene Haltung zur Vergangenheit“ sei „nüchterner Realismus, vollendete Illusionslosigkeit - und Liebe zugleich“. (97). Von Wittrams humanitärer Grundthese, der „Liebe zum Menschen“ konnte allerdings bei Ranke kaum die Rede sein (s. I/1.1 u. II/3.1). - Marc Blochs (1886-1944) 1949 posthum erschienene berühmte Schrift ‚Apologie pour l’histoire ou métier d’historien‘ glaubte denn auch in Rankes Diktum vom ‚sagen/zeigen, wie es eigentlich gewesen, lediglich ein „conseil de probité“ und ein „conseil de passivité“ zu erkennen (Ausg. von 1952, 69). - 618 -

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Auf der Linie einer älteren neo-idealistischen US-Ranke-Kritik bewegte sich 1947 der amerikanische Literaturhistoriker Emery Neff (1892-1983), der in seinem Werk ‚The Poetry of History. The Contribution of Literature and Literary Scholarship to the Writing of History since Voltaire‘ (1947) - ohne deutliche Beziehung auf das eigentliche Thema - einige gegen Objektivitätsauffassung und Methode Rankes und seiner ‚Schüler‘ gerichtete oberflächliche polemische Bemerkungen fallen ließ: „Ranke’s ironic modesty [zu zeigen, wie es eigentlich gewesen], resting as it did upon the assumption of exact knowledge where it is notoriously difficult, if not impossible, to obtain, might have recoiled upon him, had his reputation depended upon more wordlywise judges than German professors“ (190 u. a.). Der Journalist Bernhard Guttmann (1869-1959), der auch Schriften über die Frage ‚Soll Deutschland in den Völkerbund?‘ (Bln. 1919) und über ‚England im Zeitalter der bürgerlichen Reform‘ (Stg. ²1949) verfaßt hatte, schrieb 1948 für die neugegründete ‚Gegenwart‘ unter dem Titel ‚Ranke‘ eine kurze Würdigung. Mit Blick auf die Rankesche ‚Objektivität‘ bezweifelte er, daß für „eine Geschichtsdarstellung die Probe der Vortrefflichkeit darin liege, daß sie die persönliche Stellung des Schreibenden verbirgt“ (14). Die Zeit der „vornehmen Distanz und des schönen Scheines“ sei heute vorbei (15). Dieses am Erlebnis von Nationalsozialismus und Weltkrieg bewußt gewordene Problem stand nicht für jeden im Vordergrund. Der Philosoph und Pädagoge Theodor Litt (1880-1962) schrieb 1948 über ‚Wege und Irrwege geschichtlichen Denkens‘, wobei er Ranke zunächst nicht beachtete. Ein im Folgejahr auf der Historikertagung in München gehaltener Vortrag führte indes 1950 zu einer Schrift über ‚Geschichtswissenschaft und Geschichtsphilosophie‘, in der Litt sich im Zusammenhang mit Ranke und dessen Selbst-Auslöschungs-Diktum um eine Analyse des ‚Verstehens‘ bemühte, freilich unter der üblichen Mißachtung der von Ranke formulierten optativischen Irrealismen (‚wünschte‘ und ‚gleichsam‘): „Wenn Ranke den Wunsch ausspricht, sein konkretes Ich auszulöschen, um das Gewesene ungewandelt widerspiegeln zu können, so verkennt er die Unumgehbarkeit dieses Entweder-Oder [von „überindividueller Gegenstandsbestimmung“ und „Wahrung der totalen Person“]. Er wollte die mitfühlende Tiefe des Verstehens mit der individualitätsfreien ‚Reinheit‘ des Erfassens vereinigen. Und doch hätte er, um der Unvereinbarkeit des einen und des anderen inne zu werden, nur auf die Sprache hinzublicken brauchen, in der er seine historischen Gesichte niederlegte - diese Sprache, die in der Unnachahmlichkeit ihrer Prägungen die Individualität des in ihr sich Ausprägenden so unwidersprechlich bezeugte.“ Litt hielt die besagte Vereinigung für „unmöglich“ (20f.), doch scheint er sie für sich selbst in Anspruch genommen zu haben. * Aus den 1950er bis 1980er Jahren liegen zu Rankes Objektivität und Unparteilichkeit einige Betrachtungen aus marxistisch-leninistisch-sozialistischer Sicht vor. Der prominente Historiker und Wirtschaftswissenschaftler Jürgen Kuczynski (1904-1997) beschäftigte sich 1956 in einer seiner zahllosen Schriften mit ‚Parteilichkeit und Objektivität in Geschichte und Geschichtsschreibung‘, wobei er sich als Marxist gegen Rankes Objektivitätsbegriff wandte, jedoch, erstaunlich in dieser Frühzeit, diesen nicht in Bausch und Bogen verdammte. Grundsätzlich sei „alle Geschichtsschreibung parteilich“ (875). Ranke gebe diese Parteilichkeit im Gegensatz zu Sybel und Treitschke jedoch „unbewußt“ (874f.). Die „Entwicklung der Wissenschaft“ erfordere „eine ganz - 619 -

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bestimmte Parteilichkeit ... Parteilichkeit heute für den Sozialismus, für die Arbeiterklasse, das heißt Parteilichkeit für das Neue, Höhere, zu dem die Gesellschaft fortschreitet, Parteilichkeit für die Wirklichkeit, das heißt im wahrsten Sinne des Wortes: Objektivität.“ (875). „Nichts wäre darum falscher, als Ranke einen fortschrittlichen Historiker zu nennen. Aber ebenso falsch wäre es, nicht zu sehen, welchen Dienst er dem Fortschritt der Geschichtswissenschaft geleistet hat, und wie er durch seine neue Technik der Erkenntnis der Wirklichkeit, der Erkenntnis des konkreten Wesens des Neuen in der Geschichte, und damit objektiv für das Neue Partei nehmend, gedient hat. Welch eine Spaltung von Bewußtsein und Tat ...“ (887). - Zu Kuczynskis Parteilichkeits-These paßt die Aussage eines überhaupt einmal etwas gröber behauenen Beitrags von Georg G. Iggers aus dem Jahre 1999 über ‚Nationalism and historiography, 17891996. The German example in historical perspective‘, in dem er die, wenn nicht boshafte, so jedenfalls pikante und auf Ranke geringer zutreffende Ansicht vertrat, daß dieser, ebenso wie Sybel und Droysen, trotz ihres philosophischen Idealismus, aufgrund ihrer politischen Involvierung und der politischen Funktion ihrer wissenschaftlichen Aufgabe ein Konzept von objektiver Wahrheit und Parteigängertum vertreten hätten, das letztlich nicht sehr verschieden gewesen sei von der Marxistischen oder Marxistisch-leninistischen Auffassung von Parteilichkeit, welche auch die Vereinbarkeit von wissenschaftlicher Forschung und politischen Überzeugungen angenommen habe (19). - Der russische Philosoph Igor Semyonovich Kon (1928-2011) schrieb Ranke im ersten Band seines zweibändigen Werkes ‚Die Geschichtsphilosophie des 20. Jahrhunderts. Kritischer Abriß‘, (dt. 1964 u. 1966). Bd. I: ‚Die Geschichtsphilosophie der Epoche des Imperialismus‘, „widersprüchliche“ Ansichten von historischer Objektivität zu. Im übrigen verurteilte er den „politischen Konservatismus“ und „Nationalismus“ Rankes. Dieser vertrete in seinen Arbeiten „äußerst reaktionäre Ideen“ (53ff.). Der Mythos von Rankes ‚Objektivität‘ lasse sich, wie 1973 der DDR-Historiker Heinz Kathe (geb. 1940) in seinem Werk ‚Die Hohenzollernlegende‘, Berlin (Ost), nicht ganz zu Unrecht betonte, auch in seinem Hauptwerk zur preußischen Geschichte als illusionär nachweisen (41). * Der ehemalige Wiener Parteigenosse und Philosoph Erich Heintel (1912-2000) unternahm 1960 unter dem Titel ‚Wie es eigentlich gewesen ist‘. Ein geschichtsphilosophischer Beitrag zum Problem der Methode der Historie‘ in einer Festschrift für Theodor Litt den Versuch, die allgemeine Problematik des Ranke-Worts auszuschöpfen. Für Ranke selbst, der hier vor allem den attraktiven Ausgangspunkt bildet, ist die Abhandlung weniger ergiebig. Festzuhalten bleibt, daß Heintel dem Wort Rankes den „mehr oder weniger bewußt“ wirkenden „Tatsachenbegriff der neuzeitlichen Naturwissenschaft“ unterstellt (208).Heintels Zusammenfassung hebt so an: „Alles endliche Handeln transzendiert sich zwar als Faktisches immer schon von seinem Ursprung, dem ‚Ich‘ als Vermittlung und Freiheit her, es ist aber als Endliches immer zugleich in der Welt und hat so eine faktische Seite seines Daseins, über die man sich nicht einfach hinwegsetzen kann. Das Ethos zur Quelle erweist sich so zuletzt als gar nichts anderes denn als eine Form des im christlichen Realismus fundierten europäischen Verstandes und seines ‚großen Prinzips‘ im Sinne der Hegelschen Charakteristik des ‚Empirismus‘“ (229). Hier scheint manches fraglich, so der Zusammenhang von Quellenforschung und Christentum, wie auch der von Christentum und Realismus. - 620 -

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Rankes Diktum wird übrigens bereits im Beitragstitel falsch zitiert, und das angeblich aus der ersten Auflage zitierte „zeigen“ stammt aus der zweiten. Von oberflächlicher Ranke-Kenntnis zeugt auch der fehlerhafte Werktitel von Rankes Erstling. - Mit dem Diktum vom Sagen/Zeigen, wie es eigentlich gewesen, befaßte sich auch der US-amerikanische Philosoph und Kunstkritiker Arthur C. Danto (1924-2013) in seiner berühmt gewordenen, zuerst 1965 erschienenen Schrift ‚Analytical Philosophy of History‘ (Dt.: Analytische Philosophie der Geschichte, Ffm. 1974), die hinsichtlich ihrer RankeBetrachtung allerdings von der üblichen Literaturarmut und von enttäuschender Knappund Schlichtheit getragen ist. Danto sah in Rankes Wort „eine bewundernswerte Charakterisierung dessen, was der Historiker zu vollbringen bestrebt“ sei. (227). Nicht möglich sei das gänzliche Ausschließen des „Eigenen“, wie auch das gänzliche Einbeziehen von „Allem“. Allerdings sei noch das Element der ‚Interpretation‘ erforderlich (213f.). - Auf Heintel berief sich Werner Müller, mehrfacher Beiträger mit unterschiedlichster Thematik zur Zeitschrift ‚Scheidewege. Vierteljahrsschrift für skeptisches Denken‘. Er sah 1973 in einer nicht unbegründeten, aber auch nicht eben stringent durchgeführten Kritik zeitgenössischer Historie mit dem Titel ‚Der Rankesche Irrtum‘ diesen als „Wegweiser“ auf dem „rationalen Irrweg, der kahl und schattenlos durch die geschichtlichen Landschaften zieht.“ (453). Es erinnert an Herman Grimms Wort von Rankes „Geisterschiff“, das sicher durch die Stürme treibt, niemals aber in einen Hafen einläuft (s. I,353). Die historische Methode, so schreibt Müller, ausgehend von Rankes Diktum des ‚Wie es eigentlich gewesen‘, im besonderen des als ‚wirklich‘ verstandenen ‚Eigentlichen‘, sei „emotionell verarmt“ (452) und ihre Themen erreichten „einen Grad von Abstraktion“, „der das Sinnliche tötet und damit die Wirklichkeit verfälscht“ (ebd.). „Die krampfhafte Rationalisierung des Irrationalen und die Unterdrückung des Unbegreiflichen zerstört die Physiognomie der Epochen bis zur Unkenntlichkeit.“ (443). Hergeleitet wird dies einseitig aus dem auch von Heintel (1960) für Ranke in Anspruch genommenen mechanistischen „Denkprinzip“ der Kausalität (439), mit dessen Übernahme die Geschichtsschreibung auf einen „Irrweg“ gelangt sei (440). Das immer wieder als Prüfstein der Wissenschaftlichkeit des Fachs aufgeworfene Problem der Objektivität stellte eine Grundfrage im Denken des Neuzeithistorikers Thomas Nipperdey (1927-1992) dar. Er gelangte dabei, getragen von allgemeinen theoretischen Erörterungen stets zu dem nachdrücklichen Plädoyer einer gegen die Indienststellung der Geschichtswissenschaft für gegenwärtige Interessen gewandten Objektivität (261), die als „regulative Idee des wissenschaftlichen Arbeitens nicht entkräftet“ sei (263). So äußerte er sich in einem Vortrag von 1974 über ‚Kritik oder Objektivität? Zur Beurteilung der Revolution von 1848‘. Auch sein 1979 veröffentlichter Vortrag ‚Kann Geschichte objektiv sein?‘ endete, ausgehend von Rankes Diktum, mit dem Plädoyer für eine „nach Objektivität strebende Geschichte“ [gemeint: ‚Historie‘], die in „eingeschränktem Sinne“ möglich sei (341). Dabei unterstellte er allerdings leichtfertig pointierend, Ranke habe nicht wissen wollen, „warum es so gewesen ist“ (329). 1988 bezog er die Thematik in einem literaturfreien Kurzbeitrag direkt auf Ranke: ‚Zum Problem der Objektivität bei Ranke‘: „Hinter Rankes Objektivitätspostulat in seinen beiden Momenten, Nichtparteilichkeit und relativierte Kontinuität“ stecke „eine wissenschaftsmoralische Maxime, die wiederum in die heutige Debatte“ führe (222). Aus den „drei Überlegungen zur Wertfreiheit, zur Pluralität, ja Unendlichkeit der Kontinuitäten, zur moralischen Voraussetzung der Wissenschaftslogik folgt: Rankes Idee der Objektivität ist in ihrer Geltungslogik von seiner Vor- 621 -

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stellung eines Gottes der Geschichte und eines Gottes der Subjekt-Objekt-Relation ablösbar. Rankes Theorie der Objektivität ist darum auch in postreligiöser Zeit eine starke Theorie“ (ebd.). Auch Oexle (2001, 242) fand, den Nachweis sei Nipperdey „freilich schuldig geblieben“. So zutreffend eine gegen die - noch zu betrachtenden religionsgesättigten Thesen von Hardtwig vollzogene Säkularisierung des Objektivitätsgedankens sein mag - wohl der eigentliche Sinn und Wert der Ranke-Zuwendung Nipperdeys -, so begründet ‚Ablösbarkeit‘ allein wohl keine Qualität. Es dürfte auf das ankommen, was als Wesentliches verbleibt. Ranke hat - anders als Nipperdey - keine Theorie der Objektivität entwickelt, und ein Zusammenhang der kategorial differenten Begriffe von Objektivität und „relativierter Kontinuität“ ist überdies kaum vorstellbar, jedenfalls nicht zwingend. Georg G. Iggers hatte schon in einem Beitrag Nipperdeys von 1975 dessen Bemühen bemerkt, den Historismus durch Entkleidung gewisser philosophischer und politischer Begleitmomente gegen die sozialwissenschaftliche Schule zu verteidigen. Doch habe Nipperdey schließlich „mit denselben philosophischen und politischen Annahmen“ gearbeitet, (Iggers: Historismus/1997, 118). Nipperdey hatte damals in einem systematisch tiefgreifenden und anregenden programmatischen Beitrag ‚Historismus und Historismuskritik heute‘ betont, „der idealistische Grundsatz Rankes, daß jede Epoche unmittelbar zu Gott sei“, stelle „auch jenseits seiner theologischen Implikationen eine methodologisch notwendige Forderung“ dar (Nipperdey 1975/1976, 71). Allerdings dürfte Rankes Unmittelbarkeits-Gedankenbild eine derartige Aushöhlung, die ihr wesentliches Element preisgibt, kaum überstehen. Nipperdey entsprach mit seiner Forderung auch wohl nicht dem eigenen methodologischen Vorhaben einer Enttheoretisierung der Diskussion des Historismusproblems, worin er mit vollem Recht verlangt hatte, wegzukommen „von der mühsamen Suche nach theoretischen Zitaten in Rankes Briefen oder Einleitungskapiteln“ (64). Der Beitrag ‚Setting the story straight‘ aus dem Jahre 1975 hätte vorwiegend dem Thema des ‚Eigentlich-Gewesenen‘ gelten können. Doch Franklin L. Ford, damals Professor für alte und neue Geschichte an der Harvard University, gab darin vor allem eine lesbare biographische Skizze, verbunden mit einigen Betrachtungen über die Geschichtsanschauung und Wirkung Rankes, dieses „superb storyteller“ (70), seine romantischen Einflüsse, Europazentrismus und die ‚Weltgeschichte‘, - „in fact not universal at all“ (70). Auch habe, wie Ford zu Recht betont, das Thema ‚Ranke als Politiker‘ mehr Aufmerksamkeit gefunden, als es verdiene. Weniger begründet ist das von Ford gespendete Lob Rankescher Unparteilichkeit, der „remarkable fairness in judging the values and interests of people long ago, or still living...“ (74) und seines eigenen „commitment to accuracy“ (75). Rudolf Vierhaus’ Beitrag von 1977, der mit dem Titel ‚Rankes Begriff der historischen Objektivität‘ ein 1975 vor der Studiengruppe ‚Theorie der Geschichte‘ gehaltenes Referat aufgriff, geht aus von den beiden Objektivitäts-Dicta Rankes, beginnt jedoch mit einer Peinlichkeit. Offensichtlich ist Vierhaus - seit 1975 in der RankeForschung tätig, diesmal ohne Literatur - die von manchen Interpreten sehr ernst genommene unterschiedliche Formulierung des ersten Diktums in der 1. und 2. Auflage des Erstlingswerkes unbekannt geblieben. Er sieht Ranke bereits in der Erstauflage „zeigen“ (Vierhaus: „wiederholt in der 2. Auflage“) und vermag insofern keinen interpretatorischen Nutzen aus der bemerkenswerten Differenz zu ziehen. Vierhaus, der auch hier wieder eine die entscheidenden Schlüsse und Feststellungen oft meidende Betrachtung an den Tag legt, hält dafür, daß Rankes „Überzeugung, Geschichtsschrei- 622 -

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bung könne objektiv sein, nicht auf einem naiven Erkenntnisoptimismus beruhte, sondern in der Annahme eines realen geschichtlichen Prozesses gründete, in dem das Handeln Gottes an den Menschen sich vollzieht ...“ (72). „Die entscheidende Bedingung“ der Möglichkeit „objektiver Wahrheit“ habe für Ranke „in dem Glauben an das Wirken Gottes in der Geschichte“ gelegen (69). Man muß korrigieren: in der Kritik der Quellen und darf einen dem klischierten Ranke-Bild nicht entsprechenden unbekannten Ausspruch aus seiner ‚Historischen Gesellschaft‘ um 1855 hinzufügen, den ein anonymer, gut informierter Teilnehmer noch zu Rankes Lebzeiten, immerhin in der ‚Vossischen Zeitung‘ unwidersprochen überlieferte: „der Historiker braucht keinen bestimmten Glauben zu besitzen, er glaubt an die Wahrheit“, und „es ist oft eine verzweifelte Sache, in einer Monarchie Geschichte zu schreiben“ ([Anonym:] Leopold von Ranke’s Verdienst um Berlin/1885). Auch eine verwandte, bereits zitierte Äußerung Rankes aus den nachgelassenen Papieren zur ‚Weltgeschichte‘, also aus dem höchsten Alter, sollte noch einmal vor Augen geführt werden: „Die früheren Auffassungen der Historie waren sämtlich theologisch; die heutigen sind mehr naturwissenschaftlich. Beide tragen etwas Fremdartiges in die Historie hinein. Die Auffassung muß sich auf das reale Ergebnis der Forschung überhaupt erstrecken.“ (Ed.: Schulin/1958, 319). Hier nun löst sich die vor allem seit Kupisch (1949) und Hinrichs (1954) von Vierhaus, später vor allem von Hardtwig (1991) vorgetragene vermeintliche ‚Geschichtstheologie‘ Rankes (s. auch I, 628) in nichts auf. - Vierhaus’ Beitrag leidet nicht nur an einer mangelnden werkbezogenen Betrachtung der Rankeschen ‚Objektivität‘ - das Thema ist von Seiten einer aphoristischen Objektivitäts-Begrifflichkeit allein nicht hinreichend zu erörtern -, sondern nicht minder an einer Vereinfachung oder Verzeichnung der Rankeschen Auffassung selbst. Bezeichnenderweise bleiben auch weitere Einschränkungen Rankes unbeachtet, die er öffentlich etwa in der Vorrede seiner ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ (Bd. I/1847, XII) geäußert hatte: „uns sei der Versuch gestattet, Ereignisse, die nun schon ein Jahrhundert hinter uns liegen, unbekümmert um die Neigungen oder Abneigungen des Tages, zu so viel möglich [!] objectiver Anschauung zu vergegenwärtigen.“ Nicht öffentlich, Maximilian II. gegenüber, war er 1854 noch deutlicher geworden. Da erblickte er in der Objektivität lediglich ein „Streben“, ein „Ziel“, das der Historiker sich „um so mehr setzen“ müsse, „da persönliche Beschränktheit ihn doch hindert, es zu erreichen: das Subjective giebt sich von selbst.“ (Brief vom 26. 11. 59, SW 53/54, 404). * Zu Deutung und mehr noch Herkunft des Rankeschen Diktums vom Sagen bzw. Zeigen des ‚wie es eigentlich gewesen‘, dem, wie Leonard Krieger zu Recht bemerkte, „most famous statement of all historiography“ (Krieger/1977, 4), sind einige recht unterschiedliche Thesen entwickelt worden. Der später an der Yale University tätige deutsch-amerikanische Historiker Hajo Holborn (1902-1969) war 1943 in einem 1950 nachgedruckten Beitrag über ‚The science of history‘ dem Thema ‚Ranke und Thukydides‘ nachgegangen. Letzterer sei es gewesen, der die Aufgabe der neuen Historie definiert habe (64). In Rankes Diktum über das Sagen des eigentlich Gewesenen und begleitende Ausführungen sah Holborn eine Parallele zu Thukydides’ Bekundungen über den Ausschluß des Fabulösen aus der Geschichtsschreibung in dessen 22. Kapitel des ‚Peleponnesischen Krieges‘ (65). Eine antike Herkunft nahm 1963 auch der schwedische Kunsthistoriker Teddy Brunius - 623 -

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(1922-2011) an. Allerdings glaubte er in seinem Beitrag ‚„Wie es eigentlich gewesen“. Leopold von Ranke och hans slagord‘ das direkte Vorbild in Aristoteles’ ‚Über die Dichtkunst‘ (Anfang Kap. 9) erblicken zu müssen. - Einen breiteren Ansatz stellte Walther Peter Fuchs (1905-1997), Geschichtsordinarius an der Universität ErlangenNürnberg, vor. In einem Beitrag von 1979 mit dem Titel ‚Was heißt das: »bloß zeigen, wie es eigentlich gewesen«?‘ hielt er sich für „legitimiert“, zur „Erhellung des zwar einfachen und klaren, aber auch hintersinnigen Satzes“, Rankes „gesamtes Schaffen heranzuziehen ...“ (657), wovon auf den wenigen Seiten seines Beitrags natürlich nicht annähernd die Rede sein konnte, und nannte als dem Diktum nahestehend Cicero, Lukian und Gottsched. - Um diese Zeit äußerte sich auch der Reformationshistoriker Arthur Geoffrey Dickens zum Thema. Er sah die Herkunft bezeichnenderweise bei einem seiner eigenen Vorgänger, bei Sleidan, „the first great Reformation historian“ (Dickens 1979/80, Zitat 1982, 566). - Wenig später brachte der englische Kunsthistoriker Stephen Bann (geb. 1942) einen Essay über Ranke als Tierpräparator zum Erscheinen: ‚The historian as taxidermist: Ranke, Barante, Waterton‘. Dabei ging es allerdings nicht um zoologische Fragen, auch nicht um die Herkunft, sondern um die inhaltliche Deutung des Diktums. Bann gelangte unter gänzlicher Nichtbeachtung der deutschsprachigen Literatur zu Diktum und ‚Objektivität‘ und mit häufig unkoordinierten Griffen in die Truhe kunsthistorischer und anderweitiger Bildungsschätze zu dem andeutenden, jedoch heute überholten Ergebnis: „‚To show how, essentially, things happened‘ was a noble undertaking, which anchored its author within the epistemological context of his times, and continues to merit our most careful study. But the phrase has now become, in its mythic fixity, a head of Medusa, petrifying the impulse to meta-historical inquiry. One has only to look at the many-sided, but coherent, achievement of the Annales school to realize how much more various are the claims of a creative modern historiography.“ (Bann/1981, 46). Bann trat später mit thematisch verwandten Veröffentlichungen auf, so ‚The clothing of clio. A study of the representation of history in nineteenth-century Britain and France‘, Cambridge 1984, ‚The Inventions of History: Essays on the Representation of the Past‘, Manchester, 1990 und ‚Romanticism and the Rise of History‘, New York, 1995. - Untersuchungen von Herta Nagl-Docekal zum Thema ‚Objektivität der Geschichtswissenschaft‘ aus dem Jahre 1982 gingen einmal nicht von Ranke aus, setzten vielmehr mit Dilthey ein und endeten bei A. C. Danto. In dessen Zusammenhang kommt - nach wenigen Bemerkungen über Diltheys Ranke-Beziehung - kurz die Sprache auf Ranke, dessen Diktum des ‚Sagens bzw. Zeigens, wie es eigentlich gewesen‘ aus seinem (hier mehrfach falsch betitelten) Erstlingswerk zu „rehabilitieren“ sei. Die „Problematik“ der Äußerung beginne „erst damit, daß Ranke die Forderung der Selbstauslöschung des Forschenden, d. h. der Eliminierung aller Gegenwartsbezüge, mit ihr“ verbinde (207). Von einer solchen Forderung Rankes konnte freilich keine Rede sein, wie bereits Vierhaus vorgehalten werden mußte (s. I, 622f.). Einen direkten, später im Zentrum der Diskussion stehenden Beitrag ‚Über Rankes Dictum von 1824 ...‘ mit ausgebreiteter Literaturfundierung legte 1982 der damalige Professor für mittlere und neuere Geschichte an der Universität Bonn, Konrad Repgen (geb. 1923) vor. Im Nachgang zu Holborn, der auch das 22. Kapitel als grundlegend dargestellt hatte, sah er in Rankes Diktum das wörtliche Zitat einer Formulierung von Thukydides‘ I, 22, 4. Er warf jedoch auch die notwendige Frage auf, „welche logische Funktion das Diktum innerhalb der Argumentation des Vorworts“ habe und gelangte zu - 624 -

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drei charakteristischen Eigenschaften des Werkes: „die Einheit der Handlungen, der Begebenheiten“, der Verzicht auf das Richten der Vergangenheit und auf „Nutzanweisungen zum Handeln“ (442f.). Repgens solidem Ansatz wurde freilich mehrfach widersprochen. 1986 befaßte sich Michael-Joachim Zemlin, Verfasser einer bemerkenswerten Ranke-Dissertation (1988, s. I, 603f.) in einem GWU-Beitrag ‚Zeigen, wie es eigentlich gewesen‘. Zur Deutung eines berühmten Rankewortes‘ mit dem Thema. Was den Unterschied des Zeigens der 2. Auflage vom Sagen der 1. Auflage anbelangt - Zemlin sucht auch die außerhalb der tatsächlich bestehenden anglo-amerikanischen Übersetzungsproblematik selten betrachteten anderen Bestandteile des Diktums, ‚es‘ und ‚eigentlich‘, zu analysieren - so verweist er auf den „höheren Grad an Apodiktizität“, der mit dem ‚Zeigen‘ in Anspruch genommen werde. Mit Recht lehnt er eine Bemerkung Fuchs’ vom „kecken“ ‚Sagen‘ ab, das nicht auf dieses, sondern gerade auf das ‚Zeigen‘ zutreffe (337). Was die Herkunft des Diktums betrifft, so stellt Zemlin der Repgenschen These eine andere, „wiewohl beileibe nicht wörtliche“ Thukydides-Stelle des ersten Buches (20ff.) entgegen. Sie erscheint ihm passender, da Thukydides dort nicht nur über bestimmte wissenschaftlich-kritische sowie methodische Prinzipien hinsichtlich des Umgangs mit Quellen spreche, „sondern sich dort auch, was die Argumentationslogik angeht, Affinitäten zu Rankes Vorrede finden...“ (347).“ - Nicht ganz einverstanden mit dem Repgenschen Ansatz war ferner der kanadische Althistoriker Ronald S. Stroud (geb. 1933). Er bestritt in seinem Kurzbeitrag von 1987: „,Wie es eigentlich gewesen‘ and Thucydides 2.48,3“ die von Repgen behauptete „wörtliche Übereinstimmung des Ranke-Dictums von 1824 mit der Thukydides-Stelle II, 48, 3“ aus Gründen der Syntax und zitierte sieben Übersetzer der fraglichen Stelle, welche abweichend formulieren. Der bereits herangezogene britische Historiker Peter Burke glaubte die Herkunft in einem Topos des 16. Jahrhunderts gefunden zu haben, wie Dickens (1979/80) bei Sleidan („prout quaeque res acta fuit“), jedoch auch bei Lancelot Voisin de La Popelinière („réciter la chose comme elle est advenue“) (Burke/1988, 37, 192, A. 2). Felix Gilbert ging es 1987 mehr um eine inhaltliche Betrachtung in seinem dem Diktum gewidmeten Beitrag ‚What Ranke meant‘. Er wies zunächst mit Recht auf den polemischen Charakter des Wortes hin (394). Die weiteren Erörterungen sind allerdings weniger hilfreich. Das Sagen/Zeigen, wie es eigentlich gewesen, sei keine Äußerung über die Bedeutung von Geschichte, sondern in einem begrenzten, wörtlichen Sinne zu verstehen, in dem nicht allein die möglichst genaue Erzeugung von Tatsachen eine Rolle spiele, sondern auch deren Positionierung in ihrem die Vergangenheit verlebendigenden zeitgenössischen Zusammenhang. Zur Stützung seiner wenig prägnanten These geht Gilbert über zu einer konkreteren literarischen Betrachtung von Rankes ‚Päpsten‘ (s. I, 667). Er schließt mit der prätentiösen, selbstdeutenden Bemerkung, die mit Rankes Diktum vom ‚eigentlich gewesen‘ bezeichnete Aufgabe habe ein größeres Ziel als moralische oder politische Belehrung, sie habe eine priesterliche Würde (397). Gilberts Beitrag ging ein in sein Werk ‚History. Politics or Culture? Reflections on Ranke and Burckhardt‘ (1990. Dt. Übers. Ffm. 1992, 37-48. Ital. Übers. 1993). - 1988 wandte sich der US-amerikanische Historiker Peter Novick (1934-2012) in einem umfangreichen Werk, betitelt ‚That Noble Dream: The ‚Objectivity Question‘ and the American Historical Profession‘ (21-46: ‚The European legacy: Ranke, Bacon, Flaubert‘), dem Thema zu. Er allerdings behandelte wiederum Iggers’ Auffassung eines amerikanischen Mißverständnisses Rankes als eines „unphilosophical empiricist“ - 625 -

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(30), wozu nicht zuletzt unzutreffende Übersetzungen der Dicta des ‚eigentlich gewesen‘ und des ‚Selbst Auslöschens‘ beigetragen hätten (31). - Michail Abramovič Barg, Mitglied des Instituts für Allgemeine Geschichte der Sowjetischen Akademie der Wissenschaften, schrieb in dem anläßlich von Rankes 100. Todestag von Wolfgang J. Mommsen herausgegebenen Sammelband über ‚Leopold von Rankes Geschichtskonzeption aus der Sicht der heutigen Geschichtswissenschaft‘ (223-263). Barg war geschichtstheoretisch mehrfach ausgewiesen, so durch seine Werke ‚Kategorii i metody istoričeskij nauki‘ (Moskva 1984) und ‚Epochi i idei: stanovlenije istorizma‘ (Moskva 1987). In seinem 1988 erschienenen Beitrag - ausgehend von einer Reduzierung der ‚Geschichtskonzeption‘ Rankes auf sein Diktum des ‚sagen/zeigen, wie es eigentlich gewesen‘ - versuchte er die Erörterung „eines der Grundprobleme der historischen Wissenschaft“, des „Problems der historischen Tatsache“ (224). Rankes Absicht sei ihm übrigens nicht gelungen, „denn er tendierte“, wie man in einer Fußnote liest, „sehr zum Nationalismus und Providentialismus“ (226, A. 3). Rankes Vorsehungsglaube war außerwerklich in der Tat stark ausgeprägt, im Werk erheblich zurückhaltender. Von Nationalismus kann - sofern man darunter nicht sein Preußentum versteht -, trotz seiner Begeisterung über die Reichsgründung kaum die Rede sein. In den folgenden, wo nicht um Dilthey, Marx, Lenin und andere kreisenden, überwiegend theoretischen Auslassungen Bargs tritt Ranke praktisch nicht mehr auf. Die These Holborns und Repgens war nicht so bald ausdiskutiert. Auch Lothar Gall mochte ihr in einem Beitrag von 1992 mit dem Titel ‚Ranke und das Objektivitätsproblem‘ nicht zustimmen. Er vertrat die Ansicht, der versuchte Nachweis einer Übernahme des Diktums aus Thukydides scheine „sowohl den engeren als auch den weiteren Kontext zu verfehlen“ (36). Nach Gall wandte sich Ranke mit diesem Satz „gegen eine … Scheinobjektivierbarkeit subjektiver Erkenntnis“ (39). Es ging Ranke vielmehr „um den durch ‚Versenkung‘ in den historischen Prozeß, durch verstehende Analyse zu ermittelnden ‚Sinn‘ der Geschichte, wie er sich in der Erfassung der jeweils vorherrschenden Ideen, Prinzipien, Tendenzen eröffnete.“ (42). - Zu ‚Ranke und Thukydides‘ äußerte sich im Jahre 2000 auch der verdiente Ranke-Forscher Prof. Shinichi Sato. In: Forschungsbericht der Musikhochschule Kunitachi in Tokyo, Bd. 34, März 2000, 338350 (Titel u. Text in Japanisch). Einen mit umfassender Literaturkenntnis und teilweise in Korrespondenz mit Ernst Schulin gearbeiteten Beitrag mit dem Titel ‚Zu Rankes Diktum von 1824. Eine vornehmlich textkritische Studie‘, die einmal nicht nach der Herkunft des sagenzeigen-Diktums, sondern nach den Gründen für dessen unterschiedliche Formulierung in der ersten und der zweiten Auflage suchte, ließ Thomas Martin Buck, Professor für Geschichte und ihre Didaktik, 1999 an der Pädagogischen Hochschule Freiburg erscheinen. Dabei wird erstmals ein allerdings nicht sehr ergiebiger VariantenVergleich der das Diktum enthaltenden Gesamt-Vorworte der ersten (1824), zweiten (1874) und vielen Ranke-Interessenten unbekannten dritten Auflage (1885) angestellt. Buck gelangt zu mehreren Deutungsmöglichkeiten, die auf ein intendiert vernichtendes Ergebnis hinauszulaufen scheinen: Rankes in Individualitäten gedachte Geschichte könne „strenggenommen eigentlich nicht Gegenstand des Sagens sein“, da sie sich der „begrifflichen Allgemeinheit“ entziehe: „Das heißt: Sie wäre nach Ranke ein Gegenstand ausschließlich des Zeigens.“ (184). Währenddessen waren, abgelöst von der unmittelbaren Beziehung zu Rankes Dicta, weitere, allgemeinere Betrachtungen zu seinem Objektivitätsbegriff angestellt worden. - 626 -

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Unter dem Titel ‚Geschichte und Parteilichkeit. Historisches Bewußtsein in Deutschland‘ erschien 1984 die bereits 1980 vom Fachbereich Geschichtswissenschaft der Universität Hamburg angenommene und in einem Beitrag von 1981 über ‚Objektivität der Geschichte‘ teilweise zusammengefaßte Dissertation eines Schülers von Imanuel Geis. Manfred Asendorf bringt darin eine emotional gefärbte, z. T. plakative Verurteilung Rankes, die über weite Passagen ein wenig unstrukturiert verläuft, aber gleichwohl hinsichtlich der Fremd- und Eigenbeurteilung der Rankeschen Objektivität bzw. Unparteilichkeit Denkanstöße vermittelt. Dies geschieht in einem Kapitel ‚Ranke und die preußische Monarchie‘ (darin zunächst über die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘, Rankes Antrittsrede, seine ‚Weltgeschichte‘, die ‚Serbische Revolution‘, das Thema ‚Revolution‘, historische Methode und Kritik sowie über Friedrich Wilhelm IV.) und in einem Kapitel ‚Rankerenaissance‘ (über das Ranke-Verhältnis von Hans Delbrück, Erich Marcks, Alfred Dove, v. a. von Max Lenz, von Walter Goetz , Felix Rachfahl. Ferner wird über den Vergleich Droysen-Ranke aus der Sicht Meineckes berichtet, des öfteren auf die drastische Ranke-Kritik Johannes Scherrs Bezug genommen). Unparteilichkeit in der Sicht Rankes beschreibt Asendorf zusammenfassend so: „Es war Ranke zufolge zunächst eine Eigentümlichkeit der preußischen Monarchie, nicht Neutralität oder Indifferenz, sondern die feste Tendenz, die gesellschaftlichen Parteiungen, die Extreme, wie sie Ranke auch nannte, im Zaume zu halten und in solcher Weise das Gesamtinteresse des Staates wahrzunehmen. Der Historiker hatte die Aufgabe, die Unparteilichkeit monarchischer Staatsgewalt sich anzueignen und zur Anschauung zu bringen durch Vergegenwärtigung des Geschehenen ohne Einmischung von Meinung.“ (234). - Dabei sollte nicht übersehen werden, daß die „Unparteilichkeit monarchischer Staatsgewalt“ nur eine Chimäre war und Rankes angestrebte bis vorgebliche Unparteilichkeit schon spätestens in seinem Erstlingswerk wirksam war, bevor eine nachhaltige, als positiv empfundene Begegnung mit dem preußischen Staat, dem er vorübergehend zu entfliehen dachte, zustandekam. Überhaupt ist eine dominant politische wie ferner von anderer Seite (Hardtwig, Muhlack) vorgenommene religiöse Deutung dieser für Ranke genuin wissenschaftlichen Haltung allzu einseitig. Der spätere Direktor des Max-Planck-Instituts für Geschichte, Otto Gerhard Oexle (geb. 1939), hatte 1984 über ‚Die Geschichtswissenschaft im Zeichen des Historismus. Bemerkungen zum Standort der Geschichtsforschung‘, geschrieben, ein Beitrag, in dem er kurz feststellte, die „idealistische Theorie der Geschichtserkenntnis“ sei durch Wilhelm von Humboldt „umfassend begründet und durch Leopold von Ranke exemplarisch verwirklicht worden“ (29). Auch sie enthalte „als ihre Grundlage die Annahme der Möglichkeit objektiver Geschichtserkenntnis“ (ebd.). - 2001 befaßte er sich in einem Beitrag ‚Ranke - Nietzsche - Kant. Über die epistemologischen Orientierungen deutscher Historiker‘ u. a. kritisch mit der vor allem an Rankes Objektivitätsbegriff orientierten Ablehnung bzw. Wieder-Annäherung einiger Historiker seit 1900 bis in die Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg und wies wiederum darauf hin, daß historische Erkenntnis nicht - wie im vermeintlichen Verständnis Rankes - „Gegenstands-Abbildung“ sei, sondern „Konstituierung von Fragestellungen, die dann empirisch, durch Arbeit am Material abgearbeitet werden.“ (233). - Freilich ist damit das Problem der Herkunft dieser Fragestellungen aufgeworfen. Hardtwigs sakralisierend überhöhende Sicht einer ‚geschichtsreligiös‘ geprägten Geschichtswissenschaft „vom frühen 19. bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts“ (s. I, 646) führte ihn 1991 in einem Beitrag mit dem Titel ‚Geschichtsreligion - Wissenschaft - 627 -

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als Arbeit - Objektivität. Der Historismus in neuer Sicht‘ dazu, auch Rankes schlichtes, völlig untheologisch formuliertes Objektivitätspostulat als „metaphysisch“ (32) gegründet aufzufassen. In einem am 14. 12. 1995 an der Humboldt Universität Berlin aus Anlaß des 200. Geburtstages Rankes gehaltenen, 1996 und 1997 unter dem Titel ‚Historismus als ästhetische Geschichtsschreibung: Leopold von Ranke‘ erschienenen Vortrag führte er seine problematische Grund-These vom „geschichtsreligiösen Charakter des deutschen Historismus“ (Hardtwig/1991, 2) erneut völlig überzogen in Gestalt eines „geschichtsreligiösen Objektivitätspostulats“ Rankes vor, welches „das Selbstverständnis und die methodischen Prämissen vieler [welcher?] deutscher Historiker noch nach Generationen beeinflußt“ habe (1997, 100). Diese Objektivitätsdeutung, welche der gottnahen Auffassung von Vierhaus (1975) ähnelt, sich 1992 auch bei Rüsen und Jaeger fand, ferner von Muhlack vertreten wurde (1999, 828), dürfte in ihrer religiösen Form, wie bemerkt, vor allem auf den seinerzeit verbreiteten ranke-juvenilen Geschichtstheologie-Ansatz Carl Hinrichs’ aus dem Jahre 1954 zurückgehen und wird sich weder in Rankes Historiographie noch in seiner zeitgenössischen Rezeption nachweisen lassen. (Siehe dazu oben die Ausführungen zu Vierhaus, 622f.) In Friedrich Jaegers und Jörn Rüsens 1992 erschienener ‚Geschichte des Historismus‘ verdienen hier vor allem die Abschnitte ‚Die Transformation des Historismus zur empirischen Wissenschaft‘ (34-40), ‚Die Epoche Rankes und Niebuhrs‘ (81-86) und ‚Die Ranke-Renaissance‘ (92-95) Beachtung. Die Autoren sind um eine vorurteilsfreie Gesamtwürdigung Rankes bemüht, kommen jedoch in wesentlichen Punkten zu übersteigerten Aussagen. Mit Recht wird Rankes „letztlich ambivalente“ Haltung zum Problem von Objektivität und Unparteilichkeit betont, die er „mehr als wissenschaftlich-ethisches Postulat und regulative Idee angesehen“ habe (83). Ranke, dem ein „bestimmter, dezidiert politischer Standpunkt“ eigen gewesen sei, habe gleichwohl den illusionären Anspruch erhoben, objektiv zu sein (85), - ein durch „Subjektivitätsverzicht“ erkaufter Objektivismus, der „aus erkenntnistheoretischer Sicht“ als „naiv“ anzusehen sei und insofern der „entstehenden historistischen Geschichtswissenschaft“ kein „tragfähiges theoretisches Fundament“ habe geben können. (38). Von ‚Subjektivitätsverzicht‘ mag gesprochen werden, doch bestimmt sich Rankes ‚Objektivismus‘ nicht vorrangig durch ein unterlassendes Verzichten, wodurch gewöhnlich nichts entsteht. Seine Objektivität, soweit man überhaupt von ihr sprechen kann, wurde durch einen von ihm zunächst vorgeblich wohl ethisch, später nach außen hin professionell neutral begründeten Wahrheitswillen getragen und durch ‚positive‘ Maßnahmen philologisch-logischer Art einer Verwirklichung näher gebracht. Allerdings ist oberhalb des detail-faktologisch orientierten, gelegentlich irritierten Objektivitätsstrebens eine von persönlicher Religiosität getragene allgemeine, vermeintlich begnadete Wahrheitsgewißheit wirksam (s. I, 105f.), welche eher intim reflexiv als historiographisch objektiviert auftritt und nicht mit dem systemisch geprägten Begriff ‚geschichtstheologisch‘ zu bezeichnen ist, wie dies bei Rüsen und Jaeger in Nähe zu Hinrichs (1954) und Hardtwig (1991) geschieht (86). Auch sehen die Autoren Rankes „Glauben an die Göttlichkeit der Geschichte“, von dem und der tatsächlich keine Rede sein kann - sein Gott ist nicht ‚in‘, sondern ‚über‘ der Geschichte - in seiner Nachfolge als „verloren“ gegangen an. Was jedoch, so fahren sie fort, „für den Historismus über Ranke hinaus konstitutiv blieb, war der direkte und später auch explizit eingestandene Bezug des historischen Denkens auf die politischen Probleme und Interessen der Gegenwart.“ (86). Diese unterstellte Wirkung war nicht allein von Ranke in seiner Rede über den - 628 -

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Unterschied von Historie und Politik abgelehnt, sondern ihr Fehlen zeitgenössisch auch überwiegend beklagt worden. Thomas Gil (s. I, 605) erkannte in Rankes Objektivitätsforderung das „Leitmotiv“ seiner Methodologie (1993, 91). Sein Diktum vom ‚bloß sagen bzw. zeigen‘ richte sich, wie hier einmal deutlich gemacht wird, sowohl gegen eine Historiographie in moralischer, didaktischer oder pragmatischer Absicht als auch gegen eine Philosophie in spekulativer Zielsetzung (95). Allerdings klafften Anspruch und Verwirklichung bei Ranke „weit auseinander“ (92). Mit Recht weist Gil zwar darauf hin, bei Ranke herrsche die Vorstellung, „es gebe ein reales Objekt, einen realen Gegenstand der Historie, den diese unverfälscht zu erfassen habe und erfassen könne “ [!] (97), indes scheint sein Urteil hinsichtlich der Gewißheit des Erfassens schwankend, bemerkt er doch an anderer Stelle Rankes Bedenken, ja Einsicht hinsichtlich der „Realisierungsmöglichkeiten“ des „Ideals“ der Objektivität (92). Für das verbreitete Interesse an der Thematik sprach ferner eine 2008 in Köln bei Jürgen Elvert vorgelegte Diplomarbeit von Lars Maus mit dem Titel ‚Der Objektivitätsbegriff bei Ranke und Droysen‘. Letztlich sei hingewiesen auf den Beitrag von Wilfried Nippel von 2012 über ‚Das forschende Verstehen, die Objektivität des Historikers und die Funktion der Archive. Zum Kontext von Droysens Geschichtstheorie‘, der eine wohlunterrichtete knappe Darstellung der Droysenschen Polemik gegen Rankes Objektivitätspostulat und politische ‚Leisetreterei‘ bietet. W e ltge sch ich te - Un iv ers a lg es ch ichte (I/2.5.4.3) Rankes ‚Weltgeschichte‘, die zu seinen Lebzeiten bei anfänglich stärkerem Interesse und Zuspruch doch sehr gegensätzlich beurteilt wurde, büßte zu Zeiten der Wilhelminischen Ära schon bald und bis heute ihr populäres Breiteninteresse ein, erfuhr stattdessen in dieser Zeit von bedeutenden Kritikern, allerdings überwiegend fachlichen Außenseitern und Philosophen, wie Karl Lamprecht, Hans Delbrück, Wilhelm Wundt, Benedetto Croce, Kurt Breysig, Heinrich Rickert und Wilhelm Windelband, Beachtung, eine Beachtung, die ihr in dieser Bedeutung nie mehr zuteil geworden ist. In den Zeiten der Weimarer Republik machte sich auch in diesem elitären Bereich ein deutlicher Rückgang des Interesses geltend: Oswald Spengler, Ernst Troeltsch, Otto Hintze nahmen sich der ‚Weltgeschichte‘ noch an, während das ‚Dritte Reich‘ bis auf die unzeitgemäße Stimme Friedrich Meineckes nichts Nennenswertes zum Thema hervorbrachte. In den Jahrzehnten nach 1945 und bis heute hat das fachliche Interesse an der ‚Weltgeschichte‘ Rankes wieder zugenommen, wobei vor allem die Darstellung der römischen Geschichte beachtet wird. Dabei spielen Vergleiche mit oder Beziehungen zu Boeckh, Niebuhr, Burckhardt, Mommsen und Eduard Meyer neben einer Untersuchung der von Ranke herangezogenen Quellen eine Rolle. Zugleich erklärt ein Kritiker die Altertumsbände schlankweg als „überholt“ (s. I, 635). Ohne Kenntnis der Argumente und Positionen ähnelt die grundsätzliche Beurteilung in ihrer Gegensätzlichkeit der Kritik zu Rankes Lebzeiten, wenn auch in thematisch begrenzter Form. So begegnet man einer gelegentlich allzu schlichten, jedoch entschiedenen Ablehnung der beschränkt-europazentrischen Konzeption, nicht allein im sozialistischen Lager. Einerseits ist die Rede von einer in Rankes ‚Weltgeschichte‘ wirksamen „neuen universalhistorischen Konzeption“ (Kessel/1954, 271), andererseits sieht man bei ihm „immer noch Elemente vertreten, die in Modellen der Weltgeschichte um 1800 häufig anzu- 629 -

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treffen waren“ (Liebel-Weckowicz/1988, 111), ja, er sei in seiner Europazentristik sogar „hinter den führenden Aufklärungshistorikern zurück“ geblieben (Schilfert/1962, 77). - Früher heftig diskutierte Fragen nach dem Verhältnis von politischer und Kulturgeschichte spielen jetzt kaum eine Rolle mehr. Theologische und religionsgeschichtliche Fragen, die ansonsten noch Beachtung finden, werden an seine ‚Weltgeschichte‘ etwa hinsichtlich der Behandlung des Christentums, die Rolle von Kirche und Staat, die bei ihrem Erscheinen durchaus diskutiert wurden - kaum noch herangetragen. Dies gilt ferner für die Frage nach einer Transzendenz des Geschehens, die nur noch ausnahmsweise unterstellt wird. Schon zu Lebzeiten Rankes war kaum von einem ‚philosophischen‘ Charakter seiner ‚Weltgeschichte‘ die Rede, allenfalls sah man einen solchen einmal „im Hintergrund dämmern“. Nachdem noch 1958 von einer nicht mehr „philosophischen Erfassung der Weltgeschichte durch einen möglichst differenziert und realistisch durchdachten Gedankenbau“ gesprochen worden war (Schulin/1958, 288), glaubte man später in Rankes letztem Werk ausnahmsweise „mehr Geschichtsphilosophie als Universalhistorie“ entdecken zu können (Muhlack/2010, 170), obgleich die Weltgeschichte andererseits für ihn „ein großes Rätsel“ dargestellt habe. „Gott allein“ wisse sie (Kessel/1954, 290). Dies hinderte nicht, das Werk sogar nach seinem „religiösen Symbolcharakter“ (Hinrichs/1954, 185) zu beurteilen. Von Ranke-Beginnern wird übrigens gelegentlich übersehen, daß ‚Universalhistorie‘ für Ranke ein jedem ‚Gegenstand‘ geltendes methodologisches Prinzip darstellte, das in der Weltgeschichte lediglich seine allgemeinste Anwendung finden konnte. Als einer der ersten nach Ende des Krieges schrieb 1951 der junge italienische marxistische Historiker Ernesto Ragionieri (1926-1975) über Rankes ‚Weltgeschichte‘ in seinem Werk ‚La polemica su la Weltgeschichte‘ (39-73: ‚L’idea di Weltgeschichte in Leopold Ranke‘), in dem er folgende Thesen oder nur Themen vorführte. „La Weltgeschichte del Ranke come sviluppo delle Betrachtungen de Humboldt e come conclusione cronologica ed ideale delle stroriografia del Ranke. Due opposte ed unilaterali interpretazioni del Ranke: quella del Croce e quella del Meinecke. Le origini religiose della Weltgeschichte del Ranke. Le nazioni romano-germaniche, l’Europa, la Kultur come forze essenziali della Weltgeschichte rankiana.“ (39). Ein am 9. Dez. 1953 vor der ‚Historischen Gesellschaft zu Berlin‘ gehaltener Vortrag Carl Hinrichs’ mit dem Titel ‚Der Begriff der Universalgeschichte bei Leopold v. Ranke‘ blieb ungedruckt (Nach W. Schochow: ‚Bibliographie Carl Hinrichs‘. In: Hinrichs/1964, 426). Er dürfte seinem bereits mehrfach herangezogenen Werk ‚Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit‘ aus dem Jahre 1954 (s. v. a. I, 594) entsprochen haben, in dem er, wie bemerkt, nicht allein das ‚Lutherfragment‘ von 1816/1817, sondern auch das über sechzig Jahre später geschriebene Alterswerk, die ‚Weltgeschichte‘, nach seinem „religiösen Symbolcharakter“ beurteilte (185). Eberhard Kessel veröffentlichte und interpretierte in einem ‚Rankes Idee der Universalhistorie‘ betitelten Aufsatz der ‚Historischen Zeitschrift‘ des Jahres 1954 die erweiterte Revision eines von Mülbe (1930) edierten Vorlesungsmanuskripts Rankes aus den 1830er Jahren, ‚Idee der Universalhistorie‘, unter Zusatz von Vorlesungseinleitungen der 1830er und 1840er Jahre (s. II/2.1.3f.). - Ranke sei es gewesen, der „die in der Zeit liegende neue universalhistorische Konzeption mit vollem Bewußtsein erfaßte und zur praktischen Durchführung brachte.“ (271). Was ihn „überhaupt an die Geschichte herangeführt“ habe, sei „von vornherein“ der „universalhistorische Gesichtspunkt“ gewesen (278). Er habe sich „vornehmlich an Fichte, Droysen dagegen an - 630 -

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Hegel geschult“ (276). Kessel ist überzeugt, daß Rankes „historisches Gesamtwerk auf der Grundlage ganz bestimmter und klar durchdachter theoretischer Vorstellungen“ beruhe (271). Diese Auffassung darf man als stark übertrieben ansehen (s. I/1.5), auch läßt sie keinen Raum für eine genetische Betrachtung. Es war ein Schüler Meineckes, der unbelehrt durch das zweimalige Weltkriegsgeschehen einen Rückfall in die mittelalterlichen Zeiten christlich geprägter Weltzeitalterlehre beging. Der Würzburger Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte Ulrich Noack (1899-1974) veröffentlichte im Jahre 1955 einen Beitrag zum ‚Historischen Jahrbuch‘ der Görresgesellschaft mit dem Titel ‚Das Werden unseres neuen Geschichtsbildes im Geiste Rankes‘. Er sah die „Gültigkeit“ der „historischen Denkformen“ Rankes „nicht aufgehoben“ (Noack/1955, 509), glaubte auch an die Verwirklichung der „Idee der Gerechtigkeit der Geschichte, einer Ordnung der Welt durch moralische Gesetze, ja der ewigen Wahrheit“ (512). Überraschend und gänzlich unnötig entwickelte er sodann in fehlgeleiteter Anlehnung an Rankes Berchtesgadener Vorträge vor Maximilian von 1854, stärker wohl noch an Spenglers Kulturkreislehre, eine eigene Weltzeitalterlehre mit vier welthistorischen Äonen von je 1500 Jahren seit 6000 Jahren. Der fünfte Äon habe nunmehr begonnen: „Die Symphonie der Menschheit ... wird zur eigentlichen Thematik des fünften Äons“ (Noack/1955, 519). Bemerkenswert ist dabei wohl nur der fälschlich auf Ranke gestützte unvertilgbare Glaube an eine ethisch und ästhetisch, letztlich fortschrittlich funktionierende Weltentwicklung, ausgerichtet an abendländischen Wertvorstellungen und religiösen Phantasiemustern. Der Orientalist Hans Heinrich Schaeder (1896-1957) hatte am 3. Sept. 1936 unter dem Titel ‚Die Orientforschung und das abendländische Geschichtsbild‘ den Eröffnungsvortrag beim 8. Deutschen Orientalistentag in Bonn gehalten, worin er betonte, daß für Ranke schon in seinem Erstlingswerk der „weltgeschichtliche Gehalt der Wechselbeziehung zwischen Abendland und Orient“ festgestanden habe (384f.). Und in Band I der ‚Fürsten und Völker‘ sei „eins der wenigen klassischen Stücke der neueren Orientgeschichtsschreibung“ enthalten (385). Schaeder kommt das Verdienst zu, auf die lohnende Aufgabe, „Rankes Ansicht der orientalischen Dinge durch sein Lebenswerk hin zu verfolgen“ (386), aufmerksam gemacht zu haben. Dies galt zumindest für die von ihm angeregte qualitätvolle Dissertation ‚Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke‘ des späteren Freiburger Geschichtsordinarius Ernst Schulin, der, wie mehrfach gezeigt werden konnte, dem Thema ‚Ranke‘ ein Leben lang verbunden blieb. Sie behandelte 1958 das interessante, weitreichende Thema, das mit besonderer methodologischer Bewußtheit und unter der sonst seltenen Benutzung das Ranke-Nachlasses dargestellt wurde. „Nicht mehr die philosophische Erfassung der Weltgeschichte durch einen möglichst differenziert und realistisch durchdachten Gedankenbau war das Bestreben Rankes und seiner Zeit, sondern die kritische Erfassung der geschichtlichen Tatsachen, die nur soweit wie sichtlich möglich zu einem universalhistorischen Verlauf verbunden wurden. In dieser für jede Erweiterung durch die empirische Forschung offenen Form hat Ranke die weltgeschichtliche Größe und Bedeutung des Orients dargestellt.“ (288). - Hinzuziehen mag man noch Schulins Einleitung zu dem von ihm herausgegebenen Werk ‚Universalgeschichte‘, Köln 1974 (11-65, bes. 14, 28). Der unbeschädigt hinübergelangte nationalsozialistische Althistoriker Joseph Vogt (1895-1986. Siehe: Diemuth Königs: Joseph Vogt - ein Althistoriker in der Weimarer - 631 -

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Republik und im Dritten Reich, Basel u. Ffm. 1995) veröffentlichte 1953 in eleganter Ablenkung eine akademische Abhandlung über ‚Sklaverei und Humanität im klassischen Griechentum‘. 1961 ging er über zu der von Althistorikern häufig gesuchten welthistorischen Thematik. In einer populären Darstellung von ‚Wegen zum historischen Universum. Von Ranke bis Toynbee‘ ist die Geschichte für den dort recht wohlwollend behandelten Ranke, der eine „gewaltige“ Wirkung in der Fachgenossenschaft hervorgerufen habe (14), ein Prozeß, „dessen Sinn nicht im Endergebnis enthalten“ sei. Weniger zutreffend ist die undifferenzierte und übertriebene Feststellung, bei Ranke „erscheine“ Gott in der Geschichte (13), was auf mangelnde Kenntnis von Rankes Berchtesgadener Vorträgen von 1854 und manch anderer Quelle schließen läßt. Auch dürfte die Bemerkung, einige Historiker hätten Ranke ganz vergessen, „wenn sie den allmächtigen Nationalstaat als sittliche Notwendigkeit erklärten“ (14), eher in gegenteiliger Weise zutreffen. Durch die Verflüchtigung des philosophischen Geistes gegen Ende des 19. Jahrhunderts sei auch die von Ranke beherrschte Fähigkeit, „das Besondere in der Geborgenheit des Allgemeinen zu sehen“, vielfach abhanden gekommen (14), - eine Formulierung, welche die von Ranke gesehene oder gesuchte Beziehung des Besonderen und Allgemeinen allerdings unzulässig sentimentalisiert. ‚Rankes Geschichtsbild und die moderne Universalhistorie‘ war der Titel eines später erweiterten Beitrags, den Fritz Wagner, 1962 in dem von ihm mitherausgegebenen ‚Archiv für Kulturgeschichte‘ zum Erscheinen brachte, - ein überlegener, doch stark essayistisch geprägter Versuch, die Aktualität des Rankeschen Geschichtsbildes, i. b. die sich darin bietenden bzw. versagenden Möglichkeiten für eine moderne Weltgeschichtsschreibung zu erkunden. Es ergibt sich in Wagners später nur noch selten herangezogenem Essay ein Ertrag hinsichtlich der Deutung des Rankeschen Geschichtsdenkens in einem so nicht vorhandenen übergenetischen allgemeinen Sein, wobei die Betonung auf dem pluralistischen, unsystematischen Eindruck liegt, den sein idealistisch-humanistisch-christliches Geschichtsdenken hervorruft. Der Befund artikuliert sich i. e. negativ als mangelnder Blick Rankes für den wirtschaftlich-technischensozialen Wandel, als Unterschätzung außereuropäischer Machtfaktoren u. ä., positiv als ein für Diskontinuitäten offenes Kontinuitätsbewußtsein, als Ehrfurcht vor dem Individuellen und als Bewußtsein europäischer Gemeinschaftlichkeit. Der anläßlich der Rankeschen Revolutionsbetrachtung herangezogene DDR-Historiker Gerhard Schilfert schrieb 1962 ‚Über das Verhältnis von Weltgeschichte und Nationalgeschichte in der bürgerlichen Weltgeschichtsschreibung‘. Dabei vertrat er die Auffassung, Rankes ‚Weltgeschichte‘ gehe nicht von einem „einheitlichen Gesichtspunkt“ aus, sondern von der Staatenvielfalt, da er die „überlieferte Ordnung in der Staatenwelt, insbesondere das junkerlich-großbürgerliche Regime im Deutschen Reich nach 1871“ habe „im wesentlichen bewahren“ wollen (76). Rankes ‚Weltgeschichte‘ sei „faktisch zur ‚Weltgeschichte West- und Mitteleuropas‘ und damit zum Hauptausgangspunkt aller späteren beschränkt-europazentrischen welthistorischen Betrachtung“ geworden (77). In dieser Hinsicht sei er „hinter den führenden Aufklärungshistorikern zurück“ geblieben (ebd.). - Schilfert verfaßte im folgenden Jahr noch eine Gesamtwürdigung Rankes in dem von Joachim Streisand herausgegebenen Sammelband ‚Die deutsche Geschichtswissenschaft vom Beginn des 19. Jahrhunderts bis zur Reichseinigung von oben‘. Die bereits betrachtete Marburger Dissertation von Grete Freitag, ‚Leopold von Ranke und die Römische Geschichte‘ von 1966 gehört zu den seltenen mit einiger - 632 -

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Gründlichkeit und Ausführlichkeit verfahrenden Werkuntersuchungen der RankeLiteratur. Freitag untersucht anhand der entsprechenden Teile der ‚Weltgeschichte‘ und unter Benutzung unveröffentlichter nachgelassener Aufzeichnungen, Diktate und Vorlesungen Rankes, im besonderen eines ca. 900 Seiten umfassenden Vorlesungsmanuskripts über ‚Römische Geschichte‘ aus den Jahren 1849/50 (Rankes entsprechende Vorlesung datiert jedoch aus WS 1848/49) und 1852 (s. II/5.3) u. a. die „Quellenbehandlung“ Rankes und seinen Begriff der antiken „Kulturwelt“ und „Kulturnation“. Dabei wird auch das bereits von Rankes Zeitgenossen beachtete Verhältnis Ranke-Mommsen und Ranke-Niebuhr behandelt. Ebenso hart wie einseitig und unergiebig ging der bedeutende US-amerikanische Islamhistoriker Marshall G. S. Hodgson (1922-1968) in einem posthum herausgegebenen Beitrag, betitelt ‚Die wechselseitigen Beziehungen von Gesellschaften in der eurasiatischen Geschichte‘, für den 1974 von Ernst Schulin besorgten Sammelband ‚Universalgeschichte‘ mit Ranke ins Gericht: „Universale Bemühungen, wie etwa die von Ranke“, seien „optische Täuschungen, die Europa als die Welt und alle anderen Gebiete als isoliert und untergeordnet erscheinen ließen“ (196). Siehe auch Hodgsons posthumen Sammelband ‚Rethinking world history. Essays on Europe, Islam and world history‘. Cambridge: Cambridge University Press, 1993. Der Marburger Althistoriker Karl Christ (1923-2008) widmete in seinem 1982 erschienenen Werk ‚Römische Geschichte und deutsche Geschichtswissenschaft‘ einen Abschnitt dem Thema ‚Römische Geschichte bei Leopold von Ranke, Jacob Burckhardt und Hans Delbrück‘ (84-93), nachdem er bereits in einem Beitrag über ‚Jacob Burckhardt und die Römische Geschichte‘ Rankes Einfluß nachgegangen war. In dem Abschnitt von 1982 ist Ranke nur kurz behandelt (84-86), und in einer Weise, die der hohen Reputation Christs kaum entspricht. Christ stützt sich stark auf die Marburger Dissertation von Grete Freitag aus dem Jahre 1966, wohingegen die weitere nachgewiesene Literatur überwiegend unbenutzt, die Arbeit von Helen P. Liebel, ‚The Place of Antiquity in Ranke’s Philosophy of History‘ von 1976 auch ungenannt bleibt. Außer den „primär universalgeschichtlichen Maßstäben“ hebt Christ Rankes „spezielle Äußerungen über die antiken Autoren sowie die zahlreichen unabhängigen Beobachtungen zu Einzelphänomenen und Streitfragen der Römischen Geschichte“, als „wertvoll“ hervor (85). Ranke habe die Geschichte Roms „nicht nur in ihrem Spannungsverhältnis zur Frühgeschichte Italiens und des weiteren Mittelmeerraums, sondern ganz bewußt und primär mit der Geschichte Griechenlands und Israels, in der Kaiserzeit dann mit jener des Christen- und des Germanentums dargestellt.“ (86). Es versteht sich, daß Christ sich nicht mit der alten These Rieß’ auseinandersetzt, der einen Hauptunterschied zwischen Mommsen und Ranke darin gesehen hatte, daß jener die „Geschichte Italiens“ zu erzählen suche, während Ranke von einer „Specialgeschichte“ Roms ausgehe (Rieß/1885, 545). Auch kleinere Irrtümer Christs hinterlassen einen peinlichen Eindruck: Rankes ‚Weltgeschichte‘, Bd. I ist nicht 1880 (84 u. 346), sondern 1881 erschienen, und vor allem: Für die darin enthaltene römische Geschichte sind nicht deren Bände I-IV „einschlägig“ (84), sondern die Bände II-IV. Ob Christ sie angeschaut hat? ‚Leopold von Rankes Byzanzbild‘ war der Titel eines Beitrags zu dem von der Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik 1986 veranstalteten Kolloquium über das Werk Leopold von Rankes. Der auch in der Byzantinistik bewanderte führende Altertumswissenschaftler der DDR, Johannes Irmscher (1920- 633 -

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2000), war in einer knappen, überwiegend treffenden Betrachtung der ‚Weltgeschichte‘ Rankes der Auffassung, ihr Autor habe in „höchst verderblich“ weiterwirkender Einseitigkeit den Kern aller Geschichte „in der Geschichte der stammverwandten Völker entweder rein germanischer oder germanisch-romanischer Abkunft“ erblickt (Irmscher/erschienen 1987, 63). Die Entstehung des römischen Kaisertums habe er, „tiefere Erkenntnisse anderer beiseite schiebend, allein aus dem Umstande“ begründet, „daß die universale Herrschaft, welche die Römer errungen hatten, nicht mit den überlieferten Formen der Verfassung, die durchaus städtisch war, vereinigt werden konnte.“ (65). Kennzeichnend für Rankes Byzanzbild sei eine „okzidentalische Sichtweise“ (65), wobei sowohl auf die Behandlung der Epoche Justinians als „Bestandteil der römischen Geschichte“ (65) wie auch auf die als „Vollendung einer neuen Macht“ dargestellte Kaiserkrönung Karls - aus byzantinischer Sicht eine Usurpation (67) - hingewiesen werden könne. Rankes „Aufmerksamkeit“ oder „Liebe“ habe eben den neuen romanisch-germanischen Staaten im Westen gegolten (65). Nun war Byzanz nicht mehr „die Fortsetzung des altrömischen, sondern das orientalische Kaisertum“ geworden (68). Die Auseinandersetzungen mit der arabischen „Weltherrschaft“ habe Ranke „primär unter religiösem Aspekt“ gesehen, „der ja allgemein in seiner Geschichtsschreibung eine übergroße Rolle spielte“ (66). Und obgleich Ranke „nur die äußere Form des Imperiums“ gesehen und „dessen innere Wandlungen ... mit seiner Methodik“ nicht habe begreifen können, seien die entsprechenden Teile seiner ‚Weltgeschichte‘ bei ihrem Erscheinen doch „die beste, auf ein breiteres Lesepublikum abgestimmte Darstellung der Geschichte des Oströmischen Reiches“ gewesen (69). - An dem von der Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik veranstalteten RankeKolloquium von 1986 beteiligte sich auch der Althistoriker Armin Jähne (geb. 1941). Er hatte 1980 eine Dissertation über ‚Alexandreia in Ägypten. Die Erhebung zur ptolemäischen Metropole‘ und 1986 ein Werk über ‚Spartacus. Kampf der Sklaven‘ verfaßt, als er sich im folgenden Jahre anläßlich des Ranke-Kolloquiums zum Thema ‚Leopold von Ranke und die deutsche Altertumswissenschaft im 19. Jahrhundert‘ äußerte. Ranke wird hier mit Niebuhr, Boeckh, Droysen und Mommsen verglichen. Die von Ranke dargestellte Historie habe, „trotz des Neuen, das sie brachte, in ihrer inneren kausalen Vernetzung lückenhaft bleiben“ müssen, „denn ihr Verfasser“ sei „nicht bis zu den wirklichen ‚Springfedern‘ geschichtlichen Geschehens“ vorgedrungen. (95). Jähne gibt ferner verantwortungslos die - völlig abwegige - Auffassung [ungenannter] „moderner Forscher“ wieder, „Ranke habe die Altertumsbände [seiner WG] auf der Grundlage von Schulbüchern verfaßt“ (98). Offenbar ist ihm die Arbeit von Freitag (1966) unbekannt geblieben. Rankes „mit Ausnahme vielleicht des Abschnitts über die Anfänge des Christentums“ „eigentlich nichtssagende“ Altertumsbände erscheinen Jähne „heute überholt“ (99f.). - 1992 hat sich Alexander Demandt in einem Beitrag über ‚Alte Geschichte in Berlin 1810-1960‘ noch einmal überaus kurz mit Rankes Behandlung dieses Zeitraums in seiner ‚Weltgeschichte‘ befaßt, wobei er trotz einer „hegelianischen Grundstimmung“ ein Fehlen „harter Konturen“ in der Persönlichkeitsschilderung lobend feststellte, insofern ein „ausgewogeneres“ Urteil vorzufinden glaubte als bei Mommsen, Droysen und Burckhardt (Gesch.wiss. in Bln./1992, 162). John Anthony Moses, damals Professor für Geschichte an der Universität von Queensland, der sich in seinem 1975 erschienenen Werk über ‚The politics of illusion‘ mit der Fischer-Kontroverse auseinandergesetzt hatte, brachte 1986 im ‚Journal of Religious History‘ einen Aufsatz zum Erscheinen, der zu den höchst seltenen Ranke- 634 -

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Beiträgen Australiens zählt, mit dem Titel ‚Ranke Revisited. The ‚Dubious‘ Values of a Universal Historian‘. Moses lenkt in diesem mit geringer Systematik angelegten Essay, der das Wort Leonard Kriegers (1977, 8) vom „ambiguous Ranke“ („at once romantic and science minded“) aufgreift, einerseits die Aufmerksamkeit auf die Wirkung Rankes auf die ‚heutige‘ deutsche Geschichtswissenschaft (wozu abseitig lediglich Waldemar Besson und dazu Hans Rothfels genannt werden). - Rankes früher beherrschendes Konzept vom Primat der Außenpolitik sei heute bankrott, stattdessen seien die universalhistorischen Dimensionen seines Werkes wiederentdeckt worden (168). Andererseits sucht Moses anhand von Aufzeichnungen Rankes über Universalgeschichte aus den 1830er Jahren (ed. Kessel/1954, s. II/2.3) den Nachweis zu erbringen, welch grundlegende Bedeutung die theologische Dimension in seinem Denken einnehme. Moses’ Beitrag von 1987 mit dem Titel ‚Leopold von Ranke One Hundred Years On‘ ist ohne eigene Bedeutung, da er lediglich die Vorträge der Konferenz ‚Leopold von Ranke and the shaping of the historical discipline‘ der ‚Centenary Conference at Syracuse, USA‘ referiert. Der im Zusammenhang mit Rankes 100. Todestag 1988 von Wolfgang J. Mommsen herausgegebene Sammelband ‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft‘ enthält vier Beiträge zum Thema ‚Der Universalhistoriker Ranke‘. Fulvio Tessitore (s. I ,609) glaubte in seinem bereits 1987 als ‚Ranke, il ‚Lutherfragment‘ e la Universalgeschichte‘ erschienenen Beitrag über ‚Rankes »Lutherfragment« und die Idee der Universalgeschichte‘, in diesen Texten „Ansatzpunkte“ für Rankes ‚Weltgeschichte‘ zu finden (s. I, 650). - Ernst Schulin schrieb anhand von Vorlesungen Rankes über ‚Universalgeschichte und Nationalgeschichte bei Leopold von Ranke‘, geist- und verehrungsvoll. Dabei ist nicht Rankes ‚Weltgeschichte‘ gemeint, sondern die sich in seinem neuzeitlichen Werk angeblich aussprechende universalhistorische Konzeption. Ranke habe versucht, „sein Hauptthema, die neuzeitliche Weltgeschichte insgesamt darzustellen, d. h., wie er sie auffaßte: als Geschichte der weltbeherrschenden, gegeneinander- und zusammenwirkenden europäischen Nationalstaaten“ (48). Auffallend ist neben der Kritiklosigkeit gegenüber der europazentristischen Sicht Rankes Schulins völlig säkulare Betrachtung. Nirgendwo ist die Rede von Rankes ansonsten übertrieben gezeichneter philosophischer, religiöser oder gar theologischer Geschichtskonzeption, wie sie von Hinrichs bis Hardtwig vorgetragen wird. Hier sind allein politische Gesichtspunkte maßgebend, was wenigstens als geringere Einseitigkeit anzusehen ist. - Den dritten Beitrag des Sammelbandes stellte der bereits herangezogene Werner Berthold (s. I, 604f.) mit dem Thema ‚Die Konzeption der Weltgeschichte bei Hegel und Ranke‘, der sich ein wenig auf die in der Tat „herausragende Dissertation“ von Ernst Simon (1928) stützt. Bertholds Vergleich bezieht sich auf Hegels Weltgeschichtsvorlesungen und unzulässig vereinfacht auf Rankes Berchtesgadener Vorträge von 1854, denn von seiner ‚Weltgeschichte‘ wird hier völlig abgesehen, nicht von Abschweifungen (so zweiseitig allgemein über den Begriff des ‚Grunderlebnisses‘). Thematisiert wird auch kurz das Verhältnis Hegels und Rankes zur Großen Französischen Revolution. Wenig erfährt man, über den Fortschrittsbegriff in der „Rankeschen Geschichtsphilosophie“ (86) hinaus und neben Vergleichen mit marxistischen Positionen, über seine Weltgeschichtskonzeption. - Der vierte Beitrag zum Thema ‚Universalhistorie‘ des Mommsenschen Sammelbandes ist Helen Liebel-Weckowicz zu verdanken. Wie Grete Freitag so hat auch sie, allerdings in sehr kleinem Rahmen, archivorientierte Ranke-Forschung betrieben. In ihrem - 635 -

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Aufsatz über ‚The Place of Antiquity in Ranke’s Philosophy of History‘ von 1976 hatte sie darauf hingewiesen: „There was nothing brutal about the fall of Rome, nor predestined. Ancient history does not end in a barbarian conquest but in the more positive universalism of Western Christianity“ (227f.). 1973 und nunmehr 1988 teilte sie in kleineren Beiträgen mit dem Titel ‚Ranke’s fragments on universal history‘ und ‚Ranke und Darwin - Evolution und Weltgeschichte‘ kurze Aufzeichnungen aus Rankes Nachlaß mit (s. II/2.3), in denen dieser sich zu Fragen der Anthropologie äußert, Positionen, die in seiner ‚Weltgeschichte‘ „in eher poetischer Form abgehandelt“ werden (107). Liebel-Weckowicz sieht in Rankes „evolutionärer Erklärung für das Entstehen der westlichen Kultur ... immer noch Elemente vertreten, die in Modellen der Weltgeschichte um 1800 häufig anzutreffen“ gewesen seien. Den „darwinistischen Kampf um das Überleben“ habe Ranke in sein Werk nicht mit einbezogen, sich stattdessen „das ältere Evolutionskonzept Schellings zu eigen gemacht.“ (111). Der Beitrag von Donald R. Kelley - damals Professor für Geschichte an der Universität Rochester und Executive Editor des ‚Journal of the History of Ideas‘ - über ‚Mythistory in the age of Ranke‘ aus dem Jahre 1990 gibt für letzteren nichts her. Auch Kelleys 2003 erschienenes Buch ‚Fortunes of History. Historical Inquiry from Herder to Huizinga‘ - er schrieb eine Vielzahl historiographiegeschichtlicher Werke - kann in seinem Abschnitt ‚Ranke and World History‘ (132-140) nur als populäre, von RankeForschung nahezu unberührte Einführung angesehen werden. Der Begriff ‚World History‘ meint hier Rankes Werk als solches, behandelt dementsprechend sein Erstlingswerk (136), die ‚Päpste‘ (137), die ‚Deutsche Geschichte‘ (137f.), die ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ (138) und schließlich die ‚Weltgeschichte‘ (139f.), über die nichts Eigentümliches ausgesagt wird, es sei denn, Ranke sei darin Fragen nach der Geschichtlichkeit mythischer Gestalten aus dem Weg gegangen. Kelley weiß übrigens nichts von der Posthumität der letzten drei Bände der Weltgeschichte, und seine Apostrophierung Rankes als „doyen and leader“ einer „Prussian school“ (174) hätten Zeitgenossen wie auch Ranke selbst entschieden zurückgewiesen. Über Rankes Konzeption der Weltgeschichte schrieb auch Thomas Gil in seiner bereits herangezogenen Habilitationsschrift von 1993 (s. I, 605) mit dem Titel ‚Kritik der Geschichtsphilosophie. L. von Rankes, J. Burckhardts und H. Freyers Problematisierung der klassischen Geschichtsphilosophie‘. Er glaubte in Rankes „Konstruktion der Weltgeschichte“ entsprechend den Berchtesgadener Vorträgen von 1854 erstaunlicherweise eine „bezeichnende Nähe“ (250f.) zu den geschichtsphilosophischen Positionen Hegels erkennen zu können, dies nicht nur aufgrund ihrer „stark“ an diesen erinnernden „Begrifflichkeit“, sondern auch weil „einzelne Argumentationsmuster ... eine klare Variante geschichtsphilosophischen Denkens“ darstellten (251). Der mit populären Neigungen ausgestattete australische Historiker Brian Brennan (geb. 1914), zeitweilig an der University of Sydney tätig, schrieb später über ‚Pompeii and Herculaneum‘ (Sydney 2005), ‚Spartan society‘ (Sydney 2007) und ‚Minoan society‘ (Sydney 2010). Zuvor hatte er sich - dies eine Seltenheit - zwei herausragenden Gestalten im römischen Teil von Rankes ‚Weltgeschichte‘ zugewandt, Caesar und Konstantin d. Gr. - Der 1994 erschienene Aufsatz über ‚Ranke’s Caesar‘ bietet einen Vergleich der Rankeschen Darstellung (in WG II) mit der früheren Mommsens in dessen unvollendeter ‚Römischer Geschichte‘ (I-III: 1854-56; V: 1885) und der späteren Eduard Meyers, ‚Caesars Monarchie und der Principat des Augustus‘ von 1918. Während der Caesar Mommsens als „Democratic Monarch“ (85) erscheine, sei - 636 -

I/2.5.4.3 Seit dem II. Weltkrieg - Geschichtstheoretische Fragen

Rankes Caesar „a new Alexander“ (86), der wie dieser versucht habe, ein Weltreich zu errichten (90). Insofern habe Ranke auch die von Meyer dargestellte Verbindung zum Gedanken des orientalischen Königtums vorweggenommen. Trotz einiger Literaturkenntnis werden hier die Arbeiten von Momigliano (1955) und Freitag (1966) nicht berücksichtigt. - Im folgenden Jahr schloß sich der Aufsatz über ‚Burckhardt and Ranke on the age of Constantine the Great‘ an, worin mit einzelnen Vergleichen, jedoch mit geringerer allgemeiner Sicht Bezug genommen wird auf die Darstellungen in Burckhardts ‚Die Zeit Konstantins d. Gr.‘ von 1853 und in Rankes ‚Weltgeschichte‘, Bd. III von 1883. Michael Salewski sprach in einem Vortrag zur Festwoche des Wieher RankeVereins aus Anlaß von Rankes 200. Geburtstag über ‚Die Mär der Weltgeschichte‘, deren „Bild“ sich „niemals grundsätzlich geändert“ habe (Salewski/1997, 16). Den in seinen Vorträgen vor Maximilian von 1854 vorgetragenen Gedanken der Unmittelbarkeit zu Gott, „das Kernstück der reformatorischen Lehre“, habe Ranke „auf die Idee der Geschichte schlechthin“ übertragen (18). Die ‚Mär der Weltgeschichte‘ sieht Salewski dann doch gottfern geworden „zum Alptraum..., zu einem monströsen Unglück.“ Die sich daran anschließende Frage „Ist Ranke noch zu retten?“ (22) bleibt in dem von geringer Systematik geprägten Vortragstext unbeantwortet. Der im Jahre 2000 erschienene Beitrag von Gesa von Essen zum ersten Symposion des Göttinger Sonderforschungsbereichs 529, ‚Internationalität nationaler Literaturen‘, trägt den überaus weitgefaßten Titel ‚Leopold von Ranke zwischen Welthistorie und Nationenbiographie‘ und ist ertragreicher hinsichtlich Rankes Nation-Begriff (s. I, 571). Für Ulrich Muhlack in seinem Beitrag von 2010 über ‚Das Problem der Weltgeschichte bei Leopold Ranke‘ ist Rankes letztes Werk „mehr Geschichtsphilosophie als Universalhistorie“ (170). Allerdings sieht er dies lediglich erreicht durch Rankes Versuch, „das Besondere im Lichte des Allgemeinen, das Konkrete als Universales darzustellen.“ (171). Dieses jeder historischen Forschung mehr oder minder eigene, zumindest notwendige Verfahren ist indes weit entfernt, eine Geschichtsphilosophie zu begründen. Solcher Fehldeutung entspricht Muhlacks vorwiegende Betrachtung der Jugendzeit Rankes, der gegenüber eine Analyse der ‚Weltgeschichte‘, gerade zum Nachweis etwaiger philosophischer Einstellungen, zurücktritt. Zu Details: Muhlack geht mit keinem Wort auf die Problematik der drei letzten, posthum herausgegebenen Bände der ‚Weltgeschichte‘ ein (vgl. dort 145). Auch gab es in Rankes Frühzeit keine „Kontroverse mit Hegel“ (16), wie dramatisierend erklärt wird, sondern lediglich dessen Geringschätzung ihm gegenüber (s. I, 133f.).

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5. Kapitel (I/2.5.5) HISTORIE UND RELIGION V o r b e m e r k u n g (I/2.5.5.0) Das Thema ‚Religion‘ bei Ranke ist ein komplexes Gebilde, dessen Deutung bisher keine die wesentlichen Aspekte und Gegebenheiten zusammenfassende Darstellung oder zumindest eine Systematik notwendiger Betrachtungen gefunden hat. Daß sich in der geringen Eindringlichkeit der Zuwendung eine wesentliche Änderung abzeichnet, steht kaum zu erwarten, da auch das an den religiösen Voraussetzungen und Anwendungen Rankes orientierte Interesse schließlich vor dem nunmehr stark expandierenden literarästhetischen zurückgewichen ist. Folgende Fragen könnten Bestandteil einer Systematik sein: Auf welche Textzeugnisse können und müssen sich Untersuchungen zum Thema ‚Historie und Religion‘ bei Ranke stützen? Unter welchen Einflüssen personell-historischer, personell-zeitgenössischer und ideeller Natur hat sich seine Religiosität gebildet? - ein besonders in Rankes ersten vier Lebensjahrzehnten schwer deutbarer Prozess. Dies der mehr biographische Gesichtspunkt, der zunächst durch die nach seinem Tod bekannt gewordenen Selbstzeugnisse (SW 53/54) gefördert wurde. Des weiteren: Wie ist seine Religiosität in theologischer und religionsgeschichtlicher Hinsicht zu beurteilen? Kann sie als ‚lutherisch‘ bezeichnet werden? Welchem Wandel unterlag sie im Laufe seines Lebens? Wie weit ist seine Geschichtsauffassung und Darstellung von seiner Religiosität bzw. überhaupt von transzendenten Vorstellungen bestimmt - oft werden dabei Konsequenzen für die Beurteilung seiner ‚Objektivität‘ außer acht gelassen. Wie stellt sich in seiner Historiographie der Faktor ‚Religion‘ im Weltgeschehen dar und welche Rolle ist ihr darin als Teil des stets fundamental auftretenden Verhältnisses von Kirche und Staat überhaupt zugewiesen. Auch zum Thema ‚Historie und Religion‘ begegnen sich in der Ranke-Literatur sehr verschiedene Deuter und entsprechende Deutungsinteressen. Es sind nicht nur Historiker, sondern verständlicherweise auch Theologen beteiligt, und, wie so häufig, treffen auch hier sorgfältig quellen- und literaturbenutzende Analysten auf spekulative und textferne Geister. Manche Urteile des der Thematik und der Literatur gelegentlich doch zu fern liegenden Auslands sind überwiegend kaum als wissenschaftsnah anzusehen. Überhaupt bekundet sich das allgemeine Interesse nicht durchweg in monographischen Werken oder Beiträgen, sondern wird oft nur beiläufig in anderen Zusammenhängen geäußert. Auffallend ist das in den Vordergrund Treten des Religions-Themas sehr bald nach Ende des ZweitenWeltkriegs, mit mehreren affirmativ gestimmten Beiträgen, was als bestenfalls ethisch geprägte Haltsuche nach der Katastrophe gedeutet werden mag. Von größter Bedeutung für die Erkenntnis seines in Religiosität und Geschichtsanschauung als grundlegend angesehenen Lutherverhältnisses war keines seiner Werke, sondern 1926 die problematische Veröffentlichung des sogenannten ‚Lutherfragments‘ von 1816/17, das 1964 in Band I der Ranke-Ausgabe der ‚Historischen Kommission‘ ‚Aus Werk und Nachlaß‘, allerdings thematisch in seine Einzelteile aufgelöst,einen Zweitdruck erfuhr. Später folgte, teilweise als Erstdruck, ein ‚Fragment über Luther‘ (WuN III/1973, 340-466). [Luther-Novelle], datiert 8. Sept. 1816. Die durch Keibel - 638 -

I/2.5.5.0 Seit dem II. Weltkrieg - Historie und Religion

bereits 1928 edierte ‚Luthernovelle‘ von 1816 und ein von Pahlmann 1955 edierter zeitnaher Predigtentwurf fanden die dem ‚Lutherfragment‘ auch heute noch geschenkte Aufmerksamkeit bei weitem nicht. Die, so scheint es, wesentlichste Frage, nach Immanenz und Transzendenz des Rankeschen Geschichts- und eingeschränkten Weltbildes und das damit verbundene Erkenntnis- und Objektivitätsproblem werden überwiegend anhand der kurze Zeit nach seinem Tod herausgegebenen, nahezu überstrapazierten Berchtesgadener Vorträge vor Maximilian II. von 1854 erörtert, verbunden mit der Betrachtung seines Verhältnisses zur Philosophie des Idealismus. Zur Thematik gehört nicht nur, was häufig außer acht gelassen wird, die Betrachtung seiner persönlichen, privaten Zeugnisse, sondern auch seines religionsgeschichtlich orientierten Werkes, dessen Entstehung, forschungsgeschichtlicher Bedeutung und Wirkung, im besonderen der ‚Päpste‘ (zuerst 1834-36 in drei Bänden), mehr noch der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ (zuerst 1839-47 in sechs Bänden). Ihr sprach man eine nicht geringe zeitgenössische Wirkung auf die Nation zu. Bisweilen werden seine ‚Fürsten und Völker‘ I von 1827 und die beiden mit Religionskriegen behafteten französischen und englischen Nationalwerke von 1852-61 und 1859-68 in die Betrachtungen einbezogen, denen bei seinen Lebzeiten nicht zu Unrecht der Vorwurf eines objektivitätsmindernden protestantischen Standpunkts zuteil geworden war, als Ausnahme schließlich seine ‚Serbische Revolution‘. Hingegen findet sich in seinem preußisch-deutschen Spätwerk und in den entsprechenden öffentlichen Äußerungen weniger zum Thema ‚Historie und Religion‘, das jedoch mit der 1881 einsetzenden ‚Weltgeschichte‘, vor allem im Zusammenhang mit der Einführung von Judentum und Christentum, zeitgenössisch wieder an Interesse gewann. Heute geht es dabei vor allem um den vermeintlich universalhistorischen oder gar geschichtsphilosophischen Charakter des Werkes. - Ferner beanspruchen einzelne große Erscheinungen und Bewegungen, wie ‚Christentum‘, ‚Reformation‘, ‚Luthertum‘‚ ‚Protestantismus‘, ‚Gegenreformation‘ und ‚Papsttum‘, aber auch Ereignisse oder bedeutende Vorgänge, wie die ‚Spaltung in der Nation‘, nebst theologischen Fragen, wie die Rechtfertigungslehre, Aufmerksamkeit. Daneben werden Gestalten der Darstellung, so vor allem Luther, der bei ihm gelegentlich als „Befreier“, auch als „‚early‘ Catholic“ erscheine, daneben Zwingli, Karl V., Cromwell in Augenschein genommen, - dies der historiographie- und religionsgeschichtliche Gesichtspunkt. Ranke nahestehende Deuter zeichnen sich in der Nachfolge zweier im besonderen Maße theologisch orientierter und in ihrer Zeit außerordentlich stark beachteter Schriften durch eine noch andauernde vielfältig verfehlte Theologisierung des Historikers Ranke aus. Es war zum einen der bereits 1949 erschienene Beitrag von Karl Kupisch mit dem anziehenden Titel ‚Die Hieroglyphe Gottes‘ und mehr noch die 1954 unter Einbeziehung eines Aufsatzes von 1950 erschienene, besonders subtil und sublim auftretende Veröffentlichung aus der Feder von Carl Hinrichs mit dem Thema ‚Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit‘ (s. I, 594). Nicht nur Rankes Geschichtsanschauung als solche, so deutete man daraufhin, sei als ‚Geschichtsreligion‘ konzipiert, auch sein Objektivitätsstreben letztlich geschichtstheologisch ausgerichtet (s. u. a. I, 105-107, 628). Separat und unbemerkt bildeten sich skurrile Widersprüche: Während zeitgenössisch nie, spätestens jedoch seit Sprangers Deutung von 1905, vor allem mehrfach (u. a. 1936) durch Meinecke, von Rankes Panentheismus die Rede war, sieht man ihn andererseits als frommen lutherischen Christen, als „wahrhaft protestantisch“, jedoch sei „sein Protestantismus nicht mehr das echte alte Luthertum“ gewesen, „un- 639 -

I/2.5.5.1 Seit dem II. Weltkrieg - Historie und Religion

orthodox“ seine lutherische Frömmigkeit, „unvereinbar“ gar sein „idealistisches Christentumsverständnis mit dem evangelisch-reformatorischen Glauben“. Einerseits soll ihn seine „Frömmigkeit“, ja, genauer seine dann doch wieder „lutherisch gebundene Gläubigkeit“, zur Geschichte geführt haben, andererseits sei seine „Wendung zum Historismus ... aus innerer Neigung heraus vom Stofflichen her verursacht worden“, doch glaubte man im Zusammenhang mit seinem Erstlingswerk auch eine voraufgehende Entwicklung vom „Überpolitisch-Religiösen zum Religiös-Politischen“ vermerken zu können, während doch von realistischerer Seite in Rankes früher Entwicklung unter Fortfall des Religiösen ein „Dreisprung vom Klassischen Philologen über’s Historisch-Kritische zum Politischen“ erkannt wurde. Widersprüche dieser krassen Art entstehen häufig durch eine in der Ranke-Literatur überhaupt grassierende unbiographische und damit in der Regel ungenetische Betrachtungsweise, welche, wie nicht oft genug betont werden kann, Äußerungen dieses oder jenes, vor allem des jugendlichen Lebensalters verallgemeinern. R e l i g i o s i t ä t u n d G e s c h i c h t s a n s c h a u u n g (I/2.5.5.1) Auch der schweizer protestantische Theologe Karl Barth (1886-1968) bezog sich in seiner in den Jahren 1945 bis 1970 erschienenen einflußreichen fünfbändigen (in 14 Teilen) ‚Kirchlichen Dogmatik‘ wieder einmal auf das Wort von der Epochen-Unmittelbarkeit. Rankes Urenkel, der Theologe und Historiker Gisbert Bäcker von Ranke, zeigte sodann, daß Barth in seiner Deutung - „Es ist der Sinn auch der ganzen Weltgeschichte als solcher unmittelbar zu Gott ... Es ist die ganze Weltgeschichte ... gerade nicht ‚Weltgeschichte‘, sondern Geschichte Israels und Kirchengeschichte“ - einen von Ranke nicht gewollten Sinn beilegt hatte. Zumal die Unterstellung Barths, Rankes unbestimmter ‚Gott‘ könne „nur den Charakter eines Symbols für das Unbekannte“ besitzen (II,1/1946, 704f.; s. auch I,2/1945, 631f.) und sei deshalb mit der „Vorstellung eines ‚Sinnes‘ nur illegitim“ zu verbinden, von Bäcker-von Ranke mit Recht als überzogen und lediglich als Stütze des Barthschen „Gedankengebäudes“ zurückgewiesen werden konnte (Bäcker-von Ranke/1952, 87f.). Gegenüber Barth, wie auch gegenüber seinem berechtigten Kritiker, bleibt allerdings festzustellen, daß in Rankes Diktum und in dessen Zusammenhang von ‚Sinn‘ keineswegs die Rede ist, vielmehr von „Wert“, „besonderer Tendenz“ und „eigenem Ideal“ einer Epoche. Zudem dürfte die von Barth wie von Ranke selbst übersehene eigentliche theologische Problematik eher in den nicht recht unmittelbarkeitsfähigen Epochen eines zürnend-strafenden bzw. sich abwendenden alttestamentlichen Gottes liegen, wie überhaupt Rankes Vorstellung nicht in Einklang zu bringen ist mit eschatologischem Verlauf und erlösendem Sinn der christlichen Heilsgeschichte. Eberhard Kessel (s. I, 629ff.), der sich später verdient um die nachlaßbezogene Ranke-Forschung machte, veröffentlichte 1947 - politisch unbelastet - unter dem Titel ‚Rankes Geschichtsauffassung‘ seine im Vorjahr gehaltene Marburger Antrittsvorlesung. Die darin gestellten Fragen nach Rankes Objektivität und zumal nach der Entstehung und „Gültigkeit“ des Historismus werden in den zumeist im Allgemeinen verharrenden Darlegungen allerdings nicht mit Entschiedenheit angegangen. Kessel interessiert vor allem die Entstehung der Geschichtsanschauung Rankes im sogenannten ‚Lutherfragment‘ und in der ‚Deutschen Geschichte‘. Dabei tritt allerdings als idée fixe die völlig unhaltbare Tendenz auf, im ‚Stofflichen‘ der Geschichte nicht allein eine - 640 -

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causa materialis, sondern zugleich eine mechanisch wirkende causa efficiens der Rankeschen Geschichtsanschauung zu sehen, vertritt Kessel doch folgende selbsterklärend unhaltbare Thesen: Rankes „Wendung zum Historismus“ sei „aus innerer Neigung heraus vom Stofflichen her verursacht worden“ (918), was nicht nur unzutreffend, sondern in sich bereits widersprüchlich ist. Auch zur vorzugsweisen Behandlung der politischen Geschichte sei er durch den „Stoff der Geschichte“ gekommen (922); aus den Quellen stamme auch seine Unparteilichkeit. „Hier nun allerdings“, fügt Kessel hinzu, habe „seine angeborene [!] Neigung zur Gerechtigkeit mit der Forderung der Sache von vornherein“ zusammengestimmt (924). Den Schweizer Neuzeit-Historiker Leonhard von Muralt (1900-1970) „reizte ... weniger die Wirtschafts- und Sozialgeschichte als vielmehr die Staatengeschichte im Sinne Rankes, dem er sich auch in seiner christlichen Grundhaltung verbunden fühlte. Besonderes Interesse widmete er auch erkenntnistheoretischen Fragen nach den Grundlagen seiner Wissenschaft und Problemen des Historismus“ (Bonjour, Edgar: Muralt, Leonhard. In: NDB 18/1997, 605 f.). Ferner gab er 1945 eine Auswahl aus Rankes Werken heraus und regte rankemonographische Dissertationen an (zumindest Harden/ 1953 und Jucker/1954). Über ‚Rankes Geschichtsbild‘ hielt er 1948 einen Vortrag vor der Antiquarischen Gesellschaft Zürich (s. NZZ Nr. 2555 vom 3. 12. 1948) und veröffentlichte 1949 unter dem Titel ‚Zum Problem „Freiheit und Notwendigkeit“ bei Ranke‘ einen literaturlosen Kurzessay, der, vor allem mit rhetorischen Fragen arbeitend, zu dem Ergebnis kam, daß Rankes „Verständnis des Problems der Freiheit und Notwendigkeit, wie des geschichtlichen Geschehens überhaupt, von seinem biblischchristlichen Gottesglauben her begründet“ sei (134) und von einem naturalistischen Determinismus keine Rede sein könne. Überhaupt legte er Wert auf die zugleich selbstdeutende wie Ranke nicht unbedingt Freude bereitende Feststellung, daß dieser protestantischer Historiker gewesen sei (‚War Ranke protestantischer Historiker?‘/1956). Das mit den entsprechenden Nachweisungen anhand der ‚Päpste‘ und der ‚Französischen Geschichte‘ sich sogleich stellende Objektivitätsproblem blieb Muralt allerdings verborgen. Der später durch eine umfangreiche ‚Kirchengeschichte‘ ausgewiesene evangelische Kirchenhistoriker Karl Kupisch (1903-1982) hatte 1949 eine Schrift ‚Von Luther zu Bismarck. Zur Kritik einer historischen Idee‘ vorgelegt. Im selben Jahr veröffentlichte er unter dem Titel ‚Die Hieroglyphe Gottes‘ einen bekannt gewordenen Essay, welcher den nunmehr des öfteren anzutreffenden, nicht unproblematisch angewandten Begriff aus einem Brief Rankes an seinen Bruder Heinrich (Ende März 1820, SW 53/54, 88ff.) gewonnen hatte. Kupisch bot eine beachtenswerte, wenn auch mit allzu geringer Distanz und Konsequenz gestellte Betrachtung der Religiosität Rankes aufgrund einzelner bekannter Äußerungen aus Korrespondenz und Diaristik, die trotz einiger Umsicht doch in die übliche Betonung der für Rankes Geschichtsschreibung nicht im vollen Umfang gültigen Jugendsituation verfiel und dabei ein gut Teil (u. a. Onckenscher) plakativer Spekulation enthielt: z. B. „diese lutherisch gebundene Gläubigkeit ... war überhaupt das Urmotiv seines historischen Arbeitens“ (184), seine „ihm Herzenssache seiende Frömmigkeit … das eigentliche Zentrum“ (182). Doch selbst Kupisch sieht sich genötigt, hinsichtlich Rankescher Erkenntnis Gottes in der Geschichte von „entsagender Behutsamkeit“ zu sprechen (186). Bezeichnend für die nicht nur bei Meinecke gewonnenen Harmonisierungstendenzen sind Kupischs unerträgliche Urteile über Rankes „Geschichtsbild“: „…es war eine Teleologie ohne Telos“ (195) - 641 -

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und: „Kausalitäten … göttlicher Provenienz, wenn auch menschlichen Antriebs“ (ebd.). Das unsägliche Wort von der ‚Teleologie ohne Telos‘ entstammt übrigens bereits der Dissertation von Masur (1926, 105). - Der Artikel ist nicht identisch mit dem RankeAbschnitt in Kupischs gleichnamigem Werk von 1967, das - nach seinem RankeArtikel in ‚Die Religion in Geschichte und Gegenwart‘ von 1961 - eine Gesamtbetrachtung unternimmt, welche Züge des äußeren Lebens, der inneren Entwicklung und, in geringem Maße, der Hauptwerke, v. a. der ‚Päpste‘ und der ‚Deutschen Geschichte‘, vereint. Es überwiegt das Interesse an Rankes Religiosität, seinem lutherischen Erbe und seiner Anschauung vom Staat, wobei auch das Verhältnis zu Bismarck betrachtet wird. Der neuerliche Beitrag verrät nicht nur eine gewachsene Vertrautheit mit einschlägiger Literatur, sondern auch eine nicht unkritische Sicht der protestantischkonservativen und gouvernementalen Gesinnung Rankes. Die verfehlte Grundthese der Züricher Dissertation von Heinrich Hauser über ‚Leopold von Rankes protestantisches Geschichtsbild‘ aus dem Jahre 1950 liegt in ihrem Titel und spricht sich auch in Sätzen aus wie: Luthers Geist „wurde und blieb der Mittelpunkt für Rankes geistiges Leben“ (15). Davon kann spätestens in den Zeiten seines preußisch-deutschen Spätwerks und der ‚Weltgeschichte‘ nicht die Rede sein. „Die Erkenntnis der Wahrheit wird identisch mit der Erkenntnis Gottes in seinem Wort“ (37). - Hauser verkennt, daß neben protestantischen Elementen im Geschichtsbild Rankes andere auftreten, die man besser nur ‚christlich‘ nennt und wiederum solche, die zwar religiös, aber nicht im engeren Sinne christlich oder gar differenziert protestantisch genannt werden können. Klaus Helberg betonte (1955, 93, A. 69) mit Recht, daß der Verfasser hier mit einer seinen Ansichten entgegenkommenden verkürzten Quellenbasis gearbeitet habe. - Die im selben Jahr erschienene Arbeit von Aira Kemiläinen, ‚Leopold von Ranken käsitys länsimaisesta kristikunnasta‘ [Leopold von Rankes Auffassung der abendländischen Christenheit], war nicht zugänglich. - Zu dieser Zeit erschien auch die von Ulrich Noack angeregte Dissertation ‚Die Einheit des christlichen Abendlandes als Leitidee in der Geschichtsschreibung Leopold von Rankes‘ aus der Feder von Ursel Wolandt. Zum Thema steuerte sie den Satz bei: „Ranke ist wahrhaft protestantisch“ (13. Weiteres s. I, 575). - Darauf lief auch eine Bemerkung von Fritz Fischer (1908-1999) hinaus. Er hatte sein aufsehenerregendes Werk von 1961 über den ‚Griff nach der Weltmacht. Die Kriegszielpolitik des kaiserlichen Deutschland 1914-1918‘ noch nicht verfaßt, als er 1951 einen Beitrag zur ‚Historischen Zeitschrift‘ mit dem Titel ‚Der deutsche Protestantismus und die Politik im 19. Jahrhundert‘ vorlegte, eine von Rankes Religiosität ausgehende allgemeine Charakteristik, in der er schlagwortartig betonte, Rankes ganzes Lebenswerk sei „ein politisches Bekenntnis zu der Staatenwelt, wie sie geworden war ...“ (479), und seine Interpretation der preußischen Geschichte sei kursächsisch-österreichisch, d. h. aber lutherisch gewesen (493), was eher irritierend ist. Von völlig anderer Art und sehr weitreichend war der spekulative Ansatz des Politikwissenschaftlers Arnold Bergstraesser (1896-1964) in seinem Beitrag ‚Religiöse Motive des universalgeschichtlichen Denkens‘ zur Rothfels-Festschrift von 1951. Er hielt - nicht unberechtigt - Rankes Glaube für „eine tragende Bedingung seines Forschens“, allerdings, wie er mit geringerer Berechtigung annahm, „in der Form der Erwartung einer endlichen Erhellung des Gesamtsinnes der Geschichte aus ihrem Gesamtbild“. Ranke zeigte diese Erwartung nicht. Er akzeptierte das Geheimnis ihres unbekannten Sinns (s. WuN II/1971, 67). Bergstraesser fährt fort: „... andererseits sind - 642 -

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Rankes Ideen Ordnungsprinzipien, die dem historischen Stoff selbst innewohnen ... Durch diese Bindung an den historischen Verlauf büßt freilich Rankes Glaube die innere Spannung und dialektische Artikulation ein“ (332f.; s. auch 326), - eine Charakteristik, der man sonst nicht begegnet und die eine unzutreffende, wohl am christlichen ordo-Begriff orientierte Deutung der Rankeschen ‚Ideen‘ beinhaltet, die vielmehr überwiegend als Elemente der Dynamis zu verstehen sind (s. WG III,1/165: „... Ideen zu erforschen, welche durch ihre Macht die allgemeinen Bewegungen veranlassen ...“). Nicht aus literarischer, sondern aus moralischer Perspektive betrachtete Gerhard Frick den handelnden Menschen in Rankes Geschichtsbild. In seiner Züricher Dissertation von 1953 stellte er die Frage „nach dem Wirken Gottes (teleolog. Notwendigkeit = göttl. Bestimmung), nach dem Allgemeinen, nach den allgemeinen Tendenzen in der Geschichte“ als Voraussetzung für die Betrachtung der Persönlichkeit in Rankes Geschichtsbild und gelangte zu dem Ergebnis: „In der Erkenntnis von der durchgängigen Bezogenheit des Menschen auf die moralische Weltordnung finden wir ... den Zugang zu allen Personen, die Ranke schildert.“ (191) Der Hochschätzung der Persönlichkeit entspricht auf der anderen Seite die Fricksche Hauptthese, Rankes ‚Ideenlehre‘ sei bedeutungslos, da sie nur eine Verallgemeinerung der empirisch gefundenen Einzelfakten darstelle. Letzteres wurde v. a. von Helberg (1955, 90ff.) diskutiert. Auf die Überanstrengung der These von der „Verantwortung des handelnden Einzelmenschen vor Gott als Grundelement in Rankes Geschichtsauffassung“ wurde bereits von Vierhaus/Soziale Welt (1957), 17, A. 38 zu Recht hingewiesen. Zu Frick kann auch eine Besprechung von Eberhard Kessel beigezogen werden (Kessel/1957). Ähnlich weitreichend gestaltete sich die Spekulation des bereits betrachteten Wiener Philosophen Erich Heintel, der sich 1960 über das Thema des ‚eigentlich gewesen‘ hatte äußern wollen (s. I, 620f.). 1963 lieferte er in den Hegel-Studien eine verspätete Besprechung der bedeutenden Dissertation von Ernst Schulin (s. I, 630f.) über ‚Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke‘. Dabei verstieg er sich zu der ebenso maßlosen wie in ihrer Schuldzuweisung nicht nachvollziehbaren dramatischen These: „Rankes unvermittelt bleibende Bindung an die Welt des abendländischen Christentums mußte in der Weiterentwicklung für die Historie deshalb so gefährlich werden, weil mit dem Traditionsbruch auf diese Unvermitteltheit der nicht explizit gemachten Bindung die bloße Leere und das Leiden an der Zeit folgen mußten.“ (352). Hier stellt sich die Frage, ob einer „unvermittelt bleibenden“ und „nicht explizit gemachten Bindung“ überhaupt eine Wirkung zuzutrauen ist. Der emigrierte deutsch-jüdische emeritierte Professor der Yale University, Peter Gay (geb. 1923 als Peter Fröhlich), hielt 1974 in seinem Werk ‚Style in history‘ ein Kapitel ‚Ranke. The respectful critic‘ (57-94) bereit, in dem er, über stilistische Betrachtungen (s. I, 667) hinausgehend, auch Blicke warf auf die Themen ‚Politik‘, ‚Philosophie‘ und vor allem ‚Religion‘. Religion sei für Ranke mehr gewesen als ein Motiv historischer Arbeit, sondern auch ein Schlüssel zur Geschichte (84). Gleichwohl sei politische Macht, für ihn selten problematisch, in seiner Sicht das Hauptagens der Weltgeschichte gewesen (87f.). Seine Philosophie habe ihn dazu verführt, das Unvergebbare zu vergeben. Doch schädlicher als sein unterlassenes Urteil sei die hinter dem Schirm wissenschaftlicher Objektivität liegende bestimmte politische Bevorzugung gewesen, wie sie sich in seiner Vorliebe für die preußische Monarchie geäußert habe: „in Ranke’s scheme, Bismarck was obviously more immediate to God than Bebel“. - 643 -

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Gay hält dafür, daß Rankes Frömmigkeit ihn in diese Richtung gezwungen habe (91), wie auch ‚Stil‘ für Ranke eine Form von Gebet gewesen sei (94). Gays Essay ist zwar allzu sehr gestützt auf Selbstzeugnisse der frühen, vorpublizistischen Jahre und auf tagebuchartige Aufzeichnungen, bringt jedoch, abgesehen von der übertriebenen Frömmigkeitsperspektive, eine zum Teil treffende Zeichnung von Rankes Persönlichkeit. Bei Walther Peter Fuchs verfügte Ranke über eine besonders entstandene und besonders wirkende Frömmigkeit. In einem Jubiläumsbeitrag zur ‚Frankfurter Allgemeinen Zeitung‘ vom 24. Mai. 1986 mit dem Titel einer Ranke-Briefstelle von 1820, ‚In aller Geschichte ist Gott zu erkennen‘, warf Fuchs einen trotz des ‚Wachsens‘ ungenetischen Blick auf Rankes Geschichtsanschauung. In ihr sah er „nicht die Philosophie, wohl aber ... seine natürlich gewachsene Frömmigkeit“, die ihn zur Geschichte geführt habe, - eine simplifizierende biologistische Metapher, denn Frömmigkeit bildet sich nicht in dieser endogenen Weise. Die erste, auf Handschriften Rankes gestützte Untersuchung der Religiosität des jungen Ranke war bereits im Kapitel einer Dissertation von 1968 (Henz, 187-204) angestellt worden. Über ‚Rankes Bedeutung für eine pädagogische Geschichtsbetrachtung‘ schrieb 1956 der Katholik und spätere Bonner Pädagogik-Professor Heinrich Kanz. Er sammelte in dieser die einschlägige Forschung beiseitelassenden und von dieser wiederum beiseitegelassenen Miszelle einige theoretische Äußerungen Rankes und beabsichtigte, „in einer Zusammenfassung Rankes Auffassung vom Sinn der Geschichtsbemühung [sic!] und damit ins Praktische umgesetzt vom Ziel der Geschichtsbildung in einer losen Form“ darzustellen (10). Kanz gelangte in religiös gesteuerter Karriere-Hybris zu dem Ergebnis: „Für den Geschichtsforscher und -lehrer und -studenten ist es nach Ranke die tiefste Rechtfertigung seines Tuns ... sich in kühnem Paradox über die Geschichte der Menschheit in der Zeit hinauszuschwingen ... um sich als Ebenbild der Gottheit, als Teilhaber ihres Wissens erkennend und wertend zu erweisen“ (16). Während, wie bereits bemerkt (s. I, 611), Ernst Schulin in Rankes Erstlingswerk das Ergebnis eines erheblichen Konzeptionswandels vom Überpolitisch-Religiösen zum Religiös-Politischen - unter Beachtung des literarischen und künstlerischen Lebens schließlich zum vorwiegend Politischen glaubte entdeckt zu haben, sahen dies Michael Salewski und auch Wolfgang Hardtwig als Vertreter einer Ranke theologisierenden Richtung doch ganz anders. Der mehrfach herangezogene langjährige Vorsitzende der Ranke-Gesellschaft, Michael Salewski, hat sich stets nur beiläufig und essayistisch über Ranke geäußert. In einem Artikel der ‚Zeit‘ (23. 5. 1986) zu Rankes 100. Todestag, bezeichnend betitelt ‚Gottes Finger in der Geschichte. Vor hundert Jahren starb Leopold von Ranke, der „Historiograph des Preußischen Staates“‘ überschätzte er in traditioneller Weise die Bedeutung einiger geschichtstheologischer Sentenzen der Frühzeit Rankes für dessen spätere Geschichtsschreibung und unterschätzte das Erleben der beflügelnden Gründung des deutschen Kaiserreichs für Rankes historisch-politisches Denken. Nicht allein aus diesem Grund glaubte Ranke nicht, in einer „Endzeit“ zu leben, wie Salewski dramatisch und gänzlich abwegig mutmaßte. Schon Rankes unteleologische Auffassung von der Unmittelbarkeit einer jeden Epoche zu Gott deutet auf einen horizontalen und unbegrenzten Verlauf hin. Auch sprach er in demselben Vortrag vor Maximilian II. von der Menschheit, der eine „unendliche Mannigfaltigkeit von Entwickelungen“ innewohne. - 644 -

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Alfred Dünisch war Rankes ‚Gott‘ noch als „persönlicher absolut gegenwärtig, ein durchaus richtender Gott, Herr über die Geschichte“ erschienen, „nicht als der reflektierende Gott des Erasmus, sondern der strenge, unberechenbare Luthers“ (Dünisch/ 1989, 108). - Ein bereits herangezogener Aufsatz Wolfgang Hardtwigs zur ‚Historischen Zeitschrift‘ von 1991 trägt den Titel ‚Geschichtsreligion - Wissenschaft als Arbeit - Objektivität. Der Historismus in neuer Sicht‘. Im Mittelpunkt steht die These des „geschichtsreligiösen Charakters des deutschen Historismus“ (2), vom frühen 19. bis in die Anfänge des 20. Jahrhunderts reichend, mit dessen Tradition erst Max Weber „endgültig“ gebrochen habe. Ranke-Texte aus der Edition der Historischen Kommission (WuN), ältere (Fester, Simon u. a.) und neuere Untersuchungen zu Rankes geschichtstheoretischen Ansätzen, i. b. der sogenannten ‚Ideenlehre‘ (wie Backs, Zemlin, Baur) konnten in dieser „auf eine geschichtstheoretisch praktikable [!] Argumentationsebene“ (2) hinuntergeführten allgemeinen Darstellung wohl nicht berücksichtigt werden. Abgesehen von Rankes äußerst schwer deutbarer, in jedem Fall genetisch zu betrachtender ‚persönlicher‘ Religiosität hätte sich wieder einmal die Frage stellen sollen, wieweit seine einschlägigen, allerdings nur gelegentlich geäußerten religiösen bzw. religionsbezogenen Gedankensplitter und Sentenzen in seiner Geschichtsschreibung darstellerisch zum Tragen kommen, beispielsweise in seinem preußischdeutschen Spätwerk. Der Nachweis eines generell, also personell massenhaft vertretenen „geschichtsreligiösen Charakters des deutschen Historismus“ mit struktureller Wirkung dürfte in der praktischen Historiographie kaum gelingen. Wesentlich stärker ausgebildet ist eine geschichtsreligiöse Haltung bei minder bedeutenden, dafür stark konfessionell geprägten Historikern wie etwa Görres, Hurter, Döllinger oder Janssen. Hier sollte man sich an ein Wort Theodor Schieders erinnern, der Rankes Position realistisch so beschrieb: „Sie versteht die Geschichte als eine der Transzendenz entkleidete Macht der Legitimität“. (Schieder 1957/1970, 189). - Auch Ranke selbst äußerte in seiner ‚Weltgeschichte‘: „Der Historiker kann von dem eigentlich Religiösen abstrahiren; er hat nur die Ideen zu erforschen, welche durch ihre Macht die allgemeinen Bewegungen veranlassen...“ (WG III,1/165). Entsprechend seiner Sicht einer geschichtsreligiös geprägten Geschichtwissenschaft gelangte Wolfgang Hardtwig in seinem Beitrag von 1991 dazu, Rankes Objektivitätspostulat als „metaphysisch“ (32) gegründet aufzufassen (s. I, 628). Es habe darauf abgezielt, „für die Historie den Status einer selbständigen Wissenschaft außerhalb politischer Interessen zu proklamieren und auch praktisch-institutionell durchzusetzen“, aber zugleich, entsprechend einer Vorlesung Rankes über Universalgeschichte, „geschichtsreligiös das Ziel“ artikuliert, „‚in jeder Existenz ein Unendliches‘, in ‚jedem Zustand, jedem Wesen ein Ewiges, aus Gott kommendes‘ zu erkennen“ (28). - In einem am 14. 12. 1995 an der Humboldt Universität Berlin aus Anlaß des 200. Geburtstages Rankes gehaltenen, 1996 und 1997 unter dem Titel ‚Historismus als ästhetische Geschichtsschreibung: Leopold von Ranke‘ erschienenen Vortrag Hardtwigs stellte sich, wie bereits vermerkt, seine problematische Grund-These vom „geschichtsreligiösen Charakter des deutschen Historismus“ völlig überzogen auch in Gestalt eines nicht allein metaphysischen, sondern geradezu „geschichtsreligiösen Objektivitätspostulats“ Rankes dar. - Sehr nah standen dieser Konzeption die inhaltlich angepaßten Artikel zweier theologischer Handwörterbücher. Ulrich Muhlack sah in seinem Ranke-Artikel des ‚Lexikons für Theologie und Kirche‘ im „Hintergrund“ von Rankes Geschichtsanschauung „ein rel. Geschichtsverständnis, das unorthodoxe luth. Frömmigkeit mit romantisch-idealist. Motiven verbindet: der Glaube an die Immanenz Gottes in der Welt.“ (VIII/1999, 828). Ferner sei Rankes Objek- 645 -

I/2.5.5.2 Seit dem II. Weltkrieg - Historie und Religion

tivitätspostulat „letztlich religiös begründet“ (ebd.). Muhlack wandte sich der religiösen Thematik noch 2013 zu mit einem Beitrag ‚Die Brüder Leopold und Heinrich Ranke im Spannungsfeld von evangelischer Erweckung und historischem Denken‘, der wiederum überwiegend der Frühzeit beider gilt. - Gangolf Hübinger glaubte in seinem Ranke-Artikel des Handwörterbuchs ‚Religion in Geschichte und Gegenwart‘, Geschichte sei für Ranke „durch enge Verbindung von Transzendenz und Immanenz als Geschichtsrel[igion] konzipiert“, für die er den Begriff des ‚Real-Geistigen‘“ geprägt habe“ (Bd. VII/42004, 35f.). Indes ist das ‚Real-Geistige‘ im Verständnis Rankes kein religiöser Begriff, sondern ein sehr allgemeiner erkenntnistheoretischer bzw. ontologischer. - Sehr weitgehend gestaltete sich auch die Deutung des bereits herangezogenen US-Amerikaners David Aaron Jeremy Telman. Er hatte in seiner Dissertation die religiösen Gründe der ‚Feindschaft‘ Rankes gegenüber der Geschichtsphilosophie betont (s. I, 605). - John Edward Toews, bereits im Zusammenhang mit der Erörterung von Rankes Staatsbegriff beachtet, befaßte sich in seinem 2004 erschienenenWerk: ‚Becoming Historical. Cultural Reformation and Public Memory in Early NineteenthCentury Berlin‘ in genetischer Betrachtung auch mit Rankes Religiosität, die er in einer Entwicklung vom Jugendpantheismus hin zur Theologie eines persönlichen, transzendenten Gottes begriffen sieht (399). Hier bleibt wiederum zu ergänzen, daß Ranke in seinen Vorträgen vor Maximilian II. von 1854 die „pantheistische Idee“ als „die aberwitzigste von allen“ bezeichnete (WuN II, 66, Stenogr.). - Allan Megill, 1994 Herausgeber eines Bandes ‚Rethinking Objectivity‘ (Durham., N.C.: Duke Univ. Press), veröffentlichte 2007 als an der Universität von Virginia tätiger Historiker sein ebenfalls in russischer und chinesischer Sprache vorliegendes Werk ‚Historical knowledge, historical error. A contemporary guide to practice‘. Ranke widmete er sich besonders in einem Kapitel „‚Grand Narrative‘ and the discipline of history“ (165187). Anders als Toews, in verbreitet ungenetischer Weise ausgehend von einigen Theorie-Äußerungen Rankes aus verschiedenen Jahrzehnten, wobei ein früher Brief an den exzessiv religiösen Bruder Heinrich (Ende März 1820, SW 53/54, 88ff.) keine entscheidende Rolle hätte spielen sollen, stellt Megill ein undifferenziertes Bild vor: „Ranke’s justification for continuing to believe in the reality of a single History even in the absence of its present telling was religious. God created the world and oversees everything in it, one God creating one History.“ (173). Megill sieht darin auch eine deutliche Kontinuität zwischen Ranke und früheren, christlichen Auffassungen der Universalgeschichte (173). Die beiläufige Deutung, Rankes „investigation of the particular“ beschwöre das, was Historiker heutzutage ‚micro-history‘ nennen (172), ist abwegig. Denn während diese, selbst bei gelegentlichen Makro-Ausblicken, doch stets beim Einzelnen verbleibt, ist die Betrachtung des Besonderen bei Ranke lediglich der erste Schritt eines ins Allgemeine gerichteten Erkenntnisbemühens. L u t h e r u n d ‚ L u t h e r f r a g m e n t ‘ (I/2.5.5.2) Wie Rankes Berchtesgadener Vorträge vor Maximilian II. von 1854 in nicht authentischer Gestalt ediert und interpretiert wurden, so ist auch das sogenannte ‚Lutherfragment‘ als solches eine editorische Fiktion. Die unter diesem Namen zusammengefaßten Hefte bzw. Heftteile müssen mit der weitaus reicheren und noch früher einsetzenden Überlieferung im Zusammenhang betrachtet werden (s. WuN I u. III sowie Henz/1968: Leopold Ranke. Handschriften 1808–1814). In der Nachkriegszeit hat sich zunächst Ilse Mayer-Kulenkampff in einem auf ihre Dissertation von 1943 - 646 -

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zurückgehenden, 1951 erschienenen literaturdistanzierten, aber immer noch zu beachtenden Aufsatz mit dem Titel ‚Rankes Lutherverhältnis, dargestellt nach dem Lutherfragment von 1817‘ mit der Thematik befaßt. Sie machte bereits den realistischen Vorschlag, das Edierte als „Tagebücher Rankes aus den Jahren 1816 und 1817 mit Vorarbeiten zu einer Lutherdarstellung“ zu bezeichnen. In den Texten glaubte sie ein „eigenartig doppelgesichtiges“ Bild des Reformators zu erkennen, zwar „gekennzeichnet durch den Grundton warmer Verehrung, jedoch für einen Luther, der nur in der Umdeutung zu einem homo religiosus idealistischer Prägung begriffen werden kann“. Ranke habe nicht vermocht, „eine grundsätzliche Einsicht in die Wesensverschiedenheit zwischen dem Reformator und sich, zwischen der geistigen Grundstruktur seiner Zeit und der des Reformationszeitalters zu gewinnen.“ (97) Auch sei in seinen Gedanken „über Gott, die Offenbarung, die Religion und Christus ... von einem unmittelbaren Einfluß Luthers nichts zu spüren.“ (80). In Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ erkennt Mayer-Kulenkampff die „Grundzüge von Rankes Lutherverständnis“, wie es sich im ‚Lutherfragment‘ ausspricht, wieder. Ranke sei sich „nicht bewußt“ geworden, daß - nach G. Ritter - „sein Protestantismus nicht mehr das echte alte Luthertum“ gewesen sei. „Das gleiche Urteil“ gelte für „die Kirche seiner Zeit.“ (99). - Eine ähnliche Auffassung vertrat später, dann jedoch alleinstehend, der Ranke-Forscher Walther Peter Fuchs in seinem Beitrag zum ‚Luther-Jahrbuch‘ 1978 mit dem Titel ‚Ranke und Luther‘, in dem er darauf hinwies, daß Rankes hauptsächliche lutherbezogene Texte, das ‚Lutherfragment‘ und die ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, keine Berechtigung für die vielfach unternommene Charakterisierung von „Rankes Denken in seiner Substanz als lutherisch“ darstellten. Ranke habe sich nicht explizit mit Luthers Geschichtsverständnis befaßt (98), und „von seinem Lutherverständnis her“ dürfe man ihn „nicht kurzerhand der protestantischen Tradition der deutschen Geistesgeschichte zurechnen.“ (99). Das dürfte sich u. a. gegen die Ansicht Justus Hashagens gerichtet haben, sofern sie Fuchs bekannt war, der Ranke „vor allem der Geistesgeschichte des Protestantismus“ hatte zurechnen wollen (1937, 56). Georg Peabody Gooch, der sich schon 1910 zu Ranke geäußert hatte, wandte sich 1948 dem „master of us all“ (1948, 266) noch einmal zu mit dem Essay ‚Ranke’s Interpretation of German History‘. Gooch verfügte zweifellos über ausgedehnte Kenntnisse zu Ranke und zur allgemeinen Historiographiegeschichte, doch stört hier deren durchweg unterbliebene Nutzung. Auch mangelt es ihm, wie sich schon in seiner ‚History and historians in the nineteenth century‘ von 1913 zeigte, an ‚Tiefblick‘. Er sieht zwei Gruppen des Deutschland-Bezugs, zum einen die Reichsgeschichte von Maximilian I. bis Wallenstein, zum anderen Rankes preußische Schriften. Dementsprechend greift er zum Thema ‚Deutsche Geschichte‘ bemerkenswerterweise nicht nur auf ‚Lutherfragment‘ und ‚Reformationsgeschichte‘ (1839-47) zurück, sondern auch auf entsprechende Passagen anderer Werke Rankes, so der ‚Päpste‘, ‚Zur deutschen Geschichte‘, ‚Wallenstein‘, ‚Preußische Geschichte‘, ‚Deutsche Mächte und der Fürstenbund‘, ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘, ‚Hardenberg‘, ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘, allerdings überwiegend in referierender Form. In Rankes ‚Lutherfragment‘ sieht er eine grenzenlose Verehrung Luthers vorwalten. Dieser erscheine weder als Rebell noch als Politiker, sondern als Erneuerer und Befreier (211). Rankes ‚Reformationsgeschichte‘ sei mehr als jedes andere seiner Werke „a labour of love and a confession of faith“ (218). Damit war der Objektivitätsanspruch des Werkes gedankenlos infrage gestellt. - 647 -

I/2.5.5.2 Seit dem II. Weltkrieg - Historie und Religion

Carl Hinrichs’ mehrfach herangezogenes Werk ‚Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit‘ aus dem Jahre 1954 (s. v. a. I, 594), in das sein früherer Beitrag über ‚Rankes Lutherfragment von 1817 und der Ursprung seiner universalhistorischen Anschauung‘ von 1950 eingegangen war (s. dazu den Brief Meineckes an Spranger, 27. 3. 1950. Fr. M.: WW VI/1962, 623), ist einer stark symbolistischen und begriffsgeschichtlichen Sicht verhaftet. ‚Lutherfragment‘ und ‚Weltgeschichte‘ werden hier nach ihrem „religiösen Symbolcharakter“ beurteilt (185). Hinrichs befindet sich überhaupt in der Gefahr, einem spekulativen Konstruktivismus zu erliegen, dem sich Geistesgeschichte auf eine mechanistische Abhängigkeiten-Struktur einzelner Literaturstellen und Begriffe reduziert. Auch enthält seine Darstellung Teile, wie etwa den „Offenbarungsbegriff de Wettes“ (135-138), die nicht befriedigend integriert oder hier nur schwach relevant sind. Die generelle Aussage des für Ranke unmittelbar in Betracht kommenden Teils liegt darin, daß dieser „die ersten Grundlagen seiner universalhistorischen Anschauung hauptsächlich in Auseinandersetzung mit dem von Niebuhr repräsentierten Historismus der Romantik und unter Führung von Luther, Fichte und Plotin in seiner Leipziger Studienzeit gelegt“ habe (130). - Auf die Vielfalt überzeugender Einzelbeobachtungen im Bereich der Symbolik (außer Prometheus: v. a. Sonne, Baum, Strom, Phönix) kann hier nur generell hingewiesen werden. Die Einseitigkeit des Werkes liegt gerade in seiner Thematik: Ranke wird weniger als kritischer Historiker in seinem Werk denn als Geschichtstheologe gesehen, wobei überdies dem Jüngling der Greis der ‚Weltgeschichte‘ unvermittelt an die Seite gestellt wird. Das 3. Kapitel handelt in völlig überzogener Weise von „Rankes Theologie der Weltgeschichte“ (161-254). Bemerkenswert ist die auch von Leonhard von Muralt geteilte Ansicht Hinrichs’, daß Rankes „idealistisches Christentumsverständnis mit dem evangelisch-reformatorischen Glauben unvereinbar sei“ (Muralt: War Ranke protestantischer Historiker?/1956, 20). - Unter den Besprechungen überwiegend bedeutender Rezensenten (s. II/9.5, Hinrichs/1954) ist v. a. die von Hans Georg Gadamer (19002002) zu beachten, der in Hinrichs’ starker Orientierung an ‚Symbolen‘ „etwas Akzidentelles in eine Stelle“ gebracht sah, „die ihm nicht zukommt“ (Gadamer/1956). 1956 erschien in der Sammelbiographie ‚Die Großen Deutschen‘ aus Hinrichs’ Feder eine dem populären Zweck in seiner druckraummäßig starken Einschränkung gut entsprechende Skizze von Leben und Werk Rankes, in der allerdings der eine oder andere wichtige Zug fehlt oder zu stark zurücktritt, etwa Rankes akademische und wissenschaftsorganisatorische Tätigkeit, seine politischen Denkschriften u. a., wie denn überhaupt im Gefolge der autobiographischen Diktate Rankes hier wieder die Zeit nach seiner Rückkehr von der ersten italienischen Reise sowohl nach der inneren Entwicklung als auch nach der Außenseite des Lebens hin eine allzu pauschale Behandlung erfährt. Der Beitrag wurde 1964 in die unter dem Titel ‚Preußen als historisches Problem‘ erscheinenden gesammelten Abhandlungen Hinrichs’ aufgenommen (ebenfalls in ‚Genius der Deutschen‘ von 1968). Für die ‚Abhandlungen‘ kann vor allem eine Besprechung von Schieder beigezogen werden (HZ 202/1966, 625ff.). - (Zu Hinrichs’ wertvollem Beitrag von 1958 über ‚Schelling und „der Konflikt der modernen Welt“ in Rankes „Epochen der neueren Geschichte“‘ s. I, 599.) Der führende evangelische Luther-Forscher Heinrich Bornkamm (1901-1977) widmete in seinem 1955 erschienenen Werk ‚Luther im Spiegel der deutschen Geistesgeschichte. Mit ausgewählten Texten von Lessing bis zur Gegenwart‘ ein Kapitel des darstellenden Teils dem Thema ‚Ranke und die Geschichtsschreibung des 19. Jahrhun- 648 -

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derts‘ (37-45), wobei er sich mit dem ‚Lutherfragment‘ befaßte, dessen Analyse durch Hinrichs (1954) er beipflichtete, mit der Einschränkung, Hinrichs habe die Rolle Fr. Schlegels „wohl unterschätzt“ (37). Nach Bornkamm, der dann zu Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ übergeht, übertrifft Ranke „an Kraft der lebendigen Vorstellung ... die Lutherschilderungen der gesamten zeitgenössischen Theologie“ (39). Treffend bemerkt scheint auch die aus Wesen und Werk verständliche Rankesche Überbewertung von Luthers „Lehrzusammenhang mit der alten lateinischen Kirche“ (40). Als Gesamturteil Bornkamms kann gelten, daß mit Rankes Lutherauffassung „der Bann der idealistischen wie der romantischen Problemstellung durchbrochen war, und daß es überhaupt hinter diese Art, Reformationsgeschichte zu treiben, kein Zurück mehr gibt.“ (42). Bornkamm betont jedoch, daß die Probleme selbst damit noch nicht gelöst seien. Bei der folgenden Betrachtung der unterschiedlichen Wirkungen von Rankes Lutherund Reformationsauffassung (u. a. bei I. v. Döllinger, J. Janssen, G. Freytag, J. G. Droysen, Fr. v. Bezold, H. von Treitschke, G. von Below, P. Joachimsen, G. Ritter) tritt Bornkamm selbst unter den Bann seines Satzes: „Der historischen Erforschung Luthers und der Reformation ist durch Rankes Reformationsgeschichte das Maß gesetzt“ (87), eine Auffassung, die in ihrem normativ-restriktiven Charakter nicht hätte aufkommen sollen. - Den Wirkungen von Rankes Luther-Beziehung ging auch eine an der ‚University of North Texas‘ angenommene Dissertation von Anthony Lowell Cook, ‚Luther, Herder, and Ranke. The reformation’s impact on German idealist historiography‘, erschienen 1983, nach. Sie gelangte zu der ungewöhnlichen, spekulativen Ansicht, Ranke sei eine Gestalt der Generation deutscher Idealisten gewesen, welche eine neue Gewißheit gesucht hätten, um die zusammenbrechenden Konzepte der alten Ordnung zu ersetzen. Bei dieser Suche hätten sie auf ihre spirituellen lutherischen Ideale gebaut und diesen zugleich einen kulturhistorischen Ausdruck verliehen: „In an important sense, they transmitted Luther’s goals to the modern cultural world. It was Leopold Ranke’s task to accomplish this in the philosophy and writing of history. With Luther as his source, the power of Ranke’s spiritual conception of history has touched students of history for generations.“ (147). Ernst Schulin stellte hingegen auf einen eher politischen Gesichtspunkt ab. In einem 1997 erschienenen Beitrag ‚Luther und die Reformation‘, der zwei Aufsätze von 1982 und 1985 zusammenfaßte (‚Die Lutherauffassungen in der deutschen Geschichtsschreibung‘ und ‚„... die geschichte und sprüche aller wellt...“‘), wies er einleuchtend darauf hin, daß es Rankes Anliegen im ‚Lutherfragment‘ gewesen sei, anhand von Originaltexten „unhistorischen Aktualisierungen“ des Reformators entgegenzutreten, vor allem der Einseitigkeit, ihn als „politischen Revolutionär zu feiern“ (44), - was sich bereits aus Rankes allgemeiner antirevolutionärer Haltung erklärt. An dem bereits genannten, von der Historiker-Gesellschaft der Deutschen Demokratischen Republik am 3. Dez. 1986 veranstalteten Kolloquium über das Werk Leopold von Rankes beteiligte sich auch der den Themen Reformation, deutscher Bauernkrieg und Universitätsgeschichte verbundene Leipziger Historiker Siegfried Hoyer (geb. 1928) mit einem Beitrag über ‚Rankes ‚Lutherfragment‘ und seine Hinwendung zu historischen Studien‘, eine biographisch angelegte Darstellung unter Benutzung von Schriften aus dem Nachlaß (WuN). Ranke habe sich während seiner Leipziger Studienzeit „politisch vom sächsischen Patrioten ... zum Befürworter Preußens“ gewandelt (Hoyer: Lutherfragment/1987, 56). Davon konnte jedoch erst später die Rede sein, wie u. a. Rankes gegenläufige Bemühungen um eine Anstellung in Bayern zeigen. Am - 649 -

I/2.5.5.3 Seit dem II. Weltkrieg - Historie und Religion

Wirken Luthers sei „erstmals“ „die eigene Beschäftigung mit der Historie“ erfolgt (57), deren Entstehung ebenso mit Rankes Elternhaus und dem 300. Jahrestag des Thesenanschlags in Zusammenhang gebracht wird (58). Ob das ‚Lutherfragment‘ Rankes große Werke vorbereitet habe, beantwortet Hoyer mit dem Hinweis: „Auf jeden Fall geschah dieses bereits durch das intensive Studium der Primärquellen“ (61). „Über die hohe Kunst der Darstellung“ lasse sich am ‚Lutherfragment‘ „nicht befinden“. Bemerkenswert ist Hoyers Betrachtung: „Die tastenden Versuche, mit dem Lutherstoff die Triebkräfte des Geschehens zu erfassen, mögen methodologische Unzulänglichkeiten an sich haben, vor allem führten sie ihren Verfasser aber vor politische Abgründe, denen er in seinen zukünftigen Werken geschickt auszuweichen in der Lage war.“ (61. Siehe ferner Hoyer: Leopold Ranke als Student/1987). Fulvio Tessitore vertrat in seinem 1987 und 1988 erschienenen Beitrag über ‚Rankes »Lutherfragment« und die Idee der Universalgeschichte‘ (s. I, 635) die Auffassung, die „Ansatzpunkte“ für Rankes ‚Weltgeschichte‘ ließen sich bereits „in den dunklen ‚inkohärenten‘, vielfach ‚schwärmerischen‘ philologischen und theologischen Studien der frühen Jahre auffinden, in deren Umfeld das Lutherfragment gehört“ (36), wobei Tessitore vor allem die bereits des öfteren erörterten Beziehungen zu Fichte, nicht jedoch die entsprechende Literatur im Blick hat. Zu Rankes frühen weltgeschichtlichen Plänen liegen übrigens dezidierte Äußerungen von seiner eigenen Seite vor (s. I/1.2). Tessitore gelangt zu der recht hochgegriffenen Erkenntnis: „Es gilt demgemäß zu erkennen, daß die frühe Beschäftigung Rankes mit Luther und der Reformation, m. a. W. der mißlungene, wenn auch später in der Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation in gewisser Weise doch noch verwirklichte Versuch, eine ‚Luthergeschichte‘ zu schreiben, auf dem der philologischen Geschichtsschreibung der Schule Schleiermachers eigentümlichen Zusammenhang der Ethik mit der Geschichte also auf der Setzung der Geschichte als einer sittlichen Wissenschaft beruht.“ (35). - Vielleicht beruhte die inmitten vielfältiger Unternehmungen unversehens aufgekommene und wieder abgelegte Thematik noch mehr auf der Attraktivität des Lutherjahres 1817 für entsprechende publizistische Unternehmungen. Zur Deutung der ‚Päpste‘ und der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ (I/2.5.5.3) Das wissenschaftliche Interesse an Rankes historiographischen Darstellungen - mit Ausnahme des vielfältig bevorzugten Erstlingswerkes - kann sich, wie mehrfach angedeutet, nicht mit dem Interesse messen, das seine theorieorientierten Zeugnisse finden. Unter ersteren jedoch steht seine Reformationsgeschichte mit ihrem nationalen Bezug weit vorne, noch vor dem Papstwerk, obgleich dieses als sein ‚klassisches‘ und populärstes Werk gilt und die weltweit größte Verbreitung gefunden hat. Zu Rankes Papstwerk ist seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht nur ein geringes Literaturaufkommen zu verzeichnen, die Beiträge sind überdies teils von hoher Spezialisiertheit, teils von konzeptioneller Schwäche oder von Knappheit geprägt. Heinrich Lutz schrieb 1959 eine Besprechung ‚Leopold von Ranke e il Papato‘ der im selben Jahr erschienenen italienischen Übersetzung der ‚Päpste‘ aus der Feder von Claudio Cesa nebst einer bemerkenswerten Einleitung von Delio Cantimori (s. auch Cantimori/1971), die Lutz mit einem kurzen qualifizierten Beitrag über die Entstehung des Werkes verband. (Siehe bes. auch I, 655f.). - 650 -

I/2.5.5.3 Seit dem II. Weltkrieg - Historie und Religion

Die (heute nicht mehr im Leihverkehr befindliche) Wiener Dissertation Helmut Buchharts von 1965 mit dem Thema ‚Die Darstellung der Geschichte des Papsttums bei Ranke, zu dessen verschiedenen Schaffensepochen‘ ist in weiten Teilen lediglich eine materialmäßige Vorbereitung des noch zu behandelnden Themas. Dazu paßt nur zu genau, daß die Modifikationen der Papsttums-Anschauung Rankes nicht als eingebettet in den Entwicklungsgang seines allgemeinen Geschichtsdenkens betrachtet werden, daß i. b. nicht beachtet wird, daß diese Wandlungen auch in Zusammenhang mit der Quellenlage und allgemeinen Forschungsgeschichte sowie der zeitgeschichtlichen Si-tuation stehen. Im Jahre 1986 begegnet eine 1953 von Friedrich Baethgen (s. I, 552f.) besorgte Päpste-Ausgabe in Form eines Lizenz-Dünndrucks des Insel-Verlags wieder. Dabei wurde die ursprüngliche Einleitung in fehlgeleitetem Modernisierungstrieb durch ein Vorwort von Walther Peter Fuchs ersetzt, das zu Rankes Frühzeit eine einführende Erzählung bietet, jedoch zu den ‚Päpsten‘ selbst wenig Konkretes vermeldet. Die Darstellung erhält einen falschen Zug durch den Irrtum des Herausgebers, der erste Band sei 1832 erschienen. Hierdurch drängt sich ihm die Vorbereitungszeit des tatsächlich erst 1834 und 1836 erschienenen Werkes auf die Jahre „1827-31“ zusammen (V). Im übrigen wurde auf eine historiographiegeschichtliche Beurteilung verzichtet. Hingegen muß die ersetzte umfangreichere Einleitung aus der Feder Baethgens als vorzüglich bezeichnet werden. Baethgen schildert nicht nur anschaulich die äußere Entstehungsgeschichte des Werkes, sondern - ähnlich einem Beitrag von 1951 (s. I, 660) - auch eindringlich die Entwicklung der Rankeschen Geschichtsanschauung vom sogenannten ‚Lutherfragment‘ über die Frühwerke und die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ bis hin zu den ‚Päpsten‘. Dabei wird dem schwer zu fassenden Verhältnis von Individuum und überindividuellen Mächten, vor allem den leitenden Ideen, besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Freilich fehlt die Kenntnis des später aus dem Nachlaß Edierten. Anläßlich eines wissenschaftlichen Kolloquiums zum hundertjährigen Bestehen des Deutschen Historischen Instituts in Rom im Mai 1988 hielt Horst Fuhrmann (19262011) einen Vortrag über ‚Papstgeschichtsschreibung. Grundlinien und Etappen‘. Der damalige Präsident der MGH befaßte sich hier in gewohnt akkurater Weise mit einzelnen Stimmen der internationalen Rezeption des Rankeschen Papstwerkes. Dabei wies er auf die „Präokkupation“ katholischer Historiker im Urteil über Ranke hin, welche diesen den Ruf eingetragen habe, „sie seien von Dogmen eingeschnürt, zu großen geistigen Leistungen - und so auch auf dem Gebiet der Geschichtsforschung und der Geschichtsschreibung - nicht fähig.“ (Fuhrmann/1989, 152). Fuhrmann widmete sich besonders der Geschichte der 1841 erfolgten (bis 1948 währenden) Indizierung von Rankes ‚Päpsten‘, zu deren damaliger geheimer Begründung er neues vatikanisches Material beibrachte. ‚Generatio praeterit, et generatio advenit. Zeit und Wandel in Rankes Papstgeschichte‘ ist der Titel eines 1994 erschienenen literaturfreien Essays von Patrick Bahners, der in der ihm eigenen frei assoziierenden, literarisch geprägten Weise das Thema und anderes geistvoll apodiktisch umspielt, wobei etwa Rankes ‚Objektivität‘ als „eine polemische protestantische Position“ erscheint (284), eine Aussage, die ihrerseits als Polemik gedeutet werden mag. Der hier gewählte Zusammenhang von ‚Generation‘ und Papsttum in Rankes Werk ist allerdings schon aus biologischen und quantitativ-sukzessorischen Gründen nicht völlig überzeugend. Auch hätte zum Thema - 651 -

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‚Generation‘ Rankes Schlußwort der 2. Auflage seines Erstlingswerkes (GRGV/1874, 322f.) herangezogen werden müssen, in dem er sich ausnahmsweise über die Generationen in der Geschichte äußert. Interessant ist Bahners Betrachtung von zwei Historisierungs-Strategien Rankes: „Individualisierung und Entindividualisierung. Erst macht er die Statthalter Gottes zu Menschen, dann läßt er sie dem ‚gewaltigen und unaufhaltsamen Gang der Dinge‘ unterliegen“ (283). In einem 1999 erschienenen Beitrag Bahners’ über ‚National unification and narrative unity. The case of Ranke’s German History‘ kamen vorwiegend literaturwissenschaftliche Gesichtspunkte zum Tragen (s. I, 670). Ulrich Muhlack sah in einer kurzen Skizze zu ‚Hauptwerken der Geschichtsschreibung‘ (1997) das Papstwerk und die ‚Reformationsgeschichte‘ als „in einem durchgängigen Arbeitsprozess entstanden“ (503). Davon kann, wie Rankes Archivarbeiten sehr genau zeigen, freilich keine Rede sein (s. II/1.1). Seit seinen Frühwerken habe sich, so Muhlack, „in allen wesentlichen Hinsichten ein fundamentaler Wandel vollzogen“, der sich in den beiden Werken manifestiere: „Im Vordergrund steht, dass R. sein historiographisches Generalthema, bes. unter dem Eindruck der franz. Julirevolution von 1830, ganz anders als bisher auf die polit. Grundprobleme seiner Zeit einstellt und damit präzisiert und fixiert.“ (Ebd.). Man darf sagen, er ist ihnen damit näher getreten. Hätte er sich darauf eingestellt, wäre seine Thematik eine andere, vor allem der deutschen Einheit zugewandte gewesen. Die zentrale Gestalt Luthers bleibt bei Muhlack übrigens gänzlich unbeachtet. Auch sind Rankes ‚Päpste‘ nicht nur „etwa zwischen 1838 und 1844 dreimal in franz. Sprache“ herausgekommen, sondern in diesem Zeitraum auch sechsmal in englischer (s. II/9.4). An wichtiger Literatur bleiben v. a. unerwähnt Brandi (1946/47) und Lutz (1986). - Muhlack war ferner mit den angesehenen Kirchenhistorikern Hubert Wolf (geb. 1959) und Dominik Burkhard (geb. 1967) an einer Spezialveröffentlichung beteiligt, die 2003 unter dem Titel ‚Rankes „Päpste“ auf dem Index. Dogma und Historie im Widerstreit‘ erschien. Das auf neuen Bahnen gründlich gearbeitete Werk besteht aus folgenden drei Teilen: A. Der historischen Darstellung des ersten, gescheiterten (bezogen auf PÄPSTE/Haiber 1838), und des - unter Papst Gregor XVI. 1841 - erfolgreichen zweiten Indexverfahrens (bezogen auf PÄPSTE dt. Or.-Ausg.), B. einem Abdruck der zugehörigen Dokumente, v. a. aus dem Archivio della Congregazione per la Dottrina della Fede, Roma: Gutachten des Michele Domenico Zecchinelli, Sondervotum des Antonio de Luca 23. 8. 1838, Gutachten des Augustin Theiner 15. Sept. 1841. - Diesen von Wolf und Burkard erarbeiteten Teilen schließt sich (169-201) als C. ein Beitrag von Muhlack an: ‚Historismus und Katholizismus. Die wissenschaftliche Bedeutung des Indexverfahrens gegen Rankes Papstgeschichte.‘, dem 2001 sein Aufsatz ‚Rankes Päpste auf dem Index und die deutsche Geschichtswissenschaft. Ein Beitrag zur katholischen Geschichtskultur im Deutschland des 19. Jahrhunderts‘ voraufgegangen war. Zu Details: Der bibliographische Text der Übersetzung Haibers - und bei dem Indexverfahren ging es ja um dessen 1. Auflage von 1838 - wurde verwechselt mit dem Text der 2. Ausgabe von 1848. Erst dort heißt es „… continuée jusqu’à nos jours…“. Die Verteidigung Haibers (u. a. in einer in Brüssel erschienenen Parallelausgabe von 1844, ebd. 29-37) gegen den von Ranke stammenden oder zumindest von ihm autorisierten Artikel der ‚Allgemeinen Preußischen Staatszeitung‘ (s. II/1.2.2) scheint den Verfassern nicht bekannt zu sein. Am Anfang der Werkbetrachtungen der Rankeschen Reformationsgeschichte erheben sich 1945 zunächst Detailfragen. - Das Thema ‚Karl V.‘ war 1937 und 1941 - 652 -

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mit Brandis von Justus Hashagen (1940, 123f.) als allzu rankenah beanstandetem zweibändigen Werk ‚Kaiser Karl V. Werden und Schicksal einer Persönlichkeit und eines Weltreiches‘ stark ins Bewußtsein gehoben worden (2 Bde 1937, 1941). Auch Brandis Göttinger Akademie-Abhandlung über ‚Die Entstehung von Leopold von Rankes Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, die er in der unglaublichen Sitzung vom 24. August 1945 vorlegte, hätte das Interesse verstärken können. Allerdings vertrat er darin die in diesen Tagen kaum bewegende Ansicht, mit den Dresdner und Weimarer Archivfunden Rankes (1837), sei „die eigentliche Verschiebung des Themas von der vorwiegenden Staatengeschichte zur vorwiegenden Reformationsgeschichte“ (21) erfolgt. Übrigens zeigte Berg später (1968, 110ff.), daß beide Ansichten zumindest anfechtbar sind. Seitdem entstand keine eigentliche Untersuchung zu Rankes bereits in den 1860er Jahren von Maurenbrecher gelobter, von Onno Klopp (s. o.) beanstandeter Darstellung Karls V., welche sich übrigens in dreien seiner Werke findet, den ‚Fürsten und Völkern‘, den ‚Päpsten‘ und der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘. - Gelegentlichen Betrachtungen begegnet man in der maschinenschriftlichen Dissertation von Fritz Diehl aus dem Jahre 1950, mit dem Titel ‚Die Kaiseridee und die deutsche Politik Karls V. im Lichte der deutschen Geschichtsschreibung seit Ranke‘. Diehl geht aus von Ranke, K. A. Menzel und H. Leo, zwischen denen „in Bezug auf Kaiser Karl ... eine wichtige Übereinstimmung“ erzielt worden sei: „alle drei waren der Auffassung, daß Karl im vollen Sinne des Wortes eine große Persönlichkeit war und sich ein hohes, ideales Ziel gesteckt hatte.“ (135). Die Kaiseridee Karls sei bei Ranke „doch mehr eine ideale, politisch-dynastische als eine religiöse“ (13). In der Beurteilung seiner Deutschlandpolitik seien die drei genannten Historiker jedoch auseinandergegangen. Auch habe Rankes Bild Karls V. seine Fortsetzung in der kleindeutschen, das Leos in der großdeutschen Schule gefunden. In neuerer Zeit vertrete Karl Brandi „in entscheidenden Punkten die Gedankenwelt Rankes“ (137), wohingegen Joseph Lortz Leo nahestehe. - Der Kölner Geschichtsordinarius Peter Rassow (1889-1961) hielt 1958 einen 1960 veröffentlichten Vortrag mit dem Titel ‚Das Bild Karls V. im Wandel der Jahrhunderte‘, entsprechend dem Vortragscharakter sehr allgemein und literaturlos über die Darstellung Karls in den ‚Päpsten‘ und in der ‚Reformationsgeschichte‘. Rassow betont „die Neigung, die Ranke für die Idee verspürte, die Karl V. belebte: die Idee des Kaisertums, die die ganze Christenheit umspannte, ordnend und verteidigend, die die höchste Pflicht des mächtigsten Fürsten ist. Und dies subtile Bild, in großen und kleinen Zügen durchgeführt, bediente sich nun ganz neuer Quellen, zog die bisher verwendeten Quellen nur dort heran, wo sie der schärfsten Kritik standhielten.“ (13). Sodann äußerte er sich noch über die seit Ranke gemachten „großen Fortschritte“ (13ff.). - Auch Ernst Schulin hat in seinem Werk von 1999 mit dem einsichtsvollen Titel, ‚Kaiser Karl V. Geschichte eines übergroßen Wirkungsbereiches‘, Rankes Darstellung nur gestreift (13, 15, 80, 137, 155, 159), ausgehend von der Feststellung: „Der Kaiser mit seiner vermittelnden idealistisch-realistischen Haltung lag ihm, er war - mit Hilfe der Gesandtschaftsberichte - gut beschreibbar in seiner politisch-diplomatischen Tätigkeit; er war übernational und fromm. Also finden wir bei Ranke großartige, differenzierte Charakterisierungen Karls V.“ (13). Ranke habe im Brüsseler Staatsarchiv, „weit über die Bestände des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs hinaus, das wichtigste Material zur Reichspolitik Karls“ entdeckt (ebd.). - Ein kleiner monographischer Beitrag ließ sich zu Rankes ZwingliDarstellung in Bd. III, Abschnitt: ‚Reformation in der Schweiz‘ seiner ‚Deutschen Geschichte‘ finden. Er entstammt der Feder des protestantischen Theologen und Zwingli- 653 -

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Forschers Fritz Schmidt-Clausing (1902-84), der 1974/75 einen Aufsatz über ‚Das Zwingli-Bild Leopold von Rankes‘ verfaßte. Erst Ranke habe „Zwingli dem deutschen Volke vorgestellt und nähergebracht“ (145). Mit seiner ‚Reformationsgeschichte‘ (nicht 1843-1847, sondern 1839-1847 zuerst erschienen) sei Ranke auch „gewissermaßen der Vorläufer, um nicht zu sagen: der Anreger“ der Schweizer Zwingli-Biographien eines Christoffel, Mörikofer, Staehelin, Oskar Farner u. Rudolf Pfister gewesen (ebd). Als „hervorstechendes Merkmal“ Zwinglis erscheine in der Darstellung des „politischen Historikers“ Ranke (151) „Zwinglis politisches Interesse“ (148). 1947 wurde jedoch mit einer Dissertation über ‚Das politische und religiöse Moment in der Geschichtsschreibung Rankes (dargestellt am Versuch einer geschichtsphilosophischen Analyse seiner „Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“)‘ auch ein sehr allgemeiner Ansatz an Rankes Werk herangetragen. Konrad Elsholz unternahm darin, wie bemerkt (s. I, 598), den „Versuch zur Grundlegung eines neuen geschichtsphilosophischen Verständnisses der Historie“ (2). Voraufgegangen in gewisser Weise war ihm 1920 mit geringem Ergebnis die Göttinger Dissertation von Kurt Besser über ‚Rankes Ideenlehre, dargestellt im Anschluss an seine „Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation“ und seine, dieselbe Periode betreffenden Aeusserungen zur „Eigenen Lebensgeschichte“. Der vorwiegend in der Reformationsgeschichte tätige, mit dem Thema Luther und Erasmus besonders befaßte evangelische Theologieprofessor Ernst-Wilhelm Kohls (1931-2001) schrieb in der ‚Neuen Zeitschrift für systematische Theologie und Religionsphilosophie‘ des Jahres 1967 einen Beitrag über das mehrbändige Thema ‚Das Bild der Reformation in der Geisteswissenschaft des 19. Jahrhunderts‘, in dem er neben Hegel und Burckhardt auch Ranke betrachtete. Im Gegensatz zur neuplatonischen Auffassung Hinrichs’ (1954) müssen Humboldt und Ranke in der Auffassung Kohls’ „im Gefälle der aristotelischen Ideenlehre gesehen werden, wie sie notwendig den Gegenpol zur kantisch-platonischen Ideenlehre darstellt ...“ (236). In Rankes Reformationsgeschichte, diesem „großen, ganz und gar sachlich gehaltenen“ und mit „weitestgehender Objektivität“ (240) geschriebenen Werk, seien „die Reformation und die kirchliche Neugründung ... keineswegs die zentrale Mitte des Werkes, sondern die ganze Darstellung“ kreise „um die Polarität von kirchlicher und politischer Geschichte.“ (240). Für Ranke habe die „eigentliche Auseinandersetzung der Reformationszeit“ „im Kampf Luthers gegen die sog. Schwärmer und gegen Zwingli“ gelegen. „Daß sich entscheidend nicht hier, sondern in dem Streit zwischen Erasmus und Luther Kraft und Gegenkraft, griechische und lateinische Theologie begegneten, habe Ranke „nie gesehen“ (242). - Von Kohls’ Ranke-Interesse zeugen weitere Beiträge: 1969 über ‚Leopold von Rankes unfreiwilligen Besuch in Schwabach‘ und 1972 über das Thema ‚Kann ein Autor besser verstanden werden, als er sich selbst verstand? L. v. Ranke, M. Claudius und J. von Eichendorff zur hermeneutischen Frage‘. Letzterer Beitrag entbehrt eines systematischen Aufbaus und klarer bzw. zutreffender Aussagen. Dazu zählt Kohls amüsanter Bildbruch von der „anbrandenden Fortwendung von den Quellen“ (129) oder die Betonung der „Selbstaussagefähigkeit historischer Quellen“ (130f) und die Etikettierung von Rankes Erstling als „Habilitationsschrift“ (128f.). Als Ergebnis ist festzuhalten, daß sich Ranke durch seine Tatsachendarstellung nicht nur von Nietzsche, sondern „zugleich von der gesamten marxistischen und auch von der idealistischen Hermeneutik des 19. und 20. Jahrhunderts“ unterscheide (129). Mit so viel Unterscheidung ist allerdings wenig gewonnen. - Nicht im Leihverkehr befindet sich - 654 -

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die Wiener maschinenschriftliche Dissertation von Ferdinand Hennerbichler aus dem Jahre 1971 mit dem interessanten Titel ‚Untersuchungen über Leopold von Rankes terminologische Konzeption des Begriffs Gegenreformation und ihre Aufnahme bis ins beginnende 20. Jahrhundert‘. Mit Auswirkungen der Rankeschen Reformationsgeschichte auf die konfessionelle und politische Einheit der Nation befaßten sich nur wenige katholische und protestantische Historiker und Publizisten, doch dies in ganz unterschiedlicher Weise. Zu den katholischen Schriftstellern, die sich des Themas ‚Ranke‘ überhaupt annahmen, gehörte der Schriftsteller und Literaturkritiker Curt Hohoff (1913-2010). 1983 schrieb er in der internationalen katholischen Zeitschrift ‚Communio‘ einen anregenden Beitrag über ‚Martin Luther bei Leopold von Ranke‘, in dem er ein Referat der ‚Deutschen Geschichte‘ gab, das im Ganzen zu der scharfen These eines weitreichenden verhängnisvollen Einflusses des Werkes führt. Das Bild, das Ranke von Luther und Karl V. gegeben habe, sei „für die deutsche Bildung bestimmend“ geworden, es sei „in ihr nationales und religiöses Bewußtsein“ eingegangen (544). Ranke habe nicht gesehen, daß in der Reformation „der sakramentale Charakter der Kirche“ verloren gegangen „und an dessen Stelle die persönliche Heilsgewißheit“ getreten sei. Insofern habe Ranke in Luther „den Genius einer spezifisch deutschen Christenheit“ gesehen (550). Dem entspricht die in seinem Werk vorgenommene „Umpolung des Geschichtsdenkens von der Idee des Heiligen Reiches auf den kleindeutschen Nationalstaat unter Führung Preußens“ (554). „Indem Ranke seinen Luther dem Kaiser und der Hierarchie entgegenstellte, hat er die landläufig gewordene Vorstellung der nicht katholischen Deutschen von Papsttum, Rom, katholischer Verstocktheit (und Beschränktheit) [i. T.], vom undeutschen Charakter der Habsburger, von Heiligen und Bilderkult und der römischen, eigentlich heidnischen Volksfrömmigkeit der Katholiken zu allgemeiner Wirkung gebracht, jene allmächtigen Vorurteile, die bis heute virulent sind und das Hemmnis einer Ökumene bilden.“ (554). Einen bedeutenden, über die engere Thematik weit hinausführenden, auffallend klarsichtigen Vortrag mit dem Titel ‚Rankes bayerische Politik. Nationale und weltgeschichtliche Perspektiven‘ hielt vor dem ‚Historischen Kolleg‘ München der besonders durch sein ,mehrauflagiges Werk ‚Reformation und Gegenreformation‘ (zuerst 1979) bekannte Historiker Heinrich Lutz zu Rankes 100. Todestag - in seinem eigenen Todesjahr 1986. Lutz, der immer wieder leitmotivisch ablehnend bewegt war von Rankes tiefgreifender Auffassung des ‚Ursprungs der Spaltung in der Nation‘ (DtG II/1839, 145-181) hatte sich dazu auch in einem Vortrag ‚Die deutsche Nation zu Beginn der Neuzeit. Fragen nach dem Gelingen und Scheitern deutscher Einheit im 16. Jahrhundert‘ (1982, 5) und in einem Beitrag zur Heimpel-Festschrift von 1971 geäußert: ‚„Ursprung der Spaltung in der Nation“. Bemerkungen zu einem Kapitel aus Rankes Reformationsgeschichte‘. Hierin konnte er bei der Beachtung aufschlußreicher Auflagendifferenzen des Werkes wie auch von Unterschieden zwischen ‚Reformationsgeschichte‘ und ‚Päpsten‘ seit deren erstem Erscheinen einen „tieferen und rascheren“ Wandel vermerken, „als man nach dem ausgereiften und wahrhaft irenischen Ductus seiner Darstellung eigentlich“ habe vermuten mögen (149). Die sich anschließende Frage nach der Objektivität wird von Lutz aufgrund der forschungsgeschichtlichen Dimensionen lediglich methodologisch erörtert. - Besonders bemerkenswert in dem oben erwähnten, von Lutz später gehaltenen Vortrag über ‚Rankes bayerische Politik‘ (1986) sind die Betrachtungen zu Rankes Einschätzung des Christentums, in der die - 655 -

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„destruktiven, unchristlichen Kräfte der modernen Welt ... nur durch die Monarchie, durch die ‚Macht von oben‘ eingedämmt und besiegt“ erscheinen. „Das heißt, daß die alte Idee des Bundes von Thron und Altar hier in einer zwar sublimen, kulturell ausgeweiteten Weise dennoch zum Angelpunkt der Weltgeschichte gemacht wird“ (HZFassung/1987, 282), verschärft durch Rankes „kulturprotestantische Ablehnung des Katholizismus seiner Zeit“, verbunden mit der „unauflösbaren Bindung christlich-kultureller Werte“ an ein „nichtkatholisches, von oben regiertes Europa“. (283). Seine Konzeption des Christentums sei „unzugänglich für heutige Nichtchristen, Agnostiker und Christen“ (283). Der bedeutende Reformationshistoriker Thomas A. Brady Jr., Professor an der Universität von Californien in Berkeley, befaßte sich 1997 in einem 1998 veröffentlichten Vortrag im ‚German Historical Institute‘, Washington, mit ‚The Protestant Reformation in German History‘, dem sich ein Kommentar von Heinz Schilling, emeritierter Berliner Frühneuzeit-Historiker, anschloß. Es ging beiden um die Zurückweisung zweier Thesen, zum einen, die Reformation müsse in Begriffen der Entstehung des modernen Nationalstaats beurteilt werden‚ eine von Ranke stark geförderte Interpretation, zum anderen die entgegengesetzte Sicht, derzufolge eine Kontinuität von Luther zu Hitler zu erkennen sei, welche in der Rückschau das Zeitalter der Reformation verdamme (Letzteres nach Detlef Junker im Preface, 5). - Im Jahr 2000 veröffentlichte Brady im Jahrbuch des Münchener ‚Historischen Kollegs‘ einen Beitrag mit dem Titel ‚Ranke, Rom und die Reformation. Leopold von Rankes Entdeckung des Katholizismus‘. Dabei sieht er, mit Distanz und Literaturkenntnis vorgehend, in Rankes Papstgeschichte „den universal-religiösen Moment“ der Dialektik von Universalgeschichte und Nationalgeschichte dargestellt. Die Reformationsgeschichte sollte sodann „die Befreiung der Nationen, und nicht nur der deutschen, vom Papsttum ans Tageslicht bringen“. Insofern wurde die deutsche Reformation bei ihm „eine Bewegung zur nationalen Unabhängigkeit und religiösen Erneuerung“. Indes wird sie durch die Gegenreformation zum Scheitern gebracht, führt diese doch „zu einer nachhaltigen Spaltung der deutschen Nation und dadurch zu einer Aufhebung der universalhistorischen Dialektik von Religion und Nation.“ (54). Die Ursachen des Scheiterns bleiben, so Brady, „bei Ranke in tiefster Dunkelheit“ (55). Solche Probleme klammerte Ernst Schulin rankeverbunden aus. In der affirmativen Sicht seines bereits genannten Beitrags (von 1982/1985/1997), ‚Luther und die Reformation‘, tritt dieser in der ‚Reformationsgeschichte‘ als „politisch konservativer religiöser Reformator zwischen Altgläubigen und Radikalen“ auf, und „die ganze Reformation“ sei von Ranke, wie Schulin allerdings zu Recht betont, „in ihrer gemäßigten Entwicklung bejaht und als Höhepunkt deutscher Geschichte, als Zeitpunkt, in dem hier Weltgeschichte stattfand, begriffen“ worden (Schulin/1997, 45). Der bereits herangezogene englische Reformationshistoriker Arthur Geoffrey Dickens (s. I, 624f.) veröffentlichte 1979/80 einen Aufsatz ‚Ranke as reformation historian‘, den er zunächst 1982 in seine ‚Reformation Studies‘ aufnahm. Hierin betonte er eine gewisse Modernität der ‚Deutschen Geschichte‘, insofern sie vieles über die deutsche Gesellschaft und Kultur des 16. Jahrhunderts mitteile (1982, 568. Die ‚Päpste‘ erschienen übrigens nicht „1834-9“, 567, sondern 1834-1836). Den Beitrag brachte er 1985 teilweise in ein zusammen mit John Tonkin und Kenneth Powell publiziertes populäres Werk mit dem Titel ‚The reformation in historical thought‘ ein. In diesem Abschnitt über ‚New Directions: Ranke and Some Contemporaries‘ (150-175) treten - 656 -

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bei der Betrachtung der ‚Deutschen Geschichte‘ nicht nur plumpe, ohnedies nicht zum Thema gehörende Detailirrtümer auf, u. a.: Ranke stand nicht in „cordial relationship with the archconservative Metternich“ (169), dem er lediglich einmal vorgestellt worden war (s. II/7.2, 1827), und zu Rankes Lebzeiten erschienen nicht neun, sondern sechs Bände seiner ‚Weltgeschichte‘, und diese reichten nicht bis zum 15. Jahrhundert, sondern lediglich bis in die Zeit Ottos d. Gr. u. a. m. Auch ist der allgemeine Befund gelegentlich allzu eintopfartig bis unzutreffend: „he synthesized Lutheranism with Platonism and the humanism of Goethe and Herder“ (168), womit selbst im zutreffenden Fall nichts gewonnen wäre. Dazu gehört ferner die Feststellung, Ranke habe sich befreit von den „fashionable trends“ seiner Jugend, von „religious and patriotic prejudices and revolutionary [!] liberalism, but also from Idealist philosophy and its volatile relative, literary Romanticism.“ (169). Luther erscheine bei Ranke als „reforming Catholic who detested the notion of founding a new Church, an antipapal Catholic ..., an ‚early‘ Catholic“. (171). Verdienstvoll hingegen sind Dickens’ kurze Blicke auf Rankes Behandlung der Reformation in England und der Schweiz sowie seine Hinweise auf die von Ranke benutzten und auch nicht benutzten Quellen und das fragliche Verhältnis zur Literatur (s. I, 70 u. II/527). ‚Die Wahrheit ist nie trostlos. Zu den theologischen Voraussetzungen der Geschichtsschreibung Rankes‘ war der aus Ranke adaptierte, bezeichnend unrealistische Titel eines Beitrags anläßlich des 200. Geburtstages Rankes im Mai 1996 aus der Feder des evangelischen Theologen und Politikers Wolfgang Ullmann (1929-2004). Rankes „nicht mehr konfessionalistische“ ‚Reformationsgeschichte‘, die „nicht von rationalistischen, sondern von universalgeschichtlichen Voraussetzungen“ ausgehe (Ullmann/ 1997, 75), sei „als deutsche Geschichte ... nicht nur das originellste, sondern auch das für uns aktuellste aller Werke Rankes.“ (74). Auch der spätere Ordinarius für Mittlere und Neuere Geschichte, Ernst Walter Zeeden (1916-2011), hatte 1955 in einem Beitrag über ‚Probleme und Aufgaben der Reformationsgeschichtsschreibung‘ Ranke als Begründer der „Tradition neuerer deutscher Reformationsdarstellung“ verschiedentlich gestreift. - Die Überlegenheit des Werkes sieht Ullmann in der „Durchdringung von Kirchengeschichte und politischer Geschichte“ (75). Er bezieht auch Rankes ‚Weltgeschichte‘ in seine Betrachtungen ein. Sie habe mit einer „Grundvoraussetzung“ gebrochen, „die seit der Aufklärung zum Allgemeingut der historischen Wissenschaft geworden war, mit der Überzeugung, Jesus Christus sei keine Gestalt der Weltgeschichte, sondern allenfalls eine der Religion des Christentums.“ (76). Das hatte man bei ihrem Erscheinen nicht mit dieser Entschiedenheit beurteilt. (s. I, 363ff.). Eine Untersuchung zu einem Teilbereich von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ lieferte 1997 Günter Vogler mit dem Beitrag ‚Leopold von Rankes Bild vom Täuferreich zu Münster‘. Von Bedeutung sind dabei auch Feststellungen zu Rankes praktisch geübter ‚Objektivität‘ (s. I, 71). Die im Jahre 2004 erschienene Tübinger evangelisch-theologische Dissertation von Stefan Leonhardt über ‚„Zwei schlechthin unausgleichbare Auffassungen des Mittelpunktes der christlichen Religion“. Ignaz Döllingers Auseinandersetzung mit der Reformation, ihrer Lehre und deren Folgen in seiner ersten Schaffensperiode‘ befaßt sich in einem Kapitel ‚Der Diskurs Döllingers mit Leopold Ranke‘ (109-135) vor allem mit der strittig beurteilten Frage, ob bzw. wie weit Döllingers Werk ‚Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des lutherischen Bekenntnisses‘ (3 Bde, Regensburg 1846-1848) als direkte Gegenschrift zu Rankes ‚Deutscher Ge- 657 -

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schichte im Zeitalter der Reformation‘ anzusehen sei (s. I, 232). Damit verbunden ist eine bemerkenswerte Analyse der „Grundlinien“ von Rankes Verständnis der Reformationsgeschichte (115ff.), im besonderen seiner Deutung der reformatorischen Rechtfertigungslehre. Der evangelische Kirchenhistoriker Friedrich Heyer (1908-2005) wandte sich 1967 lohnend einer ungewöhnlichen Thematik zu, ‚Leopold von Rankes Orthodoxie-Verständnis in seiner Darstellung der „Serbischen Revolution“‘. Für die Untersuchung der Darstellung der serbischen orthodoxen Kirche durch den Protestanten Ranke in seinem zunächst 1829 erschienenen Werk - Hegel hatte die Orthodoxie des Ostens negativ beurteilt - zieht Heyer außer Guglia und Schulin keine Ranke-Literatur heran, nicht einmal Valjavec, kommt gleichwohl zu Ergebnissen, die allerdings nur bedingt tragfähig sind, steht seine Interpretation doch unter dem unverschuldeten Damoklesschwert einer teilweisen Nicht-Autorschaft Rankes an diesem Werk. Soweit die Inspiration durch den orthodoxen Serben Vuk Karadzic bei Ranke reiche, der allerdings ein ‚westlerisch‘ umgedeutetes Bild der Orthodoxie sich gebildet habe, werde „ein Sinn für die geschichtliche Schlüsselstellung der Orthodoxie bei Ranke wach. Die Ergänzungsarbeiten zeigen, daß dieser Sinn später wieder abstirbt.“ (419). Nicht in ihrem eigentlichen Geschäft, Heil zu vermitteln, sei die Orthodoxie Serbiens erfaßt, sondern in dem „politischen Nebeneffekt, daß sie eine Basis zur Nationswerdung abgab.“ (420). Damit in Zusammenhang steht, daß Ranke, „wenn er dem Geschichtsprozeß einen Sinn zuspricht, den Akzent von der Religion weg auf den sich anbahnenden Triumph des okzidentalen Genius versetzt.“ (Ebd.). Die bedeutendste Wirkung des Werkes zu seiner Zeit sei gewesen, „daß es den Serben selbst zu ihrer Eigendeutung verhalf“ (421), eine Bedeutung, die noch immer anhalte: „Vermöge des Rankeschen Werkes bleibt sich die serbische Öffentlichkeit, die unter dem Einfluß der kommunistischen Partei steht, der Bewährung ihrer orthodoxen Kirche in der entscheidungsvollsten Periode der serbischen Geschichte bewußt.“ (Ebd.).

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6. Kapitel (I/2.5.6) DIE LITERATURWISSENSCHAFTLICHE UND ÄSTHETISCHE PERSPEKTIVE Nicht nur in der literarisch-ästhetischen Betrachtung seines Werkes ist in der Zeit seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges eine Zäsur eingetreten, sondern zugleich in der Gesamtgeschichte der Beschäftigung mit Ranke. In den 1970er Jahren wird eine bis dahin vorwiegend von Historikern wahrgenommene traditionelle, literarisch vor- oder frühwissenschaftliche Beurteilung von einer literaturwissenschaftlich-ästhetisch differenzierten, im besonderen narratologischen geschieden bzw. abgelöst. Dabei werden nicht nur bislang unbeachtete literarische Phänomene sichtbar gemacht, sondern auch das im Zusammenhang mit Arbeiten von Peter Hanns Reill seit 1975 revidiert und verstärkt beachtete Verhältnis zur Aufklärungshistorie einerseits (s. I, 591) und zur „goethezeitlichen“ Ästhetik andererseits in den Blick genommen. Obgleich sich in der Ranke-Interpretation strukturalistische und postmodernistische Einstellungen mit besonderer Detailexemplifizierung bisher kaum bemerkbar machen, scheint sich doch eine Entwicklung abzuzeichnen, in welcher der Geschichts- oder Geschichten-Erzähler Ranke nicht nur als Forscher, sondern überhaupt als Historiker verloren zu gehen droht, gemeinsam mit der Geschichtswissenschaft als selbständiger Größe. Es wird die Gefahr ihrer Degradierung im Sinne eines in einem ahnungslos unreflektierten Produktionsprozeß befindlichen Deutungs-Objekts neuerer Erzähltheorie sichtbar, das aufgrund seiner erzähltechnischen Eigenheiten geeignet ist, überlegen schematisiert und in seinen rhetorisch fiktional geprägten Narrationen als nicht oder nur bedingt wahrheits- und wissenschaftsfähig ‚entlarvt‘ zu werden. Eine literarisch-ästhetische Betrachtung Rankes war, wie bemerkt, nicht neu. Bereits zu seinen Lebzeiten fand man, er sei „wegen seines kritischen Scharfsinns ... nicht so laut gepriesen“ worden, „als wegen dieser Kunst zu zeichnen, zu malen, zu portraitiren.“ (Köppen/1841, 432). Unter den vielen Stimmen (s. I/2.1.3) sei besonders an die Ludwig Häussers erinnert, der bei Ranke auf ein „sehr bedeutend“ vorwaltendes „mächtiges ästhetisches Bewußtsein“ aufmerksam machte: „Aeußere Schönheit des künstlerischen Ganzen wie der kleinsten scheinbar zufälligsten Nuancirung ist ihm von so überwiegender Wichtigkeit, daß sich meistens der Stoff mehr nach der Form bequemen muß, als umgekehrt...“ (Bespr. DtG I-III/(1842) Häusser I/1869, 147). Völlig überspitzt war die Gegenüberstellung Schlossers und Rankes, die Heinrich Kurz in seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur‘ vornahm: Schlosser sei „ganz Wahrheit“, Ranke „ganz Kunst“ (Kurz III/1859, 697), und Rudolf Haym sah in seinem Werk ‚Die romantische Schule‘ Ranke „durchaus“ in deren „ästhetischen Ueberlieferungen“ wurzeln (Haym/1870, 850). Schließlich gab Heinrich von Sybel in seiner Gedächtnisrede als „innersten Grund“ der Rankeschen Geschichtsauffassung einen „ästhetischen“ an (HZ 56/1886, 468). Insgesamt bestand zu keiner Zeit ein größeres literarästhetisches Interesse an Ranke als zu seinen Lebzeiten. Jedoch schlossen sich Betrachtungen dieser Art auch auf literarhistorischer Seite - nicht zuletzt aufgrund fehlenden methodologischen Rüstzeugs - noch keine tiefergehenden Untersuchungen an. Gelegentlich widmete man sich mit Blick auf Rankes oft gelobte ‚Porträtierungskunst‘ Fragen der Biographik, so beispielsweise Alfred v. Reumont (1878), Alfred Dove (1895), Max Lenz (1912), Ernst Simon (1928) und der Germanist Paul Requadt (1929), oder der Rolle des - 659 -

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Individuums in seinem Werk, so Ulrich Busse (1933), doch insgesamt traten nach Rankes Tod das philosophische und historisch-politische Interesse derart stark in den Vordergrund, daß für literarästhetische Fragen, die bereits im Streit zwischen Kulturund politischer Historie keine nennenswerte Rolle mehr spielten, auch fürderhin kaum Raum blieb. Dies gilt nicht minder für die Zeit des Nationalsozialismus. Erst nach 1945 erhob sich das alte literarästhetische Interesse aus Rankes Zeit wieder, und dies in vielfältiger Weise. Indes war nahezu alles verloren gegangen, was das 19. Jahrhundert dazu in einfacher, aber durchaus treffender Form beigetragen hatte (s. I/2.1.3). Von mehr episodischer Bedeutung war ein winziger Beitrag Meineckes, den er der 1948 erschienenen Druckfassung seines Vortrags über ‚Ranke und Burckhardt‘ beigab: ‚Ein Wort über Rankes und Burckhardts Sprache‘, der, auf Meineckes GermanistikStudium verweisend und bezeichnenderweise ohne konkrete Beispiele zu nennen, doch eine erste, wenn auch allzu knappe Anregung darstellt, sich dem Thema zu widmen. (Meinecke/1948, 32-35 u. in WW VII/1968, 119-121). - Einige kurze, von Rankes sogenanntem ‚Lutherfragment‘ ausgehende, kriegsunbeeindruckte Beobachtungen zu den verschiedenen Fassungen der Frühwerke (GRGV, FuV I, SerbRev, HPZ) stellte der bedeutende Mediävist Friedrich Baethgen, dem man noch eine 1953 erschienene Ausgabe der ‚Päpste‘ verdankt (s. I, 651), 1951 in einem Beitrag ‚Zur geistigen Entwicklungsgeschichte Rankes in seiner Frühzeit‘ an. Baethgen kam zu dem Ergebnis, „daß der Stil der Rankeschen Geschichtsschreibung, wenn man darunter ihre gedankliche Ausrichtung und ihre innere Haltung versteht, zu Beginn der dreißiger Jahre, nach der Rückkehr aus Italien, seine ihm eigenthümliche Gestalt angenommen“ habe (351). Bedauerlicherweise hat Baethgen u. a. die den verschiedenen Fassungen der Frühwerke Rankes gewidmete Arbeit von Schwarz (1923) nicht benutzt. Anderes ist durch spätere Veröffentlichungen aus Rankes Nachlaß (II/2.3) neu zu überdenken. Baethgen verfolgte mit seinem Beitrag die Nebenabsicht, „den Gedanken einer Fortführung der kritischen Ausgabe lebendig zu erhalten“ (339), deren tiefgreifende Problematik damals nicht bewußt war. Im folgenden Jahr legte Ursula Peiler in Heidelberg über ‚Rankes Kunstform‘ eine Dissertation vor, in der sie an Beispielen formale Hauptzüge der Rankeschen Darstellungsform skizzierte. Sein Formbegriff stehe in der Nähe zum Plotinischen und zur ‚inneren Form‘ des ausgehenden 18. Jahrhunderts, und sein Werk gehöre einerseits der Geschichte der Historiographie, andererseits der Geschichte der Phantasie an und stelle in diesen „im allgemeinen nicht zu vereinbarenden Gegensätzen ... einen Augenblick des Gleichgewichts in der Geschichte des menschlichen Geistes“ dar (Peiler/1952,146). Bei treffenden Einzelbeobachtungen (die jedoch mit Hilfe einer heute kaum noch genießbaren germanistischen Interpretationsterminologie gewonnen wurden), mangelt es der Arbeit unter anderem an einer genetischen Betrachtung Rankescher Darstellungsprinzipien, vor allem aber an der Durchführung der anfangs aufgeworfenen Frage nach dem Verhältnis von Kunstform und Wahrheit. Es wird auch hier wiederum nicht deutlich, daß ästhetische Urteile bezogen auf historiographische Darstellungen unter anderem eine gewisse Kenntnis der darin herangezogenen Quellen und ihrer Möglichkeiten voraussetzen (z. B. hinsichtlich Lokalkolorit, Authentizität direkter und indirekter Rede usw.). Die Dissertation des nachmaligen Schriftstellers und Feuilletonredakteurs der ‚Neuen Zürcher Zeitung‘, Hanno Helbling (1930-2005), über ‚Leopold von Ranke und der historische Stil‘, 1953 in den von Leonhard von Muralt herausgegebenen ‚Zürcher - 660 -

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Beiträgen zur Geschichtswissenschaft‘ erschienen, beabsichtigte, mit literaturwissenschaftlicher Begrifflichkeit „der Historik“ zu dienen, indem sie „von Rankes Erzählung her zu seiner Vorstellung von der Geschichte ...“ zu gelangen strebte (3). Helblings Begrifflichkeit geht zum Teil zurück auf die damals und noch eine Weile vorherrschenden Werke von Wolfgang Keyser, Emil Staiger und Günther Müller, wird von ihm allerdings selten angewandt. Die jeder Untergliederung ihrer drei großen Abschnitte (‚Der Weg zur Geschichte als Weg zur Erzählung‘, ‚Der historische Stil‘ und ‚Die Mär der Weltgeschichte‘) ermangelnde, außerordentlich schwach strukturierte Untersuchung ergreift in wildem Wechsel und unter spontanen Kurzvergleichen mit Schiller, Johannes von Müller, Niebuhr, Thiers, Carlyle, Burckhardt, Droysen und anderen immer wieder das eine oder andere frühe oder späte Werk Rankes, um daraus Erkenntnisse zu gewinnen, die nicht unbedeutend sind, doch zumal bei einem eher ungeklärten Stilbegriff selten zu einem Zusammenhang geführt werden. Helbling befaßt sich indes ausgiebig und ergebnisreich mit Rankes Autobiographik und Biographik, dabei vor allem mit den Gestalten Luthers, Cromwells, Wallensteins, auch Hardenbergs. Letztere beiden seien Zeugnisse der späteren Neigung Rankes, „die Rolle der geschichtlichen Persönlichkeit auf ein Mindestmaß zu beschränken“ (56). Dies entsprach der von Dove 1895 geistreich angedeuteten biographischen Scheu Rankes; doch auch „die Ereignisse büßen allmählich die scharfe Abgrenzung dem ‚Gang der Dinge‘ gegenüber ein“ (66), wie sie noch in Rankes Erstling wirksam gewesen sei, ein Werk, auf das Helbling immer wieder zurückkommt, in dem er an stilistischen Eigentümlichkeiten manche auf Johannes von Müller zurückgehende ‚Inkonzinnität‘, ‚Doppelbezug‘, ‚Ellipse‘, ferner undeutsche Konstruktionen ausmacht (61f.) und dem er keine „Einheitlichkeit der Darstellung“ zusprechen kann (46). Wichtig ist sein Hinweis auf die stilistischen Folgen des danach eingetretenen Quellenwechsels von den Historien und Chroniken hin zu Relationen und Reichstagsakten (67). Als eines der Hauptkennzeichen, vor allem in Rankes Revisionen, sieht Helbling an: „abzublenden, statt des eindrücklicheren lieber das ruhigere, statt des aufsehenerregenden lieber das alltägliche Wort zu wählen“ (38; 66), was allerdings mit Rankes zunehmender Neigung zu ausgefallenen, selbstgebildeten Latinismen, die Theodor Fontane übrigens „alle sehr gut“ fand (Werke, Schriften u. Briefe III/1980, 617), nicht ganz übereinkommt. In Rankes Entwicklung sieht Helbling ein „Verblassen und Erstarren“ des Stils, einen „Wandel, den man als zunehmende Distanzierung interpretierte - der dann aber in der ‚Weltgeschichte‘ so unerklärlich die Richtung wechselte, zu farbenreichen und unmittelbaren Schilderungen führte“ (44). Die Erklärlichkeit, so muß man berichtigen, ergab sich vor allem aus der Tatsache, daß das Werk durch Diktat einen höheren Grad an Ursprünglichkeit erhielt und durch Zeitmangel auch behielt. Einen unbewußten Anklang an Gedanken Rudolf Gottschalls, der bereits 1869 (545) Rankes „elastische Dialektik der Darstellung“ betrachtet hatte, ein später besonders eindringlich von Silvia Backs 1985 als „dialektisches Denken“ aufgegriffenes Thema, findet sich bei Helbling als inhaltliche Dialektik, aus der Rankes „antithetische Darstellungsweise“ zu begreifen sei, wie sie etwa im „Umschlagen der historischen Situation“ vorliege (107). (Dazu als Detail: Ein Opfer völliger Fehlinterpretation ist das „noch“ in Rankes Bemerkung: „Meine Geburt fiel noch in das Jahr 1795“. Sie erklärt sich nicht „als Augenblick in der Weltgeschichte“ (147), sondern banal aus seinem späten Geburtstag am 20. bzw. 21. Dezember des Jahres). - 1995 veröffentlichte Helbling zum 200. Geburtstag Rankes einen Artikel über den „großen Ireniker‘, in dem er, deutlich abgesunken, in diesem Versuch einer Gesamtwürdigung größeren Wert auf ein saloppes Urteil legte (Ranke - 661 -

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„hätte gut daran getan, im Sinn so strenger Selbstbeschränkung die Gedanken Gottes aus dem Spiel zu lassen“) als auf nüchterne Feststellungen. Auch von „hinreissender Beredsamkeit“ Rankes kann nun wirklich nicht die Rede sein (s. II/5.1.3). Abschließend widmet sich Helbling dem beliebten Thema ‚Burckhardt und Ranke‘, wobei sein banalitätsnaher Satz „Wer lernen wollte, konnte von beiden lernen ...“ die größeren Unterschiede und geringeren Gemeinsamkeiten beider nicht beschreibt. Nicht aus literarischer, sondern aus moralischer Perspektive betrachtete Gerhard Frick 1953 den handelnden Menschen in Rankes Geschichtsbild (s. I, 643). - Der bereits mit einer Veröffentlichung von 1926 bemühte Mediävist Paul Kirn brachte 1955 ein Werk mit dem anspruchsvollen Thema ‚Das Bild des Menschen in der Geschichtsschreibung von Polybios bis Ranke‘ zum Erscheinen, das allerdings weit hinter etwaigen Erwartungen zurückblieb, nicht allein wegen seiner im Gegensatz zum Titel retrograden, das Verhältnis von Ursache und Wirkung zerstörenden Darstellungsabfolge, sondern auch, weil das ‚Bild des Menschen‘ bei Ranke hier nur sehr eingeschränkt und oberflächlich schematisch betrachtet wird. Es geht Kirn vornehmlich um die darstellerische Form des „Doppelbildnisses“, die Ranke „achtmal - wenn nicht öfter“ benutzt habe ( 97): Marius und Sulla, Elisabeth und Maria Stuart, Wallenstein und Gustav Adolf, Karl XII. und Peter d. Gr., Hardenberg und Stein, Friedrich Wilhelm IV. und Alexander von Humboldt werden in Zitaten vorgestellt. Dem fügt Kirn noch ein unerwartet auf Ranke selbst bezogenes ‚Doppelbildnis‘ hinzu durch den Abdruck (101103) des von Heinrich Kurz in seiner ‚Geschichte der deutschen Literatur‘ vorgenommenen Vergleichs Ranke - Schlosser (III/1859, 697). Auch Rankes Verwendung anekdotischer Züge wird abschließend lediglich gestreift (152f.). Zu Rankes Personendarstellung kann ferner der qualitätvolle Beitrag von Arno Borst über ‚Ranke und Karl den Großen‘ von 1966 herangezogen werden, eine methodologisch vorbildliche, straffe Untersuchung, die das Karlsbild Rankes in teilweisem Zusammenhang mit der zeitgenössischen Karls-Deutung (H. K. Dippoldt, Fr. Schlegel, Fr. v. Raumer, Luden, Hegel, Leo, Michelet und der späteren Ranke-Schüler Giesebrecht, Sybel, Waitz) und in seiner lebenslangen Entwicklung („Gerechter als von dem sechzigjährigen Ranke ist Karl der Große nie beurteilt worden, auch von Ranke selbst nicht“, 471) betrachtet. Borst führt seine Untersuchung v. a. aufgrund von Partien aus Vorlesungen Rankes in Nachschriften von Hirsch, Waitz, Sybel, K. v. Schlözer u. E. v. Winkelmann. Übrigens ist die Behauptung Borsts, Rankes „Einstellung zum abendländischen Mittelalter“ sei „bisher sowohl von der Rankeforschung wie von der Mediävistik kaum beachtet worden“ (448) - wobei er Masur/1926, 123ff. „mit drei Druckseiten über das Mittelalter eine rühmliche Ausnahme“ nennt - wie folgende Titel zeigen, nicht völlig zutreffend: Stadelmann (1931), Schieblich (1932), Neumann (1934), vor allem aber Schwab: Leopold von Ranke und das Mittelalter, phil. Diss. (Masch.) München 1953. - Borst beteiligte sich 1967 mit dem Beitrag ‚Das Karlsbild in der Geschichtswissenschaft vom Humanismus bis heute‘ auch an dem Monumentalwerk ‚Karl der Große, Lebenswerk und Nachleben‘ (Bd. IV). Deutungsansätze zu Rankes Biographik bzw. beiläufiger Personendarstellung oder zumindest -Auffassung haben sich neben der Betrachtung Karls d. Gr., Luthers, Karls V., Zwinglis und Cromwells, Friedrichs d. Gr. vor allem in Arbeiten über seinen in Historie und Literatur seit jeher anziehenden ‚Wallenstein‘ fortgesetzt. Nicht selten ist freilich bei den auf Einzelwerke gestützten Aussagen über Rankes ‚Biographik‘ als grundsätzlicher Mangel die fehlende oder geringe Vertrautheit mit seinen jeweils - 662 -

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anderweitigen biographischen Studien zu bemerken, wozu neben den genannten auch Arbeiten über Don Carlos, Savonarola, Kardinal Consalvi und Friedrich Wilhelm IV. gehören. Ferner wäre die ‚Ansicht der Lebensstellung Elisabeth Charlottens‘ (FranzG VI/1870) und manches aus ‚Hardenberg‘ zu nennen. Zu berücksichtigen sind neben den zahlreichen in seinen Werken - zumal den ‚Päpsten‘ - gezeichneten ‚Porträts‘ ergänzend die in seinen Reden vor der Historischen Kommission und in seinen Tagebuchblättern enthaltenen lesenswerten Persönlichkeitsskizzen, nicht zuletzt seine Autobiographica. Zurück zu den Urteilen über Rankes biographische Darstellung im 1869 erschienenen Wallenstein-Werk. Das Thema lag nahe, weil er sich in der Vorrede - selten genug - zum Verhältnis von Biographie und allgemeiner Geschichtsschreibung sowie zur Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte geäußert hatte. Auch Helbling hatte sich, wie bemerkt, 1953 in seinen Betrachtungen zu Biographik und Autobiographik Rankes der Wallenstein-Darstellung zugewandt. - Der Literaturwissenschaftler Dietrich Harth (geb. 1934) verfaßte nun zunächst einen 1976 erschienenen Beitrag über ‚Rankes ästhetischen Sinn‘, in dem er auf dessen ‚Wallenstein‘ zugriff, vor allem aber Wesentliches zu seiner Geschichtsanschauung im allgemeinen und im besonderen seinem Ideenbegriff und der Kontingenz des dargestellten Geschehens bemerkte. Es sei Ranke darauf angekommen, „die Einheit der Geschichte zur Evidenz zu bringen“ (66). Sein „ästhetischer Sinn“ habe „Einzelheiten immer auch als Signaturen einer umfassenderen Bedeutung zur Darstellung“ gebracht (67). - 1980 stellte Harth dann einen qualifizierten Beitrag zur ‚Deutschen Vierteljahrsschrift‘ vor mit dem Titel ‚Biographie als Weltgeschichte. Die theoretische und ästhetische Konstruktion der historischen Handlung in Droysens Alexander und Rankes Wallenstein‘. Dem Abstract des Autors verdankt man u. a. folgenden Passus: „Erzählung und Theoriebildung gehen in Rankes und Droysens Geschichtstexten ineinander über. Sie bedürfen dieser Verbindung, um das empirisch Besondere als Signatur allgemeiner Ideen lesen zu können und konstruieren - ungeachtet konzeptueller Unterschiede - die Einheit historischen Handelns in Analogie zum Modell der dramatischen Handlung in Hegels Ästhetik.“ (58). In Harths eindringlicher Untersuchung werden über sein Abstract hinaus größere Unterschiede Droysens und Rankes sichtbar, aus denen wesentliche Erkenntnisse gewonnen werden, etwa: „Gibt Droysen virtuos nacherzählend seinem Material die Form, die eine ‚neue Geschichte‘ vor dem Auge des Lesers ausbreitet, so konstruiert Ranke so etwas wie einen Gesprächszusammenhang zwischen den Dokumenten, in dem der Autor Regie führt.“ (91). Dies ist wohl pointiert, aber erhellend. Der Beitrag ist nicht nur für Rankes Biographik von Interesse, sondern für seinen historiographischen Stil und seine Geschichtsanschauung überhaupt, da diese über die Biographik hinausgehend von der Absicht bestimmt sei, „aufs Ganze der Geschichte zu gehen“ (77 u. 93). Dem entspreche Rankes „Interesse an der Vermittlung zwischen den besonderen historischen Ereignissen und der Ideengeschichte“ (77). Die Untersuchung dringt auch gewinnbringend in Details der Rankeschen Darstellungstechnik ein (wie z. B. die Funktion des indefiniten Personalpronomens ‚man‘). Schließlich führt die Analyse der Mittel und Strukturen Rankescher Darstellung zu Einsichten in die Grundzüge seiner Geschichtsanschauung: das Problem der Objektivität, Rankes ‚Ideen‘, das Verhältnis von Besonderem und Allgemeinem. Hier wird auch einmal der Schicksalsbegriff, allerdings nicht die bei Ranke tiefer wirkende Vorsehung, näher betrachtet. Die Untersuchung ließe sich über die besonders fesselnde und auch in den Nachwirkungen Rankes populär- 663 -

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editorisch immer wieder hervorgeholte Gestalt Alexanders gewinnbringend v. a. auf Rankes Darstellung Friedrichs d. Gr., und Friedrich Wilhelms IV. erweitern. Interessant wäre auch ein direkter Vergleich der Alexander-Darstellungen b e i d e r gewesen (bei Ranke in WG I/2 ). - Ältere Literatur wird von Harth nicht berücksichtigt. Ebenfalls von literaturwissenschaftlicher Seite wird Rankes ‚Wallenstein‘ von Peter Höyng in seinem ansprechend betitelten Beitrag ‚Kunst der Wahrheit oder Wahrheit der Kunst? Die Figur Wallenstein bei Schiller, Ranke und Golo Mann‘ vom Jahre 1990 behandelt. Ihn interessiert die Frage, wie Ranke fiktionale Mittel einsetze, wobei für ihn feststeht, daß er sich solcher bedient. Dies sieht er verwirklicht in Rankes „einem Autor der fiktionalen Literatur“ ähnlichen „sehr gestalterischen“ Umgang mit dem Verhältnis von Erzählzeit zu erzählter Zeit (150), ein zwar seit langem germanistischproseminaristisch erfolgreich eingesetztes Kriterium, das indes m. E. hier wenig tauglich ist, da es für sich allein keinen unbedingten oder ausschlaggebenden Aussagewert hinsichtlich der Faktizität oder ‚Objektivität‘ einer Darstellung besitzt, sondern vorrangig etwas über thematische Schwerpunkte, Ausführlichkeit, Detailreichtum, Tempo oder das jeweilige Gegenteil aussagt. Höyng zieht phantasiegeborene Fiktionalisierungen Schillers, insofern sie „Perspektiven für die Gegenwart“ böten, dem „Selbstzweck“ der Historiographie Rankes vor, dessen ‚Wallenstein‘ „eher ein Beispiel dafür zu sein“ scheine, „wie wenig es der Historiographie glücken“ könne, „sich als reine Geschichte auszugeben“ (154). Höyngs nicht zu bestreitende Feststellung, „Fiktionalisierung der Geschichte“ müsse „nicht notwendigerweise heißen, der historischen Wahrheit zu widersprechen“ (151), läßt indes außer acht, daß sie auch nicht unbedingt dieser Wahrheit entspricht und insofern für den Historiker - quellenlos - nur eine unbrauchbare Wahrscheinlichkeit hervorbringt, sich allenfalls weit post eventum bzw. post fictionem - so auch Schillersche Fiktionen - als zufallsbedingte ‚Wahrheit‘ herausstellt. - Nahe beieinander sieht Ranke und Schiller hingegen eine 2010 erschienene Dissertation von Steffan Davies mit dem Titel ‚The Wallenstein figure in German literature and historiography 1790-1920‘, deren Ranke-Abschnitt im Vorjahr als Beitrag ‚Ranke’s problem of narrative - and Schiller’s solution‘ erschienen war. Davies entdeckt auffallende Ähnlichkeiten zwischen Rankes Wallenstein-Historiographie und Schillers Drama, überhaupt verdanke Ranke viel den Spannungselementen und Konflikten der Gattung ‚Drama‘. Bei Schiller wie bei Ranke stehe Wallenstein im Zentrum einander bekämpfender Extreme: Realismus und Idealismus, Handlung und NichtHandlung und der Interessen der europäischen Mächte. Dabei habe er für Deutschland und für die deutsche nationale Einheit gestanden. Die von Ranke gezogenen Vergleiche Wallensteins mit anderen Persönlichkeiten der europäischen Geschichte, wie etwa Cromwell, hätten dazu gedient, ihn zu einer Gestalt von internationaler Bedeutung zu machen, wie auch die deutsche Geschichte der anderer Nationen gleichzustellen. Von Historikerseite sind Arbeiten von Hellmut Diwald im Zusammenhang mit seiner Wallenstein-Ausgabe von 1967 (Einl.), des mit der Thematik vertrauten DDRWissenschaftlers Herbert Langer (geb. 1927) von 1986, von Holger Mannigel in seiner bereits betrachteten (s. I, 117, 558), 2003 erschienenen Dissertation über ‚Wallenstein in Weimar, Wien und Berlin‘ sowie von Gerrit Walther (geb. 1959), nunmehrigem Präsidenten der Historischen Kommission, aus dem Jahre 2011 zu nennen. - Langer glaubte feststellen zu können, Rankes Biographie mit ihrer „Meisterleistung der Sprachkunst“ zähle „nicht zu den geringsten der zahlreichen Biographien“, indes, „die Grundgesetze der geschichtlichen Bewegung erfassen zu können oder zu wollen“, habe - 664 -

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„nicht im Bereich der (auch sozial bedingten) [i. T.] Erkenntnismöglichkeiten Rankes“ gelegen: „das leisteten erst die Klassiker des Marxismus vom Standpunkt der Arbeiterklasse.“ Doch: „Seine wechselseitige Verknüpfung von Gesellschaft und Individuum, von Geschichtslauf und Persönlichkeitswirkung ist es vor allem, was noch heute Methode in der Biographik lehrt.“ (84). - Holger Mannigel widmete in seiner historiographiegeschichtlichen Wallenstein-Dissertation auch dem Thema ‚Biographie und Geschichte - Rankes Biographik‘ einen Abschnitt, in dem er den durch Einbeziehung des „gesamten historischen Zusammenhangs“ bewirkten „komplexen“ und „multivalenten“ Charakter der Darstellung hervorhob. Bei dem Zusammenwirken von Individuum und allgemeinen Verhältnissen sieht er gewisse Einseitigkeiten in der Auswahl der überwiegend „epochalen“ Persönlichkeiten und zugleich einen „deterministischen Grundzug“, der auch Wallenstein selbst eigen sei (470). - Eine bemerkenswerte Studie zu Rankes ‚Geschichte Wallensteins‘ unter dem Titel ‚Biographie als Experiment‘ brachte Gerrit Walther 2011 zum Erscheinen. Er sieht in diesem Werk den Versuch, „die Geschichte des Dreißigjährigen Krieges in Form einer Biographie zu erzählen“ (260). Zu den wesentlichen Erkenntnissen des Beitrags gehört in einem Abschnitt ‚Biographie als Symbol‘ (bereits 1954, 185 hatte Carl Hinrichs die ‚Weltgeschichte‘, nach ihrem „religiösen Symbolcharakter“ beurteilt, s. I, 648 und Daniel Fulda 1996 über die „Formierung von Rankes Konzept einer symbolischen Historiographie“ geschrieben, s. I, 594f.) der Aufweis einer von Ranke „virtuos geführten Doppelhistorisierung“ (ebd.) seines Helden und der permanent historisch kritisch betrachteten Quellen. Fraglich erscheint indes die These, Ranke könne an Wallensteins „Beispiel demonstrieren, daß Männer weder autonom Geschichte machen noch schicksalhaft von ihr bestimmt werden“ (ebd.). Dies dürfte - zumindest als isoliert negierender Aspekt an Rankes Intention vorbeizielen. Bemerkt er doch in seiner ‚Vorrede‘ - positiv - nicht allein, daß „Persönlichkeiten ...ein selbständiges Leben von originaler Kraft“ haben, und „Indem sie ...ihre Zeit repräsentiren, greifen sie doch wieder durch eingeborenen inneren Antrieb bestimmend in dieselbe ein“ (VI), sondern er hält auch fest, und dies ist der entscheidende, wieder besonderes und allgemeines Leben durchaus realistisch miteinander verbindende Gesichtspunkt nicht nur für dieses Werk Rankes: „Die Begebenheiten entwickeln sich in dem Zusammentreffen der individuellen Kraft mit dem objectiven Weltverhältniß ...“ (IX), ein für Ranke bezeichnender ausgleichender Zusammenhang, der besonders in der Arbeit von Mannigel (2003/465-471) beachtet wurde. - Auf die Berücksichtigung rankebezogener Wallenstein-Forschung konnte Walther im Hinblick auf seine originären Ansätze verzichten; ein Blick auf die allgemeine Literatur zur Biographik Rankes und überhaupt zur Rolle des Individuums in seinem Werk hätte indes den Wert des Beitrags noch erhöht. Der Vielzahl weiterer, weniger rankebezogener Titel der reichen WallensteinLiteratur kann hier nicht nachgegangen werden. * Die Beurteilung Rankes aus qualifizierter literaturwissenschaftlicher Perspektive beginnt im wesentlichen mit dem sublim gewandelten SS-Hauptsturmführer und späteren bedeutenden Konstanzer Lehrstuhlinhaber Hans Robert Jauß (1921-1997), dessen erfolgreiche SS-Vergangenheit (Ernst Klee: Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945. Ffm. 2007, 282) sich allenfalls dadurch bemerkbar machte, daß die Verdeckung seiner ästhetikfernen Vorgeschichte ihn zu einer ins - 665 -

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Gegenteil verfallenden selbstdistanzierenden Übertreibung ästhetischer Positionen geführt hätte. Die von ihm entwickelte außerordentlich einflußreiche Rezeptionsästhetik spielt in seiner Ranke-Beurteilung allerdings keine auffallende Rolle, denn es ging im wesentlichen um Darstellungsästhetik. Diese mit der sich schon länger entfaltenden, aber auf Ranke noch nicht angewandten Narratologie verbundene ästhetische Analyse wurde gern aufgegriffen, zumal sie im wesentlichen von US-amerikanischer Seite ergänzt wurde durch eine literaturwissenschaftliche Betrachtung strukturalistischer Art mit ideologischen Implikationen des Historikers und Literaturwissenschaftlers Hayden White. Hinzu traten vielfältige theoretische Ansätze Jörn Rüsens, der unter anderem eine an Ranke erprobte Schematik von Erzählweisen entwickelte. Insgesamt ergab sich zwar unstrittig eine längst erforderliche, zum Teil verfeinerte Analyse historiographischer Darstellungsformen, Einstellungen und Intentionen, zugleich trat jedoch mehr und mehr eine einseitige Poetologisierung und Ästhetisierung Rankes ein, damit auch der zunehmende Verlust des durch den Darsteller Ranke mehr und mehr verdeckten Forschers mit seinen Methoden, Quellen, dem faktischen Ertrag seiner Forschung, deren lehrreichen Stärken und Schwächen. Auch war Rankes - wie auch jede andere personale Individualität in ihrem Werden durch Whites überwiegend formativistische Theorie nicht zu erfassen und nur grob-schematisch seine geistesgeschichtliche und historiographiegeschichtliche Position. Entsprechend dem überwiegend statischen, kaum auf die Erfassung von Entwicklungen ausgerichteten Charakter Whitescher und anderer Theorien traten zwar hier und da Ansätze zu fruchtbaren Einzelwerkanalysen in den Vordergrund, die genetische und rezeptorische Betrachtung Rankescher Historiographie hingegen in den Hintergrund. Durch diese forschungsliteraturunbedürftigen, gleichsam aus sich selbst heraus entwickelten theoretischen Einstellungen wurde die permanent gefährdete und bereits massiv geschwächte Überlieferungskontinuität der Ranke-Deutung und -Forschung weiter aufgelöst. 1970 erschien zunächst Jauß’ vielauflagige ‚Literaturgeschichte als Provokation‘, die ein (1973 auch anderweitig veröffentlichtes) Kapitel mit der Überschrift ‚Geschichte der Kunst und der Historie‘ (208-251) enthielt. Jauß gab darin (222-226) eine kurze Analyse der englischen Kriege in Rankes ‚Französischer Geschichte‘ - mit deren Stilistik sich 1958 schon Heinz-Otto Sieburg befaßt hatte -, die ihm als Romanist besonders lag und die aufgrund dieses Umstands auch von anderen nun häufiger herangezogen wurde, zur Erläuterung der These, „daß Rankes Geschichtsschreibung durch ästhetische Kategorien bestimmt“ sei, „die sich mit dem latenten Paradigma der Stilgeschichte fassen“ ließen (222), wobei fraglich blieb, mit welchem, denn die Stilgeschichte bietet deren bekanntlich eine Fülle. Dabei gelangt er zu der seltsam anmutenden Feststellung, daß Ranke „die Begründung für seine Auffassung und Erzählperspektive schuldig“ bleibe, - weshalb hätte er sie geben sollen? - „die sich in seinem parti pris für die sich konsolidierende feste Ordnung [i. T.] der Monarchie ... und gegen die niedergedrückten Ideen der städtisch-popolaren und ständischen Bewegung verrät“ (Jauß/1973, 189). Hier werden auch die später von White vorgetragenen ideologischen Implikationen einer literarästhetischen Betrachtung sichtbar. Die Rankesche Objektivität zeigt sich bei Jauß in letzter Konsequenz gut postmodernistisch als ein kunstvoll stilisiertes Schein-Gebilde. - Es bleibt zu fragen, ob die nicht zu verkennenden ästhetischen Tendenzen Rankes, die Jauß im wesentlichen auf die seiner Erzählperspektive eigenen temporalen Kunstgriffe beschränkt, ihrer Grundintention nach eine subjektivierende Transzendierung des Empirischen in Richtung einer - 666 -

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Steigerung von innerer Bedeutung und äußerem Lesegenuß bewirken sollen, aber auch - etwa in der nicht selten auftretenden temporalen und sonstigen Präzisionslosigkeit ästhetisch bisweilen weniger relevant, Ausdruck gnoseologischer Zurückhaltung sind, die den Erscheinungen das Unentscheidbare belassen will, gelegentlich belassen muß. 1982 befaßte sich Jauß in konsequenter Durchführung seiner poetologischen Historiographieauffassung mit dem bedeutenden Phänomen der Fiktion, ohne das nach neuerer Auffassung auch in der historischen Darstellung nichts auszurichten ist. In seinem Beitrag ‚Der Gebrauch der Fiktion in Formen der Anschauung und Darstellung der Geschichte‘ ging er nun aber so weit, Ranke der „illegitimen Verwendung fiktionaler Mittel … überführen“ (421) zu wollen und untersuchte dies anhand der ‚Französischen Geschichte‘ in einem Abschnitt „Analyse des Gebrauchs fiktionaler Mittel in Rankes Geschichtsschreibung“ (427-434). Im übrigen sah er „...die von Winckelmann geprägte Stilgeschichte … bei Ranke in den gestuften Verläufen wie in der Anschauung geschlossener Epochen“ durchscheinen ...“ (420). Noch nicht zur Kenntnis genommen hatte der bereits zum Thema Religion kurz herangezogene Peter Gay Whites im Vorjahr erschienene ‚Metahistory‘, als er 1974 in seinem Werk ‚Style in history‘ neben Ranke auch Gibbon, Macaulay und Burckhardt betrachtete. In seinem Ranke-Kapitel (57-94: ‚Ranke. The respectful critic‘) beabsichtigte er den Beweis zu erbringen, daß dieser, obgleich schwer vorstellbar, zugleich Wissenschaftler, Dramatiker und Theologe gewesen sei, ohne den Zusammenhang seines Werkes zu zerstören (62). Rankes Stil, der gewöhnlich in Verbindung gebracht werde mit Geschichtenerzählern und Schauspielschreibern, kennzeichnet Gay mit den Begriffen „speed, color, variety, freshness of diction, and superb control“ (62). Wichtig für künftige Deutungen war sein Hinweis: „He cunningly uses absences; he takes care never to spoil climaxes with elaborate explanations“ (62). Erst in den 1830er Jahren seien diese Techniken bei Ranke zu voller Reife gelangt. In der ‚Deutschen Geschichte‘ und deren Luther-Darstellung weist Gay taktische Techniken nach, wie „to plant early information he will use later“ oder „to use certain historical personages less on their own account than as prefigurations“ (64). Zusammengefaßt: Ranke als Dramatiker manipuliere Zeiträume und Abfolge der Ereignisse. - Gay hat sich in seinem Ranke-Kapitel unerwarteterweise auch mit den Themen ‚Politik‘, ‚Philosophie‘ und vor allem ‚Religion‘ bei Ranke auseinandergesetzt (s. I, 643f.). - Den traditionellen, aber nicht unwerten Stilbetrachtungen Gays verwandt ist der bereits herangezogene Beitrag Felix Gilberts von 1987 mit dem Titel ‚What Ranke meant‘. Er gibt darin u. a. eine literarische Betrachtung von Rankes ‚Päpsten‘, der im anglo-amerikanischen Raum weitestverbreiteten Übersetzung eines Ranke-Werkes. Wird man später in Rankes Erstlingswerk einen omnipräsenten Erzähler auftreten sehen (Süßmann/2000, 241, s. I 673f.), so läßt Ranke nach dem Eindruck Gilberts in den ‚Päpsten‘ den Erzähler verschwinden, in der Absicht, beim Leser ein Gefühl der Beteiligung an der Geschichte hervorzurufen. Drei Techniken seien dabei dienlich: die Verminderung des Abstands von Vergangenheit und Gegenwart, die Erzeugung eines zwischen Bewegung und Beschreibung wechselnden Musters und als wichtigste literarische ‚Requisite‘ die Erzeugung einer Geschichte mit Anfang und Ende, mit Struktur. Weitgehend unberührt von den Thesen neuerer Literaturtheorie beteiligte sich Hermann von der Dunk (geb. 1928), damals an der Universität Utrecht tätiger, kulturhistorisch ausgerichteter Neuzeithistoriker, unter dessen zahlreichen Schriften hier nur zwei Beiträge geschichtstheoretischer Art genannt werden sollen (‚Een onweten- 667 -

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schappelijke wetenschap. Beschouwingen over het amfibische doel van onze historische kennis‘, Bussum 1968 und ‚Kleio heeft duizend ogen. Over historie en historici‘, Assen 1974), 1988 mit einem Beitrag über ‚Die historische Darstellung bei Ranke: Literatur und Wissenschaft‘ an dem von Wolfgang J. Mommsen anläßlich von Rankes 100. Todestag herausgegebenen Sammelband ‚Leopold von Ranke und die moderne Geschichtswissenschaft‘. Von der Dunk gelangt dabei zu folgenden Haupterkenntnissen: Wie jede Darstellung beruhe auch die Rankesche auf „künstlerisch-literarischen Mitteln“. „Dank der Einbildungskraft, die sich nicht von der des Schriftstellers an sich“ unterscheide, sehe er „Menschen und Ereignisse auf Grund toter Zeugnisse in ihrer lebendigen Totalität vor sich.“ (163). Ranke sei „bei all seinem unentwegten Bemühen um Erkenntnis und bei all seiner Forscherbesessenheit doch in erster und letzter Instanz Darsteller“ geblieben. „Dank seiner protestantisch-idealistischen Ontologie konnte er in der Darstellung, also in der Imitatio im Verein mit der kritischen Cognitio die wahre Form historischer Erkenntnis sehen. Sie legitimierte seine literarischen Neigungen und seinen Formtrieb.“ (144). Letztere Aussage ist nicht wegen der überholten ‚imitatio‘Vorstellung höchst ungewöhnlich und in der Ranke-Literatur alleinstehend, sondern weil sie zwischen Protestantismus und Formtrieb einen kaum nachvollziehbaren Zusammenhang herstellt. Ein Beitrag von Wolfgang J. Mommsen über ‚Die Sprache des Historikers‘ aus 1984 ist für Ranke selbst unergiebig. Dies gilt auch für Hans Schleiers ‚Narrative Geschichte und strukturgeschichtliche Analyse im traditionellen Historismus‘ des Jahres 1987. - Anregend, wenn auch anekdotisch geprägt, ist ein kurzer, literaturfreier Beitrag von Claudio Cesa, ‚Noterella sullo stile storico di Leopold Ranke‘, den der verdienstvolle Übersetzer von Rankes ‚Päpsten‘ ins Italienische im Jahre 2007 veröffentlichte. * Hayden White (geb. 1928) analysierte in seinem stark beachteten, zuerst 1973 erschienenen Werk ‚Metahistory: The historical Imagination in nineteenth-Century Europe‘ von Rankes darstellenden Werken lediglich die ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘, die ‚Osmanen und die spanische Monarchie‘ sowie einen Teil der ‚Weltgeschichte‘, also die fast sechzig Jahre auseinander liegenden zeitlichen Schaffensextreme. Gleichwohl bezieht er sich in manchen Äußerungen auf „die Erzählstruktur der meisten [!] von Rankes Geschichtswerken“ (dt. Übers./1991, 219), in anderen auf keines. Auch im Bereich der Forschungsliteratur bleibt fast alles unbeachtet. Der freihändigen Deutung entspricht die Belegarmut und Unbestimmtheit mancher Behauptungen („wie einige von Rankes Kommentatoren geschlossen haben...“, 215; „es ist mehrfach darauf hingewiesen worden...“, ebd.; „Ranke selbst war großzügig gegenüber Kritikern seines Werkes...“, 225 usw.). Dies berührt natürlich nicht die Hauptaussagen des Werkes, unterstreicht aber die Arbeitsweise des Verfassers. - Whites abgelegener Tropen-Theorie zufolge erfasse Ranke die Geschichte „... im Modus der Synekdoche“. Dies erlaube ihm, „in eine Methode übersetzt..., die Geschichte in die Erzählstruktur [!] der Komödie zu fassen und sie organizistisch zu erklären.“ (234), - dies eine von einem Dutzend oder mehr Kombinationsmöglichkeiten der Whiteschen Systematik, welche allerdings auf eine nicht zu bestimmende Zahl von Text-Erzeugern Anwendung finden kann, ohne damit der Individualität eines Textes näher zu kommen. Im übrigen ist ein genereller oder nur figurativer Zusammenhang - 668 -

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von rhetorischer Figur und Schauspielgattung ebenso wenig naheliegend wie der zwischen Arpeggio und Symphonie. Gerade die Synekdoche erscheint mit Blick auf Rankes keineswegs stellvertreterhafte Verbindung des Besonderen mit dem Allgemeinen wenig passend und bei gelegentlichem Auftreten in oder als Vorwort und Zusammenfassung in einem Werk Rankes auch kaum aussagekräftig genug, als Charakteristikum für ein oder das Gesamtwerk zu dienen. Besonders bedenklich scheint die systemische Ausblendung der Quellenbezüglichkeit historiographischer Hervorbringungen und die damit verbundene nicht poetische ‚Wahrheits‘- bzw ObjektivitätsFrage. Die Bewegung der Komödie, so eine weitere tragende These Whites, „von einem Zustand äußeren Friedens über die Enthüllung des Konflikts bis zu seiner Auflösung mit der Einrichtung einer wahrhaft friedlichen Gesellschaftsordnung“ erlaube es Ranke, „die markanten Zeitabschnitte des Geschichtsverlaufs zu skizzieren.“ (232). Die geringe Anwendbarkeit dieses Schemas auf Rankes Werk kann leicht u. a. am Aufbau der ‚Französischen Geschichte‘ verfolgt werden, in der eher eine Krisenpermanenz vorliegt, welche auch nicht annähernd ein von White angenommenes schrittgesteigertes „Schauspiel der Vollendung, der Erfüllung und der idealen Ordnung“ (250) offenbart, dem auch Rankes Fortschrittsbegriff gänzlich entgegensteht. Ohnedies besitzt die Komödie rein gattungsmäßig keine grundsätzliche Erzählstruktur, bestenfalls einzelne partielle rede-integrierte Erzählpartien. Bereits Hanno Helbling hatte im Gegensatz zu Whites Erfüllungsschauspiel auf die „Unzulänglichkeit aller Begrenzung des Stoffs“ in Rankes Darstellungen hingewiesen: „selbst die eigene Gegenwart des Schreibenden“ habe „nicht als wahrhaftes Ziel der Darstellung, sondern nur als der Ort ihres unvermeidlichen Abbrechens gelten“ können (Helbling/1953, 74f.). - 1978 erfolgte in Whites Werk ‚Tropics of discours. Essays in cultural criticism (Baltimore London), 1986 und 1991 in deutscher Fassung unter dem Titel ‚Auch Klio dichtet oder die Fiktion des Faktischen. Studien zur Tropologie des historischen Diskurses‘ erschienen, eine Bestätigung: Bei Ranke, der hier und in Whites Vortrags- bzw. Beitragssammlung ‚The content of the form. Narrative discourse and historical representation, Baltimore and London 1987 (dt. ‚Die Bedeutung der Form‘, Ffm. 1990) nur gestreift wird, sei „die organizistische Erklärung mit der komischen Plotstruktur verbunden“ (1986, 88). Die am German Department des Dartmouth College tätige Literaturwissenschaftlerin Susanne Zantop (1945-2001) brachte 1987 in den ‚Modern Language Notes‘ einen Beitrag über ‚Re-presenting the Present: History and Literature in Restoration Germany‘ zum Erscheinen. Darin unternahm sie den aparten Versuch, die Zeitgeschichtsschreibung Rankes mit Texten Heinrich Heines zu vergleichen. Bei Ranke zog sie den Artikel ‚Ueber die Restauration in Frankreich‘ (HPZ I/1 (Jan./Febr. 1832), 976), bei Heine dessen ‚Französische Zustände‘ (Werke, Bd. Bd. IV/1961, 361-581) heran und fand den wesentlichen Unterschied in Heines „ironically refracted narrative“ und Rankes „cause-effect story“ (583), wobei Whites Ironiebegriff als Form der Methapher und seine organizistische Ranke-Deutung im Hintergrund stehen mögen. Anläßlich des 20. Jahrestages von Whites ‚Metahistory‘ im Jahre 1993 untersuchte in einem Beitrag ‚Die Göttliche Komödie. Leopold von Ranke und Hayden White‘ der besonders mit Rankes ‚Englischer Geschichte‘ vertraute Patrick Bahners anhand dieses Werkes die Tragfähigkeit der Synekdoche-Konzeption und kam nach einigen beachtenswerten kritischen Zwischenbemerkungen - so, Whites „Neigung, die Redefiguren als Abbilder von Weltanschauungen zu lesen“, behindere eher „den Blick für ihren - 669 -

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tatsächlichen Gebrauch“ (98) - zu dem Ergebnis, daß Rankes Erzählweise durch den Whiteschen Modus der Synekdoche „außerordentlich glücklich charakterisiert“ sei und auch Whites Komödienbegriff „eine erhebliche Präzisierung der Formatanalysen der bisherigen Forschung“ ermögliche (104). - In einem 1999 erschienenen Beitrag Bahners’, über ‚National unification and narrative unity. The case of Ranke’s German History‘ kam ein anderer erfolgreicher Gesichtspunkt zum Tragen, die Visibilität. Bahners konstatierte bei diesem Werk Rankes einen „Sonderweg“ unter den Nationalgeschichten: Es handele von einem Nationalstaat, der nie existiert habe: „But the lack of visible content makes the insivible form of the narrative become apparent...“ (67). Interessant scheint der Hinweis auf Rankes Spiel mit dem in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ sehr bedeutenden Gegensatz von Sichtbarem (z. B. äußeres Erscheinungsbild von Handlung und Handelnden) und Unsichtbarem (z. B. Ideen). Jörn Rüsens knappe ‚Bemerkungen zu Droysens Typologie der Geschichtsschreibung‘ betonten 1982, Ranke habe „die Geschichtsschreibung auf das Prinzip der Faktentreue gestellt und den Eindruck erweckt, die durch quellenkritische Forschung erhobenen Informationen über die Vergangenheit fügten sich zu einer Geschichte zusammen, ohne daß es dazu einer der literarischen Sinnbildung analogen besonderen Formulierungsarbeit, ganz besonders aber keiner Fiktionalisierung bedürfe.“ (193). Hier kann daran erinnert werden, daß schon Hans Delbrück (Whigs/(1876) ²1907, 101) davon gesprochen hatte, Rankes Werke seien mit „künstlerischer Divination“ gestaltet, und Dilthey sah bei Rankes Darstellung „in jedem Moment ein Allgemeines“, das alle Momente umfasse (‚Vom Aufgang des geschichtlichen Bewußtseins‘, GS XI/1960 217). Beides geht über eine Faktenreihung hinaus in Richtung einer empirisch gegründeten inhaltlichen Kohärenzbildung, die man nicht grundsätzlich als Fiktionalisierung bezeichnen sollte. - In Rüsens Beitrag von 1982 über ‚Die vier Typen des historischen Erzählens‘ wird kurz das historia magistra vitae-Motiv in einem Artikel von Rankes ‚Historisch-politischer Zeitschrift‘ nachgewiesen (550). Dieser Mühe hätte man sich entheben können, denn zum einen lag ein solches Motiv geradezu im Gesamt-Auftrag der Zeitschrift und zum anderen war dieses Unternehmen darin und auch im übrigen nicht mit Rankes Werken gleichzusetzen. Die von Rüsen als wirksam gesehenen Typen, auch als „Modi der historischen Sinnbildung“ und „topische Strategien des historischen Denkens“ bezeichnet, sind „traditional, exemplarisch, kritisch und genetisch“ (Rüsen/1993, 127). Bei Ranke dominiere eine „topische Strategie der genetischen Sinnbildung“ (127) - ist dies nicht nahezu jeder überannalistisch-chronikalischen Historiographie eigen? - und verbinde sich mit seinem „politischen Konservativismus“ (128). Anhand einer kurzen Passage aus der Vorrede der ‚Deutschen Geschichte‘ sucht Rüsen zu zeigen: „Die genetische Erzählweise impliziert die traditionale und exemplarische...“ (Rüsen/1982, 571f), während Rankes „bloß sagen/zeigen“-Diktum und das Verhältnis der ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ zu ihrer kritischen ‚Beylage‘ (575-580) der Illustrierung des Satzes dient: „Die genetische Erzählweise impliziert die kritische“ (575). Hier gibt es Berührungspunkte mit Whites Kategorien, vor allem, was dessen organizistische und kontextualistische angeht und wo literarästhetische Kategorien mit politischen Wertungen verbunden werden. - In einem Aufsatz für ‚History and Theory‘ von 1990 zum Thema ‚Rhetoric and aesthetics of history: Leopold von Ranke‘ befand Rüsen, Ranke habe nicht nur den neuen akademischen Standard der Geschichtsschreibung repräsentiert, sondern darin habe sich zugleich eine neue literarische Qualität dargestellt (190), eine Thematik, mit der sich - 670 -

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G. Walther 1996 detailliert auseinandersetzte. Der Grund für die ästhetische Qualität Rankescher Geschichtsschreibung, so Rüsen, liege in der Auffassung zeitlicher Ganzheiten und in ihrer narrativen Darbietung in Form zeitlicher Ereignisfolgen (299). Sollten tatsächlich derart schlichte und nahezu jeglicher Historiographie eigene, wenn nicht gar unumgängliche gestalterische Maßnahmen bereits eine ästhetische Qualität begründet oder eine solche als bemerkenswert haben erscheinen lassen? Rhetorik, so Rüsen, sei für Ranke ersetzt durch eine idealistische Philosophie der Geschichte (201). Rüsen sieht Rankes Geschichtsschreibung der Hegelschen Philosophie der Kunst folgen, welche Schönheit als den sinnenhaften Schein der Idee bezeichnet habe (204). Daraus sei eine historisch wichtige Einführung von Vernunft in die Geschichtsschreibung erfolgt, welche ihr eine gewisse ästhetische Qualität verliehen habe (204). - In Rüsens oben herangezogenem Werk über ‚Konfigurationen des Historismus‘ von 1993 steht das von ihm bevorzugte und mit ihm gern in Verbindung gebrachte Thema der ‚Rhetorik‘ für Ranke im Vordergrund. Dabei ist jedoch eine unterschiedliche Bedeutungsbeilegung des Begriffs zu beachten. Während Rüsen bei Ranke den Begriff mit dem von diesem abgelehnten ‚Erdichten‘ - seine „antirhetorische Wende“ (128) - in Zusammenhang sieht, geht er andererseits so weit, ihn als die „Prozedur“ zu bezeichnen, „durch die historisches Wissen in der Gegenwart ‚Leben‘ gewinnt“ (127). Darüber hinaus trete Rhetorik transzendiert auf in Form ästhetischer „Prozeduren der historischen Darstellung“ (128). Auf diese nicht nur allgemeinere, sondern auch unbestimmtere Weise wird es möglich, Ranke eine sowohl abgelehnte als auch praktizierte Rhetorik nachzusagen, überdies ohne die erhebliche kategoriale Differenz von Anti-Fiktionalität und Ästhetik ausreichend zu bestimmen. Dies dürfte auch für den Unterschied historiographisch unvermeidlicher und gesuchter Fiktionalität gelten. Überhaupt wird gelegentlich außer acht gelassen, daß Fiktion kein Kunstwerk begründet. Insgesamt scheint es kein glücklicher Griff, die in der antiken Theorie durchaus auch auf ‚Wahrheit‘ abzielende Rhetorik vorwiegend unter dem Gesichtspunkt von Fiktion zu behandeln, ebenso wenig, Fiktion unter dem Begriff der Rhetorik zu verkürzen und zu verharmlosen. In einem vom Überhandnehmen des Diskurs-Begriffs gezeichneten, der historischen Diskursanalyse gewidmeten Beitrag von 1982, betitelt ‚Die Geschichte ist ein Text. Versuch über die Metamorphosen des historischen Diskurses‘, unternahm Dietrich Harth, der sich bereits qualifiziert zu Rankes Biographik beim ‚Wallenstein‘Thema geäußert hatte (s. I, 663), nunmehr beiläufig auch Rankes Verhältnis zur Memoiren-Literatur anschneidet (460), den Versuch, Rankes darstellerische Lösungen „vor allem an den prekären Operationen der Konsistenzbildung“ zu studieren (462), wozu - wie bei Jauß und anderen - ein Text aus der ‚Französischen Geschichte‘ dient. Auch hier hätte sich ein Rückgriff auf die zeitgenössischen Urteile über Rankes ‚versagte Vollständigkeit‘ empfohlen (s. I, 194ff.). - Von anderer Art ist Harths überarbeitete Version eines Beitrags von 1990, die 1998 unter dem Titel ‚Kulturelle Ressourcen historiographischen Erzählens‘ erschien. Harth vergleicht hier, wobei sich die Frage stellt, ob Geschichte bei Harth doch nicht nur „ein Text“ - etwa auch Malerei - sei, in Malerei-Metaphorik Ranke mit Döblin - vorzugsweise in ihrer Wallenstein-Darstellung - und beide als Vertreter einer darstellerischen „Mischtechnik“ (246-249), deren Erläuterung indes dort nicht vorzufinden ist. Jedenfalls gebe es „keinen Grund, die Erzählprosa - sei es die vom Typ Ranke, sei es die vom Typ Döblin - aus dem großen Traditionshaus der Rhetorik auszuschließen“ (249), ein deutlicher Appell an die von Rüsen angeführten De-Rhetorisations-Vertreter. Der Abschnitt ‚Schraffuren: Historis- 671 -

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mus trotz Rhetorik‘ (258-263) befaßt sich, wiederum ohne auf den Leitbegriff der ‚Schraffur‘ in irgendeiner Weise zurückzukommen - sollte auch dieser wie der Begriff der ‚Mischtechnik‘ nur als decorum fungieren? -, im Zusammenhang mit Begriffen der antiken ‚ars rhetorica‘ u. a. mit Rankes Diktum des ‚bloß sagen/zeigen‘. In diesem Passus widerspreche „die Rhetorik selbst ihrer Verabschiedung“ (260). Im weiteren Zusammenhang mit den De-Rhetorisations-Betrachtungen Rüsens steht ein Beitrag des auch literaturwissenschaftlich gebildeten Gerrit Walther, den dieser 1996 unter dem Titel ‚Der „gedrungene“ Stil. Zum Wandel der historiographischen Sprache zwischen Aufklärung und Historismus‘ veröffentlichte. Unter „gedrungenem“ Stil wird hier - vor allem am Beispiel der Sprache in Rankes Erstlingswerk und im Zusammenhang mit der Kritik durch Heinrich Leo und Friedrich von Raumer - eine verkürzende „gedrängte Darstellung“ verstanden, eine an der antiken brevitas-Formel gereifte „Verknappungsstrategie“, welche neben den von Frank R. Ankersmit (1996) vorgebrachten linguistischen Gesichtspunkten einen zwischen Aufklärungshistorie und Frühhistorismus aufgetretenen „Paradigmenwechsel“ kennzeichnen soll. Rüsen hatte bereits 1990 in Rankes Geschichtsschreibung eine „neue literarische Qualität“ bemerkt (s. I, 670f.). Auch bei Walther ist nicht bekannt, daß bereits Christian Daniel Beck 1825 der „Vortrag“ Rankes in seinem Erstlingswerk als „meist gedrängt“ erschienen war (s. I, 129). Die Gedrängtheit mag also unstrittig sein, doch bedenklich stimmt, daß gerade der von Walther als Eigenheit eines Historikers der Aufklärung - also nicht Rankes bestimmte „ruhige, klare Erzählfluß“ (102), tatsächlich Rankes „reifen Werken“ zugesprochen wurde, in denen man „immer nur das unbestimmte Bild des gleichmäßigen Fließens, des ruhigen Stroms gefunden“ habe, wie Hanno Helbling mit Bezug auch auf Meineckes Urteil (Meinecke/1948, 32f.) ausführte (Helbling/1953, 69, 54). Man hätte bei Walthers interessantem, im Auge zu behaltenden Ansatz ferner ein Eingehen auf die Kritik Schlossers von 1831 begrüßt, der wohl auch im Bewußtsein eines Paradigmenwechsels geschrieben, aber die Dinge völlig umgekehrt gesehen hatte. Bei Schlosser gehört Rankes Frühstil wie auch der Johannes von Müllers, den Walther als „Erfinder“ der „gedrungenen Darstellung“ betrachtet (Walther/1996, 112, A. 35), nicht einem neuen, sondern - wie mehrfach zitiert - gerade einem vergangenen, überholten Muster an: „Hr. Ranke, dessen erstes Buch, die germanischen und romanischen Stämme, ebenfalls in dem sonderbaren Deutsch und in der auf Stelzen einhergehenden Sprache der Müller nachahmenden Schriftsteller geschrieben war, scheint sich nachher besonnen zu haben, denn seine letzten Schriften sind in einem natürlichen Styl abgefaßt.“ ([Schlosser: Ueber die neusten Bereicherungen/1831, 300f). Hier wird also ein - zumal gegenläufiger - Stilwechsel nicht in, sondern nach Rankes Erstlingswerk bemerkt. Auch Friedrich v. Raumer empfand dessen Sprache als „noch ungelenk, zerschnitten und unkünstlerisch“ (GStA PK, I. HA Rep. 76 .V. f. Lit. R., Nr. 10, auch bei Lenz IV/1910, 460). - Und wo Walther in Rankes ‚Päpsten‘ eine „oft ‚objektivistisch‘ gescholtene Strategie des Zurücktretens hinter die Erzählung“ wahrzunehmen glaubte, stieß sich Maximilian Duncker - wie bereits betrachtet (s. I, 196) - 1834 bei diesem Werk gerade an „Stil u. ... Darstellungsmanier des Verf., die allerdings seine Subjectivität mehr als billig hindurchscheinen läßt.“ ([Duncker]/1834, Sp. 563). - Der von Walther hervorgehobene „gedrungene“ Stil steht wohl auch teilweise in einem strukturellen Zusammenhang mit Rankes zeitgenössisch allseits bemerkter und beklagter ‚versagter Vollständigkeit‘, die, zumindest begleitend, zu beachten gewesen wäre (s. I/1.7). Dies gilt auch für den von Helbling gegebenen Hinweis auf stilistische - 672 -

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Folgen des nach Rankes Erstling eingetretenen Quellenwechsels von den Historien und Chroniken hin zu Relationen und Reichstagsakten (1954, 67, s. I, 661). Von einer Art Verknappung, jedenfalls einer Raffung des Geschehens, war auch bei Johannes Süßmann die Rede. Er hing mit Blick auf Ranke einem variierten Grundgedanken des Nicht-Sagens an. In seiner im Jahre 2000 erschienenen Berliner Dissertation von 1998 mit dem Titel ‚Geschichtsschreibung oder Roman? Zur Konstitutionslogik von Geschichtserzählungen zwischen Schiller und Ranke (1780-1824)‘ untersuchte er detailliert den mehr und mehr in den Mittelpunkt des Interesses gezogenen Darstellungsband von Rankes Erstlingswerk in seinen „Mitteln und Konstitutionsprinzipien“ (220), wobei er im Gegensatz zu Baur (1998) von der Annahme ausging, daß die gelehrten ‚Paratexte‘, nämlich Vorrede, Einleitung und kritische Beilage, zuletzt entstanden seien, „daß sie, statt in die Darstellung einzuführen, eher verdecken, was Ranke im Ursprung interessiert“ habe: „eine neue, literarisch geformte Geschichtsschreibung zu entwickeln“ (220f.). Graftons ‚Footnote‘ scheint hier im Hintergrund zu wirken. Hatte doch der US-amerikanische Renaissance-Historiker Anthony Grafton (geb. 1950) zunächst 1994 einen Artikel über ‚The Footnote from De Thou to Ranke‘ verfaßt, der sich aufgrund seiner Skurrilität weiten Zuspruchs erfreute (ital. 1995, dt. selbst. 1995, engl. selbst. 1997). Grafton war, wobei einige Irrtümer mitlaufen (Ranke habe eine neue Theorie der Geschichte hervorgebracht, 60, habe mit seiner ersten Archivreise den ‚goût de l’archive‘ hervorgerufen, indem Grafton sich auf einen zu Zeiten Rankes noch nicht bekannten Brieftext stützt, ganz zu schweigen etwa von Pertz’ vorbildhafter und manch anderer voraufgehender Archivreise) zu dem Ergebnis gelangt: „Ranke did not invent, but dramatized, the historical footnote. He made the research that produced it as vital to the historian’s culture and as central to the historian’s achievement as the high style that had distinguished pragmatic exemplar history of the traditional kind. The historical footnote emerges not as a simple trademark guaranteeing quality nor as a uniform piece of scholarly technology, but rather as the product of long collective struggles and individual efforts to devise a visibly critical form of historical writing.“ - Um auf Süßmanns Dissertation zurückzukommen, so sah dieser darin als „wichtigste Eigenschaft“ der „Erzählinstanz“ des Rankeschen Erstlingswerkes, in dem dieser mit „Omnipräsenz“ auftrete (241), die „Diskretion“ an (240): Indem Ranke „Zeit und Raum oft ungefähr bezeichnet, das berichtete Geschehen gerade so weit rafft, daß seine Erzählung stets am Rande zur szenischen Darstellung bleibt, indem er in angedeuteten, bewegten, ständig zerfließenden Bildern erzählt und in den Erzählkommentaren Festlegungen verweigert (oder sie durch die Darstellung relativiert), erzeugt er tatsächlich jenes fragile Gleichgewicht zwischen Anschaulichkeit und Idealisierung, das seinem Darstellungsanspruch entspricht.“ (249). Dem muß freilich entgegenhalten werden, daß durch ‚Diskretion‘ allein historiographisch nichts entsteht, wodurch man sich auf den Gedanken geführt sieht, ob dieser Süßmannsche Grundbegriff überhaupt treffend gewählt wurde. Auch von Fragilität mag man nicht reden, eher von einer bewußten Inkonsistenz und Intransparenz der Darstellung. - Interessant ist, daß die von Süßmann zutreffend geschilderten Sachverhalte mit Whiteschen Kategorien systematologisch nicht angemessen zu beschreiben sein dürften. - Mit Recht weist Süßmann gegen Fuchs (1979), Repgen (1982) und Zemlin (Zeigen/1986) beiläufig auf die Notwendigkeit hin, Rankes Wort vom „eigentlich gewesen“ nicht auf späterer, sondern primär auf der Grundlage des Werkes zu interpretieren, in dem es sich findet (248, A 79). Süßmanns Behauptung übrigens, - 673 -

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Ranke habe sich aus bestimmten wichtigen Gründen „seit der Arbeit für die Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation ganz dem Aktenmaterial“ zugewandt (253), ist, wie sich sogleich bei den Relationen, Korrespondenzen und Flugschriften seiner ‚Französischen‘ und ‚Englischen Geschichte‘ wieder zeigt, so unzutreffend, daß man sie dem vergleichsweise wohlunterrichteten Verfasser gar nicht zutrauen mag. - Dem ‚Nicht-Sagen‘ im Zusammenhang mit historisch-politischen Fragestellungen wandte sich Süßmann in einem Beitrag von 2002 zu, mit dem Titel ‚Vom Arcanum zur Hieroglyphe: Das Geheimnis der frühneuzeitlichen Staaten im Geschichtsdenken Leopold Rankes‘, auf den bereits eingegangen wurde (s. I, 569f.). Eine schrittweise Hinwendung zu den ästhetisierenden Thesen Jauß’ und den metahistorisch ‚komödiantischen‘ Whites ist im Zusammenhang mit Ranke vor allem bei Wolfgang Hardtwig zu bemerken. 1975 hielt er anläßlich des 10. wissenschaftstheoretischen Kolloquiums einen 1978 erweitert veröffentlichten Vortrag mit dem Titel ‚Konzeption und Begriff der Forschung in der deutschen Historie des 19. Jahrhunderts‘, der noch durchaus konventionell daherkam (s. auch I, 613). Zum Verhältnis von Wissenschaft und Kunst bzw. Poesie bemerkte er damals zum einen den Unterschied von durch die „Phantasie Erfundenem“ und dem „wirklich Gewesenem“, zum anderen „die Kunst als konstitutiven Bestandteil der Historie“ (19). Ranke sah darin allerdings nach eigenem Bekunden ‚lediglich‘ ein Ideal (s. I/2.1.3). - 1982 folgte ein Beitrag über ‚Die Verwissenschaftlichung der Historie und die Ästhetisierung der Darstellung‘. Hier war die Rede von einer „Konzeption der ästhetischen Geschichtsschreibung, die vor allem von Ranke in seinen exemplarischen Erzählungen praktisch durchgeführt worden“ sei und „in der historistischen Tradition der deutschen Geschichtsschreibung zum Teil bis in die Gegenwart weiter“ gelebt habe (188). Dem ähnelte ein Abschnitt über „Geschichte als Wissenschaft oder Kunst“, den Hardtwig seinem 1990 erschienenen Werk ‚Geschichtskultur und Wissenschaft‘ (92-102) beigab. Darin sah er vor allem in Rankes „exemplarischen Erzählungen“ wieder „die Konzeption der ästhetischen Geschichtsschreibung ... praktisch durchgeführt“ (99). - In einem am 14. 12. 1995 an der Humboldt Universität Berlin aus Anlaß des 200. Geburtstages Rankes gehaltenen, 1996 und 1997 unter dem Titel ‚Historismus als ästhetische Geschichtsschreibung: Leopold von Ranke‘ erschienenen Vortrag konnte Hardtwig dann feststellen, Ranke sei „wider alles Erwarten“ zurückgekommen, „und zwar unter dem Vorzeichen des ‚linguistic turn‘ - jetzt nicht als Orientierungsgestalt für den Weg der deutschen Geschichtswissenschaft in die Moderne, sondern als Gewährsmann einer in die Postmoderne führenden Theorie der historischen Erzählung“ (1997, 99), weshalb sich Hardtwig ausdrücklich (106) der „komödiantischen“ Ranke-Deutung Hayden Whites in dessen ‚Metahistory‘ anschloß. Abgesehen von der schon lange bestehenden Rede über die ‚Postmoderne‘, in die Ranke dann doch mit einiger Verspätung Eingang gefunden habe, bleibt auch dringend zu fragen, in welchem Verhältnis die von Hardtwig abwechselnd in den Vordergrund gestellten ästhetischen und religiösen (Hardtwig/1991; s. I, 627f., 645) Grund-Tendenzen Rankes zueinander stehen. Auch bei Historikern der University of Sydney, Ann Curthoys und John Docker, dürften Kategorien Whites, ferner sein Ranke zuwiderlaufender Ironiebegriff beteiligt sein. In ihrem Werk ‚Is history fiction?‘ von 2005 findet sich ein Kapitel (50-68) ‚Leopold von Ranke and Sir Walter Scott‘. Die Verfasser sehen Ranke zu Walter Scott in einem Verhältnis wie Thucydides zu Herodot: „In the spirit of Herodotus ..., the narrator of Scott’s novel quite often makes ironic playful references to himself, - 674 -

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pointing out to the reader how little he knows, or how uncertain are his documentary sources in yielding sure knowledge of people and events in the compilation of what he self-parodically refers to as ‚this true history‘. The tone of the narrator of History of the Latin and Teutonic Nations is of one who possesses the truth; it is a Thucydidean tone that would make it difficult to allow for acknowledgement of uncertainty and inconclusiveness.“ (66f.). Dem widersprechen allerdings ein wenig die modestas-Formeln des Rankeschen Vorworts („Man bemüht sich, man strebt, am Ende hat man’s nicht erreicht.“ GRGV, p. VIII). Philipp Müller veröffentlichte 2006 einen Beitrag, betitelt ‚Wissenspoesie und Historie. Rankes Literaturgeschichte der Renaissance als Rekonfiguration ästhetischer Geschichtsphilosophie‘. Müller ist dabei wenig zurückhaltend in der stets auch selbsthebenden Entdeckung Rankescher Großtaten: Man begegnet einer „Literaturgeschichte“, auch einer „Poetik der Kultur der Renaissance“, weiterhin einer „ästhetischen Geschichtsphilosophie“, später einer „ästhetischen Verstehenslehre“, wodurch die von Fulda spätestens 2005 Ranke bereits zugesprochene „idealistische Kunsttheorie“ ergänzt wird (s. I, 594f.). All dies existiert in solch ausgeprägter Form nicht. Bei der als Interpretationsgrundlage bemühten ‚Literaturgeschichte‘ handelt es sich lediglich um die ca. 90seitige Druckfassung eines Vortrags Rankes vor der Berliner Akademie der Wissenschaften, und man fragt sich, ob aus dieser werkuntypischen Spezialität, die aufgrund ihrer poetischen Thematik ästhetischen Fragen überhaupt näher entgegenkommt als jedes ‚Normal-Werk‘ Rankes, allgemeine und weitreichende Schlußfolgerungen gezogen werden können, zumal bereits Rudolf Vierhaus darauf hingewiesen hatte, die Abhandlungen über italienische Kunst und Literatur seien „doch wohl in erster Linie dem Eindruck persönlicher Begegnung entsprungen, nicht der Absicht, sie als wichtige Teile den größeren Werken einzuarbeiten“ (Vierhaus: Ranke und die soziale Welt/1957, 70, A. 47). Müller stellt jedenfalls, nachdem Jörn Rüsen und auch Wolfgang Hardtwig 1990 den ästhetischen Charakter der Geschichtsschreibung Rankes betont und, wie bemerkt, Daniel Fulda gesteigert über Rankes „idealistische Kunsttheorie“ geschrieben hatte, fest: „Rankes Geschichtsschreibung wurde von einem ästhetischen Idealismus getragen, dessen Voraussetzungen und Konsequenzen sich in seiner ‚Geschichte der italienischen Poesie‘ bündeln“ (13), ja, Rankes „Beschreibung der italienischen Poesie“ - tatsächlich handelt es sich um eine Auswahl repräsentativer Gestalten, und der Beitrag lautet einschränkend ‚Zur Geschichte ...‘, - lasse sich gar als „eine Poetik der Kultur der Renaissance lesen“ (15), welche nicht nur „die Annahme seiner ästhetischen Geschichtsphilosophie“ rekonfiguriere (8), sondern die auch „das Verhältnis von Historismus und New Historicism in ein neues Licht“ rücke. (15). Hier wäre eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Carl Neumann in seinem Beitrag ‚Ende des Mittelalters? Legende der Ablösung des Mittelalters durch die Renaissance‘ von 1934 interessant gewesen. Neumann hatte die Behauptung aufgestellt, in Rankes Werken komme „die Vorstellung und der Begriff von Renaissance überhaupt nicht vor“ (150). Bei ihm habe sich „die Kultur von Deutschland im 14. und 15. Jahrhundert ... im 16. und 17. Jahrhundert f o r t g e s e t z t “ [i. T.] (151). Er erblicke die Grundlagen der Neuzeit in „ganz anderen Tatsachenreihen“ als im Zusammenhang mit der Wiedererweckung des Altertums (ebd.). - Man vermißt bei Müller aufgrund mangelnder Ergiebigkeit nicht ein näheres Eingehen auf die Dissertation von Hendrik Schulte-Nordholt über ‚Het beeld der Renaissance. Een historiografische studie‘ von 1948 (bes. 207211), indes ein solches auf den Beitrag von Ralf Ritter [!] (von Müller mehrfach - 675 -

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‚Richter‘ genannt, 16, A. 8 u. 17, A. 21), über ‚Kulturgeschichtsschreibung bei Leopold von Ranke. Rankes Studien zur italienischen Renaissance‘ von 1977. Im übrigen wären bei der Betrachtung des Verhältnisses Ranke-Heinrich Ritter vor allem die Arbeiten von Simon (1928), Baur (1998) und di Bella (2005) zu berücksichtigen gewesen. Ralf Ritters terminologisch schlichterer Beitrag gilt ebenfalls den „Ansätzen [!] einer Kulturgeschichtsschreibung“ (203), den „wenigen [!] Bruchstücken und Abschnitten“ des Gesamtwerks (217) Rankes in den Jahren zwischen 1825 und 1835, allerdings in einem weiteren, auch außerpoetischen Sinne, wobei Ritter zunächst die Rankeschen Begriffe von ‚Cultur‘ und vor allem ‚Culturwelt‘ betrachtet, bevor er sich Rankes Begegnung mit der italienischen Renaissance-Kultur zuwendet. Ritter schließt mit einer Gegenüberstellung von Ranke und Burckhardt, die sich allerdings stark an Meinecke (1948) anlehnt. - In Müllers Dissertation von 2006, erschienen 2008, wird die Ästhetisierung Rankes fortgeführt, unter dem Titel ‚Erkenntnis und Erzählung. Ästhetische Geschichtsdeutung in der Historiographie von Ranke, Burckhardt und Taine‘. Überwiegend aufgrund einer auch von Jauß 1970 und 1982, nicht minder von Harth 1982 unternommenen Analyse von Rankes ‚Französischer Geschichte‘ und einem völlig überschätzten Nah-Verhältnis zu Friedrich Wilhelm IV. gelangt Müller, der Ranke nun, wie bemerkt, eine „ästhetische Verstehenslehre“ (103) zuspricht, in der Zusammenfassung seiner Arbeit zu folgendem Ergebnis (Schlußsatz): „Der konservative Standpunkt der historischen Rekonstruktion wird als Überformung der prozessualen Narration deutlich und manifestiert damit ein latentes Spannungsverhältnis zwischen objektiv-idealistischem Anspruch und politischer Orientierung in Rankes Historiographie.“ (143). Dabei bleibt noch Müllers vorgängige Erkenntnis zu beachten: „Die Reorganisation des ästhetischen Geschichtsverständnisses im politischen Diskussionskontext führt nicht zu einer schlichten Trennung zwischen politischem Gehalt und idealistischer Ästhetik.“ (129). - Möglicherweise wird einmal die Frage aufgeworfen, ob über Rankes ‚Französische Geschichte‘ hinaus eine Analyse seiner ‚Englischen Geschichte‘ aufgrund des ganz anders gearteten Aufeinanderwirkens der politischen Gewalten mit Bürgerkrieg und Republik zu modifizierten Ergebnissen geführt hätte. Über ‚Die Anschaulichkeit der Geschichte in Historiographie und Malerei‘ wurde von Jörg Christöphler und der Kunsthistorikerin Andrea Dippel (geb. 1969) im Jahre 2000 eine Skizze bereitgestellt, die sich kurz aber prägnant auch mit Rankes historiographischer Darstellung befaßt. Die Autoren weisen mit Recht darauf hin, daß bereits die zeitgenössische Kritik - genannt werden zwar lediglich Heinrich Leo und Friedrich Köppen - „die entscheidenden Stichworte“ zur Beurteilung von Rankes historiographischer Darstellung geliefert habe: „die manierierte Übernahme quellensprachlicher Ausdrücke ..., die sentimentalisierte Schilderung historischer Personen, die Charakterintrospektion ... sowie den Detailreichtum“ (133). Aufgeführt werden diese Stilmittel freilich als Ausdruck von „Rankes Meisterschaft“. Man darf daher keine Betrachtung der Auswirkung dieser Mittel etwa auf das Objektivitätsproblem erwarten, wie es sich der Fachhistorie stellt. - Deutlicher der Okularität zugewandt war der Konstanzer Literaturwissenschaftler Uwe Hebekus (geb. 1963). Er unternahm in einem auf seine dortige Dissertation von 1999 (‚Klios Medien‘, erschienen erst 2003) zurückgehenden, 2004 erschienenen Beitrag ‚Geschichte sehen. Zur aisthesis Leopold von Rankes‘ den Versuch, anhand einer malereigeschichtlichen Spezialität dessen „Modell eines ‚Geschichte Sehens“ zu entwickeln: Rankes ‚aisthesis‘ erweise sich „in ihrer profiliertesten Form als Transposition des ersten modernen Massenmediums, des Panoramas nämlich, - 676 -

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in die Historie“ (141). Bei Ranke sei es „Metapher und Modell der Historie selbst“ (154). Dieses Modell eines Geschichte Sehens erzeuge, wie Hebekus in einem ans Rätselhafte grenzenden abschließenden Gedankengang darzulegen sucht, „eine Disjunktion eigener Art: Dessen Orientierung nicht zuletzt am Massenmedium Panorama, das modern eben darin“ sei, „dass es als ‚All-Aussicht‘ die göttliche All-Schau säkularisiert und demokratisiert, diese - medienhistorisch gesehen - moderne Orientierung“ erzeuge „eine Apperzeption von Geschichte, die ihrerseits den modernen Begriff von Geschichte verabschieden oder zumindest ein Stück weit zurücknehmen will.“ (162). Letzteres eine Absicht, die Ranke aus anachronistischen Gründen allerdings nicht verwirklichen konnte. - Zweifellos findet sich in seinem Werk - mit großer Seltenheit eine als Panorama zu bezeichnende Passage - auf die Bedeutung des serbischen Panoramas hatte bereits Hanno Helbling (1953, 87f.) aufmerksam gemacht, - übrigens eine Passage, die von Ranke erst in die zweite Auflage von 1844 (1f.) eingefügt worden war. Unzulässig scheint jedoch eine Verallgemeinerung hin auf Rankes Geschichtsanschauung als solche. Auch liegt der Sinn des Panoramas nicht allein oder in erster Linie in seiner Medialität, die bei Wandmalerei, Wandteppich etc. zumeist im Vordergrund steht, sondern in der Weite und Tiefe der Okularität. Bemerkenswert sind Hebekus’ Betrachtungen zu Rankes „Ästhetik der historischen Quellen“ (142-148), im einzelnen zum Verhältnis von „dokumentierter Materie der Überlieferung“ und „darstellender Erzählung“ (143). Dabei sieht Hebekus eine „Umbestimmung des Verhältnisses von Mimesis, Diegese und Diataxis“ (144), - dies von White (1986/1991, 12) für die Historie neu definierte Begriffe. - Den von Hebekus hervorgehobenen PanoramaAspekt griff 2013 die als Associate professor des ‚Department for the Study of Culture‘ an der Syddansk Universitet Odense tätige Kathrin Maurer mit ihrem Werk ‚Visualizing the Past‘ auf. Sie tat dies - aufgrund mangelnden Auftretens - unter Ausweitung und wiederum Verallgemeinerung des Begriffs, was sie dazu führte, in Rankes Geschichtsschreibung nicht nur ein Produkt von „high literature“, sondern auch von „mass culture“ zu sehen (72), - eine maß-lose Irrung, welche öffentliche massenmediale Eigenschaften oder nur Möglichkeiten der darstellenden Kunst auf einen textlichen Überblick überträgt, obgleich dieser in einer singulären, wesentlich intimeren Beziehung zu seinem jeweiligen Lese-Rezipienten steht. Gleichwohl bleibt das v. a. auf Yorck von Wartenburg zurückgehende Thema der Okularität oder Visualität (s. I, 414) von Bedeutung. Es ließe sich auch über ‚Porträt‘, ‚Architekturzeichnung‘ oder Schlachtengemälde‘ versus ‚Stillleben‘ nachdenken. Ernst Simon glaubte übrigens Ende der Zwanziger Jahre bei Ranke zwei Arten der „Porträtierungskunst“ vorzufinden, das Profilbildnis und das en face-Bildnis (s. I, 479), während Paul Kirn ‚Doppelbildnissen‘ nachging (Kirn/1955, 97). Noch weiter zurück reichen Eindrücke Julian Schmidts, der 1886 Ranke in seiner ‚Weltgeschichte‘ als „Frescomaler“ auftreten sah, „und zwar im größten Stil“ (s. I, 374). Altbekannt, bis auf Hegel und Heinrich Leo zurückgehend, ist eine 1875 vorgenommene malereibezogene Charakterisierung des Rankeschen Stils aus der Feder Ludwig von Pastors (s. I, 193). Hinzu gehören wohl auch Eindrücke von Rankes narratorischer Gesamtszenerie. Sie sah Ignaz von Döllinger unter „einer Art Gasbeleuchtung“, in der sich „neblichtes Halbdunkel“ und „bengalisches Feuer“ entwickeln (s. I, 232), während Alfred Dove von „sommerlichem Mondschein“ sprach (s. I, 346). - Hier ist natürlich stets zu unterscheiden, ob metaphorisch und figurativ aus dem ‚Auge‘ des lesenden Betrachters wertend geurteilt oder ob durch das ‚Auge‘ des Darstellers Ranke wahrnehmend - 677 -

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geschaut wird. Indes kann selbst die zweifellos erstrangige Visualität lediglich Teilaspekt der stets als solche zu betrachtenden Sensibilität des Darstellers und der Gesamtsensualität des Dargestellten sein. Heinrich Leo hatte - wenn auch beanstandend bemerkt, daß Ranke bei der Entdeckung Amerikas durch Kolumbus, wie man hinzufügen darf: horchend, von der „ersten Nachtigall“ gesprochen hatte (s. I, 202). * Die Thesen Whites, aber auch die von Jauß und Rüsen blieben nicht gänzlich unwidersprochen, nur selten unbeachtet, wie hier nur ausschnittweise angedeutet werden kann. Im Zusammenhang mit Ranke sind vor allem Arbeiten von R. Vierhaus, U. Muhlack, K. Maurer und R. Bursch zu nennen. Der 1986 zu Rankes 100. Todestag im Rahmen einer Veranstaltung der Historischen Kommission und der Stiftung Historisches Kolleg in München gehaltene, mehrfach gedruckte Vortrag von Rudolf Vierhaus mit dem unglücklichen Titel ‚Leopold von Ranke. Geschichtsschreibung zwischen [!] Wissenschaft und Kunst‘ legt Wert auf die unbestreitbare Feststellung, daß Ranke, der noch einen „umgreifenden“, auch die Geschichtsschreibung mit einschließenden Literaturbegriff“ gekannt habe (Vierhaus/1987, 292), seine eigentliche Aufgabe „in der zusammenfassenden großen Darstellung“ gesehen habe (286f.), die man auch stets in literarischer Hinsicht lesen müsse, „um ihren Rang voll würdigen zu können“ (297). Zu White gewandt sieht sich Vierhaus zu der Erklärung genötigt, daß „rhetorische Strategien“ zwar „zeitbedingt, von individueller Bildung und ideologischen Vorannahmen bestimmt“ seien (296), daß jedoch „die schriftstellerische Kunst des Autors ... einem Werk der Geschichtsschreibung auch dann noch Bedeutung und Aussagekraft verleihen“ könne, „wenn es nicht mehr den neuesten Stand der Kenntnisse“ repräsentiere „und seine Ergebnisse nicht mehr den Erkenntnisinteressen und Fragestellungen der Gegenwart“ entsprächen (296f.). Dieser forschungsgeschichtliche Gesichtspunkt unhaltbarer ‚Faktizität‘ spielte nun allerdings in Whites System keine tragende Rolle. Dort ging es u. a. um die Frage des fiktionalen Charakters von Rhetorik. Ulrich Muhlack, der damals begann, sich mehrfach qualifiziert zu Ranke zu äußern, widersprach in seinem Beitrag von 1982 über ‚Theorie oder Praxis der Geschichtsschreibung‘ wesentlichen Thesen von Jauß und Harth zu Recht durch den Hinweis, daß sich alle dort „nachgewiesenen literarischen oder fiktionalen Mittel aus dem Wahrheitsanspruch des Historikers ableiten.“ (614). Man möchte hinzufügen: idealiter. Der Vorwurf des Ästhetizismus, den Jauß gegen die Geschichtsschreibung Rankes erhebe, bestehe „daher nicht zu Recht“ (ebd.), vor allem sei seine Behauptung einer von Ranke betriebenen „uneingestandenen perspektivierenden Fiktionalisierung“ zurückzuweisen. (Ebd.). Dies gemäß der leitenden Überzeugung Muhlacks: „Eine Theorie der Erzählung wird erst dadurch zur Geschichtstheorie, daß sie sich auf die Prinzipien historischer Erkenntnis richtet.“ (619). Nun ist allerdings eine Theorie der Erzählung auch dann noch sinnvoll historiographieanalysierend einzusetzen, wenn sie sich nicht zu einer Geschichtstheorie entwickelt. - 1997 war Muhlack in einem Beitrag, betitelt ‚Geschichtsschreibung als Geschichtswissenschaft‘, weiterhin bestrebt, „einige Stichworte“ beizubringen für die These, daß die historische Darstellung nicht „immer mehr aus einer literarischen Veranstaltung zu einer Funktion der historischen Forschung geworden sei“, sondern - eher im Gegenteil - „daß es eine literarisch anspruchsvolle Geschichtsschreibung in Deutschland im Grunde erst seit dem Anfang des 19. Jahrhunderts gibt und daß sich die historische Forschung durch sie oder als sie konstituiert“ - 678 -

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(67). Unter den von Muhlack als Vorläufern Rankes genannten namhaften historischen Schriftstellern - Winckelmann, Möser, Spittler und Heeren - hätte Johannes von Müller nicht fehlen dürfen, dessen Stil Ranke zunächst in wenig anziehender Weise nachahmte. Die Wende sei durch Niebuhrs ‚Römische Geschichte‘ und Rankes Erstlingswerk vorgeführt worden, eine These, die zuvor bei Rüsen und Walther angeklungen war. Immerhin sei es Ranke gelungen, sein Erstlingswerk mithilfe der ‚Beylage‘ von „Untersuchung, Erweis und Gelehrsamkeit“ (72) freizuhalten, was, wie man hinzufügen darf - einen gewissen literarischen Impetus, nicht jedoch dessen tatsächlich zunächst nicht eingetretenes Gelingen bezeugen mag. Auch wird immer wieder übersehen, daß Rankes angeblich ‚erweis‘-freie ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘ über eine vierstellige Zahl an Fußnoten verfügen. Als Gegnerin von Thesen Whites und Rüsens trat auch Kathrin Maurer auf. In ihrem Clio-Beitrag von 2006 über ‚The Rhetoric of Literary Realism in Leopold von Ranke’s Historiography‘ und in ihrem gleichzeitigen Werk ‚Discursive Interaction. Literary realism and academic historiography in nineteenth-century Germany‘ vertrat sie - ausschließlich auf sein nunmehr weithin bevorzugtes Erstlingswerk gestützt -, den Standpunkt, Rankes Geschichtsschreibung sei zwar, ungeachtet seiner de-rhetorisations-Absicht, auf Rhetorik gegründet, doch habe er eine ‚rhetoric of realism‘ praktiziert, welche über die ihm von White (Metahistory 1973) zugeschriebene enge und formalistische Bezeichnung eines ‚doctrinal realism‘ hinausgehe. Die Funktion dieser Rhetorik - und damit wandte Maurer sich Rüsen zu (Konfigurationen des Historismus/1993) - sei von anderer Art als dieser vorschlage: Die Anwesenheit von Rhetorik im Rüsenschen ästhetisierten Sinne destabilisiere die Gestaltung von Geschichte als Wissenschaftsdisziplin, da sie die Grenzen von Fiktion und Fakt aufhebe. Rüsens nachdrückliches Bestehen auf einer ästhetisierten Rhetorik subsumiere und unterdrücke alle Fragen im Zusammenhang mit einer rhetorischen techné und lenke auf diese Weise ab von den Problemen der Darstellung in Rankes Geschichtsschreibung. - Maurer untersucht nun als Grundlage der Repräsentation von Geschichte Rankes rhetorische Strategien: so die Benutzung symbolischer Strukturen, worunter sie vor allem sein Konzept europäischer nationaler Einheit und seine Vorstellung der Omnipräsenz Gottes in der Geschichte versteht. Zum Nachweis spezieller narrativer Strategien Rankes geht sie mit perspicuitas und brevitas über zur wieder beliebt gewordenen Begrifflichkeit antiker Rhetorik, findet seine Realismus-Strategien jedoch neben speziellen Metaphern - in der Nachfolge u. a. von Hebekus (2004, 146ff.) - auch in seinem ‚archive effect‘ vor (323/44ff.), mit dem er Text zur Schaffung eines Eindrucks von Authentizität, Unmittelbarkeit und Wissenschaftlichkeit als Quellenmaterial illusioniere. Zu den Kritikern der Ranke-Deutung Whites gehört auch der Literaturwissenschaftler Roland Bursch (geb. 1969), dem es in seiner 2006 erschienenen Dissertation ‚„Wir dichten die Geschichte.“ Adaption und Konstruktion von Historie bei Friedrich Dürrenmatt‘ anhand einer Betrachtung von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ u. a. zu zeigen gelang, daß dieser nicht „ein im Letzten naiver Optimist“ war, „als er bei White [Metahistory/1973] mitunter“ durchscheine (99) und daß ihm auch gelegentlich das von White angelegte Schema der „Gelassenheit“ nicht eigne, woraus sich ergebe, daß das im Whiteschen Modell der Komödie angenommene „Ende der Geschichte“ bei Ranke „mitnichten ausgemacht“ sei (99).

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GÜNTER JOHANNES HENZ

Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung Band II Grundlagen und Wege der Forschung

Duncker & Humblot · Berlin

GÜNTER JOHANNES HENZ

Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung Band II

GÜNTER JOHANNES HENZ

Leopold von Ranke in Geschichtsdenken und Forschung

Band II Grundlagen und Wege der Forschung

Duncker & Humblot  ·  Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Abbildung auf Umschlag: Leopold von Ranke, Historischer Druck nach dem Gemälde von Julius Schrader, aus dem Bildatlas zur Geschichte der Deutschen Nationalliteratur, von Gustav Könnecke, 1887 (© ullstein bild – image BROKER / H.-D. Falkenstein) Alle Rechte vorbehalten

© 2014 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: CPI buchbücher.de, Birkach Printed in Germany

ISBN 978-3-428-14372-6 (Print) ISBN 978-3-428-54372-4 (E-Book) ISBN 978-3-428-84372-5 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

INHALT Band II

1. Teil (II/1) DAS WERK

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1. Abteilung: Selbständige Schriften 1824-1886 (II/1.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11 Vorbemerkung (II/1.1.1) 11 - Übersicht (II/1.1.2) 12 Geschichten der romanischen und germanischen Völker. Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber 12 - Fürsten und Völker von Süd-Europa I/(Die Osmanen und die spanische Monarchie) 19 - Die serbische Revolution 28 - Ueber die Verschwörung gegen Venedig 32 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert 34 - Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten 38 - Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine 42 - Zur Geschichte der italienischen Poesie 42 - Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation 43 - Ueber die Versammlung der französischen Notabeln im Jahre 1787 55 - Neun Bücher Preußischer Geschichte 55 Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert 58 Englische Geschichte vornehmlich im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert 68 Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert 76 - Geschichte der Restauration und der Revolution in England 79 - Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England 80 - Zur Deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg 80 - Geschichte Wallensteins 82 - Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges 84 - Die deutschen Mächte und der Fürstenbund 85 - Abhandlungen und Versuche. Erste Sammlung 88 - Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen 91 - Eine Gedächtnißrede bei Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission 94 - Zwölf Bücher Preußischer Geschichte 94 - Genesis des preußischen Staates 98 - Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg 98 - Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792 100 - Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg 102 - Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813 109 - Historisch-biographische Studien 111 - Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte 113 - Zur Venezianischen Geschichte 115 - Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert 116 - ‚Sämmtliche Werke‘, Bde 1-48 120 - Die posthume Fortführung der ‚Sämmtlichen Werke‘, Bde 49-54 124 - Weltgeschichte, Bände IVI 129 - Die posthume Fortführung der ‚Weltgeschichte‘, Bde VII-IX/2 143

2. Abteilung: Nichtselbständige Schriften 1817-1878 (II/1.2). . . . . . . . . . . . . . . . 146 Einführung (II/1.2.1) 146 - Übersicht (II/1.2.2) 149

3. Abteilung: Herausgeberschaften (II/1.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 Historisch-politische Zeitschrift 157 - Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 161 - Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde 162 - Quellenbezogene Herausgeberschaften: Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause 162 - Die Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit in deutscher Bearbeitung 164 - Quelleneditionen im Werk 164

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Inhalt

2. Teil (II/2) HANDSCHRIFTLICHER NACHLASS

165

1. Abteilung: Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte (II/2.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1886 - 1890: Der fortgesetzte und ‚beendete‘ Ranke (II/2.1.1) 167 - Nachlaß in der ‚Weltgeschichte‘ (II/2.1.1.1) 168 - Nachlaß in den ‚Sämmtlichen Werken‘ (II/2.1.1.2) 171 1891 - 1921: Einzelnes aus dem Briefwechsel (II/2.1.2) 172 - 1921 - 1945: Jugendhandschriften, Gesamtausgabe, Um Kg. Maximilian II. (II/2.1.3) 173 - 1945 - 1963: Vorlesungen (II/2.1.4) 179 - 1964 - 1975: Eine Edition der Historischen Kommission (II/2.1.5) 181 - Ausläufer und Ausblick (II/2.1.6) 187

2. Abteilung: Bestände (II/2.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 Der Ranke-Nachlaß der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz (II/2.2.1) 189 Das durch Kriegseinwirkung vernichtete Depositum ‚Leopold von Ranke‘ des Geheimen Staatsarchivs Preußischer Kulturbesitz, Berlin (II/2.2.2) 191 - Rankenahe Bestände anderer Herkunft (II/2.2.3) 192

3. Abteilung: Edierte Handschriften (II/2.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Teil (II/3) BRIEFWECHSEL

235

1. Abteilung: Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften (II/3.1) . . . . 237 Der Charakter der Korrespondenz (II/3.1.1) 237 - Rankes Umgang mit seinen Briefschaften (II/3.1.2) 242 - Der Kreis der Korrespondenten (II/3.1.3) 244 - Die Nachlaßsituation und die erste Editionsphase, 1886-1890 (II/3.1.4) 246 - Die zweite Editionsphase, 1892-1943 (II/3.1.5) 249 - Die Briefausgaben von 1949 (II/3.1.6) 252 - Die Briefausgaben der Jahre 1951-1972 (II/3.1.7) 256 - Fehlendes und Fingerzeige (II/3.1.8) 257

2. Abteilung: Briefausgaben und Einzeldrucke 1829-2012 (II/3.2) . . . . . . . . . . . . . 262 3. Abteilung: Epistolarische Archivbestände (II/3.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4. Abteilung: Korrespondentenregister (II/3.4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 4. Teil (II/4) DENKSCHRIFTEN

319

1. Abteilung: Wissenschaftliche Denkschriften, Gutachten, Empfehlungen, Pläne, Entwürfe (II/4.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 Einführung (II/4.1.1) 321 - Übersicht (II/4.1.2) 323

2. Abteilung: Historisch-Politische Denkschriften, Gutachten, Reflexionen (II/4.2) . . . 338 Einführung (II/4.2.1) 338 - Übersicht (II/4.2.2) 340

5. Teil (II/5) VORLESUNGEN UND ÜBUNGEN

347

1. Abteilung: Vorlesungen (II/5.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 Einführung (II/5.1.1) 349 - Thematik (II/5.1.2) 350 - Wesen und Wirkung (II/5.1.3) 354 Vorlesungsmanuskripte und Nachschriften (II/5.1.4) 357 - Zur Geschichte der VorlesungsEditorik (II/5.1.5) 360 - Probleme der Vorlesungs-Editorik (II/5.1.6) 367

2. Abteilung: ‚Historische Übungen‘ (II/5.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Anfänge und Methodik (II/5.2.1) 371 - Der ‚Jahrbücher‘-Zirkel und spätere Teilnehmer der Übungen (II/5.2.2) 373 - ‚Ranke-Schule‘ (II/5.2.3) 377

3. Abteilung: Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen nebst Vorlesungsmanuskripten und Hörernachschriften (II/5.3). . . . . . . . . . . . . 379

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Inhalt

6. Teil (II/6) VORTRÄGE UND ANSPRACHEN

415

1. Abteilung: Leipziger und Frankfurter Jahre (II/6.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 2. Abteilung: Vor der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin (II/6.2) . . . . . . . 419 Einführung (II/6.2.1) 419 - Lesungen (II/6.2.2) 423 - Veröffentlichte Akademie-Abhandlungen (II/6.2.3) 430

3. Abteilung: Vor der Versammlung der Germanisten zu Frankfurt a. M. (II/6.3) . . . . 431 4. Abteilung: Vor der Académie des sciences morales et politiques, Paris (II/6.4) . . . . 432 5. Abteilung: Vor der Historischen Kommission bei der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München (II/6.5) . . . . . . . . . . . 435 Einführung: Zwischen ‚Historischer Kommission‘ und ‚Deutscher Akademie‘ (II/6.5.1) 435 Reden (II/6.5.2) 438 - Ergänzende Hinweise (II/6.5.3) 444

6. Abteilung: Ansprachen zu besonderen persönlichen Anlässen (II/6.6) . . . . . . . . . 447 7. Teil (II/7) BEGEGNUNGEN UND GESPRÄCHE

449

1. Abteilung: Zur Geschichte und Situation der Ranke-Biographik (II/7.1) . . . . . . . . 451 2. Abteilung: Übersicht (II/7.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 8. Teil (II/8) SAMMLUNGEN

507

1. Abteilung: Die Bibliothek und ihre Veräußerung (II/8.1) . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 2. Abteilung: Die Handschriften-Sammlung (II/8.2) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 Katalogisierung (II/8.2.1) 516 - Art und Erwerb der Handschriften (II/8.2.2) 518 Der Quellenwert der Relationen und ihre Nutzung (II/8.2.3) 525

3. Abteilung: Einzeldrucke, Varia (II/8.3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 9. Teil (II/9) BIBLIOGRAPHIE

533

1. Abteilung: Zur Geschichte und Situation der Ranke-Bibliographik (II/9.1) . . . . . . 535 2. Abteilung: Chronologische Werkübersicht 1824-1886 (II/9.2) . . . . . . . . . . . . . 541 3. Abteilung: Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben 1843-2013 (II/9.3). . . . . . . 548 Einführung (II/9.3.1) 548 - Übersicht (II/9.3.2) 553

4. Abteilung: Übersetzungen 1834-2013 (II/9.4) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 5. Abteilung: Chronologisches Literaturverzeichnis 1678-2013 (II/9.5) . . . . . . . . . . 606 Abkürzungen/Siglen (II/9.6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 754 10. Teil (II/10) PERSONENREGISTER ZU BAND I UND II

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757

1. Teil DAS WERK (II/1)

1. Abteilung (II/1.1) SELBSTÄNDIGE SCHRIFTEN 1824-1886 V o r b e m e r k u n g (II/1.1.1) Nachrichten über die Entstehungsgeschichte der Werke Rankes sind dünn und ungleichmäßig gesät. Dies hängt nicht zuletzt mit der Zurückhaltung zusammen, die er bei ihrer Vorbereitung pflegte. Überdies unterhielt er im Hinblick auf seine Werke nahezu keinen Meinungsaustausch mit Kollegen. Ausnahmen von geringer Bedeutung lassen sich in Georg Waitz und Alfred v. Reumont namhaft machen. Ein wissenschaftliches Arbeits-Tagebuch ist nicht bekannt. Einige Kenntnis ist aus Briefen an seine Geschwister und aus seinen autobiographischen Diktaten zu erlangen. Für die Spätzeit kann den Erinnerungen seiner Amanuensen und vor allem den Briefen an Geibel manches Konkretere entnommen werden. Auch bieten gelegentlich die Vorreden seiner Werke einige archivbezogene Informationen. Überhaupt ist, wie Otto Vossler 1943 mit noch andauernder Gültigkeit bemerkte, von der „inneren Entwicklung des Gelehrten ... nur wenig bekannt.“ (Vossler/(1943) 1964, 192). Dieser generelle Mangel muß sich zwangsläufig in den folgenden Werkkommentaren bemerkbar machen, welche sich, wie eingangs bemerkt, nicht mit historiographiegeschichtlichen Einordnungen und Würdigungen, sondern vorwiegend mit der äußeren Entstehungsgeschichte und mit Rankes Forschungstätigkeit befassen. Dabei sollten editorische, bibliographisch-bibliothekarische und archivgeschichtliche Interessen nicht zurückstehen. Die Werke treten nach der Abfolge der Erscheinungsjahre der jeweiligen Erstbände auf, gefolgt von allen weiteren zu Lebzeiten Rankes erschienenen Auflagen. Den Schluß des jeweiligen Werkeintrags bildet ein Überblick über ggfs. vorhandene „Analekten“. Auf die große Zahl dieser den Werken beigegebenen Abhandlungen, Urkunden, Auszügen und kritischen Bemerkungen ist auch deshalb einzugehen, weil sie nicht nur mit dem entsprechenden Werk in einem engen Zusammenhang stehen, sondern auch gelegentlich dem Bereich der unselbständigen Schriften und vor allem den Lesungen vor akademischen Einrichtungen entstammen, überdies häufig Umpositionierungen innerhalb des Gesamtwerkes unterlagen und letztlich in ihrer Vielfalt wieder in das Bewußtsein der Forschung zu stellen sind, der sie - auch im Zusammenhang mit ihrem Verschwinden aus den Ranke-Ausgaben der 1917 einsetzenden popularisierenden gemeinfreien Editionsphase - verloren zu gehen drohen. So wäre es beispielsweise nicht ausreichend, auf das Analekt ‚Ueber die autobiographischen Aufzeichnungen König Jacobs II. von England‘ in Bd. VII der 1. Aufl. oder in Bd. VIII der 2. Aufl. seiner ‚Englischen Geschichte‘ hinzuweisen. Ist in diesem Fall doch auch seine entsprechende Lesung vom 23. Nov. 1863 in der Berliner Akademie zu erwähnen. Umgekehrt dürfte es ohne Hilfestellungen dieser Art kaum möglich sein, zu dem in der Sitzung vom 22. Nov. 1852 gehaltenen Akademie-Vortrag „Über die schwedischdeutsche Geschichte von Puffendorf [!] und Chemnitz“ das entsprechende Analekt in einem seiner Werke aufzufinden. Es erschien, verbunden mit einigen Bemerkungen zur Schlacht von Fehrbellin als Nachtrag zum 3. Buch in Bd. III/IV, 594-606 der ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘, 1. Aufl 1874, nicht jedoch in den bereits 1847-48 erschienenen ‚Neun Büchern Preußischer Geschichte‘, die noch gänzlich analektenfrei auftraten. - 11 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Roman. u. german. Völker‘/‚Zur Kritik‘

Ü b e r s i c h t (II/1.1.2) Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535 [1. Auflage] > Erster [einziger] Band, Lpz.und Bln., bey G. Reimer, 1824. XL, 423 gez., [424] S. 8º. Beginn der Auslieferung: Nov./Dez. 1824. Das Werk erschien „in einer selbst für jene genügsame Zeit unscheinbaren Ausstattung“ (v. Reumont/1886, 608). Vorrede (III-VIII). - Inhalt (IX-XVI). - Als Einleitung, Umriß einer Abhandlung von der Einheit der romanischen und germanischen Völker und von ihrer gemeinschaftlichen Entwickelung. (XVII-XL).

Das Werk ist symmetrisch in zwei „Bücher“ mit jeweils vier Kapiteln und diese mit mehreren numerischen Zwischenüberschriften aufgebaut. Dabei wurden freilich im 3. und 4. Kap. des 1. Buches die Zwischenüberschriften vergessen und im 2. Buch versehentlich das 1. Kap. ohne Überschrift gelassen. Beide ab der 2. Auflage behobene Versehen werden hier erwähnt, da sie die auch in der Korrespondenz bezeugte Hektik und Konfusion des Unternehmens unterstreichen. Erstes Buch (1-186). Erstes Capitel. Lage von Frankreich und von Italien. Karls VIII. Zug nach Neapel. (3-47) Zweytes Capitel. Von der Gründung Spaniens. Von der Liga zwischen neapolitanischem und mayländischem Interesse. Von dem Krieg in Mayland und Neapel 1495. 1496. (48-83). - Drittes Capitel. Maximilian auf dem Reichstag zu Worms und in Italien. Widerstand der Florentiner. Sieg der Liga. (84-128). - Viertes Capitel. Untergang des sforzisch-aragonischen Hauses (129186).

Zweytes Buch. (187-423). Einleitung (189-194). - Erstes Capitel [ohne Überschr.; in der 2. Aufl.: „Ereignisse im südlichen Italien“] (195-224). - Zweytes Capitel. Von der Entzweyung des spanisch-östreichischen Hauses (225-263). - Drittes Capitel. Von Venedig und Julius II. (264-345). - Viertes Capitel. Die Erhebung des spanisch-östreichischen Hauses bis nahe zur höchsten Gewalt in Europa (346-423). Druckfehler ([424]). Aufgeteilt in „Sinnentstellende“ und „In Namen“.

Ende März 1820 verkündet Ranke seinem Vertrauten, Heinrich: „...mein wartet eine treffliche Arbeit, ich möchte etwas lernen vom Leben der Nationen im 15. Jahrhundert, von dem nochmaligen Aufgehen aller Keime, die das Alterthum gesäet...“ (SW 53/54, 89). Er war „bereits sechsundzwanzig Jahre geworden...“, erinnert er sich 1863 (SW 53/54, 32) als er begann, sein erstes Buch zu schreiben. - Auf die Anfänge des Erstlingswerks führt auch seine Erinnerung im autobiographischen Diktat von 1885 zurück: auf die während seiner Oberlehrerzeit schließlich nicht mehr genügende Lektüre von Walter Scott, die vergleichende Hinwendung zu Commines, schließlich die Vergleichung von Guiccardini und Jovius sowie die Kritik Sleidans und zahlreicher anderer Geschichtschreiber über den Anfang der neueren Geschichte (SW 53/54, 61f). Hier findet sich auch ein Eingehen auf die dem Werk zuteil gewordene Kritik. - 12 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Roman. u. german. Völker‘/‚Zur Kritik‘

Den Titel des Werkes formulierte Ranke in einem Brief an seinen Bruder Heinrich [3. oder 4. 12. 23], als er ihm, und nur ihm, „das Geheimnis von dem Buch“ entdeckte, zunächst zeitlich weitreichend und unter Voranstellung des germanischen Elements so: „Geschichten der germanischen und romanischen Völker seit 1494“ (NBrr 37). Bemerkenswert, daß dabei über die selbständige, gleichzeitig erscheinende „Beylage“ kein Wort verloren wurde. Später sollte der Titel lauten und war so bereits gesetzt, als Ranke davon abkam: „Das erste Buch einer Geschichte der Roman. und German. Nationen seit 1494. Nebst einer Kritik der Geschichtschreiber“ (an Reimer, 12. 4. 24, SW 53/54, 129). Tatsächlich erhielt das Werk noch ein „Zweytes Buch“ (187-423) mit eigener „Einleitung“, das in seiner Entstehungsgeschichte weitere Probleme aufwirft. Ranke hatte nach der auch bei späteren Werken gern gepflogenen Geheimhaltungsphase das Manuskript des „ersten Buchs“ seiner „Geschichte“ mit Brief vom 26. 1. 24 (Ford/1960, 142f.) an Georg Andreas Reimer geschickt und dabei bereits Empfehlungen des Verlegers, welche auf ein früheres Gespräch nebst Manuskriptprobe zurückgingen, berücksichtigt. Vereinbarungsgemäß gab dieser das Manuskript in die Zensur (s. R an HR, 18. 2. 24, SW 53/53, 121), welche ohne größere Probleme und wohl überraschend kurzfristig verlief, und begann sodann mit den Satzarbeiten. Ranke behauptete indes, man sei zuvor „übereingekommen“, daß er nach dem Zensurverfahren „jenen ersten Theil zu einer Gesammtüberarbeitung ... wieder bekommen sollte.“ (R an HR, 17. 4. 24, SW 53/54, 126). Reimer bestritt dies, und in der Tat findet sich in Rankes obengenanntem Brief keinerlei Einschränkung. Er glaubte sich jedoch zu erinnern: „Gesagt habe ich ihm gewiß davon“ (R an HR, ebd. 127), - ist entschlossen, seinem Werk „wenigstens noch eine kritische Abhandlung“ beizugeben (an HR, 17. 4. 24, SW 53/54, 127) und bestellt zum Thema eifrig weitere Bücher in der Berliner Königlichen Bibliothek, wovon sich für die Werkentstehung Wichtiges in seinen Briefen an Anton Richter (13. 4. 23, SW 53/54, 107), an Friedrich Wilken (8. 5. 24, NBrr 44f.) und an Philipp Buttmann (14. 10. 24, Kessel/1951, 359f., A. 21) findet. Ob es sich um ein wirkliches Mißverständnis zwischen Ranke und Reimer handelte oder ob - wofür manches spricht - Ranke lediglich eine Möglichkeit suchte, die für seine Arbeitsweise durchgängig bezeichnenden Spät-Korrekturen und -Ergänzungen anzubringen, sei dahingestellt, ist doch die mit der Entstehungsgeschichte zusammenhängende geringe Korrespondenz überhaupt wenig plausibel. Sein Protestbrief an Reimer vom 12. 4. 24 (SW 53/54, 127-129) ist jedenfalls von auffallender Umständlichkeit und enthält neue „Bedingungen“. Anfang August schließlich reist er mit einer Neuausfertigung der ‚Geschichten‘ und - wie man annehmen muß - mit einer Erstausfertigung der ‚Kritik‘ nach Berlin und findet Reimer „zu allem“, was er wünschte, „bereit“ (An HR, 8. 10. 24, SW 53/54, 135). Sein „fertiges Manuscript“ läßt er sodann bei dem von Reimer beauftragten Drucker Leopold Bäntsch in Halle zurück „und“ [!] nimmt „einige Bogen mit.“ Im nämlichen Brief gedenkt er jedoch auch bereits der vorausgehenden Beihilfe des Hallenser Romanisten Ludwig Gottfried Blanc (17811866) bei der „schwierigen Correktur der ersten Bogen“ (An HR, 8. 10. 24, SW 53/54, 135). Von Halle aus begibt er sich nach Wiehe und Erfurt. Widersprüchlich erscheint in demselben Brief vor allem die Bemerkung, er habe bis dorthin sein „nicht fertiges Manuscript ... mitgenommen“ und arbeite „früh ein wenig daran“, wobei ihm „recht aufs Herz“ gefallen, daß er „noch lange nicht fertig sei.“ Nach Frankfurt/O. zurückgekehrt findet er „erst, wieviel noch zu thun war.“ (An HR, 8. 10. 24, SW 53/54, 135). Es entstand jedenfalls ein komplizierter, durch mühevolle Mitwirkung von Rankes - 13 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Roman. u. german. Völker‘/‚Zur Kritik‘

Bruder Ferdinand (s. R.s Brief an ihn, [nach dem 13. 9. 24] und [vor dem 6. 11. 24], NBrr 49f. u. 51) und Ludwig Gottfried Blancs unterstützter, wenig rationaler und rationeller Herstellvorgang, der von W. P. Fuchs (1979, 655) aufgrund mangelnder Kenntnis der Rankeschen Arbeitsweise entstellt geschildert wurde, wodurch dem Verleger vor allem die weitreichende Verantwortuntg für den „vorzeitigen Abbruch beim Jahr 1513“ zugeschoben werden konnte. Die ersten vollständigen Bogen „beider Schriften“, also auch der ‚Beylage‘, sandte Ranke am 17. 11. 24 als Geschenk an seinen Bruder Heinrich (SW 53/54, 137). Mitte Dezember schickte er Exemplare an Kamptz und Schulze im Kultusministerium (an HR, 17. 2. 25, 139). - Das auf mehrere Bände geplante Werk wurde mit dem ersten Band, der lediglich bis 1514 führt, abgebrochen. Vorrede (III-VIII). Nicht nur hinsichtlich des schon von der Zeitgenossenschaft immer wieder falsch zitierten Werktitels ist folgende Bemerkung Rankes aus der Vorrede zu beachten: „Es [das Buch] umfaßt aber bey weitem nicht die gesammte Geschichte dieser Nationen, sondern nur einen kleinen Theil derselben, den man wohl auch den Anfang der neuern nennen könnte; nur Geschichten, nicht die Geschichte.“ (IV). Die Begründung wirkt aufgesetzt im Hinblick auf den fast realisierten zweiten Titelentwurf, der durchaus den Begriff ‚Geschichte‘ verwendet. Gleichwohl ging Ranke sehr bewusst mit dem Begriff um, wie auch sein Einsatz bei der ‚Geschichte Wallensteins‘ und seine Vermeidung bei der ‚Weltgeschichte‘ zeigt. Ranke äußert sich in der Vorrede zum ersten Buch über seine „Absicht“ und „Ansicht“: „Zuvörderst, daß ihr die romanischen und germanischen Nationen als eine Einheit erscheinen. Sie entschlägt sich drey analoger Begriffe: des Begriffes einer allgemeinen Christenheit..., des Begriffes von der Einheit Europa’s ..., des Begriffes einer lateinischen Christenheit...“ (III). (Siehe jedoch Rankes irritierende und weitgehend unbeachtete Feststellung im 2. Kap. des 1. Buches: „Es ist das Leben und das Glück der germanisch-romanischen Völker, daß sie nie zur Einheit gelangen.“ (S. 63 der 1. Aufl. 1824, S. 51 der 2. u. 3. Aufl. 1874 u. 1885). Rankes Werk ist entsprechend seinen damaligen - wie er selbst empfand - bibliothekarisch und archivlich eingeschränkten Möglichkeiten noch ausschließlich aus gedrucktem Quellenmaterial gearbeitet, aus den bedeutendsten Geschichtsschreibern des 15. und 16. Jahrhunderts. In der Vorrede findet sich auch das berühmteste und gelegentlich auf verschiedene Weise entstellt zitierte und zumeist überinterpretierte, in eine ironische Devotionsformel gefaßte Diktum Rankes [V:] „Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, bey- [VI:] gemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will bloß sagen, wie es eigentlich gewesen.“ (Siehe 2. Aufl., dort verändert, so 3. Aufl.) Einleitung (XVII-XL). „Als Einleitung, Umriß einer Abhandlung von der Einheit der romanischen und germanischen Völker und von ihrer gemeinschaftlichen Entwickelung.“ (XVII-XL). Hierin findet sich (p. XXXIX) der ab der 2. Auflage getilgte weitreichende Satz: „In der That gehn uns Neuyork und Lima näher an, als Kiew und Smolensk.“ Die in der Forschung (Baur/1998, 73; Süssmann/2000, 220ff.) umstrittene Frage nach dem ‚Früher oder Später‘ von GRGV oder ZKritik steht in Zusammenhang mit - 14 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Roman. u. german. Völker‘/‚Zur Kritik‘

der Frage nach der Grundmotivation Rankes: Lag ihm mehr an der historischen Kritik, oder war die historische Darstellung ihr bzw. sein eigentlicher Zweck? In diesem Zusammenhang ist eine Bemerkung von Interesse, wenn auch nicht unbedingt entscheidend, die sich in einem Brief an Heinrich vom 8. 10. 24 findet: „Du wirst Dich wohl noch auf das beschriebene Foliobuch besinnen (vielmehr das noch nicht geschriebene), in das ich alle Notizen über die Geschichtschreiber, die ich las, eintrug. Nun war es unerläßlich, daß ich meine Behandlung dieser Geschichtschreiber in der Geschichte selbst einigermaßen rechtfertigte. Da hab ich nun aus jenem Foliobuch eins in Quarto gemacht, und daraus wird eines in Octavo gedruckt...“ (SW 53/54, 134). Wesentliches zur Klärung der Entstehungsgeschichte ist aus der von Siegfried Baur vorgenommenen Ordnung und Aufarbeitung des Ranke-Nachlasses zu erwarten. Zu r Kr itik neuer er Gesch ich ts chr eiber. Eine Beylage zu desselben romanischen und germanischen Geschichten. [1. Auflage] > Lpz. und Bln., bey G. Reimer, 1824. XII, 202 S. 8º. Erster Abschnitt. Von Guiccardini, Beaucaire, Mariana, Fugger, Sleidan und Giovio. (1-78). Zweyter Abschnitt. Von den italienischen Geschichtschreibern einzelner Staaten oder Begebenheiten dieser Zeit. (79-109). - Dritter Abschnitt. Spanier. (110-132). - Vierter Abschnitt. Deutsche. (133-150). - Fünfter Abschnitt. Franzosen. (151-172). - Schluß. Von dem, was noch zu thun sey. (173-181). - Anhang über Macchiavell; besonders über dessen politische Schriften. (182-202). - Druckfehler. (202).

Im ersten Abschnitt findet sich Rankes berühmtes Wort: „Wir unsers Orts haben einen andern Begriff von Geschichte. Nackte Wahrheit ohne allen Schmuck; gründliche Erforschung des Einzelnen; das Uebrige Gott befohlen; nur kein Erdichten, auch nicht im Kleinsten, nur kein Hirngespinnst.“ (28). - (In der 2. Aufl. 1874, 24* unverändert, in der 3. Aufl. 1884, 24* : „Wir unseres Ortes ...“). Beginn der Auslieferung des Werkes: Nov./Dez. 1824. - Das Werk ist, trotz des Untertitels ‚Beylage‘, selbständig erschienen. Der unglückliche Untertitel entfiel ab der 2. Auflage. - Auffallend ist die unterschiedliche formale Gliederung der GRGV und deren ‚Beylage‘ Ist dort von ‚Büchern‘ und ‚Kapiteln‘ die Rede, so finden sich hier lediglich ‚Abschnitte‘, wodurch der Eindruck einer unmittelbaren Zusammengehörigkeit nicht gefördert wird. Auch in dieser „Vorrede“ (III-VIII) steht analog zu GRGV die Darlegung seiner ‚Absichten‘ am Beginn des Unternehmens: „Bey gegenwärtiger Schrift habe ich drey Absichten: eine, die Art und Weise zu rechtfertigen, auf welche in meinem Bändchen romanischer und germanischer Geschichten die Quellen benutzt worden sind; die zweyte, denen, welche sich über die Anfänge der neuern Historie gründlich unterrichten wollen, anzuzeigen, aus welchen Büchern sie dieß können und aus welchen nicht; eine dritte, die vornehmste und rein wissenschaftliche, zur Sammlung eines unverfälschten Stoffes für die neuere Geschichte, zu einem gründlichen Urtheil über Natur und Werth der über dieselbe vorhandenen urkundlicheren [!] Schrif-|ten, so viel oder so wenig ich vermag, beyzutragen.“ (III-IV).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Roman. u. german. Völker‘/‚Zur Kritik‘

2. Auflage G esch ich ten d er ro ma n isch en und ger man is ch en Vö lk er von 1494 b is 1514. [Beigebunden mit Asterisk-Paginierung:]

Zu r Kr itik neuer er Gesch ich ts chr eiber. > Lpz.: D. u. H. 1874. XXX, 323; VIII, *174 S., 8º. [Separatabdr. von SW 33/34, 1. GA.]. Durch die Einführung der ‚Sämmtlichen Werke‘ trat die Notwendigkeit einer Neuauflage ein, die Ranke jedoch nicht, wie man hätte erwarten dürfen, am Anfang des Unternehmens positionierte, sondern wegen vielfältiger inhaltlicher und stilistischer Bedenken weit nach ‚hinten‘ verschob. Im Zusammenhang mit den SW ergab sich ein Verlagswechsel, die Angabe „Erster Band“ entfiel, der Titel wurde dem Inhalt entsprechend von 1535 auf 1514 herabgestuft, bei ZKritik entfiel der Untertitel, und statt Zweibändigkeit trat Doppelbändigkeit ein. - Ranke legte Wert darauf, die nicht unproblematische Ein- bzw. Zweiheit von GRGV und ZKritik auch hier noch aufrechtzuerhalten: „Für die romanisch-germanischen Geschichten“, schrieb er am 21. 4. 74 an seinen Verleger, „tritt die Schwierigkeit ein, dass die dazu gehörige Kritik, die ihre besondere Vorrede hat, als ein von dem Werk zu dem sie gehört, doch auch wieder unterschiedenes Heft, erscheinen muß. Es wäre zu wünschen, dass es Anfang November, bei dem Ablauf der fünfzig Jahre [nach Erscheinen der Erstausg.], ausgegeben werden könnte.“ (Geibel/1886, 58). G esch ich ten d er ro ma n isch en und ger man is ch en Vö lk er von 1494 bis 1514. Vorrede der ersten Ausgabe. October 1824 (V-VIII). Hierin trat der ungewöhnliche und bedenkliche Umstand auf, daß ein historisch wirksam gewordenes Vorwort unter Beibehaltung der Datierung von Ranke im nachhinein geändert wurde. Dies gilt auch für sein berühmtestes Diktum. Es ist hier gegenüber der 1. Auflage verändert und lautet: „Man hat der Historie das Amt, die Vergangenheit zu richten, die Mitwelt zum Nutzen zukünftiger Jahre zu belehren, beigemessen: so hoher Aemter unterwindet sich gegenwärtiger Versuch nicht: er will blos zeigen, wie es eigentlich gewesen.“ (VII). Vorrede zur zweiten Ausgabe. October 1874 (IX-X). Ranke äußert sich darin umständlich und nicht gänzlich überzeugend über die Gründe, welche zu einer Aufgabe der in der 1. Auflage noch vorgesehenen Fortsetzung. des Werkes über 1514 hinaus führten. „…die mannichfaltigsten neuen Informationen über die Erscheinungen und Ereignisse boten sich dar. Wie wäre es möglich gewesen, …sie alle in eine einzige Darstellung zu verweben… Der Grundbegriff selbst zeigte sich nicht mehr umfassend genug, um der ferneren geschichtlichen Entwickelung zu genügen.“ (IX). - Was eine Überarbeitung des Teils bis 1514 anbelangt, so wurde davon abgesehen, weil dies „zu einem neuen Buch geführt“ hätte, „nicht zur Wiederholung eines alten.“; „…hie und da, wo es besonders nöthig erschien“, wurde „Rücksicht“ auf Neuerscheinungen genommen (X), so z. B. durch eine fast zweiseitige neue Anm. - 16 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Roman. u. german. Völker‘/‚Zur Kritik‘

auf S. 198f. Dies verschweigt indes die zahlreichen sonstigen - teils stilistischen, teils in einem Wandel seiner Geschichtsanschauung begründeten - Änderungen (dazu Schwarz/1923, 104ff. u. Ramonat in der Einl. eines ND.s von 2010). - Ranke nimmt in seinem Vorwort unausgesprochen Bezug vor allem auf die in diesem Punkt berechtigte Kritik Heinrich Leos oder Schlossers: „Ich mußte besorgen, daß die ursprüngliche Form der Darstellung und des Ausdrucks, die an mancherlei Dunkelheiten, aus dem Alterthum herübergenommenen Constructionsweisen und anderen Mängeln leidet, das Buch verhindern würde, Eingang zu finden. Aber nicht als eine bloße Antiquität dachte ich es vorzulegen …“. Er glaubte „zu finden, daß man die Mängel wegräumen könne, ohne dem ursprünglichen Gepräge des Buches zu nahe zu treten… Nur in der kritischen Abtheilung wurde es durch neue bedeutende Publikationen nothwendig, das Ergebnis weiterer Studien hinzuzufügen“ (X). - Siehe dazu auch „Zusatz der neuen Ausgabe“ In: ZKritik, 2. Aufl., S. *150. Von wesentlicher Bedeutung ist die weithin unbeachtete Abschwächung von ‚Finger-Gottes-Stellen‘ (dazu Backs/1985, 277-279). Zur Einleitung. Umriß einer Abhandlung von der Einheit der romanischen und germanischen Völker und von ihrer gemeinschaftlichen Entwickelung. (XIII-XXX). Erstes Buch: 1494-1501 (1-146). Einige Kapitelüberschriften sind gegenüber der 1. Auflage verändert. Erstes Capitel. Lage von Frankreich und von Italien. Karls VIII. Zug nach Neapel. (3-39) Zweites Capitel. Spanien und Liga im Kampfe gegen Karl VIII. 1495. 1496. (40-68). - Drittes Capitel. Maximilian auf dem Reichstag zu Worms und in Italien. (69-102). [Titel nur im Inhaltverzeichnis]. - Viertes Capitel. Untergang des sforzisch-aragonesischen Hauses (103-146).

