Leiblich vermitteltes Leben: Vorstellungen vom Überwinden des Todes und vom Auferstehen im frühen Christentum 9783161599507, 9783161599514, 3161599500

Was geschieht mit dem Körper nach dem Tod, wie kann er auferstehen und am Ewigen Leben teilhaben? Diese Frage beschäftig

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Leiblich vermitteltes Leben: Vorstellungen vom Überwinden des Todes und vom Auferstehen im frühen Christentum
 9783161599507, 9783161599514, 3161599500

Table of contents :
Cover
Titel
Vorwort
Inhalt
Abkürzungen
1. Einführung in das Thema
1.1 Die Fragestellung
1.2 Bemerkungen zur Leiblichkeit in der Auferstehung
1.3 Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte und zum rezeptionsgeschichtlichen Ansatz
1.4 Monographische Arbeiten zur Auferstehung
1.5 Methodisches Vorgehen und Umgang mit den koptischen Texten aus Nag Hammadi
1.6 Textauswahl
2. Die Überwindung des Todes durch Berühren des Auferstandenen: Der Brief des Ignatius an die Smyrnäer (3,1–3)
2.1 Einführung
2.2 Überlieferungsgeschichtliche Bezüge und Frontstellungen in IgnSm 2f
2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen
2.3.1 Σάρξ als ein Aspekt der gesamten Existenz des Menschen und der irdischen und himmlischen Wirklichkeit
2.3.2 Σάρξ als Inbegriff der vollkommenen Menschheit Jesu Christi
2.3.3 Σάρξ als Materie, σάρξ als Körper(teil)
2.3.4 Σάρξ in eucharistischem Zusammenhang
2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3
2.4.1 Der Kontext in IgnSm 1f
2.4.2 Die Überschrift in IgnSm 3,1 und die Ausgangssituation der Erscheinung
2.4.3 Glauben als Folge der Berührung
2.4.4 Κεράννυμι: Vermischung mit Jesu σάρξ und πνεῦμα
2.4.5 Die Überwindung des Todes als Folge der Berührung
2.4.6 Eucharistische Anklänge
2.4.7 Körper und Fleisch der Glaubenden
2.5 Zusammenfassung
3. Leben und Auferstehen im Heilsraum des Erlösers: Der Brief an Rheginus
3.1 Einführung
3.2 Die Verwandlung des Menschen bei seiner Auferstehung
3.3 Die Funktion des Erlösers bei der Auferstehung der Glaubenden
3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser nach Rheg p. 45,23–46,2
3.4.1 Gewandmetaphorik und Sonnenvergleich
3.4.2 Kontext: Sonnenmetaphorik in anderen Texten
3.4.3 Konsubstantialität der Glaubenden mit dem Erlöser?
3.5 Die Rezeption von Paulustradition
3.6 Zusammenfassung
4. Schmecken des Sohnes: Auferstehung im Evangelium Veritatis
4.1 Einführung
4.2 Im Text begegnende Lexeme für „Auferstehung / auferstehen“ und kontextuelle semantische Analogien
4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1
4.3.1 Beschreibung des Textes
4.3.2 Die Genesisrezeption in EV p. 30,14–23
4.3.3 Die Rezeption von Joh 20,24–28 und 1 Joh 1,1–3 in EV p. 30,23–31,1
4.3.4 Weisheitlicher Hintergrund und christologische Transformation des „Betastens“ und „Kostens“ im frühen Christentum
4.3.5 Jesu Leib und seine „fleischliche Gestalt“ im Evangelium Veritatis
4.4 Zusammenfassung: Die Verinnerlichung und Einverleibung der in Jesus verkörperten Erkenntnis
5. Auferstehen im Fleisch Jesu: Das Philippusevangelium
5.1 Einführung
5.1.1 Allgemeines
5.1.2 Die Frage nach einer übergreifenden Erzählung im Texthintergrund
5.1.3 Probleme der Datierung und theologiegeschichtlichen Einordnung
5.2 Der Ursprung des Todes und das vorausgesetzte Bild vom Menschen
5.2.1 Die Trennung der mannweiblichen Einheit als Ursache des Todes
5.2.2 Der Nomos als Ursprung des Todes und die wahre Nahrung, die von Christus stammt
5.3 Sprachliche Besonderheiten der Rede von „Auferstehung“
5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c
5.4.1 EvPhil 23a
5.4.2 EvPhil 23b
5.4.3 EvPhil 23c
5.5 Zusammenfassung
6. Vollkommenes Leben durch besondere Nahrung: Irenäus, Haer. 5
6.1 Einführung
6.2 Der Text: Haer. 5,2,3
6.3 Die Eigenart des Fleisches der Menschen und Jesu Fleisch
6.3.1 Die Bedeutung des Fleisches für die Anthropologie des Irenäus
6.3.2 Jesu Fleisch ist wie unseres
6.4 Das transformierende und lebensspendende Wirken des Geistes in der Natur, bei der Eucharistie und bei der Auferstehung
6.4.1 Einführung
6.4.2 Der Lebensbegriff bei Irenäus
6.4.3 Wie wird Unvergänglichkeit an das Fleisch vermittelt? Haer. 5,2,3 im Rahmen antiker Ernährungstheorien
6.5 Die Auferstehung als Prozess
6.6 Der erzieherische Ansatz und die Mitwirkung des Menschen an seinem Wachstum zur Unvergänglichkeit (Haer. 4,38,1–3)
6.7 Zusammenfassung: Die Rezeptionen von Joh 6,51–58 und 1 Kor 15,35–54 bei Irenäus und im Diskurskontext
7. Versiegelt mit dem Blut Jesu: „Das Buch der Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn“ (Liber Bartholomaei)
7.1 Einführung
7.2 Christologische Aspekte
7.3 Das zugrundeliegende Menschenbild
7.3.1 Der Tod
7.3.2 Auferweckung
7.3.3 Die Bedeutung der Unversehrtheit des Leibes im Tod
7.4 Die Bedeutung des Leibes und Blutes Jesu
7.4.1 Einführung
7.4.2 Das Ananiasmartyrium
7.4.3 Ereignisse nach Jesu Himmelfahrt und Ausgestaltung der Thomasepisode
7.4.4 Die abschließende Eucharistiefeier der Apostel
7.5 Zusammenfassung
8. Abschließende Beobachtungen
8.1 Zusammenfassung der Einzelergebnisse
8.1.1 Vorbemerkungen
8.1.2 Die Rezeptionen der Erscheinungsüberlieferung (Lk 24,36–43 und Joh 20,19–28) im Brief des Ignatius an die Smyrnäer, im Evangelium Veritatis und im Liber Bartholomaei
8.1.3 Die Rezeptionen von Motiven aus Joh 6 und 1 Kor 15 bei Irenäus und im Philippusevangelium
8.2 Die Vorstellung der Christusteilhabe und ihre neutestamentlichen Voraussetzungen
8.3 Ertrag für eine Rezeptionsgeschichte neutestamentlicher Texte und Motive im frühen Christentum
8.3.1 Die Einbeziehung der Sinne und des Körpers in die Rezeption
8.3.2 Die Auswahl der zitierten oder paraphrasierten neutestamentlichen Texte
8.3.3 Neue Vielfalt von Gattungen
8.4 Schlussbetrachtung
Literaturverzeichnis
Stellenregister
Sachregister

Citation preview

Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen Testament Herausgeber / Editor Jörg Frey (Zürich) Mitherausgeber / Associate Editors Markus Bockmuehl (Oxford) · James A. Kelhoffer (Uppsala) Tobias Nicklas (Regensburg) · Janet Spittler (Charlottesville, VA) J. Ross Wagner (Durham, NC)

501

Christine Jacobi

Leiblich vermitteltes Leben Vorstellungen vom Überwinden des Todes und vom Auferstehen im frühen Christentum

Mohr Siebeck

Christine Jacobi, geboren 1979; Studium der Kunstgeschichte und der Ev. Theologie; 2014 Promotion; 2020 Habilitation; seit 2021 Vikarin in der Evangelischen Landeskirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz und Privatdozentin an der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin. orcid.org/0000-0002-5502-4558

ISBN 978-3-16-159950-7 / eISBN 978-3-16-159951-4 DOI 10.1628/978-3-16-159951-4 ISSN 0512-1604 / eISSN 2568-7476 (Wissenschaftliche Untersuchungen zum Neuen ­Testament) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2023 Mohr Siebeck Tübingen. www.mohrsiebeck.com Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für die Verbreitung, Vervielfältigung, Übersetzung sowie die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das Buch wurde von Gulde Druck in Tübingen auf alterungsbeständiges Werkdruckpapier gedruckt und von der Großbuchbinderei Spinner in Ottersweier gebunden. Printed in Germany.

Für Jolli und Arthur

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im April 2020 von der Theologischen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin als Habilitationsschrift angenommen und für den Druck geringfügig überarbeitet. Mit ihr kommt eine Reise zum Ziel, die bereits in meinem zweiten Studiensemester im Jahr 1999 begonnen hat. Damals führte mich mein Weg in das Büro von Prof. Dr. Hans-Gebhard Bethge, der zum Koptischstudium bei einer Tasse Tee einlud. In dem zu dieser Zeit von Hans Bethge geleiteten Berliner Arbeitskreis für koptisch-gnostische Schriften war es üblich, interessierte Studierende früh und in ungezwungener Atmosphäre an das Erforschen antiker Texte heranzuführen. Und bis heute ist dies so geblieben – man übersetzt und diskutiert zum Teil entlegene und nur fragmentarisch überlieferte Schriften ohne Hierarchien, in echter Gemeinschaftsarbeit. Ich bin überzeugt, dass es dieser eher ungewöhnliche Beginn meines Theologiestudiums war, der mich schließlich zu eigener wissenschaftlicher Forschung geführt hat. Hans Bethge danke ich an dieser Stelle ganz herzlich! Prof. Dr. Jens Schröter (Berlin) danke ich sehr für die Begleitung der Arbeit, für zahlreiche anregende Gespräche und das Öffnen vieler Türen. Sein umfassendes theologisches Interesse hat meine Arbeit inspiriert und mich ermutigt, die neutestamentliche Fachdisziplin breiter zu denken. Prof. Dr. Tobias Nicklas (Regensburg) und Prof. Dr. Joseph Verheyden (Leu­ven) wurden zu wichtigen Gesprächspartnern auf dem Weg und haben sich bei unseren Begegnungen im Rahmen des internationalen Kolloquiums Berlin – Regensburg – Leuven, auf zahlreichen Tagungen und nicht zuletzt in den Gutachten, die beide für diese Arbeit verfassten, ganz auf meine Themen und Interessen eingelassen. Ihnen verdanke ich zahlreiche Anregungen und Hinweise, die die vorliegende Arbeit bereichert haben. Danken möchte ich auch Prof. Dr. Jörg Frey (Zürich), der das Entstehen der Arbeit von Anfang an begleitet hat – mit fachlichem Rat, viel Motivation und Förderung. Vom Reichtum seines Wissens hat die vorliegende Studie in vielerlei Hinsicht profitiert, und für unsere langjährige Freundschaft bin ich sehr dankbar. Den Teilnehmenden des Forschungskolloquiums am Seminar für Neues Testament in Berlin, insbesondere meinem Kollegen Dr. Konrad Schwarz, und dem Kolloquium des Lehrstuhls für Antikes Christentum unter Leitung von Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Christoph Markschies danke ich für intensive Diskussionen einzelner Kapitel des Buches.

VIII

Vorwort

Dem Herausgeberkreis der Wissenschaftlichen Untersuchungen zum Neuen Testament möchte ich für die Aufnahme meiner Arbeit in die erste Reihe danken. Für die gute Zusammenarbeit mit dem Verlag Mohr Siebeck gebührt insbesondere Elena Müller, Ilse König und Kendra Mäschke herzlicher Dank. Matthias Müller, der in bewährter, zuverlässiger und kenntnisreicher Weise das Buch lektoriert und den Drucksatz hergestellt hat, danke ich ebenfalls sehr. Clarissa Paul, Sophie Rink und Alexandra Priesterath haben jeweils intensive Korrekturgänge durchgeführt; auch ihnen sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Ohne die Unterstützung und den Rückhalt meines Ehemannes Jens Oliver Jacobi und unseres gemeinsamen Sohnes Arthur, die mich beizeiten liebevoll von Büchern und Bibliotheken ablenken konnten, wäre diese Arbeit nicht entstanden. Ihnen sei das Buch deshalb gewidmet. Hohen Neuendorf, im Februar 2023

Christine Jacobi

Inhalt Vorwort. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VII Abkürzungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XIII 1. Einführung in das Thema . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1

1.1 Die Fragestellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Bemerkungen zur Leiblichkeit in der Auferstehung. . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte und zum rezeptionsgeschichtlichen Ansatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.4 Monographische Arbeiten zur Auferstehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Methodisches Vorgehen und Umgang mit den koptischen Texten aus Nag Hammadi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.6 Textauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

1 8 13 20 25 30

2. Die Überwindung des Todes durch Berühren des Auferstandenen: Der Brief des Ignatius an die Smyrnäer (3,1–3) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 2.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Überlieferungsgeschichtliche Bezüge und Frontstellungen in IgnSm 2f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Σάρξ als ein Aspekt der gesamten Existenz des Menschen und der irdischen und himmlischen Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . 2.3.2 Σάρξ als Inbegriff der vollkommenen Menschheit Jesu Christi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Σάρξ als Materie, σάρξ als Körper(teil) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.4 Σάρξ in eucharistischem Zusammenhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.1 Der Kontext in IgnSm 1f. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.2 Die Überschrift in IgnSm 3,1 und die Ausgangssituation der Erscheinung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.3 Glauben als Folge der Berührung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.4 Κεράννυμι: Vermischung mit Jesu σάρξ und πνεῦμα . . . . . . . . . . 2.4.5 Die Überwindung des Todes als Folge der Berührung . . . . . . . . .

35 37 45 46 50 53 54 62 64 67 67 68 69

X

Inhalt

2.4.6 Eucharistische Anklänge. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.4.7 Körper und Fleisch der Glaubenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70 72 74

3. Leben und Auferstehen im Heilsraum des Erlösers: Der Brief an Rheginus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

3.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Die Verwandlung des Menschen bei seiner Auferstehung . . . . . . . . . . 3.3 Die Funktion des Erlösers bei der Auferstehung der Glaubenden . . . . 3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser nach Rheg p. 45,23–46,2. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.1 Gewandmetaphorik und Sonnenvergleich. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.4.2 Kontext: Sonnenmetaphorik in anderen Texten. . . . . . . . . . . . . . 3.4.3 Konsubstantialität der Glaubenden mit dem Erlöser? . . . . . . . . . 3.5 Die Rezeption von Paulustradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.6 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77 80 89 93 93 101 108 111 121

4. Schmecken des Sohnes: Auferstehung im Evangelium Veritatis . . . . . . . 125 4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2 Im Text begegnende Lexeme für „Auferstehung / auferstehen“ und kontextuelle semantische Analogien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1. . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Beschreibung des Textes. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Die Genesisrezeption in EV p. 30,14–23. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Die Rezeption von Joh 20,24–28 und 1 Joh 1,1–3 in EV p. 30,23–31,1. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Weisheitlicher Hintergrund und christologische Transformation des „Betastens“ und „Kostens“ im frühen Christentum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.5 Jesu Leib und seine „fleischliche Gestalt“ im Evangelium Veritatis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.4 Zusammenfassung: Die Verinnerlichung und Einverleibung der in Jesus verkörperten Erkenntnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

125 131 133 133 135 138 140 142 150

5. Auferstehen im Fleisch Jesu: Das Philippusevangelium . . . . . . . . . . . . 155 5.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Die Frage nach einer übergreifenden Erzählung im Texthintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Probleme der Datierung und theologiegeschichtlichen Einordnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

155 155 156 158

Inhalt

5.2 Der Ursprung des Todes und das vorausgesetzte Bild vom Menschen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Die Trennung der mannweiblichen Einheit als Ursache des Todes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Der Nomos als Ursprung des Todes und die wahre Nahrung, die von Christus stammt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Sprachliche Besonderheiten der Rede von „Auferstehung“ . . . . . . . . . 5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.1 EvPhil 23a. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.2 EvPhil 23b. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.4.3 EvPhil 23c. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

XI 164 164 168 170 176 177 180 185 198

6. Vollkommenes Leben durch besondere Nahrung: Irenäus, Haer. 5. . . . . 201 6.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2 Der Text: Haer. 5,2,3 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Die Eigenart des Fleisches der Menschen und Jesu Fleisch . . . . . . . . . 6.3.1 Die Bedeutung des Fleisches für die Anthropologie des Irenäus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Jesu Fleisch ist wie unseres. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Das transformierende und lebensspendende Wirken des Geistes in der Natur, bei der Eucharistie und bei der Auferstehung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Der Lebensbegriff bei Irenäus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Wie wird Unvergänglichkeit an das Fleisch vermittelt? Haer. 5,2,3 im Rahmen antiker Ernährungstheorien. . . . . . . . . . 6.5 Die Auferstehung als Prozess. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.6 Der erzieherische Ansatz und die Mitwirkung des Menschen an seinem Wachstum zur Unvergänglichkeit (Haer. 4,38,1–3). . . . . . . 6.7 Zusammenfassung: Die Rezeptionen von Joh 6,51–58 und 1 Kor 15,35–54 bei Irenäus und im Diskurskontext . . . . . . . . . . . . . . .

201 203 206 206 209 212 212 212 215 227 229 231

7. Versiegelt mit dem Blut Jesu: „Das Buch der Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn“ (Liber Bartholomaei) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 7.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Christologische Aspekte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Das zugrundeliegende Menschenbild. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Der Tod. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Auferweckung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Die Bedeutung der Unversehrtheit des Leibes im Tod . . . . . . . .

241 243 245 245 246 246

XII

Inhalt

7.4 Die Bedeutung des Leibes und Blutes Jesu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.1 Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.2 Das Ananiasmartyrium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.3 Ereignisse nach Jesu Himmelfahrt und Ausgestaltung der Thomasepisode. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.4.4 Die abschließende Eucharistiefeier der Apostel . . . . . . . . . . . . . 7.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

250 250 251 252 257 259

8. Abschließende Beobachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 8.1 Zusammenfassung der Einzelergebnisse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Vorbemerkungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Die Rezeptionen der Erscheinungsüberlieferung (Lk 24,36–43 und Joh 20,19–28) im Brief des Ignatius an die Smyrnäer, im Evangelium Veritatis und im Liber Bartholomaei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Die Rezeptionen von Motiven aus Joh 6 und 1 Kor 15 bei Irenäus und im Philippusevangelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Die Vorstellung der Christusteilhabe und ihre neutestamentlichen Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Ertrag für eine Rezeptionsgeschichte neutestamentlicher Texte und Motive im frühen Christentum. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Die Einbeziehung der Sinne und des Körpers in die Rezeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Die Auswahl der zitierten oder paraphrasierten neutestamentlichen Texte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Neue Vielfalt von Gattungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.4 Schlussbetrachtung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

263 263

264 267 268 272 272 274 276 276

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 279 Stellenregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 Sachregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313

Abkürzungen Die bibliographischen Abkürzungen und Kürzel biblischer und verwandter Texte folgen dem „Internationalen Abkürzungsverzeichnis für Theologie und Grenzgebiete“ von S. M. Schwertner (IATG3, Berlin 32014). Abkürzungen für Schriften anderer antiker Autoren richten sich nach dem „SBL Handbook of Style“ (Atlanta 22014). Darüber hinaus werden folgende Abkürzungen verwendet: AcA LibBarth

Markschies, C. / Schröter, J. (Hg.), Antike christliche Apokryphen in deutscher Übersetzung, Bd. 1: Evangelien und Verwandtes, Tübingen 2012. Liber Bartholomaei

Kapitel 1

Einführung in das Thema 1.1 Die Fragestellung Wie kann der Mensch mit seinem vergänglichen, im Alter hinfällig werdenden und nach dem Tod in der Erde verfaulenden Körper Anteil am ewigen Leben bekommen? Wie kann er das vollkommene, herrliche Leben in sich aufnehmen? Wie kann er seinen Leib dafür bereit machen? Oder einen neuen Leib erhalten, der dieser ewigen Herrlichkeit entspricht? Mit diesen Fragen hat sich das frühe Christentum intensiv und über einen langen Zeitraum beschäftigt. Eine konstante Bezugsgröße in diesem Diskurs sind die Schriften des späteren Alten und Neuen Testaments.1 Auferstehungsaussagen und Aussagen zum vollkommenen, ewigen Leben begegnen in neutestamentlicher Überlieferung in voneinander unabhängigen Erzählungen und Argumentationen. In ihren jeweiligen Kontexten bearbeiten sie zunächst ganz unterschiedliche Probleme wie die Realität der Erscheinung Jesu vor den Jüngern (Lk 24; Joh 20), die Verwandlung der Leiber der Toten bei der Auferstehung (1 Kor 15; 2 Kor 4,16–­ 5,10), die Aneignung Jesu im Glauben (Joh 6,51–58) und das durch die Zugehörigkeit zu Christus erneuerte Leben (Röm 8,10f.; Kol 2,11f.; 3,3f.; Eph 2,5f.; 4,22–24). In späteren, außerkanonischen Texten können sie vor einem neuen, philosophischen Hintergrund interpretiert und dann auch aufeinander bezogen werden. Auch in der ab dem 2. Jahrhundert eingehend erörterten Frage, ob und wie sich der Leib bei der Auferstehung so transformieren kann, dass er zum Träger ewigen Lebens wird, wird das erkennbar. Neue Herausforderungen treten bei der Schriftlektüre in den Vordergrund. Die antithetischen Formulierungen in 1 Kor 15, in denen das Thema der leiblichen Auferstehung erstmals ausführlich behandelt wird, müssen angesichts paganer Kritik an der leiblichen Auferstehung präzisiert oder neu interpretiert werden, um einem gesteigerten wissenschaftlichen Interesse an den Vorgängen in der Natur und an der Physiologie 1 Im Folgenden wird, um umständliche Formulierungen zu vermeiden, zuweilen anachronistisch von „neutestamentlichen Texten“ oder vom „Neuen Testament“ gesprochen. Es sind damit einzelne Evangelien und Paulusbriefe gemeint, die in einem längeren Prozess zunächst in Schriftensammlungen zusammengefasst und im 4. Jahrhundert mit weiteren Schriften zur verbindlichen Sammlung heiliger Schriften „Alten und Neuen Testaments“ wurden. In der Entstehungszeit der meisten hier behandelten Texte ist diese Entwicklung noch nicht abgeschlossen.

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1. Einführung in das Thema

des Menschen, wie es etwa die frühchristlichen Apologeten und ihre Adressatenkreise zeigen, gerecht zu werden. Biblische Passagen über die Fürsorge Gottes für den menschlichen Körper, denen man dessen dauerhafte Bedeutung entnehmen kann (vgl. die Auslegung von Mt 10,30 durch Tertullian, Res. 35) oder die die Auferstehung des Leibes vorauszusetzen scheinen (und sei es, damit der Leib Höllenstrafen erleiden kann, vgl. Mt 8,12; 25,30), müssen mit solchen harmonisiert werden, die die Auferstehung des fleischlichen Leibes offenbar ausschließen (vgl. 1 Kor 15,50; Mk 12,25 parr.). Erste Ansätze zu einem Interpretationsrahmen, der naturwissenschaftlichen und philosophischen Ansprüchen stärker gerecht werden könnte, bietet bereits Paulus selbst. Seine Briefe sind bekanntermaßen für die spätere Auseinandersetzung um die Auferstehung in mehreren Hinsichten besonders einflussreich geworden. Seine Bedeutung zeigen schon allein der in unterschiedlichen Zeugnissen und Diskursen begegnende, schlichte Bezug auf „den Apostel“2 und die Bezeichnung des Paulus als „Apostel der Auferstehung“ durch den Valentinschüler Theodot bzw. den ihm zugerechneten Exzerpten bei Clemens von Alexandrien.3 Paulus macht zunächst deutlich, dass die menschlichen Leiber – auch die der Menschen, die bei der Ankunft des Kyrios noch leben – verwandelt werden, um in die Herrlichkeit einzugehen und ewig bei Christus zu sein (vgl. 1 Kor 15,51–53). Der materiell-fleischlich verfasste menschliche Körper, gleichgültig ob lebendig oder schon tot, kann nicht „das Reich Gottes erben“ (1 Kor 15,50). Er muss sich transformieren, um in die ewige Gemeinschaft mit Christus einzutreten, ja, er muss dem verherrlichten Leib Christi gleichgestaltet werden, wie es Paulus in Phil 3,21 beschreibt: ὃς μετασχηματίσει τὸ σῶ­μα τῆς ταπεινώσεως ἡμῶν σύμμορφον τῷ σώματι τῆς δόξης αὐτοῦ κατὰ τὴν ἐνέργειαν τοῦ δύνασθαι αὐτὸν καὶ ὑποτάξαι αὐτῷ τὰ πάντα. In 1 Kor 15 widmet er sich dem Thema der leiblichen Verwandlung ausführlicher und stellt hier zugleich als Erster einen Zusammenhang zwischen Jesu Auferstehung und der Auferstehung aller Menschen bzw. aller „in Christus Entschlafenen“ her. Er schafft damit eine Denkfigur von herausragender Bedeutung für die spätere Diskussion um die Auferstehung. Aber nicht in allen Kreisen des antiken Christentums konnte das apokalyptische Weltbild, in dem Paulus diesen Zusammenhang diskutiert, überzeugen. Wenn er in 1 Kor 15,20 davon spricht, dass Christus der Erstling der Entschlafenen sei, wenn er also mit Jesu Auferstehung das erwartete, von den Propheten verheißene Endzeit­ alter einsetzen lässt, wenn er außerdem in 1 Thess 4,16f. beschreibt, wie bei der bald erhofften Parusie des Kyrios die Toten, die zu ihm gehören, auferstehen und zusammen mit den Lebenden zu ihm entrückt werden, so verortet er die Beziehung zwischen Jesu Auferweckung und derjenigen der Glaubenden in einem nicht für alle Christen gleichermaßen plausiblen Weltbild. In einem Um2 Vgl.

3 Vgl.

u. a. Irenäus, Haer. 5,6,2; 7,2; Tertullian, Marc. 5,15,6f.; Rheg (NHC I,4) p. 45,24f. Clemens von Alexandrien, Exc. 23,2.

1.1 Die Fragestellung

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feld, in dem apokalyptische Topoi und Denkgehalte und damit auch die Vorstellung einer plötzlichen leiblichen Verwandlung „beim Schall der Posaune“ (1 Kor 15,52) nicht oder zumindest nicht ausschließlich überzeugten, mussten neue Ansätze gefunden werden, die Verwandlung des Leibes für die Auferstehung zu erklären. Außerhalb von 1 Kor 15 lässt Paulus verschiedentlich erkennen, dass es ihm weniger um die Frage geht, wie der Tote in einem erneuerten, verwandelten Leib auferstehen kann, als vor allem um das Problem, wie der Mensch mit sei­nem an und für sich vergänglichen, sarkischen Leib vollkommene Gemeinschaft mit Christus haben kann. Seine Überlegungen hierzu erwiesen sich für spätere Interpretationen anknüpfungsfähiger. Denn in seiner Vorstellung vom Anteil am vollkommenen Leben schon jetzt, durch die Zugehörigkeit zu Christus, fehlen apokalyptische Motive. Die Glaubenden sind schon gegenwärtig „in Christus“ (vgl. 2 Kor 5,17; Röm 6,11.23) und Christus ist in ihnen (vgl. Röm 8,10; 2 Kor 13,5), sie treten also mit Christus in eine Ergehensgemeinschaft, welcher verheißen ist, zukünftig in eine Gemeinschaft des vollkommenen, ewigen Lebens überzugehen.4 Diese Denkfigur besaß für bestimmte, philosophisch interessierte Kreise Attraktivität, sie erwies sich als anschlussfähig für das ethisch-philosophische Ideal der Angleichung an das Göttliche in diesem Leben (vgl. Platon, Theaet. 176b). Die Popularität des platonischen Ideals von der Angleichung an das Göttliche (ὁμοίωσις θεῷ) in der Antike sorgte dafür, dass es vielfältig rezipiert und transformiert wurde und so zum Beispiel auch Einfluss auf Stoiker ausübte, wie George H. van Kooten unter anderem anhand Epiktets Dissertationes zeigt.5 Auch im hellenistischen Judentum war es bekannt und stand in wechselseitigem Austausch mit der Vorstellung der ursprünglichen Erschaffung des ersten Menschen nach dem Bilde Gottes (Gen 1,26), die nach späterer, frühjüdischer und christlicher Auslegung Unsterblichkeit einschließt.6 Einige frühjüdische Texte beschreiben die Angleichung an Gott bzw. an das idealisierte, potentiell unsterbliche Ebenbild so, dass sie durch eine weisheitlich geprägte Lebensführung, durch das Halten der Gebote und ethische Tugendhaftigkeit, durch Studium der Tora und Kontemplation erreicht werden kann. Analoge Vorstellungen lassen sich auch im frühen Christentum finden. Wo Christus als das vollkommene Ebenbild Gottes gilt, treten mimetische Christusnachfolge und das Eintreten in eine Ergehensgemeinschaft mit Christus, gegebenenfalls bis hin zum Martyrium, zu den Wegen der Gottangleichung hinzu. 4 Forschungsgeschichtlich wichtige Beiträge dazu haben Wikenhauser, Christusmystik; Käsemann, Leib und Leib Christi; Hahn, Mitsterben und Mitauferstehen, und Schweizer, „Mystik“, geleistet. Vgl. nun auch Wedderburn, Some Observations; Son, Corporate Elements; Söding, Vereint mit Christus; Macaskill, Union with Christ; Lehmkühler, Inhabitatio; Stowers, Matter and Spirit; Hays, „Real Participation in Christ“. 5 Vgl. Van Kooten, Paul’s Anthropology, 159f.; vgl. auch Merki, ΟΜΟΙΩΣΙΣ ΘΕΩ, und Bordt, Angleichung an Gott. 6 Vgl. dazu auch Lorenzen, Eikon-Konzept, 23: Die „Weisheit Salomos“ ist ein Beispiel aus frühjüdischer Literatur für die Verbindung biblischer Überlieferung mit der platonischen Vorstellung einer unsterblichen Seele. Demnach ist die Seele des Menschen unsterblich, weil Gott den Menschen nach seiner eigenen Ewigkeit gebildet hat (Weish 2,21–23).

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1. Einführung in das Thema

Diese Überlieferungen, also der Gedanke der ursprünglichen Erschaffung zur Gottebenbildlichkeit, ihr Verlust und die Aufgabe, sie wiederzugewinnen und sich an das Göttliche anzugleichen, wurden auch für das frühe Christentum und für den christlichen Auferstehungsglauben relevant. Auch in einigen der hier untersuchten Texte spielen sie eine bedeutende Rolle, können aber aus Raumgründen nicht näher behandelt werden. Verwiesen sei auf Van Kootens Arbeit, der die Spur des Angleichungsgedankens auch im antiken Christentum weiterverfolgt.7

Die Idee der In-Existenz und der Ergehensgemeinschaft mit Christus kommt späterer, philosophisch orientierter Auslegung entgegen. Anstelle eines apokalyptischen Weltbildes machen sie die individuelle Beziehung zu Christus zur Rahmenvorstellung, innerhalb derer die Unvergänglichkeit der Glauben7 Vgl. Van Kooten, Paul’s Anthropology, 170–181. Er verweist etwa auf Clemens von Alexandrien, der Platons Grundsatz mit dem mosaischen Gesetz und mit Gen 1,26 in Verbindung brachte (Strom. 2,19,100) und die Angleichung an Gott durch Christus ermöglicht sah, außerdem auf Justin, Hippolyt und andere vornizänische Theologen. In seiner Arbeit untersucht Van Kooten insgesamt den Einfluss des antiken Judentums und griechisch-römi­ schen Denkens nicht allein mit Bezug auf die Bereiche der Anthropologie, die bei Paulus schöpfungsgegeben sind (etwa der Vorstellung vom Menschen als Bild Gottes), sondern auch mit Bezug auf die dynamischen Aspekte der paulinischen Anthropologie, die Angleichung an Gott, die Erneuerung des Geistes und die Metamorphose des Menschen. In dieser Hinsicht ist seine Arbeit für die vorliegende Untersuchung sehr wertvoll. Van Kooten betont neben dem israelitisch-jüdischen Erbe auch die Bedeutung griechisch-römischer Anthropologie auf Philo und Paulus und leitet den paulinischen Gedanken, wonach der Mensch in das Bild Gottes (bzw. das Bild Christi, vgl. 1 Kor 15,49) verwandelt werde, aus der paganen, bei Pla­ ton belegten und dann von Eudorus von Alexandrien, Alkinoos und Diogenes Laertius als ausdrückliches Ziel platonischer Ethik bestimmten Vorstellung der Angleichung des Menschen an Gott ab. Van Kootens Arbeit bietet gleichwohl (was bei der Zielsetzung auch nicht überrascht) keine Diskussion der antiken christlichen Apokryphen und deren Weiterarbeit an den Motiven paulinischer Anthropologie, und auch die Funktion der Angleichung an Gott für die Vorstellungen von Auferstehung und Erlösung wird nicht ausführlich einbezogen. Es wäre interessant, diese Linie weiterzuziehen in die nachpaulinische Zeit, in der Paulus noch intensiver in einem mittelplatonischen Kontext gelesen wurde. Die paulinische Vorstellung der Ergehensgemeinschaft mit Christus und ihre Herkunft untersucht auch Wedderburn, Baptism and Resurrection. Wedderburn leitet die gnostische Vorstellung, dass Rituale (wie die Taufe) die Auferstehung schon gegenwärtig vermitteln, von einer längeren innerchrist­ lichen Entwicklung seit Paulus ab (ebd., 395). Dass sie schon außerchristlich vorbereitet gewesen sei und etwa die Korinther Paulus missverstanden und sich seit ihrer Taufe für „auferstanden“ gehalten hätten, sei unwahrscheinlich. „Auferstehung“ habe für sie als etwas dezidiert Leibliches gegolten, deshalb sei eher vorstellbar, dass sie sich für spirituell erweckt hielten. Als ebenso unwahrscheinlich müsse die Herleitung der Vorstellung von der Ergehensgemeinschaft aus den griechisch-römischen Mysterienkulten betrachtet werden. „I have argued that this [sc. die präsentische Auferstehung] should be seen as a development of the idea of ,resurrection‘ that was only really possible and necessary within Christian traditions or traditions that sought to seem Christian“ (ebd.). Der Gedanke der Ergehensgemeinschaft ist nach Wedderburn auf israelitisch-jüdische Tradition zurückzuführen, dort begegnet er in Form der Bedeutung, die eine einzelne Gestalt und ihr Handeln für nachfolgende Geschlechter und Generationen haben kann (vgl. ebd.).

1.1 Die Fragestellung

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den thematisiert wird. Die Entwicklung hin zu einer Christus entsprechenden, Christus gleichenden Seinsweise entwirft Paulus als einen schon in diesem Leben beginnenden Prozess. Auf die in den späteren Auseinandersetzungen um Auferstehung im Vordergrund stehende Frage, wie sich der Mensch leiblich bereit machen kann für die unvergängliche Herrlichkeitsexistenz und wie er leiblich auferstehen kann, bot dieser Gedanke einer prozesshaften Verwandlung durch Anteilhabe an Christus aus Sicht seiner späteren Rezipienten eine potentielle Antwort. Denn auch wenn Paulus selbst zwar die Verwandlung des Leibes der zukünftigen Auferstehung vorbehält, konnten das „In-Christus-Sein“ und die Christusteilhabe in späteren Deutungen leiblich weiterinterpretiert und auf eine schon gegenwärtige Erneuerung der Leiblichkeit bezogen werden. Paulus (bzw. die Paulustradition) selbst scheint dafür die Voraussetzungen bereitzustellen, wenn er vom Verfall des äußeren und der Erneuerung des inneren Menschen (2 Kor 4,16), vom Töten der alten Glieder (Kol 3,5) und vom Anziehen des „neuen Menschen“ bzw. Christi spricht (Kol 3,10; Eph 4,22–24; Röm 13,14). So konnte diese Vorstellung der Christusteilhabe in späterer Rezeption zu einer leiblich-räumlichen Relation zu Christus ausgestaltet werden. Ein weiterer entscheidender Schritt in der Deutungsgeschichte erfolgte durch Einbeziehung der Evangelien und der Jesusgeschichte. Bereits die ältesten in der vorliegenden Studie untersuchten Zeugnisse belegen, dass man die Vorstellung der innigen Christusgemeinschaft und des Empfangs von vollkommenem Leben auch als Ereignis auffassen konnte, das von Jesu Leib selbst ausgeht. Damit bekam der Leib Jesu aus der Perspektive der späteren Ausleger eine unmittelbare soteriologische Wirksamkeit. Die Vorstellung, dass Jesu Leib eine besondere δύναμις besitzt, war aus Sicht späterer Rezipienten kompatibel mit der gesamten apostolischen Überlieferung, in der von der Besonderheit des irdischen Leibes Jesu die Rede ist, und entsprach so dem Interesse antiker Bibelauslegung, Texte miteinander ins Gespräch zu bringen. Der Leib Jesu wird in den Evangelien einerseits als gewöhnlicher, Hunger und Durst verspürender (Joh 4,7; 19,28), ermüdender Körper (vgl. Joh 4,6) beschrieben,8 andererseits aber auch als Ort, an dem die Fülle der Gottheit wohnt (Kol 2,9),9 als fleischgewordenes Wort Gottes (Joh 1,14),10 als verklärter Leib (Mk 9,2–8 parr.) und als Leib, von dem bzw. von dessen Kleidern heilende Kraft ausgeht (Mk 5,25–34 parr.).11 8 Damit ist noch nicht einmal die Leidensfähigkeit Jesu in der Passion und bei der Kreuzigung erwähnt, die die kanonisch gewordenen Evangelien schildern. Zur Darstellung der Menschheit Jesu im Johannesevangelium vgl. Frey, Leiblichkeit und Auferstehung, 705–715. 9 Kol 2,9: ὅτι ἐν αὐτῷ κατοικεῖ πᾶν τὸ πλήρωμα τῆς θεότητος σωματικῶς. 10 Joh 1,14: Καὶ ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο καὶ ἐσκήνωσεν ἐν ἡμῖν, καὶ ἐθεασάμεθα τὴν δόξαν αὐτοῦ, δόξαν ὡς μονογενοῦς παρὰ πατρός, πλήρης χάριτος καὶ ἀληθείας. Vgl. zur Auslegungsgeschichte von Joh 1,14a Uhrig, Theologie der Fleischwerdung. 11 Vgl. insgesamt dazu Markschies, Gottes Körper, 406–410; vgl. zu den synoptischen Evangelien und ihrem „doketischen Potential“ Foster, Christophany Stories.

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1. Einführung in das Thema

Auch Ansätze dazu, wie sich das vollkommene Leben und die Unvergänglichkeit den Glaubenden leiblich weitervermitteln, konnten antike Theologen mit einer entsprechenden Hermeneutik bereits in den Schriften des späteren Neuen Testaments finden: Wenn das Wort Gottes Fleisch annimmt, so ist schon der bloße Anblick und sein Berühren heilvoll.12 Auch Jesu Heilungen durch Berühren lassen sich als Ereignisse verstehen, die auf einen in einzigartiger Weise wirkmächtigen Körper hinweisen. Für die Vorstellung des Leibes Jesu als Medium unvergänglichen Lebens wurde vor allem die johanneische Brotrede einflussreich (Joh 6,35–58). Diese Jesusrede nimmt ihren Ausgang in einer homilieartigen, um das Mannawunder kreisenden Auslegung von Ps 78,24 und läuft darauf zu, das lebendige, vom Himmel stammende und Leben in Ewigkeit schenkende Brot im johanneischen Jesus selbst zu identifizieren. In Joh 6,51–58 wird diese Deutung schließlich sogar auf das Fleisch Jesu, das er für das Leben der Welt gibt, zugespitzt (vgl. V. 51). Das Fleisch Jesu kann einverleibt werden, das heilstiftende Leben Jesu kann – aus der Perspektive späterer Rezeption – in einer konkreten, leiblich und mit den Sinnen zu vollziehenden Handlung angeeignet werden, bei der die Glaubenden „Leib und Blut“ Jesu aufnehmen. Nicht zuletzt bieten die Erzählungen von Jesu Erscheinen vor seinen Jüngern Material für die These der Lebensvermittlung durch Jesu Leib: Der Auferstandene zeigt einen Körper, der die Todesgrenze überschritten hat. Aus dem Blickfeld der späteren Wirkungsgeschichte gehört dieses Erscheinen ebenfalls zu den sinnenhaften, unmittelbar lebensspendenden Erfahrungen mit dem Leib Jesu. Die heilvolle, lebensbringende Botschaft von der Auferstehung und Überwindung des Todes wird gerade über die Leiblichkeit der Erscheinung und über Jesu Wunden, die ihn als Gekreuzigten ausweisen, mitgeteilt. In der Passage über den zweifelnden Thomas (Joh 20,24–29) wird sogar eine Berührung der Wundmale des Auferstandenen anvisiert, deren Deutung in der nachfolgenden Auslegungsgeschichte kontrovers diskutiert wurde.13 In der Auseinandersetzung, die ab dem 2. Jahrhundert um die leibliche Auferstehung geführt wurde, kann also der Leib Jesu selbst in den Mittelpunkt des Interesses treten. Konsequenterweise ist nicht nur der Auferstehungsdiskurs in 1 Kor 15 ein Grundlagentext in dieser Debatte, aus dem besonders häufig zitiert ist. Ebenso relevant in der antiken christlichen Literatur werden die Erscheinungsgeschichten aus Lk 24,36–43 und Joh 20,19–23.24–28, die Jesu Leib und dessen Berührung thematisieren.14 Diese Texte erweisen sich als prinzipiell offen für eine leiblich gewendete, an Substanz und Stofflichkeit des Auferstehungsvorgangs interessierte Sicht. Sie lassen sich für ein Auferstehungsver12 Vgl.

Tertullian, Prax. 27,7. dazu Most, Den Finger in der Wunde. 14 Sodann treten Texte über das Verwandeltwerden und das neue, noch verborgene Leben der Glaubenden, das sie durch ihre Christusgemeinschaft empfangen, in den Blick späterer Rezipienten (Röm 8,10f.; 2 Kor 4,16–5,10; Kol 2,11–13; 3,5; Eph 2,5f.; 4,22–24). 13 Vgl.

1.1 Die Fragestellung

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ständnis heranziehen, bei dem die Eigenschaft der Unvergänglichkeit geradezu leiblich und substanzhaft vermittelt wird. Der Brief des Ignatius von Antiochien an die Smyrnäer zeigt erste Ansätze einer solchen Interpretation, bei der Jesu σάρξ, an der sich Leiden und Auferweckung vollzogen, unmittelbar auf die Jünger wirkt. An den Jüngern wird die Kraft der σάρξ Jesu veranschaulicht: Indem sie Jesu Fleisch berühren und sich mit ihm regelrecht „vermischen“, überwinden sie den Tod. Man könnte Ignatius hier beinahe so verstehen, als schreibe er in der Konsequenz Jesu σάρξ als Substanz eine besondere Qualität zu. Nach Ignatius weckt die Berührung des Leibes Jesu gleichwohl zunächst einmal den vollkommenen Osterglauben und eventuell eine Bereitschaft zum Martyrium bei den Jüngern. Aber in späteren Weiterentwicklungen der Ostertradition im Kontext eines intensivierten Nachdenkens über den Urstoff, die Materie, und mit dem Aufkommen ausformulierter Vorstellungen über den Heilszusammenhang konnte man schließlich zu der Ansicht vordringen, der Leib Jesu führe eine leibliche Umwandlung oder sogar leibliche „Versiegelung“ der Jünger herbei (vgl. Irenäus, Haer. 5,2,3 und schließlich den Liber Bar­tholomaei). Im Zentrum der vorliegenden Untersuchung stehen deshalb antike christliche Zeugnisse, die einen Beitrag zum Diskurs über die leibliche Auferstehung der Glaubenden leisten und die neutestamentlichen Texte in der eben skizzierten Weise verstehen. Dazu gehören sowohl solche Texte, die einer entstehenden Proto-Orthodoxie zugerechnet werden können, als auch solche, die (aus späterer Perspektive) zu den antiken christlichen Apokryphen zählen. Mit dem Brief des Ignatius an die Smyrnäer, dem Rheginusbrief, dem Evangelium Veri­ tatis, dem Philippusevangelium, einem Ausschnitt aus Irenäus’ Werk Adversus haereses und einem Ausblick auf den Liber Bartholomaei, einer erbaulichen Schrift an der Schwelle zum Mittelalter, stehen Texte im Vordergrund, die literarisch kaum miteinander zusammenhängen,15 aber darin übereinstimmen, dass sie die leibliche Auferstehung auf eine dezidiert leibliche, räumliche Verbindung zu Christus zurückführen. Die Auswahl der hier untersuchten Texte erfolgt also nach der Vorstellung, dass der Glaubende durch seine räumlichleibliche Nähe, seine Integration „in Christus“, durch das Berühren seines Körpers und seiner Wundmale, durch das Bekleiden mit Jesu Fleisch oder durch das Essen seines Leibes an dem verherrlichten Leib Jesu teilhat. Alle Texte rechnen mit einem soteriologisch wirksamen, Erlösung bringenden Leib Jesu, sie zeigen gleichwohl Unterschiede darin, ob er konkret-stofflich und individuell vorgestellt ist oder in größerem Ausmaß transzendiert wird.

15 Mit

der Ausnahme, dass Irenäus in Haer. 5,28,4 explizit aus IgnRom 4 zitiert.

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1. Einführung in das Thema

1.2 Bemerkungen zur Leiblichkeit in der Auferstehung Mit Blick auf die verwendete Terminologie in der vorliegenden Studie müssen einige Bemerkungen vorweg erfolgen: Da die antiken Texte, die hier behandelt werden, in ihrer Verwendung der Begriffe σῶμα und σάρξ bzw. corpus und caro differieren und keiner der Texte eine definitorisch scharfe Unterscheidung zwischen beiden vornimmt, soll auch hier keine solche Definition erfolgen. Sie könnte schon gar nicht für alle Texte gelten. Die Semantik der Lexeme und deren Verwendung sind für jede Schrift, sofern für die Fragestellung relevant, gesondert zu bestimmen.16 Dasselbe gilt für den Begriff der „Auferstehung“. Eine häufig anzutreffende, einflussreiche Schematisierung biblischer und außerkanonischer Auferstehungsvorstellungen basiert auf der Gegenüberstellung des ganzheitlichen, is­raelitisch-jüdischen mit dem dichotomischen, griechisch-römischen Menschenbild und differenziert zwischen leiblicher, fleischlicher – also „realer“ – Auferstehung einerseits und geistiger – in diesem Sinne nicht „realer“ – Auferstehung andererseits. Eine solche Einteilung der unterschiedlichen Zeugnisse liegt beispielsweise dem Werk N. T. Wrights über die Auferstehung des Sohnes Gottes („The Resurrection of the Son of God“) aus dem Jahr 2003 zugrunde. Wright nimmt an, dass das frühe Christentum ursprünglich grundsätzlich an die leibliche Auferstehung glaubte und es erst ab dem 2. Jahrhundert durch eine metaphorische Verwendung der Begriffe ἐγείρω und ἀνίστημι zu spiritualisierenden Umdeutungen im Auferstehungsglauben kam: „Auferstehung“ sei auf die spirituelle Erfahrung des Empfangs von Erkenntnis übertragen worden.17 Die so bezeichnete geistige Auferstehung sei eine im Grunde nur metaphorische, von der ursprünglich leiblichen Auferstehungsvorstellung abgeleitete Re­deweise. Auch Günter Stemberger hatte in seiner 1972 erschienenen Studie über den „Leib der Auferstehung“ im palästinischen Judentum im neutestamentlichen Zeitalter die Frage gestellt, ob die Rede von der Auferstehung in frühjüdischen Texten immer dann, wenn nicht mehr an einen materiellen, fleischlichen Leib gedacht ist, „nur noch Vergleich, Symbol, oder auch nur ein Zeichen der Unfähigkeit [sei], ‚leiblos‘ zu denken“. Davon zu unterscheiden sei die nichtmetaphorische Rede von einer „fleischlichen Auferstehung“, die als reale Umwand16 Hier zeigen sich dann im Einzelnen wichtige Unterschiede nicht nur zwischen den späteren Zeugnissen, sondern auch zu ihrem Gebrauch in neutestamentlichen Schriften. Irenäus zum Beispiel identifiziert die bei Paulus als σῶμα πνευματικόν bezeichnete Auferstehungsleiblichkeit dezidiert als caro, vgl. Haer. 5,13,3. 17 Vgl. Wright, Resurrection, 534–551 (vgl. S. 480: „And, emerging at some point in the first two centuries, we discover ,resurrection‘ language being used in a quite different metaphorical sense: for the ,spiritual‘ experience of gnosis, or some near equivalent“). Eng damit zusammen hängt die Unterscheidung in Texte mit präsentischer Auferstehungskonzeption und Texte mit zukünftiger Auferstehungsvorstellung.

1.2 Bemerkungen zur Leiblichkeit in der Auferstehung

9

lung oder Neuschöpfung des Menschen den anderen Konzeptionen gegenübergestellt werden könne.18 Konsequenterweise könnte man den Begriff „Auferstehung“ also ausschließlich dann verwenden, wenn es um die postmortale Auferstehung des Fleisches geht. Die Differenzierung, wie sie Wright mit Bezug auf die christlichen Apokryphen vornimmt, ist mittlerweile allerdings zu Recht von verschiedenen Seiten kritisiert worden,19 denn sie beruht auf veralteten Annahmen zur jüdischen und griechisch-römischen Anthropologie und erfasst außerdem, einseitig angewendet, die Komplexität frühchristlicher Auferstehungsvorstellungen nicht ausreichend. Bereits die Auferstehungsvorstellungen frühjüdischer und frühchristlicher antiker Texte sind vielgestaltig, selten liegen ihnen systematisch ausgearbeitete Anthropologien zugrunde. Für die diversen Leibvorstellungen entscheidend ist, dass das Thema Auferstehung in den verschiedenen Textgattungen des frühen Judentums und Christentums in unterschiedlichen pragmatischen Zusammenhängen erörtert wird. Je nach Textintention können die gesetzten Akzente erheblich variieren. So wird die göttliche Vergeltung und Rechtfertigung der Märtyrer in 2 Makk 7 geradezu auf konkrete Körperteile (die Zunge, vgl. 2 Makk 7,10f.) bezogen, Körperteile, die diesseitig gequält und dafür von Gott auferweckt werden sollen. Dahinter steht jedoch nicht immer ein klares und ausgearbeitetes Bild von der zukünftigen Herrlichkeits­existenz. Was die frühchristlichen Theologen also insgesamt an biblischen Voraussetzungen vorfinden und worauf sie aufbauen, reicht von der Vorstellung eines aus Erde geschaffenen, durch Gottes Geist belebten Menschen und einem Bild von Gott, bei dem sich dessen Machtbereich auf 18 Stemberger, Leib der Auferstehung, 2. Angesichts der Tatsache, dass die griechischen Lexeme ἀνάστασις und ἀνίστημι immer schon eine semantische Lücke füllen, stellt sich die Frage nach der Berechtigung solcher Klassifikationen bei Stemberger und Wright. Auffällig ist außerdem: Die in der Reihe „Bibliothèque copte de Nag Hammadi“ erarbeiteten Konkordanzen der Nag-Hammadi-Codices, die mittlerweile veröffentlicht sind, bieten unter den entsprechenden Lemmata ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ bzw. ⲧⲱⲟⲩⲛ nur sehr wenige Einträge. Von den genannten Stellen zeigen einige zudem, dass die Ausdrücke „Auferstehung“ und „auferstehen“ in Kontexten verwendet werden können, die singulär und ungewöhnlich erscheinen. Das kann bei der Untersuchung des Rheginusbriefes, des Philippusevangeliums und des Evangeli­um Veritatis weiter unten bestätigt werden. 19 Schon allein gegenüber einer Klassifikation antiker Texte anhand einfacher Duale, die mit der Gegenüberstellung von Materie und Geist, Körper und Seele und Ähnlichem arbeiten, ist Vorsicht geboten. Vgl. dazu Markschies, Gottes Körper, 39, der im Anschluss an Caroline Walker Bynum fünf Einsichten resümiert, die sich aus dem Forschungsstand zur Körpergeschichte ergeben: „Ein viertes Ergebnis des Ganges durch die Forschungsgeschichte ist das Bemühen, dualistische Vereinfachungen bei der Darstellung der Materie zu vermeiden. Caroline Walker Bynum hat in ihrem Aufsatz gezeigt, dass gebräuchliche, aber vereinfachende dualistische Konzepte wie ‚Körper und Seele‘, ‚Materie und Geist‘ oder ‚menschlicher und sozialer Körper‘ nicht wirklich hilfreich sind, um Quellen aus der Antike oder dem Mittelalter zu interpretieren.“ Kritik insbesondere an Wright ist in zahlreichen Rezensionen und etwa bei Lehtipuu, Biblical Body Language, 152–154, zu finden; vgl. aus systematischtheologischer Perspektive Welker, Wright on the Resurrection.

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1. Einführung in das Thema

das irdische Leben des Menschen beschränkt und der Tod den Menschen Gott entzieht, über die frühnachexilisch begegnende, metaphorische Rede von der Auferstehung Israels (Ez 37; Jes 26,19) bis hin zur in makkabäischer Zeit entstehenden Erwartung der Auferstehung von Gerechten und Märtyrern und einer allgemeinen endzeitlichen Totenauferweckung zum Zweck einer umfassenden Vergeltung und Wiederherstellung der Gerechtigkeit (Dan 12,2; 2 Makk 7; 4 Es 7,32; ApcBar [syr] 49–51; vgl. dann auch Mk 12,18–27; 1 Kor 15,12–28). Und sie umfasst schließlich auch die Annahme eines schon jetzt durch Anteil an Jesu Geist gegebenen, neuen Lebens (Röm 8,10), des „täglich erneuerten inneren Menschen“ (2 Kor 4,16), und eine Angleichung an Christus in diesem Leben (Röm 13,14; Kol 3,9f.; Eph 4,22–24), welche der zukünftigen Auferstehung vorausgeht und bestimmte Aspekte bereits vorwegnimmt. Zugleich reflektiert auch schon die biblische Tradition Zweifel an der Auferstehung, der die Auferstehungshoffnungen „von Anfang an wie ein Schatten“ begleitet (vgl. 1 Kor 15,12.29.32; Apg 17,32).20 Wenn also das Spektrum vorausgesetzter Überlieferungen in den biblischen Schriften durch eine längere Entwicklung mit historischen Umbrüchen und Krisenerfahrungen21 äußerst breit ist,22 so kann eine entsprechend komplexe Wirkungsgeschichte, die sich zudem vor dem Hintergrund gewandelter anthropologischer und kosmologischer Grundannahmen entfaltet, nicht überraschen.

Bezogen auf Auferstehungsvorstellungen einiger außerkanonischer frühchristlicher Texte und apokrypher Evangelien ist eine Unterteilung in ein metaphorisches und ein wörtliches Auferstehungsverständnis auch deshalb nicht angemessen, weil eine solche binäre Differenzierung diesen Texten nicht gerecht wird und dabei unberücksichtigt bleibt, dass diese Texte nicht nur einen „spiritualisierten“ Auferstehungsglauben belegen, sondern darüber hinaus auch „Leben“ und „Tod“ grundlegend neu definieren. Der Gewinn von Erkenntnis kann als Eintritt in das wirkliche, wahre Leben begriffen werden, gegenüber dem das irdische Leben zu einem bloßen Schatten, einem Traum (vgl. EV) oder einer Illusion (vgl. Rheg) abgewertet und angesichts dessen die physische Todesgrenze eingeebnet wird.23 In den hier untersuchten gnostischen Texten aus Nag Hammadi wird gleichwohl auch der physische Tod in den Auferstehungsprozess einbezogen und als eine Etappe im Gesamtvorgang der Auferstehung betrachtet. Merkmal dieser Texte ist es (und das gilt auch für Irenäus’ Konzeption, nach der das menschliche Fleisch durch das eucharistische Mahl genährt 20 So

Avemarie / Lichtenberger, Auferstehung, V. in dieser Hinsicht produktive Krisenerfahrungen können die Fremdherrschaft durch Antiochus IV. im 2. Jahrhundert v. Chr. und die Tempelzerstörung im Jahr 70 n. Chr. gelten. Hier erhielten jüdisch-apokalyptische Vorstellungen von der endzeitlichen Totenauferweckung durch Gott und der Erschaffung einer neuen Erde Auftrieb. Damit sollte das Konzept von der Gerechtigkeit Gottes angesichts von Gewalt gegenüber Frommen und Gerechten in diesem Leben und vom Tun-Ergehen-Zusammenhang durch Verlagerung an das Ende der Zeit gesichert werden. Mit der Erwartung einer zweiten Schöpfung analog zur ersten und eines Lebens auf der erneuerten Erde wurde auch die Auferweckung sterblicher Leiber plausibel. Vgl. dazu Gzella, Lebenszeit und Ewigkeit, 219; insgesamt auch Stemberger, Leib der Auferstehung. 22 Vgl. Avemarie / Lichtenberger, Auferstehung, V–VII. 23 Das zeigt sich etwa am Beispiel des Evangelium Veritatis, dessen Lektüre dazu herausfordert, das Vorstellungsvermögen hinsichtlich der Auferstehung zu erweitern. 21 Als

1.2 Bemerkungen zur Leiblichkeit in der Auferstehung

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und zur Unvergänglichkeit präpariert wird), dass gerade Aspekte der leiblichen Verwandlung schon jetzt, in diesem Leben, vorweggenommen werden, die dann im Tod die Vollendung der Auferstehung ermöglichen. Eine so verstandene prozesshafte, sukzessive Auferstehung kann nicht als „metaphorisch“ und unleiblich bezeichnet werden. Angemessen interpretieren wird man die Texte nur, wenn man die größeren Zusammenhänge zwischen Leiblichkeit, Auferstehung und den Vorstellungen von Leben und Tod jeweils mitberücksichtigt. Wie beispielsweise der Rheginusbrief und das Philippusevangelium demonstrieren, können die Texte den Beginn eines qualitativ völlig neuen Lebens mit Vorstellungen einer neuen Geburt oder neuen Bekleidung verbinden, bei welcher der Mensch ein besonderes Fleisch empfängt. Welche Eigenschaften und Qualitäten ein solch „geistiges“ oder „verherrlichtes Fleisch“ aufweist, ist schwer zu bestimmen, und es ist unklar, inwieweit sich dieses Fleisch eigentlich noch zu einem „materiellen“, physischen Leib zusammensetzt. Sicher ist lediglich, dass ein derartiger „geistiger Leib“ nicht gleichbedeutend mit der vollen, irdischen Leiblichkeit sein kann, in die der Gestorbene zurückkehrt, aber ebenso wenig mit der Idee einer überdauernden, unsterblichen (und ebenfalls körperlich aufgefassten) Seele. Auf welche Seite demnach die Vorstellung eines pneumatischen Fleisches bzw. Leibes gehört, oder ob der pneumatische Leib / das pneumatische Fleisch eine dritte Kategorie zwischen dem irdischen Leib und der Seele repräsentiert,24 wäre zu diskutieren. Die umfangreiche Monographie von John Granger Cook, in der er sich mit paganen und jüdischen Texten zur Auferstehung und ihren Beziehungen zum Auferstehungsglauben des Neuen Testaments beschäftigt,25 schlägt diesbezüglich vor, alle Konzeptionen, die nicht ausschließlich eine unsterbliche Seele annehmen, als „physische, leibliche“ Auferstehungsvorstellung („,physical‘ or ,bodily resurrection‘“) zu bestimmen. Damit wären auch solche eingeschlossen, die mit der Verwandlung des Leibes etwa in ein σῶμα πνευματικόν rechnen.26 24 Vgl. die negative Theologie in den Aussagen über den obersten Gott in AJ (BG 2) p. 25 (NHC III,1 p. 5; II,1 p. 3): „Er ist weder unbegrenzt noch begrenzt, sondern er ist etwas diesen Überlegenes. Er ist nämlich nicht körperlich, er ist nicht unkörperlich. Er ist nicht groß, er ist nicht klein. Er ist nicht quantifizierbar, denn er ist nicht ein Geschöpf, noch kann irgend jemand ihn erkennen“ (Übers. Waldstein). 25 Cook, Empty Tomb. 26 Cook, Empty Tomb, 2; vgl. ferner Wedderburn, Baptism and Resurrection, 395. Au­ ßerdem noch einmal ähnlich Cook, „Resurrection of a Soul“. Cook untersucht in beiden Publikationen den Gebrauch von ἀνίστημι und ἐγείρω in paganen griechisch-römischen, jüdischen und christlichen Quellen der Antike und stellt fest, dass die Verben in den Bedeutungen von „auferstehen“ und „auferwecken“ erst in gnostischen und antignostischen Texten mit ψυχή und πνεῦμα begegnen. Er zitiert u. a. Epiphanius, Pan. 40,2,5; 67,1,5f., die Thomasakten und Clemens von Alexandrien, Exc. 61,5–8. Cook will damit Deutungen von Dan 12,2 und 1 Kor 15,3–5 widerlegen, die eine leibliche Auferstehung ausschließen. Nicht ganz richtig erscheint mir seine Schlussfolgerung mit Bezug auf die paganen, jüdischen und frühchristlichen (nichtgnostischen) Texte, sie würden mit ἀνίστημι und ἐγείρω immer die „re­surrection of a body“ bezeichnen (vgl. „Resurrection of a Soul“, 259.278f.). Hier müsste

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1. Einführung in das Thema

Tatsächlich impliziert der Begriff „Auferstehung“ eine Bewegung in einem Raum, und dies setzt konsequentermaßen einen Körper voraus. Das gilt aber auch für den Aufstieg der unsterblichen Seele. Eine rein geistige Seinsweise lässt sich ohne Bezug auf Materialität, und sei es zur Abgrenzung, nicht denken.27 Bestenfalls kann man die verschiedenen Beschreibungen der Auferstehungsexistenz in den Zeugnissen danach unterscheiden, in welchem Ausmaß sie Materialität und physische Beschaffenheit explizit einschließen. Erschwert wird ein solches Vorgehen dadurch, dass einige der hier besprochenen Texte ihren Fokus nicht weiter auf die Eigenschaften des Auferstehungsleibes richten, sondern etwa darauf, wie der Glaubende sich an den göttlichen Bereich anpassen und in diesen göttlichen Raum eingehen kann (vgl. das Philippus­ evangelium und seine Sakramentslehre) oder wie der göttliche Raum seinerseits auf die Glaubenden im Kosmos zugreift (Rheg). Aussagen über „Leiblichkeit“ in dem göttlichen Bereich können sich daraus ergeben, dabei aber unausgeführt und widerspruchsvoll bleiben.28 Die hier skizzierten Gesichtspunkte zeigen jedenfalls insgesamt, dass die Einordnung der apokryphen Schriften als solche, die metaphorisch von Auferstehung sprechen, zu kurz greift und damit die Gefahr besteht, die Auffassung einer geistigen Auferstehung nicht ausreichend von einem metaphorischen Gebrauch der Auferstehungsterminologie beispielsweise für Bekehrungsvorgänge zu unterscheiden.29 Vor diesem Hintergrund scheint es sinnvoll, auf Kategorisierungen der verschiedenen Auferstehungsvorstellungen im frühen Christentum zu verzichten und generell mit einem größeren Spektrum von Auferstehungskonzeptionen zu rechnen.30 man präziser sagen, dass die betreffenden Texte in der Regel die Auferstehung des ganzen Menschen beschreiben. 27 Vgl. Markschies, Gottes Körper, 426: „Zudem besteht ein Ergebnis dieser Studie in der Beobachtung, dass Konzepte reiner Geistigkeit ohne jede Materialität eine Tendenz dazu haben, um die Vorstellung einer Materialität ergänzt zu werden: In der neuplatonischen Vorstellung von einem himmlischen Seelenkörper für die rein geistige Seele wird deutlich, dass die, die einen Aufstieg der rein geistig gedachten Seele vom Körper annehmen, nicht nur notwendigerweise räumliche und darin auf Materialität bezogene Metaphern voraussetzen (beispielsweise ,Aufstieg‘). Vielmehr wird an einem prominenten Topos der platonischen Philosophie erkennbar, dass sich die Vorstellung einer reinen Geistigkeit ohne einen mindestens konstitutiven antitypischen Bezug auf die Materialität philosophisch gar nicht durchhalten lässt.“ 28 Ähnlich Lehtipuu, Debates, 9. 29 Ein Beispiel für den metaphorischen Gebrauch der Auferstehungsterminologie für Bekehrungsphänomene könnte die frühjüdische, aus der ägyptischen Diaspora (1. Jh. v. Chr.– 1. Jh. n. Chr.) stammende Schrift „Joseph und Aseneth“ darstellen. Die Bekehrung Ase­neths zu Gott wird als Auferstehung beschrieben (vgl. JosAs 15,5). Allerdings ist auch geschildert, wie sich im Zusammenhang mit ihrer Bekehrung das Aussehen Aseneths verändert, und dies wird mit ihrer Neuschöpfung durch Gott begründet. Sie wird zu einer engelsgleichen Gestalt. Ihre Bekehrung geht also einher mit solchen Aspekten, die zu einer realen Verwandlung und Auferstehung gehören. Vgl. dazu Chesnutt, From Death to Life.

1.3 Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte

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1.3 Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte und zum rezeptionsgeschichtlichen Ansatz Die folgende Untersuchung bewegt sich im Horizont der Rezeptions- und Wirkungsgeschichte neutestamentlicher Texte und Themen. Sie verfolgt nicht primär die Spur einzelner Textstellen des späteren Neuen Testaments in der frühchristlichen Literatur, sondern die Entwicklung eines Vorstellungsgehalts. Dieser geht gleichwohl in Teilen auf bestimmte neutestamentliche Texte zurück, begegnet in Verbindung mit häufiger zitierten Passagen des späteren Neuen Testaments oder wird mit ihnen in einen Zusammenhang gebracht. Wie bereits beschrieben handelt es sich um Abschnitte aus der Brotrede in Joh 6, aus den Erscheinungsgeschichten bei Johannes und Lukas, aus den Auferstehungsaussagen in 1 Kor 15 und den eschatologischen und ethischen Ausführungen in 2 Kor 4f.; Kol 2f. sowie Eph 2 und 4. Aus diesen Textpassagen konnte die neue Denkfigur einer Auferstehung entfaltet werden, die durch den Leib Jesu vermittelt ist. Die Rezeptions- und Wirkungsgeschichte biblischer Schriften wird gegenwärtig intensiv diskutiert. Der Ansatz untersucht den Gebrauch des und den Bezug auf das Neue Testament im weitesten Sinne, einschließlich einzelner Texte, theologischer Linien und Vorstellungen, historischer Hintergründe und Orte, hervorgebrachter Rituale und Sozialformen sowie normativer Ursprungsgestalten in der frühen Kirchen- und Christentumsgeschichte. Der Vielfalt der rezipierten Phänomene entspricht dabei die Bandbreite von Medien und Ausdrucksformen, in denen sie verarbeitet und vergegenwärtigt werden.31 30 Geeigneter als die Orientierung an der Leiblichkeit scheint zudem eine Klassifikation der Vorstellungen anhand einer vorhandenen oder nicht vorhandenen Gerichtsvorstellung zu sein. Texte können ganz grundsätzlich danach differenziert werden, ob sie eine allgemeine, postmortale Auferstehung zum Gericht erwarten oder Auferstehung als einen allmählichen Erlösungsprozess begreifen, der schon im gegenwärtigen Leben beginnt. Eine solche Klassifikation wurde jüngst von McGlothlin, Resurrection as Salvation, erneut vorgeschlagen. Diese Einteilung, die nicht neu ist, erscheint auch mir prinzipiell zweckmäßig. Sie lässt nämlich die Frage nach dem leiblichen Zustand in der Auferstehung zunächst offen. Die von McGlothlin erneut in die Diskussion eingebrachte Einteilung bietet Raum sowohl für solche Texte, die erst nach dem physischen Tod mit der Verwandlung des Leibes oder der Gabe eines neuen Fleischesgewandes rechnen, als auch solche, nach denen der zur Auferstehung hinführende Prozess schon während des irdischen Lebens auch leibliche und den Leib verwandelnde Aspekte beinhaltet, also gegenwartsbezogene Aspekte der Auferstehung und Unvergänglichkeit nicht allein in einem bestimmten ethischen Lebenswandel, im Halten der Gebote, Studium der Weisheit oder allein in der Christuserkenntnis verorten, sondern auch in einer physischen Verwandlung. Die Texte, mit denen ich mich beschäftige, beschreiben einen solchen gegenwärtig schon einsetzenden Prozess. 31 Zur Rezeption der Texte und Gestalten des späteren Neuen Testaments bei den sogenannten Apostolischen Vätern vgl. etwa Gregory / Tuckett, Reception; Wehr, Petrus und Pau­lus. Zur Rezeption durch einzelne Theologen vgl. Hill, John’s Gospel; Heiser, Paulus­ inszenierung, sowie die weiter unten besprochenen Veröffentlichungen.

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1. Einführung in das Thema

Hervorgegangen ist dieser Zugang aus älteren rezeptionsgeschichtlichen Untersuchungen, in denen sich die Forschung bereits im letzten Jahrhundert, befördert auch durch die Entdeckung neuer, bisher unbekannter Texte, den christlichen Zeugnissen des 2. und 3. Jahrhunderts zuwandte. Diese Texte wurden und werden als Zeugnisse über jene Zeit interpretiert, in der die Evangelien und die Paulusbriefe intensiv gelesen und rezipiert wurden und sich zu normativen Schriften entwickelten. Die Texte eröffnen dabei den Blick auf eine literarische und religiöse Vielfalt des frühen Christentums und lassen Rückschlüsse auf die Funktion von kanonisch werdenden und außerkanonischen Schriften in Diskursen des frühen Christentums zu. Diesem Ansatz, der sich von einer Fixierung auf den Nachweis ältester Traditionen hinter den Texten löst,32 widmen sich bereits zahlreiche Monographien zur Bezeugung, Verbreitung und Rezeption der neutestamentlichen Schriften in Texten ab dem 2. Jahrhundert.33 Auch zu denjenigen Schriftbereichen des Neuen Testaments, die in der vorliegenden Studie eine Rolle spielen, ist mittlerweile viel publiziert worden: Zur Verwendung der Erscheinungsüberlieferungen in Texten des 2. Jahrhunderts, in einer Phase der Auseinandersetzung um doketische Christologien, ist jüngst eine umfangreiche Arbeit des USamerikanischen Neutestamentlers J. D. Atkins erschienen.34 Gattungstypische Rezeptionen der bei Lukas und Johannes dargestellten Erscheinungen Jesu hat zudem Judith Hartenstein in ihrer Arbeit über die Rahmenerzählungen frühchristlicher Dialogevangelien untersucht.35 Die genannten Arbeiten richten ihr Interesse vornehmlich auf gnostische Verarbeitungen der Gestalt des Auferstandenen und auf das Thema Doketismus. Allerdings haben die Erscheinungsgeschichten für das frühe Christentum auch noch anderes Potential besessen, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Neben den übergreifenden, thematisch orientierten Untersuchungen entstehen nach wie vor zahlreiche wirkungsgeschichtlich angelegte Arbeiten zu einzelnen Schriften des Neuen Testaments. Zum Johannesevangelium sind eine Reihe von Arbeiten veröffentlicht, die sich mit der Rezeption und Verbreitung des vierten Evangeliums im 2. und 3. Jahrhundert beschäftigen (vgl. die Untersuchungen von Charles Hill,36 Bernhard Mutschler,37 Titus Nagel,38 32 So kann eine einseitige Wahrnehmung apokrypher Evangelien wie des Thomasevangeliums allein unter der Fragestellung, ob es ältere (Jesus-)Überlieferung enthalte, überwunden werden. Zu dem älteren Ansatz vgl. die wirkungsgeschichtlich wichtige Publikation Koes­ter / Robinson, Entwicklungslinien. Koester hatte die Hypothese aufgestellt, dass einige Nag-­ Hammadi-Texte wie der Dialog des Erlösers (NHC III,5) oder das Thomasevangelium (NHC II,2) auf ältere Spruchsammlungen zurückgehen, die eine überlieferungsgeschichtlich ältere Form der Sprüche bewahrt haben, die dann in die Evangelien eingegangen seien. 33 Zum Forschungsstand bis zum Beginn dieses Jahrtausends vgl. Löhr, Christentum. 34 Atkins, Doubt of the Apostles. 35 Hartenstein, Die zweite Lehre. 36 Hill, Johannine Corpus. 37 Mutschler, Irenäus als johanneischer Theologe; ders., Corpus Johanneum.

1.3 Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte

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Tu­o­mas Rasimus,39 Wolfgang Röhl,40 Ansgar Wucherpfennig 41 und Lorne Ze­ lyck 42). Bis auf wenige Ausnahmen (z. B. Christian Uhrig zu Joh 1,14,43 Hu­ go Lundhaug zu johanneischen Themen der Inkarnation, Wiedergeburt und Eu­charistie im Philippusevangelium,44 Christina Metzdorf zur Tempelreinigung 45) fehlen gleichwohl detaillierte Untersuchungen zur Verwendung und Verarbeitung johanneischer Motive und Theologumena und zur Eigenart des Umgangs mit dem vierten Evangelium im frühen Christentum.46 Die Spuren des vierten Evangeliums wurden bisher vor allem in den Kategorien von „Zitat, Anspielung, Widerhall“ etc. verfolgt, also auf der Ebene fassbarer literarischer Beziehung. Den Untersuchungen ging es dabei um den bezeugungsgeschichtlichen Ertrag. Ziel war es unter anderem, etwas über die Verbreitung des Johannesevangeliums in den frühesten Textzeugnissen des 2. Jahrhunderts sagen zu können 47 und auf diese Weise sowohl Anhaltspunkte für die Datierung des Johannesevangeliums als auch für dessen wachsende Bedeutung im frühen Christentum zu ermitteln.48 Den vielfältigen Erscheinungsformen der Rezeption von Person und Werk des Apostels Paulus gehen seit der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts ebenfalls zahlreiche Einzeluntersuchungen nach 49 und lassen dabei erkennen, 38 Nagel,

Rezeption des Johannesevangeliums. Legacy of John. 40 Röhl, Rezeption des Johannesevangeliums. 41 Wucherpfennig, Heracleon Philologus. 42 Zelyck, John among the Other Gospels. 43 Uhrig, Theologie der Fleischwerdung. 44 Lundhaug, Mystagogical Reception. 45 Metzdorf, Tempelaktion Jesu. 46 Vgl. auch Braun, Jean le théologien; Nagel, Rezeption des Johannesevangeliums. Na­ gel bietet eine formale und inhaltliche Beschreibung von Rezeption als Textaufnahme (ebd., 35–­45) und untersucht sowohl mehrheitschristliche als auch christlich-gnostische Texte. 47 Vgl. Nagel, Rezeption des Johannesevangeliums: In der ersten Hälfte des 2. Jahrhunderts lassen sich nur wenige Bezüge zum Johannesevangelium erkennen, dagegen deutlich mehr in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts; vgl. Papias, der neben schriftlichen Evangelien auch die Bedeutung mündlicher Überlieferung betont. Allerdings zeigt Nagel unter anderem anhand der Passa-Homilie des Melito von Sardes, dass erste Zeugnisse der kirchlichen Rezeption des Johannesevangeliums bereits aus der Mitte des 2. Jahrhunderts vorliegen (ebd., 93f.). Er belegt eine geographisch ausgedehnte Verbreitung der Rezeption des Johannesevangeliums schon in der Mitte des 2. Jahrhunderts. Für Justin ist nach Nagel festzustellen, dass trotz der engen Anklänge an die Logos- und Inkarnationschristologie des Johannesevangeliums keine literarische Abhängigkeit eindeutig erkennbar ist. Es gebe keine exakten Übernahmen aus dem Text des Johannesevangeliums. 48 Eine gewisse Unschärfe ergibt sich dabei in der Frage, was ein Zitat ausmacht. Was als Zitat gilt, darf nicht einfach aus modernem Verständnis auf antike Praxis übertragen werden, bei der vermutlich mit einem ausgedehnteren Zitatbegriff gearbeitet wurde (vgl. die Kritik in der Rezension von Markschies zur Arbeit von Nagel). 49 Vgl. Wiles, Divine Apostle; Dassmann, Stachel im Fleisch; Lindemann, Paulus im ältesten Christentum; Cocchini, Il Paolo di Origene. 39 Rasimus,

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1. Einführung in das Thema

wie intensiv Paulus sowohl mehrheitskirchlich als auch in gnostischen Strömungen rezipiert worden ist. Ältere Studien wie die Arbeit von Rolf Noormann über „Irenäus als Paulusinterpret“ (1994) widmen sich herausgehobenen Einzelgestalten und ihrer Paulusverwendung oder tragen, wie Elaine Pagels’ grundlegende Monographie „The Gnostic Paul“ von 1975,50 verschiedene Daten zur Rezeption der Paulusbriefe zusammen.51 Auch gegenwärtig werden in zwei englischsprachigen Kommentarserien, „The Church’s Bible“ (hg. von Robert L. Wilken) und „Ancient Christian Commentary on Scripture“ (hg. von Thomas C. Oden), Exzerpte aus Kommentarwerken zu einzelnen biblischen Büchern aus dem Zeitraum vom 2. Jahrhundert bis zum Mittelalter zusammengestellt und für einen größeren Kreis interessierter Leser durch Übersetzung zugänglich gemacht. Hier sind unter anderem in der Reihe „The Church’s Bible“ Arbeiten zum 1. Korintherbrief von Judith Kovacs52 und zum Römerbrief von J. Patout Burns sowie zum Johannesevangelium von Bryan A. Stewart und Michael A. Thomas entstanden. Allerdings verlagert sich aktuell unter einem gewandelten Rezeptionsbegriff das Interesse von der Ansammlung von Belegstellen und der Rekonstruk­ tion möglicher älterer mündlicher Überlieferung und älterer Quellen auf die Formen ihrer Vergegenwärtigung im Medium späterer Texte, Orte, Rituale, archäologischer Artefakte und dergleichen.53 Der neue rezeptionsgeschichtliche Zugang trägt der Einsicht Rechnung, dass Texte und andere Medien Vergangenes erinnern und repräsentieren und die Vergangenheit allein so zugänglich ist. Zu solchen Vermittlungsgestalten gehören zum Beispiel auch Lokaltraditionen, die sich an Personen und Orte knüpfen, die in Schriften des späteren Neuen Testaments erwähnt werden.54 Der Zugang befreit sich damit aus seiner älteren bezeugungsgeschichtlichen Engführung und geht über den eng gesteckten Rahmen quantifizierbarer Zitate und konkreter literarischer Abhängigkeit hinaus. In der Erweiterung seiner Perspektive auch auf populäre Aneignungen der neutestamentlichen Texte und auf nichtliterarische, nichtdiskursive Ausdrucksformen erhält er Einblick in die Vielfalt frühchristlicher Lebensgestaltung und Frömmigkeit.55 In den Rahmen eines solchen neuen rezeptionsgeschichtlichen 50 Vgl.

auch Pagels, Mystery of Resurrection. konnte mit ihrer Arbeit zugleich die Auffassung, Paulus bekämpfe eine frühe Form von Gnosis, angesichts zahlreicher positiver Bezugnahmen gnostischer Texte auf seine Briefe entkräften. 52 Vgl. auch Kovacs’ Artikel zum 1. Korintherbrief im „Oxford Handbook of the Reception History of the Bible“. 53 Vgl. auch den entstehenden Johanneskommentar von Jörg Frey für EKK, der die Wirkungsgeschichte des Johannesevangeliums berücksichtigen wird. 54 Vgl. etwa die apokryphen Apostelakten, die an Personen und Orte des Neuen Testaments anknüpfen, und dazu Nicklas, Neutestamentlicher Kanon. 55 Nicht nur literarische Zeugnisse, sondern auch Artefakte sowie Praktiken unter dem Blickwinkel einer andauernden Auseinandersetzung mit und „Fortschreibung“ des Kanons zu erfassen, ist erklärtes Ziel des an der Universität Regensburg angesiedelten Centre for Ad51 Pagels

1.3 Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte

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Ansatzes stellt sich auch die vorliegende Untersuchung, deren Ziel es ist, ein ausgewähltes Thema im größeren Zusammenhang seiner Rezeption in antiker christlicher Literatur darzustellen und zu interpretieren. Ein Beispiel für die Anwendung des so verstandenen neuen rezeptionsgeschichtlichen Zugangs speziell auf Person, Werk und Rezeption des Paulus ist der 2018 erschienene, umfangreiche Sammelband mit dem Titel „Receptions of Paul in Early Christianity. The Person of Paul and His Writings through the Eyes of His Early Interpreters“ (hg. von Jens Schröter, Simon Butticaz und Andreas Dettwiler), der sich den verschiedenen Facetten der Paulusrezeption widmet, angefangen mit dem paulinischen Selbstverständnis über die innerneutestamentliche Paulusrezeption bis hin zur Konstruktion des „kanonischen Paulus“.56 Es geht in dem Sammelband dementsprechend nicht um die Rekon­ struktion des historischen Paulus und seiner Theologie, sondern um die mannigfaltigen Formen seiner Wirkung.57 So wird beispielsweise der Befund zur Paulusrezeption in valentinianischer und basilidianischer Gnosis, aufgearbeitet von Jean-Daniel Dubois, in den Kontext anderer, weiterer Erscheinungsformen der Paulusrezeption gestellt,58 so dass auf diese Weise ein präziseres und umfangreicheres Bild des Umgangs mit Paulus und seinem Erbe insgesamt entsteht. Auch die 2015 erschienene Arbeit „The Pauline Effect. The Use of the Pau­line Epistles by Early Christian Writers“ von Jennifer Strawbridge erweitert den Fokus.59 Angesichts der Kritik an den Grenzen älterer rezeptionsgeschichtlicher Untersuchungen des Neuen Testaments, die sich auf die Wirkungsgeschichte eines neutestamentlichen Textes oder auf die Benutzung der neutestamentlichen Schriften durch einzelne Autoren konzentrierten, möchte Strawbridge ihren Radius nicht nur auf die Rezeption mehrerer, meistverwendeter Texte des Corpus Paulinum ausweiten,60 sondern auch deren Einfluss auf

vanced Studies: Beyond Canon der DFG-Kolleg-Forschungsgruppe „Jenseits des Kanons: Heterotopien religiöser Autorität im spätantiken Christentum“. Auch das dreibändige, von Helen K. Bond, Chris Keith, Christine Jacobi und Jens Schröter herausgegebene Werk „The Reception of Jesus in the First Three Centuries“ (2019) ist einem Ansatz verpflichtet, der die Rezeption Jesu und der Jesustradition in den verschiedenen, auch nichtliterarischen Ausdrucksformen des Christentums bis in das 4. Jahrhundert untersucht. 56 Vgl. auch Bird / Dodson, Paul and the Second Century, sowie den Sammelband Still / Wilhite, Irenaeus and Paul. Die Reihe, in der diese Veröffentlichung erscheint („Pauline and Patristic Scholars in Debate“), widmet sich programmatisch und interdisziplinär der Wirkungsgeschichte neutestamentlicher Gestalten und Texte in der Geschichte des frühen Christentums. 57 Vgl. Schröter / Butticaz / Dettwiler, Introduction, 4. 58 Dubois, Pauline Reception. 59 Vgl. auch Park, Conceptions of Afterlife. Vgl. außerdem Altermath, Du corps psychique au corps spirituel. 60 Sie beschäftigt sich mit 1 Kor 2,6–16; Eph 6,10–17; 1 Kor 15,50–58 und Kol 1,15–20.

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1. Einführung in das Thema

Diskurse, Lehre und Gestaltwerdung des frühen Christentums detaillierter beschreiben und insofern ihre größeren Kontexte berücksichtigen.61 Vieles ist also bereits erarbeitet worden: Ältere Studien haben sich auf herausragende Einzelgestalten (wie Irenäus) und ihre Benutzung biblischer Texte konzentriert oder einen allgemeinen Überblick über die Zitierung und Bezeugung neutestamentlicher Texte gegeben. Sie orientierten sich dabei in der Regel an den zeitbedingten Bildern, die der jeweils aktuelle Forschungsstand von Paulus, vom Verfasser des vierten Evangeliums, von den Kirchenvätern und theologischen Lehrern wie Valentin und seinen Schülern vermittelte. Einige Einzelbeobachtungen sind dabei inzwischen überholt und revisionsbedürftig, so zum Beispiel die Annahme, Valentin sei der Verfasser einiger Nag-Hammadi-­ Schriften aus dem Codex Jung, oder die Auffassung, gnostische Zeugnisse hätten sich auf eine paulinische Mystik stützen können, die großkirchlich kein Echo fand. Auch die ältere These von der Nähe des vierten Evangeliums zur Gnosis wird mittlerweile durch eine genauere Analyse der apokryphen Texte weiter entkräftet. Über große Teile der auf Koptisch überlieferten Literatur gibt es inzwischen zahlreiche Einzelstudien, die nicht nur einen vereinheitlichenden Gnosisbegriff infrage stellen, sondern auch die Vielfalt und Komplexität möglicher Anknüpfungspunkte an neutestamentliche Texte zeigen. Über diese forschungsgeschichtlich neuen Einsichten hinaus wird auch der rezeptionsgeschichtlich orientierte Zugang als solcher gegenwärtig überdacht.62 Zwar ist das (ältere) Interesse an der Kenntnis, Autorität und Verbreitung neutestamentlicher Texte im frühen Christentum nach wie vor wichtig und relevant, zum Beispiel für die Frage nach der Datierung und religions­ geschichtlichen Einordnung des Johannesevangeliums. Gleichwohl stellen Zitate und Paraphrasen oft nur die Oberfläche der Rezeption dar, so dass etwa eine quantitative Zusammenstellung von Exzerpten aus frühchristlichen Schriften, die neutestamentliche Texte zitieren und auf sie anspielen, für ein vertieftes Verständnis von Rezeption nicht ausreichen. Viele Zeugnisse sind indirekt von Sprache und Theologie neutestamentlicher Texte wie den Paulusbriefen und dem Johannesevangelium geprägt und bilden ihr eigenes theologisches Profil in einer komplexen Form der Auseinandersetzung mit und eigenständigen Deutung von diesen Texten aus.63 In manchen Fällen liegt gerade dort eine intensive Form der Inanspruchnahme neutestamentlicher Texte oder Autoritäten vor, wo explizite Zitate fehlen und sich die rezipierenden Schriften stattdessen in die Nachfolge ihrer Vorbilder begeben, ihren Sprachduktus und Gestus annehmen und den veränderten Entstehungsumständen und Kommunikations­ situationen anpassen.64 Es muss also mit einer ganzen Bandbreite der Bezug61 Vgl.