Zweites Buch: 1502-1514 (147-323) . Einleitung (149-153). - Erstes Capitel. Ereignisse im südlichen Italien (154-176) [Titel nur im Inhaltverzeichnis]. - Zweites Capitel. Entzweiung des spanisch-österreichischen Hauses (177206). - Drittes Capitel. Von Venedig und Julius II. (207-265). - Viertes Capitel. Erhebung des spanisch-österreichischen Hauses bis nahe zur höchsten Gewalt in Europa (266-322).

Das 1. Kapitel des 2. Buches enthält im Inhaltsverzeichnis den Titel „Ereignisse im südlichen Italien“. Der Text im Buchinnern geht ohne einen solchen. Das 4. Kapitel enthält im Inhaltsverz. 9 Unterpunkte, im Text jedoch nur 8. Die im Inhaltsverzeichnis aufgeführte Überschrift „7) Zusammentreffen der beiden europäischen Vereinigungen ... 305“ fehlt im laufenden Text. Diese Versehen hielten sich auch in der 3. Auflage. Schlußwort der neuen Ausgabe (322-323). Hierin äußert sich Ranke in auffallender Weise über das Thema bzw. Problem der ‚Generationen‘ in der Geschichte, - Betrachtungen, welche Ottokar Lorenz als Hauptbeleg für die von ihm propagierte ‚Generationenlehre‘ wertete (Lorenz: Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben…, Zweiter Theil/1891, 139f.). Zu r Kr itik neuer er Gesch ich ts chr eiber Vorrede (III-V). An deren Ende findet sich folgender Zusatz: „Geschrieben Frankfurt a. d. Oder, im October 1824.“ Sie enthält gleichwohl Änderungen gegenüber der Erstauflage. - 17 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Roman. u. german. Völker‘/‚Zur Kritik‘ Erster Abschnitt. Von Guiccardini, Beaucaire, Mariana, Fugger, Sleidan und Giovio. (*1-*78). [Darin eingeschoben:] Nachträgliche Bemerkungen (*39-*57) [zu Guiccardini. - Erweiterung der 2. Aufl.]. - Zweiter Abschnitt. Von den italienischen Geschichtschreibern einzelner Staaten oder Begebenheiten dieser Zeit. (*79 -*100). - Dritter Abschnitt. Spanier. (*101-*116). - Vierter Abschnitt. Deutsche. (*117-*128). - Fünfter Abschnitt. Franzosen. (*129-*143). - Schluß. Von dem, was noch zu thun sei. (*144-*149). Zusatz der neuen Ausgabe. (*150): „...ich lasse den vorliegenden Abschnitt [über Macchiavelli] absichtlich so, wie er ursprünglich lautete. Der Standpunkt der Studien, wie er in jenem Momente lag, tritt darin unmittelbarer hervor. Alles das, was seitdem an das Licht getreten, oder was sich sonst vielleicht erreichen ließ, herbeizuziehen, würde ... ein neues Buch gegeben haben und den Gang der Studien, die nicht bloß persönliche sind, verdunkeln.“ Anhang über Macchiavell. (*151-*174). [Es entfiel der Rest der Überschrift, s. o.].

Die zum 50jährigen Jubiläum der 1. erschienene 2. Aufl. enthält in beiden Teilen stilistische und sachliche Änderungen. Siehe dazu oben GRGV 2. Aufl., Vorrede. - Die Veränderungen der 3. Aufl. gegenüber der 2. - sie beschränken sich auf einige Wortänderungen - fallen weniger ins Gewicht (s. bes. Schwarz/1923, 68ff., 104ff. Zu Rankes aufsehenerregender Beurteilung Guiccardinis in der Erstaufl. von ZKritik und zu deren Revision in der Zweitaufl. äußerte sich Otto Waltz 1907 in einem Beitrag betitelt ‚Zur Rettung des Geschichtschreibers Francesco Guiccardini‘, Ranke habe in seiner Verurteilung „ein gutes Stück über das Ziel hinausgeschossen.“ (208). Aufgrund der 1857-1867 erschienenen ‚opere inedite‘ Guiccardinis und einer aus dem NL Guiccardinis zum Vorschein gekommenen unbekannten Florentiner Geschichte habe Ranke in der 1874 erschienenen 2. Aufl. von ZKritik die „völlige Verwerfung der Erzählung Guiccardini’s mit ausdrücklichern Worten“ zurückgenommen (209). - Waltz wendet sich dann Villari (1881) zu, der den Nachweis erbracht habe, daß Guiccardini „viel mehr amtliche Schriftstücke, als Ranke annahm, verwerthet“ habe, „ja, daß der Kern seiner Vorarbeiten und der Grundstock seiner Erzählung aus Florentiner Gesandtschaftsberichten“ bestehe (209). Waltz macht nun den Versuch, Guiccardini gegenüber Ranke auch „von der Beschuldigung geflissentlicher Entstellung seiner Erlebnisse loszusprechen“ (210), was Villari nicht gelungen sei. 3. Auflage [Ausgabe letzter Hand] > Leipzig: D. u. H. 1885. XXX, 323; VIII, *174 S., Gr. 8º [Doppelbd., Separatabdr. von SW 33/34, 2. GA]. Hierzu hatte Ranke am 28. 12. 83 inmitten der wichtiger erscheinenden Arbeiten an Band V der ‚Weltgeschichte‘ seinem Verleger geschrieben: „Nur die allernothwendigsten Ergänzungen können bei der neuen Ausgabe erwartet werden“ (Geibel/1886, 154). Neusatz mit häufiger Veränderung des Zeilenfalls in GRGV. Es finden sich hier - und dies entspricht auch der sonstigen Revisionstätigkeit Rankes und Wiedemanns - allenthalben kleine orthographische (z. B. häufig Umstellung endungsloser Nominalformen auf e-Endung, König zu Könige, hiedurch zu hierdurch), gelegentlich stilistische Änderungen (z. B. klärende Wortumstellungen, Präzisierungen, z. B. 2. Aufl. (130): „ihn zu suchen und nicht davon zu lassen“. 3. Aufl. (130): „ihn zu suchen und nicht entkommen zu lassen“), Satzzeichen (Fragezeichen - 18 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Fürsten u. Völker‘ I/‚Osmanen‘

bei rhetorischen Fragen), Aufhebung von Apostrophierungen, ‚Hilfe‘ zu ‚Hülfe‘, Vermeidung von Wortwiederholungen, Erweiterung verkürzter Perfektformen. Wenige Zuwächse, und diese ledigl. in den Fußnoten: Auf 32 ist A. 9 neu eingefügt, auf 33 A. 1 erweitert, auch 34, A. 4 u. 8. Auf 83f. unter inhaltlicher Änderung die halbseitige A. 3 neu eingefügt, so ferner auf 131 die A 2 stark erweitert, wodurch sich auch Änderungen im Seitenumbruch ergeben. 303 (GRGV) der 3. Aufl. verändert er „Feinde“ der 2. Aufl. zu „Freunde“ Die Gefahr von Mißverständnissen ist gegeben durch das Nebeneinander folgender Hinweise Rankes in seinen Anmerkungen: „Anm. d. 3. A.“; häufig: „A. d. n. A.“; „Anmerkung der neuen Ausgabe“ und „A. d. 2. A.“. Dabei bedeutet „A. d. n. A.“ nicht, daß dies eine Anm. der 3. Ausg. ist, sondern diese Angabe wurde unverändert aus der 2. Ausg. übernommen, ist also bedeutungsgleich mit der Angabe „A. d. 2. A.“. Auch fügt er - wie z. B. 139, A. 5 - diese Hinweise gelegentlich in zweideutiger Weise ein. Es heißt da: „Passero 123 (A. d. 2. A.) Vergleiche Römische Päpste S.W. Bd. 37, S. 33“ [und es folgen noch 5 Zeilen]. Man mag nun raten, ob sich der Hinweis auf den vorangehenden Passero oder auf die folgenden ‚Päpste‘ bezieht und das entsprechend nicht Gemeinte eine Hinzufügung der 3. Aufl. ist. In der Tat ist jedoch die gesamte Fußnote so bereits in der 2. Aufl. vorhanden.

Fürsten und Völker von Süd-Europa im sech szehn ten [sic] und sieb zehn te n Jahrhunder t. Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschafts-Berichten. [1. Auf lage] > „Erster [einziger] Band“ [formale Bandfortzählung bis einschl. der 5. Aufl. in den PÄPSTEN]. Hamburg: Friedrich Perthes 1827. XXIV, 444 pag. [448] S. 8º. Erscheinungstermin von FuV I: Juli 1827 (R an Varnhagen, 7. 7. 27, Wiedemann: Mittheilungen/1895, 3; s. auch: Achim und Bettina in ihren Briefen. Briefwechsel Achim von Arnim und Bettina Brentano II, 1981, 691). - Zwischen Ranke und Perthes wurde eine Auflage von 500 Exemplaren vereinbart (R an Perthes, 25. 10. 26, Oncken/1922, 95). Vorrede (III-XXII).

I . O s ma n e n (1-96). Einleitung (3f.). - Von den Grundlagen der osmanischen Macht (5-21). - Digression über die Neugriechen im 16. Jahrhundert (22-30). - Vom Verfall der osmanischen Dinge. [Mit den Unterpunkten: Sultane, Wesire, Milizen, Grenzen] (31-83). - Lage des Reichs unter Amurath IV (84-93). - Schluß (94-96).

I I . D i e s p a n i s c h e M o n a r c h i e (97-444). Einleitung (99-102). - Erstes Capitel. Von den Königen [Mit den Unterpunkten: Karl V., Philipp II., Philipp III.] (103-138). - Zweites Capitel. Von dem Hof und den Ministern [Mit den Unterpunkten: Karls V. Hof und Staat, Philipp II. erstes Ministerium, Digression über Don Johann von Östreich, Philipp II. zweites Ministerium, Philipp III. und Lerma] (139-213). -

- 19 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Fürsten u. Völker‘ I/‚Osmanen‘ Drittes Capitel. Von den Ständen und der Verwaltung [Mit den Unterpunkten: 1. Castilien, 2. Aragon, 3. Sicilien, 4. Neapel, 5. Mailand, 6. Niederlande] (214-330). - Viertes Capitel. Von den Auflagen und den Finanzen [Mit den Unterpunkten: Unter Karl V., Unter Philipp II., Unter Philipp III.] (331-391). - Fünftes Capitel. Von dem öffentlichen Zustande [Mit den Unterpunkten: 1. Castilien, 2. Catalonien, 3. Sicilien, Mailand, Neapel, 4. Niederlande]. (392444).

Die Gliederung ist noch stärker differenziert. Auffallend, mehr als in OSMANEN, die nicht primär chronographische, vielmehr stark systematische Konzeption, die für Rankes Gesamtwerk untypisch ist. - Die Zählung ‚I.‘ und ‚II.‘ ist ab der 2. Aufl. entfallen. - Auf den unpaginierten S. 445-448 findet sich eine im Inhaltsverzeichnis nicht enthaltene „Vorläufige Uebersicht der wichtigeren in diesem Bande zu Rathe gezogenen Handschriften“, dabei auf [445] folgende aufschlußreiche Fußnote: „Die ausführlichere Notiz über diese, so wie die übrigen Handschriften, folgt im zweiten Bande.“, der „baldigst“ (R im Entwurf einer Anzeige des Werkes, mitgeteilt von Oncken/1922, 104) folgen sollte, aber nie erschien, s. u. SerbRev, 1. Aufl. Der „erste“ Band trägt keinen eigenen Titel. Dieser begegnet erst in der 3. Aufl. (s. d.). - Der formale Aufbau der beiden zusammengefaßten Werkteile oder Teilwerke ist - wie bereits im Erstlings-Doppelwerk - unterschiedlich. In den OSMANEN verzichtet Ranke im Gegensatz zur ‚Spanischen Monarchie‘ und seinen sonstigen Werken zwar nicht auf Zwischenüberschriften, jedoch gänzlich auf Begriffe wie ‚Kapitel‘ oder ‚Abschnitte‘, wodurch sich wiederum der Eindruck ursprünglicher Disparität verstärkt. Nach seiner Berliner Berufung hatte Ranke die bereits von Frankfurt/O. aus ersehnten 46 Bände der zuvor von Johannes von Müller benutzten und 1807 beschriebenen Informazioni politiche (eine nicht beendete ‚Notiz und Auszug des ersten Theils der Informazioni politiche, eines Manuscripts auf der königl. Bibliothek zu Berlin. 1807)‘, unverzüglich aufgesucht. Sie eröffneten ihm eine „neue Welt“. „Eine so reiche Kunde über die Staaten und Fürsten des 16. Jahrhunderts, als die hier dargebotene, hatte ich niemals erwartet“, diktierte er als Neunzigjähriger (SW 53/54, 63). Zu den ‚Informazioni politiche‘ und den venezianischen Relationen überhaupt siehe II/2.3, Heft „Literatur. Besonders Geschichtschreiber, angefangen am 13. November 1824“, sowie II/8.1. Als Neunzigjähriger brachte er wohl in übertriebener Weise die Entstehung seines Osmanen-Werkes in direkten Zusammenhang mit der damals die Geister erfüllenden „Erhebung der Griechen gegen das Joch der Türken“ (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 65). Nach einer ausgeprägten Griechen-Begeisterung sucht man freilich in seinen frühen Briefen vergebens. (So auch Seewald/2010, 225). Schon einen Monat nach Aufnahme seiner Vorlesungstätigkeit hatte Ranke dem Verleger Friedrich Perthes in Gotha - ungeachtet der bisherigen Verbindung zu seinem letztlich willfährigen ersten Verleger Georg Andreas Reimer, der davon erst aus dem Meßkatalog erfuhr (Moldenhauer/2008, 532, A. 406) - die Absicht mitgeteilt, „aus gewissen ächten Handschriften, welche unbekannte, sichere, höchst interessante Nachrichten enthalten, ‚Erläuterungen der neuern Geschichte‘ zu verfassen, dergestalt, daß von Carl V. ausgegangen, der Hauptpuncte der allgemeinen Geschichte bis zum und bis in den dreyßigjährigen Krieg sämmtlich gedacht werde, keines aber ohne neue Aufschlüsse.“ (12. [?] 6. 25, Oncken/1925, 218). Über seine Berliner Archivarbeit machte er am 11. Juli 1825 seinem Bruder Heinrich begeistert Mitteilung (SW 53/54, 147f.), - ein Brief auch, in dem er bereits das Augenmerk auf seine später favorisierte - 20 -

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zweite Quellengattung, die Reichstagsakten, wandte. Einen Monat später hatte er an Relationen bereits „über funfzig - manche von 200 Quartseiten - excerpirt“ und sah sich imstande, daraus „ein besonderes Werk: über Politik und Staats-Verwaltung der europäischen Staaten“ im 16. und 17. Jahrhundert zu verfassen (an Perthes, 24. 8. 25, Oncken/1922, 85), ein Titel, gegenüber den anfänglichen ‚Erläuterungen‘ bereits deutlich konkretisiert, im Ansatz durchaus zutreffend und völlig bezeichnend, wenn wohl unrealistisch weitgefaßt. Die Hinwendung zu Perthes dürfte praktischerweise mit dessen Verlagssitz und Einfluß in Gotha zusammengehangen haben. Jedenfalls bat Ranke ihn (ebd.), Auskünfte über die Bestände der herzoglichen Bibliothek einzuholen, im besonderen über eine bei Pierre Daru, Histoire de la République de Venise (7 Bde, 1817, 2. Aufl. Bd. IVIII, Paris 1821), vermerkte Sammlung ‚Venetae reipublicae et regiorum quorundam legatorum relationes de diversis in Europa aulis‘ und über die Möglichkeit, diese in seiner Berliner Wohnung nutzen zu können. Das Werk Darus hatte er bereits während des letzten Jahres seiner Frankfurter Oberlehrerzeit in der Berliner Kgl. Bibliothek bestellt (an Friedrich Wilken, 24. 1. 24, NBrr 41) und daraus wohl den wichtigen Hinweis gewonnen. Schon im nächsten Monat findet man ihn in Gotha zur Vorbesichtigung der Bestände und in engerem Verkehr mit Perthes auf einer gemeinsamen Reise durch den Thüringer Wald (R an FR, 19. 9. 25, NBrr 72). Im November 1825 verfügt er mit Perthes’ Hilfe über die gewünschten Gothaer Manuskripte, die man ihm tatsächlich nach Berlin überstellt hatte (an HR, 3. [u. 23.] 11. 25, SW 53/54, 150). Am 20. März des kommenden Jahres berichtet er Perthes: „Ich habe die Türken bearbeitet, die ich Ihnen längst hätte schicken können, und bin schon lange bey der Spanischen Monarchie. Ich bin oft entsetzt über die Haushaltung, und Politik dieser Könige, die ich, wie ich mir einbilde, zum ersten Mal enthüllt.“ (Oncken/1922, 91. Drastischer noch in Brief an Heinrich, 27. 3. 26, SW 53/54, 155). An weiteren Zwischenfassungen des Titels sollte es nicht fehlen. Sehr weitgreifend der folgende: ‚Fürsten und Völker von Europa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Größtentheils aus handschriftlichen Gesandtschaftsberichten. - Erster Band. Der Süden‘ (an Perthes, 2. 7. 26, Oncken/1922, 37, 92). Im September übersendet er das erste Kapitel, „Übrigens ist es vollständig“ und auch von den folgenden vier Kapiteln sei „bis auf einzelne Nachhülfen alles fertig“, eine Behauptung, die er nicht aufrecht erhalten kann. Zugleich aber eröffnet er die Sicht auf eine Erweiterung, einen zweiten Band, in dem über Toskana, Kirchstaat und Venedig handeln möchte, nebst einer „kritischen Erörterung der Relazionen“. Für das Ganze schlägt er nun einen neuen Titel vor: Fürsten und Völker im südlichen Europa: während des sechszehnten und siebzehnten Jahrhunderts. Aus handschriftlichen Gesandtschaftsberichten‘ (an Perthes, 18. 9. 26, Oncken/1922, 94). Ende Oktober 1826 verheißt er die baldige Übersendung der „ersten dreißig geschriebenen Bogen“ an den Drucker - „Ich will daran weiter nichts ändern“ - mit der Absicht, Weihnachten den Rest nachzuliefern (an Perthes, 25. 10. 26, Oncken /1922, 96). Am 24. 11. 1826 schreibt er an seinen Bruder Heinrich: „Ich habe vor einiger Zeit ein Stück Manuskript über die Völker des südlichen Europa im 16. Jahrhundert zum Druck abgesendet. Leider muß ich bekennen, daß es mir lang und bei weitem nicht genug ist. Indes tröste ich mich, daß ich’s auch nicht besser machen kann. Und da es sehr vieles ganz Neue, noch nie im Druck Bekanntgewordene und immer Wissenswürdige enthält, so mache ich mich damit heraus.“ (NBrr 90). Doch dann läßt er sich - 21 -

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schon einen Teil zurücksenden und findet „mehr hinzuzusetzen, als wegzuschneiden“ (an Perthes, [Ende Nov. 26], Oncken/1922, 97). Ende Dezember, es ist der zuvor von ihm geplante Weihnachts-Erscheinungstermin, muß er die Erklärung abgeben, „immer noch nicht ganz fertig“ zu sein, ja, nicht einmal weitere Manuskriptteile ankündigen zu können (an Perthes, 27. 12. 26, ebd., 98), ersucht jedoch gleichzeitig um eine erhöhte Zahl von Autorenfreistücken und kündigt in sehr deutlicher Analogie zu seinem Erstling für sein unfertiges Manuskript eine „besondere Beylage“ an. Sie soll den Titel tragen ‚Über einige Handschriften zur neuern Geschichte in den Bibliotheken zu Berlin und Gotha‘. Zu dieser Beilage machte er genauere Angaben: „Sie wird auch einige kritische Auseinandersetzungen, hauptsächlich über Ächtheit und Unächtheit sowohl unserer Handschriften als auch einiger Documente in Daru’s Histoire de Venise enthalten. Wenn die Hauptarbeit abgeschlossen ist, so wird es die Nebenarbeit unfehlbar auch seyn, denn sie gehn beyde Schritt für Schritt mit einander fort.“ (R an Perthes, 27. 12. 26, Oncken/1922, 99). Auch diese unvorsichtige Prognose, bei der er mit gewohnter Voreiligkeit bereits seine Wünsche für einen „engeren Druck“ des noch keineswegs zu Papier Gebrachten äußerte, bewahrheitete sich nicht. Die Beilage - von Ranke im Dezember 1826 als „diplomatisch kritischer Anhang von etwa 25 Bogen MS“ angekündigt (ebd., 100) wurde im Januar schon als umfangreicher erklärt, als er „gedacht hatte“ (ebd.). Dies gilt auch für die historische Darstellung. Es ist die Rede von vier Abhandlungen, die noch „übrig“ sind: „über Venedig; den Pabst; Florenz und die kleineren Staaten; zuletzt allgemeine Betrachtung über Leben, Kunst, Literatur; und die gesammte Entwickelung“ (Oncken/1922, 100). Mit keiner, erklärte Ranke überraschend, werde er „unter 10 Bogen MS., etwa 5 Druckbogen auskommen“ (ebd.), und er schlägt nun gar drei Bände für das Ganze vor; zwei für die historische Darstellung und einen für den Anhang. Schon zu Ostern sollten der erste und der dritte Band, von dem noch keine Zeile beim Drucker war, zusammen ausgeliefert werden (ebd.). Unabhängig von diesen konzeptionellen Erwägungen und Weiterungen ging es auch zum Jahresbeginn und fernerhin nicht ohne eingreifende Änderungen des bereits Gesetzten ab, wie u. a. Briefe Rankes an den Drucker des Werkes zeigen (NBrr, 94 u. Helmolt: Ein neuer Ranke-Brief/1910, 106). Wohl als Letztes läßt er Ende April den zweiten Bogen, mit dem er „sehr unzufrieden gewesen“ auf eigene Kosten nachdrucken (an Perthes, 30. 4. 27, Oncken/1922, 103). Über den „mercantilischen Erfolg“ des Unternehmens waren - wie zuvor bei Rankes Erstverleger - mittlerweile auch bei Perthes „starke Zweifel“ aufgetreten (an Perthes, 4. 2. 27, Oncken/1922, 102), die sich auch ein wenig auf Ranke übertragen haben mögen. Er bot jetzt an, den „Rest der Arbeit möglichst kurz“ zu halten. Vielleicht werde sich alles in einem zweiten Band zusammenbringen lassen, mit dessen Ausgabe man zuwarten könne, um die Reaktion des Publikums zu erproben. Diesen Band werde er aber „auf jeden Fall zum Druck völlig bereit machen“ (ebd.). In einem von Ranke anläßlich des Erscheinens von Bd. I entworfenen gewundenen Anzeigentext hieß es darauf im Juli 1827: „Übrigens wird der zweyte und letzte Band baldigst folgen.“ (an Perthes, 12. 7. 27, ebd., 107). Perthes mag diesem Versprechen wohl noch einige Jahre Glauben geschenkt haben: Auf den paginierten S. 254-256 von Rankes späterem Werk, der ‚Serbischen Revolution‘ (1829), befinden sich von Perthes unterzeichnete Verlagsankündigungen „Neue Bücher“. Darunter eine auf Ranke bezügliche: „Der zweite Theil des Buchs: Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert. Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschafts-Berichten wird erscheinen, - 22 -

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sobald Herr Professor Ranke von einer Reise nach Wien und Venedig, wo derselbe zum Behuf dieses Werkes Forschungen in den Archiven und Bibliotheken anstellt, zurückgekehrt ist.“ (254). Darin wollte er „sobald als möglich“ Rom behandeln (an Bunsen, 28. 3. 31, SW 53/54, 252f.). Doch dieser Band - nach Rankes Einschätzung dereinst „eins der wichtigsten Werke..., was je in diesem Fach erschienen ist“ (an Perthes, 8. 8. 27, Oncken/1922, 109), erschien nie, wurde aber in Teilen später von Ranke weiterverwendet (darüber ausführlich Oncken/1922, 52-66). Verständlich, daß er Probleme dieser Art in seinen autobiographischen Diktaten - worin er auch ‚Fürsten und Vöker‘ streifte (SW 53/54, 63) - beiseite ließ. Der geplante diplomatisch kritische Anhang von mehr als 25 Bogen Manuskript verkümmerte zu einer vierseitigen „Vorläufigen Uebersicht der wichtigeren in diesem Bande zu Rathe gezogenen Handschriften“. Ranke gibt in seiner Vorrede eine lebendige Beschreibung des venezianischen Gesandtschaftswesens und der in Berlin, Gotha, Wien, Paris, Rom, Venedig befindlichen Sammlungen. Man soll und kann zunächst den Eindruck gewinnen, er habe sie alle benutzt, sei zumindest mit ihnen vertraut, doch ist dies - vor seiner italienischen Reise - nur für Berlin (46 Bde der ‚Informazioni politiche‘ der Kgl. Bibl.) und Gotha (4 Bde) zutreffend. Hinzu kam ein einzelner in Leipzig erworbener Band (XV; siehe dazu II/8.2.2). Jedenfalls handelt es sich bei FuV I um das erste von Ranke unter Benutzung unveröffentlichten Materials verfasste Werk, - was er ausdrücklich im Titel vermerkt wissen wollte. 2. Auflage > „Erster [einziger] Band“. Bln.: D. u. H. 1837. XXIV, 451 pag. [455] S. 8º. Vorrede (V-XXIV). XVIII [Fußnote]: „Anmerkung der zweiten Auflage. Später haben sich allerdings auch ein paar Relationen über Portugal gefunden [s. die gegenteiligen Bemerkungen in der Vorrede zur 1. Aufl., XVI], so wie gar manche andere, mit deren Hülfe vorliegendes Buch bedeutend hätte erweitert werden können. Ich habe mich jedoch, von andern, diesen Kreisen fernliegenden Studien in Anspruch genommen, entschließen müssen es im Wesentlichen unverändert zu lassen. Ich bitte es auch in Zukunft als eine Arbeit des Jahres 1827 anzusehen. In der neuen Ausgabe, mit der ich allein der Nachfrage des Publicums entgegenkomme, habe ich nur die Schreibart hie und da zu verbessern gesucht.“ Osmanen (1-96) - Die spanische Monarchie (97-451) - Uebersicht der wichtigeren in diesem Bande zu Rathe gezogenen Handschriften (Unpag. [452-455]). [Hier entfiel gegenüber der 1. Aufl. der Begriff „Vorläufige“].

Über eine zweite Auflage des „ersten“ Bandes war zwischen Ranke und Perthes bereits in den Jahren 1828 bis 1831 - nicht gerade einvernehmlich und auch nicht eindeutig - korrespondiert worden. Zur Planungsvielfalt im Zusammenhang mit ‚Fürsten und Völkern‘ gehörte auch Rankes Gedanke, „statt eines kleinen Abschnitts über Venedig, die ganze Geschichte dieser Republik zu behandeln“, das Werk jedoch dann aus den ‚Fürsten und Völkern‘ herauszuhalten und der bei Perthes verlegten Heeren/Ukertschen ‚Staatengeschichte‘ einzuverleiben (an Perthes, 28. Januar 1828. Oncken/1922, 120c). Und dennoch schrieb er am 26. 4. 28 an Varnhagen, er werde in Venedig sein „Kapitel über Venedig vollenden und das sobald wie möglich drucken lassen.“ (Wiedemann: L. v. R u. Varnhagen v. Ense/1895, 354) Auch dazu kam es - 23 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Fürsten u. Völker‘ I/‚Osmanen‘

nicht. Die Arbeit ist möglicherweise identisch oder verwandt mit der ersten Abteilung (‚Venedig im sechszehnten Jahrhundert und im Anfang des siebzehnten‘) seines 1878 erschienenen Sammelbandes ‚Zur Venezianischen Geschichte‘. Meinungsverschiedenheiten zwischen Autor und Verleger traten in dieser Zeit auch bei Rankes drittem Werk, der ‚Serbischen Revolution‘, auf (s. d.). Für eine etwaige Neuauflage nun von ‚Fürsten und Völkern‘ Bd. I hatte er vor, sich „an dem großen Publicum ein wenig zu versuchen“. Dazu sollten Fußnoten entfallen und durch engeren Satz eine geringere Bogenzahl und damit eine „wohlfeile Ausgabe“ erreicht werden. Als Titel schlug er vor ‚Osmanen und Spanier im 16. u. 17. Jahrh.‘ (An Perthes, 25. 2. 28, Oncken/1922, 110f.). Mit diesem Versuch, vom Fehlen des zweiten Bandes abzulenken, war er indes der Zeit vorausgeeilt. Fast zwei Jahre später erklärte er sich mit einer Neuauflage, allerdings „ohne besondere Veränderungen“ einverstanden (R an Perthes, 14. 12. 29, NBrr 129-132). Im September des Jahres 1830 schrieb er jedoch: „Ich glaube, aus Ihrem Schreiben entnehmen zu können, daß der Neudruck ... entweder noch gar nicht angefangen hat, oder doch wenigstens noch sehr zurück ist. Es wäre wohl das Beste, ihn ganz zu sistiren. Mein Capitel über Spanien muß nothwendig reformirt werden, da ich gegen 40 neue Relazionen gefunden und mir zu eigen gemacht habe. Ich werde es wenigstens bis zum Erbfolgekriege fortführen. Auch die osmanischen Sachen können große Verbesserungen erhalten.“ (R an Perthes, 27. 9. 30, Oncken/1925, 225). - Über seine weiteren nicht realisierten Pläne siehe I/1.2. Aufbau und Überschriften der 2. Aufl. entsprechen der 1., bei geringfügiger Paginierungsvarianz. - Hinsichtlich der Unterschiede der Auflagen des Werkes im einzelnen empfiehlt sich v. a. die Lektüre von Schwarz/1923, 170. Allgemein ist auch Oncken (1922) heranzuziehen. 3. Auflage [Einzelwerk-Titel, rechtsseitig:]

Die Osmanen und die spanische Monarchie im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. [Gesamtwerk-Titel, linksseitig:]

Fürsten und Völker von Süd-Europa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschaftsberichten.

Erster Band. > Bln.: D. u. H. 1857. XXV, 493 S. 8º. Vorrede (VII-XXV).

O s m a n e n (1-124). Einleitung (3-5). - Von den Grundlagen der osmanischen Macht (5-21). - Digression über die Neugriechen im 16. Jahrhundert (22-30). - Umwandlung osmanischer Zustände. [Mit den Unterpunkten: Sultane; Wesire; Milizen; Grenzen; Osman II, Murad IV, Ibrahim; Gefahren der Alleinherrschaft; Wesirat der Köprili; Schluß] (31-124).

D i e s p a n i s c h e M o n a r c h i e (127-493). Einleitung (127-130). - Erstes Capitel. Von den Königen (131-169). - Zweites Capitel. Von dem Hof und den Ministern (170-258). - Drittes Capitel. Von den Ständen und der Verwaltung (259-

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Fürsten u. Völker‘ I/‚Osmanen‘ 389). - Viertes Capitel. Von den Auflagen und den Finanzen (390-440). - Fünftes Capitel. Von dem öffentlichen Zustande (441-493).

Die beiden Innentitel des ersten Bandes wurden hier zu einem selbständigen Bandbzw. Werktitel zusammengefaßt. Der ursprüngliche Werktitel ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschaftsberichten. Erster Band. Dritte Auflage‘ wurde auf das Gegentitelblatt verschoben und trat dort sodann als Reihentitel bzw. übergeordneter Gesamtwerktitel auf. Ranke hatte - wie schon während seiner Italienischen Reise - so noch 1841 geplant, das Werk anläßlich einer dritten Auflage wesentlich zu verändern. Er hatte dafür „so bedeutende Veränderungen und Zusätze im Kopfe, daß es einen viel größeren Werth, wenigstens in Bezug auf den Stoff, erhalten soll.“ (R. an S. Austin, 31. 3. 41, Henz/1972, 305). Dieses Vorhaben wurde freilich erst sehr viel später und auch nur sehr eingeschränkt verwirklicht. Nach Schwarz/1923, 136-186, ist am aufschlußreichsten ein Vergleich der 3. (etwa der 4. gleich) mit der 1. (etwa der 2. gleich) Auflage. Das folgende Inhaltsverzeichnis weist auf Änderungen bzw. Erweiterungen hin. „Anmerkung der dritten Ausgabe: So schrieb ich bei der ersten Ausgabe dieses Buches. Wie Vieles ist aber seitdem auch in diesem Zweige der Studien geschehen, wie Vieles ist bekannt geworden, was damals verborgen war! Ich war versucht, mit Hülfe neuer Materialien eine vollkommene Umgestaltung des vorliegenden Bandes zu unternehmen. Ich habe jedoch zuletzt Bedenken getragen, dies zu thun, und nur solche Zusätze und Verbesserungen aufgenommen, welche unerläßlich schienen, um den heutigen Standpunkt der Wissenschaft zu erreichen, oder die einmal angeregte Wißbegier zu befriedigen.“ (XXI). Wegfall der Handschriftenübersicht.

4. Auflage Die Osmanen und die Spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert. Vierte, erweiterte Auflage des Werkes: Fürsten und Völker von Süd-Europa [Bd. I] > [A] Lpz., D. u. H. 1877. XVIII, 579 S. Gr. 8º . - Separatabdr. von SW 35/36, 1. GA. > [B] Lpz., D. u. H. 1877. XVIII, 579 S. Gr. 8º . - Separatabdr. von SW 35/36, 1. u. 2. GA. > [C] Lpz., D. u. H. 1877. XVIII, 579 S. Gr. 8º . - Separatabdr. von SW 35/36, 3. GA. Ein Exemplar der UB Leipzig trägt auf dem Gegen- bzw. Reihentitelblatt die Bezeichnung ‚Leopold von Ranke’s Sämmtliche Werke. Dritte Gesammtausgabe. Fünfunddreißigtser und sechsunddreißigster Band‘. Die im Buch enthaltenen Bogensignaturen lauten jedoch durchgängig „1. u. 2. Gesammt-Ausgabe“. Die frühere Bezeichnung Bd. I unterblieb hier bewußt, denn 1874 war die 6. Auflage der ‚Päpste‘, welche bisher in ihren Bänden I-III die Bände II-IV der ‚Fürsten und Völker‘ gebildet hatte, ihres Reihen- bzw. Gesamtwerktitels verlustig gegangen. Andernfalls wäre letztere mit nur noch Bd. I bestehen geblieben, was nicht anging. Der - 25 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Fürsten u. Völker‘ I/‚Osmanen‘

Sinn der Manipulation war indes, die ‚Päpste‘ von ihrem unpassenden Reihentitel zu befreien und diesen durch seine Herabstufung auf einen reinen Werktitel zugleich zu beenden. - Die Formulierungen des Inhaltsverzeichnisses weichen häufig von denen im Buchinnern ab. Vorrede (V-XV). XIIf.: „Anmerkung der dritten Ausgabe (1857): So schrieb ich …“ [wie oben in der 3. Aufl., wobei jedoch die „Umgestaltung des vorliegenden Bandes“ verändert wurde in die „Umgestaltung der vorliegenden Arbeit“].

O s m a n e n (1-83). Dabei entspricht der titelmäßige Aufbau dem der 3. Auflage. - ‚Die spanische Monarchie‘ jedoch ist durch eine zweite Abteilung erweitert.

Die spanische Monarchie Erste Abtheilung: Regierung und Landschaften (85-334). Dabei entspricht der titelmäßige Aufbau dem der 3. Auflage.

Zweite Abtheilung. Zur Geschichte der Weltstellung der spanischen Monarchie (335526) [neu]. [Unbetitelte Vorrede 337f. - Es folgen 11 „Capitel“] Die amerikanischen Colonien (339-356). - Kriege gegen die Osmanen und die Moriskos (357366). - Alba in den Niederlanden (367-387). - Erwerbung von Portugal (388-403). - Alexander Farnese und die westeuropäischen Kriege Philipps II. (404-422). - Politik der Zeiten Philipps III. (423-443). - Die ersten fünfzehn Jahre der Regierung Philipps IV. (444-462). - Spätere Zeiten Philipps IV. (463-484). - Fall von Conde Duque Olivarez. Eintritt des Don Luis de Haro. Letzte Zeiten Philipps IV. (485-499). - Regentschaft der Königin Mutter (500-511). - Karl II. und seine Minister (512-526).

Analecten (527-579) [neu], s. u. Am 3. 9. 75 hatte Ranke seinem Verleger Carl Geibel mitgeteilt, er werde für die 4. Auflage „wenig Veränderungen anzubringen haben“, und erklärt: „die Schwierigkeit liegt in den Zusätzen, die ich hinzuzufügen denke. Sie sind auch bereits ausgearbeitet oder vielmehr diktirt“ (Geibel/1886, 79). Somit stimmt - entgegen der Feststellung Helmolts/1921, 143 - die 4. Aufl., abgesehen von den neu aufgenommenen „Analecten“ und der umfangreichen 2. Abt. mit der 3. Aufl. „bis auf stilistische Kleinigkeiten“ überein (Schwarz/1923, 179). - Ranke selbst bemerkt zu Beginn der „Zweiten, neu ausgearbeiteten Abtheilung“ (336): „Bei dem Wiederabdruck der voranstehenden Capitel über die spanische Monarchie habe ich vermieden, irgendwie nennenswerthe Veränderungen in denselben vorzunehmen; sie sollen als eine Arbeit des Jahres 1827, in welchem sie zuerst erschienen, angesehen werden. Nach langem Intervall füge ich eine Ergänzung hinzu [= 2. Abt.], die aber nicht ganz das Produkt der letzten Jahre ist, sondern vorlängst entworfen wurde.“ - Nach Wiedemann sind in dem vorliegenden Ms. der neu hinzugefügten 2. Abt der ‚Spanischen Monarchie‘ bes. Kap. 3 und die beiden letzten „in eingreifender Weise umgestaltet worden“ (Wiedemann IV/1892, 214f.). Ranke hatte vorgesehen, die passende Abhandlung über Don Carlos aus 1829 aufzunehmen (an Geibel, 3. 11.76, Geibel/1886, 95), was jedoch ebenso wenig gelang, wie sie apart erscheinen zu lassen (an Geibel 8. 11.76, ebd., 96). Sie fand 1877 Aufnahme in den HBS. - 26 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Fürsten u. Völker‘ I/‚Osmanen‘

Die von Ranke für dieses Werk, soweit nachgewiesen, benutzten venezianischen Relationen, etwa elf an der Zahl, zumeist Abschriften des 18. oder 19. Jahrhunderts, gelegentlich mit mehrseitigen Notizen Rankes versehen, sind in Syracuse vorhanden und bei Muir/1983 beschrieben (s. II/8.2). Bei einer etwaigen historisch-kritischen Ausgabe kann davon kommentierend Gebrauch gemacht werden. Analecten Den Analecten vorausgeschickt ist eine kurze Vorbemerkung (529) über die venezianischen Relationen, welche die „vornehmste Grundlage sowohl der ersten, wie der zweiten Abtheilung dieses Werkes bilden“, und die zu der Zeit, als er sie in Venedig benutzte, ungedruckt waren, jetzt jedoch sich „in Jedermanns Händen“ befinden, allerdings mit Ausnahmen, wovon er die nach seiner Einschätzung von Herausgeberseite „absichtlich“ übergangene aus Portugal auszugsweise mitteilt. - Die Textqualität gibt zu Bedenken Anlaß, schreibt Ranke doch an seinen Verleger anläßlich der Rücksendung von Korrekturbögen: „Sie werden über die Menge der Fehler selbst erstaunen. Und dennoch werden wir schwerlich einen ganz correcten Text zu Stande bringen. Man wird sich eben mit dem Möglichen begnügen müssen.“ (2. 10. 77, Geibel/1886, 108). I. Relazione del Cl. M. Matteo Zane dell’ambasceria di Portogallo presentata 4 Marzo 1581... Ed. mit kurzer Vorb.: OSMANEN 4. Aufl. (1877), 529-546. - Im Inhaltsverz.: „Relationen über Portugal“.

II. Relationen über Spanien unter Philipp II. und Philipp III. aus Florenz und Lucca. Ed. mit kurzer Vorb.: OSMANEN 4. Aufl. (1877), 546-554. Im Inhaltsverz.: „Relationen über die spanische Regierung unter Philipp II. und Philipp III.“

III. Berichte über Südamerika Ed. mit Einführung: OSMANEN 4. Aufl. (1877), 554-557.

IV. Italienische Berichte Ed. mit kurzer Vorb.: OSMANEN 4. Aufl. (1877), 558-573. Im Inhaltsverzeichnis: „Bericht über den Fall von Olivarez“

V. Eine Relation französischen Ursprungs über die Regentschaft der Königin Maria Anna. Ed. mit Einführung: OSMANEN 4. Aufl. (1877), 573-576. Im Inhaltsverz.: „Über die Regentschaft nach dem Tode Philipps IV.“

Bemerkung über die Mémoires de la Cour d’Espagne par Madame [Marie Cathérine Le Jumel de Barneville] d’Aulnoy. A la Haye 1691. 2 vol. Abh.: OSMANEN 4. Aufl. (1877), 576-579. Im Inhaltsverz.: „Zur Kritik der Berichte von Madame d’Aulnoy über Karl II.“

> Eine 5. Auflage ist nicht nachgewiesen.< *

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die serbische Revolution‘

Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mittheilungen. Mit einer Charte von Serbien [1. Auflage] > Hamburg bey Friedrich Perthes 1829. VIII, 253 S. 8º , Br., 1 Faltkarte. Vorrede (III-VI). - Einleitung. (1-10). (Die Angaben „Erstes Kapitel“ bis „Zwölftes Kapitel“ sind im Folgenden entfallen). Lage der Dinge vor den Bewegungen. Nationale Sinnesweise und Poesie (11-44). - Innere Umwälzung (45-60). - Empörung wider die Dahi (61-73). - Entwickelung der Insurrection (74-86). Vollendung der Insurrection. Einnahme des Landes (87-105). - Innerer Zustand (106-124). Feldzug von 1809 (125-136). - Monarchische Gewalt. Weitester Umfang der Grenzen. (137154). - Unglücksfälle. (155-174). - Neue Herrschaft der Türken (175-186). - Empörung des Milosch (187-203). - Entwickelung der serbischen Verhältnisse bis zur Gegenwart (204-226). Anmerkungen (227-253): 1. Zur Einleitung (229-235). - 2. Zum Anfange des ersten Kapitels (236-241) [Die Beschränkung auf Anmerkungen zum ersten Kapitel ist im Hinblick auf zwölf Kapitel erstaunlich]. - 3. Geographische Anmerkung (241-253).

Auf den (paginierten) S. 254-256 befinden sich von Friedrich Perthes unterzeichnete Verlagsankündigungen „Neue Bücher“. Darunter eine auf FuV bezügliche (s. d.). Auf den anschließenden unpaginierten S. [257] und [258]: „Verbesserungen“. An deren Ende Folgendes: „Bemerk. [!]: Da sich am Druckort und in der Gegend kein der serbischen Sprache Kundiger befand, so wurden die Bogen in Abwesenheit des Herrn Professor Ranke, der sich in Italien befindet, nach Wien an einen gelehrten Serbier gesandt, der diese Verbesserungen anzugeben die Güte hatte.“ Bei dem „gelehrten Serbier“ handelt es sich um Bartholomäus Kopitar, vgl. Brief R.s an ihn, 10. 1. 29 (NBrr, 111-114). Die Faltkarte ist nach [258] eingebunden.

Rankes ‚Serbische Revolution‘ - darunter sind die Aufstände von 1804 und 1815 zu verstehen - ist unter seinen Werken nicht nur dasjenige, „welches durch eine Neubearbeitung am weitgehendsten umgestaltet worden ist“ (Schwarz/1923, 213), sondern auch das vom Gang der früheren Arbeiten in mehrfacher Weise abweichende „serbische Intermezzo“ (an Gentz, 17. 10. 28, Salzer/1912, 334), welches trotz späterer, vergleichsweise zahlreicher Forschungs-Zuwendung hinsichtlich Verfasserschaft, Quellen und Darstellungsstil das rätselhafteste ist. Eine etwaige historisch-kritische Edition dürfte aus diesen wie jenen Gründen vor kaum lösbaren inhaltlichen wie formalen Problemen stehen, welch letztere durch die Entselbständigung des Werkes im Jahre 1879 noch beträchtlich verschärft wurden. Bezüglich des Erscheinungstermins warf Helmolt (1921, 177, A. 82) die Frage auf: Jan. 1829 oder nach 10. Okt. 1829. Er berücksichtigte dabei allerdings nicht, daß Ranke das Werk Friedrich v. Gentz bereits mit Brief vom 3. 2. 29 (bei P. Wittichen/ 1904, 80f.) zugesandt hatte und dieser, nachdem er schon vor Drucklegung ein Kapitel gelesen, seine Lektüre im April beendet hatte. (Tagebücher von Friedrich von Gentz, Bd. [V]/1920, 52). Auch folgender Tagebucheintrag Goethes vom 15. 3. 29 blieb unbe- 28 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die serbische Revolution‘

achtet: ... „Ich las nachher Professor Ranke Serbische Revolution, ein verdienstliches Büchlein, das ich so eben von Perthes erhalten hatte.“ - Tagebucheintrag zum 16. 3. 29: „Endigte gedachtes Werk.“ (Goethes Tagebücher. Werke. Hg. im Auftrage der Großherzogin Sophie, III. Abt., 12. Bd./1901, 39). Daß ein das Werk begleitender Brief Rankes bereits vom 22. 1. 29 (in: Goethe-Jb. 9, 1888, 74f.) datiert, sollte nicht irritieren, denn der Brief wurde vorauseilend in Venedig verfaßt und von Ranke an Perthes zur Beilage des Dedikationsexemplars gesandt. Es hieß darin - mit Verschweigen des Goethe wohlbekannten Vuk - : „Hier tritt ein Büchlein hervor, in welchem man [!] die barbarischen, aber immer menschlichen Zustände und die neueste Entwickelung der serbischen Nation unverhüllt zu vergegenwärtigen sucht.“ (75). - Ranke versprach sich von diesem Werk eine große Verbreitung: „Im ganzen ist es mir recht“, schrieb er an Perthes, „wenn das Buch nicht allzu splendid erscheint. Es wird dann auch wohlfeil genug sein, um von jedermann gekauft werden zu können.“ (22. 1. 29, NBrr, 118), wovon keine Rede sein konnte. Auf dem Titelblatt fehlt der Name des Mit-, wenn nicht gar Hauptverfassers, Karadžić (1787-1864). In der Vorrede heißt es von ihm: „Alle diese und andere Zeugnisse, erläuternde Briefe und Urkunden, hat der getreue Sammler serbischer Lieder, Wuk Stephanowitsch Karadschitsch zusammengebracht.“ (V). Der beträchtlichen Mitwirkung des Wiener Bibliothekars und Slavisten Bartholomäus Kopitar (1780-1844) - er hatte dieses Unternehmen, wie auch Rankes Aufsatz ‚Zur Geschichte des Don Carlos‘, angeregt (Brief R.s an Kopitar bei Helmolt/1921, 52) - wird freilich auch in der Vorrede nicht gedacht (dazu u. a. Valjavec/1935, 6f. u. SW 53/54, 64). Gegen Ende August 1828 schrieb Ranke aus Wien an Heinrich Ritter: „Ich hoffe Euch bald mit einer kleinen Schrift zu überraschen, deren Stoff neu und vortrefflich ist. Die Ausarbeitung hat mir viel Vergnügen gemacht.“ (20. 8. 28, SW 53/54, 207). Selbstredend erwähnte er dabei Vuk und Kopitar mit keiner Silbe. Er hatte das Werk Perthes gerade mit Brief vom 30. Juli [1828] angeboten: „Diese Arbeit bieten wir [! er u. Vuk, der auch die Hälfte des Honorars erhalten soll] Ihnen an.“ (Oncken/1925, 220) Später bemerkt er zur Entstehung: „Das Verfahren war, daß eine Vorlage von Wuk zu Grunde gelegt, aber dann bei jeder Thatsache, jedem Worte einer Prüfung unterzogen wurde, bei welcher Wuk die Zeugen, mit denen er gesprochen, aufführte, so daß eine vollkommene Zuverlässigkeit der Mittheilungen erreicht wurde. Die Fassung blieb mir überlassen ... um die Sammlung brauchbarer Materialien, die bei der ersten und der zweiten Ausgabe ... benutzt worden sind, hat er das größte Verdienst.“ (Aus der Vorrede zu SerbuTürk 1879, V). Kopitar hingegen bemerkt in einem Brief an Jakob Grimm (Vasmer: B. Kopitars Briefwechsel mit Jakob Grimm/1938) am 1. Okt. 1828: „Ranke hat Vuk’s Milosch deutsch bearbeitet [SerbRev 1829]; er erscheint nächstens bei Perthes.“ (58). - Weiterhin Kopitar an Grimm, 4. Febr. 1829: „Von Ranke erscheint nächstens bei Perthes: Die serbische Revolution, ein Memoire v. L. R. - ex ore Vukii. Sie werden es gerne lesen.“ (61). Wie weit die Anteile Vuks und Rankes wirklich reichen, ist in der Forschung jedoch umstritten. Radojčić (1963, 56f.) geht im Gegensatz zu Selesković (1941, 42f.: „Die Idee dazu stammte von Kopitar, das Material von Vuk und die Bearbeitung von Ranke“) und Valjavec (1963, 85: „voll und ganz Rankes geistiges Eigentum“) soweit, zu erklären, Ranke habe „lediglich eine schon vorhandene deutsche Übersetzung eines historischen Werkes von Vuk redigiert“ (Kämpfer, 1990, 155). Dabei dürfte es sich um das von Jelesijević (2007, 124) genannte verschollene deutsche Ms. Vuks ‚Serbische - 29 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die serbische Revolution‘

Geschichte der Neuzeit“ handeln: „Es herrscht heute die einhellige Meinung, dass gerade dieser Text zweifelsfrei die Grundlage der späteren Serbischen Revolution darstellte.“ Als Ergebnis seiner Untersuchung. hält Jelesijević fest, „dass der eigentliche Lieferant der ‚Mittheilungen und Papiere‘ für die ersten elf Kapitel der ‚Serbischen Revolution‘ und zugleich der direkte und alleinige Verfasser der Kapitel sechs und elf Vuk Stefanović Karadžić gewesen ist. Die Kapitel 1, 2, 3, 4, 5, 7, 8, 9 und 10 gehen auf das Konto der beiden Autoren zusammen. Nur das zwölfte Kapitel hat Leopold Ranke selbst verfaßt.“ (Ebd., 144f.). Diese Feststellungen sollten nicht für abschließend gehalten werden. Aufgrund der Quellen aus zweiter oder dritter Hand bzw. dessen, was davon übrig geblieben war, aufgrund auch der mangelnden Sprachkenntnis Rankes und Vuks, - der eine war des Deutschen nicht ganz, der andere des Serbischen gar nicht mächtig - v. a. auch aufgrund des politischen Drucks, unter dem Vuk tendenziös tätig war, ist es fraglich, welcher Wert allein der Faktizität der Darstellung zuzusprechen ist. Auch die gelobten literarischen Valenzen sind in ihren den Werken Rankes sonst nicht eigenen Besonderheiten ebenfalls vom eigentümlichen Charakter des Materials und den starken Einflüssen von Vuk und Kopitar gezeichnet. Entsprechende Narrations-Untersuchungen dürften sich also auf einem, da völlig eigenartigen, ebenso interessanten wie außerordentlich unsicheren Boden befinden. Während der Herstellung des Werkes scheint es zu einem Versehen oder Mißverständnis gekommen zu sein, über das Ranke sich, wie gewöhnlich in solchen Fällen, nicht ganz klar äußert: „Der Ausfall der sechs Distrikte aus dem serbischen Buch war mir ein schwerer Schlag. Ich glaubte doch, es angedeutet zu haben, wenn auch nur dunkel. Mit Wuk habe ich von den Ansprüchen an die kleine Walachei geredet, einen Landstrich diesseit der Donau, doch sei es, daß seine Belehrung nur dunkel gewesen, oder meine Auffassung unklar, dies ist ein Fehler, der mich äußerst ärgert.“ (an Kopitar, 13. 1. 30, NBrr 133). > [2. Auflage, Ende 1830/Anfang 1831, hat nicht vorgelegen] Diese Auflage, die wohl nur aus biographischen, nicht aus bibliographischen Hilfsmitteln nachzuweisen ist, wurde von Perthes ohne Verständigung mit Ranke, der sich auf seiner italienischen Reise befand, schon 1830 (Moldenhauer/2008, 547, A. 458: „Frühjahr 1831“) in Höhe von 1000 Explaren gedruckt, aber - wie Ranke1835 rückblickend schrieb (Valjavec/1935, 22) - „unter Verschluß“ gehalten, weil die erste noch nicht völlig ausverkauft war (ebd., 10 u. 22). Welche Änderungen in dieser Ausgabe im einzelnen vorgenommen wurden und in welcher Gestalt sie in den Handel gelangte, ist unbekannt und sollte bei einer etwaigen historisch-kritischen Ausgabe zu intensiver Recherche Anlaß geben. Auch Rankes zeitweiliger Freund Heinrich Ritter konnte nicht umhin, Perthes gegenüber zu erklären: „Rätselhaft bleibt es mir immer, wie sie einen Teil, wenn auch nur gering, von der neuen Auflage haben verkaufen können, da noch ein großer Teil der alten Auflage übrig war.“ (Brief vom 31. 7. 31, Schreiber/1932, 625). Daß die Auflage nicht gänzlich unter Verschluß gehalten wurde, sondern vor 1833 tatsächlich, wenn auch in unbekannter Anzahl, in den Handel gelangte, darf man auch aus einem Brief Rankes an Perthes schließen, in dem es heißt: „In Wien ist jetzt Hr. Wuk. Von der zweyten Auflage des serbischen Buches habe ich aus Rücksicht und Furcht vor Mißverständniß keine Nachricht dahin gegeben ... Ich habe nur im Allgemeinen geschrieben, daß Sie noch nicht volle 500 Exempl. abgesetzt - 30 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die serbische Revolution‘

haben.“ (31. 1. 31, Oncken/1925, 241). Ein Brief vom Juni 1831 an Perthes ist konkreter: „Es war mir, wie Sie leicht denken können, Notiz von einer zweiten Auflage zugekommen; man hatte Exemplare davon übersendet erhalten, erkauft und wohl bemerkt, daß es nicht der alte Druck war“ (NBrr 153): Ein Berliner Kollege Rankes hatte Unterschiede der beiden Ausgaben bemerkt (R an Perthes, 30. 7. 31, NBrr 156). Jedenfalls waren „Exemplare davon in den Buchhandel gekommen“ (ebd., 157). Die ominöse Ausgabe, welche möglicherweise keine Auflagenbezeichnung, sonstige Titeleivermerke oder abweichende Bogensignaturen trägt, ist Ranke zufolge „mit Correctur der Druckfehler“ erschienen (R an Kopitar, 18. 7. 35, Valjavec/1935, 22). Indes dürfte die Vermutung, bei dieser Fassung sei weiteres Material von Vuk zum Einsatz gelangt (dies nahm Valjavec/1935, 10 an), mit Blick auf die Ahnungslosigkeit Rankes und Vuks hinfällig sein. [2. Auflage unter der Bezeichnung:]

„Zweite Ausgabe“ > Bln.: D. u. H. 1844. IV, 416 S. 8º Nach R.s Bruch mit Perthes trat ein Verlagswechsel ein. (Die Angaben „Erstes Capitel“ bis „Vierundzwanzigstes. Capitel“ sind im Folgenden entfallen). Erinnerung an das Emporkommen der Serben. (1-18). - Untergang der serbischen Freiheit. (1933). - Grundzüge der osmanischen Einrichtungen in Serbien. (34-47). - Zustände, Sinnesweise und Poesie der serbischen Nation. (48-75). - Ursprung der neueren Bewegungen in der Türkei. (76-89). - Ursprung der Unruhen in Serbien. (90-105). Empörung wider die Dahi. (106-119). Entwickelung des Gegensatzes gegen den Großherrn. (120-136). - Befreiungskrieg der Serben 1806, 1807. (137-159). - Einrichtung einer serbischen Regierung. (160-179). - Beziehungen Serbiens zu den allgemeinen Verhältnissen Europas und der Türkei. (180-192). - Feldzüge von 1809 und 1810. Weitester Umfang der Grenzen. (193-207). - Innere Entzweiungen: monarchische Gewalt. (208-220). - Friede von Bucharest. (221-235). - Krieg in Serbien im Jahr 1813. (236-249). - Neue Herrschaft der Türken. (250-263). - Empörung des Milosch. (264-277). - Zeiten vorläufigen Vertrages. (278-299). - Einrichtungen und Herrschaft des Milosch (300-313). - Feststellung der serbischen Verhältnisse. (314-332). - Innere Regierung Miloschs und Opposition gegen ihn. (333-350). - Grundgesetz von 1838; Katastrophe des Milosch. (351-367). - Michael Obrenowitsch. (368-385). - Alexander Kara Georgewitsch.- Schlußbetrachtung. (386-404). Beilage. Großherrlicher Hattischerif. (405-416).

Die zweite Ausgabe erschien unter Fortfall der Vorrede, der Anmerkungen zur älteren Geschichte und zur Geographie der Serben, sowie der Karte, erhielt andererseits aber Neueinfügungen. Von diesen abgesehen sind „die Kapitel 3-6, 9 (2. Teil), 10 und 11 (1. Teil) der Ausgabe von 1829 als Kapitel 7-10, 15-17 in die Ausg. von 1844 fast unversehrt übernommen worden“ (Schwarz/1923, 213f., A. 2). Weiteres siehe unter SW 43/44. Ranke selbst beschreibt die Änderungen bei der üblichen Übersendung eines Dedikationsexemplares an Friedrich Wilhelm IV. wie folgt: „Es ist fast mehr ein neues, als nur die Ausgabe eines alten. Ich habe darin den Grund und Ursprung der türkischen Unruhen deutlicher zu entwickeln, hauptsächlich aber die neuesten Ereignisse in Serbien so wahr, als es einem Zeitgenossen nur möglich ist, darzustellen gesucht.“ (1. 10. 44, NBrr 313). Durch den Fortfall der für die Entstehungsumstände wichtigen Vorrede der 1. Auflage gelang es Ranke, die dort ohnedies sehr geringen Bemerkungen über die ganz entscheidende Mitwirkung von Vuk Stefanović Karadžić nunmehr gänzlich zu - 31 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Verschwörung gegen Venedig‘

unterdrücken, obgleich dieser auch zu der zweiten Auflage Material beigesteuert hatte (Seleskovic/1941, 42f. u. SW 43/44, V.). Im Juni des Erscheinungsjahres bedankte er sich bei Vuk für „eine ausführliche Zuschrift und eine Anzahl Nummern des serbischen Couriers“ (3. 8. 44, Vukova prepiska V/1910, 664), Material, das von Ranke nicht sachgerecht genutzt wurde, denn in einem Schreiben vom 12. 1. 45 an Ranke (Vukova prepiska, Bd. 5, Beograd 1910, 668-670) wies Vuk auf sachliche Fehler, mangelnde Vollständigkeit und Deutlichkeit der 2. Auflage hin. „An vielen Stellen“ hätte man „mit ein paar Worten die Sache deutlicher und vollständiger sagen können. Demungeachtet ist diess in Europa das richtigste und umständlichste Werk über die darin besprochenen Gegenstände und die serbische Nation ist Ihnen grossen Dank schuldig! Ich glaube dass man in ein paar Jahre einer III-ten Ausgabe dieses Werkes benöthigen wird, dann müssen wir trachten vor dem Drucke [i. T.] alles mitsammen zu durchlesen.“ Zu einem weiteren Druck des Werkes kam es jedoch erst 1879, fünfzehn Jahre nach Vuks Tod. Andererseits soll Perthes trotz der Zerrüttung der Beziehung auch an einer „Fortsetzung“ des Werkes interessiert gewesen sein (R. an. Kopitar, 24. 4. 30, Valjavec/1935, 18), die jedoch in selbständiger Form nie erschien, und 1835 sei Perthes wegen des Ereignisses der Einnahme von Kragujewatz durch die Gegner Miloschs dem Plan einer 2. Auflage noch einmal nähergetreten, wie Ranke seinem Wiener Förderer Kopitar mitteilte und bat, sich bei Vuk um weiteres Material zu bemühen: „Die Frage ist, ob Wuk im Stande und geneigt ist, mir die authentischen [i. T.] Materialien zu einer solchen Arbeit zu beschaffen.“ (Valjavec/1935, 22). Doch führte dies vorderhand zu keiner neuen Veröffentlichung. Aufgrund der bei ‚Fürsten und Völkern‘, der ‚Serbischen Revolution‘ und schließlich der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ aufgetretenen Spannungen gab Perthes die Rechte an den Werken an Ranke zurück. Er schrieb an seinen Sohn Clemens, 24. 2. 33 [? Jahr sehr zweifelhaft, wohl später]: „Uebrigens habe ich diesem Mann nicht Unrecht gethan, wenn ich vor ein paar Jahren [!]: an der Zeit hielt, meine Verhältnisse mit ihm zu lösen, [...] In ihm waltet eine Gemeinheit der Gesinnung die mit mir unverträglich ist.“ (Moldenhauer/2008, 548, A. 460). [D r i t t d r u c k ] Nicht selbständig, vielmehr 1879, 50 Jahre nach der Erstauflage, u. d. T. ‚Geschichte Serbiens bis 1842‘ als Teil von ‚Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘ (SW 43/44, 1. u. 2. GA, - wegen Änderungen siehe dort) erschienen und gleichwohl als „Dritte Auflage“ bezeichnet. Dazu Geibel/1886), 117. Ueber die Verschwörung gegen Venedig, im Jahre 1618. Mit Urkunden aus dem Venezianischen Archive [1. Auflage] > Bln.: D. u. H. 1831. III, 192 S. 8º. Erste Nachrichten (2-6). - Offizielle Darstellung (6-11). - St. Real, seine Quellen, seine Nachfolger (12-22) [César Vischard, abbé de Saint-Réal: The Conspiracy of the Spaniards against the Republic of Venice, transl. from the French, Lnd. 1770]. - Opposition (22-24). -

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Verschwörung gegen Venedig‘ Chambrier (24-29). - Daru [Histoire de Venise] (29-46). - Der französische Botschafter [de Léon Bruslart] (46-52). - Neue Quellen. Das venezianische Archiv (53-62). - Politische Verhältnisse (62-77). - Die Miethstruppen (77-87). - Einverständniß (88-98). - Anschläge (98-105). Entdeckung (105-124). - Beruhigung (124-137). - Schluß (137-141). - Urkunden [Ed.] (143-192).

Ranke betrachtete das Sujet seines Werkes als einen „entfernt liegenden, verwickelten, wenngleich berühmten, doch in sich selbst nicht eben sehr bedeutenden Gegenstand“, bei dem sich „ein sehr seltsamer Zustand der europäischen Politik ... daran ergibt, weil es immer einer Zeit der Gefahr jener merkwürdigen Seestadt gilt, weil es endlich mit mancher andern berühmten Verschwörung wohl eine ähnliche Bewandnis haben mag, wie mit dieser.“ (Dedikationsbrief an Krpr. Friedrich Wilhelm v. Pr., 29. 8. 31, NBrr 158). - Der Darstellung des Werkchens eingestreut sind, wie üblich, allgemeine Absichtserklärungen und Sentenzen Rankes, wovon folgende besonders bemerkenswert, wenn auch in ihrem zweiten Teil für seine Geschichtsschreibung nicht eben bezeichnend ist und auch nie mehr auftritt: „Gott wolle nicht, daß ich jemals irgend eine Gewaltthat, sey sie begangen von den Machthabern oder ihren Gegnern verhülle, oder bemäntele; allein zur Vertheidigung derjenigen, die sich nicht mehr vertheidigen können, die Wahrheit an’s Licht zu bringen, werde ich immer für eine der wichtigsten Pflichten der Historie halten.“ (44). Über ‚Geschichte‘ findet sich folgende bezeichnende, in ihrem Schlußteil fragwürdige Maxime: „Sie wird nicht verfaßt, indem man seinen Gedanken allein nachhängt, und das Element eigenmächtig zu seinem Willen bringt; sie fordert ein auf Dinge und Personen eingehendes Studium, das dieselben gelten lasse, und in ihrer We-|senheit zu erkennen suche; sie fordert Hochachtung vor der vergangenen Begebenheit.“ (45f.). - Zum Erfolg verhalf das der Schrift nicht. Ranke spürte von ihr, wie er August Gf. Platen gegenüber bekannte, keine „besondere Wirkung“ (28. 9. 31, SW 53/54, 256). Dies zeigt auch ihr weiteres Schicksal. Der in der Werkmitte angesiedelte Abschnitt „Neue Quellen. Das venezianische Archiv“ kann als Einleitung des Werkchens angesehen werden. Ranke gibt hier eine anschauliche und informative Schilderung des Archivs und seiner Bestände, Eindrücke, die er während der fünf Monate seiner dortigen Studien gewonnenen hatte (siehe dazu auch seinen Brief an Gentz, Venedig, 17. 10. 28, Salzer/1912, 335), sowie Hinweise auf die Struktur des venezianischen Staats- und Gesandtschaftswesens nebst den dabei entstandenen Quellen. Ranke hat bei den Urkunden auf ein Vorwort verzichtet, da es sich bei den in zehn Abschnitten mit unterschiedlichen Dokumenten von Mai 1618 bis Okt. 1619 edierten Aufzeichnungen des Sekretärs des Rates der Zehn, Äußerungen des französischen Botschafters in Venedig, de Léon Bruslart, und anderen Stücken um die pièces justificatives seiner Darstellung handelt. [Z w e i t d r u c k ] Nicht selbständig, vielmehr mit leichter Titeländerung (Fortfall des ‚Über …‘) erst 1878 als „Zweite Abtheilung“ des Werkes ‚Zur Venezianischen Geschichte‘ (SW 42) erschienen, allerdings anders als etwa bei SerbRev/Drittdr. nicht als ‚Auflage‘ bezeichnet. *

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die römischen Päpste‘

Die römischen Päpste, i h r e K i r c h e u n d i h r S t a a t i m s e c h s z e h n t e n [sic] u n d s i e b z e h n t e n Jahrhundert (Fürsten und Völker von Süd-Europa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Vornehmlich aus ungedruckten Gesandtschafts-Berichten, 2.- 4. Bd).

[1. Auflage] > 3 Bände, Bln.: D. u. H. 1834-36. Gr. 8º. 1. Bd. 1834. XX, 516 S. - 2. Bd. 1836. VI, 576 S. - 3. Bd. 1836. VI, 512 S.

Erscheinungstermin von Band I: Jahresmitte 1834. 1. Band Vorrede (V-XVIII). Erstes Buch. Einleitung (1-128). - [Die folgenden „Kapitel“ sind weiter untergliedert. Hier nicht dargestellt.] Epochen des Papstthums. - Die Kirche und der Kirchenstaat im Anfange des sechszehnten Jahrhunderts. - Politische Verwickelungen. Zusammenhang der Reformation mit denselben. Zweites Buch. Anfänge einer Regeneration des Katholicismus (129-232). [Hier hat R die Kapitelgliederung aufgegeben:] Analogien des Protestantismus in Italien. - Versuche innerer Reformen und einer Aussöhnung mit den Protestanten. - Neue Orden. - Ignatius Loyola. - Erste Sitzungen des tridentinischen Conciliums. - Inquisition. - Ausbildung des jesuitischen Institutes. Schluß. Drittes Buch. Die Päpste um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts (233-374). Paul III. - Julius III. Marcellus II. - Paul IV. - Pius IV. - Pius V. Viertes Buch. Staat und Hof. Die Zeiten Gregors XIII. und Sixtus V. (375-516). Verwaltung des Kirchenstaates. - Finanzen. - Die Zeiten Gregors XIII. und Sixtus V. - Bemerkung über die Veränderung der geistigen Richtung überhaupt. - Die Curie. 2. Band Fünftes Buch. Gegenreformationen. Erster Zeitraum. 1563-1589. (1-174). - Hier finden sich zu Beginn kurze, bedeutende allgemeine Bemerkungen R.s über den „Charakter des heutigen Europa“ und das Verhältnis von „Landesgeschichte“ und „Universalgeschichte“ (3). Lage des Protestantismus um das Jahr 1563. - Streitkräfte des Papstthums. - Die ersten Jesuitenschulen in Deutschland. - Anfang der Gegenreformationen in Deutschland. - Gewaltthätigkeiten in den Niederlanden und in Frankreich. - Widerstand der Protestanten in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland. - Gegensätze in dem übrigen Europa. - Entscheidung in den Niederlanden. - Fortgang der Gegenreformationen in Deutschland. - Die Ligue. - Savoyen und die Schweiz. - Angriff auf England. - Ermordung Heinrichs III. Sechstes Buch. Innere Gegensätze der Lehre und der Macht. 1589-1607. (175-359). - Kirchlich politische Theorie. - Opposition der Lehre. - Letzte Zeiten Sixtus V. - Urban VII. Gregor XIV. Innozenz IX. und ihre Conclaven 1590, 91. - Wahl und Natur Clemens VIII. - Absolution Heinrichs IV. - Ferrara unter Alfonso II. - Eroberung von Ferrara. - Jesuitische Bewegungen. Politische Stellung Clemens VIII. - Wahl und erste Handlungen Pauls V. - Venezianische Irrungen. - Austrag der jesuitischen Sache. - Schluß. Siebentes Buch. Gegenreformationen. Zweiter Zeitraum. 1590-1630. (361-576). - Zu Beginn des 7. Buchs (363f.) findet sich eine bedeutende allgemeine Aussage R.s, welche beginnt: „Ich denke nicht mich zu täuschen oder die Schranken der Historie zu überschreiten, wenn ich an dieser Stelle ein allgemeines Gesetz des Lebens wahrzunehmen glaube.“ (363). [Hier setzen unver-

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die römischen Päpste‘ mittelt und vorübergehend wieder „Kapitel“ ein, welche noch weiter untergliedert sind, hier nicht dargestellt:] Erstes Kapitel. Fortschritte der kathol. Restauration. - Zweites Kapitel. Allgemeiner Krieg. Siege des Katholicismus. 1617-1633. - Drittes Kapitel. Gegensatz politischer Verhältnisse. Neue Siege des Katholicismus. 1623-1628. - Viertes Kapitel. Mantuanisch-schwedischer Krieg. Umschwung der Dinge. 3. Band Achtes Buch. Die Päpste um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Spätere Epochen. (1-223). Heimfall von Urbino. - Anwachs der Schulden des Kirchenstaates. - Gründung neuer Familien. Krieg von Castro. - Innozenz X. - Alexander VII. und Clemens IX. - Elemente der römischen Bevölkerung. - Bauwerke der Päpste. - Digression über Königin Christine von Schweden. Verwaltung des Staates und der Kirche. - Die Jesuiten in der Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. - Jansenisten. - Stellung des römischen Hofes zu den beiden Parteien. - Verhältniß zu der weltlichen Macht. - Uebergang auf die späteren Epochen. - Ludwig XIV. und Innozenz XI. - Spanische Erbfolge. - Veränderte Weltstellung. Innere Gährungen. Aufhebung der Jesuiten. - Revolutionäres Zeitalter. Anhang. Verzeichniß der benutzten Handschriften, nachträgliche Auszüge und kritische Bemerkungen. (225-512). Siehe i. e. die unten folgende Analektenübersicht der Auflagen 1 bis 8.

1826 bemerkte Ranke in einem Brief an seinen Bruder Heinrich: „Die Geschichte der Päpste, ebenso interessant und bedeutend, als intrikat und höchst schwierig, liegt noch unberührt vor mir.“ (24. 11. 26, NBrr 90). Im Februar des Folgejahres ist er dann „bei den Päpsten“, bewundert oft aufgetretene „große Eigenschaften, wodurch sie emporgekommen“ und hat über Pius V., der ihn besonders beeindruckt, „Relazionen ..., wie er leibte und lebte.“ (an Heinrich, [Febr. 1827], SW 53/54, 164). - Während seiner späteren Archivarbeiten in Rom, fühlt er ganz besonders, „wie nothwendig eine unparteiische Historie des Pontifikats ist“. Mit diesem Gedanken ist er „jetzt ganz angefüllt“ (an Gentz, 26. 4. 30, Wittichen/1904, 85). - Das Erstarken des Papsttums in den folgenden Jahrzehnten hat er, wie man aus der Vorrede des Werkes ersieht, wohl damals noch deutlich unterschätzt: „Denn was ist es heut zu Tage noch, das uns die Geschichte der päpstlichen Gewalt wichtig machen kann? Nicht mehr ihr besonderes Verhältniß zu uns, das ja keinen wesentlichen Einfluß weiter ausübt: noch auch Besorgniß irgend einer Art; die Zeiten, wo wir uns fürchten konnten, sind vorüber…“ (XVsq.). Ranke hat für dieses Werk in weitem Umfang Archivmaterialien herangezogen, so aus der Kgl. Bibliothek Berlin, der K. u. K. Hofbibliothek in Wien, wo er die Ankäufe aus dem Hause Rangone in Modena und aus Venedig die Handschriften Marco Foscarinis und aus dem Nachlaß des Prinzen Eugen eine Handschriftensammlung benutzte, sodann das Kaiserliche Archiv mit venezianischen Papieren vor allem zu Gregor XIII. und Sixtus V., die Bibliothek von San Marco in Venedig, das venezianische Staatsarchiv. In Rom nutzte er für seine Geschichte der Päpste vor allem die Manuskripte der Barberini, Chigi, Altieri, Albani, Corsini und „noch einige andere von minderem Belang“ (XIII). Auf diese Weise brachte er neben Korrespondenzen, Tagebüchern, Gutachten, statistischen Tabellen, Viten, Berichten über Verwaltung, Handel und Gewerbe allein an Relationen achtundvierzig über Rom zusammen (X), die älteste von 1500. Seine Arbeiten im Vatikan hingegen waren, da man ihm die Freiheit, die er sich gewünscht, keineswegs gewährte (XI), wenig ergiebig. Joseph Aschbach wies 1836 in einer lobenden Besprechung von Bd. II und III aus eigener Kenntnis auf quellenmäßige Ergänzungsmöglichkeiten durch die Glauburgsche Sammlung italienischer Handschriften der Frankfurter/M. Stadtbibliothek hin (Aschbach/1836). - 35 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die römischen Päpste‘

Die von Ranke für dieses Werk, soweit nachgewiesen, in erster Linie benutzten venezianischen Relationen und sonstigen Quellen, zumeist Abschriften des 18. und 19. Jh.s, häufig mit seinen mehrseitigen Notizen versehen, sind noch in großer Zahl in Syracuse vorhanden und bei Muir (1983) beschrieben (s. II/8.2). Bei einer etwaigen historisch-kritischen Ausgabe ist davon kommentierend Gebrauch zu machen. Am 14. 12. 33 hatte Ranke an Heinrich Ritter geschrieben: „Mein Band hat mir doch noch einige Arbeit gemacht. Wir wollen erst künftige Woche den Druck anfangen. Ich war in der Nothwendigkeit, zugleich die Handschriften zu protocolliren und einige kritische Untersuchungen für einen literarischen Anhang zu machen.“ (Dove, SW 53/54, 264). Anfang 1835 arbeitete er an Bd. II: „Ich bin nun jetzt an dem zweiten Theil; fürchte aber, er gelingt mir nicht einmal so gut, wie der erste. Vielleicht, meine Seele hofft es, werde ich im Sommer noch damit fertig.“ (An Heinrich Ritter, [18. 2. 35], ebd., 271, s. auch ebd. 273). Er fand sich „genöthigt“, darin „nur zu viel auch von der deutschen Geschichte zu sprechen.“ (3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875, SW 53/54, 51). Ranke schrieb sich das Verdienst zu, in den ‚Päpsten‘ auch „vielleicht zur Erläuterung der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts ... Einiges beigebracht“ zu haben, „was für unser Vaterland entscheidend gewesen ist.“ (An Waitz, 28. 10. 65, SW 53/54, 468). Zur Jahreswende 1838/39 entwickelte Ranke den Plan einer „kritischen Durchforschung der Geschichte des alten Papstthums“ zur Ausführung durch einige seiner frühen Schüler (s. dazu II, 323f.). Der Aufbau des berühmtesten Werkes Rankes weist, trotz der Vielzahl seiner Auflagen - einschließlich der Analekten - eine große Konstanz auf, welche auch durch die aktualisierende Erweiterung ab der 6. Aufl. nicht beeinträchtigt wurde. Als Neunzigjähriger schmeichelte sich Ranke, niemand habe sagen können, ob seine Papstgeschichte „mehr für oder gegen das Papstthum geschrieben sei; sie war weder für noch wider gedacht; sie war nur eben das Resultat grundlegender und unparteiischer Studien. So ist sie auch aufgenommen worden.“ Letzteres traf allerdings nur auf das protestantische Lager zu. 2. Auflage > 3 Bände, Bln.: D. u. H. 1838, 1839. Gr. 8º. 1. Bd. 1838. XX, 520 S. - 2. Bd. 1839. VII, 579 S. - 3. Bd. 1839. VI, 235; 292 S. 1. Band Vorrede (VII-XX).

„Ueberhaupt hat der Verfasser bei der Durchsicht dieses Bandes nur zu wenig Zusätzen und kleinen Abänderungen Anlaß gefunden, die das Wesen der Sache nicht berühren.“ (XVIII, Anm.). Hingegen habe er „in dem dritten Band doch eine ganze Anzahl Zusätze zu machen gefunden“ (an Sarah Austin, 4. 11. 39, Henz/1972, 304). Die nächste bedeutende Veränderung erfuhr das Werk erst mit der 6. Auflage, die gegenüber den voraufgehenden bis auf die neueste Zeit, d. h. bis zum Schluß des Vatikanischen Konzils (Okt. 1870) fortgesetzt wurde. Die früheren Auflagen hatten bis zur Wiederherstellung des Kirchenstaats nach den Befreiungskriegen geführt und zuletzt der in den 1830er Jahren begonnenen Wiederaufnahme ultramontaner Tendenzen gedacht. - 36 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die römischen Päpste‘

Die beiden ersten Bände weisen bei unveränderten Büchertiteln und identischer Untergliederung lediglich eine geringfügig abweichende Paginierung auf. Erstes Buch. Einleitung (1-129). - Zweites Buch. Anfänge einer Regeneration des Katholicismus (131-235). - Drittes Buch. Die Päpste um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts (237-378) Viertes Buch. Staat und Hof. Die Zeiten Gregors XIII und Sixtus V. (379-520). 2. Band Fünftes Buch. Gegenreformationen. Erster Zeitraum. 1563-1589. (1-176). - Sechstes Buch. Innere Gegensätze der Lehre und der Macht. 1589-1607. (177-361). - Siebentes Buch. Gegenreformationen. Zweiter Zeitraum. 1590-1630. (363-579). 3. Band [1. Teil]: Achtes Buch. Die Päpste um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Spätere Epochen. (1-235). [2. Teil]: Anhang. Verzeichniß der benutzten Handschriften, nachträgliche Auszüge und kritische Bemerkungen (1-292).

Im Gegensatz zur 1. Aufl. ist der 3. Bd. der 2. Aufl. irrtumsfördernd in zwei ohne Asterisk eigenständig paginierte Teile zerlegt. Erst in der 6. Aufl wurde diese Mißlichkeit halbwegs beseitigt. Das achte Buch ist in Aufbau und Überschriften bis einschließlich des Abschnitts „Veränderte Weltstellung ...“ (187ff.) mit der Vorauflage identisch. Danach folgen an Stelle des Abschnitts ‚Revolutionäres Zeitalter‘ der Erstauflage (202ff.) nachstehende Abschnitte: Joseph II. - Revolution - Napoleonische Zeiten - Restauration - Schlußwort. 3. Auflage > 3 Bände, Bln.: D. u. H. 1844-45. 8º. 1. Bd. 1844. XVII, 520 S. - 2. Bd. 1845. VII, 562 S. - 3. Bd. 1845. VI, 237, 316 S. 1. Band Vorrede (VII-XVII).

Ranke äußert sich darin, im Gegensatz zur Vorrede der 2. Auflage, nicht über etwaige Änderungen gegenüber der Vorauflage. Buchtitel, Untergliederung und Seitenzählung des 1. Bd.s der 3. Auflage sind identisch mit denen der 2. Auflage. - Der 2. und 3. Bd. weisen bei unveränderten Büchertiteln lediglich eine geringfügig abweichende Seitenzählung auf. 4. Auflage > 3 Bände, Bln.: D. u. H. 1854-1857. Gr. 8º. 1. Bd. 1854. XVII, 520 S. - 2. Bd. 1856. VII, 573 S. - 3. Bd. 1857, VI, 248; 316 S.

Buchtitel, Untergliederung und Seitenzählung des 1. Bd.s der 4. Aufl. sind identisch mit denen der 3. und der 2. Aufl. - Bd. 1 der 4. Aufl. ist in Buchtiteln und Untergliederung, nicht jedoch in der Seitenzählung mit Bd. I der ersten Aufl. identisch. - Der 2. und 3. Bd. bringen bei identischem Aufbau eine geringe Paginierungsvarianz. - 37 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die römischen Päpste‘

5. Auflage > 3 Bände, [ab dieser Aufl. Ortswechsel] Lpz.: D. u. H. 1867. Gr. 8º. 1. Bd. 1867. XVII, 520 S. - 2. Bd. 1867. VII, 573 S. - 3. Bd. 1867, VI, 270, 319 S.

Der Aufbau der Bände ist bis auf gelegentliche Umbruchverschiebungen identisch mit der Vorauflage. 6. Auflage Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten > 3 Bände, Lpz.: D. u. H. 1874. Gr. 8º. 1. Bd. 1874. XIV, 336 S. - 2. Bd. 1874. VI, 377 S. - 3. Bd. 1874 [und 1878]*, VI, 208, 225* S.

Separatabdruck von SW 37-39 [1. GA.] - Auch als Prachtausgabe in einem Band. * Beim 3. Bd. trat folgendes Kuriosum ein: Der 3. Bd. der 6. Auflage erschien in der 1. GA der SW mit der Jahreszahl 1874, in der zweiten GA mit der Jahreszahl 1878. In eben diesem Jahr erschien der 3. Bd. jedoch auch in 7. Auflage als Teil der 2. GA. Ab der 6. Auflage Fortfall des Reihentitels ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa...‘ und aktualisierter Werktitel. Die geplante Neuerung kündigte Ranke seinem Verleger mit Brief vom 21. 4. 74 an: „...daß ich nun doch damit umgehe, dem dritten Band des Textes noch ein Schlußwort hinzuzufügen, das sich über die Geschichte des Vaticanischen Conciliums verbreiten soll. Für mich selbst wäre das Beste, davon zu schweigen; aber für das Buch und ich hoffe auch für das Publicum ist es besser, daß ich meine Ansicht darüber ausspreche. Da nun aber damit eine brennende Frage berührt wird, und jeden Tag neue Documente darüber zum Vorschein kommen, so wünsche ich das Manuscript, bis kurz vor der unmittelbaren Ausgabe des Buches bei mir zu behalten.“ (Geibel/1886, 57f.). Das Werk wurde revidiert (siehe R. an Geibel, 6. 2. u. 7. 7. 73, Geibel/1886, 45 u. 49) und mit dieser Auflage in die SW aufgenommen. Die Auflagen 6, 7 und 8 sind in Aufbau, Buchtiteln, Analekten und Seitenzählungen identisch. Jedoch wurde nach der 6. auch die 7. Auflage revidiert. 1. Band Vorrede (V-XII). - Inhalt (XIIIf.). Erstes Buch. Einleitung. (1-83). - Zweites Buch. Anfänge einer Regeneration des Katholizismus. (85-152) - Drittes Buch. Die Päpste um die Mitte des sechzehnten Jahrhunderts. (153-244) Viertes Buch. Staat und Hof. Die Zeiten Gregors XIII und Sixtus V. (245-336). 2. Band Fünftes Buch. Gegenreformationen. Erster Zeitraum. 1563-1589. (1-115) - Sechstes Buch. Innere Gegensätze der Lehre und der Macht. 1589-1607. (117-235) - Siebentes Buch. Gegenreformationen. Zweiter Zeitraum. 1590-1630 (237-377). 3. Band [1. Teil]: Achtes Buch. Die Päpste um die Mitte des siebzehnten Jahrhunderts. Spätere Epochen. [So auf S. 1. Im Inhaltsverzeichnis richtig: ohne ‚Spätere Epochen‘] (1-105). - Neuntes Buch. Spätere Epochen. (107-208). Dort 184ff: ‚Das vaticanische Concilium‘. [2. Teil]: Analecten. Verzeichniß der benutzten Handschriften, nachträgliche Auszüge und kritische Bemerkungen (1*-225*).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die römischen Päpste‘

Ranke in einer Anm. zu dem in der 6. Aufl. abgedruckten Vorw. zur 1. Aufl.: „So schrieb ich im Jahre 1834, einer Zeit, in welcher zwischen Rom und Deutschland Friede war oder doch zu sein schien. Die Vorrede, die ich hier reproducire, wohl auch das Buch selbst, enthält den Ausdruck der Stimmung jener Epoche. Aber wie sehr hat sich seitdem alles verändert! Indem ich 40 Jahre nach dem ersten Erscheinen eine sechste Auflage veranstalte, ist der Streit, der damals ruhte, wieder in vollen Flammen ausgebrochen. Es versteht sich von selbst, daß in dem Buche deshalb kein Wort geändert werden durfte, aber ich kann mir doch auch nicht verhehlen, daß eine neue Epoche des Papstthums eingetreten ist. Ich habe den Fortgang derselben nur im Allgemeinen andeuten können, immer unter Wahrung des objectiven Standpunktes, den ich von Anfang an einzunehmen gesucht hatte, und es selbst rathsam gefunden, dem gegenwärtigen Pontificate in demselben Sinne meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Demgemäß habe ich den ursprünglichen Titel, durch welchen das Buch an eine andere Publication [FuV] angeknüpft und auf das sechszehnte und siebzehnte Jahrhundert beschränkt wurde, nicht mehr wiederholen können, sondern einen umfassenderen gewählt.“ (Bd. I, p. XI). Siehe auch die Bemerkung zur 2. Auflage. 7. Auflage > 3 Bände, Lpz.: D. u. H. 1878. Gr. 8º. 1. Bd. 1878. XIV, 336 S. - 2. Bd. 1878. VI, 377 S. - 3. Bd. 1878, IV, 208, 225* S. [Druckfehler: 325*!].

Separatabdruck von SW 37-39, 2. GA. Die drei Bände der 7. Aufl. sind in Aufbau, Buchtiteln, Analekten und Seitenzählung mit der 6. Aufl. identisch. Die Aufl. wurde jedoch gegenüber der 6. erneut revidiert (R an seinen Verleger, 12. 1. 78, Geibel/1886, 114), wobei auch der Fehler im Titel des 8. Buches behoben wurde. Insofern kann nicht, wie in dem ansonsten vorzüglichen Beitrag von Fuhrmann/1989, 177, von einem „Schlußtext“ der 6. Aufl. von 1874 gesprochen werden. Die 7. Auflage ist auch als hier folgende einbändige Textausgabe unter Fortfall der Vorrede, der Anmerkungen, der Analekten und des Registers erschienen. Sie ist in dieser Form nicht Bestandteil der SW. - Wurde zunächst in 5 Lieferungen ausgegeben: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten Siebente Auflage. Text-Ausgabe. > Lpz.: D. u. H. 1878, VIII, 756 S. Gr. 8º. Br. u. Geb. Zur 7. Aufl., bes. zur Textausgabe, siehe Rankes Brief an Geibel, 8. 6. 78 (Geibel/1886, 115 mit A. 1). Demzufolge erwies sich die Erwartung des Verlegers, mit der Textausgabe in einer Auflagenhöhe von 1000 Exemplaren dem Werk neue Leserkreise zu gewinnen, als irrig. Die Ausgabe blieb zu einem großen Teil unverkauft. - 39 -

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8. Auflage Expl. Herzogin Anna Amalia-Bibliothek Weimar

[Ausgabe letzter Hand] > 3 Bände, Lpz.: D. u. H. 1885. Gr. 8º. 1. Bd. 1885. XIV, 336 S. - 2. Bd. 1885. VI, 377 S. - 3. Bd. 1885, VI, 208, 330* S. Separatabdruck von SW 37-39, 3. GA.

Bd. III der Separatausgabe trägt auf dem Titelblatt den Vermerk „Mit einem Namenund Sachregister“, der auf den Exemplaren der Gesamtausgabe fehlt. Die drei Bände der 8. Auflage sind in Aufbau, Buchtiteln, Analekten und Seitenzählung mit der 7. Auflage identisch. Lediglich das in Bd. III hinzugekommene Register ist neu: „Register zu den römischen Päpsten in den letzten vier Jahrhunderten. Drei Bände. Leopold v. Ranke’s Sämmtliche Werke. Dritte Gesammtausgabe. XXXVII-XXXIX Band.“ (227*-330*). Erstellt von „Dr. Platner in Göttingen“, Geibel, 58, A. 1. Ein Personen-, Orts- u. Sachregister. Auch als folgende einbändige Textausgabe unter Fortfall der Anmerkungen, der Analekten u. des Registers erschienen. In dieser Form nicht Bestandteil der SW: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten [Achte Auflage] Text-Ausgabe. > Lpz.: D. u. H. 1885. VIII, 756 S. Gr. 8º. Br. u. geb. Diese Ausgabe hat nicht vorgelegen und existiert möglicherweise nicht, da bereits die Textausgabe von 1878 zu einem großen Teil unverkauft blieb (s. d.). Siehe dazu: Geibel/1886, 115, A. 1. - Lt. Vermerk in der 1923 erschienenen Folgeauflage ist die einbändige Textausgabe von 1885 vom Vf. „durchgesehen“. Weitere Original-Auflagen posthum Anhang. Verzeichniß der benutzten Handschriften, nachträgliche Auszüge und kritische Bemerkungen [1. bis 8. Auflage]

Dieser Teil enthält 165 hauptsächlich auf Gesandtschaftsberichte, päpstliche Instruktionen und Viten aus der Zeit von etwa 1453 bis 1783 bezogene einzelne Texteinheiten, in denen entweder der editorische oder der diese Quellen teils referierende, teils kritisch abhandelnde Charakter überwiegt. Zur editorischen Entwicklung der Analekten bemerkte Alfred von Reumont, der in seinem Beitrag ‚Die Analecten zu Ranke’s Römischen Päpsten‘ Ergänzungen dazu gab: „So viel mir bekannt, sind diese Analecten in den fünf Auflagen seit 1834 großentheils unverändert geblieben, bis sie in der sechsten manche Veränderungen und Zusätze erfuhren, welche jedoch nicht nach einem bestimmten System gemacht worden zu sein scheinen und nur Einzelnes modificiren. Denn auf neuere Literatur wie auf die - 40 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die römischen Päpste‘

Publicationen handschriftlichen Materials, wovon Fragmente angeführt worden, ist nur in verhältnißmäßig wenigen Fällen Rücksicht genommen, vieles übergangen, worauf mit gleichem Rechte hätte verwiesen werden können, woraus sich ergiebt, daß es nicht in der Absicht des großen Meisters lag, eine eigentliche Revision und Ergänzung dieser Excurse und Exzerpte vorzunehmen ...“ (Reumont/1884, 625). Erster Abschnitt. Bis zum tridentinischen Concilium. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 227-269; III/2, 2. Aufl. (1839), 3-46; 3. Aufl. (1845), 1-30; 4. Aufl. (1857) u. 5. Aufl. (1867), 3-32; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 3*24*.

Zweiter Abschnitt. Zur Kritik Sarpi’s und Pallavicini’s. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 270-289; III/2, 2. Aufl. (1839), 47-67; 3. Aufl. (1845), 31-54; 4. Aufl. (1857) u. 5. Aufl. (1867), 33-56; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 25*-41*.

Dritter Abschnitt. Zeiten der Restauration bis auf Sixtus V. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 290-316); III/2, 2. Aufl. (1839), 68-94; 3. Aufl. (1845), 55-85; 4. Aufl. (1857) u. 5. Aufl. (1867), 57-86; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 42*-58*.

Vierter Abschnitt. Sixtus V. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 317-345; III/2, 2. Aufl. (1839), 95-124; 3. Aufl. (1845), 86-119; 4. Aufl. (1857) u. 5. Aufl. (1867), 87-120; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 59*-83*.

Fünfter Abschnitt. Zweite Epoche der kirchlichen Restauration. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 346-441; III/2, 2. Aufl. (1839), 125-220; 3. Aufl. (1845), 120-231; 4. Aufl. (1857), 121-232; 5. Aufl. (1867), 122-234; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 84*-164*.

Einschaltung. Bemerkung über die Denkwürdigkeiten Bentivoglio’s. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 354-355; III/2, 2. Aufl. (1839), 133f.; 3. Aufl. (1845), 129f.; 4. Aufl. (1857), 130f.; 5. Aufl. (1867), 131f.; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 91*f.

Einschaltung. Über einige Geschichtschreiber des Jesuiterordens [!] PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 381-384; III/2, 2. Aufl. (1839), 160-163; 3. Aufl. (1845),160-164; 4. Aufl. (1857), 161-165; 5. Aufl. (1867), 162-166; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 114*-116*.

Sechster Abschnitt. Spätere Epochen. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 442-512; III/2; 2. Aufl. (1839), 221-292; 3. Aufl. (1845), 232-316; 4. Aufl. (1857), 233-316; 5. Aufl. (1867), 235-319; 6. (1874 u. 1878), 7. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 165*-225*.

[Einschaltung] Bemerkung über [Cesare] Gualdi Vita di Donna Olimpia Maldachina 1666. PÄPSTE III, 1. Aufl. (1836), 450f.; III/2, 2. Aufl. (1839), 229f.; 3. Aufl. (1845), 242f.; 4. Aufl. (1857), 243f.; 5. Aufl. (1867), 244f.; 6. Aufl. (1874 u. 1878), 7. Aufl. (1878) u. 8. Aufl. (1885), 172*f. (Donna Olimpia war Schwägerin Papst Innozenz’ X.).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Oratio de historiae...‘/‚Italienische Poesie‘

Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine. Pro loco in facultate philosophica universitatis literarum Fridericae Guilelmae rite obtinendo scripsit Leopoldus Ranke p. p. O. > Berolini: [Schade] MDCCCXXXVI. 19 S. 4º. R.s Antrittsrede als ord. Professor an der Universität Berlin, gehalten im November 1836. - R. an seinen späteren Verleger Geibel, 23. 6. 72, als es darum ging, den Vortrag in seine SW aufzunehmen: „Die kleine Schrift ist bisher nie in den Buchhandel gekommen.“ (Geibel/1886, 36). - Zweitdr. und weitere Abdrr. mit dt. Übers. seines Bruders Ferdinand in AuV/ES = SW 24 (1872), 269-293 und in den Folgeauflagen. * Zu r Gesch ich te d er italien is chen Poesie Gelesen in der Königlichen Akademie der Wissenschaften. Berlin. [Text letzter Hand] > In Commission bei Duncker und Humblot, Bln. Gedruckt in der Druckerei der Königlichen Akademie der Wissenschaften 1837. 88 S. 4º. Selbständiger Zweitdr. Erstdr. in den Histor.-philos. Abhh. d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bln. Aus dem Jahre 1835, Bln. 1837 [!], 401-485. Veränderter Drittdr. posthum: AuV/NS 1888 (SW 51/52), 155-242. Nachträgliche Bemerkung ebd., 243f. Zwischentitel: Reali di Francia (2-5). - Manuscript der Reali (6-19). - Bearbeitungen in Versen (19-21). - Luigi Pulci (21-29). - Matteo Maria Bojardo (29-36). - Ariosto (36-47). - Berni (4852). - Bernardo Tasso und Luigi Alamanni (52-58). - Torquato Tasso. (58-85). - Nachträgliche Bemerkung (87f.). [Die Bemerkung gilt ‚Tasso‘ und dem 1837 in Lucca erschienenen ersten Teil der ‚Papiere aus der Casa Falconieri‘].

Zu den Anfängen seines Aufsatzes über die italienische Poesie siehe Rankes Brief an Heinrich Ritter, 28. 10. 27: Seine „größte Freude ist Ariost“ (SW 53/54, 174f.), später über die ‚Reali di Francia‘ (6. 8. 30, SW 53/54, 238). - An Varnhagen, 9. 12. 27: Lektüre bes. von Bojardo und Ariost (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen v. Ense. Ungedr. Briefwechsel/1895, 189). - An Bettina v. Arnim, 6. 2. 28: Hier preist er die Lektüre italienischer Poeten, „wo mir Gutes und Böses gleich belehrend ist“ (Wiedemann: L. v. R. u. Bettine von Arnim/1895, 66). - An B. Kopitar, 13. 1. 30 (NBrr 132f.), der ihn gedrängt hatte, seinen Aufsatz über die italienische Poesie fertigzustellen. Er dürfte für die von Kopitar herausgegebenen ‚Jahrbücher der Literatur‘ vorgesehen gewesen sein, in denen er jedoch nicht erschien. Kopitar hatte während Rankes Wiener Studien bereits anregend eingewirkt auf die Abfassung der ‚Serbischen Revolution‘ und den 1829 in den ‚Jahrbüchern‘ erschienenen Aufsatz ‚Zur Geschichte des Don Carlos‘. - Über den Zusammenhang von Kunst und Poesie an HR, [Anf. Apr. 1830] (SW 53/54, 234). Zur Schrift insgesamt siehe Rankes Lesung vor der Kgl. Akad. d. Wiss (II/6.2) sowie PÄPSTE I, 1. Buch, 2. Kap. - Zu der in der Bibliothek Albani in Rom aufgefundenen Hs. der ‚Reali di Francia‘: Helmolt/1921, 55. - Die Ranke-Manuscript-Collection of Syracuse University enthält in Abschr. des 19. Jh.s ein Ms. (Muir/1983, 245: Ms. 391 ‚Endecasillabi‘) mit Teilen eines Gedichts des Christoforo Altissimo, welches Ranke in seiner ‚Geschichte der italienischen Poesie‘ behandelt. - In Rankes Nachlaß der SBB PK ist das Segment II ‚Italienische Geschichten‘ möglicherweise ergiebig. - 42 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation [1. Auflage] > 6 Bände, Bln.: D. u. H. 1839-1847. 8º. 1. Bd. 1839. XII, 492 S. - 2. Bd. 1839. IV, 483 S. - 3. Bd. 1840. X, 603 S. - 4. Bd. 1843. VI, 542 S. - 5. Bd. 1843. VI, 502 S. - 6. Bd. 1847. VI, 595 S.

Ranke hatte, wie er sich als Achtzigjähriger erinnerte, „das innere Bedürfniß, der Geschichte des Katholizismus [von einer solchen konnte allerdings bei seinen ‚Päpsten‘ durchaus nicht die Rede sein] die der Ursprünge des Protestantismus zur Seite zu setzen“ (3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875, SW 53/54, 52), ja, er glaubte, dem protestantischen Element sei in seinen ‚Päpsten‘ „nicht vollkommene Gerechtigkeit ... widerfahren“ (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 69). Er sah in der Reformation „unser wichtigstes vaterländisches Ereigniß“ (DtG I, S. VI), eine „Begebenheit von einem so intensiven geistigen Inhalt und einer zugleich äußerlich so weltbeherrschenden Bedeutung“ (ebd., VII). Schon während der Leipziger Universitätszeit hatte Ranke sich - auch hervorgerufen durch das Reformationsjubiläum des Jahres 1817 - eindringlich mit Luther und der Reformationsgeschichte befaßt (s. II/2.3). Zu letzterer habe ihm, zufolge einer Äußerung gegenüber Wiedemann, „das Werk von Seckendorf zur Grundlage gedient“ (Wiedemann VI/1892, 102). Der ‚Commentarius historicus et apologeticus de Lutheranismo seu de reformatione‘, vollständig 1692, des Veit Ludwig von Seckendorff war gerade als archivgestütztes und kritisches Werk - bisher übersehen - für Ranke damals wohl vorbildhaft. 1825, bereits in Berlin, bekundet er dringendes Interesse an Nürnberger „Reichstags- und allgemeinen Städteacten des 16. Jahrhunderts, Ausschreiben der Kaiser, gleichzeitigen Lebensbeschreibungen“ (an HR, 11. 7. 25, SW 53/54, 148). 1830 nahm er aus dem Mediceischen Archiv zu Florenz „einen großen Theil der Geschichte Carls V., in der Periode der deutschen Kriege, völlig evident und klar“ mit sich (an A. Gf. v. Platen, 17. 7. 30, SW 53/54, 237, ähnlich an Heinrich Ritter, 6. 8. 30, ebd. 239) und veröffentlichte 1832 aus den in Italien gesammelten Materialien in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ eine umfangreiche Abhandlung ‚Ueber die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II. (Bruchstück von Betrachtungen über die deutsche Geschichte)‘. Ostern 1835 (Datum zu ersehen aus Brief an Ritter [Apr., nicht Mai 35], SW 53/54, 275) - Ranke schreibt zu dieser Zeit nicht nur intensiv und ausgedehnt an seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘, sondern hat überdies die Bände II und III seiner ‚Päpste‘ herauszubringen - da macht er im Frankfurter Stadtarchiv, dem „bei weitem bedeutendsten Reichsstädtischen Archiv, das es in Deutschland gibt“ (Schnabel/1939, 1), wie er seinem Bruder Heinrich schreibt, Entdeckungen, die „mich eigentlich nöthigen sollten, mich ein paar Jahr ausschließend der deutschen Geschichte zu widmen.“ (26. 11. 35, SW 53/54, 278). Ende September desselben Jahres - Schnabel (ebd.) hielt dies irrigerweise für den ersten Besuch Rankes im Frankfurter Archiv - ist er wieder dort und findet sich „gleich in einem Meer von Manuscripten, welche die prächtigsten Entdeckungen“ verheißen (an eine „liebe Freundin“, [Okt./Nov. 1835], SW 53/54, 276). Dies setzt sich fort: Den Herbst 1836 verbringt er „größtentheils“ in Frankfurt (an Heinrich Ritter, 16. 10. 36, SW 53/54, 285), dem er sogar den Vorzug vor dem schon länger geplanten Paris gibt. Im Stadtarchiv benutzt er die Akten der Reichstage von - 43 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

1414 bis 1613 in 96 Foliobänden nebst den Abgeordnetenberichten, deren erste 64 Bände, bis 1551 reichend, er sich „zu eigen“ macht (DtG I/1839, Vorrede V). Darüber sind seine Briefe an Georg Friedrich von Guaita vom 21. 9. 36 und an Johann Michael Adolf Hertzog vom 25. 10. 36 aufschlußreich (NBrr 220f. u. 226f.), in denen er die allgemeine Bedeutung der Materialien skizziert, aber auch benötigte und fehlende Bände bezeichnet. Die Bände 34 bis 64 mit den Jahren 1521 bis 1551 erbat er sich gar nach Hause, wo er sie zur Beunruhigung des Frankfurter Bürgermeisters, wie stets überlang, zurückhielt, machte indes, so schrieb er an Georg Heinrich Pertz, für die Geschichte der Reichstage, besonders unter Maximilian I, „eine herrliche Ausbeute“ (11. 11. 36, NBrr 229). Nicht nur zu Maximilian, auch zur Geschichte Friedrichs III. hat er in Frankfurt „eine sehr reiche Ausbeute“ gemacht und in Kassel „ein sehr schätzenswertes Manuscript für schwedische Geschichte vom Tode Karls 12. - 1740 gefunden, so wie auch dasz ein guter Theil der Rusdorfschen Memoiren noch ungedruckt ist“ (Brief Ernst Adolf Herrmanns an Georg Waitz, 23. 11. 36, Waitz/1920, 238, A. 2). Am 27. 10. 36 stellt Ranke einen förmlichen Antrag zur Benutzung der Reichstagsakten des Kgl. Preuß. Geh. Staatsarchiv zu Berlin, in das „vorzudringen“ ihm „auch gelingen zu wollen scheint. Geb’ es Gott, dann will ich der Welt wieder ein wahres und auch angenehmes Buch über die wichtigste Epoche der deutschen Geschichte schreiben.“ (An FR, 23. 10. 36, NBrr 225). Sein Antrag bezieht sich auf Akten „namentlich vom Jahre 1500 bis 1558“ (ebd., 227f.) und wird Anfang 1837 bewilligt. Sogar ein gutgemeinter Hinweis seines Schülers Waitz auf Relationen in Kopenhagen kann ihn zu dieser Zeit kaum interessieren, denn, so schreibt er ihm: „Ich lebe und webe in deutschen Reichstagsakten.“ (11. 11. 36, SW 53/54, 287). Im Dezember plant er bereits für den Herbst des kommenden Jahres, sich „noch ein wenig in Reichsstädten und fürstlichen Residenzen nach Archiven“ umzusehen: Nürnberg, Augsburg, Stuttgart und Karlsruhe faßt er ins Auge (so an HR, 18. 12. 36, SW 53/54, 288). Indessen sitzt er noch in Berlin „zwischen einer Masse von Büchern, so mit einer mühsamen Arbeit der ersten Zusammensetzung beschäftigt.“ (An ER, 24. 12. 36, SW 53/54, 288). Im März des folgenden Jahres - er macht sich gerade auf, das Kgl. Sächsische Hauptstaatsarchiv in Dresden zu besuchen - ist ihm der neue Band der Monumenta (T. IV, Legum sectio II) für sein Werk sehr willkommen (an Waitz, [24. 3.] 37, SW 53/54, 290). Im Gegensatz zu seinem ersten Besuch, zu Beginn der Österreich- und ItalienReise, im Sept. 1827, wird ihm im April 1837 in Dresden der zuvor versagte Manuskriptkatalog ohne weiteres ausgehändigt, und er erhält die Erlaubnis, in dem Archiv, das zuvor noch „mit tausend Schlüsseln und Riegeln verwahrt war, nachzuforschen.“ (An H. Ritter, [Anf. Apr. 37], SW 53/54, 291). Aus Dresden datiert vom 8. 4. 37 auch sein Brief an Heinrich: „Den ganzen Winter habe ich in Reichstagsakten gesteckt; die ganze Stube ist mit Handschriften angefüllt gewesen. Wie viele Briefe, die seit 300 Jahren niemand mehr angesehen, habe ich zum ersten male wieder auseinandergebogen und gelesen: eben wie sie eingelaufen und entsiegelt worden, hatte man sie mir anvertraut.“ (SW 53/54, 293). Und er bekundet seine Absicht, „im Herbst noch gar manche Bibliothek und vielleicht auch ein oder das andere Archiv vorzunehmen.“ (ebd., 294). Endlich im September - im Vormonat hat er das Gemeinschaftliche Archiv des sächsisch-ernestinischen Hauses zu Weimar besucht - spricht er es aus: „Ich beabsichtige eine deutsche Geschichte in den Zeiten Maximilians I. und Karls V. zu schreiben. Es ist ganz unglaublich, welche Masse unbenutzter Materialien sich für diese Epo- 44 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

che in den deutschen Archiven finden. Nachdem ich schon in Frankfurt a. M., Berlin, Dresden Hunderte von Bänden und Convoluten durchgegangen, finde ich doch hier, namentlich über einige noch dunkle Punkte, nicht nur Nachlese, sondern eine Ernte.“ (An HR, 19. 9. 37, SW 53/54, 297). - Auffallend das weitreichende Nicht-Vorkommen des Begriffs „Reformation“. Von den Weimarer Beständen sprach er mit besonderer Teilnahme: „Man hat hier jeden eingegangenen Zettel, jeden Entwurf einer Antwort aufbewahrt. Die Correspondenz zwischen Churfürst Johann Friedrich und Landgraf Philipp von Hessen allein würde eine Reihe von Bänden anfüllen, wenn man sie publiciren wollte.“ Eine Hauptquelle für weite Teile des zweiten Bandes seiner ‚Deutschen Geschichte‘ wird die Korrespondenz des Hans von Planitz „in zwei Bänden und einem kleinen Hefte“ bilden. Vor allem sucht Ranke in Weimar Aufschluß über die „Angelegenheiten des Reiches und des schmalkaldischen Bündnisses“ (DtG I/1839, Vorrede VIII. Siehe auch die Darstellung im 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1855, SW 53/54, 69). - Im November 1837 wendet er sich noch - vermutlich ergebnislos - an das Geheime Archiv in Königsberg mit der Frage nach Dokumenten im Zusammenhang mit derAbfassung des Wormser Edikts (an Johannes Voigt, 30. 11. 37, NBrr 249). Im Mai des Folgejahres, 1838, kommt er in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ „allmählich vorwärts“. „Die Periode der Bildung der spätern Reichsverfassung und der Reformation“, so schreibt er wiederum an Waitz, „die ich zunächst behandle, wird wenigstens viel Neues ans Licht bringen. Leider fehlt es, namentlich für das 14. Jahrhundert, an aller tüchtigen Vorarbeit.“ ([31. 3. 38], SW 53/54, 301). - Mittlerweile waren Rankes Pläne an die Öffentlichkeit gedrungen, und er hatte in dieser Angelegenheit Korrespondenz mit Johann Georg von Cotta zu führen, dessen Verlags-Antrag indes bei ihm kein Gehör fand. Bemerkenswert und bezeichnend ist dabei Rankes völlige Unterschätzung von Umfang und Zeitaufwand seines Werkes: „Was meine Geschichte des deutschen Reiches während der Reformation, deren Sie in Ihrem vorletzten Briefe gedachten, betrifft, so bin ich Ihrer zuvorkommenden Güte wohl die Erklärung schuldig, daß ich darüber noch mit keiner Buchhandlung Contract abgeschlossen habe. Sie wird aus drei [!] Bänden bestehen, ungefähr von dem Umfang, wie meine Geschichte der Päpste und eher noch etwas stärker werden. Ich will sie im künftigen Winter, wo möglich zusammen erscheinen lassen.“ (1. 5. 38, Henz/1972, 300f. - Siehe auch seinen Brief an FR, [Anf. 38], NBrr, 255). Nach Erscheinen des ersten Bandes ist er Ende August 1839 im Provinzial-Archiv zu Koblenz tätig, das sich zwar „nicht sehr reichhaltig“ ausweist, aber doch „einige Beute“ gewährt (an FR., [31. 8. 39], NBrr, 269). Wenige Tage darauf findet er im Düsseldorfer Archiv, so schreibt er an seinen Bruder Ferdinand - in Archiv-Angelegenheiten stets sehr allgemein und unbestimmt formulierend -, „alles, was ich erwarten konnte, und bin höchlich befriedigt. Aber eben, daß ich im Grunde unerwartet noch so vieles finde, bestimmt mich, noch einen Versuch in Belgien, in Brüssel zu machen.“ (9. 9. 39, NBrr 270). Seine Düsseldorfer Funde bezogen sich, dies bemerkt er im Vorwort des dritten Bandes (VIII), v. a. auf „die clevisch-cölnischen Sachen“. In den ‚Archives du Royaume‘ zu Brüssel nutzt er dann für den dritten und die folgenden Bände seiner ‚Geschichte‘ v. a. eine 25bändige Archivalien-Sammlung des 16. Jahrhunderts, ‚Documens [sic] relatifs à l’histoire de la réforme religieuse‘, und findet hochbedeutende „Correspondenzen zwischen Carl V und seinem Bruder, zwischen den beiden Brüdern und ihrer Schwester Maria, Regentin der Niederlande, die auf alle europäischen Angelegenheiten Bezug nahmen“ (DtG III/1840, Vorrede, IV). Diese - 45 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

benutzte freilich auch Karl Lanz und edierte sie als ‚Correspondenz des Kaisers Karl V. Aus dem königlichen Archiv und der Bibliothèque de Bourgogne zu Brüssel‘ mitgetheilt von Karl Lanz, 3 Bde, Lpz. 1844, 45, 46, wozu ein ironischer Brief Rankes an Lanz vorliegt („Ei, ei, wer hätte dies von Doktor Lanz gedacht?“ 18. 9. 44, NBrr 313), der das Verschweigen seines Namens und des von ihm gegebenen Anstoßes beanstandet, siehe auch Brief vom 28. 10. 45, SW 53/54, 331. (Zum Vorgang Bittner IV/1938, 126*). Auch bei den Brüsseler Arbeiten bleibt es nicht: Er setzt die Archivreise fort, nach Paris, wo er die Königliche Bibliothek mit ihren verschiedenen Handschriftensammlungen - besonders der Sammlung Béthune - aufsucht, die für den in Betracht kommenden Zeitraum „sämmtlich durchgegangen werden“ (ebd., VI). In den Pariser ‚Archives du royaume‘ hingegen ist daher für die deutsch-französischen Angelegenheiten nur noch eine „Nachlese“ zu halten. Die Hauptsache sind die auf Frankreich bezüglichen Reste der einst dorthin verbrachten Teile des Archivs von Simancas. Sie bieten ihm gleichsam den fehlenden „dritten Theil“ zu dem, was ihm zuvor in Wien und Brüssel bekannt geworden (VII). Hinzu kommen noch Dokumente des „Communal-Archivs des Hauses Anhalt zu Dessau“ sowie eine Anzahl Aktenstücke seiner Italienreise. Dabei handelt es sich vor allem um Relationen und Schreiben aus der Chronik Sanutos im Wiener Archiv. Nach Berlin zurückgekehrt macht ihm die Fortsetzung seines Werkes „viel Gedanken“, und er ist „noch keineswegs über den Berg. Die Streitigkeiten zwischen den beiden evangelischen Confessionen beengen mir das Herz“, schreibt er seinem theologischen Bruder Heinrich (24. 11. 39, SW 53/54, 310). Von seinen archivlichen Aktivitäten nach Erscheinen der drei ersten Bände zeugt 1841 ein reisevorbereitender Brief an Archivdirektor Willem Groen van Prinsterer im niederländischen Staatsarchiv im Haag. „Vor allen Dingen“ möchte er sehen, was das Archiv „in Bezug auf die Religions-Angelegenheiten vor 1555 enthalten möchte“. Dabei geht es darum, „die Mittel etwas näher kennen“ zu lernen, „durch welche Karl V. hier zu Lande besonders seit 1540 den Katholizismus erhalten hat.“ (1. 9. 41, Stupperich/1934, 559). Die Fertigstellung des nachweisenden und editorischen Bandes VI verschob Ranke wegen der Fertigstellung der „zweiten Ausgabe“ seiner ‚Serbischen Revolution‘ auf 1847. Eine größere Rolle spielte jedoch, daß er bereits mit neuen Werken in einem der Reformation fern liegenden Jahrhundert tätig war. An Waitz schrieb er am 5. 6. 44: „Indessen arbeite ich in der Geschichte des 18. Jahrhunderts, wo die Hauptsache wohl auch noch erst zu machen ist.“ (SW 53/54, 327). Neben seiner 1846 erscheinenden Arbeit ‚Ueber die Versammlung der französischen Notabeln im Jahre 1787‘ war vor allem seiner bereits 1841 erfolgten Ernennung zum Historiographen des preußischen Staates und der äußeren Notwendigkeit Rechnung zu tragen, sich entsprechenden Themen zuzuwenden, dem 1844 erscheinenden ‚Ueber den Ausbruch des siebenjährigen Krieges‘ und 1847 den ‚Neun Büchern Preußischer Geschichte‘ (Bd. I). Für die auf seine ‚Deutsche Geschichte‘ bezüglichen Teile des Ranke-Nachlasses nach durchgeführter Ordnung der Hss. siehe: Siegfried Baur in: kalliope.staatsbibliothek-berlin.de: Sucheinstieg „(Nachlass-)Bestände“: „Ranke, Leopold von“, Segment III: Deutsche Geschichten/Reformation (1837-1840). Auch empfiehlt es sich noch immer, die Darlegungen Paul Joachimsens zu Entstehungsgeschichte und Aufbau des Werkes (in Band I von 1925 seiner Edition) heranzuziehen. Dies gilt ferner für die - 46 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

Varianzen der sechs Auflagen (ebd., VI/1926, 489-598: ‚Textvergleichung‘). - Siehe auch unten ‚Das Frankfurter Manuskript von [1836/] 1837‘ in Abt. II/2.3. Aufgrund des Fehlens eines Vorworts in den Bänden IV und V oder anderer Andeutungen war nicht jedem Zeitgenossen klar, ob das zeitlich durchgeführte Werk auch tatsächlich beendet war, oder ob noch ein Band mit Nachweisungen und Ähnlichem folgen sollte (so befand sich auch der Rezensent Rettberg/1845, 193 darüber „im Dunkeln“). Eine ähnlich bezeichnende Situation ergab sich später bei Rankes ‚Hardenberg‘. 1. Band Vorrede (III-X).

Ranke handelt v. a. von den besuchten Archiven und benutzten Quellen. Hier findet sich auch sein bedeutendes Wort: „Ich sehe die Zeit kommen, wo wir die neuere Geschichte nicht mehr auf die Berichte selbst nicht der gleichzeitigen Historiker, außer in so weit ihnen eine originale Kenntniß beiwohnte, geschweige denn auf die weiter abgeleiteten Bearbeitungen, zu gründen haben, sondern aus den Relationen der Augenzeugen und den ächtesten unmittelbarsten Urkunden aufbauen werden“ (IX). Ranke schließt mit dem ihm in besonderem Maße eigenen Selbstbewußtsein und Erkenntnisoptimismus: „Und so schritt ich muthig an die Ausarbeitung dieses Werkes: überzeugt, daß wenn man nur mit ernstem und wahrheitsbeflissenem Sinne in den ächten Denkmalen einigermaaßen umfassende Forschungen angestellt hat, spätere Entdeckungen zwar wohl das Einzelne näher bestimmen werden, aber die Grundwahrnehmungen doch zuletzt bestätigen müssen. Denn die Wahrheit kann nur Eine sein.“ (X). Einleitung. Ansicht der früheren deutschen Geschichte (1-78). - Carolingische Zeiten. - Sächsische und fränkische Kaiser. - Emancipation des Papstthums.- Verhältniß des Papstthums zu dem Fürstenthum. - Beginnende Opposition. - Idee des spätern Kaiserthums. - Lage der Dinge um die Mitte des funfzehnten Jahrhunderts.

Der abstrakte Beginn der Einleitung (3-6) ist für Rankes Auffassung von Kirche und Staat bzw. Nation in ihrer Wechselwirkung von besonderer Bedeutung und beginnt mit einem der Grundsätze seiner Geschichtsanschauung: „In Schule und Literatur mag man kirchliche und politische Geschichte von einander sondern: in dem lebendigen Daseyn sind sie jeden Augenblick verbunden und durchdringen einander.“ (3). Das erste Buch ist zwar ähnlich strukturiert wie die folgenden, trägt jedoch in seiner Gliederung keine Kapitelbezeichnungen. - Die in den folgenden Büchern unter den Kapitelüberschriften angesiedelten Zwischenüberschriften sind aufgrund der Rankeschen Produktionshektik im Inhaltsverzeichnis der Bände und im laufenden Text gelegentlich verschieden (z. B. Bd. III, 3. u. 5. Kap., Inhaltsverz: „Reform“; Text: „Reformation“) oder fehlen in diesem oder jenem. So fehlen in Bd. III, 6. Buch, 8. Kap. dem lfd. Text alle im Inhaltsverzeichnis ausgewiesenen Zwischenüberschriften. Umgekehrt fehlen alle Zwischenüberschriften von Bd. III, 6. Buch, 9. Kap. im Inhaltsverzeichnis. Erstes Buch. Versuche dem Reiche eine bessere Verfassung zu geben. 1486-1517. (79-222).

[Bedeutende unbetitelte Vorrede (81-84). Hierin findet sich eine der wesentlichsten Äußerungen Rankes über seinen vieldiskutierten Ideenbegriff: „Denn die Ideen, durch welche menschliche Zustände begründet werden, enthalten das Göttliche und Ewige, aus dem sie quellen, doch niemals vollständig in sich. Eine Zeitlang sind sie wohl- 47 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

thätig, Leben gebend; neue Schöpfungen gehn unter ihrem Odem hervor. Allein auf Erden kommt nichts zu einem reinen und vollkommenen Daseyn: darum ist auch nichts unsterblich. Wenn die Zeit erfüllt ist, erheben sich aus dem Verfallenden Bestrebungen von weiter reichendem geistigen Inhalt, die es vollends zersprengen. Das sind die Geschicke Gottes in der Welt.“ (81)]. Grundlegung einer neuen Verfassung. [Friedrich III.] - Reichstag zu Worms 1495. - Schwierigkeiten. Reichstag von Lindau 1496. - Reichstag zu Worms und zu Freiburg 1497. 1498. Kriegsereignisse. - Reichstag zu Augsburg 1500 und dessen Folgen. - Erhebung Maximilians. Reichstage zu Cölln und zu Costnitz 1505 und 1507. - Venezianischer Krieg. Reichstag zu Worms 1509. - Reichstage zu Augsburg 1510, zu Trier und Cölln 1512. - Innere Gährung. Zweites Buch. Anfänge Luthers und Carls des Fünften. 1517-1521. (223-492). - [Es folgen 4 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen, wie auch die Zwischenüberschriften der „Capitel“:) Ursprung der religiösen Opposition (225-322). - Uebergang des Kaiserthums von Maximilian auf Carl V. (323-382). - Erster Abfall vom Papstthum. 1519, 20 (383-447). - Reichstag zu Worms im Jahr 1521. (448-492). 2. Band [Vorwort. Bezeichnung nur in den Kolumnentiteln] (3-7). Drittes Buch. Versuche einer nationalen Durchführung der Reform. 1521-1525 (1-248). [Es folgen 7 „Capitel“, Bezeichnung im Folgenden entfallen, wie auch die Zwischenüberschriften der „Capitel“:] Unruhen in Wittenberg. October 1521 bis März 1522. - Weltliche und geistliche Tendenzen des Reichsregimentes 1521-23. - Ausbreitung der Lehre. 1522 - 1524. - Opposition gegen das Regiment, Reichstag von 1523, 24. - Ursprung der Spaltung in der Nation. - Der Bauernkrieg. - Anfang entgegengesetzter Bündnisse, Reichstag zu Augsburg im Dez. 1525. Viertes Buch. Auswärtige Verhältnisse, Gründung der Landeskirchen. 1521-1528. (249-483). [Es folgen 5 „Capitel“, Bezeichnung im Folgenden entfallen, wie auch die Zwischenüberschriften der „Capitel“:] Französisch-italienische Kriege bis zur Ligue von Cognac. 1521-1526. - Reichstag zu Speier im Jahr 1526. - Eroberung von Rom im J. 1527. - Besitznahme von Böhmen und Ungern. - Gründung evangelischer Territorien. 3 . B a n d (1840) Vorrede (III-VIII).

Über weitere Quellen und seine Arbeiten in den Archiven von Bruxelles, Paris und Düsseldorf. Fünftes Buch. Bildung einer katholischen Majorität. 1527-1530 (1-296). [Unbetitelte Vorrede. Im Kolumnentitel: „Rückblick“ und „Lage der Dinge“ (3-9). Es folgen 8 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen, wie auch die gelegentlich vorhandenen Zwischenüberschriften der „Capitel“:) Schwankungen der allgemeinen politischen Verhältnisse Europa’s. 1527, 28. - Zeiten der Packischen Händel in Deutschland. - Reformation in der Schweiz. - Politik des Jahres 1529. Reichstag zu Speier im J. 1529. - Spaltungen unter den Protestanten. - Die Osmanen vor Wien. Carl V in Italien. - Reichstag zu Augsburg im Jahre 1530. Sechstes Buch. Emporkommen des schmalkaldischen Bundes. 1530-1535 (297-603). [Unbetiteltes Vorwort. Es folgen 10 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen, wie auch die gelegentlich vorhandenen Zwischenüberschriften der „Capitel“:] Grundlegung des schmalkaldischen Bundes. - Fortschritte der Reformation in der Schweiz.. - Versuch einer Vermittelung zwischen den beiden protestantischen Parteien. - Katastrophe der Reformation in der Schweiz. - Reformation in den niederdeutschen Städten. Vollziehung des schmalkaldischen Bündnisses. - Angriff der Osmanen. Erster Religionsfriede. 1531, 32. - Einwirkung von Frankreich, Restauration von Wirtemberg. 1533, 34. - Fortschritt der Kirchenreformation in den Jahren 1532-34. - Wiedertäufer zu Münster. - Der Bürgermeister Wullenweber in Lübeck.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘ 4. Band Siebentes Buch. Weitere Fortschritte des Protestantismus, unter der Einwirkung der allgemeinen politischen Verhältnisse. 1535-1544 (1-346).

Bedeutende (unbetitelte) Einl. (3-9). Darin folgende, seinen Vorträgen vor Kg. Maximilian II. von Bayern (Berchtesgaden 1854) präludierende Bemerkung: „Wir dürfen vielleicht sagen: eben darum folgen die Zeiten auf einander, damit in allen geschehe was in keiner einzelnen möglich ist, damit die ganze Fülle des dem menschlichen Geschlechte von der Gottheit eingehauchten geistigen Lebens in der Reihe der Jahrhunderte zu Tage komme.“ (3). [Neun „Capitel“, Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Allgemeine politische Verhältnisse. 1534-36. - Befestigung des deutschen Protestantismus. [1535-39]. - Weitere Ausbreitung der Reformation in den norddeutschen Gebieten. - Wechsel der politischen Tendenzen im Jahre 1540. - Religionsgespräche. - Erneuerung des osmanisch-französischen Krieges 1541, 1542. Irrungen der protestantischen Fürsten; Unternehmung gegen Braunschweig, 1542. - Kriegszüge des Kaisers in den Jahren 1543, 44. Reichstag zu Speier 1544. - Fortschritte des Protestantismus im südlichen und westlichen Deutschland 1541-43. Achtes Buch. Der schmalkaldische Krieg (347-542). [Fünf „Capitel“, Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Ursprung des Krieges. - Der schmalkaldische Krieg an der Donau. Juni - November 1546. - Aussöhnungen und Unterwerfungen. December 1546. - Fortgang des tridentinischen Conciliums. - Feldzug an der Elbe. 5. Band (1843) Neuntes Buch. Zeiten des Interims. (1-249). [Sechs „Capitel“, Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Reichstag zu Augsburg 1547, 48. - Einführung des Interims in Deutschland. Stellung und Politik Carls V 1549-1551. - Elemente des Widerstandes in den großen Mächten. Elemente des Widerstandes in Deutschland. - Kriegszug des Churfürsten Moritz wider Carl V 1552. Zehntes Buch. Epoche des Religionsfriedens. (251-502). [Acht „Capitel“, Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Verhandlungen zu Linz und zu Passau. Französisch-osmanischer Krieg 1552, 1553. - Der Krieg zwischen Markgraf Albrecht und Churfürst Moritz im Jahr 1553. - Allmählige Beruhigung der deutschen Territorien. - Reichstag zu Augsburg 1555. - Abdankung Carls V. - Fortgang und innerer Zustand des Protestantismus. Entwickelung der Literatur. 6. Band (1847) [Innentitel:] Anhang. Urkunden, Auszüge und kritische Bemerkungen. Erster Abschnitt. Aus den Reichstagsacten früherer Zeit. (1-84). - Zweiter Abschnitt. Zur Kritik und Literatur der Historiker. (85-169). [Im 2. Abschn. finden sich, in den eigentlich editorisch konzipierten Band eingeschoben, acht, in der 4. Aufl. in ihrer Abfolge geänderte Abhandlungen]. - Dritter Abschnitt. Kirchliche Urkunden. (170-232). - Vierter Abschnitt. Mittheilungen aus den Actenstücken der Reformationsepoche bis zum schmalkaldischen Kriege. (233-364). - Fünfter Abschnitt. Zur Geschichte des schmalkaldischen Krieges. (365-434). - Sechster Abschnitt. Aus den Verhandlungen der spätern Zeiten. (435-540). Siehe zu allen Positionen die unten auf die 6. Aufl. folgende Analektenübersicht. Register (541-595) Bei dem im Inhaltsverzeichnis nicht aufgeführten Register handelt es sich auffallenderweise um ein Personen-, Orts- u. Sachregister für die Bde I-VI der 1. Aufl. und für die Bde I-III der 2. Aufl., was sich aus folgendem Umstand erklärt: Bd. VI der 1. Aufl. erschien erst nach Vorliegen der 2. Aufl. der Bde I bis III. Die Bde IV-VI erschienen nicht in 2. Aufl.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

2. Auflage > 1. Bd. 1842. XII, 503 S. - 2. Bd. 1842. IV, 500 S. - 3. Bd. 1843. VI, 623 S. 8º. Nur die Bde I bis III erschienen in zweiter Auflage. Bln.: D. u. H. 1842-1843. Gr. 8º. Aus der Vorrede (III-X) zu Bd. I der 2 Aufl.: „Forschungen und Publicationen dieser Art sind seit der ersten Ausgabe der beiden ersten Bände dieses Buches fortgegangen: ich habe sie bei der zweiten, so viel möglich, benutzt. Auch habe ich nicht versäumt dasjenige einzutragen, was sich mir selbst in Brüssel und Paris zur Ergänzung dargeboten hat.“ (IX, Anm.). - Darüber hinaus enthält die 2. Aufl. eine mäßige Zahl stilistischer Korrekturen (z. B. I, 356f.), aber auch solche sachlicher Art, bzw. Zusätze (z.B. I, 359f. mit Anm.) und stärker umgearbeitete Passagen (z. B. ab I, 360), welche in der historisch-kritischen Ausgabe von Joachimsen (VI, 494ff., Textvergleichung von Margarete Münnich) nicht berücksichtigt sind. - Die Bde I-III sind in Bücher- und Kapitelüberschriften (von einer geringfügigen Änderung in Bd. III abgesehen, s. u.) mit der Erstauflage identisch, in der Paginierung leicht abweichend. - In Band III ist die Vorrede der 1. Aufl. entfallen. - Das im III. Band enthaltene 5. Buch beginnt mit einer überarbeiteten unbetitelten Vorrede (3-10). In diesem Buch wurde auch eine leichte Änderung der Kapiteleinteilung vorgenommen: Vom 7. Kap. wurde der Abschnitt über Karl V. abgetrennt und als 8. Kapitel verselbständigt, dementsprechend das ehemalige 8. Kap. in 9. Kap. umbenannt. [3. Auflage unter der Bezeichnung:]

„Dritte Ausgabe“ > 5 Bände, Bln.: D. u. H. 1852. 8º. 1. Bd. 1852. XIV, 389 S. - 2. Bd. 1852. VI, 386 S. - 3. Bd. 1852. XIII, 489 S. - 4. Bd. 1852. VIII, 421 S. - 5. Bd. 1852. VII, 447 S.

Umstellung von 6 auf 5 Bde. - Fortfall des Anhangs mit Urkunden, Auszügen und kritischen Bemerkungen. In diesem Zusammenhang ist auch die merkliche Reduzierung der seitenmäßigen Umfänge der Bände durch Wahl einer kleineren Type mit geringerem Durchschuß zu sehen. Vermutlich wurde bei einer Gesamtreduzierung von mehr als 1000 Seiten, also einem Drittel der Erstauflage, über Kosten- und Ladenpreisreduzierung eine stärkere Publikumsnähe gesucht. Dem kam auch zugute, daß alle 5 Bde im selben Jahr erschienen. Diese populärere vertriebliche Konzeption, bei der man wohl bewußt auf den Begriff ‚Auflage‘ verzichtete, erwies sich jedoch nicht als erfolgreich, sie wurde nicht fortgeführt. Die nächste Ausgabe/Auflage erschien - mit Rückkehr zur ursprünglichen scientifischeren Form - erst mit einem Abstand von fünfzehn Jahren im Zusammenhang mit der Ausgabe der SW. - Über „Aktenstücke“, die ihm bei der „Bearbeitung einer dritten Ausgabe von größtem Nutzen gewesen“, äußert sich Ranke kurz in einem Brief an Waitz, 8. 7. 52 (SW 53/54, 353). Aus der Vorrede zu Bd. I der 3. Ausgabe: „Forschungen und Publicationen dieser Art sind seit der ersten Ausgabe der beiden ersten Bände dieses Buches im J. 1839 fortgegangen: ich habe sie bei der zweiten und dritten, so viel möglich, benutzt. Auch habe ich nicht versäumt dasjenige einzutragen, was sich mir selbst in Brüssel und Paris zur Ergänzung dargeboten hat.“ (XI, Anm.). - 50 -

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In allen fünf Bänden sind die Bücher- und Kapitelbezeichnungen mit der Vorauflage identisch, tragen jedoch eine abweichende Paginierung. - Stilistische und sonstige kleine Änderungen sind von folgender Art (z. B. in Bd. V der 3. Aufl. gegenüber der 1.): „gegen Ende August“ (4), statt zuvor „Ende August“ (4); „so viel größeres Ansehn“ (5), statt zuvor „so größeres Ansehn“ (5); „ohne Vorbehalt zum Gehorsam“ (5) statt zuvor „ohne Rückhalt zum Gehorsam“ (7); „mit der er sein ganzes Leben hindurch zu kämpfen“ (7) statt zuvor „mit der er alle seine Tage zu kämpfen gehabt“ (8); „faßte er den Plan“ (13) statt zuvor „faßte er den Gedanken“ (16). Im V. Bd. Zusatz eines Registers [Personen-, Orts- und Sachregister] (393-447).

4. Auflage > 6 Bände, [ab dieser Aufl.:] Lpz.: D. u. H. 1867-1868. 8º. - Separatabdr. von SW 1-6 [1. GA]. 1. Bd. 1867. XII, 350 S. - 2. Bd. 1867. VIII, 391 S. - 3. Bd. 1868. XI, 435 S. - 4. Bd. 1868. VII, 395 S. - 5. Bd. 1868. VII, 381 S. - 6. Bd. 1868, VII, 375 S.

Rück-Umstellung von 5 auf 6 Bde. - R in Bd. III, 3, A. 1: „Nur da habe ich wesentliche Veränderungen vorgenommen, wo urkundliche Publicationen zum Vorschein gekommen sind, welche ich benutzt haben würde, wenn sie mir bei der ersten Abfassung vorgelegen hätten.“ - Umgestaltungen finden sich u. a. in Bd. I, 2. Buch, 2. Kap. und in Bd. II, 4. Buch, 5. Kap. Dazu Vf.: pp. (1867). Zu den Änderungen im Bereich der Analekten - Hinzufügungen und Umpositionierungen - s. die Bemerkung R.s in Bd. VI, 2. Abschn. unten sowie stets die auf die 6. Aufl. unten folgende Analektenübersicht. In einem Brief an Wilhelm von Giesebrecht vom 20. 1. 67 hatte R diesem die Aufnahme des Werkes in eine Gesamtausgabe mitgeteilt und ihn zugleich gebeten: „Wenn Ihnen faktische Berichtigungen des letzten Textes gegenwärtig sind, so werde ich Ihnen verpflichtet sein, wenn Sie sie mir mittheilen. Eins oder das andere, auch eine Stelle in der Einleitung, habe ich bereits geändert.“ (SW 53/54, 473). 1. Band Vorrede (V-X). [Entspricht der Voraufl.] - Einleitung. Ansicht der früheren deutschen Geschichte (1-51). - Erstes Buch. Versuche, dem Reiche eine bessere Verfassung zu geben. 14861517. (53-147) - Zweites Buch. Anfänge Luthers und Carls des Fünften. 1517-1521. (149-342). Beilage. Ueber eine ungedruckte Lebensbeschreibung Maximilians I von Hans Jac. Fugger (343350). 2. Band Drittes Buch. Versuche einer nationalen Durchführung der Reform. 1521-1525 (1-175). - Viertes Buch. Auswärtige Verhältnisse, Gründung der Landeskirchen. 1521-1528. (177-344). Beilagen (345-391). [I.] Ueber ein im Jahre 1837 zu Rom erschienenes apokryphes Geschichtswerk (345-362). - II. Jacob Ziegler und Adam Reisner (362-382). - III. Chronisten Carls V. (382-385) - IV. Anhang einiger Documente für den italienischen Krieg (385-391). 3. Band „Vorrede. (Zur ersten Ausgabe, 1840.)“ (V-VIII). - Fünftes Buch. Bildung einer katholischen Majorität. 1527-1530. (1-214). - Sechstes Buch. Emporkommen des schmalkaldischen Bundes. 1530-1535. (215-435). 4. Band Siebentes Buch. Weitere Fortschritte des Protestantismus, unter der Einwirkung der allgemeinen politischen Verhältnisse. 1535-1544. (1-249) - Achtes Buch. Der Schmalkaldische Krieg. (251395).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘ 5. Band Neuntes Buch. Zeiten des Interim. (1-180). - Zehntes Buch. Epoche des Religionsfriedens. (181361). Beilagen (362-381). I. Sommaire de l’Ambassade de feu monsieur de Vienne devers l’Empereur Charles V, en l’année 1550 (Aus der königlichen Bibliothek zu Paris) (362-372). - II. Aus den Berichten des florentinischen Gesandten 1553-1556 (372-381). 6. Band Analekten der deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation. Urkunden, Auszüge und kritische Bemerkungen. (1-319). Erster Abschnitt. Aus den Reichstagsacten früherer Zeit (3-61). - Zweiter Abschnitt. Zur historischen Kritik (62-79), [mit der Anm.: „Die Beilagen zu dem ersten und zweiten Band gehören ursprünglich in diesen Abschnitt.“]. - Dritter Abschnitt. Kirchliche Urkunden. (80-124). - Vierter Abschnitt. Mittheilungen aus den Actenstücken der Reformationsepoche bis zum schmalkaldischen Kriege. (125-213). - Fünfter Abschnitt. Zur Geschichte des schmalkaldischen Krieges. (214-260). - Sechster Abschnitt. Aus den Verhandlungen der späteren Zeiten. (261319). Register zur Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation. Sechs Bände. (321-375). [Personen, Orts- und Sachregister].

5. Auflage > 6 Bände, Lpz.: D. u. H. 1873. Gr. 8º. Br. u. geb. - Separatabdr. von SW 1-6; 2. GA. 1. Bd. 1873. XII, 351 S. - 2. Bd. 1873. VI, 391 S. - 3. Bd. 1873. XI, 435 S. - 4. Bd. 1873. VII, 395 S. - 5. Bd. 1873. VII, 381 S. - 6. Bd. 1873, VII, 375 S.

Die 5. Auflage ist gegenüber der 4. in Details verändert. Beilagen und Reg. wie 4. Aufl. - Ranke zu Bd. III in einem Schr. an Geibel, 6. 2. 73: „Der dritte Band der Werke kann künftige Woche übersendet werden. Er ist neu durchgesehen worden, doch haben sich nur wenige Anlässe der Verbesserung gefunden.“ (Geibel/1886, 45). - Nach Wiedemann (III/1892, 98) hat sich für die 5. Aufl. die „wirkliche Revision ... nur auf die beiden ersten Bände erstreckt“, eine solche habe bei den folgenden Bänden „für die sechste zehn Jahre später stattgefunden“. (Von Joachimsen in seiner Ausg. von 1925, Bd. I, S. CX unwidersprochen wiederholt). - Dem entspricht auch die Äußerung Rankes zu Bd. I in Brief an Geibel, 6. 5. 72 (Geibel/1886, 34) und in Brief vom 12. 7. 72, wo von „einigen wenigen Zusätzen“ die Rede ist (ebd., 36). Der VI. Bd. der 5. Aufl. trägt die Bogensignatur „v. Ranke’s Werke VI. Zweite [!] Auflage“. Es ist daher anzunehmen, daß die Druckerei hier den Stehsatz der 4. Aufl. übernommen hat. Diese stellte die tatsächliche Zweitaufl. der Analekten dar, da sie in der 2. und 3. Aufl. nicht enthalten waren. 6. Auflage [Ausgabe letzter Hand]

> 6 Bände, Lpz.: D. u. H. 1881-1882. Gr. 8. - Separatabdr. von SW 1-6, 3. GA. 1. Bd. 1881. XII, 351 S. - 2. Bd. 1881. VI, 391 S. - 3. Bd. 1881. XI, 435 S. - 4. Bd. 1881. VII, 395 S. - 5. Bd. 1881. VII, 383 S. - 6. Bd. 1882. VII, 376 S.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘ Die 6. Aufl. ist gegenüber der 5. in Details verändert. Nach Wiedemann (s. Komm. zur 5. Aufl.) hat hier eine nachgeholte Revision der auf die Bände I u. II folgenden stattgefunden. - Beilagen und Register wie 4. und 5. Aufl.

Weitere Original-Auflagen posthum Analekten Übersicht über die Auflagen 1, 4-6. Die 2. und 3. Aufl. kommen für die Analektendarstellung nicht in Betracht, da der diesen ursprünglich vorbehaltene Bd. VI nie in 2. Aufl. erschien und das Werk in der 3. Aufl. vorübergehend von 6 auf 5 Bände reduziert wurde. - Der Analektenteil von Bd. VI trat in der 1. Aufl unter dem Innentitel: „Anhang. Urkunden, Auszüge und kritische Bemerkungen“ auf, ab der 4. Aufl. unter dem Innentitel: „Analekten der deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation. Urkunden, Auszüge und kritische Bemerkungen“. - Auf die Analekten dieses Werkes wird hier besonders detailliert eingegangen, da sie in der historisch-kritischen Ausgabe von Joachimsen Bd. VI (1926) teils ausgeschieden, teils nicht historisch-kritisch behandelt wurden. Gleichwohl finden sich dort wichtige Informationen zu ihrer ursprünglichen Anlage nebst Konzeptionsentwürfen aus dem Nachlaß: Joachimsen VI/1926, 3-6. Siehe u. II/2.3. - R hat von Aufl. 1 zu Aufl. 4 durch Umsetzungen einzelner Analekten eine gewisse Verwirrung geschaffen. Er bemerkt dazu in einer Anm. DtG VI, 4. Aufl., 62: „Die Beilagen zu dem ersten und zweiten Band gehören ursprünglich in diesen Abschnitt.“ Siehe dazu unten „Zur historischen Kritik“. Es ist daher zu beachten, daß bestimmte Analekten je nach Aufl. in den Bänden II, V oder VI auftreten.

Aus den Reichstagsacten früherer Zeit Ed. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 1-84. - 4. Aufl. (1868) u. 5. Aufl. (1873), 3-61. - 6. Aufl. (1882), 4-60. - Nach einer Einleitung R.s über die archivliche und editorische Situation (1-3) und einer Einführung in „Erste Reichsverhandlungen unter Friedrich III.“ (3-9) - die ferneren gänzlich unkommentierten editorischen Abschnitte (3-6) enthalten nur zu geringen Teilen Einführungen dieser Art - folgt die Edition von sieben ‚Akten‘ (etwa von 1453-1526) aus dem „ProvincialArchiv zu Coblenz“ und aus dem „Archiv der Stadt Frankfurt a. M.“

Zur historischen Kritik Die zu diesen Abschnitt gehörenden Positionen wurden der besseren Identifizierung halber hier numeriert: [1]-[10]. Die darauf folgenden „Kirchlichen Urkunden“ bilden einen eigenen Abschnitt. - Der Abschnitt „Zur historischen Kritik“ - in der 1. Aufl. von Bd. VI noch u. d. T. „Zur Kritik und Literatur der Historiker“ - enthielt die Positionen [1]-[8]. In der 4. Aufl. wurde der Abschnitt einerseits durch Herauslösung (Pos. [1], [4]-[7]), andererseits durch Hinzufügung ([9], [10]) von Abhandlungen verändert. Bd. VI der 4. Aufl. enthielt also die Positionen [2], [3], [8][10]. Die Positionen [1], [4]-[7] wurden in der vierten Aufl. teils Bd. I, teils Bd. II zugewiesen.

[1] Ueber eine ungedruckte Lebensbeschreibung Maximilians I von Hans Jac. Fugger Abh. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 85-97. - DtG I, 4. Aufl. (1867), 343-350 (wenige kleine Änderungen u. eine aus aktuellem forschungsgeschichtl. Anlaß gegebene Erweiterung); 5. Aufl. (1873) (unverändert) u. 6. Aufl. (1881), 344-351 (wenige kleine stilist. Änderungen). - Zum Abschnitt generell s. ZKritik, 1. Abschn.; s. auch Lesung R.s vor der Kgl. Akad. d. Wiss. (II/6.2.2, 1837).

[2] Ueber ein angebliches Breve vom 27sten August 1518 Abh. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 97f.; 4. Aufl. (1868) (unverändert) u. 5. Aufl. (1873), 62f. (unverändert); 6. Aufl. (1882), 61f. (aus aktuellem Anlaß um eine Schlußbemerkung erweitert).

[3] Ein Wort über die ältern Geschichtschreiber des Bauernkrieges Abh. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 98f.; 4. Aufl. (1868) (unverändert) u. 5. Aufl. (1873), 63f. (unverändert); 6. Aufl. (1882), 65f. (unverändert).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Deutsche Geschichte‘

[4] Ueber ein im Jahr 1837 zu Rom erschienenes apokryphes Geschichtswerk Abh. über das Werk ‚Memorie storiche del principali avvenimenti politici d’Italia seguiti duranti il pontificato di Clemente VII, opera di Patrizio di Rossi Fiorentino‘, 4 Bde, Rom 1837. - Siehe Lesung Rankes vor der Kgl. Akad. d. Wiss., 8. Juli. 1839. - R in DtG VI, 1. Aufl., III: „Diese Bemerkungen sind 1839 niedergeschrieben, und bereits im Februar 1846 gedruckt worden.“ Der Druck ließ sich bisher nicht ermitteln. DtG VI, 1. Aufl. (1847), 99-124. - DtG II, 4. Aufl. (1867), (einige kleine Änderungen), 5. Aufl. (1873), (unv.) u. 6. Aufl. (1881), 345-362 (eine Vielzahl inhaltl. unbedeutender kleinster formaler Änderungen).

[5] Jacob Ziegler und Adam Reisner Abh. u. Ed. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 125-154. - DtG II, 4. Aufl. (1867), (bis auf sehr wenige kleine Veränderungen, auch als Druckfehler deutbar, unverändert), 5. Aufl. (1873) u. 6. Aufl. (1881), 362-382. - Zu Reisner s. auch ZKritik, 4. Abschn.

[6] Chronisten Carls V. Abh. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 154-157. - DtG II, 4. Aufl. (1867), (erweitert), 5. Aufl. (1873), (identisch mit 4. Aufl.) u. 6. Aufl. (1881), 382-385 (gegenüber der 5. Aufl. sind in der 6. einige wenige Formulierungen in unauffälliger Weise präziser gefaßt).

[7] Anhang einiger Documente für den italienischen Krieg Ed. von Dokumenten aus der Zeit 1521-1525. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 157-166. - DtG II, 4. Aufl. (1867), 5. Aufl. (1873), (unverändert) u. 6. Aufl. (1881), 385-391 (unverändert).

[8] Unternehmung Carls V gegen Tunis Abh. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 166-169; 4. Aufl. (1868), (erweitert) u. 5. Aufl. (1873), 64-66 (um eine aktuelle Fußnote erweitert); 6. Aufl. (1882), 66-68 (unverändert).

[9] Zur Geschichte der Abdication Carls V. Abh. - DtG VI, 4. Aufl. (1868), 66-72; 5. Aufl. (1873), 66-73 (bis auf eine geringe stilistische Änderung gleichlautend); 6. Aufl. (1882), 69-75 (bis auf „ist“, 70, unverändert).

[10] Bemerkung über die autobiographischen Aufzeichnungen Kaiser Carls V. Abh. - DtG VI, 4. Aufl. (1868) u. 5. Aufl. (1873), 73-79 (unverändert); 6. Aufl. (1882), 75-82 (bis auf die Einfügung eines Literaturhinweises 80, A. 1 unverändert).

Kirchliche Urkunden Ed., z. T. mit Vorb.. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 170-232; 4. Aufl. (1868) u. 5. Aufl. 1873, 80-124. - 6. Aufl. (1882), 83-127: Disputatio D. Martini Luther theologi, pro declaratione virtutis indulgentiarum (buchstäblich nach dem Original (170-176 bzw. 80-84 bzw. 83-88 nach dem „auf der K. Bibliothek zu Berlin aufbewahrten Original“); Die Augsburgische Confession (Versuch einer Herstellung des ächten Textes) (176-215 bzw. 85-112 bzw. 88-115. Beruht „auf den vom Reichstage selbst herstammenden Handschriften“); Symbolische Schrift über die päpstliche Gewalt (215-232 bzw. 112-124 bzw. 115-127).

Mittheilungen aus den Actenstücken der Reformationsepoche bis zum schmalkaldischen Kriege Ed. mit Erläuterungen. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 233-364; 4. Aufl. (1868) u. 5. Aufl. (1873), 125-213; 6. Auf. (1882), 128-216. - Enthält 25 Stücke (Instruktionen, Briefe, Gutachten, Protokoll, Vertrag etc. von 1525-1546) aus verschiedenen Archiven: Berlin, Bruxelles, Dresden, Düsseldorf, Koblenz, Weimar, z. T. auch ohne Herkunftsangabe

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ,Französische Notabeln‘ – ,Preuß.Geschichte‘

Zur Geschichte des schmalkaldischen Krieges Ed. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 365-434; 4. Aufl (1868) u. 5. Aufl. (1873), 214-260; 6. Aufl. (1882), 217-263. - Enthält in neun Positionen Quellen für die Jahre 1546 und 1547 (Tgb., Briefe, Berichte etc.) aus Archiven in Berlin, Bremen, Bruxelles, z. T. auch ohne Herkunftsangabe.

Aus den Verhandlungen der spätern Zeiten Ed. - DtG VI, 1. Aufl. (1847), 435-540; 4. Aufl. (1868) u. 5. Aufl. (1873), 261-319; 6. Aufl. (1882), 264-322. - Enthält in ursprünglich 12, später 10 Positionen Quellen für die Zeit von 1548 bis 1555 (v. a. Berichte u. Briefe) aus dem Berliner u. Dresdner Staatsarchiv, dem Archiv der Stadt Frankfurt/M., dem Archiv in Bruxelles, aus der Kgl. Bibl. zu Paris und ohne Herkunftsangabe. - Die in der 1. Aufl. enthaltene Pos. 7: „Schlußbericht des französischen Gesandten Marillac über Politik und Persönlichkeit des Kaisers 1550“ sowie Pos. 10: „Aus den Depeschen des florentinischen Gesandten 1553“ sind in den folgenden Auflagen von Bd. VI entfallen und für die 4. bis 6. Aufl. dem Bd. V zugewiesen worden (s. u. die beiden letzten Pos.).

Über eine Stelle der Schrift: ‚Handlung des Ehrwürdigen Vaters Dr. Martin Luthers heiligen Gedächtnis für Kays. Majest, Chur, Fürsten und Stenden des H. Röm. Reichs auffn Reichstag zu Worms‘ DtG VI, 6. Aufl. (1882), 62-65. Erstdr.: Eich/1863, 78-80. - Gutachtlicher Brief R.s in Sachen Luther-Denkmal in Worms (s. II/4.1).

Sommaire de l’Ambassade de feu monsieur de Vienne devers l’Empereur Charles V, en l’année 1550 (Aus der königlichen Bibliothek zu Paris) Ed. - DtG V, 4. Aufl. (1868) u. 5. Aufl. (1873), 362-372 (unv.); 6. Aufl. (1881), 364-374 (unv.).

Aus den Berichten des florentinischen Gesandten 1553-1556 Ed. - DtG V, 4. Aufl. (1868) u. 5. Aufl. (1873), 372-381 (unv.); 6. Aufl. (1881), 374-383 (unv.).

* Ueber die Versammlung der französischen Notabeln im Jahre 1787 vornehmlich aus noch unbenutzten Documenten der Pariser Archive. > o. O. 1846. 44 S. 8º. Nachweis: Catalogue Général des livres imprimés de la Bibl. Nat., Bd. 146, Paris 1937, Sp. 468. Selbst. Zweitdr. Erstdr. 1846 unter II/1.2., s. auch unter II/6.2. - Drittdr. und weitere Abdrr. in den Aufll. von FranzG V ab 3D-Aufl.

* Neun Bücher Preußischer Geschichte [1. Auflage]

> 3 Bände, Bln.: Bei Veit und Comp. 1847-1848. Br. und geb. 8º. 1. Bd. 1847. XVI, 497 S. - 2. Bd. 1848. X, 490 S. - 3. Bd. 1848, XI, 492 S.

Der 1. Band erschien zur Jahresmitte 1847, der 2., auf 1848 getitelt, wurde bereits Ende 1847 ausgeliefert. 1. Band Vorrede (V-XII). - Erstes Buch. Vom Emporkommen der brandenburgisch-preußischen Macht (1-181). - Zweites Buch. Auswärtige und häusliche Angelegenheiten Friedrich Wilhelms I. von 1725 bis 1732. Jugendjahre Friedrichs II. (183-349). - Drittes Buch. Politik und Staat Friedrich Wilhelm’s I, 1732-1740 (351-497).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ 2. Band Viertes Buch. Regierungsantritt Friedrichs II. und Beginn seiner Feldzüge. (1-172). - Fünftes Buch. Politik und Waffenthaten des ersten schlesischen Krieges bis zur Verabredung von Kleinschnellendorf. 1741. (173-348). - Sechstes Buch. Definitive Erwerbung und neue Einrichtung von Schlesien. (349-490). 3. Band Siebentes Buch. Friedrich II und das deutsche Reich. Ursprung neuer Entzweiungen. (1-162). Achtes Buch. Der zweite schlesische Krieg. (163-350). - Neuntes Buch. Jahre des Friedens (351492).

R hat dieses Werk - die personalistische Konzeption ist in den drei Bänden deutlich erhalten geblieben - wohl zunächst als eine ‚Geschichte Friedrichs II.‘ aufgefaßt, wie sich aus seinen Archivanträgen (s. u.) und beiläufig auch aus einem merkwürdigen Brief an G. A. H. Stenzel ergibt. Mit dessen ‚Geschichte des Preußischen Staates von 1688-1739‘ (Hmb. 1841) hätte sich R - bei einer Fortführung des Stenzelschen Werkes - in einer unmittelbaren Konkurrenzsituation befunden, was ihn „ein wenig“ verdroß (6. 10. 45, Gothein/1892, Beil.-Nr. 70, 3). Er suchte nun Stenzel zu einer Erklärung zu veranlassen, wann dieser fertig zu werden gedenke. Wohl um ihn zur Aufgabe zu bewegen, teilte er ihm - mit beiläufiger Kondolation zum Tod seiner Frau - mit, er selbst werde „viele neue Materialien“ haben, „nicht allein von hier, sondern auch von London, Paris u. a. O. ... [wohin der in eingeschränkten Verhältnissen mit zwölf Kindern lebende Witwer Stenzel sich nicht begeben konnte] und vielleicht zwei Bände allein den schlesischen Kriegen widmen“, was Stenzel als Historiker Schlesiens besonders beunruhigen mußte. In der „ziemlich langen Einleitung“ werde auch Stenzel noch, wie R mit leiser Drohung verhieß, „einiges Merkwürdige finden“ (ebd.). - Weitere Korrespondenz R-Stenzel zu diesem Thema ist bisher nicht bekannt geworden. Über R.s Vorhaben waren „fast schon seit Jahren verschiedene Angaben und Vermuthungen verbreitet worden.“ ([Vf.] 1971: Neun Bücher preussischer Geschichte. Von Leopold Ranke/1847, Sp. 1006). Am 22. April 1847 schrieb R - und dies zeigt sein über die Papierquellen wo möglich hinausgehendes empirisches Interesse - an seinen Bruder Heinrich: „Meine Absicht ist, zu Pfingsten die im vorigen Herbst unterbrochene Reise nach Schlesien zu machen; denn Du mußt wissen, daß an meinem preußischen Buche schon mit aller Macht gedruckt wird, und ich will noch einige Lokalitäten sehen, ehe ich mit meiner Beschreibung der darauf vorgefallenen Schlachten erscheine.“ (NBrr 323). Die Vorrede enthält Bemerkungen über Absicht und Anlage des Ganzen: Es sollen die Ereignisse dargestellt werden, durch welche Preußen einen „Platz für eine große europäische Selbständigkeit“ einnehmen konnte (VI). Dazu gesellt sich eine andere Absicht, „etwas zu machen, was noch nicht da ist: mich über das Geschwätz zu erheben, das, wie es die Lebendigen umgibt, sich in der Folge leicht als angenommene Überlieferung festgesetzt, unter den tausendfältigen Äußerungen des Handelnden selbst, die sich zuweilen zu widersprechen scheinen, die rechte Spur zu finden, mich in ihn zu vertiefen und die Wahrheit ohne Rücksicht zu sagen [siehe jedoch seine im Folgenden genannten Briefe], urkundliche und verstandene Geschichte zu schreiben.“ (an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 24. 12. 47, NBrr 326). Es ging auch darum, den in der preußischen Geschichte „übel berufenen“ Friedrich Wilhelm I. „von einer würdigen und bewunderungswerthen Seite“ zu zeigen (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 74). - 56 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘

Ranke hatte zu dieser Zeit, wie er sich als Achtzigjähriger erinnerte, „Freunde, welche in der preußischen Geschichte gleichsam den zweiten Theil der Reformationsgeschichte erblickten“. Doch er mußte „vor allem das partikularistische Leben des preußischen Staates zu begreifen und darzustellen suchen, wodurch denn die Persönlichkeit des großen Königs, in der es sich in der Welt geltend machte, in den Vordergrund trat.“ (3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875, SW 53/54, 53). Zweilfellos ist auch Rankes Verpflichtung als Historiograph des Preußischen Staates sowohl auslösend als auch inhaltlich für die Abfassung des Werkes von Bedeutung. Seine Ernennung hatte Friedrich Wilhelm an die konfliktfähige „Bedingung“ geknüpft, „daß derselbe Uns und Unserm Königlichen Hause jederzeit treu und eifrig ergeben bleibe... überhaupt aber; so viel er vermag, zum Wohl des Staates, Unsers Königlichen Hauses und Unsern getreuen Unterthanen beitrage“ (aus der unveröffentlichten Bestallungsurkunde vom 17. Juli 1841 im StA Rudolstadt). Wohl aufgrund dessen war Ranke 1841 mit dem Gedanken eines - wie man annehmen muß, preußischen - Urkundenbuches umgegangen. Dies ergibt sich mit freilich geringer Deutlichkeit aus seiner zurückhaltenden Korrespondenz (s. das Korrespondentenreg. II/3.4) mit G. A. H. Stenzel, der eine Zusammenarbeit erhoffte. Das Unternehmen kam nicht zustande. Doch Ranke tat sich in preußischen Dingen um: Bereits wenige Wochen nach seiner Bestallung wandte er sich, zwar hauptsächlich seiner Deutschen Geschichte wegen, an das Niederländische Staatsarchiv mit der Frage, was dieses zur Erläuterung der brandenburgisch-preussischen Geschichte enthalte (an Groen van Prinsterer, 1. 9. 41, Stupperich/1934, 559). Die Vorrede gibt ferner sehr allgemeine Hinweise auf besuchte Archive - neben Dessau und Dresden hauptsächlich London und das Archiv der Auswärtigen Angelegenheiten in Paris, dort v. a. zu Friedrich d. Gr. - Wegen der Berliner Bestände siehe Rankes Briefe an Sayn-Wittgenstein, Stolberg-Wernigerode und H. v. Bülow, 21. 2. 44 (NBrr 308f.). 1844 hatte Ranke einen Antrag zur Benutzung des Kgl. Geheimen Staatsund Kabinettsarchivs gestellt, „für eine Geschichte der Regierung König Friedrichs des Zweiten, sowie seines Lebens überhaupt“. Dabei machte er „keinen Anspruch darauf, die eigentlichen Hausgeheimnisse zu erfahren“. Seine Absicht war „hauptsächlich auf die Kenntnis der äußeren und inneren Politik des großen Fürsten gerichtet.“ Allerdings zeigte sich in den folgenden Jahren, daß er auf die Korrespondenz Friedrichs II. und seiner Gemahlin, wie überhaupt die Korrespondenz innerhalb des gesamten königlichen Hauses, nicht verzichten konnte. In seinem Benutzungsantrag an Archivdirektor Georg Wilhelm von Raumer vom 11. 11. 47 (NBrr 325f.), beeilte er sich jedoch zu versichern, daß er das ihm „geschenkte Vertrauen durch möglichste Diskretion zu erwidern suchen werde.“ Im Zuge der Archivarbeiten hatte sich schon bald die Ausweitung der Thematik in die unmittelbare Vorgeschichte Friedrichs II. ergeben. Auch im Landeshauptarchiv Wolfenbüttel ging es um die „mit dem 18ten Jahrhundert beginnenden und bis zum Tode Friedrichs des Großen fortlaufenden Verhandlungen und Schriften politischen Inhalts insbesondere insoweit solche die Verhältnisse des Königl. Preußischen und Herzoglich Braunschweigischen Hauses, so wie der beiderseitigen Regierungen zu einander betreffen“ (Aus dem Akt des Hzgl. Braunschweig-Lüneburgischen StaatsMinisteriums vom 5. 10. 47, unveröff. StA Wolfenbüttel). Woraus zugleich ersichtlich wird, daß an eine über Friedrich II. hinausführende Darstellung auch für spätere Zeiten zunächst nicht gedacht war. Erst in den 1874 erscheinenden ‚Zwölf Büchern Preußischer Geschichte‘ wurde die gesamte Entstehung des Staates ausgehend von der „Colo- 57 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘

nisation von Brandenburg und Preußen“ bis in die Zeit des Großen Kurfürsten dargestellt, wobei das erste Buch der ‚überholten‘ ‚Neun Bücher‘ unter dem Titel ‚Genesis des preußischen Staates. Vier Bücher preußischer Geschichte‘ zu vier Büchern umgestaltet den verbliebenen acht Büchern vorangestellt wurde. Ranke vergleicht in seiner Vorrede die Denkschriften Friedrichs d. Gr. mit den ‚Kommentaren‘ Caesars (VII) und endet mit dem idealisierenden Satz: „Die Alten schrieben gleichzeitige Geschichte mit rücksichtsloser Wahrheitsliebe; uns sei der Versuch gestattet, Ereignisse, die nun schon ein Jahrhundert hinter uns liegen, unbekümmert um die Neigungen oder Abneigungen des Tages, zu so viel möglich objectiver Anschauung zu vergegenwärtigen.“ (XII). Das Werk enthält im Gegensatz zu den späteren 12BPreußG keine Analekten. 2. Auflage > 1. Bd. Bln. 1848. XVI, 497 S. Br. und geb. 8º. Die Bde II u. III des von der Kritik überwiegend zurückgewiesenen Werkes erschienen nicht in 2. Aufl. - Lt. Helmolt: R.-Biogr./1921, A.167 gingen die 9BPreußG im Dez. 1868 aus dem Kommissionsverlag von Veit & Co. in den Verlag von Duncker u. Humblot über. Siehe auch Geibel (1886), 11, A. 1. - Das Werk ist bei Verlagswechsel überarbeitet erschienen u. d. T. ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘ (SW 25-29, s. u.). * Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert Die hier so benannten C-Auflagen erschienen bei Cotta, die D-Auflagen bei Duncker u. Humblot. Sie folgen nach der Chronologie der Erstbände, unabhängig von der zu beachtenden problematischen Zählung der Auflagen.

[1C-Auflage] > 5 Bände, [Bd. 1 u. 2:] Stuttgart u. Tübingen; [Bd. 3 u. 4:] Stuttgart u. Augsburg; [Bd. 5:] Stuttgart: J. G. Cotta’scher Verlag 1852-1861 Gr. 8º. 1. Bd. 1852. X, 580 S. - 2. Bd. 1854. IV, 546 S. - 3. Bd. 1855. IV, 565 S. - 4. Bd. 1856. IV, 560 S. - 5. Bd. 1861. III, 533 S.

Hierzu kann die überwiegend unveröffentlichte Korrespondenz Rankes mit Johann Georg von Cotta herangezogen werden (Nachlass/Schiller-Nationalmuseum Marbach a. N. II/3.3). Der dabei befindliche Verlagsvertrag über FranzG, 1. Aufl. datiert vom 29. 9. 51 und sah für das Werk nicht fünf, sondern wiederum falsch eingeschätzt, lediglich zwei Bände vor. - Aus der Korrespondenz wird auch der Gedanke Rankes sichtbar, „der französischen Geschichte den ihr noch mangelnden Theil über die Revolutionsepoche hinzuzufügen“ (R an C., 23. 7. 58 bei Henz/1972, 303). Es kam später jedoch nicht zu der weitgefaßten Form einer hier angesprochenen ‚Französischen Geschichte in der Epoche der Revolution‘, sondern nur zu der sehr eingeschränkten des 1875 erschienenen Werkes ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792‘. - Bereits während seiner Frankfurter Oberlehrerzeit hatte sich Ranke mehrere Wochen lang mit einem „Entwurf der französischen Geschichte“ befaßt (an Heinrich R. 19. 1. 23, SW 53/54, 105). - 58 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘

Die Abwendung Rankes von der preußischen Geschichte mag mit den ihn schwer erschütternden Ereignissen des Jahres 1848 zusammenhängen, die auch in seinen Vorlesungen eine unmittelbare Flucht aus der Thematik bewirkt hatten. Hingegen führte das Jahr 1866 wieder zu einer auffallenden Rückwendung. Während einer weitläufigen Archivreise in den Monaten August bis Oktober 1852 fand Ranke im Düsseldorfer Archiv „ein recht wichtiges Dokument über die Zeiten Richelieus“, das seine Frau abschrieb, während er selbst „andere exzerpierte.“ (An Ferdinand R., 2. 9. 52, NBrr 347). Anschließend zeigten sich die gerade in Ordnung gebrachten, auf Frankreich bezüglichen Papiere des Brüsseler Archivs „für einige Momente im Leben Heinrichs IV. ... recht bedeutend; auch für Maria Medici, wie für Richelieu, ergaben sie einiges, was bleiben wird.“ (ebd.). Im Londoner State Paper Office durchläuft Ranke sodann mit gewohnter Geschwindigkeit und Findigkeit „the dispatches of a whole year“ (an CvR, 4. 10. [52]. Während des dreiwöchigen Londoner Aufenthalts traf er auch mit seinem Schüler Reinhold Pauli zusammen, der dort „für“ ihn und „mit“ ihm „viel gearbeitet“ hat (s. I, 30). - Über Rankes anschließende Arbeiten in Paris ist der Korrespondenz bisher nichts zu entnehmen. Im Juni des folgenden Jahres wandte sich Ranke wieder einmal an das niederländische Staatsarchiv im Haag, diesmal in Sachen seiner ‚Französischen Geschichte‘. Dabei wünschte er im oranischen Hausarchiv Einsicht zu nehmen in die „auf die Verhältnisse zu England und Frankreich bezüglichen Correspondenzen etwa von dem Westphälischen Frieden bis zu dem Ryswicker“ (16. 6. 1853, Stupperich/1934, 560). Unterstützung erhielt er auch vom Herausgeber der Briefe Richelieus, Georges d’Avenel, der ihm den noch ungedruckten Teil seiner Sammlung (‚Lettres, instructions diplomatiques et papiers d’etat du cardinal de Richelieu, recueuillis et publiés, Paris 18531877) zur Verfügung stellte (R an Groen van Prinsterer, 11. 8. 61, Stupperich/1934, 561). Siehe auch die unten folgende Analektenübersicht ‚Zur Kritik der Memoiren Richelieu’s.‘ Ranke selbst bemerkt zu seinen Quellen in der Vorrede des ersten Bands die Benutzung von „Publikationen urkundlichen Stoffes, welche in den letzten Jahrzehnten in Frankreich zu Tage gefördert worden, so wie einige ältere in den Niederlanden oder in Italien erschienene, die bisher unbenutzt geblieben sind ... Vornehmlich aber konnte ich auch dießmal aus zahlreichen ungedruckten Dokumenten schöpfen. Es sind italienische Relationen, aus Rom und aus Venedig, die sich über den ganzen Zeitraum hin erstrecken, spanische und englische Correspondenzen aus einigen der wichtigsten Jahre, jene des sechzehnten, diese des siebzehnten Jahrhunderts; Briefe und Aufzeichnungen französischer Staatsmänner und Könige; Aktenstücke ständischer und parlamentarischer Verhandlungen; diplomatische Mittheilungen anderen mannigfachen Ursprungs ...Nicht allein in französischen oder englischen, sondern auch in italienischen, deutschen, belgischen Bibliotheken und Archiven fanden sie sich“ (VIsq.). Zu Rankes Archivbenutzung für dieses Werk siehe die Beanstandungen zu Band III in einer anonymen Bespr. der ‚Kathol. Literatur-Zeitung‘ vom 10. Sept. 1855 (s. I, 272). Die von Ranke für seine ‚Französische Geschichte‘, soweit nachgewiesen, benutzten venezianischen Relationen, zumeist Abschriften des 18. oder 19. Jh.s, häufig mit mehrseitigen eigenhändigen Notizen versehen, sind in großer Zahl (etwa 32) in Syracuse vorhanden und bei Muir/1983 beschrieben (s. II/8.2). Bei einer etwaigen historisch-kritischen Ausgabe sollte davon kommentierend Gebrauch gemacht werden. Auch findet sich dort eine Sammlung von Einzeldrucken zur Geschichte des Ancien Régime. - 59 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘

Aus seinem Dedikationsschreiben an Kg. Friedrich Wilhelm IV. vom 16. 11. 56 bei Übersendung des 4. Bandes, „mit welchem ich eine lange Arbeit schließe“ (NBrr 375) so auch an Karl Otto v. Raumer, 29. 11. 56: „mein neuestes, nunmehr vollendetes Werk“, ebd. 375f.) kann man folgern, daß er Analekten damals noch nicht geplant hatte. Seine frühe Bemerkung in der Vorrede zu Bd. I, er behalte sich vor, „ausführlicheren Bericht“ über seine Quellen zu geben (VII), scheint dem zu widersprechen, konnte sich aber auch auf andere Bände oder Unternehmungen beziehen. Analekten erschienen jedenfalls erst mit einem Abstand von fünf Jahren in einem fünften Band. Die Gliederung der Bände in ‚Bücher‘ ist differenziert in jeweils zwei bis sieben Kapitel, eine Bezeichnung, die im 2., 3. und 5. Buch des 1. Bandes wohl aufgrund der üblichen Hektik und Konfusion des Verfassers entfallen ist, und unterhalb der Kapitel gelegentlich in betitelte Abschnitte. - Die in den Inhaltsverzeichnissen der Werke nicht aufgeführten und in der Literatur selten beachteten unbetitelten Vorreden zu einzelnen ‚Büchern‘ von Bd. I und IV sind für Rankes Geschichtsanschauung besonders aufschlußreich. 1. B a n d Auslieferung ab November 1852.

[Unbetitelte bedeutende Vorrede] (III-VIII). Sie beginnt mit dem beziehungsreichen Satz: „Ich wage es, ein Deutscher, das Wort über die französische Geschichte zu ergreifen“ (V) und fährt fort - was in den Besprechungen seiner beiden Nationalgeschichten gerade Anlaß zur Kritik gab - „Große Völker und Staaten haben einen doppelten Beruf, einen nationalen und einen welthistorischen, und so bietet auch ihre Geschichte eine zweifache Seite dar.“ (ebd.). - Über den Unterschied „eingeborener“ nationaler und „nichteingeborener“ welthistorischer Auffassung der Geschichte einer Nation. - Über das „nationale Selbstgefühl“ der Franzosen. - Über seine Quellen (VI sq. s. o.). - R schließt mit Bekundung und Begründung seiner Absicht: „Bei dem Minderbedeutenden wenig verweilend, habe ich das welthistorisch Wichtige um so ausführlicher zu erläutern gesucht. Ich denke, auch ein historisches Werk darf seine innere Regel aus der Absicht des Verfassers und der Natur der Aufgabe entnehmen.“ (VIII). Erstes Buch. Frühere Epochen der französischen Geschichte (1-70). - [3 „Capitel“. Bezeichnung hier entfallen:] Elemente der französischen Nation. - Entstehung eines französischen Reiches. Epoche der englischen Kriege. Zweites Buch. Politik und Krieg in der zweiten Hälfte des fünfzehnten und der ersten des sechzehnten Jahrhunderts (71-151). [Unbetitelte Einl.]. - Franz I. - Heinrich II. und seine auswärtigen Verhältnisse. Drittes Buch. Emporkommen kirchlicher Reformbestrebungen in Frankreich. (153-242). [Unbetitelte bedeutende Vorrede („...ob der Protestantismus in der Welt sein soll ...“)] (155f.). Erste Regungen einer kirchlichen Neuerung. - Erinnerung an die Reformation in Genf. - Letzte Zeiten Heinrichs II. - Staatsverwaltung des Cardinals Carl von Lothringen. - Ständische und parlamentarische Berathungen. Viertes Buch. Fünfzehn Jahre religiösen Bürgerkrieges (243-362). - [Unbetitelte Vorrede]. [4 „Capitel“. Bezeichnung hier entfallen:] - Unruhen von 1562 und 1563. - Der allgemeine Religionskrieg in Frankreich 1567 bis 1570. - Gegensatz Coligny’s und der Königin Mutter, Bartholomäusnacht. - Uebergang der Regierung von Carl IX. auf Heinrich III.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘ Fünftes Buch. Heinrich III. und die Ligue (363-474). - [Unbetitelte Vorrede] - Heinrich III. und seine Regierung in den Friedensjahren. - Blick auf die Literatur. - Verwickelung der auswärtigen Verhältnisse. - Ursprung der Ligue. - Erneuerter Hugenottenkrieg. - Barrikaden. - Die Stände von Blois 1588. Sechstes Buch. Heinrich IV. im Kampf mit der Ligue (475-580). - [5 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen] Erhebung Heinrichs IV. - Feldzug von 1589 und 1590. - Uebergewicht der Spanier in Frankreich. Liguistisch-spanische Ideen. - Feldzug von 1591 und 1592. Ständeversammlung von 1593. - Religionswechsel Heinrichs IV. (558-580). 2. B a n d Der zweite Band wurde ab Dezember 1853 ausgeliefert. Siebentes Buch. Regierung Heinrichs IV. 1594-1610 (1-142). - [Unbetitelte Einl.]. - [7 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen]. Aussöhnung Heinrichs IV. mit dem Papst. - Friedensschlüsse mit Spanien und mit Savoyen. - Das Edikt von Nantes. - Herstellung des Staatshaushaltes. - Regungen der Empörung. - Regierungsweise. Persönlichkeit Heinrichs IV. Verhältniß zu Spanien. Katastrophe Heinrichs IV. Achtes Buch. Regentschaft der Königin Maria Medici 1610 bis1617 (143-212). - [3 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen]. Lage und Politik der Regentschaft. - Erneuerung der Unruhen. Ständeversammlung von 1614. - Emporkommen des Marschall von Ancre und sein Sturz. Neuntes Buch. Emporkommen eines ersten Ministers. Unterdrückung der Selbständigkeit der Reformirten (213-346). - [Unbetitelte Einl.]. [7 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] - Luynès im Gegensatz mit der Königin Mutter. - Erste Ueberwältigung der Hugenotten. 1620-1622. - Verhältniß zu Spanien. Eintritt des Cardinal Richelieu. - Hugenottenbewegung vor 1625. Friede von Barcellona [sic]. 1626. - Verschwörung Ornano’s. Notabeln von 1627. - Krieg gegen England und Rochelle. - Feldzüge in Italien und in Languedoc. Zehntes Buch. Machterweiterungen unter der Verwaltung des Cardinal Richelieu. 1629-1642 (347-546). - [7 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Ursprung der Conflikte mit dem deutschen Reich. - Zerwürfniß zwischen Richelieu und Maria Medici. - Zusammenwirken der äußeren und der inneren Feindseligkeiten. - Erste Besitzergreifungen der Franzosen in Deutschland. Verhältniß zu Wallenstein. - Ausbruch des offenen Krieges zwischen Frankreich und Spanien und dessen erste Jahre. - Politik und Krieg. 1638-1641. - Richelieu und die Monarchie in den Jahren 1641, 1642. 3. B a n d Der dritte Band erschien im März 1855. Elftes Buch. Staatsverwaltung Mazarins. Zeiten der Fronde (1-196). - [7 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Bildung und erste Jahre einer neuen Regentschaft. - Fortgang der französischen Macht nach Außen. 1643-1648. - Die ersten Unruhen der Fronde. - Entzweiungen zwischen Mazarin und Condé. Einwirkungen der Spanier. - Bürgerlicher Krieg. 1652. - Spätere Jahre des spanisch-französischen Krieges. - Der pyrenäische Friede. Persönliche Stellung Mazarins. Zwölftes Buch. Das erste Jahrzehend [sic] der Selbstregierung Ludwigs XIV. (197-368). - Einleitung. - [6 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Ergreifen der Selbstherrschaft. Bildung eines Ministeriums. - Innere Reformen. - Der König in den ersten Jahren der Regierung. - Politisches Verhältniß Ludwigs XIV. zu den europäischen Staaten. Devolutionskrieg. - Jansenistische Irrungen. Kirchenfriede. - Ansicht der Literatur. Dreizehntes Buch. Ludwig XIV. auf der Höhe seiner Macht. 1672-1686 (369-565). - Einleitung. - [6 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Invasion von Holland. - Sechs Jahre allgemeinen Krieges; von 1673-1678. - Zeit der Reunionen; 1679-1684. - Erklärung der Freiheiten der gallicanischen Kirche. - Widerrufung des Edicts von Nantes. - Ministerium und Hof. Allgemeine Lage.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘ 4. B a n d Der vierte Band erschien im November 1856. Vierzehntes Buch. Politik und Krieg gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts (1-110). [Unbetitelte Vorrede]. - [5 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Lage und Tendenz der französischen Monarchie in den Jahren 1687, 1688. - Ausbruch des Krieges von 1688. - Kriegsereignisse von 1688 bis 1694. - Spätere Kriegsjahre. Friede von Ryßwik. - Modification der äußeren Machtstellung und der inneren Politik. Fünfzehntes Buch. Der Krieg über die spanische Erbfolge (111-290). - [Unbetitelte Vorrede]. - [7 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Unterhandlungen über die spanische Erbfolge. - Gegensatz und Kriegsbereitung der europäischen Mächte. - Die ersten Jahre des spanischen Erbfolgekrieges. - Kriegsereignisse in Deutschland. Feldzug von 1704. - Entscheidungen auf den verschiedenen Kriegsschauplätzen. - Unterhandlungen und spätere Feldzüge bis 1710. - Friede von Utrecht. Sechzehntes Buch. Innere Angelegenheiten in den späteren Jahren Ludwigs XIV. (291-422). Rückblick und Uebergang. - [6 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Familie und Hof Ludwigs XIV. - Wiederausbruch der jansenistischen Streitigkeiten. -. Zustände der Verwaltung. - Ideen der Reform. - Der Herzog von Bourgogne. - Ausgang Ludwigs XIV. - Schlußbemerkung. Siebzehntes Buch. Die Regentschaft und Cardinal Fleury (423-494). - [Unbetitelte Vorrede]. - [5 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Der Regent und die mit seinem Eintritt verknüpften Neuerungen. - Versuch eines neuen finanziellen Systems. -. Emporkommen und Stellung des Cardinal Dubois. - Der Herzog von Bourbon-Condé. - Cardinal Fleury. Achtzehntes Buch. Zeiten der Regierung Ludwigs XV (495-560). - [Unbetitelte Vorrede]. - [4 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Kriege Ludwigs XV. - Irrungen der geistlichen und der weltlichen Gewalt. - Tendenzen der Literatur. -. Conflicte der Gewalt und der Meinung gegen Ende der Regierung Ludwigs XV. 5. B a n d

Analecten der französischen Geschichte im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert (1469). Die Bezeichnung tritt nicht als Bandtitel, sondern lediglich als Innentitel auf. - Zu beachten sind unterschiedliche Angaben im Inhaltsverzeichnis und im Werkinnern. Eingang. Ueber Davila’s Geschichte der französischen Bürgerkriege (3-35). [Hierin finden sich bedeutende Bemerkungen über die zugleich literarische und gelehrte Aufgabe des Historikers sowie über Wahrheit und Veralten eines Geschichtswerkes, 6f.] - Erster Abschnitt. Venetianische Relationen aus dem sechzehnten Jahrhundert (36-102). - [Einige nachträgliche, quellenkundlich wichtige Mitteilungen] (101f.). - Zweiter Abschnitt. Französische Handschriften und Memoiren. (103-223). - Dritter Abschnitt. Aus den spätern venetianischen Relationen (224-266). - Vierter Abschnitt. Mittheilungen nach Deutschland (267-442). - 1. Aus dem Brandenburgischen Archiv (267-279). - 2. Aus dem Hannoverschen Archiv. Briefe der Herzogin von Orleans, Elisabeth Charlotte, an die Kurfürstin Sophie von Hannover (280-442). [Die erhebliche Erweiterung in der 3. Aufl. ist zu beachten]. - Schluß. Ueber die Memoiren des Duc v. Saint-Simon (443-469). Der Bestand der Analekten ist, über die Vermehrung der Briefe der Hzgn. v. O. hinaus, ab der 3. Aufl. vermehrt. Siehe im einzelnen die Analekten-Übersicht. Register (471-533). Ein Personen-, Sach- und Ortsregister, ein Kuriosum freilich, das sich für die Bde I-III auf die 1. u. 2. Aufl., für die Bände IV und V lediglich auf die 1. Aufl. bezieht. Für Bd. V stellt dies kein Problem dar, da er formell nicht in zweiter Aufl erschien. Der IV. Bd. in 2. Aufl. (1862) wurde jedoch registermäßig erst 17 Jahre später in Bd. VI der 3C-Aufl. (1879) miterfaßt.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘

2. Auflage [2C-Aufl.]

> 4[/5] Bände, Stuttgart u. Tübingen [Bd. 1 u. 2], Stuttgart u. Augsburg. [Bd. 3], [Stuttgart, Bd. 4 u. 5]: Cotta 1856-1862. Gr. 8º. Bd. V erschien nicht in 2. Auflage, sondern diente als Erstauflage aus 1861 der Komplettierung der 2. Auflage. 1. Bd. 1856. X, 578 S. - 2. Bd. 1857. IV, 552 S. - 3. Bd. 1859. IV, 578 S. - 4. Bd. 1862. IV, 564 S. R hat die zweite Auflage revidiert, Teile davon, vermutlich Bd. II, in London und mit Hilfe seines Bruders Ferdinand korrigiert (an FR, 22. 5. [1857], (NBrr 385), ohne größere quantitative und qualitative Änderungen vorzunehmen. Aufbau und Überschriften blieben bei varianter Paginierung unverändert. Seine kleinen Eingriffe sind meist stilistischer Art, gelegentlich auch inhaltlich leicht präzisierend. Beispiele: FranzG I, 1. Aufl.: „Aber um dazu zu gelangen, muß er sich der katholischen Bewegung zuneigen. Die sämmtlichen Gesandten der katholischen Höfe dringen in ihn...“ (250). - 2. Aufl.: „Aber um zu einem Abschluß zu gelangen, muß er sich der katholischen Bewegung zuwenden. Die sämmtlichen Gesandten der katholischen Höfe fordern ihn dazu auf...“ (244).

[3D-Auflage] [Ohne Auflagenbezeichnung Verfassername: Leopold von Ranke (nobilitiert)]

> 6 Bände, Lpz.: D. u. H. 1868-1870. Gr. 8º. Separatabdr. von SW 8-13 [1. GA.] 1. Bd. 1868. X, 419 S. - 2. Bd. 1868. VI, 410 S. - 3. Bd. 1869. VI, 422 S. - 4. Bd. „Mit Verbesserungen“ [auf Titelbl.]. 1869. VI, 423 S. - 5. Bd. 1870 „Umgearbeitet und vermehrt“ [auf Titelbl.]. V, 374 S. - 6. Bd.: Briefe der Herzogin von Orleans [als Bandtitel auf dem Titelblatt. Hingegen als Innentitel auf p. V: „Aus den Briefen der Herzogin von Orleans, Elisabeth Charlotte, an die Kurfürstin Sophie von Hannover.“]. 1870, XXVIII, 365 S.

In den Jahren 1868 bis 1870 wurde die ‚Französische Geschichte‘ ohne Beendigung des Vertragsverhältnisses mit dem Original-Verlag Cotta als Bde 8-13 in die bei D. u. H. erscheinenden ‚Sämmtlichen Werke‘ Rankes, 1. Gesamtausgabe, aufgenommen. Ranke verhieß seinem neuen Verleger: „Doch würde ich darin so gut wie nichts ändern“ (an Geibel, 19. 1. 68, Geibel/1886, 5). Dem Wunsch Geibels, das Verlagsrecht nicht nur für die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘, sondern in toto zu übernehmen (Geibel/1886, 11, A. 1), entsprach der Cotta-Verlag nicht. Abweichend von den anderen Werken Rankes mußte man daher im Interesse des zunächst weiter liefernden Cotta-Verlags auf einen Separatabdruck verzichten. Das Werk war also durch den Verlag D & H lediglich als Bestandteil der SW zu beziehen. Die Ausgabe hätte als 3. Auflage bezeichnet werden müssen, doch Ranke persönlich sorgte für den Wegfall der Bezeichnung (Geibel/1886, 7). - Die 1876-77 nachfolgende D & H-Auflage erhielt dann allerdings doch die Bezeichnung ‚Vierte Auflage‘. Sie erschien vor der bei Cotta zu Tage tretenden so benannten 3. Auflage. Rein zeitlich ist daher die 3. Auflage des Cotta-Verlags (3C) als Ausgabe letzter Hand anzusehen. Siehe auch die Vorbemerkung zur 3C-Aufl. - Helmolt spricht von einem Abweichen dieser Fassungen „voneinander und von ihrer ersten Form in Kleinigkeiten“ (Helmolt/1921, 140). - 63 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘ 1. Band Erstes Buch. Frühere Epochen der französischen Geschichte (1-49). - Zweites Buch. Politik und Krieg in der zweiten Hälfte des fünfzehnten und der ersten des sechszehnten Jahrhunderts (51105). - Drittes Buch. Emporkommen kirchlicher Reformbestrebungen in Frankreich (107-170). Viertes Buch. Fünfzehn Jahre religiösen Bürgerkrieges (171-260). - Fünftes Buch. Heinrich III und die Ligue (261-340). - Sechstes Buch. Heinrich IV im Kampf mit der Ligue (341-419). Diesem Bd. sollte die Abh. über Capefigue (aus HPZ II, 581-605) unverändert beigegeben werden, was jedoch wegen des bereits beendeten Drucks nicht mehr durchführbar war (Geibel 1886, 6, A. 1). Es geschah dann überhaupt zweckmäßiger im Zusammenhang mit den übrigen Analekten in Bd. V. 2. Band Siebentes Buch. Regierung Heinrichs IV 1594-1610 (1-110). - Achtes Buch. Regentschaft der Königin Maria Medici 1610-1617 (111-162). - Neuntes Buch. Emporkommen eines ersten Ministers. Unterdrückung der Selbständigkeit der Reformirten (163-263). - Zehntes Buch. Machterweiterungen unter der Verwaltung des Cardinal Richelieu. 1629-1642 (265-410). 3. Band Elftes Buch. Staatsverwaltung Mazarins. Zeiten der Fronde (1-150). - Zwölftes Buch. Das erste Jahrzehend der Selbstregierung Ludwigs XIV. (151-276). - Dreizehntes Buch. Ludwig XIV. auf der Höhe seiner Macht. 1672-1686 (277-422). 4. Band Vierzehntes Buch. Politik und Krieg gegen Ende des siebzehnten Jahrhunderts (1-83). Fünfzehntes Buch. Der Krieg über die spanische Erbfolge (85-217). - Sechzehntes Buch. Innere Angelegenheiten in den späteren Jahren Ludwigs XIV. (219-315). - Siebzehntes Buch. Die Regentschaft und Cardinal Fleury (317-371). - Achtzehntes Buch. Zeiten der Regierung Ludwigs XV. (373-423). 5. Band Analecten der französischen Geschichte vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert (1-374).

Hierin sind nun auch die beiden in der Erstauflage noch nicht enthaltenen HPZAbhandlungen über Capefigue und die Memoiren Richelieus aufgenommen. - Siehe im einzelnen die Analekten-Übersicht. 6. Band Vorwort zur ersten Ausgabe (VII-IX), Zur neuen Ausgabe. Ansicht der Lebensstellung Elisabeth Charlottens (IX-XXV), Zur genealogischen Orientierung (XXVI-XXVIII). - „Aus den Briefen der Herzogin von Orleans, Elisabeth Charlotte, an die Kurfürstin Sophie von Hannover“ (1-314).

Gegenüber der Erstauflage ist die Sammlung nicht nur um ein Lebensbild der Herzogin, sondern auch um etwa 370 Briefe oder Brief-Exzerpte vermehrt. Dazu bemerkt Helmolt (in Überschätzung der allgemeinen Rankeschen ‚Akribie‘): „die Erweiterung der Analekten um eine längere Reihe von Briefen Liselottens aus Hannovers Archiv und Bibliothek steht nicht auf der sonstigen Höhe rankischer Akribie und Zuverlässigkeit, weil dieser Briefwechsel der Herzogin von Orléans mit der Kurfürstin Sophie von bezahlten Hilfskräften kollationiert worden und nur mit Vorsicht zu benutzen ist.“ (Helmolt/1921, 140). An anderer Stelle spricht er von „einer Zahl grober Fehler“ (161). Ranke hingegen hatte ausdrücklich einen „buchstäblich genauen Abdruck der Originale“ in Aussicht gestellt (FranzG V, 1861, 281). - Zu Rankes Auswahl und anderen Druck- (u. a. der auf R beruhenden franz. Ausgaben von Rolland u. Jaeglé, s. II/9.4/1863 u. 1880) und Herkunftsnachweisen der 3857 Briefe: Helmolt: Kritisches - 64 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘

Verzeichnis der Briefe der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orléans. Nebst dem Versuch einer Liselotte-Bibliographie 1909, wo es (14, A 3) heißt: „weder hat R. den Briefwechsel mit Sophie selbst abgeschrieben noch auch kollationiert“. Auf unpag. 314 „Berichtigungen.“ Register zur Französischen Geschichte. Sechs Bände (315-365). [Personen-, Orts- u. Sachregister].

4 . A u f l a g e [4D-Auflage] > 6 Bände, Lpz.: D. u. H. 1876-1877. Gr. 8º. Separatabdruck von SW 8-13, 3. GA. 1. Bd. 1876. XII, 419 S. - 2. Bd. 1876. VI, 410 S. - 3. Bd. 1877. VI, 422 S. - 4. Bd. „Mit Verbesserungen“ [auf Titelblatt] 1877. VI, 423 S. - 5. Bd. 1877 „Umgearbeitet und verbessert“ [auf Titelblatt]. VI, 374 S. - 6. Bd.: Briefe der Herzogin von Orleans [als Bandtitel auf dem Titelbl.] Zweite Auflage. 1877, XXVIII, 365 S.

Siehe die obige Vorb. zur 3D-Aufl. - Für die 4D-Aufl. gilt, daß sie von der 3D-Aufl. bei gleichem Aufbau und gleichen Seitenumfängen nach R.s eigenem Bekunden „wenngleich wenig, doch wieder abweicht.“ (An Geibel, 20. 3. 76, Geibel/1886, 84). 3 . A u f l a g e [3C-Auflage] [Verfassername: Leopold Ranke, obgleich bereits geadelt].

> 6 Bände, Stuttgart: Verlag der J. G. Cotta’schen Buchhandlung 1877-1879. Gr. 8º. 1. Bd. 1877. VIII, 504 S. - 2. Bd. 1877. IV, 495 S. - 3. Bd. 1877. IV, 514 S. - 4. Bd. 1877. IV, 506 S. - 5. Bd. 1878. IV, 447 S. - 6. Bd. 1879, XXVI, 504 S.

Die obige Vorb. zur 3D-Aufl. ist wiederum zu beachten. - Der 3C-Aufl. dürfte der Text der 4D-Aufl. zugrunde gelegt worden sein, denn die Cotta’sche Buchhandlung forderte die entsprechenden Bände bei D & H an (Geibel/1886, 91, 103). Eine völlige Identität ist damit nicht zwingend verbunden. Auch besteht die Möglichkeit revidierender Eingriffe Rankes, unabhängig von der Textgestaltung der D-Auflagen. - Die 3C-Aufl. wurde von Cotta - demnach ohne größeren buchhändlerischen Erfolg, der auch bei D & H ausblieb (Geibel/1886, 89, A 1) - noch im Jahre 1896 beworben (Umschlaganzeige bei Moriz Ritter: Leopold von Ranke/1896). Auch ist keine weitere Ausg. des Or.Verlags bekannt. 5. B a n d Mit neuem Innentitel]: „Analecten der französischen Geschichte vom sechzehnten bis zum achtzehnten Jahrhundert“ (1-447). - Siehe im einzelnen die Analekten-Übersicht. 6. B a n d [Nicht auf dem Titelblatt, ledigl. als Innentitel:] Aus den Briefen der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans [!] an die Churfürstin Sophie von Hannover. (1-455). - Vorwort zur ersten Ausg. 1861. (III-V) [Bezieht sich auf den früheren Bd. V]. - „Vorwort zur neuen Ausgabe. Ansicht der Lebensstellung Elisabeth Charlottens.“ (V-XXII) - Zur genealogischen Orientierung. 1. Frankreich (XXIII-XXV), 2. Pfälzisch-Hannover’sche Familie (XXVf.). - „Register“ (457504) [Namen- u. Orts- u. Sachregister zu Bd. I-VI].

Analecten der französischen Geschichte [Übersicht über die Auflagen 1C, 3D, 4D, 3C] Die 2. Aufl. kommt für die folgende Übersicht nicht in Betracht, da der den Analekten vorbehaltene 5. Bd. nicht in 2. Aufl. erschien.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘

Eingang. Ueber Davila’s Geschichte der französischen Bürgerkriege Abh. - Siehe Lesung Kgl. Akad. d. Wiss.. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 3-35; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 3-30; 3C-Aufl. (1878), 3-36.

Erster Abschnitt. Venetianische Relationen aus dem sechzehnten Jahrhundert. Abh. mit editor. Einschaltungen. - Da die älteste hier behandelte Relation von 1492 stammt, wurde ab [3D]-Aufl. eine notwendige Titeländerung vorgenommen: „Venetianische Relationen vom Ausgang des fünfzehnten bis gegen Ende des sechzehnten Jahrhunderts“. - FranzG V, 1CAufl. (1861), 36-102; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 31-92; 3C-Aufl. (1878), 37-109.

Zweiter Abschnitt. Französische Handschriften und Memoiren. Etats tenus à Pontoise Ed. mit kurzer Vorb. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 103-107; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 93-97; 3C-Aufl. (1878), 110-114.

Bemerkung über Capefigue: histoire de la réforme, de la ligue et de Henri IV, besonders über die Darstellung der Bartholomäusnacht in diesem Buche Abh. - Unv. Zweitdr. aus HPZ II/3 (1835), 581-605. - FranzG V 1C-Aufl. (1861) - ; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 97-116; 3C-Aufl. (1878), 114-138. - Anm. R.s, 4D-Aufl., 97: „Geschrieben 1835, nach dem Standpunkt der Forschung jener Jahre und mit Bezug auf die damaligen Zustände, und hier wiederholt, wie sie damals in der historisch-politischen Zeitschrift II, 581 [-605] abgedruckt worden ist.“

Memoiren des Pater Joseph und die Illuminaten des siebzehnten Jahrhunderts Abh. u. Ed. - Erw. Zweitdr. (Erstdr. 1850 in II/6.4). - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 108-126; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 117-134; 3C-Aufl. (1878), 138-159. - Anm. R.s, 1C-Aufl. (1861), 108: „Es sei mir gestattet, die Untersuchung hierüber, wie ich sie in der Akademie der moralischen und politischen Wissenschaften vortrug, wörtlich einzuschalten.“ [108-116. In franz. Sprache.]

Correspondenz der Königin Maria Medici. Ed. mit kurzer Einf. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 126-129; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 134-137; 3C-Aufl. (1878), 159-162.

Ueber die Memoiren des Cardinal Richelieu. Abh. - Zweitdr. aus HPZ II/4 (1836), 637-666. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861) - ; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 137-158; 3C-Aufl. (1878), 162-189.

Ergänzung der Memoiren Richelieu’s. Abh. in franz. Sprache mit Ed. - Abdr. aus: Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Paris (II/6.4), jedoch ohne die im Erstdr. vorhandenen Bemerkungen Girauds, Cousins u. Mignets. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 129-138; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 158-166; 3C-Aufl. (1878), 189-198.

Zur Kritik der Memoiren Richelieu’s. Abh. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 138-163.; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 166-187; 3C-Aufl. (1878), 198-224. - Zu beachten ist eine Bemerkung der 1C-Aufl. (1861), 162: „Bereits im Jahr 1850 habe ich die vorliegende Abhandlung geschrieben und einen Theil davon in der K. Akademie zu Berlin gelesen.“ Siehe Lesung Kgl. Akad. d. Wiss. Gegenüber der Erstfassung von 1850 finden sich hier noch einige durch Veröffentlichungen d’Avenels über Hss. Richelieus hervorgerufene Bemerkungen (162f.). - Siehe auch R.s Brief an Acton, 10. 2. 63 (NBrr 426).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Französische Geschichte‘

Das politische Testament Richelieu’s. Abh. (u. später Ed.) - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 163-168; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 187-193. Ebd. 191f „Text des ursprünglichen Testamentum politicum“; 3C-Aufl. (1878), 224-231.

Ueber die Correspondenz des Cardinal Mazarin. Abh. - Siehe Lesung Kgl. Akad. d. Wiss. - FranzG V 1C-Aufl. (1861), 168-172; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 193-197; 3C-Aufl. (1878), 231-236.

Ueber den Antheil Mazarins an dem Aufruhr von Neapel im Jahre 1647. Abh. - Siehe Lesung Kgl. Akad. d. Wiss. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 172-186; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 197-209; 3C-Aufl. (1878), 236-250.

Zur Kritik der Memoiren des jüngeren Brienne. Abh. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 186-191; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 209-212; 3CAufl. (1878), 251-255.

Ueber einige Momente der Geschichte der Fronde und die Memoiren des Cardinals Retz. Abh. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 191-207; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 213-226; 3CAufl. (1878), 255-272.

Barricades de Paris et folies parisiennes. Ed. mit Vorb. - FranzG V, 1. Aufl. (1861), 207-217; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 226235; 3C-Aufl. (1878), 272-281.

Schreiben der Minister über die Fronde. Ed. mit Vorb.. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 217-223; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 235-240; 3C-Aufl. (1878), 281-287.

Dritter Abschnitt. Aus den spätern venetianischen Relationen. Abh., z. T. mit editor. Einschaltungen (aus 1637-1723). - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 224-266; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 273-337; 3C-Aufl. (1878), 326-401.

Vierter Abschnitt. Mittheilungen nach Deutschland. 1. Aus dem Brandenburgischen Archiv. Ed. mit Vorb. - Ab der [3D]-Aufl. u. d. T.: [Ezechiel] „Spanheim, Mémoire sur les conjonctures de 1688“. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 267-279; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 240251; 3C-Aufl. (1878), 287-299.

2. Aus dem Hannoverschen Archiv. Briefe der Herzogin von Orleans, Elisabeth Charlotte, an die Kurfürstin Sophie von Hannover. Ed. mit Vorb. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 280-442. - FranzG VI, [3D]-Aufl. (1870) [Bandtitel]: „Briefe der Herzogin von Orleans“; 4D-Aufl. (1877) [Bandtitel]: „Briefe der Herzogin von Orleans. Zweite Auflage“; 3C-Aufl. (1879) [Innentitel]: „Aus den Briefen der Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans an die Churfürstin Sophie von Hannover.“ - Die Slg. enthält auch Briefe ihres Ehemannes, Hzg.s Philipp v. Orléans.

Schluß. Ueber die Memoiren des Duc de Saint-Simon. Abh. - Siehe Lesung Kgl. Akad. d. Wiss. - FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 443-469; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 251-272; 3C-Aufl. (1878), 299-325.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘

Ueber die Versammlung der französischen Notabeln im Jahre 1787 vornehmlich aus noch unbenutzten Documenten der Pariser Archive. Abh. - Erstdr. 1846 unter II/1.2. - 1846 auch selbst. erschienen; s. ferner unter II/6.2 - Dritt-, Viert- u. Fünftdr.: FranzG V, 1C-Aufl. (1861) - ; [3D]-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 338-374; 3C-Aufl. (1878), 402-447.

* Englische Geschichte v o r n e h m l i c h i m s e c h s z e h n t e n [sic] u n d s i e b z e h n t e n J a h r h u n d e r t [1. Auflage] > 7 Bde, Bln. [Bd. 1-3], Lpz.[ab Bd. 4]: D. u. H. 1859-1868. Gr. 8º. 1. Bd. 1859. [II], XVIII, 606 S. - 2. Bd. 1860. VI, 569 S. - 3. Bd. 1861. IV, 584 S. - 4. Bd. 1863. VI, 496 S. - 5. Bd. 1865. VI, 604 S. - 6. Bd. 1866. VI, 582 S. - 7. Bd. 1868. VI, 153; 199 [Anhang I]; 193 [Anhang II]; 119 S. [Reg. zu Bd. 1-7]. Es existieren Exemplare mit und ohne Reg. Dieses ist selbständig 1869 erschienen (vgl. The National Union Catalog Pre-Imprints, Bd. 481, 184 u. books.google.de) und wurde gelegentlich beigebunden. Dafür spricht auch, daß es im Inhaltsverzeichnis des 7. Bd.s nicht aufgeführt ist. Pauli beklagte, daß EnglG I „in Text und Anmerkungen durch so viele Druckfehler verunziert“ sei (Pauli/Heinrich VIII (1860), 105, A. 1). - Der 7. Bd. enthält eine verwirrende, so nicht zitierfähige dreifache Paginierung (s. u. Analekten), welche von R später aufgegeben wurde.

Für die Geschichte Englands hatte Ranke bereits 1826 im Zusammenhang mit der von Friedrich Perthes betriebenen ‚Geschichte der europäischen Staaten‘, hg. von A. H. L. Heeren und F. A. Ukert, ein besonderes Interesse gezeigt: „Hier finde ich eine in stetigem Fortgang begriffene, selbst durch die heftigsten inneren Stürme niemals von ihrer Bahn verschlagene, zur großartigsten Entwickelung gediehene Nazion; die immer im Gefühl ihrer Einheit geblieben, deren Kraft durch keine moderne Revolution gebrochen worden ist. Hier glaube ich durch alle Jahrhunderte den ächten germanischen Menschen, voll Gefühl für Zucht und Frömmigkeit, mehr tapfer als listig, fleißig, bedachtsam, und geschickt wiederzufinden.“ (An Perthes, 20. 3. 26, Oncken/1922, 90). Im Laufe seiner späteren Englandreisen vertiefte sich dieser Eindruck noch: 1862 schrieb er aus London: „ich bewundere England mehr als jemals“ (an CvR, [Aug.] 1862, SW 53/54, 418). - Auch gegenüber dem Berliner Times-Korrespondenten äußerte er sich in einem längeren Gespräch anläßlich seines 90. Geburtstages über Englands Entwicklung und weltumfassende Macht mit großem Enthusiasmus, „as a phenomenon unique in the annals of the human race“ ([Anonym]: Leopold von Ranke. In: The Times, Lnd., Montag, 4. Jan. 1886, 3). - Um auf Perthes’ Vorschlag von 1826 zurückzukommen: Ranke nahm zugunsten südlicher Thematik zunächst Abstand von diesem frühen nördlichen Unternehmen, das von Johann Martin Lappenberg mit zwei Bänden (Geschichte von England, 1834, 1837) aufgenommen, sodann von Reinhold Pauli mit den Bänden III-V (1853-58) fortgeführt wurde. Rankes thematische Verbundenheit wird spätestens 1840 wieder vernehmbar in der Berliner Akademie, als er ‚Über die kirchlichen Unternehmungen König Heinrichs VIII. von England‘ vorträgt (s. II/6.2). Zu Rankes Werk gehören längerwährende, mehrfach aufgenommene Archivstudien. So weilte er von März bis Juli 1857 in England. Von Mitte August bis Anfang - 68 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘

Oktober 1861 findet man ihn auf einer Archivreise nach den Haag und Paris. Im Haag versuchte er u. a. Einblick zu tun in damals noch nicht veröffentlichte Teile der von Groen van Prinsterer (1835-1861) unternommenen Sammlung von Korrespondenz des Hauses Oranien-Nassau (an Groen van Prinsterer, 11. 8. 61, Stupperich/1934, 561), wobei ihn vor allem die Korrespondenz seit 1675 interessierte, die er 1865 in seinem fünften Band behandeln sollte. Für das noch geplante London reichte die Zeit damals nicht aus. Dies holte er nach in einer Archivreise von 1862, welche von Mai bis September dauerte und ihn vor allem nach Paris und London führte. Auch seine 1865 unternommenen Arbeiten in den Sammlungen von Sir Thomas Phillipps (1792-1872) in Cheltenham sind zu nennen - „werthvolle staatsmännische Correspondenzen ... stuartsche Papiere, Notizen zur Parlamentsgeschichte, sogar die Kriegsgeschichte geht nicht leer aus“ (Noorden/1867, 122) -, wohingegen sich im Customhouse und Castle in Dublin nur wenig finden ließ (an CvR, 13. 7. 65, SW 53/54). Sehr allgemein gehalten sind in seiner Vorrede einige Andeutungen über benutzte Quellen (XIII-XV), englische aus dem State Paper Office und dem British Museum - hierin besonders Flugschriften der Zeit - nicht zuletzt auch die Finalrelationen und fortlaufenden Berichte, v. a. zum 17. Jahrhundert - aus dem venezianischen Archiv. Eine wichtige Quelle waren für Ranke die regelmäßigen Berichte der beiden Brüder Bonnet, brandenburgische Residenten in London (dazu Noorden/1867, 122-124). Unter den von Muir/1983 beschriebenen 430 Mss. überwiegend venezianischer Relationen der Ranke Manuscript Collection/Syracuse, Abschriften des 18. und 19. Jahrhunderts, werden lediglich fünf mit direktem Bezug zu seiner ‚Englischen Geschichte‘ (Bd. II) nachgewiesen (254, 297-299, 318). - Auch wurde auf verschiedene Entwürfe zur Einleitung des Werkes in Rankes Nachlaß der SBB PK aufmerksam gemacht (Berg/1968, 70 m. A. 15). Die 1974 durch Zukauf herbeigeführte Ergänzung des Bestandes enthält auch ein 250seitiges Konvolut Materialien zu Rankes ‚Englischer Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert‘ mit eigenhändigen Notizen und 8 Seiten von seiner Hand (s. II/2.2). - Mit Recht wurde auf die „lebendige Wechselwirkung“ von „Vorlesung und Forschungsarbeit“ (Berg/1968, 69) und, wie man hinzufügen muß, von geschichtlicher Darstellung aufmerksam gemacht, die bei Rankes Werk wohl nur im Falle seines englischen Engagements in dieser zeitlichen Dichte wirksam war. Während der Abfassungszeit gehören auch Lesungen der Jahre 1861 bis 1867 in der Berliner Akademie dazu. Eine Ergänzung der Rankeschen Darstellung der „constitutionellen Principien der Religionsgesellschaften“ aus den kirchenrechtlichen Urkunden der Zeit versuchte Hans Delbrück (1876, 2). - Auf einige fehlerhafte Einzelheiten machte Reinhold Pauli aufmerksam (Pauli: Heinrich VIII./1860, 103f.). - Auf kleinere Versehen wies Samuel Rawson Gardiner im Zusammenhang mit einer Besprechung des Werkes hin (Gardiner/1875, 286), die bei einer kritischen Edition, sofern eine solche jemals ins Auge gefaßt werden sollte, berücksichtigt werden können. Dies gilt auch für Hinweise in der Besprechung von Edward Augustus Freeman ([Freeman:] Ranke’s History of England/1875, 431f., 463f.; s. I/279, 289-291). - Für Lorenz’ unerfüllte Zuarbeit s. II, 77. Bei der Lektüre des ersten Bandes zeigte sich Kg. Maximilian II. v. Bayern, überhaupt einer der eifrigsten Leser Rankescher Werke, bezeichnenderweise interessiert an der mit Kap. 6 „Ein Blick auf die Literatur der Epoche“ zusammenhängenden Frage nach den „für literarische und künstlerische Produktion günstigsten Epochen“, welche Ranke in seinem Brief vom 26. 11. 59 (SW 53/54, 404) zu beantworten suchte. - 69 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘

Die Vorrede Rankes stellt eine hochabstrakte Betrachtung der englischen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts dar, einer Epoche religiös-politischer Kämpfe, welche in Rankes Sicht durch ihre in die Geschichte der Menschheit besonders eingreifende Wirksamkeit eine größere universale Wichtigkeit erlangte als jeder andere Zeitraum (IVf.). Dem schließen sich, wie bereits in seiner ‚Französischen Geschichte‘, Gedanken über die unterschiedliche Lage eines einheimischen und eines fremden Autors gegenüber einer bestimmten Nationalgeschichte an (XIf.). Darin eine später selten bemerkte freundliche Anspielung auf den im Erscheinungsjahr verstorbenen Macaulay und seine vielgelobte, weitverbreitete ‚History of England‘. - In Rankes Vorrede deuten sich im übrigen einige wesentliche Elemente seiner Geschichtsanschauung in flüchtiger Form an - so: „alles ist allgemeines und individuelles geistiges Leben“ (IX) oder die Betonung des Kampfes der „großen einander entgegengesetzten Intentionen“ (X), nicht zuletzt über das Verhältnis von Historiker und Politiker (XI). Die Vorrede schließt mit dem selbstbewußten Satz: „Ein historisches Werk kann zum Zweck haben, entweder eine neue Auffassung des schon Bekannten aufzustellen, oder noch unbekannte Informationen über die Thatsachen mitzutheilen. Ich versuche beides zu vereinigen.“ (XVI). Als erster Satz des 5. Buches tritt eine Äußerung Rankes auf, die nicht allein im Bereich der Ranke-Literatur, sondern auch darüber hinaus in der gesamten Geschichtswissenschaft zu den meistzitierten, meistdiskutierten und überhaupt berühmtesten gehört. Dabei bleiben nahezu ausnahmslos die beiden entscheidenden Einschränkungen „wünschte“ und „gleichsam“ - unbeachtet, welche der optativischen Aussage bewußt eine rhetorische Irrealität verleihen und den meisten Diskussionen bereits den Boden entziehen: „Ich wünschte mein Selbst gleichsam auszulöschen, und nur die Dinge reden, die mächtigen Kräfte erscheinen zu lassen, die im Laufe der Jahrhunderte mit und durch einander entsprungen und erstarkt, nunmehr gegen einander aufstanden und in einen Kampf geriethen, der, indem er sich in blutigen und schrecklichen Schlägen entlud, zugleich für die wichtigsten Fragen der europäischen Welt eine Entscheidung in sich trug.“ (3). In diesem Zusammenhang ist eine kaum beachtete paradoxe Äußerung Rankes in einem Brief an seinen Bruder Heinrich zu sehen: „Dann erst lebt man, wenn man von sich selber nichts weiß.“ (5. 5. 27, SW 53/54, 167). 1. Band [Vorrede, unbetitelt] (III-XVI). Erstes Buch. Welthistorische Momente der früheren Geschichte von England. (1-118). [Fünf Kapitel. Bezeichnung hier und im Folgenden entfallen:] Briten, Römer, Angelsachsen. - Uebergang der angelsächsischen Krone auf Normannen und Plantagenets. - Die Krone im Kampfe mit Kirche und Magnaten. - Begründung der parlamentarischen Verfassung. - Absetzung Richard’s II. und das Haus Lancaster. Zweites Buch. Versuche einer abgesonderten Consolidation des Königreichs in weltlicher und geistlicher Beziehung. (119-286). [Acht Kapitel:] Herstellung der höchsten Gewalt. - Abwandelungen in der europäischen Stellung. - Ursprung der Ehescheidungsfrage. - Schisma der englischen Kirche. - Entgegengesetzte Richtungen innerhalb des schismatischen Staates. - Religiöse Reform in der englischen Kirche. - Uebergang der Regierung an eine katholische Fürstin. Katholisch-spanische Regierung. Drittes Buch. Königin Elisabeth. Verwickelung englischer und schottischer Ereignisse. (287470). [Sieben Kapitel:] Thronbesteigung Elisabeths. Durchführung der Reformation. - Grundzüge der Reformation in Schottland. - Maria Stuart in Schottland. Verhältniß der beiden Königin-

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘ nen. - Verflechtung der allgemeinen politisch-religiösen Irrungen. - Katastrophe Maria Stuarts. Unüberwindliche Armada. - Spätere Jahre der Königin Elisabeth. Viertes Buch. Begründung des großbritannischen Reiches. Erste Gährungen unter den Stuarts. Ansicht der englischen Geschichte in den ersten sechs Decennien des achtzehnten Jahrhunderts. (471-606). [Sechs Kapitel:] Jacob VI. in Schottland; seine Thronbesteigung in England. - Die ersten Schritte der neuen Regierung. - Die Pulververschwörung und ihre Folgen. - Auswärtige Politik in den nächsten zehn Jahren. - Parlament von 1610 und von 1614. - Ein Blick auf die Literatur der Epoche. 2. Band Fünftes Buch. Parlamentarische Irrungen in den späteren Jahren Jacobs I. und den früheren Carls I. (1-156). [Neun Kapitel:] Jacob I. und sein Verhältniß zur inneren Regierung. - Pfälzische Verwickelungen. - Parlament vom Jahre 1621. - Unterhandlung über die Vermählung des Prinzen von Wales mit einer spanischen Infantin. - Parlament von 1624. Verbindung mit Frankreich. - Regierungsantritt Carls I. und seine beiden ersten Parlamente. - Momente der auswärtigen Politik. 1625-1627. - Parlament von 1628. Petition of right. - Ermordung Buckinghams. Parlamentssitzung von 1629. Sechstes Buch. Unparlamentarische Regierung in England. Unruhen in Schottland (157-298. [Sieben Kapitel:] Friede mit Frankreich und mit Spanien. - Theilnahme an den Ereignissen des deutschen und allgemeinen Krieges 1630-1636. - Monarchische Tendenzen der inneren Verwaltung. - Gegensätze der Zeit und des britannischen Reiches. - Ursprung und Ausbruch kirchlicher Unruhen in Schottland. - Covenant der Schotten. - Vermittelungsversuche; unabhängige Kirchenversammlung. Siebentes Buch. Verflechtung der schottischen Irrungen mit den englischen und den allgemeinen. (299-412). [Sechs Kapitel:] Kriegszug Carls I. gegen Schottland. - Verhältniß der Höfe von England und Frankreich und ihrer Politik. - Beziehungen zu der weimarischen Armee und zur spanischen Flotte unter Oquendo. - Erneuerung der schottischen Irrungen. - Strafford und das kurze Parlament. - Die Schotten in England. Achtes Buch. Das lange Parlament und der König bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges. (413560). [Zehn Kapitel:] Berufung des Parlamentes. - Die ersten Sitzungen des Parlaments. - Fortgang der aggressiven Tendenzen im Unterhause. - Versuch einer Reaction. - Hinrichtung Straffords. - Concessionen von der einen, neue Forderungen von der andern Seite. - Carl I. in Schottland. Rebellion in Irland. - Tage der großen Remonstranz. - Bildung einer neuen Verwaltung. Tumultuarische Bewegung in der Hauptstadt. - Bruch zwischen König und Parlament. 3. Band Neuntes Buch. Bürgerkrieg in England. 1642-1646. (1-154). [Fünf Kapitel:] Ursprung des Bürgerkrieges. - Waffengang von 1642 und 1643. - Erneuerte Theilnahme der Schotten. Feldzug von 1644. - Uebergewicht der Schotten. Umbildung der englischen Armee. - Feldzug von 1645. Zehntes Buch. Independenten und Presbyterianer. Katastrophe des Königs. (155-304). [Sechs Kapitel:] Flucht des Königs zu den Schotten. - Carl I. zu Newcastle. - Das Parlament und die Armee im Kampfe. - Einwirkung der Agitatoren. - Der sogenannte zweite Bürgerkrieg. - Untergang des Königs. Elftes Buch. Republik in England 1649-1653. (305-431). [Sechs Kapitel:] Republikanische Ideen und Einrichtungen in England. - Levellers. - Rinuccini und Cromwell in Irland. - Carl II. und Cromwell in Schottland. - Machtstellung der Republik zu Land und See. - Zersprengen des langen Parlaments. - Das kleine Parlament. Zwölftes Buch. Das Protectorat Oliver Cromwells. 1653-1658. (433-584). [Acht Kapitel:] Oliver Cromwell und seine Erhebung zum Protectorat. - Gesandtschaft nach Schweden. Friede mit

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘ Holland. - Das Parlament von 1654. - Militärische Regierung, religiöse Toleranz. - Bruch mit Spanien. - Parlament von 1656. Idee eines cromwellischen Königthums. - Allgemeine Stellung des Protectorats nach Innen und Außen 1657 und 1658. - Ausgang Oliver Cromwells. 4. Band Dreizehntes Buch. Untergang des Protectorats und der Republik. Herstellung des Königthums. 1658-1660. (3-122). [Sieben Kapitel:] Versuch einer Fortsetzung des Protectorats. - Versuch einer neuen republikanischen Combination. - Royalistische Bewegungen im Sommer 1659. Uebergewicht und Verfassungsentwürfe der Armee. - Lambert und Monk. Herstellung des Rumpfparlaments. - Antirepublikanische Bewegung. Monk in der City. - Zurückberufung des Königs. Vierzehntes Buch. Die ersten fünf Jahre unter Carl II. Restauration der anglicanischen Kirche. (123-256) [Sieben „Capitel“:] Bedingungen und Anfänge der Regierung Carls II. - Das Conventionsparlament im Sommer 1660. - Beziehungen der äußern Politik. Vermählungen in der königlichen Familie. - Religiöse Irrungen. Krönung. Neue Wahlen. - Die beiden ersten Jahre des langen Parlaments der Restauration. Uniformitätsbill. - Verhältniß zu Frankreich. Verkauf von Dünkirchen. - Ein Entwurf zur Wiedervereinigung mit Rom. Anspruch auf dispensirende Gewalt. Persönliche Verhältnisse in Hof und Staat. Fünfzehntes Buch. Die holländischen Kriege Carls II.; Festsetzung des protestantisch-parlamentarischen Charakters der Verfassung. 1664-1674. (257-496). [Zwölf Kapitel:] Der erste Krieg mit Holland im Jahre 1665. - Einwirkungen von Frankreich auf den Fortgang des Krieges und den Frieden. - Der Fall des Lordkanzlers Clarendon. - Convention im Haag vom Januar 1668. Tripleallianz. - Regierung und Parlament im Jahre 1668. - Geheime Allianz mit Frankreich. 1669-1670. - Parlamentssitzungen von 1669-1671. - Der zweite Krieg gegen Holland 1672. - Ursprung der Testacte. - Friede mit Holland. - Verbindung des Parlaments mit dem Prinzen von Oranien. Bewegung in der Literatur. 5. Band Sechszehntes Buch. Die späteren Jahre Carls II. 1675-1685. Whigs und Tories. (1-274). [Ein weiteres Zwischentitelblatt lautet: „Sechszehntes Buch. Parlament und äußere Politik 1675-1681. Begründung der Whigpartei.“ - Dies entspricht nicht dem Inhaltsverz.]. [Zwölf Kapitel:] Parlamentssitzungen von 1675. Anfänge einer neuen Parteibildung. - Vierzehnmonatliche Prorogation; Sitzung des Parlaments von 1677. - Dynastische und politische Allianz Carls II. mit dem Prinzen von Oranien. - Verwickelungen beim Abschluß des Friedens von Nimwegen. Verbindung Ludwigs XIV. mit der parlamentarischen Opposition in England. - Denunciation einer jesuitischen Verschwörung. Letzte Sitzung des Parlaments der Restauration. - Parlament von 1679. - Intervall des Parlaments. 1679-80. - Parlamentssitzung im Jahre 1680. - Parlament zu Oxford, März 1680/81. - Gegensatz zwischen dem Prinzen von Oranien und dem Herzog von York. - Reaction gegen die Whigs. Ryehouse-plot und die Hinrichtung W. Russels. - Ausgang der Regierung Carls II. Siebzehntes Buch. Regierung Jacobs II. (Februar 1685-September 1688.) (275-474) [Sieben Kapitel:] Thronbesteigung und erste Sitzungen eines neuen Parlaments. - Abwehr der Emigrirten. Spätere Sitzungen des Parlaments. - Erklärung des Dispensationsrechtes; kirchliche Commission. - Der König und William Penn. Indulgenz-Erklärung. - Prozeß der Bischöfe; weitere Entwürfe. Achtzehntes Buch. Katastrophe Jacobs II. in ihrem Zusammenhang mit den europäischen Conflicten im Spätjahr 1688. (475-604) [Fünf Kapitel:] Verhältniß Jacobs II. zu dem römischen Hof und den Irrungen der continentalen Mächte. - Der Prinz von Oranien und die protestantischepiscopale Partei in England. - Vorbereitungen und deutsche Allianzen des Prinzen von Oranien. - Unsichere Haltung der englischen Regierung; Landung des Prinzen. - Entscheidung in England; Flucht Jacobs II.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘ 6. Band Neunzehntes Buch. Durchführung der Revolution in den drei Reichen. 1688-1691. (1-182). [Zehn Kapitel:] Wilhelm III. in London. Berufung einer Convention. - Erste Sitzungen der Convention. Debatten über die Erledigung des Thrones. - Erhebung des Prinzen von Oranien auf den englischen Thron. Constitutionelle Beschränkungen der Krone. - Jacob II. mit französischer Hülfe in Irland. - Dundee in dem schottischen Hochlande. - Kriegsereignisse in Irland im Jahre 1689. - Entzweiungen im Conventionsparlament. - Auflösung des Conventionsparlaments. Erste Sitzungen des Parlaments von 1690. - Der Hof zu Dublin. Die französische Marine im Gegensatz mit der englischen. - Entscheidung in Irland. Die Schlacht an der Boyne. Zwanzigstes Buch. Wilhelm III. und das Parlament im Kriege gegen Frankreich 1690-1697. (183-379). [Elf Kapitel:] Bildung der großen Allianz. Anfang und Charakter des Krieges. Wilhelm III. im Jahre 1691. Reduction von Irland. - Parlamentarische Bewilligungen. Glencoe. Der Krieg in den Jahren [!] 1692, 3. Schlacht von La Hogue. - Tories und Whigs in den Sitzungen von 1692 und 1693. - Staatsschulden und Bank von England. Feldzug von 1694. - Parlamentarische Verhandlungen in der Sitzung von 1694/95. Tod der Königin Maria. - Feldzug von 1695. Parlament von 1695/1696. - Jacobitisch-französische Landungspläne; das Attentat vom Jahre 1696. - Association. Die beiden Banken. Vortheil der Whigs. - Friede zu Ryswijk. Einundzwanzigstes Buch. Die späteren Jahre der Regierung Wilhelms III. 1697-1702. (381-582). [Zehn Kapitel:] Verhältniß von Frankreich und England nach dem Frieden. Partitionsverträge. Parlamentarische Verhandlungen in der Sitzung von 1697/98. - Reduction der Armee in der Sitzung von 1698/99. - Modificationen in Hof und Staat. Zurücknahme der Landverleihungen in Irland. 1699/1700. - Zustände in Irland, Schottland, Nordamerica. - Grundlegung und Bedingungen der hannoverschen Successsion. - Umwandlung der europäischen Politik. Die Sitzung des Parlaments von 1701 in dieser Beziehung. - Conflicte der Tories und Whigs. Unterhandlungen mit Frankreich im Frühjahr und Sommer 1701. - Bruch mit Frankreich. Das sechste Parlament Wilhelm’s III. - Constitutionelle Gegensätze zwischen Whigs und Tories. Ausgang Wilhelm’s III. 7. Band Der Band weist, wie oben bemerkt, eine dreifache Paginierung auf. Zwei und zwanzigstes Buch. Ansicht der englischen Geschichte in den ersten sechs Decennien des achtzehnten Jahrhunderts. (1-153). [Vier Kapitel:] Die früheren Regierungsjahre der Königin Anna. - Spätere Jahre der Königin Anna. - Georg I. - Georg II. [Anhang I], (1-199) und [Anhang II], (1-193): „Analekten der englischen Geschichte“. [Anhang I] [Vorrede, unbetitelt] (1-6). Eine versteckte und unbetitelte, aber wichtige Einleitung zu allgemeinen Fragen der „darstellenden Historie“ und der „archivalischen Forschung“. Erster Abschnitt. Urkundliche Erläuterungen einzelner Momente. (6-108). - Zweiter Abschnitt. Zur Kritik der Historiker. (109-199). [Anhang II] Dritter Abschnitt. Zur Geschichte des Krieges in Irland und der Parlamentssitzung von 1694. (168). - Vierter Abschnitt. Aus dem Briefwechsel Wilhelms III. Zu den Einzelheiten s. u. die Analektenübersicht (69-193).

R an seinen Verleger C. Geibel, 4. 2. 71: „Sir Thomas Philipps [recte: Phillipps] in Chettenham [recte: Cheltenham] in England wünscht ein Exemplar des siebenten Bandes der englischen Geschichte zu erhalten, zum Behuf, aus den in seinem Besitz befindlichen Originalen Correcturen hinzuzufügen.“ (Geibel/1886, 25). Wegen der - 73 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘

Quellenbezogenheit dürfte es sich um Bd. VII der 1. Aufl. (1868) gehandelt haben, obgleich der VII. Bd. der 2. Aufl. wie auch deren VIII. Bd. (1870) bereits erschienen waren, die Quellen freilich waren darin nach Bd. VIII verbracht worden. - Zu R.s intensiven Forschungen bei Phillipps ab Ende Juni 1865 und das von seinem Sohn Friduhelm bei diesen Gelegenheiten vorgenommene Kopieren der „alten Berichte über die Sitzungen des House of Commons“ siehe FvR/1903, 192-194. - Siehe auch R. an E. v. Manteuffel, Cheltenham, 3. 7. 65 (NBrr 449). 2. Auflage Englische Geschichte vornehmlich im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert [Ab Bd. III u. d. T.:] Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert > 9 Bände, Lpz.: D. u. H. 1862-1872. Gr. 8º. 1. Bd. 1862. [II], XVIII, 610 S. - 2. Bd. 1865. IV, 569 S. 3. Bd. 1870. VIII, 339 S. - 4. Bd. 1870. VI, 396 S. - 5. Bd. 1871. VI, 374 S. - 6. Bd. 1871. VI, 367 S. - 7. Bd. 1871. VI, 294. - 8. Bd. 1872. VI, 318 S. - 9. Bd. 1872. VI, 369 S.

Titeländerung und Umstellung von 7 auf 9 Bände, wodurch die bisher in Bd. VII enthaltenen Analekten, leicht vermehrt, auf die Bde VIII und IX aufgeteilt wurden. Die mit einem Abstand von fünf bis zehn Jahren auf die Bände I u. II erschienenen Bde III-IX der 2. Aufl. sind Separatabdrucke der SW 16-22 [1. GA.] Die Bände I u. II gelangten erst in 3. Aufl. in die SW [1. GA]; s. unter 3. Aufl. u. unter SW. - Die ersten beiden Bände wurden in gelegentlichen Details revidiert; Aufbau, Buch- und Kapitelüberschriften sowie Umfänge sind beibehalten. Einige nicht inhaltlich begründete satztechnische Verschiebungen ergaben geringe Differenzen der Paginierung. Bei den späteren Bänden 3 bis 9 ist wegen ihrer mit der zweiten Auflage erfolgenden Aufnahme in die ‚Sämmtlichen Werke‘ mit größerem Revisionsertrag zu rechnen. 1. Band [Vorrede, unbetitelt] (III-XVI). Erstes Buch. Welthistorische Momente der früheren Geschichte von England. (1-118). - Zweites Buch. Versuche einer abgesonderten Consolidation des Königreichs in weltlicher und geistlicher Beziehung. (119-288). - Drittes Buch. Königin Elisabeth. Verwickelung englischer und schottischer Ereignisse. (289-474). - Viertes Buch. Begründung des großbritannischen Reiches. Erste Gährungen unter den Stuarts. Ansicht der englischen Geschichte in den ersten sechs Decennien des achtzehnten Jahrhunderts. (475-610). 2. Band Fünftes Buch. Parlamentarische Irrungen in den späteren Jahren Jacobs I. und den früheren Carls I. (1-158). - Sechstes Buch. Unparlamentarische Regierung in England. Unruhen in Schottland (159-304). - Siebentes Buch. Verflechtung der schottischen Irrungen mit den englischen und den allgemeinen. (305-420). - Achtes Buch. Das lange Parlament und der König bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges. (421-583). 3. Band Hier erscheint das 8. Buch aus Band II der 2. Auflage noch einmal, da der Beginn des erst fünf Jahre später erscheinenden Bandes 3 sich vor allem an Band 2 der 3. Auflage anschließen mußte. Dieser endet mit Buch 7.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘ Achtes Buch. Das lange Parlament und der König bis zum Ausbruch des Bürgerkrieges. (1-118). - Neuntes Buch. Bürgerkrieg in England. 1642-1646. (119-228). - Zehntes Buch. Independenten und Presbyterianer. Katastrophe des Königs. (229-339). 4. Band Elftes Buch. Republik in England. 1649-1653. (1-93). - Zwölftes Buch. Das Protectorat Oliver Cromwells. 1653-1658. (94-205). - Dreizehntes Buch. Untergang des Protectorats und der Republik. Herstellung des Königthums. 1658-1660. (207-297). - Vierzehntes Buch. Die ersten fünf Jahre unter Carl II. Restauration der anglicanischen Kirche. (299-396). 5. Band Fünfzehntes Buch. Die holländischen Kriege Carls II; Festsetzung des protestantisch-parlamentarischen Charakters der Verfassung. 1664-1674. (1-175). - Sechzehntes Buch. Die späteren Jahre Carls II. 1675-1685. Whigs und Tories. (177-374). 6. Band Siebzehntes Buch. Regierung Jacobs II. (Februar 1685-September 1688.) (1-143). - Achtzehntes Buch. Katastrophe Jacobs II. in ihrem Zusammenhang mit den europäischen Conflicten im Spätjahr 1688. (145-236). - Neunzehntes Buch. Durchführung der Revolution in den drei Reichen. 1688-1891. (237-367). 7. Band Zwanzigstes Buch. Wilhelm III. und das Parlament im Kriege gegen Frankreich 1690-1697. (1147) - Einundzwanzigstes Buch. Die späteren Jahre der Regierung Wilhelms III. 1697-1702. (149-294). 8. Band Zweiundzwanzigstes Buch. Ansicht der englischen Geschichte in den ersten sechs Decennien des achtzehnten Jahrhunderts. (1-109). Analecten der englischen Geschichte. (111-306). - [Vorrede, unbetitelt] (113-116). Die versteckte, aber wichtige Einleitung zu allgemeinen Fragen der „darstellenden Historie“ und der „archivalischen Forschung“ aus Bd. VII befindet sich nun hier in Bd. VIII. Erster Abschnitt. Urkundliche Erläuterungen einzelner Momente. (117-211). Zweiter Abschnitt. Zur Kritik der Historiker. (212-306). - Fuchs und Bentink. (307-318). Zu den Einzelheiten s. u. die Analektenübersicht. 9. Band [Fortsetzung der Analecten von Bd. VIII] Dritter Abschnitt. Zur Geschichte des Krieges in Irland. [Änderung]. (1-39) I. Berichte des französischen Befehlshabers Grafen Lauzun über den Feldzug von 1690. (1-24) II. Aus dem Tagebuch eines Jacobiten über den Krieg in Irland 1689 und 1690. (24-39). Vierter Abschnitt. Aus den Berichten Friedrich Bonnets an den brandenburgischen Hof. (40-158) Fünfter Abschnitt. Aus dem Briefwechsel Wilhelms III. (159-278) [Korrespondenz mit dem Prince de Waldec, mit Ludwig XIV., vorwiegend aber mit Heinsius.- Zu den Einzelheiten s. u. die Analektenübersicht]. Register zur Englischen Geschichte vornehmlich im 17. [!] Jahrhundert. Neun Bände. (279-369). [Ein Personen-, Orts- und Sachregister].

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘

3. Auflage Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert [Ausgabe letzter Hand der Bände III bis IX]

Zunächst gingen (1870) nur die beiden ersten Bände in eine 3. Auflage und wurden bei Gesamtbestellungen zusammen mit den Bänden III bis IX der 2. Auflage ausgeliefert. Ähnlich geschah es mit den beiden ersten Bänden der 4. Auflage (1877). Sie wurden bei Gesamtbestellung mit den Bänden III bis IX der 3. Auflage geliefert. Allerdings kam es nicht mehr zu einer 4. Auflage letzterer Bände. > 9 Bände, Lpz.: D. u. H. 1870-1879. Gr. 8º, Br. u. in Halbfrz. 1. Bd. 1870. XIV pag. [recte: XVI], 347 S. - 2. Bd. 1870. VI, 405 S. - 3. Bd. 1877. VI, 339 S. - 4. Bd. 1877. VI, 396 S. - 5. Bd. 1877. VI, 374 S. - 6. Bd. 1877. VI, 367 S. - 7. Bd. 1879. VI, 294 S. - 8. Bd. 1879. VI, 318 S. - 9. Bd. 1879. IV, 369 S. Die Bde. I u. II gingen in 3. Auflage als Bde. 14 u. 15 in die SW [1. GA] ein. Die Bde. III-IX gingen in 2. Auflage als Bde. 16-22 in die SW [1. GA] ein. Mit der jeweils höheren Auflage gingen die Bände in die 2. Gesamtausgabe der SW ein.

Editorisch ist zu beachten: Bd. VII der dritten Auflage trägt auf den Titelseiten den Vermerk „Dritte Gesamtausgabe“, in den Bogensignaturen, denen eher Glauben zu schenken ist, jedoch den Vermerk „2. G.-A.“ - Abgesehen von der Unterschiedlichkeit der Paginierung sind sämtliche Überschriften identisch mit der 1. Aufl. Zu beachten ist jedoch die gegenüber den Vorauflagen unterschiedliche Aufteilung der ‚Bücher‘ auf die Bände. Im Gegensatz zu den voraufgehenden Auflagen enthält der I. Bd. der 3. Aufl. nur die ersten drei Bücher, der II. Band nicht die Bücher 5 bis 8, sondern 4 bis 7. Ab dem III. Band entspricht die Aufteilung der Vorauflage. In der unbetitelten Vorrede zu Bd. I findet sich folgender Hinweis R.s: „(Anmerkung zur dritten Ausgabe.) Im Laufe der Forschung und der Arbeit hat die Darstellung des siebzehnten Jahrhunderts einen größeren Umfang gewonnen, als ich ihr anfangs geben zu können gemeint hatte; sie bildet den Hauptinhalt des Werkes, wie es nunmehr vorliegt. Demgemäß habe ich mir das Ungewöhnliche erlaubt, den Titel desselben soweit abzuändern, daß dies sofort angedeutet wird. Von der Darstellung des sechszehnten Jahrhunderts, welche jetzt auf dem Titel unerwähnt bleibt, ist darum nichts weggefallen. Die Geschichte der Stuarts auf dem englischen Throne und Wilhelms III. macht das Hauptgebäude aus; was über die früheren Zeiten, sowie über die späteren mitgetheilt wird, mag, wenn mir diese Vergleichung gestattet ist, den beiden Flügeln eines solchen entsprechen.“ (XIsq., A. 1). 1. Band S. V-XIV: unbetitelte Vorrede. - Erstes Buch. Welthistorische Momente der früheren Geschichte von England (1-86). [3f. unbetitelte Einleitung]. - Zweites Buch. Versuche einer abgesonderten Consolidation des Königreichs in weltlicher und geistlicher Beziehung (87-212). - Drittes Buch. Königin Elisabeth. Verwickelung englischer und schottischer Ereignisse (213-347) [215: Unbetitelte Vorrede]. 2. Band Viertes Buch. Begründung des großbritannischen Reiches. Erste Gährungen unter den Stuarts. (1-99) - Fünftes Buch. Parlamentarische Irrungen in den späteren Jahren Jacobs I und den

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘ früheren Carls I. (101-216). - Sechstes Buch. Unparlamentarische Regierung in England. Unruhen in Schottland. (217-321) - Siebentes Buch. Verflechtung der schottischen Irrungen mit den englischen und den allgemeinen. (323-405).

4. Auflage [Ausgabe letzter Hand der Bände I und II]

> 1. Bd. XIV pag. [XVI], 347 S. Lpz.: D. u. H. 1877 - 2. Bd.. VI, 405 S. Lpz.: D. u. H. 1877 [3. bis 9. Bd. aus der 3. Aufl.]. Separatabdruck von SW 14-22, 2. GA: Bd. 1 u. 2 in 4. Aufl., Bd. 3 - 9 in 3. Aufl.

Analekten der englischen Geschichte [Übersicht über die Auflagen 1 bis 3]

Bemerkenswert ist hier die Besprechung von EnglG VII durch O. Lorenz, in der er den Rankeschen Analekten eine umfangreiche „Anmerkung über Heinrich VIII und Anna Boleyn und einige Briefe Karls II“ hinzufügt, „welche letztere, indem ich sie schon vor einiger Zeit Ranke mitgetheilt habe, wirklich nur durch einen Zufall nicht in seinen Analecten erschienen sind und mit seiner Zustimmung nachgetragen werden sollen.“ (Lorenz/1869, 310). Bei den Briefen handelt es sich um 13 Schreiben Charles’ II. an Ks. Ferdinand III. u. Ks. Leopold I. aus den Jahren 1649-1660 (342-351). Vorrede EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 3-6; EnglG VIII, ²1872, 113-116. Jacob I. in Verbindung mit den der spanischen Monarchie opponirenden Mächten [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 6-11; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 117-122.

Friede zu Susa April 1629 [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 12-19; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 122129.

Katholische Factionen in England [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 19-21; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 129f.

Der englische Hof und Staat im J. 1634 [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 21-25; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 131134.

Verhältniß Carl’s I. zum Römischen Hofe. Berichte [Georgio] Cuneo’s [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 25-32; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 135140.

Verhältniß der französischen Regierung zu dem schottischen Aufruhr [Abh. mit Ed.]. - EnglG VII 1. Aufl. (1868), Anh. I, 32-39; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 141-148.

Verhältniß der Franzosen zu der Opposition in England. 1640, 1641 [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 39-44; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 148153.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘

Französische Missionen 1642-1645 [Abh. mit Ed.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 44-54; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 153-163.

Rathschläge des Earl of Holland [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 55-61; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 163168.

Besorgniß Mazarins vor einer englischen Republik [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 61-67; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 169174.

Antheil der Königin Henriette Marie an den Verhandlungen zu Newcastle [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 68-77; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 174183.

Idee einer Abdankung Carls I. [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 78-82; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 183188.

Correspondenz von und nach Holmby [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 82-93; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 188198.

Rede Cromwell’s 13. April 1657 [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 94-98; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 198202.

Anfänge der restaurirten Regierung [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 98-108; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 202211.

Clarendon [Abh.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 109-136; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 212-241. Siehe dazu Rankes Lesung vor der Kgl. Akademie d. Wiss. zu Bln.

Ueber die autobiographischen Aufzeichnungen König Jacobs II. von England [Abh.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 137-154; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 242-260. Siehe dazu Rs Lesung vor der Kgl. Akademie d. Wiss. zu Bln.

Burnet’s History of his own times [Abh. mit Ed.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. I, 155-199; EnglG VIII, 21872 u. 31879, 261306. - Siehe dazu R.s Lesungen (erste und zweite Abt.) vor der Kgl. Akademie d. Wiss. zu Bln.

Fuchs und Bentink Ed. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868) -; EnglG VIII, 21872 u. ³1879, 307-318. - Enthält die Edition von fünf Aktenstücken aus dem damal. Kgl. Preuß. Staatsarchiv Bln. betr. die „Verschickung Hrn. Geh. Rath von Fuchsz nacher Zelle sc. sc. 1688“). - Erstdr.: Zs. für Preußische Geschichte und Landeskunde, Jg. 2, H. 1, Jan. 1865, 1-15.

Berichte des französischen Befehlshabers Grafen Lauzun über den Feldzug von 1690 [Ed.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. II, 1-25; EnglG IX, 21872 u. 31879, 1-24.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Englische Geschichte‘

Aus dem Tagebuch eines Jacobiten über den Krieg in Irland 1689 und 1690 [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. II, 26-41; EnglG IX, 21872 u. 31879, 24-39.

Aus den Berichten Friedrich Bonnets an den brandenburgischen Hof [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. II, 41-68; EnglG IX, 21872, 40-158. [Erweitert für die Zeit von 1690 bis Nov. 1694]; 31879, 40-158.

Aus dem Briefwechsel Wilhelms III. [Ed. mit Vorb.]. - EnglG VII, 1. Aufl. (1868), Anh. II, 69-193; EnglG IX, 21872 u. 31879, 159278.

Geschichte der Restauration und der Revolution in England Erster Band [Auf dem Haupttitelblatt] Englische Geschichte vornehmlich im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert, Vierter Band. [Auf dem gegenüberstehenden Reihentitelblatt] > Bln., D. u. H. 1865 [VI,] 496 S. Aus dem 13. bis 15. Buch der ‚Englischen Geschichte‘ wurde hier das 1. bis 3 einer Separatausgabe mit eigenem Titel. Sie scherte in verwirrender Weise aus dem normalen Auflagenablauf aus, denn deren 1. Aufl. war noch nicht vollständig erschienen und die 2. schon begonnen. Kleinere Änderungen gegenüber Bd. IV der ersten Aufl. von 1863 sind trotz gleicher Paginierung nicht ausgeschlossen. Die in der 1. Aufl. enthaltenen Bogensignaturen wurden hier jedenfalls entfernt. - Die Angabe in der Verlagsbibliographie von 1998, 150, Erscheinungsjahr 1863, ist unzutreffend. Geschichte der Restauration und der Revolution in England Zweiter Band [Auf dem Haupttitelblatt] Englische Geschichte vornehmlich im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert, Fünfter Band. [Auf dem gegenüberstehenden Reihentitelblatt] > Bln., D. u. H. 1865 [VI,] 604 S. Aus dem 16. bis 18. Buch der ‚Englischen Geschichte‘ wurde hier das 4. bis 6. Kleinere Änderungen gegenüber Bd. V der ersten Aufl. vom selben Jahre sind trotz gleicher Paginierung nicht ausgeschlossen. Die in der 1. Aufl. enthaltenen Bogensignaturen sind auch hier entfernt. Das Titel-Thema - Restauration und Revolution - hätte die Schaffung eines dritten Bandes erforderlich gemacht. Höchstwahrscheinlich wurde die Separatausgabe jedoch nach zwei Bänden abgebrochen. Der dritte Band hätte nicht nur Bd. VI der Erstaufl., sondern auch das 22. Buch von Bd. VII übernehmen müssen. Letzterer erschien jedoch erst 1868. Auch Simon (1998, 150) weist nur den 1. und 2. Bd. der Separatausg. nach, so auch im Bestand das Stadtarchivs Stuttgart. * - 79 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Briefwechsel Fr. d. Gr.‘/‚Zur Dt. Geschichte‘

Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England. Mitgetheilt von > Bln.: Dümmler’s Verlag, jetzt Georg Reimer 1869. 92 S. Gr. 4º. Aus den Abhandlungen der Königl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1868 besonders abgedruckt. Zweitdr. - Siehe II/6.2.3. - Gekürzter Drittdr. mit Titeländerung („Über den Briefwechsel …“) u. weitere Abdrucke in den Auflagen der AuV/ES/1872. - Von Arnold Schaefer (1870) wurden in seiner Besprechung einige wenige Druckfehler und Versehen R.s mitgeteilt. (s. I/303).

* Zur Deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg [1. Auflage] > [A] Lpz.: D. u. H. 1868. VI, 303 S. 8º. Separatabdr. von SW 7, [1. GA]. > [B] Lpz.: D. u. H. 1869 [!]. VI, 303 S. 8º. Separatabdr. von SW 7, [1. GA.]. Beide Expll. Ranke-Archiv, Wiehe. Identische Druckbogen. In beiden Fällen: Bogensignaturen: „v. Ranke’s Werke VII“.

Es ist der erste von sechs zum Zwecke der Vervollständigung seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ in den kommenden Jahren zusammengestellten Sammelbänden. Bei Abh. I handelt es sich um den Zweitdr. einer „in ihrer ursprünglichen Gestalt“ (4) belassenen Abh. der HPZ. Die Formulierung R.s bedeutet indes nicht, dass hier auf jegliche Änderung verzichtet worden wäre. Abh. II und der Anhang sind hingegen Erstdrucke. Sie wurden noch während der Satzarbeiten aufgrund von Archivfunden, die R in Wien und München gemacht hatte, erweitert (Geibel/1886, 8). Im Hinblick auf eine erst in der Zukunft einmal zu Stande zu bringende „allgemeine Sammlung“ der Reichstagsakten erklärt Ranke in seiner unbetitelten Vorrede: „Ich will bei meinen Lebzeiten nur etwas Vorläufiges auch für diese Epoche versuchen, was dann geprüft und nach Befinden angenommen oder näher bestimmt werden mag. Mir lagen dabei die brandenburgischen Acten, vor allem die Relationes der Reichstagsbevollmächtigten in großem Umfang vor.“ (105, A 1). - R hatte zunächst erwogen, dem Band eine Abhandlung „über Wallenstein und seine Katastrophe“ beizugeben. Diese wurde jedoch mit offensichtlich nicht erwartetem beträchtlichem Umfang 1869 als selbständiges Werk zum Erscheinen gebracht und gelangte erst später, in 3. Aufl., in die SW. In der Syracuse Ms-Collection befinden sich zwei Mss. in Abschrr. d. 19. Jh.s (Muir/1983: Ms. 406 u. 407), die ‚ristretto‘/‚einziehung‘ des Card. Melchior Klesl (11 S.) und eine Relazion zu 1610 (20 S.), welche mit ‚Zur deutschen Geschichte‘ in direktem Zusammenhang stehen. Beide enthalten zudem Notizen Rankes. I. Ueber die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II. (Bruchstück von Betrachtungen über die deutsche Geschichte) (1-97). [Unbetitelte Vorrede]. - Wirkung des Religionsfriedens. - Von den Bedingungen des Friedens. Innere Lage der deutschen Politik. - Persönliche Verhältnisse der deutschen Fürsten. - Ferdinand I. - Zustand des Landes. - Was zur Erhaltung der Ruhe von Deutschland erforderlich war. Erwartungen von Maximilian II. - Theologische Entzweiung. - Unternehmungen Maximilians. Veränderte Stellung Maximilians. - Von den Landeskirchen und dem Anfange der Herstellung des Katholicismus. - Verhandlungen von 1575 und 1576. - Schluß.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Zur Deutschen Geschichte‘

II. Zur Reichsgeschichte. Von der Wahl Rudolfs II. bis zur Wahl Ferdinands II. 1575-1619 ( 99-265). [Unbetitelte Vorrede]. - Erster Abschnitt. Zur Geschichte der Reichstage unter Kaiser Rudolf II. (106-175): Erinnerungen an die letzten Reichsverhandlungen unter Maximilian II. - Reichstag zu Augsburg von 1582. - Reichstag von 1594. - Reichstag von 1597. - Reichstag von 1603. Reichstag von 1608. Union und Liga. Zweiter Abschnitt. Uebergang des Kaiserthums von der ältern Linie des deutschen Hauses Oestreich auf die jüngere (176-265): Kaiser Rudolf II. - Wahl des Kaisers Matthias und die Wahlcapitulation von 1612. - Vermittelnde Tendenz der kaiserlichen Regierung. Klesel. Reichstag zu Regensburg 1613. - Composition und Succession. - Kaiserwahl von 1619. Anhang. Auswahl erläuternder Actenstücke (266-303). - Siehe unten.

2. Auflage [Ausgabe letzter Hand] > Lpz.: D. u. H. 1874. IV, 303 S. 8º. Separatabdruck von SW 7, 2. GA Die 2. Auflage ist in Überschriften und Paginierung identisch mit der Vorauflage.

Anhang. Auswahl erläuternder Actenstücke I. Denkschrift über die magdeburgischen Sessionsansprüche an die evangelischen Stände, 11. Mai 1594 ZDtG 1. Aufl. 1868/69 und 2. Aufl. 1874, 266-272.

II. Der Kay. Maytt. Resolution in puncto sessionis, 15. Jul. Ao. 94 ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 272f.

III. Aus der churbrandenburgischen Instruction für den Reichstag von 1603. ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 273-276.

IV. Aus dem Schlußbericht von Pruckmanns Hand über den Reichstag von 1608. ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 276-281.

V. Berichte über den kaiserlichen Hof ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 281-287.

VI. Aus dem Wahltags-Protocoll von 1612,

über die in der Verfassung nothwendigen Veränderungen ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 288-294.

VII. Aus dem Volumen: Relationes vom Reichstage zu Regenspurgk Anno1613 ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 294-297.

VIII. Aus der Instruction des Administrator Christian Wilhelm für seine Abgeordneten an

den kaiserlichen Hof. 1616 ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 297-300.

IX. Aus dem Volumen: Originalrelationes vom Wahltage zu Frankfurt am Main 1619 ZDtG 1. Aufl. 1868/69 u. 2. Aufl. 1874, 300-303.

3. Auflage posthum 1888 * - 81 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Geschichte Wallensteins‘

Geschichte Wallensteins [1. Auflage] > Lpz.: D. u. H. 1869. XII, 532 S. 8º. Die Erstauflage erschien am 1. Juni 1869 (Geibel/1886, 5, A. 1).

Ranke hatte sich bereits während seiner Pfortaer Schulzeit mit ‚Wallenstein‘ in Schillers Darstellung und allgemein bei „ei, qui historiam rerum, ut vere actae sunt, scribunt“ befaßt (Henz/1968, 431, auch 349). - Der erste oder zumindest sehr frühe Gedanke Rankes an eine eigene Wallenstein-Darstellung findet sich in einem Brief an Friedrich Perthes, 4. 3. 31 (NBrr 143), nachdem er sich im September des Vorjahres Friedrich von Gentz gegenüber abträglich über die „Wallensteiniade“ Friedrich Försters (1791-1868. Von diesem zunächst: Albrechts von Wallenstein, des Herzogs von Friedland und Mecklenburg, ungedruckte, eigenhändige vertrauliche Briefe und amtliche Schreiben aus den Jahren 1627 bis 1634 ..., 3 Teile, Bln. 1828/29) geäußert hatte (Wittichen, P./1904, 87). Ranke gedachte seine „Wallensteinsche Geschichte“ (NBrr.143) - schon hier ist nicht von einer ‚Biographie‘ die Rede - nach Einblick in Papiere der Münchener Bibliothek und in der Erkenntnis, daß „der gute Förster... von dem Wesentlichen derselben wenig Kunde gehabt“ habe, in einer von ihm geplanten Sammlung ‚causes célèbres‘ unterzubringen (ebd.). Dazu kam es nicht. - Über die benutzten Archive bzw. Bestände und sein Verhältnis zur Wallenstein-Literatur läßt sich Ranke im Vorwort seines Werkes nur sehr allgemein aus. Darunter hebt er neben schwedischen Archiven, Wien, Paris, Brüssel und Dresden besonders die „aus den münchener Archiven stammenden Mittheilungen und Papiere“ hervor: „umfassend und von hohem Werth“ (4. Aufl., VII). Für die spätere Entstehungsgeschichte des Werkes ist Rankes Brief an den Prager Professor und Wallenstein-Forscher Anton Gindely, 30. 12. 68, von Interesse (s. II/267). Zum Werk vgl. mehrere mit dem Jahr 1857 bereits sehr früh einsetzende Lesungen Rankes in der Kgl. Akademie der Wissenschaften zu Berlin (II/6.2.2). Siehe auch seine abgelegenere Wallenstein-Darstellung in FranzG II, 10. Buch, 4. Kap. ‚Erste Besitzergreifungen der Franzosen in Deutschland. Verhältniß zu Wallenstein‘ (425-447), zuerst 1854 erschienen. Die Vorrede enthält bedeutende Bemerkungen u. a. zum Verhältnis von Biographie und allgemeiner Geschichtsschreibung sowie zur Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte. Vorrede (V-IX). - [Es folgen 15 „Capitel“:] Emporkommen Wallensteins in den österreichischen Erblanden (1-25). - Antheil Wallensteins an den Ereignissen der Jahre 1625 und 1626 (26-67). Reichsverhältnisse. Ueberwältigung Dänemarks (68-100). - Feldzug von 1628. Politische Umwandlung in Norddeutschland (101-143). - Epoche des Restitutionsedictes (144-177). - Churfürstentag von 1630. Abdankung Wallensteins (178-214). - Wiedereintritt Wallensteins (215241). - Wallenstein und Gustav Adolf (242-272). - Friedensentwürfe in der ersten Hälfte des Jahres 1633 (273-290). - Einwirkung der europäischen Verhältnisse (291-319). - Kriegsereignisse des Spätjahres 1633 (320-338). - Wallenstein und die Spanier (339-372). - Absicht einer autonomen Erhebung (373-401). - Offener Bruch zwischen dem Kaiser und dem General (402427). - Katastrophe Wallensteins (428-456). Analekten zur Geschichte der Katastrophe Wallensteins (457-532). Siehe unten.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Geschichte Wallensteins‘

2. Auflage > Lpz.: D. u. H. 1870. XII, 532 S. 8º. Paginierung u. Überschrr. des Werkes sind identisch mit denen der 1. Aufl. Die Korrekturen betreffen i. w. Druckfehler. Die Korrektur dürfte, wie von R vorgesehen, von Carl Platner gelesen worden sein. Siehe Geibel/1886, 5f. u. 15, der von „unveränderter Auflage“ spricht (5, A. 1). 3. Auflage > Lpz.: D. u. H. 1872. X, 371 S. 8º. Separatabdr. von SW 23 [1. GA]. Das Werk wurde bei seiner Aufnahme in die SW revidiert. Die den Aufbau konstituierenden Überschriften der 15 „Capitel“ sind unverändert, jedoch ist eine neue Paginierung eingetreten. 4. Auflage [Ausgabe letzter Hand]

> Lpz.: D. u. H. 1880. X, 371 S. 8º. Separatabdr. von SW 23, 2. GA. Paginierung und Überschriften des Werkes sind identisch mit denen der 3. Aufl., doch sind nach Josef Pekař: Wallenstein 1630-1634. Tragödie einer Verschwörung 1937, Bd. II, 14, A. 88 „die späteren Auflagen, z. B. die vierte von 1886 ... in Text und Anm. aus neuen Veröffentlichungen ergänzt“. Dies trifft z. B. zu für das 9. Kap der 4. Aufl., in dem (191 u. 195f.) Quellenstücke aus Hermann Hallwich: Wallensteins Ende/1879, I u. II zitiert werden. - Auch einige wenige stilistische Änderungen sind festzustellen (z. B. 197). Übrigens wurde die posthume 6., durchges. Aufl. (Lpz.: D. u. H. 1910) lt. Vorb. mit Korrekturen von Hallwich versehen. Analekten zur Geschichte der Katastrophe Wallensteins [Übersicht über die Auflagen 1-4]

Einleitung 1. u. 2. Aufl. (1869, 1870), 459-463; 3. u. 4. Aufl. (1872, 1880), 317-320.

Bemerkungen über Khevenhiller und die Quellen seines Berichtes [Abh.] 1. u. 2. Aufl. (1869, 1870), 464-505; 3. u. 4. Aufl. (1872, 1880), 321-349.

Aus den sächsischen Verhandlungen [Ed.] 1. u. 2. Aufl. (1869, 1870), 506-523; 3. u. 4. Aufl. (1872, 1880), 350-364.

Aus den spanischen Papieren in Brüssel [Ed.] 1. u. 2. Aufl. (1869, 1870), 524-532; 3. u. 4. Aufl. (1872, 1880), 365-371.

5. u. 6. Auflage posthum 1895 und 1910 *

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘

Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges [1. Auflage] [Als selbständige Schrift Ausgabe letzter Hand. Man beachte jedoch ZGÖuP]

> Lpz.: D. u. H. 1871. X, 272 S. Gr. 8º. Ranke hatte das dem Verlag bereits zugesandte Ms. - nach Wiedemann das letzte ganz eigenhändige - in der ersten Jahreshälfte 1870 niedergeschrieben (Wiedemann V/1892, 350), wegen neuer Recherchen im Wiener Staatsarchiv (Okt. 1870) wieder zurückgezogen, dann aber (ebd. I/1891, 168) nur noch an einer einzigen Stelle eine Überarbeitung bzw. Erweiterung vorgenommen (in der 1. Aufl. des Werkes S. 24, Z. 4 bis S. 30, Z. 7). Dies zeigt, daß der von Otto von Ranke vermittelte Eindruck, das Werk sei unmittelbar durch den Krieg von 1870 ausgelöst worden (OvR/Juli 1923, 14), unzutreffend ist (siehe auch unten im Vorwort: „Vollendung“). Zutreffend ist hingegen seine Bemerkung, Ranke sei „für seinen König, für das Preußenheer, für das Vaterland ... mit großer Begeisterung“ eingetreten (ebd.). Das Werk gelangte in selbständiger Form nicht in die SW. Siehe unten Zweitdr. Ranke hatte im August 1870 erwogen, den Titel mit dem Zusatz „Das zehnte Buch der preußischen Geschichte“ zu versehen (Geibel/1886, 19). Im Dezember des Jahres sollte es indes den Reihen- oder Untertitel führen „Zur preußischen Geschichte I[.] Heft“ (Geibel/1886, 23). „Es würde dann ein zweites ähnlichen Inhalts, auf den Ursprung des Revolutionskrieges bezügliches folgen können.“ (Ebd.). Diese Konzeption kam jedoch weder in dem einen noch in dem anderen Fall zum Tragen. Zum Werk bzw. Thema siehe mehrere Lesungen Rankes in der Kgl. Akad. d. Wiss zu Berlin, so am 13. 12. 55; 27. 3. 62; 8. 8. 70. - Eine größere Zahl hsl. Karten betr. die Hauptschlachten des Siebenjährigen Krieges findet sich bei Rankes Handschriftensammlung in Syracuse (Brogan, Pace, Weinberger/1953, 11). Ranke im Vorw. (V): „Ich darf nicht verschweigen, daß die Vollendung und Herausgabe der vorliegenden Schrift mit den Zeitereignissen zusammenhängt. Sie war nicht allein schon längst entworfen, sondern in der Hauptsache ausgearbeitet, in akademischen Kreisen mitgetheilt und bereits einmal öffentlich vorgetragen [s. II/6.2], doch kannte ich ihre Mängel zu gut, um nicht noch Anstand zu nehmen, sie durch den Druck der Welt vorzulegen. Nach dem Ausbruche des Krieges von 1870 nun traten Tage und Wochen ein, in denen es unmöglich wurde, die Aufmerksamkeit auf etwas Anderes zu richten, es hätte denn in einem nahen Zusammenhange damit gestanden. Angesichts der obschwebenden, die Geschicke Deutschlands und Europa’s umfassenden Entscheidung, die aus dem von Frankreich an Preußen erklärten Kriege entspringen mußte, wandte sich der Blick des Historikers auf die Begebenheiten älterer Zeit zurück, welche diesen Zusammenstoß vorbereitet hatten …“ (VII): „Ich darf nun wohl wagen, die Schrift, wie sie nunmehr geworden ist, der Oeffentlichkeit zu übergeben; den großen Ereignissen und Handlungen des letzten Jahres bringe ich mit derselben meinen Tribut dar.“ Vorwort (V-VII). [15 „Capitel“, Bezeichnung hier entfallen:] Rückblick auf die schlesischen Kriege und den Frieden von Aachen (1-17). - Englisch-französische Interessen und ihre allgemeine Einwirkung. Ausbruch des Seekriegs (18-32). - Differenzen zwischen Oesterreich und England (33-54). Föderatives Verhältniß von Frankreich i. J. 1755 (55-68). - Erwägungen des Königs von Preußen

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die deutschen Mächte‘ (69-79). - Preußisch-englischer Neutralitätsvertrag für Deutschland (80-91). - Der Herzog von Nivernois in Berlin (92-107). - Momente der Verständigung zwischen Oesterreich und Frankreich (108-123). - Rußland in seiner Beziehung zu der großen Allianz und zu Preußen (124-140). - Fernere Verhandlungen zwischen Frankreich und Oesterreich im März und April 1756 (141155). - Allianzvertrag von Versailles (156-167). - Rückwirkung des Tractats von Versailles auf England und auf Rußland (168-180). - Verhandlung über den geheimen Tractat gegen Preußen (181-193). - Preußisch-englische Politik in dieser Zeit (194-208). - Entgegengesetzte Pläne. Ausbruch des Krieges (209-234). Analekten (235-272).

[Zweitdr.:] Unter Aufgabe des Charakters einer selbst. Schrift aufgenommen in: ZGÖuP (SW 30), 61-270. Analekten Preußische Manifeste [Abh.] USK, 237-248; ZGÖuP, 239-248

Aeußerungen Friedrichs II. Ergänzungen [Abh. mit Ed.] USK, 248-257; ZGÖuP, 248-257

Valori [Abh. über die Memoiren des Marquis Guy-Louis-Henry de Valori] USK, 257-263; ZGÖuP, 258-263

Bei seinem Paris-Aufenthalt Mitte 1843 war R im Archiv der Auswärtigen Angelegenheiten, dem François Mignet vorstand, auf die nicht gänzlich unbekannten Briefe des französischen Gesandten bei Friedrich d. Gr. gestoßen. Sie boten ihm einen „Reichthum an originalen Mittheilungen über Preußen“, aus denen er umfangreiche Auszüge machte (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 73). Duclos [Abh. über Charles Duclos: Histoire des causes de la guerre de 1756] USK, 263-272 ; ZGÖuP, 263-270 *

Die deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790 [1. Auflage] > 2 Bände. Lpz.: D. u. H. 1871, 1872. 8º. 1. Bd. 1871. X, 407 S. - 2. Bd. 1872. VIII, 388 S.

Ranke kündigte das Werk seinem Verleger mit Schreiben vom 26. 4. 70 an (Geibel/ 1886, 18f.). Es war zu diesem Zeitpunkt „nicht allein begonnen, sondern bereits ziemlich weit fortgeschritten“ (Wiedemann I/1891, 167f.). Das „ganze Manuscript“, soweit davon bei Ranke gesprochen werden kann, übersandte er dem Verlag bald nach Rückkehr aus Wien und Einarbeitung des dort - „sehr bedeutend“ - Gefundenen mit Brief vom 24. 10. 70 (Geibel/1886, 22). Bereits 1867 hatte er sich konkret mit der Thematik befaßt und in einem Schreiben vom 11. Sept. an Franz von Löher zur Vorbereitung von Arbeiten im Münchener Archiv bestimmte Fragestellungen formuliert (NBrr 500). Er - 85 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die deutschen Mächte‘

stellte sodann einen formellen Antrag an das Staatsministerium des Kgl. Hauses und des Äußeren und bat um Einsicht in die Akten des Geh. Staats-Archivs „über das Projekt eines Austausches zwischen den Niederlanden und Bayern, welches den nächsten Anlaß zum Fürstenbunde von 1785 gab“. Sein Antrag wurde aufgrund eines Votums von Karl Maria Frhr. v. Aretin abgelehnt (BayHStA MA 72432). Daraufhin wandte sich R sogleich nach Weimar, um sich ins Großherzogliche Archiv zu begeben (R an Grhz. Karl Alexander v. Sachsen-Weimar-Eisenach, [24. 5. 71], NBrr 554). Im Vorwort des Werkes gibt Ranke allgemeine Hinweise auf seine Benutzung des Preußischen und des Österreichischen Staatsarchivs. Für seine Wünsche an letzteres ist ein Brief vom 21. 10. 69 an dessen Vorstand, Alfred Ritter v. Arneth - wie er Mitglied der Historischen Kommission - aufschlußreich: „Das Wesentlichste sind die Vorlagen des Fürsten Kaunitz über die Allianz mit Rußland noch unter Maria Theresia vor der Reise des Kaisers und sodann diejenigen Vorlagen, welche im Jahre 1790 zur Wiederannäherung an Preußen führten.“ ... „Aus dem Archiv des Reichserzkanzlers, über dessen Politik ich anderweit gut unterrichtet bin, würde ich hauptsächlich nur etwa über den Briefwechsel, den er mit seinem Bruder, dem Bischof von Würzburg, unmittelbar vor dem Fürstenbunde gepflogen hat, zuverlässige Notiz zu erhalten wünschen.“ Seine Wünsche präzisierte und erweiterte er in bezeichnenderWeise auf einem beiliegenden Zettel: „1. Vorlagen von Kaunitz, die sich auf die mit Rußland zu schließende Allianz (1779, 1780) und auf die mit Preußen zu treffenden Vereinbarungen (1790-92) beziehen; 2. die Actenstücke des reichserzkanzlerischen Archivs 1780-1792; 3. Ansicht [nicht: Einsicht] der venezianischen Dispacci für diese Epoche.“ (ÖStA, Abt. HH; NBrr 532). In weiteren Briefen an Arneth dehnte er seine Suche aus: „Ich möchte nur noch anfragen, ob nicht noch über den Congreß von Reichenbach Mittheilungen zwischen Leopold und Kaunitz gewechselt worden sind ...“ (30. 11. 69, ÖStA, Abt. HH; NBrr 536) und letztlich in einem Brief vom April 1870, in dem er sich für Anträge interessiert, die Friedrich von den beiden Kaiserhöfen auf eine zweite Teilung Polens gemacht worden sein könnten (ÖStA, Abt. HH; dort auch Übersicht über die kopierten Akten, s. NBrr 540). Darüber hinaus bemerkt er in seinem Vorwort: „Die Theilnahme der Reichsfürsten an den allgemeinen Angelegenheiten lernte ich aus dem braunschweigischen, vornehmlich aber aus dem hiefür unschätzbaren weimarischen Archive kennen. Für andere Fragen konnte ich die niederländischen Archive consultiren.“ (VII). Rudloff wies anläßlich einer Besprechung ebenfalls auf die Bedeutung des weimarischen Archivs hin, als „Fundgrube für die Privat-Correspondenzen der Herzoge von Gotha und von Weimar sowie des Fürsten von Dessau, von denen noch mehr, als der Verfasser mittheilen kann, der Veröffentlichung würdig wäre.“( R[u]dl[o]ff/1871, 453). In einem Dedikationsbrief an Ks. Wilhelm I. vom 4. 12. 71 gestand Ranke: „Ich schmeichle mir, die Geschichte der Politik weiland Sr. Majestät König Friedrich Wilhelms des Zweiten besser in das Licht gestellt zu haben, als es bisher geschehen war. Ich folge damit der mir einst von Ew. Majestät zuteil gewordenen ehrenvollen Aufforderung, meine Kräfte wieder der vaterländischen Geschichte zu widmen. In diesem Bestreben bin ich glücklich genug gewesen, um über die Motive des Siebenjährigen Krieges einige neue Mitteilungen machen zu können.“ (NBrr 568). Der 2. Band erschien bereits im November 1871, wie sich aus einem Brief Rankes an Edwin von Manteuffel ergibt (24. 11. 71, NBrr 566), worin er diesen auch besonders auf „einige interessante fürstliche Briefe“ in den Analekten aufmerksam macht. - 86 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Die deutschen Mächte‘

Das „Vorwort“ des 1. Bd.s beginnt: „Ich lege der deutschen Nation ein Stück ihrer Geschichte vor, das an unsre Zeiten nahe heranreicht, aber wie mir scheint noch nicht genügend bekannt ist.“ (V). - Er sieht es als seine Aufgabe an, die unmittelbar vor der Französischen Revolution bestehenden „inneren Conflicte“ der Nation „in Beziehung auf die Gesammtverfassung“ ins Auge zu fassen. (VI). - Ranke schließt das Vorwort mit Sätzen, welche eine seiner wenigen Hauptaussagen zum Thema ‚Objektivität‘ und ‚Unparteilichkeit‘ bilden: „Unmöglich wäre es, unter allen den Kämpfen der Macht und der Ideen, welche die größten Entscheidungen in sich tragen, keine Meinung darüber zu haben. Dabei kann aber doch das Wesen der Unparteilichkeit gewahrt bleiben. Denn dies besteht nur darin, daß man die agirenden Mächte in ihrer Stellung anerkennt, und die einer jeden eigenthümlichen Beziehungen würdigt. Man sieht sie in ihrem besonderen Selbst erscheinen, einander gegenübertreten, und mit einander ringen; in diesem Gegensatz vollziehen sich die Begebenheiten und die weltbeherrschenden Geschicke. Objectivität ist zugleich Unparteilichkeit“ (III). Erster Band Vorwort (V-VIII) [Kap. 1-19. Bezeichnung hier entfallen:] Ansicht der Verhältnisse zwischen Preußen und Oesterreich von 1769 bis 1779 (1-33) - Eine Debatte vom Reichstag zu Regensburg. Sein Stillstand (34-47) - Erste Regierungshandlungen Josephs II. (48-69) - Verhältniß zum Papstthum (70-90) Regungen der Selbständigkeit unter den Reichsfürsten (91-115) - Ein Wort von der deutschen Literatur in kirchlicher und nationaler Beziehung (116-128) - Allianz zwischen Oesterreich und Rußland (129-149) - Orientalische Verwickelungen 1782-84. Russische Erwerbung. Oesterreichische Entwürfe (150-169) - Aufenthalt des Kaisers in Italien. Verhandlung in München (170186) - Streitigkeiten mit Holland; Rückwirkung auf das Verhältniß zu Frankreich und zu Baiern (187-206) - Ursprung und Einleitung des Fürstenbundes (207-222) - Abschluß des Fürstenbundes (223-240) - Momente der allgemeinen Lage. Politik Friedrichs II. in seinen letzten Lebensjahren (241-269) - Regierungsantritt Friedrich Wilhelms II. (270-291) - Gedanke einer Aussöhnung zwischen Oesterreich und Preußen. Ansichten Hertzbergs (292-307) - Einschaltung über die Irrungen in Holland (308-325) - Feldzug in Holland (326-355) - Befestigung des Fürstenbundes. Coadjutorwahlen (356-380) - Ideen einer Reichsreform im Fürstenbunde. Belebung des Reichstags (381-388). Zweiter Band [Kap. 20-30. Bezeichnung hier entfallen:] Ausbruch des Krieges zwischen Rußland und der Pforte (1-18) - Belgische Unruhen im Jahre 1787 (19-39) - Momente des Türkenkrieges im Jahre 1788 (40-56) - Bündniß zwischen Preußen und England. Europäische Stellung Friedrich Wilhelms II. (57-76) - Die Tripleallianz und die beiden Kaiserhöfe im Jahre 1789 (77-93) - Bruch zwischen Kaiser Joseph und den Ständen in den österreichischen Niederlanden (94-111) - Abfall der österreichischen Niederlande (112-136) - Lebensende Josephs II. (137-161) - Wechsel der politischen Verhältnisse (162-185) - Convention von Reichenbach (186-215) - Kaiserwahl von 1790 (216-234). Analecten. Auswahl aus den Correspondenzen (235-388). Nachtrag zu der Note Bd. I, S. 287 (388). - Zu den Analekten s. u.

„Zweite Ausgabe“ [Ausgabe letzter Hand]

> Lpz.: D. u. H. 1875, XII, 568 S. Gr.8º. Aufgabe der Zweibändigkeit. Als Separatabdruck der SW 31/32, 1. GA nunmehr durchpaginierter Doppelband. - Lag mit demselben Erscheinungsjahr 1875 vor als - 87 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Abhandlungen und Versuche‘

‚Erste‘ und als ‚Erste und zweite Gesammtausgabe‘ der ‚Sämmtlichen Werke‘. Letzteres Expl. Ranke-Archiv Wiehe. Kleinere Textveränderungen zwischen diesen beiden Fassungen sind daher nicht auszuschließen. Der Aufbau der zweiten Auflage ist bei gleichbleibender Abfolge der dreißig Kapitel und Wortlaut der Überschriften gänzlich unverändert. Das von Ranke benutzte und gelobte Gutachten „Mémoire sur la convenance et les moyens d’attacher les Princes Ecclésiastiques d’Allemagne au système de l’Union“, dessen Verfasser er nicht anzugeben vermochte (267, A. 1), stammt von Johannes von Müller (Schib/1967, 154). Analecten. Auswahl aus den Correspondenzen I. Aus dem Kabinet Friedrichs II. [Ed.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872), 237-253; DtMächte 2. Aufl. (1875), 457-467

II. Zu den Anfängen des Fürstenbundes [Ed.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872), 254-285; DtMächte 2. Aufl. (1875), 468-488

III. Aus den Vorträgen des Staatskanzlers Fürsten Kaunitz an den Kaiser [Ed.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872), 286-308; DtMächte 2. Aufl. (1875), 489-503

IV. Zur Fortbildung des Fürstenbundes 1787 [Ed.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872), 309-357; DtMächte 2. Aufl. (1875), 504-535

V. Geheime Artikel des Berliner Vertrages zwischen England und Preußen, 13. August 1788 [Ed.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872), 358-360; DtMächte 2. Aufl. (1875), 536f.

VI. Zeit des Ueberganges der Regierung Josephs II. auf Leopold II., October 1789 bis März 1790 [Ed.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872), 361-375; DtMächte 2. Aufl. (1875), 538-547

VII. Persönlicher Antheil Friedrich Wilhelms an der Convention von Reichenbach [Ed.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872), 376-388; DtMächte 2. Aufl. (1875), 548-556

Beilage. Aus einer geschriebenen Zeitung. Dezember 1786-1787. [Ed. mit kurzer Vorb.]. DtMächte II, 1. Aufl. (1872) - ; DtMächte 2. Aufl. (1875), 556-568. *

A b h a n d l u n g e n u n d V e r s u c h e. Erste Sammlung [1. Auflage] > Lpz.: D. u. H. 1872, VI, 293 S. Gr. 8º. Separatabdr. von SW 24, [1. GA.] Der historisch-politisch geprägte Band stellt das zweite von insgesamt sechs zum Zwecke der Vervollständigung der ‚Sämmtlichen Werke‘ zusammengestellten Sam- 88 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Abhandlungen und Versuche‘

melwerken dar. - Der von Ranke - vermutlich erst während des Drucks - zu spät ins Auge gefasste konkretere Titel ‚Abhandlungen zur allgemeinen und preußischen Geschichte‘ (R an seinen Verleger, 6. 5. 72, Geibel/1886, 34) kam nicht mehr zum Tragen. - Eine weitere Sammlung unter diesem Titel erschien erst posthum als Bd. 51/52 der SW, jedoch nicht als ‚Zweite Sammlung‘, sondern als ‚Abhandlungen und Versuche. Neue Sammlung‘. (Hg. v. Alfred Dove u. Theodor Wiedemann, Lpz.: D. u. H. 1888). Inhalt:

[I.] Die großen Mächte. (Fragment.) (3-40). Mit einem Abstand von fast vierzig Jahren erschien hier zum ersten Mal wieder R.s bedeutende untergegangene Schrift aus der HPZ II/1 (1833), allerdings in veränderter Form: „...nur habe ich mir hier und da kleine stilistische Verbesserungen erlaubt, die den Sinn nicht verändern. Doch hielt ich es für geboten am Schlusse einige Sätze wegzulassen, die dem Streite des Momentes, in dem der Aufsatz erschien, angehören.“ (3, A. 1). II. Zur Kritik Preußischer Memoiren. (41-70). Veränderter Zweitdr. - Dazu bemerkt R (41, A. 1): „Zuerst in den Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1849 erschienen und hier unverändert wiederholt, kleine stilistische Verbesserungen ausgenommen; einige sachliche Zusätze in den Noten sind besonders bezeichnet.“ - Dies betrifft v. a. die Fn. 1 auf 51, wo R das Verhältnis der Schrift ‚Kurzgefaßte Lebens- und Regierungsgeschichte König Friedrich Wilhelms‘ mit der Schrift von David Fassmann (‚Leben und Thaten des ... Königs von Preußen Friderici Wilhemi, 2 Bde, 1735, 1741) kritisch vergleicht. 1. Zur Kritik der historischen Memoiren von Pöllnitz (43-56). Siehe auch R.s Lesung vor der Kgl. Akad. d. Wiss, Bln.

2. Ueber die Glaubwürdigkeit der Memoiren der Markgräfin von Baireuth. (57-70). Siehe auch R.s Lesung vor der Kgl. Akad. d. Wiss, Bln.

Der hier ursprünglich als Anhang vorgesehene HPZ-Art. über die ‚Mémoires d’un homme d’État‘ entfiel (R an seinen Verleger, 6. 5. u. 23. 6. 72, Geibel/1886, 34, 36). Er gelangte erst 1879 in die Analekten der 2. Aufl. von ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘. III. Ueber den Fall des brandenburgischen Ministers Eberhard von Danckelmann. 1697. 1698. (Aus holländischen und vornehmlich englischen Berichten). (71-113). [Erstdr. - Siehe auch Lesung R.s vor der Kgl. Akad. d. Wiss, Bln.]. - [Einl.] 73-92. Auswahl aus den Actenstücken. [Ed.] (93-113). - Die Aktenstücke entstammen teils dem Public Record Office, Lnd., teils dem ‚Archief Heinsius‘, womit die Privatsammlung des Jucundus von der Heim im Haag gemeint sein dürfte (s. R an ER, 3. 10. 69, SW 53/54, 489). IV. Ueber die erste Bearbeitung der Geschichte der schlesischen Kriege von König Friedrich II. (115-171). [Erstdr. - Siehe auch Lesung R.s vor der Kgl. Akad. d. Wiss, Bln.]. - [Einl.] 117-135. Seconde Partie de l’histoire de Brandebourg. [Ed.] (136-171). - Siehe dazu Muir/1983, - 89 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Abhandlungen und Versuche‘

259: Ms. 422. Korr.-Abzüge (95 S.) der ‚Œuvres de Frédéric le Grand‘, Bln. 1846-47, Bd. III mit eighd. Notizen Rankes. V. Ueber den Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Prinzeß Royal von England (173-222). Gekürzter Drittdr. Siehe auch Lesung R.s vor der Kgl. Akad. d. Wiss, Bln. - R bemerkt (173, A. 1): „Zuerst gedruckt in den Abhandlungen der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin 1868. Bei gegenwärtiger Wiederholung hat es rathsam geschienen, nur die wichtigsten Briefe mitzutheilen.“ - Eine Begründung findet sich in einem Brief an seinen Verleger, 25. 4. 72 (Geibel/1886, 33): „weil sie für das große Publikum wenig Interesse darbieten. Ich denke, durch diese Weglassungen wird soviel Raum gewonnen, dass die zurückgelegte Abhandlung ‚Zur Geschichte der politischen Theorien‘ nunmehr in diesen Band aufgenommen werden kann.“ - [Einl.] 175-194. Correspondance de Frédéric le Grand avec le Prince Guillaume IV. d’Orange. [Ed.] (195-215). - [Korrespondenz aus 20. 11. 1735 - 8. 5. 1741]. - Correspondance de Frédéric [le Grand] avec la Princesse Anne douairière d’Orange. [Ed.] (216-222). [Korrespondenz aus 31. 1. 1757 - 30. 12. 1758]. VI. Zur Geschichte der politischen Theorien. (223-266). I. Die Idee der Volkssouveränetät [!] in den Schriften der Jesuiten. Vermehrter Zweitdr. (225-236) des HPZ-Beitrags von 1835 (s. II, 152). Nach R „...mit ergänzenden Zusätzen wiederholt...“ (225, A. 1). II. Zur Geschichte der Doctrin von den drei Staatsgewalten. (237-266). Erstdr. - Siehe auch R.s 1863 gehaltene Lesung vor der Kgl. Akad. d. Wiss, Berlin. Sein später Wunsch, den Abschnitt ‚Zur Geschichte der politischen Theorien‘ an zweiter Stelle, unmittelbar nach den ‚Großen Mächten‘ zu positionieren, „weil er zu dem Allgemeinen gehört, und das Folgende zu dem Preußischen“ (an Geibel, 6. 5. 72, Geibel/1886, 34), konnte wohl wegen des fortgeschrittenen Drucks nicht mehr verwirklicht werden. Anhang. (267-293). De historiae et politices cognatione atque discrimine. Oratio. (269-279). Hier findet sich kein Vermerk über den Erstdr, zumal R in einem Brief an seinen Verleger bemerkt hatte: „Die kleine Schrift ist bisher nie in den Buchhandel gekommen.“ (23. 6. 72, Geibel/1886, 36). Sie ist jedoch Zweitdr. der selbständigen Veröffentlichung von 1836, s. II, 42. Ueber die Verwandtschaft und den Unterschied der Historie und der Politik. Eine Rede zum Antritt der ordentlichen Professur an der Universität zu Berlin im Jahre 1836. (280-293). „Uebersetzung von F[erdinand] R[anke]“ (280, A. 1). 2. Auflage [Ausgabe letzter Hand] > Lpz.: D. u. H. 1877, VI, 293 S. [Satzfehler der letzten Seitenzahl: 239]. Gr. 8º. Separatabdr. von SW 24, 2. GA. - 90 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Briefwechsel Friedr. Wilh.s IV. mit Bunsen‘

Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen „Von [!] Leopold von Ranke“. [1. Auflage] > [A, Große Normalausg.:] Lpz.: D. u. H. 1873. IX, 374 S. Br. u. Geb. Gr. 8º. > [B, Prachtausg. lag nicht vor:] Lpz.: D. u. H. 1873. IX, 374 S. Geb. Gr. 8º. Mit diesem Werk trat Ranke (wie bereits Dove: Friedrich Wilhelm der Vierte/1873, 522 bemerkte), zum ersten Mal seit nahezu vierzig Jahren (HPZ) mit einer Schrift über die jüngste Vergangenheit hervor. Das Werk erschien und wurde Kaiser Wilhelm - als Bruder Friedrich Wilhelms IV. - überreicht am 22. März 1873, seinem Geburtstag (μ/1873, S. 1811). Es handelt sich, wie auch der Titel sagt, nicht um ‚den‘ Briefwechsel, sondern, wie Ranke in einem Brief Bismarck gegenüber erklärte, um einen „Auszug aus demselben“ ([Ende März 1873], NBrr 598). Der Auszug betrifft beide Korrespondenzteile, jedoch erheblich stärker kürzend den umfangreichen Part Bunsens und erstreckt sich über die Jahre 1830 bis 1857. Auch heißt es nicht: „herausgegeben von“, denn die Brieftexte sind in Rankes Darstellung eingefügt. Dove spricht von einem „verbindenden Commentar des überlebenden historischen Freundes“, wobei er mit Recht eine „unparteiische Würdigung seines Helden“ in Frage stellt (D[ove]: Ranke, Leopold v./(1888) 1898, 180). Es wurde hier also nicht die editorisch ‚reine‘ Form gewählt, sondern der üblichen, populären ‚Life and Letters‘-Gattung der Vorzug gegeben, bei der Ranke sich als Autor und Nahestehender mit im Vordergrund halten konnte. Der Briefwechsel ist nicht in strenger chronologischer Abfolge, sondern nach thematischen Gesichtspunkten gegliedert wiedergegeben. Edition und Darstellung standen unter dem Einfluß dreier Friedrich Wilhelm eng verbundener Persönlichkeiten. Zunächst unter dem seiner Witwe Elisabeth, auf deren Anregung das Unternehmen zurückging (Wiedemann I/1891, 172). Ihre ungeduldige Aufklärungsabsicht führte wohl zu dem ungewöhnlich kurzen, wissenschaftlich unzuträglichen Abstand der Edition vom Tod des Monarchen, zumal im Falle persönlichster Dokumente. Nach Darstellung Sybels (Sybel an Baumgarten, 11. 4. 73, NL Sybel) ist Ranke das Werk „durch die Königin-Witwe nach langem Widerstreben abgepreßt worden“. Was Sybel am meisten wunderte, war „die geistige Unbedeutendheit des Königs, die darin zutage tritt.“ (Deutscher Liberalismus II/1926, 77f.). Sodann stand sie unter dem Einfluß des von Friedrich Wilhelm in vielfältiger Weise persönlich, militärisch und diplomatisch eingesetzten Edwin von Manteuffel, der dem Verstorbenen „nicht ohne Sehnsucht zugetan blieb“ (Dove: Manteuffel/(1896) 1898, 235) und nicht zuletzt unter dem des von langjähriger ergebener, tiefer Bewunderung und Verehrung geprägten Ranke. Über dessen persönliche Beziehungen zu Friedrich Wilhelm IV. ist v. a. Reumont (1885, 44f., 150ff., 327, 430, 482) beizuziehen. Diese Nähe hatte zwar den Vorteil informatorisch bereichernder persönlicher Mitwisserschaft, indes auch den Nachteil schonender und schönender Befangenheit. Da konnte es nicht ausbleiben, daß Ranke gegenüber dem Geh.-Rat Heinrich v. Obstfelder die Erklärung abgab: „Ich habe, wie sich versteht, alles zu vermeiden gesucht, was begründeten Anstoß erregen könnte“ (ca. Febr. 1872, FvR V/1904, 55) und - 91 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Briefwechsel Friedr. Wilh.s IV. mit Bunsen‘

dem Chef des preußischen Zivilkabinetts, Karl von Wilmowski versicherte, bei hier betroffenen lebenden Persönlichkeiten editorisch Rücksichtnahme zu üben und auch allzu drastische Ausdrücke Friedrich Wilhelms zu unterdrücken, wenngleich er sich nicht dazu hergeben wolle, „den authentischen Charakter der Publication“ zu schwächen (am oder nach dem 24. 12. 72, FvR V/1904, 57f.). Ähnlich wie im Falle Friedrich Wilhelms II. in Rankes ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘ ging es jedoch auch bei Friedrich Wilhelm IV. aufs Ganze gesehen darum, „sein Gedächtnis für die Nachwelt rein zu erhalten“ (ebd., 57. Siehe auch I/1.6). Der „allgemeinen Strömung, welche gegen die nächste Vergangenheit wieder ungerecht wurde“, suchte Ranke seine Ausgabe entgegenzusetzen (3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875, SW 53/54, 55), obgleich er auch der Meinung war, „daß der Inhalt dem großen Publicum doch nicht gerade sympathisch“ sein werde, ja, daß es an „Widerspruch ... nicht fehlen“ werde. (An Geibel, 17. 10. 72 u. 16. 3. 73, Geibel/1886, 43, 46). Zum Werk sind v. a. die Erinnerungen Wiedemanns (I/1891, 172-177) und der Briefwechsel Rankes mit dem ihm eng befreundeten Edwin von Manteuffel heranzuziehen, etwa aus der Zeit von August 1871 bis Ende Febr. 1873, i. w. veröffentlicht von Dove: Manteuffel (1896 u. 1898) und Hoeft/NBrr (1949). - Aus seiner persönlichen Kenntnis Friedrich Wilhelms IV. und der Akteure seiner Zeit brachte Manteuffel - wie auch später bei der ‚Ansicht des Siebenjährigen Krieges‘ (ZGÖuP 1875) und der Biographie Friedrich Wilhelms IV. (1878) - anhand der ihm permanent übersandten Abzüge eine Vielzahl von Korrekturen und Anregungen bei. (Dazu die Meinecke-Schülerin Schmitz/1921, v. a. 76-92). Die Dovesche Edition der Manteuffel- Briefe wurde jedoch als massiv fehlerhaft und willkürlich bezeichnet (s. II, 274, Schmitz/1921 mit Erstr. eines Briefes M.s an R., 7. 2. 1872). Inhaltlich hervorzuheben: Ranke an Manteuffel, 21. 2. 72, ein Brief, in dem er seinen Dank für die von Manteuffel vorgenommene „Begutachtung“ des Ms.s ausspricht und „Weglassungen“ aus politischer Rücksichtnahme in Erwägung zieht (NBrr 570-572), die in der Tat eingetreten sind; vom 10. 3. 72, in dem der Briefwechsel als „fast unsere gemeinschaftliche Angelegenheit“ bezeichnet wird und auch die Rede ist von dem durch Manteuffel an Friedrich Wilhelm IV. vermittelten Einfluß Rankescher Ideen. (NBrr 572 u. 573). - Zu Bunsen, der, wie auch der damalige Kronprinz Friedrich Wilhelm, Ranke bereits seit seiner ersten italienischen Reise bekannt war, ist v. a. auch Rankes charakterisierender Tagebucheintrag „Bunsen, März 1871“ heranzuziehen (s. II/2.3). Amanuensis Wiedemann erhielt bei Rankes Arbeit am Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen den Auftrag, die Tagebücher Varnhagens durchzusehen, zum einen mit Blick auf das genannte Werk, zum anderen aber auch, um den Namen Rankes darin aufzuspüren (Wiedemann 1892, VI, 103). Beiläufig ist das von Ranke auf S. 5 mit „1792“ angegebene Geburtsdatum Bunsens auf 25. 8. 1791 zu präzisieren. Weitere Fehler sind aus Rankes üblicher Chaotik und anderen ungünstigen Umständen zu befürchten: Das aus den Beständen des Königlichen Hausarchivs erarbeitete Ms. bedurfte der Druckgenehmigung seitens des Preußischen Hofes, welche am 8. 10. 72 erteilt wurde (Wiedemann I/1891, 176). Zuvor hatte die Königinwitwe in einem Brief vom 11. 1. 72 an Alfred von Reumont geurteilt: „Er hat es diktiert, wahrscheinlich sehr schnell mit seiner undeutlichen Aussprache; daher ist er wohl nicht immer von seinem Schreiber verstanden worden. Es ist unbegreiflich schwer zu lesen, dabei auch sehr nachlässig geschrieben, man kann es die meiste Zeit nur erraten“ (Hüffer/1904, 213f.). Wohl daraufhin wurden Rankes Ms.-Hefte von - 92 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Briefwechsel Friedr. Wilh.s IV. mit Bunsen‘

Elisabeths Hofdame, Gfn. Editha Hacke, reingeschrieben. Dies erfüllte E. v. Manteuffel allerdings mit „Angst“. In seinem Brief vom 13. 3. 72 warf er Ranke gegenüber die Frage auf: „Ist sie dem gewachsen? Wie leicht kann ein Verschreiben, ein Nichtrichtigverstehen eines Satzes den größten Unsinn erzeugen! Denn wer steht dafür, daß sie sich nicht berufen glaubt, einige Kraftausdrücke eigenmächtig zu ändern, weil sie denkt, das von ihr gewählte oder an dem Theetisch gesprochene Wort giebt denselben Sinn und ist zarter und weniger anstößig. Ich möchte doch, daß die von Gräfin Editha gemachte Abschrift noch einer genauen Controle unterworfen würde, bevor dieselbe dem Cabinet eingeschickt wird.“ (Dove: Manteuffel/(1896)1898, 249). Ranke hat sich zwar daraufhin für einen neuerlichen Vergleich mit den Originalen eingesetzt (an M., 10. 12. 72, NBrr 587f.). Gleichwohl spricht Dove später von einer „Anzahl unzweifelhafter Lesefehler in den Briefen des Königs“ (Stadler-Labhart/2008, 67f.). Schon Reinhold Pauli waren einige „wenige Versehen ... aufgestossen“ (Pauli/14. 5. 73, 764). Auch anderwärts stellte Dove fest: „Die erste Ausgabe des Briefwechsels enthielt in der That nicht wenige schwere Lesefehler, die später beseitigt worden sind.“ (Dove: Manteuffel/(1896)1898, 249, Anm.), allerdings nicht mehr zu Lebzeiten Rankes. Vgl. die posthume Ausg. in SW 49/50 (1887 s. d.). Dort verbessert, indes wohl nur nach dem einfachen Augenschein und weder nach den Originalvorlagen des Hausministeriums noch in durchgreifender Weise. Für die eigenhändige Ausgabe wurden trotz Rankes Verheißung eines „druckfertigen Manuscripts“ (an Geibel, 17. 10. 72, Geibel/1886, 43) zumindest wieder sieben Korrekturgänge erforderlich (Wiedemann I/1891, 177, A. 1). - In einem nicht abgesandten Brief an Alfred von Reumont, [Jan.? 1874] erwähnt Ranke die Ausgabe des Briefwechsels, „von dem ich bei allen Mängeln der Redaktion doch überzeugt bin, daß er dem öffentlichen Urteil über Friedrich Wilhelm IV. eine andre Wendung gegeben hat.“ (FvR V/1904, 61). Bei Helmolt/1921, 204, A. 252 findet sich der wohl nicht mehr gültige Hinweis: „Das Ms. der von Bismarck mit Bleistift verlangten [!] Änderungen befindet sich im Besitze des Verlags Duncker & Humblot.“ Über diese von Ranke „sorgfältig beachteten“ (R. an Bismarck, Ende März 1873, NBrr 598) Änderungen: Wiedemann I/1891, 176 mit A. 4. - Der einleitende Abschnitt des zeitgeschichtlich bes. bedeutenden und von Ranke mit Fr. W. IV. und Maximilian II. mehrfach erörterten Themas von Kap. XI (‚Orientalische Frage‘) wurde lt. Wiedemann überhaupt „erst bei der siebenten Korrektur des Druckes konzipiert“ (Wiedemann II/1891, 336, A. 3). Siehe auch Rankes Beurteilung der Doveschen Schrift über Friedrich Wilhelm IV. (in II/7.2: Gespräch mit Heinrich Wilhelm Dove 1873). Vorwort (V-VIII). „...man darf mit Mittheilungen hervortreten, welche das Andenken dieses Fürsten, das von den Antipathien, die er bei seinen Lebzeiten erweckte, vielfach verdunkelt ist, in ein helleres Licht stellen und sein Thun und Lassen verständlich machen.“ (Vsq). I. Anfänge der Bekanntschaft und der Correspondenz (1-16). - II. Die Cölner Irrungen (17-39). III. Kirchliche Ideale des Kronprinzen (41-81). - IV. Bisthum Jerusalem. Besuch Friedrich Wilhelms IV. in England (83-105). - V. Begründung einer ständischen Central-Verfassung (107134). - VI. Neuenburger Verwickelung (135-160). - VII. Radicalismus und Liberalismus. Die Ereignisse des Februar und März 1848 (161-198). - VIII. Reichsverfassung (199-252). - IX. Ablehnung der Kaiserkrone (253-286). - X. Herrenhaus. Napoleon III. (287-302) - XI. Orientalische Frage (303-326). - XII. Evangelische Gesichtspunkte des Königs in seinen letzten Jahren (327-362). - Schlußbetrachtung (363-374).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Gedächtnißrede‘/‚Zwölf Bücher Preuß. Gesch.‘

2. Auflage [Ausgabe letzter Hand] > „Zweite, unveränderte Auflage.“ Lpz.: D. u. H. 1874. IX, 238 S. 8º [sogen. ‚Kleine Ausgabe‘]. Br. u. geb. Das Werk wurde wegen seines editorischen Charakters nicht in die SW aufgenommen. Drittdr. posthum, Aufgabe des Charakters einer selbständigen Schrift und „unter Verbesserung einiger Druck- und Lesefehler“ (Dove, XII) in: SW 49/50 (1987), 341-584. * Eine Gedächtnißrede bei Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission gehalten von Leopold von Ranke. [Untertitel:] Maurer. Raumer. Liebig. Stälin. > Bonn: Dr[uck]. von Carl Georgi 1873. 8 S. 8º. (Expl: BayHStA, Sign. M 333). Zweitdr. - Zum Erstdr. und weiteren Drucken s. II/6.5.2.