Strawbridge, Pauline Effect, 13f. die Kritik an den älteren Ausprägungen des Rezeptionszugangs bei Moss, Other Christs, 2f.; auch Strawbridge, Pauline Effect, 4–23. 63 Zudem ist interessant zu fragen, wie mit dem sich allmählich durchsetzenden Anspruch der neutestamentlichen Texte als autoritative Schriften insgesamt umgegangen wurde. 62 Vgl.

1.3 Bemerkungen zur Rezeptionsgeschichte

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nahme auf tradierte Themen und Denkfiguren und ihrer Transformation und Verdichtung in frühchristlichen Texten gerechnet werden. Um solche Rezeptionsphänomene auch jenseits einzelner Zitate genauer zu beschreiben, müssen die rezipierenden Schriften umfassender untersucht werden.65 Den Einzelergebnissen dieser Untersuchung vorweggreifend fällt beispielsweise auf, dass ursprünglich voneinander unabhängige Prätexte und ältere Überlieferungen aufeinander bezogen werden, wodurch neue Sinndimensionen erschlossen werden. Dabei werden nicht immer konkrete Textstellen zitiert und ausgelegt. Zuweilen dient vielmehr ein komplexeres Geflecht, ein Cluster biblischer Motive und Sprachformen,66 als Basis für neue Vorstellungsgehalte. Das kann in den hier untersuchten Texten – sowohl in den mehrheitskirchlichen als auch in den gnostischen Schriften – beobachtet werden: Ein Beispiel ist die Konzeption der fleischlichen Auferstehung bei Irenäus, Haer. 4f., die er aus Genesistexten, aus der johanneischen Brotrede und der Vorstellung eines natürlichen Kreislaufs von Saat, Wachstum und Ernte mit Motiven aus 1 Kor 15 entwickelt. Vergleichbar arbeitet auch der Verfasser des Evangelium Veritatis, wenn er neue Sinnebenen dadurch erschließt, dass er Aspekte der Erschaffung des Menschen mit dessen Verwandlung und Erwachen beim Erscheinen Jesu (vgl. Joh 20,19–23.24–28) und mit Motiven aus den Heilungserzählungen verbindet. Sinnvoll ist daher ein Zugang, der die Rezeption einzelner neutestamentlicher Autoren oder Schriften nicht nur separat behandelt (etwa nur den Verarbeitungen von Paulusbriefen oder johanneischer Literatur nachgeht), sondern auch ihr Zusammenspiel und ihren Beitrag zu der Entstehung neuer Denkfiguren und zur Theologiebildung des frühen Christentums insgesamt untersucht und den Umgang mit neutestamentlichen Texten und Motiven in verschiedenen frühchristlichen Literaturbereichen miteinander vergleicht. Insgesamt kann so ein übergreifendes Bild verschiedener Rezeptionsformen und -typen in sehr unterschiedlichen Schriften des frühen Christentums erarbeitet und ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufgezeigt werden.67 64 Vgl. etwa Verheyden, Paul, Clement and the Corinthians, zur Paulusrezeption im 1. Cle­ mensbrief. 65 Vielversprechend im Sinne dieses Anliegens ist das internationale, interdisziplinäre und überkonfessionelle Projekt in der Reihe „Novum Testamentum Patristicum“ (hg. von Andreas Merkt, Tobias Nicklas und Joseph Verheyden), die bei ihrer Fertigstellung eine Kommentierung und Erläuterung der Rezeption aller neutestamentlichen Schriften in der antiken christlichen Literatur, angelegt auf 45 Einzelbände, bieten wird. 66 Was das Vokabular antiker Autoren betrifft, ist schon länger erkannt worden, dass es tief im Duktus biblischer Texte verankert ist. Bereits auf der Ebene der Ausdrucksformen lässt sich daher oft nur schwer eine literarische Anspielung von den eigenen Gedanken eines Verfassers trennen. Vgl. hier u. a. Van den Hoek, Techniques of Quotation, 223. 67 Vgl. u. a. Schröter / Nicklas / Verheyden, Gospels and Gospel Traditions. Hier werden kanonische und außerkanonische Überlieferungen und ihre Rezeption im 2. Jahrhundert mit dem Ziel verglichen, Muster und Schemata der Rezeption herauszuarbeiten. Vgl. außer-

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1. Einführung in das Thema

1.4 Monographische Arbeiten zur Auferstehung In inhaltlicher Hinsicht reiht sich die vorliegende Studie in das Spektrum von Untersuchungen ein, die sich frühchristlichen Vorstellungen einer Auferstehung der Glaubenden widmen. Neben einigen Sammelbänden, die sich mit spezifischen Einzelschriften und -themen im Zusammenhang mit der Auferstehung befassen,68 sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten monographische Studien erschienen, die sich insbesondere mit der Rezeption der Vorstellung einer leiblichen Auferstehung im frühen Christentum befassen. Fünf einschlägige Arbeiten aus diesem Bereich können genannt werden: Die Untersuchung des römisch-katholischen Neutestamentlers Horacio E. Lona von 1993 widmet sich der Entstehung des Glaubensinhalts der „Auferstehung des Fleisches“ von den ersten Zeugnissen bis zu seiner festen Etablierung.69 Ihm zufolge haben sich die Grundpositionen zur Auferstehung des Fleisches bereits bis zur Zeit Tertullians voll entwickelt. Lona interessiert sich also vor allem für die ersten beiden Jahrhunderte, rechnet aber auch Texte dazu, die eventuell später entstanden sein können.70 Um diese Entwicklung im dem den auch frühjüdische Texte einbeziehenden Band Frey / Clivaz / Nicklas, Between Canonical and Apocryphal Texts. Zum notwendigen Programm einer Rezeptionsgeschichte Löhr, Christentum, 256: „Weiterhin wäre zu fragen, ob man nach den notwendigen Einzelstudien zu einer übergreifenden Klassifizierung und Typisierung von Rezeptionsphänomenen vordringen könnte, die Vergleiche mit außerchristlichen Rezeptionsgeschichten ermöglichen könnten. Gibt es zum Beispiel eine definierbare gnostische Weise der Rezeption? Wie wäre diese zu beschreiben? Gibt es ein Bewusstsein für den ‚Eigensinn‘ der rezipierten Texte? Wie entsteht der Kommentar?“ 68 Vgl. Avemarie / Lichtenberger, Auferstehung; Bieringer / Koperski / Lataire, Resur­ rection; Verheyden / Merkt / Nicklas, Reception of the Resurrection Stories; Nicklas / Rei­ terer / Verheyden, Human Body. Vgl. außerdem die monographischen Studien zur Aufer­ stehung Jesu: Becker, Auferstehung Jesu Christi, und Vinzent, Auferstehung Christi. 69 Vgl. Lona, Auferstehung des Fleisches, 7. 70 Zur Entwicklung der Glaubensformel der Auferstehung des Fleisches sind eine Reihe weiterer Arbeiten erschienen, vgl. etwa Kretschmar, Auferstehung des Fleisches. Kretschmar unterscheidet von der späteren Ausdrucksweise eine frühere, bei der πᾶσα σάρξ als Bezeichnung der ganzen Menschheit in ihrer Geschöpflichkeit verwendet wurde. Das Bekenntnis zur Auferstehung des Fleisches als spezifische christliche Zukunftshoffnung der Gemeinschaft mit Jesus Christus habe sich dann aus einer Konkretion des Begriffs σάρξ auf die Leiblichkeit des Menschen entwickelt, vgl. Justin, Dial. 80,5, wo σάρξ die Leiblichkeit des Menschen bezeichnet. Der Terminus σάρξ konnte schließlich zur Bezeichnung einer Dimension des Wirklichen insgesamt herangezogen werden. Diese Sinndimension ist in der vorliegenden Arbeit unter anderem bei Ignatius vorzufinden. Vgl. auch af Hällström, Carnis Resurrectio; Van Eijk, La résurrection des morts, sowie Bieder, Auferstehung. Bieder zeigt eine christologische und eine polemische Linie in der Argumentation auf, die die Entstehung und Ausbreitung der Formel von der Auferstehung des Fleisches erklären sollen. Außerdem Boliek, Resurrection of the Flesh, die vornehmlich die Formel von der „Auferstehung des Fleisches“ selbst untersucht, während sie der historisch-theologischen Entwicklung wenig Raum widmet. Siehe auch Cornélis / Guillet / Camelot / Genevois, La résurrection

1.4 Monographische Arbeiten zur Auferstehung

21

Einzelnen nachzuzeichnen, stellt Lona solche Texte in den Mittelpunkt, die in irgendeiner Form dem Fleisch „eine eschatologische Zukunft einräumen“.71 Er behandelt folglich bis auf das Evangelium Veritatis und den Liber Bartholo­ maei alle diejenigen Texte, mit denen sich auch die vorliegende Studie beschäftigt. Der Umfang seiner Textauswahl führt dazu, dass Lona nur jeweils kurze Überblicke zu den Auferstehungskonzeptionen in den Einzelschriften geben kann. Ein tieferes Verständnis der jeweiligen Schriften ist angesichts der Materialfülle nicht möglich. Einen noch ausgedehnteren, bis in das 14. Jahrhundert reichenden Zeitraum behandelt die US-amerikanische Historikerin Caroline Walker Bynum in ihrer Studie über den Glauben an die Auferstehung des Leibes.72 Sie richtet ihr Erkenntnisinteresse nicht nur auf die theologisch-sachlichen Gehalte ihrer Quellen, sondern auch auf deren Sprache und die Metaphern, die sie jeweils für die Auferstehung verwenden. Auf diese Weise kann Bynum über die im engeren Sinne theologischen und philosophischen Fachdiskussionen hinaus zu den sozialen und kulturellen Kontexten vordringen, in denen das Problem der Auferstehung des Leibes jeweils aufgegriffen wurde.73 Zugleich beobachtet sie ein epochenübergreifendes Festhalten an der Vorstellung materieller Kontinuität in der Auferstehungsexistenz, selbst um den Preis philosophischer Inkohärenz und theologischer Mehrdeutigkeit.74 Neuere Publikationen knüpfen an diese Vorgängerarbeiten an und befassen sich ebenfalls mit der Bedeutung des Diskurses über Auferstehung im frühen Christentum über die Disziplinengrenze zwischen neutestamentlicher Wissenschaft und Patristik bzw. Christentumsgeschichte hinweg, nun aber unter veränderten Fragestellungen. Beispiele dafür sind die Untersuchungen von Claudia Setzer (2004) und Outi Lehtipuu (2015)75 zur Verwendung des Auferstehungsglaubens als Identitätsmerkmal in den Auseinandersetzungen des frühen Christentums, außerdem die Arbeit von Thomas D. McGlothlin über die Verbindung zwischen Auferstehung und Erlösung bei Paulus und ihre Wirkungsgeschichte im vornizänischen Christentum (2018).76 de la chair. Die Problematik dieser Arbeit besteht nach Lona, Auferstehung des Fleisches, 4, darin, dass sie die Formel von der Auferstehung des Fleisches in die Erscheinungsgeschichten des Neuen Testaments hineinliest. Allerdings ist nirgends im Neuen Testament von einer „Auferstehung des Fleisches“ die Rede, der Vorstellungsgehalt kann bestenfalls sachlich vorausgesetzt sein. Nach Lona hat die Formel jedoch einen eigenen Hintergrund, der neutestamentlich nicht schon vorausgesetzt werden darf. Vgl. ferner Davies, Resurrection of the Flesh, der als einen zentralen Faktor für die Entstehung des Glaubens an die Auferstehung des Fleisches frühchristliche antidoketische Polemik bestimmt. 71 Lona, Auferstehung des Fleisches, 7. 72 Bynum, Resurrection of the Body. 73 Vgl. Bynum, Resurrection of the Body, xvi. 74 Vgl. Bynum, Resurrection of the Body, 11. 75 Setzer, Resurrection of the Body; Lehtipuu, Debates. 76 McGlothlin, Resurrection as Salvation.

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1. Einführung in das Thema

Die US-amerikanische Bibelwissenschaftlerin Claudia Setzer legt neben dem christlichen Auferstehungsglauben einen Schwerpunkt auf Ausprägungen eines jüdischen Auferstehungsglaubens und fragt danach, in welcher Form der Glaube an die Auferstehung jeweils Gruppenzugehörigkeiten definieren und zur Selbstverständigung beitragen konnte. Ihr Interesse richtet sich auf die jeweilige Funktion des Auferstehungsglaubens für „self-definition, boundary-­ marking, and polemic“.77 Mit Blick auf die Entwicklungen des frühen Christentums unterscheidet Setzer streng zwischen großkirchlicher und apokrypher Überlieferung und beschäftigt sich ausführlich mit Paulus, Justin, Athenagoras, Irenäus und Tertullian, während die apokryphe Überlieferung nur knapp anhand des Rheginusbriefs, der Thomastradition und des Philippusevangeliums im Anhang besprochen wird. Zwar kommt sie zu dem Ergebnis, dass sich die Idee der leiblichen Auferstehung auch in solchen Texten durchsetzte, die sonst „leibfeindliche“ Tendenzen zeigen.78 Aber mit der vorgenommenen Einteilung der Literatur wird die tatsächliche Komplexität sowohl innerhalb mehrheitskirchlicher Positionen als auch innerhalb apokrypher Überlieferungen etwas eingeebnet. Einen ähnlichen, aber differenzierteren und stärker auf innerchristliche Auseinandersetzungen fokussierten Ansatz verfolgt die Arbeit der finnischen Neutestamentlerin Outi Lehtipuu. Zwei Ausgangsbeobachtungen geben ihrer Untersuchung die Richtung vor: zum einen die aus heutiger Sicht marginal erscheinenden sprachlichen Differenzen in der Art, wie frühe Christen ihren Glauben an die Auferstehung formulierten, die aber im 2. und 3. Jahrhundert zu weitreichenden Auseinandersetzungen führen konnten, zum anderen die scharfe Polemik in den Debatten um Auferstehung.79 Nach Lehtipuu wurde beides durch den Umstand befördert, dass sich das frühe Christentum noch im Prozess einer Ausbildung fester, allgemein anerkannter Strukturen befand. Der Diskurs um die Auferstehung konnte so gleichzeitig für die allgemeinere Frage stehen, was das Christentum überhaupt ausmacht und wo seine Grenzen im Kontext diverser antiker Gruppenzugehörigkeiten verlaufen. Er richtete sich also sowohl nach innen als auch nach außen.80 In ihrer Untersuchung unterscheidet Lehtipuu dabei die soziale Realität eines faktischen Nebeneinanders unterschiedlicher, zum Teil widersprüchlicher Überzeugungen im frühen Christentum von der sie begleitenden Rhetorik, die mit Zuschreibungen von „Wahrheit und Unwahrheit“, „Orthodoxie und Häresie“ arbeitete. Netzwerke und Kontakte unterschiedlicher Gruppen genauso wie scharfe gegenseitige Abgrenzungen waren dabei nicht immer deckungsgleich mit den tatsächlich gepflegten theologischen Überzeugungen.81 Eine übergreifend zu beobachtende Gemeinsamkeit 77 Setzer,

Resurrection of the Body, 20. Resurrection of the Body, 167f. 79 Vgl. Lehtipuu, Debates, 2f. 80 Vgl. Lehtipuu, Debates, 9. 81 Lehtipuu nutzt, um solche Phänomene zu beschreiben, den Begriff „Identität“ als einen 78 Setzer,

1.4 Monographische Arbeiten zur Auferstehung

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unter allen Diskursteilnehmern habe gleichwohl darin bestanden, sich – jeweils überzeugt von der eigenen ungebrochenen Kontinuität zu den normativen Anfängen – auf die apostolischen Ursprünge und auf die Schrift zu beziehen.82 Lehtipuus Bemerkung, dass die Diskussion um die Auferstehung auch eine Diskussion um die „richtige“ Auslegung der Schrift ist, hat auch für die vorliegende Untersuchung Gewicht. Die Monographie „Resurrection as Salvation“ des US-amerikanischen Historikers und Neutestamentlers Thomas D. McGlothlin versteht sich schließlich als ein Beitrag zur Paulusrezeption: Mit Bezug auf die paulinische Literatur und die Auferstehungs- und Erlösungsvorstellungen, die dort zur Sprache kommen, stellt McGlothlin einige wichtige Beobachtungen zum Zusammenspiel verschiedener Paulustexte in der späteren Rezeption an. Er zeigt, dass nicht allein 1 Kor 15 und die dort geführte Auseinandersetzung mit der Frage nach dem Leib in der Auferstehung wirkmächtig wurden, sondern auch Texte wie Röm 6 und 8 sowie Kol 2f. und Eph 2 und 4. Ein wesentliches Ergebnis der Arbeit lautet, dass es – neben den schon bekannten Unterschieden beispielsweise in der Haltung zur Welt – zwischen mehrheitskirchlichen Theologen und Valentinianern83 auch Kontinuitäten im Auferstehungsglauben gebe, die unter anderem in der Vorstellung eines mit der Taufe beginnenden Auferstehungsprozesses lägen.84 Gerade die Spannungen bei Paulus – seine Argumentation für das geistgegebene, gegenwärtige vollkommene Leben einerseits und für eine zukünftige leibliche Auferstehung andererseits – hätten die spätere Vielfalt von Auferstehungsvorstellungen ab dem 2. Jahrhundert hervorgerufen, und 1 Kor 15 wäre dabei durchaus nicht der wichtigste Paulustext gewesen.85 Die Untersuchung McGlothlins ist für die Aufarbeitung der frühen Paulusrezepti­ on wertvoll, und seine Einsicht in die Notwendigkeit, die Wirkungsgeschichte weiterer Paulustexte und Texte aus der Paulustradition miteinzubeziehen, wird in der vorliegenden Studie bestätigt. Um die Erlösungs- und Auferstehungsvorstellungen der behandelten Texte des 2. und 3. Jahrhunderts umfassend herauszuarbeiten, müsste aber auch der Einfluss des Johannesevangeliums berücksichtigt werden. Das Johannesevangelium hat mit seiner Theologie des vollkommenen, durch die Gemeinschaft mit Christus schon jetzt realisierten Lebens auf spätere Entwürfe einer prozesshaften, präsentische und zukünftige Aspekte kombinierenden Auferstehung ebenfalls entscheidenden Einfluss ausgeübt. Der knappe, kursorische Durchgang durch die Literatur hat auf einige Desiderate aufmerksam gemacht, vor allem aber verdeutlicht, dass ein vollstänmodernen Ausdruck, mit dem antike Selbstzuschreibungen und Kategorien der Zugehörigkeit wiedergegeben werden (vgl. Lehtipuu, Debates, 12f.). 82 Vgl. Lehtipuu, Debates, 12f. 83 McGlothlin untersucht den Rheginusbrief und das Philippusevangelium genauer. 84 Vgl. McGlothlin, Resurrection as Salvation, 266. 85 Ganz ähnlich auch Lehtipuu, Debates, 3.

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1. Einführung in das Thema

diger Einblick in frühchristliche Auferstehungsvorstellungen, ihre Genese und ihren Zusammenhang mit neutestamentlichen Motiven, Überlieferungen und Texten nicht durch Einzelarbeit gegeben werden kann. Größere Überblicke lassen Zusammenhänge erkennen, gehen aber auf Kosten der vertieften Textexegese, und umgekehrt können eingehende Einzelanalysen nur einen kleinen Ausschnitt der komplexen Landschaft bieten. Jeder individuelle Zugang zu diesem vielschichtigen Thema muss letztlich selektieren und einen eigenen Schwerpunkt setzen. In dieser Hinsicht hat die zuletzt besprochene Studie von McGloth­lin vor allem den in der Wirkungsgeschichte zentralen Zusammenhang der Auferstehung Jesu mit der Auferstehung der Glaubenden hervorgehoben, der sich zum ersten Mal bei Paulus findet. Daran anknüpfend sollen hier nun solche Texte untersucht werden, die ihrer Soteriologie diesen Zusammenhang zugrunde legen und ihn innerhalb eines philosophischen Denkrahmens vor allem leiblich interpretieren. Sie „materialisieren“ auf diese Weise das Dynamische und Relationale der wechselseitigen Immanenz und der Lebensgabe bei Paulus und Johannes und legen den Zusammenhang als eine materiellphysi­sche Beziehung aus. Neben der Auferstehung berührt die vorliegende Untersuchung auch noch andere Themenfelder. Dies hängt mit einem wesentlichen Ergebnis der Arbeit zusammen: Spätantike christliche Texte tendieren dazu, die ihnen vorliegenden älteren Überlieferungen zu kombinieren und zu verschmelzen und so neue Zusammenhänge zu schaffen, die sich einer klassischen Aufteilung in anthropologische, soteriologische, eucharistische oder christologische Topoi widersetzen. Offenbar wurde es für das entstehende Christentum wichtig, diese Bereiche aufeinander zu beziehen und zur gegenseitigen Deutung zu verwenden. Dementsprechend verdankt sich der gemeinsame Grundgedanke einer Auferstehung durch leiblich-räumliche Christusteilhabe, den die hier untersuchten Texte zeigen, einer Synthese aus unterschiedlichen Motiven und Texten des Neuen Testaments. Sie können wie Bausteine auf verschiedene Weise zusammengesetzt werden und führen in dieser Variabilität zu einem individuellen Gepräge der Texte.86 Im Rheginusbrief, im Philippusevangelium, im Evange­ lium Veritatis, bei Irenäus, Ignatius und im Liber Bartholomaei wirken Motive der Erscheinungsgeschichten bei Lukas und Johannes sowie johanneische und (deutero-)paulinische Aussagen über die Vermittlung des vollkommenen Le­ bens durch Jesus weiter. Sie können etwa in Gestalt einer spezifischen Deutung 86 Ähnliche Beobachtungen macht Lehtipuu, Debates, 15: „The view of resurrection touches several other core ideas, such as the power of God, the meaning of Christ, the way of salvation, anthropological ideas, ritual practices, and lifestyle issues. I would like to develop this point further and emphasize that different views on these several questions were clustered in various ways. Lines were not always drawn, say, between those who promoted the resurrection of the flesh, the belief in the one God who is also the creator of the world, and the true humanity of Christ and those who rejected all these, but different couplings and combinations appeared.“

1.5 Methodisches Vorgehen

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des Abendmahls bzw. der Lebensbrotrede wiederbegegnen oder in Form einer Transformation der Vorstellung vom Gleichgestaltetwerden mit Christus, einer Weiterentwicklung der Überlieferungen von der intensiv sinnlich erlebten, Glauben begründenden Begegnung mit dem Auferstandenen, und im Gedanken der Ergehensgemeinschaft mit Christus und des „In-Christus-Seins“. Das Charakteristikum der hier behandelten Texte besteht darin, dass sie die neutestamentlichen Überlieferungen zu einer neuen, philosophisch geprägten,87 teilweise mit den naturwissenschaftlichen Standards ihrer Zeit arbeitenden Auffassung von Erlösung und Auferstehung weiterentwickeln. Die Vielfalt der Textgattungen, in denen die Vorstellung der Auferstehung durch leiblich-räumliche Christusteilhabe begegnet, umfasst neben Traktaten (Rheg, Irenäus) und Briefen (Ignatius) auch ein apokryphes Evangelium (EvPhil), die homiletische Evangelienmeditation eines gebildeten, literarisch geschulten Autors (EV) sowie eine Erbauungsschrift (LibBarth). Das breite Spektrum der literarischen Ausdrucksmittel lässt insgesamt auf eine zunehmende Ausdifferenzierung christlicher Gruppen und Formierungen schließen. Der Rheginusbrief, das Phi­­lippusevangelium und das Evangelium Veritatis zeigen eine Affinität zum Platonismus und könnten in elitären Zirkeln, vielleicht sogar für den Gebrauch durch einzelne, eingeweihte Personen bestimmt gewesen sein (vgl. EV). Im Falle des Rheginusbriefs ist vorstellbar, dass der Text im Rahmen einer freien Lehrtätigkeit nach dem Vorbild der Philosophenschulen und auch in intellektuellem Austausch mit solchen entstand. Eine Schrift wie der Liber Bartholomaei mit seiner ausgeprägten Leibfrömmigkeit diente dagegen höchstwahrscheinlich der Veranschaulichung und Erbauung im gottesdienstlichen Kontext und richtete sich vermutlich an eine heterogenere Adressatenschaft ohne spezielle Bildungsvoraussetzungen. Diese soziologischen Verzweigungen christlicher Interpretationskontexte tragen ebenfalls zu Variationen der Auferstehungsvorstellungen bei.

1.5 Methodisches Vorgehen und Umgang mit den koptischen Texten aus Nag Hammadi Die Auswahl der hier untersuchten Texte erfolgt danach, ob sie die Auferstehung und Erlösung der Glaubenden auf eine leibliche Christusteilhabe zurückführen und in der Anteilhabe an Christus verorten. Daraus ergibt sich gleichwohl kein festes Schema des Analyseverfahrens. Ein solches stünde in der 87 Zum philosophischen Kontext ab dem 2. Jahrhundert vgl. die reichhaltigen Literaturangaben in Riedweg / Horn / Wyrwa, Philosophie der Kaiserzeit; zu den Apologeten vgl. u. a. Georges, Apologeten; ders., Role of Philosophy; zur Gnosis vgl. Krämer, Ursprung der Geistmetaphysik; Turner / Majerzik, Gnosticism; Turner, Sethian Gnosticism; Puech, Plo­tin et les gnostiques.

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1. Einführung in das Thema

Gefahr, die jeweiligen Eigenheiten der Texte zu verdecken. Die spezifischen Charakteristika der Schriften stehen im Vordergrund. Ebenso wenig soll eine Einteilung in „apokryphe“ oder „mehrheitskirchliche“ Texte bei der Interpretation leitend sein. Zwar haben die sogenannten Apokryphen eine größere Vielfalt von Gattungen hervorgebracht, und auch unter den hier untersuchten Texten finden sich nicht nur Briefe und Traktate, sondern auch ein Evangelium und eine Evangelienmeditation. Diese Unterschiede sollen jedoch nur insofern gewichtet werden, als sie sich erkennbar auf die jeweilige Verarbeitung des Themas der Auferstehung auswirken. Mit der Untersuchung gnostischer Texte aus Nag Hammadi und ihrem Verhältnis zum Neuen Testament verortet sich die Studie gleichwohl in einem derzeit kontrovers diskutierten Forschungsfeld. Außerdem handelt es sich um Texte, deren Datierung und theologiegeschichtliche Einordnung höchst umstritten sind. Im Falle des Philippusevangeliums ist schließlich sogar unsicher, in welchem Maß der Text gewachsen und literarisch einheitlich ist. Deshalb sollen an dieser Stelle einige Klärungen zum Umgang mit den Nag-HammadiTexten vorangestellt werden. Zu den Nag-Hammadi-Texten gehört eine Vielfalt gattungsmäßig verschie­ dener Texte, die christlich rezipiert wurden. Von der älteren Forschung sind diese Texte primär unter der Perspektive ihres Verhältnisses zur Gnosis und zum Neuen Testament untersucht worden. In der älteren Klassifizierung als „neutestamentliche Apokryphen“ schlug sich dieser Blickwinkel, der die Schriften ganz aus ihrer inhaltlichen und formalen Bezogenheit auf die Texte des Neuen Testaments definierte,88 auch sprachlich nieder. Zudem war die Deutung der Nag-Hammadi-Texte aufgrund der (in vielen Fällen gut begründbaren) These, dass einige von ihnen Übersetzungen älterer griechischer Vorlagen darstellen, durch weitreichende Spekulationen über ihre jeweilige Vorgeschichte,89 ihre ursprüngliche Herkunft und ihren theologiegeschichtlichen Standort bestimmt.90 Sowohl der Zugang zu den Apokryphen allein aus dem Blickwinkel der neutestamentlichen Schriften bzw. des neutestamentlichen Kanons als auch die Deutung der Texte auf Grundlage ihrer hypothetischen Vorgeschichte sind in jüngerer Zeit zu Recht problematisiert worden.91 An ihre Stelle ist gegenwärtig ein Ansatz getreten, der die Texte aus der Perspektive des Neuen Testaments 88 Vgl.

Schneemelcher, NTApo 1, 42. wie das Thomasevangelium und der Dialog des Erlösers konnten dabei sogar zur Überlieferungsgeschichte der neutestamentlichen Tradition gerechnet werden. 90 Vgl. Lundhaug / Jenott, Nag Hammadi Codices, 1: „The bulk of scholarship on the Nag Hammadi corpus has focused on these texts as examples of ,Gnosticism‘, in the context of the diversity of Christianity in the second and third centuries. From this perspective, they have been interpreted in light of a range of hypothetical contexts of authorship distributed across the Roman world, from Rome to Edessa, Antioch, and Alexandria, to mention some of the most popular locations.“ 91 Vgl. Markschies, Haupteinleitung, 2–5.111–114. 89 Texte

1.5 Methodisches Vorgehen

27

löst und sie voraussetzungsfreier in die kulturell-religiöse Landschaft und die philosophischen Diskurse des spätantiken Mittelmeerraums einordnet.92 Gegen die frühere Tendenz, der Interpretation die hypothetischen Vorlagen der koptischen Übersetzungen zugrunde zu legen, richtet sich außerdem die „New Philology“, die die Produktion der Texte, ihre Überlieferung sowie ihre Fundumstände und materielle Basis programmatisch in die Interpretation einbezieht.93 Mit Blick auf die Auslegung der Nag-Hammadi-Texte bedeutet Letzteres, dass der Fundort der Codices in Oberägypten als die Region, der Herstellungszeitraum dieser Manuskripte im 4.–5. Jahrhundert als das theologiegeschichtlich relevante Zeitfenster sowie nicht zuletzt die koptische Sprache als vorliegende Ausdrucksform für die Textdeutung auszuwerten sind. In der vorliegenden Studie wird trotzdem auf einige Nag-Hammadi-Texte aus der Perspektive einer neutestamentlichen Wissenschaftlerin geblickt. Gleichwohl geschieht dies nicht mit dem Anspruch, die Texte wieder entsprechend einem älteren Forschungsparadigma als „neutestamentliche Apokryphen“ zu klassifizieren und damit als Seitenzweige neutestamentlicher Überlieferung zu verstehen. Dass Texte wie der Rheginusbrief, das Philippusevangelium und das Evangelium Veritatis aber Passagen, Motive und Traditionen biblischer und insbesondere neutestamentlicher Herkunft aufgenommen haben, steht außer Zweifel. Zu diskutieren ist, wie sie angemessen zu interpretieren sind. Die hier gewählte Herangehensweise liegt zwischen einem älteren Ansatz, der die NagHammadi-Texte allein vor dem Hintergrund der Entstehung des Neuen Testaments in den Blick nimmt, und einem Zugang, der sie ausschließlich aus ihren Fundumständen und im zeitlichen Horizont der Manuskriptherstellung deutet. Folgende Gesichtspunkte sollen den Gang dieser Untersuchung leiten: (1) Anklänge der Nag-Hammadi-Texte an neutestamentliche Überlieferungen sollen nicht für eine Entwicklungsgeschichte neutestamentlicher Traditionen ausgewertet werden. Ausgangspunkt der Einzeluntersuchungen sollen daher nicht die neutestamentlichen Prätexte sein. Die vorliegende Studie setzt deshalb – anders als etwa die erwähnte Untersuchung von Paulustexten bei Strawbridge, der in diesem Punkt nicht gefolgt werden kann – nicht bei einem Überblick über den gegenwärtigen Forschungsstand zu den neutestamentli92 Das hat dann auch Konsequenzen für die Begriffsfindung und Definition der Texte: Wie lassen sich „christliche Apokryphen“ angemessen bestimmen, und welche Texte gehören dazu? Nicklas, Semiotik, 66, beschreibt Apokryphen im Anschluss an Gérard Genette als Texte, für die „der Text bzw. Texte der christlichen Bibel […] als Ganzes oder in Teilen einen privilegierten Hypotext bzw. privilegierte Hypotexte“ bilden. Markschies, Haupteinleitung, 105, nimmt diese Definition auf und spricht mit Blick auf einige Apokryphen von einem „Musterbeispiel von Intertextualität“. Nach seiner Definition handelt es sich um Texte, „die die Form kanonisch gewordener biblischer Schriften aufweisen oder Geschichten über Figuren kanonisch gewordener biblischer Schriften erzählen oder Worte solcher Figuren überliefern oder von einer biblischen Figur verfaßt sein wollen“ (114). 93 Vgl. Lundhaug / Jenott, Nag Hammadi Codices; dies., Monastic Origins; vgl. auch Schröter / Schwarz, Nag-Hammadi-Schriften.

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1. Einführung in das Thema

chen Texten ein. Damit soll der Gefahr begegnet werden, die antiken Textinterpretationen vor der Folie eines mit neuzeitlichen Mitteln historisch-kritischer Exegese erhobenen Textsinns zu bewerten. Ein solcher Vergleich würde nur ein verzerrtes Bild entstehen lassen und könnte etwa den Eindruck erwecken, gerade die anonymen Verfasser des Rheginusbriefes, des Philippusevangeliums und des Evangelium Veritatis würden von den „Intentionen“ der biblischen Autoren abweichen.94 Die in jüngerer Zeit vorgenommene Selbstreflexion historisch-kritischer Exegese hat außerdem das Bewusstsein dafür geschärft, dass auch die neuzeitliche, gegenwärtige Auslegung biblischer Texte nicht neutral und voraussetzungsfrei ist, sondern ein Teil der langen und komplexen Wirkungsgeschichte.95 Zudem würde ein solches Vorgehen, das denselben Maßstab an antike Zeugnisse anlegt und dasselbe Erkenntnisinteresse neuzeitlicher Exegese auch hier voraussetzt, der Eigenart nicht gerecht, mit der biblische Motive dort verarbeitet werden und sich auf schöpferische Weise mit philosophischen Themen und Denkweisen verbinden.96 Weder beabsichtigt der Verfasser des Rheginusbriefes, die ursprüngliche Intention des Paulus beim Verfassen von 1 Kor 15 offenzulegen, noch der Verfasser des Philippusevangeliums, eine historische Situierung und eigentliche Bedeutung des Jesuswortes zu geben, das er in EvPhil 23 zitiert. Welche Interessen beim Aufgreifen paulinischer Auferstehungshoffnung, johanneischer Theologumena oder etwa bei dem Rekurs auf Lk 24,39 leitend waren, soll in den folgenden Kapiteln für jede Schrift gesondert herausgearbeitet werden. (2) Die Einsicht, dass es sich mindestens beim Philippusevangelium, vielleicht auch beim Evangelium Veritatis um fluide, im Abschreibeprozess immer wieder veränderte und gewachsene Texte handelt, muss dazu führen, einzelne Stellen zunächst für sich zu untersuchen und zu einem lokalen Verständnis zu gelangen. Damit soll der komplexen Überlieferungsgeschichte Rechnung getragen werden, aus der uns in Form der Manuskripte aus zwei bzw. drei NagHammadi-Codices 97 jeweils nur zufällige (?) Ausschnitte vorliegen. Zuschreibungen zu einem einzigen, für alle Passagen gleichermaßen vorausgesetzten Entstehungsmilieu sind unangemessen. 94 Ein solches Vorgehen steht auch dann in der beschriebenen Gefahr, wenn die Auslegungen der neutestamentlichen Texte durch die frühen Christen dezidiert als mögliche Bereicherung moderner Exegese verstanden werden (wie von Strawbridge, Pauline Effect, 15, erhofft). Vgl. hier auch Edsall, Reception of Paul. 95 Das ist zum einen grundsätzlich reflektiert etwa bei Schröter, Der „erinnerte Jesus“, schlägt sich zum anderen aber auch in neueren exegetischen und rezeptionsgeschichtlichen Arbeiten in Form kleinerer Bemerkungen en passant nieder. So setzt der Artikel von Kovacs zum 1. Korintherbrief im „Oxford Handbook of the Reception History of the Bible“ mit einer Standortbestimmung ihrer eigenen Auslegung des Briefes als Produkt der Bibelforschung des 21. Jahrhunderts ein: „This article shows how 1 Corinthians is interpreted by a biblical scholar in the 21st century, drawing on a tradition of historical-critical study of the Bible that reaches back to the Enlightenment.“ 96 Vgl. mit Bezug auf Paulus Schröter / Butticaz / Dettwiler, Introduction, 9f.

1.5 Methodisches Vorgehen

29

Einzelne Vorstellungen (wie diejenige des Brautgemachs im Philippusevangelium) können in verschiedenen Nag-Hammadi-Texten belegt sein, sind also nicht nur auf einen literarischen Kontext beschränkt. Das ermöglicht es, entsprechende Passagen einer Schrift mit vergleichbaren, ähnliche Motive aufweisenden Abschnitten aus anderen Nag-Hammadi-Texten zu kontextualisieren. Über den theologiegeschichtlichen Ort der Gesamtschrift ist damit noch nichts gesagt. Auch die Tatsache, dass die Fundumstände der Texte einen Einblick in ihre Verwendung zu einem bestimmten Zeitpunkt ermöglichen, ist davon unbetroffen. Die Texte, die in den Codices versammelt sind, wurden offenbar in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts abgeschrieben und zusammengestellt. Die Interpretation einzelner Passagen gewachsener Texte muss zum einen diesen Rezeptionshorizont aufgreifen, zum anderen aber auch die längere Entwicklungsgeschichte einbeziehen, die sich durch Kontextualisierung mit anderen frühchristlichen Schriften nachzeichnen lässt. (3) Gleichwohl sollen die Einzelaussagen der relevanten Abschnitte und Sprüche nicht von ihrem jeweiligen Schriftganzen getrennt und etwa wie frei zirkulierende Tradition behandelt werden. Sie sind Teil der vorliegenden Gesamttexte. Dasselbe betrifft auch die Rezeption neutestamentlicher Motive in diesen Schriften. Auch sie lassen sich nicht wie eine Schicht von ihren Kontexten abheben, sondern sind enge Verbindungen mit philosophischen und mythologischen Themen eingegangen und werden aus einer so geprägten Sicht interpretiert und transformiert. Um der spezifischen Art des Umgangs mit den Überlieferungen und Theologumena des Lukas, Paulus und Johannes gerecht zu werden, sollen die behandelten Schriften deshalb insgesamt ausführlicher vorgestellt werden und auch Aspekte einbezogen werden, die nicht unmittelbar mit der Rezeption neutestamentlicher Überlieferungen zusammenhängen. (4) Schließlich wird der aktuelle Ansatz der „Neuen Philologie“, der einen Fokus auf Spezifika der Manuskriptkultur richtet (wozu die Fluidität von Texten gehört, die über längere Zeiträume abgeschrieben werden) und der bei der Interpretation der Nag-Hammadi-Texte gegenwärtig programmatisch verfolgt wird,98 der vorliegenden Untersuchung nicht richtungsgebend zugrunde gelegt. Im fünften Kapitel beschäftige ich mich mit diesem Ansatz, der bisher unter anderem am Philippusevangelium exemplarisch erprobt wurde, anhand konkreter Textstellen (vgl. 5.1.3 sowie den Exkurs in 5.4.3a).99 Aus meiner Sicht sind die grundsätzlichen Intentionen des Zugangs berechtigt und fördern wichtige Erkenntnisse zum Verwendungskontext der Nag-Hammadi-Texte zutage. In den Einzelinterpretationen einer gewachsenen Schrift wie dem Philippusevangelium werden die Möglichkeiten dieses Ansatzes allerdings zuwei97 Das Evangelium Veritatis ist in zwei Abschriften überliefert, einem vollständigen Text in NHC I,3 in subachmimischem Koptisch sowie einer fragmentarischen, sahidischen Version in NHC XII,2. 98 Vgl. Lied / Lundhaug, Evolving Traditions. 99 Vgl. außerdem Jacobi, Irenäus.

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1. Einführung in das Thema

len überschätzt. Dies gilt vor allem dann, wenn dieser Ansatz in das andere Extrem fällt und bestimmte Deutungen aus seinem Blickwinkel kategorisch ausschließt. Wo ist vor dem Hintergrund der genannten vier Aspekte die vorliegende Untersuchung innerhalb des umschriebenen Spektrums von Zugängen einzuordnen? Für eine grundsätzliche Verhältnisbestimmung der Nag-Hammadi-­ Literatur zu den neutestamentlichen Schriften und zur weiteren antiken christlichen Literatur ist die gewählte Perspektive des hier untersuchten Themas zu begrenzt, und ohnehin würde ein solcher Anspruch die innere Vielfalt der NagHammadi-Texte einebnen, die nur durch die Zusammenbindung in Codices zu einem „Corpus“ werden. Aus der Perspektive der Thematik von Auferstehung und ewigem Leben kann aber festgehalten werden, dass der Rheginusbrief, das Philippusevangelium und das Evangelium Veritatis ein Interesse daran bezeugen, eine eigene, philosophisch geprägte Theologie auszubilden und ihre Auferstehungskonzeptionen in einen größeren Zusammenhang zu stellen, der auch die Entstehung der Welt und der Materie und deren Schicksal umfasst. Diese Überlegungen stellen sie den neutestamentlichen Schriften aber nicht entgegen, sondern verstehen sie als tiefere Einsichten in einzelne Aspekte der neutestamentlichen Tradition (vgl. EV, EvPhil) oder auch als erläuternde Auslegung (Rheg). Sie untermauern sie mit Zitaten, Zitatparaphrasen und Anklängen an neutestamentliche Schriften und kombinieren zum Teil verschiedene neutestamentliche Überlieferungen miteinander, um daraus neue Deutungsdimensionen zu entwickeln.100 Darin unterscheiden sie sich nicht von den Überlegungen, die der gallische Bischof Irenäus in Haer. 5 anstellt. Wie diesen beschäftigt sie die Frage nach Kontinuität und Diskontinuität zwischen dem irdischen und dem unvergänglichen Leben in Herrlichkeit. Worin tatsächliche Unterschiede zu dem Verständnis der hier von Irenäus repräsentierten Proto-Orthodoxie liegen, wird genauer darzustellen sein.

1.6 Textauswahl Wie bereits dargestellt, müssen sich monographische Untersuchungen zum Auferstehungsglauben im frühen Christentum zwischen einem umfassenderen Überblick, der zahlreiche Texte einbezieht, und einer vertiefenden Analyse 100 Vgl. Markschies, Haupteinleitung, 106: „Vor allem aber spielte bei diesen Schriften wohl die Intention eine Rolle, der mehrheitskirchlichen Literatur etwas entgegen oder an die Seite zu stellen, was inhaltlich noch einmal anders geprägt war, um so die eigene ‚philosophische Theologie‘ des Christentums abzusichern.“ Diese Definition, die Markschies mit Blick auf eine Gruppe von Apokryphen formuliert, die zur Zeit des entstehenden Kanons abgefasst wurden, kann auch unter der Voraussetzung ihrer späteren Entstehung für die hier behandelten Texte gelten.

1.6 Textauswahl

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ausgewählter Texte entscheiden. Mit den genannten Werken Lonas, Bynums, Setzers und Lehtipuus liegen bereits Arbeiten mit Überblickscharakter vor, die aus unterschiedlichen Perspektiven die verschiedenen Positionen im frühen Christentum diskutieren. Ertragreicher als eine weitere Gesamtschau des Befundes dürfte daher eine spezifische Fragestellung sein, die sich auf einzelne Texte konzentriert. In der vorliegenden Studie sollen Konzeptionen im Mittelpunkt stehen, die Erlösung und Auferstehung auf die Wirksamkeit des Leibes Jesu zurückführen. Daraus folgt, dass einige Zeugnisse nicht einbezogen werden. Nicht behandelt werden, um nur einige Beispiele aus der Fülle antiker Schriften zur Auferstehung zu nennen, zwei Traktate über die Auferstehung (De resurrectione), die unter den Namen der Apologeten Athenagoras bzw. Justin überliefert sind, und die Epis­ tula Apostolorum, ein als Brief des Apostelkollegiums an die Kirche der Weltgegenden gerahmtes Erscheinungsevangelium, das vermutlich aus dem 2. Jahrhundert stammt.101 Die Abschnitte in EpAp 11f. und 21 sowie De resurrectio­ ne 9 des Ps.-Justin könnten als Verarbeitungen der Erscheinungsgeschichten mit einer Akzentsetzung auf der fleischlichen Auferstehung der Glaubenden ebenfalls in die Reihe der zu untersuchenden Texte aufgenommen werden.102 101 Mit dem Problem der leiblichen Auferstehung im Allgemeinen haben sich darüber hinaus natürlich noch zahlreiche weitere Texte befasst. Neben den erwähnten Werken könnte für eine Geschichte der „leiblichen Auferstehung“ auch der Traktat De resurrectione mor­ tuorum des nordafrikanischen Kirchenlehrers Tertullian vom Anfang des 3. Jahrhunderts genannt werden (nach anderer Manuskripttradition ist Tertullians Schrift unter dem Titel De car­nis resurrectione überliefert), außerdem Origenes’ nur fragmentarisch überlieferte Schrift De resurrectione und das gleichnamige, ebenfalls nur in Auszügen überlieferte Werk des Methodius von Olympus. Nicht zuletzt gehören eine Reihe weiterer apokrypher Schriften wie einige Apostelakten, der 3. Korintherbrief, aber auch Schriften der sogenannten Apostolischen Väter wie der 1. und 2. Clemensbrief und der Hirt des Hermas hinzu. Die Vielfalt der Literatur legt nahe, dass die Debatte um Auferstehung über einen langen Zeitraum, mindestens vom 2. bis zum 4. Jahrhundert, intensiv geführt wurde. Hier eine Auswahl zu treffen ist insofern gerechtfertigt, als die fragmentarische Überlieferungslage die komplexe Realität des antiken Christentums ohnehin nur partiell zugänglich macht. 102 Zu Erscheinungsschilderungen, die die Gestalt der Erscheinung des Auferstandenen, ihre Berührbarkeit und Körperhaftigkeit thematisieren, gehören auch SJC (NHC III,4) p. 91 (BG 3 p. 78f.); AJ (NHC II,1) p. 2 (NHC IV,1 p. 2; BG 2 p. 21) und 3 Kor 3,6.16–18. In der Sophia Jesu Christi wird der Auferstandene als eine Gestalt beschrieben, die sich von seiner früheren Gestalt unterscheidet, wie ein großer Lichtengel aussieht und von Menschen mit sterblichem Fleisch nicht ertragen werden kann, sondern nur von Menschen reinen, vollkommenen Fleisches. Ein Betasten durch die Jünger wird nicht erzählt. Im 3. Korintherbrief wird mit der Autorität des in Gefangenschaft lebenden Paulus gegen die Auffassung argumentiert, es gebe keine Auferstehung des Fleisches. Von der Erscheinung des Auferstandenen wird dabei zwar nicht erzählt, aber die Verbindung zwischen der fleischlichen Auferstehung Jesu und der Rettung allen Fleisches gezogen, vgl. 3 Kor 3,6 („damit er in die Welt käme und alles Fleisch durch sein eigenes Fleisch erlöse und damit er uns Fleischliche von den Toten auferwecke, wie er selbst sich als Urbild erwiesen hat“); 3,16–18 („Denn durch seinen eigenen Leib hat Jesus alles Fleisch gerettet [und zum ewigen Leben geführt durch den Glauben], in-

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1. Einführung in das Thema

Aber hier legitimiert und bestätigt der Auferstandene die Lehre von der fleischlichen Auferstehung sowohl durch seine Worte als auch durch sein eigenes leibliches Erscheinen, ohne die Auferstehung selbst leiblich zu vermitteln. Wenn im Lukas- und Johannesevangelium die Berührungen des Auferstandenen durch die Jünger die Wirklichkeit der Auferstehung Jesu unterstreichen und absichern sollen, aus ihnen aber noch keine Konsequenzen für die Auferstehung aller Glaubenden folgen, so zeigen Ps.-Justins Traktat und die Epis­ tula Apostolorum eine bemerkenswerte Weiterentwicklung der Erscheinungsüberlieferungen.103 Die beiden Texte sind also für den frühchristlichen Diskurs um leibliche Auferstehung aufschlussreich. In ihnen kommt aber die Denkfigur der unmittelbaren, rettenden Anteilhabe am Leib Jesu nicht vor. Stattdessen wird die von mehreren Jüngern untersuchte und bestätigte Leiblichkeit des auferstandenen Jesus zu einem diskursiven Argument für die Auferstehung der Glaubenden.104 Im Vordergrund sollen hier Texte stehen, die neutestamentliche Erscheinungsüberlieferungen aufgreifen, um den Leib Jesu als Medium darzustellen, das die Überwindung des Todes, Auferstehung und vollkommenes Leben an die Glaubenden überträgt. Dazu gehören der Brief des Ignatius an die Smyrnäer und seine Verarbeitung einer Erscheinungserzählung (IgnSm 3); der Liber Bartholomaei, der ebenfalls die lebensschaffende Wirkung des Leibes des Auferstandenen und seiner Wundmale an den Jüngern demonstriert, und schließlich eine Passage des Evangelium Veritatis, in der die Erscheinung des Sohnes

dem er den Tempel der Gerechtigkeit darstellte in seinem Leibe, durch den wir erlöst sind“). Der 3. Korintherbrief verwendet als biblischen Vergleichstext für die Auferstehung der Glaubenden die kurze Erzählung von der Auferweckung eines Mannes, der auf den Gebeinen des toten Elisa begraben werden soll (2 Kön 13,20f.), vgl. 3 Kor 3,31f.: „Um wieviel mehr wird er euch, ihr Kleingläubigen, die ihr an Christus geglaubt habt, auferwecken, wie er selbst auferstanden ist. Und wenn ein auf die Gebeine des toten Propheten Elisa von den Kindern Israels geworfener Körper eines Menschen auferstand, so werdet auch ihr, die ihr auf den Körper und die Gebeine und den Geist des Herrn geworfen seid, an jenem Tage auferstehen mit unversehrtem Leibe“ (Übers. Schneemelcher / Kasser). 103 In den Zusammenhang, den die Epistula Apostolorum zwischen Jesu fleischlicher Auferstehung (die durch den Vater bewirkt wurde) und der fleischlichen Auferstehung der Glaubenden herstellt, ist außerdem die Fleischwerdung Jesu einbezogen (vgl. EpAp 21). Ähnlich auch Irenäus, Haer. 5,7,1. 104 Zu Ps.-Justin, De resurrectione 9 vgl. Markschies, Gottes Körper, 397f.: „Eine ganz ähnliche Argumentation mit der körperlichen Realität der Erscheinungen des Auferstandenen findet sich schon in der Schrift De resurrectione, deren Zuschreibung an den stadtrömischen Apologeten Justinus Martyr umstritten ist, die aber ziemlich sicher bereits aus dem zweiten Jahrhundert stammt. Hier wird das gemeinschaftliche Essen von Fisch und Honig, zu dem nach dem Bericht des Lukasevangeliums am Ostermontag Jesus mit seinen Jüngern zusammenkam, ebenfalls als Argument dafür genommen, dass der Auferstandene nach der Auferstehung seinen vollständigen menschlichen Körper besitzt und dass dieser auch bei allen anderen Menschen, die auferstehen werden, verbleiben wird […].“

1.6 Textauswahl

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Gottes in verdichteter, meditativ-reflektierender und sich für die Leserschaft öffnender Form geschildert wird (EV NHC I,3 p. 30,23–31,1). Alle drei genannten Texte zeigen ein Interesse, die einmalige Erscheinungserfahrung für die folgenden Generationen nachvollziehbar zu machen. Während das Evangelium Veritatis die vergangene Erscheinung Jesu durch die Lektüreerfahrung selbst für die Gegenwart transparent werden lässt, machen Ignatius und der Liber Bartholomaei die Eucharistie zu der Form, in der sich das Vergangene, Einmalige der leiblichen Erscheinung Jesu in die Gegenwart hinein fortsetzt. Dazu verbinden sie ihre Rezeption der Erscheinungsüberlieferung auf je eigene Weise mit einer Eucharistiedeutung. Diese Interdependenz wird dadurch deutlich, dass Aspekte des Erscheinens des Auferstandenen auch in das jeweilige Eucharistieverständnis einfließen und umgekehrt die Eucharistiedeutung die Rezeption der Erscheinungsüberlieferung steuert. Darüber hinaus sollen zwei Texte untersucht werden, die ihre jeweiligen Vorstellungen über die lebensgebende, Auferstehung verbürgende Anteilhabe am Leib Jesu unter Aufnahme von Motiven aus Joh 6,51–58 und 1 Kor 15 entwickeln: ein Abschnitt aus Irenäus’ Werk Adversus haereses (5,2,3) und aus dem Philippusevangelium (EvPhil 23, NHC II,3 p. 56,26–57,19). In beiden Tex­ten wird die Eucharistie zum Leitkontext, in dem die genannten neutestamentlichen Texte reinterpretiert werden. Die Eucharistiedeutungen entfalten genauer, wie der Leib bzw. das Fleisch Jesu auf das Fleisch der Glaubenden einwirkt und auf welche Weise dieser Vorgang eine Auferstehung im Fleisch ermöglicht. Einen dritten Weg schließlich beschreitet der Rheginusbrief, der die Auferstehung verbürgende Partizipation an Jesu Leib räumlich interpretiert. Jesu Leib wird hier zum Heilsraum, der dem Kosmos gegenübersteht und ihn schließlich überwindet. Die Glaubenden haben schon vor ihrem Tod Anteil an diesem Raum, der mit Christus gleichgesetzt ist – sie sind schon jetzt von Christus „ergriffen und umfangen“. Um dies an die Überlieferung rückzubinden, greift der Verfasser des Rheginusbriefes vor allem auf Motive aus dem Kolosser- und Epheserbrief zurück und konzipiert die Auferstehung als einen Prozess, der sich von innen nach außen und von unten nach oben immer weiter durchsetzt, bis zur kosmischen Vollendung. Um in der Textbehandlung diese hier systematisierten Zusammenhänge nicht zu sehr vorwegzunehmen und in die Texte einzulesen, orientiert sich der Aufbau der Arbeit an einer ungefähren Abfolge der Entstehung der Texte. Eingesetzt wird daher mit den Ignatiusbriefen, während der Liber Bartholomaei den Schluss bildet. Die behandelten Schriften, die aus dem Nag-Hammadi-Fund stammen, werden aus den Editionen der „Nag Hammadi Studies“ zitiert,105 der Liber Bartholomaei nach der kritischen Edition von Matthias Westerhoff.106 105 Peel, Treatise on the Resurrection; Attridge / MacRae, Gospel of Truth; Layton, Gos­pel according to Philip.  106 Westerhoff, Auferstehung und Jenseits.

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1. Einführung in das Thema

Passagen aus den Briefen des Ignatius von Antiochien werden wiedergegeben nach Joseph A. Fischer (SUC 1), Abschnitte aus dem Werk Adversus haereses des Irenäus von Lyon werden zitiert nach der Edition von Norbert Brox (FC 8). Übersetzungen werden jeweils nachgewiesen; wo dies nicht geschieht, handelt es sich um eigene.

Kapitel 2

Die Überwindung des Todes durch Berühren des Auferstandenen: Der Brief des Ignatius an die Smyrnäer (3,1–3) 2.1 Einführung Im Zentrum der Erzählung über die Erscheinung des Auferstandenen im Brief des Ignatius an die Gemeinde in Smyrna steht die Aufforderung Jesu an die Erscheinungszeugen, ihn zu berühren und zu sehen, dass er kein körperloser Geist ist. Der Brief an die Smyrnäer fügt sich damit in eine Reihe von Zeugnissen ein, die eine Erscheinungserzählung bieten und in ihr die Gestalt der Erscheinung, ihre Berührbarkeit und Körperhaftigkeit thematisieren.1 In der Epistula Apostolorum, bei Ps.-Justin und im Liber Bartholomaei wird darüber hinaus berichtet, dass einzelne Jünger den Leib bzw. die Wundmale Jesu tatsächlich betasteten, ein Erzählzug, der weder bei Lukas noch bei Jo­hannes begegnet. Auch Ignatius weiß davon, dass die „Leute um Petrus“ den Auferstandenen wirklich berührten. In seiner Erzählung singulär und ohne Parallele ist gleichwohl, was im Moment des Berührens geschieht: Durch das Betasten des Leibes Jesu kamen die Jünger, so heißt es in IgnSm 3,2, in engsten Kontakt zu seinem Fleisch und Geist und überwanden so den Tod. Was die Wirkung der leiblichen Erscheinung betrifft, geht der Ignatiusbrief folglich über die genannten Texte hinaus: Nicht nur die leibliche Erscheinung erhält Bedeutung, sondern der Leib selbst, ja sogar das Fleisch Jesu. Jesu Erscheinung im Leib belegt hier nicht allein, dass Jesus leiblich auferstanden ist und dass es generell eine leibliche Auferstehung aller Glaubenden geben wird, sondern die enge Verbindung zu Jesu σάρξ selbst lässt die Jünger den Tod „überwinden“. Der Kontakt zu Jesu σάρξ und zu seinem Geist wird so als Moment einer tiefgreifenden Transformation der Jünger beschrieben. Ein Blick auf die allgemeinen Verwendungsweisen des σάρξ-Begriffs bei Ignatius wird zeigen, dass die große Bedeutung des Fleisches (Jesu) bei Ignatius nicht auf IgnSm 3 beschränkt ist, sondern σάρξ in den Ignatiusbriefen in einer Vielzahl von Bedeutungsnuancen begegnet. Sie umfassen das reale Fleisch Jesu, seine Menschheit (vgl. IgnEph 7,2), sein Leiden, das sich „in der σάρξ“ ereignete, sein gesamtes irdisches Wirken, wie es im Evangelium zu1 Dazu

gehören Lk 24,36–43 und Joh 20,19f.24–29; EpAp 11f. (22f.); Ps.-Justin, De re­ surrectione 9; LibBarth Ms. C p. 43 (20,12); p. 55 (24,6) (s. u. Kap. 7).

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2. Ignatius an die Smyrnäer

sammengefasst ist (vgl. IgnPhld 5,1, vgl. auch 8,2), und schließlich sogar die sichtbare neben der unsichtbaren Seite der Wirklichkeit (vgl. IgnMagn 3,2;2 IgnSm 3,3; IgnPhld 11,2 3). In den sprachlichen Zuspitzungen des Ignatius kann σάρξ nicht zuletzt zum direkten Objekt des Heilshandelns Gottes werden (vgl. IgnSm 7,1).4 Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach der Bedeutung der sarkischen Erscheinung Jesu vor den Jüngern in IgnSm 3 und deren „Überwindung des Todes“. Überliefert wurden die Briefe des Ignatius, Bischof von Antiochien, in einer mittleren und in einer langen Rezension, die neben den sieben bei Euseb (Hist. eccl. 3,36,5–11) genannten noch sechs weitere Briefe umfasst. Außerdem ist eine auf drei Briefe gekürzte syrische Rezension erhalten. Dass die sieben bei Euseb aufgezählten Briefe der mittleren Rezension auf den syrischen Bischof Ignatius zurückgehen, während die sechs weiteren, ebenfalls Ignatius zugeschriebenen Briefe der Langrezension sekundäre Ergänzungen aus dem 4. Jahrhundert darstellen, ist in der Ignatiusforschung bis auf wenige Ausnahmen Konsens.5 Die älteste Fassung der Korrespondenz wird traditionell unter Bezugnahme auf Angaben bei Euseb (Hist. eccl. 3,32; 3,36,2–15) auf das zehnte Jahr der Regierungszeit des Kaisers Trajan (um 107 / 108) datiert.6 Seit der Kommentierung der Briefe durch J. B. Lightfoot Ende des 19. Jahrhunderts7 werden allerdings Unsicherheiten in den Angaben bei Euseb diskutiert und die Grundlage von dessen Datierung mit Adolf von Harnack kritisiert.8 Darüber hinaus wurde in der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts noch einmal nachdrücklich aufgrund innerer, theologiegeschichtlicher Kriterien die Echtheit der Briefe überhaupt infrage gestellt.9 Die daraus entstandene Forschungsdis2 IgnMagn 3,2: εἰς τιμὴν οὖν ἐκείνου τοῦ θελήσαντος ἡμᾶς πρέπον ἐστὶν ἐπακούειν κατὰ μηδεμίαν ὑπόκρισιν, ἐπεὶ οὐχ ὅτι τὸν ἐπίσκοπον τοῦτον τὸν βλεπόμενον πλανᾷ τις, ἀλλὰ τὸν ἀόρατον παραλογίζεται. τὸ δὲ τοιοῦτον οὐ πρὸς σάρκα ὁ λόγος, ἀλλὰ πρὸς θεὸν τὸν τὰ κρύφια εἰδότα („Zur Ehre dessen, der uns erwählt hat, ist es daher geziemend, ohne jede Heuchelei zu gehorchen, da man ja nicht diesen sichtbaren Bischof täuscht, sondern den unsichtbaren betrügt. In solchem Falle aber hat man es nicht mit dem Fleisch zu tun, sondern mit Gott, der das Verborgene weiß“, Übers. Fischer). 3 IgnPhld 11,2: ἀσπάζεται ὑμᾶς ἡ ἀγάπη τῶν ἀδελφῶν τῶν ἐν Τρωάδι […] αὐτοὺς ὁ κύρι­ ος Ἰησοῦς Χριστός, εἰς ὃν ἐλπίζουσιν σαρκί, ψυχῇ πνεύματι πίστει ἀγάπῃ ὁμονοίᾳ („Es grüßt euch die Liebe der Brüder in Troas […]. Sie wird der Herr Jesus Christus ehren, auf den sie hoffen in Fleisch, Seele, Geist, Glaube, Liebe und Eintracht“, Übers. Fischer). 4 Vgl. daneben auch IgnSm 1,2: καθηλωμένον ὑπὲρ ἡμῶν ἐν σαρκί. 5 Vgl. dazu Fischer, SUC 1, 112. 6 Vgl. Fischer, SUC 1, 114. 7 Vgl. Lightfoot, Apostolic Fathers, Bd. 2 / 2, 449–472. 8 Vgl. von Harnack, Zeit des Ignatius, der zunächst eine Spätdatierung vertrat, bevor er sich Zahn und Lightfoot anschloss. 9 Kritik an der Echtheit der Ignatiusbriefe war bereits zuvor von protestantischer Seite ge­äußert worden, vgl. dazu und zur älteren Forschungsgeschichte u. a. Wehr, Arznei der Unsterblichkeit, 24. Vgl. Joly, Le dossier d’Ignace d’Antioche; Hübner, Thesen; Lindemann, Antwort; Edwards, Ignatius and the Second Century; Schöllgen, Ignatianen. Nach Hübner

2.2 Überlieferungsgeschichtliche Bezüge und Frontstellungen

37

kussion zu Authentizität und ursprünglichem Wortlaut der Briefe und zu ihrer Datierung bzw. der Datierung des Martyriums des Ignatius kann hier nicht eigens dargestellt werden,10 ist aber für meine Fragestellung auch nicht entscheidend.11 Die Einordnung der Briefe in das 2. Jahrhundert wird jedenfalls kaum ernsthaft bestritten. Nach klassischer Auffassung, die auch gegenwärtig in weiten Kreisen Zustimmung findet, entstanden sie innerhalb des kurzen Zeitraums während der Reise des Ignatius von Antiochien nach Rom, wo er ausweislich des Zeugnisses bei Origenes und Euseb das Martyrium erlitt.12 Gerichtet an verschiedene Gemeinden in Städten Kleinasiens besitzen die Briefe für die Geschichte des frühen Christentums insofern grundsätzliche Bedeutung, als sie Licht auf einen ansonsten wenig durchleuchteten Zeitraum der formativen Phase des Christentums werfen.

2.2 Überlieferungsgeschichtliche Bezüge und Frontstellungen in IgnSm 2f. Zur Gemeinde in Smyrna, an die sich der hier im Zentrum stehende Brief des Ignatius richtet, scheint der Bischof ein herzliches, von ihrer Gastfreundschaft getragenes Verhältnis besessen zu haben. Das geht nicht nur aus dem Lob der Gemeinde im Präskript des Briefes, sondern auch aus weiteren Erwähnungen über den Aufenthalt des Ignatius in der kleinasiatischen Hafenstadt hervor, den er offenbar zum Verfassen der Briefe an die Epheser, Magnesier und Trallianer nutzte (IgnEph 21,1; IgnMagn 15; IgnTrall 12,1). Auch an der Kürze der Briefpräskripte an die Smyrnäer und an ihren Bischof Polykarp lässt sich möglicherweise ablesen, dass es keine nennenswerten persönlichen Konflikte mit setzen die Briefe eine entwickelte Form von Gnosis voraus und können daher erst in der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts entstanden sein. Wenn man die Existenz des Ignatius und sein Martyrium unter Trajan nicht abstreitet, müssten die Briefe demnach pseudepigraph sein. Ein anderer Argumentationszweig bezweifelt dagegen die Korrektheit der Angaben bei Eu­seb. Sprachanalysen würden eine Kenntnis von Ptolemäus zeigen (vgl. Barnes, Date of Ignatius). Außerdem sind die theologischen Positionen der Ignatianen in der Ekklesiologie, Christologie und in der Verwendung des Neuen Testaments weiter fortgeschritten. Damit könnte das Martyrium des Ignatius um 135 / 140 stattgefunden haben, unter Kaiser Hadrian, oder, wie Foster, Epistle of Ignatius of Antioch, argumentiert, irgendwann zwischen 125 und 150. 10 Vgl. den Forschungsüberblick zur Echtheit der Ignatiusbriefe bei Wehr, Arznei der Unsterblichkeit, 24–30; Uebele, Gegner, 20–27. Zur Diskussion um die Datierung vgl. auch Atkins, Doubt of the Apostles, 83–85 mit Anm. 1 und 2. 11 Konsequenzen aus der Datierung ergeben sich vor allem für die Entstehung des Bischofsamtes, die Geschichte des Doketismus und der Gnosis (zu Letzterer vgl. Lechner, Ig­natius adversus Valentinianos?, mit der These, dass Ignatius valentinianische Gnosis parodiere). Für die Debatte um den ignatianischen Gebrauch von Texten, die später zum Neuen Testament wurden, siehe Foster, Epistles of Ignatius of Antioch. 12 Origenes, Hom. Luc. 6; Euseb, Hist. eccl. 3,36,3; vgl. auch schon Polyk 9,1f.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

der Gemeinde gab.13 Eine Gefahr aus Sicht des Bischofs stellten allerdings nicht näher beschriebene, in der Gemeinde wirkende Gegner dar, die ebenfalls christliche Lehren vertraten. Der Smyrnäerbrief setzt sich an vielen Stellen mit dieser Gefährdung auseinander, die dem Absender zufolge die Gemeinde von außen bedrohte. In den Rahmen der Polemik gegen die zurückgewiesene gegnerische Christologie und ihre Vertreter gehört auch die Passage in IgnSm 3,1–3, in der Ignatius eine Tradition über die Begegnung des Auferstandenen mit einigen Jüngern (οἱ περὶ Πέτρον) rezipiert. Vom vorausgehenden Kontext, in dem Ignatius die Existenz der Gemeinde eng mit dem christlichen Bekenntnis zu Menschwerdung, Leiden und Auferstehung Jesu Christi verschränkt und sich vor diesem Hintergrund in polemischer Absicht den Gegnern zuwendet (IgnSm 1f.),14 unterscheidet sich die Erscheinungserzählung lediglich durch den Wechsel vom argumentierenden in den erzählenden Modus: (1) Ἐγὼ γὰρ καὶ μετὰ τὴν ἀνάστασιν ἐν σαρκὶ αὐτὸν οἶδα καὶ πιστεύω ὄντα.15 (2) καὶ ὅτε πρὸς τοὺς περὶ Πέτρον ἦλθεν, ἔφη αὐτοῖς· Λάβετε, ψηλαφήσατέ με καὶ ἴδετε, ὅτι οὐκ εἰμὶ δαι­ μόνιον ἀσώματον. καὶ εὐθὺς αὐτοῦ ἥψαντο καὶ ἐπίστευσαν, κραθέντες τῇ σαρκὶ αὐτοῦ καὶ τῷ πνεύματι. διὰ τοῦτο καὶ θανάτου κατεφρόνησαν, ηὑρέθησαν δὲ ὑπὲρ θάνατον. (3) με­τὰ δὲ τὴν ἀνάστασιν συνέφαγεν αὐτοῖς καὶ συνέπιεν ὡς σαρκικός, καίπερ πνευματικῶς ἡνω­μένος τῷ πατρί. (1) Denn ich weiß und glaube, dass er auch nach der Auferstehung im Fleisch ist. (2) Und als er zu denen um Petrus kam, sprach er zu ihnen: „Fasst (mich) an, betastet mich und seht, dass ich kein körperloser Geist bin.“ Und sogleich betasteten sie ihn und kamen zum Glauben, da sie sich eng verbunden hatten mit seinem Fleisch und seinem Geist. Deshalb verachteten sie auch den Tod und fanden sich stärker als der Tod. (3) Nach der Auferstehung aber aß er mit ihnen und trank wie fleischlich, wenngleich geistlich mit dem Vater verbunden.

Verschiedentlich wurde angenommen, Ignatius habe die Passage in IgnSm 3,2f. nach Lk 24,36–43 gestaltet.16 Diese Annahme stützt sich auf Parallelen in der vorausgesetzten Szenerie, nämlich der Schilderung der Erscheinung des Auferstandenen vor den elf Jüngern bzw. der Petrusgruppe (IgnSm 3,2; Lk 24,33f.) und dem die Selbstvorstellung des Auferstandenen abschließenden Essen vor allen (IgnSm 3,3; Lk 24,43; vgl. auch Apg 10,41). Vor allem aber beruht die Annahme auf den Übereinstimmungen zwischen der Herrenworttradition in Lk 24,39 und in IgnSm 3,2. Wortgleich mit dem Herrenwort in Lk 24,39 ist der Eingangsteil in IgnSm 3,2: ψηλαφήσατέ με καὶ ἴδετε ὅτι. Der weitere Wortlaut des Herrenwortes in IgnSm 3,2 (οὐκ εἰμὶ δαιμόνιον ἀσώματον) weicht in der mittleren Rezension von Lk 24,39 (πνεῦμα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει) ab.17 Gleichwohl könnte die inhaltliche Nähe zu Lk 24,39d bedeuten, dass das 13 Vgl.

Schoedel, Briefe des Ignatius, 342. dazu unten 2.4.1. 15 Vgl. auch Sib 7,318–320. 16 Vgl. u. a. Vielhauer / Strecker, Judenchristliche Evangelien, 144–145; Frey, Fragmente judenchristlicher Evangelien, 585; Bellinzoni, Gos­pel of Luke, 57f.; Hill, Ignatius. 14 Siehe

2.2 Überlieferungsgeschichtliche Bezüge und Frontstellungen

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Wort des Auferstandenen in IgnSm 3,2 eine freie Wiedergabe des lukanischen Herrenwortes darstellt, die Ignatius nach seinen eigenen Aussageabsichten gestaltete.18 Die Begriffe δαιμόνιον und ἀσώματος sind für Ignatius ungewöhnlich. Sie könnten sich daher einer sonst unbekannten Tradition verdanken. Da sich in den Ignatianen außerdem keine weiteren Anklänge an das Lukasevangelium oder gar Zitate daraus finden lassen,19 ist generell unklar, ob Ignatius das Lukasevangelium (in der uns vorliegenden Fassung) 20 kannte und die Herrenwortüberlieferung zusammen mit ihrem Kontext aus Lk 24 übernahm. Ein Argument für die Unabhängigkeit des Ignatius von Lukas und für eine offenere Überlieferungsgeschichte des Herrenwortes liefern weitere Vorkommen des Logions bei Origenes, Euseb und Hieronymus, die dafür verschiedene Quellen angeben, niemals jedoch das Lukasevangelium. So zitiert Euseb IgnSm 3,1–2a und kommentiert, dass er die Quelle des Ignatius nicht kenne,21 Origenes weist das Herrenwort (ohne Ignatius zu erwähnen) der apokryphen Doctrina Pet­ ri zu,22 und Hieronymus gibt als Quelle des Ignatius das Hebräerevangelium bzw. ein anderes judenchristliches Evangelium an,23 wobei er allerdings wahrscheinlich von Euseb abhängt.24 17 Die Langrezension der Ignatiusbriefe aus dem 4. Jahrhundert fügt an die Version des Herrenwortes der mittleren Rezension noch die lukanische Formulierung an. Eine polemische Rezeption von Lk 24,39 liegt in Tertullian, Carn. Chr. 5,9f. vor, die Tertullian gegen Markion ins Feld führt: „Demnach war er auch nach seiner Auferstehung nur ein phantasma, als er seine Hände und Füße seinen Jüngern zur Betrachtung darbot. Er sagte dabei noch: ‚Seht doch, dass ich es bin, denn ein Geist hat keine Knochen, wie ihr sehen könnt, dass ich sie habe‘ (Lk 24,39). Ohne Zweifel handelte es sich um Hände, Füße und Knochen, welche ein Geist nicht hat, sondern das Fleisch“ (Übers. Lukas). Vgl. auch Tertullian, Marc. 4,43,6f. 18 Vgl. Atkins, Doubt of the Apostles, 91f., der sogar mit der Abhängigkeit des Ignatius vom Lukasevangelium und der Apostelgeschichte rechnet. Anders dagegen Lona, Sprachgebrauch, 390. Gregory, Reception of Luke and Acts, 72, problematisiert, dass Ignatius, sollte er Lk 24,39 als Vorlage verwendet haben, πνεῦμα und σάρξ nicht übernimmt, obwohl beide Begriffe von ihm sonst häufig verwendet werden. Dabei übersieht er, dass πνεῦμα im Zusammenhang von Lk 24,39 in einer negativen Sinngebung erscheint, die Ignatius mit seinem Verständnis von πνεῦμα wohl nicht verwechselt wissen wollte. 19 Vgl. Koester, Synoptische Überlieferung, 60; Niederwimmer, Theologie des Neuen Tes­taments, 81. 20 Dass Ignatius eventuell einen anderen, ursprünglicheren Wortlaut von Lk 24,39 kannte und rezipierte, diskutiert Gregory, Reception of Luke and Acts, 72f. 21 Vgl. Euseb, Hist. eccl. 3,36,11. 22 Origenes, Princ. 1 praef. 8. Zur Verwendung des Herrenwortes bei Origenes, der es als Argument seiner Gegner für die Körperhaftigkeit Gottes zitiert, vgl. Markschies, Gottes Körper, 89f.; Lightfoot, Apostolic Fathers, Bd. 2 / 2, 296. 23 Hieronymus, Comm. Isa. prol. 47–52 (hier ohne Bezug auf Ignatius) sowie Vir. ill. 16,4. 24 Hieronymus zitiert nur den auch von Euseb gebotenen Text und weist die Stelle unzutreffend dem Brief des Ignatius an Polykarp zu, was auf einer oberflächlichen Lektüre des Textes bei Euseb beruht, vgl. dazu Frey, Fragmente judenchristlicher Evangelien, 585 mit Anm. 149.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Die unterschiedlichen Herkunftsangaben bei Origenes und Hieronymus könnten ein Hinweis darauf sein, dass sich die Überlieferungsbeziehungen nicht auf Lk 24,39 und IgnSm 3,2 beschränken, sondern das Herrenwort in IgnSm 3,2 oder vielleicht sogar die ganze Überlieferung in IgnSm 3,1–3 25 auf einer älteren Erscheinungstradition basiert, die in verschiedenen Texten, zu denen unter anderem auch Lk 24 und IgnSm 3 gehören, Niederschlag fand.26 Eine letzte Sicherheit gibt es diesbezüglich nicht, zumal nicht auszuschließen ist, dass bei Erstellung der Handschriften der mittleren Rezension solche Stellen, die eine Nähe zu den kanonisch gewordenen Evangelien besaßen, sekundär an deren Wortlaut angepasst wurden. Nicht zuletzt müssen bei der Beurteilung der Frage nach literarischer Abhängigkeit die Entstehungsumstände der Ignatiusbriefe berücksichtigt werden: Vermutlich hatte der Bischof auf seiner Reise nach Rom keinen Zugang zu entsprechenden Texten, so dass er die lukanische Version der Erscheinungserzählung aus dem Gedächtnis wiedergegeben haben könnte.27 Eine literarische oder mündlich vermittelte Abhängigkeit der Passage in IgnSm 3,2f. von Lk 24,36–43 kann also nicht einfach vorausgesetzt werden. Trotzdem ist ein Vergleich der Erscheinungserzählungen in beiden Texten aufschlussreich: Bei Lukas dienen die Erwähnung der σάρξ und einzelner Körperteile Jesu sowie die Aufforderung zum Betasten und der abschließende Essensbeweis dem Beleg, dass Jesus kein „bloßer“ Geist bzw., neutraler formuliert, keine nichtphysische Erscheinung (πνεῦμα) ist.28 Was Lukas an dieser Stelle (und bereits in V. 37) mit πνεῦμα meint, ist umstritten. Es könnte an einen nach jüdischem Denken eigentlich dem Totenreich bzw. der Schattenwelt angehörenden und von dort vorübergehend in der Welt der Lebenden erscheinenden Totengeist gedacht sein oder auch an ein körperloses Geistwesen in Analogie zu Apg 23,8f.29 und Eph 6,12 30 (vgl. auch Num 25 Vgl.

zur möglichen Zugehörigkeit der Fortsetzung in IgnSm 3,2 (καὶ εὐθὺς αὐτοῦ ἥψαν­το καὶ ἐπίστευσαν …) zur originären Überlieferung des Herrenwortes Paulsen, Theologie des Ignatius, 39f. 26 Vgl. Koester, Synoptische Überlieferung, 45–56; Brown, Gospel of Ignatius, 39; Schoe­del, Briefe des Ignatius, 266–267. Dass der Text bei Ignatius auf Überlieferung basiert, wird auch durch den an sich überflüssigen Neueinsatz in IgnSm 3,3 (μετὰ δὲ τὴν ἀνά­ στασιν) nahegelegt. Da bereits in IgnSm 3,1 die österliche Rahmensituation fast wortgleich beschrieben ist, scheint sich zumindest dieser Teil in IgnSm 3,3 einer Überlieferung zu verdanken. Vgl. auch Atkins, Doubt of the Apostles, 88f. 27 Vgl. auch Foster, Epistles of Ignatius of Antioch, 161. 28 Vgl. die Ausführungen bei Foster, Christophany Stories, 85f. 29 Apg 23,8f.: Σαδδουκαῖοι μὲν γὰρ λέγουσιν μὴ εἶναι ἀνάστασιν μήτε ἄγγελον μήτε πνεῦ­μα, Φαρισαῖοι δὲ ὁμολογοῦσιν τὰ ἀμφότερα. ἐγένετο δὲ κραυγὴ μεγάλη, καὶ ἀναστάντες τι­νὲς τῶν γραμματέων τοῦ μέρους τῶν Φαρισαίων διεμάχοντο λέγοντες· οὐδὲν κακὸν εὑ­ρίσ­ κομεν ἐν τῷ ἀνθρώπῳ τούτῳ· εἰ δὲ πνεῦμα ἐλάλησεν αὐτῷ ἢ ἄγγελος; 30 Eph 6,12: ὅτι οὐκ ἔστιν ἡμῖν ἡ πάλη πρὸς αἷμα καὶ σάρκα ἀλλὰ πρὸς τὰς ἀρχάς, πρὸς τὰς ἐξουσίας, πρὸς τοὺς κοσμοκράτορας τοῦ σκότους τούτου, πρὸς τὰ πνευματικὰ τῆς πονη­ ρίας ἐν τοῖς ἐπουρανίοις.

2.2 Überlieferungsgeschichtliche Bezüge und Frontstellungen

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16,22; TestJob 27,2), wo die „fleischlichen“ Wesen den Geistern gegenübergestellt werden.31 Lukas verwendet πνεῦμα in der Regel für einen „unreinen“ (Lk 4,33.36; 6,18 u. ö.) oder bösen Geist (Lk 7,21; 8,2 u. ö.). Nach der umfassenden Studie von John Granger Cook, die pagan-griechische, lateinische und jüdische Parallelen heranzieht, bezeichnet Lukas mit πνεῦμα einen „ghost“, wobei über die nähere Eigenart dieses Geistes, seine Herkunft und seine Wirkung, nicht mehr gesagt werden kann.32 In jüngerer Zeit wurde darauf hingewiesen, dass πνεῦμα in Lk 24,39 nicht im Sinne der Erscheinung eines Totengeistes verstanden werden könne, da πνεῦμα in dieser Bedeutung sonst nirgends belegt sei.33 Üblich seien vielmehr Lexeme wie φάσμα,34 φάντασμα, εἴδωλον, δαί­ μων, ψυχή. Dagegen ist jedoch die Lesart des Codex Bezae ins Feld zu führen, der an dieser Stelle φάντασμα liest und im Kontext der Passage offenbar an einen „(Toten-)Geist“ denkt. Auch die Parallelüberlieferung in EpAp 11 (22), die eine ganz ähnliche Szenerie schildert, spricht von einem φάντασμα. In einer Untersuchung zu Lk 24 weist Israel Muñoz Gallarte außerdem darauf hin, dass entsprechende Bezeichnungen austauschbar waren.35 Er setzt sich mit Erscheinungserzählungen in der pagan-griechischen Umwelt des Christentums auseinander und arbeitet hier sowohl individuelle Züge der lukanischen Erscheinung heraus (so sind das initiative Sprechen des Auferstandenen und die Vielzahl von Zeugen ungewöhnlich) als auch Züge, die außerhalb des Lukasevangeliums ebenfalls belegt sind. Zu letzteren gehört auch, dass die Erscheinung berührbar ist und essen kann. Beispiele dafür bieten Homers Odyssee, in der geschildert wird, wie der Geist der verstorbenen Antiklea das Blut geopferter 31 Wolter,

Lukasevangelium, 789. Wolter zufolge hätte Lukas in 24,37 von „seinem Geist“ gesprochen, hätte er den Geist des Verstorbenen gemeint. Stattdessen sei ein Geistwesen gemeint wie die πνευματικὰ τῆς πονηρίας in Eph 6,12. Dagegen spricht jedoch, dass dann die Meinung der Jünger, sie würden die Erscheinung eines Geistwesens sehen, durch diese Erscheinung selbst irgendwie veranlasst sein müsste. Lukas erwähnt aber abgesehen von dem plötzlichen Erscheinen keinerlei weitere Merkmale einer Geisterscheinung. 32 Cook, Empty Tomb, 610f. 33 Vgl. Smith, Seeing the Pneuma(tic) Body. Smith interpretiert die Passage in Lk 24,36– 43 als Ablehnung der paulinischen Vorstellung eines pneumatischen Auferstehungsleibes: „Since for Luke, as for later Christian authors, bodily resurrection must be fleshly resurrection, Paul’s view of a ,spiritual body‘ (1 Cor 15:44–46) becomes in Luke’s story the ,[disembodied] spirit‘ that the disciples think they see and that the author’s risen Jesus expressly refutes.“ Gegen diese Interpretation siehe Cook, Empty Tomb, 609: „The thesis that Luke was aware of Corinthians seems highly speculative. […] The disciples’ belief that they were seeing a spirit (24:37) should not be conflated with Paul’s resurrection kerygma.“ Gegen die Auffassung Smiths spricht, dass im Kontext des gesamten Lukasevangeliums und angesichts der ausführlichen Darstellung des irdischen Wirkens Jesu bis zum Kreuzestod erst einmal seine Auferstehung als solche plausibel gemacht werden muss. Nichts deutet darauf hin, dass Lukas bereits verschiedene Auferstehungsvorstellungen im frühen Christentum voraussetzt und gegen eine bestimmte Richtung argumentiert. Auch die grundsätzliche Aussage πνεῦμα σάρκα καὶ ὀστέα οὐκ ἔχει in Lk 24,39 deutet eher an, dass die Auferstehung Jesu generell infrage stand, und nicht, dass man Jesus als in einem pneumatischen Leib auferstanden dachte. 34 Vgl. etwa Euripides, Alc. 1127: φάσμα νερτέρων. 35 Vgl. Gallarte, Luke 24 Reconsidered, 136. Belege, bei denen πνεῦμα und φάντασμα nebeneinander und ohne erkennbare Differenzierung begegnen, bietet Cook, Empty Tomb, 609.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Tiere trinkt,36 sowie der Bericht des kleinasiatischen Buntschriftstellers Phlegon von der auf­erstandenen Philinnion, in dem davon die Rede ist, dass einige Geister die Körper von Kindern essen.37 Daneben gibt es aber auch Zeugnisse, die bei Engeln oder Geistern definitiv vom Unvermögen zu essen 38 und von ihrer Körperlosigkeit ausgehen: So spricht etwa Ovid von den „blutlosen Schatten“ der Unterwelt, die umherirren „ohne Körper und Knochen“.39 Nach Lukas und im Kontext seiner Erscheinungserzählung in Lk 24,36–43 unterscheidet die Erscheinung des Auferstandenen gerade die Tatsache, dass sie betastbar ist und essen kann, von einem πνεῦμα, demnach zählt der Evangelist die πνεύματα zu den fleischlosen Wesen. Ansonsten orientiert er sich in Grundzügen durchaus an anderen Erscheinungserzählungen. Einige feste Topoi, die dazugehören können, umfassen die Plötzlichkeit der Erscheinung, die Furcht und das Erschrecken der Jünger, das In-Kontakt-Treten durch Dialog und die Vermittlung einer abschließenden Botschaft.40 Aber gerade die betonte Körperlichkeit Jesu durchbricht bei Lukas das Genre der Geisterscheinungen.41

Σάρξ ist in Lk 24 ein Teilbereich des Körperlichen, genauso wie die erwähnten ὀστέα. Beide bilden zu πνεῦμα einen diametralen Gegensatz. Ignatius verwendet den Begriff σάρξ in seiner Version des Herrenwortes dagegen nicht, und auch πνεῦμα begegnet bei ihm nicht als Teil des Herrenwortes. Πνεῦμα und σάρξ werden einander nicht gegenübergestellt. In der ignatianischen Formulierung der Überlieferung scheint vielmehr zunächst die Auseinandersetzung mit den Gegnern leitend zu sein. Bemerkenswert ist nämlich die spezifisch ignatianische Fortsetzung des Herrenwortes, in der mit der Wendung δαιμόνιον ἀσώματον markante Termini der Gegnerbeschreibung aus IgnSm 2 wiederkehren. Der Wortlaut könnte von Ignatius eigens zur Abwertung der Gegner gewählt worden sein.42 Die ungewöhnliche Wortwahl οὐκ εἰμὶ δαιμόνιον ἀσώματον 43 könnte sich also an die Diktion der Gegner anlehnen, die Ignatius dann mit ihren eigenen Schlagworten widerlegen würde.44 Durch die ignatianische Version des Herrenwortes entsteht nämlich ein unmittelbarer Gegensatz zwischen der Selbstvorstellung des Auferstandenen und der Charakterisierung der Gegner in IgnSm 2. Wenn hier eine bewusste Gestaltung des Ignatius zugrunde liegt, so konstruiert er einen Zusammenhang zwischen der Christologie der Gegner und ihrer eigenen „schat36 Vgl.

Homer, Od. 11,141–154. FGH 257 Frg. 36; vgl. Gallarte, Luke 24 Reconsidered, 143. 38 Vgl. Tob 12,19: πάσας τὰς ἡμέρας ὠπτανόμην ὑμῖν καὶ οὐκ ἔφαγον οὐδὲ ἔπιον ἀλλὰ ὅρα­σιν ὑμεῖς ἐθεωρεῖτε. Vgl. Goodman, Do Angels Eat? 39 Vgl. Ovid, Metam. 4,443. 40 Vgl. Gallarte, Luke 24 Reconsidered, 145; Wolter, Lukasevangelium, 788. 41 Vgl. hier auch Foster, Christophany Stories, 86. 42 So Maurer, Ein umstrittenes Zitat, 168. Sollte Ignatius jedoch das gesamte Herrenwort bereits in der Überlieferung vorgefunden haben, könnte er in IgnSm 2 die polemischen Bezeichnungen „dämonisch und körperlos“ aus der Herrenworttradition entlehnt haben. So argumentiert Lona, Sprachgebrauch, 389. 43 Die Ausdrücke δαιμονικός und δαιμόνιον begegnen bei Ignatius sonst nicht, und ἀσώ­ ματος ist in der frühchristlichen Literatur nur hier belegt. 44 Vgl. Ehrman, Orthodox Corruption, 201 Anm. 73; Atkins, Doubt of the Apostles, 95. 37 Vgl.

2.2 Überlieferungsgeschichtliche Bezüge und Frontstellungen

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tenhaften“ Existenz.45 Er unterstellt den Gegnern ein bloß scheinbares Dasein (καὶ ἀληθῶς ἔπαθεν, ὡς καὶ ἀληθῶς ἀνέστησεν ἑαυτόν, οὐχ ὥσπερ ἄπιστοί τι­νες λέγουσιν, τὸ δοκεῖν αὐτὸν πεπονθέναι, αὐτοὶ τὸ δοκεῖν ὄντες).46 In ihrem Denken über Christus entlarven die Gegner nur ihr eigenes Wesen. Über die tatsächlichen Ansichten und die religionsgeschichtliche Verortung der bekämpften Front ist in der Forschung viel diskutiert worden.47 Diese Kontroverse kann hier nicht eigens wiedergegeben werden. Als eines ihrer wesentlichen Ergebnisse kann aber gelten, dass sich aus der Polemik des antio­ chenischen Bischofs bis auf wenige Aspekte kein klares Profil der gegnerischen Christologie oder gar der Umriss einer konkreten Gruppierung gewinnen lässt.48 Ignatius beschreibt die Gegner nicht eigens, was er in IgnSm 5,3 sogar ausdrücklich damit begründet, dass ihrer nicht gedacht werden soll. Vielmehr charakterisiert er sie aus dem Blickwinkel seiner eigenen Christologie und aus der Perspektive seines „Entsprechungskonzepts“ und bietet dabei ein polemisch stark verzerrtes Bild: Da sie Jesus nicht als „Fleischträger“ (σαρκοφόρος) bekennen, seien sie selbst „Leichnamträger“ (νεκροφόρος, IgnSm 5,2), ihr wirkliches Menschsein wird ihnen abgesprochen, sie sind θηρία ἀνθρωπομόρφα, wilde Tiere in Menschengestalt (4,1). An sachlichen Hintergründen kann aus IgnSm 2 und dem Ausdruck τὸ δο­ κεῖν αὐτὸν πεπονθέναι allenfalls geschlossen werden, dass Ignatius seinen Gegnern vor allem die Leugnung des Leidens Jesu vorwirft.49 Möglich ist, dass die bekämpften Gegner annahmen, der Irdische habe nie eine σάρξ besessen. In diesem Fall hätte Jesus tatsächlich „nur zum Schein“ gelitten. Das bleibt 45 Hier zeigt sich der christologische Entsprechungsgedanke auch in der Gegnerpolemik, den Ignatius sonst positiv mit Blick auf sein „Gleichwerden“ mit dem Leiden Jesu Christi formuliert. Vgl. Paulsen, Theologie des Ignatius, 40f. 46 Vgl. auch IgnTrall 10,2: Εἰ δέ, ὥσπερ τινὸς ἄθεοι ὄντες, τουτέστιν ἄπιστοι, λέγουσιν, τὸ δοκεῖν πεπονθέναι αὐτόν, αὐτοὶ ὄντες τὸ δοκεῖν, ἐγὼ τί δέδεμαι, τί δὲ καὶ εὔχομαι θηριο­ μαχῆσαι; 47 Vgl. Uebele, Gegner; von Heyden, Doketismus und Inkarnation, 289–315; Heininger, Gnostische Kultkritik, 447; Wehr, Eucharistie, 890. 48 Vgl. die Zusammenfassung von Fischer, SUC 1, 119: „Zwei eng miteinander zusammenhängende Hauptthemen sind es, die Ignatius […] in den fünf Briefen an die kleinasiatischen Kirchen immer wieder vornimmt […]: Die Mahnung zur Eintracht in der Gemeinde […] und die spezielle Warnung vor durch Wanderprediger propagierten häretischen Lehren. Im Mg und Phd tragen letztere wohl im wesentlichen judaistisches Gepräge, im Tr und Sm erscheinen sie deutlich als Doketismus, was auch für den E anzunehmen ist. Ob es sich jedoch dabei um zwei getrennte Gruppen handelte, oder ob man einfach von einer judaistischdoketischen Bewegung sprechen darf, ist nicht mit Sicherheit zu erkennen.“ Das Problem einer Klassifizierung der gegnerischen Christologie als „doketisch“ liegt in der Übertragung späterer doketischer Denkgehalte auf diese frühe Form christologischen Denkens, vgl. Marshall, Objects, 5. 49 Das „Leiden“ kann sich prinzipiell auf die Ereignisse um die Kreuzigung Jesu beschränken, kann aber auch die menschliche, fleischliche Existenzweise Jesu schlechthin bezeichnen.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

spekulativ, klar ist nur, dass Ignatius die σάρξ Jesu auch in seinem Bericht von der Erscheinung des Auferstandenen, in der es eigentlich nicht mehr um das Leiden „im Fleisch“ geht, zu einem zentralen Motiv macht:50 Ignatius bekennt sich zum Auferstandenen ἐν σαρκί (IgnSm 3,1), und die Jünger berühren nach seiner Darstellung die σάρξ des Auferstandenen und nicht sein σῶμα, obwohl sich die Verwendung von σῶμα in Anlehnung an das Herrenwort und die Gegnercharakteristik in IgnSm 2 nahegelegt hätte. Der Gebrauch von σάρξ könnte stattdessen sicherstellen, dass der Auferstandene nicht als Geistwesen mit einem pneumatischen Leib zu verstehen ist. Lediglich vom Berühren des σῶμα Jesu zu sprechen, hätte an dieser Stelle vielleicht nicht eindeutig genug die Auffassung widerlegt, Jesus sei in einem pneumatischen Leib erschienen. Ignatius könnte hier indirekt gegen die Meinung argumentieren, Jesus habe seine σάρξ als irrelevante Materie beim Tod abgelegt. Von derartigen Strömun­ gen, die anhand von 1 Kor 15,50 den Glauben der Jünger an die fleischliche Auferweckung Jesu als großen Irrtum ansahen, will zumindest Irenäus Kenntnis haben: Jesus habe nach der Auferweckung nur einen psychischen und pneumatischen Leib besessen, das „Irdische“ dagegen zurückgelassen.51 Auch die (schwer datierbare, aber wohl nicht vor dem 3. Jahrhundert entstandene) Petrusapokalypse zeigt eine Christologie, der zufolge der „leidende Leib“ des Erlösers nur „eine Art Ersatz“ war und bei der Kreuzigung vom lebendigen Erlöser verlassen wurde (vgl. ApcPt NHC VII,3 p. 82,17–83,15). Für Ignatius ist jedenfalls gewiss: Ἐγὼ γὰρ καὶ μετὰ τὴν ἀνάστασιν ἐν σαρκὶ αὐτὸν οἶδα καὶ πισ­τεύω ὄντα (IgnSm 3,1). Konturen einer Christologie der angegriffenen Gegner lassen sich abgesehen davon kaum rekonstruieren.52 Für die Auslegung von IgnSm 3 und die 50 Anders

als in Lk 24,39 ist Jesu σάρξ nicht nur ein körperlicher Teil neben den ὀστέα. Haer. 1,30,13: „Viele von seinen Jüngern, so erzählen sie weiter, haben nicht begriffen, daß Christos auf ihn [sc. Jesus] herabgestiegen ist. Aber erst als Christos herabstieg auf Jesus, begann er damit, Wunder zu wirken, zu heilen und den unbekannten Vater zu verkündigen; sich selbst bekannte er offen als den Sohn des ersten Anthropos. Darüber wurden die Archonten und der Vater Jesu zornig, und arbeiteten darauf hin, ihn zu töten. Als er dazu abgeführt wurde, hat sich, sagen sie, Christos selbst mit der Sophia davongemacht in den unvergänglichen Äon. Jesus aber wurde gekreuzigt. Christos hat ihn, der zu ihm gehört, aber nicht vergessen, sondern hat von oben her eine bestimmte Kraft in ihn geschickt, die ihn auferstehen ließ in einem Leib. Diesen Leib nennen sie einen psychischen und pneumatischen Leib; die weltlichen Elemente hat er (sc. Jesus) nämlich in der Welt zurückgelassen. Obwohl die Jünger ihn (sc. Jesus Christus) nach seiner Auferstehung sahen, erkannten sie ihn nicht; ja, (sie erkannten) nicht einmal, durch wessen Gunst Jesus seinerseits von den Toten auferstanden ist. Und sie (sc. die Gnostiker) erklären, daß das der größte Irrtum seitens der Jünger war, daß sie meinten, er sei in dem weltlichen Leib auferstanden, weil sie eben nicht wußten, daß ‚Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht besitzen werden‘ (1 Kor 15,50)“ (Übers. Brox). 52 Näheres zur Christologie der Gegner wurde darüber hinaus verschiedentlich aus der Art, wie Ignatius die Erscheinungsüberlieferung gestaltet, abgeleitet. 51 Irenäus,

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

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Funktion des Begriffs σάρξ für die Erscheinungserzählung wäre es aber ohnehin nicht ausreichend, allein auf die Tradition in Lk 24 und die Spuren der gegnerischen Christologie zu verweisen. Das alles spielt für die Gestaltung der Erscheinungserzählung in IgnSm 3 eine Rolle, und es ist wahrscheinlich, dass Ignatius mit dem Einfügen dieser kurzen Erzählung in seinen größeren Argumentationsgang die christologischen Überzeugungen der Gegner mit einer Ostererscheinung und vor allem mit einem Wort des Auferstandenen, in dem die Charakterisierung der Gegner nachhallt, widerlegen will. Die kurze Erschei­nungsszene bietet aber eine Reihe „überschießender“ Elemente, die vor allem die σάρξ des Auferstandenen als wirkmächtige Größe beschreiben. Der Erscheinungsbericht schließt damit an die Tendenz in den Ignatiusbriefen an, σάρξ als einen Schlüsselbegriff zu etablieren, den Ignatius nicht nur in konkreten Frontstellungen, sondern auch positiv in der Entfaltung seiner auf Einheit der Gemeinden gerichteten Christologie und überhaupt in der Konzeption des gemeindlichen Lebens einsetzt.53 Da also Ignatius dem Fleisch Jesu in IgnSm 3 eine Wirkung zuschreibt, die es unmöglich macht, in ihr nur die Trägersubstanz des Körpers Jesu zu sehen, muss man auch in IgnSm 3 mit einer mehrdimensionalen Bedeutung von σάρξ rechnen. Wenn der Begriff der σάρξ an dieser Stelle in seiner semantischen Tiefe erfasst werden soll, ist es hilfreich, einen Blick auf die verschiedenen Vorkommen von σάρξ in den Ignatiusbriefen zu werfen.

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen Σάρξ und σαρκικός (vgl. auch σαρκικῶς) kommen in den Ignatiusbriefen insgesamt 46-mal vor, mit besonderer Häufung im Brief an die Smyrnäer. Gene-

53 Michael J. Svigel macht in seiner 2016 veröffentlichten Arbeit die Briefe des Ignatius zum Ausgangspunkt seiner Untersuchung über die „Inkarnationschristologie“ des 2. Jahrhunderts und zeigt, wie zentral das „Fleisch Jesu“ in den Briefen des Bischofs ist. Das Evangelium, das Ignatius verkündige, sei als „incarnational narrative“ zu verstehen, das bedeute, „the divine Son of God took on humanity through the virgin birth, suffered, died, and rose again – all in true human flesh“ (Svigel, Incarnational Christology, 52). Svigel zufolge hat sich die „Selbstdefinition“ des entstehenden „katholischen“ Christentums am Evangelium von Jesus Christus als einer „Inkarnationserzählung“ gebildet (20). Dieses habe sich unterschieden von nichtinkarnatorischen Christologien und damit nichtkatholischen christlichen Gemeinschaften. Die Inkarnationserzählung sei bereits früh geographisch weit verbreitet gewesen (23). In der Vielzahl von Texten und Traditionen des 2. Jahrhunderts gebe es eine erkennbare Einheit unter solchen narrativen Darstellungen des Lebens Jesu, die auf dem Inkarnationsgedanken beruhen. Svigel folgt in seiner Auslegung der Ignatianen Charles Thomas Brown: Ignatius’ Evangelium orientiere sich in seinen Grundzügen am paulinischen Evangeliumsbegriff, d. h. in ihm stehen Kreuz und Auferstehung im Zentrum (48). Zur Orientierung an Paulus bzw. an paulinischen Theologumena vgl. auch Paulsen, Theologie des Ignatius, 44–46.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

rell fällt die große Bedeutungsbandbreite der Lexeme ins Auge, die hier – soweit möglich – strukturiert werden soll.54 2.3.1 Σάρξ als ein Aspekt der gesamten Existenz des Menschen und der irdischen und himmlischen Wirklichkeit Häufig begegnen σάρξ und σαρκικός als Elemente verschiedener zweigliedriger, antithetischer Wortpaare. So erscheint σάρξ in den Ignatiusbriefen mehrfach zusammen mit πνεῦμα, also in einem mit der Opposition von „Fleisch und Geist“ bzw. fleischlichem und geistlichem Menschen in paulinischer und johanneischer Tradition vergleichbaren Ausdruck.55 Bei Ignatius beschreibt die Formel „Fleisch und Geist“ gleichwohl zwei untrennbar zusammengehörige Dimensionen des christlichen Lebens, wobei σάρξ und σαρκικός die Ebene des konkret Erfahrbaren und Sichtbaren im Gegenüber zum Geistigen und Transzendenten bezeichnen. Sie können mit Bezug auf die Alltagswelt verwendet werden: Nach IgnTrall 12,1 wurde Ignatius beispielsweise bei seinem Aufenthalt in der Gemeinde von Smyrna in jeder Hinsicht „erquickt“, nämlich nach dem Fleisch und nach dem Geist: οἳ κατὰ πάν­τα με ἀνέπαυσαν σαρκί τε καὶ πνεύματι. Sie können aber auch von Heilsereignissen ausgesagt werden: In IgnSm 12,2 werden die Adjektive σαρκική und πνευματική als Wesensmerkmale der Auferstehung angeführt.56 Gedacht ist damit nicht an eine Trennung zwischen der Auferstehung des Leibes bzw. Fleisches und einer Auferstehung des Geistes, sondern der gesamte Ausdruck soll vermitteln, dass sich die Auferstehung in allen Dimensionen himmlischen und irdischen Daseins ereignete, er soll also ihre volle Realität aussagen.57 Im Briefeingang seines Schreibens an die Trallianer formuliert Ignatius außerdem, dass das Leiden Jesu Christi der Gemeinde Frieden „im Fleisch und im Geist“ verschafft habe. Gemeint ist wiederum, dass der Friede alle Ebenen der Wirklichkeit durchdringt. Es deutet sich ein Zusammenhang zwischen dem sarkischen Leiden Jesu und dem hieraus entstehenden, alle Bereiche des gemeindlichen Daseins – fleischlich und geistlich – erfassenden Frieden an.58 54 Vgl. zum Ganzen Niederwimmer, Grundriß, 14–20; Lona, Sprachgebrauch, 383–408; von Heyden, Doketismus und Inkarnation, 315–330. 55 Das Begriffspaar begegnet auch schon in den paulinischen Briefen (vgl. Gal 5,16–26; 1 Kor 2,14f.; Röm 8,5). Vgl. dazu Paulsen, Theologie des Ignatius, 127–132. Gleichwohl ist unsicher, ob Ignatius den Gegensatz „Fleisch und Geist“ unmittelbar aus den Paulusbriefen übernimmt (evtl. kannte er nur den 1. Korintherbrief genauer) oder doch allgemeiner frühchristlicher Tradition verdankt, vgl. dazu Schoedel, Briefe des Ignatius, 60, mit Anm. 116. 56 Vgl. Rheg (NHC I,4) p. 45,39–46,2 mit Bezug auf die Auferstehung der Gläubigen: ⲧⲉⲉⲓ ⲧⲉ ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲛ̅ⲡⲛⲉⲩⲙⲁⲧⲓⲕⲏ ⲉⲥⲱⲙⲛ̅ⲕ ⲛ̅ⲧⲯⲩⲭⲓⲕⲏ ϩⲟⲙⲟⲓⲱⲥ ⲙⲛ̅ ⲧⲕⲉⲥⲁⲣⲕⲓⲕⲏ. 57 Wie sich noch zeigen wird, steht dieses Auferstehungsverständnis ganz im Zeichen der Christologie des Ignatius, vgl. Lona, Sprachgebrauch, 400. 58 Ignatius kann nicht zuletzt auch Einzelpersonen wie den Bischof Polykarp als gleichzeitig „fleischlich“ und „geistlich“ charakterisieren (IgnPol 2,2). Beides zeichnet den Bi-

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

47

Die Aussage in IgnMagn 13,2 verwendet das Adjektiv σαρκικός schließlich in einem typologischen Sinn, wonach die Beziehung zwischen der Gemeinde und dem Bischof das „fleischliche“ Abbild der Beziehung Jesu Christi zum Vater ist. Die „fleischliche“, also vorfindliche irdische Ordnung der Gemeinde leitet sich von der pneumatischen, göttlichen Ordnung ab und wird von dort her legitimiert.59 Σάρξ ist für Ignatius demnach ein Komplementärbegriff, den er grundsätzlich als Ausdruck des Wirklichen, Realen im Gegenüber zum Scheinbaren, vor allem aber als Ausdruck des Irdischen, Menschlichen im Gegenüber zum Geistigen, Göttlichen verwendet.60 Dabei wird die sarkische Sphäre nicht abgewertet gegenüber der pneumatischen, sondern bildet zusammen mit ihr ein Ganzes, die gesamte Wirklichkeit. Die Funktion, eine Totalität zu umschreiben, übernehmen der Begriff σάρξ und die entsprechenden abgeleiteten Wortbildungen auch in ethischen Zusam­ menhängen. Der Gegensatz zwischen dem Handeln „nach dem Fleisch“ und einem vom Geist bestimmten Handeln ist auch aus den Paulusbriefen bekannt.61 In IgnEph 8,2 greift Ignatius zunächst auf das unvereinbare Gegenüber zwischen dem Trachten des fleischlichen und dem Sinnen des geistlichen Menschen zurück, wie es auch bei Paulus begegnet, fährt dann aber fort, dass das fleischliche Handeln zu einem geistlichen werden kann (ἃ δὲ καὶ κατὰ σάρκα πράσ­σετε, ταῦτα πνευματικά ἐστιν), wenn es ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ getan wird.62 So lobt Ignatius die Einheit des fleischlichen mit dem geistlichen Handeln der Gemeinde in Ephesus, denn alles, was sie tut, geschieht ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ.63 Die übergreifende Einheit, die die Begriffe σάρξ / σαρκικός und πνεῦμα / πνευ­ ματικός markieren, wird hier durch Christus hergestellt. Ein anderes Beispiel liegt in IgnSm 13,2 vor. An dieser Stelle charakterisiert das Oppositionspaar σαρκικὸς καὶ πνευματικός offenkundig eine ethische Grundhaltung: Von Glauben und Liebe sollen ausnahmslos alle Bereiche des menschlichen Lebens durchdrungen sein. Darin sind sowohl Handlungen nach dem Fleisch als auch die geistige Dimension des menschlichen Daseins einzuschließen: ἀσπάζομαι τὸν οἶκον Ταουΐας ἣν εὔχομαι ἑδρᾶσθαι πίστει καὶ ἀγάπῃ σαρκικῇ τε καὶ πνευ­ ματικῇ […]. schof geradezu aus, denn er hat auf diese Weise sowohl Zugang zu den sichtbaren als auch zu den unsichtbaren Dingen. 59 Vgl. Lona, Sprachgebrauch, 400. 60 Vgl. Lona, Sprachgebrauch, 400. 61 1 Kor 2,14f.; Röm 8,5. Auch bei Ignatius erscheint zum Beispiel in IgnMagn 6,2 das Tun κατὰ σάρκα als etwas Negatives. 62 Nach Schoedel, Briefe des Ignatius, 122, liegt hier eine „bewußte Korrektur“ der paulinischen Antithese vor. 63 IgnEph 8,2: οἱ σαρκικοὶ τὰ πνευματικὰ πράσσειν οὐ δύνανται οὐδὲ οἱ πνευματικοὶ τὰ σαρ­κικά, ὥσπερ οὐδὲ ἡ πίστις τὰ τῆς ἀπιστίας οὐδὲ ἡ ἀπιστία τὰ τῆς πίστεως. ἃ δὲ καὶ κατὰ σάρ­κα πράσσετε, ταῦτα πνευματικά ἐστιν, ἐν Ἰησοῦ γὰρ Χριστῷ πάντα πράσσετε.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Ich grüße das Haus der Tavia, der ich wünsche, dass sie gefestigt werde in Glauben und Liebe, der fleischlichen wie der geistigen […].

In ganz ähnlichem Sinnzusammenhang begegnet das Wortpaar σάρξ und πνεῦ­ μα in IgnMagn 13,1f. Es wird hier mit anderen Wortpaaren wie „Glaube und Liebe“ und „Anfang und Ende“ kombiniert und umschreibt so die Gesamtheit christlicher Lebens- und Glaubensvollzüge: (1) Σπουδάζετε οὖν βεβαιωθῆναι ἐν τοῖς δόγμασιν τοῦ κυρίου καὶ τῶν ἀποστόλων, ἵνα πάν­ τα, ὅσα ποιεῖτε, κατευοδωθῆτε σαρκὶ καὶ πνεύματι, πίστει καὶ ἀγάπῃ, ἐν υἱῷ καὶ πατρὶ καὶ ἐν πνεύματι, ἐν ἀρχῇ καὶ ἐν τέλει […]. (2) ὑποτάγητε τῷ ἐπισκόπῳ καὶ ἀλλήλοις, ὡς Ἰη­σοῦς Χριστὸς τῷ πατρὶ (κατὰ σάρκα) καὶ οἱ ἀπόστολοι τῷ Χριστῷ καὶ τῷ πατρὶ (καὶ τῷ πνεύ­ ματι),64 ἵνα ἕνωσις ᾖ σαρκική τε καὶ πνευματική. (1) Strebt danach, festzustehen in den Lehren des Herrn und der Apostel, damit ihr in allem, was ihr tut, das Richtige trefft für Fleisch und Geist, Glauben und Liebe im Sohn und im Vater und im Geist, im Anfang und Ende […]. (2) Seid untertan eurem Bischof und euch gegenseitig, wie Jesus Christus seinem Vater (dem Fleische nach) und die Apostel Jesus und dem Vater (und dem Geist), damit Einheit herrsche dem Fleisch und dem Geist nach.

Demnach bilden fleischliches und geistliches Handeln bei den Glaubenden idealerweise eine Einheit, die aus dem Hören auf die „Weisungen des Herrn und der Apostel“ entsteht.65 Das Fleischliche, das „Tun nach dem Fleisch“, ist also nicht schlechterdings negativ konnotiert, sondern gehört zur menschlichen Existenz und kann unter dem Vorzeichen des Verbundenseins mit Christus sogar zu etwas Geistlichem werden. Es deutet sich hier an, dass im synthetischen Denken des Ignatius σάρξ und πνεῦμα auf einer höheren Ebene, nämlich in „Jesus Christus“ bzw. „in Gott“, eine Einheit 66 bilden können und insofern die Ganzheit und Gesamtheit der glaubenden Existenz umschreiben. Wenn Ignatius zudem die Heilsbedeutung des Leidens Jesu ἐν σαρκί immer wieder hervorhebt und auch seinem eigenen bevorstehenden Martyrium, das sich an seinem Leib vollziehen wird, große Bedeutung zumisst, so muss für ihn schon allein deshalb das Handeln „nach dem Fleisch“ im Sinne des Handelns mit und am Körper auch in positivem Zusammenhang stehen. Einen ethischen Bezugsrahmen besitzt die Verwendung von σάρξ ebenso in IgnTrall 8,1. Auch hier steht der Begriff im Kontext von „Glaube und Liebe“, aber seine übliche Formel abwandelnd bringt Ignatius hier σάρξ mit αἷμα in Verbindung: 64 Die Wendungen κατὰ σάρκα und καὶ τῷ πνεύματι fehlen in der armenischen und arabischen Übersetzung und sind daher textkritisch unsicher. 65 Vgl. auch IgnEph 10,3: ἀδελφοὶ αὐτῶν εὑρεθῶμεν τῇ ἐπιεικείᾳ μιμηταὶ δὲ τοῦ κυρίου σπουδάζωμεν εἶναι τίς πλέον ἀδικηθῇ τίς ἀποστερηθῇ τίς ἀθετηθῇ ἵνα μὴ τοῦ διαβόλου βο­τάνη τις εὑρεθῇ ἐν ὑμῖν ἀλλ᾽ ἐν πάσῃ ἁγνείᾳ καὶ σωφροσύνῃ μένητε ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ σαρκικῶς καὶ πνευματικῶς. 66 Zum Einheitsbegriff bei Ignatius vgl. ausführlich Paulsen, Theologie des Ignatius, 132–­144.

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

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ἀνακτίσασθε ἑαυτοὺς ἐν πίστει, ὅ ἐστιν σὰρξ τοῦ κυρίου, καὶ ἐν ἀγάπῃ, ὅ ἐστιν αἷμα Ἰησοῦ Χριστοῦ. Erneuert euch im Glauben, was das Fleisch des Herrn ist, und in der Liebe, was das Blut Je­su Christi ist.

Weil der Doppelausdruck σάρξ und αἷμα auch zum semantischen Feld der Eucharistie gehört, wird an dieser Stelle zuweilen ein eucharistischer Hintergrund vermutet.67 Angesichts der fließenden Bedeutungsnuancen im Sprachgebrauch des Ignatius ist es durchaus möglich, dass er hier eucharistische Anklänge einspielt, allerdings ist nicht die Eucharistie selbst das Thema von IgnTrall 8,1. Ignatius bestimmt vielmehr mit „Fleisch und Blut“ ein zweites für ihn typisches Begriffspaar näher, das das Fundament des Gemeindelebens darstellt: πίστις und ἀγάπη. Im Kontext der Mahnung warnt Ignatius vor den „Anschlägen des Teufels“ (τὰς ἐνέδρας τοῦ διαβόλου) auf die Gemeinde. Sich davor zu wappnen, gelingt der Gemeinde durch Sanftmut und Erneuerung in „Glauben und Liebe“, was nach IgnTrall 8,2 genauer heißt, nichts gegen seinen Nächsten zu haben und den Heiden keinen Anstoß zu geben. Die Begriffe σάρξ und αἷμα stehen hier also primär in einem ethischen Deutungskontext. Undeutlich ist allerdings der Sinn der Näherbestimmung von „Glaube und Liebe“ durch „Fleisch und Blut“ Jesu Christi. Er ist viel diskutiert worden.68 Die Gleichsetzung könnte in diesem Zusammenhang eine christologische Dimension in die geforderte ethische Haltung einführen: Wenn die Gemeinde Glauben und Liebe übt, kann es ihr gelingen, Jesu ganzes Menschsein (σάρξ) und seinen Tod (αἷμα) in ihrer Mitte präsent werden zu lassen. In der Gemeinde manifestiert sich dann das Heilsgeschehen.69 Hierauf wird im Zusammenhang mit der Begegnung der Jünger mit dem Auferstandenen, dessen σάρξ sie berühren und daraufhin zum Glauben kommen (IgnSm 3,2), zurückzukommen sein.70 Für den Begriff σάρξ bedeuten alle diese Verwendungsweisen, dass er bei Ignatius in der Regel keine Opposition zu πνεῦμα bildet und nicht in unüberbrückbarem Widerspruch zur Sphäre des Geistes steht (vgl. auch IgnEph 7,2).71 Er vertritt vielmehr einen Teilaspekt der gesamten, den irdischen wie himmlischen Bereich umfassenden Wirklichkeit, und mit πνεῦμα oder αἷμα zu einer 67 Anders

aber Wehr, Arznei der Unsterblichkeit, 176f. Lona, Sprachgebrauch, 394. 69 Folgt man dieser Deutung, lässt sich sogar die eucharistische Interpretation integrieren. Auch die Eucharistie vergegenwärtigt nach Ignatius den vollkommenen Gottmenschen Jesus und sein Heilswerk. 70 Vgl. auch Bieder, Abendmahl, 77f. 71 Vgl. Schoedel, Briefe des Ignatius, 60: „Es ist für Ignatius charakteristisch, daß er von der Einheit in einander gegenübergestellten Begriffen spricht. Einige ergänzen einander, andere bilden Gegensätze; zusammen drücken sie jedoch ein Ganzes aus.“ Schoedel bemerkt auch, dass der Gegenüberstellung als solcher oft größere Bedeutung zukommt als dem Inhalt der gegenübergestellten Begriffe. 68 Vgl.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Kurzformel verbunden kann er eine christologisch motivierte, ethische Haltung der Glaubenden bezeichnen. 2.3.2 Σάρξ als Inbegriff der vollkommenen Menschheit Jesu Christi Wie gesehen, können σάρξ und αἷμα in ethischem Kontext (wie in IgnTrall 8,1) zusätzlich einen christologischen Bezug eintragen. Das ist deshalb möglich, weil σάρξ im engeren christologischen Sinn für Jesu vollkommene Menschheit stehen kann (vgl. IgnSm 4,2: αὐτοῦ με ἐνδυναμοῦντος τοῦ τελείου ἀνθρώπου). Miteingeschlossen sind darin seine Leidensfähigkeit und sein Tod, die metonymisch auch als „Blut“ Jesu bezeichnet werden können (IgnEph 1,1; IgnSm 6,1). In IgnSm 12,2 wird dieser gesamte Zusammenhang, d. h. die volle Wirklichkeit der Menschheit Jesu und die Realität seines Leidens, mit dem Wortpaar σάρξ und αἷμα zum Ausdruck gebracht: ἀσπάζομαι […] τοὺς κατ᾽ ἄνδρα καὶ κοινῇ πάντας ἐν ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ τῇ σαρκὶ αὐ­τοῦ καὶ τῷ αἵματι, πάθει τε καὶ ἀναστάσει σαρκικῇ τε καὶ πνευματικῇ, ἐν ἑνότητι θεοῦ καὶ ὑμῶν. χάρις ὑμῖν, ἔλεος εἰρήνη, ὑπομονὴ διὰ παντός. Ich grüße […] alle Mann für Mann und als Gesamtheit im Namen Jesu Christi und in seinem Fleisch und Blut, im Leiden und in der Auferstehung, der fleischlichen wie der geistlichen, in Einheit mit Gott und euch.

Σάρξ und αἷμα erscheinen hier, wie andernorts σάρξ und πνεῦμα, gemeinsam mit anderen Wortpaaren. An dieser Stelle sind es solche, die die heilsgeschichtlich wesentlichen Stationen des Weges Jesu andeuten und so das gemeinsam geteilte Glaubensfundament umreißen.72 Die Duale drücken zusammen eine Ganzheit, die Vollständigkeit der Menschheit Jesu und seines Heilsweges aus, die auf die Einheit mit Gott zuläuft. Diese alles in sich integrierende Einheit mit Gott bildet dann auch in IgnSm 12,2 den abschließenden Höhepunkt. Die klimaktische Reihung73 ließe sich zu einem christologischen Bekenntnis ausformulieren. Vergleichbar ist die ebenfalls bekenntnisartige Stelle in IgnEph 7,2: εἷς ἰατρός ἐστιν, σαρκικός τε καὶ πνευματικός, γεννητὸς καὶ ἀγέννητος, ἐν σαρκὶ γενόμενος θεός, ἐν θανάτῳ ζωὴ ἀληθινή, καὶ ἐκ Μαρίας καὶ ἐκ θεοῦ πρῶτον παθητὸς καὶ τότε ἀπαθής, Ἰησοῦς Χριστὸς ὁ κύριος ἡμῶν. Einer ist Arzt, aus Fleisch zugleich und aus Geist, gezeugt und ungezeugt, im Fleisch erschienener Gott, im Tod wahrhaftiges Leben, aus Maria sowohl wie aus Gott, zuerst leidensfähig und dann leidensunfähig, Jesus Christus, unser Herr.

72 Vgl.

für σάρξ und αἷμα im Sinne der vollen Menschheit Jesu auch Hebr 2,14. steht zusammen mit αἷμα für das ganze, vollständige Menschsein Jesu, das bereits auf seine Leidensfähigkeit hinausläuft. Beides leitet daher anschließend zu πάθος über. Das πάθος wiederum bildet ein dialektisches Gegenüber zu ἀνάστασις, die ihrerseits als fleischlich und geistlich bezeichnet wird und so die Gegensatzpaare in sich vereint. 73 Σάρξ

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

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Hier werden heilsgeschichtlich wichtige Wegmarken antithetisch und stichwortartig aneinandergereiht, nur das Kommen Gottes ἐν σαρκί wird mit einer partizipialen Prädikation etwas ausführlicher formuliert. Die Nähe dieser Stelle zu Joh 1,14 (ὁ λόγος σὰρξ ἐγένετο) fällt auf, wenn auch für Ignatius typische eigene Akzente gesetzt sind: Er bezeichnet Jesus Christus als Gott 74 und stellt mit dem präpositionalen Ausdruck ἐν σαρκί eher dessen Erscheinen im Fleisch in den Vordergrund als die Fleischwerdung selbst.75 Der Schwerpunkt liegt insgesamt auf der Paradoxie von Inkarnation und Göttlichkeit. Mit der Bezeichnung Jesu Christi als ἰατρός, auf die sich die folgenden Adjektive und Präpositionalverbindungen beziehen, wird angedeutet, dass die vollständige Anteilhabe des im Fleisch erschienenen Gottes an den Bedingungen des Menschseins, d. h. an der Zeugung und am Leiden, eine soteriologische Dimension besitzt.76 Näher ausgeführt wird das allerdings nicht.77 Die Aussagen in IgnSm 12,2 und IgnEph 7,2 sind durchzogen von Bezugnahmen auf Jesu σάρξ bzw. auf die sarkische Wirklichkeit der Heilsereignisse. Sie zeigen den inkarnatorischen Grundton des ignatianischen Heils­verständnisses. Für Ignatius kann folgerichtig die Glaubensbasis, das Evangelium (ob als mündliche Verkündigung oder als schriftliches Zeugnis), unmittelbar mit Jesus Christus identifiziert werden. In IgnPhld 8,2 beruft er sich im Kontext von Aus­einandersetzungen auf Jesus Christus als die für ihn alles entscheidende Glaubensurkunde: παρακαλῶ δὲ ὑμᾶς μηδὲν κατ᾽ ἐριθείαν πράσσειν, ἀλλὰ κατὰ χριστομαθίαν. ἐπεὶ ἤκουσά τι­ νων λεγόντων, ὅτι ἐὰν μὴ ἐν τοῖς ἀρχείοις εὕρω, ἐν τῷ εὐαγγελίῳ οὐ πιστεύω· καὶ λέγοντός μου αὐτοῖς, ὅτι γέγραπται, ἀπεκρίθησάν μοι, ὅτι πρόκειται. ἐμοὶ δὲ ἀρχεῖά ἐστιν Ἰησοῦς Χρισ­ τός, τὰ ἄθικτα ἀρχεῖα ὁ σταυρὸς αὐτοῦ καὶ ὁ θάνατος καὶ ἡ ἀνάστασις αὐτοῦ καὶ ἡ πίστις ἡ δι᾽ αὐτοῦ, ἐν οἷς θέλω ἐν τῇ προσευχῇ ὑμῶν δικαιωθῆναι. Ich ermahne euch, nicht aus Eigennutz zu handeln, sondern gemäß der Lehre Christi. Da ich einige sagen hörte, wenn ich etwas nicht in den Archiven finde, glaube ich nicht (dass es in dem Evangelium steht). Und als ich ihnen sagte, dass es geschrieben steht, antworteten sie mir, dass dies infrage steht. Für mich aber ist die Urkunde Jesus Christus; für mich sind die heiligen Urkunden sein Kreuz, sein Tod, seine Auferstehung und der durch ihn begründete Glaube; in ihnen will ich durch euer Gebet gerechtfertigt werden.

Mit den „Archiven“ oder „Urkundensammlungen“ könnten die Schriften des „Alten Testaments“ gemeint sein, mit denen die Gegner argumentieren wollen.78 Exegetische Streitfragen ordnet Ignatius ganz der Perspektive des Kreu74 Vgl.

auch IgnEph 1,1; 18,2; IgnTrall 7,1; IgnRom inscr.; 3,3; 6,3; IgnSm 1,1; 10,1. Lona, Sprachgebrauch, 387. 76 Schoedel, Briefe des Ignatius, 119, bemerkt dazu: „das Leiden ist hauptsächlich deshalb wichtig, weil es das notwendige Vorspiel zur Unsterblichkeit ist“. 77 Expliziter macht Ignatius die soteriologische Wirkung der Fleischwerdung in IgnSm 7,1, wo das „Fleisch Jesu“ als dasjenige näherbestimmt ist, „das für unsere Sünden gelitten hat“ (ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν παθοῦσαν), siehe dazu unten 2.3.4a. Vgl. auch IgnSm 1,2. 78 Vgl. dazu Schoedel, Ignatius and the Archives, 99–101. Anders dagegen von Zahn, 75 Vgl.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

zes, Todes und der Auferstehung Jesu unter. Diese sind seine „heiligen Urkunden“ oder seine „Glaubensregel“. Für den vorliegenden Zusammenhang ist vor allem bedeutsam, dass er auch die christologische Zuspitzung des Evangeliums noch einmal verdichten und auf den Begriff σὰρξ Ἰησοῦ bringen kann, wie in IgnPhld 5,1: […] ἀλλ᾽ ἡ προσευχὴ ὑμῶν εἰς θεόν με ἀπαρτίσει, ἵνα ἐν ᾧ κλήρῳ ἠλεήθην ἐπιτύχω, προσ­ φυγὼν τῷ εὐαγγελίῳ ὡς σαρκὶ Ἰησοῦ καὶ τοῖς ἀποστόλοις ὡς πρεσβυτερίῳ ἐκκλησίας. […] Aber euer Gebet wird mich vollkommen machen für Gott, auf dass ich das Los erlange, in dem mir Erbarmen zuteilgeworden ist, als / weil ich Zuflucht suchte zum Evangelium wie dem Fleisch Jesu und zu den Aposteln wie dem Presbyterium der Kirche.

Wenn hier das Evangelium mit der σὰρξ Ἰησοῦ verglichen wird, gelingt Ignatius damit eine weitere ungewöhnliche syntagmatische Kombination. Mit dem „Fleisch Jesu“ könnte an dieser Stelle der Inhalt des Evangeliums zusammengefasst sein.79 Die Frohbotschaft ist nichts anderes als Jesu Menschwerdung, sein Leiden und seine Auferstehung, kurzgefasst und verdichtet im σάρξ-­Begriff.80 Ein letzter hier zu erwähnender Kontext, in dem von der σάρξ und dem πνεῦ­μα Ἰησοῦ Χριστοῦ gesprochen wird, ist IgnMagn 1,2: ᾄδω τὰς ἐκκλησίας, ἐν αἷς ἕνωσιν εὔχομαι σαρκὸς καὶ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ, τοῦ διὰ παν­τὸς ἡμῶν ζῆν, πίστεώς τε καὶ ἀγάπης, ἧς οὐδὲν προκέκριται, τὸ δὲ κυριώτερον Ἰησοῦ καὶ πατρός. Ich preise die Kirchen, wünsche in ihnen die Einigung des Fleisches und Geistes Jesu Chris­ ti, unseres immerwährenden Lebens, (die Einigung) des Glaubens und der Liebe, über die nichts geht, ganz besonders aber (die Einigung) Jesu und des Vaters.

Umstritten ist hier die angemessene Auflösung des Genitivs Ἰησοῦ Χριστοῦ bzw. der gesamten Genitivverbindung σαρκὸς καὶ πνεύματος Ἰησοῦ Χριστοῦ: Für die Interpretation als „Vereinigung“ der Glaubenden mit Jesu Fleisch und Geist gibt es abgesehen von einer ähnlichen, eucharistischen Aussage in IgnPhld 4 (ἓν ποτήριον εἰς ἕνωσιν τοῦ αἵματος αὐτοῦ) und eventuell noch IgnSm 3,2 keine Belege. An den beiden Vergleichsstellen geht es jedoch um einen konkreten physischen Kontakt. Von einer allgemeinen, etwa mystisch vorzustellenden Vereinigung mit Jesus ist bei Ignatius sonst nirgends die Rede. Liegt mit Ἰησοῦ Χριστοῦ daher der Genitiv des Urhebers vor, so dass „Fleisch und Geist“ der Adressaten gemeint sind, die durch das Wirken Christi „vereinigt“ werden sollen? So lautet die Vermutung William R. Schoedels, der Ignatius von Antiochia, 373–379, der mit den „Archiven“ bzw. „Urkunden“ das Evangelium gemeint sieht. 79 Vgl. von Heyden, Doketismus und Inkarnation, 324f. 80 Nach Lona, Sprachgebrauch, 396, ist der späteren Generation die heilvolle σάρξ Jesu im Evangelium ebenso zugänglich wie den Jüngern Jesu bei seiner Erscheinung nach seiner Auferstehung.

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

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in dem Oppositionspaar ebenso wie in dem folgenden Wortpaar πίστις und ἀγά­πη Ausdrücke der „Vollständigkeit der Einheit der Magnesier“81 erkennt. Er verweist auf IgnMagn 13,2, wo Ignatius – ebenfalls in unscharfer Ausdrucksweise – auf eine Einigung der Gemeinde in fleischlicher und geistlicher Hinsicht dringt. Allerdings ist dort nicht vom „Fleisch und Geist“ der Magnesier die Rede, sondern von einer fleischlichen und geistlichen Einigung (ἵνα ἕνω­σις ᾖ σαρκική τε καὶ πνευματική), die also auf allen Ebenen vollzogen sein soll. Horace E. Lona interpretiert die Genitivverbindung σαρκὸς καὶ πνεύματος Ἰη­σοῦ Χριστοῦ insgesamt als Genitivus comparationis, der auf ἕνωσις bezogen ist: „Ignatius wünscht der Gemeinde eine Einigung wie die des Fleisches und Geistes Jesu Christi.“82 So wie Fleisch und Geist in Christus eine untrennbare Einheit bilden, soll auch die Gemeinde vereint sein. Zwar bleibt die Formulierung vage, aber die Deutung Lonas überzeugt eher, denn Ignatius kann auch sonst den Gemeinden, ihrer Ordnung und ihren Glaubensvollzügen einen Abbildcharakter des geistigen Bereichs zuschreiben. Ebenfalls auf dieser Linie läge der Schluss der Passage, τὸ δὲ κυριώτερον Ἰησοῦ καὶ πατρός – auch die Einheit Jesu mit dem Vater dient als Vorbild für die Einheit der Gemeinde. Ist das Verständnis der Passage richtig, liegt in IgnMagn 1,2 ein weiterer Be­leg für die Verwendung von σάρξ als christologische Größe vor, bei der das Fleisch Jesu vom Geist nicht zu trennen ist und beides zusammen die ganze Wirklichkeit seiner Person bezeichnet. 2.3.3 Σάρξ als Materie, σάρξ als Körper(teil) Die bisher besprochenen Stellen von σάρξ beschreiben eine Sphäre und Wirklichkeitsdimension oder bilden einen chiffreartigen Ausdruck für Jesu Menschheit, wobei σάρξ meist mit einer Ergänzung wie πνεῦμα bzw. αἷμα steht, um eine Vollständigkeit zu bezeichnen. Σάρξ als Materie, bestastbare Substanz und Bestandteil des Körpers Jesu ist dagegen nicht im Blick. Eine solche Bedeutung von σάρξ findet sich bei Ignatius kaum. Genannt werden könnte allenfalls IgnSm 3,2. Aber gerade dort lässt Ignatius, wie noch zu zeigen sein wird, die Vorstellung von der σάρξ Jesu als materiellem Teil des Körpers nur indirekt im Zusammenhang der Forderung anklingen, ihn zu betasten, nur um diese Vorstellung anschließend durch seine spezifische Rezeption der Erscheinungstradition zu transzendieren. Er bleibt in IgnSm 3,2f. nicht bei der σάρξ als be­ tastbarer Materie stehen. Es könnten außerdem IgnSm 5,2, wo Jesus Christus indirekt als σαρκοφό­ ρος bezeichnet wird, und eventuell IgnEph 7,2 genannt werden, wo Ignatius 81 Schoedel, Briefe des Ignatius, 185: „Wenn nun Ignatius hier von einer Vereinigung von ‚Fleisch und Geist Jesu Christi‘ spricht, meint er infolgedessen damit […] Fleisch und Geist der Magnesier (vgl. Ign. Magn. 13.2) und eine Vereinigung beider, die von Jesus Christus herrührt […].“ 82 Lona, Sprachgebrauch, 397.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Christus als ἐν σαρκὶ γενόμενος θεός 83 bekennt.84 Die Übergänge zwischen der Verwendung von σάρξ als Substanz und als Aspekt zweier verschiedener Wirklichkeitsbereiche sind gleichwohl fließend. Der σάρξ-Begriff als Bezeichnung für etwas Substanzhaftes spielt nicht zuletzt im Zusammenhang mit Eucharistieaussagen eine Rolle. In IgnSm 7,1 erwähnt Ignatius das „Fleisch Jesu“, das „für unsere Sünden gelitten hat und auferweckt wurde“. Hier ist in abgewandelter Form von σάρξ als der (Körper-) Substanz Jesu die Rede: Es ist die σάρξ Jesu, die in der Eucharistiefeier in Ge­stalt der Mahlelemente angefasst und gegessen werden kann. Andererseits steht σάρξ aber auch hier für den ganzen Menschen Jesu, der gelitten hat und auferweckt wurde. Diese Passage partizipiert an zwei unterschiedlichen Verwendungsweisen von σάρξ bei Ignatius, der schon besprochenen christologischen, und der im Folgenden zu untersuchenden eucharistischen. 2.3.4 Σάρξ in eucharistischem Zusammenhang Der eucharistisch konnotierte Gebrauch von σάρξ ist die letzte zentrale Verwendungsweise, die hier behandelt werden soll. Eucharistische Terminologie kann Ignatius sowohl im Kontext von Ausführungen über die gemeindliche Versammlung zum eucharistischen Mahl als auch im Kontext metaphorischer Aussagen anbringen, in denen nichteucharistische Zusammenhänge gedeutet oder die Eucharistieelemente selbst metaphorisch interpretiert werden. Textabschnitte, die in den Ignatiusbriefen eucharistische Terminologie aufweisen oder anklingen lassen, sind zahlreich und bedürfen in vielen Fällen für ein hinreichendes Verständnis ausführlicher Interpretation. Das kann an dieser Stelle ebenso wenig geleistet werden, wie die traditionsgeschichtliche Frage nach der frühchristlichen eucharistischen Verwendung von σάρξ anstelle von σῶμα thematisiert werden kann.85 Es wird hier lediglich eine Auswahl von Stellen betrachtet, die für das ignatianische Verständnis von σάρξ, wie es sich auch auf IgnSm 3,1–3 ausgewirkt haben könnte, aussagekräftig sind. Zunächst wird es um die Verwendung von σάρξ im eucharistischen Kontext gehen, anschließend um die Wirkung der eucharistischen Elemente auf die Glaubenden. a) Die Verwendung von σάρξ im eucharistischen Kontext In IgnSm 7,1 setzt sich Ignatius mit der Ablehnung der Eucharistie durch einige nicht näher beschriebene Menschen auseinander, die bei der Eucharistiefeier erwartet werden und von denen durch ihr Wegbleiben eine „Spaltung“ 83 Schoedel, Briefe des Ignatius, 119, vermutet, die Lesart ἐν ἀνθρώπῳ θεός, die durch einige Kirchenväter bezeugt ist, verdanke sich dem späteren Anliegen, „jede Nähe zu einer arianischen oder apollinarischen Christologie zu vermeiden, die Christus eine menschliche Seele abstreitet“. 84 Σάρξ könnte an dieser Stelle allerdings auch die Menschwerdung Jesu bezeichnen. 85 Vgl. dazu Wehr, Arznei der Unsterblichkeit, 135.

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

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ausgeht.86 In diesem Zusammenhang bietet Ignatius eine Eucharistiedeutung, die christozentrische, auf die Heilsereignisse fokussierte Schwerpunkte setzt. Er bezeichnet die Eucharistie unspezifisch als das Fleisch Jesu: Εὐχαριστίας καὶ προσευχῆς ἀπέχονται, διὰ τὸ μὴ ὁμολογεῖν τὴν εὐχαριστίαν σάρκα εἶναι τοῦ σω­τῆρος ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ τὴν ὑπὲρ τῶν ἁμαρτιῶν ἡμῶν παθοῦσαν, ἣν τῇ χρηστότητι ὁ πατὴρ ἤγειρεν. Von der Eucharistie und dem Gebet halten sie sich fern, weil sie nicht bekennen, dass die Eucharistie das Fleisch unseres Erlösers Jesus Christus ist, das für unsere Sünden gelitten hat und das der Vater in (seiner) Güte auferweckt hat.

Nicht ganz eindeutig ist, ob die durch σάρκα εἶναι näherbestimmte εὐχαριστία einen Kollektivbegriff für die gesamte liturgische Feier darstellt oder nur die Elemente Brot (und Wein) bezeichnet. Dass mit σάρξ das (eucharistische) unvergängliche Brot gemeint sein kann, zeigt IgnRom 7,3: Hier setzt Ignatius das „Brot Gottes“ mit σάρξ Jesu Christi gleich. Allerdings tritt ihm dort αἷμα als Signifikat von πόμα an die Seite.87 Sind in IgnSm 7,1 mit σάρξ nicht allein die Eucharistieelemente gemeint, so steht das Fleisch Jesu sogar metonymisch für das ganze Mahlritual. In IgnSm 7,1 bleibt die Ausdrucksweise des Ignatius vermutlich bewusst ungenau, und wie auch an anderen Stellen, an denen er das Fleisch Jesu mit dem Glauben identifiziert oder mit dem Evangelium vergleicht, werden die Bedeutungskomponenten des σάρξ-Begriffs hier stark erweitert. Es lässt sich leicht erklären, warum Ignatius in IgnSm 7,1 die εὐχαριστία auf den σάρξ-Begriff zuspitzt und dem Fleisch damit eine so zentrale Position einräumt. Seine Formulierung ist bereits vom folgenden, bekenntnisartigen Abschnitt über Jesu Passion und Auferweckung bestimmt. Seine Absicht besteht darin, die Eucharistie unmittelbar an Jesu Leiden ἐν σαρκί und seine (fleischliche) Auferweckung (vgl. IgnSm 3,1) zu knüpfen und einen festen Zusammenhang zwischen beidem aufzuzeigen. Die Eucharistie(elemente) werden deshalb mit dem gekreuzigten und auferweckten Fleisch Jesu identifiziert, weil die Eucharistie nach Ignatius aus diesen Heilsereignissen hervorging und sie konstitutiv auf Tod und Auferweckung Jesu bezogen bleibt. Für den hier untersuchten Zusammenhang noch bedeutsamer ist, dass auch umgekehrt das traditionsgebundene Bekenntnis zu Leiden und Auferweckung Jesu unter dem Einfluss der Eucharistie in ein Bekenntnis zum Leiden der σάρξ und zur Auferweckung der σάρξ Jesu umformuliert wird. Trotz der generellen Nähe zu Paulus, insbesondere zum 1. Korintherbrief, die die Ignatiusbriefe besitzen, ge­langt Ignatius hier praktisch zu einer Aussage über die Auferstehung des 86 Vgl.

zur Stelle Kurek-Chomycz, „Dying for“ Formula. IgnSm 8,1 könnte geschlossen werden, dass die bekämpften Gegner durchaus selbst die Eucharistie feierten, ihr aber eine andere Bedeutung beimaßen und die eucharistischen Elemente eben nicht mit dem Fleisch (und Blut) Jesu identifizierten (vgl. auch Schoedel, Briefe des Ignatius, 375). Das bleibt allerdings spekulativ. 87 Aus

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Fleisches (Jesu) und befindet sich damit in deutlichem Gegensatz zu 1 Kor 15,50. Ignatius macht die σάρξ zum tragenden, zentralen Begriff seines Argu­ ments. Sie wird zum verbindenden Glied zwischen der Eucharistiefeier in der Gemeinde und dem christologischen Bekenntnis. Es geht ihm dabei nicht um eine Diskussion der Eucharistiesubstanz oder um die Frage der konkreten Präsenz Jesu in den Mahlelementen, sondern um die Anerkennung der wirklichen Menschheit Jesu und deren Kontinuität in Tod und Auferweckung. Aus diesen Heilsereignissen resultiert die gemeinschaftliche Feier der Eucharistie und in ihnen hat die Gemeinde selbst ihr Fundament, wie IgnSm 1,2 nahelegt (ἀλη­θῶς […] καθηλωμένον ὑπὲρ ἡμῶν ἐν σαρκί, ἀφ᾽ οὗ καρποῦ ἡμεῖς ἀπὸ τοῦ θεο­μα­ κα­ρίσ­του αὐτοῦ πάθους).88 Der σάρξ-Begriff dominiert hier also, ohne dass ein sakramentalistisches Eucharistieverständnis vorläge.89 Eine zweite wichtige eucharistische Belegstelle für σάρξ ist IgnPhld 4. Einzelne, teilweise auf ganz unterschiedlichen semantischen Ebenen liegende Elemente des Eucharistiegeschehens werden hier mit dem Ziel aneinandergereiht, eine einzige, gemeinsame Eucharistiefeier aus ihnen abzuleiten. Die Verwendung von σάρξ erfolgt in der Absicht zu zeigen, dass Jesus Christus das Fundament der Eucharistiefeier ist: Es ist sein eines Fleisch, an dem alle teilhaben:90 Σπουδάσατε οὖν μιᾷ εὐχαριστίᾳ χρῆσθαι· μία γὰρ σὰρξ τοῦ κυρίου ἡμῶν Ἰησοῦ Χριστοῦ καὶ ἓν ποτήριον εἰς ἕνωσιν τοῦ αἵματος αὐτοῦ, ἓν θυσιαστήριον, ὡς εἷς ἐπίσκοπος ἅμα τῷ πρεσ­βυτερίῳ καὶ διακόνοις, τοῖς συνδούλοις μου· ἵνα ὃ ἐὰν πράσσητε, κατὰ θεὸν πράσσητε. Seid nun bestrebt, eine Eucharistie zu gebrauchen – denn es ist ein Fleisch unseres Herrn Jesus Christus und ein Kelch zur Vereinigung mit seinem Blut, ein Altar, wie ein Bischof zu­sammen mit dem Presbyterium und den Diakonen, meinen Mitknechten –, damit ihr, was immer ihr tut, gemäß Gott tut.

Im größeren Zusammenhang warnt Ignatius erneut eindringlich vor μερισμός und κακοδιδασκαλία (IgnPhld 2,1) und macht deutlich, bevor er auf die Eucharistie eingeht, dass für ihn die Haltung der Gemeinde zum Leiden Jesu Christi das zentrale Kriterium ihrer Gesinnung ist: „denn wenn jemand in einer fremden Gesinnung wandelt, stimmt er nicht mit dem Leiden überein“ (εἴ τις ἐν ἀλ­λοτρίᾳ γνώμῃ περιπατεῖ, οὗτος τῷ πάθει οὐ συγκατατίθεται, IgnPhld 3,3). In der Auseinandersetzung mit den drohenden Spaltungen scheint das Bekenntnis zum Leiden also besonders umstritten gewesen zu sein. Πάθος steht deshalb als metonymischer Kurzbegriff anstelle des gesamten Bekenntnisses zu Jesu Menschwerdung und Tod und sogar zur Auferstehung. Dass Ignatius anschließend auf die Eucharistie zu sprechen kommt, zeigt den engen Zusammenhang, den er zwischen dem Leiden Jesu und der Eucharistie sieht. Das zeigt sich schon allein auf terminologischer Ebene: Σάρξ und αἷμα 88 Siehe

dazu unten 2.4. auch Lona, Sprachgebrauch, 393: „Die Teilnahme am Herrenmahl bleibt so auf die Geschichte des Gekreuzigten und Auferstandenen bezogen.“ 90 Vgl. Lona, Sprachgebrauch, 393. 89 Vgl.

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

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gehören nicht nur zum die Menschheit und das Leiden Jesu beschreibenden Wortfeld, sondern sind natürlich auch Termini technici der Eucharistie. In der Eucharistie konkretisiert sich die Wirklichkeit des Leidens Jesu und ihre Bedeutung für die Glaubenden. In der Mahlfeier vergegenwärtigen die Glaubenden so ihren gemeinsamen Glaubensgrund und demonstrieren ihre Einheit.91 In IgnPhld 4 bilden σάρξ und ποτήριον die eucharistischen Korrespondenz­ begriffe, während das αἷμα Jesu den Kelch näherbestimmt. Dabei ist der Ausdruck ἓν ποτήριον εἰς ἕνωσιν τοῦ αἵματος αὐτοῦ auffällig. Zunächst soll die präpositionale Wendung, die vermutlich 1 Kor 10,16 aufnimmt,92 die angemahnte Einheit der Gemeinde untermauern. Aber sie geht auch noch darüber hinaus. Ἕνωσις steht bei Ignatius für die Beziehung und Ganzheit, die Jesus und der Vater (IgnMagn 1,2), Christus und die Glaubenden (IgnTrall 11,2) und „Fleisch und Geist“ (IgnMagn 1,2; 13,2) bilden.93 Sie besitzt also auch eine vertikale Dimension, sie verbindet die Gemeinde mit Christus, sie ist die Vereinigung mit seinem Blut. Beachtet man das ständige Mitschwingen christologischer Obertöne im Gebrauch von σάρξ und αἷμα auch im Eucharistiekontext, wird der Sinn von IgnPhld 3f. im gesamten Argumentationsgang erkennbar: „mit dem Leiden übereinstimmen“ ist dann auch eine Haltung, die sich in der gemeinsamen Mahl­feier ausdrückt, und dort insbesondere in der Vereinigung mit dem αἷμα Jesu. „Mit dem Leiden (Jesu) übereinstimmen“ ist aber vor allem ein Aspekt der persönlichen Biographie des Ignatius, der für die Abfassungssituation der Briefe eine wichtige Rolle spielt. Als Gefangener befindet er sich auf dem Weg nach Rom, wo ihn das Martyrium erwartet. Damit verkörpert er selbst das von ihm propagierte Ideal, nicht nur in die Nachfolge Christi zu treten, sondern sich ihm im Martyrium regelrecht anzugleichen, ihm bis in eine körperliche Dimension hinein gleichförmig zu werden und in dieser Hinsicht in besonderer Weise „mit dem Leiden übereinzustimmen“. Christoph Markschies beschreibt diese Besonderheit ignatianischer Theologie folgendermaßen: „Der Autor nennt seine Leserschaft ‚Nachahmer‘ oder ‚Schauspieler‘ Gottes (μιμηταὶ ὄντες θεοῦ: Ignatius an die Epheser 1,1). Und er behauptet weiter, dass die mimetische Konformität mit dem leidenden Christus nur in der Form eigenen Martyriums erreicht werden kann; nur so könne das Dasein als Jünger Christi erfüllt werden (ebd. 1,2). In anderen Worten: Der Autor argumentiert, dass nur der Märtyrer, dessen Körper genauso misshandelt wird wie der Körper Christi und der genauso zu Tode gebracht wird wie Christus, der vollkommene Nachahmer und perfekte Schauspieler Christi sein kann.“ 94 Ignatius legt also das überlieferte Ideal der Nachfolge Christi mit einem Akzent auf der leiblichen 91 Auffällig ist die Rede davon, dass es nur „ein einziges Fleisch“ gebe. Sie lässt an die Debatten bei Irenäus und Tertullian gegen die Meinung denken, Christus sei aus einer anderen Substanz gewesen, ebenso an EvPhil 23b (NHC II,3 p. 56,32–57,8), wo vom andersartigen Fleisch Jesu die Rede ist. 92 Paulus verwendet nicht ἕνωσις, sondern κοινωνία: Τὸ ποτήριον τῆς εὐλογίας ὃ εὐλο­ γοῦ­μεν, οὐχὶ κοινωνία ἐστὶν τοῦ αἵματος τοῦ Χριστοῦ; τὸν ἄρτον ὃν κλῶμεν, οὐχὶ κοινωνία τοῦ σώματος τοῦ Χριστοῦ ἐστιν; 93 Vgl. Wehr, Arznei der Unsterblichkeit, 147. 94 Markschies, Gottes Körper, 414f.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Gleichförmigkeit mit Christus aus. Auf diese Weise werden die sarkische Existenz Jesu und sein Fleisch zum Fluchtpunkt, von dem aus Ignatius verschiedene Elemente seiner Theologie und auch sein Eucharistieverständnis entwickelt.95

b) Zur Wirkung der Eucharistie, des eucharistischen Brotes bzw. des „Fleisches Jesu“ Nirgends in den Ignatiusbriefen wird der σάρξ als eucharistischem Element ei­ne unmittelbare Heilswirkung zugesprochen. Aber die christologischen Kon­ notationen des σάρξ-Begriffs und die Tendenz des Ignatius, in ihm die Heilsereignisse zu verdichten, lassen den Begriff auch im eucharistischen Verwendungskontext mit darüber hinausreichenden Bedeutungskomponenten aufge­ laden erscheinen. In einigen Aussagen stellt Ignatius die Eucharistie außerdem explizit in den Horizont von Auferstehungs- und Lebensaussagen. Indirekt par­ tizipieren auch ἄρτος bzw. σάρξ als Mahlelemente daran. In IgnRom 7,3 deutet sich an, dass die σάρξ Jesu als „Brot Gottes“ eine unvergängliche Speise ist. Hier geht es nicht primär um die Eucharistie(feier), sondern Ignatius reichert ein anderes Thema mit eucharistischem Beiklang an. Weltliche Dinge mit seiner weltentsagenden Martyriumssehnsucht kontrastierend, nutzt er die Mahlelemente, um seinen Wunsch nach geistlicher Stärkung auszudrücken.96 Sie werden als eine ihm eigentlich angemessene Nahrung stilisiert: οὐχ ἥδομαι τροφῇ φθορᾶς οὐδὲ ἡδοναῖς τοῦ βίου τούτου. ἄρτον θεοῦ θέλω, ὅ ἐστιν σὰρξ Ἰη­σοῦ Χριστοῦ τοῦ ἐκ σπέρματος Δαυείδ, καὶ πόμα θέλω τὸ αἷμα αὐτοῦ, ὅ ἐστιν ἀγάπη ἄφ­ θαρ­τος. Ich habe keine Freude an vergänglicher Speise noch auch an den Vergnügungen dieses Le­bens. Gottes Brot will ich, das ist das Fleisch Jesu Christi, der aus dem Samen Davids (stammt), und als Trank will ich sein Blut, das unvergängliche Liebe ist.

Obwohl es in erster Linie um die geistliche Erbauung des Ignatius angesichts seiner Lage geht, ist bemerkenswert, dass er dafür auf ein eucharistisches Bildfeld zurückgreift. Er nutzt darüber hinaus traditionelle Motive zur Deutung der Eucharistie, indem er vergängliche Nahrung dem „Brot Gottes“ gegenüberstellt und das „Brot Gottes“ mit der σὰρξ Ἰησοῦ Χριστοῦ identifiziert.97 Es ist impliziert, dass sich der ἄρτος θεοῦ vor allem hinsichtlich seiner Qualität als 95 Lona, Sprachgebrauch, 402, weist zugleich darauf hin, dass Ignatius in IgnRom 2,1 seine Existenz im Fleisch als Kennzeichen für seine noch nicht erreichte Vollendung wertet und „die Sorge [der Römer] um diese σάρξ als Zeichen für eine unreine Liebe“ ansieht. Hier hat die Existenz in der σάρξ eine negative Seite. 96 Vgl. von Heyden, Doketismus und Inkarnation, 326f. 97 Das Syntagma ὅ ἐστιν, mit dem die Identifikation erfolgt, stimmt an vielen Stellen bei Ignatius weder mit dem grammatischen Geschlecht des vorhergehenden noch mit dem des folgenden Substantivs überein. Entscheidend ist die Verbindung, die zwischen den Substantiven hergestellt wird.

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

59

„unvergängliche“ Speise von gewöhnlicher Speise unterscheidet.98 Als geistliche Speise und geistlicher Trank erscheinen die Mahlelemente der Eucharistie auch in Did 10,2f. Auch dort werden sie mit dem Heilsgut des ewigen Lebens verbunden.99 Diesem Text zufolge hat Gott den Menschen nicht nur gewöhnliche Speise und Trank, sondern den Glaubenden durch Jesus auch geistliche Speise, Trank 100 und ewiges Leben geschenkt. In beiden Texten werden die Mahlelemente also in einen Bezug zu gewöhnlicher Nahrung gestellt, von der sie sich aber darin unterscheiden, dass sie kein vorübergehendes, sondern ewiges Leben geben.101 Ignatius setzt in IgnRom 7,3 das eucharistische Brot („Brot Gottes“) mit dem Fleisch Jesu gleich und schreibt ihm indirekt eine geistlich erbauende, Unvergänglichkeit vermittelnde Wirkung zu.102 Wichtig und für den Zusammenhang in IgnSm 3 festzuhalten ist dabei, dass er – bedingt durch die eucharistische Färbung seines Arguments und anders als in den recht deutungsoffenen Kombinationen etwa von Fleisch und Glaube und Fleisch und Evangelium – σάρξ deutlicher als sonst als Substanz in den Blick nimmt und ihr eine Wirkung zuschreibt. Aussagen über die Wirkung der eucharistischen Elemente trifft Ignatius auch in IgnSm 7,1 und IgnEph 20,2, auch wenn er dort den σάρξ-Begriff nicht verwendet. Diese Stellen könnten dennoch für ein Verständnis von σάρξ in IgnSm 3,2f. aufschlussreich sein. Wie gesehen, nimmt σάρξ in IgnSm 7,1 eine Zentralstellung ein. Im Fortgang wird die Wirksamkeit der Eucharistie für die Empfänger in der Weiterentwicklung des Gedankengangs indirekt angedeutet, indem denen, die das Geschenk Gottes ablehnen, in Aussicht gestellt ist, dass sie „streitend sterben“: οἱ οὖν ἀντιλέγοντες τῇ δωρεᾷ τοῦ θεοῦ συζητοῦντες ἀποθνήσκουσιν. συνέφερεν δὲ αὐτοῖς ἀγα­πᾶν, ἵνα καὶ ἀναστῶσιν. 98 Anders als in IgnSm 7,1 bekommt der (eucharistische) Trank seine eigene Zuschreibung als τὸ αἷμα. 99 Did 10,2f.: Εὐχαριστοῦμέν σοι πάτερ ἅγιε ὑπὲρ τοῦ ἁγίου ὀνόματός σου οὗ κατεσκή­ νωσας ἐν ταῖς καρδίαις ἡμῶν καὶ ὑπὲρ τῆς γνώσεως καὶ πίστεως καὶ ἀθανασίας ἧς ἐγνώρισας ἡμῖν διὰ Ἰησοῦ τοῦ παιδός σου σοὶ ἡ δόξα εἰς τοὺς αἰῶνας. σύ δέσποτα παντοκράτορ ἔκτι­σας τὰ πάντα ἕνεκεν τοῦ ὀνόματός σου τροφήν τε καὶ ποτὸν ἔδωκας τοῖς ἀνθρώποις εἰς ἀπό­ λαυ­σιν ἵνα σοι εὐχαριστήσωσιν ἡμῖν δὲ ἐχαρίσω πνευματικὴν τροφὴν καὶ ποτὸν καὶ ζωὴν αἰώ­νιον διὰ τοῦ παιδός σου. 100 Vgl. 1 Kor 10,3f. Die in der Didache bezeugte Abfolge vom Kelch zum Brot ist auch in 1 Kor 10,16 bezeugt. 101 Das ewige Leben wird allgemein als Gabe Gottes neben der geistlichen Speise und dem geistlichen Trank der Eucharistie erwähnt und alles gleichermaßen auf Gottes Handeln an seinem Sohn zurückgeführt. Auch die Dankgebete über dem Brot in Did 9,3 und im Anschluss an das Mahl (Did 10,2), die die Mahlfeier deuten, beinhalten einen Dank für ζωή und ἀθανασία, welche Gott durch Jesus kundgetan hat (γνωρίζειν διὰ Ἰησοῦ). 102 Vgl. auch IgnRom 4,1, wo Ignatius sich selbst als „reines Brot Christi“ bezeichnet, das durch die Zähne der Tiere gemahlen werde.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

Die nun gegen die Gabe Gottes reden, die sterben streitend. Besser wäre für sie, Werke der Liebe zu tun / das Halten des Liebesmahls, damit auch sie auferstehen.

Nicht nur ἀποθνῄσκω, auch der Komplementärbegriff ἀνίστημι begegnet im Kontext. Wenn die Gegner also der Eucharistie fernbleiben und der Gabe Gottes, mit der vermutlich die Eucharistie gemeint ist,103 widersprechen, werden sie nicht auferstehen, sondern sterben. Daraus kann man vorsichtig ableiten, dass Ignatius zufolge das gemeinschaftliche Feiern der Eucharistie unter dem Bischof Leben und Auferstehung vermittelt: „es besteht eine Verbindung zwischen Teilnahme an dem Mahl und der Auferstehung der Glaubenden“.104 Sollte ἀγαπᾶν, das mit ἀναστῶσιν in Verbindung steht und zu ἀντιλέγοντες τῇ δωρεᾷ τοῦ θε­ οῦ ein Gegenüber bildet, im vorliegenden Zusammenhang das Halten des „Liebesmahls“ und nicht nur das Tun von Werken der Liebe bezeichnen, wäre die Verknüpfung zwischen dem Abendmahl und der Auferstehung noch intensiviert. Dass bei Ignatius ἀγαπάω als Synonym für εὐχαριστία stehen und also die Eucharistiefeier bezeichnen kann, vertreten unter anderen Bernd Kollmann,105 Lothar Wehr 106 und William R. Schoedel, der den Zusammenhang wie folgt formuliert: „Wenn man dieser Auslegung folgt, dann hat die Gegenwart Christi in der Eucharistie die Auferstehung zur Folge, und das heilige Brot hätte wahrhaftig die Wirkung einer ,Unsterblichkeitsarznei‘ (Eph 20.2).“107 Mit ἀγαπάω könnte aber auch lediglich die Haltung der Liebe und des Gehorsams beschrieben sein, die auch in IgnSm 6,2 gefordert wird und die eine Gemeinschaft bildet, in der Christus anwesend ist.108 Insofern wäre die Zusammenkunft zur Eucharistie, die die Einheit der Gemeinde mit dem Bischof abbildet, der Ort, an dem das vollkommene Leben vermittelt wird.

Wodurch nach IgnSm 7,1 allerdings die Eucharistiefeier die Auferstehung vermittelt, bleibt unklar. Nirgends ist an dieser Stelle die Gabe des Lebens konkreter lokalisiert oder wird begründet, warum die Eucharistie etwas mit der Auferstehung zu tun hat.109 Eine direkte Verbindung zwischen den eucharistischen Elementen – dem Fleisch Jesu (vgl. IgnSm 7,1; IgnRom 7,3) – und der Auferstehung findet sich nicht. Klarer umrissen wird die Wirkung der Eucharistie und speziell des eucharistischen Brotes im wenige Zeit vor dem Smyrnäerbrief entstandenen Brief des Ignatius an die Epheser (IgnEph 20,2): […] ἕνα ἄρτον κλῶντες, ὅς 110 ἐστιν φάρμακον ἀθανασίας, ἀντίδοτος τοῦ μὴ ἀποθανεῖν, ἀλλὰ ζῆν ἐν Ἰησοῦ Χριστῷ διὰ παντός. 103 Vgl. Irenäus, Haer. 5,2,2–3. Die „Gabe Gottes“ steht für das ewige Leben, das in der Eucharistie vermittelt wird, und bezeichnet dann metonymisch die Eucharistie selbst. 104 Schoedel, Briefe des Ignatius, 57. 105 Vgl. Kollmann, Mahlfeier, 134. 106 Wehr, Eucharistie, 888f. 107 Schoedel, Briefe des Ignatius, 377. 108 Vgl. Schoedel, Briefe des Ignatius, 377. 109 Wie ἀποθνῄσκω ἀνίστημι gegenübergestellt ist, könnten ebenso die Wortgruppen ἀντι­ λέγοντες τῇ δωρεᾷ τοῦ θεοῦ und ἀγαπᾶν ein Gegensatzpaar bilden. 110 Die abweichende Lesart ὅ ist vom griechischen Text der langen Rezension (g) und von der lateinischen Version der mittleren Rezension (L) bezeugt. Dafür, dass es sich dabei

2.3 Σάρξ als Schlüsselbegriff in den Ignatiusbriefen

61

[…] ein Brot brechend, das ein Heilmittel zur Unsterblichkeit ist, ein Gegengift, dass man nicht stirbt, sondern lebt in Jesus Christus immerdar.

Das Brot wird hier als φάρμακον ἀθανασίας und als ἀντίδοτος τοῦ μὴ ἀπο­ θανεῖν, als „Unsterblichkeitsmedizin“ und „Gegengift gegen das Sterben“ bezeichnet.111 Ansätze dazu, das Essen speziell des Fleisches Jesu mit dem ewigen Leben zu verbinden, lassen sich bereits in der eucharistischen Konkretisierung der Brotrede in Joh 6,51.53f.57f. erkennen, nach der der gesamte Vorgang des Essens bzw. Kauens des Fleisches Jesu „Leben“ für die Glaubenden garantiert.112 Dass Ignatius das Johannesevangelium kannte, ist fraglich,113 aber johanneische Vorstellungen lassen sich in den Briefen durchaus erkennen.114 In der eucharistischen Terminologie, die Ignatius verwendet, gibt es deutliche Übereinstimmungen mit Joh 6,51–58.115 In Joh 6 steht der Vorgang des „Kauens“ der σάρξ im Vordergrund, mit dem vor allem die Verinnerlichung der Heilsbedeutung von Inkarnation und Tod Jesu – also das „Glauben“ an Jesus – in einem drastischen Bild umschrieben wird.116 Über die frühchristlichen Überlieferungen, die die Lebenserhaltung durch gewöhnliche Speise mit der besonderen Lebensgabe durch geistliche Speise kontrastieren, und über die tradierte Bedeutung der gesamten Eucharistiefeier um die ursprünglichere Lesart handelt, votiert Heilmann, Wein und Blut, 211f. Er bezieht die heilspendende Wirkung, die mit φάρμακον ἀθανασίας ausgedrückt wird, daher auf die gesamte gemeinschaftliche Mahlfeier. Dagegen spricht jedoch neben inhaltlichen Aspekten (der Heilsbedeutung der Inkarnation, die im Fleisch Jesu kurzgefasst ist und mit dem Brot identifiziert werden kann) der Umstand, dass das Relativpronomen ὅς an φάρμακον ἀθα­να­ σί­ας attrahiert sein kann. 111 Zur Metaphorik aus der Welt der Medizin vgl. auch die Bezeichnung Jesu Christi als εἷς ἰατρός in IgnEph 7,2; vgl. außerdem IgnPol 2,1. Ignatius zeigt ein Interesse an medizinischen Metaphern für Heilszusammenhänge (siehe dazu Schoedel, Briefe des Ignatius, 407–­410). 112 Joh 6,51: ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος ὁ ζῶν ὁ ἐκ τοῦ οὐρανοῦ καταβάς· ἐάν τις φάγῃ ἐκ τούτου τοῦ ἄρτου ζήσει εἰς τὸν αἰῶνα, καὶ ὁ ἄρτος δὲ ὃν ἐγὼ δώσω ἡ σάρξ μού ἐστιν ὑπὲρ τῆς τοῦ κόσ­μου ζωῆς. 113 Allenfalls in IgnPhld 7,1 könnte ein Zitat aus Joh 3,8 vorliegen, aber Johannes und Ignatius interpretieren das Wort vom Kommen und Gehen des Geistes je unterschiedlich. Vgl. zur Kenntnis der Evangelien bei Ignatius Foster, Epistles of Ignatius of Antioch; Hill, Johannine Corpus, 427–443. 114 Vgl. dazu neben den eben Genannten u. a. Fischer, SUC 1, 122; Maurer, Ignatius von Antiochien und das Johannesevangelium; Nagel, Rezeption des Johannesevangeliums, 207–­251. 115 Vgl. Schröter, Eucharistie; Kurek-Chomycz, „Dying for“ Formula, 203: „The only place in the New Testament where σάρξ occurs in what most likely is a Eucharistic context is John 6, and especially vv. 51–56.“ 116 Dass das „Essen und Trinken“ metaphorisch für „Glauben“ stehen könnte, legt die Verbindung mit „Leben haben / ewig leben“ nahe, die in Joh 20,30 mit „glauben“ erscheint. Bei Johannes wird der σάρξ Jesu keine selbständige, gar materielle Wirkung auf die Glaubenden zugesprochen, wie sie später dann etwa bei Irenäus sichtbar ist.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

als eines lebensvermittelnden Vorgangs bzw. Rituals, in dem der Lebensgabe Gottes gedankt wird (Did 9f.), geht Ignatius in IgnEph 20,2 zumindest sprachlich hinaus. Er geht auch weiter als die Eucharistiedeutung, die (aus meiner Sicht) in Joh 6,51–58 erkennbar wird, wenn er unmittelbar im Brot selbst dasjenige Medium identifiziert, das in der Eucharistiefeier die Unvergänglichkeit vermittelt. Verstärkt wird der Eindruck, dass es um die eucharistische Substanz selbst geht, der eine entsprechende Wirkkraft beigelegt wird, noch durch die medizinischen Metaphern. Im Ergebnis erscheint Ignatius hier einem ausgeprägten sakramentalen Realismus zugeneigt. Da allerdings nur in IgnEph 20,2 die Auferstehungsgabe so unmittelbar im Brot lokalisiert wird, während andere Stellen, an denen Ignatius eine Verbindung zwischen der Eucharistie und der Auferstehung andeutet, schwächer und weniger spezifisch formuliert sind (so IgnSm 7,1), scheint es sich hier eher um eine situative sprachliche Zuspitzung als um eine reflektierte Mahldeutung zu handeln.117 Die Variationsbreite seiner je verschiedenen Ausdrucksweisen und sprachlichen Bilder deutet in diese Richtung. Die Zusammenstellungen ganz unterschiedlicher Begriffe sind eher stilistische Mittel, durch neue Beziehungen auch neue Sinnpotentiale zu kreieren, als sachliche Identifikationen.118

2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3 Fasst man das bisher für den σάρξ-Begriff herausgearbeitete Bedeutungsspektrum zusammen, so zeigt sich: Ignatius beschreibt an den untersuchten Stellen mit den eigentlich anthropologischen Kategorien σάρξ / σαρκικός zum einen eine Teildimension der gesamten Wirklichkeit, des Sichtbaren und des Unsichtbaren, zum anderen die ganze Menschheit Jesu Christi. Mit σάρξ und den zugehörigen Derivaten ist also in der Regel keine Komponente gemeint, aus der der einzelne Mensch und entsprechend auch Christus zusammengesetzt ist. Eher sollen die Begriffe die menschliche und (gemeinsam mit dem Komplementärbegriff πνεῦμα) göttliche Wirklichkeit Jesu insgesamt einfangen. In diesem christologischen Grundsinn begegnet σάρξ in bekenntnisartigen Aussagen, aber auch in eucharistischen und ethischen Zusammenhängen. Wichtig ist die Beobachtung, dass Ignatius zwischen diesen Verwendungsweisen nicht immer trennscharf unterscheidet. An vielen Stellen muss man die verschiedenen Bedeutungsinhalte von σάρξ nicht als Alternativen verstehen. Deshalb ist auch eine Systematisierung der Vorkommen von σάρξ schwierig. Wo vom „Fleisch“ in eucharistischem Sinne die Rede ist, schwingen christologische Komponenten mit und kann der Begriff für die Gesamtheit christlicher 117 Nicht zu vernachlässigen ist außerdem die Bedeutung des Bischofs für die Wirkung der Mahlfeier, die ebenfalls gegen ein „magisches Sakramentsverständnis“ spricht, vgl. Wehr, Eucharistie, 893f. 118 Vgl. auch Schoedel, Briefe des Ignatius, 177.

2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3

63

Existenz durchlässig werden.119 Die Polyvalenz des Lexems zeigt sich etwa, wenn man IgnTrall 8,1 mit IgnRom 7,3 oder IgnPhld 5,1 vergleicht. Einmal wird σάρξ mit dem Glauben, dann mit dem „Brot Gottes“ verbunden, oder schließlich, in IgnPhld 5,1, mit dem Evangelium verglichen. Ihr gemeinsames Fundament haben diese ethischen, eucharistischen bzw. heilsgeschichtlichen Bezüge in der Christologie. Pointierter gesagt drückt σάρξ eine Form der Gegenwart Jesu in der Gemeinde aus, sei es in Gestalt des Glaubens der Gemeinde, sei es in Gestalt des Evangeliums, sei es in Gestalt der Eucharistie. In all diesen Äußerungen des gemeindlichen Lebens wird eine enge Verbindung zum menschgewordenen Jesus Christus realisiert. So steht σάρξ in der Eucharistie ebenso wie als Kurzformel für die glaubende und liebende Haltung der Gemeinde jeweils für eine bestimmte Vergegenwärtigung und Manifestation des ganzen Heilsgeschehens. Im Begriff σάρξ verdichtet, nimmt in all diesen verschiedenen Bezügen der leidende und auferweckte Kyrios Gestalt an und ist in der Gemeinde präsent.120 Die Dominanz des σάρξ-Begriffs in den hier betrachteten unterschiedlichen thematischen Zusammenhängen und die fließenden Übergänge zwischen den Bedeutungsebenen sind dem inkarnatorischen Grundinteresse des Ignatius geschuldet, das eine Konstante seiner Theologie bildet. Das Anliegen, Jesus Christus als fleischgewordenen Gott zu bekennen, der im Fleisch gelitten hat und fleischlich auferstand, und vor allem von hier aus das Dasein der Gemeinde zu begründen, bildet den Fluchtpunkt der Argumentation mit dem „Fleisch“ Jesu. Es steht auch hinter den Formulierungen in IgnSm 7,1, wo es dazu führt, dass Ignatius die Eucharistie mit der (gekreuzigten und auferweckten) σάρξ Jesu gleichsetzt. In Verbindung mit ὑπὲρ ἡμῶν (IgnSm 1,2) und ὑπὲρ τῶν ἁμαρ­τιῶν ἡμῶν (IgnSm 7,1) wird die Hingabe dieses Fleisches zusammengefasst, die heilvolle Bedeutung für die Glaubenden hat.121 Vor allem in IgnSm 7,1f. wird erkennbar, dass sich die Verwendung von σάρξ als Schlüsselbegriff für die Inkarnation Jesu und das daraus folgende Heilsgeschehen letztlich auch auf die σάρξ als eucharistische Substanz auswirkt und diese indirekt selbst als Trägerin des Lebens erscheinen lässt. An anderer Stelle kann Ignatius diesen Zusammenhang mittels innovativer sprachlicher Kombinationen sogar explizit machen, etwa in der Rede vom φάρμακον ἀθα­νασίας und ἀντίδοτος τοῦ μὴ ἀποθανεῖν in IgnEph 20,2. In diesen Meta119 Das

zeigt sich u. a. in IgnTrall 8,1 und IgnSm 13,2, wo (Derivate von) σάρξ und αἷμα jeweils mit πίστις und ἀγάπη kombiniert werden. Vgl. auch Wehr, Arznei der Unsterblichkeit, 135f. 120 Vgl. Fischer, SUC 1, 177 Anm. 30: „Durch Glaube und Liebe erfolgt eine mystische Vergegenwärtigung des Gottmenschen Christus und Vereinigung mit ihm. Kaum darf man hier jedoch Fleisch und Blut Christi vom mystischen Herrenleib verstehen, der aus Glaube und Liebe seiner Glieder zustande kommt.“ Der Gebrauch von σάρξ im eucharistischen Kontext lässt es mehr als der Begriff σῶμα zu, mit dem Lexem gleichzeitig die Bedeutungsebene der Menschwerdung Jesu, seines Leidens und Todes einzutragen. 121 Vgl. Lona, Sprachgebrauch, 389 Anm. 16.