* Zwölf Bücher Preußischer Geschichte [1. Auflage] > 5 Bände [in 3]. Lpz.: D. u. H. 1874. 8º. Br. u. Geb. Separatabdr. von SW [1. GA.], 25-29. Erscheinungstermin Ende 1873.

Bei diesem Werk handelt es sich um eine überarbeitete, zeitlich erweiterte und um Analekten vermehrte Fassung der ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ von 1847-48. Zur Umgestaltung bemerkt Ranke in der Vorrede von Bd. I/II der 12BPreußG: „An Stelle des ersten Buches der neun Bücher preußischer Geschichte biete ich jetzt vier dar: ich begreife sie unter dem Titel ‚Genesis des preußischen Staates‘; die übrigen acht sind im Allgemeinen geblieben, wie sie von Anfang an entworfen waren; namentlich die sechs letzten, welche den ersten Zeitraum der Geschichte Friedrich des Großen enthalten. Durch die neue Arbeit gelangen sie selbst gleichsam zu einer festeren Substruction und, wie ich hoffe, zu besserem Verständniß.“ (XII). Zur Entstehungsgeschichte liegt eine Einführung von Küntzel in seiner vorgeblich ‚historisch-kritischen Ausgabe‘, Bd. I von 1930 vor: „Die Entstehung der 9 und 12 Bücher Preußischer Geschichte“ (VII-XVIII), „Die 12 Bücher Preußischer Geschichte. Inhalt und Aufbau“ (XIX-LXXII), „Die 9 und 12 Bücher Preußischer Geschichte im Vergleich miteinander“ (LXXII-XCII). Zur Umarbeitung und der damit verbundenen editorischen Problematik bemerkt Küntzel: „Für die ersten vier Bücher ... war eine - 94 -

II/1.1.2 Das Werk - ‚Selbständige Schriften: ‚Gedächtnißrede‘/‚Zwölf Bücher Preuß. Gesch.‘

Textvergleichung im gewöhnlichen Sinne von selbst ausgeschlossen. Hier hat Ranke zumeist mit höchst bemerkenswerter Beibehaltung der Grundgedanken und zunehmend häufig auch des Wortlauts - doch wie ein Künstler gearbeitet, der aus einer Skizze ein großes und farbiges Gemälde schafft ... Aber auch in den folgenden Büchern sind die Umstellungen, Erweiterungen und Änderungen so zahlreich, daß sie in einer schematischen Textvergleichung nicht ohne erheblichen Raumverlust zur Anschauung gebracht werden könnten.“ (12BPreußG/ed. Küntzel III/1930, 490). Treffende Bemerkungen zur Auflagendifferenz finden sich auch bei Wilhelm Mommsen: Zur Bedeutung des Reichsgedankens (1952), 409ff. - Siehe auch unter ‚Neun Bücher Preußischer Geschichte‘ und unter ‚Genesis des preußischen Staates‘. Das Ms. der 12BPreußG wurde - mit Ausnahme der Analekten - Anfang Juli 1873 beendet (Wiedemann II/1891, 322.). Rankes Bemerkung, das Manuskript „für die neue Ausgabe der preußischen Geschichte“ sei bereits am 12. Juli 1872 [!] „geordnet und eingepackt“ worden, „um demnächst zum Druck nach Leipzig abzugehen“ (SW 53/54, 594), dürfte sich lediglich auf den Anfang des Werkes bezogen haben. Bei Übersendung der Manuskripte zum 27., 28. und 29. Bd. der SW schrieb Ranke am 7. 7. 73 an den Verlag: „Der 27te Band ist sehr umgearbeitet, bei weitem weniger der 28te Band. ... Auch den 29ten Band füge ich hinzu, der nur wenige Zusätze erhalten hat und im Ganzen das alte Buch bleibt.“ (Geibel/1886, 49). - Ranke schließt sein Werk (V, 308) mit dem selten beachteten weitreichenden Satz: „Nur in Preußen war eine große zugleich deutsche und europäische Selbständigkeit gegründet, welche das volle Gefühl der Unabhängigkeit seit Jahrhunderten zum ersten Mal wieder in die Gemüther brachte, durchdrungen von dem Stolze, auch in Bezug auf die Weiterbildung der Welt Anderen voranzugehen.“ Zur Nachlaßsituation für dieses Werk, aus damaliger eingeschränkter Sicht, ist Joachimsen: „Bericht über den Nachlaß“. In: 12BPreußG/Küntzel III, 479-485 zu konsultieren, aus neuerer, nach durchgeführter Ordnung der nachgelassenen Handschriften: Siegfried Baur in: kalliope.staatsbibliothek-berlin.de: Sucheinstieg „(Nachlass-)Bestände“: „Ranke, Leopold von“, Segment IV: Preußische Geschichten. - In der Ranke Memorial Library, Syracuse N. Y, soll sich das Küntzel nicht bekannte Ms. der 12BPreußG befunden haben. Es ist jedoch nach einer älteren persönlichen Mitteilung von Eberhard Kessel verschollen. 1. u. 2. B a n d [in 1, durchpaginiert]:

[Erstes bis viertes Buch] Genesis des Preußischen Staates. 1874. XX, 522 S. Separatabdr. von SW 25/26 [1. GA.]. Vorrede der ersten Ausgabe: neun Bücher preußischer Geschichte 1847. (V-IX). - Vorrede der neuen Ausgabe in zwölf Büchern. (X-XII). - [Die Vorrede enthält Äußerungen über allgemeine Fragen historischer Darstellung, etwa, ob eine „bloße Territorialgeschichte“ hätte genügen können.] Eingang (XV-XX). Erstes Buch. Colonisation von Brandenburg und Preußen (1-72). - [3 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Gründung der Mark Brandenburg. - Das Ordensland Preußen - Verhältnisse des Ordenslandes zu Polen, der Mark zu Kaiser und Reich. Zweites Buch. Das Kurhaus Brandenburg vom fünfzehnten bis zum siebzehnten Jahrhundert (73218). - [5 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Kurfürst Friedrich I. Erwerbung der Mark. - Die Kurfürsten Friedrich II. und Albrecht. Erweiterung und Umgrenzung der Mark

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II/1.1.2 Das Werk - ‚Selbständige Schriften: ‚Gedächtnißrede‘/‚Zwölf Bücher Preuß. Gesch.‘ Brandenburg. - Momente der innern Entwickelung. Die Kurfürsten Johann, Joachim I. und Joachim II. - Brandenburg im Gegensatz mit der Restauration des Katholizismus. - Bedrängnisse und Gefahren im Kampfe der beiden Parteien. Georg Wilhelm. Drittes Buch. Der große Kurfürst (219-383). - [6 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Die ersten Regierungsjahre des großen Kurfürsten. Verzicht auf Vorpommern. Territoriale und reichsrechtliche Stellung. Erwerbung der Souveränetät. - Theilnahme an dem schwedisch-dänischen Kriege. Die Stände und das stehende Heer. Weitere Aussichten. Friedrich Wilhelm im Kampfe mit Frankreich und Schweden. - Der Friede von St. Germain und dessen Folgen. - Letzte Jahre des großen Kurfürsten. Viertes Buch. Der erste König (385-496). - [6 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Uebergang der Regierung auf Kurfürst Friedrich III. - Theilnahme Friedrich III. an dem englischdeutschen Kriege gegen Frankreich. 1688 und 1689. - Brandenburg während der Fortsetzung des Krieges und beim Frieden von Ryswyk. - Erwerbung der Krone. - Innere Zustände. - Uebergang der Regierung Friedrich I. auf Friedrich Wilhelm I. Erwerbung von Vorpommern. Politik der späteren Jahre Friedrichs I. Analekten. (497-522). - Siehe die Analektenübersicht unten. 3. u. 4. B a n d [in 1, durchpaginiert]:

Fünftes bis neuntes Buch, 1874. VI, 606 S. 8º. Br. u. Geb. Separatabdruck von SW 27/28 [1. GA.]. Fünftes Buch. Friedrich Wilhelm I. in den Conflicten der europäischen Mächte 1715-1732 (3140). - [5 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Ansicht der Stellung Friedrich Wilhelm[s] I. in den politischen Verwickelungen von 1715-1722. - Pragmatische Sanction. Bündniß von Hannover. - Verträge zu Wusterhausen und zu Berlin. - Frühere Jugend Friedrichs II. Absichten für seine Vermählung. - Fluchtversuch des Kronprinzen und dessen Folgen. Sechstes Buch. Heer und Staat. Die späteren Jahre Friedrich Wilhelms I. (141-246). - [5 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Anwachs und Organisation des Kriegsheeres. Auflösung des Lehnsnexus. - Innere Verwaltung. - Verhalten Friedrich Wilhelms I. in Bezug auf die polnische Throncandidatur 1732. 1733. - Theilnahme Friedrich Wilhelms I. an der Polnischfranzösischen Verwickelung 1733-1735. - Veränderte politische Haltung. Verhandlungen über die Bergische Angelegenheit. Siebentes Buch. Regierungsantritt Friedrichs II. und Beginn seiner Feldzüge (247-356). [5 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Spätere Jugendjahre Friedrichs II. - Erste Regierungshandlungen Friedrich[s] II. im Innern. - Auswärtige Geschäfte in den ersten Monaten. - Ursprung der Unternehmung auf Schlesien. - Besitzergreifung von Schlesien. Achtes Buch. Der erste schlesische Krieg bis zur Verabredung von Kleinschnellendorf, Octbr. 1741 (357-474). [7 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Bruch mit Oesterreich. Politik von Frankreich; dessen Annäherung an Preußen. - Schlesischer Feldzug im Frühjahr 1741. Schlacht von Mollwitz. - Unterhandlungen bis zum Abschluß mit Frankreich. - Schlesischer Feldzug im Sommer 1741. - Ausbruch des österreichischen Erbfolgekrieges. - Unterhandlungen bis zur Verabredung von Kleinschnellendorf. Neuntes Buch. Definitive Erwerbung und neue Einrichtung von Schlesien (475-568). [Unbetitelte Vorrede 475-478]. - [5 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Reichstag zu Ungarn. Franzosen und Baiern in Böhmen. - Friedrich II. in Mähren. - Schlacht von Chotusitz. Präliminarien zu Breslau, Friede zu Berlin. - Einrichtung der preußischen Regierung in Schlesien. Analekten (567-606). s. u.

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II/1.1.2 Das Werk - ‚Selbständige Schriften: ‚Gedächtnißrede‘/‚Zwölf Bücher Preuß. Gesch.‘ 5. Band

Zehntes bis zwölftes Buch, 1874. VI, 370 S. 8º. Br. u. Geb. Separatabdr. von SW 29 [1. GA.]. Zehntes Buch. Friedrich II. und das deutsche Reich. Ursprung neuer Entzweiungen (1-102). [6 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Wahl und Stellung Kaiser Carls VII. - Entwürfe eines Friedens in Deutschland. Säcularisationsprojekte. - Erfolge der österreichisch-englischen Waffen im Jahr 1743. - Haltung des Königs von Preußen im Jahre 1743. - Verhältniß zu den nordischen Mächten. - Offensivbündniß mit Frankreich. Elftes Buch. Der zweite schlesische Krieg (103-218). [7 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Ausbruch des Krieges. - Rückzug aus Böhmen. - Politische Verhältnisse in den ersten Monaten des Jahres 1745. - Feldzug in Schlesien, im Frühjahr 1745. - Umwandlung in der englischen Politik. - Die Armeen in Böhmen. Kaiserwahl. Schlacht bei Soor. - Feldzug in Sachsen, November und December 1745. Zwölftes Buch. Jahre des Friedens (219-308). [5 „Capitel“. Bezeichnung im Folgenden entfallen:] Politik während des Erbfolgekrieges. - Erwerbung von Ostfriesland. - Coccejische Justizreform. - Administration und Armee. - Kirche und Wissenschaften. Register zu zwölf Bücher preußischer Geschichte. Fünf Bände (Leopold v. Ranke’s Sämmtliche Werke XXV-XXIX. Band.) (309-370). Ein Personen-, Orts- und eingeschränktes Sachregister. Es wurde erst separat mit Bd. 30 der SW nachgeliefert, kann daher gelegentlich in Bd. 29 fehlen.

2. Auf lag e [Ausgabe letzter Hand] > 5 Bände [in 3] Lpz.: D. u. H. 1878-1879. Gr. 8º. Br. u. Geb. 1. u. 2. B a n d [in 1]: [Erstes bis viertes Buch] Genesis des Preußischen Staates. Zweite Auflage. 1878. XIV, 522 S. - Separatabdr. von SW 25/26, 2. GA. Analekten s. u. 3. u. 4. B a n d [in 1]: Fünftes bis neuntes Buch, 1879. VI, 607 S. Gr. 8º. Br. u. Geb. Separatabdr. von SW 27/28, 2. GA. Analekten s. u. 5 . B a n d : Zehntes bis zwölftes Buch, 1879. VI, 370 S. Gr. 8º. Br. u. Geb. Separatabdr. von SW 29, 2. GA Weitere Ausgabe posthum: Anastatischer Neudr. 1900. Analekten [der 1. u. 2. Aufl.]

I. Politisches Testament des großen Kurfürsten 1667. [Ed.]. 12BPreußG I/II, 1. u. 2. Aufl. (1874, 1878), 499-517.

II. Entwurf des großen Kurfürsten zur Erwerbung von Schlesien. [Ed.]. 12BPreußG I/II, 1. u. 2. Aufl. (1874, 1878), 518-522.

I. Aus den französischen Correspondenzen, besonders in Bezug auf die Allianz Friedrichs mit Frankreich im Jahre 1741. [Ed. mit kurzer Vorb.] 12BPreußG III/IV, 1. Aufl. (1874), 569-593. - 2. Aufl. 1879, 571-594.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Genesis‘/‚Oesterreich und Preußen‘

II. Nachträglich zum dritten Buche. Ueber Chemnitz und Pufendorf, mit einigen Bemerkungen zur Schlacht von Fehrbellin [Abh.]. 12BPreußG III/IV, 1. Aufl. (1874), 594-606. - 2. Aufl. (1879), 595-607. - Siehe auch Lesung R.s vor der Kgl. Akad. d. Wiss, Berlin.

* Genesis des preußischen Staates. Vier Bücher preußischer Geschichte [1. Auflage] > [1 Bd.] Lpz.: D. u. H. 1874. XIV, 522 S. Gr. 8º. Br. u. geb. Die Auslieferung des Werkes begann im November 1873. - Die ‚Genesis des preußischen Staates‘ erschien gleichzeitig in drei Ausgaben: in den SW als Bd. 25/26, als Separatabdruck der SW und als eigenständige Publikation in Form eines Separatabdrucks des Separatabdrucks. Der Untertitel ‚Vier Bücher preußischer Geschichte‘ findet sich nur in letzterem. Die vier Bücher treten an die Stelle des ersten Buches der neun Bücher (siehe dort und unter 12BPreußG). Nach Wiedemann stellen sie „nicht allein eine Umarbeitung, sondern im wesentlichen eine völlige Neuschöpfung“ dar (Wiedemann I/1891, 177). R an E. v. Manteuffel, 10. 7. 72: „die Einleitung zu den ‚Neun Büchern Preußischer Geschichte‘ habe ich zu einem neuen Buche ausgearbeitet, das demnächst gedruckt werden soll. Ich habe die Genesis des Staats bis zum Großen Kurfürsten mir selbst und andern verständlich zu machen gesucht ...“ (NBrr 580). Abgesehen von den abweichend gezählten römischen Titelei-Seiten ist die ‚Genesis‘ einschließlich der Analekten identisch mit den ersten vier Büchern der ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte‘. 2. Auflage 1878. Siehe oben 12BPreußG. * Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg [1. Auflage. Ausgabe letzter Hand] > [A] Lpz.: D. u. H. 1875. VIII, 383 S. [384 unpag.] 8º. Br. u. geb. Separatabdr. von SW 30. 1. u. 2. GA. [Angaben zur GA finden sich lediglich in den Bogensignaturen, nicht in der Titelei]. Expl. Ranke-Archiv Wiehe. > [B] Lpz.: D. u. H. [auf Haupttitelblatt:] 1875; [auf dem gegenüberstehenden Reihentitelbl. der Sämmtlichen Werke:] 1877. VIII, 383 S. [384 unpag.] Gr. 8º. Br. u. geb. [Dort auch Vermerk: „Zweite Gesammtausgabe“ (Expl.: Inst. f. Europ. Gesch., Mainz)] Separatabdr. von SW 30, 2. GA. > [C] Lpz.: D. u. H. 1875. VIII, 383 S. [384 unpag.] Gr. 8º. Br. u. geb. Separatabdr. von SW 30, „Dritte Gesamtausgabe“ [so auf Reihentitelbl., in den Bogensignaturen allerdings: „1. u. 2. Gesammt-Ausg.“] Expl. Ranke-Archiv Wiehe. - 98 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Genesis‘/‚Oesterreich und Preußen‘

Es ist der dritte für die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ zusammengestellte Sammelband und enthält wiederum Altes und Neues, diesmal in recht kohärenter Thematik. Inhalt:

Maria Theresia, ihr Staat und ihr Hof im Jahre 1755. A u s d e n P a p i e r e n d e s G r o ß k a n z l e r s F ü r s t (1-60) Ausgabe letzter Hd. - Zweitdr. von HPZ II/4 (1836), 667-740. - „Meine Absicht ist nun, ihren wesentlichen Inhalt in dem folgenden Aufsatze wiederzugeben“ (5). - „So schrieb ich im Jahre 1836 … Ihre Angaben sind durch Alles, was später mitgetheilt wurde, bestätigt worden.“ (6). „Note. A. Agenda des Directorii in Publicis et Cameralibus …, B. Agenda deren Justiz Stellen in denen K. K. Erb Landen.“ [Ed.] (58-60).

D e r U r s p r u n g d e s s i e b e n j ä h r i g e n K r i e g e s (61-270) Ausgabe letzter Hd. - Zweitdr. in nicht selbständiger Form. Erstdr. 1871 selbständig erschienen als USK. Zum Darstellungsinhalt siehe dort. Vorw. (63f.), beginnend: „Ich darf nicht verschweigen, daß die Vollendung und Herausgabe der vorliegenden Schrift mit den Zeitereignissen zusammenhängt.“ Endend mit: „…den großen Ereignissen und Handlungen des letzten Jahres bringe ich mit derselben meinen Tribut dar.“ Analekten (237-270). Siehe dazu unter USK.

A n s i c h t d e s s i e b e n j ä h r i g e n K r i e g e s (271-383) [Erstdruck und Ausgabe letzter Hand]

Einem Brief Rankes an seinen Bruder Heinrich zufolge (27. 11. 75, NBrr 627) entstand die Schrift im Sommer 1874. Bei ihr hat Ranke, wie sein Amanuense Paul Bailleu berichtet, „bereits keine Aktenstücke mehr benutzt, sondern nur noch gedruckte Materialien, mit Vorliebe den Briefwechsel König Friedrichs des Großen mit seinem Bruder, dem Prinzen Heinrich, und Arneths Geschichte Maria Theresias [10 Bde, Wien 1863-1879].“ (P[aul] B[ailleu]: Leopold v. Ranke/1895, 1f.). - R hat General-Feldmarschall E. v. Manteuffel als militärischem Fachmann die Druckfahnen zur Korrektur vorgelegt. Siehe dazu M. an R, 3. 8. 75 (Dove: Manteuffel/(1896)1898, 271). Dem Wunsch Rankes, diesen Aufsatz auch in selbständiger Buchform „nicht in sieben, sondern etwa in vierzehn Bogen, elegant gedruckt … besonders ins Publicum zu bringen“ (Brief vom 18. 10. 75, Geibel/1886, 81) scheint der Verleger ausnahmsweise einmal nicht entsprochen zu haben. Unbetitelte Vorrede über Vorgänger in der Darstellung (273f.). I. Invasion in Sachsen (275-281). - II. Umgestaltung der politischen Verhältnisse in den ersten Monaten von 1757 (282-294). - III. Angriff auf Böhmen (295-306). - IV. Vertheidigung Sachsens gegen Frankreich und Schlesiens gegen Oesterreich (307-317). - V. Annahme englischer Subsidien (318-325). - VI. Feldzüge von 1758 und 1759 (326-338). - VII. Abwandlung der politischen Verhältnisse in den Jahren 1758 und 1759 (339-352). - VIII. Feldzüge von 1760 und 1761 (353-367). - IX. Wechsel in den politischen Verhältnissen (368-374). - X. Pacificationen (375-383). Zwei kurze Schlachtberichte Friedrichs aus dem Jahre 1757 [Ed.: I. Roßbach, II. Leuthen]. Unpag. 384).

Weitere Auflagen sind nicht nachgewiesen * - 99 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Revolutionskriege‘

Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792 [1. Auflage] > Lpz.: D. u. H. 1875. X, 379 S. 8º. Br. u. geb. Vorrede (V-VII). - Einleitende Bemerkung. (1-6). - [Es folgen 12 „Capitel“. Bezeichnung entfallen:] - Abwandelung der Verhältnisse Preußens zu Oesterreich, Englands zu Rußland (728). - Ansicht der französischen Revolution (29-77). - Erste Verwickelungen der revolutionären Zustände mit den allgemeinen europäischen Angelegenheiten (78-113). - Versuch einer constitutionellen Verfassung in Frankreich. Rückwirkung auf Europa (114-150). - Allianz zwischen Oesterreich und Preußen (151-176). - Debatten über Krieg und Frieden in Frankreich. Ministerielle Revolution vom 10. März 1792 (177-198). - Kriegserklärung (199-219). - Ausbruch des Krieges (220-235). - Constitutionelle und Jakobiner im Juni und Juli 1792. Manifest des Herzogs von Braunschweig (236-263). - Ereigniß des 10. August 1792 (264-288). - Invasion in Frankreich. Septembermorde (289-304). - Feldzug in der Champagne (305-325). Analekten (327-379).

Beginn der Auslieferung des Werkes: März 1875. Ranke spricht in der Korrespondenz mit seinem Verleger gelegentlich singularisch von dem Titel „Ueber den Ursprung des Revolutionskrieges“, so noch in Brief vom 22. 12. 74 (Geibel/1886, 66). Wegen Titelgebung s. auch o. ‚Ursprung des siebenjährigen Krieges‘. Lt. Wiedemann war das Werk durch Archivarbeiten bereits im Jahre 1843 vorbereitet und zur Ausarbeitung 1870 „der Grund gelegt“ worden (Wiedemann I/1891, 168). Ersteres dürfte sich auf Bemerkungen Rankes in seinem 4. autobiographischen Diktat von November 1885 (SW 53/54, 73) stützen, wonach zu Beginn seiner Pariser Archiv-Arbeiten, Mitte 1843, die Absicht bestanden habe, die Geschichte der Revolution selbst, für die er „früher mit vorgearbeitet hatte“, zum Gegenstand seines Studiums zu machen. Auch habe er im Nationalarchiv mancherlei Unbekanntes vorgefunden, was jedoch zu einer „durchgreifenden Bearbeitung des Gegenstandes“ nicht ausgereicht habe. Sehr frühe Spuren der Thematik finden sich in seinen ab SS 1826 immer wieder gehaltenen Vorlesungen über neueste Geschichte. Eine weitere Spur der Revolutionsthematik liegt vor in seinem nicht realisiertem Plan einer „Schrift gegen Louis Blanc’s Histoire de la Révolution française“ [Paris u. Bruxelles 1847 (-1863, 13 Bde)], (Wiedemann VII/1892, 232, A. 1), mit dem er umgegangen war, bevor er von der 1848er Revolution überrascht und in Schrecken versetzt wurde. Zum Thema siehe auch Rankes Lesung vor der Kgl. Akad. d. Wiss., Bln. 1870 . Seinem Brief an Alfred von Arneth vom 12. 10. 73 (Henz/1972, 314f.), seit 1868 Direktor des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, ist zu entnehmen, welche Quellen Ranke bei einem bevorstehenden Archivbesuch besonders einzusehen beabsichtigte: „Ich wünschte besonders die Correspondenz mit dem Russischen Hofe ergänzen zu können, überdieß aber auch die Briefe des Fürsten Reuss aus Berlin und aus dem Hauptquartier in dem Feldzug einzusehen.“ Einen Monat später mahnt er die Übersendung an: „Mir liegt eigentlich nur an den Abschriften aus Reuss und aus Bhemendorf ... Mit Allem Anderen, auch den Extracten, die Herr Fournier zu machen die Güte haben will, hat es keine Eile.“ (12. 11. 73, Henz/1972, 315). - Zu einer möglichen Quelle siehe auch Muir/1983, 255: Ms. 410. - Zur Geschichte der Französischen - 100 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Revolutionskriege‘

Revolution hat Ranke eine umfangreiche Quellensammlung angelegt, die sich heute in Syracuse befindet (s. II/8.3). Rankes Amanuense Paul Bailleu hat das Werk „von der ersten bis zur letzten Seite“ entstehen sehen. Ranke habe seiner Darstellung „Abschriften der Berichte des preußischen Gesandten in Paris zu Grunde“ gelegt, „in die er denn den aus der gedruckten Literatur oder aus anderen Archivalien gewonnenen Stoff hineinarbeitete. Freilich sah ich dann, wie bei der endgültigen Feststellung des Manuskriptes und noch mehr infolge der einschneidenden Korrekturen im Druck von dem ursprünglichen Texte fast nichts mehr übrig blieb...“ Ranke habe einmal ihm gegenüber geäußert: „Das Buch ist von einer Importanz, daß dadurch die ganze Auffassung der neueren Geschichte umgestaltet wird.“ (B[ailleu], P[aul]: Leopold v. Ranke/1895, 2). Zu den Analekten s. u. 2. Auflage [Ausgabe letzter Hand]

> Lpz.: D. u. H. 1879. VIII, 302 S. 8º. Br. u. geb. Separatabdr. von SW 45, 1. u. 2. GA. Wie bereits ein Vergleich des äußeren Aufbaus zeigt, ist die 2. Aufl. anläßlich ihrer Aufnahme in die SW gegenüber der 1. nicht unerheblich verändert worden. Auch die Analekten wurden erweitert. Vorrede (Vsq.). - Einleitende Bemerkung (1-5). - [Es folgen 12 „Capitel“. Bezeichnung entfallen:] Lage der europäischen Politik in der ersten Hälfte des Jahres 1791 (6-21). - Ansicht der französischen Revolution (22-57). - Erste Verwickelungen der revolutionären Zustände mit den allgemeinen europäischen Angelegenheiten (58-82). - Versuch einer constitutionellen Verfassung in Frankreich. Rückwirkung auf Europa (83-109). - Uebergewicht der antiroyalistischen Tendenzen in der legislativen Versammlung. Allianz zwischen Oesterreich und Preußen. Bewegungen im deutschen Reiche (110-128). - Debatten über Krieg und Frieden in Frankreich. Ministerielle Revolution vom 10. März 1792 (129-144). - Erwägungen zwischen Oesterreich und Preußen. Kriegerische Tendenz des neuen französischen Ministeriums. Februar und März 1792 (145-155). - Allgemeine Gegensätze. Stimmungen in Berlin. Französische Kriegserklärung. Ausbruch des Krieges (156-179). - Constitutionelle und Jakobiner im Juni und Juli 1792. Konferenz zu Mainz. Manifest des Herzogs von Braunschweig (180-200). - Ereigniß des 10. August 1792 (201-219). - Invasion in Frankreich, Septembermorde (220-231). - Feldzug in der Champagne (232-247). Analecten (252-302). [Erweitert, s. u.]

Analekten 1. Zur Kritik des Moniteur mit besonderer Beziehung auf den 4. August 1789 Abh. - RevKr 1. Aufl. (1875), 329-339; 2. Aufl. (1879), 251-260. Dort auch als Nr. 1.

2. Zum Vertrage vom 7. Februar 1792 Ed. - RevKr 1. Aufl. (1875), 340-350; 2. Aufl. (1879), 268-277. Dort als Nr. 3.

3. Zur zweiten Mission Bischoffwerders nach Wien Ed. - RevKr 1. Aufl. (1875), 351-364; 2. Aufl. (1879), 278-289. Dort als Nr. 4.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘

4. Aus der Correspondenz Schulenburgs mit dem preußischen Ministerium Ed. - RevKr 1. Aufl. (1875), 364-370; 2. Aufl. (1879), 289-295. Dort wiederum als Nr. 4., richtig: Nr. 5.

5. Correspondenzen bei dem Rückzuge des Königs von Preußen aus der Champagne Ed. - RevKr 1. Aufl. (1875), 371-379; 2. Aufl. (1879), 295-302. Dort als Nr. 6.

Bemerkung über die Mémoires tirés des papiers d’un homme d’état sur les causes secrètes qui ont déterminé la politique des cabinets dans la guerre de la révolution, depuis 1792 jusqu’en 1815. Abh. - RevKr 1. Aufl. (1875) - ; 2. Aufl. (1879), 260-268. Dort als Nr. 2. - Zweitdr. aus HPZ II/1 (1833), 52-63. - Siehe dazu oben AuV ES

* Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg Herausgegeben von Leopold von Ranke [1. Auflage und in dieser fünfbändigen Form Ausgabe letzter Hand. Siehe jedoch ‚Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates‘]

> 5 Bände. Lpz.: D. u. H. 1877. 8º. Br. u. geb. Die Bände I-IV erschienen geschlossen im Januar 1877. Bd. V, der gelegentlich bibliographisch unbekannt bleibt, folgte im Januar 1878 mit Erscheinungsjahr 1877.

Das Werk wurde von Ranke als Historiograph des Preußischen Staates auf Veranlassung der Staatsregierung unternommen und entwickelte sich zu einem höchst aufwendigen und langwierigen Unternehmen, das später nicht nur durch inhaltliche und rechtliche Verhandlungen mit der preußischen Königlichen Staatsregierung, der Berliner Archivverwaltung und dem Verlag belastet war, sondern Ranke auch - trotz der dem Unternehmen von ihm beigemessenen Bedeutung - bei der Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ und gar der ‚Weltgeschichte‘ im Wege stand. Die meisten Probleme hinsichtlich Titelgebung und Aufbau ergaben sich allerdings aus der von Ranke bewußt erzeugtenVerbindung zweier Gattungen, Darstellung und Edition, und deren ungewöhnlicher Verzahnung. Am 10. Juni 1864 hatte Ranke durch Bismarck die Mitteilung erhalten, daß König Wilhelm die Entsiegelung der im Geheimen Staatsarchiv niedergelegten Memoiren des Staatskanzlers Fürst Hardenberg angeordnet habe. Diese waren nach Hardenbergs Tod (1822) für die Dauer von 50 Jahren versiegelt und archivlich reponiert worden. Nunmehr entfernte Bismarck eigenhändig das seinerzeit auf königlichen Befehl angebrachte Siegel der Memoiren und bat Ranke um Überprüfung, „wie weit sie bis dahin Unbekanntes böten.“, - man darf wohl berichtigen: Inopportunes. Friduhelm von Ranke, dem man neben dem Werk-Vorwort seines Vaters diese Nachrichten verdankt, teilt noch Folgendes mit: „Auf den Ende November Bismarck erstatteten Bericht hin nahm König Wilhelm von den Teilen der Aufzeichnungen Kenntnis, die Friedrich Wilhelm III. betrafen, und beauftragte meinen Vater, wie ihm das Bismarck am 6. 3. 1865 mitteilte, mit der Publikation des historisch Wichtigen aus diesen Papieren.“ (FvR VI/1905, 216). - 102 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘

Ranke unterrichtet in der Vorrede des ersten Bandes kurz über die in Hardenbergs Nachlaß vorgefundenen Papiere, „die sich auf seine Person und seine Geschäftslaufbahn beziehen“ (VI). Es handelte sich dabei nicht allein um Hardenbergs Nachlaß im engeren Sinne mit dem wichtigsten Stück, umfangreichen eigenhändigen Memoiren, die eine „Darstellung seines Verhaltens und der Politik des preußischen Staates in der unglücklichen Epoche von 1806 und 1807 und den zunächst vorangegangenen drei Jahren“ enthielten (VII), sondern auch um bedeutende Ausarbeitungen nebst urkundlichem Material des mit Hardenberg befreundeten Friedrich Schöll (1766-1833), den er mit der Abfassung eines Memoirenwerkes beauftragt hatte. Für Ranke entstand nun das editorische und interpretatorische Problem einer abgrenzenden Nutzung der v. a. die Jahre 1803-1807 betreffenden deutschen ‚Mémoires‘ einerseits und der v. a. die Jahre 1794-1812/13 betreffenden urkundlich angereicherten französischen Ausarbeitungen Schölls andererseits. Ranke entschied sich für eine Edition der Memoiren (in Bd. II u. III der ‚Denkwürdigkeiten‘), nahm von den Ausarbeitungen Schölls „eigentlich nichts herüber“, wollte aber dessen urkundliche Mitteilungen nicht ungenutzt lassen (VIII), was aus dem Werk nicht unmittelbar ersichtlich ist. Ranke hatte übrigens 1825 mit Schöll wegen einer geplanten, allerdings nicht zustande gekommenen archivlichen Paris-Reise in Schriftverkehr gestanden (an HR, 17. 2. 25, SW 53/54, 139f.). Mit dem Thema der Hardenbergschen Denkwürdigkeiten hatte sich schon Varnhagen 1831 in einer Besprechung der ‚Mémoires tirés des papiers d’un homme d’état ... ‘ befaßt. Diese ‚Mémoires‘ warfen die Frage nach ihrer Identität, zumindest ihrem Zusammenhang mit den Hardenbergschen Denkwürdigkeiten auf. Hierüber kam es 1832 zu einem Gespräch mit Ranke (s. II/7.2) der das Thema im folgenden Jahr in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift (HPZ II, 1/1833, 52-63) hinsichtlich der Herkunft der ‚Mémoires‘ aus dem Nachlaß Hardenbergs abschlägig behandelte. Zurück in die 1860er Jahre: Ranke begnügte sich keineswegs mit den Berliner Dokumenten und deren Edition, war ihm doch eine nur dienende Beziehung zur Historie fremd. Er strebte zugleich eine eigene, auf weiteren Forschungen beruhende Darstellung an. Max Lehmann sah darin „gewissermaßen die Fortsetzung der älteren Schrift ... ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘“ (Lehmann/1878, 77). Die Beigabe einer eigenen Darstellung hat, beiläufig, zu einer gesteigerten bibliographischen Kompliziertheit des Werkes geführt, welche durch die 2. Auflage noch vermehrt wurde. Sie ergibt sich aus der problematischen Entscheidung Rankes, Edition und eigene Darstellung in einem mehrbändigen Werk zu vereinen und auch wiederum voneinander zu trennen, wobei verwirrende Titelgebungen mitspielen. Seine eigene Darstellung stellte er grob unzutreffend unter den Titel „Denkwürdigkeiten“ und verteilte sie auf die Bände I und IV. Dazwischen und dahinter befindet sich die Edition der Memoiren, wobei die Bände II und III die mehr narrativen, Band V einen von Ranke gestalteten dokumentierenden Teil darbietet (s. u.). Allerdings hat er dem seiner eigenen Darstellung eigentlich vorbehaltenen Band IV am Schluß doch wiederum eine editorische Zugabe beigestellt, Hardenbergs Denkschrift ‚Ueber die Reorganisation des Preußischen Staates‘. All dies führt leicht zu Werk- und Bandverwechselungen. Überdies wurden die Bde II, III und V wegen ihres editorischen Charakters nicht in die SW aufgenommen und die Bände I und IV erst in 2. Auflage (s. u.). Zunächst jedoch begann Ranke in gewohnter archivlicher Vielseitigkeit die sich über dreizehn Jahre erstreckenden Arbeiten an dieser Auftragsarbeit. - 103 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘

Am 31. 8. 67 stellt er einen Antrag (unveröff., Nieders. StA Wolfenbüttel) zur Benutzung des ihm bereits von seinen ‚Neun Büchern Preußischer Geschichte‘ her vertrauten Wolfenbütteler Archivs, wobei ihn vor allem „die von Herzog Karl Wilhelm Ferdinand stammenden Papiere“ interessieren. Auch interessieren ihn „die Motive, welche Hardenberg bewogen, aus dem Hannoverschen Dienst in den braunschweigischen überzutreten“ und teilt dem wohl überraschten Braunschweigisch-Lüneburgischen Staatsministerium bei dieser Gelegenheit beiläufig Pläne Hardenbergs „zur Errichtung einer Universität zu Wolfenbüttel“ mit, (18. 10. 67, unveröff., an Geh. Archivrat Schmidt, Nieders. StA Wolfenbüttel). Während dieser Korrespondenz war er in Sachen Hardenberg schon konkret im Weimarer Archiv tätig. Im folgenden Jahr verbindet er seine gewohnte Herbst-Reise zur Jahrestagung der Historischen Kommission in München mit vorausgehenden Studien in Wien und nachfolgenden eben in Wolfenbüttel, wo noch heute „ausführliche Angaben über die vorgelegten Archivalien und die von Ranke bestellten Abschriften“ vorliegen (Mitt. des Nieders. StA, 13. 6. 1974). Über seine Hardenberg-Vorhaben hatte er 1868 mit Alfred v. Arneth - Direktor des Wiener Staatsarchivs (s. die Korrespondenz bei FvR VI/1905, 216f.), der Ranke als Mitglied der Historischen Kommission verbunden war - sodann 1869 mit Archivar Grotefend im Hannoverschen Staatsarchiv (Brief vom 2. 5. 69, NBrr 521) und im August desselben Jahres mit dem Direktor des Niederländischen Staatsarchivs im Haag, Groen van Prinsterer, Kontakt aufgenommen Das Wiener Archiv interessierte ihn, um „auch die andere Seite authentisch kennen zu lernen, die Politik des Wiener Hofes...“ und dabei „besonders die letzte Epoche der Politik des Fürsten Kaunitz“ (an Arneth, 26. 8. 68, FvR VI/1905, 218). In Hannover interessierte ihn „die frühere Dienstlaufbahn“ Hardenbergs (NBrr 521). Im Haag sind ihm im Hinblick auf die enge Beziehung des oranischen Hofes mit dem preußischen Königshaus die Korrespondenzen dieser Epoche (an Groen van Prinsterer, 20. 8. 69, Stupperich/1934, 563) von Wert. Ranke unternahm für dieses und andere Werke in Verbindung mit seinen MünchenReisen zu den Plenarversammlungen der Hist. Komm. noch zwei weitere Archivreisen nach Wien, in den Jahren 1870 und 1873. Mit letzterer beendete er, nahezu 78jährig, die ansehnliche Reihe seiner ausgedehnten dienstlichen Reisen. Zur Entstehung sind weiterhin v. a. die vier bisher bekannt gewordenen Briefe Rankes an Maximilian Duncker (s. Korrespondentenregister) als Vorstand des Preuß. Staatsarchivs aufschlußreich, verbunden mit den aus den Antwortbriefen geschöpften Kommentaren Friduhelm v. Rankes (VI/1905, 218-223 u. VII/1905, 308-311). Im ersten der Briefe Rankes - vom 17. Okt. 1874 - heißt es verständnisfördernd: „Die Publikation wird zwei sehr verschiedene Bestandteile haben. Den einen bilden die Hardenbergschen Aufzeichnungen, die der Autor als Memoiren bezeichnet hat; sie werden ‚im Auftrag‘ oder, wenn wir so sagen wollen, auf Veranlassung der Regierung publiziert. Den andern bildet meine Ausarbeitung, die sich zwar auf die mir mitgeteilten Vorlagen, namentlich die Schöllschen Memoiren gründet, aber doch gar vieles enthält, wovon in keiner dieser Vorlagen etwas enthalten ist.“ (FvR VI/1905, 219f.). - Beachtenswert sind auch Rankes Briefe an seinen Verleger ab Nov. 1874 (Geibel/1886, 64ff.). Ein späterer Brief Rankes an Arneth ([3. 10. 75], NBrr 625f.) zeigt sein Interesse an Berichten Metternichs über dessen Teilnahme an der Konvention von Potsdam (3. Nov. 1805). Im folgenden Jahr bedankt er sich - stets bis unmittelbar vor dem Erscheinen - 104 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘

seiner Werke noch recherchierend - bei dem fündig gewordenen v. Arneth für die Übersendung „einer wichtigen Depesche Metternichs vom 22. November 1805“ (Brief vom 9. 12. 76, NBrr 638f.). Sie wurde in Bd. V (198) aufgenommen, und Ranke wies anläßlich der Versendung in einem Schreiben an Bismarck ausdrücklich darauf hin (von Hoeft/NBrr, 667 datiert: „[Berlin, nach dem 18. Okt. 1878]“, aber wegen des Erscheinungstermins, s. Geibel/1886, 109 u. 112 ein Jahr vorzudatieren). Siehe auch den Brief an E. v. Manteuffel, 2. 1. 80 (NBrr 685f.). Rankes Amanuense Paul Bailleu, der von diesem Werk „zuletzt ausschließlich in Anspruch“ genommen war, weiß zu berichten, daß Ranke neben den Hardenbergschen und Schöllschen Papieren, „die vorhandene Literatur mehr zu Rathe gezogen“ habe, „als sonst wohl bei den Arbeiten seiner letzten Jahre. Besonders gern las er die französischen Autoren, namentlich Thiers, für den er immer viel Sympathie hatte, die, wie es schien, noch durch Erzählungen Manteuffels genährt wurde, neben Thiers aber auch dessen Gegner Lanfrey...“ - Ranke habe die Bedeutung des ‚Hardenberg‘ hoch angeschlagen und gemeint, „daß schwerlich je eine Veröffentlichung erschienen sei, die so viel neues enthalte.“ Gern hätte er freilich die Epoche noch unter „universaleren Gesichtspunkten“ dargestellt, „etwa im Anschluß an die größte Erscheinung der Epoche, an Napoleon“. Immer wieder mußte ihm Bailleu die ‚Correspondance de Napoléon Ier‘ „durchsehen und Briefe aussuchen, die er sich dann vorlesen ließ...“ (P[aul] B[ailleu]: Leopold v. Ranke/1895, 2). Die Korrekturen gestalteten sich „über Erwarten schwierig und zeitraubend“ (FvR VI/1905, 222). Die Druckbogen des Werkes haben auch Edwin von Manteuffel - wie bei Rankes Werken zu Friedrich Wilhelm IV. - vorgelegen. In seinem Brief vom 17. 2. 76 befand er: „aber einer strengen Correctur bedürfen die Bogen von pag. 240 an ... Haben Sie niemanden dazu, so schicken Sie sie wieder und Sie sollen sie schnell mit den Anstrichen wieder haben.“ (Dove, Manteuffel/(1896)1898, 273f.). Ausführlich auch sein Brief vom 20. 5. 76, wo er Korrekturen zu Bd. IV, Kap. 4-6 und überhaupt zur Darstellung Napoleons angibt, den er mit Rücksicht behandelt (ebd., 276-278. Zu Napoleon auch kurz in Brief vom 1. 4. 76, ebd. 275). Aufschlußreich Manteuffels Bemerkung: „Druckfehler habe ich nicht angestrichen, weil Sie das nicht wollten, aber es sind deren viele da.“ (Dove: Manteuffel/(1896) 1898, 278). Auch sein Brief vom 6. Juni befaßt sich neben anderem wieder mit der Darstellung Napoleons (ebd. 278f.). Weitere Korrekturen läßt er noch mit Brief vom 7. 7. 76 an Ranke abgehen. Dann tritt eine Überlieferungs- bzw. Editionslücke von einem Jahr auf. Die Bände I-IV des Werkes waren im Mai 1876 handschriftlich und im Jan. 1877 im Druck vollendet (Wiedemann IV/1892, 214). Am 1. 1. 77 übersandte Ranke das erste Exemplar an Ks. Wilhelm I. aus Anlaß des 70. Jahrestages von dessen Eintritt in die Armee, wobei er besonders auf Bd. IV hinwies, in dem Friedrich Wilhelm III. auftrete und in dessen Zeit die Jugendeindrücke Kaiser Wilhelms fielen (FvR. VI/1905, 222f.). Aus den ersten Januartagen dürfte auch seine Dedikation an Bismarck stammen, wobei er „in mehr als einem Bezug“ Hardenberg als Bismarcks „Vorgänger“ sah (FvR. VII/1905 309). Zum Werk siehe auch Rankes Lesung vor der Kgl. Akad. d. Wiss. zu Berlin am 2. 12. 72 und sein in WuN I (393f.) aus dem NL veröffentlichtes Diktat [Hardenbergs Memoiren].

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘

Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg Herausgegeben von Leopold von Ranke Erster Band Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg bis zum Jahre 1806. Von Leopold von Ranke.

> Lpz. D. u. H.1877. XVI, 633 S. Vorrede (V-XII).

Ranke unterrichtet hier kurz über die in Hardenbergs Nachlaß vorgefundenen Papiere (s. o.) und die allgemeinen editorischen Probleme. Im übrigen enthält die Vorrede knappe, kaum beachtete allgemeine Ausführungen zu den Themen ‚Biographie‘ (V) und ‚Epochenbegriff‘ (XII). E r s t e s B u c h . Hardenberg bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst (1-135). [Das erste Buch der Rankeschen Darstellung enthält folgende zwölf Kapitel:] Genealogische Ansicht (3-10) - Aus den Jugendjahren Hardenbergs (11-20) - Aus dem Reisetagebuch (21-38) - Verheirathung (39-45) - Hannoverscher Dienst. Sein plötzliches Ende (46-57) - Eintritt in den brauschweigischen Dienst (58-65) - Antheil Hardenbergs am Fürstenbunde (66-77) - Schul-Direktorium (7892) - Austritt aus dem braunschweigischen Dienst (93-100) - Eintritt in den brandenburgischen Dienst (101-111) - Uebergang der brandenburgischen Fürstenthümer unter preußische Verwaltung. - Hardenberg preußischer Minister (112-128) - Verwaltung der fränkischen Fürstenthümer (129-135). Z w e i t e s B u c h . Hardenberg’s Antheil an der preußischen und deutschen Politik in den Jahren 1794 und 1795 (137-333). - [Das zweite Buch der Rankeschen Darstellung enthält folgende siebzehn Kapitel:] Blick auf die Umgestaltung Europa’s im Jahre 1793 (139-153) - Erste Theilnahme Hardenbergs an den allgemeinen deutschen Angelegenheiten (154-164) - Verhandlungen mit den Reichskreisen (165-174) - Stellung der Mächte in den ersten Monaten des Jahres 1794 (175-188) - Reichsconclusum. Zusammenkunft in Kirchheim-Bolanden (189-198) Waffenentscheidung in Flandern (199-207) - Intention einer gemeinschaftlichen Vertheidigung der Rheinlande und Hollands (208-218) - Das preußische Ministerium im August 1794. Bruch mit England (219-230) - Ideen eines Friedens zwischen dem deutschen Reiche und Frankreich. Oesterreichische Politik (231-243) - Kriegsgefahren und Mediationsentwürfe (244-251) Einwirkungen des Prinzen Heinrich (252-257) - Einleitung der Unterhandlung in Basel und Paris (258-272) - Häsitation der Unterhandlungen. Goltz in Basel (273-286) - Friedensunterhandlung Hardenbergs in Basel (287-299) - Gervinus in Paris (300-312). - Absichten der Pacifikation zwischen Frankreich und dem deutschen Reiche (313-323) - Begründung der neutralen Stellung Preußens (324-333). D r i t t e s B u c h . Zeiten der Neutralität (1796-1806) (335-633). [Das dritte Buch der Rankeschen Darstellung enthält folgende zwanzig Kapitel:] Uebergewicht der kriegerischen Tendenzen in Frankreich (337-353) - Preußen im Jahre 1796 (354-365) - Verhandlungen zu Campo Formio und Rastadt. Conferenzen zu Berlin (366-384) - Anfänge der zweiten Coalition (385-395) - Erste Regierungsjahre Friedrich Wilhelms III. Auflösung der Coalition (396-413) - Friede von Luneville (414-432) - Territoriale Umwandlung Deutschlands (433-452) - Frieden von Amiens und dessen Bruch (453-466) - Neue Begründung der Preußischen Neutralität (467-484) - Napoleonisches Kaiserthum. Gewaltschritte in Deutschland (485-497) - Anfänge der dritten Coalition (498-511) - Verhandlungen mit Frankreich (512-522) - Convention von Potsdam (523-538) Zersprengung der dritten Coalition (539-553) - Unterhandlungen zu Schönbrunn und Paris (554-

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘ 576) - Sendung des Herzogs von Braunschweig nach Petersburg (577-587) - Neue Irrungen Preußens mit Frankreich (588-600) - Verhandlungen mit Rußland im Frühjahr und Sommer 1806 (601-611) - Regungen der Feindseligkeit gegen Frankreich (612-624) - Kriegerische Entschließungen (625-633).

Zweiter Band Eigenhändige Memoiren des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg Herausgegeben von Leopold von Ranke Erster Band

> Lpz. D. u. H. 1877, IX, 619 S. V-IX: Vorrede des Herausgebers zu den eigenhändigen Memoiren.

Hierin findet sich auch Rankes Einschätzung von Bedeutung und Zuverlässigkeit der Memoiren Hardenbergs: „diese wächst oder fällt nach dem Maße, in welchem er an den öffentlichen Geschäften Theil nahm. Im Allgemeinen aber ist die neue Information, welche die Memoiren enthalten, die unterrichtendste, die über die Epoche überhaupt zu Tage kommen konnte.| Ihr Werth liegt nicht allein in der Erzählung, sondern fast noch mehr in den Urkunden, auf die sie sich begründet und durch die man wieder über die persönlichen Beziehungen hinaus in die eigentlich historischen Regionen versetzt wird.“ (VIIsq.). - Heinrich v. Sybel urteilte hingegen, die Memoiren seien „eine Apologie seiner ministeriellen Thätigkeit, ohne allen Zweifel mit voller Wahrheitsliebe entworfen, dennoch aber fast an allen entscheidenden Stellen unzuverlässig, weil sich dem Verfasser in einer psychologisch ganz merkwürdigen Weise die damalige Gesinnung und Anschauung der früheren entgegengesetzten unterschob“ (Sybel/1879). Im Hinblick auf seine Editionsgrundsätze bemerkt Ranke, Hardenberg habe „seinen Memoiren Beilagen unter dem Titel pièces justificatives hinzugefügt, aber einen größeren Theil der Aktenstücke, die er Inserenda nannte, zur Einverleibung in seine Arbeit bestimmt.“ (VIII). Ranke beschreibt sein Vorgehen nun sehr allgemein und nicht gänzlich eindeutig so: „Nur solche Aktenstücke, welche so umfangreich sind, daß sie den Zusammenhang des Textes geradezu unterbrochen haben würden, mußten einem besonderen Aktenbande vorbehalten werden. In diesem sollen auch die wichtigsten der erwähnten pièces justificatives ihren Platz finden.“ (ebd.). Zudem wird nicht klar, ob dabei Aktenstücke ganz oder teilweise entfallen sind. Im übrigen entspricht sein Textverhalten dem bei der Ausgabe des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen (1873) geübten Verfahren: „In dem Ausdruck konnte man nur hie und da einige kleine Mängel, die dem Autor entschlüpft waren und den Leser unangenehm berührt haben würden, verwischen“ (ebd.). Überdies ist Rankes Edition nahezu unkommentiert. - Den Memoiren vorangestellt ist eine Vorrede Hardenbergs vom 5. Nov. 1808 (in R.s Vorrede, VIIIsq. befindlich), in der er selbst (Hardenberg) Grundsätze für eine spätere Edition der Memoires aufstellt, die er „nur vorerst als Materialien“ ansieht, „um diejenigen, welche ich dereinst zum Druck bestimme, nach solchen noch viel genauer auszuarbeiten und zu ergänzen.“ (VIII). Dabei will er „lieber die Schönheit der Wahrheit aufopfern“ (IX). Zu einer Endausarbeitung kam es nicht mehr. Die eigentliche Edition Rankes beginnt mit einem interessanten Vorwort Hardenbergs, in dem sich dieser die mit Literaturbeispielen gebildet dekorierte Frage vorlegt, „ob es passend sei, seine eigene Geschichte zu schreiben“ (1). Es folgt: „1. Allgemeine Erzählung der Begebenheiten die ich erlebt habe“ (Seite 5 bis Ende offen, ein „2.“ folgt - 107 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘

nicht). - Für die Jahre 1803 und 1804 (10-123) fehlt bei Hardenberg oder Ranke eine gliedernde Überschrift. Eine solche setzt erst ein mit „1805“ (124-388); „1806“ (389619. Die Darstellung setzt sich im 3. Bd. fort.). Dritter Band Eigenhändige Memoiren des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg Herausgegeben von Leopold von Ranke Zweiter Band

> Lpz. D. u. H. 1877. IV, 540 S. Kein Vorw. - Hardenbergs Darstellung des Jahres 1806 setzt sich fort (1-264). - Es folgt „1807“ (265-540). Vierter Band Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg vom Jahre 1806 bis zum Jahre 1813. Von Leopold von Ranke. Mit einer Denkschrift Hardenberg’s über die Reorganisation des preußischen Staates vom Jahre 1807

> Lpz. D. u. H. 1877. VII, 453, 108* S. Nach Th. Wiedemanns Erinnerung kam es bei diesem vierten Band aufgrund einer verloren gegangenen letzten Korrektursendung dazu, daß „der Text nur flüchtig, die Noten gar nicht mehr durchgesehen werden konnten. In derartigen Umständen haben manche leicht bemerkbare Druckfehler ihren Ursprung.“ (Wiedemann II/1891, 337, A. 2). Kein Vorw. Die hier nach Überspringen des zweiten und dritten Bandes fortgesetzte Darstellung R.s im ersten Band führt die dort begonnene Gliederung in ‚Büchern‘ nicht weiter. Statt des zu erwartenden vierten Buches und weiterer ‚Bücher‘ ist die Fortsetzung sogleich in folgende 25 ‚Capitel‘ zzgl. eines ‚Schluß-Capitels‘ gegliedert, dem sich trotz des darstellerischen Charakters dieses Bandes wieder ein zunächst so nicht geplanter editorischer Teil anfügt: Ausbruch des Krieges (3-15) - Niederlage von Jena und Auerstädt (16-28) - Unterhandlung über einen Waffenstillstand (29-39) - Fernere Unterhandlungen und ihr Abbruch (40-52) - Vorschlag eines Particularfriedens (53-65) - Ideen der allgemeinen Restauration. Bartenstein (66-78) Schlacht bei Friedland. Friede von Tilsit (79-97) - Umbildung der inneren Regierung (98-113) Ideen der Reorganisation (114-126) - Eintritt des Ministers Stein. Organisatorische Thätigkeit des Generals Scharnhorst (127-140) - Sendung des Prinzen Wilhelm nach Paris. Ereigniß von Bayonne (141-159) - Zusammenkunft von Erfurt. Finanzielle und politische Bedrängnisse Preußens im Spätjahr 1808 (160-175) - Zeiten des österreichischen Krieges von 1809 (176-197) Preußisch-französische Verhältnisse in den Jahren 1809 und 1810 (198-214) - Wiedereintritt Hardenbergs (215-234) - Zur inneren Verwaltung Hardenbergs (235-249) - Anfänge der Entzweiung zwischen Frankreich und Rußland (250-264) - Verhandlungen zwischen Preußen und Frankreich bis zur Allianz vom Februar 1812 (265-291) - Napoleon in Rußland (292-322) Allgemeines Verhältniß von Rußland. Convention von Tauroggen (323-337) - Absonderung Preußens von Frankreich (338-356) - Allianz mit Rußland. Ereignisse von Königsberg (357-370) - Politische Lage im Frühjahr 1813 (371-384) - Russisch-preußischer Feldzug im Frühjahr 1813

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘ (385-402) - Unterhandlungen während des Waffenstillstandes. Congreß zu Prag (403-422) Schluß-Capitel. Zur Geschichte der Umgrenzung von Frankreich und der Rekonstruktion Preußens (423-453). 1*-108*: Denkschrift Hardenbergs: Ueber die Reorganisation des Preußischen Staates, verfaßt auf höchsten Befehl Seiner Majestät des Königs 1807, 12. September. - S. 3*f. Vorb. R.s.

Fünfter Band Actenstücke zu den Denkwürdigkeiten des Fürsten von Hardenberg. [Herausgegeben von Leopold von Ranke]

> Lpz. D. u. H. 1877. IV, 670 S. Edition der Aktenstücke aus den Jahren 1785 bis 1808 (1-556). Chronologisches Verzeichniß der in Band II-V enthaltenen Actenstücke. (557-613) Register (614-670). Ein Personen- und Ortsregister über das Gesamtwerk (Bde I-V).

An einen fünften Band war zunächst nicht gedacht worden. „Einige urkundliche Beilagen“ sollten dem vierten Band beigegeben werden (8. 5. 76 an Geibel, Geibel/1886, 87). Nach einer späteren Konzeption R.s sollten sie „nothwendig noch in den dritten Band aufgenommen werden“ (an Geibel, 13. 11. 76, ebd., 97). Es seien „ihrer nur wenige“ (ebd.). Da jedoch bei R.s generell mangelndem Überblick und fortwährender Archivarbeit „alle Tage etwas Neues zum Vorschein“ kam (an Geibel, 13. 9. 76, ebd., 93), wurde schließlich ein umfangreicher fünfter Band unausweichlich. Die von Hardenberg zusammengestellten Aktenstücke - zumeist Denkschriften und Briefe der politisch und militärisch Handelnden, neben Hardenberg v. a. Haugwitz, Hzg. Karl Wilh. Ferd. v. Braunschweig, Friedrich Wilhelm II. u. Friedrich Wilhelm III., Zar Alexander - datieren bereits vom 13. Febr. 1785 und reichen bis zum 2. Jan. 1808. Dabei ist festzustellen, daß R - wie er seinem Verleger bekannte (2. 10. 77, Geibel/1886, 108) - in seiner Edition auch Aktenstücke untergebracht hatte, die in Hardenbergs eigener Zusammenstellung nicht vorhanden waren, wie z. B. die o. g. „Depesche Metternichs vom 22. November 1805“ (HARD V, 571). - Hinsichtlich der Authentizität des Materials bemerkt R lediglich, daß die von Hardenberg genutzten und zur Veröffentlichung bestimmten diplomatischen Papiere im Zusammenhang mit seiner Emigration nach Riga transportiert worden seien. „Hardenberg hatte einen Theil derselben bei sich, als er in dem folgenden Jahre über Mitau und Libau nach Tilsit zurückkehrte.“ (HARD II, p. V). Wie Hardenberg weiter mit diesen Papieren bzw. einem Teil derselben umging, ist allenfalls der späteren Hardenberg-Forschung zu entnehmen. Doch ist kaum anzunehmen, daß etwa Briefe Friedrich Wilhelms III. an Gustav IV. von Schweden oder an Alexander v. Rußland anders als in Konzept oder Abschrift zur Verfügung standen. R.s Edition dürfte also nicht durchweg oder gar nur selten unmittelbar auf den (staatlich archivierten) Originalakten beruhen. Rankes Verzeichnis der Aktenstücke ist nützlicherweise mit Inhaltsangaben zu den einzelnen Positionen versehen. 2. Auflage [zu Bd I u. IV der 1. Auflage. - Ausgabe letzter Hand u. d. T.]

Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813 - 109 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Hardenberg‘

Zweite Auflage der in dem Werke „Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg“ den eigenhändigen Memoiren Hardenberg’s beigegebenen historischen Darstellung des Herausgebers.

> [A] 3 Bände. Lpz.: D. u. H. 1879, 1880, 1881. 8º. Br. u. geb. SW 46-48, 1. u. 2. GA. 1. Bd. 1879. XVI, 331 S. - 2. Bd. „Mit einer Notiz über die Memoiren des Grafen von Haugwitz“. 1880. IV, 318 S. - 3. Bd. „Mit einer Denkschrift Hardenberg’s über die Reorganisation des preußischen Staates vom Jahre 1807“. 1881. VI, 444 S.

> [B] 3 Bände. Lpz.: D. u. H. 1879, 1880, 1881. 8º. Br. u. geb. - Separatabdr. von SW 46-48, 1. u. 2. GA. Die damit vollzogene Herauslösung der Rankeschen Darstellung aus dem editorischnarrativ gemischten fünfbändigen Gesamtwerk machte für diese eine neue Titelgebung erforderlich, was leicht zu Mißverständnissen Anlaß geben kann: Bd. I der 2. Aufl. entspricht Hard/Denkw I; Bd. II u. III entsprechen zusammengenommen Hard/Denkw IV. - Die in den drei Bänden zusammengefaßten vier „Bücher“ sind durch bis zu zwanzig Kapitel stark differenziert untergliedert. - Die Angabe Helmolts/1921, 206f., A. 269, die drei Bände seien 1880 und 1881 erschienen ist - nach Autopsie - definitiv unzutreffend. Die in der Ranke Ms-Collection of Syracue University enthaltene, nicht eindeutig beschriebene Pos. 411 (Muir/1983, 255) steht möglicherweise mit HARD/PrSt 1879 in Zusammenhang. Erster Band Vorwort zu der zweiten Ausgabe (V). „ ... Indem ich jetzt meine eigene Arbeit [s. o. HARD/Denkw I u. IV] wieder herausgebe, habe ich, um keine Verwechselung der beiden Publicationen zu veranlassen, derselben einen besonderen Titel gegeben...“ Vorrede zu den Denkwürdigkeiten (VI-XIII) [Verändert]. Erstes Buch. Hardenberg bis zu seinem Eintritt in den preußischen Dienst (1-118). - Zweites Buch. Hardenberg’s Antheil an der preußischen und deutschen Politik in den Jahren 1794 und 1795 (119-288). - Drittes Buch. Zeiten der Neutralität (1796-1806). Erster Abschnitt: Vor der zweiten Coalition (289-331). Zweiter Band Drittes Buch. Zeiten der Neutralität (1796-1806). Zweiter Abschnitt: Der preußische Staat während der zweiten Coalition und des Emporkommens Bonaparte’s (1-226). - Dritter Abschnitt: die Jahre 1805 und 1806 (107-226). - Viertes Buch. Niederlage Preußens und Beginn seiner Wiederaufrichtung (1806-1813). Erster Abschnitt: Die Schlacht von Jena und ihre Folgen (227270). - Notiz über die Memoiren des Grafen von Haugwitz (271-318). Die „Notiz“ stellt eine Erweiterung gegenüber der 1. Aufl. dar. - Zu Haugwitz siehe auch II/7.2: Gepräche mit Haugwitz 1830 u. mit Hüffer 1882. Dritter Band Viertes Buch. Niederlage Preußens und Beginn seiner Wiederherstellung (1806-1813). [In Bd. II emotionaler: „Wiederaufrichtung“]. Zweiter Abschnitt: Der Krieg mit Frankreich im Jahre 1807. (1-40). - Dritter Abschnitt: Innerer Umschwung. Aeußere Bedrängnisse. 1807-1809. (41-109). Vierter Abschnitt: Die Jahre 1809-1812. (113-213). - Fünfter Abschnitt: Die Erhebung im Jahre 1813 und die Reconstruction des Staates. (217-357). - Denkschrift Hardenberg’s: Ueber die

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Historisch-biographische Studien‘ Reorganisation des preußischen Staates, verfaßt auf höchsten Befehl Seiner Majestät des Königs 1807, 12. September (359-444). - Der Denkschrift-Edition geht eine „Vorbemerkung des Herausgebers“ R voraus (361).

Im Verlagskatalog von 1904 sind keine weiteren Auflagen verzeichnet. * Historisch-biographische Studien [1. Auflage. Ausgabe letzter Hand] > [A] Lpz.: D. u. H. 1877. XI, 544 S. 8º. Br. u. geb. SW 40/41 1. GA. 1877. > [B] Lpz.: D. u. H. 1877. XI, 544 S. 8º. Br. u. geb. SW 40/41, 1. und 2. GA [!] (Expl. Wiehe). > [C] Lpz.: D. u. H. 1878. XI, 544 S. 8º. Br. u. geb. Separatabdr. von SW 40/41. (Simon/1998, 150: 1878). Auch NÖLB, Sign.: 3.291 B: 1878. Beginn der Auslieferung Jan. 1878 (mit veraltetem Erscheinungsjahr, Geibel/1886, 112).

Es handelt sich hier um den vierten der für die Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ zusammengestellten Sammelbände. Ranke legte den Werk-Titel des südeuropäisch geprägten Bandes bewußt in der vorliegenden zurückhaltenden ‚Studien‘-Form fest, „denn als eigentliche Biographien können die darin enthaltenen Aufsätze nicht betrachtet werden. Ich würde damit die Rücksicht verletzen, die ich dem gelehrten Publicum schuldig bin.“ (An Geibel, 21. 10. 77, Geibel/1886, 110). Der Band umfaßt - zurückgehend auf Rankes Italien-Reise - Publiziertes und Unpubliziertes in überarbeiteter Form. Die Vorrede enthält dazu die nicht beim Wort zu nehmende Bemerkung: „Die Zusammenstellung dieser Aufsätze ist fast zufällig ...“ (VII). Inhalt: Vorrede (V-VII). Die Vorrede enthält bedeutende Äußerungen Rankes über die Verbindung des allgemein Historischen mit dem Biographischen, über die in der späteren Literatur häufig behandelten Prinzipien von Freiheit und Notwendigkeit und über die Tätigkeit des Einzelnen „inmitten des Kampfes der vorherrschenden Gewalten“ (V). Cardinal Co nsalvi und seine St aatsv erwaltu ng unter de m Pontificat Pius VII. (1-144).

Die zuerst in HPZ I/4 (1832), 624-765 veröffentlichte Arbeit ist unter Benutzung der Memoiren Consalvis und neuer von Theiner veröffentlichter Urkunden umgearbeitet. Dazu bemerkte ein anonymer sachkundiger Rezensent des ‚Literarischen Centralblatts‘ vom 20. Juli 1878: „er darf jetzt auch nicht mehr verheimlichen, daß seine frühere Arbeit wesentlich auf den Berichten Niebuhr’s beruhte“ [Anonym: Bespr. SW 27-36, 39-41], 942. Beilage. Erinnerungen an römische Zustände im Jahre 1829. (145-155). Anhang I. Ein Wort über die gegenwärtigen Irrungen im Kirchenstaate (1832). (156-161). Veränderter Zweitdr. von HPZ I/4 (1832), 766-774. Anhang II. Auszüge aus italienischen Flugschriften. (162-180). - Veränderter Zweitdr. von HPZ I/3 (Juni/Juli/August 1832), 455-481.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Historisch-biographische Studien‘

Savonarola und die florentinische Republik gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts (181-357). Analecten I. Auszüge aus noch ungedruckten florentinischen Chroniken. (335-345). II. Zur Kritik der Lebensbeschreibungen Savonarolas von Pico und von Burlamacchi. (346-357).

Der Aufsatz läßt sich in seiner frühesten Form auf 1830 zurückführen, wie aus einem Brief Rankes an Reumont ersichtlich (24. 2. 77, Hüffer/1904, 199). Hierin schildert er seine „von allen bisher geäusserte abweichende“ Sicht Savonarolas: „Eine solche aufzustellen, bin ich durch einige Dokumente in dem archivio [storico Italiano], auch einige, die sich bei [Pasquale] Villari [Storia di Girolamo Savonarola e de suoi tempi, 2 Bde, 1859, 1861] finden und besonders durch ausführliche Exzerpte, die ich noch während meines Florentiner Aufenthalts [in den Monaten Mai bis Juli 1830] aus Parenti und Cerretani [zu beiden die vorgenannten Analekten I] gemacht habe, in den Stand gesetzt worden.“ (ebd.). Die erweiterte Aufnahme in die HBS machte „eingreifende Untersuchungen erforderlich, die einen wiederholten Gedankenaustausch mit Alfred von Reumont begleiteten.“ (Helmolt 1921, 57f., 143f.). Obgleich Ranke sich „zwar keine Hoffnung auf seine Beistimmung“ weder zu ‚Savonarola‘ noch zu ‚Strozzi‘ machte (an Geibel, 28. 6. 77, Geibel/1886, 105), bat er doch Reumont, ihm „vielleicht einige Berichtigungen über Namen, Familien und einzelne Tatsachen“ anzugeben (24. 2. 77, Hüffer/1904, 199), wozu Reumont sich bereit erklärte (R. an seinen Verleger, 28. 6. u. 29. 8. 77, Geibel/1886, 105, 107f.). Anfang August 1877 schickte Ranke ihm „die Korrekturbogen der Abhandlung über Savonarola zur Durchsicht“, wie Hermann Hüffer in seinen ‚Lebenserinnerungen‘ mitteilt (Hüffer/1912, 302f.). Auch Wiedemann weist auf die weitgehende Überarbeitung des Aufsatzes gegenüber den ursprünglichen Aufzeichnungen hin (Wiedemann IV/1892, 215). Philippo Strozzi und Co si mo Medici, der erste Großherzog von Toskana (359-445).

Siehe dazu Ranke an Reumont, 24. 2. 77 (Hüffer/1904, 199) und 29. 8. 77 (ebd., 201), ein Brief, in dem er Reumont um „Bemerkungen“ bittet, „auf die ich sogar gespannt bin“. Zu der in seiner Abh. enthaltenen ‚Note über den Tod Filippo Strozzis‘ (441-445) bemerkt er, sie habe „einiges Neue über den Tod Philippos, dessen Selbstmord ich aufrecht zu erhalten versuche.“ (Hüffer/1904, 201). Don Carlo s, Prinz von Asturien, Sohn König Philip ps II. von Spanien. (447-544). I. Kritische Abhandlung. (451-492). Veränderter Zweitdr. aus: Jbb. d. Lit., Bd. 46, Wien, April, Mai, Juni 1829, 227-266. Philippson konnte lediglich auf S. 480 eine Änderung feststellen (Philippson/1879, 168). II. Geschichte des Don Carlos. (493-544)

Alfred Dove äußerte darüber: „Die Darstellung selbst behielt er damals unvollendet im Pult, weil sie hie und da noch weiterer urkundlicher Aufklärung bedurfte. Erst nach Jahrzehnten ist sie, ergänzt und entstellt [!?], in seinen ‚Historisch-biographischen - 112 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Friedrich d. Gr. - Friedrich Wilhelm IV.‘

Studien‘ ans Licht getreten; ursprüngliche und spätere Partien lassen sich jedoch noch überall mit Sicherheit unterscheiden.“ (Dove: R.s Verhältniß zur Biographie (1895 u. 1898), 209f. Dort Weiteres). Von den HBS existierte noch 1890 keine 2. Auflage. - Anastatischer Neudr. 1900 der Erstaufl. mit auffallend schlechtem, ungleichmäßigem Druck. * Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien [1. Auflage und in dieser Form Ausgabe letzter Hand]

> Lpz.: D. u. H. 1878. VII, 170 S. 8º. Br. u. in Liebhaberhalbfrz. Friedrich der Große (1-65).

Die den Beitrag beschließende „Litterarische Note“ (64f.) bietet einen außerordentlich knappen allgemeinen Rückblick auf die vor-authentische Friedrich-Literatur in Deutschland und im Ausland (Gillies, Guibert, Mirabeau), bis hin zu der damals grundlegenden, von der Kgl. Akademie der Wissenschaften durch Preuß veranstalteten Ausgabe der literarischen und militärischen Werke Friedrichs. Friedrich W ilhel m IV. (67-170). Der Beitrag ist gegliedert in folgende Punkte: I. Zur Geschichte der Erziehung Friedrich Wilhelms IV. (70-86). - II. Momente der Weiterentwicklung. Thronbesteigung. (86-99). - III. Genesis des vereinigten Landtages. (99-123). - IV. Eröffnung und Verhandlungen des vereinigten Landtags. (123-154). - V. Spätere Jahre. (154-170).

Das Werk erschien Nov. 1877, Zweitdr. und Ausgabe letzter Hand: ADB 7 (1878). Drittdr. posthum: AuV/NS/1888 (SW 51/52). - Das Werk hat in selbständiger Form keine weitere Auflage erlebt. Ranke bittet in einem Brief an Geibel vom 4. 1. 78 (Geibel/1886, 113) „nochmals um einige Exemplare des besonderen Druckes“, womit vermutlich die ‚Liebhaberhalbfranz-Ausgabe‘ gemeint ist. Eine andere Ausgaben-Variante neben der Broschur konnte nicht nachgewiesen werden, obgleich gelegentlich für Dedikationszwecke auch Exemplare auf Velin-Papier abgezogen wurden. Vorbemerkung des Verlages: „Die Biographien Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms des Vierten, die wir hiermit veröffentlichen, werden in unserer ‚Allgemeinen Deutschen Biographie‘ [ADB 7 (1878), 656-685 u. 729-776] abgedruckt werden, für welche sie zunächst geschrieben worden sind. Der Herr Verfasser hat, unserem dringenden Ersuchen entsprechend, die Erlaubniß zur besonderen Publication ertheilt, und damit wie uns, so hoffentlich alle Freunde vaterländischer Geschichtschreibung zu großem Dank verpflichtet.“ (V). Ranke stimmte dem Vorschlag des Verlags, das Werk mit dem Untertitel ‚Zwei Biographien‘ zu versehen, nur „ungern“ zu (an Geibel, 21. 10. 77, Geibel/1886, 109). Dieselbe begründete Zurückhaltung dem Begriff ‚Biographie‘ gegenüber ist bei den ‚Historisch-biographischen Studien‘ (s. d.) und der ‚Geschichte Wallensteins‘ zu vermerken. - 113 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Friedrich d. Gr. - Friedrich Wilhelm IV.‘

Die ‚Biographie‘ Friedrichs d. Gr. wurde, den Erinnerungen von Rankes Amanuensis Paul Bailleu zufolge, im Jahre 1877 bei einem Aufenthalt in Topper, dem Gut Edwin von Manteuffels, „ohne jedes Hülfsmittel einem Schreiber in die Feder“ diktiert und „ohne wesentliche Aenderung in die allgemeine deutsche Biographie aufgenommen“ (B[ailleu]: Leopold v. Ranke/1895, 1. So auch Winter: Erinnerungen/1886, 219). Die beiden Beiträge Rankes treten ohne Quellen- und Literaturangaben auf. Gegen die Übernahme der Verpflichtung, einen entsprechenden Artikel über Friedrich Wilhelm IV. zu liefern, hatte Ranke sich einige Zeit ernstlich gesträubt und Alfred von Reumont, der „so durch und durch des Königs Freund war“, als „Ersatzmann“ vorgeschlagen. Die Begründung Rankes ist zugleich kennzeichnend für das schließliche Ergebnis: „fühle mich aber eigentlich ausser Stande, denselben würdig zu schreiben. Hier am Orte befindlich, würde ich die Verpflichtung haben, mancherlei zweifelhafte Punkte zu berichtigen. Das würde mir aber sehr schwer werden, da ich die Archive konsultieren müsste, was mir bei meinem hohen Alter eigentlich unmöglich ist.“ (an Reumont, 24. 2. 77, Hüffer/1904, 198). Reumont jedoch lehnte ab (R an Geibel, 11. 3. 77, Geibel/1886, 103). Auch war Ranke mit dem Ergebnis nicht „recht zufrieden“ (an Geibel, 28. 6. 77, ebd., 104). - In seinen Augen brachte der Artikel „doch eigentlich nicht das, was man erwartet, und ist viel zu ausführlich (nämlich für den Charakter des Artikels [in der ADB], nicht für die Sache) in einigen Stücken, in anderen desto kürzer und ungenügender. Aber ändern kann ich daran nichts mehr, und für die Geschichte des Königs liefert er immer einen nicht unerheblichen Beitrag.“ (ebd.). Nach Wiedemann kamen lediglich für ‚Friedrich Wilhelm IV.‘ bisher ungenutzte Archivalien zur Verwendung, „indes nur für einzelne Punkte und überhaupt nicht gerade in beträchtlichem Umfang“ (Wiedemann IV/1892, 215). Rankes zunächst noch ein wenig zu verehrungsvoller Amanuense Georg Winter, der mit diesem Werk seine ersten Gehilfen-Erfahrungen machte, berichtet indes von „Actenmassen, die von ziemlich beträchtlichem Umfange waren“ und Ranke vom Geheimen Staatsarchiv in seine Wohnung überstellt worden seien, um dort von Winter vorgelesen zu werden (Winter: Erinnerungen/1886, 215). Ranke, der „gleichsam in den Erinnerungen an den kunstsinnigen König“ geschwelgt habe (ebd., 213), sei es dabei auf zwei Punkte besonders angekommen: „die Erziehung Friedrich Wilhelms, über welche die aus dem schriftlichen Verkehr der Königin Louise mit dem Erzieher des Prinzen, Dr. [Hans] Delbrück, erwachsenen Acten ihm vorlagen, und die Einberufung des ersten allgemeinen Landtags im Frühjahr 1847. Hierüber benutzte er namentlich die Berichte, welche die Oberpräsidenten der verschiedenen Provinzen über den Eindruck, welchen das Berufungspatent bei der Bevölkerung gemacht hatte, an die Staatsregierung erstatteten“ (ebd.). Die Darstellung Friedrich Wilhelms IV. entstand, wie 1873 die Ausgabe seines Briefwechsels mit Bunsen und 1877 der ‚Denkwürdigkeiten‘ Hardenbergs, unter Mithilfe von E. v. Manteuffel (s. Abt. Briefwechsel/1896/Dove und 1921/Schmitz). Siehe: Brief M.s an R. vom 21. 7. 77 („Ich finde Druckfehler. Soll ich sie anstreichen?“ Dove: Manteuffel/(1896) 1898, 281). Sehr ausführlich und inhaltsreich M.s Brief an R vom 27. 7. 77, wobei er neben den Korrekturabzügen „einen Bogen mit Bemerkungen“ übersendet (Dove, Manteuffel/(1896) 1898, 281-287). Dieser möglicherweise letzte Brief in der Angelegenheit enthält u. a. Hinweise Manteuffels zu reorganisatorischen Maßnahmen Friedrich Wilhelms gegenüber der Armee (Dove: Manteuffel/(1896) 1898, - 114 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Zur Venezianischen Geschichte‘

287f.). Zu Einflüssen des Hofes siehe I/1.6 - Vergleichend heranzuziehende Charakteristiken des Monarchen finden sich in R.s 3. und 4. autobiogr. Diktat vom Dez. 1875 und Nov. 1885 (SW 53/54, 53f., 71, 74f.). - Siehe auch Gespräche mit K. W. Nitzsch 1877/78 (II/7.2). * Zur Venezianischen Geschichte [1. Auflage, Ausgabe letzter Hand]

> Lpz.: D. u. H. 1878 [unpag. IV, Ausg. der SW: VI S.], 361 S. 8º. Br. u. geb. Separatabdr. von SW 42, 1. GA. Vorwort [unpag III]. Es ist R.s fünfter für die Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ zusammengestellter Sammelband. Erste Abtheilung.

Venedig i m sech sze hnten Jahrhundert und i m Anfa ng des sie bz ehnten „(Bisher ungedruckt.)“ (1-133). Einleitung (1-9). - I. Allgemeine Lage der Republik um die Mitte des 16. Jahrhunderts (11-30). II. Ueber die venezianische Verfassung, besonders den Rath der Zehn (31-63) [Siehe in II/6.2.2 die Lesungen R.s vor der Kgl. Akademie d. Wiss. 1836 u. 1837]. - III. Staatsveränderung von 1582. Dogenwahl von 1585 (64-86). - IV. Staatsinquisitoren (87-113). - Analecten zu der Abhandlung über die Staatsinquisitoren (114-133) [Abh.]. Zweite Abtheilung.

Die Versc hw örung gegen Venedig i m Jahre 1618. Mit Urkunden aus dem venezianischen Archiv. „(Zuerst im Jahre 1831 als besondere Schrift erschienen.)“ (135-275). Urkunden [Ed.] (233-275). Zum identischen Aufbau des Werks und zu den Urkunden siehe den selbst. Erstdr. von 1831. Dritte Abtheilung.

Die Venezi aner in Morea.

„Zuerst gedruckt in der Historisch-politischen Zeitschrift. Bd. II (1835). - In dem vorliegenden Abdruck sind nur in den Noten einige Zusätze hinzugefügt worden.“ (277361). Angabe der Quellen (283-288). - Rückblick auf den Krieg (289-301). - Verwaltung (302-347) Verlust von Morea (348-360). - Anhang (Ristretto di tutte le quattro provincie del regno de Morea…) (361).

Vorwort: „Indem ich in dem vorliegenden Bande meiner sämmtlichen Werke zwei bereits vorlängst gedruckte Abhandlungen zur venezianischen Geschichte reproducire, füge ich denselben noch einiges nicht Veröffentlichte hinzu, oder vielmehr ich schicke es voraus, weil es frühere Zeiten betrifft. Als ich den Relationen der Gesandten in den venezianischen Archiven nachforschte, ließ ich auch die innere Geschichte der Republik nicht außer Acht. Ich trug mich sogar vorübergehend mit dem Gedanken, einmal eine Geschichte von Venedig zu verfassen…“ [Unpag. p. III]. - 115 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Serbien und die Türkei‘

Die von Ranke für dieses Werk, soweit nachgewiesen, benutzten venezianischen Relationen, etwa zehn an der Zahl, zumeist Abschriften des 18. oder 19. Jahrhunderts, gelegentlich mit mehrseitigen Notizen Rankes versehen (Mss. 374f. u. 380), sind in Syracuse vorhanden und bei Muir/1983 beschrieben (s. II/8.2). Bei einer etwaigen historisch-kritischen Ausgabe kann davon kommentierend Gebrauch gemacht werden. Bei den ‚Analecten zu der Abhandlung über die Staatsinquisitoren‘ der 1. Abt. handelt es sich um einen Aufsatz von 1827, „der ungedruckt geblieben, zwar durch spätere Forschungen der Venezianer, namentlich Romanins [Samuele Romanin: Storia documentata di Venezia, 10 Bde, Venedig 1853-61], überholt worden ist, den ich aber doch noch zu publiciren mich entschließe, wie er damals niedergeschrieben worden ist.“ (114). Der Aufsatz war für die von Kopitar hg. ‚Jahrbücher der Literatur‘ vorgesehen. Dazu bes. R an Varnhagen, 8. 4. 28 (Wiedemann: R. u. Varnhagen/1895, 350f. Helmolt: R.-Biogr./1921 datiert: 4. Apr.). - Siehe auch Oncken/1922, 56. * Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert [1. Auflage, Ausgabe letzter Hand]

> Lpz.: D. u. H. 1879. XVI, 2, 558 S. 8º. Br. u. geb. - Separatabdr. von SW 43/44, 1. u. 2. GA. Die Drucklegung des Werkes wurde im Juni 1879 abgeschlossen (Wiedemann IV/1892, 215). - Die Bemerkung Helmolts, man habe es hier mit einem „harmonischen Ganzen“ zu tun (Helmolt/1921, 145), ist kritikabwehrender Natur und mit Recht schon von Valjavec in Frage gestellt worden (Valjavec/1935, 11f.). In einem Brief vom 15. 4. 79 an Alfred v. Reumont beschreibt Ranke kurz vor dem Erscheinen das Neue an seinem Werk, indem er über die „Zusätze“ zu seiner ‚Serbischen Revolution‘ bemerkt, „die sehr ins Gebiet der Politik des neunzehnten Jahrhunderts streifen. Es gereichte mir selbst zum Erstaunen, als ich die Acten ansah, daß darin eine zeitgenössische und doch eigentlich unbekannte Geschichte aus den fünfziger und sechziger Jahren des Jahrhunderts lag; ich glaubte eine Art von Schatz zu heben ...“ (Or. UB Bonn, Autographenslg. S 1065, mit kleinen Fehlern: Hüffer/1904, 204). Da erstaunt es sehr, daß Ranke anläßlich der üblichen Versendung von Dedikationsexemplaren Bismarck gegenüber, mag sein aus politischen Rücksichten, das Gegenteil in den Vordergrund stellte: Es handele sich hier um „eine neue Ausgabe meiner alten Arbeit über Serbien, die nicht einmal bemerkenswerte Veränderungen darbietet. Das Buch ist in die serbische Landessprache übersetzt [1864], und ich bin von Serbien ausdrücklich ersucht worden, nicht etwa große Veränderungen darin vorzunehmen, weil es, wie es einmal ist, daselbst Beifall gefunden habe. Auch hatte ich dazu in der Sache selbst keine besondere Veranlassung.“ (27. 6. 79, NBrr 675f.). Vorrede (V-VIII). Hier äußert sich Ranke sehr allgemein zu den Quellen des Werk-Konglomerats: „Was seitdem [seit SerbRev 1. Aufl. 1829 u. SerbRev 2. Aufl. 1844] aus den russischen und zuletzt auch aus den österreichischen Archiven dem Stoff hinzugefügt worden ist, habe - 116 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Serbien und die Türkei‘

ich nicht unbenutzt gelassen, jedoch immer mit der Rücksicht, daß das Wesentliche der Ereignisse schon bei der ersten Bearbeitung hinreichend erwogen war, in welcher die ursprüngliche historische Tradition möglichst kritisch geprüft zu allgemeiner Kunde gebracht worden ist. Bei der Publikation, die ich jetzt vorlege, bin ich jedoch bei dem Inhalt der früheren Ausgaben keineswegs stehen geblieben. Zum Verständnis der Ereignisse gehörte es, daß ich den Blick auf das türkische Reich selbst richtete ...“ (p. V). Generalkonsul Dr. G. Rosen in Belgrad hatte sich bereit erklärt, das Werk einer Revision zu unterziehen. Diese kam jedoch nicht mehr allen Teilen zugute, da die ersten 18 Bögen bereits ausgedruckt waren und Ranke auch in den späteren darauf „nur wenig Rücksicht“ nehmen konnte (Brief an seinen Verleger, 6. 6. 79, Geibel/1886, 124). Inhalt: Vorrede zur ersten Auflage [von SerbRev]. (XIIIsq.] „Beilage. Großherrlicher Hattischerif, erflossen um die Mitte des Monats Schewals 1254 (vom 10/22 bis 12/24 Dezember 1838), enthaltend den von Sr. Hoheit Sultan Mahmud den Serben verliehenen Ustaw. (Uebersetzung aus der serbischen Original-Gesetzsammlung.)“ (274-282).

1-282: I. Geschichte Serbiens bis 1842 „Dritte Auflage des Werkes: Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mittheilungen, erschienen 1829; mit den in der 2. Auflage 1844 hinzugefügten Erneuerungen.“

Zugleich eine Art Jubiläumsausgabe, 50 Jahre nach Erscheinen der Erstauflage. Ähnlich war - mit dem Blick auf das Publikum - bereits 1874 mit der 2. Auflage von GRGV verfahren worden. „Der Text von 1844 ist durch Beifügung der damals weggebliebenen Vorrede wie der Analekten der 1. Aufl.: ‚Zur älteren Geschichte‘ und ‚Zur Geographie der Serben‘ erweitert und andererseits durch die Auslassung der ‚fragmentarischen und wenig zuverlässigen‘ Nachrichten über die mit der Einsetzung Alexander Kara Georgewitsch’s verknüpften internationalen Verwicklungen und der R’schen Auffassung über die Zukunftsaussichten dieses Herrschers (2. Aufl. S. 389-96) verkürzt worden. Diese hier weggefallenen Ausführungen sind in den neu hinzugefügten Teil: ‚Das Fürstentum Serbien unter der Einwirkung der europäischen Mächte seit 1842‘ übergegangen.“ (Schwarz/1923, 213, A. 1). „Die Abweichungen der 3. Ausgabe der ‚Serbischen Revolution‘ von der zweiten bestehen in Erweiterungen der Darstellungen der internationalen Zusammenhänge (SW 43/44 S. 88f (vgl. 1844 S. 127f) u. SW 43/44 S. 124ff (vgl. 1844, S. 180ff), die wohl im Wesentlichen durch das Erscheinen von Kalley’s [Benjamin von Kállay] Geschichte der Serben (1876; Deutsch [Budapest] 1878 von [J. H.] Schwicker) bedingt sind; [in] einer anderen Bewertung zweier wichtiger Situationen (SW 43/44 S. 231 (vgl. 1844 S. 335) u. S. 134 (vgl. 1844 S. 190)) ...; Ergänzungen durch Zitierung der Korrespondenz Napoleon’s I. (SW 43/44 S. 129, vgl. 1844 S. 185f.) und einer Begründung seiner Auffassung gegenüber der Kalley’s (SW 43/44 S. 103).“ (Schwarz/1923, 213f., A. 1). - 117 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Serbien und die Türkei‘

Siehe auch Ranke an seinen Verleger, 24. 11. 78 (Geibel/1886, 117 mit A. 1). Ranke wandte sich auf der Suche nach Quellenmaterial für die 3. Auflage seiner SerbRev (4. Teil: ‚Das Fürstentum Serbien unter der Einwirkung der europäischen Mächte seit 1842) an seinen Berliner Kollegen Jagić, der Rankes Bitte an Jireček und St. Novaković weiterleitete (Jagić I/1930, 364, 411); s. auch Selesković/1941. 283-327: II. Bosnien in seinem Verhältniß zu den Reformen des Sultans Mahmud II. 1820-32 „(Erschien im Jahre 1834 unter dem Titel ‚Die letzten Unruhen in Bosnien‘ im zweiten Bande der historisch-politischen Zeitschrift.)“

Erstdr.: HPZ II/2 (1834), 233-304. 329-370: III. Verflechtung der orientalischen und der occidentalischen Angelegenheiten. (1839-1841)

„bisher noch nicht gedruckt“. R in der Vorrede, p. VI. - Nach Helmolt/1921, 145, eine „Niederschrift vom Herbst 1841“. 371-519 [Erstdruck]: IV. Das Fürstenthum Serbien unter der Einwirkung der europäischen Mächte seit 1842

Nach Wiedemann beruht dieser Teil „in seinem erzählenden Hauptbestand auf den Berichten des preußischen Gesandten in Belgrad Meroni“ (Wiedemann IV/1892, 215). Auf diese Berichte bezieht sich wohl R.s Brief an Reumont vom 15. 4. 79 (s. o. zu Beginn des Werkeintrags). „Einige Materialien“ wurden auch von Jovan Ristić (zu R.s Treffen mit ihm im Vorjahr des Erscheinens, 28. 6. 78, s. II/7.2) u. einem nicht näher bekannten Serben Pogoritsch zur Verfügung gestellt (FvR VIII/1906, 331). Nach Friduhelm von Ranke, der hier überhaupt heranzuziehen ist, wurden R auch aus dem Berliner Staatsarchiv neun Bände ‚Affaires Serviennes‘ mit bis zum August 1862 reichenden Schriftstücken zur Verfügung gestellt (ebd., 330) - der 10. Bd. war nicht präsent -, dazu bes. auch R.s Brief an Bernhard Ernst von Bülow von [Ende Jan. 1879] (NBrr 672f.), worin er sich aus den Akten des Außenministeriums „so viel“ erbat, „als über die Jahre 1862-68 überhaupt mitteilbar ist“. Überdies benutzte er die ‚Monumenta Serbica spectantia historiam Serbiae, Bosnae, Ragusii‘ (Wien 1858) des Franz Miklosich (SW 43/44, 12). Lt. R.s Brief an den serbischen Ministerpräsidenten Jovan Ristić (1831-1899, als Student Hörer Rankes), vom 26. 7. 79 (FvR 1906, 331f.) hatte er zunächst daran gedacht, anhand des von Ristić zur Verfügung gestellten Materials die serbische Ge- 118 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Serbien und die Türkei‘

schichte über das Jahr 1868 hinaus einzubeziehen, den Gedanken dann aber fallen gelassen. Benutzt hat er allerdings (lt. Selesković/1941, 42-48) Ausarbeitungen von Čedomil Mijatović und Djordje Popović, ohne die Verfasser zu benennen. 521-558: Analecten I. Anmerkungen der ersten Ausgabe, 1829 (523-537). 1. Zur älteren Geschichte [Abh.], (523-530). - 2. Geographische Anmerkung [Abh.], (530-537).

II. Ueber die Abnahme der christlichen Bevölkerung in der Türkei [Abh.], (538-542).

III. Zur orientalischen Politik des Fürsten Metternich [Ed. der ‚Dépêche à M. le Baron de Neumann à Londres, Vienne, le 23. Novbr. 1842‘] (543-545).

IV. Ein dem König Friedrich Wilhelm IV. im Sommer 1854 vorgelegtes Gutachten [R.s] (546-551), Nachträgliche Bemerkung (551). [Zweitdr. aus HZ 1865]. Siehe auch II/4.2.2.

[V.] Mémorandum adressé à la Sublime Porte par la députation Serbe à Constantinople en date du 7. Mai 1860 [Ed.], (552-558). Unterschiedliche Angaben im Inhaltsverzeichnis und im Werkinnern.

- 119 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘

‚S ä m m t l i c h e W e r k e ‘ Bände 1-48 Anläßlich von Rankes 50jährigem Promotionsjubiläum im Jahre 1867 veranstalteten Autor und Verlag Duncker & Humblot - die engen Beziehungen Rankes zu Carl Geibel, dem damals 24jährigen Firmeninhaber, gehen auf diese Zeit zurück - eine Ausgabe seiner sämtlichen Werke, einer „Zierde und Bereicherung unserer Nationalliteratur“, in der Gewißheit, diese würden „unvergänglich, zur Lehre und zur Freude, im deutschen Volke fortleben“ und in der „Erwartung einer Betheiligung der weitesten Kreise“, wie es in einem großangelegten Prospectus des Verlages hieß (in R.s Pers.Akte II, GStAPK), der vierseitig u. a. als Außerordentliche Beilage der ‚Allgemeinen Zeitung‘ erschien (Nr. 100, Augsb. 10. 4. 67, unpag.). Verfaßt war er anonym von dem ansonsten nicht unkritischen Literaten und Ranke-Hörer Karl Frenzel (Frenzel/1867. Vf.-Nachweis Frenzel/1912, 48). Die spätere Realität wich allerdings weit davon ab. Für den Beginn des Unternehmens im Jahre 1867 dürfte nicht allein Rankes Promotionsjubiläum, sondern wohl nicht minder das Zusammentreffen mit dem 350. Jahrestag des Lutherschen Thesenanschlags gesprochen haben, was durch den Auftakt mit Rankes ‚Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ gestützt wird. Bei dem Unternehmen kam es, was nicht unüblich ist, ja oft als Sinn des Vorhabens angesehen wird, neben neuer Verfügbarkeit und Übersicht zu Revisionen und NeuZuordnungen älterer Werke und Werkteile. Außer seinen unmittelbaren Vorteilen hatte das Unternehmen indes auch ferner liegende Nachteile, denn dadurch erhöhte sich gerade nicht die Übersichtlichkeit des Gesamtwerks, sofern man eine Gesamtausgabe nicht als alles Vorgängige ersetzenden Komplex, sondern als Teil einer LebensGesamtwerk-Entwicklung ansieht. Zudem muß mit Theodor Wiedemann gesagt werden, „daß die neuen Ausgaben vielfach nicht dem gegenwärtigen Standpunkt der Wissenschaft“ entsprachen, „und daß in denselben die Ergebnisse späterer Forschungen unzureichend berücksichtigt worden sind“ (Wiedemann III/1892, 98, A. 2). Die Abfolge der in den ‚Sämmtlichen Werken‘ erscheinenden Teile hing nur teilweise von einer früh-apriorischen Gesamtplanung ab. Denn zum Beginn des Unternehmens im Jahre 1867 war nicht einmal seinem Verfasser bewußt, daß in den folgenden fast zwanzig Jahren zu den bereits erschienenen Werken noch fünfzehn bislang ungeschriebene, ja zum Teil gänzlich ungeahnte hinzutreten würden und daß aus den etwa 31 Bänden der Prospekt-Planung einmal 48 werden würden. 1874 verkündete Max Lehmann in der ‚Historischen Zeitschrift‘ stimmig, aber gänzlich irrig, die Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ nähere sich „mit schnellen Schritten ihrem Ende“ (L[ehmann], M[ax]/1874, 147). Auch mußte mit durchkreuzenden verlegerischen und wissenschaftlichen Rücksichten gerechnet werden, d. h., man wollte in der Regel zwar mit einer revidierten Auflage eintreten, war jedoch von noch unverkauften Restbeständen der Vorauflagen, von unterschiedlichen Revisionsnotwendigkeiten und möglichkeiten, auch von terminlich schwer abzusehenden gänzlich neuen Werken Rankes abhängig, die nicht sogleich in den ‚Sämmtlichen Werken‘ untergebracht werden konnten oder sollten. So etwa 1869 und 1870 die in der Planung von 1867 noch nicht enthaltene ‚Geschichte Wallensteins‘, deren erste Auflagen zunächst den ApartKäufern vorgelegt wurden, bevor das Werk 1872 mit der dritten Auflage in die ‚Sämmtlichen Werke‘ aufgenommen wurde. Der 1871 erschienene ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘ hingegen wurde in selbständiger Form gar nicht in die Werke - 120 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘

aufgenommen. Auch die 1871 und 1872 erscheinenden ‚Deutschen Mächte und der Fürstenbund‘ gelangten erst 1875 in die ‚Werke‘. Das in eben diesem Jahr erscheinende Werk ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘ nahm man nach einem angemessenen Verkaufsabstand von vier Jahren 1879 auf. Merkwürdigerweise blieb den 1878 zusammengefaßt erscheinenden zwei Biographien ‚Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte‘ auch später der Zutritt versagt, vielleicht, weil sie auch Bestandteil der ADB waren. Hinzu traten stattdessen Sammelbände, die als ‚freie Radikale‘ und Lückenbüßer hier und da eingesetzt wurden - schließlich handelte es sich bei der Ausgabe von Rankes ‚Sämmtlichen Werken‘ um eine Subskription, in der einigermaßen regelmäßig zu liefern war. Vorgesehen waren laut ‚Prospectus‘ „vier, höchstens sechs“ Bände. Er war Ranke vorgelegt und von ihm mit „einigen Verbesserungen“ zu den „einzelnen Bänden“ versehen worden (an Geibel, 14. 2. 67, Geibel/1886, 1). Die 1867 veröffentlichte Planung lautete: 1. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation (vermehrt, und auch wieder mit dem in der letzten Auflage weggebliebenen Band Urkunden versehen). 6 Bände. 2. Abhandlungen zur deutschen Geschichte (zum Theil neu). 1 Band. 3. Englische Geschichte. 7 Bände. 4. Preußische Geschichte (verbessert und vermehrt). 3 Bände. 5. Abhandlungen zur preußischen Geschichte (neu). 1 Band. 6. Serbische Revolution. 1 Band. 7. Romanische und germanische Völker (durchgesehen und verbessert). 8. Neuere Historiker und Kritiker (durchgesehen und verbessert). [7. u. 8. zus. in 1 Bd.]. 9. Verschwörung gegen Venedig und anderes Venetianische (großentheils neu). 1 Band. 10. Italienische Poesie. 1 Band. 11. Französische Geschichte. 5 Bände. 12. Fürsten und Völker von Süd-Europa. I. Osmanen, Spanische Monarchie. 1 Band. 13. Politisch-historische Schriften (zum Theil neu). 1 Band. 14. Fürsten und Völker von Süd-Europa. II-IV. Die römischen Päpste. 3 Bände. Bei einem Vergleich mit der späteren Realität sind - neben dem in der 8. Position auftretenden, stark abweichenden Titel von ‚Zur Kritik‘ - noch weitere Punkte von Interesse, vor allem die Position 5, welche Rätsel aufgibt, wie auch Pos. 13, die mit einem solchen, zumal „neuen“ Inhalt nie erschienen ist, oder Pos. 10, die gar einen ganzen Band nur zum Thema der italienischen Poesie vorsah und ebenfalls in dieser Form nie erschien. Ein in die ‚Sämmtlichen Werke‘ aufzunehmender Titel bewirkte einen bibliographisch besonders verwirrenden Zustand, seine ‚Französischen Geschichte‘. Diese war, wie bereits dargestellt, bisher in zwei Auflagen zwischen 1852 und 1862 bei Cotta erschienen. Auf das Werk konnte in den ‚Sämmtlichen Werken‘ freilich nicht verzichtet werden, was dazu führte, daß zwei Verleger mit zwei unterschiedlichen Auflagenzählungen am Markt tätig waren und schließlich nicht die bei Duncker u. Humblot erscheinende 4. Auflage, sondern die 3. Auflage des Cotta-Verlags als Ausgabe letzter Hand anzusehen ist. - 121 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘

Für eine andere seiner Veröffentlichungen waren es nicht verlegerische Probleme, welche eine Aufnahme in die ‚Sämmtlichen Werke‘ erschwerten, denn im Hause des Erstverlegers Reimer schätzte man das Werk, was überraschen mag, als erfolglos ein (s. u.), sondern Rankes eigene Beziehung dazu. Man hätte erwarten können, es in der Sammlung seiner Werke an erster Stelle wieder erscheinen zu sehen, stattdessen wurde es weit nach hinten gerückt. Denn es dauerte lange, bis Ranke sich in das Unvermeidliche fügte, seinem Erstlings-Doppelwerk einen Platz anzuweisen. Dann geschah es jedoch 1874, nicht als Band 20 und 21 entsprechend der Planung von 1867, sondern als Doppelband 33/34, wenigstens mit geschickter Beziehung auf das Ersterscheinen vor fünzig Jahren. Man darf annehmen, daß ihm die früheren, nicht allein seiner Stilistik geltenden Beanstandungen immer noch unangenehm waren. Der genannte Verlagsprospekt, wie auch die zwischen Ranke und Geibel mehrfach erörterten Positionierungen und Umpositionierungen einzelner Werke, vor allem der zunächst nicht abzusehende ununterbrochene und sich steigernde Produktionsfluß sollten davon abhalten, allzu viel an Grundsätzlichem in die Abfolge hineinzuinterpretieren. Rankes Brief an seinen Verleger Carl Geibel vom 22. Juni 1871, der wichtigste in dieser Hinsicht (26f.), zeigt, dass die Pläne zur Abfolge der einzelnen Teile schon wenige Jahre nach Erscheinen der öffentlichen Erstplanung weitgehend obsolet und auch künftighin nicht als durchaus fest anzusehen waren. So ist es eine unzulässige, dem unsystematischen Wesen Rankes völlig zuwiderlaufende Konstruktion, bei seinen ‚Sämmtlichen Werken‘ von „Abteilungen“ zu sprechen (Muhlack in: RankeBriefwechsel I/2007, zurückgezogen, 15). Daß etwa Rankes Werk ‚Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813‘ erst 1879-1881 als Band 46 bis 48 der ‚Sämmtlichen Werke‘ in Erscheinung trat, hatte nicht den Grund, daß Ranke „die erste Abteilung und damit die ‚Gesamtausgabe‘ überhaupt mit der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ eröffnete, daß er an den Anfang der zweiten Abteilung die ‚Preußische Geschichte‘ und ans Ende der letzten Abteilung die Abhandlung [! es sind vielmehr 3 Bde, 1879, 1880 u. 1881erschienen] ‚Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813‘ setzte“, wodurch die „neuere europäische Geschichte ... so gleichsam einen deutsch-preußischen Leitfaden“ erhielt (ebd.), sondern war ausschließlich und simpel dadurch bestimmt, daß sein 1867 noch gänzlich ungeplanter, ihm oktroyierter ‚Hardenberg‘ früher nicht zur Verfügung stand, da er noch nicht geschrieben war. Bekanntlich kommt es zu Fehlbeurteilungen dieser Art, wenn die Dinge nicht in ihrer Entwicklung, sondern nur in ihrem Endzustand betrachtet werden. Es fand eine 1., 2. und 3. Subskription mit steigenden Preisen statt. Entsprechend entwarf man drei Gesamtausgaben (GA), die dazu dienten, die zu unterschiedlichen Zeiten eintretenden Bezieher/Subskribenten mit einer durchgängig als 1., 2. oder 3. Gesamtausgabe bezeichneten Ausgabe beliefern zu können. Die Gesamtausgaben bezogen sich auf diese Subskriptionen bzw. umgekehrt. In diesem Zusammenhang scheinen in den Werken auch die manches erleichternden gemischten Bezeichnungen ‚erste und zweite‘ wie auch ‚erste bis dritte‘ Gesamtausgabe auf. - Zur 2. Gesamtausgabe der Werke verfaßte Alfred Dove auf Wunsch des Verlages einen neuen Prospectus (R an Dove, 13. 3. 73, Dove/SW 53/54, 507). Im Folgenden handelt es sich um eine generelle Übersicht. Bibliographische und sonstige Angaben finden sich unter dem jeweiligen Werk im vorangehenden EinzelWerkverzeichnis. - 122 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘

Sämmtliche Werke 48 [49-54 posthum] Bde [in 41, u. 3 posthum] Leipzig: Duncker u. Humblot 1867-1886 [posthum - 1890] Ab 1873: 2. GA bzw. 1. und 2. GA. Letztere begann, als die 1. GA noch nicht vollzählig erschienen war. Dies wurde nötig durch die in 5. Auflage und damit zum zweiten Male in den SW erscheinende ‚Deutsche Geschichte‘. Band 1-6

Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 4. Aufl. 1867-1868, in die SW/2. GA mit der 5. Aufl. 1873, in die SW/3. GA mit der 6. Aufl. 1881-1882. Band 7

Zur deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 1. Aufl. 1868, in die SW/2. GA mit der 2. Aufl. 1874. Band 8-13

Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, 6 Bde. Aufnahme in die SW/1. GA mit der [3D Aufl.] 1868-1870, in die 3. GA mit der 4. [4D Aufl.] 1876-1877. Bd. 14-22

Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert. 9 Bde. Bd. I u. II (1870), Aufnahme in die SW/1. GA mit der 3. Aufl.; Bde III-IX (1870-72), Aufnahme in die SW 1. GA mit der 2. Aufl. - Aufnahme in die SW/2. GA mit Bd. I u. II in 4. Aufl. (1877), mit Bd. III-IX (1870-72) in 3. Aufl. Bd. 23

Geschichte Wallensteins. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 3. Aufl. 1872, in die SW/2. GA mit der 4. Aufl. 1880. Bd. 24

Abhandlungen und Versuche. Erste Sammlung. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 1. Aufl.1872, in die SW/2. GA mit der 2. Aufl.1877. Bd. 25/26, 27/28, 29

Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. 5 Bände [in 3]. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 1. Aufl. 1874, in die SW/2. GA mit der 2. Aufl. 1878-1879. Bd. 30

Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg. Aufnahme in die SW/1. u. 2. GA mit der 1. Aufl. 1875. Bd. 31/32

Die deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790. Aufnahme in die SW/1. GA und 1. u 2. GA mit der 2. Aufl. 1875.

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘ Bd. 33/34

Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 2. Aufl. 1874. Mit der 3. Aufl. 1885 in die 2. GA. Bd. 35/36

Die Osmanen und die Spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert. Aufnahme in die SW/1. GA, 1. und 2. GA und 3. GA mit der vierten, erweiterten Aufl. des Werkes ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa‘. 1877. Bd. 37-39

Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. 3 Bde. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 6. Aufl. des Werkes. 1874, mit der 7. Aufl. 1878 in die 2. GA, mit der 8. Aufl. 1885 in die 3. GA. Bd. 40-41

Historisch-biographische Studien. Aufnahme in die SW/1. und 1. und 2. GA mit der 1. Aufl. 1877. Bd. 42

Zur Venezianischen Geschichte. Aufnahme in die SW/1. GA mit der 1. Aufl. 1878. Bd. 43/44

Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert. Aufnahme in die SW/1. u. 2. GA mit der 1. Aufl. 1879. Bd. 45

Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792. Aufnahme in die SW/1. u. 2. GA mit der 2. Aufl. 1879. Bd. 46-48

Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813. Aufnahme in die SW/1. u. 2. GA mit der 2. Aufl. 3 Bde. 1879, 1880, 1881.

* Die posthume Fortführung der ‚Sämmtlichen Werke‘ Bände 49-54 Siehe auch Abt. Nachlaß (II/2.1.1) Bd. 49/50 [in 1]

Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert Hg. von Alfred Dove > Lpz.: D. u. H. 1887. XV, 623 S. 8º. Br. u. geb. [1.-3. GA]. In dieser Form letzte Auflage des Original-Verlages. Vorrede des Hg.s (V-XV).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘

Der Sammelband ist durch den Wiederabdruck von nahezu in Vergessenheit geratenen Teilen der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘, mehr aber durch den Erstdruck politischer Denkschriften R.s von Interesse. I. Restauration und Julirevolution. Zur französischen und deutschen Geschichte von 1815 bis 1836. Aufsätze aus der historisch-politischen Zeitschrift (1832-1836). (1-339). - Siehe dort (II/1.2). Einleitung [zur HPZ] (3-7). - Ueber die Restauration in Frankreich (8-60). - Frankreich und Deutschland (61-76). - Eine Bemerkung über die Charte von 1830 (77-85). - Ueber einige französische Flugschriften aus den letzten Monaten des Jahres 1831 (86-133). - Ueber die Trennung und die Einheit von Deutschland (134-172). - Die Kammer von 1815. (Zur französischen Geschichte vom 8 Juli 1815 bis 5 September 1816). (173-229). - Reflexionen (230247). - Zur Geschichte der deutschen, insbesondere der preußischen Handelspolitik. Von 1818 bis 1828 (248-296). - Ueber die Paroles d’un croyant [Lamennais’, Paris 1833] (297-313). Politisches Gespräch (314-339).

II. Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen (1873) (341-584).

Drittdr. von FrW IV./Bunsen, „unter Verbesserung einiger Druck- und Lesefehler“ (Dove, XII). - Dove bemerkt dazu in einem Brief an Treitschke, in dem er Bd. 49/50 vorstellt und um eine Besprechung bittet, zu der Treitschke sich jedoch nicht bewegen ließ: „Dann folgt der Bunsen, der mir bei der Durchsicht wieder recht widerwärtig geworden, aber als Material doch immer sehr wichtig bleibt. Eine Anzahl unzweifelhafter Lesefehler in den Briefen des Königs hab’ ich kurzerhand verbessert.“ (Stadler-Labhart/2008, 67f.). III. Politische Denkschriften aus den Jahren 1848-1851. Bestimmt für König Friedrich Wilhelm IV. gerichtet an dessen Flügeladjutanten Edwin Freiherrn von Manteuffel. Bisher ungedruckt. (585-623). Acht Denkschrr. aus damals in R.s NL befindl. Abschriften . Siehe II/4.2.

Bd. 51/52 [in 1]

Abhandlungen und Versuche. Neue Sammlung. Hg. von Alfred Dove und Theodor Wiedemann > Lpz.: D. u. H. 1888, X, 598 S. 8º. Br. u. geb. [1.-3. GA]. Auf dem Gegentitelblatt: „Zweite und dritte Gesammtausgabe“; bei den Bogensignaturen jedoch: „1.-3. G.-A.“. In dieser Form letzte Auflage des Original-Verlages.

Der posthum 1888 herausgegebene Doppelband der SW 51/52 hat heterogenen Charakter. Er beginnt mit dem Erstdruck dreier im Zusammenhang mit Rankes ‚Weltgeschichte‘ verfasster Abhandlungen. Sein sonstiger Wert liegt vor allem im teilweisen Erstdruck von Reden vor der Historischen Kommission. Ranke hatte, wie er seinem Bruder Ernst am 10. 9. 84 mitteilte (Hitzig/1906, 352), beabsichtigt, in einem 49. Band seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ folgende kleinere Arbeiten zusammenzufassen: „1. Fluthsage, 2. Senekas Tragödien, die ich für echt halte, 3. Poetische Elemente in der langobardischen Geschichte des Paulus Diaconus, 4. mein altes Heft zur italien. Poesie, 5. die Abhandlung zur Geschichte der italienischen Kunst, - 125 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘

die Du kennst. Der Titel möchte sein: ‚Zur Geschichte der Literatur und der Kunst‘“. Die intensiven, unter massivem Zeitdruck stehenden Arbeiten an der ‚Weltgeschichte‘ verhinderten jedoch zu seinen Lebzeiten die Verwirklichung dieses Plans. Er wurde im vorliegenden Doppelband der Sämmtlichen Werke durch Rankes Hauptamanuensen Wiedemann und seinen Spätschüler Alfred Dove im größeren Rahmen verwirklicht. Die bis dato ungedruckten Teile I-III stehen in einem mehr (I u. III) oder weniger (II) engen Zusammenhang mit der ‚Weltgeschichte‘. Zu berücksichtigen ist die bearbeitende Hand des Herausgebers Wiedemann. Dieser habe, so sein Mitherausgeber Dove in der Vorrede, „den ihm mitgetheilten Absichten Ranke’s gemäß, im übrigen vollkommen selbständig, den Hauptbestand dieses Bandes, das erste bis vierte, sowie das sechste und siebente Stück desselben bearbeitet und, wo es nöthig war, in eigenen Anmerkungen über sein Verfahren Rechenschaft abgelegt.“ (V). Vorrede von Alfred Dove, Juli 1888. (V-VIII). I. Die Fluthsage (Verfaßt 1880-1882; bisher ungedruckt) (1-18). Im Zusammenhang mit den Arbeiten an der WG 1880 entstanden, zuletzt 1882 überarbeitet, hier erstmals aus dem Nachlaß herausgegeben. Der Umfang der Anmerkungen geht über das normale Rankesche Maß hinaus und dürfte überwiegend der extrem schreib- und detailfreudigen Hand Wiedemanns entstammen. - S. 18 findet sich in Anm. eine Mitteilung Wiedemanns aus mündlichen Erörterungen Rankes über das Thema. - Ranke äußerte sich besonders in einem Brief an Bruder Ernst vom 2. 11. 84 über diese seine Arbeit, mit der er den 49. Bd. der SW beginnen wollte und bat um Durchsicht und Meinungsäußerung (Hitzig/1906, 353).

II. Die Tragödien Seneca’s (Verfaßt 1882; bisher ungedruckt) (19-76). III. Paulus Diaconus (Verfaßt 1884; bisher ungedruckt) (77-91). Die Feststellung der Herausgeber dürfte nicht ganz zutreffend sein. Die Abhandlung wurde ursprünglich für die Analekten von WG IV verfaßt und bereits im Nov. 1883 von Ranke aus der Druckerei zurückgezogen (Brief an seinen Verleger, 8. 11. 83, Geibel/1886, 153). Auch hier eine auffallend unrankesche Anmerkungsfülle, die überwiegend auf das detailverliebte Naturell Wiedemanns zurückgehen dürfte.

IV. Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten. (Vorgetragen in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 3. August 1854, zuerst gedruckt in deren 1855 veröffentlichten philosophischen und historischen Abhandlungen, S. 415-458; hier wiederholt mit einigen Ergänzungen.) (93-149). [Von Theodor Wiedemann bearbeitet]. 1. Einige Bemerkungen über die Annalen des Einhard. [aus dem NL erweiterter Zweitdr.] (95-116); „Nachträgliche Bemerkungen“ R.s aus dem NL [Erstdr.] (117-120); „Aus dem Handexemplar“ [Randbemerkungen R.s, Erstdr.] (121); „Anhang. Über die Vita Karoli des Einhard“ (121-124). [Abh. R.s aus dem NL, Erstdr.] Zur Entstehungsgesch. der Abh.: Wiedemann 96f., Anm. 2. Ueber die Annalen des Lambertus von Hersfeld (125-149). Aus dem NL erweiterter, von Wiedemann in den Zitaten ergänzter und in den Verweisungen R.s auf „veraltete Editionen“ modernisierter Zweitdr.

V. Notiz über die Mutter [König] Manfreds [von Sizilien]. „(Veröffentlicht 1841 in Raumer’s Geschichte der Hohenstaufen 2. Auflage Band IV S. 277278.)“ (151-154).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘

VI. Zur Geschichte der italienischen Poesie. (Gelesen in der Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 5. November 1835 und in deren 1837 erschienenen historischen und philologischen Abhandlungen S. 401-485; 499-500 zuerst veröffentlicht.) (155-242). Veränderter Drittdr. - Dazu eine forschungsgeschichtl. Anmerkung Wiedemanns (157f., Anm.). Nachträgliche Bemerkung [R.s] (243f.). Veränderter Drittdr.

VII. Zur Geschichte der italienischen Kunst. (veröffentlicht in „Nord und Süd, eine Deutsche Monatsschrift, 1878, April und Mai; hier wiederholt mit einer Reihe von ungedruckten Nachträgen.) (245-314). Veränderter Zweitdr. Anhang. Zur Geschichte der italienischen Malerei nach den in der Dresdener Gemäldegallerie und zu Prag befindlichen Bildwerken (315-328). Erstdr. - Diese Eindrücke hatte R auf den ersten Stationen seiner Italien-Reise im September 1827 gewonnen. - In einer größeren, vorwiegend ikonographischen Anm. (315-317) behandeln die Herausgeber ein im Nachlaß befindliches weiteres Ms. R.s zur Geschichte der italienischen Kunst (dort keine Ed.).

VIII. Ueber den Ausbruch des siebenjährigen Krieges. Aus Mitchells ungedruckten Memoiren mitgetheilt von L. Ranke (Zuerst gedruckt 1844 in der Zeitschrift für Geschichtswissenschaft, hg. v. Ad. Schmidt, Bd. I, 134-163.) (329-356). Auf 331 eine „Vorbemerkung des [ursprünglichen] Herausgebers“ Adolf Schmidt. Auf 332-344: Übers. ins Deutsche von Adolf Schmidt; 345-356: engl. Originaltext.

IX. Friedrich II. König von Preußen. „(Zuerst gedruckt 1878 in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. VII S. 656-685.)“ (357401). Drittdr. - Erschien zuerst selbständig 1878. Die abschließende „Literarische Note“ (400f.) findet sich bereits im Erstdr.

X. Friedrich Wilhelm IV. König von Preußen. „(Zuerst gedruckt 1878 in der Allgemeinen Deutschen Biographie, Bd. VII S. 729-776.).“ (403474). Drittdr. - Erschien zuerst selbständig 1878.

XI. Vorrede zu den Jahrbüchern des Deutschen Reichs unter dem sächsischen Hause (Zuerst gedruckt 1837 vor dem I. Band der Jahrbücher) (475-481). Enddatiert: „30. Nov. 1836“.

XII. Von der historischen Commission bei der Königl. Akademie der Wissenschaften zu München. (Zum Theil bisher ungedruckt.) (483-584). - Zum Inhalt der Reden und den vorgängigen Druckorten siehe II/6.5. 1. Denkschrift, vorgetr. in der vorberathenden Vers. am 30. 9. 1858 (485-491). Zweitdr. - 2. Rede zur Eröffnung der I. Plenarvers. am 29. 9. 1859 (492-495). Zweitdr. - Von den Eröffnungsreden der Jahre 1860 und 1861 waren den Hgg. zufolge keine Aufzeichnungen vorhanden. - 3. Rede zur Eröffnung der IV. Plenarvers. am 4. 10. 1862 (496-500). Erstdr. - 4. Rede zur Eröffnung der V. Plenarvers. am 3. 10. 1863 (501-506). Erstdr. - 5. Rede zur Eröffnung der VI. Plenarvers. am 28. 9. 1864 (507-516). Drittdr. - 6. Rede zur Eröffnung der VII. Plenarvers. am 27. 9. 1865 (517-

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Sämmtliche Werke‘ 521). Erstdr. - 7. Rede zur Eröffnung der VIII. Plenarvers. am 2. 10. 1867 (522-534). Erstdr. - 8. Rede zur Eröffnung der IX. Plenarvers. am 30. 9. 1868 (535-544). Zweitdr. - 9. Rede zur Eröffnung der X. Plenarvers. am 29. 9. 1869 (545-553). Drittdr. - 10. Rede zur Eröffnung der XI. Plenarvers. am 1. 10. 1870 (554-564). Erstdr. - 11. Entwurf zu einem Anschreiben der historischen Commission an König Ludwig II. Anfang October 1870 (565f.). Erstdr. - 12. Rede zur Eröffnung der XII. Plenarvers. am 27. 9. 1871 (567-577). Zweitdr. - 13. Rede zur Eröffnung der XIV. Plenarvers. am 20. 10. 1873 (578-584). Drittdr.

XIII. Ansprachen, gehalten an persönlichen Feiertagen (585-598). Zum Inhalt der Ansprachen und den vorgängigen Druckorten siehe II/6.6. 1. Beim fünfzigjährigen Doktorjubiläum, 20. Februar 1867 (587-591). Drittdr. - 2. Am neunzigsten Geburtstag 21. December 1885 (592-598). Zweitdr.

Bd. 53/54 [in 1]

Zur eigenen Lebensgeschichte Hg. von Alfred Dove > Lpz.: D. u. H. 1890, XII, 731 S. 8º. Br. u. geb. in Halbfrz. [1.-3. GA]. In dieser Form letzte Aufl. des Original-Verlages. - Die Ausg. ist nahezu unkommentiert. Vorrede von Alfred Dove, Nov. 1890 (V-IX).

I. Aufsätze zur eigenen Lebensbeschreibung (3-76). Siehe Edierte Hss. (II/2.3). - 1. Dictat vom October 1863. (3-32). Zweitdr. aus Dove/1887, 38-61. - 2. Dictat vom Mai 1869. (33-44). Erstdr. - 3. Dictat vom December 1875 (45-55). Erstdr. - 4. Dictat vom November 1885. (56-76). Erstdr.

II. Ausgewählte Briefe (77-565). Siehe Briefwechsel (II/3.2).

III. Tagebuchblätter (567-655). Siehe Edierte Hss. (II/2.3). - Mit Ausnahme des Gebets aus den achtziger Jahren (655, Zweitdr. des zehnzeiligen Gebets, um 1884, s. II/2.3) Erstdrr. nachgelassener Aufzeichnungen R.s aus den Jahren 1831-1885, Schwerpunkt 1870ff, vorw. polit. Betrachtungen, sämtlich nachgedruckt in WuN I. Die Vorlagen gelten zum allergrößten Teil als verschollen.

IV. Verschiedenes, zugleich als Nachlese (657-711): 1. Erwiderung auf Heinrich Leo’s Angriff (Frühling 1828) (659-666). Zweitdr. aus Allgemeine Literatur-Zeitung, Jg. 44, Bd. 2, Nr. 131, Halle u. Lpz., Mai 1828, Sp. 193-199. - 2. Gutachten über die politischen Testamente Friedrichs des Großen (Ende 1843) (667-670). Erstdr. - Siehe unter II/4.1. - 3. Politische Denkschrift aus der Zeit des Krimkrieges (Mitte December 1854) (671-679). Erstdr. Siehe unter II/4.2. - 4. Entwurf zu einer Geschichte der Wissenschaft in Deutschland (Der Historischen Commission in München vorgelegt im Herbst 1859) (680-686). Siehe unter II/4.1. - 5. Über ein Denkmal Friedrich Wilhelms III. (687-695): A. Vorschläge (Herbst 1859) (687-691); B. Betrachtung. (Am Tage der Grundsteinlegung, 17. März 1863) (691695). - Erstdrucke. - Siehe unter II/4.1. - 6. Idee einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache. (696-711): A. Eingabe an den Fürsten Bismarck (Bln. 1871) (696-705); B. Entwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift (Berchtesgaden, 18. u. 19. October 1861) (705707); C. Entwurf zu Statuten für eine deutsche Akademie (Wilhelmsthal, September 1867). (707711). Erstdrr. - Siehe unter II/4.1 u. II/6.5. Verzeichniß der Briefempfänger und Personenverzeichniß (713-731; ebd. Corrigenda).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

Weltgeschichte Bände I-VI Bemerkenswert, daß bereits 1875, zu einer Zeit, als noch keine direkte Andeutung auf ein solches Unternehmen vorlag, sein Schüler Alfred Dove zu Rankes achtzigstem Geburtstag die Bitte „um eine Universalgeschichte“ aussprach. (Dove/1875, 969). Ranke selbst deutete den Anlaß zum Abfassen dieses Werkes in einer Weise, die sein literarisches Schaffen, ja seine Existenz wieder einmal mit den großen Weltbegebenheiten in eine enge Beziehung zu bringen suchte. Als Neunzigjähriger schrieb er: „Die universale Aussicht für Deutschland und die Welt hat mich dann veranlaßt, meine letzten Kräfte einem Werk über die Weltgeschichte zu widmen, in dem ich noch begriffen bin.“ (SW 53/54, 76). - Allerdings soll auf einer Äußerung Rankes Giesebrecht gegenüber die Mitteilung beruhen, daß zum Entschluß, eine Weltgeschichte zu schreiben, als „äusserer Grund“ auch seine altersbedingte Unfähigkeit zu weiteren Archivarbeiten mitgewirkt habe (Giesebrecht: Gedächtnisrede/1887, 24). Die Arbeiten begannen nach Wiedemann (IV/1892, 215) „in aller Form“ im Jahre 1877. Schon damals studierte Ranke „die Geschichte von Abraham, 1878 die der Makkabäer“ (an E. v. Manteuffel, 1. 1. 81, NBrr 693). Wiedemanns Werkstattbericht stellt neben den von Rankes Verleger Carl Geibel (Geibel/1886) mitgeteilten Briefen Rankes überhaupt die erste Quelle zur Entstehungsgeschichte dar. Daneben sind die Erinnerungen des Amanuensen Georg Winter von Interesse (Winter: Erinnerungen/1886, 219f. u. Winter: Entstehung/1889, 84-88). Nachdem Ranke im August des Jahres 1879 zunächst sehr unbestimmt seinen Verleger zur Erörterung „wichtigerer“ Fragen (29. 8. 79, Geibel/1886, 126) nach Berlin gebeten hatte, weihte er ihn anläßlich des Besuches im Oktober 1879 in das „Wagnis“ eines neuen Projekts ein. Im November schrieb er - wohl auf dessen Nachfrage hin „Die neue Saat ist noch lange nicht reif“ (2. 11. 79, ebd. 127), zwei Monate später wiederum: „aber die neue Saat ist noch immer nicht reif. Ich kann noch kein druckfertiges Manuskript versprechen.“ (22. 1. 80, ebd. 128). Es war also zunächst eine Art Geheimprojekt, das sich da entwickelte, bis Ranke schließlich im April das Werk sehr bestimmt beim Namen nannte, den es allerdings nicht behalten sollte: ‚Allgemeine Ansicht der Weltgeschichte‘ (9. 4. 80, ebd. 129). Nach Wiedemann soll der zuerst ins Auge gefaßte Titel gelautet haben ‚Versuch einer Weltgeschichte‘ (Wiedemann IV/ 1892, 220). Der Begriff ‚Geschichte‘ tritt übrigens bei keinem der Bände als Werktitel auf. Er wurde von Ranke bewußt vermieden (Brief an seinen Verleger, 31. 10. 82, Geibel/1886, 147) und auch von seinen Fortsetzern in den posthum erschienenen Bänden VII bis IX nicht angewandt. Geplant waren laut Verlagsprospekt zunächst sechs ‚Theile‘ zu jeweils mehreren Bänden. Auch war nach Vollendung des Werkes eine Aufnahme in die ‚Sämmtlichen Werke‘ vorgesehen (MLA 1881, 15), die nicht zustande kam. Karl Braun-Wiesbaden wollte anläßlich einer erneuten „erwünschten Weihnachtsgabe für alle gebildeten Deutschen“ in einer noch zu Lebzeiten Rankes, am 6. Februar 1886 erschienenen Besprechung von Band VI der ‚Weltgeschichte‘ wissen (aus einem Verlagsprospekt?), daß der „zehnte und letzte Band . . . spätestens 1889 erscheinen und bis zu Kaiser Wilhelm, dem ersten deutschen Herrscher aus dem Geschlecht der Hohenzollern, reichen“ sollte. In der Tat gingen Rankes Pläne, wie u. a. eine Tagebuchnotiz zum Tod Edwin von - 129 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

Manteuffels zeigt, in Richtung einer Heraufführung der Darstellung bis in seine eigene Zeit (SW 53/54, 650-653). Auch nach Wiedemann beabsichtigte Ranke, die ‚Weltgeschichte‘ bis in seine Gegenwart hinein fortzuführen. Dabei sollte das 14. u. 15. Jh „mit gleicher Ausführlichkeit wie die vorangehenden“ behandelt werden (Wiedemann 1892, V, 348f.). Vom 16. u. 17. Jh. sollte „mehr nur eine Skizze“ gegeben werden, wohingegen dem 18. u. 19. Jh. „eine breitere Darstellung zugedacht“ war (ebd. 349). In diesem Zusammenhang ist auch ein unveröffentlichter Brief Friduhelm v. Rankes an seine Schwester Maximiliane beizuziehen, in dem er von einer Audienz am 14. Juni 1886 bei Kaiser Wilhelm I. anläßlich der üblichen Rückgabe der Orden seines verstorbenen Vaters berichtet: „ S. M.: Und wie viel Bände sollte das Werk noch weiter erhalten? F.: Das stand wohl nicht ganz fest; aber er hat noch gerade zuletzt den Wunsch ausgesprochen ein Lustrum zu haben und daraus kann man ja schließen, daß er, der alljährlich zu Weihnachten einen neuen Teil herausgab, auf 5 oder 6 weitere Teile rechnete. Und nach Vollendung der Weltgeschichte plante er bereits das Niederschreiben seiner Biographie, zu der schon Entwürfe vorliegen.“ (Archiv Wiehe, Schenkung Dr. Gisbert Bäcker-von Ranke). Der erste Band des aufsehenerregenden Unternehmens erschien schon wenige Monate nach den ersten konkreten Verlagsverhandlungen, zwar mit dem Erscheinungsjahr 1881, um nach buchhändlerischem Brauch die Aktualität zu verlängern, doch noch so rechtzeitig, daß eine Auslieferung vor Weihnachten 1880 möglich war. Bereits nach einer Woche wurde der Druck einer zweiten Auflage nötig. Rankes Verleger mangelte es nicht an Geschäftstüchtigkeit, welche aber stets die auf Wirkung bedachten Interessen Rankes im Auge behielt: Die nicht allzu großformatigen Bände der ‚Weltgeschichte‘ erhielten bei allerdings großem Schriftgrad und Durchschuß einen kleinen Satzspiegel, wodurch sich bei Vergleich etwa mit der vierten Auflage des ‚Wallenstein‘ eine beträchtliche Vermehrung um drei Bände ergab. Die Arbeit stand unter einer zweifachen Pression. Zum einen lebte und schrieb Ranke, bereits 85jährig, mit der begründeten Sorge, dieses Unternehmen nicht zu Ende führen zu können. „Sein ganzes Hoffen war auf die Vollendung des Werkes gerichtet“, schrieb Friduhelm von Ranke in Erinnerungen an seinen Vater (FvR/1903, 201). Auch die Gattin des Verlegers hatte schon gleich zu Beginn des Unternehmens der Hoffnung oder Zuversicht Ausdruck verliehen, bei einem „Torso“ werde es ja wohl nicht bleiben. (Geibel/1886, 134, A. 1). Zum zweiten hatte Ranke sich mit dem Verleger in die aufsehenerregende und ungemein absatzfördernde Lage gebracht, zu jedem Weihnachtsfest einen Band vorstellen zu wollen. Ranke selbst sprach von „unserer Weihnachtsgabe an das deutsche Volk“ (Geibel/1886, 153). Dieser zweifache Druck kann der Qualität der Darstellung nicht förderlich gewesen sein, zumal noch außerordentlich aufwendige Arbeiten an den ‚Denkwürdigkeiten Hardenbergs‘ und an der Ausgabe der ‚Sämmtlichen Werke‘ verrichtet werden mußten. Das eigene Material, über das Ranke zu Beginn der Arbeiten an der ‚Weltgeschichte‘ im Jahre 1877 verfügte, waren zunächst seine Vorlesungsmanuskripte. Schon fünfzig Jahre zuvor, im Wintersemester 1825/26, hatte er über ‚Allgemeine Weltgeschichte‘ gelesen, im folgenden Wintersemester über ‚Die Grundzüge der allgemeinen Weltgeschichte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart‘, im Sommersemester 1832 über ‚Weltgeschichte in universalem Zusammenhange‘ und im folgenden Sommersemester über ‚Die Universalgeschichte (in ihrem allgemeinen und inneren Zusammenhange)‘. Eigentliche Vorlesungen zur alten, im besonderen zur römischen Geschichte - 130 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

sind nur aus den Nachrevolutionsjahren 1848, 1849 und 1852 bekannt. In der Akademie hat er sich mit universalhistorischer bzw. antiker Thematik stark zurückgehalten, lediglich zweimal über Dionysius von Halikarnass vorgetragen (1849). Im Gegensatz zu seinen Publikationen sind die Vorlesungen zur ‚Geschichte des Mittelalters‘, die er zwischen 1836 und 1870 hielt, erstaunlich zahlreich. Vorlesungsmanuskripte waren nach Wiedemann bei der Abfassung der ‚Weltgeschichte‘ „immer zur Hand und haben geradezu als Leitfaden gedient“ (WiedemannV/1892, 344). Doch sei „ihre thatsächliche Benutzung“ doch nur „eine sehr beschränkte gewesen“ (ebd.). Zum anderen waren es einige wenige „aus früherer Zeit stammende Aufzeichnungen ... über einzelne Themata“ (ebd., 345), welche genutzt werden konnten. Die eigentliche materiale Grundlage sei jedoch erst mit der ‚Weltgeschichte‘ selbst geschaffen worden: „Sie bestand in einer in Ranke’s Weise angelegten Materialiensammlung, die zugleich Exzerpte, diesen eingefügte eigene Bemerkungen und mehr oder minder selbständige Erörterungen enthielt. Sie wurde in starke Foliobände, deren Zahl im Fortgang des Werkes bis auf vierzehn anwuchs, eingetragen...“ (ebd.). Nach Auskunft seines Amanuensen Ignaz Jastrow hat Ranke, als er daran ging, „die griechische Geschichte zur Aufnahme in sein letztes Lebenswerk umzuarbeiten ... gerade an politisch wichtigen Stellen Grote [George Grote: History of Greece, 12 Bde, Lnd. 1846-1856] mit besonderer Vorliebe verglichen, obwohl doch heute gar kein Zweifel darüber ist, daß der englische Parlamentarier auch in seiner Darstellung der griechischen Verhältnisse durch seine politische Parteinahme sich arg hat beeinflussen lassen.“ (Jastrow: Leopold von Ranke†/1886, 491. Siehe auch II, 501). - Begleitend herangezogen hat Ranke neben Mommsens ‚Römischer Geschichte‘ stets die Schlossersche ‚Weltgeschichte für das deutsche Volk‘ (zuerst 19 Bde., 1844–57), (Wiedemann, XV/1893, 260). Daneben wurde häufig die ‚Christliche Kirchengeschichte‘ von Johann Matthias Schröckh (45 Bde, 1768-1812) benutzt (ebd. 261). Überhaupt ließen sich in seinem Werk rd. 250 Titelnutzungen für die römische Geschichte nachweisen, wenn diese auch, wie bereits bemerkt, „nicht für eine gleichmäßige und systematische Sichtung der Forschung“ sprechen. (Freitag/1966, 39). Entsprechend seiner üblichen Arbeitsweise ging Ranke auch in das letzte seiner mehrbändigen Werke nur mit mangelhafter Vorbereitung hinein. Bei Erscheinen des ersten Bandes im Dezember 1880 besaß er immerhin noch einen Material[!]-Vorsprung von gut zwei Jahren, der lt. Wiedemann jedoch in sich selbst lückenhaft war (Wiedemann V/1892, 343) und nach Erscheinen des dritten Teils Ende 1882 „illusorisch“ wurde (345). Da Ranke mit seinem Verleger jedoch ein Erscheinen der einzelnen Teile jeweils zu Weihnachten vereinbart hatte und dies auch unbedingt beibehalten wollte, wurde er lt. Wiedemann „inne, daß der für die Fertigstellung eines solchen in Aussicht genommene Zeitraum ... unter diesen Umständen viel zu knapp bemessen sei; er wisse, sagte er, recht gut, daß er für jeden Teil vier Jahre bedürfe...“ (ebd.). Um dieses Problem zu lösen, wurden nicht nur äußerliche Maßnahmen getroffen, wie die Mehrarbeit der Amanuensen bis in die tiefe Nacht, es fand auch eine wesentlichere Umorganisation der Forschung statt: Statt der „Umständlichkeit“ des Vorlesens mit „Niederschrift der darauf begründeten Exzerpte“ ließ Ranke sich durch seine Amanuensen, i. b. wohl Theodor Wiedemann, „Auszüge aus Schriftstellern oder auch vorläufige, zusammenfassende, bisweilen recht ausführliche Bearbeitungen einzelner Themata ... anfertigen; die einen und die andern wurden seitdem zugleich mit der von Ranke selbst fortgeführten Materialiensammlung das wesentlichste Fundament seiner - 131 -

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Darstellung“ (ebd.). Die von Wiedemann angelegte Exzerptensammlung belief sich schließlich auf 62 Konvolute, „zum bei weitem größten Teil in Quart, nur sehr wenige in Folio“ (ebd., 346f. mit A. 3). Hier wurde von Wiedemann also sehr deutlich Hilfestellung gegeben. Anläßlich eines Neudrucks von Band II schrieb Ranke an Geibel „Doctor Wiedemann ist bereits beschäftigt, die wenigen, zum zweiten Theil gemachten Einwendungen zusammenzutragen und zu prüfen.“ (Geibel/1886, 149). Anläßlich eines Neudrucks von Band III schrieb er: „Wiedemann sagt mir aber, daß trotz des kurzen Zeitraums, der seit der Ausgabe verlaufen ist, doch ein und das andere Werk erschienen ist, worin sich möglicherweise Berichtigungen finden könnten.“ (149f.). Allerdings genügten auch die von Wiedemann beschriebenen Maßnahmen keineswegs. Es gelang Ranke nicht, die einzelnen Teile „ordnungsgemäß und der gefaßten Absicht entsprechend jedesmal innerhalb des bestimmten Zeitraums zum Abschluß zu bringen.“ (ebd.). „ ... daß - zumal in den Analekten - selbst erhebliche Irrthümer zutage kommen, ist nur zu begreiflich, wenn man sich die unaussprechliche Schwierigkeit einer allein auf das Ohr angewiesenen vergleichenden Quellenkritik vor Augen stellt.“ (D[ove]: Ranke, Leopold v./1888. Unter dem Titel ‚Ranke’s Leben im Umriß‘ in: Dove: Ausgew. Schriftchen/1898, 184). Man sieht, es sind hier für die Abfassung der ‚Weltgeschichte‘ zwei von der Forschung bisher nicht beachtete Phasen zu bemerken, die erste, wohl gründlichere und Ranke-authentischere der Teile I bis III, die zweite, weniger selbständige und flüchtigere der Teile IV bis VI. In dieser zweiten Phase wurde, wie der stets gegenwärtige Wiedemann bemerkt, „für einen beträchtlichen Teil der Ausführungen die Frische, Genauigkeit und Vollständigkeit der geistigen Aneignung des Stoffes ... erheblich gemindert“ (V/1892, 346). Doch selbst in der ersten Phase schon sah sich Ranke aufgrund lückenhafter Vorarbeiten nicht imstande, eine „seiner ursprünglichen Absicht entsprechende Behandlung des Stoffes“ durchzuführen. (ebd., 343). Nach Georg Winter in der Vorbemerkung zu dem von ihm gefertigten Gesamtregister (WG IX/2, 241) zeigen die verschiedenen Auflagen des Werkes in den ersten drei Bänden „nicht nur typographische, sondern hie und da auch nicht unerhebliche sachliche Abweichungen.“ - „Zwischen der erste und zweiten Auflage, die vom zweiten Bande an zusammenfallen, waren diese Abweichungen so geringfügig, daß sie nicht berücksichtigt zu werden brauchten. Es handelt sich also um drei Textrecensionen ‚Auflage 1-2, Auflage 3, Auflage 4‘“. Zu Rankes ‚Weltgeschichte‘ finden sich in seinem Nachlaß der SBB PK umfangreiche Materialien: Nachlaß-Segment VII, ‚Welt-Geschichten‘, mit ca. 10.000 Hs.Seiten in 9 Kästen, aus der Zeit von 1818 bis 1886, von Dr. Siegfried Baur geordnet, detailliert beschrieben und mit ca. 70 Datensätzen im Umfang von ca. 100 DIN A 4Ausdrucken über das Portal Kalliope ins Internet gestellt. Weltgeschichte > 6 Theile [12 Bde oder 6 Doppel-Bde], Lpz.: D. u. H. 1881-1885. Br. u. geb. 8º. (Or.Broschur Ranke-Archiv Wiehe). Erster Theil. D i e ä l t e s t e h i s t o r i s c h e V ö l k e r g r u p p e u n d d i e G r i e c h e n [2 Bde] [1. Auflage] > Erste Abtheilung. 1881. X, 375 S. - 132 -

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In den Inhaltsverzeichnissen der ersten und zweiten Abteilung lautet der Titel des ersten ‚Theils‘: „Die älteste Völkergruppe und die Griechen.“ Das Werk erschien am 15. Dezember 1880 (G. Winter/1881, 1), wenige Tage vor Rankes 85. Geburtstag, 21. Dezember. Es ging jedoch nicht darum, sondern um die noch gerade rechtzeitige Auslieferung der „Weihnachtsgabe“. Der Band enthält das erste bis siebente „Capitel“ (Bezeichnung im Folgenden entfallen). Vorrede (V-X). - Amon-Ra, Baal, Jehova und das alte Aegypten (3-38). - Das israelitische Zwölfstämmereich (39-79). - Tyrus, Assur (80-119). - Medo-persisches Reich (120-154). - Das ältere Hellas (155-203). - Zusammentreffen der Griechen mit dem persischen Weltreich (204258). - Die Demokratie von Athen und ihre Führer (259-375).

> Zweite Abtheilung. 1881. VI, 300 S. Im Gegensatz zur Ersten Abtheilung ist die zweite im Text betitelt, u. z.: „Zur inneren Geschichte des griechischen Geistes. Ueberwältigung der Perser“. Der Band enthält das achte bis zwölfte „Capitel“ (Bezeichnung im Folgenden entfallen). Antagonismus und Fortbildung der Ideen über die göttlichen Dinge in der griechischen Literatur (1-84). - Persisch-griechische Verwickelungen in der ersten Hälfte des vierten Jahrhunderts (85118). - Die macedonische Weltmacht (119-220). - Ursprung der macedonisch-hellenistischen Königreiche (221-258). - Ein Blick auf Karthago und Syrakus (259-278). - Beilage: Zur Chronologie des Eusebius (279-300).

Die Lektüre der Vorrede ist unverzichtbar zum Verständnis der „universalhistorischen Methode“ - genauer gesagt: Sichtweise - Rankes und seines v. a. raum-zeitlich stark eingeschränkten und zugleich vertieften Begriffs der ‚Weltgeschichte‘. Hier finden sich seine bezeichnenden Sätze von der Schrift, auf die allein „die Geschichte angewiesen“ sei: „Die Geschichte beginnt erst, wo die Monumente verständlich werden und glaubwürdige schriftliche Aufzeichnungen vorliegen.“ (Vsq.) Zwei kurze Entwurf-Diktate aus dem Bereich von Einleitung und Vorrede der WG, zumindest eines vom Okt. 1878, sind bei Schulin/1958, 318f. veröffentlicht. Ein „gegen Ende des Jahres 1880 diktierter, sodann jedoch wieder zurückgezogener Entwurf einer Vorrede zu seiner Weltgeschichte“ wurde in Teildruck von Dove veröffentlicht (WG IX/2, p. V sq.). Mit der israelitischen Thematik hat sich Ranke verschiedentliche Male befaßt, so auch 1877, als er aus dem griechischen Text des Alten Testaments „eine der wichtigsten Begebenheiten, die Spaltung nämlich des Reiches Israel“ glaubte „besser bestimmen zu können, als es aus dem hebräischen, so weit derselbe erhalten ist, möglich wäre“ (an ER, 30. 12. 77, SW 53/545, 539). Bei einem der Besuche auf Manteuffels Gut Topper, August 1878, studierte er „alle Morgen“ die Makkabäer: „Das Buch ist von unendlichem Werth, da es die Begründung der Zustände Jerusalems und der Juden enthält, aus denen das Christenthum hervorgegangen ist. Die Erzählung von dem Heldenmuth und dem Erfolge der Hasmonäer nahm dann meine einsamen Stunden in Anspruch.“ (An seinen Bruder Ernst, Hitzig/1906, 326). Die außer der Beilage ‚Zur Chronologie des Eusebius‘ zunächst für den Band vorgesehenen Analekten - darunter auch der ‚Josephus‘ (Brief an den Verlag, 20. 11. 80, Geibel/1886, 133) - mit ihren noch erforderlichen Korrekturen wurden mit Brief Rankes an seinen Verleger vom 2. 12. 80 zurückgezogen, um noch ein Erscheinen des Bandes vor Weihnachten zu ermöglichen (ebd., 133). Sie treten in reichem Maße als Analekten in WG III/2 (1883) auf, wodurch Rankes aus der Not geborener Gedanke, - 133 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

einen „besonderen Band Analekten zu der alten Geschichte“ zusammenzustellen (ebd. u. 138) zum Tragen kam, allerdings ohne ‚Eusebius‘. - Ein ursprünglich abgefaßter „Exkurs über die bekannte Stelle der Septuaginta“ entfiel. „Ich gedachte dabei auch Deiner“, schrieb er am 22. 12. 80 an seinen gelegentlich mitwirkenden Bruder Ernst, „Aber beim Überlesen schien es mir doch nicht recht, mit Deinem Kalbe zu pflügen und mich überhaupt in die Frage einzumischen, die eine sehr kontroverse bleibt.“ (NBrr 691). 2. Auflage > 1881. VIII, 375; IV, 300 S. Sie erschien etwa einen Monat nach der ersten Aufl., Mitte Jan. 1881. Siehe dazu R an seinen Bruder Ernst, 22. 12. 80 (NBrr 691). - Nach G. Winter bestehen gleichwohl Abweichungen von der 1. Aufl., wenn auch nur geringfügige (WG IX/2, 241). 3. Auflage > 1883. XII, 378 S.; VI, 302 S. Nach G. Winter enthält die 3. Aufl. „nicht nur typographische, sondern hie und da auch nicht unerhebliche sachliche Abweichungen“ von den ersten beiden Auflagen (WG IX/2, 241). 4. Auflage > 1886. XII, 380; VI, 304 S. Vermutlich Ausgabe letzter Hand. Ein Erscheinen des Werkes vor Rankes Tod am 23. Mai 1886 ist anzunehmen. Zu etwaiger Varianz ist sein Brief an Geibel vom 6. Januar 1886 zu beachten: „…und bitte nur, daß die neue Auflage [von WG I u. II] ein Abdruck der dritten werden möge.“ (Geibel/1886, 163). 5. und letzte Auflage des Original-Verlages in dieser Form: 1896. Zweiter Theil. D i e r ö m i s c h e R e p u b l i k u n d i h r e W e l t h e r r s c h a f t [2 Bde] „Erste und zweite Auflage“ > Erste Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Die alte Republik und ihre Oberherrlichkeit an den Küsten des mittelländischen Meeres“], 1882. VI, 413 S. Der Band enthält kein Vorwort. Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis sechstes) ist im Folgenden entfallen. - Traditionelle Geschichte Roms bis in das vierte Jahrhundert römischer Zeitrechnung. (1-80). - Grundlegung der italienischen Nationalität durch die römischen Waffen. (81-124). - Die hellenistischen Reiche in der Zeit der gallischen Einbrüche. Die letzte Epoche der Philosophie und politischen Unabhängigkeit der Griechen. (125-172) - Grundlegung der römischen Macht im Occident im Kampf mit Karthago (173-278). - Begründung der römischen Oberherrschaft im Orient. (279-341). - Definitive Eroberungen. (342-413).

Im 6. Kapitel ist besonders bemerkenswert ein Abschnitt über Polybios.

> Zweite Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Bürgerkriege. Entstehung des römischen Reiches“], 1882. IV, 416 S. - 134 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘ Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis vierzehntes) ist im Folgenden entfallen. - Unbetiteltes Vorwort (3f.) zu „einer der wichtigsten Epochen der Weltgeschichte“ (4). - Gracchische Unruhen. (5-42). - Militärische Erfolge in Numidien und in Gallien. Jugurtha und die Cimbern. (4372). - Das sechste Consulat des Marius. Bundesgenossenkrieg. (73-97). - Erster Bürgerkrieg. Repression des Mithridates. (98-128). - Sullas Dictatur. Seine Einrichtungen und deren Modifikation durch Crassus und Pompejus. (129-153) - Digression über die Makkabäer und das hasmonäische Judaea. (154-173). - Erneuerte Kämpfe des Mithridates. Pompejus in Asien. (174198) - Die catilinarische Verschwörung und das erste Triumvirat. (199-234). - Cäsar in Gallien. (235-263) - Zweiter Bürgerkrieg. (264-307) - Alleinherrschaft Cäsars. Seine Ermordung und deren nächste Folgen. (308-335). - Krieg zwischen den Cäsarianern und den Verschworenen. (336-362) - Zerwürfniß zwischen den Cäsarianern (363-392) - Principat des Augustus. (393416).

Ranke äußert sich in seinem Dedikationsschreiben an Ks. Wilhelm I. vom 15. 12. 81 mit Beziehung auf Niebuhr über dieses Werk: Während dieser „doch nicht weit über die frühesten Zeiten von Rom hinaus vorgedrungen“ sei, habe er selbst „dagegen die erste Zeit nur kurz behandelt und die Gesamtgeschichte der Republik bis auf die Zeiten des Kaisertums zu umfassen gesucht“. Abschließend legt er in seinem Brief einen Vergleich Wilhelms mit Augustus nahe, den er jedoch zugleich mit Blick auf die Stellung Wilhelms, die „zu groß, zu eigenartig“ sei, nicht für statthaft erklärt (NBrr 697f.). In diesen Zusammenhang gehört auch - mit dem schmeichelhaften Hintergrundgedanken der Pax Augustana - der Brief Rankes an Kaiser Wilhelm I. („Ew. Majestät halten den Frieden der Welt aufrecht“) vom 11. 12. 83 (NBrr 714f.). Dritte Auflage Nach Georg Winter enthält die 3. Auflage „nicht nur typographische, sondern hie und da auch nicht unerhebliche sachliche Abweichungen“ von der Vorauflage (WG IX/2, S. 241). Sie ist jedoch in den Kapitelüberschriften identisch mit der Vorauflage. Ab dem 4. Kapitel tritt eine Verschiebung der Paginierung auf. > Erste Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Die alte Republik und ihre Oberherrlichkeit an den Küsten des mittelländischen Meeres“], 1883, VI, 415. > Zweite Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Bürgerkriege. Entstehung des römischen Reiches“], 1883. IV, 416 S. Vierte Auflage Vermutlich Ausg. letzter Hand. Ein Erscheinen des Werkes vor Rankes Tod am 23. Mai 1886 ist anzunehmen. Die 4. Aufl. ist in Werktitel, Kapitelüberschriften und Paginierung identisch mit der 3. Aufl. Dazu stimmt Rankes Brief an Geibel, 6. 1. 86 (Geibel/1886, 163): „…und bitte nur, daß die neue Auflage [von WG 1 u. 2] ein Abdruck der dritten werden möge.“ Nach Georg Winter hingegen enthält die 4. Aufl. „nicht nur typographische, sondern hie und da auch nicht unerhebliche sachliche Abweichungen“ von der Vorauflage (WG IX/2, 241). > Erste Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Die alte Republik und ihre Oberherrlichkeit an den Küsten des mittelländischen Meeres“], 1886. VI, 416 S. > Zweite Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Bürgerkriege. Entstehung des römischen Reiches“], 1886. IV, 416 S. 5. und letzte Auflage des Original-Verlages in dieser Form: 1898. - 135 -

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Dritter Theil. Das altrömische Kaiserthum Mit kritischen Erörterungen zur alten Geschichte [2 Bde] „Erste und zweite Auflage“ > Erste Abtheilung [Ohne Titel]. 1883. VIII, 546 S. Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis fünfzehntes) ist im Folgenden entfallen: Eingang (1-6) Invasion der Römer in Germanien. (7-40). [Siehe dazu die Analekten in WG III/2, „Note...“] Kaiser Tiberius (41-83). - Die Claudier-Cäsaren Cajus, Claudius, Nero (84-126). - Literarische Strömungen der Zeit (127-149). - Ursprung des Christenthums (150-193). - Momente der fortschreitenden Welteroberung (194-211). - Umwälzungen des Principats in den Jahren 68 und 69 u. Ae. (821 und 822 d. St.) (212-241) - Das Kaiserthum der Flavier und ihr Sturz (242-260). Das Imperium des Marcus Ulpius Trajanus (261-281). - Zeiten des äußeren Friedens und inneren Gedeihens (282-334). - Uebergang des Imperiums von dem Hause Marc Aurels auf das Haus des Septimius Severus (335-370). - Erste Einwirkung des Orients auf Rom und ihre Zurückweisung (371-396). - Imperatorischer Bürgerkrieg in der Mitte des dritten Jahrhunderts (397-440). Restauration und Reform unter Aurelian, Probus, Diocletian (441-497). - Constantin genannt der Große (498-546).

> Zweite Abtheilung [Titel als Überschrift i. T.: „Analekten. Kritische Erörterungen zur alten Geschichte“]. 1883. XI, 356 S. Vorbemerkung. (IX-XI) Hier finden sich wichtige methodologische Erwägungen Rankes, so über die Schwierigkeit, „das Ganze zu umfassen und zugleich der Forschung im Einzelnen gerecht zu werden“ (IX). Sodann über den Unterschied kritischer Forschung in der neueren und in der alten Geschichte (X), wobei Ranke zu seinem Bedauern zuweilen von angesehenen antiken Autoren glaubt abweichen zu müssen. (Xsq.). Analekten (1-356) Zu den Analekten siehe die obigen Bemerkungen bei WG I/2 und im einzelnen die Übersicht nach der 4. Auflage.

Im März 1882, neun Monate vor Erscheinen des Werkes, teilte Ranke Geibel die Absicht mit, „den dritten Theil der Weltgeschichte ebenfalls in zwei Abtheilungen erscheinen zu lassen, jedoch in etwas abweichender Art; der erste, etwas umfangreicher als die früheren, soll den historischen Text, der die Epoche von Augustus bis Constantin, also auch die Anfänge des Christenthums behandeln wird, enthalten; der zweite die vielbesprochenen Analekten, welche Sie abgesondert herauszugeben Bedenken trugen“ (11. 3. 82, Geibel/1886, 143). Das Manuskript gelangte wohl erst in der ersten Juniwoche an den Verlag (an Geibel, 17. 5. 82, Geibel/1886, 145). Nach Rankes Urteil in seinem Begleitbrief zur alljährlichen Übersendung eines Dedikationsexemplars an Kaiser Wilhelm I. umfaßt der dritte Teil seiner ‚Weltgeschichte‘ „eine Epoche, in welcher die höchste Gewalt und die Religion in Beziehungen traten, die trotz aller Umwandlungen der späteren Zeit noch heute fortdauern.“ (5. 12. 82 NBrr 707). - Siehe auch die mit Constantin Rößler und E. v. Manteuffel über WG III geführten Gespräche (II/7.2, 1883). - 136 -

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Mitte der 1840er Jahre hatte Ranke im Zusammenhang mit einer nicht verwirklichten Reise zu den „heiligen Stätten im Orient“ den Plan eines „Leben Jesu“ gefaßt, der allerdings nicht verwirklicht wurde (R an OvR, 25. 5. 73, Dove: Erinnerungen/1895, 874). Dritte Auflage > Erste Abtheilung. [Ohne Titel]. 1883. VIII, 551 S. > Zweite Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Analekten. Kritische Erörterungen zur alten Geschichte“]. 1883. VIII, 356 S. Ranke verließ sich dabei in weitreichender Weise auf Wiedemann, von dem er erfahren hatte, „daß trotz des kurzen Zeitraums, der seit der [1./2.] Ausgabe verlaufen“ war, „doch ein und das andere Werk erschienen ist, worin sich möglicherweise Berichtigungen finden könnten. Es wird aber nicht lange Zeit brauchen, um diese herbeizuschaffen und zu verwerthen.“ (An Geibel, 28. 3. 83, Geibel/1886, 149f.). Die dritte Auflage enthält nach Rankes Worten „einige wenige Abweichungen“ gegenüber der 1./2. Auflage. Siehe die Bemerkung zur 4. Auflage. - Die Titelgebung der Kapitel entspricht der 1./2. Auflage, lediglich im 15. Kap. wurde aus „Constantin genannt der Große“: „Constantin der Große“. Die ‚Erste Abtheilung‘ weist eine leichte Abweichung in der Paginierung gegenüber der Vorauflage auf. Zu den Analekten siehe die Übersicht nach der 4. Auflage. Vierte Auflage [Ausgabe letzter Hand oder posthum?] > Erste Abtheilung. [Ohne Titel]. 1886. VIII, 551 S. Zur 4. Auflage von WG III siehe den Brief Rankes an Geibel vom 20. 4. 86 (Geibel/1886, 163f.): „An eine Abänderung von Belang ist dabei nicht zu denken. Natürlich muß der zweite Abdruck [das ist die 3. Auflage!] derselben, der schon einige wenige Abweichungen von dem ersten enthielt, zu Grunde gelegt werden. Ein paar Zusätze, durch neue Auffindungen alter [!] Manuscripte veranlaßt, werde ich noch rechtzeitig einsenden.“ Daß dies noch in vollem Umfang geschah - Ranke starb am 23. Mai 1886 - ist nicht eben wahrscheinlich - es sei denn, diese Aufgabe wäre von Wiedemann übernommen worden - und bedürfte, jedenfalls bei einer historischkritischen Edition, einer eigenen Untersuchung. - Nach Georg Winter hingegen, der später ein Gesamtregister erstellte, enthält sowohl die 3. als auch wiederum die 4. Auflage in den ersten drei ‚Theilen‘ generell „nicht nur typographische, sondern hie und da auch nicht unerhebliche sachliche Abweichungen“ von den Vorauflagen. (WG IX/2, 241). - Nach Wiedemann (XIV/1893, 346) wurde von Ranke in der 4. Auflage von WG III nur eine einzige Änderung vorgenommen. Sie beruhte auf einem ausführlichen Vortrag, den Wiedemann Ranke - unter Benutzung der Schriften von Zahn, Harnack und Sabatier - auftragsgemäß über die von Philotheus Bryennius aufgefundene Lehre der zwölf Apostel hielt. Hiervon handelt auch Otto v. Ranke bei Beschreibung der letzten Lebenstage seines Vaters. Bei einem Besuch Ottos am 3. 5. 86, drei Wochen vor seinem Tod, habe Ranke „mit großer Freude ... von seinen letzten Studien“ erzählt. „Sie betrafen die durch Bryennius ans Licht gezogene Διδαχή τών δώδεκα αποστόλων [Konstantinopel: Butyra 1883]. ‚Sie ist unzweifelhaft ächt, sie ist älter als der Hermas. Für den dritten Band der ‚Weltgeschichte‘, der in neuer Auflage - 137 -

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erscheint, habe ich eine Bemerkung gemacht. Die Διδαχή bestätigt ja nur im Wesentlichen meine Auffassung‘.“ (OvR/1886, 9). > Zweite Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Analekten. Kritische Erörterungen zur alten Geschichte“]. 1886. XI, 356 S. Analekten Kritische Erörterungen zur alten Geschichte [Übersicht über die Auflagen 1-4]

I. Zur alttestamentlichen Literatur WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 1-41.

1. Eine Ergänzung der Bücher der Könige aus der alexandrinischen Uebersetzung (4-12). - 2. Ueber die Darstellung der Geschichte des Moses in den Antiquitäten des Flavius Josephus (1233). - 3. Charakter und Werth der späteren Erzählung des Josephus (33-41).

Bei 1. u. 2. erhielt Ranke Unterstützung durch seinen Bruder Ernst. Siehe dessen aufschlußreiche Briefe an Ranke von Anfang Mai, u. 1. 9. 81 (Hitzig/1906, 335, 336f.) sowie Rankes Briefe an Ernst vom 6. [u. 14.] 10. 81 (SW 53/54, 547f.: „mache mir Deine Bemerkungen hierüber ohne Schonung“), 22. 12. 81 (Hitzig/1906, 341), vom 24. 6. 82 (NBrr 701: „Bemerkungen ... werden ... berücksichtigt werden“), vom 3. u. 5. 8. 82 (ebd. 702f.) und vom 9. 9. 82 (SW 53/54, 553: „Es gereicht mir zur Genugthuung, daß Du auch in Bezug auf Josephus mir beistimmst. Wäre es nur möglich gewesen, Dich auch bei den folgenden Abschnitten herbeizuziehen, ich würde dann bei der Publikation weniger Bedenken empfinden ... Auch bei dem Hauptwerk selbst bin ich meines Erfolges nicht ganz sicher...“). - Bei 2. war ihm auch Wiedemann von Nutzen (Wiedemann V/1892, 347, A. 3). II. Diodorus Siculus und seine Berichte über Alexander den Großen WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 42-91.

III. Ueber die römischen Alterthümer des Dionysius von Halicarnaß WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 92-150. - Siehe dazu II/6.2.

IV. Analyse der Traditionen über die Eroberung Roms durch die Gallier WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 151-168. R.s Wunsch, dieses für das Publikum der WG „viel zu abstruse“ Stück noch unmittelbar vor dem Druck zurückzuziehen, um es einer anderen Publikation zuzuweisen, scheiterte (an Geibel, 30. 8. 82, Geibel/1886, 145f.).

V. Erörterung über einige zweifelhaft erscheinende Nachrichten bei Polybius WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 169-199.

VI. Appian und der Werth seiner Quellen WG III/2, 1./2. Aufl. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 200-237.

VII. Dio-Zonaras WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 238-264. - Siehe vergleichend Wilmans/1835. Siehe auch R.s Brief an seinen Bruder Ernst bei Hitzig/1906, 338.

VIII. Vellejus Paterculus. Die Varusschlacht.

- 138 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘ WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 265-277.

Note zu Theil III, Abtheilung 1, S. 40. [Bezieht sich auf die Deutung einer Textstelle in Tacitus, Germania, c. 13]. - WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 278f.

IX. Würdigung und Kritik der Geschichtschreibung des Cornelius Tacitus WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 280-318.

X. Zur Kaisergeschichte WG III/2, 1./2. Aufl. (1883), 3. Aufl. (1883), 4. Aufl. (1886), 319-356.

Fünfte und letzte Auflage des Original-Verlags in dieser Form: 1902. Vierter Theil. Das Kaiserthu m in Constan tinop el und d er U rsprung ro ma n isch-g er man is ch er Königr eich e [2 Bde] „Erste bis dritte Auflage“ [Ausgabe letzter Hand] > Erste Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Die Kaiser, die Kirche und die Invasionen der Germanen vom vierten bis in das sechste Jahrhundert“]. 1883. VI, 445 S. Eingang (1-9). - [Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis vierzehntes) ist im Folgenden entfallen:] Die Machtstellung des Kaisers Constantius (10-34). - Constantius und die Kirche (35-63). - Der Hellenismus und der Ideenkreis Julians (64-86). - Empörung und Kaiserthum Julians (87-127) Valentinian I. und Valens (128-165). - Kaiser Theodosius I. (166-210) - Das römische Doppelreich und Alarich. (211-248) - Invasion und erste Festsetzung der Germanen in den westlichen Provinzen des römischen Reiches (249-285) - Attila (286-304) - Grundlegung der griechischrömischen Katholicität (305-325) - Der Ausgang des theodosianischen Hauses (326-344) Unterbrechung des Kaiserthums im Occident (345-369) - Odoaker und Theoderich (370-409) Verhältniß Theoderichs zu den anderen germanischen Stämmen. Emporkommen der Franken (410-445).

> Zweite Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Kaiser Justinian und die definitive Festsetzung germanischer Völker im Westen des römischen Reiches. Analekten“]. 1883. VI, 368 S. [Die Bezeichnung „Capitel“ (fünfzehntes bis einundzwanzigstes) ist im Folgenden entfallen:] Uebergang des Kaiserthums auf Justinian und dessen erste Jahre (3-35) - Belisar in Afrika und Italien (36-71). - Wiedererhebung und nochmalige Ueberwältigung der Gothen. Totila, Narses (72-105) - Die letzten Jahre Justinians und der Eintritt Justins II. (106-130). [Hier hat R ein Unterkapitel eingefügt: Ursprung des Dreikapitelstreites (112-130)] - Avaro-langobardische Invasion in Italien. Die drei nächsten Nachfolger Justinians (131-169) - Emancipation der Westgothen in Spanien und der Langobarden in Italien von dem römisch-griechischen Reich in Constantinopel (170-194). - Die merowingischen Könige in Gallien. Die Sachsen in Britannien (195-227) - Schlußwort (228-243).

Das Schlußwort behandelt vor allem das Eindringen der Germanen in das römische Reich, ein Vorgang, den Ranke - was zeitgenössisch besonders auffiel - nicht aus „entfernten Völkerbewegungen“ herleitet, sondern „in der Hauptsache“ als eine „Fortentwickelung der germanischen Geschichte überhaupt“ ansieht (229), sowie die Über- 139 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

lieferung der christlichen Religion, welche dabei die „Elemente der alten Cultur“ in sich schloß und so den „neu entstehenden Reichen und Nationalitäten“ überlieferte (242). - Ranke in einem Dedikationsschreiben an Ks. Wilhelm I., 11. 12. 83 (NBrr 714): „Die Arbeit hatte insofern eine besondere Schwierigkeit, als die Verflechtung des Römischen Reiches mit den germanischen Nationen, die zu den modernen Staatsbildungen führte, darzustellen war.“ (Siehe auch WG II/2). - Über WG IV äußert sich Ranke auch in einem Brief an E. v. Manteuffel, 2. 1. 84 (NBrr 715). Analekten (245-368). - Auf den unbetitelten Vorwort-Seiten 247f. finden sich kurze, aber wichtige Äußerungen Rankes über die folgenden Analekten, den allgemeinen Charakter von Quellen und über Wesen und Aufgabe der historischen Kritik. - Über eine angebliche Kritik von Waitz an Rankes Gregor von Tours-Abh. siehe: Bresslau/1890, 292 und Briefwechsel zwischen Dilthey und Yorck v. Wartenburg/1923, 37. Analekten I. Eusebius über das Leben Constantins WG IV/2 (1.-3. Aufl. 1883), 249-263.

II. Zosimus WG IV/2 (1.-3. Aufl. 1883), 264-284.

III. Procopius WG IV/2 (1.-3. Aufl. 1883), 285-312.

IV. Jordanes WG IV/2 (1.-3. Aufl. 1883), 313-327.

V. Gregor von Tours WG IV/2 (1.-3. Aufl. 1883), 328-368.

Vierte und letzte Auflage des Original-Verlags in dieser Form: 1888. Fünfter Theil. Die arabische Weltherrschaft und das Reich Karls des Großen [2 Bde] „Erste bis dritte Auflage“ [Ausgabe letzter Hand] > Erste Abtheilung. [Titel als Überschrift i. T.: „Das arabische Weltreich und die Entstehung des germanischen Kaiserthums.“]. 1884. VI, 325 S. [Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis zehntes und elftes bis vierzehntes) ist im Folgenden entfallen. Der Band enthält kein Vorwort.] Oströmer und Neuperser im sechsten und siebenten Jahrhundert (1-48) - Mohammed und der Islam (49-103) - Die Chalifen, Abu Bekr und Omar und die ersten Eroberungen der Araber (104-130) - Innere Irrungen im griechisch-römischen Reiche. Verlust von Aegypten (131-154) - Das Chalifat von Damaskus und das byzantinische Reich in der Mitte des siebenten Jahrhunderts (155-177) - Die Eroberungen der Araber in Afrika (178-

- 140 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘ 203) - Die Araber in Spanien und im südlichen Gallien (204-222) - Die Belagerung von Constantinopel im Jahre 717 (223-247) - Die späteren Merowinger und Karl Martell (248-293) [Hier hat R durch Zwischenüberschriften gegliedert: Die Merowinger und das Majordomat (249267), Erhebung Austrasiens zur Herrschaft durch Pippin den Mittleren und Karl Martell (267293] - Emancipation des Papstthums von Constantinopel. Gründung der deutschen Kirche (294325).

> Zweite Abtheilung. [Ohne Titel]. 1884. VI, 306 S. Uebergang des fränkischen Königthums auf die Nachkommen Karl Martells. Ihre Verbindung mit dem römischen Stuhl (3-52) - Omajjaden und Abbasiden (53-77) - Das römischbyzantinische Kaiserthum im achten Jahrhundert (78-105) - Karl der Große (106-247). [Das umfangreichste Kap. der WG ist durch Zwischenüberschriften gegliedert: Fränkisches Großkönigthum (109-163), Der geistliche Charakter des fränkischen Großkönigthums (164-175), Kaiserkrönung Karls (176-190), Weltstellung des Reiches (191-232), Allgemeine Lage. Tod des Kaisers (233-247).] Analekten (249-306).

Ranke hatte während der Satzarbeiten den Gedanken gefaßt, diesem 5. Teil den Titel ‚Mahomet und Carl der Große‘ zu verleihen, um dem Publikum Gelegenheit zu geben, „diese beiden heterogenen Gestalten in einem, sozusagen, idealen Zusammenhange zu erblicken“ (an seinen Verleger, 1. 11. 84, Geibel/1886, 157), nahm diesen Vorschlag jedoch bereits am 4. 11. als „zu feuilletonistisch“ zurück, und es blieb bei dem ursprünglichen Titel (an Geibel, ebd. 158). - Er hatte anfangs beabsichtigt, WG V/2 bis zum Jahre 888, „später wenigstens bis zum Tode Kaiser Ludwig II (875)“ zu führen, doch fand er, jeder weitere Schritt über Kaiser Karl hinaus führe „in eine Welt, die eine besondere Behandlung erfordert… in eine neue welthistorische Region.“ (an Geibel, 1. 11. 84, Geibel/1886, 157). - Bei den Analekten war zunächst die Aufnahme einer „Abhandlung über Eginhard“ vorgesehen, auf die Ranke jedoch schließlich „Verzicht“ leistete (an Geibel, 1. 11. 84, Geibel/1886, 156). Veranlaßt durch die Zusendung des Muhammed-Werkes von Ludolf Krehl äußerte sich Ranke in einem Schreiben an denselben (21. 5. 84 bei FvR. VIII/1906, 333) in zusammenfassender Weise über seine eigene Auffassung. Siehe II/4.1. Analekten I. Zur Geschichte der Eroberung von Syrien und Jerusalem WG V/2 (1-3. Aufl. 1884), 251-267

II. Amru in Aegypten WG V/2 (1-3. Aufl. 1884), 268-280

III. Zwei lateinische Chronisten [der Continuator des Johannes von Biclaro und Isidorus Pacensis] in Spanien unter den Omajjaden WG V/2 (1-3. Aufl. 1884), 281-291

IV. Zur Analyse der Annales Mettenses WG V/2 (1-3. Aufl. 1884), 292-306

Vierte und letzte Auflage des Original-Verlags in dieser Form: 1889. - 141 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

Sechster Theil. Zersetzung des karolingischen, Begründung des deutschen Reiches. [2 Bde] „Erste bis dritte Auflage“ [Ausgabe letzter Hand] > Erste Abtheilung. [Ohne Titel]. 1885. VI, 337 S. [Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis zehntes und elftes bis fünfzehntes) ist im Folgenden entfallen. Der Band enthält kein Vorwort.] - Allgemeine Ansicht. Die Normannen (1-17) Dynastische und kirchliche Entzweiungen im fränkischen Reiche unter Kaiser Ludwig dem Ersten (18-92) - Bildung von drei Theilfürstenthümern im fränkischen Reiche (93-119) - Kaiser Lothar I. Seine Einwirkungen in Italien. Sein Ende (120-140) - Kirchliche Literatur. Pseudoisidorische Dekretalen (141-169) - Papst Nikolaus I. und Kaiser Ludwig II. (170-205) - Karl II. genannt der Kahle und Papst Johann VIII. (206-236) - Weltstellung der zweiten - deutschen Linie des karolingischen Hauses. Kaiser Karl III. (237-283) - König und Kaiser Arnulf (284312). - Macedonische Dynastie in Byzanz (313-337).

> Zweite Abtheilung. [Ohne Titel]. 1885. VI, 278 S. [Der Band enthält kein Vorwort.] - Fatimiden und Omajjaden (1-34). [Hier hat R, wie auch in Kap. 15, durch Zwischenüberschriften stärker gegliedert als sonst: 1. Aglabiten und Fatimiden (1-10), 2. Papst Johann X. am Garigliano (10-13), 3. Kaiserin Zoe und ihr Sturz (13-17), 4. Omajjaden in Spanien (17-34)]. - Dänen in England. Normannen im westlichen Frankenreich (35-61). - Einbrüche der Ungarn im Occident. Das karolingische Königthum in Deutschland unter Ludwig dem Kinde und Konrad I. (62-95). [Hier hat R ein Unterkapitel eingefügt: „Ludwig das Kind“ (69-95)]. - Uebergang des Königthums auf das sächsische Haus (96-141) - Otto der Große (142-278). [In diesem letzten eigenhändig veröffentlichten, einem der umfangreichsten Kapitel seiner WG hat R durch Zwischenüberschriften stark gegliedert: Königskrönung Ottos (142-153), Erste Empörungen (153-165), Uebergewicht Ottos über das westliche Francien. (165177), Erwerbung der lombardischen Krone. (177-193), Empörung Liudolfs und Konrads des Rothen. Sieg Ottos über die Ungarn und Slaven (193-207), Verwicklungen mit dem Papstthum (207-247), Verhältniß Kaiser Ottos I. zu Byzanz (247-278).

Das Werk enthält keine Analekten. Solche wurden nachträglich von Dove und Wiedemann in WG VIII/1887, posthum erschienen, eingebracht. - Die Ranke Manuscript-Collection of Syracuse University enthält in Position 93 (Muir/1983, 93) ‚D. Jo. Jac. Mascovii Discours über seinen Abriss einer vollständigen Historie des Römisch teütschen Reichs‘. Muir bemerkt: „Ranke relied extensively on the Discours for the medieval section of his Weltgeschichte.“ (ebd.). Ranke hatte wohl auch bereits ein großes Kapitel, ‚Die Zeiten Ottos II und Ottos III‘ dem Verlag übergeben, bat dann aber, um den üblichen Erscheinungstermin zu Weihnachten einhalten zu können, Geibel darum, damit „zurückzuhalten“ (Brief vom 15. 11. 85, Geibel/1886, 161). Es stellt wohl den Beginn des von Dove herausgegebenen 7. Bandes dar. Vierte und letzte Auflage des Original-Verlages in dieser Form: 1891. - 142 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

Die posthume Fortführung der ‚Weltgeschichte‘ Bände VII-IX Siehe auch Abt. Nachlaß (II/2.1.1)

Siebenter Theil. Höhe und Niedergang des deutschen Kaiserthums. Die Hierarchie unter Gregor VII. > „Erste bis dritte Auflage“, Lpz.: D. u. H. 1886, X, 348 S. 8º. Br. u. geb. Vierte und letzte Auflage des Original-Verlages in dieser Form: 1893. Vorwort (V-VII), unterzeichnet: „Im Auftrage der v. Ranke’schen Familie: Alfred Dove. Bonn, December 1886“. - VI: „Es bedurfte ... der eifrigen und glücklichen Bemühung eines treuen wissenschaftlichen Gehilfen, des Herrn Paul Hinneberg, um aus den Dictaten und nach den Weisungen des Entschlafenen einen wohlgefügten, bequem lesbaren Text herzustellen.“ ... „Nur die Aufzeichnungen früherer Jahre, wie sie für die vollendeten Theile regelmäßig die Unterlage bildeten, sind auch für die Folgezeit im Nachlasse vorhanden.“ Der Zustand dieser Papiere gestatte „bis jetzt noch keine bestimmte Entscheidung über die Form, in welcher eine derartige Ergänzung der Ranke’schen Weltgeschichte - denn von einer ebenmäßigen Vollendung ließe sich nicht reden - dem Publicum dargeboten werden soll.“ (VIsq.) - - - 190, A. 1: „Diese einleitenden Sätze zum achten Capitel, dem Texte des vorliegenden Bandes nachträglich eingefügt, sind das Letzte, was Leopold von Ranke auf dem Sterbebette für seine Weltgeschichte dictirt hat. Von Schmerzen überwältigt brach er hier ab mit den Worten: Inter tormenta scripsi.“ Eingang (1-8). - [Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis siebzehntes) ist im Folgenden entfallen.] - Regierung Ottos II. (9-29) - Unruhen im deutschen Reiche und vormundschaftliche Regierung Theophanos (30-41) - Anfänge der kapetingischen Dynastie und ihre Kirchenpolitik; Cluny (4255) - Kaiserthum und Papstthum vereinigt: Otto III. Begründung der Königreiche Polen und Ungarn (56-85) - Behauptung und Begrenzung des deutschen Reiches durch Heinrich II. (86128) - Uebergang des Kaiserthums auf das salische Haus. Regierung Konrads II. (129-166) Englische Hierarchie und nordisches Königthum (167-189) - Das Kaiserthum unter Heinrich III. (190-208) - Anfänge der Emancipation des Papstthums (209-222) - Erste Regierungszeit Heinrichs IV. (223-237) - Die Normannen in England und in Unteritalien (238-249) - Erste Conflicte Gregors VII. mit Heinrich IV. (250-268) - Canossa (269-285) - Gegenkönigthum und innere Kriege in Deutschland (286-295) - Offener Kampf zwischen Gregor VII. und Heinrich IV. (296313) - Behauptung des Kaiserthums trotz der Excommunication (314-327) - Anfänge Heinrichs V. Ausgang Heinrichs IV. (328-348).

Achter Theil K r e u z z ü g e u n d p ä p s t l i c h e W e l t h e r r s c h a f t (XII. und XIII. Jahrhundert) Hg. von Alfred Dove, Georg Winter, Theodor Wiedemann > „Erste bis dritte Auflage“, Lpz.: D. u. H. 1887, XVI, 655 S. 8º. Br. u. geb. Vierte und letzte Auflage des Original-Verlages in dieser Form: 1898. Vorwort (V-XIII), unterzeichnet: „Alfred Dove. Bonn, im December 1887.“- Demzufolge handelt es sich bei diesem Band ab Kap. 3 um eine Bearbeitung eigener Ranke- 143 -

II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

scher Vorlesungshefte durch Georg Winter, unter starker Berücksichtigung zweier Vorlesungsnachschriften von Dove und Otto Heyne (s. II/5.1), wohingegen für die ersten beiden Kapitel hauptsächlich auf Diktate Rankes aus seinen letzten Lebensmonaten zurückgegriffen wurde. Das „Gerüst ihres Aufbaus“ wurde der Heyneschen Vorlesungsnachschrift entnommen, daneben auch „eine Reihe älterer zurathe“ gezogen (X). Nach Berg/1968, 76 sind die Dovesche und Heynesche Nachschrift. „wie die von Dove angeführten Manuskripte Rankes verschollen.“ In Doves Vorwort findet sich das für die posthumen Werkausgaben Rankes insgesamt aufschlußreiche Bekenntnis nebst wissenschaftlich unzulässiger Alternative: „...so liegt die Sache nicht, weder in dem einen noch in dem anderen Theile dieser Publication, daß jedes einzelne Wort, wie und wo es eben dasteht, im buchstäblichen Sinne von Ranke selber dort hingesetzt wäre: unter solcher Bedingung hätten wir auf das ganze Unternehmen von vornherein verzichten müssen; es war schlechthin unmöglich. Nur dies war die Frage: sollte Rankesche Darstellung im Schiffbruch untergehen, oder, von einem fremden Elemente äußerlich leicht benetzt, zur Freude vieler ans Ufer gezogen werden?“ (XII). Eingang (1-14). - [Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis zweiundzwanzigstes) ist im Folgenden entfallen.] - Innere Abwandlungen der orientalischen Verhältnisse vom neunten bis ins elfte Jahrhundert (15-39) - Mohammedanisch-christliche Verwicklungen bis zum ersten Kreuzzuge (40-85) - Erster Kreuzzug. Errichtung des Königreichs Jerusalem (86-110) - Ausgang des Investiturstreites (111-125) - Welfen und Hohenstaufen (126-149) - Der zweite Kreuzzug (150160) - Kaiser Friedrich I. und seine Widersacher: die lombardischen Städte, Papst Alexander III. und Heinrich der Löwe (161-209) - Heinrich Plantagenet, König von England, Herzog der Normandie (210-222) - Untergang des Königreichs Jerusalem (223-241). - Der dritte Kreuzzug (242-261) - Heinrich VI. und die Anfänge Papst Innozenz’ III. (262-279) - Der vierte Kreuzzug: lateinisches Kaiserthum; Entscheidung in Spanien (280-306) - Innocenz III. in seinem Verhalten zur deutschen und zur englischen Krone (307-335) - Kaiser Friedrich II. (336-372) - Ausbreitung der lateinischen Christenheit nach Norden und Osten. Hierarchische Gestaltung des Abendlandes überhaupt (373-406) - Ueberblick (407-416, ohne Kapitel-Zählung) - Ueberfluthung der asiatischen und osteuropäischen Welt durch die Mongolen (417-454) - Der deutsche Orden in Preußen (455-479) - Das Papstthum in der Mitte des dreizehnten Jahrhunderts und die italienischen Parteien (480-503) - Karl von Anjou (504-538) - Die Päpste und das deutsche Reich von der Absetzung Friedrichs II. bis zur Schlacht auf dem Marchfelde (539-571) - Befestigung des Hauses Habsburg (572-601) - Bonifaz VIII.; Demüthigung des Papstthums (602-623).

Analekten Zur Kritik der Geschichtschreiber Heinrichs I. und Ottos des Großen (Nachtrag zum sechsten Theil der Weltgeschichte) [Unbetitelte Vorrede, angeblich Rankes] (627)

I. Die beiden Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde (628-634) II. Liudprand (634-655).

Die Analekten „sind von Ranke im Jahre 1885 ... Theodor Wiedemann dictirt und mit ihm erwogen worden.“ Wiedemann hat „dem Schlusse beider Erörterungen die noch mangelnde in sich zusammenhängende Redaction angedeihen“ lassen (Dove auf p. XII des Vorworts).

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II/1.1.2 Das Werk - Selbständige Schriften: ‚Weltgeschichte‘

Neunter Theil [2 Bde] Erste Abtheilung [1. Bd.] Z e i t e n d e s U e b e r g a n g s z u r m o d e r n e n W e l t (XIV. und XV. Jahrhundert). Hg. von Alfred Dove und Georg Winter > „Erste bis dritte Auflage“, Lpz.: D. u. H. 1888, VIII, 275 S. 8º. Br. u. geb. Letzte Auflage des Original-Verlages in dieser Form. (Anastatischer Nachdruck 1900). Vorwort (V-VIII), unterzeichnet: „Bonn, im Juli 1888. Alfred Dove.“ - „Die dreizehn Capitel dieses Theils sammt Eingang und Schlußwort ... bilden in allem Wesentlichen, nach Form und Inhalt, den bisher zurückbehaltenen Rest eines Heftes, welches von Ranke selbst für die jüngste, im Sommersemester 1870 unternommene Wiederholung seines Collegs über das nachstaufische Zeitalter [‚Geschichte des 14. und 15. Jahrhunderts‘, s. II/5.3], eigenhändig niedergeschrieben worden.“ (Vsq.). Eingang (1-3) [Die Bezeichnung „Capitel“ (erstes bis dreizehntes) ist im Folgenden entfallen.] Kaiser Heinrich VII. (4-29) - Ludwig der Baier (30-62) - Kaiser Karl IV. (63-92) - England und Frankreich im vierzehnten Jahrhundert (93-109) - Italien im vierzehnten Jahrhundert (110-116) Die späteren Luxemburger (117-127) - Das deutsche Städtewesen (128-158) - Zeiten des Schismas (159-181) - Das Concil von Constanz und die Hussitenkriege (182-196) - Momente der deutschen Geschichte im weiteren Verlaufe des funfzehnten [!] Jahrhunderts (197-232) - Frankreich und England im funfzehnten Jahrhundert (233-245) - Nordische Reiche (246-253) - Timur Beg; Eroberung Constantinopels durch die Türken (254-269) - Schlußwort (270-275). [Das Schlußwort enthält kaum beachtete Bemerkungen zur „Geschichte als Wissenschaft“ und zum „welthistorischen Geschick“].

Zweite Abtheilung [2. Bd.] Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern gehalten Hg. von Alfred Dove. Nebst Gesammtregister zu Theil I-IX, bearbeitet von G[eorg] Winter > „Erste bis dritte Auflage“, Lpz.: D. u. H. 1888, XXVIII, 528 S. 8º. Br. u. geb. Letzte Auflage des Original-Verlages in dieser Form. (Anastatischer ND 1900). Als Sonderabdruck der Vorträge außerhalb der Weltgeschichts-Ausgabe (ohne Gesamtregister) in 8. und letzter Auflage des Original-Verlags 1921 erschienen. Vorw. (V-XXVI), unterzeichnet: „Bonn, im Juli 1888. Alfred Dove.“ - Dove veröffentlicht darin aus dem NL Rankes den „Beginn eines ersten, gegen Ende des Jahres 1880 diktierten, sodann jedoch wieder zurückgezogenen Entwurfs einer Vorrede Ranke’s zu seiner Weltgeschichte“ (Vsq.). Sodann teilt er eine dem Thema ‚Historie und Philosophie‘ gewidmete Einleitung einer Vorlesung Rankes „in der Handschrift der dreißiger Jahre“ (VII-XI) mit. Des weiteren referiert er (kein wörtl. Zitat) aus „nachgeschriebenen Schülerheften“ von Vorlesungen Rankes der vierziger Jahre (XI-XIII) und gibt letztlich den Text einer Vorlesungseinleitung Rankes in „eigenhändiger Fassung aus den sechziger Jahren“ zum Thema ‚Universalhistorie‘ wieder (XIII-XVI). Text der Vorträge (1-238, s. II/2.1.5.). - Gesamtregister (239-528), auch separat (ÖNB).

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2. Abteilung (II/1.2) NICHTSELBSTÄNDIGE SCHRIFTEN 1817 - 1878 E i n f ü h r u n g (II/1.2.1) Ranke hat in steter archivlich-kritischer, editorischer und gestalterischer Hinwendung zu seinen großen Werken, abgesehen von den Beiträgen zur eigenen ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ (1832-1836. Zum Gesamtinhalt der Zeitschrift s. II/1.3), in konsequenter Weise nicht nur bei seinem Briefwechsel große Zurückhaltung geübt, sondern auch - ganz zu schweigen von Besprechungen - außerordentlich wenige nichtselbständige Schriften veröffentlicht, an ausgesprochenen Zeitschriftenaufsätzen außerhalb seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ gerade einmal drei: ‚Zur Geschichte des Don Carlos‘, 1929, ein Aufsatz über den Triumphbogen des Claudius, 1930, und ‚Zur Geschichte der italienischen Kunst‘, letzterer zwar noch im Alter, 1878, erschienen, doch auch aus den frühen Jahren, 1831, stammend. - Als Rezensent ist Ranke schwer vorstellbar. Immerhin lassen sich einige seiner Beiträge als Besprechungen auffassen: ‚Bemerkung über Capefigue histoire de la réforme, de la ligue et de Henri IV…‘ (Paris: Duféy, 8 Bde, 1834-1835), in HPZ II/3 (1835), 581-605, sodann ‚Ueber die Paroles d’un croyant‘ (Lamennais, Paris 1833), ebenfalls in HPZ II/3 (1835), 617-636 und ‚Ueber ein im Jahre 1837 zu Rom erschienenes apokryphes Geschichtswerk‘ (‚Memorie storiche del principali avvenimenti politici d’Italia seguiti duranti il pontificato di Clemente VII, opera di Patrizio di Rossi Fiorentino‘, 4 Bde, Rom 1837), später in seine ‚Deutsche Geschichte‘ (Bd. VI, 1. Aufl. (1847, 99-124) aufgenommen. Hingegen hat Ranke seine Aufgabe in der Kgl. Preuß. Akademie sehr ernst genommen und regelmäßig vorgetragen, wovon jedoch nur weniges veröffentlicht ist. Einen weiteren bemerkenswerten ‚Ersatz‘ für die auffallend geringe Zahl an Zeitschriftenbeiträgen stellt vor allem die Vielzahl quellenbezogener Abhandlungen dar, die er unter der Bezeichnung ‚Analekten‘ seinen Werken beigegeben hat. Vor Eintritt in seine bisher bekannt gewordenen nichtselbständigen Schriften sind einige seiner Ablehnungen von Beitragseinladungen zu betrachten, und es ist sowohl mutmaßlichen oder noch nicht lokalisierten Druck-Beiträgen als auch unveröffentlichten, verschollenen Manuskripten nachzugehen. Nach eigenem Bekunden im Jahre 1881 hat Ranke „so oft Beiträge“, die man von ihm erbeten, abgelehnt, daß er auch im Fall des ‚Historischen Taschenbuchs‘, dessen Neue Folge von seinem Schüler Wilhelm Maurenbrecher redaktionell betreut wurde, nicht annehmen konnte (An Geibel, 6. 6. 81, Geibel/1886, 140). Bereits 1828 hatte er von Karl Heinrich Ludwig Pölitz, dem Herausgeber der ‚Jahrbücher für Geschichte und Staatskunst‘, welche in Band I eine anonyme Besprechung (Febr. 1828, 217-221) seiner ‚Fürsten und Völker‘ I gebracht hatten, eine Einladung zur Mitwirkung erhalten, die er jedoch in der ihm eigenen Art eher mehr als weniger ablehnte (an dens., 25. 4. 28, SW 53/54, 197). - Auch Ernst Münch (1798-1841), der mit der Beschaffung von Beiträgen für die ‚Stuttgarter Zeitung‘ und andere Blätter beauftragt war, erteilte er eine Absage (14. 2. 34, Erstdr.: Henz/1972, 291f.). In einem unveröffentlichten Schreiben vom 24. 2. 38 hatte ferner Johann Georg Cotta um einen Beitrag für die gerade begründete ‚Deutsche Vierteljahrsschrift‘ und für die ‚Allgemeine Zeitung‘ gebeten. - 146 -

II/1.2.1 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

Als Thema scheint Cotta, wie einem späteren, undatierten Brief zu entnehmen ist, ‚Die Akademien‘ vorgeschlagen zu haben (s. II/2.2.3, Cotta-Archiv, Marbach a. N.). Ranke kam dieser Bitte wohl ebenso wenig nach wie einer späteren der Zeitschrift für vaterländische Geschichte und Alterthumskunde, ‚Der Bär‘ (Matthias/1879). - Zu den abgelehnten Beitragsersuchen gehört bedauerlicherweise auch eine Einladung der ‚Gartenlaube‘, vorgetragen durch den Romancier Hermann Heiberg, eine kurze würdigende Skizze über Bismarck zu dessen 70. Geburtstag zu verfassen. Immerhin führte dies zum Entwurf eines Briefes, in dem Ranke sich neben der Ablehnung doch nicht die Darlegung einiger Gedanken zur Entwicklung Preußens im 19. Jahrhundert und zur weltgeschichtlichen Bedeutung Bismarcks versagen konnte ([vor dem 1. 4. 85]. In: D[ove], Erinnerungen/1895, 875. Zweitdr.: Dove/1898, 232-235). Zu den mutmaßlichen Beiträgen Rankes gehört ein Artikel über die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni und 5. Juli 1832 und ihre französische Resonanz in der ‚Allgemeinen Preußischen Staatszeitung‘, Nr. 220, 9. Aug. 1832, 881 und in demselben Blatt Nr. 59, 28. Febr. 1838, 237 ein unter XY von Ranke verfaßter oder beeinflußter Artikel gegen die unautorisierte Haibersche Übersetzung seiner ‚Päpste‘. - In der Korrespondenz zwischen Hermann Fürst v. Pückler-Muskau und Varnhagen v. Ense (Briefwechsel und Tagebücher des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau III/1875) wird Ranke auch als Mitarbeiter der ‚Allgemeinen Zeitung‘ genannt. Varnhagen an Pückler, 13. 2. 34: „Die Zeitungsnachrichten aus Preußen sind in den letzteren Zeiten ganz fabelhaft und albern geworden. Diese Mittheilungen scheinen den schlechtesten Händen zugefallen zu sein; auch die eigentliche Politik, als deren Bearbeiter für die ‚Allgemeine Zeitung‘ man unseren Ranke nennt, ist in dessen Artikeln nach meiner Ansicht nicht gut berathen.“ (III, 187). - Pückler an Varnhagen, 14. 2. 1834: „Ranke, der als Historiker so glänzend auftrat, fällt allerdings von seiner Höhe schmählich herunter, wenn er jene Aufsätze in der ‚Allgemeinen Zeitung‘ schreibt, von denen ich einige mit wahrem dégout gelesen.“ (III, 192). Allerdings wird Ranke in der kritisch zu verwendenden Beiträger-Kartei des Cotta-Archivs Marbach zur ‚Allgemeinen Zeitung‘ nur zum 7. 10. 1869 genannt (Mitt. von Dorothea Kuhn, 17. 7. 1972). Dies stellt freilich den Abdruck seiner Rede vor der Historischen Kommission vom 29. Sept. 1869 dar. Bei dem von Pückler genannten Blatt dürfte es sich um die ‚Allgemeine Preußische Staatszeitung‘ handeln. Eine wohl unhaltbare Vermutung äußerte J. Friedrich in seinem Werk über Ignaz v. Döllinger (II/1899, 245). Er hielt es für „wahrscheinlich“, daß Ranke der Verfasser einer in der ‚Berliner Litterarischen Zeitung‘, Nr. 21, 14. März 1846, erschienenen Kritik der Reformationsgeschichte Döllingers sei (Döllinger, Ignaz: Die Reformation, ihre innere Entwicklung und ihre Wirkungen im Umfange des lutherischen Bekenntnisses, 3 Bde, Regensburg 1846 (-1848), Bd. I). - Helmolt sah den Verfasser eher unter den Schülern Rankes, etwa in Siegfried Hirsch (Helmolt: Verschollener Aufsatz/1907, 548), - eine ansprechende Vermutung, da Hirsch gern als Paladin Rankes auftrat. Als wesentlich sicherer ist Rankes Mitarbeit bei der von ihm stets gelesenen ‚Neuen Preußischen Zeitung/Kreuzzeitung‘ anzusehen. Zunächst erfolgte sie unfreiwillig. Es geschah bei einem „Privatschreiben politischen Inhalts“, von Ranke nach 1848 verfaßt, das sein Amanuensis Th. Wiedemann erwähnt. Ranke habe die ohne seine Genehmigung erfolgte Bekanntmachung noch in den letzten Monaten seines Lebens beklagt (Wiedemann, XII/1892, 229, A. 3). Das Schreiben wurde bisher nicht ermittelt. - In den 1850er Jahren soll Ranke mehrere Artikel eingeliefert haben. Julian Schmidt (Literatur- 147 -

II/1.2.1 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

geschichte, III, 41858, 431) bemerkt dazu: „Wenn ein Ranke sich zum Mitarbeiter der Kreuzzeitung hergeben kann, so steht es schlimm mit der Gewalt unsrer öffentlichen Meinung. Die widerlichen Erscheinungen der Revolution, die doch lange nicht so arg waren, als bei verwandten Begebenheiten, trieben ihn in eine maßlose Reaction, in einen krankhaften Haß gegen den Liberalismus, dem er die ganze Schuld jener Unruhen aufbürdete.“ (431). - Auch Ernest Grégoire wußte zu berichten, Ranke sei seit 1848 Mitarbeiter der ‚Kreuzzeitung‘ gewesen (Grégoire/1860, 657), und in den Erinnerungen von Rankes Sohn Friduhelm (FvR/Febr. 1903, 199) heißt es: „ab und zu hat er wohl auch in den fünfziger Jahren für sie einen Artikel geschrieben.“ Keiner dieser die Kenntnis von Rankes Einstellung und Urteil in Fragen der Tages- und allgemeinen Politik vermutlich deutlich erweiternden Beiträge wurde bisher in dem täglich erscheinenden Organ ermittelt. - Ebenfalls in der ‚Kreuzzeitung‘ dürfte ein Artikel Rankes, das Schulaufsichtsgesetz vom 7. März 1872 betreffend, erschienen sein. Man findet ihn erwähnt in einem Brief von Karl von Normann an Gustav Freytag, 21. 2. 72, wo es heißt: „Dieser [Ranke] freilich ist auch nicht faul gewesen und in der Zwischenzeit über Bismarck hinweg unter die Zeitungsmänner und Gegner des Schulaufsichtsgesetzes gestiegen“. (Heyderhoff, Wentzke II/1926, 45. Siehe auch ebd., 29: Sybel an Baumgarten, 6. 10. 71). Ranke war an der ‚Unterrichtsfrage‘ durchaus interessiert, wie sein späterer Brief an E. v. Manteuffel zeigt, in dem er sehr bezeichnend und engagiert erklärt: „Der Unterricht macht zunächst geistig unfähig ... Nach meinem Dafürhalten sollte er in den untersten Schichten des Volkes auf die unentbehrlichsten Elemente eingeschränkt werden“ (3. 10. 82, NBrr 704). Auch dieser Beitrag ist der Forschung bisher verborgen geblieben, wie der folgende: Vermutlich der ‚Kreuzzeitung‘ zuzuschreiben ist ein Artikel, über den er am 6. 7. 77 an Hertha von Manteuffel schrieb: „Eine Aufnahme aber, wie mein kleiner Artikel vom 1. Mai bei Ihnen gefunden hat, hätte ich doch niemals erwartet; sie übertrifft vielmehr alle meine Hoffnungen. Ich habe Ihren Brief darüber mit einer Art von freudiger Rührung gelesen.“ (Brief unveröff. im NL Edwin v. Manteuffel, GStA PK, VI). Ebenfalls von hochgradigem politischen Interesse dürfte ein Aufsatz Rankes von Anfang 1828 u. a. über die „Unvermeidlichkeit einer neuen Revolution“ sein. Er wurde wohl vor Sept. 1828 verfaßt und ist vermutlich von ihm zum Druck gegeben worden. Als Neunzigjähriger bemerkt er dazu (autobiogr. Diktat von Nov. 1885, SW 53/54, 66): „Einmal habe ich mich ... zu einem Aufsatze ermannt, in welchem ich die Unvermeidlichkeit einer neuen Revolution betonte...“. Paul Wittichen (Briefe Rankes an Gentz/1904, 77), konnte ihn auch in der „unter Gentz’ Oberleitung erscheinenden Zeitschrift ‚Der Staatsmann‘ (herausg. von Pfeilschifter 1823-1831), die damals den Mittelpunkt der konservativen Publizistik in Deutschland bildete“, nicht nachweisen, während Helmolt (1921, 38f.), der auch einen unbekannten Verbleib annahm, die Möglichkeit eines Eingangs „in irgend einer Gestalt“ in die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ ins Auge faßte. Vierhaus (Soz. Welt/1957, 44f. m. A. 2) hat in Rankes Nachlaß vergebens danach gesucht. Zu den unveröffentlichten und zugleich verschollenen Aufsätzen Rankes gehört ein für seinen Verleger Friedrich Perthes verfaßter ‚Über den italienischen Buchhandel‘ (erwähnt in Briefen an Perthes vom 27. 9. 30 u. 5. 2. 31, bei Oncken/1925, 226f.). Ranke wollte ihn mit Perthes „durchgehen und rectificiren“ (227) - Das Ms. befand sich 1907 im Besitz des Ranke-Museums, Wiehe, (s. Jahresbericht über das erste Geschäftsjahr des Leopold von Ranke-Vereins in Wiehe 1906, Wiehe 1907, 9). - 148 -

II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

Oncken/1925 bemerkte, von diesem Aufsatz fehle „bisher jede Spur“. Möglicherweise kannte er die Bestände in Wiehe nicht. - In Wiehe befanden sich damals folgende „Manuskripte“: „Italienische, bes. venetianische Kunst. Venetianische Sitten. Italienischer Buchhandel usw. Kunst in München. Bayrische Zustände. König Ludwig I.“ (Siehe II/2.2.3).

Ü b e r s i c h t (II/1.2.2) [Hermann, Gottfried:] DE MYTHOLOGIA GRAECORUM ANTIQUISSIMA DISSERTATIO. SCRIPTA CREATIONI XIII. PHILOS. DD. ET AA. LL. MAGISTRORUM RECTORE MAGNIFICO ET ORD. PHILOS. DECANO ERNESTO CAROLO WIELANDIO [...] PROCANCELLARIO CHRISTIANO DANIELE BECKIO [...] A GODOFREDO HERMANNO [...] DIE XX. FEBR. A. MDCCCXVII. LIPSIAE ([2] XXXVI S.). P. XXXIII: FRANCISCUS LEOPOLDUS RANCKE [!] REGII SEMIN. PHILOL. SODALIS. In Ich-Form verfaßtes lat. Curriculum vitae R.s (neben anderen Promovierten), mit Dank an Lehrer und Stipendiengeber. Erster gedruckter und veröffentlichter Text R.s. Expl. R.Archiv, Wiehe.

Ranke, L[eopold]: Replik. In: Allg. Lit.-Ztg., Jg. 44, Bd. 2, Nr. 131, Halle u. Lpz., Mai 1828, Sp. 193-199. Zweitdr. posthum: SW 53/54 (1890), 659-666.

Replik auf Manin, H. L. [d. i. Heinrich Leo: Bespr. GRGV u. ZKritik. In: JALZ, Ergänzungsbll., Nr. 17 u. 18, Jena 1828, Sp. 129-136, 137-140]. - Duplik Leos unter dem Titel ‚Replik‘: Leo, H[einrich].: Replik. In: Allg. Lit.-Ztg., Jg. 44, Bd. 2, Nr. 150, Halle u. Lpz., Juni 1828, Sp. 352 (darin ledigl. die Ankündigung des Folgenden:) Leo, Heinrich: Replik. In: JALZ, Intelligenzbl., Nr. 39, Jena, Juni 1828, Sp. 305-312. - Zu R.s Replik siehe v. a. seine Briefe an Heinrich Ritter, 30. 4. 28 (SW 53/43, 199-201), 20. 8. 28 (SW 53/54, 207) u. an Fr. Perthes, 30. 7. [1828] (Oncken/1925, 219).

Ranke, L[eopold]: Zur Geschichte des Don Carlos. In: Jahrbücher der Literatur, Bd. 46, Wien, April, Mai, Juni 1829, 227-266.

Auslieferung des Heftes Okt. 1829 (SW 53/54, 232). - Die Abfassung geschah „ausdrücklich ... auf Verlangen“ des Hg.s der ‚Jahrbücher‘ (Valjavec/1935, 7), seines Wiener Förderers Bartholomäus Kopitar. R kündigte die unmittelbare Übersendung des Ms.s mit Brief aus Rom vom 20. 7. 29 an (Helmolt/1921, 52). Allerdings war die Abh. angeblich bereits im Juli des Vorjahres in Wien „ganz fertig und zum Drucke bereit“ gewesen. Doch R, der noch ganz unter dem Eindruck des Angriffs durch Heinrich Leo und überdies des Vorwurfs, zum Katholizismus übergegangen zu sein, gestanden hatte, wußte „doch wirklich nicht“, ob er sich „in diesem Augenblick damit herauswagen“ sollte. (An Friedrich Perthes, 30. 7. 28, Oncken/1925, 219f.). - Nach dem Erscheinen schließlich schrieb R in einem weiteren Brief an Perthes überraschend beiläufig und möglicherweise präzisierend über die auch schon in seinem Erstlingswerk und den ‚Fürsten und Völkern‘ praktizierte Zweiteiligkeit: „In den Wiener Jahrbüchern werden Sie von jener Abhandlung über Don Carlos, von welcher ich Ihnen einst schrieb, den kritischen Theil [!] abgedruckt finden.“ (29. 9. 29, Oncken/1925, 222f.). - In einem Schreiben aus Rom vom 1. 10. 29 an Min. Karl Frhrn v. Stein zum Altenstein erklärte R: „So gering diese Arbeit auch ist, so stellt sie doch meine Intention in Bearbeitung neuerer Geschichte dar“ (NBrr 129). An Friedrich von Gentz schrieb er über

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II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

seinen Aufsatz „Er ist in der That eine Art von Manifest. Wie ich hier geschildert habe, steht es mit nicht wenigen Punkten.“ (26. 4. 30, P. Wittichen/1904, 86). - Wiedemann bemerkt, er habe nach R.s Tod die eigenhändige Niederschrift des ‚Don Carlos‘ der Autographensammlung der Kgl. Bibliothek in Berlin als Geschenk überwiesen. (Wiedemann XIV/1893, 348, A. 2). - Lt. Helmolt hat sich die Druckvorlage mit schwer lesbaren Konzepten und Umarbeitungen später unter den Varnhagen-Papieren der Berliner Staatsbibliothek befunden (Helmolt/1921, 179, A. 89). Es muß sich dabei nicht um dasselbe Ms. gehandelt haben. - „Einige Druckfehler waren bey meiner unglücklichen Handschrift nicht zu vermeiden.“, hatte R schon am 24. 4. 30 entschuldigend an Kopitar (Valjavec 1935, 17) geschrieben. - Veränderter Zweitdr. (Text letzter Hd.): SW 40/41 (HBS 1877), 451-492. Dabei ist zu beachten: R.s 1829 veröffentlichter Beitrag ‚Zur Geschichte des Don Carlos‘ entspricht nicht dem 1877 in seinen ‚Historisch-biographischen Studien‘ (493-544) veröffentlichten Beitrag ‚Geschichte des Don Carlos‘, sondern dem dortigen veränderten Zweitdruck ‚Kritische Abhandlung‘. (451-492). Veränderter Zweitdr. aus den ‚Jahrbüchern der Literatur‘, Bd. 46, Wien, April, Mai, Juni 1829, 227-266.

R.[anke]: [Aufsatz über den Triumphbogen des Claudius]. In: Bullettino dell’ Instituto di corrispondenza archeologica. N. IV, di aprile 1830, 81-86.

Nachweis, Nachdr., dt. Übers.: Ramonat/2012.

[R.:] Einleitung [zur HPZ] HPZ I/1 (Jan./Febr.1832), 1-8. - Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 3-7.

[R:] Ueber die Restauration in Frankreich. HPZ I/1 (Jan./Febr. 1832), 9-76. - Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 8-60. Lit.: Zantop/1987.

[R:] Frankreich und Deutschland. HPZ I/1 (Jan./Febr. 1832), 77-93. - Text letzter Hd.. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 61-76.

[R:] Eine Bemerkung über die Charte von 1830. HPZ I/1 (Jan./Febr. 1832), 103-113. - Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 77-85.

[R:] Ueber einige französische Flugschriften aus den letzten Monaten des Jahres 1831. HPZ I/1 (Jan./Febr. 1832), 114-174. - Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 86-133. - Siehe dazu II/279, Vierhaus.

[R:] Ueber die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II. (Bruchstück von Betrachtungen über die deutsche Geschichte). HPZ I/2 (März/April/ Mai 1832), 223-339. - Zweitdr., lt. R in „ursprünglicher Gestalt“: ZDtG 1868/69 (SW 7, 1-97). - Ebd. 44: „eigentlich die erste Arbeit aus den auf meiner italienischen Reise für die allgemeine Geschichte gesammelten Materialien“. - Drittdr. u. Ausg. letzter Hd. ZDtG 21874, 1-97.

[R:] Ueber die Trennung und die Einheit von Deutschland. HPZ I/2 (März/April/Mai 1832), 340-388. - Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 134-172.

[R:] [Über die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni und 5. Juli 1832 und ihre französische Resonanz.]. - 150 -

II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften In: Allg. Preuß. Staatsztg., Nr. 220, 9. Aug. 1832, 881 [unter der Rubrik ‚Deutschland‘].

Zuschreibung in Brief Varnhagens an Pückler, 13. 8. 32, über die neuen Bundestagsbeschlüsse: „In jedem Fall würde ich mir auch, hätte ich in diesen Dingen etwas zu sagen und zu rathen, die schwächliche, kleingehackte Vertheidigung verbeten haben, die durch Professor Ranke in der ‚Staatszeitung‘ für jene Beschlüsse versucht worden ist.“ (Briefw. u. Tgbb. d. Fürsten Hermann von Pückler-Muskau, III/1874, 113) und Helmolt: Verschollener politischer Aufsatz/1907, 548-563. Text des Artikels ebd. 551-556. - Eine nahezu vollständige kommentierte franz. Übers. des R.schen Art.s in: Le National, Jg 3, Nr. 230, 17. 8. 32, 2, unter der Rubrik „Intérieur. Paris, 15 août“. Dieser Kommentar bei Helmolt, a. a. O., 556-558. - In der Vorrede seiner ‚Französischen Zustände‘ (WW IV, 361-581) datiert 18. 10. 32, erschienen 1833, äußert sich Heinrich Heine spöttisch über R und den Art. über die Bundesbeschlüsse (s. I, 210f.).

[R:] Auszüge aus italienischen Flugschriften. HPZ I/3 (Juni/Juli/August 1832), 455-481. - Veränderter Zweitdr. (Text letzter Hd.): HBS 1877 (SW 40/41), 162-180.

[R:] Die Kammer von 1815. (Zur französischen Geschichte vom 8 Juli 1815 bis 5 September 1816). HPZ I/3 (Juni/Juli/August 1832), 496-568. - Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 173-229.

[R:] Rom 1815-1823. Staatsverwaltung des Cardinals Consalvi. HPZ I/4 (1832), 624-765. - Veränd. Zweitdr. (Text letzter Hd.): HBS 1877 (SW 40/41), 1-144.

R an HR, 30. 11. 32: „...es ist ein ziemlicher Stoff gewesen, doch kein so rechter ...“ (SW 53/54, 262).

[R:] Anhang. Ein Wort über die gegenwärtigen Irrungen im Kirchenstaate. HPZ I/4 (1832), 766-774. - Veränd. Zweitdr. (Text letzter Hd.): HBS 1877 (SW 40/41), 156161.

[R:] Reflexionen [Belgien, Holland, Antwerpen, Kriegsfrage, Sichere Folge des Krieges, Deutschland, Weitere Uebersicht, Vom Einflusse der Theorie]. - In: HPZ I/4 (1832), 803-824. Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 230-247.

[R:] Die großen Mächte. (Fragment historischer Ansichten.). HPZ II/1 (1833), 1-51. Veränderter Zweitdr.: AuV/ES 1872 (SW 24), 3-40. Drittdr. (Text letzter Hd.): AuV/ES, 2. Aufl. 1877 (SW 24), 3-40.

[R:] Bemerkung über die Mémoires tirés des papiers d’un homme d’état sur les causes secrètes qui ont déterminé la politique des cabinets dans la guerre de la révolution, depuis 1792 jusqu’en 1815. HPZ II, 1 (1833), 52-63. Zweitdr. (Text letzter Hd.): RevKr 21879 (SW 45), 260-268.

Kann auch als eine Rez. des 1828 (Bd. I u. II) und 1831 (Bd. III u. IV) erschienenen Werkes angesehen werden. - Siehe dazu Abt. II/7.2, 1832, Gespräche und Korrespondenz mit Varnhagen.

[R:] Zur Geschichte der deutschen, insbesondere der preußischen Handelspolitik. Von 1818 bis 1828. HPZ II/1 (1833), 64-127. Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 248-296.

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II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

[R:] [Schlußwort zu: Johann Caspar Bluntschli Der Schweizerische Bund vom 7. August 1815. In HPZ II/1, 128-153. Schlußwort: 152]. Siehe Oechsli/1915, 119f.

[R:] Die letzten Unruhen in Bosnien 1820-1832. HPZ II/2 (1834), 233-304. - Zweitdr. (Text letzter Hd.) u. d. T. „Bosnien in seinem Verhältniß zu den Reformen des Sultans Mahmud II. 1820-1832“: SerbuTürk 1879 (SW 43/44), 283-327, 538542. - Zum Aufsatz auch Brief R.s an Heinr. Ritter, [Apr./Mai 1835, SW 53/54, 274).

Anhang ‚Über die Abnahme der christlichen Bevölkerung in der Türkei‘ (299-304). - Der Aufsatz ist gearbeitet nach Materialien von Vuk Stefanovic Karadžić. Im Nov. 1833 hatte Vuk auf Bitten R.s für diesen „ein Packetchen (mit der [!] bosnischen Begebenheiten)“ in der Kgl. Preuss. Gesandtschaftskanzlei in Wien abgegeben (V. an R, 16. 11. 33, Vukova prepiska V/1910, 661). Den Eingang bestätigte R am 12. Febr. des Folgejahres mit der Bemerkung, die Materialien seien von ihm bereits bearbeitet und zum Teil schon gedruckt“ (ebd., 663). - Dazu Kopitar in einem Brief an Wenzel v. Hanka, 8. 4. 34: „Quaere e Шaff. [d. i. Šafařík], an Vukio nil habeat scribendum. Ranke in ultimo cahier [der HPZ] fecit ex illius notis Bosniam. Serbica matiцa se defendit contra Шaff. Deberet illos edocere, de quo agatur; illi enim plane nesciunt.“ (Jagić/1897, 120). - Über die Beihilfe Vuks auch in Brief R.s an Kopitar vom 18. 7. 35: „Unser trefflicher alter Freund Wuk müßte eine ähnliche Zusammenstellung [von „authentischem Material“] aufsetzen, wie er zum Behufe des bosnischen Aufsatzes in der Zeitschrift verfaßt hat.“ (Valjavec/1935, 22). -

[R:] Die Venezianer in Morea 1685-1715. HPZ II/3 (1835), 405-502. - Veränderter Zweitdr. (Text letzter Hd.): ZVenezG 1878 (SW 42), 277-361.

R ließ von diesem Aufsatz „einige besondere Abdrücke“ machen, wovon er einen an Kg. Otto I. von Griechenland, einen anderen mit Schreiben vom 1. 1. 35 (SW 53/54, 269f) an Kg. Ludwig I. v. Bayern sandte. (s. auch Brief an HR, 26. 2. 35. SW 53/54, 273). Letzteres Expl. findet sich heute in der BSB München Sign.: Don. Lud. 188. - R.s Brief an Kg. Ludwig, 1. 1. 35 (Konzept oder eher Abschr. d. Ausf.: SW 53/54, 269f.).

[R:] Bemerkung über Capefigue histoire de la réforme, de la ligue et de Henri IV, besonders über die Darstellung der Bartholomäusnacht in diesem Buche. HPZ II/3 (1835), 581-605. Unv. Zweitdr.: FranzG V, 3D Aufl. (1870), 97-116, Drittdr.: 4D Aufl. (1877), 97-116, Viertdr. (Text letzter Hd.?): 3C Aufl. (1878), 114-138 (s. unter FranzG).

Es handelt sich um Baptiste Capefigue (1801-1872): Histoire de la Réforme, de la Ligue et du règne de Henri IV, Paris: Duféy, 8 Bde, 1834-1835.

[R:] Die Idee der Volkssouveränetät [!] in den Schriften der Jesuiten. In: HPZ II/3 (1835), 606-616. I. Bellarmin, II. Mariana. - Verm. Zweitdr.: AuV/ES 1. Aufl. 1872 (SW 24), 225-236; Drittdr. (Text letzter Hd.): AuV/ES 2. Aufl. 1877 (SW 24), 225-236.

[R:] Ueber die Paroles d’un croyant [Lamennais, Paris 1833]. In: HPZ II/3 (1835), 617-636. Text letzter Hd. - Unveränderter Zweitdr. posthum: ZGDF 1887 (SW 49/50), 297-313.

Es handelt sich um die ‚Paroles d’un croyant‘ par l’abbé [Félicité Robert] de Lamennais [1782-1854], Paris 1833.

[Leopold] Ranke: Zur Geschichte der italienischen Poesie. (Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. November 1835). In: Historisch-philosophische Abhh. d. Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Bln. Aus dem Jahre 1835, Bln. 1837 [!], 401-485. - Zweitdr. (Text letzter Hd.), einschl. der nachtr. Bemerkung, als selbst. Schrift 1837. Weiteres siehe dort.

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II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

[Leopold] Ranke: Nachträgliche Bemerkung zur Geschichte der italienischen Poesie. In: Historisch-philosophische Abhh. d. Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Bln. Aus dem Jahre 1835, Bln. 1837 [!], 499f.

[R:] Zur Geschichte der Italienischen Poesie, dritter Abschnitt, Über Torquato Tasso. Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhh. der Kgl. Pr. Akad. d. W. zu Bln., 1. Jg. 1836, 7f. „28. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des Jahrestages Friedrichs des Großen. Hr. Erman eröffnete die Sitzung … Hierauf las Hr. Ranke …“ - Von R verfaßter Auszug.

[R:] Über die Verfassung der Republik Venedig, besonders des Raths der Zehn. Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhh. der Kgl. Pr. Akad. d. W. zu Bln., 1. Jg. 1836, S. 102f. „24. November. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“. - Von R verfaßter Auszug (kenntlich durch Ich-Form).

[R:] Ueber die Memoiren des Cardinal Richelieu. HPZ II/4 (1836), 637-666. Zweitdr.: FranzG V, 3D-Aufl. (1870, SW 12, 1. GA), 137-158; Drittdr.: FranzG 4D-Aufl. (1877, SW 12, 3. GA), 137-158; Viertdr. (Text letzter Hd.?): FranzG V, 3C-Aufl. (1878), 162-189 (s. unter FranzG).

[R:] Maria Theresia, ihr Staat und ihr Hof im Jahre 1755. Aus den Papieren des Großkanzler [!] von Fürst. HPZ II/4 (1836), 667-740. Zweitdr. (Text letzter Hd.): ZGÖuP 1875 (SW 30), 1-60.

[R:] Politisches Gespräch. HPZ II/4 (1836), 775-807. Text letzter Hd. - Unv. Zweitdr. posthum: ZGDF/1887 (SW 49/50), 314-339.

[Vorrede Rankes, datiert 30. Nov. 1836 zu] ‚Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause‘. Herausgegeben von Leopold Ranke. Erster Band, Erste Abtheilung: Georg Waitz: Jahrbücher des Deutschen Reichs unter der Herrschaft König Heinrichs I., Bln. 1837, XII, 202 S. [203 u. 204 unpag.], V-XII. Siehe dazu II/1.3.

[R:] Über eine noch ungedruckte Lebensbeschreibung Kaiser Maximilian’s I. von Hans Jacob Fugger. Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhh. der Kgl. Pr. Akad. d. W. zu Bln., 2. Jg. 1837, S. 140f.

„30. October. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - Wohl von R verfaßter Auszug (s. II/424).

XY: [Von R verfaßter oder beeinflußter Artikel gegen die unautorisierte Haibersche Übers. der PÄPSTE]. In: Allg. Preuß. Staatsztg., Nr. 59, 28. Febr. 1838, 237.

„… Wir sind ermächtigt, zu erklären, dass Herr Professor Ranke diese Histoire de la Papauté, die seinen Namen trägt, nicht als sein Werk anerkennt: er protestiert vielmehr förmlich und feierlich [!] dagegen.“ - Dazu: A. de Saint-Chéron im Vorw. zur Haiberschen Übers. in der Ausg. von 1844, Bd. I, 36f. - R.s (?) Art. abgedruckt bei Helmolt/1921, 188f., A. 144, s. auch ebd. 85f.

L[eopold] R[anke]: [Mitteilung an Friedrich von Raumer über die Mutter König Manfreds von Sizilien]. In: Fr. v. Raumer, IV/21841, 277f., Anm. - Zweitdr. in: AuV/NS 1888 (SW 51/52), 151-154.

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II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

L. Ranke: Ueber den Ausbruch des siebenjährigen Krieges. Aus Mitchell’s ungedruckten Memoiren mitgetheilt von - . In: Zs. f. Geschichtswissenschaft. Hg. v. W. Adolph Schmidt, Bd. 1, Bln. 1844, 134-163. Zweitdr. einschl. der Teile Schmidts posthum: AuV/NS 1888 (SW 51/52), 329-356.

Vorb. Schmidts (134); von Schmidt gefertigte dt. Übers. der Memoiren (135-150); der von R mitgeteilte engl. „Originaltext“ (Andrew Mitchell, Papers, vol. 67, Anfang, aus dem British Museum, Lnd.) (150-163).

Leopold Ranke: Ueber die Versammlung der französischen Notabeln im Jahre 1787 vornehmlich aus noch unbenutzten Documenten der Pariser Archive. In: Allg. Zs. f. Gesch. [Titeländerung]. Hg. v. W. Adolph Schmidt, Bd. 5, Bln. 1846, 1-44.

Beinhaltet außer anderen Auszügen S. 43f. als eine nicht näher bezeichnete u. datierte ‚Beilage‘ ein ‚Actenstück‘ über das Verhältnis der Notabeln zu den Vorschlägen Calonnes. - Der Beitrag geht zurück auf Archivstudien R.s in Paris im Sommer 1843, die sich zunächst in einem am 21. Nov. 1844 vor der Kgl. Pr. Akad. d. W. zu Bln. gehaltenen Vortrag niederschlugen. Zweitdr. als selbst. Schrift 1846, Drittdr. u. weitere Drucke: FranzG.

Leopold Ranke: Communication sur les mémoires du Père Joseph. In : Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 18 (= 2. Serie, Bd. 8), Paris 1850, 335-342 (s. II/6.4).

[Schriftl. Mitteilung Rankes an die Académie des sciences morales et politiques, Paris, über eine Ergänzung der Memoiren Richelieus, Ende Okt. 1850]. Erstdr. in: Moniteur, Paris, 14. Dez. 1850. Zweitdr. in: Bulletin de la Société de l’histoire de France, Paris, Nr. 11, Dez. 1850, 358-363 (s. II/6.4).

Leopold Ranke: Communication relative aux mémoires du cardinal de Richelieu. Suivie d’observations par MM. Ch. Giraud, Cousin et Mignet. In : Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 19 (2. Serie, Bd. 9), Paris 1851, 5-16. Siehe Lesungen Académie des sciences morales et politiques, Paris (II/6.4).

Leopold Ranke: Zur Kritik preußischer Memoiren. In: Königl. Akad. d. Wiss. zu Bln., philosoph.-histor. Abhh. aus dem Jahr 1849, Bln. 1851, 517544. - Lesung: II/6.2. - Veränderter Zweitdr. in: SW 24 (AuV/ES 1872), 41-70. Drittdr. u. Text letzter Hd. : AuV/ES, 2. Aufl. 1877, 41-70.

Leopold Ranke: Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten. In: Königl. Akad. d. Wiss. zu Bln., philosoph.-histor. Abhh. aus dem Jahr 1854, Bln. 1855, 415458. - Erstdr. und Text letzter Hd. - Von Wiedemann bearbeiteter Zweitdr. posthum in: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 95-116, 125-149.

Denkschrift von Leopold Ranke. In: HZ 1 (1859), 28-35. Vorgetragen am 30. Sept. 1858 in der vorberatenden Versammlung der Historischen Kommission bei der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften. - Erstdr. u. Text letzter Hd. - Zweitdr. posthum: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 485-491 (s. II/6.5).

Rede des Vorsitzenden Herrn L. Ranke bei Eröffnung der [I.] Plenarsitzung am 29. September 1859. In: Nachrichten von der historischen Commission bei der Kgl. Bayer. Akad. d. Wiss., Erstes Stück, Mnch. 1859 [Nach S. 540:] Beil. zur HZ 2 (1859), 17-21. - Text letzter Hd., Zweitdr. posthum: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 492-495 (s. II/6.5).

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II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

L.[eopold] Ranke: Entwurf zu einer Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. In: Nachrichten von der historischen Commission bei der Kgl. Bayer. Akad. d. Wiss., Erstes Stück, Mnch. 1859. [Nach S. 540:] Beil. zur HZ 2 (1859), 54-61. - Text letzter Hd., Zweitdr. posthum: SW 53/54, 680-686 (s. II/4.1).

Leopold Ranke: Rede zur Eröffnung der VI. Plenarversammlung am 28. Sept. 1864. In: Augsburger AZ, Beil. Nr. 277f., Augsb., 3. u. 4. Okt. 1864.

Nach einem von R.s Schüler Julius Ludw. Fr. W. Weizsäcker (damals a. o. Mtgl. d. Histor. Komm. u. mit der Wahrnehmung der Sekretariatsgeschäfte provisorisch betraut) eingesandten Ms., Zweitdr./Tdr. in: Die Historische Commission/1883, 40, Drittdr. in: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 507-516 (s. II, 440).

Leopold Ranke: Fuchs und Bentink. Mitgetheilt von - . In: Zs. f. Preuß. Gesch. u. Landeskunde, Jg. 2, H. 1, Jan. 1865, 1-15. Zweitdr. EnglG VIII, 2. Aufl. (1872), 307-318. Drittdr. ebd., 3. Aufl., 307-318.

Enthält die Ed. von fünf Aktenstücken aus dem damal. Kgl. Preuß. StA Bln. betr. die „Verschickung Hrn. Geh. Rath von Fuchsz nacher Zelle sc. sc. 1688“.

Leopold v. Ranke: Zur orientalischen Frage. Gutachten im Juli 1854 Sr. Majestät König Friedrich Wilhelm IV vorgetragen von - . In: HZ 13 (1865), 406-433 (s. II/4.2).

L. von Ranke: Johann Friedrich Böhmer. Vortrag am 30. September 1868 in der historischen Commission gehalten von - . In: HZ 20 (1868), 393-404.

Ausg. letzter Hd. - Posthumer Zweitdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 535-544 (s. II, 441).

[Leopold] von Ranke: Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England. Mitgetheilt von Hrn. - . In: Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bln., philosoph.-histor. Abhh. aus dem Jahre 1868. Bln. 1869, Zweite Abtheilung, 1-92.

Lesung von 1865. - Einleitung (1-22); I. Correspondance de Frédéric le Grand avec le Prince Guillaume IV. d’Orange (23-79); II. Correspondance de Frédéric [le Grand] avec la Princesse Anne douairière d’Orange (80-92). - Zweitdr. als selbst. Schrift: BrFrGr, Drittdr. (gekürzt) in: SW 24 (AuV/ES 1872), 173-222. Viertdr. ebd., 2. Aufl. 1877. - Der Briefwechsel mit dem 1751 verstorbenen Prinzen datiert von 1735 bis 1747, der mit dessen 1779 verstorbener Witwe von 1757 bis 30. 12. 1778. Die Ed. enthält die Veröffentlichung von 36 eighd. Briefen des Kronprinzen Friedrich.

Leopold von Ranke: Georg Gottfried Gervinus. Rede zur Eröffnung der zwölften Plenarversammlung der historischen Commission gehalten von - . In: HZ 27 (1872), 134-146. Ausg. letzter Hd. - Posthumer Zweitdr. in: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 567-577. Auch in G. G. Gervinus: Einleitung in die Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts. Hg. v. Hans Körnchen (Der Domschatz, Bd. 3) Bln. 1921, 197-214 (s. II, 442f.).

Leopold von Ranke: Eine Gedächtnißrede bei Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission gehalten von Leopold von Ranke. [Untertitel:] Maurer. Raumer. Liebig. Stälin. In: HZ 31 (1874), 149-156.

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II/1.2.2 Das Werk - Nichtselbständige Schriften

Ausg. letzter Hd. - Zweitdr. der 1873 selbständig erschienenen Schrift (II/1.1). - Posthumer Drittdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 578-584 (s. II, 443).

Leopold von Ranke: Friedrich II. König von Preußen. In: ADB 7 (1878), 656-685. Ausg. letzter Hd. Zweitdr. des ersten Teils von ‚Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien‘, 1878. - Posthumer Drittdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 357-401.

Leopold von Ranke: Friedrich Wilhelm IV. König von Preußen. In: ADB 7 (1878), 729-776. Ausg. letzter Hd. - Zweitdr. des zweiten Teils von ‚Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien‘, 1878. - Posthumer Drittdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 403-474.

Leopold von Ranke: Zur Geschichte der italienischen Kunst. In: Nord und Süd. Eine deutsche Monatsschrift. Hg. v. Paul Lindau, Bd. 5, H. 13, Bln., Apr. 1878, 50-73; H. 14, Mai 1878, 151-172. Ausg. erster u. letzter Hd. - Aprilheft mit Titelporträt R.s (Kupferstich nach dem Gemälde von Julius Schrader für die Nationalgalerie).

Die Abh. entstand während bzw. unmittelbar nach R.s Italienischer Reise. Das Ms wurde abgeschlossen am 6. 4. 31. R hatte hierin seine „Erinnerungen aus den Galerien, Museen, Kirchen und Palästen Italiens ... niedergeschrieben, und zwar verarbeitet zu einer kleinen Geschichte der Kunst bis in den Anfang des siebzehnten Jahrhunderts.“ (an Reumont, 7. 3. 78, Hüffer/1904, 202). Jedoch teilt er es hier nicht vollständig mit, sondern nur „die früheren Abschnitte des kleinen Werkchens… Sie erscheinen hier bis auf wenige Sätze ebenso, wie sie ursprünglich geschrieben worden sind; nur die Anmerkungen sind von neuerem Datum.“ (Vorrede, 50). - Vermehrter Zweitdr. posthum: AuV/NS (SW 51/52), 1888, 245-328). - In seinem genannten Brief an A. v. Reumont erklärt er auch, das Werkchen seit seiner Entstehung nie wieder angesehen zu haben: „bei dem weiteren Fortschritt meiner sämtlichen Werke aber kam es zum Vorschein ... Ich habe das Meiste von dem, was seitdem erschienen ist, wenigstens durchlaufen, und finde, dass zwar niemand mit mir übereinstimmt, also auch niemand von mir wiederholt werden wird, das Ganze aber doch eine kleine Merkwürdigkeit in sich selbst besitzt; nicht allein für mich biographisch, sondern auch sachlich. Dieses Werkchen nun ... möchte ich Ihnen gern in den Korrekturbogen vorlegen. Sie werden leicht im Stande sein, einige Erinnerungen zu machen, namentlich über die Lokalitäten, wo sich die Bilder finden. Jede Berichtigung würde mir unendlich willkommen sein.“ (Hüffer/1904, 202f.) - Reumont kam der Bitte nach (R.s Dankesbrief vom 27. 3. 78, ebd., 203).

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3. Abteilung (II/1.3) HERAUSGEBERSCHAFTEN Historisch-politische Zeitschrift herausgegeben von Leopold Ranke > [Erster Band] Jahrgang 1832, [mit Monatsangabe. 4 Hefte]. Hamburg: Friedrich Perthes 1832. VI, 824 S. 8º. Br. Verlagswechsel nach Zerwürfnis mit Perthes. - Außerordentlich seltene, später nicht aufgebundene Hefte tragen im Or. einen dünnen, grünen Papierumschlag (Expl. Ranke-Archiv Wiehe). Bei den folgenden Heften tritt an die Stelle der Jg.s- und Monats-Bezeichnung die Bandangabe mit Heftnumerierung.

> Zweiter Band, 4 Hefte. Bln.: D. u. H. 1833, 1834, 1835, 1836. 807 S. 8º. Br. Mehr nicht erschienen. Zur Entstehung und Durchführung der HPZ siehe auch oben ‚Fehlgeplantes und Unvollendetes‘ (I/1.2) und ‚Das Scheitern der politischen Publizistik Rankes: Die Aufnahme der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ 1832-1836 (I/2.1.4), ferner den von Varrentrapp (1907, 55-60) edierten Entwurf des Plans Rankes zur HPZ von Nov. 1831 sowie diverse Briefwechsel des Erscheinungszeitraums, v. a. mit Perthes, Altenstein, Roth, HR (21. 11. [31], SW 53/54, 257f.), Heinrich Ritter, Bluntschli, Puchta (s. II/3.4). - Rankes Beurteilung des Unternehmens findet sich v. a. in den späten Rückblicken seiner autobiographischen Diktate von Dez. 1875 und November 1885 (SW 53/54, 50f., 68). - Editorische Kommentare zu den von Ranke verfaßten Beiträgen enthält die Abt. ‚Nichtselbständige Schriften‘ (II/1.2). In mehrfacher Hinsicht besonders charakteristische und z. T. weniger brauchbare Titelvorschläge Rankes für die Zeitschrift lauteten ‚Historisch-politische Übersichten‘, ‚Deutschland und Europa‘, ‚Fürsten und Völker‘ (Oncken/1925, 211). - Ursprünglich waren Jahrgänge zu 6 Doppelheften vorgesehen. Friedrich Perthes im April 1833: „ ... es ist aus einer Monatsschrift eine zweimonatliche, aus dieser eine Quartalschrift geworden - von nun an wahrscheinlich werden freie Hefte.“ (Dorow/1845, 166f.). Perthes hatte mit einer hohen Anfangsauflage von 1500 Expl. begonnen, die aber bald abgesenkt werden mußte (Moldenhauer/2008, 556). Nach der Kündigung des zwischen Verlag und Redaktion (Ranke) bestehenden Vertrags durch Perthes (28. 3. 33, Entw. Dazu Moldenhauer/2008, 557 m. A. 515) aufgrund tiefgreifender Meinungsverschiedenheiten hinsichtlich der Ausrichtung der Zeitschrift und persönlicher Animositäten, bei denen auch eine hohe Bücherrechnung Rankes eine Rolle spielte, erschienen die letzten vier Hefte bei Duncker u. Humblot, mit dem Perthes bei diesem Objekt zuvor bereits kooperiert hatte. Rankes Beiträge - durchweg anonym erschienen - sind, wie Alfred Dove bemerkte, „ganz abgesehen von der inneren Beweiskraft des Geistes und der Sprache, mit Sicherheit aus einem äußeren Merkmal“ zu erkennen. „In den Inhaltsverzeichnissen zur Historisch-politischen Zeitschrift hat nämlich der Herausgeber nicht versäumt, die fremden Beiträge, wo nicht durch den Namen des Verfassers oder dessen Anfangsbuchstaben, so doch durch individuell bestimmte Zeichen … hervorzuheben; seine - 157 -

II/1.3 Das Werk - Herausgeberschaften

eigenen werden dadurch kenntlich, daß sie durchweg ohne jede Bezeichnung gelassen sind.“ (SW 49/50, VI). - Vom Gesamtumfang der Zs. verfaßte R. selbst rd. zwei Drittel, über tausend Seiten. Was die Nicht-Rankeschen Beiträge anbelangt, so wurden diese einer Äußerung Rankes gegenüber Wiedemann zufolge - von ihm „ohne besondere Rücksichtnahme auf den ursprünglichen Text, stilistisch durchkorrigiert.“ (Wiedemann VI/1892, 107, A. 1). Der Zeitschrift war zudem das Recht der Selbst-Zensur verliehen worden. Von Vierhaus wurden in Rankes Nachlaß, Fasz. 37 (15), fünf „nicht von Ranke“ stammende Aufsätze aufgefunden, welche vermutlich für die HPZ eingereicht, aber dort nicht veröffentlicht wurden (Titel bei Vierhaus: Soz. Welt/1957, 146, A. 2). Mehrere Einladungen Rankes an mögliche Beiträger blieben ohne positive Resonanz, so bei Gotthilf Heinrich von Schubert und Karl Johann Friedrich von Roth (Brief etwa vom 6. 1. 32, NBrr 164f). - Zu den von Ranke aus fachlichen oder politischen Rücksichten abgelehnten Beiträgen gehört neben einem Aufsatz des ihm redaktionell unwirksam attachierten Josef Frhrn. von Eichendorff ein solcher von Robert (von) Mohl. Er lehnte ihn ab, wie er in einem bezeichnenden Absagebrief formulierte, wegen „einer lokalen Stimmung, die mir sehr beschwerlich werden könnte, und in andern zufälligen Umständen.“ (9. 9. 35, NBrr, 207). Seinen Bruder Ferdinand beauftragte er mit der Sammlung „politisch-merkwürdiger Stellen“ aus antiken Schriftstellern (Briefe vom 26. 1. und 21. 4. 32, NBrr 166f. u. 168f.) und fügte hinzu: „Ich benutze es, oder auch nicht.“ (ebd., 168). Er benutzte es wohl nicht, falls er es überhaupt erhielt. Von seinen 24 Beiträgen zur HPZ hat Ranke lediglich die Hälfte in einen Zweitdruck überführt, und auch dies erst rd. 40 Jahre später in der Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘. Zu den realisierten Abdrucken siehe unter ‚Nichtselbständige Schriften‘ (II/1.2). [Band I] Jahrgang 1832 > H e f t 1 (Jan./Febr.) Ausgeliefert Febr. 1832 (Varrentrapp/HPZ 1907, 66) [R:] Einleitung (1-8). [R:] Ueber die Restauration in Frankreich (9-76). [R:] Frankreich und Deutschland (77-93). [Georg Friedrich Puchta:] Aus einem Schreiben von München, betreffend den bayerischen Landtag von 1831 (94-102). Vf. nach Helmolt: Neuer Mitarbeiter/1910. Varrentrapp hatte Karl Joh. Friedrich von Roth als Vf. für denkbar gehalten (Varrentrapp/HPZ 1907, 93, A. 1) - Zu einem weiteren Beitrag vermochte Ranke Puchta nicht zu bewegen: „Dulden Sie, lieber Freund, daß ich Sie nochmals ersuche, mir zu meinem zweyten Hefte, irgend etwas, kleiner oder größer ... zu senden ... noch bin ich nicht eben reichlich versehen ....“, schrieb R ihm in einem der seltenen erhaltenen Beiträger-Einladungsschreiben am 10. März 1832 (ebd.), und es ist fraglich, ob seine dortige frühe Erkenntnis „Eine solche Sache allein zu machen, kann zu gar nichts dienen.“ (ebd.), von ihm wirklich verinnerlicht wurde.

[R:] Eine Bemerkung über die Charte von 1830 (103-113). [R:] Ueber einige französische Flugschriften aus den letzten Monaten des Jahres 1831 (114-174). - 158 -

II/1.3 Das Werk - Herausgeberschaften

> H e f t 2 (März/April/Mai) Erschien Juli (Moldenhauer/2008, 550).

[Marie von Clausewitz:] Ueber das Leben und den Charakter von Scharnhorst. Aus dem Nachlasse des Generals Clausewitz (175-222). Vf. nach Dove (SW 53/54, VIII, A. 2) „mehr oder weniger direct von dessen Witwe verfaßt, zeigt … weder innerlich noch äußerlich eine Spur von Rankischer Arbeit.“ - Besteht wohl 1. aus einem Aufsatz von Clausewitz über Scharnhorst und 2. aus einer von Marie v. Cl. stammenden ‚Erinnerung‘ an Clausewitz. Dazu Varrentrapp: R.s HPZ/1907, 84 mit A. 1. Max Lehmann plädierte aus mehreren Gründen für eine Verfasserschaft R.s an dem nach Seite 213 folgenden Abschnitt ‚Erinnerung an den General Clausewitz und sein Verhältnis zu Scharnhorst‘ (M[ax]. L[ehmann].: [Bespr. SW 49/50 u. 51/52]/1890, 286).

[R:] Ueber die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II. (Bruchstück von Betrachtungen über die deutsche Geschichte) (223-339). [R:] Ueber die Trennung und die Einheit von Deutschland (340-388). > H e f t 3 (Juni, Juli, August). Erschien Oktober (Moldenhauer/2008, 550). [Friedrich Carl von] Savigny: Die Preußische Städteordnung (389-414). [Bernhard von Lindenau?:] Ueber die neuesten Veränderungen im Königreich Sachsen (415-437). Bzgl. Vf. s. Helmolt/1921, 182f., A. 113. - Er war als Autor von Perthes empfohlen worden (Moldenhauer/2008, 553).

[Johann Gottfried Hoffmann:] Das preußische Zollwesen (438-454). Vf. nach Dove (SW 49/50, VIII).

[R:] Auszüge aus italienischen Flugschriften (455-481). [Heinrich Ritter:] Die Theorie und die öffentliche Meinung in der Politik. Fragmente (482-495). Vf. nach Dove (SW 49/50, VIII) „wahrscheinlich“. Die Verfasserschaft wird jedoch bestätigt durch Ritters Brief an Perthes, 28. 9. 32 (Schreiber/1932, 625): „Es sind in der Tat Fragmente. Von Ranke aufgefordert und in dem Wunsche, ihn zu unterstützen, hatte ich eine Abhandlung geschrieben, natürlich theoretisch, wie ich kann. Ranken war dieser Aufsatz für eine spekulative Diatribe zu lang für den Zweck des Journals. Nur aus Freundschaft für ihn habe ich nachgegeben, daß er davon den beträchtlichsten Teil weggestrichen hat und nur Fragmente des Ganzen gedruckt wurden. Dadurch ist dann freilich meiner Meinung nach die beste Kraft meiner Argumentation weggefallen und das Ganze erscheint ungenügend...“ - Darüber findet sich erwartungsgemäß nichts in R.s Brief an Ritter vom 25. 8. [32], in dem er die Korrekturabzüge ankündigt (SW 53/54, 260).

[R:] Die Kammer von 1815. (Zur französischen Geschichte vom 8 Juli 1815 bis 5 September 1816.) (496-568). > Heft 4 Erschien Januar 1833 (R. an Karl Frhrn. vom Stein zum Altenstein, 31. 1. 33, Lenz IV, 1910, 471).

[Friedrich Carl von] Savigny: Wesen und Werth der deutschen Universitäten (569592). - 159 -

II/1.3 Das Werk - Herausgeberschaften

[Johann Caspar Bluntschli:] Die Revolution des Cantons Zürich vom Jahre 1830 in ihrer Entwickelung (593-623). Vf. nach: J. C. Bluntschli: Denkwürdiges I (1884), 114. - Siehe auch: Briefwechsel Johann Kaspar Bluntschlis.../1915. Abgesehen vom darin mitgeteilten Briefwechsel B.s mit R (s. II/3.2) ist von Bedeutung ein Brief Savignys an B., 29. 12. 31, 13f. u. Brief B.s an Savigny, 8. 1. 32 bezügl. B.s Mitarbeit an R.s HPZ. - Weiteres auf 22, 27, 29, 35.

[R:] Rom 1815-1823. Staatsverwaltung des Cardinals Consalvi (624-765). [R:] Anhang. Ein Wort über die gegenwärtigen Irrungen im Kirchenstaate (766-774). [Georg Wilhelm Kessler:] Boden, Arbeit und Ertrag. (Resultate praktischer Beobachtung) (775-802). Vf. nach Dove (SW 49/50, VIII).

[R:] Reflexionen (803-824). [Belgien, Holland, Antwerpen, Kriegsfrage, Sichere Folge des Krieges, Deutschland, Weitere Uebersicht, Vom Einflusse der Theorie].

Band II > H e f t 1 , 1833 Wegfall der Monatsangabe. - Erschien Ende Aug. 1833 (Helmolt/1921, 74).

[R:] Die großen Mächte. (Fragment historischer Ansichten.) (1-51). [R:] Bemerkung über die Mémoires tirés des papiers d’un homme d’état sur les causes secrètes qui ont déterminé la politique des cabinets dans la guerre de la révolution, depuis 1792 jusqu’en 1815. (1833) (52-63). [R:] Zur Geschichte der deutschen, insbesondere der preußischen Handelspolitik. Von 1818 bis 1828 (64-127). [Johann Caspar Bluntschli:] Der Schweizerische Bund vom 7. August 1815 (128-153). Vf. nach: Briefwechsel Bluntschlis/1915, 119f.

[R: Schlußwort zu: Johann Caspar Bluntschli: Der Schweizerische Bund vom 7. August 1815, 152]. [Georg Wilhelm Kessler:] Ueber die Veränderungen, welche die Benutzung und der Ertrag der Landgüter durch politische und wissenschaftliche Einflüsse und durch die Gesetzgebung in neuerer Zeit erfahren haben (154-231). Bzgl. Vf. u. die Folgen der Veröffentlichung für ihn: Helmolt/1921,184, A. 121).

> H e f t 2 , 1834 [R:] Die letzten Unruhen in Bosnien 1820-1832 (233-304). [Georg Benjamin Mendelssohn:] Ein Blick auf Großbritannien. Bedingungen der oceanischen und commerciellen Größe desselben (305-336). - 160 -

II/1.3 Das Werk - Herausgeberschaften

Anm. R.s: „Aus einem ausführlicheren, noch ungedruckten Werke des Hrn. Dr. G. B. Mendelssohn zu Bonn.“

[Bernhard von Lindenau ?:] Die Arbeiten der sächsischen Kammern im Jahre 1833 (337-404). Bzgl. Vf. s. Helmolt/1921,182f., A. 113.

> H e f t 3 , 1835 Erschien Mitte Febr. 1835 (Helmolt/1921, 185f., A. 129).

[R:] Die Venezianer in Morea 1685-1715 (405-502). L[udwig]. K[ühne].: Ueber den deutschen Zollverein (503-537). Vf. nach Dove (SW 49/50, VIII).

[Johann Caspar Bluntschli:] Der schweizerische Bund seit 1830 (538-580). Vf. nach: Briefwechsel Bluntschlis/1915, 120f.

[R:] Bemerkung über Capefigue histoire de la réforme, de la ligue et de Henri IV, besonders über die Darstellung der Bartholomäusnacht in diesem Buche (581-605). [R:] Die Idee der Volkssouveränetät [!] in den Schriften der Jesuiten (606-616). [R:] Ueber die Paroles d’un croyant [Lamennais, Paris 1833] (617-636). > H e f t 4 , 1836 [R:] Ueber die Memoiren des Cardinal Richelieu (637-666). [R:] Maria Theresia, ihr Staat und ihr Hof im Jahre 1755. Aus den Papieren des Großkanzler [!] von Fürst (667-740). [Bernhard von Lindenau ?:] Die Arbeiten der sächsischen Kammern im Jahre 1834 (741-774). Bzgl. Vf. s. Helmolt/1921, 182f, A. 113 u. o. Bd. I, H. 3.

[R:] Politisches Gespräch (775-807). Mehr nicht erschienen * Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Unter Mitwirkung der Herren A. Boeckh, J. und W. Grimm, G. H. Pertz und L. Ranke hg. von W. Adolph Schmidt, Berlin. > Bd. 1 (1844) - Bd. 9 (1848). - Ab Bd. 5 (1846) u. d. T. „Allgemeine Zeitschrift für Geschichte“ Mehr nicht erschienen. - 161 -

II/1.3 Das Werk - Herausgeberschaften

Ranke hat die Gründung der Zeitschrift von Anfang an mit großer Skepsis betrachtet. Sie wird schon sichtbar in einem Brief aus der Frühzeit der Planung seines damals 25jährigen, noch unhabilitierten Schülers Wilhelm Adolph Schmidt (1812-1887). Ranke schrieb: „Für die Zeitschrift fehlt es doch wohl eigentlich an hinreichenden Kräften und auch an dem nothwendigen Publikum. Besser ists, Herr Schmidt macht erst seine Arbeit fertig; vielleicht läßt sich daran eine allgemeine Unternehmung knüpfen“ (an Waitz, [31. 3. 38], Dove, SW 53/54, 301). - R wandte sich bei Fixierung des Plans v. a. gegen die Weitläufigkeit und den übermäßigen jährlichen Umfang von 80 Bogen (dazu R an FR, 30. 7. 43, NBrr, 300). - R.s in die Zs. gelieferte Beiträge unter II/1.2. - Zur Beteiligung Giesebrechts u. Köpkes siehe: Giesebrecht/1872, 287. * Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde, unter Mitwirkung von Droysen, L. v. Ledebur, Preuß, L. Ranke und Riedel hg. von R. Foß, Jg. 1 (1864) - Jg. 20 (1883)

Mehr nicht erschienen Später auch „unter Mitwirkung von Droysen, Duncker und L. v. Ranke, herausgegeben von Constantin Rößler“

* Quellenbezogene Herausgeberschaften Reihen Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause Herausgegeben von Leopold Ranke > 3 Bände [in 6]. Bln.: D. u. H. 1837-1840. 8º. Br. Mehr nicht erschienen In der Vorrede zu Band I, 1. Abt. ist die Rede von künftigen „Beilagen“, bzw. von einer „Beilage“, die „eine Kritik sämmtlicher Quellen enthalten“ solle (XII). Dies wurde - sofern nicht die den Abteilungen beigegebenen ‚Excurse‘ gemeint sind - nur in Bd. III für das ‚Chronicon Corbejense‘ verwirklicht. In Rankes Vorrede zum Gesamtwerk ist übrigens nur die Rede von zwei Bänden Eine eigentliche Beilage in der Art des Erstlingswerkes (ZKritik) ist jedenfalls nicht erschienen. Durch die völlig unübliche Vertauschung von Reihentitel- und Band- bzw. Einzelwerktitel-Blatt gelang Ranke ein stärkeres persönliches Hervortreten gegenüber den Verfassern. Dem diente auch die Zurückweisung einer von Georg Waitz verfaßten Vorrede. Erster Band Erste Abtheilung: G e o r g W a i t z : Jahrbücher des Deutschen Reichs unter der Herrschaft König Heinrichs I. Bln. 1837, XII, 202 S. [203 u. 204 unpag.]. - 162 -

II/1.3 Das Werk - Herausgeberschaften

Die Vorrede R.s (V-XII) datiert vom 30. Nov. 1836. Er äußert sich darin über die Entstehung des Unternehmens, das auf eine 1834 von ihm der Philosophischen Fakultät der Universität Berlin vorgeschlagene historische „Preisfrage über das Leben und die Thaten König Heinrichs I.“ (X) zurückgeht (Preisträger Georg Waitz), allgemein über die Notwendigkeit einer „fortlaufenden Sichtung des Ueberlieferten“ (VIII), über die Notwendigkeit permanenter Revisionen historischen Wissens, über die Aufgaben und Möglichkeiten eines „Universitätslehrers“ (VIII) und ist damit nicht zuletzt für das Verhältnis zu seiner ‚Historischen Gesellschaft‘ und seine historischen ‚Übungen‘ von Belang. Zweitdr. in AuV/NS (SW 51/52, 1888), 475-481. - Siehe auch die Bespr. von Siegfried Hirsch u. d. T. ‚L. Ranke’s Schüler‘ (s. II, 377). - Den von Waitz verfaßten Entwurf einer eigenen Vorrede zu seinem Werk zog dieser auf Ersuchen R.s zurück (R an Waitz, 11. 11. 36, Dove, SW 53/54, 287), der das Nebeneinander zweier Vorreden nicht billigen wollte. - Das Werk wurde wieder aufgelegt in den von der Histor. Komm. bei der Bayer. Akad. d. Wiss. hg. ‚Jahrbüchern der deutschen Geschichte‘ als ‚Jahrbücher des Deutschen Reiches unter König Heinrich I.‘ Von Georg Waitz. 2. Aufl. Bln.: D & H 1863, 3. Aufl. Lpz.: D & H 1885. Zum Beginn der ‚Jahrbücher der Deutschen Geschichte‘ siehe R.s grundsätzlichen Brief an Ernst Dümmler, 19. 1. 61 (NBrr 405) und einen weiteren vom 1. 4. 62 (ebd. 411).

Zweite Abtheilung: R u d o l f A n a s t a s i u s K ö p k e : Jahrbücher des Deutschen Reichs unter der Herrschaft König Ottos I. 936 bis 951. Bln. 1838. IV, 127 S. [S. 128 unpag.]. Fortgeführt in den von der Histor. Komm. bei der Bayer. Akad. d. Wiss. hg. ‚Jahrbüchern der deutschen Geschichte‘ als ‚Kaiser Otto der Große. Begonnen von Rudolf Köpke, vollendet von Ernst Dümmler. Lpz.: D &H 1876.

Dritte Abtheilung: W i l h e l m D o e n n i g e s : Jahrbücher des Deutschen Reichs unter der Herrschaft König und Kaiser Ottos I. von 951 bis 973. Bln. 1839. VI, 232 S. In der auf den 1. Aug. 1837 datierten Vorbemerkung (Vsq.) kennzeichnet D. auch den Anteil von Waitz an dieser Abt., der v. a. mehrere angehängte Exkurse verfaßt hatte. Siehe dazu auch Briefe R.s an Waitz, 17. 6. u. 26. 6. 37 (SW 53/54, 295f. u. 296). R gestattete Waitz, mit der Arbeit des vor der Drucklegung nach Italien abgereisten Doenniges zu verfahren, wie er es für nötig hielt (ebd. 296).

Zweiter Band Erste Abtheilung: W i l h e l m G i e s e b r e c h t : Jahrbücher des Deutschen Reichs unter der Herrschaft Kaiser Ottos II. Bln. 1840. III, 184 S. Zweite Abtheilung: R o g e r W i l m a n s : Jahrbücher des Deutschen Reichs unter der Herrschaft König und Kaiser Otto’s III. 983-1002. Bln. 1840. IV [vielm. VI], 249 S. [250 unpag.]. Dritter Band Erste Abtheilung: S i e g f r i e d H i r s c h und G e o r g W a i t z : Kritische Prüfung der Echtheit und des historischen Werthes des Chronicon Corbejense. Eine von der historisch-philologischen Klasse der Königlichen Societät der Wissenschaften zu Göttingen im December 1838 gekrönte Preisschrift. Bln. 1839. X, 140 S. [141 unpag.]. Lt. der gemeinsamen Vorrede beabsichtigt die Untersuchung, „die Autorität eines Werkes, das bisher für ein gleichzeitiges gegolten hat, umzustoßen ... Als im Jahre 1835 auf Veranlassung der Preisfrage der Berliner Universität über Heinrich I. unsere historischen

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II/1.3 Das Werk - Herausgeberschaften

Uebungen [R.s Seminar] sich mit kritischen Untersuchungen über Widukind und Thietmar beschäftigten, machte unser verehrter Lehrer Herr Professor Ranke darauf aufmerksam, daß eine genaue Vergleichung Widukinds mit der Corveyischen Chronik zu 932 und 933 durchaus für das höhere Alter des Ersteren spräche und die Erzäh|lung der Chronik, ohne Zweifel eine Combination fremdartiger Elemente, von weit geringerer Glaubwürdigkeit sei, als man bisher angenommen hatte.“ (IIIf.). - Siehe auch Hirsch: Commentationis historicoliterariae de Sigiberti Gemblacensis vita et scriptis specimen (phil. Diss. 16. 9. 1839. o. J. (1841?), 53 und R.s Diktat ‚Die alten Schüler. 6. April 1884 (SW 53/54, 650).

Mehr nicht erschienen * Die Geschichtschreiber der deutschen Vorzeit in deutscher Bearbeitung unter dem Schutze Sr. Maj des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, hg. von G. H. Pertz, J. Grimm, K. Lachmann, L. Ranke, K. Ritter. Bln. (später Lpz.), 90 Bde, 1849-1880. Zweite Gesamtausgabe, 1884-1899 Hg. von G. H. Pertz, J. Grimm, K. Lachmann, L. von Ranke, K. Ritter, W. Wattenbach und O. Holder-Egger. Fortgesetzt unter der Oberleitung von Michael Tangl. (Siehe II/4.1) * Quelleneditionen im Werk Von Ranke wurde eine Vielzahl von Quellen nicht nur darstellerisch genutzt, sondern auch, in einem der Forschung kaum bewussten Umfang, ediert. Dies gilt nicht nur für den Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England, für den Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen und die Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg, sondern auch für eine Vielzahl editorischer Analekten seiner Werke (s. II/1.1). - Über die Qualität seiner Editionen, die Auswahl seiner Textzeugen und Textfassungen, damit über seine Arbeitsweise und die heutige Relevanz der Materialien wurde bisher nicht zusammenhängend gearbeitet. Vorliegende Arbeit gibt dazu v. a in den Kapiteln I/1.5-7 sowie in der Abteilung II/1.1 einige Hinweise.

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2. Teil HANDSCHRIFTLICHER NACHLASS (II/2)

1. Abteilung (II/2.1) ZUR NACHLASS- UND EDITIONSGESCHICHTE Im Folgenden werden in erster Linie Tagebuchaufzeichnungen, Denkschriften, autobiographische Diktate, Analekten Rankes betrachtet, soweit sie aus dem Nachlaß veröffentlicht wurden, wohingegen die Ausgaben aus seinem Briefwechsel, seine Vorlesungen und Reden nur gestreift, vielmehr in eigenen Abteilungen nebst Einführungen behandelt werden.

1886-1890 D er for tg e setzte und ‚beend ete‘ Rank e (II/2.1.1) In einem Testamentsentwurf vom 28. Dez. 1873 hatte Leopold von Ranke, 78jährig, befunden: „Nun hinterlasse ich noch einen großen Vorrat an Manuskripten ... Sie bestehen a) aus den in den verschiedenen Archiven, die ich in meinen vieljährigen Studien benutzte, genommenen Abschriften, b) aus einer ziemlich umfangreichen Korrespondenz, c) aus eigenen, nur nicht vollendeten Arbeiten.“ (Bäcker[-von Ranke]/ 1955, Anm.-Bd., 82). So wie es ihm wider Erwarten vergönnt war, im höchsten Alter noch manches zu vollenden, so trat auch nicht der im Entwurf vorgesehene Fall einer Betreuung des Nachlasses durch seine Brüder Ferdinand und Ernst unter Beihilfe von Theodor Wiedemann, Georg Waitz und Reinhold Pauli ein: Der Testamentsentwurf kam nicht zur Anwendung, und andere Verfügungen lagen wohl nicht vor. So war bei Rankes Tod im Jahre 1886 die Entscheidung ganz in das Belieben der Nachkommen gestellt, deren Dreiheit - Otto, Friduhelm und Maximiliane - neben einem zu bestimmenden Herausgeber den Charakter der ersten Editionen prägten und eine späte öffentliche Aufstellung, rd. 35 Jahre nach dem Tod des Nachlassers, inhaltlich und örtlich getrennt, bewirkten. Die ersten Veröffentlichungen aus dem Nachlaß - man wird dabei nicht von ‚Editionen‘ reden wollen - erfolgten unmittelbar nach Rankes Tod in der von seinem älteren Sohn Otto zusammengestellten Schrift [Ranke, Otto von:] Zu Leopold von Ranke’s Heimgang. (Als Manuscript gedruckt.), Lpz.: Duncker & Humblot 1886 (36 S.). Ottos verhältnismäßig rückhaltloser tagebuchartiger Bericht schildert die letzten Lebensmonate mit dem vergeblichen Bemühen des Greises, den siebenten Band der ‚Weltgeschichte‘ zu vollenden, sodann ausführlich die letzten Lebenstage und -stunden des Sterbenden, wobei einige kleine, sonst nicht überlieferte Dicta Rankes mitgeteilt werden. Dort aufgenommen ist nun aus dem Nachlaß eine Aufzeichnung von Rankes eigener Hand ‚Über das Alter‘ aus dem Sommer 1875 (17) sowie „eine Strophe, welche unter dem 30. September 1881 im Tagebuche sich findet.“ (18, s. II, 229). - Ottos Veröffentlichung enthält dazu die am Sarg Leopold von Rankes in der Berliner Sophienkirche gehaltene Rede des Oberhofpredigers Dr. theol. Rudolf Kögel, deren Abschluß ein von Ranke verfaßtes Gebet bildet. (33, s. II, 233). Abgesehen von diesen der Pietät geschuldeten Veröffentlichungen weniger Zeilen ist die mit Rankes Tod anhebende erste Editionsphase geprägt durch den Versuch von Nachkommen und Verlag, ohne Verzug die beiden Hauptunternehmungen Rankes, die Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ und der ‚Weltgeschichte‘, der Nachwelt nicht als Torsi zu hinterlassen, eine Befürchtung, die von Anbeginn mit den Unternehmen verbunden war, aber zugleich auch ein gespanntes und bewunderndes öffentliches Inter- 167 -

II/2.1.1.1 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

esse befördert hatte. Bei den Fortsetzungen nun bediente man sich in den post-humen Bänden VII (1886) und VIII (1887) der ‚Weltgeschichte‘ in wenig skrupulöser und gänzlich untransparenter Manier aus unbestimmten Rankeschen Diktaten, ganz überwiegend aber aus seinen Vorlesungsskripten und Schülernachschriften, wohingegen die posthumen Bände seiner ‚Sämmtlichen Werke‘, es sind die Bände 49 bis 54 (1887, 1888, 1890), in nachvollziehbarer und wissenschaftlich legitimer Weise sowohl auf von Ranke bereits veröffentlichte Werkgattungen als auch auf verschiedene Arten seiner Selbstzeugnisse zurückgriffen. Beauftragt mit der Herausgabe wurde Rankes feinsinniger und hochgebildeter Spät-Schüler, der auch literarisch und journalistisch erfahrene Alfred Dove (18441916), Sohn von Rankes gelegentlichem Umgang und physikalischem Kollegen Heinrich Wilhelm Dove. Seine Wahl mochte auch mit einer einfühlsamen Besprechung von Band I der ‚Weltgeschichte‘ zusammenhängen, welche Dove 1880 in ‚Im Neuen Reich‘ veröffentlicht hatte. Sie sagte Ranke als dem, wie Dove formulierte, „größten Geschichtsschreiber deutscher Nation“ derart zu, daß er sich veranlaßt sah, seinem Verleger sogleich mitzuteilen, Dove habe seine „Intention vollkommen verstanden“ und pflichte ihr bei. (22. 12. 80, Geibel/1886, 135). Am 2. Januar 1888 schrieb Theodor Fontane an Georg Friedländer: „Neulich las ich in einem Feuilleton der Nat. Ztg., daß Ihr Freund Alfred Dove der Herausgeber der Rankeschen Nachlaß-Bände ist. Wie denkt Dove wohl eigentlich über diesen Nachlaß? Viele sagen: die Rankesche Familie wolle blos Geld rausschlagen. Ruhm hin, Ruhm her.“ (Fontane: Briefe an Georg Friedlaender/1954, 85). Die Vermutung war nicht abwegig: Innerhalb der ersten vier Jahre nach Rankes Tod wurden nun fast viertausend Seiten aus Werk und Nachlaß auf den Markt geworfen. Schon 1887 - ein Jahrgedächtnis hätte noch nicht begangen werden können hatte Dove im Auftrag der Erben als erste Kostprobe und Vorabdruck Julius Rodenberg, dem Herausgeber der ‚Deutschen Rundschau‘, ein autobiographisches Diktat Rankes angeboten mit der Bemerkung: „1) Honorar; da ich selbst nichts davon erhalte, wird es mir um so leichter, auszusprechen, dass man erwartet, dasselbe nach Ihren höchsten - mir unbekannten - Sätzen bemessen zu sehen.“ (Stadler-Labhart/2008, 71). In eben diesem April 1887 wurde auch Rankes bibliothekarischer Nachlaß von den Erben in die Vereinigten Staaten verkauft, da der preußische Staat sich, selbst bei Aufstockung aus der Allerhöchsten Privatschatulle, außerstande sah, die maßlos erscheinenden Forderungen zu erfüllen. N a c h l a ß i n d e r ‚ W e l t g e s c h i c h t e ‘ (II/2.1.1.1) Noch im Todesjahr Rankes gelang es Dove, den 7. Teil (‚Höhe und Niedergang des deutschen Kaiserthums‘) der seit 1881 erscheinenden ‚Weltgeschichte‘ herauszubringen, wobei Paul Hinneberg, als einer der von Ranke gleichsam übernommenen Gehilfen, die eigentliche Arbeit leistend, „aus den Dictaten und nach den Weisungen des Entschlafenen einen wohlgefügten [!], bequem lesbaren [!] Text“ herstellte (Vorw., p. VI). Nicht nur Rankes älterer Sohn Otto, dem die Rolle des Nachlaßverwalters zugefallen war, befand sich um diese Zeit im Unklaren über den Fortgang der Dinge: Im November 1886 war es noch „schwierig zu sagen“ gewesen, „ob die ‚Weltgeschichte‘ mit dem siebenten Bande abschließen“ würde, „oder ob es einem seiner competenten Schüler gelingen wird, die Geschichte zum Mindesten bis zur Reformation fortzusetzen.“ ([Ranke, Otto v. In:] Berliner Tagebl., 4. 12. 1886). Hier war wohl die - 168 -

II/2.1.1.1 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

Möglichkeit oder Notwendigkeit ins Auge gefaßt, über den 7. Band hinaus eine weitgehend Ranke-freie Fortsetzung durch einen anderen Verfasser, etwa Alfred Dove, zu veranlassen. Denn das für Verlag wie Erben verpflichtende und zugleich lukrative Werk mußte unter allen Umständen fortgeführt werden. Auch Dove hatte sich im Hinblick auf Umfang und Zustand des Nachlasses verständlicherweise nicht sogleich Klarheit über die Ergiebigkeit für das Prestigeobjekt ‚Weltgeschichte‘ verschaffen können. Unmittelbar nach Rankes Tod war er der Meinung gewesen, der Zustand der nachgelassenen Papiere Rankes gestatte „bis jetzt noch keine bestimmte Entscheidung über die Form, in welcher eine derartige Ergänzung [!] der Ranke’schen Weltgeschichte - denn von einer ebenmäßigen Vollendung ließe sich nicht reden - dem Publicum dargeboten werden“ sollte WG VII, p. VIsq.), so ‚bewältigte‘ er dieses Problem doch in erstaunlich kurzer Zeit. Er schlüpfte so gewandt in Rankes Rolle, daß auch noch dessen aufsehenerregender Erscheinungsturnus beizubehalten war. Hatte doch der bewunderte Greis mit seiner ‚Weltgeschichte‘ in Harmonie mit dem ihm ergebenen Verleger Carl Geibel alljährlich bandweise den weihnachtlichen Gabentisch des neuen Reiches geziert. Nachdem Weihnachten 1886 der VII. Band erschienen war, stellte Dove schon zum nächsten Weihnachtsfest den VIII. Band (‚Kreuzzüge und päpstliche Weltherrschaft‘) zusammen. Seinem Vorwort von Dezember 1887 zufolge handelt es sich bei diesem Band ab Kapitel 3 um eine Bearbeitung Rankescher Vorlesungshefte durch Georg Winter, unter starker Berücksichtigung zweier Vorlesungsnachschriften von Dove selbst und Otto Heyne, wohingegen für die ersten beiden Kapitel hauptsächlich auf Diktate Rankes aus seinen letzten Lebensmonaten zurückgegriffen wurde. Das „Gerüst ihres Aufbaus“ - und dies mindert gerade nicht die Bedenklichkeit - wurde der Heyneschen Vorlesungsnachschrift entnommen, daneben auch „eine Reihe älterer zurathe“ gezogen (X). In Doves Vorwort findet sich das für die posthumen Werkausgaben Rankes insgesamt aufschlußreiche verharmlosende Bekenntnis nebst wissenschaftlich unzulässiger Alternative: „ ... so liegt die Sache nicht, weder in dem einen noch in dem anderen Theile dieser Publication, daß jedes einzelne Wort, wie und wo es eben dasteht, im buchstäblichen Sinne von Ranke selber dort hingesetzt wäre: unter solcher Bedingung hätten wir auf das ganze Unternehmen von vornherein verzichten müssen; es war schlechthin unmöglich. Nur dies war die Frage: sollte Rankesche Darstellung im Schiffbruch untergehen, oder, von einem fremden Elemente äußerlich leicht benetzt, zur Freude vieler ans Ufer gezogen werden?“ (XII). An eigentlichem greifbaren Nachlaß, wenn auch überfremdet, enthielt das Kompositum des achten Bandes „Analekten. Zur Kritik der Geschichtschreiber Heinrichs I. und Ottos des Großen (Nachtrag zum sechsten Theil der Weltgeschichte)“: „I. Die beiden Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde“ (628-634), „II. Liudprand“ (634655). - Die Analekten „sind von Ranke im Jahre 1885 ... Theodor Wiedemann dictirt und mit ihm erwogen worden.“ Wiedemann hat „dem Schlusse beider Erörterungen die noch mangelnde in sich zusammenhängende Redaction angedeihen“ lassen. (Dove auf p. XII des Vorworts). Zum Weihnachtsfest 1888 konnte dem Publikum der IX. und letzte Band der ‚Weltgeschichte‘ vorgestellt werden. Er besteht in seinem 1. Teil (‚Zeiten des Uebergangs zur modernen Welt‘) angeblich „in allem Wesentlichen, nach Form und Inhalt“ aus einem Vorlesungsheft Rankes in der Fassung von 1870 (Vorw., V). Georg Winter ge- 169 -

II/2.1.1.1 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

währte in einer Besprechung einen kurzen Einblick in die editorischen Voraussetzungen und recht elastischen Überlegungen zu Bd. VIII und IX: Die jetzt vorgenommene Ergänzung der Weltgeschichte stamme „durchaus von Ranke selbst“, „wenn auch nicht von dem 90jährigen, so doch von dem 40-, 50- oder 60jährigen Ranke. Es handele sich hier durchaus um „echte Erzeugnisse des Ranke’schen Genius“ (Winter/1888, 409). Die angewandten Verfahren blieben damals nicht ohne Kritik: Hans Prutz, Harry Bresslau und A. Lefranc vor allem - daneben sind auffallend wenige qualifizierte Rezensenten tätig geworden - haben sich dazu kritisch bis ablehnend geäußert (s. I/2.2.1.1). Indes hat sich das Bewußtsein dieser Problematik kaum verbreitet, und der Ranke-Forschung ist in der Analyse eine kaum befriedigend zu lösende Aufgabe hinterblieben, - man muß sie im Zusammenhang mit Ranke nicht für sinnvoll halten, denn sie fällt wohl ganz in den Bereich einer etwaigen Dove-Forschung, sollte sich vielmehr damit abfinden, daß die ‚Weltgeschichte‘ Rankes ein Torso geblieben ist, bei dem es nicht klar ist, wo genau er endet, mit dem 6. Band, also der Zeit Ottos des Großen, oder irgendwo in Band VII. Die Bände VII bis IX können jedenfalls nicht als Werke Rankes im eigentlichen Sinne angesehen werden, sie stellen lediglich Ergänzungen dar, ein Ausdruck, den Dove nur anfangs benutzte; später ist von „Rankeschen Werkstücken“ die Rede (Dove, Vorw. zu WG VIII, p. X). Zweifellos enthalten sie in Teilen Texte Rankes, jedoch dürften diese beim herausgeberischen Zuschneiden, Vernähen und Glätten wenigstens teilweise verfremdet worden sein, gehören jedenfalls in andere Zeitschichten und sind, sofern der Nachlaß diese Informationen bereithalten sollte, diesen früheren Schichten wiederum zuzuordnen. Jede künftige Ausgabe der ‚Weltgeschichte‘ Rankes sollte, sofern man eine solche für notwendig hält - eine lediglich auf den Druckfassungen beruhende historisch-kritische Ausgabe lohnt aufgrund der substanziell geringfügigen Varianzen jedenfalls nicht - tunlichst mit dem sechsten Band enden und allenfalls noch eindeutig in den letzten Lebensmonaten Rankes für Band VII diktierte Texte mit einbeziehen. Eine Ausgabe, welche es sich zum Ziel setzen würde, aus Ranke-Texten verschiedenster Art - etwa aus Vorlesungsmanuskripten und Werkpassagen - als Dove-continuatio eine Fortsetzung bis in Rankes Gegenwart hinein zu komponieren - es geschah mehrfach (u. a. 1928, 1931, 1956) auch ohne Ranke-Texte, müßte als unorganische, inhomogene Kompilation zurückgewiesen werden. Sein Vorwort zum zweiten Teil des IX. und letzten Bandes der ‚Weltgeschichte‘ (1888) bereicherte Dove noch mit einigen dem Thema ‚Universalgeschichte‘ gewidmeten Kostproben aus dem Nachlaß, Texten aus Vorlesungseinleitungen Rankes sowie dem Beginn eines „ersten, gegen Ende des Jahres 1880 diktirten, sodann jedoch wieder zurückgezogenen Entwurfs einer Vorrede Ranke’s zu seiner Weltgeschichte“ (p. Vsq.). So problematisch diese florilegienhaften Aktionen auch waren, der deutliche Hinweis Doves auf Schülernachschriften und Vorlesungsmanuskripte - letztere in ihrer TheorieBedeutung von besonderem Wert - war verdienstvoll und wurde später mehrfach aufgegriffen. - Den eigentlichen Text des abschließenden Teilbandes IX/2 bildete die Erstausgabe der unter dem Titel ‚Über die Epochen der neueren Geschichte‘ berühmt gewordenen Vorträge Rankes vor Kg. Maximilian II. von Bayern. Dove freilich erkannte die ihm vorliegende Reinschrift nicht als stark fremdredigierten Text, hielt sie vielmehr, wie Dutzende, die ihm edierend und übersetzend, wie Hunderte, die ihm interpretierend und wie Tausende, die ihm lesend oder zitierend folgten, für eine authentische Langschriftübertragung stenographischer Aufzeichnungen. - 170 -

II/2.1.1.2 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

N a c h l a ß i n d e n ‚ S ä m m t l i c h e n W e r k e n ‘ (II/2.1.1.2) Neben seiner Fortsetzung der ‚Weltgeschichte‘ hat Dove in Zusammenarbeit mit Amanuensen Rankes in schneller Folge auch die Fortführung der seit Rankes 50jährigem Doktorjubiläum 1867 erscheinenden, damals noch auf 32 Bände geplanten, von Ranke jedoch schon auf 48 Bände ausgedehnten ‚Sämmtlichen Werke‘ betrieben. Handelte es sich bei den Bänden VII bis IX der ‚Weltgeschichte‘ um die Einbringung von Vorlesungsmanuskripten (WG VII-IX) und Analekten (WG VIII), so bestand die Fortführung der ‚Sämmtlichen Werke‘, deren Bände 49 bis 54 zunehmend als erste eigentliche und systematische Nachlaßausgaben anzusehen sind, im wesentlichen aus folgenden Gattungen: Abhandlungen (SW 51/52), politischen Denkschriften (SW 49/50 u. 53/54), wissenschaftlichen Denkschriften (SW 53/54), Tagebuchaufzeichnungen (SW 53/54), autobiographischen Diktaten (SW 53/54), Briefen (SW 53/54), Reden (SW 51/52). Band 49/50, mit dem Titel ‚Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert‘ (1887), enthält aus nachgelassenen Abschriften ungedruckte politische Denkschriften Rankes der Jahre 1848 bis 1851, bestimmt für König Friedrich Wilhelm IV., gerichtet an dessen Flügeladjutanten Edwin Freiherrn von Manteuffel (585-623; i. e. siehe II/4.2). Band 51/52, mit dem Titel ‚Abhandlungen und Versuche. Neue Sammlung‘ (1888), bringt aus dem Nachlaß zunächst bislang unveröffentlichte Abhandlungen, welche mit der Abfassung der ‚Weltgeschichte‘ - etwa als Analekten - in Zusammenhang stehen, allerdings zumindest teilweise durch die eingreifenden Hände Theodor Wiedemanns gegangen sind: ‚Die Fluthsage‘, ‚Die Tragödien Seneca’s‘, ‚Paulus Diaconus‘, ‚Einige Bemerkungen über die Annalen des Einhard‘, ‚Anhang. Über die Vita Karoli des Einhard‘, ‚Ueber die Annalen des Lambertus von Hersfeld‘. Dabei befindet sich unter bekannten Veröffentlichungen preußischer und italienischer Thematik ein in seinen Ursprüngen auf die erste große Archivreise zurückgehendes Manuskript aus dem Nachlaß ‚Zur Geschichte der italienischen Malerei nach den in der Dresdener Gemäldegallerie und zu Prag befindlichen Bildwerken‘. - Der zweite Teil der Veröffentlichung ist einer ganz anderen Gattung des Nachlasses gewidmet: Reden Rankes zur Eröffnung der Plenarversammlungen der historischen Kommission, welche überwiegend als Erstdrucke, indes nicht vollzählig, vorgelegt werden (Einzelheiten s. II/6.5.2). Band 53/54, mit dem Titel ‚Zur eigenen Lebensgeschichte‘ (1890), verdient besondere Beachtung. Mit ihm schuf Dove einer biographischen Behandlung Rankes die erste eigentliche, trotz späterer Teilabdrucke noch heute unentbehrliche Grundlage, die er selbst vor allem in einem ADB-Artikel (Dove/1888) nutzte. Mit diesem Abschlußband wurde auch in eingeschränktem Maße dem Wunsch Rankes Rechnung getragen, sein Werk nach Beendigung aller Unternehmungen mit einer Autobiographie zu krönen (FvR an seine Schwester MvR, 15. 6. 86, unveröff., Ranke-Archiv, Wiehe). Der Band enthält aus dem Nachlaß Rankes keine wechselseitige Korrespondenz, jedoch rd. 300 ausgewählte Briefe, (darüber in ‚Briefwechsel‘), vier unkoordinierte autobiographische Diktate - eines von 1863 war, wie oben bemerkt, bereits in der Deutschen Rundschau erschienen -, Tagebuchblätter, mit Ausnahme eines Gebets aus den achtziger Jahren Erstdrucke nachgelassener Aufzeichnungen der Jahre 1831 bis 1885, vorwiegend politische Betrachtungen mit Schwerpunkt in den 1870er Jahren. Die Vorlagen gelten zum allergrößten Teil als verschollen (s. II/2.3). - Ein weiterer Teil besteht aus den Erstdrucken einer politischen und mehrerer wissenschaftlicher Denk- 171 -

II/2.1.2 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

schriften und Entwürfe (s. II/4.1). Beiläufig: Die ab Seite 657 folgende akademische Nachlese wäre in Band 51/52 unterzubringen gewesen, - auch ein Hinweis auf die editorische Hektik des Unternehmens, die sich vor allem in den erwähnten innerhalb der ersten vier Jahre nach Rankes Tod veröffentlichten viertausend Seiten kundgibt, wovon rd. zweieinhalbtausend Seiten aus dem Nachlaß stammten, sie lassen auch Bedenken hinsichtlich der editorischen Qualität aufkommen. Im Zuge dieser überhasteten, mit deutlichen Popularisierungstendenzen verbundenen Aktivitäten blieben die Doveschen Ausgaben - dies allerdings ein damals nicht unübliches Vorgehen - von Kommentierungen frei, was sich besonders nachteilig bei den Briefausgaben, Tagebuchaufzeichnungen und autobiographischen Diktaten bemerkbar macht. Bedenklicher stimmen Feststellungen (s. II/3.1.5), die den Verdacht begründen, Doves Übertragungen der Handschrift Rankes, - falls sie von ihm, und nicht (auch) von seinen letzten Amanuensen stammen -, überhaupt die Sorgfalt seiner Arbeit, seien in Zweifel zu ziehen. Dies gilt nicht minder für die späteren Briefausgaben, die Rankes Hauptamanuense Theodor Wiedemann in Aufsatzform hervorgebracht hat. Die posthumen Fortsetzungen der ‚Sämmtlichen Werke‘ Rankes sind jedoch hinsichtlich des Nachlasses aus mehreren Gründen noch heute von Wert: wegen des nur dort Edierten oder Erstedierten, wegen ihrer gegenüber späteren Sekundäreditionen bewahrten ungekürzten Fassungen und wegen der unmodernisierten authentischeren Schreibweise. Eine Vielzahl der Doveschen Vorlagen ist freilich verschollen, wodurch sich das Edierte im allgemeinen einer Überprüfung entzieht. 1891-1921 E i n z e l n e s a u s d e m B r i e f w e c h s e l (II/2.1.2) Die erste, von Rankes Nachkommen, Schülern und Amanuensen geprägte und wohl zunächst für abschließend gehaltene Editionsphase setzt sich fort in zahlreichen Kleinveröffentlichungen aus dem Briefwechsel, vor allem aus den unglücklichen Händen Theodor Wiedemanns und Alfred Doves, doch auch des am Nachlaß stark interessierten Friduhelm von Ranke und der Tochter Ernst Rankes, Etta Hitzig. Sie sollen neben anderen später betrachtet werden (s. II/3). Stark brieflich geprägt ist ferner die Ranke-Biographie Hans F. Helmolts aus dem Jahre 1921, welche den Forschungszeitraum in unglücklich zu nennender Weise beschließt. Sie war bestrebt, „dem mit dem einschlägigen Stoffe durchaus vertrauten Fachgenossen Neues und Abschließendes zu bieten“ (Helmolt/1921, 5), kam jedoch nicht mehr in die Lage, den gerade um diese Zeit öffentlich zugänglich werdenden Nachlaß zu nutzen. Ausnahmen gattungsmäßiger Natur finden sich lediglich bei Paul Hinneberg und Conrad Varrentrapp. Während Hinneberg in seinem Beitrag über ‚Eine ungedruckte Replik Rankes‘ (1892) eine gegen Max Duncker gerichtete „Privatkritik“ von 1878/79 mitteilte (s. II, 177), gab Varrentrapp in einer für das Thema unumgänglich heranzuziehenden umfangreichen Abhandlung über ‚Rankes Historisch-politische Zeitschrift und das Berliner Politische Wochenblatt‘ (1907) einen Entwurf des Plans Rankes von November 1831 zu seiner Zeitschrift bekannt (s. II, 219). Friduhelm von Ranke hatte sich indessen, wie seine zwischen 1903 und 1906 erschienenen, immer noch wertvollen Fortsetzungs-Veröffentlichungen zeigen (‚Aus dem Leben Leopold v. Rankes. Erinnerungen von seinem Sohne‘/1903 und ‚Vierzig - 172 -

II/2.1.3 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

ungedruckte Briefe Leopold v. Rankes/1904-1906), nicht nur recht eingehend und ergiebig mit dem Briefwechsel seines Vaters beschäftigt, sondern auch versucht, einen Überblick über den Nachlaß zu gewinnen, wenn auch wohl nur in seinem ‚biographischen‘, kaum in seinem werkbezogenen Teil. Zu ersterem gab er einen aufschlußreichen Bericht, der hier folgen soll, da die darin geschilderten Bestände der nachpfortaer Zeit überwiegend verschollen sind: „Neben den Briefen finden sich auch viele andre Arten von Schriftstücken vor: Abgangszeugnisse, Diplome, Patente, Adressen, Stammbuchblätter, Reisepässe, die zum Teil selbstgeführten Listen seiner Zuhörer u. s.w. Mit großer Sorgfalt hob Ranke überhaupt alles auf, was er mit eigner Hand geschrieben hatte; so sind noch Hefte vorhanden, die er in der Schulpforte geführt [s. Henz/1968 u. II/2.3] Aufsätze und Übersetzungen, die er damals den Eltern an Festtagen gewidmet hat. Mehrmals hat er den Ansatz gemacht, ein Tagebuch zu führen. So existiert ein solches aus dem Herbste 1817, als er nach Beendigung seiner Studien in Leipzig eine Fußreise durch Thüringen und Franken an den Rhein unternahm. Ein Tagebuch eigner Art: es enthält nichts von seinen Reisegefährten, den Quartieren, dem zurückgelegten Wege, sondern nur poetische und prosaische Stimmungsbilder, aus denen einerseits der Jammer um die politischen Verhältnisse Deutschlands hervorleuchtet, und die andrerseits den festen Willen bekunden, selbst etwas zu leisten, um dem Vaterlande aufzuhelfen. Ferner sind zahlreiche Notizbuchblätter vorhanden voll reicher, aber meist nicht entzifferbarer Angaben über seine Kunsteindrücke in Italien in den Jahren 1828 bis 1830, ebenso Reisenotizen von 1825 und 1839. Zu Weihnachten 1849 war ihm das im Verlage von Duncker und Humblot erschienene ‚Deutsches, politisches Tagebuch für 1850‘ geschenkt worden. In dieses hat er im Januar und Februar täglich, später nur sporadisch politische Nachrichten und Betrachtungen eingetragen, die nicht ganz ohne Interesse sind, besonders, wenn man sie mit den Aufzeichnungen Leopolds und Ludwigs v. Gerlach vergleicht. Die hinterlassenen Tagebuchblätter aus späterer Zeit sind bereits im Schlußbande seiner sämtlichen Werke veröffentlicht.“ (FvR I/1904, 81. Siehe dazu unten II/2.1.5). Die inhaltliche Interpretation von Persönlichkeit und Werk Rankes ist in dieser Zeit bestimmt durch die verzögert eingetretene Beschäftigung mit dem Verhältnis von Geschichte und Politik bei Ranke, die sich vorwiegend an drei editorischen Komplexen belebte: Rankes entsprechenden Beiträgen seiner Historisch-Politischen Zeitschrift vor allem ‚Die großen Mächte‘ und das ‚Politische Gespräch‘ - seiner Antrittsrede von 1836 über das Verhältnis von Historie und Politik sowie seinen historisch-politischen Denkschriften. Vor allem Otto Diethers 1911 erschienenes Werk über ‚Leopold von Ranke als Politiker‘ und die Entgegnung von Friedrich Meinecke (1913) waren bestimmend für die Erörterung dieser anhaltenden Thematik, der sich in der folgenden Phase, ebenfalls editorisch veranlaßt, eine ganz andere anschloß. 1921-1945 Jugendhandschriften - Gesamtausgabe - Um Kg. Maximilian II. (II/2.1.3) Otto von Ranke veräußerte 1921 - sein Bruder Friduhelm war 1917 verstorben - wie schon die Bibliothek seines Vaters nach Syracuse, so nun einen Teil des Nachlasses, vor allem Materialien zu den Werken - an die Staatsbibliothek Berlin. Ein anderer Teil, vornehmlich Briefe und wissenschaftlich-politische Aufzeichnungen, also der erwähn- 173 -

II/2.1.3 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

te, grob vereinfacht formuliert, ‚biographische‘ Teil, gelangte hingegen in das dortige Geheime Staatsarchiv. Damit war freilich nicht alles im Kreis der Familie Überlieferte erfaßt. Abgesehen von den an anderer Stelle zu betrachtenden verwirrten oder verborgenen Briefschaften befanden sich z. B. im Besitz von Rankes Schwiegertochter Selma - genannt Lily - von Ranke, der Frau Friduhelms, noch frühe Ausarbeitungen zu Sophocles und Plato (s. II/2.2.3, NL Selma von Ranke). Ausgelöst wurde diese Editionsphase v. a. durch die öffentliche Archivierung des Nachlasses und die von dem nicht in der Ranke-Thematik, doch in Renaissance, Humanismus und Reformation tätigen Paul Joachimsen (eigentlich Joachimsohn) geplante und begonnene monumentale Gesamtausgabe der Werke Rankes. An Hilfsmitteln stand nun auch nach der 1910 erschienenen Bibliographie Helmolts dessen 1921 erschienene Biographie im Hintergrund zur Verfügung. Das 1922 von Wilhelm Stolze herausgegebene „Resumee“ eines von Ranke mit Adolphe Thiers in Wien im Oktober 1870 geführten Gesprächs mag hier genannt werden, obgleich es nicht dem Nachlaß, sondern den Akten des Auswärtigen Amtes entstammte. Eine 1924 von Hellmut Kretzschmar an entlegener Stelle aus dem Nachlaß veröffentlichte kleine Aufzeichnung Rankes über seine Harzreise, September 1825, blieb unbemerkt und in einer 1964 erscheinenden Ausgabe von ‚Tagebüchern‘ durch die Historische Kommission übersehen, immerhin eine Ergänzung zu den von Dove in Band 53/54 der ‚Sämmtlichen Werke‘ mitgeteilten ‚Tagebuchblättern‘. Ansonsten aber steht diese Phase, wo nicht unter dem Namen Paul Joachimsens (1867-1930), dort wenigstens unter seinem mittelbaren Einfluß. Ihm war eine Besinnung auf Ranke ein „dringendes Erfordernis“ (Joachimsen: Ranke und wir/1926, 296), in der fehlgeleiteten Überzeugung, „daß alles was vor ihm liegt, als antiquarisch bezeichnet werden darf.“ (Brief an den Drei Masken Verlag, 19.12. 1921, Text in PreußG/ed. Küntzel III/1930, unpag. 583). Sein Projekt einer Gesamtausgabe fand als erstes in der Geschichte der Ranke-Editorik die Unterstützung einer wissenschaftlichen Institution: der am 5. Mai 1925 gegründeten ‚Deutschen Akademie‘, zumindest begrifflich ein nicht verwirklichtes Lieblingsprojekt Rankes (s. II/6.5.1). Sie durfte sich damit ihrerseits eines bedeutenden Anfangsprojekts erfreuen. In der ersten Hauptabteilung einer der Bandzahl nach kaum abzuschätzenden, jedenfalls über einhundert Bände zählenden Gesamtplanung (s. II, 566f. die Verlagsanzeige) sollten die Werke in ihren differierenden Auflagen unter Hinzuziehung der nachgelassenen Entwürfe erscheinen. Eine entsprechende Ausgabe der ‚Weltgeschichte‘ war als krönender Abschluß dieser ersten Abteilung vorgesehen. Joachimsen verstieg sich dabei zu der ahnungslosen Erklärung, den Nachlaß „erstmals vollständig“ verwerten zu wollen (Joachimsen: Die Ranke-Ausgabe/1925, 58). Zu diesem Zweck unternahm es sein Mitarbeiter Ernst Bock, die 50.000 Blatt des Nachlaßteils der Berliner Staatsbibliothek zu durchforsten. Die befanden sich jedoch „in einem völlig ungeordneten Zustande“ (Schwarz/1923, 14). Bock erstellte einen noch erhaltenen 24seitigen Katalog, dürfte aber durch verwirrende Eingriffe in das Schriftgut auch einigen Schaden angerichtet haben (darüber Baur/2007, 18f.). Immerhin gab sich Joachimsen nach den Arbeiten von Bock der trügerischen Hoffnung hin, es mit dem „jetzt geordneten Nachlaß Rankes“ zu tun zu haben (Joachimsen in seinem ‚Bericht über den Nachlaß‘ in: 9BPreußG/ed Küntzel III/1930, 481). Ungeachtet dieser bedenklichen Voraussetzungen gelang es Joachimsen, nicht nur hochrenommierte Mitherausgeber, sondern auch motivierte Mitarbeiterinnen und - 174 -

II/2.1.3 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

Mitarbeiter für sein editorisches Großprojekt zu gewinnen. Schon 1922 hatte seine Schülerin Elisabeth Schweitzer aus dem Nachlaß den Text einer 1818 von Ranke am Friedrichs-Gymnasium zu Frankfurt/O. gehaltenen ersten von drei Stiftungsreden (s. Abt. Reden) veröffentlicht, welche 1927 von Kurt Borries durch die Edition der Reden von 1821 und 1824 vervollständigt wurde (Borries: Über Helden und Heldenverehrung .../1927). Auch Borries hatte die Reden bereits 1922 im Nachlaß vorgefunden. Bei seiner Edition, die er durch einen un-editorischen Beitrag vom selben Jahr vorbereitet hatte (‚Vom Werdegang Rankes bis zum Antritt seiner Berliner Professur‘) sollte es sich um eine „Sonderveröffentlichung aus dem Materiale“ handeln, das er „später im Rahmen der von der Deutschen Akademie in München veranstalteten Monumentalausgabe der Werke Rankes herausgeben“ wollte (7). Währenddessen befaßte sich Hermann Oncken 1922 und 1925 intensiv und ergiebig mit Rankes Briefwechsel, wovon an anderer Stelle zu handeln ist (s. II/3). Hatte Ranke selbst seine ‚Sämmtlichen Werke‘ noch mit der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ begonnen, so folgte Joachimsen diesem Vorbild theoretisch nicht, praktisch gleichwohl. Er versuchte in seiner Gesamtplanung, im Gegensatz zu Rankes ‚Sämmtlichen Werken‘, Aspekte der Werkchronologie und der Länderthematik miteinander zu verbinden. Entsprechend der Rankeschen Vorgabe wandte er sich, vor allem in Nutzung seiner Kenntnisse und Neigungen als Reformationshistoriker, nicht dem in seiner eigenen Planung an erster Stelle stehenden Werk ‚Erste Reihe, A. 1, ‚Geschichten der romanischen und germanischen Völker‘, sondern eben der Reformationsgeschichte als 7. Werk des 3. Abschnitts einer Reihe B als erstem zu. In dem 1926 erscheinenden Bd. VI dieser Ausgabe gab er in Dovescher Manier seiner Einleitung (3-6) zwei Entwürfe Rankes zur Vorrede mit, sowie nachlaßbezogene Informationen die Analekten betreffend. Was aus heutiger Sicht befremden kann, ist sein Verzicht auf den Abdruck derjenigen Analekten Rankes, „wo neuere ebenso gute oder bessere Drucke vorliegen“ (6). In Vorbereitung und Durchführung der Edition von Rankes ‚Deutscher Geschichte‘ traten zwar Grundzüge ihrer textlichen Entstehungsgeschichte hervor, jedoch wurden die zum Werk gehörenden nachgelassenen Werkstattpapiere (Ranke-Nachlass der SBB PK, Segment III: Deutsche Geschichten/Reformation, Rekonfiguration Siegfried Baur) zwar angerührt, aber mit dem Grund-Edendum nicht in engen oder gar durchgängigen Zusammenhang gebracht. Joachimsens vor Beginn der Arbeiten noch gehegte Vorstellung, „Die Texte der einzelnen Werke werden genau nach der Ausgabe letzter Hand, aber mit Berücksichtigung der Lesarten sämtlicher früheren Ausgaben, gegebenenfalls mit Zurückgehen auf die handschriftliche Grundlage und Entwürfe geboten“, (Brief vom 19. Dez. 1921 an den Drei Masken Verlag, in: 12BPreußG /Küntzel III/1930, [584]), hat er nicht im gewünschten Umfang realisieren können, stattdessen gab er den Aktivitäten seiner Schüler in unangemessener Weise Raum. In seinem 1926 erschienenen Band VI machte er den gescheiterten Versuch, seine editorisch legitimen reformationshistorischen Interessen und die mit spitzen Fingern gemachten Funde seiner Schüler ‚passend‘ zu machen. Hier wurde zusammengefügt, was nicht zusammengehörte: neben einem sogenannten ‚Frankfurter Manuskript von 1837‘ - quellennahen Entwurfsaufzeichnungen Rankes, die Joachimsen lediglich mit Inhaltsangaben und „wörtlicher Anführung der wichtigsten Stellen“ bedenken konnte (401-469) - und Rankes von Joachimsen nicht als solchem erkannten Akademievortrag ‚Über einige noch unbenutzte Sammlungen deutscher Reichstagsakten 1838‘ (471-487, s. II/2.3), - 175 -

II/2.1.3 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

waren es vor allem eine Reihe von Materialien aus der Frühzeit Rankes, welche in Joachimsens Abschlußband in Erscheinung traten. Die Ausgabe erhielt damit eine Beilage, welche berühmter geworden ist als Joachimsens Edition selbst, Rankes sogenanntes ‚Lutherfragment von 1817‘, (hg. u. erl. von Elisabeth Schweitzer, 311-399), ein Mißgriff, denn es bietet, entgegen den Grundsätzen der Edition kein Material, das in Zusammenhang mit dem Werk steht, noch ist es selbst ein einheitliches Gebilde. Es handelt sich bei diesem, aus größeren handschriftlichen Zusammenhängen gesehen, interpretatorisch jahrzehntelang über Gebühr behandelten ‚Fragment‘ in Wirklichkeit um vier eigentlich nicht zwingend so von der Herausgeberin zusammengestellte Hefte aus der Leipziger Studienzeit Rankes, die in weiten Teilen nichts mit Luther zu tun haben, Hefte auch, wovon sich damals wie heute - eine ganze Reihe in seinem Nachlaß fanden. Sieht man von der Willkür der Auswahl ab, von der die Hefte auch in ihren Einzelheiten betroffen sind, so ist die Edition mit nur wenigen Lesefehlern in ihrer Übertragungsqualität anzuerkennen. Einen Mißgriff stellt auch, in überdeutlicher Weise, die dem Jugendnachlaß entnommene Beilage ‚Das Wesen des Gelehrten. Fichte 1806‘ (Bd. VI, 363-370) dar, die in einer Reformationsgeschichte nur als Fremdkörper anzusehen ist. Auf den Spuren Elisabeth Schweitzers und Kurt Borries’ arbeitete dann Ludwig Keibel, der 1928 fünf weitere Stücke aus dem Nachlaß der Leipziger Zeit veröffentlichte. Bei den drei größeren Einheiten, dem philosophischen Aufsatz über physis/ natura, der ‚Luthernovelle‘ und ‚Aus den Papieren eines Landpfarrers‘ - letztere ‚Papiere‘ stehen übrigens mit dem im Original verschollenen Rheinreisetagebuch von 1817 in inhaltlicher Verbindung - liegt allerdings der Verdacht nahe, daß die Veröffentlichung in erster Linie dem Reinschriftcharakter der Aufzeichnungen zu danken ist. Die kleineren Stücke - ein politisches (Thema: Deutschland/Europa) und ein theologisches Fragment sind denn auch nur mit einer Reihe kleinerer Fehlentzifferungen durchsetzt. Nach der Joachimsenschen Ausgabe der Reformationsgeschichte 1925/26 erschien 1930 noch ein einziges Werk aus der gigantischen Planung, die von Joachim Küntzel herausgegebenen ‚Zwölf Bücher Preußischer Geschichte‘. Freilich können sie den Intentionen des Hauptherausgebers nicht mehr völlig entsprochen haben, indem sie sich auf wenige Seiten mit kurzen orientierenden Bemerkungen und Zitaten aus dem Nachlaß beschränkten. Die ursprüngliche Absicht einer editorischen Heranziehung zugehöriger Nachlaßteile war verloren. - Der in Küntzels III. Band gegebene ‚Bericht über den Nachlaß‘ betrifft zwar extrem einschränkend die ‚Preußische Geschichte‘, stammt jedoch erstaunlicherweise nicht von deren Herausgeber - wie man annehmen muß, ist er damit in keine engere Berührung gekommen - sondern, im Rahmen eines Kompetenzkonflikts, von dem Reformationshistoriker und Hauptherausgeber Joachimsen. Dieser weist in seinem Bericht, dabei jeweils einige Sätze zitierend, auf zwei Komplexe aus den preußischen Materialien im Nachlaß Rankes hin: auf „Entwürfe zur Vorrede und große Teile von Entwürfen für die Neun und die Zwölf Bücher preußischer Geschichte, die einen wesentlich anderen Charakter tragen als der gedruckte Text.“ (481). Es vollendet die Tragik der Edition, daß sich zu dieser Zeit in Syracuse noch das Manuskript der ‚Zwölf Bücher preussischer Geschichte‘ befand, was den Beteiligten wohl nicht bekannt war. Insgesamt muß - nicht ohne Bedauern - festgestellt werden, daß die Ausgaben Joachimsens und Küntzels gerade auch hinsichtlich ihres unauffälligen historisch- 176 -

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kritischen Ertrags von geringer Wirkung blieben, was nicht allein der Tatsache des vorzeitigen Abbruchs des Gesamtunternehmens geschuldet ist. Interesse fanden hingegen die innerhalb und außerhalb der Edition aus dem Nachlaß hervorgebrachten Texte, die ausnahmslos der Frühzeit Rankes entstammten und, wie bemerkt, mit den edierten Werken nur in einem höchst geringen oder keinem Zusammenhang standen. Sie verstärkten jedoch in erheblichem Maße das Interesse an Rankes Religiosität und ihrer Ausprägung in seinem Werk, aufgrund der ‚Jugendlichkeit‘ der neuen Quellen jedoch vereinseitigend und kulminierend in dem 1954 erschienenen aufsehenerregenden Werk von Carl Hinrichs über ‚Ranke und die Geschichtstheologie der Goethezeit‘. Joachimsens Akademie-Ausgabe war sowohl hinsichtlich ihres nur sehr eingeschränkt erreichten historisch-kritischen Charakters als auch, und dies vor allem, hinsichtlich der werkbezogenen Verwertung des Nachlasses nicht geglückt. Es mag sein, daß eine solche kombinatorische Werk-Nachlaß-Konzeption aufgrund der desaströsen Rankeschen Arbeitsweise und der Fülle des überlieferten Materials bei manchem seiner Werke überhaupt nicht oder nur sehr eingeschränkt durchführbar ist. In dieser Hinsicht wird auch eine 1964 einsetzende weitere Akademie-Edition zu betrachten sein (s. II/2.1.5). Joachimsen dürfte dieses Problem wohl - zu spät - erkannt haben. Seine Konzeption stammte überdies aus einer Zeit, als er noch keine Kenntnis des Nachlasses besaß. War dieser doch, als Joachimsen am 19. Dez. 1921 einen ersten Planungsbrief an den Drei Masken Verlag schrieb (Text in PreußG/ed. Küntzel III/ 1930, unpag. 583f), gerade erst in der Staatsbibliothek eingebracht worden und befand sich, wie bemerkt, „noch in einem völlig ungeordneten Zustande.“ (Schwarz/1923, 14). Nach dem Tod Joachimsens im Januar 1930, kurze Zeit vor Erscheinen der Edition Küntzels, - schon 1923 war Eberhard Gothein verstorben, der die Ausgabe der ‚Päpste‘ hatte übernehmen wollen, und 1931 starb Ermentrude von Ranke, seit Jahren für die Ausgabe des Briefwechsels sichtend und sammelnd tätig (s. Abt. Briefwechsel) zeigte sich sehr bald, daß die Schar renommierter Mitherausgeber und Beiräte, worunter sich keine geringeren als Ludwig Dehio, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken, Gerhard Ritter, Hans Rothfels, Heinrich Ritter v. Srbik u. a. befanden, wie auch die Deutsche Akademie, doch nur eine mehr dekorative als in der Zukunft wirksame aktive Rolle zu spielen geeignet oder geneigt waren. Ein Scheitern des Unternehmens war auch ohne den Tod Joachimsens durch dessen jüdische Abstammung bereits vorgegeben. So ging der Gedanke einer den Nachlaß berücksichtigenden WerkGesamtausgabe für längere Zeit verloren. Rund dreißig Jahre später kam er in einer Ausschußsitzung der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wieder zur Sprache, wurde jedoch in der Joachimsenschen Form mit Recht verworfen und sollte, wie noch zu betrachten sein wird, in einer Ausgabe unter dem Titel ‚Aus Werk und Nachlaß‘ wenigstens ansatzweise verwirklicht werden. Im Jahre 1929 trat zum letzten Mal einer der Amanuensen Rankes mit einer RankeArbeit hervor: Paul Hinneberg veröffentlichte aus einem Handexemplar Rankes der ‚Sämmtlichen Werke‘ eine in 1878 oder 1879 verfaßte Kritik an Max Duncker (s. II, 182 u. 231). Im gleichen Jahr machte Paul Requadt in seiner bemerkenswerten Arbeit über ‚Johannes von Müller und der Frühhistorismus‘ einige Zeilen aus zwei Gedichten Rankes des Pfortaer Valediktionsheftes sowie ein Kurzzitat aus dem nachgelassenen Heft „Literatur. Besonders Geschichtschreiber, angefangen am 13. November 1824“ bekannt (s. II, 217). - Weitere Kleinelemente kamen 1930 aus heute verschollenen Beständen des Ranke-Museums Wiehe zutage: möglicherweise nicht von Ranke - 177 -

II/2.1.3 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

stammende Verszeilen zum Tod des Vaters (1836) sowie - „einem Notizbuche Leopolds entnommen“ - Aufzeichnungen zur Geschichte Wiehes, verfaßt um 1822 (Böhme/1930, s. jeweils II/2.3). Ebensowenig wie diese Kleineditionen entstammte der editorische Ertrag der ebenfalls 1930 erschienenen Arbeit von Kurt Borries ‚Preußen im Krimkrieg‘ dem eigentlichen Nachlaß Rankes. Sie stützte sich vor allem auf amtliche bzw. hoheitliche Archivbestände des Preußischen Geheimen Staatsarchivs und des damaligen Brandenburg-Preußischen Hausarchivs. Der Bezug zu Ranke ergab sich aus zweien seiner politischen Denkschriften „für den persönlichen Gebrauch“ des ihm befreundeten Edwin von Manteuffel auf einer Mission in Petersburg 1854 im Auftrag Friedrich Wilhelms IV. Es handelt sich dabei um ein „Gutachten über die Emanzipation der Rajah“ und um ein „Promemoria zur politischen Lage“, die Borries analysiert (199203, 409) und im Falle des bisher unveröffentlichten Promemoria als Anlage 22 (376378) ediert. Borries schloß überdies auf weitere unbekannte Denkschriften Rankes aus der Zeit des Krimkrieges für den preußischen Hof (413f., s. überhaupt II/4.2). Während an dieser Gattung zumindest editorisch nicht weitergearbeitet wurde, fand Erich Mülbe in seiner ebenfalls 1930 erscheinenden Dissertation ‚Selbstzeugnisse Rankes über seine historische Theorie und Methode im Zusammenhang der zeitgenössischen Geistesrichtungen‘ zu einer ganz anderen Gattung und Thematik, die er zumal aus dem eigentlichen Nachlaß Rankes hervorbrachte: den Vorlesungen. Es handelte sich dabei um ein unveröffentlichtes Fragment einer Ranke-Handschrift aus dem Nachlaß der Berliner Staatsbibliothek, das Mülbe auf 1831-1835 datierte und dem er den Titel gab ‚Über das Prinzip der universalhistorischen Methode‘. Sehr fragwürdig war freilich Mülbes allzu stark im Vordergrund stehendes Bestreben einer „Rekonstuktion des totalen Textes“ (22). Über diesen immerhin wichtigen Text hinaus gab er aus seiner Archivarbeit einige beachtenswerte Zitate und Hinweise (14, 36, 47, 67, 69f., 111-113) auf andere Rankeana des Nachlasses. Mülbes Edition mag angesehen werden als ein Rückgriff auf die bereits von Dove stark genutzte Gattung der Vorlesungen und bedurfte auch der Revision, die 1954 von Eberhard Kessel in einem Beitrag ‚Rankes Idee der Universalhistorie‘ mit Erweiterung vorgenommen wurde. Doch Mülbes als solcher verdienstvoller Neuansatz (s. auch inhaltlich Abt. ‚R im Geschichtsdenken der Weimarer Zeit‘, I/2.3.1.3) weckte mit kriegsbedingter Verspätung in den 1950er Jahren das Interesse an den sodann geradezu modisch werdenden Texten (s. im einzelnen II/5.1). Editorische Verdienste anderer Art erwarb sich in den dreißiger Jahren mehrfach Alexander von Müller, der zwar nicht aus dem Nachlaß im eigentlichen Sinne arbeitete, aber zunächst (1935) in bescheidener Anonymität aus dem Nachlaß Hans Delbrücks ‚Tagebuchdiktate Leopold von Rankes aus dem Jahre 1881‘ mitteilte. Auch diese - wie die von Kretzschmar herausgegebenen - übersah man bei einer späteren Sammlung Rankescher Diaristik (WuN I/1964). - Arbeiten im Münchener Geheimen Hausarchiv entstammen v. Müllers weitere Editionen. Noch im Jahre 1935 teilte er in der Nachfolge Doves (WG IX/2) einen Vortrag Rankes vor Kg. Maximilian II. von Bayern mit, ‚Ein Moment der Zeit‘. Vortrag gehalten vor Sr. M. dem Könige in Hohenschwangau October 1862‘, und 1939 als seine wertvollste Gabe ‚Nachträge zu den Briefen Leopold Rankes an König Maximilian II. von Bayern‘. Neben der hier nicht zu betrachtenden Korrespondenz (s. II/3.2) enthält sie wichtige andersartige Dokumente zur Wissenschaftsgeschichte: Gesprächsaufzeichnungen und Berufungsempfehlungen, vor - 178 -

II/2.1.4 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

allem vielgestaltige Denkschriften bzw. Entwürfe Rankes für sein Lieblingsprojekt einer ‚Deutschen Akademie‘ (s. bes. II/6.5.1). - Neben v. Müller war damals auch Bernhard Hoeft im Münchener Geheimen Hausarchiv tätig. Er befaßte sich in einer briefgesättigten Veröffentlichung mit ‚Rankes Berufung nach München‘ (1940, jedoch vor v. Müller/1939 erschienen, s. II, 277f.). - Währenddessen nahm das in der Abteilung ‚Briefwechsel‘ zu verfolgende Edieren einzelner Briefe von und an Ranke bis zum Jahre 1945 und darüber hinaus in rd. 160 Veröffentlichungen weiter seinen schmalspurigen Lauf. Das Jahr 1943 hätte nach Doves biographisch geprägter Edition von 1890 (SW 53/54) eine zweite Sternstunde der Ranke-Forschung bedeutet, wenn der fertiggestellte Drucksatz seiner eine Vielzahl von Nachlaßbeständen nutzenden umfangreichen Briefausgabe nicht ein Opfer der Bombenangriffe auf Hamburg geworden wäre. So erschienen Bernhard Hoefts ‚Neue Briefe‘ erst posthum 1949 (s. Abt. Briefwechsel). 1945-1963 V o r l e s u n g e n (II/2.1.4) Am 22. Mai 1946 hielt Eberhard Kessel seine Antrittsvorlesung an der PhilippsUniversität Marburg mit dem Titel ‚Rankes Geschichtsauffassung‘. Dem schloß sich 1951 ein erster, Ranke und Burckhardt gewidmeter Literatur- und Forschungsbericht an, in dem er darauf hinwies, daß „auch die einfachen Arbeitsvoraussetzungen einer einigermaßen vollständigen Überlieferung“ bei Ranke „nicht entfernt in dem Grade gegeben“ seien wie bei Burckhardt (358) und gab einen ersten nachdrücklichen Hinweis auf den Nachlaß und die mit seiner Erschließung verbundenen Probleme. Sein Hinweis fruchtete sogleich in einer Veröffentlichung von Franz Pahlmann, der durch Kessel auf einen Predigtentwurf Rankes in dessen Nachlaß aufmerksam gemacht worden war (RNL 38 I). Bis auf folgende kleine Versehen ist die Handschrift korrekt entziffert (490 falsch: „Religion zu Hilfe“, richtig: Hülfe“; 494 falsch: „mit guter Stirn“; richtig: „mit heitrer Stirn“; ebd. falsch: „in das unbestimmte, weiter“, richtig: „weite“; ebd. falsch: „das Not tut“, richtig: „was Not tut“; 497 falsch: „den starren Herzen“, richtig: „dem“). Die geringe Zahl von Lesefehlern ergibt sich wieder aus der Tatsache, daß hier im Grunde eine Reinschrift vorliegt, nicht, wie Pahlmann annahm, ein Entwurf. - Der Herausgeber kam aus inhaltlichen Gründen zu einer Datierung in Nähe der sogenannten ‚Luthernovelle‘ vom 8. Sept. 1816, was man aus äußeren handschriftlichen Gründen für zutreffend halten kann. - Für Datierung wie Interpretation ist ein der Ranke-Forschung bislang unbekannter Umstand bedeutend, der sich aus einer unveröffentlichten biographischen Skizze Rankes aus der Feder seines Bruders Ferdinand (GStA PK, Rep. 92) ergibt. Ihr zufolge bewarb sich Ranke während seines Studiums durch Ausarbeitung einer Predigt um einen „Reinhardschen Preis“, den er auch erhielt (s. dazu II, 417 u. Henz/1968, 187ff.). Von unmittelbarem editorischen Verdienst war dann Kessels Beitrag von 1954 über ‚Rankes Idee der Universalhistorie‘, worin er den von Mülbe 1930 edierten Vorlesungstext revidierte und erweiterte. Hiervon ging nun eine anhaltende gattungsmäßige Wirkung aus, indem Rankes Vorlesungsmanuskripte in Verbindung mit Hörernachschriften zu einer bevorzugten Quelle der Ranke-Forschung wurden. Dies geschah sogleich in Dissertationen der Jahre 1957 (Vierhaus) und 1958 (Schulin), was an anderer Stelle weiter verfolgt werden soll (s. II/5). Beiläufig brachten beide jedoch auch einige kleine Stücke anderer Art aus dem Nachlaß hervor. In Vierhaus’ Arbeit - 179 -

II/2.1.4 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

über ‚Ranke und die soziale Welt‘ waren es nahezu dreißig, zumeist in den Anmerkungen edierte Partikel von tagebuchartigen oder reflektierenden Aufzeichnungen Rankes. Eberhard Kessel zufolge sind die Übertragungen zum Teil fehlerhaft (s. II/5.1). Unter den wenigen größeren, halb- bis zweiseitigen Stücken ist eine nach 1848 verfaßte Aufzeichnung über den Unterschied zwischen liberalen und revolutionären Tendenzen von Interesse (Vierhaus: Soz. Welt/1957, 244), auch eine „Vergleichung der englischen und der französischen Revolution“ (244-246), eine Aufzeichnung über die Struktur des preußischen Staates (247f.) sowie über die Presse, in Verbindung mit einem Vergleich Frankreich-Preußen-England, wahrscheinlich noch vor 1848 verfaßt (248f.). Der neben seiner Dissertation im gleichen Jahr erscheinende Beitrag von Vierhaus über ‚Rankes Verständnis der „neuesten Geschichte“ war einseitig an Vorlesungen interessiert, und Vierhaus’ irreführend betitelter Beitrag ‚Aus Rankes Nachlaß‘ (1966) schließlich enthielt nichts dergleichen, stellte vielmehr die Besprechung einer Edition von 1964 dar (WuN I). Auch Ernst Schulin wandte sich in seiner vielbeachteten Dissertation über ‚Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke‘ (1958) neben der Betrachtung von Vorlesungsheften Rankes und Hörernachschriften anderen Textgattungen des Nachlasses zu. Neben einer frühen Aufzeichnung über Europa und Asien von etwa 1823 (308-310) veröffentlichte er zwei kurze Entwurf-Diktate aus dem Bereich von Einleitung und Vorrede der ‚Weltgeschichte‘, eines vom Oktober 1878, das zweite etwa zur Jahreswende 1880/81 (318f.). Ausschließlich vorlesungsbezogen waren sodann Veröffentlichungen, wiederum von Kessel, über ‚Rankes Auffassung der amerikanischen Geschichte‘ (1962) und über ‚Die Zeitgeschichte in Forschung und Lehre‘ (1974). Unbefriedigend, bei aller sonstigen Qualität der Arbeiten, ist das gelegentliche, zum Teil nur satzweise ‚Nippen‘ an Nachlaßbeständen. Besonders extrem wurde dies von Helbling (1953), Vierhaus (1955), Kemiläinen (1968) und Berg (1968) praktiziert, wobei sich letzterer in seinem unverzichtbaren Werk über ‚Leopold von Ranke als akademischer Lehrer‘ allerdings u. a. Verdienste um nachgelassene Kolleghefte Rankes und um Hörernachschriften erworben hat. Sollte sich der Handvoll von Forschern weltweit, die mit dem Ranke-Bestand in unmittelbare Berührung gekommen sind, einige weitere anschließen, so wäre es wünschenswert, daß dies in einer interpretierend und edierend möglichst an textlichen Ganzheiten und Einheiten bzw. an einzelnen Lebensabschnitten Rankes orientierten Weise geschähe. Unabhängig von dieser Entwicklung befaßte sich der Urenkel Leopold von Rankes, Enkel Friduhelms und Sohn Ermentrudes, Gisbert Bäcker-von Ranke, zunächst mit ‚Rankes Geschichtschreibung im Urteil der deutschen Öffentlichkeit‘ (Diplomarbeit Köln 1952) und in einer Dissertation von 1955 mit dem Thema ‚Leopold von Ranke und seine Familie‘. Letzterer legte er außer den gedruckten Erinnerungen aus dem Kreis der Familie im wesentlichen folgende private Nachlaßbestände zugrunde: 1.) eine Briefsammlung Ermentrudes, u. a. mit Briefen der Kinder Rankes (Otto, Friduhelm u. Maximiliane) sowie fünf unveröffentlichten Briefen von und sechs an Ranke, 2.) einen ‚Ottos Briefsammlung‘ genannten Bestand mit wenigen kurzen Briefen Rankes, Clarissas und der Kinder aneinander, 3.) unveröffentlichte Jugenderinnerungen Otto von Rankes, 4.) eine unveröffentlichte Sammlung ‚Stars of my life. Reminiscences of my friends. Sonnets by Clarissa von Ranke‘. - Die Arbeit ist für die hier auch durchaus kritisch gesehene Persönlichkeit Rankes und seine vielfältigen menschlichen, gesell- 180 -

II/2.1.5 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

schaftlichen, gelehrten, politischen u. a. Beziehungen sehr aufschlußreich und für jedes künftige biographische Unterfangen unverzichtbar: u. a. „Leopold von Ranke aus der Sicht seiner Familie“ (55-59), „Der Freundeskreis“ (94-133), „Hofnachrichten“ (141153), „Nachrichten aus der Politik“ (169-208) (enthält auch aus den genannten Nachlaßbeständen zusammengestellte Personenregister). - Im Anhang veröffentlichte Bäcker-von Ranke erstmals einen für die Forschung wichtigen Testamentsentwurf Rankes vom 28. 12. 73 (Anm.-Bd., 79-83) mit dem Plan einer (nicht zustande gekommenen) Familienstiftung, drei Briefe Rankes an englische Verwandte (u. a. an Robert u. Charles Graves) und Rankes Ehevertrag, ferner ein Gedicht Paul Heyses für Ferdinand Ranke (April 1867) und - in Ergänzung zu Otto von Ranke - einige später vermehrt wiederabgedruckte Kondolenzbriefe zum Tode Rankes. Die Bestände gelangten als Schenkung in das Archiv des Ranke-Vereins, Wiehe (s. II/2.2.3). Die in diesen Zeitraum fallenden Briefausgaben von Bernhard Hoeft (‚Leopold von Ranke. Neue Briefe‘) und Walther Peter Fuchs (‚Leopold von Ranke. Das Briefwerk‘), behandelt die Abteilung ‚Briefwechsel‘ (II/3.1.6). 1964-1975 E i n e E d i t i o n d e r H i s t o r i s c h e n K o m m i s s i o n (II/2.1.5) Auch das zweite von einer Institution beförderte editorische Unternehmen, die rd. 30 Jahre nach Joachimsen von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unternommene Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ Rankes (WuN), wurde nach mehreren Planänderungen, nicht ohne meine kritische Einwirkung (s. Henz: Handschriftliche Grundlagen der Ranke-Forschung. In: Henz/1968, 262ff.; Baur/2007, 19), vorzeitig beendet. Nach Beschlüssen der Kommission vom Juni 1961 war realistischer Weise an eine Fortsetzung der Joachimsenschen Gesamtausgabe nicht gedacht, vielmehr wurde eine Edition von „Tagebüchern und Gedanken“, „Jugendschriften und bisher nicht veröffentlichten Ausarbeitungen, „Vorlesungen“, „Historischen Notizen“ und letztlich von „Einzelwerken, bei denen die Textüberlieferung problematisch ist (‚Epochen‘, u. U. Weltgeschichte)“ ins Auge gefaßt. In der Verlagswerbung von Oktober 1965 konkretisierte sich die Planung wie folgt: Bd. I. Tagebücher, Bd. II Schriften aus der Studienzeit, Bd. III Größere selbständige, bisher nicht publizierte Schriften, Bd. IV Auswahl aus den Vorlesungsmanuskripten, Bd. V Notizen und Aperçus zu den gedruckt vorliegenden Werken. Realisiert wurden - unter der Herausgeberschaft des Präsidenten der Historischen Kommission, Theodor Schieder, und dem Ranke-Forscher Walther Peter Fuchs schließlich die Bände I, II und IV, freilich als Bände I, III u. IV, wohingegen die werkbezogenen Bände III und V gänzlich entfielen. Als Bd II wurde eine in der Planung von 1965 verloren gegangene Edition der Rankeschen Berchtesgadener Vorträge vor Kg. Maximilian II. von Bayern aus 1854 eingefügt. Zunächst nicht geplant, wurde durch den Wegfall werkbezogener Nachlaßteile auch der Rückzug von Druckwerk-Editionen gänzlich vollzogen, damit aber der Titel ‚Aus Werk und Nachlaß‘ hälftig obsolet. Der von Fuchs im Jahre 1964 herausgegebene Band I, ‚Tagebücher‘ betitelt, leidet an mehrfachem Mangel. Da ist zunächst in einigen Fällen das Verhältnis zu Vorgängereditionen zu beanstanden, denn die Ausgabe besteht neben Neuschöpfungen aus dem - 181 -

II/2.1.5 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

Nachlaß in weiten Teilen aus dem Wiederabdruck aus Primäreditionen, vor allem aus den 1890 von Dove herausgegebenen ‚Tagebuchblättern‘ (SW 53/54). Von ihnen ließ sich im Nachlaß keine Spur mehr finden. Was Fuchs unbekannt war: Ranke trug sie oder diktierte sie in ein von ihm so genanntes ‚Geheimbuch‘ ein, das sein Amanuense Wiedemann so beschreibt: „In Beziehung auf dasselbe muß man von der Vorstellung eines gewöhnlichen Tagebuchs, das mit der Absicht alltäglicher Annotate geführt wird, völlig abstrahieren; die Niederschriften erfolgten vielmehr in sehr unregelmäßigen Intervallen und im Grunde nur auf gelegentliche Anlässe“ (Wiedemann II/1891, 329f. u. ebd. XIV/1893, 343). Diese Angaben entsprechen dem Charakter des Edierten, und man darf annehmen, daß der bisher nicht recht erklärliche Totalverlust der Vielzahl von ‚Tagebuchblättern‘ dem Verlust der Einzahl dieses gebundenen ‚Geheimbuchs‘ zuzuschreiben ist. Mehr noch als das ebenfalls untergegangene gebundene Reinschriftexemplar der Vorträge Rankes vor Maximilian II. stellte es - „beständig unter Verschluß“ in corpore den größten und persönlichsten, nach Rankes Tod wohl zurückgehaltenen Schatz des Nachlasses dar. Als verschollen muß auch Rankes Handexemplar der ‚Sämmtlichen Werke‘ angesehen werden. Es wurde seinem Amanuensen Paul Hinneberg von Seiten der Erben geschenkt. Hinneberg, der daraus die ‚Recension der Recension Dunckers‘ edierte (s. II/2.3), fand darin „an mehr als einer Stelle Textverbesserungen und Zusätze von Wert“ (Hinneberg/1892, 131). Überdies machte Hinneberg aufmerksam auf „zahlreich“ in Rankes „Nachlaß vorhandene Privatkritiken, in denen er sich mit den wichtigeren literarischen Erscheinungen, die sein jeweiliges Arbeitsgebiet berührten, für den wissenschaftlichen Hausgebrauch auseinanderzusetzen pflegte“ (132). Auf Fehler und Schwachstellen der Schieder-Fuchs’schen Edition (WuN I-IV) ist ausführlich einzugehen, da sie mit der gewöhnlich wohl berechtigten, hier jedoch nicht angebrachten kanonischen Geltung von Veröffentlichungen der Historischen Kommission versehen ist. Stück 54 (WuN I, 90). Dort fehlen Hinweise auf Varianten bei Keibel/1928, 247. Stück 71, Mittelteil (WuN I, 102f.). Es fehlt ein Hinweis auf den Erstdruck von Kessel/1954, 281f., wodurch der Verlust einer wichtigen Variante eintritt. Stück 162 (WuN I, 155). Hier bringt Fuchs einen Zweitdruck von Keibel/1928, 245, A. 2, vermerkt jedoch nicht die Varianten. Stück 167 (WuN I, 157). Fehlender Hinweis auf den Erstdruck bei Kessel/1954, 282f. Stück 243 (WuN I, 233f.). Fehlender Hinweis auf den Erstdr. bei Kessel/1954, 280f. Stück 248 (WuN I, 236). Wurde nicht „entstellt“, sondern korrekt bei Joachimsen (VI, 352 gedruckt). Stück 251 (WuN I, 238). Es fehlt wiederum der Hinweis auf den Erstdruck bei Kessel/1954, 286 f., wodurch Varianz-Verlust eintritt. Stück 263 (WuN I, 242). Kein Hinweis auf Erstdr. bei Vierhaus: Soz. Welt/1957, 55, A. 10 Stück 272 (WuN I, 247). Wiederum kein Hinweis auf Erstdr. bei Vierhaus: Soz. Welt/1957, 127, A. 50). Daher Varianz-Verlust. Stück 419 (WuN I, 379). Kein Hinweis auf Erstdr. bei Vierhaus: Soz. Welt/1957 29, A. 27. Daher Varianz-Verlust. Stück 446 (WuN I, 405f. Anm. a). Kein Hinweis auf Erstdr. bei Stolze/1922, 290-293.