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2. Ignatius an die Smyrnäer

phern wird am deutlichsten sichtbar, dass Ignatius, ausgehend von der heilvollen Fleischwerdung Jesu, die auch in anderen frühchristlichen Zeugnissen mit dem Herrenmahl verbundene Gabe des ewigen Lebens schließlich im eucharistischen Brot (als dem Fleisch Jesu) verorten kann. Ignatius macht die σάρξ zu derjenigen Größe, die Jesu Geschick mit der Gegenwart der Gemeinde verbindet, denn sie beschreibt gleichermaßen Jesu Existenz vor und nach der Auferstehung und seine Präsenz in der Eucharistie. Damit komme ich zur Erscheinungserzählung in IgnSm 3,2f. Hier nimmt der σάρξ-Begriff ebenfalls eine hervorgehobene Position ein. Zu Beginn dieses Kapitels wurde bereits gezeigt, dass IgnSm 3 wesentliche Gemeinsamkeiten mit der Parallelüberlieferung in Lk 24,36–43* aufweist. Mit dem Imperativ λάβετε, ψηλαφήσατέ με, den Ignatius aus der Überlieferung übernimmt, ist ein berührbarer Körper im Blick. Es ist an eine σάρξ gedacht, die materiell ist und beim Betasten Widerstand bietet. In seiner Fortsetzung der Erscheinungserzählung weitet Ignatius diese Vorstellung von σάρξ jedoch aus. Es ist schon gesagt worden, dass Ignatius die σάρξ des Auferstandenen nicht nur als einen Teil von dessen Körper behandelt, neben dem er beispielsweise auch die ὀστέα erwähnt und σάρξ so als eine Komponente des Körpers qualifiziert. In seiner Version der Erscheinungsgeschichte bringt er σάρξ gerade nicht mit ὀστέα zusammen, sondern mit πνεῦμα (vgl. IgnSm 3,2f.), so dass σάρξ bei ihm, soviel kann an dieser Stelle bereits gesagt werden, etwas Grundsätzlicheres bezeichnet. Weitere Besonderheiten der Verwendung des Lexems in dieser Textpassage werden im Folgenden untersucht und zu den herausgearbeiteten Bedeutungskomponenten von σάρξ in den Ignatiusbriefen ins Verhältnis gesetzt, um vor diesem Hintergrund zu einer Interpretation von IgnSm 3,1–3 zu gelangen. 2.4.1 Der Kontext in IgnSm 1f. Die Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen in IgnSm 3,2f. bildet einen argumentativen Baustein im größeren Zusammenhang der Auseinandersetzung mit den Gegnern in IgnSm 1–3.122 Vorbereitet wird sie im vorausgehenden Kontext der Passage: In IgnSm 1, unmittelbar nach dem Briefpräskript, versichert Ignatius die Gemeinde ihrer Existenz aus dem realen Leiden Jesu und verschränkt ihr Dasein mit dessen Geschick. Dazu beschreibt er die Festigkeit ihres Glaubens bildhaft als ihr Angenageltsein am Kreuz Jesu Christi sowohl im Fleisch als auch im Geist:123 122 Die gesamte argumentative Einheit reicht eigentlich noch mindestens bis IgnSm 8, kann hier aber nicht en détail behandelt werden. 123 Die Inhalte der Überzeugungen der Smyrnäer werden sodann in Gestalt einer christologischen Formel wiedergegeben, die durch wiederholtes ἀληθῶς strukturiert ist. Vgl. Uebele, Gegner, 85; Schoedel, Briefe des Ignatius, 345–351; Wengst, Christologische Formeln, 122f.

2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3

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(1) Δοξάζω Ἰησοῦν Χριστὸν τὸν θεὸν τὸν οὕτως ὑμᾶς σοφίσαντα· ἐνόησα γὰρ ὑμᾶς κατ­ ηρτισμένους ἐν ἀκινήτῳ πίστει, ὥσπερ καθηλωμένους ἐν τῷ σταυρῷ τοῦ κυρίου Ἰη­σοῦ Χριστοῦ σαρκί τε καὶ πνεύματι καὶ ἡδρασμένους ἐν ἀγάπῃ ἐν τῷ αἵματι Χριστοῦ, πεπλη­ρο­ φορημένους εἰς τὸν κύριον ἡμῶν […] (2) ἀληθῶς ἐπὶ Ποντίου Πιλάτου καὶ Ἡρώδου τετράρ­ χου καθηλωμένον ὑπὲρ ἡμῶν ἐν σαρκί, ἀφ᾽ οὗ καρποῦ ἡμεῖς ἀπὸ τοῦ θεομακαρίστου αὐτοῦ πά­θους […]. (1) Ich preise Jesus Christus, den Gott, der euch so weise gemacht hat; ich habe nämlich erkannt, dass ihr vollendet seid in unverrückbarem Glauben, wie angenagelt an das Kreuz des Herrn Jesus Christus im Fleisch und im Geist und befestigt in der Liebe im Blut Christi, vollkommen überzeugt von unserem Herrn […], (2) [der] wirklich unter Pontius Pilatus und dem Vierfürsten Herodes angenagelt [wurde] für uns im Fleisch, eine Frucht, von der wir stammen, von seinem gottgepriesenen Leiden […].

Ignatius hebt die Verbindung zwischen der Gemeinde und Jesu Leiden rhetorisch dadurch hervor, dass er καθηλόω („annageln“) zunächst für die Gemeinde, d. h. in metaphorischer Weise verwendet,124 und anschließend das Verb in der christologischen Kurzformel, die Jesu irdischen Weg von der Herkunft von David „nach dem Fleisch“125 und seiner Geburt bis zu seiner Kreuzigung unter Pilatus und dem Tetrarchen Herodes umfasst,126 noch einmal in wörtlicher Bedeutung wiederholt. Auf diese Weise wird die Standhaftigkeit der Gemeinde auch sprachlich mit dem Kreuzestod Jesu verwoben und als eine Haltung dargestellt, die fest im Bekenntnis zum Leiden Jesu wurzelt und in seiner Kreuzigung ihren Ursprung hat. Der Glaube der Gemeinde ist nicht abzurücken vom Leiden Jesu; das jetzige Dasein der Gemeinde ist mit Jesu Leiden ganz eng verbunden.127 Das ist eine Variation dessen, was Ignatius im Präskript des Briefes an die Trallianer über den Zusammenhang zwischen Jesu (fleischlichem) Leiden und dem daraus entstandenen fleischlichen und geistlichen Frieden der Gemeinde sagt. Mit καρπός verwendet er im vorliegenden Kontext außerdem eine Vegetationsmetapher, die die Vorstellung eines organischen Zusammenhangs zwischen Jesu Leiden und der Rettung der Glaubenden, also eines insgesamt untrennbaren Ganzen, noch verstärkt. Jesu Leiden ἐν σαρκί wird nicht nur für das Dasein der Gemeinde transparent, man kann darüber hinaus sogar sagen, dass die Glaubenden selbst die Frucht dieses Leidens sind.128 Das Heilsgeschehen kulminiert im Hervorgehen der Gemeinde aus dem Leiden Jesu,

124 Vgl.

ähnlich auch IgnEph 9,1. kennt andererseits auch die Vorstellung einer Präexistenz Christi vor seiner Fleischwerdung. Das κατὰ σάρκα wird dem κατὰ θέλημα καὶ δύναμιν θεοῦ gegenübergestellt und bezeichnet so zwei Wirklichkeitsbereiche, die in Jesus zusammenkommen (vgl. Lona, Sprachgebrauch, 384f.). Vgl. Röm 1,3f. (eine Stelle, zu der wichtige Unterschiede bestehen, vgl. Lona, Sprachgebrauch, 385f.) und IgnEph 20,2. 126 Vgl. auch IgnPhld 8,2. Zum Bekenntnis vgl. Svigel, Incarnational Christology, 148f. 127 Vgl. Uebele, Gegner, 85. 128 Ignatius schließt den Abschnitt in IgnSm 2 zusammenfassend: Ταῦτα γὰρ πάντα ἔπα­ θεν δι’ ἡμᾶς, ἵνα σωθῶμεν. 125 Ignatius

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2. Ignatius an die Smyrnäer

die Heilsgeschichte wird aus dem Blickwinkel ihrer ekklesiologischen Auswirkungen dargestellt. Den Zusammenhang zwischen dem Leiden Jesu und der Rettung der Glaubenden macht auch IgnSm 5,3 deutlich, wo Ignatius sogar das Leiden selbst unmittelbar mit „unserer“ Auferstehung identifizieren kann:129 τὰ δὲ ὀνόματα αὐτῶν, ὄντα ἄπιστα, οὐκ ἔδοξέν μοι ἐγγράψαι. ἀλλὰ μηδὲ γένοιτό μοι αὐτῶν μνη­μονεύειν, μέχρις οὗ μετανοήσωσιν εἰς τὸ πάθος, ὅ ἐστιν ἡμῶν ἀνάστασις. Ihre Namen [sc. die der Gegner] aber, als solche von Ungläubigen, schien mir nicht angebracht aufzuzeichnen. Ja, nicht einmal mich ihrer erinnern möchte ich, bis sie sich bekehrt haben zu dem Leiden, das unsere Auferstehung ist.

Im Leiden Jesu ist also die künftige Auferstehung aller Glaubenden schon keimhaft angelegt. Mit der Betonung des Leidens Jesu als Fundament der Gemeinde in IgnSm 1 ist der Boden für das Folgende bereitet. Nach der Gegnerpolemik in IgnSm 2, in der Ignatius die gegnerischen Ansichten über Christus (wie er sie versteht) gegen diese selbst wendet, widmet er sich in IgnSm 3,1 dem Zustand Jesu nach der Auferstehung. Sein Anliegen ist es zu zeigen, dass Jesu sarkische Existenz und die Wirklichkeit des Leidens, die daran hängt, nicht nur zur Vergangenheit seines Wirkens und zur zurückliegenden Geburtsstunde der Gemeinde gehören. Vielmehr ist auch der auferstandene Jesus noch ἐν σαρκί. Dass Ignatius also auf die Leugner des Leidens Jesu, von denen er in IgnSm 2 sprach, mit der sarkischen Leiblichkeit des Auferstandenen antwortet, ist kein Widerspruch.130 Der Argumentationsgang aus IgnSm 2 wird vielmehr im Erscheinungsbericht fortgesetzt. Der Bezug auf diese sarkische Existenz Jesu und auf seinen Kreuzestod ist für die Gemeinde noch immer konstitutiv. Ignatius will die sarkische Existenz in allen Phasen des Weges Jesu einschließlich seiner nachösterlichen Gegenwart betonen und Leiden und Auferstehung als untrennbar zusammengehörige Aspekte des Wirkens Jesu zur Geltung bringen. Er spitzt diesen Gedanken in der Ostererzählung so zu, dass er sogar der σάρξ des auferstandenen Jesus eine eigene Bedeutung gibt.

129 Dass Auferstehung und unvergängliches Leben als ein Teil eines antithetischen, komplementären Zusammenhangs mit Jesu Menschsein und seinem Leiden konzipiert werden, ist nichts Zufälliges, sondern für Ignatius zugleich ein Argument gegen die fremden Lehrer, die im Kontext thematisiert sind. Denn wenn die Gegner (zumindest in der Darstellung des Ignatius) das Leiden Jesu leugnen, haben sie folglich auch keinen Anteil an der Auferstehung. Mit dem Bekenntnis zur σάρξ Jesu lehnen sie auch die Eucharistie ab, in der ja dieses Bekenntnis anschaulich zelebriert wird und die als „Gabe Gottes“ (IgnSm 7,1) unvergängliches Leben spendet. Deshalb werden die Gegner auch an ihrem Streiten sterben (συζητοῦντες ἀπο­θνήσκουσιν, ebd.). 130 Vgl. auch Smith, Seeing the Pneuma(tic) Body, 761: „The emphasis on the postresurrection tangibility is meant not to establish the nature of the resurrection appearances but to support the reality of Jesus’ suffering, on the basis of the continuity Ignatius presumes between Jesus’ pre- and postresurrection states.“

2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3

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2.4.2 Die Überschrift in IgnSm 3,1 und die Ausgangssituation der Erscheinung Ignatius leitet die Erscheinungserzählung in IgnSm 3,1 programmatisch mit einer Art Überschrift ein, die als persönliches Bekenntnis zu Jesu ganzer Menschheit auch nach der Auferstehung formuliert ist: ἐγὼ γὰρ καὶ μετὰ τὴν ἀνά­στασιν ἐν σαρκὶ αὐτὸν οἶδα καὶ πιστεύω ὄντα. Die Überschrift mit dem em­phatisch einsetzenden ἐγώ führt mit der σάρξ das Stichwort ein, das für die nachfolgende Erscheinungsgeschichte zentral ist. Der eigentliche Erscheinungsbericht setzt in IgnSm 3,2 ein. Die Art des „Erscheinens“ Jesu vor den Leuten um Petrus zeigt keinerlei wunderhafte Ausgestaltung. Jesus tritt nicht plötzlich unter sie oder erscheint gar vom Himmel her, sondern geht zu ihnen (πρὸς […] ἦλθεν).131 So werden seine irdische Gestalt und Körperhaftigkeit subtil unterstrichen. Im Anschluss daran lässt Ignatius ihn die Aufforderung zum Betasten an die Jünger richten. Anders als bei Lukas nicht durch den Zweifel der Jünger provoziert, scheint die Berührungsforderung dennoch zunächst darauf zu zielen, den Realitätsgehalt der Erscheinung von den Jüngern prüfen zu lassen. Die Jünger sollen sich durch Betasten davon überzeugen, dass Jesus kein körperloser Geist ist. Gedacht ist also zunächst an σάρξ als betastbare Substanz. An ihrer materiellen Realität hängt letztlich nicht nur die Wirklichkeit des Auferstandenen, sondern auch die Wirklichkeit der Auferstehung. Das schwingt in der Aufforderung zur Berührung mit. 2.4.3 Glauben als Folge der Berührung Die von Ignatius gestaltete Fortsetzung, der kurze Bericht über die Wirkung der Berührung, geht gleichwohl über diese apologetische Absicht hinaus. Nicht nur erzählt er eigens, dass die Jünger der Aufforderung sogleich nachkamen und ihn wirklich betasteten (καὶ εὐθὺς αὐτοῦ ἥψαντο), er macht aus dieser Berührung sogar den Höhepunkt der gesamten Erzählung. Denn hier, in der engen Verbindung der Jünger mit Jesu σάρξ und dem πνεῦμα (κραθέντες τῇ σαρκὶ αὐ­ τοῦ καὶ τῷ πνεύματι), verortet Ignatius den Beginn des nachösterlichen Glaubens der Jünger (ἐπίστευσαν). Auch Lk 24,41 kennt im Zusammenhang der Erscheinung Jesu das Motiv vom Glauben der Jünger, allerdings verhalten sich die Jünger zunächst ungläubig, was schließlich den „Essensbeweis“ veranlasst (ἀπιστούντων αὐτῶν ἀπὸ τῆς χαρᾶς). Wenn es demgegenüber in IgnSm 3,2 heißt: ἥψαντο καὶ ἐπίστευσαν, so ist für Ignatius mit der Berührung der σάρξ durch die Jünger bereits deren volle Ostererkenntnis gegeben, und dass der Auferstandene nach IgnSm 3,3 isst und trinkt, wirkt nur noch nachgetragen. Die Jünger kommen – über den Kontakt zu Jesu Fleisch – auch in Kontakt mit seinem Geist. Wie gesehen, ist der antithetische Sprachgebrauch mit den Dualen σάρξ und πνεῦμα für Ignatius typisch und deutet in der Synthese zugleich auf die Einheit Jesu mit dem Vater und auf seine vollkommene Mensch131 Vgl.

EpAp 11 (22).

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heit, die er auch als Auferstandener noch innehat. Im hiesigen Kontext liegt das Gewicht des Wortpaars eher auf der σάρξ als auf dem πνεῦμα: Man kann in IgnSm 3,2 das Motiv der österlichen Geistbegabung erkennen, wie es auch in Joh 20,22 und Apg 2,2–4 begegnet. Auch bei Ignatius ist das πνεῦμα für die Entstehung des Glaubens der Jünger in IgnSm 3,2 relevant, aber nicht allein verantwortlich. Bei Ignatius liegt die Pointe des Motivs darin, dass der Auferstandene das πνεῦμα nicht aktiv spendet, sondern es über die Berührung, d. h. letztlich über die σάρξ, zugänglich wird und nur beide zusammen zum Glauben der Jünger führen. Der enge Zusammenhang zwischen dem Glauben und dem Fleisch Jesu, den Ignatius hier in der Erscheinungserzählung herstellt, lässt an die Paränese in IgnTrall 8,1 denken, wo der Glaube der Gemeinde mit dem Fleisch und die Liebe mit dem Blut Jesu identifiziert werden. Dort vergegenwärtigt der Glaube der Gemeinde den Gottmenschen Jesus Christus und seine Heilstaten. Glaube und Liebe sind die Manifestationen des fleischgewordenen Gottes in der Gemeinde der Gegenwart. Hier in IgnSm 3 wird dagegen der Ursprung dieses Glaubens erzählt. Den Jüngern, die in engste Verbindung mit Jesu Fleisch und Geist treten, erschließt sich über den Kontakt zu Jesu σάρξ und πνεῦμα die ganze Christologie. Das Motiv von σάρξ und πνεῦμα bestimmt auch die daran anschließende Rezeption der Überlieferung vom Mahl des Auferstandenen in IgnSm 3,3. Dass der Auferstandene vor den Jüngern isst, wird auch in Lk 24,41–43 und Apg 10,41 berichtet (vgl. auch Joh 21,9–13). Aber nur Ignatius hebt hervor, dass Jesus wie ein Fleischlicher aß und trank, obwohl er „geistlich mit dem Vater verbunden war“ (μετὰ δὲ τὴν ἀνάστασιν συνέφαγεν αὐτοῖς καὶ συνέπιεν ὡς σαρ­κικός καίπερ πνευματικῶς ἡνωμένος τῷ πατρί).132 Die Überlieferung, die durch den eigentlich überflüssigen Neueinsatz μετὰ δὲ τὴν ἀνάστασιν als solche noch erkennbar ist, gibt Ignatius Gelegenheit, noch einmal eine christologische Grundsatzaussage über die zwei mit σάρξ und πνεῦμα umschriebenen Wirklichkeitsbereiche einfließen zu lassen, die in Christus zur untrennbaren Einheit zusammenkommen und das Zentrum seiner Christologie bilden.

2.4.4 Κεράννυμι: Vermischung mit Jesu σάρξ und πνεῦμα Um das In-Kontakt-Kommen der Jünger mit Jesu Fleisch zu beschreiben, wählt Ignatius das Verb κεράννυμι,133 das im biblischen Griechisch das Vermischen verschiedener Stoffe bezeichnen kann; so steht es zum Beispiel oft für das Mischen von Wein (vgl. Jes 5,22).134 In den Briefen des Bischofs von 132 Vgl. auch IgnMagn 7,1: Ὥσπερ οὖν ὁ κύριος ἄνευ τοῦ πατρὸς οὐδὲν ἐποίησεν ἡνωμένος ὤν, οὔτε δι᾽ ἑαυτοῦ οὔτε διὰ τῶν ἀποστόλων οὕτως μηδὲ ὑμεῖς ἄνευ τοῦ ἐπισκόπου καὶ τῶν πρεσβυτέρων μηδὲν πράσσετε […]. 133 Die lateinische Übersetzung der kürzeren Rezension von IgnSm 3,2 bezeugt convicti, was eventuell auf κρατηθέντες (κρατέω), „etwas fassen, ergreifen“, zurückgeht. 134 Jes 5,22 LXX: οὐαὶ οἱ ἰσχύοντες ὑμῶν οἱ τὸν οἶνον πίνοντες καὶ οἱ δυνάσται οἱ κεραν­ νύν­τες τὸ σικερα. Außerdem Spr 9,2 LXX: ἔσφαξεν τὰ ἑαυτῆς θύματα ἐκέρασεν εἰς κρατῆρα τὸν ἑαυτῆς οἶνον καὶ ἡτοιμάσατο τὴν ἑαυτῆς τράπεζαν. Ferner Spr 9,5: ἔλθατε φάγετε τῶν ἐμῶν ἄρτων καὶ πίετε οἶνον ὃν ἐκέρασα ὑμῖν. Vgl. auch Bel 1,11 (καὶ παρετέθη τὰ βρώματα

2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3

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Antiochien erscheint das Lexem neben IgnSm 3,2 auch noch in IgnEph 5,1, wo es in einem übertragenen Sinne gebraucht wird, um die innige Verbindung der Gemeinde mit ihrem Bischof zu beschreiben, die zugleich die enge Verbundenheit zwischen Jesus und dem Vater abbildet: Εἰ γὰρ ἐγὼ ἐν μικρῷ χρόνῳ τοιαύτην συνήθειαν ἔσχον πρὸς τὸν ἐπίσκοπον ὑμῶν, οὐκ ἀν­ θρω­πίνην οὖσαν, ἀλλὰ πνευματικήν, πόσῳ μᾶλλον ὑμᾶς μακαρίζω τοὺς ἐγκεκραμένους οὕ­ τως, ὡς ἡ ἐκκλησία Ἰησοῦ Χριστῷ καὶ ὡς Ἰησοῦς Χριστὸς τῷ πατρί, ἵνα πάντα ἐν ἑνότητι σύμ­φωνα ᾖ. Wenn ich nämlich in so kurzer Zeit zu eurem Bischof in eine so enge Verbindung trat, die nicht menschlich, sondern geistig ist, um wieviel mehr muss ich euch preisen, die ihr (ihm) so fest verbunden seid, wie die Kirche mit Jesus Christus und wie Jesus Christus mit dem Vater, damit alles in Eintracht zusammenstimme?

Bereits die enge Verbindung des Ignatius mit dem Bischof ist ausdrücklich keine nach irdisch-menschlichen Maßstäben zu charakterisierende, sondern sie ist πνευματική. Die Verbundenheit der Gemeinde in Ephesus mit dem Bischof (τοὺς ἐγκεκραμένους) übertrifft sie jedoch noch und wird von Ignatius sogar dem Verbundensein der Ekklesia mit Christus und Christi mit dem Vater gleichgestellt. Es ist also an eine geistige Gemeinschaft gedacht, die Ignatius hier wie auch an anderen Stellen auf den Zielpunkt einer harmonischen Gesamtheit (ἑνότης) zulaufen lässt. In IgnSm 3,2 liegt die Besonderheit der Verwendung von κεράννυμι nun darin, dass zunächst zwar ein physischer, äußerer Kontakt beschrieben wird,135 allerdings mit einem Lexem, das Konnotationen einer Durchdringung und Vermischung enthält. Das wirkt sich aus auf die Verwendung von σάρξ als Objekt des Betastens, es transzendiert σάρξ als bloße Substanz des Körpers Jesu. 2.4.5 Die Überwindung des Todes als Folge der Berührung Noch verstärkt wird der Eindruck, dass die σάρξ Jesu etwas Besonderes ist und ihr Betasten folgenreich, durch die letzte berichtete Reaktion der Jünger: ἐνώπιον τοῦ βασιλέως καὶ τοῦ Δανιηλ καὶ οἶνος κερασθεὶς εἰσηνέχθη […]); 1,33 (καὶ ἐγένετο τῇ ἡμέρᾳ τῇ ἕκτῃ καὶ ἦν Αμβακουμ ἔχων ἄρτους ἐντεθρυμμένους ἐν σκάφῃ ἐν ἑψήματι καὶ στάμ­νον οἴνου κεκερασμένου καὶ ἐπορεύετο εἰς τὸ πεδίον πρὸς τοὺς θεριστάς). Vgl. LSJ s. v. κεράννυμι: „mostly of diluting wine with water“. Platon verbindet mit dem Verb das Zusammensein der Vernunft mit den Sinnen, Leg. 961d: ψυχῇ μὲν πρὸς τοῖς ἄλλοις νοῦς ἐγ­γιγ­νόμενος, κεφαλῇ δ᾽ αὖ πρὸς τοῖς ἄλλοις ὄψις καὶ ἀκοή: συλλήβδην δὲ νοῦς μετὰ τῶν καλ­λίστων αἰσθήσεων κραθείς, εἰς ἕν, σωτηρία ἑκάστων δικαιότατ᾽ ἂν εἴη καλουμένη („Weil in der Seele unter anderem die Vernunft wohnt und im Kopf unter anderen das Gesicht und das Gehör. Mit einem Wort: die Vernunft, sofern sie mit den edelsten Sinnen verbunden und mit ihnen eins geworden ist, dürfte wohl mit größtem Recht als die Erhalterin eines jeden Wesens bezeichnet werden“, Übers. Schöpsdau / Müller). 135 Nach Lightfoot ist κεράννυμι „the strongest possible expression being chosen to express the closeness of the contact“ (Apostolic Fathers, Bd. 2 / 2, 297, dort auch weitere Belege für κεράννυμι in philosophischen Texten).

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Es heißt, sie verachteten und überwanden deshalb auch den Tod: διὰ τοῦτο καὶ θα­νάτου κατεφρόνησαν, ηὑρέθησαν δὲ ὑπὲρ θάνατον. Der Ausdruck θανάτου κα­ταφρονέω insinuiert eine Haltung, die dem Tod die Macht nimmt und ihn nicht scheut.136 Möglicherweise ist hier auf die Martyriumsbereitschaft der Jünger angespielt. Ignatius führt sie auf die Berührung des Körpers Jesu und die Verbindung mit seinem Fleisch und Geist zurück. Der genaue Zusammenhang bleibt unausgeführt, aber er könnte darin liegen, dass die Jünger ab dem Moment ihres Betastens des Auferstandenen den Tod verachten, weil der Kontakt zur σάρξ Jesu, die nach IgnSm 7,1 gelitten hat und auferweckt wurde, Verbindung zu seinem Leiden und zu seiner Auferstehung eröffnet. Daraus resultieren die Verachtung und Überwindung des Todes durch die Jünger, die ihrer eigenen künftigen Auferstehung gewiss werden. Das Betasten der σάρξ Jesu durch Petrus und seine Begleiter bestätigt also nicht nur physisch Jesu Auferstehen im Fleisch und rückwirkend sein Leiden in der σάρξ.137 Vielmehr wird es zu einem neuen Ausgangspunkt für das weitere Geschehen und verändert vor allem den Zustand der Jünger. An ihnen demonstriert Ignatius die Wirkungen des Kontakts zu und der „Vermischung“ mit σάρξ und πνεῦμα Jesu: Die Einsicht der Jünger in die vollkommene, auferweckte Menschheit Jesu (ihr Glaube) und ihre Überwindung des Todes werden nicht im Sinne eines intellektuellen Erkenntnisgewinns geschildert, sondern eher als eine plötzliche Verwandlung und Transformation. 2.4.6 Eucharistische Anklänge Insgesamt auffällig ist die Nähe zwischen der „Vermischung“ der Jünger mit Jesu Fleisch in IgnSm 3,2 und den Vorgängen bei der Mahlfeier, wie Ignatius sie etwa in IgnPhld 4 mit seiner Vorstellung einer „Vereinigung mit [Jesu] Blut“ skizziert. Das trägt zum eucharistischen „Kolorit“ der Erscheinungserzählung bei. In beiden Fällen bleibt es nicht bei äußeren Vollzügen, sondern es geht um die engstmögliche Verbindung und Vereinigung mit dem Fleisch. Jesu Leiden und Auferstehung werden so unmittelbar physisch erfahrbar. Den Jüngern erschließt sich nach IgnSm 3,2 im Moment des Kontakts zur σάρξ Jesu dessen Leiden und Auferstehung, und das lässt sie in ein neues Verhältnis zu ihrem eigenen Tod treten. Deshalb resultiert aus der „Vermischung“ mit dem Fleisch Jesu ihre Überwindung des Todes. Damit klingen in den beschriebenen Folgen die Wirkungen der Eucharistie an, wie Ignatius sie in IgnEph 20,2; IgnSm 7,1 136 Vgl. Josephus, B. J. 2,60; 2,377; 3,356; 3,475; 5,458; 6,33; 6,42; 7,406; Justin, 1 Apol. 1,25; 2,10,8; 2,11,8; Tatian, Or. Graec. 11,1; 19,1. Vgl. Schoedel, Briefe des Ignatius, 357: „Den Tod verachten wurde im Hellenismus, vor allem als soldatische Tugend, allgemein bewundert […]. Wahrscheinlich handelt es sich um ein apologetisches Thema, das Ignatius bereits verbunden mit der hier verwendeten Auferstehungstradition vorfand.“ Gegen Schoedels These spricht allerdings, dass das Thema Teil der Martyriumstheologie des Ignatius und daher durchaus von ihm selbst in den vorliegenden Zusammenhang eingebracht sein könnte. 137 Vgl. Lona, Auferstehung des Fleisches, 36. Vgl. auch Apg 2,31.

2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3

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und IgnRom 7,3 darstellt, wo die Eucharistie(elemente) mit der Auferstehung und Unvergänglichkeit ihrer Empfänger in Zusammenhang stehen. Hinter IgnSm 3,2 wird die semantische Breite sichtbar, die Ignatius dem σάρξ-­Begriff auch sonst zuschreibt. Für ihn konzentrieren sich ja, wie gesehen, im σάρξ-Begriff Jesu Menschwerdung, Leiden und Auferstehung. Im Kontext der Erscheinungsüberlieferung trifft die sarkische Theologie des Ignatius auf das überlieferte Motiv von der Leiblichkeit des Auferstandenen, als dieser sich den Jüngern zeigte. Die Folge ist das in IgnSm 3 erkennbare besondere Verständnis von σάρξ, die hier in einer doppelten Rolle begegnet: als Materie, die berührt werden kann und aus der der Leib des Auferstandenen besteht, aber zugleich auch als christologische Chiffre für seine Menschwerdung, sein Leiden und die Auferstehung. Das führt in der Interpretation der Ostergeschichte bei Ignatius dazu, dass die nachösterliche Einsicht und der Glaube der Jünger durch die Körpermaterie Jesu vermittelt werden. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Variante zu κραθέντες τῇ σαρκὶ αὐτοῦ καὶ τῷ πνεύ­ματι, die die erhaltene armenische Übersetzung bietet. Sie liest offenbar αἵματι anstelle von σαρκί. Wie oben am Beispiel von IgnSm 12,2, aber auch IgnTrall 8,1 gezeigt, bilden σάρξ und αἵμα bei Ignatius ebenfalls ein christologisch konnotiertes Begriffspaar, das formelhaft die ganze Menschheit Jesu einschließlich seines Todes bezeichnen soll. Lightfoot sieht in der Lesart im vorliegenden Kontext gar eine Anspielung auf die Wundmale Jesu, durch die die Jünger Zugang zum Blut Jesu haben.138 Damit ist die knappe Aussage bei Ignatius vielleicht überinterpretiert, aber die armenische Übersetzung könnte durchaus einen noch stärkeren Akzent auf die ganz und gar leibliche, fleischliche Erscheinung des Auferstandenen legen, die sich den Jüngern bei ihrem Betasten bietet. Möglich ist aber auch eine eucharistische Interpretation der Wendung σάρξ καὶ αἷμα mit den Vergleichsstellen IgnRom 7,3 und IgnPhld 4. Dafür votieren Kenneth J. Howell139 und Michael J. Svigel, der dies wie folgt zusammenfasst: „In the same way that the apostles were ,closely united‘ with the flesh and blood of Christ, believers in the churches could be ,closely united‘ with the flesh and blood of Christ through spiritual and physical union with him through fellowship in the Chris­tian community.“140 Wie gesehen, gehen die Bedeutungsnuancen bei Ignatius ohnehin häufig ineinander über.

Einige der Bedeutungskompetenzen der σάρξ, die Ignatius in seinen Briefen erkennen lässt, klingen demnach in IgnSm 3,2 mit und reichern die Erscheinungserzählung in ihrer Tiefendimension an. Umgekehrt erhalten Passagen, in denen Ignatius über die Eucharistiefeier der Gemeinde spricht und Deutungen der Eucharistie anbringt, in der Erscheinungserzählung in IgnSm 3 eine geschichtliche Basis im Wirken Jesu. Zwar ist das Erlebnis der Jünger, ihre Begegnung mit dem Auferstandenen, etwas Einmaliges und wegen der Erhöhung Jesu zur Rechten Gottes Unwiederholbares. Aber die σάρξ Jesu ist fortan im 138 Vgl. Lightfoot, Apostolic Fathers, Bd. 2 / 2, 297: „The Apostles who were invited to feel the nail-prints in His hands and the spear-wounds in His side might be said almost literally to touch His blood as well as His flesh.“ 139 Vgl. Howell, Ignatius of Antioch, 131. 140 Svigel, Incarnational Christology, 150f. Anm. 7.

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Eucharistiemahl im Brot zugänglich, und ihre Bedeutung wird durch das einmalige, vergangene Ereignis auch für die nachösterliche Gegenwart der Adressaten gesichert. Die Jünger als Autoritäten der normativen Ursprungszeit des Christentums werden gewissermaßen zu Zeugen der ignatianischen Christologie und Eucharistieauffassung. 2.4.7 Körper und Fleisch der Glaubenden Ignatius stellt die Berührung des Auferstandenen als eine folgenreiche physische Kommunikation zwischen dem Fleisch Jesu und den Erscheinungszeugen dar. Ähnlich kann er auch den Eucharistieempfang beschreiben. Die Wirkung liegt im Glauben und in der Überwindung des Todes. Das lässt fragen, ob Ignatius hier auch an eine Verwandlung der Leiblichkeit der Jünger bzw. Gemeindeglieder denkt. Wie gesehen, reicht ja die Wirkung der σάρξ nach IgnSm 3,2 über eine bloß kognitive Einsicht der Jünger hinaus. Wird ihnen mit ihrem Kontakt zu Jesu σάρξ also auch schon die zukünftige Auferstehungsleiblichkeit vermittelt? Dass Ignatius fest mit der künftigen Auferstehung aller Glaubenden im Fleisch rechnet, kann aus seiner Überzeugung, dass sich die Auferstehung der Glaubenden in Analogie zu Jesu fleischlicher und geistlicher Auferstehung (IgnSm 12,2) vollziehen wird, indirekt erschlossen werden. Aber trotz seiner sarkisch geprägten Theologie macht Ignatius an keiner Stelle die Leiblichkeit der Glaubenden bei ihrer Auferstehung zu einem selbständigen Thema. Weder im Rahmen seiner Eucharistiedeutung, der zufolge die Eucharistieempfänger das auferweckte Fleisch Jesu zu sich nehmen, noch in seiner Rezeption der Ostererscheinung erwähnt er eine Transformation des Fleisches bzw. der Leib­ lichkeit der Glaubenden.141 Die Körper der Christusgläubigen sind für Ignatius nur mit Bezug auf ihr Martyrium, also ihr Leiden und ihren Tod, ein Thema. Dieses entfaltet er an seiner eigenen Person vor allem in IgnRom 4,1: σῖτός εἰμι θεοῦ καὶ δι᾽ ὀδόντων θηρίων ἀλήθομαι, ἵνα καθαρὸς ἄρτος εὑρεθῶ τοῦ Χριστοῦ. Ich bin Weizen Gottes, und durch die Zähne der Tiere werde ich gemahlen, damit ich als reines Brot Christi erfunden werde.

Sein Martyrium kann Ignatius mit eucharistischen Konnotationen belegen, und im Bild des gemahlenen Weizens stellt er seinen Märtyrerleib in eine Linie mit der eucharistischen Gabe der σάρξ Jesu.142 Auch hier im Rahmen seiner Selbst141 IgnPhld 7,2 deutet aber darauf hin, dass das Fleisch – eben das, was der Mensch schon jetzt, in seinem irdischen Dasein trägt – relevant ist bei seiner Auferstehung: τὴν σάρκα ὑμῶν ὡς ναὸν θεοῦ τηρεῖτε. 142 Wehr, Arznei der Unsterblichkeit, 177f., sieht hier keinen Bezug zur Eucharistie, sondern eine Sprache und Metaphorik mit Bezug zum „Bäckerhandwerk“: „Wie der Weizen gemahlen werden muß, damit aus ihm Brot werden kann, muß auch Ign durch sein Martyrium hindurchgehen, um seine Bestimmung zu erlangen.“ Wehr führt an, dass Ignatius immer

2.4 Die σάρξ Jesu in IgnSm 3

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auslegung und der Deutung seines persönlichen Schicksals zeigt sich seine sarkisch akzentuierte Christologie als ein tragendes Motiv. Man kann daraus schlussfolgern, dass nach Ignatius auch für andere Christen die mimetische Konformität mit Jesu leidensfähigem Leib durch das Martyrium der entscheidende Weg ist, auf dem sie gleichgestaltig mit Christus werden können. Eine physische Gleichgestaltung mit Jesu Auferstehungsleib durch die Eucharistie, gar durch den Empfang der σάρξ Jesu, ist dagegen nicht im Blick. Weiter als bis zum leidenden Körper reicht für Ignatius die Identifikationsmöglichkeit mit Jesu Leib nicht. Charakteristisch für ihn ist auch in diesem Punkt, dass er die frühchristliche Hoffnung auf Auferstehung und auf einen Auferstehungsleib ganz aus dem Leiden entwickelt und durchgehend darauf bezieht. Die den Tod vorwegnehmende oder ihn sogar umgehende Aneignung der Auferstehungsherrlichkeit schon im irdischen Leben ist für ihn daher undenkbar. Nur an einer Stelle – und bezeichnenderweise in negativem Zusammenhang – kommt Ignatius auf die Leiblichkeit der Menschen nach dem Tod zu sprechen, nämlich im Kontext der Gegnerpolemik in IgnSm 2, wo er, ohne es expliziter auszuführen, das postmortale Schicksal seiner Gegner komplementär zu seinem Gedanken einer mimetischen Konformität entwirft. Die Gegner, die die Fleischlichkeit und damit auch Leiden und Tod Jesu negieren, werden nicht auferstehen, sondern nur schattenhaft existieren.143 Das bestätigt noch einmal die Beobachtung, dass nach Ignatius Jesu σάρξ, obwohl sie bei der Erscheinungserzählung und in der Eucharistiedeutung mit der Überwindung des Todes und der Unvergänglichkeit in Verbindung gebracht wird, keine Substanz ist, die die Auferstehung selbständig übermittelt. Ihre Rückbindung an die Heilsereignisse bleibt immer entscheidend. Ignatius kann deshalb denselben Zusammenhang zwischen Tod und Auferstehung Jesu und der Überwindung des eigenen Todes auch ohne einen Rekurs auf Jesu σάρξ herstellen, wie in IgnSm 4,2: Dort stellt er den Konnex, der aus seiner Sicht zwischen dem Anerkennen des wirklichen Leidens Jesu und der Überwindung des Todes besteht, mit Blick auf sein eigenes Schicksal heraus und reflektiert, herausgefordert vermutlich von der Kritik der Gegner, die Bedeutung seines bevorstehenden Martyriums. Dabei gelangt er zu der Einsicht in die paradoxe Einheit von Gefahr, Leiden und Tod einerseits und Gottesnähe andererseits: deutlich zwischen seinem Martyrium und dem Leiden Christi unterscheide, weshalb er sich nicht selbst zur eucharistischen Gabe machen wolle. Das Bild des Brotes in Verbindung mit dem Leiden ist allerdings doch zu auffällig, um nicht eucharistisch konnotiert zu sein. Dabei muss dieses Bild, mit dem Ignatius sein eigenes Martyrium beschreibt, nicht so weit ausgeführt werden, dass er sich selbst auch als eucharistische Gabe deutet. Vielmehr geht es nach meinem Eindruck allein um die Deutung des Leidens, das Ignatius durch die Brotmetapher noch einmal in deutliche Nähe zum Leiden Christi rückt. Das geht auch aus IgnPol 2,3 hervor, wo Ignatius gegenüber dem Bischof Polykarp seine „Ketten“, also sein Martyrium, als Lösegeld bezeichnet. 143 Hier zeigt sich noch einmal der Zusammenhang zwischen der Christologie und dem Schicksal der Glaubenden.

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εἰ γὰρ τὸ δοκεῖν ταῦτα ἐπράχθη ὑπὸ τοῦ κυρίου ἡμῶν, κἀγὼ τὸ δοκεῖν δέδεμαι. τί δὲ καὶ ἑαυ­ τὸν ἔκδοτον δέδωκα τῷ θανάτῳ, πρὸς πῦρ πρὸς μάχαιραν, πρὸς θηρία; ἀλλ᾽ ἐγγὺς μα­χαί­ρας ἐγγὺς θεοῦ, μεταξὺ θηρίων μεταξὺ θεοῦ· μόνον ἐν τῷ ὀνόματι Ἰησοῦ Χριστοῦ. εἰς τὸ συμ­ πα­θεῖν αὐτῷ πάντα ὑπομένω, αὐτοῦ με ἐνδυναμοῦντος τοῦ τελείου ἀνθρώπου γενομένου. Wenn nämlich diese Dinge zum Schein von unserem Herrn vollbracht wurden, dann bin auch ich zum Schein gefesselt. Warum habe auch ich mich dem Tod ausgeliefert, zu Feuer, zu Schwert, zu wilden Tieren? Aber nahe dem Schwert ist nahe bei Gott, inmitten der wilden Tiere ist mitten in Gott; einzig im Namen Jesu Christi. Um mit ihm zu leiden, erdulde ich alles, weil er mir Kraft gibt, der vollkommener Mensch geworden ist.

2.5 Zusammenfassung Im Ergebnis der Untersuchung können zwei Aspekte festgehalten werden: (1) Als Kurzformel für seine Christologie (vgl. etwa IgnTrall 8,1; IgnSm 12,2; IgnPhld 5,1) und als metonymische Zusammenfassung der Eucharistie (IgnSm 7,1) legt der σάρξ-Begriff bei Ignatius den Akzent des Heilsgeschehens schwerpunktmäßig auf Jesu Inkarnation, Leiden und Tod. Der σάρξ-Begriff ermöglicht es Ignatius außerdem, das so akzentuierte Heilsgeschehen auf die Gegenwart der Gemeinden zu beziehen und anzuwenden. Nicht zuletzt kann Ignatius mit ihm gegnerische Positionen auf verschiedenen Ebenen entkräften. Wenn die Gemeinden ihr Dasein vom Heilsgeschehen herleiten und die Heilsereignisse, die sich in Jesu σάρξ zusammenfassen lassen, in ihrem Glauben und ihren rituellen Vollzügen präsent werden lassen, so können sie auch der zukünftigen Auferstehung gewiss sein. Wenn Jesu Auferstehung für Ignatius an sein Sein in der σάρξ und an sein Leiden und seinen Tod gebunden bleibt, bedeutet dies gleichzeitig, dass sie schon jetzt im Fleisch Jesu, das gelitten hat und auferweckt wurde, implizit gegenwärtig ist. Trotzdem ist die Auferstehung nicht in Jesu σάρξ verfügbar, sondern bleibt für die Glaubenden ein endzeitliches Hoffnungsgut.144 Ignatius verzichtet ganz darauf, die Gegenwart des Heils im Sinne einer präsentischen Auferstehung zu denken und gar die Leiblichkeit der Glaubenden darin einzubeziehen. (2) Was die Rezeption der Ostertradition betrifft, geht Ignatius im Kontext seiner σάρξ-Theologie über die in frühchristlichen Texten auch sonst beschriebene Wirkung der leiblichen bzw. fleischlichen Erscheinung Jesu vor den Jüngern deutlich hinaus: In den Rezeptionen der Erscheinungserzählungen in Ps.Justin, De resurrectione 9 und EpAp 11f. (22f.) wird die sarkische Erscheinung Jesu ebenfalls hervorgehoben, und man kann daran die wachsende Bedeutung der σάρξ Jesu in den christologischen Debatten und dem Diskurs um die Errettung des menschlichen Fleisches im 2. und 3. Jahrhundert ablesen. Im Kontrast 144 Vgl. IgnTrall inscr.: Ἰγνάτιος ὁ καὶ Θεοφόρος ἠγαπημένῃ θεῷ πατρὶ Ἰησοῦ Χριστοῦ, ἐκ­κλησίᾳ ἁγίᾳ τῇ οὔσῃ ἐν Τράλλεσιν τῆς Ἀσίας, ἐκλεκτῇ καὶ ἀξιοθέῳ, εἰρηνευούσῃ ἐν σαρκὶ καὶ πνεύματι τῷ πάθει Ἰησοῦ Χριστοῦ, τῆς ἐλπίδος ἡμῶν ἐν τῇ εἰς αὐτὸν ἀναστάσει […].

2.5 Zusammenfassung

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zu den genannten Texten, die mit Jesu leiblichen Erscheinungen demonstrieren, dass es generell eine Auferstehung des Fleisches gibt und das Fleisch also gerettet werden kann, scheint die Verarbeitung der Erscheinungsüberlieferung im Brief an die Smyrnäer die σάρξ praktisch als eine eigene heilswirksame Größe einzuführen. Im Kontext anderer frühchristlicher Argumentationen für die leibliche Auferstehung erscheint der Smyrnäerbrief so als ein Zeugnis, das Jesu Fleisch zusammen mit seinem Geist zum Träger und Vermittler der Todesüberwindung für die Jünger werden lässt. Kann man dann an dieser Stelle schlussfolgern, dass das Fleisch des Aufer­ standenen doch mehr ist als „normales menschliches Fleisch“? Ignatius beschäftigt noch nicht das theoretische Problem der prinzipiell vergänglichen σάρξ als solches. Seine Ausführungen zur Erscheinung des Auferstandenen und zur Teilhabe der späteren Generation von Glaubenden an dem Fleisch Jesu, in dem sich Leiden und Auferstehung manifestieren, sind immer an aktuelle gemeindliche Anliegen gebunden und sollen den Glauben an Mensch- und Fleischwerdung Christi festigen. Spekulationen über die Stellung und das finale Schicksal der Materie, aus der Schöpfung und Mensch gemacht sind, findet man bei ihm nicht. Auch bildet für ihn nicht die Frage nach der Auferstehung des Fleisches den Hintergrund, vor dem er in IgnSm 3 die Erscheinung Jesu vor den Jüngern oder andernorts die Eucharistietradition verarbeitet. Auch deshalb liegt die Vorstellung einer Verwandlung der σάρξ der Jünger in dem Moment, als sie den Auferstandenen berühren, nicht im Interesse des Bischofs von Antiochien. Weder erwerben sie sich ein Unvergänglichkeitskleid durch die σάρξ Jesu, wie dies im Abendmahl nach EvPhil 23 vorgestellt ist, noch ist daran gedacht, dass ihr Fleisch durch die Nahrung mit Jesu σάρξ umgewandelt wird, wie Irenäus es in Haer. 5,2,3 ausführt. Die Besonderheiten der σάρξ Jesu liegen für Ignatius nicht in ihrer Substanz und deren Qualität, sondern in ihrer Rolle im Heilsgeschehen und in ihrer Eignung als Größe, das vergangene Heilsgeschehen mit der Gegenwart zu verbinden. Aber weil Ignatius die Heilsereignisse ausgerechnet auf den σάρξBegriff zuspitzen kann, gelangt er in IgnSm 3,2 zu Aussagen, die dann auch auf die σάρξ als Substanz zurückwirken müssen. Diesem Text zufolge wird die Überwindung des Todes auf die enge haptische Verbindung zur σάρξ Jesu zurückgeführt. Ähnliches spiegelt die ignatianische Eucharistiedeutung an den Stellen wider, die die Eucharistieelemente mit der Auferstehung und Unvergänglichkeit in einen Zusammenhang bringen. Ignatius dringt hier zu der Vorstellung durch, dass das Fleisch Jesu nicht allein als christologische Größe zentral ist, sondern auch wegen seiner konkreten, substanzhaften Wirkung auf die Glaubenden. Dass Ignatius dem Fleisch Jesu diese Sonderstellung im Bewusstsein der Konsequenzen einräumt, die eine solche Auffassung haben kann, ist zu bezweifeln. Es scheint eher, als stehen bei ihm nicht so sehr theoretische Überlegungen am Anfang, die er dann in Sprache fasst, sondern zuweilen ein Expe-

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2. Ignatius an die Smyrnäer

rimentieren und Spielen mit Begriffen, aus denen sich erst in der Folgezeit und Nachwirkung eigene Konzepte herausentwickelten. Aber auch wenn er mit zahlreichen theologischen Themen noch unbefangen umgeht, ist für Ignatius unverhandelbar, dass die Auferstehung – die der Glaubenden und diejenige Jesu – im Horizont des Leidens Jesu ἐν σαρκί verstanden werden muss. Nur gemeinsam mit dem Leiden bildet die Auferstehung ein Ganzes, den ganzen Heilszusammenhang. Im σάρξ-Begriff kann Ignatius ihn verdichtet zum Ausdruck bringen, und darin liegt der Beitrag der Ignatiusbriefe zur Ausformung einer Heilsbedeutung des Fleisches Jesu.145

145 Lona, Sprachgebrauch, 399, argumentiert dafür, dass die Betonung der σάρξ bei der Rede von Jesu Auferstehung schon traditionell vorgegeben gewesen sei, was sich im Zitat aus Ps 15,10 in Apg 2,31 und in der Abwandlung von ὅσιος zu σάρξ zeige. Es mag in Apg 2 ein erster Beleg für den Weg des frühen Christentums zu einem betont sarkischen Auferstehungsverständnis vorliegen, aber von einer Funktion der σάρξ bzw. des fleischlich Erscheinenden für das Heil der Erscheinungszeugen und Glaubenden ist diese Stelle weit entfernt.

Kapitel 3

Leben und Auferstehen im Heilsraum des Erlösers: Der Brief an Rheginus 3.1 Einführung Der kurze Brief 1 eines unbekannten Lehrers an seinen „Sohn Rheginus (ⲣⲏⲅⲓⲛⲟⲥ)“, vom Übersetzer oder Kopisten in einer sekundären Subscriptio als eine „Abhandlung“ über die Auferstehung klassifiziert (ⲡⲗⲟⲅⲟⲥ ⲉⲧⲃⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ), ist als vierte Schrift in NHC I überliefert. Wie die anderen Schriften dieser ursprünglich unter dem Namen „Codex Jung“ firmierenden Textsammlung ist der Text in einer lykopolitanisch-koptischen Dialektvariante überliefert, in die der ursprünglich griechische Text übersetzt worden ist.2 In Handschrift und Orthographie stimmt er nicht mit dem Rest des Codex überein, sondern mit zwei Texten aus Codex XI, der „Auslegung der Erkenntnis“ (XI,1) und der „Valentinianischen Abhandlung“ (XI,2).3 Henri-Charles Puechs und Gilles Quispels Zuschreibung des Traktates an den römischen Theologen Valentin in einem Aufsatz von 1954,4 die sie 1963 als Mitherausgeber der Editio princeps wiederholten,5 ist mittlerweile der verbreiteten Ansicht gewichen, der Text stamme von einem unbekannten valentinianischen Autor der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts.6 Das vorgeschlagene 1 Dem

Brief fehlt das Präskript, so dass der Verfasser ungenannt bleibt. Zu Text und Kommentierung vgl. die Editionen: Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Re­ surrectione; Layton, Gnostic Treatise; Ménard, Le Traité sur la résurrection; Peel, Treatise on the Resurrection. 2 Vgl. Layton, Gnostic Treatise, 2f. Layton informiert auch ausführlich über die koptische Übersetzung und ihre Eigenheiten. 3 Vgl. Schenke, NHD 1, 46. 4 Vgl. Puech / Quispel, Codex Jung, 50: „Nous sommes ainsi amenés à conclure: la Lettre à Rhéginos provient soit d’un docteur appartenant à la branche orientale du Valentinisme soit de Valentin lui-même. A choisir entre ces deux possibilités, nous opterions, pour notre part, avec toutes les réserves qui s’imposent, pour la seconde.“ 5 Vgl. fast wortgleich mit dem Aufsatz Puechs und Quispels die Erstherausgeber Mali­ nine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, xxxiii: „Il a pour auteur un va­len­ti­nien: soit un maître de l’école‚ orientale‘ du Valentinisme, soit Valentin lui-même. A choi­sir entre ces deux possibilités, nous opterions, pour notre part, avec les réserves qui s’im­ po­sent, en faveur de la seconde.“ 6 Für den valentinianischen Charakter des Rheginusbriefes und seine Entstehung im 2. Jahrhundert plädieren u. a. Van Unnik, Epistle to Rheginos, 144.165; Peel, Gnosis und Auferste-

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3. Rheginusbrief

Zeitfenster und die Zuordnung zum Valentinianismus beruhen vor allem auf inneren Kriterien, d. h. auf der Interpretation und theologiegeschichtlichen Einordnung einzelner Passagen und Ansichten der Schrift. So wird hinter Rheg p. 46,35–38 7 valentinianische Kosmogonie, zuweilen sogar ein überlieferter va­lentinianischer Hymnus vermutet,8 nach dem das Pleroma vor der Welt existierte und sich aus ihm später der Kosmos herauslöste. Dem entspricht die Auffassung im Rheginusbrief, dass ein Teil des Erlösungswerks Jesu in der Wiederherstellung des Pleromas besteht (p. 44,30–33). Auch kann Christus nur mit Einschränkung als Mensch bezeichnet werden, wenn es von ihm heißt, er stamme vor Entstehung der Welt als Same der Wahrheit von oben (p. 44,35) und habe nach seiner Existenz im Fleisch sich selbst auferweckt, den Tod verschlungen, die vergängliche Welt niedergelegt und sich in einen unvergänglichen Äon verwandelt (p. 45,16–19). Ein ausführlicher Mythos fehlt andererseits, und das Interesse des Autors ist ganz auf das Schicksal der Glaubenden und ihre Auferstehung gerichtet, deren Konzeption, wie noch zu zeigen ist, paulinischer und vor allem deuteropaulinischer Tradition nahesteht. Wie bei anderen koptisch-gnostischen Texten hängt die Einordnung des gesamten Rheginusbriefes somit stark von der Interpretation und Gewichtung der Gedankenführung und vom jeweils vorausgesetzten Gesamtbild gnostischer Schulen und Systeme ab und wird deswegen kontrovers diskutiert.9 hung, 26.186f.; Lona, Auferstehung des Fleisches, 228f.; Markschies, Valentinus Gnos­ ticus?, 360. Gegen die pauschale Einordnung der Schrift in den Valentinianismus richten sich Layton und Schenke, die die Zuordnung aufgrund bloßer Terminologien kritisieren. Es würden komplexere Vorstellungen valentinianischer Herkunft fehlen, vgl. Schenke, NHD 1, 48: „Und Tatsache ist, daß ein typisch valentinianischer Vorstellungskomplex sich in unserer Schrift nicht findet.“ 7 Rheg p. 46.35f.: „⟨Der⟩ Zusammenhalt (des Reiches) der Fülle (Pleroma) ist stark. Das, was sich herauslöste und zur Welt wurde, ist wenig“ (Übers. Schenke). Vgl. dazu z. B. Edwards, Epistle to Rheginus, 85: „This is an allusion to the Valentinian story that the world came into being through the transgression of Sophia, the weakest aeon of the plērōma.“ 8 Vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 106f. 9 Vgl. auf der einen Seite etwa die Argumentation für eine frühe Datierung um 150 bei Van Unnik, Epistle to Rheginos, 165: „In spite of his wish to accept the Christian teaching on the resurrection he gave it a different turn: it is akin to that interpretation of which Irenaeus and Tertullian spoke, and that may have been the kind of teaching Justin Martyr had in view. If that is correct, the work is a product of Valentinianism as it existed about A. D. 150.“ Auf der anderen Seite Markschies, Valentinus Gnosticus?, 360: „Die Anklänge an den valentinianischen Mythos und die dezidierte Betonung der Funktion von ‚Gnosis‘ für die Auferstehung schließen eine Entstehung des Werkes vor Ptolemäus und gar seine Abfassung durch Valentin aus.“ Primär vor einem valentinianischen Hintergrund interpretiert auch Skiba, Treatise on the Resurrection, den Rheginusbrief. Vgl. auch Dubois, Pauline Reception, 638: „The treaty is one among many of the second century dealing with resurrection […]. Answering questions about the kind of resurrection or the existence of a resurrected body, the author of this epistle exhorts his Gnostic readers to experience a possible spiritual resurrection already in the Gnostic community (45.40). It could be a proof that the criticism of 2 Timothy 2:18 against those who thought that resurrection had already happened is founded.“

3.1 Einführung

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Gegen die relativ konsensfähige Datierung in das 2. Jahrhundert hat Mark J. Edwards in einem Beitrag von 1995 einen anderen Vorschlag für die zeitliche Einordnung der Schrift unterbreitet, der den Text in das 3. oder sogar 4. Jahrhundert datieren möchte. Hinweise auf eine Spätdatierung geben Edwards zufolge die dem Rheginusbrief benachbarten Nag-Hammadi-Texte aus Codex I, das Evangelium Veritatis (I,3), das seines Erachtens als polemische Reaktion auf Arius gelesen werden sollte, und der Tractatus Tripartitus (I,5), der eine großkirchliche Bekenntnisbildung voraussetze und in dem Edwards deshalb eine „florid exposition of the prevailing creed“ sieht.10 Im Kontext dieser Texte könne auch der Rheginusbrief mit seinen mehrheitskirchlichen Merkmalen als Zeugnis dafür verstanden werden, dass im 4. Jahrhundert „Valentinians might make common cause with the greater Church“.11 Die Haltung der Valentinianer zur Auferstehung habe sich im Verlauf des 2. bis 4. Jahrhunderts gewandelt und in späterer Zeit ungefähr der entsprochen, die der Rheginusbrief bezeuge.12 Dafür spreche die Parallele zwischen der Auferstehungsauffassung des Rheginusbriefes und der von Epiphanius in Pan. 31,7,6 bezeugten valentinianischen Vorstellung eines pneumatischen Auferstehungsleibes (σῶμα πνευματικόν). Allerdings ist zu bezweifeln, dass Epiphanius zuverlässige, aus erster Hand stammende Informationen über valentinianische Positionen zur Auferstehung hatte, dass ihm etwa valentinianische Werke über die Auferstehung wie der Rheginusbrief vorgelegen haben, wie Edwards annimmt.13 Auch ist die von Edwards nachdrücklich betonte Nähe zur Mehrheitskirche kein Kriterium, das eine Entstehung vor dem 3. Jahrhundert zwingend ausschließt, denn als bewusste Abweichung von der Glaubensregel hat sich valentinianische Theologie ihrem Selbstverständnis nach zu keiner Zeit gesehen, wie Edwards einräumt.14 So bleibt die Datierung Edwards eine Einzelmeinung. Die von Edwards und vielen anderen beobachtete Nähe des Rheginusbriefes zur Paulustradition ist ein weiteres Charakteristikum dieser Schrift, das ebenfalls für ihre zeitliche Einordnung zu berücksichtigen ist. Neben den valentinianischen Zügen zeigt der Brief eine Verwandtschaft mit paulinischem Denken und eine Auffassung von der Auferstehung, die in weiten Teilen tatsächlich der der Mehrheitskirche zu entsprechen scheint. Eben diese charakteristische Mischung aus „orthodoxen“ und valentinianischen Grundzügen ist von der Forschung unterschiedlich interpretiert worden: Nach Bentley Layton15 und 10 Edwards, Epistle to Rheginus, 77f. Edwards folgt hier der These von Mortley, Name of the Father. 11 Edwards, Epistle to Rheginus, 78. 12 Vgl. Edwards, Epistle to Rheginus, 88, mit Verweis auf Epiphanius, Pan. 31,7. 13 Vgl. dazu auch Kiel, „De Resurrectione“, 490 Anm. 19. 14 Vgl. Edwards, Epistle to Rheginus, 78. 15 Vgl. Layton, Gnostic Treatise, 77, der den Text als einen Dialog versteht „between the author and an imaginary interlocutor […] in which the lecturer himself adduces possible objections and then answers them.“

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3. Rheginusbrief

Hans-Martin Schenke16 bediente sich ein platonisch geschulter Autor der Stilform der stoisch-kynischen Diatribe und griff die Auffassung von der Auferstehung des Fleisches nur auf, um sie zu widerlegen. Malcolm Lee Peel führt die Kombination gnostischer Wirklichkeitssicht mit dem Auferstehungsglauben demgegenüber auf eine „Rechristianisierung“ valentinianischen Denkens zurück,17 während Christoph Markschies gegen den Rechristianisierungsbegriff darauf hinweist, dass die valentinianische Gnosis eine christliche Gnosis ist, die sich in dem kurzen Auferstehungstraktat vom Mythos abwende.18 Mit der Frage, ob der Mensch im Fleisch aufersteht, behandelt der Rheginusbrief jedenfalls ein Thema, das Irenäus und Tertullian ebenso beschäftigt wie das Philippusevangelium und die üblicherweise in das 2. Jahrhundert datierte Epistula Apostolorum.19 Die Position, die der Rheginusbrief zu dem Thema entwickelt, ist durch ihre doppelte Verankerung im valentinianischen Weltbild und in der Paulustradition originell und entstand vielleicht im Rahmen einer freien, nicht durch Systembildung genormten Lehrtätigkeit nach dem Muster der Philosophenschulen. Auf einen solchen sozialen Ort deuten auch das Verhältnis des Verfassers zu seinem hierarchisch unter ihm stehenden Adressaten Rheginus,20 vielleicht einem Schüler, und die polemische Abgrenzung von „Leuten, die vieles lernen wollen“ und „ungelöste Probleme aufgreifen“ sowie die „hiesigen Philosophen“ im ersten Teil des Briefes hin.21

3.2 Die Verwandlung des Menschen bei seiner Auferstehung Die im Rheginusbrief vorausgesetzte Anthropologie wird in der Schrift nicht eigens verhandelt, so dass die Vorstellung vom Menschen, die der Autor vertritt, nur indirekt ermittelt werden kann. Der Verfasser spricht nicht neutral über die verschiedenen Bestandteile des Menschen, sondern nimmt sie bereits aus dem Blickwinkel ihrer Funktion und ihres Ergehens in dem dynamischen Geschehen von Tod und Auferstehung in den Blick. Sein Adressat Rheginus kann als Repräsentant einer privilegierten Gruppe Glaubender verstanden werden, die der Autor primär im Blick hat, wenn er von den Abläufen der Auferstehung spricht. Er ist überzeugt von der Präexistenz dieser Gruppe von Erkennenden und Glaubenden,22 also ihrem Dasein bereits 16 Vgl.

Schenke, NHD 1, 47f. Epistle to Rheginos, 180. 18 So Markschies, Valentinus Gnosticus?, 360 Anm. 194: Der Rheginusbrief bezeuge ei­ ne Bewegung „weg vom mythologischen Valentinianismus“. 19 Vgl. auch Van Unnik, Epistle to Rheginos, 165, der daraus aber schließt, der Brief sei um 150 n. Chr. entstanden. 20 Für ein hierarchisches Gefälle spricht die Anrede „mein Sohn“ in Rheg p. 43,25f. 21 Vgl. Rheg p. 43,25–29; 46,8–11. Vgl. dazu Luther, Anti-philosophical Polemic. 22 Der Rheginusbrief stellt Glauben und Erkennen als für die Erlösung gleichwertige Haltungen nebeneinander, vgl. Rheg p. 46,14f. 17 Peel,

3.2 Die Verwandlung des Menschen bei seiner Auferstehung

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in der Zeit vor Entstehung des Kosmos. Das kann aus Rheg p. 46,38–47,1 und p. 47,26–29 entnommen werden, wo die Glaubenden mit dem „All“ (ⲡⲧⲏⲣϥ̅) identifiziert werden:23 ⲡⲧⲏⲣϥ̅ ⲛ̅ⲇⲉ ⲡⲉ ⲡⲉⲧⲟⲩⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲙ̅ⲙⲁϥ ⲙ̣ⲡ̣ⲉϥϣⲱⲡⲉ ⲛⲉϥϣⲟⲟⲡ ⲡⲉ […] ⲁⲗⲗⲁ ⲡⲧⲏⲣϥ̅ ⲉⲧⲉ ⲁⲛⲁⲛ ⲡⲉ ⲧⲛ̅ⲟⲩⲁϫ ⲁϩⲛ̅ϫⲓ ⲙ̅ⲡⲟⲩϫⲉⲉⲓ ϫⲓⲛ ⲣⲁⲣⲏϫϥ̅ ϩⲁ ⲑⲁⲏ. Aber das All ist es, was umfasst / festgehalten wird. Es entstand nicht, es war […]. Aber das All, das heißt wir, wir sind bewahrt, wir empfingen Heil von Anfang bis Ende.

Die Gruppe der Glaubenden – das „All“ – existierte also vor Herauslösung des Kosmos aus dem Pleroma. Seit Entstehung des Kosmos ist es Teil der Welt und wird dort „festgehalten“. Über den Eintritt in die Welt heißt es außerdem in Rheg p. 47,1–6, dass er mit dem Empfang von Fleisch einherging: ϩⲱⲥⲧⲉ ⲙ̅ⲡⲱⲣ ⲁⲣ̅ⲇⲓⲥⲧⲁⲍⲉ ⲉⲧⲃⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲡⲁϣⲏⲣⲉ ⲣⲏⲅⲓⲛⲉ ⲉⲓϣⲡⲉ ⲛⲉⲕϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ⲅⲁⲣ ⲉⲛ ϩⲛ̅ ⲥⲁⲣⲝ ⲁⲕϫⲓ ⲥⲁⲣⲝ ⲛ̅ⲧⲁⲣⲉⲕⲉⲓ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲡⲓⲕⲟⲥⲙⲟⲥ. Daher zweifle nicht wegen der Auferstehung, mein Sohn Rheginus. Denn als du nicht im Fleisch warst, hast du Fleisch empfangen, als du in diese Welt kamst.

Die ⲥⲁⲣⲝ, eine zentrale Komponente der Anthropologie des Rheginusbriefes, erweist sich damit zunächst als ein Merkmal der weltlichen Existenz der Glaubenden. Sie ist nicht Teil ihres Urzustandes, sondern bei einer Art Inkarnation erworben, analog zur Inkarnation des Erlösers, von dem ebenfalls gesagt wird, dass er während seines irdischen Wirkens „im Fleisch war“ und sich in dieser fleischlichen Gestalt als Gottessohn offenbarte (p. 44,13–21). Weitere Aussagen des Textes über das „Fleisch“ zeigen, dass es nicht von sich aus lebt, sondern in seiner Lebensfähigkeit von einer anderen Ursache abhängig, also für sich genommen tot ist (p. 47,9f.).24 Wegen seiner Abhängigkeit von einer belebenden Ursache ist das Fleisch grundsätzlich vergänglich (p. 47,18f.) 25 und schlecht, es „schwindet dahin“ (p. 47,22f.).26 In seiner Vergänglichkeit gleicht es dem Kosmos und erweist sich ganz als diesem zugehörig. Ethische Gründe für die negative Darstellung des Fleisches, beispielsweise dessen Hang zur Begierde und Sünde, werden hingegen nicht genannt. Lediglich an einer Stelle im Schlussteil des Briefes (p. 49,11f.) wird der Begriff ⲥⲁⲣⲝ in übertragenem Sinn als Ausdruck für eine diesseitig orientierte Haltung verwendet, allerdings 23 Vgl.

dazu Peel, Epistle to Rheginos, 107f. ist die Seele das belebende Prinzip des Leibes, aber der Rheginusbrief spricht nirgends von der Seele als Element des Menschen. Anstelle der Seele ist der Verstand oder das Denken wohl das im Inneren des Menschen wirkende Lebensprinzip. Nach Edwards, Epistle to Rheginus, 85, bedeutet dies auch im Rheginusbrief, dass das Prinzip, das dem Leib Leben gibt, immer einen Leib bzw. Fleisch braucht, um diese Funktion zu erfüllen. Daher wird es immer Fleisch haben, was darauf hindeute, dass der Rheginusbrief eine fleischliche Auferstehung vertrete. 25 Rheg p. 47,18f.: ⲕϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ⲧⲉⲕⲟ („Du existierst in Vergänglichkeit“). 26 Rheg p. 47,22f.: ⲡⲉⲑⲁⲩ ⲟⲩⲛⲧⲉϥ ⲙ̅ⲙⲉⲩ ⲙ̅ⲡϭⲱϫⲃ̅ („Das, was schlecht ist, hat Verminderung“). 24 Traditionell

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3. Rheginusbrief

interpretiert der Verfasser auch hier das „Wandeln nach dem Fleisch“ nicht als libertinistische Lebensweise, sondern als Sorge vor dem Tod, als falsche Wirklichkeitssicht und mangelnde Erkenntnis der Auferstehungswirklichkeit. Die Bedeutung des „Leibes“, ⲥⲱⲙⲁ, ist im Rheginusbrief nicht eigenständig entfaltet und tritt gegenüber dem „Fleisch“ in den Hintergrund. Das Lexem kommt nur an zwei Stellen der Schrift vor, in Rheg p. 47,17 und p. 47,35. Den zwei Stellen zufolge gehört ebenso wie das Fleisch auch der Leib dem Bereich des Kosmos an, deshalb besteht sein eschatologisches Schicksal im Vergehen und Zurückgelassenwerden im Moment des Todes. Der Leib kann nicht in die Auferstehungsherrlichkeit mitgenommen werden. In Rheg p. 47,17 wird die Vergänglichkeit des Leibes auf ungewöhnliche Weise zur Sprache gebracht. Dort heißt es nämlich, dass die „Nachgeburt“ (ⲭⲟⲣⲓⲟⲛ) des Leibes das Alter sei. Darauf wird noch näher einzugehen sein. Hier kann jedoch schon vorweggenommen werden, dass der Autor das Defizit des Leibes, seinen Verfall, nicht in erster Linie als sein postmortales Schicksal behandelt, sondern bereits als ein Problem der gegenwärtigen Existenz des Menschen versteht und mit dem natürlichen Alterungsprozess gleichsetzt, so dass das Wesen des Leibes, nämlich „das Altern“ (ⲧⲙⲛ̅ⲧϩⲗ̅ⲗⲟ) und „die Vergänglichkeit“ (ⲧⲉⲕⲟ), im Rheginusbrief durch das zu Lebzeiten erfahrene Altern des Menschen erkennbar wird. Das wird für die Auferstehungsvorstellung relevant werden. Zum Leib gehören für den Verfasser schließlich auch die sichtbaren Glieder, ⲙⲉⲗⲟⲥ (p. 47,38). Sie sind keine eigene Komponente seiner Anthropologie neben Fleisch und Leib, sondern werden in Rheg p. 47,38 nur eingeführt, um ihnen in Rheg p. 48,1f. „innere, lebendige Glieder“ gegenüberzustellen.27 Der Verfasser unterscheidet also zweierlei Arten von ⲙⲉⲗⲟⲥ, sichtbare, „tote“ einerseits und innere, lebendige, die der künftigen Auferstehung teilhaftig werden, andererseits (p. 47,38–48,3): ⲛ̅ⲛⲉⲥ ⲛ̅ϩⲉ ϭⲉ ⲛ̅ⲙⲉⲗⲟⲥ ⲉⲧⲟⲩⲁⲁⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲉⲧⲙⲁⲟⲩⲧ ⲛ̅ⲥⲉ ⲛⲁⲟⲩϫⲉⲉⲓ ⲉⲛ ϫⲉ ⲛ̅ⲙⲉⲗ̣[ⲟ]ⲥ̣ ⲉⲧⲁⲁⲛϩ̅ ⲉⲧϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ϩⲣⲏⲓ ⲛ̅ϩⲏⲧⲟⲩ ⲛⲉⲩⲛⲁⲧⲱⲟⲩⲛ ⲡⲉ. Wie (?) aber werden die sichtbaren Glieder, die tot sind, nicht gerettet? Denn die lebendigen Glieder, die entstanden sind in ihnen, sie werden auferstehen.

Ein letztes zu erwähnendes Element im Menschen ist sein Verstand (ⲛⲟⲩⲥ) bzw. sein Denken (ⲙⲉⲩⲉ), wie etwa aus Rheg p. 46,21–24 hervorgeht: ⲛ̅ϥⲛⲁⲧⲉⲕⲟ ⲉⲛ ⲛ̅ϭⲓ ⲡⲙⲉⲩⲉ ⲛ̅ⲛⲉⲧⲟⲩⲁϫ ⲛ̅ϥⲛⲁⲧⲉⲕⲟ ⲉⲛ ⲛ̅ϭⲓ ⲡⲛⲟⲩⲥ ⲛ̅ⲛⲉⲧⲁϩⲥⲟⲩⲱⲱⲛϥ̅. Denn nicht vergehen wird das Denken derer, die gerettet sind. Nicht vergehen wird der Nous derer, die ihn erkannt haben.

Festgehalten werden kann an dieser Stelle zwar, dass in den genannten Passagen dem „Verstand“ Unvergänglichkeit und den „inneren Gliedern“ die zukünftige Auferstehung zugesprochen wird, während Fleisch und Leib sowie 27 Der

Text an dieser Stelle ist beschädigt, die Rekonstruktion von ⲙⲉⲗⲟⲥ aber relativ gesichert, da die ersten beiden Buchstaben erhalten sind.

3.2 Die Verwandlung des Menschen bei seiner Auferstehung

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die äußeren Glieder als sterblich charakterisiert werden. Aber ganz so einfach ist die Frage, was auferstehen wird, nicht zu beantworten. Denn unklar ist zum Beispiel, wie sich „Verstand“ und „innere Glieder“ eigentlich zueinander verhalten. Auch das Wachsen der inneren Glieder im Körper während des irdischen Lebens verlangt nach genauerer Beschreibung und Interpretation, denn diese Redeweise deutet darauf hin, dass Auferstehung im Rheginusbrief als präsentischer Vorgang verstanden wird. In der Forschung herrscht Uneinigkeit darüber, welcher der genannten Teile des Menschen dem Verfasser des Briefes zufolge aufersteht und in welcher Tradition sich der Autor demnach vornehmlich bewegt. Nach Peel,28 Hugo Lundhaug 29 und Edwards 30 verteidigt er die Auferstehung des Fleisches bzw. die Auferstehung im Fleisch. Den Erstherausgebern Michel Malinine, Puech, Quispel, Walter Till, Robert McL. Wilson und Jan Zandee 31 zufolge sowie nach Layton 32 und Schenke 33 vertritt er dagegen eine Auffassung von Auferstehung, nach der allein die Seele bzw. ein pneumatischer Kern des Menschen (der ⲛⲟⲩⲥ) unsterblich ist, der sich im Tod von Leib und Fleisch trennt und diese dem Verfall überlässt. Damit wäre von Auferstehung eigentlich nur metaphorisch oder bestenfalls im Sinne eines Aufstiegs34 gesprochen. Leitend bei dieser Deutung war (zumindest bei den Ersteditoren) die Überzeugung, dass die Schrift auch in ihrer Auffassung von der Auferstehung tief in valentinianischem Denken wurzelt, das die leibliche Auferstehung generell ablehne.35 Aus diesem Blickwinkel interpretieren die Erstherausgeber auch solche Stellen im Rheginusbrief, die im Sinne einer leiblichen Auferstehung gedeutet werden können. Seinem Selbstverständnis nach repräsentiert der Brief gleichwohl eine Auferstehungslehre, die dezidiert vom Standpunkt des christlichen Glaubens und des Glaubensbekenntnisses gewonnen ist. Von philosophischer Überzeugungs28 Vgl.

Peel, Treatise on the Resurrection, 142f. Lundhaug, Conceptualizations of Death and Transformation, 199 u. ö. 30 Vgl. Edwards, Epistle to Rheginus, 81f.: Nichts weise darauf hin, dass die Metaphern bei Paulus und im Kolosserbrief (innerer Mensch, 2 Kor 4,16; Sterben der alten Glieder) im Rheginusbrief wörtlicher genommen würden. Der Autor des Rheginusbriefes stimme mit Paulus darin überein, dass es einen „inneren Menschen“ gibt, den Sitz von Glauben und Tugend, welcher mit dem vergänglichen natürlichen Leib im Streit steht und der einen neuen, besseren Leib bekommt, wenn sich der alte auflöst. 31 Vgl. Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, 36f. 32 Vgl. Layton, Vision and Revision, 208.211. 33 Vgl. Schenke, NHD 1, 47f. 34 So versteht Layton, Gnostic Treatise, 65, die Auferstehung im Rheginusbrief: „Use of a metaphor like that of the uprising solar rays makes it possible for the author to still call this an anastasis, ,rising up‘.“ 35 Die Erstherausgeber berufen sich dabei allerdings nicht auf valentinianische Texte, sondern auf gnosiskritische Darstellungen wie Tertullian, Res. 19,6; Ps.-Tertullian, Adver­ sus omnes haereses 4,5 und Epiphanius, Pan. 31,7,6 (vgl. Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, 34). 29 Vgl.

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3. Rheginusbrief

arbeit und philosophischen Argumenten grenzt er sich ab.36 Das geht aus dem längeren Abschnitt in Rheg p. 46,3–32 hervor, wonach das Erkennen des Menschensohns, aber auch der Glaube an das Heilswerk des Erlösers die Glaubenden geradezu ontologisch für die Unvergänglichkeit ausrüsten. Das Glaubensbekenntnis „der Sohn des Menschen ist von den Toten auferstanden“ (vgl. p. 46,14–17) 37 bildet nämlich im Verstand der Glaubenden die Größe des Objektes ihres Glaubens ab und macht ihn auf diese Weise unvergänglich (p. 46,21–24). Dem überlieferten Bekenntnis zu Jesu Auferstehung und zur zukünftigen Auferstehung der Toten (p. 46,7f.) 38 kommt also eine entscheidende Rolle im Auferstehungsgeschehen zu. Neben dem Bekenntnis zu Jesu Auferstehung fällt außerdem die große Bedeutung paulinischer Tradition auf. So zitiert der Verfasser in Rheg p. 45,24f. den ⲁⲡⲟⲥⲧⲟⲗⲟⲥ als maßgebliche Autorität für das Verständnis der Auferstehung. Das Verhältnis des Rheginusbriefes zur Mehrheitskirche und zur Paulustradition ist in der Forschung gleichwohl ebenso umstritten wie dasjenige zum Valentinianismus. Die forschungsgeschichtlichen Kontroversen deuten also schon an, dass der Text mehrdeutig und sein theologiegeschichtlicher Ort nicht einfach zu bestimmen ist. Die Interpretationsschwierigkeiten resultieren aus den diversen Bildern und Metaphern für die Auferstehung, die noch genauer betrachtet werden müssen und die der Autor im abschließenden, zusammenfassenden Schlussteil des Briefes als „Symbole und Bilder“ 39 der Auferstehung bezeichnet und die ein breites Spektrum von Deutungsmöglichkeiten eröffnen, ohne sich festzulegen. Darüber hinaus gehen sie insbesondere auf eine ambivalent formulierte und unterschiedlich ausgelegte Passage in Rheg p. 47,1–8 zurück, die sich als einzige Stelle im ganzen Brief explizit mit der Frage nach dem Fleisch in der Auferstehung auseinandersetzt: ϩⲱⲥⲧⲉ ⲙ̅ⲡⲱⲣ ⲁⲣ̅ⲇⲓⲥⲧⲁⲍⲉ ⲉⲧⲃⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲡⲁϣⲏⲣⲉ ⲣⲏⲅⲓⲛⲉ ⲉⲓϣⲡⲉ ⲛⲉⲕϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ⲅⲁⲣ ⲉⲛ ϩⲛ̅ ⲥⲁⲣⲝ ⲁⲕϫⲓ ⲥⲁⲣⲝ ⲛ̅ⲧⲁⲣⲉⲕⲉⲓ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲡⲓⲕⲟⲥⲙⲟⲥ ⲉⲧⲃⲉ ⲉⲩ ⲛ̅ⲕⲛⲁϫⲓ ⲉⲛ ⲛ̅ⲧⲥⲁⲣⲝ ⲉⲕϣⲁⲛⲃⲱⲕ ⲁϩⲣⲏⲓ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲡⲁⲓⲱⲛ. Daher zweifle nicht wegen der Auferstehung, mein Sohn Rheginus. Denn als du nicht im Fleisch warst, hast du Fleisch empfangen, als du in diese Welt kamst. Warum wirst du nicht Fleisch annehmen, wenn du in den Äon aufsteigst?

Strittig ist hier, ob die am Schluss des Abschnitts formulierte Frage bloß rhetorischer Natur ist und aus Sicht des Autors selbstverständlich zu bejahen wäre 36 Vgl. Rheg p. 46,5–8: ⲡⲧⲟⲡⲟⲥ ⲅⲁⲣ ⲛ̅ⲧⲡⲓⲥⲧⲓⲥ ⲡⲉ ⲡⲁϣⲏⲣⲉ ⲁⲩⲱ ⲡⲁ ⲡⲣ̣̅ⲡⲉⲓⲑⲉ ⲉⲛ ⲡⲉ ⲡⲉⲧⲙⲁⲁⲩⲧ ⲛⲁⲧⲱⲱⲛ („Es ist nämlich ein Ort/eine Sache des Glaubens, mein Sohn, und nicht etwas, das zum Überzeugtwerden gehört: Der Tote wird auferstehen“). 37 Rheg p. 46,14–17: [ⲁ]ϩⲛ̅ⲥⲟⲩⲛ̅ ⲡϣⲏⲣⲉ ⲛ̅ⲅⲁⲣ ⲙ̅ ⲡⲣⲱⲙⲉ ⲁⲩⲱ ⲁϩⲛ̅ⲡⲓⲥⲧⲉⲩⲉ ϫⲉ ⲁϥⲧⲱⲟⲩⲛ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲛ̅ ⲛⲉⲧⲙⲁⲟⲩⲧ („Denn wir haben den Sohn des Menschen erkannt und sind zum Glauben gekommen, dass er auferstanden ist von den Toten“). 38 Rheg p. 46,7f.: ⲡⲉⲧⲙⲁⲁⲩⲧ ⲛⲁⲧⲱⲱⲛ („Der Tote wird auferstehen“). 39 Rheg p. 49,6f.: ⲛⲉⲉⲓ ⲛⲉ ⲛ̅ⲥⲩⲙⲃⲟⲗⲟⲛ ⲙⲛ̅ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲧⲛ̅ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ.

3.2 Die Verwandlung des Menschen bei seiner Auferstehung

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oder ob sie Teil einer gegensätzlichen Auffassung ist, die der Autor zur Widerlegung zitiert.40 Letzterer Ansicht ist Layton, der die Passage daher folgendermaßen übersetzt: „Now (you might wrongly suppose) granted you did not preexist in flesh – indeed, you took on flesh when you entered this world – why will you not take your flesh with you when you return to the realm of eternity?“ Der Verfasser gibt, so Layton, ein ihm bekanntes Argument für die fleischliche Auferstehung wieder, das er entkräften möchte. Nach Laytons Übersetzung geht es in der abschließenden Frage um das Überdauern des irdischen Fleisches, um die Mitnahme dieses Fleisches beim Aufstieg in den Äon. Im Kontext des ganzen Briefes scheint der Verfasser eine solche Auffassung in der Tat abzulehnen. Das geht beispielsweise aus der Formulierung in Rheg p. 46,7f. hervor, wonach die Toten bei ihrer Auferstehung (ⲡⲉⲧⲙⲁⲁⲩⲧ ⲛⲁⲧⲱⲱⲛ) ihren Leib zurücklassen (p. 47,34f.) 41 und ihre sichtbaren Glieder nicht gerettet werden (p. 47,38–48,1).42 Allein der ⲛⲟⲩⲥ bzw. das Denken der Glaubenden überdauert und bildet dasjenige Element, das Kontinuität zwischen dem irdischen Dasein des Menschen und seiner Auferstehungsexistenz garantiert (vgl. p. 46,21–24). Ihr irdisches Fleisch werden die Glaubenden also nicht mitnehmen, wenn sie in die Herrlichkeitsexistenz eingehen. Wenn es in Rheg p. 47,22f. heißt: „das, was schlecht ist, vermindert sich“ (ⲉⲑⲁⲩⲟⲩⲛⲧⲉϥ ⲙ̅ⲙⲉⲩ ⲙ̅ⲡϭⲱϫⲃ̅), so ist zu vermuten, dass damit die Vergänglichkeit des irdischen Fleisches beschrieben ist. Die sichtbaren Glieder altern und sind sterblich – mehr noch, in Wahrheit sind sie sogar schon jetzt tot, bereits vor dem Übergang des Menschen in den anderen Äon (p. 47,38–48,1), und ihr tatsächliches Sterben am Lebensende legt lediglich ihren eigentlichen Zustand offen.43 Der abschließende Teil des Briefes besteht deshalb auch aus Ermahnungen an den Adressaten Rheginus, nicht mehr nach „diesem Fleisch“ zu wandeln, sondern sich von den „Teilungen und Fesseln“ zu lösen (p. 49,11–15) und vor allem zu erkennen, dass er die Auferstehung schon besitzt (ⲉⲧⲃⲉ ⲉⲩ ⲛ̅ⲧⲁⲕ ⲛ̅ⲕⲛⲉⲩ ⲁⲣⲁⲕ ⲉⲛ ⲟⲩⲁⲉⲉⲧⲕ̅ ⲉⲁⲕⲧⲱⲟⲩⲛ, p. 49,22f.). Nach Layton beruht daher die vom Erlöser gespendete „Unsterblichkeit“ (ⲙⲛ̅ⲧⲁⲧⲙⲟⲩ), von der in Rheg p. 45,23 die Rede ist, nicht auf einer Umwandlung des Sterblichen zum Unsterblichen, 40 Vgl.

auch Dunderberg, School of Valentinus, 87. p. 47,34f.: ⲉϥϣⲁⲛⲕⲱ ⲉ ⲛ̅ⲥⲱϥ ⲙ̅ⲡⲉϥⲥⲱⲙⲁ („wenn er seinen Leib hinter sich lässt“). 42 Rheg p. 47,38–48,1: ⲛ̅ⲙⲉⲗⲟⲥ ⲉⲧⲟⲩⲁⲁⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲉⲧⲙⲁⲟⲩⲧ ⲛ̅ⲥⲉ ⲛⲁⲟⲩϫⲉⲉⲓ ⲉⲛ („Wie werden die sichtbaren Glieder, die tot sind, nicht gerettet?“). 43 Zwar äußert sich der Verfasser nicht immer ganz eindeutig in dieser Richtung. Die Aussage in Rheg p. 47,11–13 könnte man zum Beispiel dahingehend verstehen, dass das irdische Fleisch als ein untrennbarer, dem Menschen zugehöriger Teil aufgefasst ist, der auch in der Auferstehung die Identität der Person ausmacht: ⲡⲉⲧϣⲱⲡⲉ ⲉⲧⲃⲏⲧⲕ̅ ⲙⲏ ⲙ̅ⲡⲱⲕ ⲉⲛ ⲡⲉ ⲡⲉⲧⲉ ⲡⲱⲕ ⲡⲉ ⲙⲏ ⲛ̅ϥϣⲟⲟⲡ ⲉⲛ ⲛⲙ̅ⲙⲉⲕ̣ („Das, was deinetwegen entstanden ist, ist es etwa nicht dein? Das, was dein ist, [soll] es etwa nicht bei dir bleiben?“). Aber zum einen ist diese Deutung der Passage nicht zwingend, und zum anderen überwiegt im Gesamten der Schrift der Eindruck, das irdische Fleisch überdaure den Tod nicht. 41 Rheg

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3. Rheginusbrief

sondern auf einer Ablösung und Trennung eines von vornherein unsterblichen Elementes im Menschen vom irdischen, vergänglichen Bereich.44 So interpretiert Layton auch den Begriff ⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ in Rheg p. 48,37,45 wo die Auferstehung als „Verwandlung in die Neuheit“ umschrieben wird, nicht als „Umwandlung“ oder Transformation, sondern als eine Metapher für den Auszug („mi­ gration, transition“) der Seele aus dem Körper beim Tod.46 Allerdings ist seine Wiedergabe der zur Diskussion stehenden Stelle in Rheg p. 47 sehr frei. Die Frage in Rheg p. 47,6–8 (ⲉⲧⲃⲉ ⲉⲩ ⲛ̅ⲕⲛⲁϫⲓ ⲉⲛ ⲛ̅ⲧⲥⲁⲣⲝ ⲉⲕϣⲁⲛⲃⲱⲕ ⲁϩⲣⲏⲓ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲡⲁⲓⲱⲛ) bezieht sich genau genommen auf den Empfang (ϫⲓ) von Fleisch beim Aufstieg in den Äon, nicht dagegen auf die Rettung des irdischen Fleisches. Das gesamte Argument, das der Verfasser in Rheg p. 47,4–8 mit dem Rekurs auf die Präexistenz der Glaubenden und ihre Inkarnation beim Eingehen in diese defizitäre Welt entwickelt, erschließt sich nur, wenn es als Analogie verstanden wird: Der Verfasser beschreibt den künftigen Eingang in den Äon – analog zur ersten Inkarnation beim Eintreten in den Kosmos – als eine zweite, neue Fleischwerdung. Wie der Mensch beim Eintritt in diese Welt Fleisch bekommen hat, so wird er auch beim Eintritt in den Äon Fleisch empfangen. Dass dieses Verständnis der Stelle plausibler ist, kann auch am Schriftganzen gezeigt werden. Trotz der im Gesamttext erkennbar ablehnenden Haltung gegenüber dem Leib sind die Verwendung von Geburtsmetaphorik und die Rede von den „lebendigen, inneren Gliedern“ (ⲛ̅ⲙⲉⲗ̣[ⲟ]ⲥ̣ ⲉⲧⲁⲁⲛϩ̅ ⲉⲧϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ϩⲣⲏⲓ̈ ⲛ̅ϩⲏⲧⲟⲩ, p. 48,1–3), die den äußeren gegenüberstehen und im Gegensatz zu diesen unsichtbar sind, sich kontinuierlich und komplementär zum Altern der sichtbaren Glieder mehr und mehr offenbaren, um schließlich der Auferstehung teilhaftig zu werden, mit Leiblichkeit spielende Sprachformen, die über die Vorstellung, nur der ⲛⲟⲩⲥ existiere weiter, deutlich hinausgehen. Auffällig ist auch, dass der Verfasser in Rheg p. 47,17 Geburtsmetaphorik einführt und charakteristisch verändert. Die Auffassung vom Tod als Moment der Neugeburt ist traditionell und vielfach belegt. Das irdische Dasein wird als ein Entwicklungsprozess analog zum embryonalen Dasein im Mutterleib verstanden, der auf den physischen Tod zuläuft, also gewissermaßen in eine neue Geburt und in neues Leben mündet. Im Rheginusbrief ist der die Geburtsmetaphorik tragende Begriff in p. 47,17 das ⲭⲟⲣⲓⲟⲛ / χόριον, d. h. die Gebärmuttermembran, die den Embryo vorgeburtlich umgibt, bzw. die nach der Geburt nutzlos gewordene Nachgeburt. Wo zum Bildfeld für den Tod als neue Geburt in der Tradition der Ausdruck χόριον hinzutritt, bezeichnet er in der Regel den nun nutzlos gewordenen Leib, den die Seele beim Tod zurücklässt.47 In dieser 44 Vgl.

Layton, Gnostic Treatise, 59. Rheg p. 48,35–38 wird die Auferstehung als ⲟⲩⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲩⲙⲛ̅ⲧⲃⲣ̅ⲣⲉ, als „Verwandlung in die Neuheit“, beschrieben. 46 Layton, Gnostic Treatise, 29.99. 47 Vgl. Porphyrius, Marc. 32; vgl. auch Mark Aurel, Ad se ipsum 9,3,1. 45 In

3.2 Die Verwandlung des Menschen bei seiner Auferstehung

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Verwendungsweise steht das Bild der „Nachgeburt“ dann eigentlich für die Befreiung der Seele vom Körper im Moment des Todes. Mit ⲭⲟⲣⲓⲟⲛ verwendet der Verfasser des Rheginusbriefes demnach eine bekannte, aus der Medizin und Anatomie 48 entlehnte Metapher für das Schicksal des Leibes im Tod. Ungewöhnlich ist allerdings, dass er ⲭⲟⲣⲓⲟⲛ nicht auf den Leib, sondern auf das Alter bezieht, d. h. auf die mehr und mehr hervortretende Hinfälligkeit und Vergänglichkeit des Leibes (p. 47,17f.): ⲡⲭⲟⲣⲓⲟⲛ 49 ⲙ̅ⲡⲥⲱⲙⲁ ⲉⲧⲉ ⲡⲉⲉⲓ ⲡⲉ ⲧⲙⲛ̅ⲧϩⲗ̅ⲗⲟ. [D]ie Nachgeburt des Leibes ist das Alter.

Damit wird nicht der Leib selbst, sondern seine Vergänglichkeit, sein Altern zu dem Nutzlosen, Geringwertigen gerechnet, das abzulegen ist.50 Im Kontrast verspricht der Text mit den auferstehungsfähigen „inneren Gliedern“ eine neue Leiblichkeit bei der Auferstehung, die von Unvergänglichkeit gekennzeichnet sein wird.51 Insgesamt ist also für den Autor des Rheginusbriefes „Auferstehung“, ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ, kein bloß aus der Tradition übernommener Begriff, den er nur formal auf die Weiterexistenz des ⲛⲟⲩⲥ anwendet und der sich in der Bedeutung eines „Aufstiegs“ dieses ⲛⲟⲩⲥ erschöpft. Vielmehr wird der Ausdruck semantisch durch eine Gegenüberstellung verschiedener „Glieder“ der Menschen gefüllt, von denen die einen sterben und die anderen sukzessive hervortreten und auferstehen. Die Gedankenentwicklung im Rheginusbrief legt nahe, dass bei der neuen Geburt am Ende des irdischen Lebens die inneren Glieder gleichsam die alten, sichtbaren Glieder „durchbrechen“.52 Das lässt an eine Form von 48 Vgl.

Hippokrates, Nat. puer. 16; Galen, De usu partium 15,4. zum Begriff ⲭⲟⲣⲓⲟⲛ Kiel, „De Resurrectione“, 500–502. 50 Auch hier interpretiert Layton, Gnostic Treatise, 82, anders: „If χόριον is the correct reading, it is a harsh and unprepared (also undeveloped) metaphor for ,body‘. The following genitive, ,of the sôma‘, will be a genitive of constituency or ,content‘: ,the membrane which consists in body‘ enclosing mind until its ,birth‘ (bodily death), at which time the mind will burst forth into life. Bodily death is for mind a birth; mind leaves behind the corrupt and lifeless corpse as a newborn child its χόριον.“ Ebenso haben die Erstherausgeber die Textstelle verstanden. Im Alter, das eigentlich mit dem χόριον bildlich umschrieben wird, sehen sie einen metonymischen Ausdruck für den Leib, der vergänglich ist und schließlich im Tod abgelegt wird, wenn der Mensch zu neuem, geistlichem Leben durchdringt (vgl. Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, 34f.). Sie lassen sich hier allerdings von der Polemik Tertullians in Res. 45,1 gegen die angeblich häretische Auslegung von Eph 4,22 leiten, nach der „der alte Mensch“ den Leib, der „neue Mensch“ dagegen die Seele repräsentiert. 51 So auch Kiel, „De Resurrectione“, 500, der die Rede von der ⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲩⲙⲛ̅ⲧⲃⲣ̅ⲣⲉ ⲧⲙⲛ̅ⲧⲁⲧⲧⲉⲕⲟ, der „Verwandlung in die Neuheit“, gegen Ende des Briefes in Rheg p. 48,37f. unmittelbar auf diese leibliche Unvergänglichkeit bezieht. 52 Vgl. Lundhaug, Conzeptualizations of Death and Transformation, 195. Ein anderes Verhältnis zum verborgenen Inneren des Menschen, das offenbar wird, zeigt dagegen EvPhil 123b (NHC II,3 p. 82,20–83,11): [Die meisten (Dinge) der] Welt haben nur solange Bestand 49 Vgl.

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3. Rheginusbrief

Leiblichkeit in der Auferstehung denken, auch wenn sie sich von der irdischen unterscheidet. Die Redeweise von inneren, unsichtbaren Gliedern evoziert unwillkürlich die Vorstellung eines „inneren Leibes“, zu dem sie sich zusammensetzen und der sich bei der neuen Geburt am Ende des Lebens offenbart. Aus Aussagen wie derjenigen, dass die Auferstehung (nur noch) das Offenbarwerden derer ist, die schon auferstanden sind (ⲉⲩ ϭⲉ ⲧⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲡϭⲱⲗⲡ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲡⲉ ⲛ̅ⲟⲩⲁⲉⲓϣ ⲛⲓⲙ ⲛ̅ⲛⲉⲧⲁϩⲧⲱⲟⲩⲛ, p. 48,3–6), entsteht im Ganzen der Eindruck, die Auferstehung bestehe in einer Entwicklung aus dem Sterblichen heraus zum neuen, ewigen Leben und vollziehe sich während des Lebens in dieser Welt. Wenn das richtig ist, wird Auferstehung also prozesshaft aufgefasst und umfasst die Spanne zwischen dem schon zurückliegenden, aber noch verborgenen Auferstehen (ⲧⲱⲟⲩⲛ), das schon im irdischen Dasein geheime Realität wird, und dessen zukünftigem Sichtbarwerden (ϭⲱⲗⲡ̅). Die Verwandlung, die Paulus in 1 Kor 15,51–54 als eine plötzliche, innerhalb eines Augenblickes sich vollziehende Transformation beschreibt (ἐν ἀτόμῳ, ἐν ῥιπῇ ὀφθαλμοῦ, ἐν τῇ ἐσ­χάτῃ σάλπιγγι, V. 52), erstreckt sich dem Rheginusbrief zufolge über die gesamte Lebensdauer des Menschen und ist entgegen allem Anschein gerade vom Alterungsprozess des irdischen Leibes begleitet und an ihm abzulesen.53 Beides ereignet sich gewissermaßen gleichzeitig, der Rheginusbrief entwirft also den Auferstehungsprozess komplementär zum Vergehen des Körpers in dieser Welt. Auch aufgrund dieser Entsprechung zwischen dem Vergehen des irdischen Fleisches und der Auferstehung legt sich nahe, dass die Auferstehung ebenfalls im Fleisch erfolgt, aber in einem neuen, verherrlichten. Man kann daher (gegen Layton und Schenke) mit guten Gründen annehmen, dass die Stelle in Rheg p. 47,1–8 eine zweite Inkarnation beschreibt, die analog zur irdischen Geburt die Gabe eines andersartigen Fleisches im Moment des Hervortretens der inneren Glieder, bei dem Eintritt in den unvergänglichen Äon, antizipiert.54 Möchte man die Aussagen des Rheginusbriefes bis hierhin und Leben, wie ihr [Inneres] verborgen ist. [Wenn es] sicht[bar] wird, sterben sie. Entsprechend dem deutlichen [Beispiel] des Menschen: [Solange] die Eingeweide des Menschen verborgen sind, ist der Mensch am Leben. Wenn sich seine Eingeweide zeigen und aus seinem Leib heraustreten, muß der Mensch sterben. Ähnlich ist es auch bei dem Baum: Solange seine Wurzel verborgen ist, sproßt er und wächst (?). Wenn seine Wurzel sich zeigt, vertrocknet der Baum. So verhält es sich mit allen Arten, die es in der Welt gibt, nicht nur mit den sichtbaren, sondern auch mit den verborgenen. Denn solange die Wurzel der Bosheit verborgen ist, ist sie stark. Wenn sie aber erkannt wird, löst sie sich auf. Und wenn sie sichtbar wird, geht sie zugrunde“ (Übers. Schenke, NHD). 53 Vgl. auch Lundhaug, Conzeptualizations of Death and Transformation, 196f., der darauf hinweist, dass das Altern nur ein vermeintliches Defizit ist. Da es zum Geburtsprozess gehört, kann das Altern auch als Gewinn interpretiert werden. So wird auch der materielle Leib nicht völlig abgewertet. 54 Nach Lundhaug, Conzeptualizations of Death and Transformation, 191f., steht Rheg p. 45,5–8 außerdem in intertextueller Beziehung zu 1 Kor 15,44 und der Rede von dem Säen

3.3 Der Erlöser bei der Auferstehung der Glaubenden

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systematisieren, so kann man sagen, dass sich der auferstehende Mensch aus seinem Nous und seinen im Inneren gewachsenen Gliedern zusammensetzt, die aus diesem andersartigen, neuen Fleisch bestehen.55 Allerdings bringt der Verfasser eine solche die verschiedenen Fäden zusammenführende, synthetisierende Vorstellung nirgends explizit zur Sprache und geht auch an keiner Stelle genauer auf die Eigenart des neuen Fleisches ein, dass der Glaubende bei der Auferstehung empfängt. Ob es sich um einen „spirituellen, pneumatischen Leib“ oder „Fleisch“ analog zur „pneumatischen Auferstehung“ handelt (vgl. p. 45,39–46,2), bleibt daher offen.

3.3 Die Funktion des Erlösers bei der Auferstehung der Glaubenden Der Autor des Rheginusbriefes rechnet also vermutlich mit der Gabe eines neuen Fleisches bei der Auferstehung. Er gehört damit wie das Philippusevangelium zu einer Richtung, die Auferstehung als Ablegen des alten und „Anziehen“ eines neuen, andersartigen Fleisches versteht.56 Weder folgt der Autor des Rheginusbriefes dabei dem paulinischen Gedanken einer eschatologischen Neuschöpfung, noch leitet er das unvergängliche Fleisch vom Fleisch des Erlösers her, das im Ritual angezogen wird (vgl. dazu unten Kap. 5).57 Nach Rheg des psychischen und Auferstehen des pneumatischen σῶμα. Hierauf greife auch der Passus in Rheg p. 45,39–46,2 zurück, wonach die seelische und die fleischliche Auferstehung von der geistigen Auferstehung verschlungen werden. Das Säen und Auferstehen in 1 Kor 15,44 könne daher in die Vorstellung des Verlassens des Kosmos und Eingehens in den Äon transformiert worden sein. Dies wäre ein weiterer Grund dafür, hinter Rheg p. 45,5–8 eine Auferstehung im Fleisch anzunehmen. Lundhaug weist ferner darauf hin, dass der Rheginusbrief zwar nirgends direkt von einem „pneumatischen“, geistlichen Leib spricht, aber von einer pneumatischen Auferstehung und von einem Fleisch, dass die Auferstehenden bei ihrem Übergang in den anderen Äon erhalten (ebd., 190). Er schließt daraus auf ein pneumatisches Fleisch, das sich vom gegenwärtigen Fleisch unterscheidet. Was neues Fleisch erhält, ist der Nous bzw. das Denken der Glaubenden (vgl. p. 46,21–24). 55 Vgl. auch Lundhaug, Conzeptualizations of Death and Transformation, 192. Ein neues Leibeskleid, ein besseres Gewand, wird die Seele nach Verlassen des alten Leibes auch nach Origenes anziehen, weil sie immer eines Gewandes je nach Ort bedarf, an dem sie sich befindet. Sie wird „überkleidet“ werden, wie Origenes unter Heranziehung von 2 Kor 5,1 es be­schreibt. Vgl. Origenes, Cels. 7,32: δεομένη κρείττονος ἐνδύματος εἰς τοὺς καθαρωτέρους καὶ αἰθερίους καὶ οὐρανίους τόπους. Origenes verweist in diesem Zusammenhang ebenfalls auf die Analogie des Embryos im Mutterleib, der bei der Geburt die Nachgeburt zurücklässt. 56 Die Nähe des Rheginusbriefes zum Philippusevangelium ist immer wieder herausgestellt worden, vgl. Haardt, Abhandlung über die Auferstehung, 246.258–261; Lona, Auferstehung des Fleisches, 255f.; Schmid, Eucharistie ist Jesus, 158. 57 Zum Verhältnis der Anschauungen über die Auferstehung im Philippusevangelium und Rheginusbrief vgl. Ménard, La notion de „résurrection“, 111–114. Ménard sieht eine Gemeinsamkeit beider Texte darin, dass sie das Auferstehungsfleisch als ein spirituelles (Licht-)

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3. Rheginusbrief

p. 47,5–8 erhält der Glaubende nach seinem Tod einfach ein neues Fleisch, ohne dass näher gesagt würde, woher es stammt. Wie gesehen, hat die Auferstehung im Rheginusbrief zwei Seiten, eine bereits zurückliegende, deren gegenwärtiges Ergebnis die noch verborgenen, auferstehungsfähigen inneren Glieder des Menschen sind, und eine noch ausstehende. Der erste Teil des Briefes (p. 44f.) führt die Auferstehung der Glaubenden auf das vergangene Heilsgeschehen und Wirken des Erlösers in der Welt zurück. Die Grundlagen für die Auferstehung der Menschen liegen damit nicht in ihrer Natur oder werden ihnen durch Erkenntnis vermittelt, sondern sie werden in Rheg p. 44f. aus dem Wirken Jesu „im Fleisch“, aus seinem Tod 58 und vor allem aus seiner Auferstehung gefolgert. Wenn der Verfasser damit beginnt, dass der Erlöser „im Fleisch war“ und in dem Land wirkte, in dem der Adressat Rheginus wohnt (p. 44,14–19),59 so setzt seine Darstellung der Heilsgeschichte nicht mit protologischen, mythischen Ereignissen ein, sondern mit Grunddaten der Jesusüberlieferung. Jesu irdische Verkündigung wird auf die Entlarvung des Todes als Naturgesetz, das im Kosmos herrscht,60 reduziert (vgl. p. 45,14–23) und hat keine eigene Funktion im Erlösungsgeschehen. Im Zentrum steht vielmehr seine Auferstehung: Der Erlöser hat sich selbst auferweckt und damit den Tod überwunden. Die Überwindung des Todes durch Christus ist eine überlieferte, beispielsweise auch in 2 Tim 1,10 61 und Hebr 2,14f.62 begegnende Überzeugung, die im Rheginusbrief unter dem Blickwinkel ihrer Bedeutung für die kosmisch-universale Gesamtordnung aufgegriffen wird. Seit sich einst aus dem Pleroma, das auch als ⲥⲩⲥⲧⲏⲙⲁ bezeichnet wird und eventuell als eine Einheit aus verschiedenen Äonen vorgestellt ist (p. 46,35),63 der Kosmos als ein schwächerer, defizitärer Teil herauslöste, existiert die Welt in Mangel (vgl. p. 49,5f.) und Vergänglichkeit (vgl. p. 44,21). Der Kleid verstehen, das im Inneren des Menschen existiert (ebd., 112.124). Hierzu bestehe auch eine Parallele zur paulinischen Auferstehungsvorstellung (113). 58 Von Jesu Tod ist lediglich indirekt in einem Pauluszitat in Rheg p. 45,26–28 die Rede. 59 Eine weitere Bezugnahme auf Jesustradition und auf „das Evangelium“ liegt in Rheg p. 48,6–11 mit dem Rekurs auf die Verklärung Jesu und das Erscheinen Moses und Elias vor. 60 Die Auslegung ⲉⲉⲓϫⲟⲩ ⲛ̅ⲇⲉ ⲙ̅ⲙⲁϥ ϫⲉ ⲡⲙⲟⲩ („Ich nenne es aber den Tod“) in Rheg p. 44,20f. kann eine Interpretation des Naturgesetzes durch den Autor sein (vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 118), aber das ändert nichts Grundsätzliches an der oben gegebenen Deutung. Dass hier das mosaische Gesetz gemeint sei, ist jedenfalls auszuschließen. 61  2 Tim 1,9f.: τοῦ σώσαντος ἡμᾶς / καὶ καλέσαντος κλήσει ἁγίᾳ, / οὐ κατὰ τὰ ἔργα ἡμῶν / ἀλλὰ κατὰ ἰδίαν πρόθεσιν καὶ χάριν, / τὴν δοθεῖσαν ἡμῖν ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ / πρὸ χρόνων αἰ­ωνίων, / φανερωθεῖσαν δὲ νῦν / διὰ τῆς ἐπιφανείας τοῦ σωτῆρος ἡμῶν Χριστοῦ Ἰησοῦ, / καταργήσαντος μὲν τὸν θάνατον / φωτίσαντος δὲ ζωὴν καὶ ἀφθαρσίαν διὰ τοῦ εὐαγγελίου. 62 Hebr 2,14f.: Ἐπεὶ οὖν τὰ παιδία κεκοινώνηκεν αἵματος καὶ σαρκός, καὶ αὐτὸς παρα­ πλησίως μετέσχεν τῶν αὐτῶν, ἵνα διὰ τοῦ θανάτου καταργήσῃ τὸν τὸ κράτος ἔχοντα τοῦ θα­νάτου, τοῦτ’ ἔστιν τὸν διάβολον, καὶ ἀπαλλάξῃ τούτους, ὅσοι φόβῳ θανάτου διὰ παντὸς τοῦ ζῆν ἔνοχοι ἦσαν δουλείας. 63 Vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 106f.

3.3 Der Erlöser bei der Auferstehung der Glaubenden

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Mangel, der durch die Abspaltung des Kosmos entstand, äußert sich im „Gesetz des Todes“. Das Heilshandeln des Erlösers hebt den kosmischen Urkon­ flikt, der für die Existenz der Welt, ihre Vergänglichkeit und Minderwertigkeit und folglich für ihr Erlösungsbedürfnis verantwortlich ist, wieder auf. Der Autor des Rheginusbriefes entfaltet also das Wirken des Erlösers in der Welt als ein vor allem kosmologisch-universales, das auf Wiederherstellung des vollkommenen Urzustandes zielt (vgl. p. 44,30–33).64 Christus hat das Abgefallene wieder in das Pleroma eingebracht und mit seiner Auferstehung die Machtverhältnisse zwischen dem himmlischen Bereich und der Welt bzw. dem Tod neugeordnet. Der Passage in Rheg p. 45,14–23 kann entnommen werden, dass es diese uni­versale Neuordnung ist, die einen grundlegenden Statuswechsel der Glaubenden herbeiführt und ihnen die Unsterblichkeit eröffnet: ⲡⲥⲱⲧⲏⲣ ⲁϥⲱⲙⲛ̅ⲕ ⲙ̅ⲡⲙⲟⲩ […] ⲁϥⲕⲱⲉ ⲛ̅ⲅⲁⲣ ⲁϩⲣⲏⲓ ⲙ̅ⲡⲕⲟⲥⲙⲟⲥ ⲉϣⲁϥⲧⲉⲕⲟ ⲁϥϣϥ̅ⲧ[ϥ] ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲩⲁⲓⲱⲛ ⲛ̅ⲁⲧⲧⲉⲕⲟ ⲁⲩⲱ ⲁϥ ⲧⲟⲩⲛⲁⲥϥ̅ ⲉⲁϥⲱⲙⲛ̅ⲕ ⲙ̅ⲡⲉⲧⲟⲩⲁⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲓⲧⲟⲟⲧϥ· ⲙ̅ⲡⲁⲧⲛⲉⲩ ⲁⲣⲁϥ ⲁⲩⲱ ⲁϥϯ ⲛⲉⲛ ⲛ̅ⲧⲉϩⲓⲏ ⲛ̅ⲧⲛ̅ⲙⲛ̅ⲧⲁⲧⲙⲟⲩ. Der Erlöser hat den Tod verschlungen […]. Denn er legte die Welt nieder, die zugrunde zu gehen pflegt. Er hat (sich) 65 transformiert in einen unvergänglichen Äon. Und er ist auferstanden, indem er das, was offenbar ist, durch das, was unsichtbar ist, verschlang. Und er hat uns den Weg zu unserer Unsterblichkeit gegeben. 64 Er verwendet dafür den Begriff ⲁⲡⲟⲕⲁⲧⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ, worin einige interessante Übereinstimmungen zu TractTrip (NHC I,5) p. 123 bestehen: „Als die Erlösung verkündigt wurde, nahm der vollkommene Mensch sogleich die Erkenntnis an, um sich eilends zu seiner Einzigkeit hinzuwenden, zu dem Ort, aus dem er stammt, um sich wieder in Freude dorthin zu wenden, zu dem Ort, aus dem er stammt, zu dem Ort, aus dem er hervorgebracht worden ist. Seine Glieder bedurften jedoch eines Ortes der Belehrung, wie er in den Orten vorhanden ist, die so geschaffen sind, daß er durch sie wie ein Spiegel gestaltet wird nach den Bildern und den ersten Prägungen, bis alle Glieder des Leibes der Kirche ⟨versammelt sind⟩ an demselben Ort und zugleich die Wiederherstellung (Apokatastasis) empfangen. Nachdem sie sich als dieser heile Leib offenbart haben, ⟨wird⟩ die Wiederherstellung (Apokatastasis) in (das Reich) der Fülle hinein ⟨erfolgen⟩. Dieses hat ein erstes Wohlgefallen mittels einer Übereinstimmung untereinander, welches das Wohlgefallen ist, das dem Vater gilt, bis sie alle eine Erscheinungsweise in bezug auf ihn empfangen. Die letzte Wiederherstellung (Apokatastasis) aber ⟨wird erfolgen⟩, nachdem das All sich in dem offenbart hat, der der Sohn ist“ (Übers. Schenke). Vgl. auch EvPhil 67c (NHC II,3 p. 67,14–18) und Irenäus, Haer. 1,9,2. 65 Zwar fehlt im Koptischen an dieser Stelle ein Objektpronomen, aber mit Peel, Epistle to Rheginos, 67f., ist angesichts motivlicher Parallelen in anderen Texten (siehe Stellenangaben a. a. O.) und der Nähe zu 1 Kor 15,51f. (wo in der koptischen Übersetzung ἀλλάσσω dem Verb ϣⲓⲃⲉ wiedergegeben wird) damit zu rechnen, dass sich hier der Erlöser selbst verwandelt und so wieder seine Ursprungsgestalt annimmt. Vgl. zum Gedanken, dass sich der Erlöser in einen unvergänglichen Äon verwandelt, auch Irenäus, Haer. 1,3,1; 2,6; 4,5; Clemens von Alexandrien, Exc. 43 und 63,1–64. Anders übersetzen dagegen Layton, Gnostic Treatise, 15 („exchanging it [sc. the κόσμος] for an imperishable αἰών“), und Schenke, NHD 1, 50 („Denn er hat die vergängliche Welt niedergelegt und hat [sie] eingetauscht für einen unvergänglichen Äon“).

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3. Rheginusbrief

Die Neuordnung des Verhältnisses zwischen der Welt und dem himmlischen Bereich wird nicht nur als Voraussetzung für die allgemeine Auferstehung der Glaubenden behandelt, sondern auch als ihr Prototyp und Urbild, nach dem sie sich fortan individuell an den Glaubenden vollzieht. Begriffe, die zur Beschreibung des Wirkens des Erlösers verwendet werden (ⲡⲉⲧⲟⲩⲁⲛϩ̅, ⲱⲙⲛ̅ⲕ [ⲙ̅ⲡⲙⲟⲩ], ⲟⲩⲱⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ, ϣⲓⲃⲉ, „das Sichtbare“ [im Kontrast zum Unsichtbaren], „das Verschlingen [des Todes]“, „das Offenbarwerden“, „das Verwandeln“) begegnen im zweiten Teil des Briefes wieder und beziehen sich nun auf die individuelle Auferstehung des Einzelnen und die ⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ des gesamten Kosmos (vgl. vor allem p. 47–48,6). Die Vorgänge werden in gewissem Ausmaß analog zueinander beschrieben, wobei sich jedoch die Auferstehung der Menschen darin von Jesu Auferstehung unterscheidet, dass sie von seinem initialen Heilshandeln abhängt. Mit ihm sind die Glaubenden bereits in der Gegenwart von den Bedingungen des kosmischen Raums befreit, zu denen vor allem das „Gesetz des Todes“ gehört.66 Die Unvergänglichkeit ist ihnen durch diese schon geschehene überkosmische Verwandlung garantiert, weil sie nicht mehr Teil dieser Welt sind und daher auch nicht dem Tod als deren Prinzip unterliegen. Sie sterben zwar am Ende ihres irdischen Lebens, das der Verfasser mit dem Lexem ⲃⲓⲟⲥ (p. 45,35; 49,20) auch terminologisch von dem vollkommenen Leben in Herrlichkeit, ⲱⲛϩ̅ (p. 47,10; 48,2.21.23), unterscheidet.67 Aber dieser Tod ist kein endgültiger, so dass diejenigen, die bereits zu Lebzeiten im Inneren das vollkommene Leben (ⲱⲛϩ̅) gewonnen haben, ihren physischen Tod als Neugeburt erleben. So kann sich das Wirken des Erlösers, die Überwindung des Todesprinzips, an denen, die ihn erkennen und an seine Auferstehung glauben, weiter fortsetzen und in eine übergreifende kosmische ⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ münden.

66 Hier ist das Fragment einer Predigt Valentins aufschlussreich, die bei Clemens von Alexandrien, Strom. 4,89,2–3 (Frg. 4) überliefert ist: „Von Anfang an seid ihr unsterblich und seid Kinder eines ewigen Lebens, und ihr wolltet den Tod unter euch aufteilen, damit ihr ihn verbrauchtet und vernichtetet und damit der Tod unter euch und durch euch sterbe. Denn wenn ihr die Welt auflöst, ihr selbst aber nicht aufgelöst werdet, so seid ihr Herren über die Schöpfung und über alles vergängliche Wesen“ (Übers. Stählin; vgl. die Interpretation des Fragments durch Markschies, Valentinus Gnosticus?, 124–149). 67 Vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 114–116. Zur Vorstellung von vollkommenem „Leben“ Joh 5,40; 10,10; 11,25f.; 20,13. Diese Differenzierung zwischen den zwei qualitativ verschiedenen „Leben“ spricht auch noch einmal für die Differenzierung zwischen zwei Formen der Leiblichkeit, ausgedrückt in den zwei unterschiedlichen Arten von „Gliedern“, wobei die auferstehenden, unvergänglichen Glieder nach Rheg p. 48,1–3 die vollkommene Form von „Leben“ haben.

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser nach Rheg p. 45,23–46,2 3.4.1 Gewandmetaphorik und Sonnenvergleich Was der neugewonnene Status der Glaubenden für ihr gegenwärtiges Leben im Kosmos bedeutet und auf welche Weise sich nach dem Tod ihre Auferstehung vollziehen wird, ist Thema des zweiten Teils des Briefes (p. 45,23–48,19). Er wird eingeleitet mit einem Mischzitat von Elementen aus Röm 8,17b („mitgelitten“);68 Kol 2,12 und vor allem Eph 2,5f. (Rheg p. 45,26–28), das unter die Autorität des „Apostels“ gestellt ist (p. 45,22–28):69 ⲁϥϯ ⲛⲉⲛ ⲛ̅ⲧⲉϩⲓⲏ ⲛ̅ⲧⲛ̅ⲙⲛ̅ⲧⲁⲧⲙⲟⲩ ⲧⲟⲧⲉ ϭⲉ ⲛ̅ⲑⲉ ⲛ̅ⲧⲁϩⲁⲡⲁⲡⲟⲥⲧoⲗⲟⲥ ϫⲟⲟϥ ϫⲉ ⲁⲛϣⲡ̅ϩⲓⲥⲉ ⲛⲙ̅ⲙⲉϥ ⲁⲩⲱ ⲁⲛⲧⲱⲱⲛ ⲛⲙ̅ⲙⲉϥ ⲁⲩⲱ ⲁⲛⲃⲱⲕ ⲁⲧⲡⲉ ⲛⲙ̅ⲙⲉϥ.70 Er gab uns den Weg zu unserer Unsterblichkeit. Dann also, in der Weise wie der Apostel von ihm gesagt hat: „Wir haben gelitten mit ihm, und wir sind auferstanden mit ihm, und wir sind mit ihm in den Himmel gegangen.“

Der Verfasser greift mit der Paraphrase von Paulustexten die paulinische Vorstellung der Ergehensgemeinschaft mit Christus auf, nach der die Getauften und an Christus Glaubenden sich mit Jesu Tod und Auferstehung verbunden haben und zu neuem Leben gekommen sind.71 Er stützt sich für seine nachstehenden Überlegungen auf diesen überlieferten Denkgehalt und macht das Pauluszitat zu einer Art Überschrift des Folgenden.72 Vom Zitat ausgehend führt der anschließende Abschnitt aus, auf welche Weise Jesu Leiden und vor allem seine Auferstehung, die zuvor hinsichtlich ihrer universal-kosmologischen Auswirkungen in den Blick gekommen war, nun auch das gegenwärtige 68 Auffälligerweise ist die Präsensform συνπάσχομεν in Röm 8,17 in der koptischen Paraphrase im Aorist wiedergegeben, wahrscheinlich um damit den bereits erreichten Heilszustand auszudrücken. Außerdem fehlt jeder Bezug zur Taufe, und es ist auch nirgends vom „Mitsterben“ die Rede. Ein Zusammenhang mit Röm 6,1–11 lässt sich ebenso wenig erkennen. 69 Vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 18f.70; Lindemann, Paulus im ältesten Christentum, 319. 70 Die verwendete Zeitform der Verben im Zitat ist das koptische Perfekt, das ein Ereignis in der Vergangenheit beschreibt. Mitleiden, Mitauferstehen und Mitaufsteigen in den Himmel liegen für die Glaubenden aus Sicht des Verfassers also schon zurück. 71 Jesu Leiden, seine Auferweckung und Erhöhung eröffnen den an ihn Glaubenden nach Kol 2,12 und Eph 2,5f. eine heilvolle Ergehensgemeinschaft. Sprachlich wird sie mit der Präposition σύν in verschiedenen Komposita ausgedrückt und begegnet bereits in den echten Paulusbriefen in unterschiedlichen Zusammenhängen: neben Röm 8,17 auch in Röm 6,4–8; 8,29; 2 Kor 4,14; 13,4; Gal 2,19; Phil 1,23; 3,10.21; 1 Thess 4,14.17; 5,10. 72 Dagegen erkennt Peel, Epistle to Rheginos, 138, einen durch ⲛ̅ⲇⲉ in Rheg p. 45,29 mar­kierten Einschnitt zwischen dem Pauluszitat und dem Folgenden. Daher beginne hier ein neuer Gedankenabschnitt, der auf die Definition der „geistigen Auferstehung“ hinauslaufe. Dem stimme ich zu, sehe aber auch zwischen dem Sonnengleichnis und dem „Apostelzitat“ einen gedanklichen Zusammenhang.

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3. Rheginusbrief

Leben der Auserwählten in der Welt prägen und ihre künftige Auferstehung ermöglichen, inwiefern den Glaubenden also der Weg zur Unsterblichkeit geebnet wurde (p. 45,28–46,2): ⲉⲓϣⲡⲉ ⲧⲛ̅ϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ⲇⲉ ⲉⲛⲟⲩⲁⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲙ̅ⲡⲓⲕⲟⲥⲙⲟⲥ ⲉⲛⲣ̅ⲫⲟⲣⲉⲓ ⲙ̅ⲙⲁϥ ⲉⲛϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ⲁⲕⲧⲓⲛ ⲙ̅ⲡⲉⲧⲙ̅ⲙⲉⲩ. ⲁⲩⲱ ⲉⲩⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲓⲧⲟⲟⲧϥ̅ ϣⲁ ⲡⲛ̅ϩⲱⲧⲡ ⲉⲧⲉ ⲡⲉⲉⲓ ⲡⲉ ⲡⲉⲛⲙⲟⲩ ϩⲙ̅ ⲡⲉⲉⲓⲃⲓⲟⲥ ⲉⲩⲥⲱⲕ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲁⲧⲡⲉ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲓⲧⲟⲟⲧϥ̅ ⲛ̅ⲑⲉ ⲛ̅ⲛⲓⲁⲕⲧⲓⲛ ϩⲓⲧⲙ̅ ⲡⲣⲏ ⲉⲛⲥⲉⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲉⲛ ϩⲓⲧⲛ̅ ⲗⲁⲩⲉ. ⲧⲉⲉⲓ ⲧⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲛ̅ⲡⲛⲉⲩⲙⲁⲧⲓⲕⲏ ⲉⲥⲱⲙⲛ̅ⲕ ⲛ̅ⲧⲯⲩⲭⲓⲕⲏ ϩⲟⲙⲟⲓⲱⲥ ⲙⲛ̅ ⲧⲕⲉⲥⲁⲣⲕⲓⲕⲏ. Wenn wir offenbar sind in dieser Welt, indem wir ihn tragen (wie ein Gewand), sind wir Strahlen von jenem. Und indem wir umfangen werden durch ihn bis zu unserem Untergang, das heißt unserem Tod in diesem Leben, werden wir zum Himmel hochgezogen durch ihn in der Art von Strahlen durch die Sonne, indem wir nicht festgehalten werden durch irgendjemanden. Dies ist die geistige Auferstehung, die die psychische ebenso wie die fleischliche verschlingt.

Die auslegende Fortsetzung des Apostelzitats setzt sich mit dem Problem auseinander, das sich ergibt, wenn die Glaubenden zwar schon jetzt mit Christus in den Himmel versetzt sind, aber allem Anschein nach zugleich noch „unten“ im Kosmos und im vergänglichen Leib existieren. Im Grunde sieht sich der Verfasser des Rheginusbriefes mit der gleichen Schwierigkeit konfrontiert, die auch Paulus und die Autoren des Kolosser- und Epheserbriefes beschäftigte. Wie kann von einer „Neuheit des Lebens“ oder gar dem Auferstehungsleben bereits während des irdischen Lebens, unter den Bedingungen von Vergänglichkeit und Tod gesprochen werden? Während sich der Paulustradition zufolge der neugewonnene Status der zu Christus Gehörenden in einer neuen Qualität ihres Lebenswandels niederschlagen soll, deuten die vom Autor des Rheginusbriefes verwendeten solaren Metaphern darauf hin, dass ihm eine andere Lösung vorschwebt. Der Abschnitt soll daher schrittweise genauer untersucht werden. Er setzt mit Gewandmetaphorik ein: (1) ⲉⲛⲣ̅ⲫⲟⲣⲉⲓ ⲙ̅ⲙⲁϥ indem wir ihn tragen (wie ein Gewand)

Zunächst ist an dem Satzglied zu klären, was oder wen die angesprochenen Glaubenden tatsächlich „tragen“, worauf sich also syntaktisch das maskuline Suffixpronomen -ϥ bezieht, das an die als Objektmarker fungierende Präposition ⲛ̅ (ⲙ̅ⲙⲁ⸗) anschließt. Im Koptischen wäre sowohl ein Bezug auf den Erlöser möglich als auch auf den Kosmos, der unmittelbar zuvor erwähnt ist. In letzterem Fall wäre also zu übersetzen: „indem wir sie [sc. die Welt] tragen wie ein Gewand“. Für diese Deutung entscheiden sich Layton73 und Schenke.74 Wie oben dargestellt, interpretieren sie den Rheginusbrief als ein Zeugnis populär-­ platonischen Denkens. Der Verfasser vertrete dementsprechend die Unvergänglichkeit der Seele oder eines pneumatischen Kerns, der sich von Leib und 73 Vgl. 74 Vgl.

Layton, Gnostic Treatise, 17.61. Schenke, NHD 1, 50.

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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Kosmos befreit hat und in den Himmel aufsteigt. Deshalb favorisieren sie eine Übersetzung, bei der die Welt nur äußerlich, wie ein Gewand, getragen wird und beim Tod abgelegt werden kann.75 Im darauffolgenden Satz wird jedoch wieder vom Erlöser gesprochen, ohne dass er neu eingeführt wird. Überhaupt ist in der gesamten Passage in Rheg p. 45,14–37 vom ⲥⲱⲧⲏⲣ die Rede, der von Rheg p. 45,17 an lediglich mit Pronomen genannt ist. Das Suffixpronomen -ϥ in Rheg p. 45,30f. ließe sich daher mit guten Gründen ebenfalls auf ihn beziehen. Dafür sprechen auch zwei inhaltliche Beobachtungen: Berücksichtigt man den folgenden Kontext in Rheg p. 45,31–34, fallen weitere Statusbeschreibungen der Glaubenden auf. Im Sonnenvergleich werden sie mit Strahlen verglichen, die „von ihm“ wie von der Sonne ausgehen. Außerdem heißt es, dass die Glaubenden von ihm „ergriffen / umfasst werden“. Beide Aussagen können durchaus als zwei Variationen des „Tragens“ des Erlösers verstanden werden.76 Im Folgenden geht es ja vor allem um die Art und Weise, in der die Glaubenden gleichzeitig in der Welt existieren und dem Erlöser zugehören, d. h. um ihre schon gegenwärtige Anteilhabe an ihm, und nicht allein um das Ablegen und „Ausziehen“ der Welt.77 Im Zusammenhang mit dem voranstehenden Apostelzitat liegt es außerdem näher, ⲉⲛⲣ̅ⲫⲟⲣⲉⲓ ⲙ̅ⲙⲁϥ als „Tragen des Erlösers“ zu verstehen. Der Autor greift auch hier möglicherweise auf paulinische Sprache zurück.78 Die Vorstellung vom „Tragen des Erlösers“ wie ein Kleid erinnert zunächst einmal an paulinische Bekleidungsmetaphorik.79 So befassen sich Röm 13,14;80 Kol 3,9f.81 und Eph 4,22–­ 24 82 mit der Transformation des Menschen, der getauft wurde und fortan zu Christus gehört. Was die nach außen erkennbare Seite der Zugehörigkeit zu Christus angeht, so betrifft sie nicht den Körper und verändert den Leib nicht dauerhaft, auch wenn der Taufakt am Leib 75 Vgl. Layton, Gnostic Treatise, 61: „Incarnation is the donning of an unwanted garment, the world of visible, perishable matter. The goal is to take it off, just as the Savior ,laid aside the perishing world‘ […].“ Layton verweist auf Platon, Phaed. 67d als den geistigen Hintergrund dieser Stelle: Οὐκοῦν τοῦτό γε θάνατος ὀνομάζεται, λύσις καὶ χωρισμὸς ψυχῆς ἀπὸ σώματος. 76 Auch Peel, Epistle to Rheginos, 31.73, übersetzt so. 77 Dass sich der Erlöser selbst zum Gewand gibt, ist im Übrigen auch in TractTrip (NHC I,5) p. 87 belegt: „Der Sohn der Zufriedenheit des Alls gab ihnen sich (selbst) zum Gewand, das, wodurch er dem mangelhaft Gewordenen die Vollendung gab und die Festigkeit den (schon) Vollkommenen“ (Übers. Schenke). 78 Zur Gewandmetaphorik in späteren Texten vgl. auch die Ausführungen unten 5.4.2. 79 Außerbiblische Vergleichstexte zu dieser Anschauung finden sich dagegen kaum, allenfalls könnte Epiktet, Diatr. 2,8,12 genannt werden (so Layton, Gnostic Treatise, 62). 80 Röm 13,13f.: ὡς ἐν ἡμέρᾳ εὐσχημόνως περιπατήσωμεν, μὴ κώμοις καὶ μέθαις, μὴ κοί­ ταις καὶ ἀσελγείαις, μὴ ἔριδι καὶ ζήλῳ, ἀλλ’ ἐνδύσασθε τὸν κύριον Ἰησοῦν Χριστὸν καὶ τῆς σαρκὸς πρόνοιαν μὴ ποιεῖσθε εἰς ἐπιθυμίας. 81 Kol 3,9f: μὴ ψεύδεσθε εἰς ἀλλήλους, ἀπεκδυσάμενοι τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον σὺν ταῖς πράξεσιν αὐτοῦ καὶ ἐνδυσάμενοι τὸν νέον τὸν ἀνακαινούμενον εἰς ἐπίγνωσιν κατ’ εἰκόνα τοῦ κτίσαντος αὐτόν. 82 Eph 4,22–24: ἀποθέσθαι ὑμᾶς κατὰ τὴν προτέραν ἀναστροφὴν τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον

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3. Rheginusbrief

vollzogen wird. Sie äußert sich stattdessen in einem tugendhaften, christusgemäßen Lebenswandel, der mit dem Ablegen der Laster, die an den betreffenden Stellen aufgezählt werden, einhergeht. Gleichwohl übertragen die Passagen im Römer-, Kolosser- und Epheserbrief auf diese Neuausrichtung und ethische Orientierung an Christus die sprachlichen Bilder des Entkleidens und Anziehens, also Gewandmetaphorik. Damit implizieren sie, dass die durch die Taufe besiegelte Zugehörigkeit des Menschen zu Christus in einer Weise äußerlich erkennbar werden soll, als verwandele sie den Leib selbst. Auf dieser Linie kann Kol 3,5 die Laster als die „alten Glieder“ bezeichnen, die getötet werden sollen: Νεκρώσατε οὖν τὰ μέ­ λη τὰ ἐπὶ τῆς γῆς, πορνείαν ἀκαθαρσίαν πάθος ἐπιθυμίαν κακήν, καὶ τὴν πλεονεξίαν, ἥτις ἐσ­τὶν εἰδωλολατρία. Der so beschriebene ethische Lebenswandel, ein Ideal, das die frühen Christen als solches mit ihrer Umwelt teilten, verdichtet sich durch diese Bildsprache zu der Vorstellung einer Verwandlung in einen neuen Menschen mit regelrecht „neuen Gliedern“. Auch Christus selbst kann in diese Bekleidungsmetaphorik einbezogen werden. Im Horizont der Vorstellung, dass der Täufling ganz zu Christus gehört, kann das „Anziehen“ dann Christus zum Objekt haben. Christus repräsentiert als der „neue Mensch“ das neue Gewand, das angezogen wird. Er wird dem „alten Menschen“, der entsprechend der Bildlogik zuvor ausgezogen werden muss, gegenübergestellt. Die betreffenden Stellen sind darüber hinaus mit Schöpfungsbildern angereichert (vgl. Kol 3,10 und Eph 4,24, wo das Anziehen des neuen Menschen gleichzeitig die Erneuerung zur Gottebenbildlichkeit bedeutet).

Auch in 1 Kor 15,49 wird vom „Tragen des Bildes des Himmlischen“, also Christus, gesprochen: καὶ καθὼς ἐφορέσαμεν τὴν εἰκόνα τοῦ χοϊκοῦ, φορέσο­ μεν καὶ τὴν εἰκόνα τοῦ ἐπουρανίου. Das Bild begegnet dort im Kontext einer Gegenüberstellung des „alten“ und „neuen Menschen“ und bezieht sich auf die Neuschöpfung des Menschen nach dem Bild Christi am Ende der Zeit, bei der Auferstehung der Toten. Wie Rheg p. 45,30f. verwendet auch 1 Kor 15,49, um die besondere Qualität und den Charakter dieser Verbindung der Menschen zu Christus zu veranschaulichen, das Lexem φορέω (vgl. ⲣ̅ⲫⲟⲣⲉⲓ). Sollte diese Stelle im Hintergrund von Rheg p. 45,30f. stehen, würde der Verfasser des Traktats das „Tragen des Erlösers“ aus dem Kontext einer verheißenen Neuschöpfung auf die Gegenwart der Glaubenden, während sie in diesem Kosmos manifest sind (vgl. p. 45,28–30), übertragen. Hierauf wird im Zusammenhang mit der Rezeption von Paulustradition noch einmal zurückzukommen sein. Im Rheginusbrief beschreibt ⲉⲛⲣ̅ⲫⲟⲣⲉⲓ ⲙ̅ⲙⲁϥ jedenfalls das Dasein der Glau­benden in der Gegenwart, „während wir offenbar sind in dieser Welt“ (p. 45,28–30). Ihr irdisches Leben ist bereits von ihrer Zugehörigkeit zum (Bereich des) Erlöser(s) bestimmt. Das wird durch den anschließenden Sonnenvergleich unterstrichen: (2) ⲉⲛϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ⲁⲕⲧⲓⲛ ⲙ̅ⲡⲉⲧⲙ̅ⲙⲉⲩ ⲁⲩⲱ ⲉⲩⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲓⲧⲟⲟⲧϥ̅ ϣⲁ ⲡⲛ̅ϩⲱⲧⲡ ⲉⲧⲉ ⲡⲉⲉⲓ ⲡⲉ ⲡⲉⲛⲙⲟⲩ ϩⲙ̅ ⲡⲉⲉⲓⲃⲓⲟⲥ […]

τὸν φθειρόμενον κατὰ τὰς ἐπιθυμίας τῆς ἀπάτης, ἀνανεοῦσθαι δὲ τῷ πνεύματι τοῦ νοὸς ὑμῶν καὶ ἐνδύσασθαι τὸν καινὸν ἄνθρωπον τὸν κατὰ θεὸν κτισθέντα ἐν δικαιοσύνῃ καὶ ὁσιότητι τῆς ἀληθεία.

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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(wir) sind Strahlen von jenem. Und indem wir ergriffen / umfangen werden durch ihn bis zu unserem Untergang, das heißt unserem Tod in diesem Leben […]

Der erste Teil des Sonnenvergleichs führt mit dem griechischen Lehnwort ἀκ­ τίς in die solare Bildwelt ein. Wurde in dem paraphrasierenden Pauluszitat in Rheg p. 45,25–28 bereits angesprochen und mit dem Vergangenheitstempus noch bekräftigt, dass der gemeinsam mit Christus durch Leiden und Auferstehung in den Himmel führende Weg die Glaubenden bereits dorthin versetzt hat, so sind sie seither an diesem Ort beheimatet, auch wenn sie noch sichtbar im Kosmos (der hier dem Himmel entgegengesetzt ist) existieren. Das Dasein der Glaubenden in der Welt wird mit „Strahlen“ der Sonne verglichen. Das Bild soll die Zugehörigkeit der Glaubenden zum himmlischen Bereich bzw. zum Erlöser selbst näher qualifizieren und die Art und Weise beschreiben, in der die Glaubenden zugleich noch auf der Erde präsent sind. Sonnenstrahlen können gleichzeitig verschiedene Orte erreichen, gehören aber in Wahrheit ganz zur Sonne. Die Strahlen können, während sie auf die Erde reichen, von Irdischem weder berührt noch festgehalten oder beschmutzt werden. Zugleich entfalten sie als Licht sichtbar und in Gestalt von Wärme spürbar eine Wirksamkeit auf der Erde, die durchgehend von der Sonne ausgeht. Die Substanz der Sonne selbst wird dabei nicht gemindert. Letztgenanntes bringt eine Passage aus den „Lehren des Silvanus“ zum Ausdruck, einer Schrift, die nur in einer koptischen Übersetzung überliefert ist (NHC VII,4).83 Der Text will auf der Basis naturwissenschaftlicher Kenntnisse bzw. entsprechenden Alltagswissens einen christologischen und anthropologischen Aspekt verdeutlichen (Silv 7,6–9, NHC VII,4 p. 99): (6) Denn alles Sichtbare ist ein Abdruck des Unsichtbaren. (7) Denn wie ein Feuer, das an einem (bestimmten) Ort brennt, (in seiner Wirkung) nicht auf (den) Ort beschränkt ist, so erstrecken sich auch sämtliche Strahlen der Sonne, die am Himmel steht, bis zu den Orten auf der Erde. (8) Ebenso hat auch Christus nur eine Substanz und erleuchtet (doch) jeden Ort. (9) In gleicher Weise redet er auch von unserem Nous im Bilde einer Lampe, die brennt und den Ort beleuchtet: ⟨(Selbst nur) befindlich⟩ in einem Teil der Seele, leuchtet er (doch) für alle Teile.84

Die Lehren des Silvanus werden als ein typischer Vertreter alexandrinischer Theologie angesehen, weshalb auch Alexandrien als Entstehungsort anzuneh­ men ist.85 Die Datierung des Textes schwankt sehr; seine Entstehung wird zwischen dem 2. und dem späteren 4. Jahrhundert angesiedelt.86 Hans-­Martin 83 Eine Parallele zu Silv p. 97,9–21 und p. 97,30–98,22 ist allerdings auch noch auf der Vorderseite eines Pergamentblattes in der British Library überliefert (BL Or. 6003; vgl. Schenke / Funk, NHD 2, 603). Die Schrift, zu der das Blatt ursprünglich gehörte, ist in das 10. oder 11. Jahrhundert zu datieren. 84 Übers. Schenke/Funk. 85 Vgl. Schenke / Funk, NHD 2, 604. 86 Während Janssens, Les leçons de Silvanos, das 2. Jahrhundert vorschlägt, favorisieren Peel / Zandee, Teachings of Silvanus, 274, die Zeit nach dem Tod des Origenes und vor dem

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3. Rheginusbrief

Schenke und Wolf-Peter Funk klassifizieren den Text als gewachsene, ursprünglich jüdisch-hellenistische Weisheitslehre mit paränetischem Traditionsgut.87 Es ist offenkundig, dass die Lehren des Silvanus in ihrer Solartheologie auf dem Sonnengleichnis Platons beruhen (Resp. 6,506b–509b). Anstelle des Guten in der intelligiblen Welt wird hier Christus, der jeden „Nous“ erleuchtet, mit der sichtbaren Sonne verglichen. Wenn die Lehren des Silvanus die Sub­ stanz Christi mit der Sonne und ihren Strahlen parallelisieren, soll damit das Paradox einer einzigen Gestalt und ihrer allgegenwärtigen Wirkung gelöst werden. Obwohl er eine Substanz hat, kann Christus jeden Ort erleuchten, so wie auch die Sonne am Himmel steht und zugleich die Orte auf der Erde erreicht.88 Werden nun in Rheg p. 45 die Glaubenden als die Strahlen des Erlösers beschrieben, versinnbildlicht dies zum einen ihre besonders enge Gemeinschaft mit ihm, der nach seinem Heilswerk dauerhaft im himmlischen Bereich anwesend ist. Die Gemeinschaft mit ihm bedeutet vor allem, dass die Glaubenden zu seiner Sphäre gehören, weil sie mit ihm bereits in den Himmel aufgestiegen sind. Aus irdischer Perspektive beinhaltet das Bild zum anderen, dass die Glaubenden zwar für eine vorübergehende Zeit ihren Aufenthalt auf der Erde haben, aber durch nichts Irdisches gehalten werden können. Wie die Gemeinschaft mit dem Erlöser als seine „Strahlen“ genauer vorzustellen ist, lässt das in Rheg p. 45 mehrfach verwendete Lexem ⲙⲁϩⲧⲉ erahnen: Dieser Ausdruck, eine Nebenform von ⲁⲙⲁϩⲧⲉ bzw. ⲁⲙⲁϩⲉ („ergreifen, sich bemächtigen, stark sein, zurückhalten, hindern“),89 führt die Zugehörigkeit der Glaubenden zum Erlöser in einer Passivformulierung indirekt auf eine Handlung des Erlösers selbst zurück. Der kurze Passus in Rheg p. 45,32–34 beschreibt etwas detaillierter, auf welche Weise die Glaubenden zum Erlöser gehören: Schon während ihres irdischen Lebens „ergreift“ und „umfasst“ er vom Himmel her die Erwählten, er übt während ihrer Zeit auf der Erde (ⲡⲉⲉⲓⲃⲓⲟⲥ) eine geradezu physisch vorgestellte Herrschaft über die Glaubenden aus. Das Verb ⲙⲁϩⲧⲉ wird im unmittelbar folgenden Kontext, in dem es um den zukünftigen, postmortalen Aufstieg der Glaubenden in den Himmel geht, interessanterweise ein weiteres Mal verwendet, nun in negierter Passivform: ⲉⲛⲥⲉⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲉⲛ ϩⲓⲧⲛ̅ ⲗⲁⲩⲉ („indem wir durch niemandem ergriffen werden“, p. 45,38f.). Das Ergriffenwerden von Christus ist also dem Ergriffenwerden durch (feindliche kosmische?) Mächte direkt gegenübergestellt, und eines schließt das andere aus. Weil der Erlöser bereits die Glaubenden ergriffen hat, sind sie für den Kosmos nunmehr unangreifbar. Deshalb können sie nach ihrem Konzil von Nizäa, also die zweite Hälfte des 3. bis zum ersten Viertel des 4. Jahrhunderts. Noch später, nämlich weit in das 4. Jahrhundert, datiert Van den Broek, Teaching of Silvanus, 255, den Text. 87 Vgl. Schenke / Funk, NHD 2, 606. 88 Vgl. auch Justin, Dial. 128,3. 89 Vgl. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 6.

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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Tod ungehindert nach oben steigen. Mit der Metapher der „Strahlen“ legt der Verfasser den paulinischen Gedanken der Ergehensgemeinschaft mit Christus also in einer Weise aus, die die kosmische Unangreifbarkeit der Glaubenden in der Gegenwart und vor allem in der Zukunft betont. Damit ist auch schon der dritte Teil des Sonnenvergleichs angesprochen. In Rheg p. 45,34–36 geht der Verfasser von der Beschreibung der Gegenwart über zur Darstellung des zukünftigen Geschehens, nämlich zur Auferstehung der Glaubenden nach dem Tod: (3) […] ⲉⲩⲥⲱⲕ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲁⲧⲡⲉ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲓⲧⲟⲟⲧϥ̅ ⲛ̅ⲑⲉ ⲛ̅ⲛⲓⲁⲕⲧⲓⲛ ϩⲓⲧⲙ̅ ⲡⲣⲏ ⲉⲛⲥⲉⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲉⲛ ϩⲓⲧⲛ̅ ⲗⲁⲩⲉ. […] das heißt unserem Tod in diesem Leben, werden wir zum Himmel hochgezogen durch ihn in der Art von Strahlen durch die Sonne, indem wir nicht festgehalten werden durch irgendjemanden.

Der natürliche Tod, das Ende des (leiblichen) Lebens, wird mit dem Untergang der Sonne (ϩⲱⲧⲡ bzw. δυσμή) 90 verglichen. Der Verfasser greift damit eine klassische Metapher vom Alter als „Lebensabend“ bzw. vom Tod als Sonnenuntergang auf, mit der bereits Aristoteles die Funktionsweise von Metaphern erläutert.91 In der Rezeption des Motivs im Rheginusbrief wird ein Schwerpunkt auf das Offenbarungsgeschehen am Ende des Lebens, beim „Sonnenuntergang“, gelegt. Wenn sich die Sonne aus der Welt zurückzieht, werden ihre Strahlen plötzlich sichtbar. Das bedeutet auf der Sachebene, dass die während ihrer Zeit in der Welt noch verborgene, wahre Existenz der Glaubenden als solche, die zum Erlöser gehören, nun im Moment ihres Todes hervortritt und sich offen zeigt. Im Vergleich der Glaubenden mit (Sonnen-)Strahlen ist noch mehr impliziert: Beim Untergang der Sonne ziehen sich die Strahlen von der Welt wieder in den Himmel zurück. Die Metapher vom Sonnenuntergang als Lebensabend und Tod öffnet sich auf diese Weise für eine neue Deutungsebene. Der „Untergang“ der Sonne bedeutet zwar für alles Kosmische den Tod, zugleich aber für das zum Himmel Gehörende einen Wendepunkt und den Beginn der Auf90 Die Bedeutung „Untergang“ trägt das Substantiv ϩⲱⲧⲡ nur mit Bezug auf Gestirne. Vgl. weitere Bedeutungen bei Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 399: „Verbindung, Friede, Versöhnung“. 91 Aristoteles, Poet. 1457b: ἢ ὃ γῆρας πρὸς βίον, καὶ ἑσπέρα πρὸς ἡμέραν: ἐρεῖ τοίνυν τὴν ἑσπέραν γῆρας ἡμέρας ἢ ὥσπερ Ἐμπεδοκλῆς, καὶ τὸ γῆρας ἑσπέραν βίου ἢ δυσμὰς βίου („Oder: Das Alter verhält sich zum Leben, wie der Abend zum Tag; der Dichter nennt also den Abend ‚Alter des Tages‘, oder, wie Empedokles, das Alter ‚Abend des Lebens‘ oder ‚Sonnenuntergang des Lebens‘“, Übers. Fuhrmann); vgl. auch Philo, Somn. 2,147: οὐκ ἤδη τι­νὰς ἴσμεν ἐκ παίδων εἰς γῆρας ἀφιγμένους, οἳ […] εἶτ᾽ ἐν αὐταῖς τοῦ βίου ταῖς δυσμαῖς ἐξο­κείλαντάς τε καὶ ναυαγήσαντας […]; („Kennen wir nicht sogar Leute, die vom Kindesins Greisenalter gelangten, die […] dann doch an ihrem Lebensabend selbst aus der Bahn geschlagen wurden und scheiterten […]?“, Übers. Cohn).

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3. Rheginusbrief

erstehung. Die Rezeption der Metapher vom Tod als Sonnenuntergang ist im Rheginusbrief auf die Trennung des Himmlischen vom Kosmischen und auf ein neues, außerhalb des Kosmos angesiedeltes postmortales Leben ausgerichtet. In vergleichbarer Weise weitet auch Ignatius von Antiochien in IgnRom 2,2 das Potential der Metapher als Bild für den Tod aus und gibt ihr eine ganz individuelle Pointe, wenn er seine Reise vom Osten in den Westen und sein erwartetes Martyrium in Rom anschaulich wie den Weg der Sonne bis zu ihrem Untergang schildert und sein Sterben und Auferstehen mit den Verben δύνω („untergehen“) und ἀνατέλλω („aufgehen“) beschreibt. Auf seinen Rückzug aus der Welt und seinen Tod folgt so seine Auferstehung als ein erneutes „Aufgehen der Sonne“.92 Im Rheginusbrief bekommt das Ereignis des Todes als Sonnenuntergang eine über das individuelle Schicksal hinausgehende kosmische Bedeutung und wird zudem christologisch interpretiert: Der Erlöser steht als Akteur im Hintergrund des gesamten Geschehens. In zwei parallel formulierten Präpositionalverbindungen, die den Abschnitt insgesamt in zwei Phasen teilen, wird jeweils auf ihn Bezug genommen: Rheg p. 45,32–34: ⲉⲩⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲓⲧⲟⲟⲧϥ̅ wir werden (während des irdischen Lebens) umgriffen von ihm Rheg p. 45,36f.: ⲉⲩⲥⲱⲕ ⲙ̅ⲙⲁⲛ ⲁⲧⲡⲉ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲓⲧⲟⲟⲧϥ̅ wir werden (nach dem Tod) zum Himmel gezogen von ihm

In ihrem irdischen Leben ergreift der Erlöser die Glaubenden, und nach ihrem Tod zieht er sie zum Himmel.93 Mit diesen Bildern legt der Verfasser das Apostelzitat über die Gemeinschaft mit Jesu Leiden, Auferstehung und Aufstieg weiter aus und beschreibt die Gemeinschaft mit Christus insgesamt unter der Perspektive der Auferstehung der Glaubenden. Sie erfolgt in zwei Phasen, wobei die erste schon jetzt Gegenwart ist und die Voraussetzung der zweiten, postmortalen Stufe bildet.

92 IgnRom 2,2: πλέον μοι μὴ παράσχησθε τοῦ σπονδισθῆναι θεῷ ὡς ἔτι θυσιαστήριον ἕτοι­μόν ἐστιν ἵνα ἐν ἀγάπῃ χορὸς γενόμενοι ᾄσητε τῷ πατρὶ ἐν Χριστῷ Ἰησοῦ ὅτι τὸν ἐπί­ σκοπον Συρίας ὁ θεὸς κατηξίωσεν εὑρεθῆναι εἰς δύσιν ἀπὸ ἀνατολῆς μεταπεμψάμενος κα­ λὸν τὸ δῦναι ἀπὸ κόσμου πρὸς θεόν ἵνα εἰς αὐτὸν ἀνατείλω („Gewährt mir nicht mehr, als Gott geopfert zu werden, solange noch ein Altar bereitsteht, damit ihr in Liebe einen Chor bilden und dem Vater in Christus Jesus lobsingen könnt, weil Gott den Bischof von Syrien gewürdigt hat, sich im Gebiet des Sonnenuntergangs zu befinden, vom Aufgang herbeigeholt. Schön ist es, von der Welt unterzugehen zu Gott, damit ich bei ihm aufgehe“, Übers. Fischer). 93 Vgl. auch Joh 6,44 (οὐδεὶς δύναται ἐλθεῖν πρός με ἐὰν μὴ ὁ πατὴρ ὁ πέμψας με ἑλκύσῃ αὐτόν, κἀγὼ ἀναστήσω αὐτὸν ἐν τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ); 12,32 (κἀγὼ ἐὰν ὑψωθῶ ἐκ τῆς γῆς, πάντας ἑλκύσω πρὸς ἐμαυτόν).

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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3.4.2 Kontext: Sonnenmetaphorik in anderen Texten Mit dem Sonnenvergleich bewegt sich der Rheginusbrief in einem breiten philosophischen und kultisch-religiösen Traditionsstrom und partizipiert an einer intensiven solaren Frömmigkeit, die im 2. Jahrhundert einsetzt und im 3. und 4. Jahrhundert eine Blüte erlebt.94 Während die biblische Überlieferung (vielleicht mit Ausnahme der Lichtsymbolik johanneischer Tradition) 95 dazu auffällig wenig beigetragen hat, gibt es eine unüberschaubar große Zahl paganer und spätantiker christlicher Zeugnisse über die kultische Verehrung und die theologische Bezugnahme auf die Sonne und das Licht. Die religiöse und philosophische Referenz auf die Sonne konnte dabei ganz unterschiedliche Sachverhalte veranschaulichen. Um den Sonnenvergleich im Rheginusbrief in dieses Spektrum einzuordnen, sind (neben der schon erwähnten Parallele zum Gedanken der Allgegenwart der Sonnenstrahlen in den Lehren des Silvanus) zum Beispiel solche Texte von Interesse, die auf die Gabe von Erkenntnis und (Auferstehungs-)Leben durch die Sonne anspielen, das Verhältnis Christi zu den Glaubenden im Bild von Sonne und Licht und den durch sie Erleuchteten fassen oder die den Untergang der Sonne auf spezifische Weise deuten, etwa als Rückzug von der Welt und Eingang in den himmlischen Raum.96 Literarische Beziehungen des Rheginusbriefes zu irgendeinem der Texte, die solare Motive verarbeiten, lassen sich nicht nachweisen, deshalb soll die folgende Darstellung auch nur einen allgemeinen Hintergrund bereitstellen, vor dem die Charakteristika des Sonnenvergleichs in dem Auferstehungstraktat aus Nag Hammadi etwas besser zu verstehen sind. Das Beispiel der Lehren des Silvanus zeigte bereits, dass für die Ausbildung einer christlichen Licht- und Sonnenmetaphorik die Analogie zwischen der Bedeutung der Sonne für die sichtbare Welt und der Bedeutung der Idee des Guten für die intelligible Welt im platonischen Sonnengleichnis eine wichtige Rolle spielte. Nicht nur konnte Christus in christlichen Rezeptionen an die Stelle des Guten treten, das mit der Sonne verglichen wird, sondern sein 94 Prominente Beispiele sind der Mithraskult und die Verehrung des Sol invictus im Rahmen des zentralen Reichskults. Vgl. Wallraff, Christus Verus Sol, 36f., der für die Kaiserzeit beobachtet, dass „die Sonne […] im Überschneidungsbereich zwischen Religion und Philosophie steht“. Bereits im 3. Jahrhundert setzte eine „platonische Solar-Theologie“ ein, die mit intensiver Sonnenverehrung verbunden war. In dieser Zeit kann man, so Wallraff, „von einer allgemeinen ‚Solarisierung‘ der religiösen Kultur sprechen“. Eine eher abgrenzende Haltung zur Sonnenverehrung in der Tradition der biblischen Schöpfungsberichte deutet sich vielleicht in 1 Kor 15 an, wo die Sonne nur einer der von Gott geschaffenen Himmelskörper ist. Später wird dies weiterentwickelt bei Theophilus von Antiochien, Autol. 1,5,3, und Barn 5,10, wo zwar ansatzweise eine Analogie zwischen Christus und der Sonne gezogen, dann aber die Geschöpflichkeit und Vergänglichkeit der Sonne (bei all ihrer Herrlichkeit) im Gegenüber zu Christus in den Vordergrund gestellt wird. 95 Vgl. Joh 1,4.9; 8,12; 12,46; 1 Joh 1,5; vgl. auch Lk 1,76–79. An diesen Stellen ist das Licht prominent erwähnt, während die Sonne keine Rolle spielt. 96 In vielen Texten begegnen mehrere dieser Aspekte gleichzeitig.

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3. Rheginusbrief

Heilswerk konnte auch mit einer Vielzahl von solaren Metaphern belegt werden. Nach Silv 7,1f. (NHC VII,4 p. 98) erleuchtet er die (Vernunft-)Seelen der Menschen, wie die Sonne die Augen erleuchtet: (1) Denn er ist das wahre Licht und die Sonne des Lebens. (2) Denn wie die sichtbare Sonne die Augen des Fleisches erleuchtet, so erleuchtet Christus jeden Nous und das Herz.97

Einen Schritt weiter gehen Texte, die mit den Wirkungen der Sonne nicht nur den Erkenntnisempfang durch Christus, sondern auch Erlösung und „Aufrichtung“ des Menschen veranschaulichen, das Ablegen der Vergänglichkeit, das Anziehen der Unvergänglichkeit, die Vernichtung des Sterblichen und den Beginn neuen Lebens. Damit sind Themen benannt, die in dem erweiterten Zitat aus Eph 5,14 in der „Mahnrede an die Griechen“ (Protrepticus) des Clemens von Alexandrien wiederbegegnen. Den Erstherausgebern des Rheginusbriefes zufolge wird in Eph 5,14 und Protr. 9,84,2f. ein alter Hymnus zitiert, der auch dem Sonnenvergleich in Rheg p. 45,31–39 zugrunde liege.98 Das lässt sich aber nicht mit Sicherheit nachweisen: Eph 5,14: πᾶν γὰρ τὸ φανερούμενον φῶς ἐστιν. διὸ λέγει· ἔγειρε, ὁ καθεύδων, καὶ ἀνάστα ἐκ τῶν νεκρῶν, καὶ ἐπιφαύσει σοι ὁ Χριστός. Alles, was erleuchtet wird, ist Licht. Darum spricht er: Wache auf, Schlafender, und stehe auf von den Toten, so wird dich Christus erleuchten. Clemens, Protr. 9,84,2f.: (2) „ἔγειρε“, φησίν, „ὁ καθεύδων, καὶ ἀνάστα ἐκ τῶν νεκρῶν, καὶ ἐπι­φαύσει σοι ὁ Χριστὸς κύριος“ – ὁ τῆς ἀναστάσεως ἥλιος, ὁ „πρὸ ἑωσφόρου“ γεννώμενος, ὁ ζωὴν (3) χαρισάμενος ἀκτῖσιν ἰδίαις. (2) „Erwache“, sagt er [sc. Christus], „Schlafender, und stehe auf von den Toten, und Christus der Herr wird über dir scheinen“, die Sonne der Auferstehung, der „vor dem Morgenstern“ Gezeugte, (3) der durch seine eigenen Strahlen Leben spendet.

Obwohl die These eines im Rheginusbrief verarbeiteten älteren Hymnus unsicher ist, sind die zitierten Texte aus Eph 5,14 und Protr. 9,84,2f. für das Verständnis von Rheg p. 45,31–39 durchaus interessant: Sie zeigen eine Verbindung zwischen der Erleuchtung der Glaubenden und ihrer Auferstehung. Die Strahlen bezeichnen bei Clemens die Wirkung der „Sonne Christus“, die darin besteht, dass sie das Auferstehungsleben schenkt. Dieses Auferstehungsleben übertrifft noch das durch die natürliche Sonne geschenkte Leben auf der Erde. Mit dem Rheginusbrief immer wieder in enge Verbindung gebracht werden außerdem die auf Syrisch bzw. Koptisch überlieferten Oden Salomos, die in vielerlei Hinsicht ähnliche Bilder und Metaphern verwenden. Sie haben einen christlichen Hintergrund, stehen dem Johannesevangelium und den Ignatianen nahe und sind wahrscheinlich nicht vor dem 2. Jahrhundert entstanden. Ihr Wirkungsbereich erstreckt sich auf den östlichen und südlichen Mittelmeerraum (Syrien, Ägypten, Kleinasien), ihre Originalsprache war Syrisch oder 97 Übers. 98 Vgl.

Schenke / Funk. Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, xvi.

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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(noch wahrscheinlicher) Griechisch. Zwar wurden einige Oden später in der gnostischen Schrift Pistis Sophia rezipiert, ob sie aber selbst schon „gnostisch“ sind, ist umstritten.99 Einschlägig für den Sonnenvergleich ist vor allem die syrisch überlieferte fünfzehnte Ode: (1) Wie der Helios denen Freude ist, die seinen Tag suchen, so ist meine Freude der Herr, (2) weil er mein Helios ist. Und seine Strahlen weckten mich auf, und sein Licht hob alle Finsternis von meinem Gesicht. (3) Ich erwarb durch ihn Augen und sah seinen heiligen Tag. (4) Ich erhielt Ohren, und hörte seine Wahrheit. (5) Ich erhielt das Denken der Gnosis, und wurde durch ihn entzückt. (6) Den Weg der Irrung verließ ich und ging hin zu ihm und erlangte Erlösung von ihm, ohne Neid. (7) Und gemäß seiner Gnadengabe gab er mir, und nach seiner Erhabenheit machte er mich. (8) Ich legte Unvergänglichkeit durch seinen Namen an und zog die Vergänglichkeit durch seine Gnade aus. (9) Der Tod wurde vernichtet vor meinem Angesicht, und das Totenreich zerstört durch mein Wort. (10) Und er ging auf der Erde des Herrn auf – unsterbliches Leben. Und es (sc. das Leben) wurde bekannt von seinen Gläubigen und unvermindert allen denen gegeben, die auf ihn vertrauen. Halleluja!100

Der Text ist zweigeteilt: Während der erste Abschnitt (V. 3–7) zunächst vor allem den Aspekt der Erkenntnisgabe und Erleuchtung durch den Herrn besingt, wird im zweiten Teil (V. 8–10) der Fokus auf das neue Leben und die Unvergänglichkeit gerichtet, die der Herr schenkt. Mit der Rede vom Ablegen und Anziehen wird Gewandmetaphorik eingebracht, der Sprecher der Ode hat „Unvergänglichkeit angezogen“.101 Der Eingangsteil in V. 1f. bringt beide Aspekte im Rahmen der Licht- und Sonnenmetaphorik zusammen und schreibt den Strahlen der Sonne die Funktion zu, die Finsternis vertrieben und den Sprecher „aufgerichtet“ zu haben. Das „Anziehen der Unvergänglichkeit“, das in OdSal 15,8 thematisiert wird, kann in anderen Texten mit der Vorstellung einer umfassenden Verwandlung derer, die (von der Sonne oder dem Licht) erleuchtet werden, kombiniert sein und noch weiterentwickelt werden. Manchen Texten zufolge werden die Glau99 Vgl.

dazu Lattke, Oden Salomos (2011), 12f.; ders., Oden Salomos (1986), Bd. 4. Lattke. 101 Lattke, Oden Salomos (1986), Bd. 4, 62, sieht hier vor allem eine sprachliche Nähe zu 1 Kor 15,53–55. Der Unterschied zu Paulus bestehe aber darin, „daß in Ode 15 das Ende schon realisiert, der Tod schon zerstört ist, während in 1 Kor 15 gut paulinisch die eschatologische Spannung gehalten wird“. 100 Übers.

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3. Rheginusbrief

benden nicht nur (passiv) erleuchtet und aufgerichtet, sondern sie werden selbst zum Licht und nehmen selbst Glanz an. Darin gleichen sie sich dem Erlöser, Christus, an, der im Kontext sehr häufig selbst als Lichtgestalt beschrieben ist. Auch ein Bezug zur Auferstehung bzw. zum Aufstieg in die Herrlichkeit, der durch das Lichtkleid möglich wird, fehlt nicht: EvPhil 77 (NHC II,3 p. 70,5–9): Wer das vollkommene Licht angezogen hat, den können die Mächte nicht sehen und sind (also) nicht in der Lage, ihn zurückzuhalten. Man wird sich dies Licht aber anziehen in dem Mysterium der Vereinigung. EvPhil 106 (NHC II,3 p. 76,22–31): Der vollkommene Mensch kann nicht nur nicht festgehalten, sondern auch nicht gesehen werden. Denn wenn er gesehen wird, wird er festgehalten werden. Niemand kann sich diese Gnade anders erwerben, als [daß] er das vollkommene Licht anzieht [und] selbst zu vollkommenem Licht wird. Wer [es an]gezogen hat, wird [in (den Ort der) Ruhe ein]gehen. Dies ist das vollkommene […].102

Ein weiteres Beispiel bietet die Nag-Hammadi-Schrift „Dreigestaltige Protennoia“ (NHC XIII,1), eine mit gnostischen Zügen versehene Offenbarungsrede einer weiblichen Gestalt und vielleicht ein Zeugnis sethianischer Gnosis, das einen außerchristlichen Ursprung hat.103 In Protennoia (NHC XIII,1) p. 37f. wird zunächst über den Logos gesagt: (p. 37) […] Er [ist der über dem All eingesetzte Gott]. (p. 38) Er, der aufstrahlen ließ das Licht den hehren Äonen, und (sie ansiedelte) in gleißendem Lichte von beständiger Dauer, und der sich in sein eigenes Licht stellte, das ihn umgibt, er, das Auge des Lichtes, das mich beleuchtet mit Glanz […].

Nachdem der Erlöser den Weg für den Aufstieg der Seelen bereitet und ihnen vier Himmelsgaben und fünf „Namen“ bzw. „Siegel“ gleichsam als Passwörter für den ungehinderten Aufstieg offenbart hat, können die Seelen an den Archonten vorbei emporsteigen (p. 49): Wer die fünf Siegel dieser Namen besitzt, der hat ausgezogen ⟨die⟩ Gewänder der Unwissenheit und hat angezogen strahlendes Licht; so wird [er] für niemanden sichtbar sein, der zu den Mächten der Archonten gehört. In solchen (Menschen) wird sich die Finsternis auflösen, und wird die [Unwissenheit] sterben […].104

Die wiedergegebenen Texte identifizieren zwar nicht die Sonne mit der Quelle dieses Lichts, aber sie sind im Vergleich mit dem Rheginusbrief dennoch aus102 Übers.

Schenke (NHD). Robinson, NHD 2, 815, datiert die Schrift bereits in das ausgehende 1. Jahrhundert; vgl. insgesamt dies., Die dreigestaltige Protennoia (1984). 104 Übers. Schenke Robinson. 103 Schenke

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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sagekräftig. Auffällig in den zuletzt zitierten Abschnitten aus dem Philippus­ evangelium und der Protennoia ist das „Anziehen des Lichts“ als Voraussetzung für einen von den „Mächten“ bzw. den „Mächten der Archonten“ ungestörten Aufstieg und Eingang in die obere Welt. Die Texte führen den Aufstieg der Glaubenden darauf zurück, dass sich diese durch das Anziehen eines Lichtkleides und durch ihre Anverwandlung an die Natur des Lichts so transformiert haben, dass sie den feindlichen Mächten entzogen sind und in die Herrlichkeitsexistenz eintreten können (siehe dazu unten Kap. 5).105 Die Unterschiede zum Rheginusbrief sind deutlich erkennbar: Davon, dass die Glaubenden ein Strahlen- oder Lichtkleid anziehen und sich in Licht verwandeln, ist in der Sonnenmetaphorik des Rheginusbriefs nirgends die Rede. Diese Differenz ist gerade angesichts der sonstigen Nähe bei der Vorstellung vom Aufstieg und der Lichtmetaphorik erklärungsbedürftig.106 Dass die Glaubenden nach Rheg p. 45,36–39 anschließend an ihren physischen Tod wie Strahlen der Sonne zum Himmel gezogen werden, ist schließlich ebenfalls eine Vorstellung mit Analogien in spätantiken, auch außerchristlichen Texten. In seinem Hymnus an die Göttermutter (Or. 5, geschrieben 362 n. Chr.)107 schließt der in neuplatonischer Schultradition stehende Kaiser Julian von der Kraft der Sonne und ihrer Strahlen auf ihre Fähigkeit, die Seelen der Menschen „nach oben zu ziehen“ (Or. 5,172b–c): ἕλκει μὲν ἀπὸ τῆς γῆς πάντα καὶ προκαλεῖται καὶ βλαστάνειν ποιεῖ τῇ ζωπυρίδι καὶ θαυμαστῇ θέρμῃ, διακρίνων οἶμαι πρὸς ἄκραν λεπτότητα τὰ σώματα, καὶ τὰ φύσει φερόμενα κάτω κουφίζει. τὰ δὴ τοιαῦτα τῶν ἀφανῶν αὐτοῦ δυνάμεων ποιητέον τεκμήρια. ὁ γὰρ ἐν τοῖς σώ­ μασι διὰ τῆς σωματοειδοῦς θέρμης οὕτω τοῦτο ἀπεργαζόμενος πῶς οὐ διὰ τῆς ἀφανοῦς καὶ ἀσωμάτου πάντη καὶ θείας καὶ καθαρᾶς ἐν ταῖς ἀκτῖσιν ἱδρυμένης οὐσίας ἕλξει καὶ ἀνάξει τὰς εὐτυχεῖς ψυχάς; […] δέδεικται δὴ καὶ ἀναγωγὸν φύσει τὸ τῶν ἀκτίνων τοῦ θεοῦ διά τε τῆς φανερᾶς ἐνεργείας καὶ τῆς ἀφανοῦς, ὑφ̓ ἧς παμπληθεῖς ἀνήχθησαν ψυχαὶ τῶν αἰσθήσεων ἀκολουθήσασαι τῇ φανοτάτῃ καὶ μάλιστα ἡλιοειδεῖ.108 Die Sonne zieht durch ihre lebenerzeugende, wunderbare Wärme von der Erde alles empor, ruft es zu sich und läßt es wachsen; bis zur äußersten Feinheit unterscheidet sie die Körper 105 Ob es angesichts dessen richtig ist, die Gewandgabe für den Aufstieg in gnostischen Texten mit Peel, Epistle to Rheginos, 145, als „Verkleidung“ zu bezeichnen, ist fraglich. 106 Siehe dazu unten 3.4.3. 107 Vgl. die Einleitung in den Text bei Wright, LCL 13, 441. 108 Vgl. auch den „Hymnus an den König Helios“, Or. 4,152a–b: γινόμενοι γὰρ ἐξ αὐτοῦ τρεφόμεθα παῤ ἐκείνου. τὰ μὲν οὖν θειότερα καὶ ὅσα ταῖς ψυχαῖς δίδωσιν ἀπολύων αὐτὰς τοῦ σώματος, εἶτα ἐπανάγων ἐπὶ τὰς τοῦ θεοῦ συγγενεῖς οὐσίας, καὶ τὸ λεπτὸν καὶ εὔτονον τῆς θείας αὐγῆς οἷον ὄχημα τῆς εἰς τὴν γένεσιν ἀσφαλοῦς διδόμενον καθόδου ταῖς ψυχαῖς ὑμνείσθω τε ἄλλοις ἀξίως καὶ ὑφ̓ ἡμῶν πιστευέσθω μᾶλλον ἢ δεικνύσθω („Denn aus ihm [sc. Helios] sind wir, und er ernährt uns. Die göttlichen Gaben und alles, was er den Seelen schenkt, ihre Erlösung von den Banden des Leibes, ihre Emporführung zu den Substanzen, die dem Gotte verwandt sind, das sichere Geleit in die Welt des Werdens auf dem feinen, wohlgebauten Wagen des göttlichen Glanzes, das alles mag von den anderen würdig besungen und von uns mehr geglaubt als bewiesen werden“, Übers. Mau). Zu den Reden vgl. auch Stenger, Hellenistische Identität, 333–354.

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3. Rheginusbrief

und macht die Dinge leicht, die von Natur nach unten gezogen werden. Diese Erscheinungen kann man auch zum Beweise für ihre unsichtbaren Kräfte anführen. Denn wie sollte sie, die in den Körpern durch die körperliche Wärme so wirkt, nicht vermöge ihrer unsichtbaren Substanz, die durchaus körperlos, göttlich und rein ist, und die in ihren Strahlen ruht, die glücklichen Seelen zu sich ziehen und emporheben? […] Bewiesen ist auch, daß die Strahlen unseres Gottes von Natur die Fähigkeit besitzen, nach oben zu ziehen, weil ihnen eine sichtbare und unsichtbare Kraft innewohnt, die infolge ihres herrlich leuchtenden Sonnenglanzes die vielen Seelen von der Sinnlichkeit nach oben zieht.109

Dem Text kann entnommen werden, dass man in der Spätantike den Sonnenstrahlen eine besondere Wirkung auf die materielle Welt zuschreiben konnte: Julian preist die körperlose, reine und göttliche Substanz der Sonne, die sich auch in ihren Strahlen wiederfindet und die ihr die Fähigkeit verleiht, „Dinge leicht zu machen“ und auf diese Weise emporzuheben. Im Unterschied zum Rheginusbrief sind die Menschen hier nicht mit den Strahlen selbst verglichen, sondern können diese auf sich wirken lassen. Die Strahlen der Sonne können am leichteren Element im Menschen, etwa seiner Seele, so wirksam werden, dass sie sie nach oben ziehen. Beobachtungen aus der Natur und an der Sonne konnten so ein Konzept für das Weiterexistieren der Seele nach dem Tod des Leibes bereitstellen.110 Zuletzt soll eine Passage aus dem „Buch des Thomas“ (Liber Thomae) erwähnt sein, der letzten Schrift des Codex II aus Nag Hammadi (II,7), die als Teil der Judas-Thomas-Tradition eventuell aus Ostsyrien stammt. Sie interpretiert den Auf- und Untergang des „sichtbaren Lichts“ (wohl der Sonne) als Analogie zum Weg der Auserwählten.111 Vergleichspunkt ist die nur vorübergehende Existenz in der Welt und der anschließende Rückzug. Die Schrift beginnt zunächst als Dialog zwischen dem auferstandenen Jesus und Judas Thomas über ethische und eschatologische Themen und geht dann in eine Jesusrede über.112 Im Dialogteil wird der Untergang des Lichts als Vorbild und Beispiel für die Rückkehr der Erwählten in den himmlischen Bereich ausgelegt (LibThom NHC II,7 p. 139): Thomas aber antwortete: „[…] Du aber, unser Lichtglanz, bist es, der leuchtet, o Herr!“ Jesus sprach: „Nur kraft des Lichtes gibt es das Licht.“ Thomas ergriff das Wort und sagte: „Herr! Das sichtbare Licht, das doch um der Menschen willen scheint, weswegen geht es nicht nur auf, sondern auch wieder unter?“ Der Heiland sprach: „O seliger Thomas! Ja, allein um euretwillen scheint dies sichtbare Licht, aber nicht damit ihr an diesem Ort bleibt, sondern damit ihr euch aus ihm zurückzieht. Wenn aber alle Auserwählten das tierische Wesen ab-

109 Übers.