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II/2.1.5 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

Die Texte sind im Gegensatz zu SW 53/54 in WuN I kommentiert. Allerdings ist die Orthographie (überholt) modernisiert, so daß sich in den Fällen, wo - bei Nachlaßverlust - Erstdrucke in Rankes ‚Sämmtlichen Werken‘ vorliegen, und das ist häufig der Fall, deren Benutzung empfiehlt. Der Variantenapparat ist ungenügend gestaltet. Eine große Zahl von Textmanipulationen Rankes wird nicht dokumentiert. Aus der Vielzahl zwei Beispiele: Bei der Niederschrift zur Rückehr Kg. Friedrich Augusts von Sachsen aus der Gefangenschaft (RNL 38 I H 21-22‘) werden von 26 notwendigen Hinweisen auf Streichungen, Einfügungen etc. lediglich 7 gegeben (WuN I, 259-261). Von Rankes Stanzen zu Natur und Kunst (38 I H 19) vermittelt die Edition ein falsches, geglättetes Bild durch Wegfall von 19 der zumindest 21 notwendigen Hinweise (WuN I, 54). Ein weiterer Mangel liegt im gänzlichen Übersehen einiger bereits gedruckter Tagebucheintragungen und sonstiger Aufzeichnungen, so der oben erwähnten von Kretzschmar/1924 und von Müller/1935. Ebenso fehlen die aus dem unten folgenden Abschnitt ‚Edierte Handschriften‘ nachgewiesenen Positionen: Verse Rankes für Rahel Varnhagen, 7. 7. 27. - Zwei Verszeilen eines Bettinabezogenen Gedichts Rankes aus dem Jahre 1827. - Über Ludwig Tiecks Novelle ‚Dichterleben‘, Dez. 1828. - ‚Preußischer Staat‘, Mitte 1830er Jahre? - ‚Über den modernen Staat‘, Mitte 1830er Jahre. - ‚Vergleichung der englischen und der französischen Revolution‘, 1830er Jahre? - Acht Verszeilen zum Tod des Vaters, 1836. - Notiz ‚Eigenthum‘ (um 1848?). - Notiz ‚Die Welt liebt den Widerspruch ...‘, 1848 oder früher. - Tagebuchblatt, ‚März 1848‘. - Aufzeichnung der 1850er Jahre. - ‚Tagebuch v. Varnh‘[agen] 1861 oder später. - ‚Über ein Denkmal Friedrich Wilhelms III.‘ - ‚1866‘. - [Zwiegespräch Birnbaum/Kastanie]. - Tagebuchdiktate von 1881. - Achtzeiliges Gedicht vom 30. Sept. 1881.

Von einer Edition des ihm durch Dr. Bäcker-von Ranke zur Verfügung gestellten Rheinreisetagebuchs Rankes von 1817 (Abschr. von der Hd. FvR.s) hat Fuchs, der auch von einer entsprechenden Hoeft-Abschrift in Rep. 40 des GStA PK wußte (WuN III, 330, A. 3), abgesehen. Das Friduhelm-Dokument ist seit der Übergabe verschollen. Nicht bekannt war Fuchs die Abschrift unveröffentlichter Tagebucheintragungen, welche Ranke vom 28. Dez. 1849 bis 30. Nov. 1850 in ein Exemplar des bei D & H erscheinenden ‚Deutschen Politischen Tagebuchs‘ für 1850 eintrug (s. II, 173). Der zweite Kritikpunkt liegt in einer nicht geringen Zahl skurriler Lese- und Verständnisfehler, die z. T. auf peinliche Bildungsmängel des Herausgebers zurückzuführen sind. Dabei wurde sogar eine Passage aus Karl Friedrich Bachmann ‚Ueber die Philosophie meiner Zeit. Zur Vermittlung‘, Jena 1816. S. 76 als Ranke-Text angesehen, so bei 38 I B fol. 103-103‘ (WuN I, 159). An anderer Stelle (514) wird Platons ‚Phädros‘ und ‚Phaidon‘ zu einem neuen „Phädron“ zusammengesetzt. Und der ebenfalls phantasievoll der antiken Geistesgeschichte vermachte „Thypides“ (ebd.), über dessen Tragödien in Rankes Nachlaß eine lateinische Abhandlung in fremder Hand vorliege, geht doch nur auf einen verlesenen Genetiv von Thespis (Thespidis) zurück. Wo sich Ranke über die Etrusker äußert, da liest Fuchs: „der Mangel des Vokals etc. weisen uns durchaus zu den Semiten“ (WuN I, 92). Es ist jedoch, wenn man sich in Heft 38 I B 76-93 und im Etruskischen umsieht, nicht „der Mangel des Vokals etc.“, sondern der Mangel des Vokals o. Ein schlimmer Verleser auch bei den Notizen Rankes zu Platons ‚Symposion‘. Da vermutet Fuchs, „daß damals noch kein Weib gewesen sei“ (WuN I, 96). Das ‚Symposion‘ weiß hingegen: Es war der Wein, den es noch nicht gab, man trank stattdessen Nektar (Symp. Steph.-Nr. 203 b). In weiteren - 183 -

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Metamorphosen wird aus dem ‚lichten Stern der Nacht‘ der ‚achte Stern der Nacht‘ (WuN I, Nr. 18 (S. 56), und aus einem ‚Arlekin‘ wird ein ‚Urielkind‘ (38 I H 23-24, WuN I, Nr. 19). Völlig verdorben ist auch folgende Stelle aus 38 I H 21-22‘. Da liest Fuchs in Stück 288 (WuN I, 260) zur Rückkehr Kg. Friedrich Augusts von Sachsen aus Gefangenschaft: „die Lage Deutschlands und des Vaterlandes ...“. Richtig ist jedoch: „die Lage Deutschlands und des Vasallen [nämlich Frankreichs als ‚Verbündeten‘ des Königreichs Sachsen] ...“. Doch der eigentliche Hauptpunkt der Editionsproblematik besteht darin, daß der Herausgeber in einem unglaublichen Maße Zusammenhängendes getrennt hat. Sein erster Band enthält statt der angekündigten ‚Tagebücher‘ ein Gewirr von nicht weniger als 500 zum größten Teil viertel- bis halbseitigen numerierten Einzelstücken, die er zehn Sachgebieten, wie ‚Biographisches‘, ‚Zur Antike‘, ‚Zu Theologie und Religion‘ usw. zugeordnet hat. Zwei der auffallendsten editionstypologischen Fehleinstellungen werden an folgenden Beispielen sichtbar: Von einem aus ineinandergelegten Quartblättern bestehenden Heft Rankes mit Vorarbeiten zum Erstlingswerk (33 G, RNL, Beschreibung: WuN I, 508) werden einige Blätter editorisch genutzt: fol. 2‘ (Nr. 117 der Edition), fol. 3 (Nr. 256), fol. 34‘ (Nr. 362), fol. 35-37 (Nr. 342); fol. 43 (Nr. 202 u. 238). - Nun ist es interessant, die einzelnen Datierungen zu verfolgen: „[1860er Jahre]“; „[1830er Jahre]“; „[nach 1845]“; „[nach 1839]“; „[1830er Jahre]“, „[nach 1849]“. Ist dies schon seltsam genug einiges dürfte in der Tat richtig datiert sein - so ist doch die vom Herausgeber vorgenommene zusammenfassende Datierung des Ganzen „[1818-24]“ völlig unplausibel.

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II/2.1.5 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

In voraufgehendem Beispiel führt sich die Zerteilungs- und Systematisierungspraxis völlig ad absurdum: Hier wird eine im Schriftbild durchaus homogene dreigliedrige Passage, die man etwa mit der Überschrift ‚Reflexionen über Wissenschaft und Kunst‘ hätte edieren können, völlig durcheinandergewirbelt. Diese voranstehend abgebildete obere Hälfte von fol. 18 aus einem „Tagebuch oder Notizheft [1814-1818]“ (12-20 RNL. Beschr. WuN I, 512) wird editorisch wie folgt behandelt: Der erste und der letzte Abschnitt werden in die Abteilung ‚Zur Philosophie‘ aufgenommen, dabei jedoch der letzte als Nr. 129 vor den ersten als Nr. 130 gestellt. Sodann wird der mittlere Abschnitt - fast dreißig Druckseiten entfernt - in der Abteilung ‚Zu Ästhetik und Literatur‘ aufgenommen. Nun tritt jedoch noch eine unerwartete Steigerung ein: Da der mittlere Abschnitt, aus zwei Sätzen bestehend, noch zu teilen war, wurde jedem Satz eine Nummer (184 u. 185) nebst Überschrift verliehen und diese getrennt, indes nicht einfach nacheinander, sondern in umgekehrter Reihenfolge abgedruckt. (Das Verfahren wird auch von Daniel Fulda/2005, 169, A. 20 beanstandet). Natürlich ist die ‚Tagebücher‘-Edition von Walther Peter Fuchs nicht ohne Verdienst. Der Herausgeber hat dem verworrenen Nachlaß Rankes zweifellos bedeutende Stücke entnommen und auch vieles Schwierige korrekt entziffert, doch kann der Wert seiner Ausgabe durch Schwere und Vielzahl grundsätzlicher und beiläufiger Mängel nur darin liegen, bei Neueditionen oder Nachlaßstudien vergleichend herangezogen zu werden. Das dringend angeratene Studium der entsprechenden Archivalien kann dabei nicht nur zu korrekten Texten führen, sondern auch zur Erkenntnis editorisch zerstörter handschriftlicher und inhaltlicher Zusammenhänge. Im Gegensatz zur Fuchs’schen Konzeption stellte der editorische Teil meiner Dissertation von 1968 (‚Leopold Ranke. Leben, Denken, Wort. 1795-1814. Darstellende Untersuchungen und Edition‘) den ersten Teil einer chronologisch-ganzheitlich orientierten Ranke-Nachlaßedition dar (261-493: ‚Handschriften 1808-1814‘). Zu den durch die Arbeit bereitgestellten orientierenden Hilfsmitteln zählte neben einer ersten, Helmolt (1910) ergänzenden Bibliographie eine erstmalige Übersicht über ‚Handschriftliche Grundlagen der Ranke-Forschung‘ (262-289). Auch Band II der Edition der Historischen Kommission, die von Theodor Schieder und Helmut Berding 1971 besorgte Ausgabe der unter dem Titel ‚Über die Epochen der neueren Geschichte‘ weltbekannt gewordenen Vorträge Rankes vor Kg. Maximilian II. von Bayern ist massiv verunglückt und bedarf wie Band I dringend einer Erneuerung. Der wieder aufgegriffene traditionelle Titel der Vorträge ist nicht der ursprüngliche, vielmehr lautet er „Über die s. g. ‚leitenden Ideen‘ in der Geschichte“, vor allem aber ist das eigentliche Edendum nicht die von den Herausgebern gewählte, kürzend redigierte Reinschrift für Maximilian, sondern das bei fundamentalem Verstoß gegen das Gebot der Authentizität partiell als Großvariante in die Fußnoten gesetzte Stenogramm. Meine Untersuchung von 2009 (Rankes fälschlich so benannte Vorträge ‚Über die Epochen der neueren Geschichte‘. Eine Untersuchung zu Schein und Sein der Überlieferung) konnte zeigen, daß die Edition der Historischen Kommission, wie die große Zahl der auf Doves Erstveröffentlichung (WG IX/2) von 1888 beruhenden, auch international übersetzten Ausgaben, unhaltbar ist. Der 1973 von Fuchs unter Mitarbeit von Gunter Berg und Volker Dotterweich herausgegebene dritte Band, ‚Frühe Schriften‘, enthält, wie der Tagebücher-Band, wiederum bereits Veröffentlichtes und Neues aus dem Nachlaß. Bei den edierten und jeweils mit lesenswerten Vorbemerkungen versehenen Texten handelt es sich z. T. um - 185 -

II/2.1.5 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

Zweitdrucke der Editionen von Keibel, Pahlmann, Schweitzer, Borries, Schulin und Henz (zu letzterem erfolgt kein Nachweis, stattdessen die auffallend unwahre Bemerkung: „Nach Abschluß des Manuskripts ist erschienen: Günter Johannes Henz, Leopold Ranke. Leben, Denken Wort“ [usw]. Diese Arbeit ist jedoch, wie erwähnt, bereits 1968 erschienen, der fragliche Band von WuN III hingegen erst 1973). Die edierten Texte aus den Jahren ca. 1808 bis 1824 stellen allerdings lediglich einen Teil der noch erhaltenen im Ranke-Nachlaß der SBB PK, Hs.-Abt. bewahrten Überlieferung dar. Bisher unveröffentlicht waren folgende Stücke: ‚Die Psalmen. Nach Art der Urgestalt verdeutscht. Mit einleitenden Bemerkungen. I-XXX‘, August 1815 (126-213). – [Aufzeichnung über die Einteilung der Künste] ‚Geschichte der Metrik.‘ [1815] (215f). - [Politische Betrachtungen. Nach einer Aufführung des Wilhelm Tell]. [Nach Herbst 1815] (219-222). ‚Zu den Briefen an die Thessaloniker‘, „Juni und Juli 1816“ (234-236). - ‚Zu dem Briefe an die Ephesier‘, „August/September 1816“ (236-243). - ‚Des Theokritos achtzehn ächte Edyllien‘, [1815/16] (263-328). - Teilweise neu: ‚Fragment über Luther‘, „1817“ (340-466). [Aus den Unterrichtsnotizen zur griechischen Geschichte]. [Okt.] „1818 bis Mitte April 1819“ (505-542). - [Aus den Studien zur griechischen Literaturgeschichte] [1819-23] (546561). - [Aus den Studien zur römischen Literaturgeschichte] „1819“ (561-575). - [Aus den Unterrichtsvorbereitungen zur mittelalterlichen Geschichte] Juni [18]19 (576-578). [Dramenentwurf] [1819?] (580f.). - Teilweise neu: [‚Europa und Asien‘] [um 1823] (597602). Erstdr. Schulin/1958, 308-310. - Neu: [‚Balders und Hothers Kampf. Nach Saxo Grammaticus‘] [1818-24] (604-608). Die Textübertragung stand bei diesen geschlosseneren und stärker ausgereiften Einheiten nicht vor den Entzifferungsproblemen von Band I, doch bleibt eine Überprüfung auch hier angeraten.

Wegen der vielfachen Überschneidungen der Bände I (‚Tagebücher‘) und III (‚Frühe Schriften‘) - so hätten die literaturgeschichtlichen Studien oder die Aufzeichnung über die Einteilung der Künste oder der Dramenentwurf aus Band III auch in der Abt. ‚Zu Ästhetik und Literatur‘ von Band I Aufnahme finden können - kann eine revidierende Neukonzeption von Band I oder Band III nur aus einer Zusammenschau beider heraus - unter Einbeziehung des Übersehenen - unternommen werden. Band IV der Akademie-Ausgabe mit dem Titel ‚Vorlesungseinleitungen‘, 1975 herausgegeben von Volker Dotterweich und Walther Peter Fuchs, widmet sich einem höchst intrikaten Quellenkomplex, der aufgrund der chaotischen Arbeitsweise Rankes ohne schmerzliche Kompromisse nicht zu bearbeiten, geschweige denn zu bewältigen war. Die Edition ist an sich wertvoll, wenn auch konzeptionell nicht unproblematisch. Mit dem Thema setzt sich ausführlich die Abt. ‚Vorlesungen und Übungen‘ (II/5.1) auseinander. Weitergehende Studien im Nachlaß - nach Vollendung der ordnenden Arbeiten von Siegfried Baur - werden auch für diesen Band zeigen, ob konzeptionell und wo gegebenenfalls textlich zu bessern und zu ergänzen ist. Zu den ‚Ergebnissen‘ der von der Historischen Kommission veranstalteten Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ gehört nach Feststellungen Baurs auch die erhebliche Unordnung, in welche die 50.000 Blatt des Nachlasses - wie vordem zu Zeiten Joachimsens versetzt wurden (Baur/2007, 19). Dabei war doch auch gerade die Erarbeitung einer Bestandsübersicht als Aufgabe des Unternehmens bestimmt worden, ja man glaubte, über das Ordnen hinaus - in einer der Joachimsenschen ähnlichen Verblendung - eine „wissenschaftlich erschöpfende Auswertung von Rankes Nachlaß“ leisten zu können (WuN I, 32), wovon nicht im Entferntesten die Rede sein kann. - 186 -

II/2.1.6 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

A u s l ä u f e r u n d A u s b l i c k (II/2.1.6) Im Jahre 1973 kam es durch Helen Liebels Beitrag ‚Ranke’s fragments on universal history‘ noch zu einer kleineren, an Dove, Mülbe, Kessel und Schulin anschließenden Veröffentlichung aus dem Nachlaß. Aus Fasz 27 IV teilte sie Aufzeichnungen betitelt ‚Über Universalhistorie. - Ursprung der Universalhistorie. - Herders ‚Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‘ von 1877 mit. Eine Ergänzung lieferte die Verfasserin (unter dem Namen Liebel-Weckowicz) mit dem 1988 erschienenen Beitrag ‚Ranke und Darwin - Evolution und Weltgeschichte‘. - Kurze Texte aus dem Nachlaß der 1830er Jahre steuerte dann abschließend Siegfried Baur bei. Er veröffentlichte in seiner Dissertation von 1998 mit dem Titel ‚Versuch über die Historik des jungen Ranke‘ (159-162) aus 38 I B (1-4) und 38 I E (11-11r) Aufzeichnungen über die „Thätigkeit des Geistes“, die mit Rankes Beitrag ‚Vom Einflusse der Theorie‘ (Ende der ‚Reflexionen‘, HPZ I/4, 1832, 803-824) in Zusammenhang stehen, sowie in einem Beitrag von 2003, betitelt ‚Die Freiräume der Historie. Anmerkungen zu Aufstieg und Fall der Historisch-politischen Zeitschrift Rankes‘ (74f.), Aufzeichnungen Rankes aus Fasz 4. I., überschrieben „Italienische Flugschriften“. Sie stehen ebenfalls mit der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ in Zusammenhang, und zwar mit Rankes Beitrag „Auszüge aus italienischen Flugschriften“ (HPZ I/3, 1832, 455-481). Beide institutionell getragenen Editionen - die Ausgabe der Deutschen Akademie in den Jahren 1925 bis 1930 und die Ausgabe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften der Jahre 1964 bis 1975 - litten bei unterschiedlichen persönlichen Voraussetzungen und Schicksalen ihrer Herausgeber an einer immensen Unterschätzung der Nachlaß-Problematik, die sich, abgesehen vom Umfang des Hinterlassenen in der nicht selten ans Unleserliche streifenden Handschrift und in der von Ranke selbst verursachten geringen Ordnung seiner Notate, Diktate und Papiere äußert. Das mit Rankes Nachlaß aufgeworfene inventarische Problem dürfte zwar durch den Einsatz von Siegfried Baur einer Lösung zugeführt werden - eine Voraussetzung für alles Weitere -, die editorische Aufgabe jedoch ist nicht allein unbeendet, sondern in ein lange Zeit nicht erkanntes Chaos überführt worden. So dauerte es trotz der von mir bereits 1968 vorgetragenen, lediglich den inneren Kreis Herausgeber und Kommission - beunruhigenden Beanstandungen noch Jahrzehnte, bis die Forschung begann, Zweifel an dem Unternehmen zu äußern (Süßmann/2000, 222; Fulda/2005, Baur/2007). Und es kam nach Beendigung der Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ sowohl das Ranke-Edieren als auch das archivliche Nachlaß-Benutzen im wesentlichen zu einem Ende, wird doch nach einer Akademie-Edition im allgemeinen kein weiterer Handlungsbedarf gesehen: academia locuta causa finita. Teils geblendet durch die Reputation der tragenden Institutionen, teils abgeschreckt durch Art und Umfang des Nachlasses ist in der nachlaßbezogenen Forschung eine von Rat-, Personal- und Mittellosigkeit getragene Starre eingetreten. Nach Beendigung der Münchener Edition im Jahre 1975 ist weder eine auf übergreifende Ganzheiten angelegte Edition aus dem Nachlaß noch die historisch-kritische Ausgabe auch nur eines einzigen der Werke Rankes, sei es mit oder ohne Benutzung des Nachlasses, zustande gekommen. Und der Sinn historisch-kritischen Edierens ohne Nachlaßberücksichtigung wird in traditioneller Manier nun immer fragwürdiger durch technische Entwicklungen, die letztlich nicht nur eine allseitige Verfügbarkeit des gedruckten und ungedruckten Werkes, sondern auch komparative Verfahren mit synthetisierender bzw. differentieller - 187 -

II/2.1.6 Handschriftlicher Nachlaß - Zur Nachlaß- und Editionsgeschichte

Auswertung der gespeicherten Auflagen-Daten ermöglichen. Der erheblich höhere Neuigkeitswert gegenüber einer Variantenfeststellung der Werke wird eindeutig auf Seiten des Nachlasses und dort eher bei den nicht werkbezogenen Aufzeichnungen theoretischer und expektorativer Art liegen. Es dürfte - sofern man Schwerpunkte setzen will - für die allgemeine Historiographiegeschichte überhaupt ertragreicher sein, den Quellen, Vorbildern, Anregern, Kritikern, Strukturen und Wirkungen des Rankeschen Werkes nachzugehen, als die im Ganzen konzeptionell nicht durchgreifenden Veränderungen seiner Werkauflagen aufzuspüren. Überdies ist bei den für die Ausgabe seiner ‚Sämmtlichen Werke‘ vorgenommenen Revisionen ein bisher unbeachteter, jedoch äußerst deprimierender Umstand zu berücksichtigen, über den sich Rankes Mitarbeiter Theodor Wiedemann wie folgt äußerte: „Zum größten Teil lag mir auch die Vorbereitung für die neuen Ausgaben, die als solche letzter Hand in die sämtlichen Werke aufgenommen sind, ob.“ (Wiedemann II/1891, 326f.).

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2. Abteilung (II/2.2) BESTÄNDE Der Ranke-Nachlaß der Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, acc. Ms. 1921. 204 (II/2.2.1) Dieser Nachlaßteil wurde unter Verlusten im März 1921 aus dem Besitz Otto von Rankes vom Verein der Freunde der Staatsbibliothek e. V. angekauft und unter acc. Ms. 1921.204 in die Bestände der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek aufgenommen (Baur/2007, 18). Nach einer Adolf Schwarz erteilten Auskunft vom 2. 6. 1922 war der Nachlaß zu dieser Zeit „überhaupt noch nicht benutzt worden“ und befand sich „noch in einem völlig ungeordneten Zustande.“ (Schwarz/1923, 14). Ob sich die von Alfred Dove und einigen Ranke-Amanuensen getätigte Fortsetzung der ‚Sämmtlichen Werke‘ und der ‚Weltgeschichte‘ vor- oder nachteilig auf die letzthändige ‚Ordnung‘ Rankes ausgewirkt haben, läßt sich kaum entscheiden. Auch hatte sich der Nachlaß noch rd. dreißig Jahre im Besitz der Nachkommen befunden. Eine erste Sichtung des Materials nahm im Zusammenhang mit der später abgebrochenen Ranke-Ausgabe Paul Joachimsens Mitte der 1920er Jahre Ernst Bock vor. Seine grobe Übersicht ergab einen Katalog von 24 Typoskript-Seiten, nach dem von den wenigen Benutzern des Bestands bis in jüngere Zeit gearbeitet wurde. Nach Erkenntnissen von Siegfried Baur ging Bock bei seinen Arbeiten sehr oberflächlich und zum Teil chaotisierend vor (Baur/2007, 18f.). Aus Kriegsgründen wurde der Nachlaß um 1943 zweigeteilt ausgelagert. Der umfangreichere Teil, „Materialien zu den Publikationen. Umf.: 26 Pakete“ (Mommsen I/1971, 402) - nach Fuchs handelte es sich um Fasz. 1-21, 23-27 - wurde zunächst im Kloster Beuron sichergestellt, 1945 in das ‚Depot der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek‘ der Universitätsbibliothek Tübingen verbracht (Fuchs, Vorw. zu WuN I/1964, 18). Der kleinere Teil, „insbesondere Manuskripte, Kollegmitschriften von anderen. Umf.: 13 Pakete“ (Mommsen I/1971, 402) gelangte in die Westdeutsche Bibliothek Marburg. - Die vereinigte Rückkehr der Teile fand im Sommer 1965 statt (Briefl. Mitt. d. SBB PK vom 19. Juli 1965), wo ich sie noch im selben Jahr teilweise sichtete und nutzte. Feststellungen Siegfried Baurs zufolge wirkten sich die im Zusammenhang mit der sogenannten ‚Werk und Nachlaß‘-Ausgabe der Historischen Kommission (s. II/2.1.5) durchgeführten Arbeiten erneut verheerend auf Ordnung und Zusammenhang des Nachlasses aus. (Dazu Baur/2007, 19). Die von Baur seit dem Jahre 2000 im Auftrag der Handschriftenabteilung der Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz durchgeführte Ordnung geht von „ca. 50.000 Bl. in ca. 500 Mappen in insgesamt 93 Kästen“ auf 34 Regalmetern aus. Der Nachlaß enthält „vor allem Materialsammlungen, Werkstattpapiere und Manuskripte zu Rankes Œuvre“, jedoch auch in geringerem Maße „Vorlesungen und Studien zur Politik, Aesthetik und Historik sowie Reden, Aufsätze, Denkschriften, Notizhefte, Reiseaufzeichnungen, Jugendschriften etc.“ (Baur in http://handschriften. staatsbibliothekberlin.de) und wurde in mehrjähriger ebenso mühevoller wie verdienstvoller Arbeit erheblich detaillierter als hier dargestellt werden kann - in folgenden Segmenten neu aufgestellt: - 189 -

II/2.2.1 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

Segment I: Frühe Werke Geschichten der romanischen und germanischen Völker. - Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber. - Kunst und Poesie - Fürsten und Völker - Serbien - Orientalische und occidentalische Angelegenheiten.

Segment II: Italienische Geschichten/Kleinstaaten Florenz - Päpste - Venedig.

Segment III: Deutsche Geschichten Deutsches Reich - Reformation – Wallenstein.

Segment IV: Preußische Geschichten Preußische Geschichte: Neun Bücher, Genesis, Zwölf Bücher - Politische Denkschriften, Gutachten und Entwürfe - Siebenjähriger Krieg - Hardenberg - Revolutionskriege - Fürstenbund - Friedrich Wilhelm IV., Bunsen.

Segment V: Französische Geschichten Quellensammlungen 15. bis 18. Jh. - Sonstige Materialien vom 9. bis 18. Jahrhundert.

Segment VI: Englische Geschichten Quellen aus dem Geh. Staatsarchiv zu Berlin. - Holländ. Quellen (Reichsarchiv, Den Haag; Oranisches Hausarchiv, Den Haag und kleineren Archiven. - Italien. Quellen (Archivo Veneto). Quellen aus England (Public Record Office; British Museum; Bodleyan Library, Oxf.; Library of her Majesty, Windsor; Ms.-Slg. Sir Thomas Phillipps, Cheltenham). - Quellen aus Frankreich (Bibliothèque Impériale, Paris; Archives des Affaires étrangères, Paris; Archives historiques du Dépot de la Guerre). - Quellen aus Belgien (Archives Générales du Royaume, Bruxelles).

Segment VII: Welt-Geschichten (1877-1886) (Frühe) Arbeiten zur Alten Welt I: Africa und Asien; II: Europa - Griechenland und Rom. - Aus den Studien zur griechischen und römischen Literaturgeschichte. - Aus den Unterrichtsnotizen zur griechischen Geschichte. - Unterrichtsvorbereitungen zur römischen Geschichte. - Zur alten Geschichte. - Arbeiten zur Alten Welt III, zumeist aus der Zeit der Italienischen Reise. (Frühe) Arbeiten zum MA I: Geschichten und Geschichtsschreiber von den Langobarden bis zu den Kreuzzügen. - Arbeiten zum MA II: Zur Geschichtsschreibung vorwiegend der Langobarden, Franken, Kreuzzüge; zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte im MA; Kritik der HunibaldChronik. - Arbeiten zum MA III: Rankes Kommentare zur Edition von Nithard und Wipo. Vorläufige Zusammenstellungen zur Weltgeschichte - von den ältesten Völkergruppen bis zu den Karolingern, u. a. mit Vorreden-Varianten. - Materialsammlungen zur Weltgeschichte - von den frühen Chronologien bis zu Kaiser Heinrich V. (13 Folio-Bde.). - Zurückgelegte Papiere: Druckmanuskript-Varianten vorwiegend zu den WG-Analekten III und IV: Flavius Josephus, Seneca, Eusebius, Zosimus, Procop, Jordanes, Gregor v. Tours, Paulus Diaconus sowie Kg. Wenzel und Ruprecht von der Pfalz. - Relikte aus der ‚Weltgeschichte‘: Arbeitsjournale und Mitteilungen der Amanuensen, Leihzettel. Druckbogen u. a.

Segment VIII: Vorlesungen Vorlesungsnachschriften im Ranke-Nachlass (bisherige Signaturen) 32 F Siegfried Hirsch: Nschr. der Vorl. ‚Geschichte des Mittelalters‘, WS 1834/35. Nachweis: Berg/1968, 11. 32 G Anonym: ‚L. Ranke, Deutsche Geschichte, Sommer 1863 (IV. Sem.)‘. Nachweis: Berg/ 1968, 10. Im dt. Vorles.Verz: ‚Deutsche Kaisergeschichte‘.

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II/2.2.2 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände 32 G Anonym: ‚Ranke, Geschichte des Mittelalters‘, Winter 1863/64. Nachweis: Berg/1968, 10. 33 K Siegfried Hirsch: Nschr. der Vorl. ‚Neuere Geschichte vom Anfange des 16. Jahrhunderts an‘, WS 1833/34. - Nachweis: Berg/1968, 11. 34 E Siegfried Hirsch: Nschr. der Vorl. ‚Geschichte der neuesten Zeit seit Mitte des 18. Jahrhunderts‘, SS 1834. - Nach Berg/1968, 12 stellt die Nschr. von Georg Waitz: ‚Neueste Geschichte, vorgetragen von Prof. Ranke, Berlin Sommersemester 1834‘ (Univ. Gött., Hist. Sem.) eine Abschr. mit Randnotizen der Vorl.-Nschr. Hirsch dar. Weitere Hinweise in II/5.1.4.

Segment IX: Nachlass-Teile von Fuchs und Dotterweich geordnet. Segment X: Werkstattfragmente, Quellenregister und Varia. Segment XI: Nachlaß Ranke, Ergänzung. Enthält neben einer Vielzahl von Briefen (s. Abt. Briefwechsel II/3.3), ein 250seitiges Konvolut Materialien zu Rankes ‚Englischer Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert‘ mit eighd. Notizen Rankes und 8 Seiten von seiner Hand sowie Folgendes: Ranke; Karl Ferdinand, lat. Gedicht, 1852; Willmanns [verlesen für Wilmans, Roger?], Albumbl., 28. 2. 62. Nach Fuchs/WuN I, 18f., A. 5 in Rankes NL nicht mehr auffindbar: „Entwurf zu einer eigenen Biographie 1868“ (fünf Quartbogen) und „Aufzeichnungen über die Erkenntnis Gottes“.

* D as durch Kr iegseinw irkung v ern ic h tete D epositu m ‚ L eopo ld von Ranke‘ (acc. 118/119) d es Geh e imen Staatsarch ivs der Stif tung Pr eußisch er Ku lturb esitz, Ber lin (II /2 .2.2) Die in der Abt. ‚Briefwechsel‘ (II/3.3) beschriebene, von Ermentrude v. Ranke um 1925 erstellte Übersicht über den Gesamtbestand enthält zum nichtepistolarischen Teil folgende Angaben:

Inhalt der Aktenkonvolute Tagebücher, Poetisches, meist aus den Jahren 1817-25, einiges auch aus dem Alter. [Hierunter dürfte sich auch R.s Tgb. einer Rheinreise vom Herbst 1817 befunden haben, das unveröffentlicht und im Or. verschollen ist]. Wissenschaftlich-politische Niederschriften Rankes: Verhältnis italien. Autoren zu ihren Buchhändlern. - Zur deutschen Geschichte im 19. s[aeculum], aus dem Jahre 1878. - Politische Betrachtungen aus den Jahren 1853-62. - Vorlesungen über Geschichte der neuesten Zeit. Entwurf zur Vorrede der Weltgeschichte. Papiere betr. Rankes Vermögen, Verleger, Anstellung pp., Orden, Titel, Adelsstand, Akademien und gelehrte Gesellschaften, Schiller- und Verdun-Preis, Denkmäler für Friedrich Wilhelm III., Stein, Hardenberg, historische Porträts in der National-Gallerie. Papiere betr. Staatsrat, Staatsarchive (Benutzungen) hier Auszüge aus Briefen Fr. W.s II. an Gräfin LidXXX (?), 1783-97. Auszüge aus der Correspondenz der Downing Street mit der engl. Gesandtschaft in Wien 1797-98, Verzeichnisse von Rankes Vorlesungen, Varia. Drucke Ranke betr.- Noch zu ordnende Varia. [Es folgen Aufzeichnungen Ermentrude v. Rankes zum Bestand ‚Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten des Geheimen Staatsarchivs Berlin].

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

R a n k e n a h e B e s t ä n d e a n d e r e r H e r k u n f t (II/2.2.3) (nach dem Ortsalphabet)

Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten [Aus den Aufzeichnungen Ermentrude von Rankes]

Rep. IV, Nro. 152 Acta betr. die von dem Oberlehrer Dr. Ranke gewünschte Einsicht u. Mitteilung mehrerer ausländischer Sammlungen. Korrespondenz des Ausw. Amtes mit s. Gesandten zum Zweck der Beschaffung der gewünschten Werke. 1825 Jan. - Aug. 1829-30. Übersendung von Wechseln an die Kgl. Gesandtsch. in Rom zwecks Einhändigung an Prof. Ranke. [Hier enden die Aufzeichnungen Ermentrude von Rankes zum Min. d. ausw. Angelegenheiten, und es beginnen eigene Erhebungen].

GStA PK, I. HA Rep. 76 Preußisches Kultusministerium V. f. Lit. R., Nr. 10: Personalakte R.s als Professor an der Kgl. Preuß. Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und als Geh. Regierungsrat, 2 Bde (s. II, 289).

GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe Nachlass Geschwister Ranke Die Bestände sind als Reste Hoeftscher Sammlungen anzusehen, die dieser vor 1939 im Kreis der Nachfahren R.s zusammengetragen hat: „Familienbriefe, insbesondere wohl Briefe von Leopold v. R., dabei Teile der Nachlässe Etta Hitzig u. Luise Kriebitz“ (Mommsen I, 402). Ein Teil gelangte um 1939/40 ins Geheime Staatsarchiv Berlin, wo er 1945 durch Kriegseinwirkung vernichtet wurde (ebd.). Teile davon wurden „vielleicht vorher“ (ebd.) von Hoeft zurückgenommen und gelangten mit einem anderen Teil der Hoeftschen Sammlungen unter der Bezeichnung ‚Nachlaß Ranke Geschwister‘ in das Geheime Staatsarchiv Berlin. Aus dem Besitz der Enkelin FRs, Hildegard Kriebitz, konnte Hoeft 98 Originalbriefe R.s an seinen Bruder benutzen, welche seiner Briefausgabe zugute gekommen sind, sowie zahlreiche Briefe von Leopolds Eltern und Geschwistern „und berühmten Persönlichkeiten an Ferdinand“ (Hoeft in NBrr/Vorw. IX). Dieser Bestand wurde als ‚Nachlaß der Frau Luise Kriebitz‘ dem Preußischen Geheimen Staatsarchiv übergeben und durch Kriegseinwirkung vermutlich gänzlich vernichtet, nicht ohne daß Hoeft zuvor für seine Briefausgabe Abschriften genommen hatte, die sich in seinem Nachlaß erhalten haben. Hingegen dürfte wohl die Vermutung Mommsens einer teilweisen Zurücknahme und damit Rettung von Teilen der Nachlässe zutreffen auf die Hinterlassenschaft Etta Hitzigs, der erst 1932 verstorbenen Tochter ERs. Die im Folgenden als ‚Nachlaß Geschwister Ranke‘ aufgeführten existenten Teile sind weitgehend identisch mit der Hoeftschen Beschreibung des Nachlasses Etta Hitzigs: „Lebensbeschreibungen der Geschwister im Konzept, Briefe in Hülle und Fülle von den Eltern, Brüdern, Schwestern, und sonstigen Verwandten, Skripturen aller Art, die Reliquien Ernst Rankes und - besonders wertvoll - der gesamte literarische Nachlaß Wilhelms“ (Hoeft in NBrr/Vorw., X). Der Vergleich mit dem heutigen Bestand läßt freilich Rückschlüsse auf einige Verluste zu.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

Nachlaß E r n s t K o n s t a n t i n R a n k e (1814-1888) Materialien und Korrespondenz zur Geschichte der Familie Ran(c)ke, 1741ff., auch Vorfahren Lehmicke betreffend, ungeordnet, U 4 cm. : I Aktenstücke, darunter eine Hs (2 Bl. 17,3 x 27,8 cm) von Rankes Vater Gottlob Israel Ran(c)ke (1762-1836), „Notizen über das Rankesche Geschlecht“, verfaßt zwischen 1834 und 1836. - II Erinnerungen. - III Briefe - IV Gedrucktes. Briefe Ernst Rankes an seine Frau Oda, geb. Nasse, 1833 ff., U 1 cm. Ernst Ranke betr. Leopold von Ranke. U 0,5 cm: Fotografie des R-Gemäldes von Julius Schrader. - ER.s Schrift ‚Zur Jubelfeier seines theuren Bruders Leopold v. Ranke am 20. Februar 1877‘. Marburg: Druck von C. L. Pfeil [1877] (16 S.). - Zeitungsausschnitte. - Hsl. Notizen. Ernst Ranke, Drucksachen: „Collegien-Buch, No. 1327 für den Stud. theol. Herrn Ernst Constantin Ranke aus Wiehe auf der Universität Leipzig“. - Universitätsabgangszeugnis ER.s. - ER.s Schrift ‚Munusculum literarium Leopoldo de Ranke viro incomparabili unico nunc fratri suo die XXXI mensis martii quo ante sexaginta annos apud inclutam universitatem Berolinensem ad munus professionis historicae extraordinarium promotus est animo gratissimo dedicavit Ernestus Ranke‘, Marburgi a. s. MDCCCLXXXV (44 S.). - ‚Zwölf Lieder, Gedichte von E. Ranke. Für eine Singstimme mit Begleitung des Piano-Forte in Musik gesetzt von Franz Commer, Bln. o. J. (32 S.). - Toeche, Theodor: Leopold von Ranke an seinem neunzigsten Geburtstage 21. Dezember 1885. Ansprachen und Zuschriften gesammelt von - . Als Manuskript gedruckt. Bln.: Ernst Siegfried Mittler u. Sohn 1886 (38 S.). - Einige vermischte Bll. Gedrucktes. Ernst Ranke Briefwechsel, ungeordnet, U 2 cm. Tityrus Ecloga Maja qua novae aedis academicae Marburgensis inaugurationem IV ante Cal. Junias MDCCCLXXXIX actam celebravit Ernestus Rankius, Marburgi Chattorum (11 S.). Siehe auch unten UB Marburg.

Nachlaß H e i n r i c h R a n k e (1798-1876) Generalsynode zu Ansbach am 22. Februar 1849 gehalten von Dr. Friedrich Heinrich Ranke, Consistorialrath daselbst, Erlangen 1849 (16 S.).

Nachlaß R o s a l i e R a n k e (verehel. Schmidt) (1808-1870) Siehe Abt. Briefwechsel (II, 290).

Nachlaß F e r d i n a n d R a n k e (1802-1876) „Carl Ferdinand Ranke’s Leben in Briefen an seinen Bruder Wilhelm von ihm selbst erzählt 1870“. Hsl. auf gelegten Doppelbll. (17,2 x 21,2 cm), entspr. 150 beschrifteten S. - Ed.: 2013. „Zu Leop[olds] Biogr[aphie], in Format u. Papierqualität identisch mit der vorausgehenden Pos.; 17 Doppelbll. Doppelbl. 8 fehlt. Entspr. 60 beschriftete S. (z. T. höchst unleserlich), o. D., wohl aus 1869. Inhaltlich vier Teile, jeweils mit dem Geburtsjahr Leopolds beginnend und i. w. nicht über das Jahr 1827 hinausreichend. - Zu „Carl Ferdinand Rankes Leben ...“ Übertragung von der Hand Hoefts, 27 S. Din A 4. Drucksachen, repertorisiert, aber nicht vorgefunden. Ferdinand Ranke, Aufzeichnungen, Notizen, Briefe an die Geschwister, U 4 cm.: Briefe an FR. (NL Etta Hitzig, geb. Ranke) Verkauf von Kunstsachen. - Briefe FR.s, Gedichte bzw. Lieder und kleinere Aufzeichnungen. - Ms. „Sitten und Gebräuche, die Götterlehre der Deutschen und ihre religiöse Anschauung“. Ferdinand Ranke. Briefe von Wilhelm Ranke und Abschriften, handschriftlich auf einigen Zetteln und maschinenschriftlich auf Din A 4 Papier. U 0,5 cm. Ferdinand Ranke. Verschiedener Briefwechsel, 1824 bis 1875, 2 Fasz.: U 1 cm und U 3 cm. (Zwei Briefe Rankes an FR, 10. Jan. 1826 und „Vor dem ersten May“ [1826] , s. II, 290).

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Ferdinand Ranke, Briefwechsel mit Fanny Pollau, 1824-1826. U 2 cm. - Ferdinand Ranke. Briefe an Friederike Ihlefeld, 1849ff. U = 1,5 cm.

Nachlaß F r i e d r i c h W i l h e l m R a n k e (1804-1871) „Zur eigenen Lebensbeschreibung und zu der Leopolds“. Einige lose, z. T. fadengeheftete Bll.. (21 x 34 cm u. andere Formate), wohl aus 1868-1871. - „Bestallung zum Regierungsrath“. Briefe an Schwester Rosalie. - Satiren. Gesamtumfang 2 cm. - Briefe WR.s an Eltern u. Geschwister, gesammelt von Etta Hitzig, geb. Ranke. 1816-1871. - Abschriften von Briefen Wilhelms an Cotta und Keil. Gesamtumfang 3 cm.- Briefe an Wilhelm Ranke, 1835-1871. NL Etta Hitzig. U 3 cm. - Fotografien aus der Familie Ranke. U 3 cm.

Nachlaß E t t a H i t z i g (gest. 1932, Tochter Ernst Rankes) Gedruckte und hsl. Papiere betr. Eduard Hitzig und Familie Hitzig. U 2,5 cm. - 1 undatiertes Doppelbl. betr. das Denkmal für Winckelmann in Stendal. - „Papiere der Familie Ranke, 19. Jahrhundert“. - Oktavbuch, größtenteils unbeschriftet, u. a. philologische Notizen. - Oktavbuch „Ferd. Ranke. Amicis“, größtenteils unbeschriftet. - Ungeordnete Papiere betr. die Familie Ranke. U 5 cm. - Testamentsangelegenheit 1871.

Nachlaß L e o p o l d v o n R a n k e Siehe Abt. Briefwechsel (II, 286ff.).

Nachlaß Dr. B e r n h a r d H o e f t (1863-1945) Der NL gelangte zwischen 1946 und 1955 in mehreren Schüben, insgesamt ca. 20 Pakete, in das Hauptarchiv Berlin, 1963 in das GStA Berlin (Mommsen: Die Nachlässe in den deutschen Archiven, I, 1971, 229). Die Bedeutung des nicht detailliert katalogisierten Nachlasses liegt v. a. in seinem großen Bestand an Abschriften von Teilen der Rankeschen Korrespondenz, welche heute im Or. überwiegend nicht mehr existieren. Hoeft selbst hat aus einem Teil dieser Bestände seine 1949 posthum erschienene Ausgabe unveröffentlichter Briefe Rankes (NBrr) erarbeitet. Abschriften aus dem NL Rankes, ehemals im GStA Berlin, bei Kriegsende vernichtet. Darunter: Rep. 92 L. v. Ranke, Nr. 10 (119 Bl.): Wissenschaftl.-polit. Niederschriften Rankes, zumeist Fragmente: Verhältnis italienischer Autoren zu ihren Buchhändlern. - Zur deutschen Geschichte im 19. Jahrhundert. - Aus dem Jahre 1848 (darin anonymer Bericht über Märztage). - Politische Betrachtungen 1853-1866. - Vorlesungen über Geschichte der neueren Zeit. Entw. zur Vorrede der WG. Familienpapiere u. Personalia Rankes; 4 Pos. zu WR. Abschriften aus dem Ranke-Museum Wiehe, u. a. Ms. Rankes über italienische Kunst. Abschriften aus dem Archiv der Univ. Berlin, 1812-1852, 1853-1878. Anstellung von Professoren u. Lektoren, 1854-90; jährl. Preisverteilung 1824-86; Sitzungsprotokolle der Phil. Fak., 1830-80; Senatsprotokolle 1824-29. Auszüge aus Akten der Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss., Berlin, Herausgabe der WW Friedrichs II., 1837-53; öffentl. Sitzungen 1812-54, MBB 1836-44, SBB der Phil.-Hist. Kl. 1829-64; Personalien der ord. Mitgll. 1827-86; Preisaufgaben 1812-76; Phil.-Hist. Kl. Wiss. Unternehmungen; Ernennung von Rittern der Friedenskl. d. Ordens ‚Pour le mérite‘; Gesamtsitzungsprotokolle; Herausg. d. Akad.-Abhh.; Verz. von Vorlesungen in den Gesamtsitzungen 1833-73 (s. u. BerlinBrandenburgische Akademie der Wissenschaften). Ein umfangreiches unveröffentlichtes Ms. Hoefts über R als Mitglied der Preuß. Akad. d. Wiss., Fragm. - Hoefts Vortragsms.: ‚Streifzüge durch die Berliner Universitätsakten‘; Ms. u. Korrekturbogen seiner Ausgabe des R-Briefwechsels (nicht erschienen). Abschriften der Personalakte Rankes (s. II, 289) aus Registraturen des preuß. Kultusministeriums (Or. erhalten in GStA PK, I. HA Rep. 76 Preußisches Kultusministerium).

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Abschriften aus der Staatsbibliothek Berlin, der Nationalbibliothek Wien, dem BrandenburgPreuß. HA, dem Archiv in Weimar, den Stadtarchiven Frankfurt a. M., Lpz.u. München, der UB Marburg, dem GHAM u. a, „Materialien aus Göttingen, Marburg, Gießen, Koblenz“. Abschriften von Familienbriefen der Familie R, so i. b. aus dem auf FR zurückgehenden NL Luise Kriebitz und dem auf ER zurückgehenden Nachlaß Etta Hitzig, darunter ein zu geringen Teilen von Etta Hitzig (1906, 41-71: „Weiterer Lebensgang“) herangezogenes Tagebuch ER.s. Genealogische Notizen, Materialsammlungen, auch Drucksachen zu R, Genealogisches, Bildmaterial über die Familie R. Vorarbeiten der Ranke-Enkelin EvR für ihre nicht zustandegekommene Briefausgabe.

Teilnachlaß Alfred Dove (1844-1916) IV b 1 „Hefte nach Ranke“. Hs., 26 S. Die Aufzeichnungen Doves beziehen sich ausschließlich auf Nachschriften von Vorlesungen Rankes. Seine Übersicht führt auf: 2 Bde von G e o r g W a i t z , 1. Bd.:„Neue Gesch. Winter 33/34, 4stdg. = 138 S. 4o.“ „Neueste Gesch. Sommer 34, 4stdg. = 112 S. 4o. Einliegend lose (Neueste Gsch.) Vortrag Winter 35/36, (4stdg?) = 71 S. 4o.“ 2. Bd.: „Deutsche Gesch. Sommer 36, (? stdg) = 139 S. 4o. - Aus der Gesch. des M. A.s Winter 34/35 (? stdg) = 10 S. 4o.“ - Dabei erwähnt: Nschrr. von Vorlesungen von Justus Olshausen (1800-1882) und Paulien [?], beide Kiel SS 1832. 2 Bde von Ka r l Wi l he l m N i t z s c h , 1. Bd.: „Gesch. der neueren (?) [recte: neuesten] Zeit Winter 39/40 (?stdg) = 119 S. f[olio]“. 2. Bd.: „Deutsche Gesch. Sommer 40 (?stdg.) = 118 S. f[olio]“. 1 Bd. von Ca rl A. F. P e r t z , „Gesch. des M. A. s Winter 50/51(? stdg.) 76 Vorträge, fol.“ 1 Bd. von W [ i l h e l m F e r d i n a n d ] A r n d t , „Neueste Gesch.. Winter 58/59 (?stdg.) = 185 S. 4o.“ „17. u. 18. Jhdt. Sommer 59 (?stdg.) = 142 S. 4o.“ Mit dem Vermerk Doves: „lückenhaft u. unbrauchbar“. 1 Bd. „(von [Robert?, 1816-1884] W a r s c h a u e r ?)“. - Fehlt im Hörerverz. von Berg/1968). „Neuere Gesch. (a. o. 1500-1763) ? ? [recte Neuere Geschichte seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts] (kurz nach1830 oder 30/31?) [recte SS 1831] = 171 S. 4o.“ 3 Bde von W i l h e l m W a t t e n b a c h , 1. Bd. „G. des M. A. s Winter 43/44 (? stdg.) 82 Bl. fol.“ 2. Bd. „Neue [recte: neueste] Gesch. 2. Abschn. v. 1763-1815. Winter 41/42 =154 S. fol.“ Dabei erwähnt eine Nschr. der Vorl. Johann Wilhelm Loebells (1786-1863) ‚Geschichte des 19. Jh.s‘, Bonn, WS 38/39. 3. Bd. „Gesch. unserer Tage [recte: Zeit]; 1815-40 c[irca] (1842 erwähnt) ? fol.“ [Umfangangabe fehlt. Die Vorl. stammt aus WS 1842/43]. Der Übersicht folgen kurze Inhaltsangaben, aber auch längere Auszüge aus den genannten Vorlesungen R.s. Die Aufzeichnungen stehen vermutlich im Vorfeld von nicht realisierten Überlegungen Doves, die ‚Weltgeschichte‘ R.s, wie von diesem beabsichtigt, bis in die neueste Zeit fortzusetzen. - Von den o. g. Nachschrr. sind bei Berg/1968 und Dotterweich/Fuchs (WuN IV) lediglich die Waitz’schen bekannt.

Nachlaß Edwin von Manteuffel (1809-1885) Or. des Diktats R.s vom 2. 12. 79 (veröff., s. II/7.2, Alexander v. Sybel 1879), Beil. zum Schr. Rankes an M. vom 22. 12. 79.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Der im Bundesarchiv-Militärarchiv Freiburg i. Br. liegende Nachlaß Edwin von Manteuffels enthält nach Auskunft vom 28. 3. 2011 keine Schriftstücke von oder an Leopold von Ranke.

Nachlaß Heinrich von Sybel (1817-1895) B Nr. 1, Paket XXXVI, 15 Briefe Rankes an dens. Siehe Abt. Briefwechsel L, zu Nr. 1 a, 1835-1838: Nachschriften von Vorlesungen Rankes Ein Band Geschichte der Deutschen nach Prof. Ranke, fol. 1-64. - Bei Berg/1968 nicht erwähnt. Es handelt sich um die Vorlesung vom SS 1836, ‚Deutsche Geschichte‘. Ein Band Geschichte des Mittelalters nach Prof. Ranke, 1836/37 Wintersemester, fol. 1-76. Erwähnt bei Berg/1968, 12. Ein Band Geschichte zur neuen und neuesten Zeit nach Prof. Ranke, Sommer 1837 (fol. 1-46), Winter 1837/38, fol. 47-88. - Erwähnt bei Berg/1968, 12.

Nachlaß Kg. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861) Rep. 50 E 1, Nr. 27, Bd. 1, Bl. 355-359v: Akte Orientalische Frage und Krimkrieg. Darin Denkschr. Rankes zur Orientalischen Frage, Bln., 13. 6 1854. (Es handelt sich nicht um einen Brief).

Archiv der Humboldt-Universität, Berlin Phil. Fak. 241 Bl. 229: Gutachten Rankes zu Alfred Doves Dissertation ‚De Sardinia insula ..., Bln. 1866 (Dez. 1865?), s. II, 198, 227. - Weiteres bei Berg/1968, u. a. S. 29

Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt Jacob-Burckhardt-Archiv, Nr. 207 Nr. 17: Jacob Burckhardt: ‚Ranke: Deutsche Geschichte, Sommersemester 1840, Berlin 1840‘. Nr. 18: Jacob Burckhardt: ‚Geschichte des Mittelalters, Berlin 1840/41‘ Nr. 21: Jacob Burckhardt: ‚Neueste Geschichte seit dem Hubertusburger Frieden, Berlin 1841/42‘. Nr. 23: Jacob Burckhardt: ‚Neueste Geschichte seit 1814 von Ranke‘. WS 1842/43.

Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz, Berlin Handschriftenabteilung Hörernachschriften von Vorlesungen Rankes (außerhalb des Ranke-Nachlasses) Einige der folgenden Angaben zu Hörernachschriften stammen, soweit zitiert und nicht anders vermerkt, aus www.manuscripta-mediaevalia.de, ansonsten aus eigener Archiv-Korrespondenz und -Benutzung. Weitere Hinweise in Abschnitt II/5.

Hs. 137 „Leopold von Ranke: Geschichte von 1763-1815. Kollegnachschrift von Emil Panten. Berlin 1839-1840“. Es dürfte sich um die Vorl. ‚Geschichte der neuesten Zeit seit der Mitte des 18. Jahrhunderts‘ vom WS 1839/40 handeln. Seitens der SBB PK fehlt Umfangangabe. Zu Panten: Berg/1968, 234 im Hörerverz. Die Nschr. scheint Berg nicht gekannt zu haben.

Ms. germ fol. 1417 „Leopold von Ranke: Geschichtsvorlesungen (Vorlesungsnachschriften) 267 Seiten 28,5 x 19,5 cm“. Dabei „handelt es sich offenbar um eine anonyme Mitschrift, die auf den Seiten 1-250 Rankes Vorlesung zur Neueren Geschichte enthält, auf S. 251-267 seine Einleitung in die deutsche Geschichte. Das Stück datiert aus der Zeit zwischen 1840 und 1849.“ Im Inventar findet sich die Bemerkung: „Es handelt sich um ziemlich flüchtige, vielfach korrigierte Vorlesungs-

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände nachschriften“ (Mitt. der SBB PK/Dr. Robert Giel, 29. 6. 2011). - Im Verz. der Vorlesungen und Übungen Rankes ist erstere zunächst beim SS 1844, letztere beim SS 1840 jeweils unverbindlich angesetzt.

Ms. germ qu. 1878 „Leopold von Ranke: Neuere Geschichte, Vorlesung SS 1844 (Nachschrift).“ Demzufolge ‚Geschichte der neueren Zeit vom Anfang des 16. Jahrhunderts an‘, 19 Hefte. Seitens der SBB PK keine näheren Umfangangaben. - Berg/1968, 10: fol. 1-108.

Ms. germ qu. 1878 Nschr. d. Vorl. ‚Geschichte der neuesten Zeit von der Mitte des 18 Jahrhunderts [an], WS 1844/1845. - Berg/1968, 10: fol. 109-171. In www.manuscripta-mediaevalia.de nicht identifiziert.

Ms. germ qu. 1914 „Leopold von Ranke: Neuere Geschichte, Kolleg 1844 (Nschr. Kurd von Schlözer). 54 Blatt.“

Ms. germ qu. 1915 „Leopold von Ranke: Neuere Geschichte, Kolleg 1844/1845 (Nschr. Kurd von Schlözer) 101 Blatt“. Demzufolge dürfte es sich um die im WS 1844/45 gehaltene Vorl. ‚Geschichte der neuesten Zeit von der Mitte des 18 Jahrhunderts [an]‘ handeln.

Ms. germ qu. 1916 „Leopold von Ranke: Geschichte des Mittelalters, Kolleg 1841-1842 (Nschr. Kurd v. Schlözer). 78 Blatt.“ Hier dürfte ein Irrtum vorliegen. ‚Geschichte des Mittelalters‘ las R im WS 1840/41 u. öfter, nicht jedoch im WS 1841/1842. - Berg/1968, 11, 75f. u. ö. erwähnt u. zitiert aus einer Nschr. Kurd v. Schlözers zur MA-Vorl. Rankes vom WS 1843/44. Diese kommt in Betracht.

Ms. germ qu. 2215 [Leopold von Ranke:] Deutsche Geschichte, Kolleg SS 1836 (Nschr. Rudolf Köpke). Bl. 1r-96v. (Mitt. der SBB PK/Dr. Robert Giel, 29. 6. 2011). - Berg/1968, 10-13 scheint diese Nschr. nicht gekannt zu haben. [Leopold von Ranke:] Kollege Berlin 1835-1836 (Nschrr. Rudolf Köpke). 177 Blatt. Seitens der SBB PK fehlt ein inhaltlicher Vermerk. - Berg/1968, 10-13 scheint sie nicht gekannt zu haben.

Ms germ. oct. 644 Helena Clarissa v. Ranke: Tagebuchaufzeichnungen aus dem Kriegsjahre 1870 (257 S.): Eintragungen in Dt. u. Engl. im ‚Damen-Almanach. Notiz- und Schreibkalender für 1870‘, 4. Jg. Bln.: Haude u. Spener’sche Buchh. Zuerst nachgewiesen von Degering/1925-1932, 248. Sodann von Vierhaus: Soz. Welt/1957 genutzt unter Abdruck einiger Eintragungen im Zusammenhang mit Rankes intensivem Hof-Verkehr (26, A. 15). - Die Eintragungen reichen vom 1. 1. bis 31. 12. 70 u. schließen mit einem Besuchs-Wochenplan, einer Liste von Geburtstagen u. einer Adressenliste.

Autographensammlung Autogr. I/870 De actione in Graeca Tragoedia. Contra iniquos quosdam nuperos Euripidis censores. Franciscus Leopoldus Ranke Wiehanus. Wohl von 1813. Erstdr. WuN III, 53-65.

Slg. Darmstaedter 2b 1817 Rankes Frankfurter Gymnasialdirektor Ernst Friedrich Poppo an Johannes Schulze, briefl. Gutachten über R., Frankfurt a. O., 1. März 1825. Erstdr.: Lenz IV/1910, 460-462.

Slg. Darmstaedter 2f 1826 Ranke, Leopold von. Siehe II, 284f.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

Nachl. Freytag, acc. Darmst. 1920, 332 Ms. der Ansprache Rankes zur Eröffnung der 8. Plenarvers. der Historischen Kommission, 2. 10. 67. Im Mittelteil unvollständig. Erstdr. Doves aus Rankes NL in: SW 51/52 (1888), 522-534. Im Hinblick auf das in Streichungen und Ähnlichem durchaus kompliziertere Bild der Hs. kann die Edition nicht mehr als genügend angesehen werden.

Archiv der Humboldt-Universität Berlin Phil. Fak. 241 Bl. 229 Gutachten Rankes als Korreferent zu Alfred Doves Dissertation ‚De Sardinia insula ..., Bln. 1866 (Dez. 1865?). - Erstdr. nach Or.: Stadler-Labhart/2008, 35 Transkription; als Abb. auf Umschlagseite 4.

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin Akademiearchiv Die für R, der seit 1832 Mitglied der philos.-histor. Klasse der Akademie war, in Betracht kommenden Akten wurden in den 1930er Jahren von Bernhard Hoeft ausgezogen (s. NL Dr. Bernhard Hoeft GStA PK, VI. HA). Sie betreffen v. a. die Herausgabe der Werke Friedrichs II., 1837-53; öffentl. Sitzungen 1812-54, MBB 1836-44, SBB der Philos..-Histor. Kl. 1829-64; Personalien der ord. Mitgll. 1827-86; Preisaufgaben 1812-76; Phil.-Hist. Kl. Wiss. Unternehmungen; Ernennung von Rittern der Friedensklasse des Ordens ‚Pour le mérite‘; Gesamtsitzungsprotokolle; Herausgabe der Akad.-Abhh.; Verz. von Vorlesungen in den Gesamtsitzungen 1833-73. Diese Bestände sind in der Histor. Abt. des Archivs auch heute noch vorhanden. In der Manuskript-Sammlung des Archivs konnte kein Akademievortrag Rankes ermittelt werden. (Siehe dazu II/6.2).

Nachlaß Max Lenz (1850-1932) Aufzeichnungen von Max Lenz zu Rankes ‚Wallenstein‘, für ein Historisches Seminar WS 1893/94. Darin befinden sich auch eine Teilnehmerliste sowie Notizen zu Aufgabenstellungen. Nach Blanke, Jaeger/1994, 274f., A. 13 enthält der Bestand auch ein Ms. von Lenz betitelt ‚Das religiöse Moment in Rankes Geschichtsauffassung‘.

Nachlass W ilhel m Sch erer (1841-1886) K. 21: ‚Geschichte des Revolutionszeitalters, Akademische Vorträge von Prof. Leopold Ranke‘. = Vorlesung ‚Geschichte der neuesten Zeit seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts‘, WS 1861/1862. Nachweis: Berg/1968, 10. Weitere Teilnachlaßbestände im Bundesarchiv Berlin, Finckensteinallee 63, 12205 Berlin u. im Universitätsarchiv der Humboldt-Universität Berlin, Eichborndamm 113, 13403 Berlin

Nachlaß H einr ich W uttke (1818-1876) Eine Mitschrift von Wuttke zu einer Vorl. Rankes „über neue Geschichte aus der Zeit von 18351838“ (Mitt. von Frau Dr. Vera Enke/Akademiearchiv, 5. 5. 2011). Nicht bei Berg/1968, der für Wuttkes Berliner Studienzeit 1839-1840 angibt (ebd., 242). Es könnte sich daher um eine Mitschrift der Vorl. vom SS 1839 oder WS 1839/40 handeln. Im letzteren Fall käme ein Vergleich mit den Nschrr. von Henzen und Segesser in Betracht. Weitere Bestände, sofern sie für Rankes Briefwechsel ergiebig sind, in Abt. II/3.3.

Staats- und Universitätsbibliothek Bremen Aus einem Schreiben der UB Bremen an Vf. vom 25. 2. 1974: „Unter den Schriften, die der Staatsbibliothek gehörten und die zum Schutz vor Bombenschäden nach Bernburg in Mitteldeutschland ausgelagert wurden und nicht wieder nach dem Kriege nach Bremen zurückgegeben

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände wurden, befanden sich Kolleghefte von Studenten, in denen u. a. Vorlesungen Rankes enthalten waren.“ - Die heutige Situation ist folgende:

Vorlesungsnachschriften Ms b 177-179: Kollegheft Edmund Fritze (verschollen). Ms b 197: Kollegheft Wilhelm Henzen (1816-1887): Deutsche Geschichte, SS 1838 (verschollen). Ms c 106: Kollegheft Wilhelm Henzen: Mittlere Geschichte, WS 1838/39, und Neuere Geschichte, SS 1839 (verschollen). Ms c 107: Kollegheft Wilhelm Henzen: Ranke, Neueste Geschichte, Berlin, WS 1839/40. 400 S. Befand sich 1974 in der Deutschen Staatsbibliothek Berlin (Ost), Handschriftenabteilung, wurde lt Schr. der SuUB vom 24. 3. 2011 im Jahre 1989 nach Bremen rückgeführt. Berg/1968, 11-13 wußte um diese z. T. verschollenen Bestände, nannte jedoch nicht die Nschr. vom WS 1838/39. Ms b 0315: Die SuUB Bremen besitzt lt Schr. vom 24. 3. 2011 heute des weiteren eine anonyme VorlesungsNschr. ‚Geschichte des Mittelalters‘. Berlin. Winter 1860/61, 86 S. unter der vorgenannten Sign., die Berg und Dotterweich/Fuchs (WuN IV) noch nicht bekannt war.

Nachlaß H ans Ferdinand H el molt (1865-1929) Der in ZDN noch mit 7 Paketen an Mss., Personalpapieren, Fotografien aufscheinende Nachlaß gilt lt. Mitt. der SuUB Bremen (Dr. Thomas Elsmann, 24. 3. 2011) seit dem Beginn der 1970er Jahre als Verlust.

Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha Standort FBG MAG; Sign.: Biogr 8o 01349/07a. Verlagsprospekte, Zeitungsausschnitte, Fotos etc. über Leopold von Ranke, München um 1914. Zur Sammlung Perthes siehe II, 295f.

Universität Göttingen, Historisches Seminar Georg Waitz (1813-1886): ‚Neue Geschichte, vorgetragen von Herrn Prof. Ranke, Berlin, im Wintersemester 1833/34. G. Waitz, stud jur. aus Flensburg.‘ Nachweis: Berg/1968, 12. Georg Waitz: ‚Neueste Geschichte, vorgetragen von Prof. Ranke, Berlin Sommersemester 1834‘. Nach Berg/1968, 12 Abschr. der Nschr. Hirsch SS 1834 (RNL 34 E) mit Randnotizen. Georg Waitz: ‚Aus Rankes Geschichte des M. A., Wintersemester 1834/1835‘. Nachweis: Berg/1968, 12. Georg Waitz: ‚Vortrag‘ Wintersemester 1835/36. Nachweis: Berg/1968, 12. Georg Waitz: ‚Deutsche Geschichte, Sommer 1836‘. Nachweis: Berg/1968, 12. Zu den Nschrr. von Waitz s. auch II, 383 (Teil-NL A. Dove im GStA PK).

Universitätsbibliothek Heidelberg Handschriftenabteilung Heid. Hs. 1884, ‚Deutsche Geschichte nach Prof. Leopold Ranke, Berlin Wintersemester 1857/58‘. Keine zeitgleiche oder zeitnahe Mitschrift, vielmehr eine flüssige, nahezu korrekturlose eighd. Nschr. Eduard Winkelmanns (1838-1896). Nachweis Berg/1968, 12. Heid. Hs. 1885, p. 1-59: Eduard Winkelmann: ‚Neuere Geschichte nach Prof. L. Ranke. Erster Teil. Berlin Sommersemester 1856‘. Nachweis Berg/1968, 12. Heid. Hs. 1885, p. 60-68 u. Heid. Hs. 1886: Eduard Winkelmann: ‚Wintersemester 1856/57‘. Nachweis Berg/1968, 12. Siehe auch II, 317.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

Universitätsbibliothek Leipzig Nach Auskunft der UB Lpz.vom 14. 10. 1968 auf Anfrage nach Verbleib oder Spuren einer Dissertation Rankes befinden sich weder in der UB noch im Universitätsarchiv hsl. Aufzeichnungen Rankes. Das Universitätsarchiv enthält hinsichtlich der Promotion ledigl. folgende Eintragungen: „Ranke, Franc. Leop., Wiehensis, imm. 25. 5. 1814 - kein Testimonium morum Procanallariatsbuch der Phil. Fak, S. 94: 1817 d. XX. Februar: ...Antiquo ritu una creati sunt: [als Vierter] Franciscus Leopoldus Rancke, Wieha-Thuring., Reg. Sem. Phil. Sodalis.“

British Library, London Agreement between Publisher R. Bentley and Leopold Ranke, 8. 10. 52. Add. 46616 f. 158 (nach Boldt: The role of Ireland, 2007, 278). - Es dürfte sich um den Vertrag handeln zu Rankes ‚Civil wars and monarchy in France in the sixteenth and seventeenth centuries...‘ Transl. by M[ichael]. A[ngelo]. Garvey. Two volumes. London: Richard Bentley 1852.

Staatsarchiv Luzern Nachlass Philipp Anton vo n Segesser (1817-1888). Bd. 14: Nschr. Segesser ‚Geschichte der neuern Zeit‘, Vorl. Rankes vom WS 1839/1840. - Nachweis: Müller-Büchi/1953, 122. - Siehe auch Abt. Briefwechsel.

Deutsches Literaturarchiv Marbach Handschriftenabteilung Sign. A: Taillandier: Ms. ‚Le Roi de Prusse Frédéric Guillaume IV et le Baron de Bunsen, 52; 77 Bl. Übers. von Rankes ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ (1873) durch Saint-René Taillandier. Das Archiv verfügt ferner über eine R betr. Zeitungsausschnittslg.

Universitätsbibliothek Marburg Teilnachlaß Ernst Kon stant in Ranke. „2 Bde, 33 Mpn.: Br., Handex., Kollekt., Mss., Kollegnachschr.- Teilw. kat.“ (Die Nachlässe in den Bibliotheken der Bundesrepublik Deutschland. Bd. 2, ²1981, 290). - Siehe auch GStA PK.

Hessisches Staatsarchiv Marburg Teilnachlaß Co nrad Varrentrapp (1844-1911). Bestand 31, Nr. 18: ‚Vorlesungen, die Conrad Varrentrapp gehört hat‘. Es kommen Vorlesungen Rankes aus der Zeit von etwa SS 1862 bis SS 1864 in Betracht. Jedoch konnte bisher keine eindeutige Zuordnung zu diesen Vorlesungen vorgenommen werden, zumal nicht auszuschließen ist, daß auch eigene Notizen und Ausarbeitungen V.s „mit seinen Vorlesungsnachschriften vermischt wurden“ (Mitt. vom 21. 4. 2011).

Nachlaß H er man Gri mm (1828-1901). Nschrr. der Vorl. ‚Geschichte der neueren Zeit‘ (WS 1849/50: Neuere Geschichte vom Anfang des 16. Jahrhunderts). Heft ca. 65 Bll. Sign.: HStAM/340 Grimm/Ms 62 u. Heft ca. 100 Bll. mit Porträtskizzen. Sign.: HStAM/340 Grimm/Ms 32.

Bayerische Akademie der Wissenschaften, München Archiv R war seit 1832 korrespondierendes und seit 1857 auswärtiges Mitglied der Akademie. Dennoch ist in seinem Fall die dortige Überlieferung „nach bisherigem Erschließungsstand als sehr dürftig zu bezeichnen. Der Personalakt enthält lediglich modernes Material (2 Zeitungsartikel und einen kleinen Ausstellungskatalog). Außerdem wird er in den Wahlakten der Jahre 1830 (er ist damals

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände schon vorgeschlagen worden), 1832 und 1857 genannt. In den Altakten der Verwaltung findet sich kein Hinweis zu seiner Person, allerdings ist vor allem für die Zeit ab 1850 bedingt durch Kriegsverluste so gut wie nichts mehr überliefert. Die Erschließung der Sitzungs-ProtokollSerien der Akademie ist erst bis zum Jahr 1804 gediehen, so dass zu den Inhalten der Folgejahre keine Angaben gemacht werden können, zumal die Protokolle nicht durch Register erschlossen sind. Bei Stichproben konnte keine Anwesenheit bei Sitzungen der Historischen Klasse nachgewiesen werden.“ (Frdl. Mitt. v. Frau Archivrätin Dr. Genoveva Rausch vom 15. 6. 2011).

Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, München, Archiv In 336 Bänden für die Jahre 1858-1961 aufgestellt. Das unter www.historischekommissionmuenchen.de/seiten/archivfindbuch.pdf verfügbare Rep. von Peter Gohle nebst Reg. führt R in einigen Bänden nicht sehr ergiebig auf. Dies erschöpft sich zumeist in Jubiläen u. Festgrüßen, Krankheit u. Tod - Ein wenig gehaltvoller sind die Bände 219 (Korr. betr. Jbb. d. dt.Gesch.), 221 (Finanzierung d. RA-Edition), 37 (K. A. v. Müller 1943 betr. Dt. Akad. u. Ranke-Ausgabe), 297 (Korresp. v. Peter Rassow, Gutachten u. Protokolle aus 1955-1961 unter Beteiligung v. E. Kessel, W. P. Fuchs, Th. Schieder, R. Vierhaus, Verlag Vandenhoeck u. Ruprecht betr. die R.Ausg. d. Histor. Komm. ‚Aus Werk und Nachlaß‘). - In den Bänden 51 bis 76 sind die Akten d. zu Lebzeiten Rankes abgehaltenen Plenarverss. erfaßt. Das Rep. führt für die Jahre seiner persönl. Teilnahme an den Plenarverss. (1859-1871 u. 1873, Bde 51-62 u. 64) bei ansonsten ausführl. Inhaltsangabe der Archivbände ihren Mitbegründer u. ersten Präsidenten nur ein einziges Mal auf, und dies in Zusammenhang mit seinem 50jährigen Doktorjubiläum. Man gewinnt den irrigen Eindruck, er habe an den Versammlungen nicht teilgenommen. Seine Eröffnungsreden wie auch Anträge finden - zumindest im Repertorium - keine Erwähnung.

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Bayerische Gesandtschaft Dresden 3566 Ein Schreiben des Sekretariats Ludwigs II. vom 6. 5. 67 an die Gesandtschaft betr. die Frage, ob mit der Übersendung des I. Bd.s der SW Rankes die Absicht einer „Ordensverleihung oder ähnliche Dinge“ verbunden sei. In diesem Falle wolle S. M. „dieselben nicht gerne annehmen“.

Bayerisches Hauptstaatsarchiv München Abt. III Geheimes Hausarchiv Siehe auch Abt. Briefwechsel (II/3.3) Im Jahre 2003 wurde ein neues Findbuch erstellt, wobei eine Vereinfachung der Signaturen des älteren Findbuchs, darin: K. 78. L. i. Nr. 104 „Ranke’s Arbeiten“ (s. Abb. S. 202f.) durchgeführt wurde: Die Angaben zu K(asten) und L(ade) entfielen, der dritte Bestandteil blieb erhalten, bei sehr umfangreichen Akten erfolgte allerdings eine Aufteilung durch hinzugefügte Buchstaben. „In solchen Fällen müsste ermittelt werden, welchem der Teilakten ein gesuchtes Schriftstück heute zugeteilt ist... diese Ermittlungen“ ... erfordern „bei der Vielzahl der Schriftstücke und der teils geringen Aussagekraft der Einträge im älteren Findbuch einen großen Zeitaufwand“ (Schreiben von Archivdir. Dr. Gerhard Immler GHAM vom 28. 3. 2011). Die Abb. des älteren Findbuchs zeigt die Ranke und die bayerische Wissenschaftspolitik betreffenden wichtigen Bestände zwar nicht mit neuesten Signaturen, jedoch noch in einem zusammenhängenden Überblick. Kabinettsakten Kg. Maximilians II. von Bayern 2a (Alt-Sign. 73/1/2): „Ranke’s Vorträge über die s. g. ‚leitenden Ideen‘ in der Geschichte. Berchtesgaden 25. Sept. 1854“. Stenogramm von Franz Seraph Leinfelder der unter dem nicht authentischen Titel ‚Über die Epochen der neueren Geschichte‘ bekannt gewordenen Vorträge Rankes. (Dazu Henz/2009).

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

BayHStA, GHA, Findbuch III 111 V

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

BayHStA, GHA, Findbuch III 111 V

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Im Folgenden weitere wichtige von mir 2007 durchgearbeitete Bestände (siehe Abb. aus dem älteren Findbuch) mit dem Bestand 104, in dem sich auch die meisten Briefe Rankes finden (s. Abt. II/3.3) sowie folgende Positionen, welche nicht in jedem Fall Schriftstücke oder Texte Rankes enthalten, dann aber für die R-Rezeption Maximilians und die bayer. Wissenschaftspolitik seiner Zeit von Interesse sind: Kabinettsakten 8, 24, 35c, 36 a., 37f., 40, 42, 47a , v. a. mit verschiedene Notizen Kg. Maximilians II., u. a. über Gelehrte u. Künstler sowie „Punkte, über die ich mir klargeworden“ - 77: enthält unter dem Thema ‚Politik und Staatssachen‘ Papiere von W. v. Doenniges. - 87: „Orientalische Frage“ (alte Sign.: 77/5). - 88: Förderung der Wissenschaften. - 89 u. 96: Historische Kommission betr. - 102: Satzungsentw. Rankes für eine Akademie für deutsche Sprache und Schrift, 6. 10. 60. - 104: „Fragen an Professor Ranke“, 19. 10. 61. - 123: Verschiedene Niederschriften über den „Geist der Zeit“. - 147: „Entwurf einer historischen Academie“, 20. 10. 54 u. „Academie für deutsche Geschichte“ vom 27. 9. 59. - 432: Eigene Arbeiten von Kg. Maximilian II. zu Religion und Philosophie, Problem des Fortschritts. - 433: von ihm verfaßte Lebensbeschreibungen großer Männer. - 439: „Allerhöchst eigene Arbeiten. Wissenschaft und Kunst“. Darin 1 Doppelbl. mit einliegendem Bl. „Aus Ranke über die Päbste“. - 444: Konzepte für Briefe an verschiedene Privatpersonen. - 465: Tagebücher. Die Aufstellung ist nicht erschöpfend. Eine Heranziehung der mit einem geringeren Teil der Bestände arbeitenden Veröffentlichung von K. A. v. Müller/1939 ist dennoch angeraten. Die flüchtige Handschrift Maximilians - zumal häufig in Bleistift - ist außerordentlich schwer zu entziffern. Sie übertrifft selbst die Rankes noch bei weitem. Manche Teile wurden mit Tinte nachgezogen oder liegen in Kopisten-Reinschrift vor. Weiterhin kommt für Maximilians bzw. Rankes Wissenschaftspolitik in Betracht: Nachlaß Theodor von Zwehl (1800-1875), in entscheidenden Jahren (1852 - 1864) bayer. Staatsminister des Innern für Kirchen- und Schulangelegenheiten.

B a y e r i s c h e S t a a t s b i b l i o t h e k M ü n c h e n (BSB) Handschriften-Abteilung

Cod. germ. 5440, Teilnachlaß (1830-1861) von Maximilian II. von Bayern, bes.: Nr. 1 u. 2, Maximilian eighd. über Schelling und Ranke. Nr. 11: „Versuch, die welthistorischen Epochen der neueren Zeit zu bestimmen und zu charakterisiren, freye Vorträge vor Seiner Majestaet dem Könige während Allerhöchst Dessen Landaufenthaltes in Berchtesgaden im Herbste 1854 gehalten von Leopold Ranke. Nach stenographischen Aufzeichnungen.“ Kopistenreinschrift der redigierten und gekürzten Vorträge Rankes. Siehe auch Kudorfer/2000, 185f.: Cgm 5440. Teilnachlaß von Maximilian II. von Bayern (18301861). Reg. B. VIII Ranke, Leopold von: „Ein Benützungsakt in der alten Registratur unseres Hauses, der die Bitten um Übersendung von Handschriften an Ranke nach Berlin aus den Jahren 18251831 enthält. (Der Akt enthält jedoch keine Briefe Rankes!)“ (Mitt. von Dr. Herterich, 25. 7. 74).

Landeskirchliches Archiv Nürnberg Briefwechsel HR.s mit seiner Frau und seinem Schwiegervater Gotthilf Heinrich v. Schubert. 0,40 lfd. m. (Mommsen: Die Nachlässe in den deutschen Archiven, II/1983, 1040).

Thüringisches Staatsarchiv Rudolstadt Sign. Z 3 Bestallungsurkunde Rankes zum Historiographen des Preußischen Staats, 17. 7. 41, unveröff.

Nachlaß Selma (gen. Lily) von Ranke

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Im Aug. 1922 dem Schlossarchiv Rudolstadt übergeben. Nach Schwarz/1923, 47, A. 1 u. 3 befand sich um 1922 im Besitz Selma v. Rankes, der Gattin FvRs, ein Bruchstück von Rankes Übers. der Sophocleischen ‚Antigone‘ sowie ein Heft Rankes „Zu Platons Kriton Februar 1816“, das „griech. Zitate und kurze Bemerkungen enthält, die allerdings z. T. schon bis zur Unleserlichkeit verblasst sind.“ - Bzgl. des im Besitz Selma v. Rankes befindl. Briefnachlasses s. Abt. Briefwechsel (II, 301f.).

Landesschule Pforta in Schulpforte Lateinische Aufnahmearbeit, o. D. [9. Mai 1809]. In einem Sammelband „Collectio speciminum...“, der mehrere Jahrgänge (1802-1812) umfaßt. Erstdr.: Henz/1968, 306. Stammbuchblatt vom 21. Dez. 1812. Erstdr. WuN I, 41. Seitdem verschollen. Valediktionsheft („Valed. 30; 315, 34“). Eine Broschüre mit dünnem gelblich-grünem Einband, datiert 2. April 1814. Fol.: 1-18’: „dissertatio de tragoediae indole et natura“. Fol. 19-25 „Danksagungen.“ Erstdr. des Gesamtbestandes: Henz/1968. Siehe i. e. II/2.3. Nach Mitteilung der Schulleitung vom 16. Apr. 1969 finden sich im Schularchiv für Ranke „keine brauchbaren Nachrichten. Vielleicht liegt es daran, daß in früheren Zeiten das Archiv für die Rankeforschung zu viel hergeben mußte, was heute nicht mehr nachweisbar ist. Z. B. fehlen für die Jahre, die Ranke in Pforte verbrachte, die sehr interessanten ‚Testimonia privata‘ und auch andere Dokumente wie Taufscheine, Gesundheitszeugnisse u. a.“

Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Handschriften-Abteilung Cod hist. 4º 409: „Fragmente aus Ranke’s Vorlesungen über die neueste [im Innenteil: ‚neuere‘] Geschichte, Berlin 1843“, Nschr. Otto Günzler. Es handelt sich jedoch wohl um Rankes Vorl. über „Geschichte unserer Zeit“, ab 1814 vom WS 1842/43. Das 72seitige Ms beginnt mit dem Wiener Kongreß, endet 1829 u. könnte mit der entspr. Nschr. Burckhardts verglichen werden. Günzler fehlt im Hörer-Verz. Bergs/1968. - Siehe auch Abt. Vorlesungen (II/5).

Ranke Memorial Library, Syracuse N. Y. Siehe Abt. Epistolarische Archivbestände (II, 302-304) und Sammlungen (II, 516-531).

Universitätsbibliothek Tübingen Md 504 c 13: „1 Zeugnis“ (Kalliope). Es handelt sich vielmehr um ein Testat des Dekans Ranke für Wilhelm Ludwig Holland über die Aufnahme in die Philos. Fakultät der Univ. Bln, 16. 4. 42. Md 906: Neue Geschichte. Vorlesung 1841-42. Nschr. von Gustav Rümelin, 42 Bl. Fehlt bei Berg/1968.

Museum bzw. Archiv des Ranke-Vereins Wiehe > Verschollener Altbestand < Der Altbestand wurde nach einer Rudolf Vierhaus erteilten Auskunft des ehem. Landes-Hauptarchivs von Sachsen-Anhalt in Magdeburg teilweise vom Landes-Museumspfleger SachsenAnhalt, teilweise vom Landes-Hauptarchiv in Magdeburg übernommen (Vierhaus/Soziale Welt, 1957, 5, A. 8). - Das Staatsarchiv Magdeburg teilte mir am 26. 11. 1973 mit: „Aus dem o. g. Museum [in Wiehe] wurden lediglich einige Möbel in das damalige Landesarchiv Merseburg eingestellt, die bei der Auflösung dieser Dienststelle in den Räumen verblieben. Schriftdokumente aus dem o. g. Museum wurden nicht in die vom Staatsarchiv Magdeburg verwahrten Bestände des Staatlichen Archivfonds ... übernommen.“ Nach einer mir erteilten Auskunft des Ministerrats der DDR, Min. f. Kultur, Abt. Museen und Denkmalpflege vom 14. 11. 1974 befanden sich die Altbestände des Museums zu dieser Zeit im Zentralen Staatsarchiv Merseburg, 42 Merseburg, Weiße Mauer 48.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Die 1907, 1908 und 1910 erschienenen, selten gewordenen Jahresberichte des ersten RankeVereins führen ein fortgeschriebenes „Inventar des Museums“, aus dem im Folgenden die wesentlich erscheinenden, dort oft nicht ausreichend beschriebenen Schriftstücke vorgeführt werden. Nicht aufgeführt werden daraus Mobiliar, Bilder, Büsten, Bücher und andere Druckwerke mit Ausnahmen. Ernennungsurkunden im Zusammenhang mit Mitgliedschaften sowie Ordensdiplome werden u. a. als Suchhilfe für Korrespondenz genannt.

Aus der Pfortaer Zeit Bücher aus Rankes Schulzeit in Pforte, 43 Bde; Stammbuchbll. aus Pforte; Widmung Rankes u. seines Bruders Heinrich zum Geburtstag des Vaters am 22. Mai 1812; „Abschied von Pforte (Abschrift des in Pforte befindlichen Originals)“; Abgangszeugnis von Pforte 1814 (eingerahmt) mit den Unterschriften seiner sämtlichen Lehrer.

Aus der Leipziger Studienzeit Immatriculationsschein der Univ. Leipzig, 1814; Doktordiplom der Univ. Leipzig, 1817.

Spätere Promotionen und Diplome Erneuerung des Doktordiploms Rankes durch die Universität Leipzig zum 50jährigen Doktorjubiläum, 1867: Gratulationsschreiben anl. d. 50jährigen Doktorjubiläums von: Hist. Komm. München, Geschichtsstudenten der Univ. Wien; der Universitäten Berlin, Marburg, Jena, Zürich, Halle, München, St. Petersburg, Bonn, phil. Fak. Bonn, phil. Fak. Greifswald; Fiedrich Wilhelms-Gymnasium Berlin.; Duncker u. Humblot; Promotion[surkunde?] zum Dr. theol durch die Univ. Marburg, 1844, zum Dr. jur. durch die Univ. Dublin, 1865; Ehrenbürgerbrief der Stadt Wiehe von 1866; „Ein serbisches Diplom. Belgrad 1849“; „Ein russisches Diplom, Kiew 1884“.

Glückwünsche zu besonderen persönlichen Anlässen Gedicht des R.-Schülers Adolf Paul zum 59. Geburtstag Rankes am 21. Dez. 1854; Widmung der Schüler Rankes zu seinem 70. Geburtstag, 1865; Gratulationsschreiben zum 90. Geburtstag, 21. Dez. 1885 von: philosoph. Fakultäten Breslau, Greifswald, Straßburg, der Universitäten Leipzig u. Wien, der Badischen Hist. Komm. in Karlsruhe, der Hist. Komm. München, des Ausschusses des wiss. Klubs in Wien, des Freien Dt. Hochstifts Ffm.; Glückwunsch des Gründungskomitees der ‚Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde‘ zur Erhebung Rankes in den Adelsstand, 1865.

Mitgliedschaften in gelehrten Vereinigungen Ernennungsurkunden zum Mtgl. der Akad. d. Wiss., Bln, 1832, der Berliner Ges. f. dt. Sprache, 1834; des thüringischsächs. Vereins für Erforschung des vaterländischen Altertums 1839, der histor. Ges. in New York 1844, der irischen Akademie in Dublin, 1849; zum Ehrenmtgl. d. Allg. geschichtsforschenden Ges. d. Schweiz, Murten 1850, Chur 1851, des Geschichtsvereins für Venedig 1876, des historischen Vereins für Steiermark, Graz 1876, des Archäologischen Instituts zu Rom, 1879, der Kgl. Akademie zu Turin, 1880, des Ateneo Italiano in Florenz; zum Mtgl. des Vereins f. thüring. Gesch. u. Altertumskunde Jena 1852, des histor. Vereins f. Niedersachsen, Hannover 1853, der Kgl. Irischen Akad. in Dublin 1854, der Kgl. Sozietät für Literatur in London, 1854, des German. Museums Nürnberg 1854, der Academia literarum et scientiarum in München 1857, der Magyar Tudomángos Akademie Pest, 1858, der Akad. d. Wiss. in St. Petersburg, 1816, des Vereins f. Gesch. u. Altertumskunde Schlesiens, Breslau 1862, des Vereins f. Gesch. der Altertumskunde der Grafschaft Mansfeld, 1873, der Kgl. Sozietät d. Wiss. in Dänemark, 1875, der Regia Lynceorum Academia in Rom, 1876.

Ordensdiplome Commenthurkreuz des Kgl. Verdienstordens vom hl. Michael, 1852; Bayer. Maximiliansorden, 1853, Ritterkreuz des Ordens vom Zähringer Löwen, 1856.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände

Mappe mit 13 Reisepässen. „Manuskripte“ Ausarbeitung trigonometrischer Aufgaben [wohl aus der Pfortaer Zeit]; „Adversaria 2 Bogen“, „Italienische, bes. venetianische Kunst. Venetianische Sitten. Italienischer Buchhandel usw. Kunst in München. Bayrische Zustände. König Ludwig I.“ Abschr. im NL Hoeft des GStA PK Berlin.

Verzeichnis der Zuhörer Rankes aus dem SS 1826 (3 Bogen) und WS 1841/42. Möglicherweise handelt es sich dabei um die von Friduhelm von Ranke erwähnten von Ranke zum Teil selbst geführten Listen seiner Zuhörer (FvR I/1904, 81).

Ms. d. Beurteilung der HARD/Denkw. durch Gustav Schmoller [veröff. Geibel/1886, 121f.]. Stammbuch von Gottlob Israel Rancke. Einige Nachrichten über das Ranckesche Geschlecht. Von Gottlob Israel Rancke Möglicherweise nicht identisch mit seinen im NL Ernst R. GStA PK Bln. befindlichen „Notizen über das Rankesche Geschlecht“. Dazu Henz/1968, 54ff., 278].

„Notizbuch Leopold von Rankes“ und nochmals „Notizbuch Leopold von Rankes“. „Eine Sammlung Manuskripte.“ Briefe Rankes Siehe Abt. Epistolarische Nachlaß-Bestände (II/3.3).

Italienische Abh. über R. von Alessandro di Lanji nebst Übersetzung. - „Finnische Abhandlung Stägten Ranken in Finnland v. I. Oskar L. Ranken.“ Ranke, Otto von: Grabrede für Clarissa von Ranke. Aus dem Altbestand teilte „Pfarrer Böhme-Lossa“ 1930 in Erstdr. zwei Schriftstücke mit. Das erste, in zwei unterschiedlichen Versionen vorhandene, ist von der Hand Gottlob Israel Rankes, des Vaters Leopolds, eine familiengeschichtliche Darstellung mit Lebensdaten seines Vaters, Johann Israel, und seiner selbst, bis 1834. Darunter „wohl von Leopolds von Ranke Hand“ ein Sterbezeichen und neun Verszeilen. Als Vf. kommt eher Leopolds Bruder Ernst, der sich als Gelegenheitsdichter betätigte, in Betracht. - Das zweite Schriftstück, „einem Notizbuche Leopolds entnommen“: Notizen zur Geschichte Wiehes, um 1822 (s. II, 217). Archiv bzw. Museum des Ranke-Vereins Wiehe e. V. > Neubestand < Die Grundlage des Neubestands der 1994 als Ranke-Museum gegründeten Einrichtung wurde gebildet durch eine Schenkung des Urenkels Rankes, Dr. Gisbert Bäcker-von Ranke, Stolberg/Rhl., an den im Vorjahr gegründeten Ranke-Verein. - Sie besteht aus den Nachlässen bzw. Teilnachlässen CvR, OvR, FvR, Maximiliane von Kotze, geb. Ranke und EvR. Die auf R bezugnehmenden Positionen sind im einzelnen aufgeführt, andere Bestände pauschal zusammengefaßt.

Nachlaß C l a r i s s a v o n R a n k e (1808-1871) Briefwechsel ca. 230 Briefe CvR.s, zumeist aus 1845-1871, an Robert, Helen, John und James Graves sowie an Fanny North und Amalie Ranke. - 30 Briefe an CvR. Nebst Abschriften eigener Briefe. - 96

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Briefe engl. Verwandten u. Bekannten an Mitglieder d. Familie R u. an andere Empfänger. - 41 Briefe von Robert Graves an Clarissa, 1857-1868.

Lyrik, Reiseberichte, Erinnerungen, Übersetzungen etc. Clarissa v. Rankes Zahlr. Positionen. Darunter: ‚Stars of my Life or Reminiscences of my Friends. Sonnets‘, verschiedene Fassungen. - Übers. eines dt. Gedichts auf den mit dem Roten Adler-Orden dekorierten R, 20. 1. 50.

Familiendokumente etc. Darunter: Ehevertrag R.s mit Clarissa Graves, 24. 10. 43. - Gedr. Todesanzeige CvR.s, 30. 4. 71.

Nachlaß O t t o v o n R a n k e (1844-1928) Etwa 90 Kondolationsbriefe nach dem Tode Leopold von Rankes zumeist an OvR, einige auch an FvR gerichtet, u. a. von Heinrich Achenbach, Carl Adolf Cornelius, Alfred Dove, Ernst Dümmler, Wilhelm v. Giesebrecht, Gfn. Editha Hacke, Carl Hegel, Constantin v. Höfler, K. Höhlbaum, Adalbert Heinrich Horawitz, Adolf Lasson, Gustav v. Lauer, Moritz Lazarus, Rochus v. Liliencron, Wilhelm Maurenbrecher, Constantin Rößler, Alfred Stern, Adolf Stöcker, August Trinius, Herman Wichmann, Ludwig Wiese, R. Zoeppfel, Hans Zwiedinek v. Südenhorst. - Die Schreiben sind z. T. veröffentlicht in Bäcker: R. u. seine Familie/1955 und in: Bäcker-Ranke: Kondolenzbriefe/1967. - Die von OvR: R.s Heimgang/1886 veröffentlichten Kondolationsschreiben scheinen verschollen. 20 Briefe Otto von Rankes. Justizrat Caspar an OvR, Potsdam, 30. 5. 86, betr. den nicht ausgeführten Plan einer Familienstiftung.

Verschiedenes 1. Geburtsurkunde für Leopold Ranke. Abschrift von 1936. 2. Briefe von und an Leopold Ranke. Siehe II, 305-308.

Nachlaß F r i d u h e l m v o n R a n k e (1847-1917) Siehe zum Folgenden auch unten II/3.3, Pos. [141ff]. Briefe FvR.s: 14 Briefe. Darunter 1 Brief an seine Schwester Maximiliane von Kotze betr. die Rückgabe der Orden R.s an Ks. Wilhelm I., 15. 6. 86. Kondolationsbriefe nach dem Tode R.s, davon einige an FvR, die meisten jedoch an OvR gerichtet (s. o.) Vorarbeiten FvR.s für seine Veröffentlichungen (1903 u. 1904/1905), Abschrr. aus dem NL R.s. Großoktav-Heft mit Abschriften von der Hand FvR.s u. a. von 25 Briefen R.s. Fol. 31: Abschr. des Vorschlags R.s für Friedrich Adolf Trendelenburg zum ordentl. Mitglied der Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss, Berlin, 4. Febr. 1846. Mit dem Vermerk „praes. d. 4. Febr. 1846 [Christian Gottfried] Ehrenberg [Sekr. d. Akad.]. Zur Sitzung am 5. Febr. 46“. Unveröffentlicht.

Großoktav-Heft mit Abschrr. von der Hand FvR.s von 31 Briefen R.s. Großoktav-Heft mit Abschriften von der Hand FvR.s Innendeckel: Inhaltsübersicht. Fol. 1-5 entfernt. Enthielt Abschrr. der von Oncken/1922 veröffentlichten Briefe R.s an Bragadin und an Solari. Fol. 6-43: Abschr. d. unveröff. Rheinreisetagebuchs R.s von 1817 (unvollst.; es fehlt zumindest die Abschr. von 43 Zeilen). Auf fol. 6 spätere Eintragung von der Hand EvR.s: „Or. im Geh. Staatsarchiv, Berlin, Rep. 92, Ranke“. - Or. verschollen.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Fol. 44: Abschr. von 8 Verszeilen R.s für seine Tochter Maximiliane, 2. 10. 75, unveröffentlicht. Fol. 45-49: Abschr. des später von FvR III/1904, 69-71 veröffentlichten begleitenden Vortrags R.s vor Kg. Maximilian II v. Bayern zum Satzungsentwurf für eine Akademie für deutsche Sprache und Schrift (s. II, 485). Geringfügige Abweichung der Druckfassung. Fol. 50-53: Abschr.: Satzungsentwurf R.s für eine Akademie für Deutsche Sprache und Schrift, München, 6. 10. 60. („Nach Professor L. Rankes Dictat“). Es dürfte sich also bei der von FvR übertragenen Vorlage um eine Zweitausfertigung in Kanzleihand gehandelt haben, parallel zu der von v. Müller/1939, 36-38 veröffentlichten, von der sie allerdings in einigen Punkten abweicht, besonders durch zwei bei v. Müller fehlende „Bemerkungen“. Fol. 53-56: Abschr.: die zum Voraufgehenden gehörenden „Notata des Secretärs“, unveröff., jedoch knapp referiert in FvR III/1904, 71. Fol. 57-61: Abschr.: der eighd. Entw. R.s für eine Akademie für deutsche Geschichte. Die Fassung ist ursprünglicher als der von A. v. Müller nach einer Kanzlei-Reinschrift mitgeteilte in mehreren Punkten abweichende „Entwurf“ vom 27. 9. 59. Fol. 62-69: entfernt. Enthielt Abschrr. von Briefen R.s an Sybel, A. Thiers u. Reumont. Fol. 70r-v: Abschr.: „4. Februar 1875. Toast auf Manteuffel“, unveröff. Die Datierung dieser Tgb.-aufz. R.s von einer Geburtstagfeier seines Freundes Edwin v. Manteuffels ist insofern merkwürdig, als sie mit dem Geburtstdatum M.s, 24. Febr. 1809, nicht besonders gut harmoniert, weniger im Tagesdatum als im Jahr, denn 1875 muß nicht der 65., sondern der 66. Geburtstag gefeiert worden sein. Es ist hier aber von mehrtätigen Feierlichkeiten und einer „glänzenden Versammlung von Hof und Staat“ die Rede. Großoktav-Heft mit Abschrr. aus dem NL R.s, von der Hd. FvR.s. Vorsatzbl.: Inhaltsübersicht. Einliegend 8 lose Bll., aus einem anderen Heft übernommen, mit Foliierung 40-47, welche inhaltl. fortgesetzt werden durch die eingehefteten Bll. 1-21. - Es handelt sich dabei insgesamt um eine Abschr. von unveröffentlichten Tgb-Eintragungen R.s, vom 28. 12. 49 bis 30. 11. 50 in ein Expl. des bei D & H erschienenen ‚Deutschen Politischen Tagebuchs‘ für 1850. - Fol. 22-24 entfernt. Enthielt Abschr. eines Briefes R.s an Giesebrecht Fol. 25-28 entfernt. Enthielt Abschr. eines Briefes R.s an M. Duncker - Fol. 29-33 entfernt. Enthielt Abschr. eines Briefes R.s an Ks. Wilhelm I. und Ksn. Augusta, Fol. 34 entfernt. Enthielt Abschr. eines Briefes R.s an M. Duncker. Zu den vorgenannten Briefen siehe II, 307f., NL FvR. - Fol. [35] Abschr. einer eighd. tagebuchartigen Notiz R.s über seinen Besuch bei Gf. v. Hardenberg auf Neuhardenberg, 14. 6. 67 (darin erwähnt ein Brief des Gfn. Hardenberg an R). - Fol. [36-42] Abschr. von Reisetagebucheintragungen R.s, 2. - 26. 8. 39 (Halle, Göttingen), unveröff. Fol. [43-45] Abschr. eines Briefes R.s an Ks. Wilhelm I., 1. 1.77. Siehe II/3.3/ Pos. [144]. Großoktav-Heft, 50 zumeist unpaginierte Bll. Mit Korr. durchsetzter Entw. von FvR/Vierzig Briefe/1904/1905. 134 und 5 lose Bll. Teile der Druckmss. zu FvR: Vierzig Briefe/1904/1905 und FvR: Erinnerungen/1903 - Zu letzterem auch Korrekturabzug.

Nachlaß M a x i m i l i a n e v o n K o t z e , g e b . R a n k e (1846-1922). 29 Briefe von Maximiliane von Kotze. Zusatz zu § 6 des Ehevertrages zwischen Wilhelm von Kotze und Maximiliane von Ranke. (Abschr. von der Hd. Wilhelm v. Kotzes des von R. eighd. verfaßten Textes vom 16. 9. 72.) Testamentsentwurf R.s, Berlin, 28. 12. 73. Abschr. von der Hd. Wilhelm v. Kotzes des von R. seinem Bruder Ernst diktierten Textes. Veröffentlicht: Bäcker/1955, Anm.-Band, 79-83.

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II/2.2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Bestände Telegraphischer Glückwunsch R.s an Wilhelm v. Kotze als „Großpappa“, 9. Apr. (?) 83.

Nachlaß E r m e n t r u d e v o n R a n k e , verehel. Bäcker (1892-1931) Vortragsms. ‚Rankes Elternhaus‘, um 1930. Von W. P. Fuchs veröffentlicht in: AKG 48 (1966), 114-132. Übersicht von der Hd. EvR.s, um 1925, 16 lose Bll. über folgende Bestände: GStA Berlin, Depositum Leopold von Ranke acc. 118/119 (Nachlaßbestand 1925; 1945 vernichtet). Siehe II, 286ff. Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten, Rep. IV, Nr. 152: „Acta betr. die von dem Oberlehrer Dr. Ranke gewünschte Einsicht u. Mitteilung mehrerer ausländischer Sammlungen“ Sammlungen und Nachlässe Bd. I u. II. - Autographen. - Varnhagen von Ensesche Sammlung. Abschrr. von der Hd. EvR.s aus den vorgenannten Beständen, u. a.: 1 Doppelbl. mit Abschr. eines Briefes FvR.s an seine Schwester Maximiliane v. Kotze, 20. 2. 87 (aus GStA Berlin, Rep. 92: Leopold von Ranke, Nr. 25). 1 Bl. Abschr. aus Tagebuchaufzeichnungen CvR.s, 1870 (aus SBB, Autographenslg, Bd. V (PSc): Ranke, Clarissa von, geb. Graves, Ms germ. 8o 644).

Sonstige Familienpapiere 1 Bl. Drucksache: Von Hermann Ranke und dem Wieher Bürgermeister Tauscher unterzeichnete Einladung vom Dez. 1936, einem soeben gegründeten Ranke-Verein beizutreten. - 2 Bll. Anlage, hektographiert: Satzung des Ranke-Vereins („§ 2. Zweck des Vereins ist die Pflege der Erinnerungen an Leopold von Ranke und seines Geistes, wie er in seinen Werken zum Ausdruck gekommen ist.“).

Sonstige Wieher Bestände Das Wieher Archiv enthält einen Buchbestand mit Ausgaben der Werke Rankes aus allen Zeiten, darunter einige Erstausgaben, sowie eine Sammlung von Literatur über Ranke. Nicht zuletzt konnten durch Bemühungen des Vereinsvorsitzenden Pastor i. R. Gottfried Braasch zu Rankes Geschwistern aus dem Besitz der Nachkommen umfangreiche handschriftliche Bestände beigestellt werden.

Zentralbibliothek Zürich CFM 383: Eduard Meyer: ‚Vorlesungen über Neuere Geschichte von Leopold Ranke‘. Berg/ 1968, 11: „Abschrift einer Nachschrift von 1833/34“. Siehe auch II, 309.

Privatbesitz Bibl.-Dir. Dr. Reinald Stromeyer, Berlin (1968) Hugo Anton: ‚Neue Geschichte nach Ranke‘ WS 1849/1850. Nachweis: Berg/1968, 10.

Privatbesitz Nachlaß Prof. Dr. Fritz Valjavec Karl Pertz: ‚Neueste Geschichte seit dem Ende des XVIII. Jahrhunderts‘, Sommersemester 1850. Nachweis: Berg/1968, 11. Damals im NL nicht auffindbar. Berg benutzte Exzerpte von Ernst Schulin.

Privatbesitz Prof. Dr. Ernst Schulin Theodor Stumpf (1831-1873): ‚Geschichte der neueren Zeit vom Anfang des 16. Jahrhunderts. Sommersemester 1851, 1. Mai, nach Ranke‘. Nachweis: Berg/1968, 12.

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3. Abteilung (II/2.3) EDIERTE HANDSCHRIFTEN Nach der Entstehungs-Chronologie

Die von Ranke in späteren Jahren, ebenso wie seine Autobiographik, mehrfach ansatzweise betriebene Diaristik verträgt z. T. eher die Bezeichnung ‚Gedenkblätter‘ als die von ‚Tagebuchblättern‘‚ wie schon Wiedemann (II/1891, 330) ähnlich bemerkte, so besonders die Aufzeichnungen zu Roon, 26. Febr. 1879, Die Bonapartes, Juni 1879, Hertha v. Manteuffel, 15. Nov. 1879, Giraud 1881, Senfft v. Pilsach, nach dem 2. Nov. 1882, Graf Chambord, 24. Aug. 1883, Manteuffels Tod, 17. Juni 1885 in Karlsbad u. a. m. Ranke ist vor allem an besonderen Ereignissen und bemerkenswerten Persönlichkeiten interessiert und an der Darstellung des Zusammenhangs mit seiner eigenen Person, wobei von seiner Seite jedoch zumeist wenig Persönliches geoffenbart, kaum eine tiefere Selbstbetrachtung angestellt wird. Im übrigen hat Ranke eine Vielzahl von philosophisch oder theologisch geprägten, auch literarischen, historischen und historisch-politischen Aufzeichnungen hinterlassen, welche keinen Tagebuchcharakter aufweisen. Band I der von der Historischen Kommission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften betreuten Ranke-Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ mit dem einseitigen Titel ‚Tagebücher‘ (WuN I/1964) sollte nicht den Eindruck entstehen lassen, es handele sich dort wie überhaupt ausschließlich um solche. Die Dokumentation der in WuN I neben beträchtlichen Mengen bereits bekannten Materials erstmals herausgegebenen Stücke ist nur schwer zu bewerkstelligen, da dort, wie bereits dargestellt, ungeachtet der ursprünglichen Heft- bzw. Blattzusammenhänge Einträge Rankes weniger nach entstehungsgeschichtlichen als nach inhaltlichen Gesichtspunkten in nahezu 500 zum Teil neugebildete Einheiten florilegienhaft zusammengestellt wurden, wobei sich aufgrund des eingeschränkten Überblicks auch Überschneidungen mit dem fast 10 Jahre später erscheinenden Band III der Ausgabe ergaben. (Siehe im einzelnen II/2.1.5). Die vorliegende Aufstellung berücksichtigt auch Texte, welche zwar nicht ediert, jedoch in Rankes Schriften oder anderweitig erwähnt oder verschollen sind. Nicht berücksichtigt sind die in eigenen Abteilungen zusammengestellten Briefwechsel (II/3) und Vorlesungen (II/5). - Bei den aufgeführten Schriftstücken, im besonderen bei den von Dove veröffentlichten, ist nicht immer klar, ob die Überschriften von Ranke stammen oder von Dove formuliert wurden. Zeitlich stark Unbestimmtes Bemerkung über Mirabeau. Erstdr nach Or. im RNL „35 (4)“: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 199, A. 108.

„Versuche der Kritik über die wichtigsten biographischen Denkmale der Epoche“ R in seinem 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885 (SW 53/54, 65): „In meinen Papieren finden sich noch Versuche der Kritik über die wichtigsten biographischen Denkmale der Epoche.“ - Bisher nicht veröffentlicht.

Notiz über den Anteil der Wissenschaften an der Souveränität Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 38 I (4-c) bei Vierhaus: Soz. Welt/1957, 86, A. 10.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Schulzeit in Donndorf und Schulpforta 1807-1814 „Welchen Einfluß hat die Erlernung der Geschichte auf das Leben der Menschen [?]“ RNL 38 I B 5-7. Früheste erhaltene Hs. R.s. Prüfungsarbeit der Klosterschule Donndorf von 1808 (?). Der noch sehr kindliche Aufsatz könnte auch früher zu datieren sein, nicht jedoch vor dem 6. Apr. 1807 (Eintritt in Donndorf). - Reinschr., Fragm. Erstdr.: Henz/1968, 303-305. Interpr.: Ebd. 147-149. - Zweitdr.: WuN III, 50f. Archival. Beschr. ebd. 637.

Lateinische Aufnahmearbeit für Schulpforta, 9. Mai 1809 Erstdr. nach Or. des Schularchivs, Bestand ‚Collectio speciminum...‘: Henz/1968, 306. - Nicht in WuN.

Stammbuchblatt, 21. Dezember 1812 Erstdr. (nach Abschr.?) aus dem Archiv Schulpfortas: WuN I, 41. Nach 1970 dort nicht mehr bekannt.

„De actione in Graeca Tragoedia. Contra iniquos quosdam nuperos Euripidis censores. Franciscus Leopoldus Ranke Wiehanus“, wohl von 1813. SBB PK, Autogr. I/870. Erstdr. nach Or.: WuN III, 53-65.

„Fragmente“, andatiert 1. Febr. 1813 RNL 38 II A 243-294. - Das Heft enthält Exzerpte, Überss., kleinere Notizen sowie Aufzeichnungen zu besonderen Werken der Malerei u. Lit. (u. a. Homer, Goethe) u. zu allg. Fragen der Poetik u. Ästhetik u. dokumentiert insofern Vorarbeiten zu R.s Valediktionsarbeit (s. u.). Erstdr. (fehlerhaft) von vier Stücken nach Or. im RNL: WuN I, 85-88, 139f., 190. - Erstdr. einer größeren Ausw. nach Or. im RNL: Henz/1968, 319-375. - Zweitdr.: WuN III, 94-119. Archival. Beschr. WuN I [!], 514.

Fünfstrophiges Gedicht Eighd. mit Unterschr. „Franz Leopold Ranke“. Schulpforta 28. V. 1813. 2 ¾ S. 4o. Aus einem älteren Katalog Stargardt (?), S. 344, Pos. 764. Beginnend: „Es rauscht der holde Genius der Griechen ...“

Lateinisches Disputationsheft, andatiert 8. Mai 1813, mitteldatiert 20. Aug. 1813 RNL 38 II A 1-39’. 32 ausgeführte Thesen u. Gegenthesen altertumskundlicher Thematik, nahezu ausschließlich in Latein. Von bes. Interesse Nr. 14 „quare et quatenus patria colenda sit“ und Nr. 25 [Über den Ursprung eines Volkes]. Erstdr. nach Or. des RNL: Henz/1968, 376-443. Nicht in WuN. Lediglich archival. Beschr. in WuN III, 638f. Dort die auf Unkenntnis der lat. Schrift R.s gegründete Vermutung, „geschrieben von verschiedenen Händen, darunter offenbar nicht Rankes“. (639).

Blätter aus Schulpforta RNL 38 II A 295-297’ (Das höchste Ziel menschlicher Anstrengung; Napoleon nach der Völkerschlacht bei Leipzig). Daraus fol. 295’-296. Erstdr. nach Or.: WuN I, 137, 257. Ebd. archival. Beschr. 514. - Fol. 296 (vollst.): Henz/1968, 316. RNL 38 II A 305-313 (v. a. zu Sophokles und Properz). Daraus fol. 305, 306’, 308’ Erstdr. Erstdr. nach Or.: Henz/1968, 307f. Nicht in WuN. Jedoch archival. Beschr. in WuN III, 642. RNL 38 II A 315’-327 (v. a. zur ‚Antigone‘ des Sophokles). 319-319’, 322-323, 325, 326’ Erstdr. nach Or.: WuN I, 88f., 168. Archival. Beschr. WuN I, 515. - Daraus fol. 319-325, 326’ Erstdr. Erstdr. nach Or.: Henz/1968, 309-315. Nicht in WuN.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Sophokles-Übersetzungen, 1813/14 R erinnerte sich in seinem 1. autobiogr. Diktat, vom Okt. 1863, an eine vollst. Übers. der ‚Elektra‘ des Sophokles, mit deren Reinschr. er dem Vater „zu seinem Geburtstag ein Geschenk“ gemacht hatte: „Die Uebersetzung ist freilich in fünffüßigen Jamben, sie scheint mir aber in der freien Bewegung, die dieses Metrum gestattet, nicht mißrathen zu sein. Ich übersetzte dann Philoktet in sechsfüßigen Jamben, hatte aber den sonderbaren Einfall, die Chöre freier und nach dem Vorbild von Schiller’s Braut von Messina sogar in Reimen zu übersetzen. Auch einiger und zwar nicht der beste Einfluß von Goethe läßt sich an der zweiten Arbeit bemerken; die erste ist unschuldiger, anspruchsloser und vielleicht besser.“ (SW 53/54, 23f.). - Die Texte sind bisher nicht bekannt geworden.

Die Wanderungen der Io Eine „in lat. Sprache abgefaßte Jugendarbeit“ R.s erwähnt sein Amanuense Wiedemann (V/1892, 343, A 2). Sie dürfte aus der Pfortaer Zeit stammen. Über ihren Verbleib liegen keine Nachrichten vor.

Physikheft aus Schulpforta, 1813/1814 Erstr./Tdr. nach Or. im RNL 38 II B, Teil 2: Henz/1968, 317f. - Nicht in WuN.

Pfortaer Valediktionsheft, vor dem 2. Apr. 1814 „Porta discedens die secundo Aprilis MDCCCXIV.“ - Or.: Schularchiv, Sign.: Valed. 30; 315, 34. Reinschrift.

[A] „De tragoediae indole et natura“ Erstdr. einiger Zeilen: Helmolt/1921, 166, A. 8. - Vollst. Erstdr. nach Or.: Henz/1968, 444-479. Vollst. Zweitdr.: WuN III, 94-119. - Nach Wiedemann liebte R noch in seinen letzten Lebensjahren von dieser Arbeit zu sprechen, „besonders auch mit Rücksicht auf Böckh’s dasselbe Thema behandelndes Jugendwerk [Graeca tragoediae principum..., Heidelb. 1808], mit dem man sie vergleichen müsse.“ (Wiedemann V/1892, 343 mit A. 3). Hingegen sprach er nie über eine Promotionsdissertation.

[B] „Danksagungen“ Sechs Gedichte in unterschiedl. Formen: ‚An Gott‘, ‚An den König‘, ‚An Pforta‘, ‚Meinen Lehrern‘, ‚Dem Herrn Inspektor Prof. John‘, ‚Meinen Freunden‘. - Erstdr. einiger Zeilen des 6. Gedichts: Helmolt/1921, 16; Erstdr. einiger Zeilen des 1. u. 6. Gedichts: Requadt/1929, 165 u. 179. - Vollst. Erstdr. nach Abschr.: Fuchs/WuN I, 41-49. Vollst. Zweitdr. mit Verbesserungen nach Or.: Henz/1968, 480-493.

Leipziger Studienzeit 1814-1817 Zur Rückkehr Kg. Friedrich Augusts v. Sachsen aus der Gefangenschaft, Mai 1815 Erstdr./Tdr. (wenige Sätze) nach Or. im RNL 38/I (8-b) bzw. 38 I H 21-22’: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 14, A. 27. Vollst. WuN I, 259. Archival. Beschr. ebd., 512. - Es handelt sich, worauf in WuN I nicht hingewiesen wird, um zwei Texteinheiten: eine ältere in persönlicher, hymnischer Anredeform und eine neuere in historiographischer Manier. - Siehe auch II, 183f.

Notizen zur Antike, im besonderen zu römischen Schriftstellern, 1814-1818 Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 38 II A 333-335: WuN I, Nr. 72f. - 38 II A 349 Erstdr./Tdr. nach Or.: ebd., Nr. 69f. - 38 II A 350-355 Erstdr./Tdr. nach Or.: ebd. Nr. 71. Archival. Beschr. ebd. 515.

Tagebuch oder Notizheft, 1814-1818 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 12-20 von 27 gebildeten Texteinheiten zerstreut in: WuN I. Siehe dazu II, 181ff. - Archival. Beschr.: WuN I, 512. - Daraus: Politische Betrachtungen. Nach

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften einer Aufführung des Wilhelm Tell. Nach Herbst 1815. Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 12-20: WuN III [!], 219-222. Archival. Beschr. WuN I, 512.

Blatt über Lucas Cranach, 1814-1818 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 32 in: WuN I, Nr. 223. - Archival. Beschr. ebd. 513.

Beschreibung von Bildern der Dresdener Galerie 3 Doppelbll. im RNL 38 I H 41-45. Erstdr.: WuN I, Nr. 224. Ebd., S. 513 datiert auf 1814-18. Es ist auch eine andere Datierung zu überprüfen: R. besuchte die Dresdener Galerie unmittelbar vor Antritt seiner Italienreise im Jahre 1827.

Literarische Notizen 1814 -1817 Erstdr. nach Or. in RNL 38 I H 23-24 von 3 gebildeten Texteinheiten in WuN I (Nr. 19-21). Archival. Beschr.: ebd., 512. - Siehe dazu II, 181ff.

Aufzeichnungen zu den Paulinischen Briefen, 1815 (?) „um mir z. B. den Zusammenhang des Briefes an die Galater klar zu machen.“ (Erwähnt in R.s 1. autobiogr. Diktat von Okt. 1863 (SW 53/54, 29). - Bisher nicht bekannt geworden.

„Die Psalmen. Nach Art der Urgestalt verdeutscht. Mit einleitenden Bemerkungen. I-XXX“, August 1815. Erstdr. nach Or. im RNL 38 I A 47-106: WuN III, 126-213. Archival. Beschr. ebd., 636. Erwähnt in R.s 1. autobiogr. Diktat von Okt. 1863 (SW 53/54, 29): „Großes Vergnügen machte mir ein Versuch, die Psalmen aus dem Hebräischen zu übersetzen, rhythmisch, aber so eng an den Text anschließend wie möglich. Ich bemühte mich, den Gedankengang aufzufassen, den eigensten Gehalt jedes dieser merkwürdigen Ueberreste eines hohen Alterthums zu ergreifen. Das eine oder andere meinte ich auf einzelne Momente der Geschichte der Könige beziehen zu können.“

Aufzeichnung über die Einteilung der Künste „Geschichte der Metrik.“, 1815 Erstdr. nach Or. im RNL 38 II D: WuN III, 215f. Archival. Beschr. ebd. 644. Datierung ebd. S. 5: „1815“, S. 644: „1814-18“.

Doppelquartblatt mit Bemerkung über die Rückkehr Napoleons von Elba, 1815 38 I B 110, 111. Daraus Erstdr. von 110’: Kessel/1954, 280f. - Zweitdr. nach Or. u. d. T. Ideale Historie in WuN I, 233f., ohne Hinweis auf Erstdr. u. Varianten. Dort datiert auf 1816/1817. Daraus weitere Erstdrr. in WuN I verstreut u. d. T.: Dogmatik bei den Griechen (97), Bedeutung der Natur für die Philosophie der Griechen (97f.), Zergliedern der Begriffe (150f.), Napoleon nach der Rückkehr von Elba (258). - Archival. Beschr. ebd., 510. Datierung der Einzelstücke auf zwischen 1814 und 1818.

„Des Theokritos achtzehn ächte Edyllien“, 1815/16 Erstdr. nach Or. im RNL 38 II A 193-211: WuN III, 263-328. - Dazu R in seinem 1. autobiogr. Diktat vom Okt. 1863: „Ich versuchte mich hauptsächlich an Theokrit, den ich nur zur Hälfte als echt wollte gelten lassen; diese mir einleuchtenden Stücke übersetzte ich dann.“ (SW 53/54, 30). WuN II, S. 5 datiert 1816, ebd. S. 641: „1814-18“, ebd. archival. Beschr.

„Zu den Briefen an die Thessaloniker“, „Juny und July 1816“ Erstdr. nach Or. im RNL 38 I A 19-26: WuN III, 234-236. Archival. Beschr. ebd. 635.

„Zu dem Briefe an die Ephesier“, „August/September 1816“ Erstdr. nach Or. im RNL 38 I A 1-18: WuN III, 236-243. Archival. Beschr. ebd. 635.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Luther-Novelle, datiert 8. Sept. 1816 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I E 39-42: Keibel/1928, 223-231, Zweitdr: WuN III, 253-261. Archival. Beschr. ebd., 638.

Ein Predigtentwurf, um 1816 Erstdr. nach Or. im RNL: Pahlmann/1955, 489-505. Zweitdr.: WuN III/1973, 245-250. Archival. Beschr. ebd. 636.

Heft „Zu Platons Kriton Februar 1816“ Nach Schwarz/1923, 47, A. 1 u. 3 befand sich um 1922 im Besitz Selma v. Rankes, der Gattin FvRs, ein Bruchstück von R.s Übers. der Sophocleischen ‚Antigone‘ (s. o. ‚Blätter aus Schulpforta‘) sowie ein Heft R.s „Zu Platons Kriton Februar 1816“. Verschollen.

Philosphischer Aufsatz über physis/natura und Mensch und Natur, um 1816 Erstdr. nach Or. im RNL 38 E 35-38: Keibel/1928, 215-223, Zweitdr.: WuN III, 225-232: [Mensch und Natur]. Archival. Beschr. ebd., 638.

Das sogenannte Luther-Fragment von 1817 Erstdr./Tdr. aus RNL: Schweitzer in: DtG/Joachimsen VI, 311-399. Das ‚Fragment‘ wurde von seiner Erst-Hg.n aus vier eigh. Heften R.s im NL der SBB mit Auslassungen zusammengefügt: einem 18blättr. Doppelquartheft A, einem 8blättr. Oktavheft B, einem 30blättr. Oktavheft C, einem 7blättr. Quartheft D. Dabei wurden editorisch 116 Einzelstücke gebildet. - Unzutreffende Bezeichnung durch die Erst-Hg.n. - Mayer-Kulenkampff/(1943) 1951, 67 schlug stattdessen vor: „Tagebücher Rankes aus den Jahren 1816 und 1817 mit Vorarbeiten zu einer Lutherdarstellung“. Dazu auch Vierhaus: Soziale Welt/1957, 18, A. 41. - Schweitzer fügte ihrer Ed. 2 Beill. hinzu: Beil. I ‚Das Wesen des Gelehrten. Fichte 1806‘ (363-370), Beil. II [„Die Meinung, Völker eines gemeinsamen Stammes ...“] (370f.). zu I Zweitdr.. WuN I, 493-498. Zweitdr./Tdr. Heft A (RNL 38 I B 76-101): WuN I, Nr. 27, 28, [55!], 56, 57, 91, 132-134, 154, 157, 160, 161, 186, 187, 195, 196, 240, 241, 244 [nicht 144!], 494, [499!], 500, [501!], 502, [nicht 503!]. Darunter einige Stücke Erstdrr. - Fuchs gibt Datierungen der von ihm dem Heft entnommenen einzelnen Stücke auf 1816/1817. Archival. Beschr.: WuN I, 509f. - Weitere Editionsteile in WuN III, s. ebd. 637. Zweitdr./Tdr. Heft B (RNL 38 II A 298-304): WuN I, Nr. 22f., 60-63, 80-83, 188, 192f., 497. Weiteres in WuN III, s. ebd. S. 642. Zweitdr./Tdr. Heft C (RNL 38 I B 46-75): WuN I, Nr. 24-26, 58, 59, 64, 65, 86-90, 135-153, 190, 191, 194, 242, 245-248, 289-291. Darunter einige Stücke Erstdrr. - Fuchs gibt den von ihm dem Heft entnommenen einzelnen Stücken Datierungen von 1814 bis 1817. Archival. Beschr.: WuN I, 509. - Weitere Editionsteile in WuN III, s. ebd. 637. Zweitdr./Tdr. Heft D (RNL 38 I B 102-108): WuN I, Nr. 29, 30, 155, 159, 189. Bis auf Nr. 30 Erstdrr., von Fuchs datiert zwischen 1816 und 1817. Archival. Beschr.: WuN I, 510. Weitere Editionsteile in WuN III, s. ebd. 637. Rankes Lutherstudien finden sich im zweiten Teil von Heft C und in Heft D.

Theologisches Fragment, 1814-1818 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I E 17: Keibel/1928, 245-247. - Zweitdr. nach Or.: WuN I, 90, 111113 (Nr. 54, 84, 85). Die z. T. erheblichen Varianten zu Keibel sind dort nicht vermerkt. Archival. Beschr. u. Datierung ebd. 511.

Fragment über Luther, 1817 Erstdr. nach Or. im RNL 8 M 1-307: WuN III, 340-466. - Archival. Beschr. ebd. 631f. - In R.s 4. autobiogr. Diktat von Nov. 1885 heißt es: „Im Jahre 1817 habe ich wirklich den Versuch gemacht, Luther’s Geschichte in seiner Sprache zusammenfassend darzustellen.“ (SW 53/54, 59). Der genaue Zusammenhang mit den vor- und nachgenannten Positionen ist nicht bekannt.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Martin Luthers Evangelium, 1817 Unveröffentlicht. An diesem Werk schrieb R im Lutherjahr 1817 und wollte es „noch in demselben Jahre“ unter dem vorgenannten Titel erscheinen lassen (HR: Jugenderinnerungen/21886, 90).

Luther der fünfte Evangelist Abgebrochene Arbeit, Verbleib unbekannt. Siehe Helmolt/1921, 17 u. 167 m. A. 14. - Möglicherweise identisch mit mit dem Vorgenannten.

Notizen zu Livius, um 1817 (?) Erstdr. nach Or. im RNL 38 II A 350-353: Kessel/1954, 281. Dort datiert auf 1817. - Zweitdr. nach Or.: WuN I, 102f. ohne Hinweis auf Erstdr. u. Varianten. Dort datiert auf 1814-18. Archival. Beschr. ebd. 515.

Tagebuch einer Fußreise an den Rhein, Herbst 1817 Unveröffentlicht, im Or. verschollen, s. II, 173, 183, 191, 208 u. SW 53/54, 38.

Doppelblatt Goslar, 1817 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 39-40 in: WuN I, Nr. 225. Archival. Beschr. ebd. 513. - Das Bl. könnte in Beziehung stehen zu R.s Rheinreise.

Frankfurter Oberlehrerzeit 1818-1825 und spätere Zeit „Aus den Papieren eines Landpfarrers“, vermutlich Anfang 1818 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I E 18-27: Keibel/1928, 231-245. - Zweitdr.: WuN III, 471-483. Ebd., 637 archival. Beschr.

„Die Vorstellungen der Griechen, Römer und Deutschen von dem Ideal der Erziehung“ Schulrede vom 12. Okt. 1818 Siehe II/6.1.

Heft „Zur alten Geschichte“, 1818-1824 Erstr. (von Teilen) nach Or. im RNL 27 A: WuN I, 105-108, 504. Archival. Beschr. u. Datierung ebd., 507f.

Aus den Unterrichtsnotizen zur griechischen Geschichte, [Okt.] „1818 bis Mitte April 1819“ Erstdr. von Teilen nach Or. im RNL 29 D 1-215: WuN III, 505-542. Archival. Beschr. ebd., 632f.

Entwurf über die homerischen Epen, 1818- etwa 1822 Unveröffentlicht. Erwähnt im 2. autobiogr. Diktat, Mai 1869 (SW 53/54, 39).

Aus den Studien zur griechischen Literaturgeschichte,1819-1823 Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 29 H 7-115: WuN III, 546-561. Archival. Beschr. ebd., 634. Datierung dort 1819-1824, ebd. S. 6 „1818/19“.

Aus den Studien zur römischen Literaturgeschichte, „1819“. Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 29 H 7-115: WuN III, 561-575. Archival. Beschr. ebd., 634. Datierung dort 1819-1824, ebd. S. 6 „1818/19“.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Aus den Unterrichtsvorbereitungen zur mittelalterlichen Geschichte, Juni 1819 Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL: WuN III, 576-578. Archival. Beschr. ebd., 634f.

Gedichte, 1818-1824 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I E 28-34: WuN I, Nr. 31-40. Archival. Beschr. u. Datierung ebd., 511.

Notizblatt, 1818-1824 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I E 16: Keibel/1928, 245, A. 2. - Zweitdr. nach Or. (fehlerhaft. Ohne Varianten Keibels): WuN I, 155 (Nr. 162). Archival. Beschr. u. Datierung ebd. 511. - Nr. 292 siehe Politisches Fragment 1818-1825.

Politisches Fragment: Deutschland und Europa. 1818-1825 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I E 16: Keibel/1928, 244f. - Zweitdr. nach Or. ohne Varianten Keibels: WuN I, 263f. (Nr. 292). Archival. Beschr. u. Datierung: WuN I, 511. - Siehe auch den Voreintrag.

Blätter aus Vorarbeiten zum Erstlingswerk? Erstdr. nach Or. im RNL 33 G von Teilen: WuN I, 133 (Nr. 117, von Fuchs datiert 1860er Jahre); 239-240 (Nr. 256, von Fuchs datiert Mitte der 1830er Jahre); 331f. (Nr. 362, von Fuchs datiert nach 1845); 313-315 (Nr. 342, von Fuchs datiert nach 1839); 177-178 (Nr. 202, von Fuchs datiert 1830er Jahre); 231 (Nr. 238, von Fuchs datiert nach 1849). - Die vorgestellten Einzeldatierungen stehen in keinem plausiblen Zusammenhang mit der generellen Datierung des Heftes durch Fuchs auf 1818-24. - Archival. Beschr. WuN I, 508.

Balders und Hothers Kampf. Nach Saxo Grammaticus, 1818-24 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I E 12-15: WuN III, 604-608. Archival. Beschr. ebd. 637.

Dramenentwurf, 1819? Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 38 II A 294’: WuN III, 580f. Archival. Beschr. WuN I[!] 514.

Über Helden und Heldenverehrung, Rede vom 4. Okt 1821 Siehe II/6.1.

Notizen zur Geschichte Wiehes, um 1822 Erstdr. nach Or. im damaligen Ranke-Museum Wiehe: Böhme/1930 - Das Schriftstück ist „einem Notizbuche Leopolds entnommen“: Aufzeichnungen zur Geschichte Wiehes. Aus sprachlichen Gründen - „verkauften’s“, „verloren’s“, „bekommen’s“, „behalten’s“, aufdringliche umgangssprachliche Formen, die von R später völlig gemieden wurden -, ist es zumindest teilweise um 1822 oder früher anzusetzen.

Europa und Asien, um 1823 Aus Heft 33 E 1-74: Erstdr. nach Or. im RNL 33 L. 5: Schulin/1958, 308-310. - Zweitdr. nach Or.: WuN III, 597-602. Hier bezeichnet „ 33 E 3-4‘“ - Ebd. 635 archival. Beschr.

Heft „Literatur. Besonders Geschichtschreiber, angefangen am 13. November 1824“ über Relationen im allgemeinen und verschiedene Geschichtschreiber des 17. bis 19. Jh.s. Darunter von bes. forschungsgeschichtl. Bedeutung R.s Notiz über die ‚Informazioni politiche‘ genannte Slg. venezianischer Relationen u. Johannes v. Müller, aus dessen ‚Notiz und Auszug des ersten Theils der Informazioni politiche, eines Manuscripts auf der Kgl. Bibliothek zu Berlin‘, (1807, J. v. M.s SW VIII, 1810, 421-429) er den entscheidenden Hinweis auf die künftig von ihm favorisierte Quellengattung gewann. - Siehe dazu auch FuV I (II, 19ff.).

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften Heft mit 136 Bll., RNL 33 D: Beschr. u. Erstdr./Tdr. in: Oncken: Frühzeit/1922, 20f. mit Anm.Zweitdr. dieses Tdr.s: WuN I, 237. Archival. u. inhaltl. Beschr. ebd. 508. - Eine andere Passage (Erstdr.) bei Joachimsen: DtG I/1925, CXVsq., A. 62, ein Kurzzitat (Erstdr.) nebst Interpretation bei Requadt/1929, 181f.

„Über die Wechselwirkung zwischen Staat, Publicum, Lehrern und Schülern in Beziehung auf ein Gymnasium“, Rede vom 7. Okt. 1824 Siehe II/6.1.

Erste Berliner Jahre 1825-1827 Tagebuchblatt der Harzreise, Sept. 1825 Erstdr. aus dem RNL: Kretzschmar/1924, 169f. (Schilderung des Magdeburger Domes und des Grabmals Ottos d. Gr.). - Die spätere R-Forschung hat von dieser Veröffentlichung keine Kenntnis genommen. Auch hätte das Blatt in WuN I nach Nr. 225 einen Platz finden müssen.

Indisches Gedicht für Rahel Varnhagen, August 1826 Verschollen. Siehe Dank Rahels in Brief an R vom 15. 8. 26. In: Rahel. Ein Buch des Andenkens/1834, T. III, 243-245 u. Helmolt/1921, 31 u. 171 m. A. 52.

Verse Rankes für Rahel Varnhagen, 7. Juli 1827 Erstdr.: Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Briefe von Stägemann, Metternich, Heine und Bettina von Arnim/1865, 279f. Ebd., 280f.: Antwortverse Rahels vom 8. 7. 27.

Zwei Verszeilen eines Bettina-bezogenen Gedichts Rankes aus dem Jahre 1827 Erstdr.: Berdrow/21902, 341.

Prag, Wien, Italien 1827-1831 Dank an das K. u. K. Haus-, Hof- und Staatsarchiv, Wien Blatt, datiert: „Wien, 23. Sept. 1828“. Erstdr.: NBrr, 108, A. 2. Ohne Herkunftsnachweis.

Epigramm auf Heinrich Leos Kritik, 1828 (?) Erstdr. nach Or. im RNL: SW 53/54, 201, A. 1. - Bezieht sich auf: Manin, H. L. [d. i. Heinrich Leo: Bespr. GRGV u. ZKritik]/1828.

Italienische Reisenotizen. Drei Doppelquartbll., 20. Okt. - 2. Nov. 1828 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I G 1-6: WuN I, Nr. 226. Archival. Beschr. u. Datierung ebd., 511f.

Über Ludwig Tiecks Novelle ‚Dichterleben‘, Dez. 1828 Beil. zu R.s Brief an Varnhagen v. Ense, Dez. 1828. Erstdr.: Wiedemann: Briefe R.s/1895, 438. Zweitdr. mit Korr.: Helmolt/1921, 44. „Zur Manier der italienischen Poesie im 19. Jahrhundert“, um 1828 Erstdr./Tdr. Or. RNL l.II (Lage 6) mit Datierungsversuch: Baur/2003, 65.

Italienische Reisenotizen. Zwei Bogen, Okt.- Nov. 1829 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 33-36’: WuN I, Nr. 227 (212-216). Archival. Beschr. u. Datierung ebd. 513.

Italienische Verse. Doppelbl., 1829/1830 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I F: WuN I, Nr. 41 (67f.). Archival. Beschr. u. Datierung ebd., 511.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Anweisung zu einem kurzen Besuche Venedigs, entworfen für Joseph Maria von Radowitz, Rom, Januar 1830 Erstdr. nach Or.: Helmolt/1921, 47f. - Nach Borries/1923, 360 befindet bzw. befand sich das Schriftstück nicht in den damaligen Varnhagen-Papieren der SBB wie Helmolt angibt, sondern in den „Rankepapieren der Staatsbibliothek“.

„Heft über Mediceische Geschichte“, Mitte 1830 In Florenz wird R während eines dreimonatigen Aufenthalts vom Mai bis Juli 1830 das Mediceische Archiv geöffnet, wozu er ein eigenes „Heft über Mediceische Geschichte“ anlegt. Unveröff. (an Alfred v. Reumont, nach 29. 12. 73, nicht abgesandt, FvR V/1904, 61).

Blatt ‚Bologna‘, nach 17. Juli 1830 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 37, 38: WuN I, Nr. 228. Datierung u. archival. Beschr. ebd. 513.

1830er Jahre und erheblich später Siehe auch frühere Jahre

„Liberale Grundsätze“ 1830er Jahre ? Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 33 (8): Vierhaus, Soz. Welt/1957, 31, A. 36.

Aufzeichnung über „das geistige Leben einer Nation“ , Anfang der 1830er Jahre Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 38 II (5-e), S. 80, RNL: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 71, A. 49 (dort auch Datierungs-Vermutung); 228.

Blatt über Lucas Cranach, 1830er Jahre Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 27 in: WuN I, Nr. 230. - Archival. Beschr.ebd. 513. - Siehe auch oben 1814-1818.

Aufzeichnung über „gährungsvolle Zeitalter“, 1830er oder 1840er Jahre Erstdr./Tdr. nach Or. RNL 38 I (4): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 116, A. 4 mit Datierungsvermutung.

Bericht über seine Archivreise nach Wien und Italien, wohl von 1831 Erstattet dem preuß. Min. d. geistl., Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten Karl Frhr. vom Stein zum Altenstein. Unveröff., von R angekündigt in Brief an dens., 21. 12. 30 (Lenz IV/1910, 469).

Entwurf der Konzeption zur Historisch-politischen Zeitschrift, Nov.1831 Erstdr.: Varrentrapp, Rs HPZ/1907, 55-60.

Gutachtlicher Brief an den Verleger Friedrich Christoph Perthes vom 31. Jan. 1832 betr. die zu vergebende Autorenschaft für die ‚Österreichische Geschichte‘ im Rahmen der Heeren/Ukertschen ‚Staatengeschichte‘, mit kurzen Äußerungen über Joseph Chmel, F. B. v. Bucholtz und Johann Gf. Mailàth. - Erstdr. des Briefteils nach Or./Ausf.: Oncken/1925, 231f. Siehe auch II,323, 326.

„Thätigkeit des Geistes“ von etwa 1832 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I B (1-4) u. 38 I E (11-11r) [?]: Baur/1998, 159-162. - Ebd., 159, A. 1: „Es handelt sich … um ein Ur-Stück zu einem Ranke-Artikel aus der Historisch-Politischen Zeitschrift“, gemeint ist Rs Beitrag ‚Vom Einflusse der Theorie‘ (Ende der ‚Reflexionen‘, HPZ I,4/1832, 803-824).

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

„Italienische Flugschriften“ Mit R.s Beitrag „Auszüge aus italienischen Flugschriften“ (HPZ I/3, 1832, 455-481) in Zusammenhang stehender Text. Erstdr./Teildr. Or. RNL 4.I in Baur: Freiräume/2003, 74f.

„Preußischer Staat“, Mitte 1830er Jahre? Erstdr. nach Or. im RNL 38 II (5-f), S. 18ff.: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 247f. - Zweitdr. mit abweichender Sign. 38 II K 18-19 u. nicht vermerkten Varianten: WuN I, Nr. 270, S. 245f. Dort auch die obige Datierungsvermutung. Ebd. 516f. archival. Beschr. - Vierhaus (247): „vermutlich aus der Zeit der HPZ stammend“.

Über den modernen Staat, Mitte 1830er Jahre Erstdr. nach Or. im RNL 38 II (5-f): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 127, A. 50. - Zweitdr. nach Or. (mit abweichender Sign. 38 II K 20): WuN I, Stück 272, S. 247. Ohne Hinweis auf Vierhaus u. dessen Varianten. Ebd. 516f. archival. Beschr.

„Vergleichung der englischen und der französischen Revolution“, 1830er Jahre? Erstdr. nach Or. im RNL 35 (3): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 244-246. Dort auch Datierungsversuch.

Historie und Philosophie Erstdr. einer Vorl.einl. „in der Handschrift der dreißiger Jahre“ aus R.s NL: WG IX/2, VII-XI.

Heft „Betrachtungen“ [1831-1850] RNL 38 II J 1-90. - Druck von ca. 90 Texteinheiten dieses Hefts verstreut in: WuN I/1964, von dem zuvor 15 Einheiten in Erstdr/Tdr. von Dove in SW 53/54 (s. ‚Allgemeine Bemerkungen 1831-49’) und 3 Texteinheiten als Erstdr./Tdr. bei Vierhaus ediert worden waren. Nachweis der Erstdrr., archival. Beschr. u. Datierung: WuN I, 515f. - Dem Zweitdr. von 38 II J 37 (Stück 167, WuN I, 157), unter dem von Fuchs verliehenen Titel ‚Wissenschaft und Leben‘, fehlen Hinweise auf Erstdr. u. Lesarten bei Kessel/1954, 282f. - Siehe auch die folgenden zehn Eintragungen:

Die Schwarzen und die Roten, 1830er Jahre? (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr. nach Or. im RNL 38 II J 1: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 30, Zweitdr.: WuN I, 298.

Allgemeine Bemerkungen, 1831-49 (Bes. aus Heft „Betrachtungen“:) Unter dieser Bezeichnung hat Dove (SW 53/54, 569-574) Aufzeichnungen R.s mit den Themen ‚Überhaupt: historische Forschung - Philosophie der Geschichte - Beifall - Divina commedia - Goethe‘ in Erstdr. zusammengefaßt, welche ganz überwiegend aus Heft 38 II J 1-90, zu geringen Teilen aus 38 II K, 38 II L, 38 II M und 19 G, RNL herrühren. Sie wurden von Fuchs in Zweitdr. u. erhebl. erweitert in WuN I herausgegeben. Siehe Heft „Betrachtungen“ [1831-1850].

Die Excentrizität wirft sich in die Politik, um 1835 (?) (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr./Tdr. nach Or im RNL 38 II J 32: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 29f., A. 27. Zweitdr.: WuN I, 177.

„Umfang der Universalgeschichte. Verhältnis der Kritik“, 1830 oder 1840er Jahre (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr./Tdr. nach Or. aus RNL 38 II J: Kessel/1954, 286f. (zu Kessel/1954 s. II/2.1.4) - Zweitdr. nach Or., ohne Hinweis auf Erstdr. u. Varianten: WuN I, 238 u. d. T. „Aufgabe der Übung“.

„Auch die Natur wird Historie [...]“ (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr nach Or. im RNL aus „38/II (5-c S. 41)“: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 226, A. 30. Zweitdr. nach Or. im RNL 38 II J 52 (Sign.-Änderung) in WuN I, 239. Dort kein Hinweis auf Erstdr.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Über Karl Gutzkow, 1835 oder später (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr./Tdr. nach Or. im Welt/1957, 34, A. 45. - Vollst.: WuN I, 176f.

RNL 38 II J 31: Vierhaus: Soz.

Anmerkungen zu Portäts in Versailles, nach Aug. 1843 (Zu Heft „Betrachtungen“:) RNL 38 I G 7-15,. - Stellt in Erstdr. (WuN I, 226-228, Anm.) eine „teilweise erweiterte Abschr. von 38 II J 21-24“ dar. Archival. Beschr. ebd. 512.

Paris, 1843 (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 580f. - Zweitdr. mit Korr. nach Or. im RNL 38 II J 70. 71: WuN I, 320f.

Aufzeichnung der 1850er Jahre (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr nach Or. RNL 38 III (5-e, S. 65): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 55, A. 10. - Zweitdr. 38 II J 65 (Sign.-Änderung) WuN I, Nr. 263, S. 242 ohne Hinweis auf Erstdr.

„Honfleur, 10. Juli 1843“ (Aus Heft „Betrachtungen“:) Erstdr./Tdr. der Tgb.-Aufz. ‚Honfleur, 10. Juli 1843‘ mit Namenszug R.s in: Aus Sturm und Noth. Selbstschriften-Album des Deutschen Reiches. Im Auftrage der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger herausgegeben von der Verlagshandlung von Schorers Familienblatt zu Berlin, [ca. 1881], 14. - Zweitdr. nach Or. im RNL 38 II J 69 vollst.: WuN I, 68f. mit Varianten.

Heft „Historische Erläuterungen“, 1831-1870 RNL 38 II K 1-50. Erstdr./Tdr. Or. von ca. 58 Texteinheiten verstreut in: WuN I/1964, wovon zuvor ledigl. eine (Nr. 216) von Dove in SW 53/54, 573 und eine (Nr. 270) von Vierhaus: Soz. Welt/1957, 247f. ediert worden waren. - Archival. Beschr. u. Datierung: WuN I, 516.

Heft „England“, gestr., darüber „Fr[iedrich] II.“ Überwiegend Erstdr. nach Or. im RNL 38 II L (50 Bl.) verstreut in: WuN I/1964. Dort datiert auf 1831 bis 1840er Jahre (517). - Teile bereits von Dove in SW 53/54 gedruckt, so Nr. 344.

Verszeilen zum Tod des Vaters, 1836 Erstdr. nach Or. im damaligen Ranke-Museum Wiehe: Böhme/1930. Erstdr. einer familiengeschichtl. Darst. (in zwei unterschiedlichen Versionen vorhanden), von der Hand Gottlob Israel Ran(c)kes, des Vaters Leopolds, mit Lebensdaten seines Vaters, Johann Israel, und seiner selbst, bis 1834. Darunterstehend „wohl von Leopolds von Ranke Hand“ ein Sterbezeichen und neun Verszeilen. - Als Vf. kommt eher Leopolds Bruder Ernst, der sich als Gelegenheitsdichter betätigte, in Betracht. - R hat an der Beerdigung seiner Eltern nicht teilgenommen.

Heft zur preußischen und französischen Geschichte, nach 1835 Erstdr. nach Or. im RNL 19 G (von Teilen): WuN I, 181-185, 224f., 242, 390. Archival. Beschr. u. Datierung: ebd. 507. - WuN I, Nr. 210. Erstdr. Dove/SW 53/54, 573.

Zwei Quartblätter zu Heinrich Ritter, nach 1835 u. Anfang April 1837 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I D 19 u. 44: WuN I, Nr. 173f. Datierung u. archival. Beschr. ebd. 510.

Zwei Doppelquartblätter „Allgemeine Fragen“, nach 1835 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I D 57-60 WuN I, Nr. 172, S. 159f. Archival. Beschr. u. Datierung ebd. 511.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Vier Doppelquartblätter „Von dem wesentlichen Unterschiede zwischen dem deutschen und dem französischen Staate“, nach 1835 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I D 68-70 WuN I, Nr. 273, S. 249f. Archival. Beschr. u. Datierung ebd. 511.

Der Hof zu Weimar, September 1837 Erstdr. einer fragmentar. Tgb.-Aufz. Rankes nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 574-578. Darauf beruhender Zweitdr.: WuN I, 291-295.

Das Frankfurter Manuskript von [1836/], 1837 Erstbehandlung nach Or. im RNL: DtG/Joachimsen VI/1926, 401-469. - Nach Joachimsen handelt es sich bei diesem in den Archiven zu Ffm. u. Bln. zusammengebrachten unvollst. Ms. R.s um „163 gezählte Lagen von wechselnder Blattzahl, umfassend die Zeit von dem Wormser Reichstag von 1495 bis zu dem Augsburger von 1550/51 ... Es würde sich nun nicht lohnen, das Manuskript auch nur teilweise abzudrucken, dazu ist es zu stark im Zustand des Entwurfs und der Aktenauszüge stecken geblieben. Ich versuche also durch eine ausführliche Inhaltsangabe mit wörtlicher Anführung der wichtigsten Stellen eine Vorstellung von der Bedeutung zu geben, die das Manuskript für die Entstehungsgeschichte der Reformation hat.“ (VI, 403).

Über einige noch unbenutzte Sammlungen deutscher Reichstagsakten 1838 Erstdr. nach unvollst. Or. einer „druckfertig gemachten Reinschrift“ im RNL: DtG/Joachimsen VI/1926, 471-487. Zur Entstehungsgeschichte u. Bedeutung ebd. I/1925, p. XXXIsq. - Joachimsen hat den Zush. mit R.s Akademie-Lesung vom 1. 2. 38 nicht erkannt.

Gutachten über die Dissertation Heinrich von Sybels, Anfang 1838 Siehe II, 323.

1840er Jahre und später Siehe auch frühere Jahre

Friedrich Wilhelm III., 19. Jan. 1840 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 578. - Zweitdr. mit Korr. nach Or. im RNL 38 II K 45: WuN I, 315f. - Die dort abgespaltene Pos. 344 „gedr. mit kleinen Fehlern SW 53/54, 578“ weist gleichwohl in WuN I, 316 keine Veränderung gegenüber dem Erstdr. auf.

Notiz über die Staatswohlfahrt, 1840er Jahre (?) Erstdr. nach Or. im RNL: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 33, A. 41. Ohne Signatur-Angabe.

Heft „Frankreich“ Teilw. Erstdr. nach Or. im RNL 38 II M (45 Bl.) verstreut in: WuN I/1964. Dort datiert auf 1841 bis nach 1855. - Teile bereits von Dove in SW 53/54 gedruckt, so Nr. 345 u. 383. - Archival. Beschr. WuN I, 517f. Siehe auch die folgende Eintragung:

Unterredung mit Thiers, 1841 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 578-580. - Zweitdr. mit Korr. nach Or. im RNL 38 II M 20’-22: WuN I, 316-318. Dort datiert nach 17. Aug. 1841. - Siehe auch das Gespräch von 1870 (II, 492) u. die Tgb.-Aufz. von 1877 (II, 230).

Doppelblatt Bildbeschreibungen von der Reise nach Holland und Belgien, Sept 1841 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 46-47: WuN I, Nr. 232f. Datierung u. archival. Beschr. ebd. 513.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Sitzungsprotokolle der Philosophischen Fakultät der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin, vom 28. Mai und 11. Juni 1842 Eighd. von R geschrieben in seiner Eigenschaft als Dekan. Erstdr./Tdr. aus den Universitätsakten: NBrr, 288, A. 1.

Ehevertrag Rankes von 1843 Erstdr.: Bäcker/1955, Anm.-Band, 72-75.

Gutachten über die politischen Testamente Friedrichs des Großen, Ende 1843 Erstdr. (mit Auslassungen): SW 53/54, 667-670. Siehe unter II,325.

Materialien zur Vorrede und Einleitung der ‚Neun Bücher preußischer Geschichte‘, Mitte der 1840er Jahre Einige Zitate, Or. im RNL, in Joachimsens ‚Bericht über den Nachlaß‘ in: PreußG/Küntzel/III/1930, 482f., 484.

„Stücke eines Manuskripts, das, vielleicht als Vorlesung, die ganze preußische Geschichte bis in die Gegenwart behandeln sollte“ (Joachimsen), 1840er Jahre (?) Einige Zitate aus dem Beginn in Joachimsens ‚Bericht über den Nachlaß‘ in: PreußG/Küntzel/III/1930, 483f.

Entwürfe zu einer Vorrede bzw. zur Konzeption der Analekten von Bd. VI der ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, vor 1847 Erstdr. aus R.s NL: in der Einl. d. Hg.s P. Joachimsen zu Bd. VI seiner Ausg. der DtG/1926, 3-5.

Über die Presse und über einen Vergleich Frankreich-Preußen-England, wahrscheinl. noch vor 1848 Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 38 I (4-e): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 248f. Dort auch Datierungsvermutung. - Die Aufzeichnung könnte auch in Zusammenhang mit einer Vorl. R.s stehen (Vielleicht zu schließen aus der Formulierung „Für uns würde also nothwendig seyn, die Fragen geradezu zu ergreifen, welche die wichtigsten sind...“, ebd., 249).

Notiz „Eigenthum“, um 1848? Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 38 I (5), i. Zush. mit Bemerkungen zu Schriften von Guizot, Thiers u. Barante: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 88, A. 15.

Notiz „Die Welt liebt den Widerspruch...“, 1848 oder früher Erstdr. nach Or. im RNL 38 I (?): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 35, A. 51.

Tagebuchblatt, „März 1848“ Erstdr./Tdr. des damals in R.s NL befindlichen Or.s: FvR I/1904, 87. - Der kurze Passus scheint in der Tagebuchblätter-Sammlung von WuN I zu fehlen.

Aufzeichnung über den Unterschied zwischen liberalen und revolutionären Tendenzen, nach 1848 Erstdr. nach Or. im RNL 35 (3): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 244. Dort auch Datierungsversuch.

Politische Denkschriften aus den Jahren 1848-1851 Bestimmt für Kg. Friedrich Wilhelm IV., gerichtet an seinen Flügeladjutanten Edwin Freiherrn von Manteuffel. Erstdr. SW 49/50, 585-623. - Es handelt sich um acht Denkschriften aus einer damals in Rankes Nachlaß befindlichen Abschr. Siehe II/4.2.2.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

1850er Jahre und später Siehe auch frühere Jahre

„Comm[ission] der zweiten Kammer“, datiert „21. Febr. 52“ Erstdr. einer Aufz. R.s aus RNL 37: Vierhaus: Presse/1957, 564-567, die nach V. in keinem ersichtlichen Zusammenhang mit anderen steht. - Bezieht sich auf Verhh. d. Zweiten Kammer d. Preuß. Abgeordnetenhauses und die Frage einer Besteuerung und Zensur der Presse. Das Dok. hat keinen Tagebuchcharakter („Man verzeihe mir ...“), kann vielmehr als Entw. einer Rede, eines Zeitungsartikels, allenfalls eines Gutachtens aufgefaßt werden.

Tagebuchblätter, etwa 1850-1880 Überwiegend polit.-zeitgesch. Inhalts. Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 75-111 von 21 Texteinheiten: WuN I. - Archival. Beschr. ebd., S. 513f. - Nr. 391 zuvor SW 53/54, 581-583; s. u. ‚Audienz in Laeken, 23. September 1853‘.

Audienz in Laeken, 23. September 1853 (Aus den vorgenannten Tagebuchblättern:) Erstdr./Tdr. nach Or im RNL einer Tgbaufz.: SW 53/54, 581-583. - Zweitdr. mit Korr. nach dem nur noch teilw. vorh. Or. im RNL 38 I H 83 f.: WuN I, 358-360.

Promemoria Rankes vom 13. Juni 1854 Siehe II, 342.

Vorträge vor König Maximilian II. von Bayern „Über die s. g. ‚leitenden Ideen‘ in der Geschichte“, Berchtesgaden, Sept./Okt 1854 Erstdr. einer redigierten, gekürzten Fassung unter dem nicht authentischen Titel „Über die Epochen der neueren Geschichte“ durch Dove in WG IX/2, 1-238. - Gescheiterter Versuch einer histor.-krit. Ed. durch Schieder/Berding in: WuN II/1971. Dazu Henz/2009 (s. II, 185) u. Besprr. von Markner/2009 u. Seibt/2010.

Zu Schellings Brief an Kg. Maximilian II. v. B. (17. 12. 53), nach Sept./Okt. 1854 Erstdr. nach Or. im RNL 38 I D 55-56: WuN I, Nr. 179. Datierung dort „nach 1853“. Archival. Beschr. ebd. 510f. Aus den Kabinettsakten Maximilians II. (GHAM) läßt sich präzisieren: Nach Sept./Okt 1854. (Bei Gelegenheit seiner Vorträge wurde R der Brief Schellings ausgehändigt.)

Einige Bemerkungen über die Annalen des Einhard, 1854 bis erheblich später Aus dem NL erweiterter Zweitdr. (Siehe II, 426) SW 51/52, 95-116; „Nachträgliche Bemerkungen“ R.s aus dem NL. Erstdr.: SW 51/52, 117-120; „Aus dem Handexemplar“, Randbemerkungen R.s, Erstdr.: SW 51/52, 121; „Anhang. Über die Vita Karoli des Einhard“ Aufsatz R.s aus dem NL, Erstdr.: SW 51/52, 121-124. „2. Über die Annalen des Lambertus von Hersfeld“ aus dem NL erweiterter Zweitdr. in: SW 51/52, 124-149. Zum Erstdr. s. II, 430.

Politische Denkschrift aus der Zeit des Krimkrieges (Mitte December 1854) Es handelt sich um eine Denkschrift R.s über die Frage eines preuß. Beitritts zu dem am 2. 12. 54 in Wien zwischen Österreich, Frankreich und England geschlossenen Bündnis, Kg. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen vorgetragen am 13. 12. 54. - Siehe II, 343.

Einsicht in die Starhembergschen Berichte, 1850er Jahre Diktat R.s betr. die von ihm gewünschte Einsicht in die Berichte d. kaiserl. Gesandten in Paris, Georg Gf. Starhemberg, aus dem Jahre 1756 mit Bezug auf das österr./franz. Bündnis von Versailles, befindl. im Wiener StA. Diktat aufgenommen von O. Lorenz, zu dieser Zeit Bediensteter des Archivs. Veröffentlicht: Lorenz II/1891, 48, A. 1. - R wurde die Einsichtnahme in die dortigen Berichte des Grafen verweigert. Dazu: Arneth/1892, 234f. u. Arneth II/1893, 148f.

- 224 -

II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Gutachten betr. die Vergabe des Verdunpreises, 1858 Siehe II, 329.

1859, 1860er Jahre und später Siehe auch frühere Jahre

Heft, begonnen 10. Mai 1859 RNL 38/I (9). - Enthält nach Vierhaus: Soz. Welt/1957, 51, A. 34 Aufzeichnungen der Jahre 1859-1863.

Gutachten betr. die Nachfolge Friedrich von Raumers Gutachten bzw. Eingabe der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Univ. Berlin betr. die Nachfolge Friedrich v. Raumers, 18. 6. 59. Siehe II, 329.

Entwurf zu einer Akademie für deutsche Geschichte unterbreitet Kg. Maximilian II. v. B., Berchtesgaden, 27. 9. 59. Siehe II, 329f.

Entwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift unterbreitet Kg. Maximilian II. v. B., Berchtesgaden, 27. 9. 59. Siehe II, 330.

Über ein Denkmal Friedrich Wilhelms III. A. Vorschläge (Herbst 1859) Erstdr.: SW 53/54, 687-691. Die zugehörige „B. Betrachtung“ findet sich unter 1863. Siehe auch II, 330.

Notizbuch Erstdr. von Teilen nach Or. im RNL 38 II N (25 Bll.) verstreut in: WuN I/1964, Nr. 407-410, 412-427, 429-437, 439, 452. Dort datiert auf 1859-76 (518). Archival. Beschr. ebd. 518. Siehe auch die drei folgenden Eintragungen sowie ‚Sitzung des Instituts‘ von 1862 u. ‚Preußischer Verfassungskonflikt‘, nach 19. März 1863.

Begräbnis Alexander von Humboldts, 10. Mai 1859 (Aus dem vorgen. Notizbuch:) Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 583. - Zweitdr. nach Or. im RNL 38 II N 1: WuN I, 372f.

Briefe von Alexander von Humboldt, März 1860 (Aus dem vorgen. Notizbuch:) Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s (anl. d Ausg. ‚Alexander von Humboldt. Briefwechsel mit Varnhagen, Lpz. 1860) nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 583f. Dort zus. mit einer Aufzeichnung zum Begräbnis Humboldts, 1859. - Zweitdr. nach Or. im RNL 38 II N 5: WuN I, 377.

„Tagebuch v. Varnh“[agen], 1861 oder später Erstdr. nach Or. im RNL 38/II: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 29, A. 27. - Zweitdr. nach Or. im RNL 38 II N 10’ mit kleinen Varianten, jedoch ohne Hinweis auf Erstdr.: WuN I, 379. Die Aufzeichnung bezieht sich auf: Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense. 14 Bände, Lpz., später Hmbg. 1861-1870 (ND Bern 1972).

Aufzeichnungen von Anfang der 1860er Jahre Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 38 II (5-i): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 29, A. 24 u. 93f., A. 30. Zitatbeginn: „Die Productiven Zeitalter sind die der Gegensätze.“ Teile auch in: WuN I, 378.

Satzungsentwurf für eine Akademie für deutsche Sprache und Schrift München, 6. 10. 60. Siehe II, 331.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Audienz beim Prinzregenten, 1860 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. im NL: SW 53/54, S. 584. - Zweitdr.: WuN I, 376. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe auch II/484f.

Idee einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache, 1861 B. Entwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift (Berchtesgaden, 18. u. 19. October 1861). Erstdr.: SW 53/54, 705-707. - A. Eingabe an den Fürsten Bismarck s. 1871. Siehe auch 1859 u. II, 334. u. II/6.5.1.

Entwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift, 1861 Kg. Maximilian II. v. B. unterbreitet in Berchtesgaden, 18. u. 19. 10. 61 (s. o.).

„Sitzung des Instituts [der Académie française], 3. Juli [1862]“ (Aus dem o. g.. Notizbuch:) Erstdr./Tdr. aus RNL 38 II (5-i), S. 35: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 126. Vollständiger: WuN I, 386. Dort Datierung u. Komm. Abweichende Sign.: „38 II N 18“.

Denkschrift über die Stein und Hardenberg zu errichtenden Denkmäler, 6. 7. 1862 Siehe II, 331.

Rede zur Eröffnung der IV. Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 4. Okt. 1862 Erstdr.: SW 51/52, 496-500. - Siehe II/6.5.2.

„Ein Moment der Zeit. Vortrag gehalten vor Sr. M. dem Könige [Maximilian II. von Bayern] in Hohenschwangau October 1862“ Erstdr.: v. Müller/1935, 312-327. - Siehe II, 487.

Satzungsentwurf zu einer „Maximilianeischen Akademie für deutsche Geschichte“ 20. 10. 62. Siehe II, 332.

Heft „Allgemeine Ansicht der Politik 1862-63“, vor 24. Febr. 1863 Von R erwähnt in Aufz. über preuß. Verfassungskonflikt (s. u.): „Allgemeine Ansicht der Politik 1862-63 - in einem besonderen Heft, das dem König von Bayern vorgelegt wurde und zur Grundlage eines Vortrages bei dem Kronprinzen von Preußen diente (24. Febr. 63)“ (WuN I, 386). Nach Fuchs (ebd. 386, A. 3) weder im RNL noch im GHAM vorhanden.

Über ein Denkmal Friedrich Wilhelms III. B. Betrachtung. (Am Tage der Grundsteinlegung, 17. März 1863) Erstdr.: SW 53/54, 691-695. - Zu den „Vorschlägen“ von Herbst 1859 siehe dort und unter II, 330. - Siehe auch WuN I, 387.

Preußischer Verfassungskonflikt, nach 19. März 1863 Erstdr. nach Or. in RNL 38 II N 19, 19’: WuN I, 386f. - Siehe II, 344.

Rede zur Eröffnung der V. Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften am 3. Okt. 1863 Erstdr.: SW 51/52, 501–506. - Siehe II, 440.

Autobiographisches Diktat vom Oktober 1863 Ausführlich über seine Schul- und Studienzeit. - Erstdr. aus R.s NL: Dove: Aus Leopold von Ranke’s Lebenserinnerungen/1887, 38-61. - Zweitdr.: SW 53/54, 3-32. - Zu einem vermutl. Einschub: Henz/1968, 47-51.

- 226 -

II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Rede zur Eröffnung der VI. Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 28. Sept. 1864 Erstdr.: SW 51/52, 501-506. - Siehe II, 440.

Text einer Vorlesungseinleitung in „eigenhändiger Fassung aus den sechziger Jahren“ zum Thema ‚Universalhistorie‘. - Erstdr. aus R.s NL durch Dove in WG IX/2, p. XIII-XVI. (Oder zum SS 1848?)

Rede zur Eröffnung der VII. Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 27. Sept.1865 Erstdr.: SW 51/52, 517-521. - Siehe II, 441.

Gutachten als Korreferent zu Alfred Doves Dissertation ‚De Sardinia insula ..., Berlin 1866 (Dez. 1865?) Erstdr. nach Or. im Archiv der Humboldt-Univ., Berlin, Phil. Fak. 241 Bl. 229: StadlerLabhart/2008, auf S. 35 transkribiert; auf Umschlagseite 4 als Abb.

„1866“ Erstdr./Tdr. eines „losen Zettels“ mit Aufz. über den Gasteiner Vertrag. Nach Or. im RNL „38/I (9-v)“: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 26, A. 16. - Zweitdr. vollst. nach Or. im RNL 38 I H 65-66 (gehört lt. Fuchs in WuN I, 513 zu 38 II N 26ff.): WuN I 391-393. Ebd. Erstdr. nicht erwähnt. Siehe auch II, 344.

Idee einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache, 1867 C. Entwurf zu Statuten für eine deutsche Akademie (Wilhelmsthal, September 1867). Erstdr.: SW 53/54, 707-711. Siehe II, 344; A. Eingabe an den Fürsten Bismarck s. u. 1871. - B. Entwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift. Siehe unter 1861 u. 1871.

Rede zur Eröffnung der VIII. Plenarversammlung am 2. Oct. 1867 Erstdr. aus R.s NL: SW 51/52 (1888), 522-534. Siehe II, 441.

Autobiographisches Diktat vom Mai 1869 Über seine Oberlehrertätigkeit am Gymnasium in Frankfurt/Oder, 1818-1825. - Erstdr. aus R.s NL: SW 53/54, 33-44.

Widmung in ein Exemplar ‚Geschichte Wallensteins‘ für Pauline v. Dollmann, in oder nach 1869, dem Jahr des Erscheinens. Erstdr.: NBrr, 526, A. 1. Über sie R in Brief an CvR, 13. 10. 67 (SW 53/54, 478) und an Amalie Helferich, 11. 3. 70 (ebd. 490f.).

1870er Jahre und später Siehe auch frühere Jahre

Anschreiben der Historischen Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften an Kg. Ludwig II., Anfang Okt. 1870 Erstdr. eines Entwurfs R.s in seiner Eigenschaft als Präsident: SW 51/52, 565f.

Rede zur Eröffnung der XI. Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der Bayer. Akademie der Wissenschaften, 1. Okt. 1870 Erstdr.: SW 51/52, 554-564. - Siehe II, 442.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Begegnung mit Thiers in Wien, 9. und 11. Okt. 1870 [A. Tagebuchaufzeichnung] Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 584-592. Dort irrtüml. auf Nov. datiert. - Zweitdr. mit korr. Datierung: WuN I, 398-407. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. Siehe II, 345, 492 ferner Sickel: Röm. Erinnerungen/1947, 133ff., Schweinitz: Denkwürdigkeiten des Botschafters General v. Schweinitz I/[1927], 279. [B.] Resumee Resumee [der Niederschrift des Gesprächs mit Adolphe Thiers, verfaßt vor dem 18. Okt. 1870]. Erstdr.: Stolze/1922. [C. Konzept] [Fragment vom Konzept des Berichtes an Kg. Wilhelm]. Erstdr. nach Or. im RNL 38 I H 28-29’: WuN I, 405f., A. a. - Siehe Stolze/1922.

Heft „Literatur über die neuere Geschichte seit dem Tode Friedrichs d. Gr.“, nach 1870. Erstdr./Tdr. RNL 35 (15) („vermutlich von Wiedemanns Hand“): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 246f. Dort auch Datierungsversuch.

Bunsen, März 1871 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 592-594. - Zweitdr.: WuN I, 410f. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. Veranlaßt durch die Lektüre von ‚Christian Carl Josias Freiherr von Bunsen. Aus seinen Briefen und nach eigener Erinnerung geschildert von seiner Witwe‘ [Frances von Bunsen]. Dt. Ausg., durch neue Mitteilungen vermehrt von Friedrich Nippold, Bd. III: England und Deutschland, Lpz., 1871.

Idee einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache, Juni 1871 A. Eingabe an den Fürsten Bismarck (Bln., 6. 6. 71). Erstdr.: SW 53/54, 696-705. - B. Entw. zu einer Akad. f. dt. Sprache u. Schrift, siehe unter 1861[!]. - C. Entw. zu Statuten für eine dt. Akad., siehe unter 1867. Erstdr.: SW 53/54, 707-711. - Siehe unter II, 334.

Besuch der Heimath, Juli und August 1872 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 594-596. - Zweitdr.: WuN I, 6972. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Sylvesterbetrachtung, 1872 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 597. - Zweitdr.: WuN I, 412f. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Friedrich Wilhelm IV. und Napoleon III., 15. April 1873 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 598f. - Zweitdr.: WuN I, 414f. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Besuch von Minghetti, 26. September 1873 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 599f. - Zweitdr.: WuN I, 415f. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe auch II, 496.

„Berl. 28. Dec. 1873 dictirt an Ernst Ranke Grundzüge meines letzten Willens“ Erstdr.: Bäcker/1955, Anm.-Bd., 79-83. - Siehe II, 209 NL Maximiliane v. Kotze, geb. Ranke.

Neujahr 1874 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 600. - Zweitdr.: WuN I, 416f. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe auch II, 497.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Kirchenstreit 18. August 1874 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 601-603. - Zweitdr.: WuN I, 417-420. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

[Kirchenstreit] 7. März 1875 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 603f. - Zweitdr.: WuN I, 422f. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

„Über das Alter“ vom Sommer 1875 Erstdr einer Aufz. R.s.. aus dem „Tagebuche meines Vaters“ in: [Ranke, Otto von:] Die letzten Lebenstage Leopold von Ranke’s. In: [Ranke, Otto v.:] Zu Leopold von Ranke’s Heimgang/1886, 5-18, hier 17. - Zweitdr.: SW 53/54, 604; Drittdr.: WuN I, 73. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Erinnerung an den Schwager Schmidt, November 1875 Tgb.-Aufz. R.s anl. d. Todes seines Schwagers Heinrich Schmidt, die auch allgemeinere autobiogr. Züge trägt. - Erstdr. nach Or. in R.s NL: SW 53/54, 605-608. - Zweitdr.: WuN I, 73-77. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Briefe R.s an Rosalie u. H. Sch.: Henz/1972, 292-300.

Autobiographisches Diktat vom Dez. 1875 Die Darst. reicht von der Geburt R.s bis zum Jahre 1873, wobei R bestrebt ist, „die großen Begebenheiten mit seinem Leben in Verbindung zu bringen“. - Erstdr. aus R. NL: SW 53/54, 4555, Zitat: 45). R äußert sich hierin verhältnismäßig ausführlich über Friedrich Wilhelm IV.

Tod des Bruders Ferdinand, 1876 Tgb.-Aufz. R.s vom 1. 4. 76 anl. des Todes (29. 3. 76) seines Bruders Ferdinand. - Erstdr. nach Or. in R.s NL: SW 53/54, 608-610. - Zweitdr.: WuN I, 77-79. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Zwiegespräch Birnbaum/Kastanie, 1876 Erstdr. eines Diktats R.s vom 28. 7. 76 aus seinem NL: Dove/Erinnerungen/1895, 873. Zweitdr.: Dove: Schriftchen/1898, 229-230. - Drittdr.: Beyer/1936.

Pertz, October 1876 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 610-613. - Zweitdr.: WuN I, 426-429. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Über Universalhistorie. - Ursprung der Universalhistorie. Herders ‚Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit‘, 1877 Erstdr. dieser drei Stücke (Titel hier aus dem Engl. rückübersetzt) in engl. Übers nach Or. RNL, Fasz. 27, Kasten IV, Lage 2 u. 3: Liebel: Ranke’s fragments on universal history/1973, 154-157. Weiteres aus diesem Fasz. mit Randbemerkungen R.s von 1886 v. a. betr. „Ursprung und Art der Menschen“ im Hinblick auf Werke von Ferdinand Hitzig (1807-1875) u. Oskar Peschel (18261875) bei Liebel-Weckowicz: Ranke und Darwin/1988, 99-101, 103f., 106-111. - L.-W. beschreibt das Ms. wie folgt: „Die ersten fünf Kapitel behandeln insgesamt die Grundidee der Universalgeschichte...Vor allem im vierten Kapitel werden Fragen, wie sie vom Darwinismus aufgeworfen worden waren, besprochen ...“ (99). - Aus Fasz. 27, 2 (‚Ursprung der Universalhistorie‘) zuvor ein Satz (dt.) bei Kemiläinen/1968, 31, A. 3. Dort auch die Bemerkung K.s: „Diese Schrift trägt den Titel ‚Universalhistorie überhaupt (meist aus der alten Vorlesung)‘. Diese Papiere befinden sich als maschinengeschriebene Kopie im Tübinger Katalog des Nachlasses. Die Handschrift scheint ein Diktat zu sein.)“ (Ebd.). - Ein weiterer zitierter Satz bei Kemiläinen (aus ‚Herders Ideen...‘) ebd., 32, A. 5, zwei weitere Sätze (aus ‚Über Universalhistorie‘) ebd., 41, A 1.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Betrachtung, Januar 1877 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 613. - Zweitdr.: WuN I, 79f. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Darin v. a. „Der Historiker muß alt werden...“

Thiers, September 1877 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s aus Anlaß des Todes von Thiers, nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 614-618. - Zweitdr.: WuN I, 433-438. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Zur Geschichte der italienischen Kunst, Nachträge Der 1878 von R veröffentlichte Aufsatz wurde posthum in SW 51/52, 245-314 wiederholt und mit einer Reihe von ungedr. Nachträgen versehen: „Anhang. Zur Geschichte der italienischen Malerei nach den in der Dresdner Gemäldegallerie und den zu Prag befindlichen Bildwerken.“ Erstdr. SW 51/52, 315-328. - In einer größeren Anm. auf 315-317 behandeln die Hgg. ein im NL befindl. weiteres Ms. R.s zur Gesch. der italienischen Kunst.

Nach dem Nobiling’schen Mordversuch, 1878 Eine Aufzeichnung vom 2. 6. 78 aus dem NL R.s mitgeteilt in: SW 53/54, 618-620. - Zweitdr. WuN I, 439-441 mit der Bemerkung „Vorlage verschollen“. Siehe II, 346, 500.

Begegnung mit Kaiserin Augusta, 16. Juni 1878 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 620f. - Zweitdr.: WuN I, 441442. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe auch Brief an Maximiliane v. Kotze, 30. 7. 78, NBrr 661f.

Berliner Congreß, 1878 Tgb.-Aufz. R.s vom 28. 6. u. 2. 7. 78. Erstdr. nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 621-623. Zweitdr.: WuN I, 442-445. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Politischer Rückblick, Anfang Juli 1878 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 624-627. - Zweitdr.: WuN I, 445-448. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Diktate zur ‚Weltgeschichte‘ in fünf Quartbänden (RNL 28 L. 3-7) „Das historische Leben des menschlichen Geschlechtes. Entwurf einer allgemeinen Geschichte“. - „24. Okt. 1878“. Erstdr. nach Or. im RNL 28 L. 3: Schulin/1958, 318.

„Im Allgemeinen“ Erstdr. nach Or. eines mit den Anfängen der Arbeit an der WG in Zusammenhang stehenden Diktats R.s mit dem Titel „Im Allgemeinen“: Freitag/1966, 255f. (RNL „Fasc. 28 L. 3 Bl. 73f.“), entnommen einem von fünf kleineren ‚Quartbändchen‘ („Fasc. 28 L. 3-7“), Beschreibung ebd. 58-65. - Zweitdr. einiger Sätze: Kemiläinen/1968, 32f., A 5.

Zur Tradition und Chronologie Erstdr. nach Or. eines mit den Anfängen der Arbeit an der WG in Zusammenhang stehenden Diktats R.s: Freitag/1966, 256-258 (RNL „Fasc. 28 L. 4“), entnommen einem von fünf kleineren ‚Quartbändchen‘ („Fasc. 28 L. 3-7“), Beschreibung ebd. 58-65.

Begründung der Monarchie. Vorläufige Ansicht, „12. Juni 79“ Erstdr. nach Or. eines mit den Anfängen der Arbeit an der WG in Zusammenhang stehenden Diktats R.s: Freitag/1966, 258-260 (RNL „Fasc. 28 L. 7“), entnommen einem von fünf kleineren ‚Quartbändchen‘ („Fasc. 28 L. 3-7“), Beschreibung ebd. 58-65.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Diktate zur ‚Weltgeschichte‘ in vier Foliobänden (RNL 27 L. 6-9) [Religion und Staat] „9. 9. 79“ Erstdr. nach Or. eines mit den Anfängen der Arbeit an der WG in Zusammenhang stehenden Diktats R.s: Freitag/1966, 260-261 (RNL „Fasc. 27 L. 8 Bl. 2f.“), entnommen einem von vier ‚Foliobänden‘, Beschreibung ebd. 58-65.

„Zur allgemeinen Schilderung“ Erstdr. nach Or. eines mit den Anfängen der Arbeit an der WG in Zusammenhang stehenden Diktats R.s: Freitag/1966, 261f. (RNL „Fasc. 27 L. 8 Bl. 271f.“), entnommen einem von vier ‚Foliobänden‘, Beschr. ebd. 58-65.

Eine ungedruckte Replik, Ende 1878 oder Anfang 1879 Erstdr.: Hinneberg: Ungedr. Replik/1892. - R.s Amanuensis H. teilt eine in R.s Handexemplar der SW eingetragene „Privatkritik“ mit (133f.), die sich gegen M. Dunckers im Zusammenhang mit HARD verfaßte drei Aufsätze in den PrJbb 39, 41 u. 42 von 1877 u. 1878 richtet (s. I, 328ff).

Roon, 26. Februar 1879 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s anl. der Beerdigung Albrecht v. Roons nach Or. in R.s NL: SW 53/54, 627f. - Zweitdr.: WuN I, 452f. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe auch II, 489.

Nihilismus, 28. April 1879 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 628-630. - Zweitdr.: WuN I, 453-455. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Die Bonapartes, Juni 1879 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s anläßl. des Todes Louis Napoléons, nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 630-632. - Zweitdr.: WuN I, 455-457. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Politischer Umschwung, 3. Juli 1879 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s Bismarck betreffend, nach Or. in seinem NL: SW 53/54, S. 632. Zweitdr.: WuN I, 457f. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Hertha v. Manteuffel, 15. November 1879, mittags Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s anl. der Bestattung H. v. M.s, der Gattin Edwin v. M.s, nach Or. in R.s NL: SW 53/54, 633-636. - Zweitdr.: WuN I, 463-466. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Elsaß, 2. December 1879 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 636-638. - Zweitdr.: WuN I, 467f. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen, befindet sich jedoch im NL Sybel des GStA PK.

1880er Jahre Siehe auch frühere Jahre

Gentz, 17. März 1880 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s anl. der Schrift von August Fournier: Gentz und Cobenzl. Geschichte der österreichischen Diplomatie in den Jahren 1801-1805, Wien 1880, nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 638f. - Zweitdr.: WuN I, 468f. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Bekenntniß, 11. August 1880 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s anl. der 11. Allg. Vers. der dt. anthropolog. Ges. zu Berlin, nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 639f. - Zweitdr.: WuN I, 166f. mit aufschlußreichem Komm. - Nach

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - R spricht hier von seiner Annahme eines „individuellen Lebens des Geistes“ und eines „geistigen Lebens in der Menschheit überhaupt.“ (639).

Vorerinnerungen, 20. August 1880 Erstdr. einer mit seiner WG in Zusammenhang stehenden Tgb.-Aufz. R.s anläßl. der 11. Allg. Vers. d. dt. anthropolog. Ges. zu Bln., nach Or. im RNL 29 A 2 f.: WuN I, 166, A. 1.

Entwurf einer Vorrede zur ‚Weltgeschichte‘ Dove veröffentlicht in seinem Vorw. zu WG IX/2 aus dem NL R.s den „Beginn eines ersten, gegen Ende des Jahres 1880 diktierten, sodann jedoch wieder zurückgezogenen Entwurfs einer Vorrede Ranke’s zu seiner Weltgeschichte“ (V-VI).

Regulativ zur Vorrede, vermutl. nach Ende 1880 bis Anfang 1881 Erstdr. nach Or. im RNL 29 L. 1: Schulin/1958, 318f. - Beginnt: „In der neuen Vorrede soll alles Persönliche wegfallen...“- Zu dem für R.s Produktionsprozeß wichtigen Begriff ‚Regulativ‘ siehe Wiedemann II/1891, 332.

Die Fluthsage von 1880-1882 Erstdr. aus R.s NL: SW 51/52, 1-18. Den Hgg. zufolge 1880 entstanden, zuletzt überarbeitet 1882. - S. 18, Anm.: Mitteilung Wiedemanns aus mündl. Erörterungen R.s über das Thema.

Tagebuchdiktate von 1881 Erstdr. von Tgb.-Diktaten R.s zum 1., 2. (Besuch von Adolf Senfft v. Pilsach), 22. (Besuch E. v. Manteuffels) u. 24. 1. 81 (Besuch des Prinzen Albrecht v. Preußen, Prinzregent von Braunschweig), aus dem NL Hans Delbrücks von [K. A. v. Müller:] Tagebuchdiktate/1935, 332-335. Siehe dazu II/7.2, 1881. - Die Diktate fehlen in WuN I.

Aussicht, Ende Februar 1881 Erstdr. einer durch den am 26. 2. erfolgten „Einzug der Prinzessin Victoria Auguste“ (spätere Dt. Ksn.) veranlaßten Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 640. - Zweitdr.: WuN I, 470-471. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Giraud, 12. September 1881 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 640f. - Zweitdr.: WuN I, 471472. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Würdigung des am 13. Juli 1881 verstorbenen Charles Giraud.

Achtzeiliges Gedicht vom 30. Sept. 1881 („Zwischen den Klippen der Irrung ...“). - Aufz. R.s. Erstdr. aus dem „Tagebuche meines Vaters“: [Ranke, Otto v.:] Die letzten Lebenstage Leopold von Ranke’s. In: [Ranke, Otto v.:] Zu Leopold von Ranke’s Heimgang/1886, 18. - Nicht in: SW 53/54 und WuN I. - Nicht zu verwechseln mit dem zehnzeiligen Gebet von 1884.

Die Tragödien Seneca’s, 1882 Erstdr. aus R.s NL: SW 51/52, 19-76.

Senfft v. Pilsach, nach dem 2. Nov. 1882 Anl. des Todes von Adolf S. v. P. (1797-1882). Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 641-643. - Zweitdr.: WuN I, 473-475 Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe auch oben Tgb.-Diktat vom 2. 1. 81.

Geburtstagsfeier, 21. Dez. 1882 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 643-645. - Zweitdr.: WuN I, 8083. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

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II/2.3 Handschriftlicher Nachlaß - Edierte Handschriften

Graf Chambord, 24. August 1883 Anläßl. des Todes des Thronprätendenten Henri de Bourbon (1820-1883), Hzg. v. Bordeaux u. Gf. v. Chambord. - Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 645-647. Zweitdr.: WuN I, 475-477. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Niederwalddenkmal, 28. Sept. 1883 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 647-649. - Zweitdr.: WuN I, 477-479. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen.

Paulus Diaconus, „verfaßt 1884“ [recte 1883] Erstdr. aus R.s NL: SW 51/52, 77-91, s. d. - Mit Paulus Diaconus hatte sich R. v. a. im WS 1838/39 in seinen histor. Übungen befaßt und darüber ausführlich an Waitz geschrieben (Brief vom [9. 12. 38] u. vom 27. 1. 39, SW 53/54, 306 u. 308).

Die alten Schüler, 6. April 1884 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 649f. - Zweitdr.: WuN I, 83f. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe II, 162-164, 373-378 u. Die Historische Commission/1883 (II, 435).

Zehnzeiliges Gebet, um 1884 („Wer ist die Kraft ...“). - Nicht zu verwechseln mit dem achtzeiligen Gedicht von 1881. - Erstdr. eines von R verfaßten Gebets „von ihm in den letzten Jahren verfaßt - auf dem letzten Blatte seines Tagebuches“ in: [Kögel]/1886, 525. - Zweitdr.: [Ranke, Otto v.:] Zu Leopold von Ranke’s Heimgang/1886, 33. - Drittdr.: SW 53/54, 655. - Viertdr.: Der Wächter/1918, 158. - Fünftdr..: WuN I, 136. - Siehe dazu: Briefwechsel Fontane/Heyse 1850-1897/1929, 177, 183f.

Manteuffels Tod, 17. Juni 1885 in Karlsbad Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 650-653. Zweitdr.: WuN I, 479482. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Im Hinblick auf die längjährige, immer tief erscheinende Freundschaft ein recht nüchterner Text.

Überreichung des Berliner Ehrenbürgerbriefs, 8. August 1885 Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 653-655. - Zweitdr.: WuN I, 482-484. - Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Siehe auch II, 264, 268, 447, 504.

„Analekten. Zur Kritik der Geschichtschreiber Heinrichs I. und Ottos des Großen (Nachtrag zum sechsten Theil der Weltgeschichte)“: „I. Die beiden Lebensbeschreibungen der Königin Mathilde“, „II. Liudprand“. Die Analekten „sind von Ranke im Jahre 1885 ... Theodor Wiedemann dictirt und mit ihm erwogen worden.“ Erstdr. aus dem NL: WG VIII, 628-634 u. 634-655. - Wiedemann hat, wie Dove bemerkt „dem Schlusse beider Erörterungen die noch mangelnde in sich zusammenhängende Redaction angedeihen“ lassen. (Dove auf p. XII des Vorworts).

Autobiographisches Diktat vom November 1885 Die Darst. reicht von der Geburt bis in die Abfassungszeit. Erstdr. aus R.s NL: SW 53/54, 56-76.

Diktate aus den letzten Lebensmonaten in bearbeiteter Form von Dove, Winter u. Wiedemann herangezogen für die ersten beiden Kapitel der posthumen Ausg. von WG VIII (1887): „Erstes Capitel. Innere Abwandlungen der orientalischen Verhältnisse vom neunten bis ins elfte Jahrhundert“. - „Zweites Capitel. Mohammedanisch-christliche Verwicklungen bis zum ersten Kreuzzuge“).

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3. Teil BRIEFWECHSEL (II/3)

1. Abteilung (II/3.1) DER BRIEFSCH RE IBER UND DA S SCHI CKSA L SEIN ER BRIEFSCHAFTEN „Was Ranke von Johannes Müller sagt, er habe durch seine Briefe am Ende mehr gewirkt, als durch alle seine Werke, wird sich freilich auf ihn selber glücklicherweise niemals übertragen lassen.“ A LFRED D OVE in der Vorrede zu SW 53/54, VI.

D e r C h a r a k t e r d e r K o r r e s p o n d e n z (II/3.1.1) Die spezielle Forschungs- und allgemeine Nutzungs-Situation bei Rankes Briefwechsel ist vor allem geprägt durch gravierende Fehleinschätzungen des Erlanger Ordinarius und Ranke-Forschers Walther Peter Fuchs (1905-1997). Die erste stammte aus dem Jahre 1949 und illusionierte mit einer von Fuchs veranstalteten populären SekundärAusgabe, Ranke habe ein ‚Briefwerk‘ hinterlassen und eben seine Ausgabe biete dieses. Die zweite, aus dem Jahre 1964, war gleich selbstüberschätzend und folgenschwer. Fuchs legte Wert darauf, in fortgeschrittenem Alter Definitives geleistet zu haben und gab sich dem beruhigenden Irrtum hin, Rankes „Briefwerk“ müsse „in seinem Umfang als bekannt und abgeschlossen gelten.“ (WuN I, 17). Die dritte Fehleinschätzung rundete den Komplex ab: Auch hinsichtlich der an Ranke gerichteten Briefe sei „die Suche nach Ranke-Quellen zu einem Abschluß gelangt.“ (ebd.). Obgleich die ‚Briefwerk‘-Titelgebung noch heutzutage von Uneinsichtigen irreführend als „kongenial“ bezeichnet wird (Gesamtausgabe des Briefwechsels von Leopold von Ranke. Hg. v. d. Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften durch Klaus Hildebrand, I, 2007, 40), liegen die Dinge doch ganz anders: Ranke hat mit seinen Briefen aufs Ganze gesehen weder eine überwiegend literarisch oder wissenschaftlich darstellerische Absicht verfolgt, noch trug das von ihm Verfaßte den Charakter einer halbwegs geschlossenen Arbeit, eines in Entstehung, Dichte und personalen Bezügen kohärenten, in Stil und Intention homogenen corpus epistolarum, noch hat er seine Korrespondenz überwiegend mit der Absicht späterer Veröffentlichung, geschweige denn mit besonderer Neigung verfaßt, noch auch ließe der überlieferte Restbestand eine solche Bezeichnung überhaupt zu. Zwar ist nicht zu leugnen, daß Ranke einige literarisch gefärbte und auch bis zu einem gewissen Grad expektorierende Briefe verfaßt hat, so Briefe der Frühzeit an seinen geistlichen Bruder Heinrich oder im Alter an seinen geistlichen Sohn Otto, in denen er - häufig interpretatorisch verallgemeinernd überschätzt - zumeist einen angepaßt emphatisch religiösen Ton anschlug, auch Briefe an seinen zeitweiligen Freund, den Philosophen Heinrich Ritter, aus der ersten Italien-Reise oder in den 1850er Jahren anschauliche landschafts- und gesellschaftsschildernde Briefe aus Berchtesgaden und von Archivreisen, als Entschädigung für seine schließlich nicht mehr reisefähige Frau. Doch steht dies nicht für den allgemeinen Charakter seiner Korrespondenz. In einem ob seiner Vorwürfe damals wie heute noch diskutierten, von Fuchs wohl weniger beachteten Brief stellte Ritter anläßlich von Rankes fünzigjährigem Doktorjubiläum öffentlich fest: „Du schreibst aber nicht gern andere als geschäftlich nöthige Briefe.“ (Ritter/ 1867, 1). Und auch Rankes Sohn Friduhelm hat ihn so erlebt: „Nur auf Reisen - 237 -

II/3.1.1 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

fand er Muße zu erzählenden Briefen. Sonst beschränkten sich seine eignen Briefe auf solche, die er für seine Arbeit und aus dienstlicher oder geschäftlicher Veranlassung unbedingt schreiben mußte.“ (FvR/1904, I, 78). Man überlese nicht Friduhelms „unbedingt“, denn Rankes Grund-Beziehung zu seiner Korrespondenz war diese: Er schrieb im allgemeinen widerwillig und vorwiegend, wenn er sich einen konkreten Nutzen versprechen, gerade noch einen Nachteil vermeiden, eine Ausrede vorbringen oder eine längst fällige Entschuldigung anbringen konnte. Rankes abweisendes Korrespondenzverhalten war nicht allein vom Primat seines Werkes bestimmt und damit verbunden von Nützlichkeitserwägungen seinen mehr oder minder geschätzten oder einflußreichen Korrespondenzpartnern gegenüber, sondern es war auch beeinflußt durch die ihm überhaupt anhängenden „Nachlässigkeiten“. „Täglich strafe ich mich in Gedanken für meine Fehler“, bekannte er seinem Bruder Heinrich, „und lasse sie doch nicht.“ (Jan./Febr.1826, SW 53/54, 151). Sein Korrespondenzverhalten ist Ausdruck seiner Persönlichkeit, die unabhängig voneinander mehrere Zeitgenossen recht deutlich als „selbstselig“, „erbarmungslos“, „herzlos“ beschreiben (s. I/1.1). So ließ er denn auch, wie schon Conrad Varrentrapp feststellen mußte, „die meisten Briefe von Pauli“ „unbeantwortet“, auch einen in Sachen Habilitation besonders wichtigen, was den Enttäuschten zu der Feststellung trieb „Ich hätte mir die Mühe ganz ersparen sollen, da er mir einmal selbst erklärt hat, er pflege keine Briefe zu beantworten.“ (Pauli/1895, 187). Lediglich ein einziger Brief Rankes fand sich im Nachlaß seines Schülers (Varrentrapp/1911, 59). Auch von Wilhelm von Giesebrecht übrigens ist nach seinem Studium bei Ranke „bitter darüber geklagt worden, daß derselbe nachher nichts für ihn getan habe“ (Wiedemann XII/1892, 235). So kann es nur auf einer Verkennung der Persönlichkeit Rankes und der Briefkultur seiner Zeit beruhen, ihn als einen der „hingebungsvollsten und fruchtbarsten Korrespondenten seiner Generation“ zu bezeichnen (Friedland/1959, 127). Dieses Urteil hält sich indes hartnäckig. Noch im Jahre 2007 konnte in einer aufgrund ihrer Mängel zurückgezogenen Edition des Rankeschen Briefwechsels die idealisierende und ästhetisierende Ansicht vertreten werden, Ranke habe „einen epistolographischen Anspruch erhoben, durch den er sich einer weit in die Vergangenheit zurückreichenden literarischen Tradition zugehörig zeigte.“ An seinem Briefwechsel lasse sich studieren, „wie sehr er sich darum bemüht“ habe, „diesem Anspruch gerecht zu werden und ein ‚Briefwerk‘ zu schaffen.“ (Muhlack/2007, 46). Tatsächlich war gerade nicht der ‚Brief‘, sondern das stark monologisierende ‚Gespräch‘ seine wesentliche kommunikative persönliche Existenzform. Der verbreiteten ‚Briefwerk‘-These muß wohl mit einer größeren Ausführlichkeit begegnet werden. Es nimmt nicht wunder, daß Rankes Briefe, wo sie überhaupt einem eigenen Impuls und Anlaß entsprangen, häufig mit mehr oder minder verdeckten Forderungen, Aufträgen, Zumutungen, auch Ausflüchten und nicht eingehaltenen Verheißungen verbunden waren. Ja, Ranke kokettierte mit der Einsicht: „Leider bin ich ein Mensch, der den Leuten und sich selber immer zu schaffen macht.“ (an Auguste Huth, Frühjahr 1825, NBrr 61). „Und noch eine andere Bitte habe ich“, schrieb er unter Ausnutzung seiner Reputation an Karl Theodor Heigel, „denn ich habe die üble Art an mir, meinen Freunden beschwerlich zu fallen“ ([etwa 20. 11. 77] (NBrr 650). Von Briefen dieser zumutenden Art seien hier nur einige weitere genannt: wiederum an Auguste Huth, 1. 11. 31 (NBrr 162), an seine Brüder Heinrich (ebd. 213f. u. 292f.) und - 238 -

II/3.1.1 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Ferdinand (ebd. 234f., 263, 301f., 347, 383, 385), an Ludwig von Schorn (ebd. 274), an Luise Ranke (ebd. 388), an Anton Richter (SW 53/54, 107) oder an Heinrich Ritter (SW 53/54, 240-242). Der während Rankes Italienaufenthalt von Aufträgen finanzieller, postalischer und versandtechnischer Art in Berlin heimgesuchte Freund warf ihm schließlich „prinzliches“ Verhalten vor (an Ritter, Rom, 27. 3. 29, SW 53/54, 217), kein Wunder, denn Ranke hatte schon zum Jahreswechsel 1827/28 mit großzügiger Gefühllosigkeit formuliert: „Und so wirst Du das neue Jahr mit neuen Dienstleistungen für mich beginnen.“ (SW 53/54, 193). Auch Varnhagens blieben von seinen brieflichen Zumutungen nicht verschont. Ranke versuchte nicht nur, ihnen den Versand von Buchdedikationen, gar an den russischen Hof, sondern auch Korrespondenz zu übertragen, so daß er sich schließlich entschuldigen mußte: „Ich war weit entfernt, mich dabei vornehm zu fühlen ...“ (an Rahel Varnhagen, Rom, 28. 3. 29, Wiedemann: Briefe L. v. R.s an Varnhagen von Ense u. Rahel/1895, 440). Rankes Bruder Wilhelm schien dies ähnlich zu sehen, als er über Leopold schrieb: „jeder, der seine Hilfe begehrt, ist ihm schon deshalb verhasst. Pflichten kennt er überhaupt nicht, er kennt nur Rechte“ und an anderer Stelle: Er ist „sehr rücksichtslos gegen seine Mitmenschen“ (NL WR, Rep. 92 NL Geschw. Ranke, GStA PK). Ranke selbst formulierte dies eleganter: „einen gewissen Mangel an persönlicher Beeiferung muß ich mir leider in den meisten Verhältnissen zuschreiben“ (an ER, 13. 8. 65, SW 53/54, 466). Daß „in Herrn Ranke ein Stolz waltet, der ihn zu Rücksichtslosigkeiten gegen Andere und gegen Verhältnisse verleitet ...“, mußte neben Heinrich Ritter auch Friedrich Perthes erfahren (Perthes an Ritter, 22. 4. 33, Schreiber/1932, 629). Ranke schien dies ohne Reue bewußt zu sein, als er in einem Brief an Minna von Zielinski über die Wirkung eines Umgangs schrieb, „der die Seele läutert und sie zu Wahrnehmungen eröffnet, die ihr sonst verborgen geblieben wären ... An mir, der ich von hartem Stoff bin, bemerke ich leider nichts“ ([Febr./März 1831], SW 53/54, 247). Daß er auf Briefe, auch aus dem Verwandtenkreis, die Antwort „manchmal“ schuldig blieb, bereute er „fast“ (an Amalie Helferich, 11. 3. 70, SW 53/54, 491). In seinen Briefen ging es also oft, zumeist nach einleitendem Schön-Tun, um Bitten, Aufträge und Forderungen in Zusammenhang mit seinem wissenschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Fortkommen. Selten einmal entschuldigte er sich für diese „alte Unart“ (an Perthes, Jan. 27, Oncken/1922, 101). Dabei spielte die Anbahnung, Pflege und Verwertung fördernder Verbindungen eine besondere Rolle. Als karriereorientierter junger Mann hatte er Varnhagen gegenüber das demaskierende und ein Leben lang beherzigte Geständnis abgelegt: „Daß doch am Ende in den höchsten Stellen und Ständen diejenigen Menschen [seien], die kennen zu lernen am meisten der Mühe verlohne“ (Brief vom 9. 12. 27, Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen v. Ense. Ungedr. Briefw./1895, 187f.). Schon als Zwölfjähriger hatte er es für ein „sehr interessantes, unterhaltendes und wichtiges Geschäft“ gehalten, „sich mit den berühmten Männern bekannt zu machen...“ (Aufsatz ‚Welchen Einfluß hat die Erlernung der Geschichte auf das Leben der Menschen?‘ In: Henz/1968, 305). Dies ist ihm, beginnend in seiner Frankfurter Oberlehrerzeit, in atemberaubendem Tempo gelungen. Ähnlich sah es noch der Achtzigjährige, dem es bei seiner Beziehung zu Generalfeldmarschall Edwin von Manteuffel darauf ankam, einem Manne „anzugehören“, „den die Nachwelt kennt“ (Toast auf Manteuffel, 4. 2. 75, unveröff., Donation G. Bäcker-von Ranke im Ranke-Archiv, Wiehe). Da war nur konsequent, was sein Bruder Wilhelm - 239 -

II/3.1.1 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

ihm vorwarf: „Leopold kam in höhere Kreise und stieß den niederen Umgang immer ohne Schonung ab, wie man eine ausgequetschte Zitrone wegwirft.“ (Unveröff. NL WR, Rep. 92 NL Geschw. Ranke, GStA PK). Die Generalmaxime des Primats höchsten Umgangs entspricht den zentralen Zielen seiner Korrespondenz, entspricht seinem gesellschaftlichen Verkehr und Verhalten, wie etwa seinem lebenslangen ausgedehnten korrespondenzprovozierenden Dedikations-Buchversand an „höchste Stellen“, seinem wenig bekannten häufigen Auftreten in den führenden Berliner Salons und Palais am preußischen, bayerischen und an anderen deutschen und europäischen Höfen, seinen sozialen und politischen Überzeugungen und zugleich dem Charakter seiner Geschichtsschreibung. Ansonsten unterließ Ranke gern das Briefeschreiben: „Du weißt“, schrieb er schon in jungen Jahren in erweiternder Selbst-Exculpierung an seinen Bruder Heinrich, „wir leiden alle an der Krankheit, daß wir die Briefe verzögern.“ (30. 6. [1824], NBrr 47), ja, er hielt es für einen „Erbfehler ... des Rankeschen Namens“, wie er nach neuerlichem längerem Schweigen Heinrich Ritter gegenüber zugab (13. 12. 35, SW 53/54, 279). Der „saumselige Schreiber“, wie er sich selber nannte (an FR, 18. 5. 31, NBrr 149) ließ sich auch durch andere vertreten: „er selbst fand nur schwer Zeit zum Briefschreiben“, erfährt man wiederum von seinem Sohn Friduhelm (FvR/1904, I, 77). War er schon sehr zurückhaltend im Verfassen eigenveranlaßter Briefe, so noch mehr bei Antwortbriefen: „Es ist doch ganz abscheulich, daß Sie mir nicht antworten!“, schrieb der erkrankte und gekränkte Graf August von Platen am 3. August 1830 aus Sorrent, „Eine solche Nachlässigkeit hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut“ (Oncken/1922, 144). Später hielt Ranke sich Korrespondenz auf andere Weise vom Halse: „Viele Briefe wurden der Gattin oder dem Bruder Ferdinand übergeben, die gerne die Beantwortung übernahmen…“ (FvR: mit Korrekturen durchsetzter Entw. seiner Publikation ‚Vierzig Briefe‘ von 1904. Unveröff., Ranke-Archiv, Wiehe). Eine nicht unbedeutende Wirkung auf Inhalt und Stil seiner späteren Briefe wird dem Umstand zuzuschreiben sein, daß er diese seinen Amanuensen diktierte, wodurch ein Großteil an Intimität und Information verloren gegangen sein dürfte, ja es geschah sogar bisweilen, daß er ihnen auch den Inhalt ‚überließ‘. Seinem Amanuensen Wiedemann vertraute er gelegentlich „die Beantwortung scientifischer Spezialanfragen“ an, „mit denen man sich an ihn gewandt hatte, oder die Erwiderung auf briefliche Einwendungen gegen seine Darstellung in Bezug auf Einzelheiten“ (Wiedemann II/1891, 327). Briefe zu wechseln wurde ihm also zunehmend lästig, denn dies war im wörtlichen Sinne zeitraubend. Die Arbeit an seinem Werk hatte stets unbedingten Vorrang: „... ich habe so dringende Arbeiten vor mir“, entschuldigte er sich verspätet bei Carl Spener, „Arbeiten, die so wenig eine Störung vertragen, daß ich kaum dahin zu bringen bin, einen vielleicht selbst dringenden Brief zu schreiben...“ (12. 6. 26, SW 53/54, 159). Seinem „alten Universitätsfreund“ Gustav Adolf Harald Stenzel gegenüber, dem er für eine Heranführung an die Geschichte nicht wenig verdankte, läßt er mehrere Briefe monatelang unbeantwortet und schreibt sodann: „Ich weiß überhaupt nicht, wie Ihr andern es macht: Ihr lest, schreibt gelehrte Bücher, habt Familie und könnt noch viel korrespondieren. Ich schreibe freilich auch, lese aber nicht allzuviel, habe keine Familie und bin immer aller Welt Briefe schuldig.“ ([Ende 1841?] NBrr 306f.). Im letzten bekannt gewordenen Brief an Stenzel entschuldigt er sich mit der Wendung, seine „Briefstellerader“ sei ihm, „fast versiegt“ (2. 7. 47, Gothein/1892, Beil.-Nr. 70, 3). - 240 -

II/3.1.1 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Dies gilt auch für seinen bereits berührten Umgang mit Heinrich Ritter. Den letzten der überlieferten Briefe an ihn beginnt er mit der Wendung: „Ich weiß nicht, ob Du meine Handschrift noch kennst, lieber Ritter: so lang ist es schon her, daß unser Briefwechsel unterbrochen ist; doch ich weiß: nicht unsere Freundschaft.“ Soweit überliefert, lag der vorgängige Brief zehn Jahre zurück. Doch der Anlaß des vorliegenden Briefes bestand nicht in der Erneuerung einer von Ranke schon seit Beginn seiner Berliner Zeit überstrapazierten Freundschaft, sondern in neuen Zumutungen. Dabei geht es nicht allein um Ritters Rat an Ranke als Mitglied einer Besetzungkommission, sondern nach all den Jahren des Schweigens noch um den eigentlichen „Gefallen“, den er Ranke „erweisen“ könne: „wenn Du bei der Bibliothek vorübergehst, nachsehen, ob sie die Procès verbaux du clergé de France und das nouveau journal du parlement de Paris 1648 et 1649 besitzt ... Von den Procès verbaux brauche ich 1641-1682; es werden 2 Folio sein. Werde nicht unwillig über meinen Brief, der so manches von Dir fordert [!] ...“ (20. 11. 53, SW 53/54, 360). Um das Ausmaß dieser Haltung abschätzen zu können, seien mit Blick auf die verhärtete ‚Briefwerk‘-Auffassung abschließend noch einige recht unterschiedliche Zeitgenossen Rankes befragt. Ranke an Perthes, der für ihn Handschriften aus der Herzoglichen Bibliothek in Gotha beschafft hatte: „Wie will ich mich nur bei Ihnen entschuldigen, daß ich Ihnen nicht allein den Dank für die gütige Übersendung unserer Manuscripte, sondern sogar die Nachricht, daß dieselben wohlbehalten angekommen sind, schuldig geblieben bin?“ (7. 12. 25, Oncken/1922, 87). - Ranke an denselben: „ ... daß ich Ihnen so lang und auf so viel gütige Briefe die Antwort schuldig geblieben ...“ (21. 5. 32, Oncken/1925, 237). Manche traf es besonders hart: Dachte Ranke doch 1832 daran, an Ernst Münch zu schreiben, da er ihm „noch eine Antwort auf einen Brief von 1827 schuldig“ war (R. an Perthes, 20. 2. 32, Oncken/1925, 236), und 1834 schrieb er ihm: „Ew. Hochwohlgeboren werden es unerhört und unerklärlich finden, daß ich auf Ihre gütige Zuschrift vom vorigen Sommer noch immer die Antwort schuldig bin. Nun will ich nicht läugnen, daß ich überhaupt einer der säumigsten Correspondenten bin …“ (14. 2. 1834, Henz/1972, 291). Ranke an Georg Waitz: „Ich bin ganz beschämt, wenn ich aus Ihrem Brief sehe, wie lange ich Ihnen nicht geschrieben habe.“ (15. 6. 41, SW 53/54, 316). Ranke an Alexander Heinrich Frhrn von Arnim, 10. 8. 42: „Daß ich Briefe zu schreiben nachgerade ganz und gar verlerne, kommt mir an Ihnen zum Bewußtseyn.“ (Henz/1972, 306). Ranke an François Mignet, Mitte Juni 1864: „Sie zürnen mir, ich weiß es, daß ich Ihren Brief so lange unbeantwortet gelassen habe.“ (FvR/1904, IV, 225). Sogar die von Ranke mit Blick auf die Beziehungen seines Korrespondenzpartners Edwin von Manteuffel zu Friedrich Wilhelm IV. und seine beachtliche Laufbahn bis hin zum Generalfeldmarschall und Statthalter von Elsaß-Lothringen vergleichsweise gepflegte Beziehung litt gelegentlich unter seiner Säumigkeit: „Wohl haben Sie recht, mein verehrter und geliebter Freund, schrieb er am 20. 11. 1870, „wenn Sie Ihren Korrespondenten nicht für den promptesten halten, den es geben mag, wenn es auf das Antworten ankommt ...“ (NBrr 543) und in Brief vom 13. 6. 73: „Ich habe lange geschwiegen...“ - „Entschuldigen Sie mein verspätetes Geschreibsel ...“ (NBrr 599, 602). Zahlreiche Beispiele können aus dem Bereich der Ranke-Geschwister herangezogen werden, u. a.: „Mein lieber Bruder“, schreibt Ernst Ranke an Leopold, „wir haben hier das ganze Weihnachtsfest und später vergeblich auf einen Brief von Dir gehofft. Die Mutter hat sich schon Sorgen um Dich gemacht“ (4. 1. 35, Hitzig/1906, 106). Rankes aufschlußreiche Antwort lautet: „Nimm es mir nicht übel, daß ich Dir früher nicht immer geantwortet habe.“ Ranke an Ernst Ranke (31. 1. 35, ebd. 107). Das war auch später so: „Nimm es mir nicht übel, theurer Bruder

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II/3.1.2 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften Ernst, daß ich Dir nicht viel schreibe ...“ (6. 1. 38, ebd. 143). „Unzählige male habe ich Dir schreiben wollen.“ (13. 8. 65, SW 53/54, 465) und noch im höchsten Alter: „Ich bin Dir wieder auf Deine Zuschriften ein paar Mal die Antwort schuldig geblieben.“ (10. 9. 84, ebd. 351). Seinen Bruder Heinrich bittet er, den gemeinsamen Bruder Ernst zu bitten, „er soll nicht böse sein, daß ich ihm so lange nicht geschrieben.“ (26. 11. 41, NBrr 284). - Letztlich an seine Schwester Rosalie: „Du glaubst kaum, daß ich noch lebe, da ich Dir ja nicht auf Deine liebenswürdigen Zeilen antworte.“ (10. 7. 70, NBrr 540). - Beispiele dieser Art lassen sich beträchtlich vermehren.

R a n k e s U m g a n g m i t s e i n e n B r i e f s c h a f t e n (II/3.1.2) Aufschlußreich neben dem charakterlich eindeutigen Umgang Rankes mit seinen Korrespondenzpartnern, wodurch er diese nicht allein zurückstieß, im Ungewissen ließ, bisweilen auch in große Verlegenheit und „Besorgnis“ versetzte - so im Fall entliehener Bücher und Archivalien seinen Verleger Perthes und später den Frankfurter Bürgermeister Georg Friedrich von Guaita wegen überlang entliehener Reichstagsakten (Brief an Dens. vom 5. 12. 37, NBrr 251f.) - ist auch die physische Behandlung seiner Briefschaften. Sie zeigt seine gleichgültige und nachlässige Einstellung. Sein Sohn Friduhelm, der später großes Interesse am Zustandekommen einer Briefausgabe zeigte, beschreibt den Umgang seines Vaters mit diesem Schriftgut wie folgt: „mein Vater pflegte ... jedes an ihn gerichtete Schreiben, mochte der Inhalt auch noch so gleichgültig sein, aber beiseite zu legen“ (FvR/1904, I, 77). Dies klingt zunächst unverdächtig. Wie es wirklich ausgesehen hat, beschreibt Friduhelm an anderer, unveröffentlichter Stelle: „Alle Briefe legte sein Adlatus in das große Fach unter den Deckel seines Arbeitstisches und that sie dann, wenn dieses voll war, ungeordnet in die Schubladen des großen Schreibtisches verbannen...“ (FvR: mit Korrekturen durchsetzter Entw. seiner Publikation ‚Vierzig Briefe‘ von 1904. Unveröff. Ranke-Archiv, Wiehe). Rankes Schreibtisch übrigens vermochte noch Jahrzehnte nach seinem vermeintlichen LeerVerkauf in die USA (1887) als Zugabe zu Rankes Bibliothek (s. II/8.1), in seinen Tiefen Briefe preiszugeben. Auch mit Entwürfen oder gar Abschriften wurde nachlässig umgegangen. Friduhelm teilte anläßlich des von ihm 1904/05 verfaßten Beitrags mit vierzig unbekannten Briefen seines Vaters die dabei gewonnenen Erfahrungen mit: „Aber auch die diktierten Konzepte geben Zeugnis von der Eile bei der Niederschrift; sie sind reich an schwer verständlichen Abkürzungen und Korrekturen. Ich kann darum nicht behaupten, daß die Briefe, wie sie hier zum Druck kommen, absolut fehlerfrei sind, und noch viel weniger, daß sie in dem vorliegenden Wortlaut abgesandt sind, nicht einmal, daß sie sämtlich den Adressaten erreicht haben. Hier und da habe ich diesen überhaupt nicht zu bestimmen vermocht; da sie fast ausnahmslos ohne Datum gelassen sind“ (FvR/1904, I, 81). In der bereits geschilderten durchgängigen Produktionshektik und Chaotik des Rankeschen ‚Ateliers‘ (I/1.3 u. I/1.5) und in der geringen Achtung und Wertschätzung der brieflichen Lebenszeugnisse und Informationsmittel kam Ranke nicht auf den Gedanken, sich seiner Korrespondenz nachhaltig sammelnd und ordnend zu widmen oder gar selbst eine Auswahl für posthume Zeiten zu treffen. So ist auch von einem zweckmäßigen Kopierbuch gar oder von den listenmäßigen Aufzeichnungen eines nicht minder üblichen Briefjournals bei ihm nirgends die Rede. Nach dem Tod der Eltern hatte er einmal den Gedanken gefaßt, seine Briefe „in Ordnung“ zu bringen, war damit aber nicht „zu Stande gekommen“ (an HR, 8. 4. 37, SW 53/545, 293). - 242 -

II/3.1.2 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Gern überließ er anderen die Entscheidung über Aufzuhebendes oder zu Vernichtendes, und von letzterem wurde wohl reichlich Gebrauch gemacht. „Nach der Verheiratung brachte die Gattin etwas [!] Ordnung in die Korrespondenz. Sie sammelte die Briefe der Eltern und Geschwister nach Person und Datum, alle anderen aber nur ungefähr der Zeit nach und klebte sie in dickleibige Folianten. Dabei vernichtete sie alles Unwesentliche“ (FvR I/1904, 77). Beiläufig: Eine spätere Erwähnung dieser auffallenden Alben findet sich leider ebensowenig wie diese selbst, und wenn ihr Inhalt nach Rankes Tod nicht herausgelöst in die Öffentlichkeit gelangt sein sollte, dürfte hier von einem großen und bedeutenden Verlust zu sprechen sein, wurden diese Briefe doch zu seiner Zeit als aufhebenswürdig angesehen. Andere freilich nicht: In einem Tagebuch Claras von 1870, ein Jahr vor ihrem Tod, heißt es: „Fr. Stahn helped me to look out Leopold letters, burned about a couple of hundred[s?].“ (Unveröff. SBB PK, Hs.-Abt. Ms. germ. oct. 644). - Diese Vernichtungsaktionen werden von Friduhelm bestätigt. Viele Briefe wurden, wie erwähnt, der Gattin oder dem Bruder Ferdinand übergeben, die nicht nur die Beantwortung übernahmen, sondern diese „dann wohl vernichteten.“ (FvR: Entwurf seiner Publikation ‚Vierzig Briefe‘ von 1904. Unveröff. Ranke-Archiv, Wiehe). Was einmal von seiner Korrespondenz übrig bleiben würde, war Ranke zwar keineswegs gleichgültig, doch nahm er nur einen geringen praktischen Einfluß darauf. Daß zugleich mit der Vernichtung dieser wohl weniger persönlichen und ‚hochstehenden‘ An-Briefe auch die entsprechenden delegierten Antwortbriefe, soweit überhaupt entstanden, im Konzept der Vernichtung zum Opfer fielen, kann angenommen werden, woraus sich mit Blick auf die wohl in stärkerem Maße überlieferten, von Ranke persönlich beantworteten ‚schönen‘ und ‚bedeutenden‘ Briefe bereits Verzerrungen für die Gesamtbeurteilung seines Briefwechsels ergeben dürften. Auch Rankes Briefe an seine Eltern aus der Pfortaer und Leipziger Zeit sollen mit der gesamten Korrespondenz der Eltern nach deren Tod gegen Ende 1836 verbrannt worden sein (Helmolt/1921, 180, A. 98), was nicht ganz mit der geschilderten Tätigkeit Clarissas harmoniert. Auffallenderweise wurden bisher nur drei Briefe Rankes an sein Elternhaus bekannt, wovon einer (23. 11. 30, FvR I/1904, 82f.) aus der Zeit seiner mehr als dreijährigen ersten Studienreise stammt. Das Brief-Verbrennen war jedenfalls eine durchaus beliebte Praktik. In einem nicht zur Ausführung gelangten Testamentsentwurf, „Grundzüge meines letzten Willens“, vom 28. Dez. 1873, verfügte Ranke: „Die Correspondenzen möchte ich lieber nach dem Tode dem Feuer übergeben sehen. Von meinen eigenen Briefen sollen nur solche der Öffentlichkeit übergeben werden, welche einen inneren Wert und eine Beziehung zu den allgemeinen Verhältnissen haben.“ (Bäcker-von Ranke/1955, Anm. Bd., [83]). Letzteres entsprach ganz deutlich einer erhöhenden Selbststilisierungs- und Selbsthistorisierungstendenz, die Alfred Dove nach den Ereignissen von 1870/71 für Rankes Werke, aber auch für das Lebensganze so deutete: „Seine ganze Entwicklung von Jugend auf, sein gesammtes Schaffen stellte sich ihm jetzt bei gelegentlicher Rückschau in engerer Beziehung zum öffentlichen Leben dar, als sie in der That bestanden hatte“ (D[ove]: Ranke, Leopold v. (1888). U. d. T. ‚Ranke’s Leben im Umriß‘ in: Dove: Ausgewählte Schriftchen/1898, 181). Der Verbrennungswunsch Rankes galt offensichtlich dem Gesamtbestand der an ihn gerichteten Briefe, die anders als seine eigenen in bisweilen wohl weniger abgewogener Formulierung auch das eine oder andere Unangenehme oder Unrichtige enthalten mochten, das der Nachwelt vorsorglich vorzuenthalten war. Dazu können Briefe von Heinrich Ritter, Varnhagen, Bettina, - 243 -

II/3.1.3 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Briefe von Reimer und Perthes gehört haben, mit denen es nach Auseinandersetzungen zu einem gespannten Verhältnis oder gar zum Bruch kam, Briefe, die Ranke vielleicht selbst schon vernichtet hatte. Auch von seinem Verleger Carl Geibel, den Ranke mit mehr als zweihundert Briefen, überwiegend zumutender Natur bedacht hatte, ist nur ein einziger Gegenbrief bekannt geworden. Was den Inhalt seiner eigenen Briefe anbelangte, so konnte er sich da einigermaßen sicher fühlen, denn obgleich er ungern epistolierte, formulierte er dabei doch überwiegend sorgfältig, freilich weniger aus Achtung vor dem Korrespondenzpartner als aus Sorge, irgendwo, vor allem an hoher Stelle, anzuecken. Sein Senior-Amanuense Wiedemann konnte aus sechzehnjähriger Erfahrung mitteilen: „Er selbst drückte sich in seinen Briefen auch an vertraute Freunde, insofern seine Auslassungen öffentliche Angelegenheiten oder angesehene Personen betrafen, mit Behutsamkeit und beinahe ängstlicher Vorsicht aus. Ihm schwebte immer besorgniserregend die Möglichkeit von Indiskretionen vor.“ (Wiedemann XI/1893, 256). Auch dies steht in einem unverkennbaren Zusammenhang mit seiner vermeintlich unparteiischen Geschichtsschreibung, seinem zurückweichenden Verhalten bei problematischen, einen bestimmten Standpunkt erheischenden Vorkommnissen in Akademie und Universität, wie etwa bei dem sogenannten Raumerschen Akademie-Skandal von 1847, eine Haltung, die Pertz zu der bereits zitierten Bemerkung veranlaßt haben soll: „die Kanaille“ (Wiedemann/1901, 360), und mit seiner weithin beanstandeten ausgeprägten Höflingshaltung (s. I/1.9). Die von Ranke „lieber nach dem Tode dem Feuer“ zu übergebenden Briefe an ihn sind gleichwohl, zumindest was eine Vielzahl ihrer bedeutenderen Verfasser betrifft, zunächst erhalten geblieben, wenn auch nicht sogleich veröffentlicht worden. Die wiederum von Fuchs geäußerte selbstberuhigende Vermutung, „Wahrscheinlicher ist, daß der testamentarische Wunsch, diesen Teil des Nachlasses zu vernichten, respektiert wurde“ (WuN I 1964, 17), war wieder in völliger Verkennung der Tatsachen getroffen worden, denn dieser Nachlaßteil war an das Geheime Staatsarchiv Berlin gelangt und dort von Ermentrude von Ranke katalogisiert worden. Auch ergaben sich weitere Widerlegungen durch entsprechende Veröffentlichungen, so vor allem durch Rankes Sohn Friduhelm (1904-1906), schließlich - auch in Selbstwiderlegung - durch Fuchs (Heinrich Ranke/1965) und später noch v. a. durch den Zukauf der Staatsbibliothek Berlin mit etwa 120 An-Briefen von über 80 Korrespondenten, Briefe, die nicht identisch sind mit den von Ermentrude v. Ranke gesichteten. D e r K r e i s d e r K o r r e s p o n d e n t e n (II/3.1.3) Den Erfahrungen seines Hauptamanuensen Wiedemann zufolge, die sich darin wohl nur auf die letzten sechzehn Lebensjahre Rankes beziehen, war seine Korrespondenz „keine ausgebreitete, wie man nach der Ausdehnung seiner persönlichen Bekanntschaften anzunehmen geneigt sein könnte.“ (Wiedemann/1893, XV, 256). So liegt die Zahl der in vorliegendem Werk erfaßten Korrespondenten bei über 600, die Zahl der bereits veröffentlichten Von-Briefe bei 1550, die der häufig nur in Teildruck veröffentlichten An-Briefe bei über 400. Bringt man seine Familien- und GeschwisterKorrespondenz in Abzug, sowie die Korrespondenzen mit seinen Verlegern Perthes und Geibel, auch mit Edwin von Manteuffel, so bleibt nur eine vergleichsweise geringe Zahl von Briefen bestehen, welche sich auf eine vergleichsweise große Zahl von Korrespondenten bezieht. - 244 -

II/3.1.3 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Der Kreis seiner Korrespondenten bestimmt sich hauptsächlich aus folgenden Gruppen: Da sind zunächst die Eltern, sechs Geschwister, seine eigene, spät gegründete Familie und Verwandte seiner Frau. - Korrespondenz Rankes mit seinem Elternhaus ist, wie bemerkt, nur in sehr geringem Maße veröffentlicht und wohl auch nur in geringem Maße angefallen: Die Beziehungen waren nicht so eng wie häufig dargestellt. Seine spätere Familienkorrespondenz, die zugleich Reisekorrespondenz ist, erklärt sich vor allem aus der fortschreitenden Lähmung seiner Frau, die schon sehr bald auf die Teilnahme an fernen und langwierigen Archivreisen verzichten mußte. Das Aufkommen von Verwandtenkorrespondenz wurde trotz Rankes geschilderter Zurückhaltung gefördert durch die Zahl seiner Geschwister und die Distanz ihrer Wirkungsstätten. Sie galt vor allem seinem nächstjüngeren Bruder Heinrich und zum wenigsten seinem Bruder Wilhelm, der Ranke sehr kritisch gegenüberstand (s. seine mehrfach zitierten unveröffentlichten Aufzeichnungen „Zur eigenen Lebensbeschreibung und zu der Leopolds“). Der Briefwechsel Rankes mit seinem Bruder Heinrich umfaßt, soweit bisher veröffentlicht, rd. 240 Stücke, war aber noch umfangreicher. So befanden sich laut Rudolstadter Akten um 1922 36 bisher unveröffentlichte Briefe Heinrichs an Ranke im dortigen Staatsarchiv, ganz überwiegend aus der Zeit nach 1850. Die Korrespondenz mit Freunden, Bekannten, Lehrern und schließlich Kollegen seiner Schul- und Studienzeit sowie seiner Frankfurter Oberlehrerzeit hat sich schon bald verflüchtigt, zumindest stark ausgedünnt, so mit Stenzel und Ritter, oder harrt noch der Veröffentlichung. Auffallend aus dieser Zeit ist das Fehlen bestimmter Korrespondenzen. - Neben seinem Bruder Heinrich im familiären Bereich war es im nichtfamiliären wohl nur Edwin von Manteuffel, neben Kg. Maximilian II. v. B. übrigens der eifrigste Leser seiner Werke, mit dem eine wirkliche, ausgedehnte Korrespondenz geführt wurde (Siehe unter II/3.1.8: ‚Fehlendes und Fingerzeige‘). Rankes Hof-Korrespondenz, v. a. mit dem preußischen und bayerischen Hof in ihren regierenden, repräsentierenden und verwaltenden Teilen, schließt sich häufig an seinen ausgedehnten lebenslang praktizierten Dedikationsversand an, den er bei jedem seiner Werke, d. h. jedem seiner etwa 200 Einzelbände, mit Eifer vornahm und welcher ihm entsprechend seiner Generalmaxime Korrespondenzpartner an höchster Stelle verschaffte und erhielt. Mit Vorliebe und soweit möglich knüpfte er dabei an besondere Ereignisse an und suchte auf diese Weise einen höheren Zusammenhang, eine „gewisse Analogie“ seiner historisch-literarischen Produktion mit dem nationalen und Weltgeschehen zu dokumentieren. So übersandte er - um hier nur einige wenige Beispiele zu geben - am 1. 1. 1867 ein Exemplar von Band VI seiner ‚Englischen Geschichte‘ an König Wilhelm von Preußen mit einem Glückwunsch zur Erinnerungsfeier des Eintritts in die Armee vor 60 Jahren (SW 53/54, 471f.). Am 1. 1. 77 folgte das erste Exemplar seines ‚Hardenberg‘ an den nunmehrigen Ks. Wilhelm I., wie er bemerkte, aus Anlaß des jetzt 70. Jahrestages von dessen Eintritt in die Armee (FvR VI/1905, 222f.). Am Ende des Jahres folgt bereits ein Exemplar der beiden Biographien Friedrichs II. und Friedrich Wilhelms IV., und am 22. Juni 1879 griff er in einem ungebührlich langen Brief bei Übersendung von ‚Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘ das Datum der Goldenen Hochzeit des Kaiserpaares am 11. Juni 1879 auf (FvR VIII/1906, 329f.). Dies waren nicht allein Akte der Devotion, sondern Beweismittel der verdienten Mitwirkung am staatlichen Leben und der vertrauten und des Vertrauens würdigen Nähe zu seinen höchsten Repräsentanten. Es befestigte sich bei Gratulationen aus Anlaß von Ehrenpromotionen, Ehrenbürgerschaften, zahlreichen Ehrenmitgliedschaf- 245 -

II/3.1.4 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

ten und Ordensverleihungen, Geburtstagen und bei Einladungen und Ersuchen um Gutachten, - Korrespondenz, die in entsprechender Form auch mit Universitäten und wissenschaftlichen Gesellschaften geführt wurde. Ein weiterer Bestand ergab sich in dienstlicher Hinsicht durch Korrespondenz mit der preußischen Ministerialbureaukratie, besonders mit den wechselnden Vorständen des vorgesetzten Kultusministeriums. Dabei ging es um Reisegenehmigungen, Mittelbewilligungen, Gutachten und anderes mehr. Hierzu ist v. a. Rankes zweibändige Personalakte heranzuziehen (s. II, 289). - Zu dieser beruflichen läßt sich auch Rankes forschungsbezogene Archiv- und Bibliothekskorrespondenz zählen sowie sein Briefwechsel mit Verlagen, mit Reimer, Perthes, Cotta und Geibel, von deren Antwortbriefen, wie bemerkt, bisher allerdings nur auffallend wenig bekannt geworden ist, was besonders im Falle Perthes’ zu bedauern ist. Mit keinem seiner Schüler und Fachkollegen ist entgegen älterer fama eine intensive Beziehung oder entsprechende Korrespondenz zustande gekommen. Eine gewisse Verbindung bestand natürlich mit Waitz, Sybel und Giesebrecht, auch mit Alfred von Reumont, doch war auch sie durch größere Intervalle bestimmt, nicht selten stand sie in Zusammenhang mit der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, als deren Präsident Ranke zu einiger dienstlicher Korrespondenz, v. a. mit Giesebrecht als Sekretär, genötigt war. Ein wirklicher fachlicher Austausch mit Kollegen kam schon aufgrund der hohen Selbsteinschätzung Rankes nicht zustande, so daß von einer eigentlichen fachlichen oder wissenschaftlichen Korrespondenz Rankes nicht gesprochen werden kann. Die Nachlaßsituation und die erste Editionsphase.1886-1890 (II/3.1.4) Abgesehen von einigen unten aufgeführten, zu seinen Lebzeiten bekannt gewordenen verstreuten Stücken, welche zu verschiedenen Anlässen beiläufig hervortraten, setzt das eigentliche Edieren - nicht allein im epistolarischen Bereich - bereits unmittelbar nach Rankes Tod ein. Die Brief-Gattung wird sodann, über drei Jahrzehnte hin, bis in die 1920er Jahre, das diffuse, unsystematische und bescheidene editorische Geschehen um Ranke beherrschen. Alfred von Reumont sah keine Peinlichkeit darin und veröffentlichte in einem nicht ganz unkritischen Nachruf (HJb 7, 1886), sogleich sieben an ihn selbst gerichtete Briefe Rankes, und kaum drei Monate nach Rankes Tod ließ Carl Geibel 216 an ihn bzw. das Verlagshaus Duncker & Humblot gerichtete Briefe seines verstorbenen Autors - allerdings diskret als Manuskript gedruckt - erscheinen. Die Ausgabe befleißigt sich einer recht korrekt wirkenden Form, welche die von Wissenschaftlern unternommenen Editionen der Zeit zumeist übertrifft, - mit Bemerkungen, ob eigenhändig, datiert, deutsche und lateinische Schrift usw. Es ist nicht nur die erste, sondern auch die umfangreichste je bekannt gewordene, auf einen einzelnen Adressaten bezogene Sammlung von Ranke-Briefen und zugleich eine der umfangreichsten Ausgaben von Briefen Rankes überhaupt, eine Ausgabe, die bis heute ihren selten genutzten Wert behalten hat. Sie reicht vom 14. Febr. 1867 - der Verlag war erst 1866 an den jungen Carl Geibel übergegangen - bis zum 12. Mai 1886, dem letzten Brief Rankes überhaupt vor seinem Tod am 24. des Monats und stellt eine für seine Arbeitsweise im allgemeinen, die Gestaltung der ‚Sämmtlichen Werke‘ mit Umarbeitungen und Korrekturen, die Entstehung des ‚Hardenberg‘, der ‚Weltgeschichte‘ im - 246 -

II/3.1.4 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

besonderen und anderen wichtige Quelle dar. Die Sammlung wird weniger genutzt, da die interpretierende Ranke-Forschung wesentlich stärker auf die Frühzeit und allgemeine Fragen einer möglichen Historik ausgerichtet ist und den Entstehungsumständen der Werke eine erheblich geringere Beachtung schenkt als einzelnen darin aufscheinenden Sentenzen. In einer Übersicht über die epistolarische Editionsgeschichte aus der Feder des Ranke-Forschers Fuchs (WuN I/1964, 16) wird sie nicht einmal genannt. Freilich hätte man gern die vorlaufenden Briefe Rankes aus den Jahren 1831 bis 1867, in denen bereits Beziehungen zum Verlagshaus bestanden, und die Gegenbriefe des Verlages zur Verfügung gehabt, doch ist davon fast nichts zutage getreten. Das Verlagsarchiv in seinem heutigen Bestand enthält keinerlei Rankeana mehr. Die Ausgabe ermangelt an einigen Stellen der Kommentierung, so daß bei der Vielzahl der Rankeschen Werke, Auflagen und Bände nicht immer sogleich klar ist, worüber gerade korrespondiert wird. Zu beachten bleibt ferner: Auch für den behandelten Zeitraum bietet die Sammlung lediglich eine Auswahl. Währenddessen machte man sich im Kreis der Hinterbliebenen Rankes nicht nur Gedanken über eine möglichst baldige Fortführung seiner abgebrochenen lukrativen Hauptunternehmungen, der ‚Sämmtlichen Werke‘ und der ‚Weltgeschichte‘, sondern auch über eine Ausgabe seiner Briefe, soweit sie dem Nachlaß und dem Kreis der Familie angehörten. Diese vielfältigen Pläne und Aktivitäten warfen in allen Bereichen eine Fülle von Problemen auf, die auch im Fall der Briefe mit Eigentümlichkeiten ihres Verfassers zu tun hatten. Bei Rankes Tod lag, wie zu erwarten war, keine geordnete oder auch nur konsequent zusammengetragene Sammlung seiner Korrespondenz vor, vielmehr führte die von ihm lebenslang aufrecht erhaltene Unordnung auch posthum zu Verwirrung. Manche Briefkonvolute wurden erst später aufgefunden, andere möglicherweise bewußt beiseitegenommen. Auffallend, daß gewisse, später nach Syracuse auktionierte Teile zwar von verschiedenen Korrespondenten herrühren, aber zu einem statistisch übermäßigen Teil den 1880er Jahren entstammen. (s. II/3.3). Auch der Zukauf der Staatsbibliothek Berlin vom Jahre 1974 hat auffallenderweise einen wohl von Rankes Gattin Clara beeinflußten Sammelschwerpunkt bei 1851 und 1852 und hätte Friduhelm von Ranke bekannt sein müssen. So ist es nur allzu wahrscheinlich, daß Erben, Anverwandte oder Nahestehende die eine oder andere Sammelmappe separiert und bis zu fern liegenden Auktions- oder Verlusttagen aufgehoben haben. Wie spätere Veröffentlichungen zeigen, war auch von den Nachkommen der um diese Zeit bereits verstorbenen Geschwister Rankes nicht sogleich alles für die erste Briefausgabe zur Verfügung gestellt worden. Dies gilt wohl vor allem für Bestände, die sich später im Besitz der nächsten und übernächsten Generation (Selma, gen.Lily von Ranke, Etta Hitzig und Luise Kriebitz) vorfanden. Otto, Friduhelm und Maximiliane hatten nicht nur unterschiedliche Vorstellungen hinsichtlich der in Rankes Testamentsentwurf angedachten konzentrierten Briefausgabe, sie legten auch jeweils eigene Sammlungen an. Besonders Friduhelm, dazu seine Schwester Maximiliane von Kotze hatten schon bald nach dem Tod des Vaters ganz eigene, aus wissenschaftlicher Sicht abwegige und widersprüchliche ‚editorische‘ Vorstellungen entwickelt und auch konkrete Vorarbeiten zu einer Ausgabe unternommen, wie aus einem unveröffentlichten Brief Friduhelms an seine Schwester vom 20. Febr. 1887 hervorgeht: „Für den Gedanken einer Herausgabe ‚L. v. Ranke. Briefe an seine Familie‘ kann ich mich nicht begeistern. Ich möchte nicht, daß jetzt schon unsere Häus- 247 -

II/3.1.4 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

lichkeit in ihrer Eigentümlichkeit öffentlich bekannt würde. Dagegen sind sie als Material für eine künftige Biografie unschätzbar. Aber schon jetzt können meiner Ansicht und meinem Wunsche nach seine ‚Reisebriefe‘ veröffentlicht werden. Zunächst sind eine Anzahl Briefe aus seiner Reise 1827 bis 1831 an [Heinrich] Ritter und auch an Onkel Heinrich vorhanden. Die an Mama gerichteten sind ja durchweg ‚Reisebriefe‘ bis auf wenige Ausnahmen. Ich glaube, daß sich ein ganz hübscher Band schon jetzt zusammenfände und vermutlich finden wir, so bald wir darüber unter uns und Geibel einig wären, recht bald manche erwünschte Ergänzung. Ich habe im Ganzen 76 Briefe an Onkel H[einrich Ranke] bis jetzt gefunden, die meisten aus den Jahren 1820-1825; alle für uns sehr interessant, doch eigentlich nur zum geringen Teil zur Veröffentlichung geeignet. - Ich sende Dir noch zwei Briefe, die in Deine Sammlung [!] gehören - - -“ (NL EvR, ehem. Privatarchiv Dr. Bäcker-v. Ranke, heute Ranke-Archiv, Wiehe). Doch es kam weder zu einer reinen Ausgabe von Familienbriefen noch zu einer solchen von Reisebriefen. Es kam überhaupt nicht zu einer selbständigen Ausgabe. Durch die von Alfred Dove (1844-1916) bereits im Todesjahr Rankes übernommene Fortführung der ‚Weltgeschichte‘ Rankes und im Folgejahr der ‚Sämmtlichen Werke‘ gelangte auch das Briefvorhaben unter die Ägide des Rankeschen Spät-Schülers, der nicht nur Professor der Geschichte war. Er verfügte auch über publizistisch-journalistische Erfahrung. So erschien im Jahre 1890 im Verbund mit Autobiographica und Tagebuchblättern Rankes eine in Zeitraum und Empfängerkreis gemessen am Gesamtbestand eher bescheidene Sammlung von 298 Briefen Rankes im letzten Doppelband (53/54) der ‚Sämmtlichen Werke‘. Die Schreiben richten sich lediglich an 48 Adressaten, über die Hälfte an 16 Familienangehörige und reichen vom 4. Aug. 1819 bis zum 12. Mai 1886, wodurch der Friduhelmsche Gedanke einer Sammlung von Familienund Reisebriefen doch noch ein wenig zum Tragen kam, freilich kaum die Rankesche Vorgabe, nur solche Briefe der Öffentlichkeit zu übergeben, „welche einen inneren Wert und eine Beziehung zu den allgemeinen Verhältnissen haben.“ (Bäcker-von Ranke/1955, Anm. Bd., [83]). Diese ohne größere Recherche-Bemühungen früh und wie spätere bedeutende Brieffunde zeigen - eilig zusammengestellte Sammlung wurde - neben den autobiographischen Diktaten - für Jahrzehnte grundlegende, jedoch völlig unzureichende Quelle zur Lebensgeschichte Rankes. Es ist nicht eigentlich eine wissenschaftliche, sondern, wie so oft, eher eine Familienausgabe, die zwar von einem Wissenschaftler herausgegeben, jedoch in Herkunft und Auswahl der Stücke unter dem Einfluß zufälliger und manipulativer Momente ihrer gesamten Überlieferungsgeschichte gelitten, nunmehr auch unter dem starken Einfluß der Nachkommen gestanden hatte: Sie war, was Dove nicht verschwieg, „durch die Bemühung der Hinterbliebenen zusammengebracht worden“ (SW 53/54, VII), welche sich selbst recht eigenwillig um das Sammeln und Zusammenstellen im Kreis der Familie bemüht hatten und auch ansonsten Dove nicht mit besonderer Rücksicht behandelten. Die extrem unausgewogene Auswahl mit ihrer Bevorzugung der Familien- und Verwandtenkorrespondenz hat in der ein halbes Jahrhundert lang einflußreichen Edition die Beurteilung des Korrespondenzganzen und ihres Urhebers nicht unwesentlich in einer emotionalen und literarischen Richtung vereinseitigt. Sie zeigt Ranke, wie von Dove unbegreiflich zum Motto der Ausgabe erhoben, folgenreich als „good fellow“ (IX). Was die Qualität der Doveschen-Briefeditorik anbelangt, so wurde diese bisher nicht wesentlich beanstandet. Abgesehen von Herkunftsangaben gibt Dove keinen Einblick in die epistolarische Nachlaßsituation und die Gründe für bestimmte editorische - 248 -

II/3.1.5 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Entscheidungen. Daß unter der Hektik der insgesamt sechs Bände, die in den Jahren 1886 bis 1890 in den ‚Sämmtlichen Werke‘ und der ‚Weltgeschichte‘ von ihm herausgebracht wurden, auf Kommentar-Notwendigkeiten der Briefe keine Rücksicht genommen wurde - Dove sprach glaubhaft gar von „lästigen Anmerkungen“ (SW 53/54,VI) wiegt nicht leicht, doch schwerer noch der Verdacht, der sich an ein in der RankeForschung unbekannt gebliebenes absprechendes Urteil über seine Editionskünste knüpft. Es wird anläßlich seiner späteren Ausgabe von Briefen Edwin von Manteuffels an Ranke zu behandeln sein (s. II, 250). Außer den von Clara von Ranke zusammengestellten, in der Folge dem Blick verloren gegangenen Briefalben und daran anschließend einigen jahrgangsweise zusammengelegten Briefbündeln fanden sich nach Rankes Tod noch zumindest mehrere hundert Briefe „völlig ungeordnet in den Fächern seines großen Schreibtisches“ (FvR/1904, 29/1, 77). Auch entdeckten die Erben rund 15 Jahre nach Rankes Tod noch „etwa 200 bis 300 Konzepte eigener Briefe, die Alfred Dove bei seiner Auswahl der für den Druck geeigneten nicht vorgelegen hatten (ebd., 77ff.). Zwei später im Besitz der Gattin Friduhelms, Selma (genannt Lily) von Ranke, befindliche Briefmappen, wovon Dove wohl nur eine vorgelegen hatte, wurden mit anderem reichhaltigen Material aus dem Besitz Lilys im August 1922 dem Schloßarchiv Rudolstadt übergeben (Schwarz/ 1923, 14, 19). Sie sind heute verschollen. Ein Teilüberblick dieses ehemaligen Bestandes findet sich in II, 301f. D i e z w e i t e E d i t i o n s p h a s e . 1 8 9 2 - 1 9 4 3 (II/3.1.5) Die beiden ersten großen Briefveröffentlichungen - die Ausgabe Geibels von 1886 und die Doves von 1890 - blieben bis zum Jahre 1949 auch die mit weitem Abstand umfangreichsten. Nach Dove begann die bis heute währende, lediglich durch die noch zu betrachtende Edition des Ranke-Forschers Bernhard Hoeft unterbrochene über hunderjährige Zeit von Klein-Editionen. Zwar wurden noch fast 300 weitere Briefe Rankes bekannt, doch diese entstammen über die Jahrzehnte verteilt einer Vielzahl von rund einhundertfünfzig Veröffentlichungen mit nicht selten einem einzigen Brieftext. Zunächst erschien zwischen 1892 und 1895, wohl angeregt durch das Beispiel Reumonts, einige Korrespondenz Rankes mit Historikern in jeweils sehr geringem Umfang: mit Stenzel, von Arneth, Gindely, Pertz, Arnold Dietrich Schaefer, Dümmler, vor allem mit Reumont, Stenzel und Sybel. Weitere, mit Bluntschli, Waitz, Segesser und Treitschke, Niebuhr, Dove und Noorden folgten in den Jahren 1915 bis 1934. All dies jedoch unkoordiniert und zumeist in kleinster Stückzahl. Doch zuvor hatte sich Rankes langjähriger und einflußreichster Amanuense Theodor Wiedemann die doppelte Gunst der Jubiläumsjahre 1895 und 1896 zunutze und daran gemacht, in nicht weniger als sieben Beiträgen Korrespondenzteile Rankes mit Rahel und Carl August Varnhagen von Ense aus der Zeit vor, während und kurz nach Rankes italienischer Reise - auch mit der gelegentlich außerordentlich drastischen Bettina von Arnim - zu publizieren. Der Ranke-Forscher Hans Ferdinand Helmolt, der dazu einiges überprüfte und auch korrigierte, fand, die Übertragung Wiedemanns „strotzt leider, wie gewöhnlich, von Nachlässigkeiten“ (Helmolt/1921, 170f., A. 51). Dies wirft auch kein gutes Licht auf die erheblichen Beistandsleistungen - sei es beim Korrekturlesen, Literaturbeschaffen und anderem mehr -, die Wiedemann sechzehn Jahre an der Seite Rankes erbrachte. - 249 -

II/3.1.5 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Der zehnte Todestag Rankes rief auch Alfred Dove wieder auf den Plan. Er veröffentlichte aus einer Sammlung von rd. 170 Briefen Edwin von Manteuffels an Ranke deren 52 (Dove: Briefe Edwin Freiherrn von Manteuffels an Leopold von Ranke/1896). Es war die erste größere Ausgabe von An-Briefen, und sie blieb es auch bis zum Jahre 1965 (Fuchs: Heinrich Ranke/1965, s. u.). Zur Doveschen Ausgabe bemerkte indes die Meinecke-Schülerin Elisabeth Schmitz, welche die Brief-Originale aus dem Besitz Lily von Rankes benutzte, in einer der Ranke-Forschung verborgen gebliebenen Dissertation (Edwin von Manteuffel als Quelle zur Geschichte Friedrich Wilhelms IV./1921, 24, A. 1) überraschend: „Der Gesichtspunkt, nach dem aus den ca. 170 Briefen die 52 publizierten Schreiben ausgewählt wurden, ist nicht immer zu ersehen. Es scheint teilweise mit ziemlicher Willkür gewaltet worden zu sein; einige der unveröffentlichten Briefe sind von mindestens der gleichen Wichtigkeit wie viele der andern. Den wichtigsten aller Briefe, die sich auf den Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen beziehen, dessen Fehlen allerdings auf äußere Umstände zurückzuführen sein wird, veröffentliche ich im Anhang.“ (s. II/3.2, Schmitz/1921). - Briefeditorisch von weitreichender Bedeutung sind folgende Feststellungen von Schmitz: „Ein Vergleich der Doveschen Publikation (Kleine Schriftchen/1898, 235ff.) mit den Originalen hat ergeben, daß der Text von unzähligen Lese- und Flüchtigkeitsfehlern wimmelt, die allerdings meist nicht sinnentstellend wirken. Indessen kommen solche auch vor. Auslassungen, die den Umfang von halben Sätzen annehmen, sind nicht selten.“ (Schmitz/1921, 26, A. 2). Es folgen Beispiele (ebd., 26f., A. 2, auch 213, A. 1 sowie Umdatierung des Briefes M.s von 2. Jan. 1872 auf recte 2. Jan. 1873). - Die zeitliche Struktur der Korrespondenz beschreibt Schmitz wie folgt: „...die Briefe Manteuffels an Ranke erstrecken sich über die Zeit von 1847 bis zum Tod Manteuffels im Jahre 1885. Aus den ersten Jahren liegen aber nur ganz vereinzelte Schreiben vor, etwas häufiger werden sie erst Mitte der sechziger Jahre, von Manteuffels Übersiedelung nach Schleswig an, um zahlreich erst in den Jahren 1870ff. zu werden. In der Zeit vor dem Erscheinen des Briefwechsels Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen im Jahre 1873 beziehen sie sich fast ausschließlich auf diesen. Ranke hat Manteuffel das Manuskript mit der Bitte um Kritik zugeschickt und späterhin erhält Manteuffel immer sofort vom Drucker ein Exemplar der Druckbogen, das er mit einem Begleitbrief, in dem er Fehler berichtigt, Erinnerungen erzählt, Urteile fällt, an Ranke weiterschickt. In derselben Weise wird 1877 Rankes Aufsatz über Friedrich Wilhelm IV. für die Allgemeine Deutsche Biographie behandelt.“ (Schmitz/1921, 26). Währenddessen hatte Friduhelm von Ranke Zeit gefunden, die noch überraschend zutage getretenen 200 bis 300 Konzepte, welche Dove nicht vorgelegen hatten, durchzusehen. Die daraus gearbeitete, immer noch beachtenswerte Veröffentlichung des jüngeren Sohnes enthält vierzig locker verknüpfte Briefe Rankes an eine große Zahl von Adressaten, vorwiegend aus den 1850-1870er Jahren, und 32 Briefe an Ranke, die wohl aufgrund der Prominenz ihrer Verfasser gesammelt und von Friduhelm, der es bis zum Generalmajor gebracht hatte, aus dieser Sicht für schmückend und passend mitteilungswürdig gehalten wurden. Den Friduhelmschen Fund durfte auch Conrad Varrentrapp nutzen, der in drei Publikationen der Jahre 1908, 1910 und 1911 Briefe von Savigny und von Historikern an Ranke in wenig gelungener Form mitteilte. Über Varrentrapps HPZ-Beitrag von 1907 äußerte Schwarz, der Autor „dürfte ... die Quellen nicht allzu sorgfältig benutzt haben“, wobei er auf Paulsen/1922, 52 verwies (Schwarz/1923, 15, A. 7 von Vorseite). - 250 -

II/3.1.5 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

In den Jahren 1904, 1907 und 1912 wurde von Paul und Friedrich Carl Wittichen mit einem Nachtrag von Ernst Salzer erst- und letztmalig wichtige Korrespondenz Ranke - Gentz mitgeteilt. Noch zu erwähnen aus dem Verwandtenkreis ist Korrespondenz des Ranke-Bruders Ernst Constantin, von seiner Tochter Etta Hitzig 1906 herausgegeben. Zumeist sind es Erstdrucke großer Teile (102 Stücke) des für Rankesche Begriffe umfangreichen Briefwechsels mit dem gelegentlich nützlichen Bruder aus den Jahren von 1834 bis 1886, dem einzigen seiner vier Brüder, der Ranke überlebte. In der Ranke-Forschung unbekannt, auch von Fuchs in seinem ‚Gesamtverzeichnis der gedruckten Briefe Leopold Rankes‘ (Brw 601-627) u. a. ausgelassen blieb die Veröffentlichung (Vukova prepiska. Bd. 5, 1910) von sieben Briefen Rankes an Vuk Stefanović Karadžić und von neun Briefen Vuks an Ranke aus den Jahren 1830 bis 1853, welche für Rankes problematische Serbica von Bedeutung sind. Hans F. Helmolt, der sich mit einer Ranke-Bibliographie und kleineren Beiträgen Verdienste erworben hatte, nahm in seine 1921 erscheinende, ihrer anspruchsvollen Aufgabe allerdings weder qualitativ noch quantitativ gerecht werdende Ranke-Biographie achtzehn ungedruckte Briefe an unterschiedliche Adressaten der Jahre 1824 bis 1869 auf. Diese Briefe und der fundgrubenmäßige Charakter der Darstellung machen noch den heutigen Wert der Schrift aus. In den 1920er Jahren veröffentlichte Hermann Oncken in zwei sehr nützlichen Beiträgen (‚Aus Rankes Frühzeit‘/1922 und als Nachtrag ‚Zur inneren Entwicklung Rankes‘/1925) mit Briefen an Ranke und anderer Korrespondenz insgesamt 29 Briefe Rankes an seinen Verleger Perthes, welche für Rankes erste italienische Reise und deren unmittelbaren Ertrag - ‚Don Carlos‘, ‚Serbische Revolution‘, ‚Verschwörung gegen Venedig‘, ‚Fürsten und Völker‘ - sowie teilweise seine ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ von herausragender Bedeutung sind. Obgleich Oncken dabei zuvor von Paulsen (1922) in ziemlich liederlicher Weise veröffentlichte Briefe in Datierungen und Lesarten korrigieren konnte, mußte er sich von Schwarz (1923, 15) sagen lassen, er scheine für den Quellenanhang seines 1922 erschienenen Werkes „nur die am besten lesbaren Briefe sich ausgewählt zu haben, denn z. B. ital. Briefe“ seien „in den von ihm benutzten Mappen des Rudolstadter Nachlasses [damals im Schloßarchiv] - noch eine grössere Zahl vorhanden.“ Hingegen besitzt die nach Friduhelm von Rankes Tod (1917) von seinem Bruder Otto im Rahmen einer schlichten Darstellung zum Thema ‚Leopold von Ranke in seiner Familie‘ (1923) herausgegebene Briefzusammenstellung nur einen geringen Wert. Obgleich der ältere Sohn Rankes lange Zeit im Besitz bedeutender Teile des Nachlasses gewesen sein dürfte, dessen nichtepistolarischen Bestand er 1921 an den Verein der Freunde und Förderer der Staatsbibliothek veräußerte, eine Zeit, in der auch große Teile der Rankeschen Korrespondenz mit anderen Papieren an das Geheime Staatsarchiv gelangten, so scheint er darin Neues und Bedeutendes weder gesucht noch gefunden zu haben. Lediglich einige Briefe seines Vaters an ihn sind als Erstdrucke anzusehen. In welcher Beziehung zu den nach Rankes Tod im Nachlaß aufgetretenen Briefkomplexen das „Bündel Briefschaften“ steht, welches Rankes Enkelin Ermentrude von Ranke (1892-1931) später „unter anderen Familienpapieren entdeckte, ca. 200 Briefe, die Leopold Ranke in den Jahren 1814-1836 aus seinem Elternhaus von Vater, Mutter und den jüngeren Geschwistern erhalten hat“ (EvR†/1966, 115), ist nicht klar. Sie - 251 -

II/3.1.6 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

wurden in einem posthum herausgegebenen Vortrag Ermentrudes, freilich mit geringem Niederschlag, verwertet. Die Enkelin Rankes, habilitierte Historikerin, hatte in der 1925 begonnenen Werk- und Nachlaßausgabe der Deutschen Akademie die Edition der Briefe übernehmen sollen, gelangte jedoch aufgrund ihres frühen Todes wohl über das Sichten und Sammeln nicht hinaus. In dieser auch sonst von mangelndem Realitätssinn geprägten, mit rund 100 Bänden auf das Totale ausgerichteten Ausgabe waren ihr in Unkenntnis der wahren Verhältnisse lediglich zwei Bände für den Briefwechsel eingeräumt worden (Joachimsen: Die Ranke-Ausgabe der Deutschen Akademie/1925, 59). Abschriften von Briefen oder gar druckfertig gemachte Manuskripte sind von Ermentrude nicht bekannt geworden. Jedoch gerieten die von ihr aufgefundenen Briefe in den Arbeitsbereich Bernhard Hoefts (siehe dessen Vorw. in NBrr und NL in II, 194f.). Zu Ermentrudes Vorarbeiten gehört als wesentliche Komponente eine handschriftliche Übersicht über die von ihr 1925 gesichteten Teile des RankeNachlasses des Geheimen Staatsarchivs, Berlin (s. II, 191, 286-289), die um so wichtiger ist, als diese Bestände heute nicht mehr existieren, zumindest verschollen sind. Vor allem die von ihr anhand der Briefe notierte Übersicht über etwa 175 Korrespondenten Rankes dürfte manchen archivlichen Fingerzeig enthalten, denn Briefen kommt bekanntlich nicht allein durch expedierte Ausfertigungen, auch durch Konzepte, eigene und fremde Abschriften eine mehrfache materiale und lokale Existenz zu, die sich gelegentlich einem totalen Verlust oder Vernichten zu entziehen weiß. Adolf Stoll veröffentlichte 1929 und 1939 aus Rankes Nachlaß im GStA Berlin in Ergänzung zu dem von Varrentrapp 1908 Mitgeteilten sieben durch Einwirkung des 2. Weltkriegs wahrscheinlich vernichtete Briefe Savignys an Ranke von 1828 bis 1858 sowie einen Brief von Karl Friedrich von Savigny (Sohn von Fr. K. v. S.) an Ranke aus dem Jahre 1871. Die Jahre 1939 und 1940 brachten mit einer Hinwendung zu den Beständen des Geheimen Hausarchivs München trotz der Kriegsereignisse editorisch außerordentlich Nützliches hervor. In einer solide gearbeiteten Edition hat Karl Alexander von Müller, damals als Sekretär kommissarischer Präsident der Historischen Kommission, neben wichtigen Denkschriften Rankes Nachträge zu den von Dove in SW 53/54 herausgegebenen Briefen an König Maximilian II. von Bayern geliefert und zusammen mit der nicht minder quellengesättigten, soliden Arbeit von Bernhard Hoeft über Rankes Berufung nach München dem interessanten Thema der Beziehungen beider wie auch dem der bayerischen Wissenschaftspolitik Maximilians und Rankes hervorragende, noch immer zu beachtende Grundlagen geschaffen. Es folgten bis 1943 drei Kleineditionen von Briefen durch Berger (1942) - für Rankes Frühzeit von Interesse -, Willers (1943) und Kaphan (1943), während in Hamburg eine Großedition der Bombardierung zum Opfer fiel. Die Briefausgaben von 1949 (II/3.1.6) Im Jahr 1949 erschienen die beiden bislang umfangreichsten Ausgaben von Briefen Rankes, mit denen bis heute gearbeitet wird, und die unterschiedlicher nicht sein können: Leopold von Ranke. Neue Briefe. Gesammelt und bearbeitet von Bernhard Hoeft†. Nach seinem Tod hg. von Hans Herzfeld. Hmbg.: Hoffmann u. Campe 1949 (XXXII, 778 S.).

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Leopold von Ranke. Das Briefwerk. Eingeleitet und herausgegeben von Walther Peter Fuchs, Hmbg.: Hoffmann u. Campe 1949 (LVI, 642 S.).

Die eigentliche Sensation, die als solche nur wenige bemerkten oder anerkannten, lag nicht in der ‚Briefwerk‘ betitelten, sondern in der ‚Neue Briefe‘ genannten, von Hans Herzfeld betreuten Ausgabe Bernhard Hoefts (1863-1945). Hoeft hatte sich vom Schulmann zum Romancier - einige seiner Werke brachten es bis zur 5. und 8. Auflage - und 69jährig von diesem zum promovierten Historiker gewandelt und in den Jahren 1932 bis 1940 drei solide gearbeitete Schriften zur Ranke-Forschung vorgelegt. In vierzehnjähriger Forschungsarbeit transkribierte er aus zahlreichen privaten und öffentlichen Beständen, bis hin zur Ranke Memorial Library Syracuse N. Y., vor allem Briefe von und an Ranke, aber auch anderes Material, etwa aus dem Archiv der Universität Berlin, aus dem der Preußischen Akademie der Wissenschaften, dem Geheimen Hausarchiv München und anderen Einrichtungen und Sammlungen mehr, auch Teile der Nachlässe Etta Hitzig, der Tochter Ernst Rankes, und Luise Kriebitz, einer Enkelin Ferdinand Rankes, und er nutzte in dankbarer Anerkennung die nachgelassenen Vorarbeiten Ermentrude von Rankes. Sein Vorwort (VII-XII) stellt dies in einem Forschungsbericht dar, den man sich freilich erheblich ausführlicher gewünscht hätte. Als Achtzigjähriger mußte Hoeft erfahren, daß seine bereits gesetzte, zum Greifen nahe Briefedition während des Drucks der Bombardierung Hamburgs zum Opfer gefallen war. Hoeft - wohl in völliger Ungewißheit über das weitere Schicksal seiner jahrelangen, in letzter Minute zerstörten Arbeit - starb unter ungeklärten Umständen 1945 während des Einmarschs der Roten Armee in Berlin (s. Lutz Seiler: Im Kieferngewölbe. In: Sinn und Form, Jg. 25, 2003. Frdl. Hinweis von Siegfried Baur). Seine Edition war und blieb forschungsgeschichtlich die bedeutendste. Sie hat nicht ganz das inhaltliche Gewicht der Edition Doves (SW 53/54, 1890), ist jedoch im Grunde verdienstvoller, da sie zum ersten Mal in der Geschichte des Ranke-BriefEdierens mit Blick auf das Ganze systematisch eine Vielzahl von Beständen erfaßte. Die nach seinem Tod von Hans Herzfeld betreute Edition reicht bei etwa 175 Korrespondenten und an die 640 bis dato unbekannten Briefen Rankes von 1814-1886. - Neben einigen weniger belangvollen Stücken treten besonders Briefzyklen mit Rankes Bruder Ferdinand und mit Edwin von Manteuffel hervor. Letzterer umfaßt einige der außerordentlich seltenen Briefe Rankes von historisch-politischer Thematik und ‚Importanz‘, Briefe, die um so erwünschter waren, als die Sammlung Doves nur einen einzigen an Manteuffel enthielt. Was die Qualität der Edition anbelangt, so ist darüber nur schwer ein Urteil zu fällen, da die meisten ihrer Vorlagen vernichtet oder verschollen sind. Aufgrund der von Hoeft in vierzehn Jahren gesammelten Erfahrung im Umgang mit Rankes und einer Vielzahl anderer Handschriften ist man geneigt anzunehmen, daß die Zahl von Fehlentzifferungen nicht allzu groß sein dürfte. Ein von ihm edierter Brief an Heinrich Ranke vom 22. 4. 47 (NBrr 322-324) beispielsweise zeigt indes einige starke Abweichungen zu dem von Schwarz (1922, 13, A. 1) vorgenommenen Teildruck (Hoeft: „Diese Dinge aber ergreifen die Historie, korrigieren sie; auch mich haben sie ein paar Tage unruhig gemacht.“ - Hingegen wohl richtig Schwarz: „Diese Dinge aber ergreifen die Geister, empören sie; auch mich haben sie ein paar Tage unruhig gemacht.“). - Man erkennt hieran wieder einmal die generelle Schwierigkeit der Entzifferung Rankescher Texte auch für erfahrene Leser. Als kleinere Schwächen kann man das Fehlen archivlicher Einzelnachweise und eine aus heutiger Sicht allzu geringe Kommentierung - 253 -

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bezeichnen, so daß die Ausgabe höheren wissenschaftlichen Formal-Standards nicht entspricht. Auch sind die Texte in ihrer Schreibweise (überholt) modernisiert. Auf welche Art von Ausgabe oder Ausgaben die Archiv-Arbeiten Hoefts mit ihren vierstellig vorhandenen Abschriften von An-Briefen ursprünglich oder letztlich notgedrungen abgezielt haben, ist überhaupt nicht leicht zu erkennen. Auch ist nicht klar, wie weit der Einfluß des Verlages, des Herausgebers und der Zeitumstände vor und besonders nach Hoefts Tod ging. Hoefts Ausgabe stellt jedenfalls nur einen Teil dessen dar, wozu er aufgrund seiner Vorarbeiten imstande gewesen wäre. Es ist nicht vorstellbar, daß die von ihm auch für die An-Briefe geleistete ungeheure Arbeit nur dazu hatte dienen sollen, diese an einigen wenigen Stellen seiner ‚Neuen Briefe‘ in kurzen Teildrucken anmerkungsweise zu zitieren. Hoefts überdauerndes Verdienst besteht jedenfalls darin, mit seiner Suche und seinen archivlich erhaltenen Abschriften (s. II, 194f., 291) einen großen Teil der untergegangenen Korrespondenz Rankes bewahrt zu haben und damit zum Fundament einer künftigen kritischen ‚Gesamtedition‘ in ganz erheblicher und unvergleichlicher Weise beigetragen zu haben. Über die im selben Jahr und Verlag erschienene Ausgabe von Walther Peter Fuchs, der sich zuvor noch nicht auf dem Felde der Ranke-Forschung gezeigt hatte, wären nur wenige Worte zu verlieren, wenn sie nicht in der Literatur eine noch anhaltende kanonische Geltung erlangt hätte, wohingegen die Hoeftsche Ausgabe bestenfalls als Appendix angesehen wurde, u. a. in einer der verbreitetsten Ranke-Darstellungen (Berding/1971), auch diese übrigens ein Erstlingsbeitrag, neben Fuchs nicht einmal genannt wurde. Die ungeheuerliche, da täuschende Titelgebung ‚Briefwerk‘ dürfte jahrzehntelang bei Ranke-Anfängern für Verwirrung oder Irrung gesorgt haben, illusionierte sie doch den Eindruck, hier werde nicht nur Umfassendes, sondern auch Abschließendes geboten. Forschungsgeschichtlich war mit dieser Edition indes nichts Neues gewonnen. Bei näherer Betrachtung erwies sich das ‚Briefwerk‘ dem Kundigen gar als dreistes Blendwerk: Es war nicht nur eine sekundäre Zusammenstellung aus Vorgänger-Ausgaben, sondern sie hatte auch aus diesen Quellen nicht einmal die Hälfte, nämlich 387 Briefe von etwa 800, und diese oft nur kürzend, übernommen. Wenn man die gleichzeitige und erheblich größere Hoeftsche Edition mit einbezog, enthielt dieses ‚Briefwerk‘ nur etwa ein Drittel des damals gedruckten Bestands. Gleichwohl wird die Ausgabe in nicht nachzuvollziehender Irrung gar „in die Veröffentlichungen aus dem Nachlaß“ gezählt (Ramonat/2007, 53). Ein bisher unerkanntes, jedoch folgenschweres Problem stellen die von Fuchs vorgenommenen Kürzungen der Briefe dar. Meine ursprüngliche, allgemein verbreitete Vermutung oder nur Voraussetzung, es handele sich dabei lediglich um notfalls zu verschmerzende Weglassungen von Incipit- und Explicit-Formeln und extremen Nebensächlichkeiten erwies sich bei näherer Betrachtung der Punktierungen als völlig irrig. Dazu seien einige Beispiele gegeben, welche die Motive und weitreichenden Folgen des Fuchs’schen Eliminierungs-Verfahrens illustrieren: Fuchs läßt zunächst für die Entstehung von Rankes Erstlingswerk wichtige Buchund Handschriftenbestellungen - man darf sagen: methodisch - unter den Tisch fallen, so eine Passage an Anton Richter, 13. 4. 23 (Brw, 38, vollst. SW 53/54, 107), eine andere an Heinrich Ranke, 18. 2. 24 (Brw, 123, vollst. SW 53/54 123). Bei einer dritten geht es um den frühen Kauf eines Bandes Relationen und anderer Manuskripte, an Heinrich Ranke, 27. 3. 26 (Brw, 97 vollst. SW 53/54, 153). Auch Literatur für die Fortsetzung von ‚Fürsten und Völker‘ I, darunter Tiraboschi und Tasso, fällt unter den Tisch (an Heinrich Ritter, 28. 10. 27, Brw 121, vollst. SW 53/54, 174f.). - 254 -

II/3.1.6 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Die Fuchsschen Eliminierungsverfahren gehen indes noch wesentlich weiter: Ein aus Doves Edition (SW 53/54, 311f.) herübergenommener Brief Rankes an Heinrich von Sybel vom 25. 4. 40 stellt eine Beurteilung des Manuskripts zu Sybels ‚Geschichte des ersten Kreuzzugs‘ dar. Rankes Beurteilung ist, wie so oft, lobend und tadelnd zugleich. Fuchs freilich beschränkt sich auf die positiven Bemerkungen (Brw 305f.) und läßt die 27 Zeilen, in denen Ranke den für seine Verhältnisse massiven, wenn nicht gar vernichtenden Teil seiner Kritik äußert, unter den Tisch fallen (u. a.: „Dagegen habe ich einen Zweifel, ob die Grundlage der ganzen Untersuchung, die Kritik des Wilhelm von Tyrus und des Albertus Aquensis eine vollkommene Evidenz und Festigkeit erlangt hat“). - Aus einem Brief Rankes an Georg Waitz ([9. 12. 38], SW 53/54, 305f.) streicht Fuchs (Brw 298f.) 30 Zeilen, in denen Ranke - und dies geschieht in seinen Briefen selten genug - den Ansatz zu einem wissenschaftlichen Meinungsaustausch (über Otto I. und über Paulus Diaconus) unternimmt. - Aus einem Schreiben an Wilhelm von Giesebrecht, Sekretär der Historischen Kommission, (20. 1. 67, SW 53/54, 473), streicht Fuchs (Brw 488) 15 Zeilen mit Äußerungen Rankes u. a. zu deren Arbeiten, hat allerdings Bemerkungen über die Geburt eines „Enkelchens“ stehen gelassen. - Dies wird noch weit übertroffen durch eine 30zeilige Unterdrückung (Brw 515) von Stellungnahmen und Direktiven Rankes an Giesebrecht (2. 10. 72, SW 53/54, 504f.), für die Planung der 13. Versammlung der Kommission zu wichtigen laufenden Projekten (u. a. ADB). - Aus Empfehlungen Rankes für die von Kg. Maximilian II. geplante Errichtung eines Lehrstuhls für Geographie an der Münchener Universität, 1858, (Erstdr./Or.: v. Müller/1939, 21-23) beseitigt Fuchs die personalen Urteile und Empfehlungen (Brw 427). Selbstredend fehlen der Ausgabe auch ganze Briefe mit fachhistorischem und geschäftsmäßigem Charakter, wie etwa ein ausführlicher und wichtiger Brief an Sybel, den Ranke noch während der Sitzungen der Historischen Kommission am 7. Okt 1863 in München schrieb (SW 53/54, 421-424) oder sein Brief vom 20. 7. 64 an Giesebrecht (SW 53/54, 428), zu einer Zeit, da die Historische Kommission nach dem Tod Kg. Maximilians in eine tiefe existenzielle Krise zu geraten schien. Weitere Beispiele sind in großer Zahl möglich. Doch sollte dies für den Aufweis genügen, daß Fuchs in seinem ‚Briefwerk‘ besonders forschungsgeschichtlich interessante und bedeutende Passagen unterdrückt hat, wodurch zum einen seine Ausgabe für wissenschaftliche Zwecke nicht nur unbrauchbar, sondern geradezu risikoreich wurde und zum anderen über sechs Jahrzehnte hinweg in starkem Maße dazu beitrug, ein entwissenschaftlichtes, weniger argumentatives als parlierendes, ein eher literarisch weichgezeichnetes Ranke-Bild entstehen zu lassen, das die von Dove ansatzweise vorgebildeten, durch zahlreiche Familienbriefe humanisierten „good fellow“-Züge weiter verstärkte. Dies um so mehr, als durch das monopolistische und nutzungsbequeme Auftreten des ‚Briefwerks‘ eine allenthalben festzustellende Verdrängungswirkung gegenüber den wertvolleren Primäreditionen stattfand, die Fuchs mißbräuchlich abgedruckt hatte. Da kann ein verbreitetes Urteil, „Die Edition als solche darf als ausgezeichnet bezeichnet werden“ (Vischer/1951, 278), nur als gänzlich ahnungslos gelten. Das Verdienst der epistolarischen Arbeit Fuchs’ beruht nicht in seiner Ausgabe, sondern in deren Vorarbeit, im erstmaligen Zusammenstellen einer größeren - nicht vollständigen - Zahl von Primäreditionen und damit vor allem in dem daraus erarbeiteten ‚Gesamt- 255 -

II/3.1.7 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

verzeichnis der gedruckten Briefe Leopold Rankes‘ (Brw, 601-627). Es ist, wenn vorwiegend briefchronologisch und ohne Beachtung der An-Briefe recherchiert wird, weiterhin von - stark eingeschränktem - Nutzen. Dort fehlen etwa 45 übersehene und natürlich, seitdem veröffentlicht, weitere etwa 60 Briefe. Im übrigen treten in seinem Verzeichnis auch hinsichtlich Adressaten und Daten einige z. T. übernommene Versehen auf. Es dürfte sich daher - wenn überhaupt - ein Abgleich mit vorliegendem Korrespondentenregister (II/3.4) empfehlen. (Einklammerungen beziehen sich auf II/3.2). Der dortige ‚Briefwerk‘-Fehlbestand der bis 1949 edierten Briefe Rankes ist folgender: 3 Briefe an S. Austin (39). - 1 Brief an Bethmann-Hollweg (79). - 1 Brief an Fr. oder H. Brockhaus (86). - 1 Brief an Dominik (19). - 1 Brief an Eich (12 u. 22). - 1 Brief an Eichhorn (53). - 2 Briefe an Geibel, 24. 12. 68 u. 26. 6. 75 (34). - 1 Brief an Grotefend (2. 5. 69, 133, S. 521). - 7 Briefe an Karadžić (88). - 1 Brief an E. v. Manteuffel (105). - 1 Brief an Ferdinand Meyer (65). - 1 Brief an H. v. Mühler (132). - 1 Brief an Pauli (93). - 1 Brief an Fanny Pollau [6. 11. 25] 133, 76f.). - 1 Brief an Puchta (87). - 1 Brief an CvR u. Kinder, 3. 10. 58 (41, S. 397f.). - 2 Briefe an ER [Mitte Juni 37] (75, S. 137f.) u. 23. 9. 71 (133, S. 564). - 2 Briefe an FR, 29. 5. 35 (133, S. 200f.) und 8. 2. 37 (133, S. 234f.). - 1 Brief an Gottlob Israel Ran(c)ke, Ende Okt. 20 (133, 16f., A 5). - 1 Brief an Selma Ranke, geb. Schubert, 19. 9. 34 (133, 191f.). - 4 Briefe an OvR (109). - 1 Brief an Reumont [vor dem 3. 5. 83] (35). - 1 Brief an J. K. L. v. Schorn, 6. 8. 38 (133, S. 258f.). - 1 Brief an Segesser (101). - 1 Brief an Times-Korrespondenten (9, 10). - 1 Brief (55) u. 2 Billets (66) an K. A. Varnhagen v. E. - 1 Brief an Zinkeisen, 29. 8. 38 (133, 261f). - 1 Brief an v. Zwehl, 9. 11. 59 (72). Sonstige Mängel: 1828 Febr. 24, nicht an Heinrich Ritter, sondern an Heinrich Ranke. - 1828 Nov. 26, an Bettina v. Arnim, richtig 26. Dez. 1828. - 1829 Nov. 15, an Heinrich Ritter. Nicht am angegebenen Druckort (SW 53/54, 223ff.). Brief existiert nicht, dort Brief vom 6. Nov. 1829. - 1831 Aug. 29, an Rahel Varnhagen, richtig 24. Aug. 1831. - 1832 Jan. 24, an Fr. Perthes, ist identisch mit dem ebenfalls aufgeführten Brief vom 31. Jan.1832. Letzteres Datum dürfte zutreffen. - 1835 Mai 20, nicht an B. Kopitar, sondern an Ferdinand Ranke. - 1849 Okt. 18, nicht an Kg. Friedrich Wilhelm IV., sondern an den späteren Kaiser Friedrich III. - 1861 Aug. 8, an W. Groen van Prinsterer, richtig 11. Aug. 1861. - 1862 Okt. 4, an die Hist. Komm., richtig 1. Okt. 1862. - 1864 Juli 13, nicht an den bereits verstorbenen Kg. Maximilian II. v. B., sondern an Kg. Ludwig II. - 1879 Apr. 9, an Carl Geibel. Brief am angegebenen Druckort (SW 53/54, 546): 9. Apr. 1880. - 1879 Dez. 22, an Carl Geibel. nicht am angegebenen Druckort (SW 53/54, 546f). Brief existiert nicht, dort Brief vom 22. Dez. 1880.