Mau. Or. 5,169b sind die Menschen bereits von Natur aus οὐράνιοι, sie sind vom Himmel gekommen und auf die Erde herabgefallen. Vgl. Mau, Religionsphilosophie, 15. 111 Vgl. Schenke, NHD 1, 281, der anfügt, dass die im Thomasbuch enthaltene Tradition jedoch alexandrinischer Herkunft sei. Das Incipit des Thomasbuches setzt das Thomasevangelium schon voraus und kann daher erst später entstanden sein (2. / 3. Jh.). 112 Vgl. Schenke, NHD 1, 281. 110 Nach

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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gelegt haben, dann wird (auch) dies Licht nach oben, in seine Heimat, zurückkehren. Und die Heimat wird es (wieder) aufnehmen, weil es ein guter Diener war.“113

Die wenigen hier zitierten Beispiele, in denen die Sonne, ihre Strahlen bzw. das Licht und seine Wirkungen auf der Erde für christologische und soteriologische Aussagen verwendet werden, lassen erkennen, dass auch der Sonnenvergleich im Rheginusbrief in vielen Zügen bekannte Motivik aus der Umwelt aufgreift. Der Brief interpretiert diese Motive gleichwohl originell. Einige Aspekte seiner Rezeption wurden bereits herausgearbeitet: Der Sonnenvergleich ist auf das Pauluszitat aus Rheg p. 45,23–28 bezogen und führt es weiter aus. Vor dem Hintergrund der Ergehensgemeinschaft mit dem Erlöser schildert der Verfasser mit dem Sonnenvergleich, wie die Glaubenden durch das Heilswerk des Erlösers, vor allem durch seine Auferstehung, selbst schon Anteil an der Auferstehungswirklichkeit bekommen und dem himmlischen Bereich zugehören. Im größeren Kontext setzt sich der Rheginusbrief mit möglichen Zweifeln an der Realität der Auferstehung auseinander und kehrt dabei die Kritik um, die sie für eine bloße Illusion erklärt. Der Wirklichkeitssicht des Verfassers zufolge ist vielmehr die Welt eine Illusion, während die Auferstehung „etwas Wahres ist“ (p. 48,10–16): ⲙ̅ⲡⲱⲣ ⲁⲙⲉⲩⲉ ⲁⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ϫⲉ ⲟⲩⲫⲁⲛⲧⲁⲥⲓⲁ ⲧⲉ ⲟⲩⲫⲁⲛⲧⲁⲥⲓⲁ ⲉⲛ ⲧⲉ ⲁⲗⲗⲁ [ⲟ]ⲩⲙⲏⲉ ⲧⲉ ⲛ̅ϩⲟⲩⲟ ⲛ̅ⲇⲉ ⲟⲩⲡ̣ⲉⲧⲉⲥϣⲉ ⲡⲉ ⲁϫⲟⲟⲥ ϫⲉ ⲟⲩ ⲫⲁⲛⲧⲁⲥⲓⲁ ⲡⲉ ⲡⲕⲟⲥⲙⲟⲥ ⲛ̅ϩⲟⲩⲟ ⲁⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ […]. Denke nicht, dass die Auferstehung eine Phantasie ist! Sie ist keine Phantasie, sondern etwas Wahres. Eher aber ziemt es sich zu sagen, dass der Kosmos eine Illusion ist, mehr als die Auferstehung […].

Dem Illusionscharakter der Welt entspricht, dass sich die gegenwärtige Existenz der Glaubenden nur dem Anschein nach im Kosmos manifestiert, tatsächlich aber im Himmel bei Christus anzusiedeln ist. Der jetzt sichtbare Zustand ist also nur etwas Unwirkliches und Vorübergehendes, das weniger Realitätsgehalt beanspruchen kann. Dass die Glaubenden schon „mit Christus in den Himmel aufgestiegen sind“, wie „der Apostel sagt“, bedeutet für den Verfasser des Rheginusbriefes, dass sie in Wahrheit schon jetzt Teil des Raumes sind, in dem der Erlöser wirkt, und sie ihn „tragen wie ein Gewand“ und als seine „Strahlen“ nicht mehr zum Kosmos gehören, auch wenn sie noch in ihm leben. Sie tun dies lediglich in einer Weise, in der auch das Licht die Erde berühren und auf ihr durch Wärme und Erleuchtung wirken kann. Ihre wahre Zugehörigkeit aber offenbaren sie im Moment des Todes, wenn sie von der Welt weg in den Himmel gezogen werden, ohne von etwas aufgehalten zu werden. Die Ergehensgemeinschaft, in die die Christen durch ihr Mitsterben und Mitauferstehen mit Christus treten, wird im Rheginusbrief also vor allem räumlich, im Sinne einer Trennung von der Sphäre der Welt und als Übergang in eine neue Sphäre ausgelegt. Da die verschiedenen Bereiche aber auch jeweils Herr113 Übers.

Schenke. Spezifisch gnostische Vorstellungen sind nicht enthalten.

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3. Rheginusbrief

schaftsräume markieren, ist die Zugehörigkeit der Glaubenden zum Himmel auch als Herrschaftswechsel zu verstehen, in dessen Folge die Glaubenden den Mächten der irdischen Sphäre schon jetzt entzogen sind.114 3.4.3 Konsubstantialität der Glaubenden mit dem Erlöser? Das „Tragen des Erlösers“ und der Vergleich mit der Sonne und ihren Strahlen könnten darauf schließen lassen, dass der Verfasser die Erwählten als wesensmäßig identisch mit dem Erlöser beschreiben will. Die Gewandmetaphorik und die Existenz der Glaubenden als seine „Strahlen“ lassen sich potentiell in dieser Weise deuten, und das Sonnengleichnis scheint nahezulegen, dass die Glaubenden nicht nur ihr Ziel, sondern auch ihren Ursprung bei Christus haben und Tod und Auferstehung als Rückkehr zu ihm interpretiert werden. So verstanden auch die Erstherausgeber die Passage in Rheg p. 45,28–39. Ihnen zufolge setzt dieser Gedanke einer Konsubstantialität in der göttlichen Natur zwischen dem Erlöser und den Glaubenden die „paulinische Mystik“ des Pauluszitats (d. h. das Mitsterben und Mitauferstehen der Täuflinge in der Taufe) in einer neuen Richtung fort.115 Die Glaubenden würden bei ihrer Auferstehung wieder in ihren Ursprung, Christus, zurückkehren.116 Tatsächlich lassen sich antike Texte finden, die mit dem Sonnenvergleich ei­ ne innertrinitarische Konsubstantialität veranschaulichen. Tertullian verwen­ det in Prax. 8,6 unter anderem Sonnenmetaphorik, um mit ihr das Verhältnis von Vater und Sohn zu illustrieren: Daher bekenne ich gemäß der Gestalt dieser Beispiele, Gott und sein Wort, den Vater und seinen Sohn als zwei zu bezeichnen: […] auch Sonne und Strahl sind zwei Gestalten, die aber zusammenhängen.117

Weiter gingen – nach dem Zeugnis des Epiphanius – Sabellius und seine Anhänger. In Pan. 62,1,4–8 beschreibt Epiphanius ihre Ansichten über die Trinität, wonach Gottvater und Sohn sich wie die Sonne zu ihren Strahlen verhalten: Denn er (und die von ihm kommenden Sabellianer) lehrt, dass der Vater derselbe ist, der Sohn derselbe ist und der Heilige Geist derselbe ist, als seien in einem Wesen gewissermaßen drei Benennungen […]. Oder es sei wie bei der Sonne, die nur ein Wesen habe, aber drei Wirkungen, nämlich das Licht und die Wärme und die im Umlauf befindliche Gestalt selbst. Und die Wärme, die Hitze und das Siedende sei der Heilige Geist, das Erleuchtende der Sohn, der Vater selbst aber sei die Form des ganzen Wesens. Er sandte den Sohn zu einer Zeit wie 114 Das wird sich künftig nach Auffassung des Rheginusbriefes auch kosmologisch, als Verschlingen des Todes und als „Verwandlung in Neuheit“ (ⲟⲩⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲩⲙⲛ̅ⲧⲃⲣ̅ⲣⲉ, p. 48,36–38), offenbaren. 115 Vgl. Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, xvii–xviii, xxi. Vgl. auch Haardt, Abhandlung über die Auferstehung, 265f. 116 Vgl. Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, xiv. 117 Tertullian, Prax. 8,6: Igitur secundum horum exemplorum formam profiteor me duos licere deum et sermonem eius, patrem et filium ipsius […] et sol et radius duce formae sunt sed cohaerentes.

3.4 Die Gemeinschaft der Glaubenden mit dem Erlöser

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einen Strahl, und nachdem er alles in der Welt bewirkte, den Heilsplan des Evangeliums und die Rettung der Menschen, wurde er wieder aufgenommen wie ein Strahl, der von der Sonne gesandt wird und wieder zur Sonne emporläuft.118

Beide zitierten Texte verwenden die solare Symbolik für eine innertrinitarische Verhältnisbestimmung und für Aussagen über das Wesen der Trinität. Demgegenüber ist die Sonnensymbolik des Rheginusbriefes vor allem zur Illustration eines Vorgangs verwendet. Der Sonnenvergleich soll die im Pauluszitat vorgegebene Ergehensgemeinschaft auslegen und vor diesem Hintergrund auch den Auferstehungsprozess illustrieren. Es geht in erster Linie darum, in welcher Weise die Glaubenden schon gegenwärtig zum himmlischen Bereich gehören, auch wenn sie noch in der Welt existieren, und wie sie am Ende ihres Lebens in den Himmel aufsteigen. Dabei dienen dem Verfasser die Eigenschaften der Sonnenstrahlen, die gleichzeitig an verschiedenen Orten sein können, grundsätzlich aber in den himmlischen Bereich gehören und beim Sonnenuntergang dorthin verschwinden, als entscheidende Vergleichspunkte. Weder beschreibt der Verfasser die Natur des Erlösers als „Licht“ oder „Sonne“ näher noch bestimmt er die Natur der Glaubenden als „lichthaft“ oder lässt sie von der Sonne herstammen und von ihr auf die Erde gesandt sein. Dies könnte nun daran liegen, dass er ohnehin nur im Vergleich von der Sonne und ihren Strahlen spricht. Aber auch auf der sachlichen Ebene trifft der Verfasser nirgends eine Aussage über das Wesen des Erlösers und der Glaubenden. Hierin unterscheidet er sich ebenfalls markant von dem oben zitierten Beispiel aus den Lehren des Silvanus, das, um die Allgegenwart Christi zu veranschaulichen, in Silv 7,8 (NHC VII,4 p. 99) auf die eine Substanz zu sprechen kommt, die wie Strahlen jeden Ort beleuchten können. Im Rheginusbrief werden die Glaubenden als „Strahlen“ gerade nicht als Teil oder Wirkweise einer einzigen Substanz bestimmt. Im Vordergrund steht vielmehr die entstandene Gemeinschaft zwischen dem Erlöser und den Glaubenden, die der Rheginusbrief mit dem Bild der Sonne und ihren Strahlen veranschaulicht und auf das Heilsgeschehen zurückführt. In dieser Hinsicht scheint der Sonnenvergleich im Rheginusbrief eher mit dem deuteropaulinischen Bild von Christus als dem Haupt und der Gemeinde als den Gliedern verwandt, d. h. er ist besser im Sinne 118 Epiphanius, Pan. 62,1,4–8: Δογματίζει γὰρ οὗτος καὶ οἱ ἀπ’ αὐτοῦ Σαβελλιανοὶ τὸν αὐ­τὸν εἶναι πατέρα, τὸν αὐτὸν εἶναι υἱόν, τὸν αὐτὸν εἶναι ἅγιον πνεῦμα, ὡς εἶναι ἐν μιᾷ ὑπο­ στάσει τρεῖς ὀνομασίας […] ἢ ὡς ἐὰν ᾖ ἐν ἡλίῳ, ὄντι μὲν ἐν μιᾷ ὑποστάσει, τρεῖς δὲ ἔχοντι τὰς ἐνεργείας, φημὶ δὲ τὸ φωτιστικὸν καὶ τὸ θάλπον καὶ αὐτὸ τὸ τῆς περιφερείας σχῆμα. καὶ εἶ­ναι μὲν τὸ θάλπον εἴτ’ οὖν θερμὸν καὶ ζέον τὸ πνεῦμα, τὸ δὲ φωτιστικὸν τὸν υἱόν, τὸν δὲ πα­τέρα αὐτὸ εἶναι τὸ εἶδος τῆς πάσης ὑποστάσεως. πεμφθέντα δὲ τὸν υἱὸν καιρῷ ποτε ὥσπερ ἀκ­τῖνα καὶ ἐργασάμενον τὰ πάντα ἐν τῷ κόσμῳ τὰ τῆς εὐαγγελικῆς οἰκονομίας καὶ σωτηρίας τῶν ἀνθρώπων ἀναληφθῆναι αὖθις εἰς οὐρανόν, ὥσπερ ὑπὸ ἡλίου πεμφθείσης ἀκτῖνος καὶ πά­λιν εἰς τὸν ἥλιον ἀναδραμούσης. Dem Zeugnis des Epiphanius zufolge hat Sabellius also nicht nur die Konsubstantialität von Vater und Sohn behauptet, sondern beide als verschiedene Erscheinungsweisen und Wirkmodi ein und derselben ὑπόστασις bekannt.

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3. Rheginusbrief

eines dynamischen, durch das Heilsgeschehen begründeten Heilsorganismus zu verstehen.119 Dass es im Rheginusbrief nicht um eine Bestimmung des Wesensverhältnisses zwischen dem Erlöser und den Glaubenden geht und sich aus dem Sonnenvergleich keine Substanzidentität ableiten lässt, wird auch durch andere Textpassagen des Rheginusbriefes bestätigt. Wenn die Zugehörigkeit der Adressaten zum Erlöser in Rheg p. 45,32f. durch die Passivform von ⲙⲁϩⲧⲉ näher umschrieben wird, so ist hier eine Aktivität des Erlösers, sein Handeln an den Glaubenden vorausgesetzt. Die Zugehörigkeit der Glaubenden zum himmlischen Raum wird aktiv herbeigeführt und ist nicht naturgegeben. Auch die hervorgehobene Stellung des Pauluszitats als Überschrift des gesamten Abschnitts, um den es hier geht, unterstreicht dies: Das Pauluszitat bindet die Weggemeinschaft der Glaubenden mit Christus an Jesu Auferstehung und insgesamt an das Heilswerk des Erlösers.120 Die anschließende, eigenständige Auslegung des Zitats im Rheginusbrief bleibt dem Grundgedanken weiterhin treu. Im größeren Kontext zeigt sich schließlich, dass die Glaubenden auch nach der Auferstehung ihre Individualität beibehalten, sie also nicht in Christus „aufgehen“ und sich mit ihm zu einem einzigen Wesen vereinen. Das legt der Rekurs auf die Verklärungsgeschichte in Rheg p. 48,3–11 nahe, die in dem Traktat als Auferstehungsbeweis fungiert (vgl. Mk 9,2–8; Mt 17,1–8; Lk 9,28– 36). Mose und Elia bleiben als individuelle Gestalten erkennbar, was so zu verstehen ist, dass die Auferstehung nicht als Aufstieg des „reinen Geistes“ nach dem Tod vorgestellt wird.121 Nicht zuletzt ist die Erwartung einer zweiten Fleischesgabe nach dem Ablegen des irdischen Fleisches beim Tod eine Anschauung, die sich mit Konsubstantialität nicht vereinbaren lässt.122 Denn aus dem Brief geht nirgends hervor, dass auch Christus nach seiner Auferstehung ein neues Fleisch oder einen besonderen Leib annahm und die Glaubenden an diesem Leib durch ihre Auferstehung Anteil bekommen.

119 Siehe dazu unten 3.5 zur Rezeption von Paulustradition und zu den Abweichungen vom Leibbild der Deuteropaulinen. 120 Dass die Glaubenden den Erlöser wie ein Gewand tragen, ist ein Ergebnis des Heilsgeschehens und vermutlich ebenfalls vor dem Hintergrund von Paulustradition zu verstehen. Es wird nirgends gesagt, dass die Glaubenden damit die Natur des Erlösers angenommen haben. 121 Vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 147; Skiba, Treatise on the Resurrection, 57. 122 Ablehnend steht auch Peel der Auffassung der Ersteditoren gegenüber und weist sie mit der Begründung zurück, dass nach der Meinung des Verfassers des Rheginusbriefes Chris­ tus und die Glaubenden nicht substanzhaft gleich seien, sondern nur hinsichtlich ihrer Herkunft aus dem Pleroma. Dem Sonnengleichnis (das eben auch nur ein Gleichnis ist), liege der Gedanke einer „hypostatischen Differenzierung des Einen“ zugrunde (hier nimmt Peel, Epistle to Rheginos, 138f., einen Begriff von Colpe, Die religionsgeschichtliche Schule, 94f.115ff.185f., auf).

3.5 Die Rezeption von Paulustradition

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3.5 Die Rezeption von Paulustradition Die Interpretation der Erstherausgeber, nach der der Rheginusbrief „paulinische Mystik“ gnostisch auslegt und auf Basis einer Substanzidentität des Erlösers mit den Glaubenden eine valentinianische Konzeption realisierter Eschatologie entwickelt, wie sie auch in 2 Tim 2,18 begegnet,123 wird heute kaum noch vertreten. Aber die Beziehungen des Briefes zu paulinischem Gedankengut werden nach wie vor kontrovers diskutiert. Die Auseinandersetzung bewegt sich im Spektrum zwischen der These einer besonders engen Anlehnung an paulinische Theologie einerseits und einer bloß äußerlichen Verwendung paulinischer Begriffe für völlig andere Inhalte andererseits. Nach Edwards, einem Vertreter der erstgenannten Richtung, rechnet der Verfasser des Rheginusbriefes wie Paulus mit einer leiblichen Auferstehung.124 Der Autor des Rheginusbriefes stimme mit Paulus in der Vorstellung eines „inneren Menschen“ (2 Kor 4,16) als Sitz von Glauben und Tugend überein, welcher einen neuen, besseren Leib bekomme, wenn sich der alte auflöst. Nichts weist nach Edwards darauf hin, dass die Metaphern vom „inneren Menschen“ und von den „Gliedern“ aus dem 2. Korinther- und Kolosserbrief im Rheginusbrief wörtlicher genommen werden.125 Etwas differenzierter urteilt Peel, der zwar ebenfalls von einer intensiven Paulusrezeption im Rheginusbrief ausgeht, aber auch grundlegende Unterschiede zwischen Paulus und dem Verfasser des Rheginusbriefes benennt. So erwarte der Verfasser des Rheginusbriefes keine allgemeine Totenauferweckung, sondern eine Auferstehung unmittelbar nach dem individuellen Tod, ohne eine Zwischenphase des Schlafens oder Ähnliches. Außerdem spiele die Sün­de als Ursache des Todes im Rheginusbrief keine Rolle.126 Zu den Skeptikern gegenüber paulinischer und generell biblischer Fundierung des Briefes gehört auf der anderen Seite Layton, für den die Nähe zu biblischen Texten bloß auf äußeren terminologischen Übereinstimmungen beruht, aber die platonisch geprägten Grundstrukturen der Gedanken des Verfassers nicht berühre.127 123 Vgl.

Malinine / Puech / Quispel / Till / Wilson / Zandee, De Resurrectione, xiii. Edwards, Epistle to Rheginus, 79–82. 125 Vgl. Edwards, Epistle to Rheginus, 81f. Auch die Bildsprache des „Verschlingens“ in Rheg p. 45,14f.19f.; p. 46,1; p. 49,3f., die Gegenüberstellung von Pneumatikern und Psychikern, das Wissen, dass die ewigen Dinge unsichtbar sind, dass der vergängliche Leib in die Erde gesät wird und als geistiger Leib aufersteht, all das stammt Edwards zufolge aus paulinischer Theologie. „Nothing is more certain than that the author of this treatise was attempting to think like Paul“ (ebd., 83). Nach Edwards liegt der Verfasser des Rheginusbrie­fes also gedanklich und konzeptionell ganz auf der Linie der Paulusbriefe (79–87). Das ist allerdings eine sehr verkürzte Wahrnehmung der Paulusverarbeitung in dieser Schrift und beruht vor allem auf einer einseitig ausgerichteten Paulusexegese. 126 Vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 122. 127 Vgl. Layton, Gnostic Treatise, 5.60 u. ö. 124 Vgl.

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3. Rheginusbrief

Die Diskussion zeigt, dass die Verhältnisbestimmung des Rheginusbriefes zu Paulus immer auch von der jeweiligen Interpretation der Paulusbriefe und paulinischer Theologie abhängt. Die Thesen der Erstherausgeber spiegeln dabei noch einen älteren, mittlerweile überholten Stand in der Paulusforschung wider, aber von einem Konsens hinsichtlich der Auferstehungsvorstellungen der Paulustradition und des Verhältnisses von futurischen und präsentischen Elementen in der Eschatologie der Paulusüberlieferung kann auch gegenwärtig keine Rede sein. Eine inhaltliche Nähe des Rheginusbriefes zur paulinischen Tradition ist (entgegen der Ansicht Laytons) nicht von der Hand zu weisen, denn schon allein das für die Argumentation des mittleren Briefteils zentrale Apostelzitat zeigt, dass paulinisches Gedankengut nicht nur oberflächlich aufgenommen wurde. Die Auslegung der Paulusbriefe in dem Nag-Hammadi-Text mag fremdartig erscheinen, aber man kann davon ausgehen, dass der Verfasser sich im Horizont paulinischen Denkens verortet sah. Viele Untersuchungen des Rheginusbriefes widmen sich denn auch den Analogien und Parallelen zu den Paulusbriefen, wobei sie in der Regel den Fokus auf 1 Kor 15 richten, weil sich Paulus dort ausführlich und programmatisch mit der Auferstehung auseinandersetzt und sich diese thematische Ausrichtung natürlich eng mit dem Rheginusbrief berührt.128 Nach Andreas Lindemann ist wegen der gehäuften terminologischen Berührungen zwischen Rheg p. 45,14–23 und 1 Kor 15,51–55 sogar anzunehmen, dass der Rheginusbrief den Paulustext gewissermaßen kommentiert. Tatsächlich greift der Rheginusbrief auf Motive und Termini aus 1 Kor 15 zurück, er verarbeitet das Bild des „Verschlingens“ (des Todes), die Antithetik des natürlichen und des pneumatischen Leibes und die Vorstellung vom Tragen des Bildes des himmlischen Menschen.129 Vor allem das Motiv des Verschlingens (ⲱⲙⲛ̅ⲕ) ist im Rheginusbrief dominant: So hat der Erlöser den Tod (p. 45,14f.) und das Sichtbare durch das Unsichtbare verschlungen (p. 45,19f.), die geistige Auferstehung verschlingt die seelische und die fleischliche (p. 45,40–46,2), und schließlich verschlingt das Licht die Finsternis (p. 49,3f.). Auf allen drei Handlungsebenen, die der Rheginusbrief entfaltet – nämlich die Ebene des zurückliegenden Wirkens des Erlösers, die Ebene der Auferstehung der Glaubenden und die Ebene der uni128 Vgl.

Craig, Anastasis, 475; Skiba, Treatise on the Resurrection, 53–61; Lindemann, Pau­lus im ältesten Christentum. 129 Nach Lundhaug, Conceptualizations of Death and Transformation, 191, ist über die genannten Motive hinaus auch der Eintritt in diese Welt und das Verlassen dieser Welt und der Aufstieg zum Äon (Rheg p. 47,5–8) vergleichbar mit dem Säen und „Aufgehen“ beim Auferstehen (1 Kor 15,44). Zwar sind die hier übereinstimmenden sprachlichen Bilder in frühchristlicher Literatur breiter bezeugt und daher für sich genommen vielleicht nicht spezifisch genug, aber in ihrer Zusammenstellung und ihrem Zusammenhang mit dem Auferstehungsthema doch zu markant, als dass man gegen die Kenntnis von 1 Kor 15 im Rheginusbrief argumentieren könnte.

3.5 Die Rezeption von Paulustradition

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versalen, kosmischen Verwandlung –, wird das Motiv des Verschlingens relevant und zeigt den inneren Zusammenhang zwischen diesen verschiedenen Phasen der Erlösung. Im Prätext in 1 Kor 15,54 ist καταπίνω, „verschlingen“, Bestandteil des Zitats aus Jes 25,8 LXX. Dieses schließt im 1. Korintherbrief die Schilderung der Auferstehung der Toten und der Verwandlung der Lebenden in die Herrlichkeitsexistenz am Ende der Zeit mit einem Schriftwort ab, das den Sieg Gottes über den letzten Feind, den Tod (vgl. 1 Kor 15,26), beschreibt.130 Die Vorstellung vom „Verschlingen“ des Todes geht wahrscheinlich auf ältere Tradition zurück, nach der eigentlich der Tod den Menschen verschlingt. Der Ausdruck fasst die Begräbnispraxis in ein sprachliches Bild: So tut bildlich gesprochen das Totenreich bzw. die Erde ihren Schlund auf und „verschlingt“ die Toten, indem sie sie in sich aufnimmt und verschwinden lässt. Der Ursprung dieses Bildes ist zum Beispiel noch gut erkennbar in der Verwendung von καταπίνω im Mirjam-Lied in Ex 15,12 LXX, wo beschrieben ist, wie die feindliche Streitmacht des Pharao im Wasser versinkt und die Erde sie verschlingt131 (vgl. auch Spr 1,12; Num 16,30; Dtn 11,16 LXX).

Das Verschlingen des Menschen durch den Tod ist als ein existentieller Kampf zwischen beiden vorgestellt, bei dem der Tod den Menschen überwältigt und auf diese Weise besiegt. In Jes 25, einem Teil der sogenannten Jesaja-Apokalypse, und in 1 Kor 15 wird das Bild jedoch umgekehrt: Nicht der Mensch wird hier „verschlungen“ und vernichtet, sondern der Tod ist es, der besiegt wird (κατ­επόθη ὁ θάνατος εἰς νῖκος). Eine andere Bedeutungsnuance liegt der Verwendung von καταπίνω in 2 Kor 5,4 zugrunde: καὶ γὰρ οἱ ὄντες ἐν τῷ σκήνει στενάζομεν βαρούμενοι, ἐφ᾽ ᾧ οὐ θέλομεν ἐκδύσασθαι ἀλλ᾽ ἐπενδύσασθαι, ἵνα καταποθῇ τὸ θνητὸν ὑπὸ τῆς ζωῆς. Hier ist nicht der Tod als Feind Gottes, sondern das Sterbliche am Menschen dasjenige, was verschlungen werden soll, weshalb Paulus den Vorgang anders als in 1 Kor 15,54 nicht als finalen Sieg, sondern als eine Folge des „Überkleidens“ (ἐπενδύσασθαι) beschreibt.132 Mit καταπίνω wird hier nicht das semantische Feld eines Kampfes mit anschließender Vernichtung aufgerufen, sondern die Vorstellung einer Verwandlung des θνητόν. Das Sterbliche soll überwältigt werden von der Macht des Lebens. Die so umschriebene Auferste130 Jes 25,8 LXX: κατέπιεν ὁ θάνατος ἰσχύσας καὶ πάλιν ἀφεῖλεν ὁ θεὸς πᾶν δάκρυον ἀπὸ παντὸς προσώπου τὸ ὄνειδος τοῦ λαοῦ ἀφεῖλεν ἀπὸ πάσης τῆς γῆς τὸ γὰρ στόμα κυρίου ἐλά­λησεν. 131 Ex 15,8–12 LXX: καὶ διὰ πνεύματος τοῦ θυμοῦ σου διέστη τὸ ὕδωρ ἐπάγη ὡσεὶ τεῖχος τὰ ὕδατα ἐπάγη τὰ κύματα ἐν μέσῳ τῆς θαλάσσης εἶπεν ὁ ἐχθρός διώξας καταλήμψομαι με­ ριῶ σκῦλα ἐμπλήσω ψυχήν μου ἀνελῶ τῇ μαχαίρῃ μου κυριεύσει ἡ χείρ μου ἀπέστειλας τὸ πνεῦμά σου ἐκάλυψεν αὐτοὺς θάλασσα ἔδυσαν ὡσεὶ μόλιβος ἐν ὕδατι σφοδρῷ τίς ὅμοιός σοι ἐν θεοῖς κύριε τίς ὅμοιός σοι δεδοξασμένος ἐν ἁγίοις θαυμαστὸς ἐν δόξαις ποιῶν τέρατα ἐξέτεινας τὴν δεξιάν σου κατέπιεν αὐτοὺς γῆ. 132 Gewandmetaphorik wird auch in 1 Kor 15,53 eingebracht: Δεῖ γὰρ τὸ φθαρτὸν τοῦτο ἐν­δύσασθαι ἀφθαρσίαν καὶ τὸ θνητὸν τοῦτο ἐνδύσασθαι ἀθανασίαν.

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3. Rheginusbrief

hung ist kein Resultat der Vernichtung des Todes, sondern des Machterweises und der Transformationskraft des Lebens am Sterblichen.133 Eine vergleichbare Semantik könnte auch dem Gebrauch von ⲱⲙⲛ̅ⲕ in Rheg p. 45,40–46,2 zugrunde liegen: ⲧⲉⲉⲓ ⲧⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲛ̅ⲡⲛⲉⲩⲙⲁⲧⲓⲕⲏ ⲉⲥⲱⲙⲛ̅ⲕ ⲛ̅ⲧⲯⲩⲭⲓⲕⲏ ϩⲟⲙⲟⲓⲱⲥ ⲙⲛ̅ ⲧⲕⲉⲥⲁⲣⲕⲓⲕⲏ. Dies ist die pneumatische Auferstehung, die die psychische ebenso wie die fleischliche verschlingt.

Der Satz bringt den langen, ausführlich behandelten Abschnitt Rheg p. 45,23– 39, der das Apostelzitat und den Sonnenvergleich umfasst, zum Abschluss. Was zuvor mit dem Sonnenvergleich und dem „Untergang in diesem Leben“ umrissen wird, ist nun also in dem Ausdruck „pneumatische Auferstehung“ zusammengefasst. Auffällig ist hier nicht allein der Gebrauch des Motivs vom Verschlingen, sondern auch, dass der Verfasser die Terminologien „pneumatisch“, „psychisch“ und „sarkisch“ auf die Auferstehung anwendet. Die Trias konnte im Umfeld des Rheginusbriefes auf verschiedene Menschenklassen übertragen werden, wie es Irenäus von den Valentinianern berichtet.134 Bei Paulus findet sich bekanntermaßen der Kontrast zwischen dem σῶμα ψυχικόν und dem auferstehungsfähigen σῶμα πνευματικόν (1 Kor 15,44–46). Aus den Kontexten 133 In 2 Kor 2,7 und 1 Petr 5,8 steht καταπίνω außerdem mit der Bedeutung „von etwas überwältigt werden“. 134 Nach Irenäus waren „pneumatisch“, „psychisch“ und „somatisch“ bzw. „sarkisch“ valentinianische Terminologien für die drei Teile des menschlichen Wesens. Die Begriffe, die der Rheginusbrief verwendet, könnten also gerade in dieser Zusammenstellung eine spezifische Tradition haben. Vgl. die Darstellung des ptolemäischen Lehrsystems nach Irenäus, Haer. 1,7,5: „Es gibt drei Arten von Menschen, die pneumatischen, die psychischen und die choischen, wie Kain, Abel und Seth; an diesen weisen sie die drei Naturen nach, und zwar nicht im Einzelmenschen, sondern im ganzen Menschengeschlecht. Das Choische geht auf seine Vernichtung zu. Das Psychische wird, wenn es das Bessere wählt, am Ort der Mitte haltmachen; wählt es aber das Schlechtere, geht es auf das gleiche (Ende) zu. Aber die pneumatischen Elemente, die die Achamoth sei je bis auf diesen Tag in gerechte Seelen einsät, werden hier (auf Erden) erzogen und ernährt, weil sie unentwickelt ausgeschickt wurden, später aber die Vollendung verdienten. Sie werden als Bräute den Engeln des Soter zugeführt, wie sie lehren, während ihre Seelen zwangsläufig zusammen mit dem Demiurgen für immer in der Mitte haltmachen. Aber auch die Seelen selbst unterteilen sie noch einmal: Die einen sind von Natur aus gut, die anderen von Natur aus böse. Und die guten sind diejenigen, die aufnahmefähig sind für den Samen. Die von Natur aus bösen sind aber niemals für den Samen empfänglich“ (Übers. Brox). In valentinianischer Gnosis ist die ψυχή gegenüber dem πνεῦμα, das allein erkennen kann, abgewertet worden, so Irenäus, Haer. 1,21,4: „Darum ist die Gnosis Erlösung des inneren Menschen. Sie ist weder körperlich, denn der Körper ist ja vergänglich, noch psychisch, weil auch die Psyche (Seele) aus dem Mangel entstand und bloß Wohnung für das Pneuma ist. Pneumatisch muss die Erlösung also sein. Denn durch Gnosis wird der innere, pneumatische Mensch erlöst. Und mit der Kenntnis des Alls sind sie zufrieden – und das soll die wahre Erlösung sein“ (Übers. Brox).

3.5 Die Rezeption von Paulustradition

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dieser beiden überlieferten Verwendungsweisen geht hervor, dass Sarkisches und Psychisches von der Herrlichkeitsexistenz ausgeschlossen sind. So muss nach 1 Kor 15 das σῶμα ψυχικόν verwandelt werden, denn nur das σῶμα πνευ­ μα­τικόν ist unvergänglich und unverweslich. Aber was bedeutet eine Übertragung dieser Terminologie auf die ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ? Mit Blick auf Rheg p. 45,40–46,2 wäre zunächst zu klären, ob die Qualifizierung der Auferstehung als ⲡⲛⲉⲩⲙⲁⲧⲓⲕⲏ den Modus der Auferstehung meint oder einfach das Element im Menschen, das aufersteht. Im letztgenannten Fall würde der Rheginusbrief sich stärker an 1 Kor 15,44–46 orientieren und aus den „pneumatischen Leibern“, die auferstehen, eine „pneumatische Auferstehung“ machen. Wie bereits gesehen, bezeichnet der Brief jedoch den unvergänglichen Teil im Menschen sonst nicht als „Pneuma“, sondern spricht vari­ ierend mal vom ⲛⲟⲩⲥ bzw. von den Gedanken (ⲡⲓⲥⲧⲉⲩⲉ), die nicht vergehen werden (Rheg p. 46,21–24), mal von den „inneren Gliedern“, die nach und nach hervortreten, bis sie im Moment des Todes auferstehen (p. 48,1–3). Wahrscheinlicher ist also, dass es dem Verfasser in Rheg p. 46 um eine pneumatische Art des Auferstehens geht. Dafür spricht auch die Position der Aussage am Schluss der Passage über den Aufstieg der Glaubenden: Die Glaubenden sind schon vor ihrem Tod vom Erlöser umfangen. Sie sind seine „Strahlen“, die im Laufe des vergehenden Lebens und Alterns immer sichtbarer werden, bis sie im Moment des Todes besonders klar hervortreten und schließlich in den Himmel emporsteigen. Dieser schon im irdischen Leben einsetzende Prozess, das sukzessive Offenbarwerden oder Durchsetzen einer jetzt schon vorhandenen, aber noch verborgenen Wahrheit, würde dann insgesamt als „pneumatische Auferstehung“ charakterisiert.135 Eine Unterscheidung zwischen einer pneumatischen Auferstehung und irdischen Auferweckungen ist bei Clemens von Alexandrien in den Excerpta ex Theodoto belegt, die einzige Stelle, die neben dem Rheginusbrief von einer πνευματικὴ ἀνάστασις spricht (zu IgnSm 12,2 vgl. oben Kap. 2). Bei Theodot geht es im Kontext um die überlieferten Totenauferweckungen durch den irdischen Jesus. Die Toten bzw. die an ihnen vollbrachten Auferweckungen seien ein Bild der „geistigen Auferstehung“ (vgl. Exc. 7,5: εἰκόνα τῆς πνευματικῆς ἀνα­στά­ σε­ως ποιήσας τοὺς νεκροὺς οὓς ἤγειρεν). Die „irdischen“ Auferweckungen weisen so zwar auf die künftige pneumatische Auferstehung voraus, bleiben aber selbst etwas Vorläufiges. Irdische und pneumatische Auferstehung unterscheiden sich darin, dass nur letztere zu ewigem Leben führt.136

Das Motiv des „Verschlingens“ stellt nun die pneumatische Auferstehung der psychischen und fleischlichen Auferstehung als überlegen dar. Der Verfasser 135 Vgl. auch Thomassen, Spiritual Seed, 85: „That is to say that from one point of view the resurrection of the Saviour is an act that effectively brings about their resurrection, from another point of view it simply reveals the identities of the elect as essentially spiritual, preexistent beings – their pre-established resurrectedness, as it were.“ 136 Vgl. auch Clemens, Exc. 61,5–8, wo es heißt, dass zwar das psychische Element aufersteht und gerettet wird, aber die Pneumatiker eine noch höhere Rettung erlangen, indem sie die Seelen als „Hochzeitsgewänder“ empfangen werden.

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3. Rheginusbrief

scheint demnach verschiedene Arten der Auferstehung vorauszusetzen, die er zueinander ins Verhältnis setzt. Vielleicht bezieht er sich mit der „fleischlichen“ bzw. „seelischen“ Auferstehung auf eine Debatte um diverse Vorstellungen von Auferstehung – eine Auferstehung des Fleisches oder eine des Geis­ tes –, wie sie auch in der Spruchgruppe des Philippusevangeliums zur Auferstehung (EvPhil 23, NHC II,3 p. 56,23–57,19) widergespiegelt sind. Für den Rheginusbrief sind beide Formen der Auferstehung defizitär und werden von der geistigen Auferstehung übertroffen.137 Vor dem Hintergrund der Bedeutungsnuancen von καταπίνω bzw. ⲱⲙⲛ̅ⲕ stellt sich die Frage, ob der Verfasser mit dem Verbum ⲱⲙⲛ̅ⲕ in Rheg p. 45,40– 46,2 die Vernichtung der fleischlichen und seelischen Auferstehung beschreiben will oder die transformierende Aufnahme und das Eingehen der fleischlichen und seelischen in die pneumatische Auferstehung erwartet (vielleicht sogar als ein Einswerden von Geist, Seele und Fleisch).138 Die Beschreibung der kosmischen Auswirkungen der Auferstehung am Ende des Briefes in Rheg p. 48,30–49,7 antizipiert eine universale „Verwand­ lung in die Neuheit“ (ⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲩⲙⲛ̅ⲧⲃⲣ̅ⲣⲉ), eine „Transformation der Dinge“ (ⲡϣⲃ̅ⲉⲓⲉ ⲡⲉ ⲛ̅ⲛ̅ϩⲃⲏⲩⲉ) und damit die Füllung des Mangels durch das Ple­roma und die Überwindung des Vergänglichen durch das Unvergängliche. Die Größen, die dabei überwunden werden, haben kein eigenes, wirkliches Sein und können daher auch nicht eigentlich „vernichtet“ werden. Es ist daher näherliegend, dass Rheg p. 45,40–46,2 mit einem zukünftigen „Aufgehen“ der fleischlichen und seelischen Auferstehung in der geistigen Auferstehung rechnet, wie sie zuvor beschrieben ist. Neben dem Motiv des „Verschlingens“ ist auch die Vorstellung vom „Tragen des Erlösers (wie ein Gewand)“ in Rheg p. 45,30f., wie bereits bei der Besprechung von Rheg p. 45,28–46,2 gesehen, von Paulustradition inspiriert.139 Während das „Tragen des Bildes des Himmlischen“ in 1 Kor 15,49 Teil der eschatologischen Neuschöpfung des Menschen ist, macht der Auferstehungstrakat das „Tragen des Erlösers“ zu einer Aussage über den gegenwärtigen Zustand der Glaubenden, der davon gekennzeichnet ist, dass diese während ihres Lebens im Kosmos vom Erlöser umfangen werden (und damit potentiell unangreifbar für kosmische Mächte sind, vgl. p. 45,32–34). Als Beschreibung ihres gegenwärtigen Zustands zeigt das Motiv eine größere Nähe zu den Imperativen in Kol 3,9f. und Eph 4,24, die die zum Glauben Gekommenen auffordern, den „neuen Menschen anzuziehen“. Überhaupt besitzt die präsentische Ausrichtung, mit der der gegenwärtige Heilsstatus der Glaubenden im Rheginusbrief geschildert ist, mehr Gemeinsamkeit mit dem deuteropaulinischen 137 Nach Edwards, Epistle to Rheginus, 80, meint das Verschlingen, dass vorläufige Hoffnungen (wie die auf eine fleischliche Auferstehung) von vollkommenen Einsichten (hier in die geistige Auferstehung) überwunden werden. 138 So Gaffron, Apologie des Auferstehungsglaubens, 226f. 139 Vgl. hier auch Röm 13,14: ἐνδύσασθε τὸν κύριον Ἰησοῦν Χριστόν.

3.5 Die Rezeption von Paulustradition

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Kolosser- und Epheserbrief als mit 1 Kor 15.140 Die Nähe zum Kolosser- und Epheserbrief zeigt sich nicht nur an der Bekleidungsmetaphorik und der Zitatparaphrase, die das gegenwärtige „Auferstandensein“ mit Christus betont (vgl. Rheg p. 45,24–34; 49,15f.22f. mit Kol 3,1; Eph 2,5f.), sondern auch an weiteren Motiven. Zu ihnen gehören das „Töten und Ablegen der alten Glieder“ (Kol 3,5; vgl. Rheg p. 47,38–48,3), das „oben bei Christus“ verborgene Leben der Glaubenden (Kol 3,3) und deren zukünftiges Offenbarwerden, wenn sich auch Christus offenbaren wird (Kol 3,4; vgl. zu den letztgenannten Aspekten den Sonnenvergleich des Rheginusbriefes), sowie die Aufforderung, sich an das zu halten, was „droben“ ist (Kol 3,2; vgl. Rheg p. 49,9–15), und sich den Mächten der Welt als gestorben zu betrachten (Kol 2,20; vgl. Rheg p. 49,11f.). Was also den Vergleich mit der Paulusüberlieferung betrifft, so ist die Basis der Auferstehungskonzeption im Rheginusbrief weniger an 1 Kor 15 als am Kolosser- und Epheserbrief orientiert.141 140 Kol 3,9f.: ἀπεκδυσάμενοι τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον σὺν ταῖς πράξεσιν αὐτοῦ καὶ ἐνδυ­ σά­μενοι τὸν νέον τὸν ἀνακαινούμενον εἰς ἐπίγνωσιν κατ’ εἰκόνα τοῦ κτίσαντος αὐτόν. Eph 4,22–24: ἀποθέσθαι ὑμᾶς κατὰ τὴν προτέραν ἀναστροφὴν τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον τὸν φθει­ ρόμενον κατὰ τὰς ἐπιθυμίας τῆς ἀπάτης, ἀνανεοῦσθαι δὲ τῷ πνεύματι τοῦ νοὸς ὑμῶν καὶ ἐν­δύ­σασθαι τὸν καινὸν ἄνθρωπον τὸν κατὰ θεὸν κτισθέντα ἐν δικαιοσύνῃ καὶ ὁσιότητι τῆς ἀλη­θείας. In 1 Kor 15,49 ist dagegen das „Tragen des Bildes des himmlischen (Menschen)“ nicht nur ein erst zukünftiges und eschatologisch erwartetes Ereignis, sondern das Bild lebt dort außerdem von der typologischen Entsprechung zwischen der ersten und der zweiten Schöpfung: καὶ καθὼς ἐφορέσαμεν τὴν εἰκόνα τοῦ χοϊκοῦ, φορέσομεν καὶ τὴν εἰκόνα τοῦ ἐπ­ ουρανίου. Weder die futurische Ausrichtung noch die schöpfungstheologische Rahmung der Aussage passt zum Anliegen des Rheginusbriefes an der diskutierten Stelle. Überhaupt ist zu beobachten, dass wesentliche Inhalte von 1 Kor 15 im Rheginusbrief unberücksichtigt bleiben oder ins Gegenteil verkehrt werden. Denn 1 Kor 15 behandelt die Auferstehung der Toten als ein endzeitliches Ereignis und verortet es in der Heilsgeschichte Gottes seit der Schöpfung, die mit Christus zum Ziel kommt. Die Rückbindung an die Schriften Israels (κατὰ τὰς γραφὰς, vgl. V. 3f.; vgl. auch V. 54) und die Adam-Christus-Typologie (V. 45–49), der durchgehende Bezug auf Gott als Handelndem (explizit allein in V. 10.15.24–28.34.38.57, zudem häufig als Passivum divinum), die aus dem Schöpfungsgedanken entnommenen Veranschaulichungen der leiblichen Auferstehung (V. 36–44) und die Vorstellung der plötzlichen Verwandlung aller Glaubenden bei der endzeitlichen Ankunft Christi sind Aspekte, die im Rheginusbrief ganz ausgeblendet werden, weil sie nicht kompatibel mit der kosmologischen Rahmenvorstellung vom Pleroma und der daraus abgefallenen Welt sind. Auch die Erscheinungen des Auferstandenen vor Zeugen (1 Kor 15,5–8) bleiben im Rheginusbrief unerwähnt. Sie würden nicht zu seiner Christologie passen, nach der sich der Erlöser in einen unvergänglichen Äon verwandelt hat. Nicht zuletzt blickt 1 Kor 15 auf die zukünftige, finale Vernichtung des Todes als letzter gottfeindlicher Macht voraus, während dieses Ereignis für den Verfasser des Rheginusbriefes bereits zurückliegt und kein Werk Gottes, sondern des Erlösers ist. 141 In seiner Monographie zur „Eschatologie im Kolosser- und Epheserbrief“ befasst sich Horace E. Lona zwar auch mit dem Rheginusbrief, kommt aber zu dem (eher allgemeineren) Ergebnis, dass der Rheginusbrief hinsichtlich seiner Kosmologie und Anthropologie dem Neuen Testament fremd sei (Lona, Eschatologie, 326–404). Die Analogien zwischen dem Rheginusbrief und dem Kolosser- bzw. Epheserbrief werden kaum näher behandelt. Vgl.

118

3. Rheginusbrief

So könnte den Verfasser des Rheginusbriefes im Einzelnen der Kontrast zwischen dem Töten der irdischen Glieder (νεκρώσατε οὖν τὰ μέλη τὰ ἐπὶ τῆς γῆς) und dem oben bei Christus verborgenen vollkommenen Leben, der in Kol 3,3–5 geschildert ist, zu der Gegenüberstellung der sichtbaren, toten142 mit den unsichtbaren, lebendigen Gliedern im Menschen inspiriert haben. Nach Rheg p. 47f. manifestiert sich das vollkommene Leben in geradezu leiblicher Ausprägung im verborgenen Inneren der Glaubenden. Es wurde oben bereits herausgearbeitet, dass die Auferstehung dem Rheginusbrief zufolge ein Pro­ zess ist, bei dem der äußere Leib altert und verfällt, während die inneren Glieder sich nach und nach offenbaren. Das Verfallen des äußeren Menschen bei gleichzeitigem Hervortreten seiner inneren Glieder lässt an die Anschauung vom „inneren Menschen“ in 2 Kor 4,16 (vgl. auch Eph 3,16) denken.143 Nicht auszuschließen ist, dass der Brief den Dualismus des ἔξω und ἔσω ἄνθρωπος unter dem Einfluss von Kol 3,5 zu „äußeren und inneren Gliedern“144 ausgeformt und sich für seine Frage nach der Leiblichkeit der Auferstehung zunutze gemacht hat.145 Mit Hilfe der Vorstellung von den „inneren Gliedern“ kann er jedenfalls an die Stelle einer endzeitlichen, plötzlichen Verwandlung des Leibes bei der Auferstehung (vgl. 1 Kor 15,51f.) die Vorstellung vom allmählichen Offenbarwerden der Auferstehungsleiblichkeit setzen. Die gegenwärtig bereits realisierte Zugehörigkeit der Glaubenden zum Himmel, die durch die inneren Glieder leiblich manifest wird, soll im Rheginusbrief insbesondere der Sonnenvergleich veranschaulichen. Der räumlich konzipierte Sonnenvergleich und die Identifikation der Glaubenden mit den Strahlen des Erlösers in Rheg p. 45,28–39 lassen sich gut vor dem Hintergrund der im Kolosser- und Epheserbrief formulierten Vorstellung vom Heilsorganismus der Kirche verstehen, dessen Haupt Christus ist. Nach Kol 2,9f. wohnt in ihm „die ganze Fülle der Gottheit leibhaft“,146 so dass die Glaubenden ebenfalls von ihr erfüllt werden. Sie bekommen also Anteil an der „Fülle der Gottheit“ dadurch, aber Peel, Treatise on the Resurrection, 162f.: „It is notable that in these lines [des Rheginusbriefes] we encounter Pauline mystical language linking believers with the experience of Christ, a language virtually without echo in more ,orthodox‘ second-century Christian literature. In 45.25–28 a Gnostic author has taken up such language and reinterpreted it […]. Development toward a ,realized eschatology‘, already present in deutero-Pauline literature […], made easier this Gnostic appropriation.“ 142 Rheg p. 47,38f.: ⲛ̅ⲙⲉⲗⲟⲥ ⲉⲧⲟⲩⲁⲁⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲉⲧⲙⲁⲟⲩⲧ. 143 Vgl. Peel, Epistle to Rheginos, 87. Zum Konzept des „inneren Menschen“ bei Paulus vgl. Markschies, Metapher vom „inneren Menschen“; ders., Innerer Mensch, bes. 283f. zu Nag Hammadi; Betz, Inner Human Being; Heckel, Der innere Mensch; Burkert, „Inner“ Human Being. 144 Vgl. Lundhaug, Conceptualizations of Death and Transformation, 192. 145 2 Kor 4,16: Διὸ οὐκ ἐγκακοῦμεν, ἀλλ’ εἰ καὶ ὁ ἔξω ἡμῶν ἄνθρωπος διαφθείρεται, ἀλλ’ ὁ ἔσω ἡμῶν ἀνακαινοῦται ἡμέρᾳ καὶ ἡμέρᾳ. Überhaupt ist der Abschnitt 2 Kor 4,16–5,4 stark von Dualismen des Sichtbaren und Unsichtbaren und von Gewandmetaphorik geprägt. 146 Kol 2,9f.: ὅτι ἐν αὐτῷ κατοικεῖ πᾶν τὸ πλήρωμα τῆς θεότητος σωματικῶς, καὶ ἐστὲ ἐν αὐ­τῷ πεπληρωμένοι, ὅς ἐστιν ἡ κεφαλὴ πάσης ἀρχῆς καὶ ἐξουσίας.

3.5 Die Rezeption von Paulustradition

119

dass sie zu diesem Heilsorganismus gehören, der durch „Gelenke und Bänder“ gestützt und zusammengehalten wird, so dass alle Teile dieses Leibes dauerhaft mit dem Haupt in Verbindung stehen (vgl. Kol 2,19; Eph 4,15f.).147 Zwar wird das Leibbild im Rheginusbrief nicht aufgegriffen, sondern die Gemeinschaft mit Christus durch solare Bilder ausgedrückt. Aber die kosmische, räumliche Struktur dieser Gemeinschaft mit dem Erlöser verbindet den Sonnenvergleich in Rheg p. 45 mit der ekklesiologischen Leibmetaphorik im Kolosser- und Epheserbrief. Wenn dort Christus, das Haupt, im Himmel lokalisiert wird, so umfasst dieser Organismus den gesamten Kosmos148 und herrscht das Haupt nicht nur über den Leib, sondern auch über die Mächte im Kosmos, die daher nicht mehr über Heil und Unheil im Leben der Glaubenden bestimmen (vgl. auch Kol 1,16f.; Eph 1,22f.; 4,10).149 In Korrespondenz dazu steht in Rheg p. 45,36–39 die Anschauung, dass die Glaubenden auf ihrem Weg nach oben durch nichts festgehalten werden können, woraus geschlossen werden kann, dass Jesu Auferstehung und sein Residieren im Himmel den Machtbereich des Kosmos zurückgedrängt hat. Die Glaubenden sind bereits in der Gegenwart von Christus ergriffen, gehören also schon jetzt in den himmlischen Raum und sind den Gewalten der Welt entzogen. Dies zeigt sich auf anthropologischer Ebene im Ablegen des Fleischesleibes (Kol 2,11) bzw. in den jetzt schon „toten Gliedern“ der Menschen (Rheg p. 47,38f.). Wie der Kolosser- und Epheserbrief verbindet der Rheginusbrief das kontinuierliche Verfallen und letztendliche Ablegen des Leibes beim Tod mit der Trennung vom Kosmos, es gibt also eine Entsprechung zwischen dem Existieren im Leib und der Bindung an die Welt. Beidem sind die zu Christus Gehörenden im Grunde schon enthoben, darin stimmen der Kolosser- bzw. Epheserbrief und der Rheginusbrief ebenfalls überein. Das Leben in der Welt und unter den Bedingungen des Kosmos ist nur noch ein äußerliches. Der Weg der Glaubenden mit Christus, wie er im Apostelzitat in Rheg p. 45,24–28 dargelegt und anschließend interpretiert wird, führt die Glaubenden aus der Welt heraus in den Himmel; sie sind im Sinne von Kol 2,20 den Elementen der Welt „abgestorben“.150 147 Kol 2,19: […] καὶ οὐ κρατῶν τὴν κεφαλήν, ἐξ οὗ πᾶν τὸ σῶμα διὰ τῶν ἁφῶν καὶ συν­δέσμων ἐπιχορηγούμενον καὶ συμβιβαζόμενον αὔξει τὴν αὔξησιν τοῦ θεοῦ. Eph 4,15f.: ἀλη­θεύοντες δὲ ἐν ἀγάπῃ αὐξήσωμεν εἰς αὐτὸν τὰ πάντα, ὅς ἐστιν ἡ κεφαλή, Χριστός, ἐξ οὗ πᾶν τὸ σῶμα συναρμολογούμενον καὶ συμβιβαζόμενον διὰ πάσης ἁφῆς τῆς ἐπιχορηγίας κατ’ ἐνέρ­γειαν ἐν μέτρῳ ἑνὸς ἑκάστου μέρους τὴν αὔξησιν τοῦ σώματος ποιεῖται εἰς οἰκοδο­μὴν ἑαυτοῦ ἐν ἀγάπῃ. Vgl. Wolter, Kolosser, 150. 148 Nach der Vorstellung hinter dieser Auffassung ist der Kosmos ein beseelter Leib (vgl. Platon, Tim. 30b; 31b; 32a.c; 34b). Nach Philo, Somn. 1,128, ist das Haupt des Kosmos der Logos. 149 Vgl. zur kosmischen Christologie bei Paulus und im Kolosser- bzw. Epheserbrief Van Kooten, Cosmic Christology. 150  Kol 2,12 lokalisiert das Geschehen in der Taufe, die als Begrabenwerden mit Christus nach Ablegen des Fleischesleibes (V. 11: ἐν τῇ ἀπεκδύσει τοῦ σώματος τῆς σαρκός) ge­deu­tet wird.

120

3. Rheginusbrief

Die genannten Gemeinsamkeiten zwischen der Paulustradition und dem Rheginusbrief lassen sich gleichwohl nur bis zu einem gewissen Grad als tatsächliche Übereinstimmungen verstehen. Was dabei unberücksichtigt bleibt, ist die Tatsache, dass sie jeweils in fundamental unterschiedliche Rahmenvorstellungen über die Entstehung und das eschatologische Schicksal des Kosmos und die Funktion des Erlösers eingeordnet werden. Unterschiede zwischen dem Kolosser- bzw. Epheserbrief und dem Rheginusbrief betreffen deshalb nicht nur Einzelheiten wie das völlige Fehlen einer kreuzestheologischen Ausrichtung der Erlösung im Rheginusbrief und die Tatsache, dass im Kolosserund Epheserbrief die Bilder vom „Töten der Glieder“ und dem „Ablegen des Fleischesleibes“ und des „alten Menschen“ ethisch und nicht anthropologisch ausgerichtet sind.151 Die Differenzen reichen vielmehr tief hinein in die jeweilige Anthropologie, Kosmologie und Erlösungsvorstellung. So beschreibt Kol 1,16 Christus als Schöpfungsmittler und die geschaffene Welt als auf ihn ausgerichtet.152 Bei der Leib-Haupt-Metapher der Deuteropaulinen ist das immer vorausgesetzt. Das Leibbild lässt nicht nur die Gemeinde der Glaubenden, sondern auch den Kosmos als ein geordnetes Ganzes erscheinen, das durch sein „Haupt“, Christus, bewahrt und zukünftig versöhnt und befriedet wird (Kol 1,20), wenn einst der Dualismus von Himmel und Welt aufgehoben ist. Dass die Glaubenden dem Kosmos mit seinen Mächten gegenwärtig nicht mehr ausgeliefert sind, ist daher ganz anders zu bewerten als die Statusbeschreibung der Erwählten im Rheginusbrief, nach der sie dem Kosmos durch ihre himmlische Heimat in ihrem irdischen Leben schon ansatzweise und mit ihrer Auferstehung dann vollkommen entzogen sind. Der Kosmos ist im Rheginusbrief keine Schöpfung Gottes und der Erlöser nicht Schöpfungsmittler. Dies kann ein Grund dafür sein, dass der Verfasser des Rheginusbriefes auf das Leibbild als traditionelles Bild für den Kosmos verzichtet und stattdessen zur Illustration der Verbindung zwischen den Glaubenden und Christus den Sonnenvergleich wählt. Der Sonnenvergleich im Rheginusbrief forciert und verstärkt den Dualismus zwischen dem himmlischen und kosmischen Bereich. Der Verfasser will den Gegensatz zwischen diesen beiden Sphären bis zum Ende andauern lassen und erst aufgelöst wissen, wenn die Welt überwunden ist und der Mangel gefüllt wird, welchen die anfängliche Abspaltung des Kosmos aus dem Pleroma herbeigeführt hatte. Das lassen die kosmologischen Schlusspartien des Rheginusbriefes erkennen (p. 48,30–49,7).153 151 Am Beispiel des „Tötens der Glieder“ zeigt sich übrigens das für den Verfasser des Rheginusbriefes typische Vorgehen, Bilder und Motive aus ursprünglich verschiedenen Kontexten unter das vereinheitlichende Thema des Auferstehungsdiskurses zu stellen. So sind die präsentischen Heilsaussagen, die das gegenwärtige Leben der Glaubenden beschreiben und diese in gewisser Hinsicht schon jetzt der irdischen Sphäre entzogen sehen, bekanntermaßen im Kolosser- und Epheserbrief ethisch ausgerichtet. Die zu tötenden Glieder sind Metaphern für den alten, verdorbenen Lebenswandel, wie die Fortsetzung des Imperativs in Kol 3,5–9 zeigt. 152 Vgl. Wolter, Kolosser, 79.

3.6 Zusammenfassung

121

Der Sonnenvergleich lässt sich außerdem leichter als das Leibbild auf das zentrale Thema der Auferstehung hin auslegen. Der Überblick über andere christliche und außerchristliche Texte mit Sonnen- und Lichtsymbolik hatte gezeigt, dass speziell mit der Sonne das Erwachen, der Gewinn neuen Lebens und der Aufstieg zum Himmel assoziiert werden konnten. Für den Verfasser des Rheginusbriefes kommt noch hinzu, dass er die Auferstehung als einen stufenweisen, sich parallel zum irdischen Leben manifestierenden Vorgang beschreiben will. Der Sonnenvergleich ermöglicht auch dies, denn er veranschaulicht gerade mit dem Bild des allmählichen Sonnenuntergangs und der dabei sukzessive sichtbar werdenden Strahlen den Alterungsprozess im irdischen Leben und das zeitgleiche Wachstum und Hervortreten der inneren Auferstehungsglieder, die das Prozesshafte der Auferstehung zum Ausdruck bringen.

3.6 Zusammenfassung Der Abschnitt Rheg p. 45,23–46,2, der im Zentrum der Untersuchung stand, behandelt mit Vergleichen und Bildern den Zusammenhang des Heilswerks des Erlösers und seiner Herrschaft im Himmel mit der Auferstehung der Glaubenden. Der Auferstehungsvorgang wird im Rheginusbrief in einer eigenen, dualistischen und räumlich konzipierten Ausprägung beschrieben. Die Bedeutung der Auferstehung Jesu liegt dem Rheginusbrief zufolge darin, dass sie die Glaubenden aus dem Kosmos befreit und ihnen einen Heilsraum erschließt. Zu ihm haben die Adressaten des Briefes bereits Zugang erhalten, was der Verfasser mit Hilfe des paulinischen Motivs der Ergehensgemeinschaft formuliert: Der Heilsraum öffnet sich für den, der Jesu Weg durch sein Leiden hindurch zur Auferstehung und zum Aufstieg in den Himmel mitvollzogen hat. Die Ergehensgemeinschaft wird also als Ortswechsel, als Versetzung der Glaubenden vom kosmischen Machtbereich in den himmlischen Machtbereich interpretiert. Die Zugehörigkeit zur und der Aufstieg in die unvergängliche, dem Kosmos gegenübergestellte himmlische Sphäre erscheint in dem besprochenen Abschnitt zugleich als Eingehen einer engen Verbindung mit dem Erlöser selbst. Das liegt daran, dass der Erlöser mit dem eröffneten Heilsraum in eins gesetzt werden kann. Der himmlische Machtbereich ist nämlich vom Erlöser so 153 Rheg

p. 48,30–49,7: ⲁⲗⲗⲁ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲙⲛ̅ⲧⲉⲥ ⲙ̅ⲙⲉⲩ ⲙ̅ⲡⲓⲥⲙⲁⲧ ⲛ̅ϯⲙⲓⲛⲉ ϫⲉ ⲧⲙⲏⲉ ⲧⲉ ⲡⲉ ⲡⲉⲧⲁϩⲉ ⲁⲣⲉⲧϥ̅ ⲁⲩⲱ ⲡⲟⲩⲱⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲙ̅ⲡⲧϣⲟⲟⲡ ⲡⲉ ⲁⲩⲱ ⲡϣⲃ̅ⲉⲓⲉ ⲡⲉ ⲛ̅ⲛ̅ϩⲃⲏⲩⲉ ⲁⲩⲱ ⲟⲩⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ ⲁϩⲟⲩⲛ ⲁⲩⲙⲛ̅ⲧⲃⲣ̅ⲣⲉ ⲧⲙⲛ̅ⲧⲁⲧⲧⲉⲕⲟ ⲛ̅ⲅⲁⲣ[ⲥϩⲉϯⲉ] ⟦ⲁϩⲣⲏⲓ⟧ ⲁⲡⲓⲧⲛ̅ ⲁⲭⲙ̅ ⲡⲧ̣ⲉ̣ⲕ̣ⲟ ⲁⲩⲱ ⲡⲟⲩⲁⲉⲓⲛ ϥϩⲉϯⲉ ⲁⲡⲓⲧⲛ̅ ⲁϫⲙ̅ ⲡⲕⲉⲕⲉⲓ ⲉϥⲱⲙⲛ̅ⲕ ⲙ̅ⲙⲁϥ ⲁⲩⲱ ⲡⲡⲗⲏⲣⲱⲙⲁ ϥ̅ϫⲱⲕ ⲁⲃⲁⲗ ⲙ̅ⲡⲉϣⲧⲁ ⲛⲉⲉⲓ ⲛⲉ ⲛ̅ⲥⲩⲙⲃⲟⲗⲟⲛ ⲙⲛ̅ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲧⲛ̅ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ („Aber mit der Auferstehung verhält es sich in keiner Weise so. Denn sie ist die Wahrheit. Es ist das, was festen Bestand hat, und das Offenbarwerden dessen, was ist. Und es ist der Austausch für die Dinge und eine Verwandlung in Neuheit. Denn: Die Unvergänglichkeit (p. 49) [fließt] herab auf die Vergänglichkeit, und das Licht fließt herab auf die Finsternis, wobei es sie verschlingt, und die Fülle vollendet den Mangel. Dies sind die Symbole und die Vergleiche für die Auferstehung“, Übers. Schenke).

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3. Rheginusbrief

durchdrungen vorgestellt, dass der Verfasser davon sprechen kann, dass die Glaubenden von Christus schon jetzt vollständig „ergriffen und umfasst“ sind (p. 45,32f.). Sie gehen also nicht nur künftig in den Raum ein, sondern dieser Raum greift schon jetzt auf sie zu und stiftet eine untrennbare Beziehung zwischen ihnen und dem Erlöser. Dafür kann der Verfasser das Verbum ⲙⲁϩⲧⲉ verwenden, das die Ergehensgemeinschaft mit Christus auch als Herrschaftswechsel beschreibt. Der Heilsraum, der sich allmählich Bahn bricht, ist von Christus in einer Weise erfüllt, wie die Sonne den Himmel mit ihrem Licht durchleuchtet. Die Glaubenden werden im Bild als „Strahlen“ des Erlösers bezeichnet und als solche, die ihn tragen „wie ein Kleid“. Sie können aus dieser Perspektive geradezu als ein Teil des Erlösers selbst angesehen werden. Innerhalb der gesamten Schrift bringt diese Passage unter Verwendung von solarer Symbolik und Gewandmetaphorik am deutlichsten die enge Verbindung mit Christus und die Anteilhabe an ihm zum Ausdruck. Von ihrer neuen Existenz im Machtbereich des Erlösers ist auch die Leib­ lichkeit der Erwählten betroffen, denn der Verfasser rechnet ebenso wie die Deuteropaulinen mit einer prinzipiellen Übereinstimmung zwischen dem Sein im Leib und dem Existieren im Kosmos. Der valentinianische Mythos im Hintergrund des Rheginusbriefes, nach dem die Welt durch Abspaltung vom Pleroma entstand, stellt beides gleichwohl unter ein negatives Vorzeichen. Die Glaubenden aber, die zum Erlöser gehören, müssen ihren Alterungsprozess und das Ablegen ihres irdischen Leibes beim Tod nun nicht mehr als Kennzeichen des Mangels und der Vergänglichkeit der Welt verstehen, sondern als Hinweise darauf, dass der Kosmos seinen Einfluss verliert und zurückgedrängt wird, so dass sie ihn schließlich ganz verlassen können. In dieser Umdeutung des Todes liegt das paränetische und tröstende Anliegen des Traktats. Den Adressaten wird auf der anderen Seite eine erneuerte Leiblichkeit verheißen, die ihrer neuen Existenz im unvergänglichen Heilsraum des Erlösers entspricht. Sie ist schon jetzt präsent in Gestalt der lebendigen, auferstehungsfähigen Glieder, die im Inneren der Erwählten heranwachsen, noch während ihr irdisches Fleisch verfällt. Damit ist der Status quo der Glaubenden beschrieben (p. 45,28–46,3): Sie leben in der Welt als solche, die dem alten Machtbereich eigentlich schon entkommen sind und zu Christus gehören. Mit diesem Status quo sind bereits gegenwärtig alle Voraussetzungen für den künftigen umfassenden, mikro- und makrokosmischen Wandel gegeben. Diese Anschauung ist entlang einer räumlich-kosmologischen, universalen Erlösungsvorstellung gebildet, die auch im Kolosser- und Epheserbrief begegnet. Allerdings nimmt der Rheginusbrief deren Metaphorik eines „kosmischen Körpers“ mit Christus als dem Haupt nicht auf und identifiziert die Glaubenden nicht mit den Gliedern eines solchen universalen Heilsleibes. Vielleicht stand die traditionelle Vorstellung vom Kosmos als einem Organismus der dualistischen, antikosmischen Sicht des Verfassers entgegen. Auch eine Konsubstan-

3.6 Zusammenfassung

123

tialität mit dem Erlöser, ein Gleichwerden oder eine immer schon gegebene Identität mit seiner unvergänglichen Substanz – ein Gedanke, der in anderen Texten mit Sonnen- und Lichtmetaphorik durchaus belegt ist –, schließt der Verfasser des Rheginusbriefes trotz seines Anliegens aus, die Ergehensgemeinschaft als engstmögliche Bindung zum Erlöser zu interpretieren. Die Sonnenmetaphorik wird nicht ontologisch und mit Blick auf das Wesen der Erwählten interpretiert, sondern versinnbildlicht ebenso wie die Leibmetaphorik des Kolosser- und Epheserbriefes eine dynamische Beziehung zum Erlöser, die mit dessen Heilswerk einsetzt und im Aufstieg der Glaubenden zum Himmel ihr Ziel findet. In Übereinstimmung mit der Paulustradition steht dabei für den Verfasser des Rheginusbriefes der Gedanke im Vordergrund, dass die Glaubenden ihre Individualität nach dem Tod und bei der Auferstehung bewahren, weshalb ihnen auch ein neues Fleisch nach dem Tod in Aussicht gestellt wird. Die solare Metaphorik, die der Verfasser anstelle der Leibmetapher aus dem Kolosser- bzw. Epheserbrief verwendet, wird dementsprechend nicht deshalb aufgegriffen, um mit ihr die übereinstimmende Natur des Erlösers und der Glaubenden (etwa als „Lichtwesen“) zu beschreiben. Sie dient vielmehr dazu, die gleichzeitige Existenz der Glaubenden auf der Erde und im Himmel zu erklären: Die Erwählten verweilen ja noch auf der Erde, sie tun dies aber nur wie Strahlen der Sonne, sichtbar und spürbar, aber zugleich unangreifbar, dem Kosmischen nicht mehr wirklich zugehörig. Aus der so qualifizierten Gegenwart wird sich die Auferstehung gewissermaßen von selbst uneingeschränkt und weltumspannend durchsetzen, wie der dritte und abschließende Teil des Rheginusbriefes schildert. Entsprechend seiner universal-kosmischen Grundausrichtung bedient sich der Verfasser eines semantisch ausgeweiteten Begriffs von ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ, der auch die Verwandlung der Welt miteinbezieht. Auch dafür ist die solare Symbolik hilfreich. Wie auf anthropologischer Ebene die „inneren Glieder“ aus den äußeren allmählich, in der Art einer Geburt hervortreten, so „verschlingt“ auf kosmischer Ebene das Licht die Finsternis. Die Gegensätze und Dualismen von Oben und Unten, Sichtbarem und Unsichtbarem, Lebendigem und Totem, mit denen der Brief arbeitet, werden am Schluss aufgehoben. Das bedeutet auch, dass die Auferstehung der Erwählten nicht allein mit ihrer Trennung vom Kosmos und ihrem Aufstieg, sondern auch mit einer umfassenden Umwandlung und einem Vergehen des Kosmischen zusammenfällt. Der Heilsraum des Erlösers wird künftig alles durchdringen. Das ist die „Verwandlung“, die „ⲙⲉⲧⲁⲃⲟⲗⲏ zur Neuheit“.

Kapitel 4

Schmecken des Sohnes: Auferstehung im Evangelium Veritatis 4.1 Einführung Das „Evangelium der Wahrheit“, der dritte Text aus NHC I, entstand vermutlich im Zeitraum zwischen dem 3. und dem 5. Jahrhundert. Das weite Zeitfenster resultiert zunächst aus der Frage, ob es sich bei dem koptischen Manuskript, analog zu anderen Manuskripten aus dem Fund von Nag Hammadi, bereits um die Übersetzung einer älteren Vorlage handelt. Die Schrift ist im lykopolitanischen Dialekt verfasst, wird jedoch mehrheitlich für die Übersetzung eines griechischen Textes gehalten.1 Vor allem ist die Datierung und Einordnung in die Geschichte der Gnosis aber wegen des bildhaften, assoziativen und in vielen Aspekten originellen Inhalts der Schrift und aufgrund fehlender bzw. uneindeutiger patristischer Bezeugungen unsicher. Während einige Ausleger die Schrift in das ausgehende 2. Jahrhundert datieren, weil die theologischen Fragen des 3. Jahrhunderts „noch fernab“ lägen,2 erkennen andere in ihr die trinitätstheologischen Diskussionen des 3. bis 5. Jahrhunderts bearbeitet.3 Bis 1 Vgl.

Standaert, „L’Évangile de Vérité“, 244. Codex apocryphus gnosticus, 34. Für eine frühe, proto-orthodoxe Herkunft des Evangelium Veritatis argumentiert mit Blick auf das Konzept der Deifikation Johnson, Gospel of Truth. 3 Vgl. Brix, Gospel of Truth (2019), 281 und 288: „The struggling within the Gospel of Truth to situate Father, Son and Spirit in relation to each other evokes the various attempts to define the relationship between Father, Son and Holy Spirit in the first Christian centuries. These attempts became manifest in the Arian Controversy (318–328) and the later Neo-arianism. Origen (approx. 186–254) posed an answer to the theological problem of the relationship between Father and Son and Spirit in his Commentary on John and in his De Principiis he conveyed a way for the later Trinitarian solution. There is no palpable reception of Origen within the Gospel of Truth, but the Gospel is remarkably influenced by the Trinitarian problematic of its time. This influence shines through in its preference for the title Son, instead of the proper name Jesus. The Gospel of Truth features an attempt to solve the problem of the three divine characters and finds here most of its inspiration in John, in particular the Prologue […]. The Gospel of Truth features an attempt within the first Christian centuries to define the divinity of Jesus and situate him in relation to the Father and the Spirit. The Gospel of Truth receives the Prologue of John in its struggle with the definition of the divine characters. The personification of the light and the incorruptibility indicates that the author 2 Nagel,

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4. Evangelium Veritatis

auf wenige Lücken ist die Schrift vollständig erhalten, sahidische Fragmente sind darüber hinaus in NHC XII,2 überliefert. Eine Schrift mit dem Titel „Evangelium der Wahrheit“ wird auch von Irenäus bezeugt (Haer. 3,11,9),4 der hinzufügt, sie sei von Valentinianern verfasst worden und entspräche in keinem Punkt den Evangelien der Apostel.5 Die Stelle bei Irenäus hat in der älteren Forschung für weitreichende Spekulationen über die Identität des erwähnten Evangeliums mit der Nag-Hammadi-­Schrift gesorgt. Die Identität beider Schriften für wahrscheinlich halten unter anderen die Autoren der englischen Edition in der Reihe „Nag Hammadi Studies“, Harold W. Attridge und George W. MacRae, die die Nag-Hammadi-Schrift entsprechend als ein Produkt valentinianischer Gnosis behandeln.6 Die vorausgesetzte griechische Vorlage müsste dann vor 180 n. Chr. entstanden sein. Allerdings ist gegenüber einer vorschnellen Identifikation beider Texte Zurückhaltung geboten. Die Schrift aus dem Codex Jung ist titellos überliefert und wurde erst 1956 von den Erstherausgebern nach ihrem Anfang „Das Evangelium der Wahrheit bedeutet Freude […]“7 (ⲡⲉⲩⲁⲅⲅⲉⲗⲓⲟⲛ ⲛ̅ⲧⲙⲏⲉ ⲟⲩⲧⲉⲗⲏⲗ, p. 16,31) als „Evangelium der Wahrheit“ bezeichnet. Da in der Schrift jedoch verschiedene weitere Genitivverbindungen mit ⲛ̅ⲧⲙⲏⲉ begegnen, kann sich der Text auch als eine Betrachtung über das Evangelium der Wahrheit verstehen.8 Für eine Deutung des Eingangssatzes als Titel gibt es jedenfalls keine belastbaren Gründe.9 Wer dennoch die Identität des bei Irenäus erwähnten Evangeliums mit der Schrift aus NHC I annimmt, kann aus dem Irenäus-Zitat immerhin ableiten, dass die Valentinianer das Evangelium Veritatis aus NHC I lasen und benutzten. Dafür spricht auch seine Verarbeitung im valentinianischen Tractatus Triparti­ tus (NHC I,5). Ob es selbst Züge valentinianischer Gnosis trägt, ist allerdings umstritten. Dagegen wurde unter anderem ins Feld geführt, dass dem Text „typische“ Elemente valentinianischer Gnosis wie die dreißig Äonen, der Fall der Sophia, das Auftreten eines Demiurgen und die Aufteilung der Menschen in verschiedene Klassen fehlen.10 Allerdings wird mit dem Auftreten und Wirmay be experimenting with even more divine characters than only the three persona of the Trinity, Father, Son, and Spirit.“ 4 Irenäus, Haer. 3,11,9: siquidem in tantum processerunt audaciae uti quod ab his non olim conscriptum est veritatis Evangelium titulent, in nihilo conveniens apostolorum evan­ geliis. 5 Vgl. dazu Standaert, „Evangelium Veritatis“. 6 Vgl. Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Introduction), 66. 7 Übers. Schenke (AcA). 8 Vgl. Leipoldt, „Evangelium der Wahrheit“, 831; Schenke, Herkunft, 13f.; vgl. ausführ­ lich Markschies, Valentinus Gnosticus?, 342. 9 Vgl. dazu Markschies, Valentinus Gnosticus?, 340–343. Vgl. auch Leipoldt, „Evange­ lium der Wahrheit“, 832. 10 Vgl. zuerst Van Unnik, „Gospel of Truth“; auch Schenke, NHD 1, 31. Neben Aspekten des Sophia-Mythos begegnet aber dennoch der Gedanke einer Zweiteilung der Menschen in solche, die aus der Täuschung stammen und nicht zum Vater zurückkehren können, und

4.1 Einführung

127

ken der personifizierten „Täuschung“ (ⲡⲗⲁⲛⲏ, EV p. 17,14–21) eine mythische Deutung der Entstehung der Welt und der vergänglichen Materie gegeben, hinter der der Fall der Sophia stehen kann.11 Ein mythologisches Geschehen bildet also zumindest den Hintergrund des Textes.12 Von Teilen der Forschung wurde der Charakter des Textes gleichwohl als „unmythisch“ wahrgenommen und die Schrift deshalb entweder einem frühen, vorgnostischen Stadium und dann sogar Valentin selbst zugeschrieben13 oder einer mythenkritischen Spätstufe als „a product of later Valentinian demythologization“.14 Für eine Einordnung der Schrift in die Vorzeit valentinianischer Schulbildung und damit für eine Frühdatierung plädierten bereits Willem C. van Unnik (1955) sowie die Erstherausgeber Michel Malinine, Henri-Charles Puech und Gilles Quispel (1956).15 Die Probleme der Annahme einer Identität des Nag-Hammadi-Textes mit dem bei Irenäus erwähnten Werk und der Autorschaft Valentins werden ausführlich von Christoph Markschies besprochen, der auf die sachlichen Unterschiede zwischen den von Valentin überlieferten Fragmenten und dem Evangelium Veritatis sowie auf die Tatsache aufmerksam macht, dass es keinerlei antiken Hin­weis auf Valentin als Verfasser eines Evangeliums gibt.16 solche, die über ihre wahre Herkunft aufgeklärt und auf diese Weise erlöst werden können. Sie werden auch „Kinder des Wissens“ genannt. Nagel, Codex apocryphus gnosticus, 35, konstatiert deshalb eine „Affinität des EV zu valentinianischen Anschauungen“. 11 Vgl. Markschies, Valentinus Gnosticus?, 349f.; Attridge, Gospel of Truth, 2963; au­ ßerdem jüngst Lukas, Adversus Valentinianos, 17f., der davon spricht, dass die Erzählung des Evangelium Veritatis über den Irrtum Parallelen enthalte mit dem Fall der Sophia in der großen „Valentinianer-Notiz“ des Irenäus, so dass die Zuschreibung des Evangelium Verita­ tis an die Valentinianer „sachadäquat“ sei. 12 Vgl. Robinson, Evangelium Veritatis, 242 Anm. 3 zur Grundlage der Gestalt der „Täuschung“: „I concur with the view that the E. V. presupposes a basic mythological structure“. Ähnlich auch Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Notes), 85 zu EV p. 30,13. Markschies, Valentinus Gnosticus?, 340 Anm. 18, rechnet daher damit, dass es sich beim Evangelium Ve­ ritatis um eine späte relecture des valentinianischen Systems handele, „bei der das System noch einmal in einem ‚großen Wurf‘ durch den Plané-Mythos reinterpretiert wird.“ 13 Van Unnik, „Gospel of Truth“, 99–104, war der erste, der das Werk – noch vor den Erstherausgebern – Valentin zuschrieb. Seine Argumente wurden seitdem vielfach wiederholt. Ausführlich widerlegt werden sie von Markschies, Valentinus Gnosticus?, 347–352. Die Erstherausgeber führen das „Ich“, welches sich an zwei Stellen der Homilie zu Wort meldet (EV p. 42,41; 43,3), auf Valentin selbst zurück und halten den Text demnach ebenfalls für ein Werk Valentins. Vgl. ferner Standaert, „Evangelium Veritatis“; ders., „L’Évangile de Vérité“; McGuire, Valentinus. 14 Robinson, Evangelium Veritatis, 234f. Auch Leipoldt, „Evangelium der Wahrheit“, 831, spricht von einer „demythologisierten Gnosis“. Nagel, Codex apocryphus gnosticus, 34, sowie Segelberg, Evangelium Veritatis (mit Betonung der Differenzen), und Schenke, Herkunft, 26–29 u. ö., verweisen für eine religionsgeschichtliche Verortung des Textes auf seine Nähe zu den Oden Salomos. 15 Malinine / Puech / Quispel, Evangelium Veritatis. 16 Markschies, Valentinus Gnosticus?, 340–345.356.

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4. Evangelium Veritatis

Das Evangelium Veritatis besitzt weder narrative noch dialogische Elemente und kann auch nicht als Spruchevangelium bezeichnet werden. Es bietet keine Darstellung des Auftretens und Wirkens des irdischen oder auferstandenen Jesus oder seiner Verkündigung, auch zitiert es nirgends aus der Jesustradition (oder überhaupt aus biblischen Schriften), sondern legt Anklänge an biblische Überlieferungen frei und aktualisierend aus. Dementsprechend bezeichnet ⲉⲩⲁⲅⲅⲉⲗⲓⲟⲛ in EV p. 16,31 offenbar eher eine Reflexion über das Erlösungsgeschehen, und als solche kann es als „frohe Botschaft“ gelten.17 Durch die Lektüre soll der Text selbst in meditativer Weise Erlösung vermitteln.18 Es handelt sich bei der Schrift daher um eine „Evangelienmeditation“19 bzw. um ein „homiletic“, „exegetical rewriting“.20 Einzelne Themen werden homiletisch entfaltet und dabei die Adressaten zuweilen direkt angesprochen.21 Der homiletische, meditative Charakter des Textes führte in der Forschung zu unterschiedlichen Gliederungen des Textes oder sogar zu der Feststellung, dass sein Inhalt kaum chronologisch wiedergegeben oder gar „nacherzählt“ werden könne.22 Benoît Standaert verglich die Entwicklung des Gedankengangs im Evangelium Veritatis mit einer Biene, die sammelnd von Blume zu Blume fliegt.23 Immer wieder werden Aspekte des Erlösungsprozesses beschrieben, überwiegend in Prosa, an einer Stelle auch in hymnischem Stil (vgl. p. 23,18– 33). Auch die eingenommenen Perspektiven wechseln. Zeit und Ort des Geschehens sind daher kaum eindeutig identifizierbar. Schöpfungsgeschichtliche Ereignisse aus der Vorzeit haben keinen abgeschlossenen Charakter, sondern werden in die Gegenwart der Adressaten hineinprojiziert und gehören hier zum gegenwärtig erlebten Erlösungsgeschehen.24 Hans-Martin Schenke beschreibt die so entstehende Unschärfe mit dem aus dem Evangelium Veritatis selbst stammenden Bild des „Nebels“: „Der ‚Nebel‘, der jeden, der das EV zu durch17 Nicht zuletzt aus diesem Grund ist Vorsicht gegenüber einer Identifikation des Textes mit dem Evangelium bei Irenäus geboten. Irenäus setzt voraus, dass das Evangelium der Valentinianer als „Evangelienbuch“ konzipiert wurde und nicht als Schrift, die die wahre, „frohe Botschaft“ vermittelt. Vgl. Nagel, Codex apocryphus gnosticus, 30. 18 Zur intendierten Rezeption des Evangelium Veritatis durch seine Adressaten vgl. jüngst Brix, Gospel of Truth (2017). Vgl. auch Nagel, Rezeption des Johannesevangeliums, 369. 19 Vgl. die entsprechende Einordnung durch Markschies, Evangelienmeditationen. 20 Vgl. Brix, Gospel of Truth (2019), 281. Bereits Ménard, L’Évangile de Vérité, 1, spricht von einer Meditation. Andere Gattungsbestimmungen sind „Homilie“ (Attridge / MacRae, Gospel of Truth [Introduction], 66.81, und Segelberg, Evangelium Veritatis, 5f.) bzw. „Evangelium“ (Röhl, Rezeption des Johannesevangeliums, 100) oder „Traktat“ (Leipoldt, „Evangelium der Wahrheit“, 832: „Traktat über die Bekehrung“). 21 Vgl. Schenke, AcA, 1245. 22 Vgl. sowohl Robinson, Evangelium Veritatis, 234, als auch Schenke, AcA, 1247. 23 Standaert, „L’Évangile de Vérité“, 245: „La pensée évolue telle une abeille qui butine de fleur en fleur, a-t-on même écrit très joliment, mais personne n’a proposé une structure qui charpenterait tout l’écrit.“ Verschiedene Systematisierungsversuche zeugen von der Schwierigkeit, den Stoff in eine kohärente Ordnung zu bringen. 24 Vgl. auch Gathercole, Nag Hammadi Gospels, 201.