D ie Br iefausgab en d er Jahr e 1951-1972 (II/3.1.7) Aus diesen Jahren sind neben einigen Einzelveröffentlichungen v. a. vier Veröffentlichungen mit Ranke-Korrespondenz zu nennen. Zunächst eine Veröffentlichung von Eduard Vischer. Er wollte bei seiner Nachlese „für den schweizerischen Bereich nachholen, was Hoeft mit ungleich größerem Erfolg für den allgemeineren geleistet“ hatte (Vischer/1951, 282), - eine Formulierung, die besser ungesagt geblieben wäre und brachte es dabei auf drei unbekannte Briefe, wovon ein Brief Rankes an August Graf von Platen, aus der Zeit der Italienischen Reise allerdings von besonderem Interesse ist. Verdienstvoll war auch Vischers späterer ausführlicher Beitrag nebst Edition (Vischer/1989) von drei Briefen Rankes an Niebuhr - bis dato war überhaupt nur ein einziger bekannt geworden - ebenfalls aus der Zeit der Italien-Reise. Im Jahre 1955 trat der Urenkel Rankes, Enkel Friduhelms und Sohn Ermentrudes, Gisbert Bäcker-von Ranke, nach einer bemerkenswerten Diplomarbeit über ‚Rankes Geschichtschreibung im Urteil der deutschen Öffentlichkeit‘ (1952) mit einer Disser- 256 -

II/3.1.8 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

tation über ‚Leopold von Ranke und seine Familie. Kulturgeschichtliches Bild einer deutschen Gelehrtenfamilie im neunzehnten Jahrhundert‘ hervor. Er legte seiner Darstellung außer den gedruckten Erinnerungen aus dem Kreis der Familie i. w. folgende private Nachlaßbestände zugrunde: 1.) eine Briefsammlung Ermentrudes, u. a. mit Briefen der Kinder Rankes (Otto, Friduhelm u. Maximiliane) sowie 5 unveröffentlichten Briefen von und 6 an Ranke, 2.) einen „Ottos Briefsammlung“ genannten Bestand mit wenigen kurzen Briefen Rankes, Clarissas und der Kinder aneinander, 3.) unveröffentlichte Jugenderinnerungen Otto von Rankes, 4.) eine unveröffentlichte Sammlung „Stars of my life. Reminiscences of my friends. Sonnets by Clarissa von Ranke“ (s. II, 207-210, 307f.). Neben Gelegenheitsveröffentlichungen einzelner Ranke-Briefe, z. T. nur in Teildrucken, ist ein 1972 erschienener erster Forschungsbericht zu Rankes Briefwechsel zu nennen (Henz/1972). Er stellte neben Hoeft erstmals die Ergebnisse systematischer Korrespondenzsuche in verschiedenen Beständen vor und widerlegte mit der Veröffentlichung von 35 unbekannten Briefen Rankes an verschiedene Adressaten die eingangs zitierte Behauptung von Fuchs, „Rankes Briefwerk“ müsse „in seinem Umfang als bekannt und abgeschlossen gelten.“ (WuN I/1964, 17). Zugleich gelangen auch für die An-Briefe weitreichende Nachweise, - ein Bereich, in dem Fuchs ebenfalls ein entmutigendes Verdikt ausgesprochen hatte: „Auch hier“, so hatte seine voreilige Feststellung gelautet, „ist die Suche nach Ranke-Quellen zu einem Abschluß gelangt.“ (ebd.). Dies entsprach einer späteren Feststellung von Fritz Schlawe, der gemäß seiner eingeschränkten Aufgabenstellung (Die Briefsammlungen des 19. Jahrhunderts, 1969, 1. Halbbd., 453) lediglich 14 Verfasser von Briefen an Ranke nachwies. In dem genannten Forschungsbericht ließen sich indes über die beiden [!] von Fuchs genannten Stellen hinaus in rd. 40 Publikationen 384 Briefe an Ranke nachweisen, die mit 97 Korrespondenzpartnern von John Lord Dalberg-Acton bis hin zu Theodor von Zwehl reichten. Allerdings mögen Fuchs selbst - schon innerhalb Jahresfrist - Zweifel an der Richtigkeit seines Verdikts gekommen sein, denn es gelang ihm 1965, einen Einzelbestand mit 89 Briefen Heinrich Rankes an seinen Bruder Leopold zu veröffentlichen (Fuchs: Heinrich Ranke), freilich erneut mit Kürzungen und fehlgeleitet, wie auch in ‚Werk und Nachlaß‘, mit Modernisierungen, die bereits einer Rechtschreibreform zum Opfer gefallen sind. Hier wurden die kurzsichtigen Kürzungen von Fuchs in anderer Weise folgenschwer, denn die von ihm benutzten Vorlagen sind seit längerer Zeit als verschollen anzusehen, woraus sich für eine geplante Briefwechsel-Edition eine beträchtliche Belastung ergibt. Der Briefwechsel Rankes mit seinem Bruder Heinrich war überdies, wie bereits dargestellt, noch erheblich umfangreicher, als aus den bisherigen bereits umfangreichen Editionen hervorgeht (s. II, 301). F e h l e n d e s u n d F i n g e r z e i g e (II/3.1.8) Die Beziehungen Rankes zur Zeitgenossenschaft, die trotz epistolarischer Zurückhaltung aufgrund seiner Kontaktfreudigkeit und Reputation ausgedehnt, wenn auch nur sehr selten eng waren, liegen keineswegs in allen Einzelheiten offen zu Tage. Eine Vielzahl von Selbstzeugnissen des 19. Jahrhunderts ist bisher unbeachtet geblieben, so etwa die Lebenserinnerungen von Felix Dahn (Erinnerungen, II/1891, 456-459), der darin seines Briefwechsels mit Ranke gedenkt. Überdies treten gerade bei der Gattung ‚Brief‘ immer wieder Überraschungen auf, die sich teils aus originärer Nachlaß- 257 -

II/3.1.8 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

Zersplitterung, teils aus später aufgegebener pietätvoller Zurückhaltung, teils aus dem unkoordinierten Sammeln von Autographen und deren Handel ergeben. Wertvolle Hilfe zur weiteren Nachsuche bietet, wie erwähnt, das von Ermentrude von Ranke erstellte An-Brief-Inventar des untergegangenen Depositum ‚Leopold von Ranke‘ des GStA PK, sodann das von ihrem Sohn Gisbert Bäcker-von Ranke in seiner Dissertation von 1955 erarbeitete Kapitel „Der Freundeskreis“ (Text-Bd. 94-133) und die dort zusammengestellte Übersicht über „Beziehungen der Familie Ranke“ (Anm.Bd. 97-113). Sie enthält eine Reihe andernorts nicht genannter Namen des In- und Auslandes. Von Interesse in diesem Zusammenhang ist auch ein „kleines, violett eingebundenes Notizheftchen, Nachlaß 38/I“, auf das Vierhaus (Soz. Welt/1957, 49, A. 25) aufmerksam machte, mit Namen und Adressen folgender Pariser Bekanntschaften: Giraud, „Labontage“ (verlesen für Laboulaye, siehe Laboulaye/1853), Ampère, Villemain, Luynès, La Vallée und andere, die für Vierhaus unleserlich waren. Auch das von Gunter Berg (1968) zusammengestellte verdienstvolle Hörerverzeichnis bietet viele Fingerzeige. Nicht zuletzt dürfte der in vorliegendem Werk gebotene Abschnitt über ‚Begegnungen und Gespräche‘ mit Zeitgenossen (II/7.2) Anregungen in Hinsicht auf Korrespondenzpartner enthalten. Zu beachten ist ferner das unten folgende ‚Korrespondenten-Register‘, denn es bleibt auch und gerade bei veröffentlichter Teil-Korrespondenz und v. a. fehlenden An-Briefen stets zu überprüfen, ob nicht noch einige Gegen-Stücke der Entdeckung harren. Der Verlust auch größerer Bestände an Briefschaften aus den unterschiedlichsten gewollten und zufälligen Gründen ist üblicher Überlieferungsschwund. Nichts wäre verkehrter, als den Begriff ‚Gesamtausgabe‘ auf das Gesamte einer Korrespondenz zu beziehen - eine Trivialität, die im Deutungs-Alltag häufig vergessen wird - zumal manche Briefwechsel dieser Zeit, was gelegentlich unterschätzt wird, wie z. B. der Johann Georg von Cottas, sich auf mehrere Zehntausend Briefe erstreckten. Alexander von Humboldt erhielt nach eigenem Bekunden im Alter an Briefen „vierhundert im Monat wenigstens“ (Varnhagen in seinen Tagebuchblättern zum 18. 2. 58, in: Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen von Ense aus den Jahren 1827 bis 1858/(1860 zugl. 5. Aufl. 1860, 389). Es ist also durchaus denkbar, wenn nicht gar hochwahrscheinlich, daß im Falle Rankes eine vierstellige Zahl von Stücken der Korrespondenz untergegangen ist. Dafür sprechen auch zahlreiche auffallende personale Fehlpositionen und ausgeprägte temporale Schwachstellen, welche sich mit der biographischen Realität nicht vereinbaren lassen. Extrem sind die Jahre 1845 und besonders 1846, aus dem bisher lediglich sechs Briefe Rankes veröffentlicht wurden, davon allein an seinen Bruder Heinrich drei. Nicht minder karg stellt sich das Jahr 1848 dar. Aus 1851 sind nicht mehr als sieben Briefe Rankes bekannt geworden, wovon fünf an seine Frau gerichtet sind. Die geringste Zahl seit 1818 liegt beim Jahr 1849 vor mit wie dieses - vier Briefen. Zwanzig veröffentlichte Briefe Rankes können in etwa als Jahresdurchschnitt angesehen werden, woraus auf eine mindestens ebenso große Zahl an unveröffentlichten - teils untergegangen, teils noch nicht hervorgekommenen geschlossen werden kann. Selbst das mit etwa vierzig Briefen reich bestückte Jahr 1865 weist bei etwa zwei Drittteilen Familienbriefen über die Briefunlust des Verfassers hinaus auf strukturelle Probleme der Überlieferung hin. Den von Manteuffel verfaßten zumindest 170 Briefen an Ranke - davon ein gutes Drittel veröffentlicht - steht bei weitem keine entsprechende Zahl veröffentlichter Briefe Rankes gegenüber. Da ist von einem großen und inhaltlich bedeutenden Fehlbestand einer der höchst seltenen - 258 -

II/3.1.8 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

‚dichten‘ Korrespondenzen Rankes auszugehen, die nicht erst, wie die Dovesche Edition, 1871, sondern spätestens bereits um 1847/1848 eingesetzt haben dürfte, zu einer Zeit, da Manteuffel erzählte: „daß ihm der kleine Ranke a consiliis“ gewesen sei (Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs I/1891, 245). Besonders auffallend aus Rankes Frühzeit ist das nahezu gänzliche Fehlen veröffentlichter Korrespondenz im Fall seiner Lehrer Adolph Gottlob Lange und Gottlob Ferdinand Wieck. Vor allem zu letzterem unterhielt Ranke in Pforta enge Beziehungen und holte später noch Rat bei seinem Erstlingswerk ein. Korrespondenz wurde auch im Fall seines bedeutenden Leipziger Lehrers Gottfried Hermann nicht bekannt. Auffallend aus dieser Zeit ist das Fehlen jeglichen gedruckten Briefwechsels mit Ernst Friedrich Poppo, der ihm aus seiner Leipziger Studienzeit vertraut war, dem er seine Anstellung in Frankfurt/O. und eine günstige Beurteilung für Berlin verdankte. - Im Nachlaß der Frau von Treskow, Rankes Schwarm und Schülerin der Frankfurter Oberlehrerzeit, haben sich „eine Menge Briefe von ihm [R] gefunden . . . die aber leider nicht aufbewahrt wurden“ (v. Hohenhausen/1894). Lediglich drei und der Teildruck eines Gegenbriefes sind bisher bekannt geworden (s. auch II, 291). An seine Lebensfreundin Caroline Beer ist kein Brief bekannt geworden, von ihr lediglich ein einziger in Teildruck. Nicht die geringste Korrespondenz wurde bisher sichtbar mit seiner nächstgeborenen Schwester Johanna. Nur auffallend schwach oder gar nicht überliefert ist Korrespondenz mit seinen Frankfurter Freunden und Kollegen Friedrich Ferdinand Appel, Anton Richter, Eduard Dürre, Ferdinand Heydler, Carl Theodor Stange. Zeitlich würde sich hieran Briefwechsel etwa mit Hermann Baier anschließen, der 1819 in Altenkirchen einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht hatte und mit Rankes Bruder Heinrich in engster Beziehung stand. Auch von Gotthilf Heinrich von Schubert - Ranke nannte ihn „mein lieber Vater, Bruder und Freund“ (an dens., [Ende Apr. 28], SW 53/54, 198) liegt bisher kein Brief vor, ein einziger von seinem Erstverleger Georg Andreas Reimer. Dies gilt nicht minder für Bartholomäus Kopitar, dem Ranke während und nach seinem ersten Wiener Aufenthalt manches zu danken hatte. In Kopitars Tagebuch (Jagić/1897, 823-850) findet Ranke gelegentlich Erwähnung. Die listenförmigen Eintragungen bieten zu den einzelnen Tagesdaten zumeist nur Namen und dürften insofern zugleich ein Briefjournal darstellen. Auch Valjavec (1935, 23, A. 18) nennt Daten von Briefen Kopitars an Ranke vom 22. 2. u. 25. 4. 1833 und vom 25. 8. 1834. - Die bedeutende Korrespondenz Rankes mit Friedrich von Gentz bricht editorisch mit dem 26. 9. 30 ab (bei P. Wittichen/1904, 86-88), was mit der Isolierung Gentz’ vor seinem baldigen Tod zu tun haben mag. - Kein Brief (oder am Ort ein Billet) Rankes an Savigny ist bekannt geworden, obwohl dazu Anlaß genug bestand, etwa von seiner italienischen Reise, für die er Empfehlungen und Ratschläge seines älteren Berliner Kollegen erhielt (s. II, 521-523). Auch Briefwechsel im Zusammenhang mit der Akquisition von Beiträgen für seine ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ ist kaum bekannt geworden. Da wäre neben vielem anderen Korrespondenz mit Joseph Frhrn. v. Eichendorff, der Ranke redaktionell erfolglos attachiert war, zu erwarten gewesen. Bei manchen personalen Fehlpositionen ist man geneigt, an Vernichtung durch Ranke selbst zu denken, doch bleibt dies natürlich mehr oder minder spekulativ. Was spätere Historiker-Beziehungen angeht, so mangelt es auch dabei nicht an Fehl- oder Schwachstellen. Von Karl Heinr. Ludwig Pölitz zum Beispiel oder Arnold Dietrich Schaefer, Georg Heinrich Pertz, Karl Lanz, Anton Gindely, Ottokar Lorenz - 259 -

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sind trotz Rankescher Briefe keine Antwortbriefe bekannt geworden, von Reumont ein einziger, von Waitz, den er in besonderem Maße zu seiner ‚gloire‘ zählte, vier. Auch Rankes forschungsbezogene Archiv- und Bibliothekskorrespondenz scheint unterrepräsentiert, wobei ohnedies die meisten An-Briefe noch unbekannt sein dürften. An Archiven und Bibliotheken - manche besuchte er mehrfach, und in manchen Orten befinden sich mehrere Einrichtungen - sind zumindest folgende in ihren Benutzerakten und u. U. auch Nachlässen usw. zu befragen, im Inland: Berlin, Dessau, Dresden, Düsseldorf, Frankfurt a. d. O., Frankfurt a. M., Gotha, Hannover, Koblenz, München, Weimar, Wolfenbüttel, - im Ausland: Prag, Wien, Florenz, Venedig, Vicenza, Verona, Mantua, Mailand, Rom und kleinere italienische Orte, Paris, Den Haag, Brüssel, London, Dublin. Zu jedem dieser Orte gibt es neben den jeweiligen Institutionen eine mehr oder minder große Fülle von institutions- und gesellschaftsbezogenen Kontaktpersonen. Kein Briefwechsel wurde bisher mit Sir Thomas Phillipps in Cheltenham veröffentlicht, in dessen reichhaltigen Sammlungen Ranke im Juni/Juli 1865 tätig war (s. auch Geibel/1886, 25). Nun kann hier ein Hinweis auf die Bodleian Library Oxford gegeben werden (s. II, 300). - Auch von Alfred von Arneth, seit 1868 Direktor des Wiener Haus-, Hof- und Staatsarchivs, der Ranke nicht unkritisch gegenüber stand, ist trotz einiger Briefe Rankes an ihn nur ein einziger veröffentlichter und ein einziger unveröffentlicht archivierter bekannt geworden. Manches mag - trotz der Arbeiten Bernhard Hoefts - noch aus den Akten etc. von Ministerien, Universitäten, auch Akademien und wissenschaftlichen Gesellschaften anläßlich der Verleihung von Mitgliedschaften und Gratulationen zu besonderen Anlässen in seinem Leben zu gewinnen sein. An Mitgliedschaften dieser Art hatte Ranke weltweit über dreißig inne. Der in der Regel formelle Charakter solcher Korrespondenz wird allerdings kaum einen substanziell nennenswerten Ertrag bringen, sollte gleichwohl bei einer Briefwechsel-Gesamtausgabe nicht übergangen werden. Dies dürfte auch für die bei Ehrenpromotionen anfallenden Fakultätsakten und die bei Ordensverleihungen entstehenden Ordensakten gelten. Verliehen wurden ihm über zwanzig Dekorationen. Besonders zu beachten ist die von Ranke geführte Korrespondenz als Mitglied und später Kanzler des Ordens Pour le Mérite. Die größte - vierstellige - Vermehrung des gedruckten Briefbestandes, zumindest für die An-Briefe, wird sich aus den Abschriften im Nachlaß Bernhard Hoefts ergeben. Doch auch die unveröffentlichte Korrespondenz Rankes mit Johann Georg von Cotta bzw. dem Cotta-Verlag des Deutschen Literaturarchivs Marbach mit 39 Briefen Rankes und 36 abschriftlichen Briefen Cottas, sodann die Syracuse-Bestände mit etwa 16 Briefen Rankes (dabei auch Nichtidentifiziertes), überwiegend an seine Frau und an deren Verwandtschaft gerichtet und ca 51 Briefen von ca. 40 verschiedenen Verfassern (mehrere nicht identifiziert) an Ranke, nicht zuletzt der in 1974 getätigte Zukauf der Staatsbibliothek Berlin mit ca. 120 Briefen an Ranke von über 80 Korrespondenten, stellen bemerkenswerte Erweiterungen dar. Weitere kleinere Positionen - es werden nicht die letzten sein - finden sich in Abt. II/3.3. Sofern Briefe Rankes nach Entwürfen ediert wurden, ist entsprechend seinem Hang zu endlosen Korrekturen mit beträchtlichen Differenzen zu den Ausfertigungen hin zu rechnen, wie bereits Helmolt (1921, 85) andeutete. Auch kann, wie Rankes Sohn Friduhelm andeutete (s. o.) nicht unbedingt auf einen tatsächlichen Versand geschlossen werden. Mein o. g. Forschungsbericht von 1972 war in erster Linie als ein mit Beweisstücken versehener Appell gedacht, „die editorische Arbeit an Rankes Briefen wieder - 260 -

II/3.1.8 Briefwechsel - Der Briefschreiber und das Schicksal seiner Briefschaften

als eine Aufgabe anzusehen“, und dabei auf „Vollständigkeit, editorische Präzision und Transparenz“ (Henz/1972, 289) bedacht zu sein. Zugleich stellte er den Versuch dar, in der Form der editorischen Darbietung gegenüber den oft feuilletonistischen Veröffentlichungen in der Art eines Theodor Wiedemann oder Conrad Varrentrapp ein authentizitätsorientiertes Modell vorzustellen. Aufgegriffen wurde dieser Appell erst Jahrzehnte später, im Jahre 2007, mit dem Versuch einer historisch-kritischen Edition des Briefwechsels, welche die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften in zunächst allzu knapp geplanten sechs Bänden vorbereitet. Der erste Band ist im Jahre 2007 erschienen und bildet den vorläufigen Höhepunkt in der seit Rankes Tod entstandenen editorischen Trümmer- und Zersiedelungslandschaft. Er beruht zwar vor allem auf den immensen Vorarbeiten Bernhard Hoefts und beiläufig auf dem o. g. Forschungsbericht von 1972, doch wurden bei der grundsätzlich zu begrüßenden Edition, die in richtiger Entscheidung auch die An-Briefe einbezieht, neben einer überreichen, nicht unproblematischen Kommentierung einfachste wissenschaftliche Techniken und Regeln mißachtet. Der bisher allein erschienene erste Band ist von einigen tausend Fehlern geradezu bakteriell befallen und wurde aufgrund einer zum 150jährigen Bestehen der Kommission verfaßten Denkschrift (Henz/2008. Besprr. u. a. Blasius/2008, Seewald/2008) zurückgezogen. Eine revidierte Ausgabe befindet sich in Vorbereitung. Die nunmehr auf acht, bei geplant überbordender Kommentierung auch auf über zehn Bände zu erweiternde Planung dürfte eine Bearbeitungsdauer von etwa fünf Jahren pro Band vorsehen, - ein über das Leben einer Forschergeneration weit hinausreichender Gesamtzeitraum, in dem das Unternehmen einem Übermaß an unabsehbaren personellen, materiellen, wissenschaftspolitischen und anderen Gefährdungen ausgesetzt sein dürfte, von denen die Ranke-Forschung - in Werk und Nachlaß - bereits mehrfach in entscheidender Weise betroffen worden ist. Die sammelnde, entziffernde, identifizierende, individualisierende, chronifizierende, edierende und kommentierende Arbeit ist gerade im massenhaften und äußerst vielfältigen epistolarischen Bereich von mancherlei Gefahren der Mißdeutung und Fehlsicht bedroht, der vorzugsweise von einer erfahrenen Herausgebergemeinschaft zu begegnen ist. Die folgenden Übersichten und Hinweise versuchen erstmals in größerem Umfang zusammenzustellen, was der Ranke-Forschung im Bereich seines Briefwechsels an verstreuten Editionen, archivierten Briefen und Informationen zur Verfügung steht. Die in den Abteilungen ‚Briefausgaben und Einzeldrucke‘, ‚Epistolarische Archivbestände‘ und ‚Korrespondentenregister‘ gebotenen Informationen sollen - wie bereits mein appellativer und editorischer Forschungsbericht von 1972 - einer solchen ‚Gesamtausgabe‘ vorarbeiten und zugleich für die kommenden Jahrzehnte der Bearbeitung einen Ersatz oder auch Möglichkeiten zur Selbsthilfe bieten. Freilich stellen sie nur eine Handreichung dar, welche keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder Irrtumsfreiheit erheben kann, gleichwohl, über die Ranke-Forschung hinausgehend, Brauchbarkeit für die Betrachtung weiter Teile der Rankeschen Zeitgenossenschaft besitzen sollte.

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2. Abteilung (II/3.2) BRIEFAUSGABEN UND EINZELDRUCKE 1829-2012 Viele der zumindest 160 Veröffentlichungen mit Briefwechsel Rankes, in dieser Fülle hier erstmals nachgewiesen und kritisch regestiert, dürften ihren Wert auch im Blick auf eine möglicherweise zustande kommende Briefwechsel-Gesamt-Edition der Münchener Historischen Kommission nicht völlig verlieren, da sie z. T. schätzenswerte einführende und kommentierende Begleittexte und andere Beigaben, auch möglicherweise weiterhin nicht mehr dokumentierte Entwurfstexte enthalten, vor allem aber, da das Münchener Unternehmen, wie bemerkt, erst in mehreren Jahrzehnten abgeschlossen sein dürfte. Bei der folgenden Zusammenstellung handelt es sich um eine intendiert vollständige kritische Übersicht über Publikationen, welche Veröffentlichungen, vorzugsweise Erstveröffentlichungen, von Briefen von und an Ranke, enthalten. Die chronologische Abfolge der Publikationen trägt einem forschungsgeschichtlichen Gesichtspunkt Rechnung. Die gekürzten Titel sind aus dem das Werk abschließenden ‚Chronologischen Literaturverzeichnis‘ (II/9.5) zu vervollständigen. 1 [Veröffentlichung eines Briefes R.s an Ludwig Gottfried Blanc, 17. 1. 29, betr. den Tod Karl Christian Reisigs]. Caroline Beer, 4. 6. 29 an R: „...ein Brief, den Sie nach dem Tode Ihres Freundes an Prof. Blanc geschrieben, war in öffentlichen Blättern mitgeteilt.“ (NBrr 117, A. 1). Bisher nicht ermittelt.

2 Rahel. Ein Buch des Andenkens für ihre Freunde/1834. Enthält in Teil 3 neben anderem gelegentlich auch rankebezogenen Briefwechsel Erstdrr. folgender Briefe: Rahel an R, 15. 8. 26 (243-245); 7. 11. 28 (346f.); 18. 1. 32 (550); 15. 6. 32 anläßl. des Todes von Gentz (576-578).

3 [Humboldt, Alexander von:] Examen critique/[1837]. Gutachten R.s (s. II, 323) in undatierter briefl. Form verfaßt für A. v. Humboldt. 259-263 der Oktavausg. (Fotokopiertes Expl. der UB Bamberg).

4 Waitz, Georg: Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. I/1844. „Herrn Professor Leopold Ranke“ (III); Widmungsepistel (in persönlicher Anrede-Form), unterzeichnet „Kiel, den 26. März 1844“. (Vsq.).

5 [Ein „Privatschreiben politischen Inhalts“, von R nach 1848 verfaßt]. veröffentlicht in der Neuen Preußischen Zeitung/Kreuzzeitung, erwähnt sein Amanuensis Th. Wiedemann. - R habe die ohne seine Genehmigung erfolgte Bekanntmachung noch in den letzten Monaten seines Lebens beklagt (Wiedemann XII/1892, 229, A. 3). Der Text, bei dem nicht klar ist, ob es sich überhaupt um einen Brief handelt, wurde bisher in dem täglich erscheinenden Organ nicht ermittelt.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 6 House of Commons. Parliamentary Papers, Session 1852, Reports of Commissioners. Bd. XVIII, 5. R an Charles Graves, 2. 8. 51. Erstdr./„Extract“.

7 Reumont, Alfred von: Beiträge zur italienischen Geschichte/1853. Bd. I, p. V-IX: „An Leopold Ranke“, unterzeichnet „Florenz, am Palmsonntag 1853“. Eine Widmung und Danksagung in briefl. Form mit Bezug auf die im Frühling 1830 in Florenz häufig miteinander verbrachte Zeit.

8 Floto, Hartwig: Kaiser Heinrich der Vierte und sein Zeitalter. 2 Bde (1855)/1856. Zitiert in Bd. II, p. IV aus einem Brief R.s an ihn von 1855 oder 1856 betr. Lambert von Hersfeld. Siehe dazu [Anonym:] Zur deutschen Geschichtsforschung. In: AZ, Beil. zu Nr. 289, Augsb., 16. 10. 55, 4617-4619.

9 [Anonym, unter der Rubrik „Prussia. (From Our Own Correspondent., Jan. 27)“. In: The Times, , January 30, 1863, 8. Veröffentlicht nach kurzer Einf. in die Vorgeschichte „verbatim“ in engl. Sprache eine gutachtliche Zuschrift R.s, in der dieser die Echtheit der Schrift ‚Les Matinées Royales, ou l’Art de Régner, opuscule inédit de Frédéric II, dit le Grand, Roi de Prusse‘ (Berlin [recte Paris] 1766 u. ö.) bestreitet u. zugl. die Bespr. des Werkes durch Sir John Dalberg Acton in der Home and Foreign Review kritisiert. - Siehe Wiss. Gutachten 1863 (II, 332).

10 [Anonym:] Rankes Urtheil über die Matinees Royales/1863, S. 3, Sp. 2f. Bringt eine dt. Übers. des zuvor genannten R-Briefes.

11 [Anonym:] Noch einmal die Matinees royales/1863, S. 1, Sp. 2 u. 3. R.s Brief rief eine Entgegnung Actons [vor dem 11. 2. 63] hervor, in dt. Übers. Siehe dazu wiederum R.s detaillierten Brief an Acton, 10. 2. 63 (NBrr 426-429).

12 In welchem Locale stand Luther zu Worms vor Kaiser und Reich?/1863. Enthält (78-80) den Erstdr. eines gutachtl. Schreibens R.s an Eich vom 13. 2. 63. Zweitdr.: DtG VI, 6. Aufl. (1882), 63-65. Mit Anlage: Quellenexzerpte u. Bemerkungen R.s. - Siehe Wiss. Gutachten 1863 (II, 332).

13 Aus dem Nachlaß Varnhagen’s von Ense. Briefe von Stägemann, Metternich, Heine und Bettina von Arnim/1865. Brief Rahels an R, 8. 7. 27 mit Antwortversen auf R.s Verse vom Vortage (280f.).

14 Ritter, Heinrich: An Leopold von Ranke über dt. Gesch.schreibung. Ein offener Brief/1867. 15 Waitz, G[eorg]: Die historischen Übungen zu Göttingen. Glückwunschschreiben an Leopold von Ranke zum Tage der Feier seines fünfzigjährigen Doctorjubiläums 20. Febr. 1867/1867. 16 Köpke, Rudolf: Ranke-Fest. (1867). Und in: Ders. Kleine Schriften/1872, 780-791. Und teilw. in: SW 51/52, 587-591. Überreichung, kein Abdr., von Glückwunschschrr. d. Phil. Fak d. Univ. Greifswald, aus Bonn, Dorpat, Heidelberg, Jena, Marburg, Wien. Zürich, der Landesschule Pforta, des Serbischen Literarischen Vereins Wien u. a. m. anl. R.s 50jährigem Doktorjubiläum, 20. 2. 67. - Textabdr. einer von Köpke verfaßten und von 86 Schülern R.s unterzeichneten Adresse (783f.).

17 Brief Otto von Bismarcks an R vom 19. Febr. 1877. In: Neue Preußische (Kreuz-) Zeitung vom 23. 2. 1877, Nr. 45. (Lt. Fuchs/Brw, 546, A. 1). Von ULB Bonn unter diesem Datum nicht ermittelt.

18 Penn, Heinrich: „Vater Vuk“/1878. Expl.: Wiener Stadtbibliothek. - Enthält 2 Briefe R.s an Vuk: [24. 4. 30] (Datierung hier nach Vukova prepiska V/1910, 656) und „31. Ju… 33“ (nach ebd. 660: 31. 1. 33).

19 Matthias, Emil: Leopold von Ranke/1879. Der Art. enthält (228) den Erstdr./Tdr. eines Briefes R.s an Emil Dominik, den Redakteur der Zeitschrift, vom 14. 10. 79. - R weist darin auf die R-Biographie eines Holländers hin, die als „besondere

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke Schrift“ (also wohl selbständig) erschienen sei, sowie auf einen R-Artikel in der italien. Zeitschrift ‚mente é cuore‘. Beides kann ich z. Zt. nicht nachweisen. Der Titel der Zs. ist von R möglicherweise falsch wiedergegeben.

20 Wolf, G[erson]: Österreich und Preussen/1880. Expl. in R.s Bibl. Syracuse Univ. Im Internet-Bestandsverz. der Bibl. folg. Bem.: „Holograph letter, signed, to Ranke from the author, dated 29 Oct. 1879, bound in between p. IV and V. “

21 C.: Berliner Nachrichten/1882 (keine Paginierung). Dankesbrief Ks. Wilhelms, 18. 12. 82, und Ksn. Augustas, 14. 12. 82, nach Erhalt von WG III.

22 Ranke, Leopold von: Deutsche Geschichte, 6. Aufl., Bd. VI/1882, 63-65. Von R in letzter Hd. selbst unternommener Zweitdr. des 1863 von Eich vorgenommenen Erstdr.s.

23 Brieger, Theodor: Luther und sein Werk/1883. Erstdr. (Tdr.) des Dankesbriefes R.s an die Theol. Fakultät der Universität Marburg anläßlich der ersten Verleihung der Ehrendoktorwürde, Mai 1844 (23), Zweitdr. Hitzig/1906, 347, A.1; abweichender Drittdr.: Brw 325.

24 Die Historische Commission/1883. Hierin sind folgende Erstdrr. von Briefen enthalten: R an Sybel, 25. 10. 57 (14f., Tdr./vermutl. Or. Abweichender Entw., vollst., datiert 20. 10. 57: NBrr 388-390). - Gratulationsschr. des Lokalausschusses der Histor. Komm. zu R.s 50jährigem Doktorjubiläum, „am Concordientage“ [18. 2.] 67 (93f.). Dankschr. R.s vom 4. 3. 67 (94f.). - Darüberhinaus Referate aus folgenden Briefen R.s an Giesebrecht als Sekr. d. Kommission: 28. 9. 75 (58f.; Entw. vollst. bei FvR/1904/IV, 224) und 4. 10. 75 (59).

25 Die fünfundzwanzigjährige Jubelfeier der historischen Commission/1883, S. 4028. Enthält den Erstdr. eines Briefes R.s an die Histor. Komm. vom 26. 9. 83.

26 M. C.: Dr. Ranke’s Eighty-ninth Birthday/1885. Enthält inhaltl. Angaben und ein Kurzzitat aus dem Gratulationsschr. der Ks.n Augusta zu R.s 89. Geburtstag am 21. 12. 84 (16).

27 [Anonym:] Ranke’s ninetieth [richtig 89.] birthday/1885. Bietet den ins Engl. übersetzten Text des persönl. gehaltenen Gratulationsschreibens der Ks.n Augusta an R, welche zugleich für die Übersendung von WG V dankt, o. D., vermutl vom 21. Dez. 1884.

28 [Anonyme Notiz betr. die Verleihung des Ehrenbürgerbriefes, unter der Rubrik ‚Kunst, Wissenschaft und Literatur‘] In: Beil. zur Voss. Ztg., Nr. 152, 31. 3. 1885. Enthält den Text der Glückwunschadresse der Universität Wien.

29 [Anonym:] Leopold v. Ranke. In: Nordd. Allg. Ztg., Nr. 596, Abendausg., Bln., 21. 12. 1885. Erstdr. (?) der Gratulationsschreiben von Ks. Wilhelm und Ksn. Augusta sowie des Preuß. Staatsministeriums zu R.s 90. Geburtstag, 21. 12. 85 u. Schr. Ks. Wilhelms vom 30. 12. 85. - Durch Toeche (1885, s. u.) überholt.

30 [Anonym:] Leopold von Ranke’s neunzigster Geburtstag. In: Hall. Ztg., 2. Ausg., Nr. 300, Halle, 23. 12. 1885. In Nachfolge der Nordd. Allg. Ztg. v. 21. 12. 85 Schilderung der Feier zu R.s 90. Geburtstag mit Abdr. der Gratulationsschreiben von Ks. Wilhelm und Ksn. Augusta und des Preuß. Staatsministeriums. Durch Toeche (1885, s. u.) überholt.

31 Berichte des Freien Dt. Hochstiftes zu Frankfurt am Main, N. F., Bd. 2, Jg. 1885/86, 103f. Glückwunschadresse des FDH - verlesen von Veit Valentin - zu R.s 90. Geburtstag, 21. 12. 85.

32 Toeche, Theodor: Leopold von Ranke an seinem neunzigsten Geburtstage/1886. Enthält folgende Zweitdrr.: Gratulationsschr. Ks. Wilhelms I. zum 21. 12. 85 (5f.) und Schr. dess. vom 30. 12. 85 (37f.); Gratulationsschr. der Ksn. Augusta (9), des Staatsministeriums, unterzeichnet von allen Mitgliedern, voran von Bismarck (7f.), Erstdrr. einer Gratulationsadr. der Histor. Komm.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke (Tdr., 18), der Univv. Greifswald, Bonn, Leipzig, Straßburg, Leiden, sowie von G. Bancroft (5. 12. 85) als Präs. der AHA, worin dem „greatest living historian“ (36) die erste Ehrenmitgliedschaft angetragen wird (36f.). - Referat eines Glückwunschschreibens C. v. Höflers, zum 21. 12. 85 (5) u. kurzer inhaltl. Hinweis auf ein Schreiben von Paulus Cassel zum selben Anlass (5) - Weiteres II, 447.

33 Resolutions by the American Historical Association/1886, 62f. Enthält (483, A. 1) den Text des auch bei Toeche veröffentlichten Schreibens von George Bancroft an R vom 5. 12. 85.

33a Ranke, Friedrich Heinrich: Jugenderinnerungen, 2. Aufl./1886. R. an die als Adressatin nicht genannte Amalie Helferich (Tochter HR.s), 11. 12. 76 (Tdr., vollst.: SW 53/54, 529f.).

Posthume Ausgaben 34 Aus den Briefen Leopold von Ranke’s an seinen Verleger [Carl Geibel]/1886. V-VI: Vorb. Geibels „Im Juli 1886“, also etwa drei Monate nach R.s Tod erschienen. - Die erste umfangreiche Ausg. von Briefen R.s. - 216 unveröff. Briefe vom 14. 2. 67 bis 12. 5. 86 (wohl letzter Br. R.s überhaupt). Eine für die Arbeitsweise R.s im allg., die Gestaltung der SW mit Umarbeitungen und Korrekturen etc., die Entstehung des HARD und der WG u. a. m. wichtige Quelle. - Enthält des weiteren: Faks. eines Br. R.s, 21. 9. 70, an Geibel; eine Beurteilung der HARD/Denkw durch G. Schmoller (121f.); Brief H. v. Sybels an R, 14. 8. 76, betr. HARD/Denkw (92); Brief Geibels an R, 23. 2. 75, (71f.); Brief von Max Müller an R., 4. 4. 73, mit R.s Antwort vom 6. (Tdr., 47); Kurzref. eines Briefes von K. W. Nitzsch an R, 4. 3. 72 (31, A. 1). - Ein von FvR (VIII/1906, 332) erwähnter Brief R.s an G., 28. 8. 78, fehlt. - Ein in der Ausg. fehlender Brief R.s vom 2. 11. 77 findet sich SW 53/54, 538f. - Der Brief vom „16. Januar 1877“ (100f.) ist von R irrtümlich datiert und auf die Zeit nach dem 6. u. vor dem 12. 1. zu setzen. - Gegenbriefe (mit Ausn. des o. g.) sind nicht bekannt geworden.

35 Reumont, A[lfred] v[on]: Leopold von Ranke/1886. Veröffentlicht in seinem Nachruf in Erstdr./Tdr. folgende Briefe R.s an ihn: [vor d. 5. 4. 53]; 8. 6. 74; 1. 2. 77; 24. 2. 77; 29. 8. 79; [vor dem 3. 5. 83]. - Vollst., jedoch z. T. leicht fehlerhafte Zweitdrr. nach den Orr.: Hüffer/1904.

35a Ranke, Leopold von: Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert (SW 49/50)/1887. Brief E. v. Manteuffels an R, 18. 2. 55, Tdr. (Vorrede von A. Dove, XIII).

36 [Anonym:] Letter from Leopold von Ranke [to the AHA]. In: Papers of the AHA, Bd. 2, Nr. 1 (1887), 13-15. Brief vom 14. 2. 86 dt. u. in engl. Übers. (14).

37 Goethe-Jahrbuch. Hg. v. Ludwig Geiger, Bd. 9 (1888). Erstdr. eines Br.s R.s an Goethe, Venedig, 22. 1. 29 (74f.). Mit einer Anm. Geigers unter Verwendung einer Nachr. von J. Imelmann (104f.). Siehe Gespräche 1870. - Or.: GSA.

37a Ranke, Leopold von: Weltgeschichte. 9. Theil. [2 Bde]: 2. Abtheilung [2. Bd.]/1888. Kg. Maximilian II. v. B. an R, 20. 6. 55 (Vorrede v. A. Dove, XXII).

38 Leopold von Ranke. Abhandlungen und Versuche. Neue Sammlung. SW [1.-3. GA], Bd. 51/52 [in 1]/1888. Entw. zu einem Anschreiben der historischen Commission an König Ludwig II., Anfang Oct. 70. Erstdr. aus R.s NL (565f.).

39 Three Generations of Englishwomen, 2 Bde/1888. Enthält folgende Briefe R.s an Austin: [Frühj. 39] (Bd. I, 130, ins Engl. übers. Tdr.), 4. 11. 39 (nicht „Oct. 1839“, s. Henz/1972, 304f.) in sehr freier engl. Übers. (Bd. I, 137f.), 31. 3. 41 (nicht „April 1841“, s. Henz/1972, 305f.) ins Engl. übers. Tdr. (Bd. I, 150f.).

40 Varrentrapp, C[onrad]: Johannes Schulze/1889. Zitiert (557) in Erstdr. aus einem undatierten und nicht nachgewiesenen Brief. R.s an Schulze anläßlich von dessen Rücktritt als Referent im Preuß. Unterrichtsministerium (8. 11. 58). Vollst. als „Berlin, 1. Januar 1859“: NBrr 396.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 41 Leopold von Ranke. Zur eigenen Lebensgeschichte. Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd. 53/54 [in 1]/1890. Enthält u. a. (77-565) 329 „ausgewählte“, vornehmlich im Familienkreis zusammengetragene Briefe R.s an die relativ geringe Zahl von 48 Adressaten, über die Hälfte der Briefe an Familienangehörige (allein für HR und CvR 138), vom 4. 8. 19 bis 12. 5. 86. Bis auf die an Geibel (s. unter 1886) gerichteten 31 Briefe und drei der von Reumont in seinem Nekrolog (s. unter 1886) herausgebrachten Tdrr. handelt es sich um Erstdrr. Die Vorrede D.s gibt (VII) Aufschluß darüber, ob es sich um Originale, Konzepte bzw. Abschrr. handelt. Dabei ist bes. zu beachten, daß die 12 Briefe an Kg. Maximilian II. v. B. Konzepten oder zurückbehaltenen Abschrr. entstammen. - „Lästige Anmerkungen“ (VI) zu den edierten Briefen hat der Hg. fast gänzlich unterlassen. Die Ausgabe enthält keine Briefe an R. Helmolt/1921 bringt auf folgenden Seiten Korrekturen bzw. Ergänzungen zu Adressaten und Daten: 185, A. 126; 199, A. 217; 200, A. 219 u. 226; 207, A. 272. - Kleinere Korrekturen zu den Briefen an Maximilian teilt v. Müller/1939, 3f., A. 3 nach den Orr. aus dem GHAM mit, weitere an andere Adressaten Hoeft/NBrr (z. T. auf Originalvergleichen von W. P. Fuchs beruhend) auf 46-49, 88-92, 125-127. - An der Qualität der Doveschen Editorik sind nach Elisabeth Schmitz/1921 erhebliche Zweifel angebracht. Die Dovesche Edition enthält ein ‚Verzeichniß der Briefempfänger‘, weshalb hier auf Seitenangaben verzichtet wird. Großpositionen, wie die Briefe an HR u. CvR, werden nur pauschaliert chronifiziert. Die Briefe im einzelnen: H. Baier 19. 1. 20; 6. u. 7. 2. 20; 3. 3. 20. - Bismarck 13. 2. 82. - Chr. K. J. v. Bunsen 28. 3. 31. - A. Dove 13. 3. 73. - Friedrich Wilhelm, Prinz v. Preußen, späterer Kg. Friedrich III, Dt. Ks., 18. 10. 49. - C. Geibel 31 Briefe 17. 11. 67-[12. 5. 86]. - Giesebrecht 14 Briefe, 20. 7. 64-28. 9. 85. - A. Helferich 11. 3. 70; 11. 12. 76; 9. 9. 78. - H. Helferich 27. 10. 83. F. Heydler [Mai 1837]. - Maximiliane v Kotze, geb. Ranke, 12 Briefe, z. T. als Mitempfängerin [Ende Apr. 57]-28. 8. 77. - W. v. Kotze, Mitempfänger eines Briefes an Maximiliane vom 13. 10. 68. - Lanz 28. 10. 45. - H. Leo 21. 4. 26. - Ludwig I., Kg. v. Bayern 1. 1. 35. - Manteuffel, E. v. 2. 5. 71. - Maria, Kgn. v. Bayern 11. 3. 64. - Maximilian II., Kg. v. Bayern 20. 8. 45; 26. 12. 47; 17. 2. 52; 30. 12. 54; 30. 4. 55; 10. 10. 55; 1. 11. 56; 26. 11. 59; 18. 8. 60; 13. 2. 61; 26. 11. 62. - Chr. Fr. Nasse 10. 9. [42]. - Aug. Gf. v. Platen 17. 7. 30; 28. 9. 31. - K. H. L. Pölitz 25. 4. 28. - CvR 65 Briefe 17. 10. 43-28. 9. 69. - ER 25 Briefe 24. 12. 36-[25. 4.] 86. - Friederike Ran(c)ke, geb. Lehmike 17. 5. 36. - FvR 10 Briefe [Ende Apr. 57]-13. 10. 68. - Gottlob Israel Ran(c)ke 16. 12. 23. - HR 73 Briefe [25. 9. 19]-1. 8. 76. - Selma (gen. Lily) v. Ranke, geb. Ranke 29. 9. 84. - Oda Ranke, geb. Nasse 30. 4. 43. - OvR 14 Briefe [Ende Apr. 57]- 28. 9. 69. - Selma Ranke, geb. Schubert 24. 3. 31; 29. 3. 76; 29. 11.[76]. - K. v. Raumer 12. 7. 25. - G. A. Reimer 12. 4. 24. - Reumont 8. 6. 74; 1. 2. 77; 15. 4. 79. A. Richter 13. 4. 23; J. Ristić 9. 7. 78. - H. Ritter 35 Briefe 4. 10. 27-20. 11. 53. - K. Joh. Fr. v. Roth 16. 2. 32. - G. H. v. Schubert [Ende Apr. 28]. - C. Spener 12. 6. 26. - v. Sybel 25. 4. 40; 9. 12. 55; 25. 3. 59; 14. 6. 61; 7. 10. 63; 1. 9. 64. - Waitz 22 Briefe 11. 11. 36-[Anfang Jan. 75]. - Wilhelm I., Kg. v. Pr., Dt. Kaiser [1. 1. 67]; 13. 2. 82; 13. 2. 82 [!]. - L. W. (Minna) A. v., Zielinski, seit 1836 v. Treskow [Febr./März 31]. - An Unbekannt (Präsident) 4. 8. 19. - An Unbekannt (Französischer Gelehrter, d. i. J. J. Stolz) [1838]. - An Unbekannt („liebe Freundin“) [Okt./Nov. 35] - R zitiert in Brief an E. v. Manteuffel vom 2. 5. 71 anläßl. des Todes seiner Frau aus einem Kondolationsbrief der Kgn. Elisabeth v. Pr. (498).

42 Politische Korrespondenz Kaiser Wilhelm’s I./1890. Enthält zwei Briefe Wilhelms I. an R, den wohl hier zuerst veröffentlichten Brief vom 21. 1. 85 (383f.) und einen mehrfach (u. a. bei Toeche/1886), veröffentlichten vom 30. 12. 85 (390).

42a Lorenz, Ottokar: Die Geschichtswissenschaft, Zweiter Theil/1891. Erstdr./Zitat einer Äußerung R.s (123, A 1) über die geplante Darstellung von Kg. Ottokar in Lorenz’ ‚Deutscher Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert‘, Bd. II, Wien 1867. - Es mag sich dabei um ein Gesprächs- oder um ein Briefzitat handeln (als letzteres von Fueter/1911, 482 aufgefaßt).

43 Gothein, Eberhard: Gustav Adolf Stenzel und Leopold v. Ranke/1892. Der Beitr. enthält folgende Erstdrr. von Briefen R.s an Stenzel.: 23. 1. 25 (Beil. Nr. 70, 1f.); 21. 11. 35 (ebd., 2); 27. 6. 39 (ebd., 2); 3. 8. 41 (ebd., 2f.); 6. 10. 45 (ebd., 3); 2. 7. 47 (ebd., 3).

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 44 Ristić, Jovan: Leopold Ranke i oslobođenje Srbije/1892. Brief R.s an J. Ristić, 27. 6. 78 (5).

44a Arneth, Alfred Ritter von: Aus meinem Leben. Von dreißig zu siebzig/1892. Referat eines Briefes von R an Arneth aus Venedig, Okt. 1863 (234). - Erstdr./Tdr. eines Briefes R.s an A., 16. 3. 70 (450). Die Antwort A.s „dem Sinne nach“ ebd. 450f.

45 Arneth, Alfred Ritter von: Aus meinem Leben, Bd. II/1893. Zweitdr./Tdr. des Briefes R.s an Arneth, 16. 3. 70 (284).

46 Keußler, Friedrich von: Ein ungedruckter Brief L. v. Rankes/1894, 62-64. Veröffentlicht aus einer privaten Autographensammlung den Erstdr. eines Briefes R.s an Anton Gindely, 30. 12. 68, der für die Entstehungsgeschichte des WALL von Interesse ist.

47 Dümmler, Ernst: Waitz und Pertz/1894. Enthält den Erstdr. eines Briefes R.s an Pertz, 9. 8. 36 (273).

48 Bismarck-Jahrbuch, Bd. 2/1895. Erstdr. eines Briefs R.s an Bismarck, 22. 2. 77 (256) über das Verhältnis von Historie u. Politik.

49 Wiedemann, Th[eodor]: Leopold von Ranke und Bettine von Arnim/1895. Enthält ohne eigentliche inhaltl. Einl. den Erstdr. folgender Briefe aus dem Varnhagen-NL: R an Bettina, 21. 10. 27 (Abschr., Fragm.; 59-61. Korr.: Helmolt/1921, 171, A. 53); 6. 2. 28 (Abschr., 65f.); 10. 10. 29 (Abschr. 70f.). - Bettina an R: „30. September - 24. Oktober 1827“ (61-65); 2. 4. 28 (6668); Mai 28 (68-70). - Der Hinweis, daß es sich bei den drei Briefen R.s an B. um Abschrr. handelt, stammt nicht von Wiedemann, sondern von Borries/1923, 359, der ergänzend einen weiteren Brief R.s an B. mitteilt.

50 Asbach, Julius: Zur Erinnerung an Arnold Dietrich Schaefer/1895. Erstdr. des später irrtümlich, da bereits veröffentlicht, in NBrr (699) aufgenommenen Briefes R.s an Schaefer, 16. 2. 82 (66).

51 Wiedemann, Theodor: Briefe Leopold von Ranke’s an Varnhagen von Ense und Rahel aus der Zeit seines Aufenthaltes in Italien/1895. Enthält die Erstdrr. folgender Briefe R.s: An Varnhagen, zugleich an Rahel 18. 10. 28 (435-437); Dez. 1828, mit Beil. „Über Tieck’s Novelle ‚Dichterleben‘“ (437f. - Korr. zu beidem: Helmolt/1921, 43f., Tdr.); 26. 1. 29 an V. (439. Korr. Helmolt ebd., 47, Tdr.); 9. 6. 29 an V. (440-442. Korr. Helmolt ebd., 48f., 178, A 87, Tdr.); 10. 10. 29 (442-444. Korr. Helmolt ebd., 50f., Tdr.); 29. 3. 30 an V. (444f. Korr. Helmolt ebd. 54-56); 25. 5. 30 (445f. Korr. Helmolt ebd., 57f., Tdr.); 9. 8. 30 (446f. Korr. Helmolt ebd., 59f., Tdr.). - An Rahel: 28. 3. 29 (440).

52 Leopold von Ranke und Varnhagen von Ense. Ungedruckter Briefwechsel/1895. Enthält Erstdrr. folgender Briefe: R an Varnhagen, 21. 10. 27 (179-181); 9. 12. 27 (186-190. Korr.: Helmolt/1921, 40f.); 10. 3. 28 (343-345); 8. 4. 28 (348-352. Nach Helmolt ebd., 170, A. 44: 4. Apr.); 26. 4. 28 (353f.); 14. 6. 28 (354f.). - R an Rahel, 25. 4. 28 (352f. Korr.: Helmolt ebd., 185, A. 128; nach Helmolt, ebd., ist dieser Brief an Bettina v. Arnim gerichtet). - V. an R, 8. 11. 27 (181-186); 3. 2. 28 (338-343); 21. 3. 28 (346-348).

53 Bailleu, Paul: Heinrich von Sybel/1895. Vgl. auch den entspr. Art. B.s in ADB 54/1908, 645667. Der Beitrag enthält einen Brief Sybels an R vom 20. 2. 67 (60, Tdr.; verm. Tdr.: Varrentrapp/1897) sowie eine gutachtl. Äußerung R.s über Sybel in einem Schreiben an J. A. Eichhorn vom 6. 7. 41 (61). Siehe II, 324.

54 Dove, Alfred: Ranke und Sybel in ihrem Verhältniß zu König Max. (In: Beil. z. AZ, Nr. 266f., 18. u. 19. 11. 1895, S. 1-5 u. 1-4. - Als selbst. Schrift: Mnch.: Verlag der k. b. Akademie, 1895). Und in: Dove: Ausgew. Schriftchen/1898, 110-128. In den Vortrag einbezogene erstveröffentlichte Tdrr. folgender Briefe an R: Kg. Maximilian II. v. B. [1845] (115); [nach 30. 8. 45] (118); 25. 1. 53 (111f.); [März 1855] (121); [vor 25. 5. 57] (116); [Ende

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 1861] (126f.) entspricht Brief vom 8. 11. 61 bei FvR (Dt. Revue 29/2, 71f.). - Sybel an R [1856] (123); [nach Nov. 1859] (123); [nach 14. 6. 61] (125); 12. 3. 64 (126). - Pfistermeister an R 16. 6. 61 (125).

55 Wiedemann, Theodor: Mittheilungen zu Ranke’s Lebensgeschichte/1895. Erstdrr. folgender Briefe R.s: an Johannes Schulze, 5. 12. 24 (1f., Korr.: Helmolt/1921, 168, A. 31); an Varnhagen v. Ense, 7. 7. 27 (3). - Erstdrr. folgender Briefe A. v. Humboldts an R.: 21. 3. 28 (3f.; Korr. Oncken/1922, 140f.); „Ende Juni 1828“ (4; von Oncken ebd., 139 mit anderen Korr. auf 5. 8. 27 datiert), sowie zweier Billets A. v. Humboldts an R, [Winter 1833/34] und [Herbst 1834] (5).

56 [Dove, Alfred:] Zusatz vom Herausgeber [zu Wiedemann/Mittheilungen]/1895. Erstdr. eines Billets R.s an A. v. Humboldt vom 10. 1. 55 (5).

57 D[ove], A[lfred]: Erinnerungen an Leopold v. Ranke. (In: Die Gartenlaube, Nr. 51, 1895, 872-875). U. d. T. ‚Mittheilungen zum Ranke-Jubiläum‘ abgedr. in: A. D.: Ausgewählte Schriftchen/1898, 227-235. Enthält den Erstdr. zweier Briefe R.s: an seinen Sohn Otto, 25. 5. 73 (Ausg. Schrr., 230-232. Wichtig für R.s Auffassung vom „Amt“ des Historikers), und an den Romancier Hermann Heiberg ([vor 1. 4. 85], Entw., ebd. 232-235) der R im Auftrag der Redaktion der ‚Gartenlaube‘ um eine kurze historische Skizze über Bismarck zu dessen 70. Geburtstag gebeten hatte.

58 [Anonym:] Leopold v. Ranke und die Stadt Berlin/1895, 1. Beil., 1f. Vf. bietet (2) in Erstdr. kurze Zitate aus dem Dankesbrief R.s vom 12. Aug. 1885 an den Magistrat für die Überreichung des Ehrenbürgerbriefs.

59 Alfred Dove: Briefe Edwin Freiherrn von Manteuffels an Leopold von Ranke/1896 u. 1898. Enthält nach einer kurzen Einl. den Erstdr. von 52 u. a. für die Entstehung von BrFrW IV./Bunsen, ASK u. FrGr/FrW IV. wichtigen Briefen Manteuffels, vom 2. 8. 71 bis 19. 5. 83, ohne Herkunftsangaben und nur sehr zurückhaltend kommentiert. Nach Schmitz/1921 massiv fehlerhaft und in der Auswahl nicht ohne Willkür (s. dazu die obige Einf.). - Auch fehlt u. a. ein Brief vom 7. 2. 72 (Entw.) aus dem NL M.s, dessen Kopie mir seit 1972 aus dem ehem. DZA Merseburg Hist.Abt. II vorliegt. Gegenbriefe in größerer Zahl wurden zuerst von Hoeft/NBrr veröffentlicht. - Siehe auch Abt. Nachlaß.

60 Wiedemann, Th.: Leopold von Ranke über d. Trauerspiel v. Fr. v. Uechtritz/1896. Diese Kritik findet sich in einem dort mitgeteilten längeren Brief R.s an Rahel vom 25. 3. 26 (10-12). Die Übertragung Wiedemanns - vorauf geht eine kurze Einl. - „strotzt leider, wie gewöhnlich, von Nachlässigkeiten“ (Helmolt/1921, 170f., A. 51 mit Korr.).

61 Wiedemann, Th.: Leopold von Ranke u. Varnhagen v. Ense vor Rankes ital. Reise/1896. Enthält folgende, nicht unbedingt zuverlässige Erstdrr.: Billet R.s an Varnhagen 2. 9. 24 (197); Brief R.s an Karl Spener 12. 2. 25 (198); Brief R.s an Varnhagen [19.!] 2. 25 (198f.). Nach Helmolt/1921, 169, A. 41 nicht 2. Febr.); R an Rahel 1. 7. 25 (200). - Siehe auch Wiedemann/1901.

62 Bismarck-Jahrbuch. Bd. 4/1897. Erstdr. zweier Briefe R.s an Bismarck: o. D., nach Kanzleivermerk eingegangen in Varzin am 28. 10. 77 (228); 6. 12. 77 (228f.).

63 Sybel, Heinrich von: Vorträge und Abhandlungen/1897. Die biogr. Einl. auf 1-156. - Folgende Briefe Sybels an R: [nach 7. 11. 40], Erstdr./Tdr. (22f.); [Frühjahr 1857], Erstdr./Tdr. (97); [um 1858], Erstdr./Tdr. (92); [nach 25. 3. 59], Erstdr./Tdr. (88-89, A. 1); [20. 2. 67] (11), verm. Zweitdr./Tdr. (zuvor Bailleu/1895); 1. 6. 74, Erstdr./Tdr. (12).

64 Jagić, V.: Neue Briefe von Dobrowsky, Kopitar und anderen Süd- und Westslaven/1897. Enthält keinen Briefwechsel R.s, jedoch (823-850) ein Tgb. K.s (24. 4. 29-12. 6. 44) aus dem NL des Franz Miklosich, in dem auch R gelegentl. Erwähnung findet. Die extrem knappen listenförmigen Eintrr. bieten zu den einzelnen Tagesdaten zumeist nur Namen und dürften insofern zugl. ein Briefjournal darstellen. - R erwähnt 27. 7. u. 12. 8. 29 (823); 4. 5. 30: „Vuk mit Ranke’s Brief“ (825, wohl Br. R.s vom 24. 4. 30, s. Vukova prepiska/1910); 26. 8. 30: „Ranke mit f. 64 W.“ (826); 22. 2. (830) u. 6. 8. 33 (2mal, 831); 25. 4. 34 (832); 26. 4. 36 (836); 25. 3.: „Ranke cum copia f. 5.20 Cm“, 25. 4. u.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 28. 5. 38 (839); 24. 7. u. 12. 9. 39 (841); 11. 7. 40 (842); 22. 4.: „Prof. Ranke in Rom“, 24. 6. u. 8. 8.: „o an Ranke in Rom“, 16. 9; 11. 11. u. 20. 11. 42: „Rankiana exempla expedivi“ (843). - Im Briefwechsel zw. Dobrowsky u. Kopitar (1808-28), Hg. v. V. Jagić, Bln. 1885, tritt R nicht in Erscheinung.

65 Frey, Adolf: Conrad Ferdinand Meyer. Sein Leben und seine Werke/1900. Enthält den Erstdr. eines Briefes R.s an Ferdinand Meyer (Vater C. F. M.s) vom 20. 7. 37 (Anhang, 354, siehe auch 14). - Ohne Kenntnis der Erstveröff. auch von Vischer/1951 hg. u. kommentiert.

66 Wiedemann, Th.: L. v. R. u. Varnhagen v. E. nach der Heimkehr R.s aus Italien/1901. Enthält den Erstdr. zweier Billets R.s an Varnhagen vom 24. 8. 31 (211); eines Billets vom 24. 5. 34 (Tdr., 220, vollst. Helmolt/1921, 184, A.122); eines Briefes R.s vom 28. 1. 37 (222. Korr.: Helmolt/1921, 187, A. 138); eines weiteren vom 29. 10. 45 (360) sowie des Entwurfs eines Briefes V.s an R von Nov. 1832 (214f.). - Billets Rahels an R, 23. 10. 31 (Tdr., 220) u. 14. 10. 32 (Tdr., ebd.), sowie „eine Einladung zum Mittagessen“ vom 25. 11. 32 (Referat, ebd.). „Einladungen der Familie Varnhagen an Ranke finden sich wie an anderen Tagen so insbesondere vom 18. Januar und 8. Mai 1832 und eine vom 6. Dezember 1832 zum Anhören musikalischer Vorträge der Frau Milder, denen außer dem kronprinzlichen Paare nur noch Bettina von Arnim und Major v. Willisen beiwohnten.“ (ebd.). - Die Veröff. ist auch wegen der Benutzung der hsl. Tagebuchbll. Varnhagens bemerkenswert, aus denen Passagen mitgeteilt werden, welche in den gedr. Tagebüchern ausgeschieden wurden.

67 Berdrow, Otto: Rahel Varnhagen. Ein Lebens- und Zeitbild, 2., veränderte Aufl./1902. Enthält zwei Briefe Rahels an R: einen Brief aus dem Jahre 1828 (334) und einen vom 15. 6. 32 anläßlich des Todes von Gentz (331f. Letzterer zuerst in: Rahel: Buch des Andenkens, 1834, s. o.).

68 Vormeng, Karl: Dr. Ferdinand Ranke/1902. Nach Or. aus dem Besitz FvR.s Erstdr. eines Briefes von Ferdinand an R, Okt. 1813 (4), sowie Erstdrr. (?) zweier Briefe nicht genannter Herkunft von Ferdinand an R, Venedig [1874] und Rom [1874] (beide 22). - Der Tdr. eines Briefes R.s an Ferdinand [Rom, April 1829] unbekannter Herkunft stellt eine Variante zu dem in NBrr, 120 veröffentlichten dar.

69 Briefe aus E. Dümmlers Nachlass/1904. Enthält den Erstdr. zweier Briefe R.s an Dümmler: 15. 11. 65 (211) und 30. 8. 68 (219).

70 Wittichen, Paul: Briefe Rankes an Gentz/1904. Enthält nach einer Einl. zum Verhältnis R - G. und zur HPZ die Erstdrr. von sieben Briefen R.s an Gentz aus dem Besitz des Grafen Prokesch v. Osten, bis auf den nur in Abschr. vorliegenden Brief vom 18. 7. 29 nach den Orr.: 3. 11. 28 (78f.); 3. 2. 29 (80f.); 28. 6. 29 (81); 18. 7. 29 (83); 24. 4. 30 (83f.); 26. 4. 30 (85f.); 26. 9. 30 (86-88).

71 Hüffer, Hermann: Alfred von Reumont/1904. In Ergänzung der von Reumont 1886 selbst mitgeteilten Briefbruchstücke bringt der Beitr. mit kleinen Lesefehlern gegenüber den Orr. der UB Bonn/Autographenslg. die Erstdrr. folgender Briefe R.s an Reumont: 22. 8. 47 (192); [vor 5. 4. 53] (192f.); 15. 6. [54] (193); 8. 6. 74 (194f.); 17. 6. 74 (196); 1. 2. 77 (197f.); 24. 2. 77 (198f.); 29. 8. 77 (200f.); 7. 3. 78 (202f.); 27. 3. 78 (203); 15. 4. 79 (204f.); 25. 3. 81 (206); 16. 2. 82 (206f.); 14. 1. 85 (209). - Enthält keine Briefe von Reumont.

72 Ranke, Friduhelm v.: Vierzig ungedruckte Briefe Leopold v. Rankes. In: Dt. Revue, Jg. 29, Bd. 1, Jan. 1904, 77-91 [I]; März 1904, 268-275 [II]; Bd. 2, April 1904, 61-73 [III]; Mai 1904, 217-227 [IV]; Bd. 4, Okt. 1904, 52-61 [V]; Jg. 30, Bd. 4, Nov. 1905, 216-224 [VI]; Dez 1905, 308-314 [VII]; Jg. 31, Bd. 1, März 1906, 327-335 [VIII]. Die wichtige, immer noch heranzuziehende Veröff. des jüngeren Sohnes R.s enthält nach einer Zustandsschilderung des damals noch priv. Nachlaßteils (s. o. Einf.) und einer Skizzierung des Korrespondentenkreises vierzig locker verknüpfte Briefe R.s an eine große Zahl von Adressaten, vorw. aus den 1850-1870er Jahren, die fast ausnahmslos, z. T. mit Adressaten- u. Datierungskorrekturen, in Brw aufgenommen wurden. Der Beitrag enthält auch beachtenswerte Konzepte anderweitig veröffentlichter Ausfertigungen. Briefe R.s an: Gottlob Israel und Friederike Ran(c)ke (Eltern R.s) 23. 11. 30 (Erstdr./Or. I, 82f.). G. v. Usedom 11. 3. 38 (Erstdr./Entw. oder Abschr., I, 83f.). - Kg. Ludwig I. v. B. 11. 6. 46

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke (Erstdr./Entw. oder Abschr., I, 84-86). - Dekan d. Phil. Fak. d. Univ. Jena [nach 23. 5. 47] (Erstdr./Tdr./Entw. oder Abschr. I, 86f.). - HR, 11. 8. 48 (Erstdr./Entw. oder Abschr., I, 87f.). - P. v. Meyendorff, einer von zwei undat. Entw./Fragm. (I, 89-91). Die abweichende und auf 26. 6. 52 datierte Ausf./Or. bei Schiemann/1911, 241-246. - Kg. Friedrich Wilhelm IV., 9. 2. 53 (Erstdr./Entw. oder Abschr., II, 269f.). - W. v. Doenniges, 15. 2. 53 (Erstdr./Entw. oder Abschr., II, 270f.). - Th. v. Zwehl, 24. 3. 54 (Erstdr./Entw. oder Abschr., II, 272); 9. 11. 59 (Erstdr./Entw. oder Abschr., III, 68f.). - Fr. v. Löher, 20. 8. 59 (Kurzref.: III/1904, 66). - Kg. Maximilian II. v. B., 26. 1. 55 (Erstdr./Entw., II, 273f.; nach Or. abweichend: v. Müller/1939, 87-89); 30. 4. 55 (Erstdr./Entw. oder Abschr., II, 274f.), ausführlicheres Konzept des in SW 53/54, 372-375 veröff. Briefes (dieser vermutl. Abschr./Ausf.); 3. 3. 56 (Erstdr./Entw. oder Abschr., III, 61-63); 23. 5. 57 (Erstdr./Entw., III, 65f.; nach Or., abweichend: v. Müller/1939, 17-19); 16. 10. 59 (Erstdr./Entw. III, 67f.; nach Or., abweichend: v. Müller/1939, datiert 27. 10. 59). - v. Zwehl, 9. 11. 59 (Erstdr./Entw oder Abschr. III, 68f.). - Kg. Ludwig II. v. B., 13. 7. 64 (Erstdr./Entw oder Abschr., IV, 218f.). - E. v. Manteuffel, [Anf. Nov. 70. Genauer: nach 15. Nov.] (Erstdr./Entw. oder Abschr., IV, 221f.). - Giesebrecht, [Ende Sept. 1875] (Erstdr./Entw. oder Abschr., IV, 224. Datum des Or.s 28. 9. 75 nach: Die Historische Commission/1883, 58f.). - Mignet, [etwa Mitte Juni 1864] (Schluß des franz. Briefes fehlt. Erstdr./Entw. oder Abschr., von FvR verdeutscht, IV, 225-227. Datierung 1874 in Brw 448 auf 1864 korrigiert). - An L. A. Thiers, 16. 6. 72, verdeutscht (Erstdr./Entw. oder Abschr., V, 53f., franz. Text: NBrr 577f.). - An Mme Thiers (Gattin von L. A. Thiers) Erstdr./Tdr.verdeutscht, Entw. oder Abschr., nicht [Ende 1877] (V, 54f.), sondern „décembre 1879“, vollst., franz.: NBrr 684f. - H. v. Obstfelder, [Febr. 1872] (Erstdr./Entw. oder Abschr., V, 55). - An K. v. Wilmowski, 25. 12. 72 (Erstdr./Entw., V, 57f.). - An Reumont, [Jan. 1874] (Erstdr., Ausf./Or., nicht abgesandt, V, 60f.). - An Arneth, 26. 8. 68 (Erstdr./vermutl. Abschr. d. Ausf., VI, 216f.). - An M. Duncker, 17. 10. 74 (Erstdr./vermutl. Abschr. d. Ausf., VI, 219f.); [Ende Dez. 1874] (Erstdr./Entw. oder Abschr. d. Ausf., VI, 220f.). - An Wilhelm I., Dt. Ks., 1. 1. 1877 (Erstdr., vermutl. Abschr. d. Ausf., VI, 222f.); 7. 1. 77 (Erstdr., vermutl. Abschr. d. Ausf., VII, 308). - An Bismarck, [vor 22. 1. 77] (Erstdr. Entw. oder Abschr. d. Ausf., VII, 308f.). An Gf. v. Haugwitz (Enkel von Christian Gf. v. H.), 6. 6. 1880 (Erstdr. Ausf./Or., als unzustellbar zurück, VII, 311). - An Krpr. Friedrich Wilhelm v. Pr., 3. 4. 76 (Erstdr. Entw. oder Abschr. d. Ausf., VII, 312f.). An Ks. Wilhelm u. Ksn. Augusta, 22. 6. 79 (Erstdr. Entw. oder Abschr. d. Ausf., VIII, 328-330). - [An B. E. v. Bülow, Ende Jan. 79] (Erstdr./Tdr./Entw. oder Abschr. d. Ausf.: VIII, 330f., vollst.: NBrr 672f.). - An J. Ristić, 26. 7. 79 (Erstdr. Entw. oder Ausf./Abschr.: VIII, 331f.). - An L. Krehl, 21. 5. 84 (Erstdr. Entw. oder Ausf./Abschr.: VIII, 333). - An Maximiliane v. Kotze, geb. R (Tochter R.s), 4. 5. 62 (Erstdr. Ausf./Or.?: VIII, 333f.); 14. 10. 85 (Erstdr. Ausf./Or.?: VIII, 334f.).

Der Wert der Veröffentlichung beruht auch auf folgenden häufig nur in Tdr. mitgeteilten Briefen an R, die aufgrund der Prominenz ihrer Verfasser gesammelt und von Friduhelm als Generalmajor für mitteilungswürdig gehalten wurden: Arneth, 22. 8. 68 (Erstdr./Or. VI, 217.). - Bismarck 10. 6. 64 (Kurz-Ref. VI, 216); 7. 3. 72 (Erstdr./Or. V, 56); 22. 1. 77 (Erstdr. Or. VII, 309); 19. 2. 77 (Erstdr./Or. VII, 309f.). - Doenniges (7. 2. 53, Erstdr./Tdr./Or. II, 269); 12. 3. 56 (Erstdr./Tdr./Or. III, 61). - L. Dosne (Schwägerin von Adolphe Thiers) 3. 11. 77 (Erstdr./Or. verdeutscht, V, 54). - Elisabeth, Kgn. v. Pr., 4. 12. 73 (Erstdr./Or. V, 58). - Ficker 3. 1. 71 (Erstdr./Tdr./Or. IV, 223). - Friedrich Wilhelm, preuß. Krpr., späterer Ks. Friedrich III. 25. 10. 49 (Erstdr./Or. VII, 312); 20. 3. 76 (Ref., VII, 312); 15. 3. 78 (Erstdr./Or. VIII, 327). - Giesebrecht 11. 7. 64 (Erstdr./Tdr./Or. IV, 217f.); 15. 7. 64 (Erstdr./Tdr./Or. IV, 219); 18. 9. 66 (Erstdr./Tdr./Or. IV, 220); 19. 12. 70 (Erstdr./Tdr./Or. IV, 220f.). - E. Gfn. Hacke 6. 6. 72 (Erstdr./Or. V, 56f.). - Krehl 2. 5. 84 (Erstdr./Tdr./Or. VIII, 332). - O. v. Manteuffel (25. 1. 55 Erstdr./Or. II, 273). - Marie, Kgn. v. Bayern 8. 4. 64 (Erstdr. Or. IV, 217). - Maximilian II. Krpr. bzw. Kg. v. Bayern 25. 1. 53 (Zweitdr./Or., jedoch vollst. II, 268f.); 8. 11. 56 (Erstdr./Or. III, 65); 8. 11. 61 (Erstdr./Tdr./Or.III, 71f.); 1. 12. 62 (Erstdr./Or. III, 73.). - P. v. Meyendorff 22. 6. 52 (Erstdr./Tdr., I, 89). - G. I. Ran(c)ke, Vater R.s [März 1825] (Erstdr./Tdr./Or, I, 82); [vor 8. 9. 30, Poststempel] (Erstdr./Tdr./Or. I, 82). - K. O. v. Raumer 26. 3. 53 (Erstdr./Or. II, 271). - Reumont, 29. 12. 73 (Erstdr./Or. V, 59f.). - K. v. Spruner [nach dem 3. 10. 59] (ausführl. Ref.: III, 66f.); [vor dem 16. 10. 59] (Kurzref.: III, 68). - Th. Stichling 26. 1. 68 (Erstdr./Or./Tdr. III, 72.). - L. A. Thiers [ca. 26. 8. 77] (Telegr.? zugl. an E. v. Manteuffel, V, 53). - K. H. v. Thile 18. 5. 72 (Kurz-Ref.: V, 56); 20. 5. 72 (Kurz-Ref.: V, 56). - Wilhelm I. Dt. Ks. 7. 4. 73 (Erstr./Or., V, 58); 6. 1. 77 (Erstdr./Or. VI,

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 223); 21. 8. 79, gemeinsam mit Ksn. Augusta (Erstdr./Or. VIII, 330). - K. v. Wilmowski, Geh.-Rat, Chef des preuß. Zivilkabinetts 24. 12. 72 (Kurzref. V, 57). - Th. v. Zwehl 5. 11. 59 (Erstdr./Tdr./Or., III, 68).

73 Helmolt, Hans F.: Ein bisher ungedruckter Brief Leopold Rankes/1905. Erstdr. eines Briefes an B. Kopitar, Rom, 9. 6. 29 (241f.).

74 Kaiser Wilhelms des Großen Briefe, Reden und Schriften 2 Bde/1906. Enthält die aus Toeche/1886 bekannten Briefe Wilhelms I. an R vom 20./21. u. 30. 12. 85 (Bd. II, 409f.).

75 D. Ernst Constantin Ranke, Professor der Theologie zu Marburg. Ein Lebensbild/1906. Enthält zumeist Erstdrr. großer Teile (98 Stücke) des auf über fünfzig Jahre gesehen keineswegs dichten, doch in der Summe umfangreichen Briefwechsels R.s mit Ernst Ranke, vom 9. 3. 34 bis 17. 5. 86, dabei 55 Briefe R.s an Ernst.: 27. 4. 34 (94f.); 10. 6. 34 (97); 31. 1. 35 (106f.); 24. 12. 36 (120f, zuvor SW 53/54, 288f.); 24. 5. 37 (133); [Anfang Juni 37] (137f.); 15. 9. 37 (140); 6. 1. 38 (143); 21. 9. 38 (149); 21. 8. 39 (155, zuvor SW 53/54, 309); 30. 11. 39 (157f., zuvor mit falscher Datierung auf 30. 11. 38 in SW 53/54, 304f.); 24. 11. 40 (161f., zuvor SW 53/54, 314); 1. 9. 42 (184f., zuvor SW 53/54, 319f.); 10. 9. 42 (185f.); 30. 4. 43 (189); [Jan. 44] (190); 18. 2. 47 (200f.); 19. 9. 47 (203f.); 30. 10. 50 (221); 23. 4. 51 (229); 14. 3. 52 (235); 25. 12. 54 (245); 9. 9. 64 (262); 2. u. 7. 10. 66 (276f.); 4. 3. 67 (278f.); 14. 12. 67 (286); 10. 4. 68 (288); 13. 10. 68 (290f.); 24. 2. 69 (296f.); 22. 12. 70 (302f., zuvor mit Datierung Ende 1870 in SW 53/54, 494f.); 12. 10. 72 (311); 29. 11. 76 (316f., zuvor SW 53/54, 528f.); 10. 5. 77 (317); 29. 5. 77 (318); 24. 7. 77 (319f.); 29. 8. 77 (320f.); 9. 9. 77 (321, zuvor SW 53/54, 537f.) 30. 12. 77 (323f., zuvor SW 53/54, 539f.) 30. 4. 78 (324f.) 18. 8. 78 (326f.); 10. 4. 79 (333); 31. 8. 81 (335f.); 9. 9. 81 (338); 6. [u. 14.] 10. 81 (339f., zuvor SW 53/54, 547f.); 22. 12. 81 (341f.); 3. 6. 83 (344f.); 24. 11. 83 (349, zuvor SW 53/54, 558); 2. 1. 84 (349); „Zum 10. September 1884“ (351); 10. 9. 84 (351f.); 2. 11. 84 (353); 15. 4. 85 (356f.); [25. 4. 86] (359, zuvor SW 53/54, 564). Enthält folgende Briefe von Ernst an R (mit großen Lücken zwischen 1854 u. 1876), welche der Hg.n „durch die Güte von Leopolds Sohn Frieduhelm ... zugänglich gemacht“ worden waren (Hitzig/1906, 6). - Einer gänzlich unbelegten und wenig glaubhaften Bemerkung Oliver Ramonats zufolge sollen sich diese Briefe „in nicht unerheblichen Passagen als erfunden herausgestellt“ haben (Ramonat/Editionsbericht/2007, 52). 9. 3. 34 (91f.); 29. 5. 34 (95-97); 4. 1. 35 (104-106); 4. 11. 36 (118-120); 26 [u. 27.] 5. 37 (133-137); 13. 7. 37 (138-140); 9. 10. 37 (140-142); 11. 7. 38 (144-149); 24. 8. 40 (Tdr. 159-161); 17. 6. 42 (182184); 17. 12. 42 (186-189); 6. 11. 46 (197f.); 13. 2. 47 (200); 7. 11. 47 (204f.); 18. 3. 48 (207-209); 7. 5. 48 (213f.); 28. 7. 48 (216); 26. 1. 51 (225-228); 18. 12. 52 (Tdr. 237-239); 26. 4. 53 (239f.); 9. 10. 54 (243-245); 10. 10. 72 (Tdr. 310f.); 12. 11. 76 (316); [Frühjahr 77] (319), 6. 10. 77 (322); 20. 12. 77 (322f.); 1.5. 78 (325f.); 9. 4. 79 (332); 12.10. 80 (334); [Anf. Mai 81] (335); 1. 9. 81 (336f.); 4. 10. 81 (338f.); 17. 10. 81 (341); 27. 8. 82 (342f.); 5. 6. 83 (345f.); 10. 11. 83 (346f.); 4. 1. 84 (350); 19. 7. 84 (350f.); 14. 9. 84 (352); 17. 11. 84 (354f.); 9. 12. 84 (355); 5. 4. 85 (356); 9. 3. 86 (358f.); 17. 5. 86 (360). Die Veröffentlichung enthält weitere Briefe R.s: 2 Briefe an Etta Hitzig, 8. 5. 77 (317), 28. 6. 77 (318); je 1 Brief an HR, 19. 10. 64 (263-266), FR, 21. 5. 62 (253f.) u. Theoda/Oda Ranke., 30. 4. 43 (189f.) sowie an E. L. Th. Henke, 31. 5. 44 (347) u. Th. Brieger, 18. 11. 83 (348). - Die Veröff. enthält auch Briefwechsel E.s mit HR. - Weitere Briefe R.s an E. in SW 53/54 und NBrr. - Briefwechsel in Ernsts und abschriftl. in Hoefts NL des GStA PK.

76 Varrentrapp, C[onrad]. [Bespr. Hitzig 1906]/1907. Enthält u. a. den Erstdr./Teildr. des Anschreibens des Dekans der Fakultät, E. L. Th. Henke, (585f.), vor 31. 5. 44 (Dankschr. R.s), anläßl. der Übersendung des Marburger theol. Doktordiploms für R.

77 Wittichen, Friedrich Carl: Briefe von Gentz an Ranke/1907. Enthält aus dem RNL im Besitz FvR.s nach den Orr. die Erstdrr. von drei Briefen Gentz‘ an R: 26. 10. 28 (331f.); 15. 7. 29 (332-334); 26. 5. 30 (334-336).

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 78 Helmolt, Hans F.: Ein merkwürdiger Brief Leopold Rankes/1907. Mit Einl. versehener Erstdr. eines Briefes R.s an Fr. W. Thiersch 28. 4. 22 (254). Auszug u. a. in: Voss. Ztg., Nr. 276, 15. 6. 1907. - Über die Zusammenhänge siehe Helmolt/1921, 18f.

79 Helmolt, Hans F.: Ein bisher ungedrucktes Gutachten Leopold Rankes/1907. H. teilt aus dem in der damal. Kgl. Hof- u. Staatsbibl. Mnch. befindl. NL Wilhelm v. Kaulbachs einen dort in Abschr. erhaltenen gutachtl. Brief R.s an den preuß. Kultusminister August v. BethmannHollweg vom 22. 1. 60 mit (255-257).

80 Helmolt, Hans F.: Ein verschollener politischer Aufsatz Leopold Rankes/1907. Außer dem genannten Aufsatz (s. II, 150f.) teilt H. die Erstdrr. dreier R.-Briefe mit: an Fr. W. v. Thiersch, 25. 2. 37 (560f.) nach Or. in der damal. Kgl. Hof- und Nationalbibl. München, heute BSB/Hs.-Abt; sowie 2 nicht völlig korrekt gelesene Briefe an J. A. Eichhorn vom 13. 3. 38 vormittag (562f.) und nachmittag (563) nach einer Abschr. des Sohnes Eichhorns. Die Orr. befinden sich heute im GStA PK, NL Eichhorn Nr. 59.

81 Varrentrapp, C[onrad]: Rankes Historisch-politische Zeitschrift/1907. R an den preuß. Außenminister, Chr. G. Gfn. v. Bernstorff 1. 11. 31 (Erstdr./Tdr. 52f.; vollst. Helmolt/1921, 68f.). - Bernstorff an R., 20. 11. 31 (Erstdr./Tdr., 60f.). - R an Perthes 24. 12. 31 (Erstdr./Tdr. 62f.; vollst. nach Or., mit einigen Abweichungen: Oncken/1925, 229-231). - R an Perthes 24. 1. 32 [?] (Erstdr./Tdr., 64-66. Ein dort ausgelassener wichtiger Passus, Ausf. Or., bei Paulsen/1922, 52. Vollst., Ausf. Or.: Oncken/1925, 231-234. Dort datiert 31. 1. 32). - R an Perthes 20. 2. 32 (Erstdr./Tdr., 67f. Vollst., Or./Ausf. Oncken/1925, 234-237). - Marie v. Clausewitz an R 11. 9. 32 (kurzer Erstdr./Tdr. nach Ausf./Or., 84, A. 1). - Karl v. Raumer an R 20. 4. 32 (Erstdr. Zitat u. Kurzreferat, 93f., A. 1). - An K. L. Nolte, 13. 9. 66 (Erstdr./Tdr. nach Abschr./Ausf., 115. Vollst., mit Abweichungen: Helmolt/1921, 203, A. 241).

82 Jung, J[ulius]: Julius Ficker (1826-1902)/1907. Enthält einen Brief Fickers an R, 3. 1. 71 (Tdr.) betr. seine Wahl zum Mitglied der HiKo (439ff.). Vermehrter Tdr. des bei FvR (IV/1904, 223) vorhandenen Erstdr.s.

83 Roscher, C.: Wilhelm Roscher an Leopold Ranke/1908. Erstdr. eines Briefes Roschers an R, Göttingen, 27. 2. 42 (383-386).

84 Varrentrapp, C[onrad]: Briefe von Savigny an Ranke und Perthes/1908. Briefe Savignys an R aus dessen NL, damals noch im Besitz FvRs: S. an R [Mai 1828] (332-334); 8. 6. [1832 ff.?] (335, A.1, Tdr.); 17. 7. 32 (336. - Abweichungen bei Stoll II/1929, 448f.).

85 Meyer von Knonau, G.: Ein Brief eines schweizerischen Historikers/1908, 356-360. Aus dem NL R.s Erstdr. eines Briefes des R.-Schülers H. H. Vögeli (1810-1874) vom 30. 10. 34 (356360). Der umfangreiche Brief schildert v. a. Eindrücke, die V. von Leo, Wachsmuth, Luden, Heeren, K. O. Müller, Dahlmann und Bluntschli gewann, ist aber auch für R von Aussagewert.

86 Helmolt, Hans F.: Ein neuer Ranke-Brief/1910. Enthält (106) nach einer kurzen unerheblichen Einl. den Erstdr. eines Briefes (ohne Herkunftsnachweis) an den Drucker der FuV I, Friedrich oder Heinrich Brockhaus, vom „Jan. [18]27“. - Der Brief ist wohl als Fortführung des Briefes vom 17. 1. (NBrr 94) aufzufassen.

87 Helmolt[, Hans Ferdinand]: Ein neuer Mitarbeiter/1910. Erstdr. eines Briefes R.s nach Or., 10. 3. 32, an G. Fr. Puchta betr. Mitarbeit an der HPZ (3f.).

88 Vukova prepiska. Hg. Ljuba Stojanović (7 Bde, 1907ff.), Bd. 5/1910. Expl.: BSB, Sign. Epist 1040g. - Enthält mit gelegentl. fehlerhafter Orthographie, die im Falle von Karadžić auf den Briefschreiber zurückgehen mag, Erstdrr. folgender Briefe R.s an Karadžić: 24. 4. 30 (656); 31. 1. 33 (658-660); 12. 2. 34 (662-664); 3. 6. 44 (664f.); 3. 10. 44 (667f.); 8. 6. 50 (671f.); 30. 10. „[1854?]“ (673; wohl 1858). - Erstdrr. folgender Briefe K.s an R.: 8. 1. 33 (657f.); 23. 4. 33 (660f.); 16. 11. 33 (661f.); 27. 1. 34 (662); [23. 6. 44] (665f.); 5. 8. 44 (666f.); 12. 1. 45 (668-670), bes. wichtig wg. der darin enth. Beurteilung der 2. Aufl. der SerbRev.: K. weist auf sachl. Fehler, mangelnde Vollständigkeit u. Deutlichkeit hin; 19. 4. 45 (671); sowie ein Brief von [1853] (672). - Die Ausg. enthält ferner einen Brief C[larissa] v. R.s an K., 28. 1. 64 (673f.).

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 89 Varrentrapp, C: Briefe an R von älteren und gleichalterigen dt. u. franz. Historikern/1910. V. teilt aus R.s NL, damals im Besitz Friduhelm v. R.s folg. Briefe an R mit von: Niebuhr 5. 11. 28 (105-107). - Heeren 27. 3. 25 (nicht 1827!, 108f.; Korr.: Oncken/1922 130f.). - Schlosser, 10. 2. 25 (109f.). - Fr. v. Raumer 2. 1. 25 (111f.). - J. Schulze 24. 12. 24 (114, Tdr., berichtigt bei Oncken/ 1922, 129f.). - Kamptz 22. 12. 24 (114f., Tdr., vollst.: Oncken/1922, 127f.), 26. 12. 24 (115, Tdr., zuvor Tdr.: FvR I/1904, 80, vollst.: Oncken/1922, 128f.). - Stenzel 17. 4. 36 (120f.), 22. 11. 41 (121124), 31. 12. 41 (124-127). - J. Voigt 8. 10. 36 (127f.), [1839] Tdr. (128). - Michelet [23. 1. 41] (129); Mignet 26. 5. 43 (130). - Ein einziger Brief R.s wird mitgeteilt: an J. Schulze vom 5. 12. 24, Tdr. (113f.), der jedoch zuvor schon von Wiedemann/Mittheilungen (1895,1f.) veröffentlicht worden war (dazu Korr.-Hinweis bei Helmolt/1921, 168, A. 31).

90 Lenz, Max: Geschichte der Kgl. Friedrich-Wilhelms-Univ. zu Berlin, Bd. IV/1910. 457-476: „Zur Lebensgeschichte Leopold Rankes“, wichtiger amtl. Schriftwechsel u. Briefe R.s bis 1834. Alle Erstdr. u. - mit Ausnahme des folg. Berichts - alle aus: K.-M. (Kultus-Ministerium), Pers. R. Nr. 10. Vol. I. - 457-459: Bericht des Konsistorialrats Brescius über Leopold u. Heinrich R, 30. 4. 19 (Hausarchiv, Acta des Fürsten Wittgenstein, Rep. XXIX, 1818-21). R. an Altenstein, Min. d. geistl., Unterr.- u. Medizinalangelegenheiten 5. 12. 24 (459f). - Raumer an das Ministerium, 20. 1. 25 (460, ein pos. Gutachten über GRGV). - Gymnasialdirektor Poppo an Johannes Schulze, Frankfurt a. O., 1. 3. 25 (460-462, eine charakterisierende Beurteilung R.s durch seinen Frankfurter Schulleiter). - Konsistorialrat Brescius an Johannes Schulze, 5. 3. 25 (462-464, B. gibt hier „eifrigst empfehlend“ auftragsgemäß ein Urteil ab über „die Beschaffenheit des mündlichen Vortrags, das Benehmen und die äußern Verhältnisse“ R.s). - Das Ministerium an Beckedorff und R, 31. 3. 25 (464, Entw./Tdr). - R an Joh. Schulze. 6. 2. 28 (464f.). - R an Kamptz, 3. 7. 28 (466f); 8. 10. 28 (467f.). - R an Altenstein, 21. 12. 30 (468f.); 28. 8. 31 (469f.); 5. 5. 32 (470f.); 31. 1. 33 (471f.); 18. 3. 34 (474f.); 12. 7. 34 (475f). - Altenstein an Maaßen [Min. d. Finanzen], 23. 12. 33 (472f.). - Altenstein u. Maaßen an den König, 8. 1. 34 (473f.).

91 Helmolt [Hans, Ferdinand]: Ranke als Politiker/1911. H. bietet hier den Erstdr. des Widmungsschreibens R.s, 6. 9. 40, anläßl. der Übersendung von DtG III an Friedrich Wilhelm IV., GStA PK, I. HA Rep. 94 A Autographen-Sammlung F 18 Q q Lit. R.

92 Varrentrapp, C[onrad]: Briefe an Ranke von einigen seiner Schüler/1911. V. teilt aus R.s NL, damals im Besitz FvR.s, in einer durch sachkundige Kommentare verbundenen, wenngleich nicht vorbildlich zu nennenden Edition, bei der v. a. oft unklar bleibt, ob bzw. wieweit es sich lediglich um Tdrr. handelt und wie es um die Datierungen steht, Erstdrr. folgender, heute im Or. als vernichtet anzusehender Briefe an R mit: Sybel [nach 1. 11. 44] (44f., Tdr.). - Carlsson [Mai 38] (46f., Tdr.). - Rettberg, 13. 6. 48 (48, Tdr.). - Herrmann [Juli 46] (51, Tdr.). - 7 Briefe von Pauli [1853] (53f., Tdr.), [Dez. 54] (54-56, Tdr.), [Mai 1856] (56-58, Tdr.), 17. 7. 58 (58-60, Tdr.), 29. 11. 58 (60f., Tdr.), [Mai 71] (61f., Tdr.), [Ende 1875] (62-64, Tdr.). - 3 Briefe von Noorden 20. 1. 67 (6568, Tdr.), [1867] (68f., Tdr.), [Dez. 1870] (69, Tdr.). Diese - forschungsgeschichtlich von einiger Bedeutung - und 1 Brief R.s an Pauli, 2. 8. 58 (59f., Erst./Or. vollst.) machen bis auf weiteres die Unentbehrlichkeit des Beitrags aus.

93 Schiemann, Theodor: Ein Brief Rankes aus dem Jahre 1852/1911. Veröff. mit Einl.: Brief an P. v. Meyendorff 26. 6. 1852 nach Or. (241-246); nach abweichendem Konzept zuvor bei FvR/1904, I, 89-91. - M.s voraufgehender Brief an R siehe Meyendorff/1923.

94 Schorn, Adelheid v.: Das nachklassische Weimar [Erster Teil]/1911. Erstdr./Tdr. eines Briefes R.s an Ludwig von Schorn, 28. 10. 37 (166), Zweitdr., vollst.: NBrr, 243245 (einige Abweichungen. Siehe NL Schorn im GSA Weimar). - Erstdrr./Tdrr. von Briefen Sch.s an R 24. 1. 38 (166f.); 26. 12. 39 (167); 4. 6. 41 (ebd.).

95 Salzer, Ernst: Noch ein Brief Rankes an Gentz/1912. Enthält als Nachtr. zu P. Wittichen/1904 den Erstdr. eines Briefes R.s aus Venedig, 17. 10. 28 (334336) aus dem Besitz des Grafen Prokesch von Osten.

96 Die Briefe Friedrich Ludwig Jahns. Hg. v. W. Meyer/1913, ²1930. Erstdr. eines Briefes von Jahn an R 5. 2. 33 (285f.). - M.s Vermutung, daß dieser Brief an R gerichtet sei, wird von Schwarz/1923, 58, A. 2 bestätigt, der das Or. in einer Briefmappe Selma (genannt Lily) v. Rankes in Rudolstadt fand, zusammen mit dem Fragment eines Briefes Jahns aus späterer Zeit.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 97 Briefwechsel Johann Kaspar Bluntschlis/1915. Erstdrr. von Briefen R.s an Bluntschli vom 22. 2. 32 (111f.); 21. 8. 32 (Poststempel, 115f., bereinigte Fassung bei Vischer/1951, 282); 10. 1. 33 (117-119); [ca. Aug. 33] (119-121). - Sowie das Konzept eines Briefes B.s an R, 20. 5. 32 (112-115).

98 Almanach der Münchener Verleger. Überreicht vom Deutschen Buchhandel/1915. Brief Kg. Maximilians II. v. B. an R. 25. 1. 53 (7). Zuvor bei Dove, Ausgew. Schriftchen/1898, 111f. (Tdr.) und FvR II/1904, 268; später bei Hoeft/1940, 44f.

99 Von Kieler Professoren/1916. Enthält folgende Briefe: R an Waitz, 30. 12. 41 (179-181, Tdr.; Lesartdifferenzen zum Erstdr. SW 53/54, 317f.). - Waitz an R, 10. 12. 41 (177-179, u. a. Pertz betr.); 2. 2. 42 (184f.); 11. 4. 44 (204-207, u. a. über die von W. A. Schmidt unter Titular-Mitw. R.s hg. ‚Zeitschrift für Geschichtswissenschaft‘).

100 [Heusler, Andreas:] Zum hundertsten Geburtstag von Anton Philipp von Segesser/1917. Enthält (305f.) den Erstdr. eines Briefes R.s an v. Segesser vom 24. 11. 76. Ders. Brief auch bei Vischer/1951.

101 Heinrich von Treitschkes Briefe. 3 Bde, Lpz./(1912, 1913), 1920. Enthält (Bd. III, 384) den Erstdr. eines Briefes Treitschkes an R., 7. 3. 74.

102 Bresslau, Harry: Geschichte der Monumenta Germaniae historica/1921. Referiert kurz Teil eines Briefs R.s vom 16. 6. 28 an Pertz (221f., A. 6). - Tdr. eines Briefes von R. an Pertz, 11. 11. 36 (222, A. 2; vollst. NBrr 229). - Gutachtl. Brief/Tdr. R.s an v. Mühler, 22. 12. 63 (409). - Referat u. ausführl. Tdr. eines Briefes von Waitz an R, 13. 7. 70 nach dem Konzept, worauf vermerkt „mit einigen Veränderungen und kleinen Zusätzen abgesandt“ (480f.).

103 Schmitz, Elisabeth: Edwin von Manteuffel/1921. Erstdr. eines bei Dove fehlenden wichtigen Briefes Manteuffels an R, 7. 2. 72 (85-92), mit Korrekturvorschlägen zu BrFrW IV./Bunsen. Des weiteren Tdrr. bzw. Kurzzitate folgender Briefe M.s an R.: 30. 6. 52 (59); 5. 6. 52 (60); 8. 4. 55 (78, A. 1); 9. 5. 57 (62 m. A. 1 u. 2, 63 m. A. 1); 21. 1. 69 (69); 13. 11. 72 (77, A. 1); 17. 11. 72 (80, A. 6); 26. 11. 73 (72, A. 2). - Auch Tdrr. von Briefen Hertha v. Manteuffels an R: 15. 10. 72 (75, A. 1. Einige Sätze über Friedr. Wilh. IV. an dessen Geburtstag); 8. 7. 77 (28, A. 1).

104 Helmolt, Hans F.: Leopold Rankes Leben und Wirken/1921. An G. A. Reimer, 13. 11. 24, Erstdr. nach Or. (21-23). - An Varnhagen, 25. 2. 26, Erstdr. nach Or. (30). - Billet für die Varnhagens, 8. 7. 27, Erstdr. nach Or. (31). - Billet für die Varnhagens, 19. 1. 27, Erstdr. nach Or. (34). - Billet für Rahel, 30. 8. 27, Erstdr. nach Or. (173, A. 64). - An Kopitar, [vor 30. 7. 29] Erstdr. nach Or. (52-54). - An Minister Bernstorff, 1. 11. 31 (68f.) aus den Akten des GStA Bln. vervollständigter Zweitdr. des Erstdr.s bei Varrrentrapp, R.s HPZ/1907, 53. - An J. A. Eichhorn, 21. 11. 31, Erstdr. aus Akten des GStA Bln. (70). - Billet für Rahel, 25. 11. 32, Erstdr. nach Or. (184, A. 122). - An Varnhagen, 24. 5. 34 (184, A. 122), vervollständigter Zweitdr. d. Erstdr.s bei Wiedemann/1901, 220). - An Gfn. Luise von Voß, 5. 11. 33, Erstdr. nach Or. aus dem NL Joseph Maria v. Radowitz in der SBB (76f.). - Billet für R. Köpke, 25. 3. 63, Erstdr. nach Or. (?) (191, A. 155). - An J. J. Stolz, 2. 3. 38, vom Erstdr. (SW 53/43, Nr. 119) nach Entw. abweichender Druck des Or.s (86f.). - An Kopitar, 1. 5. 38, Erstdr. nach Or. (?) (88). - An P. v. Meyendorff, 19. 2. 42, Erstdr. nach Or. (?) (93f.). - An H. Fürst v. Pückler-Muskau, 4. 3. 68, Erstdr. nach Or. (125f.). Antwortbrief d. Fürsten, 10. 4. 68, nach Entw., in referierender Form (126). - An K. L. Nolte, 13. 9. 66 (203, A. 241), vervollständigter Zweitdr. d. Erstdr.s bei Varrentrapp: R.s HPZ/1907, 115. - An O. Lorenz, 25. 10. 69, Erstdr. nach Or. (202f., A. 238). An E. v. Manteuffel, 23. 2. 70, Tdr. (209, A. 286).

105 Oncken Hermann: Aus Rankes Frühzeit/1922. Die 1925 ergänzte (s. u. Nr. 112) wichtige Veröff. zur Entstehungsgesch. der frühen Werke R.s enthält Briefe aus folg. NL-Beständen: dem damaligen Archiv des Verlags Perthes, der Briefsammlung Lily von R.s in Rudolstadt (Ehefrau von FvR), den auf Hermann R. gekommenen Briefen HR.s und nicht

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke näher bezeichneten Beständen, wobei nicht durchweg eine Zuordnung gegeben wird. - Im Hinblick auf die hier veröffentlichten Briefe an Mailänder Adelige bemerkte Schwarz/1923, 247, A. 2: „Der Rudolstädter Teil des Ranke-Nachlasses bringt noch eine ganze Anzahl italienischer Briefe; Oncken scheint nur die gut lesbaren herausgegriffen zu haben.“ Erstdrr. folgender Stücke aus dem Briefwechsel R.s: 19 Briefe R.s an Perthes (1825-1832). Faks. d. Briefes an Perthes vom 8. 8. 27. - Je 1 Brief an Pietro Bragadin, [Jan. 1831] (121), Marchese Marco Solari, 10. 2. 31 (123f) und den Buchdrucker Duncker in Bln., [17. 12. 31] (75, A.). Folgende Briefe an R.: 4 Briefe von Perthes 25. 3. 26 (Tdr., 30); [Sept. 1826] (Tdr. 93, A); 16. 11. 27 (Tdr. 109f., A.); 28. 2. 42 (Tdr. 35, A). - 2 Briefe von K. v. Kamptz 22. 12. 24 (127f.); 26. 12. 24 (128f.). - Je 1 Brief von Joh. Schulze 24. 12. 24 (129f.) u. A. H. L. Heeren, 27. 3. 25 (130f.). - 3 Briefe von Varnhagen 21. 2. 26 (131f.); 28. 3. 28 (132-134); 17. 8. 29 (134-139). - 4 Briefe von A. v. Humboldt, [5. 8. 27] (139); 21. 3. 28 (140f.); [Febr. 33] (141f.); 25. 1. 39 (142f.). - 3 Briefe von Gf. August v. Platen, 10. 5. 30 (143f.); 3. 8. 30 (144-146); 19. 8. 30 (146-149). - 10 Briefe in Tdrr. von HR, aus dem später von Fuchs/1965 umfangreicher genutzten Heinrich-NL im Besitz Hermann Rankes: [1819 oder 1820] (4); 30 11. 25 (4); [Anf. Dez. 26] (44, A.); 19. 7. 27 (44, A.); 6. 8. 28 (45, A.); 18. 8. 29 (14); 6. 8. 32 (75); 16. 11. 32 (75); 1. 12. 34 (22, A.); 2. 4. 41 (47, A.). - 1 Brief von Kg. Friedrich Wilhelm III., 30. 6. 39 (142, A.).

106 Paulsen, Sigurd: Leopold von Rankes Lehre vom „organischen Fortschritt“/1922. P. veröffentlicht hier in ziemlich liederlicher Weise die Erstdrr. von sieben Briefen R.s an Perthes: 21. 3. 32 (53f. Von Oncken/1925 wohl korrekt auf 21. 5. 32 datiert); 31. 1. 33 (55); 17. 6. 25 (58f. Von Oncken/1925, 217-219 auf den 12. datiert); 30. 6. 28 (59f. Von Oncken/1925, 219-221 auf Juli datiert); 29. 9. 29 (61f); 27. 9. 30 (62f.); 5. 2. 31 (64f.). - Oncken/1925 hält nicht nur Datierungsänderungen, sondern auch eine Reihe von Lesartendifferenzen bereit.

107 Peter von Meyendorff. Ein russischer Diplomat, 3 Bde/1923. Brief Meyendorffs an R 22. 6. 52 (Bd. I, p. LIII-LIV; zuvor bei FvR., Dt. Revue, Jan 1904, 89 (Tdr.). - R.s Antwortschreiben vom 26. 6. 52 bei Schiemann/1911.

108 Ranke, Otto von: Leopold von Ranke in seiner Familie. Niedergeschrieben von seinem Sohne -. In: Daheim, Lpz., Jg. 59, Nr. 35/36, 26. 5. 1923, 6-8; Nr. 37/38, 9. 6. 1923, 10f.; Nr. 39/40, 23. 6. 1923, 6-8; Nr. 41/42, 7. 7. 1923, 13f.; Nr. 43/44, 21. 7. 1923, 13f.; Nr. 45/46, 4. 8. 1923, 11-13; Nr. 47/48, 18. 8. 1923, 16f.; Nr. 49/50, 1. 9. 1923, 12-14. Die in die überaus schlichten Erinnerungen des Sohnes eingestreuten Briefe R.s waren teilweise bereits von Dove veröffentlicht worden. Bei den geringfügig abweichenden Zweitdrucken ist i. a. nicht klar, ob sie auf Dove oder auf den von diesem benutzten oder anderen Vorlagen beruhen. An Kg. Maximilian II. 30. 8. 45 (Zweitdr./Tdr. 35/36, 6; Erstdr. SW 53/54, 330). - An HR 20. 8. 44 (Zweitdr./Tdr. 35/36, 6f.; Erstdr. SW 53/54, 327f.). - An Dens., Okt. 44 (Zweitdr./Tdr. 35/36, 7; Erstdr. SW 53/54, 328f.). - An Dens., 13. 3. 64 (Zweitdr./Tdr. 35/36, 7f.; Erstdr. SW 53/54, 427f.). - An CvR, 2. 9. 53 (Zweitdr./Tdr. 37/38, 11; Erstdr. SW 53/54, 354f.). - An Dies., 10. 7. 58 (Zweitdr./Tdr. 39/40, 7; Erstdr. SW 53/54, 396f.). - An Dies., 17. 7. 58 (Zweitdr./Tdr. 397). - An OvR u. FvR, Paris, 17. 7. 62. (nicht 27.; NBrr 420f. unzutreffend: London) (Or./Erstdr., 39/40, 7). - R. an OvR [Lnd., ca. 12. 8. 62], (Or./Erstdr. 39/40, 7). - An CvR u. die Kinder [Paris, Ende Sept. 61] (Zweitdr./Tdr. 39/40, 7; Erstdr. SW 53/54, 415f.). - An OvR, [Paris, Mai/Juni 65], (Or./Erstdr. 41/42, 13). - An Dens. [den Haag, vor dem 12. 8. 65] (Or./Erstdr. 41/42, 13). - An E. v. Manteuffel 2. 5. 71 (Zweitdr. 43/44, 13f.; Erstdr. SW 53/54, 496-499). - An Krpr. Friedrich Wilhelm, späteren Ks. Friedrich III. 18. 10. 49 (Zweitdr./Tdr. 45/46, 12; Erstdr. SW 53/54, 333). - An OvR 22. 12. 71 (Or./Erstdr. 47/48, 16); 25. 5. 73 (Zweitdr. 47/48, 16f.; Erstdr. Dove: Erinnerungen/1895, 874.). - An ER 3. 10. 69 (Zweitdr./Tdr. 47/48, 17; Erstdr. SW 53/54, 489f.). - An HR 1. 8. 76 (Zweitdr./Tdr. 49/50, 13; Erstdr. SW 53/54, 522524).

109 Borries, Kurt: Zwei Briefe von und an Leopold v. Ranke/1923. Enthält, mit sachkundigen Einleitungen, einen Brief von Friedrich Rückert an R, [Juli 1842] (358f.) sowie einen Brief R.s an Bettina v. Arnim 26. 12. 28 (361), beide in Erstdr./Or. des zu dieser Zeit aus dem Besitz OvR.s an die SBB übergehenden RNL.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 110 Schwarz, Adolf: Studien zu Leopold Rankes politischer Entwicklung/1923. Aus zwei heute verschollenen Briefmappen Selma (gen. Lily) von R.s sind hier erstmals folgende von der R.-Forschung nahezu völlig übergangene Briefe an R mitgeteilt (einige nur in Tdr.): Krpr. Friedrich Wilhelm v. Pr. 12. 4. 29 (203, A. 3, Tdr.). - G. A. v. Breitenbauch, 17. 7. 15 (III). - Chr. K. J. Bunsen [Ende 1830?] (242) mit Mitteilungen aus zwei weiteren Briefen B.s an R 7. 10. u. 24. 11. 30. - J. Daxenberger 15. 3. (XVIII) u. 29. 5. 42 (XIX). - G. Ewers 5./17. 1. 1828 (VIIIsq.). - G. Heyer 28. 2. 41 (30). - Körte, 10. 1. 34 (XVsq.). - G. W. Müller 25. 8. 15 (IV-VII). - G. F. P[uchta von mir erschl.] 3. 8. 32 (XII-XV). - Rahel Varnhagen 3. 1. 33 (122, A. 3, Tdr.); G. A. Reimer 20./30. 11. 23 u. 10. 12. 39 (75f., 119, A. 3, Tdrr.). - C. Spener 31. 5. 26 (Xsq.). - Fr. v. Thiersch 5. [11.] 41 (XXsq.). - J. G. Chr. Thomas 14. 4. 27 (99, A. 3, Tdr.). - Fr. A. Ukert 26. 2. 33 (131f., A. 3, vollst.?). - Varnhagen 12. 3. 35 (XVII). - K. G. F. Wieck 28. 4. 25 (27, A. 1, Tdr.). - E. R. Wilisch [Ende 1814/Anf. 1815] (Isq.). Soweit die An-Briefe. - Dazu folgende Briefe R.s an seinen Bruder Heinrich Ranke [Apr. 1820] (56, A. 2., Tdr.; Zweitdr. vollst. NBrr 9f.); 22. 4. 47 (13, A 1, Tdr.; Zweitdr. vollst. NBrr 322-324 mit Abweichungen).

111 Oncken, Hermann: Zur inneren Entwicklung Rankes/1925. Veröffentlicht in teilw. Erstdr. nach Ausf. Or. 10 Briefe R.s an Perthes aus dem Hamburger StA. Zeitraum: 12. oder 17. 6. 25 - 31. 1. 33. Einige Briefe waren zuvor mit Lesartendifferenzen von Paulsen/1922 veröffentlicht worden. Perthes an R 4. 7. 1825 (Vermerk von P.), 217, A. 2

112 Gerhard, Dietrich: Zur Geschichte der Historischen Schule/1925. Bietet, nach einer hauptsächlich Leo gewidmeten Einl., aus dem Niebuhr-NL des Berliner Literaturarchivs den Erstdr. (vermutl Or.) eines R-Briefes an Niebuhr, 14. 12. 24 (101-103).

113 Dove, Alfred: Ausgewählte Aufsätze und Briefe. II: Ausgewählte Briefe/1925. Bd. II enthält folgenden Briefwechsel Doves mit R.: D. an R, 7. 1. 71 (7-10; Antwortschreiben R.s bei Henz/1972, 313f.). - R an D., 13. 3. 73 (30f., Erstdr.: SW 53/54). - D. an R, 20. 12. 78 (65-69, über die von R geplante WG); 20. 12. 83 (88-90, über WG IV); 20. 12. 84 (96f., über WG V).

114 Elisabeth Schweitzer [Hg.]: Das Lutherfragment von 1817. In: Leopold von Ranke. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Hg. v. Paul Joachimsen. Gesamtausgabe der Deutschen Akademie. Reihe 1, Werk 7, Bd. 6/1926, 311-399. R an Heinrich Ranke, 4. 3. 17, Or./Entw. oder Abschr. (320). - R an Thieme, [Ende Okt. 1817?] Or./Entw. (359f.).

115 Obelisk-Almanach auf das Jahr 1929/[1928]. Expl.: BSB, Sign. N. libr 352g. - Unter der Rubrik „Aus unserer Autographenmappe“: kommentarloser Erstdr. eines Briefes R.s an Kopitar, Venedig, 10. 1. 29 (125-127), (Abdr. in Prager Presse, 1929). Der Brief wurde von Hoeft in Unkenntnis des Erstdr.s in NBrr (111-114) aufgenommen.

116 [Anonym:] Ranke an Kopitar/1929. Expl.: BSB, Sign. 2 Eph.pol. 61/9,1. - Kommentarloser Abdr. des im Obeliskalmanach (1928) erstveröffentlichten Briefes R.s an Kopitar, Venedig, 10. 1. 29 (7).

117 Requadt, Paul: Johannes von Müller und der Frühhistorismus/1929. Erstdrr./Tdrr. (kurz) folgender Briefe R.s: an FR „o. D. (1819?)“ (179f.), vollst. NBrr 27: „[nach d. 12. April 1822]“; 4. 5. 37 (167), vollst. NBrr 238-240; [Anf. 1838] (179), vollst. NBrr 254f.; 9. 8. 38 (172), vollst. NBrr 259f. - An HR, 26. 11. 41 (167), vollst. NBrr 283f.; „(nach 1847)“, vollst. NBrr 327f.: Jan. 1848; 28. 11. 69 (178), vollst. NBrr 534-536. - An Selma R. (geb. Schubert) 10. 7. 70 (178, A. 4), vollst. NBrr 540f. - Die Einsicht in die vorgenannten R-Briefe verdankte Requadt EvR.

118 Stoll, Adolf: Friedrich Karl von Savigny. 3 Bde/1927, 1929, 1939. Enthält - wobei nicht immer klar ist, ob Or. oder Abschr. - aus R.s NL im GStA PK Bln. folg. durch Einwirkungen des 2. Weltkriegs wohl vernichtete Briefe Savignys an R.: Mai 1828 (II, 392-394), 16. 7. 32 (447f.), 17. 7. 32 (Abschr., 448f.), [1841] („Urschrift“, 530), 17. 9. [1842] (III, 56), 7. 2. 44 (64), 3. 3. 58 (150) sowie einen Brief von Karl Friedrich v. Savigny (Sohn von Fr. K. v. S.) an R 21. 5. 71 (294).

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 119 Ferres, Martin: Heinrich v. Sybels Stellung zu den politischen Vorgängen/1930. Liefert (46-50) unter Benutzung einiger weniger Briefe von Kg. Maximilian II. v. B. und R (aus den NLL R.s und Sybels) weitere Mosaiksteine zu dem Doveschen Thema ‚Ranke und Sybel in ihrem Verhältniß zu König Max‘ (1895). Bietet kurze Zitate aus folg. Briefen: R an Sybel 12. 7. 61 (NL. Sybel, GStA PK Berlin); Maximilian II. an R (Zweitdrr.) 25. 1. 53; 15. 3. 55; 20. 6. 55 (aus dem damaligen RNL der StB Berlin).

120 [Anonym:] Aus Rankes Familie/1930. Erstdr. eines Briefes R.s an seinen Schwager Heinrich Schmidt, Rom, 21. 6. 29. - Zweitdr. in Unkenntnis des Erstdr.s: NBrr, 124f.

121 Bismarck, Otto von: Briefe, 1862-1898/1933, Die gesammelten Werke, Bd. XIV/2. Erstdr. eines Briefes Bismarcks an R 13. 2. 82 (934).

122 Stupperich, R.: Vier Briefe Leopold von Rankes an Willem Groen van Prinsterer/1934. Einleitungsloser, jedoch kommentierter Erstdr. folg. Briefe: 1. 9. 41 (559f.); 16. 6. 53 (560f.); 11. 8. 61 (561f.); 20. 8. 69 (562f.). - R.s Briefe gelten Archivalien i. Zush. mit DtG, PreußG, FranzG, EnglG u. Hard/Denkw. - Aus den Gegenbriefen ist nichts mitgeteilt.

123 Valjavec, Fritz: Ranke und der Südosten/1935. Enthält kommentierte Erstdrr. von vier Or.-Briefen R.s aus der Wiener Nat.-bibl., Hs.-abt.: an Kopitar 24. 4. 30 (17-19); an Dens. 6. 8. 30 (19-21); an Dens. 18. 7. 35 (21-24); an Miklosich 30. 1. 68 (24).

124 Leipprand, E.: Heinrich von Treitschke im dt. Geistesleben des 19. Jahrhunderts/1935. Erstdr. R an Treitschke, 30. 5. 83 (259).

125 [Anonym:] Ein Ranke-Brief [Kopie aus einer so nicht zu identifizierenden Publikation, S. 56. Datierung 1936-1945]. Ausschnitt Ranke-Archiv, Wiehe. „Herr Bürgermeister Tauscher in Wiehe stellt uns aus dem Ranke-Museum die Abschrift eines Briefes des damaligen Kronprinzen, späteren Kaisers Friedrich III. an Leopold von Ranke zur Verfügung“. Es folgt in Erstdr. Text des Briefes vom 10. 4. 75.

126 Hoeft, Bernhard: Das Schicksal der Ranke-Bibliothek/1937. Kondolenzbrief R.s an Kgn.witwe Marie v. Bayern 10. 3. 64 (50f.; Entw., stark abweichend: SW 53/54, 426f. mit Datierung auf 11. 3. 64) - H.s Vermutung, der Brief sei nicht abgeschickt worden, widerspricht seine Erwähnung u. Beil. in R.s Brief an Pfistermeister, 11. 3. 64 (Erstdr. Henz/2009, 409). - Erstdrr. folgender Or.-Briefe an R: W. v. Doenniges, 19. 8. 54 (49). - Julian Schmidt, 19. 1. 82 (51f.). - H. Hüffer, 9. 8. 82 (52-54). - Fr. Hummel, 2. 7. 84 (55).

127 Selesković, M. T.: Ein unveröffentlichter Brief Vuks an L. von Ranke/1939. Erstdr. nach Or. eines Briefes von Vuk an R. 15. 3. 56 (285f., damals im GStA Bln., Rep. 92, RNL, Nr. 1 K).

128 Hoeft, Bernhard: Rankes Berufung nach München/1940. (Hoefts Werk ist vor dem folgenden von Müller erschienen, s. d.). Erstdrr., teils aus dem GHAM, teils aus R.s Pers.-Akte (s. II, 289), (die enthaltenen Zweitdrr. u. anderer Briefwechsel werden hier nicht verzeichnet): Folgende Briefe R.s an: Maximilian II. v. B., 21. 11. 52 (33; Korr. Zweitdr.: v. Müller/1939, 8). - v. Malzen, 12. 2. 53 (60); 13. 6. 53 (Tdr., 118, A. 1. Vollst. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 8f.). - Staatsmin. K. O. v. Raumer, 16. 2. 53 (62f.). - HR, 22. 3. 53 (98f.); 1. 3. 55, Tdr. (99, A. 1). - K. O. v. Raumer, 29. 3. 53 (105). - v. Zwehl, 28. 1. 54 (113f.). - Fr. W. v. Thiersch, 14. 6. 54 (124f.). Folgende Briefe an R: Krpr. Maximilian [Anfang 1842] (Eighd. Entw., 16f.); 22. 1. 45, Tdr. (18); o. D., Tdr. (21); 4. 12. 52, Tdr. (33); 25. 1. 53 (45f.); [vor dem 11. 6. 54] (122f.). - Doenniges, 1. 6. 42 (17); 7. 2. 53 (54-56); 20. 2. 53 (71-73); 12. 7. 54 (125f.). - v. Malzen, 8. 2. 53 (56f.). - K. O. v. Raumer 9. 5. 53 (108); Fr. W. v. Thiersch R. [11. 6. 54] (123). - v. Zwehl 15. 12. 53 (112f.).

129 Müller, Karl Alexander von: Nachträge zu den Briefen Leopold Rankes an König Maximilian II. von Bayern/1939. Der Sitzungsbericht dürfte erst 1940 erschienen sein, denn v. Müller benutzt bereits das Hoeftsche Werk über Rankes Berufung nach München, 1940.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke Bringt in Erstdr. nach den Orr. im GHAM - in Ergänzung der in SW 53/54 veröffentlichten insgesamt wichtigeren 12 Briefe an Maximilian II. - 14 weitere Briefe R.s an denselben: vom 21. 11. 52 (8); [Ende 1853] (9); 11. 12. 53 (10); 26. 11. 54 (10-12); 19. 3. 55 (15f.); 6. 5. 55 (17); 25. 5. 57 (17-19); 26. 11. 58 (21-23); 27. 10. 59 (33-35); 4. 12. 59 (36); 9. 7. 61 (41f.); 26. 11. 61 (51f.); 21. 4. 62 (52f.); 26. 1. 55 (87-89) sowie ein Verz. der 31 bis dato nachgewiesenen Briefe R.s an Maximilian II. Ferner 14 Briefe R.s an Pfistermeister: 7. 2. 55 (12-14); 14. 8. 57 (19); 6. 9. 57 (20f.); 30. 12. 58 (23f.); 10. 9. 59 (24); 4. 11. 59 (35f.); 27. 10. 60 (38-40); 22. 6. 61 (40f.); 11. 8. 61 (42); 12. 8. 61 (ebd.); 15. 11. 61 (51); 15. 5. 63 (56); 17. 9. 63 (56f.); 30. 9. 63 (57f). - 1 Brief an v. Malzen, 13. 6. 53 (8f.). - 1 Brief an Oberst v. Spruner vom 27. 10. 59 (30-32). - Pfistermeister an R 22. 8. 1857 Tdr. (20, A. 1).

130 Berger, Siegfried: Zwei Gesuche Leopold von Rankes/1942. Enthält nach einer sachkundigen Einl. als Erstdrr. aus den Akten des Domkapitels zu Merseburg Gesuche R.s an die preuß. Provinzialregierung (16f.) und an das Domkapitel in Merseburg (17f.), jeweils vom 7. 2. 18, um Anstellung als Konrektor am dortigen Gymnasium sowie beigefügte Zeugnisse seiner Leipziger Professoren Gottfried Hermann und Chr. D. Beck (beide 19).

131 Willers, Uno: Geijer och Ranke/1943. Enthält (202) den Erstdr. eines Or.-Briefes R.s [Sommer 1846] an den schwedischen Geschichtsphilosophen Erik Gustaf Geijer.

132 Kaphan, Fr.: J. Burckhardt u. d. Wiederbesetzung v. R.s Gesch.professur/1943, 113-131. Enthält (117) den Erstdr. eines Briefes R.s an den preuß. Kultusminister H. v. Mühler, 26. 4. 71 (Ausf. Or. vollst.).

133 Leopold von Ranke. Neue Briefe. Gesammelt und bearbeitet von Bernhard Hoeft †/1949. Zu der Ausgabe siehe II/3.1.6. Briefe von R an: Acton - Akad. dt. Naturforscher - Akad. d. Wiss. (Bln.) - Albrecht, Prinz v. Pr. - Allg. Geschichtsforschende Ges. d. Schweiz - Altenstein - Altmeyer, Madame - Ancillon - Arneth. Aschbach - Augusta, Prinzessin, Kgn. v. Pr., Dt. Ksn. - Badische Hist. Komm. - Baier - Bernstorff Bethmann-Hollweg - Bismarck - Boeckh - Bouillier - A. Braun - Friedr. bzw. Heinr. Brockhaus - B. E. v. Bülow - Heinr. v. Bülow - Chr. K. J. v. Bunsen, - Selma Carius, geb. R - P. E. Cauer. - Dieterici. Doenniges - P. v. Dollmann - Mademoiselle L. Dosne - M. Drake - Dümmler - M. W. Duncker Dyrenfurth - Eichhorn - Euler - Falk - Ficker - Freies Dt. Hochstift Ffm. - Friedrich Ghzg v. Baden Friedrich Wilhelm IV., Kg. v. Pr. - Friedrich Wilhelm, Krpr. v. Pr., als Friedrich III. dt. Kaiser Gerhard - Giesebrecht - Goßler - Gottschall - R. Graves - Grotefend - J. Grimm - Gruner - Guaita Hacke - Hausmann - K. Hegel - Heigel - J. A. R. Helferich - E. L. Th. Henke - Hertzog. - Hist. Genossenschaft in Utrecht - Hist. Komm. b. d. Bayer. Akad. d. Wiss. - Henriette (gen. Etta) Hitzig Hübner - M. H. Hudtwalker - Hüffer - Huth - Ideler. - Kamptz - Karl Alexander, Ghzg. v. SachsenWeimar-Eisenach -Karl, Prinz v. Pr. - Karl I., Kg. v. Württemberg - L. Kerr - Klub zu Wien - Knechtl Köpke - Kopitar - Karoline (Lilli) v. Kotze - Maximiliane Helene v. Kotze, geb. Ranke - W. v. Kotze Kuratorium zu Frankf./O. - Ladenberg - Lanz - Lehrerkollegium d. Landesschule Pforta - Liebhold Liliencron - Löher - Loën - Magistrat d. Stadt Bln. - E. v. Manteuffel - Hertha v. Manteuffel - Maria, Kgn.-Witwe v. Bayern - [Friedrich v. Martens?], Maximilian II., Kg. v. Bayern. - Preuß. Ministerium der Geistl., Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten - R. v. Mohl - Moeller - Moltke - Mühler Mundt - Nolte - Obstfelder - Perthes - Pertz - Pfistermeister - Pfordten v. d. - Pollau - B. Price - Ernst Ranke - Ferdinand Ranke - Friederike Ran(c)ke, geb. Lehmicke - Friduhelm v. Ranke - Heinrich Ranke - Clarissa v. Ranke - Luise Ranke, geb. Tiarks - Maximiliane v. Ranke (s. v. Kotze) - Otto v. Ranke - Selma Ranke, geb. Schubert - Wilhelm Ranke - G. W. v. Raumer - K. O. v. Raumer - Redern H. Ritter - Roscher - Rößler - V. Russell - Sarowy - Schaefer - Schaumann - Schönemann - Heinr. Schmidt - Rosalie Schmidt, geb. Ranke - Henriette v. Schorn - Ludwig v. Schorn - G. H. v. Schubert Julie Schubert - Schulze - Serb. Gelehrtengesellschaft zu Belgrad - Starke - Stenzel - StillfriedRattonitz - Stockmar - A. Gf. z. Stolberg-Wernigerode - v. Sybel - Tettau - Thiers - Madame Thiers Fr. W. Thiersch - Cleuthère Thomas - Treitschke - Luise Wilhelmine (Minna) Antoinette v. Treskow, geb. Wagner, verw. v. Zielinski - Universitäten: Basel, Berlin, Bonn, Breslau, Dorpat, Greifswald, Heidelberg, Jena, Lpz., Marburg, Straßburg, Wien, Zürich - K. A. Varnhagen v. Ense - Verein f. Gesch. d. Deutschen in Böhmen - Verein f. Schlesische Gesch. - Victoria, Krprn. v. Pr., später Ksn. Friedrich - G. Voigt, - J. Voigt - Waitz - Wilhelm I. Kg. v. Pr., Dt. Ks. - Wilisch - Wilken - W. L. G. Wittgenstein - Zinkeisen.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke Die Ausg. enthält in den Anmm. einige Tdrr. von Briefen an R.: von Acton 14. 2. 63 (429, A. 1). Caroline Beer 4. 6. 29 (117, A. 1). - Heinrich Ranke 2. 7. 46 (318, A. 1); 18. 2. 67 (473, A. 1). - Frau v. Treskow 15/17. 12. 66 (61, A. 1) - L. Du Bois [vor 22. 6. 44] (311, A. 1). - Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss. 6. 1. 86 (379, A. 1). - H. Floto, 15. 8. 55 (369, A. 1). - E. v. Manteuffel, 9. 1. 70 (538, A. 1). Ernst Ranke, [nach dem 22. 12. 80] (691, referierende Notiz Ernsts). - Ferdinand Ranke, 12. 2. 24 (42, A. 4); 20. 12. 41 (287, A. 1). - Stockmar, 10. 3. 76 (629, A. 2).

134 Das Briefwerk. Eingeleitet und hg. v. Walther Peter Fuchs/1949. Nicht in Korrespondenten.-Reg. aufgenommen. Als eine auf ein breites Publikum abgestellte Ausgabe enthält sie i. Ggs. zu Hoeft ausschließlich bereits veröffentlichte Briefe, und davon nur einen Teil, und diesen überwiegend in Tdr. Bezogen auf den 1949 veröffentlichten Gesamtbestand der Briefe bietet ‚Das Briefwerk‘ mit 387 Briefen lediglich ein Drittel. - Zu der Ausgabe siehe II/3.1.6.

135 Kessel, Eberhard: Ranke und Burckhardt/1951. Enthält den Erstdr. eines Briefes R.s an Ph. Buttmann, 14. 10. 24 (359f., A. 21) sowie (360, A. 22) einige Korr. zu NBrr - Faks. des Briefes bei Henz/2008, 48f.

136 Vischer, Eduard: Zu Leopold von Rankes Briefen/1951. V. will bei dieser Nachlese „für den schweizerischen Bereich nachholen, was Hoeft mit ungleich größerem Erfolg für den allgemeineren geleistet hat“ (282) und bringt es dabei auf drei unbekannte Briefe. - Inhalt: Briefe R.s an J. K. Bluntschli 21. 8. 32 (282, bereinigte Fassung des Erstdr.s von Oechsli/1915) - an Ferdinand Meyer 20. 7. 37 (282f., Erstdr. bei Frey/1900) - an P. Merian 17. 11. 55 (283, Erstdr., betr. die Beurteilung von Dümmler und Floto) - an Ph. A. v. Segesser 24. 11. 76 (283f., Erstdr. bei Heusler/1917) - an W. Vischer 23. 11. 80 (284, Erstdr.) - an Aug. Gf. v. Platen 13. 10. 30 (284-286. Erstdr. eines wichtigen Briefes der ‚Ital. Reise‘). - V. weist zudem (289) ein Schr. W. Vischers an R vom 20. 11. 80 nach, Abschr. in Vischers NL (damals Privatbesitz Basel).

137 Griewank, K.: Wissenschaft u. Kunst in d. Politik Ks. Wilhelms I. und Bismarcks/1952. Enthält den Auszug eines gutachtl. Schreibens R.s an den preuß. Kabinettsrat Illaire, 24. 8. 53, betr. das German. Nationalmuseum in Nürnberg (291f., vollst. Henz/1972, 308f.) u. die Pläne seines Gründers Hans v. Aufsess sowie Zitat aus einem eighd. durchkorrigierten Schr. Bismarcks an R vom 12. 5. 71 mit B.s Reaktion auf R.s Plan einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache (301). Siehe auch Abt. ‚Wiss. Gutachten‘ und ‚Reden‘ (Hist. Komm.).

138 Milović, J[evto].: Jedno neobjavljeno pismo Leopolda von Rankea/1952/53. Erstdr. eines Briefes R.s vom 2. 12. 78 an einen nicht genannten Adressaten aus dem Umkreis Jovan Rističs (245f.).

139 Bäcker, Gisbert: Leopold von Ranke und seine Familie/1955. B. veröffentlicht darin aus seinem Privatarchiv folgende Briefe R.s an: Unbekannt (an engl. Verwandten bei Geburt Friduhelms) 17. 9. 47, Abschr. (Anm.-Bd., 84) - Robert Graves, 28. 6. 65, Or. (Ebd., 85) - Charles Graves, Nov. 65, Abschr. (Ebd., 86).

140 Vierhaus, Rudolf: Ranke und die soziale Welt/1957. Erstdr./Tdr. aus RNL 35 (3) des undatierten, aus Paris an R gerichteten Antwortschreibens eines nicht Genannten mit den darin wiederholten, in R.s voraufgehendem Brief (1831?) gestellten Fragen: 132f., A. 11. - Die Fragen stehen in Zusammenhang mit R.s Aufsatz ‚Ueber einige französische Flugschriften aus den letzten Monaten des Jahres 1831‘. In: HPZ I/1 (Jan./Febr. 1832), 114-174.

141 Ford, Guy Stanton: A Ranke Letter/1960. Erstdr. eines Briefes R.s an seinen ersten Verleger G. A. Reimer, Frankfurt a. d. O., 26. 1. 24. (142f.) nach dem in der Univ. of Illinois at Urbana Champaign, catalogue number xB/R199rl., befindlichen Or. - Fehlerhaft, siehe dazu Henz/2008, 27 u. 44f.

142 Hübinger, Paul Egon: Das Historische Seminar der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Bonn/1963. Erstdr. eines Briefes R.s an Sybel betr. dessen Anstellung in Göttingen oder Bonn, 24. 3. 44 (246f.).

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 143 Philippsborn, Leo: Carl von Noorden/1963. Erstdrr. nach Abschrr. aus dem priv. NL Noordens, 5 Briefe N.s an R.: ca. Ende 1866, Tdr. (111); Anfang 1868, Tdr. (Anm.-Teil. 15, A. 277), Gratulationsbrief zu R.s 75. Geb. (21. 12. 70), Tdr. (195); 20. 7. 81, Tdr. (Anm.-Teil. 49, A. 906); 23. 7. 1881 (Anm.-Teil 39, A. 660). Letztere mit Empfehlungen für einen jüdischen Sekretär.

144 Fuchs, Walther Peter: Heinrich Ranke/1965. Im Anhang 89 bis dato unveröffentlichte, gekürzte Briefe Heinrich Rankes an seinen Bruder Leopold, 1814-1850, sowie ein Brief von Heinrichs Frau Selma (geb. Schubert) an R (Tdr.) vom 25. 10. 45 (203, A. 137) aus dem Besitz der Witwe des Heidelberger Ägyptologen und Heinrich-Ranke-Enkels Hermann Ranke. Die Slg. war zuvor von H. Oncken/1922, teilweise ausgewertet worden. - Gemessen an der Vielzahl der Briefe, die sich zumeist in religiösen Expektorationen und beruflichen/wirtschaftlichen Klagen ergehen, ist der Ertrag für die Kenntnis der Person R.s gering.

145 Deutsche Briefe aus Italien/1965, (2., erw. Aufl. 1971, 3. erw. Aufl. 1987). Nicht in Korr.Reg. aufgenommen. R an Heinrich Ranke, [Venedig, 20/21. 11. 28], 277-279 (Abdr. aus SW 53/54, 209-212). - An H. Ritter, Rom, 27. 3 29, 279f. (Abdr. aus SW 53/54, 217-219). - An dens., Rom, 6. 11. 29, 280-282 (Abdr. aus SW 53/54, 223-226). - An Heinrich Ranke, Rom, 15. 11. 29, 282f. (Abdr. aus SW 53/54, 226-228). - An dens., Rom, [Anfang Apr. 1830], 283-285 (Abdr. aus SW 53/54, 233-235). - Kommentar: 521f.

146 Wilson, Duncan: The life and times of Vuk Stefanović Karadzić/1970. 286, A. 1: Inhaltsangaben zu einem Brief Kopitars an R aus 1844 und Zitat aus einem darauf bezogenen Brief Vuks an R von Juli 1844.

147 Henz, Günter Johannes: Zu Leopold von Rankes Briefwechsel/1972. Enthält aus verschiedenen Archivbeständen den Erstdr. von 35 Briefen R.s an folgende Empfänger: Heinrich Ranke [1817/18] (289f.) - Schottky 8. 9. 23 (290f.) - E. Münch 14. 2. 34 (291f.) - Rosalie Schmidt 10. 4. 34 (292f.); 12. 11. 37 (293f.); 9. 8. 39 (294); 10. 8. 40 (295); 15. 1. 41 (295f.); 1. 6. 46 (297); 3. 5. 53 (298); 30. 6. 56 (299); 18. 3. 66 (299f.) - Leopold u. Clarissa an Rosalie 8. 10. [53] (298f.) - Rosalie u. H. Schmidt 22. 2. 43 (296f.) - H. Schmidt [42/43?] - J. G. v. Cotta 1. 5. 38 (300f.); 9. 8. 38 (301f.); 27. 9. 38 (302f.); 23. 7. 58 (303) - Austin 4. 11. 39 (304f.); 31. 3. 41 (305f.) A. H. Frhr. von Arnim 10. 8. 42 (306f.); [Sept./Okt 44] (307) - Pertz 6. 5. 45 (307f.) - E. C. Illaire 24. 8. 53 (308f.) - Sybel [Juli 56?] (309f.); 22. 1. 60 (310) - Bluntschli 21. 2. 62 (310f.) - M. Duncker 16. 2. 63 (311f.) - H. v. Mühler 4. 3. 63 (312) - Frommann 28. 8. 64 (312f.) - A. Dove 19. 1. 71 (313f.) - Arneth 12. 10. 73 (314f.); 12. 11. 73 (315) - Rodenberg 1. 8. 79 (315f.).

148 Kathe, Heinz: Die Hohenzollernlegende/1973. Erstdr./Tdr. des hier nicht datierten Dankschr.s R.s an Friedrich Wilhelm IV. anl. der Ernennung zum Historiographen d. Preuß. Staates, 26. 8. 41 (40f.) aus dem damal. DZA Merseburg Hist. Abt. II, Königl. Zivil-Kabinett, Rep. 89 H, XI, Generalia, jetzt GStA PK. Vollst.: Neugebauer (2006).

148a Fa. Hartung & Karl, München, Auktionskatalog Nr. 2427, 16., 18.-20. Mai 1976, S. 347. Angebot: Or.-Brief R.s vom 15. 7. 36 an einen „verehrten Herrn und Freund“, bei dem er Herrn v. Willich, „Stiefsohn unseres unvergeßlichen Schleiermacher“ auf dessen Wunsch einzuführen wünscht.

149 Hase, Alexander von: Brückenschlag nach Paris/1978. Erstdr. eines Briefes R.s aus dem GSA Weimar an K. B. Hase, [um den 25. 1. 25] (219-221), nebst ebenfalls undatiertem Erstdr./Tdr des Entwurfs eines Antwortschreibens (215).

150 Niebuhr, Barthold Georg: Briefe. Neue Folge. 1816-1830. Hg. v. Eduard Vischer, 4 Bde (in 5)/1981 (I/1 u. I/2), 1982 (II), 1983 (III), 1984 (IV). Zweitdr. des von Varrentrapp/Historikerbriefe, 105-107, veröff. Briefes Niebuhrs an R vom 5. 11. 28 (III, 385-387) mit gutem Komm. u. Hinweis (385, A. 1) auf unveröff. Brief R.s an N., Venedig, 5. 10. 28 im Niebuhr-NL des damal. Zentralen Archivs d. Akad. d. Wiss. der DDR, Berlin. An anderer Stelle (433, A. 5) ist gar die Rede von vier unveröff. Briefen R.s an N. im Niebuhr-NL. - Siehe dazu Vischer/1989 u. II/292.

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II/3.2 Briefwechsel - Briefausgaben und Einzeldrucke 151 Katsch, G. u. Schwendler, G.: Die Ehrung des Historikers Leopold von Ranke/1986. Aus dem Univ.s-Archiv Lpz.: Erstdr. des Entwurfs eines ausführl. Glückwunschschreibens der Philos. Fak. der Univ. Leipzig, 18. 2. 77, zu R.s 60jähr. Doktorjubiläum (302f.); Erstdr. des Dankschreibens R.s vom 28. 2. 77 (303).

152 Vischer, Eduard: Niebuhr und Ranke/1989. Erstdr. von drei Briefen R.s an Niebuhr nach den Orr. im Niebuhr-NL des damal. Zentralen Archivs der Akad. d. Wiss der DDR, Bln.: 5. 10. 28 (261f.); 10. 4. 29 (262f.); 25. 11. 29 (264).

153 Boblenz, F./Mötsch, J: Leopold von Ranke (1795-1886) u. d. die archival. Quellen/1996. Ein hier herkunftslos zitierter Brief R.s vom 22. 5. 71 an GHzg Karl Alexander v. Sachsen-WeimarEisenach (5) weist in seiner nicht modernisierten Form einige kleine Varianten zu der Veröff. in NBrr, 554 (beachte A. 1) auf. Der Brief stammt, wie sich erst aus Boblenz: Thüringen/1995, 65 ergibt, aus dem Thüringischen Hauptstaatsarchiv Weimar, Hausarchiv A XXVI Nr. 832, Bl. 2r.

154 Erinnerungen an Leopold von Ranke von seinem Sohne Friduhelm von Ranke. Rudolstadt, Oktober 1902. Bearbeitet von Peter von Blanckenburg, Selbstverlag Bln. 1996, (30 S.) Br. (Expl. Ranke-Archiv Wiehe). Nicht aufgenommen in Korrespondenten-Reg. R an Clarissa von Ranke, Cheltenham, 25. 6. 65 (Tdr.) (29f.). Zuvor: SW 53/54, 451-453.

155 Katalog Stargardt Nr. ? (Kopie Ranke-Archiv, Wiehe), S. 344, Pos. 764. Eighd. Brief R.s an einen Geheimrat, mit Unterschr., Lützow [nicht Bützow!] 4. V. 1838. ¾ S. Gr. 8o. -

156 Neugebauer, W.: Die preuß. Staatshistoriographen des 19. und 20. Jahrhunderts (2006). Im Anh. (59f.) Zweitdr., jedoch vollst. (zuvor Tdr. Kathe/1973, s. d.) des Dankschreibens R.s vom 26. 8. 41 an Kg. Friedrich Wilhelm IV. nach Ernennung zum Historiographen des Preuß. Staates.

[157 Gesamtausgabe des Briefwechsels von Leopold von Ranke. Hg. v. d. Histor. Komm. bei der Bayer. Akad. d. Wiss. durch Klaus Hildebrand. Bd. 1: Leopold von Ranke Briefwechsel. Histor.-krit. Ausg., Bd. I: 1813-1825. Hg. u. eingel. v. Ulrich Muhlack u. Oliver Ramonat, Mnch. 2007]. - Nicht aufgenommen in Korrespondentenregister, da vom Verlag zurückgezogen. - Siehe dazu Henz/2008. Enthält 267 Stücke des Briefwechsels, darunter 1 bisher unveröffentlichten Brief R.s.

158 Moldenhauer, Dirk: Geschichte als Ware: Der Verleger Friedrich Christoph Perthes (2008). Erstdr/Entw./Tdr. eines Br.s v. Perthes an R, 31. 12. 31 (NL Perthes, StA Hamburg) (541, A. 434. Weiterer Inhalt: 553). - M. erwähnt einen Brief (Abschr.) des Verlegers Carl Duncker an R, 7. 3. 33, im NL Perthes (547, A. 458; 556, A. 513).

159 Neuhaus, Helmut: Im Schatten des Vaters. Der Historiker Karl Hegel (2008). Erstdr./Tdr. (79) K. Hegel an R, 23. 12. 46. Abschr. aus dem NL Hoeft des GStA PK.

160 Muhlack, Ulrich: Die Historisierung eines Historikers (2009). Zweitdr./Tdr. (528) K. Hegel an R, 23. 12. 46. Abschr. aus dem NL Hoeft des GStA PK.

161 Henz, Günter Johannes: Rankes fälschlich so benannte Vorträge Über die Epochen der neueren Geschichte. (2009). Erstdr. nach Or. (409) R an Pfistermeister, 11. 3. 64, BSB München, Pfistermeisteriana III.

162 Vette, Markus: Angekommen & angenommen: Heinrich Ranke auf Rügen (2012). Zweitdr. (50-52) des Briefes von R an Hermann Baier, 18. 3. 20, Abschr. aus dem NL Hoeft des GStA PK.- Im Ggs. zum Erstdr. (NBrr, 10-12) in nicht modernisierter Schreibweise u. geringfügiger Varianz.

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3. Abteilung (II/3.3) EPISTOLARISCHE ARCHIVBESTÄNDE Für die nichtepistolarischen Bestände folgender und weiterer Archive siehe Abt. II/2. Die vorangestellten Ziffern [1] usw. dienen im Korrespondentenregister der Auffindung der entsprechenden Positionen. Die Abfolge der Archive entspricht nicht ihrer rankerelevanten Bedeutung, sondern dem Ortsalphabet. Bundesarchiv Berlin [1] N 2126 Nachlaß Bogdan Graf von Hutten-Czapski. Brief von H.-C. an R, 20. 12. 85.

[2] N 2180 Nachlaß Ottokar Lorenz. Fünf Briefe von R an O. L., 16. 5. 65; 30. 8. 68; 7. 9. 68; 20. 2. 82; 2. 7. 83. Zwei Briefe seiner Söhne OvR u. FvR an O. L., 1886.

[3] N 2245 Nachlaß Constantin Rößler. Zwei Briefe (Fotokopie) von R an C. R., Dez. 75 u. Dez. 85. Vermutlich ed. in NBrr, 628 u. 729. In den an sich naheliegenden Nachlaßpapieren von Georg Waitz (N 2321) u. Wilhelm Scherer (N 2259) konnte lt. Mitteilung des Bundesarchivs/Frau K. Schimmeck vom 20. 6. 2011 „auf Anhieb kein Schriftwechsel mit L. v. Ranke ermittelt werden“.

Staatsbibliothek zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz Handschriftenabteilung

Nachlaß Leopold von Ranke acc. Ms. 1921. 204 [4] Segment I: Frühe Werke/Fürsten und Völker. Wilhelm Schott (um 1802-1889) an R [1856/57] (Kalliope). [5] Alte Sign. 35 (3): Undatiertes, aus Paris an R gerichtetes Antwortschreiben eines nicht Genannten mit den darin wiederholten, in R.s voraufgehendem Brief (1831?) gestellten Fragen: Erstdr./Tdr.: Vierhaus/Soz. Welt (1957), 132f., A. 11. [6] 38 I B 86: R an HR, 4. 3. 17, Or./eighd. Abschr., Erstdr.: Schweitzer/1926, 320. [7] 38 I B, fol. 104: R an Gotthard Christian August Thieme, [Ende Okt. 1817?]. Or./Entw. Erstdr.: Schweitzer/1926, (359f.). Beide leicht fehlerhaft (s. Henz/2008, 10).

Nachlaß Ranke, Ergänzung Erwerbung aus J. A. Stargardt, Versteigerungs-Kat 603, Nr. 708 u. 711. Akz. Nr. 1974/128. - Etwa 120 an R gerichtete unveröffentlichte Briefe von über 80 Korrespondenten, darunter zahlreiche Historiker, andere Gelehrte, Fürsten und Staatsmänner (Masch. Verz. der SBB PK). - Die Briefe stammen auffallenderweise überwiegend aus den Jahren 1851 und 1852 und dürften im Familienbereich einen bestimmten Bestand oder Teil eines solchen gebildet haben, etwa von der ordnenden Hand CvR.s zusammengestellt (s. auch II, 302f., Syracuse) [8] B r i e f e a n R a n k e v o n : Acton, John Lord Dalberg 28. 12. 57 ; Adalbert, Pr. v. Preußen 27. 11. 52 ; Amari, Michele 11. 5. 46; Appel, H. [wohl Friedrich Ferdinand] 3. 4. 80 oder eher 50?; Arnold, Wilhelm 22. 5. 52; 5. 1. 53; Augusta, Kgn. v. Preußen, dt. Ksn. 28. 11. 52; Augustin (Premierleutnant) 13. 4. 54

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände Bakhuizen van den Brink, Reimer Cornelius 29. 6. 53; Balcke (Geh.-Rat) 11. 7. 47; Baur (Geh. Archivar) 20. 7. 50; Besser, Rudolf 18. 8. 47; Birkenthal, - 3. 8. 54; Boeckh, August 15. 7. 47; Boehnecke, C. 10. 5. 45; Brockhaus & Avenarius 27. 3. 47; Bunsen, Chr. Karl Josias 18. 9. 52; Burckhardt, Jacob 2. 12. 52 Caswell, Alexis 6. 11. 61; Charlotte, Erbprinzessin v. Sachsen-Meiningen, Prinzessin v. Preußen 9. 1. 54; Christophe, Jean Baptiste 12. 1. 185(?)3; Circourt, Adolphe de 15. 5., 28. 12. 53; 8. 5. , 10. 5. 54; 6. 2. 56; Commission für die Enthüllungsfeier des Friedrichdenkmals 26. 5. 51; Conticini, Pietro 20. 10. 54; Cornelius, Carl Adolf v. 19. 1. 52; Cotvoy, B. Jos. 12. 8. 51 Dirre, E. [Dürre?, Frankf. Kollege R.s] 15. 4. 49; Doenniges, Wilhelm v. 29. 10. 47; Dümmler, Ernst Ludwig 24. 10. 52; Duncker, Carl 10. 5. 47; 15. 6. 53; Durand, Auguste 15. 2. 53 Eichhorn, Joh. Albrecht Friedrich (?) 11. 1. 46 Frese (?) 9. 3. 48; Friedrich, Prinz v. Preußen 30. 1. 53; Friedrich Wilhelm IV. Kg. v. Preußen 18. 1. 43; 18. 1. 50; 4. 12. 52 Gachard, Louis Prosper 29. 8. o. J., 8. 3. 53, 17. 2. 54; Gaskell, Elizabeth Cleghorn geb. Stevenson o. O., o. D.; Gauss, Karl Friedrich 10. 11. 51; Gelzer, Heinrich 10. 8. 52; Gregorovius, Ferdinand Adolf 12. 2. 51; Grimm, Jakob 21. 12. o. J. Hase, Carl August v. 26. 10. 51; Haugwitz (?) 12. 10. 48; Hausmann, Johann Friedrich Ludwig 30. 11. 51; Herrmann, Ernst Adolf (?) 12. 3. 52; Hobhouse, Henry 24. 9., 29. 9. 52; Humboldt, Alexander v. 8. 8. 51 Jelasinsky, v. [verschr. f. Carl Friedr. v. Selasinsky?] 12. 2. 50; Jelf, Richard William (?) 19. 10. 52 Karadžić, Vuk Stefanović 21. 6. 44, 20. 9. 49; Karl, Prinz v. Preußen 11. 1. 54; Karl, Krpr. v. Württemberg 12. 12. 52; Karl Friedrich Alexander, Prinz v. Preußen 31. 1. 53; Kerr, Louisa 24. 4. 47; Kremer, Alfred v. 20. 2. 52 Ladenberg, Adalbert v. an [Karl Wilhelm] Nitzsch, weitergeleitet an R, 26. 6. 49, 21. 1. 53; Le Cocq, Gustav Emil Karl v. (?) 15. 8. 50; Lex (Dr., Hofrat) 10. 2. 54 Maria von Rußland, Ghzgn. zu Sachsen 10./22. 2. 54; Marwitz, Bertha v. 22. 11. 49 Niebuhr, Marcus Carsten Nicolaus v. 30. 10., 16. 11. 52; Nitzsch, Karl Wilhelm 10. 4. (?) 47 Oelsner, Johann Wilhelm 16. 8. 47 Paludan-Müller, Caspar Peter 22. 5. 51; Pfaff, Karl 18. 4. 49; Portner, Max Jos. 6. 5. 52 Raumer, Georg Wilhelm v. [? oder R.s Berliner Kollege Friedrich Ludwig von ?, 1781-1873] o. O. u. o. D.; Raumer, Karl Otto v. 30. 8. 51, 1. 3., 13. 4. 52; Reumont, Alfred v. 17. 3. 53; Richter [Anton?, Jugendfreund] (Gymnasiallehrer Erfurt) 21. 9. 52 (2x) Šafařik, Pavel Josef 24. 4. 50; Salvo (?) Marquis de 1854; Schlodtmann, Franz 25. 12. 51; Schwebemeyer, Carl 18. 12. 52; Stillfried, Rudolf Maria Bernhard Frhr. v. 29. 12. 52 Tex, C. A. den 31. 12. 51; Thierry, Augustin 7. 2. 54; Toelken, Ernst Heinrich 30. 10. 53 Verein für thüringische Geschichte und Alterthumskunde 31. 7. 52; Voss-Berg, Luisa 8. 2. o. J.; Waitz, Georg 12. 8. 40(6?); Weisse, [Sophie?] 18. 3. 52; Weisse, Heinrich 27. 3. 52; Wenck, Woldemar Bernhard (?) 1. 2. 51

[9] Dazu eine Mappe mit Briefen in 13 Positionen nicht identifizierter Briefschreiber, zumeist 1850er Jahre. 1 Brief R.s o. O. u. o. D.; Ranke, Karl Ferdinand, lat. Gedicht, 1852; Willmanns [verlesen für Wilmans, Roger?], Albumbl., 28. 2. 1862. 16 Briefe an R von nicht identifizierten Briefschreibern der Jahre 1845 (?)-1872 (?), überwiegend jedoch der 1850er Jahre.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

SBB PK Slg. Darmstaedter Slg. Darmstaedter/2 Philosophische Wissenschaften/2f Geschichte 2f 1826 (4): Ranke, Leopold von. In diesen Beständen erweisen sich einige der im übrigen dankenswerten Kalliope-Angaben als unzutreffend. [10] Brief R.s an Philipp Buttmann (1764-1829), Kgl. Bibl. Berlin, 14. 10. 24 (Erstdr.: Kessel/1951, 359f., A. 21. [11] Brief R.s an Friedrich Wilken (1777-1840), 25. 1. 24 (Erstdr. NBrr 41f.) [12] 4 Schreiben R.s an Heinrich v. Mühler (1813-1874, preuß. Kultusmin.) 6. 7. 62 (Erstdr.: NBrr 415f., Korr.-Hinweise: Kessel/1951, 360, A. 22). - 11. 2. 63 (Erstdr. NBrr 430). - 4. 3. 63 (Erstdr.: Henz/1972, 312). - 24. 6. 69 (Erstdr.: NBrr 522f.). Bei letzterem u. a. Gutachten „über Häussers [1818-1867] Werk ‚Österreich und Preußen gegenüber der französischen Revolution‘“ (so Kalliope). Es handelt sich jedoch um ein Gutachten über Hermann Hüffers Werk ‚Diplomatische Verhandlungen aus der Zeit der Französischen Revolution. Bd. 1: Österreich und Preußen gegenüber der Französischen Revolution‘, Bonn 1868 (s. II, 334. - Dabei u. a. 1 Bl. m. eighd. Unterschr., Paris 1862, über ein Denkmal für Karl August von Hardenberg, als Beil. zu Brief R.s an v. Mühler (Kalliope). Hierbei dürfte es sich um das dem o. g. Schreiben R.s vom 6. 7. 62 beiliegende Gutachten handeln, Erstdr. NBrr 416f. [13] R an Georg Heinrich Pertz (1795-1876), Bln. 6. 5. 45. Erstdr. nach Or.: Henz/1972, 307f. [14] 3 Briefe R.s an Karl vom Stein zum Altenstein (1770-1840, preuß. Kultusmin.) 5. 12. 24; 9. 1. 29; 19. 1. 29. [15] R an Zielinsky, „Generalin von Zielinsky (?)“, „28. 12. 1824, o. O.; Venedig“. Unzutreffend in Kalliope: Datum und vermuteter Ort passen nicht zusammen. Die Adressatin ist Wilhelmine (Minna) von Zielinsky (1799-1875), ab 1836 von Treskow, Erstdr. NBrr 55f. Dort zutreffend: [Frankfurt a. d. O.]. [16] Gutachten über Gustav Adolf Harald Stenzel: Geschichte des Preußischen Staates von 1688-1739, 3 Teile, Hmbg. 1841. In briefl. Form erstattet dem preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, Johann Albrecht Friedrich Eichhorn, 24. 12. 41, Erstdr.: NBrr 285f., Abschr. im NL Hoeft, GStA PK Berlin. [17] Gutachten über die wissenschaftliche Qualifikation Ernst Helwings, erstattet dem Dekan der Philosoph. Fak. d. Univ. Bln, Chr. S. Weiß, [22. 7. 46]. Erstdr.: NBrr, 319f. [18] Gutachten über die beanstandete Lehrtätigkeit Karl Nauwercks, erstattet dem Dekan der Philosoph. Fak. d. Univ. Bln., Wilhelm Dieterici, als Beil. zu einem Anschreiben an dens., 27. 12. 43. Erstdr.: NBrr 304-306. - In Kalliope ist das Anschreiben mit Gutachten datiert: „Berlin, 02. 12. 1843“. Letzteres ist auch in EvR.s Aufzeichnungen zu lesen. Slg. Darmstaedter/F Physik [19] F 1 c 1859: Vf. Gustav Robert Kirchhoff. - R u. a. als Mitunterzeichner eines Schreibens vom 7. 5. 48 an die Phil. Fak. d. Univ. Bln betr. die Habilitation von Kirchhoff (Kalliope). Slg. Darmstaedter/G Chemie [20] G 1 1819: Vf. Eilhard Mitscherlich. - R u. a. als Mitunterzeichner von 7 Schreiben, 14. 3. 38 - 2. Febr. 1848, an die Philosoph. Fak. d. Univ. Bln. (Kalliope).

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände Slg. Darmstaedter/J Astronomie [21] J 1824: Vf. Franz Encke. - R u. a. als Mitunterzeichner eines Gutachtens für das Preuß. Kultusmin. über die „von Herrn [Rudolf] Clausius eingereichten gedruckten Abhh.“ (Kalliope). Nachlaß Gustav Freytag acc. Darmst. 1920. 332 [22] R an Alfred Dove, 13. 3. 73. Erstdr.: SW 53/54, 506f., Zweitdr. Dove/1925, II, 30f. SBB PK Autographensammlung [23] Autogr. I/429: R an HR, o. O. [1817/1818]. Erstdr. Henz/1972, 289f. [24] Autogr. I/489: R an Ernst Hermann Joseph Münch (1798-1841), Bln., 14. (Kalliope fälschlich: 12.) 2. 34. Erstdr. Henz/1972, 291f. [25] Autogr. I/502: R an Johann Kaspar Bluntschli (1808-1881, nicht wie in Kalliope: Christoph Friedrich von Stälin, 1805-1873), Bln, 21. 2. 62. Erstdr.: Henz/1972, 310f. [26] Autogr. I/678: R an Alfred Dove (nicht wie Kalliope: an Unbekannt), Berlin, 19. 1. 71. Erstdr.: Henz/1972, 313f. [27] Autogr. I/872: R an August Gf. v. Platen (1796-1835), Firenze, 17. 7. 30. Erstdr. SW 53/54, 236-238. [28] Autogr. I/965: R an Julius Max Schottky (1794-1849), Frankfurt/O, 8. 9. 23. Erstdr. Henz/1972, 290f. [29] Autogr. I/1047: R an Karl Georg v. Raumer (1783-1865), 12. 7. 25. Erstdr. SW 53/54, 148. [30] Autogr. I/1064: R an Richard Bentley (1794-1871), Charlton Kings, 25. 9. 51 (Kalliope). Unveröff. - Die von Kalliope gelesene Datierung ist nicht stimmig mit der Ortsangabe, denn vom 25. 9. 51 stammt ein unveröff. Brief R.s aus Wildbad an Cotta. In England hielt sich R im Sept. 1852 auf (s. II/477f.). [31] Autogr. I/1964: R an Friedrich Carl von Savigny (1779-1861), 12. 4. 31 (Kalliope). Unveröff. [32] Autogr. I/2189: R an Unbekannt, Berlin, 15. 2. 53. (Kalliope). [33] Autogr. I/2256: R an einen „Herrn Hofrat“, 20. 4. 30. (Kalliope). [34] Autogr. I/2257: 2 Briefe R.s an Eduard Tempeltey (1832-1919), 12. 11. 82 u. o. O., o. D. (Kalliope). Unveröff. [35] Autogr. I/2349, 2: R an Unbekannt, o. O., o. D. (Kalliope). [36] Autogr. I/4092: R an Unbekannt, o. O., 16. Sept. [o. J.]. „Der Brief scheint an einen Verleger gerichtet zu sein“ (Kalliope).

Archiv Walter de Gruyter (Dauerleihgabe in der SBB PK Hs.-Abt.)

[37] R 1. Unveröff. Brief R.s an Georg Ernst Reimer (1804-1885), Berlin, 20. 11. 66 betr. die Aufnahme seines Erstlingswerkes in die bei Duncker und Humblot erscheinenden SW. (Repertorium der Briefe aus dem Archiv Walter de Gruyter/1999, 236).

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Depositum Leopold von Ranke acc. 118/119 > Durch Kriegseinwirkung vernichtet
[Ende der briefrelevanten Aufzeichnungen Ermentrude von Rankes. Zu ihren anderweitigen Notizen siehe II/191, GStA PK] Geheimes Staatsarchiv Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Berlin

Aus dem heutigen Bestand [42] GStA PK Brandenburg-Preußisches Haus-Archiv Rep. 50 J Kg. Friedrich Wilhelm IV. Nr. 1100. Zwei Briefe R.s an den Krpr. bzw. Kg. Friedrich Wilhelm IV. v. Preußen, 29. 8. 31 u. 16. 11. 56. Erstdrr.: NBrr 157f. u. 374f.

[43] GStA PK, I. HA Rep. 76 Preußisches Kultusministerium V. f. Lit. R., Nr. 10: Personalakte R.s als Professor an der Kgl. Preuß. Friedrich-Wilhelms-Universität Berlin und als Geh. Regierungsrat, 2 Bde. Bd. I: 1824-1866 (nicht völlig korrekte Foliierung 1421); Bd. II: 1867-1931 [!], fol. 1-206: Umfangreicher Briefwechsel, z. T. unveröffentlicht. Eine der wichtigsten Quellen. Ein Blattnachweis erübrigt sich hier aufgrund der i. w. chronologischen Abfolge der Akte. Briefwechsel mit den preuß. Ministern der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten: Karl Frhr. vom Stein zum Altenstein (1824-1837, der umfangreichste Briefwechsel), Johann Albrecht Friedrich Eichhorn (1841-47), Adelbert v. Ladenberg (1849), Karl Otto v. Raumer (1852-57), Moritz August von Bethmann-Hollweg (1862), Heinrich v. Mühler (18621871), Adalbert Falk (i. A. gez. Greiff, 1875; persönl. 1877), Gustav von Goßler (1883-86). Briefwechsel mit den Ministerialbeamten K. v. Kamptz (1825-1828) u. Joh. Schulze (1825, 1828) sowie nicht persönl. adressierte Schreiben R.s an das Ministerium (1824, 1825, 1886). Des weiteren Briefe R.s an Friedrich Wilhelm IV., Kg. v. Pr. (1852, 1854, 1856), Wilhelm I., Kg. v. Pr., Dt. Ks. (1865, 1877, 1885), O. v. Bismarck (27. 12. 85) und ein Brief von Konrad Frhr. v. Malzen an R. (1853).

[44] GStA PK, I. HA Rep. 89 Geheimes Zivilkabinett Akte: Das Germanische Museum in Nürnberg 1853-1873. 2.2.1. Nr. 20518: Gutachtliches Schr. R.s an den preuß. Kabinettsrat E. C. Illaire betr. das Germanische Museum, 24. 8. 53 (Erstdr. Henz/1972, 308f.). Siehe II, 326.

[45] GStA PK, I. HA Rep. 94 A Autographen-Sammlung F 18 Q q Lit. R: R an Kg. Friedrich Wilhelm IV., 6. 9. 40. Erstdr. Helmolt: R. als Politiker/1911.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

[46] GStA PK, III. HA Ministerium der Auswärtigen Angelegenheiten, III Nr. 18722: Gesuche des Historikers Leopold Ranke um Einsicht und Mitteilung mehrerer ausländischer Sammlungen; Laufzeit: 1825-1830; Umfang: 30 Blatt. - „Darüber hinaus befindet sich in der genannten Akte v. a. Korrespondenz zwischen dem Außenministerium und den preußischen Geschäftsträgern in verschiedenen Hauptstädten bzgl. der Unterstützung Rankes bei seinen Forschungsvorhaben.“ (Mitt. des GStA PK vom 26. 7. 2011). Ermentrude v. Ranke notierte 1925 aus der Akte: 1) eigenhänd. Brief R.s an den Kgl. Geh. Staats- u. Kabinetts-Minister Grafen v. Bernstorff von 1825 Febr. 1: übersendet ihm seine beiden Bücher zum Dank für Vermittlung ausländischer Handschriften [von EvR abgeschrieben 9. 4. 1925, unveröff.], 2) Auszug aus einem Gesuch R.s an das Ausw. Amt von 1824, Dez. 28, worin dieser um Beschaffung verschiedener Werke aus Bibliotheken in Rom, Paris, Wien, Zürich, München bittet. [Der Auszug wurde vermutl. für das Ausw. Amt von seiten des Min. der geistl., Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten gefertigt, an welches der Brief gerichtet ist. Erstdr.: NBrr 56-59.] Siehe dazu auch II, 192.

GStA PK, VI. HA Familienarchive und Nachlässe Nachlass Geschwister Ranke

[47] Nachlaß Rosalie Ranke (verehel. Schmidt) (1808-1870) 6 Briefe von Friederike u. Gottlob Israel Ranke an Rosalie u. Heinrich Schmidt, 1829-1835. 9 Briefe R.s an seine Schwester Rosalie, 1834-1866. Erstdrr. Henz/1972, 292-300. 1 Brief R.s an seinen Schwager Heinrich Schmidt [1842/43?]. Erstdr. Henz/1972, 296. 1 Brief R.s an Rosalie und Heinrich Schmidt, 22. 2. 43. Erstdr. Henz/1972, 296f. 1 Brief R.s an seinen Bruder Ferdinand, 2. 9. 52. Erstdr. NBrr 347f. Leopold u. Clarissa v. R.s an Rosalie, 8. 10. [1853]. Erstdr. Henz/1972, 298f. Bei diesen Orr. befindet sich auch eine Übertragung von der Hand Hoefts, mit der Bemerkung „von Frl. Hildegard Kriebitz ... erhalten am 28. April 1944“, sowie die Abschr. Hoefts von zwei Briefen R.s an die engl. Übersetzerin Sarah Austin, Berlin, 4. 11. 39 und o. O., 31. 3. 41, mit der Bemerkung „Aus der Berliner Universitätsbibliothek“. Erstdrr.: Henz/1972, 304., 305f.

[48] Nachlaß Ferdinand Ranke (1802-1876) Zwei Briefe R.s an Ferdinand, 10. 1. 26 und „Vor dem ersten May“ [1826] (Erstdrr.: NBrr 79-82 u. 83-85).

[49] Nachlaß Leopold Ranke Brief R.s an den Verleger seines Erstlingswerkes, Georg Andreas Reimer, Frankfurt, 12. 4. 24 (Erstdr. mit wenigen geringfügigen Abweichungen: SW 53/54, 127-129).

[50] Nachlaß Alexander Heinrich Frhr. von Arnim B II Nr. 7, Briefe R.s an dens., 10. 8. 42 und [Sept./Okt. 1844]. Erstdrr: Henz/1972, 306f. u. 307.

[51] Nachlaß Maximilian Duncker (1811-1886) Nr. 99, Brief R.s an dens., 16. 2. 63. Erstdr: Henz/1972, 311f. Siehe dazu Abt. Politische Gutachten, 24. 2. 63.

[52] Nachlaß Johann Albrecht Friedrich Eichhorn Nr. 59, 2 Briefe R.s an dens., beide vom 13. 3. 38. Erstdrr.: Helmolt: Ein verschollener politischer Aufsatz/1907, 562f. u. 563.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

[53] Nachlaß Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) B IV: Bild R.s. - Notizbl. von 1832. - R an Wolf, 22. 9. 28 (aus Altersgründen nicht Gerson Wolf, 1823-1892). - R an „Gnädige Frau“, 9. 4. o. J. - R an „Hochverehrter Kollege“, 14. 5. 72. R an „Verehrter und teurer Freund“, 29. 10. 64 (Lt. Mitteilung des GStA PK vom 7. Sept. 2011). - Brief R.s an Minna von Zielinski (undatiert, unveröff.), lt. Hinweis von Prof. Dr. Grypa: „In der Akte aus dem Nachlaß Jahns mit der genannten Signatur befinden sich übrigens für die Zeit nach 1825 noch weitere unpublizierte Briefe.“

[54] Nachlaß Edwin von Manteuffel (1809-1885) B II Nr. 54, 64 Briefe R.s an dens. vom 9. 7. 61 bis 31. 3./18. 4. 85. Davon folgende gedr. in NBrr (ebd. Reg.): 9. 7. 61; [vor d. 2. 8. 64]; 22. 3. [65]; 31. 5. 65; 3. 7. 65; 2. 10. 65; 1. 1. 66; 24. 2. [66]; 22. 5. [66]; 29. 10. 66; 31. 12. 66; 23. 2. 67; 26. 5. 67; 14. 12. 67; 23. 2. 68; 4. 8. [68?]; 26. 12. 68; 23. 2. 69; 24. 9. 69, [vor d. 4. 10. 69]; 7. 10. 69; 31. 12. 69; 14. 1. 70; 20. 11. 70; 6. 8. 71; [vor d. 10. 9. 71]; [24. 11. 71]; 21. 2. 72; 10. 3. 72; 11. 6. 72; 17. 6. 72; 10. 7. 72; 10. 12. 72; 3. 1. 73; 25. 1. 73; 16. 2. 73; 22. 2. 73; 13. 6. 73; 25. 10. 73; 4. 8. 75; 1. 7. 76; [vor d. 27. 11. 77]; 30. 11. 77; 22. 12. 79; 2. 1. 80; 1. 1. 81; 3. 10. 82; 29. 11. 82; 23. 5. 83; 8. 12. 83; 2. 1. 84; 10. 1. 84; 14. 4. 84; 19. 10. 84; 18. 12. 84. Zum Bestand gehören folgende, vermutlich unveröffentlichte Briefe R.s an M.: 1. 1. 78; 2. 12. 79; 23. 2. 80; 29. 3. 80; 6. 9. 81; 7. 12. 81; 5. 8. 84; 31. 3./18. 4. 85. Hier befinden sich keine Entwürfe oder Abschrr. der von Dove 1896 veröffentlichten Briefe M.s an R, bis auf den Entw. eines einzigen wichtigen Briefes von M. an R, 7. 2. 72, den Dove ausgelassen hat. Erstdr.: Schmitz/1921, 85-92. 1 Brief R.s an Hertha von Manteuffel, 6. 7. 77 (unveröff.). Aufzeichnung anl. d. Beisetzung Hertha v. Manteuffels, 15. 11. 79 (Erstdr.: SW 53/54, 633-636).

[55] Nachlaß Friedrich Althoff (1839-1908) B Nr. 149, Bd. 1, Briefe von ER vom 16. 3.; 4. u. 11. 8. 87; 1 Brief von OvR vom 3. 11. 86.

[56] Nachlaß Johannes Schulze (1786-1869) Nr. 29: Korrespondenz Schulzes, Lit. Ra-Re, 27 Briefe FR.s an Dens.,1830-1858.

[57] Nachlaß Heinrich von Sybel (1817-1895) B Nr. 1, Paket XXXVI, 14 Briefe R.s an dens.: 25. 4. 40 (SW 53/54, 311f.); 9. 12. 55 (SW 53/54, 382f.); [Juli 1856?] (Henz/1972, 309f.); 3. 2. 58 (NBrr, 392f.); 10. 7. 58 (NBrr, 393f.); 25. 3. 59 (SW 53/54, 399f.); 22. 1. 60 (Henz/1972, 310); 14. 12. 60 (NBrr, 404f.); 14. 6. 61 (SW 53/54, 411f.); 7. 10. 63 (SW 53/54, 421-424); 14. 3. 64 (NBrr, 432f.); 1. 9. 64 (SW 53/54, 429f.); 19. 12. 68 (NBrr, 517f.); 28. 5. 74 (NBrr, 609f.).

[58] Nachlaß Kg. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen (1795-1861) (Altsign. Rep. 50 E 1, Nr. 27, Bd. 1, Bl. 355-359v:) Akte ‚Orientalische Frage und Krimkrieg‘. Darin Denkschrift R.s vom 13. 6. 54.

Nachlaß Dr. Bernhard Hoeft (1863-1945) Hierzu existiert ein nicht sehr tiefschichtiger Datenbankeintrag (lt. Mitt. des GStA PK vom 19. 04. 2011.). Die Bedeutung des Nachlasses liegt vor allem in den von Hoeft aus verschiedenen Beständen gefertigten Abschriften von Briefen von und an R, die im Original überwiegend als nicht mehr existent anzusehen sind. Ein Einzelnachweis der mir seit 1974/75 in Mikrofilm vorliegenden Briefabschriften war aufgrund ihres vierstelligen Bestandes, z. T. in mehrfacher Ausfertigung, und der mangelnden Erschließung des Nachlasses nicht möglich. Siehe die Hauptpositionen unter II, 194f.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

Bundesarchiv, Berlin [59] Bestand Reichsministerium des Innern, R 1501/116008, Aktenband betr. die Errichtung einer Akad. für dt. Geschichte u. Sprache, Mai 1871-Mai1924 (ca. 200 Bl.). 1 Schreiben (Konzept) Bismarcks an R, 12. 5. 1871; 1 Schreiben R.s an Bismarck, 6. 6. 1871.

Landesarchiv Berlin [60] Rep. 241, Bd. 3: R an Unbekannt, Mnch., 4. 10. 60. - R an Unbekannt, Bln., 4. 5. 80. - Rep. 241 (Bd. ?, Kalliope): R. an Zetta (Landrat in Conitz, Westpreußen), Bln., 9. 4. 35.

Zentral- und Landesbibliothek Berlin [61] EH 2133 Vfd GB: 1 Brief R.s an Eduard Geppert (1811-1881), o. O., o. D. (Kalliope).

Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, Berlin Akademiearchiv [62] Nachlaß Ernst Dümmler (1830-1902) 5 Briefe von R an D, 1865-1876, 3 Abschrr. von Briefen R.s an D., 1861 u. 1862, 1 Brief von FvR an D., o. D., sowie eine gedr. Todesanzeige 1886.

[63] Nachlaß Alexander von Humboldt (1769-1859) 1 Brief von Humboldt an R (?), nach 1830.

[64] Nachlaß Rudolf Köpke (1813-1870) 1 Brief von R an Köpke, 1867.

Nachlaß Max Lenz s. II, 198. [65] Nachlaß Barthold Georg Niebuhr (1776-1831) 4 Briefe von R an Niebuhr aus den Jahren 1824-1829.

[66] Nachlaß Wilhelm Scherer (1841-1886) 1 Visitenkarte R.s, o. D., im übrigen s. II, 198. Nachlaß Heinrich Wuttke (1818-1876), s. II, 198 [67] Sammlung Weinhold 1 Brief R.s an (Firma?) F. A. Brockhaus aus dem Jahre 1827.

Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts, Berlin [68] R an Eduard Gerhard (1795-1867), „1830, ohne Jahr Venedig (Florenz), ohne Ort“, 4 Briefe. Nachweis: Hertha Simon: Gelehrtenbriefe im Archiv des Deutschen Archäologischen Instituts zu Berlin. Ein Verzeichnis, Berlin 1973, 57.

Archiv der Humboldt-Universität Berlin [69] Phil. Fak. Littr P No 3, Vol III, fol. 228: Gutachten über Peter F. Stuhr, verfaßt zwischen dem 16. u. 31. Juli 1846. Nachweis: Berg/1968, 33, A 1. - Im übrigen s. II, 325 u. 468.

Verlagsarchiv Duncker & Humblot, Berlin Mit Schr. vom 24. 8. 1973 hatte ich u. a. um Auskunft über den Verbleib der Korrespondenz R.s (also auch der Konzepte oder Kopien der Verlagsschreiben) mit dem Hause D & H, der Kor-

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände respondenz der Herausgeber bzw. Bearbeiter (Dove, Wiedemann, Winter) der nachgelassenen Werkteile R.s, der Nachkommen R.s, sowie über den Verbleib von Druckmanuskripten erbeten. Ich habe des weiteren hingewiesen auf das von Helmolt/R-Biogr., 204, A.252 als im Besitz des Verlags befindlich erwähnte „Ms. der von Bismarck mit Bleistift verlangten Änderungen“ an BrFrW IV./Bunsen. - Mit Schr. vom 18. Sept. 1973 teilte der Verlag mit „daß wir nicht in der Lage sind, Ihre Fragen zu beantworten. Es befinden sich in den Restbeständen des Verlagsarchivs keinerlei Unterlagen über die Korrespondenz Leopold von Rankes und den Bearbeitern bzw. den Herausgebern seiner nachgelassenen Werke. Auch die alten Verlagsverträge sind nicht mehr erhalten...“.

Universitätsbibliothek Bielefeld, Autographen [70] Eighd. Brief R.s an Edwin v. Manteuffel, Bln., 23. 2. 70, 2 Bl. - Abb.: ub.unibielefeld.de/netahtml/rankframe.htm. (Über Bismarck und die Lage in Dtld.).

Universitäts- und Landesbibliothek Bonn [71] S 1065 R. an Alfred von Reumont (1808-1887), 13 Briefe 1847-1885: 29. 8. 47; Postst. 29/3 [1853]; 15. 6. 54; 8. 6. 74; 17. 6. 1874; 1. 2. 77; 24. 2. 77; 29. 8. 77; 7. 3. 78; 17. 4. 79; 25. 3. 81; 16. 2. 82; 15. 1. 85 (Billet). - Die Briefe sind sämtl. veröff. bei Hüffer/1904, jedoch sind auch einige leicht abweichende Vorgänger-Drucke bei Reumont/(1886), 608-635 und Dove/SW 53/54 zu berücksichtigen.

[72] S 1097 R an Arnold Dietrich Schaefer (1819-1883), 16. 2. 82. Veröff.: NBrr 699. - 2 Briefe von Schaefer an R, o. D. und 28. 6. 71 (Entw.), unveröff.

[73] S 2621 b Teilabschr. - betr. eine Anfrage von Carl Justi - eines Briefes R.s an seinen Bruder ER, Charfreitag [16. 4.] 65. Vollst. veröff.: SW 53/54, 438f.

[74] Nachlaß Carl Justi (1832-1912) R an Justi, o. O., 9. 12. 66.

[75] Autographensammlung R an Henriette von Schorn (1807-1869) (Kalliope: An Unbekannt) („Verehrte Freundin“), Berlin, 12. 7. 42. Tdr.: NBrr 290. Dort fehlen die im Archivbestand vorh. Briefseiten 2 u. 3. Sign. -: R an Hermann Hüffer (1830-1905), Berlin 12. 8. 82. Veröff.: NBrr, 703. 2 Briefe Carl v. Noordens, Fotokopien von 1940 aus dem GStA Bln.

Archives Générales du Royaume, Bruxelles Auf Anfrage nach Benutzerkorrespondenz R.s, z. B. aus den Jahren 1839 und 1853, sowie nach Korrespondenz mit Jean Jacques Altmeyer (1804-1877; siehe R.s Brief an dessen Witwe, 6. 10. 77, NBrr 647) teilte M. C. Wyffels, Archiviste général du Royaume, mit Schr. vom 30. 11. 1973 u. a. folgendes mit: „...la correspondance des Archives générales du Royaume ne contient pas de lettres de Leopold von Ranke. Il y a une trace de son passage à la salle de lecture ... en septembre 1853“. - Eintragungen in das Register nr. 226 des Sekretariats: Zum 1. Sept. 1853, von R benutzter Bestand: ‚Secrétairerie d’Etat Espagnole‘, liasses no 51, 55, 59, 62, 65, 66; zum 6. Okt. 1853, Bestand wie oben, liasses 52-54, 56-58; zum 8. Okt. 1853, Bestand wie oben, liasses 70, 72, 74, 75, 82, 85, 86, 92. - „La série de ces registres ne commence qu’en 1841, de sorte qu’il n’y a pas d’inscription pour l’année 1839. Quant à Altmeyer, il ne faisait pas partie du personnel des Archives de l’Ètat. Si mon souvenir est exacte, il a été archiviste de la ville de Poperinge. J’ignore si on conserve quelque part les archives personnelles de Altmeyer ; je ne crois pas...“.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

Kunstsammlungen der Veste Coburg [76] Inv. Nr. IV, 853 R an Unbekannt („Hochgeehrter Herr und Freund“), 19. 1. 72 (Hermann Wichmann?).

H e s s i s c h e s S t a a t s a r c h i v D a r m s t a d t HStAD [77] Großherzogl. Hessisches Familienarchiv, D 22: Fischbacher Archiv 12/90: 2 Briefe R.s aus 1845 und 1847 an Prinz Wilhelm d. Ä. v. Preußen (1783-1851). 21/224: Widmungsbrief R.s von 1843 an Prinzessin Marianne v. Preußen, geb. Prinzessin von Hessen-Homburg (1785-1846).

[78] Familienarchive und Nachlässe O 10 Heidenreich/Wedekind 3/36: Briefe von August Feder (1790-1856) an Wilhelm v. Wedekind sowie 2 beigelegte Briefe an R aus 1836, 1845 „wohl als unzustellbar zurückgekommen“ (Archivvermerk).

Hauptstaatsarchiv Dresden [79] Sign. 12561 Fürstennachlaß Johann, König von Sachsen (1801-1873) Eighd. Konzept eines im ‚Kgl Hauptstaatsarchiv zu Dresden Reg König Johann Nr. 302‘ befindlichen Dankschreibens Kg. Johanns an R als Ordenskanzler für seine Wahl zum Mitgl. der Friedenskl. des ‚Pour le mérite‘ (unveröff.). Erw.: Briefwechsel zwischen König Johann von Sachsen und den Königen Friedrich Wilhelm IV. und Wilhelm I. von Preußen/1911, 454f. - Es existiert ein Findbuch von 1905.

Hauptstaatsarchiv Düsseldorf „Die Altregistratur des Archivs (B 4 R, Bd. I, fol. 3) enthält zu Rankes Archivbenutzung nur die vom Oberpräsidenten [Ernst] v. Bodelschwingh in Koblenz am 27. 8. 1839 dem Düsseldorfer Archiv abschriftlich zur Kenntnis gegebene Benutzererlaubnis des Berliner Geheimen Staatsarchivs vom 21. 8. 1839 für die Archive Koblenz und Düsseldorf. Die Durchsicht der Korrespondenz Lacomblets blieb ebenfalls ohne Ergebnis.“ (Mitt. von Dr. Wisplinghoff, 21. 2.1974).

Universitätsbibliothek Erlangen/Nürnberg [80] Ms. 2640 6 Briefe R.s an Gotthilf Heinrich von Schubert (1780-1860), 1826-1853. - 2 Briefe an seinen Bruder Friedrich Heinrich Ranke, 1826 (Fragm.) u. 1856 (Abschr.).

U n i v e r s i t ä t sb i b l i o t h e k Jo h a n n C h r i s t i a n S e n c k e n b e r g , F r a n k f u r t a . M. [81] Autogr. Ranke, Leopold R an Unbekannt, o. O., o. D., Beil. 1 Bildnis. - R an Unbekannt, o. O., o. D., Beil. 1 Autogramm.

[82] Nachlaß Gutzkow (1811-1878) A 2 I Nr. 35/296: R an Ludolf Wienbarg (1802-1872) und Karl Gutzkow, Redaction der ‚Deutschen Revue, 26. 10. 35. Unveröff.

Nachlaß Böhmer (1795-1863) Ms. Ff. Böhmer K 5. Die darin nachgewiesenen Briefe an J. F. Böhmer, Marburg, 6. u. 28. 11. 59 stammen nicht von Leopold von Ranke, sondern zweifelsfrei von dessen Bruder, dem Marburger Theologen Ernst Constantin Ranke.

Stadtarchiv Frankfurt am Main [83] S 2/2700 R an Daniel Heinrich v. Mumm (1818-1890), 31. 10. 75 (Fotokopie). Or. im Besitz von Anna Freudenthal-Mottek, geb. Oelsner, Santiago (Chile), lt. Mitt. von Dr. Andernacht, Stadtarchiv

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände Ffm, vom 14. 2. 74, aus dem sich auch ergibt, daß Benutzerkorrespondenz mit R nicht erhalten ist: „Die Senatsakten, die Dienstregistratur und die Benutzerbücher des Stadtarchivs sind im letzten Kriege verbrannt.“. - R korrespondierte auch mit dem dortigen Archivar Johann Gerhard Christian Thomas. Sein Nachlaß ist nach Auskunft vom 15. 3. 1974 „im letzten Kriege verbrannt.“

Universitätsbibliothek Freiburg i. Breisgau Handschriftenabteilung [84] Autogr. Nr. 1520 R an Unbekannt, o. O., o. D. (Kalliope). - Dabei handelt es sich jedoch um ein i. w. ablehnendes Gutachten R.s für die Berliner Akademie über ein Editionsvorhaben Anton Gindelys (18291892), wohl über dessen geplantes Werk ‚Quellen zur Geschichte der böhmischen Brüder‘ (Fontes rerum austriacarum II/19), 1859. R an Carl Ritter (1779-1859), 8. 6. [1846], unveröff.

Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen Handschriftenabteilung [85] Cod. Ms. hist. lit. 116 III, 59 R an Unbekannt („Hochverehrter Herr Hofrath“, Göttinger Ges. d. Wiss.), 13. 12. [51] (unveröff.). - Briefe an R, Vorlesungsnachschriften oder andere mit ihm in Verbindung stehende Schriftstücke sind nach Auskunft vom 2. 4. 74 nicht nachweisbar.

Universitäts- und Forschungsbibliothek Erfurt/Gotha In Hinsicht der für R.s Frühwerke und seine HPZ ganz wesentlichen Korrespondenz mit Friedrich Christoph Perthes und der entsprechenden, auch beteiligte Persönlichkeiten der preußischen Ministerialbureaukratie betreffenden Werkakten, ist Sven Ballenthin/ Forschungsbibliothek Gotha folgende Mitteilung zu danken: „Die Sammlung Perthes umfasst heute die Zeugnisse des 1785 in Gotha gegründeten Justus Perthes Verlages. Dazu gehört ... auch das rund 800 laufende Meter umfassende Firmenarchiv. Allerdings ist dies in seinem derzeitigen Erschließungszustand recht unterschiedlich weit fortgeschritten. Während bereits zwei Teile (die Schriftleitung Petermanns Geographische Mitteilungen sowie der Schriftwechsel Mitarbeiter und Freunde des Verlages) für die Öffentlichkeit zugänglich sind, ist die dritte Abteilung - das Firmen- und Familienarchiv - noch unsortiert und nahezu unerschlossen. Einzelne Schriftstücke, die eine Verbindung zu Leopold von Ranke zuließen, können leider bei der momentanen Archivsituation nicht ermittelt werden.“ Siehe auch unten den Perthes-Bestand des StA der Freien u. Hansestadt Hamburg.

Staatsarchiv der Freien und Hansestadt Hamburg [86] Nachlaß Friedrich Christoph Perthes (1772-1843) Der noch nicht im Detail katalogisierte Nachlaß enthält u. a. Tagebücher 1828-1867, Korrespondenz 1790-1873, Akte betr. die Historisch-politische Zeitschrift. Es existiert ein alphabetischer Registerband, der nach Korrespondenzpartnern geordnet ist. Daraus Folgendes: R an Perthes (Orr.): 12. 6. 25 (Sign. 16 c, 116); 28. 1. 28 (17 b, 6); 30. 7. 28 (17 b, 99); 29. 9. 29 (18 a, 19); 27. 9. 30 (18 a, 20); 3. [oder 5.?]. 2. 31 (18 b, 3); 24. 12. 31 (33 a, 88); 31. 1. 32 (33 a, 92), 20. 2. 32 (33 a, 94); 21. 3. [oder 5.?]. 32 (33 a, 105), 31. 1. 33 (33 a, 110). Alle genannten Briefe (und weitere) veröffentlicht teils bei Paulsen/1922, teils bei Oncken/1922, teils bei Oncken/1925 (mit Lesarten- und Datierungsdifferenzen). Perthes an R. (Entw./Abschr.): 24. 12. 31 (33 a, 87 u. 90); Jan. 33 (33 a, 109); 28. 3. 33 (33 a, 116), letzterer in Tdr. bei Paulsen/1922, 56.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände R an C. Duncker (Or.), 7. 3. 33 (33 a, 112). Tdr. Paulsen/1922, 57. Abschr. vollst. NL Hoeft, Paket 6. Neuerer Benutzer des Bestands: Moldenhauer/2008. Weiterer Nachlaß - auch Korrespondenz - befindet sich in der Universitäts- und Forschungsbibliothek Gotha.

Hauptstaatsarchiv Hannover [87] R an den Archivar Karl Ludwig Grotefend (1807-1874), Berlin, 2. 5. 69. Erstdr. NBrr 521.

Stadtarchiv Hannover [88] Sign. 1789 R an Heine (Archiv-Cancellist in Hannover), Berlin, 16. 1. 54 (Kalliope).

Universitätsbibliothek Heidelberg Handschriftenabteilung [89] Heid. Hs. 1830 R an Unbekannt, o. O., o. D., Beil. 1 gedr. Todesanzeige.

[90] Heid. Hs. 2110/13 Wichtiger, ausführl. Brief R.s an Bettina v. Arnim (1785-1859), Dresden, 10. 9. 27 (Fragm. 4seitig); nicht wie in Kalliope: an Clemens Brentano. Die Slg. Heid. Hs. 2110, 13 enthält keine weiteren Briefe von oder an R. Die übrigen Briefe sind vielmehr an Clemens Brentano gerichtet und stammen aus den für R nicht in Betracht kommenden Jahren 1793-1810. - Zum sonstigen Bestand siehe II, 199.

Schleswig-Holsteinische Landesbibliothek Kiel [91] Cb 55.56: 72.05 R an August Twesten (1789-1876) 1842 (Kalliope).

Bundesarchiv Koblenz [92] Teilnachlass Hans Delbrück (1848-1929) Brief R.s an D, 1877. Nachweis: Mommsen I/1971, 97. Unveröff.

Staatsarchiv Koblenz In dem von R benutzten Staatsarchiv läßt sich, „da während des Krieges sämtliche Benutzerakten des Staatsarchivs ein Opfer der Flammen wurden ... ein Benutzerantrag oder ein gleichwertiges Schriftstück Leopold von Rankes ... nicht mehr nachweisen.“ (Schr. von Dr. Zimmer vom 9. 8. 1974). Siehe auch Staatsarchiv Düsseldorf.

Bibliotheka Jagiellónska (UB) Krakau [93] Teilnachlaß Varnhagen von Ense, einschließlich des gesamten schriftlichen Nachlasses des Fürsten Hermann v. Pückler-Muskau Ingrid Hecht/2003 bringt im Anhang ihres Werkes eine Übersicht über die heute in der Jagiellonska Universitätsbibliothek Krakau vorhandenen Originale der von Wiedemann herausgegebenen 13 Briefe R.s an Varnhagen (21. 10. 27 - 9. 8. 30), 4 Briefe R.s an Rahel Varnhagen (1. 7. 1825 – 28. 3. 29), 1 Br. R.s an C. Spener (12. 2. 25), 1 Br. an J. Schulze (12. 2. 25) [?], 3 Briefe R.s an Bettina v. Arnim (21. 10. 27-10. 10. 29), 3 Briefe Bettinas an R (30. 9. 27- Mai 28) [archivl. Angaben unter Vorbehalt]. Ein weiterer Teilbestand des Varnhagen-Nachlasses befindet sich im Archiv der Sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung, Bonn.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

Linköpings stiftsbibliotek, Sverige [94] Bestand Gustaf Odencrants (1863-1944) (E005/1935:5) Bd. 7. Zwei Briefe R.s, ein undatierter und einer von 1859. Frdl. Hinweis von Reinhard Markner/Berlin.

British Library, London [95] RP 51 18 Briefe R.s an engl. Verwandte, möglicherweise teilweise Kopien, aus den Jahren 1843-65. Frdl. Hinweis von Reinhard Markner/Berlin.

Staatsarchiv Luzern [96] Nachlass Philipp Anton von Segesser (1817-1888) Brief R.s an Segesser vom 24. 11. 76. Veröff. Heusler/1917, 305f. und Vischer/1951, 283f (nicht völlig textgleich).

Deutsches Literaturarchiv Marbach [97] Handschriftenabteilung/Cotta-Archiv, Stiftung der Stuttgarter Zeitung Überwiegend unveröffentlichte Korrespondenz R.s mit Johann Georg v. Cotta (1796-1863) bzw. dem Cotta-Verlag. Enthält außer 39 Or.-Briefen R.s 36 abschriftl. Briefe C.s bzw. der Verlagsbuchhandlung aus 1838 u. 1850-1879 sowie den Verlagsvertrag über FranzG, 1. Aufl., vom 29. 9. 51, nebst zwei Entwürfen, den Verlagsvertrag über FranzG, 2. Aufl., vom 26. 10. 55 sowie einen Brief von FR an den Cotta-Verlag vom 15. 5. 62. - Siehe Henz/1972, 300-303 mit der Veröffentlichung von 4 Briefen (1. 5. 38; 9. 8. 38; 27. 9. 38; 23. 7. 58) aus diesem Bestand. [98] Sign. A: Wiedemann: R an Unbekannt, Berlin, 23. 2. 83. - Sign. A: Mack: R an Felix Krais, Berlin 16. 6. 69, unveröff. Die im Cotta-Bestand aufgeführten Briefe: Vf. „Ranke, L... F...“, Balzheim 9. 12. 76 und Balzheim, 28. 11. 77 stammen nicht von Leopold von Ranke, sondern von Pfarrer F. L. Ranke, s. II, 554 (1875).

Universitätsbibliothek Marburg [99] Nachlaß Friedrich Carl von Savigny Geschichte des Römischen Rechts im Mittelalter, Materialien zu Bd. 6. Darin (Bl. 185f.): Brief Savignys an R mit dessen Antwort (Berlin, 8. 3.1850). Nachweis: Savigny-Datenbank der UB Marburg.

Universitätsbibliothek München [100] Nachlaß Adalbert Kuhn (1812-1881) R an Kuhn, Berlin 1866 (Kalliope).

Bayerisches Hauptstaatsarchiv, München [101] Bayerische Gesandtschaft Berlin 832 Konrad Frhr. v. Malzen (1791-1867) an R, 8. 2. 53, zeitgen. Abschr. Erstdr. Hoeft/1940, 56f. Differierend eine Abschr. in R.s Personalakte (GStA PK, I. HA Rep. 76, Bd. I, fol. 346f.). Im Bestand Bayer. Ges. Berlin 832 noch weitere Dokumente, die auf R Bezug nehmen, u.a.: Kg. Maximilian II. an Malzen, 25. 1. 53. Erstdr. Hoeft/1940, 44.

[102] Ministerialakt betr. die Besetzung der Lehrstühle an der Universität München (1854) R an Theodor v. Zwehl, Berlin, 28. 1. 54 (Erstdr. Hoeft/1940, 113f.). R an Friedrich Wilhelm v. Thiersch, 14. 6. 54 (Erstdr. Hoeft/1940, 124f.).

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände Lt. Auskunft des BayHStA vom 6. 4. 2011 konnten diese Briefe in den Akten des Kultusministeriums nicht mehr ermittelt werden.

Bestand ‚Außenministerium‘ Gliederungspunkt ‚Innere Verhältnisse‘. Nach Auskunft des BayHStA vom 24. 3. 2011 befinden sich hierin weitere Akten über R.

[103] Acta des Ministeriums des Koeniglichen Hauses und des Aeusseren MA-Ordensakten 5579: Schriftwechsel aus Anlaß der Ernennung R.s zum Komtur (8. 2. 52) und Großkomtur (6. 2. 67) des Verdienstordens vom heiligen Michael. Darunter v. Grehser an R, 12. 2. 67 (Abschrift).

MA 53137 Akten (6 Bl.) betr. den Tod R.s.

MA 72432 Gesuch um Benutzung des Geheimen Staatsarchivs. - Brief R.s an den Staatsminister (v. Grehser), 4. 10. 67. - Schreiben des Archivvorstands v. Aretin an das Ministerium und an das Kgl. Allgemeine Reichs-Archiv mit ablehnendem Votum. - Ablehnendes Schreiben des Ministeriums an R, 8. 10. 67.

Abt. III, Geheimes Hausarchiv München Siehe auch Abt. II/2.2

Kabinettsakten Kg. Maximilians II. von Bayern [104] Nr. 24 i: R an Kg. Maximilian, 3. 3. 56 (Erstdr. des von der Or.-Ausf. abweichenden Entw.s: FvR III/1904, 61-63).

[105] Nr. 80a: R an Konrad Frhrn. v. Malzen, 12. 2. 53 (Erstdr., leicht fehlerhaft: Hoeft/1940, 60).

[106] Nr. 87 b: R an Kg. Maximilian, 26. 1. 55 (Erstdr. des Entw.s: FvR II/1904, 273f. Abweichend nach Or.: v. Müller/1939, 87-89).

[107] Nr. 102: R an Kg. Maximilian, 9. 7. u. 26. 11. 61; 21. 4. 62 (Erstdrr. v. Müller/1939).

[108] Nr. 104: Krpr. Maximilian an R, 2. 1. 45 („Concept“). - R an Krpr. Maximilian, 30. 8. 45 (Erstdr. SW 53/54, 330. Korr.: v. Müller/1939, 3, A 3). - 26. 12. 47 (Erstdr.: SW 53/54, 332. Korr.: v. Müller/1939, 3, A 3). R an Kg. Maximilian, 17. 2. 52. (Ausf./Abschr.? Erstdr.: SW 53/54, 352f.). - 21. 11. 52. (Erstdr.: Hoeft/1940, 33. Korr. nach Ausf./Or: v. Müller/1939, 8). - [Dez. 1853] (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 9). - 31. 12. 53 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 10). - 30. 12. 54 (Erstdr./Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 371f. Korr./Tdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 3, A 3). - 19. 3. 55 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 15f.). - 30. 4. 55 (Erstdr./Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 372-375, Korr./Tdr. nach Or.: v. Müller/1939, 3f., A. 3. - Entw./Tdr., abweichend: FvR II/1904, 274f.). - 6. 5. 55 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 17). - 29. 5. 55 (Erstdr./Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 375. Korr./Tdr. nach Or.: v. Müller/1939, 3, A 3). - 10. 10. 55 (Erstdr./Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 381f.). - 1. 11. 56 (Erstdr./Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 383). - 25. 5. 57 (Entw. vom 23. 5.: FvR III/1904, 65f.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände Abweichende Ausf./Or.: v. Müller/1939, 17-19). - 26. 11. 58 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 21-23). - 27. 10. 59 (Abweichender Entw. vom 16. 10.: FvR III/1904, 67f. Ausf./Or.: v. Müller/1939, 33-35). - 26. 11. 59 (Erstdr./Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 404-406. Korr./Tdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 3f, A. 3). - 4. 12. 59 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 36). - 18. 8. 60 (Erstdr./Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 408f. Korr./Tdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 3f, A. 3). - 13. 2. 61 (Erstdr. Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 410f. Korr./Tdr. nach Ausf./Or. v. Müller/1939, 3f, A. 3). - 26. 11. 62 (Erstdr. Entw. oder Ausf./Abschr.: SW 53/54, 419f.). R an K o n r a d F r h r v . M a l z e n , 13. 6. 53 (Erstdr/Tdr.: Hoeft/1940, 118, A. 1. Vollst. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 8f.). R an F r a n z S e r a p h P f i s t e r m e i s t e r , 7. 2. 55 (Erstdr. nach Ausf./Or.: V . Müller/1939, 1214). - 14. 8. 57 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 19). - 6. 9. 57 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 20f.). - 30. 12. 58 (Erstdr./Tdr nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 23f.). - 10. 9. 59 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 24). - 4. 11. 59 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 35f.). - 27. 10. 60 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 38-40). - 22. 6. 61 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 40f.). - 11. 8. 61 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 42.). - 12. 8. 61 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 42). - 15. 11. 61 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 51). - 15. 5. 63 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 56). - 17. 9. 63 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 56f.). - 30. 9. 63 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 57f.). Franz Seraph Pfistermeister an R, 31. 7. 57 (Referat: des Entw.s: v. Müller/1939, 19, A. 1). - 22. 8. 57 (Erstdr./Tdr. nach Entw.: v. Müller/1939, 20, A. 1). - [Nach dem 26. 11. 58] (Referat des Entw.s: v. Müller/1939, 23, A. 3). - 4. 1. 59 (Kurzreferat: des Entw.s: v. Müller/1939, 24, A. 3). R an K a r l S p r u n e r von Merz, 27. 10. 59 (Erstdr. nach Ausf./Or.: v. Müller/1939, 30-32).

[109] Nr. 225: R an Kg. Maximilian, 28. 3. 53. Wurde von Hoeft/1940, 105, A. 1 als nicht auffindbar erklärt. Kg. Maximilian an R, 2. Mai 1853, zeitgen. Abschr. R an Wilhelm v. Doenniges, 29. 3. 53. Friedrich Wilhelm v. Thiersch an R, 29. 5. 1854. Entw. des von Hoeft/1940, 123 mitgeteilten Briefes vom [11. 6. 54]. - R an Friedrich Wilhelm v. Thiersch, 14. 6. 54, zeitgen. Abschr. Erstdr. Hoeft/1940, 124f. Franz Seraph Pfistermeister (1820-1912) an R, 14. 6. 61, Entw. - Tdr. Ausf./Or. (?) vom 16. 6.: Dove: Ranke und Sybel/(1895) 1898, 125.

[110] Nr. 349 r-1: R an Kg. Maximilian, 25. 3. 48 (Erstdr. nach Ausf./Or.: NBrr, 329f. - Statt „Konstitutionen“ richtig: „Contestationen“). - Kg. Maximilian an R, 31. 3. 48, zeitgen. Abschr.

Allerhöchst Königliche Handschreiben Kg. Maximilians II. [111] für das Jahr 1852, Nr. 370: Schr. an R vom 4. 12. 52 (Erstdr./Tdr.: Hoeft/1940, 33); für das Jahr 1854, Nr. 169: Schreiben an R vom [Anfang Juni 1854] (Erstdr./Tdr. Hoeft/1940, 122f.). Diese Positionen „dürften ... wohl zu den Verlusten des Geheimen Hausarchivs im 2. Weltkrieg zu rechnen sein.“ Auch sind Briefe R.s an die Könige Ludwig I. und Ludwig II „nach Ausweis der Findmittel nicht überliefert.“ (ADir. Dr. G. Immler, 29. 04. 2011). Siehe unten ‚Korrespondentenregister‘.

Bayerische Staatsbibliothek München Handschriften-Abteilung [112] Petzetiana V August Kluckhohn (1832-1893) an R - o. O., o. D. - R an Unbekannt, Bln. 1835. - R an Unbekannt, Bln. 19. 10. 65. Letzteres richtet sich an den Vf. einer ‚Bibliographie biographique‘.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

[113] Pfistermeisteriana III R an Kg. Maximilian II. v. B., 2. 3. 64, unveröff.; vermutl. letztes Schreiben an den am 10. d. M.s verstorbenen Kg.). - R an Franz Seraph Pfistermeister, 11. 3. 64. Erstdr. Henz/2009, 409.

[114] Autogr. Cim. Ranke, Leopold Nr. 1: R an Friedrich Wilhelm Thiersch (1784-1860), Frankfurt/O., 28. 4. 22. Erstdr. Helmolt, Merkwürdiger Brief/1907. Nr. 2: R an Friedrich Wilhelm Thiersch, Berlin, 25. 2. 37. Erstdr.: Helmolt,Verschollener polit. Aufsatz/1907, 560f. (Nr. ?): R an seinen Neffen Heinrich Israel Ritter v. Ranke (1830-1909), Bln, 15. 9. 59 u. 23. 2. 72. unveröff. Nr. 7: R an Unbekannt, Berchtesgaden, 25. 10. [o. J.] („Vor Mittwoch den 28sten früh werde ich hier nicht fortkommen...“). Autogr. Cim. 1/89/25: R an Unbekannt, [Sept. 1845. An Verlag Duncker u. Humblot?]; R an Unbekannt („Ew. Excellenz“. Teilt Ablehnung des Rufes nach München mit), Bln, 28. 2. 53.

Kaulbach-Archiv [115] VI 6, 7 Gutachten R.s zu W. v. Kaulbachs Reformationsbild, in briefl. Form erstattet dem preuß. Kultusminister Moritz August v. Bethmann-Hollweg am 22. 1. 60. - Siehe II, 330 (1860). Beiliegen Bemerkungen Kaulbachs zu R.s Ausführungen sowie acht Briefentwürfe oder -abschriften Kaulbachs.

Germanisches Nationalmuseum Nürnberg Autographensammlung, Kap. 53 [116] ZR. Nr. 5503a R an seinen Vater Gottlob Israel Ran(c)ke [Ende Okt. 1820].

[117] ZR. Nr. 5908 R an Unbekannt, o. O., o. D. (Kalliope). Identisch mit Voraufgehendem?

Altregistratur [118] Sectio 5, Nr. 3, vol. 1, Gelehrten-Ausschuß Nr. 236-237: Brief H. Frhr. v. u. z. Aufsess an R, 22. 8. 54 (Entw.); Nr. 247: Brief dess. an dens., 7. 9. 54 (Entw.). Ein von H. T./1882, 163 als im Germanischen Nationalmuseum aufbewahrt erwähntes Gutachten R.s (s. II, 323) ist dort nicht mehr aufzufinden.

Bodleian Library Oxford [119] MSS Phillipps-Robinson/NRA 26260 Briefwechsel R.s mit Sir Thomas Phillipps aus den Jahren 1865-71. Frdl. Hinweis von Reinhard Markner/Berlin. Erster Hinweis auf überlieferten Briefwechsel R-P. überhaupt. Nachweis auch in: Clapinson, Mary and Rogers, T. D.: Summary Catalogue of Post-Medieval Western Manuscripts in the Bodleian Library Oxford. Acquisitions 1916-1975 (SC 3730055936), Oxf. 1991, vol. II, nos. 49912-51833. Index, S. 1911: Phillipps Papers Nr. 42705 (fol. 25); 51340 (fol. 7-17); 51370 (fol. 1); 51378 (fol. 7-8); 51392 (fol. 15-18); 51507 (fol. 165, 192193); 51519 (fol. 5v-6); 51520 (fol. 62v-63); 51523 /Fol. 49v-50); 51702 (fol. 89).

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

Historical Society of Pennsylvania (1300 Locust. Street, Philadelphia Pa 19107 USA) [120] 2 Briefe R.s an Johannes Schulze (1786-1869): 7. 10. 27; 16. 1. 28. - R an Bartholomäus Kopitar (1780-1844), Berlin 12. 9. 33.

[121] T h ü r i n g i s c h e s S t a a t s a r c h i v R u d o l s t a d t Bei dem im August 1922 von Frau Selma von Ranke (gen. Lily, Frau Friduhelms, Schwiegertochter und zgl. Nichte R.s) dem StA Rudolstadt unter Eigentumsvorbehalt übergebenen Bestand (Mitt. v. 5. 9. 1968) handelte es sich laut Rudolstadter Geschäftsakten (Mitt. v. 11. 10. 1973) um 47 Briefe Rankes an seinen Bruder Heinrich aus 1819-1872 und um 39 Briefe Heinrichs an R aus 1816-1876. Erstere sind mit einigen Ausnahmen veröffentlicht, letztere nicht, dies gilt auch für die Ausgabe von Briefen Heinrichs an R bei Fuchs: Heinrich Ranke/1965. Doch ist die Bestandsgeschichte nicht völlig klar. Weitere Informationen sind indes der kaum bekannten, doch wertvollen Dissertation von Adolf Schwarz aus dem Jahre 1923 zu entnehmen. Schwarz spricht von zwei Briefmappen, wovon eine der Rudolstadter Aktenlage zu entsprechen scheint: Die eine Mappe, so schreibt Schwarz, „enthielt Briefe R’s an seinen Bruder Heinrich, die allerdings zum grössten Teil von Dove bereits in den von ihm besorgten Bande 53/54 der ‚SW‘ benutzt worden sind. Diese Mappe dürfte aus dem Nachlaß des Empfängers der Briefe stammen, was insofern wahrscheinlich ist, als die Frau L[ily] v. R. eine Enkelin desselben ist.“ Die zweite, in den Akten nicht vermerkte Mappe, welche bereits durch Wittichen, Varrentrapp, Paulsen, Stoll, Dove und Schmitz, freilich noch im Privatbesitz Lilys befindlich, genutzt worden war, wird von Schwarz wie folgt beschrieben: „Die zweite Mappe war ergebnisreicher ... Sie enthält ausschließlich Briefe an R. und ... umfasst ... Briefe von Friedrich Wilhelm III. und IV., von Maximilian v. Bayern, verschiedenen Prinzen, von Savigny, Eichhorn, Joh. Schulze, Franz Lieber, Ancillon, Varnhagen, Bettina von Arnim, Rahel Varnhagen, Thiersch, Jakob Grimm, Alexander v. Humboldt, Raumer, Platen, Bunsen, Schlosser, Heeren, Spener, Reimer, Jahn, von Chambray [11. 1. 35], Beaulieu, Michelet, Mignet, Hilaire, Circourt, Thiers, Laboulaye, von Kopitar, Wuk, Macaulay und anderen bedeutenden Männern des In- und Auslandes, dazu eine Anzahl Ehrenurkunden. Der übrige Teil des reichhaltigen Materials, der nun im Rudolstadter | Schlossarchiv der Forschung zugänglich gemacht worden ist, konnte nicht mehr eingesehen werden...“ Schwarz/1923, 19f., A. 1). Im Gegensatz dazu scheint ein in Rudolstadt befindliches Schreiben des damaligen cand. phil. Schwarz vom 28. 8. 1922 zu stehen, in dem er um Einsichtnahme in die in Rudolstadt liegenden Ranke-Briefe bittet und zugleich erklärt, zwei Briefmappen der Frau General von Ranke geliehen erhalten zu haben (Mitt. v. 11. Okt. 1973). Hieraus schloß man in Rudolstadt, die genannten Mappen seien „somit niemals in Rudolstadt“ gewesen (ebd.). Dieser Widerspruch ließe sich vielleicht durch Annahme einer kurz nach Abfassung des Briefes erfolgten Einlagerung erklären. Jedenfalls wurde der Bestand, wie die Registrande vermerkt, am 3. März 1925 wunschgemäß an das Historische Archiv der Univ. Köln gesandt, wo Lilys Tochter Ermentrude Bäcker von Ranke im Rahmen der Joachimsenschen Werk-Gesamtausgabe eine Briefedition vorbereitete. Der weitere Verbleib der Bestände, welche nach dem frühen Tod Ermentrudes im Jahre 1931 vielleicht teilweise noch Bernhard Hoeft hat benutzen können, ist unklar. Dr. Gisbert Bäcker-von Ranke, ihr Sohn, weiß sich allerdings aus seiner Kindheit zu erinnern, daß sein Vater nach dem Tod Ermentrudes Aufforderungen von Archiven erhalten habe, entliehene Bestände zurückzugeben (Gespräch vom März 2010). Sie sind nicht wieder nach Rudolstadt zurückgekehrt, noch sind sie in den Besitz des Sohnes von Ermentrude übergegangen. Die Briefe von Franz Lieber datierten übrigens vom 1. 5. 35; 6. 7. u. 25. 7. 40, die Briefe Bunsens vom 7. 10. u. 24. 11. 30 (bei Schwarz/1923, 242 m. A. 2 u. 3 kurze inhaltl. Angaben) sowie ein undatierter, wohl auch aus dieser Zeit, den Schwarz (ebd. 242) z. T. wörtlich zitiert. Schwarz fand auch den Brief eines Fräulein von Buttlar [Auguste?] an R, mit der dieser „in Rom engere Beziehungen gehabt haben muss“ (Schwarz/1923, 123, A. 4 von 122), möglicherweise

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände nicht identisch mit einem von Schwarz an anderer Stelle genannten „rosa Billet“ des nämlichen Fräuleins vom 20. 4. [30], in dem diese „um Erfüllung des Versprechens, vor seiner Abreise [aus Rom nach Florenz] noch einen Abend bei ihr zu verbringen, bittet und gleichzeitig ersucht, ein paar diesbezügliche Zeilen bei seinem Oberkellner zu hinterlassen.“ (ebd., 240, A.6). Ferner „einige (2) glühende Liebesbriefe einer Berliner anonymen Verehrerin.“ (123, A.4 von 122 ). Zum Bestand gehörten ferner Briefe von Karl Benedikt Hase an R: 20. 4. 25 („R. hatte nach den Materialien gefragt, die Daru zu seiner Histoire de Venise benutzt hatte.“ Schwarz/1923, 188, A. 1) und vom 12. 10. 26 („R. soll sich, falls er [nach Paris] kommen will, mit einer Empfehlung Humboldts an den Abbé de Remusat, Conservateur de la Bibliothèque du roi versehen.“, ebd., A. 2). Des weiteren ein Brief von H. H. Vögeli an R vom 30. 10. 34 (zuvor veröffentlicht von Meyer v. Knonau/1908) und ein Brief des R-Schülers F. Papencordt vom 18. 8. 37 (erwähnt bei Schwarz/1923, 241, A. 1). Zum Besitz Lily von Rankes gehörten weiterhin etwa 170 Original-Briefe Edwin von Manteuffels an Ranke, welche die Meinecke-Schülerin Elisabeth Schmitz 1921 für ihre Dissertation genutzt hat. Aus diesem Bestand hatte Alfred Dove bereits 1896 52 Schreiben - immens fehlerhaft - veröffentlicht. Ob auch dieser Bestand dem Rudolstadter Archiv übergeben wurde, ist nicht bekannt, Schwarz erwähnt ihn nicht, hat allerdings auch nicht, wie bemerkt, das gesamte Material sichten können.

Pfälzische Landesbibliothek Speyer [122] Autogr. 188 R an Gideon von Camuzi (1799-1879), Sanssouci, 6. 7. 64.

Riksarkivet, Stockholm, Sverige [123] Sjöholmsarkivet I. Autografsamlingen (RA/720791.003): 1 Brief R.s aus 1877 an Kg. Oscar II. v. Schweden u. Norwegen (1829-1907).

[124] Fredrik Ferdinand Carlssons samling. (RA/720312) Je 1 Brief R.s an Fredrik Ferdinand Carlsson, 1867 und 1878. - Frdl. Hinweise von Reinhard Markner/Berlin.

Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg [125] Ms.4822-Ms. 4824 Lettres adressées à Charles Schmidt [1812-1895], professeur à l’Université de Strasbourg. Darunter R. - Freundl. Hinweis von Reinhard Markner, Berlin.

Württembergische Landesbibliothek Stuttgart Handschriften-Abteilung [126] Cod. hist. 2º 866 R an Christoph Friedrich von Stälin (1805-1873), 29. 10. 61, unveröff.

[127] Cod. hist. 4º 506, III, Fasz. 33e, 22 R an Mary Clarke, verehel. Mohl (1793-1883), „Berlin, 19. janvier 1876“, unveröff. - Kalliope irrtüml.: „o. O., o. D.“

S y r a c u s e U n i v e r s i t y L i b r a r i e s N. Y. Special Collections Korrespondenz-Bestände Aus den Syracuse-Beständen hatte erstmals Hoeft/1937 im Anhang seiner immer noch nützlichen Veröffentlichung zum ‚Schicksal der Ranke-Bibliothek‘ vier Briefe an R mitgeteilt. Seitdem wurde der Bestand auf dem Auktionsweg beträchtlich erweitert.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände Die hinzuauktionierte Korrespondenz wird durch das wichtige Werk von Muir/1983 in einem Appendix ‚Leopold von Ranke’s and Clara Graves Ranke’s personal und family papers‘ nachgewiesen (263-275), allerdings gelegentlich mit skurriler Verunstaltung von Personennamen. Die Bestände bedürfen zur Schließung von Informationslücken und eindeutiger Korrespondentenidentifizierung weiterer Zuwendung. - Hinzugenommen sind im Folgenden die aus unklaren Gründen unter die dortige Sammlung venezianischer Relationen (Ms 390 u. 413) geratenen Stücke. Bei den An-Briefen ist auffallend, daß sie zu einem statistisch übermäßigen Teil den 1880er Jahren entstammen. - Zu den übrigen R-Beständen in Syracuse siehe II/8.2f.

[128] Von-Briefe Etwa 18 Or.-Briefe R.s. Überwiegend an seine Frau CvR, alle unveröff.: 28. 7. 43; 17. 8. 43; 9. 10. 45; 20. 10. 45; 21. 10. 47; 13. 10. 48; 25. 8. 49; 17. 10. 68; 20. 8. 18?? und an deren Verwandtschaft gerichtet: an Charles Graves, unveröff.: 6. 6. 55; 27. 6. 65 - John Graves, unveröff.: 3. 8. 56; 22. 6. 65. - Robert Graves, unveröff.: 24. 6. 57; 3. 7. 57, jedoch auch an HR, 7. 4. 29. (Erstdr. SW 53/54, 219-221). - Kgn. Maria v. Bayern, 10. 3. 64 (Entw.: Erstdr. SW 53/54, 426f. mit Datum 11. 3., Zweitdr. Hoeft/1937, 50f. mit Datum 10. 3.).

[129] An-Briefe Etwa 60 Or.-Briefe von etwa. 50 verschiedenen Verfassern (mehrere nicht identifiziert) an R, einige an R u. CvR gemeinschaftlich. - Abgesehen von den wenigen durch Hoeft (1937, 49-55), veröffentlichten Briefen dürften alle unveröffentlicht sein: Von CvR (o. D.). - Helena Graves, 14. 1. 18??, John T. Graves, 2. 10. 43; 23. 7. 48; 23. 7. 50; 3. 2. 50; 2. 3. 50. - Albert, Prinz v. Preußen, 24. 5. 86 [? R war am 23. gestorben]. - J. J. Altmeyer, 10. 3. 40. - Lazar Assenitwitz [?], 22. 2. 49. - Ksn. Augusta, 10. 4. 75. - Niccolo Barozzi, 28. 5. 57 (Ms. 390). - [N.N.] von Bergmann, 25. 5. 86 [? nach R.s Tod]. - D. P. Carhel (?), 25. 5. 86. [N. N.] von Doeninz [?], 23. 5. 86 [? Sterbetag R.s]. - Wilhelm v. Doenniges, 19. 8. 54 (Erstdr. Hoeft/1937, 49). - Richard Fleischer, 4. 7. 82. - Berliner Oberbürgermeister [Max von Forckenbeck], 17. 4. 86. - Paul Frohwein, 14. 3. 86. - Ella Frosingham, 1. 2. 78 (Ms. 413). - Carl Geibel, 4. 12. 81 (Ms. 413). - John T. Graves, 2. 10. 43: 23. 7. 48; 3. 2. 50, 2. 3. 50. - Constantin Höfler, o. O., o. D. (Ms. 413). - Konstantin Höhlbaum [nicht Höhlbann!], 6. 9. 74. - Heinrich [?, Hermann?] Hüffer, 9. 8. 82 (Ms. 413). - Fritz Hummel, 2. 7. 84 (Erstdr. Hoeft/1937, 55). - Kgl. General-Ordens-Kommission, 23. 4. 75 (Abb. in: Syracuse Scholar, Bd. 9, Nr. 1, 1988, 67). Engelbert Kessler, 10. 2. 86. - Friedrich Klincksieck, 29. 10. 52. - Ludolf Krehl, 25. 12. 77 (R als Adressat zweifelhaft). - G. Krosigk (Sächs. Kammerherr), 22. 4. 44 (Ms. 413). - „Pastor Krumhaar“, Heilbronn, 1. 12. 1857 (Ms. 413). - Emil Kuhn, 10. 5. 78.- Ulrich Lianbauant [? vielleicht verlesen für Lieutenant], 18. 3. 86. - Magistrat der Stadt Berlin, 24. 1. 54; 14. 11. 85. Hertha v. Manteuffel, 15. 2. 50 (Identität nach Hinweis von Dr. Siegfried Baur. Bei Muir/1983, 270: „Garya y Maasaaffa“). - Wilhelm Maurenbrecher, 11. 11. 67. - Milan I., Kg. v. Serbien, 29. 11. 84. - A. v. Muding [?], 11. 2. 50. - Otto Opel, 23. 5. 72. - E. Partington (1885?). - Michael [v.] Petzoldt, 4. 5. 86. - Preuß. Hofmarschall-Amt, 14. u. 21. 2. 86. - ER, 6. 11. 55. - Otto Richter, 28. 1. 85. - Julian Schmidt, 19. 1. 82 (Erstdr. Hoeft/Bibliothek, 1937, 51f.). - „? Tempeltrug“ [meint wohl Karl Ernst Eduard Tempeltey], 28. 10. 82. - „Emmerick von Tkalac“ (Muir GMC565), [richtig: Emmerich v. Tzalak, s. SW 53/54, 448], 27. 2. 49. - F. N. V., 18. 5. 50. - Heinrich Wilhelm Werner Vildhaut, 10. 5. 80. - Gisbert Vincke, 8. 9. 84. -„Doctor Volkmann“ [in den 1880er Jahren Rektor der Landesschule Pforta], Pforta, 28. 5. 1883 (Ms. 413). - Johann Eduard Wappäus, 3. 3 48. - E. v. Westphalen, o. D. - Unbekannt, 28. 4. 50; 27. 1. 51; 14. 3. 52. - [N. N.?] v. Preußen, 10. 11. 52. - Heinrich Weisse [nicht Weiss!], 25. 3. 77 (Ms. 413). - Rosine v. Wintgen, 1. 11. 50. - Julius Zacher, Halle, 13. 12. 57 (Ms. 413). Dabei ca. 170 Stücke aus dem Briefwechsel Clarissa von Rankes mit anderen Korrespondenten. Auch hier auffallend - wie im Fall der R-Briefe im ‚Nachlaß Ranke, Ergänzung‘ der SBB PK -

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände der zeitliche Schwerpunkt der Position bei Ende der 1840er und Anfang der 1850er Jahre. Dies deutet auf ein ursprüngliches Zusammengehören der beiden Positionen hin, welche vermutlich durch verschiedene Auktionen getrennt wurden.

Universitätsbibliothek Tartu Ülikool (Universität Dorpat), Estland [130] Digitalisat aus Sammlung http://dspace.utlib.ee/dspace/handle/10062/11052 Sign. 2359: R an den Bankier Alexander Mendelssohn (1798–1871), Berlin, 4. 1. 50, Or. eighd. Freundl. Hinweis von Reinhard Markner/Berlin.

Universitätsbibliothek Tübingen [131] Md 613/669 R an Robert Mohl (1799-1875), 9. 9. 35 (Erstdr. NBrr 206).

[132] Md 643/85 3 Briefe R.s an Julius v. Mohl (1800-1876), 27. 9. 51; [Lnd.], 6. 9. [1852]; 18. (?) 8. 60. - Siehe auch II, 205.

University of Illinois at Urbana Champaign, USA The Rare Book and Manuscript Library [133] catalogue number xB/R199rl Or. Brief R.s an Georg Andreas Reimer, Frankfurt a. d. O., 26. 1. 24. - Erstdr. Ford/1960 fehlerhaft, siehe Henz/2008, 27 u. 44f.

Thüringisches Hauptstaatsarchiv Weimar Hausarchiv [134] A XXVI Nr. 832, Bl. 2r R an GHzg Karl Alexander v. Sachsen-Weimar-Eisenach, 22. 5. 71. - Erstdr.: Boblenz, Mötsch/1996.

Goethe- und Schiller-Archiv, Weimar [135] Briefe von Ranke GSA 21/149, 1 NL Friedrich Johannes Frommann (1797-1886) R an dens., 28. 8. 64. Erstdr.: Henz/1972, 312f.

GSA 28/719 NL Johann Wolfgang von Goethe R an dens., 22. 1. 29. Erstdr.: Goethe-Jb. 9 (1888), 74f.

GSA 81/IX, 3, 8 NL Julius Rodenberg (1831-1914) R an dens., 1. 8. 79. Erstdr. Henz/1972, 315f.

GSA 85/25, 1 NL Johann Karl Ludwig von Schorn (1793-1842) R an dens., 28. 10. (?) 37, mit Vermerk „beantw. 23. Jan. 1838“. Erstdr./Tdr.: Schorn/1911, 166. - Zweitdr., vollst.: NBrr, 243-245 (einige Abweichungen). - R an dens., 6. 8. 38. Erstdr. NBrr 258f.

GSA 96/4337c R an GHzg. Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach (1818-1901), 2 Briefe aus 1871.

GSA 108/2218 R an Karl Benedikt von Hase (1780-1864), 1825 und R mit CvR an Hase, 1864.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

[136] Briefe an Ranke GSA 108/2218 Karl Benedikt von Hase an R, 1825, Entw. Bl. 2.

GSA 126/7 Robert Keil an R, 1882, Entw.

GSA 161/481 Wilhelm Hensel (1794-1861) an R, undatiert, mit Scherzgedicht auf eine Einladung.

Archiv des Ranke-Vereins Wiehe > Briefwechsel im verschollenen Altbestand < Dieser ist z. T. nur oberflächlich verzeichnet in den Jahresberichten des Vereins aus den Jahren 1907-1910 (s. II, 205-210), wird hier jedoch ergänzt durch eine im Landeshauptarchiv Sachsen-Anhalt, Magdeburg aufliegende maschinenschriftliche Bestandsliste (Rep. C 96 II, Nr. 26). Dort befindet sich indes nicht der entsprechende Bestand. Er ist zunächst noch als verschollen anzusehen. [137] Briefe von Ranke An Buchdrucker Brockhaus, 17. 1. 27 (Erstdr. NBrr 94). An B. Kopitar, 9. 6. 29. Erstdr.: Helmolt/1905, 241f. An Schwager Heinrich Schmidt, 21. 6. 29 (Erstdr. NBrr 124f.). 3 Briefe R.s an seine CvR, 1854 (SW 53/54, einer der Briefe Nr. 167-169); 5. 9. 61 (Erstdr. SW 53/54, 414); 3. 10. 64 (Erstdr. NBrr 434f.). An Hofrat von Arnoldt, 26. 9. 68 (Dank für die Hilfe bei Archivstudien). An Kaiserin Augusta, 22. 2. 77, Entw., Erstdr. NBrr 642. An Schwägerin Luise [Ranke, geb. Tiarks], [1857?], Beschreibung seines Aufenthalts in England.

[138] Briefe an Ranke In den o. g. Jahresberichten finden sich keine Angaben über Anzahl und Ausstellungsdaten, diese sind jedoch in der Magdeburger Bestandsliste enthalten. Die Schreiben stellen bis auf wenige Ausnahmen formelle Dankesbriefe auf die Übersendung von Dedikationsexemplaren Rankescher Werke dar, bei anderen handelt es sich um Kondolations- oder Gratulationsschreiben. Inhaltlich Bedeutenderes ist im Folgenden vermerkt. Von Ks. Wilhelm I., 6. 8. 47; 6. 1. 48; 25. 1. 61; 7. 11. 61; 22. 3. 65; 11. 4. 68; 20. 12. 71; 7. 4. 73; 22. 12. 73; 14. 4. 75; 10. 11. 75; 6. 1. 77; 31. 12. 77; 31. 5. 79; 28. 12. 81; 13. 2. 82; 18. 12. 82; 27. 12. 82; 19. 12. 83; 22. 12. 84; 30. 12. 85. Aus dem Hofmarschallamt 15. 2. 66, 12. 8. 69. Von Przn., Kgn., Ksn. Augusta, 14. 2. 54; 28. 5. 55; 23. 2. 67; 7. 12. 71; 26. 8. 74; 10. 3. 75; 30. 3. 76; 18. 1. 77; 20. 2. 77; 11. 12. 77; 27. 2. 78; 22. 7. 78; 21. 12. 80; 18. 12. 81; 14. 2. 82; 14. 12. 82; 13. 12. 83; 19. 12. 84; 19. 5. 86. Aus dem Kabinettssekretariat Augustas 5. 12. 60; 21. 2. 71 (Aufforderung, im kleinen Kreis einen Vortrag zu halten); 2. 5. 71; 3. 5. 71; 21. 12. 84. Gemeinsame Briefe von Ks. Wilhelm u. Ksn. Augusta 21. 8. 79. Von Kg. Friedrich Wilhelm IV. 5. 10. 40; 3. 1. 48; 31. 12. 53; 31. 3. 55. Von Kgn. Elisabeth v. Preussen 30. 4. 71; 6. 6. 72; 15. 1. 73; 4. 12. 73.

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände Von Krpr. Friedrich Wilhelm (Ks. Friedrich III.) 29. 12. 64; 24. 1. 67; 6. 4. 71; 1. 4. 73; 10. 4. 75 (Dank für die Arbeit ‚Revolutionskriege‘ mit einer Betrachtung über die großen geschichtlichen Ereignisse der letzten Jahrzehnte und der Verurteilung derjenigen, die zum Krieg anregen und zum Kampfe aufreizen möchten); 2. 11. 75; 20. 3. 76 (Absicht, für die Fürstengruft im Dom Gedenktafeln zu beantragen.); 22. 8. 76 (Krpr. übersendet Entw. der Grabschrift des Großen Kurfürsten zur Begutachtung); 14. 7. 77 (Entw. der Grabschrift Kg. Friedrichs I. mit Bitte um Begutachtung); 15. 3. 78 (Krpr. übersendet Entw. zur Grabschrift Friedrich Wilhelms I. - Dank und Kritik der Biographien Friedrichs des Großen und Friedrich Wilhelms IV.); 24. 10. 78; 21. 12. 80 (Dank für den 1. Band der WG mit dem Ausdruck der Genugtuung, daß er [!] die Anregung dazu gegeben). Des Adjutanten des Krpr. Friedrich Wilhelm, 19. 5. 85. Aus der Privatkanzlei des Krpr. Friedrich Wilhelm, 9. 12. 70 (Anfrage, ob Bedenken bestehen, für die historische Arbeit eines Tübinger Gelehrten die Widmung anzunehmen). Von Krprn. Victoria (spätere Kaiserin Friedrich), 25. 2. 75. Von Prinz Karl v. Preussen, 24. 7. 69. Von Prinzessin Karl v. Preussen (Marie), 1860; 4. 5. 71; 3. 9. 72; 1875 oder 1877. Von Prinz Adalbert v. Preussen, 28. 6. 55; 28. 11. 56; 16. 8. 69. Von Prinz Georg v. Preussen, 1. 1. 64; um 1866. Von Prinz August v. Preussen, 25. 9. 40. Von Prinz Friedrich Karl v. Preussen, 25. 7. 69. Von Kg. Karl v. Württemberg 9. 3. 65; 20. 2. 77; 23. 12. 84; 21. 12. 85. Von Kgn. Sophie der Niederlande 6. 11. 61 (gedenkt des Aufenthalts R.s im Haag); 17. 8. 69 (Dank für Übersendung d. Werkes ‚Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England‘, 1869. - Einladung nach dem Haag). Von Ghzg. Karl Alexander v. Sachsen-Weimar, 16. 12. 71; 11. 7. 78; 22. 2. [12?] 85. Von Ghzgn. Sophie v. Sachsen-Weimar-Eisenach, 21. 12. 85. Von Ghzg. Friedrich I. v. Baden (1826-1907), 16. 2. 85. Von Luise v. Preußen, spätere Ghzgn. Luise v. Baden (1838-1923), 26. 12. 78; 22. 12. 84; 23. 12. 85. Von Landgräfin Anna (Marianne) v. Hessen, Prinzessin v. Preussen, 25. 2. 77. Von Reichskanzler Fürst O. v. Bismarck, 12. 5. 71; 7. 4. 73; 27. 3. 75; 22. 1. 77; 19. 2. 77; 28. 10. 77 (behandelt einen ‚Metternichschen Bericht‘ in den ‚Denkwürdigkeiten Hardenbergs‘); 13. 2. 82 ? (Besuchskarte Bismarcks mit Glückwunsch zum Geburtstag R.s). Aus der Reichskanzlei, 3. 7. 79. Von Generalfeldmarschall Helmuth v. Moltke (1800-1891), 12. 3. 75. Gratulationsschreiben zur Erhebung R.s in den Adelsstand. Vom Gründungskomitee der ‚Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde‘, nach dem 22. 3. 65. Gratulationsschreiben zum 90. Geburtstag, 21. 12. 85. Von: Philosoph. Fakultäten Breslau, Greifswald, Straßburg, der Univv. Leipzig u. Wien, der Badischen Hist. Komm. in Karlsruhe, der Hist. Komm. München, des Ausschusses des wiss. Klubs in Wien, des Freien Dt. Hochstifts Ffm. Briefe von Familienangehörigen Leopold von Rankes 10 Briefe von Eltern und Geschwistern R.s sowie 1 Brief von FR an R aus 1829 (über bevorstehende Reise nach Wiehe).

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

Briefwech sel i m Neube sta nd [139] Briefe von Leopold von Ranke An Joseph Ludwig Graf v. Armansperg (?), 10. 2. 31. - An Robert Graves, Cheltenham, 28. 6. 65 (Or.). - An John Thomas Graves (Abschr.), (Sept.?) 1847. - An Ottokar Lorenz, 30. 8. 68 u. 7. 9. 68. - An Baron v. Werthern, 8. 7. 73 (Or./Fragm.). - An Constantin Rößler, 11. 12. 75 u. 7. 12. 85 (aus „Reichsarchiv A VI 1 Rö Nr. 1 bzw. Nachl. Nr. 64, Fotokopie“). - An ER, 24. 7. 77 (Abschr./Fragm. Erstdr. Hitzig/1906, 319f.) u. 15. 4. 85. - An Charles Graves, Nov. 1865 (Abschr.). - An Amalie Helferich, 11. 12. 76 (Abschr./Fragm.). An Unbekannt (über Geburt von FvR), 17. 9. 47 (Abschr.). - An Unbekannt (Archivar), 16. 5. 65 (Abschr., nicht 1866!). - An Unbekannt (Vf. eines Ms. betr. die Kapitulation von Straßburg), 5. 4. 81 (Or.). - An Unbekannt, 20. 2. 82 („Da zieht mir ja eine Wolke am Horizont herauf ...“). An Unbekannt, 2. 7. 83 („mit Vergnügen subscribire ich 10 Gulden auf die für Miklosich beabsichtigte Medaille.“). - An Unbekannt (Annahme einer Widmung), 28. 12. 85 (Or.).

[140] Briefe an Leopold von Ranke Maximiliane an CvR und R, 1. 1. 55. - Friedrich v. Raumer an R (?), 14. 12. 56. Huldigungsschreiben von Wiener Studenten, darunter Adalbert v. Horawitz u. Heinrich v. Zeißberg, 18. 12. 59, zu R.s 64. Geburtstag am 21. 12. 59. - Huldigungsschreiben von Herrn Nordmeyer aus Berlin zu R.s 69. Geburtstag, 21. 12. 64. - Votivtafel der Univ. Jena, 20. 2. 67, zum 50jähr. Doktorjubiläum. - Helen C. Graves an R, 25. 4. 69; 25. 7. 69. - Edward E. Morris an Familie Ranke, 23. 7. 1870. - ... Thurn (Frankfurter Schüler R.s betr. Nachlass WR) an R, 30. 6. 71. - Robert Graves an R, 3. 7. 71; 23. 4. 82 (Abschr.). - Dr. Herold aus Frankfurt an R, 12. 8. 79. - Vom Preuß. Hof-Marschallamt, Einladung zu einer Soirée am 22. 3. 85 im Kgl. Schloss, Berlin. - Magistrat u. Stadtverordnetenvers. der Stadt Wiehe, 18. 12. 85 (anl. d. 90. Geburtstages).

Nachlaß Friduhelm von Ranke (1847-1917) Siehe zu Folgendem auch II, 193f., NL FvR.

[141] Großoktav-Heft mit Abschriften von der Hand Friduhelm v. Rankes u. a. von 25 Briefen R.s. Die Bll. mit den Briefabschrr. sind herausgeschnitten. Das Heft enthält noch: fol. 1r-1v: Inhaltsübersicht: „Ungedruckte Briefe Leopold von Ranke’s“. Die dort nach Empfänger u. Datum aufgeführten Briefe sind später zum geringen Teil von FvR, zum überwiegenden Teil von Hoeft (NBrr) veröffentlicht worden. Unveröffentlicht blieb ein Brief an das Kreisgericht vom 2. 5. 51 betr. Schulden u. ein weiterer wohl auch an das Kreisgericht adressierter betr. Hausankauf. Fol. 31: Abschr. des Vorschlags R.s für Friedrich Adolf Trendelenburg zum ordentl. Mitglied der Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss, Berlin, 4. 2. 46. Mit dem Vermerk „praes. d. 4. Febr. 1846 [Christian Gottfried] Ehrenberg [Sekr. d. Akad.]. Zur Sitzung am 5. Febr. 46“. Unveröff.

[142] Großoktav-Heft mit Abschriften von der Hand Friduhelm v. Rankes von 31 Briefen R.s. Alle Bll. bis auf das Inhaltsverz. herausgelöst. Folgender der dort genannten, z. T. später von Hoeft (NBrr) veröffentlichten Briefe ist unveröffentlicht geblieben: an Clarendon Press, Oxf., 3. 12. 72. Dazu Regest FvR.s: „Einverst. mit Übersetzung der Engl. Gesch. durch Clar. Press, Bedingungen“.

[143] Großoktav-Heft mit Abschriften von der Hand Friduhelm v. Rankes Innendeckel: Inhaltsübersicht. - Fol. 1-5 entfernt. Enthielt Abschrr. der später von Oncken/1922 veröffentlichten Briefe R.s an Pietro Bragadin [Jan. 1831] und an Marco Solari, 10. 2. 31. Fol. 62-69: entfernt. Enthielt Abschrr. der später veröff. Briefe R.s an Sybel, 11. 6. 84 (NBrr, 719), an Thiers, 16. 6. 72 (FvR V/1904, 53f., Übers.; NBrr 577f.), an Reumont [Jan. 1874] (FvR V/1904, 60f.).

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

[144] Großoktav-Heft mit Abschrr. aus dem NL R.s, von der Hd. FvR.s. Vorsatzbl.: Inhaltsübersicht. Einliegend 8 lose Bll., aus einem anderen Heft übernommen, mit Foliierung 40-47, welche inhaltlich fortgesetzt werden durch die eingehefteten Bll. 1-21. Fol. 22-24 entfernt. Enthielt Abschr. eines Briefes R.s an W. v. Giesebrecht, Bln., Dezember 1870 (unveröff.). Fol. 25-28 entfernt. Enthielt Abschr. eines Briefes R.s an M. Duncker, 18. 12. 74 (unveröff.). Fol. 29-33 entfernt. Enthielt Abschr. eines Briefes R.s an Ks. Wilhelm I. und Ksn. Augusta, Juni 1879 (wohl der von FvR VIII/1906, 328-330 veröff. Brief vom 22. 6. 79). Fol. 34 entfernt. Enthielt Abschr. eines später veröffentlichten Briefes R.s an M. Duncker, 17. 10. 74 (FvR VI/1905, 219f.). Fol. [35] Abschr. einer eighd. tagebuchartigen Notiz R.s über seinen Besuch bei Gf. v. Hardenberg auf Neuhardenberg, 14. Juni 1867 (darin erwähnt ein Brief des Gfn. Hardenberg an R, Neuhardenberg, 26. 6. 67). Die Notiz ist unveröff., jedoch ausgewertet in FvR VI/1905, 218). Fol. [43-45] Abschr. eines veröff. (FvR VI/1905, 222) Briefes R.s an Ks. Wilhelm I., 1. 1. 77.

Nachlaß Maximiliane von Kotze, geb. Ranke (1846-1922) [145] Telegr. Glückwunsch R.s an seinen Schwiegersohn W. v. Kotze als „Großpappa“, 9. 4. (?) 83.

[146] Nachlaß Ermentrude von Ranke, verehel. Bäcker (1892-1931) Vergleich zwischen dem seinerzeit im Besitz von Alexandra Saemisch befindlichen Or. des Briefes R.s vom 21. 1. 67 an HR und dem in SW 53/54 (474f.) gedruckten Text.

Österreichisches Staatsarchiv Wien Abt. Haus-, Hof- und Staatsarchiv [147] Kurrentakten: R an Alfred v. Arneth: 11. 8. 68 (NBrr 509-511); 21. 10. 69 (NBrr 531-533) mit dem Vermerk „Beantwortet am 24. October 1869“; 30. 11. 69 (NBrr 536f.); [Apr. 1870?] (NBrr 539f.); 12. 10. 73 (Henz/1972, 314f.); 12. 11. 73 (Henz/1972, 315); [3. 10. 75] (NBrr 625f.); 9. 12. 76 (NBrr 638f.). - Alfred v. Arneth an R: 6. 12. 76. In den Akten befindet sich auch eine kurze Übersicht über die für R im März 1870 ausgeführten Kopien.

Nationalbibliothek Wien [148] Handschriftensammlung/Alter Autographenkatalog 6/94-1. Han Autogr.: R an Unbekannt, Wien, 22. 9. 28. 6/94-4. Han Autogr.: R an Unbekannt, Rom, 24. 4. 30. 6/94-5. Han Autogr.: R an Unbekannt, 16. 5. 31. 137/91-1. Han Autogr.: R an Franz v. Miklosich (1813-1891), Bln., 30. 1. 68. (Erstdr. Valjavec/1935, 24). 140/51-1. Han Autogr.: R an B. Kopitar, Rom, 24. 4. 30 (Erstdr. Valjavec/1935, 17-19). 140/51-2. Han Autogr.: R an B. Kopitar, Venedig, 6. 8. 30 (Erstdr. Valjavec/1935, 19-21). 140/51-3. Han Autogr.: R an B. Kopitar, Bln., 13. 7. 35 (Erstdr. Valjavec/1935, 21-24. Dort mit Datum 18. 7. 35). 6/94-2. Han Autogr.: Albumblatt, Wien, 23. 9. 28. 6/94-3. Han Autogr.: R an B. Kopitar, Rom, 13. 1. 30. 920/67-1. Han Autogr.: R an Rochus Frhrn v. Liliencron (1820-1912), Bln., 19. 4. 77; H 54/78; m. e. Beil. (Abschr. von 2 Briefen R.s).

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II/3.3 Briefwechsel - Epistolarische Archivbestände

[149] S t a a t s a r c h i v W o l f e n b ü t t e l R an den Geh. Archivrat Dr. Schmidt in Wolfenbüttel, 31. 8. 67, 18. 10. 67 und 10. 9. 68 (alle unveröff.). An das Hzgl. Braunschweigische u. Lüneburgische Staatsministerium, 10. 9. 68 (unveröff.). Erlaubnis des gen. Ministeriums vom 5. 10. 1847 zur Archivbenutzung (unveröff.). Die Bibliothek verfügt des weiteren über ausführliche Angaben über die R in den Jahren 1847 und 1868 als Benutzer vorgelegten Archivalien und die von ihm bestellten Abschriften (Frdl. Mitt. von Dr. Walter Deeters, Nieders. StA Wolfenbüttel, 13. 6. 1974).

[150] H e r z o g - A u g u s t - B i b l i o t h e k W o l f e n b ü t t e l Briefwechsel R.s mit Karl Philipp Chr. Schönemann (Bibliothekar in Wolfenbüttel), o. O., o. D. (Kalliope).

Zentralbibliothek Zürich [151] Nachlaß Conrad Ferdinand Meyer (1825-1898) Ms. CFM 381.14. Brief R.s an Ferdinand Meyer, den Vater Conrad Ferdinand Meyers, 1837.

[152] Nachlaß Johann Kaspar Bluntschli (1808-1881) FA Bluntschli 12.680: 4 Briefe R.s an Dens., 1832-1833. FA Bluntschli 27.67a Briefentwurf Bluntschli an R, 20. 5. 32.

[153] Autographensammlung Ott Brief R.s an August Gf. v. Platen-Hallermünde (1796-1835), 13. 10. 30. (Erstdr. Vischer/1951, 284-286).

Sonstige [154] Schloß Hainfeld, Archiv. Hammer-Purgstall, Josef Freiherr von: Erinnerungen aus meinem Leben. 1774-1852. Bearb. von Reinhart Bachofen von Echt (Fontes rerum Austriacarum, 2. Abt. Diplomataria et acta, 70. Bd.), Wien u. Lpz.1940, weist (563) in einer „Liste der im Archiv von Schloß Hainfeld vorhandenen, an Freiherrn Josef von Hammer-Purgstall gerichteten Briefen“ zwei Briefe R.s ohne nähere Angaben nach. - In den ‚Erinnerungen‘ tritt R namentlich nicht auf. - Eine Anfrage vom 22. 2. 2011 in Schloß Hainfeld blieb unbeantwortet.

[155] Privatbesitz Prof. Dr. Eberhard Kessel (1907-1986), Mainz-Bretzenheim R an einen Redakteur („Hochgeehrter Freund“, Ausf. Or.). Wilhelm I., Kg. v. Pr., an R, 22. 3. 65. Abschr. des Entwurfs aus den Minüten des ehem. GStA.

[156] Nachlaß Prof. Dr. Hermann Ranke (1878-1953), Heidelberg Mommsen (I/1971, 402) weist im Besitz der Witwe für 1962 „u. a. Briefe der Eltern von Leopold v. R. u. von dessen Bruder Heinrich“ aus. Aus diesem Bestand hat Walther Peter Fuchs (Heinrich Ranke/1965) 89 bis dato unveröffentlichte Briefe HR.s mit vergleichsweise geringem Ertrag an seinen Bruder Leopold mitgeteilt. Dieser Bestand konnte nicht mehr ermittelt werden, was für eine künftige Briefedition von erheblichem Nachteil ist, da die Fuchssche Edition einen modernisierten, v. a. aber gekürzten Text bietet. Den von Fuchs in Brw vorgenommen Kürzungen entsprechend können auch diese sowohl quantitativ wie inhaltlich erheblich sein.

[157] Privatbesitz Basel Nachlass Wilhelm Vischer W. V. an R, 20. 11.1880, Abschr., s. Vischer/1951, 289.

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4. Abteilung (II/3.4) KORRESPONDENTENREGISTER Wie der Titel besagt, handelt es sich hier nicht um ein chronologisches Briefverzeichnis. Dieses kann einer künftigen Gesamtausgabe überlassen werden. In vorliegendem Register werden vielmehr - auch im Interesse einer über Ranke hinausgehenden Brauchbarkeit - Korrespondenten in Hinsicht der Briefe von und an Ranke mit den im voraufgehenden Verzeichnis enthaltenen Briefausgaben und Einzeldrucken, zugleich mit den entsprechenden Positionen der epistolarischen Nachlassbestände in Beziehung gesetzt, wodurch z. T. Einzeldatierungen sichtbar werden und weiterführende Hinweise zu gewinnen sind. Dieser forschungsgeschichtliche Ansatz dürfte im Briefverzeichnis einer Gesamtausgabe in geschlossener Form kaum durchführbar sein. Der 2007 erschienene erste Band einer Ranke-Briefwechsel-Ausgabe der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften wurde nicht berücksichtigt, da z. Zt. aufgrund seiner immensen Fehlerhaftigkeit unter Herausgeberwechsel eine völlige Erneuerung unternommen wird. Ebensowenig wurde die Ausgabe von W. P. Fuchs aus dem Jahre 1949 berücksichtigt, da sie, wie oben einführend erläutert, lediglich Sekundärabdrucke - zumeist in problematisch gekürzter Form - enthält. An deren Stelle treten die Nachweise der in der Literatur kaum noch herangezogenen, gleichwohl vorzuziehenden, zumeist auch kommentierten Erstdrucke. * Briefe von Ranke fett markiert, Briefe an Ranke mager. Briefe in Archivbeständen [...] und [...]. Acton, John Emerich Edward Dalberg- 10, 133; 11, 133; [8], [38] Adalbert, Pr. v. Preußen [8], [138] Aegidi, Ludwig Karl [38] Akademie dt. Naturforscher 133 Akademie, Kgl. d. Wiss. (Bln) [84], [141], 133 Albrecht, Prinz v. Preußen 133, [40], [129?] Allg. Geschichtsforschende Ges. d. Schweiz 133 Altenstein, Karl Frhr v. Stein zum Altenstein 90, 133 [14], [43], [43] Althoff, Friedrich [38] Altmeyer, Madame 133 Altmeyer, J. J. [129] Amari, Michele [8], [38] American Historical Association 36 Ancillon, Johann Peter Friedrich 133, [121] Anna v. Hessen, Landgfn. [138] Appel, Friedrich Ferdinand [8] Armansperg, Joseph Ludwig Gf. v. [139] Arneth, Alfred Ritter v. 44a, 45, 72, 133, 147,

[147], 72, [40], [147] Arnim, Alexander Heinrich Frhr. v. 147, [50] Arnim, Bettina v. 49, 52 (?), 109, [90], [93], 49, [93], [121] Arnold, Wilhelm [8], [40] Arnoldt, Hofrat v. [137] Aschbach 133 Assenitwitz, Lazar [129] Aufsess, H. Frhr. von u. zu [118] August v. Preußen, Prinz [138] Augusta, Prinzessin, Kgn v. Preußen, dt. Ksn. (s. auch Wilhelm I.) 133, [137], 21, 26, 27, 32; [8], [129], [138], (aus dem Kabinettsekretariat d. Ksn. [138] Augustin (Premierleutnant) [8] Austin, Sarah 39, 147, [47] d’Avenel, Georges [38] Badische Historische Kommission 133, [138] Baier, Hermann (1775-1822) 41, 133, 162 Bakhuizen van den Brink, Reimer Cornelius [8] Balan, Hermann Ludwig v. [38]

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Balcke (Geh.-Rat) [8] Bancroft, George 32, 33 Barnad [38] Barozzi, Niccolo [129] Baumgarten, Hermann [38] Baur (Geh. Archivar) [8] Beaulieu [121] Beer, Caroline [41], 133 Beger, R. [38] Bentley, Richard [30] Bergmann v. (?) [129] Berlin, Magistrat der Stadt 58, 133, [129] Berndorff [38] Bernstorff, Christian Günter Gf. v. 81, 104, 133, [46], 81, [38] Besser, Rudolf [8] Bethmann-Hollweg, Moritz August v. 79, 133, [43], [115] [38], [43] Birkenthal, - [8] Bismarck, Otto v. 41, 48, 62, 72, 133, [43], [58], 17, 29, 30, 32, 72, 121, 137, [58], [138] Blanc, Ludwig Gottfried 1 Bluntschli, Johann Kaspar 97, 136, 147, [25], [152], 97, [152] Boeckh, August 133, [8] Boehnecke, C. [8] Bouillier, Francisque 133, [38] Bragadin, Pietro 105, [143] Brandt, M. v. [38] Braun, Alexander 133 Breitenbauch, Georg August v. 110 Brieger, Theodor 75 Brockhaus, F. A. [67] Brockhaus, Friedr. bzw. Heinr. 86, 133, [137] Brockhaus & Avenarius [8] Budberg, Frhr. v. [38] Bülow, Bernhard Ernst v. 72, 133 Bülow, Heinrich v. 133 Bunsen, Christian Karl Josias Frhr. v. 41, 133, 110, [8], [121] Bunsen, Fr[ances] v. (?) [38] Burckhardt, Jacob [8] Buttlar v. (Auguste?) [121] Buttmann, Philipp 135, [10] Camuzi, Gideon v. [122] Carhel, D. P. [129] Carius, Selma, geb. R 133 Carl Alexander Ghzg. v. Sachsen-WeimarEisenach, s. Karl

Carlsson, Fredrik Ferdinand [124], 92 Caro, Jakob [38] Cassel, Paulus 32 Caswell, Alexis [8] Cauer, Paul Eduard 133 Chambray v. [121] Charlotte, Erbprinzessin v. Sachsen-Meiningen, Prinzessin v. Preußen [8] Christophe, Jean Baptiste [8] Circourt, Adolphe de [8], [38], [121] Clarendon Press [142] Clarke, Mary [127] Clausewitz, Marie v. 81 Commission für die Enthüllungsfeier des Friedrichdenkmals [8] Conticini, Pietro [8] Cornelius, Carl Adolf v. [8], [38] Cotta, Familie [41] Cotta, Johann Georg v. 147, [97], [97] Cotvoy, B. Jos. [8] Dahn, Felix [38] Darwin, Charles [38] Daxenberger, J. 110 Delbrück, Hans [92], [40] Dieterici, Wilhelm 133, [18], [38] Dirre, E. [Eduard Dürre?, geb. 1796 Jugendfreund R.s] [8] Dobenecker, Otto [38] Doeninz v. (?) [129] Doenniges, Wilhelm v. 72, 133, [109], 72, 126, 128, [8], [38], [129] Döhnhoff, August Heinr. Hermann Gf. v. [38] Dollmann, Pauline v. 133, [38] Dominik, Emil 19 Dosne, L. 133, 72 Dove, Alfred 41, 113, 147, [22], [26], 113, [40] Drake, Marie 133, [38] Drouyn de Lhuys, Edouard [38] Druffel, August v. [38] Du Bois, Louis 133 Dudik, Beda Franziskus [38] Dümmler, Ernst 69, 133, [62] [8], [40] Duncker, Carl 105, [86], 158, [8] Duncker, Maximilian Wolfgang 72, 133, 147,[51], [144], [38] Durand, Auguste [8] Dyrenfurth, Georg 133 Ehrenberg, Friedrich (?)[141], [38], Eich, Friedrich 12, 22

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Eichhorn, Johann Albrecht Friedrich 53, 80, 104, 133, [16], [43], [52], [8], [43], [121] Elisabeth, Kgn. v. Preußen 41, 72, [38], [138] Euler, Ludwig Heinrich 133 Ewers, Gustav 110 Falk, Adalbert 133, siehe Greif Feder, August [78] Ficker, Julius 133, 72, 82 Fiorelli, Giuseppe [38] Fleischer, Richard [129] Flotho (?) [38] Floto, Hartwig 8, 133, [38?] F. N. V. [129] Forckenbeck, Max v. [129] Fournier, August [38] Freies Dt. Hochstift Ffm. 133, 31, [138] Frese [8] Friedensburg [38] Friedjung, Heinrich [38] Friedländer, Julius [38] Friedrich I., Ghzg. v. Baden 133, [138] Friedrich Karl v. Preußen, Prinz s. Karl Friedrich, Prinz v. Preußen [8] [38?] Friedrich Wilhelm III., Kg. v. Preußen 105, [38], [121] Friedrich Wilhelm, Krpr. v. Preußen, als Friedrich Wilhelm IV. Kg. v. Preußen 72, 91, 133, 148, 156, [42], [45], 110, [8], [121], [138], [138] Friedrich Wilhelm, Krpr. v. Preußen, als Friedrich III. dt. Kaiser. 41, 72, 108, 125, 133, [43], 72, [38?], [138], (aus der Privatkanzlei: [138]) Frohwein, Paul [129] Frommann, Friedrich Johannes 147, [135] Frosingham, Ella [129] Gachard, Louis Prosper [8], [38] Gaskell, Elizabeth Cleghorn, geb. Stevenson [8] Gauss, Karl Friedrich [8] Geibel, Carl 34, 41, 34, [129] Geijer, Erik Gustaf 131 Gelzer, Heinrich [8], [38] General-Ordens-Kommission, Kgl. preuß. [129] Gentz, Friedrich v. 70, 95, 77 Georg v. Preußen, Prinz [138] Geppert, Eduard [61] Gerent [38] Gerhard, Eduard 133, [68]

Gerlach, Leopold v. [38] Giesebrecht, Wilhelm v. 24, 41, 72, 133, [144], 72, [40] Gindely, Anton 46, [84] [Gneiss] s. Gneist. Gneist (?), Rudolf v. [38] Goethe, Johann Wolfgang v. 37, [135] Goßler, Gustav v. 133, [43], [43] Gottschall, Rudolf v. 133 Graves, Charles 6, 139, [128], [139]. - Siehe auch unter ‚Verwandte‘ Graves, Helena [129], [140] Graves, John [128], [139], [129] Graves, Robert 133, 139, [128], [139], [140] Gregorovius, Ferdinand Adolf [8] Grehser [103], [103] Greif [43] Grimm, Herman [38] Grimm, Jakob 133, [8], [38], [121] Groen van Prinsterer, Willem 122 Grotefend, Karl Ludwig 133, [87] Gründungskomitee d. Zs. f. Preuß. Gesch. u. Landeskunde [138] Gruner, Justus v. 133, [38] Grünhagen, Kolmar [38] Guaita, Georg Friedrich v. 133 Gutzkow, Karl [82] Hacke, Editha Gfn v. 133, 72 Hammer-Purgstall, Josef Frhr. v. [154] Hammerstein, Wilhelm Frhr. v. [38] Hardenberg, Gf. v. [144] Hase, Carl August v. [8] Hase, Karl Benedikt v. 149, 149, [38], [121], [135], [136] Hatzfeld, Fr. H. A. v. (?) [38] Haugwitz, Gf. v. (?) 72, [8], [38] Hausmann, Johann Friedrich Ludwig 133, [8] Häusser, Ludwig [38] Heeren, Arnold Hermann Ludwig 89, 105, [121] Hegel, Karl 133, 159, 160 Heiberg, Hermann 57 Heigel, Karl Theodor 133, [38] Heine (Archivkanzellist in Hannover) [88] Helferich, Amalie 33a, 41, [139] Helferich, Heinrich 41 Helferich Johann Alphons Renatus v. 133 Henke, Ernst Ludwig Theodor 75, 133, 76 Hensel, Wilhelm [136] Hermann, J. G. J. (?) [38]

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Hermite, Charles [38] Herold [140] Herrmann, Ernst Adolf (?) 92, [8] Hertzog, Johann Michael Adolf 133 Heydler, Ferdinand 41, [41] Heyer, G. 110 Hilaire [121] Hist. Genossenschaft in Utrecht 133 Hist. Komm. b. d. Bayer. Akad. d. Wiss. 24, 25, 133, 24, 32, [138]. Hitzig, Henriette (gen. Etta) 75, 133 Hobhouse, Henry [8] Höfler, Constantin v. 32, [129] Hofmarschallamt, Preuß. [129], [138], [140] Hohenlohe-Ingelfingen, Prinz Kraft zu (?) [38] Höhlbaum, Konstantin [129] Horawitz, Adalbert v. [140] Hotho, Heinrich Gustav [40] Hübner, Julius 133 Hudtwalker, Martin Hieronymus 133 Hüffer, Heinrich (?) [129?] Hüffer, Hermann 133, [75],126, [38], [129?] Humboldt, Alexander v. 3, 56, 55, 105, [8], [38], [63], [121] Hummel, Fritz 126, [129] Huth, Auguste 133 Hutten-Czapski, Bogdan Gf. v. [1] Ideler, Christian Ludwig 133 Illaire, Ernst C. 137, 147, [44], [38] Itzenplitz, H. Fr. A. Gf. v. oder Anna Gfn. v. [38] Jacobs, Karl Eduard (?) [38] Jahn, Friedrich Ludwig [41], 96, [121] Jastrow, Ignaz [38] Jelasinsky (wohl: Carl Fr. v. Selasinsky) [8] Jelf, Richard William (?) [8] Johann, Kg. v. Sachsen [79] Justi, Carl [74] Kampschulte, Franz Wilhelm [38] Kamptz, Karl Christoph Albert Heinrich v. 90, 133, [43], 89, 105, [43] Karadžić, Vuk Stefanović 18, 88, 88, 127, 146, [8], [121] Karl, Prinz v. Preußen 133, [8], [138] Karl Alexander Ghzg. v. Sachsen-WeimarEisenach 133, 153, [134], [135], [138] Karl Krpr. v. Württemberg, späterer Kg. Karl I. v. W. 133, [8], [138]

(Friedrich) Carl (Alexander), Prinz v. Preußen, s. Karl v. Pr. Kaulbach, Wilhelm v. [115] Keil, Robert [136] Kerr, Louisa 133, [8] Kessler, Engelbert [129] Kiepert, Heinrich oder Richard (?) [38] Kirchhoff, Gustav Robert [38] Klincksieck, Friedrich [129] Kluckhohn, August [112] Knechtl, Josef 133 Kobell, Franz v. [38] Kopitar, Bartholomäus 64, 73, 104, 115, 116, 123, 133, [120], [137], [148], 64, 146, [121] Köpke, Rudolf 104, 133, [64], 16, [38] Körte 110 Kotze, Karoline (Lilli) v. 133 Kotze, Maximiliane (Maxa) Helene v., geb. Ranke 41, 72, 133, [140] Kotze, Wilhelm v. 41, 133, [145] Krais, Felix [98] Krehl, Ludolf 72, 72, [38], [129] Kreisgericht (?) [141] Kremer, Alfred v. [8] Krosigk, G. [129] Krumhaar (Pastor) [129] Kuhn, Adalbert [100] Kuhn, Emil [129] Kultusministerium, Preuß. [21], [43] Kuratorium zu Frankf./O. 133 Laboulaye, Edouard de [121] Lacomblet, Theodor Josef [38] Ladenberg, Adalbert v. 133, [8], [43, 43] Lancizolle, Karl Wilhelm v. [38] Lanz, Karl 41, 133 Lappenberg, Johann Martin [38] Lasaulx, Ernst v. [38] Lavallée, Théophile (?) [38] Le Cocq, Gustav Emil Karl v. (?) [8] Lenz, Max [38] Leo, Heinrich 41 Leva, M. [38] Lex (Dr., Hofrat) [8] „Lianbauant“ [Lieutenant?) Ulrich [129] Lieber, Franz [121] Liebhold, Johann Friedrich Gottlob 133 Liebig, Justus v. [38] Liliencron, Rochus Frhr. v. 133, [148], [38] Loën, Leopold Frhr. v. 133 Löher, Franz v. 72, 133

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Lorenz, Ottokar 42a, 104, [2], [139] Ludwig I., Kg. v. Bayern 41, 72, [111] Ludwig II., Kg. v. Bayern 38, 72, [111] Luise, Ghzgn v. Baden [138] Macaulay, Thomas Babington [121] Magistrat d. Stadt Bln., s. Berlin Magistrat d. Stadt Wiehe, s. Wiehe Malzen, Konrad Frhr. v. 128, 129, [105], [108], 128, [43], [101] Manteuffel, Edwin v. 41, 72, 104, 108, 133, [41], [54], [58], [70], 35a, 59, 103, 133, [39], [54], [121] Manteuffel, Hertha v. 133, [54], 103, [129] Manteuffel, Otto v. 72 Maria, Kgn.-Witwe v. Bayern 41, 123, 133, [128], 72, Maria von Rußland, Ghzgn. zu Sachsen [8] Marianne, Prinzessin v. Preußen [77], [138] Marie v. Preußen (Prinzessin Karl v. Pr.) [138] [Martens, Friedrich v. ?] 133 Marwitz, Bertha v. [8] Maul, Otto v. [38] Maurenbrecher, Wilhelm v. [38], [40], [129] Maximilian II., Krpr. u. Kg. v. Bayern 41, 72, 108, 128, 129, 133, [104], [106], [107], [108], [109], [110], [113], 37a, 54, 72, 98, 119, 128, [39], [109], [110], [111], [121] Meibacher, Henriette (?) [38] Mendelssohn, Alexander [130] Merian, Peter 136 Merseburg, Domkapitel zu 130 Merseburg, Provinzialregierung 130 Meyendorff, Peter v. 72, 93, 104, 72, 107, [38] Meyer, Ferdinand 65, 136, [151] Michelet, Jules 89, [121] Mignet, François 72, 89, [121] Miklosich, Franz v. 123, [148], [38] Milan I., Kg. v. Serbien [129] Ministerium, Bayer. des Kgl. Hauses u. d. Äußeren [103] Ministerium, Preuß. d. Geistl., Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten 133, 90 Ministerium, Preuß. d. Auswärtigen Angelegenheiten [46], [46] Moeller, Ernst v. 133 Mohl, Julius v. [132] Mohl, Mary s. Clarke

Mohl, Robert v. 133, [131] Moltke, Helmuth Gf. v. 133, [38], [138] Mommsen, Theodor [38] Morris, Edward E. [140] Muding, A. v. [129] Mühler, Heinrich v. 102, 132, 133, 147, [12], [43], [38], [43] Müller, Gottlob Wilhelm 110 Müller, Max 34, 34, [38] Mumm, Daniel Heinrich v. [83] Münch, Ernst 147, [24] Mundt, Theodor 133 Nasse, Erwin [38] Nasse, Christian Friedrich 41 Nasse, Hilde [41] Niebuhr, Barthold Georg 112, 152, [65], 89, 150, [38?] Niebuhr, Marcus Carsten Nicolaus v. [8] Nitzsch, Karl Wilhelm 34, [8], [38] Nolte, Karl Ludwig 81, 104, 133 Noorden, Carl v. 143, [75], 92, [38], [40], Nordmeyer [140] Obstfelder, Heinrich v. 72, 133 Odencrants, Gustaf (?) [94] Oelsner, Johann Wilhelm [8] Oelsner, Ludwig [40] Oettinger, Eduard Maria (?) [38] Opel, Otto [129] Oscar II., Kg. v. Schweden u. Norwegen [123] Paludan-Müller, Caspar Peter [8] Papencordt, Felix [121] Partington, E. [129] Pastor, Ludwig Frhr. v. [38] Pauli, Reinhold 92, 92, [40] Perponcher, (Wilhelm Gf. v.?) [38] Perthes, Friedrich Christoph 81, 105, 106, 111, 133, [86], 105, 112, 158, [86] Pertz, Georg Heinrich 47, 102, 133, 147, [13], [38] Peschel, Oskar [38] Petzoldt, Michael v. [129] Pfaff, Karl [8] Pfistermeister, Franz Seraph v. 129, 133, 161, [108], [113] [38], 54, 129, [108], [109] Pfordten, Ludwig Karl Heinrich Frhr. v. d. 133 Pforta, Lehrerkoll. d. Landesschule 133, [129] Philippson, Martin [38] Phillipps, Thomas Sir [119], [38], [119]

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Pinder, Moritz [38] Platen-Hallermünde, August Gf. v. 41, 136, [27], [153], 105, [121] Pölitz, Karl Heinrich Ludwig 41 Pollau, Fanny 133 Portner, Max Jos. [8] Posse, Otto [38] Price, Bartholomew 133 Puchta, Georg Friedrich 87, 110 Pückler, Hermann Fst. P. v. Muskau 104, 105, [38] Ranke, Clara (Clarissa), geb. Graves 41, 108, 133, [128], [137], [129] Ranke, Ernst 41, 75, 108, 133, [41], [73], [139], 75, 133, [38], [129] Ranke, Ferdinand 68, 75, 117, 133, [41?], [47], [48], 68, 133, [138] Ran(n)ke, Friederike, geb. Lehmike 41, 133 Ranke, Friedhelm (gen. Friduhelm) v. 41, 108, 133 Ran(n)ke, Gottlob Israel 41, [116], 72 Ran(n)ke, Gottlob Israel u. Friederike 72, [41], [138], [156] Ranke, Heinrich 41, 72, 75, 108, 110, 114, 117, 128, 133, 147, [6], [23], [41], [80], [121], [128], [146], 105, 133, 144, [121], [156] Ranke, Heinrich Israel, Ritter v. [114] Ranke, Henriette (gen. Etta) siehe Hitzig Ranke, Lily v., s. Ranke, Selma geb. Ranke Ranke, Luise, geb. Tiarks 133, [137] Ranke, Maximiliane Helene (Maxa), s. Kotze Ranke, Oda/Theoda, geb. Nasse 41, 75 Ranke, Otto v. 41, 57, 108, 133 Ranke, Rosalie, s. Schmidt Ranke, Selma, geb. Ranke (Frau FvR.s), gen. Lily, 41 Ranke, Selma, geb. Schubert 41, 117, 133, 144 Ranke, Wilhelm 133, [41] Raumer, Friedrich v. 89, [121], [140?] Raumer, Georg Wilhelm v. 133, [8] Raumer, Karl Georg v. 41, [29], 81 Raumer, Karl Otto v. 128, 133, [43], 72, 128, [38], [43] Redern, Friedrich Wilhelm Gf. v. 133 Reichskanzlei [138] Reimer, Georg Andreas 41, 104, 141, [49], [133], 110, [121?] Reimer, Georg Ernst [37], [121?]

Rettberg, Friedrich Wilhelm 92 Reumont, Alfred v. 35, 41, 71, 72, [71], [143], 7, 72, [8], [40] Richter, Anton 41, [8] Richter (Gymnasiallehrer Erfurt, identisch mit Richter, Anton?) Richter, Otto [129] Ristić, Jovan 41, 44, 72 Ritter, Carl [84] Ritter, Heinrich 41, 133,14, [38?] Robinson, Henry Crabb [38] Rodenberg, Julius 147, [135], [38] Roepke ? [38] Röhricht, (Fritz?) [38] Rößler, Constantin [139] Roth, Karl Johann Friedrich v. 41 Rückert, Friedrich 109 Russell, Virginia 133 Šafařik, Pavel Josef [8] Salvo (?) Marquis de [8] Sarowy, S., geb. v. Adelson 133 Savigny, Friedrich Carl v. [31], [41], [99], 84, 118, [38], [99], [121] Savigny, Karl Friedrich v. 118 Schaefer, Arnold Dietrich 50, 133, [72], [40], [72] Schaumann, Adolf 133 Scherer, Wilhelm [66] Schirren, Carl Christian [38] Schirrmacher, Friedrich Wilhelm [38], [40] Schleinitz, Alexander Gf. v. [38] Schlodtmann, Franz [8] Schlosser, Friedrich Christoph 89, [121] Schmidt (Geh. Archivrat, Wolfenbüttel) [149] Schmidt, Charles [125] Schmidt, E. [38] Schmidt, Heinrich 120, 133, 147, [47], [137] Schmidt, Julian 126, [129] Schmidt, Rosalie, geb. Ranke 133, 147, [41], [47] Schmidt, Rosalie u. Schmidt, Heinrich 147, [47] Schmidt, Wilhelm Adolph [38] Schnorr v. Carolsfeld, Julius v. [38] Schönemann, Karl Philipp Christoph 133, [150], [150] Schorn, Henriette v. 133, [75] Schorn, Ludwig v. 94, 133, [135], 94 Schott, Wilhelm [4] Schottky, Julius Max 147, [28]

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Thiers, Louis Adolphe 72, 133, [143], 72, [121] Thiers, Madame 72, 133 Thiersch, Friedrich Wilhelm v. 78, 80, 128, 133, [102], [109], [114], 110, 128, [109], [121] Thile, Karl Hermann v. 72, [38] Thomas, Cleuthère 133 Thomas, Joh. Georg Christian [83], 110, [83] Thurn [140] TIMES, Berliner Korrespondent 9, 10 Tocqueville, Alexis de [38] Toeche, Theodor [38], [40] Toelken, Ernst Heinrich [8] Treitschke, Heinrich v. 124, 133, 101, [38] Treskow (seit 1836) Luise Wilhelmine (Minna) Antoinette v., geb. Wagner, verw. v. Zielinski. 41, 133, [15], [53], 133 Twesten, August [91] Tzalak, Emmerich v. [129] Uhden, Karl Albrecht Alexander [38] Ukert, Fr. A. 110 Universitäten Basel 133 Berlin 133, [19], [20], [69] Bonn 133, 32 Breslau 133, [138] Dorpat 133 Greifswald 133, 32, [138] Heidelberg 133 Jena 72, 133, [140] Leiden 32 Leipzig 133, 151, 32, 151, [138] Marburg 23, 75, 133 Straßburg 133, 32, [138] Wien 133, [138] Zürich 133 Usedom, Guido v. 72 Usinger, Rudolf [38] Varnhagen v. Ense, Karl August 51, 52, 55, 61, 66, 104, 133, [93], 52, 66, 105, 110, [38?], [121] Varnhagen v. Ense, Rahel Antonie Friederike 51, 52 (?), 60, 104, [93], 2, 13, 66, 67, 110, [38?], [121] Varnhagen und Rahel 51, 105 Verein für Geschichte der Deutschen in Böhmen 133 Verein für Schlesische Geschichte 133 Verein für thüringische Geschichte und Alterthumskunde [8]

Schubert, Gotthilf Heinrich v. 41, 133, [80] Schubert, Julie 133 Schulze, Johannes 40, 55, 89, 90, 133, [43], [93], [120], 89, 105, [38], [43], [121] Schwebemeyer, Carl [8] Schweinitz, Hans Lothar v. [38] Segesser, Philipp Anton v. 100, 136, [96] Senfft v. Pilsach, Adolf (?) [38] Serbische Gelehrtengesellschaft zu Belgrad 133 Sickel, Theodor [38] Solari, Marco, Marchese 105, [143] Sophie, Ghzgn v. Sachsen-Weimar-Eisenach [138] Sophie, Kgn. d. Niederlande [138] Spener, Carl 41, 61, [93], 110, [121] Springer, Anton [38] Spruner v. Merz, Karl 129, [108], 72 Staatsministerium, Hzgl. Braunschw. -u. Lüneburg. [149], [149] Staatsministerium, Preuß. (voran Bismarck) 29, 30, 32 Stälin, Christoph Friedrich v. [126], [38] Starke, Karl Gottlob 133 Stein, Karl vom - zum Altenstein, siehe Altenstein Steindorff, Ernst Ludwig H. [38], [40] Steinmeyer, Franz Ludwig [38] Stenzel, Gustav Adolf Harald 43, 133, 89 Stern, Alfred [38] Stichling, Theodor 72, [38] Stillfried-Rattonitz, Rudolf Maria Bernhard Gf. v. 133, [8], [38] Stockmar, Ernst Frhr. v. 133, 133, [38] Stolberg-Wernigerode, Anton Gf. z. 133 Stolz, J. J. 41, 104 Strauß, David Friedrich [38] Strichmud, W. (?) [38] Struve, O. (?) [38] Stutt, William [38] Suderdorf (? Wohl Sudendorf) [38] Sybel, Heinrich v. 24, 41, 119, 133, 142, 147, [57], [143], 34, 53, 54, 63, 92, [38] Tempeltey, Karl Ernst Eduard [34], [129] Tettau, Wilhelm Johann Albert v. 133 Tex, C. A. den [8] Theiner, Augustin [38] Thieme, Gotthard Christian August 114, [7] Thierry, Augustin [8]

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Verwandte, englische [95] Victoria, Krprn. v. Preußen, später Ksn. Friedrich 133, [138] Vildhaut, Heinrich Wilhelm Werner [129] Vincke, Gisbert [129] Vischer, Wilhelm 136, 136, [157] Vögeli, Hans Heinrich 85, [121] Voigt, Georg 133 Voigt, Johannes 133, 89 Volkmann [129] Voß, August Gf. v. oder Frau Luise oder Tochter Elisabeth [38] Voß, Gfn. Luise v. 104 Voss-Berg, Luisa [8] Waitz, Georg 41, 99, 133, 4, 15, 99, 102, [8], [40] Wappäus, Johann Eduard [129] Wattenbach, Wilhelm (?) [38], [40] Wegele, Franz Xaver v. [38] Weiß, Chr. S. [17] Weisse, Heinrich [8], [38], [129] Weisse, - (Sophie?) [8] Weizsäcker, Julius [40] Wenck, Woldemar Bernhard (?) [8] Werthern, Baron v. [139] Westphalen, E. v. [129] Wichmann, Herman (?) [76] Wieck, K. G. F. 110 Wiedemann, Theodor [38] Wiehe, Magistrat [140] Wienbarg, Ludolf [82] Wilhelm d. Ä., Prinz v. Preußen [77] Wilhelm I., Kg. v. Preußen, Dt. Ks. 41, 72, 133 [43], [144], 32, 42, 72, 74, [138], [155] Wilhelm I., Kg. v. Preußen, Dt. Ks., zus. mit Ksn. Augusta 72, [144], 21, 72, [138] (s. auch u. Augusta) Wilisch, Ernst Rudolf 133, 110 Wilken, Friedrich 133, [11] Wilmans, Roger [38] Winkelmann, Eduard [40] Winter, Georg [38], [40] Wintgen, Rosine v. [129] Wilmowski, K. v. 72, 72 Wissenschaftlicher Club in Wien 133, [138] Wittenbeck (?), siehe Wattenbach [38] Wittgenstein, Wilhelm Ludwig Georg 133 Wolf, Gerson, 20 Wolf (?) [53] (nicht identisch mit Gerson W.)

Zacher, Julius [129] Zeißberg, Heinrich v. [140] Zetta [60] Zielinski, Luise Wilhelmine (Minna) Antoinette v., s. Treskow Zinkeisen, Johann Wilhelm 133 Zöppfel, R. [40] Zwehl, Theodor v. 72, 128, [102], 72, 128 Unbekannt 4. 8. 19 (Präsident) 41 Unbekannt (22. 9. 28) [148] Unbekannt (24. 4. 30) [148] Unbekannt (16. 5. 31) [148] Unbekannt (aus Paris, um 1831) [5] Unbekannt [Okt./Nov. 35] („liebe Freundin“) 41 Unbekannt (1835) [112] Unbekannt 15. 7. 36 („Verehrter Herr und Freund“) 148a Unbekannt [1838], s. J. J. Stolz Unbekannt 4. 5. 38 (Geheimrat) 155 Unbekannt (Sept. 1845) [114] Unbekannt 17. 9. 47 (engl. Verwandter bei Geburt Friduhelms) 139, [139] Unbekannt (28. 4. 50) [129] Unbekannt (27. 1. 51) [129] Unbekannt (14. 3. 52) [129] Unbekannt (Preußen, - v. (?), 10. 11. 52) [129] Unbekannt („Ew. Excellenz“, 28. 2. 53) [114] Unbekannt (undat. u. von 1859) [94] Unbekannt (4. 10. 60) [60] Unbekannt (16. 5. 65 Archivar] [139] Unbekannt (19. 10. 1865) [112] Unbekannt ( „hochgeehrter Herr und Freund“, 19. 1. 72) [76] Unbekannt 2. 12. 78 (Aus dem Umkreis Jovan Ristič’s) 138 Unbekannt (4. 5. 80) [60] Unbekannt (5. 4. 81, Autor eines Ms.s betr. die Kapitulation von Straßburg) [139] Unbekannt (20. 2. 82) [139] Unbekannt (2. 7. 83) [139] Unbekannt (28. 12. 85) [139] Unbekannt („Hochverehrter Herr Hofrat“) [85] Unbekannt („Hochgeehrter Freund“, Redakteur) [155] Unbekannt („Hochverehrter Kollege“) [53] Unbekannt („verehrter und teurer Freund“) [53]

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II/3.4 Briefwechsel - Korrespondentenregister Unbekannt (an einen Herrn Hofrat) [33] Unbekannt („Gnädige Frau“) [53] Unbekannt (Verehrerin) [121] Unbekannt (mit Bildnis) [81] Unbekannt (mit Autogramm) [81] Unbekannt (Beilage Todesanzeige) [89] Unbekannt (Berchtesgaden, 25. 10. o. J.) [114]

Unbekannt („Privatschreiben Inhalts“), 5 Unbekannt (aus Paris) 140 Unbekannt [98] Unbekannt [117] Unbekannt [128] Unbekannt 16 Briefe [9] Unbekannt [9], [32], [35], [36]

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politischen

4. Teil DENKSCHRIFTEN (II/4)

1. Abteilung (II/4.1) W ISSEN S CHAFTLICHE DENK SCH RIFTEN , GU TACH TEN , EMPFEHLUNGEN, PLÄN E, ENTW ÜRFE Einführung (II/4.1.1) Die hier erstmals zusammengestellten vielfältigen, mehr oder minder formellen gutachtlichen Äußerungen Rankes sind Zeugnisse seines Einflusses auf die personelle Besetzung, die thematische Ausrichtung und die strukturelle Organisation der Geschichtswissenschaft in Deutschland und darüber hinaus. Sie scheinen zunächst einen ausgeprägt passiven Charakter seines wissenschaftspolitischen Handelns zu bezeugen, da er die fraglichen Stellungnahmen zumeist lediglich fallweise auf Anforderung hin abgab, woraus sich auch - vielleicht abgesehen von den bayerischen Komponenten - für den Betrachter kein sonderlich zusammenhängendes oder zielgerichtetes Wirken ergibt. Öffentliche personelle Empfehlungen abzugeben, lag Ranke gänzlich fern, entsprach nicht seinem ‚unparteiischen‘, in dieser Hinsicht vorsichtigen Wesen. Er hat von den mit seiner Position und Reputation verbundenen immensen personalpolitischen Möglichkeiten jedenfalls öffentlich keinen und aus eigener Veranlassung, etwa im Schriftverkehr, nur geringen Gebrauch gemacht. Anders dürfte es im Bereich unmittelbaren persönlichen Umgangs zugegangen sein: Karl Hegel schrieb am 15. März 1841 an Gervinus: „Ranke wehrt sich hier mit Händen und Füßen, mit seinem ganzen Einfluß bei der Fakultät und beim Minister gegen neue Dozenten der Gesch[ichte] und deren Beförderung hie[r]selbst.“ (Stromeyer/1950, 44), und über Wilhelm von Doenniges wußte er zu berichten: „Dem Ranke, der, beiläufig gesagt, eine erbärmliche Seele ist, sucht er dadurch aus dem Wege zu gehen, daß er sich bloß auf politische Vorlesungen wirft.“ (Stromeyer 243, A. 92). - Wilhelm Ranke schildert den Einfluß seines Bruders in einer unveröffentlichten biographischen Skizze: „Leopolds Einfluß stand am Höchsten in den 10 Jahren vor 1848. Mit dem Minister Eichhorn war er innig befreundet; Eichhorn that nichts ohne Leopolds Rath; alle die frommen Künste, welche Eichhorn ausheckte - die Freiheit der Forschung, aber nur innerhalb des Katechismus - die Unterdrückung Diesterwegs - die Maßregelung der Seminarlehrer - die Anstellung reaktionairer sonst unbrauchbarer oder unbedeutender Universitätslehrer - waren Leopolds Werk“ (NL Wilhelm Ranke GStA PK). Dies ist sicher nicht frei von Übertreibung, doch auch in Rankes autobiographischem Diktat von Dezember 1875 (SW 53/54, 50) ist der häufige Umgang mit Johann Albrecht Eichhorn und Friedrich Carl v. Savigny, seit 1842 Staatsminister, erwähnt. Sie bildeten, was nicht ohne Einfluß geblieben sein kann, seine „tägliche Gesellschaft“. Als konkretes Detail kann auch auf ein Gespräch Rankes mit Eichhorn 1841 über Heinrich von Sybel hingewiesen werden (s. II, 470). Mit dem einflußreichen Vortragenden Rat im preußischen Kultusministerium, Johannes Schulze, der auch seine Berufung an die Berliner Universität betrieben hatte, stand er ebenfalls auf gutem Fuß. Nach der Rückkehr aus Italien hatte ihn dieser „wie ein Bruder“ empfangen“. (An HR, 24. 3. 31, SW 53/54, 250f.). Zu Rankes Anforderungs-Gutachten, zumeist im Zusammenhang mit der Besetzung von Lehrstühlen oder der Verleihung von Preisen etc., zählen solche für die Berliner Akademie, für preußische Ministerien und für Fakultäten in Berlin, Basel, - 321 -

II/4.1.1 Wissenschaftliche Denkschriften

Hamburg, Jena und München. Einige Beziehungen zur bildenden Kunst und Literatur kommen hinzu. Manche seiner wissenschaftlichen Gutachten sind von ambivalenten bis widersprüchlichen Urteilen geprägt, so 1840 sein Urteil über das Manuskript Heinrich von Sybels zu dessen ‚Geschichte des ersten Kreuzzugs‘ (s. II, 324), auch seine warme Empfehlung von Sybel für München, der er die alles zurücknehmende Bemerkung anschloß: „Abgesehen hievon ist es noch immer meine Meinung, daß man am besten thun würde, ein paar tüchtige jüngere Talente heranzuziehen...“ (an Pfistermeister, v. Müller/1939, 13f.). Vertrauliche gutachtliche Äußerungen im Alter für seinen Verlag Duncker und Humblot über Autoren und ihre Werkprojekte stellen zwar die gutmütige fallweise Entsprechung der Bitten des Verlegers dar, entschieden aber auch zunächst über das Schicksal der Manuskripte, so daß bei Minderwertigkeit für den Hauptautor des Verlages kein Ärgernis eintrat und nach außen alles vermieden wurde, was seiner Reputation geschadet hätte. Vornehmlich in den selbstentwickelten Projekten seiner wissenschaftlichen Sachund Institutionen-Politik entfaltete Ranke eine klare, nachdrückliche und nachhaltige Eigeninitiative. Es waren nicht selbstzuverfassende Werk-Projekte, sondern große Unternehmungen und Einrichtungen, hochbedeutend für die am Wort orientierte Gesamtwissenschaft. Er trug sie etwa anläßlich der Frankfurter Germanistenversammlung, 1846, seit 1858 in Vorbereitung und Entwicklung der Historischen Kommission in Gesuchen bei Kg. Maximilian II., später bei Bismarck vor. Anders als Friedrich Wilhelm IV., der in Preußen als Hintergrundziel für bestimmte, überwiegend von Edwin von Manteuffel veranlaßte eigengenutzte und weitergereichte, wenn auch nicht weitreichende historisch-politische Denkschriften Rankes anzusehen ist, hat Maximilian II. von Bayern im Bereich der wissenschaftlichen Gutachten mit der ihm eigenen Beharrlichkeit eine aktive, auslösende Rolle gespielt. Es steht zu vermuten, daß sich von den Denkschriften Rankes, zumal den wissenschaftlichen, nach denen noch nie systematisch gesucht wurde, weitere aus diversen Aktenbeständen im Zusammenhang mit preußischen, bayerischen und anderen Ministerien sowie Akademien und Universitäten, zumal der Humboldt-Universität Berlin, werden finden lassen. Schon Rankes Amanuensis Wiedemann vermutete, daß „bei weiteren Nachforschungen im litterarischen Nachlaß Ranke’s sich von demselben in früherer Zeit ausgearbeitete Gutachten über einzelne Fragen im preußischen Staatswesen z. B. die Schulverwaltung vorfinden werden.“ (Wiedemann VI/1892, 112f., A.2). Dieser Fall ist indes bisher nicht eingetreten. - Von Wiedemann wird beiläufig überliefert, daß in einer Sitzung des englischen Unterhauses „in betreff einer aufgetauchten parlamentarischen Streitfrage“ vorgeschlagen wurde, Gutachten von Ranke und Guizot einzuholen (Wiedemann XII/ 1892, 233). Der Vorschlag hatte wohl lediglich rhetorische Bedeutung. Die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften hatte sinnvollerweise geplant, im Rahmen ihrer Ausgabe ‚Leopold von Ranke. Aus Werk und Nachlaß‘ (4 Bde, 1964-1975) auch wissenschaftliche Gutachten Rankes herauszugeben (vgl. Berg/1968, 33f, A. 1). Dazu kam es nicht. Von den im Folgenden aufgeführten über einhundert nennt Berg (ebd.) lediglich sechzehn, was freilich auch mit der unterschiedlichen Weite des Begriffs zusammenhängt. So fehlt denn überhaupt - für den bayerischen Teil sind Vorstudien gemacht - eine zusammenfassende Darstellung von Rankes wissenschaftspolitischem Wirken. - 322 -

II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

Ü b e r s i c h t (II/4.1.2.) Die im Folgenden formulierten Titel der Gutachten sind nicht authentisch, da z. T. solche nicht existieren, z. T. nicht überliefert wurden oder ungewiß sind.

1826 Über das Trauerspiel ‚Alexander und Darius‘ von Friedrich von Uechtritz R in Brief an Rahel Varnhagen, 25. 3. 26 bei Wiedemann: Leopold von Ranke über das Trauerspiel/1896, 10-12. Siehe dazu II, 268, Nr 60. Wiedemann hielt den Brief für eine Art „Antikritik“ R.s, vermutlich auf eine Kritik des Trauerpiels aus der Feder des Hegelianers Heinrich Gustav Hotho.

1832 Gutachtlicher Brief betr. die Heeren/Ukertschen Staatengeschichte Stellungnahme R.s auf Anforderung des Verlegers der Staatengeschichte, Friedrich Perthes, mit Äußerungen über die Qualifikation von Joseph Chmel, F. B. v. Bucholtz und Johann Gf. Mailath für eine Übernahme der Österreichischen Geschichte in der ‚Staatengeschichte‘. Brief an P. vom 31. 1. 32 (Oncken/1925, 231f.). Letzterer erhielt den Auftrag (R an Perthes, 31. 1. 33, 240). Bd. I erschien 1834. - Zunächst hatte Stenzel zugesagt, dann aber zurückgezogen und den preußischen Part übernommen. - Über den Vorgang auch R an Gentz, 26. 4. 30 (P. Wittichen/1904,86).

Gutachten im Zusammenhang mit der 1832 von Hans Frhrn. von und zu Aufsess (18011872) gegründeten Zeitschrift ‚Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit‘. H. T./1882. Dort Erwähnung des Gutachtens, „das im Germanischen Museum aufbewahrt wird“ (163). Aufgrund dieses Gutachtens erlangte H. v. A, der spätere Gründer des Museums, eine Unterstützung des damaligen Krpr. Friedrich Wilhelm für seine 1832 gegründete Zeitschrift. Siehe II, 298, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg.

1834 Empfehlung einer Berufung von August Detlev Christian Twesten (1789-1876) an die Berliner Universität s. II, 466, 1834.

1837 Gutachten über die Korrespondenz Vespuccis mit Soderini und Lorenzo de Pierfrancesco de’ Medici In undatierter briefl. Form verfaßt für A. v. Humboldt. In: [Humboldt:] Examen critique/[1837]), 259-263 der Oktavausg.

1838 Gutachten über die Dissertation Heinrich von Sybels (1817-1895) De fontibus libri Jordanis: De origine actuque Getarum. Dissertatio inauguralis ... die XXVII. mens. Aprilis a. MDCCCXXXVIII, Berolini: Typis Nietackianis. (45 gez. [48] S.) erstattet der philosophischen Fakultät der Berliner Universität, Anfang 1838. - Hierüber, mit kurzen Zitaten und Mitteilungen aus dem Protokoll der mündl. Prüfung: Varrentrapp: Biogr. Einl./1897, 15.

1838/39 Plan einer „kritischen Durchforschung der Geschichte des alten Papstthums“, von R entwickelt in Briefen vom [9. 12. 38] u. 27. 1. 39 an Waitz (SW 53/54, 306f., 307f). - Der Plan umfaßte sechs Bände und sollte bis zu den Avignonschen Päpsten und den Konzilen

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften reichen. Als Verfasser waren Rankes alte Schüler Wilmans, Köpke, Hirsch, Waitz, Giesebrecht und Doenniges vorgesehen. „Ich denke den lebendigsten Antheil zu nehmen ...“ (ebd. 308), versicherte Ranke. Der Plan wurde aus noch unbekannten Gründen nicht verwirklicht.

1840 Beurteilung des Ms.s Heinrich von Sybels zu seiner ‚Geschichte des ersten Kreuzzugs‘ In briefl. Form Sybel mitgeteilt am 25. 4. 40 (SW 53/54, 311f.). Die Beurteilung stellt in freundlicher Form die Grundlagen der Arbeit - „die Kritik des Wilhelm von Tyrus und des Albertus Aquensis“ (ebd., 312) - in Frage.