4.1 Einführung

129

wandern versucht, alsbald einhüllt, hat im wesentlichen zwei Aspekte. Der Text verrät nicht, ob er gerade vom Himmel oder von der Erde handelt, und er läßt keinen Weg erkennen.“25 Das ist dann auch für die Untersuchung der Auferstehungsvorstellung zu berücksichtigen. Allerdings lässt sich im Textganzen eine Kreisbewegung erkennen, die von einem protologischen Urzustand, bei dem das „All“ im Vater existiert, zu dessen Auflösung und heilsgeschichtlicher Wiederherstellung fortschreitet und schließlich in einen eschatologischen Zustand mündet, der an den Anfangszustand anknüpft. Der Eindruck eines ständigen Wechsels zwischen protologischen, heilsgeschichtlichen und vergegenwärtigenden Ebenen entsteht dadurch, dass einzelne Stadien dieses Prozesses zugleich für alle anderen Ebenen transparent gemacht werden, so dass sich hier die Perspektiven überschneiden können.26 Zur Wiedergabe des Inhalts orientiert man sich daher am besten an den wiederkehrenden, großen Themen der Schrift: Das Zentrum des Textes bildet das Erkennen des transzendenten Gottes, das zugleich die Erlösung aus dem Mangelzustand in der Welt und deren Aufhebung bedeutet. Dies gelingt aber nur durch die Vermittlung des aus dem Vater hervorgehenden, in Fleischesgestalt erscheinenden Wortes (ϣⲉϫⲉ), das auch mit der im Evangelium Veritatis auftretenden Jesusgestalt und dem „Sohn“ identifiziert werden kann.27 Der Sohn wird als die verborgene Seite des Vaters eingeführt, die offenbart wird. Das offenbarende, den Mangel aufhebende Wirken des Sohnes richtet sich auf die, die wie das Wort ursprünglich aus dem Vater kommen und zu ihm zurückkehren sollen. Auf der Ebene der Protologie des Evangelium Veritatis handelt es sich dabei um die „Äonen“, die in Unwissenheit und Unkenntnis des Vaters in diesem selbst existieren und aus ihm emanieren. Sie werden auf der Ebene der Heilsgeschichte mit den Menschen gleichgesetzt, die auch „Kinder des Vaters“ genannt werden (p. 33,39). Sie existieren in einer Welt des Irrtums: Der erste Hauptteil der Schrift (p. 16,31–24,9) schildert entsprechend das Wirken der Täuschung, ⲡⲗⲁⲛⲏ, die eine personifizierte protologische Gestalt ist. Die Welt ist der gestaltgewordene Mangel an Erkenntnis und ein Gebilde der Täuschung. Denn als die Täuschung zur Macht gelangte (p. 17,13f.), brachte sie die Materie hervor und stellte eine „Nachbildung“ und einen „Ersatz“ der Wahrheit her. Hier schlägt sich platonisierende Ontologie nieder: Die Welt mit ihren Schattenbildern der Täuschung ist in der Pyramide des Seins am weitesten vom göttlichen Wirklichkeitsbereich entfernt. In der beschriebenen Kreisbewegung des Evangelium Veritatis erscheint nun das Erlösungswerk des Sohnes als Wendepunkt. Das Wort nimmt Fleischesgestalt an, und als der „Sohn“ weist es den Menschen den „Weg der Wahrheit“ und provoziert so den Zorn der Täuschung. Der Sohn wird schließlich „an ein Holz genagelt“ (p. 18,18–24).28 Sein 25 Schenke,

AcA, 1246. Thomassen, Spiritual Seed, 159, mit Blick auf EV p. 23,33–24,20. 27 So auch Gathercole, Nag Hammadi Gospels, 203. 28 Vgl. Kol 2,14. 26 Vgl.

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4. Evangelium Veritatis

stellvertretender Tod (vgl. dazu p. 20,11–14) 29 entfaltet jedoch eine positive Wirkung: Für die Menschen wird der Kreuzestod zum entscheidenden Moment der Erkenntnis, denn allein durch den Gekreuzigten werden der Vater sowie der Ursprung und die Vollendung der aus ihm stammenden Menschen offenbar. Die allein erlösungsfähigen „Lebendigen“, diejenigen, welche im „Buch der Lebendigen“ stehen, werden durch das Wort über sich selbst belehrt. Das schon biblisch belegte Motiv des „Buches des Lebens“, in dem die Namen der Geretteten stehen,30 wandelt das Evangelium Veritatis dergestalt ab, dass die Namen in diesem Buch das wahre Selbst der Glaubenden repräsentieren.31 Jesus füllt den Mangel an Erkenntnis und Wissen, indem er sich mit diesem Buch „bekleidet“, es auf diese Weise offenbart und den Menschen zu ihrem wahren Selbst verhilft. Im zweiten Hauptteil des Evangelium Veritatis (p. 24,9–33,22) werden die Wirkungen der Erlösung für die Menschen beschrieben, die sich in ihrem neuen, unverfälschten, „erwachten“ Dasein äußern (p. 27,7–30,16). Hier begegnen die wesentlichen Auferstehungsaussagen der Schrift. Schließlich mündet dieses neue Dasein in die Rückkehr zum Vater (p. 33,33–36,39).32 Am Schluss steht das Ruhen im Vater (p. 40,23–41,14). Wie der kurze inhaltliche Überblick zeigt, bildet die Erlösung in verschiedenen Aspekten (als Teil des Wirkens des Geistes und als Teil des heilsgeschicht­ lichen Wirkens des Sohnes in fleischlicher Gestalt, schließlich als gegenwärtiger Transformationsprozess, den die Menschen durchlaufen) das beherrschende Thema der gesamten Schrift. Um die Bedeutung von „Auferstehung“ innerhalb dieser Konzeption des Evangelium Veritatis herauszuarbeiten, empfiehlt sich daher eine Konzentration auf die Passagen, die spezifische Begriffe aus dem semantischen Feld „auf(er)stehen, auf(er)wecken“ verwenden. Dazu gehören die Lexeme ⲧⲱⲟⲩⲛ,33 ⲧⲟⲩⲛⲁⲥ (sahidisch ⲧⲟⲩⲛⲟⲥ),34 ⲛⲉϩⲥⲉ 35 oder auch ⲥⲁⲧⲛⲉ (sahidisch ⲥⲟⲟⲩⲧⲛ).36 Hinzutreten können zudem einige bildhaft verwendete Ausdrücke wie ⲧⲱⲕ ⲁⲣⲉⲧ. Im Folgenden soll es daher allein um diejenigen Abschnitte gehen, in denen Auferstehungsterminologie vorliegt und sich daher

29 EV p. 20,11–14: „Deswegen war der barmherzige und treue Jesus geduldig im Ertragen der Leiden, die nötig waren, um jenes Buch zu nehmen, weil er weiß, daß sein Tod Leben für viele ist“ (Übers. Schenke, NHD; vgl. Mk 10,45). 30 Mit dem „Buch der Lebenden“ wird ein Topos jüdischer Apokalyptik aufgegriffen (vgl. Ps 69,29; Phil 4,3; Offb 3,5; 13,8; 17,8; 20,12.15; 21,27). 31 Vgl. Thomassen, Spiritual Seed, 151f. 32 Die Kinder des Vaters werden auch als sein „Geruch“ beschrieben, der sich mit der Ma­te­rie vermischte, durch den Geist-Odem aber wieder gesammelt und im Vater vereinigt wird (EV p. 33f.). 33 Crum, Coptic Dictionary, 445f.: „arise“ (intransitive); „raise, carry“ (transitiv). 34 Crum, Coptic Dictionary, 446f.: „wake, raise, set up“. 35 Crum, Coptic Dictionary, 245: „awake, arise“ (intransitiv); „waken, raise up“ (transitiv). 36 Crum, Coptic Dictionary, 371: „straighten, stretch“.

4.2 Lexeme für „Auferstehung / auferstehen“

131

auf der Textoberfläche ein direkter Bezug auf Auferstehungsvorstellungen im übergreifenden Rahmen des Erlösungsthemas zeigen lässt.

4.2 Im Text begegnende Lexeme für „Auferstehung / auferstehen“ und kontextuelle semantische Analogien Eine der beiden Passagen, in denen mit den koptischen Lexemen ⲧⲱⲟⲩⲛ, ⲧⲟⲩⲛⲁⲥ und ⲛⲉϩⲥⲉ Auferstehungsterminologie im Text begegnet, befindet sich im zentralen Abschnitt über die Auswirkung der Erkenntnis unter den Menschen und über die Offenbarung des Sohnes (p. 30,6–31,1): (p. 30,6) ⲡⲉ ⲡⲣⲏⲧⲉ ⲡⲉ ⲡⲉⲉⲓ ⲛ̅ⲧⲁϥⲉⲉⲓϥ·ⲉϥⲛ̅ⲕⲁⲧⲕⲉ ⲛ̅ϭⲓ ⲡⲟⲩⲉⲉⲓ ⲡⲟⲩⲉⲉⲓ ⲙ̅ⲡⲥⲁⲡ ⲉⲛⲉϥⲟⲉⲓ ⲛ̅ⲁⲧⲥⲁⲩⲛⲉ (10) ⲟⲩⲁϩⲁ ⲡⲣⲏⲧⲉ ⲡⲉ ⲡⲉⲉⲓ ⲛ̅ⲧⲣⲉϥⲥⲁⲧⲛⲉ 37 ⲕⲁⲧⲁ ⲑⲉ ⲛ̅ⲧⲁϥⲛⲉϩⲥⲉ· {ⲁⲩⲱ} ⲟⲩⲡⲉⲧⲛⲁⲛⲟⲩϥ ⲙ̅ⲡⲣⲱⲙⲉ ⲉⲧⲁⲥⲧⲁϥ ⲛϥ̅ⲛⲉϩⲥⲉ· ⲟⲩⲁϩⲛ̅ ⲟⲩⲙⲁⲕⲁ(15)ⲣⲓⲟⲥ ⲡⲉⲉⲓ ⲛ̅ⲧⲁϥⲟⲩⲏⲛ ⲁⲛⲃⲉⲗ ⲛⲛⲓⲃⲗ̅ⲗⲉⲉⲩ ⲟⲩⲁϩ ⲁϥⲡⲱⲧ· ⲛⲥⲱϥ ⲛ̅ϭⲓ ⲡⲓⲡⲛ(ⲉⲩⲙ)ⲁ ⲉϯⲏⲥ ⲁⲃⲁⲗ ϩⲛ̅ ⲡⲧⲣⲉϥⲧⲟⲩⲛⲁⲥϥ̅ ⲉⲁϥϯ ⲧⲟⲟⲧϥ̅ (20) ⲙ̅ⲡⲉⲧϣⲏϣ ⲁϩⲣⲏⲓ̈ ϩⲓ̈ ⲡⲉⲥⲏⲧ· ⲁϥⲧⲣⲉϥⲧⲱⲕ ⲁⲣⲉⲧϥ̅ ⲁϫⲛ̅ ⲛⲉϥⲟⲩⲉⲣⲓⲧⲉ· ϫⲉ ⲛⲉ ⲙ̅ⲡⲁⲧϥ̅ⲧⲱⲟⲩⲛ ⲇⲉ ⲡⲉ ⲡⲓⲥⲁⲩⲛⲉ ⲛ̅ⲧⲙ̅ ⲡⲓⲱⲧ· ⲟⲩⲁϩⲁ ⲡⲟⲩ(25)ⲱⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ· ⲙ̅ⲡⲉϥϣⲏⲣⲉ ⲁϥϯ ⲛⲉⲩ ⲣⲓⲧⲉ ⲁⲙ̅ⲙⲉ· ⲛ̅ⲧⲁⲣⲟⲩⲛⲉⲩ ⲅⲁⲣ ⲁⲣⲁϥ· ⲁⲩⲱ ⲁⲩⲥⲱⲧⲙ̅ ⲁⲣⲁϥ· ⲁϥϯ ⲛⲉⲩ ⲁⲧⲣⲟⲩϫⲓ ϯⲡⲉ· ⲁⲃⲁⲗ ⲙ̅ⲙⲁϥ ⲟⲩⲁϩⲛ̅ (30) ⲁⲧⲟⲩϣⲁⲗⲙⲉϥ· ⲟⲩⲁϩⲛ̅ⲛ ⲧⲟⲩⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲁϫⲛ̅ ⲡϣⲣ̅ⲙⲛ̅ⲣⲓⲧ· ⲉⲁϥⲟⲩⲱⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲉϥⲧⲁⲙⲟ ⲙ̅ⲙⲁⲩ· ⲁⲡⲓⲱⲧ ⲡⲓⲁⲧϣⲁⲡϥ̅· ⲉⲁϥⲛⲓϥⲉ ⲛ̅ϩⲏⲧⲟⲩ ⲙ̅ⲡⲉⲧϩⲛ̅ ⲡⲓⲙⲉⲉⲩⲉ ⲉϥⲉⲓ(35)ⲣⲉ ⲙ̅ⲡⲉϥⲟⲩⲱϣⲉ ⲉⲁⲩϫⲓ ⲙ̅ⲡⲟⲩⲁⲉⲓⲛ ⲛ̅ϭⲓ ϩⲁϩ· ⲁⲩⲕⲁⲧⲟⲩ (p. 31,1) ⲁⲣⲁϥ (p. 30,6) In der Weise verhielt sich jeder schlafend, solange er unwissend war. (10) Und in der Weise soll er sich aufrichten, als ob er erwacht wäre. Und (15) Heil dem Menschen, der wieder erwachen wird! Und selig der,38 der geöffnet hat die Augen der Blinden. Und es folgte ihm der Geist, der (so) geschwind ist, weil er ihn auferweckte. Er half (streckte seine Hand aus) (20) dem, der hingestreckt war auf die Erde, er hat ihn auf seine Füße gestellt; denn noch war er ja nicht auferstanden. Die Gnosis des Vaters und (25) die Offenbarung seines Sohnes gab er ihnen zu erkennen, denn als sie ihn gesehen und gehört hatten, gab er ihnen von sich zu schmecken und zu (30) riechen und zu berühren den geliebten Sohn. Er ist erschienen (der Sohn?), sie unterrichtend über den Vater, den Unbegreiflichen. Er (der Geist?) blies in sie (35) das, was in dem Gedanken ist, seinen Willen vollbringend.39 Viele wandten sich ihm zu, nachdem sie das Licht empfangen hatten […].

In EV p. 30,19 begegnet ein kausativer Infinitiv von ⲧⲟⲩⲛⲁⲥ mit Personalsuffix -ϥ, und in EV p. 30,23 erscheint der negative Kompletiv von ⲧⲱⲟⲩⲛ (ⲙ̅ⲡⲁⲧϥ̅ⲧⲱⲟⲩⲛ, Layton: „not yet“). ⲧⲱⲟⲩⲛ wird im vorausgehenden Kontext (p. 30,11f.) von dem Verb ⲛⲉϩⲥⲉ mit dem Bedeutungsspektrum „aufwachen, aufstehen, sich erheben, aufwecken, anregen“ begleitet.40 Auch das Verb ⲧⲱⲕ ⲁⲣⲉⲧ in EV p. 30,21, das mit „feststellen, festsetzen, bestärken, sich niederlas-

37 ⲥⲁⲧⲛⲉ,

vgl. ⲥⲟⲟⲩⲧⲛ, „aufrichten“ (Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 201). können der Sohn (Jesus) oder der Vater gemeint sein, vgl. Grobel, Gospel of Truth, 119. 39 Vgl. Joh 4,34; 5,30; 6,38–40. 40 Vgl. Coptic Dictionary Online, s. v. (TLA lemma no. C2674). 38 Hier

132

4. Evangelium Veritatis

sen“ 41 bzw. „strengthen, confirm, stiffen“,42 aber auch mit „place, raise up“ 43 wiedergegeben werden kann, steht im vorliegenden Zusammenhang synonym zu ⲧⲱⲟⲩⲛ. Die Konzentration dieser semantisch zusammengehörigen Verben auf kleinem Raum zeigt, dass in diesem Abschnitt die zentralen, die Schrift insgesamt dominierenden Themen Erlösung und Offenbarung speziell im Sinne eines Auferstehungsgeschehens entfaltet werden.44 Eine weitere Stelle mit zwei direkt aufeinanderfolgenden Formen von ⲧⲟⲩⲛⲁⲥ bzw. ⲧⲱⲟⲩⲛ (ebenso auch ⲛⲉϩⲥⲉ), nämlich ein koptischer Konjunktiv, der hier einen vorausgehenden Imperativ fortsetzt, und ein Infinitiv, findet sich in EV p. 33,5: ⲁⲩⲱ ⲛⲉⲧϩⲁⲥⲓ ⲛ̅ⲧⲉⲧⲛϯ ⲙ̅ⲧⲁⲛ ⲛ̅ⲛⲉⲩ ⲛ̅ⲧⲉⲧⲛ̅ⲧⲟⲩⲛⲉⲥ ⲛⲉⲉⲓ ⲉⲧⲟⲩⲱϣⲉ ⲁⲧⲱⲱⲛ· ⲛ̅ⲧⲉⲧⲛ̅ⲛⲉϩⲥⲉ ⲛ̅ⲛⲉⲧⲛ̅ⲕⲁⲧⲕⲉ· Und den Leidenden verschafft Linderung, richtet alle auf, die aufstehen wollen, und weckt die Schlafenden!

Auch hier geht es im Kontext um Offenbarungshandlungen, nun allerdings sind die „Kinder des Wissens“ angesprochen, in denen vermutlich die Adressaten des Textes zu sehen sind. Von ihnen wird ein fortgesetztes Offenbarungshandeln verlangt. In der Art einer Paränese werden sie zur Verbreitung der Wahrheit und zum Reden „aus dem Licht heraus“ aufgefordert (p. 32). Dabei wird die Wirkung ihres Offenbarungshandelns umschrieben als Stärkung der Gestrauchelten und Schwachen, als Krankenheilung und Speisung der Hung-

41 Westendorf,

Koptisches Handwörterbuch, 227. Crum, Coptic Dictionary, 403. 43 So Segelberg, Evangelium Veritatis, 31. 44 Segelberg, Evangelium Veritatis, 31: „Here are two terms ⲧⲱⲕ ⲁⲣⲉⲧ and ⲧⲱⲟⲩⲛ. The first means place (raise up), and the second resuscitate, arise, and they are connected to one another, the second is an explanation of the first and says that the raising up is a symbol for the resurrection“. Bei der Passage handelt es sich Segelberg zufolge um einen Tauftext. Das „Bestärken, Feststellen“ (ⲧⲱⲕ ⲁⲣⲉⲧ) hat nach Segelberg auch in EV p. 19,30 eine ähnliche Bedeutung. Dort heißt es: „After all these, there came the little children also, those to whom the knowledge of the Father belongs. Having been strengthened, they learned about the impressions of the Father“ (Übers. Attridge / MacRae); vgl. die deutsche Übersetzung: „Nach allen diesen kamen auch die kleinen Kinder zu ihm, denen die Erkenntnis des Vaters vorbehalten ist. Nachdem sie gestärkt worden waren, lernten sie die Erscheinungsweisen des Vaters kennen“ (Übers. Schenke, AcA). Segelberg übersetzt diese Stelle daher wie folgt: „for when they had been confirmed (raised up) they learned to contemplate“. Er hebt die Nähe zu Passagen aus den Oden Salomos hervor und vermutet einen Bezug zum mandäischen Ritual der Taufe als Erweckung zu einem neuen Leben. Darauf verweise in EV p. 30,19 auch das „Reichen der Hand“ (ⲉⲁϥϯ ⲧⲟⲟⲧϥ̅), das ein Bestandteil des mandäischen Taufrituals war. Vgl. auch Segelberg, Baptismal Rite, 121. Wie die Taufe im Wirkbereich des Evangelium Veritatis vollzogen wurde, darüber könne man dem Text allerdings kaum etwas entnehmen. „Neither the terms for submersion nor immersion occur in EV to enlighten us about the method of performing the baptism“ (ebd.). 42 So

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

133

rigen.45 Es klingen also Aspekte des Wirkens des irdischen Jesus an. Das Aufrichten derjenigen, die aufstehen wollen, und das Wecken der Schlafenden erscheinen in einer Reihung mit Heilungen und Speisungen. Die „Kinder“ sollen dieses Wirken in der Welt fortsetzen.

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1 4.3.1 Beschreibung des Textes Der Abschnitt mit der größten Dichte von Auferweckungsterminologie, nämlich EV p. 30,6–31,1, soll im Folgenden im Vordergrund stehen.46 Die Passage ist auch deshalb interessant, weil im unmittelbaren Kontext der hier begegnenden Auferstehungsaussagen Anklänge an die Erzählung über die Erscheinung des auferstandenen Jesus vor den Jüngern bzw. vor Thomas in Joh 20,24–29 und an den Prolog über die theologische Augenzeugenschaft in 1 Joh 1,1–3 begegnen. Das Textstück kann inhaltlich in zwei Unterabschnitte gegliedert werden: (1) EV p. 30,6–14: Die „Schlafenden“ und Unwissenden sollen erwachen und zu Erkenntnis kommen. EV p. 30,14–23: Es folgt eine Seligpreisung dessen, der die Augen der Blinden geöffnet hat. Anschließend wird erzählt, wie der Geist einen „am Boden Liegenden“ aufrichtet und auf die Füße stellt. (2) EV p. 30,23–31,1: Der Sohn vermittelt die Erkenntnis des Vaters, indem er sich den Menschen zeigt; sie kosten, riechen und betasten ihn und gelangen so zur Erkenntnis des Vaters.

Die Passage weist einige Schwierigkeiten auf, die sich vor allem durch fortlaufende implizite Subjektwechsel ergeben. Der Text lässt Erörterungen über den Existenzwandel des Menschen durch seine Erweckung unmittelbar in eine Beschreibung des offenbarenden Wirkens des Geistes und Jesu bzw. des Sohnes übergehen. Der durchgehende Pronominalstil bewirkt, dass neu auftretende Handlungssubjekte unbestimmt bleiben und so die Übergänge zwischen den unterschiedlichen Themen fließend sind. Wer jeweils als Subjekt agiert, ist in der Abfolge von EV p. 30,24–34 nicht ganz eindeutig: In EV p. 30,17–23 ist zunächst vom „Geist“ die Rede, dessen Werk, die Aufrichtung des Liegenden, beschrieben wird. Auch die Vermittlung der Erkenntnis über den Vater und über den Sohn ab EV p. 30,24 kann noch auf das Wirken des Geistes zurückge45 Vgl. dazu Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Notes), 96: „raise up … awaken: The hor­tatory remarks continue to reflect activities attributed to the revelatory agents. Cf. the remarks on the spirit at 30.18–22.“ Segelberg, Evangelium Veritatis, 31f., sieht demgegenüber auch hier liturgische Terminologie vorliegen. 46 Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Introduction), 70, fassen den (größeren) Abschnitt EV p. 24,9–33,32 unter der Thematik „The Effects of Revelation“ zusammen.

134

4. Evangelium Veritatis

führt werden. Von dort setzt der Text dann aber nahtlos mit einer Rede über die Erscheinung des Sohnes fort (p. 30,27ff.), die wohl auch noch EV p. 30,32–34 einschließt: „Er ist erschienen, sie unterrichtend über den Vater, den unbegreiflichen […].“ In EV p. 30,27f. steht jetzt also der Sohn im Vordergrund. Der Geist gibt Jesus oder dieser selbst gibt sich durch die verschiedenen Sinneswahrnehmungen wie Schmecken und Riechen zu erkennen. Unklar ist, ob in EV p. 30,34 dann wieder vom Geist die Rede ist, wenn es heißt, dass „er“ in die erkennenden Empfänger das einblies, was in dem „Gedanken“ ist. Einerseits ist mit dem Einblasen ein typisches Element des Geistwirkens benannt,47 die Rezeption von Motiven aus Joh 20,19–28 könnte andererseits aber auch auf den Sohn als Agens hinweisen. Der Fokus wechselt in diesem Abschnitt jedenfalls kontinuierlich, ohne dass dies durch Benennung des Handlungssubjekts jeweils kenntlich gemacht würde. Man kann vermuten, dass die damit gegebene Unschärfe intendiert ist: Das Wirken des Geistes und das Wirken des Sohnes werden ineinander geblendet und beide letztlich miteinander identifiziert.48 Die fließenden Übergänge und unklaren Identifikationen betreffen auch die Objekte des Offenbarungshandelns. Während bis EV p. 30,24 ein Einzelner als Objekt des Geisthandelns erscheint (vgl. das maskuline Personalpronomen der 3. Person Singular), nimmt der Verfasser ab EV p. 30,26 eine Gruppe von Personen in den Blick, an denen sich das Offenbarungshandeln nun vollzieht. Wer genau mit den Offenbarungsempfängern jeweils gemeint ist, bleibt in beiden Fällen unklar. In der Forschung umstritten ist vor allem, wer in EV p. 30,16–23 durch den Geist aufgerichtet wird, wer also mit dem „am Boden Hingestreckten“ gemeint ist. Unmittelbar zuvor, in EV p. 30,14–16, wird derjenige seliggepriesen, der die Augen der Blinden geöffnet hat. Hier kann es sich nur um einen Anklang an die Blindenheilungen Jesu handeln. Da anschließend kein neuer Handlungsträger eingeführt wird, könnte sich das aufrichtende Handeln des Geistes auf die Auferstehung Jesu beziehen. Vom „Sohn“ ist dann ja auch in EV p. 30,26–34 in Anknüpfung an Joh 20,24–29 die Rede.49 Diese Position wird von R. McL. Wilson vertreten. Wilson vermutet hinter dieser Redeweise 47 Vgl. Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Notes), 87: „breathed into them: Cf. John 20:22. The author here is clearly speaking of the action of the revealer in the human sphere, but it is probably not accidental that the language is also appropriate to the initial insufflation of the divine breath into the first human being. Cf. 30.19–23. The imagery of the insufflation of the spirit, with its rich texture of allusions to Genesis and to the NT, reemerges in the discussion of the Father’s fragrance in 33.33–34.34 and 34.24–27. […] ,when many had received the light‘: Cf. John 1:5, 9, 12.“ 48 Vgl. dazu Standaert, „L’Évangile de Vérité“, 270: „II y a un certain flou, sans doute in­tentionnel, autour du sujet agissant de cette phrase: il est probable qu’il s’agit bien de l’Es­ prit (30, 17), mais il apparaît si personnifié qu’il s’identifie avec le Christ ressuscité.“ 49 Versteht man Jesus als Objekt des Geisthandelns in EV p. 30,16–23, hat das Konsequenzen für die nachfolgende Passage über Jesu Erscheinen, bei dem er gesehen, gehört und dann auch gekostet, gerochen und ergriffen wird. In diesem Fall ist klar, dass es sich hierbei um den Auferstandenen handelt, der sich selbst mitteilt.

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

135

eine Adam-Christus-Typologie, mit der Jesu Auferstehung (als Aufrichten des Liegenden) im Sinne einer Neuschöpfung interpretiert werde.50 Anders urteilt Jacques E. Ménard, der in der Passage die Herabkunft des Geistes auf Jesus bei seiner Kreuzigung geschildert sieht.51 Beide halten schließlich auch die Taufe Jesu für einen möglichen Hintergrund. Besser lässt sich die Beschreibung der Aufrichtung des Liegenden jedoch vom vorausgehenden Abschnitt her verstehen. Das vorausgehende Thema der Konversion von der schlafenden zur „erwachten“ Existenz des Menschen – also sein Erkenntnisgewinn – wird fortgesetzt, indem Motive aus Gen 2,7 als archetypisches Vorbild des Vorgangs angeführt werden. Der Geist hat den (aus dem Schlaf erwachten) Liegenden auf die Füße gestellt und so den Zustand seines „Erwachtseins“ aus der Unwissenheit und dem traumähnlichen Dasein herbeigeführt und nach außen sichtbar gemacht.52 Der Mensch, dem seine Herkunft aus dem Vater offenbart wird, dringt mittels dieses Wissens zu neuem Dasein durch, symbolisiert durch den Wechsel vom Liegen zum Aufgerichtetsein.53 Insgesamt zeigt der Abschnitt eine klare Zweiteilung in einen Unterabschnitt bis EV p. 30,23, der vorwiegend Genesistexte aufgreift und die Auferweckung eines Einzelnen durch den Geist beschreibt, bei dem er aus dem Liegen aufgerichtet wird und ihm die Augen geöffnet werden. Im zweiten Unterabschnitt wird sodann verstärkt johanneische Tradition rezipiert und das Offenbarungswirken geht vom Geist auf den Sohn über. Markiert wird der Fokuswechsel auch durch die Empfänger der Offenbarung, die nun nicht mehr durch einen Einzelnen, sondern durch eine Gruppe repräsentiert werden. Dennoch sind beide Unterabschnitte über das durchgehende Offenbarungsgeschehen und das Thema des Erkennens eng miteinander verflochten. 4.3.2 Die Genesisrezeption in EV p. 30,14–23 Die Transformation des Menschen durch Erkenntnis bildet in EV p. 30,6–36 das zentrale übergreifende Thema. Im ersten Teil dominiert trotz der Anklänge an Heilungen Jesu der Rekurs auf Genesistradition, genauer Gen 3,5 (das Öffnen der Augen) und 2,7 (die Geistgabe an den Menschen bei seiner Erschaffung, die ihn zu einem lebendigen Wesen macht).

50 Vgl.

Wilson, Gnostic Problem, 170 Anm. 83. L’Évangile de Vérité, 139. 52 Hierzu kommentieren Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Notes), 86: „he had not yet arisen: The language continues the Genesis imagery, but it may also contain a metaphorical reference to the ,resurrection‘ provided by the reception of the revelatory Gnosis. If so, the text reflects the ‚realized eschatology‘ of such texts as Treat. Res. 45.14–28.“ 53 Vgl. Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Notes), 86; ähnlich auch Arai, Christologie, 78f. 51 Ménard,

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4. Evangelium Veritatis

Bei der leicht zu überlesenden Anspielung auf Gen 3,5 in der Seligpreisung dessen, der die „Augen der Blinden geöffnet hat“ (EV p. 30,14–16), handelt es sich um ein Motiv aus der Erzählung über den „Fall“ Adams in Gen 3,1–24. Dort ist das „Öffnen der Augen“ Teil des Versprechens der Schlange an die Menschen, dass sie nicht sterben werden, sondern das Essen der verbotenen Frucht ihnen die Augen öffnet, so dass sie wie Gott sein und wissen werden, was Gut und Böse ist.54 Zahlreiche jüdische und christliche Texte legen die biblische Erzählung in Gen 3,1–24 aktualisierend aus, mit Blick auf ihre anthropologischen, ethischen und eschatologischen Potentiale. Sie verstehen sie als Ursprungsgeschichte über den Verlust der anerschaffenen Unsterblichkeit des Menschen durch Adams Fall und über die seither ausgeübte Herrschaft des Todes. Ein Schwerpunkt der Deutung von Gen 3,1–24 in weisheitlichen und philosophischen Schriften (vgl. etwa Weish 2,23–25; Sir 25,24; Justin, Dial. 124,4; Philo, Virt. 9; auch Valentin, Frg. 4 apud Clemens von Alexandrien, Strom. 4,89,2f.) liegt auf der Frage, wie der Mensch seine seit Adams Übertretung verlorene, ursprüngliche Unsterblichkeit, die ein Aspekt seiner Gottebenbildlichkeit ist, wiedergewinnen kann.55 Dazu beschreiben die Texte das Ideal einer Lebensführung, die sich am göttlichen Gesetz bzw. an ethischen Grundsätzen und der Selbsterziehung zu Affektfreiheit oder sogar Askese orientiert (vgl. z. B. Weish 8,17). Ein solcher Gott „nachahmender“ Lebenswandel wird bereits gegenwärtig und unabhängig vom zukünftigen physischen Tod als Weg zur Wiedergewinnung der Gottebenbildlichkeit und Unsterblichkeit verstanden. Bei dieser Form der Genesisrezeption steht also weniger die Hoffnung auf endzeitliche, leibliche Auferweckung im Vordergrund, als vielmehr die Unsterblichkeit als Folge einer bestimmten gegenwärtigen Lebensgestaltung. In den Texten aus dem Fund von Nag Hammadi sind ebenfalls zum Teil umfangreiche Genesisauslegungen belegt (vgl. vor allem das „Apokryphon des Johannes“, „Vom Ursprung der Welt“ und die „Hypostase der Archonten“).56 Die Gebotsübertretung wird dort aber im Sinne einer Protest- oder Kontrast54 Gen 2,16–3,5 LXX: (2,16) καὶ ἐνετείλατο κύριος ὁ θεὸς τῷ Αδαμ λέγων ἀπὸ παντὸς ξύ­λου τοῦ ἐν τῷ παραδείσῳ βρώσει φάγῃ (17) ἀπὸ δὲ τοῦ ξύλου τοῦ γινώσκειν καλὸν καὶ πο­ νηρόν οὐ φάγεσθε ἀπ᾽ αὐτοῦ ᾗ δ᾽ ἂν ἡμέρᾳ φάγητε ἀπ᾽ αὐτοῦ θανάτῳ ἀποθανεῖσθε (3,1) […] καὶ εἶπεν ὁ ὄφις τῇ γυναικί τί ὅτι εἶπεν ὁ θεός οὐ μὴ φάγητε ἀπὸ παντὸς ξύλου τοῦ ἐν τῷ παραδείσῳ (2) καὶ εἶπεν ἡ γυνὴ τῷ ὄφει ἀπὸ καρποῦ ξύλου τοῦ παραδείσου φαγόμεθα (3) ἀπὸ δὲ καρποῦ τοῦ ξύλου ὅ ἐστιν ἐν μέσῳ τοῦ παραδείσου εἶπεν ὁ θεός οὐ φάγεσθε ἀπ᾽ αὐ­τοῦ οὐδὲ μὴ ἅψησθε αὐτοῦ ἵνα μὴ ἀποθάνητε (4) καὶ εἶπεν ὁ ὄφις τῇ γυναικί οὐ θανάτῳ ἀποθανεῖσθε (5) ᾔδει γὰρ ὁ θεὸς ὅτι ἐν ᾗ ἂν ἡμέρᾳ φάγητε ἀπ᾽ αὐτοῦ διανοιχθήσονται ὑμῶν οἱ ὀφθαλμοί καὶ ἔσεσθε ὡς θεοὶ γινώσκοντες καλὸν καὶ πονηρόν. 55 Nach Justin, Dial. 124,4 etwa ist der Mensch ursprünglich zur Gottähnlichkeit geschaffen, verstanden als Unsterblichkeit. Aber dadurch, dass die Menschen Adam und Eva ähnlich wurden, erwirkten sie den Tod. Vgl. Markschies, Valentinus Gnosticus?, 127–141; Dunderberg, Beyond Gnosticism, 39–42. 56 Vgl. dazu Laahe, Gnosis und Judentum.

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

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exegese als ein positives Ereignis und als Weg interpretiert, der Adam zur Erkenntnis führt. Wenn auch nur angedeutet, findet man das Motiv des „Falls“ in ähnlich konträrer Deutung in EV p. 30,14–16 mit dem „Öffnen der Augen der Blinden“ vor. In EV p. 30,14–16 wird aus der Genesisüberlieferung vom „Fall“ Adams lediglich das Motiv des Öffnens der Augen übernommen und in einen positiven Zusammenhang gestellt.57 Anders als in der Genesisvorlage ist das Motiv hier aktivisch formuliert, so dass die Betonung auf den gelegt wird, der „die Augen der Blinden geöffnet hat“. Es tritt ein Handlungsträger in den Blick, der im dichten Kontext der Schriftanklänge nur mit Jesus identifiziert werden kann (vgl. Joh 9,7–11; 11,37). Das in Nag-Hammadi-Texten häufig zu beobachtende Vorgehen, verschiedene Topoi und Motive aus unterschiedlichen Schriftbereichen assoziativ zu überblenden, um dem rezipierenden Text auf produktive Weise neue Sinnhorizonte zu erschließen, kommt hier beispielhaft zum Ausdruck: Mit dem Motiv der Blindenheilung wird neben Gen 3,5 auch Jesustradition aufgerufen. Bereits das Bild des Aufrichtens vom Boden ließ an die „Aufrichtung“ eines Gelähmten denken, so dass das Öffnen der Augen der Blinden die textliche Präsenz der Heilungen Jesu noch weiter verstärkt.58 An die Augenöffnung anschließend folgt sodann das „Aufrichten des Liegenden“, das der belebenden Geistwirkung aus Gen 2,7 nachempfunden ist. Im Textgefälle entsteht so das alltägliche Bild eines Menschen, der aus dem Schlaf erwacht, die Augen öffnet und sich aufrichtet. In EV p. 30 sind die beiden Vorgänge jedoch auf das Wirken des Geistes bzw. des Sohnes zurückgeführt: Der Geist streckt die Hand aus und richtet den Liegenden auf, und vermutlich ist es Jesus, der die Augen des Aufgerichteten öffnet. Im Hintergrund wirken zudem die Kontexte der rezipierten Genesisüberlieferungen mit und reichern die Szene indirekt an. Erwachen und Aufstehen werden so zu symbolischen Ereignissen. Der Mensch erwacht zu einem neuen, nunmehr wahrhaftigen und nicht mehr im Irrtum befindlichen Dasein und wird durch das Wirken von Vermittlergestalten befähigt, zu sehen und zu erkennen.59 Im Vergleich mit den oben genannten weiteren Texten der Kaiserzeit, die Gen 2 und 3 rezipieren, fehlt in der Verarbeitung in EV p. 30 eine ausführliche Schilderung des „Falles“ und eine eigentliche Ätiologie des Todes. Es werden nur diejenigen Motive aufgegriffen, die das Zum-Leben-Kommen illustrieren. Die Genesiserzählung wird also umgekehrt: Nicht eine Bewegung vom (unsterblichen) Leben hin zur Todverfallenheit beherrscht den Text, sondern die Bewegung vom Tod zu (neuem) Leben. Und bei der Aufnahme von Aspekten aus Gen 2,7 geht es nicht um die erstmalige Belebung eines aus 57 Zur Genesisauslegung und Rezeption des „Falls“ im Evangelium Veritatis vgl. Simo­ netti, Biblical Interpretation, 15. 58 Vgl. auch Tuckett, Nag Hammadi, 64. 59 Grobel, Gospel of Truth, 121, etwa spricht mit Bezug auf EV p. 30,20 von „a figure for the man not yet waked from illusory existence“.

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4. Evangelium Veritatis

Erde geformten Wesens, sondern um die Erweckung des – prinzipiell schon lebendigen – Menschen aus seinem schlaf- oder todähnlichen Zustand. Das Geistwirken symbolisiert den Moment der Erkenntnis, der die gesamte bisherige Existenz des Menschen als dem Todeszustand gleichkommend qualifiziert. Der Mensch vor seiner Erkenntnis war schlafend, in gewisser Weise „tot“, so dass der Moment der Erkenntnis nicht nur als ein „Erwachen“, sondern sogar als Auferweckungserfahrung begriffen werden kann. Hier wird die verwendete Auferstehungsterminologie relevant. Der in EV p. 30 beschriebene Vorgang des Aufrichtens vom „Liegen am Boden“ erinnert an Vorstellungsgehalte frühjüdischer Apokalyptik über eine endzeitliche Totenauferweckung, bei der die in der Erde Liegenden, Schlafenden gerufen werden und aufstehen (vgl. 4 Es 73; ApcBar [syr] 20; 32).60 Hinzu tritt im Evangelium Veritatis noch das Öffnen der Augen, das in besonderem Maße für das Erkennen steht. Dieser Vorgang des Erkennens markiert im Evangelium Veritatis den Übergang vom Tod zum Leben. Eine physische Erneuerung ist dabei nirgends im Blick, weder wird der Körper des Liegenden neu belebt, noch erhält der Erwachte einen neuen, verherrlichten Leib. 4.3.3 Die Rezeption von Joh 20,24–28 und 1 Joh 1,1–3 in EV p. 30,23–31,1 Im zweiten Teil des hier betrachteten Textausschnitts wechselt der Fokus vom Wirken des Geistes bei der Erweckung des Menschen auf das Wirken des Sohnes und von der Rezeption von Genesisüberlieferungen zur Rezeption von Motiven aus neutestamentlichen Texten. Die übergreifende Thematik der Erkenntnis- und Offenbarungsvermittlung wird jedoch weiterverfolgt. Nach den schöpfungsgeschichtlichen Anklängen und dem Augenöffnen tritt nun ein weiteres, traditionell mit dem Thema Offenbarung verbundenes Motiv in den Vordergrund: das Erscheinen des Auferstandenen vor den Jüngern. Das neue Unterthema fügt sich bruchlos in die von den Genesisanklängen geprägte Atmosphäre ein und die fließenden Übergänge legen nahe, dass sich das Handeln des Sohnes nicht wesentlich vom Geistwirken unterscheidet, sondern dieses fortsetzt.61 Auch kam ja mit dem „Öffnen der Augen“ der Sohn bereits als Blindenheiler indirekt in den Blick. Es rückt nun allerdings ein neuer Aspekt des Erkenntnisthemas ins Zentrum. Ab EV p. 30,26 wird der Sohn explizit, unter Aufnahme von Motiven aus Joh 20,22.24–27 bzw. 1 Joh 1,1–3, in das Offenbarungsgeschehen eingeführt. Die Beziehung zu den neutestamentlichen Texten hat auch hier die Form von Anspielungen; es fehlen in EV p. 30,17–36 explizite und markierte Zitate. Einen bewussten Bezug auf Joh 20,24–27.22 kann man demnach nicht mit letzter 60 Vgl.

Stemberger, Leib der Auferstehung. Arai, Christologie, 79, lässt sich sogar feststellen: „Jesus und der Geist sind also identisch, und es ergibt sich, daß hier nicht nur die Auferstehung Christi, sondern auch das Heilswerk des irdischen Jesus gemeint sein kann.“ 61 Nach

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

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Sicherheit begründen.62 Das Evangelium Veritatis lehnt sich allenfalls an Motive aus dem Johannesevangelium an, zitiert es aber nicht formal als Autorität.63 Außerdem können die genannten Sinneswahrnehmungen „hören“ (ⲥⲱⲧⲙ), „sehen“ (ⲟⲩⲛⲉⲩ) und „betasten“ (ⲙⲁϩⲧⲉ), auch auf eine Rezeption von 1 Joh 1 zurückgehen, wo im Prolog des Briefes (V. 1–4) mit Verben sinnlicher Wahrnehmung, ἀκούω, ὁράω, θεάομαι und ψηλαφάω, die Offenbarungstradition legitimiert wird. Dass aber die Erzählung von der Erscheinung des Auferstandenen vor den Jüngern bzw. vor Thomas im Hintergrund der Passage in EV p. 30,25–31,1 eine Rolle spielt, ist anzunehmen. Denn hier im Evangelium Veritatis erscheint nicht das Wort des Lebens (vgl. 1 Joh 1,1: ὁ λόγος τῆς ζωῆς) als Handlungsträger, sondern der Sohn Gottes,64 und außerdem kann in EV p. 30,33f. eine Anspielung auf Joh 20,22 und die Geisteinhauchung gesehen werden. Im Kontext wird schließlich von der Wirkung des Erscheinens Jesu unter den Menschen gesprochen und als Scheidung zwischen denen beschrieben, die sich ihm zuwenden, weil sie das Licht erkannten, und denen, die ihn ablehnen, weil sie seine Gestalt nicht erkannt haben. Das erinnert an die dualistische Wirkung des johanneischen Jesus unter den Menschen. Der Umgang des Verfassers mit seinen johanneischen Prätexten ähnelt dem mit den Genesistexten: Auch Joh 20,22.24–27* (und 1 Joh 1,1–3) werden nicht zitiert und ausgelegt, sondern verwendet, um aus ihnen in Verbindung mit Gen 3,5 eine innovative Deutung des Offenbarungsgeschehens zu entwickeln. Man kann hier nicht eigentlich von Deutungen des Textes in Joh 20 sprechen, denn es liegt erkennbar nicht im Interesse des Evangelium Veritatis, eine sich am Johannesevangelium orientierende Auslegung der johanneischen Thomasepisode vorzustellen. Die Verarbeitung johanneischer Überlieferung folgt vielmehr dem Muster kreativer Verzweigungen von bei Johannes grundgelegten Themen und Topoi, die – teilweise in Neukombination mit anderen Stellen aus dem vierten Evangelium – eine Bandbreite neuer Assoziationen freisetzen konnten. Aus der Erzählung über Jesu österliches Erscheinen vor Thomas in Joh 20,24–28 übernimmt der Verfasser das Motiv des Berührens des (auferstande62 Vgl. Nagel, Rezeption des Johannesevangeliums, 378. Vgl. auch ebd., 377: „Das Motiv der sinnlichen Wahrnehmbarkeit des Auferstandenen, wie es Joh 20,25.27; Lk 24,36, aber auch in anderen frühchristlichen Texten begegnet, könnte hier Aufnahme gefunden haben, ohne daß allerdings ein näherer Hinweis auf eine spezifische Rezeptionsgrundlage erkennbar ist.“ 63 Darin besteht eine gewisse Gemeinsamkeit zur Rezeption des Johannesevangeliums im 1. Johannesbrief (vorausgesetzt, dieser entstand nach dem vierten Evangelium): Das Fehlen einer direkten Bezugnahme auf das Johannesevangelium im 1. Johannesbrief bei gleichzeitiger Übernahme von Themen und Motiven könnte mit dem Gattungswechsel und der veränderten Kommunikationssituation zusammenhängen. An die Stelle der Stimme des Offenbarers, die in den Reden und Dialogen des Johannesevangeliums zu hören ist, tritt im Brief die Offenbarungstradition (vgl. Vouga, Johannesbriefe, 12). 64 Vgl. auch Arai, Christologie, 79–82.

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4. Evangelium Veritatis

nen) Körpers Jesu. Es ist dieser Leib, der, wenn er von den Menschen intensiv aufgenommen und verinnerlicht wird, die Erkenntnis des Vaters offenbart. Damit setzt der Abschnitt gegenüber dem vorausliegenden Kontext einen neuen Akzent: Es geht nun nicht mehr um den Erweckungsvorgang schlechthin, sondern um die Art und Weise der Vermittlung und Aneignung der Erkenntnis von Sohn und Vater, die sich hier leiblich vollziehen. Die Passage in EV p. 30,23–26 fasst das folgende Thema in einer Art Überschrift zusammen: „Die Erkenntnis des Vaters und die Offenbarung seines Sohnes gab er ihnen zu erkennen […].“ Dieser Überschrift zufolge wird mit der Offenbarung des Sohnes (ⲡⲟⲩⲱⲛϩ̅ ⲁⲃⲁⲗ ⲙ̅ⲡⲉϥϣⲏⲣⲉ) den Offenbarungsempfängern auch „die Erkenntnis des Vaters“ zuteil (ⲡⲓⲥⲁⲩⲛⲉ ⲛ̅ⲧⲙ̅ ⲡⲓⲱⲧ, beide Ausdrücke werden in EV p. 30,25f. parallel verwendet, was noch einmal die enge Bezogenheit des Sohnes auf den Vater zeigt). Das bedeutet, dass das Erscheinen des Sohnes gleichzeitig die Erkenntnis des Vaters vermittelt. Gestaltet ist dieses Thema in Anlehnung an die Erscheinungserzählungen in Joh 20,(19–23.)24–27 als Begegnung zwischen dem Sohn und einer unbestimmten Personengruppe („sie“). Die Begegnung mit dem Auferstandenen ist ebenso wie Adams Fall ein in apokrypher Literatur häufig rezipierter Topos, der zum Beispiel in einigen überlieferten koptischen Erscheinungsevangelien verarbeitet wird.65 Anders als dort offenbart der Sohn in EV p. 30,23–31,1 keine neue Lehre, sondern sich selbst in einer Weise, dass „sie“ ihn „schmecken“, „riechen“ 66 und „berühren“ 67 können.68 Im Evangelium Veritatis sind es demnach insbesondere die Leiblichkeit und sinnliche Wahrnehmbarkeit des Auferstandenen, die aus den Erscheinungserzählungen in Joh 20 aufgegriffen und in einen neuen Kontext gestellt werden. Weitere Elemente der johanneischen Erscheinungserzählung, wie die Sendung der Jünger und ihre Bevollmächtigung zur Sündenvergebung (vgl. Joh 20,21.23), bleiben dagegen unerwähnt. 4.3.4 Weisheitlicher Hintergrund und christologische Transformation des „Betastens“ und „Kostens“ im frühen Christentum Das „Betasten“ in EV p. 30,31 stellt einerseits den deutlichsten Bezug zu Joh 20,24–27 her, kann andererseits aber auch allgemein als Bild für die beson65 Vgl.

Hartenstein, Die zweite Lehre. ϫⲓϯⲡⲉ bzw. ϣⲱⲗⲙ, ϣⲱⲗⲙⲉ. 67 In Codex I erscheint für „berühren“ das koptische Verb ⲙⲁϩⲧⲉ, das auch mit „ergreifen“ übersetzt werden kann (vgl. oben Kap. 3). 68 Vgl. auch AuthLog (NHC VI,3) p. 22,22–23,1: „Insgeheim hat ihr Bräutigam ihn gebracht und ihn ihr [der Seele] in den Mund gelegt, damit sie ihn esse wie eine Speise. Und er hat ihr den Logos auf die Augen gelegt wie ein Heilmittel, auf daß sie mit ihrem Verstand sehen möge, ihre Verwandten erkenne und Wissen über ihre Wurzel erlange; damit sie sich (wieder) mit ihrem Zweig verbinden möge aus dem sie früher hervorgegangen ist; damit sie das Ihrige empfange, die [Materie] hinter sich lasse […]“ (Übers. Heyden / Kulawik). 66 Koptisch

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

141

dere Nähe des Menschen zum Göttlichen und als eine Erfahrungsweise des Göttlichen verwendet werden.69 Dieses Betasten ergänzt der Verfasser noch mit den Sinnesverben „Schmecken“ und „Riechen“. Es handelt sich dabei um Kategorien, in denen traditionell der Empfang von Weisheit beschrieben wird. Weisheit kann gehört, gelernt und „geschmeckt“ werden.70 Das „Schmecken“ ist als Metapher für ein Erleben göttlicher Zuwendung schon biblisch belegt,71 es begegnet neben Ps 34,9 LXX auch in Hebr 6,4f.72 und 1 Petr 2,1–3.73 Das Empfangen von Erkenntnis (und Lehre) wie „Nahrung“, die der Empfänger zu sich nimmt, eben „schmecken“ und so verinnerlichen kann, und die ihn aufrichtet und wachsen lässt, kann als konventionelle weisheitliche Metaphorik gelten. In weisheitlicher Literatur ist die Rede vom Wort Gottes, das wie Speise nährt und das Leben erhält, geläufig: Die Weisheit wird als Nahrungsgeberin oder selbst als Nahrung bezeichnet.74 In der Brotrede in Joh 6,35–58 wird diese traditionelle weisheitliche Motivik mit weitreichenden wirkungsgeschichtlichen Konsequenzen christologisch transformiert. Die in der Synagoge gehaltene, zunächst als Schriftauslegung gestaltete Rede Jesu partizipiert an weisheitlicher Bildwelt (vgl. Joh 6,35 mit Sir 24,21 und Spr 9,1–6). Jesus legt die jesajanische Verheißung der Gottesgelehrtheit (Jes 54,13) auf seine eigene Offenbarung hin aus, bietet also eine Reflexion weisheitlicher Bildsprache vom Wort Gottes als wahrer Speise. Diese Motivik erhält dann aber in Jesu Rede eine neue Ausrichtung und wird auf ihn selbst als das „wahre Brot vom Himmel“ ausgedehnt.75 Das Ich-bin-Wort ἐγώ εἰμι ὁ ἄρτος (τῆς ζωῆς) (vgl. Joh 6,35 u. ö.) begreift die Person Jesu als die wahre, von Gott kommende Speise, die unverderblich ist, und als Gottes lebensspendendes Wort. Das Wort Gottes erscheint in der irdischen, menschlichen Gestalt Jesu und wird auf diese Weise mit den Sinnen wahrnehmbar, kann betastet und als „Brot“ sogar im eucharistischen Vollzug „gegessen“ werden. 69 Vgl.

Philo, Mut. 126, wo von Mose gesagt wird, dass er „stets das Göttliche betastet und in Händen hält“ (τὸ μὲν νόμος μεταγράφειν ἐπ ὠφελείᾳ τῶν ἐντευξομένων ψηλαφῶντός ἐστι καὶ διὰ χειρὸς ἔχοντος ἀεὶ τὰ θεῖα). Vgl. außerdem Apg 17,27. 70 Vgl. Attridge, Resurrection Motifs. 71 Vgl. γεύομαι im Profangriechischen u. a. bei Platon, Resp. 2,358e; Leg. 6,752c. 72 Hebr 6,4f.: Ἀδύνατον γὰρ τοὺς ἅπαξ φωτισθέντας, γευσαμένους τε τῆς δωρεᾶς τῆς ἐπ­ουρανίου καὶ μετόχους γενηθέντας πνεύματος ἁγίου καὶ καλὸν γευσαμένους θεοῦ ῥῆμα δυ­νάμεις τε μέλλοντος αἰῶνος 6 καὶ παραπεσόντας, πάλιν ἀνακαινίζειν εἰς μετάνοιαν, ἀνα­ σταυ­ροῦντας ἑαυτοῖς τὸν υἱὸν τοῦ θεοῦ καὶ παραδειγματίζοντας. 73 1 Petr 2,1–3: Ἀποθέμενοι οὖν πᾶσαν κακίαν καὶ πάντα δόλον καὶ ὑποκρίσεις καὶ φθό­ νους καὶ πάσας καταλαλιὰς ὡς ἀρτιγέννητα βρέφη τὸ λογικὸν ἄδολον γάλα ἐπιποθήσατε, ἵνα ἐν αὐτῷ αὐξηθῆτε εἰς σωτηρίαν, εἰ ἐγεύσασθε ὅτι χρηστὸς ὁ κύριος. 74 Vgl. Sir 1,16; 15,3; 24,21 LXX; vgl. auch die Rede vom ἄρτος οὐρανοῦ in Ps 77,24f.; 104,40 LXX; ähnlich Weish 16,20; ferner 1 Kor 10,3; Philo, Leg. 2,86; Barn 11,11; vgl. Petersen, Jesus zum „Kauen“, 117. 75 Im asymmetrischen Dialog mit den Juden ruft gerade dies den Widerspruch hervor: Wie kann der Sohn Josefs, dessen Herkunft bekannt ist, von sich behaupten, vom Himmel gekommen zu sein (Joh 6,42)?

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4. Evangelium Veritatis

Der Prolog des 1. Johannesbriefes beschreibt schließlich die Inkarnation des Wortes Gottes in Christus als mit allen menschlichen Sinnen erfahrbar, d. h. als ein konkretes, unter den Menschen geschehenes, geschichtliches Ereignis.76 Im Kontext des 1. Johannesbriefes soll der Rekurs auf die zurückliegende sinnliche Wahrnehmung der Offenbarung jetzt ihre Verkündigung begründen, deshalb wird das „Sehen“ (ὁράω) vom „Bezeugen“ (μαρτυρέω) begleitet (V. 2).77 Die Verkündigung der so beglaubigten Offenbarungstradition schafft eine Gemeinschaft, und wer ihr zugehört, hat auch an der Erlösung teil.78 Was die genannten Texte verbindet, ist die Tatsache, dass sie nicht deswegen auf die Sinneswahrnehmungen des Sehens, Berührens und Schmeckens eingehen, um die Realität der Auferstehung Jesu zu beweisen oder Aussagen über seine leibliche Natur zu treffen. Im Zentrum steht vielmehr die unmittelbare und intime Erfahrung des Göttlichen, die jene verwandelt, denen sie zuteilwird, indem sie Auferstehungsleben schenkt (Joh 6,51.54.57f.) bzw. Gemeinschaft mit dem Vater stiftet und zur Verkündigung befähigt (1 Joh 1,3). In vergleichbarer Weise wird auch in EV p. 30,23–31,1 die Vermittlung der Erkenntnis als ein leiblicher, sinnlicher Vorgang und damit als ein Ereignis beschrieben, bei dem die Nähe zum Göttlichen besonders intensiv erlebt wird und die Empfänger der Erkenntnis verändert. Der Leib des Sohnes erscheint als Träger der Erkenntnis, und aus diesem Grund bekommt er besondere Bedeutung und muss hier genauer in den Blick genommen werden. 4.3.5 Jesu Leib und seine „fleischliche Gestalt“ im Evangelium Veritatis a) Die Leiblichkeit Jesu als Aspekt der Offenbarung des Vaters Das Evangelium Veritatis beschreibt an verschiedenen Stellen die Gestalt des aus dem Vater stammenden Wortes bzw. des Sohnes, der der Schoß des Vaters ist (vgl. EV p. 24,13f.),79 als eine materielle, manifeste Erscheinung. So heißt es in EV p. 23,30f., dass die Liebe des Vaters das Wort mit einem Körper (ⲥⲱⲙⲁ) bekleidet hat. Nach EV p. 26,4–8 ist das Wort nicht nur Stimme (geblieben), sondern es wurde zu einem Leib (ⲥⲱⲙⲁ). Es ist das Wort Gottes, das die Propheten zuvor verkündet haben und das auf diese Weise zunächst hörbar war. Für die jüngste Vergangenheit und die Gegenwart gilt nun aber 76 Die

Frage, ob das Johannesevangelium zeitlich vor dem 1. Johannesbrief entstand, kann hier nicht diskutiert werden und ist für die Rezeption johanneischer Motive im Evangeli­um Veritatis nicht entscheidend. 77 Vgl. auch Joh 3,11; 19,35. 78 Vgl. Vouga, Johannesbriefe, 14. 79 EV p. 24,9–20: „Wenn der Vater seinen Busen entblößt – sein Busen aber ist der Heilige Geist – und wenn er seinen Schoß enthüllt – sein Schoß ist sein Sohn –, so geschieht es zu dem Zweck, daß die Äonen durch das Innere des Vaters ihn erkennen und aufhören, sich mit der Suche nach dem Vater zu plagen, auf daß sie in ihm zur Ruhe kommen und erkennen, daß dies die (wahre) Ruhe ist“ (Übers. Schenke, AcA).

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

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(p. 31,4–6), dass der Sohn in fleischlicher Gestalt (ⲛ̅ⲟⲩⲥⲁⲣⲝ ⲛ̅ⲥⲙⲁⲧ) kam 80 und sich bei seinem Tod der „zerrissenen Lumpen“ entledigte, um Unvergänglichkeit anzuziehen (p. 20,30–34). Da der Sohn im Evangelium Veritatis die verborgene Seite des Vaters repräsentiert, bedeutet sein leibliches Erscheinen letztlich, dass hier der Vater selbst (leiblich) offenbar und zugänglich wird. Die Leibwerdung des Wortes wird im Evangelium Veritatis zu einer besonderen, letztgültigen Form der Offenbarung, das Evangelium Veritatis begreift die Leiblichkeit Jesu also als eine Stufe im fortschreitenden Offenbarungsgeschehen. Der Sohn verkörpert in seiner fleischlichen Erscheinung die Erkenntnis des Vaters, ja, er ist ihre leibliche, fleischgewordene Manifestation. Was bedeutet das für die Substanz dieses Leibes? Auch wenn es an anderer Stelle heißt, Jesus sei geduldig im Leiden gewesen (p. 20,11), scheint sein Leib so vorgestellt zu sein, dass er eine besondere Stofflichkeit besitzt.81 Explizit kommt dies in EV p. 31,4–7 zum Ausdruck: „Die Materie ⟨wunderte sich (?)⟩, daß er sie in einer fleischlichen Gestalt 82 durchquerte, ohne daß etwas seinen Gang hindern konnte […].“83 b) Der Leib des Sohnes als verkörperte Erkenntnis: Die Bilder der „Frucht“ und des „Buches“ Was die Leibwerdung des Sohnes für die Menschen bedeutet und wie diese die so gestaltgewordene Erkenntnis aufnehmen und verinnerlichen können, veranschaulicht der Verfasser des Evangelium Veritatis im weiteren Kontext mit zwei ungewöhnlichen Bildern: In einem kurzen, theologisch dichten Abschnitt über Jesu Leiden und seine Kreuzigung wird der Sohn in EV p. 18,24–26 als essbare „Frucht der Erkenntnis des Vaters“ (ⲟⲩⲧⲁϩ ⲙ̅ⲡⲓⲥⲁⲩⲛⲉ ⲛ̅ⲧⲉ ⲡⲓⲱⲧ) und in EV p. 20,24–27 als „Buch“ bezeichnet, das in den Herzen entrollt wird. Insbe80 Einen ähnlichen Gedanken findet man im Johannesevangelium, genauer: in der Verbindung des fleischgewordenen, irdischen Jesus mit dem göttlichen Logos im Prolog. Theobald, Geist und Inkarnationschristologie, 30, stellt im Johannesprolog ein „gleichsam ontologisches Interesse an der Person des eschatologischen Boten Gottes“ fest: „Wenn 1,14 von der Fleischwerdung des Logos in Christus spricht, dann ist das also nicht auf seine Person in einer verengten, von der Geschichte abstrahierenden Sicht zu beziehen, sondern die irdische Lebensgestalt Jesu, die im Tod ihre Vollendung findet, ist insgesamt als das fleischgewordene, bleibende Wort Gottes an die Menschen zu begreifen.“ 81 Das Evangelium Veritatis weist einige Inkonsistenzen in der Beschreibung der Leiblichkeit des Sohnes auf, vgl. auch Thomassen, Spiritual Seed, 154f. 82 Vgl. Röm 8,3. 83 Übers. Schenke (NHD). Mit einer besonderen Materialität des Leibes des Erlösers im Evangelium Veritatis rechnet auch Magnusson, Gospel of Truth, 172, in seiner Auslegung von EV p. 25,35–27,4: „The body would not refer to carnal flesh, but rather to the spiritual body of the Saviour. That it was not any longer only a sound would mean that what the prophets had predicted now became reality […]. What earlier was prophecy becomes the Saviour’s body.“

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4. Evangelium Veritatis

sondere bei dem letztgenannten Motiv, das mit Bekleidungsmetaphorik kombiniert wird und sich daher auf die (leibliche) Gestalt Jesu bezieht, handelt es sich um eine besondere Bildsprache, die Jesu Erscheinung in der Welt in ihrer Proexistenz für die Menschen erfasst. Das Motiv der „Frucht“ in Zusammenhang mit „Erkenntnis“ in EV p. 18,24– 26 ist eine deutliche Anspielung auf Gen 2,9.16f. und 3,1–6 und die Frucht des Baumes der Erkenntnis im Garten Eden, die denen, die sie essen, den Tod bringt: Deswegen wurde die Täuschung auf ihn [sc. Jesus Christus] zornig und verfolgte ihn. Sie geriet durch ihn in Bedrängnis und wurde zunichte gemacht. Er wurde an ein Holz genagelt und wurde (so) zu einer Frucht der Erkenntnis des Vaters. Sie richtete freilich nicht zugrunde, dadurch daß sie gegessen wurde. Vielmehr ließ sie die, die davon aßen, zum Sein kommen. Es freuten sich, ihn gefunden zu haben, alle, die er in sich fand und die ihn in sich fanden.84

Nach dieser Beschreibung wurde Jesus also bei seiner Kreuzigung „an ein Holz“ zur Frucht des „Kreuzesbaumes“. Den Hintergrund dieser Vorstellung bildet die Interpretation des Kreuzes als Baum des Lebens aus Gen 2,9 bzw. als neuer, zweiter „Baum der Erkenntnis“, der dem ersten Baum im Paradies gegenübersteht. Eine solche Deutung Jesu als antitypische „Frucht“, die Leben bringt, ist auch in anderen Nag-Hammadi-Texten belegt.85 Das Evangelium Veritatis ist darin, das Heilvolle der Leibwerdung und des Todes Jesu durch einen Kontrast zu Gen 2 und 3 herauszuarbeiten, also nicht originell.86 Während das Philippusevangelium das Motiv der Frucht des Kreuzesbaumes nutzt, um das Ritual der Salbung herzuleiten und deren soteriologische Relevanz zu begründen, ist im Evangelium Veritatis mit der Frucht kein Sakrament oder Ritual verbunden. Die Salbung wird zwar in EV p. 36 erwähnt, aber nicht im Zusammenhang mit der „Frucht“. Nach dem Evangelium Veritatis kann der Gekreuzigte als Frucht des Kreuzes von den Erkennenden unmittelbar „gegessen“ werden, ohne den Zwischenschritt einer rituellen Vermittlung. Vielleicht ist mit dem „Essen“ angedeutet, dass die lebensbringende Erkenntnis über eine (meditative) Verinnerlichung angeeignet wird. Auf der Ebene der verwendeten Bilder macht der Sohn als „Frucht“ die Wirkung der Frucht des Baumes der Erkenntnis im Paradiesgarten rückgängig und wird als Gekreuzigter zum Gegentypus der tod84 Übers.

Schenke (AcA). EvPhil 92 (NHC II,3 p. 73,15–19). Das Motiv der zwei Paradiesbäume mit ihren jeweiligen Früchten begegnet beispielsweise auch in EvPhil 84 (NHC II,3 p. 71,22–34). Jesus als „Frucht“ bzw. „Same“ des Kreuzesbaumes thematisiert EvPhil 91 (NHC II,3 p. 73,8– 15), wo es heißt, Josef der Zimmermann habe im Garten Bäume gepflanzt, aus denen er das Kreuz herstellte. An der Pflanzung hing Jesus als „Same“. Im Philippusevangelium wird mit dem Kreuzesbaum und seiner Frucht auch die „Salbung“ assoziiert, die wiederum zum Empfang der Auferstehung nötig ist. 86 Ob hier auch eucharistische Hintergründe vorliegen (vgl. Fecht, Evangelium Veritatis, 106), kann an dieser Stelle nicht weiter diskutiert werden. 85 Vgl.

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

145

bringenden Frucht.87 Ihn zu „essen“, bringt nicht mehr Verderben bzw. den Tod, sondern lebensspendende Erkenntnis (vgl. auch das „Öffnen der Augen“ in EV p. 30,14–16).88 Das Motiv der Frucht vermittelt nicht nur den Vorstellungsgehalt des Essens und Einverleibens auf Empfängerseite. Es drückt zugleich auch die enge, geradezu substanzhafte Relation von Vater und Sohn ähnlich der Einheit von Baum und Frucht aus. Im protologischen Entwurf des Evangelium Veritatis hatte die „Täuschung“ sich von ihrem göttlichen Ursprung weit entfernt und die Welt mit ihren Trugbildern erschaffen.89 Jesus als „Frucht“ des Vaters erscheint als Gegenentwurf zur Täuschung, er repräsentiert das ontologisch wahre Bild des höchsten göttlichen Prinzips.90 Mit dem Bild der Frucht ist also die Herkunft und Abstammung Jesu aus dem Bereich der höchsten Wahrheit beschrieben. Jesus transformiert sich in das Abbild der höchsten göttlichen Wirklichkeit. Ebenfalls im Kontext des Kreuzestodes, aber mit einem anderen Bild thematisiert EV p. 20,24–27 das Heilvolle an der Leibwerdung Jesu: Er bekleidete sich mit jenem Buche. Man nagelte ihn an ein Holz. Er veröffentlichte den Befehl des Vaters an dem Kreuz.91

Mit der Bekleidungsmetaphorik verwendet diese Passage konventionelle Bildsprache, mit der schon in neutestamentlichen Texten die leibliche Verwandlung bzw. der Statuswechsel dessen, der sich bekleidet, illustriert werden kann.92 Auch im Evangelium Veritatis begegnen Gewandmetaphern, wo von Jesu leib87 Das Bild der Frucht ist nicht allein gewählt, weil das Motiv von Gen 3 vorgegeben ist. Vielmehr drückt sich in der „Frucht“ vor allem aus, dass der göttliche Nous dem Menschen zugänglich wird. Die Kreuzigung ist das Geschehen, durch das der Mensch Zugang zum göttlichen Bereich erhält. 88 Vgl. EV p. 18,26–31: ⲛⲧⲁϥⲧⲉⲕⲟ ϭⲉ ⲉⲛ ϫⲉ ⲁϩⲟⲩⲁⲙϥ̅ ⲛⲉⲛⲧⲁϩⲟⲩⲁⲙϥ ⲇⲉ ⲁϥϯ ⲛⲉⲩ ⲁⲧⲣⲟⲩϣⲱⲡⲉ ⲁⲩⲣⲉ ϣⲉ ⲛϩⲣⲏⲓ̈ ⲛϩⲛ̅· ⲡⲓϭⲓⲛⲉ· ⲛ̅ⲧⲁϥ ⲛ̅ ϫⲉ ⲛⲉⲉⲓ ⲛ̅ⲧⲁϥϭⲛ̅ⲧⲟⲩ ⲛ̅ϩⲏⲧϥ̅ⲁⲩⲱ ⲛ̅ⲧⲁϥ ⲁⲩϭⲛⲧϥ̅ ⲛ̅ϩⲏⲧⲟⲩ. Zur Stelle vgl. Attridge / MacRae, Gospel of Truth (Notes), 51: „The effect of the revelatory act of Jesus on the cross is to awaken in the recipients of the revelation consciousness of their relationship to the Father. In the Tri. Trac. the Son in the pleroma both contains (64.19) and is contained by (65.27) the aeons. The imagery is thus applicable to the transcendent, divine world, but it is also appropriate to the human world.“ Zu den möglichen Anspielungen auf Texte des Neuen Testaments vgl. Ménard, L’Évangile de Vérité, 90, der 1 Kor 8,6; Eph 4,6, und Kol 1,17 nennt, und Grobel, Gospel of Truth, 199, der auf Joh 14,10 und 17,21 verweist. 89 Vgl. Brix, Gospel of Truth (2017), 235f. 90 Brix, Gospel of Truth (2017), macht auf die platonische Hermeneutik im Evangelium Veritatis aufmerksam. In der Nag-Hammadi-Schrift finden sich Anklänge an eine in der kaiserzeitlichen Philosophie vielfältig verarbeitete Epistemologie, wie sie im Liniengleichnis entfaltet wurde (Resp. 509d–511e). Demnach gibt es vier hierarchisch geordnete Erkenntnisgegenstände, denen vier Erkenntnisweisen entsprechen. Brix zufolge wirkt diese breit rezipierte platonische Epistemologie (vor allem Resp. 511b–e) in der Auffassung von Jesus als Frucht der Erkenntnis des Vaters nach. 91 Vgl. Kol 2,14. 92 Vgl. Gal 3,28; 1 Kor 15,49.53f.; 2 Kor 5,1–4; Röm 13,14; vgl. Kol 3,9f.; Eph 4,22–

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4. Evangelium Veritatis

licher Gestalt und ihrer Unvergänglichkeit die Rede ist (vgl. p. 20,29–34). Entsprechend kann das Bekleiden mit dem „lebendigen Buch“ an der zitierten Stelle ebenfalls als Veranschaulichung der Leibwerdung des Wortes Gottes verstanden werden, die schließlich im Kreuzestod – gleichsam als dem Moment „äußerster Leiblichkeit“ und der öffentlichen Präsentation der Offenbarung – mündet.93 Das „Buch“ ist nach EV p. 19,34–20,3 im Denken und Verstand des Vaters geschrieben worden, vor Grundlegung des Alls, verborgen vor allen. Wenn sich der Sohn mit diesem „Buch“ im Kontext der Kreuzigung bekleidet, ist damit gemeint, dass es nun in Gestalt des Gekreuzigten manifest und für die Menschen öffentlich sichtbar wird (p. 19,34–20,14). Das „Buch“ offenbart folglich nicht lehrhafte Inhalte, sondern ist unmittelbar mit Jesu Person, die den Kreuzestod erleidet, gleichzusetzen. Dem „Essen der Frucht“ als Aneignung der Offenbarung entspricht hier das „Entrollen des Buches im Herzen“ (p. 19,34–20,3): In ihrem Herzen wurde das lebendige Buch der Lebenden entrollt, das im Denken und im Verstand (p. 20) [des] Vaters geschrieben worden ist und seit dem Beginn der Grundlegung des Alls zu dem, was an ihm unbegreifbar ist, gehört.94

Dem Evangelium Veritatis zufolge stehen im „lebendigen Buch“ die Namen derer, die erlöst werden. Folgt man der Deutung Einar Thomassens, wonach das „Buch der Lebendigen“ in Gestalt der Namen das wahre Selbst der erlösten Menschen beinhaltet,95 so ist die Leibwerdung des Wortes und insbesondere die Leiblichkeit des Gekreuzigten der Ort, an dem den Menschen ihr wirkliches, aus dem himmlischen Bereich stammendes Sein offenbart wird. Im Urzustand erschien der Wort-Sohn zunächst als das „Licht“, das aus dem Vater stammt, und als die verborgene Seite des Vaters. Die Fleischesannahme des Wortes (oder sein Erscheinen in Fleischesgestalt) und vor allem sein Kreuzestod, bei dem Jesus zur „Frucht“ wird und sich mit dem „Buch der Lebendigen“ bekleidet, interpretiert der Verfasser in dem Sinne, dass hier Aspekte des Vaters in eine den Menschen nun zugängliche, begreifbare und „essbare“ Form transformiert werden. Das Evangelium Veritatis beschreibt mit der „Frucht“ und dem „Buch“ eine besonders qualifizierte Form der Leiblichkeit des Sohnes, eine Form, welche die Offenbarung auf Empfängerseite noch besser zugänglich macht. Eventuell versteht das Evangelium Veritatis also Jesu 24; außerdem EvPhil 24 (NHC II,3 p. 57,19–22); 77 (p. 70,5–9); 101 (p. 75,21–25) und 106 (p. 76,22–31). Siehe dazu auch die Ausführungen in Kap. 3 und 5. 93 Vgl. Franzmann, Jesus, 31: „Jesus, the Son and the Word all have imperishable bodily existence […]. Moreover, the body, which the father’s love made over the Word (23.30–31) might well be the book which Jesus puts on (20.24).“ Vielleicht kann der Kreuzestod als Vorgang interpretiert werden, bei dem sich der Sohn mit einem besonderen Leib bekleidet bzw. sich sein Körper transformiert. 94 Übers. Schenke (AcA). 95 Thomassen, Spiritual Seed, 151f.

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

147

Kreuzigung als eine fortgesetzte Inkarnation, bei der die Fleischwerdung des Wortes in letztgültiger, vollkommener Weise den Menschen zugutekommt. Ein entfernt verwandter Gedanke liegt Joh 6,51–58 zugrunde, wonach erst Jesu Tod das „Kauen“ seiner σάρξ ermöglicht und auf diese Weise Jesu Tod zur Voraussetzung dafür wird, dass die Glaubenden in innigste Gemeinschaft zu ihm treten können.96 Im Evangelium Veritatis ist die Fleischesgestalt Jesu jedenfalls insgesamt auffällig betont.97 Die Aufnahme der Erkenntnis durch die Empfänger erscheint geradezu als das eigentliche Ziel der Inkarnation. Das Evangelium Veritatis beschreibt die Heilsereignisse der Fleischwerdung und Kreuzigung als Geschehnisse, die die „Erkenntnis des Vaters“ für die Menschen in einer gesteigerten Form leiblich erfahrbar werden lassen. Die rettende, lebensschenkende Erkenntnis manifestiert sich im leibgewordenen Jesus und wird auf diese Weise für die Menschen sinnenhaft wahrnehmbar, kann gesehen, gehört, geschmeckt, gerochen und ergriffen werden. Wie das Kauen des Fleisches als glaubende Verinnerlichung Jesu in Joh 6,51–58 den Essenden Leben vermittelt, ist es in EV p. 30,23–34 nicht Jesu Lehre, die Leben und Erkenntnis bringt,98 sondern die fleischliche Erscheinung des Sohnes selbst, die von den Empfängern entsprechend mit ihren Sinnesorganen aufgenommen und verinnerlicht werden soll.99 So gibt sich die verborgene Seite des Vaters, nämlich der Sohn, in einem wahrnehmbaren, betastbaren ⲥⲱⲙⲁ zu erkennen, und mit dem Kreuzestod wird er sogar selbst zum „Buch der Lebendigen“, das im Inneren der Menschen entrollt wird, und zur heilsbringenden, „süßen“ Frucht (vgl. auch p. 24,8–10), die nicht allein berührt, sondern auch gerochen und geschmeckt und damit unmittelbar verinnerlicht und aufgenommen werden kann.

96 Die Formulierung in Joh 6,51 (ὑπὲρ τῆς τοῦ κόσμου ζωῆς) lässt an weitere neutestamentliche ὑπέρ-Formeln denken, die Jesu heilvollen Tod beschreiben. 97 Von dieser Beobachtung her erscheint die Schilderung der Erkenntnisvermittlung in EV p. 30,23–34 durch sinnliche Wahrnehmung plausibel: Die Inkarnation, die Leibwerdung ermöglicht das Sichtbarwerden der Erkenntnis, und mehr noch, auch ihr Einverleiben. 98 Die Lehre Jesu wird auch an keiner Stelle im Evangelium Veritatis inhaltlich wiedergegeben. 99 Der realen Körperlichkeit und dem irdischen Schicksal Jesu korrespondiert auch bei Johannes auf der Empfängerseite eine ebenso leibliche Aneignung der Person Jesu, die als „Kauen seines Fleisches und Trinken seines Blutes“ veranschaulicht ist. Wer Jesus nicht so unmittelbar aufnimmt, hat kein Leben in sich (οὐκ ἔχετε ζωὴν ἐν ἑαυτοῖς), wie Joh 6,53 markanterweise formuliert und damit die mehrfach begegnende Formulierung ἔχειν ζωὴν αἰ­ ώνιον (vgl. 6,40.47) noch weiter auf eine innere Aufnahme hin konkretisiert. Das Leben, das Jesus geben kann, kann der Bildwelt nach „gegessen und getrunken“ werden.

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4. Evangelium Veritatis

c) Anteilhabe an Jesu Leib über die Sinnesorgane der Offenbarungsempfänger Nach den Ausführungen über die „soteriologische Leiblichkeit“ des Sohnes im Gesamtkontext des Evangelium Veritatis soll es nun wieder um den Abschnitt EV p. 30,6–31,1 gehen. Wie bereits das „Erwachen“ des Menschen in EV p. 30,14–23 mit dem Öffnen der Augen und dem Aufrichten vom Boden als anschaulich-körperlicher Vorgang geschildert wird, so erleben die Menschen auch die Offenbarung des Sohnes in EV p. 30,23–31,1 als ein leibliches Geschehen unter Beteiligung aller Sinne. Der Abschnitt, in dem vom Sehen, Hören und anschließenden Kosten, Riechen und Ergreifen bzw. Betasten die Rede ist, kommt ganz ohne nähere Bestimmung eines Ortes und einer Zeit aus, in der diese Begebenheit stattgefunden haben könnte. Auch die beteiligten Personen, die den Sohn auf diese Weise wahrnehmen (folgt man Joh 20,24–27, müsste es sich um die Jünger handeln), bleiben unbestimmt. Allein das Perfekt der Verben (ⲁⲩⲥⲱⲧⲙ̅ ⲁⲣⲁϥ ⲁϥϯ ⲛⲉⲩ […]) signalisiert ein Geschehen in der Vergangenheit. Der Verfasser erzeugt damit den Eindruck, dass die Offenbarung des Sohnes die Bedingungen von Materie, Raum und Zeit überschreitet. Sie erscheint zugleich überhistorisch und dennoch in höchstem Maß als ein leiblicher Vorgang. Darin weist der Text eine gewisse Nähe zu der in 1 Joh 1,1–3 beschriebenen theologischen Augenzeugenschaft auf, mit welcher der oder die Verfasser 100 der briefartigen Homilie ihre Verkündigung legitimieren. Auch dort werden in einer chiastischen Verschränkung verschiedene Sinneseindrücke, nämlich „hören und sehen“ mit „schauen und betasten“ kombiniert. Die Absender beschreiben ihre übergeschichtliche Offenbarungserfahrung mit dem inkarnierten Logos gerade in körperlichen, die Sinne betreffenden Kategorien, um damit an der Geschichtlichkeit dieser Offenbarung festzuhalten. Der inkarnierte Logos erschien in der irdisch konkreten Gestalt des Menschen Jesus. „Hören“, „sehen“, „schauen“ und „betasten“ sind also keine „bloßen“ Metaphern im Horizont jüdisch-weisheitlicher Tradition, sondern bezeichnen wirkliche Sinneseindrücke, die aber zugleich eine geistige Wirklichkeit erschließen. Die Erfahrung des irdischen Wirkens Jesu und seiner Auferstehung umfasst beides: konkrete, sinnliche Realität und höhere geistige Wahrheit. Darin geht der Text über die Nahrungsmetaphorik in jüdischer Weisheitstheologie hinaus. In dieser Spannung steht auch EV p. 30,23–31,1. Es griffe auch hier zu kurz, die Sinnesverben „schmecken“, „riechen“ und „betasten“ nur als anschauliche Sprache zu interpretieren, die einen rationalen, abstrakten Erkenntnisgewinn illustriert. Dass mit ihnen andererseits keine rein physische, innerweltliche Begebenheit zwischen Jesus und den Jüngern beschrieben wird, bei der die Jünger von Jesus „kosten“, leuchtet ebenfalls ein. Anders als in 1 Joh 1,1–3 wird das 100 Natürlich

kann es sich bei dem Plural in 1 Joh 1,1–4 auch um ein stilistisches Mittel eines einzelnen Autors handeln.

4.3 Zur Deutung des Textabschnitts EV p. 30,6–31,1

149

Geschehen in EV p. 30,23–31,1 auch nicht als eine theologische Verdichtung aus der Rückschau präsentiert, zu der die Autoren des 1. Johannesbriefes durch Reflexion der Jesusgeschichte vordringen. Die Passage in EV p. 30,23–31,1 schildert das Geschehen so, als fiele im Moment der Begegnung mit dem Sohn das reale Erfahren und Berühren seines Leibes mit entsprechenden Vorgängen in der transzendenten, göttlichen Wirklichkeit zusammen. Richtig verstehbar wird der Abschnitt daher erst, wenn man ihn vor dem Hintergrund einer platonisierenden Epistemologie liest.101 Zwar erfassen die Sinnesorgane des Menschen innerweltlich nur die Abbilder und Schatten der transzendenten Wirklichkeit, aber wenn sich das Transzendente selbst fleischlich offenbart, werden sie fähig, es zu erkennen. Im Rahmen eines platonisierenden Wirklichkeitsverständnisses ordnet das Evangelium Veritatis dem Erscheinen des Sohnes verschiedene, tatsächlich sinnlich wahrnehmbare Ausdrucksweisen zu, die zugleich Zugang zu der dahinterstehenden geistigen Seinsebene eröffnen. In Cels. 1,48 beschreibt Origenes die „göttliche Erkenntnis“. Sie kann verschiedene Formen annehmen, sich als „höheres“ Sehen bzw. als „Schau“ nichtkörperlicher Wesenheiten, als Hören oder als Geschmack eigentlich geistiger Entitäten ereignen. Origenes demonstriert das mit biblischen Beispielen, zu denen auch Joh 6,33 und 1 Joh 1,1 gehören: Wer aber diese Angelegenheit eingehender prüft, wird sagen: Es gibt, wie die Schrift es genannt hat, eine generelle göttliche Sinneswahrnehmung, die allein der Selige jetzt erlangt; entsprechend heißt es auch bei Salomo: „Du wirst eine göttliche Wahrnehmung erlangen“ (Spr 2,5). Es gibt verschiedene Arten dieser Sinneswahrnehmung: ein Sehen, das von Natur aus Dinge zu schauen vermag, die höher stehen als körperliche Wesen, wie es offensichtlich bei den Cherubim oder Seraphim zutrifft; ein Hören, das Klänge vernimmt, die keine wirkliche Existenz in der Luft besitzen; einen Geschmackssinn, der lebendiges Brot verkostet, das vom Himmel herabgekommen ist und der Welt Leben spendet (vgl. Joh 6,33); ebenso auch einen Geruchssinn, der Dinge empfindet, wie sie Paulus meint, wenn er sagt, er sei „Christi Wohlgeruch für Gott“ (2 Kor 2,15); und einen Tastsinn, auf den sich Johannes bezieht, wenn er sagt, mit den Händen „das Wort des Lebens“ berührt zu haben (vgl. 1 Joh 1,1). Die seligen Propheten fanden die göttliche Sinneswahrnehmung; sahen auf göttliche Weise, hörten auf göttliche Weise, schmeckten und rochen auf gleiche Weise, um es so auszudrücken, mit einer nicht sinnenhaften Sinneswahrnehmung, sie berührten den Logos durch den Glauben, so dass sich seine Fülle über sie ergoss, um sie zu heilen. So schauten sie, was sie ihren Schilderungen nach geschaut haben, und hörten, was sie ihren Worten nach gehört haben; ähnliche Erfahrungen machten sie, wie sie schrieben, als sie eine ihnen dargereichte „Schriftrolle“ 101 Nach Platon (bzw. einem Platonschüler) ist die Erkenntnis der höchsten Wahrheit diskursiver Argumentation, die mit Begriffen und Definitionen arbeitet, entzogen. Sie kann allein durch intuitive Schau erkannt werden, vgl. Ep. 7,341c–d: „Denn es gibt ja auch von mir darüber keine Schrift und kann auch niemals eine geben; denn es läßt sich keineswegs in Worte fassen wie andere Lerngegenstände, sondern aus häufiger gemeinsamer Bemühung um die Sache selbst und aus dem gemeinsamen Leben entsteht es plötzlich – wie ein Feuer, das von einem übergesprungenen Funken entfacht wurde – in der Seele und nährt sich dann schon aus sich heraus weiter“ (Übers. Kurz). Diese Auffassung hat in der weiteren antiken Platonrezeption fortgewirkt, vgl. u. a. Alkinoos, Didaskalia 4,7,12–17.

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4. Evangelium Veritatis

aßen (vgl. Ez 2,9–3,3). So „roch“ auch Isaak „den Geruch, der von den“ heiligen „Kleidern“ des Sohnes „ausging“ […]. In ähnlicher und eher geistiger als sinnenhafter Weise, „berührte“ Jesus den Aussätzigen (Mt 8,3), um ihn in zweifacher Hinsicht, wie ich meine, zu heilen; er befreite ihn nicht nur, wie es die Menge versteht, vom sinnenhaften Aussatz durch sinnenhafte Berührung, sondern auch von einem anderen Aussatze durch seine wahrhaft göttliche Berührung.102

Auch im Evangelium Veritatis entsprechen einander einerseits die Erscheinungsweise des Sohnes in seiner fleischlichen Gestalt (vgl. auch p. 31,4–6) und andererseits die Möglichkeit, ihn mit den menschlichen Sinnen zu berühren und zu kosten. Aber er ist mehr als nur auf einer leiblichen Ebene erfahrbar; seinen Leib sinnenhaft wahrzunehmen heißt nämlich auch, ihn in seiner geistigen Dimension als Offenbarung des Vaters zu erkennen (vgl. p. 30,23–26). Gotteserkenntnis wird so auf physische, sinnenhaft wahrnehmbare Weise vermittelt, denn die Sinneseindrücke, die bei der Begegnung mit dem Sohn empfangen werden, dringen zugleich zu den Seinsebenen vor, die einen ontologisch höheren Status haben, und erfassen die göttliche Wirklichkeit. Für die Erkenntnis, die das Evangelium Veritatis beschreibt, bedeutet dies, dass sie nicht allein ein Wissensbestand, sondern selbst leibliche Erfahrung und direkte Anteilhabe am Göttlichen ist. Das platonische Ideal des Gleichwerdens mit Gott realisiert sich in diesen Sinneserfahrungen.103

4.4 Zusammenfassung: Die Verinnerlichung und Einverleibung der in Jesus verkörperten Erkenntnis Im Evangelium Veritatis wird Auferstehung der Menschen bzw. „Kinder“ wie in einigen anderen der hier behandelten Texten nicht als Belebung ihrer toten Körper begriffen, sie setzt keinen physischen Tod voraus und vollzieht sich auch nicht in der die gesamte Schöpfung einbeziehenden Endzeit. Sie wird auch nicht verstanden als ein Geschehen, bei dem die Seele des Menschen den Körper verlässt und die Bande der materiellen, irdischen Existenz hinter sich lässt. Sie ereignet sich vielmehr im gegenwärtigen Leben Einzelner, die durch eine Erschließungserfahrung ihr Dasein neu verstehen.104 102 Übers.