1841 Unterricht eines preuß. Prinzen in den historischen Wissenschaften „Entwurf Rankes, Reinschrift fremder Hand“ (Kalliope, RNL, Segment IV). Die KalliopeDatierung „1840-1845“ kann möglicherweise eingeschränkt werden auf nach 17. Juli 1841, dem Datum seiner Bestallungsurkunde zum Historiographen des preußischen Staates.

Gutachten über Heinrich von Sybel. In briefl. Form erstattet dem preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, Johann Albrecht Friedrich Eichhorn, 6. 7. 41. - Erstdr.: Bailleu: Heinrich von Sybel/1895, 61. Siehe auch Varrentrapp, Biogr. Einl./1897, 19f. m. A.1.

L[eopold] R[anke]: [Mitteilung über die Mutter König Manfreds von Sizilien an Friedrich von Raumer] In: Fr. v. Raumer IV, 21841, 277f., Anm. - Zweitdr. in: AuV/NS (SW 51/52, 1888), 151-154.

Ein „Schriftchen“ mit Beantwortung von Fragen, gestellt von Krpr. Maximilian von Bayern vor dem 26. 11. 41. - Darüber R in Brief an Friedrich Wilhelm Thiersch, 26. 11. 41 (NBrr, 282). - Im GHAM war das „Schriftchen“ 2008 nicht zu ermitteln.

Plan einer Editionsreihe „Monumenta historiae Brandenburgo-Borussicae“ und Gedanke einer „Art historischer Akademie“ für Provinzialgeschichte. - Ersteres ein „alter Gedanke“, den Stenzel „öfters gehegt“ und den Ranke vierzehn Tage nach seiner Ernennung zum Historiographen des preußischen Staates (17. 7. 41) in einem Brief vom 3. 8. 41 an Stenzel (Erstdr. Gothein/1892, Beil.-Nr. 70, 2f) überstürzt aufgreift und - in ganz untypischer Weise - zur gemeinsamen Verwirklichung vorschlägt, nebst personellen und organisatorischen Weiterungen: R dachte an die Mitwirkung von Johannes Voigt, Theodor Joseph Lacomblet, Wilhelm Böhmer, Adolf Friedr. Joh. Riedel, Heinrich Aug. Erhard. - Der Plan wurde in dieser Form nicht realisiert, zumal R Stenzels Antwortbrief, in dem dieser seine „Ansichten“ über den Plan geäußert hatte, einen weiteren Brief vom 22. 11. 41 und einen dritten Brief vom 31. 12. 41 dann doch unbeantwortet ließ.

Gutachten über ein Werk Gustav Adolf Harald Stenzels (1792-1854) Das Gutachten behandelt die ‚Geschichte des Preußischen Staates von 1688-1739‘, 3 Theile, Hmbg. 1841 und wurde in briefl. Form - mit Blick auf die eigenen preuß. Pläne (s. 9BPreußG) wohlwollend vernichtend - erstattet dem preuß. Minister d. Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Joh. A. Fr. Eichhorn, 24. 12. 41, NBrr 285f, Abschr. im NL Hoeft. Or. SBB PK/Slg. Darmstaedter.

Mitwirkung, vermutlich durch Quellen- und Literaturnachweise bei Adalbert v. Starczewskis ‚Historiae Ruthenicae‘ I. u. II/1841, 1842. In der Vorrede S. VI zu Bd. II Dank für Rankes Mitwirkung. - Hierüber Helmolt/1921, 93f.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

1843 Gutachten über die politischen Testamente Friedrichs des Großen Im Auftrag der preuß. Minister J. A. Fr. Eichhorn, Fr. K. v. Savigny und H. v. Bülow erstattet nach dem 14. 11. 43 (Datum der Aufforderung an R.). - Erstdr. eines Entwurfs oder der Abschr. der Ausf. aus R.s NL, mit Auslassungen Doves, in: SW 53/54 (1890), 667-670. - Das eine Veröffentlichung überwiegend ablehnende Gutachten, welches auch den S. 45-47 der Biogr. Fr. d. Gr./1878 zugrunde liegt, ist lt. Helmolt/1921, 191, A. 165 „heute sachlich überholt“. - Siehe auch: Born/1953, 43f. Vorh. im RNL, Segment IV.

Gutachten über die beanstandete Lehrtätigkeit Karl Nauwercks erstattet dem Dekan der Philosoph. Fak. d. Univ. Berlin, Wilhelm Dieterici, als Beil. zu einem Anschreiben an dens., 27. 12. 43. Erstdr.: NBrr 304-306. Siehe dazu auch Lenz II, 2/1918, 79-82. - Zu Nauwerck: Kaeber/1914, 476. - Das Or. nebst zugehörigem Gutachten: II, 284, Pos. [18].

Erklärung gegenüber dem Sekretär der Phil.-hist. Klasse. d. Kgl. Akademie, Berlin, August Boeckh (1785-1867) betr. die Ausgabe der Werke Friedrichs d. Gr. durch Johann Preuß (1785-1868, Historiograph des brandenburgischen Hauses. - In Brief an B., 22. 6. 44 (NBrr 310f.).

1844 Mitglied einer vom preuß. Kultusministerium eingesetzten Kommission zur Ausarbeitung des Planes einer Ausgabe der Geschichtsschreiber der deutschen Vorzeit in deutscher Übersetzung Der Kommission gehörten neben Ranke Pertz als Vorsitzender, die Brüder Grimm, Lachmann und Karl Ritter an. Darüber: Bresslau/1921, 303. - Textliches aus der Kommissionsarbeit ist nicht bekannt geworden. - P. an G. Waitz, 30. 9. 44 (Übers.): Über die ‚Geschichtschreiber der Deutschen Vorzeit‘: „By my wish, Jacob Grimm, Lachman[n] and Ranke will join in the work, also Ritter ...“ (Autobiography and letters of George Henry Pertz/1894, 115). Siehe II, 164.

1846 Vorschlag für Friedrich Adolf Trendelenburg (1802-1872), 1846 zum ordentlichen Mitglied der Kgl. Preuß. Akad. d. Wiss., Berlin, 4. 2. 46. Unveröffentlicht. Siehe II, 208.

Gutachten über die wissenschaftliche Qualifikation Ernst Helwings (1803-1875) erstattet dem Dekan der Phil. Fak. der Univ. Berlin, Chr. S. Weiß, [22. 7. 46]. Erstdr.: NBrr 319f. - Or.: SBB PK, HsAbt, Slg. Darmstaedter 2f 1826, 4.

Gutachten über Peter F[eddersen]. Stuhr (1787-1851) zwischen dem 16. u. 31. 7. 46. Von Berg/1968, 33, A 1 im Univ.- Archiv d. Humboldt-Univ., Berlin, Phil. Fak. Littr P No 3, Vol III, fol. 228 nachgewiesen.

Vortrag über die Bildung eines allgemeinen deutschen Geschichtsvereins vom 24. 9. 46. Siehe II, 431.

1847 Gutachten zwecks Besetzung des Luden-Lehrstuhls über M. Duncker, K. Hagen, S. Hirsch, H. v. Sybel, W. A. Schmidt zwecks Besetzung des durch den Tod Heinrich Ludens am 23. 5. 47 vakant gewordenen Lehrstuhls. - In briefl. Form erstattet dem Dekan der Phil. Fak. d. Univ. Jena, undatierter Entw. oder Abschr./Or. Erstdr.: FvR I./1904, 86f. (Abschr. im NL Hoeft, II, 194f.).

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

1848 Votum als Mitglied der Fakultäts-Kommission zur Beratung des von dem damaligen Direktor des jüdischen Lehrerseminars in Berlin, Leopold Zunz (1794-1886), gestellten Antrags auf Errichtung eines Ordinariats für jüdische Geschichte und Literatur, nach Juli 1848. - Erwähnung mit kurzen referierenden Bemerkungen bei Lenz, II, 2/1918, 306.

1849 Beurteilung nachgelassener Papiere von Friedrich August Ludwig von der Marwitz (1777-1837) gegenüber dessen Tochter Bertha (spätere Gfn. Münster) hinsichtlich einer Edition, 1849. Es kam dazu durch Vermittlung von Edwin von Manteuffel. Erwähnung mit Zitat bei Meusel/1908, 251. (Dazu auch Helmolt/1921, 192, A. 168). - R.s Urteil ging zunächst dahin, „man könne allerdings dem Volke jetzt nicht den Glauben an den seeligen König [Friedrich Wilhelm III.] nehmen...“ (Meusel/1908, 251). Die schließlich stark verunstaltete Ausgabe wurde möglicherweise auf R.s Vorschlag hin (ebd. 252) von Marcus Niebuhr unternommen: Aus dem Nachlasse Friedrich August Ludwigs von der Marwitz auf Friedersdorf, Königlich Preußischen GeneralLeutnants a. D., 2 Bde, Bln. 1852. „Es entsprach auch dem Sinne Rankes, wenn er alle scharfen Urteile oder intimeren Mitteilungen über Friedrich Wilhelm III., die Königin Luise und andere Mitglieder des Königshauses unterdrückte.“ (ebd.).

1851 Gutachtliche Äußerung über eine von der Royal Irish Academy geplante Edition der Leges Brehonicae in Brief an Charles Graves, 2. 8. 51. „Extract“ in: House of Commons Parliamentary Papers, Session 1852, Reports of Commissioners. Bd. XVIII, 5. - Online.

1852 Erstes Gutachten für die vakante Geschichtsprofessur an der Universität München Gutachten über C. Hegel, J. Burckhardt, R. Pauli u. W. Arnold über ihre Eignung für eine Professur an der Münchener Univ. In briefl. Form W. v. Doenniges mitgeteilt [Nov. 1852] (NBrr 351f.). - Eine ausführliche, wenn auch nicht vollständige Übersicht über die von 1851 bis 1856 reichenden Pläne und Verhandlungen zur Besetzung des Lehrstuhls gibt v. Müller/1939, 60-70.

1853 Gutachten über das Germanische Museum zu Nürnberg des Frhrn. Hans von und zu Aufsess Im Auftrag des Preuß. Kgl. Geh. Cabinets - auf Veranlassung Friedrich Wilhelms IV. - erstattet mit Schreiben vom 24. 8. 53 (ablehnend) an den Kabinettsrat Ernst C. Illaire. - Auszug: Griewank/1952, 291f., vollst. Erstdr.: Henz/1972, 308f. - Siehe auch 1832.

Zweites Gutachten für die vakante Geschichtsprofessur an der Universität München Das Gutachten über die Qualifikation von Johann Graf Mailath (1786-1855) für die Besetzung der vakanten Geschichtsprofessur an der Univ. München wurde von R dem bayer. Gesandten in Berlin, Konrad Frhrn. von Malzen, am 13. 6. 53 in briefl. Form erstattet. - Erstdr./Tdr.: Hoeft/1940, 118, A. 1. - Vollst.: v. Müller/1939, 8f. nach Or. in den Kabinettsakten Kg. Maximilians II, Nr. 104 des GHAM.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

1854 Drittes Gutachten für die vakante Geschichtsprofessur an der Universität München Gutachten über die Qualifikation J. Burckhardts, C. Hegels, R. Köpkes, W. v. Giesebrechts, R. Paulis, W. A. Schmidts. - In brieflicher Form erstattet dem bayer. Staatsminister des Innern für Kirchen u. Schulangelegenheiten, Th. v. Zwehl, 28. 1. 54 (Erstdr.: Hoeft/1940, 113f.) - Ebd., 112f.: Zwehls Anforderungsschreiben, in dessen nicht mitgeteilter Anlage auch E. Dümmler und Woldemar Wenck genannt waren, auf die Ranke jedoch nicht einging.

Viertes Gutachten für die vakante Geschichtsprofessur an der Universität München Gutachten über die Qualifikation Wilhelm Wattenbachs. - Im Nachgang zu seinem vorgenannten Gutachten gibt R hier dem bayerischen Staatsminister des Innern für Kirchen und Schulangelegenheiten, Th. v. Zwehl, mit Schreiben vom 24. 3. 54 eine ausführliche Empfehlung ab (Erstdr.: FvR, II/1904, 272).

Fünftes Gutachten für die vakante Geschichtsprofessur an der Universität München Ein weiteres Gutachten über Wilhelm Wattenbach, undatiert nachgewiesen von Berg/1968, 33, A. 1 im RNL 38 II F.

Empfehlung eines Sekretärs für Kg. Maximilian II. „Ew. Majestät fragen mich aufs neue nach einem jungen Mann, der in Ihren Studien Ihnen neben Doenniges noch zur Hand sein könnte“. Diesem Wunsch, der in Wirklichkeit auf einen von R nicht gebilligten Ersatz von Doenniges abzielte, kam R mit seinem Brief an M. vom 26. 11. 54 nach (Erstdr. v. Müller/1939, 10-12). Er schlug seinen Schüler Wilhelm Arnold (1826-1883) vor.

1855 Sechstes Gutachten für die vakante Geschichtsprofessur an der Universität München Gutachten über die Qualifikation Fr. X. Wegeles (1823-1897), H. v. Sybels (1817-1895), R. Paulis (1823-1882) und W. Arnolds (1826-1883) in Brief .s an den bayerischen Kabinettsrat Fr. S. Pfistermeister, 7. 2. 55 (Erstdr. v. Müller/1939, 12-14).

Siebentes Gutachten für die vakante Geschichtsprofessur an der Universität München Mit Bezug auf H. v. Sybel, L. Häusser, M. Duncker, W. A. Schmidt, W. Arnold, R. Pauli. - Kg. Maximilians II. v. B. eighd. Aufforderung hatte auf eine Empfehlung desjenigen abgezielt, der Ranke „nach Professor v. Sybel... der geeignetste“ zu sein schien. - R, der über alle Gutes sagt, nennt „nach Sybel zunächst Häusser“ (R an M., 19. 3. 55. Erstdr/Or.: v. Müller/1939, 15f.). Siehe dazu auch R.s eindringliche Empfehlung an Sybel, 9. 12. 55 (SW 53/54, 382f.), den Ruf anzunehmen. - Auf die im Gutachten Genannten bezieht sich möglicherweise R.s Bemerkung gegenüber Maximilian, er habe Karl Friedrich v. Dollmann „alles ausführlich“ mitgeteilt, was er „über die zu den Professuren Vorgeschlagenen zu sagen wußte.“ (29. 5. 55, SW 53/54, 375).

Plan einer „kritischen Bearbeitung der karolingischen Periode“, 1855 von „mir und einigen jüngeren Freunden“ beabsichtigt. Dafür erhielt Ranke bereits eine „reichliche und unerwartete“ finanzielle Beihilfe durch Kg. Maximilian II. v. Bayern (R an M., 30. 4. 55, SW 53/54, 372f). - In dieser Form nicht realisiert.

Gutachten über Ernst Dümmler (1830-1902) und Hartwig Floto (1825-1881) zwecks Besetzung einer Baseler Professur. In briefl. Form erstattet dem Leiter des Baseler Erziehungswesen, Peter Merian (1795-1883), 17. 11. 55. - Vischer/1951, 283. Damit zusammenhängend das folgende Gutachten:

Gutachten über die Qualifikation Hartwig Flotos zum akademischen Lehrer Erstattet der Phil. Fakultät der Univ. Basel, 5. 12. 55 ( NBrr, 369). - Floto wurde berufen.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

1856 Gutachten über ein Werk Constantin Höflers (1811-1897) Das Gutachten betrifft H.s Werk ‚Die Geschichtschreiber der hussitischen Bewegung in Böhmen‘, Bd. I, Wien 1856 und wurde von R in briefl. Form erstattet dem preuß. Minister d. Geistl., Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Karl Otto v. Raumer, Okt. 1856. - Erstdr.: NBrr, 373f.

Stellungnahme zum Plan der ‚Maximiliansmedaille‘ Stellungnahme zum Plan Kg. Maximilians II. v. B. einer regelmäßigen Verleihung von Medaillen „zur Anerkennung bedeutender Werke der Literatur“ (‚Maximiliansmedaille‘). Am 3. 3. 56 in briefl. Form Kg. Maximilian II. v. B. erstattet. - Erstdr. aus dem NL R.s (Entw. oder Abschr./Or.): FvR/1904, III, 62f.

Votum für die Verleihung der ‚Maximiliansmedaille‘ an das wichtigste 1855 erschienene Werk auf dem Gebiet der Geschichtswissenschaft, erstellt auf Ersuchen Justus v. Liebigs als Vors. des Maximiliansordens für Wissenschaft und Kunst, 19. 7. 56. - Dieses von FvR III/1904, 63 aufgrund eines im NL vorgefundenen unveröffentlichten Schreibens Liebigs genannte Votum ist bisher nicht bekannt geworden.

Gutachten über Franz Mone (1856?) Von Berg/1968, 33, A. 1 im RNL 38 II F nachgewiesen.

1857 Urteil über eine noch ungeklärte Berufung an die Münchener Universität - auf Anfrage von Staatsminister Th. v. Zwehl - in Brief an Kg. Maximilian II. v. B., 25. 5. 57 (nach Or.: v. Müller/1939, 18; Erstdr./Entw. abweichend: FvR III/1904, 66).

Gutachten zum Projekt einer Sammlung der deutschen Reichstagsakten In briefl. Form erstattet dem bayer. Kabinettsrat Fr. S. Pfistermeister am 14. 8. 57. - Erstdr.: v. Müller/1939, 19. - Eine Charakteristik der Reichstagsakten („...zerfallen, soviel ich sie kenne, in vier Gruppen...“) und Empfehlungen für Organisation der Herausgabe in Brief R.s an Sybel, 25. 10. 57 (Die Historische Commission/1883, 14f., Tdr./vermutl. Or. - Abweichender Entw., vollst., datiert 20. 10. 57: NBrr 388-390). - Sybels Bericht über die Ausführung des Plans in: Die Historische Commission/1883, 13ff. - Siehe auch II, 431, 438.

Gutachten zu dem von H. v. Sybel vorgeschlagenen Projekt einer historischen Zeitschrift In briefl. Form dem bayer. Kabinettsrat Fr. S. Pfistermeister erstattet am 6. 9. 57. - Erstdr.: v. Müller/1939, 20f. aufgrund einer von Pfistermeister verfaßten briefl. Aufforderung Maximilians vom 22. 8. 57 (GHAM, Kabinettsakten König Maximilians II., Nr. 104, Erstdr./Tdr. nach Entw.: v. Müller/1939, 20, A. 1). - Siehe auch Schieder/1959, bes. 74f.

Entwurf betreffend die Herausgabe der deutschen Reichstagsakten Am 25. 10. 57 auf Anfrage H. von Sybel in briefl. Form mitgeteilt, in: Die Historische Commission/1883, 14f. Sybel: Vortrr. u. Abh./1897, 14f. Siehe auch: Brief R.s an Sybel, 20. 10. 57, NBrr 388-390 (abweichend!). - Zum Thema Reichstagsakten-Edition siehe R.s Werk ‚Zur Deutschen Geschichte‘, 21874, 104f., A. 1.

1858 Beurteilung seines Schülers Julius Helmut von Jasmund (1827-1879) betr. Eignung als Redakteur der HZ und Bibliothekar Kg. Maximilians II. v. B. - In Brief R.s an H. v. Sybel, 3. 2. 58 (NBrr 392f.)

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

Vorschlag zur Errichtung einer Akademie für deutsche Geschichte im Frühjahr 1858, anläßlich des Besuches Kg. Maximilians II. v. B. in Berlin. Von Sybel referiert in: Die Historische Commission/1883, 18f. - Siehe auch unter 1859, ‚Entwurf zu einer Akademie für deutsche Geschichte‘.

Denkschrift über die künftigen Aufgaben der Historischen Kommission vorgetragen in deren vorberatender Versammlung, München, 30. 9. 58. - Erstdr. und Text letzter Hd. in: HZ 1 (1859), 28-35 u. d. T. „Denkschrift von Leopold Ranke“. - „Hauptsächlich für die ersten beiden Vorschläge: allgemeine Jahrbücher deutscher Geschichte und die Geschichte der Wissenschaften wünschte ich die Theilnahme der Versammlung zu gewinnen.“ (35) - Zweitdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 485-491. - Siehe auch II/6.5.2.

Gutachten betr. die Vergabe des Verdunpreises 1858, über Droysen, Kopp, Waitz und Giesebrecht. - Von R gefertigt in seiner Eigenschaft eines Mitglieds der gutachtenden akademischen Kommission. - Entw. oder Ausf./Abschr. aus R.s NL : FvR III/1904, 63f. - Dazu auch Berg/1968, 44f. mit vernichtender Passage des Gutachtens über Droysens ‚Geschichte der preußischen Politik‘.

Empfehlung für die Besetzung eines Münchener Geographie-Lehrstuhls Empfehlungen für die von Kg. Maximilian II. v. B. geplante Errichtung eines Lehrstuhls für Geographie an der Münchener Univ. Auf Ersuchen Maximilians von R nach Beratung mit seinem Berliner Kollegen Karl Ritter (1779-1859) in Brief vom 26. 11. 58 mitgeteilt (Erstdr./Or.: v. Müller/1939, 21-23), wobei J. S. Heinrich Kiepert (1818-1899) empfohlen wird. Maximilian hatte wohl primär um ein Urteil über Franz von Löher (1818-1892) und August Petermann (1822-1878) gebeten.

Beurteilung Franz von Löhers Kurze Äußerung über die wissenschaftliche Qualifikation Franz v. Löhers im Zusammenhang mit der Besetzung eines Münchener Geographie-Lehrstuhls gegenüber Kg. Maximilian II. v. Bayern nach der Ernennung Löhers zum Mitglied der Histor. Komm., 1858. - Zitat: Goetz/(1928), 1957, 145.

Neue Empfehlung für den Münchener Geographie-Lehrstuhl In Brief an Pfistermeister vom 30. 12. 58 (v. Müller/1939, 23f.). Die nunmehr für Löher ausgesprochene beurteilende Empfehlung - wiederum mit Votum von Carl Ritter - hing zusammen mit der Ablehnung Kieperts.

1859 Gutachten über Anton Gindely (1829-1892), 1859 oder früher über dessen geplantes Werk ‚Quellen zur Geschichte der böhmischen Brüder‘ (Fontes rerum austriacarum II/19), 1859 (s. u. II, 295, UB Freiburg i. Br.).

Gutachten über Reinhold Pauli In briefl. Form erstattet dem Hamburger Senator und Protoscholaren Martin Hieronymus Hudtwalker, 5. 3. 59. - Erstdr.: NBrr, 396f. - Pauli nahm 1859 einen Ruf nach Tübingen an.

Gutachten betr. die Nachfolge Friedrich von Raumers Gutachten bzw. Eingabe der Philosophischen Fakultät der Friedrich-Wilhelms-Univ., Berlin, betr. die Nachfolge Friedrich von Raumers, 18. 6. 59, enthaltend Gutachten R.s über Häusser, v. Sybel, W. A. Schmidt und Droysen. - Tdr. aus dem Archiv der Humboldt-Univ. Berlin, Phil. Fak. Littr. P No. 3, Vol. V, fol. 158-163 bei: Berg/1968, 45, A. 51; S. 50. - Siehe auch: Lenz, II, 2/1918, 329f.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

Entwurf zu einer Akademie für deutsche Geschichte unterbreitet Kg. Maximilian II. v. B., Berchtesgaden, 27. 9. 59. - Erstdr. einer KanzleiReinschrift aus dem GHAM in: v. Müller/1939, 26-28. Nebst gutachtlichen Äußerungen von Karl Friedrich Dollmann, W. v. Doenniges u. I. v. Döllinger. - Ursprünglicher Entw. R.s siehe II, 209.

Entwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift unterbreitet Kg. Maximilian II. v. B., Berchtesgaden, 27. 9. 59. - Erstdr. einer KanzleiReinschrift aus dem GHAM: v. Müller/1939, 28-30. - Siehe dazu auch bereits Pfistermeister an Sybel, 30. 7. 57 (v. Müller/1939, 71f.), von der Pfordten an Pfistermeister, 26. 10. 61 (ebd., 7275) und eine gutachtliche Äußerung von Doenniges, 30. 11. 61 (ebd. 75f.). - Zu R.s Entwurf einer Dt. Akademie: Oncken: Die Deutsche Akademie in München/(1925), 1935, bes. 269f.

Entwurf zu einer Geschichte der Wissenschaften in Deutschland der Historischen Kommission bei der Kgl. Bayer. Akad. d. Wiss. vorgelegt im Herbst 1859. Erstdr.: Nachrichten von der historischen Commission/1859, 54-61. - Zweitdr.: SW 53/54, 680686. - Siehe II/6.5. - R.s Dank für die Förderung des Unternehmens in seinem Brief an Kg. Maximilian II., 13. 2. 61 (SW 53/54, 410f.).

Stellungnahme zu Projekten der Historischen Kommission i. b. eine „bayrische biographische Galerie“ sowie ein „kritisches Werk über die ältere bayrische Geschichte“ in R.s Brief an Kg. Maximilian II. v. B., 16. 10. 59 (FvR, III/1904, 67f.).

Weitere Stellungnahme zum Plan einer Geschichte des „alten Bayerns“ in Brief R.s vom 27. 10. 59 an Karl v. Spruner, Flügeladjutanten Maximilians II. (v. Müller/1939, 30-32).

Vorschläge zur Ausgestaltung eines Reiterstandbilds Friedrich Wilhelms III. sodann von Albert Wolff (1814-1892) geschaffen. - Erstdr. aus R.s NL u. d. T. „Über ein Denkmal Friedrich Wilhelms III. A. Vorschläge (Herbst 1859)“ in: SW 53/54 (1890), 687-691. Siehe auch den Entwurf einer Ansprache oder Betrachtung anläßl. der Grundsteinlegung. Erstdr. aus R.s NL u. d. T. „Über ein Denkmal Friedrich Wilhelms III. B. Betrachtung. (Am Tage der Grundsteinlegung, 17. März 1863)“: SW 53/54 (1890), 691-695. - Siehe 1862.

Beantwortung von schriftlichen Fragen Kg. Maximilians II. Die Fragen wurden gleichzeitig Ranke und Sybel gestellt (Varrentrapp: Biographische Einleitung. In: Sybel: Vortrr. u. Abhh./1897, 102, A. 1): „in wiefern der Historiker nach Objektivität streben müsse“, - „ob die Culturvölker wieder sinken werden“, - „ob Europa seinem Verfall entgegengeht“, - „ob Ludwig XVI. der Revolution hätte vorbeugen können“, - „Bemerkungen über Friedrich II.“, - ob „jemand um einer welthistorischen Aufgabe willen berechtigt sein will, Unrecht gegen dritte zu thun“, - über den Fortschritt in der „geistigen Entwickelung“ der „abendländischen Nationen“. - Die Fragen werden in R.s Brief an Kg. Maximilian vom 26. 11. 59 (SW 53/54, 404-406) behandelt.

1860 Gutachtliches Schreiben zu einem Wandgemälde Wilhelm von Kaulbachs Es handelt sich um das Gemälde ‚Zeitalter der Reformation‘ im Treppenhaus des ehemaligen Neuen Museums in Berlin. - R erstattete das Gutachten dem preuß. Kultusminister Moritz August v. Bethmann-Hollweg in briefl. Form am 22. 1. 60. - Erstdr. einer im NL Kaulbachs der damaligen Kgl. Hof- und Staatsbibliothek München befindlichen Abschrift, bei: Helmolt: Gutachten/1907, 255-257. - Siehe auch Abt. II, 300, BSB, Kaulbach Archiv.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

An Kg. Maximilian II. von Bayern im Auftrag des ‚Comités für die Errichtung eines Standbildes für Goethe‘ Brief vom 18. 8. 60 (SW 53/54, 408f.) mit der Bitte, zum Besten des Denkmals auch auf Münchener Bühnen den Geburtstag Goethes am 28. Aug. durch Vorstellungen zu feiern.

Satzungsentwurf für eine Akademie für deutsche Sprache und Schrift München, 6. 10. 60. Erstdr. - Kanzleihd. nach Diktat mit Vermerk „Nach Dictat des Professors Dr. L. Ranke“ - aus dem GHAM. In: v. Müller/1939, 36-38. - Das Diktat wurde „nachträglich von Ranke mit vielen eigenhändigen Verbesserungen versehen, die in allem Wesentlichen dann den ‚Revidierten Entwurf‘ vom 18. und 19. Okt. 1861 herstellen“ (v. Müller/1939, 36f, A. 3). Siehe auch den begleitenden Vortrag R.s vom Okt. 1860 (II, 485). - Damit zu vergleichen ist ein von FvR mitgeteilter Entwurf des Plans für eine Akademie für deutsche Sprache und Schrift, im Okt. 1860 von R Maximilian II. vorgetragen (FvR III/1904, 69-71). - Siehe auch die Briefe R.s an Maximilian II. vom 27. 10. 60 (v. Müller/1939, 38-40), 9. 7. 61 (41f.), 26. 11. 61 (51f.), 21. 4. 62 (52f.); L. v. d. Pfordten an Fr. S. Pfistermeister, 26. 10. 61 (72-75) und die gutachtl. Äußerung W. v. Doenniges zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift (75f.) sowie II, 209.

Empfehlungen in Sachen der Historischen Kommission und der geplanten Deutschen Akademie Auf Anfrage Pfistermeisters (im Auftrag Maximilians II. v. B.) von R. mit Schr. vom 27. 10. 60 (v. Müller/1939, 38-40) beantwortet. - Es handelte sich um die Weiterbeschäftigung Julius Weizsäckers, um die Veröffentlichung „pfälzisch-baierischer Correspondenzen“ und Sybels Beteiligung daran, um die „pangermanische Idee“, um die Sache der Deutschen Akademie und um die Bearbeitung der ‚Geschichte der Wissenschaften‘. - Zu den „Correspondenzen“ siehe auch R.s Brief an Pfistermeister, 15. 11. 61 (v. Müller/1939, 51).

Beurteilung des Kandidaten der Philosophie Karl Ernst Eduard Tempeltey (1832-1919) „behufs der Promotion“, 5. 8. 60 oder 1861. - In Brief R.s an Alexander Braun (NBrr 400f.).

1861 Gutachten für den erneut vakanten Münchener Lehrstuhl der Geschichte Stellungnahme zu „drei Vorgeschlagenen“ für den nach Sybels Weggang vakanten Münchener Lehrstuhl der Geschichte. - Die im Auftrag Kg. Maximilians II. v. B. durch Pfistermeister gestellte Anfrage bezog sich auf W. v. Giesebrecht, W. Wattenbach und J. Ficker. - R.s Empfehlung unter den Genannten gilt Wattenbach, im übrigen empfiehlt er wiederum R. Pauli (an Pfistermeister, 22. 6. 1861, v. Müller/1939, 40f.).

Entwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift Kg. Maximilian II. v. B. unterbreitet in Berchtesgaden, 18. u. 19. 10. 61. (Revidierte Fassung des Entwurfs vom 6. 10. 60). Erstdr. aus R.s NL in: SW 53/54 (1890), 705-707. - Siehe dazu R an Maximilian, 21. 4. 62 (v. Müller/1939, 53).

1862 Denkschrift über die Stein und Hardenberg zu errichtenden Denkmäler, 1862 Von R. in seiner Eigenschaft eines Mitglieds der Kommission zur Beratung über die zu errichtenden Denkmäler für Friedrich Wilhelm III., Stein u. Hardenberg erstattet dem preuß. Minister d. Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Heinrich v. Mühler, als Beilage zu einem Schreiben an dens., 6. 7. 62. - Erstdr.: NBrr, 416f. (Vorlage s. II, 284, SBB PK Slg. Darmstaedter).Von EvR irrtümlich als Entw. einer Rede auf Hardenberg und Stein gedeutet.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften - Zu dieser Denkschrift gehört wahrscheinlich ein „abgekürzter, mit dem vorgelegten Anfang möglichst in Übereinstimmung gebrachter Entwurf“, von R als Anlage zu einem den Anlaß nicht erwähnenden Schreiben an Mühler vom 4. 3. 63 übersandt (Henz/1972, 312, dort jedoch lediglich das Anschreiben). Es gab also wohl zumindest zwei Entwürfe R.s. - Siehe 1859.

Empfehlung seines Schülers Wilhelm Maurenbrecher (1838-1892) für eine Tätigkeit bei der Historischen Kommission - Sammlung der bayerisch-pfälzischen Korrespondenz - in einem Schreiben an die Kommission vom 1. 10. 1862 (Erstdr. NBrr 423f.).

Satzungsentwurf zu einer „Maximilianeischen Akademie für deutsche Geschichte“ unterbreitet Kg. Maximilian II. v. B., Partenkirchen, 20. 10. 62. - Erstdr. nach einem eighd. Entw. R.s und zwei Kanzleireinschriften aus dem GHAM: v. Müller/1939, 54-56. - Vgl. oben R.s Entw. vom 27. 9. 59 und die von v. Müller mitgeteilten Gutachten von Dollmann (o. D.), Doenniges u. Döllinger (ebd., 76-82).

1863 Gutachtlicher Brief betreffend die ‚Matinées Royales‘ an den Berliner Times-Correspondenten [vor dem 30. 1. 63] betr. die Authentizität der in England erschienenen Schrift ‚Les Matinées Royales, ou l’Art de Régner, opuscule inédit de Frédéric II, dit le Grand, Roi de Prusse‘. - Der anonyme Korrespondent teilt den Brief R.s, in dem dieser die Schrift für „forgery“ erklärt, „verbatim“ in engl. Sprache mit, in: The Times, January 30, 1863, 8. (Dt. Übers. [Anonym:] Rankes Urtheil über die Matinees Royales. In: Neue Preußische Zeitung, Nr. 30, 5. Febr. 1863, S. 3, Sp. 2 u. 3.). Der Art. des Korrespondenten war ausgegangen von der anonym erschienenen Bespr. der ‚Matinées‘ aus der Feder von John Lord Dalberg Acton: Confessions of Frederick the Great. In: Home and Foreign Review, 1862, 152171(in der R. nicht erwähnt ist). - R.s Brief rief eine Entgegnung Actons hervor, in dt. Übers. in: [Anonym:] Noch einmal die Matinees royales. (Sir John Dalberg Acton gegen Professor Leopold Ranke). In: Neue Preußische Zeitung, Nr. 35, 11. Febr. 1863, S. 1, Sp. 2 u. 3. - Siehe dazu wiederum R.s detaillierten Brief an Acton, 10. 2. 63 (NBrr 426-429).

Gutachtlicher Brief betreffend die Förderung Wilhelm Maurenbrechers Brief R.s an den preuß. Minister d. Geistl., Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Heinrich v. Mühler, 11. 2. 63 (NBrr 430), betr. die Förderung seines Schülers W. M., i. b. von dessen Projekt einer ‚Publikation der in Simancas befindlichen Aktenstücke zur Deutschen Geschichte aus der Zeit Philipps II‘. - Siehe auch oben 1862 u. das R gewidmet Werk Maurenbrechers, ‚Karl V. und die deutschen Protestanten 1545-1555. Nebst einem Anhang von Aktenstücken aus dem spanischen Staatsarchiv von Simancas‘, Düsseldorf 1865.

Gutachtlicher Brief an Friedrich Eich den Vizepräsidenten des Ausschusses des Luther-Denkmal-Vereins in Worms über die Frage, an welcher Stelle die Reichstagssitzung, in der Luther aufgetreten, stattgefunden habe, 13. 2. 63. Erstdr. in: Eich/1863, 78-80. - Zweitdr. in: DtG VI, 6. Aufl. (1882), 63-65. Mit Anlage: Quellenexzerpte und Bemerkungen R.s.

Gutachtlicher Brief über die Wiederbesetzung der durch Johann Friedrich Böhmers Tod vakant gewordenen Stelle in der Zentraldirektion der MGH vom 22. 12. 63, gerichtet an den preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Heinrich von Mühler. Erstdr./Tdr.: Bresslau/1921, 409. Neben R waren Droysen, Nitzsch und Dümmler um Gutachten gebeten worden. Alle sprachen sich für Waitz aus.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

1864 Würdigung Friedrich Carl von Savignys François Mignet hatte sich am 7. 5. 64 an R gewandt mit der Bitte, ihm Material zu einer Gedächtnisrede auf Savigny in der Pariser Akademie zur Verfügung zu stellen. Dem Wunsch kam R in einem nur fragmentarisch überlieferten franz. Brief von etwa Mitte Juni 1864 (Konzept?, Abschrift?) nach, das FvR. IV/1904, 225-227 verdeutscht mitgeteilt hat.

1865 Stellungnahme zu einer Anfrage Carl Justis (1832-1912) betr. Heinrich Gf. v. Bünau (1697-1762) und Winckelmann hinsichtl. ihrer Eigenschaft als Geschichtsforscher, vermutlich im Zusammenhang mit Justis Werk ‚Winckelmann, sein Leben, seine Werke und seine Zeitgenossen‘, 2 Bde Lpz.: Vogel 1866, 1872. In Brief R.s an ER, Charfreitag [14. 4.] 65. Erstdr. aus R.s NL: SW 53/54, 438f.

Gutachtlicher Brief an den preuß. Unterrichtsminister Heinrich von Mühler, 29. 12. 65 betr. Kataloge zum Kauf angebotener italienischer Hss. überwiegend des 16. Jh.s. (NBrr 457f.).

1866 Gutachten als Korreferent zu Alfred Doves Dissertation ‚De Sardinia insula ..., Bln. 1866. Gutachten vom Dez. 1865? (s. II, 227).

Bitte des preußischen Hofmarschallamts zur Lieferung historischer Notizen in Schreiben vom 15. 2. 66 im verschollenen Altbestand des Archivs des Ranke-Vereins Wiehe.

Gutachtlicher Brief an Karl Ludwig Nolte Das dem Oberbibliothekar der Privatbibliothek des Kg.s Georg V. von Hannover übermittelte Gutachten vom 28. 2. 66 (NBrr 461f.) betrifft ein „kalligraphisches Kunstwerk“, enthaltend die Namen und Bilder der Kurfürsten aus dem Haus Hohenzollern.

1867 Empfehlung einer Verbesserung der Dotierung seines Schülers Georg Waitz zur Abwendung eines Rufs nach Tübingen und zum Zwecke des Verbleibs in Göttingen. In briefl. Form [vor dem 16. 3. 67] gerichtet an den preuß. Unterrichtsminister Heinrich v. Mühler. Erstdr.: NBrr 495f.

Entwurf zu Statuten für eine Deutsche Akademie Wilhelmsthal, Sept. 1867, im Zusammenhang mit einem dem Ghzg. Karl Alexander von Sachsen-Weimar unterbreiteten Plan. - Erstdr. aus R.s Nachlaß: SW 53/54 (1890), 707-711.

1868 Gutachten über ein Werk von Eduard Reimann (1820-1900) Undatierter [Nov. 1868], an den Verleger C. Geibel gerichteter stark befürwortender Brief (Erstdr. Geibel/1886, 9) betr. das dem Verlag angebotene Werk von Eduard Reimann: Geschichte des Bairischen Erbfolgekrieges, Lpz.: D. u. H. 1869. - Siehe auch die kritischen Worte Reimanns über R.s Darstellung Friedrichs d. Gr.: Reimann/1891, s. o I, 71.

Gutachten über ein Werk von Franz Wilhelm Kampschulte (1831-1872) Brief vom 11. 11. 68 (Geibel/1886, 10) an den Verleger C. Geibel betr. das dem Verlag angebotene Werk seines Hörers Kampschulte: Johann Calvin, seine Kirche und sein Staat in Genf, Bd. I, Lpz.: D. u. H. 1869. („Kampschulte ist Katholik, das hat ihn aber nicht gehindert...“).

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

Empfehlung Carl von Noordens (1833-1883) für eine Greifswalder Professur 1868 berief der preuß. Kultusminister Heinrich v. Mühler Noorden gegen die Fakultätsvorschläge „wie man annehmen darf, auf den Rath des Altmeisters Ranke“ auf den historischen Lehrstuhl nach Greifswald (Lebensbild Noordens von Maurenbrecher in: Noorden/1884, 24*). Noorden war mit R entfernt verwandt.

1869 Gutachten über ein Werk Hermann Hüffers (1830-1905) Das Gutachten gilt H.s Werk ‚Diplomatische Verhandlungen aus der Zeit der Französischen Revolution. Bd. 1: Österreich und Preußen gegenüber der Französischen Revolution‘, Bonn 1868 und enthält zugleich Bemerkungen über Sybel und Vivenot. - R erstattete es in briefl. Form dem preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Heinrich v. Mühler, 24. 6. 69 (Erstdr. NBrr, 522f.). - Darüber auch Hüffer/1912, 195.

Begutachtung eines Werkes von Carl Christian Gerhard Schirren (1826-1910) In einem Schreiben an den Verleger C. Geibel vom 2. 7. 69. Erstdr.: Geibel/1886, 14f. - Es handelt sich um das Werk ‚Livländische Antwort an Herrn Juri Samarin‘, Lpz.: D. u. H. 1869.

Begutachtung zeitgenössischer Dramatik Gutachten R.s über Emanuel Geibels Drama ‚Sophonisbe‘ und Heinrich Kruses Drama ‚Die Gräfin‘, 1869, in seiner Eigenschaft eines Mitglieds der Preisstiftungs-Kommission zum Andenken Schillers für das Jahr 1869. - R war am 4. 11. 68 zum Mitglied einer vom preuß. Kultusminister v. Mühler eingesetzten Kommission ernannt worden, der die Bestimmung des besten im Zeitraum von je drei Jahren erschienenen Werkes der dt. dramatischen Dichtkunst oblag, welches im Rahmen der Preisstiftung zum Andenken Schillers mit einem Ehrensold von tausend Talern in Gold nebst goldener Denkmünze geehrt wurde. Den Preis erhielt Geibel 1869 für seine ‚Sophonisbe‘. An zweiter Stelle wurde das Werk ‚Die Gräfin‘ von Heinrich Kruse ausgezeichnet. Zu Geibel äußerte sich R: „Der Autor strebt mit Glück den klassischen Mustern nach. Sein Stück ist in diesem Bezug eine vorzügliche Leistung“. Über Kruses Werk äußerte er: „Der Grundton und die Charakterschilderung sind durchaus gelungen. Das sind wirkliche Friesen!“ (Gaedertz: Emanuel Geibel/1886, 170, A 1). - Über den Berliner Schillerpreis auch Gustav Freytag: Erinnerungen/1887, 289. - Siehe auch 1874.

1870 In einem verschollenen Schreiben der Privatkanzlei des Krpr. Friedrich Wilhelm vom 9. 12. 70 aus dem Archiv des Ranke-Vereins Wiehe erhielt Ranke die Anfrage, ob Bedenken bestehen, für die historische Arbeit eines Tübinger Gelehrten die Widmung anzunehmen.

1871 Eingabe an den Reichskanzler Fürst Otto von Bismarck vom 6. 6. 71 betr. die Errichtung einer Akademie für deutsche Geschichte und Sprache, mit ergänzenden „Erwägungen“ zu den voraufgegangenen Entwürfen. - Erstdr., undatiert, aus R.s NL: SW 53/54, 696-705. Obige Datierung nach Griewank/1952, 301, A. 32 (siehe überhaupt dort). Dazu ein ablehnendes Gutachten Droysens bei Stromeyer/1950, 106, 256, A. 76. - Siehe II/6.5.

1872 Gutachten über ein Werk des Regierungsrats [Andreas?] May Erwähnt in einem Brief (unveröff. BSB Autogr. Cim. Ranke, Leopold) an Neffen Heinrich Israel Ritter von Ranke, 23. 2. 72.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

Empfehlung eines Werkes von Karl Wilhelm Nitzsch (1818-1880) Die Empfehlung R.s in einem Schreiben an den Verleger C. Geibel vom 5. 3. [1872] (Geibel/1886, 31) gilt der Schrift seines Schülers über ‚Die römische Annalistik von ihren ersten Anfängen bis auf Valerius Antias‘, welche jedoch nicht bei D. u. H., sondern im Verlag Gebr. Bornträger, Berlin 1873 erschien.

Beurteilung von geplanten Werken Adolf Beers (1831-1902) In einem Schreiben an den Verleger C. Geibel vom 27. 7. 72 (Erstdr.: Geibel/1886), 37f.). - Es handelt sich um die Schriften seines Hörers Adolf Beer: ‚Friedrich II. und van Swieten‘, Lpz.: D. u. H. 1874 und ‚Leopold II., Franz II. und Catharina. Ihre Correspondenz nebst einer Einleitung‘, Lpz.: D. u. H. 1874.

1873 Gutachten betr. die in der Nationalgalerie Berlin aufzuhängenden Porträts bedeutender Hohenzollern Gutachtliches Schreiben an den preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Adalbert Falk, [nach dem 9. 10. 73]. Erstdr.: NBrr 607f.

1874 Mitgliedschaft in der Kommission zur Beratung über die Erteilung eines dramatischen Preises Schreiben an den preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Adalbert Falk von [Mitte Aug. 1874] betr. Ernennung zum „Mitgliede der Kommission zur Beratung über die Erteilung eines dramatischen Preises für die Jahre 1872-74“. Nicht das Gutachten selbst, sondern Rankes skeptisches Schreiben, trotz Bedenken die Ernennung anzunehmen, ist veröffentlicht in NBrr 610f. - Siehe auch 1869.

Gutachten über ein Werk von Karl Wilhelm Nitzsch (1818-1880) Gutachtl. Brief vom 23. 8. 74 an den Verleger C. Geibel (Geibel/1886, 31 mit A. 1) betr. das Werk seines Schülers Karl Wilhelm Nitzsch ‚Die römische Annalistik von ihren ersten Anfängen bis auf Valerius Antias‘, Bln.: Bornträger 1873.

Urteil über ein Werk von K. Friedrich v. Klöden (1786-1856) Urteil über das Werk von [Karl Friedrich von Klöden:] Die Mark Brandenburg unter Kaiser Karl IV. bis zu ihrem ersten hohenzollernschen Regenten, oder: Die Quitzow’s und ihre Zeit, 4 Bde, Bln.: Lüderitz 1836, 1837 (2. Aufl. 1846). - In: 12BPreußG I (1874), 67, A. 1, - ablehnend hinsichtl. des Versetzens von Geschichte mit Roman. - Zu diesem Thema ausführliche und beachtenswerte Ausführungen K.s im Epilog seines Werkes (Bd. IV).

Gutachten über ein Werk von Gerson Wolf (1823-1892) Wolf, G[erson]: Österreich und Preussen (1780-1890), Wien 1880 (VI, 248 S.). Das mit editorischen Beilagen versehene Werk ist gearbeitet aus Quellen des Archivs des k. u. k Reichskriegsministeriums, des Geh. Haus-, Hof- und Staatsarchivs und anderer kaiserlicher Archive Österreichs sowie des Dresdner Archivs und des Berliner Geh. Staatsarchivs. „Bezüglich des Berliner Archives bin ich noch dem Meister der Geschichtschreibung, Herrn Geheimrath Leopold v. Ranke, zu besonderem Danke verpflichtet. Als ich nämlich um die Erlaubniss bat, das Berliner Archiv zu dem angeführten Zwecke benützen zu dürfen, sprach sich Herr Geheimrath v. Ranke, wie dieser so gütig war mir persönlich mitzutheilen, diesfalls befragt, dahin aus, dass es wünschenswerth sei, diese Periode darzustellen, und dieses Votum trug mit dazu bei, dass mir die Pforten des preussischen Staatsarchives geöffnet wurden.“ (V). - R war für dieses Werk auch gegenüber dem Verleger Geibel in einem Schreiben vom 23. 8. 74 (Geibel/ 1886, 61) gutachtend tätig geworden. - Das Werk (Wien 1880) erschien nicht im Verlag D & H.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

1875 Beurteilung eines Werkmanuskripts des Gf.n Friedrich Wilhelm von Redern (1802-1883) mit Briefen der preußischen Prinzen August Wilhelm und Heinrich, Brüdern Friedrichs d. Gr., in einem Brief an den Hg., Apr. 1875 (NBrr 623f.).

Gutachtliches Schreiben betr. die Eignung seines Schülers Ludwig Oelsner zur Leitung des Stadtarchivs Frankfurt a. M. vom 31. 10. 75 an Daniel Heinrich v. Mumm, Oberbürgermeister der Stadt, Kopie der fremdhändigen Ausf. des Or.s: StA Ffm, Sign. S 2/2700. Unter den 49 Bewerbern wurde Hermann Grotefend gewählt (Frdl. Mitt. von Dr. Andernacht, Stadtarchiv Ffm, 15. 3. 74).

1876 Gutachten über eine geplante Sammlung der Briefe Marie Antoinettes Gutachtl. Brief an den Unterstaatssekretär im preuß. Außenministerium, Justus von Gruner, [20. 2. 76] betr. eine von Ernst Frhr.n v. Stockmar (1823-1886) in Vorschlag gebrachte Sammlung der Briefe Marie Antoinettes (NBrr 628f.). Vom selben Tag Brief R.s an Stockmar (NBrr 629f.) und Antwort Stockmars vom 10. 3. 76 (NBrr 629, A. 2).

Erstes Gutachten im Auftrag des preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm Korrekturen und Vorschläge zu Texten des preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm (nachmal. Ks. Friedrich III.) für die Gedenktafeln der brandenburgischen Kurfürsten in der Friedhofshalle des Berliner Doms. - Aufforderung des Krpr. an R zur Begutachtung in einem Brief vom 20. 3. 76 (lediglich referiert bei FvR VII/1905, 312). - R.s gutachtliche Antworten vom 3. 4. u. 18. 10. 76, Entw. (ebd. 312f. u. 314). - Sein kritisches Schr. vom 4. 10. 76: NBrr 636f. - Siehe auch II, 306. Dazu auch Helmolt/1921, 139, v. a. aber Wiedemann II/1891, 327, der sich eines von ihm selbst verfaßten Referats erinnert „über die von dem Kronprinzen Friedrich Wilhelm für die Hohenzollerngruft geplanten und in Vorschlag gebrachten Epitaphien nebst den besonderen, der Regierung jedes Fürsten beigefügten chronologischen Tableaux der wichtigsten, in dieselbe fallenden Ereignisse, vornehmlich auch der territorialen Erwerbungen“. - Siehe auch unter 1878 und 1882.

Gutachtlicher Brief zu einer Anfrage von Heinrich v. Sybel betr. das Vorhaben eines ‚Archivsekretärs Meyer‘ zur Sammlung der Urkunden des Mkgf. Johann von Brandenburg mit Blicken auf Publikationen von August v. Druffel und Karl Kletke Brief von [nach d. 4. Dez. 1876] in: NBrr 637f.).

1878 Zweites Gutachten im Auftrag des preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm Bemerkungen zu einer vom preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm entworfenen Grabschrift für Kg. Friedrich Wilhelm I. - Aufforderung des Krpr. an R zur Begutachtung in einem Brief vom 15. 3. 78 (FvR VIII/1906, 327f.). - R.s gutachtl. Antwort, „mit gewohnter Offenheit“: Beilage, datiert: Berlin, 1. 6. 78, zu einem Schreiben an den Krpr., datiert: Berlin, 15. 6. 78 (NBrr 657f. mit Anl. 658f.). - Teile des kronprinzlichen Entw.s ebd., 659, A 1. - Siehe auch unter 1876.

1879 Gutachten über ein Werkmanuskript von C. O. v. Beaulieu-Marconnay (1811-1889) Gutachtl. Brief vom 5. 1. 79 an den Verleger C. Geibel (Erstdr.: Geibel/1886, 119) betr. eine von Geh. Rat Carl Olivier von Beaulieu-Marconnay dem Verlag angebotene Biographie des FürstPrimas Dalberg, die dann nicht im Verlag D & H erschien: Beaulieu-Marconnay, Carl Olivier v.: Karl von Dalberg und seine Zeit. Zur Biographie und Charakteristik des Fürsten Primas, Weimar: Böhlau 1879.

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II/4.1.2 Wissenschaftliche Denkschriften

1881 Befürwortung der Veröffentlichung eines Manuskripts betr. die Kapitulation von Straßburg dem nicht genannten Vf. gegenüber, 5. 4. 1881. (Unveröff., Or. Ranke-Archiv, Wiehe).

1882 Drittes Gutachten im Auftrag des preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm Weitere Korrekturen und Vorschläge zu Texten des preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm (nachmal. Ks. Friedrich III.) für die Gedenktafeln der brandenburgischen Kurfürsten in der Friedhofshalle des Berliner Doms, 17. 2. 82. - In Brief des genannten Datums (NBrr 700f.), ohne die darin erwähnten Anlagen mit Änderungsvorschlägen zu Kurfürst Georg Wilhelm, Friedrich d. Gr. u. Kg. Friedrich Wilhelm II. - R faßt damit das Ergebnis eines am 15. 2. 82 geführten Gesprächs zusammen. - Auf ein weiteres Gespräch ähnlichen Inhalts bezieht sich die Tagebuchaufzeichnung zum Besuch des Krpr. anläßl. von R.s Geburtstagsfeier, 21. 12. 82 (SW 53/54, 644f.). Siehe II, 502. Den Erinnerungen Hermann Hüffers ist zu entnehmen: In der ersten Aprilhälfte 1882 zeigt ihm der Berliner Archivar [Paul] Hassel „eine merkwürdige Aufzeichnung seines hohen Gönners [des Kronprinzen]: Biographien der sämtlichen Hohenzollerischen Regenten, in kurzen Worten, einer Art von Lapidarstil charakterisiert. Sie sollten zu Inschriften in dem beabsichtigten Campo Santo benutzt werden. Das Manuskript wurde zuerst Ranke zur Prüfung vorgelegt, der kein eigentliches Urteil abgab, sondern sich mit der Wendung entschuldigte, er preise Preußen glücklich, daß der Kronprinz sich mit solchen Arbeiten beschäftige. Duncker und besonders Hassel hatten dagegen an den Biographien manches auszusetzen ...“ (Hüffer/1912, 315). Davon war auch bei einer Hüffer vom Kronprinzen gewährten Audienz die Rede, wo dieser äußerte: „Ich beschäftige mich auch gern mit historischen Schriften ... So habe ich... für die Statuen der Brandenburgischen Fürsten im Hohenzollernmuseum Inschriften zusammenzustellen, in denen eine preußische Geschichte in den wichtigsten Ereignissen enthalten sein soll. Es ist aber schwer, den Lapidarstil anzuwenden, ich bin noch immer nicht fertig. Für Friedrich den Großen wollte ich anfangs nur den Namen, oder noch einen kurzen Zusatz, ‚den die Mitwelt und Nachwelt den Großen nannte‘. Aber Historiker, insbesondere Ranke, der mein Berater ist, waren anderer Meinung, weil die historische Folge der Ereignisse nicht unterbrochen werden dürfe.“ (Ebd., 317f.). - Entwürfe R.s dieser Art finden sich im RNL (Fasz.37). - Siehe auch RNL Segment IV in Kalliope.

1884 Beurteilung eines Werkes von Ludolf Krehl (1825-1901) Brief an Ludolf Krehl mit Beurteilung von dessen Werk ‚Das Leben des Muhammed, Lpz.: Schulze 1884. In Brief an dens., 21. 5. 84 (FvR VIII/1906, 333), wobei er auch auf die Unterschiede zu seiner eigenen „bereits geschriebenen“ (allerdings noch nicht erschienenen) Mohammed-Darstellung in WG V (1884) zu sprechen kommt.

1884 Gutachten über ein Werkmanuskript von Franz Eyssenhardt (1838-1901) Gutachtl. Brief, 15. 10. 85 (Geibel/1886, 160), an den Verleger C. Geibel betr. die dem Verlag angebotene Biographie Niebuhrs von „Prof. Eyssenhardt in Hamburg“, die dann nicht im Verlag D & H erschien. - Franz Eyssenhardt: Barthold Georg Niebuhr. Ein biographischer Versuch, Gotha: Perthes 1886.

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2. Abteilung (II/4.2) HISTORISCH-POLITISCHE DENKSCHRIFTEN, GUTACHTEN, REFLEXIONEN E i n f ü h r u n g (II/4.2.1) Die folgende Übersicht ist bemüht, den traditionell stark beachteten, wenig umfangreichen Kanon historisch-politischer Denkschriften Rankes für Edwin von Manteuffel aus den Jahren 1848 bis 1851 durch die Aufnahme nicht stets gattungsidentischer, doch verwandter Elemente und Hinweise zu den Jahren 1831 bis 1885 in Richtung der Zielpersonen und der behandelten Themen zu erweitern. In Ergänzung der nachfolgend aufgeführten, von Alfred Dove 1887 herausgegebenen Denkschriften Rankes (in SW 49/50) sind einige seiner tagebuchartigen Aufzeichnungen (in SW 53/54 und WuN I. Siehe auch II/2.3) und - soweit sie die ManteuffelDenkschriften betreffen - die vergleichsweise ausgedehnte Korrespondenz (s. II/3.4) für eine Sicht seiner politischen Überzeugungen und zeitgeschichtlichen Beurteilungen von Bedeutung. Für die entsprechenden Dokumente sollte man nicht in den von Ranke gelegentlich selbst begangenen Fehler verfallen, die Beziehung zu Friedrich Wilhelm IV. enger und einflußreicher zu sehen, als sie war, denn Ranke ließ „bisweilen, wenn er der Denkschriften gedachte, ... die Vermittlung Manteuffel’s unerwähnt“ (Wiedemann VI/1892, 113, A. 1). Tatsächlich dürfte schon der Begriff der ‚Vermittlung‘ übertrieben sein. Denn tatsächlich war Ranke seinem Freunde Manteuffel, dem damaligen Flügeladjutanten Friedrich Wilhelms IV., persönlich „a consiliis“ (Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs I/1891, 245), und dies „in steter Verbindung“, wie der Erste Chef der Admiralität, Albrecht von Stosch (1818-1896), am 18. Sept. 1871 an Gustav Freytag schrieb und fortfuhr: „In allen bedeutenden Momenten hat Ranke ihm politisch-historische Promemorien angefertigt“ (Denkwürdigkeiten/1904, 266). Von Friedrich Wilhelm IV. als direkter Zielperson oder gar Auftraggeber ist dabei nicht die Rede. Vielmehr war Manteuffel im wesentlichen Auftraggeber und bestenfalls dem König gegenüber vortragender Nutzer. In seinem vierten autobiographischen Diktat vom November 1885 formulierte Ranke zurückhaltend: „Zuweilen bin ich indirect zu Rathe gezogen worden“ (SW 53/54, 74). Auch dem Ranke persönlich bekannten Ottokar Lorenz schien es übrigens „nicht erwiesen“, daß die Denkschriften „auch wirklich in die Hände Friedrich Wilhelms IV. gekommen sind.“ (Lorenz/1888, Sp. 22). In der distanzierten Schilderung seines 3. autobiographischen Diktats bemerkt Ranke über den König ausdrücklich „... wenn ich ihn dann und wann einmal sah, was doch nur selten geschah ...“ (SW 53/54, 53). Textlich ist zu berücksichtigen, daß es sich bei den von Dove benutzten Vorlagen nicht um originale Endausfertigungen handelt. Letztere dürften wohl (zunächst?) im Nachlaß Manteuffel verblieben sein und, wie ein Rezensent der ‚Allgemeinen Zeitung‘ wenigstens hinsichtlich Manteuffel zu Recht vermutete, „nicht ohne Randbemerkungen des Königs oder seines geistreichen Flügeladjutanten“ geblieben sein (F. v. W. [Franz Xaver von Wegele?]/ 28. 7. 1887, 3043). - Ludwig Dehio hat in einem Beitrag über ‚Edwin von Manteuffels politische Ideen‘ eine eindringliche Darstellung des Rankeschen Einflusses auf Manteuffel gegeben. Dabei erwähnte er eine „unveröffentlichte“ Denkschrift Rankes im Charlottenburger Hausarchiv, NL E. v. Manteuffel (Dehio/ 1925). Im Nachlaß entdeckte er ferner ein fragmentarisches Diktat Manteuffels vom - 338 -

II/4.2.1 Historisch-politische Denkschriften

Sommer 1879, „das in großen Linien das Bild einer künftigen Reichspolitik hinwirft“. In den Formulierungen sei der Geist Rankes spürbar, „wie denn überhaupt das Diktat drapiert ist mit welthistorischen Ideen des Meisters“ (Dehio/1926, 156.). - Zu Rankes historisch-politischen Denkschriften sind auch die im RNL Segment IV vorhandenen „Materialien, Ausarbeitungen, Manuscriptfragmente“ der Jahre 1847-52 (Kalliope) zu beachten. Besonders die erste seiner Denkschriften für E. v. Manteuffel von Mitte Mai 1848, zur Lage Preußens und Europas nach den revolutionären Ereignissen vom 24. Febr. und 18. März 1848, habe ihm die Gunst des Königs erworben: „Erst seitdem habe ich ihn öfter gesehen.“ (SW 53/54, S. 54). Ob sich Ranke im Alter ein wenig von seiner schwärmerischen Bewunderung für Friedrich Wilhelm IV. gelöst hat, steht dahin. Gelegentlich finden sich neben Wendungen der Bewunderung („Genialität seines Wesens“, „Tiefe seiner inneren Impulse“ (SW 53/54, 74) Formulierungen, denen Kritik anzuhaften scheint, so: Mit seinem Tod habe der König, „alle diese Fragen, die deutsche und die allgemeine sowie die constitutionelle ...seinem Nachfolger“ zurückgelassen (SW 53/54, ebd.). Von politischer Wirkung sollten natürlich schon die von Ranke für seine im Regierungsauftrag herausgegebenen Aufsätze der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ sein, doch verfehlten sie eine solche weitgehend. Welchen Einfluß er bereits in den 1830er Jahren über seine Zeitschrift hinaus in persönlicher Beziehung zu den „damaligen Freunden, Radowitz und Gerlach“ sowie zu Ancillon im einzelnen hat ausüben können, ist ungewiß (s. sein 3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875, SW 53/54, 50f.). Aus dem Jahre 1832 findet sich immerhin in der ‚Allgemeinen Preußischen Staatszeitung‘ (Nr. 220, 9. 8. 1832, 881) unter der Rubrik ‚Deutschland‘ ein ihm zugeschriebener Artikel über die Bundesbeschlüsse vom 28. 6. und 5. 7. 1832 und ihre französische Resonanz (s. II, 150f.) - Zweifellos dürften auch die von ihm in die ‚Kreuzzeitung‘ gelieferten Artikel der 1850er Jahre politischen Charakter gehabt haben, doch konnten sie bisher nicht ermittelt werden (s. ebd.). - Ferner bleibt noch zu untersuchen, ob Rankes eher unbedeutende Mitwirkung im preußischen Staatsrat, seit dem 25. 5. 1854, einen aktenmäßigen Niederschlag gefunden hat. Nach seiner Ernennung war er von Friedrich Wilhelm IV. eigenhändig in die Liste der Abteilung für auswärtige Angelegenheiten eingeschrieben worden. Das Mitgliederverzeichnis zeigt, daß er nicht zu den Beratungen der ‚Engeren Versammlung‘ des Staatsrats herangezogen wurde. „Da Vollversammlungen nach der Reaktivierung des Staatsrats im Jahre 1854 nicht einberufen wurden, wirkte sich die Zugehörigkeit zum Staatsrat für alle übrigen Mitglieder nicht aus.“ (Schneider/1952, 310, A.1; s. auch 230f.). Rankes Amanuense Theodor Wiedemann hat sich in Form einer seine eigentlichen Erinnerungen sprengenden Abhandlung ausführlich über die nach 1848 entstandenen politischen Denkschriften Rankes und dessen Stellung zu den politischen Ereignissen geäußert (Wiedemann VI-XIII/1892/1893), wobei allerdings viele erst im Folgenden gelieferte Details fehlen. Während Rankes von Dove mitgeteilte Tagebuchaufzeichnungen verschollen sind, finden sich in seinem Nachlaß durchaus weitere, überwiegend verstreute Aufzeichnungen von historisch-politischer bzw. zeitgeschichtlicher Relevanz. Manches ist von W. P. Fuchs in Erstdruck veröffentlicht worden (WuN I/1964), bei der folgenden Übersicht jedoch aufgrund der teils handschriftlichen, teils editorischen Problematik (s. II, 181ff.) nicht durchgängig berücksichtigt worden. - 339 -

II/4.2.2 Historisch-politische Denkschriften

Ü b e r s i c h t (II/4.2.2) 1831 Plan zur ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ Erstattet dem preuß. Minister der auswärtigen Angelegenheiten, Chr. G. Gfn. von Bernstorff, als Beilage (Erstdr.: Varrentrapp: R.s HPZ/1907, 53-60) zu einem Anschreiben an dens. vom 1. 11. 31 (Erstdr./Tdr. ebd., 52f., vollst. Helmolt/1921, 68f.). - Die gedruckte Einleitung zur HPZ weicht von diesem Plan ab.

1841/1842 „Plan d’un manuel politique à l’usage d’un Prince“ In einem Brief von Fr. W. Thiersch an R vom 5. [11.] 1841 heißt es: „S. K. Hoheit der Kronprinz v. Bayern hat Ihnen in Hamburg das Ms eines Werkes unter dem Titel Plan d’un manuel politique à l’usage d’un Prince übergeben. Sie hatten die Güte, für S. K. Hoheit Anfrage die Bearbeitung eines Teiles des in ihm angeregten Gegenstandes und zwar den allgemeinen, geschichtlichen, politischen zu selbsteignen Händen zu übernehmen, kurz darauf aber sich mündlich für das Ganze anheischig zu machen, in der Überzeugung, dass die gesamte Arbeit nur das Werk eines einzigen sein könne.“ (Erstdr. Schwarz/1923, Anhang, XX). - Die Ausarbeitung R.s mußte in einem Brief von Maximilians Sekretär J. Daxenberger am 29. 5. 42 angemahnt werden: „S. K. H. der Kronprinz lassen Sie ersuchen, in Kürze Höchstdemselben einige Nachrichten über den Stand des Manuel politique, wovon in Berlin vielfach die Rede gewesen, zu geben. Ew. Hochwohlgeboren wollten dem gnädigsten Prinzen auch eine bereits fertig liegende kleinere Ausarbeitung einhändigen.“ (Erstdr. Schwarz/1923, Anhang, XIX). - Bei der „kleineren Ausarbeitung“ könnte es sich um folgendes ‚mémoire‘ handeln. Über das ‚manuel‘ ist bisher nichts weiter bekannt geworden, doch findet es sich erwähnt im älteren Findbuch des GHAM (s. o. Abb. S. 202f.).

„Mémoire über die orientalischen Verhältnisse“ Von Krpr. Maximilian v. Bayern erbeten im Brief seines Sekretärs J. Daxenberger an R, 15. 3. 42 (Schwarz/1923, XVIII). Auch über das ‚Mémoire‘ ist bisher weiter nichts bekannt geworden.

um 1845 (?) Gespräch oder schriftliche Anfrage von seiten Ludwig Gustav v. Thiles, ob R „geneigt sei, dem König [Friedrich Wilhelm IV.] in seinen ständischen Bestrebungen Rath zu geben und ihm zu dienen“. Von R abgelehnt. Darüber sein 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885 (SW 53/54, 71f.).

1847 Gutachten über das sodann verbotene Werk von Heinrich Simon (1805-1860) ‚Annehmen oder Ablehnen? Die Verfassung vom 3. Febr. 1847, beleuchtet vom Standpunkte des bestehenden Rechts‘, Lpz.1847. Im Auftrag des preuß. Ministers des Auswärtigen, Karl Wilhelm Ernst Frhr. von Canitz und Dallwitz, vor dem 19. 3. 47 erstattet. Siehe: Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense, IV/1862, 45. - Dazu eine nachgelassene Aufzeichnung R.s: WuN I, 342-344.

1848 Denkschrift für E. v. Manteuffel zur Lage Preußens und Europas nach den revolutionären Ereignissen vom 24. Febr. und 18. März 1848. Von Mitte Mai 1848. Erstdr. einer damals in R.s NL befindl. Abschr.: SW 49/50 (1887), 587-589. - Siehe R. über diese Denkschr.: SW 53/54, 54 u. 634f. - Dazu auch Wiedemann VI/1892, 113 u. VII, 232.

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II/4.2.2 Historisch-politische Denkschriften

Denkschrift für E. v. Manteuffel über die drei Anläufe des revolutionären Geistes seit 1820 und die Notwendigkeit einer von Deutschland ausgehenden Restauration. Von Anfang Juli 1848. Erstdr. einer damals in R.s NL befindl. Abschr.: SW 49/50 (1887), 589-591. - Dazu auch Wiedemann VII/1892, 236f. u. XIV/1893, 350f., A 1.

Denkschrift für E. v. Manteuffel Gedanken zu einer preuß. Constitution unter Berücksichtigung des preuß.-dt. Verhältnisses. Von Ende Okt. 1848. - Erstdr. einer damals in R.s NL befindl. Abschr.: SW 49/50 (1887), 592-598. Nach Helmolt/1921, 195, A. 190, der wohl auf Wiedemann VII/1892, 238 beruht, ist sie „besser vom Anfang November zu datieren“, nach Meinecke: Weltbürgertum (1908, 426f.), 51919, 455f. „bald nach dem 15. November“ verfaßt.

Über das Steuerbewilligungsrecht Der Nationalökonom und Kathedersozialist Lujo Brentano (1844-1931) berichtet von einem Gespräch mit Edwin von Manteuffel, der ihm gegenüber geäußert habe: „Als die Charte Waldeck oktroyiert werden sollte, hatten der König [Friedrich Wilhelm IV.] und mein Vetter [Otto v. Manteuffel], der Minister, keine Ahnung, was das Steuerbewilligungsrecht bedeute; ich aber hatte durch den Umgang mit meinem Freund Leopold Ranke so viel aus der Geschichte gelernt, daß ich wußte, daß das die Hauptsache sei, und auf mein Drängen ist dann der Paragraph über die Forterhebung der Steuern in die allgemeinen Bestimmungen der Verfassung [vom 5. Dez. 1848] aufgenommen worden.“ (Brentano/1917, 14).

E. v. Manteuffel vorgelegter Entwurf zu Friedrich Wilhelms IV. Proklamation bei Verkündigung der okroyierten Verfassung vom 5. 12. 48, von Fr. W. nicht herangezogen. Erstdr. einer damals in R.s NL befindl. Abschr. in: SW 49/50 (1887), 598f. - Siehe auch: Wiedemann VIII/1892, 342 u. 344. Zu den Friedrich Wilhelm IV. von Manteuffel vorgelesenen Denkschriften Rankes nach den Märztagen 1848 siehe auch Briefe M.s an R, 4. 10. 71 und 31. 1. 73 (Dove: Manteuffel/(1896) 1898, 244, 258f.) und die eingangs genannten Aufzeichnungen Wiedemanns.

1849 Ein „Privatschreiben politischen Inhalts“ von R nach 1848 verfaßt, in der Neuen Preußischen Zeitung/Kreuzzeitung veröffentlicht, erwähnt sein Amanuensis Th. Wiedemann. - R habe die ohne seine Genehmigung erfolgte Bekanntmachung noch in den letzten Monaten seines Lebens beklagt (Wiedemann XII/1892, 229, A. 3). Das Schreiben wurde bisher in dem tägl. erscheinenden Organ nicht ermittelt.

Denkschrift für E. v. Manteuffel über den Deutschen Bund und die neue Reichsverfassung, i. b. die Frage eines preuß.-dt. Kaisertums. Von Ende März 1849. - Erstdr. einer damals in R.s NL befindl. Abschr., in: SW 49/50 (1887), 599-610. Dazu Helmolt/1921, 105 u. Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 354f.

1850 Für E. v. Manteuffel bestimmte Erörterung der Lage im nachrevolutionären Europa, i. b. der Stellung und Aufgabe Preußens in Deutschland, in briefl. Form gefaßt. Von Anfang Sept. 1850. - Erstdr. einer damals in R.s NL befindlichen Abschr., in: SW 49/50 (1887), 611-616.

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II/4.2.2 Historisch-politische Denkschriften

Denkschrift für E. v. Manteuffel über Olmütz 1850 und das für Preußen vornehmlich zu Erreichende. - Erstdr. einer damals in R.s NL befindlichen Abschr., in: SW 49/50 (1887), 616f.

Artikel für die Kreuz-Zeitung in den 1850er Jahren. Siehe Abt. ‚Nichtselbständige Schriften‘.

1851 Denkschrift für E. v. Manteuffel, Januar 1851, über eine durchgreifende Umgestaltung des Deutschen Bundes im Hinblick auf die natürlichen Ansprüche Preußens u. die Forderungen Österreichs, als Richtlinien für die Dresdner Konferenzen. - Erstdr. einer damals in R.s NL befindlichen Abschr.: SW 49/50 (1887), 617-623.

1852 Gutachtliche Stellungnahme zu einem Schreiben Peter von Meyendorffs (1796-1863) betreffend die Frage eines Fortbestands des Zollvereins. - Erstdr. eines undatierten briefl. Entwurfs R.s von zweien: FvR 29/1, 89-91. Das Gutachten gilt einem Schreiben des russ. Gesandten in Wien, P. v. M., vom 22. 6. 52. (Ebd., 89, auch Schreiben M.s, Erstdr./Tdr. - Ausf. Or. textlich abweichend und datiert 26. 6. 52: Schiemann/1911, 242-246).

Denkschrift für E. v. Manteuffel (?, Gegenstand, Abfassungszeit ?) 1925 angeblich unveröffentlicht, befindlich im NL E. v. Manteuffels im ehem. Charlottenburger HA. - Siehe: Dehio/1926, 47, A. 1.

1854 Denkschrift für E. v. Manteuffel zur Orientalischen Frage, vom Frühjahr 1854. Von M. benutzt auf einer Spezialmission nach Petersburg. - Unveröff. Erw.: SW 49/50 (1887), XIIIf. und bes. - mit Korrektur des ebd. Gesagten aufgrund einer Mitteilung von Sybel - in: SW 53/54 (1890), 671, A. 1. - Dazu v. a. M.s Brief an R vom 18. 2. 73 (Dove: Manteuffel/(1896) 1898, 263-267). Siehe auch unten das Gutachten vom Juli 1854.

Denkschrift für E. v. Manteuffel über die europäischen Verhältnisse zur Zeit des Krimkrieges, 13. 6. 54. - Erstdr. einer Abschr. (HA Rep. 50 E, Orientalia, Vol. I): Borries: Preußen/1930, Anlage 22. (376-378). - Zur Bedeutung: Borries: Preußen/1930, 202f. und Bußmann/1990, 353f. Letzterer auch zu folgendem Gutachten:

Gutachten über die Orientalische Frage Kg. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen vorgetragen im Juli 1854. Erstdr.: HZ 13 (1865), 406433. - „Vorbemerkung der Redaction“ (406-425) anonym von H. v. Sybel, (Vf.-Nachw.: Sybel, Vortrr. u. Abh., 1897, 88f., A. 1, 164). - Zweitdr. in: SW 43/44 (SerbuTürk 1879), 546-551, mit einer „nachträglichen Bemerkung“ R.s (551), jedoch ohne die Vorb. Sybels. - Zu Entstehung u. Bedeutung des Gutachtens: Seleskovic/1939, 284), der es auf Vuk „zurückgehen“ läßt, und Borries: Preußen/1930, 199-203 u. 409. - Borries ebd., 414 erwähnt ohne genaueren Nachweis (aus einem Brief Leopold von Gerlachs vom 22. 9. 54) „ein Memoire von Ranke, das auf Befehl des Königs für den Kaiser ins Französische übersetzt worden war und das er dem Grafen Münster zur Beförderung beilegte. Und am 18. Dezember 1854 schreibt Gerlach in sein Tagebuch [Gerlach, II/1892, 259], Ranke habe ein Promemoria nach seinem Rate eingerichtet. Wahrscheinlich befaßte sich dieses mit der Sendung Wedell-Usedom. Es ist so wenig bekannt wie jenes andere.“ - Siehe unbedingt auch SW 53/54, 671, A. 1. - Wie Varrentrapp berichtet, habe Sybel den Vorschlägen R.s auch später große Bedeutung beigelegt. Dies zeige ein aller-

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II/4.2.2 Historisch-politische Denkschriften dings nicht gedruckter Vortrag, „den er im November 1875 im Berliner nationalliberalen Verein über die orientalische Frage hielt.“ (Varrentrapp/Biogr. Einl., 1897, 88f., A. 1).

Denkschrift über die Frage eines preußischen. Beitritts zu dem am 2. 12. 54 in Wien zwischen Österreich, Frankreich und England geschlossenen Bündnis, Kg. Friedrich Wilhelm IV. von Preußen vorgetragen am 13. 12. 54. - Verfaßt auf Veranlassung des russ. Gesandten in Berlin, Frhrn. v. Budberg. - Datierung nach: Gerlach II/1892, 257, 259. - Erstdr. nach einem damals in R.s NL befindl. „eigenhändigen Entwurf und fremder Reinschrift“, in: SW 53/54 (1890), 671-679 u. d. T. „Politische Denkschrift aus der Zeit des Krimkrieges. (Mitte December 1854)“. - Siehe dazu die Analyse von Borries: Preußen/1930, 255-257. Aus den Denkwürdigkeiten Leopold v. Gerlachs, zum 13. 12. 54: „Heut trug Ranke ein auf Budbergs Veranlassung verfaßtes Promemoria dem Könige vor, in dem Rußland die unbedingteste Nachgiebigkeit zugemuthet wird.“ (II, 257). - 18. 12. 54: „Am Abend Ranke auf der Straße, der sein Promemoria nach meinem Rathe eingerichtet hat.“ (Ebd., 259). - Nach Mitteilung H. v. Petersdorffs wurde im Druck der Denkwürdigkeiten eine Äußerung Leopold v. Gerlachs fortgelassen, derzufolge dieser R.s Denkschriften als „konfus“ bezeichnet habe. Varrentrapp/1907, 111, A. 1).

1855-1856 Appellatives Schreiben an Kg. Maximilian II. v. Bayern, 26. 1. 55. Auf Anregung des preuß. Ministerpräsidenten Otto v. Manteuffel betr. eines geheimen Zirkulars von Karl Ferdinand Gf. Buol-Schauenstein verfaßt, in welchem „die kleinen deutschen Höfe zu einer einseitigen Verbindung mit dem österreichischen aufgefordert werden“ (Erstdr. nach Entw.: FvR II/1904, 273f. nach Or.; abweichend: v. Müller/1939, 87-89). - Text des Schreibens von Manteuffel (25. 1. 55): FvR II/1904, 273.

Appellatives Schreiben an Kg. Maximilian II. v. Bayern, 30. 4. 55 betr. die Entschlossenheit Preußens zur „Innehaltung der neutralen und diese Neutralität für Deutschland vertheidigenden Position“, vermutlich wiederum auf Anregung Otto v. Manteuffels aufgrund des neuen (25. 4. 55) Zirkulars von Gf. Buol-Schauenstein in briefl. Form verfaßt (Erstdr/Ausf./Abschr. SW 53/54, 372-375). - Zu diesem Brief, den R eine „politische Rhapsodie“ nannte (R. an M., 29. 5. 1855, SW 53/54, 375f.), teilte FvR (II/1904, 274f.) ein in sich ausführlicheres Teilkonzept mit. - Komm. zu R.s Brief: Fuchs/Brw 402f. - Zu diesem Brief ergänzend: R an M., 29. 5. 1855 (SW 53/54, 375f.).

Vorschlag Edwin von Manteuffels an Kg. Friedrich Wilhelm IV. Ranke zu hören betr. den Plan, einen österr. Erzherzog an die Spitze der Donaufürstentümer zu setzen. Dies ergibt sich aus den Lebenserinnerungen von Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen (1827-1892), (Hohenlohe-Ingelfingen II/1905, 10).

Bericht an den preuß. Bevollmächtigten bei der Pariser Krim-Konferenz über die Lage der Christen in der Türkei vermutlich nicht realisiert, wurde von Vuk in einem Brief an R vom 15. 3. 56 vorgetragen (Selesković/1939, 285f.). Selesković sah mit diesem Brief auch den Nachweis erbracht, daß R.s Gutachten über die Oriental. Frage (Kg. Friedrich Wilhelm IV. im Juli 1854 vorgetragen, s. o.) auf Vuk zurückgehe (284).

Denkschrift für den preuß. Prinzregenten, späteren Kg. und Ks. Wilhelm, u. a. über das Verhältnis zu Frankreich und die Stadien revolutionärer Bewegungen, vor dem 13. 6. 1860. Unveröff. - Als ‚Memoire‘ erwähnt: SW 53/54, 584 (WuN I, 376. Siehe II, 484f.).

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II/4.2.2 Historisch-politische Denkschriften

1862 Reflexionen über den Sturz Kg. Ottos von Griechenland und über die Politik Kg. Wilhelms v. Pr. - In Brief R.s an Kg. Maximilian II. v. B., 26. 11. 62 (SW 53/54, 419f.).

1863 Siehe auch den Vortrag vor dem preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm über die Polnische Frage im Zusammenhang mit den „allgemeinen Ideen über die gegenwärtige Lage der Welt“, 24. 2. 63. (II, 487).

Denkschrift und abgekürzter Entwurf zur Akte der Grundsteinlegung (17. März 1863) eines Denkmals Friedrich Wilhelms III. Unveröff. Von R. erwähnt in Aufzeichnung [Preußischer Verfassungskonflikt, nach 19. März 1863], WuN I, 387.

Vorschlag betreffend den „Bruch der Verfassung“ R in einer nachgelassenen Aufzeichung zum 26. 4. [1863]: „Ich hatte vorgeschlagen, die Frage über den Bruch der V[er]f[asssung] vor den Gerichtshof zu bringen ...“ (Erstdr. WuN I, 388). Vorschlag möglicherweise gegenüber Heinrich v. Mühler.

1864 [Von Ranke abgelehntes Gutachten] In Brief an CvR, 14. 10. 64 (SW 53/54, 435): „Die Nachricht..., daß in dem großen Streit zwischen Oldenburg und Augustenburg auf mich gerechnet werde, ist mir ein wenig unangenehm. Unsre Regierung hat in dieser Frage niemals Anspruch auf irgend welche Leistung von meiner Seite gemacht. Ich kenne weder den einen noch den andren der im Streit begriffnen Herren. Die Rechtsverständigen mögen das ausmachen, der Historiker hat damit nichts zu thun.“

1865 „Historisch-politischer Erguß“, Paris, 31. Mai 1865 So von R bezeichnet ist einem Brief an E. v. Manteuffel über seine Sicht der allgemeinen europäischen Geschichte zu Zeiten Wilhelms III. von England und Friedrichs d. Gr., über die „Unentbehrlichkeit der Monarchie“ und über die derzeitigen Zustände in Paris. - Erstdr.: NBrr, 442-446. Formal nicht als Gutachten, zumal nicht als Auftragsarbeit anzusehen, aber in den Zusammenhang der Gutachten und seiner Beziehung zu E. v. Manteuffel gehörend.

„1866“ Nachgelassene Aufzeichnung „1866“ (bei Vierhaus: Soz. Welt/1957, 26, A. 16 u. WuN I, 391393). Es heißt darin betreffend den Vertrag von Gastein: „Ich hatte kurz vorher einen Brief über die Notwendigkeit, die konservativen Prinzipien aufrechtzuerhalten, geschrieben: man sagte mir, er habe zum Frieden beigetragen“. Hierbei mag es sich um den vorliegenden Brief an Maneuffel vom 31. Mai 1865 handeln. Allenfalls käme eine Zuschrift R.s an die von ihm geschätzte KreuzZtg. in Betracht.

Stellungnahme zu der Proklamation E. v. Manteuffels vom 15. 9. und seiner Rede vom 25. 9. 65 als Statthalter von Schleswig, in Brief an dens vom 2. 10. 65 (NBrr 454-456). Dazu auch Brief an dens., 1. 1. 66 (NBrr 458-460).

1867 Stellungnahme zu einem Promemoria Vom 14. 12. 67 datiert ein Schr. R.s an E. v. Manteuffel (NBrr 505), in dem er zu einem ihm von Manteuffel übersandten, nicht näher gekennzeichneten ‚Promemoria‘ Stellung nimmt und dieses mit „zwei unbedeutenden Verbesserungsvorschlägen“ retourniert.

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II/4.2.2 Historisch-politische Denkschriften

1870 Denkschrift/Bericht über Unterredungen mit Adolphe Thiers über das dt. (bzw. preuß.)/franz. Verhältnis, Wien, 9. und 11. Okt. 1870, verfaßt auf Veranlassung des Gesandten des Norddeutschen Bundes in Wien, Hans Lothar v. Schweinitz (s. auch Schweinitz/[1927], I, 279), am 18., 19. u. 21. Okt. von Bismarck, Kg. Wilhelm I. u. dem Krpr. Friedrich Wilhelm zur Kenntnis genommen. - Die nach den Unterredungen mit Thiers in Wien von R. verfaßte Niederschr. wurde erstmals von Dove (SW 53/54, 584-592, dort mit falscher Datierung auf Nov.), sodann von Fuchs (WuN I, 400-407 mit richtiger Datierung auf den 9. und 11. Okt.; siehe auch Sickel: Röm. Erinnerungen/1947, 133ff.) veröffentlicht. Bei Sickel (134, A. 1) findet sich auch der Hinweis, daß Thiers in seinen ‚Notes et souvenirs‘, Paris 1904, die Begegnungen mit R nicht erwähnt. Stolze (1922, 290-293) nun veröffentlichte aus Akten des Ausw. Amts nach einer kurzen Einf. ein „Resumee“, eine Art Quintessenz der auf Veranlassung von Schweinitz verfaßten umfangreicheren Niederschr. - Fuchs veröffentlichte zugleich mit der größeren Niederschr. R.s ein „Fragment vom Konzept des Berichtes an König Wilhelm“ aus R.s NL (WuN I, 405f., Anm. a), das mit dem Stolzeschen „Resumee“ aus dem Ausw. Amt weitgehend identisch ist, weist jedoch auf Stolze und diesen Zusammenhang nicht hin. - Siehe auch unter II, 492. Zu R.s Beurteilung Thiers’ siehe seinen nekrologischen Tagebucheintrag von Sept. 1877 (SW 53/54, 614-618, Zweitdr. WuN I, 433-438). Zur Beurteilung der Zustände in Frankreich nach Thiers siehe seinen Brief an E. v. Manteuffel vom 13. 6. 73 (NBrr 600-602).

1871 Denkschrift für E. v. Manteuffel über die Verdienste Friedrich Wilhelms IV. um das preuß. Königtum, von Anfang Okt. 1871. - Kurze inhaltl. Hinweise bei Stosch/1904, 266. - Siehe dazu auch R. an Manteuffel, [vor dem 10. 9. 71] (NBrr 561).

1872 Art. über das Schulaufsichtsgesetz vom 7. März 1872. Verfaßt vor dem 21. Febr. 1872. Verfasserschaft ungewiß, s. II, 148.

1874 Denkschrift für E. v. Manteuffel „über die Behandlung“ der „Tagesfrage“ und Rankes Rat zur Teilung der Schweiz im Zusammenhang mit Pius IX., dem Vaticanischen Konzil und möglicherweise dem preuß. ‚Kulturkampf‘. Vor dem 11. 9. 74 von Manteuffel Bismarck zur Lektüre angeboten. Bisher nicht bekannt geworden. - Nachw.: Manteuffel/1897, 119f. - In Brief vom 11. 9. 76 (120): „L. Rankes Ansicht seit Beginn der Orientalischen Krise ist: Garantie von Rußland unserer annectirten Länder und von Elsaß und Lothringen, und dann mit Rußland durch dick und dünn.“ - Ein undatierter Brief M.s (vor dem 4. 8. 73; 120f.): R über Thiers. „Nach Rankes Relation hat Thiers die volle Ueberzeugung, daß er wieder Präsident der Republik wird.“ (und anderes mehr. Antwortbrief B.s in: O. v. B.: Briefe, 853). - Brief M.s vom 6. 12. 78 (121): „Ew. Durchlaucht hat es interessirt, als ich Ihnen einmal schrieb [23. 12. 73], Rankes Ansicht sei, daß in Brüssel der Heerd [!] des Römischen Einflusses auf die Katholiken in Deutschland sei. Dort sind nun im Innern Aenderungen eingetreten. Heute meint Ranke, der Heerd der socialistischen Bewegungen sei wieder in der Schweiz, und nach seiner Ansicht müsse es Aufgabe unserer Politik sein, daß Deutschland, Frankreich und Italien die Schweiz theile.“ - Siehe auch Briefwechsel ed. Dove/1896 und ed. Schmitz/1921. - Tagebuchaufzeichnung R.s von [nach 17. Juni 1885] anläßl. des Todes M.s: II, 233.

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II/4.2.2 Historisch-politische Denkschriften

Kirchenstreit 1874/1875 Tagebuchaufzeichnungen R.s, datiert 18. 8. 74 und 7. 3. 75, aus seinem Nachlaß mitgeteilt in SW 53/54, 601-604.

1877 Schreiben an Otto von Bismarck, 22. 2. 77. Erstdr.: Bismarck-Jb. II/1895, 256. - Das Schreiben enthält bedeutende Reflexionen R.s über das Verhältnis von Historie und Politik.

1878 Nach dem Nobiling’schen Mordversuch Aus Anlaß des Attentats von Dr. Karl Eduard Nobiling (1848-1878) auf Ks. Wilhelm I. - Eine zeitgeschichtliche Analyse vom 2. 6. 78, aus dem NL R.s mitgeteilt. Siehe II, 230.

1879 Rückblick auf die „Wechselfälle“ im Leben des deutschen Kaiserpaares Aus Anlaß der goldenen Hochzeit des Kaiserpaares am 11. 6. 79 eine briefl. Darstellung der „Wechselfälle“, welche die Majestäten seit 1830 betroffen haben. In Brief an Ks. Wilhelm I. u. Ksn. Augusta, 22. 6. 79 (FvR VIII/1906, 329f.).

1885 Gedanken zu Bismarcks 70. Geburtstag Gedanken zur Entwicklung Preußens im 19. Jahrhundert und zur weltgeschichtlichen Bedeutung Bismarcks aus Anlaß von dessen 70. Geburtstag. - Entw. eines Briefes an den Redakteur der ‚Gartenlaube‘, Hermann Heiberg, [vor dem 1. 4. 85]. In: D[ove]: Erinnerungen/1895, 875. Zweitdr.: Dove/1898, 232-235. - Siehe auch den Brief R.s an Bismarck vom 13. 2. 82 (SW 53/54, 550). - Eine Beurteilung Bismarcks findet sich ferner in R.s Tagebuchnotiz ‚Politischer Umschwung, 3. Juli 1879‘ (SW 53/54, 632, Zweitdr. WuN I/457f). -

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5. Teil VORLESUNGEN UND ÜBUNGEN (II/5)

1. Abteilung (II/5.1) VORLESUNGEN E i n f ü h r u n g (II/5.1.1) Der Oberlehrer Leopold Ranke wurde nach siebenjähriger Tätigkeit am Gymnasium zu Frankfurt/O. am 31. März 1825 als Vertretung des erkrankten Ordinarius Friedrich Wilken zum außerordentlichen Professor der Geschichte an die Berliner Universität berufen (Lenz IV/1910, 464), mit der Maßgabe, im Falle einer Wiederherstellung des Vertretenen der Versetzung an eine andere preußische Universität zuzustimmen. Erst acht Jahre später erhielt Ranke, mit Allerhöchster Kabinettsordre vom 3. Dez. 1833, auch mit Blick auf seine damals noch nicht gescheiterte, gewollt staatstragende historisch-politische Publizistik, die Ernennung zum ordentlichen Professor an der Philosophischen Fakultät der Universität zu Berlin. Seine Jahrzehnte später berühmt gewordene Antrittsrede mit dem Titel ‚Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine‘ hielt er nach einigem Widerwillen im November 1836, womit sein Ordinariat erst rechtskräftig wurde. Zu Rankes Universitätswirksamkeit sind neben seiner zweibändigen Personalakte (GStA PK), v. a. die Bestände des Archivs der Humboldt-Universität Berlin, sowie die Abschriften im Nachlaß Bernhard Hoeft (GStA PK) heranzuziehen. - Von Michaelis 1841 bis 1842 war Ranke Dekan. Am 15. März 1841schrieb Karl Hegel an Gervinus (NL Gervinus UB Heidelberg Hs. 2523-41): „Ranke wehrt sich hier mit Händen und Füßen, mit seinem ganzen Einfluß bei der Fakultät und beim Minister gegen neue Dozenten der Gesch[ichte] und deren Beförderung hie[r]selbst.“ (Stromeyer/1950, 44). - Zum Rektorat ist Ranke nicht aufgestiegen, obgleich viele seiner lediglich zwanzig Fakultätskollegen diese Ämter mehrfach übernahmen (Berg/1968, 28). Der Aufgabe als akademischer Lehrer kam er in 82 Semestern mit 93 Vorlesungen und einer nahezu gleichen Anzahl von Übungen jedoch ebenso gewissenhaft nach wie seinen Leseverpflichtungen in der Akademie. Die Zahlen relativieren sich ein wenig angesichts der 120 von Böckh aufgewandten Semester (Nippel: Genese/2010, 201). An der universitären Selbstverwaltung hat Ranke sich „nicht beteiligt ..., weniger auf jeden Fall als die Mehrzahl seiner Kollegen.“ (Berg/1968, 33). An Fakultätssitzungen nahm er - überdies unentschuldigt - häufig nicht teil. Gleichwohl hat er Spuren hinterlassen, nicht allein bei Preisaufgaben und deren Beurteilung (s. II/4.1 und Berg/1968, 29). Eine ist besonders bemerkenswert, die 1834 gestellte Aufgabe einer Darstellung von Leben und Taten Kg. Heinrichs I., an der sich neben Wilhelm Giesebrecht und Rudolf Köpke (Giesebrecht/1872, 276f.) Georg Waitz beteiligte, dem der Preis zugesprochen wurde. Dies führte zum ersten Band der von Ranke herausgegebenen, forschungsgeschichtlich bedeutenden ‚Jahrbüchern des Deutschen Reiches‘ (3 Bände [in 6], 1837-1840). Von seinen Beurteilungen bei Promotionsverfahren sind die über die Dissertationen von Heinrich von Sybel (1838) und Alfred Dove (1865?) mehr oder minder bekannt geworden. Über die Lehrtätigkeit von Kollegen hat er sich auf Ersuchen der Fakultät zumindest bei Karl Nauwerck (1843; Berg/1968 irrtüml.: „Neuwerck“) und Ernst Helwing (1846) geäußert (zu den vorgenannten vier Gutachten s. II/4.1). - Über Peter F. Stuhr hatte Ranke zwischen dem 16. u. 31. 7. 46 gegutachtet (s. ebd.). - Als Mitglied der Fakultäts-Kommission zur Beratung des von dem damaligen Direktor des jüdischen - 349 -

II/5.1.2 Vorlesungen - Thematik

Lehrerseminars in Berlin, Leopold Zunz, gestellten Antrags auf Errichtung eines Ordinariats für jüdische Geschichte und Literatur hatte er nach Juli 1848 ein Votum abgegeben (s. ebd.). - 1853 war er Mitglied der Fakultäts-Kommission zur Besetzung der in Berlin vakant gewordenen philosophischen Professuren und wandte sich in dieser Angelegenheit um Rat an Heinrich Ritter (20. 11. 53, SW 53/54, 359). - Vom 18. 6.1859 datiert sein Gutachten über Häusser, v. Sybel, W. A. Schmidt und Droysen. betr. die Nachfolge Friedrich v. Raumers (s. II/4.1). - Auf den dringenden Antrag Rankes wurde Philipp Jaffé am 9. Mai 1862 zum a. o. Professor an die Berliner Universität berufen (Bresslau/1921, 382). Nach Jaffés und Rudolf Köpkes Tod trat Ranke als Mitglied einer Fakultätskommission zur Besetzung/Einrichtung einer ordentlichen mal. Professur auf. Der Kommission gehörten überdies Curtius, Droysen, Haupt und Mommsen an. „In ihrer zweiten Sitzung am 18. Juni 1870 führte Ranke aus, daß es jetzt nötig sei, für die mittelalterliche Geschichte die bedeutendste Kraft zu gewinnen und also Waitz zu berufen ...“ (Bresslau /1921, 479). Siehe dazu auch sein drängendes Schreiben an Waitz vom 3. 7. 70 (SW 53/54, 492f.). Rankes Gesuch um Befreiung von der Verpflichtung, Vorlesungen abzuhalten, reichte der Fünfundsiebzigjährige am 26. April 1871 dem preußischen Kultusminister Heinrich von Mühler ein (Text bei Kaphan/1943, 117). Seinem Antrag wurde am 9. Mai entsprochen. Gleichwohl war er, Briefen von Karl Wilhelm Nitzsch an Ernst Dümmler vom 1. 1. u. 2. 2. 73 zufolge, bei der Berufung Dümmlers auf eine „allgemeine historische“ Professur an der Berliner Universität (Briefe aus E. Dümmlers Nachlass/1904, 226-228; 228f.) als Mitglied der Berufungskommission tätig. Übrigens befinden sich in den Rankeschen Syracuse-Beständen Notizen von seiner Hand mit Bemerkungen über andere Historiker und die Philosophische Fakultät der Universität Berlin (Muir/1983, Sign. Y184). Als wichtigste Veröffentlichung zum Thema ‚Vorlesungen und Übungen‘ ist neben der Edition von Vorlesungseinleitungen durch Volker Dotterweich und Walther Peter Fuchs (WuN IV/1975) die noch zu betrachtende pionierhafte Arbeit von Gunter Berg aus dem Jahre 1968 über ‚Leopold von Ranke als akademischer Lehrer‘ anzusehen. T h e m a t i k ( II/5.1.2) Ranke hat in seiner ersten, von Sybel freundlich formuliert, „halb autodidaktischen Periode“ (Sybel/1886, 470) seine Vorlesungen in kaum vertretbarer Weise mit Themen besetzt, die weiter ausgespannt nicht sein konnten: von der ‚Geschichte der alten Völker‘ bis zur ‚Neuesten Geschichte seit dem Jahre 1789‘, und sie beinhalteten nicht nur das staatlich-politische Leben. Er traute sich in der ersten seiner Vorlesungen, im Sommersemester 1825, auch zu, zeitlich und räumlich unbegrenzt über Staatengeschichte des westlichen Europa zu lesen und dabei zugleich die Literatur- und Kirchengeschichte mit zu erledigen (12. 5., an HR, SW 53/54, 145). Ob er dazu über halbwegs ausreichende Kenntnisse allein der englischen, französischen und spanischen Literatur verfügte, kann bezweifelt werden. Auch darf wohl gefragt werden, auf welcher Quellengrundlage er im Sommersemester 1827 die Zeitgeschichte nach 1789 dargestellt haben wird. Als Neunzigjähriger immerhin bekannte er: „Ich spreche hier nicht von meinen erstenVersuchen auf dem Katheder, aus denen man nur zu bald abnahm, daß ich den Boden, auf dem ich mich bewegen sollte, nicht kannte.“ In einer seiner bezeichnenden Rücknahmeerklärungen setzte er allerdings hinzu „Doch sind sie keineswegs unglücklich abgelaufen...“ (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 62f.). - 350 -

II/5.1.2 Vorlesungen - Thematik

Indes ist die zentrale, beherrschende Thematik seiner Vorlesungs-Frühzeit bei aller Extension und Varietät des Gesamtangebots ebenso forschungsfern wie traditionell, um nicht zu sagen, damals schon antiquiert gewesen: die vorgängig weithin gepflegte, neuerlich ein wenig aufgeklärte, jüdisch-christlich geprägte Weltgeschichtsthematik. Mit ihr war Ranke bereits in den beiden obersten Klassen seiner Pfortaer Schulzeit in Berührung gekommen, wo Ephraim J. G. Schmidt ‚Universalgeschichte‘ nach Johann Georg August Gallettis ‚Kleiner Weltgeschichte zum Unterricht und zur Unterhaltung‘ Gotha 1804-1819 lehrte (Henz/1968, 167-169). Ranke hat, wie er im Alter seinem Amanuensen Wiedemann mitteilte, während seines Studiums in Leipzig Vorlesungen bei Ernst Carl Wieland über die Weltgeschichte gehört. Dieser sei dabei „von Schiller’schen Prinzipien ausgegangen und nicht über Solon hinausgekommen“ (Wiedemann VI/1892, 101). Noch 1828 übrigens war Ranke der Überzeugung, die Bibel sei die „einzige Urkunde“ über „die ältesten [!] Weltverhältnisse“ (an HR, 16. [bis Ende] Apr. 28, SW 53/54, 196). Mag sein, daß er sich beim Präparieren seiner Vorlesungen der ‚Vier und zwanzig Bücher allgemeiner Geschichten, besonders der Europäischen Menschheit‘ (3 Bde., Tüb. 1810 u. ö.) Johannes von Müllers bedient hat, der ihm ja auch ansonsten Vorbild war. Die Weltgeschichtsthematik tritt bei Ranke sogleich mehrfach auf: im WS 1825/26, im WS 1826/27 und im WS 1827/28, - als ‚Allgemeine Weltgeschichte‘, als ‚Die Grundzüge der allgemeinen Weltgeschichte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart‘, auch als ‚Allgemeine Weltgeschichte bis auf Karl den Großen‘, was sehr direkt gar an Bossuet erinnert. Ranke steht, wie er auch in Briefen betont, geradezu im Banne dieser Thematik, beherrscht von einem noch nicht beherrschten universalen Erkenntnisdrang. Doch sind die wenig bescheidenen Vorhaben des Jungprofessors nur vermeintlich attraktiv, auch mangelt es dem unbekannten und unscheinbaren Vortragenden selbst an Anziehungskraft. Das ihm damals in der Regel begegnende geringe Interesse macht ihn nicht allein „mißmuthig“ (an HR, 3. 11. 25, SW 53/54, 150), der andauernde „schlechte Succeß“ veranlaßt ihn zu der tiefen Klage: „Soll das mein ganzes Leben so fortgehen, so ist das doch eine Plage.“ (an HR, 5. 5. 27, SW 53/54, 166). Die sich an seine ersten Berliner Jahre mit ihren sieben Vorlesungen vom SS 1825 bis zum SS 1827 anschließende, ungemein ertragreiche und beglückende dreijährige Archivreise (s. dazu II, 518ff.) trägt daher neben dem Drang des Entdeckens auch Züge einer Flucht, - und die Rückkehr nach Berlin schließlich fällt ihm schwer. Da ist es dann nicht nur eine ehrenvolle Aufgabe, dort sogleich - neben anderen seiner Kollegen, so auch Heinrich Ritter (SW 53/54, 246) - zur Belehrung des bayerischen Kronprinzen beitragen zu können. Es gibt ihm auch Gelegenheit, eigene frische Reiseeindrücke und Forschungsergebnisse zu thematisieren. Als Kronprinz Maximilian von Bayern nach Studien in Göttingen, noch nicht zwanzigjährig, auch Berlin aufsucht, trägt Ranke ihm also ‚Geschichte Italiens, angeknüpft an die Allgemeine Weltgeschichte‘ vor, freilich nur wenige Stunden. Hier scheinen zum ersten Mal übernommene Alt-Thematik und die in deutschen, österreichischen und italienischen Archiven betätigte neue Eigenforschung zusammenzutreffen. Und in seiner gleichzeitigen Universitätsvorlesung vom Sommersemester 1831 über ‚Neuere Geschichte seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts‘ dürfte diese Forschung zu einer volleren, wenn auch nicht definitiven Ausprägung gelangt sein, denn in den Sommersemestern der Jahre 1832 und 1833 kehrte er noch einmal zu seiner welthistorischen Thematik in vorgeblich unbegrenzter theoretischer Konzeption zurück: Er liest ‚Weltgeschichte in universalem Zusammenhange‘ und - 351 -

II/5.1.2 Vorlesungen - Thematik

sodann ‚Die Universalgeschichte (in ihrem allgemeinen und inneren Zusammenhange)‘. Nie mehr hat er daraufhin diesem weitesten aller möglichen Themen eine eigene Vorlesung gewidmet. Als er fünfzehn Jahre später, im Sommersemester 1848, die Begriffe noch einmal aufnimmt, geschieht dies bezogen auf die römische Geschichte eingeschränkt und eher methodologisch. Auch beim Thema ‚Studium der Geschichte‘, an das er sich heranwagt, ohne ein solches selbst jemals institutionell unternommen zu haben, bleibt der Erfolg aus. Im Sommersemester 1831 unternimmt er den ersten zurückhaltenden Versuch, das für seine Selbstfindung wesentliche TheorieThema vorzubringen, indem er seiner Vorlesung über Neuere Geschichte einige Vorlesungen über die Idee und das Studium der allgemeinen Historie vorausschickt. Er findet nur zwei Hörer, was ihn noch nicht entmutigt, dem Thema im nächsten Semester vor fünf Hörern vergebens wieder näherzutreten. Zeitlebens wird er ihm keine spezielle Veranstaltung mehr widmen. Die schon gleich zu Anfang unterhalb der allgemeinen Weltgeschichtsthematik angesiedelten Themen zur neueren und neuesten Geschichte beginnen nach seiner Rückkehr aus Italien entschieden und auf Dauer die Oberhand zu gewinnen. Die Anzahl bestimmter Vorlesungen mit völlig genauen Zahlen zu nennen, ist wegen thematischer, zeitlicher und räumlicher Überschneidungen allerdings kaum möglich oder sinnvoll. Doch darf wohl gesagt werden: Ranke hat bis zur Niederlegung seiner Universitätstätigkeit mit thematisch leicht fließenden Grenzen über zwanzig Vorlesungen zur neueren und etwa dreißig zur neuesten Geschichte gehalten. Auf eine derartige Dominanz deutet sein schriftliches Werk nicht hin, obgleich auch darin die Zeitgeschichte nicht gänzlich ausgespart blieb. Andere Themen stehen bei seinen Vorlesungen weit zurück. Im Wintersemester 1834/35 setzen seine bis 1870 in leicht variierten Ausformungen vierzehnmal vorgetragenen Mittelalter-Vorlesungen ein. Hier ist, wenn man von entsprechenden Teilen seiner Alters-Weltgeschichte absieht, im Druckwerk nichts Vergleichbares zu finden, und der Niederschlag in seinen Akademie-Lesungen ist sehr gering. Doch beziehen sich in deutlicher Weise seine thematisch nicht festgelegten ‚Übungen‘ auf mittelalterliche Themen, wie man v. a. aus Erinnerungen seiner Schüler weiß. Der Beginn seiner nur siebenmal, von 1836 bis 1863, gehaltenen Vorlesung ‚Deutsche Geschichte‘ fällt sehr genau mit den ersten Arbeiten an seiner ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ zusammen, und auch die mit sieben Lesungen von Sommersemester 1854 bis Wintersemester 1865/66 vergleichsweise häufig gelesene ‚Englische Geschichte‘ steht zeitlich in direktem Zusammenhang mit der Abfassung seines entsprechenden Buchwerkes, ist ein höchst beliebtes Thema seiner Akademie-Lesungen und hängt nicht zuletzt ab von seiner mehrfach bekundeten Bewunderung der englischen Nation. Eigentliche Vorlesungen Rankes zur Französischen Geschichte hat es hingegen nicht gegeben, ebensowenig zur italienischen. Selbst seinem erfolgreichsten Werk, den ‚Päpsten‘, steht keine entsprechende Vorlesung zur Seite. Auffallend, daß er auch keine eigens so benannte Vorlesung zur Preußischen Geschichte gehalten hat. So oft er über deutsche und neuere und neueste Geschichte gelesen hat, ‚Preußen‘ tritt als Begriff in der Thematik des Historiographen des preußischen Staates nicht auf. Dies mag mit dem geringen Zuspruch zusammenhängen, den gerade seine entsprechenden Werke erfahren haben. Den eigentlichen Kern seiner Vorlesungen wie seiner Werke bilden die großen Umbrüche, der Kampf der Ideen gegeneinander, der Eintritt des Neuen in das Alte, die - 352 -

II/5.1.2 Vorlesungen - Thematik

‚Irrungen‘, Erschütterungen, Katastrophen, Krisen und Kriege, das Verhältnis von Kirche und Staat, die religiösen und politischen ‚Revolutionen‘: die Reformation, die englische Revolution, die amerikanische Revolution, die französische Revolution. Karl der Große, dem er später das umfangreichste Kapitel seiner ‚Weltgeschichte‘ widmete (WG V/1884), und noch mehr Napoleon sind die historischen Persönlichkeiten, die Aufnahme in die Titel seiner Vorlesungen finden. „Die französische Revolution war der erste Gegenstand, den er behandelte“, so erinnert sich sein Bruder Ferdinand (‚Zu Leop. Biogr.‘, FR NL, GStA PK). Ranke sieht sich selbst noch lange geradezu in einem Zeitalter der Revolution befindlich, wie neben seinen Universitätsvorlesungen auch seine Berchtesgadener Vorträge vor Kg. Maximlian II. von Bayern im Herbst des Jahres 1854 zeigen. Besonders die Jahre 1789 und 1830 sind Zeitscheiden, die ihn interessiert, beeindruckt und beunruhigt haben. Doch nahezu ein Trauma löst erst die Revolution von 1848 aus. Zum ersten Mal tritt ihm das Geschehen direkt vor Augen, und er sucht, nicht als Anhänger, sondern in Berlin gar als existenziell bedrohter, herausragender wissenschaftlicher Repräsentant des Systems kurze Zeit nach Fluchtmöglichkeiten (s. I/1.9). Körperlich unterläßt er es dann doch, indes nicht thematisch: „Die Unruhen“, bekennt der Neunzigjährige, „die ich vor mir sah, veranlaßten mich, auf die Studien des Alterthums zurückzugreifen, woraus dann meine Vorlesungen über die Geschichte des Alterthums überhaupt, namentlich von Rom, hervorgegangen sind.“ (SW 53/54, 75). Überwunden wird dieses erschütternde Erleben in gewisser Weise erst durch die in seiner Sicht größte Tat der Menschheitsgeschichte, die Gründung des Deutschen Reiches und Kaisertums, ein Ereignis zudem, das sein Leben und Werk bedeutungshebend zu bestätigen scheint, sein Preußentum und seine monarchistischkonservative Haltung. Doch endet gerade an dieser Wende, in der er wohl eine vorsehungsgeprägte Zeit welthistorischer Erfüllung erblickte, die Vorlesungstätigkeit des Fünfundsiebzigjährigen mit einer gewissen Tragik: Hatte er doch auf die Ausarbeitung dieser nach seinem Willen letzten und wichtigsten seiner Vorlesungen im entscheidenden Sommersemesters 1871 über ‚Geschichte der neuesten Zeit‘ „den größten Fleiß“ verwandt. Ihr „Kontext“, der, wie man annehmen darf, auf das welthistorische Ereignis ein- oder zuging, war dreimal „völlig umgeschrieben“ worden. Indes ließ ihn der ernüchternde Anblick von fünf eingetragenen Hörern, die „während des Vortrags äußerst teilnahmslos erschienen“, das Kolleg nach der ersten Stunde abbrechen (Wiedemann I/1891, 172). Bereits nach dem Wintersemester 1869/70 hatte er auch seine Übungen eingestellt. Sie hatten ihm zuletzt noch zwei Hörer beschert. Seine Vorlesung vom Sommersemester 1868 über Geschichte des 18. Jahrhunderts hatte 26 Hörer gezählt, während Kollege Droysen in diesem Semester bei seiner Theorie-Vorlesung 91 und bei seiner Vorlesung über Neuere Geschichte seit 1500 60 Hörer zählen konnte (Nippel/2012, 338 nach Wannack/Hackel/2008). Seine Vorlesungstätigkeit endete nicht allein mit Mißerfolg, wie sie vor rd. 45 Jahren begonnen hatte, es entfiel nun vor allem die Möglichkeit welthistorischer Deutung des neuen Reiches in unmittelbarer persönlicher, öffentlicher Kundgabe. So brachte er denn „den großen Ereignissen und Handlungen des letzten Jahres“ in seinem nächsten Werk, dem 1871 erscheinenden ‚Ursprung des Siebenjährigen Krieges‘, sogleich seinen „Tribut“ dar (Vorw., VII) und wandte sich nun überhaupt in seinen Werken verstärkt der preußisch-deutschen Thematik zu . - 353 -

II/5.1.3 Vorlesungen - Wesen und Wirkung

W e s e n u n d W i r k u n g (II/5.1.3) Obgleich Rankes Vorlesungen bei weitem nicht die Wirkung etwa der Berliner Vorlesungen Niebuhrs gehabt haben, auch hat er wohl kaum daran gedacht, sie, wie dieser, in Buchform vor das Publikum zu bringen, sind sie doch in vielerlei Hinsicht von Interesse: zunächst in der Innenbetrachtung als Analogon und Komplement seines Schrift-Werkes, woraus sich bei Vorliegen eigener Vorlesungsmanuskripte und Hörernachschriften aufschlußreiche editorische wie interpretatorische Möglichkeiten ergeben. Auch sind aufgrund der perennierenden Thematik die in seiner eigenwilligen Manuskriptbehandlung sich kundgebenden konzeptionellen und Detailvarianzen zumindest gelegentlich in ihrer Entwicklung zu verfolgen. Überdies bieten seine Vorlesungen besonders in ihren Einleitungen allgemeine Betrachtungen und TheorieÄußerungen, die zu den sentenzenhaften Seltenheiten seines Schrift-Werkes und seiner sonstigen Aufzeichnungen gehören. In der Außenbetrachtung sind seine Vorlesungen - neben den Gesprächen das unmittelbarste, persönlichste Medium - potentiell bedeutend für seine Rezeptions- und allgemeine Wirkungsgeschichte. Eine solche bildet sich nicht allein in den Vorlesungsnachschriften der Hörer ab, sondern findet auch, davon unabhängig, unmittelbar aus dem Vortrag heraus Eingang in Korrespondenzen, Tagebücher, Lebenserinnerungen, Journalistik, Werke aus Wissenschaft, Literatur, Kunst und Politik. Seine Vorlesungen dürften das zu Rezipierende zumeist in lebendigerer, weniger revidierter, gelegentlich pointierterer Form vorgestellt haben als seine Werke, und ihre Wirkung auf einzelne am Vortragsereignis beteiligte hochqualifizierte Zeitgenossen mag oft größer und folgenreicher gewesen sein als die Wirkung der Buchlektüre auf eine anonyme Vielzahl von Bildungs-Lesern. Immerhin durfte er einige der später bedeutendsten Historiker des Jahrhunderts zu seinen Hörern oder Schülern zählen. Es fragt sich jedoch, wie weit diese eher theoretischen Feststellungen auf Ranke überhaupt zutreffen. Mit seinen Vorlesungen zur neuesten Geschichte hatte er, gemessen an den Hörerzahlen, die größten Erfolge. Zwischen 1835 und dem Revolutionsjahr 1848 sind seine Vorlesungen mit jeweils etwa sechzig bis über hundert Hörern recht gut besucht, danach gehen die Hörerzahlen des als extrem reaktionär eingeschätzten Historiographen des preußischen Staates mit wenigen Ausnahmen auf 20 bis 30 Hörer im Semester zurück. Bei Alfred Dove findet sich der Hinweis, daß aufgrund des wenig gewinnenden Rankeschen Vortragsstils „die Ziffern seiner Listen mit der Zahl der Anwesenden sich noch weniger als gewöhnlich deckten.“ (D[ove]: Ranke, Leopold v. (1888)/1898, 172). Darauf deutet auch die von Eduard Meyer gemachte Erfahrung hin: Er traf in Rankes Vorlesung zum Sommersemester 1833 lediglich drei Hörer an (Vischer/1953, 391), wohingegen die Quästur-Nachweisung 15 Hörer verzeichnet. Insgesamt ist jedoch auch, wie schon Berg (1968, 56-64: „Besuch der Vorlesungen“) richtig bemerkte, sowohl die Zahl der Studenten der philosophischen Fakultät, die im WS 1841/42 lediglich bei 445 lag, als auch die Hörerzahl der Kollegen Rankes vergleichend zu berücksichtigen. Hinsichtlich ihrer Substanz wurden Rankes Vorlesungen von seinen Hörern unterschiedlich beurteilt, in formaler Hinsicht jedoch überaus einheitlich. Zu seinen ersten prominenten Hörern und Förderern zählte K. A. Varnhagen von Ense. Er notierte am - 354 -

II/5.1.3 Vorlesungen - Wesen und Wirkung

19. Mai 1825 in sein Tagebuch: „Bei Herrn Prof. Ranke in der Vorlesung über Geschichte gewesen. Gute Richtung. Viel Geist und Gelehrsamkeit.“ (Varnhagen: Blätter aus der preuß. Gesch. III/1868, 291f.). Aus der Feder seines Bruders Ferdinand ist eine kurze Schilderung seiner frühen, später geänderten Vorlesungspraxis erhalten: „Sein früherer Frankfurter Schüler Schöneich [Schönaich?] war ... sein Amanuensis: vor dem Collegium holte er eine Übersicht von ihm ab, über das, was er in der Stunde vortragen wollte und schrieb es mit Kreide an die Tafel, von der es die Zuhörer abschrieben. Er trug frei vor, hielt sich aber streng an die gegebene Übersicht“ (FR NL GStA PK ‚Zu Leop. Biogr.‘, Teil I, S. 34f.). Sehr angetan von Rankes Vortrag scheint Clemens Theodor Perthes gewesen zu sein. In einem Brief aus seiner Berliner Zeit betreffend die Vorlesung vom Wintersemester 1831/32 heißt es: „Von 5-6 Uhr liest Ranke Geschichte der neueren Zeit seit der Reformation; wie er spricht im gewöhnlichen Leben, ebenso in den Vorlesungen, mit einem Feuer, das die Aufmerksamkeit eines jeden fesselt.“ (Perthes/1909, 26). Wesentlich differenzierter sind die noch zu Lebzeiten Rankes veröffentlichten Feststellungen Philipp Jaffés vom Sommersemester 1839: „Ranke ist ein tiefer philosophischer Geschichtsforscher, seine Ansichten sind klar, hell u besonders schön weiß er die Charaktere der verschiedenen Zeitabschnitte darzustellen ... ich habe ihn erst 3mal gehört. Schade, daß sein äußeres Wesen so gewaltig, wenigstens in der ersten Zeit, stört. Denken Sie sich eine kleine Gestalt, (schwarzer Leibrock), schmaler Backenbart, fast quer über die Backe, hervorragende Unterlippe, starrende Augen - er dehnt sich, er reckt sich, schlägt unbändig schnell die Füße immerfort übereinander, jetzt ballt er die Hände u drückt sie an die Brust, jetzt streckt er die Hände wie ein Kreuz aus u. s. w. Man ist wahrhaftig in fortwährender Ueberraschung, wenn man so vernünftige Aussprüche seinen Mund verlassen hört, weil sein Wesen Einen glauben machen könnte er sei verlegen u wisse nicht, was zu sagen, oder daß ein böser Dämon, neidisch auf unsre horchende Ohren, den schönen Redefluß zu stören suche.“ [Jaffé]/1880, 454. Rochus Frhr. von Liliencron hörte im Sommersemester 1841 bei Ranke ‚Neuere Geschichte‘, „in den beiden folgenden Semestern ‚Neueste‘“ (122-124) und gibt eine anschauliche Schilderung des Rankeschen Vorlesungsstils: „Sobald aber das kleine Männchen mit dem originellen, vielgefurchten Gesicht und den glänzenden, spielenden Augen zu sprechen begann, war alles an ihm Leben, Bewegung und Feuer. Man sah sozusagen seine Gedanken in ihm vorgehen und so war auch sein Vortrag auf dem Katheder. Was er hier sprach, war ohne Zweifel nicht minder bis ins Einzelne durchdacht und durchreift, wie in Savignys kunstvoll ebenmäßiger Rede. Bei Ranke aber erschien alles wie aus augenblicklicher Begeisterung hervorsprudelnd. Er erzählte Geschichte, als wenn er ihre Hergänge im Werden vor sich sähe, ihr folgte, sie belauschte, innerlich hingerissen von dem gewaltigen Weltgetriebe, vor allem von dem Tun und Schaffen der großen politischen Genien. Alles dramatisches Leben! Oft genug brach im gefüllten Kolleg ein schallendes Gelächter aus über eine geistreich heitere Wendung.“ (Liliencron/1902, 123). Willibald Beyschlag bemerkte im Wintersemester 1842/43 bei dem sitzend lehrenden kleinen Mann, der „alle Augenblicke gesticulirend“ aufsprang, auch inhaltliche Unzulänglichkeiten: „vornehme Neutralität“ und „Mangel an Schärfe des Urtheils“ (Beyschlag/1896, 140f.). Um1844 „hospitierte“ Rudolph Gottschall bei ihm. Er vernahm „keinen hinreißenden Fluß der Rede“. Auch habe Ranke sich geräuspert und gespuckt (Gottschall/1898, 163f.). - 355 -

II/5.1.3 Vorlesungen - Wesen und Wirkung

Karl Frenzel schilderte in seinen Erinnerungen ausführlich Rankes Vorlesungsstil: „sprunghafte Rede und formlose Sätze“ (Frenzel/1912, 48). Wahrscheinlich besuchte er die Vorlesung. ‚Über neuere Geschichte‘ im Wintersemester 1849/50. Als Mithörer nennt er übrigens Herman und Rudolf Grimm sowie Ernst Curtius (letztere beiden fehlen im Hörerverzeichnis Bergs/1968). - „In einem kleinen Saal, nach dem Kastanienwäldchen zu ... hielt Ranke seine Vorlesungen. ... Leopold Ranke war damals ein Mann in der Mitte der fünfziger Jahre. Von mittlerer Statur, schlank und beinahe zierlich, mit grauen Haaren, bartlos. Eine außerordentliche Beweglichkeit, die ihn kaum eine Minute in ruhiger Stellung ausharren ließ, und der scharfgeschnittene Kopf mit lebhaft funkelnden Augen gaben ihm den eigenartigen Ausdruck. Er sprach frei und blickte selten in das vor ihm liegende Heft. Seine Stimme war dünn, ohne Wohlklang, und ich glaube nicht, daß die auf den hinteren Bänken Sitzenden seine Worte immer verstanden haben, entging mir selbst doch manches, wenn er mit einer plötzlichen Wendung den Kopf nach hinten zurückwarf und etwas vor sich hinmurmelte. Von einem durchgebildeten, feingegliederten Vortrag war seine Rede weit entfernt. Es fehlte ihr die Ruhe, das Gleichmaß und der Schwung. Aber man vergaß diese Mängel über der Fülle der Gedanken und Geistesblitze, die aus dem in seiner Art so beredten Munde strömten, wie alles sich im Augenblick bei | ihm bildete, wie nichts angelernt und angewöhnt war. Der Wechsel seines Mienenspiels, die Unruhe seiner Hände verrieten dem Zuhörer die beständige Arbeit seines Geistes ... Anregungen mannigfachster Art, die den Kundigen hinrissen - aber eine klare fortlaufende Erzählung dessen, was sich zugetragen, eine übersichtliche Darstellung der Entwicklung, der politischen oder der kulturhistorischen, wurde uns nicht geboten...“ (45f.). - „His style is the acme of flippancy, without dignity, grace or intelligibility“, wobei er „little fragments of sentences“ ausgestoßen habe, schreibt William Wetmore Story (1819-1895) in einem Brief vom Januar 1850 (H. James I/1903, 213f.). Eine anschauliche Schilderung - noch zu Rankes Lebzeiten erschienen - verdankt man auch einem nicht genannten, „jungen, aber verständigen Freund“ Johann Friedrich Böhmers, die der große Mediävist nicht verfehlte, Ignaz Döllinger mitzuteilen, - sie dürfte sich damals herumgesprochen haben: „Zur Geschichte über das Mittelalter bei Ranke [WS 1852/53] habe ich mich endlich nach langem Schwanken ebenfalls definitiv entschieden, indem ich dabei besonders Ihrem Rathe folgte. Doch hat die Vorlesung in der That nur einen halben Erfolg wegen des außerordentlich schlechten Vortrages. Statt daß er nämlich vorher ruhig Ueberdachtes und in gemessene | Form Gebrachtes den Zuhörern einfach zum Auffassen übermittle, will er sich gleichsam erst auf dem Katheder selbst zu seinen Betrachtungen und Gedanken inspiriren lassen. Unruhig bewegt der kleine Mann sich auf dem großen Sessel stets hin und her; das Gesicht fast verzerrt, gespannt nach der Decke gerichtet, hascht er seine Gedanken in dem leeren Luftraum. Ein paar gravitätisch und langsam intonirte Worte kündigen den erfolgten Fang an, hinter denen dann in oft unvernehmlichem Durcheinander eine lange Reihe anderer flüchtig einherrollt, damit ein augenblicklich neu sich darbietender Gedanke weiteren Platz finde. Auf diese Weise sind oft die einzelnen Worte unverständlich, der Zusammenhang ist unklar, da oft gerade das nothwendig Bindende fehlt. Uebersicht ermangelt gänzlich. Nichtsdestoweniger geben sich auch diese Uebelstände durch die Gewohnheit, und wenn auch nicht das Ganze in seiner Folge klar verstanden werden kann, so sind doch die vielen oft bedeutenden Gedanken interessant.“ (28. 2. 53, Böhmer/1868, III, 88f.). Und Döllinger erhielt noch einen weiteren Brief, diesmal von - 356 -

II/5.1.4 Vorlesungen - Manuskripte und Nachschriften

seinem Schüler Lord Acton, der Ranke bei privaten Besuchen kennengelernt hatte und dessen Ansichten ihm „durchaus oberflächlich“ erschienen. Acton besuchte auch die Vorlesungen und fand: „aber er leistet gar nichts als Lehrer. Es ist nicht der Mühe werth ihn zu hören“. Ranke habe „in seinem Wesen nichts ernsthaftes oder würdiges“ (14. 3. 55, Döllinger Briefwechsel/1963, I, 57). „Am begierigsten waren wir, den großen Historiker Ranke zu hören“, erinnert sich der Musikschriftsteller Eduard Hanslick (1825-1904) an eine Vorlesung 1855. „Auf einen überfüllten Hörsaal gefaßt, staunten wir nicht wenig, nur die ersten drei bis vier Bänke besetzt zu sehen. Bald löste sich uns das Rätsel. Auch die Hörer in den vordersten Reihen konnten nur durch längere Gewohnheit und peinliche Anstrengung dazu gelangt sein, den Meister zu verstehen. Das war kein Vortrag, sondern ein in willkürlichen Unterbrechungen gemurmelter, gelispelter, geächzter Monolog, von dem wir immer nur einzelne Worte verstanden. Interessant war nur die Mimik des alten Herrn. Ohne einen Blick auf die Zuhörer, ganz versunken in sein halblautes Denken, begleitete Ranke jeden Satz, mitunter jedes einzelne Wort, mit der beweglichsten Mimik. Wir sahen ihn lächeln, schmunzeln, die Augen aufreißen oder verächtlich zudrücken, die Stirne runzeln, dazwischen wie im Traum abgebrochene Sätze hervorstoßen, deren Zusammenhang nicht zu fassen war. -“ (Hanslick/ I, 4. Aufl./1911, 256). Ein anonymer Hörer der Vorlesung des Wintersemesters 1857/58 erlebte die sich oft wiederholenden „Momente des unverständlichen Rollens und Sprudelns der Worte“ (320) und veröffentlichte seine Eindrücke wohl zu Rankes geringer Freude in der ‚Berliner Revue‘ vom Mai 1858. Ähnlich erging es Alfred Stern Mitte der 1860er Jahre: „Nachlässig auf seinem Sitz zurückgelehnt, die großen blauen Augen auf die Decke gerichtet, als sähe er dort die Schatten der Vergangenheit emporsteigen, reihte er mit leiser Stimme oft kaum vernehmliche Sätze aneinander, bis plötzlich ein treffendes Wort, ein geistvoller Vergleich, ein großartiger, allgemeiner Gedanke rasch hervorgestoßen und von lebhaften Gesten begleitet die Kette der dunkeln Orakelsprüche blitzartig durchbrach.“ (Stern/ND 1914, 39). Da erstaunt es sehr, daß später von „hinreissender Beredsamkeit“ Rankes gesprochen werden konnte (Helbling/1995, 45). - Schon 1841 hat Karl Friedrich Köppen überzeugend auf den Zusammenhang von Vortragsstil und Schreibstil Rankes aufmerksam gemacht, indem er festhielt: „Auch auf dem Katheder bleibt Ranke sich und seiner Manier getreu: er gibt da eine mimisch-plastische Darstellung seines Stils.“ (Köppen/1841, 434). Die hier in extenso vorgeführten Äußerungen von Hörern unterschiedlicher Herkunft und aus unterschiedlichen Zeiten - sie ließen sich vermehren - offenbaren mit großer Deutlichkeit einige Grundphänomene, die nicht notwendig zusammen auftreten müssen, jedoch im Falle Rankes in großer Stärke zusammenwirkten: Mehrfach wird in den vorgeführten Erinnerungen die völlige Loslösung des Vortragenden vom Manuskript dargestellt, mehrfach wird überdies die Schwierigkeit einer ausreichenden akustischen Wahrnehmung durch seine Hörer dargestellt, und mehrfach wird auch vergebens nach einem inhaltlichen Zusammenhang des Vorgetragenen gesucht. Auf diese für Fragen der Überlieferung bedeutende Konstellation wird zurückzukommen sein. V o r l e s u n g s m a n u s k r i p t e u n d N a c h s c h r i f t e n (II/5.1.4) Die zeitliche Zuordnung der überwiegend undatierten Rankeschen Vorlesungs-Handschriften zu bestimmten Semestern ist nicht selten ungewiß und z. T. nur abschnittweise durchführbar. Denn die in seinem Vorlesungsstil nachgewiesene Chaotik zeigt - 357 -

II/5.1.4 Vorlesungen - Manuskripte und Nachschriften

sich auch in seinen Vorlesungsmanuskripten. Befördert wurde sie durch das Zusammentreffen eines mangelnden Ordnungs- und Organisationssinns mit dem iterativen Charakter seiner Veranstaltungen, was in den Manuskripten immer wieder zu verwirrenden bis verwüstenden à jour-Maßnahmen führte. In ihren Ausschneidungen, Aufklebungen - wobei Neu in Alt oder Alt in Neu geklebt wurde -, Streichungen, Einlagen, Interlinear- und Marginalnotizen sind sie, entsprechend den Manuskripten und Korrekturabzügen seiner Buchwerke, Opfer und getreues Spiegelbild des Rankeschen ruhelosen wie unruhigen Schöpfertums. Einige Beispiele seien gegeben: So enthält Rankes Manuskript. zu seiner Vorlesung ‚Geschichte der neuesten Zeit seit Begründung der nordamerikanischen Freistaaten‘ vom WS 1868/69 nach den Feststellungen von Dotterweich und Fuchs Partien aus fünf Zeitschichten, möglicherweise gar zurückgehend auf Mitte der 1830er Jahre (WuN IV, 449-459). Bei Rankes Manuskript zu seiner Vorlesung vom Sommersemester 1867 ‚Allgemeine neuere Geschichte der Staaten und der Kirche seit dem Ende des 15. Jahrhunderts‘ soll es sich gar um einen „Zusammenschnitt verschiedener Vorlesungen“ aus etwa acht Stücken und Zeitschichten der Jahre 1835 bis 1867 handeln (ebd., 405, mit A 1). Feststellungen von Grete Freitag decken weitere Gegebenheiten auf, enthält doch ein von ihr untersuchtes Vorlesungsmanuskript des Jahres 1852 über ‚Römische Geschichte‘ mit ca. 900 Seiten Umfang (RNL 28 L 2) „ganz frühe Bruchstücke, die ganz zu Anfang aufgeklebt wurden“, möglicherweise von 1826/27, es stellt aber mit Neuansätzen, Doppelbehandlungen vermutlich zugleich „die erweiterte und überarbeitete Vorlesung aus dem Jahre 1848 dar, enthält möglicherweise „Teile“ aus „anderen Ausarbeitungen“, wurde schließlich - rd. dreißig Jahre später - von fremden Händen zur Vorbereitung der ‚Weltgeschichte‘ mit Zusätzen und Streichungs- und anderen Vermerken versehen. (Freitag/1966. Ausführliche Beschreibung der Hs.: 44-46, s. auch II, 230f. u. 364f.). Hier könnte, aufs Ganze gesehen, eine zeitliche Amplitude von gut fünfzig Jahren vorliegen. Dabei ist noch auf zweierlei hinzuweisen: Rankes Manuskript-Manipulationen schreiten offenbar nicht unbedingt chronologisch von alter zu neuer Erkenntnis fort, sondern holen gelegentlich wohl auch Altes bis Uraltes hervor, das sie Neuerem ein- bzw. chronologisch nachsetzen, wodurch innerhalb der allgemeinen Verrätselung eine Paradoxierung der Werk-Genese eintritt. So ‚gestaltete‘ Ranke seine Manuskripte zu schwer faßbaren textlichen Misch-Wesen sui et eius generis. Bemerkenswert ist bei dem von Freitag beschriebenen Manuskript auch: Es wurde über seine Zeitschichtungen hinaus letztlich nach Inhalt und Zweck alteriert, in Teilen vom Vorlesungsmanuskript zum Buchmanuskript gewandelt, was nicht verwerflich, aber verwirrend ist und in beiden Richtungen interessante, freilich nicht leicht zu lösende editorische und interpretatorische Fragen aufwirft. Übrigens ist beim Einzel-Eingreifen wie besonders auch ganzheitlichen Auftreten fremder Hände stets zu bedenken, daß diese im Auftrag des nicht mehr voll seh- und schreibfähigen Greises mit oder ohne dessen Wortlaut, aber auch eigenständig bis eigenmächtig tätig geworden sein können. Wesentlich und weitreichend dürfte die Feststellung sein: Rankes Vorlesungsmanuskripte sind zwar von ihm gedacht, verfaßt und geschrieben, aber sie sind nicht in ihrer Schriftform vorgetragen worden, vielmehr kann von einer erheblichen Differenz ausgegangen werden. In der Vorlesung konnten sie allein aufgrund seiner fast ekstatischen Loslösung und inspirativen Kundgabe allenfalls punktuell bzw. sentenziös zur Verwendung kommen. Ein bereits bemühter Gasthörer des Wintersemesters 1857/58 - 358 -

II/5.1.4 Vorlesungen - Manuskripte und Nachschriften

beschreibt Rankes Vorlesungsgewohnheiten wie folgt: „Eine Rolle Papier wird hervorgenommen, aber kaum angesehn - höchstens im Lauf der Vorlesung wird sie einmal mit eiligem Suchen auseinandergeblättert, wenn es sich um eine - sonst mit souveräner Verachtung behandelte - Jahreszahl, oder um ein wörtliches Citat handelt... plötzlich zuckt ein geistreicher und tiefer Gedanke, eine überraschende Combination hervor, und die versteht sicher ein jeder Zuhörer. Solche Gedanken, frisch und stets in eine originelle Form gekleidet, werden wohl oft erst in demselben Augenblick auf dem Katheder gegriffen und formirt, wo sie wie ein Blitz treffen und einschlagen“ ([Anonym:] Die Berliner Universität/1858, 320). - „Er sprach frei und blickte selten in das vor ihm liegende Heft.“, erinnert sich auch Karl Frenzel (Frenzel/1912, 45). Überdies waren seine Skripten, wie seine Buchbestände (s. II/8.1), aufgrund ihres chaotischen Zustandes auch für ihn selbst im Detail kaum ad hoc zugriffsfähig. Heinrich von Sybel hat sich in seiner Gedächtnisrede über Rankes Vorlesungen milde geäußert: „Ranke sprach völlig frei, hatte aber vorher den Gegenstand in jeder Beziehung auf das gründlichste schriftlich durchgearbeitet und sich damit die volle Beherrschung desselben für die mündliche Neugestaltung gesichert.“ (Sybel/1886, 473). Doch auch hier ist deutlich unterschieden zwischen voraufgehender schriftlicher Fixierung und späterer mündlicher Neugestaltung. Über den Vorbereitungszweck hinaus ist ein weiterer Gesichtspunkt von Interesse. Indem Rankes Manuskripte zu Kompendien fortschreitender Materialanreicherung und -Beherrschung wurden, traten sie auch in engeren Zusammenhang mit seinem Buch-Werk, und dies nicht nur im nehmenden, sondern auch im gebenden Sinne. Aus all dem ergibt sich, daß Rankes Vorlesungen als potentiell eminentes Medium der Wissenschaftsvermittlung und damit auch als Quelle zur Wissenschaftsgeschichte des 19. Jahrhunderts nicht in der Form seiner Manuskripte zur Wirksamkeit gelangt sind. Denn sie enthielten allenfalls das, was er in Teilen vielleicht zu sagen beabsichtigte, nicht das, was er - schwer verständlich und überwiegend zusammenhanglos wirklich sagte. Da könnte nun der Gedanke aufkommen, der wirksame Wortlaut seiner Vorlesungen sei wohl eher in den Nachschriften seiner Hörer zu finden. Doch auch dem steht zunächst die mangelnde akustische und geistige Verständlichkeit seines Vortrags entgegen. Felix Dahn, der Ranke im Wintersemester 1852/53 hörte, klagte: „...es war fast unmöglich, nachzuschreiben und ein gutes Heft mit nach Hause zu bringen.“ (Dahn, II/1891, 458). Selbst der mit Äußerungen seines Vaters wohlvertraute und positiv gestimmte Friduhelm von Ranke mußte nach Besuch einer Vorlesung vom SW 1865/66 zugeben: „Es war nichts Vorhandenes, nichts völlig Vorbereitetes, was er sprach, sondern es war ein augenblickliches geistiges Schaffen; der Zuhörer arbeitete gewissermaßen mit und wurde schließlich doch hingerissen. Ein Mitschreiben war schwer möglich: man mußte die Ohren zu sehr anstrengen, damit kein Wort verloren ging.“ (FvR I/1903, 15). Man darf wohl schließen: Je glatter die erhaltenen Nachschriften in Duktus und Syntax sind, desto verdächtiger machen sie sich, desto weniger bilden sie Rankes wirklichen Wortlaut ab, denn ein getreues Abbild des Chaos kann nicht anders als seinerseits chaotisch sein. Doch kann angenommen werden, daß Nachschriften gerade prägnante Sentenzen Rankes, wie von Alfred Stern vermerkt, ein „treffendes Wort“, einen „geistvollen Vergleich“, einen „großartigen, allgemeinen Gedanken“ oder einen der von Karl Frenzel wahrgenommenen „Geistesblitze“ enthalten, Äußerungen, die in Begeisterung und Überschwang des Vortrags entstanden, in Rankes Manuskript mögli- 359 -

II/5.1.5 Vorlesungen - Zur Geschichte der Editorik

cherweise nicht vorhanden waren. Überdies können Nachschriften in der inhaltlichen Struktur, im Ablauf des Geschriebenen dem Ablauf des Gesagten näher stehen als das Manuskript. Eine bedeutende Problematik der Hörernachschriften liegt freilich, wie angedeutet - gerade im Falle Rankes - darin, in welcher Verständigkeit und Vollständigkeit sie mitgeschrieben wurden, ob sie nachlässig lückenhaft oder bewußt stichwortartig verfaßt, später mit Füllungen und Glättungen versehen, möglicherweise aus anderen Nachschriften ergänzt wurden, so daß Zweifel an Art und Umfang der verschiedenen primären und sekundären Urheberschaften angebracht sind. Daß Rankesche Kolleghefte nicht nur als Bildungs- sondern wie üblich auch als Handelsobjekte umliefen, ist allerdings kaum anzunehmen. Eduard Meyer mußte um 1833 feststellen, „daß gewiß in ganz Berlin nicht ein verkäufliches gefunden werden“ konnte (Vischer/1953, 391). Doch fiel seine eigene Nachschrift vom Sommersemester 1833 einem unfähigen Abschreiber zum Opfer, und auch eine darin auftretende revidierende Hand konnte nicht alles richten, so daß, wie man schließen mußte, darin „Rankes Ausführungen entweder allzu verkürzt oder geradezu schief, ja, durchaus unverständlich wiedergegeben sind“ (Vischer/1953, 393). Mit der schweren Verständlichkeit seines Vortrags und der über weite Strecken geringen Zahl seiner Hörer dürfte auch die im Hinblick auf die Dauer seiner Vorlesungstätigkeit nicht allzu große Zahl von Vorlesungsnachschriften, genauer gesagt, die mäßige Zahl der - in vorliegendem Werk auf etwa 24 erweitert - Nachschreiber zusammenhängen. Von den bedeutendsten sind mehrere Nachschriften überliefert, sechs von Sybel, fünf von Waitz, fünf auch von Burckhardt. Nachschriften setzen nach dem bisherigen Kenntnisstand erst mit dem Sommersemester 1831 ein und bilden bis zum Sommersemester 1845 eine ziemlich geschlossene Folge. Es ist dies zugleich die Zeit, die man noch am ehesten als seine schulbildende bezeichnen kann. Mit wenigen Ausnahmen gelten sie den Vorlesungen zur neueren und neuesten Geschichte. Nach 1845 treten größere Lücken auf, und wenig später gehen, wie bemerkt, auch Rankes Hörerzahlen merklich zurück. Nur wenige Vorlesungen sind mehrfach mit Nachschriften besetzt, ja über eine große Zahl von Vorlesungen ist bisher weder ein Rankesches Manuskript noch eine Nachschrift bekannt geworden. Dies gilt bedauerlicherweise auch für seine im Wintersemester 1831/32 gehaltene Vorlesung ‚Über das Studium der Geschichte‘. Doch gewinnen die Hörer-Nachschriften seiner Vorlesungen - selbst bei Vorliegen Rankescher Eigen-Manuskripte - eine unerwartete erhöhte Bedeutung: Sie stellen im Gegensatz zu der durch Überarbeitungen in mehreren Semestern entstandenen physischen Zeitschichtenvielfalt der Rankeschen Handschriften in ihren authentischen Teilen - sofern man ihrer habhaft wird - lediglich die eine Zeitschicht des von ihm in einem bestimmten Semester Vorgetragenen dar, können somit auch in der Schichtenanalyse Rankescher Eigen-Manuskripte - sofern man eine solche für sinnvoll hält hilfreich sein. Z u r G e s c h i c h t e d e r V o r l e s u n g s - E d i t o r i k (II/5.1.5) Die erste Veröffentlichung aus Vorlesungen Rankes unternahm Alfred Dove im Zuge seiner Fortführung der nicht beendeten Rankeschen ‚Weltgeschichte‘. Deren erster nach Rankes Tod aus dem Nachlaß herausgegebene Band VII scheint - bei anderweitig problematischer Komposition - noch frei zu sein von Vorlesungspartien. Doch schon hier zeigte sich, was zu erwarten war. Es sollte nicht wissenschaftlich bzw. für - 360 -

II/5.1.5 Vorlesungen - Zur Geschichte der Editorik

wissenschaftliche Zwecke ediert werden, es ging in erster Linie darum, für das Subskriptionspublikum „einen wohlgefügten, bequem lesbaren Text herzustellen.“ (Dove in WG VII, Vorw., VI). Dazu diente künftig vorrangig bis ausschließlich der Fundus der Rankeschen Vorlesungen, sowohl in Form eigener Manuskripte Rankes, als auch in Form von Mitschriften seiner Schüler. Bei dem 1887 erschienenen VIII. Band über Kreuzzüge und päpstliche Weltherrschaft (XII. und XIII. Jahrhundert) handelt es sich dem Vorwort Doves zufolge ab dem dritten Kapitel um eine Bearbeitung eigener Rankescher Vorlesungshefte durch Rankes Amanuensen Georg Winter, unter starker Berücksichtigung zweier Vorlesungsnachschriften von Dove selbst und von Otto Heyne, wohingegen für die ersten beiden Kapitel hauptsächlich noch auf Diktate Rankes aus seinen letzten Lebensmonaten zurückgegriffen werden konnte. Das „Gerüst ihres Aufbaus“ wurde der Heyneschen Vorlesungsnachschrift entnommen, daneben, leider gänzlich unbestimmt, auch „eine Reihe älterer zurathe“ gezogen (WG VIII/1887, X). Das hinderte Bernhard Kugler nicht an der Überzeugung, jede Seite des Buches bürge dafür, daß hier „im wesentlichen wirklich echte und ganze Rankesche Arbeit, Geist von seinem Geist“ vorliege. Das Buch enthalte aber bei allem historischen Weitblick viel Veraltetes, „Irrtümer, Fehler“, welche in einzelnen Gebieten (z. B. Byzantiner/Kreuzfahrer) „peinlich zahlreich auftreten“ (Kugler/1889, 132f.). Nach Berg/1968, 76 sind die Dovesche und Heynesche Nachschrift wie die von Dove angeführten Manuskripte Rankes verschollen. In Band IX/1, dem von Dove zusammengestellten, 1888 erschienenen letzten Band der ‚Weltgeschichte‘ - ‚Zeiten des Uebergangs zur modernen Welt (XIV. und XV. Jahrhundert)‘ -, für den weder Diktate noch Weisungen Rankes vorlagen, kam die Gattung der Vorlesungen sogar ganz ausschließlich zum Tragen. Wie Dove im Vorwort erklärte, bilden „die dreizehn Capitel dieses Theils sammt Eingang und Schlußwort ... in allem Wesentlichen, nach Form und Inhalt, den bisher zurückbehaltenen Rest eines Heftes, welches von Ranke selbst für die jüngste, im Sommersemester 1870 unternommene Wiederholung seines Collegs über das nachstaufische Zeitalter eigenhändig niedergeschrieben worden“ war (Vsq.). Doch wie konnte es gelingen, dem Vorhaben Rankes entsprechend, den Weltgeschichtstorso bis ins neunzehnte Jahrhundert hinein fortzusetzen? Im Teilnachlaß Dove des GStA PK finden sich von seiner Hand Auszüge aus Vorlesungsnachschriften verschiedener Hörer ganz überwiegend zur neueren und neuesten Geschichte, welche auf den allerdings gescheiterten Versuch hindeuten, die Rankesche ‚Weltgeschichte‘ bis in eben diese Zeit fortzusetzen. Dazu diente dann ersatzweise die als Teil 2 von Band IX der ‚Weltgeschichte‘ angeheftete Edition der vor Kg. Maximilian II. von Bayern 1854 in Berchtesgaden gehaltenen Vorträge. Hier, in seinem Vorwort, referierte Dove, allerdings nicht wörtlich zitierend, aus „nachgeschriebenen Schülerheften“ von Vorlesungen Rankes der vierziger Jahre (XI-XIII), wiederum ein wichtiger früher Wink auf die Nachschriften-Gattung, und gab letztlich den Text einer Vorlesungseinleitung Rankes in „eigenhändiger Fassung aus den sechziger Jahren“ zum Thema ‚Universalhistorie‘ wieder (XIII-XVI). Dies ging nun über den werkgenerierenden Vorlesungsmißbrauch hinaus und gab einen deutlichen, wenn auch noch lange nicht aufgegriffenen Hinweis auf die TheorieBedeutung der Vorlesungseinleitungen, denn dies ist das Hauptinteresse, welches ihnen in späterer Zeit geschenkt wurde. Freilich blieb das Dovesche Konstruktionsverfahren - 361 -

II/5.1.5 Vorlesungen - Zur Geschichte der Editorik

nicht ganz ohne Kritik: Hans Prutz, einer der auffallend wenigen annähernd sachkundigen Rezensenten der ‚Weltgeschichte‘ Rankes fand, das von Dove für Bd. IX,1 herangezogene Vorlesungsmanuskript Rankes sei eine „immerhin eilig und im Dienste eines augenblicklichen Bedürfnisses hingeworfene Darstellung“, in der man „die sonst so fesselnde Betonung der Momente der Einheit in der zerfahrenen und nach den verschiedensten Richtungen auseinanderlaufenden Entwicklung“ vermisse (Prutz/1889, 50). Auf veraltete Angaben in Band IX/1 machte ein Anonymus im Literarischen Centralblatt (1889, Nr. 44, Sp. 1508) aufmerksam. Auch Adolf Bachmann (1888/1891, S. II, 274) machte erhebliche Ausstellungen (s. I, 396f. 421). Bei Dove ging es also nicht um die Vorlesungen als Vorlesungen, sondern um das Material, das sie zur posthumen Fortsetzung der ‚Weltgeschichte‘ boten. Er war dabei in guter, legitimierender Gesellschaft, denn auch Ranke war bei den voraufgehenden Bänden, natürlich unter Beiziehung anderen Materials, bereits so vorgegangen. Nicht allein in ihren von Dove zusammengefügten posthumen Teilen VII bis IX, sondern auch in Rankes eigenhändigen Bänden stellte die ‚Weltgeschichte‘ ein gern verdrängtes Kompositum dar, in dem, wie Sybel (Gedächtnisrede/1886, 480) schrieb, „Ausarbeitungen der Jugend- und Mannesjahre der Erzählung zu Grunde gelegt sind.“ Nach Dove kam es rund vierzig Jahre lang, in denen Rankes Werke, Autobiographica aus dem Nachlaß und Briefwechsel editorisch Beachtung fanden, zu keiner weiteren Bemühung um die Gattung seiner Vorlesungen. Im Zuge der von Paul Joachimsen in den 1920er Jahren geplanten, von starken Illusionen geprägten allumfassenden Ranke-Ausgabe entschloß man sich auch zu Visitationen des mittlerweile in die Staatsbibliothek Berlin gelangten Nachlasses, wo man, bei allerdings fehlgeschlagenen Ordnungsmaßnahmen (dazu Baur/2007, 18f.), auf Vorlesungsmanuskripte gestoßen sein dürfte. Joachimsen faßte jedenfalls den Entschluß, seinen WerkEditionen auch „Stücke aus den Vorlesungen“ beizugeben (Joachimsen/1925, 59). Dies fiel jedoch nach dem qualifizierten Urteil von Schulin mit einem einzigen, überdies falsch zugeordneten Blatt aus dem Vorlesungsmaterial „etwas kümmerlich“ aus und war „zudem nicht fehlerfrei“ (Schulin/1958, 304). Statt, wie Schulin feststellen mußte, der richtigen Lesung „Einleitung zur Neueren Geschichte 1832/33“ hatte Joachimsen entziffert „Einleitung zur Reformationsgeschichte 1832/33“, wodurch nicht nur ein von Ranke nicht gehaltenes Reformationskolleg in die Forschung gelangte, sondern von Joachimsen auch der Berliner Lektionskatalog schuldlos als unzuverlässig deklariert wurde (Schulin, ebd.). Wirklich aufgegriffen, wenn auch nur in kleinem Maßstab, wurde das von Dove nahegelegte Thema der Rankeschen Vorlesungen 1930 verdienstvoller Weise von Erich Mülbe, allerdings in einer editorisch unglücklichen Ausführung. Mülbe edierte (124-130) und interpretierte in seiner Dissertation (‚Selbstzeugnisse Rankes über seine historische Theorie und Methode im Zusammenhang der zeitgenössischen Geistesrichtungen‘) das unveröffentlichte Fragment eines Ranke-Manuskripts aus dem Nachlaß der Staatsbibliothek Berlin, das er auf 1831-1835 datierte und mit dem Titel versah „Über das Prinzip der universalhistorischen Methode“. Fragwürdig waren sein allzu sehr im Vordergrund stehendes Bestreben einer wohl unnötigen „Rekonstruktion des totalen Textes“ (22) und seine mangelnde Distanz zum „großen Meister“. - Mülbe gab aus seiner Archivarbeit auch weitere Impulse durch einige über das edierte Ms. hinausgehende wichtige Zitate und Hinweise (14, 36, 47, 67, 69f., 111-113) auf andere Rankeana des Nachlasses. - 362 -

II/5.1.5 Vorlesungen - Zur Geschichte der Editorik

Nach dem Zweiten Weltkrieg führte Eberhard Kessel in einem 1954 erschienenen Beitrag zu ‚Rankes Idee der Universalhistorie‘ den Mülbeschen Ansatz revidiert, erweitert und mit nachhaltigerer Wirkung fort. Mit der Initiative Kessels war ein erneuter genereller Hinweis auf die Nachlassgattung der Vorlesungsmanuskripte Rankes gegeben, der um so wirksamer wurde, als zuvor durch Werner Kaegi und wenig später durch Eduard Vischer das Augenmerk auch auf Hörer-Nachschriften gerichtet worden war. Kaegi hatte in Band II seiner Burckhardt-Biographie (1950) aus vier Vorlesungsnachschriften Burckhardts des Jacob-Burckhardt-Archivs im Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt referiert und zitiert: 1. Eine Nachschrift vom SS 1840, „Deutsche Geschichte, docente Ranke“ (123 S.) (Kaegi II/1950, 59-61), 2. eine Nachschrift vom WS 1840/41 über Geschichte des Mittelalters (Kaegi II, 61-62), 3. eine Nachschrift vom WS 1841/42 über „Neueste Geschichte seit dem Hubertusburger Frieden“ (200 S.; im Vorlesungsverz.: „Geschichte der neuesten Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts“ [an]) (Kaegi II, 62-65), 4. eine Nachschrift vom WS 1842/43 „Geschichte unserer Zeit (1814-41)“ (Kaegi II, 65-66). Vischer gab 1953 einen verdienstvollen Hinweis auf ‚Leopold von Rankes „Neuere Geschichte“ von 1833‘, indem er mit Referat und Teildruck ausführlich über die 551 Seiten umfassende Abschrift einer 190 Seiten starken Nachschrift Eduard Meyers (Zürcher Nationalbibl. CFM 383) von dieser Vorlesung berichtete. Desgleichen gab er Hinweise auf allerdings nicht erhaltene bzw. verschollene Nachschriften von Karl Meyer und Hans Heinrich Vögeli. Zum WS 1839/40 konnte er, wie auch Müller-Büchi (1953) eine noch erhaltene Nachschrift Philipp Anton von Segessers benennen. Später kam Vischer, der sich auch Verdienste um Rankes Briefwechsel erwarb, in einem Beitrag ‚Ranke und Niebuhr‘ (1989) auf die Gattung der Vorlesungen zürück und ging dem Urteil Rankes über Niebuhr in Rankeschen Vorlesungseinleitungen nach. Durch die Hinwendung zu Rankes Vorlesungen kam es zu einer deutlichen Belebung des ein wenig zurückgegangenen fachlichen Interesses an seiner Geschichtsanschauung und -Darstellung und zu einer Zurückdrängung der vor allem durch die Edition des sogenannten ‚Lutherfragments‘ hervorgerufenen dominanten Beschäftigung mit dem jungen Ranke und seiner Religiosität. Überhaupt ist auch hier festzustellen, daß sich an den Fund neuer Quellen häufig größere einseitig ausgerichtete Literaturmengen verdrängend ansetzen. Im modisch werdenden Umgang mit der Gattung traten skurrile Erscheinungen auf: Hanno Helbling (1953) machte sich in seiner Dissertation über ‚Leopold von Ranke und der historische Stil‘ auf den Spuren Kaegis die Mühe, den Nachlaß Burckhardts im Staatsarchiv Basel Stadt aufzusuchen, um sodann aus dreien der Nachschriften von Vorlesungen Rankes jeweils bis zu sieben Wörter zu zitieren. Ebenso minimalistisch ging Aira Kemiläinen (1968) vor. Sie brachte aus ‚Universalhistorie überhaupt (meist aus der alten Vorlesung)‘ einen Satz (31, A. 3), einen weiteren aus ‚Herders Ideen...‘ (ebd., 32, A. 5) und schließlich noch zwei Sätze aus ‚Über Universalhistorie‘ (ebd., 41, A 1). Rudolf Vierhaus hat sich in der Nachfolge Kessels in drei 1957 erschienenen Veröffentlichungen (‚Ranke und die soziale Welt‘, ‚Rankes Verständnis der „neuesten Geschichte“‘ und ‚Rankes Verhältnis zur Presse‘) besonders mit den im Nachlaß befindlichen Vorlesungsmanuskripten befaßt, davon größere und kleinere Zitate in den Gang seiner Untersuchungen eingestreut, umfangreichere Partien im Anhang seiner Dissertation veröffentlicht. Dazu bemerkte freilich Kessel (1962, 26, A. 22), sie seien - 363 -

II/5.1.5 Vorlesungen - Zur Geschichte der Editorik

„mit Auslassungen und Lesefehlern gedruckt“, was von Berg (1968, 97, A. 64) präzisiert wurde: „Bei den ebd. im Anhang edierten Stücken fehlen z. T. ganze Sätze oder einzelne Worte, viele falsche Lesungen entstellen z. T. grob den Sinn; auch die Zuordnungen sind z. T. fehlerhaft...“. Ernst Schulin benutzte in seiner verdienstvollen Dissertation von 1958 über ‚Die weltgeschichtliche Erfassung des Orients bei Hegel und Ranke‘ sowohl Rankesche Vorlesungsmanuskripte als auch Nachschriften von Waitz (zu SS 1834 und WS 1835/36) und Hirsch (WS 1833/34, SS 1834 und WS 1834/35) sowie zwei anonyme von 1863 und 1863/64. Neben zahlreichen Einzelzitaten innerhalb seiner Darstellung bietet Schulin im Anhang neben anderen Stücken des Nachlasses auch Text aus einem Vorlesungsmanuskript Rankes, „Allgemeine Weltgeschichte I ... zu den Vorlesungen vom 27. Okt. bis 18. Nov. 1825“ (310-317), aus Fasz. 29. - Bei Schulin (303-305) findet sich ferner ein knapper Forschungsbericht über die in Rankes Nachlaß befindlichen Vorlesungsmanuskripte. Dazu erstellte er das erste, oft genutzte Verzeichnis der Vorlesungen Rankes (306-308). Nach der östlichen Orientierung Schulins trat 1962 Eberhard Kessel ebenfalls mit einem anregenden Neuland-Beitrag auf, nunmehr westlich orientiert, über ‚Rankes Auffassung der amerikanischen Geschichte‘, der sich erneut mit der immer beliebter werdenden Quellengattung befaßte. Er erkannte, daß auf ihrer Grundlage „überhaupt erst eine zulängliche Behandlung des Themas der Amerika-Auffassung Rankes möglich“ war und gewann aus ihrer Heranziehung „zum Teil ganz überraschende Aufschlüsse“ (Kessel/1962, 21). Bei seiner Analyse beschränkte er sich jedoch auf die unmittelbare Vor- und Frühgeschichte der Vereinigten Staaten von Nordamerika und hinsichtlich der Quellen, neben einigen Nachschriften, im wesentlichen auf ein Vorlesungsmanuskript Rankes, „Neueste Geschichte“, im Überarbeitungsstand von 1868. Übrigens stellten sich später auch die von Kessel gebotenen Lesungen aus diesem Manuskript (v. a. nach 34 D) nach Feststellungen von Berg (1968, 97, A. 66) als „sehr fehlerhaft“ heraus. Kessel trat der Gattung 1974 noch einmal näher in einem KleinBeitrag über ‚Die Zeitgeschichte in Forschung und Lehre‘, wobei freilich nur kurze Zitate aus Rankes Vorlesung „Geschichte unserer Zeit“, datiert 2. Okt. 1862, „in Übereinstimmung mit der Nachschrift Georg Waitz der Vorlesung vom WinterSemester 1835/36 (NL Waitz im Historischen Seminar der Universität Göttingen)“ (89) und aus „Neuere Geschichte Theil V: Neueste Geschichte 4. Theil“ (1862) gegeben wurden, - beides im Ranke-Nachlaß der SBB PK, „Paket 36, Nr. 1 und 2“. Schulins und auch Kessels neuer Beitrag von 1962 machten die Ergiebigkeit der Vorlesungen Rankes in mehrfacher und besonderer Weise deutlich, ergänzen und pointieren diese doch in freizügigerer Weise das Buch-Werk zum einen in Hinsicht seiner ansonsten nur gelegentlich aufscheinenden Historik-Ansätze, verdeutlichen seine als durchgängig bezeichnete universalhistorische Konzeption und dringen zum anderen auch in räumliche und zeitliche Regionen vor - so Amerika und Orient sowie die neueste Geschichte -, die in seinen Werken minder beachtet sind. Im Jahre 1966 erschien die bereits herangezogene, bei K. Christ gefertigte Marburger Dissertation von Grete Freitag über ‚Leopold von Ranke und die Römische Geschichte‘, welche sich in der Betrachtung der entsprechenden Teile der ‚Weltgeschichte‘ durch eine der insgesamt höchst seltenen ausführlichen quellenbezogenen Werkanalysen auszeichnete. Sie zog dazu unveröffentlichte Aufzeichnungen, Diktate und Vorlesungen Rankes aus seinem Nachlaß heran, im besonderen das oben näher - 364 -

II/5.1.5 Vorlesungen - Zur Geschichte der Editorik

betrachtete ca. 900 Seiten umfassende Vorlesungsmanuskript über „Römische Geschichte“ aus dem Jahre 1852 (Beschreibung und Tdrr. 44-58). Im Anhang (255-262) edierte sie Teile aus Diktaten Rankes von 1878/79 zur Vorbereitung seiner ‚Weltgeschichte‘ (s. II, 230). - Die Lesungen Freitags hielt Berg (1968, 71, 91-92, 97, 189) allerdings wiederum für „sehr fehlerhaft“. Durch die Beiträge von Kaegi, Vischer, Müller-Büchi, Schulin und Kessel war zumindest exemplarisch auf die seit Dove über mehr als ein halbes Jahrhundert nicht mehr recht beachtete Hilfsgattung der Hörernachschriften hingewiesen, um deren Bestandsermittlung und Beurteilung sich nun Gunter Berg grundlegende Verdienste erwarb. Berg (1968) bot in seiner Dissertation über ‚Leopold von Ranke als akademischer Lehrer‘ erstmals einen weit ausgreifenden Quellen- und Forschungsbericht über Rankes Vorlesungen (65-103), der zwar im Hinblick auf die erst noch abzuschließende Ordnung des Nachlasses vorläufigen Charakter hat, aber für weitere Arbeiten zu Rankes Vorlesungen unbedingt heranzuziehen ist. Die Erlanger Dissertation des Schülers von W. P. Fuchs widmete sich sowohl Rankes Vorlesungsmanuskripten als auch einer Reihe von Nachschriften (von Jacob Burckhardt, Wilhelm Henzen, Siegfried Hirsch, Eduard Meyer, Karl Pertz, Wilhelm Scherer, Kurd v. Schlözer, Philipp Anton v. Segesser, Theodor Stumpf, Heinrich v. Sybel, Georg Waitz und Eduard Winkelmann), die bis dato nicht alle bekannt waren. Bergs Arbeit gewann aus der Mischung voreditorisch ‚handwerklicher‘ und interpretatorischer Elemente freilich ein nicht gerade kohärentes Wesen. So befaßt sie sich überraschend auf rd. 100 Seiten mit dem Problem der Objektivität bei Ranke, wohingegen die mit dem Obertitel bezeichneten, i. w. schon früher bekannten Teile auffallend knapp gehalten sind. Gleichwohl ist die Arbeit für viele Bereiche der Ranke-Forschung von Interesse. Der Schwerpunkt liegt bei der Darstellung der äußeren Überlieferungsgeschichte und dem inhaltlichen Referat der Vorlesungen, um deren ungemein schwierige Edition sich Berg vorab ein erhebliches Verdienst erworben haben dürfte. - Nützlich ist auch die mit Semesterangaben und kurzen Biographica versehene Liste von ca. 480 der vermuteten 1100 Hörern Rankes (222-242), welche in vorliegendem Werk - wie auch Nachweise über Vorlesungsnachschriften - vermehrt werden konnten (s. II, 366f.). Bergs Liste beruht u. a. auf einem „Verzeichniß derjenigen Studierenden, welche an den ‚historischen Übungen‘ des Herrn Geheimen Regierungsrathes Professors Dr. von Ranke Theil genommen“. Bln.: E. S. Mittler & Sohn, [1867]. Während Helmolt (R.-Bibliogr./1910, 60) das Verzeichnis schon für „nicht mehr aufzutreiben“ hielt, hat Berg (221) es in der StB PK unter der Sign. Av 6853 ermittelt. Das von beiden unentschieden gelassene Erscheinungsjahr 1865 (zu Rankes 70. Geburtstag) oder 1867 (zu seinem 50jährigen Doktorjubiläum) kann eindeutig auf letzteres festgelegt werden, da Ranke u. a. lt. einer Meldung des Literarischen Centralblatts (27. Okt. 1866, Sp. 1150), gerade erst zum kgl. preuß. Geh. Regierungsrath ernannt worden war. Das Verzeichnis reicht von SS 1833 bis WS 1865/66 und enthält annähernd 150 Namen. Nach Berg (221) ist es „aber sicher in vielem sehr fehlerhaft“. Das Bergsche Verzeichnis beruht u. a. auch auf Ermann (1899), wodurch sich dessen grundsätzlicher Mangel - es wird keine Zuordnung zu ‚Doktorvätern‘ sichtbar, noch gelegentlich bemerkbar macht. Nicht genutzt werden konnte von Berg ein Verzeichnis der Zuhörer Rankes aus dem SS 1826 (3 Bogen) und WS 1841/42 im Altbestand des Archivs des Ranke-Vereins Wiehe, das wohl nicht vernichtet, aber z. Zt. noch als verschollen anzusehen ist. Über Bergs verdienstvolle Erhebungen hinaus können hier, zumeist aufgrund von Briefwechseln - 365 -

II/5.1.5 Vorlesungen - Zur Geschichte der Editorik

und Lebenserinnerungen, an Hörern Rankes noch genannt werden: Adolf Beer, Georg von Bunsen, Felix Dahn, Rudolf von Gottschall, Rudolf Grimm, Otto Günzler, Auguste Himly, Hermann Hüffer, P. N. Kudrjavcev (nach Behrendt/1987, 121), Rochus v. Liliencron, Edwin von Manteuffel, Gabriel Monod, Theodor Mundt, Herbert Levi Osgood, Th. H. Pantenius, Cl. Th. Perthes, Martin Philippson, Otto Posse, Gustav Rümelin, Johann Heinrich Ferdinand Schönaich, S. M. Solov’ev (nach Behrendt/1987, 121), William Wetmore Story, William Stubbs, C. A. Varnhagen v. Ense, [Robert?] Warschauer. Bedauerlich, daß Berg an der von W. P. Fuchs zusammen mit einem weiteren seiner Schüler, Volker Dotterweich, unternommenen Edition von Vorlesungseinleitungen Rankes, denen er doch vorgearbeitet hatte, nicht beteiligt wurde. 1975 kam es zu dieser bemerkenswerten ersten und eigentlichen Edition im Rahmen der von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften unternommenen Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ Rankes (WuN IV). Es handelt sich dabei um hochinteressante Vorlesungseinleitungen der Jahre 1825 bis 1870 aus dem RankeNachlaß der SBB PK, editorisch in 54 Positionen dargeboten, z. T. ergänzt bzw. ersetzt durch Hörernachschriften aus anderen Beständen. Man nutzte hier die Eigenart Rankes, seinen Vorlesungen Einleitungen vorauszuschicken, in denen er sich über allgemeine Fragen der Geschichtswissenschaft äußerte: die Abgrenzung von Historie und Philosophie, die sogenannte ‚universalhistorische Methode‘, über ‚Unparteilichkeit‘ und den Begriff des ‚Fortschritts‘ usw. „Nur da, wo sich ein eigenhändiges Rankesches Manuskript nicht erhalten zu haben scheint, wurde auf Nachschriften seiner Schüler zurückgegriffen.“ (25): Dies waren Teile der bei Berg genannten Aufzeichnungen von Henzen, Sybel, Pertz, Waitz, Burckhardt, Segesser, Schlözer, Hirsch, Meyer und Winkelmann. Rankes handschriftlicher Text wurde dabei „wie in den früheren Bänden dieser Reihe in moderner“ [also bereits veralteter] „Orthographie vorgelegt.“ (26). Die editorische Auswahl und Zusammenstellung der bloßen Kopfpartien verschiedener Dokumente ist natürlich nicht unproblematisch. Entsteht dabei doch eine Massierung von Äußerungen, die in dieser Dichte nie beisammen gewesen sind, was zu generellen Mißdeutungen führen kann, und nicht minder zählt auch die im Grunde unerledigte ‚Erledigung‘ umfassenderer editorischer Aufgaben und die Gefahr, letztere auf Dauer hintanzustellen, zu den damit verbundenen Problemen. Die Edition ist zugleich ein Exempel für das - möglicherweise berechtigte - Schwinden des Interesses an Rankes praktischer buch-historiographischer Leistung, deren Beurteilung erheblich mühsamer ist als die Teilnahme an allgemeinen Theoriediskussionen. Doch ist, sofern man sich dieser Probleme bewußt bleibt, das Unternehmen, auch mit Blick auf die gewaltigen von Ranke hinterlassenen Textmassen kaum zu verwerfen. Allerdings sind die Herausgeber Dotterweich und Fuchs im Fundus der damals bekannten 33 Nachschriften über Berg nicht hinausgekommen, weshalb ihnen die im Folgenden aufgeführten 22 unbekannt blieben (die Nachweise finden sich unter dem jeweiligen Semester der Vorlesungsübersicht, II/5.3, bzw. in der Abteilung ‚Nachlaß‘, II/2.2): [Robert? (1816-1884)] Warschauer. SS 1831, die früheste bisher bekannt gewordene Nachschrift einer Vorlesung Rankes. Rudolf Köpke, SS 1836. Heinrich von Sybel, SS 1836.

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II/5.1.6 Vorlesungen - Probleme der Editorik

Wilhelm Henzen, WS 1838/39 (verschollen). Emil Panten, WS 1839/40. Heinrich Wuttke, SS 1839 oder WS 1839/40. Karl Wilhelm Nitzsch, WS 1839/40 und SS 1840. Anonym SS 1840 oder später (SBB PK Ms. germ.fol. 1417). Gustav Rümelin, SS 1841. Wilhelm Wattenbach, WS 1841/42, WS 1842/43 und WS 1843/44. Otto Günzler, WS 1842/43. Anonyme Nschr. (SBB PK, Ms germ. fol. 1417), SS 1844 (?). Herman Grimm WS 1849/50, 2 Hefte Carl Pertz. WS 1850/51, aus diesem Semester waren bisher weder Mss. noch Nachschriften bekannt. Wilhelm Dilthey, WS 1855/56. Wilhelm Ferdinand Arndt, WS 58/59, auch aus diesem Semester waren bisher weder Manuskripte Rankes noch Nachschriften bekannt. Anonym, WS 1860/61. Harry Bresslau, SS 1868 und WS 1868/69.

Durch die mangelnde Kenntnis dieser Nachschriften begab man sich des Vorteils, das eine oder andere Vorlesungsmanuskript Rankes mit einer Hörernachschrift zumindest zu vergleichen, wozu beispielsweise im SS 1868 und im WS 1868/69 anhand von Nachschriften Harry Bresslaus eine Möglichkeit bestand. Zu beanstanden ist auch das scheinsouveräne Nichtbeachten von Vorgängerdrucken. Zum SS 1852 finden die leicht differierenden Entzifferungen von Freitag keine Erwähnung, zum SS 1855 und WS 1868/69 die Lesartdifferenzen von Vierhaus (siehe das Vorlesungsverzeichnis). P r o b l e m e d e r V o r l e s u n g s - E d i t o r i k (II/5.1.6) Die Edition von Vorlesungen Rankes seitens der Historischen Kommission (WuN IV/1975) stand allerdings noch vor schwerer wiegenden Problemen. Sie mögen mit einem bereits bei der Edition der Vorträge Rankes vor Maximilian von 1854 (WuN II/1971) aufgetretenen grundsätzlichen Mißverständnis von Quellencharakter und Quellenwert (s. II, 185) zusammenhängen, das sich hier sowohl auf die Rankeschen Vorlesungsmanuskripte als auch auf die Nachschriften seiner Hörer bezieht, im besonderen mit der Frage zusammenhängt, welches - jeweils sehr individuelle - Verhältnis zwischen dem Vortragenden und seinen Hörern und zwischen den beiderseits Beteiligten und ihren Manuskripten bestand. Dies wird etwa zum Problem im SS 1850, für dessen Edition das Ranke-Manuskript durch Teile einer Nachschrift von Carl Pertz unterbrochen wird. Eine Steigerung des Verfahrens begegnet im WS 1857/58. Dabei wird nicht eigentlich ein Rankesches Vorlesungsmanuskript ediert, sondern in erster Linie eine Nachschrift von Eduard Winkelmann, nach einer Weile fortgeführt durch einige Seiten eines Ranke-Manuskripts, um dann wieder auf Winkelmann mit dessen Nachschrift zurückzukommen. Hier liegt also der umgekehrte Fall vor wie im SS 1850. Ein weiteres Beispiel sei mit dem WS 1833/34 gegeben. Auch hier erfolgt die Edition der Einleitung nicht aus einem Ranke- 367 -

II/5.1.6 Vorlesungen - Probleme der Editorik

schen Manuskript, sondern aus einer Nachschrift von Hirsch (RNL 33 K 1-12), nun allerdings mit den „wichtigsten Ergänzungen“ der Nachschriften von Waitz u. E. Meyer. Hernach wird dann umgestiegen auf das oder ein Rankesches Original. Bekanntlich entstehen bei der Edition von Vorlesungen, sofern Manuskripte eines Vortragenden und Nachschriften von Hörern zusammenkommen, bereits grundsätzlich Probleme durch die Begegnung von ante factum- mit in facto- oder gar abgeleiteten post factum-Textzeugen. Im Falle Rankes verschärfen sich diese Probleme aufgrund der Vielzahl seiner Vorlesungswiederholungen, seiner Manuskriptverheerungen wie auch seiner in den Hörernachschriften sich auswirkenden schweren akustischen wie inhaltlichen Verständlichkeit. Zu berücksichtigen ist überdies, daß nicht allein Rankes Vorbereitungsmanuskripte eine besondere Entwicklungsgeschichte aufweisen, sondern im allgemeinen auch die von Minus-, Plus- und überhaupt alteriertem Text gezeichneten Nachschriften seiner Hörer, welche in abgeleiteter Form nicht mehr als Textzeugen des Ereignisses anzusehen sind. Zudem stehen den über Jahrzehnte hin akkumulierenden Texten Rankes lediglich Nachschriften einzelner Semester gegenüber, zusammengenommen eine in Material, Inhalt, Zeit und Personal höchst inkongruente Konstellation, welche in durchgreifender Weise Art und Möglichkeiten der editorischen Maßnahmen bestimmt. Wie stets erhebt sich vor einem kritischen Abgleich von Textzeugen die nicht selten beiseite gelassene Frage nach dem mit diesen nicht unbedingt identischen Edendum: Soll es der tatsächlich gehaltene, akustisch aufgetretene Wortlaut sein, der allein in vollem Umfang maßgeblich ist für die zeitgenössische inhaltliche Wirksamkeit einer Vorlesung, also das Schallereignis der Rede? Oder soll ‚die‘ gleichsam überzeitliche, immer wieder gehaltene Vorlesung Rankes, oder daraus nur eine bestimmte Zeitschicht, ein bestimmtes Redeskript oder die Schallwahrnehmung in der eingeschränkten Niederschlags-Form einer einzelnen Hörernachschrift, günstigenfalls einer bedeutenden, ediert werden? Dies käme etwa im Falle Burckhardts, der als Beispiel gewählt werden soll, für das Wintersemester 1842/43 in Betracht. Hier stellt sich die Frage: Was schrieb Burckhardt identisch und was differierend zum Vortrag Rankes? Beides ist von Interesse, wenn auch im Differenz-Fall in erster Linie für die Burckhardt-Forschung. Ranke-Burckhardt-Identitäten oder -Differenzen werden dabei natürlich nur dann sichtbar, wenn der Vortragende ein Manuskript hinterlassen hat, an das er sich gehalten hat - was nicht anzunehmen ist - oder wenn weitere, unabhängige Hörernachschriften einen einheitlichen Befund ergeben, der mit Burckhardts Nachschrift harmoniert oder differiert. Wird der tatsächlich geäußerte Wortlaut, auf den es der Ranke-Forschung in erster Linie ankommen sollte, als Edendum angesehen, so können zunächst nur solche Begriffe, Sätze oder Passagen einer Nachschrift als wirklich gesagt und damit erstrangig edierwürdig angesehen werden, in denen ein Rankesches Vorbereitungsmanuskript mit zumindest einer Hörernachschrift übereinkommt. Doch kann dabei aufgrund der Eigentümlichkeiten sowohl Rankescher Manuskripte als auch seiner Vortragsweise mit größeren zusammenhängenden Ergebnissen nicht gerechnet werden. Als zielführender kann sich ein Beiseitelassen seines Manuskripts bei Nutzung mehrerer zeitgleicher Nachschriften erweisen, soweit diese als unabhängig zu erkennen sind, was gelegentlich Schwierigkeiten bereiten dürfte. Im Burckhardt-Beispiel vom Winter-Semester 1842/43 könnten Identitäten seiner Nachschrift mit einer solchen Otto Günzlers genutzt werden. Im Differenzfall ist allerdings im Prinzip nichts gewonnen, - auch in der Praxis - 368 -

II/5.1.6 Vorlesungen - Probleme der Editorik

nicht, denn eine weitere Nachschrift, sie stammt von Wilhelm Wattenbach, ist nur auszugsweise bekannt. Ein weiteres Beispiel dieser Art bietet sich an bei der Vorlesung vom Wintersemester 1833/34 über ‚Neuere Geschichte vom Anfange des 16. Jahrhunderts an‘, von der zwar kein Rankesches Manuskript, jedoch drei Hörernachschriften vorliegen. Hier könnte im günstigsten Fall editorisch ein weitgehend authentisches Dokument zeitgenössischer Rankescher Wirksamkeit konfiguriert werden. Vom Wintersemester 1839/40 liegen gar Nachschriften von vier Hörern vor. Dies bedeutet indes nicht unbedingt, daß hier zu Hauf Identitäten anzutreffen wären. Schon die stark unterschiedlichen Umfänge weisen eher auf einen geringen Befund hin. Damit wird aber indirekt die im Grunde selbstverständliche Erkenntnis gefördert, daß im Hinblick auf Ranke nicht jede Nachschrift für sich editorische Dignität besitzt, wie in der AkademieEdition praktiziert, sondern nur in einem pluralischen Identitätsverbund. Mehrfachbesetzungen mit Nachschriften lassen sich bisher freilich nur einige wenige und auch überwiegend nur für die Zeit zwischen WS 1833/34 und WS 1844/45 nachweisen. Wenig hilfreich ist dann eine eher gefährliche Konstellation, wie im Sommersemester 1834. Bei den daraus überlieferten beiden Nachschriften von Siegfried Hirsch und Georg Waitz wird letztere für eine Abschrift der ersteren gehalten (Berg/1968, 12), und ein Manuskript Rankes liegt nicht vor. Auch die Absicht, eine seiner Vorlesungen in einer bestimmten Semester-Gestalt, interessanterweise etwa in der ersten oder letzten, zu edieren, wird von seiten eigener Manuskripte im allgemeinen vor große Probleme geführt. Verständlicherweise waren bei der ersten Fassung der Vorlesung vom Sommersemester 1826 (‚Neueste Geschichte von 1789-1815‘) noch keine größeren Probleme zu erwarten (Einleitung ediert in WuN IV). Dies gestaltet sich indes ganz anders, wenn auf eine spätere oder eine Endgestalt zugegriffen wird, etwa im Fall seiner Vorlesungen zur neuesten Geschichte seit 1789 oder, wie er sie - mitgealtert - auch nannte, ‚Geschichte des 19. Jahrhunderts‘, eine editorische Anregung, welche bereits von Rudolf Vierhaus auf der entscheidenden Sitzung der Historischen Kommission vom 1. Juni 1961 zur Festlegung der Grundsätze einer künftigen Ranke-Edition gegeben wurde, wobei jedoch editionstheoretische Fragen außen vor blieben. Hier würde zwar nicht das zu zeitgenössischer Wirksamkeit gelangte akustische Ereignis vermittelt werden, jedoch eine Art Werkmanuskript letzter Hand gewonnen werden, was um so lohnender wäre, als damit ein ergänzender und abrundender zeitgeschichtlicher Abschluss seines historiographischen Werkes nebst Ausdruck historisch-politischer Einstellungen zu gewinnen wäre. Doch hat Ranke diese Vorlesung, beginnend mit dem Sommersemester 1826, bis zum Sommersemester 1871 siebenundzwanzigmal gehalten. Von etwa zwölf dieser Vorlesungen sind Manuskripte vorhanden, zum Teil nur fragmentarisch. Sein überhaupt letztes, besonders sorgfältig vorbereitetes Skript von 1871 (s. u.) ist nicht bekannt geworden, und sein vorletztes, vom Wintersemester 1868/69 (‚Geschichte der neuesten Zeit seit Begründung der nordamerikanischen Freistaaten‘), enthält Partien aus fünf Zeitschichten, möglicherweise zurückgehend auf Mitte der 1830er Jahre. Ob auf dieser höchst komplizierten, überhaupt fragwürdigen Grundlage eine Edition zu errichten ist, scheint sehr ungewiß. Nicht zuletzt stände sie unter dem Damokles-Schwert einer Auffindung der Endfassung. Sollte man in den Stand gelangen, eine Endfassung dieser oder einer anderen Vorlesung Rankes nach seinem Manuskript zu edieren, so wäre der gesamte Text unter flüssiger Einbeziehung der Alt-Inserate zu geben, sind diese doch keine illegitimen - 369 -

II/5.1.6 Vorlesungen - Probleme der Editorik

Fremdkörper, sondern zwar zeitlich versetzte, aber dadurch gerade gewollte Bestandteile der bestimmten, zu dieser Zeit letzten Fassung. Freilich wären sie in unterschiedlicher und graphisch aufwendiger Weise kenntlich zu machen, was einer archäologischen Fundstückbehandlung gleichkommen dürfte. Nun scheint sich eben in 1868/69 eine Nachschrift Harry Bresslaus hilfreich beizugesellen. Diese kann jedoch bei der skizzierten Edition keine besondere Rolle spielen, denn eine Nachschrift bezeugt nicht in erster Linie die papierenen Komposit-Vorbereitungen Rankes - das editorisch nunmehr gewollte ‚Buch‘ -, sondern bestenfalls die Schallwahrnehmung seines Vortrags. Diese ist jedoch einem anderen, nicht minder schwer zu realisierenden Editionsmodell vorbehalten, in dem nicht Rankes Manuskript, sondern die geäußerte Rede in Mittelpunkt und Grundtext stehen. In der keineswegs nutzlosen, jedoch in mehrfacher Hinsicht problematischen Edition der Historischen Kommission wurde keine Klarheit über die Frage nach dem Edendum angestrebt oder erreicht. Der bei Ranke gravierende Unterschied von vorbereitendem Studierstubentext und ausgeführtem Hörsaaltext nebst der Frage nach der historischen Wirksamkeit wurde nicht konsequent durchdacht, auch eine editorische Kritik der Textzeugen in ihren Identitäten und Differenzen untereinander wie zum Vortragenden hin nicht in grundsätzlicher Weise durchgeführt, noch dem Benutzer bewußt gemacht. Unterhalb dieser Ebene editorischer Konzeption dürfte nach den identifizierend ordnenden Arbeiten von Siegfried Baur am Ranke-Nachlaß der Berliner Staatsbibliothek und den im Folgenden - vermutlich nicht abschließend - nachgewiesenen weiteren Hörernachschriften auch auf der Materialebene bei diesem Band von ‚Werk und Nachlaß‘, wie bei den übrigen, Revisionsbedarf sichtbar werden.

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2. Abteilung (II/5.2) ‚HISTORISCHE ÜBUNGEN‘ A n f ä n g e u n d M e t h o d i k (II/5.2.1) Einer weithin geteilten Überzeugung des ehemaligen Vorsitzenden der Ranke-Gesellschaft zufolge hat Ranke „bekanntlich [!] die Idee des historischen Seminars entwickelt“ (Salewski/1987, 28). Davon kann indes keine Rede sein. Ranke hat nicht nur während seines Leipziger altphilologischen Studiums in der societas graeca Gottfried Hermanns und im seminarium philologicum Christian Daniel Becks Erfahrungen mit seminaristischen Arbeitsmethoden gemacht, sondern bereits während seiner Schulzeit in Pforta in der ‚Gesellschaft für lateinischen Stil und Altertumskunde‘ seines Lehrers Adolph Gottlob Lange, seinerseits Schüler Hermanns und Becks (dazu Henz/1968, 210ff.). In diesem privatim abgehaltenen Disputatorium wurden allwöchentlich und reihum schriftlich niedergelegte Abhandlungen ausgetauscht, vorgetragen und unter der Leitung Langes, des sogenannten Präsidenten der Gesellschaft, erörtert (Henz/1968, 212ff.). Selbst Ranke nahm zunächst nicht das Verdienst für sich in Anspruch, in der Wissenschaft anderen mit der Einrichtung von Übungen vorangegangen zu sein: Bereits „seit geraumer Zeit“ habe man, wie er in der Vorrede seiner ‚Jahrbücher des deutschen Reiches‘ bekennt, „bald in den Seminarien unter öffentlicher Autorität, bald aus persönlichem Antrieb in freien Uebungen“ auf die Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses Bedacht genommen (in: Waitz: Jbb. d. dt. Reichs/1837, IX). Auch Waitz, dem natürlich das „schon lange“ Bestehen solcher universitärer Unternehmungen bekannt war, verschwieg in einer Gratulation zu Rankes 50jährigem Doktorjubiläum nicht, vor den Rankeschen die Übungen des „alten Wilken“ besucht zu haben (Waitz/1867, 5). 1874 bekräftigte er nochmals - es schien damals schon nötig zu sein -, Ranke habe „historische Uebungen nicht zuerst gegründet“ (Die Jubelfeier der historischen Übungen/1874), und auch der mit Ranke in problematischer Verbindung stehende G. A. H. Stenzel hatte bereits 1823 in Breslau historische Übungen unter Zuhilfenahme mittelalterlicher Texte abgehalten (Bresslau/1921, 340). Seine ersten ‚Historischen Übungen‘ hat Ranke nicht schon im ersten Berliner Semester, dem Sommersemester 1825 (so könnte man aus Berg/1968, 52 schließen), sondern erst im Wintersemester 1825/26 abgehalten, eingerichtet auf den Rat des mit seinem Bruder Heinrich befreundeten Karl Georg von Raumer (1783-1865), dieser wiederum Bruder des Historikers und Berliner Kollegen Rankes, Friedrich von Raumer: „Auch habe ich mir Ihren Rath sogleich zu Nutz gemacht“, bedankt sich Ranke, „und auf das künftige Semester historische Übungen angekündigt. Gar sehr wünsche ich, mit meinen Zuhörern in lebendigem Bezug zu stehen: obwohl ich freilich nicht ganz der Mann bin, die edle Stellung eines wahrhaften Lehrers einzunehmen.“ (12. 7. 25, SW 53/54, 148). Die Mitteilung von Einzelheiten aus Rankes später legendär gewordenen exercitationes historicae ist von seiner eigenen Seite sehr eingeschränkt. Protokollähnliche oder entsprechende diaristische Aufzeichnungen eigener Hand existieren erwartungsgemäß nicht. Hervorzuheben ist ein allgemein gehaltenes Altersdiktat, in dem der nahezu Neunzigjährige sich erinnert, bei seinen historischen Übungen an die „älteren Studien“ angeknüpft zu haben, die er „schon in Frankfurt getrieben hatte“. Aus dieser - 371 -

II/5.2.1 ‚Historische Übungen‘ - Anfänge und Methodik

Zeit halfen ihm „alte Sammlungen verschiedener Art mit nicht vollständig korrekten Texten“ (‚Die alten Schüler, 6. April 1884‘, SW 53/54, 649). Dabei will er nun wohl den Eindruck erwecken, historische Übungen aus eigenem, alten Antrieb eingeführt und mit textkritischer Absicht durchgeführt zu haben. Entscheidende Einflüsse bleiben hier unerwähnt. Aus den Erinnerungen einiger seiner Schüler und Hörer lassen sich die Grundzüge seines seminaristischen Wirkens erkennen. Zu letzteren gehörte auch sein Bruder Ferdinand, dessen unveröffentlichter biographischer Versuch Einzelheiten der Rankeschen Praxis darbietet. Dort heißt es: „In der Regel wurden von den einzelnen Studierenden Arbeiten geliefert, welche bei den übrigen circulirten und vorher an Leopold eingereicht wurden. In den Stunden sprachen sich die Studierenden über die Arbeiten aus; zuletzt entwickelte der Lehrer seine Ansichten und gab das Endurtheil. Zuweilen [!] gab er auch Anleitung zum Studium der Quellen und las einige mit ihnen.“ (‚Zu Leop. Biogr.‘, FR NL GStA PK). Georg Waitz, der von 1833 bis 1836 an den Übungen teilnahm (Berg/1968, 240), antwortete etwas unglücklich auf die Frage, was in diesen Übungen getrieben worden sei: „Alles Mögliche und nichts Bestimmtes.“ Einen „bestimmten Schriftsteller“ habe man zu seiner Zeit nicht gelesen; „später soll es häufiger geschehen sein“ (Waitz/1867, 6). - Von Wert unter den seltenen ausführlicheren Darstellungen Rankescher Übungen ist die Schilderung Otto von Heinemanns für die Zeit vom Wintersemester 1844/45 bis zum Sommersemester 1846: „Indeß lag seine Stärke nicht in diesen allgemeinen Vorträgen, so geistreich und anregend er sie gestalten mochte, sondern in den nur wenigen Bevorzugten zugänglichen Uebungen seines historischen Seminars.“ (Heinemann/1902, 100) ... „Das historische Seminar Rankes war zu meiner Zeit nicht besonders zahlreich. Es bestand allerhöchstens aus einem Dutzend Personen. Unserem Meister war nicht daran gelegen, eine möglichst große Anzahl von Theilnehmern an diesen einer Privatstunde gleichenden Uebungen zu gewinnen ... Er pflegte deshalb wohl, bevor er seine Zustimmung zu der Aufnahme ... ertheilte, diesen ein wenig auf den Zahn zu fühlen ... Drei Semester lang habe ich an diesen Uebungen theilgenommen. Ranke ging mit uns - nicht im philologischen, sondern wesentlich im historischen Sinne - einige der bedeutendsten geschichtlichen Werke des klassischen Alterthums und des frühen Mittelalters erklärend durch, wie die Germania des Tacitus, Einhards Annalen und anderes, was sich aber ausschließlich auf deutsche Geschichte bezog. Daneben mußten wir ihm, wenigstens in jedem Semester, eine geschichtliche Arbeit einreichen, die er dann durchsah und in dem Seminar eingehend besprach, indem er auf die Vorzüge oder Schwächen derselben aufmerksam machte. Die Wahl des Stoffes ... war einem jeden durchaus freigestellt, doch sah er es gern, wenn sie sich an die durchgenommenen Quellen anlehnten, und gab auch wohl ganz bestimmte Direktiven für sie.“ (Ebd., 111f.). Es ist also nicht zutreffend, wenn angenommen wird: „... les étudiants participaient à son œuvre. Plutôt que de choisir leurs propres sujets de recherche, ils s’ajustaient aux centres d’intérêt présents de leur maître.“ (Eskildsen/2007, 463). Ergänzt wird dies durch die teils gleichzeitigen Eindrücke Hartwig Flotos, wohl von einer Übung im Jahre 1845, der eine bemerkenswerte Schilderung der von Ranke praktizierten Methode der Quellenlektüre gibt „Es war kein bestimmter Lehrkursus, es waren nicht räsonnirende Vorträge, was wir zu hören bekamen. Ranke l i e ß u n s l e s e n (Sperrung i. T.). Bald war es die Germania, die wir interpretirten; bald lasen wir zwei Chronisten, welche einen und denselben Gegenstand behandelten - oder er theilte - 372 -

II/5.2.2 ‚Historische Übungen‘ - Der ‚Jahrbücher‘- Zirkel und spätere Teilnehmer

uns etwa die drei Relationen mit, welche Karl V. an dem Tage, da er Tunis eroberte, über dieß Ereigniß erließ [s. R.s Abh. ‚Unternehmung Carls V gegen Tunis‘ in den Analekten zur DtG VI, 1. Aufl./1847, 166-169], machte uns auf die Widersprüche in denselben aufmerksam - und bei diesen Studien warf er überall gleichsam spielend die fruchtbarsten Bemerkungen hin, über welche der Einzelne dann weiter nachdenken mochte. Mit einem Worte: er zeigte uns, aus welchen Dokumenten allein eine authentische Geschichte geschöpft werden könnte, und lehrte uns diese Dokumente lesen. Das war alles, was er that ...“ (Floto/1856, 12). Dies ‚Lesen‘ scheint Rankes Übungsteilnehmer Carl von Noorden nicht ausreichend gewesen zu sein: Er konnte sich „von bloßer Lektüre eines Schriftstellers, wie Ranke den Nithard im Sommer 1857 [?] betrieb, mit gelegentlicher Heranziehung der einen oder anderen Quelle ... wenig Vorteil für die jungen Leute versprechen.“ (an Sybel, 7. 1. 69, Philippsborn/1963, 152). Daher glaubte er, „aus den Rankeschen Übungen höchstens gelernt“ zu haben, „wie man historische Übungen nicht einrichten muß.“ Er dachte vielmehr daran, „einen Zeitabschnitt zum Gegenstand der Untersuchung zu wählen und durch Vorlegung, Vergleichung etc. des gesamten Quellenmaterials für die betreffende Epoche ... Anleitung und Übung in der Handhabung der Methode kritisch histor. Forschung zu geben.“ (ebd.). Der ‚Jahrbücher‘-Zirkel und spätere Teilnehmer der Übungen (II/5.2.2) Rankes Übungen gewannen ab 1833 in der kurzen Spanne eines Jahrzehnts weitreichende wissenschaftsgeschichtliche Bedeutung aufgrund seines Einflusses auf einige wenige besonders begabte und eifrige junge Männer, wie er sie später nicht mehr gefunden, gesucht oder zu einem gemeinsamen Unternehmen hat zusammenbringen können. Johann Friedrich Böhmer sah dies in einem Brief an Joseph Aschbach so: „Das Gedeihen einer historischen Schule hängt nun freilich auch zum Theil vom Zufall ab und von äußeren Umständen, wie man an Ranke sieht, der mit so bedeutenden Schülern auftrat und nun keine mehr zieht, oder wenigere.“ (5. 4. 56, Böhmer III/1868, 179). Rankes „glänzende Erfolge“ bei und mit seinen Schülern schrieb - ohne dessen Verdienste schmälern zu wollen - Gustav Adolf Harald Stenzel nicht zuletzt der „begünstigten“ Berliner Universität zu (Stenzel/1842,542): Er selbst war randständig in Breslau tätig. Auch Ranke sah es im höchsten Alter als ein „Glück“ an, damals „eine Anzahl den Studien mit Leib und Seele hingegebener, fleißiger, überaus fähiger, gerade in fruchtbarer Entwickelung begriffener junger Männer“ um sich gehabt zu haben (Vorrede zu den posthum hg. Analekten ‚Zur Kritik der Geschichtschreiber Heinrichs I. und Ottos des Großen‘, WG VIII/1887, 627). Pertz gegenüber soll er später geäußert haben: „Ohne Ihr großes Quellenwerk würde es mir niemals gelungen sein, einen Kreis jüngerer Geister zu diesen Studien heranzuziehen.“ (Bresslau/1921, 340f.). Die Schüler, derer hier gedacht wurde - Ranke sah sie um den Arbeitstisch seines Studierzimmers versammelt - waren Georg Waitz, Siegfried Hirsch, Rudolf Anastasius Köpke, Wilhelm von Giesebrecht, Roger Wilmans, Wilhelm Doenniges. Sie bildeten für kurze Zeit den Mittelpunkt innerhalb des Kreises der zu den Übungen nach und nach Zugelassenen und wirkten zusammen an den von Ranke herausgegebenen ‚Jahrbüchern des deutschen Reiches unter dem sächsischen Hauses‘ (s. II, 162-164). „Ihren Anstrengungen ist es dann gelungen, in die Bearbeitung dieser Epoche der deutschen Geschichte neues Leben zu bringen...“ (Vorrede, ebd.). Nach eigenem - 373 -

II/5.2.2 ‚Historische Übungen‘ - Der ‚Jahrbücher‘- Zirkel und spätere Teilnehmer

Bekunden wurde Ranke durch Friedrich von Raumers ‚Geschichte der Hohenstaufen‘ (6 Bde, 1823-1825) und „Stenzel’s Salische Kaiser“ (‚Geschichte Deutschlands unter den fränkischen Kaisern‘, 2 Bde, Lpz. 1827, 1828) zum Unternehmen der ‚Jahrbücher‘ „bestimmt“ (SW 53/54, 650). Im April 1837, schon befaßt mit einer ganz anderen Thematik, den Reichstagsakten für seine ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, teilte Ranke seinem Bruder Heinrich mit: „Ich gebe jetzt eine Arbeit meiner Zuhörer über die sächsischen Kaiser heraus, die sehr gelehrt, bisher wohlgerathen ist und bei der allgemeinen Theilnahme für die Historie gewiß ihr Publikum finden wird: Duncker giebt weder ihnen noch mir einen Pfennig Honorar; ich muß schon ganz zufrieden sein, daß er es übernommen hat.“ (8. 4. 37, SW 53/54, 293). Unter den bedeutendsten seiner frühen Hörer und Seminarteilnehmer ist nicht zuletzt Heinrich von Sybel zu nennen, der zum Teil nur kurze Zeit nach den Genannten, zum Teil gleichzeitig in Rankes Übungen aufgenommen wurde, indes nicht zum Kern der Jahrbuch-Jünger gehörte. Dies blieb auch dem bereits seit 1833 (Berg/1968, 237) an den Übungen beteiligten Wilhelm Adolph Schmidt versagt. Der spätere Herausgeber der von Ranke skeptisch betrachteten und mehr aus Gefälligkeit mitherausgegebenen ‚Zeitschrift für Geschichtswissenschaft‘ (s. II, 161f.) hatte seine De fontibus-Dissertation 1834 den „praeceptoribus suis dilectissimis“ August Boeckh und Friedrich von Raumer gewidmet und Ranke ohne Hinweis auf eine Teilnahme an Übungen nur kumulativ in der Vita mitgenannt (Schmidt/1834, III u. unpag [30]). Auch Maximilian Wolfgang Duncker, der 1833/34 Übungsteilnehmer war (Berg/1968, 225) gelangte nicht in den Kreis der Jahrbücher-Mitarbeiter, was nicht verwunderlich ist, hatte er doch, völlig abweichend von den übrigen Teilnehmern, eine philosophische HistorikDissertation (Duncker/1834) verfaßt, und sich damit für die Praxis nicht qualifiziert. Die erste, besonders fruchtbare Phase Rankeschen Wirkens, wie Böhmer sie sah, dürfte dann mit Philipp Jaffé, Jacob Burckhardt und Reinhold Pauli in den 1840er Jahren zuende gegangen sein. Rankes Versuche, den Erfolg des Jahrbücher-Unternehmens mit der ursprünglichen Gemeinschaft fortzusetzen, scheiterten. Dabei ging es 1838 und 1839 um den Plan einer „kritischen Durchforschung der Geschichte des alten Papstthums“ und noch 1855 um eine kritische Bearbeitung der karolingischen Periode (s. II, 323f., 327). Über die Aufnahme von Georg Waitz in Rankes Übungen oder ‚Historische Gesellschaft‘, 1833, finden sich in Sybels Nachruf einige persönliche Erinnerungen (Sybel: Georg Waitz/1886, 309; dazu auch Eberhard Waitz/1913, 6f.). Waitz und Hirsch gaben dann in ihrer gemeinsamen ‚Kritischen Prüfung der Echtheit und des historischen Werthes des Chronicon Corbejense‘, einem 1839 erschienenen Band der ‚Jahrbücher‘, eine Schilderung der historischen Übungen im Jahre 1835 über Widukind und Thietmar (s. II, 162-164, JbbDR/SH, Bd. III, 1. Abt., p. III sq.). Übrigens lobte Waitz an Rankes in alter, mittelalterlicher und neuerer Geschichte verlaufenden Übungen besonders die weite thematische Liberalität, mit der dieser der Eigentümlichkeit der Teilnehmer Raum gegeben habe (Waitz/1867, 4f.), ein loyaler Nachklang des Dankes, den er in der vita seiner Dissertation ‚Commentationis de Chronici Urspergensis prima parte, eius auctore, fontibus et apud posteros auctoritate specimen,‘ Bln. 1836 ausgesprochen hatte: „Ill[ustrissimus] Ranke et publicia scholis, et exercitationibus et privatis colloquiis primus rectam historiae tractandae viam mihi stravit, eius amorem quam maxime incendit, labores meos moderatus est, studiorum primitiis favit, quid vires - 374 -

II/5.2.2 ‚Historische Übungen‘ - Der ‚Jahrbücher‘- Zirkel und spätere Teilnehmer

valerent edocuit, errores correxit. Nunquam frustra eius quaesivi auxilium, summa humanitate quaecunque volui mihi praebuit, amicitia me adstrixit, amoris vinculis sibi me coniunxit.“ (unpag. 22f.). Den Rankeschen Grundsatz individueller Förderung hat Waitz bei der späteren Einrichtung eines eigenen fruchtbaren Seminars in Göttingen ebenfalls beherzigt: „Die Wahl des Gegenstandes überlasse ich gerne jedem selbst ... So weit es geht, haben die Mitglieder unter einander Kritik zu üben; wo das nicht ausreicht, suche ich selber nachzuhelfen“, schrieb Waitz in einem Glückwunschschreiben zu Rankes fünfzigjährigem Doktorjubiläum (Waitz/1867, 6. - R.s Antwort vom 2. 3. 67: SW 53/54, 475f.). Hier lassen sich dann einige der vielen Translationen Rankescher Übungen und Methodik beispielhaft weiterverfolgen. Theodor Sickel, Hörer Rankescher Vorlesungen und später Mitglied der Historischen Kommission, hatte gerade in Wien seine ordentliche Professur durchgesetzt und gedachte nun, wie er Waitz schrieb (22. 5. 67), dort ein historisches Seminar zu eröffnen: „das will ich ganz in dem Sinne leiten, den Sie in Ihrem Sendschreiben an Ranke so treffend dargelegt haben.“ (Georg Waitz und Theodor Sickel/1927, 101). Schon 1844 hatte Böhmer die „Jahrbücher des deutschen Reichs von Ranke’s Schülern“ an Christoph Friedrich von Stälin empfohlen (Joh. Friedrich Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften. II/1868, 372), und 1856 schrieb er im Zusammenhang mit einer Geschichte Rudolfs IV. an Julius Ficker: „Ich möchte Ihnen, verehrter Freund, zu bedenken geben, ob sie nicht wohlthun würden den schriftlichen Arbeiten Ihrer ausgezeichneten Schüler diese Richtung zu geben und gleichsam die nächstliegenden österreichischen Themata unter sie zu vertheilen. So machte es auch Ranke gleich von Anfang mit dem besten Erfolg.“ (III/1868, 187). An den genannten Übungen vom Wintersemester 1834/35 und Sommersemester 1835 nahmen auch die ein Leben lang miteinander befreundeten Wilhelm von Giesebrecht und Rudolf Anastasius Köpke teil. Auslösend für die entschiedene Hinwendung beider zur Geschichte war 1834 die gemeinsame, wenn auch nicht prämierte Teilnahme an der von Ranke vorgeschlagenen Fakultäts-Preisaufgabe einer Darstellung von Leben und Taten Kg. Heinrichs I., wie Giesebrecht in ‚Erinnerungen an Rudolf Köpke‘ berichtet (Giesebrecht/1872, 276f.). Hier finden sich zudem Ausführungen über den Plan der ‚Jahrbücher‘ und beider Teilnahme an Rankes Übungen. Auch Köpke entschloß sich dann später zu einer Übernahme der Einrichtung (ebd., 277-281, 317). Die Ernte, die Giesebrecht aus den Übungen Rankes davongetragen hatte, wurde von Reinhold Pauli freilich beanstandet. Bei ihm werde immer noch „zu viel aus der Seele und mit den Worten mönchischer Chronisten“ erzählt (1860, 540). Von Giesebrechts Beteiligung an Rankes Übungen und deren Konzeption hat Heinrich von Sybel, dem späteren Brauch Rankes folgend, in einer nekrologischen Eröffnungsrede der Historischen Kommission, zum Teil aus persönlicher Erinnerung, berichtet (1890, in: Sybel/Vortrr. u. Abhh./1897, 323f). Sybel war gleichzeitig mit den beiden Freunden - im Wintersemester 1834/35 - in die Übungen aufgenommen worden, an denen er mit Unterbrechung bis zum Wintersemester 1837/38 (s. auch Berg/1968, 239) teilnahm. Hierzu liegen vor allem zwei von Varrentrapp genutzte autobiographische Aufzeichnungen Sybels von 1877 und 1888 vor, die an zahlreichen Stellen, beginnend mit Sybels Studium in Berlin, sein bis heute nicht befriedigend geklärtes Verhältnis zu Ranke berühren, wobei u. a. die Sybel damals vermittelte Anregung Rankes zur Untersuchung der Quellen des ersten Kreuzzugs (Varrentrapp: Biogr. Einl. in: Sybel/Vortrr. u. Abh./1897, 18) bemerkenswert ist. - 375 -

II/5.2.2 ‚Historische Übungen‘ - Der ‚Jahrbücher‘- Zirkel und spätere Teilnehmer

Die daraus hervorgegangene ‚Geschichte des ersten Kreuzzugs‘ (1841) (2., neu bearb. Aufl. 1881) enthält eine detaillierte Schilderung der Übungen Rankes im Jahre 1837, in denen er „eine kritische Durchsicht der Quellenschriftsteller des ersten Kreuzzugs“ veranlaßte, wobei mit den „ersten Büchen des Willermus Tyrius begonnen“ wurde, doch auch die ‚Gesta Francorum‘ und Albertus Aquensis vorgenommen wurden (1841, III). Die ‚Gesta Francorum‘ sind auch Rudolph von Delbrück von seiner Teilnahme an Rankes Übungen 1836/37 in Erinnerung geblieben (Delbrück/Lebenserinnerungen I/1905, 67, 71-73). - Hier sei noch ein Rückgriff auf Rankes Pfortaer Jahre erlaubt, in denen sein bereits genannter Geschichtslehrer E. J. G. Schmidt, den Erinnerungen von Rankes Bruder Ferdinand zufolge, die Geschichte „aus den Quellen“ studierte und „zu deren Kenntniß ... die Schüler eifrig“ anleitete: „Für den Orient legte er Herodot, für die Römische Geschichte Livius zu Grunde: uns führte er die gesta dei per Francos vor, die wir genauer, als es sonst irgendwo vorkommt, kennen lernten.“ (FR/1874, 50f.). Ernst Adolf Herrmann berichtet in einem Brief an den damals schon ausgeschiedenen, bei Pertz in Hannover tätigen Waitz von seiner Teilnahme an den Übungen des Wintersemesters 1836, wo Ranke nicht nur den Wilhelm von Tyrus, auch den Jordanes „kritisch“ behandelt habe (23. 11. 36, Stengel/1920, 245, A. 1). Über Jordanes, der Ranke später noch in seiner ‚Weltgeschichte‘ (Analekten WG IV/1883) beschäftigte, schrieb Sybel seine 1838 erschienene Dissertation ‚De fontibus libri Jordanis ...‘. Die vita des Anhangs nennt Ranke zwar, vermeidet aber jedes sonst übliche Wort des Dankes, schreckt auch nicht davor zurück, den Lehrer mit der für diesen wie Tacitus völlig provokativen These vertraut zu machen: „Historiae scriptor scribat cum ira et studio.“ (unpag. 48). - Um diese Zeit - 1839 - hat auch Wilhelm Roscher an einer Übung teilgenommen (Berg/1968, 237). - Im folgenden Sommersemester gelang Jacob Burckhardt die Aufnahme in Rankes Übungen. Sein Urteil ist zunächst jugendlich selbstbewußt und unklar. An Heinrich Schreiber, Bln., 11. 8. 40: „Nächsten Winter höre ich bei Ranke Mittelalter, weiter weiß ich noch nichts; dieses Halbjahr nahm ich an seinen historischen Übungen Theil. Obgleich nichts Rechtes dabei herauskam, so hatte man doch großen Vortheil davon; jetzt erst ahne ich etwas von historischer Methode ...“ (Burckhardt: Briefe, I/1949, 157f.). „Er hatte das Glück, für Ranke’s Seminar zwei umfangreichere Arbeiten [neben der Dissertation über Karl Martell eine Abhandlung über Konrad von Hochstaden] zu liefern und die Zufriedenheit des großen Lehrers als Lohn zu empfangen.“ (v. d. Schulenburg/1926, 19). Dankbar wird von ihm und anderen der in den Übungen vermittelten entscheidenden Anregungen Rankes gedacht: „Sed plurimum mihi gratulor quod in historia magistrum nactus sim virum omni laude maiorem Leopoldum Ranke, qui non solum scholis suis sed etiam praestantissimo consilio studia mea iuvare dignatus est.“ (ebd., 24), heißt es in der vita der ‚Quaestiones aliquot Caroli Martelli illustrantes‘ von 1843. An Burckhardt in Rankes Übungen erinnerte sich Willibald Beyschlag (1880, 15f. und 1896, 140f.), der im Wintersemester 1842/43 Rankes Vorlesung ‚Europäische Geschichte seit 1814‘ hörte. Schon als Schüler hospitiert hatte Reinhold Pauli in Rankes Vorlesungen. Zu den besonderen Ereignissen in seiner später mit mehreren Begegnungen fortgeführten Beziehung zu Ranke gehört die Einschreibung im Sommersemester 1842. Sie wurde von Ranke vorgenommen, der damals als Dekan tätig war. Pauli hört bei ihm ‚Deutsche Geschichte und Geschichte der neuesten Zeit von 1814 an‘, und seit dem Wintersemester 1842/43 ist er Teilnehmer an Rankes Übungen (Pauli: Lebenserinnerungen/1895, 17, 23f., 34). - 376 -

II/5.2.3 ‚Historische Übungen‘ - ‚Ranke-Schule‘

Um 1850 ist Ernst Dümmler - den Erinnerungen Karl Frenzels zufolge - an Rankes Übungen beteiligt. Es wurde gerade „die lateinisch geschriebene Geschichte des Thuanus über die französischen Religionskriege im sechzehnten Jahrhundert ...“ gelesen, und Dümmler war der „Liebling Rankes“ (Frenzel/1912, 47). Im Wintersemester 1851/52 findet sich Julius Weizsäcker zu den Übungen ein. Er hält schon wenige Jahre später in Tübingen selbst Übungen über mittelalterliche Autoren ab (Bernheim/1896, 637ff). Felix Dahn hingegen, der WS 1852/53 Rankes Vorlesung über Geschichte des Mittelalters hörte (Dahn II/1891, 458), beging den „Fehler“, neben der Vorlesung nicht die Übungen zu besuchen, „in denen der Altmeister sein Größtes leistete.“ Aus den Jahren 1856 bis 1859 ist v. a. Eduard Winkelmann als Teilnehmer zu nennen, der sich zeitweilig auch in Göttingen bei Georg Waitz umtat und später in Heidelberg historische Übungen einrichtete (Winkelmann, A.: Winkelmann, Eduard/1898, 435-442). Als bedeutende Spätschüler dürfen Alfred Dove und gewiß Harry Bresslau gelten, der seit 1868 an den letzten Vorlesungen und Seminarübungen Rankes teilnahm, wie er in einer Selbstdarstellung schildert (Bresslau/1926, 33ff.). An ihn erging noch die Aufforderung Rankes, die ‚Jahrbücher der deutschen Geschichte unter Kaiser Heinrich II.‘ zum Abschluß zu bringen (ebd., 39f. - R über die Jbb. Konrads II. ebd., 41, 51, 55). ‚ R a n k e - S c h u l e ‘ (II/5.2.3) Die Entwicklung von Begriff und Bedeutung der ‚Ranke-Schule‘ kann hier nur kurz angedeutet werden. Zu den frühen publizistischen Erwähnungen des Unternehmens der ‚Jahrbücher des Deutschen Reiches‘ zählt ein anonymer Beitrag des jüngsten der damaligen Ranke-Jünger und Bewunderer, des zwanzigjährigen Siegfried Hirsch, aus dem Jahre 1837, fast eine Selbstanzeige, mit dem Titel ‚L. Ranke’s Schüler‘, die in erster Linie eine Besprechung des von Waitz verfaßten Bandes I der ‚Jahrbücher des deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause‘ darstellt, aber zu seinem für die Zukunft prägenden Titel-Thema mitteilt: „Schon seit seiner Rückkehr aus Italien [hier irrte Hirsch, s. o.] hat Ranke neben den geschichtlichen Vorlesungen, die für die allgemeinen Bedürfnisse aller Fakultäten [!] berechnet seyn müssen, historische Uebungen angestellt, in welchen er mit der ihm so eigenen Regsamkeit des Geistes das Interesse für die Lectüre u. kritische Vergleichung historischer Quellenschriften bei seinen Schülern zu beleben wußte, die Arbeiten derselben zwar mit wissenschaftlichem Ernst prüfte, aber auch die Verfasser mit wohlwollendem Lobe zu fernerer Thätigkeit anspornte. Auf diese Weise ward es nach Verlauf einiger Jahre möglich, sechs junge Männer [zu denen auch Hirsch selbst gehörte] zu einer gemeinsamen wissenschaftlichen Leistung, der Bearbeitung der Geschichte der Sächsischen Kaiser, zu vereinigen. Seit langer Zeit hat sich in Deutschland kein solcher Verein jüngerer Gelehrten unter der Leitung eines älteren gebildet...“ (405). Man darf dies den Beginn der wie auch immer gearteten ‚Ranke-Schule‘ nennen: „Erst aus dieser Vereinigung zur Herausgabe der ‚Jahrbücher‘ ist der Name der Ranke’schen Schule entstanden, welcher für die deutsche Geschichtswissenschaft dann Bedeutung gewann“, schrieb Giesebrecht in Erinnerungen an Rudolf Köpke (1872, 278). Nicht Rankes entgegen der fama zunächst kaum zur Kenntnis genommenes Erstlingswerk, sondern das Unternehmen der ‚Jahrbücher‘, nicht minder die dabei ganz im Vordergrund stehende Kritik der Quellen, bilden in der Tat den Ausgangspunkt einer künftig ‚Ranke-Schule‘ genannten, schon bald eher abstrakten Gemeinschaft und fach- 377 -

II/5.2.3 ‚Historische Übungen‘ - ‚Ranke-Schule‘

wissenschaftlichen Einstellung, durchwoben von gelegentlichen wissenschaftspolitischen Fördermaßnahmen, befestigt in einigen gemeinsamen Unternehmungen historiographischer und institutioneller Art, getragen von sehr unterschiedlichen, zumeist doch getrennt wirkenden Persönlichkeiten, die dem spiritus rector Ranke eher minder als mehr verbunden blieben. Ranke nannte seine Schülerschaft, nicht ohne Überteibung, „eine Familienverbindung in der Litteratur“ (Diktat ‚Die alten Schüler‘, 6. April 1884, SW 53/54, 650). Tatsächlich bemühte er sich ab 1838/39, mit seinen Jahrbuch-Jüngern wieder ein oder mehrere neue Projekte zu verwirklichen. Doch zerschlugen sich diese Planungen aus noch unbekannten Gründen (s. I, 37). Mit der Verselbständigung und Ausbreitung seiner Schüler verselbständigte und verallgemeinerte sich im Laufe der folgenden Jahrzehnte auch der Ursprungs-Begriff. Aus der ‚Ranke-Schule‘ wurde bei Julian Schmidt und vielen anderen die „historischkritische Schule“ (Schmidt I/1853, 318-332), bei Johannes Scherr die „diplomatischkritische Schule“ mit Ranke als ihrem „Haupt“ (Scherr/1854, 557). Schließlich wurde Ranke von Sybel dargestellt als „Gründer einer historischen Schule, die man jetzt die historische Schule Deutschlands nennen kann.“ (Gedächtnisrede/1886, HZ-Fassung 473. Beiläufig sind Verwechslungen mit der ‚Historischen (Rechts-)schule naheliegend. Von Zusammenarbeit im Sinne des frühen Jahrbücher-Zirkels konnte bei Rankes zunehmend forcierter Produktion später nicht mehr die Rede sein, so daß nunmehr pointiert von Schülern ohne Schule zu sprechen ist. Zu einer gewissen Zusammenarbeit konsiliarisch-organisatorischer Natur kam es bei Rankes Tätigkeit in der ‚Historischen Kommission‘, welche mit einigen Wurzeln in der frühen Jahrbücher-Schüler-Gruppe gründete. Unter den ersten KommissionsMitgliedern befanden sich, neben Ranke, mit Waitz und Giesebrecht noch Teilnehmer dieses Zirkels, wie denn auch das größere Werk der ‚Jahrbücher Deutscher Geschichte‘, das die Historische Kommission auf den Antrag Rankes hin unternahm (s. II, 438), in den frühen ‚Jahrbüchern‘ seinen Ursprung hatte. Ferner entstammten von den übrigen Mitgliedern nicht wenige dem Hörsaal Rankes: vor allem Heinrich von Sybel und Ernst Dümmler, aber auch Carl Adolf Cornelius, Johann Gustav Droysen, Karl Hegel, Julius Weizsäcker, Theodor Sickel, Wilhelm Wattenbach, Georg von Wyss und August von Druffel. Auffallend sollte sein, daß Ranke in seinem Tagebuchdiktat ‚Die alten Schüler‘ vom 6. April 1884 (SW 53/54, 649f.) nicht von neueren Schülern sprach. In der Tat hat er, wie bereits Böhmer zutreffend bemerkte, später „keine mehr … oder wenigere“ gezogen (5. 4. 56, Böhmer III/1868, 179). Ranke führte dies, wohl allzu einseitig und selbstentschuldigend, auf das Wirken Droysens, seit 1859 neben ihm tätig, zurück. Dieser habe - und das war ihm „offenbar sehr schmerzlich“ - „seine Schule in Berlin vernichtet“ (Wiedemann XV/1893, 261).

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3. Abteilung (II/5.3) VERZEICHNIS DER VORLESUNGEN UND ÜBUNGEN nebst Vorlesungsmanuskripten und Hörernachschriften Die folgende Übersicht stützt sich hinsichtlich der Vorlesungstitel, der Angaben zu Stunden- und Hörerzahl, auch hinsichtlich der Frage, wann, wie oft und ob privatim oder publice gelesen wurde, auf Dokumente, die abschriftlich im Nachlaß Dr. Bernhard Hoefts (s. II, 194f.) erhalten sind. Hoeft hatte seine Abschrift von Aufzeichnungen des langjährigen Rankeschen Gehilfen Dr. Theodor Wiedemann im Nachlaß Rankes Rep. 92 des GStA PK, „Papiere betr. Verzeichnisse von Rankes Vorlesungen, Nr. 20.“ gewonnen. Wiedemanns Manuskript ist nach der Abschriftnahme mit Teilen des RankeNachlasses untergegangen. Rankes Hauptamanuense hatte seine Verzeichnisse erstellt aus drei Dokumenten der Berliner Universitätsverwaltung: 1. aus dem deutschen Lektionskatalog, 2. aus seinem lateinischen Gegenstück und 3. aus einer von der Königlichen Universitäts-Quästur, datiert „Berlin den 12. Mai 1887“, zusammengestellten „Nachweisung der von dem Herrn Professor von Ranke gehaltenen Vorlesungen und Angabe der Zuhörerzahl“. Offizielle Hörerzahlen der Quästur setzen für Ranke allerdings erst im SS 1831 ein. - Die aus diesen Dokumenten zu gewinnenden Informationen übersteigen die bisher bekannten beträchtlich. Der deutsche Lektionskatalog ist recht ausführlich, sowohl hinsichtlich der Vorlesungstitel als auch in Hinsicht der Frage, ob Ranke privatim oder publice las. Überdies enthält er Hinweise auf die abgehaltenen Übungen. Weitere Angaben, i. b. zu Vorlesungsmanuskripten und Hörernachschriften wurden aus eigener Archivarbeit sowie aus Rankes Korrespondenz, aus zeitgenössischen Zeugnissen und der angegebenen Literatur erarbeitet. - Bei den Vorlesungstiteln ist hier und da ein Vergleich der deutschen mit der lateinischen Fassung von Interesse, z. B. SS 1854, 1863 und SS 1871. Sommersemester 1825 In den beiden Lektionskatalogen konnte wohl aus Zeitgründen keine Vorlesung von R für dieses Semester mehr angezeigt werden. Nach den auf der Registratur befindlichen Akten habe er gelesen: ‚Staatengeschichte des westlichen Europa‘ und damit am 11. Mai begonnen. Diese Feststellung Wiedemanns ist nicht ganz korrekt, denn R schrieb am 12. Mai an HR: „Dienstag den 17. Mai Abends um 6 will ich anfangen. Mein Anschlag lautet auf eine Geschichte des westlichen Europa, mit Einschluß von Literatur- und Kirchengeschichte. Ich will öffentlich lesen...“ (SW 53/54, 145)

Geschichte des westlichen Europa, mit Einschluß von Literatur- und Kirchengeschichte. Siehe auch R.s Schilderung in Brief an HR, 11. 7. 25 (ebd, 147), u. a.: „Mein Publikum ist zwar etwas wetterwendisch und flüchtig...; indeß werden ihrer doch in der Regel ungefähr 30 sein. ... Ich mache es freilich so gut ich nur kann, aber leider ist das nicht eben allzugut: meine Kenntniß ist lange nicht umfassend genug, oft stockt meine Rede mitten im Fluß u. s. w.“ Manuskripte und Nachschriften nicht bekannt.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Wintersemester 1825/26

Allgemeine Weltgeschichte, erste Hälfte bis auf den Untergang der Hohenstaufen historiae universalis partem priorem a rerum primordiis usque ad gentis Hohenstaufenae excessum Privatim, 4mal wöchentlich 3-4 Uhr Eine Tagesangabe fehlt. - R selbst vermerkt, einige Stunden habe er „die beste Hoffnung“ gehabt, daß sein Kollegium „außerordentlich stark besucht werden würde“. „Ich bin heute etwas mißmuthig“, schreibt er an HR, „daß ich mich in meiner Erwartung betrogen.“ (SW 53/54, 150). Auch gegen Ende des Semesters ist seine Zuhörerschaft, „nicht eben die stärkste“ (an HR, [Jan./Febr. 1826], ebd., 153). Manuskripte: „Allgemeine Weltgeschichte I. Einleitung. Und die alten Völker von Asien und Afrika. Zu den Vorlesungen vom 27. Okt. bis 18. Nov. 1825. Mit den früheren einzelnen Heften zugleich gebraucht.“ Erstdr./Tdr. nach Or. im RNL 29 L. 1 u. 2: Schulin/1958, 310-317. - Erweitert in WuN IV/1975, 35-40. - Dazu gehörend als Vorbereitungsheft (?): [Vorbemerkungen zur römischen Geschichte] ebd. 40-42. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen 1 mal wöchentlich, publice Siehe dazu Dwight: Travels/1829. D. schildert in einem 1826 verfaßten „Letter XI“ (174-192) seine Eindrücke von der Berliner Universität, ohne dabei auf einzelne Professoren einzugehen. R ist - neben allen anderen Mitgliedern des Lehrkörpers - im angehängten „Index lectionum“ für das WS 1825/1826 unter den a. o. Professoren genannt (448): „L. Ranke, Dr. I. Publice exercitationes historicas moderabitur semel p. heb. II. Privatim historiae universalis partem priorem a rerum primordiis usque ad gentis Hohenstaufenae excessum tradet quaternis scholis hor. III-IV.“ Manuskripte: Zu R.s ersten ‚Historischen Übungen‘ gehört der Entw. einer lat. Eröffnungsansprache, „doch wohl vom WS 1825/26“ nach Kessel/1954, 279, A. 1 in RNL. 38 II. Zitate ebd., 282, A.5, 287. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

* Sommersemester 1826

Allgemeine neuere Geschichte vom 13. Jahrhundert bis 1789 historiam universalem recentioris aevi a saeculo inde decimo tertio usque ad eum ipsorum annum, unde publicae lectionis initium faciet, enarrabit ... privatim, 4 mal wöchentlich von 8 - 9 Uhr. M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Neueste Geschichte von 1789 - 1815 historiam rerum ab anno saeculi proximi superioris LXXXIX usque ad annum huius saeculi XV gestarum tradet ... Mittwoch von 8 - 9 Uhr öffentlich.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen In einem Brief vom 11. 5. 26 berichtet R seinem Bruder Ferdinand von den gerade begonnenen Vorlesungen: „Es geht so mittelmäßig. Ich hoffe immer noch, es soll einmal gut gehn. In meiner öffentlichen Vorlesung war freilich ein großes Auditorium ganz voll; aber es ist neueste Geschichte, und ich fürchte, daß ich mich das nächste Mal ziemlich allein finden werde.“ (NBrr 83). Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. nach R.s Or., NL 35 N 1-8: WuN IV, 43-50. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen nicht angekündigt

* Wintersemester 1826/27

Die Grundzüge der allgemeinen Weltgeschichte von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart Ideam historiae universalis privatim, 5 mal wöchentlich von 4 - 5 Uhr R am 24. 11. 26 an HR: „Du kennst meine alte Absicht, die Mär der Weltgeschichte aufzufinden, jenen Gang der Begebenheiten und Entwickelungen unsres Geschlechtes, der als ihr eigentlicher Inhalt, als ihre Mitte und ihr Wesen anzusehen ist. Alle die Taten und Leiden dieses wilden heftigen gewaltsamen, guten edlen ruhigen, dieses befleckten und reinen Geschöpfes, das wir selber sind, in ihrem Entstehen und [in] ihrer Gestalt zu begreifen und festzuhalten. Ich lese nun wieder Weltgeschichte. Oft schlägt mir das Herz in Betrachtung der menschlichen Dinge. Doch will es mir mit der Darstellung wohl darum nicht recht gelingen, weil ich noch nicht ganz auf dem Reinen bin.“ (NBrr 89f.). Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. nach R.s Or., NL 29 B 55-60: WuN IV, 51-61. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Geschichte der alten Völker Historiam populorum veterum privatim, 4 mal wöchentlich von 6 - 7 Uhr Bei dieser Vorlesung findet sich in den Akten der Registratur der von Ranke eigenhändig niedergeschriebene Vermerk: „Nicht gelesen, obschon sich zum Anfang 30 eingefunden und 16 sich gemeldet hatten, weil nur zwei das Honorar zahlen wollten.“

Historische Übungen

* Sommersemester 1827

Neueste Geschichte seit dem Jahre 1789 historiam aevi recentissimi ab anno 1789 Privatim, 4 mal wöchentl. von 9-10 Uhr Dazu R an HR, 5. 5. 27: „Künftige Woche beginne ich meine Collegia wieder. Aber leider, leider! es ist wenig Aussicht, daß sie jemals wie die Jenensischen des Luden werden. Meine

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Meldezettel sind nicht eben überfüllt. Und doch haben mir viele, als ich das letztemal das Nämliche gelesen, große Theilnahme bewiesen und mich sogar gebeten, es nur einmal ausführlicher vorzutragen; was ich jetzt thun werde, aber mit schlechtem Succeß! Es ist schwach genug von mir, daß mich das doch ärgert. Aber ich kanns nicht ändern. Soll das mein ganzes Leben so fortgehen, so ist das doch eine Plage.“ (SW 53/54, 166). - In einem Brief R.s an Johannes Schulze im Schulministerium stellten sich die Verhältnisse rückblickend deutlich günstiger dar: In den beiden letzten Semestern sei „der sonderbare Fall“ eingetreten, „daß mehrere Monate hindurch von dem in den Zuhörerverzeichnissen angegebenen Numerus sich gewiß die Doppelzahl regelmäßig einfand - was wohl künftig bedeutendere Verzeichnisse erwarten läßt.“ (Wien, 6. 2. 28, Lenz IV/1910, 465). Manuskripte und Nachschriften nicht bekannt.

Über die Entwickelung der Literatur seit dem Anfang des 18. Jahrhunderts de litteraturae ab initio saeculi decimi octavi historia Publice, Mittwoch von 9 - 10 Uhr Manuskripte: Vorlesungseinleitung nach R.s Or., NL 38 I C 1-14: WuN IV, 62-71. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt. Erwünscht wäre eine Nschr. von J. G. Droysen. Der Darstellung seines Sohnes zufolge war er Hörer dieser Vorl. über Literaturgeschichte des 18. und 19. Jh.s. (Droysen, G[ustav] I/1910, 47f.).

Historische Übungen privatissime Hierzu existiert ein eighd. Anschlag oder eine entsprechende Mitteilung R.s für den Lektionskatalog, UB Bonn, Autographensammlung.

* Wintersemester 1827/28 Angekündigt, aber beide Veranstaltungen wegen Studienreise ausgefallen:

Allgemeine Weltgeschichte bis auf Karl den Großen historiam universalem a rerum primordiis usque ad Caroli Magni aetatem Wöchentlich 5 mal von 4 - 5 Uhr. Historische Übungen

* Wintersemester 1827/28 bis Wintersemester 1830/31 auf Studienreise

* Sommersemester 1831

Neuere Geschichte seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts mit Vorausschickung einiger öffentlicher Vorlesungen über die Idee (2 Hörer) und das Studium der allgemeinen Historie (2 Hörer; also getrennte Veranstaltungen).

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

publicis aliquot lectionibus de idea et studio historiae universalis praemissis privatim historiam recentiorem ab initio saeculi XVI. Privatim, wöchentlich 5 mal von 8 - 9 Uhr, 32 Hörer. Manuskripte: Erstdr. nach Or. im RNL durch Dove: WG IX/2, p. VII-XI. - Einl. zu der Vorl. „Über das Studium der allgemeinen Historie“. So auch von Wiedemann (1892, IV, 215, A. 4) bestätigt: „aus dem Heft über diese einleitenden Vorlesungen stammen die Mitteilungen im Vorwort S. VII ff. zur zweiten Abteilung des neunten Teiles der Weltgeschichte.“ Die Einl. kann „ohne Furcht vor Irrtum“ auf SS 1831 datiert werden (Helmolt/1921, 180, A.103). Zweitdr.: WuN IV/1975, 86-89 (nach Erstdr., da Hs. im RNL nicht vorgefunden.). Helmolt/1921, 177, A. 81 sah in der Einl. „eine Absage an die Philosophie der Geschichte, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt.“

Noch ungewiß, ob zum SS 1831 gehörend: Ms. „Über das Prinzip der universalhistorischen Methode“, 1831-1835. Erstdr. nach Or. im RNL: Mülbe/1930, 124-130. - Der Text wurde revidiert und erweitert, allerdings ohne die Lesartendifferenzen zu Mülbe zu vermerken, von Kessel/1954, 290-303 u. d. T. „Idee der Universalhistorie“ aus Or. im RNL 38 I Konvolut „Über Universalhistorie“, fol. 7-10 u. 40-43. - Drittdr., orthographisch modernisiert: WuN IV/1975, 72-86 nach Or. im RNL 38 I D 7-10’, 40-43’. Die nicht seltenen Lesartdifferenzen der Vorgänger blieben dort wieder unverzeichnet. Nachschriften: 1 Bd. „(von [Robert?, 1816-1884] Warschauer?)“. - „Neuere Gesch. (a. o. 1500-1763) ? ? [recte Neuere Geschichte seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts] (kurz nach1830 oder 30/31?) [recte SS 1831] = 171 S. 4o.“ - Auszug im Teilnachlaß Alfred Dove des GStA PK. - Warschauer fehlt im Hörerverz. von Berg/1968.

Historische Übungen nicht angezeigt

* Wintersemester 1831/32

Über das Studium der Geschichte de studio historiae Publice, 5 Hörer. Weder in den lateinisch, noch in den deutsch abgefaßten Lektionskatalogen findet sich die Zahl der wöchentlichen Lektionen, noch deren Zeit angegeben. M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Neuere Geschichte vom Anfang des 16. Jahrhunderts [an] historiam recentiorem ab initio saeculi XVI Privatim, 5 mal wöchentlich von 5 - 6 Uhr, 9 Hörer. Unter den Hörern dürfte sich Clemens Theodor Perthes befunden haben, der brieflich seine Eindrücke schildert (Perthes/1909, 26). M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Revolutionsgeschichte In der o. g. ‚Nachweisung der ... gehaltenen Vorlesungen und Angabe der Zuhörerzahl‘ findet sich für das WS 1831/32 noch eine dritte, in den Katalogen fehlende Veranstaltung mit dem Titel ‚Revolutionsgeschichte‘ mit 4 Hörern (publice). Manuskript: Aus einer undatierten Vorlesung über die Französische Revolution im RNL „35 (1)“ zitiert in Erstdr./Tdr. nach Or.: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 211f., A. 155, 157. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen nicht angezeigt.

* Sommersemester 1832

Über die Geschichte der letzten 50 Jahre de historia aevi recentissimi. Publice, Sonnabend von 12 - 1 Uhr, 91 Hörer. Manuskripte: Schluß einer Einl. zur Vorlesung über neueste Geschichte. Die Hs. der 1830er Jahre in unvollst. Erstdr nach Or. im RNL 38 I D 20-20’ bei Kessel/1954, 303f. - Zweitdr., orthographisch modernisiert, vervollständigt nach Or.: WuN IV/1975, 85f., wobei die wenigen, aber bedeutenden Lesartdifferenzen zu Kessel wiederum nicht vermerkt werden. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt. Ausgefallen:

Weltgeschichte in universalem Zusammenhange historiam universalem Privatim, 5 mal wöchentlich von 5 - 6 Uhr Historia universalis steht gelegentlich auch für ‚allgemeine Geschichte‘, z. B. WS 1851/52. Wegen der Arbeitsbelastung durch die HPZ ersuchte R mit Schreiben vom 5. 5. 32 den preuß. Minister der geistl., Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, Karl Frhrn. vom Stein zum Altenstein, um Dispens: „Indem ich nun die erste dieser Vorlesungen zu halten erbötig bin und mit allem Fleiß mir angelegen sein lassen werde, würde es zugleich mein dringender Wunsch sein, die andere auf eine spätere Zeit auszusetzen...“ (Lenz/IV, 1910, 471). Er holte die Vorlesung bereits im SS 1833 nach.

Historische Übungen nicht angezeigt.

* Wintersemester 1832/33

Neuere Geschichte vom Anfang des 16. Jahrhunderts [an] historiam recentiorem ab initio saeculi XVI Privatim, 4 mal wöchentlich 8 - 9 Uhr, 14 Hörer.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Manuskripte: „Fragmente zur neueren Geschichte, 17. und 18. Jahrhundert“ aus den dreißiger Jahren. Datierung u. Erstdr./Zitat aus Or. d. RNL 34 bei Kessel/1954, 283. Vorlesungseinleitung (nach R.s Or., RNL 33 H 1-4): WuN IV, 94-97. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Über die Geschichte der letzten fünfzig Jahre, Fortsetzung, das Zeitalter Napoleons historiae recentissimae partem secundam Publice, Mittwoch von 4 - 5 Uhr, 101 Hörer. Manuskripte: Zitate bei Schweitzer in DtG/Joachimsen VI/1926, 381, A. 1 u. Kessel/1954, 274f., 283. - Ein fragmentarisches Ms. „Neueste Geschichte II. Teil - Napoleon“ fand Vierhaus, Soz.Welt/1957, 46 m. A. 9, in RNL 36 (2): „Die hier zusammenliegenden Stücke entstammen allerdings z. T. den 60er Jahren“. Ed. der Vorlesungseinl. nach R.s Or., NL 36 B 1-4: WuN IV, 90-93. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen nicht angezeigt.

* Sommersemester 1833

Die Universalgeschichte (in ihrem allgemeinen und inneren Zusammenhange), ideam historiae universalis Privatim, 5mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, 15 Hörer. Eduard Meyer traf lediglich drei Hörer an (Vischer/1953, 391). Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. nach R.s Or., NL 29 A 44.45: WuN IV, 98-100. Dazu: „Leitfaden“ (38 I D 38-39): ebd., 101. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen publice, 7 Hörer

* Wintersemester 1833/34

Neuere Geschichte vom Anfange des 16. Jahrhunderts an historiam aevi recentioris 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 14 Hörer „Mit den Vorlesungen geht es zwar etwas besser als früher, aber noch lange nicht gut. Viel Vergnügen machen mir die Übungen“, schrieb Ranke am 14. 12. 33 an seinen Bruder Heinrich (SW 53/54, 264). Manuskripte: RNL 36 B 5-8, s. Nschr. Hirsch.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Nachschriften: Nschr. E d u a r d M e y e r (Abschr.). Zürcher Nationalbibl. CFM 383. - Referat u. Tdr.: Vischer/1953, 389-425, der ausführlich über die 551 S. umfassende Abschr. einer 190 S. starken Nschr. Eduard Meyers von dieser Vorl. berichtet. Das verschollene Or.-Ms. war von E. M. für Ferdinand Meyer (Vater Conrad Ferdinand M.s) erstellt worden. - Charakteristik: Berg/1968, 84-86. Erw. u. Zitate ebd. 11, 114, 118-122, 127-130, 138-139. - Einzelnes ergänzend in die Edition der Nschr. Hirsch (s. u.) aufgenommen. Nschr. K a r l M e y e r . Zuweisung zu diesem Semester ungewiß. - Nachweis: Vischer/1953, 393, A. 16: Nschr. nicht erhalten bzw. verschollen. Nschr. H a n s H e i n r i c h V ö g e l i . Nachweis: Vischer/1953, 391 m A. 15, 393, A. 16: Nschr. nicht erhalten bzw. verschollen. Nschr. G e o r g W a i t z . NL Waitz im Hist. Sem. der Univ. Göttingen, Sammelbd. II, S. 1-138. Zitat: Dove/SW 53/54, 265, A. 1; Zitat: Schulin/1958, 167f.; Charakteristik: Berg/1968, 84f. Erw. u. Zitate ebd. 12, 85f., 114, 122, 128-130, 136. Beschr.: WuN IV, 486. Einzelnes ist ergänzend in die Ed. der Nschr. Hirsch (s. u.) aufgenommen. Nschr. S i e g f r i e d H i r s c h (RNL 33 K), 193 Bll. Erwähnt: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 46 m. A. 10. - Charakteristik: Berg/1968, 84-86. Erw. u. Zitate: 12, 82, 115, 117-122, 126-130, 136, 138f., 229. - Ed. d. Einl. aus Nschr. Hirsch (RNL 33 K 1-12) mit den „wichtigsten Ergänzungen“ d. Nschrr. von Waitz u. E. Meyer: WuN IV, 102-113). In der Ed. wird hernach umgestiegen auf das Rankesche Or. (RNL 36 B 5-8): WuN IV, 113-116.

Historische Übungen publice, 7 Hörer

* Sommersemester 1834

Geschichte der neuesten Zeit seit Mitte des 18. Jahrhunderts historiam aevi recentissimi privatim, viermal wöchentlich von 12 - 1 Uhr. 31 Hörer. Im lat. Katalog der Hinweis: Zum ersten Mal als ordentlicher Professor. M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. S i e g f r i e d H i r s c h . RNL 34 E, 137 Bll. Erw. u. indirektes Zitat: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 32 mit A. 40, s. auch ebd., 46 m. A. 10. - Berg/1968, 69, 93, 229. - Nachweis: WuN IV, 488. Nschr. G e o r g W a i t z . NL Waitz im Hist. Sem. der Univ. Göttingen, Sammelbd. II, 1-112. Beschr. WuN IV, 486. Ed. d. Einl.: WuN IV, 117. - Die Waitzsche Nschr. wird von Berg/1968, 12 für eine Abschr. der Nschr. von Hirsch gehalten.

Historische Übungen publice, 9 Hörer

* Wintersemester 1834/35

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi privatim, 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, 40 Hörer

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen R. an Heinrich Ritter, [18. 2. 35]: „Das größte Vergnügen machen mir meine Vorlesungen über das Mittelalter: hauptsächlich deshalb, weil ich dabei lerne, erkenne - was aber noch lange nicht das ist, was hier zu wissen wäre.“ (SW 53/54, 271). M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. Georg Waitz. NL Waitz im Hist. Sem. der Univ. Göttingen, Sammelbd. I, unpag 142ff. Referat und Zitat: Berg/1968, 72f.; Beschr. WuN IV, 486. Nschr. H e i n r i c h v o n S y b e l . Erwähnung: Dotterweich/1978, 41, A. 76. Nschr. S i e g f r i e d H i r s c h . RNL 32 F, 138 Bll. Erw. u. Zitat: Berg/1968, 73f., 229. - Ed. d. Einl. (RNL 32 F 1-4): WuN IV, 118-123. - Aus der Nschr. von Waitz werden dabei „nur die wichtigsten Ergänzungen bzw. Abweichungen mitgeteilt.“

Historische Übungen publice, 11 Hörer

* Sommersemester 1835

Neuere Geschichte vom Anfange des 16. Jahrhunderts [an] historiam recentiorem ab initio saeculi XVI. privatim, 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, 55 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen publice, 8 Hörer Im Jahre 1835 beschäftigten sich auf Veranlassung einer von R vorgeschlagenen Preisfrage der Berliner Universität über Heinrich I. die historischen Übungen R.s „mit kritischen Untersuchungen über Widukind und Thietmar“. (Jbb. d. Dt. Reichs III/1/1839, p. IIIsq.). - Siehe II, 162-164.

* Wintersemester 1835/36

Neueste Geschichte von der Mitte des 18. Jahrhunderts [an] historiam aevi recentissimi 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim, 62 Hörer „Mein Collegium geht nach den Umständen sehr gut: der Numerus ist zwar nur etwas über 60, doch hatte ich es ja früher niemals so weit gebracht. Ich bilde mir sogar jetzt zuweilen ein, mit meiner Denkweise noch einmal Einfluß bei der Jugend bekommen zu können...“ An Heinrich Ritter, 13. 12. 35 (SW 53/54, 280). M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. G e o r g W a i t z . NL Waitz im Hist. Sem. der Univ. Göttingen, Sammelbd. II, 1-71. Erw. u. Zitat: Berg/1968, 69, 93, 115. - Zitat aus d. Einl.: Schulin/1971, 108, A. 20. - Erwähnung: Kessel/1974, 89, A. 4. - Beschr.: WuN IV, 486. Ed. d. Einl.: WuN IV, 124-128 mit den „wichtigsten Ergänzungen“ der Nschr. S y b e l vom WS 1837/38.

Historische Übungen publice, 5 Hörer

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

* Sommersemester 1836

Deutsche Geschichte historiam Germaniae 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim, 75 Hörer M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. H e i n r i c h v o n S y b e l , GStA PK, VI. HA Familienarchive u. Nachlässe, NL Heinrich von Sybel. Nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV. Nschr. G e o r g W a i t z . NL Waitz im Hist. Sem. der Univ. Göttingen, Sammelbd. I, 1-139. Charakteristik: Berg/1968, 78f. Erwähnungen und Zitate ebd. 129-131, Beschr.: WuN IV, 486. Ed. d. Einl.: WuN IV, 129-132. Nschr. R u d o l f K ö p k e . SBB PK, Ms. germ qu. 2215. Berg/1968, 10-13 scheint diese Nschr. nicht gekannt zu haben.

Historische Übungen publice, 5 Hörer

* Wintersemester 1836/37 Antrittsvorlesung

Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine. Pro loco in facultate philosophica universitatis literarum Fridericae Guilelmae rite obtinendo Eine Rede zum Antritt der ordentlichen Professur an der Universität zu Berlin im Jahre 1836. R war nach neunjähriger Wartezeit im Frühjahr 1834 endlich „zum Ordinariat aufgestiegen“: „Leider fordert man nun noch eine lateinische Dissertation und ähnliche Rede, die ich zu machen sehr wenig Lust habe: so daß ich noch nicht förmlich Mitglied der Fakultät bin.“ (An Heinrich Ritter, [Apr. 1834, s. Simon/1928, 85, A. 5)] SW 53/54, 274). Er ließ sich damit noch länger Zeit, war auch 1835 „fortwährend durch andre ...noch dringendere Arbeiten“ gehindert und bat Kultusminister Karl Frhr. v. Stein zum Altenstein, ihn „noch auf einige Zeit zu dispensieren...“ (Brief vom 15. 7. 35, NBrr 205f.). R trug die Rede endlich Mitte Nov. 1836 vor, wie er seinem Bruder Ferdinand schrieb, der sich darum „unsterbliche Verdienste“ erworben hatte. Dieser lieferte nicht nur eine deutsche Übersetzung, sondern hatte am lateinischen Text auch stilistische und sonstige Korrekturen vorgenommen (Brief vom 11. 11. 36, NBrr, 230).

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi 4 mal wöchentlich, 12 - 1 Uhr priv. [67 Hörer]. M a n u s k r i p t nicht bekannt Nachschrift: Nschr. H e i n r i c h v o n S y b e l . GStA PK, VI. HA Familienarchive u. Nachlässe, NL Heinrich von Sybel. L. 1 a Teil 1. - Referat u. Zitate Borst/1966, 460ff. - Referat: Berg/1968, 74. Nachweis: WuN IV, 485; Erw. Dotterweich/1978, 41, A. 76.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Historische Übungen publice, 4 Hörer Brief Ernst Adolf Herrmanns an Waitz, 23. 11. 36: „in den historischen Übungen ... nehmen wir den Wilh. v. Tyrus kritisch vor ... Auch der Jornandes wird nebenbei vorgenommen.“ (Waitz/1920, 245, A 1).

* Sommersemester 1837

Neuere Geschichte vom Anfang des 16. Jahrhunderts [an] historiam recentioris aevi ab initio saeculi XVI. 4 mal wöchentlich, 12 - 1 Uhr privatim 106 Hörer M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. H e i n r i c h v o n S y b e l . GStA PK, VI. HA Familienarchive u. Nachlässe, NL Heinrich von Sybel., fol.1-46. - Charakteristik: Berg/1968, 86f. Erwähnungen u. Zitate ebd. 12, 87, 118f., 122, 125, 131, 136, 138f.; Nachweis auch WuN IV, 485; Erw. Dotterweich/1978, 41, A. 76; 287f. - Zur Ed. s. o. WS 1835/36. - In der Einl. seiner Vorl. hatte R die „Behauptung“ aufgestellt, „daß das Christentum die Entwicklung gesunder und glücklicher Staatsformen begünstige“, was von einem Hörer bestritten wurde. „Mit solchen Vorurteilen hat man zu kämpfen“, schrieb er am 4. 5. 37 an FR (NBrr, 239).

Historische Übungen publice, 7 Hörer Rudolph von Delbrück hörte bei R ‚Neuere Geschichte‘ und war Mitglied des R.schen Historischen Seminars (1836-37). Gegenstand der Quellenkritik waren die ‚Gesta Dei per Francos‘ (Delbrück I/1905, 67, 71-73). - Auch von Sybel hat sich eine Schilderung der Übungen im Jahre 1837 erhalten, in denen Ranke „eine kritische Durchsicht der Quellenschriftsteller des ersten Kreuzzugs“, v. a. der gen. Gesta, veranlaßte (Sybel/1841, Vorrede, III-VI der Erstaufl.).

* Wintersemester 1837/38

Geschichte der neuesten Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts [an] historiam aevi recentissimi a medio saeculi XVIII 4 mal wöchentlich von 12 -1 Uhr, privatim, 94 Hörer. M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. H e i n r i c h v o n S y b e l . GStA PK, VI. HA Familienarchive u. Nachlässe, NL H. v. Sybel. fol. 47-88. - Erwähnung: Berg/1968, 12, 69, A. 12.; Nachweis: WuN IV, 485; Dotterweich/1978, 41, A. 76. - Siehe auch o. WS 1835/36.

Historische Übungen publice, 5 Hörer

* - 389 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Sommersemester 1838

Deutsche Geschichte historiam Germaniae fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr , privatim, 59 Hörer. M a n u s k r i p t e nicht bekannt Nachschrift: Nschr. W i l h e l m H e n z e n , früher SB Bremen, Ms b 197. Lt. Berg/1968, 12 verschollen.

Historische Übungen publice, 1 Hörer

* Wintersemester 1838/39

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi 4 mal wöchentlich, von 12 - 1 Uhr, privatim, 73 Hörer M a n u s k r i p t nicht bekannt Nachschrift: Nschr. W i l h e l m H e n z e n , früher SB Bremen, Ms c 106, verschollen. Bei Berg/1968 nicht bekannt.

Historische Übungen publice, 6 Hörer Thema der Übungen war Paulus Diaconus. Darüber R an Waitz, [9. 12. 38] u. 27. 1. 39 (SW 53/54, 306, 308). - Mit Paulus Diaconus hat sich R noch 1883 befaßt, s. SW 51/52, 77-91.

* Sommersemester 1839

Geschichte der neueren Zeit seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts historiam recentioris aevi ab initio saeculi XVI 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim 68 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt. Siehe jedoch WS 1839/40, Nschr. Wuttke.

Historische Übungen publice, 7 Hörer

* Wintersemester 1839/40

Geschichte der neuesten Zeit seit der Mitte des 18. Jahrhunderts historiam aevi recentissimi a medio saeculi XVIII fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim, 126 Hörer Manuskripte: Ed. d. Einl. (nach R.s Or., NL 38 I D 62-62’): WuN IV, 133f. Hier wird auch mitgeteilt, es sei nicht zu klären, ob das Blatt „ein Stück von Rankes Vorlesungsmanuskript oder ein Blatt aus den

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen entsprechenden vorbereitenden Notizen darstellt. Die Nachschriften Segesser und Henzen sprechen für die zweite Möglichkeit.“ (ebd., 133, A. 1). Nachschriften: Nschr. W i l h e l m H e n z e n . SB Bremen Ms c 107, 400 Bll. Charakteristik Berg/1968, 93f. Erw. 11, 69, 115; WuN IV, 485. Befand sich 1974 in der Dt. Staatsbibl. Berlin (Ost), Hs.-Abt., wurde lt Schr. der SuUB vom 24. 3. 2011 im Jahre 1989 nach Bremen rückgeführt. Nschr. P h i l i p p A n t o n v o n S e g e s s e r . Staatsarchiv Luzern, NL Segesser, Bd. 14, 105 S. Nachweis: Müller-Büchi/1953, 122; s. auch Heusler/1917, 305. Charakteristik Berg/1968, 94. Erw. u. Zitate ebd. 11f., 69, 115; Erw.: Vischer/1953, 393, A. 16; Vischer/1989, 250: „eine verblasste und fast unleserliche Nachschrift“ (unzutreffend bei Vischer die Bezeichnung „ ... seit der Mitte des 16. Jahrhunderts“). Ed. der Vorlesungseinl./Nschr. Segesser (PA 12/14): WuN IV, 134-137. Von der Nschr. H e n z e n werden dabei „nur die wichtigsten Ergänzungen mitgeteilt.“ Die Nschr. Panten ist nicht berücksichtigt. Nschr. E m i l P a n t e n : „Leopold von Ranke: Geschichte von 1763-1815…, Berlin 1839-1840“. Es dürfte sich um die Vorl. ‚Geschichte der neuesten Zeit seit der Mitte des 18. Jahrhunderts‘ vom WS 1839/40 handeln. SBB PK Hs 137. Zu Panten: Berg/1968, 234, der ihn als Hörer nachweist. Die Nschr. scheint Berg nicht gekannt zu haben. Nschr. K a r l W i l h e l m N i t z s c h , „Gesch. der neueren (?) [recte: neuesten] Zeit Winter 39/40 (?stdg) = 119 S. f[olio]“. Auszug im Teilnachlaß Alfred Dove des GStA PK („Deutsche Gesch. Sommer 40 (?stdg.) = 118 S. f[olio]“. - Die Nschr. scheint Berg nicht gekannt zu haben. Nschr. H e i n r i c h W u t t k e . Die Nschr. Wuttkes zu einer Vorl. R.s „über neue Geschichte aus der Zeit von 1835-1838“ (Mitt. von Frau Dr. Vera Enke/Archiv d. Berlin-Brandenburg. Akad. d. Wiss., Bln., 5. 5. 2011). Nicht bei Berg/1968, der i. ü. für Wuttkes Berliner Studienzeit 18391840 angibt (ebd., 242). Es könnte sich daher um eine Nschr. d. Vorl. vom SS 1839 oder WS 1839/40 handeln. Im letzteren Fall käme ein Vergleich mit den Nschrr. von Henzen und Segesser in Betracht.

Historische Übungen publice, 7 Hörer

* Sommersemester 1840

Ältere und neuere deutsche Geschichte historiam Germaniae fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 97 Hörer M a n u s k r i p t e nicht bekannt Nachschriften: Nschr. J a c o b B u r c k h a r d t . Jacob-Burckhardt-Archiv im Staatsarchiv des Kantons BaselStadt, Privatarchive Nr. 207 (Fasz. 17), 123 S. (lt. WuN IV, 486 166 S.). Referat und Zitate: Kaegi II/1950, 59-61. - Zitat: Helbling/1953, 27. - Erw. u. Charakteristik: Berg/1968, 10, 79. Ed. d. Einl.: WuN IV, 138f. Nschr. K a r l W i l h e l m N i t z s c h . „Deutsche Gesch. Sommer 40 (?stdg.) = 118 S. f[olio]“. Auszug im Teilnachlaß Alfred Dove des GStA PK. - Die Nschr. scheint Berg/1968 nicht gekannt zu haben. A n o n y m e Nschr., SBB PK, Ms germ. fol. 1417, S. 251-267. Eine Einl. in die deutsche Geschichte (s. Abt. Nachlaß/SBB PK). Sie könnte auch zum SS 1842 oder WS 45/46 gehören.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Historische Übungen publice, 6 Hörer

* Wintersemester 1840/41

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 93 Hörer M a n u s k r i p t e nicht bekannt Nachschriften: Nschr. Jacob B u r c k h a r d t : ‚Geschichte des Mittelalters, docente Ranke 1840/41‘. Referat u. Zitate d. Nschr. aus dem Jacob-Burckhardt-Archiv im Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Privatarchive Nr. 207 (Fasz.18): Kaegi II/1950, 61f. - Zitate bei Helbling/1953, 75 u. 107. - Referat u. Zitate: Berg/1968, 74 u. 115. - Ed. d. Einl.: WuN IV, 140-143. Zu beachten ebd. 143, A. 4.

Historische Übungen publice, 8 Hörer

* Sommersemester 1841

Allgemeine neuere Geschichte seit dem Anfang des 16. Jahrhunderts historiam recentioris aevi ab initio saeculi XVI fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim, 102 Hörer Manuskript: Ed. der Einl. aus R.s Ms. (RNL 33 H 15-18, 34 C 49-51): WuN IV, 144-148. Nachschrift: Berg/1968, 69, A. 12 erwähnt eine Nschr. B u r c k h a r d t „1841“. Doch B. studierte SS 1841 in Bonn. Möglicherweise Verwechslung mit der Nschr. von 1840/41. Nschr. G u s t a v R ü m e l i n : „Neue Geschichte von L. Ranke“. Vorlesung 1841-42 (Archivbezeichnung; richtig wohl: SS 1841). 42 Doppelbl. UB Tübingen, Md 906. Fehlt bei Berg/1968. Die Nschr. beginnt nach „Einleitenden Bemerkungen“ mit dem Ersten Kapitel „Politische Entwicklung Europa’s in den letzten Decennien des 15ten Jahrhunderts und den ersten Decennien des 16ten.“ Sie endet in § 9 „Erhebung der Preußen“ mit Maria Therasia und Friedrich d. Gr. Wilhelm Grimm an Gustav v. Hugo, 22. 5. 41: „Eine eigene erscheinung ist es auch daß bei Ranke der adjutant des kronprinzen [u. späteren Kg.s Karl] v. Würtemberg für seinen gebieter nachschreibt, und jener bloß zuhört; ob er wol auch für ihn repetiert?“ (Unbekannte Briefe der Brüder Grimm/1960, 318). Rochus Frhr. v. Liliencron hörte SS 1841 bei R. ‚Neuere Geschichte‘, „in den beiden folgenden Semestern ‚Neueste‘ (Liliencron/1902, 122-124).

Historische Übungen publice, 4 Hörer

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Wintersemester 1841/42

Geschichte der neuesten Zeit von der Mitte des 18. Jahrhunderts [an] historiam aevi recentissimi a medio saeculi XVIII fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 153 Hörer Manuskript: Vorlesung Anfang der 1840er Jahre (WS 1841/42?) über neueste Geschichte. Erstdr./Tdr. nach Or. aus RNL 38/I (4-h): Vierhaus, Soz. Welt/1957, 52; 249f. - Siehe auch das Zitat bei Kessel/1954, 284 m. A. 2. WS 1841/42 oder WS 1842/43 (?) Erstdr./Tdr. der Einl. nach Or.: Vierhaus, Presse/1957, 543f. Siehe auch Vierhaus, Soz. Welt/1957, 30 mit A. 30; 32 mit A. 37; 46 m. A. 12. Nachschriften: Nschr. J a c o b B u r c k h a r d t . Referat und Zitate der 200 S. umfassenden Nschr. aus dem JacobBurckhardt-Archiv im Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt, Privatarchive Nr. 207, Fasz.21: Kaegi II /1950, 62-65. - Zitat: Helbling/1953, 75. - Charakteristik: Berg/1968, 94. - Nachweis: WuN IV, 487. Nschr. W i l h e l m W a t t e n b a c h . „Neue [recte: neueste] Gesch. 2. Abschn. v. 1763-1815. Winter 41/42 = 154 S. fol.“ Auszug im Teilnachlaß Alfred Dove des GStA PK. Nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

Historische Übungen publice, 8 Hörer

* Sommersemester 1842 [Randnotiz:] Ranke Dekan nach dem latein. Verz.

Ältere und neuere deutsche Geschichte historiam Germaniae fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 69 Hörer. M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt. Reinhold Pauli hospitierte schon als Schüler in einer Vorlesung bei R (Lebenserinnerungen/1895, 17). - Im SS 1842 wird er von dem damaligen Dekan R inskribiert und hört bei ihm ‚Deutsche Geschichte und Geschichte der neuesten Zeit von 1814‘ an, seit dem WS 1842/43 ist er Teilnehmer an R.s Übungen (23f., 34).

Historische Übungen nicht angezeigt

* Wintersemester 1842/43

G e s c h i c h t e u n s e r e r Z e i t (1814-41) historiam nostri aevi ab anno h.[ujus] s.[aeculi] XIV viermal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim [142 Hörer].

- 393 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Manuskripte: Vermutlich WS 1842/43 (?) Erstdr./Tdr. der Einl.: Vierhaus,Verständnis/1957, 91f. Fragment aus einer Vorl. R.s („vermutlich aus einer Vorlesung über die Geschichte Frankreichs und Europas im Zeitalter der Restauration stammend“ Erstdr./Tdr. nach Or. in RNL 38 (3): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 40, A. 73. Nachschriften: Nschr. J a c o b B u r c k h a r d t : ‚Neueste Geschichte seit 1814 von Ranke‘. Referat und Zitate der Nschr. aus dem Jacob-Burckhardt-Archiv im Staatsarchiv des Kantons Basel-Stadt (Fasz. 23): Kaegi II/1950, 65f. - Zitat: Helbling/1953, 75. - Charakteristik und Zitate: Berg/1968, 98f., 115. - Nachweis: WuN IV, 487. Nschr. O t t o G ü n z l e r , Württemberg. LB Stg. Hs.-Abt. Cod hist. 4º 409 „Fragmente aus Ranke’s Vorlesungen über die neueste [im Innenteil: ‚neuere‘] Geschichte, Berlin 1843“. Es handelt sich jedoch wohl um R.s Vorlesung über „Geschichte unserer Zeit“, ab 1814 vom WS 1842/43. Das 72seitige Ms beginnt mit dem Wiener Kongreß, endet 1829 u. könnte mit der entspr. Nschr. Burckhardts verglichen werden. Günzler fehlt im Hörer-Verz. Bergs (1968). Nschr. W i l h e l m W a t t e n b a c h : „Gesch. unserer Tage [recte: Zeit]; 1815-1840. 1842 (erwähnt)“ [Umfangangabe fehlt. Die Vorl. stammt aus WS 1842/43]. - Auszug im Teilnachlaß Alfred Dove des GStA PK. Nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV. Julian Schmidt hospitierte WS 1842 bei R und gab neben dem Versuch, „eines Gesammtbildes von seiner literarischen Thätigkeit“ eine Schilderung seines Vorlesungsstils (S[chmidt], J[ulian]/1847, 402).

Historische Übungen publice, 8 Hörer

* Sommersemester 1843 Wegen Studienreise nach Paris und London keine Vorlesung angekündigt.

* Wintersemester 1843/44

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi viermal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 93 Hörer Manuskripte: Ed. eines Fragments aus der Vorlesungseinl. von R.s Ms. (RNL 38 I D 30): WuN IV, 148. Nachschriften: Nschr. K u r d v o n S c h l ö z e r . SBB PK Ms. germ. qrt 1916, 79 Bll. - Charakteristik: Berg/1968, 11, 75f. Erwähnungen und Zitate 115, 118f., 122, 128, 139; Nachweis: WuN IV, 487. Die Angabe in www.manuscripta-mediaevalia.de zu Ms. germ qu. 1916 der SBB PK: „Leopold von Ranke: Geschichte des Mittelalters, Kolleg 1841-1842 (Nachschrift Kurd von Schlözer). 78 Blatt.“ dürfte irrig sein: ‚Geschichte des Mittelalters‘ las R im WS 1840/41 und öfter, nicht jedoch im WS 1841/1842. Vielmehr kommt nur die voraufgehend von Berg charakterisierte Nschr. vom WS 1843/44 in Betracht. Nschr. W i l h e l m W a t t e n b a c h , „G. des M. A. s Winter 43/44 (? stdg.) 82 Bl. fol.“ Auszug im Teilnachlaß Alfred Dove des GStA PK. Nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

- 394 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Kurd v. Schlözer hörte R 1843-45, Brief vom Dez. 1843: „Geradezu eine Revolution aber hat Leopold Ranke in mir hervorgerufen“ usw. (Jugendbriefe/1920, 29). - Brief vom 21. 1. 44: erwähnt Diner im Hause Joseph Mendelssohns. Unter den Gästen Minister Christian v. Rother, A. v. Humboldt u. R. (30f.). - Brief vom 28. 1. 44: Hört bei R. „rasend interessante Geschichte des Mittelalters“ (33). - Brief vom 20. 7. 1844: „Ranke begeistert mich immer mehr. Neulich sprach er über das Leben des Zaren Iwan II. ...“ (38). - Brief vom 26. 4. 1845 über die mündl. Doktorprüfung bei seinem „reizenden kleinen Ranke“ (46). - Zu Sch.s Vorlesungsnachschrr. R.s s. Berg/1968, 11.

Historische Übungen Im deutschen Lektionsverzeichnis sind historische Übungen für dieses Semester nicht angezeigt, aber im lateinischen heißt es: publice exercitationes historicas moderabitur, was durch die ‚Nachweisung‘ bestätigt wird: publice 8 Hörer.

* Sommersemester 1844

Geschichte der neueren Zeit vom Anfang des 16. Jahrhunderts an historiam aevi recentioris ab initio saeculi XVI 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 55 Hörer Manuskript: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 32 C 21-24’; 33 J 1013-1016): WuN IV, 149-156. Nachschriften: Nschr. K u r d v o n S c h l ö z e r . SBB Ms. germ. qrt 1914, 54 Bll. Erw.: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 46f. m. A. 13; Charakteristik: Berg/1968, 75f.; Nachweis: WuN IV, 487. A n o n y m e Nschr. SBB PK, Ms germ qrt 1878, fol. 1-108, 19 Hefte. - Charakteristik: Berg/1968, 88f. Erwähnungen u. Zitate ebd. 10, 128, 131, 139. - Nachweis: WuN IV, 487. A n o n y m e Nschr. SBB PK, Ms germ. fol. 1417, S. 1-250. Die Nschr. könnte auch dem SS 1841, dem SS 1847 oder einem anderen Semester zuzuweisen sein. Die Nschr. ist bei Berg/1968 und WuN IV unbekannt (s. Abt. Nachlaß/SBB PK).

Historische Übungen publice, 5 Hörer

* Wintersemester 1844/45

Geschichte der neuesten Zeit von der Mitte des 18 Jahrhunderts [an] historiam aevi recentissimi a medio saeculi XVIII fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 78 Hörer Manuskript: Erstdr./Tdr. (keine Sign.) aus RNL: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 50, A. 30. Nachschriften: Nschr. K u r d v o n S c h l ö z e r . SBB PK Ms. germ. qrt 1915, 101 Bll. Erstdr./Tdr. aus der Einl.: Vierhaus, Presse/1957, 555f. u. Vierhaus, Soz. Welt/1957, 124; 197, A. 97. - Charakteristik: Berg/1968, 94f. Erwähnungen u. Zitate 69, 94f. - Ed. der Vorlesungseinl.: WuN IV, 157-159. A n o n y m e Nschr. SBB PK, Ms germ qrt 1878, fol. 108-171. Erwähnung: Berg/1968, 10, 69, 94; WuN IV, 487.

- 395 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen In einem (hier nicht datierten) Brief Georg von Bunsens (1824-1896), der sich seit Okt. 1843 in Berlin aufhält, schildert dieser: „Ranke trägt gerade die Französische Revolution vor und setzt dadurch uns alle in Bewegung.“ (Bunsen, Marie v./1900). Es dürfte sich um die Vorlesung ‚Geschichte der neuesten Zeit von der Mitte des 18 Jahrhunderts [an]‘ vom WS 1844/45 gehandelt haben. - B. fehlt im Hörer-Verz. Bergs (1968).

Historische Übungen publice, 6 Hörer Otto von Heinemann nahm zwischen 1844 und 1846 in drei Semestern an R.s Übungen teil: „Ranke ging mit uns - nicht im philologischen, sondern wesentlich im historischen Sinne - einige der bedeutendsten geschichtlichen Werke des klassischen Alterthums und des frühen Mittelalters erklärend durch, wie die Germania des Tacitus, Einhards Annalen und anderes, was sich aber ausschließlich auf deutsche Geschichte bezog.“ (Heinemann/1902, 112).

* Sommersemester 1845

Geschichte unserer Zeit vom Jahre 1815 ab historiam nostri aevi ab anno huius saeculi quinto decimo viermal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim, 98 Hörer Hierzu findet sich ein eighd. undatierter Anschlag R.s für das Schwarze Brett in BSB München Petzetiana V. Seine Vorlesung über neueste Geschichte seit 1815 habe R, „um seinem liberalen Schüler Wilhelm Adolph Schmidt ein Gegengewicht zu bieten, auf Bitten des Ministers Eichhorn“ vorgetragen. [Anonym:] Leopold von Ranke’s Verdienst um Berlin/31. März 1885 (unpag.). Manuskript: Ed. eines Fragments der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL SBB PK 38 I D 63-67): WuN IV, 160-163. Nachschrift: Anonyme Nschr. SBB PK, Ms germ qrt 1878, fol. 171-367. Charakteristik: Berg/1968, 99f. Nachweis ebd. 10; WuN IV, 487.

Historische Übungen öffentlich, 6 Hörer

* Wintersemester 1845/46

Deutsche Geschichte historiam Germaniae in fünf wöchentlichen Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 80 Hörer Manuskript: Ed. eines Fragments der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 32 B 12-21): WuN IV, 164-178. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 10 Hörer

* - 396 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Sommersemester 1846

Geschichte der Reformation, der Religionskriege und der englischen Revolution (Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts) historiam saeculorum XVI et XVII Montag und Donnerstag von 5 - 7 Uhr, privatim, 64 Hörer Manuskripte: Ed. eines Fragments der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 C 5-8): WuN IV, 179-182. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 10 Hörer

* Wintersemester 1846/47

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi viermal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 46 Hörer Manuskripte: Ed. eines Fragments der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL32 C 25-25’): WuN IV, 183f. Kann den Hgg. zufolge (183, A. 1) auch dem SS 1849 zugeordnet werden. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 12 Hörer

* Sommersemester 1847

Neuere Geschichte seit dem westfälischen Frieden historiam recentiorem inde a pace Westphalica 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 45 Hörer Manuskripte: Einl. zu einer Vorl. über Universalhistorie. Erstdr. nach Or. im RNL 38 I, Konvolut „Über Universalgeschichte“, fol. 25-31: Kessel/1954, 304-308. - Zweitdr., modernisiert, mit dem bei Kessel fehlenden Schlußteil und anderem (?): RNL 32 C 19-20’; 34 C 1-4; 38 I D 15-18, 25-28, 31): WuN IV, 185-197. Lesartdifferenzen zu Kessel werden dort nicht vermerkt. - Siehe auch II, 187, 229, 336, 383: ‚Über Universalhistorie‘, 1877 (Liebel/1973 u. Liebel-Weckowic/1988). N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 5 Hörer

* Wintersemester 1847/48

Geschichte der neuesten Zeit seit der Gründung der nordamerikanischen Freistaaten historiam aevi recentissimi

- 397 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

in vier wöchentlichen Stunden, privatim, von 12 - 1 Uhr, 71 Hörer. Nach Lenz II/2/1918, 153, A. 1: 14 Hörer. M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen [öffentlich?], 3 Hörer

* Sommersemester 1848

Den ersten Theil der allgemeinen Weltgeschichte oder Geschichte der alten Welt historiam aevi antiqui vel primam partem historiae universalis in vier wöchentl. Stunden privatim, 12 - 1 Uhr, 8 Hörer, nach Lenz II/2/1918, 153, A. 1: 23 Hörer. Die Vorl. wurde formal nicht fortgesetzt. Überhaupt hielt R keine Weltgeschichtsvorl. mehr. Die unten genannten Mss. zum Thema ‚Universalgeschichte‘ können möglicherweise als Einleitungstexte der ‚Römischen Geschichte‘ vom WS 1848/49 und SS 1852 angesehen werden. Manuskripte: Einl. zu einer Vorl. über Universalhistorie „deutlich in der Handschrift der vierziger Jahre geschrieben“. Datierung und Erstdr. nach Or. im RNL. 38 I, Konvolut „Über Universalhistorie“, fol. 25-31 bei Kessel/1954, 304-308. Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 29 E 1-4’; 28 A 5-8): WuN IV, 198-210. - Den Hgg. zufolge befindet sich in R.s Nachlaß „ein unter dem 18. September 1877 gegebenes Diktat ‚Universalgeschichte überhaupt (meist aus der alten Vorlesung)‘, das, von stilistischen Korrekturen abgesehen, weithin mit der hier wiedergegebenen Einl. übereinstimmt. Im folgenden kritischen Apparat werden nur solche Zusätze des Textes von 1877 verzeichnet, die auch in dieser Form nicht in die ‚Weltgeschichte‘ eingegangen sind.“ (Ebd., 198, A. 1). 1850er oder 1860er Jahre „Über Universalhistorie“. Datierung u. Erstdr./Zitate aus Or. d. RNL 38 I, Konvolut „Über Universalhistorie“, fol. 17v. bei Kessel/1954, 285, 289. 1860er Jahre: Text einer Vorlesungseinl. R.s in „eigenhändiger Fassung aus den sechziger Jahren“ zum Thema ‚Universalhistorie‘: Erstdr.: Dove im Vorw. von WG IX/2, XIII-XVI. - Darauf beruhender modernisierter Zweitdr.: WuN IV, 296-298 mit der Bemerkung „Im Nachlaß nicht mehr zu finden“. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen nicht angekündigt

* Wintersemester 1848/49

Römische Geschichte vom universalhistorischen Standpunkt historiam Romanam in vier wöchentl. Stunden von 12 - 1 Uhr privatim [23 Hörer]. Nach Lenz II/2/1918, 153, A. 1: 34 Hörer. Die von Berg/1968, 57, A. 9 genannte Zahl 53 ist nirgendwo nachgewiesen.

- 398 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Manuskripte: Ed. eines Fragments der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 38 I D 33): WuN I, 211f. mit 29 B 65 ‚Einleitung Über den Zustand der Welt im dritten Jahrhundert v. Ch.‘ (ebd., 212f.). Aus WS 1848/49 oder SS 1852 (?): Kessel/1954, 275 zitiert aus dem „Fragment einer Einleitung zur Römischen Geschichte, Schrift der vierziger Jahre“ (RNL), die „wohl“ dem WS 1848/49 zuzuweisen ist. Siehe auch unter SS 1852. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 3 Hörer

* Sommersemester 1849

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi in fünf wöchentl. Stunden von 12 - 1 Uhr privatim, 53 Hörer Siehe WS 1846/47. M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen nicht angezeigt

* Wintersemester 1849/50

Neuere Geschichte vom Anfang des 16. Jahrhunderts [an] historiam temporis recentioris ab initio saeculi XVI in fünf wöchentlichen Stunden von 12-1 Uhr, privatim, 73 Hörer. M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. H u g o A n t o n , 156 Bll. 1968 im Besitz von Rainald Stromeyer, Bln.. Charakteristik: Berg/1968, 89. Erwähnungen und Zitate ebd. 122, 131-134, 136-138, 222. Nachweis auch WuN IV, 485. Nschrr. Herman Grimm (s. II, 200), Hessisches Staatsarchiv Marburg. Nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

Historische Übungen öffentlich, 5 Hörer Vermutlich handelte es sich um die Übungen vom WS 1849/50, über die Karl Frenzel schrieb: „An Rankes Seminar bin ich nur flüchtig beteiligt gewesen: wir lasen damals die lateinisch geschriebene Geschichte des Thuanus über die französischen Religionskriege im sechzehnten Jahrhundert...“ (Frenzel/1912, 47).

* Sommersemester 1850

Geschichte der neuesten Zeit historiam aevi recentissimi in fünf wöchentlichen Stunden von 12-1 Uhr, privatim, 43 Hörer

- 399 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 C 45-48): WuN IV, 214-218, unterbrochen durch Teile der Nschr. C a r l A . F . P e r t z in Abschr. Ernst Schulin. Nachschriften: Nschr. C a r l A . F . P e r t z . Charakteristik: Berg/1968, 95. Erwähnungen und Zitate ebd. 69, 92f. - S. 235: Vermerk: „im Nachlaß Prof. Valjavec z. Zt. [1968] nicht zu finden“, so auch WuN IV/1975, 215, A. 3, 485f. - Abschrr. u. Exzerpte v. Ernst Schulin.

Historische Übungen nicht angezeigt.

* Wintersemester 1850/51

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi in vier wöchentl. Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 52 Hörer M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: 1 Bd. von C a r l A . F . P e r t z , „Gesch. des M. A. s Winter 50/51(? stdg.) 76 Vorträge, fol.“ Auszug im Teilnachlaß Dove des GStA PK. Nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

Historische Übungen öffentlich, 5 Hörer

* Sommersemester 1851

Neuere Geschichte vom Anfang des 16. Jahrhunderts [an] historiam aevi recentioris ab initio saeculi XVI in vier wöchentlichen Stunden von 12-1 Uhr, privatim, 44 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 38 I D 22, 22’): WuN I, 219-221. Nachschriften: Nschr. T h e o d o r S t u m p f , 158 S., Privatbesitz Ernst Schulin. Charakteristik: Berg/1968, 89. Erwähnungen u. Zitate ebd. 119f., 122f., 126, 131, 136-139. - Nachweis auch WuN IV, 485.

Historische Übungen nicht angezeigt.

* Wintersemester 1851/52

Allgemeine Geschichte der neuesten Zeit von der Gründung der nordamerikanischen Freistaaten an historiam universalem temporis recentissimi in vier wöchentlichen Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 52 Hörer. M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

- 400 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Historische Übungen öffentlich, 11 Hörer

* Sommersemester 1852

Römische Geschichte historiam Romanam in vier wöchentlichen Stunden von 7 - 8 Uhr (morgens), privatim, 38 Hörer Manuskripte: Erstdr/Tdr. u. Referat aus RNL „Fasc. 28 L. 2“: Freitag/1966, 47-58, über die Einl. der Vorl. hinausgehend. Nebst ausführl. Beschreibung der Hs. (44-46). Ed. der Vorlesungseinl. (RNL 28 B 1, 2-9’; 34 C 9-10): WuN IV, 222-232, wobei Freitag, deren Lesungen an einigen Stellen leicht differieren, wiederum keine Erwähnung findet. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 5 Hörer

* Wintersemester 1852/53

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi privatim in vier wöchentl. Stunden von 12 - 1 Uhr, 53 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 7 Hörer

* Sommersemester 1853

Neuere Geschichte vom Anfang des 16. Jahrhunderts [an] historiam recentioris aevi ab initio saeculi XVI in vier wöchentlichen Stunden, von 12 - 1 Uhr, privatim, 45 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 7 Hörer

* Wintersemester 1853/54

Neueste Geschichte seit der Mitte des 18. Jahrhunderts historiam aevi recentissimi a saeculo XVIII fünfmal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 38 Hörer

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Manuskripte: Ed. eines Teils der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 35 P 57-58): WuN IV, 243-254. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 9 Hörer

* Sommersemester 1854

Geschichte von England mit besonderer Berücksichtigung der bürgerlichen Unruhen und der Revolution im 17. Jahrhundert historiam Angliae, saeculi potissimum decimo septimi, quo Anglorum res publica commutata, instaurata atque iterum conservata est, rationem habiturus enarrabit 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 34 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 23 A 7-12’): WuN IV, 233-237. Zu R.s Vorlesungen über englische Geschichte, i. b. zur Nachlaßsituation siehe Berg/1968, 69f. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 11 Hörer

* Wintersemester 1854/55

Deutsche Geschichte historiam Germaniae in 4 wöchentlichen Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 58 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 11 Hörer

* Sommersemester 1855

Die Geschichte der Französischen Revolution und der Kriege Napoleons I. mit besonderer Berücksichtigung der deutschen Zustände in dieser Epoche historiam commutationis rei publicae, quae apud Francogallos sub finem saeculi XVIII aborta est bellorumque a Napoleone I et contra eundem gestorum in vier wöchentlichen Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 31 Hörer Manuskripte: Erstdr./Zitat aus Or. im RNL 35: Kessel/1954, 287. Inhaltl. Hinweis aus Or., Fasz. 35 (1): Vierhaus: Soz. Welt/1957, 49 m. A. 24. Zitat aus Or.: Vierhaus: Verständnis/1957, 87 („vermutlich schon in den 1830er Jahren gehalten“). - Die hier vorgenommene zeitl. Einordnung in 1855 ist spekulativ.

- 402 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Einl. „einer nach 1852 gehaltenen Vorl. zur Gesch. d. Frz. Rev.“ RNL 36 (2), Erstdr./Tdr.: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 36f., 237f. Zitat aus „Ranke, Die Französische Revolution, Vorlesungsfragmente, StPrK Berlin-Dahlem, NL Ranke, 35 M f. 7.“: Dotterweich/1978, 215 mit A. 200. - Zitat: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 39, A. 70. Ed. der Vorlesungseinl., modernisiert, aus R.s Ms. (RNL 35 P 42-54; 36 B 21-26): WuN IV, 238-254. - Tdr. in originaler Schreibweise zuvor bei Vierhaus: Soz. Welt/1957, 237f. u. Vierhaus: Verständnis/1957, 84f. Die wenigen kleinen Lesartdifferenzen werden in WuN IV nicht vermerkt. Ein anonymer, gut unterrichteter Hörer schildert R.s, wie er sie bezeichnet, Vorlesung „Über das Revolutionszeitalter (seit 1786)“: [Anonym:] Leopold von Ranke’s Verdienst um Berlin/1885 (unpag.). N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 7 Hörer Aus der ‚Historischen Gesellschaft‘ R.s, vermutlich vom SS 1855, überliefert ein anonymer Hörer folgende dem klischierten R.-Bild nicht entsprechende Aussprüche R.s: „der Historiker braucht keinen bestimmten Glauben zu besitzen, er glaubt an die Wahrheit“. [Eine verwandte Äußerung freilich in einem Diktat zur ‚Weltgeschichte‘ bei Schulin/1958, 319: „Die früheren Auffassungen der Historie waren sämtlich theologisch; die heutigen sind mehr naturwissenschaftlich. Beide tragen etwas Fremdartiges in die Historie hinein. Die Auffassung muß sich auf das reale Ergebnis der Forschung überhaupt erstrecken.“] und „es ist oft eine verzweifelte Sache, in einer Monarchie Geschichte zu schreiben“. Bzgl. der Glaubwürdigkeit ist zu berücksichtigen, daß der Art. noch zu Lebzeiten R.s erschien und wohl auch keine ‚Richtigstellung‘ erfuhr. [Anonym:] Leopold von Ranke’s Verdienst um Berlin/1885 (unpag.).

* Wintersemester 1855/56

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi in 4 wöchentl. Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 41 Hörer. Manuskripte: In Auseinandersetzung mit Lorenz (Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben, I/1886, 224ff.) stellt Wiedemann (L. v. R. über die Eintheilung der Geschichte/1896, 3-6) eine Reihe von Zitaten aus R.s Werken zusammen, ergänzt durch eine Mitteilung über den „zusammenhängenden Vortrag“ (4f.), mit dem R. im WS 1854/55 sein MA-Kolleg eingeleitet habe. Es dürfte sich dabei zeitlich um einen Irrtum Wiedemanns handeln, denn Ranke las im WS 1854/55 ‚Deutsche Geschichte‘. - ‚Geschichte des Mittelalters‘ las er im WS 1855/56. Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 32 C 11-12’; 38 I D 1-6’): WuN IV, 255-263. Nachschriften: Nschr. W i l h e l m D i l t h e y s . Als in dessen NL befindlich erwähnt in: Misch/1933, 306, A. 5. Fehlt bei Berg/1968 und in der Aufstellung von WuN IV, 485-488.

Historische Übungen öffentlich, 8 Hörer

* - 403 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Sommersemester 1856

Neuere Geschichte historiam recentiorem in 4 wöchentlichen Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 22 Hörer Über diese Vorl.: Wiedemann, der von einer Parallelisierung Napoleons mit Karl XII. durch R. berichtet (Wiedemann VI/1892, 100). M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. E d u a r d W i n k e l m a n n . UB Heidelberg Heid. Hs. 1885, p. 1-59. Erster Teil. Charakteristik: Berg/1968, 89f. Erwähnungen und Zitate ebd. 12, 115, 118, 131f., 136-139. Zweiter Teil WS 1856/57. Ed. der Vorlesungseinl.: WuN IV, 264-266.

Historische Übungen öffentlich, 12 Hörer Teilnehmer war u. a. Theodor Wiedemann, der sich erinnert: „In den historischen Übungen während des Sommersemesters 1856 versuchte Ranke gelegentlich einer von ihm für übertrieben gehaltenen Schätzung der Persönlichkeit und historischen Bedeutung des ersten Napoleon sich entgegenzusetzen. Indem er denselben mit Karl XII., König von Schweden, in Parallele stellte, drückte er sich über beide so aus: ‚Sie siegen und siegen wieder; sie siegen noch einmal und dringen immer weiter vor; dann werden sie geschlagen und dadurch ist es mit ihnen aus‘.“ (Wiedemann VI/1892, 100), eine, wie Wiedemann ausführt, später modifizierte Ansicht.

* Wintersemester 1856/57

Geschichte der zweiten Hälfte des siebzehnten und des achtzehnten J a h r h u n d e r ts (Bildung der fünf großen Mächte und ihres Systems, englische, amerikanische Revolution) historiam saeculorum XVII a pace Westphalica et XVIII usque ad annum 1789 in 4 wöchentlichen Stunden, privatim, von 12 - 1 Uhr, 32 Hörer. Der Formulierung des lat. Verz. entspricht die Erinnerung Bernhard v. Simsons: „eine Vorlesung von Ranke über Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts vom westfälischen Frieden bis zur französischen Revolution“ (Simson/1895, 4). Manuskripte: Ed. des Fragments einer Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 38 I D 32-32’): WuN IV, 267f. Nachschriften: Nschr. E d u a r d W i n k e l m a n n . UB Heidelberg Heid. Hs. 1885, p. 60-68. Ed. der Vorlesungseinl.: WuN IV, 268-273. Und Heid. Hs. 1886, 82 S. (Zweiter Teil der Nschr. von SS 1856). Erwähnungen: Berg/1968, 12, 90, 134. - Nachweis: WuN IV, 488.

Historische Übungen öffentlich, 7 Hörer Bernhard von Simson nahm an den Übungen des WS 1856/57 und des SS 1857 teil: „Er las mit uns damals [?] hauptsächlich die Historien des Nithard“ (Simson/1895, 4.).

- 404 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

* Sommersemester 1857

[Die Geschichte des englischen Reiches, seiner Verfassung, seiner Macht] [historiam [imperii] Angli-Britannici] in 4 wöchentlichen Stunden, von 12 - 1 Uhr , privatim, keine Angabe über Hörerzahl. M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 7 Hörer Zumindest die Hörerangabe ist erstaunlich, hielt sich Ranke doch von März bis Juli 1857 zu Archivarbeiten in England auf. Dazu bemerkt FvR: „Der reiche Arbeitsstoff, den er im British Museum in London fand, zwang ihn am 19. April für das Sommersemester um Urlaub zu bitten, der ihm durch Allerhöchsten Erlaß vom 9. Mai bewilligt wurde.“ (FvR III/1904, 65). - Nicht minder erstaunlich ist Wiedemanns Auskunft, derzufolge in den Übungen „im Sommer 1857 ... Sallust’s Catilina gelesen“ und dabei die Darstellung Mommsens (Röm. Gesch. III) erörtert worden sei (Wiedemann XV/1893, 263).

* Wintersemester 1857/58

Deutsche Geschichte historiam Germaniae 4 mal wöchentlich, privatim, von 12 - 1 Uhr, 41 Hörer Manuskripte/Nachschriften: Nschr. E d u a r d W i n k e l m a n n . UB Heidelberg Heid. Hs. 1884, 109 Bll. Erwähnung Berg/1968, 12, Charakteristik: 79f., Zitat 81f. Ed. der Vorlesungseinl.: WuN IV, 274-276. - Der Abdruck der Nschr. wird fortgeführt durch R.s eigenes Vorlesungsms. „Epochen der deutschen Geschichte“ (RNL 32 C 9-10): WuN IV, 276-278, sodann wird wieder die Nschr. Winkelmanns aufgegriffen: WuN IV/1975, 278f. Erwähnung der Vorl. mit allg. Beschreibung und Zitat bei: [Anonym:] Die Berliner Universität/1858, bes. 322.

Historische Übungen öffentlich, 13 Hörer

* Sommersemester 1858

Geschichte des englischen Reiches, seiner Verfassung und seiner Macht historiam imperii Britannici 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 29 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 11 A 1-5’; 34 C 15-22; 38 I D 11-14’): WuN IV, 280293. - Nach Feststellungen der Hgg. stammt der „größte Teil dieses Manuskripts ... von fremder Hand mit eig. Korrekturen Rankes.“ (Ebd., 280, Anm. a). N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Historische Übungen öffentlich, 3 Hörer

* Wintersemester 1858/59

Neueste Geschichte seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts historiam aevi recentissimi a saeculo XVIII von 12 - 1 Uhr in 4 wöchentlichen Stunden, privatim, 45 Hörer. M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschrift: Nachschr. W i l h e l m F e r d i n a n d A r n d t . „Neueste Gesch. Winter 58/59 (?stdg.) = 185 S. 4o.“ (Über Arndt: Bresslau/1921, 374f u. ö.).- Auszüge im Teilnachlaß Dove des GStA PK, nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

Historische Übungen öffentlich, 14 Hörer

* Sommersemester 1859

Geschichte des siebzehnten und achtzehnten Jahrhunderts vom Westfälischen Frieden bis zum Zeitalter der Revolution (Bildung der großen Reiche und ihres Systems) historiam saeculi decimi septimi et decimi octavi in 4 wöchentl. Stunden, privatim, von 12 - 1 Uhr, 37 Hörer Manuskripte: Ed. einer von den Hgg. nicht eindeutig zugewiesenen (SS 1859, WS 59/60, SS 1860, SS 1861, WS 1861/62) Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 C 11-14): WuN IV, 294f. Nachschriften: Nschr. W i l h e l m M a u r e n b r e c h e r , UB München, NL Wilhelm Maurenbrecher, 11 S. Nachweis: WuN IV/1975, 488. Nschr. W i l h e l m F e r d i n a n d A r n d t . „17. u. 18. Jhdt. Sommer 59 (?stdg.) = 142 S. 4o.“ Auszug im Teilnachlaß Dove des GStA PK, nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

Historische Übungen öffentlich, 10 Hörer

* Wintersemester 1859/60

Geschichte unserer Zeit seit dem Jahre 1813 historiam aevi nostri ab anno huius saeculi decimo tertio in 4 wöchentl. Stunden von 12 – 1, privatim, 49 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Historische Übungen öffentlich, 8 Hörer

* Sommersemester 1860

Geschichte des Zeitalters der Reformation und der Religionskriege im 16. und 17 Jahrhundert historiam saeculorum XVI et XVII ecclesiastico-politicam 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 30 Hörer Manuskripte: Ed. des Fragments der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 38 I D 21-21’): WuN IV, 299f. Hinweis der Hgg.: „Die Zuordnung zu dieser Vorlesung stützt sich allein auf den Schriftduktus.“ (Ebd., 299, A. 1). - Siehe auch SS 1867. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 3 Hörer

* Wintersemester 1860/61

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi in 4 wöchentlichen Stunden von 12 – 1, privatim, 32 Hörer M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Die SuUB Bremen besitzt lt Schr. vom 24. 3. 2011 unter der Sign. Ms b 0315 eine anonyme Vorlesungsnachschrift ‚Geschichte des Mittelalters. Berlin. Winter 1860/61, 86 S. - Sie ist unter der vorgenannten Signatur weder bei Berg/1968, der mehrere anonyme nachweist, noch in WuN IV bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 6 Hörer

* Sommersemester 1861

Geschichte des 17. und 18. Jahrhunderts vom Westfälischen Frieden bis zur Revolution historiam recentiorem inde a pace Westphalica in 4 wöchentlichen Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 15 Hörer Manuskripte: Ed. einer Notiz zur Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 C 23.24): WuN IV, 300. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 6 Hörer

- 407 -

II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

* Wintersemester 1861/62

Geschichte der neuesten Zeit seit der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts historiam aevi recentissimi in 4 wöchentlichen Stunden von 12 – 1, privatim, 30 Hörer M a n u s k r i p t e nicht bekannt. Nachschriften: Nschr. W i l h e l m S c h e r e r . Literaturarchiv, NL Wilhelm Scherer K 21, 104 S. Erwähnung Berg/1968, 95, Zitat 115. - Nachweis auch WuN IV/1975, 485.

Historische Übungen öffentlich, 11 Hörer

* Sommersemester 1862

[Geschichte unserer Zeit seit dem Jahre 1815 historiam aevi nostri ab anno MDCCCXV in 4 wöchentlichen Stunden von 12 – 1, privatim Historische Übungen öffentlich] > Die angekündigten Veranstaltungen fanden wegen einer Archivreise Rankes nach Frankreich und England nicht statt.

* Wintersemester 1862/63

Geschichte unserer Zeit seit dem Jahre 1813 historiam aevi nostri ab anno 1813 in 4 wöchentlichen Stunden von 12 – 1, privatim, 38 Hörer Manuskripte: RNL 36 (1). Erstdr./Tdr. Or. aus der Einl.: Vierhaus: Verständnis/1957, 88, 92f. u. Vierhaus, Presse/1957, 556. Siehe auch ebd. 47 m. A. 17: „Das Konzept ist sehr umfangreich und zum größten Teil neu geschrieben.“. Weitere Zitate u. Hinweise: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 49 m A. 23 u. 26; 197; 203, A. 127; 205 m. A. 134; 213, A. 159; 238-241; 241-. Von Kessel/1974, 89, A. 4 erwähnt: „Vorlesung ‚Geschichte unserer Zeit‘, datiert 2. 10. 62 im RNL Paket 36 Nr. 1. Siehe auch unten 1860er Jahre. Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. mit Einschluß früherer, bis in die 1840er Jahre zurückreichender Teile (RNL 34 C 53-58. 36 C 1-10’): WuN IV, 301-313. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 8 Hörer

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

* Sommersemester 1863

Deutsche Kaisergeschichte historiam Germaniae 4 stündig von 12 - 1 Uhr, privatim, 20 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. mit Einschluß früherer, bis in die 1840er oder Ende der 1830er Jahre zurückreichender Teile (RNL 32 B 1-11’, 22-25’; 32 C 1-8’; 17-18’): WuN IV, 314-342. Nachschriften: A n o n y m e Nschr. RNL 32 G, fol 111-175. - Charakteristik: Berg/1968, 80. - Nachweis: WuN IV/1975, 487.

Historische Übungen öffentlich, 6 Hörer

* Wintersemester 1863/64

Geschichte des Mittelalters historiam medii aevi

in 4 wöchentlichen Stunden von 12 – 1, privatim, 39 Hörer Manuskripte: Referat u. Tdr. aus R.s „Vorwort über Idee und Charakter der Geschichte des Mittelalters“: Schulin /1958, 219-221. Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. mit Einschluß früherer, möglicherweise bis Ende der 1830er Jahre zurückreichender Teile (RNL 32 A 1-5’; 33 J 39-56): WuN IV, 343-361. Nachschriften: A n o n y m e Nschr. RNL 32 G, fol 1-110. Referat u. Tdr.: Schulin/1958, 219-221. Charakteristik: Berg/1968, 76. Referat und Zitat ebd. 72f., 76.

Historische Übungen öffentlich, 9 Hörer

* Sommersemester 1864

Parlamentarische Geschichte von England in den beiden letzten Jahrhunderten historiam imperii parliamentique Britannici his duobus superioribus saeculis 4 Stunden wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 23 Hörer Den Erinnerungen Theodor Lindners (1843-1919) zufolge hat R. bei dieser Vorl. in „heftiger Erregung ... den gegen ihn erhobenen Vorwurf“ zurückgewiesen, „er schreibe Geschichte zu gunsten der Fürsten und Höfe.“ (Lindner/1896, 1). Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. mit Einschluß früherer, möglicherweise bis Ende der 1850er Jahre zurückreichender Teile (RNL 23 A 1-3; 23 B 1-10; 23 C 1-10): WuN IV, 362-381. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Historische Übungen öffentlich, 10 Hörer

* Wintersemester 1864/65

Geschichte des Mittelalters seit dem 10. Jahrhundert historiam medii aevi a X inde saeculo in 4 wöchentlichen Stunden von 12 - 1 Uhr, privatim, 59 Hörer. Manuskript/Nachschrift (?): Ed. eines Fragments fremder Hd. aus der Vorlesungseinl. (RNL 32 C 26-26’): WuN IV, 382f. Nachschriften: Nschr. O t t o H e y n e , verarbeitet in WG VIII (s. d.), nach Berg/1968, 13, 76 und 229 verschollen.

Historische Übungen öffentlich, 11 Hörer

* Sommersemester 1865

[Parlamentarische Geschichte von England im 18. und 19. Jahrhundert historiam recentiorem imperii parliamentique Anglici 4 stündig von 12 - 1 Uhr privatim. Historische Übungen öffentl.] Die Abschr. der ‚Nachweisung‘ trägt unter der Rubrik ‚Benennung der Lesung‘ lediglich einen Strich und weist keine Angaben zu den Hörerzahlen auf. Die Veranstaltungen haben nicht stattgefunden, da R sich von April bis August 1865 auf Archivreise befand. Die Vorl. wurde im folgenden Semester mit identischem lateinischen Titel wieder anberaumt

* Wintersemester 1865/66

Parlamentarische Geschichte von England in neuerer und neuester Zeit historiam recentiorem imperii parliamentique Anglici 4 stündig von 12 - 1 Uhr, privatim, 27 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 22 M 3-4’; 23 B 11-18’): WuN IV, 384-394. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 18 Hörer

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Sommersemester 1866

Geschichte der neuesten Zeit seit der Mitte des achtzehnten Jahrhunderts historiam aevi recentissimi a medio saeculo XVIII 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 29 Hörer Manuskripte: Aus den 1860er Jahren: „Neuere Geschichte T. IV - Neueste Geschichte“. Hinweis auf Ms. im RNL 36 (3) bei Vierhaus: Soz.Welt/1957, 48 mit A. 18. - Zitat bei Kessel/1974, 90. Dort auf 1862 datiert, ist lediglich aus dem Lektionskatalog heraus einem bestimmten Semester nicht zuzuordnen. Ed. der Zusammenfassung der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 C 61.62): WuN IV, 395f. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 8 Hörer

* Wintersemester 1866/67

Neueste deutsche Geschichte seit 1792 historiam rerum ab anno 1792 Germaniae gestarum 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 28 Hörer. Manuskripte: Hinweis auf Bruchstücke im RNL 36 (2) bei Vierhaus: Soz. Welt/1957, 48 m. A. 19. - Tdr. aus der Einl.: Vierhaus: Verständnis/1957, 84 und 94f. (?). Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (Or. im RNL 36 B 9-15; 36 C 11-14’): WuN IV, 397-404. Ob aus WS 1866/67 (?): „Neueste Geschichte II“. RNL 36 (3). Erstdr./Tdr. aus der Einl.: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 24 m. A. 7; 57; 95; 131, A. 9; 191; 213, A. 158. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen öffentlich, 9 Hörer Möglicherweise in diesem Semester (s. Berg/1968, 53, A. 8) hat R den Erinnerungen Max Lehmanns (1925, 213) zufolge in seinen Übungen Bonithos ‚Liber ad amicum‘ behandelt.

* Sommersemester 1867

Allgemeine neuere Geschichte der Staaten und der Kirche seit dem Ende des 15. Jahrhunderts historiam aevi recentioris a fine saeculi XV 4 mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim, 31 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 H 5-14, 19-20): WuN IV, 405-410. Den Hgg. zufolge handelt es sich hier um einen „Zusammenschnitt verschiedener Vorlesungen“ (ebd. 405, mit A 1) , der aus etwa acht Stücken und Zeitschichten der Jahre 1835 bis 1867 besteht. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

Historische Übungen öffentlich, keine Angaben über Hörerzahlen.

* Wintersemester 1867/68

[Neuere Geschichte vom Anfang des 17. Jahrhunderts bis 1659] Manuskripte: Ed. einer/der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 33 H 21-34, 37-37a, 47; 33 J 1-18): WuN IV, 411-432). N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt. Schulin (1958, 308) und Dotterweich/Fuchs (WuN IV, 411) nehmen aufgrund der entspr. Datierung eines Vorlesungsms.s R.s obige Thematik an. Den offiziellen Universitätsdokumenten zufolge hat R stattdessen gelesen:

Geschichte des Mittelalters historiam aevi medii in 4 mal wöchentlichen Stunden, privatim, von 12 - 1 Uhr, 18 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

öffentlich, 4 Hörer

* Sommersemester 1868

Geschichte des 18. Jahrhunderts historiam saeculi XVIII 4 mal wöchentlich, privatim, von 12 - 1 Uhr, 26 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 B 7-12; 34 C 25-32; 36 B 17-18): WuN IV, 433448. Nachschriften: Nschr. Harry Bresslau. Ed. aus B.s NL: Bresslau/2007, 303ff. Nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

Historische Übungen nicht angezeigt

* Wintersemester 1868/69

Geschichte der neuesten Zeit seit Begründung der nordamerikanischen Freistaaten historiam aevi recentissimi 4 stündig von 12 - 1 Uhr, privatim, 27 Hörer

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen Manuskripte: Einl. der Vorl. „Neueste Geschichte I“, RNL 34 (2). Erstdr./Tdr.: Vierhaus: Soz. Welt/1957, 37 m. A. 59; 84, A. 3; 112; 242-244. Erweiterter, modernisierter Zweitdr. mit Partien aus fünf Zeitschichten, möglicherweise zurückgehend auf Mitte der 1830er Jahre (RNL 34 D 1-8; 35 M 19-24; 36 A 594-595; 36 B 17-19) ohne Bezug auf abweichende Lesarten des Erstdrucks: WuN IV, 449-459. Nachschriften: Nschr. H a r r y B r e s s l a u . Edition aus B.s NL: Bresslau/2007, 340ff, nicht bekannt bei Berg/1968 und WuN IV.

Historische Übungen öffentlich, 10 Hörer In der „letzten“ (?, s. WS 1869/70) Übung R.s wurden die Annales Altahenses behandelt (Bresslau/1926, 33). „An der Hand der eben erschienenen Oktavausgabe der wieder aufgefundenen Annalen von Niederaltaich wurde da vornehmlich die Frage nach der Entstehungsgeschichte und den Verfassern dieser wichtigen Quelle untersucht.“ (Bresslau/1921, 340). Dem widerspricht Bresslaus Angabe (ebd. 478), R habe noch im Winter 1869/70 Übungen gehalten.

* Sommersemester 1869

Geschichte des 19. Jahrhunderts historiam saeculi XIX 4 stündig, von 12-1 Uhr, privatim, 21 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 36 A 1-8’): WuN IV, 460-467. N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen nicht angekündigt

* Wintersemester 1869/70

Geschichte des Mittelalters seit dem 9. Jahrhundert historiam medii aevi a nono inde saeculo 4 stündig von 12 - 1 Uhr, privatim, 41 Hörer M a n u s k r i p t e und N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt.

Historische Übungen Historische Übungen nicht angekündigt. Im lat. Katalog jedoch angezeigt: publice exerc[itationes] hist[oricas] instituit und in der ‚Nachweisung‘ vermerkt: 2 Hörer. - Nach Bresslau behandelte er die Geschichte des späteren Mittelalters (Bresslau/1921, 478).

* Sommersemester 1870

Geschichte des 14. und 15. Jahrhunderts historiam saeculorum XIV et XV

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II/5.3 Verzeichnis der Vorlesungen und Übungen

vierstündig von 12 - 1 Uhr, privatim, 22 Hörer Manuskripte: Nach Dove bilden die 13 Kap. von WG IX/1 (1888) „in allem Wesentlichen, nach Form und Inhalt, den bisher zurückbehaltenen Rest eines Heftes, welches von Ranke selbst für die jüngste, im Sommersemester 1870 unternommene Wiederholung seines Collegs über das nachstaufische Zeitalter eigenhändig niedergeschrieben worden.“ (ebd., Vsq.). Nachschriften: Nschr. A l f r e d D o v e , erwähnt in WG VIII, p. IX. Nach Berg/1968, 12, 76 ist sie verschollen. Die Angabe Doves läßt den Schluß zu, er habe sie für WG VIII herangezogen, doch handelt der Bd. vom 12. und 13. Jh., die Vorl. jedoch vom 14. und 15.

Historische Übungen nicht angekündigt

* Wintersemester 1870/71

Neuere Geschichte Deutschlands vornehmlich seit dem westfälischen Frieden historiam recentiorem imprimis Germaniae a pace inde Westphalica 4mal wöchentlich von 12 - 1 Uhr, privatim 11 Hörer Manuskripte: Ed. der Vorlesungseinl. aus R.s Ms. (RNL 34 B 1-16): WuN IV, 468-473.

N a c h s c h r i f t e n nicht bekannt. Historische Übungen nicht angekündigt

* Sommersemester 1871 angekündigt:

Geschichte der neuesten Zeit historiam aevi recentissimi ab anno MDCCCXXXIX viermal wöchentlich von 12 - 1 Uhr privatim [5 Hörer]. Im SS 1871 hielt R nur eine einzige Vorl., auf deren Ausarbeitung er „den größten Fleiß“ verwandt hatte, „drei Mal wurde der Kontext völlig umgeschrieben.“ (Wiedemann I/1891, 172). Sowohl die geringe Zahl der Zuhörer, die „während des Vortrags äußerst teilnahmslos erschienen“, wie der dringende Wunsch, sich ungestört seiner literarischen Tätigkeit hinzugeben, führten ihn zu dem Entschluß, unter Berufung auf seine Arbeiten an ‚Hardenberg‘ um Entbindung von der Verpflichtung, Vorlesungen zu halten, einzukommen, die ihm unverzüglich gewährt wurde. (Ebd.) M a n u s k r i p t e nicht bekannt.

Historische Übungen nicht angekündigt

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6. Teil VORTRÄGE UND ANSPRACHEN (II/6)

1. Abteilung (II/6.1) LEIPZIGER UND FRANKFURTER JAHRE ca. 1816-1824 In Leipzig Einer unveröffentlichten biographischen Skizze aus der Feder seines Bruders Ferdinand (GStA Berlin, Rep. 92) zufolge bewarb sich R während seines Studiums in Leipzig durch Ausarbeitung einer Predigt um einen „Reinhardschen Preis“, den er auch erhielt. Franz Volkmar Reinhard (1753-1812), Oberhofprediger in Dresden, galt den Pfortaer Lehrern Rankes als „der größte Mann in der gelehrten Welt“ (SW 53/54, 16, s. dazu Henz/1968, 187ff.). Ob Ranke die Predigt vorgetragen hat, ist so ungewiß wie ihr Verbleib. Möglicherweise handelt es sich um den von Pahlmann/1955 veröffentlichten Text (s. II, 215).

* A m F r i e d r i c h s - G y mn a s i u m z u F r a n k f u r t / O . Ranke hielt während seiner Oberlehrerzeit am Friedrichs-Gymnasium zu Frankfurt/O. (Johannis 1818 bis Ostern 1825) dreimal die dort jährlich vorgetragene Stiftungsrede:

„Die Vorstellungen der Griechen, Römer und Deutschen von dem Ideal der Erziehung“ Rede vom 12. Okt. 1818

Erstdruck nach einem in Rankes Nachlaß befindlichen eigenhändigen Entwurf bei Schweitzer/1922, 235-242 u. d. T. ‚Vom Ideal der Erziehung‘. - In den Frankfurter Schulpapieren wird die Rede unter dem o. g. Titel erwähnt. (vgl. Rethwisch/1908, 15) und wird wohl auch unter diesem gehalten worden sein. Zweitdr. nach Or. im RNL 38 I F 2731: WuN III, 487-497. Ebd. 638 archival. Beschr.

[Über Helden und Heldenverehrung] Rede vom 4. Okt. 1821

Erstdruck nach einem in Rankes Nachlaß befindlichen eighd. Entw. bei Borries: Jugendreden/1927, 10-21. Siehe auch Borries: Werdegang/1927. Die Titelgebung stammt von Borries/Jugendreden/1927; bei Rethwisch/1908, 15 ohne Titel erwähnt. Zweitdr. nach Or. im RNL 38 II H 1-15: WuN III, 585-595. Ebd. 644 archival. Beschr.

„Über die Wechselwirkung zwischen Staat, Publicum, Lehrern und Schülern in Beziehung auf ein Gymnasium“ Rede vom 7. Okt. 1824

„...und überdies soll ich und muß ich und bin ich gezwungen, auf den Donnerstag die Stiftungsrede zu halten, an die ich bis jetzt noch nicht habe denken können.“ (R an HR, [nach dem 13. 9. 24] NBrr 48). - Erstdr. nach einem in R.s NL befindlichen eighd. Entw. bei Borries: Jugendreden/1927, 23-41. Siehe auch Borries: Werdegang/1927. Unter dem obigen Titel auch erwähnt bei Rethwisch/1908, 15. Zweitdr. nach Or. im RNL 38 II G 1-32: WuN III, 611-627. Ebd. 644 archival. Beschr.

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II/6.1 Vorträge und Ansprachen - Leipziger und Frankfurter Jahre

Vor Fr ankfur ter Bürg ern und Fr eunden Hierüber berichtet Friedrich Schilling (1932, Nr. 186) aufgrund von heute z. T. nicht mehr vorhandenem Archivmaterial: „Die Erkenntnisse, die der 25- bis 30jährige in der Begegnung mit der Welt des geschichtlichen Lebens gewann, teilte er in öffentlichen Vorträgen, in seinen Reden im Schulsaal und seinen Ansprachen am gastlichen Tisch in der Grundschäferei und im kleinsten Kreis des ‚Banats‘ am Buschmühlenweg den Freunden und teilnehmenden Frankfurter Bürgern in einer die Hörer tief berührenden feurigen inneren Bewegung mit.“

* In Donndorf Eine Auferstehungspredigt gehalten in Donndorf, am 2. Ostertag, 8. April 1822

In einem Brief Heinrich R.s an R, 17. 3. 23, findet sich folgende Bemerkung: „...Du könntest, ja Du müßtest in der heiligen Frühstunde wieder den verkündigen, der über dem Grabe die Siegesfahne schwinget, wie Du es voriges Jahr so erhebend und tröstend tatest.“ (Fuchs/1965, 156). Wie Fuchs (ebd., A 29a) zutreffend feststellte, handelt es sich dabei nicht um den Predigtentwurf von ca. 1816. - Die Predigt hat auch Eingang gefunden in Heinrichs Jugenderinnerungen: „Wie es in diesem Gottesdienste, der in die frühesten Morgenstunden fiel, gewöhnlich war, sprach er nicht von der Kanzel, sondern von dem Lesepulte aus, das vor den Stufen des Altars angebracht war. Er sprach von dem Auferstandenen, wie er die Siegesfahne schwingt und sie uns reicht. ...er sprach mit einer inneren Bewegung und mit einer Kraft und Freudigkeit, die uns ergriff. Es ist wohl die einzige Predigt, die er gehalten hat ...“ (Heinrich Ranke: Jugenderinnerungen/21886, 233f.). - Ranke selbst bestritt später den Predigtcharakter. (Jastrow: L. v. R./1886).

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2. Abteilung (II/6.2) VOR DER KÖNIGLICHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN ZU BERLIN E i n f ü h r u n g (II/6.2.1) Eine untersuchende Darstellung zu Rankes Tätigkeit in der Akademie fehlt. Sie kann in zusammenhängender Form nur aus intensivem Aktenstudium gewonnen werden, angereichert am ehesten durch Mitteilungen von Akademiemitgliedern in Briefwechseln und Selbstzeugnissen. Im Nachlaß Bernhard Hoefts findet sich neben Auszügen aus den Akademie-Beständen, darunter Sitzungsberichte der philosophisch-histor. Klasse aus den Jahren 1829-1864, ein umfangreiches unveröffentlichtes Manuskript Hoefts zu diesem Thema, das jedoch fragmentarischer Natur ist (s. II, 194f., NL Hoeft GStA PK und II, 198, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften/Archiv). Die in ihrem Auftrag von Adolf Harnack bearbeitete ‚Geschichte der Königlich Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin‘ (3 Bde, Bln. 1900, Bd. I in 2 Teilen. Bd. III: Gesamtreg. bearb. v. Otto Köhnke) ist unerwarteter Weise nicht allein für Ranke unzureichend. Die Bände I/2, 890 u. III, 226 führen lediglich die in den Schriften der Akademie erschienenen Abhandlungen - unvollständig - sowie vier in den Monatsberichten veröffentlichte kurze Auszüge auf; eine vollständige Übersicht über Rankes Lesungen wird erstmals im Folgenden gegeben. Auch hat die in der AkademieGeschichte gebotene Gesamtwürdigung Rankes (I/2, 885-890) kaum Bezug zu dessen Wirken als Akademie-Mitglied. Eine auffallend vordergründige Rolle spielt in der Darstellung überdies die dort völlig irrelevante und überhaupt problematische Schrift Actons über ‚German Schools of History‘ (1886/87). Ranke wurde zusammen mit seinem Jugendfreund Heinrich Ritter und anderen Kandidaten gewählt (Harnack/1900, I/2, 765). Datum der Kgl. Bestätigung als Mitglied der philosophisch-historischen Klasse ist der 13. Februar 1832. Übrigens wurde er in diesem Jahr auch korrespondierendes, doch erst 1857 auswärtiges Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (s. II, 200f.). Diese Mitgliedschaft ist nicht zu verwechseln mit seiner Tätigkeit in deren Historischer Kommission. Hoeft weist in seiner Briefausgabe (NBrr 190, A. 1, mit weiteren Informationen) kommentierend auf eine von Ranke im Auftrag der Akademie für das Jahr 1834 gestellte Preisfrage hin: „Historische Entwickelung der Grundsätze, nach welchen der Preußische Staat in den Zeiten von dem Großen Kurfürsten bis zu Friedrich II. verwaltet worden“. Im November 1836 wurde Ranke neben den vier Sekretären der Akademie zu einem der vier Mitglieder einer Kommission gewählt, welche vom Ministerium beauftragt war, einen neuen Entwurf der Statuten vorzulegen (Harnack/1900, I/2, 778). 1840 führt er ein Gespräch mit dem hochverdienten Leibniz-Forscher Gottschalk Eduard Guhrauer (1809-1854) über dessen Leibnizische Editionspläne und einen möglichen Antrag bei der Akademie (Erw. in Brief R.s an Heinrich Ritter vom 21. 6. 40, SW 53/54, 313). In der Tat las Guhrauer am 2. Apr. 1840 in der Akademie über ‚Ideen zu einer künftigen kritischen Gesammtausgabe der Werke von Leibniz‘. (Siehe dazu Hettner, Hermann: Guhrauer, Gottschalk Eduard. In: ADB 10/1879, 99-102). - 419 -

II/6.2.1 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

Georg Heinrich Pertz erlebte Ranke Anfang 1843 in der Akademie, worüber er am 30. Januar an Georg Waitz schrieb (in Übers. seiner herausgebenden Witwe): „Raumer and Ranke, who sat next the King [Friedrich Wilhelm IV.], and the Princes Karl and Augustus, entertained his Majesty by a refutation of the accusations against Frederick II. of being the most immoral of sovereigns. ... Ranke was not understood by many, but seemed to endeavour to be distinct, and [Henrich] Steffens [als Sekr. d. Akad.] pulled his coat-tail whenever he hurried too much.“ (Pertz/1894, 107). Aus dem Jahr 1846 findet sich Rankes unveröffentlichter Vorschlag für Friedrich Adolf Trendelenburg zum ordentlichen Mitglied der Akademie, Berlin, 4. 2. 46 (s. II, 208). Im Zusammenhang mit dem 1847 durch eine Rede Friedrich v. Raumers zum Lobe Friedrichs d. Gr. in der Akademie hervorgerufenen Skandal - Friedrich Wilhelm IV. fühlte sich so verletzt, daß er die Sitzung vorzeitig verließ - soll sich Ranke wenig mannhaft bzw. kollegial verhalten haben. Darüber u. a. Varnhagen in seinen Tagebüchern (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 360). Über Rankes Verhältnis zum Verdun-Preis teilte Ernst Curtius in einem Brief an seinen Bruder Georg am 12. Jan. 1854 mit: „Unser König bestimmte bei der tausendjährigen Verdun-Feier einen alle fünf Jahre zu verteilenden Preis von 1000 Talern Gold für das beste Werk über Deutsche Geschichte. Diese Kommission besteht aus neun Ordinarien und Akademikern unter Schellings Präsidium. Als nun eine Preisverteilung herannahte, traten plötzlich drei Männer aus, nämlich Pertz, Ranke und Jacob Grimm, die alle drei in höchst charakteristischen Briefen erklärten, daß sie nicht zu den Richtern sondern den Konkurrenten gehörten.“ (Curtius: Lebensbild I/21913, 425). - An Dens., 1. Febr. 1854: „Ich sehe es kaum anders kommen, als daß zuletzt Ranke und Pertz um den Preis ringen werden.“ (426. Siehe auch Helmolt: R.-Biogr./1921, 92f.). Dazu im Widerspruch steht Rankes Äußerung, er habe Pertz für den Preis vorgeschlagen (SW 53/54, 611f.). - Aus dem Jahre 1858 liegt ein Gutachten Rankes betreffend die Vergabe des Verdunpreises vor. Es wurde von ihm über Droysen, Kopp, Waitz und Giesebrecht gefertigt in seiner Eigenschaft eines Mitglieds der gutachtenden akademischen Kommission (s. II, 329). Sein Verdunpreis-Vorschlag von 1853 für Pertz war nicht zum Tragen gekommen (Bresslau/1921, 338). Aus Briefen Alexander von Humboldts sind einige Details zu Rankes AkademieTätigkeit bekannt geworden, deren Zusammenhänge jedoch noch im Dunkel liegen: In einem Brief vom 3. 5. 42 (Präsentationsdatum) an Ignaz von Olfers erwähnt Humboldt eine Rede Rankes, die vermutlich mit einem Akademie-Anlaß in Verbindung steht: „Welch eine Albernheit, die pathosreiche Rede von Ranke[,] eine Reise durch die Magellanische Meerenge nach dem Pichelswerder.“ (Briefe A. v. Humboldts an I. v. Olfers/[1913], 59). Über die unter Aufsicht der Akademie durch Johann Preuß getätigte Ausgabe der Werke Friedrichs d. Gr. und Rankes angebliche Haltung „voll Eifersucht“ sind mehrere Notate in Varnhagens Tagebüchern der Jahre 1841 bis 1843 überliefert. Schon am 5. 12. 1841 hatte er eingetragen: „Friedrich v. Raumer und Ranke benehmen sich neidisch und gleißnerisch gegen Preuß; sie müssen ihn rühmen, weil sie nicht anders können, aber es kommt sie schwer an. Geheimrat Böckh spricht von ihnen und Lachmann mit Verachtung, als von den drei Hauptintriganten in der Akademie der Wissenschaften, die sich auch untereinander nicht leiden können, aber sich zu bösen Zwecken doch verbinden ...“ (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 356f., 359). - Zum 20. März - 420 -

II/6.2.1 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

1842 notierte Varnhagen in sein Tagebuch, bei der Planung der Ausgabe habe sich der Minister Eichhorn mehrfach schwankend gezeigt : „Ranke ist sein treuer Begleiter, und macht alle diese Schwenkungen mit.“ (Tagebücher II/1861, 42). Auch während des Fortschreitens der Ausgabe dürfte Ranke sich nicht zurückgehalten haben. In einem Schreiben an August Boeckh als Sekretär der Phil.-hist. Klasse der Akademie bittet er anläßlich einer Rücksendung ihm vorgelegter Korrekturabzüge, die Erklärung zu den Akten zu nehmen, er könne für den Inhalt „als Historiker nicht die geringste Verantwortlichkeit übernehmen“ (22. 6. 44, NBrr 310f.). Man darf annehmen, daß Ranke sich selbst gern in der Rolle des Herausgebers gesehen hätte. Doch war er, als Preuß bereits bedeutende Vorarbeiten geleistet hatte, noch mit der Abfassung seiner ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ beschäftigt, also noch nicht zur preußischen Thematik vorgedrungen, ein Schritt, der eigentlich erst mit seiner 1841 erfolgten Ernennung zum Historiographen des preußischen Staates ausgelöst wurde. In einem peinlicherweise noch zu Rankes Lebzeiten veröffentlichten Brief an Varnhagen vom 25. 1. 46 äußerte Humboldt: „Ich habe Ranke heute sehr klar mein Entsetzen geäußert über das was er sich gegen Preuß (eine viel höhere und edlere Natur als die seinige) in einer Sitzung erlaubt hat, bei der ich nicht zugegen war.“ (Briefe von Alexander von Humboldt an Varnhagen von Ense/1860, 190). Ein Zusammenhang mit einer der unten aufgeführten Lesungen ist auch hierbei nicht ersichtlich. Über Rankes Beendigung seiner Vortragstätigkeit in der Akademie herrschen unterschiedliche Vorstellungen. Helmolt zufolge hat er mit Bemerkungen zum Baseler Frieden, die mit der Fertigstellung der Denkwürdigkeiten Hardenbergs zusammenhängen, 1876 seine Tätigkeit in der Akademie beschlossen (Helmolt/1921, 72). Diese vermutlich aus Harnack/1900, I/2, 890 gewonnene Behauptung läßt sich aus den Monatsberichten nicht stützen. Sie verzeichnen für die Jahre 1873 bis 1876 (Berlin 1874-1877) keine weiteren Lesungen Rankes. Wiedemann hingegen nahm eine kürzere akademische Tätigkeit Rankes und einen Abschluß mit seiner Lesung ‚Über den Ursprung des [!] Revolutionskrieges [!] [Erster Theil]‘ am 2. Febr. 1871 an (Wiedemann I/1891, 168). Tatsächlich hat Ranke nach Ausweis der Monatsberichte noch am 2. Mai 1871 und letztmalig am 2. Dez. 1872 gelesen (s. u.). Zum 50jährigen Jubiläum der Akademie-Mitgliedschaft Rankes am 13. Febr. 1882 schrieb Bismarck an den Kultusminister G. v. Goßler: „Euerer Excellenz wird bekannt sein, daß Professor Leopold von Ranke, welcher bereits vor einigen Jahren sein 60jähriges Professoren Jubiläum gefeiert hat, am 13. d. M. den Tag begeht, an dem er vor 50 Jahren als Mitglied der Akademie der Wissenschaften bestätigt worden ist. Ich erlaube mir Euerer Excellenz gefälliger Erwägung anheimzustellen, ob Hochdieselben diesen Anlaß benutzen wollen, um dem verdienten Gelehrten eine Allerhöchste Anerkennung zu erwirken, indem Sie ihn zur Ernennung zum Wirklichen Geheimen Rat bei Seiner Majestät in Vorschlag bringen.“ (1. 2. 82, Bismarck. Briefe. WW XIV/2, 1933, 934). - Zu diesem Anlaß hielt Theodor Mommsen als Sekretar der philosophischhistorischen Klasse eine Ansprache, worüber Droysen seinem Sohn Gustav am 6. 8. 82 berichtete, „der edle Mommsen“ habe „phrasenhaft wie ein richtiger Journalist“ [er war 1848 Redakteur der ‚Schleswig-holsteinischen Zeitung‘ gewesen] dem alten Ranke eine „‚Lobhudelei‘ an den Kopf geworfen“ (Wickert: Mommsen III/1969, 30 m. A. 15 auf 430). Dies mag in der Art geschehen sein wie 1885 zu Rankes 90. Geburtstag. Da erschien Theodor Mommsen wieder in seiner vorbenannten Eigenschaft und bedachte Ranke, der keine Gegenwehr unternahm, mit einer stellenweise maliziösen Ansprache: - 421 -

II/6.2.1 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

„Ihr seltenes Talent, an jedem Menschen das Beste zu finden ... so haben auch Sie es verstanden, die Menschen darzustellen, vielleicht nicht immer wie sie waren, sondern wie sie hätten sein können“ (Toeche/1886, 13), wohl eine höhnische Parodie auf Rankes Sentenz des „bloß sagen, wie es eigentlich gewesen“. Bei Rankes Akademie-Lesungen überwiegt ganz deutlich und durchgängig die historisch kritische Betrachtung einzelner Quellen, wobei eine große Vielfalt vorgeführt wird. So liest er in der Rolle eines Polyhistors innerhalb von drei Jahren über die ‚Antiquitates Romanae‘ des Dionysius von Halikarnass, mit dem er sich bereits als Oberlehrer befaßt hatte (SW 53/54, 43), macht ‚Bemerkungen über die Annalen des Einhard‘ und stellt Betrachtungen an über die Memoiren der Markgräfin Friderike Wilhelmine von Baireuth. Die große Vielfalt, die er, wie in den Universitätsvorlesungen, bemüht ist, seinem Auditorium vorzuführen, liegt nicht allein in den Quellen, die doch fast ausschließlich der neueren Geschichte entstammen, sondern auch in den verschiedenen geistig/künstlerischen Hervorbringungen und in der Vielzahl der behandelten Zeiten und Länder. Zunächst steht bei Rankes Lesungen die Ausbreitung von Eindrücken und Schätzen seiner Italienischen Reise im Vordergrund. Sodann werden Beziehungen zu seiner ‚Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation‘ sichtbar. Bereits 1839 und 1840, erstaunlich weit vor dem Beginn seiner großen entsprechenden Werke in den Jahren 1852 und 1859, treten die französische und englische Thematik auf. Dabei hatte er bereits 1836 in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ eine Untersuchung über die Memoiren des Kardinals Richelieu eingebracht (Heft 4, 1836, 637-666). Ab 1842 - im Vorjahr war er, wie bemerkt, mit entsprechenden Verpflichtungen zum Historiographen des preußischen Staates ernannt worden - regt sich in Abständen auch diese, in den öffentlichen Universitätsvorlesungen nicht gesondert auftretende Thematik. Das problematische papale Thema wird von ihm, wie in der Universität, so auch in der Akademie gemieden. Nicht minder gilt dies für die Reformation und die Gestalt Luthers. Nachdem Ranke im Revolutionsjahr 1848 in der Universität abrupt auf althistorische Thematik ausgewichen ist, wendet er sich im Folgejahr auch in der Akademie, wie erwähnt, mit Dionysius von Halikarnass unvermittelt und ein einziges Mal einem althistorischen Thema zu. Wiedemann überliefert übrigens eine Äußerung Rankes von 1875, derzufolge sich unter seinen „nicht veröffentlichten akademischen Abhandlungen ... eine über die solonische Verfassung“ befunden habe (Wiedemann IV/1892, 216). Sie und die anderen unbenannten sind bisher nicht bekannt geworden. Über den Ursprung des siebenjährigen Krieges liest Ranke 1855, doch sein entsprechendes Buchwerk erscheint erstaunlicherweise erst 1871. In den Jahren 1857 bis 1862 trägt er mehrmals über Wallenstein vor, doch sein Werk erscheint erst 1869. Konkrete Pläne hatte er schon 1831 gehabt. Wenn auch der Zusammenhang seiner Lesungen mit den entsprechenden Werken zeitlich oft weit gedehnt erscheint, so ist er doch inhaltlich eng und als solcher aufspürbar. Ranke trägt seine Themen nicht nur mit sich herum, um sie gelegentlich in allgemein gehaltenen Lesungen vorzutragen, er arbeitet stets über längere Zeit mit konkreten quellenbezogenen Ergebnissen daran und bildet auf diese Weise frühzeitig Grundlagen seiner Darstellung. So begegnen seine Lesungen auch hier und da wieder in den Analekten der Werke als Untersuchung oder Edition. Doch bieten seine Akademie-Lesungen noch einen anderen Hinweis. Aus ihnen ist nicht nur Einblick zu gewinnen in die erstaunlich weitreichende Permanenz der The- 422 -

II/6.2.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

men, die ja hinsichtlich seiner von der Frühzeit bis ins höchste Alter reichenden welthistorischen Absichten schon lange sprichwörtlich ist. Dieser Grundzug seiner Sicht und Arbeitsweise gilt auch, wie sich zeigte, in eingeschränktem Maße für die weitgespannte sonstige Werkthematik. Das frühe, fortwährend sich anreichernde Neben- und Ineinander von Themen, Möglichkeiten, Aufgaben und Projekten dürfte die vielseitige Betrachtung der Dinge gefördert haben, konnte aber auch bei dem besonderen Naturell Rankes in Organisation und Konzentration Probleme aufwerfen. Gefördert wurde diese universelle thematische Komplexität zweifellos auch durch die verführerische Quellenvielfalt der von ihm genutzten Archive und die gerade im Falle seiner Relationen gemischte Internationalität der Bestände und Nachrichten, welche den Benutzer in eine verführerische Heterogenität der Benutzungs-Zwecke zu stürzen geeignet war. (II/6.2.2) Lesungen Die Titel der Lesungen sind wörtlich den offiziellen Akademie-Berichten entnommen. Bericht = Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhandlungen der Kgl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin MBB = Monatsberichte der Kgl. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin

1832 [Rede beim Eintritt in die Akademie, 1832] Unveröff. - Abschr. Hoefts in dessen NL: GStA PK. Zwei eng beschriebene Seiten, beginnend: „Es kann keine angenehmere Pflicht geben, als verehrten Männern, deren Verdienste um die Wissenschaft von ganz Europa anerkannt sind, dafür Dank zu sagen, daß sie uns in einen Verein haben aufnehmen wollen, welcher der Förderung eben dieser Wissenschaft gewidmet ist …“

1835 Zur Geschichte der italienischen Poesie Gelesen am 5. 11. 35. - Erster Vortrag Rankes in der Akademie. Nachweis: Bericht 1 (1836), 7f. (mit Auszug). - Erstdr. siehe II, 430.

Nachträgliche Bemerkung zur Geschichte der italienischen Poesie Diese ‚Bemerkung‘ wurde vermutlich nicht gelesen, zumindest nicht im Jahr des eigentlichen Vortrags, dessen Nachtrag sie bildet, 1835. Sie bezieht sich nicht nur auf eine Seitenzahl des späteren Drucks (1837) des Vortrags, sondern behandelt auch die 1837 erschienene selbständige Schrift Rankes ‚Zur Geschichte der italienischen Poesie‘. In Commission bei Duncker und Humblot, Bln.1837. 88 S. 4º. - Erstdr. siehe II, 430.

1836 Zur Geschichte der Italienischen Poesie, dritter Abschnitt, Über Torquato Tasso. „28. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des Jahrestages Friedrichs des Großen. Hr. Erman eröffnete die Sitzung … Hierauf las Hr. Ranke …“ - Bericht 1 (1836), 7f., mit Auszug. - Die inhaltl. Zusammenfassung, welche der Auszug bietet, entspricht genau dem ausführlichen Abschnitt „Torquato Tasso“ im Erstdr. der Lesung vom 5. 11. 35, 458-485. Möglicherweise hat R diesen Abschnitt also zweimal vorgetragen, nichtöffentlich am 5. 11. 35 und öffentlich anläßlich des Jahrestages Friedrichs des Großen.

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II/6.2.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

über die Verfassung der Republik Venedig, besonders des Raths der Zehn „24. November. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“. - Bericht 1 (1836), 102f., mit Auszug. - Siehe auch ZVenezG.

1837 über die Verfassung der Republik Venedig, besonders in Bezug auf den Rath der Zehn… „26. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des Jahrestages Friedrich’s II. Nachdem der vorsitzende Sekretar [!], Hr. Encke, diese Sitzung mit einer Einleitungs-Rede eröffnet hatte, las zuerst Hr. Ranke ...“- Bericht 2 (1837), 9.

über eine noch ungedruckte Lebensbeschreibung Kaiser Maximilian’s I. von Hans Jacob Fugger „30. October. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - Bericht 2 (1837), 140f., mit Auszug. - Erstdr.: DtG VI, 1. Aufl (1847), 85-97. Weitere Drucke siehe dort. Fuggers ‚Ehrenspiegel‘ hatte seit jeher zu den besonderen Desiderata R.s gehört. Siehe seine Briefe an J. M. Schottky (8. 9. 23, Henz/1972, 290f.), an das Min. d. geistl., Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten (28. 12. 24, NBrr 57) sowie an G. H. v. Schubert ([Ende Apr. 28], SW 53/54, 198f.), den er um Auskünfte über eine Münchener Abschrift bat.

1838 über einige noch unbenutzte Sammlungen deutscher Reichstagsacten „1. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 3 (1838), 11. Mit Auszug. - Das von Joachimsen nicht als Akademievortrag erkannte unvollständige Ms. des RNachlasses wurde von ihm in Bd. VI/1926, 471-487 seiner Ausg. der DtG veröffentlicht.

[Mitteilung betr. die Auffindung der Acta Henrici VII] „26. November. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse… Herr Ranke gab eine Mittheilung über die Auffindung der Acta Henrici VII. in dem Turiner Reichsarchiv durch Hrn. Dr. Dönniges.“ - Bericht 3 (1838), 172. - R an Waitz, [31. 3. 38]: „Dönniges hat leider nicht vermieden, daß von seinem Fund in allen Zeitungen die Posaune erschollen ist; wir wollen hoffen, daß er die Sache mit der gehörigen Gründlichkeit ausführt.“ (SW 53/54, 301).

1839 Über die innere Regierung König Ludwig des Zwölften von Frankreich, vornehmlich aus einigen noch ungedruckten italienischen Relationen. „14. März. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 4 (1839), 42. Mit Auszug.

Über ein vor Kurzem in Rom erschienenes apokryphes Geschichtswerk. „8. Juli. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - Bericht 4 (1839), 124. Erstdr. in: DtG VI, 1. Aufl (1847), 99-124. Weitere Drucke siehe dort.

[„eine 1839 gehaltene akademische Rede“ über das Ideal der Geschichtsschreibung] Referat u. Tdr. bei Sybel: Gedächtnisrede/1886, 471f. Die Formulierung läßt auch eine Rede außerhalb der Akademie zu. - Es findet sich kein Nachweis in den Akademie-Berichten und auch kein anderweitiger.

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II/6.2.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

1840 Über die Geschichte der Wiedertäufer in Münster. „20. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las … Hr. R. suchte besonders den innern Zusammenhang der einzelnen Erscheinungen des Münsterschen Anabaptismus darzulegen.“ - Bericht 5 (1840), 47.

Über die kirchlichen Unternehmungen König Heinrichs VIII. von England „13. August. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 5 (1840), 176.

1841 Über das Emporkommen der Mediceer in Florenz 22. März. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - Bericht 6 (1841), 139.

1842 [Mitteilung betr. die Herausgabe der Werke Friedrichs d. Gr.] „Für die Herausgabe der Werke Friedrichs des Zweiten sind im Laufe des Jahres 1842 folgende Mittheilungen bei der Akademie eingegangen: … Aus dem Großherzogthum Posen, durch Hrn. Prof. Ranke d. 7. Febr.“ - Bericht 7 (1842), 334.

Über die Erwerbung der Preussischen Krone, aus archivalischen Nachrichten „3. November. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las ...“. - Bericht 7 (1842), 309.

über die Erwerbung der preussischen Krone aus archivischen [!] Nachrichten ... [Fortsetzung] „8. December. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las die Fortsetzung seiner Abhandlung…“ - Bericht 7 (1842), 325. - Die Literar. Ztg. Bd. 10 (1843), Sp.17 meldet die Lesung für den 3. Dez.

1843 Über wichtige literarische und wissenschaftliche Verhältnisse im 16. Jahrhunderte „23. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke hielt einen Vortrag …“ Bericht über die zur Bekanntmachung geeigneten Verhh. d. Kgl. Pr. Akad. d. W. zu Bln., 8. Jg. 1843, 33. - Die Literar. Ztg. Bd. 10 (1843), Sp.18 meldet für den 26. Januar eine weitere Fortsetzung der Lesung über die preußische Krone.

1844 Über die Versammlung der französischen Notabeln im Jahre 1787 „21. November. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 9 (1844), 408. Erstdr. in: Allgemeine Zeitschrift für Geschichte 5 (1846), 1-44.

1845 Entwurf zur Geschichte der innern Verwaltung der Brandenburgisch-Preussischen Länder von 1640 bis 1740 „30. Juni. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las einen …“ - Bericht 10 (1845), 222.

1846 Bemerkungen über die Annalen des Einhard und die Nothwendigkeit einer Revision der Geschichte Carls des Grossen

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II/6.2.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie „19. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 11 (1846), 50. - Siehe auch unten: Lesung ‚Zur Kritik deutscher Reichsannalisten‘. - Erstdr. s. Akad.-Abhh. II, 430 u. die posthume Edition ‚Einige Bemerkungen über die Annalen des Einhard‘ in SW 51/52 (1888), 95-116 mit Erweiterungen aus dem Nachlaß.

1847 Zur Kritik der historischen Memoiren von Pöllnitz „22. April. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 12 (1847), 143. - Erstdr. s. Akad.-Abhh. II, 430. - Zweitdr. in: AuV/ES (1872), 43-56.

1848 Über die Glaubwürdigkeit der Memoiren der Markgräfin Friderike Wilhelmine von Baireuth „29. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 13 (1848), 272. - Erstdr. s. Akad.-Abhh. II, 430. - Zweitdr.: AuV/ES (1872), 57-70.

1849 Zur Kritik des Dionysius von Halikarnass „8. Januar. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las eine Abhandlung: …“ Bericht 14 (1849), 3.

Zur Critik des Dionysius von Halicarnass „25. October. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las eine Abhandlung...“ - Bericht 14 (1849), 238. - Siehe dazu WG III/2, Analekten.

1850 Über ein neu aufgefundenes Stück der Mémoiren des Cardinal Richelieu, sowie über andere Memoiren und Tagebücher, welche wahrscheinlich von François de Trembley (P. Joseph) herrühren; namentlich in Betreff der Illuminaten „28. October. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke trug Mittheilungen vor …“ - Bericht 15 (1850), 378f. - Siehe Lesung Académie des sciences morales et politiques, Paris, (II/6.4) u. FranzG V.

Zur Kritik der Mémoiren des Card. Richelieu „12. December. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las eine Abhandlung: …“ - Bericht 15 (1850), 474. - Vollst. Erstdr. u. weitere s. FranzG V; s. auch HPZ II/4.

1852 Über Davila’s Geschichte der Französischen Bürgerkriege „22. Januar. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las…“ - Bericht 17 (1852), 58. - Erstdr. u. weitere s. FranzG V.

Über die schwedisch-deutsche Geschichte von Puffendorf [!] und Chemnitz „22. Nov. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - Bericht 17 (1852), 623. - Erstdr. u. weitere in: 12BPreußG III/IV. - Das Ms. fand Joachimsen im RNL (s. seinen ‚Bericht über den Nachlaß‘ in 9BPreußG/ed. Küntzel III/1930, 485).

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II/6.2.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

1853 Über die noch ungedruckte Correspondenz des Cardinals Mazarin mit besonderer Beziehung auf die Unruhen in Neapel in den Jahren 1647 und 1648 „21. April. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Bericht 18 (1853), 251. - Erstdr. u. weitere in: FranzG V. Siehe dazu auch FranzG V, 4D Aufl., 49.

1854 [Laudatio für Alfred von Reumont] zu dessen Aufnahme als korrespondierendes Mitglied der Kgl. Akademie der Wissenschaften. „Um Sie in der Akademie zu loben, hat mir Ihr Aufsatz über Galilei dienen müssen.“ (an Reumont, 15. 6. [54], Hüffer/1904, 193. - Die Laudatio selbst ist unveröffentlicht.

[Über die Memoiren des Herzog Heinrich II. von Guise] R erwähnt in FranzG III eine Abh., die in den Akademie-Berichten in dieser Form nicht nachzuweisen ist: „…Das hier Angedeutete suche ich in einer akademischen Abhandlung über die Memoiren des Herzog Heinrich II. von Guise näher auszuführen“ (FranzG III, 1. Aufl./1855, 52; 2. Aufl./1859, 55, 3D-Aufl./1869, 41). - In FranzG V, 4D-Aufl./1877, 49, verweist er statt dessen auf die in die Analekten zu FranzG V aufgenommene Abh. „Ueber den Antheil Mazarins an dem Aufruhr von Neapel im Jahre 1647“, wovon auch die vorstehende Lesung handelt.

Zur Kritik deutscher Reichsannalisten. „3. August. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las: …“ - MBB 19 (1854), 431. - Erstdr. u. d. T. ‚Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten‘ in den Akad.-Abhh. II, 430.

1855 Bemerkungen über die Memoires des Duc de St. Simon „19. März. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - MBB 20 (1855), 186. - Erstdr. u. weitere in: FranzG V.

Über den Ursprung des siebenjährigen Krieges „13. Dec. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - MBB 20 (1855), 763. - Siehe auch USK/1871.

1857 Über Wallenstein’s Catastrophe „5. März. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1857, Bln. 1858, 170.

1858 Über Wallenstein (zweite Abtheilung). „20. Mai.Gesammtsitzung der Akadmie. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1858, Bln. 1859, 312.

1859 Über den Fortgang der spanischen Kolonien in Süd-Amerika nach der Eroberung „16. Mai. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las…“ - MBB. Aus dem Jahre 1859, Bln. 1860, 391.

Über die Katastrophe Wallensteins „11. August. Gesammtsitzung der Akadmie. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1859, Bln. 1860, 554. - Siehe: Analekten zur Geschichte der Katastrophe Wallensteins. In: WALL/1869.

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II/6.2.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

1860 Über die Politik Gustav Adolfs im Jahr 1632 „29. November. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - Aus dem Jahre 1860, Bln. 1861, 714.

1861 Über die Ächtung und den Tod Wallensteins „24. Januar. Öffentliche Sitzung zur Feier des Jahrestages Friedrich’s II. Der vorsitzende Secretar [!] Herr [Christian Gottfried] Ehrenberg eröffnete die Sitzung … Hierauf las Hr. Ranke …“ - MBB. Aus dem Jahre 1861, Bln. 1862, 169.

1862 Über die politische Stellung und die historischen Werke des Lordkanzlers von England Edward Hyde von Clarendon „8. Juli. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1861, Bln. 1862, 646; s. dazu EnglG VII/Analekten.

Über die erste Bearbeitung der Geschichte der schlesischen Kriege von König Friederich [!] II. „27. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1862, Bln. 1863, 144. Erstdr. in: AuV/ES.

Über den Ursprung des siebenjährigen Krieges „27. März. Öffentliche Sitzung zur Feier des Geburtstages Sr. Maj. des Königs. Hr. Ranke schloß die Sitzung mit der Vorlesung seiner Abhandlung: …“ - MBB. Aus dem Jahre 1862, Bln. 1863, 182. Siehe oben Lesung vom 13. Dez. 1855.

1863 Über den Ursprung der Lehre von den drei Staatsgewalten. Erster Theil „18. Juni. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1863, Bln. 1864, 262. Erstdr. oder Verwandtes in: AuV/ES.

Über die autobiographischen Aufzeichnungen König Jacob’s II. von England „23. Nov. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1863, Bln. 1864, 513. Erstdr. und weitere in: EnglG VII/Analekten.

1864 Über Bischof Burnet und dessen Geschichte seiner Zeit [Erste Abteilung] „10. Nov. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1864, Bln. 1865, 630. - Erstdr. u. weitere in: EnglG VII/Analekten.

1865 Über den Briefwechsel Friedrichs des Großen mit Prinz Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin „7. December. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. v. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1865, Bln. 1866, 633. - Erstdr. in den Akademie-Abhh., s. II, 430.

1866 Über Bischof Burnet und dessen Geschichte seiner Zeit (zweite Abtheilung) „5. März. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. von Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1866, Bln. 1867, 133. - Erstdr. und weitere in: EnglG VII/Analekten.

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II/6.2.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

1867 Über die Politik der englischen Minister 1740-1760 in ihrer Beziehung zu Österreich und zu Preussen „21. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. von Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1867, Bln. 1868, 89.

1868 Zur Geschichte der deutschen Reichstage in den beiden letzten Decennien des 16ten Jahrhunderts“ „28. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. von Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1868, Bln. 1869, 349.

zur Geschichte der deutschen Reichstage in den zwei [!] letzten Decennien des 16ten Jahrhunderts“ [Fortsetzung] „8. Juni. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. von Ranke las die Fortsetzung der am 28ten v. M. in der Gesammtsitzung der Akademie gelesenen Abhandlung…“ - MBB. Aus dem Jahre 1868, Bln. 1869, 359.

1869 Über den Fall des brandenburgischen Ministers Eberhard von Dankelmann [!] (1697 und 1698), vornehmlich aus englischen Berichten „28. October. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. v. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1869, Bln. 1870, 750. Erstdr. und weitere in: AuV/ES.

1870 Litterarische Erörterungen betreffend den Ursprung des siebenjährigen Krieges „8. August. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. Hr. v. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1870, Bln. 1871, 619. - Zusammenhang mit Beitrag ‚Ueber den Ausbruch des siebenjährigen Krieges. Aus Mitchell’s ungedruckten Memoiren‘ von 1844 - Siehe auch USK.

1871 Über den Ursprung des [!] Revolutionskrieges [!] [Erster Theil] „2. Februar. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. v. Ranke las den ersten Theil einer Abhandlung …“ - MBB. Aus dem Jahre 1871, Bln. 1872, S. 25. - Siehe dazu RevKr. - In den MBB 1871 und 1872 findet sich kein Vermerk über eine Forts. des ‚ersten Theils‘ der Abh. - Ranke hatte den Vortrag Anfang 1871 seinem Amanuensen Wiedemann diktiert. Dieser bemerkt: „Ich sah ihn am 2. Februar aus der Behausung mit dem Diktat nicht ohne Besorgnis aufbrechen, da unmittelbar vor Antritt des Ganges unzählige Korrekturen und umfassendere Veränderungen im Manuskript vorgenommen waren“ (Wiedemann I/1891, 168). - Die Feststellung Wiedemanns, diese Lesung sei „die letzte gewesen“ (ebd.), ist, wie die folgenden zeigen, irrig.

1872 Zur Geschichte der Epoche der Aufklärung „2. Mai. Gesammtsitzung der Akademie. Hr. v. Ranke las: …“ - MBB. Aus dem Jahre 1872, Bln. 1873, 329.

Über die von dem Staatskanzler Fürsten Hardenberg hinterlassenen Papiere, besonders seine Denkwürdigkeiten „2. December. Sitzung der philosophisch-historischen Klasse. H. v. Ranke las …“ - MBB. Aus dem Jahre 1872, Bln. 1873, 815. Siehe: HARD/Denkw. - Der Sitzung wohnte Ksn. Augusta bei (R.s Dedikationsbrief an dies., 15. 1. 77, NBrr 640).

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II/6.2.3 Vorträge und Ansprachen - Vor der Berliner Akademie

(II/6.2.3) Veröffentlichte Akademie-Abhandlungen 1835-1868 Die Feststellung der offiziösen Geschichte der Akademie, Ranke habe in deren ‚Abhandlungen‘ „nur drei Studien eingerückt“ (Harnack/1900, I/2, 890) ist irrig. Es gehörte auch, wie unten aufgeführt, ‚Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten‘ dazu. [Leopold] Ranke: Zur Geschichte der italienischen Poesie. (Gelesen in der Akademie der Wissenschaften am 5. November 1835.) In: Histor.-philos. Abhh. d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bln. Aus dem Jahre 1835, Bln. 1837 [!], 401485. Veränderter Zweitdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 155-242.

[Leopold] Ranke: Nachträgliche Bemerkung zur Geschichte der italienischen Poesie. In: Histor.-philos. Abhh. d. Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bln. Aus dem Jahre 1835, Bln. 1837 [!], 499f. - Text letzter Hd. - Zweitdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 243f.

Leopold Ranke: Zur Kritik preußischer Memoiren. In: Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bln., philos.-histor. Abhh. aus dem Jahre 1849, Bln. 1851, 517-544. Veränderter Zweitdr.: SW 24 (AuV/ES 1872), 41-70.

Leopold Ranke: Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten. In: Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bln., philos.-histor. Abhh. aus dem Jahre 1854, Bln. 1855, 415-458. Lesung von Aug. 1854. R hatte die Abh. im Juli 1854 diktiert (R. an CvR, 24. 7. 54, SW 53/54, 361). - Von Wiedemann bearb. Zweitdr.: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 95-116, 124-149.

[Leopold] von Ranke: Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England. Mitgetheilt von Hrn. - . In: Kgl. Akad. d. Wiss. zu Bln., philos.-histor. Abhh. aus dem Jahre 1868. Bln. 1869, Zweite Abtheilung, 1-92. - Lesung vom 7. December 1865. - „Einleitung“ (1-22). - „I. Correspondance de Frédéric le Grand avec le Prince Guillaume IV. d’Orange“ (23-79). - „II. Correspondance de Frédéric [le Grand] avec la Princesse Anne douairière d’Orange“ (80-92). - Zweitdr. als selbst. Schrift : BrFrGr. Drittdr. (gekürzt): SW 24 (AuV/ES 1872), 173-222. Den Inhalt der Schrift sowie „manches andere“ hatte Ranke im August 1865 den „Schätzen“ des oranischen Hausarchivs im Haag entnommen (an Groen van Prinsterer, 20. 8. 69, Stupperich/1934, 562). Dort hatte man noch „eine ganze Reihe von Briefen Friedrichs aufgefunden“ (Einl., 2). Sie bilden „ein Supplement der akademischen Ausgabe der Correspondenz des Königs“, in der nur drei Briefe Friedrichs an den Prinzen vorhanden waren (ebd.).

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3. Abteilung (II/6.3) VOR DER VERSAMMLUNG DER GERMANISTEN Z U F R A N K F U R T A. M. Brief Rankes an seinen Bruder Heinrich, 27. 11. 45 „Vor einiger Zeit ersuchte mich Jakob Grimm, zu einer Versammlung deutscher Philologen, Rechtsgelehrter und Historiker, die im nächsten Herbst in Frankfurt stattfinden soll, auch mein Wort mitzugeben. Ich tat es ...“. (NBrr 317). > [Leopold Ranke: Vortrag über die Bildung eines allgemeinen deutschen Geschichtsvereins, anläßlich der 1. Sitzung der historischen Abteilung, 24. Sept. 1846]. Protokollnotiz in: Verhandlungen der Germanisten zu Frankfurt am Main am 24., 25. und 26. September 1846, Frankfurt a. M. 1847, 200. Als „eine der ersten Aufgaben“ dieses Geschichtsvereins hatte Ranke - wie von Heinrich von Sybel geschildert - die Edition der deutschen Reichstagsakten in Vorschlag gebracht, die Versammlung „demselben mit Einhelligkeit zugestimmt, und für die Ausführung eine Commission ernannt, bestehend aus Joseph Chmel in Wien, Christoph von Stälin in Stuttgart und Gustav Adolf Stenzel in Breslau. Indessen kam dann auf der nächsten Versammlung, 1847, in Lübeck, die Sache nicht weiter zur Sprache; dann folgte die Märzrevolution, und von Germanistentagen und alten Reichstagsacten war nicht weiter die Rede.“ (Die Historische Commission/1883, 13). Karl Hegel zufolge, der ebenfalls teilnahm, wurde der Antrag von Pertz gestellt: „Nur wenig wurde ... auf die Vertreter der reinen historischen Wissenschaft, Pertz und Ranke, gehört, von denen jener in der historischen Sektion die Herausgabe der Reichstagsakten beantragte und Ranke bei dem solennen Mittagessen, das uns die Stadt Frankfurt gab, einen Toast auf sie ausbrachte, worin er sich über die Geschichte ihres Ursprungs verbreitete.“ (Hegel, K.: Leben und Erinnerungen/1900, 131). Über den durch die Versammlung angenommenen Vorschlag einer Sammlung der älteren Reichstagsakten und die spätere Wiederaufnahme des Plans durch H. von Sybel siehe: R an Pfistermeister, 14. 8. 57 (v. Müller/1939, 19). - Eine allgemeine Schilderung der Germanistenversammlungen ohne Nennung Rankes findet sich bei Springer: Friedrich Christoph Dahlmann II/1872, 174ff. > [Leopold Ranke: Toast auf die Stadt Frankfurt anlässlich der Germanistenversammlung (zw. 24. u. 26. Sept. 1846)] Notiz mit kurzem inhaltl. Hinweis bei Hegel, K.: Leben und Erinnerungen/1900 (131). - Siehe auch Schmidt, A.: Die Versammlung der deutschen Sprach-, Rechts- und Geschichtsforscher/1846, 383f.

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4. Abteilung (II/6.4) VOR DER ACADÉMIE DES SCIENCES MORALES ET POLITIQUES, PARIS Zur Vorgeschichte der Mitgliedschaft: Am 23. Jan. 1841 wurde Ranke zum korrespondierenden Mitglied der Akademie gewählt, worüber in einem Brief Jules Michelets ([1841]) Mitteilung an Ranke erging (Varrentrapp/1910, 129), - eine Ehre, die auch seinem Berliner Kollegen Friedrich v. Raumer zuteil wurde. Zu dieser Zeit hatte Ranke Paris noch nicht besucht, doch es lagen zwei seiner Werke in französischer Übersetzung vor: ‚Histoire de la papauté pendant les seizième et dix-septième siècles‘. Traduite de l’allemand par J[ean].-B[aptiste] Haiber. Publiée et précédée d’une introduction par Alexandre de Saint-Chéron. 4 Bde. Paris 1838 und ‚Histoire des Osmanlis et de la Monarchie espagnole pendant les XVIe et XVIIe siècles‘; Traduite de l’allemand de M. Léopold Ranke et accompagnée de notes, par J.-B. Haiber. Paris 1839. Sitzung vom 23. Januar 1841: „Il est également pourvu au remplacement de M. Otfried Müller, correspondant étranger de l’Académie dans la section d’Histoire. Les candidats proposés étaient: au premier rang, M. Léopold Ranke ... Sur 21 votants, M. Léopold Ranke a obtenu 18 suffrages et a été proclamé correspondant de l’Académie“ (Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Années 1840 et 1841, Paris 1893, 273).

Rankes erster Paris-Aufenthalt fällt in den August 1841, bei dem es auch zu Gesprächen mit Thiers kam, der neben Guizot, Mignet, Michelet und Thierry der section ‚histoire générale et philosophique‘ der Académie angehörte. Die Beziehungen zu den Genannten dürften sich bei Rankes zweitem Paris-Aufenthalt, 1843, verstärkt haben. Dabei war wohl von großer praktischer Bedeutung, daß Mignet nicht nur Akademie-Sekretär, sondern auch Vorstand des Archivs der Auswärtigen Angelegenheiten war (s. II, 472, 477f.). Ranke wurde noch mehrfach für eine reguläre Mitgliedschaft nominiert, erhielt aber jedesmal lediglich eine einzige Stimme. Erst am 15. Februar 1860 erfolgte seine Wahl zum (ordentlichen) auswärtigen Mitglied. Sitzung vom 4. 2. 60: „L’Académie procède, par la voie du scrutin, à l’élection d’un associé étranger en remplacement de feu M Hallam. La commission présentait au premier rang M. Léopold Ranke; au deuxième rang et ex aequo MM H. Ritter, le docteur Whateley, archevêque de Dublin et de Raumer. Au premier tour de scrutin, sur 31 votants, M. Léopold Ranke, ayant obtenu l’unanimité des suffrages, est proclamé associé étranger de l’Académie; son élection sera soumise à l’approbation de l’empereur.“ (Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 52, Paris 1860, 453). Sitzung vom 25. 2. 60: „M. le secrétaire perpétuel communique une lettre de M. le Ministre de l’Instruction publique qui transmet à l’Académie une ampliation du décret imperial du 15 février courant par lequel est approuvée l’élection de M. Léopold Ranke, comme associé étranger.“ (Ebd., 458). Sitzung vom 31. 3. 60: „M. le secrétaire perpétuel donne lecture d’une lettre de M. Léopold Ranke, qui remercie l’Académie pour sa nomination d’associé étranger, en remplacement de feu M. Hallam.“ (Ebd., 464).

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II/6.4 Vorträge und Ansprachen - Vor der Pariser Académie Am 14. 4. 60 schrieb Ranke nach Hause : „J’ai pris possession de ma place de l’Académie: où l’on traitait un sujet, que j’avais traité moi-même: on s’en souvenait. Vous savez, qu’ils sont très polis, mais cela ne fait pas tort.“ (SW 53/54, 407f.). Sitzung vom 28. Apr. 1860 : „M. le secrétaire perpétuel fait hommage à l’Académie, au nom de M. Léopold Ranke, l’un de ses associés étrangers, d’un exemplaire en 4 vol. de son Histoire de France aux XVIe et XVIIe siècles (en allemand).“ (Bd. 53/1860, 474).

Zu dieser Zeit lag auch in Teilen eine französische Übersetzung seiner ‚Französischen Geschichte‘ vor (s. II, 593). Die bemerkenswerte, seltene Ehrung einer auswärtigen Mitgliedschaft war Rankes renommiertem älteren Kollegen Schelling, damals noch in München, und Savigny bereits 1835 bzw. 1837 zuteil geworden. Bei Rankes Wahl scheiterte - ein merkwürdiger, u. U. auf Seiten des Unterlegenen noch weiter verhärtender Umstand - sein früherer ex aequo vorgeschlagener Freund Heinrich Ritter. * Die Behauptung Bergs (1968, 38), Rankes Mitgliedschaft im „Institut des sciences morales et politiques (Paris)“ sei eine „bloße Ehrung“ geblieben, ist, wie die folgenden Betätigungen erstmals zeigen, irrig. > Leopold Ranke: Communication sur les mémoires du Père Joseph. In : Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 18 (= 2. Serie, Bd. 8), Paris 1850, 335-342. [Vortr. über die Memoiren des Pater Joseph und der Illuminaten des siebzehnten Jahrhunderts, geh. am 19. 10. 1850]. - Erweiterter Zweitdr. u. weitere Drucke u. d. T. ‚Memoiren des Pater Joseph und der Illuminaten des siebzehnten Jahrhunderts‘ in: FranzG V, 1C-Aufl. (1861), 108-126; 3D-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 117-134; 3C Aufl. (1878), 138159. Siehe FranzG/Analekten. - Siehe auch Brief R.s an seine Frau Clara, 22. 10. [50]: „Sonnabend den 19. habe ich einen Vortrag in der Akademie des sciences morales et politiques gehalten – hm! hm! hm! Doch ging alles gut. Was ich noch ferner zu sagen habe, werde ich schriftlich abmachen; man wird beides drucken.“ (SW 53/54, 345).

> Leopold Ranke: Communication relative aux mémoires du cardinal de Richelieu. [Schriftliche Mitteilung Rankes über eine Ergänzung der Memoiren Richelieus] Erstdr.: Moniteur, Paris, 14. 12. 1850. Ohne die ‚Observations‘ von Giraud, Cousin et Mignet. Zweitdr.: Bulletin de la Société de l’histoire de France, Paris, Nr. 11, 12. 1850, 358-363. Abdr. aus dem ‚Moniteur‘. Gleichfalls ohne die Observations von Giraud, Cousin et Mignet. - Dem Text der Mitteilung R.s geht folgende Bemerkung voraus: „M. L. Ranke vient de faire à l’Académie des Sciences morales et politiques, une communication intéressante sur un manuscrit inédit relatif au règne de Louis XIII. Nous empruntons au Moniteur du 14 décembre le texte de cette communication...“. - Drittdr. (offiziös): Leopold Ranke: Communication relative aux mémoires du cardinal de Richelieu. Suivie d’observations par MM. Ch. Giraud, Cousin et Mignet. In : Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 19 (= 2. Serie, Bd. 9), Paris 1851, 5-16. Die ‚observations‘ folgen auf 17-20:

Giraud, Charles: [Bemerkung zu R.s Mitteilung] In: Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 19 (= 2. Serie, Bd. 9), Paris 1851, 17. Giraud bestreitet die Authentizität der sogen. ‚Memoiren‘ Richelieus und damit auch die des von R mitgeteilten Fragments aus Gründen des Stils, der in keiner Weise dem Stil der Werke Richelieus aus der Zeit vor seinem politischen Aufstieg gleiche. Sie mögen von dem Cardinal inspiriert sein, „mais la forme dans laquelle ils nous sont parvenus, décèle une autre plume que la

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II/6.4 Vorträge und Ansprachen - Vor der Pariser Académie sienne.“ - Über R.s Verhältnis zu Giraud siehe seine Tagebuchaufzeichnung „Giraud, 12. September 1881“ (II, 232).

Cousin, Victor: [Bemerkung zu R.s Mitteilung] In: Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 19 (= 2. Serie, Bd. 9), Paris 1851, 17-19. Cousin neigt der Auffassung R.s von der Authentizität eines Fragments der sogen. ‚Memoiren’ Richelieus zu. Das Argument Girauds vom abweichenden Stil hinsichtlich der Schriften aus der Luçon-Periode läßt er nicht gelten. Es sei als sicher anzunehmen, daß Richelieu sich bei seiner schriftstellerischen Produktion vielfach fremder Hilfe bedient habe. Eben auf die Feststellung, in welchem Maße dies geschehen sei, darauf komme es an. Zu einer entsprechenden Untersuchung der Werke des Kardinals sei niemand besser geeignet als Ranke.

Mignet, François: [Bemerkung zu R.s Mitteilung] In: Séances et travaux de l’Académie des sciences morales et politiques, Bd. 19 (= 2. Serie, Bd. 9), Paris 1851, 19f. Bei der Beurteilung der Authentizität der sogen. ‚Memoiren‘ Richelieus dürfe es nicht nur um den Stil, sondern es müsse auch um die Gedanken gehen. Hinsichtlich des Stils sei zu bedenken, daß der Bischof von Luçon noch nicht der Kardinal gewesen sei, und die Sprache des Politikers sei eine andere als die des Theologen. Da man in den ‚Memoiren‘ denselben Eigenschaften Richelieus begegne wie in seinem Leben, so sei es von geringer Bedeutung, ob er sie geschrieben oder diktiert habe. Das von R mitgeteilte Fragment trage jedenfalls den Stempel seines Denkens und Fühlens. - Unveränderter Viertdr. u. weitere Drucke u. d. T. „Ergänzung der Memoiren Richelieu’s“, ohne die ‚observations‘ in: FranzG V, 1. Aufl. (1861), 129-138; 3D-Aufl. (1870) u. 4D-Aufl. (1877), 158-166; 3C-Aufl. (1878), 189-198. - Siehe dazu auch Parmentier/1877, der die Überzeugung gewann, das Ms. sei „rédigé en partie pendant la vie du cardinal et en partie après sa mort, par le même secrétaire dont il s’était servi pour la composition de ses Mémoires à partir de 1631“ (p. II). - Siehe auch die anonyme Bespr. von Parmentier/1879.

In der Sitzung vom 3. Juli 1886 wurde von Jules Zeller, Präsident der Académie und des Institut de France, ein Nachruf auf Ranke als auswärtiges Mitglied verlesen, veröffentlicht als: Zeller, Jules: Léopold Ranke. In: Revue internationale de l’enseignement, Bd. 12, Nr. 7, Paris, 15. Juli 1886, 1-15.

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5. Abteilung (II/6.5) VOR DER HISTORISCHEN KOMMISSION BEI DER KGL. BAYERISCHEN AKADEMIE DER WISSENSCHAFTEN, MÜNCHEN Einführung Zwischen ‚Historischer Kommission‘ und ‚Deutscher Akademie‘ (II/6.5.1) Ranke führte als Neunzigjähriger die Entstehung des „Entwurfs zu der akademischen Gesellschaft..., die als Commission bei der bayerischen Akademie der Wissenschaften großes literarisch-historisches Verdienst erworben hat“, auf Gespräche zurück, die er auf Spaziergängen mit Kg. Maximilian II. von Bayern in Berchtesgaden - wohl bereits im Herbst 1854 - gehalten hatte (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 75f.). In seinen Augen sollte die Kommission bei ihrer Gründung „eigentlich [!] der Kern einer historischen Akademie für Deutschland sein“ (an W. v. Giesebrecht, 28. 8. 66, SW 53/54, 470). Wie er im Jahre 1871 in einer Eingabe an Bismarck übereinstimmend schrieb, lag der Kommission schon bei ihrer Stiftung „die Idee einer Akademie für deutsche Geschichte“ zu Grunde (SW 53/54, 696). Rankes Verhältnis zu der von ihm präsidierten Kommission ist bestimmt durch ein in Forschung und Zunft verdrängtes dreizehnjähriges Bemühen, seinen ursprünglichen großen Plan einer Akademie gegenüber einer kleinen Kommissionslösung durchzusetzen. Im Frühjahr 1858, anläßlich eines Besuches Kg. Maximilians in Berlin hatte er dem Monarchen einen Entwurf zur Errichtung einer ‚Akademie für deutsche Geschichte‘ unterbreitet (von Sybel referiert in: Die Historische Commission/1883, 18f.), deren Pläne wohl schon spätestens auf Gedanken während seiner Teilnahme an der Versammlung der Germanisten zu Frankfurt a. M. von 1846 zurückgingen. Dieser Akademie-Entwurf eines in München zu errichtenden großen nationalen Instituts kam jedoch wegen möglicher Konkurrenz mit der dortigen Akademie der Wissenschaften in der geplanten Form nicht zur Ausführung, reduzierte sich vielmehr auf eine überwiegend mediävistisch orientierte Gelehrten-Gesellschaft, welche, mit dem untergeordneten Begriff einer ‚Kommission‘, sogleich der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angegliedert wurde (20. 8. 58). Rankes Grundsatz-Vortrag vor der Kommission am 30. September verschweigt nicht nur seinen Maximilian noch im Frühjahr vorgelegten Plan - wie überhaupt der Begriff einer ‚Akademie für deutsche Geschichte‘ ausgespart bleibt - sondern auch seine das Schicksal der Kommission unmittelbar berührenden weiteren Pläne. Nach dem gescheiterten ersten Versuch unternahm Ranke - sich steigernd - einen weiteren Vorstoß. Zwei Tage vor Abhaltung seiner Rede zur Eröffnung der I. Plenarversammlung der Kommission am 29. Sept. 1859 in München schlug er dem Monarchen in Berchtesgaden nicht nur eine ‚Academie für deutsche Sprache und Schrift‘ vor, was mit Blick auf die ‚Kommission‘ angegangen wäre, sondern wiederum auch eine ‚Academie für deutsche Geschichte‘ (Texte bei v. Müller/1939, 26-30). Mit letzterer beabsichtigte er de facto und wohl auch de iure eine Auflösung der erst im Vorjahr gegründeten Kommission, denn in Punkt 8) des Entwurfs formulierte er unmißverständlich: „Die Academie wird die Arbeiten der bisherigen Commission aufnehmen - 435 -

II/6.5.1 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

und fortsetzen.“ (v. Müller/1939, 27). Doch ließ sich auch diesmal Rankes AkademieGedanke weder in seiner radikalen noch in einer anderen Form bei Maximilian durchsetzen. Es blieb bei der kleineren Lösung, die Ranke indes auch nach erneutem Scheitern keineswegs als endgültig ansah. Denn er gab seine ebenso konstruktiven wie destruktiven Gedanken auch später, während er der Kommission präsidierte, nicht auf. Bereits vom 6. Oktober 1860 datiert ein neuer Satzungsentwurf zu einer Akademie für deutsche Sprache und Schrift unter dem Titel ‚Deutsche Akademie‘, mit dem Ranke ein preußisch-bayerisches Zusammengehen vorschlug, aber eine auffallende Zurückhaltung hinsichtlich der noch zu erweiternden Aufgaben an den Tag legte (v. Müller/1939, 36-38). Ein neuerliches Beisammensein mit Maximilian in Berchtesgaden im Herbst 1861 nutzte er für die Vorlage einer nur geringfügig revidierten Fassung dieses Entwurfs (SW 53/54, 1890, 705-707). Wie er Maximilian mitteilte, hatte er die „große Idee einer deutschen Akademie ... keinen Augenblick aus den Augen verloren“ (21. 4. 62, v. Müller/1939, 53). Ob sein erstaunlich einschränkender Vorschlag anläßlich der Zusammenkunft der Kommission am 27. Sept. 1865, die jährlichen Versammlungen auf einen Dreijahresturnus herunterzudrücken, in einem Zusammenhang mit seinen Plänen stand, soll hier unentschieden bleiben. Ranke mußte Waitz, der diesen gefährlichen, wachstumshemmenden Einfall zurückgewiesen hatte, in einem Brief vom 28. 10. 65 notgedrungen Recht geben (SW 53/54, 468). Jedenfalls ergriff er nach dem Tod Maximilians bei passender Gelegenheit sogleich ein vermeintlich wirksameres, in jedem Fall großartigeres Mittel zur Durchsetzung seiner in München nicht zu verwirklichenden Pläne: Im September des Jahres 1867 unterbreitete er in Wilhelmsthal - man traf sich dort zum Tee mit Großherzogin Sophie, Isabella Gräfin von Paris und Louis Philippe Graf von Paris (s. II, 490) - Ghzg. Karl Alexander von Sachsen-Weimar als Protektor einen ‚Entwurf zu Statuten für eine Deutsche Akademie‘ mit dem Sitz in Weimar, - zu errichten durch die „Fürsten deutscher Nation“ (Erstdr. SW 53/54, 707-711). Zwar konnte er darin der Münchener Kommission ihre mittlerweile hervorragend gegründete Existenz nicht mehr ausdrücklich nehmen, doch er nahm durch die Heranziehung aller nur denkbaren gesamtdeutschen editorischen und darstellerischen Aufgaben, im besonderen der Reichstagsakten-Edition und der ‚Geschichte der Wissenschaften in Deutschland‘, deren Auszehrung in Kauf. Zudem brachte er in seinem Entwurf auch den der Kommission längst vorgetragenen, aber noch nicht in Erscheinung getretenen Plan eines „allgemeinen biographischen Lexikons“ (SW 53/54, 709) in Vorschlag, gedachte nicht minder, die Monumenta Germaniae historica in seine Obhut zu nehmen. Als besonderes Detail hatte er in § 18 als jährlichen Tagungstermin, nicht, wie noch 1861, den Monat April, sondern nunmehr in direkter Konkurrenz zur Historischen Kommission die „zweite Hälfte des September“ festgeschrieben. Auch dieser Plan scheiterte. Doch es schien sich schon wenige Jahre später eine dem nationalen Zweck des Unternehmens noch weitaus besser entsprechende Lösung anzubieten. In einer auf den Enthusiasmus des neuen Reichs berechneten Eingabe an den Reichskanzler vom 6. 6. 71 (Erstdr.: SW 53/54, 696-705) stellte Ranke seinen lange gehegten, alles Bisherige zusammenfassenden Plan einer ‚Akademie für deutsche Geschichte und Sprache‘ vor, wobei er im Interesse einer gewichtigen und dauerhaften thematischen Fundierung den Weimarer Plan von 1867 auffrischte. Dies bedeutete, wie bereits 1867, zwar nicht die nominelle Beendigung der Kommission, welche ohnedies dem bayerischen König vorbehalten gewesen wäre, jedoch wiederum ihre unmittelbare - 436 -

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substanzielle Auszehrung. Für sein Vorgehen konnte Ranke bei diesem seinem letzten Versuch erstmals eine die Interessen der Kommission scheinbar berücksichtigende Begründung liefern, denn es bestanden restriktive finanzielle Auflagen Kg. Ludwigs II., welche ein Ende der Kommission schon für 1879 möglich erscheinen ließen. Wie realistisch die Gefahr war, dürfte sich nur schwer bestimmen lassen. Ob eine Äußerung Franz von Löhers, der allerdings Einblick in die Verhältnisse hatte, in einem Brief an Döllinger das Richtige traf, sei dahingestellt: „Der König [Ludwig II.] in seiner hochherzigen Gesinnung würde sich wahrlich um die 15,000 fl. jährlich nicht kümmern, aber sein Kabinetssekretär, wiederholt persönlich und als Bayer von Ranke und Genossen beleidigt, ist gegen die Kommission...“ (Friedrich: Ignaz von Döllinger III/ 1901, 371). - Jedenfalls wurde die Dotation bereits 1877 um zehn Jahre verlängert und durch die ‚Wittelsbacher Stiftung für Wissenschaft und Kunst‘ auch weiterhin gesichert (Schnabel: Die Historische Kommission/1958, 69f.). Rankes Plan indes scheiterte auch diesmal. Ein - nicht überliefertes - Dedikationsschreiben bei Übersendung seines passend zur Reichsgründung erschienenen Werkes ‚Die deutschen Mächte und der Fürstenbund‘, in dem er seine Pläne angekündigt hatte, wurde von Bismarck sehr zurückhaltend aufgenommen. Dieser strich im Antwort-Entwurf vom 12. 5. 71 eigenhändig alles Entgegenkommende heraus, versprach nicht „Überlegung und Besprechung“, sondern nur „Erwägung“ der Pläne (Erstdr.: Griewank/1952, 301), und Rankes formelle Eingabe vom 6. Juni scheint der Aktenlage zufolge schriftlich überhaupt unbeantwortet geblieben zu sein (Bresslau/1921, 505, hauptsächlich aber Griewank/1952, 302, A. 34), wohl aufgrund ablehnender Gutachten aus der Feder von Johann Gustav Droysen (von Stromeyer/1950, 106, 256, A. 76 aus dem NL Hübner der UB Jena, Nr. 5 benutzt), der um diese Zeit auch seine Mitgliedschaft in der Kommission aufkündigte, und von Maximilian Duncker, der ausdrücklich auf „mögliche Kollisionen“ des „unreifen“ Projekts mit der Historischen Kommission hinwies (Griewank/1952, 302). Der Historischen Kommission wurde so eine Marginalisierung oder Verödung neben der von Ranke geplanten, die Monumenta Germaniae historica mit einbeziehenden Groß-Akademie erspart, die in der Hauptstadt des neuen Reiches domiziliert, gewiß unter der Präsidentschaft ihres gerade passend von der Vorlesungspflicht befreiten Initiators gestanden hätte, eine Position, in ihrer wissenschaftsorganisatorischen Machtfülle ohnegleichen, weit hinausgehend über die Möglichkeiten der Historischen Kommission, die selbst als kleinere Lösung bereits den Verdacht hatte aufkommen lassen, so argwöhnte jedenfalls das Gründungsmitglied Georg Heinrich Pertz bereits 1859, daß Ranke mit ihrer Hilfe die deutsche Geschichtswissenschaft zu beherrschen suche (Postel/1972, 261, A. 253). So hat Ranke als Präsident der Historischen Kommission zumindest eine ambivalente Rolle gespielt: als ihr bedeutendster wissenschaftlicher Förderer und zugleich als ihr größter, freilich nach höheren ruhmvollen Zielen strebender, dabei nicht zum Ziele gekommener innerer Feind.

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II/6.5.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

R e d e n (II/6.5.2) Rankes Reden verdienen über ihre wissenschaftsorganisatorischen Belange hinaus Interesse wegen des alljährlichen Gedenkens der verstorbenen Mitglieder und ihrer Charakterisierung, bieten somit zugleich ungenutzten verdichteten Stoff zur Betrachtung seiner Biographik und historiographiegeschichtlichen Sicht sowie des Eingehens auf die politischen Ereignisse der Jahre 1866, 1870 und 1871. Die folgende Denkschrift wird, da sie von Ranke anläßlich der vorberatenden Versammlung - neben solchen von Pertz und Droysen - vorgetragen wurde, hier auch unter den Reden geführt. Denkschrift über die künftigen Aufgaben der Historischen Kommission bei der Kgl. Bayer. Akademie der Wissenschaften, vorgetragen in deren vorberatender Versammlung, München, 30. 9. 58. Erstdr. u. Text letzter Hd.: HZ 1 (1859), 28-35. - Zweitdr. posthum: SW 51/52 (AuV/NS 1888), 485-491.

Von Ranke in Vorschlag gebrachte Projekte des bedeutenden, richtungweisenden Vortrags über den Nutzen einer „nationalen Verbindung und Genossenschaft wissenschaftlicher Männer“ (486): „Sammlung der Reichstagsakten“ (488), „ein Werk deutscher Annalen“ (ebd.), die „deutsche Historiographie des Mittelalters“ (489), „Geschichte der wissenschaftlichen Studien“ (490), „eine allgemeine Lebensbeschreibung der namhaften Deutschen“ (491), ein „Handbuch germanischer Alterthums-Wissenschaft“ (491). - „Hauptsächlich für die ... Vorschläge: allgemeine Jahrbücher deutscher Geschichte und die Geschichte der Wissenschaften wünschte ich die Theilnahme der Versammlung zu gewinnen.“ (491). - Wie später Sybel in einer Eröffnungsrede zur Versammlung der Historischen Kommission 1890 mitteilte, habe Döllinger 1868 R angeregt, „einen von diesem bereits 1858 gestellten, damals aber als unausführbar zurückgelegten Antrag wieder aufzunehmen, die Herausgabe der Allgemeinen Biographie der Deutschen“ (Sybel/1890 in: Vortrr. u. Abhh./1897, 333). Neben seinem Vortrag stellte Ranke bei der Beratung über eine Revision des von Kg. Maximilian II. erteilten Statuts einen weitreichenden Antrag auf Zusatz: „sie (die Commission) wird außerdem wissenschaftliche Arbeiten, die in diesem Gebiete nothwenig oder ersprießlich erscheinen, hervorzurufen suchen.“ (Die Historische Commission/1883, 22). An der Versammlung (29. 9. - 1. 10. 58) nahmen außer Ranke teil: Droysen, Häusser, C. Hegel, Pertz, Rudhart, Stälin, Spruner, Sybel u. Wegele. Ranke schrieb darüber nach Hause: „In der Conferenz haben wir viel verhandelt. Jedermann scheint mit dem vorläufigen Resultat zufrieden zu sein. Die Diskussionen waren insofern förderlich, als sich wenigstens alle Gelegenheit fand, meine Ideen zu erläutern und näher zu bestimmen. Doch ist alles eben Entwurf, und es wird nun auf die Ausführung ankommen.“ (an CvR, 3. 10. 58, SW 53/54, 398). - „Es waren dieses Mal nur sieben Auswärtige gekommen, aber sehr gute Gesellschaft... Wir waren sehr fleißig“, schrieb Sybel als Sekretär am 21. 10. mit eigenem Schwerpunkt an Zeller, „hielten täglich 2 Sitzungen, und waren auch Abends fast immer zusammen. Ich hatte der Natur der Sache nach an den Geschäften den größten Theil zu besorgen [...]“. (Sybel/Zeller, Briefwechsel/2004, 230f.). Rede zur Eröffnung der I. Plenarversammlung am 29. Sept. 1859 Erstdr. u. Text letzter Hd.: Nachrichten von der historischen Commission bei der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Erstes Stück, München 1859. Beil. zur HZ 2 (1859), 1721. - Zweitdr. posthum: SW 51/52 (1888), 492-495. - Stark abweichender Entw., Or. eighd.: RNL 38 I H fol. 5r-6v. - Siehe auch: [Sybel, Heinrich von]: Plenarsitzung vom 29. Sept. bis 1. October 1859. In: Nachrichten von der historischen Commission ..., Erstes Stück (1859), 14-16.

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II/6.5.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

R würdigt in seiner Rede, mehr oder minder ausführlich, jedoch ohne sie beim Namen zu nennen, die achtzehn Gründungsmitglieder, v. a. Jacob Grimm und Georg Heinrich Pertz. Dem schließen sich Dankesworte an Kg. Maximilian II. an. - Lt. Friduhelm v. R. war „der wichtigste Beschluß der historischen Kommission bei ihrer Tagung 1859 ... wohl der gewesen, den König Max zu bitten, für ein Handbuch deutscher Geschichte einen Preis von 10 000 Gulden, und zwar zunächst für die Bearbeitung des Mittelalters von 5 000 Gulden auszuschreiben.“ (FvR III/1904, 68). Dazu Briefwechsel mit Minister Th. v. Zwehl, ebd. 68f. - Betr. R.s Entwurf zu einer ‚Geschichte der Wissenschaften in Deutschland‘, der Historischen Kommission vorgelegt im Herbst 1859, siehe II, 330 und Sybel an Zeller, 17. 12. 59: (Sybel/Zeller, Briefwechsel/2004, 276). Sybel an Zeller, 8. 2. 60: wiederum über R.s Antrag. Der Marburger Mediziner Wilhelm Roser vermisse „im Ranke’schen Programm die Geschichte der Medizin“ (ebd., 285). Rede zur Eröffnung der II. Plenarversammlung, Sept. 1860 Ungedr. - Von der Eröffnungsrede des Jahres 1860 war den Hgg. von SW 51/52 (1888), Dove u. Wiedemann, zufolge keine Aufzeichnung in R.s Nachlaß vorhanden (ebd. VIII). Sie ist auch später nicht bekanntgeworden. Die ‚Nachrichten von der historischen Commission ..., Zweites Stück. (12 S.) Beil. zur HZ 3 (1860), nach 264, enthalten keinen Bezug auf eine Eröffnungsrede, vielmehr einen Bericht Sybels über von Kg. Maximilian II. geförderte „Historische Preisaufgaben“: Ein „gelehrtes Handbuch deutscher Geschichte“, ein „Handbuch deutscher Alterthümer“, „Lebensbeschreibungen berühmter Deutschen“ (ADB), „Lebensbeschreibungen berühmter oder verdienter Bayern“. Sodann den Plan eines periodischen Werkes „Forschungen zur deutschen Geschichte“. - Die ‚Nachrichten‘ schließen mit einem „Bericht über die Herausgabe der deutschen Rechtssprichwörter“ von Johann Caspar Bluntschli. - Ranke berichtet nach Hause: „Die Geschäfte, sogleich begonnen, erlitten doch eine plötzliche Unterbrechung durch einen Ausflug nach Oberammergau...“ ([Okt. 1860] (SW 53/54, 409. Siehe auch II, 485). Rede zur Eröffnung der III. Plenarversammlung, 4. [?] Okt. 1861 Ungedr. - Auch von der Eröffnungsrede des Jahres 1861 war den Hgg. von SW 51/52 (1888), Dove u. Wiedemann, zufolge keine Aufzeichnung in R.s Nachlaß vorhanden (ebd. VIII). Auch sie ist später nicht bekanntgeworden. Die Rede enthielt u. a. Nachrufe auf Dahlmann, Rudhart und Schlosser (s. SW 51/52, 496). - Veranstaltungsbericht in: Nachrichten von der historischen Commission ..., Bd. 3 (1861). In: Beil. zur HZ 6 (1861), 3f. Kurzes Protokoll von Julius Weizsäcker im NL Häusser (UB Heidelberg, Hs. 1736, Bl. 47), Zitat bei Stromeyer/1950, 77. - Wie R seiner Frau am 10. 10. 61 mitteilte, waren „die Geschäfte ... zuweilen sehr heiß geworden.“ (an CvR, NBrr 408). - R sah im Weggang Sybels von München, der seit 1858 (bis 1862) als Sekretär fungierte, Turbulenzen für die Historische Kommission heraufziehen. Dazu sein Brief an Sybel vom 14. 6. 61 (SW 53/54, 411f.). Rede zur Eröffnung der IV. Plenarversammlung am 4. Okt. 1862 Erstdr. aus R.s Nachlaß: SW 51/52 (1888), 496-500. - Veranstaltungsbericht in: Nachrichten von der historischen Commission ..., Bd. 4 (1863). In: Beil. zur HZ 9 (1863), 3-7.

Die Rede stellt i. w. eine ausführliche Würdigung des 1861 verstorbenen Nicht-Mitglieds Friedrich Carl von Savigny (1779-1861) dar. - Vgl. die Würdigung Savignys von etwa Mitte Juni 1864 (II, 333).

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II/6.5.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

Rede zur Eröffnung der V. Plenarversammlung am 3. Okt. 1863 Erstdr. aus R.s Nachlaß in: SW 51/52 (1888), 501-506. Veranstaltungsbericht in: Nachrichten von der historischen Commission ..., Bd. 5 (1864). In: Beil. zur HZ 10 (1864), 3-9.

Die Rede enthält kurze Nachrufe auf Johann Wilhelm Loebell, Johannes Voigt, einen ausführlichen auf Jacob Grimm, „vielleicht das schönste Stück“ (M[ax]. L[ehmann].: [Bespr. SW 49/50 u. 51/52]/1890, 287). - Knappe, aber lebendige Schilderungen der an der Sitzung beteiligten Kommissionsmitglieder Giesebrecht (1862-1889 Sekretär), Häusser, Carl Hegel, Lappenberg, Stälin, Pertz und Waitz finden sich in R.s Brief an seine Frau Clara [Ende Okt. 1863] (SW 53/54, 425). - Noch während der Sitzungen, am 7. 10. 63, schrieb R an den nicht teilnehmenden Sybel einen ausführlichen Brief, in dem er einige mit der Kommission in Verbindung stehende Berufungs- und Editionsfragen behandelte (SW 53/54, 421-424). Rede zur Eröffnung der VI. Plenarversammlung am 28. Sept. 1864 Erstdr. nach einem von R.s Schüler Julius Ludw. Friedr. W. Weizsäcker, a. o. Mitglied der Kommission, der damals provisorisch die Sekretariatsgeschäfte wahrnahm, eingesandten Ms. in: Augsburger Allgemeine Zeitung, Beil. Nr. 277 u. 278, Augsb., 3. u. 4. 10. 64. - Zweitdr. (Tdr.) in: Die Historische Commission/1883, 40. - Drittdr. (vollst.) posthum in: SW 51/52 (1888), 507516. - Veranstaltungsbericht in: Nachrichten von der historischen Commission ..., Bd. 6 (1865). In: Beil. zur HZ 13 (1865), 3-8.

Die Rede enthält nach Begrüßung der Neumitglieder Georg Ludwig Maurer und Ignaz Döllinger einen ausführlichen Nachruf Rankes auf den Stifter der Kommission, Kg. Maximilian II. v. Bayern. Durch dessen Tod und die ersten Maßnahmen und Nicht-Maßnahmen Kg. Ludwigs II. schien der Fortbestand der Kommission gefährdet oder zumindest eingeschränkt. Darüber besonders Rankes unbeantworteter Brief an Kg. Ludwig II. vom 13. 7. 64 (FvR IV/1904, 218f.) sowie die Briefe an Pfistermeister (ebenfalls 13. 7. 64, NBrr 433), Giesebrecht (20. 7. 64, SW 53/54, 428 u. 18. 3. 65, ebd., 435f.), Waitz (28. 8. 64, ebd. 429) und Sybel (1. 9. 64, ebd. 429f.). - Über den Verlauf der Sitzung und die Vorstellungen Kg. Ludwigs II.: Die Historische Commission/1883, 40f. - Den Erinnerungen Alfred v. Arneths verdankt man eine kurze Schilderung der Sitzungen von Sept. 1864, an denen unter dem Präsidium Rankes Pertz, Waitz, Lappenberg, Staelin, C. Hegel, Maurer, Giesebrecht, Cornelius und andere teilnahmen. Die Art und Weise, wie Ranke präsidierte, genügte nach Arneths Eindruck „selbst bescheidenen Erwartungen kaum ... Allerdings enthielt die sehr lange Rede, mit der er die Sitzung eröffnete, ungemein viel Interessantes, und insbesondere waren die Worte, welche sich auf den Gründer der Commission, den verstorbenen König Max bezogen, tief empfunden und darum auch wahrhaft ergreifend zu nennen. Aber der mir wenigstens schwer verständliche und manierirt erscheinende Vortrag, mit dem er die Rede ablas, beraubte sie für den Hörer eines großen Theiles der günstigen Wirkung, die sie später auf den Leser mit Recht hervorbringen mußte. Eigenthümlicher noch erschien mir die Art, in welcher Ranke bei den oft recht lebhaften Verhandlungen den Vorsitz führte. Manchmal sich eifrig an ihnen betheiligend und sie dann wieder ganz außer Acht lassend, wendete er sich, von einer Art innerer Rastlosigkeit getrieben, welche freilich auch für die Regsamkeit seines geistigen Lebens Zeugniß ablegte, bald hierhin, bald dorthin, oder er stand auch nicht selten plötzlich auf, zog einen Collegen ans Fenster und vertiefte sich mit ihm in ein recht laut und eifrig geführtes Gespräch. Wie arg hiebei manchmal die Verhandlungen selbst aus dem Geleise kamen, läßt sich unschwer errathen.“ (v. Arneth/1892, 235f.). - Die Anträge Rankes und Döllingers zur Gründung der ADB - bereits 1858 von Ranke vorgebracht seien „ziemlich identisch“ gewesen und wurden „mit verschiedenen Modificationen... zu einem Beschlusse erhoben.“ (ebd., 237).

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II/6.5.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

Rede zur Eröffnung der VII. Plenarversammlung am 27. Sept. 1865 Erstdr. aus R.s Nachlaß in: SW 51/52 (1888), 517-521. - Veranstaltungsbericht in: Nachrichten von der historischen Commission ..., Bd. 7 (1866). In: Beil. zur HZ 16 (1866).

Die Rede enthält einen ausführl. Nachruf R.s auf das gleichaltrige Nicht-Mitglied Johann Friedrich Böhmer und einen kurzen auf Wilhelm Junghans. - Über eine von der Historischen Kommission ausgeschriebene Preisaufgabe, die entsprechende Bewerbung Samuel Sugenheims und Stälins Gutachten: R in Brief an Giesebrecht, 7. 11. 65 (SW 53/54, 469). Das Jahr 1866 Im Jahre 1866 wurde aus politischen Gründen schließlich von der Veranstaltung einer Plenarversammlung abgesehen. Dazu wichtig Rankes Brief an Giesebrecht als Sekretär der Kommission, 28. 8. 66 (SW 53/54, 470) und an seinen Bruder Heinrich, 18. 10. 66 (NBrr 463-467), in dem er erklärte: „Eigentlich ist es gegen meine Idee, daß die Historische Kommission in München diesmal nicht zusammengetreten ist. Gerade nach den großen Erschütterungen wäre ein Zeugnis, daß das alte Deutschland nicht auseinander gesprengt worden ist, an der Zeit gewesen.“ (463). - Über einige trotz Ausfall der Versammlung fortgeführte Unternehmen R kurz in einem Brief an Giesebrecht, 20. 1. 67 (SW 53/54, 473). Rede zur Eröffnung der VIII. Plenarversammlung am 2. Oct. 1867 Nach Einsichtnahme in das Or.-Ms. nicht mehr genügender Erstdr. aus R.s NL: SW 51/52 (1888), 522-534. - R.s Originalms., im Mittelteil unvollst.: SBB PK, HsAbt., Slg. Darmstaedter (s. II, 193). - Veranstaltungsbericht in: Nachrichten von der historischen Commission .... In: Beil. zur HZ 18 (1867).

R beginnt mit einer Betrachtung der politischen Ereignisse des Jahres 1866. Dem folgen bedeutende Äußerungen über ein in seinem Sinne recht verstandenes, Fremdes nicht ausschließendes „nationales Bewußtsein“ und dessen Beziehungen zur Wissenschaft allgemein und zur Aufgabe der Kommission. - Ausführliche, kontrastierende Nachrufe gelten den Gründungsmitgliedern Johann Martin Lappenberg und Ludwig Häusser. Rede zur Eröffnung der IX. Plenarversammlung am 30. September 1868 Erstdr. unter dem Titel „Johann Friedrich Böhmer. Vortrag am 30. September 1868 in der historischen Commission gehalten von -“. In: HZ 20 (1868), 393-404. - Zweitdr. posthum: SW 51/52 (1888), 535-544. - Veranstaltungsbericht in: Nachrichten von der historischen Commission... In: HZ 20 (1868), 449-454.

Die Rede gilt ausschließlich dem mit R gleichaltrigen Johann Friedrich Böhmer, vornehmlich seiner Jugend, dargestellt in ‚Joh. Friedrich Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften. Durch Johannes Janssen‘, 3 Bde. Freiburg i. Br. 1868. Mit der Darstellung verbindet R das Erleben seiner eigenen Jugendzeit, denn: „die Eindrücke ... teilten wir mehr oder minder Alle“ (535f). - Zu R.s Rede bemerkte später Ludwig Frhr v. Pastor: „Ranke besprach in dem Vortrag das dreibändige Werk Janssens über Böhmer, wobei er das Kunststück ausführte, den Namen des Verfassers auch nicht einmal zu nennen!“ (Briefe von Onno Klopp an Johannes Janssen/1919, 396). In Böhmers Briefen war auch eine für R peinliche Schilderung seines Vorlesungsstils enthalten (s. II, 356). R wird die Mißstimmung der Sitzung nicht verborgen geblieben sein. Am 5. Okt. schrieb er an seine Frau: „Meine Einleitungsrede habe ich bereits gehalten, ohne gerade dafür zu stehen, daß sie vielen Beifall gefunden hätte. Alle sonstigen Geschäfte sind in gutem Gange.“ (NBrr 512).

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II/6.5.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

Rede zur Eröffnung der X. Plenarversammlung am 29. Sept. 1869 Erstdr. in: Beil. z. Allg. Ztg, Nr. 280, München, 7. Okt. 1869, 4321-4323. - Zweitdr.: Forschungen zur Deutschen Geschichte, hg. durch die Historische Kommission ..., Bd. 10, Gött. 1870, 201-207. - Drittdr. posthum: SW 51/52 (1888), 545-553. - Veranstaltungsbericht: HZ 23 (1870), 271-276.

Die Rede enthält einen Rückblick auf die ersten zehn Jahre der Kommission, mit besonderer Beachtung der fortgeschrittenen ‚Jahrbücher der Deutschen Geschichte‘ und des ersten Bandes der ‚Deutschen Reichstagsakten‘, an das sich historische Betrachtungen vornehmlich zu Karl IV. anschließen. Sodann über die anderen Vorhaben der Kommission: ‚Chroniken der deutschen Städte‘, ‚Volkslieder‘, ‚Hanserezesse‘, ‚Wittelsbachische Korrespondenzen‘, ‚Forschungen zur deutschen Geschichte‘, ‚Gesch. d. Wissenschaften in Deutschland‘. - Ranke schließt mit einem Appell zur Inangriffnahme der bereits 1858 (s. o. Denkschr. zur vorberatenden Vers.) zuvor von ihm angeregten „Biographie aller namhaften Deutschen“ (552), welche 1875-1912 zunächst als ‚Allgemeine deutsche Biographie‘ (ADB) erschien. - Zu anfänglichen Problemen sind spätere Briefe Rankes an Liliencron als Redakteur, 13. 5. 72 (NBrr 575f.) und an Giesebrecht als Sekretär der Kommission, 2. 8. 72 (ebd., 581f.) von Interesse. - In Zusammenhang mit der Plenarversammlung von 1869 ist auch der Entwurf zu einem Anschreiben der historischen Commission an König Ludwig II., Anfang Okt. 70 (SW 51/52, 565f.) heranzuziehen. - Zum Thema der Reichstagsakten sind Sybels ‚Worte der Erinnerung an Julius Weizsäcker, gesprochen bei Eröffnung der 30. Plenarversammlung der Historischen Kommission. 1889 (In: Sybel/Vortrr. u. Abhh./1897, 315-320) von Belang. Der auf persönlicher Erinnerung beruhende Nachruf behandelt die Leitung der Reichstagsaktenedition der Historischen Kommission durch Weizsäcker, wozu Ranke eine „sehr bestimmt erteilte Instruktion“ gegeben habe, „bei der Dürftigkeit des Materials im 15. Jahrhundert jeden irgend auffindbaren Zettel einzuheimsen und abzudrucken“ (317) - „Es zeigte sich bald, daß Rankes Besorgnis unbegründet, und statt des Mangels eher Überfülle zu erwarten“ war (ebd.). Rede zur Eröffnung der XI. Plenarversammlung am 1. Okt. 1870 Erstdr. der Rede aus R.s Nachlaß: SW 51/52 (1888), 554-564. - Veranstaltungsbericht: Beil. zur HZ 25 (1871).

Den Wunsch seines Verlegers, C. Geibel, diese Rede zu veröffentlichen (Geibel/1886, 22), wies R ebenso zurück wie den seines Schülers A. Dove für die Zs. ‚Im neuen Reich‘. Siehe dazu Doves Brief an R., 7. 1. 71 (Dove II/1925, 7-10) und Brief R.s an Dove, 19. 1. 71 (Henz/1972, 313f.). - Die Rede enthält Nachrufe auf das Mitglied Wilhelm Wackernagel und die Nicht-Mitglieder Rudolf Köpke und Philipp Jaffé, v. a. jedoch ein in dieser Hinsicht kaum beachtetes Stück unmittelbarer Zeitgeschichtsschreibung Rankes über den aktuellen dt.-franz. Krieg, bei dem die „preußisch-deutschen Waffen und die deutsche Idee“ „unwiderstehlich“ zusammenwirkten (560). R schließt mit einem Rückblick auf die tausend Jahre seit dem Vertrag von Mersen. - Der Vortrag ist von erstrangigem, wiederum minder beachtetem Interesse für die nunmehr differenziertere Anschauung Rankes von der in seinem Erstlingswerk ausgesprochenen Einheit der romanischen u. germanischen Völker. Siehe auch den im Vorfeld der Versammlung geschriebenen aufmunternden Brief Rankes an Giesebrecht vom 23. 8. 70 (SW 53/54, 493f.) und die unbeantwortete gemeinsame Adresse der Kommission an Kg. Ludwig II. von Anfang Okt. 1870, deren Entwurf veröffentlicht ist in SW 51/52, 565f. Rede zur Eröffnung der XII. Plenarversammlung am 27. Sept. 1871 Erstdr. unter dem Titel „Georg Gottfried Gervinus. Rede zur Eröffnung der zwölften Plenarversammlung der historischen Commission gehalten von - “: HZ 27 (1872), 134-146. - Der Druck

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II/6.5.2 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission erfolgte „auf den Wunsch der Versammlung“ (R an MvR, 5. 10. 71, SW 53/54, 501). Zweitdr. posthum: SW 51/52 (1888), 567-577. - Veranstaltungsbericht: HZ 27 (1872), 236-240.

Mit der kritischen Würdigung des in diesem Jahr verstorbenen Nicht-Mitglieds Gervinus verbindet R allgemeine Gedanken zum Verhältnis von „Historie und Politik“ (569571), über historische Gesetze (571) und das „Göttliche in der Geschichte“ (571), um abschließend die im Vorjahr begonnene Betrachtung auf das Jahr 1870 mit Gedanken zum Kaisertum und zum Verhältnis mit Österreich fortzusetzen (576f.). XIII. Plenarversammlung, 7.-10. Okt. 1872 An der XIII. Versammlung nahm Ranke aus gesundheitlichen Gründen nicht teil. Einzelheiten finden sich in seinem Brief an Giesebrecht, 2. 10. 72 (SW 53/54, 504f.), worin auch von laufenden Projekten der Kommission gehandelt wird, und an C. Geibel, 2. 10. 72 (Geibel/1886, 41). Rede zur Eröffnung der XIV. Plenarversammlung am 20. Okt. 1873 Erstdr. als selbst. Schrift u. d. T. „Eine Gedächtnißrede bei Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission gehalten von Leopold von Ranke.“ [Untertitel:] Maurer. Raumer. Liebig. Stälin. 1873. (8 S). - Zweitdr.: HZ 31 (1874), 149-156. - Drittdr. posthum: SW 51/52 (1888), 578-584. - Veranstaltungsbericht: HZ 31 (1874), 235-240.

Über die Veranstaltung auch R an seinen Verleger, 25. 10. 73, v. a. betr. die Beschlüsse zur ADB (Geibel/1886, 55). - Nach den Erinnerungen seines damaligen Amanuensen Paul Bailleu hat R den Vortrag „in wenigen Stunden“ diktiert (B[ailleu]: Leopold v. Ranke/1895, 1). - Außer den Nachrufen auf die genannten Mitglieder Christoph Friedrich von Stälin (ausführlich) und Georg Ludwig von Maurer (dazu Brief R.s an Giesebrecht, 2. 8. 72, NBrr 581f.) sowie die Nicht-Mitglieder Friedrich von Raumer und Justus von Liebig findet sich noch eine kurze Würdigung des R-Schülers und zeitweiligen Maximilian-Vertrauten Wilhelm von Doenniges (1814-1872). - Über eine von R vorgenommene, Fr. v. Raumer betreffende Änderung der ursprünglichen Fassung: Wiedemann XIV/1893, 349. - In einem Brief an E. v. Manteuffel vom 25. 10. 73 äußert sich R über die Versammlung wie folgt: „Unsere Verhandlungen waren sehr gut gegangen; kleine Streitigkeiten, die sich regten, waren vermieden worden; über die Hauptsache hatten wir Beschlüsse gefaßt, von denen ich glaube, daß sie ein gutes Resultat haben werden. Da ist jetzt nichts mehr von Partikularismus; ich glaube sogar, die allgemeine Idee von dem, was für die historische Forschung über deutsche Geschichte notwendig ist, haben wir besser gefaßt, als eben in Berlin geschieht.“ (NBrr 608). - Der Vortrag enthält einleitend wenig beachtete Gedanken über das Verhältnis bzw. Zusammenfallen des „Dienstes im Staate“ mit dem „Dienst in der Literatur und der gelehrten Welt“ (Erstdr., 1f.). - Die XIV. Versammlung war die letzte, der Ranke beiwohnte. Für die XV. Plenarversammlung teilte Ranke in einem Schreiben von Ende Sept. 1874 Giesebrecht sein krankheitsbedingtes Fernbleiben mit. Er war damals willens, „im nächsten Jahre allen Unfällen zu trotzen und dann im achtzigsten Jahre von Ihnen mit Würde Abschied zu nehmen.“ (24. 9. 74, SW 53/54, 514). - Zu dieser oder einer späteren Reise kam es aus Krankheitsgründen jedoch nicht mehr, und Ranke legte in einem Schreiben an Giesebrecht vom 28. 9. 75 den Vorsitz „hiermit förmlich nieder“, zog die Niederlegung jedoch auf Bitten der Kommission später zurück. (FvR IV/1904, 224. Siehe dazu: Die Historische Commission/1883, 58ff.). - Ranke war auch weiterhin - brieflich - einflußnehmend mit der Kommission verbunden, wie u. a. sein Brief an Waitz von Anfang Januar

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II/6.5.3 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

1875 betreffend die „Geschichte der Kriegswissenschaft in Deutschland“ zeigt (SW 53/54, 516). Tatsächlich dachte er selbst als Achtzigjähriger - vergebens - „noch immer daran“, wieder einmal bei einer Versammlung zu erscheinen (an HR, 1. 8. 76, SW 53/54, 524 u. an A. Helferich, 9. 9. 78, SW 53/54, 543). Als Ansprache Rankes aus der Ferne kann 1883 sein ausführliches, beachtenswertes Schreiben an die Kommission aus Anlaß der 25. Wiederkehr des Tages ihrer Stiftung angesehen werden. Es stellt vor allem eine Würdigung Kg. Maximilians II. dar, gefolgt von Gedanken über die nationale Einheit Deutschlands in Verbindung mit der „Mannigfaltigkeit“ seiner „Landschaften“. (Erstdr. des Briefes vom 26. 9. 83 zu R.s Lebzeiten in: Die fünfundzwanzigjährige Jubelfeier/2. 10. 1883, S. 4028; nicht in SW aufgenommen.). Sein vorjähriger Brief an Giesebrecht (26. 9. 82, SW 53/54, 554f.) mit dem Vorschlag eines „resümirenden Berichts“ über die Arbeiten der Kommission führte zu der im Folgenden vorgestellten Denkschrift ‚Die Historische Commission bei der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858-1883‘. Noch in seinem neunzigsten Lebensjahr verfolgte er die Arbeiten „mit lebhafter Aufmerksamkeit“ (an Giesebrecht, 28. 9. 85, SW 53/54, 562f.).

E r g ä n z e n d e H i n w e i s e (II/6.5.3) Ergänzende Hinweise zu den einzelnen in München abgehaltenen Plenarversammlungen zumeist aufgrund offizieller Berichte des Sekretariats der Historischen Kommission - finden sich nahezu regelmäßig in den entsprechenden Monatsnummern zahlreicher Zeitungen und Zeitschriften: u. a. in den Beilagen der ‚Allgemeinen Zeitung‘, in der ‚Zeitschrift für preußische Geschichte und Landeskunde‘, in ‚Im neuen Reich‘, in den Beilagen des ‚Kgl. Preußischen (später Deutschen Reichs- und Kgl. Preußischen) Staats-Anzeigers‘, in den ‚Grenzboten‘, in den ‚Forschungen zur deutschen Geschichte‘, in der ‚Oesterreichischen Wochenschrift‘, im ‚Magazin für die Literatur des Auslandes‘. Nach Blanke (Historiographiegeschichte/1991, 326, A. 1003) „scheinen sich“ die Protokolle der einzelnen Plenarversammlungen „nicht erhalten zu haben; jedenfalls befinden sie sich nicht (mehr) im Münchener Akademiearchiv“. Gleichwohl führt das offizielle Repertorium der Kommission zu den einzelnen Plenarversammlungen jeweils inhaltliche Angaben auf (s. II, 201). Als wichtigste zu Lebzeiten Rankes erschienene Veröffentlichungen zur Geschichte der Kommission können einerseits die seit 1859 auftretenden ‚Nachrichten von der historischen Commission‘, andererseits ein Bericht Sybels und Giesebrechts über die ersten Unternehmungen angesehen werden. In den erstgenannten ‚Nachrichten‘ ist es ein von Sybel verfaßter Bericht über ‚Die vorberathende Versammlung im Herbst 1858‘ (Nachrichten von der historischen Commission bei der Königlich Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Erstes Stück, Mnch. 1859. Beil. zur HZ 2 (1859). Statut der historischen Commission bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften (9-12). Verzeichniß der Mitglieder (13). - [Sybel, Heinrich von]: Plenarsitzung vom 29. September. bis 1. October 1859 (14-16). - Rede des Vorsitzenden Herrn L. Ranke bei Eröffnung der Plenarsitzung am 29. September 1859 (17-21). - Bericht betreffend die Herausgabe einer Sammlung von Chroniken deutscher Städte, der historischen Commission zu München vorgetragen am 2. September 1859 von Prof. [Carl] Hegel (22-30). - Georg Voigt: Entwurf eines Planes zur Herausgabe der deutschen Reichstagsacten und Bericht über die eingeleiteten Arbeiten (31-36). - Vorschläge von Herrn Jakob Grimm (37-42). - Schreiben von Hrn. [Rochus v.] Liliencron an Hrn Prof. [Gustav] Droysen betreffend die Herausgabe einer Sammlung historischer Lieder (43-46). Antrag von Herrn [Johann Martin] Lappenberg auf Herausgabe der deutschen Hanserecesse (4753). - Entwurf zu einer Geschichte der Wissenschaften in Deutschland. Von L. Ranke (54-61).

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II/6.5.3 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission

Auf eine inhaltliche Skizze der genannten Denkschrift kann hier wegen des engen Zusammenhangs mit Rankes Wissenschaftspolitik und den entsprechenden Dokumenten nicht verzichtet werden: Die Historische Commission bei der königlich bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858-1883. Eine Denkschrift, München 1883 (107 S.). I. Die Gründung. Die ersten Unternehmungen. Von Heinrich von Sybel (5-33). (Und in Ders.: Vorträge und Abhandlungen/1897, 336-361). R betr. Sybels HZ; die Herausgabe der dt Reichstagsakten (13), zurückgehend auf R.s Antrag anläßlich der Frankfurter Germanistenversammlung 1846 (s. II, 431). Schon 1836 hatte er Pertz gegenüber eine Sammlung für „wünschenswert“ erklärt, an P., 11. 11. 36, NBrr 229). - R.s Exposé vom 25. 10. 57 (14f., s. II, 328). - R.s Vorschlag zur Errichtung einer Akademie für dt. Geschichte bei Besuch Kg. Maximilians II. in Berlin, Frühjahr 1858 (18f., s. II, 329). - R.s Einfluß auf die Ernennung der ersten Mitglieder, die Statuten u. Arbeitsvorhaben: Ausgabe der ‚Städtechroniken‘, der ‚Jahrbücher des dt. Reiches‘, der ‚Geschichte der Wissenschaften in Deutschland‘, der ADB (21-27). - R.s Ernennung zum Vorsitzenden (Nov. 1858) (28).

II. Die historische Commission und ihre Arbeiten von 1861-1883. Von Wilhelm Giesebrecht (34-78). R.s Rede (Tdr.) zur Eröffnung der Plenarversammlung am 28. Sept. 1864 (vollst. SW 51/52) und Beschlußfassungen. (40). - Würdigung R.s als Vorsitzender durch Giesebrecht (57-60). Annahme des Antrags R.s u. Döllingers zur Bearbeitung der ADB (74).

Beilagen A. Statut der historischen Commission (81-84). - B. Urkunde über die Errichtung einer Wittelsbacher-Stiftung für Wissenschaft u. Kunst (85-87). - C. Ordnung für die Wahlen von Mitgliedern der historischen Commission (88-90). - D. Jubiläumsadressen und ihre Beantwortungen (91-95): Gratulationsschreiben des Lokalausschusses der Historischen Kommission zu R.s 50jährigem Doktorjubiläum (93f.) - Dankschreiben R.s vom 4. 3. 1867 (94f.). - E. Verzeichnisse der Mitglieder der historischen Commission (96-99). - F. Verzeichniß der von der historischen Commission herausgegebenen, veranlaßten und unterstützten Schriften (100106).

* Weiteres wichtiges Quellenmaterial zum Thema ‚Ranke und die Historische Kommission‘ findet sich v. a. bei: v. Müller/1939. Siehe auch die Abt. ‚Denkschriften (II/4.1) und ‚Begegnungen und Gespräche‘ (II/7) sowie im Korrespondentenregister (II/3.4) unter den beteiligten Persönlichkeiten (neben Kg. Maximilian II. v. a. Pfistermeister, Sybel, Giesebrecht, v. Zwehl). Zu den rankespezifischen Archivbeständen der Historischen Kommission siehe II, 201. - Unter der nachrankeschen Literatur sind zunächst Texte von oder über Kommissionsmitglieder heranzuziehen. Dazu zählen v. a.: von Giesebrecht ‚Worte der Erinnerung an König Ludwig II., Leopold v. Ranke und Georg Waitz, gesprochen zur Eröffnung der Plenarversammlung der Historischen Kommission bei der kgl. baier. Akademie der Wissenschaften am 1. Oktober 1886‘ (in: HZ 58/1887, 181-185) und seine ‚Gedächtnisrede auf Leopold von Ranke, gehalten in der öffentlichen Sitzung der k. b. Akademie der Wissenschaften zu München zur Feier ihres einhundert und achtundzwanzigsten Stiftungstages am 28. März 1887‘ (Mnch. 1887). - Von Sybel als Nachfolger Rankes im Amt des Präsidenten sind vor allem folgende Eröffnungsreden zu nennen: ‚Giesebrecht und Döllinger. Eröffnungsrede zur Versammlung der Historischen Kommission 1890 (In: Sybel: Vortrr. u. Abh./1897, 321-335) sowie ‚Worte der Erinnerung an Julius Weizsäcker, gesprochen bei Eröffnung der 30. Plenarversammlung der Historischen Kommission. 1889‘ (ebd., 315-320). Zu Sybels ‚Vorträgen und Abhandlungen‘ hat Conrad Varrentrapp eine gehaltvolle, umfangreiche

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II/6.5.3 Vorträge und Ansprachen - Vor der Historischen Kommission Einleitung verfaßt, in der er u. a. für die wissenschaftsgeschichtlich bes. bedeutenden Münchener Jahre Sybels (1856-1861) u. die Beziehungen zu R Einblick nehmen konnte in die von Dove für seine Rede über R u. Sybel in ihrem Verhältnis zu Kg. Max (1895) benutzten Papiere aus R.s NL (79-105). - Auch in Carl Hegels (1813-1901) ‚Leben und Erinnerungen‘ (Lpz.1900) finden sich Reminiszenzen über Gründung und erste Unternehmungen der Historischen Kommission. Moriz Ritter, der erst 1883 a. o. und 1898 ordentliches Mitglied wurde, schrieb 1909 ‚Über die Gründung, Leistungen und Aufgaben der Historischen Kommission‘ (in: HZ 103/1909), 274301). Details finden sich in der Döllinger-Biographie von J. Friedrich (II/1899, 240f., 245-250, III/1901, 126, 178, 371), in Walter Goetz’ Artikel über ‚Die bayrische Geschichtsforschung im 19. Jahrhundert‘ (1928 u. 1957, 140-147), auch in Hermann Heimpels Aufsatz ‚Über Organisationsformen historischer Forschung in Deutschland‘ (1959, bes. 159-172). - Weitere Einzelheiten sind Veröffentlichungen von Dickerhoff-Fröhlich (1980), von Heinrich Lutz (1986 u. 87), von Blanke (1991, u. a. hinsichtlich des Planes einer Geschichte der Wissenschaften in Deutschland (325-332), von Sing (1996) u. Rudolf Schieffer (2006) zu entnehmen. Von besonderem Wert ist der zum einhundertjährigen Bestehen der Kommission 1958 erschienene Sammelband ‚Die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858-1958‘ ([Hg. v. Franz Schnabel] Gött. 1958). Auch zum 125jährigen und 150jährigen Bestehen erschienen offiziöse Darstellungen: Die Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften 1858-1983 (Mnch./1984) und „... für deutsche Geschichts- und Quellenforschung“. 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Hg. von Lothar Gall (Mnch. 2008). Hier erscheint R als „geistiger Gründervater“ der Kommission v. a. im Beitrag Gall: 150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften (7-57) mit seinen inhaltlichen Planungsanregungen, wie der Edition der „Quellen der zentralen Institutionen des ... ‚Alten Reiches‘, der ADB oder der ‚Geschichte der Wissenschaften in Deutschland‘. Zu Rankes vorgeschlagenem Projekt der ‚Jahrbücher der deutschen Geschichte von den ältesten Zeiten bis jetzt‘ im einzelnen: Rudolf Schieffer: Mittelalterliche Geschichte (59-78). Zu Rankes Vorschlag einer Edition der ‚Deutschen Reichstagsakten‘: Eike Wolgast: Deutsche Reichstagsakten (79-120) und Helmut Neuhaus: Territorial- und Herrschergeschichte als Reichsgeschichte im 16. und 17. Jahrhundert (121-150). Über Rankes Vorschlag einer ADB: Hans Günter Hockerts: Vom nationalen Denkmal zum biographischen Portal. Die Geschichte von ADB und NDB 1858-2008 (229- 269). - Dazu erschien im selben Jahr (2008) eine von Helmut Neuhaus verfaßte Chronik ‚150 Jahre Historische Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften‘, wiederum über R als geistigen Gründervater der Kommission und die von ihm präsidierten Plenarversammlungen (7-35). - Von Neuhaus erschienen im Folgejahr auch Aufsätze über die Kommission allgemein und über das Editionsunternehmen ‚Deutsche Reichstagsakten‘ (Neuhaus/2009).

* Vorträge Rankes vor Kg. Maximilian II. v. Bayern sind, um eine Trennung von den überlieferten Begegnungen und Gesprächen zu vermeiden, in Abt. II/7 aufgeführt.

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6. Abteilung (II/6.6) ANSPRACHEN ZU BESONDEREN PERSÖNLICHEN ANLÄSSEN Dankesreden anläßlich der Feier seines 50jährigen Doktorjubiläums, 20. Febr. 1867 a) auf eine von Rankes Schüler Rudolf Köpke verfaßte und verlesene Adresse, unterzeichnet von 86 ehemaligen Schülern Rankes. Erstdr. in gekürzter „ungefährer“ Fassung bei Köpke/(1867) 1872, 784f. - Zweitdr.: SW 51/52 (1888), 587. - „... und so bilden wir denn Alle gewissermaßen eine große historische Familie, zusammengehalten durch den gemeinsamen Cultus der Wahrhaftigkeit.“ (784f./587).

b) auf die Ansprache des Rektors der Berliner Universität, B. R. K. von Langenbeck. Erstdr. in gekürzter Fassung bei Köpke/(1867) 1872, 785f. - Zweitdr.: SW 51/52 (1888), 587f. Allgemein über seine Berliner Anfänge und das damalige Ringen zweier Parteien, der philosophischen und der historischen.

c) auf die Ansprache des Sekretärs der philos. Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften, M. Haupt. Erstdr. in „ungefährer“ Fassung bei Köpke/(1867) 1872, 786f. - Zweitdr.: SW 51/52 (1888), 588f. - Über seine Leipziger Studienzeit, bes. bei Gottfried Hermann, auch über Thukydides, Herodot, Niebuhr, Luther, Fichte.

d) auf die Ansprache von G. H. Pertz als Vertreter der Historischen Kommission. Erstdr. bei Köpke/(1867) 1872, 787. - Zweitdr.: SW 51/52 (1888), 589. - Über die Historische Kommission und Kg. Maximilian II. v. Bayern.

e) Tischrede nach dem Trinkspruch Friedrich von Raumers. Erstdr. in „ungefährer“ Fassung bei Köpke/(1867) 1872, 789f. - Zweitdr.: SW 51/52 (1888), 590f. - Enthält Reflexionen über das Nationale und Universale in der dt. und ausländischen Historiographie. - Text der Raumerschen Ansprache in: Fr. v. Raumer/1869, II, 241.

Rede anläßlich einer familiären Zusammenkunft beim Tode seines Bruders Ferdinand († 29. März 1876) Zitat und Inhaltsangabe bei OvR/1923, 47/48, 17.

Dankesrede auf die Ansprache des Oberbürgermeisters Max von Forckenbeck anläßlich der Überreichung des Ehrenbürgerbriefes (zunächst in provisorischer Ausstattung) der Stadt Berlin, Berlin, 31. März 1885 Erstdr. u. d. T. ‚Die Rede Leopold von Rankes‘. In: Nationalzeitung, Jg. 38, Nr. 223, 5. Apr. (Sonntag) 1885, 3. - Der Text des Ehrenbürgerbriefs in: Nationalzeitung, Jg. 38, Nr. 216, 31. März 1885, 2, Sp. 1 und 2, unter der Rubrik ‚Berliner Nachrichten‘. - Die Überreichung der endgültigen Pracht-Ausführung erfolgte am 8. 8. 85. Dazu Rankes Tagebucheintrag vom Folgetag (SW 53/43, 653-655).

Dankesrede auf mehrere Gratulationsreden anläßlich der Feier des 90. Geburtstages, 21. Dez. 1885 Erstdr.: Toeche/1886, 20-30. - Zweitdr.: SW 51/52 (1888), 592-598. - Autobiographisch von Bedeutung.

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7. Teil BEGEGNUNGEN UND GESPRÄCHE (II/7)

1. Abteilung (II/7.1) ZUR GESCHICHTE UND SITUATION DER RANKE-BIOGRAPHIK Im Folgenden werden unter Zuhilfenahme zahlreicher bisher von der Ranke-Forschung nicht beachteter oder ausgewerteter Selbstzeugnisse des 19. Jahrhunderts Begegnungen und Gespräche Rankes aufgeführt. Auch dort, wo die Nachrichten nur sehr dürftig sind, sollte der bloße Hinweis auf eine Begegnung gelegentlich Anstoß und Möglichkeit zu weiterer, auch über Ranke selbst hinausgehender Recherche geben. - Neben der Bereitstellung eines biographischen Gerüsts von an sich bereits bezeichnenden Begegnungen mit Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Politik, Kultur und Gesellschaft werden nach Möglichkeit Hinweise auf damit verbundene Äußerungen gegeben, welche für Rankes historische, politische und anderweitige Ansichten von Bedeutung sind und zugleich eine Ergänzung des bereits betrachteten rezeptorischen Verhältnisses der Zeitgenossenschaft zu ihm darbieten. - Dabei zeigt sich: Rankes Leben war aufgrund vielfältiger Reisen und Bekanntschaften, der intensiven Teilnahme am Gesellschaftsleben mehrerer europäischer Länder - selbst im hohen Alter nahm er in Salons und Palais noch regen Anteil am ‚höheren‘ gesellschaftlichen Leben - von einer Lebendigkeit, Buntheit und auch Wirkung, die in weiten Teilen unbekannt geblieben ist. Da treten nicht nur, wie man weiß, Gentz und Metternich, Maximilian II. von Bayern und Friedrich Wilhelm IV. von Preußen auf, unter vielen anderen auch Franz Liszt, Kaiser Dom Pedro II. von Brasilien, Therese von Bacheracht, Kaiserin Eugenie oder die Bildhauerin Hzgn. Cecilie Colonna. Die vorliegende Übersicht, welche die Faktizität der bisherigen Biographik weit übersteigt - gleichwohl war an ‚Vollständigkeit‘ in der Aufführung der Begegnungen auch nicht annähernd zu denken - versteht sich als orientierende Hilfe und als Handreichung für biographische Versuche, welche auch die bisher vernachlässigten mittleren und späteren Jahre einbeziehen können. Dabei sollte man nicht von „der“ Biographie sprechen. Denn Darstellungen dieser Art sind stets mehr oder minder flüchtiger Natur, bestenfalls Meilensteine. Deshalb war auch die traditionelle Absicht Paul Joachimsens, sein mit höheren Graden von Zeitlosigkeit versehenes Werk-Editionsprojekt mit einer Biographie zu krönen, nicht nur gattungsmäßig kurzsichtig. Aufgrund einiger hundert seit der ersten biographiebezogenen Edition Doves bekannt gewordener Stücke der Rankeschen Korrespondenz und einer Vielzahl nachgelassener Aufzeichnungen ist die Ausgangssituation für eine Gesamtbiographie heute zwar erheblich verbessert, dennoch ist noch auf längere Zeit dringend von einem solchen Unternehmen, sofern es wissenschaftlichen Charakter beanspruchen will, abzuraten. Es sind vor allem folgende Gründe, welche dagegensprechen: Zunächst ist es der umfangreiche Nachlaß Rankes, dessen Ordnung noch nicht abgeschlossen ist, sodann die von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angestrebte Gesamtausgabe seines Briefwechsels, die kaum begonnen hat und dereinst einen deutlich vermehrten Bestandsumfang vorlegen wird, letztlich auch die ungenügende Kenntnis des Werkes und der damit verbundenen Literatur, wobei die Kenntnis der Beziehungen zur Zeitgenossenschaft von besonderer Bedeutung ist. Lediglich als Vorläufer biographischer Darstellungen Rankes sind die zu seinen Lebzeiten erschienenen Artikel in Nachschlagewerken, Zeitschriften und Literaturge- 451 -

II/7.1 Begegnungen und Gespräche - Zur Ranke-Biographik

schichten anzusehen, befassen sich diese doch, gelegentlich durch auffallende Ähnlichkeiten miteinander verbunden, neben kurzen Bemerkungen über seinen akademischen Werdegang fast ausschließlich mit der Aufzählung, allenfalls knappen Beurteilung seiner Werke. Die erste hier nachgewiesene Nennung Rankes in einem Nachschlagewerk, zumal einem ausländischen, dem 1831 in Philadelphia erschienenen Band VI der ‚Encyclopedia Americana‘, wäre für einen noch nicht sehr bekannten a. o. Professor höchst ungewöhnlich gewesen, doch war Ranke mit dem Herausgeber und liberalen Abenteurer Franz Lieber seit seiner Frankfurter Oberlehrerzeit bekannt (s. II, 458). 1833 folgte in Leipzig ein wohlunterrichteter, auf Ranke nahestehenden Berliner Kreisen beruhender Artikel des bei Brockhaus erscheinenden ‚Conversations-Lexikons der neuesten Zeit und Literatur‘, der seinen Werdegang vom Oberlehrer zum Zeitschriftenherausgeber nebst den aufgetretenen Problemen recht gut beschrieb. Einige Artikel jedoch verbreiteten, so 1841, Falschmeldungen, der Art, Ranke sei „gegenwärtig als außerordentlicher [!] Professor der Philosophie [!] an der Universität zu Berlin“ tätig (Wolff, Encyclopädie der deutschen Nationalliteratur ..., VI/1841). Auch ein anonymer Beitrag in ‚Männer der Zeit‘, einem ‚Biographischen Lexikon der Gegenwart‘ (1860), ansonsten einigermaßen korrekt, bezeichnet ihn als „ursprünglich Philosoph“ (Sp. 225). So recht bezeichnend war dies wohl nicht, völlig danebengegriffen aber 1854 anonym von der ‚Allgemeinen deutschen Real-Encyklopädie für die gebildeten Stände. Conversations-Lexikon‘ (1854, 561), Mitteilungen über seine angebliche Wahl in das Frankfurter Parlament, denn Ranke stand dieser Einrichtung „sehr mißtrauisch“ gegenüber ([Anonym:] Leopold von Ranke’s Verdienst um Berlin/1885). Ja, er habe, wie kreativ weiter fabuliert wird, der Deputation angehört, „welche dem Erzherzog Johann die Wahl zum Reichsverweser anzeigte“. 1857 übernimmt auch Ernest Grégoire die Fabel der Parlamentszugehörigkeit Rankes und weiß sogar passend, Ranke sei seit 1848 Mitarbeiter der ultra-reaktionären ‚Kreuzzeitung (657). Letzteres dürfte - in gelegentlicher Weise - zutreffen. Gustave Vapereau übernimmt die Parlamentsfabel in seinem 1858 in Paris erscheinenden ‚Dictionnaire universel des contemporains contenant toutes les personnes notables de la France et des pays étrangers‘, und weiß nun seinerseits auszumalen: „il vota le plus souvent avec le parti de M. de Gagern“ (1431). - 1862 folgte, ebenfalls in Paris, ein ausführlicher Artikel in der monumentalen ‚Nouvelle biographie générale‘, die Ranke erneut zum Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung machte, wo er wegen des in seiner ‚HistorischPolitischen Zeitschrift‘ versuchten unpopulären Ausgleichs reaktionärer und liberaler Tendenzen indes keinen großen Einfluß erlangt habe. Auch Alfred Dantès hält noch 1875 in seinem ‚Dictionnaire biographique et bibliographique‘ an dieser Nachricht fest, allerdings schreibt er Rankes untergegangener Zeitschrift nunmehr „un gr. succès“ zu. Überhaupt ist das frühe, wohlwollende französische Interesse an der zeitgenössischen deutschen Geschichtswissenschaft bemerkenswert, später allerdings erlahmt es zumindest an Ranke gänzlich. In Italien war es Angelo De Gubernatis, der in seinem ‚Dizionario biografico degli scrittori contemporanei‘ (1879) eine im Bereich der lexikalischen Literatur ungewöhnlich ausführliche und wohlunterrichtete Darstellung von Leben und Werk gab. Auf länderüberschreitenden aktuellen Informationstransfer weist auch der Ranke-Artikel von Franz Bornmüller in seinem ‚Biographischen Schriftsteller-Lexikon der Gegenwart‘ hin. Er hatte 1882 bei De Gubernatis abgeschrieben. - 452 -

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Was die zu größerer Ausführlichkeit fähige Zeitschriftenliteratur angeht, so schrieb bereits Pascal Duprat 1843 in der Pariser ‚Revue indépendante‘ in unabhängiger und kritischer Manier den - sofern man von Rezensionen absieht - vielleicht ersten rankemonographischen Zeitschriften-Artikel überhaupt, der indes an biographischen Fragen nicht interessiert war. Julian Schmidt machte 1847 in den ‚Grenzboten‘ unter Aufnahme einiger biographischer Momente - u. a. einer Schilderung des Rankeschen Vorlesungsstils - den Versuch, „ein Gesammtbild von seiner literarischen Thätigkeit zu geben“ (402; s. I, 143, 175), das anderweitig zu betrachten ist. Wie er, so war auch Saint-René Taillandier Ranke-Hörer und schrieb, wie er, seinen Beitrag 1854 unter dem Titel ‚Historiens modernes‘/‚Moderne Historiker‘, eine der umfassendsten, auch biographisch informierten Gesamtwürdigungen Rankes in seiner Zeit. Wie sich zeigte, war dann 1857 Ernest Grégoire biographisch nicht uninteressiert, ging jedoch in grundsätzlichen Fragen sehr kritisch vor (s. I, 265f.). Eine bedeutende allgemeine Würdigung aus der Feder von Jules Grenier, 1859, war werkinterpretatorisch ausgerichtet (s. I, 147). Im Jahre 1867, anläßlich seiner ‚Goldenen Hochzeit mit der Wissenschaft‘, des 50jährigen Doktorjubiläums, fand Ranke Eingang in der populären unterhaltenden und illustrierten Presse. Hier wurde größere, lebendige Anschaulichkeit - auch Porträts verlangt und die biographischen Mitteilungen flossen nun reichlicher. Dazu trugen in besonderem Maße Schüler-Artikel in der ‚Gartenlaube‘ ([Giesebrecht?:] Eine goldene Hochzeit mit der Wissenschaft) und in ‚Daheim‘ ([Herbst:] Leopold von Ranke) bei, letzteres eine Skizze, die besonders die Themen ‚Schulpforta‘ und ‚Ranke als akademischer Lehrer‘ behandelte. Zu den beteiligten illustriert unterhaltenden Blättern gehörte ferner ‚Über Land und Meer‘, wo Ranke 1876, wiederum mit Porträt, eine Aufnahme zuteil wurde (Schmidt-Weißenfels). - Eine ausführlichere biographische Skizze findet sich 1885 in einer zu seinem 90. Geburtstag geschickt zusammengestellten Ranke-Anthologie mit dem Titel ‚Lichtstrahlen aus seinen Werken‘. Auch später werden biographische Ansätze nicht selten durch persönliche Bekanntschaft gefördert, wie dies in den 1886 und noch im Folgejahr zahlreich erschienenen nekrologischen Beiträgen, die an anderer Stelle betrachtet werden (I/2.1.10), geschieht. Die bedeutendsten stammen von Sybel, Reumont, Giesebrecht. Der erste Ansatz zu einer Biographie - wenn auch in der knappen Form eines Artikels zur ‚Allgemeinen Deutschen Biographie‘ - ist Alfred Dove zu verdanken (D[ove]: Ranke, Leopold v./1888), mit unerheblichen Zusätzen und Berichtigungen in ADB 55 (1910). Er hatte sich bereits seit 1871 rezensierend und 1875 zu Rankes achtzigstem Geburtstag vernehmen lassen und war durch seine persönliche Kenntnis Rankes, seine Arbeit an den posthumen Abrundungen der ‚Sämmtlichen Werke‘ und der ‚Weltgeschichte‘ wie durch sein darstellerisches Vermögen zu dieser Zeit wohl der Berufenste, der Aufgabe einer - hier zwangsläufig räumlich stark eingeschränkten Biographie zu genügen. Dabei stützte er sich erstmals auf die in Rankes Nachlaß befindlichen Autobiographica und Briefe. Ihre baldige Veröffentlichung (SW 53/54, 1890) hob den für kurze Zeit bedeutenden diesbezüglichen Informationswert der Skizze im einzelnen praktisch auf. Sie behält einen gewissen Wert durch nicht in jedem Fall eindeutig festzumachende Erinnerungsmomente Doves und die im Hinblick auf die Nähe des Verfassers und Ranke-Schülers überraschende, in der überwiegend positiven Würdigung immer wieder aufblitzende nicht unerhebliche Kritik (z. B.: „Die Absicht seiner Werke ist recht eigentlich Wiedergabe der nie verlorenen, nur verborgenen oder - 453 -

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getrübten Kunde, die es lediglich hervorzuholen und zu reinigen gilt.“ (159). Trotz der bedeutenden Qualifikation ihres Verfassers fehlt der Skizze allerdings weitgehend eine historiographie- und geistesgeschichtliche Perspektive. Alle folgenden biographischen Unternehmungen bis zum heutigen Tag beruhen in erster Linie auf den von Dove herausgegebenen Materialien: Briefen, autobiographischen Diktaten und Tagebuchblättern, zunächst ausschließlich: so 1888 die Darstellung von Ludwig Salomon in ‚Westermanns illustrierten deutschen Monats-Heften‘, eine allgemeine, verhältnismäßig gutfundierte, aber allzu distanzlose und zu Übertreibungen neigende Darstellung von Leben und Werk, mit einiger Ausführlichkeit über Rankes gerade erschienene politische Denkschriften und seine ‚Weltgeschichte‘. Nahezu gleichzeitig werden in den USA nekrologische Artikel für Historische Gesellschaften verfaßt, die sich der Mitgliedschaft Rankes hatten erfreuen können. Neben einer für die ‚Rhode Island Historical Society‘ verfaßten Darstellung (Lincoln/1889) war vermutlich eine biographische Skizze und Gesamtwürdigung aus der Feder von Herbert B. Adams für die Verbreitung des Rankeschen Namens in den USA von Bedeutung, doch wohl mit allzu viel Wärme geschrieben, was zu einigen völlig sagenhaften Details führte (u. a. Ranke als „a personal friend of ... Hegel ... Goethe“, Adams/1888, 118). - Henry Simonsfeld machte 1889 vor dem Münchener Volksbildungsverein den lobenswerten Versuch, über das Lebensganze hin äußeres und inneres Leben in Verbindung zu betrachten. Alles lehnt sich an die leicht erreichbaren, und was zu bedenken ist, von Ranke selbst gestalteten diaristischen, autobiographischen und epistolographischen Hauptquellen der ‚Sämmtlichen Werke‘ an, so auch eine dem „Thucidides [sic] der Deutschen“ gewidmete biographische Skizze von Hugo Landwehr (1891, 398), oder das dem „Altmeister deutscher Geschichtsforschung“ geltende ‚Lebensbild‘ von der Hand eines Hanns von Zobeltitz (1892, 215). - Ausdrücklich von ‚Leben und Wirken‘ Rankes sprach dann in enger Quellenanlehnung 1892 noch Friedrich von Keußler, Professor in Jena, vor dem ‚Evangelischen Verein im Saale der St. Petrischule zu St. Petersburg‘, dessen schlichte Darstellung immerhin eine Besprechung von Kurt Breysig hervorrief (Br[ey]s[i]g, K[urt]/1893). 1893 legte Eugen Guglia (1857-1919), Schüler des Ranke-Schülers Max Büdinger und Professor für Geschichte und deutsche Literatur am Theresianum in Wien (s. ÖBL 1815-1950, Bd. 2, Lfg. 7, 1958, 105f.) die erste von dreien je in Buchform erschienenen Biographien Rankes vor, gemessen an der damaligen Quellenlage kenntnisreich und von vielfältiger Perspektive. Wenn auch von mangelnder Distanz, so ist sie doch als flüssige, äußeres und inneres, individuelles und allgemeines Leben in dieser Ausführlichkeit nirgends sonst so umfassende Darstellung noch weiterhin - kritisch lesenswert. Zwar befaßte sich Guglia auch mit den biographisch unverzichtbaren „ersten Bildungsquellen“ (5-25) Rankes, berührte jedoch, wie Dove, „das Verhältnis zu seinen Vorgängern und die Wirkung, die er auf die Mitwelt übte ... nur nebenbei.“ (3). Davon kann auch bei der 1921 erschienenen Biographie Hans Ferdinand Helmolts kaum die Rede sein, doch sie benutzte weiteres, nach Guglias Werk zu Tage getretenes, auch selbständig ans Licht gebrachtes Quellenmaterial, vorwiegend Briefwechsel (s. Abt. Briefwechsel), sowie die für Rankes spätere Jahre besonders aussagekräftigen Erinnerungen seines Amanuensen Theodor Wiedemann (1891-1893), und war durch ausgebreitete bibliographische Recherchen gut fundiert. Doch die Freude des verdienstvollen, langjährigen Ranke-Forschers am zahlreich selbstgefundenen Detail aus beachtlicher Literaturkenntnis und die allzu große Verehrung des Meisters hinderten ihn v. a., - 454 -

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die aus seiner Bibliographie (1910) ausgebreiteten Einzelkenntnisse auf eine Erkenntnis der Wesenszüge der Persönlichkeit und der sie berührenden geistesgeschichtlichen Zusammenhänge hin in ausreichendem Maße fruchtbar zu machen. So lässt sich bei ihm auch ein gewisser Hang zum Äußerlich-Anekdotischen nicht übersehen. Der noch bestehende, mehr praktische Wert dieser aufs Ganze gesehen immer noch erheblich zu früh geschriebenen Biographie liegt denn auch in zahlreichen Einzelinformationen aller Art, wobei der bisweilen saloppe Umgangston mit „unserm Leopold“ wenig anziehend wirkt. Hier wurde nicht eigentlich ein biographisches Monument errichtet, eher eine Fundgrube der Forschung ausgehoben und mit Einzelstücken angefüllt. Die eingefügten erstmals veröffentlichten Ranke-Briefe (s. II, 274) sind nicht durchweg in die Fuchs’sche ‚Briefwerk‘-Ausgabe aufgenommen, ein Grund mehr, das Werk noch heranzuziehen. Stark pointiert läßt sich sagen: Guglias Werk stellt eine Synthese vor der Forschung dar, wohingegen Helmolts Biographie Forschung ohne Synthese bietet. Guglia selbst bezeichnete sein Werk im Angesicht der von Helmolt erarbeiteten Bibliographie bereits 1911 in übertriebener Bescheidenheit als „veraltet“ (s. Guglia/Bespr. Diether 1911). Zu erwähnen im biographischen Zusammenhang sind auch die zumindest thematisch pionierhaften Arbeiten von Ottokar Lorenz (1891) und Wahan Nalbandian (1901). Lorenz ist Verfasser des ersten den historischen und historisch-politischen Anschauungen Rankes gewidmeten Werkes größeren Umfangs. In ihm wird auch Rankes „geistige Entwicklung“ (3-21) betrachtet. (Die Geschichtswissenschaft in Hauptrichtungen und Aufgaben, kritisch erörtert. Zweiter Theil: Leopold von Ranke. Die Generationenlehre und der Geschichtsunterricht/1891), und dies bezeichnet fürderhin den juvenilen Schwerpunkt aller Ranke-Biographik. - Nalbandians Arbeit über ‚Leopold von Rankes Bildungsjahre und Geschichtsauffassung‘ (1901), die erste den Namen Rankes im Titel tragende Dissertation, in Leipzig angeregt von Karl Lamprecht, befaßt sich vornehmlich mit des „Meisters“ Entwicklung vom Elternhaus bis in die mittleren Jahre (1-42), wobei bereits das Verhältnis zu Fichte besondere Beachtung findet und einige für Rankes Geschichtsanschauung grundsätzliche Fragen aufgeworfen werden (s. I, 443). - Kurt Borries hingegen vermag 1927 schon Nutzen aus Rankes nunmehr öffentlich archiviertem Nachlaß zu ziehen und reduziert den ‚Werdegang Rankes bis zum Antritt seiner Berliner Professur‘ auf eine Untersuchung der Bedeutung der großen Bildungsmächte ‚Rationalismus‘, ‚Idealismus‘, ‚Klassik‘ und ‚Romantik‘ für die Entstehung seiner Weltanschauung anhand einer Interpretation des sogenannten ‚Lutherfragments‘, seiner ebenfalls von E. Schweitzer herausgegebenen Schulrede von 1818 und der beiden Schulreden von 1821 u. 1824, die Borries kurze Zeit nach diesem Aufsatz edierte (Borries: Vom Werdegang Rankes bis zum Antritt seiner Berliner Professur. (1927). - Friedrich Baethgen (Zur geistigen Entwicklungsgeschichte Rankes in seiner Frühzeit/1951) bietet einige kurze, von Rankes sogenanntem ‚Lutherfragment‘ ausgehende Beobachtungen zu den verschiedenen Fassungen der Frühwerke (GRGV, FuV I, SerbRev, HPZ). Eine dritte als selbständige Schrift erschienene Lebensdarstellung Rankes hat im Jahre 2003 die Medizinerin Ingrid Hecht veröffentlicht. Sie verband damit die Absicht, Ranke auch „außerhalb der Studierstuben wieder oder erstmalig bekannt zu machen.“ Außer einigen der üblichen Quellen und Literatur (SW 53/54, Helmolt, R.-Biogr., Brw u. NBrr; Guglia scheint der Vf.n nicht bekannt zu sein), wurden unveröffentlichte Briefe Clarissa von Rankes aus dem Ranke-Archiv Wiehe herangezogen. - 455 -

II/7.1 Begegnungen und Gespräche - Zur Ranke-Biographik

In den zahlreichen Lexikon- und Handbuchartikeln, auch in den überreich zu besonderen Anlässen - vom 100. bis zum 200. Geburtstag - erschienenen Memorial-Beiträgen zu Zeitschriften und Sammelbänden, wobei der würdige Anlaß die kritische Distanz nicht eben förderte, finden sich fast ausnahmslos biographische Elemente, doch liegt das Verdienst dieser Arbeiten natürlich überwiegend in ihrem ‚würdigenden‘ Charakter. Bemerkenswert darunter sind die Artikel zumeist bedeutender Historiker: Friedrich Meinecke (1936, 1942), Franz Schnabel (1936), Theodor Heuss (1936, 1947/1980), Hermann Oncken (1942), Willy Andreas (1945), Carl Hinrichs (1956, 1964, [1968]), Karl Kupisch (1961, 1967), Kaspar Elm (1996), Ulrich Muhlack (1999, 2003, 2006), Paul Egon Hübinger (2004/2008), Rudolf Vierhaus (2005), Ernst Schulin (2006). Auch sie sind zweckmäßiger im Zusammenhang mit Rankes Geschichtsauffassung zu betrachten. Dissertationen, wie die von Friedrich (1933) und Vierhaus (1957), haben sich in der Folge Nalbandians seinen geistigen, sodann auch sozialen Voraussetzungen, seiner Herkunft also und seinen ‚Bildungsjahren‘, als Einstieg oder als ‚Hintergrund‘ der eigentlichen Darstellung zugewandt. Überhaupt ist das biographische Interesse aus verständlichen Gründen, jedoch mit ausgeprägter Einseitigkeit, auf die ‚Bildungsjahre‘ ausgerichtet. Von Laues bekannte Arbeit über Rankes Bildungsjahre (The formative years/1950), verdienstvoll, in schwieriger Zeit Ranke in der englischsprachigen Welt lebendig erhalten bzw. eingeführt zu haben, leidet an Oberflächlichkeit und ist durch neuere Quellenveröffentlichungen weitgehend als überholt anzusehen. - Es geschieht auch, daß eine solche Arbeit entgegen ihrer Titelgebung (Santi di Bella: Leopold von Ranke. Gli anni della formazione, 2005) die frühen Bildungsjahre und -elemente weitgehend ausspart. Einige biographisch-bildungsgeschichtliche Elemente enthält ferner der umfangreiche Aufsatz von Alfred Dünisch über ‚Leopold von Ranke. Der Klassiker - seine Zeit - seine Wirkung‘ (1989). Bemerkenswert ist der Beitrag des RankeForschers Walther Peter Fuchs, ‚Der junge Ranke‘ (1973), auch durch die im Alter gewonnene „Vorsicht und Bescheidenheit“ seiner Feststellungen. Doch gilt noch: „Eine wissenschaftliche Biographie fehlt bisher. Grundlagen dafür hat neben Fuchs Günter Johannes Henz [1968] erarbeitet“ (Weber: Priester der Klio/1984, 448, A. 90). „Henz’s study provides a needed corrective to conventional conceptions of the serene and ‚organic‘ evolution of Ranke’s convictions, a view that characterized not only older biographies...“ (Toews/2004, 394, A. 48). Die Arbeiten von Fuchs und Henz beruhten aufgrund editorischer Erfahrungen erstmals auf umfangreichen nachgelassenen Aufzeichnungen aus Rankes frühester Zeit. Für die späteren Jahre fehlen Arbeiten dieser quellenbezogenen Art völlig.

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2. Abteilung: (II/7.2) BEGEGNUNGEN UND GESPRÄCHE In Auswahl Übersicht S chu lze it in Pfor ta 1809-1814 Unter seinen Lehrern v. a. der Theologe Christian Gottlieb John und die Philologen Carl David Ilgen, Karl Gottlob Ferdinand Wieck (zu dem noch Kontakt in den Zeiten der GRGV/ZKRITIK bestand) und Adolph Gottlob Lange. Dazu. Henz/1968, 150-228.

Gespräche mit Georg August von Breitenbauch (1731-1817) der in Laucha, auf halbem Wege zwischen Wiehe und Pforta wohnend R früh kennengelernt und eingeladen hatte. B. „...der sich mit Geschichte eifrig beschäftigte und Pläne von Rom und Athen, in erhabener Darstellung ausgeführt, in seinem Hause aufgestellt hatte ... ermunterte ihn durch Ratschläge und Beispiel zum Studium derselben“ (GStA PK NL FR 9a ‚Zu Leop. Biogr.‘, Teil I, fol. 16.) „... und strebte ihn für geschichtliche Forschung zu gewinnen.“ (ebd., Teil II, L. 1). Dazu Henz/1968, 169. - Über Breitenbauch: Burkhardt: Breitenbauch, Georg August von. In: ADB 3/1876, 290).

Stud ien zeit in Leip zig 1814-1817 Studium bei den Philologen Gottfried Hermann und Christian Daniel Beck, den Philosophen Ernst Platner und Wilhelm Traugott Krug, dem Theologen Dittmann, dem Theologen und Kirchenhistoriker Heinrich Gottlieb Tzschirner, dem Historiker Ernst Carl Wieland (dazu SW 53/54, 27f., 30, 59f. sowie R an die Phil. Fak d. Univ. Lpz., 24., 2. 1867, NBrr 476).

Gespräche mit Gustav Adolf Harald Stenzel (1792-1854), 1814/1815, bei dem er während seiner Leipziger Studienzeit „die erste Sammlung der Scriptores gesehen und auf seiner Stube ein Stück davon zu lesen begonnen“ habe, „unter seiner Anweisung“ (SW 53/54, 649). Das ist erstaunlich, denn die ersten Scriptores-Bände erschienen erst 1826 und 1829. - (Weitere Begegnungen v. a. 1819, 1835, 1838, 1851).

Gespräche mit dem Theologen und Lyriker Gotthard Christian August Thieme (1780-1860) (ein Verwandter R.s), Sept. 1817 in Ilmenau. Darüber R in Brief an seine Tochter Maximiliane, 9. 9. 79 (NBrr 679f.).

Umgang mit seinen Kollegen am Frankfurter Friedrichs-Gymnasium 1817-25 Ernst Poppo (1794-1866), Friedrich Schmeißer, Friedrich Ferdinand Appel, Anton Richter, Ferdinand Heydler (1793-1859), Carl Theodor Stange, Eduard Dürre (er war allerdings an der Wagnerschen Privatschule tätig). Siehe die im Korrespondentenregister verzeichnete geringe Korrespondenz sowie SW 53/54, 35.

F rankfur ter Ob er leh rer ze it 1818-1825 Teilnahme am Frankfurter Gesellschaftsleben Zum 4. 8. 52 notiert Varnhagen v. Ense in sein Tagebuch über Frankfurt an der Oder und seine „Gesellschaftsblüthe“ nach den Befreiungskriegen: „Die zwei großen gastlichen Häuser des Präsidenten von der Reck und des Präsidenten von Wißmann, die schönen und hochgebildeten

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht Frauen derselben, dazu die Generalin von Zielinski (jetzige Frau von Treskow) und noch andre schöne Frauen, sehr ausgezeichnete Generale und angenehme Offiziere, Justizrath [Karl Ludwig] Bardeleben als Bürgermeister, Ranke als Lehrer, ab und zu die schöne Welt aus Berlin und aus der Umgegend; es war ein einziger Kreis, von verschiedenen Bestandtheilen, die aber alle auf einer gewissen Höhe waren, und gut zusammenstimmten ...“ (Tagebücher von K. A. Varnhagen von Ense IX/1868, 319). - Dabei gab Ranke seit November 1824 auch Geschichtsstunden für „einige junge Damen“, Frankfurt/O. Erwähnt in Brief an HR, 17. 2. 25 (SW 53/54, 141). Darunter die junge Witwe Wilhelmine (Minna) von Zielinski, ab 1836 von Treskow (17991875), mit der er auch später in Berlin noch Kontakt hatte.

1819 Gespräch mit Friedrich Ludwig Jahn (1778-1852) Von R referiert in Brief an Unbekannt (Empfänger strittig), 4. 8. 19 (SW 53/54, 79-81. Siehe auch ebd., 36 u. 47).

Gespräch mit Johann Wilhelm Süvern (1775-1829) in Berlin, 25. 9. 19, betr. die „Sorge für die Frankfurter Alterthümer“. Kurzer Hinweis in Brief R.s an HR ([25. 9. 19] SW 53/54, 82).

Erneut Gespräche mit Gustav Adolf Harald Stenzel in Berlin, 25. 9. 19. Darüber in Brief an HR [25. 9. 19] SW 53/54, 82: „Drauf hab’ ich mit Stenzeln die Stadt durchwandert, viel von ihm gelernt ... Er hat eine gute Kenntniß des Mittelalters und ausgezeichnete von der neueren Zeit, wie ich sie auch wünschte zu haben.“

Begegnung mit Heinrich Gustav Flörke (1764-1835) Rostock, 30. 9. 1819. Kurze Charakteristik Flörkes in Brief an HR, 30. 9. [1819] (SW 53/54, 83f.).

Begegnung mit Hermann Baier (1775-1822) im Okt. 1819 in Altenkirchen auf Rügen Begegnung mit Pastor Baier. „Du Herzfreund“, R an Baier, 3. 3. 20, SW 53/54, 86. Siehe auch: an dens., 18. 3. 20, (NBrr 10-12) u. dessen Frau Alwine, eine Tochter Ludwig Gotthard Kosegartens. Dazu Kantzenbach/1971, 68f.

1820 Begegnung mit Franz Lieber (1800-1872) in Frankfurt/O., Sept./Okt. 1820. Erwähnt in Brief an HR, [Anf. Okt. 20], SW 53/54, 94. - Lieber hörte WS 1825/26 R.s Vorl. über ‚Allgemeine Weltgeschichte, erste Hälfte bis auf den Untergang der Hohenstaufen‘ (R an HR, 3. u. 23. 11. 25, SW 53/54, 151).

1824 Gespräch mit dem Verleger Georg Andreas Reimer (1776-1842) über sein Erstlingswerk, Bln., 2. oder 3. 8. 24. Darüber in Brief vom 8. 10. 24 an HR (SW 53/54, 134).

Gespräch mit Friedrich von Raumer (1781-1873) Berlin, am 3. 8. 24. Darüber in Brief vom 8. 10. 24 an HR (SW 53/54, 134).

Gespräche mit Carl August Varnhagen von Ense (1785-1858) Berlin, 2. 9. 24. Nachweis: R an Varnhagen vom selben Tage bei Wiedemann, R. u. V. vor R.s ital. Reise (1896), 197.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

E rs te Ber line r Jahr e 1825-1827 Begegnungen mit Leopold von Gerlach (1790-1861) 1825/1826. - R wohnt in Berlin ‚Hinter der Katholischen Kirche‘, Nr. 2 in unmittelbarer Nachbarschaft von Leopold von Gerlach (Helmolt/1921, 29), bzw. übernimmt dessen Wohnung (Ernst Ludwig von Gerlach: Aufzeichnungen I/1903, 204).

Umgang mit Berliner Kollegen, im besonderen mit Heinrich Ritter (1791-1869) Friedrich Schleiermacher und „unseren Freund“ Karl Gottlob Zumpt, später auch Karl Lachmann, läßt er in Briefen an Heinrich Ritter, Wien, 30. 4. 28; 20. 8. 28; 29. 3. 30 (SW 53/54, 201, 208, 232) grüßen. - Eine Schilderung des „herrlichen Todes“ Schleiermachers findet sich in einem Brief an Heinrich Ritter vom 21. 2. 34 (SW 53/54, 265f.), eine nekrologische Würdigung in der von Waitz gefertigten Nschr. der Vorl. R.s vom WS 1833/34 (s. II, 386.). Die Bekanntschaft mit August Neander ist erwähnt in Brief an HR, 12. 5. 25 (SW 53/54, 145), und mit dem Geographen Ritter steht er „gut“, erwähnt in Brief an HR, 25. 8. 27 (SW 53/54, 169). Die Berliner Kollegen, bes. Friedrich von Raumer, sind erwähnt in Brief an dessen Bruder Karl von Raumer, 12. 7. 25 (SW 53/54, 148). Aus diesem Brief wird auch die von Ranke so empfundene „völlige Isolirung hiesiger Lehrer“ sichtbar. - Die Beziehungen zu Savigny haben sich in den Zeiten der HPZ besonders eng gestaltet (s. unter 1831).

Umgang mit Karl August Varnhagen v. Ense Eine lobende Charakteristik seines „vorzüglichsten und besten Bekannten“ (an HR., 11. 7. 25), die R aufgrund eines zu Zeiten der HPZ sich entwickelnden Zerwürfnisses später nicht aufrechterhalten hat.

Begegnung mit Friedrich Christoph Perthes (1772-1843) R hatte Perthes im September 1825, nach vorangegangener Korrespondenz, bei Quellenarbeiten in der Gothaer Bibliothek und auf einer gemeinsamen Reise durch den Thüringer Wald näher kennengelernt (R an FR, 19. 9. 25, NBrr 72). Siehe dazu auch FuV, SerbRev und HPZ in II/1.1.

Begegnung mit Gotthilf Heinrich von Schubert (1780-1860), in den ersten Oktobertagen 1825 in Erlangen. - Schilderung bei G. H. v. Schubert III, 2. Abt./1856, 603f. Darüber auch: Bonwetsch/1918, 413f. - Spätere Begegnungen sind aus SW 53/54 (Reg.) ersichtlich.

Weihnachten 1825 Feier mit seinen ehemaligen Frankfurter Kollegen Heydler, Stange, Appel geschildert in Brief an HR, [Jan./Febr. 26] (SW 53/54, 152f.).

1826/1827 Gespräch mit Alexander von Humboldt (1769-1859) Berlin, Ende 1826, betr. R.s geplante, damals noch nicht zustande kommende Archiv-Reise nach Paris. Skizziert in Briefen R.s an G. H. v. Schubert, 13. 12. 26 (NBrr, 93) und an HR, [Febr. 1827] (SW 53/54, 163).

Gespräche mit Karl August Varnhagen v. Ense 1826/27 Tgb. Varnhagens zum 8. 8. 26: „Herr Prof. Ranke erklärt die portugiesische Konstitution für ein schlechtes Machwerk, voll Unzusammenhang und Widerspruch, und findet die Handlung des Kaisers Pedro, welcher jene Verfassung einem Volke, das er gleichsam entläßt, noch zu guter Letzt aufdringt, einen Akt der Tyrannei. Diese Meinung ist wenigstens aus ihm selbst, ohne allen

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht Bezug auf Partheiansichten. Dagegen sagen Andre, an der portugiesischen Konstitution sei nur das schlecht, was sie europäischer als die brasilianische mache, der Adel, die erblichen Pairs, das entschiedene Veto u. s. w.“ (Varnhagen: Bll. aus der preuß. Gesch., IV/1869, 97). - Zum 15. 10. 26: „Herr Prof. Ranke tadelt auch die Eröffnungsrede des Kongresses von Panama sehr bitter. ‚Er ist noch jung!‘“ (124). - 14. 1. 27: „Ueber das Recht des Kaisers von Brasilien, dem Königreiche Portugal vor der Entsagung und als Bedingung derselben eine Konstitution zu geben, wird hier viel gestritten. Herr Prof. Ranke findet jetzt jenes Recht gültig, und die Sache der Liberalen, meint er, trete zum erstenmal vereint mit der Legitimität auf. Ihm wird widersprochen [...] (173). - 28. 5. 27: „Gestern bei uns die Fürstin von Carolath, Fürst Kosloffsky, General von Pfuel, Prof. Ranke, Prof. [August Wilhelm] von Schlegel; sehr belebtes, freies Gespräch, besonders über Hof und Hofleben, über welche | besonders Kosloffsky die beißendsten Dinge sagte.“ (240f.). - 12. 7. 27: „Gestern war Frau von Crayen, A. W. von Schlegel, der Major und der Lieutenant von Willisen, und Prof. Ranke bei uns. Letzterer behauptete, vor der französischen Revolution sei mehr Freiheit in derWelt gewesen, als seitdem; er wurde stark bestritten.“ (260). - 30. 7. 27: „Am 27. Herr Alexander von Humboldt und Herr Prof. Ranke nebst seinem Bruder [Wilhelm] bei uns. Ranke wird in historischen Absichten nach Wien reisen; Herr [Karl] von Kamptz verspricht Empfehlungen an Metternich und Gentz, und Geldunterstützung von Seiten des Ministeriums [der geistl., Unterrichts- und Medicinalangelegenheiten], ihn freut besonders, daß die Reise nach Wien geht; Ranke zöge | Paris für seine Zwecke vor [s. v. Hase/1978], aber zu diesem Ort hat Herr von Kamptz kein Herz.“ (272f.). - 6. 8. 27: „Herr [Alexander] von Humboldt, Herr [Johann Friedrich] Ancillon und der Geograph [Karl] Ritter haben bei einem neulichen Besuche in Potsdam beim Kronprinzen [dem späteren Kg. Friedr. Wilh. IV.] diesem eifrigst Ranke’s neuestes Buch [FuV] empfohlen. (274f.). - 2. 9. 27, in München: „Mit [Franz von] Baader bei Ministerialrath [Eduard] von Schenk, dem Vorstand alles Unterrichtswesens hieselbst, einen Besuch gemacht [...] | Wir tadelten [R.s Berliner Kollegen Friedrich v.] Raumern, lobten Ranke [...]“ (296f.).

Weihnachten 1826 in Berlin zus. mit Caroline Beer. Schilderung in Brief an HR, [Febr. 1827], SW 53/54, 165.

Gespräch mit Friedrich Förster (1791-1868) über dessen (geplantes) Werk ‚Albrechts von Wallenstein, des Herzogs von Friedland und Mecklenburg, ungedruckte, eigenhändige vertrauliche Briefe und amtliche Schreiben aus den Jahren 1627 bis 1634 an Arnheim (v. Arnimb), Aldringer, Gallas, Piccolomini und andere Fürsten und Feldherrn: Mit einer Charakteristik des Lebens und der Feldzüge Wallenstein’s‘, 3 Teile, Bln. 1828/29. - Jedenfalls vor R.s Antritt der Italien-Reise, Okt. 1827. Vgl. seinen Brief an Gentz vom 26. 9. 30 bei P. Wittichen/1904, 87. Siehe auch II, 82f., WALL.

Bekanntschaft mit Bettina (1785-1859) und Achim von Arnim (1781-1831) Winter 1826/27, erwähnt in Brief an HR, [Febr. 27] (SW 53/54, 164f.). - Achim und Bettina in ihren Briefen, I u. II/1961: Bettina an Achim v. Arnim [12. 3. 27]: „...Ranke hat mir seinen Sonntagabend aufgeopfert...“ (II, 643). - 30. 7. 27 [abgegangen.]: „Meine treuherzigste, wohlwollendste Gesellschaft ist Ranke, er kömmt die Woche ein paar Mal...“ (ebd., 691).

Begegnung mit August Wilhelm von Schlegel (1767-1845) im Hause des Verlegers Georg Andreas Reimer, Berlin, vor dem 5. 5. 27. Allg. Charakteristik in Brief R.s an HR, 5. 5. 27 (SW 53/54, 166).

Gesellschaft im Hause Varnhagen Berlin, 12. 7. 27, u. a. zusammen mit Major Wilhelm von Willisen. Darüber kurz Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1895, 183, A. 1.

Im Gespräch mit Rahel Varnhagen (1771-1833) Rahel erwähnt Besuche von Hegel, Humboldt u. R in einem Brief an Ludwig Robert, 16. 8. 27 (Rahel. Ein Buch des Andenkens III/1834, 281). - Rahel an Varnhagen, 23. 8. 27: „Ranke kam,

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht bis 10; Gespräch über Ehe. Geschichte. Was sie ist: warum er sie treibt. Alles gedankenvoll. Er liebt sie aber nur als Einfall, die Gedanken; und zu kurzem Gebrauch; nicht zu anhaltendem noch schärfstem Gebrauch; ward mir gestern ganz klar.“ (Briefwechsel zwischen Varnhagen und Rahel, VI/1875, 105). - An Varnhagen, 2. 9. 27: „Ranke’n, der heute fährt, Empfehlungen nach Wien, an Gentz und Andere [geschrieben].“ (131). - An Varnhagen, 5. 9. 27: „Ich habe Friedrich Schlegel mit Ranke’n über seine Philosophie des Lebens lang geschrieben; alles was er wissen mußte: freudigstes Lob: und offenen Tadel. Nichts Verletzliches: das nicht Zustimmende mit größter Liebe, und auf das größte Geistergebiet hingestellt.“ (141).

Mit Heinrich Ritter in Dresden Auf der Reise nach Wien hatte ihn Heinrich Ritter bis Dresden begleitet, Brief an dens., 4. 10. 27 (SW 53/54, 171). - Kurze Schilderung in Brief an HR [Ende Nov. 27] (SW 53/54, 176).

Begegnung mit Ludwig Tieck (1773-1853) in Dresden um den 10. 9. 27. Erwähnt in Brief an Bettina v. Arnim (Wiedemann: L. v. R. u. Bettine v. Arnim/1895, 60).

P rag, W ien , I ta lien 1827-1831 Umgang mit Joseph Dobrowsky (1753-1829) und Wenzel (Václav) Hanka (1791-1861) in Prag, Sept. 1827. Erwähnt in Brief an Heinrich Ritter, 4. 10. 27 (SW 53/54, 171).

Bekanntschaft mit Josef Frhrn v. Hormayr (1781-1848) Sept. 1827. - Josef Frhr. v. Hormayr an Tieck, Wien, 27. 9. 27: „Ranke hat mir Ihre theuren Zeilen übergeben, - ich hoffe, ihm nützlich gewesen zu seyn, ich hoffe auch, daß er alle seine Zwecke gloriös erreichen wird.“ Briefe an Ludwig Tieck/1864, II, 9. - R.s Eindruck von Hormayr in Brief an Bettina v. Arnim, 21. 10. 27 (Wiedemann: L. v. R. u. Bettine v. Arnim/1895, 61). Gesprächsinhalt skizziert in R.s Brief an Heinrich Ritter, 4. 10. 27 (SW 53/54, 172).

Bekanntschaft mit Caroline v. Pichler (1769-1843) Herbst 1827. - Caroline von Pichler, eng befreundet mit Josef v. Hormayr, an Tieck, Wien, 10. 5. 28: „Sie gedenken meiner freundlich, und zuweilen bringt ein Reisender mir ein Zeichen dieser Erinnerung. So auch Prf. Ranke im vorigen Herbst.“ Briefe an Ludwig Tieck III/1864, 74.

Besuche bei Friedrich von Gentz (1764-1832) Wien, 28. 9. 27 - 17. 9. 28. Nachweis: Tagebücher von Friedrich von Gentz, IV/1874, 326, 329, 335-338, 348, 358, 367, 384, 407, 424, 426 u. [V]/1920, 52. - Die Eintragungen, welche R betreffend vom 28. 9. 27 bis 29. 4. 29 reichen, sind außerordentl. knapp u. nüchtern gehalten. Der prägende Einfluß von Gentz ist ihnen nicht zu entnehmen. Bei den Treffen sind gelegentlich weitere Personen zugegen, so Joseph Anton Edler von Pilat, Lord Henry Stanhope, Baron Kreß, Clemens Hügel, General Fr. K. G. von Langenau, Hofrath Adam Müller, Baron Franz Krieg, General K. Fr. v. Tettenborn. - Aufschlußreicher als G.s Tagebücher ist der Briefwechsel R-G. (s. II, 312) u. R an Varnhagen, 9. 12. 27 (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1895, 190), R.s 3. u. 4. autobiogr. Diktat (Dez. 1875 u. Nov. 1885, SW 53/54, 48, 66 ) sowie sein Tagebuchdiktat ‚Gentz, 17. März 1880‘ (SW 53/54, 638f.). Siehe II, 231. Nicht erwähnt ist R in: Briefe von und an Friedrich von Gentz. Hg. v. Friedrich Carl Wittichen u. [ab Bd. III] Ernst Salzer, 3 Bde [Bd. III in 2 Teilen], Mnch. u. Bln. 1909, 1910, 1913.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Vorstellung bei Fürst Metternich durch Friedrich von Gentz Wien, 1. Nov. 1827. Nachweis: Tagebücher von Friedrich von Gentz, IV/1874, 338: „Den 1. [Nov. 1827], Donnerstag ... Um 10 Uhr fuhr ich zum Fürsten [Metternich], arbeitete mit ihm, stellte ihm Professor Ranke vor ...“. - Einzelheiten in Brief R.s an Heinrich Ritter, 9. 12. 27 (SW 53/54, 181).

Begegnungen mit Josef Edler von Pilat (1782-1865) und Adam Müller (1779-1829) Wien, Sept./Okt. 1827. Erwähnt in Brief an Heinrich Ritter, 4. 10. 27 ( SW 53/54, 173).

Begegnung und Zusammenarbeit mit Vuk Stefanović Karadžić und Bartholomäus Kopitar Wien, 1827/28, über die Hilfe beider bei R.s Werk ‚Die serbische Revolution‘ (1829) in seinem 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885 (SW 53/54, 64). Siehe auch II/1.1 SerbRev u. die in II/3.4. ausgewiesenen Briefwechsel. - Gespräch mit Kopitar über Heinrich Leos Kritik und über Zumpt: R an Heinrich Ritter, 20. 8. 28 (SW 53/54, 207f.).

„Nicht seltene“ Begegnungen mit Friedrich Schlegel (1772-1829) Allg. Charakteristik u. Äußerungen Sch.s in Briefen R.s an Varnhagen, 21. 10. 27 (Wiedemann: L. v. R. u. V. v. E., Ungedr. Briefw./1895, 180; 9. 12. 27 (190) u. 10. 3. 28 (344f.) sowie an Heinrich Ritter, 9. 12. 27 (SW 53/54, 180).

Begegnung mit Josef von Hammer und Franz Bernhard Ritter von Bucholtz Wien 1827 (ab 1835) Frhr. v. Hammer-Purgstall (1774-1856), der ihm „vornehmlich nützlich und behilflich“ ist (R an Varnhagen, 9. 12. 27, Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1895, 190). Hammer wird auch erwähnt in R.s Brief an Heinrich Ritter, 9. 12. 27 (SW 53/54, 182). Mit beiden arbeitet er im Wiener Archiv (ebd.).

Bekanntschaft mit Karl Simon Morgenstern (1770-1852) Gespräch betr. Berufung R.s nach Dorpat. In Brief an Heinr. Ritter, 22. 3. 28 (SW 53/54, 191).

Umgang mit der Schauspielerin Auguste Henriette Elisabeth Brede (1784-1859) und dem Schriftsteller Joseph Christian Frhrn v. Zedlitz und Nimmersatt (1790-1862) erwähnt in Briefen an Varnhagen, 9. 12. 27 (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1895, 190) u. 10. 3. 28 (ebd, 344). Komm.: Brw 128.

Umgang mit Carl Ernst Schneider (1786-1856) in Wien, mit gemeinsamen Ausflügen in das Umland. Erwähnt in Briefen an Heinrich Ritter, 14. 6. 28, und an HR, 10. 7. 28, SW 53/54, 203 u. 205). - Schneider stammte wie Ranke aus Wiehe, hatte wie er bei Gottfried Hermann in Leipzig studiert und war damals als Professor der Philologie in Breslau tätig (Hoche, Richard: „Schneider, Karl Ernst“, in: ADB 32 (1891), 133f.).

Im Salon der Gfn. Isabella Teotochi Albrizzi [nicht: Albrizzi-Tertochi] (1760-1836) Venedig, Okt. 1828. Erwähnt in R.s Brief an die Varnhagens, 18. 10. 28 (Wiedemann: Briefe L. v. R.s an Varnhagen u. Rahel/1895, 436. - Die venezianische Gräfin war Verfasserin von: ‚The works of Antonio Canova, in sculpture and modelling: engraved in outline by Henry Moses; with descriptions from the Italian of the Countess Albrizzi, and a biographical memoir by Count Cicognara‘, 3 Bde, Lnd. 1824-28.

Begegnung mit dem preußischen Krpr. Friedrich Wilhelm und Gefolge in der Bibliotheca Marciana und im Hotel Danieli in Venedig, Nov. 1828. Wiedergabe von Bemerkungen Fr. W.s in Brief R.s an Varnhagen, Dez. 28 (Wiedemann: Briefe L. v. R.s an Varnhagen v. Ense u. Rahel/1895, 438) u. in R.s 3. und 4. autobiogr. Diktat, Dez. 1875 u. Nov. 1885 (SW 53/54, 49, 71). - Siehe auch: Winter: Erinnerungen/1886, 213 u. Helmolt/1921, 43f. -

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht Im Zusammenhang mit seiner Begegnung mit dem preuß. Kronprinzen lernt R auch Eichhorn (1779-1856) und Ancillon (1767-1837) kennen. Eine Charakteristik A.s im 3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875 (SW 53/54, 50f.). Varnhagen zufolge wurde R dem Kronprinzen durch Ancillon vorgestellt. Tgb. Varnhagens zum 24. 12. 28 (Varnhagen: Bll. aus der preuß. Gesch. V/1869, 150f.).

Begegnung mit Karl Christian Reisig (1792-1829) in Venedig, Dez. 1828 oder früher. Darüber R in Brief an Varnhagen, Dez. 1828 (Wiedemann: Briefe L. v. R.s an Varnhagen v. Ense u. Rahel/1895, 438), an Heinrich Ritter, 25. 12. 28 (SW 53/54, 213). R hatte sich um den Kranken bemüht, der, wie er, Thüringer und Schüler Gottfried Herrmanns war. Reisig starb bereits am 17. 1. 29. Siehe auch II, 262.

Begegnung mit Heinrich Heine (1797-1856) in Venedig, Dez. 1828 oder früher. Darüber R in Brief an Varnhagen, Dez. 1828 (Wiedemann: Briefe L. v. R.s an Varnhagen v. Ense u. Rahel/1895, 438). - Siehe auch Heinrich Heines Aufsatz ‚Verschiedenartige Geschichtsauffassung‘. In: (WW V/1961, 377-379). Lt. Hg. von Anfang der 1830er Jahre, wurde noch zu Lebzeiten R.s, 1869, zuerst veröffentlicht. Er enthält deutliche ironisch absprechende Anspielungen auf R, dessen ital. Archivreise und die HPZ.

Gespräch mit Christian Kurt Gf. von Haugwitz (1752-1831) 1828 (auch/oder 1830?) in dessen Villa in Este nahe Padua. Nachweis: SW 53/54, 211: („1828“); Hüffer/1912, 313f.: („1830“). Zu Haugwitz vgl. HARD/PrSt II, 2. Aufl. 1880: „Mit einer Notiz über die Memoiren des Grafen von Haugwitz“.

1829 Mehrfache Begegnungen mit Christian Karl Josias Frhr. v. Bunsen in Rom (1791-1860) vermutl. März 1829. Darüber R im 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885 (SW 53/54, 66f.). - Eine zusammenfassende Würdigung Bunsens in R.s Tagebucheintrag ‚Bunsen‘ von März 1871 (s. Abt. Edierte Hss./1871) und Erwähnungen in weiteren von Fuchs (WuN I, Reg.) aus dem NL mitgeteilten Aufzeichnungen. - Siehe auch R.s rückblickenden Brief an Bunsen (28. 3. 31, SW 53/54, 251-253) nach Beendigung seiner Italienischen Reise.

Begegnung mit Friedrich August Gottreu Tholuck (1799-1877) Rom, erwähnt in Brief an Heinrich Ritter, 27. 3. 29 (SW 53/54, 219) und an HR, 7. 4. 29 (ebd.).

Begegnung mit Wilhelm Waiblinger (1804-17. 1. 1830) Mitte 1829. Verhältnismäßig ausführliche Schilderung von Charakter und Schicksal in R.s Brief an Heinrich Ritter, 13. 1. 1830 (SW 53/54, 229f.).

Begegnung mit dem bayerischen Oberst Carl Wilhelm v. Heydeck (1788-1861) (auch Heidegger genannt). Nov. in Rom. Dieser übergibt ihm seine „Papiere über Griechenland“. R zweifelte, ob sich daraus „eine entscheidend belehrende Schrift“ werde bilden lassen, was er auch unterließ. (Brief an HR, 15. 11. 29, SW 53/54, 228). Dazu Seewald/2007 und Seewald/2010.

1829/1830 Umgang mit August Gf. v. Platen-Hallermünde (1795-1836) und Friedrich Wilhelm Eduard Gerhard (1795-1867) Darüber der geringe Briefwechsel R.s mit Platen und Gerhard (s. II/3.4) sowie Platens Tagebücher II/1900: Tagebucheintrag Platens zum 21. 12. 29 (Rom): „Sonst gehe ich fast nur mit dem Professor Ranke, in Berlin angestellt als Historiker. Wir sehen uns gewöhnlich bei Tische“ (II, 917). Zum 18. 4. 30 (Rom): „Der Karneval war sehr begünstigt, und ich habe mich größtenteils in Gesellschaft von Ranke und [Fr. W. E.] Gerhard, dem Archäologen, recht gut unterhalten, da

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht wir abends an den Volkslustbarkeiten teilnahmen und die Osterien besuchten.“; Gesellschaft bei Christian Carl Josias Frhr. von Bunsen, dem damaligen preußischen Geschäftsträger erwähnt, wo u. a. auch Chr. D. Rauch, Gerhard, [Carl Fürchtegott Volkmar?] Schluttig, Wilhelm Röstell, G. A. Ch. Kestner u. Ranke; Platen liest die ersten sechs Gesänge seines Gedichts ‚Assur und Assad‘ vor (ebd., 918f.). - R über Platen in Briefen an Heinrich Ritter, 13. 1. 30 u. 29. 3. 30 (SW 53/54, 230, 232), an HR, Anfang Apr. 1830 (SW 53/54, 234f.) und bes. in Brief an Varnhagen vom 25. 5. 30 (Wiedemann: Briefe L. v. R.s an Varnhagen von Ense und Rahel/1895, 446). Über die Zusammenarbeit der damaligen Gesellschaft siehe ‚Beschreibung der Stadt Rom‘, von Ernst Platner, Carl Bunsen, Eduard Gerhard und Wilhelm Röstell. Mit Beiträgen von B. G. Niebuhr, und einer geognostichen Abhandlung von F. Hoffmann; erläutert durch Pläne, Aufrisse und Ansichten von den Architekten Knapp und Stier, und begleitet von einem besondern Urkunden- und Inschriften-Buch von Eduard Gerhard und Emiliano Sarti..., Stg. u. Tüb.: J. G. Cotta, 3 Bde in 5 u. Atlas, 1829-42.

1830 Häufiger Umgang mit Alfred von Reumont (1808-1887) Mai/Juni in Florenz R lernt Reumont im Mai 1830 in Florenz kennen, wo er fast täglich mit ihm zusammen ist und auch Pisa, Lucca u. Pistoja mit ihm besucht (Reumont/1885, 4f.). Siehe dazu Reumonts Nachruf auf R (Reumont/1886), die Veröff. von Hüffer/1904 u. 1912 sowie II/3.4.

S p ä t ere J ah r e 1831 Aufenthalt im Hause Gotthilf Heinrich von Schuberts und Münchener Bekanntschaften München, Febr./März 1831, eine Unterbrechung auf seinem Rückweg von Italien nach Berlin. Erwähnung u. a. in Brief an H. Ritter, 3. 2. 31 (SW 53/54, 245). - Damals hat er auch Thiersch, Schelling, Friedrich Niethammer, Karl Johann Friedrich v. Roth und Johann Nepomuk Ringseis kennengelernt (an H. Ritter, 3. 2. 31, SW 53/54, 246 und an Thiersch, 25. 2. 37, Helmolt: Verschollener politischer Aufsatz/1907, 560f.). - Eine Charakteristik Thierschs in Brief R.s an Minna v. Zielinski, [Febr./März 1831] (SW 53/54, 247). - Über Roth und Johann Friedrich Frhr. v. Cotta in Brief an Bunsen, 28. 3. 31 (SW 53/54, 252). - Siehe auch bes. den Brief an Roth vom 16. 2. 32 (SW 53/54, 259f.).

Erneuter Umgang mit der gerade verwitweten Bettina von Arnim nach seiner Rückkehr aus Italien bezog R bis zum 1. April „ein Logis, das über der Wohnung Bettinas gelegen war“ (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen v. Ense/1901, 213). Über seine Gespräche in Brief an HR, 24. 3. 31 (SW 53/54, 250).

Treffen mit Geh.-Rat Johannes Schulze (1786-1869) Berlin, vor dem 24. 3. 31. - Schulze, der „wie ein Bruder war“. An HR, 24. 3. 31 (SW 53/54, 250f.).

Privatvorlesungen vor Krpr. Maximilian v. Bayern (1811-1864), Berlin, Sommer 1831: „Geschichte Italiens, angeknüpft an die Allgemeine Weltgeschichte“. So in einer eighd. Niederschrift Maximilians. - Nachweis: Hoeft/1940, 12. u. NBrr, 149, 151, 159. Siehe auch R.s 4. autobiogr. Diktat von Nov. 1885 (SW 53/54, 75f.), welches ausgehend von diesen Vorlesungen („einige, nicht gerade viele, die mir aber seinen Beifall und seine Gunst für das Leben gewannen“) eine allgemeine Würdigung Maximilians bietet.

Begegnung mit Georg Wilhelm Friedrich Hegel (1770-1831) Berlin, „im Sommer 31“. Kurze Bemerkung in Brief R.s an HR, [Ende Apr. 32] (NBrr, 171): Hegel „war doch [!] gut und geistreich“.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Einladung bei Rahel Varnhagen (1771-1833) Berlin, Sept., gemeinsam mit der verwitweten Minna v. Zielinski. Darüber kurz Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 213. Rahel an Frau von Zielinski, 9. 11. 31: „Ranke sehe ich sehr selten. Einmal allein sehr gut.“ (Rahel. Ein Buch des Andenkens III/1834, 538).

Häufiger Umgang mit Johann Albrecht Eichhorn und Fr. C. v. Savigny ab 1831. Erwähnt in Rankes autobiographischem Diktat vom Dez. 1875 (SW 53/54, 50): Sie „bildeten meine tägliche Gesellschaft“.

Gespräch mit Christian Günther Gf. v. Bernstorff (1769-1835) 1831/32, bis Frühjahr 1832 preuß. Außenminister. Darüber R.s Aufzeichnung in WuN I, 279f.

Einladungen bei Johann Peter Friedrich Ancillon (1767-1837) „Nicht selten“ speist R bei dem künftigen (ab 1832) preuß. Außenminister (an HR, 21. 11. [31], SW 53/43, 257).

Umgang mit Leopold von Gerlach, Joseph von Radowitz (1797-1853) und Carl Gf. v. Voss-Buch (1786-1864) ab 1831. Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 219f. - Siehe auch R.s 4. autobiogr. Diktat von Nov. 1885 (SW 53/54, 71).

Verhandlungen zur Gründung der Historisch-politischen Zeitschrift Über den vielseitigen, auch philosophisch gebildeten preuß. General und Militärschriftsteller Johann Jakob Otto August Rühle v. Lilienstern: „Rühle beteiligte sich mit dem lebhaftesten Interesse an den Verhandlungen, die zwischen dem Minister Savigny, dem Grafen Bernstdorff, Eichhorn und Leopold von Ranke einerseits, und von der andern Seite mit Friedrich Perthes und der Verlagsfirma Duncker geführt wurden, um die ‚Historisch-politische Zeitschrift‘ (1832-36) ins Leben zu rufen. Jenny von Schleinitz, Rühle’s Stieftochter, bewahrte eine längere Korrespondenz diesen Gegenstand betreffend, so namentlich die von Fr. Perthes zu Papier gebrachten bezüglichen Ansichten über das obige Unternehmen. Solche Stellen aus den genannten Schriftstücken ... sind nachstehend herausgezogen worden...“ (Aus den Papieren der Familie von Schleinitz/1905, 237).

1832 Einladungen, Gespräche und Korrespondenzen mit Karl August und Rahel Varnhagen Berlin, 18. 1. u. 8. 5. gesellschaftl. Einladungen in das Varnhagensche Haus (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 220). - Okt. Einladung zum gemeinsamen Besuch des „Elslerschen Balletts“ (d. i. Fanny Elßler). - Vor oder im Nov. Gespräch mit Varnhagen betr. die ‚Mémoires tirés des papiers d’un homme d’état sur les causes secrètes qui ont déterminé la politique des cabinets dans la guerre de la révolution, depuis 1792 jusqu’en 1815‘. Varnhagen hatte im Dezemberheft 1831 der Jbb. f. wiss. Kritik (auch in: Varnhagen: Zur Geschichtschreibung und Litteratur/1833, 387-400) eine Bepr. des Werkes veröffentlicht. Über die mündl. Auseinandersetzungen R.s mit Varnhagen unterrichtet dessen Briefentwurf vom Nov. 1832 (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 214f.). R veröffentlichte 1833 eine Abh. über das Thema in HPZ II/1, 52-63. - Zum 25. 11. ist auch eine Einladung zum Mittagessen von Seiten Rahels bekannt (Wiedemann, ebd., 220). Vom 6. 12. 32 datiert eine Einladung der Varnhagens „zum Anhören musikalischer Vorträge der Frau [Pauline Anna] Milder[-Hauptmann], denen außer dem kronprinzlichen Paare [Friedrich Wilhelm u. Elisabeth] nur noch Bettina von Arnim und Major [Wilhelm] v. Willisen beiwohnten.“ (ebd.).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Äußerungen über Goethe gegenüber Varnhagen und Bettina von Arnim Angebliche abträgliche Äußerungen R.s über Goethes ‚Römische Elegien‘ und dessen ItalienDarstellung, referiert von Varnhagen in Brief an Bettina, 18. 12. 32 (in: Aus dem Nachlaß V.s v. E./1865, 305), in dem auch eine gänzlich unterschiedliche Beurteilung der Biographie Friedrichs d. Gr. von Johann Preuß (‚Friedrich der Große. Eine Lebensgeschichte. 4 Bde nebst einem Urkundenbuche in fünf Theilen, Bln. 1832-1834) durch den ablehnenden R und den anerkennenden Varnhagen thematisiert wird. Siehe auch Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 216f.

1834 Gespräch mit Johannes Schulze nach dem Tod Schleiermachers Berlin, Mitte Febr., wobei R - nach dem Tod Schleiermachers - eine Berufung von August Detlev Christian Twesten empfiehlt, die auch erfolgt. (R an H. Ritter, 21. 2. 34, SW 53/54, 267).

Begegnungen mit Heinrich Laube (1806-1884) Laube sah R zum ersten Male 1834 Unter den Linden u. begegnete ihm später „ein paarmal“ auf Gesellschaften (Laube: Gesammelte Schrr. I/1875, 75, Weiteres 76 u. 268).

Gespräch mit Karl August Klüpfel (1810-1894) Berlin 1834 oder wenig später. „Eine längere Reise führte ihn namentlich nach Berlin, wo er von R freundlich aufgenommen und auf die Geschichte des Schwäbischen Bundes hingewiesen wurde“ (Schneider, Eugen: „Klüpfel, Karl August“. In: ADB 51/1906, 244f., hier 244). Die Anregung wurde von Klüpfel aufgenommen: ‚Urkunden zur Geschichte des schwäbischen Bundes (1488-1533)‘. Hg. v. K. Klüpfel, Stg.: Literarischer Verein, 2 Bde, 1846, 1853. - Bei diesem Anlaß könnten auch die Pseudo-Isidorischen Dekretalen zur Sprache gekommen sein, über die Klüpfel dissertiert hatte und die in R.s ‚Deutscher Geschichte‘ (I/1839, 10f.), in seinen Vorträgen vor Maximilian II. v. B., Berchtesgaden 1854, v. a. in seiner ‚Weltgeschichte‘ (VI,1/141-169) eine Rolle spielen. - Zu Klüpfels Urteil über R s. bes. I, 234ff.

1835 Erneute Begegnung mit Gotthilf Heinrich v. Schubert Frankfurt/M. vor dem 12. 10. 35, erwähnt in Brief an eine „liebe Freundin“ [Okt./Nov. 1835] (SW 53/54, 276).

Begegnung mit G. A. H. Stenzel und Immanuel Hermann Fichte (1796-1879) Berlin, vor dem 13. 12. 35. Erwähnt in Brief an H. Ritter, 13. 12. 35 (SW 53/54), v. a. mit Charakteristik Fichtes.

1835/36 Vorträge vor Prinz Georg von Cumberland (1819-1878) über neueste Geschichte, dem Prinzen Georg von Cumberland, späteren Kg. von Hannover, gehalten, Berlin, Winter 1835/36. - Nachweis: R an HR, 26. 11. 35 (SW 53/54, 278). Siehe

auch Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 354. Begegnung mit Eugène Lerminier (1803-1857) Unbestimmt, vor 1838. Der Rechtshistoriker und Journalist Eugène Lerminier lernt R in Berlin kennen. Nachweis: Lerminier/1838, 44. Siehe dazu dessen Bespr. der PÄPSTE (I, 221).

1836 Besuch bei Varnhagen 26. 3. 36. Im einzelnen nicht zitierte Mitteilungen R.s über Metternich und Hardenberg. Varnhagen notiert dazu in seinem Tagebuch zunächst noch vergleichsweise positiv: „Ranke ist ein

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht braver, guter Mensch, ehrlich und wahr, nur hat er eine große Schwäche gegen hergebrachte, herrschende, in Glanz und Macht auftretende Meinungen ... die politischen und religiösen Ansichten, welche hier am kronprinzlichen Hofe gelten, imponieren ihm unwiderstehlich! Man muß wohl unterscheiden wenn man den Charakter eines Menschen erkennen will, mit wem er es zu halten pflegt. Immer mit den Herrschenden, Glücklichen? Abscheulich. In den meisten Fällen mit der Gunst und Macht? Bedenklich. Gern und laut mit Unterdrückten? Gewiß vortrefflich. Ranke ist wenigstens fähig, es mit den Unterdrückten zu halten, und ich hoffe, er wird diese Fähigkeit nicht verlieren!“ (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 221).

Begegnung mit Varnhagen Berlin, 22. 10. 36. R überreicht die beiden letzten Bände seiner PÄPSTE (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 221).

Begegnung mit seinem Schüler Ernst Adolf Herrmann (1812-1884) in Kassel, „im Postwagen“, vor dem 23. 11. 36, mit Äußerungen R.s über seine Archivfunde in Frankfurt a. M. und Kassel (Herrmann an Waitz, 23. 11. 36, Stengel/1920, 238, A. 2).

1837 Besuche im Hause Varnhagen 28. 1. 37, wo R mit „Dr. [Hermann] Marggraff“ zusammentrifft. „Der Aufsatz von Gentz [in der ‚Minerva‘ erschienenen, über seinen Aufenthalt im preuß. Lager vor der Schlacht bei Jena] wurde besprochen und gepriesen“ (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 222). - 18. 3. 37 Gespräch über Friedrich v. Raumer (ebd., 222f.) u. kurz über Minna v. Treskow u. Bettina v. Arnim (ebd., 353).

Gesellschaft beim Prinzen Johann von Sachsen im Beisein von Ludwig Tieck in Dresden, April 1837, erwähnt in Brief an Ferdinand Ranke, 4. 5. 37 (NBrr 239).

Ernst Adolf Herrmann bei Ranke Brief Herrmanns an Waitz, 6. 5. 37: Schildert Besuch bei R „vor 8 Tagen“, der ihn gelobt habe (Waitz/1920, 251, A. 1).

Häufig zu Gast im Hause August Detlev Christian Twesten (1789-1865) Emanuel Geibel an seine Mutter, 16. 6. 37: verkehrt im Hause des Theologen A. D. C. Twesten. R, „ein ebenso lebhafter und liebenswürdiger Gesellschafter als gelehrter Historiker findet sich sehr häufig ein.“ (Geibel: Jugendbriefe/1909, 94). Dabei kommt die Rede auch auf Spanien „und Ranke wurde gefragt, welch ein Prognostikon er der Zukunft des Landes stelle. - ‚Wenn keine fremde Macht‘, erwiederte er, ‚mit sehr bedeutenden Streitkräften intervenirt, so sehe ich bei den jetzigen ungeheuren Zerwürfnissen nichts anderes voraus, als die Auflösung Spaniens in seine alten verschiedenen Königreiche.“ (Ebd.).

Gespräch mit Felix Fürst zu Schwarzenberg (1800-1852) Juli 1837, über das wachsende ungar. Nationalgefühl. Aufzeichnung aus RNL 38 II K 28‘ in WuN I, 297f.

Gespräch mit Großherzog Karl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach (1783-1853) und Großherzogin Maria (Pawlowna, 1786-1859) Weimar, Sept. 1837, anläßlich seiner dortigen Archivarbeiten zur DtG. Erstdr. einer fragmentar. Tagebuchaufzeichnung R.s („Der Hof zu Weimar, September 1837“) nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 574-578. - Zweitdr.: WuN I, 291-295. - Mit einer Charakteristik des Großherzogs u. der Großherzogin. Siehe auch R.s 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885 (SW 53/54, 69).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Besuch im Hause Varnhagen Berlin, 21. 10., Gespräch u. a. über Henrich [!] Steffens (1773-1845), wobei sich R.s „große Schwäche des Charakters“ gezeigt habe, Tagebucheintrag Varnhagens (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 223).

Zu Tisch bei Bettina von Arnim Emanuel Geibel an seine Mutter, 7. 12. 37: „Am letzten Sonntage war ich zu Tische bei Bettina. Die Gesellschaft bestand aus Ranke, einer Französin, [Markus] Niebuhr, der Mathieux und mir. Die Unterhaltung war lebhaft, und nach dem Essen wurde musicirt.“ (Geibel: Jugendbriefe/1909, 105).

1838 Gespräch mit Gottlob Friedrich Walter Agathon Wunderlich (1810-1878) Berlin, 1. 1. 38, betr. die ‚Göttinger Sieben‘. Erstdr. der fragmentarischen Notiz R.s aus seinem NL: WuN I, 301. Der Jurist W. war wie R ehemaliger Portenser (Eisenhart, August Ritter von: „Wunderlich, Gottlob Friedrich Walter Agathon“: In: ADB 44/1898, 311-313).

Gespräch mit Leopold Gf. von Sedlnitzky, Fürstbischof von Breslau (1787-1871) 16. 2. [1838] über gemischte Ehen. Erstdr. aus RNL: WuN I, 303.

Gespräch mit Varnhagen Berlin, 18. 2. 38. Auseinandersetzung wegen der Beurteilung Niebuhrs (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 224).

Besuch bei Jacob Grimm Briefe Jacobs an Wilhelm, 28. 2. u. 1. 5. 38, Erwähnung eines Besuchs R.s (Unbekannte Briefe der Brüder Grimm/1960, 210, 215).

„Gespräch mit Elv[enich] zu Breslau“ „Oktober [18]38“. Gespräch mit dem römisch-katholischen Theologen Peter Joseph Elvenich (1796-1886). Aufzeichnung R.s aus seinem NL in WuN I, 304.

Begegnung mit G. A. H. Stenzel „in Schlesien“, vor dem 9. 12. 38. Kurze Erwähnung in Brief an G. Waitz, [9.12.38] (SW 53/54, 306). R will Stenzel „die Wichtigkeit seiner Theilnahme an den Monum[enta Germaniae historica] nochmals ans Herz legen.“

1839 Treffen mit Willem/Guillaume Groen van Prinsterer (1801-1876) Bonn, gegen Ende Aug. 1839. Erwähnt in Brief R.s an Groen, 1. 9. 41 (Stupperich/1934, 559).

Gespräche mit Johann Albrecht Friedrich Eichhorn nächstjährigem preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- u. Medizinalangelegenheiten, betr. die Göttinger Verhältnisse, vor dem 31. 8. 39. - Nachweis: Grimm I/1885, 339.

Erste Begegnung mit Georg Heinrich Pertz (1795-1876) am 15. 10. 39, auf R.s erster Paris-Reise. - Brief von Pertz an J. Fr. Böhmer, Paris, 16. 10. 39 (Übers.): „Yesterday I saw Ranke for the first time; [Friedrich August] Stüler, Döllinger and Guido Görres are also here.“ (Pertz/1894, 91). Siehe auch R.s nachgelassene Aufzeichnung „Pertz, October 1876“ (SW 53/54, 610-613), derzufolge auch Peter F. Stuhr den dortigen Treffen gelegentlich beiwohnte.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Zusammenarbeit mit Hans Heinrich Vögeli (1810-1874) Zitat aus einem Schr. des R-Schülers Vögeli an Ferdinand Meyer, Paris, 20. 10. 39: „Herr Professor Ranke, der gestern von Paris abreiste, beauftragte mich, Sie bestens zu grüßen: wir arbeiteten während seines Aufenthaltes in hier zusammen; auch gab ich ihm meine Exzerpten aus den Depeschen der französischen Gesandten des 16. Jahrhunderts.“ (Vischer/1953, 391, A. 15).

Begegnung mit Varnhagen Berlin, 3. 11. 39. R überbringt den 1. Bd. seiner DtG und äußert sich über Bettina (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 224, 353).

Gespräch (?) mit dem preuß. General Karl Friedrich von dem Knesebeck (1768-1848) vor allem über die „Kriegspartei von 1806“ und die Schlacht bei Lützen. Nachgelassene Aufzeichnung R.s, Erstdr.: WuN I, 307-310. Dort von Fuchs auf Ende der 1830er Jahre datiert.

1840er Jahre Begegnung mit Kg. Friedrich Wilhelm III. Berlin, 19. 1. 40. „Ich sah den König eigentlich zum erstenmal genau ...“. Nachgelassene Aufzeichnung R.s, Erstdr.: WuN I, 315f.

Teilnahme an den Gesellschaften des damaligen russischen Gesandten Peter von Meyendorff (1796-1863) in den 1840er Jahren. Kurze Hinweise bei WiedemannVI/1892, 109. Siehe auch: v. Meyendorff/1923, I, S. LIII-LIV u. 379; II, 274; III, 306.

Teilnahme am Zirkel der Roman- und Reiseschriftstellerin Therese von Bacheracht (1804-1852) in den 1840er Jahren. Kurze Hinweise bei Wiedemann VI/1892, 109.

Treffen mit Friedrich Christoph Perthes Gotha, vor dem 27. 2. 40. Erwähnt in Brief H. Ritters an Perthes von diesem Datum (Schreiber/1932, 630).

Gesellschaft bei Bettina v. Arnim Berlin, 9. 3. 40, in der sich R im Zusammenhang mit der Protestation der ‚Göttinger Sieben‘ „mit scharfem Tadel und entschiedener Mißbilligung über das Verhalten der Gebrüder Grimm äußerte...“, worauf ihm Bettina das Haus verbot: „Den Professor Ranke habe ich gestern in meiner Stube in die Luft gesprengt, er wird nicht mehr über meine Schwelle kommen.“ (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 355). Siehe auch: Bettina von Arnims Sämtl. WW Hg. mit Benutzung ungedruckten Materials v. Waldemar Oehlke, Bd. 5), Bln. 1920, 269. Diese und andere Äußerungen Bettinas über R finden sich zuerst in ihrer Veröff. ‚Ilius, Pamphilius und die Ambrosia, 1. Aufl. Bd. I, Lpz. 1847 (2. Aufl von Bd. I: 1848), Bd. II, Bln. 1848. Dort Bd. I, 270, 342, 353-354, Bd. II, 320). - Hierauf bezieht sich R.s Tagebucheintrag „Die schlimmste aber ist die geistige Hetäre ...“ (Erstdr. WuN I, 186-188). - Fuchs (WuN I, 187, A. 1) datiert Bettinas Äußerung auf 1839.

„Fête bei Winterfelds“ Jacob Burckhardt an Louise Burckhardt, Berlin, 29. März [1840]: „... letzten Montag war ich an einer großen Fête bei Winterfelds [Karl v. Winterfeld?]. Es waren keine schlechtern Leute da als Ranke, der Bildhauer Rauch, der Bildhauer [Friedrich] Tieck (Bruder von L. Tieck), Director Wagen [Gustav Friedrich Waagen, 1794-1868], der hier allmächtige Präsident [Hans] v. Kleist[Retzow, 1814-1892] ... Beim Souper gings am Ende etwas laut her; ich glaube Ranke hatte ein ganz kleines Zöpfchen.“ (Burckhardt: Briefe. I/1949, 152f.).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Im Salon der Schwestern Bardua Berlin, 9. 5. 40. Tgb. der Wilhelmine Bardua (1798-1865) zum 8. 5. 40: „Viel Unruhe durch General Wolzogens [Ludw. Frhr. v. W. , 1773-1845 u. Frau Emilie 1797-1872], die schon seit Wochen hier sind und ein Logis suchen. Morgen abend kommen sie noch einmal zu uns; wir wollen Leopold Ranke dazu bitten, weil sie den so angenehm finden. Ich habe in den letzten Wochen gerade seine ‚Römischen Päpste‘, die mir Savigny geliehen, studiert. Diese reine Luft des Forschens war mir zuerst fremd und schwer, tat mir dann aber unendlich wohl.“ ([Bardua, Wilhelmine:] Die Schwestern Bardua/1929, 167).

Gespräch mit Gottschalk Eduard Guhrauer (1809-1854) über dessen Leibnizische Editionspläne und einen möglichen Antrag bei der Akademie. In Brief R.s an H. Ritter vom 21. 6. 40 (SW 53/54, 313).

Gespräch mit Friedrich Christoph Dahlmann (1785-1860) gemeinsam mit H. Ritter, Jena, vor dem 16. 10. 40. Darüber Ritter an Perthes, 16. 10. 40 (Schreiber/1932, 630).

1841 Erneut im Salon der Schwestern Bardua Berlin, 5. 2. 41: Wilhelmine Bardua berichtet von der in ihrem Hause stattgehabten Gesellschaft, an der neben den Savignys, Mathis (Ludwig E. Mathis 1797-1874, preuß. Staatsmann), Patows (Frhr. Robert v. Patow, 1804-1890, später Finanzminister), Gf. u. Gfn. von Unruh auch Ranke teilnahm. [Bardua, Wilhelmine:] Die Schwestern Bardua/1929, 174. - Siehe auch 1840 und 1856.

Besuch bei Varnhagen von Ense Berlin, 10. 2. 41. R kommt im Auftrag des Ministers Eichhorn, der „dringend wünschte“, daß Varnhagen für die ‚Staatszeitung‘ einen Nekrolog über Friedrich August v. Stägemann schreibt. Dabei spricht R „viel Schlechtes“ über Stägemann. Tgb. Varnhagens zum Tage (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 356).

Gespräch mit Johann Albrecht Friedrich Eichhorn dem preuß. Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten, über Heinrich von Sybel und dessen Werk ‚Geschichte des ersten Kreuzzugs‘, Düsseldorf 1841, vor dem 8. 3. 41. - Hierüber mit Zitat: Varrentrapp, Biogr. Einl./1897, 19 mit A. 1.

Gespräch mit Carl von Voss-Buch vor dem 23. 3. 41 über die Flugschrift des wegen Majestätsbeleidigung verklagten Königsberger Arztes Johann Jacoby ‚Vier Fragen, beantwortet von einem Ostpreußen‘ (1841). - Carl v. VossBuch, einflußreicher Berater Friedrich Wilhelms IV., zuvor Sekretär während der Kronprinzenzeit, berichtet in einem Brief an Leopold von Gerlach von einem Gespräch mit R: „Ranke hat bewogen werden sollen, über die Propositionen und resp. gegen die 4 Fragen im Sinne des Gouvernements etwas zu schreiben. Er hat es abgelehnt. Er sagte mir, in den Worten ‚oder alle‘ (i. e. Ausschüsse) liege eine ganze Welt verborgen. Abgesehen von allem andern, was in seinem Charakter liegt und mich von Anfang an annehmen ließ, daß er den Antrag ablehnen würde, drückt sich in dem, was er sagte, der Mangel an Vertrauen und klarer Ansicht über das, was beabsichtigt wird, deutlich aus.“ (Schoeps/1968, 271).

Unterredungen mit Adolphe Thiers (1797-1877) über die gegenwärtige Stellung Frankreichs in Europa, Paris, 17. u. 19. 8. 41. - Erstdr. einer Tagebuchaufzeichnung Rankes nach Or. in seinem NL: SW 53/54 (1890), 578-580. - Zweitdr. mit Korr. nach Or. im RNL 38 II M 20’-22: WuN I, 316-318. Siehe auch 1852, 1861, 1865 u. 1870.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Gespräche mit Varnhagen und Minna v. Treskow (1799-1875) Berlin, 12. 10. 41 [nicht 1831 wie bei Wiedemann], über das Werk von Friedrich Wilhelm Riemer, Mittheilungen über Goethe, 2 Bde, Bln.1841. Tagebuchaufzeichnung Varnhagens vom Folgetag (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 356).

Treffen mit Krpr. Maximilian von Bayern in Hamburg In einem Brief von Fr. W. Thiersch an R vom 5. [11.] 41 heißt es: „S. K. Hoheit der Kronprinz v. Bayern hat Ihnen in Hamburg das Ms eines Werkes unter dem Titel Plan d’un manuel politique à l’usage d’un Prince übergeben…“ Schwarz/1923, Anhang, XX). - Siehe II, 340.

1842 Begegnung mit Krpr. Maximilian von Bayern in Berlin März (?), zu schließen aus Briefen von J. Daxenberger an R, 15. 3. u. 29. 5. 1842 (Schwarz/1923, XVIII u. XIX). Bei diesem Anlaß Gespräche über das bereits unter 1841 genannte „Manuel politique“. Siehe II, 340.

Gespräch mit Rudolf Haym (1821-1901) 1842. Besuch Hayms bei Ranke zwecks Erlangung des vom Berliner Magistrat gestifteten Lutherstipendiums: „... ich hatte Gelegenheit, ihm gegenüber meine Gesinnungen zu offenbaren, er ließ mich gewähren, wandte dies und jenes ein, und ich hatte schließlich den Eindruck, daß so vorgeschrittene [theologische] Meinungen nicht nach seinem Geschmack seien.“ (Haym: Aus meinem Leben/1902, 127).

Gespräch(e) mit Schelling, Savigny, Varnhagen und Bettina Berlin, vor dem 9. 6. 42, über Hegel. Tagebucheintrag Varnhagens vom 9. 6. (Wiedemann: L. v. R und Varnhagen/1901, 357).

Soirée bei Geh.-Rat Henrich [!] Steffens (1773-1845) Berlin, 10. 6. 42, zusammen mit [Karl] Sieveking (1787-1847), Nikolaus Heinrich Julius (17831862), Wilhelm Wattenbach (1819-1897) und Varnhagen, der darüber einen Tagebucheintrag fertigte. Gespräche u. a. über die Reformation. Ranke habe sich überzeugt über die „Wahrheit der Offenbarung“ und lachend über die „unbefleckte Empfängnis“ geäußert (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 358).

Teilnahme an der Hochzeitsfeier von Georg Waitz (1813-1886) Waitz heiratet die durch Pertz und R kennengelernte Tochter Schellings, Clara. An ihrer Hochzeitsfeier (9. 10. 42) nimmt auch R teil. (E. Waitz/1913, 13) und wird später neben Schelling Pate des am 14. 4. 54 geb. Sohnes Friedrich (36).

Gesellschaft bei Schelling Berlin, 22. 11. 42. Auf dieser Gesellschaft waren außer R die beiden Grimms, Pertz, Savigny und die engl. Übersetzerin Sarah Austin (1793-1867) zugegen, welche ihrem Tgb. den ungünstigen Eindruck R.s anvertraut, so auch von einer Begegnung am 30. 11., bei der R jegliche Kürzung seiner DtG abgelehnt habe (Three Generations of Englishwomen I/1888, 171f.)

1843 Gesellschaft bei Johann Albrecht Friedrich von Eichhorn Wilhelm Grimm an Dahlmann, 3. 1. 43: Berichtet von einer Gesellschaft bei Eichhorn, wo u. a. Schelling und R anwesend waren (Briefwechsel zw. Jacob u. Wilhelm Grimm I/1885, 478).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Begegnung mit Jacob Burckhardt Burckhardt an Albrecht Wolters, Paris, 21. 6. 43: Burckhardt erwähnt eine Begegnung mit R im Palais Royal (Burckhardt: Briefe, II/1952, 20). - An Dens., Paris, 20. 7. 43: Burckhardt schildert eine weitere Begegnung mit R. Auch habe dieser geschwiegen zu einer Beschimpfung des seligen Königs [Friedrich Wilhelm III.] von Preußen und der Königin Louise. (Ebd., 25).

Im Salon der Mary Clarke (1793-1883) R verkehrt (Juni/Aug.1843) im Pariser Salon von Mary Clarke, der späteren Mary v. Mohl (Simpson/1887, 28). - Julius v. Mohl (1800-1876) an Sir Graves Chamney Haughton (17881849), 8. 6. 43: “Ranke is here [in Paris]; he has written a celebrated history of Popedom, and one of the Reformation. He reminds one of Thiers, bubbling over with most horrible French, which almost chokes him.” (Ebd./1887, 33). - Siehe auch 1852 u. 1860.

Gespräch mit Abel François Villemain (1790-1870) im Beisein von Edouard Renée Lefebvre de Laboulaye (1811-1883) und Charles Giraud (1802-1881) Paris, Juli/Aug. 1843. Kurze Notiz über sein Gespräch mit dem franz. Unterrichtsminister in R.s Tgb.-Diktat „Giraud“ vom 12. 9. 81 (s. u. a. II/232).

Begegnung mit François Mignet (1796-1884) Paris, Juli/Aug. 1843. Mignet (s. auch II/6.4) war damals Vorstand des Archivs der Auswärtigen Angelegenheiten. Er widmete Ranke „viele Freundschaft“ (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 73).

„Freundschaftliches Verhältniß intimster Art“ mit AdolpheThiers Paris, Juli/Aug. 1843. Darüber R. in seinem 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885 (SW 53/54, 72f.). „Nicht lange vorher“ hatte Thiers R in dessen Berliner Wohnung einen Besuch abgestattet (ebd.).

Gespräche mit dem englischen Juristen Henry Crabb Robinson (1775-1867) Robinson an den englischen Literaten Edward Quillinan [1791-1851], 30. 8. 43: „When are the Wordsworths likely to be again at Rydal? I have been asked by two persons to make the inquiry. One of these is a man of some rank in the world of German literature - Ranke, the historian. [R. hielt sich damals zu Archivarbeiten in England auf.] It is a proof of eminence, certainly, that one of his great works, the ‚History of the Popes‘, has been twice translated into English [zuerst von Sarah Austin. 3 Bde. Lnd.: J. Murray 1840; sodann von W[alter]. K[eating] Kelly. Lnd. 1842, s. II, 594f.], and one of the Translations (Mrs. Austin’s) has gone into a second edition; and yet this popularity has not been obtained by any vulgar declamation. He is a cool thinker, and much more temperate than religionists like writers to be. I find, on chatting with him, that he is seriously an alarmist on the occasion of the progress of the Papal power; but it is rather a secular than a spiritual feeling. It is not from a fear that the Protestant religion would be undermined, so much as that the Protestant states would be disturbed by the usurpation of the priestly authority.” (Robinson III/21869, 227).

Treffen mit Thomas Babington Macaulay (1800-1859) Lnd., Okt. 1843. Schilderung des „babel of breakfast“ in Charles Grevilles Tagebuch (Memoirs, Pt. II, vol. II, p. 203) bei: Firth/1938, 254f.

Zur Tafel im Schloß Charlottenburg Am 23. 11. 43 wird Alfred v. Reumont an den Hof nach Charlottenburg „zur Tafel befohlen“, wo außer Friedrich Wilhelm IV. und Kgn. Elisabeth (1801-1873), Prinz Albrecht v. Preussen (1809-1872), Prinz Friedrich der Niederlande, (1797-1881) die Minister Ludwig Gustav v. Thile (1781-1852), Adolf Heinrich Gf. v. Arnim-Boitzenburg (1803-1868), Johann Albrecht Friedrich von Eichhorn und R zugegen sind (Reumont/1885, 44f.).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Vuk Stefanović Karadžić in Berlin 14. 12. 43. Jagić/1897, 850.

1844 Gesellschaft beim russischen Gesandten Peter v. Meyendorff (1796-1863) in Anwesenheit Varnhagens. - R in Begleitung seiner Frau, mit „der Anfrage, ob man die Frau in die vornehmen Kreise aufnehmen wollte“. In Varnhagens Tgb. zum 13. 1. 44 (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 359). - Siehe auch oben 1840er Jahre.

Gesellschaft bei Savigny Wilhelm Grimm an Gustav von Hugo (1764-1844), 17. 1. 44, schildert R.s Gattin Clarissa, die er auf einer Gesellschaft bei Savigny kennengelernt hat (Unbekannte Briefe der Brüder Grimm/ 1960, 337).

Diner im Hause des Bankiers Joseph Mendelssohn (1770-1848) Kurd v. Schlözer erwähnt in einem Brief vom 21. 1. 44 ein Diner im Hause Joseph Mendelssohns. Unter den Gästen befinden sich Minister Christian v. Rother (1778-1849), A. v. Humboldt und Ranke (Jugendbriefe von Kurd von Schlözer/1920, 30f.).

1846 Begegnung mit Alexander von Humboldt Humboldt an Varnhagen, 25. 1. 46: „Ich habe Ranke heute sehr klar mein Entsetzen geäußert über das was er sich gegen Preuß (eine viel höhere und edlere Natur als die seinige) in einer Sitzung [der Kgl. Akademie] erlaubt hat, bei der ich nicht zugegen war.“ (Briefe von A. v. Humboldt an Varnhagen/1860, 190).

Begegnung mit Erik Gustaf Geijer (1783-1847) Erwähnt in Brief R.s an Geijer, [Sommer 1846] bei Willers/1943, 202.

Begegnungen Rankes auf der Germanistenversammlung in Frankfurt/M. Johann Friedrich Böhmer an Guido Görres, 21. 2. 47. Berichtet von der Germanistenvers. zu Frankfurt/M. (1846): „Mit den Grimms, Dahlmann, Ranke und manchen Andern habe ich alte Freundschaft oder Bekanntschaft erneut [!]“ (Joh. Friedrich Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften II/1868, 473). - Auch Karl Gutzkow berichtet von einer persönl. Begegnung mit R anläßlich der Frankfurter Germanistenvers.: „Der zweite dieser Versammlungstage [wohl der 25. 9. 1846] wurde in Frankfurt am Main im Römer gehalten. Dahlmann und Gervinus sprachen ... Ohne mich den gelehrten Herren aufzudrängen, konnte ich damals bei dem gemüthlichen Zusammensein nach den Debatten das Wort ergreifen. Zweimal trug mir ein Toast die Begrüßung berühmter Historiker ein. Da Niemand an die schuldige Aufmerksamkeit dachte, dem eben neu erwählten Sitz der demnächstigen Versammlung, Lübeck, im Voraus ein Hoch zu bringen, that ich es und erwähnte Wullenweber, die Hansa und deren Streben für deutsche Macht und Größe. Da kam Leopold Ranke, mir die Hand zu drücken. Franz [richtig: Heinrich] von Sybel, damals noch jugendlicher gießener Privatdocent, stieß vom nachbarlichen Platze an.“ (Gutzkow/1875, 291f.). - Über Gutzkow R.s Aufzeichnung in WuN I, 176f. - Gervinus an Jacob Grimm, 21. 9. 46, über den anläßl. der Frankfurter Germanistenvers. auf Anregung R.s gegründeten ‚Verein der deutschen Geschichtsforscher‘: Briefwechsel zwischen Jacob u. Wilhelm Grimm..., II/1886, 87f. mit A. auf 522. - Siehe auch II, 431.

Gemeinsamer Ausflug mit dem Bibliothekar Karl August Ludwig Feder (1790-1856) von Frankfurt/M nach Jugenheim zur ‚Riesensäule‘. Erwähnt in Brief R.s an ER, 6. u. [14.] 10. 81 (SW 53/54, 547). - Siehe auch II, 294, Hessisches Staatsarchiv Darmstadt.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Krpr. Maximilian von Bayern, Schelling und Jacob Grimm als Paten Aus einem Brief von Karl Immanuel Nitzsch: „Gestern [9. 6. 1846] war ich zur Taufe [der Tochter R.s, Maximiliane] bei Professor Ranke, dem Geschichtschreiber. Mehr berühmte Leute habe ich lange nicht in Einem Zimmer gesehen. Pathen waren der Kronprinz von Baiern [Maximilian], Schelling und Jacob Grimm; außerdem waren Tieck, Ritter, Lachmann, Jacobi, Thevemin, Hollweg und andere Männer von ähnlicher Bedeutung da.“ (Beyschlag/(1872) 21882, 294).

1847 Abendgesellschaft „bei einem der preußischen Prinzen“ (Prinz Albrecht d. Ä.?) „mit der gesammten höheren Diplomatie und den Staatsministern“, „kurze Zeit nach dem Erlaß des Patents, durch welches der erste vereinigte Landtag nach Berlin einberufen wurde“. - Dabei sei Ranke, wie er seinem Amanuensen G. Winter Ende der 1870er Jahre anvertraute, in die Worte ausgebrochen: „Aber meine Herren Minister, glauben Sie wirklich, daß Sie durch diese Verordnung der Bewegung, welche im Volke nachhaltig und lebendig herrscht, Herr werden können?“ Diese Bemerkung habe ihn in der Gesellschaft derart isoliert, daß er es vorgezogen habe, sie zu verlassen. Später habe man ihm Recht gegeben (Winter: Erinnerungen/1886, 216).

Begegnungen mit Peter v. Meyendorff und Alexander v. Ungern-Sternberg (1806-1868) Meyendorff an Karl Robert v. Nesselrode, 13. 4. 47 über Friedrich Wilhelms IV. Rede zur Eröffnung des ‚Vereinigten Landtags‘, 11. April: „Le célèbre Ranke ... disait: ‚Depuis le roi David aucun souverain n’avait parlé comme Frédéric Guillaume‘. On lui répondit : Oui, c’est de la belle poésie, mais ce n’est pas de la politique.‘ “ (v. Meyendorff I/1923, 379). (Vermutlich anekdotisch geprägt.) . Ähnlich an Kaiserin Alexandra Fjodorowna von Russland, 14. 4. 47 ebd., III/1923, 306). Siehe auch 1847 u. 1850. - Meyendorffs Haus in Berlin öffnete „den zahlreichen russischen Reisenden seine Thüre weit“ und „bildete in den 40er Jahren einen der geistigen Mittelpunkte Berlins. Er war ein Freund Alexander’s v. Humboldt, Leopold’s v. Buch, Schelling’s und Ranke’s...“ (Schiemann/1901, 446). - Bei einem Aufenthalt im Hause Meyendorffs (wohl vor 1848) sieht Alexander v. Ungern-Sternberg „auch den Professor Ranke zum ersten Male“. ([Ungern-]Sternberg/1919, 108). Meyendorff äußert Sternberg gegenüber: „Es ist ein Glück, daß mir Professor Ranke bleibt, der mir zwar jedesmal, daß er bei mir speist, in seiner Lebendigkeit ein Glas Wein auf das Tischtuch verschüttet, dabei aber doch sich herbeiläßt, mit mir über Karl den Kahlen oder Ludwig den Dicken zu sprechen, wenn ich nach diesen Gegenständen Verlangen trage.“ (Ebd., 109). - Siehe auch 1848.

Gesellschaft zu Ehren Julius von Mohls Tgb. der Elisabeth Lepsius (1810-1884, Gattin von Richard L.) zum 18. 9. 47: Gesellschaft zu Ehren Julius v. Mohls, bei der Heinrich Abeken, Ludwig Conrad Bethmann, Ernst Curtius, die Grimms, Schelling, Waitz und Ranke zugegen sind ([Lepsius]/1933, 63f.).

Diner bei dem Berliner Generalintendanten und Großgrundbesitzer Friedrich Wilhelm Graf v. Redern (1802-1883) Tgb. des Fürsten Hermann v. Pückler-Muskau (1785-1871), Bln., 4. 10. 47: „Diner bei Redern, mit Raupach [Ernst Raupach, Dramatiker, 1784-1852] und Ranke. Diese beaux esprits sind interessant, aber zuletzt wird man doch immer inne, daß es ihnen an dem fehlt, was die aristokratische Welt gute Erziehung nennt, und sich bei diesem Mangel nie recht behaglich fühlt.“ (Pückler-Muskau: Briefwechsel und Tagebücher IX/1876, 257).

1848 Ranke bei Prinz Albrecht von Preußen (1809-1872) Unbestimmt vor dem 28. 1. 48 (1847?) zusammen mit dem Justizminister Karl Albrecht Alexander v. Uhden und Rudolf Maria Bernhard v. Stillfried-Rattonitz, wobei R „gegen alle

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht Begnadigung der Polen gesprochen, ja zum Teil die Auslieferung an Rußland verlangt, der Justizminister ihn aber scharf zurechtgesetzt“ habe (Tgb. Varnhagens zum 28. 1. 48, Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 362). - Manteuffel hatte die Bekanntschaft mit Prinz Albrecht vermittelt, die, wie R erklärte, „ein paar Jahre eine sehr intime war. Der Prinz hat mich oft besucht.“ (SW 53/54, 634).

Ranke bei Prinz Albrecht von Preußen Wenige Tage vor dem 28. 1., zusammen mit Oberst [Hans Adolf Erdmann?] v. Auerswald aus Neiße, der darüber Varnhagen berichtet. Tgb.-Eintrag Varnhagens (Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen/1901, 362).

Erneute Begegnung mit Alexander v. Ungern-Sternberg Nach Erscheinen seines Werkes ‚Berühmte deutsche Frauen des 18. Jahrhunderts‘ (1848) begegnet Sternberg R im Tiergarten, wobei sich ein Gespräch über Sternbergs Darstellung der Ksn. Katharina ergab, wie dieser in seinen ‚Erinnerungsblättern‘ schildert ([Ungern-]Sternberg/1919, 232f.) Schon einige Jahre vorher war er Ranke mit seiner „quecksilberartigen Natur“ (232) in Weimar im Hause Froriep begegnet (231f.). - Siehe 1847 u. unten 1853 ‚Ranke im Salon der Hedwig v. Olfers‘. - Die Erinnerungsblätter von [Ungern-]Sternberg erschienen zuerst 1855-60 in 6 Bänden.

Unterredungen mit Adolphe de Circourt (1801-1979) über die Vorzüge der preuß. Monarchie, Bln., zw. dem 10. u. 18. 3. 48. Überlieferung einiger Äußerungen R.s durch Circourt I/1908, 131-133. „... Ranke se déclarait opposé à toute espèce d’innovation en matière de gouvernement. Protestant sans ardeur exclusive pour la Réforme, et sans rigorisme d’aucune sorte, royaliste par l’effet de solides convictions, il adhérait de cœur à toutes les bases de la monarchie prussienne, convaincu, disait-il, que dans une administration éclairée, telle que l’Etat en avait la possession, la liberté pratique et les lumières de la civilisation trouvaient des garanties complètement suffisantes.“ (I, 131-133).

Äußerungen gegenüber Minna v. Treskow Varnhagen schildert in seinem Tagebucheintrag vom 28. 3. 48 den Besuch von Frau v. Treskow. „Sie erzählt, Ranke ist vollständig unsinnig geworden, jammert und wütet, hält alles für verloren und auf immer, glaubt an völligen Untergang der gebildeten Welt, an Barbarei der wilden Gewalt, so was sei noch nie gewesen. Bösewichter bewachen den König, der Pöbel herrscht nach Willkür, alle Sittlichkeit, alle Religion ist dahin! Er möchte fliehen, aber er weiß nicht wohin! Elender Schächer!“ (Wiedemann: L. v. R. und Varnhagen/1901, 362).

Gespräch mit Heinrich von Sybel über dessen Pläne einer Bearbeitung der Großen franz. Revolution, geführt 1848 (nach März). Kurze Äußerungen R.s: Sybel: Pariser Studien/1886 u. in: Sybel: Vortrr. u. Abhh./1897, 363.

Gespräch mit Leopold von Gerlach Bln., 21. 7. 48. Gerlach: „Ich sagte absichtlich zu Willisen und dem kleinen Ranke, die Zeit würde kommen, wenn ich sie auch nicht mehr erlebte, wo, wie zur Zeit der Franzosen, Alle die der Verachtung preisgegeben würden, die sich mit dem jetzigen nichtsnutzigen Wesen encanaillirt hätten ...“ (Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs I/1891 178). Siehe auch 1831, 1852, 1854.

Äußerungen gegenüber Friedrich Wilhelm IV. 23. 7. 48 (?) mit Voraussage der Präsidentschaft Louis Napoléons. Terminl. Vermutung Wiedemanns (Wiedemann VI/1892, 114). - Erst seit der Denkschrift von Mai 1848 (s. II, 340f.) hat R, wie er in seinem 3. autobiogr. Diktat, Dez. 1875 (SW 53/43, 54), berichtet, den König „öfter ge-

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht sehen.“ In den Abendstunden habe er ihm auch seine bereits erschienene ‚Französische Geschichte‘ [1852ff.] „größtentheils vorgelesen“ (ebd.). - Siehe auch das 1. autobiogr. Diktat, Okt. 1863, SW 53/54, 30.

Am Hof in Sanssouci Verkehr R.s am Hof in Sanssouci, Sept. 1848, erwähnt von Alfred v. Reumont (Reumont/1885, 327).

1849 Besuche von Vuk Stefanović Karadžić Briefe der Tochter Karadžićs, Wilhelmine, an ihre Mutter, Anna, Berlin, 2. 3. 49 u. 22. 6. 54. Sie berichtet von häufigen Besuchen im Hause R, zusammen mit ihrem Vater. Dobrašinović/1988, 304 u. 305.

Gespräch mit Johann Gustav Droysen (1808-1884) Berlin, nach dem 28. 3. 49. Über die Entscheidung des Frankfurter Parlaments, Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone anzutragen. - Überlieferung kurzer Äußerungen beider bei Hintze/ (1904), II, 31982, 475. - H. berichtet ohne Nachweis von einem Treffen D.s mit R., 1849 in Berlin, als D. im Gefolge der Frankfurter Deputation, welche Friedrich Wilhelm IV. die Kaiserkrone antrug, R, der die Kaiserwahl mißbilligte, „nicht von der Möglichkeit und Heilsamkeit dieser Wendung zu überzeugen“ vermochte. „‚Sie verstehen die Geschichte nicht!‘, rief ihm der Freund Friedrich Wilhelms IV. zu; und Droysen erwiderte: „Die Geschichte wird einst zeigen, wer sie besser verstand, wir oder Sie!‘“ (475). Der Dialog wirkt anekdotisch-fiktiv.

Begegnungen mit Eduard von Simson (1810-1899) Heinrich Spiero schildert aus persönl. Umgang mit dem ihm verwandten Eduard von Simson dessen Verhältnis zu R: „Simson hatte wenige, aber entschiedene Abneigungen; dazu gehörte eine Antipathie gegen Leopold Ranke. Als Simson in der Eigenschaft eines Reichskommissars 1848 von Frankfurt am Main her in Berlin war, hatte er auf einem Hoffest Ranke getroffen und ihn - halb scherzhaft - als den ‚Berufensten‘ um ein Urteil über die Arbeit der Nationalversammlung gebeten. Da hatte Ranke die Hände erhoben und | gesagt: ‚Ich bitte! Nichts von Politik!‘ Viel später hatte Simson ein Stammbuch der Krprn. Victoria, der nachmaligen Kaiserin Friedrich, erhalten, das er nach eigener Einzeichnung Herrn von Ranke weitergeben sollte. Er überbrachte es persönlich, und Ranke nahm es entgegen, indem er - Simson ahmte den Tonfall nach - betonte, wie besonders genehm ihm immer der Verkehr mit hochgestellten Persönlichkeiten gewesen wäre. Auch wenn Simson solches erzählte, kam es ohne Bosheit heraus ...“ (Spiero/1929, 62f.).

Gespräch mit dem preußischen Innenminister Otto Frhr. von Manteuffel (1805-1882) Berlin, etwa Nov. 1849, über Ernst Ludwig von Gerlach und die März-Revolution. - Wiedergabe einer kurzen Äußerung R.s gegenüber Manteuffel bei Gerlach/1903, II, 84. - Fraglich, ob dieses Gespräch stattfand anläßlich eines von Georg Beseler (Erlebtes und Erstrebtes/1884, 96) geschilderten Mittagessens bei Otto von Manteuffel „im engeren Familienkreise (1849), an dem außer Beseler Bismarck, v. Kleist-Retzow, Simson „und außerdem als Besänftiger Leopold Ranke“ teilnahmen, oder zu einem anderen Zeitpunkt.

Diner bei Carl v. Voss-Buch 21. 12. 49: Diner bei v. Voss-Buch mit Ernst Wilhelm Hengstenberg (1802-1869), Carl Friedrich Göschel (1784-1861), Albrecht Gf. v. Alvensleben-Erxleben (1794-1858), Ernst Ludwig und Leopold v. Gerlach und R. (Von der Revolution zum Norddeutschen Bund ... Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach/1970, 242). - Siehe auch 1841.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

um 1849 ? mehrfach in Gesellschaft mit Heinrich Friedrich von Arnim-Heinrichsdorff (?) und Adolf Senfft von Pilsach (1816-1897). Erwähnt in R.s nekrologischem Tagebuchdiktat ‚Senfft v. Pilsach‘ (SW 53/54, 641-643), dem auch weitere (zeitlich unbestimmte) Treffen mit Senfft zu entnehmen sind.

Gespräch mit Herman Grimm (1828-1901) R habe ihm gegenüber einmal geäußert, „die Dauer eines Geschichtsbuches hänge allein ab von der Schönheit des Stiles“ (Grimm: Beiträge/1897, 27). Nach Berg/1968, 227 nahm Grimm 1849/50 an einer Übung Rankes teil. Die Äußerung kann aber auch sehr viel später liegen, denn Grimm verkehrte im Hause R.

1850 Ranke an Peter von Meyendorff Peter v. Meyendorff an Karl Robert v. Nesselrode, 20. 3. 50: Äußerungen R.s betr. eine Rede von J. F. Donoso Cortes Marquis v. Valdegamas (v. Meyendorff II/1923, 274).

Gespräche in Paris, Anfang Okt. 1850 mit Abel François Villemain über R.s Qualitäten, mit François Mignet u. Augustin Thierry (1795-1856) über Politik, kurz angedeutet, sowie ohne inhaltl. Vermerk mit Jules Michelet (1798-1874), mitgeteilt in einem Brief R.s an CvR, 11. 10. 50 (SW 53/54, 344f.). - Siehe auch 1843 u. 1855.

1851 Vortrag vor Kg. Friedrich Wilhelm IV. um 1851. Vortrag „mit einer gewissen Ausführlichkeit“: „Ideen über die englische Geschichte, namentlich die große Katastrophe, die man die Revolution von 1688 nennt“ (R in seinem 4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 75). Weiter nicht überliefert.

Gespräch mit G. A. H. Stenzel Von Interesse ist ein kaum bekannter Brief des zum Abgeordneten für die Zweite Kammer gewählten Stenzel an seine Frau Emy, Ende März 1851: „Ranke habe ich besucht und den ersten gefunden, der behauptete, vom Könige sey etwas für Deutschland zu hoffen. Hofmann!“ (K. G. W. Stenzel/1897, 449). - Auch einige kurze, sonst wohl kaum überlieferte briefliche Urteile von Christian Gottfried Körner (143f.), Johannes Voigt (146), Johannes Schulze (ebd.) und Fr. Chr. Schlosser (319) über R sind bemerkenswert.

Henry Crabb Robinson im Hause Ranke 1851 bereiste Robinson Deutschland, wo er in Berlin v. a. bei Savignys verkehrte. Sein Tagebucheintrag zum 13. 6. 51 bietet eine der höchst seltenen Charakteristiken von R.s irischer Gattin Clarissa (Robinson III/21869, 382f.).

Begegnung mit Johann Nepomuk v. Ringseis (1785-1880) Im Herbst 1851 Begegnung Ringseis’ mit R in Wildbad (Württ.), den er bereits bei G. H. v. Schubert persönl. kennengelernt hatte (Erinnerungen des Dr. Johann Nepomuk v. Ringseis IV/1891, 1). Empfehlung G. H. v. Schuberts (Brief vom 5. 9. 26) an Ringseis betr. eine Berufung R.s nach München. Ob R wirklich „in’s Auge gefaßt wurde“, wußte Ringseis später nicht mehr zu sagen; berufen wurde bekanntlich J. v. Görres (II, 228). - Ringseis machte R später Vorhaltungen wegen der noch nicht erfolgten Aufnahme Döllingers in die Münchener Historische Kommission (IV, 42).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

1852 Zusammenarbeit mit Reinhold Pauli Lnd., Anfang Okt. 1852. Pauli über Rankes Englandreise 1852, „mit dem und für den ich viel gearbeitet habe“ (Pauli: Lebenserinnerungen/1895, 179).

Im Salon der Anastasia Christine Comtesse de Circourt (1808-1863) Vermutlich ab 1852, anläßlich seiner Archivarbeiten in Paris. (Siehe: Helmolt/1921, 195, A. 187). „In her little salon .. were to be seen all who were most distinguished in the literature and the statesmanship of Paris and of the continent“ (Robert C. Winthrop: Tribute to the memory of Count Adolphe de Circourt, [Boston 1880], 6f.). R hatte sie 1848 in Berlin kennengelernt, als sie ihren Mann Adolphe de Circourt auf seiner ‚mission à Berlin‘ begleitete. Siehe auch 1860.

Gespräch mit Augustin Thierry und François Mignet über den Zustand Frankreichs im 16. u. 17. Jh., Paris, Okt. 1852. - Nachweis: Simpson/1887, 107. - Siehe auch R.s darüber hinausgehende nachgelassene Aufzeichnung über Louis Philippe, WuN I, 355-357.

Erneutes Gespräch mit Adolphe Thiers Paris, Okt. 1852. Über Louis Philippe und die nicht zu vermittelnden zwei Prinzipien der konstitutionellen Monarchie. In einer nachgelassenen Aufzeichnung R.s: WuN I, 357.

Dinner-Party im Hause v. Mohl Mary v. Mohl an Hilary Bonham Carter, Okt. 1852: „Ranke has been here [in Paris] these five days; he goes, alas! Saturday. He is delightful (according to my notion, and in his way). I gave a dinner-party Tuesday... I had M. [Leopold v.] de Buch [1774-1853], the great geologist ... and Ranke - I sitting glorious between him and M. de Collegno - and M. Roulin, M. Ampère, Miss Anna Mohl, Mr. Mohl, Madame de Collegno, M. Elie de Beaumont (1798-1874), Mérimée, Miss S - the beauty.“ (Simpson/1887, 106). „I went last night with Ranke to M. Thierry, and there came Mignet, upon which the three historians had a long disquisition which greatly interested me about the state of France in the sixteenth and seventeenth centuries. Ranke has just written a book [FranzG I] on and about Henry IV., Sully, Francis I., the conquest of Naples, the politics of Mazarin, etc. Mignet just as beautiful as ever. I had a wonderful longing to invite him to dine with Ranke on Friday, but I thought of Mr. Mohl’s dismal face, and refrained.“ (Ebd.,107). - M. C. M. Simpson bemerkt dazu: „She was very fond of the historian Ranke, and among Madame Mohl’s papers is the following sonnet, copied in her own handwriting“. - Es folgt ein Sonett von Clarissa Ranke auf Mary v. Mohl [von 1855]: ‚Thinking of an English Lady who lives in the Rue du Bac‘. (Ebd., 108). - Siehe auch 1843 und den folgenden Eintrag.

Besuch bei Hermann (1821-1894) und Anna von Helmholtz (1834-1899, Tochter Robert v. Mohls) Anna v. Helmholtz an ihre Mutter, Paris, 25. 10. 52 (I, 42) über Besuch R.s mit Äußerungen über Rahel Varnhagen. - An ihre Schwester Ida, Paris, 30. 10. 52. (I, 43) berichtet von dem o. g. Diner, an dem neben dem ital. Gesandten Collegno, „Herrn von Buch, dem großen Geologen, Mr. Elie de Beaumont, , Merimée, Roulet, Ampère und Emma Weston“ auch R. teilnahm. (Anna v. Helmholtz I/1929, 42f.). Siehe auch 1877.

Gespräche mit Leopold von Gerlach Berlin, 2. 11. 52: „Ranke, der in Paris und London gewesen, versichert, daß die Literaten und denkende Leute in Frankreich Bonaparte wie einen Räuberhauptmann betrachteten, dessen Herrschaft nicht lange währen könnte.“ (Denkwürdigkeiten aus dem Leben Leopold von Gerlachs I/1891, 816). - 23. 11. 52: „Ranke, Humboldt und immer mehrere glauben, daß es mit ihm [Louis-Napoléon Bonaparte] nicht lange dauern wird.“ (Ebd., 826).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Diner in der bayerischen Botschaft, Berlin 30. 12. 52. Diner des bayerischen Gesandten Konrad Frhrn v. Malzen zu Ehren Wilhelm v. Doenniges, zu dem unter „vielen Notabilitäten der Wissenschaft“ auch R und Boeckh zugezogen waren. [Anonyme Notiz] In: AZ, München, 3. Jan. 1853, 35.

1853 Gespräch mit Konrad Frhrn v. Malzen (1791- 1867) Bei dem Gespräch R.s mit dem bayer. Gesandten in Berlin, „einige Tage“ vor dem 8. 2. 53 wurde der vergebliche Wunsch Kg. Maximilians II., Ranke nach München zu berufen, erörtert. Hierüber Brief v. Malzens an R vom 8. 2. 53 und weiterer Briefwechsel bei Hoeft/1940, 56f., 60, 118, A.1 u. v. Müller/1939, 8f.

Unterhaltungen am preußischen Hofe In Varnhagens Tagebüchern findet sich zum 3. 6. 53 folgender Eintrag: „Ranke neulich beim König; die Königin sprach entschieden gegen das Tischrücken und die Tischklopferei, es sei sogar wider den rechten Glauben. ‚Da muß ich doch ergebenst bitten, daß mir Ihre Majestät erlauben zu widersprechen‘, versetzte Ranke, ‚ich kenne einen sehr gebildeten Mann, der ist durch das Tischrücken erst zum wahren Glauben bekehrt worden.‘ Ist das ein Mensch!“ (Varnhagen von Ense X/1868, 167).

Teilnahme an der Eröffnung des internationalen Statistiker-Kongresses in Brüssel Sept. 1853, Begegnung mit Hugh Fortescue Ebrington 2nd Earl Fortescue (1783-1861), Ramón de la Sagra (1798-1871), Ackersdyck, Baron Karl von Czoernig-Czernhausen (1804-1889), Friedrich Benedikt Wilhelm v. Hermann (1795-1868), Louis René Villermé (1782-1863), Horace Say d. J. (1794-1860), Adolphe Quetelet (1796-1874), von Praest, Jean Jacques Altmeyer (18041877). Geschildert in Brief R.s an seine Frau, 22. 9. 53 (SW 53/54, 356f.). Zu Hermann bemerkt er u. a., dieser habe sich dafür erklärt, daß R „auf einige Zeit“ nach München komme (ebd., 356). Damals bemühte sich Maximilian II., dies zu erreichen.

Gespräch mit Kg. Leopold I. von Belgien (1790-1865) im Sept. 1853. U. d. T. „Audienz in Laeken, 23. September 1853“ Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL (SW 53/54, 581-583). - Zweitdr. mit Korr. nach dem nur noch teilweise vorhandenen Or. im RNL 38 I H 83 f.: WuN I, 358-360. - Schilderung auch in R.s Brief an FR, 24. 9. [53] (NBrr 358f.).

Gespräch mit Kg. Georg V. von Hannover (1819-1878) vermutlich 30. 9. 53, über die „gute Haltung“ der Göttinger Univ. - Kurze Bemerkung R.s in Brief an H. Ritter, 20. 11. 53 (SW 53/54, 360).

Ranke im Salon der Hedwig v. Olfers (1799-1891) Alexander v. Ungern-Sternberg begegnet R (vor 1854) im Berliner Salon der Hedwig v. Olfers, Tochter Friedrich August v. Stägemanns: „[Christian Daniel] Rauch (1777-1857), Schelling, Ranke, [Wilhelm] Hensel waren nicht leicht fehlende Gäste“ ([Ungern-]Sternberg/1919,212).

1854 Gesellschaft im Hause Lepsius Berlin, 2. 1. 54. Dazu Tgb. der Elisabeth Lepsius zum 5. 1. 54: Bei der Gesellschaft sind zugegen: Heinrich Abeken (1809-1872), Moritz August v. Bethmann-Hollweg (1795-1877), Ernst Curtius (1814-1896), Christian Gottfried Ehrenberg (1795-1876), Herman Grimm (1828-1901), Georg Heinrich Pertz, Kurd v. Schlözer (1822-1894), Friedrich Adolf Trendelenburg (18021872), E. Vollard und Ranke. (Lepsius/1933, 150).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Ranke als Vorleser Kg. Friedrich Wilhelms IV. Friedrich Wilhelm IV. an Bunsen, Berlin, 25. 2. 54: „Vor einiger Zeit kam Ranke (der uns öfters aus s. so ungemein interessanten ‚französ. Geschichte‘ vorliest) auf das Capitel des Edît de Nantes. Da zündete es bey mir wie ein Blitz, daß die Art der Behandlung der schwierigen Frage durch Heinrich IV. das Vorbild dessen abgeben müsse was die Christenfreundlichen sogenannten Christl. Mächte in der Türkey anstreben u. durchzusetzen suchen müßten...“. Borries/1930, 351.

Besuche von Vuk Stefanović Karadžić s. o. 1849.

Besuch des österreichischen Politikers Leo Gf. Thun-Hohenstein (1811-1888) Berlin, 22. 7. 54. Kurze Erwähnung in Brief R.s an seine Frau, 24. 7. 54 (SW 53/54, 361).

Vorträge vor König Maximilian II. von Bayern, z. T. in Gesprächsform, über die sogenannten ‚leitenden Ideen‘ in der Geschichte, Berchtesgaden und Wimbach, 25. 9. - 13. 10. 54, zumindest teilweise im Beisein von Wilhelm v. Doenniges. Erstdr. durch Dove unter dem nicht authentischen Titel ‚Über die Epochen der neueren Geschichte‘ nach einer damals in R.s NL befindlichen, heute verschollenen Kanzleireinschrift als redigierte Fassung der von Franz Seraph Leinfelder stenographierten Vorträge, in: WG IX/2 (1888), 1-238. - Späterer Druck nach einer in der BSB München befindlichen parallelen Kanzleireinschrift für Kg. Maximilian II. als redigierte Fassung der von Franz Seraph Leinfelder stenographierten Vorträge, sowie unter apparativer Heranziehung des im GHAM befindlichen Or.Stenogramms und des Erstdrucks Doves durch Schieder/Berding: WuN II/1971. - Über die Geschichte der verfehlten Editionen: Henz/2009 und II, 185. - Über den Aufenthalt, bei dem R auch General Heinrich Delphy de La Roche, Karl Ludwig Frhr. v. Leonrod, Albert Gf. v. Rechberg (1803-1885) und Gf. Ricciadelli begegnet, berichtet er in Briefen an seine Frau, 22. 9., 1. 10., 6. 10. 54 (SW 53/54, 362-370).

Gespräche mit König Maximilian II. von Bayern Berchtesgaden, Ende Sept. 1854 über Fragen der Religion, von R skizziert in Brief an seine Frau Clarissa, 1. 10. 54 (SW 53/54, 365-367).

Gespräche mit König Maximilian II. von Bayern und Wilhelm v. Doenniges über die Orientalische Frage, Berchtesgaden, Okt. 1854. Erstdr. einer „endgültigen Reinschrift“ (Kanzleihd.) aus dem GHAM bei v. Müller/1939, 84-87. Dieser fand im Akt noch „mehrere vorangehende Fassungen mit eigenhändigen Berichtigungen und Ergänzungen des Königs“ (ebd., 84, A. 1). - Dazu ein eighd. Brief Maximilians an Friedrich Wilhelm IV., vom 17. 10. 54, wozu er R als persönl. Überbringer ausersehen hatte (ebd., 87, A. 1). Friedrich Wilhelms IV. Vorschlag, R des öfteren für vertraul. Briefwechsel mit Maximilian einzusetzen, scheint diesem doch nicht genehm gewesen zu sein. Dazu v. Müller/1939, 89, A. 1.

Begegnung mit Leopold v. Gerlach Berlin, 18. 12. 54: „Am Abend Ranke auf der Straße, der sein Promemoria nach meinem Rathe eingerichtet hat.“ (Leopold von Gerlach II/1892, 259). - Siehe II, 342.

1855 Im Salon der Minna von Treskow R gehörte um 1855 neben Fürst Pückler (damals schon siebzigjährig), Schirmer, Hildebrand, Ludwig Rellstab (1799-1860), Julius Schell, Bernhard von Lepel (1818-1885) „zu den nächsten Freunden des Hauses“ bzw. Salons der Minna v. Treskow und ihrer Tocher Ada. Kurze Erwähnung in: Hohenhausen/1873, 185.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Besuche John Lord Dalberg-Actons bei Ranke Acton an seinen Lehrer Döllinger, 14. 3. 55: Erwähnt Besuche bei R, dessen Ansichten ihm „durchaus oberflächlich“ erscheinen; Acton war in seiner Vorlesung, „aber er leistet gar nichts als Lehrer. Es ist nicht der Mühe werth ihn zu hören“. R habe „in seinem Wesen nichts ernsthaftes oder würdiges“ (Döllinger Briefwechsel I/1963, 57).

Erneutes Gespräch mit Charles Giraud Berlin, 28. 5. 55, über die friedlichen Gesinnungen in Frankreich. In Brief R.s an Kg. Maximilian II., 29. 5. 55 (SW 53/54, 375).

Erneute Begegnung mit französischen Bekanntschaften, darunter Thiers und Thierry Paris, August 1855. Kurze Erwähnung mit Zitat der ihm dort zuteil gewordenen Schmeicheleien. Brief an seine Frau, 15. 8. 55 (SW 53/54, 376). Über Thierrys polit. Einstellung in Brief an CvR, [Ende Aug. 55] (SW 53/54, 380). - Siehe auch 1850.

‚Versöhnungsdiner‘ Aug. 1855 ist Reumont in Paris zu dem vom preuß. Geschäftsträger Grafen Maximilian Friedrich Karl Franz von Hatzfeldt (1813-1859) veranstalteten ‚Versöhnungsdiner‘ Preußen/HessenDarmstadt geladen, wobei Karl Friedrich Frhr. v. Dalwigk (1802-1880), Bismarck, Georg v. Viebahn (1802-1871), Alexander Ferdinand v. Quast (1807-1877), Peter Reichensperger (18101892) und R zugegen sind (Reumont/1885, 430).

Begegnung mit Louisa Kerr der Übersetzerin seiner ‚Serbischen Revolution‘ (1847), Paris, August 1855. Schilderung in Brief an seine Frau, 24. 8. 55 u. [Ende Aug. 55] (SW 53/54, 377 u. 380).

Bekanntschaft mit Théophile Lavallée (1804-1866) Paris, Ende Aug. 1855, der ihm Handschriften der Madame de Maintenon zur Verfügung stellt. Erwähnt in R.s Brief an CvR, [Ende Aug. 1855] (SW 53/54, 380).

Gespräch mit Johann Caspar Bluntschli (1808-1881) Berlin, 27. 9. 55, u. a. über die Orientalische Frage und über die Entlassung Doenniges’, von Bluntschli dargestellt in Bluntschli II/1884, 228.

Wortwechsel mit Franz Liszt (1811-1886) vor dem 20. 12. 55 bei einer Gesellschaft, auf der Ranke Liszt begegnet ist. Überliefert von Feodor Wehl (Wehl II/1889, 73).

Gespräche mit John Lord Dalberg-Acton (1834-1902) in den Jahren 1855, 1861, 1865, vornehmlich über zeitgenössische Historiker. Kurz geschildert in Briefen Actons an Döllinger (Döllinger: Briefwechsel I/1963, 57, 229, 411).

1856 Mehrere Gespräche mit der Sängerin Wilhelmine Bardua Berlin, 8. 11. 56: Wilhelmine Bardua hat in den letzten vierzehn Tagen „Leopold Ranke mehrmals gesprochen“ (284). [Bardua]/1929, 284. - Siehe auch 1840/41.

Bekanntschaft mit Carl von Noorden (1833-1883) Wie Maurenbrecher in einem Lebensbild Noordens schildert, machte dieser, mit R entfernt verwandt, 1856 dessen persönl. Bekanntschaft und hörte „mit Begeisterung“ die Vorlesungen. Maurenbrecher betont, daß v. Noorden aber nicht an R.s Übungen teilgenommen habe (ebd.). Noorden: Histor. Vortrr./1884,1*-52*: Lebensbild Noordens von Maurenbrecher, hier 4*.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

1857 Audienz bei Albert, Prinzgemahl von England (1819-1861) London, 23. März 1857 (?). Gespräch über „allgemeine und preußische Angelegenheiten“. Von R kurz charakterisiert in Brief an CvR, 26. 3. 57 (SW 53/54, 386).

Wortwechsel mit Antonio Panizzi (1797-1879) im British Museum, London, vor dem 26. 3. 57. In Brief an CvR, 26. 3. 57 (SW 53/54, 385).

Gespräch mit Thomas Babington Macaulay London, 24. März 1857. Kurze Schilderung in Brief an CvR, 26. 3. 57 (SW 53/54, 386).

Vorstellung bei Kgn. Victoria von England anläßl. eines Diners in Buckingham Palace, 25. 3. 57. Schilderung in Brief an CvR, 26. 3. 57 (SW 53/54, 36).

Abendgesellschaft im Hause von George Villiers, 4. Earl of Clarendon (1800-1870) London, vor dem 4. 4. 57, bei der R u. a. Philipp Henry Stanhope (5. Earl Stanhope) Viscount Mahon (1805-1875), Earl Granville (s. folg. Eintrag) und Lord W. Russell kennen lernt. Darüber in Brief an CvR, 4. 4. 57 (SW 53/54, 392).

Gespräche im Hause von George Leveson-Gower Earl Granville (1815-91), London, vor dem 4. 4. 57 bei einem „sehr gewählten historischen Diner“. Unter den Gästen Macaulay u. George Grote (1794-1871). Kurze Reminiszenz R.s in Brief an CvR (4. 4. 57, SW 53/54, 392): Man läßt der preuß. Politik „oder vielmehr der des Königs Gerechtigkeit widerfahren“.

Gespräch mit William Ewart Gladstone (1809-1898) April 1857. Kurze Notiz über das Gespräch mit dem britischen Politiker in Brief R.s an CvR, 26. 4. [1857] (NBrr 381).

Gespräch mit Prime Minister Henry John Temple, Viscount Palmerston (1784-1865), über R.s angebl. verhängnisvollen Einfluß auf Friedrich Wilhelm IV. u. über Kg. Leopold der Belgier als „Muster eines Regenten“, Frühjahr 1857. - Aus dem Gesprächsinhalt: Wiedemann XII/1892, 232f.

Gespräch mit dem Orientalisten William Cureton (1808-1864) London, 10. 4. 57, über ein Ms. des syrisch-aramäischen Evangeliums. Schilderung in einem Brief R.s an HR, 12. 4. 57 (NBrr 376f.).

Begegnung mit Theodor Fontane (1819-1898) Sehr charakteristisch ein Brief Fontanes an Lepel, London, 25. 5. 57 über eine Begegnung mit R anläßlich eines Diners beim preuß. Gesandten im Beisein von Gustav Friedrich Waagen (Theodor Fontane und Bernhard von Lepel/II/1940, 179).

Begegnung mit dem Historiker und Politiker André Folliet (1837-1905) Oxford, vor dem 10. 5. 57. Erwähnt in Brief R.s an CvR, 10. 5. 57 (SW 53/54, 394).

Gast in Sanssouci Aug. 1857 ist Alfred v. Reumont Gast in Sanssouci, ebenfalls anwesend sind A. v. Humboldt, Hans v. Kleist-Retzow (1814-1892) und R, der wie Reumont in der Mühle übernachtet und am folgenden Tage nach Berlin zurückkehrt (Reumont/1885, 482).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Begegnung mit Johann Friedrich Böhmer (1795-1863) Böhmer reist im Herbst 1857 nach Berlin, um mit Pertz wegen der Scriptores-Ausgaben zu verhandeln. Dabei verkehrt er „mit den beiden Grimm, Ranke, Trendelenburg, Jaffé u. s. w.“ (Joh. Friedrich Böhmer’s Leben, Briefe und kleinere Schriften I/1868, 378). - In einem Brief an Maria Görres, 17. 11. 57 berichtet Böhmer von einem gerade beendeten Aufenthalt v. a. bei Pertz in Berlin, wo er auch R sah, der ihm „zum Andenken der ‚glücklichen Stunde‘ seine letzte in der Akademie gehaltene Vorlesung [vermutl.: ‚Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten‘] in einem schön gebundenen Exemplare schenkte.“ (III, 218).

1858 Cour bei Prinz Friedrich Wilhelm v. Preußen Berlin, 9. 2. 58: Cour bei Prinz Friedrich Wilhelm, an der auch R teilnimmt, der sich über indirekte Steuern äußert sowie über die Notwendigkeit, sich für das Verstehen der Geschichte „von allen Sym- und Antipathien ... frei zu machen.“ Ernst Ludwig v. Gerlach notiert dazu: „Es wandelt einen manchmal an, als lebte man unter Gespenstern.“ (Von der Revolution zum Norddeutschen Bund ... Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach /1970, 395).

„Vertrauliches Zusammensein“ mit Georg Waitz und Heinrich von Sybel „kurz vor dem königlichen Besuche“ Maximilians (s. den folgenden Eintrag). Besprechung der „Vorzüge, Mängel und Reformen unserer wissenschaftlichen Institute“ und der Einrichtung einer „Akademie für deutsche Geschichte“, in der „die hervorragenden Capacitäten von ganz Deutschland zusammen wirkten“ (Sybel in: Die Historische Commission/1883,18f., Sperr. i. T.). - Siehe auch II/6.5.

Gespräch mit Kg. Maximilian II. Berlin, Frühjahr 1858, anläßlich eines Besuches des Königs am preuß. Hof. R trug dabei seinen Plan einer Akademie für deutsche Geschichte unter Einbeziehung von Literatur und Sprache vor. Schilderung durch Sybel in: Die Historische Commission/1883,18f.

Gespräch mit Hedwig von Olfers, geb. v. Stägemann Juttchen [Hedwig von Olfers] an Nina [v. Olfers, spätere Gf.n Yorck v. Wartenburg] Berlin, Mai 1858: „Gestern sprach ich Ranke. Er sagt, Giselas Buch sei die einzige literarische Erscheinung neuester Zeit, die ihn interessiert und in der er Talent gefunden habe.“ (Hedwig von Olfers II/1914, 375). [Dabei könnte es sich handeln um Gisela von Arnim: Dramatische Werke, Bd. I: Ingeborg von Dänemark. Das Herz der Laïs, Bonn 1857]. - In folgender Slg. tritt R nicht in Erscheinung: Olfers, Marie von. Briefe und Tagebücher. Hg. v. Margarete v. Olfers, [Bd. I:] 1826-1870, Bln. 1928, [Bd. 2:] 1870-1924, Bln. 1930.

Besuch im Hause Varnhagen v. Ense Berlin, am oder kurz vor dem 2. 6. 58. - Über das Gespräch dieses Besuchs Rankes, „der wohl in sechzehn Jahren nicht bei mir war“, verhältnismäßig ausführlich Varnhagen in seinen Tagebuchblättern (Wiedemann: L. v. R. u. V. v. E./1901, 365).

Letzte Begegnung mit Varnhagen v. Ense am 11. 6. 58 im Berliner Tiergarten. Darüber Varnhagen in seinen Tagebuchblättern (Wiedemann: L. v. R. u. V. v. E./1901, 365).

Bekanntschaft mit Prof. Joucard (nicht identifiziert), Venedig. Erwähnt in Brief R.s an CvR, 10. 10. 58 (SW 53/54, 398).

Gespräch mit Kabinettsrat Franz Seraph Pfistermeister (1820-1912) München, über vorformulierte Fragen Kg. Maximilians II. (vor 1859?). - Erstdr. der Fragen, ohne Antworten R.s, in einer Niederschrift Pfistermeisters aus dem GHAM: v. Müller/1939, 26.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

1859 Gespräche mit Kg. Maximilian II. v. Bayern anläßlich einer Einladung nach Berchtesgaden vom 16. bis 28. 9. 59. Nachweis: FvR III/1904, 66. - Siehe auch die Briefe R.s an CvR: SW 53/54, 400ff. - Im Zusammenhang mit den Gesprächen, bzw. zu deren Vorbereitung entstand eine Niederschrift von Maximilians II. Sekretär Leinfelder mit „im Auftrag seiner Majestät zu stellenden Fragen“, datiert „Berchtesgaden Sept. 1859“ aus dem GHAM (v. Müller/1939, 25f.). Dies führte zu folgendem Gespräch:

Gespräch mit Ministerialsekretär Franz Seraph Leinfelder (1825-1891) Siehe den voraufgehenden Eintrag. - Die vorformulierten Fragen sind politischer Natur, und die Antworten Rankes - oder nur deren Niederschrift - von extremer Kürze. Neben den Antworten enthält die Niederschrift nicht-rankesche Stenografie, welche von Maximilian herrühren kann, der die Alt-Gabelsberger Stenografie zu schreiben verstand.

Erneut Besuch bei Gotthilf Heinrich v. Schubert in Pfähl, 2. 10. 59. Darüber kurz in Brief an CvR, 5. 10. 59 (SW 53/54, 403).

Audienz bei König Maximilian II. von Bayern München, 3. 10. 59, betr. Projekte der Historischen Kommission, i. b. eine „bayrische biographische Galerie“ sowie ein „kritisches Werk über die ältere bayrische Geschichte“. R bemerkt, er habe dem König einen „langen Vortrag“ gehalten. - Unveröff., Nachw.: SW 53/54 (1890), 403 und FvR/1904, III, 66. Inhaltl. Skizze von Teilen d. Gesprächs in R.s Brief an Kg. Maximilian II., 27. 10. 59: v. Müller/1939, 33-35; bei FvR/1904, III, 67f. ein abweichender Entw. vom 16. 10. 59.

Gespräch mit Kgn. Elisabeth v. Preußen Gemahlin Kg. Friedrich Wilhelms IV., Tante Kg. Maximilians II., über die von R aus Berchtesgaden u. München mitgebrachten Nachrichten sowie über den Krankheitszustand Friedrich Wilhelms IV., Bln., 26. 10. 59. In Brief R.s an Maximilian, 27. 10. 59 (v. Müller/1939, 35).

1860 Gespräche mit Wilhelm Maurenbrecher (ab 1860er Jahre ?) Erwähnung: Wiedemann XIV/1892, 354.

Abendgesellschaft bei Droysen Stromeyer/1950 benutzte in seiner kaum bekannt gewordenen Diss. ein Tgb. der Tochter Droysens (NL Hübner, UB Jena) zum 29. 3. 60 und 7. 5. 1861 „die beiden einzigen Abendgesellschaften, bei denen R bei Droysen bzw. Droysen bei R eingeladen war.“ (238, A. 65).

Erneut im Salon der Anastasia Christine, Comtesse de Circourt Paris, vor dem 14. 4. 60. Erwähnt in Brief R.s an CvR, 14. 4. 60 (SW 53/54, 408). Die bekannte Salonnière wurde dort verlesen als „Mdme. de Circonet“. Siehe auch 1852.

Mehrere Diners im Hause v. Mohl Julius v. Mohl an Miss Bonham Carter, Paris, 6. 5. 60: “... with Ranke and the series of dinners he brought in his train, my time has been frittered away ...“ (Simpson/1887, 158). - Siehe auch 1843 u. 1852.

Gespräch mit dem preuß. Prinzregenten, späteren Kg. u. Ks. Wilhelm 13. 6. 60. Erstdr. einer Tgb.-Aufz. R.s nach Or. in seinem NL: SW 53/54, 584. - Zweitdr.: WuN I, 376. Nach Fuchs (ebd.) Or. verschollen. - Auch in: Kaiser Wilhelms d. Gr. Briefe, Reden u.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht Schriften I/1906, 490f. - Das Gespräch bezieht sich auf ein bisher nicht weiter bekannt gewordenes ‚Memoire‘ R.s. - Siehe auch II, 343.

Ausflug der Historischen Kommission am 30. 9. 60 - R, Pertz, Stälin, Lappenberg, Wegele u. K. Hegel - zu den Oberammergauer Passionsspielen. Begegnung mit Kg. Maximilian II., dem R „die Unterhaltung“ machte (K. Hegel/1900, 185ff.; siehe dazu auch Pertz/1894, 185).

Begleitender Vortrag vor Kg. Maximilian II. von Bayern zum Satzungsentw. für eine Akademie für Deutsche Sprache und Schrift, Okt. 1860. Nschr. eines dem Vortrag beiwohnenden Sekretärs (?). Erstdr. aus R.s NL bei FvR/1904, III, 69-71, nebst Exzerpten aus weiterführenden „Aufzeichnungen des Sekretärs“, ebd. 71. - Siehe in II, 209, Archiv Wiehe, NL FvR u. in II, 331. - Kg. Maximilian II. hatte R, der sich anl. der Sitzung der Histor. Komm. zusammen mit deren Mitgliedern in Oberammergau zu den Passionsspielen befand, nach Partenkirchen eingeladen (Brief R.s an CvR, [Okt. 60], SW 53/54, 410).

1861 Abendgesellschaft bei Ranke siehe 1860: Abendgesellschaft bei Droysen.

Gespräche mit Kg. Maximilian II. von Bayern in Amsterdam 17. u. 18. 8. 61. Über die Angaben in R.s Brief vom 20. 8. 61 an CvR hinaus (SW 53/54, 412f.) ist nichts bekannt geworden: Am ersten Tag wurde in Gesellschaft v. d. Tanns, General Heinrich Delphy de La Roche’s, des Kammerherrn Pappenheim, des bayerischen Gesandten in Paris, v. Wendland u. a. „die alte wissenschaftliche und politische Conversation ... wieder aufgenommen“, wohingegen R am 2. Tag „noch ein einsames Gespräch“ mit Kg. Maximilian II. hatte.

Gast bei Gf. v. Bylandt (Schwager von ER) im Haag, ab dem 19. 8. 61. Erwähnt in Brief R.s an CvR, 20. 8. 61 (SW 53/54, 413).

Begegnung mit Ernst Adolf Herrmann im Haag, 19. 8. 61, der sich R zur Reise nach England als Gefährte anschließt. R an CvR, 20. 8. 61 (SW 53/54, 413).

Mehrere Begegnungen und Gespräche mit Kgn. Sophie der Niederlande Im Haag, Anfang Sept. 1861. - R durfte sich „der Gastfreundlichkeit einer geistvollen Königin“ erfreuen, die er „ein paar mal beim Frühstück oder Thee allein, und dann auch zu Tisch in großer oder kleiner Gesellschaft gesehen“ hat. In Brief an CvR, 12. 9. 61 (SW 53/54, 415). Siehe auch 1865 u. 1869.

Im Landhaus von Adolphe Thiers Paris, Ende Sept. 1861. Dabei auch Begegnung mit Victor Cousin. In Brief R.s an CvR, [Ende Sept. 61] (SW 53/54, 416).

Gespräche mit Kg. Maximilian II. von Bayern in Berchtesgaden um den 10. 10. 61. Erwähnt in Brief R.s an CvR vom 10. 10. 61 (NBrr, 408f.) und in Brief an Maximilian vom 26. 11. 61 (v. Müller/1939, 51f.). Über den Inhalt der Gespräche sagen die Briefe nichts aus.

Gespräch mit Kgn. Augusta v. Preußen (1811-1890) wie R Kg. Maximilian in einem Brief vom 26. 11. 61 mitteilt, hatte er mit Kgn. Augusta „vor kurzem eine längere Unterhaltung ... nur jedoch über literarische Dinge“. Sie habe ihm „die lebhafteste Theilnahme an dem Wohlergehen“ Maximilians ausgedrückt (v. Müller/1939, 52).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Gespräche mit Kg. Maximilian II. von Bayern Berchtesgaden, 19. 10. 61. - Die Themen gehen auf Fragen Maximilians zurück: „1. Über die geistigen Mächte unserer Zeit“. - „2. Was könnte in Deutschland geschehen, wenn der mächtigste protestantische Staat sich mit Frankreich alliirte?“ - „3. Treten im Verlauf der Geschichte neue Ideen hervor oder wiederholen sich nur die alten in modifizirter Form?“ - „4. Förderung der Wissenschaften betreffend“ - „5. Pangermanische Union“. - „6. Stiftung einer ‚Historischen Akademie‘“. - „7. Über Recht und Unrecht in der Politik“. - „8. In wiefern gelang es den begabtesten Regenten und Staatsmännern, den Auswüchsen und Schattenseiten ihrer Zeit zu steuern? (Beispiele)“. - „9. Welche Art von Leistungen der Regenten werden hauptsächlich von der Nachwelt anerkannt und bewundert?“. Erstdr. nach Kanzleihd. aus dem GHAM: v. Müller/1939, 43-51. - Auf die Gespräche nimmt auch R.s Brief an Maximilian vom 26. 11. 61 (v. Müller/1939, 51f.) Bezug.

Gespräche mit Acton Acton an Döllinger, 6. 12. 61: Acton war bei Ranke eingeladen, der „ungemein freundlich“ war. Ranke habe vor kurzem Richard Baxter gelesen, das sei „der wahre, richtige Protestantismus“. Ranke über Döllinger und Savigny (I, 229). - Acton an Döllinger, 1. 5. 62: Ranke sei „zornig über den Streit der politischen Historiker, und neigt offenbar mehr zu Waitz und Giesebrecht“ (Döllinger Briefwechsel I/1963, 260).

1862 Gespräch mit Bohuslav Graf Chotek (1829-1896) Berlin, Jan. 1862, über die Erneuerung der „alten Allianz“. In nachgelassener Aufzeichnung R.s: WuN I, 381.

Gesellschaft im Hause Lepsius Berlin, 1. 2. 62 eine ähnliche Gesellschaft wie am 2. 1. 54. Dabei, neben dem „kleinen lebhaften Ranke“, auch Graf York v. Wartenburg. Dazu Tgb. der Elisabeth Lepsius. (Lepsius/1933, 248).

Begegnung mit Bernhard von Simson (1840-1915) Paris, Juni. - R war gekommen, um „Studien in den Archiven des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten zu machen“. Simson nahm auch teil an einem Ausflug R.s nach St. Cloud und begegnete ihm später mehrfach im GStA Bln. (Simson/1895, 4f.).

Wiederum Begegnung mit Charles Giraud Paris, Juni 1862, anläßlich eines „grand dîner“, vermutlich im Zusammenhang mit R.s Akademie-Zugehörigkeit. R. an CvR, Juni 1862 (SW 53/54, 417).

Begegnung mit Otto v. Bismarck Erwähnung R.s in einem Schreiben Bismarcks an seine Frau, Paris, 14. 6. 62: „Gestern aß der kleine Ranke bei mir, der Professor“. - (Bismarck. Die gesammelten Werke, XIV/2/1933, 593.

Begegnung mit Henry Crabb Robinson In die Zeit von R.s Englandreise Juli/Aug./Sept. 1862 fällt folgender Tgb.-Eintrag Robinsons (5. Aug.): „Took tea with Dr. Boott. Professor Ranke joined us. I was glad to hear of Savigny, and Bettina, and Tieck – all dead! but they are objects of interest to me.” (Robinson III/21869, 483).

Pertz und Sybel im Hause Ranke Pertz an seine Frau Leonora, 28. 9. 62: „I spent Wednesday evening [24. Sept.] with Professor Sybel at the Ranke’s. [Folgt Auslassung] The conversation turned of course mostly upon our

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht politics, no one could tell what turn things might take” (Pertz: Autobiography/[1894], 195). Gemeint ist die Ernennung Bismarcks zum preuß. Ministerpräsidenten.

„Ein Moment der Zeit. Vortrag gehalten vor Sr. M. dem Könige [Maximilian II. von Bayern] in Hohenschwangau October 1862.“ Erstdr. einer Kanzleihd. nach stenograf. Aufnahme aus dem GHAM mit kurzem Zusatz von R.s Hd. aus 1863 bei: v. Müller/1935, 312-327. - Siehe dazu auch R an Pfistermeister, 15. 5. 63 (ebd., 56). Kurze Schilderung des Aufenthalts in Brief R.s an Maximilian, 26. 11. 62 (SW 53/54, 419). - Siehe auch R.s Brief an Giesebrecht, 28. 8. 66, der auf die Gespräche Bezug nimmt. Er habe mit dem König oft und auch bei dem damaligen Anlaß über den „zwischen Österreich und Preußen bevorstehenden Conflict und die alsdann von Bayern zu befolgende Politik“ gesprochen: „Soviel kann ich mit Bestimmtheit sagen: mit Österreich wäre er nicht gegangen: wie die Dinge im Frühjahr 1866 standen, würde er neutral geblieben sein...“ (470).

1863 Vortrag vor dem preußischen Krpr. Friedrich Wilhelm (1831-1888) über die Polnische Frage im Zusammenhang mit den „allgemeinen Ideen über die gegenwärtige Lage der Welt“, 24. 2. 63. - Erwähnung in Brief R.s an Maximilian Duncker, 16. 2. 63. Erstdr.: Henz/1972, 311f. - Charakterisierung der Denkschrift durch Friedrich Wilhelm in: Kaiser Friedrich III./1929, 188: Tagebucheintrag zum 24. 2. 63: „Prof. L. Ranke 1½ Stunden Vortrag über Polen. Lange historische Abhandlung über europäische Verhältnisse seit 1786, geistvoll charakteristisch, aber teils feudal, z. B. unsere Verfassung sei schwer ausführbar; vielleicht werde einmal eine oktroyierte Veränderung derselben nötig werden.“ (188).

Diner bei Adolf Senfft v. Pilsach Berlin, 19. 3. 63: Diner bei Senfft, an dem Selchow, Graf Magnus Schlieffen, Berndt, Graf Eberhard zu Stolberg-Wernigerode, Thiuskon Beutner (Red. d. Kreuz-Zeitung), Bismarck und R teilnehmen (Von der Revolution zum Norddeutschen Bund ... Aus dem Nachlaß von Ernst Ludwig von Gerlach/1970, 442).

Begegnung mit dem Nationalökonomen Johann Alphons Renatus v. Helferich (1817-1892) München, vor dem 16. 10. 63. Schilderung in Brief R.s an CvR, [Okt. 63] (SW 53/54, 425).

Begegnung mit Kg. Maximilian II. v. Bayern anläßl. der Feier von dessen 20. Hochzeitstag u. letztem Namenstag, 12. u. 15. 10. 63. Nachweis: FvR/1904, IV, 217. Über den Inhalt von Gesprächen dieser letzten Begegnung ist nichts bekannt geworden. - Charakteristiken des am 10. 3. 64 verstorbenen Monarchen v. a. in Briefen R.s an die Königinwitwe Maria (11. 3. 64) u. an HR, 13. 3. 64 (SW 5/, 426f), ein ausführl. Nachruf R.s in seiner Rede zur Eröffnung der VI. Plenarvers. der Histor. Komm., 28. 9. 64 (s. II, 440).

Erste Begegnung mit Alfred Ritter von Arneth Wien, Ende Okt./Anf. Nov. 1863, im österr. Staatsarchiv. Schilderung bei Arneth/1892, 234f. Thema war die R nicht erteilte Genehmigung zur Einsicht in die Starhembergschen Berichte aus dem Jahre 1756. - Bei Arneth II/1893, 148f. ist irrtümlich die Rede von Okt. 1864.

Begegnung mit Hermann Hüffer Okt. 1863 lernt Hüffer R in Marienbad persönlich kennen, „aber ohne ihm damals näher zu treten.“ (Hüffer: Lebenserinnerungen/1912, 129). Siehe auch 1869 u. II, 334.

1864 Ball bei Rankes Berlin, 8. 1. 64: Ball „bei Rankes“. Dazu das Tgb. der Elisabeth Lepsius (Lepsius/1933, 263.).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Begegnung mit Moriz Ritter und dem schwedischen Historiker Anders Fryxel (1795-1881) Sommer 1864 im Staatsarchiv Berlin. Erstdr. dort gefallener Äußerungen R.s bei Ritter/1896, 4.

Begegnung mit Kg. Ludwig II. v. Bayern (1845-1886) München, Ende Sept. 1864. Schilderung d. Königs in Brief an CvR, 4. 11. 64 (SW 53/54, 431). Siehe auch 1868.

1865 Besuche von Lady Emily und Lord Richard Napier im Hause Ranke, März 1865. Erwähnt in Brief CvR.s an Robert Perceval Graves, 9. 3. 65 (unveröff., Ranke-Archiv Wiehe)

Begegnungen mit Reinhold Pauli (1823-1882) März/April 1865 kommt es in Berlin zu Begegnungen Paulis mit R (u. a. im Archiv), der ihm empfiehlt, sich Bismarck vorzustellen. (Pauli: Lebenserinnerungen/1895, 239f.). - Pauli nimmt an einer Abendgesellschaft bei R teil, „wo sich fast nur Engländer befanden ... Zwei Tage in der Woche sitzt er neben mir auf dem Archiv, während an den übrigen Tagen sein Platz meistens von Droysen eingenommen wird.“ (Ebd., 241).

Erneut Gespräch mit Adolphe Thiers Paris, kurz nach dem 8. 5. 65. Schilderung in R.s Brief an CvR (SW 53/54, 439f.). Dort datiert [30. 4. oder 7. 5. 1865], Erwähnung bei FvR/1903, 189: R war zu der 24stündigen Eisenbahnfahrt gemeinsam mit seinem Sohn Friduhelm am Abend des 6. Mai aufgebrochen. - Bei Thiers machte er auch die Bekanntschaft eines Fürsten Windischgraetz (Alfred II. zu WindischGraetz?).

Audienz bei Ks. Napoleon III. Zeitlich noch nicht definitiv bestimmt. - Über seine Audienz sind wohl nur folgende allg. Hinweise R.s überliefert: „Ich beschreibe wohl noch einmal, wie ich ihn auf dem Gipfel seiner Macht in den Tuilerien gesehen und gesprochen habe.“ (SW 53/54, 631) und über Charles Giraud: „Er führte mich eines Abends in das Palais der Tuilerien, wo Napoleon III., dessen Minister er eine kurze Zeit gewesen war, mich mit vieler Güte bewillkommnete“ (SW 53/54, 641).

Audienz bei Kaiserin Eugénie Paris, 21. 5. 65. - Schilderung der durch den preuß. Botschafter vermittelten kurzen Audienz in R.s Brief an CvR vom 1. [-3.] 6. 65 (SW 53/54, 444f.).

Gespräch mit Edouard Renée Lefebvre de Laboulaye Versailles, Ende Mai/Anfang Juni 1865. - Schilderung des Treffens in R.s Brief an CvR, 11. 6. 65 (SW 53/54, 449). - R verdankte Laboulaye eine Bespr. seiner ‚Französischen Geschichte‘ (Laboulaye/1853, s. I, 274f.). - Siehe auch 1843.

Déjeuner bei der Bildhauerin Hzgn. Cecilie Colonna (geb. 1836) Paris, Anfang Juni 1865, u. a. mit Prosper Mérimée (1803-1870), Mary v. Mohl und dem italienischen Gesandten Costantino Nigra (1828-1907, letzterer lt. Komm. Fuchs/Brw 468, A. 3). Kurze Schilderung in Brief R.s vom 11. 6. 65 an CvR (SW 53/54, 449f.).

Weitere Begegnungen mit Acton Acton an Döllinger, 23. 6. 65: Acton ist R mehrmals in England begegnet, dabei fallen Urteile R.s über Döllinger (dessen „Ansicht der Kirche ... ihm die richtige“ scheine), Alois Pichler, Chr.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht W. Niedner, Waitz, Roscher, Savigny, Stahl, Sybel, Gneist, Mommsen, Virchow, Grote, Buckle, Froude und Lecky (Döllinger Briefwechsel I/1963, 411).

Teilnahme an einem „drawing room“ in Anwesenheit von Albert Edward, Prince of Wales und Princess Helena von Großbritannien und Irland sowie Besuch eines Konzerts in Buckingham Palace London, vor dem 25. 6. 65. Schilderung des Empfangs, bei dem R in Begleitung d. preuß. Botschafters vorgestellt wurde, und des Konzerts, in R.s Brief an CvR, 25. 6. 65 (SW 53/54, 451).

Arbeiten bei Sir Thomas Phillipps Erste Begegnung mit Sir Thomas Phillipps (1792-1872) und Arbeit in seiner Bücher- und Hs.Slg., Cheltenham, Ende Juni bis 3. Juli 1865. Beschrieben in Brief vom 30. 6. 65 an CvR (SW 53/54, 454f.). - 2. Aufenthalt in der 2. Julihälfte 1865. Darüber bes. in Brief an CvR vom 30. 7. 65 (ebd., 462-465).

Begegnung mit den Professoren J. C. Adams und „Miller“ aus Cambridge am 4. 7. 65 „auf dem Dampfboot zu Holyhead“. Darüber R in Brief an CvR, 7. 7. 65 (SW 53/54, 456f.).

Begegnung mit William Thomas (?), Earl of Clancarty Dublin, vor dem 7. 7. 65, anläßlich der Verleihung der Ehrendoktorwürde beider Rechte durch die Universität Dublin, Trinity College. Kurz Schilderung in Brief an CvR, 7. 7. 65 (SW 53/54, 458; wohl nicht „Clancarthy“).

Dubliner Bekanntschaften Bekanntschaft mit George Petrie (1789-1866), Staatssekretär Sir Thomas Larkins und John Wodehouse Earl of Comberly (1826-1902, nach Fuchs/Brw 478), Juli 1865, während R.s Aufenthalt in Dublin. Darüber in Brief vom 13. 7. 65 an CvR (SW 53/54, 461).

Wiederum Audienz bei Kgn. Sophie der Niederlande Den Haag, vor dem 13. 8. 65, kurze Erwähnung R.s in Brief an ER, 13. 8. 65 (SW 53/54, 466). Siehe auch 1861 u. 1869.

1866 Über Macaulay und den Unterschied der ‚Englischen Geschichte‘ beider nach 1865. Erstdr. der von Alfred Stern (1846-1836) vernommenen Äußerungen R.s: Stern/(1887)/1914, 52f.

Gespräch mit Otto v. Bismarck und Albrecht v. Roon (1803-1879) Anfang 1866. Kurzer Hinweis mit Bismarck-Zitat in R.s Tgb.-Aufz. ‚Roon, 26. Februar 1879‘ (SW 53/54, 627, Zweitdr. WuN I, 452) u. ‚Senfft v. Pilsach‘ (SW 53/54, 642f., Zweitdr. WuN I, 474f.).

Gesellschaft beim preuß. Handelsminister Heinrich Friedrich v. Itzenplitz (1799-1883) Berlin, 17. 5. 66. An der Gesellschaft nahmen außer R der preuß. Finanzminister Carl v. Bodelschwingh (1800-1873) und der preuß. Innenminister Friedrich Graf zu Eulenburg (18151881) teil (Ernst Ludwig von Gerlach. Aufzeichnungen II/1903, 290).

Besuche auf Schloß Lodersleben bei Querfurt Zwischen 1866 und 1876. - Über R.s gelegentl. Besuche in Lodersleben, wo seine Tochter Maximiliane seit 1866 mit Wilhelm v. Kotze verheiratet war: Schuster/1941, 192. 197: aufgeklebte Postkarte mit R.-Bild und Abb. des elterl. Birnbaums u. der Kastanie im Park Lodersleben. Siehe dazu Diktat R.s vom 28. 7. 76 [Zwiegespräch Birnbaum/Kastanie] in II, 229.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Beisammensein mit Hertha und Edwin von Manteuffel im Thüringer Wald, dabei Begegnung mit Joh. Nikolaus Dreyse (1787-1867) in Friedrichsroda bzw. Sömmerda, vor dem 18. 10. 66. Darüber R an HR, 18. 10. 1866 (NBrr 464) u. an Manteuffel, 29. 10. 66 (NBrr 467f.). Siehe auch den Tgb.-Eintrag ‚Hertha von Manteuffel‘ (SW 53/43, 635).

Diner der Königin-Witwe Elisabeth (1801-1873) in Anwesenheit Kg. Wilhelms I. von Preußen (1797-1888) Berlin, zw. dem 18. u. 29. 10. 66. Gespräch über E. v. Manteuffel und Dreyses Erfindung des Zündnadelgewehrs. Darüber R in Brief an Manteuffel, 29. 10. 66 (NBrr, 468f.).

Gespräch mit Carl von Noorden vor dem oder am 13. 11. 66 über dessen wissenschaftl. Vorhaben und Aufforderung an Noorden, seine (R.s) über Macaulay hinausgehende Forschungen in einem Aufsatz ins rechte Licht zu rücken (darüber inhaltl. Philippsborn/1963, 111), was auch nach einigem Widerstreben geschah: v. Noorden/1867.

1867 Begegnungen bei der Feier des 50jährigen Doktorjubiläums, 20. Febr. 1867 Teilnehmer u. a., der preuß. Kultusminister Heinrich v. Mühler, Bernhard Rudolf Konrad v. Langenbeck (1810-1887, Rektor d. Berliner Univ.), Moriz Haupt (1808-1874, Sekr. d. philos. Kl. d. Berliner Akad. d. Wiss.), G. H. Pertz (als Vertreter der Histor. Komm.), Friedrich v. Raumer sowie die Ranke-Schüler Rudolf Koepke, Reinhold Pauli, Ernst Dümmler, Wilhelm v. Giesebrecht, Heinrich v. Sybel, Theodor Toeche u. Georg Waitz. - Dazu: [Giesebrecht?:] Eine goldene Hochzeit mit der Wissenschaft/1867 und Köpke: Ranke-Fest/(1867) 1872, der Aufzeichnungen über R.s Dankesreden enthält (s. II, 447).

Gespräche mit Lehnsgraf Christian Heinrich August von Hardenberg-Reventlow auf Neuhardenberg, 14. 6. 67 betr. Herausgabe d. ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘. Abschr. einer tagebuchartigen Notiz R.s in II, 209.

„Schriftliche und mündliche Auseinandersetzungen“ mit Ottokar Lorenz vor Erscheinen des 2. Bd.s von dessen ‚Deutscher Geschichte im 13. und 14. Jahrhundert, 2 Bde, Wien 1863 u. 1867. - Erstdr./Zitat einer Äußerung R.s über die von L. geplante Darstellung von Kg. Ottokar (bei Lorenz: Geschichtswissenschaft II/1891, 123, A 1). Es mag sich dabei auch um das Zitat eines Briefes von R an L. handeln (so von Fueter/1911, 482 gedeutet).

Gespräch mit Wilhelm Maurenbrecher Berlin, 18. 7. 67. Ausführl. Bericht Maurenbrechers in einem Brief an Carl von Noorden, 19. 7. 67. Erstdr. bei Philippsborn/1963, Anm.-Bd., 12f., A. 208.

Audienz in Wilhelmsthal vor dem 5. 10. 67, bei Ghzgn. Sophie v. Sachsen-Weimar-Eisenach (1824-1897) und Tee mit ihr und Ghzg. Karl Alexander (1818-1901), Isabella Gfn. von Paris (1848-1919), Ludwig Philipp Gf. v. Paris (1838-94). - Schilderung R.s in Brief an CvR, 5. 10. 67 (SW 53/54, 477).

Unfreiwilliger Besuch in Schwabach 11. 10. 67. Beschrieben in Brief R.s an CvR, 13. 10. 67 (SW 53/54, 478f.). Darüber: Kohls/1969.

Teilnahme an einem Familiendiner am Hof zu Weimar 12. 10. 67. R in Brief vom 13. 10. 67 an CvR (SW 53/54, 479).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Gespräche mit George Bancroft (1800-1891) Historiker und Gesandter der nordamerikanischen Union in Berlin, 27. 12. 67, u. a. R über Bancrofts ‚History of the United States from the discovery of the American continent to the present time‘, 10 Bde, zuerst 1834-74 (div. Ausgaben). - Teilw. Wiedergabe in: De Wolfe Howe II/1908, 183 u. 321f. - S. auch 1868, 1870 u. 1886.

Gespräche mit Moritz Lazarus (1824-1903) „... seit beinahe 20 Jahren ist kein längerer Zeitraum verstrichen, keine größere Reise von mir unternommen oder abgeschlossen, ohne daß ich ihn sehen und von dem Fortgang psychologischer und physiologischer Forschung berichten durfte.“ Kondolenzbrief Lazarus’ an OvR, 30. 5. 86 (Bäcker-Ranke/1967, 39).

1868 Ball im Kgl. Palast, Berlin am 30. Jan. Kurzer Bericht Bancrofts, der im ‚Boudoir‘ der Königin Augusta u. a. Ranke, Dove, Lepsius, Hofmann, Beseler antraf (De Wolfe Howe II/1908, 200).

Wiener Begegnungen mit Ottokar Lorenz (1832-1904), Franz Karl Lott (1807-1874) und der Tochter Vuks anläßl. von R.s Wiener Archivstudien im Sept. 1868. Darüber in Brief an CvR, 26. 9. 68 (SW 53/54, 481).

Gespräch mit Anton Gindely (1829-1892) über Wallensteins Schuld und Ende anläßlich der Wiener Archivstudien im Sept. 1868. - Darüber R in Brief an Gindely, 30. 12. 68 (Keußler/1894, 63f).

Begegnung mit General Heinrich Delphy de La Roche und Gespräch mit Kg. Ludwig II. v. Bayern auf dem Münchener Oktoberfest, am 5. 10. 68, anläßl. der Jahresversammlung der Historischen Kommission. Erwähnt in Brief an CvR, 6. 10. 68 (SW 53/54, 483). - Siehe auch 1864.

Marburger Begegnungen vor dem 13. 10. 68, mit Ernst Ranke, seinen Schülern Wilhelm Arnold, Ernst Adolf Herrmann und Reinhold Pauli sowie dem Philologen Kurt Wachsmuth. Erwähnt in Brief an CvR, 13. 10. 68 (SW 53/54, 484). - Darüber Arnold in seinem Werk: Ansiedelungen und Wanderungen deutscher Stämme. Zumeist nach hessischen Ortsnamen, 1875, p. V: Widmung des R-Schülers und Marburger Ordinarius der Rechte: „Herren [!] Leopold von Ranke in alter Liebe.“ - In seiner Vorrede erläutert A.: „Allein während ich mit dem Urkundenstudium zur Geschichte der Landeshoheit begann, kam mir der Gedanke, ob es nicht möglich sei, die vieldeutigen fremden Quellen durch einheimische zu ergänzen, insbesondere die Ortsnamen zur Lösung mancher Zweifel zu benutzen. Mein hochverehrter Lehrer Leopold von Ranke, dem ich in den Herbstferien 1868 den Plan mittheilte, bestärkte mich auf das Lebhafteste darin...“ (VIII). - R.s ausführliche Charakteristik des 1883 verstorbenen „trefflichen“ Arnold und seiner Beziehungen zu ihm: SW 53/54, S. 556-557.

Gespräch mit Hermann Fürst von Pückler-Muskau (1785-1871) vor dem 13. 10. 68, während einer gemeinsamen Eisenbahnfahrt von Kreiensen nach Börsum. Erwähnt in Brief an CvR, 13. 10. 68 (SW 53/54, 484).

1869 Gespräche mit Hermann Hüffer Berlin, im Sommer 1869 und Sommer 1872. Darüber Hüffer/1904, 194. Siehe auch unter 1876/77. - „Nähere Beziehungen zu dem großen Meister historischer Kunst waren ein höchst

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht erfreulicher Gewinn, den das Buch [‚Diplomatische Verhandlungen aus der Zeit der französischen Revolution‘, Bd. I, Bonn 1868, s. II, 334], mir einbrachte. Er hat seit jener Zeit und bis in seine spätesten Jahre nicht aufgehört, mir sein Wohlwollen zuzuwenden; vielleicht bemerkte er in meinen Schriften das Bestreben, mir die klare, umsichtige, billige Auffassung anzueignen, die seinen eigenen Darstellungen einen so hohen Reiz verleiht. Wenn ich ihm gegenüber die Ansicht aussprach, daß Goethes Sinnesart und Ausdrucksweise auf seinen Stil von Einfluß gewesen seien, so war er damit wohl zufrieden. Wenn ich ihn in seinem Hause aufsuchte oder auf dem Rückwege vom Archiv begleitete [vgl. 260], stets erhielt das Gespräch einen bedeutenderen Inhalt. Wie oft habe ich bedauert, daß ich seinen Rat, die in Wien gesammelten Aktenstücke sogleich zu veröffentlichen, nicht befolgte. In einer großen Gesellschaft ... stellte er mich George Bancroft vor ... (Hüffer/1912, 195f.).

Audienz und Diner bei Kgn. Sophie der Niederlande Den Haag, 21. 9. 69, Erwähnung R.s in Brief an CvR, 22. 9. 69 (SW 53/54, 486). Siehe auch 1861 u. 1865.

Gespräch mit Ernst Ranke 29. 12. 69. Besprechung der „hessischen Dinge“, i. b. des „lutherischen Begriffes vom Amt“ Aus dem Tgb. ER.s (Hitzig/1906, 52).

1870/71 Erneutes Gespräch mit George Bancroft anläßlich dessen 50jährigen Doktorjubiläums, Bln., Sept. 70. Kurze Notiz: De Wolfe Howe II/1908, 254.

Gespräch mit Alfred Dove „Wenige Wochen vor seiner Begegnung mit Thiers hatte Ranke in einer Unterhaltung mit dem Herausgeber [Alfred Dove] gerade die Abtretung von Metz als eine Forderung der historischen Gerechtigkeit lebhaft befürwortet...“ (A. Dove in SW 53/54, 591f., A. 1).

Gespräche mit Adolphe Thiers über das dt. (bzw. preuß.)/franz. Verhältnis, Wien, 9. u. 11. 10. 70. Siehe II, 228, ‚Thiers‘, Sept. 1877 und II, 345. - Über das Treffen: R an E. v. Manteuffel, [Anf. Nov. 1870] bei FvR IV/1904, 222 und [vor dem 10. 9. 71] NBrr 562. - Über R.s Treffen auch G. Bancroft, 11. 12. 70, bei De Wolfe Howe/1908, II, 248f. u. Sickel: Röm. Erinnerungen/1947, der R.s Begegnung mit Thiers in Wien, im Ggs. zu Dove, richtig auf den 9. u. 11. Okt. (statt Nov.) 1870 datiert (133ff., s. auch WuN I, 398ff. mit A. 6. Bei Sickel (134, A. 1) auch der Hinweis, daß Thiers in seinen ‚Notes et souvenirs‘, Paris 1904, die Begegnungen nicht erwähnt.

Diners bei General Hans Lothar von Schweinitz v. Schweinitz berichtet über seine Zeit als preuß. Gesandter u. Botschafter in Wien (1869-1876), zu Anfang Okt. 1870: „Herr Thiers kam um jene Zeit auf seiner Rundreise nach Wien; unser berühmter Geschichtsschreiber Ranke wohnte Tür an Tür mit ihm im ‚Österreichischen Hof‘, und sie hatten eine Unterredung miteinander. Professor Ranke speiste am 9. bei mir mit Heinrich Gagern u. a.“ - Zum 14. Okt.: „Zu Tisch kamen Professor Ranke, Herr [Marco] Minghetti, Max Maria v. Weber [Sohn des Komponisten], [Rudolf] Genée [Shakespeare-Vorleser], der russische Gesandte [Evgenij P. Novikov] Novikow u. a.“ (v. Schweinitz: Denkwürdigkeiten I/[1927], 279). - R ist nicht erwähnt in: Briefwechsel des Botschafters General v. Schweinitz. Mit einem Bildnis. [Hg. v. Wilhelm v. Schweinitz], Bln. 1928.

Gespräche mit Friedrich Ferdinand Gf. v. Beust (1809-1886) Gespräche mit dem österr. Ministerpräsidenten Friedrich Ferdinand Gf. v. Beust u. dem preuß. Gesandten in Wien [Hans Lothar von Schweinitz], erwähnt in Brief an E. v. Manteuffel, [nach dem 15. 11. 70] (FvR IV/1904, 221f.).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Gespräch mit Johannes Imelmann (1842-1917) 1870, über die nicht zustande gekommene persönl. Bekanntschaft mit Goethe. Notiz des Gesprächsinhalts aufgrund einer Mitteilung von „Prof. J. Imelmann“ an Ludwig Geiger in: Goethe-Jahrbuch 9 (1888), 105.

Verkehr im Hause Wichmann In den 1870er Jahren bestanden nahe Beziehungen zu Herman Wichmann (1824-1905). Darüber dieser in seinem Kondolenzbrief an FvR, 31. 5. 86 (unveröff., Ranke-Archiv, Wiehe, nicht bei Bäcker-Ranke/1967). - Dazu auch Wichmann: „Meine Beziehungen zu Leopold v. Ranke“ (Ges. Aufss. II/1887, 167-186) und „Leopold v. Ranke unter Freunden“ (ebd., 187-206): Wichmann überliefert aus persönl. Umgang mit R kurze Urteile u. a. über Alexander d. Gr., Napoleon, Harry Gf. v. Arnim, Treitschke, E. Curtius, Mommsen, Gregorovius, Herman Grimm, Twesten, Viktor Hehn, Carlyle, Sybel, [Pierre] Lanfrey, Minghetti, Shakespeare, über den dt.-franz. Krieg 1870 u. die Falkschen Maigesetze. - Und Wichmann: „Aus den Protocollen der Grünen Grotte“ (Ges. Aufss. III/[1890?], 103-209): weitere Äußerungen R.s, so seine Mißbilligung des ArnimProzesses (115), seine Beurteilung des Wertes verschiedener Staatsformen u. seine Ansicht von den „sehr feststehenden ... Zuständen in Amerika“ (146, 156-157). - Wichmann widmete R ein Quintett für 2 Violinen, 2 Bratschen und Cello... Op. 35, Bln.: Mitscher u. Rostell, o. J. Auf Titelbl.: ‚Herrn Geheimrath Professor Doktor Leopold von Ranke gewidmet‘.

Gepräch mit Alexander Ewald von Below-Hohendorf (1801-1882) Berlin, 1870, über die Erneuerung des Kaisertums. In nachgelassenem Diktat R.s (WuN I, 408).

Diner am preußischen Hof Schilderung eines Diners am preuß. Hof, 5. 12. 1870, an dem R neben Fred Gf. Frankenberg u. einigen preuß. Generalen teilnahm (Frankenberg: Kriegstagebücher/1896, 271). - Zahlr. Besuche R.s am preuß. Hof im Jahre 1870 sind vermerkt in einem unveröff. Tgb. CvR.s, s. II, 197, SBB PK, Ms germ. oct. 644.

Zusammenarbeit mit Theodor Wiedemann von Okt. 70 bis zum Tod R.s. Ausführl. Schilderung in seinen Erinnerungen ‚Sechzehn Jahre in d. Werkstatt Leopold von Ranke’s. Zitiert: Wiedemann I/1891 - XV/1893. Zum Inhalt s. I, 43-47.

Begegnung mit Prinz Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen Gerade aus dem Krieg 1870/71 nach Berlin zurückgekehrt, begegnet Hohenlohe-Ingelfingen R, der äußert, er habe ihn so lange nicht gesehen, er „sei wohl verreist gewesen“. „Ich glaube, dieser gute Herr lebt als Historiker so sehr lediglich der Vergangenheit..., daß er vom ganzen Kriege nichts gemerkt hat.“ (Kraft zu Hohenlohe-Ingelfingen, IV/1907, 496). - H.-I. ist dabei zweifellos einem der nicht seltenen Scherze R.s aufgesessen, der damit wohl die Leichtigkeit des Sieges hatte unterstreichen wollen.

Vortrag vor einem kleinen Kreis um Kaiserin Augusta vom Kabinettssekretariat der Kaiserin erhielt R mit Schreiben vom 21. 2. 71 die Aufforderung, im kleinen Kreis einen Vortrag zu halten. Das Schreiben befand sich im verschollenen Altbestand des Archivs des Ranke-Vereins Wiehe (s. II, 305.

Audienz bei Kaiser Dom Pedro II. von Brasilien (1825-1891) Audienz bei dem in Berlin weilenden Ks. Dom Pedro II. von Brasilien, bald nach dem 24. 7. 71. Über das dabei geführte Gespräch R in Brief an E. v. Manteuffel, [vor dem 10. 9. 71] (NBrr 561f.). - Siehe auch Wiedemann I/1891,176, A. 1.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Bekanntschaft mit August Reichensperger (1808-1895) und Diner bei Justus von Gruner jr. (1807-1885) R lernte Reichensperger im Okt. 1871 in Berlin kennen (Pastor II/1899, 44). - Diner bei J. v. Gruner jr., 13. 11. 71, an dem Franz v. Roggenbach (1825-1907), F. Blömer, M. Lazarus, Reichensperger u. R teilnahmen. - Aus dem Tgb.: „Er [R] gab die Verkommenheit Berlins in religiöser Beziehung zu, beklagte es, daß man keine Glocken zu hören bekomme sc., meinte aber, eine Aenderung zum Bessern sei nicht abzusehen und keinesfalls von Regierungs wegen herbeizuführen.“ (Ebd., 48).

Gespräch mit Eduard Lasker (1829-1884) einige Jahre vor 1877, positiv über Macaulays ‚History of England, 5 Bde, 1849-1861. Kurzer Bericht Laskers in Brief an Franz v. Stauffenberg, 9. 10. 77, in: Dt. Liberalismus II/1926, 187.

An der Tafelrunde des Prinzen Friedrich Karl von Preußen (1828-1885) Berlin, wohl ab 1871. Kurze Erwähnung in: Prinz Friedrich Karl von Preußen, Denkwürdigkeiten II/1910, 515f. - Auf den Herrenabenden bei dem Prinzen Friedrich Karl traf Joseph Maria v. Radowitz „wiederholt Ranke, Dove, Droysen.“ (Radowitz I/1925, 272).

Begegnung mit Döllinger (1799-1890), Giesebrecht (1814-89) und Gregorovius (1821-91) Tgb.-Eintrag von Ferdinand Gregorovius, München, 2. 12. 71: „Ich war bei Giesebrecht zu Tisch mit ihm, und da war auch Döllinger, stumm und in sich gekehrt, während Ranke vor witziger Rede sprudelte. Ich erstaunte, in ihm auch einen Enthusiasten zu finden. Denn ganz in Feuer und Flammen rief er aus: ‚Das deutsche Imperium ist die größeste That der Menschheit!‘ Meiner Geschichte der Stadt Rom im Mittelalter warf Ranke vor, daß sie italienisirend sei.“ Gregorovius: Römische Tagebücher/1893, 353. - Zu der Begegnung dürfte es Ende Sept. 1871 anl. der Plenarversammlung der Historischen Kommission in München gekommen sein.

1872 Gespräch mit seinem Schüler Ernst Dümmler (1830-1902) Halle, 13. 7. 72, über eine etwaige Berufung Dümmlers auf einen Lehrstuhl für historische Hilfswissenschaften in Berlin, wozu R nicht raten kann. Kurze Schilderung in SW 53/54, 594.

Gespräche mit August Fournier (1850-1920) Berlin, Sept. 1872 über dessen Archivstudien in Berlin zu Urkunden Heinrichs II., über das Wiener Staatsarchivs u. die Stadterweiterung Wiens. Bericht Fourniers in dessen ‚Erinnerungen‘/1923, 94, ähnlich 51. - Siehe auch 1873.

Gesellschaft bei Justus v. Gruner Im Hause v. Gruners traf Hermann Hüffer (1830-1905) „öfters Curtius und Lepsius und Eduard Magnus, einzelne Male auch Ranke, Reichensperger, Ludwig Windthorst und Scheiden und den Historiker Dr. [Wilhelm Ferdinand] Arndt. Die Gespräche waren nie ohne bedeutenden Inhalt; der Wunsch für Deutschlands und Preußens Ruhm und Größe konnte nicht lebhafter als hier geäußert werden.“ (Hüffer/1912, 222f.; vgl. 165). - Von einer Gesellschaft bei Gruner am 10. 12. 72 sind ihm als Gäste „noch Ranke, Karl Georg Gf. v. Usedom, August Reichensperger, Domprobst [Carl Josef] Holzer und der Sekretär der Kaiserin, Dr. [Johannes] Brandis, erinnerlich ...“ (ebd., 265f.). - Auch Moritz Lazarus gedenkt in seinen Lebenserinnerungen einiger Diners bei dem damaligen Kabinettsrat Justus v. Gruner, an denen außer Lazarus u. a. Ernst Curtius, Moritz August v. Bethmann-Hollweg, General L. G. v. Thile, Franz v. Roggenbach, Peter u. August Reichensperger und R teilnahmen, „der sich immer ausbat, neben Lazarus zu sitzen“ (Lazarus/1906, 422).

Im Salon der Gräfin Marie v. Schleinitz (1842-1912) Joseph Maria v. Radowitz berichtet über den Salon der Frau von Schleinitz in Bln. (vermutl. 1872-74), „der angenehmste und einzige Mittelpunkt für eine ausgewählte Geselligkeit, die alle

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht Eleganz des vornehmen Lebens mit Anregungen auf geistigem und künstlerischem Gebiete zu vereinigen wußte“ und in dem „neben der Hofgesellschaft und der Diplomatie ... [Hermann v.] Helmoltz, Ranke, [Adolph v.] Menzel, [Ludwig] Knaus, [Reinhold] Begas, G[ustav] Richter, Anton Werner ...“ verkehrten (Radowitz I/1925, 269).

Gespräche mit seinem Schüler Karl Wilhelm Nitzsch (1818-1880) in den Jahren 1872-1879. Kurze Referate in: Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/ 1910, passim, u. in: Briefe von K. W. Nitzsch an W. Schrader/1912, passim. Hierüber auch - mit Urteilen R.s über Nitzsch - Wiedemann XIV/1893, 352f. u. a. Brief vom 2. 11. 72: Nitzsch, der gerade einen Ruf nach Berlin angenommen hat, nach einem Besuch bei seinem Lehrer R: „Ranke, der mich auf das Liebenswürdigste empfing, meinte in dem bekannten kurzen Ton: ‚Es kommt nur auf die Uebungen an, dann findet sich auch das Andere.‘ Uebrigens erkundigte er sich angelegentlich nach ‚seinem Freund Maurenbrecher‘. Den kleinen, durch und durch frischen Meister ab und zu sprechen zu können, ist doch noch was Schönes.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 322). - Nitzsch schildert in seinen Briefen aus Berlin an Wilhelm Schrader mehrere Begegnungen mit R, so in Brief vom 28. 12. 72, wie „sich in einer Kommission unter vier Augen Ranke und [Moriz] Haupt über Waitzs Taciteische Studien [‚Über die principes in der Germania des Tacitus‘, Gött.1862] ausließen.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Schrader/1912, 55). - Siehe auch spätere Jahre.

Diner bei Etta Hitzig Nach 1871. Einladung Etta Hitzigs, Tochter ER.s, an Moritz Lazarus zu einem Diner mit C. v. Noorden und R (Lazarus: Lebenserinnerungen/1906, 434).

1873 Gespräch mit Ernst Ludwig von Gerlach 6. 2. 73. - Gerlach berichtet in seinem Tgb. von einer Äußerung R.s ihm gegenüber anl. eines „Balls auf dem Schloß“: „[18]66 war notwendig“. Und fährt fort: „Was hilfts denn auch noch Mogul (Ranke) sein? Das kann man so wohl haben.“ (E. L. v. Gerlach II/1903, 360).

Gespräch mit Heinrich Wilhelm Dove (1803-1879) Berlin, kurz vor dem 13. 3. 73, über die Schrift von dessen Sohn Alfred Dove: ‚Alexander von Humboldt auf der Höhe seiner Jahre‘ und Alfred Doves Beurteilung Friedrich Wilhelms IV. (Die Schrift Doves in: Alexander von Humboldt. Eine wissenschaftliche Biographie. Hg. v. Carl Bruhns, Bd. II, Lpz. 1872, 95-484). - Skizze des Gesprächsinhalts in Brief R.s an A. Dove, 13. 3. 73 (SW 53/54, 506f.). R empfahl Dove, sein Urteil über Friedrich Wilhelm aufgrund der gerade erscheinenden Ausg. des ‚Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ zu revidieren.

Gespräch mit Helmuth Gf. v. Moltke (1800-1891) über R.s ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘, i. b. über Olmütz, Berlin, 13. 4. 73. - Erstdr. in Rankes Tgb.-Aufz. ‚Friedrich Wilhelm IV. und Napoleon III., 15. April 1873‘ (SW 53/54, 598f.), Zweitdr. WuN I, 414f. - Bei Wiedemann (XIV/1893, 354) sind undatierte Besuche Moltkes bei R überliefert: „Es war vorzüglich das Bedürfnis der Besprechung über die Wahlen für die Berliner Akademie der Wissenschaften und die Friedensklasse des Ordens pour le mérite“.

Äußerungen gegenüber seinem Amanuensen Paul Bailleu, 1873-1876 R.s Amanuense überliefert Eindrücke von R.s Arbeitsweise und Bemerkungen über sein Werk ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege‘ (1875). Hierüber soll Ranke geäußert haben: „Das Buch ist von einer Importanz, daß dadurch die ganze Auffassung der neueren Geschichte umgestaltet wird“. Weitere Äußerungen, im Frühjahr 1874, zusammenhängend mit der erweiter-

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht ten Neuaufl. der PÄPSTE, über das Vatikanische Konzil und die damalige preuß. Kirchenpolitik (B[ailleu], P[aul]: Leopold v. Ranke/1895, 2). - Siehe dazu I, 43.

Unterredung mit dem italienischen Ministerpräsidenten Marco Minghetti (1818-1886) über die gegenwärtigen europäischen, i. b. italienischen Verhältnisse, Berlin, 26. 9. 73. - Erstdr. einer Aufzeichnung R.s in: SW 53/54 (1890), 599f., Zweitdr.: WuN I, 415f.. - Siehe II, 228. - In den Lebenserinnerungen Minghettis (Miei ricordi, 3 Bde, Rom, Turin, Neapel Bd. I, 4. Aufl. 1889; Bd. II, 1. Aufl. 1889, Bd. III, 2. Aufl. 1890) ist R nicht genannt.

Gespräche mit August Fournier Die zweite Begegnung (s. 1872) datiert von Okt. 1873 (nicht 1883!), als R mit seinem Sohn Otto zu Archiv-Studien in Wien weilte, wozu Ottokar Lorenz ihm Fournier als Hilfskraft empfohlen hatte. Gespräche u. a. über das Wiener Staatsarchiv, die Weltausstellung und die ‚Schwiebuser Affäre‘. Ausführl. Bericht Fourniers in dessen ‚Erinnerungen‘, 1923, 106f. u. 130f.

Gespräch mit Maximilian Duncker (1811-1886) Dir. der preuß. Archive, Berlin, 1. 10. 73, über den Verlag der ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘ (R an Geibel, 1. 10. 73, Geibel/1886, 53f.). Siehe auch 1874/75.

Ein von Ranke gegebenes Essen Berlin, 15. 10. 73, für Dümmler, Giesebrecht, Nitzsch, Waitz, Maurenbrecher u. K. Müllenhoff (1818-1884), in Zusammenh. mit Beschlüssen z. Reorganisation der MGH (Bresslau/1921, 512).

Gespräch mit Ottokar Lorenz über historische ‚Ideen‘ und ihre Erkennbarkeit, Wien, Okt. 73. Erstdr./Tdr. d. Aufzeichnung Lorenz’ in Lorenz: Geschichtswiss. I./1886, 268; vollständiger in Dass. II/1891, 59f., A. 2.

Gespräch mit Ottokar Lorenz über Wallenstein, über historische ‚Ideen‘ und Generationen, Wien, Okt.1873. Erstdr. der Aufzeichnung Lorenz’ in Lorenz: Geschichtswiss. II/1891, 137f., A. 1.

Gespräch mit Alfred von Vivenot (1836-1874) über das Verhältnis des Deutschen Reiches zu Oesterreich-Ungarn, Wien, 30. 10. 73. Ausführlicher Bericht des oesterr. Historikers Vivenot an den oesterr. Min. des Äußeren, Gfn. Julius Andrassy vom 6. 11. 73. Erstdr. (Tdr.): Ritthaler/1929, 3 und Zweitdr. mit wenigen Umformulierungen: Ritthaler/1935, 47-49. - Drittdr. (vollst.) Srbik: Universalismus/1938, 382-384. Der Bericht fand sich zu S.s Zeit im Haus-, Hof- u. Staatsarchiv Wien, Varia Preußen.

1874/1875 Im Salon der Anna von Helmholtz Robert v. Mohl, Bruder von Julius v. Mohl berichtet von seiner Zeit als Mitgl. d. Reichstags in der 1. (Frühjahrs-) Session 1874, wo er in Berlin bei seiner Tochter Anna (1834-1899, Salonnière. Siehe Wilhelmy/1989, 659-669), verheiratet mit Hermann v. Helmholtz, wohnt. Bei deren wöchentl. ‚offenen Abenden‘ macht er u. a. die Bekanntschaft der Frau von Schleinitz, der Gf.n Reventlow, des Gfn. Karl Georg v. Usedom, von Legationsrat Karl Mayer, der Staatssekretäre v. Philipsborn u. K. H. Thile, der Gelehrten Mommsen, Lepsius, Pertz, Ranke, E. Zeller, der Maler A. Menzel, G. Richter u. Anton Alexander v. Werner sowie von Julius Meyer. (R. v. Mohl: Lebenserinnerungen II/1902, 180).

Gespräch mit Petrus Paul Maria Alberdingk Thijm (1827-1904) Pastor: Tagebücher, Briefe, Erinnerungen/1950, 59f. Zum 30. 6. 1875: „Alberdingk Thijm sprach in Berlin seinerzeit Leopold Ranke, der sehr freundlich war und mit einer Mischung von Be-

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht scheidenheit und Hochmut sagte: ‚Sie haben die karolingische Zeit viel genauer studiert [Petrus Paul Maria Alberdingk Thijm: Karl der Große und seine Zeit, Münster 1868], ich habe mich damit nur als Dilettant beschäftigt.‘ Ranke lobte Gförer sehr, polemisierte aber gegen Onno Klopp. Übrigens sei bemerkt, daß Ranke auf seinem Tisch ein großes Kruzifix stehen hatte.“

Gespräch mit Kaiserin Augusta, Großherzogin Luise v. Baden und Großherzog Friedrich v. Baden u. a. über den Zusammenhang des Jahres 1792 mit dem Jahre 1871, Berlin, 2. 1. 74. Mitgeteilt in R.s Tgb.-Aufz. „Neujahr 1874“ SW 53/54, 600. - Zweitdr.: WuN I, 416f.

Gespräch mit Maximilian Duncker Berlin, Jahreswende 1874/75 über sein Hardenberg-Werk. Kurze Mitt. bei FvR VI/1905, 221.

Gespräche mit Constantin Rößler (1820-1896) über Goethe und dessen Bericht über die Campagne in Frankreich, 1874/75, sowie - schwer datierbar - über Hegel, der „zu einseitig die ideale Seite der Geschichte ins Auge gefaßt“ habe. Kurzer Bericht des R-Hörers (s. Berg/1968, 236) Rößler in: Rößler/Juli 1886, 69f. u. 71 bzw. Rößler/1902, 303f.

Zum 80. [eigentlich 79.] Geburtstag und zum 50jährigen Schriftstellerjubiläum, 21. Dez. 1874 Nitzsch an Maurenbrecher, 21. 12. 74: „Hier wird heute, eigentlich auf Veranlassung des alten Director [Ferdinand] Ranke, eine feierliche Gratulationscour bei unserem Altmeister stattfinden, bei der die hiesigen Schüler ihre Glückwünsche zum 80sten (ich zähle freilich 79sten [er zählt richtig!]) Geburtstag und zum 50jährigen Schriftstellerjubileum bringen. Ich bin recht lange nicht dort gewesen. Bei der Gelegenheit habe ich auch [Theodor] Toeche endlich kennen gelernt.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 348).

1875 Im Gespräch mit K. W. Nitzsch Nitzsch an Schrader, 2. 4. 75: „Dem alten Ranke kommen wieder seine alten Bedenken über diese Umsiedelung seines Lieblings [Waitz von Göttingen nach Berlin zur Übernahme der Zentraldirektion der MGH]. Der alte Herr arbeitet jetzt an den Hardenbergschen Memoiren. Hardenbergs eigene Arbeit (1803-1807) würde, meinte er, wol 2 Bände ausmachen; dazu fügt er die früheren Jahre ‚mehr von allgemeinen Gesichtspunkten‘ u. die späteren bis [18]13, zum Anfang des Kriegs aus einem Französischen Memoire u. einer Aktenstücksammlung Schölls“. (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Schrader/1912, 72f.). - Nitzsch an Maurenbrecher, 10. 8. 75: „Ranke ist übrigens hier geblieben, er denkt nur im September nach München [zu gehen]. Ich habe ihm versprochen, Ihre Aufsätze über [Heinrich Theodor v.] Schön zu bringen [s. ADB 32, S. 781]. Wie er mir sagte, hat er schon längst den Verwandten zugeredet, die Sachen selbst zu publiciren. Das hätte er nun wol bleiben lassen können.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 357). - Nitzsch an Maurenbrecher, 7. 11. 75: „Ueber Waitz V und VI [Deutsche Verfassungsgeschichte, Bd. V u. VI, 1874 u. 1875] urtheilt man hier wie Sie! Ranke sagte mir ‚das ist ja kein historisches, nur ein juristisches Buch‘, ich vermuthe, daß ers ihm selbst auch gesagt.“ (Ebd., 359). - Nitzsch an Schrader, 13. 10. 75, ebenfalls über die Bde V u. VI: „Von den letzteren meinte Ranke: ‚das ist doch eigentlich ein ganz juristisches Buch, gar keine historische Anschauung‘“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Schrader/1912, 75).

Gespräch mit Heinrich Geffken (1830-1896) in oder nach 1875, bei Entgegennahme von dessen Werk ‚Staat und Kirche in ihrem Verhältnis geschichtlich entwickelt, Bln. 1875. Kurze Erwähnung: Wiedemann XIV/1892, 354.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Um 1875 (?) Julius v. Eckardt (1836-1908) berichtet von seinem Verkehr im Hause des Unterstaatssekretärs im Ausw. Amt, Justus von Gruner jr. Hier ist er auch dem „schon damals uralten Ranke ... wiederholt begegnet“; „körperliche Hinfälligkeit des alten Herrn..., dessen Körper widerstandslos nach einer Seite herabhing, sobald er länger als eine Stunde bei Tisch saß. Im Einzelgespräch zeigte der anscheinend gebrechliche Greis, daß er sich den Vollbesitz seiner geistigen Kräfte zu erhalten gewußt habe; sein Gedächtnis war von so wunderbarer Frische, daß ihm bei einer der Einzelheiten des nordischen Krieges betreffenden Unterhaltung keine Zahl und kein Name fehlte. - Politische Fragen des Tages wurden in dieser mitunter ziemlich heterogen zusammengesetzten Gesellschaft [u. a. Exjustizminister August v. Bernuth (1808-1889), der Ägyptologe Carl Richard Lepsius, die Brüder Reichensperger] in der Regel nur gestreift und, wenn sie nicht vermieden werden konnten, mit einer gewissen Zurückhaltung erörtert.“ (Eckardt: Lebenserinnerungen I/1910, 150).

Zeitlich unbestimmtes Gespräch mit Wilhelm Scherer (1841-1886) Mitte der 1870er Jahre? - Lamprecht/1905 teilt die „wohl verbürgte“, später gern wiederholte Anekdote mit, nach der R auf Fragen des Germanisten Wilhelm Scherer „nach den Einwirkungen der romantischen Philosophie auf ihn u. a. m.“, auch nach dem Verhältnis zu Hegel, geantwortet habe: „Ich bin überhaupt viel originaler als Sie glauben“ (325).

Zeitlich unbestimmter Besuch Arnold Schaefers (1819-1883) bei Ranke R an Schaefer, 16. 2. 82: „Ich denke noch immer mit Vergnügen des Besuches, den Sie mir vor einigen Jahren in Begleitung ihrer Frau Gemahlin machten...“ (NBrr 698).

1875/1876 Gespräch mit dem preußischen Krpr. Friedrich Wilhelm das Gespräch mit dem nachmaligen Ks. Friedrich III., 1875/76, über R.s ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘ ist erwähnt in Dedikationsbrief R.s an den Krpr. Friedrich Wilhelm, 17. 1. 77 (NBrr 640f.).

Gespräche mit K. W. Nitzsch 1875/76 Nitzsch an Christian Peter Jessen, Berlin, Ostermontag 1875: „Am 10. April tritt die akademische Monumentencommission hier zusammen, für hier Waitz und Mommsen, München Giesebrecht, Hegel, Wien Sickel, Stumpf. Die Sache ist nun, Gott sey Dank, endlich so weit, daß Waitz endlich zum praeses gewählt werden und dann als solcher zu Mich[aelis] hierher kommen kann. Der alte Ranke schüttelt noch immer den Kopf dazu, aber er meint doch schließlich auch, es gäbe keinen andern für den Posten“ (Briefe von K. W. Nitzsch/1911, 68). - Nitzsch an Maurenbrecher, 8. 1. 76: „Rankes Amanuensis, der seit 3 Jahren bei ihm, meint, er verändere sich allmälig, werde flüchtiger im Arbeiten und haste, möglichst viel fertig zu machen. - Am 21. [Dezember des Vorjahres, seinem 80. Geburtstag] war er sehr frisch. Wie lange werden wir ihn wol noch haben? Ich denke doch, zum Theil ist es seine Schuld, daß wir jetzt mit der alten Geschichte so übel daran und vor Allem, daß der große und natürliche Zusammenhang so vollständig zerrissen. Es ist für mich speciell ... ein trostloses Gefühl, so ganz allein in dieser Richtung zu stehen, aber so ganz!!“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 362). - Brief vom 9. 6. 76: „Ranke mußte neulich den rechten Arm 14 Tage in der Binde tragen und schilderte sehr komisch, mit welchen Schmerzen er den ‚Genuß eines reinen Hemdes‘ erkaufen müsse. Ich habe ihn kaum je so frisch gesehen wie die letzten Male. Nach dem Tode des Bruders [Ferdinand] sprach er davon, wo er sich das Erbbegräbniß gekauft, dicht am Judenkirchhof: ‚die suchten sich immer das beste Stück aus und da‘, fügte er schmunzelnd hinzu, ‚werden wir dann die Resurrection erwarten.‘ Der Hardenberg soll freilich ein ganz ungenießbares Buch werden.“ (Ebd., 438). - Brief vom 21. 10. 76: „Der alte Ranke war nicht in München [zur Plenarver-

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht sammlung der Hist. Komm., s. Reden]. Ich habe ihn seit Pertz Tod [7. Okt. 1876] noch nicht gesprochen.“ (Ebd., 441).

1876/1877 Gespräch mit Hermann Hüffer (1830-1905) Berlin, 28. 4. 76 u. 29. 8. 77, über A. v. Reumont, die Biographie und Memoiren des Staatskanzlers Fürsten v. Hardenberg und über Savonarola. Kurzer Bericht in Hüffer/1904, 200 u. in Hüffer/1912, 291f. - Siehe auch unter 1868, 1869, 1872, 1882.

Gespräch mit Henrik Marczali Das Gespräch R.s mit dem ungarischen Geschichtsstudenten fand statt anläßlich der Feier von Rankes 60jährigem Doktorjubiläum, 20. 2. 77. - Kurzer Bericht: Pók/2004, 101.

Theodor Mommsen (1817-1903) bei der Feier von Rankes 60jährigem Doktorjubiläum, 20. 2. 77. Mommsen an Wilhelm Henzen, 6. 3. 77: „...bei der letzten Ranke-Feier habe ich die Ansprache für die Akademie und den Haupt-Toast gehabt, was mir um so unbequemer war, als ich gegen diese Gattung der Geschichtschreibung bei allem großen Respekt ernstliche moralisch-politische Bedenken habe. Es ist aber ganz gut abgelaufen, besonders deswegen, weil ich so frei war diese in schicklicher Weise anzudeuten; der alte Herr hat mir zum Dank seinen Hardenberg verehrt und ist vergnügt wie ein Wiesel.“ (Wickert: Mommsen III/1969, 430).

Letzte Begegnung mit John Lord Dalberg-Acton 1877. Erwähnung in: Acton (1896)/1952, 19. Siehe auch: Pauli/1895, 315.

Gespräch mit Ludwig Frhrn. von Pastor (1854-1928) Kurz über venezian. Gesandtschaftsberichte, über Johann Friedrich Böhmer u. Augustin Theiner, Berlin, 15. 3. 77. Aufzeichnung Pastors in seinen Tgbb., Pastor/1950, 99f.

Besuche im Hause Julius v. Mohls Anna v. Helmholtz an ihre Mutter, Berlin, 21. 3. 77: Besuche R.s erwähnt, die v. a. ihrer Tante Mary, der Frau Julius v. Mohls, geb. Clarke (1793-1883), gelten (Anna v. Helmholtz I/1929, 213).

Äußerungen gegenüber seinem Amanuensen Georg Winter Apr. 1877-Sept. 1879, u. a. über R.s Besuch in Topper (dem Gut E. v. Manteuffels), Aug. 1877, die dort diktierte Biographie Friedrichs d. Gr. und den dort gefaßten Entschluß, eine ‚Weltgeschichte‘ zu schreiben (Winter: Erinnerungen/1886). W. berichtet auch von einem „kurzen Entwurf einer Universalgeschichte ..., der ihm dereinst als Grundlage zu den Vorlesungen gedient hatte, die er in Tegernsee [Berchtesgaden 1854] dem Könige Max von Bayern gehalten hatte.“ (ebd., 219f.). Es dürfte sich bei dem „mäßig großen, sauber geschriebenen Quartheft in blauer Pappe“ (ebd.) nicht um die „Grundlage“ der Vorträge gehandelt haben, sondern - nach stenografischer Aufnahme - um das heute verschollene Gegenstück zu dem noch erhaltenen Reinschriftexemplar für Maximilian (s. Henz/2009).

Gast bei Edwin von Manteuffel auf Gut Topper, Aug. 1877. Schilderung in Brief an Maximiliane, 28. 8. 77 (SW 53/54, 535537).

Gespräche mit Carl Richard Lepsius (1810-1884) über Fragen der Ägyptologie, zu Beginn der Arbeiten an der WG. Skizziert von Wiedemann XIV/1893, 353f.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Weitere Gespräche mit Karl Wilhelm Nitzsch, 1877/78 Nitzsch an Schrader, 19. 5. 77: „Max Duncker arbeitet an einer Beurteilung der Hardenbergschen Memoiren, zu der ihn Ranke selbst dringend aufgefordert; sie wird wol recht scharf ausfallen. [Duncker/1877. Siehe dazu die private Replik R.s bei Hinneberg/1892 sowie R.s Brief an Geibel, 28. 6. 77, Geibel/1886, 105]. Ranke selbst schreibt die Biographie Friedrich Wilhelms IV. für die Münchener Deutsche Biographie und klagte, daß außer der Königin Wittwe [Elisabeth] so viele gestorben, auf deren Mittheilungen er dabei gehofft. Das archivalische Material, das er flüssig gemacht, bezieht sich immer nur auf einzelne Partien.“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Schrader/1912, 83). - Brief vom 9. 8. 77: „Ranke will Mitte dieses Monats zu [Edwin v.] Manteuffel aufs Land, ich möchte die beiden wol vertraulich discourrieren hören. Unser Alter ist wunderbar frisch u. thätig, förmlich übermüthig.“ Ranke habe nichts von dem „Schulmeisterton“, der Nitzsch in Berlin „bei vielen so auffällt“ (89). - Brief vom 17. 2. 78: „Der alte Ranke, den ich neulich mal wieder besuchte, meinte zu den Russischen Erfolgen: ‚man kann doch Nichts dagegen sagen.‘ Er steckt jetzt tief in alter Geschichte, Assur, Ägypten, das älteste Griechenland kommen nach einander dran [WG I/1881]; in der letzten hat er sehr skeptische Ansichten, so daß wir da sehr zu einander stimmen. Seine Arbeitslust ist ungebrochen“ (94). - R habe ihm gesagt, Mommsen, habe „neulich auf seine Frage die Weiterführung der Römischen Geschichte noch ganz ins Unbestimmte hinausgeschoben.“ (Ebd.). Diese Frage war R wichtig im Hinblick auf seine eigene Darstellung in WG.

1878 Gespräch mit Kaiserin Augusta im Beisein von Großherzog Friedrich I. von Baden und Gemahlin Luise Berlin, 16. 6. 78, über das Befinden Kaiser Wilhelms I. - Siehe R.s Tgb.-Aufz. „Nach dem Nobiling’schen Mordversuch“ (SW 53/54, 620f.), II, 230 und die Darstellung in seinem Brief an Maximiliane, 30. 7. 78 (NBrr 661f.).

Unterredung mit Jovan Ristić Berlin, 28. 6. 78, mit dem serb. Ministerpräsidenten über die gegenwärtigen serb. Verhältnisse. Erstdr. einer Aufzeichnung R.s aus seinem NL: SW 53/54 (1890), 621-623. Zweitdr.: WuN I, 442-444 mit der Bemerkung „Vorlage verschollen“. Siehe II, 230 (‚Berliner Congreß‘, 1878).

Gast bei Edwin von Manteuffel auf Gut Topper, 10. - 17. 8. 78. Darüber in Brief an ER, 18. 8. 78 (Hitzig/1906, 326). Wiedemann (V/1892, 345f., A. 2) zufolge war es seine letzte Reise überhaupt.

1879 Besuch von Karl Hermann von Thile (1812-1889) vor Mitte April 1879. Darüber R an Alfred v. Reumont, 15. 4. 79 (Hüffer/1904, 205).

Gespräch mit Alexander von Sybel (1823-1902) über die Verhältnisse im Elsaß. Bericht in einem Diktat R.s, datiert 2. 12. 79 - als Beil. zu einem Schreiben an E. v. Manteuffel vom 22. 12. 79 - aus R.s NL, Erstdr.: SW 53/54 (1890), 636-638, Zweitdr. mit dem irrtüml. Vermerk „Vorlage verschollen“ in WuN I, 467f.. - Or.: GStA PK NL E. v. Manteuffel B II, Nr. 54.

Feier des 84. Geburtstags Nitzsch an Maurenbrecher, 21. 12. 79: Nitzsch hat „heute Mittag“ Maurenbrechers Glückwünsche zu R.s 84stem Geburtstag ausgerichtet, „er erwidert Ihre Grüße aufs freundlichste. Es war große Cour: Auch Wattenbach war da ...“ (Briefe von K. W. Nitzsch an W. Maurenbrecher/1910, 463).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Äußerungen in Anwesenheit seines Amanuensen Ignaz Jastrow (1856-1937) In: Jastrow: Leopold von Ranke†/1886. - Während der Amanuensenzeit im Dienste R.s (Okt. 1879 bis 1880), aber auch darüber hinaus, vernahm Jastrow Äußerungen über Gottfried Hermann, dessen Einfluß Ranke bestritt (490), sodann über die in Franz Xaver Wegeles ‚Geschichte der deutschen Historiographie...‘ (1885) angedeutete Nachricht, R habe „noch als Student und halb aus zufälliger Veranlassung die Kanzel bestiegen“, was Ranke bestritt: „Prediger sei er niemals gewesen, die Kanzel habe er auch damals nicht bestiegen, er habe nur in der Kirche gesprochen“ (ebd.). Von Wachler habe Ranke „wie von einem Gönner“ gesprochen, da dieser „zuerst auf seine Schriften aufmerksam gemacht habe“ (ebd.) [Wachler/41826, VIII. Der erste war Wachler freilich nicht. Doch erinnerte R sich später nicht mehr gern an Varnhagens großes Verdienst um ihn: [Varnhagen von Ense/1825]. - Des weiteren eine wiederum ablehnende Äußerung über die Schule: „Nicht die Schule erzieht den Menschen, sondern das Leben. Der Mensch ist wie ein Baum, der seine Kraft nicht so sehr aus dem Boden zieht, als sie von Luft und Licht, Wind und Wetter, den Stürmen selbst empfängt.“ (ebd.). - Daß zwischen seiner Ernennung zum Historiographen des preußischen Staates und seinen 9BPreußG „irgendein Zusammenhang bestände“, habe Ranke „auf das Entschiedenste bestritten“ (ebd.). Über Grote, den er bei seiner WG herangezogen habe, überliefert Jastrow folgende Äußerung: „Ein furchtbarer Demokrat ist er, aber das braucht man nicht von ihm zu lernen. Ein feiner Kopf ist er, auch in politischen Fragen. Hören muß man ihn immer.“ (491). - R habe übrigens, auch auf seine Vorlesungen bezogen, aber „überhaupt bei einem Rückblick auf frühere Jahre niemals die Empfindung“ gehabt, „daß er (was Andere oft behauptet haben) zuerst nur langsam vorwärts gekommen sei.“ (ebd., Klammern i. T.).

1880er Jahre Gespräch mit seiner Nichte Etta Ranke (spätere Etta Hitzig) vor dem 10. 3. 80, über Carl v. Noorden, über R.s „Glaubensbekenntnis“, Christus in der WG u. a. - Bericht in einem Brief Ettas an ihren Vater ER, 10. 3. 80. Erstdr.: Philippsborn/1963, 202.

Gespräch mit Heinrich von Sybel Berlin, 1. 8. 80. Kurze Bemerkungen über ein langes Gespräch in Brief R.s an seine Tochter Maximiliane, 4. 8. 80 (NBrr 688).

Gespräche mit Wilhelm Arnold (1826-1883) mehrere Gespräche mit ihm „in den letzten Jahren“ gehalten zu haben, schrieb R am 3. 7. 83 an ER (SW 53/54, 556) mit Charakteristik seines Schülers.

Gespräch mit Adolf Senfft von Pilsach Berlin, 2. 1. 81, über die Judenfrage. - Erstdr. eines Tgb.-Diktats R.s aus dem NL Hans Delbrücks: [v. Müller:] Tagebuchdiktate/1935, 332-334. Siehe auch R.s Tgb.-Diktat ‚Senfft v. Pilsach‘ nach dessen Tod, 2. 11. 82 (SW 53/54, 641-643).

Gespräch mit Hans Delbrück (1848-1929) Vermutl. um 1881 über sein (R.s) Verhältnis zu Hegel. Äußerung R.s bei Delbrück: Weltgeschichte I/1923, 9f.

Gespräch mit Edwin von Manteuffel Berlin, 22. 1. 81, über Manteuffels Stellung als Statthalter des Elsaß. Erstdr. eines Tgb.-Diktats R.s aus dem NL Hans Delbrücks: [v. Müller:] Tagebuchdiktate/1935, 334.

Gespräch mit Prinz Albrecht von Preußen über R.s ‚Weltgeschichte‘ und über polit. Fragen, Berlin, 24. 1. 81. - Erstdr. eines Tgb.-Diktats R.s aus dem NL Hans Delbrücks bei [v. Müller:] Tagebuchdiktate/1935, 334f.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Gespräch mit Paul Frédéricq (1850-1920) Berlin, 1881 oder 1882. Frédéricq/1882 über den R mit Macaulay vergleichenden Artikel von Pierson/1877.

1882 50jähriges Akademie-Jubiläum J. G. Droysen an seinen Sohn Gustav, 6. 8. 82: Der „edle Mommsen“ habe „phrasenhaft wie ein richtiger Journalist“ dem alten R bei festl. Anlaß eine „‚Lobhudelei‘ an den Kopf geworfen“ (Wickert III/1969, 30). Es handelte sich dabei wohl um das am 13. Febr. gefeierte fünzigjährige Akademie-Jubiläum R.s. (s. II, 419ff.).

Gespräch mit Ludwig Geiger (1848-1919) nach dem 13. 2. 82, über Geigers Werk ‚Geschichte der Juden in Berlin‘, Bln.1871 und die darin behandelten Rahel u. Karl August Varnhagen von Ense. Referiert in: Geiger/1918. - G. war auch „später ... mehrfach bei Ranke“.

Gespräch mit dem preußischen Krpr. Friedrich Wilhelm Berlin, 15. 2. 82, über das epitaphische Unternehmen des nachmaligen. Ks. Friedrich III. (s. Abt. wiss. Denkschriften 1876, 1878 u. 1882), in den wesentlichen Punkten zusammengefaßt in R.s Brief an den Kronprinzen vom 17. 2. 1882 (NBrr 700f.).

Gespräch mit Hermann Hüffer Berlin, 10. 4. 82, letzter Besuch Hüffers bei R: „ein uralter Mann, ganz zusammengeschrumpft. Die Gestalt verschwand beinahe in dem dunkelsamtnen Schlafrock, Haare und Bart weiß und lang gewachsen, aber im Blick das alte Feuer und seine Rede so belebt, flüssig, ausdrucksvoll wie jemals.“ ... „Sehr eingehend erkundigte er sich dann nach Reumonts Befinden, sprach mit vollem Verständnis von seinen Arbeiten und mit großer Wärme von seinem Charakter. Von selbst richtete sich das Gespräch auf den Zweck meiner Reise“ [eine Biographie Lombards, erschien als: ‚Die Kabinetsregierung in Preussen und Johann Wilhelm Lombard, ein Beitrag zur Geschichte des preussischen Staates, vornehmlich in den Jahren 1797 bis 1810, von Hermann Hüffer, Lpz.1891]. „Durch die Memoiren Hardenbergs war Ranke mit den Persönlichkeiten, die auch mich jetzt beschäftigten, auf das genaueste bekannt geworden. Den Minister Haugwitz hatte er 1830 in Italien auf seiner Villa in der Nähe von Padua noch besucht. Über Lombard gab er ein billiges Urteil ab und verwies mich dabei auf das Zeugnis eines Zeitgenossen, des Geheimen Rats Le Cocq ... Er sprach dann von seinen eigenen Arbeiten, besonders von dem großen Werk über Hardenberg. Als es beendigt war, hatte er daran gedacht, eine deutsche Geschichte zu schreiben, aber die Entwicklung und der Untergang des Kaisertums [?] boten zu wenig Reiz. Er wandte sich zur allgemeinen Geschichte; ‚eben‘, sagte er, ‚bin ich mit meinem Freunde Tacitus beschäftigt, er macht mir große Sorge, denn ich muß ihm widersprechen. Seinem Urteil über Tiberius kann ich nicht zustimmen.‘ [Siehe WG III/Analekten] Länger als eine Stunde durfte ich bei ihm verweilen; leider zum letztenmal“ (Hüffer/1912, 313f.). Siehe auch Hüffers Brief an R, 9. 8. 82 bei Hoeft/1937, 52-54.

Feier des 87. Geburtstags Berlin, 21. 12. 82, unter Anwesenheit u. a. von Waitz, Wattenbach, Weizsäcker, E. Zeller, C. Rößler, H. Delbrück, K. H. v. Thile, K. Friedr. Meyer, Carl Richard Lepsius, Editha Gfn. Hacke, Marie Drake (geb. Gfn. v. Waldeck), v. a. Gespräch mit dem preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm, u. a. über dessen epitaphisches Unternehmen (s. Abt. wiss. Denkschriften 1876, 1878 u. 1882) und die „allgemeine Lage der heutigen Politik“. Siehe R.s Tgb.-Diktat ‚Geburtstagsfeier, 21. December 1882‘ (SW 53/54, 643-645).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

1883 Gespräche mit Constantin Rößler vor und nach dem Erscheinen von WG III (1883), über „das Wesen der Lehre Christi“ und die historische Kritik. Referat bei Rößler/(1887) 1902, 328.

Gespräch mit Edwin v. Manteuffel über die in WG III (1883) gegebene Darstellung vom Ursprung des Christentums. In Auszügen nach der Erinnerung mitgeteilt von Wiedemann XIV/1893, 343f. - Siehe dazu auch Holtzmann/1883 u. Varrentrapp/1905.

Gespräche mit Georg Waitz i. b. über Gregor von Tours und die ‚Historia epitomata‘ des sog. Fredegar, zu Zeiten der Abfassung der WG, vermutlich 1883. - Nach der Erinnerung skizziert von Wiedemann XIV/1893, 351f. - Über Gregor von Tours R in den Analekten zu WG IV/2 (1.-3. Aufl. 1883), 328-368.

1884 Besuch des preussischen Krpr. Friedrich Wilhelm späteren Ks. Friedrichs III. Januar 1884. - Schilderung bei Weisse/Aug. 1886.

Besuche von Sophie Weisse Sophie Weisse war die Frau eines blinden Schülers R.s. Siehe dazu NBrr, 412 u. 776. - Weisse vermittelt hier englischen Lesern nach einem kurzen Lebensabriß R.s einen Eindruck von Berlin, von R.s Wohnhaus u. Räumlichkeiten, schildert eigene Besuche u. disparate Bruchstücke von Gesprächen mit R., v. a. aus dessen letzten Lebensjahren - u. a. über die WG, die Übers. seiner Werke ins Englische, R.s verstorbene Frau Clarissa, einen Besuch des Kronprinzen bei Ranke, Jan. 1884 -, wobei auch R.s Äußeres, Auftreten, Redeweise usw. berücksichtigt werden. „... everything is good that makes the two nations known to each other.“ (258), habe R über England und Deutschland geäußert. (Weisse/Aug. 1886, 251-258.

Besuch Wilhelm von Giesebrechts Berlin, 6. 4. 84. Kurze Erwähnung im Tgb.-Diktat vom selben Tage (SW 53/54, 649).

Gespräch mit Friedrich Wilhelm, Erbgroßherzog von Baden Berlin, 25. 6. 84. Kurze Bemerkung in Brief an Maximiliane, 26. 6. 84 (NBrr 721).

Feier des 89. Geburtstags M. C.: Dr. Ranke’s Eighty-ninth Birthday/1885: Der Bericht eines Teilnehmers am Empfang im Hause Ranke, einem Ereignis „of national interest“, bei dem eine große Zahl von Professoren, darunter Mommsen und Sybel, Autoren und Theologen sowie der preußische Kronprinz und die Söhne des Großherzogs von Baden zugegen waren. - Kurze Bemerkungen über R.s Äußeres, Gesundheitszustand, Arbeitsweise. - R.s Tochter Maximiliane im Gespräch: Er habe sich von allem zurückgezogen, sein Interesse gelte nur mehr seiner ‚Weltgeschichte‘: „On this history his mind and heart are concentrated. He still works for eight hours every day ...“. - Weiteres: [Anonym:] Ranke’s ninetieth [richtig 89.] birthday. From the Paris American Register (1885). Siehe auch: Briefe von Wilhelm Wattenbach an Theodor Sickel/1944, 407: Brief vom 25. 12. 84 „Am 21. brachten wir Ranke unsere Glückwünsche beim Eintritt in das 90. Jahr dar, und fanden ihn außerordentlich frisch und munter - uns allen zum Vorbild.“

1885 Gespräch mit Max von Forckenbeck (1821-1892) Das Gespräch mit d. Berliner Oberbürgermeister, 8. 8. 85, fand statt anläßl. der Überreichung des Ehrenbürgerbriefs u. betraf Ks. Wilhelm sowie kommunale u. soziale Probleme. Siehe R.s Tgb.Diktat ‚Überreichung des Ehrenbürgerbriefs, 8. August 1885‘ (SW 53/54, 653-655).

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Gespräch(e) mit Constantin Rößler (?) („Ranke pflegte im Gespräch wohl zu sagen...“), nach dem 7. 12. 85 über das Problem der Periodisierung. Inhaltliche Notiz bei Rößler (1887), 1902, 325.

Besuch des Prinzen Ludwig Wilhelm von Baden (1865-1888) am 19. 12. 85, um anläßl. d. bevorstehenden Geburtstages „Nachricht über das Befinden Ranke’s einzuholen und seinen Durchlauchtigsten Eltern überbringen zu können“ (Toeche/1886, 4).

Feier des 90. Geburtstags Berlin, 21. 12. 85, unter Anwesenheit u. a. von Kultusmin. Gustav v. Goßler, Staatsmin. Rudolph v. Delbrück, Staatssekr. Karl Hermann v. Thile, des Gen.s d. Infanterie Otto v. Strubberg, des Oberbürgermeisters der Stadt Berlin, Max v. Forckenbeck (Ansprache), des Rektors der Univ., Paul Kleinert (Ansprache), des ständigen Sekr.s d. Akademie, Arthur Auwers (Ansprache für die Gesamt-Akademie), Mommsen (maliziöse Ansprache für die phil.-histor. Klasse der Akademie), der Geh. Regierungsräte Althoff, du Bois-Reymond, Curtius, Heinrich Dernburg, Duncker, Förster (Ansprache für die phil. Fak.), Rößler, Zeller, der Professoren Bresslau, Delbrück, Gneist, Koser, Lazarus, O. Lorenz (Ansprache), Maurenbrecher (Ansprache), Menzel, Schmoller, Sybel (Ansprache im Auftrag d. Hist. Komm. nebst wichtigen persönl. Bemerkungen), v. Treitschke, Volz, Waitz (Ansprache), Wattenbach, Weizsäcker (Ansprache), Veit Valentin, Archivrat Max Lehmann, Dozent Dr. Jastrow. - Bei dieser Gelegenheit v. a. Gespräch R.s mit dem preuß. Krpr. Friedrich Wilhelm, u. a. über WG VI, „namentlich ... die Auffassung Ludwigs des Frommen und Ottos des Großen“ sowie über den Tod Kg. Alfonsos v. Spanien. - All dies bei Toeche (1886). Dort auch die für die R-Forschung bedeutende Antwortrede R.s auf die ihm gewidmeten Ansprachen (20-30). Siehe dazu II, 447. - Auch Moritz Lazarus informiert über die Feier von R.s 90. Geburtstag u. berichtet von dessen Interesse für Psychologie, i. b. ‚Völkerpsychologie‘, z. B. auch für Gustav Theodor Fechners ‚Psychophysik‘ [Elemente der Psychophysik, 1860, 31907] (Lazarus: Lebenserinnerungen/1906, 492).

1886 Interview mit dem Berliner Korrespondenten der Times Berlin, 1. 1. 86, R über seinen Arbeitsstil, Englands weltumfassende Macht, über Macaulay und bes. über Carlyle. Bericht: [Anonym]: Leopold von Ranke. In: The Times, 4. 1. 86, 3.

Gespräch mit Frederic A. Bancroft (1860-1945) Bancroft schildert seinen Besuch bei R, Berlin, Febr. 1886: Bancroft, Fr. A./1888.

Gespräch mit Ernst Dümmler Berlin, 14. (?) 4. 86, u. a. über WG VII. Nachweis: Kondolenzbrief Dümmlers an OvR: „Noch bei meiner letzten Anwesenheit in Berlin - ich glaube es wird am 14. April gewesen sein - hatte ich die Freude, Ihren Vater zu sprechen, er lag auf dem Kanapee, aber er war geistig durchaus munter und mitteilsam, nur eine früher nicht so bemerkte Schwerhörigkeit fiel mir auf und erzählte mir von dem 7. Bande der Weltgeschichte, in welchen er gerade bei Heinrich und Gregor zu stehen schien.“ (Bäcker-Ranke/1967, 35f.).

Gespräch mit Alfred Dove Berlin, 16. 4. 86. Nachweis: Kondolenzbrief Doves an OvR, sehr allgemein gehalten, BäckerRanke/1967, 35f. - Vgl. Dove im Vorw. zu WG VIII, p. Vsq.

Gespräch mit Bernhard von Simson Berlin, April. Kurze Erwähnung Simson/1895, 5. Siehe 1862.

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II/7.2 Begegnungen und Gespräche - Übersicht

Gespräch mit Philip A[rthur] Ashworth (1853-1921) Berlin, einige Wochen vor dem 23. 5. 86. Gespräch mit dem Übersetzer der GRGV, über Fragen des Übersetzens, über Walter Scott und das Verhältnis von ‚fiction‘ und ‚facts‘. Siehe A.s Vorw. zu seiner Übers. Lnd. 1887 (II, 598).

Gespräch mit Karl Lamprecht Berlin, 1. 5. 86, worin R. ihn „aufs lebhafteste zur Fortsetzung wirtschaftsgeschichtlicher Studien angespornt“ habe. - Nachweis: Lamprecht/1896, 45.

Gespräch (?) mit Alfred v. Reumont (?) „Wenige Tage vor seinem Tod“, über Bismarck und das Konkordat. Zitat: Reumont/1886, 614.

Äußerung gegenüber seinem Sohn Otto (1844-1928) Auf dem Sterbebett: Am 19. 5. 86 kam R noch einmal zu „freierem Bewußtsein“. Auf die Mitteilung seines Sohnes Otto: „‚Se. Majestät der Kaiser läßt sich erkundigen, wie es Dir geht‘, klärte sich sein Gesicht auf; er wollte sprechen - aber die Worte versagten. Nach einer Minute etwa äußerte er dann: „Es macht also doch Eindruck.“ (OvR: Die letzten Lebenstage/1886, 12f.).

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8. Teil SAMMLUNGEN (II/8)

1. Abteilung (II/8.1) DI E BI BLIOTHEK UND IHRE V ERÄUSSERUNG Obgleich Leopold von Rankes Bibliothek „nach dem Urtheil von Kennern“ für die „größte und wertvollste Privatbibliothek“ Deutschlands gehalten wurde (Winter: Erinnerungen/1886, 211), handelte er selbst in einem Testamentsentwurf vom 28. Dez. 1873 doch sehr realistisch von seiner Sammlung, „die auf 20.000 Bände angeschlagen wird, manches Unbedeutende enthält, aber auch viele Bücher von Wert, unter anderen auch einige wertvolle Manuskripte, die ich meist teils in Venedig, aber auch anderweitig erworben habe. Sollte sie beisammen bleiben können, so wäre mir das das Liebste. Allein der Nutzen, den sie dann gewähren würde, wäre doch sehr zweifelhaft. Ich sehe kein Mittel, als dass man zum Verkauf derselben schreitet, unter welcher Form auch immer, im Ganzen oder im Einzelnen. Ein voluminöser, aber doch sehr unvollständiger Catalog liegt vor.“ (Bäcker[-von Ranke]/1955, Anm. Bd., [80f.]). Gegen Ende seiner Frankfurter Oberlehrerzeit (1824) soll Ranke, der bereits in seiner Pfortaer Schulzeit Bücher - wohl lateinische und griechische ‚Klassiker‘ - angeschafft hatte, die er noch bei seiner ‚Weltgeschichte‘ einsah (an Reumont, 15. 4. 79, SW 53/54, 546, Hüffer/1904, 204), trotz schmaler Bezüge über eine Bibliothek von etwa 1000 Bänden verfügt haben (Hoeft/1937, 7). Er selbst bezifferte sie um eben diese Zeit seiner Übersiedelung nach Berlin anläßlich eines Antrags an das Ministerium auf Umzugszuschuß auf 2000 Bände (NBrr, 64). Schon hier also machen sich die lange Zeit währenden unterschiedlichen Bestandsschätzungen bemerkbar. Auf seiner ersten großen Archivreise wünscht er sich in Wien die „Freiheit ..., zu reisen und die für die europäische Geschichte wichtigsten Manuskripte und Bücher zu lesen, ja vielleicht selbst zusammenzubringen.“ (an HR, 24. 2. 28, SW 53/54, 190). Unmittelbar nach Rankes Tod bot der dem geistlichen Stand angehörende Otto von Ranke (1844-1928), als ältestes seiner drei Kinder mit der Liquidierung des Nachlasses befaßt, die Bibliothek dem preußischen Staat zum Kauf an. Er hatte als Miterbe eines nicht unbeträchtlichen Vermögens gleichwohl weder eine teilweise familiäre Übernahme noch gar eine Schenkung im Sinn, - seinem Vater hatte Kaiser Wilhelm bereits anerkennend nachgerühmt, er sei ein guter „Geschäftsmann“ gewesen (FvR an seine Schwester Maximiliane v. Kotze, 15. 6. 86, unveröff., Ranke-Archiv, Wiehe A. I. 1.3.1.) - sondern das Bestreben, nach möglichst baldiger Kündigung und Leerung der Rankeschen Wohnung, einen hohen Verkaufserlös zu erzielen. Natürlich dachte man zuerst an die Königliche Bibliothek in Berlin. Die Vorstellungen und ersten Forderungen lagen bei 100.000 bis 150.000 Mark. Der von beiden Seiten mit einer Schätzung beauftragte Berliner Buchhändler W. Weber, der noch zuletzt bei der wesentlich homogeneren Bibliothek des einen Tag nach Ranke verstorbenen Georg Waitz tätig geworden war, vermißte - allerdings z. T. in fragwürdiger Argumentation - in den Beständen „den weitaus größten Teil der neueren Erscheinungen, und wenn auch unter den vorhandenen Werken sehr Wertvolles sich befindet, so sind doch aus älteren Zeiten sehr viele Bücher da, über deren wissenschaftlichen Wert die rastlos fortschreitende Wissenschaft und die heutige historische Kritik längst den Stab gebrochen haben, und die teils durch neue Auflagen, teils durch geschätzte Arbeiten neuerer Autoren wertlos geworden sind.“ (Hoeft/1937, 20). Er bedauerte überdies die Unvollständigkeit verschiedener größerer Werke, wie etwa - 509 -

II/8.1 Sammlungen - Die Bibliothek und ihre Veräußerung

Mansi, Muratori und MGH, sowie in anderen Fällen die Anschaffung billigerer Nachdruckausgaben italienischer und französischer anstatt der „Pariser Originalausgaben“ (ebd. 21). Auch Rankes vorletzter Amanuense, Wilhelm Altmann, hatte schon den Eindruck gewonnen, „daß die Sammlung seit Jahren nicht systematisch ergänzt“ worden war (aus einer persönl. Mitt. des späteren Prof. Altmann an Hoeft, Hoeft/1937, 10), ja daß der weitaus größte Teil der neueren Erscheinungen in Rankes Bibliothek gar nicht vorhanden war (Hoeft/1937, 20). Von einer „carefully selected library“, wie man am Ort ihres späteren Verbleibs noch immer annimmt (Muir/1987, 4) konnte und kann jedenfalls keine Rede sein. Rankes Amanuense Georg Winter bezeugt immerhin, daß Ranke „fast alle griechischen und römischen Historiker in vortrefflichen Ausgaben“ besessen habe, wodurch die Arbeit an der ‚Weltgeschichte‘ „in hohem Maße erleichtert“ worden sei (Winter: Erinnerungen/1886, 221). Eine wohlwollendere allgemeine Charakteristik der Sammlung vermittelte der Generaldirektor der Kgl. Bibliothek Berlin, Wilmanns, in der es u. a. heißt: „Die Zusammensetzung der Bibliothek trägt den universellen Charakter, der den Studien und Interessen des großen Historikers eigentümlich war. Neben den griechischen und römischen Klassikern sind die bedeutenderen Vertreter der Philosophie in guten, zum Teil seltenen Gesamtausgaben vorhanden, in der Theologie ist besonders für die Kirchengeschichte des Mittelalters und der Reformationszeit, die Gegenreformation und das Jesuitenwesen in meist zeitgenössischen Schriften gesorgt, in der poetischen Literatur überwiegt die ausländische, zum Teil in guten alten Ausgaben. In der Geschichte sind das 16., 17. und 18. Jahrhundert die bevorzugten, nächst der deutschen und preußischen Geschichte ist die italienische, dann die französische die am reichsten vertretene.“ (Hoeft/1937, 23). Auffallend in diesem, das buchhändlerische Votum einschließenden Gutachten ist die extrem abweichende Schätzung des Bestands, der mit „etwa 3500 Werken in rund 9500 Bänden“, ohne Dissertationen und Programme angegeben wird. Im Auftrag der Kgl. Bibliothek wurde 1887 im Zusammenhang mit dem Verkauf ein Zettelkatalog des Buchbestandes angelegt. Bezeichnenderweise machte, wie sich aus dem Bericht des Generaldirektors der Bibliothek ergibt, „die geringe Ordnung in der Aufstellung der Bücher ... eine nochmalige Revision des Zettelkataloges nötig“ (Hoeft/1937, 22f). Allerdings handelte es sich bei dem Angebot der Erben Rankes nicht allein um seinen Buchbestand. Man war auch willens, wie schon im Testamentsentwurf vorbereitet, Rankes Handschriftensammlung dahinzugeben. Dies wäre im normalen Wortverständnis nicht zwingend notwendig gewesen, doch es ging ja darum, einen hohen Verkaufserlös zu erzielen, der für diese Position bei 6.000 Mark angesetzt wurde. Mittlerweile hatte sich - bereits im Juli 1886 - Charles Wesley Bennett, erster Professor der Geschichte und Logik an der 1870 gegründeten, damals methodistischen Syracuse University N. Y, zu einem Treffen bei Otto von Ranke eingestellt. Das Entrée war ein leichtes für den ehemaligen Hörer Rankescher Vorlesungen der Jahre 1866 bis 1869 (so Berg/1968, 222. Nach Morrison/1978, 17: „between 1864 and 1866“). Neben seiner Professur hatte Bennett von 1874 bis 1884 auch die bei einem Anfangsbestand von gerade einmal 2.300 Bänden für den wissenschaftlichen Aufbau wesentlichen Funktionen eines Universitätsbibliothekars wahrgenommen und war schon 1875 im Auftrag seiner Universität auf einer Akquisitionsreise in mehreren Städten des europäischen Buchmarkts tätig geworden. Dabei war die Rankesche Bibliothek vorsorglich ins Auge gefaßt, ja es waren die Buchhändler Mayer & Müller vor Ort mit der - 510 -

II/8.1 Sammlungen - Die Bibliothek und ihre Veräußerung

Verfolgung der zunächst von Rankes Fort- bzw. Ableben abhängenden Entwicklung beauftragt worden. Nun sagte Bennett - munifiziert durch eine private Donation - Otto von Ranke ein Angebot zu, das jedes europäische übersteigen werde, überdies eine sichere, ungetrennte Aufstellung der Bestände in einem eigens zu diesem Zweck zu errichtenden feuerfesten Gebäude vorsehe. Und dieses solle auf alle Zeiten den Namen „Ranke Library“ tragen (Bennett: The Ranke Library/1889, 132; Galpin/1952, 92). Die ‚preußische Lösung‘ hingegen sah in jedem Fall eine Entselbständigung, das heißt Aufteilung der Bestände auf mehrere Bibliotheken und damit ein Ende der Rankeschen Bibliothek vor. Aufgrund der nicht uneingeschränkt positiven Gutachten, vor allem aber der hohen Forderungen der Erben, die, zwar auf 50.000 Mark reduziert, gleichwohl einen Zuschuß aus dem Dispositionsfonds Ks. Wilhelms erforderlich gemacht hätten, nicht zuletzt des massiven Einspruchs des preußischen Finanzministers, des hohen, schließlich ultimativen amerikanischen Angebots von mehr als 100.000 Mark (Hoeft/1937, 28, 37) halber scheiterten die Verhandlungen mit der preußischen Seite, und Rankes Bibliothek wurde im April 1887 an die Universität in Syracuse N. Y. verkauft. Dort glaubte man sich nun in nicht zu verkennender Euphorie im Besitz von 50.000 Büchern und der „richest collection of historical material in the world“ (Bericht des Kanzlers vom 21. 6. 87, Hoeft/1937, 41). Dabei wußte man wohl noch nichts von den 60.000 Bänden der Bibliothek Lord Actons, welche dieser 1889 über Kataloge zum Kauf anbot (Kenyon/(1983) 1993, 135f.). Schon während der Verkaufsverhandlungen von 1886 und 1887 waren auf Veranlassung des Kuratoriums der Königlichen Bibliothek auch besondere „Ermittlungen“ angestellt worden auf der Suche nach wertsteigernden „Notaten oder Hinweisungen“ in einzelnen Bänden der Bibliothek. Man kam zu einem negativen Ergebnis: „Diejenigen wenig zahlreichen Bücher, in denen sich nennenswerte schriftliche Eintragungen finden, sind mit den Zettelsammlungen zu dem schriftlichen Nachlaß gerechnet und von der Bibliothek abgetrennt worden.“ (Hoeft/1937, 30). Eine wichtige Feststellung. Dies bedeutet: Sie sind bei den Erben verblieben, aber heute nicht mehr im Nachlaß vorhanden. Auch gibt es keinerlei Nachrichten über ihren Verbleib. Unabhängig von den kaum noch bewegenden Fragen nach Marktwert der Bestände und Größe des geistigen Verlusts, der durch ihre Exilierung dem nationalen und europäischen Buch- und Manuskriptbestand bereitet worden sein mag, ist die Bibliothek Rankes für die ihm gewidmete Forschung von mehrfacher Bedeutung. Sie bildet zunächst seine Persönlichkeit, seine Interessen, Kenntnisse, Stellung in der Geschichte der Historiographie, des historischen Denkens und der allgemeinen Geistesgeschichte bis zu einem freilich ungewissen Grade ab, vermag Hinweise auf die Herkunft, Gewinnung und Gestaltung seines historischen Wissens - möglicherweise gar zu bestimmten Zeiten seiner Entwicklung - zu geben, ist ein Teil seines Hirns und seines Instrumentariums. Sie ist damit von vielfältiger Bedeutung, nicht zuletzt für die Kommentierung etwaiger historisch-kritischer Ausgaben. Beiläufig, ganz weit zurück führen 43 Bücher aus Rankes Schulzeit in Pforte, welche nicht nach Syracuse, sondern in das Archiv des 1906 gegründeten ersten Ranke-Vereins Wiehe gelangten, aber z. Zt. mit dem gesamten Altbestand noch als verschollen anzusehen sind (s. II, 205ff.). Dabei ist jedoch stark einschränkend zu berücksichtigen, daß die späteren Bestände, durch zahlreiche Ranke übersandte Dedikationsexemplare erweitert, zunehmend eine gewisse Überfremdung erfuhren, nicht mehr ausschließlich ein von ihm gestaltetes - 511 -

II/8.1 Sammlungen - Die Bibliothek und ihre Veräußerung

geistiges Reservoir bildeten. Rankes Amanuense Wilhelm Altmann vermutete, „daß die Vermehrung hauptsächlich durch Geschenke erfolgte“ (Hoeft/1937, 10). Nach Rankes Tod, noch vor der Verschiffung, auch wurde sie erweitert durch Akkomplettierung unvollständiger Serien und Mehrbänder, denn die Sammlung war „seit Jahren nicht systematisch“ ergänzt worden (ebd., 10). Zu berücksichtigen ist auch, daß die teils chaotisch, teils nur unpraktisch in mindestens fünf Räumen auf zwei Stockwerken in Rankes Wohnung zwei- bis dreifach hintereinander gestaffelt aufgestellten Bestände mit ihren „schwer lesbaren Rückenschildchen“ (ebd., 9) aufgrund schwieriger Lokalisierbarkeit kaum noch rationell in einem zusammenhängenden, zügigen Arbeitsprozeß zu nutzen waren, dies auch wegen Rankes abnehmendem Seh- und Hörvermögen und der mangelnden bzw. auch bei größtem Bemühen nicht zu erreichenden Vertrautheit seiner zum Suchen ausgesandten wechselnden Amanuensen. Ranke sei „in Klagen“ ausgebrochen, „daß er durch so lange Unterbrechungen ganz den Zusammenhang seiner Gedanken verliere“. Das Buch müsse ein andermal gesucht werden (Winter: Erinnerungen/1886, 222). So begann die frühere enge Beziehung von Bibliothek und Werk zu schwinden, zumal Ranke in starkem Maße öffentliche Bestände nutzte bzw. nutzen ließ, etwa für den dritten und vierten Band seiner Weltgeschichte „vorwiegend Bücher der Staats- oder Universitätsbibliothek“, wie der damals tätige Amanuensis Wilhelm Pfeifer berichtet (ebd.). Auch sein Amanuense Altmann hatte „nur äußerst selten einmal ein Werk aus Rankes eigener Büchersammlung zu holen“ (ebd., 10). Rankes Bibliothek erschien auch Alfred Dove „grundsätzlich ungeordnet“ (Ranke, Leopold v. (1888)/1898, 182). Die „geringe Ordnung in der Aufstellung der Bücher“ wollte desgleichen der mit einer Bewertung beauftragte Direktor der Königlichen Bibliothek, Berlin, Wilmanns, nach Rankes Tod nicht leugnen (Hoeft/1937, 22). Und selbst Rankes verehrungsvoller Amanuense Georg Winter konnte nicht umhin zu bemerken, „daß die Bibliothek sich in einer Unordnung befand, die sich kaum beschreiben läßt.“ (Winter: Erinnerungen/1886, 211). Es sei nicht selten vorgekommen, „daß der erste Band eines Werkes im Zimmer A, der zweite in Zimmer C oder D stand“ (ebd., 222). Dem entsprach im Kleinen das Innere von Rankes vollgestopftem Schreibtisch und im übrigen überhaupt sein Arbeitsstil (s. I/1.5). So reichte einerseits Rankes Bibliothek in fremdbestimmter Weise über seinen eigenen geistigen Horizont hinaus, mit Werken, die nicht unbedingt in seinem zentralen Interesse lagen oder von ihm noch intensiv zur Kenntnis genommen worden wären, andererseits blieb sie mit Blick auf die außerhäusige Literaturbeschaffung weit hinter seinen Bedürfnissen zurück und überdies war nach der Aussonderung von Werken mit umfangreicher Notation, dem Heraussammeln von allerlei einliegenden Notizzetteln im allgemeinen Buchbestand, der Akkomplettierung und der in der Neuen Welt bei Neuaufstellung vollzogenen Aufhebung der individuellen Rankeschen Unordnung der authentische, individuelle Charakter der bei Rankes Tod bestand - wie dies auch bei seinem Nachlaß der Fall sein dürfte - nicht mehr in vollem Umfang gegeben. Um öffentlichen Vorwürfen zuvorzukommen, wurde der Verkauf in Deutschland sogleich heruntergespielt. Eine auffallend gut informierte und insofern wohl gesteuerte Notiz der Norddeutschen Allgemeinen Zeitung vom 20. April 1887 wies darauf hin, daß der durch Rankes Erben vom Preußischen Staat geforderte Preis ein „viel zu hoher“ gewesen sei, auch weil die Bibliothek „im Grunde viel zu wenig seltene Werke“ enthalte. Hingegen sei das „gelehrte Amerika ... nicht in der Lage, allzu kritisch sein zu müssen ...“. Diese Auffassung vertrat noch Jahrzehnte später ein Artikel des ‚Jahrbuchs - 512 -

II/8.1 Sammlungen - Die Bibliothek und ihre Veräußerung

für Bücherfreunde‘, in dem betont wurde, daß Rankes Bibliothek in den USA „der historischen Wissenschaft im Sinne ihres großen deutschen Vertreters wirksamere Hilfe“ habe gewähren können, „als es in Deutschland möglich gewesen wäre“. Auch die Handschriften seien davon kaum auszunehmen, denn es handele sich dabei meist um Abschriften. (Schreiber/1939, 86). Vor der Verschiffung nahm man, wie bemerkt, in Berlin noch Reparaturen vor, ergänzte Serien und band Flugschriften auf (Hoeft/1937, 41). Währenddessen verfaßte Theodor Wiedemann, in Rankes Diensten ergrauter Amanuense, im Auftrag Bennetts (Bennett: The Ranke Library/1889, 133) hingebungsvoll eine umfangreiche Evaluierung des Buch- und Manuskriptbestandes, die noch heute ihren Wert hat. Schließlich aber wurden Kisten gepackt, 83 hölzerne, mit einem Gesamtgewicht von über 19 Tonnen und auf dem Dampfschiff ‚Galileo‘ verschifft. Sie trafen im März 1888 in Syracuse ein. Doch Syracuse University verfügte noch nicht über das zugesagte, ja eigentlich über gar kein Bibliotheksgebäude, so daß die Einlagerung zunächst im ‚basement‘ der ‚Hall of Languages‘ erfolgte (Galpin/1952, 93). Dort verblieben die Bücher bis Mitte 1889. Zu diesem Zeitpunkt endlich wurden sie - gemäß dem Otto von Ranke gegebenen Versprechen - in ein mittlerweile erbautes feuerfestes Backsteingebäude verbracht, das zunächst den Namen ‚Ranke Library‘ trug (Bennett: The Ranke Library/1889, 132). Doch nun machte man beim Auspacken der Kisten und Aufstellen der Bände eine schmerzliche Entdeckung: Statt des - durch wen auch immer hochgestimmt auf 50.000 Bände vermehrten Bestands fanden sich in den Kisten lediglich ca. 17.000 „books and packages“, „totalling about 20.000 volumes“, und Dr. John Morrison Reid, der Donator und Präsident des ‚board of trustees‘, fühlte sich doch ein wenig getäuscht: „those old Germans shaved me...“, soll er gesagt haben (Galpin/1952, 95). Daß es sich überdies bei dem miterworbenen, in einem Verkaufsdokument von Friduhelm von Ranke (Hoeft/1937, 40) noch als Original bezeichneten Ölgemälde ‚Ranke als Kanzler des Ordens pour le Mérite‘ nicht um das Original von Julius Schrader, sondern lediglich um das Original einer Kopie von H. G. Herrmann (1883) handelte, blieb damals noch unentdeckt. Doch immerhin konnte man sich rühmen, gleichsam aus dem Nichts zur drittgrößten Bibliothek im Staate New York aufgestiegen zu sein (Stam/2002, 730). Schon 1907 wurde die Bibliothek entgegen der früheren grundlegenden Zusicherung nebst anderem in ein größeres Gebäude, das dortige ‚Carnegie Library Building‘, verbracht, um 1972 in einen weiteren Bibliotheksneubau, die ‚Ernest S. Bird Library‘ transferiert zu werden. Dort ist sie nun im ‚Rare Books Department‘ der ‚George Arents Research Library‘ aufgestellt und nutzbar, wohingegen das Ranke zugedachte Bibliotheksgebäude jetzt Verwaltungszwecken dient. Im Zuge einer auf die Initiative von James M. Powell (1978/32), Leiter des ‚Ranke Collecting Catalog Project‘ zurückgehenden, 1991 durchgeführten vollständigen ‚reconfiguration‘ wurden alle Bestände in eine geschlossene Signaturen-Abfolge - ‚one consecutive call number sequence‘ (Stam/2002, 732) - verbracht, in den National Union Catalog aufgenommen und unter http://library.syr.edu in das world-wide-web eingestellt. * Es ist noch ein Blick auf die Literatur zum Buchbestand zu werfen. Nach Galpin/1952, Chavat/1957, Clough/1964 und Jackson/1972 sind zumindest drei neuere Arbeiten zu - 513 -

II/8.1 Sammlungen - Die Bibliothek und ihre Veräußerung

nennen, welche sich, in ganz unterschiedlicher Weise, mit einzelnen Beständen der Bibliothek befaßt haben. Gail P. Hueting (1985) widmete sich dem zwischen 1811 und 1822 in der Kgl. Bibliothek zu Berlin tätigen Bibliothekar de Liaño (1782-1848), aus dessen Vorbesitz sich in Rankes Bibliothek frühestens seit 1832 zumindest 19 Bücher überwiegend des 18. Jahrhunderts mit den Themen Kirchengeschichte, Handel und Recht befinden, die mit Notaten de Liaños, nicht solchen von Ranke, versehen sind. Der Beitrag gilt in allererster Linie de Liaño und seinem wild bewegten Leben. Verbindungen zu Ranke, abgesehen vom Auftreten der Bücher in seiner Bibliothek, vermag Hueting bei umsichtiger Betrachtung nicht zu erbringen. Näher an Ranke in Syracuse heran führt die Dissertation von Andreas Dieter Boldt (2007). Er hat bei einem Aufenthalt dort zu seinem englisch-irischen Thema etwa 200 Bücher in Rankes Bibliothek ermittelt, welche von englischer bzw. irischer Geschichte handeln und diese in seinem Appendix II (261-276) aufgeführt. Bei Arbeiten interpretatorischer oder editorischer Art zu Rankes ‚Englischer Geschichte‘ dürften die Nachweise nützlich sein. Interessant noch, zumal selten erbracht, ist der Nachweis von Annotationen Rankes bei 19 dieser Werke (abgedruckt ebd. App. I, 239-260). Wiedemann hatte auf solche in Meusel (Johann Georg Meusel: Bibliotheca historica, 11 Bde, Lpz. 1782-1804) hingewiesen. Adolf Rein, der vor oder in 1929 in Syracuse weilte, hatte lediglich in dem Werk von Heeren, ‚Handbuch der Geschichte der Staaten des Alterthums‘, Gött. 1799, 4. Aufl. 1821) „eine Reihe kritischer Eintragungen“ Rankes entdeckt, ansonsten fand er in den Büchern nur „einige wenige Bemerkungen“ (Rein/1929, 254). Später gewann der Ranke-Forscher Walther Peter Fuchs einen allerdings geringen Einblick in die Syracuser Verhältnisse während eines dreitägigen Besuches (WuN I/1964), 25). Er fand kein einziges Buch mit Rankeschen Notizen. Beim Buchbestand befinden sich auch mehrere hundert medizinische Dissertationen („medical theses submitted to German Universities in the nineteenth century“). - Hierzu hat sich die Medizinerin Ingrid Hecht nach einem Aufenthalt in Syracuse in einer 2010 erschienenen Veröffentlichung geäußert. Der Bestand wurde nicht, wie Hecht annimmt, erst kürzlich gefunden, sondern wird bereits bei Brogan, PaceWeinberger (1953, 9) und Clough (1964, 74) genannt. - Hecht zieht aus der Existenz dieses Bestands bei Rankes Bibliothek weitreichende, aber wohl irrige Schlußfolgerungen für die vielfältigen „genialen“ Interessen Rankes. Daß diese Position zum eigentlichen Bestand der Rankeschen Bibliothek gehört, ist allerdings mehr als unwahrscheinlich. Sie ist in keiner Ranke-Quelle irgendwelcher Art erwähnt, in den einschlägigen Aufzeichnungen Wiedemanns nicht vertreten und auch im offiziellen, auf einer Gesamtkatalogisierung beruhenden Gutachten der Königlichen Bibliothek nicht genannt. Dort ist keine Rede von mehreren hundert, zumal fremdkörperlich auffallenden medizinischen Dissertationen, sondern von „nicht zahlreichen [!] und meist ungebundenen Dissertationen“ (Hoeft/1937, 22), die, historischer Natur, aus den Internet-Beständen der Bibliothek Syracuse zu ersehen sind. Man kennt sie vor allem aus dem Verzeichnis der Berliner Universitätsschriften von Ermann (1899). Der in Frage stehende ominöse Posten dürfte von Bennett, der ja nicht allein in Sachen Ranke, sondern mitsamt seinen Agenten als allgemeiner Bibliotheksbeauftragter in mehreren europäischen Städten aufkaufend unterwegs war, als Zukauf für das Medical College der Universität gedacht gewesen sein. Dieses hatte von einem ‚Geneva Medical Department‘ als Erstausstattung lediglich einen Teil Bücher abbekommen, die überdies nicht allgemein zur Verfügung - 514 -

II/8.1 Sammlungen - Die Bibliothek und ihre Veräußerung

standen. Da Bennett schon seit 1884 nicht mehr dem Lehrkörper der Syracuse University angehörte (Galpin/1952, 92), sondern Mitglied des Garrett Biblical Institute in Evanston/Illinois geworden war, den Ankauf von Rankes Bibliothek zwar betrieben hatte, aber eben bei Anlandung, erster Unterbringung und schließlicher Leerung der Kisten nicht mehr in Syracuse zugegen, auch bei der Bibliothekseröffnung in 1889 durch Krankheit verhindert war (Galpin/1952, 95), schon 1891 starb, ist es erklärlich, daß dieser Bestand unter der mit dem Ankauf nicht befaßten neuen Bibliotheksleitung der gedachten Verwendung in der medizinischen Fakultät nicht zugeführt wurde, sondern verpackt beim Nachlaß Rankes verblieb. Als bester Kenner der von ihm geordneten Ranke-Nachlaß-Bestände der Staatsbibliothek Berlin, des Ranke-Archivs Wiehe und der Ranke-Bibliothek Syracuse kann der über Ranke promovierte Dr. Siegfried Baur/Berlin gelten, der 1998-1999 als ein von der Thyssen-Stiftung geförderter ‚post-doctoral scholar‘ an der Syracuse University tätig war. (Baur, Siegfried: Franz Leopold Ranke, the Ranke Library at Syracuse, and the open future of scientific history/2001. Dort weitere, hier nicht aufgeführte Literatur aus dem engeren Syracuse-Bereich. - Siehe auch Baur/2007, 21).

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2. Abteilung (II/8.2) DIE HANDSCHRIFTEN-SAMMLUNG K a t a l o g i s i e r u n g (II/8.2.1) In den Vereinigten Staaten hätte nun gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein fördernder Standort und Faktor nicht nur für die Auseinandersetzung mit Ranke, sondern allgemein auch für die Vielfalt der in Rankes Bücher- und Handschriftensammlung aufscheinenden Zeiten, Regionen und Themen entstehen können. Davon kann jedoch nicht annähernd die Rede sein: Noch dreißig Jahre nach der translatio war es „ein Ereignis“, als Gustav Adolf Rein in Syracuse eintraf und „den Staub von Büchern und Manuskripten aufwirbelte.“ (1929, 254), in einer Bibliothek, die ihm nicht allein „unversehrt“, sondern, „fast möchte man sagen, unberührt“, und „so gut wie gar nicht benutzt“ erschien (253). Schon er betonte die Notwendigkeit einer Aufarbeitung der Handschriften-Sammlung. Doch die Bibliothek wurde auch weiterhin im wesentlichen nur von deutscher Seite beachtet. 1937 erschien aus der Feder des verdienstvollen Forschers Dr. Bernhard Hoeft die immer noch informationsreichste Arbeit über ‚Das Schicksal der Ranke-Bibliothek‘. Sie beruht auf selbständiger, dokumentierender Forschung in Deutschland, u. a. anhand von Rankes Personalakte, und während eines fünfmonatigen Aufenthalts 1929 in Syracuse anhand amerikanischer Dokumente. So ist zwischen 1889 und 1952 von amerikanischer Seite keine Arbeit von internationalem Aufmerksamkeitswert zum Thema ‚Ranke-Bibliothek‘ erschienen. Erstaunlicherweise hatte man dort zunächst Anstoß an ihrer nicht zu beherrschenden Fremdsprachigkeit genommen - es soll sich um 22 darin vertretene Sprachen handeln (Galpin/1952, 96). Erst in den 1950er Jahren begann sich auch in Syracuse Interesse zu regen. Es erschienen Arbeiten von Galpin (1952) - dies eine erste, solide, Hoeft verarbeitende, aber auch darüber hinausgehende Arbeit, welche freilich recht belegfrei schildert - und Chavat (1957). Eine große Chance wurde jedoch bereits 1953 vertan mit dem Versuch von Brogan/Pace/Weinberger, Sprach- und Literaturwissenschaftlern der Syracuse University, welche sich den Titel ‚Ranke Bibliographical Committee‘ zugesprochen hatten, auf der Grundlage Wiedemannscher Vorarbeiten zunächst ansatzweise die ersten hundert Titel der Rankeschen Manuskriptsammlung zu beschreiben. Diese Arbeit, die in ihrer ‚Introduction‘ (6-30) weitgehend auf Hoefts Arbeit von 1937 über das Schicksal der Ranke-Bibliothek beruht, wurde indes aufgrund ihrer allzu kargen Manuskriptbeschreibungen des aufgebundenen Teils der Handschriften 1973 selbst in Syracuse zu Recht als „almost valueless“ (Pennington/1973, 18) bezeichnet. Obgleich Rankes Manuskriptsammlung - zumeist venezianische Relationen des frühen 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts - nach Einschätzung seines Hauptamanuensen Wiedemann bedeutendes Material enthalte, das in der von Marchand katalogisierten Pariser Sammlung fehle, anderes, das in Berlin und Wien nicht vorzufinden sei (Brogan, Pace, Weinberger/1953, 20), mußte Cecil H. Clough noch 1964 auf das höchst erstaunliche Fehlen der Rankeschen Relationen im ‚Census of mediaeval and Renaissance Manuscripts in the United States and Canada‘ (3 Bde N. Y. 1935-40, Suppl. 1962) aufmerksam machen (Clough/1964, 74, 76), konnte immer noch sprechen von ‚A forgotten library‘, und Kenneth Pennington schrieb 1973: „the manuscripts have slumbered too long“ (Pennington/1973, 18). Ranke selbst hatte den Manuskripten - 516 -

II/8.2.1 Sammlungen - Die Handschriften-Sammlung

eine weit geringere Bedeutung beigemessen. In seinem nicht zur Ausführung gelangten Testamentsentwurf vom 28. Dez. 1873 hatte er befunden: „die aus den Archiven genommenen Abschriften dürften vielleicht in dem hiesigen Staatsarchiv Aufnahme finden. Von grossem Wert für neue Studien sind sie nicht, da ich sie alle selbst benutzt habe.“ (Bäcker/1955, Anm.-Band, 83). Das sah man in Syracuse freilich ganz anders. 1977 wurde dort ein „Ranke Cataloguing Project“ in Angriff genommen, das 1983, fast hundert Jahre nach der Bibliotheksübersiedelung und dreißig Jahre nach dem verfehlten Erstkatalog von Brogan/ Pace/Weinberger, zu einem von Edward Muir bearbeiteten ‚Complete Catalogue‘ der Manuscript Collection führte. Er verzeichnet über die 103 gebundenen Manuskripte hinaus auch die 327 ungebundenen, insgesamt also 430 Nummern, und dies in einer weit über seine Vorgänger - deren Arbeit bleibt informativ lediglich in ihrem Einleitungstext - hinausgehenden Weise, wobei außer einer intensiveren Nutzung der von Wiedemann geleisteten Vorarbeiten auch eigene Recherchen zum Tragen kamen. Beiläufig darf nicht unerwähnt bleiben, daß Muir, wie seine gelegentlich haarsträubenden Korrespondentenentzifferungen zeigen (z. B. Hertha v. Manteuffel als „Garya y Maasaaffa“, s. II, 302ff.), mit der deutschen Schreibschrift und den biographischen Beziehungen Rankes verständlicherweise einige Schwierigkeiten gehabt haben dürfte. Übrigens handelt es sich bei Muirs Werk in der Tat um einen Katalog, nicht, wie angenommen wurde (Boldt/2012, 13, A. 7), um eine Veröffentlichung der Manuskripte. Die von Ranke zusammengetragenen Handschriften sind z. T. von erheblichem Umfang, so etwa die ‚Historia Veneta‘ des Nicolò Contarini mit 1182 Seiten, selten liegen sie nur in Exzerptform vor, und von seiner Hand finden sich zu den einzelnen Stücken häufig nicht nur Marginalien, sondern z. T. auch mehrseitige Notizen (so z. B. Mss. 115, 117, 129, 159, 174, 289, 343, 402). Abbildungen aus einigen Relationen trifft man später bei Benzoni (1987, 13, 16, 21: Ms. 33, 70, 87) und Tucci (1987, 31: Ms. 106) an. Selbstredend handelt es sich bei den Rankeschen Beständen nicht um sämtliche in seinen Werken benutzte Relationen oder gar sonstige handschriftliche Quellen, und ebenso ist zu bemerken, daß die Relationen aufgrund der unterschiedlichen Residenzen der ambasciatori auch in Rankes Werken mit nicht-italienischer Thematik Verwendung fanden, wie noch zu zeigen ist. Auch hat Ranke bei allem Eifer und aller Findigkeit verständlicherweise keine vollständige Sammlung venezianischer Relationen zusammenbringen können. Dies weiter zu verfolgen, hilft u. a. die Zusammenstellung von Antonibon aus dem Jahr 1939 (dazu auch Benzoni/1987, 15). An die von Ranke gesammelten Relationen war nun bei Muirs ‚Cataloguing Project‘, abgesehen von der noch zu behandelnden wesentlichen und weitreichenden Frage nach ihrem Quellenwert, eine Vielzahl von Fragen zu stellen, so über Verfasser, Herkunft, Inhalt, materiale Eigenschaften, Drucke u. a. m. Über eben diese Fragen gibt Muir hauptsächlich auf der Grundlage der zusammen mit den Beständen nach Syracuse gelangten handschriftlichen Vorarbeiten Wiedemanns und des Vorgänger-Katalogs von Brogan, Pace, Weinberger/1953 auch Antworten. Eine oder die ganz entscheidende Frage auf dieser Ebene ist jedoch: Wo in seinem Werk und in welcher Weise hat Ranke diese Relationen verwendet? Leider ist gerade diese von Brogan, Pace, Weinberger noch gänzlich gemiedene Frage von Muir zwar dankenswerter Weise behandelt worden, jedoch nicht mit der nötigen Vollständigkeit, obgleich er sich ausdrücklich vorgenommen hatte, die Wiedemannschen Informationen auch in diesem Punkt „up to date“ zu stellen und zu „supplementieren“ (Muir/1983, XIII). Die Frage nach der Verwen- 517 -

II/8.2.2 Sammlungen - Die Handschriften-Sammlung

dung im Werk ist indes eine von denen, die man entweder ganz oder gar nicht beantworten sollte, denn Teilauskünfte, die für vollständig gehalten werden, sind massiv irreführend. Die Tragweite soll an einigen Beispielen verdeutlicht werden. So ist von Muir fast in keinem Fall Bezug genommen auf R.s ‚Serbische Revolution‘, in der zumindest sieben Relationen Verwendung fanden, u. a. Giralomo Zulian: Relatione di Constantinopoli, 1789 (Tdr. in SerbRev 3. Aufl. 1879, 57, A. 1). Das Ms. tritt zwar bei Muir (163) als nr. 224 auf, indes ohne Hinweis auf seine Verwendung in SerbRev. - Auch im Falle der ‚Relatione della visita fatta da ... Marino Bizzi ... nelle parti della Turchia, Albania e Servia ... 1610‘ (Tdr. in SerbuTürk, 1879, 540) wird diese Verwendung nicht nachgewiesen. - In R.s ‚Französischer Geschichte‘ kommt die Relazion des venezianischen Gesandten Marino Giustiniano von 1535 bereits in Bd. I der 1. Aufl. (1852 und in allen weiteren), 105, 120 in Exzerpt u. Tdr. zur Verwendung. Bei Muir (107, Ms. 106) hingegen ist nur von FranzG V (Ausg. SW, 40ff.) die Rede. So geschieht es auch mit einer Relazion des Marino Cavalli (Muir 109, Ms. 111), die von R bereits für FranzG I, 1. Aufl. 1852, 124-126, 135, 140, 190f. und nicht erst oder nur in FranzG V, SW 12, 47 herangezogen wurde. - Die Relazion aus Savoyen des Francesco Vendramin von 1589 (Muir 168, Ms. 233) wird in FranzG I, 1. Aufl. 1852, 531 von R exzerpiert und teilgedruckt, wozu Muir jedoch keinen Hinweis gibt. So ergeht es auch der Relazion des Battista Nani von 1660 (Muir 29, Ms. 28), wozu ein Verwendungshinweis fehlt, obgleich R in FranzG III, 1. Aufl (und in allen weiteren), 185 einen Tdr. gegeben hat. Nicht zuletzt ist Muir die Benutzung der Relazion des Pietro Gritti über Spanien vom Okt. 1620, die er (144) als Ms. 182 aufführt, in R.s ‚Verschwörung gegen Venedig‘ (1831), 67f., A. 1 unbekannt geblieben. Auch hat R die Relazion des Pietro Contarini über Frankreich, 20. Dez. 1616, nicht erst, wie von Muir (116, Ms. 123) erwähnt, in FranzG V erörtert, sondern daraus bereits erheblich früher, 1831 in der ‚Verschwörung gegen Venedig‘, 79, einen Teildruck gebracht. Weitere Beispiele ließen sich anführen. A r t u n d E r w e r b d e r H a n d s c h r i f t e n (II/8.2.2) Die Bedeutung der venezianischen Relationen war Ranke bereits während seiner Frankfurter Oberlehrerzeit bewußt geworden, als er bei Johannes von Müller über dessen Benutzung der in der Berliner Kgl. Bibliothek in 46 Folio-Bänden bewahrten Informazioni politiche, eine nicht beendete ‚Notiz und Auszug des ersten Theils der Informazioni politiche, eines Manuscripts auf der königl. Bibliothek zu Berlin. 1807‘ gelesen hatte. (Siehe dazu II, 217f., Heft „Literatur. Besonders Geschichtschreiber, angefangen am 13. November 1824“). Die Hinleitung durch Johannes von Müller verschweigt Ranke auch öffentlich nicht: In der Vorrede seines vor allem auf die Berliner Bestände gegründeten Werkes der ‚Fürsten und Völker‘ weist er auf Müllers „begeisterte Beschäftigung“ mit dem ersten Band hin (XIVsq.). Im Gegensatz zu der im übrigen sehr umsichtigen Darstellung von Philipp Müller (2009, 88) hat Ranke nicht bereits sein Erstlingswerk auf der Grundlage der Berliner Informazioni verfaßt, - es beruht zur Gänze auf veröffentlichtem Material. Zwar hatte er sich bemüht, Archivalien und ähnliches Material, wie „das eigentliche Werk Fuggers über das Haus Östreich“, zu erlangen (an Julius Max Schottky, 8. 9. 23, Henz/1972, 290), doch erst für dessen nicht verwirklichte Fortsetzung unternimmt er in großem Stil - zunächst unrealistische Anstrengungen zur ministeriell unterstützten Erlangung von Handschriften aus den - 518 -

II/8.2.2 Sammlungen - Die Handschriften-Sammlung

Archiven in Berlin, Wien, München, Zürich, Bern, Paris und Rom (an HR, 17. 2. 25, SW 53/54, 139). Die Berliner Informazioni bildeten, nach Rankes Darstellung - von Willy Andreas nahezu wörtlich übernommen (Andreas/(1908) 1943, 73) - eine Sammlung, „wie man sie zu Rom anzulegen pflegte. Sie enthält ... Relationen, besonders venetianischer Gesandten, Instructionen und Erinnerungen für eintretende hohe Beamte, Erzählungen von Conclaven, Briefe, Reden, Betrachtungen und Notizen mancherlei Art ... Einiges betrifft zwar das vierzehnte und funfzehnte Jahrhundert, indeß nur weniges und auch dies schon bekannt ... Erst, so wie wir in dem sechszehnten Seculum sind, sehen wir uns Jahr für Jahr mit mannichfaltigerm Vorrath bedacht. Am meisten drängen sich Instructionen, Relationen und Briefe zwischen 1550 und 1580. Hierauf treten einzelne Zeitpunkte, die für die gesammte europäische Politik vorzüglich wichtig waren, 1593, 1606, 1610, 1618 mit besonderem Reichthum hervor. Weiter und weiter findet man sich immer einsamer. Die letzte Schrift ist von 1650.“ (FuV I, 1827, XIIIsq.). Eine einprägsame Darstellung des venezianischen Gesandtschaftswesens und seiner Quellen, vornehmlich relazioni und dispacci, hat Ranke nach Arbeiten im venezianischen Archiv seinem 1831 erschienenen Werk ‚Ueber die Verschwörung gegen Venedig, im Jahre 1618‘ beigegeben. Hier tritt mitten im Werk überraschend der empfehlenswerte Abschnitt ‚Neue Quellen. Das venezianische Archiv‘ (53-62) auf, worin es u. a. heißt: „Sie hatten fünf große Botschaften zu Rom, Madrid, Paris, Wien und Constantinopel. Man blieb auf jeder in der Regel drei Jahre und machte sie alle ... nach langen Jahren kehrte man zurück, um in den Collegien zu sitzen, welche die auswärtigen Angelegenheiten leiteten. So wie die ganze Staatsverwaltung zwischen Nobili und Cittadini getheilt war, so hatte man in Turin, Zürich, London und Neapel, doch weder von Anfang, noch auch später ohne Unterbrechung, Residenten aus dem Stande der Bürger: auch diese hatten ihren Kreis zu beschreiben, und gelangten bei ihrer Rückkehr zu den einflußreichsten Stellen.“ (55). - Bedauerlich, daß in der dankenswerten Veröffentlichung zum Thema der venezianischen Relationen des venezianischen Professors für Wirtschaftsgeschichte, Ugo Tucci (Ranke and the Venetian document market, 1987 bis 1990 gleich dreifach erschienen), kein Blick in Rankes Darstellungen getan wurde. Zurück zu den Berliner Informazioni politiche: Die Sichtung hatte Ranke nach seiner Berufung zum außerordentlichen Professor beginnend mit dem Sommersemester 1825 unverzüglich aufgenommen, worüber er bereits am 11. Juli 1825 seinem Bruder Heinrich begeistert Mitteilung machte (SW 53/54, 147f.), ein Brief übrigens, in dem er schon das Augenmerk auf seine später favorisierte weitere Quellengattung, die Reichstagsakten, richtet. Bei den Relationen handelte es sich freilich um Quellen, die - in ihrer jeweiligen Singularität und Individualität doch zugleich Teil einer nicht zu überblickenden Pluralität - auf einen universal ausgerichteten, extrem neuigkeitsorientierten kritischen Nutzer nicht allein einen sachlich geprägten Ergänzungsdrang, sondern auch Sammelleidenschaft hervorzurufen geeignet waren. Dies wird spürbar, wenn Ranke gesteht, bei dem Wort ‚Relationen‘ „immer besondere Gefühle“ zu haben (an HR, 27. 3. 26, SW 53/54, 153). An seinen Freund Heinrich Ritter wird er später schreiben: „Der Fund dieser Relazionen ist ein eignes Glück. Ich greife nach jeder neuen, die ich finde, mit lebhafter Begierde und lege keine ohne Gewinn zurück.“ (25. 12. 28, SW 53/54, 213). Natürlich reizten ihn vor allem der hohe Faktizitätsertrag, die interessante, zumindest bilaterale Perspektive der Berichterstatter, die fremde Atmosphäre, die weitgehende interpretatorische Unberührtheit. - 519 -

II/8.2.2 Sammlungen - Die Handschriften-Sammlung

So kommt es schon in seinem ersten Berliner Jahr zu Ergänzungen des dortigen Quellenmaterials, zunächst auf der Gothaer Herzoglichen Bibliothek, wo er vier Bände mit entsprechenden Handschriften vorfindet. Um diese Zeit gelang ihm auch der erste Ankauf. Es ist, wenn man von eigenen Berliner und Gothaer Exzerpten und Abschriften absieht, der eigentliche Beginn seiner Sammlung. Doch kam es zu dieser Erwerbung nicht in Gotha, wie irrigerweise angenommen wurde (Tucci/1987, 33). Dort hatte er lediglich Gelegenheit, vorgelegte Handschriften zu nutzen, zunächst auf der Bibliothek und sodann entliehen überlang zuhause (an Perthes, 27. 12. 26, NBrr 98f.). In der Vorrede seines ersten, wie es im Untertitel heißt, auf „ungedruckten Gesandtschafts-Berichten“, ja überhaupt auf unveröffentlichtem Archivmaterial beruhenden Werkes, ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert‘ (1827, XV) sprach er mit Blick auf die Gothaer vierbändigen Handschriften von einem „Volumen ganz der nämlichen Art, das in meinen eigenen Besitz gelangt ist“, doch gibt dies keinen zwingenden Hinweis auf eine Gothaer Herkunft. Für sie ist vielmehr Leipzig anzunehmen, wo er bereits zuvor einen Band mit Gesandtschaftsberichten erworben hatte, den er, so bemerkt Siegfried Baur (2007, 17), wie folgt beschriftete: „Aus der bibliotheca Foschiana erkauft. F[ranz]L[eopold]R[anke] Februar 1826“. Der Band findet sich noch heute unter den Syracuser Beständen (Muir/1983, 41-48, Ms. 46). Wenige Wochen später beauftragte Ranke seinen Bruder Heinrich nachdrücklich, in Nürnberg einem entsprechenden, auch vierbändigen Auktions-Angebot „Müllers Relaziones I-XXII M. S.“ nachzugehen (Brief vom 27. 3. 26, SW 53/54, 153f.), in einem Briefpassus, der in der Forschung untergegangen ist. Er war in der monopolistisch auftretenden ‚Briefwerk‘-Ausgabe von 1949 (97) unterdrückt worden. Ob es zu einer Erwerbung kam, ist nicht bekannt. Für sein Werk der ‚Fürsten und Völker‘ (s. d.), bei dem er zum ersten Mal archivlich selbst herangezogene Gesandtschaftsberichte - 53 Foliobände aus Berlin und Gotha -, der Darstellung zugrunde und dem Werktitel unterlegte, hat er die Nürnberger Handschriften jedenfalls nicht genutzt. Seine Vorrede befaßt sich im Ton der Begeisterung mit Art und Entstehung der Quellengattung und wendet sich erwartungsvoll den Stätten ihrer Aufbewahrung zu, vor allem Venedig. Rom, Paris. Von Wien ist noch keine Rede. Die eigentlichen umfangreichen und vielfältigen Nutzungen und Erwerbungen gelangen auf seiner ersten großen ausländischen Forschungsreise, die er mit diplomatischer und finanzieller Unterstützung des preußischen Staates - darin von Heinrich Heine öffentlich bespöttelt (Werke und Briefe in zehn Bänden, V, 1961, 377f.) und mit durchgreifender Einwirkung seines Mentors Friedrich von Gentz - in den Jahren 1827 bis 1831 nach Österreich und Italien unternahm. Eine stark geraffte Schilderung gab der Neunzigjährige in seinem autobiographischen Diktat von November 1885 (SW 53/54, 63f.). Von den zahlreichen ausgedehnten Archivreisen, welche dieser folgen sollten, ist sie die grundlegende und wohl reichhaltigste, ergiebigste geblieben. Ranke unternahm sie mit bewunderungswürdigem Fleiß und ungeheurer, sich nicht schonender Ausdauer und nie erlahmendem Interesse und Begeisterung, mit dem Elan eines von Erfolg zu Erfolg eilenden Entdeckers. Der Gedanke, in italienischen Bibliotheken nach unbekannten Handschriften Ausschau zu halten, war freilich weder neu, noch gar von Ranke entwickelt. Doch neu war wohl die spezialisierte Konsequenz, mit der er ihn durchführte. Wie im Falle von Johannes von Müller und dessen weitreichendem Berliner Relationen-Hinweis, auch wie im - 520 -

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Falle von Daru mit seinem Hinweis auf die im Gothaer Archiv befindlichen Relationen, waren es wieder Winke aus der neueren und diesmal neuesten Forschungsliteratur, die für den Frankfurter Oberlehrer wegweisend und auch im Einzelnen hilfreich waren: In Rom hatte Barthold Georg Niebuhr als preußischer Gesandter am päpstlichen Hof Georg Heinrich Pertz bereits eine Einsichtnahme in die Handschriftensammlung der Bibliothek des Fürsten Altieri verschafft, worüber - und über eine Vielzahl anderer archivlicher Unternehmungen - Pertz im ‚Neuen Archiv der Gesellschaft für ältere deutsche Geschichtskunde‘ (Bd. V, 1824, 9) berichtet hatte. Diesen Hinweis griff Ranke auf, als er sich ungescheut mit der für ihn bezeichnenden zumutendunrealistischen Bitte an den gerade nach Preußen zurückgekehrten Niebuhr wandte, dieser möge seinen Einfluß für eine Übersendung der Manuskripte nach Frankfurt/Oder, also wohl an Rankes Stube oder Schule geltend machen (an Niebuhr, 14. 12. 24, Gerhard/1925, 101-103). Auch lagen bereits die beiden ersten Bände (Berlin u. Stettin, 1824 und 1827; die Bände III und IV: 1830 u. 1836) von Friedrich Blumes (eigentl. Bluhme) archiv- und bibliotheksgesättigtem ‚Iter Italicum‘ vor, als Ranke von seinem Berliner Kollegen und Mentor Savigny eine darauf wie auch auf Pertz’ ‚Italienische Reise‘ bezügliche Empfehlung erhielt (in Brief vom „May 1828“, Stoll II/1929, 392f.). Savigny selbst hatte in den Jahren 1804 bis 1807 ausgedehnte Archivund Bibliotheksreisen unternommen (Nörr, Dieter: Savigny, Friedrich Carl von. In: NDB 22/2005, 470-473). Vielleicht bildete auch die italienische Archivreise, die Rankes Berliner Rivale Heinrich Leo 1823 unternommen hatte (Maltzahn, Christoph Freiherr von: Leo, Heinrich. In: NDB 14/1985, 243-245), einen Stachel. Wie weit Niebuhrs Empfehlungen dann gingen, ist aufgrund der geringen Korrespondenz nicht ganz ersichtlich. Ranke ist jedenfalls später in Venedig und Rom seinerseits tätig geworden. Auf Niebuhrs Wunsch hat er die Abschrift einer in der Biblioteca Marciana, Venedig, befindlichen italienischen selbständigen Fassung der Ducas’schen ‚Byzantinischen Geschichte‘ fertigen und diese 1829 nach Bonn schicken lassen, von wo aus sie nach dem baldigen Tod Niebuhrs an Immanuel Bekker gelangte. Dieser schreibt in der Praefatio seiner Edition: „ ... Barbarum perditorum temporum testem sordibus suis relinquebam neque ultra orthographiam aut interpunctionem emendebam, cum inspiratam ei lucem attulit gratissimum Leopoldi Rankii munus. is enim cum Venetiis non suae tantum Musae operaretur, summisit nobis Italicam illam Ducae versionem, quam scriptoris aetati supparem laudarunt olim Morellius et Mustoxydes...“ (Ducae Michaelis Ducae nepotis historia Byzantina. Recognovit et interprete Italo addito supplevit Immanuel Bekkerus. Corpus scriptorum historiae Byzantinae. Editio emendatior et copiosior, consilio B. G. Niebuhrii C. F. instituta, auctoritate Academiae Litterarum Regiae Borussicae continuata, Bonnae MDCCCXXXIV, p. V). - (Dazu informativ Vischer/1989, 255ff.). In Rom war Ranke Niebuhr auch behilflich durch Besorgung einer Kollation zum Procopius (an Niebuhr, 25. 11. 29, Vischer/1989, 264f.). Zurück zum Reisebeginn. Da finden wir ihn im September 1827 in Prag auf dem Museum, an „einigen Relationen, Reisen und anderen Sachen von Wert“ arbeitend (an Heinrich Ritter, 4. 10. 27, SW 53/54, 171). Schon nach einer Woche jedoch begibt er sich nach dem für ihn ergiebigeren Wien. Karl von Kamptz, der es als Direktor der Unterrichtsabteilung im preußischen Ministerium der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinalangelegenheiten usw. für „höchst wichtig“ halten mußte, für das Fach Geschichte „Männer von guten Gesinnungen zu bilden und zu unterstützen“ (Kamptz - 521 -

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an Gentz, 31. 8. 27 bei Salzer/1912, 333, A. 1) und bereits bei Rankes Berliner Berufung mitgewirkt hatte, verschaffte ihm die „Protection“ Friedrich von Gentz’, eine ganz und gar entscheidende Empfehlung, welche die Öffnung der Archive und Bibliotheken Österreichs und Italiens bewirkte, unterstützt von Empfehlungen Rahel Varnhagens an den sie verehrenden österreichischen Staatsmann. In Wien war Ranke ein Jahr lang, von September 1827 bis Oktober 1828, in der K. u. K. Hofbibliothek wie im Kaiserlichen Archiv sichtend, selektierend und kopierend tätig. In ersterer lag seit 1803 die Handschriften- und Büchersammlung des Dogen Marco Foscarini, „außer 14 unförmlichen Cahiers über hundert Bände“, die er „durchsehen mußte“ (an Heinrich Ritter, 28. 10. 27, ebd., 175), darunter eine „ansehnliche Anzahl venetianischer Relationen, bezüglich auf die Türkei und auf Deutschland“ (4. autobiogr. Diktat, Nov. 1885, SW 53/54, 63f.), dabei auch etwa die fünfbändige ‚Cronica veneta dal 1600 al 1635‘ des Geronymo Priuli, die Ranke bald in seiner ‚Verschwörung gegen Venedig‘ (1831, 2f, 99, A.1) benutzte, wohingegen er im Archiv „höchst merkwürdige Sachen“ findet: „für die Geschichte der Menschheit von unschätzbarem Werth, welche Europa, wenn es nicht über sich selbst im Dunkeln liegen will, schlechterdings wissen muß.“ (an HR, [Ende Nov. 27], SW 53/54, 179). Es sind v. a. venezianische Relationen, welche „meist mit 1560“ anfangen. „Ueber die frühere Zeit, von 1498 bis 1534, enthält das Archiv die Chronik des Sanuto [1466-1535]“ mit ihren einverleibten Relationen (s. auch VgV/1831, 57) sowie „einige merkwürdige Schriften und Exzerpte“ des Paoli Sarpi (9. 12. 27, an Varnhagen, Wiedemann: L. v. R. u. Varnhagen v. Ense/1895, 188.). Eine Kritik Sarpis (1552-1623) wird Ranke dann 1836 in seinen ‚Päpsten‘ (III, 270-289) liefern. Auf der Hofbibliothek befaßt er sich überdies mit den Handschriften-Sammlungen des Prinzen Eugen von Savoyen, der Sammlung Georg Wilh. Frhr. von Hohendorfs und der des Giovanni Battista Rangoni aus Modena, bei der es sich meist um Abschriften italienischer Gesandtschaftsberichte handelte (an Perthes, 28. 1. 28, Oncken/1922, 120b, mit Komm. Fuchs/Brw 136, A. 1. Siehe v. a. die Vorrede zu PÄPSTE I/1834). Auch sie waren schon Johannes von Müller bekannt gewesen, der, einige Jahre Kustos der Hofbibliothek, sie zumindest in Privatbriefen erwähnt hatte (Guglia: L. v. R.s Leben und Werke/1893, 109). Schon bald wird klar, daß die Hauptschätze in Italien, im besonderen in Venedig zu suchen sind. Anfang Oktober 1828 trifft er dort ein, nicht „with his trip to Venice in 1825“, wie Muir mehrfach (1987, 7 u. 1983, XIII) angibt. Da hatte Ranke in Berlin gerade erst mit Zagen seine Vorlesungstätigkeit aufgenommen. Im Oktober 1828 aber beginnen seine Arbeiten in der Bibliothek von San Marco, wo er mit Hilfe des Bibliothekars Abbate Pietro Bettio „recht schöne Manuscripte“ findet, wie er seinem vielfältigen Wiener Förderer und historisch-politischen Instruktor Gentz mitteilt (17. 10. 28, Salzer/1912, 335). Kaum vierzehn Tage dort, macht er schon einen Ausflug nach der terra ferma zu den sette communi. In Vicenza besucht er Bibliothek und Stadtarchiv, von dem er „auf der Stelle Nutzen“ zieht. In Verona kann er mit einer Empfehlung seines stets wohlwollenden älteren Berliner Kollegen Savigny (an HR, 20. u. 21. 11. 28, SW 53/54, 211) in der Bibliothek des verstorbenen Marchese Gianfilippo ein bedeutendes Manuskript exzerpieren. Savigny hatte ihm auch Empfehlungsschreiben für Florenz und Rom nach Italien geschickt (R. an Heinrich Ritter, 14. 6. 28, SW 53/54, 202). Das „Wichtigste“ aber, das er bei diesem Ausflug zu sehen bekommt, ist das Archiv der Gonzagas in Mantua, „das in dem 13ten und 14ten Jahrhundert über - 522 -

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italienische, in dem 15ten aber und vornehmlich dem 16ten und 17ten über allgemein europäische Geschäfte ... treffliche Aufklärungen enthält.“ (an Gentz, 3. 11. 28, Wittichen/1904, 79). Die von diesem Ausflug bisher bekannt gewordenen tagebuchartigen Notizen (Erstdr. WuN I, 201-212 sind ‚lediglich‘ kunstgeschichtlicher Natur. Bis Februar 1829 hält er sich in Venedig auf, wo ihm aber das Wichtigste noch verschlossen bleibt, das Archivio di Stato. So begibt er sich für ein Jahr nach Rom und arbeitet dort im Sommer 1829 „zu jeder beliebigen Stunde des Tages“ (an Minister Karl Frhr. von Stein zum Altenstein, 1. 10. 29, NBrr 127) in den Privatbibliotheken der Fürsten Altieri, Barberini und des Kardinals Albani, wo er „die wichtigsten Staatsschriften“ findet. Auch betätigt er sich in der Bibliothek der Philippiner Patres in Vallicella (an Kopitar, [vor dem 30. Juli 1829], Helmolt/1921, 53). Er nutzt das, was die „Sammlungen zur allgemeinen Geschichte des 16. und 17. Jahrhunderts enthalten“ (an Altenstein, 1. 10. 29, NBrr 128). Im Winter 1829/1930 forscht er in Rom in den Bibliotheken Corsini, wo er „nicht wenige Nuntiaturberichte“ findet, und Chigi, wo er u. a. auf ein Fragment einer noch unbekannten preußischen Chronik stößt, die, wie er vermutet, „in das dreizehnte Jahrhundert gehört“ (an Altenstein, 9. 3. 30, NBrr 134.). Hingegen erlaubt die Illiberalität des Vatikans nur einen geringen Ertrag. Neben und nach eigenem Exzerpieren und Kopieren beschäftigt er einen, endlich zwei Schreiber, welche die in den genannten fünf Bibliotheken Roms „angezeigten wichtigeren Stellen“ kopieren (an Perthes, 29. 9. 29, Oncken/1925, 222). Auf diese Weise bringt er, wie er im Vorwort seiner darauf beruhenden ‚Päpste‘ schildert, neben Korrespondenzen, Tagebüchern, Gutachten, statistischen Tabellen, Viten, Berichten über Verwaltung, Handel und Gewerbe allein an Relationen achtundvierzig über Rom zusammen (X), die älteste von 1500. In Florenz wird ihm während eines dreimonatigen Aufenthalts vom Mai bis Juli 1830 das Mediceische Archiv geöffnet, wozu er ein eigenes ‚Heft über Mediceische Geschichte‘ anlegt (siehe dazu II, 219). Von Savigny war ihm die verlockende Empfehlung zugekommen: „Könnten Sie nur auch das unendlich reiche, aber verborgen gehaltene geheime (Archivio dei Medici) sehen! Es sollen über 13 000 Bände der wichtigsten Gesandtschaftsberichte u. a. m. sein.“ (Savigny an R, [Mai 1828] Varrentrapp/ 1908, 333f.). Abschließend ist er wieder dort tätig, wo er in Italien begonnen hat, in Venedig. Für Venedig hegt er „eine Passion“ (an Kopitar, 6. 8. 30, Valjavec/1935, 20), und Relationen sind für ihn, das hatte er schon zuvor in einem Brief aus Rom Friedrich von Gentz bekannt, „schlechterdings das Wichtigste, was in der Welt existirt.“ (28. 6. 29, Wittichen/1904, 82). Diesmal verfügt er - mit geringen ihm auferlegten Einschränkungen (an Gentz, 26. 9. 30, Wittichen/1904, 87; an Altenstein, 21. 12. 30, Lenz IV, 1910, 468) - über die kaiserliche Genehmigung zur Benutzung des vor allem anziehenden Archivio di Stato, in dessen Räumen er „mit Erstaunen und Vergnügen“ verweilt (VgV 1831, 53). Fünf Monate widmet er sich hier den langen Bändereihen der gesandtschaftlichen Korrespondenz. Die Sammlungen der Depeschen über Spanien und Frankreich beginnen nach seiner Feststellung fortlaufend erst ab 1554, über Rom und Österreich ab 1566, über die Türkei unterrichten sie ab 1552 „und in ähnlichem Verhältniß über die andern Länder und Höfe“ (VgV 1831, 56). An Relationen findet er „von 1530 bis 1750 ... eine zwar nicht vollständige, aber doch sehr ansehnliche Reihe derselben“ (VgV 1831, 57) und erlangt „...über nicht wenige Punkte der neurömischen, - 523 -

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päpstlichen Geschichte ... die vollständigste Aufklärung“, wie er auch über „die innere Geschichte der spanischen Monarchie ... einen bedeutenden Fortschritt von Philipp IV. bis Karl III.“ machen konnte. Neben Berichten über England und die Niederlande waren „vielleicht das Wichtigste ... die Relationen über Frankreich, trotz aller Memoiren, die wir besitzen ...“ (an Altenstein, 21. 12. 30, Lenz IV, 1910, 469). Auf dem Rückweg nach Deutschland läßt er in Mailand nicht das Archivio del Broletto aus, in dem er Depeschen der venezianischen Botschafter der Jahre 1789 bis 1897 findet (an Pietro Bragadin, [Jan. 1831], Oncken/1922, 121f.), was nicht nur auf sein 1875 erscheinendes Werk ‚Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792‘ hinweist, sondern auch Einfluß auf die sehr bald nach seiner Rückkehr, im Wintersemester 1831/32, gehaltene - bisher unbekannte - erste Vorlesung zum Thema ‚Revolutionsgeschichte‘ gehabt haben dürfte. Leider scheint von seinen Sammlungen und Büchern einiges nicht den Weg von Italien nach Preußen gefunden zu haben. Ranke vermißte nach dem Erhalt von Kisten aus Florenz und Venedig noch eine oder mehrere Beipack-Sendungen aus Rom, derer sich der Bildhauer Emil Wolff (1802-1879) mehr oder minder angenommen hatte. Dabei ist auch das ‚Diario des Giacinto Gigli‘ - zumindest für Ranke - verloren gegangen (an Bunsen, 28. 3. 31, SW 53/54, 253. Siehe auch SW 39, S. 48, A. 1). Für seine Handschriftensammlung verfügte Ranke also über eine Vielzahl von Beschaffungsmöglichkeiten. Zur Erfassung der Bestände der genannten Bibliotheken, der nicht unbegrenzt zugänglichen öffentlichen Archive, der auf höhere Empfehlung zugänglichen zahlreichen privaten Sammlungen (darüber bes. seine Briefe an Heinrich Ritter, 1. 8. 29, u. an Min. Karl Frhrn. vom Stein zum Altenstein, 1. 10. 29, NBrr 125127 u. 127-12l9) mußten im allgemeinen Abschriften gefertigt werden, z. T. waren es beglaubigte aus den staatlichen Archiven (Muir/1987, 7). Doch es gab auch, wovon Ranke bereits bei seinen ersten Käufen, in Leipzig und womöglich in Nürnberg, Nutzen gezogen hatte, einen allerdings erheblich größeren, traditionsreichen, blühenden venezianischen Buch- und Antiquariatsmarkt. Und dieser war nach dem Sturz der Republik im Jahre 1797 und den napoleonischen Säkularisationen noch ergiebiger geworden (Tucci/1987, 28f.). So verhalf ihm etwa der Buchhändler Adolfo Cesare zum Kauf von rund hundert Manuskripten aus dem Vorbesitz der Nani- und da PonteFamilien (Muir/1987, 7). Francesco Francesconi (ebd.) - bei Tucci (1987, 33) heißt er Abbot Daniele Francesconi - besorgte bei Muir Manuskripte der Dandolo-, Soranzo-, Gradinigo- und Tozzetti-Familien. Bei Tucci (33) besorgt er im besonderen Manuskripte aus der Bibliothek der da Ponte. Bei Ranke selbst - in einem Brief an HR, Rom, 7. 4. 29 - ist es eine Sammlung wiederum von etwa hundert Relationen, die Francesconi, „Professor und Bibliothekar“, selbst angelegt hat (SW 53/54, 219) und ihm zu einem Stückpreis von 1 Taler preußisch verkaufte. Über diese „Sammlung von mehr als hundert venezianischen Relazionen“ berichtet er auch einige Tage später an Minister Karl Frhrn vom Stein zum Altenstein (11. 4. 29, NBrr 123). Neben Relationen erwarb Ranke in großer Zahl Chroniken, die er nach Auffassung Tuccis besonders schätzte (Tucci/1987, 34), obgleich er sie nach Auffassung Muirs später zusammen mit seinen Schülern gemieden haben soll (Muir/1987, 3), was sich vermutlich auf eine übertriebene Verallgemeinerung folgender Angelegenheit bezieht: Ranke hatte 1835 anläßlich einer Preisfrage der Berliner Universität in seinen ‚Übungen‘ Widukind den Vorzug vor der Corveyschen Chronik gegeben, mit deren Echtheit und historischem Wert sich sodann seine Schüler Siegfried Hirsch und Georg Waitz in - 524 -

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einer gekrönten Preisschrift näher befaßten. Mit Rankes Chroniken-Sammlung beschäftigte sich 1988 näher Raymond Paul Schrodt. Er beschreibt nach kurzem Überblick über mittelalterliche Geschichtsschreibung und einige Frührenaissance-Chroniken inhaltlich und kodikologisch fünf nach Syracuse gelangte Chroniken aus Rankes Besitz: Johannes Stumpf: ‚Gemeiner loblicher Eydgnoschafft Stetten, Landen und völckeren Chronick ... ‘ von 1548, Sebastian Münsters ‚Cosmographey‘ in der Ausgabe von 1598, Conrad Carthoys’ ‚Meyntzische Chronick‘ von 1612, Eberhard Happels ‚KernChronica der merkwürdigsten welt-und wunder-Geschichte ... ‘ von 1690 und Valentin Müntzers ‚Chronographia‘ von 1550. Rankes Beziehung zu dieser Quellengattung wird allerdings nur allzu kurz und ohne irgendeinen Bezug zum Werk oder zu anderen Äußerungen Rankes gestreift. Pennington (1973, 18) nennt unter den (nach seiner Feststellung) nie oder nicht vollständig edierten Manuskripten noch die ‚Geschichten Venedigs‘ von Daniel Barbaro (Muir/Ms 47), von Agostino Agostini (Muir/Ms. 41), Giovanni Giacomo Caroldo (Muir/Ms. 62), von Nicolò Contarini (Muir/Ms. 26. Siehe VgV 70f.) sowie Bartolommeo Cerratinis ‚Geschichte von Florenz‘ (Muir/Ms. 96). Auch macht er auf weitere, sehr verschiedenartige Manuskripte in Rankes Sammlung aufmerksam, die möglicherweise einzigartig und vielleicht von noch größerem Wert seien als die Relationen: u. a. eine Geschichte des Abessinischen Volkes, im 17. Jahrhundert von einem römischen Kardinal geschrieben (Muir/Ms 385), und die aus seiner Sicht bedeutendste zeitgenössische Schilderung des Papstes, Andrea Nicolettis Leben Urbans VIII. (Muir/Ms. 275). Pennington (1973) widmet auch dem wohl ältesten Manuskript der Rankeschen Sammlung, der Pergament-Hs. Ms. 90 von 1391, ‚Libellus fratris Telefori‘ (Telesphorus von Cosenza), einen Beitrag. All dies, wie auch 1830 in Florenz der Erwerb einer Handschrift des Dialogs Jacopo Pittis mit dem Titel ‚Apologia dei cappucci‘ (an Reumont, 8. 6. 74, Hüffer/1904, 195), unterstreicht die über die Relationen weit hinausgehenden vielseitigen Interessen Rankes. Der Dialog enthält übrigens einen „heftigen Angriff auf die Wahrheitsliebe Guiccardini’s“ (ZKritik 3. Aufl. 39*) und war Ranke bei der Abfassung seines Erstlingswerkes noch nicht bekannt. Er veranlaßte ihn zu nachträglichen Bemerkungen in den beiden Folgeauflagen (39*ff.). D e r Q u e l l e n w e r t d e r R e l a t i o n e n u n d i h r e N u t z u n g (II/8.2.3) Es war zu begrüßen, daß 1987 anläßlich des hundertsten Todestages Rankes im Zusammenhang mit seinen in Syracuse aufbewahrten Manuskriptsammlungen sich auch die Frage nach ihrem gattungsmäßigen Quellenwert überhaupt und in der Auffassung Rankes stellte. Dabei glaubte Edward Muir anhand von Veröffentlichungen Gino Benzonis, damals Professer für Geschichte der Geschichtswissenschaft an der Universität Venedig, und Ugo Tuccis klarmachen zu können, daß Ranke in seiner Einschätzung des Quellenwerts der Relationen - ohnedies in einer Standard-Form abgefaßt und „artifices of a self-absorbed, intellectually closed-off ruling caste“ (Muir/1987, 8) - in naivem Empirismus bei ihrer Benutzung einer Objektivitäts-Illusion erlegen sei (ebd., 10). Letztlich hätten diese Dokumente nur das gesagt, was der Senat zu sagen erlaubte: „they represent more an elaboration of the viewpoint of the Republic than exact documents serving the interests of pure history“ (Benzoni/1987, 26). Überdies habe Ranke diesen Quellen Priorität eingeräumt, weil sie für ihn leicht zu erwerben gewesen seien (Muir/1987, 9). - 525 -

II/8.2.3 Sammlungen - Die Handschriften-Sammlung

Zunächst sei bemerkt, daß ein Neuigkeitswert dieser Vorwürfe nicht gegeben ist. Die genannten Forscher haben, wie weite Teile der Ranke-Forschung, den bereits sehr früh zeitgenössisch laut gewordenen kritischen Stimmen zu diesem Thema kaum Gehör geschenkt, welche Teil einer nicht nur historiographiegeschichtlich bedeutenden allgemeinen Diskussion über Mittel, methodische Möglichkeiten und Grenzen der Erkenntnis sind (s. v. a. I/2.1.2). Muir, Benzoni und Tucci haben sich auch nicht mit der immer noch bemerkenswerten Auffassung Willy Andreas’ von Art und Wert der Gesandtschaftsberichte als Quellen vertraut gemacht: Andreas rühmte an ihnen den „Geist der Objektivität, der die Brechung durchs Medium der Persönlichkeit auf ihren geringsten Betrag zurückführt ... Nicht als ob sie ohne Wahl in sich aufnähmen, was die Außenwelt entgegenträgt; denn der jeweilige Ausschnitt der Darstellung ist durch die Normen der ‚Nützlichkeit‘ begrenzt und schließt aus, was nur zerstreuen oder die Neugier ergötzen könnte. Innerhalb aber dieser festen Linien durchdringt der Sinn des Berichterstatters die Dinge in kühler, ruhevoller Energie“ (Andreas 1908/1943, 93). Zu einer differenzierteren Betrachtung gehört beiläufig auch die Wahrnehmung des Unterschieds der Relationen von den durch den „Wechsel der Tagesereignisse“ bestimmten Depeschen, „hinter denen der Berichterstatter persönlich oft ganz zurücktritt“ (83). So wie der hohe Quellenwert der Gattung unterschätzt wurde, so blieben den Verfassern auch Rankes eigene Auffassung und konkrete Historiographie fremd. Ranke selbst hat indes den wesentlichen Teil der Probleme erkannt, die mit der Gattung als solcher und gar mit einer einseitigen Verwendung verbunden waren. Seine hinsichtlich des Quellenwertes durchaus differenzierte, realistische Sicht legte er etwa in der Vorrede zu seiner ‚Englischen Geschichte‘ an den Tag: „Gesandte, welche an den Höfen, an denen sie stehen, mannichfache und dringende Geschäfte haben, füllen ihre Schreiben mit Erörterung derselben an, die häufig für die Nachwelt wenig Belehrung enthalten, sie beurtheilen die Persönlichkeiten nach der Förderung, die ihre Interessen bei ihnen finden. Die geographische Entfernung der Republik Venedig von England, und ihre neutrale Stellung in der Welt, bewirkten, daß ihre Gesandten den englischen Angelegenheiten eine freiere Aufmerksamkeit widmen und den allgemeinen Gang derselben in unmittelbarer Berührung mit den vorwaltenden Männern beobachten konnten: was für die, welche sich aus denselben zu unterrichten suchen, eben das Erwünschteste ist: sie bieten dem Historiker ergiebigere Ausbeute dar. Eine Geschichte ließe sich aus ihnen nicht verfassen, aber dem urkundlichen Stoff zur Seite bilden sie eine höchst willkommene Ergänzung unsrer Kenntnisse.“ (XV). Dies ist keine isolierte Theorie-Äußerung, sondern entspricht der Durchführung in Rankes Werk, wo sich, zwar mit unterschiedlicher Gewichtung und Ausdehnung entsprechend der dargestellten Zeit und Thematik, doch aufs Ganze gesehen ein gattungsmäßiger Quellenpluralismus geltend macht. Neben Gesandtschaftsberichten berücksichtigt Ranke, wie sich schon oberflächlich an seinen Analekten ablesen läßt, sehr häufig Korrespondenzen, auch Tagebücher, Historienwerke, darunter Chroniken, Viten, auch Memoiren, sowie Reden, sodann die von ihm sehr geschätzten Flugschriften, welche bereits in seiner ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ zum Einsatz gelangten, eine geschriebene Zeitung, auch den ‚Moniteur‘, autobiographische Aufzeichnungen, Aktenstücke, Verträge, Testamente, Gutachten, statistische Tabellen, Berichte über Verwaltung, Handel und Gewerbe, ja sogar mündliche Überlieferung, Zeitzeugen, handschriftliche Karten etwa betreffend die Hauptschlachten des Siebenjährigen Krieges. - 526 -

II/8.2.3 Sammlungen - Die Handschriften-Sammlung

Historische Orte kennt er zum Teil aus eigener Anschauung. So schreibt er am 22. April 1847 an seinen Bruder Heinrich: „Meine Absicht ist, zu Pfingsten die im vorigen Herbst unterbrochene Reise nach Schlesien zu machen; denn Du mußt wissen, daß an meinem preußischen Buche schon mit aller Macht gedruckt wird, und ich will noch einige Lokalitäten sehen, ehe ich mit meiner Beschreibung der darauf vorgefallenen Schlachten erscheine.“ (NBrr 323). Für seine ‚Englische Geschichte‘ besucht er im Juli 1865 den Boyne, wo 1690 in einer Schlacht die protestantische Thronfolge in England entschieden wurde (R. an CvR, 13. 7. 65, SW 53/54, 458f.). Es ist zuzugeben, daß die venezianischen Gesandtschaftsberichte Rankes bevorzugte Quelle darstellten, doch es geht zu weit, bei ihrer Nutzung völlige Einseitigkeit und gar Naivität zu unterstellen. Ihre Auswertung geschah vielmehr, wie angedeutet, quellenkritisch im Verbund mit einer Vielzahl anderer Quellengattungen, vor allem mit Korrespondenzen, welche selbst Teil und Träger der Ereignisse waren. Insofern ist auch der Tadel Alfred von Arneths nicht völlig berechtigt, der sich für seine Geschichte der Kaiserin Theresia vorwiegend der Gattung der Depeschen zuwendend bemerkte: „Diese regelmäßig zweimal in der Woche erstatteten Berichte, wohl zu unterscheiden von den durch Ranke so sehr hervorgehobenen Finalrelationen, sind eine noch weit reichhaltigere historische Fundgrube als diese“ (v. Arneth/1892, 123). Rankes ausgeprägtes Interesse für die den Ereignissen näherstehende Brief- bzw. Berichts-Gattung zeigt sich nicht nur in seinen Darstellungen und Analekten - in seiner ‚Verschwörung gegen Venedig‘ etwa sind weit mehr Dispacci als Relationen benutzt, ähnlich in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ -, sondern auch in den späteren Epochen gewidmeten Editionen. Man denke an die drei Brief-Ausgaben: die 1861 erfolgte Ausgabe der ‚Briefe der Herzogin von Orleans, Elisabeth Charlotte, an die Kurfürstin Sophie von Hannover‘ (FranzG V, 280-442), den 1871 folgenden ‚Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England‘ sowie die Ausgabe ‚Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen‘ von 1873. Eine besondere Einstellung Rankes ist zu berücksichtigen: Der den Wissenschaftler vor allem bestimmende Drang nach neuer Erkenntnis war bei ihm in außerordentlich starkem Maße ausgeprägt. Dem kam eine besondere Qualität der Relationen entgegen, und diese lag weniger in ihrem leichten Erwerb, als vielmehr in ihrem überwiegend unverbrauchten Neuigkeitswert. Dies wiederum verband sich mit einem allgemeinen Umstand: Nirgendwo war mehr Neues zu entdecken als in den Archiven, die Ranke nicht als erster, doch in großem Ausmaß nutzte. Indes hatten deren Bestände eine staatliche, obrigkeitliche Herkunft und eine entsprechend politikbezogene Ausrichtung, wodurch sich Rankes theoretische Einstellung affirmativ mit praktischen, aber ihrerseits eingeschränkten Gegebenheiten traf. Um wieder direkt auf den Naivitätsvorwurf zurückzukommen, kann festgehalten werden: Ranke hat nicht eine bestimmte Quellengattung - wie die venezianischen relazioni - naiv benutzt, sondern im Rahmen einer vorrangig an neuen Erkenntnissen interessierten Geschichtsanschauung mit einseitiger Ausrichtung die von dieser Anschauung gewählten vielfältigen Quellen einer Kritik unterzogen. Ein weiterer Punkt wird, wenn lediglich Werk-Vorworte Rankes gelesen werden, stets übersehen. Arthur Geoffrey Dickens hat nachdrücklich auf den Umstand hingewiesen, daß Ranke - so wenig er sich um Literatur bekümmerte - in seiner ‚Deutschen Geschichte‘ in weitem Umfang auf die gedruckten Quellen zahlreicher Vorgänger zu- 527 -

II/8.2.3 Sammlungen - Die Handschriften-Sammlung

rückgegriffen hat (Dickens/1982, 574). Man darf hinzufügen: nicht minder auf ungedruckte Reichstagsakten (s. vor allem o. 44). Wenn Ranke etwas ‚vorzuwerfen‘ ist, so ist es wohl kaum ein naiver QuellenEmpirismus als vielmehr eine vorgelagerte Geschichtsanschauung, welche auf dem Boden der im Lebensganzen praktizierten „natürlichen Hingebung gegen die Obern“ (an HR, 12. 10. 32, NBrr 173) vorzugsweise den ‚legitim‘ Herrschenden und dem von ihnen geleiteten Staatenleben galt, das beiläufig auch Rankes materielle und wissenschaftliche Existenz sicherte. Aus dieser dominierenden, vereinseitigenden Sicht ergaben sich Quellenpräferenzen wie die der Gesandtschaftsberichte, Briefe und Akten, hoheitliche, politiklastige Dokumente, welche indes in ihrer Bilateralität und Internationalität Rankes Europa-Universalismus empirisch ausstatteten und verstärkten, Dokumente auch, welche in ihrer Pluralität reiche Möglichkeiten wechselseitiger Kritik boten.

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3. Abteilung (II/8.3) EINZELDRUCKE, VARIA Die Sammlung von Einzeldrucken ca. 3.000 (Fuchs in WuN I, 26). a) Zur Geschichte des An c ien Régi me 46 Bände mit Einzeldrucken, 1573-1789 (Brogan, Pace, Weinberger/1953, 9). - Jedoch nach Hoeft 39 Bde: „eine Sammlung französischer Flugschriften, Edikte und dergleichen aus den Jahren 1573 bis 1637 in 39 Bänden“ (Hoeft/1937, 23).

b) Zur Geschichte der Französi sch en Revolution 53 Bde (Fuchs in WuN I, 26); 50 Bde (Clough/1964, 74) oder glaubhaft 55 (Hoeft/1937, 14ff. u. Gen. Dir. Wilmanns bei Hoeft/1937, 23) Oktav-Bde mit Einzeldrucken. Diese gliedern sich nach Hoeft folgendermaßen:

1. Abt., 13 Bände „Historie“. „In den neun ersten sind Berichterstattungen über einzelne Vorkommnisse, vornehmlich auch über Gerichtsverhandlungen in den Jahren 1789-91..., in dem zehnten finden sich die 1791 und 1792 in Berlin herausgekommenen Darstellungen der Anfänge der Revolution; die drei letzten Bände werden durch den in Göttingen erschienenen Revolutionsalmanach für die Jahre 1793-1796 gebildet“ (Hoeft/1937, 10). - Clough berichtet von einem 63seitigen Ms., das aus Briefen, Notizen und Spekulationen über die Verfasserschaft einiger anonymer Flugschriften besteht und einem der Bände eingefügt ist. (Clough/1964, 74). (Von Wiedemann?)

2. Abt., 4 Bände „Loix“. Enthält die revolutionäre Gesetzgebung der Jahre 1790 u. 1791. (Wiedemann bei Hoeft/1937, 15. - Brogan, Pace, Weinberger/1953, 10 hingegen: 1790-1794).

3. Abt., 6 Bände „Mémoires et Rapports“. „Besteht vorzugsweise aus Kundgebungen offiziellen Gepräges“ (Hoeft/1937, 15).

4. Abt., 8 Bände „Écrits mémorables“. Vorzugsweise „Kundgebungen offiziellen Gepräges“ (Hoeft/1937, 15).

5. Abt., 18 Bände „Pièces fugitives“. (Brogan/Pace/Weinberger 1953, 10: 1789-1800). Die beiden letzteren Abt. „bieten eine reichhaltige Zusammenstellung rein literarischen Charakters über die politischen und kirchlichen Kontroversen, die durch die Vorgänge im Innern Frankreichs hervorgerufen wurden.“ (Hoeft/1937, 15).

6. Abt., 4 Bände die auswärtigen Beziehungen Frankreichs in den Jahren 1789-1798 betreffend. (Hoeft/1937, 15. - Brogan/Pace/Weinberger/1953, 11).

c) Einzeldrucke zu m Ra st atter Friedenskongre ss 17 Bde mit Einzeldrucken („Flugschriften“) zum Rastatter Friedenskongress. (Hoeft, Schicksal 15f.; Brogan/Pace/Weinberger/1953, 11).

d) Geographi sche K arten Mehrere hundert geographische Karten und einige alte Atlanten. Eine größere Zahl hsl. Karten betr. die Hauptschlachten des Siebenjährigen Krieges (Brogan/Pace/Weinberger/1953, 11).

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II/8.3 Sammlungen - Einzeldrucke, Varia Siegfried Baur weist aus persönlicher Kenntnis der Bestände eine umfangreiche Zeitschriftensammlung Rankes nach: u. a. 10 Bände des ‚Moniteur‘ aus der Zeit der Französischen Revolution (1789-99), 20 Bände der AZ Augsb. (1832-43) und „zu einzelnen Zeiträumen jeweils größere Konvolute des ‚Journal des Débats‘, der ‚Gazette Nationale‘, des ‚Chronicle‘, der ‚Weimarischen-Zeitung bzw. Oppositions-Blatt‘, der ‚Neuen Rheinischen Zeitung‘ etc.“ (Baur/2003, 66).

Varia Persönliche und Familienpapiere Hierzu gehörte in erster Linie R.s Manuskript der ‚Zwölf Bücher preußischer Geschichte’. Das zusammen mit der Bibliothek veräußerte Manuskript wurde für die vermeintlich historischkritische Edition Küntzels (1930) nicht herangezogen, von Hoeft 1936 noch vorgefunden (Hoeft/1937, 44), ist jedoch nach persönlicher Mitteilung von Eberhard Kessel aus dem Jahre 1968 verschollen. Die bei den venezianischen Relationen der Syracuser Manuscript Collection vorgenommene formale und inhaltliche Beschreibung hat Muir in seinem ‚Complete Catalogue‘ von 1983 bei den ‚Personal and Family Papers‘ nicht durchgehalten. So bleibt es zwar wünschenswert zu wissen, aber unklar, welchen Inhalt und ungefähre Datierung etwa „Notes on the Psalms“ (Muir OA4) - dies wäre im Hinblick auf andere Psalmenarbeiten Rankes (s. Edierte Hss. 1815) von besonderem Interesse gewesen - oder ein „Notebook in embroidered velvet cover“ (Muir GMC595) haben. Zu den persönlichen und Familienpapieren zählen ferner:

Aufzeichnungen R.s über den Feldzug Amrus gegen Ägypten, 4 S. (Muir 397) zu WG V. Korrektur-Abzüge von EnglG (1868), 67-78 mit Annotationen (Muir OA2). Eine Abb. daraus: „Annotated (in Ranke’s own distinctive hand) page proof from his History of England principally in the Seventeenth Century, published in 1868“ [recte 1870]. In: Syracuse Scholar. An interdisciplinary journal of ideas, Bd. 9, Nr. 1, [Leopold von Ranke], Syracuse N. Y., 1988, 4.

Notizen zu den ersten Jahren der Regierung Kg. Friedrichs II. v. Pr., 4 S. (Muir: Ms 415). Notizen zu Friedrich d. Gr.: ‚Histoire de mon temps‘ (Muir GMC 591). Notizen über die Psalmen (Muir OA4). (Siehe auch II, 214). Notizen (Muir OA5 und Y228). Notiz Rankes mit Äußerungen über andere Historiker und die Phil. Fak. d. Univ. Berlin (Muir Y184). Notizen Rankes aus Joseph Hammer-Purgstall: Geschichte der Ilchane das ist der Mongolen in Persien, 1200-1350 ..., Darmstadt 1842-43 (Muir Y216a). Notizen aus Thomas Arnold: History of Rome, Lnd. 1840-43 (Muir Y216b). Notizen zu Montesquieus ‚Considérations sur les causes de la grandeur des Romains et de leur décadence‘, 1734 (Muir GMC555). Notizen zu Christophe Coudrettes ‚Histoire générale de la naissance et des progrès de la Compagnie de Jésus... ‘, Paris 1761 (Muir GMC556). Vier Fragmente nicht identifizierter Mss. (Muir GMC589). Sieben Autographen (Muir: Z4). Notizbuch in besticktem Samteinband (Muir GMC595).

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II/8.3 Sammlungen - Einzeldrucke, Varia Die folgenden vier Positionen sind aus dem Besitz von John Tiarks Ranke Graves über eine Auktion des Hauses Christie, Manson & Woods Ltd, Lnd., im Dez. 1965 an die Ranke-Memorial Library gelangt (Catalogue of Valuable and Important Manuscripts and Autograph Letters and Documents Drawings and Engravings which will be sold at Auction by Christie, Manson & Woods Ltd, 8 King Street, St. James’s, London, SW. 1, December 9, 1965, lot. 150):

Heiratsvertrag vom 16. 10. 43, unterzeichnet von Ranke, Clarissas Mutter und Brüdern. Zwei Quittungen Rankes über zusammen 3.000 Pfund, erhalten aus dem Gravesschen Vermögen. Eine Gästeliste vom 9. 6. 46. v. a. 14 Originalbriefe Rankes in englischer Sprache (eingeflossen in den in der Abt. ‚Briefwechsel‘ II, 302-304 vorgestellten allgemeinen Briefbestand der Syracuse Library). Briefe von und an Ranke Diese Position wird in der Abt. ‚Briefwechsel‘ vorgestellt.

Mobiliar etc. Lithographie-Porträt Rankes von W. Hensel aus dem Jahr 1859. - Im Gesichtsausdruck leicht veränderte Kopie des Ölgemäldes von Julius Schrader durch H. G. Herrmann (1883): Ranke als Kanzler des Ordens pour le Mérite; von beiden Abb. in Syracuse Scholar. An interdisciplinary journal of ideas, Bd. 9, Nr. 1, [Leopold von Ranke], Syracuse N. Y., 1988, 9 u. 66; weitere Gemälde aus Rankes Berliner Arbeitszimmer; Schreibtisch, Schreibtischsessel, Schreibtischgarnitur, Reisepass der ersten Italienischen Reise. Dessen Vorderseite ist abgebildet in: Syracuse Scholar, Bd. 9, Nr. 1, [Leopold von Ranke], Syracuse N. Y., 1988, 10.

N a c h l a ß d e s R a n k e - S c h ü l e r s S i e g f r i e d H i r s c h (1816-1860). „ ... two thick bundles of large folio sheets, covered on both sides in very small and much abbreviated German script with the lecture notes respectively for courses in Staatsgeschichte und Kirchengeschichte by Professor Siegfried Hirsch, Ranke’s colleague in Berlin.“ (Brogan, Pace, Weinberger/1953, 11). - Rankes unmittelbar nach Hirschs Tod geäußerte Absicht, „die sämtlichen Reliquien“ von Hirsch an Georg Waitz zu übergeben (R. an W. 24. 10. 60, NBrr 403), wurde wohl nur teilweise verwirklicht.

Im Nachlaß enthaltene orientierende Hilfsmittel 1. Wiedemann’s Descriptive Evaluation of the Ranke Library. 2. Wiedemann’s Abstracts of the Ranke Manuscripts. 3. Catalogue of the Manuscripts in the Ranke Library. 4. Supplements to the Catalogue of the Manuscripts in the Ranke Library. (Beschreibung der vier Positionen bei Hoeft/1937, Brogan/Pace/Weinberger/1953, Muir/1983).

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9. Teil BIBLIOGRAPHIE (II/9)

1. Abteilung (II/9.1) ZUR GESCHICHTE UND SITUATION DER RANKE-BIBLIOGRAPHIK Ein 1888, zwei Jahre nach Rankes Tod, erschienener Kurzbeitrag von Herbert Adams in den ‚Papers‘ der ‚American historical association‘ trug den Titel ‚Bibliographical notes on Leopold von Ranke‘ und dürfte damit die erste eigentliche Ranke-Bibliographie dargestellt haben. Sie enthält 23 kurz kommentierte Titel aus der Literatur über das Ehrenmitglied der jungen ‚Association‘. - Verlagskataloge von Duncker und Humblot in Leipzig, dem letzten und nachhaltigsten Verlag Rankes, aus den Jahren 1892, 1897 und 1904 bilden kein Gesamtverzeichnis seiner dort erschienenen Werke, beschränken sich vielmehr überwiegend auf Lieferbares und zuletzt Erschienenes. - 1896 nahm sich Richard Alberti in ‚Nachrichten aus dem Buchhandel und den verwandten Geschäftszweigen für Buchhändler und Bücherfreunde‘ der Aufgabe an. In seinem Beitrag über ‚Werke und Schriften des Historikers Leopold von Ranke‘ führte er außer einem an den ‚Sämmtlichen Werken‘ orientierten Verzeichnis 16 Schriften über Ranke auf. - 1897 brachte die ‚American Historical Association‘ mit einem Beitrag von William Price zu ihrem ‚Annual report‘ von 1896 ‚A contribution toward a bibliography of Leopold von Ranke‘ eine einigermaßen korrekt gearbeitete Bibliographie hervor, die einen nennenswerten Fortschritt gegenüber ihren Vorläufern darstellte und in ihrer Zeit nicht nur für den anglo-amerikanischen Raum ein nützliches Instrument gewesen sein dürfte. Sie war auf Anregung von Edward Gaylord Bourne zustandegekommen, der darin auch an wenigen Stellen kommentierend auftritt. Im ersten Teil werden 56 Titel aus Rankes Werk einschließlich einiger Übersetzungen verzeichnet, im 2. Teil 52 Titel der Sekundärliteratur. - In dem von Wilhelm Ermann zusammengestellten, 1899 erschienene ‚Verzeichnis der Berliner Universitätsschriften 1810-1885‘ ist Ranke erwartungsgemäß zwar (729) lediglich als Nr. 9480 mit seiner Antrittsvorlesung von 1836 vertreten, das Werk ist jedoch von Interesse für die Titel der von seinen Schülern bzw. Hörern verfaßten Dissertationen, die in die verdienstvolle Übersicht von Berg (1968) nicht vollständig übernommen wurden, u. a. der Titel der interessanten Dissertation des späteren Ranke-Gegners Maximilian Wolfgang Duncker: De historia eiusque tractandae varia ratione, Berolini 1834 (48 S.). Einen bedeutenden Fortschritt erzielte der Ranke-Forscher Hans F. Helmolt (18651929) mit seinen bibliographischen Arbeiten. Ein Beitrag, betitelt ‚Die Schriften über den Historiker Leopold von Ranke‘, von 1910 ging im selben Jahr ein in seine selbständig erscheinende ‚Ranke-Bibliographie‘. Sie stellt eine erste größere Sammlung des damaligen Redakteurs am Bibliographischen Institut zu Leipzig dar. Außer einem im Folgenden noch zu betrachtenden Verzeichnis von Werken Rankes enthält sie ca. 340 Schriften über ihn. - Vierzig Jahre später verfaßte Theodore H. von Laue in seiner Arbeit über ‚Leopold Ranke. The formative years‘ einen „Bibliographical Essay“ (219227), der doch nur eine recht willkürliche, ungeordnete Literatur-Auswahl bildet, die v. a. die Werke Meineckes als „best guide to Ranke’s thought“ hervorhebt (221) und u. a. Doves durchaus nicht unkritischem ADB-Artikel nicht gerecht wird. - 1968 habe ich in meiner Dissertation (Henz/1968, 229-259). u. a. einen ‚Beitrag zu einer RankeBibliographie‘ erstellt Er verstand sich mit ca. 300 nach 1910 erschienenen Werk- und Literaturtiteln als eine erste Ergänzung und Fortsetzung von Helmolt. - 1974 lieferte - 535 -

II/9.1 Bibliographie - Zur Geschichte und Situation der Ranke-Bibliographik

John C. Fout in seinem Werk über ‚German history and civilization 1806-1914. A bibliography of scholarly periodical literature‘ (162-164) ein höchst eingeschränktes Verzeichnis mit 37 Zeitschriftartikeln über Ranke. - Einen nennenswerten Fortschritt bildete 1994 ein Ranke-Beitrag von Volker Dotterweich zum ‚Biographisch-bibliographischen Kirchenlexikon‘ (Bd. VII, Sp. 1324-1355). Er enthält eine unkommentierte chronologische Titelliste, - als Literatur-Anhang zu einem lexikalischen Artikel erstaunlich umfangreich und verdienstvoll, jedoch im Bereich des 19. Jahrhunderts - er beginnt erst mit Literatur aus 1884 - höchst unvollständig und hinsichtlich des Werkverzeichnisses nur von einer dem eingeschränkten Zweck angemessenen Bedeutung, sowohl im Bereich der eigenhändigen Ranke-Ausgaben als auch in dem der posthumen Neudrucke. Dotterweichs Bericht über ‚Die gegenwärtige bibliographische Situation des Rankeschen Werkes. Erfahrungen mit der Werk-und Nachlass-Edition, Vorschläge zur Organisationsstruktur einer Ranke-Grossedition‘ von 2001 ist im Titel unglücklich formuliert, denn der allzu knapp gefaßte Beitrag führt nicht in die genannte ‚Situation‘ ein. Schließlich ist noch das verdienstvolle ‚Verzeichnis der zitierten Schriften‘ in Baurs Dissertation von 1998 zu nennen, das etwa 600 rankebezogene Titel nachweist. Zurück zu Helmolts Bibliographie von 1910. Im Folgejahr nahm sich Eduard Fueter rezensierend Helmolts an. Er gab dabei einige kleine Korrekturen, doch wird sein Kenntnisstand in dem völlig unwissenden und vermutlich folgenschweren Urteil deutlich: „Die Hauptsache ist, daß die Äußerungen aus der Zeit vor 1850, in der Rankes Werke nur recht selten diskutiert wurden, vollständig angeführt wurden.“ (642). Von Vollständigkeit aber konnte bei Helmolt nicht die Rede sein. Aus der Zeit bis 1850 hatte er lediglich 26 Schriften aufgeführt, denen in vorliegendem Werk rd. 260 gegenüberstehen. Auch von den Äußerungen nach 1850 hat Helmolt nur einen Bruchteil erfaßt, etwa ein Viertel des hier für den Zeitraum bis 1910 Zusammengestellten. So fehlen allein bei den Angaben zu den Besprechungen der Werke Rankes einige hundert Titel. Jedoch kann auch in vorliegendem Werk, wie häufig im Bereich von Besprechungen, kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben werden, zumal sich bei zunehmender Bekanntheit Rankes und Entwicklung des Pressewesens das Interesse auch in lokalen und kleineren patriotischen, unterhaltenden und religiösen Blättern des In- und Auslandes ausgebreitet hat und gelegentlich Titelgebungen verwendet werden, die nicht unbedingt auf ihren Inhalt hinweisen. * Die geringe Verfügbarkeit des Werkes in seinen eigenhändigen Erst- und Folgeausgaben ist für jeden Textsuchenden sogleich spürbar Schon 1923 wurde die Seltenheit bestimmter Auflagen beklagt: In den Universitätsbibliotheken Leipzig und Jena sei nur die 4., in Halle nur die 1. u. 4., in Göttingen die 1. und 3. und nur in Berlin auch die 2. Auflage der ‚Osmanen und die spanische Monarchie‘ vorhanden (Schwarz/1923, 18, A. 1). Heute besitzt die BSB München neben einigen vollständigen Werkausgaben von der 4. Auflage der ‚Römischen Päpste‘ lediglich den 2. Band., die 8. Auflage als Ausgabe letzter Hand in keinem einzigen Band, die ‚Französische Geschichte‘, 2. Auflage, lediglich mit Band V, und von der neunbändigen 2. Auflage der ‚Englischen Geschichte‘ fehlen die Bände I und II. Überaus bedenklich stimmt, daß in keinem Landeskatalog z. B. Rankes ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘ mit fünf Bänden cpl. verfügbar sind. Hier mit vergleichsweise geringen Mitteln ein Anschaffungsprogramm aus den Beständen des Antiquariatsmarktes nebst - 536 -

II/9.1 Bibliographie - Zur Geschichte und Situation der Ranke-Bibliographik

Zusammenführungen auf dem bibliothekarischen Tauschwege aufzulegen, könnte vor allem als Aufgabe der Berliner Staatsbibliothek angesehen werden, welche durch Rankes Berliner Tätigkeit und Ehrenbürgerschaft, vor allem aber als Hüterin seines Nachlasses eine besondere Beziehung und Verpflichtung fühlen dürfte. Aus der gegenwärtigen bibliothekarischen Mangelsituation entstehen, zumal wenn vergleichend mit mehreren Ausgaben zu arbeiten ist, Probleme, welche nicht selten durch konservatorisch begründete, zunehmend eingeschränkte Lieferbereitschaft und beengende Benutzungsauflagen im Fernleihverkehr verschärft werden, ungeachtet der nicht leicht erfüllbaren Bedürfnisse ausländischer Interessenten. Höchst beschwerlich und zeitraubend werden Ermittlungen durch unzureichende - besonders fehlende Auflagen- und Bandbezeichnungen - irrige oder irreführende Titelaufnahmen in bibliothekarischen Such- und Bestellsystemen, zumal gelegentlich bei Erwerb oder Akkomplettierung buchbinderisch egalisierte Auflagenmischungen (z. B. UuLB Münster: FranzG I-V der Erstaufl., Bd. IV aus der Zweitauflage untergemischt) entstanden, welche in der Folge nicht erkannt, nicht vermerkt oder nicht behoben wurden. Mit welcher Geschwindigkeit die begonnene Digitalisierung der Werke Rankes - nebst unbeschränkter Zugriffmöglichkeit - vor allem in den späteren Auflagen voranschreiten wird, bleibt abzuwarten. Wenig sinnvoll dürfte die gelegentlich anzutreffende symptomatische Digitalisierung eines einzelnen Restbandes (z. B. BSB München: PÄPSTE 4II) aus einer mehrbändigen Auflage sein, die anderwärts vollständig vorhanden ist. Neben der eingeschränkten Verfügbarkeit in körperlicher Form besteht eine solche auch im bibliographischen Bereich. Hier leidet das Phänomen ‚Ranke‘ unter einer zweifachen Unüberschaubarkeit: zum einen unter der bekannten, sprichwörtlich gewordenen einer in nahezu zweihundert Jahren international angewachsenen Ranke-Literatur, sodann aber auch unter der selbst im engeren Kreis der Ranke-Forschung nicht bekannten geringen Überschaubarkeit des in einem neunzigjährigen Leben entstandenen umfangreichen Werkes. In der genannten Bibliographie Helmolts aus dem Jahre 1910 konnten doch mangels Kommentar und vor allem wegen Auslassung zahlreicher Teile die bibliographische Kompliziertheit des eigenhändigen Rankeschen Werkes und seine partiellen inhaltlichen Verschränkungen nicht zum Ausdruck kommen, blieben daher aufs Ganze gesehen der Forschung unbekannt. In 1837 fehlt Helmolt die 2. Auflage von FuV I, - in 1845 PÄPSTE II u. III, 3. Aufl., - in 1854 PÄPSTE I, 4. Aufl. - Ein für 1861 vindizierter Bd. VI der Erstauflage von FranzG existiert nicht, sind doch die beiden ersten Auflagen noch fünfbändig. - In 1868 fehlt bei DtG der III. bis VI. Bd. in 4. Auflage und von FranzG I u. II die [3D-Aufl.], wovon in 1869 der III. und. IV. Bd. fehlen. - Den 1869 folgenden ‚Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV. von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England‘, 1. Aufl. hat Helmolt auf 1872 verschoben, und in 1871 fehlt ihm EnglG V-VII in 2. Auflage, davon wiederum in 1872 Bd. VIII und IX, wohingegen er die 3. Auflage des ‚Wallenstein‘ von 1872 auf 1871 rückdatiert und den 5. Band der Denkwürdigkeiten Hardenberg auf 1878 vordatiert hat. In 1873 fehlen alle sechs Bände der DtG 5. Aufl. und in 1881 und 1882 deren 6. Aufl. - Ganz unverzeihlich ist das Fehlen der wichtigen, da überarbeiteten 1874 erschienenen 2. Aufl. der GRGV und ZKritik, also des Rankeschen Doppel-Erstlingswerks. Beiläufig: Mängel, die dem kundig auftretenden Historiographie-Historiker Eduard Fueter in einer Rezension (1911) verborgen blieben, was auch weiterhin der Fall war.

Helmolt hatte sich vorwiegend an den verständlicherweise im Bereich des jeweils Letzterschienenen, Lieferbaren verharrenden Katalogen des Ranke-Verlages Duncker & Humblot orientiert und war daher, besonders was die verschiedenen Auflagen der - 537 -

II/9.1 Bibliographie - Zur Geschichte und Situation der Ranke-Bibliographik

Werke anbelangt, lückenhaft geblieben. Nicht zuletzt hatte er keinen Blick in den wechselnden Aufbau der Werke getan, ebenso wenig in die nichtselbständigen Schriften Rankes, oder gar in die Überlieferung seiner mündlichen Werkformen, was freilich auch nicht als Aufgabe einer reinen Bibliographie anzusehen ist. Gleichwohl wurde die Aufgabe einer korrigierenden Fortführung lange Zeit nicht erkannt. Erst rund sechzig Jahre nach dieser ersten und bis heute einzigen als selbständige Schrift erschienenen Ranke-Bibliographie kam, wie oben erwähnt, ein nennenswerter bibliographischer Beitrag (Henz/1968) zustande. Eine bibliographische Aufarbeitung des Rankeschen Werkes jedoch war damit nicht geleistet und ist auch in den darauf folgenden über vierzig Jahren nicht zustande gekommen. Eine 1998 von Norbert Simon herausgegebene, für den Verlag Duncker & Humblot sorgfältig erarbeitete Verlagsbibliographie konnte dem Mangel nicht völlig abhelfen, denn sie „wurde aus alten Verlagskatalogen zusammengestellt. Sie kann nicht den Anspruch auf Vollständigkeit erheben. Die verwendeten Kataloge waren nicht mit geschichtswissenschaftlichem Anspruch erarbeitet worden, dienten vielmehr der Unterrichtung des Marktes über die aktuellen Verlagsangebote. So enthalten sie weder sämtliche zum Zeitpunkt der Katalogerstellung bereits vergriffenen Werke noch bei wiederaufgelegten Werken vollständige Angaben über die Vorauflagen“ (Duncker & Humblot Verlagsbibliographie/1998, 5). Eine wissenschaftlichen Ansprüchen genügende bibliographische Aufarbeitung des Rankeschen Werkes wäre um so nötiger gewesen, als dieses, gefördert durch seine noch zu betrachtenden Verwicklungen, betroffen ist von geradezu grassierendem Falschbibliographieren und gelegentlich folgenschwerem, unzureichendem Überblick über den Bestand nebst falscher Einschätzung des Wertes bestimmter Ausgaben sowie die im weiten Meer der Ranke-Literatur schwer zu ortenden, zu nicht geringen Teilen mangelhaften Veröffentlichungen aus seinem schriftlichen Nachlaß und Briefwechsel. Um diesen unbekannten und kaum glaubhaften Not- und Unstand in Ausmaß und Konsequenzen anzudeuten, kann hier auf die Vorführung einer bewußt vielgestaltigen Auswahl nicht verzichtet werden. Ein prominentes Beispiel stellt der bekanntlich um die internationale Befassung mit Ranke verdiente Georg G. Iggers (Nationalism and historiography, 1999, 28, A. 5) dar. Er läßt den letzten und wohl am häufigsten benutzten Band der ‚Sämmtlichen Werke‘, Bd. 53/54 ‚Zur eigenen Lebensgeschichte‘, „1869-70“ erscheinen, obgleich dies erst posthum 1890 geschah. Die überarbeitete Dissertation von Horst Walther Blanke (1991), wohl ein Meilenstein der Historiographiegeschichte, irrt bibliographisch gleich mehrfach (236, A. 644): „Leopold Ranke: Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, Bd. 1, Stg. 1832, [recte: 1852] 2Lpzg. 1868 [2. Aufl. recte: Stg. 1856. Die Ausg. Lpz. 1868 trägt keine Auflagenbezeichnung]. (= Sämmtliche Werke, Bd. 8). ders.: Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert, Bd. 1, Bln 1859, [Der Titel lautet korrekt: Englische Geschichte vornehmlich im sechszehnten und siebzehnten Jahrhundert. Der von B. zitierte Titel tritt erst mit der 2. Aufl. ein.] 3Lpzg. 1870 (= Sämmtliche Werke, Bd. 14)“ und (ebd., 265, A. 750): „Leopold Ranke: Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert, Lpzg. 1829, 21844, 31879 (Sämmtliche Werke, Bd. 43/44).“ - Der Titel des 1829 erschienenen Werkes lautet: Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mittheilungen, 1. Aufl. - Das Werk ‚Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘ (= SW 43/44) erschien in 1. Aufl. erst 1870. Darüberhinaus: Eine „erste komprimierte Biographie“ Rankes erschien nicht erst „in den 1920er Jahren“ (552, gemeint ist Helmolt/R.-Biogr./1921), sondern bereits 1893 (Guglia/1893, wenn man nicht schon Doves-ADB-Beitrag von 1888 gelten läßt). Die Gesamtausgabe der Werke durch die Deutsche Akademie endete nicht mit Joachimsens Ausgabe der ‚Deutschen Geschichte‘, sondern mit der von Küntzel herausgegebenen ‚Preußischen Geschichte‘ (ebd.).

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II/9.1 Bibliographie - Zur Geschichte und Situation der Ranke-Bibliographik

Im Folgenden seien einige Beispiele der bereits wenige Jahre nach seinem Erscheinen und auch heute noch grassierenden Titelverunstaltung des Rankeschen ErstlingsDoppelwerkes nebst anderem ihm zugefügten Ungemach vorgestellt: aus dem Jahre 1825 Heerens extreme Titulierung „Geschichten Romanischer Völker“ (an Perthes, 17. 10. 25, Oncken/1922, 28, A), aus 1831 Schlossers Bezeichnung „Geschichte der germanischen und romanischen Stämme“ (Ueber die neusten Bereicherungen, 300f.) und aus dem Bereich heutiger Literatur: Krywalski (1996), 272: „Leopold v. Ranke: Geschichte der römischen [!] und germanischen Völker von 1494 bis 1514.“ [1514 erst ab der zweiten Aufl.; in der ersten Aufl.: 1535]. Überhaupt wird von Rankes grundlegenden Erstlingswerken zumeist nur die ErstAusgabe von 1824 und gelegentlich kontrastierend die zweite von 1874 genannt. Daß er ein Jahr vor seinem Tod noch eine dritte, revidierte Ausgabe letzthändig veranstaltete, ist weithin unbekannt. Dazu Beispiele aus dem Ausland: Delio Cantimori: Storici e storia (1971), hält nicht nur die Ausgabe ‚Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber‘ von 1874 für die „ultima edizione“ (173, A. 1), sondern datiert beiläufig in verräterischer Verkennung der Rankeschen Biographie das Werk ‚Fürsten und Völker‘ I auf 1824 statt auf 1827 (177). Auch die 1943 erschienene erste spanische Ausgabe von Rankes ‚Päpsten‘ (Historia de los papas en la época moderna. Traducida del alemán por Eugenio Imaz. [1943]) ging von einer irrigen Voraussetzung aus: „Se ha utilizado para esta versión la sexta edición de la obra ‚Geschichte der Päpste: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten‘, ano 1874, última redactada por Ranke.“ In tragischer Verkennung der wahren Verhältnisse ließ man die wirkliche Ausgabe letzter Hand, es ist die achte von 1885, unbeachtet. Selbst Rankes Sohn Friduhelm, der mit zwei wichtigen Veröffentlichungen zur Kenntnis Rankes beitrug, hielt - und dies darf man als besonders aufschlußreich, nicht nur innerhalb der Familie, ansehen - ‚Fürsten und Völker‘ für Rankes „Erstlingswerk“ (Friduhelm v. R., März 1906, 328). Bedauerlich auch, daß Zischka in seinem bekannten Gelehrten-Lexikon der Rankeschen ‚Weltgeschichte‘ durch Festlegung eines verkürzten Darstellungszeitraums den antiken Boden entzog: „Weltgeschichte, 1880-88, 9 Bde (vom Tode Ottos d. Gr. bis 1450)“ (Zischka/1961, 527). Selbst Eduard Vischer, den man nicht als Ranke-Anfänger bezeichnen kann, sah in ihm den „Herausgeber der Historisch-Politischen Blätter“ (Vischer/1953, 393), was im Gedanken an die Gründung Joseph von Goerres’ ein konfessionell paradoxes Gepräge erhält.

Auch Spezialuntersuchungen zu einzelnen Themen des Rankeschen Werkes sind von bibliographischen Irrtümern und Fehleinschätzungen mehrfacher Art befallen, gelegentlich gar gebündelt und mit handgreiflich nachteiligen Folgen für die Interpretatorik. So stellte Gerhard Labuda in einem Beitrag ‚Polen und polnisch-preußische Beziehungen im historiographischen Werk Leopold von Rankes‘ (1981, 80, A. 53) die Behauptung auf, von Rankes ‚Neun Büchern preußischer Geschichte‘ sei „nie“ ein zweiter Band erschienen, obgleich dies 1848 der Fall war und ihm gar noch ein dritter folgte. Die Ausgabe der ‚12 Bücher preußischer Geschichte‘ von Horst Michael (o. J.) wird von Labuda bei geringem Anspruch als „kritische Ausgabe“ bezeichnet (Labuda 80, A. 69), obwohl es im dortigen „Vorwort für die Gesamtausgabe“ heißt: „Die vorliegende Ausgabe von Rankes ausgewählten Werken will diesen großen Meister der Geschichtsschreibung endlich auch der Gesamtheit des deutschen Volkes zugänglich machen. Der volkstümlichen Absicht entsprechend wurde auf alles verzichtet, was diesen Zweck beeinträchtigen könnte; besonders wurden die zahlreichen, rein wissenschaftlichen Anmerkungen und Analekten fortgelassen ...“. Einen bibliographisch emotionalen Dramatisierungsakzent setzte Labuda mit der Einführung des folgenden Ranke-Werkes: „‚Geschichte des serbischen Volkes unter dem türkischen Joch‘ (1828)“ (75, A.6). Nun ist zwar im Jahre 1828 kein einziges Werk Rankes erschienen, allerdings im Jahre 1829 das von Ranke selbst zurückhaltender betitelte: ‚Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mittheilungen‘. Übrigens sei Ranke zu diesem Thema „später nie“ zurückgekehrt (ebd.). Offensichtlich ist Labuda die zweite Ausgabe des Werkes von 1844 und vor allem „Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert‘ von 1879 verborgen geblieben. - Felix Escher (1989, 119) hatte mit

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II/9.1 Bibliographie - Zur Geschichte und Situation der Ranke-Bibliographik den ‚Neun Büchern preußischer Geschichte‘ Schwierigkeiten. Er ließ die drei Bände nicht 18471848 erscheinen, sondern bereits „1834-1848“. 1834 hatte Ranke jedoch mit gänzlich anderen Dingen zu tun: Er schrieb mäßig verzweifelt an immens langen Beiträgen zu seiner alsbald untergegangenen ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘. Fehlgriffe dieser Art weisen daher i. a. auf eine massive Verkennung der Rankeschen Lebens- und Historiographiegeschichte in ihren Phasen, Entwicklungen und Schwerpunkten hin und transportieren diese Fehlsicht weiter. Sie finden sich jedoch auch bei mehrfach, selbst editorisch ausgewiesenen Ranke-Forschern: Der mit der Goldmedaille der Ranke-Gesellschaft geehrte Erlanger Ordinarius Walther Peter Fuchs stellte - neben anderen folgenschwereren Fehlurteilen (s. II, 237, 254f.) die Behauptung auf (WuN I, 22, A.1): „die Briefe der Liselotte wurden nicht in die ‚Franz. Gesch‘ aufgenommen.“ Dem steht freilich die 1861 erfolgte, wenn auch mit Mängeln behaftete Aufnahme der ‚Briefe der Herzogin von Orleans, Elisabeth Charlotte, an die Kurfürstin Sophie von Hannover‘ in die Analekten von Band V, 280-442 der ‚Französischen Geschichte‘ entgegen, wobei noch die erhebliche Erweiterung in der 3. Auflage zu beachten ist. - Richard Heinold unterlag - und dies hätte im Hinblick auf seine Hauptquelle nicht geschehen dürfen - bei seiner Dissertation ‚Die Wandlungen des deutschen Cromwell-Bildes‘ (phil. Diss. Masch., Erlangen 1953) in den bibliographischen Angaben zu den verschiedenen Auflagen der ‚Englischen Geschichte‘ Rankes massiven Irrtümern (43). Eine 2. Auflage erfolgte nicht 1870 bis 1875, sondern bereits 1862 bis 1872 und eine 3. nicht 1877 bis 1879, sondern bereits 1870 bis 1879. Es läßt sich leicht denken, zu welchen Verzerrungen und Mißdeutungen es führen kann, wenn Rankes Werk historiographiegeschichtlich mit Werken ähnlicher Thematik, die möglicherweise noch nicht erschienen waren, in Beziehung gesetzt wird. Zudem erschien schon die 2. Auflage in 9 Bänden und nicht erst die 3. Die 4. Auflage von 1877 - in diese gelangten wenigstens noch die beiden ersten Bände - als Ausgabe letzter Hand ist Heinold ohnedies unbekannt. Er will auch herausgefunden haben, „daß die 2. Auflage der 3. im vollen Wortlaut und Umfang entspricht” (43, A. 1), wovon keine Rede sein kann. Ranke hatte dazu in der Vorrede zu Band I der dritten Auflage bemerkt: „(Anmerkung zur dritten Ausgabe.) Im Laufe der Forschung und der Arbeit hat die Darstellung des siebzehnten Jahrhunderts einen größeren Umfang gewonnen, als ich ihr anfangs geben zu können gemeint hatte ...“ (XI, A 1). - In der ansonsten bibliographisch versierten Dissertation von Holger Mannigel (Wallenstein in Weimar, Wien und Berlin, 2003, 449, A. 1) ist es nicht Wallenstein, doch Rankes ‚Hardenberg‘, der bibliographisch aus dem Ruder läuft: „Das Werk ‚Hardenberg und die Geschichte des preußischen Staates von 1793-1813‘ (5 Bde, 1877/81)“ richtig: 3 Bde, welche 1879, 1880 u. 1881 erschienen. Nicht zu verwechseln mit den ‚Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg‘, welche 1877 in 5 Bänden auftraten. - Definitiv nicht von Ranke stammt folgende Schrift eines Gleichnamigen: ‚August Hermann Francke. Vortrag zum Besten der Herberge zur Heimat in Nürnberg gehalten von Leopold Ranke, Pfarrer. Erlangen: Verlag von Andreas Deichert 1875‘, (26 S.). Doch findet sich dafür keine klare Abgrenzung zu Leopold von Ranke in: British Liberary General Catalogue to 1975, vol. 270, p. 274 und im Katalog der Deutschen Nationalbibliothek/Internet.

Die noch weit fortzuführende Auswahl mag nahezu geschlossen werden mit Karl Brandis Feststellung, Rankes „grandioser Torso voll Tiefsinn und Altersweisheit“, seine Weltgeschichte, habe er „nicht mehr über den 4. Band (bis zu Kaiser Heinrich IV.) hinaus fortsetzen“ können (Brandi: Geschichte der Geschichtswissenschaft, Gött. 1947, ²1952, 103), eine Zahl, die von Ernst Breisach andachtsvoll verdoppelt wurde (1983, 234): „He died after completing eight volumes.“ Bereits im Vorwort zum 7. Band stand indes seit langem zu lesen, Rankes „treuer wissenschaftlicher Gehilfe Paul Hinneberg“ habe für diesen Band „aus den Dictaten und nach den Weisungen des Entschlafenen einen wohlgefügten, bequem lesbaren Text“ hergestellt (WG VII/1886, Vorw. des Hg.s Alfred Dove, VI).

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2. Abteilung (II/9.2) CHRONOLOGISCHE WERKÜBERSICHT 1824-1886 Die vollständigen bibliographischen Angaben finden sich in Abteilung II/1

1824 Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1535, 1. [einziger] Bd., 1. Aufl. Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber, 1. Aufl.

1827 Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, 1. [einziger] Bd., 1. Aufl.

1828 Replik auf Heinrich Leo

1829 Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mittheilungen, 1. Aufl. Zur Geschichte des Don Carlos

1830 [Aufsatz über den Triumphbogen des Claudius]

1831 Ueber die Verschwörung gegen Venedig, im Jahre 1618, 1. Aufl.

1832 Historisch-politische Zeitschrift (Hg.), I, H. 1 - 4. (Im einzelnen II/1.3) [Über die Bundesbeschlüsse vom 28. Juni und 5. Juli 1832]

1833 Historisch-politische Zeitschrift (Hg.), II, H. 1. (Im einzelnen II/1.3)

1834 Historisch-politische Zeitschrift (Hg.), II, H. 2. (Im einzelnen II/1.3) Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, I, 1. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, II).

1835 Historisch-politische Zeitschrift (Hg.), II, H. 3. (Im einzelnen II/1.3)

1836 Historisch-politische Zeitschrift (Hg.), II, H. 4. (Im einzelnen II/1.3) Mehr nicht erschienen. Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, II u. III. 1. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, III u. IV)

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II/9.2 Bibliographie - Chronologische Werkübersicht Über die Verfassung der Republik Venedig, besonders des Raths der Zehn Oratio de historiae et politices cognatione atque discrimine

1837 Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, I [einziger Bd]., 2. Aufl. Zur Geschichte der italienischen Poesie (1835/1837) Nachträgliche Bemerkung zur Geschichte der italienischen Poesie (1835/1837) Über eine noch ungedruckte Lebensbeschreibung Kaiser Maximilian’s I. von Hans Jacob Fugger Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause, I, 1. Abt. (Hg.). Vorrede, datiert 30. Nov. 1836

1838 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, I, 2. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, II) Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause, I, 2. Abt. (Hg.) [Von R verfaßter oder beeinflußter Art. gegen die unautorisierte Haibersche Übers. der ‚Päpste‘.]

1839 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, II u. III, 2. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, III u. IV). Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause, I, 3. Abt. (Hg.) Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause, III, 1. Abt. (Hg.) Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, I u. II, 1. Aufl.

1840 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, III, 1. Aufl. Jahrbücher des Deutschen Reichs unter dem Sächsischen Hause, II, 1. Abt. (Hg.) Mehr nicht erschienen

1841 [Mitteilung über die Mutter König Manfreds von Sizilien an Friedrich von Raumer]

1842 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, I u. II, 2. Aufl.

1843 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, IV u. V, 1. Aufl. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, III, 2. Aufl.

1844 Die serbische Revolution. Aus serbischen Papieren und Mittheilungen. „Zweite Ausgabe“ Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert. I, 3. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, II) Ueber den Ausbruch des siebenjährigen Krieges. Aus Mitchell’s ungedruckten Memoiren mitgetheilt Zeitschrift für Geschichtswissenschaft I (1844) - IX (1848, mehr nicht erschienen), ab V u. d. T.

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II/9.2 Bibliographie - Chronologische Werkübersicht Allgemeine Zeitschrift für Geschichte (Mit.-Hg.)

1845 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, II u. III, 3. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, III u. IV)

1846 Ueber die Versammlung der französischen Notabeln im Jahre 1787

1847 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, VI, 1. Aufl. Neun Bücher Preußischer Geschichte, I, 1. Aufl.

1848 Neun Bücher Preußischer Geschichte, II u. III, 1. Aufl. Neun Bücher Preußischer Geschichte, I, 2. Aufl.

1850 Communication sur les mémoires du Père Joseph

1851 Zur Kritik preußischer Memoiren (1849/1851) Communication relative aux mémoires du cardinal de Richelieu

1852 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, I-V, „3. Ausgabe“ Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, I, 1. Aufl.

1854 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, I, 4. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, II) Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, II, 1. Aufl.

1855 Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, III, 1. Aufl. Zur Kritik fränkisch-deutscher Reichsannalisten (1854/1855)

1856 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, II, 4. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, III) Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, IV, 1. Aufl. Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, I, 2. Aufl.

1857 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert. III, 4. Aufl. (Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert, IV) Fürsten und Völker von Süd-Europa im 16. und 17. Jahrhundert. I, [einziger Bd.], 3. Aufl. u.. d. T.: Die Osmanen und die spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert

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II/9.2 Bibliographie - Chronologische Werkübersicht Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, II, 2. Aufl.

1859 Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, III, 2. Aufl. Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, I, 1. Aufl. Denkschrift über die künftigen Aufgaben der Historischen Kommission bei der Kgl. Bayerischen Akademie der Wissenschaften. (1858/1859) Rede zur Eröffnung der I. Plenarversammlung der Historischen Kommission, 29. Sept. 1859 Entwurf zu einer Geschichte der Wissenschaften in Deutschland.

1860 Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, II, 1. Aufl.

1861 Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, V, 1. Aufl. Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, III, 1. Aufl.

1862 Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, IV, 2. Aufl. Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, I, 2. Aufl.

1863 Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, IV, 1. Aufl.

1864 Rede zur Eröffnung der VI. Plenarversammlung der Historischen Kommission Zeitschrift für Preußische Geschichte und Landeskunde, Jg. 1 (1864) - Jg. 20 (1883), mehr nicht erschienen (Mit-Hg.).

1865 Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, V, 1. Aufl. Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, II, 2. Aufl. Geschichte der Restauration und der Revolution in England, I, 1. Aufl. (= Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, IV, 1. Aufl.) Geschichte der Restauration und der Revolution in England, II, 1. Aufl. (= Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, V, 1. Aufl.) Fuchs und Bentink Zur orientalischen Frage. Gutachten im Juli 1854 Sr. Majestät König Friedrich Wilhelm IV. vorgetragen

1866 Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, VI, 1. Aufl.

1867 Die römischen Päpste, ihre Kirche und ihr Staat im 16. und 17. Jahrhundert, I-III, 5. Aufl. Rede zur Eröffnung der 8. Plenarversammlung der Historischen Kommission

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II/9.2 Bibliographie - Chronologische Werkübersicht Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, I u. II, 4. Aufl. (SW 1 u. 2; 1. GA)

1868 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, III-VI, 4. Aufl. (SW 3 - 6; 1. GA) Zur Deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg, 1. Aufl. (SW 7; 1. GA) Französische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, I u. II, [3D-Aufl.] (SW 8 u. 9; 1. GA) Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, VII, 1. Aufl. Johann Friedrich Böhmer. Vortrag am 30. September 1868 in der historischen Commission gehalten

1869 Französische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, III u. IV, [3D-Aufl.] (SW 10 u. 11; 1. GA) Briefwechsel Friedrich des Großen mit dem Prinzen Wilhelm IV von Oranien und mit dessen Gemahlin Anna, geb. Princess Royal von England, 1. Aufl. (1868/1869) Zur Deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg Geschichte Wallensteins, 1. Aufl. Rede zur Eröffnung der [X.] Plenarversammlung der historischen Commission bei der k. Akademie der Wissenschaften in München

1870 Französische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, V u. VI, [3D-Aufl.] (SW 12 u. 13; 1. GA) Englische Geschichte vornehmlich im 17. Jahrhundert, I u. II, 3. Aufl. (SW 14 u. 15; 1. GA) Englische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, III u. IV, 2. Aufl. (SW 16 u. 17; 1. GA) Geschichte Wallensteins, 2. Aufl.

1871 Englische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, V-VII, 2. Aufl. (SW 18-20; 1. GA). Der Ursprung des Siebenjährigen Krieges, 1. Aufl. Die deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790, I, 1. Aufl.

1872 Englische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, VIII u. IX., 2. Aufl. (SW 21 u. 22; 1. GA) Geschichte Wallensteins, 3. Aufl. (SW 23, 1. GA) Die deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790, II, 1. Aufl. Abhandlungen und Versuche. Erste Sammlung, 1. Aufl. (SW 24, 1. GA) Georg Gottfried Gervinus. Rede zur Eröffnung der zwölften Plenarversammlung der historischen Commission

1873 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, I-VI, 5. Aufl. (SW 1-6; 2. GA)

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II/9.2 Bibliographie - Chronologische Werkübersicht Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen. Normalausgabe, 1. Aufl. Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen. Prachtausgabe, 1. Aufl. Eine Gedächtnißrede bei Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission gehalten von - [Untertitel:] Maurer. Raumer. Liebig. Stälin

1874 Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber. 2. Aufl. (Doppelband) (SW 33/34; 1. GA) Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, I-III, 6. Aufl. (SW 37-39; 1. GA) Zur Deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg, 2. Aufl. (SW 7; 2. GA) Aus dem Briefwechsel Friedrich Wilhelms IV. mit Bunsen. Normalausg., 2. Aufl. Genesis des preußischen Staates. Vier Bücher preuß. Geschichte, 1. Aufl. (SW 25/26, 1. GA) Zwölf Bücher Preußischer Geschichte, I-V, 1. Aufl. (SW 25/26, 27/28, 29; 1. GA) Eine Gedächtnißrede bei Eröffnung der vierzehnten Plenarversammlung der historischen Commission. [Untertitel:] Maurer. Raumer. Liebig. Stälin. Zweitdr.

1875 Die deutschen Mächte und der Fürstenbund. Deutsche Geschichte von 1780 bis 1790, 2. Aufl. (SW 31/32; 1. GA) Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 und 1792, 1. Aufl. Zur Geschichte von Oesterreich und Preußen zwischen den Friedensschlüssen zu Aachen und Hubertusburg, 1. Aufl. (SW 30; 1. u. 2. GA)

1876 Französische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, I u. II, [4D-Aufl.] (SW 8 u. 9; 3. GA)

1877 Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber. 3. Aufl. (SW 33/34; 2. GA) Die Osmanen und die Spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert Vierte, erweiterte Aufl. des Werkes ‚Fürsten und Völker von Süd-Europa‘ (SW 35/36; 1. u. 2. GA) Französische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, I-IV, [3C-Aufl.] Französische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, III-V, [4D-Aufl.] (SW 10-12; 3. GA) Französische Geschichte vornehmlich im 16. u. 17. Jahrhundert, VI, [4D-Aufl.] (SW 13; 3. GA) Englische Geschichte vornehmlich im 17. Jahrhundert, III-VI, 3. Aufl. (SW 16-19; 2. GA) Englische Geschichte vornehmlich im 17. Jahrhundert, I u. II, 4. Aufl. (SW 14 u. 15; 2. GA) Abhandlungen und Versuche. Erste Sammlung, 2. Aufl. (SW 24, 2. GA) Denkwürdigkeiten des Staatskanzlers Fürsten von Hardenberg, I-V, 1. Aufl. Historisch-biographische Studien, 1. Aufl. (SW 40 - 41; 1. u. 2. GA)

1878 Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, I-III, 7. Aufl. (SW 37-39; 2. GA)

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II/9.2 Bibliographie - Chronologische Werkübersicht Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, 7. Aufl., 1bändige Text-Ausgabe Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, V, [3C-Aufl.] Zwölf Bücher Preußischer Geschichte, I/II (Genesis des preußischen Staates), 2. Aufl. (SW 25/26; 2. GA) Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien, 1. Aufl. Zur Venezianischen Geschichte, 1. Aufl. (SW 42, 1. GA) Zur Geschichte der italienischen Kunst

1879 Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert, VI, [3C-Aufl.] Englische Geschichte vornehmlich im 17. Jahrhundert, VII-IX., 3. Aufl. (SW 20-22; 2. GA) Zwölf Bücher Preußischer Geschichte, III/IV u. V, 2. Aufl. (SW 27/28 u. 29; 2. GA) Ursprung und Beginn der Revolutionskriege 1791 u. 1792, 2. Aufl. (SW 45; 1. u. 2. GA) Hardenberg und die Geschichte des preuß. Staates, I, 2. Aufl. (SW 46; 1. u. 2. GA) Serbien und die Türkei im neunzehnten Jahrhundert 1. Aufl. (SW 43/44; 1. u. 2. GA)

1880 Geschichte Wallensteins, 4. Aufl. (SW 23; 2. GA) Hardenberg und die Geschichte des preuß. Staates, II, 2. Aufl. (SW 47; 1. u. 2. GA)

1881 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, I-V, 6. Aufl. (SW 1-5; 3. GA) Hardenberg und die Geschichte des preuß. Staates, III, 2. Aufl. (SW 48, 1. u. 2. GA) Weltgeschichte, Erster Theil, 1. Aufl.; Weltgeschichte, Erster Theil, 2. Aufl.

1882 Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, VI, 6. Aufl (SW 6, 3. GA) Weltgeschichte, Zweiter Theil, 1. und 2. Aufl.

1883 Weltgeschichte, 1. Theil, 3. Aufl. - 2. Theil, 3. Aufl. - 3. Theil, 1. u. 2. Aufl. - 3. Theil, 3. Aufl. 4. Theil, 1. bis 3. Aufl.

1884 Weltgeschichte, 5 Theil, 1. bis 3. Aufl.

1885 Geschichten der romanischen und germanischen Völker von 1494 bis 1514. Zur Kritik neuerer Geschichtschreiber. 3. Aufl. (Doppelbd.) (SW 33/34, 2. GA) Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, 8. Aufl., I-III (SW 37-39; 3. GA) Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, 8. Aufl., 1bändige Text-Ausg. Weltgeschichte, 6. Theil, 1. bis 3. Aufl.

1886 Weltgeschichte, 1. Theil, 4. Aufl. - 2. Theil, 4. Aufl. - 3. Theil, 4. Aufl. (1. Abschnitt ?)

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3. Abteilung (II/9.3) FREMDHÄNDIGE DEUTSCHSPRACHIGE AUSGABEN 1843-2013 E i n f ü h r u n g (II/9.3.1) Schon zu Lebzeiten Rankes war einiges aus seinem Werk von fremder Hand herausgegeben worden. Es handelte sich freilich zunächst nur um kleine Texteinheiten, die einigen wenigen Sammelbänden pädagogischer und literarischer Ausrichtung beigegeben wurden. Bemerkenswert, daß Ranke hierbei schon 1843 textlich in einer Reihe mit Goethe, Hegel, Herder, später mit Nikolaus Lenau, Anastasius Grün, Ferdinand Freiligrath, Emanuel Geibel und anderen vereint wurde. 1864 erscheint dann mit ‚Historisch-biographischen Charakter- und Zeitbildern aus Leopold Ranke’s sämmtlichen Werken‘ die erste ‚reine‘ Ranke-Anthologie und wird damit Begründerin einer immer wieder auftretenden Gattung von ‚Charakterbildern‘, ‚Charakteristiken‘, ‚Großen Charakteren‘ ‚Zeitbildern‘, ‚Geschichtsbildern‘ und ‚Lichtstrahlen‘ aus seinen Werken, an deren 1885 zu seinem 90. Geburtstag erschienenem Exempel auch Ranke entgegen späterer Vermutung (von W. P. Fuchs 1979/655) - bezeichnenderweise selbst Gefallen fand. Nach Rankes Tod flaute das Interesse an seinem Werk, das zu Zeiten der ‚Weltgeschichte‘ beträchtlich gewesen war, gemessen an der Zahl und Schnelligkeit von Neuauflagen ab. Bei den ‚Zwölf Büchern preußischer Geschichte‘ etwa vergingen über 10 Jahre, bevor es im Jahre 1900 zu einem Nachdruck der 2. Auflage kam. Die ‚Historisch-biographischen Studien‘ gingen erst nach über 20 Jahren in eine 2. (Nachdruck-) Auflage. Für die Ausgaben der Nach-Ranke-Zeit ist das Erlöschen des Urheberrechtsschutzes von ausschlaggebender Bedeutung. Er betrug bei Rankes Tod im Jahre 1886 dreißig Jahre, und es ist in der Tat lohnend zu verfolgen, wie man nach 1916 mit seinem Werk umging. Von den Originalwerken abweichende Popularisierungsmaßnahmen waren durch den Publikumsdrang Rankes - wie dargestellt - zwar bereits zu seinen Lebzeiten, so durch den Fortfall von Analekten und Anmerkungen - ohne Erfolg ergriffen worden. Nun jedoch hebt, auf eine einfache Formel gebracht, aus wissenschaftlicher Sicht für Rankes Werk ein Zeitalter des Verwertens, Verzierens, Verstümmelns und Verfälschens an. Seitdem haben sich nicht weniger als 100 Verlage und rund 70 Herausgeber Rankes angenommen. Dabei entstanden über 750 Ausgaben einzelner seiner Werke bzw. von Teilen seiner Werke. Diese gemeinfreie, man möchte sagen, gesetzlose Zeit zerfällt in zwei Bereiche: einmal in den großen der populären Ausgaben. An ihr sind nicht selten Wissenschaftler beteiligt, die dem Geschäftssinn der Buchverlage recht weit entgegenkommen, zum anderen zerfällt er in den außerordentlich kleinen Bereich wissenschaftlicher Editionen (vorwiegend in der Abteilung II/2 behandelt). Erleichtert wird die Popularisierung und entsprechende Attraktivität zunächst durch einige äußere Maßnahmen. Dazu zählt ein sozial differenziertes Angebot, wie es etwa 1914 und 1915 ziemlich unmittelbar vor Ablauf der Schutzfrist noch einmal in Rankes Original-Verlag Duncker & Humblot mit ‚Rankes Meisterwerken‘ versucht wird, in einer ‚wohlfeilen Ausgabe in 10 Pappbänden oder in 10 Leinenbänden, auch in einer Vorzugs-Ausgabe auf reinem Hadernpapier in 200 numerierten Exemplaren, kartoniert - 548 -

II/9.3.1 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

in Buntpapier, auch in Halbfranzbänden und in Ganzleder (Maroquin). Den Gipfel des luxuriösen Präsent-Ranke stellte 1983 in der Hilliard Collection eine Luxusausgabe in Ganzleder und Goldschnitt dar, die übrigens im ordinären Leihverkehr nicht zu erhalten ist. Auch schon zu Lebzeiten Rankes waren Prachtausgaben gefertigt worden, indem oft Exemplare auf besonderem Papier für besondere Persönlichkeiten gedruckt und anspruchsvoll aufgebunden wurden, welche allerdings heute kaum mehr greifbar sind. Zu den späteren wohlfeilen und luxuriösen Ausgaben tritt dann auch bald der bebilderte Ranke. 1919 erhält sein ‚Savonarola‘ in einer Ausgabe der Rupprechtpresse handschriftliche Initialen von der Hand der bedeutenden Kalligraphin Anna Simons (18711951), 1927 ‚Friedrich der Große‘ Illustrationen des Malers und Regisseurs Luigi Malipiero (1901-1975). Ein quantitativer Bilder-Höhepunkt wird bereits 1928 erreicht in einer Ausgabe der ‚Weltgeschichte‘ „nach Leopold v. Ranke“ mit 275 Illustrationen. Auch hatte deren Herausgeber die Absicht, „das Wesentliche von Ranke in einer neuen Fassung zu erhalten“ (V). Eine andere Ausgabe der ‚Weltgeschichte‘ trat 1931 mit 157 Abbildungen auf. Das populäre Edieren führte nicht nur zu einer großen Zahl von Ausgaben, sondern zugleich zu einer enormen Bandbreite von Formen. Diese für die Ranke-Forschung im engeren Sinne unbeachtlichen, ja unberührbaren Ausgaben haben doch als Erscheinungen ihrer Zeit ein eigentümliches Interesse. Über Ranke hinausgehend ist dabei von literatursoziologischer und kulturhistorischer Bedeutung die in dieser differenzierten Extension wohl selten zu verfolgende, an einem herausragenden Wissenschaftswerk sich vollziehende Entwicklung einer vielfältigen, teils gewollt populären, teils scheinwissenschaftlichen Editionstypologie, geprägt von kommerziellen, weltanschaulichpolitischen, militärischen, Bildungs- und Unterhaltungs-Interessen. Auch geschieht dies mehr und mehr im Zusammenhang mit aufwandsminimierenden drucktechnischen und buchvertrieblichen Neuerungen. Das Interesse für die Ranke-Forschung im weiteren, rezeptionsgeschichtlichen Sinne liegt allerdings in dem nachdrücklichen Hinweis dieser Editorik auf das immanente Popularisierungs-Potential des Rankeschen Werkes, seine Ansatzpunkte und seine Fortentwicklungen, gerade auch mit Blick auf das vermeintlich ‚Bleibende‘. - Mehr als manches andere Werk gibt das Rankesche durch eine gewisse nachhaltige Aktualität seiner Themen - dazu gehören v. a. seine ‚Römischen Päpste‘ und die ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘, nicht zuletzt das allezeit beliebte Wallenstein-Sujet - und durch seine noch hier und da geschätzten literarischen Qualitäten weiterhin in besonderer Weise Veranlassung zu Maßnahmen dieser Art. Dabei spielen methodologische Vorzüge und Verdienste oder ein überholter Forschungsstand keine Rolle. Es ist somit auch eine Zeit der Enthistorisierung Rankes, die nach seiner Selbsthistorisierung eintritt. Die Modernisierung von Orthographie und Wortwahl gehört dabei zu den weniger anstößigen Maßnahmen. Eingreifender machen sich Tendenzen griffiger Kürzung und selektierender Auffächerung einzelner Werke geltend, neben solchen der Vervollständigung, Fortführung und neue Einheiten bildenden Kompositorik. Unter die Falschetikettierungen mangels besseren Wissens gehören Ausgaben wie die der ‚Päpste‘ aus 1934: ‚Geschichte der Päpste. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Faksimiledruck nach der sechsten Auflage des Werkes aus dem Jahre 1874, der letzten vom Autor redigierten Auflage‘, Wien; Krystall-Verlag [1934]. Im Gegensatz zu wirklichen Faksimiledrucken wurde hier die Seitenzählung verändert, was böse Folgen haben kann, und der Anhang aus Bd. III weggelassen, aber vor allem - 549 -

II/9.3.1 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

wurde hier nicht, wie behauptet, nach der letzten vom Autor redigierten Auflage gedruckt. Dies ist nicht die 6., denn zu Lebzeiten Rankes erschienen 1878 und 1885 mit der 7. und 8. Auflage noch weitere eigenhändige Ausgaben. Ein ähnliches Beispiel, wiederum bei den ‚Päpsten‘, bildet eine Ausgabe von 1996: ‚Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Vollständige Ausgabe. Hg. von J. Peevs. Mit Namenslexikon und Bibliographie bis in die heutige Zeit fortgeschrieben‘. Essen: [CopyrightInhaber:] Phaidon Verlag [auf dem Haupttitelblatt: Emil Vollmer Verlag] [1996], 1055 pag. [1056] S., 67 Abb. i. T. 8º. Pp. - Die Titelgebung ist in mehrfacher Hinsicht mißverständlich oder unzutreffend. Die orthographisch modernisierte Ausgabe ist nicht „vollständig“, da ihr die Anmerkungen fehlen. Die Fortschreibung „bis in die heutige Zeit“ bezieht sich lediglich auf ein „Namenslexikon der Päpste“ (1053-1055), das jedoch wiederum kein ‚Lexikon‘ darstellt, sondern lediglich eine chronologische Liste. Die auf unpag. [1056] untergebrachte „Bibliographie“ ist nicht als ‚Ranke-Bibliographie‘ zu verstehen, enthält vielmehr überwiegend Werke, die an den Verlagsorten Essen und Kettwig erschienen sind. Auch die Entstehung neuer Werke Rankes ist zu verzeichnen, zum einen durch Auswahl, zum anderen durch Zusammenführungen. Zu Ersterem hier nur wenige Beispiele: Der Verlag ‚Die Heimbücherei‘ enthebt 1942 dem Fundus der ‚Weltgeschichte‘ drei neue Einzelwerke über Perikles, Alexander den Großen und Julius Caesar, aus der ‚Englischen Geschichte‘ treten Maria Stuart und Oliver Cromwell hervor. - Mehrfach wird auch aus Rankes ‚Weltgeschichte‘ eine ‚Geschichte des Altertums‘ herausgelöst (1938, 1983, 1990, [ca. 1996]). Im Bereich der Fiktion tritt 1935 bzw. 1968 mit ‚Das Zeitalter der Kreuzzüge und das späte Mittelalter‘ eine angebliche „Neuausgabe des zum erstenmal selbständig veröffentlichten Werkes Meersburg 1935“ auf. Da ist manches richtigzustellen: Es ist kein Werk, es ist nicht selbständig, es ist nicht vollständig und nicht erstmalig veröffentlicht. Vielmehr handelt es sich um Teildrucke aus Weltgeschichte Bd. VIII und Bd. IX/1. - Politisch motiviert scheint nach dem ‚Ersten Weltkrieg‘ die 1923 erschienene Auswahl-Ausgabe über ‚Die Vormacht Frankreichs in Europa‘. - Bei den neu entstehenden Werken hat sich vor allem Willy Andreas hervor und gütlich getan. Er ließ eine so nie geschriebene ‚Spanische‘ (1995, 1996) und eine ‚Italienische Geschichte‘ bzw. ‚Studien und Porträts zur italienischen Geschichte‘ (1957, 1996) entstehen. Eine neue ‚Preußische Geschichte‘ Rankes schuf 1956 HansJoachim Schoeps mit einer Zusammenstellung von Teildrucken u. a. aus den ‚Zwölf Büchern preussischer Geschichte‘, den ‚Deutschen Mächten‘ und dem ‚Hardenberg‘. Neben die Kompilationen treten die Kontinuationen, die in ihrer zeitlichen Erstreckung sogar über die Lebenszeit Rankes hinaus getrieben werden, 1928 eine ‚Weltgeschichte nach Leopold v. Ranke. Neu bearbeitet und bis in die Gegenwart fortgeführt von Paul Friedrich‘. 1931 eine ‚Illustrierte Weltgeschichte. Auf Grundlage der Geschichtswerke von Leopold von Ranke. Herausgegeben von Paul Hartung‘, schließlich die von Gustav Roloff aus dem Werk Rankes ‚Zusammengefaßten Darstellungen der großen Entscheidungen deutscher Geschichte von Cäsar bis Bismarck‘ unter dem Obertitel ‚Aus zwei Jahrtausenden deutscher Geschichte‘, welche von 1924 bis 1943 in ertragreichen 60.000 Exemplaren auf den Markt kamen. Von größerer Tragweite ist die Zuschreibung von Texten, die Ranke nie verfaßt hat. Ein solcher erschien 1919 mit einer Einleitung von „Prof. Dr. Richard Schmidt“ in Reclam’s Universal-Bibliothek (Über die Restauration in Frankreich. Frankreich und Deutschland. Der Bayrische Landtag von 1831. Die Eröffnungsaufsätze der „Histo- 550 -

II/9.3.1 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

risch-politischen Zeitschrift“. Leipzig: Philipp Reclam jun. [1919]). Der im Titel genannte dritte Aufsatz ist zwar in der ‚Historisch-politischen Zeitschrift‘ erschienen, wie Rankes dortige Beiträge anonym, entstammte indes der Feder des bekannten Pandektisten G. F. Puchta, was bereits 1910 ermittelt worden war (Helmolt: Ein neuer Mitarbeiter/1910, 3f.). Doch auch hier wurde hartnäckig Irrtum tradiert: Noch 2006 fertigte man davon eine Mikrofiche-Ausgabe. GVK: „Ranke, Leopold von: Der bayerische Landtag von 1831. Erschienen 1919. Mikrofiche-Ausgabe 2006. Lokale Verfügbarkeit SBB“, wobei Letzteres besonders bedenklich ist. Zur Popularisierung Rankes dürften ferner in starkem Maße Buch-Gemeinschaften beigetragen haben. Schon 1924, im Jahr ihrer Gründung, wurden als ‚Historische Charakterbilder‘ 47 Auswahltexte aus einer Vielzahl seiner Werke in das Programm der ‚Deutschen Buch-Gemeinschaft‘ aufgenommen. Im Zusammenhang mit diesem Vertriebsweg setzte ein intensiver Handel mit Lizenzen ein, der beispielsweise zwischen 1958 und 1962 zum Erscheinen der ‚Päpste‘-Ausgabe des Phaidon-Verlags in drei Buchclubs führte. Nicht nur für den Literaturkonsum des breiten Publikums, auch für pädagogische und politisch-militärische Zwecke wurde ediert. Der schulische Einsatz hatte schon zu Lebzeiten Rankes (1843, 1844, 1869 und 1884) vereinzelt eingesetzt. Er setzte sich spätestens seit 1905 vor allem mit dem ‚Deutschen Lesebuch für höhere Lehranstalten‘. fort, wobei preußische Thematik bevorzugt wurde. Eine für die Oberklassen höherer Lehranstalten gefertigte Ausgabe der ‚Großen Mächte‘ und anderer Texte gab sich mitten im ‚Ersten Weltkrieg‘ der zweifelhaften Hoffnung hin, damit „dem Verständnis der Gegenwart dienen zu können.“ (Hg. Mähl/1916, III). Während des ‚Dritten Reichs‘ erfreut sich Ranke unterschiedlicher Förderung. Nachdem er 1933 bei Schöningh in ‚Schülerheften von deutscher Art‘ aufgetreten war, in deren „Verzeichnis fremdartiger Ausdrücke“ u. a. der Begriff „Autor“ durch „Urheber, Verfasser“ ersetzt wurde, gelangt er im selben Jahre auch in ein immer wieder neuaufgelegtes ‚Lehr- und Lesebuch des Reichsarbeitsdienstes‘, in dem Friedrich d. Gr. in Erscheinung tritt. 1942 schließlich räumt man ihm einen Platz ein in einem ‚Lesebuch aus zwei Jahrhunderten‘. Im Zweiten Weltkrieg sind es wie im Ersten vor allem die großen Einzelpersönlichkeiten, die „Großen Charaktere, die Geschichte machten“, die militärischen Helden und Eroberer Alexander d. Gr., Caesar, Wallenstein und Friedrich d. Gr, welche in den Dienst gegenwärtigen ‚Heldentums‘ gestellt werden. 1917 und 1918 war zum ersten Mal und gleich siebenmal die Gattung der aus Rankes Werk ausgewählten ‚Deutschen Männer‘ und ‚Männer und Zeiten der Weltgeschichte‘ hervorgetreten. 1943 erfolgte Rankes Einzug in die Frontbuchhandelsausgaben. Und als im Auftrage des Oberkommandos der Wehrmacht die Propagandagruppe beim Wehrmachtbefehlshaber Norwegen in Oslo einen stilistisch veränderten ‚Wallenstein‘ druckte und sich 1944 auch seiner Caesar-Darstellung annahm, da war Ranke schon 1939 in den Widerstand gegangen. In der Ausgabe ‚Leopold von Ranke: Deutsche Männer‘ (Insel-Bücherei Nr. 225) befanden sich in Rankeschem Einband zwar deutsche Männer, doch diesmal waren es Ernst Thälmann, Karl Liebknecht und Wilhelm Pieck, die hier neben Rosa Luxemburg in einer illegalen antifaschistischen Tarnschrift gepriesen wurden. 1944 oder 1945 erschien, und in diesem Fall war es die letzte Ranke-Ausgabe des ‚Dritten Reichs‘, Rankes Darstellung Friedrichs d. Gr. in der aufmunternden Reihe des KohlhammerVerlags mit dem Titel ‚Die bunten Hefte für unsere Soldaten‘, eine Ausgabe die sich Ranke mit einem ‚Bilderrätsel‘ teilen durfte. - 551 -

II/9.3.1 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

Für die Ranke-Editorik der letzten Jahrzehnte ist charakteristisch das Zurückweichen größerer Verlage und die Übernahme herausgeberischer Funktionen durch neugegründete und oft nur kurzlebige Kleinstverlage, welche teils elektronische Ressourcen, teils Reprints ‚on demand‘ von Altausgaben anbieten. Der lange Zeit vorhandene Zusammenhang von wissenschaftlicher Herausgeberpersönlichkeit und Verlag ist damit nahezu an ein Ende gelangt. Für die Ranke-Forschung relevante posthume Ausgaben finden sich allein im Bereich des nachlaßbezogenen oder nachlaßverbundenen Edierens. Ich übergehe die nicht-institutionellen Nachlaß-Editionen von Schweitzer, Keibel, Pahlmann, Mülbe, Borries, Oncken, K. A. von Müller, Kessel, Schulin, Freitag, Liebel-Weckowicz, Baur und die mit Rankes frühesten Schriften einsetzende umfangreichste (Henz/1968) sowie die von der Historischen Kommission unternommene Ausgabe ‚Aus Werk und Nachlaß‘ (4 Bde, 1964-1975), welche nichts aus dem Werk enthält und insofern mit den Vorgenannten in der Abteilung ‚Nachlaß‘ (II/2.1) zu behandeln war. Hier ist abschließend nur ein Blick zu werfen auf die einzige ausdrücklich historisch-kritisch aufgetretene Werk-Edition, von der Hand Paul Joachimsens (1867-1930) unter dem Dach der Deutschen Akademie. Joachimsen beabsichtigte in einer auf das Totale gerichteten, bei vorsichtiger Schätzung auf etwa 100 Bände ausgerichteten Werk-Ausgabe - wie er noch 1925 ahnungslos schrieb - auch den Nachlaß „erstmals vollständig“ zu verwerten, wozu weitere 100 Bände erforderlich gewesen wären. Sein Vorhaben erläutert hat Joachimsen in einem Beitrag ‚Die Ranke-Ausgabe der Deutschen Akademie‘ (1925) und in seinem Vortrag ‚Ranke und wir‘ (1926). In einer ersten Hauptabteilung sollten die Werke in ihren differierenden Auflagen unter Hinzuziehung der nachgelassenen Entwürfe erscheinen. Joachimsens Ausgabe hat, ganz abgesehen davon, daß er keinen durchdringenden Einblick in den Nachlaß hatte, weitere prinzipielle Mängel. So liegen seiner Ausgabe verschiedene Auflagen zugrunde, für den 1. Band ist es die 5. Auflage von 1873, die jedoch nicht mit der 4. und 6. verglichen wird, für alle folgenden Bände die, wie Joachimsen glaubte, mit der 5. gleichlautende 6. Auflage von 1881. Davon kann jedoch in Details keine Rede sein, wie ich bei Vergleichen feststellen mußte. Auch ist die Orthographie normalisiert und das Historisch-Kritische tritt in Gestalt einer vom Grundtext abgelösten, der Edition angehängten „Textvergleichung“ auf, welche zwar zu den einzelnen Bänden Rankes vor der Variantenverzeichnung jeweils beachtenswerte allgemeine Einführungen in die Varianz nebst Feststellungen zu Rankes Maßnahmen und Beweggründen bietet, im Einzelnen jedoch nur sehr mühselig nachzuvollziehen ist. Das zweite und letzte Werk des durch den Tod Joachimsens zusammengebrochenen Unternehmens liegt in einer Ausgabe von Rankes ‚Preußischer Geschichte‘ vor, der sich Georg Küntzel 1930 annahm. Von einer historisch-kritischen Edition kann hier im Ganzen noch weniger die Rede sein, u. a. da die zahlreichen Varianten in einer lediglich 15seitigen „Textvergleichung“ teilweise zusammgefaßt sind. Überhaupt wurde aus Platzgründen auf großräumige Varianz verzichtet. Es besteht hier in der Tat ein Darstellungsproblem, das sich in Wiedemanns Feststellung andeutet, die ‚Vier Bücher preußischer Geschichte‘, welche in den ‚Zwölf Büchern‘ an die Stelle des ersten Buches der ‚Neun Bücher‘ treten, seien „nicht allein eine Umarbeitung, sondern im wesentlichen eine völlige Neuschöpfung“ (Wiedemann I/1891, 177).

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

Ungeachtet mancher Simplifikationen, Falsifikationen und Fiktionen werden Ranke-Ausgaben der gemeinfreien Zeit immer wieder - sei es aus Gedankenlosigkeit, Bequemlichkeit oder mangelndem historischen Sinn - auch von Wissenschaftlern herangezogenen, deren Bloßstellung sich hier bereits aus Platzgründen verbietet. Nur ein Beispiel sei gegeben aus einer Veröffentlichung des Max-Planck-Instituts für Geschichte, in der folgender Beleg auftritt: „L. v. Ranke, Englische Geschichte 1. Hamburg 1957“. Solches leistet einer nicht nur in der Ranke-Literatur häufig angewandten ungenetischen Betrachtungsweise weiteren Vorschub, ja führt letztlich zu einer temporalen Beliebigkeit und damit völligen Enthistorisierung von Werk und Autor. Es steht zu hoffen, daß im Zuge der rapide wachsenden elektronischen Verfügbarkeit der Rückgriff auf die wissenschaftlich allein relevanten eigenhändigen Originalausgaben zur Normalität wird. Ü b e r s i c h t (II/9.3.2) Im Folgenden werden auch die Einleitungen zu Editionen sichtbar gemacht, da sie trotz mancher zeitgeschichtlicher Eintrübungen und anderer Mängel nicht selten werkbezogene Beobachtungen und Feststellungen enthalten, die auch heute noch mehr oder minder bedenkenswert oder zumindest anregend sind, zumal rein werkbezogene Literatur verglichen mit dem Heer der allgemeindarstellenden und -würdigenden nur in geringer Zahl vorhanden ist.

1843 Wackernagel, Wilhelm: Proben der deutschen Prosa seit dem Jahre MD. Zweyter Band. Von MDCCXL bis MDCCCXLII (Wackernagel, Wilhelm: Deutsches Lesebuch, Dritter Theil. Zweyter Band), Basel MDCCCXLIII. IX S., 1526 Sp. 8º. - „Leopold Ranke. Die römischen Päbste im XVI. und XVII. Jahrhundert. Aus dem Zweyten Buche. Ignatius Loyola.“ (Sp. 1471-1486). - Neben Auszügen aus Werken von Goethe, Hegel, Herder, Kant, Lessing, Johannes von Müller, Niebuhr, Fr. L. G. von Raumer, Savigny, Schelling, Varnhagen von Ense und anderen.

1844 Deutsche Aufsätze nebst Anmerkungen und Aufgaben. Für die oberen Classen höherer Bildungsanstalten wie auch zum Selbststudium hg. v. Dr. H. Kletke, Bln. 1844 (XII, 666 S.). - „Karl V.“ (439-444 mit Anm. auf 635). Tdr. aus FuV I. - Aus dem Vorw.: „Ich beabsichtige … zunächst Lehrern der oberen Classen höherer Bildungsanstalten eine Reihe mustergültiger Aufsätze für den deutschen Unterricht an die Hand zu geben. Sie sollen dem Lehrer dazu dienen, sie mit den Schülern ganz oder theilweise in der Unterrichtsstunde durchzugehen, eigne Gedanken aus ihnen entwickeln zu lassen, Geist, Erfindungskraft, Darstellung durch gediegene Muster zu bilden.“ (V). - Des weiteren Texte aus Werken u. a. von W. v. Humboldt, Johannes Müller, Friedrich Schleiermacher, Friedrich Ancillon, Ludwig Wachler, Arnold Hermann Ludwig Heeren.

1864 Historisch-biographische Charakter- und Zeitbilder aus Leopold Ranke’s sämmtlichen Werken. Ein historisches Lesebuch zusammengestellt von Dr. H[orst] Keferstein. Bln.: Verlag von Duncker u. Humblot. 1864. VI, 408 S. Gr. 8º. - Vorw. d. Hg.s. Nov. 1863 (IIIf.). - Die Slg. ist in erster Linie gedacht für „reifere Schüler in höheren Lehranstalten“. Abgesehen von der historischen Belehrung biete sie die Möglichkeit zu „Übungen im freien Vortrage oder auch für Anfertigung von stylistischen Arbeiten“. - Siehe auch Folgeausg. 1869. - Die Ausg. enthält Tdrr. aus GRGV, HPZ, 9BPreußG, FuV I, PÄPSTE, DtG, FranzG u. EnglG. - Bespr. Anonym. In: Jbb. f. Gesellschafts- u. Staatswissenschaften, Jg. 1, Bd. 2, Bln. 1864, 190-192. Denker und Forscher der Neuzeit. Eine Anthologie. Mit biographisch-kritischen Skizzen von Arnold Schebach (Bibl. d. Dt. Klassiker. Mit literargeschichtl. Einleitungen, Biographien u. Porträts, Bd. 25).

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Hildburghausen: Druck u. Verlag d. Bibliogr. Instituts, 1864. - Leopold Ranke (603-658). - Einl. (605608, sehr kritisch). - „Historische Charakterbilder“ (609-658). - Auszüge aus FuV, PÄPSTE, DtG u. FranzG über: Karl V., Philipp II. v. Spanien, Murad IV., Ignatius von Loyola, Sixtus V., Luther, Heinrich IV. von Frankreich.

1869 Charakterbilder aus Leopold von Ranke’s historischen Werken. Zusammengestellt von Dr. H[orst] Keferstein. Director einer Knaben=Erziehungsanstalt in Jena. Zweite Ausgabe. Ffm.: Karl Theodor Völcker’s Verlag 1869. VII, 408 S. - Vorw. d. Hg.s. (VII). Das Werk sei vor allem für „die reifere männliche wie weibliche Jugend“ gedacht; „jedenfalls sollte es in keiner Schulbibliothek fehlen.“ Verlags- u. Titeländerung, sonst wie Ausg. von 1864.

1875 [„August Hermann Francke. Vortrag zum Besten der Herberge zur Heimat in Nürnberg gehalten von Leopold Ranke, Pfarrer. Erlangen: Verlag von Andreas Deichert 1875“, (26 S.).] - Vf.angabe so auf dem Titelbl. der Schrift. Auf dem Titelbl. des beinhaltenden Sammelbandes: „Sechs Vorträge gehalten zum Besten der Herberge zur Heimat in Nürnberg, Erlangen 1876“ wird eine Inhaltsübersicht gegeben, in der es abweichend heißt: „August Hermann Francke von Pfarrer F. L. Ranke.“ Obgleich die Vornamen R.s ‚Franz Leopold‘ lauten, ist dieser Vortr. definitiv nicht von ihm verfaßt. - Keine klare Abgrenzung zu Leopold von Ranke in: British Liberary Gen. Cat. to 1975, vol 270, p. 274 und im Kat. der Dt. Nationalbibl./Internet.

1881 Aus Sturm und Noth. Selbstschriften-Album des Deutschen Reiches. Im Auftrage der Deutschen Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger herausgegeben von der Verlagshandlung von Schorers Familienblatt zu Berlin, [ca. 1881], 14. - Erstdr./Tdr. des Tagebucheintrags ‚Honfleur, 10. Juli 1843‘ mit Namenszug R.s. - Zweitdr. (dort unbekannt) vollst.: WuN I, 68f. mit Varianten.

1884 Handbuch zur Einführung in die deutsche Litteratur mit Proben aus Poesie und Prosa ausgestattet und herausgegeben von C. Hentschel, G. Hey, R. Meyer, O. Lyon (Deutsches Lesebuch für Realschulen und verwandte Anstalten. Hg. v. d. Lehrern d. dt. Sprache an dem Königlichen Realgymnasium zu Döbeln. Fünfter Teil: Sekunda), Lpz. 1884. XII, 655 gez. [656] S. - R wird hier (632-636) für die ‚Periode‘ seit 1832 in einer Reihe mit Nikolaus Lenau, Anastasius Grün, Ferdinand Freiligrath, Emanuel Geibel, Friedrich Bodenstedt, Karl Gerok, Gustav Freytag und Felix Dahn abgedruckt, u. z. nach kurzer biogr.-publizist. Skizze - eine „Charakteristik Karls V.“ aus DtG. - 2. Aufl. 1895.

1885 Lichtstrahlen aus seinen Werken. Gesammelt und mit einem Lebensabriß herausgegeben von Arthur Winckler. [Als Widmung auf Schmutztitel:] Zum 90. Geburtstage Leopold von Ranke’s. Bln.: R. L. Prager. 1885. XXXII, 175 S. 8º. - Nach einer ausführlicheren biogr. Skizzen (XIII-XXXII) folgen kurze Textabschnitte u. Sentenzen nahezu aus dem Gesamtwerk R.s zu den Themen Verwandtschaft u. Unterschied d. Gesch. u. Politik; Gesch. u. Geschichtschreibung; Politik; Königthum u. Volksregierung; Oeffentl. Meinung u. Parteiungen; Religion, Staat und Kirche; Europ. Gemeinwesen; Histor. Männer; Cultur u. Literatur; Welt und Leben. - Siehe dazu R an Geibel, 15. 11. 85 (Geibel/1886, 161) „…Wenigstens auf fremde Veranlassung ist es nicht abgefaßt worden; es verrät überall eine selbständige Aneignung. Nur schade, daß es nicht bei Ihnen erschienen ist.“

1886 Aus den Briefen Leopold von Ranke’s an seinen Verleger [Carl Geibel]. Als Handschrift gedruckt. Lpz.: D. u. H. 1886. VII, 164 S., 1 Faks. 8º. [Weltgeschichte. Zweiter Theil, 4. Aufl. 1886]. Fraglich, ob zu Lebzeiten oder posthum erschienen (s. II, 135). [Weltgeschichte. Dritter Theil, 4. Aufl. 1886]. - Fraglich, ob zu Lebzeiten oder posthum erschienen (s. II, 137f.).

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Weltgeschichte. Siebenter Theil: Höhe und Niedergang des deutschen Kaiserthums. Die Hierarchie unter Gregor VII. „Erste bis dritte Auflage“, Lpz.: D. u. H. 1886, X, 348 S. 8º. Br. u. geb. Sanders, Daniel: Deutsches Stil-Musterbuch mit Erläuterungen und Anmerkungen, Bln. 1886. - Nach R.s Tod verfaßt. - „Friedrich der Große und sein Vater.“ (405-408) Tdr. aus R.: Friedrich der Große. Friedrich Wilhelm der Vierte. Zwei Biographien, 1878. - Kritische „Erläuterungen und Anmerkungen” Sanders’ (408f.). Es handelt sich überwiegend um die Ersetzung von Fremdwörtern.

1887 Weltgeschichte. Achter Theil: Kreuzzüge und päpstliche Weltherrschaft (XII. und XIII. Jahrhundert). Hg. v. Alfred Dove, Georg Winter, Theodor Wiedemann. „Erste bis dritte Auflage“, Lpz.: D. u. H. 1887, XVI, 655 S. 8º. Br. u. geb. Aus Leopold von Ranke’s Lebenserinnerungen. Mitgetheilt von Alfred Dove. In: Dt. Rundschau, Bd. 51 (April) 1887, 38-61. - Enthält als Erstdr. aus dem NL den Text des autobiogr. Diktats R.s von 1863 und ist damit ein teilw. Vorabdr. der SW 53/54. - Die über diese Publikation geführte Korrespondenz zw. Dove u. Rodenberg als Hg. der Dt. Rundschau in Erstdr. bei Stadler/Labhart/2008, 70-75. Daraus u. a. ersichtlich, daß R.s Erben die Publikation mit starkem terminlichem Druck betrieben und für sich ein Honorar nach den „höchsten Sätzen“ erwarteten (71). Dove ging leer aus. Anonym: Leopold von Ranke über die Bibel. In: Allg. Ztg. d. Judentums, hg. v. Ludwig Philippson, Jg. 51, Lpz. 1887, 300f. Kurze Auszüge aus der Edition des autobiogr. Diktats R.s von 1863 durch Dove in 1887. Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd.49/50 [in 1]: Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert. Hg. v. Alfred Dove. Lpz.: D. u. H. 1887. XV, 623 S. 8º. Br. u. geb. Zur Geschichte Deutschlands und Frankreichs im neunzehnten Jahrhundert. Hg. v. Alfred Dove. Lpz.: D. u. H. 1887. XIX, 623 S. 8º. Br. u. geb. - Separatabdr. von SW [1.-3. GA], Bd. 49/50.

1888 Weltgeschichte. Neunter Theil. [2 Bde]: Erste Abtheilung [1. Bd.]: Zeiten des Uebergangs zur modernen Welt (XIV. und XV. Jahrhundert). Hg. v. Alfred Dove u. Georg Winter. „Erste bis dritte Auflage“, Lpz.: D. u. H. 1888, VIII, 275 S. 8º. Br. u. geb. Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern im Herbst 1854 zu Berchtesgaden gehalten. Hg. v. Alfred Dove. Lpz.: D. u. H. 1888, XXVIII, 238 S. 8º. Br. u. geb. Weltgeschichte. Vierter Theil. Das Kaiserthum in Constantinopel und der Ursprung romanisch-germanischer Königreiche. 4. [und letzte] Auflage. 1888 - Bibliogr. wie „Erste bis dritte Auflage“ 1883. Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd. 7: Zur deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg. 3. Aufl. Lpz.: D. u. H. 1888,VI, 303 S. 8º. Zur deutschen Geschichte. Vom Religionsfrieden bis zum dreißigjährigen Krieg. 3. Aufl. Lpz.: D. u. H. 1888,VI, 303 S. 8º. Separatabdr. v. Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd. 7. Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd. 51/52 [in 1]: Abhandlungen und Versuche. Neue Sammlung. Hg. v. Alfred Dove u. Theodor Wiedemann, Lpz.: D. u. H. 1888, X, 598 S. 8º. Br. u. geb. - Auf d. Gegentitelbl.: „Zweite und dritte Gesammtausgabe“; bei den Bogensignaturen: „1.-3. G.-A.“. Abhandlungen und Versuche. Neue Sammlung. Hg. v. Alfred Dove u. Theodor Wiedemann, Lpz.: D. u. H. 1888, X, 598 S. Gr. 8º. Br. u. geb. Separatabdr. von SW [1.-3. GA], Bd. 51/52.

1889 Weltgeschichte. Fünfter Theil. Die arabische Weltherrschaft und das Reich Karls des Großen. 4. [und letzte] Aufl. 1889 - Bibliogr. wie „Erste bis dritte Auflage“ 1884. Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd. 37-39: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. 9. Aufl. 1889 - Bibliogr. wie 8. Aufl. 1885. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. 9. Aufl. Lpz.: D. u. H. 1889 - 1. Bd. XIV, 336 S. - 2. Bd.. VI, 377 S. - 3. Bd., VI, 208, 330* S. „Mit einem Namen- und Sachregister.“ [Erstellt von „Dr. Platner in Göttingen“, Geibel/1886, 58, A. 1]. - Separatabdr. von SW 37-39, 3. GA.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

1890 Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd. 53/54 [in 1]: Zur eigenen Lebensgeschichte. Hg. v. Alfred Dove. Lpz.: D. u. H. 1890, XII, 731 S. 8º. Br. u. geb. in Halbfrz. Zur eigenen Lebensgeschichte. Hg. v. Alfred Dove. Separatabdr. v. SW [1.-3. GA], Bd. 53/54. Bibliogr. wie SW.

1891 Weltgeschichte. Sechster Theil. Zersetzung des karolingischen, Begründung des deutschen Reiches [2 Bde:]. 4. [und letzte] Auflage 1891. - Bibliogr. wie „Erste bis dritte Auflage“ 1885. Vorrede zu der „Geschichte Wallenstein’s“ von Leopold von Ranke (Lpz.1869). In Zs. für deutsche Sprache, hg. v. Daniel Sanders, Jg. 4, Hmbg./Lpz.1891, 26-30. - Sanders druckt R.s Vorrede ab unter Verdeutschung (in der Art seines ‚Verdeutschungswörterbuchs‘, Lpz. 1884) einiger von R benutzter Fremdwörter: z. B. ‚Lebensbeschreibung‘ für ‚Biographie‘, ‚gleichartig zusammenwirkend‘ für ‚homogen‘ und gar ‚Urkundengewölbe‘ für ‚Archiv‘. Dazu andere ein wenig sinnvollere stilistische Änderungen, die in den anschließenden Anmerkungen kurz erläutert werden.

1892 Hinneberg, Paul: Eine ungedruckte Replik Rankes. Mitgeteilt von -. In: FBPG, Bd. 5, 2. Hälfte, Lpz. 1892, 131-134 (s. II, 231).

1893 Weltgeschichte. Siebenter Theil. Höhe und Niedergang des deutschen Kaiserthums. Die Hierarchie unter Gregor VII. 4. Aufl. - Bibliogr. wie „Erste bis dritte Auflage“ 1886.

1894 Sämmtliche Werke [Fortdr. der 1.-3. GA], Bd. 1-6: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde, 7. Aufl. - Bibliogr. wie 6. Aufl. 1881-1882. Auf Reihentitelbl.: „Dritte Gesammtausgabe“. Auch in drei Halblederbänden. 8º. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde, 7. Aufl. - Bibliogr. wie 6. Aufl. 1881-1882. Separatabdr. von SW [Fortdr. der 1.-3. GA], I-VI. Auch in drei Halbfranzbänden.

1895 Sämmtliche Werke, 3. GA, Bd. 23: Geschichte Wallensteins. 5. Aufl. Br. u. geb.- Bibliogr. wie 4. Aufl. 1880. Geschichte Wallensteins. 5. Aufl. - Bibliogr. wie 4. Aufl. 1880. Separatabdr. von SW 3. GA], Bd. 23. Weltgeschichte. Text-Ausgabe. 4 Bände. Lpz.: D. u. H. 1895. IV, 762; II, 598; II, 737; II, 961 S. Br. u. Hldr. Gr. 8º. - Erschien zunächst, vom 14. 2. bis zum 28. 11., in 25 Lieferungen bzw. Doppellieferungen, sodann geb. in Halbfranz. - Enthält den vollst. Text der damals noch weiterhin lieferbaren neunteiligen Ausg. (also auch, in Bd. 4, 511-656 ‚Über die Epochen der neueren Geschichte‘), jedoch ohne Anm., Analekten u. kritische Erörterungen. - Der 4. Bd. enthält abweichend von der bisherigen Konzeption thematisch unpassend Übernahmen aus SW 53/54, nämlich in einem Anhang die Aufsätze zur eigenen Lebensbeschreibung (657-719) und die Tagebuchbll. (720-793). Den Abschluß bildet (795-958) ein „Gesamtregister“ (Personen- u. Orts-Reg.). - Bespr. Br[ey]s[i]g (1897). D[ove], A[lfred]: Erinnerungen an Leopold v. Ranke. Mit bisher ungedruckten Aufzeichnungen desselben. Zum 21. Dezember 1895. In: Die Gartenlaube, Nr. 51, 1895, 872-875. - Titel irreführend, da keine Erinnerungen. Ohne Abb. u. d. T. „Mittheilungen zum Ranke-Jubiläum“, in: A. D.: Ausgewählte Schriftchen vornehmlich historischen Inhalts, Lpz.1898, 227-235. - Mit Abb. von Birnbaum, Kastanie, Geburtshaus, Ruine Memleben und Querfurt. Leopold von Ranke und Varnhagen von Ense. Ungedruckter Briefwechsel. Hg. v. Theodor Wiedemann. In: Dt. Revue, Jg. 20, Bd. 3 (Juli-Sept.) 1895, 175-190, 338-355.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Briefe Leopold von Ranke’s an Varnhagen von Ense und Rahel aus der Zeit seines Aufenthaltes in Italien. Zur Säcularfeier von Rankes Geburt - 21. Dezember 1795 - mitgetheilt von Theodor Wiedemann. In Biograph. Bll.. Jb. f. lebensgeschichtl. Kunst u. Forschung, Bd. 1, 1895, 435-447. Handbuch zur Einführung in die deutsche Litteratur mit Proben aus Poesie und Prosa von C. Hentschel, G. Hey, O. Lyon. Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten. Hg. von Lehrern der deutschen Sprache an dem Königlichen Realgymnasium zu Döbeln. Fünfter Teil: Sekunda). 2., völlig umgearbeitete Aufl., Lpz.1895. - „Charakteristik Karls V.“ (552-556). Tdr. aus DtG. - 1. Aufl. des Handbuchs s. 1884.

1896 Weltgeschichte. Text-Ausgabe. 4 Bände. 2., unv. Aufl. 1896. - Bibliogr. wie 1. Aufl. 1895. Weltgeschichte. Erster Theil. Die älteste historische Völkergruppe und die Griechen. 5. [und letzte] Aufl. 1896 - Bibliogr. wie 4. Aufl. 1886.

1898 Weltgeschichte. Achter Theil. Kreuzzüge und päpstliche Weltherrschaft (XII. und XIII. Jahrhundert). 4. [und letzte] Aufl. 1898. - Bibliogr. wie „Erste bis dritte Auflage“ 1887. Weltgeschichte. Zweiter Theil. Die römische Republik und ihre Weltherrschaft. 5. Aufl. 1898. Bibliogr. wie 4. Aufl. 1886.

1899 Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern im Herbst 1854 zu Berchtesgaden gehalten. Hg. v. Alfred Dove. Zweiter Sonderabdr., der „Vorträge“ fünfte Auflage. Lpz.: Duncker u. Humblot 1899. VI, 144 S. 8º. Br. u. Ln. - (1. Sonderabdr. 1888).

1900 Sämmtliche Werke [2. GA], Bd. 25-29 [25/26, 27/28, 29]: Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. 2. Aufl. - Anastatischer Neudr. 1900. Bibliogr. wie 2. Aufl. 1878/1879. Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. 2. Aufl. - Separatabdr. von SW 25-29. Anastatischer Neudr. 1900. Bibliogr. wie 2. Aufl. 1878/1879. Sämmtliche Werke [1.-3. GA], Bd. 37-39: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. 10. Aufl. 1900. - Bibliogr. wie 8. (1885) u. 9. Aufl. (1889). Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. 10. Aufl. 1900. - 1. Bd. XIV, 336 S. - 2. Bd.. VI, 377 S. - 3. Bd., VI, 208, 330* S. „Mit einem Namen- und Sachregister.“ [Erstellt von „Dr. Platner in Göttingen“, Geibel/1886, 58, A. 1]. - Separatabdr. von SW 37-39, 3. GA. Sämmtliche Werke [1. GA], Bd. 40/41: Historisch-biographische Studien. Anastatischer Neudruck 1900 der 1. Aufl. 1877. - Bibliogr. wie diese. Historisch-biographische Studien. Anastatischer Neudr. 1900 der 1. Aufl. 1877. Bibliogr. wie diese. Separatabdr. von SW [1. GA], Bd. 40/41. Weltgeschichte. Neunter Theil. [2 Bde]. Erste Abtheilung [1. Bd.]: Zeiten des Uebergangs zur modernen Welt (XIV. und XV. Jahrhundert). Zweite Abtheilung [2. Bd.]: Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern gehalten. Anastatischer Neudr. 1900 der „Ersten bis dritten Auflage“ 1888. Bibliogr. wie diese. Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten. Hg. von Lehrern der deutschen Sprache an dem Königlichen Realgymnasium zu Döbeln. Vierter Teil, Erste Abteilung. Unter-Tertia, 3. Aufl., Lpz. u. Bln.1901. - „Der erste Hohenzoller in der Mark Brandenburg. (1415-1440)“ (84-86). Tdr. 12BPreußG (1. Aufl. 1883, ²1892). Die Erhebung Preußens im Jahre 1813 und die Rekonstruktion des Staates. Eingeleitet und hg. v. Prof. Dr. Otto Kaemmel. Mit einem Bildnis Rankes. (Reclam’s Universal-Bibliothek, 4998/4999). Lpz.: Philipp Reclam jun. [1900]. Titelporträt, 210 pag. [211] S. Kl. 8º. Br., „Einfach gebunden und als Geschenkausgabe“ („Miniatur-Ausgaben in eleganten Ganzleinenbänden aus Reclams UniversalBibliothek“). - Tdr. HARD/PrSt/1879-81. - Einl. u. d. Titel: „Leopold Rankes Leben und Geschichtschreibung“ (3-18). - Nachaufl. 1908, 1938. Mikrofiche-Edition 1992.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

1901 Keine Ausgaben ermittelt

1902 Weltgeschichte. Dritter Theil. Das altrömische Kaiserthum. Mit kritischen Erörterungen zur alten Geschichte. [2 Bde:]. 5. [und letzte] Aufl. 1902. - Bibliogr. wie 3. (1883) und 4. (1886) Aufl.

1903 Keine Ausgaben ermittelt

1904 Wittichen, Paul: Briefe Rankes an Gentz. Mitgeteilt von -. In: HZ 93 (1904), 76-88. Ranke, Friduhelm v.: Vierzig ungedruckte Briefe Leopold v. Rankes. In: Dt. Revue, Jg. 29, Bd. 1, Jan. 1904, 77-91 [I]; März 1904, 268-275 [II]; Bd. 2, April 1904, 61-73 [III]; Mai 1904, 217-227 [IV]; Bd. 4, Okt. 1904, 52-61 [V]; Jg. 30, Bd. 4, Nov. 1905, 216-224 [VI]; Dez 1905, 308-314 [VII]; Jg. 31, Bd. 1, März 1906, 327-335 [VIII]. - Expl. in rotem Ln. mit Goldprägung. Gr. 8º (Ranke-Archiv Wiehe). Dürrs Deutsche Bibliothek, vollständiges Lehrmittel für den deutschen Unterricht an Lehrer- und Lehrerinnen-Seminaren, Bd. 13: Geschichte. Hg. v. Wilhelm Hering, Lpz. 1904. - Neben Texten anderer führender Historiker, wie Mommsen, Lamprecht, Giesebrecht, Treitschke u. a. m. von R: „Über die Epochen der neueren Geschichte“ (76-89), Tdr. aus der 5. Aufl. 1899. - „Wallenstein“ (89101), Tdr. aus WALL, SW 23, 3. Aufl. 1872. - Die Anthologie beschließt die biogr. R.-Skizze (gekürzt) Doves in ADB, siehe Dove/1888. - In den angehängten „Erklärungen“ findet sich (191) eine vergleichsw. umfangr. Zusammenstellung von Laufbahn- und Werkdaten R.s. An deren Ende: „Bei Rankes unsterblichen Verdiensten um die Geschichtswissenschaft darf man doch nicht verschweigen, daß er in der Unterschätzung der Massen gegenüber den einzelnen zu weit ging“ (ebd.).

1905 Helmolt, Hans F.: Ein bisher ungedruckter Brief Leopold Rankes. In: Wiss. Beil. d. Leipziger Ztg., Nr. 61, Lpz., 23. 5. 1905, 241f. Geschichtsbilder aus Leopold v. Rankes Werken. Zusammengestellt von Dr. Max Hoffmann. Gymnasialprofessor a. D. Mit einem Bildnis Leopold v. Rankes. Lpz.: D. u. H. 1905. VIII, 399 S. Lex. 8º. Br. u. Ln. - Biogr. „Einleitung“ (1-31). - Lt. Vorw. „ein zur Einführung geeignetes geschichtliches Lesebuch“ (V). 58 geschichtlich fortschreitende Tdrr. aus dem Werk R.s in modernisierter Schreibweise und unter Beseitigung von Fremdwörtern, vom „Ursprung des Christentums“ bis zu „Fürst Bismarck“. - Reg. (396-399). - Die ‚Geschichtsbilder haben, wie Stutzer/1909 berichtet, nach einer Mitt. des Verlages „eine sehr erfreuliche Verbreitung gefunden, werden also wohl auch in höheren Lehranstalten häufig gebraucht“ (61). Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten. Unter Mitwirkung von Prof. Dr. Gotthold Klee, Prof. Dr. Max Nath, Wilhelm Pfeifer, Dr. Viktor Steinecke, Dr. Arnold Zehme hg. v. Rudolf Lehmann. Vierter Teil, 2. Halbbd. (Für Obertertia), Lpz. 1905. - „Friedrich I.“ (188-192). Tdr. aus 12BPreußG. Deutscher Glaube. Ein Lesebuch religiöser Prosa zum Schulgebrauch im deutschen Unterricht. Hg. v. Lic. Friedrich Michael Schiele (Dürrs Deutsche Bibliothek, vollständiges Lehrmittel für den deutschen Unterricht an Lehrer- und Lehrerinnen-Seminaren, Bd. 12), Lpz.1905. - „Jesus Christus. Leopold von Ranke“ (13-16). Tdr. aus WG III/1, 3. Aufl., 162ff.

1906 Ueber die Epochen der neueren Geschichte. Vorträge dem Könige Maximilian II. von Bayern im Herbst 1854 zu Berchtesgaden gehalten. Hg. v. Alfred Dove. Dritter Sonderabdruck, der „Vorträge“ sechste Auflage. 1906. - Bibliogr. wie 1. (1888) und 2. Sonderabdr. (1899). Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten. Unter Mitwirkung von Prof. Dr. Gotthold Klee, Prof. Dr. Max Nath, Wilhelm Pfeifer, Dr. Viktor Steinecke, Dr. Arnold Zehme hg. v. Rudolf Lehmann. Siebenter Teil (Für Prima), Lpz.1906. - 29-44: „Die weltgeschichtliche Bedeutung des Mittelalters“. Tdr. aus WG VIII u. PÄPSTE I; 91-99: „Wallenstein“. Tdr. aus WALL (SW 23).

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

1907 Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. 3 Bde. 11. Aufl. 1907 - 1. Bd. XIV, 336 S. - 2. Bd. VI, 377 S. - 3. Bd., VI, 208, 330* S. „Mit einem Namen- und Sachregister.“ [Erstellt von „Dr. Platner in Göttingen“, Geibel/1886, 58, A. 1]. - Separatabdr. von SW 37-39. Lieferbar in Halbfranz u. Ln. Helmolt, Hans F.: Ein verschollener politischer Aufsatz Leopold Rankes. Mitgeteilt von -. In: HZ 99 (1907), 548-563. - Enthält (551-556) den Zweitdr. eines R zugeschriebenen Beitrags zur Allg. Preuß. Staatsztg. 1832 und (556-558) den Kommentar d. franz.Übers. dieses Beitrags aus ‚Le National‘. Siehe II, 150f. und zum anderweitigen Inhalt des Beitrags II, 272. Helmolt, Hans F.: Ein bisher ungedrucktes Gutachten Leopold Rankes zu Kaulbachs ‚Zeitalter der Reformation‘. Mitgeteilt von - . In: Beweis des Glaubens im Geistesleben der Gegenwart, Bd. 43, Aug. 1907, 254-257.

1908 Die Erhebung Preußens im Jahre 1813 und die Rekonstruktion des Staates. Eingeleitet u. hg. v. Prof. Dr. Otto Kaemmel. Mit einem Bildnis Rankes. (Reclam’s Univ.-Bibl., 4998/4999). Lpz.: Philipp Reclam jun. [1908]. Titelporträt, 210 pag. [211] S. Kl. 8º. Br., Einfach gebunden u. als Geschenkausgabe („Miniatur-Ausgaben in eleganten Ganzleinenbänden aus Reclams Universal-Bibliothek“). Siehe Voraufl. 1900. - Bespr.: M. Landwehr/1911, 222. - Siehe auch Stutzer/1909.

1909 Sämmtliche Werke [4. GA], Bd. 1-6: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, 6 Bde, 8. Aufl. - Bibliogr. wie 6. (1881-1882) und 7. (1894) Aufl. - Auch in 3 Leinenbänden. Prosalesebuch für Prima. Hg. v. Prof. Dr. H. Spieß. Direktor des Städt. Gymnasiums zu Danzig. 3.[,] umgearbeitete Aufl. (Deutsches Lesebuch für Höhere Schulen, 7. Teil) Lpz./Dresden/Bln. 1909. - „Die Bildung der abendländischen Völkerwelt im Mittelalter. Nach Leopold v. Ranke.“ (16-24). - Tdr. WG VIII. („Eingang“).

1910 Geschichte Wallensteins. 6., durchges. Aufl. Lpz.: D. u. H. 1910. VIII, 371 S. Br. u. Ln. - Lt. Vorb. mit Korrekturen von Hermann Hallwich. - Bespr.: Ritter, Moriz.. In: HZ 107 (1911), 592-595. Zugleich Bespr. von ‚Fünf Bücher zur Geschichte Wallensteins‘ von Hermann Hallwich, 1.-3. Bd., Lpz.: D. u. H. 1910. – „... so gehört ... das Rankesche Geschichtswerk zu denjenigen, deren Eigenart [von Herausgeberseite] nicht angegriffen werden darf.“ (594f.). Weltgeschichte. Text=Ausgabe. 4 Bände. Dritte, unv. Aufl. 1910. - Bibliogr. wie 1. (1895) und 2. (1896) Aufl. Helmolt, Hans F[erdinand]: Ein neuer Ranke-Brief. Mitgeteilt von -. In: Luginsland. Monatsbll. f. Lit. u. Kunst. Hg. v. Paul Schaumburg, Jg. 3, H. 3, Halle/S., März 1910, 104-107. Deutsches Lesebuch für Tertia. Hg. v. Prof. Dr- P. Hellwig, Direktor der V. Realschule zu Berlin u. Prof. Dr. U. Zernial w. OL. am Humboldt-Gymn. zu Berlin (Deutsches Lesebuch für Höhere Schulen, 4. Teil). 7. Aufl. Lpz., Dresden, Bln. 1910. - Im Kap. „Geschichtliche Darstellungen“ neben Texten von Giesebrecht, Dahn, Häusser, Freytag u. a. folgende R.-Texte: „Cäsars Feldzüge in Gallien in ihrer Bedeutung für die abendländische Kultur.“ (295-297) Tdr. FranzG. - „Der erste Hohenzoller in der Mark.“ (355-359) Tdr. 12BPreußG. - „Anfänge und innere Entwickelung Luthers.“ (363-366) Tdr. DtG. Savonarola. Geschichte des Don Carlos. Die großen Mächte. Textrevision: Dr. Paul Beyer (HafisLesebücherei [29]). Lpz.: H. Fikentscher 1910. 313 pag. [316] S. kl. 8º. Ln. u. Hldr. - Nachweis: LBZKatalog. - Siehe 1927.

1911 Schiemann, Theodor: Ein Brief Rankes aus dem Jahre 1852. In: Zs. f. osteurop. Gesch., Bd. 1, Bln. 1911, 241-246.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Geschichtsbilder aus Leopold von Rankes Werken. Zusammengestellt von Max Hoffmann. 2., unv. Aufl. [posthum] - Bibliogr. wie 1. Aufl. 1905.

1912 Salzer, Ernst: Noch ein Brief Rankes an Gentz. Mitgeteilt von -. In: HZ 108 (1912), 333-336. Prosalesebuch für Untertertia der Vollanstalten oder Klasse III der Realschulen. Hg. v. Professor Dr. Alfred Puls, Dir. d. Königl. Gymnasiums zu Husum, Ausg. A für evangel. Schulen. 3., durchgesehene Aufl. Gotha 1912 (Lesebuch für die höheren Schulen Deutschlands, 4. Teil). - 229-231: „Der erste Hohenzoller in der Mark“ (Tdr. aus 9BPreußG); 231-233: „Maximilian I.“ (Tdr. aus GRGV).

1913 Lemp, E[leonore]: Aufsätze zeitgenössischer Schriftsteller. Ausgewählt und zusammengestellt von -. [Bd.] III. Zur deutschen Geschichte. (Velhagen u. Klasings Sammlung deutscher Schulausgaben, Bd. 105). Bielefeld u. Lpz.: Velhagen und Klasing 1913. - Kurze Skizze von Leben u. Werk (VI). Falsch: Studium R.s in Halle und Berlin. An WW R.s werden genannt: PÄPSTE, DtG, PreußG, FranzG, EnglG und WG, nicht GRGV u. ZKritik. - 69-94: „Die Epoche der Reformation und der Religionskriege“, Tdr. aus den Vorträgen R.s vor Maximilian II, Berchtesgaden 1854. - Weitere Texte: von Sybel, Sohm, Maurenbrecher, D. Schäfer, Heigel, Trendelenburg, Mommsen, Treitschke, Erdmannsdörffer und Schmoller.

1914 [D. Leop. Friedrich Ranke: Bilder aus der Geschichte des Papsttums. Mit 16 Abbildungen. München: C. H. Becksche Verlagsbuchhandlung Oskar Beck 1914.VIII, 410 S.] - Der mit R. nicht identische Vf., der sich bei seiner Darstellung - entstanden aus Vorträgen vor einem „Luther-Frauenkränzchen“ - einer Vielzahl von Textstellen verschiedener Autoren bedient, nutzt dabei auch R.s PÄPSTE. Evers-Walz: Deutsches Lesebuch für höhere Lehranstalten. Neu herausgegeben von Prof. H. Walz und Dr. A. Kühne, 5. Teil: Obertertia, Ausgabe A, 3. Aufl. Lpz.u. Bln.: B. G. Teubner 1914, 110-114: „Der Raub Straßburgs“. Tdr. aus FranzG IV.

Rankes Meisterwerke. München und Leipzig: Duncker u. Humblot. 8º. Wohlfeile Ausgabe in 10 Pappbänden oder in 10 Leinenbänden. Vorzugs-Ausgabe auf reinem Hadernpapier in 200 numerierten Exemplaren, kartoniert in Buntpapier. Auch in Halbfranzbänden oder in Ganzleder (Maroquin). Fassung der SW, jedoch ohne Fußnoten und Analekten. - Hier hat der Originalverlag unmittelbar vor Ablauf der Urheberrechtsschutzfrist in einer gemessen am Titel ungewöhnlich stark eingeschränkten Auswahl die vermutlich bestverkäuflichen Werke Rankes zusammengefaßt auf den Markt gebracht. Bd. 1-5: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 1914. Titelporträt, XVI, 507 S.; VII, 496 S; XIV, 627 S.; VIII, 586 S.; VII, 540 S. - Besprr. in Auswahl: Feuchtwanger/1914. - Anonym in: Dresdner Anzeiger, 16. 1. 1915. - St[ern, Fritz]/ 1916.

1915 Bd. 6-8: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Beigedruckt [in Bd. 8, S. 303-517:] Kardinal Consalvi und seine Staatsverwaltung unter dem Pontifikat Pius’ VII. - [in Bd. 8, S. 518-534:] Erinnerungen an römische Zustände im Jahre 1829. 1915. XXI, 499 S.; IX, 545 S.; VIII, 534 S. Bd. 9: Geschichte Wallensteins. 1915. XIV, 489 S. Bd. 10: Kleinere Schriften. - [S. 1-208:] Savonarola und die florentinische Republik gegen Ende des 15. Jahrhunderts. - [S. 209-339:] Über die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II. - [S. 341-421:] Geschichte des Don Carlos. - [S. 423-482:] Die großen Mächte. 1915. VIII, 482 S. Besprechung des Gesamten von A[lfred] Dove. In: HZ 115 (1916), 659-661.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Männer und Zeiten. München und Lpz.: D. u. H. 1915. 490 S. Nach Simon/1998, 150. - Der Titel geht vermutl zurück auf Marcks, Erich: Männer und Zeiten. Aufsätze und Reden zur neueren Geschichte, 2 Bde, Lpz.1911.

1916 Die großen Mächte. Für die Oberklassen höherer Lehranstalten aller Art mit Anmerkungen hg. v. Hans Mähl [Slg. Cotta’scher Schul-Ausgaben]. Stg. u. Bln.: J. G. Cotta’sche Buchhandlung Nachf. 1916. 77 S. kl. 8º. Ln. Die großen Mächte. Neu herausgegeben von Friedrich Meinecke (Insel-Bücherei, Nr. 200). Lpz: InselVerlag [1916, 1.-10. Tsd]. 61 S. kl. 8º. Kt. - „Einführung“ des Hg.s, datiert „Berlin, im August 1916“ (3-10). – Abdr. der Einl., gekürzt um die bibliogr. Angaben, in: Friedrich Meinecke. Zur Geschichte der Geschichtsschreibung. Hg. und eingeleitet von Eberhard Kessel (Fr. M. Werke, Bd., VII, München 1968), 66-71, u. d. T. ‚Rankes „Große Mächte“ ‘. Dass., 11.-20. Tsd. Lpz.: Insel-Verlag [1916]. 61 S. kl. 8º. Kt. (21. - 25. Tsd hat nicht vorgelegen.) Dass., 26.-30. Tsd. Lpz.: Insel-Verlag [1916]. 61 S. kl. 8º. Kt. Dass., 31.-35. Tsd. Lpz: Insel-Verlag [1916]. 61 S. kl. 8º. Kt. - Folgeausg. 1941.

Erlöschen des Urheberrechtsschutzes 1917 Über die Epochen der neueren Geschichte (Reihe: Weltgeistbücher, Nr. 290-292). Hg. u. und mit einem Nachw. versehen von Mario Krammer, Bln: Weltgeist-Bücher Verlags-Gesellschaft m. b. H. 1917. 209 pag. [210] S. kl. 8º. Ln. - Nachw. 205 bis unpag. [208]. Männer und Zeiten der Weltgeschichte. Eine Auswahl aus den Werken von - . Eingel. u. hg. v. Dr. Rudolf Schulze. 3 Bde. 1. Bd.: Altertum, Mittelalter und Reformation. 283 S. - 2. Bd.: Der Aufstieg der Westmächte (Frankreich und England) 1555-1740. 338 S. - 3. Bd.: Deutscher Aufstieg 1740-1871. 322 S.; 1. - 3. Tsd., Köln: J. P. Bachem 1917. Ln. 8º. - Einl. (I, 9-34): 1. Die Europäische Geschichtschreibung bis auf Ranke. 2. Rankes Leben und Werke. - Eine in ihrer Art geschickte, weit ausgreifende Ausw. mit dem verfehlten, aber auflagenmäßig erfolgreichen Konzept einer neuen, komprimierten, fortlaufenden Weltgeschichte aus dem R.schen Baukasten. - Der Hg. greift überdies zur Verdeutschung der Fremdwörter R.s und unterdrückt Stellen der PÄPSTE, welche „überlieferte Gefühle“ katholischer Leser verletzen könnten. Männer und Zeiten der Weltgeschichte. Eine Auswahl aus den Werken von - . Eingel. u. hg. v. Dr. Rudolf Schulze. 4. und 5. Tsd. 1917. - Bibliogr. wie zuvor. Dass., 6. bis 10. Tsd. 1917. - Bibliogr. wie zuvor. Nachweis: KVK/Italien. Über die Epochen der neueren Geschichte. Neunzehn Vorträge vor König Maximilian [II.] von Bayern. Mnch. u. Lpz.: D. u. H. [7., im Seitenumfang veränderte Aufl.] 1917. VI, 144 S. gr. 8º. Vorw. von Alfred Dove (1-13). - Nach dessen Tod wurde der bisherige Vermerk über seine Herausgeberschaft entfernt. - Die Ausg. wird hier als 7. Aufl. gezählt, da die folgende, bibliographisch identische aus dem Jahre 1921, vom Verlag ausdrücklich als 8. gezählt wird. - Amerikan. ND 1979. Deutsche Männer. Charakterbilder aus den Werken von Leopold von Ranke [Ausgewählt und herausgegeben von Kurt Jagow]. (Insel-Bücherei Nr. 225). [1.–10. Tsd.?]. Lpz.: Insel-Verlag [1917]. 80 gez. [81.] S. kl. 8º. - Einl. v. Dr. Kurt Jagow (3f.), Charlottenburg, im April 1917. Dass. 11-15. Ts.. Lpz.: Insel-Verlag [1917?]. Männer der Weltgeschichte. Charakterbilder aus Leopold von Rankes Werken. Ausgew. u. hg. v. Kurt Jagow. Erster Teil [1. Bd.] (Insel-Bücherei Nr. 237). Lpz.: Insel-Verlag [1917]. 73 gez. [75 S.] kl. 8º. Einl. v. Kurt Jagow (3-8). Männer der Weltgeschichte. Charakterbilder aus Leopold von Rankes Werken. Zweiter Teil [2. Bd.] (Insel-Bücherei Nr. 238). Lpz.: Insel-Verlag [1917]. 65 gez. [67 S.] kl. 8º. Pp. Geschichte der Reformation in Deutschland aus Leopold von Rankes Deutscher Geschichte im Zeitalter der Reformation. Bearbeitung und Einführung von Artur Brausewetter, Archidiakonus a. d.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Oberpfarrkirche zu Danzig. Bln.: Askanischer Verlag [1917]. XXIII, 506 S., 1 Titelb., 16 Taf. 8º. Hln. - Zur 400jährigen Reformationsfeier. - Ausg. „unter Weglassung aller nicht direkt auf die Reformation bezüglichen Abschnitte“ (VI). Die großen Mächte. Eingel. u. hg. v. Dr. Rudolf Schulze (Reclams Universal-Bibl., Nr. 5975). Lpz.: Philipp Reclam jun. [1917?]. 68 gez. [69]. S. kl. 8º. - Einl. (3-11), datiert 1917. - 2. Aufl. 1942.

1918 Ausgewählte Schriften. Hg. v. Dr. Friedrich Ramhorst. Berlin: Askanischer Verlag [1918]. VII, 463 S. 8º. - Zum Geleit (V-VII). - Tdr. aus WG, PÄPSTE, DtG, 12BPreußG, SerbuTürk, GrMächte, ItalKunst. Ausg. in Fraktur, aber modernisierter Orthographie. Zeitbilder und Charakteristiken. Für die Deutsche Bibliothek mit einer Einleitung hg. v. A[lexander] Eggers. (Deutsche Bibliothek, Bd. 111). Bln: Dt. Bibl. [1918]. 292 gez. [293] S. kl. 8º. Einl. (11-19). Männer und Zeiten der Weltgeschichte. Eine Auswahl aus den Werken von - . Eingel. u. hg. v. Dr. Rudolf Schulze. 3 Bde. 1. Bd.: Altertum, Mittelalter und Reformation. 295 S. - 2. Bd.: Der Aufstieg der Westmächte (Frankreich und England) 1555-1740. 349 S. - 3. Bd.: Deutscher Aufstieg 1740-1871. 335 S. Köln: J. P. Bachem, 6.-10. Tsd.1918. 8º. - In den Seitenumfängen gegenüber den Ausgg. von 1917 verändert. Geschichte Wallensteins. Für die Deutsche Bibliothek herausgegeben von Alexander Eggers [Deutsche Bibliothek, Bd. 119]. Bln.: Dt. Bibl. [1918]. 324 gez. [325] S. kl. 8º. Ln. - Die im Inhaltsverz. ausgewiesene „Vorrede von Alexander Eggers“ stammt von R. - Folgeausg. 1935. Männer der Weltgeschichte. Charakterbilder aus Leopold von Rankes Werken. Ausgew. u. hg. v. Kurt Jagow. Erster Teil [1. Bd.] (Insel-Bücherei Nr. 237). „Zweite Auflage“ [11.-15. Tsd.] Lpz.: InselVerlag [1918?]. 73 gez. [75 S.] kl. 8º. - Einl. von Kurt Jagow (3-8). - Dass. 16.-18. Tsd., Erscheinungsjahr unbestimmt. Männer der Weltgeschichte. Charakterbilder aus Leopold von Rankes Werken. Zweiter Teil [2. Bd.] (Insel-Bücherei Nr. 238). „Zweite Auflage“ [11.-15. Tsd.]. Lpz.: Insel-Verlag [1918?]. 65 gez. [67 S.] kl. 8º. Pp. - Dass. 16.-18. Tsd., Erscheinungsjahr unbestimmt. Gebet. Von Leopold von Ranke. In: Der Wächter. Monatsschr. f. alle Zweige d. Kultur, Band/Heft 1, Wien 1918, 158. Sekundärdruck.

1919 Über die Restauration in Frankreich. Frankreich und Deutschland. Der Bayrische Landtag von 1831. Die Eröffnungsaufsätze der „Historisch-politischen Zeitschrift“. Mit einer Einl. v. Prof. Dr. Richard Schmidt (Bücher f. staatsbürgerl. Bildung. Reclam’s Universal-Bibliothek, Nr. 6046. 6047). Lpz.: Philipp Reclam jun. [1919]. 142 gez. [144] S. Br. kl. 8º. - Einl. (3-16). - Der im Titel genannte dritte Aufsatz, in der HPZ anonym erschienen, stammt von G. F. Puchta. - Enthält außer den im Titel genannten Aufss. auch R.s Einl. zur HPZ. Savonarola und die florentinische Republik gegen Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. [Mit handschriftlichen Initialen von Anna Simons (Rupprechtpresse, 6. Buch). Mnch.: Walther C. F. Hirth 1919]. 172 gez. [174] S. gr. 8º. - Der mir vorliegende Abzug Nr. 61 ist möglicherweise in der Titelei unvollständig. Auf der unpag. S. 174 folgendes Impressum: „Sechstes Buch der Rupprechtpresse zu München / Im Auftrage von Walther C. F. Hirth unter Druckleitung von F. H. Ehmcke im Frühjahr 1919 in einer Auflage von 100 numerierten Abzügen mit der Hand auf Bütten gedruckt / Mit handgeschriebenen Initialen von Anna Simons.“ Auswahl aus seinen Werken. Hg. v. Otto Bauer, Oberlehrer in Bielefeld. Dt. Schulausgaben, Bd. 173). Bielefeld u. Lpz.: Velhagen und Klasing 1919. XX, 174 S. kl. 8º. - Einl.. „Leopold von Rankes Leben und Geschichtschreibung“ (V-XIX). - Der Hg. beabsichtigt, „Rankes Eigenart nach ihren verschiedenen Richtungen zur Anschauung zu bringen“. Die Auswahl erfolgte zugleich entsprechend dem Wert der Texte, „dem Verständnis der Gegenwart dienen zu können.“ (III). - Enthält außer einem vollst. Abdr. der GrMächte u. a. Tdrr. von ‚Zur Geschichte der dt., insbes. d. preuß. Handelspolitik‘ (beides aus HPZ), sowie aus 12BPreußG u. PÄPSTE.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

1920 Die Reformation in der deutschen Schweiz. Basel: Rhein-Verlag [1920]. 1 Titelb., 111 S. kl. 8º. Pp. DBV +. In den ZKK der BRD nicht nachgewiesen bzw. nicht mehr vorh. Die Reformation in der deutschen Schweiz. Basel: Rhein-Verlag [Überklebt:] Zürich: Artistisches Institut Orell Füßli. [1920]. 1 Titelb., 111 S. kl. 8º. Pp. - DBV +. In den ZKK der BRD nicht nachgewiesen bzw. nicht mehr vorh.

1921 Weltgeschichte. 8 Bände. München: D. u. H.. 4. Aufl. 1921. II, 337 S.; II, 423 S.; II, 276 S.; 324 S.; II, 402 S.; IV, 334 S.; II, 354 S.; II, 304 S. gr. 8º. - Ausg. in 8 Hln.- u. in 8 Hldr-Bd.en. - Bespr.: Fr. M. [Meinecke, Friedrich]. In: HZ 126 (1922), 155f. - Die drei Voraufll. von 1895, 1896 u.1910 sind vierbändig. - Ausg. ohne Anm. u. Analekten. Enthält in Bd. 8, 159-304 „Über die Epochen…“. Hg. v. Alfred Dove. Über die Epochen der neueren Geschichte. Neunzehn Vorträge vor König Maximilian [II.] von Bayern. Mnch. u. Lpz. D. u. H. 1921. 8. Aufl. 1921. VI, 144 S. 8º. Pb. - Vorw. v. Alfred Dove (1-13). Männer und Zeiten. Savonarola. - Über die Zeiten Ferdinands I. und Maximilians II. - Don Carlos. Die großen Mächte. Mnch. u. Lpz.: D. u. H. 1921. VIII, 482 S. 8º. Männer der Weltgeschichte. Charakterbilder aus Leopold von Rankes Werken. Ausgew. u. hg. v. Kurt Jagow. Erster Teil [1. Bd.] (Insel-Bücherei Nr. 237). Lpz.: Insel-Verlag 1921. 73 gez. [75 S.] kl. 8º. Nachweis: LBZ-Katalog. Männer der Weltgeschichte. Charakterbilder aus Leopold von Rankes Werken. Zweiter Teil [2. Bd.] (Insel-Bücherei Nr. 238). Lpz.: Insel-Verlag 1921. 65 gez. [67 S.] kl. 8º. Pp. - Nachweis: LBZKatalog. - Siehe die Vorauflagen von 1917 u. 1918.

1922 Weltgeschichte. 8 Bde. Mnch.: D. u. H.. 5. Aufl. 1922. II, 337 S.; II, 423 S.; II, 276 S.; 324 S.; II, 402 S.; IV, 334 S.; II, 354 S.; II, 304 S. gr. 8º. - Ausg. in 8 Hln.- u. in 8 Hldr-Bd.en. - Siehe unter 1921. Schweitzer, Elisabeth: Leopold von Rankes Schulrede aus dem Jahre 1818. Eine Quelle zur Geschichte des Neuhumanismus. In: Neue Jbb. f. d. Klass. Altertum, Gesch. u. dt. Literatur und für Pädagogik. Jg. 25, Bd. 50, Bln.1922, 233-246 (s. II, 417).

1923 Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten, 12. Aufl., 2 Bde. Mnch. u. Lpz.: D. u. H. 1923. VIII, 1-374; VI, 375-894. 8º. Ln. - Stereotypierte Wiedergabe der 1878 erschienenen, vom Vf. durchges. einbändigen Textausg. Die Angabe ‚12. Auflage‘ ist inkorrekt, sie hätte nur auf eine Fortführung der vollst., aus den SW herrührenden 3bändigen Ausg., in 11. Aufl. 1907 erschienen, bezogen werden dürfen. Die vorl. Ausg. ist allenfalls als ‚zweite, erweiterte‘ Aufl. der Ausg. von 1878 anzusehen. - Enthält zusätzlich (II, 757-894) die Abh. CardCon in der Fassung von 1877 (aus HBS). Die Vormacht Frankreichs in Europa (16. und 17. Jahrhundert). Richelieu, Mazarin u. Ludwig XIV. Ausgew. Kapitel aus: Französische Geschichte, vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert. Mit 17 Bildnissen auf Taf.. Hg. v. Kurt Kunze. Lpz.: Bibliogr. Inst.. 1923 [Copyright 1922]. 272 S., 10 Kunstdrucktaf.]. 8º. - Vorw. von Kurt Kunze (5-8). - Quellenangaben (271f.). - Enthält 53 Tdrr. aus SW 9-11.

1924 Historische Charakterbilder. Ausgew. u. eingel. v. Geheimrat Dr. Richard Sternfeld. Professor der Geschichte an der Universität Berlin. Bln.: Deutsche Buch-Gemeinschaft [1924]. 336 S. + 4 unpag. S. 8º. Hldr. - Eine Wiederaufnahme der bereits 1864, mehrfach 1869, 1917 und 1918 genutzten Charakterbilder-Gattung. Enthält 47 Auswahltexte aus einer Vielzahl von Werken R.s und sucht die Zeit von Themistokles bis Bismarck abzudecken. - Nicht im Buchhandel. Dass. [1924]. 285 S. + 4 unpag. S. 8º. Hldr. - Ausg. ist inhaltlich identisch mit der 336seitigen.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Aus zwei Jahrtausenden deutscher Geschichte. Zusammengefaßte Darstellungen der großen Entscheidungen deutscher Geschichte von Cäsar bis Bismarck. Hg v. Gustav Roloff o. Professor der Geschichte an der Universität Giessen. (Die blauen Bücher, Sonderband). Königstein: K. R. Langewiesche, 1.-19. Tsd, 1924. 286 S. 8º. - Werke Tdrr.; 20.-23. Tsd. 1935 mit abweichendem Umfang. - Weitere Ausgg. 1935, 1940, 1942, 1943. Politisches Gespräch. Mit einer Einführung von Friedrich Meinecke. Mnch. u. Lpz.: D. u. H. 1924. 51 S. 8º. - Unv. Nachdr. 2005. - Die Einf., unter Fortlassung der ‚Vorbemerkung‘, u. d. T. ‚Rankes Politisches Gespräch‘ auch in: Meinecke, Friedrich: Vom geschichtlichen Sinn und vom Sinn der Geschichte. Stg., 5., veränderte Aufl. 1951, 24-39. Und in: Ders. Zur Gesch. d. Gesch.schreibung. Hg. u. eingel. von Eberhard Kessel (WW VII, Mnch. 1968), 72-82.

Leopold Rankes Meisterwerke. München und Leipzig: Duncker & Humblot 1924. gr. 8º. Ln. u. Hldr. Bd. 1-5: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 5 Bde [in 2]. Bd. 1-3 [in 1]: XII, 360 S.; V, 356 S.; X, 456 S.; Bd. 4-5 [in 1]: VI, 425 S.; VI, 391 S. - Textausg. ohne Anm. u. Analekten. Bd. 6-10 [in 2]: Französische Geschichte vornehmlich im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert, Bd. 1-5. 1924. X, 395; VI, 400 S.; VI, 344 S.; VI, 416 S.; VI, 570 S. - Eine wenig plausible Umgestaltung der Meisterwerke-Ausg. des Verlages von 1914 und 1915. - Statt der PÄPSTE wurde nunmehr die FranzG aufgenommen. Sie enthält Anmerkungen und die meisten Analekten. - FranzG fehlt in DBV. - Das Unternehmen scheint nach dem zweiten ‚Meisterwerk‘ vorzeitig abgebrochen worden zu sein, wohl im Hinblick auf die 1925 einsetzende Ausg. der Dt. Akademie.

1925 Savonarola. Die großen Mächte. Politisches Gespräch. Herausgegeben von Hans Körnchen. Berlin: Volksverband der Bücherfreunde, Wegweiser-Verlag 1925. 237 pag. [239] S. Hldr-Kart. 8º. - Wurde nur an die Mitglieder des Volksverbandes abgegeben. - Nachwort (231-237). Das politische Gespräch und andere Schriftchen zur Wissenschaftslehre (Philosophie und Geisteswissenschaften, Neudrucke, hg. v. Erich Rothacker, 2. Bd.). Halle/S.: Max Niemeyer Verlag 1925. XVII, 83 S. gr. 8º. Ln. - US-amerikan. ND 1979. - „Zur Einführung“. Von Erich Rothacker (VII-XVII). Enthält außer dem Politischen Gespräch: die Einl. zur HPZ, die Reflexionen (Vom Einflusse der Theorie), Zur Geschichte der politischen Theorien, Zur Geschichte der Doktrin von den drei Staatsgewalten, Über die Verwandtschaft und den Unterschied der Historie und der Politik, Über die Epochen der neueren Geschichte (Tdr.), Rede zur Eröffnung der XII. Plenarvers. der HiKo, Dankesreden beim 50jähr. Doktorjubiläum. - Die irreführend als Epochen-Vorw. abgedruckte Passage (56-58) entstammt einem Vorl.-Ms. R.s der 1830er Jahre und bildet somit keinen Teil der 1854 entstandenen ‚Epochen‘. Sie wurde vom Ersthg. Dove beiläufig in seinem eigenen Vorw. - von R. existiert ein solches nicht - aus R.s NL gehoben. - Besprr.: Masur/1926; Kaerst/1928. Eine Auswahl aus seinen Schriften [hg.] von Paul Joachimsen. [Umschlagtitel: Ranke: Weltgeschichte. Auswahl von Paul Joachimsen] (Dreiturmbücherei, Nr. 17/18). Mnch. u. Bln.: R. Oldenbourg 1925. 165 S. Br. 8º. - „Vorwort“ von P. Joachimsen (5-8), der - hier editorisch noch auf falschem Wege beabsichtigt, den „Zusammenhang der großen Geschichte, wie ihn Ranke sah…zur Anschauung zu bringen“ (7). Auswahltexte für die Zeit von Amon-Ra bis zum neuen dt. Kaisertum. Aus der alten Geschichte. Darstellungen gesammelt von Max Mühl, Mnch. u. Bln.: R. Oldenbourg 1925 (95 S.) Kart. 8º . - L. v. Ranke: Der Eintritt des Christentums in die römische Welt. (91-95). Tdr. aus WG III.

Gesamtausgabe der Deutschen Akademie. Leopold von Ranke’s Werke. Unter beratender Mitarbeit von Erich Marcks, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken historischkritisch herausgegeben von Paul Joachimsen im Verein mit einer Reihe von Gelehrten. München: Drei Masken Verlag. Einband und Ausstattung von Prof. Emil Preetorius. Gr. 8º. Ln. Werke. Gesamtausgabe der Deutschen Akademie. Reihe 1, Werk 7: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Hg. v. Paul Joachimsen.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Bd. I-V. 1925. Titelportr., CXVII, 8*, 386 S., 1 Taf.; VIII, 437 S.; XII, 480 S.; VII, 434 S.; VII, 418 S. Bd. I: Einl. d. Hg.s (V-CXVII): 1. Die Entstehungsgesch. d. Werkes, 2. Der Aufbau d. Werkes, 3. Die Reformationsgeschichte als Kunstwerk, 4. Die historiograph. u. geistesgeschichtl. Stellung d. Werkes, 5. Die Aufnahme d. Werkes bei d. zeitgenöss. Kritik, 6. Die Wirkungen d. Werkes in d. Gegenwart. Edition (1*-8*, 1-386). Einl., 1. Buch, 2. Buch, Beil.: Ueber eine ungedruckte Lebensbeschreibung Maximilians I. von Hans Jakob Fugger. - Bd. II: 3. Buch, 4. Buch, Beill. Über ein im Jahre 1837 zu Rom erschienenes apokryphes Geschichtswerk; Jakob Ziegler und Adam Reisner; Chronisten Karls V.; Anhang einiger Dokumente für den italienischen Krieg. - Bd. III: 5. Buch, 6. Buch. - Bd. IV: 7. Buch, 8. Buch. - Bd. V: 9. Buch, 10. Buch, Beill.: Sommaire de l’Ambassade de feu monsieur de Vienne devers l’Empereur Charles V, en l’année 1550; Aus den Berichten des florentinischen Gesandten 1553-1556. - Bd. VI siehe 1926.

1926 Dass. Bd. VI. Mit ungedruckten Beigaben und einem Faksimile der Handschrift Rankes. 1926. VIII, 654 gez [655] S. Erster Teil.: „Analekten der deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation“ (1-307). Einl. des Hg.s (3-6). Darin enthalten aus R.s NL Erstdr. zweier Entwürfe zur Vorrede sowie nachlaßbezogene Informationen die Analekten betreffend. Die Edition verzichtet auf den Abdruck derjenigen Analekten R.s, „wo neuere ebenso gute oder bessere Drucke vorliegen“ (6). Zweiter Teil. Anhänge: I. Das Luther-Fragment von 1817. Hg. u. erläutert v. Elisabeth Schweitzer (311-399). Beil. I zu Kap. I. Das Wesen des Gelehrten. Fichte 1806 (363-370). Beil. II [„Die Meinung, Völker eines gemeinsamen Stammes müßten einen gemeinschaftlichen Ursprung haben ...“] (370f.). II. Die handschriftl. Grundlagen (372-377). - III. Die Entstehungsgeschichte d. Fragments (378-388). IV. Die Quellenfrage. Ranke u. Karl Ludwig Woltmann (389-395). Beil. zu Kapitel IV. Belegstellen zum Vergleich zwischen den Arbeiten Rankes u. Woltmanns (396-399). - II. [!] Das Frankfurter Manuskript von 1837 (401-469). - III. Über einige noch unbenutzte Sammlungen deutscher Reichstagsakten 1838 (471-487). - Textvergleichung [zu den Bänden I-V d. Ausg., bearb. v. Margarete Münnich] (489-598). [Beginnt mit einer „Einleitung des Hg.s Joachimsen (491-494)]. - Reg. zu Bd. IV der Deutschen Geschichte im Zeitalter der Reformation (599-654). - Berichtigungen zu den Bd. I-V [655]. - Zu den in der Edition enthaltenen nachgelassenen Aufzeichnungen R.s siehe II/2.3. - Besprr. in Auswahl: Loewe/1926; Gerhard/1927; Ritter/1929. (Fortführung der Edition mit 12BPreußG im Jahre 1930) Aus dem Luther-Fragment Leopold von Rankes [Ohne Hg.-Vermerk]. In: Zeitwende. Monatsschr. Hg. v. T. Klein, O. Gründler, F. Langenfaß, Jg. 2, 2.Hälfte, Mnch., Juli bis Dez. 1926, 71-79. Tdr. aus DtG/Joachimsen, Bd. 6. Friedrich II. König von Preussen [Weltgeist-Bücher, Nr. 26]. Bln.: Weltgeist-Bücher VerlagsGesellschaft m. b. H. [1926 und/oder 1927]. 60 S. kl. 8º. Ln. Enthält keine Einl. Geschichte Wallensteins [Tdr.]. Hg. v. Paul Lippert (Weltgeist-Bücher Nr. 87/88). Berlin: WeltgeistBücher Verlags-Gesellschaft m. b. H. [1926]. 159 pag. [160] S. kl. 8º. Ln.

1927 Über Helden und Heldenverehrung. Über die Wechselwirkung zwischen Staat, Publikum, Lehrern und Schülern in Beziehung auf ein Gymnasium. Zwei bisher unveröffentlichte Jugendreden von Leopold Ranke. Aus dem Nachlaß Rankes kritisch hg., mit einer Einführung und einem Nachwort versehen von Kurt Borries. Mit 2 Faksimiles. Bln.: Deutsche Verlagsgesellschaft für Politik und Geschichte 1927. V, 55 S., 2 Taf. 4º. Savonarola. Geschichte des Don Carlos. Die großen Mächte. Textrevision: Dr. Paul Beyer (HafisLesebücherei [29]). Lpz.: H. Fikentscher [1927]. 313 pag. [316] S. kl. 8º. Ln. u. Hldr. Siehe 1910. Friedrich der Große. Mit Illustrationen von Luigi Malipiero [1901-1975] (Terra-Bücher, Nr. 20) Bln.: Karl Voegels Verlag [1927]. 62 S., 8 Abb. i. T., kl. 8º. Ln. Anonyme Würdigung R.s mit Werkübersicht (61f.).

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

Aus.: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. I (1925)

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

Aus.: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation, Bd. I (1925)

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

1928 Historische Meisterwerke. Wien, Zürich, Hmbg., Budapest: Gutenberg-Verlag Christensen & Co. gr. 8º. Ln. Ausgewählt und herausgegeben von Dr. Adolf Meyer/Hmbg. und Dr. Horst Michael/Berlin mit einer Schlußbetrachtung von Dr. Justus Hashagen o. ö. Professor der Geschichte an der Hamburgischen Universität. Die durch den Verlag Duncker u. Humblot 1914 und 1924 eingeführte Meisterwerk-Gattung wird hier nicht zum letzten Mal wiederbelebt. Siehe dazu die wahrscheinlich identische Ausg. des Hoffmann & Campe Verlages von 1935 sowie die Ausg. des Standard Verlags von 1956/1957. Aus dem „Vorwort für die Gesamtausgabe“: „Die vorliegende Ausgabe von Rankes ausgewählten Werken will diesen großen Meister der Geschichtsschreibung endlich auch der Gesamtheit des deutschen Volkes zugänglich machen. Der volkstümlichen Absicht entsprechend wurde auf alles verzichtet, was diesen Zweck beeinträchtigen könnte; besonders wurden die zahlreichen, rein wissenschaftlichen Anmerkungen und Analekten fortgelassen, ohne aber die Streichungen in äußerlicher Konsequenz durchzuführen, d. h. die wichtigen Geschichtsdaten wurden, selbst wo Ranke sie für entbehrlich hielt, in den Text hineingenommen, um die allgemeine Orientierung zu erleichtern ... Die gelegentlichen Fußnoten stammen von den Herausgebern, unter Benutzung von Rankes eigenen Angaben. Eine Verdeutschung der unbekannteren Fremdwörter soll im Anhang eines späteren Bandes gegeben werden. Der Text selbst ist in moderner Orthographie gedruckt, der altertümliche Lautbestand jedoch nicht angetastet worden...“ (Bd. 1, S. V). Alle Bände ohne Angabe des Erscheinungsjahres: Bd. 1-14 [in 7]: Weltgeschichte. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Horst Michael. - Bd. 1 u. 2 [in 1] [Vorw. 1928]. IV, 526 gez. [527] S. - Bd. 3 u. 4 [in 1] [1928]. 511 gez. [527] S. - Bd. 5 u. 6 [in 1] [1928]. 496 S. - Bd. 7 u. 8 [in 1] [1928]. 476 S. - Bd. 9 u. 10 [in 1] [1928]. 476 S. - Ab hier: Wien, Hmbg. Zürich. Bd. 11 u. 12 [in 1] [1928]. II, 536 S. - Bd. 13 u. 14 [in 1] [1928]. 488 S. Jeweils zahlr. Abb., Taf. u. Kt. - Unpassend beigedruckt 193-484 als Bd. 14: Geschichte Wallensteins. Hg. u. eingel. von Horst Michael. Bd. 15-18 [in 2]: Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Herausgegeben und eingeleitet von Horst Michael. - Bd. 15 u. 16 [in 1] [IV], XII, 500 S., Einführung (I-XII). - Bd. 17 u. 18 [in 1] 490 S. - Unpassend beigedruckt: Die grossen Mächte. Hg. u. eingel. v. Horst Michael (441-485). - Einführung (443-450). Bd. 19-24 [in 3]: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Horst Michael. Bd. 19 u. 20 [in 1]: IV, 520 S. Siehe 1930. - Bd. 21 u. 22 [in 1]: 526 S. - Bd. 23 u. 24 [in 1]: 476 S. - Nachw. von Horst Michael (404-419). - „Einleitung zu den Geschichten der romanischen und germanischen Völker“ (421-441). - Einführung v. Horst Michael (423-426). - Adolf Meyer: Rankes Stellung im modernen historischen Denken (442-458). Schlußbetrachtung v. Justus Hashagen (459-470). Lt. Bd. 23/24, 423 bildet der Band den „Abschluß dieser I. Reihe der Meisterwerke Rankes“.

* Die Epochen der neueren Geschichte. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Mario Krammer. 1928. Bibliogr. wie Ausg. 1917. Weltgeschichte nach Leopold v. Ranke. Neu bearbeitet und bis in die Gegenwart fortgeführt von Paul Friedrich. Mit 275 Illustrationen. Berlin/Zürich: Eigenbrödler-Verlag 1928. VIII, 757 pag. [758] S. gr. 8º. - „Vorwort“ von P. Friedrich (V-VI). Seine Absicht: „das Wesentliche von Ranke in einer neuen Fassung zu erhalten“ (V). Keibel, Ludwig: Einige Jugendarbeiten aus dem Nachlaß Leopold v. Rankes [hg. v.]. In: HZ 137 (1928), 214-256 (s. II, 215-217).

1929 Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. Vier Bände. Bln.: Widerstands-Verlag 1929. XIX, 491 S.; III, 412 S.; III, 397 S.; III, 431 S. 8º. Pp., Ln. u. Hldr. - Ausg. mit Anmm., Analekten u. Reg.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben

1930 Wallenstein, Herzog von Mecklenburg. (Mit 5 Flugschriften aus den Jahren 1628, 1629, 1630) (Mecklenburgische Gesellschaft. Veröffentlichungen 1,1) Mecklenburgische Gesellschaft, Lpz.: Ernst Metelmann 1930. 119 S. mit 1 Faks., Abb., mehrere Taf. kl. 8º. Ln. - Später: Güstrow: Opitz & Co. Nur an Mitglieder. - DBV +. In den ZKK der BRD nicht nachgewiesen. Das Papsttum zur Zeit der Reformation und Gegenreformation. Von Dr. Elisabeth Schweitzer, Studienrätin in München. (Teubners Quellensammlung f. d. Geschichtsunterricht, III, 7), Lpz./Bln.: B. G. Teubner 1930. 48 S. 8º. - Tdr. aus PÄPSTE (1874). - 3. u. 4. Umschlagseite: „Leopold von Ranke“ (kurze Einf. in Leben, Werk und Wirkung. - Die Hg.n war Joachimsen-Schülerin u. Mitarbeiterin an der Akademie-Ausg. Siehe Schweitzer (unter II/9.5, 1922, 1926, 1928). Friedrich II. König von Preussen [Weltgeist-Bücher, Nr. 26]. Berlin: Weltgeist-Bücher VerlagsGesellschaft m. b. H. 1930. 60 S. kl. 8º. Ln. Nachweis LBZ-Katalog. Siehe Ausg. von 1926.

Werke Gesamtausgabe der Deutschen Akademie. Unter beratender Mitarbeit von Erich Marcks, Friedrich Meinecke, Hermann Oncken historischkritisch herausgegeben von Paul Joachimsen im Verein mit einer Reihe von Gelehrten. München: Drei Masken-Verlag. Gr. 8º. Fortführung der Ausgabe von 1925/1926. - Mehr nicht erschienen. [Reihe 1, Werk 9:] Zwölf Bücher Preußischer Geschichte. [Hg. v. Georg Küntzel. Lt. Vermerk auf der Impressumseite]. Bd. I-III. 1930. CLII, 19, 561 S.; 4, 635 S.; 4, 580 gez. [588] S. Bd. I, Einl. d. Hg.s (VII-CLII). Die Entstehung der 9 und 12 Bücher Preußischer Geschichte (VIIXVIII) - Die zwölf Bücher preußischer Geschichte. Inhalt u. Aufbau (XIX-LXXII). - Die Neun und die Zwölf Bücher Preußischer Geschichte im Vergleich miteinander (LXXII-XCIII) - Rankes Preußische Geschichte in der wissenschaftlichen Forschung: Ranke und Droysen. (XCIII-CLII). - Zwölf Bücher Preußischer Geschichte, Erstes bis Viertes Buch (1*-19*, 1-561). - Bd. II, Fünftes bis Neuntes Buch (1-635). - Bd. III, Zehntes bis Zwölftes Buch (1-345). - Analekten (347-478). - Bericht über den Nachlaß (479-485). Von Paul Joachimsen. - Textvergleichung (487-504). - Sachreg. (505-578). Druckfehler u. Nachträge (579-580). - Paul Joachimsen und die Ranke-Gesamtausgabe (unpag. 581588) als Schlußwort des Drei Masken Verlags nach J.s Tod. - Der ‚Bericht über den Nachlaß‘ betrifft ledigl. die PreußG und stammt erstaunlicherweise nicht von deren Hg., der, wie man annehmen muß, mit dem NL in keine engere Berührung gekommen ist, sondern von dem Reformationshistoriker und Haupthg. Joachimsen. - J. weist in seinem Bericht, unter teilweisem Abdr., auf zwei Komplexe aus den preuß. Materialien im NL R.s hin: auf „Entwürfe zur Vorrede und große Teile von Entwürfen für die Neun und die Zwölf Bücher preußischer Geschichte, die einen wesentlich anderen Charakter tragen als der gedruckte Text.“ (481). Siehe dazu auch II, 173ff. - Bespr. Berney, A./1933.

Historische Meisterwerke. Hmbg.: Gutenberg-Verlag Christensen & Co. Wien. Hmbg., Zürich, gr. 8º. Ln. Fortführung der Ausgabe von 1928 Bd. 19-24: Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. 6 Bde [in 3]. Hg. u. mit einem Nachw. vers. v. Horst Michael. ([Beigedr.:] Einleitung zu den Geschichten der romanischen und germanischen Völker. - Bd. 19 u. 20 [in 1] [1930]. 520 S., mehrere Taf.; Bd. 21/22 [in 1] [1930]. 526 S.; Bd. 23 u. 24 [in 1] [1930]. 476 S., 19 Taf., 1 Kt. - In Bd. 23/24, S. 459-470: Schlußbetrachtung von Justus Hashagen. Bd. 25-30: Zwölf Bücher preussischer Geschichte. 6 Bde [in 3]. Verlagswechsel bei identischer innerer und äußerer Aufmachung: Hoffmann und Campe Verlag Hmbg.. Bd. 25-26 [in 1]: Genesis des preußischen Staates. Hg. u. mit einem Nachw. vers. v. Horst Michael, 1930, 492 S. - Bd. 27-28 [in 1], 1930, 428 S. Bd. 27 ohne Hg.-Vermerk, Bd. 28 ohne Titelbl.. - Bd. 29-30 [in 1], 1930, 420 S. Bd. 29 u. 30 ohne Hg.-Vermerk. 400-416: Adolf Meyer: Ranke als historischer Denker.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Bd. 31-36: Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert. 6 Bde [in 3]. Bd. 31 u. 32 [in 1] [1931]. 480 S.; Bd. 33 u. 34 [in 1] [1932]. 560 S.; Bd. 35/36 [in 1] [1932]. 522 S., mehrere Taf. Bd. 37-38: Die Osmanen und die Spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert. 4., erw. Aufl. des Werkes ‚Fürsten und Völker von Südeuropa‘ (1827). Hg. v. Horst Michael, 2 Bde [in 1]: [1930]. 466 S., zahlr. Taf. Die folgenden Bde. tragen abweichend von den früheren keine Reihenbandzählung: Die Osmanen und die Spanische Monarchie im 16. und 17. Jahrhundert. 2 Bde [in 1]. Bd. 1. Hg. u. mit einem Nachw. vers. v. Horst Michael, Bd. 2 ohne Hg.-Vermerk; zus. 466 S. Französische Geschichte vornehmlich im 16. und 17. Jahrhundert. 6 Bde [in 3]. Bd. 1. Hg. u. mit einem Nachw. vers. v. Horst Michael. Bd. 2 zus. 480 S.; Bd. 3 u. 4 [in 1] 516 S.; Bd. 5 u. 6 [in 1] 522 S. Bde 2-6 ohne Hg.-Vermerk. Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert. 9 Bde [in 5]. Bd. 1. Hg. u. mit einem Nachw. vers. v. Horst Michael, Bd. 2 zus. 532 S. [in 1]; Bd. 3 und 4 [in 1]. Zus. 488 gez. [489] S. ; Bd. 5 und 6 [in 1]. Zus. 522 gez. [523] S.; Bd. 7 und 8 [in 1]. Zus. 530 S. ; Bd. 9. 388 gez. [389] S. - Bde 29 ohne Hg.-Vermerk.

1931 Bd. 49: Savonarola und die Florentinische Republik gegen Ende des 15. Jahrhunderts. Nach Alfred Dove. Hg. v. Horst Michael. [1931]. 504 S., mehrere Taf. ([Beigedr.:] Über die Epochen der neueren Geschichte. Zur eigenen Lebensgeschichte. - Text Savonarola (5-126) - Nachw. v. Horst Michael (127f.). - Über die Epochen der neueren Geschichte ... Nach Alfred Dove. Hg. v. Horst Michael (129294). - Nachw. v. Horst Michael (295-300). - Zur eigenen Lebensgeschichte. Nach Alfred Dove in Auswahl hg. v. Horst Michael (301-497). - Expl- Ranke-Archiv Wiehe.

* Die romanischen und germanischen Völker während des Mittelalters Hg. v. Dr. G. Brunner Oberstudienrat (Velhagen & Klasings dt. Lesebogen, 86). Bielefeld u. Lpz.: Velhagen & Klasing [1931?]. 16 S. u. Umschlags. I-III betextet. Br. 8º. - Text d. Eingangskapitels der GRGV. Illustrierte Weltgeschichte. Auf Grundlage der Geschichtswerke von Leopold von Ranke. Hg. v. Paul Hartung. Bearb. u. erg. v. Bernhard Schneider. Einf. v. Dr. Heinrich Otto Meisner. Staatsarchivrat im Preuß. Geh. Staatsarchiv Mit 157 Bildern, Karten u. Dokumenten. Bln.: P. Franke [1931]. 623 S. Ln. Gr. 8º. - Heinrich Otto Meisner: „Weltgeschichte“ (9-15). - Reg. (605-623). - Die Darst. reicht bis 1931. Klemmer, Heinrich: Ranke und Pastor. Weltanschauliches in der Geschichtschreibung (Teubners Quellensammlung für den Geschichtsunterricht IV, 17, 5667, Lpz., Bln. 1931 (32 S.). - Stellt, ohne jegliches Vorw. oder Komm., Texte aus DtG u. PÄPSTE entsprechenden aus Pastors ‚Geschichte der Päpste seit dem Ausgang des Mittelalters‘ gegenüber: „Urteile über kirchliche Fragen“, „Urteile über die Glaubensspaltung“, „Urteile über die Päpste Alexander VI. und Leo X.“

1932 Historische Meisterwerke. Hmbg.: Hoffmann & Campe [!]. Gr. 8º. Ln. Historische Meisterwerke. Ausgew. u. hg. v. Adolf Meyer u. Horst Michael, mit einer Schlußbetrachtung v. Justus Hashagen. - Zwölf Bücher preußischer Geschichte. Hg. u. mit einem Nachw. vers. v. Horst Michael. 6 Bde [in 3]. [1932]. Bd. 1/2: Genesis des preußischen Staates. 492 S., mehrere Taf., 1 Karte; Bd. 3/4: 428 S. mehrere Taf.; Bd. 5/6: 404 S., mehrere Taf. - The British Library General Catalogue of Printed Books to 1975: „No more published“. Siehe jedoch 1935.

* Wallenstein. Ziele, Aufbau und Zusammenbruch seiner deutschen Politik. Mit zwei Bildern. Ausgewählt und mit Anmerkungen versehen von Dr. Karl Hasselmann Studienrat in Lübeck (Hirt’s Deutsche Sammlung. Sachkundl. Abt. Gesch. u. Staatsbürgerkunde Gruppe V, Bd. 3). Breslau: Ferdi-

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben nand Hirt [1932]. 56 S. mit 2 Abb. 8º. Pp. u. Ln. - Tdr. aus WALL Kap. 12-15. - Aus der Geschichte des Wallensteinproblems (41-45). - Anhang (46-49) [Flugschrr. u. Verse über Wallensteins Tod]. Leopold von Ranke (50) [kurze Würdigung]. - Lit. (51). - Namenverz. (52f.). - Worterklärungen (5456). Haintz, Otto: Gustav Adolf (Teubners Quellensammlung f. d. Geschichtsunterricht. Hg. v. P. Rühlmann u. E. Wilmanns), Lpz.: B. G. Teubner, Bln. 1932 (32 S.) Br. 8º. - Leopold von Ranke: ‚Geschichte Wallensteins‘ (4-7). Tdr. aus WALL Kap. 8. - Neben Texten v. Dietrich Schäfer, J. G. Droysen, Heinrich v. Treitschke, Johannes Paul, Onno Klopp, Franz Mehring u. Georg Wittrock.

1933 Leopold von Ranke als Geschichtsforscher und Geschichtsschreiber mit Proben aus seinen Werken. Hg. v. Dr. Rudolf Schulze, Studienrat (Ferdinand Schöninghs Dombücherei. Schülerhefte von dt. Art, H. 114). Paderborn u. Würzb.: Schöningh [1933]. 104 S. kl. 8º. Br. - DBV +. Selten. - Expl.: SBB PK u. Ranke-Archiv Wiehe. - Einl. (3f.). Es folgen Tdrr. aus div. Werken R.s (FuV I, GrMächte, PÄPSTE, DtG I, PreußG, FranzG IV, Berchtesgadener Vortrr. von 1854, EnglG II u. III. - „Anhang“ (98-104) mit Lit.angaben, Anmm. u. „Verzeichnis fremdartiger Ausdrücke“, z. B. „Autor = Urheber, Verfasser“. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Neudr. der von Prof. Dr. Paul Joachimsen historisch-kritisch hg. Ausg. 6 Bde [in 3]. Meersburg u. Lpz.: F. W. Hendel Verlag 1933. Bd 1/2: CIV, 298; VIII, 331 gez. [332] S. - Bd. 3/4: VI, V, 374; VIII, 335 [336] S. - Bd. 5/6: VIII, 323 [324], XII, 527 [528] S. gr. 8º. Ln. - Siehe 1925/26. Bausteine zum Dritten Reich. Lehr- und Lesebuch des Reichsarbeitsdienstes. Im Auftrag der Reichsleitung des Reichsarbeitsdienstes bearbeitet und herausgegeben von Generalarbeitsführer Hermann Kretzschmann. [1. Aufl. Vorw. 1933, 5. Aufl. 1941 oder früher] Der Nationale Aufbau. Verlag Günther Heinig, Lpz.. - Auszüge aus Texten R.s über Friedrich d. Gr.: „Friedrich der Große und der Siebenjährige Krieg“ u. a. (457-465).

1934 Preußische Geschichte. Ungekürzte Textausgabe. Mit 91 Abbildungen nach zeitgenössischen Gemälden, Stichen und Plänen. Hmbg.: Hoffmann und Campe Verlag [1934]. 892 pag. [893] S., 55 Kunstdrucktafeln. gr. 8º. Ln. - Enthält nicht alle Analekten. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Ungekürzte Textausg. 1.-20. Tsd. d. illustr. Phaidon-Ausg. Weimar: Phaidon-Verlag [1934]. 1287 S. mit 80 Abbildungsseiten. 8º. Ln. Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation. Ungekürzte Textausg. 1.-20. Tsd. d. illustr. Phaidon-Ausgabe. Wien: Phaidon-Verlag [1934]. 1287 S. m. 80 Abbildungsseiten. 8º. Ln. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Vollst. Ausg. Weimar: Phaidon-Verlag [1934]. 815 S. mit 67 Abb. 8º. Ln. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Vollst. Ausg. Wien: Phaidon-Verlag [zwischen 1934 und 1956?]. 815 S. mit 67 Abb. 8º. Ln. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Vollst. Ausg. Zweite Aufl. Mit 67 Kupfertiefdruckb., Wien: Phaidon-Verlag: [zwischen 1934 und 1956?]. 815 S. 8º. Ln. - Fehlt DBV, jedoch Expl.-Autopsie. - 3 Aufl. [1956]. Geschichte der Päpste. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. Faksimiledruck nach der sechsten Auflage des Werkes aus dem Jahre 1874, der letzten vom Autor redigierten Auflage, Wien; Krystall-Verlag [1934]. XX, 932 S.; 44 S. mit Abb., z. T. innerhalb der Paginierung, 20 Kunstdrucktaf. 8º. Ln. - Nachw. von Franz Juraschek (927). - Ausg. ohne den Anh. aus Bd. 3. - Im übrigen erschienen 1878 und 1885 mit der 7. und 8. Aufl. noch weitere eighd. Ausgaben R.s. Vier Briefe Leopold von Rankes an Willem Groen van Prinsterer aus dem niederländischen Staatsarchiv im Haag, mitgeteilt von Robert Stupperich. In: HZ 150 (1934), 559-563.

1935 Geschichte Wallensteins. Für die Deutsche Bibliothek hg. v. Alexander Eggers. [Deutsche Bibliothek, Bd. 119]. Berlin: Dt. Bibliothek Verlagsges. m. b. H. [ca. 1935]. 324 pag. [325] S. kl. 8º. Ln. - Die

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben „Vorrede“ (7-10) wird im Inhaltsverzeichnis als „von Alexander Eggers“ ausgegeben, stammt jedoch aus der Feder R.s. - Vorausg. 1918.

Historische Meisterwerke. Hmbg.: Hoffmann & Campe Verlag. Gr. 8º. Ln. Hg. v. Adolf Meyer u. Horst Michael, mit einer allg. Einl. v. Justus Hashagen. Weltgeschichte. Hg. u. mit einer Einl. vers. v. Horst Michael. 13 Bde [in 7] [1935]. Bd. 1: 527 S.; Bd. 2: 512 S.; Bd. 3: 496 S.; Bd. 4: 476 S.; Bd. 5: 476 S.; Bd. 6: 536 S.; Bd. 7: 488 S. Jeweils zahlr. Abb., Taf. u. Kt. - Beigedr. in Bd. 7, 193-484: Geschichte Wallensteins. Hg. u. eingel. v. Horst Michael. Siehe dazu auch die möglicherweise identische Ausg. des Gutenberg-Verlags und Versandbuchhandlung Christensen & Co. Hmbg. von 1928. - Fortführung der Ausg. von 1932.

* Aus zwei Jahrtausenden deutscher Geschichte... 20.-23. Tsd. 1935. 251 pag. [255] S. 8º. - Werke Tdr.e. - 1.-19. Tsd.1924 mit abweichendem Umfang. - Einl. von G. Roloff (5f.). Das Zeitalter der Kreuzzüge und das späte Mittelalter. Meersburg: F. W. Hendel Verlag. 1935. VIII, 539 S. gr. 8º. Ln. - WG VIII u. IX/1 Tdr. - Namen- u. Sachreg. (529-539). - Siehe auch 1968.

1936 Ansicht des siebenjährigen Krieges. (Kriegsgeschichtliche Bücherei, Bd. 22/23). Bln.: Junker u. Dünnhaupt Verlag 1936. 157 S. 8º. Pp. - ZGÖuP Tdr. - Einl. v. Hermann Gackenholz (7-10). Geschichte und Politik. Friedrich der Große, Politisches Gespräch und andere Meisterschriften. Hg. v. Hans Hofmann (Kröners Taschenausg., Bd. 146). Lpz.: Alfred Kröner Verlag [1936]. Titelb., XXXVI, 428 S. kl. 8º. - Zur Einführung. Von Hans Hofmann (VII-XXXVI). - Schrifttum (425f.). - Außer den im Titel genannten beiden Schrr. enthält die verbreitete Ausg. in modernisierter Rechtschreibung u. unter Kürzung der Anmm.: GrMächte, ‚Frankreich und Deutschland‘ (aus HPZ); ‚Vom Einfluß der Theorie‘ (aus HPZ); ‚Über die Verwandtschaft und den Unterschied der Historie und der Politik‘ (Antrittsrede 1836); ‚Geschichte und Philosophie‘; ‚Über die Epochen der neueren Geschichte‘ sowie Tdrr. aus den Eröffnungssitzungen d. Plenarvers. d. HiKo 1870 u. 1871. - Folgeausgg. 1940 u. 1942. [Anonym:] Ein Geschichtsschreiber. Leopold von Ranke schreibt: [Es folgen zwei kurze Zitate über Jesus Christus aus WG III, 170 u. VIII, 72]. In: [Wie]her [?] ev. Gemeindebl. f. Stadt u. Land, Okt. 1936, 151f. Zeitungsausschnitt im Ranke-Archiv Wiehe.

1937 Englische Geschichte vornehmlich im siebzehnten Jahrhundert. 4 Bde. Meersburg: F. W. Hendel Verlag 1937. Bd. 1: 725 S.; Bd. 2: 631 S.; Bd. 3: 711 S.; Bd. 4: 547 pag. [548] S. Ln. gr. 8º. - Mit Anmm. u. Analekten. - Keine Angaben über die zugrunde liegende(n) Auflage(n) bzw. Ausgabe(n). Namen- u. Sachreg. (Bd. 4, 503-548).

1938 Geschichte des Altertums. Ungekürzte Textausgabe. Bern/Stg.: Verlag Hallwag 1938. 520 S., 60 Abb. auf Taf. gr. 8º. Kunstleinen auf Pp. - Tdr. aus WG I. Die römischen Päpste in den letzten vier Jahrhunderten. 3 Bde. [in 2, wovon 1 u. 2 in 1]. Mnch.: Verlag Heinz Treu. 1938. Bd. 1: Titelb., XIV, 336 S.; Bd. 2: VI, 377 S.; Bd. 3: VI, 208, 330* S. 8º. Ln. - Manuldruck der 11. Aufl. (1911), die ihrerseits seitenmäßig mit der 8.-10. identisch ist. Wallenstein. (Kriegsgeschichtliche Bücherei, Bd. 33). Bln.: Junker u. Dünnhaupt Verlag 1938. 83 S. 8º. Pp. - Tdr. WALL. - Einl. von Max Horst (5-11). - Zeittafel (81-83). Weltgeschichte. Auswahlband aus den Werken ‚Weltgeschichte‘ u. ‚Deutsche Geschichte im Zeitalter der Reformation‘. Auswahl u. Kürzung dieser Ausg. besorgte Kurt L. Walter-Schomburg [d. i. Kurt Leo Walter]. Bln.: Safari-Verlag 1938. XVI, 542 pag. [543] S., 32 Taf. 8º. Hldr. - „Einführung“ des Hg.s (VII-XVI). Er betont R.s „Verwandtschaft mit Otto von Bismarcks und Adolf Hitlers Anschauungen.“ (XI). Siehe auch Dens. in II, 695.

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II/9.3.2 Bibliographie - Fremdhändige deutschsprachige Ausgaben Dass.: [jedoch mit:] XVI. 534 [!] S., 32 Taf. 8º. Hldr. - Siehe auch 1940. Dass.: Berlin: Dt. Buch-Gemeinschaft. 1938. XVI. 542 S. 8º. Die Erhebung Preußens im Jahre 1813 und die Rekonstruktion des Staates. Eingel. u. hg. v. Prof. Dr. Otto Kaemmel. Mit einem Bildnis Rankes. (Reclam’s Universal-Bibl., 4998/4999). Lpz.: Philipp Reclam jun. 1938. Titelporträt, 210 pag. [211] S. Kl. 8º. - Tdr. von HARD/PrSt/1879-81. Seitenmäßig unv. Fort- oder Nachdr. d. Voraufl. [1908?]. - Mikrofiche-Edition 1992.

1939 Nachträge zu den Briefen Leopold Rankes an König Maximilian II. von Bayern. Hg. v. Karl Alexander v. Müller. SBB der Bayer. Akad. d. Wiss., philosoph