Barthold. Platon, Theaet. 176b. 104 Johnson, Gospel of Truth, 203, fasst Auferstehung als Konzeption auf, die im Evange­ lium Veritatis zugunsten der Vorstellung einer Deifikation und Verherrlichung der Menschen aufgegeben sei: „Like Paul in Romans 8, the GosTr apparently bypasses the climatic events of the Parousia / resurrection to give the little children a direct path to the mind of God. This results in their personal glorification through the Book of the Living that was only made available through the death of Christ on the cross (19.27–20.14). These ‚little children‘ thus represent a class of perfected believers at the end of time who have been chosen by God to 103 Vgl.

4.4 Zusammenfassung

151

In einigen Texten aus Nag Hammadi werden Rituale zu dem konkreten Ort, an dem sich die Auferstehung der Glaubenden schon präsentisch, in ihrem gegenwärtigen Leben vollzieht. So sind es im Philippusevangelium Taufe, Salbung und Eucharistie, die die Auferstehung wie eine Gabe übermitteln, die man sich bereits vor dem physischen Tod aneignen muss. Im Evangelium Ve­ri­ tatis ist allerdings von einem Taufritual oder der Eucharistie nicht die Rede.105 Der Text präsentiert gleichwohl seine Meditation über biblische Ereignisse wie die Geisteinhauchung in Adam, das Essen vom Baum der Erkenntnis und den Kreuzestod Jesu als für die Adressaten und ihre gegenwärtige Erweckungserfahrung transparent. Man könnte sich daher vorstellen, dass er das „Erwachen“ und „Auferstehen“ mit der meditativ vermittelten Einsicht in die tiefere Bedeutung der erzählten Geschehnisse verbindet. Diese Form der Betrachtung der Bibeltexte bzw. der biblischen Überlieferungen bereitet so den Boden für die Erweckungserfahrung der Leserinnen und Leser.106 In der Lesehaltung, die das Evangelium Veritatis wecken will, vereinen sich verschiedene Realitätsebenen und schaffen damit die Grundlage dafür, dass sich der Gekreuzigte den Adressaten der Schrift als das „Buch des Lebens“ und als „Frucht“ erschließt. Indem die Leserinnen und Leser die vom Evangelium Veritatis vorgegebene Deutung des Sohnes als „Frucht“ und als etwas, das sie kosten und betasten können, nachvollziehen, interpretieren sie auch ihre eigene Beziehung zum Sohn als ein Einverleiben der „Frucht“ der Erkenntnis.107 Sie können dann an der Einheit von Vater und Sohn selbst teilhaben. Diese Einsicht wird als Offenbarung verstanden, nicht als eine kreative menschliche Schöpfung und als Ergebnis der Bibelinterpretation des Verfassers. Die meditative Rezeption der biblischen Vorgaben wird nicht als eine mit Argumenten begründete Auslegung und diskursive Form der Wahrheitsfindung dargeboten, sondern als ein intuitives Erschließen der göttlichen Wirklichkeit. Katrine Brix, die sich vor allem mit der Rezeptionsintention des Evangelium Veritatis auf der Adressatenseite auseinandergesetzt hat, beschreibt dies so: „[T]he image of Jesus as the fruit of the Father’s knowledge is conveyed by dibe deified / glorified before the judgment and Second Coming of Christ.“ Dagegen kann eingewendet werden, dass das Evangelium Veritatis die Begrifflichkeit und Vorstellungsgehalte von „Auferstehung“ weiterverwendet und auf eine Weise eigenständig füllt, die über Deifikation und Verherrlichung hinausgeht. 105 Die Salbung ist in EV p. 36 thematisiert, wird sonst im Text aber nicht weiter ausgeführt. Thomassen, Spiritual Seed, 163–165, vermutet dennoch, dass die Salbung und eventuell auch die Taufe im Hintergrund des Trägerkreises des Evangelium Veritatis eine Rolle spielten. 106 Meditation und Imagination wurden im antiken Denken als Zugangsmöglichkeiten zu höherer Wirklichkeit verstanden. Vgl. Brix, Gospel of Truth (2017), 237. 107 Das Essen der „Frucht“ bedeutet die Vereinigung des Bildes mit dem Empfänger durch göttliche Imagination. Nach Brix, Gospel of Truth (2017), 237, ist das Essen kein bloßer bildlicher Vorgang, sondern real, indem durch Synästhesie verschiedene, eigentlich physisch getrennte Formen der Wahrnehmung und Sinnesreize miteinander verbunden werden.

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4. Evangelium Veritatis

vine imagination in the mind of the contemplating believer. […] The vision of Jesus is thus not an image or a reflection or an imitation produced by a human mind, but is rather a divine image, a product of the good divine imagination, and, as such, a divine revelation from the truth above.“108 Zu dieser Erkenntnis zu gelangen heißt bereits, zur wahren Existenz „erwacht“ zu sein; sie ist in der Konzeption des Evangelium Veritatis bereits eine Art Auferstehung. Die Passage in EV p. 30,6–31,1, in der die meisten Lexeme und Bilder für die Auferstehungserfahrung vorkommen, beschreibt also eine schon erlebte, zurückliegende Erfahrung. In den Trägerkreisen des Evangelium Veritatis wird diese Erfahrung des Erwachens zur Erkenntnis interpretiert als ein „Aufrichten vom Boden“ und „Erwachen aus dem Schlaf “. Ähnliche Motive fand man in der Genesisüberlieferung vor, die entsprechend als archetypische Erzählung über das Erlangen von Erkenntnis gedeutet wird. Der Verfasser des Evange­ lium Veritatis verbindet die Auferstehungsterminologie direkt mit Motiven aus der Genesistraditionen, lässt Aspekte der Schöpfung und der Totenauferweckung sich überlagern und bezieht beide Themenkreise letztendlich auf die Gegenwart seiner Adressaten. In der Erzählung über die Erschaffung Adams in Gen 2 und in der Erzählung über den Baum der Erkenntnis und dessen „augenöffnende“ Frucht in Gen 3 findet er die Erweckung des Menschen vorgebildet. Die Genesistradition ist eine Urform und zeitlose Präfiguration des individuellen Erkenntnisvorgangs der Menschen. In dem Abschnitt, der sich mit Gen 2 und 3 befasst, begegnen daher die Auferstehungsaussagen der Schrift in konzentrierter Form. Den Adressaten des Evangelium Veritatis wird mit der Genesisinterpretation ein Verstehensrahmen angeboten, der sie dann auf ihrem eigenen Erkenntnisweg leitet. Sie können ihre Erweckungserfahrung entlang dieser Genesistradition deuten. Eine Grundlinie der so angelegten Genesisdeutung besteht darin, dass die bisherige Existenz im Rückblick als „Todeszustand“ und das Leben vor dem Erwachen als Irrtum und als Hängen an den Trugbildern der „Täuschung“ entlarvt werden. Die Erschließungserfahrung, die den Zustand der Täuschung beendet, beinhaltet, dass der Mensch seine Herkunft aus dem göttlichen Bereich und sein Ziel, sich wieder mit diesem zu verbinden, erkennt.109 Das Evangelium Veritatis meditiert auch über die Jesusüberlieferung. Es übernimmt die überlieferte heilsgeschichtliche Ausrichtung der Jesusgeschichte und integriert sie in seinen größeren protologischen und soteriologischen Rahmen. Wie die Genesisüberlieferung als Ausdruck der gegenwärtigen Erweckungserfahrung verstanden wird, so können auch Motive der Jesustradition, vor allem Passagen aus dem Johannesevangelium, als direkte, in der Gegenwart sich eröffnende Zugänge zum transzendenten göttlichen Bereich interpretiert 108 Brix,

Gospel of Truth (2017), 241. der biblisch geprägten Sprache des Evangelium Veritatis heißt dies, dass Jesus den Vater durch sein Erscheinen unter den Menschen offenbart, ihnen dadurch ihre eigentliche Herkunft offenbart und ihre Rückkehr zum Vater vorbereitet. 109 In

4.4 Zusammenfassung

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werden. Vor allem in der Kreuzesüberlieferung erkennt der Verfasser die Möglichkeit, in den göttlichen Wirklichkeitsbereich einzutreten. Er interpretiert sie als ein Geschehen, das ein kognitives Verstehen übersteigt und daher nicht christologisch-lehrhaft auszulegen ist.110 Jesus als „Frucht“ und als „Buch der Lebendigen“ zu deuten heißt vielmehr, ihn als leiblich-manifeste Verkörperung des göttlichen Bereichs aufzufassen. Die in den kanonisch gewordenen Evangelien narrativ entfaltete Heilsgeschichte wird im Evangelium Veritatis also in der Person Jesu, ja sogar in ihrer leiblichen Gestalt verdichtet. Die so verstandene Körperlichkeit Jesu umfasst dann auch mehr als seine leibliche Gestalt, sie beinhaltet gewissermaßen auch das Kreuz, dessen „Frucht“ er ist. Die Doxa Jesu wird nicht mehr chronologisch entfaltet, entlang der Gesamtheit seines Wirkens in der Welt, dem Kreuzestod und der Überwindung des physischen Todes, sondern all das konzentriert sich in der Besonderheit seiner (fleischlichen) Gestalt, die, wie es in EV p. 31 heißt, nicht von der Materie festgehalten werden kann,111 wohl aber mit den Glaubenden in unmittelbaren Kontakt tritt und ihnen Unvergänglichkeit und Erkenntnis vermittelt. Die verwendeten Bilder für Jesus zielen auf die Sinne der Adressaten, an die sich das Evangelium Veritatis richtet. Die Heilsgeschichte, in der Person Jesu konzentriert, kann auf diese Weise von den Adressaten angeeignet und geradezu einverleibt werden. Man kann die Soteriologie des Evangelium Veritatis daher als „leiblich“ akzentuiert bezeichnen – nicht aufgrund einer besonderen Auferstehungsleiblichkeit der Glaubenden, sondern aufgrund der Vermittlung und Aneignung der Auferstehung bzw. Erkenntnis. Die auch schon in Joh 6 wirksame traditionelle, weisheitlich geprägte Ausdrucksweise vom Empfangen von Lehre und Erkenntnis wie „Nahrung“, die den Empfänger aufrichtet und wachsen lässt, wird im Evangelium Veritatis zu der Sprachform schlechthin, um die erlösende Sendung Jesu zu beschreiben. Zwar macht es die assoziative, meditative Form der Verarbeitung biblischer Vorgaben im Evangelium Veritatis bis auf wenige Ausnahmen schwer, die verwendeten Prätexte und zugrundeliegenden Traditionen genau zu bestimmen, und Hinweise auf eine direkte Rezeption der Brotrede in Joh 6 lassen sich im Evangelium Veritatis nicht erkennen. Es ist aber wahrscheinlich, dass johanneisches Denken in den hier beschriebenen Grundzügen das Evangelium Veritatis umfassender prägte, als an der Textoberfläche im Einzelnen nachweisbar ist.112 Mit der leiblich akzentuierten Beschreibungssprache für den Empfang von Erkenntnis und vollkommenem Leben kann nämlich aus110 Vgl.

Nagel, Codex apocryphus gnosticus, 36. EV p. 31,4–8: „Die Materie ⟨wunderte sich (?)⟩, daß er sie in einer fleischlichen Gestalt durchquerte, ohne daß etwas seinen Gang hindern konnte – denn die Unvergänglichkeit bedeutet Ungreifbarkeit […]“ (Übers. Schenke, AcA). 112 Vgl. zum Einfluss des Johannesevangeliums auf das Evangelium Veritatis Barrett, Theological Vocabulary. Barrett rechnet mit der Existenz einer vorjohanneischen Gnosis, die Johannes beeinflusst habe (223). Vgl. außerdem Nagel, Rezeption des Johannesevange­ liums. 111 So

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4. Evangelium Veritatis

gedrückt werden, dass die Erkenntnis kein äußerliches Wissen, sondern unmittelbare Anteilhabe am vom Vater ausgehenden Wort ist. Das Evangelium Veritatis transformiert die traditionelle weisheitliche Metaphorik ins Physische und Körperliche: Das Berühren und Kosten bedeutet ein wesensmäßiges, substanzhaftes Gleichwerden mit dem unvergänglichen Sohn. Eine innere Erfahrung (das plötzliche Gewinnen von Erkenntnis) wird in eine äußere Wirklichkeit projiziert und „objektiviert“.113 Der Leib des Erlösers steht für die Erkenntnis, die die Glaubenden in sich aufnehmen. Die Deutung der Jesusgeschichte wird also dem protologischen Rahmen des Evangelium Ve­ ritatis untergeordnet: Da die Adressaten der Schrift aus dem Vater stammen und zu ihm gehören, muss auch ihre Rückkehr in den Vater als substanzhafter, verinnerlichender Vorgang beschrieben werden. Wer sich die Deutung dieser Motive im Evangelium Veritatis zu eigen macht, kann sich als ein „Erwachter“ und „Auferstandener“ verstehen.114

113 Nach Turner, Sethian Gnosticism, 3, können die gnostischen Mythen als Veräußerlichung oder Projektion innerer Erfahrungen in ein kosmisches Drama beschrieben werden. 114 Die Vereinigung mit dem Vater, die Aufnahme in die Vater-Sohn-Einheit, ist schließlich das Ziel dieser Entwicklung, dem die Auferstehung als Beginn einer neuen Existenz vorausgeht.

Kapitel 5

Auferstehen im Fleisch Jesu: Das Philippusevangelium 5.1 Einführung 5.1.1 Allgemeines Mit dem Evangelium nach Philippus liegt ein Text vor, der auf eigene Weise Auferstehung als Anteilhabe an Jesus bzw. an Jesu Fleisch begreift. Das Philippusevangelium steht dabei als dritte Schrift aus NHC II im Kontext koptisch-gnostischer Schriften, genauer: solcher Texte, die trotz Unterschieden bei Alter, Herkunft und Profil im Oberägypten des 4. und 5. Jahrhunderts unter christlicher Perspektive rezipiert wurden. Wenngleich sich die Schrift mit keiner anderen aus dem Nag-Hammadi-Fund unmittelbar vergleichen und in eine ähnliche Entstehungssituation einordnen lässt, stimmt sie in einigen Grundzügen wie der Abwertung des irdischen, menschlichen Leibes, dem Dualismus einer irdischen, geschaffenen Welt und eines himmlischen, ewigen Ortes der „Wahrheit“ oder „Ruhe“, der Vorstellung von Erlösung als Eingehen in diesen Ort und der entsprechenden Auslegung von Person und Wirken Jesu mit einigen anderen Texten aus Nag Hammadi überein. Die Vorstellung einer Auferstehung, die den Glaubenden durch Partizipation am Leib Jesu vermittelt wird, teilt das Philippusevangelium jedoch auch mit Irenäus und greift wie dieser ebenfalls auf das Johannesevangelium und den 1. Korintherbrief zurück. Angesichts des komplexen Charakters der Schrift sollen zunächst einige Bemerkungen zur Diskussion über die Datierung und theologiegeschichtliche Einordnung vorausgeschickt werden. Wie umstritten die zeitliche und inhaltliche Verortung dieses Textes ist, zeigt sich daran, dass in der Apokryphenforschung gerade an ihm eine Debatte über allgemeinere Kriterien und Parameter zu Datierung und Situierung frühchristlicher Texte und der sie überliefernden Manuskripte entbrannt ist.1 Zwar teilt das Philippusevangelium eine unsichere Datierbarkeit mit anderen Schriften, die ausschließlich auf Koptisch im Corpus von Nag Hammadi überliefert sind und durch keine weiteren Textzeugnisse flankiert werden. Hinzu kommt jedoch, dass dem Philippusevangelium nicht nur eine eindeutige Bezugnah1 Vgl. hierzu das Œuvre Hugo Lundhaugs zum Philippusevangelium und zu anderen Tex­ten aus Nag Hammadi, insbesondere Lundhaug, Post-Nicene Soteriology. Siehe auch Mark­schies, Offene Fragen.

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5. Philippusevangelium

me auf bekannte frühchristliche Lehrsysteme, Schulrichtungen bzw. auf einen gnostischen Mythos fehlt, sondern darüber hinaus eine Gattungsparallele, auch wenn der Text zuweilen als „Spruchevangelium“ neben das Thomasevangelium gestellt wird.2 Außerdem ist das Philippusevangelium in inhaltlicher Hinsicht in besonderem Ausmaß symbolisch und rätselhaft. Es werden verschiedene Motive und Überlieferungen ineinander geblendet, und es fehlen der Schrift textinterne Schlüsselpassagen zu ihrer Deutung. Dem üblichen Leseeindruck nach werden Einzelsprüche, Aphorismen, kurze narrative Einheiten, Bilder und Erörterungen unterschiedlichsten Inhalts und scheinbar ohne klar erkennbare Struktur kompiliert, so dass sich gerade hier die Frage nach einem gemeinsamen Bezugspunkt und einem übergreifenden theologischen Profil stellt.3 Der Text entzieht sich jedoch einer eindeutigen und alle Passagen gleichermaßen erfassenden Verortung. Nicht zufällig wurde das Philippusevangelium in der Forschung daher auch als „Florilegium“ behandelt und als über einen längeren Zeitraum gewachsener Text interpretiert.4 Um die zum Teil mehrdeutigen und voraussetzungsreichen Einzelsprüche der Schrift zu interpretieren, ist man in besonderem Maß auf andere Texte angewiesen, die gleiche Themen aufgreifen und ähnlich verarbeiten. Die Entscheidung darüber, welche Texte zur Deutung einzelner Stellen des Philippus­ evangeliums herangezogen werden, wirkt sich aber auch auf die Annahme eines bestimmten Entstehungsumfelds der betreffenden Passagen aus. Zumindest par­tiell bedingen sich die inhaltliche Erschließung des Philippusevangeliums und dessen Einordnung in ein bestimmtes Milieu und in einen ungefähren Entstehungszeitraum gegenseitig, so dass die Arbeit an diesem Text notwendigerweise zirkulär ist. 5.1.2 Die Frage nach einer übergreifenden Erzählung im Texthintergrund Hinweise auf den theologiegeschichtlichen Ort des Textes könnte ein Mythos bieten, etwa eine Erzählung über den Ursprung des Kosmos oder auch eine Jesuserzählung. Ein zentrales Problem der Einordnung des Textes besteht jedoch darin, dass ihm generell längere narrative Passagen fehlen. Zwar gibt es einige kürzere Abschnitte, die erzählenden Charakter haben, zum Beispiel die Stellen, die auf Jesu Taufe und Leibwerdung eingehen (EvPhil 81a–82a, p. 70,34–71,10, und 91, p. 73,8–15, siehe dazu unten). Aber nirgends übermit­ 2 Vgl.

die Einordnung des Philippusevangeliums bei Schenke, AcA, 527–557. plausible Antwort auf die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Einzelsprüchen und einer übergreifenden Gesamtperspektive des Textes hat meines Erachtens Elaine Pagels im Anschluss an Hans-Martin Schenke gegeben: „the Gospel of Philip no doubt was com­ pil­ed from various sources“, dennoch könne von einem übergreifenden „author’s viewpoint“ gesprochen werden (Pagels, Ritual, 281). Vgl. zum Problem auch Turner, Coherence. 4 Inhaltlich können große Teile des Textes als eine Sakramentskatechese verstanden werden. Zur Diskussion möglicher Gründe für die fehlende Kohärenz des Textes vgl. Thomassen, How Valentinian Is the Gospel of Philip?, 252f. 3 Eine

5.1 Einführung

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telt der Text eine längere Ursprungsgeschichte, von der aus sich andere, erörternde und deutende Stellen interpretieren ließen. Dies gilt sowohl für die Jesusüberlieferung – so werden einzelne Stationen des Wirkens und Geschicks Jesu in knapper Form und an ganz verschiedenen Stellen eingestreut und gedeutet, ohne eine kohärente Erzählabfolge zu bilden5 – als auch für eine sinnstiftende Gründungserzählung über das Wesen des unvergänglichen Äons und des Kosmos und über die Erschaffung des Menschen. Allerdings heißt das nicht, dass dem Verfasser eine zusammenhängende Jesusgeschichte und ein umfangreicherer philosophisch-protologischer Mythos – nach Einar Thomas­ sen zusammen mit einer Heilsgeschichte und dem Interesse an Riten „a characteristic feature of most Valentinian texts“ 6 – unbekannt gewesen sein müssen. Wahrscheinlicher ist, dass er sie auf bestimmte Weise im Evangelium „verwendet“ und seinen auf die Gegenwart und die rituelle Glaubenspraxis gerichteten Aussageabsichten anpasst. Mythos bzw. zusammenhängende Jesuserzählung werden hier zu Präfigurationen der Gegenwart der Adressaten und ihrer rituellen Praxis verarbeitet, um zu zeigen, wie das vergangene, im Mythos und in der Jesusgeschichte berichtete Wirken des Erlösers den Gläubigen den Weg aus dem Kosmos weist und den gesamten künftigen Erlösungsprozess bestimmt.7 Aus einigen Stellen wie etwa der Tauf- und Geburtserzählung Jesu in EvPhil 81a–82a (p. 70,34–71,8), an denen davon die Rede ist, dass Jesus bereits einmal „vor dem All geboren wurde“, auch schon einmal gesalbt und erlöst worden ist und nun wiedergeboren, gesalbt und erlöst wird, geht hervor, dass die Ereignisse der (irdischen) Jesusgeschichte ein himmlisches Geschehen abbilden. Eine übergreifende (mythische) „Erzählung“ kann im Text also implizit enthalten sein, von der allerdings nur punktuell etwas an die Textoberfläche tritt und beispielsweise in die Erörterungen der Sakramente einfließt, um den überkosmischen Charakter des gesamten Erlösungsgeschehens zu begründen. 5 Vgl.

Segelberg, Gospel of Philip.  Spiritual Seed, 133. Thomassen beschreibt den Mythos so: „This myth tells the story of how a spiritual realm of Fullness was produced from the primordial Father, how the passion of one of his spiritual offspring caused the inferior substances matter and soul to come into being, and how the cosmos, and mankind, were created from these substances.“ Vgl. auch ders., How Valentinian Is the Gospel of Philip?, 254: „A basic method of Valentinian theology is to establish patterns of parallelism between these three themes [sc. salvation in history, redemption in ritual, protology], so that for instance the mediator figure of the Son may be represented as operating in analogous ways in his historical incarnation, in his ritual presence, and in his function in protological manifestation.“ 7 Vgl. Pagels, Ritual, 285: „For Philip, these [sc. Jesu Geburt und seine Auferstehung] are anything but theoretical issues; they involve much more than theological speculation. Instead they constitute the central story – the myth, so to speak, – underlying sacramental action […]. For Philip, how one understands Jesus’ birth and his resurrection are practical matters […]; they interpret what happens to the initiate in baptism.“ Dass auch in anderen Nag-Hammadi-­ Texten „gnostische Mythen“ nicht dargestellt, aber vorausgesetzt werden können, bezeugt etwa auch die erste Apokalypse des Jakobus (NHC V,3), vgl. Schletterer / Plisch, NHD 2, 411. 6 Thomassen,

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5. Philippusevangelium

Als weiteres Beispiel für die Präsenz von Mythos und Jesusgeschichte lässt sich EvPhil 91f. (p. 73,8–19) anführen, wo der Ursprung (und damit auch das heilvolle Potential) des Salbungssakraments erklärt wird, indem der Verfasser es auf das Handwerken und Gärtnern des Demiurgen Josef 8 im Paradies und gleichzeitig auf die Kreuzigung Jesu zurückführt: (91) Der Apostel Philippus sagte: Joseph der Zimmermann pflanzte einen Garten, weil er Holz für sein Handwerk brauchte. Er ist es, der das Kreuz hergestellt hat von den Bäumen, die er gepflanzt hatte. Und: Es hing sein Same an dem, was er gepflanzt hatte. Sein Same war Jesus; die Pflanzung aber war das Kreuz. (92) Aber der Baum des Lebens steht mitten im Paradies. Und zwar (ist es) der Ölbaum. Von ihm kam die Salbung. Durch sie (kam) die Auferstehung.9

Bestimmte Begriffe (Pflanzung, Holz, Zimmermann, Kreuz, Same, Baum, Öl, Salbung) eröffnen in diesem Abschnitt weitere Assoziationen und lassen auf diese Weise einen größeren Zusammenhang, eine Art Erzählung zwischen ursprünglich getrennten Überlieferungsbereichen entstehen,10 die Mythisches (das Wirken des „Demiurgen“ Josef) mit Geschichtlichem (Jesu Kreuzigung) verknüpft und beides auf die Gegenwart bezieht, in der die Glaubenden über Salbung und Auferstehung als den Resultaten dieser Urerzählung verfügen. 5.1.3 Probleme der Datierung und theologiegeschichtlichen Einordnung Das Manuskript des Philippusevangeliums wird als Teil des Codex II mehrheitlich in das 4. Jahrhundert datiert. Von dem Evangelium selbst allerdings – bzw. Vorlagen der koptischen Übersetzung – wird in der Regel angenommen, dass es aus dem 2. oder 3. Jahrhundert stammt und ein mehr oder weniger typischer Vertreter der „Gnosis“11 bzw. genauer: eines Prävalentinianismus oder Va­len­tinianismus ist.12 Wie schon angedeutet, begegnet im Philippusevangelium zwar nirgends ein regelrechter (valentinianischer oder anderer gnostischer) 8 Vgl.

dazu Thomassen, Spiritual Seed, 90f. Schenke (NHD). 10 Zum Beispiel wird das Wirken des Demiurgen im Paradies mit Josefs Handwerk als Zimmermann in Verbindung gebracht, das Hängen des Samens am Lebensbaum und das „Hängen am Kreuz“ werden assoziativ verknüpft. Zur „gnostischen“ Symbolik des Baumes vgl. Gilhus, Tree of Life. 11 Vgl. etwa Wehr, Arznei der Unsterblichkeit. Nach Wehr sind die im Philippusevangelium vertretenen Ansichten, gegen die sich bereits eine redaktionelle Überarbeitung des Johannesevangeliums richte (vgl. Joh 6,51–58), für die Gnosis typische Positionen. 12 Für die Einschätzung des Philippusevangeliums als einen (im Großen und Ganzen) valentinianischen Text vgl. u. a. Wucherpfennig, Valentinianismus; Wilson, Gospel of Philip, 15 („it can be located with confidence as a work deriving from the Valentinian school“); Isen­ berg, Introduction; Thomassen, How Valentinian Is the Gospel of Philip?; ders., Spiritual Seed; Schenke, Evangelium der Valentinianer; ders., Philippus-Evangelium; ders., NHD 1, 189: „Es ist ein gnostischer, und zwar ein valentinianischer Text: von einem Valentinianer für einen Valentinianer aus valentinianischem Textgut kompiliert, als Evangelium benutzt 9 Übers.

5.1 Einführung

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Mythos,13 in zahlreichen Einzelsprüchen werden allerdings Motive und Themen verarbeitet, die auch aus anderen valentinianischen Texten des genannten Zeitfensters bekannt sind.14 Das oben genannte Beispiel der sakramental gedeuteten Paradieserzählung zeigt, auf welche Weise der Verfasser bestimmte „mythische“ und „geschichtliche“ Erzählelemente voraussetzt und in seine Ätiologie der Sakramente einbringen kann.15 Gleichwohl ist gegenüber einer pauschalen valentinianischen Deutung der Schrift mit Hilfe anderer Texte Vorsicht geboten. So kritisiert Elaine Pagels bereits Ende des letzten Jahrhunderts: „in the past, […] scholars routinely used all the texts we had to interpret any of them“.16 Und mit Bezug auf das Philippusevangelium fügt sie hinzu: „let us remind ourselves that it is also misleading to generalize about what is ,Valentinian‘. Doing so often has led us to read into whatever text we are investigating generalizations based on others sources.“17 Eine flächige Einordnung des Philippusevangeliums in den Valentinianismus lehnen gegenwärtig auch Vertreter der „New Philology“ ab, die auf eine fluide Textentwicklung in der Manuskriptkultur hinweisen. So wurde der Konsens über den valentinianischen Charakter des Philippusevangeliums jüngst insbesondere durch den norwegischen Apokryphenforscher und Textwissenschaftler Hugo Lundhaug infrage gestellt,18 der unter anderem anhand dieser Schrift weitreichende Folgerungen auch für die Auslegung anderer antiker christlicher zunächst von valentinianischen Gemeinden. Gleichwohl ist er nur in dem Maße und Grade valentinianisch, wie es bei einem Text solcher Sorte, also bei einer Exzerptsammlung oder Epitome, möglich ist.“ 13 Anders verhält es sich etwa mit dem Tractatus Tripartitus, der ein (vermutlich) valentinianisches System mit eigenen Zügen bietet (siehe dazu unten 5.4.2 und 5.4.3), vgl. Schen­ke, NHD 1, 56. Erschwerend auf eindeutige Zuordnungen der infrage stehenden Nag-­ Hammadi-Texte zum Valentinianismus wirkt sich auch die innere Vielfalt valentiniani­scher Theologumena und „Schulrichtungen“ aus (vgl. die Spaltung in eine westliche und eine orientalische Richtung nach Tertullian, Val. 4,1–3; 11,2; Clemens von Alexandrien, Exc. superscr.; Hippolyt, Haer. 6,35,5–7). 14 Nach Hans-Martin Schenke gibt es eine „Fülle von Anspielungen im ganzen EvPhil“, die „deutlich die spezifisch valentinianische Lehre von dem Soter als dem Bräutigam der unteren Sophia und den Engeln des Soter als den Bräutigamen der Spermata der unteren Sophia“ vermitteln (NHD 1, 190). 15 Für valentinianische Diskurse ist diese Art, sich christliche Überlieferung anzueignen, generell nicht untypisch, wie Thomassen, Spiritual Seed, 133, feststellt: „Through the ways historical events, ritual acts and speculation on the first principles are interpreted so as to illuminate one another mutually, the dynamics of a functioning religious system is created and maintained.“ 16 Pagels, Ritual, 282. Vgl. auch zum Nag-Hammadi-Fund insgesamt: „After fifty years of Nag Hammadi study we are finally learning […] to drop generalizations about whatever it is we thought we meant by the term ,gnosticism‘ and speak instead about specific texts“ (ebd., 280). 17 Pagels, Ritual, 280f. 18 Kritik an einer schematischen Einordnung des Philippusevangeliums als „gnostischen Text“ wurde aber auch schon früher geäußert, vgl. etwa Wilson, Gospel of Philip, 15.

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5. Philippusevangelium

Texte gezogen hat.19 Am Philippusevangelium würden sich exemplarisch die Eigenheiten eines „living text“ zeigen, einer in wechselnden Kontexten lesbaren und verstehbaren Schrift, aus deren Überlieferungsgeschichte in Gestalt des koptischen Manuskripts aus NHC II eben ein bestimmter Ausschnitt eines konkreten Verwendungszusammenhangs auf uns gekommen ist. Während die Vorgeschichte des Textes spekulativ bleiben müsse, sei es möglich, die Umstände dieses einen fassbaren Verwendungskontexts zu beschreiben. Diese sind nach Lundhaug aber auch für den theologischen Charakter der Schrift auswertbar. Den formalen Ausgangspunkt der Auslegung des Philippusevangeliums sollen dementsprechend, so Lundhaugs Forderung, Entstehungszeit und -raum des Codex II bilden, um den Text in einer Weise zu verstehen, wie er im ursprünglichen Gebrauchskontext des vorliegenden Manuskripts gelesen wurde, und das bedeutet im Rahmen alexandrinischer Theologie des 4. und 5. Jahrhunderts. Dieser von Lundhaug eingebrachte Zeitraum will also eigentlich kein Datierungsvorschlag, sondern ein Kontextualisierungsvorschlag für den Text sein. Nach Lundhaug zeigt die Lektüre des Philippusevangeliums im Licht nachnizänischer, oberägyptischer Theologie, wie aktuell bestimmte Themen dieses Evangeliums in der Zeit der Manuskriptanfertigung waren, etwa der deutliche Schwerpunkt auf der Christologie, die Thematik des „Zeugens, Gebärens und Schaffens“ und die sakramental geprägte, auf eine Deifikation des Glaubenden zielende Soteriologie des Textes. Das theoretische Programm dieses neuen Ansatzes in der Exegese des Philippusevangeliums könnte prinzipiell mit der „klassischen“ Einordnung des Philippusevangeliums koexistieren, welche Einzelsprüche mit Hilfe valentinianischer Mythologeme und Theologumena erklärt. Im Paradigma der „New Philology“ wäre das Evangelium demnach als ein fluider Text zu beschreiben, der Spuren älterer Theologie ebenso aufweist wie deren spätere Deutungen und Fortschreibungen bis zum Zeitpunkt der Manuskriptherstellung. Tatsächlich konnten für andere (nichtvalentinianische) Schriften des Nag-Hammadi-­ Fundes spätere Bearbeitungen eines monastischen Kontexts wahrscheinlich gemacht werden. Die Texte können daher nicht ohne weiteres als direkte Zeugen für bestimmte theologische Strömungen, im Fall des Philippusevangeliums für den Valentinianismus des 2. und 3. Jahrhunderts in Anspruch genommen werden, da immer mit der Möglichkeit späterer Adaptionen, Relektüren und

19 Vgl. Lied / Lundhaug, Evolving Traditions. In der Einleitung der Herausgeber wird das Programm, bei dem die Texte mit dem Bild eines zufälligen Filmausschnitts verglichen werden, unter anderem so beschrieben: „when scholars of early Christian and Jewish literature acknowledge the fact that our surviving textual witnesses constitute exactly such snapshots, and that these snapshots are not necessarily representative of the entire movie, it is pertinent to approach the interpretation of these texts from the perspective inspired by New Philology, taking textual fluidity and manuscript culture fully into consideration“ (ebd., 1).

5.1 Einführung

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Rezeptionen valentinianischer Theologumena in einem veränderten, nichtvalentinianischen Umfeld gerechnet werden muss. Problematisch an diesem Zugang ist gleichwohl, dass sich kaum noch klären lässt, ob und in welchem Ausmaß sich neue Lesarten älterer Passagen auch im Manuskripttext selbst niederschlugen. Den Prozess des fluiden Textwachstums kann man kaum noch erhellen. In der konkreten Auslegung einzelner Textpassagen zeigt sich bei Lundhaug daher eine klare Tendenz, das Philippusevangelium insgesamt in den Zeitraum des 4. und 5. Jahrhunderts einzuzeichnen, die Entstehung großer Teile des Textes in diesen Zeitraum anzusiedeln und den Aspekt des längeren Textwachstums wieder zurückzustellen.20 Es entsteht der Eindruck, dass manche Deutungen einander ausschließen oder miteinander konkurrieren. Das kann am Beispiel des sogenannten „eucharistischen Gebets“ in EvPhil 26b (p. 58,10–14) gezeigt werden: Er sagte an jenem Tag der Danksagung: Der du den vollkommenen Erleuchter mit dem Heiligen Geist vereinigt hast, vereinige die Engel auch mit uns als den Abbildern!21

Die ältere, aber auch Teile der aktuellen Forschung nehmen hier einen valentinianischen Hintergrund an, nämlich die angestrebte Vereinigung des Menschen mit seinem Engel.22 Das auch sonst wiederholt im Philippusevangelium 20 Gegen eine sehr späte Datierung ins 4. oder sogar 5. Jahrhundert spricht jedoch neben anderem, dass die in Codex II bewahrte Version bereits eine Abschrift darstellt, die mit anderen, ebenfalls kopierten Schriften (die zum Teil Parallelversionen in anderen koptischen Dialekten bzw. auf griechischen Fragmenten besitzen und ganz unterschiedlicher Herkunft sind) in einem Codex zusammengestellt wurde. Bis auf wenige Zeilen gehen alle Texte in NHC II auf dieselbe Schreiberhand zurück. Selbst wenn man keinen griechischen Ausgangstext für das Philippusevangelium voraussetzt, muss also mit einem gewissen Überlieferungs- und Sammlungszeitraum von Texten aus unterschiedlichen Regionen gerechnet werden. 21 Übers. Schenke (NHD). 22 Vgl. Schenke, Philippus-Evangelium, 250; ebenso Thomassen, Spiritual Seed, 345. Außerhalb des koptisch-gnostischen Überlieferungsbereichs werden mythologische Erlösungsvorgänge, die die Vereinigung mit Engeln beinhalten, auch von Irenäus, Haer. 1,7,1; 1,21,3 und Tertullian, Val. 31 beschrieben. Dort erscheint die Vereinigung jeweils als Teil einer finalen Erlösung aller geistigen Wesen und der Wiederherstellung des Pleroma, sie bildet das Ende eines umfassenden mythischen Geschehens, das das Erwählungsbewusstsein der bekämpften Gegner begründet. Die Erlösung am Schluss dieses Geschehens setzt wieder den Anfangszustand ein, bei dem die geistigen Wesen ins Pleroma zurückkehren, von dem sie stammen. „Zwischenstationen“ sind die Entstehung des Kosmos und das Erscheinen und Leibwerden des Erlösers in der Welt. Die Inkarnation des Erlösers, sein Abstieg in die Welt (und in den Tod) und seine Geburt beschreiben eine Bewegung nach unten, welcher eine Bewegung nach oben mit seiner Fleischesentkleidung, Aufstieg aus der Welt und Auferstehung entspricht. Schluss und Höhepunkt des Ganzen bilden die Vereinigung des Erlösers mit der Sophia und eine damit vergleichbare Vereinigung der „Geistigen“ mit den Engeln im Pleroma, mit dem bei Irenäus das „Brautgemach“ identifiziert wird: (1) Irenäus, Haer. 1,7,1: „Wenn der gesamte Same dann zur Reifung gekommen ist, verläßt Achamoth, ihre Mutter, den Ort der Mitte, sagen sie, und zieht ins Pleroma ein. Dort empfängt sie als ihren Bräutigam den Soter, der aus allen (Äonen) entstanden ist, damit es zur Syzygie (Vereinigung)

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5. Philippusevangelium

vorkommende Motiv der erlösenden Vereinigung des Menschen „im Brautgemach“ spricht für diese Deutung. Sie würde damit auf eine unter anderem in valentinianischen Texten begegnende Vorstellung verweisen. Dagegen findet Lundhaug in dem Spruch eher die „orthodoxe Auffassung“ einer eucharistischen Vereinigung der Feiernden mit dem Chor der Engel im Himmel, ihr Einstimmen in den himmlischen Lobgesang bei der Eucharistie ausgedrückt. von Soter und Sophia Achamoth kommt. Und das sind eben Bräutigam und Braut (vgl. Joh 3,29); Brautgemach (vgl. Mk 2,19 par) ist das ganze Pleroma. Die Pneumatiker legen dann ihre Seelen ab und werden Geist der reinen Einsicht; unwiderstehlich und unsichtbar ziehen sie ins Pleroma ein, um als Bräute den Engeln zugeführt zu werden, die den Soter begleiten. Der Demiurg seinerseits wechselt an den Ort seiner Mutter Sophia, das heißt zur Mitte. Und auch die Seelen der Gerechten machen am Ort der Mitte halt, denn nichts Psychisches kommt ins Pleroma hinein. Wenn sich das so abgespielt hat, dann leuchtet und entflammt das Feuer, das in der Welt verborgen war, um alle Materie zu vernichten und mitvernichtet zu werden mit ihr und ins Nichtsein überzugehen“ (Übers. Brox). (2) Irenäus, Haer. 1,21,3 über die Erlösung bei den „Häretikern“: „Manche von ihnen richten ein Brautgemach ein und begehen eine Mysterienfeier mit bestimmten Formeln für die Einzuweihenden; und sie nennen es eine pneumatische Hochzeit, was sie da veranstalten, nach der Ähnlichkeit mit den Syzygien (Vereinigungen) in der oberen Welt. Andere führen die Bewerber zum Wasser, taufen sie und sagen dazu: Auf den Namen des unbekannten Vaters aller Dinge; auf den, der auf Jesus herabgestiegen ist zur Vereinigung und Erlösung und Gemeinschaft der Kräfte“ (Übers. Brox). (3) Tertullian, Val. 31f.: „Es bleibt noch zu sprechen über die Vollendung und die Verteilung des Lohnes. Sobald Achamoth die gesamte Ernte ihres Samens zu Ende gebracht hat und hierauf begonnen hat, sie in einem Speicher zu sammeln, beziehungsweise wenn sie den Samen zu den Mühlen hingebracht hat, wo er zu Mehl gemacht wurde, sodass sie ihn in einem heilsamen Teig verbergen konnte, bis er ganz durchgesäuert wurde (vgl. Mt 13,33; 1 Kor 5,6): Dann wird die Vollendung unmittelbar bevorstehen. Vor allem wird nun also Folgendes geschehen: Achamoth selbst wird von der mittleren Region, von dem zweiten Stockwerk, in das oberste Stockwerk transportiert werden. Und wenn sie für das Pleroma wiederhergestellt ist, nimmt sie sogleich jener Soter, mit dem sie verabredet ist, auf – offensichtlich ihr Bräutigam –, und beide werden zu einem neuen Ehepaar; er wird der Bräutigam aus der Schrift sein […] und das Pleroma das Brautgemach. Das Menschengeschlecht wird nun aber zu folgendem Ende gelangen: Es werde zu einem vollständigen Untergang derjenigen kommen, die als irdisch und materiell gekennzeichnet seien, denn ,alles Fleisch ist wie Gras‘ (Jes 40,6). Auch die Seele wird bei jenen (nämlich) für sterblich gehalten; eine Ausnahme bilden diejenigen Seelen, welche durch ihren Glauben das Heil gefunden haben. Die Seelen der Gerechten (vgl. Weish 3,1) – das sind unsere – werden zum ‚Demiurgen‘, nämlich in seine (neuen) Wohnstätten in der mittleren Region, hinübergeschickt werden. Wir sagen ‚Danke‘, denn wir werden damit zufrieden sein, als zu unserem Gott gehörig an­gesehen zu werden – da wir ja (wie er) zur beseelten Klasse gehören. Nichts aber wird zum Palast des Pleromas zugelassen außer der geistigen Schar Valentins. Dort werden nun also die Menschen selbst – das bedeutet: die inneren Menschen (vgl. Röm 7,22; 2 Kor 4,16; Eph 3,16) – ‚ausgeplündert‘ – ‚ausgeplündert zu werden‘ heißt aber: diejenigen Seelen, mit denen sie bekleidet zu sein schienen, abzulegen –, und sie werden diese ihrem ‚Demiurgen‘ zurückgeben, von dem sie sie ausgeborgt hatten. Sie selbst aber werden zu Geistern, welche gänzlich intellektualer Natur sind; man wird sie weder anfassen noch erblicken können, und so werden sie auf unsichtbare Weise in das Pleroma aufgenommen werden – das bedeutet: ‚heimlich‘ – wenn man das so sagen kann“ (Übers. Lukas).

5.1 Einführung

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Er schließt hier also die valentinianische zugunsten einer nachnizänischen, „orthodoxen“ Deutung aus, obwohl beide im Paradigma der „New Philology“ nebeneinander existieren könnten. Über solche Einzelauslegungen hinaus übt Lundhaug auch grundlegende Kritik an der valentinianischen Einordnung des Philippusevangeliums. Sie besitze deswegen wenig Plausibilität, weil mit ihr ein unsicheres Konstrukt in den Text eingetragen werde, das auf den teilweise widersprüchlichen Darstellungen der Systemreferate bei Irenäus, Tertullian und Hippolyt basiert.23 Eine valentinianische Situierung des Textes versuche, mit Hilfe dieses Konstrukts auf zirkulärem Weg enigmatische Stellen zu klären und die Entstehungszeit einzugrenzen. Eine solche Kritik ist dort berechtigt, wo zu schematisch vorgegangen wird und fragmentarische oder inhaltlich unklare Textpassagen des Philippusevangeliums mit fehlenden Bausteinen aus den komplexen Systemdarstellungen bei den Häresiologen einfach „vervollständigt“ werden. Die Interpretation einzel­ ner Passagen des Philippusevangeliums im Rahmen anderer Nag-Hammadi-­ Texte mit vergleichbaren Motiven und Vorstellungsgehalten kann dagegen durchaus zu einem lokalen Textverständnis beitragen, ohne dass damit eine religionsgeschichtliche Verortung des Gesamttextes einhergehen muss. Dabei teilt das Philippusevangelium einige prägnante Motive wie das der Vereinigung im Brautgemach als Ziel des Erlösungsprozesses mit anderen, teilweise (wenn auch nicht ausschließlich) als valentinianisch eingeschätzten Texten.24 Somit soll hier der Text nicht insgesamt theologiegeschichtlich eingeordnet und datiert, aber von Fall zu Fall mit anderen Texten kontextualisiert werden, die vergleichbare Motive aufweisen. Passagen des Tractatus Tripartitus, der fünften Schrift aus NHC I, die ein eigenes valentinianisches System bietet,25 und des Authentikos Logos, einer theologiegeschichtlich nicht klar einzuordnenden, gnostischen Homilie, die in NHC VI an dritter Stelle steht, zeigen partiell ähnliche Vorstellungsgehalte. Beide Texte sind ihrerseits nur schwer da-

23 Vgl.

hierzu Thomassen, Spiritual Seed, 39–43. wird das Motiv des Brautgemachs als typisch valentinianisch beurteilt, mit dem Authentikos Logos liegt aber beispielsweise ein Text vor, der keiner spezifischen Richtung eindeutig zugeordnet werden kann, aber das Motiv ebenfalls auf charakteristische Weise verarbeitet. 25 Nach Attridge / Pagels, Tripartite Tractate (Introduction), 178, repräsentiert der Trac­ tatus Tripartitus einen weiterentwickelten, westlichen Valentinianismus: „The fact that the Tri. Trac. carries its revision of Valentinianism farther than other extant Valentinian sources, including the fragments of Heracleon, suggests that its author was a later representative of western Valentinianism. The affinities of the Tri. Trac. in form and content with literature of the third century and the possibility that the revision of Valentinianism developed here may be a response to orthodox criticism such as that of Irenaeus, suggest a date for the text in the first half of the third century A. D., although a date in the late third or early fourth century cannot be excluded.“ 24 Oft

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5. Philippusevangelium

tierbar, diskutiert werden das 2. (AuthLog) 26 bzw. 3. Jahrhundert (TractTrip).27 In Textsorte, Inhalten und theologischen Profilen weichen diese zwei Schriften vom Philippusevangelium ab, aber in ihrer Metaphorik für die Heilsgabe des in die Welt kommenden Logos, den sie als „Speise“ und, noch prägnanter, als „Gewand“ für die Glaubenden bezeichnen können, berühren sie sich mit dem Philippusevangelium. Für die hier untersuchten Textabschnitte des Philippusevangeliums könnte dann entsprechend für eine Entstehungszeit am Ende des 2. oder im 3. Jahrhundert argumentiert werden, wenngleich dies unsicher bleibt. Gegen eine sehr frühe Datierung der untersuchten Spruchgruppen in die Mitte des 2. Jahrhunderts spricht – neben den valentinianischen Motiven – die wohl schon vorausgesetzte Normativität des Johannesevangeliums, aus dem in EvPhil 23b ein Herrenwort zitiert und neben eine Stelle aus 1 Kor 15 gestellt wird.

5.2 Der Ursprung des Todes und das vorausgesetzte Bild vom Menschen Bevor die Auferstehungsvorstellung(en) des Philippusevangeliums untersucht werden können, ist auch hier zunächst ein Blick auf das vorausgesetzte Bild vom erlösungsbedürftigen Menschen und auf die Herleitung und Deutung der Vergänglichkeit und des Todes zu werfen. Worin besteht dem Philippusevangelium zufolge der Mangel des in der Welt existierenden Menschen, wovon muss er erlöst werden, und ist die Auferstehung gleichbedeutend mit der Erlösung? 5.2.1 Die Trennung der mannweiblichen Einheit als Ursache des Todes Eine erste Ursprungsgeschichte des Todes, die an Genesistradition anknüpft, bieten EvPhil 71 und 78. Die Sprüche machen die Trennung Evas von Adam für den Tod verantwortlich: EvPhil 71 (p. 68,22–26): Als Eva [mit / in] 28 Adam war, gab es keinen Tod. Als sie sich [von] ihm trennte, trat der Tod ins Dasein. EvPhil 78 (p. 70,9–12): Hätte die Frau sich nicht vom Mann getrennt, wären sie und der Mann nicht gestorben. Die Trennung von ihm ist zum Ursprung des Todes geworden […].29 26 Indizien sprechen dafür, dass es sich „um ein relativ frühes Zeugnis der Auseinandersetzung mit gnostischer Verkündigung im Umkreis christlicher Gemeinden“ handelt, das eventuell Ende des 2. Jahrhunderts entstand (Heyden / Kulawik, NHD 2, 468). Die Schrift besitzt sehr enge Beziehungen zur „Exegese über die Seele“ (vgl. Kulawik, Erzählung über die Seele, 291). 27 Vgl. Schenke, NHD 1, 54. 28 Siehe zur Präposition, die zu ϩⲛ̣̅ („in“) oder ⲙⲛ̅ („mit“) zu ergänzen ist, Schenke, Philippus-Evangelium, 391f. 29 Übers. Schenke (NHD).

5.2 Ursprung des Todes und Menschenbild

165

An der hier erkennbar werdenden Auslegung der Genesisüberlieferung ist auffällig, dass das Philippusevangelium die Existenz eines vollkommenen Menschen als ursprüngliche mannweibliche Einheit voraussetzt, die dann durch die Separation Evas zerstört wurde. Die ursprüngliche Vollkommenheit des paradiesischen Menschen lag darin, dass er nicht geschlechtlich differenziert war. Unklar ist, ob bei der Trennung Evas an ihre Entstehung aus Adams Rippe (Gen 2,21f.) oder an einen Ehebruch Evas mit der Schlange 30 gedacht ist. In welcher Weise sich dieses Ursprungsdrama in der fortdauernden Existenz des Menschen in der Welt seither auswirkt, verdeutlicht EvPhil 61a (p. 65,1– 12). Seit der Trennung zwischen Adam und Eva existieren die Menschen nämlich in männlicher bzw. weiblicher Gestalt: Unter den Gestalten von unreinem Geist gibt es männliche und weibliche. Die männlichen sind es, die sich mit den Seelen vereinigen (ⲉⲧⲣ̅ⲕⲟⲓⲛⲱⲛⲉⲓ), die in einer weiblichen Gestalt wohnen. Die weiblichen aber sind diejenigen, die sich mit denen, die in einer männlichen Gestalt sind, verbinden (ⲛⲉⲧⲧⲏϩ) – wider die Natur. Und niemand kann diesen entfliehen, weil sie ihn festhalten, falls er nicht eine männliche und eine weibliche Kraft empfängt, nämlich den Bräutigam und die Braut. Man empfängt (ϫⲓⲧ) (sie) aber aus dem abbildhaften Brautgemach (ⲛⲩⲙⲫⲱⲛ ⲛ̅ϩⲓⲕⲟⲛⲓⲕⲟⲥ).31

Der zitierte Text schildert eine besondere, anhaltende Gefahr dieser getrennten, vereinzelten Existenz: Durch die Trennung im Paradies kommt es seither zu falschen, „naturwidrigen“ Vereinigungen mit unreinen Geistern des jeweils anderen Geschlechts, die aber, statt die ursprüngliche Vollkommenheit wiederherzustellen, die Menschen nur gefangen halten. Die Herrschaft des Todes scheint sich also durch geschlechtliche Vereinigung weiter aufrechtzuerhalten, die der Text auf die anfängliche Spaltung zurückführt und die gegen die eigentliche menschliche Natur ist. Der falschen, den Todeskreislauf fortsetzenden Vereinigung wird im unmittelbaren Anschluss an den zitierten Spruch eine wirklich rettende Vereinigung gegenübergestellt. Demnach wird die ursprüngliche Vollkommenheit nur durch Empfang einer „männlichen oder weiblichen Kraft“32 wiederhergestellt. Was genau diese Kraft ist, die auch als „Bräutigam“ bzw. „Braut“33 bezeichnet wird, 30 Der Gedanke, dass es einen Ehebruch am Anfang der Menschheit gab, steht vermutlich auch hinter EvPhil 42a (p. 61,5–10): „Zuerst kam der Ehebruch, danach der Mörder (Kain). Und zwar wurde er im Ehebruch gezeugt. Denn er war der Sohn der Schlange. Deswegen wurde er zum Menschentöter, wie (es) auch sein Vater (war). Und so tötete er seinen Bruder (Abel)“ (Übers. Schenke, NHD). 31 Übers. Schenke (NHD). 32 Die Formulierung ϫⲓ ⲛ̅ⲟⲩϭⲟⲙ ⲛ̅ϩⲟⲟⲩⲧ ⲙⲛ̅ ⲛⲟⲩⲥϩⲓⲙⲉ könnte auch übersetzt werden als „eine männliche und eine weibliche Kraft empfangen“. Dies würde heißen, dass der unvollkommene Mensch nicht sein gegengeschlechtliches Pendant, sondern eine vereinigte Kraft empfangen müsste (vgl. Strathearn, Valentinian Bridal Chamber, 101f.). 33 Vgl. auch EvPhil 79 (p. 70,17–22): „Die Frau vereinigt sich (ϩⲱⲧⲣ̅) aber mit ihrem Gatten im Brautgemach. Die sich aber im Brautgemach vereinigt haben (ⲛⲉⲛⲧⲁϩⲱⲧⲣ̅), werden

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5. Philippusevangelium

geht aus dem Text gleichwohl nicht hervor.34 Der anschließende Text (EvPhil 61b, p. 65,12–26) greift jedoch ebenfalls auf das Motiv der geschlechtlichen Vereinigung von Mann und Frau zurück und nutzt es als Analogie für die rettende Vereinigung des Menschen mit seinem zugehörigen Anteil, dem „Engel“. Diese Vereinigung banne die Gefahr einer „Besudelung“ durch kosmische Verstrickungen: Wenn sie aber den Mann und sein Weib beieinander sitzen sehen, können die Weiber nicht zu dem Mann eingehen, noch können die Männer zu dem Weibe eingehen, ⟨noch kann irgend jemand (anderes) es wagen, zu dem Mann oder der Frau einzugehen.⟩ Ebenso verhält es sich, wenn das Abbild und der Engel sich miteinander vereinigt haben {…}.35

Aufschlussreich ist, dass das Philippusevangelium an anderer Stelle diese heilvolle Vereinigung vermutlich in der Eucharistiefeier („Tag der Danksagung“) vollzogen sieht. Das legt zumindest EvPhil 26b (p. 58,10–14) nahe: sich nicht mehr trennen. Deswegen trennte sich Eva von Adam, weil sie sich nicht im Brautgemach mit ihm vereinigt hatte (ⲛ̅ⲧⲁⲥϩⲱⲧⲣ̅ ⲉⲣⲟϥ)“ (Übers. Schenke, NHD). 34 In der bildhaften Sprache von EvPhil 61a wird Hochzeitssymbolik verwendet, um die Vereinigung zu veranschaulichen. Mit den Stichworten ⲛⲩⲙⲫⲱⲛ, ⲛⲩⲙⲫⲏ und ⲛⲩⲙⲫⲓⲟⲥ wird an dieser Stelle auf ein im Philippusevangelium tragendes Motiv angespielt, das die Schrift insbesondere im letzten Drittel prägt, vgl. Anklänge und Vorkommen des Motivs in EvPhil 61ab (p. 65,1–26); 66–67c (p. 67,2–27); 73–76d (p. 69,1–70,4); 79–82b (p. 70,17–71,13); 87–­ 88 (p. 72,17–29); 102c (p. 76,4–6); 122a–d (p. 81,34–82,26); 125a–127a (p. 84,21–86,12); rekonstruiert in EvPhil 102a (p. 75,29). Das Motiv teilt das Philippusevangelium mit anderen (valentinianischen, aber auch nichtvalentinianischen) Texten aus Nag Hamma­di, vgl. EvThom (NHC II,2) 75; 104; Dial 48–50 (NHC III,5) p. 138; 2LogSeth (NHC VII,2) p. 57,10–­ 18; 62,6–10; 65,35–66,8; 67,5–11; AuthLog (NHC VI,3) p. 22,23–34; Silv (NHC VII,4) p. 94,19–­29; ExAn (NHC II,6) p. 132,2–133,10; TractTrip (NHC I,5) p. 93,1; 122,15f.21; 128,33; 138,11; sowie rekonstruiert in p. 135,31. Für die theologiegeschichtliche Einordnung ist dieses Motiv besonders bedeutsam geworden, und es weist wegen seiner breiten und dif­ ferenzierten Bezeugung im gesamten Nag-Hammadi-Corpus über unsere Schrift hinaus. In anderen Texten ist das Brautgemach bzw. die Hochzeitsmotivik zuweilen Teil des SophiaMythos bzw. eine seiner vielfältigen Spielarten, in denen es die Vereinigung von widernatürlich getrennten Elementen des Pleroma symbolisiert. Da aber im Philippusevangelium (zumindest im erhalten Text) eine Form des Sophia-Mythos fehlt, der vom Fall, Wiederaufstieg und Eingang einer Größe des Pleromas in die göttliche Fülle berichten würde, ist das Motiv des Brautgemachs hier anders zu interpretieren. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass von einer „Vereinigung“ des pneumatischen Menschen mit seinem himmlischen Paargenossen oder „Engel“ die Rede ist. Vielleicht steht diese Vorstellung mit dem valentinianischen Sophia-Mythos in Verbindung, nach dem das Pleroma eine Harmonie aus himmlischen, aus dem obersten Gott emanierten Paarungen bildet. Die Vereinigung mit den Engeln würde dann dem Menschen den Eingang in das paarweise organisierte Pleroma ermöglichen. Eine eigene ausführliche Behandlung des Brautgemachmotivs führt hier jedoch zu weit von der vorliegenden Fragestellung weg und kann in diesem Rahmen nicht geleistet werden. Es sollen aber diejenigen Aspekte untersucht werden, die für das Verständnis von Auferstehung im Philippusevangelium relevant sind. 35 Übers. Schenke (NHD).

5.2 Ursprung des Todes und Menschenbild

167

Er sagte an jenem Tag der Danksagung: Der du den vollkommenen Erleuchter mit dem Heiligen Geist vereinigt hast (ⲡⲉⲛⲧⲁϩϩⲱⲧ̅ⲣ̅), vereinige (ϩⲟⲧⲣ̅) die Engel auch mit uns als den Abbildern!36

Demnach könnte die Eucharistie als der sakramentale Ort benannt sein, an dem sich die notwendige, heilvolle Vereinigung des Menschen mit seinem „Paargenossen“ vollzieht und damit die Ursache des Todes beseitigt wird. Möglicherweise bezeichnet das „Brautgemach“ aber auch ein eigenständiges Sakrament neben Taufe, Salbung und Eucharistie (und eventuell auch noch der „Erlösung“).37 Wie auch immer die „Vereinigung“ (sakramental) vollzogen wurde, es ist jedenfalls deutlich, dass die Interpretation des Todes als Ergebnis der anfänglichen Spaltung des mannweiblichen Menschen im Philippusevangelium auf eine (rituelle) Institution hinausläuft, die diese Trennung wieder rückgängig macht und so die Todverfallenheit des Menschen überwindet. Dieser spezifischen Ursprungserzählung des Todes wird also eine entsprechende rituelle Überwindung beigesellt.38 Die Vereinigung steht damit als eine Form der Erlösung vom Ur-Mangel des Menschen zwar in semantischer Nähe zur Auferstehung, aber sie ist nicht gleichbedeutend mit ihr.

36 Übers.

Schenke (NHD). das Brautgemach ein eigenes Sakrament oder nur eine besondere Wirkung der bekannten Sakramente ist (eine andere valentinianische Schrift, der Tractatus Tripartitus, bezeichnet die „Taufe“ auch als „Brautgemach“, NHC I,5 p. 121), wird unterschiedlich beurteilt und geht aus dem Text nicht eindeutig hervor (noch weniger wird beantwortet, ob das „Brautgemach“ zu den Sterbesakramenten oder noch zum Initiationsritual gehört). Am ehesten scheint EvPhil 68 (p. 67,27–30) auf ein solches Verständnis hinzuweisen: „Der Herr [bereitete] alles in verborgener Weise: Taufe, Salbung, Eucharistie, Erlösung und Brautgemach“ (Übers. Schenke, NHD). Mit Pagels, Rituals, sollte die Frage nach der Anzahl der Sakramente zurückgestellt werden, weil sie dem Philippusevangelium nicht wirklich angemessen ist. 38 Die symbolisch vollzogene Vereinigung bildet eine himmlische Wirklichkeit irdisch ab und bereitet auf die endgültige Vereinigung im Pleroma vor. Schon jetzt geht der Glaubende aus dem „Brautgemach“ als Teil eines neuen Geschlechts hervor, deren Vertreter vom Philippusevangelium als „Kinder des Brautgemachs“ bezeichnet werden, vgl. EvPhil 88 (p. 72,22–29): „[Die] Kinder des Brautgemachs haben ein [und dieselbe] Beschaffenheit: die Ruhe. Wenn [sie (alle) bei]einander [sind], brauchen sie nicht (mehr) gleichzuwerden. [Sie besitzen] die Anschauung […] Wahrnehmung. Mehr sind sie […] unter denen, die da sind in dem […] die Herrlichkeiten der Herrlichkeiten […] sie nicht.“ Vgl. auch EvPhil 102b (p. 75,30–76,4): „Es gab keinen Juden […] aus den Griechen […] war. Und […] aus den Juden […] zu Christen. [Es entstand ein anderes Geschlecht], und diese [Seligen] wurden genannt[:] ‚das auserwählte [geistige] Geschlecht‘, ‚der wahre Mensch‘, ‚der Menschensohn‘ und ‚der Same des Menschensohnes‘. Dieses wahre Geschlecht wird in der Welt (so) genannt“ (Übers. Schenke, NHD). 37 Ob

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5. Philippusevangelium

5.2.2 Der Nomos als Ursprung des Todes und die wahre Nahrung, die von Christus stammt Eine andere Ätiologie des Todes bietet EvPhil 94ab, wo der Ursprung des Todes in einer „todbringenden Nahrung“ gesehen wird: (94a) Gott pflanzte ein Paradies. Der Mensch [wohnte in dem] Paradies. Es gibt etliche […, die] existieren zusammen mit etlichen […] Gottes. In [dem …] die, die in [ihm] sind [… wie (?)] ich will. Jenes Paradies [ist der Ort, wo] mir gesagt werden wird: „[… Iß] dies, oder iß [dies] nicht, [wie du] willst!“ Dies (ist) der Ort, wo ich alles essen werde. (94b) Dort befindet sich der Baum der Erkenntnis: jener hat Adam getötet; hier aber der Baum der Erkenntnis: er hat den Menschen lebendig gemacht. Der Nomos war der Baum. Er vermag (nur) die Erkenntnis des Guten und des Bösen zu vermitteln. Weder befreite er ihn von dem Bösen, noch versetzte er ihn in das Gute. Vielmehr brachte er den Tod über die, die von ihm „aßen“. Denn dadurch, daß er sagte: „dieses dürft ihr essen, dieses sollt ihr nicht essen“, wurde er zum Ursprung des Todes.39

In den zitierten Texten wird die Genesisüberlieferung so uminterpretiert, dass nicht Adams Übertretung des Gebotes Gottes, sondern die Unterscheidung des Nomos zwischen dem, was gegessen werden darf, und dem, was nicht gegessen werden darf, den Tod bringt.40 Der Nomos schuf diese unheilvolle Unterscheidung, ohne zugleich den Menschen mit dem auszustatten, was ihn zum Guten hinführt und ihn dazu bringt, sich für das Gute zu entscheiden. Der Nomos, der mit dem Baum der Erkenntnis 41 und dessen todbringender Frucht identifiziert ist, wird folglich selbst als eine schlechte Speise charakterisiert, die diejenigen, die davon essen, sterblich macht.42 39 Übers. Schenke (NHD). Der Abschnitt ist eventuell Teil eines größeren Zusammenhangs, der von EvPhil 91 (p. 73,8–15) bis 94b (p. 74,2–12) reicht. 40 Lundhaug, Images of Rebirth, 219, sieht hier eine ablehnende Haltung gegenüber jüdischen Speisevorschriften und generell gegenüber dem Judentum: „the implication that to follow the law, i. e., Judaism, as exemplified by its dietary restrictions, equals Adam’s eating of the fruit from the Tree of Knowledge in the garden of Eden, and can only lead to death. Eating from the new Tree of Knowledge, on the other hand, brings life. Since the new Tree of Knowledge is the cross, and what hung on it as its ‚fruit‘ was Christ, it is Christ’s death on the cross, and the eating of Christ that brings life. Moreover, since the eating is in this passage connected both to knowledge and to eating, we also have here a possible simultaneous reference to gaining knowledge of Christ and participating in the Eucharist.“ 41 Es scheint im Text noch ein weiterer Baum der Erkenntnis von dem paradiesischen Baum der Erkenntnis unterschieden zu werden, der mit dem Gesetz identifiziert ist. Der zweite Baum der Erkenntnis bringt Leben. Eventuell steht hier eine Auslegung von Gal 3,13 und Phil 3,8f. im Hintergrund, die darauf hinausläuft, dass Christus und sein Kreuz in antitypischer Entsprechung zum paradiesischen Baum der Erkenntnis nicht den Tod, sondern wahre Erkenntnis und Leben gebracht haben (vgl. dazu Lundhaug, Images of Rebirth, 218f.) 42 Der Nomos legt den Menschen auf eine tierische, ihm eigentlich nicht entsprechende Lebensweise fest, vgl. EvPhil 15 (p. 55,6–14): „Bevor Christus gekommen war, gab es kein Brot in der Welt, geradeso wie das Paradies, der Ort, wo Adam war, viele Bäume zur Nahrung für die Tiere, aber kein Korn zur Nahrung für den Menschen hatte. Der Mensch ernährte sich wie ein Tier“ (Übers. Schenke, NHD). Dem Text zufolge schlägt sich die Tod-

5.2 Ursprung des Todes und Menschenbild

169

Indem der Verfasser das existentielle Übel des Todes mit dem Nomos in Verbindung bringt, bietet er eine ganz andere Ursprungsgeschichte der Todverfallenheit menschlichen Lebens. Er verortet sie in der „jüdischen Vorzeit“ der Glaubenden vor dem Kommen Christi (vgl. auch EvPhil 1, p. 51,29–52,2; 6, p. 52,21–24). Dabei muss nicht tatsächlich an die jüdische Herkunft der Adressaten bzw. die Entwicklung des Christentums aus dem Judentum gedacht sein. Die anklingende Polemik gegen das Gesetz und die jüdische Lebensweise könnte sich auch gegen eine bestimmte, vom Text abgelehnte Ausübung des Christentums richten, die als „judaisierend“ abgewertet wird.43 Hierauf kann an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden, im gegenwärtigen Zusammenhang ist allein die Ableitung des Todes vom Nomos wichtig, die neben der Trennung der Frau vom Mann eine weitere, andere Ätiologie für den Tod in der Welt bietet. Die Thematik des Essens, die die zitierte Passage durchzieht, ist im vorausgehenden Kontext, d. h. in EvPhil 93ab (p. 73,23–27), schon vorbereitet. Dort und in EvPhil 15 (p. 55,6–14) wird Christus (wohl in Anspielung an Joh 6,31f.) als „vollkommener Mensch“ beschrieben, der „Brot vom Himmel“ als die für den Menschen richtige Speise in die Welt brachte:44 verfallenheit des Menschen seit Adam in einem tierischen Lebenswandel nieder, zugespitzt als „tierische Nahrung“, die für die Entfremdung des Menschen von seiner eigentlichen, höheren Existenz steht. Vgl. zum höheren Status des Menschen gegenüber dem Tier EvPhil 58a (p. 64,12–19): „Die hohe Stellung des Menschen ist nicht sichtbar, sondern liegt im Verborgenen. Deswegen ist er Herr über die Tiere, die stärker und größer sind als er nach Maßgabe des Sichtbaren und des Verborgenen. Und dies gibt ihnen den Bestand. Wenn der Mensch sich aber von ihnen trennt, töten sie einander und zerfleischen sie einander“ (Übers. Schenke, NHD). Dabei ist bemerkenswert, dass die allgemeineren Lebensbedingungen des Menschen und sein Dasein unter dem Nomos mit dem Bild der „schlechten Nahrung“ eine dezidiert körperliche Zuspitzung erfahren. Vgl. dagegen TractTrip (NHC I,5) p. 106f., wo die bösen Archonten dem Menschen die ihm eigentlich angemessene Speise versagen: „Der Adel des erlesenen Wesens, das in ihm ist, war viel erhabener als ⟨die⟩ Schöpfung und fügt⟨e⟩ ihnen (den Archonten) Schaden zu. Aus diesem Grunde ließen sie drohend einen Befehl ergehen und brachten gleichzeitig eine große Gefahr über ihn, (p. 107) die im Tode besteht. Nur den Genuß der bösen (Speisen) – davon erlaubte er ihm zu essen; und von dem anderen Baum, der das andere (sc. das Gute) besaß, erlaubten sie ihm nicht zu essen, am allerwenigsten von dem (Baum) des Lebens, damit [er nicht] eine Ehre erlangt, [die der ihren gleich ist] […]“ (Übers. Schenke). 43 Auch an anderen Stellen der Schrift tritt eine entsprechende Kodierung der Polemik hervor, vgl. die Bezeichnung „Hebräer“ für die Apostel und Apostelanhänger in EvPhil 17b (p. 55,27–33) und die abwertend gemeinte Bezeichnung als „Hebräer“ für die, die die Taufe nur unvollkommen empfangen haben, in EvPhil 46 (p. 62,2–6). 44 Die Vorstellung, dass der Logos den geistigen, präexistenten Menschen ursprünglich eine besondere Nahrung im Paradies zugedacht hatte, findet man wiederum in TractTrip (NHC I,5) p. 96: „Als der Logos das All ordnete, setzte er sich (selbst) zuerst als Anfang ein, als Ursache und Führer dessen, was entstanden ist, nach dem Vorbild des Vaters, der zur Ursache der präexistenten Einsetzung geworden ist. Danach richtete er die präexistenten Bilder her, die er in Dank und Lobpreis hervorgebracht hatte. Dann ordnete er den Ort derer,

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5. Philippusevangelium

EvPhil 15 (p. 55,6–14): […] Doch als Christus, der vollkommene Mensch, kam, da brachte er Brot vom Himmel,45 damit der Mensch sich nähre mit der Nahrung des Menschen.46 EvPhil 93ab (p. 73,23–27): (a) […] Deswegen wird niemand von denen, die sich von der [Wahrheit] nähren, sterben. (b) Aus jenem Ort ist Jesus gekommen und hat Nahrung von dort gebracht. Und denen, die (es) wollten, gab er (davon) [zu essen], damit sie nicht (mehr) sterben.47

Diese Speise, die Christus gibt, hebt den Effekt der „schlechten Speise“ auf: Sie bringt nicht den Tod, sondern Unsterblichkeit. Aus den zitierten Passagen geht nicht klar hervor, wofür die Speise konkret steht. Eine Möglichkeit wäre die Eucharistie, aber ein eucharistischer Kontext ist nicht zu erkennen. Da die Speise der todbringenden „Nomos-Speise“ gegenübergestellt wird, könnte sie mit einer auch sonst bezeugten Auslegungsrichtung für die Lehre Jesu stehen, die Erkenntnis bringt. Darauf wird in Zusammenhang mit EvPhil 23 zurückzukommen sein. Möglicherweise geht es in EvPhil 15 und 93ab bei der metaphorischen Verwendung von Brot und Speise um die Aufnahme göttlicher Erkenntnis, die den sich damit „Nährenden“ verwandelt. Das Bild der Speise würde dann die besondere Verinnerlichung und innere Erbauung durch die Erkenntnis Christi akzentuieren.48 Das Bild einer Gabe von „Brot vom Himmel“ macht jedenfalls aus dem Vorgang des Erkennens ein ganzheitliches, auch den Leib betreffendes Ereignis.

5.3 Sprachliche Besonderheiten der Rede von „Auferstehung“ Der Blick auf die Herleitung des Todes und die dazu komplementären Erlösungsvorstellungen im Philippusevangelium machte deutlich, dass die Schrift Tod und Auferstehung nirgends in einen übergreifenden, etwa kosmologischen, schöpfungstheologischen oder endzeitlichen, Zusammenhang stellt. In welcher Form und in welchen Kontexten spricht das Philippusevangelium also von „auferstehen“ und „Auferstehung“? Dieser Frage soll zunächst mit einer Durchsicht der grammatisch-syntaktischen Verwendungsweisen des Aktionsverbs ⲧⲱⲟⲩⲛ und des Nomens ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ nachgegangen werden. Letzteres begegnet beispielsweise in EvPhil 76b (p. 69,25–29): die er dem Lobpreis entsprechend (hervor)gebracht hatte, der ‚Paradies‘ genannt wird und ,Genuß‘ und ,Wonne, angefüllt mit Nahrung‘ und ,Wonne ⟨der⟩ Präexistenten‘ […]“ (Übers. Schenke). 45 Vgl. Joh 6,31f. 46 Übers. Schenke (NHD). 47 Übers. Schenke (NHD). 48 Vgl. zum Tractatus Tripartitus Attridge / Pagels, Tripartite Tractate (Notes), 361: „The Savior provides nourishment for the spiritual ,seeds‘ produced by the Logos, by revealing to them the transcendent world of the Pleroma.“

5.3 Sprachliche Besonderheiten der Rede von „Auferstehung“

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ⲡ[ⲃⲁⲡⲧⲓ]ⲥ̣ⲙⲁ ⲟⲩⲛ̅ⲧⲁϥ ⲙ̅ⲙⲁⲩ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥ̣[ⲓⲥ ⲙⲛ̅ ⲡ]ⲥⲱⲧⲉ ⲉⲡⲥⲱ̣ⲧⲉ ϩⲙ̅ ⲡⲛⲩⲙⲫⲱⲛ [ⲉⲡⲛ]ⲩ̣ⲙⲫⲱⲛ ⲇⲉ ϩⲙ̅ ⲡⲉⲧϫⲟⲥⲉ ⲉⲣⲟ[. . . .]ⲛ̣̅[. .1½. .]ⲟⲟ. . Die Taufe hat die Auferstehung in der Erlösung. Die Erlösung im Brautgemach, und (?) das Brautgemach aber in dem, das erhabener ist als […].49

Zu vergleichen ist auch EvPhil 95b (p. 74,18–20): ⲡⲉⲛⲧⲁⲩⲧⲟϩⲥϥ ⲡⲧⲏⲣϥ ⲙ̅ⲙⲁⲩ ⲟⲩⲛ̅ⲧⲁϥ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲡⲟⲩⲟⲉⲓⲛ ⲡⲉⲥⳁⲟⲥⲡⲡⲛ̅ⲁ̅ ⲉⲧⲟⲩⲁⲁⲃ ⲁⲡⲉⲓⲱⲧ ϯ ⲛⲁϥ ⲙ̅ⲡⲁⲉⲓ ϩⲙ̅ ⲡⲛⲩ[ⲙ]ⲫⲱⲛ̣ ⲁϥϫⲓ Wer gesalbt ist, besitzt alles. Er besitzt die Auferstehung, das Licht und das Kreuz, den Heiligen Geist. Der Vater gab ihm diesen in dem Brautgemach, und er empfing (ihn da).50

Außerdem EvPhil 63c (p. 66,16–20): ϩⲱⲥ ⲉⲛϣⲟⲟⲡ ϩⲙ̅ ⲡⲉⲉⲓⲕⲟⲥⲙⲟⲥ ϣϣⲉ ⲉⲣⲟⲛ ⲉϫⲡⲟ ⲛⲁⲛ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ϫⲉⲕⲁⲁⲥ ⲉⲛϣⲁⲕⲁⲁⲕⲛ ⲁϩⲏⲩ ⲛ̅ⲧⲥⲁⲣⲝ ⲉⲩⲛⲁϩⲉ ⲉⲣⲟⲛ ϩⲛ̅ ⲧⲁⲛⲁⲡⲁⲩⲥⲓⲥ ⲛ̅ⲧⲛ̅ⲧⲙ̅ⲙⲟⲟϣⲉ ϩⲛ̅ ⲧⲙⲉⲥⲟⲧⲏⲥ Solange wir uns in dieser Welt befinden, geziemt es sich für uns, uns die Auferstehung zu erwerben, damit wir, wenn wir uns vom Fleisch entkleiden, in (dem Ort) der Ruhe erfunden werden und nicht in der Mitte umherschweifen.51

In den zitierten Passagen fällt der Gebrauch der Verben ⲟⲩⲛ̅ⲧⲁ⸗, ϯ und ϫⲓ für „haben“, „geben“ und „empfangen“ sowie ϫⲡⲟ für „hervorbringen, erwerben“ auf. Sie stehen hier mit ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ als Objekt und weisen die Auferstehung als eine verfügbare Qualität aus. ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ erscheint im Philippusevangelium als eine Größe, die empfangen und anschließend „besessen“ wird. Aus EvPhil 76b und 95b geht außerdem hervor, dass diese Qualität durch das „Gesalbtsein“ bzw. im Brautgemach empfangen wird. Nach EvPhil 63c wirkt sie sich aber erst später aus, denn es heißt ja, dass die Auferstehung erworben werden soll, bevor man sich vom Fleisch entkleidet und in den Ort der Ruhe eingeht.52 Letzteres zeigt auch, dass das Eingehen in den Ort der Ruhe vom Auferstehen noch einmal unterschieden wird. Das Philippusevangelium scheint also mit einem „eschatologischen Vorbehalt“ der Erlösung zu rechnen, wobei die Auferstehung selbst aber schon ein gegenwärtig anzueignendes „Heilsgut“ ist. Der Glaubende empfängt die neue Realität erst einmal nur in den Sakramenten als Abbildern der einen himmlischen Wahrheit. 49 Übers. Schenke (NHD). Schenke vermutet, dass die Formulierung „hat die Auferstehung“ auch bei den anderen Satzgliedern zu ergänzen ist, sie seien elliptisch formuliert. Vgl. Schenke, Philippus-Evangelium, 407: „Die in der Taufe verheißene Auferstehung findet man in der ‚Erlösung‘; die in der ‚Erlösung‘ verheißene Auferstehung findet man im Sakrament des Brautgemachs; die im ‚Brautgemach‘ verheißene Auferstehung findet man (endgültig) im himmlischen Brautgemach als dem Ziel aller Wege und allen Suchens.“ 50 Übers. Schenke (NHD). 51 Übers. Schenke (NHD). 52 Vgl. EvPhil 7 (p. 52,25–32): „Die im Winter säen, werden im Sommer ernten. Der Winter ist die(se) Welt. Der Sommer ist der andere Äon. Laßt uns in der Welt säen, damit wir im Sommer ernten!“

172

5. Philippusevangelium

Wo andererseits das Verbum ⲧⲱⲟⲩⲛ („auferstehen“) im Philippusevange­ li­um gebraucht wird, geschieht dies beinahe ausschließlich in der Wiederga­ be gegnerischer und vom Verfasser abgelehnter Ansichten. In EvPhil 90a (p. 73,1–5) wird das Handlungsverb ⲧ̣ⲱⲟⲩⲛ im Referat der zurückgewiesenen gegnerischen Position verwendet, während der Autor seine eigene Auffassung mit ϫⲓ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ („die Auferstehung empfangen“) formuliert: ⲛⲉⲧϫ̣ⲱ ⲙ̣̅ⲙⲟⲥ ϫⲉ ⲥⲉⲛⲁⲙⲟⲩ ⲛ̅ϣⲟⲣⲡ ⲁⲩⲱ ⲥⲉⲛ̣ⲁ̣ⲧ̣ⲱⲟⲩⲛ ⟦ⲛ̅ ⟧ ⲥⲉⲣ̅ⲡⲗⲁⲛⲁⲥⲑⲉ ⲉⲩⲧⲙ̅ϫⲓ ⲛ̅ϣⲟⲣⲡ ⲛ̅ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲉⲩⲟⲛϩ ⲉⲩϣⲁⲙⲟⲩ ⲥⲉⲛⲁϫⲓ ⲗⲁⲁⲩ ⲁⲛ Diejenigen, die behaupten, daß sie zuerst sterben und (dann erst) auferstehen werden, irren sich. Wenn sie nicht zuerst die Auferstehung erlangen, solange sie noch leben, werden sie, wenn sie sterben, nichts empfangen.53

Auch in EvPhil 21 (p. 56,15–20) ist ⲧⲱⲟⲩⲛ Bestandteil des zitierten überlieferten Bekenntnisses von Tod und Auferstehung Jesu. Von dort gelangt es zwar in die analog gebildete Formulierung der Ansicht des Verfassers, wird aber im letzten Satzteil gegen ϫⲡⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ („die Auferstehung erwerben“) 54 ausgetauscht: ⲛⲉⲧϫⲱ ⲙ̅ⲙⲟⲥ ϫⲉ ⲁⲡϫⲟⲉⲓⲥ ⲙⲟⲩ ⲛ̅ϣⲟⲣⲡ ⲁⲩⲱ ⲁϥⲧⲱⲟⲩⲛ ⲥⲉⲣ̅ⲡⲗⲁⲛⲁ ⲁϥⲧⲱⲟⲩⲛ ⲅⲁⲣ ⲛ̅ϣⲟⲣⲡ ⲁⲩⲱ ⲁϥⲙⲟⲩ ⲉⲧⲙ̅ ⲟⲩⲁ ϫⲡⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲛ̅ϣⲟⲣⲡ ϥⲛⲁⲙⲟⲩ ⲁⲛ Diejenigen, die behaupten, daß der Herr zuerst gestorben und (dann) auferstanden sei, irren sich. Denn er ist zuerst auferstanden und (dann) gestorben. Wenn einer nicht zuerst die Auferstehung erlangt, muss er dann nicht sterben?55

Dort, wo das Philippusevangelium das Handlungsverb ⲧⲱⲟⲩⲛ verwendet und damit ein dynamisches Geschehen impliziert, werden offenbar mehrheitskirchliche Auferstehungsvorstellungen aus dem Umfeld des Nag-Hammadi-Textes referiert. Analoges ist auch in der Spruchgruppe über die Auferstehung in EvPhil 23a–c (p. 56,26–57,19) zu beobachten. Auch hier scheint das Verbum ⲧⲱⲟⲩⲛ aus der die Spruchgruppe einleitenden Passage (p. 56,26), wo es die konträre Auffassung der fiktiven Gesprächspartner wiedergibt, in die weiteren Ausführungen des Verfassers überzugehen:56 ⲟⲩⲛ̅ ϩⲟⲉⲓⲛⲉ ⲣ̅ ϩⲟⲧⲉ ϫⲉ ⲙⲏⲡⲱⲥ ⲛ̅ⲥⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ⲧⲱⲟⲩⲛ ⲉⲩⲕⲁⲕⲁϩⲏⲩ ⲉⲧⲃⲉ ⲡ[ⲁ]ⲉⲓ ⲥⲉⲟⲩⲱϣ ⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ϩⲛ̅ ⲧⲥⲁⲣⲝ […] Es gibt einige, die fürchten sich, dass sie nackt auferstehen.

Die weiteren Vorkommen von ⲧⲱⲟⲩⲛ in dieser Passage sind dann bestimmt von der Kontroverse um das richtige Verständnis der Auferstehung. Zwar wird 53 Übers.

Schenke (NHD). ist Status nominalis von ϫⲡⲟ. 55 Übers. Schenke (NHD). 56 Wo in der Formulierung der Ansicht des Verfassers ⲧⲱⲟⲩⲛ verwendet wird, ist dies durch die Diskussion mit den Gegnern veranlasst. 54 ϫⲡⲉ

5.3 Sprachliche Besonderheiten der Rede von „Auferstehung“

173

in diesem Zuge auch die eigene Auffassung des Verfassers mit dem Handlungsverb wiedergegeben, aber in dem erläuternden Bild des Empfangs (ϫⲓ) von Nahrung und Kleidung klingt wieder die Vorstellung einer verborgenen Gabe eines heilsnotwendigen Gutes an, das an den Menschen übermittelt wird (p. 57,7f.): ⲡⲉⲛⲧⲁϩϫⲓ ⲛⲁⲉⲓ ⲟⲩ(ⲛ)ⲧⲉϥ ⲧⲣⲟⲫⲏ ⲁⲩⲱ ⲟⲩⲛ̅ⲧⲁϥ ⲥⲱ ϩⲓ ⲃ̅ⲥⲱ Der, der dies empfangen hat, hat Nahrung und hat Trank und Kleidung.

Die einzige Ausnahme dieser auffälligen Verwendung von ⲧⲱⲟⲩⲛ findet sich in EvPhil 67c (p. 67,14–18): ⲁϣ ⲧⲉ ⲧⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ⲁⲩⲱ ⲑⲓⲕⲱⲛ ϩⲓⲧⲛ̅ ⲑⲓⲕⲱⲛ ϣϣⲉ ⲉⲧⲣⲉⲥⲧⲱⲟⲩⲛ ⲡⲛⲩⲙⲫⲱⲛ ⲙⲛ̅ ⲑⲓⲕⲱⲛ ϩⲓⲧⲛ̅ ⲑⲓⲕⲱⲛ ϣϣⲉ ⲉⲧⲣⲟⲩⲉⲓ ⲉϩⲟⲩⲛ ⲉⲧⲁⲗⲏⲑⲉⲓⲁ ⲉⲧⲉ ⲧⲁⲉⲓ ⲧⲉ ⲧⲁⲡⲟⲕⲁⲧⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ Von welcher Art ist die Auferstehung und das Abbild? Durch das Abbild muß sie auferstehen! Das Brautgemach und das Abbild? Durch das Abbild müssen sie eingehen in die Wahrheit, welches die Wiederherstellung ist!57

Die Textpassage ist elliptisch formuliert und rätselhaft. Ich verstehe sie im Zusammenhang der Ausführungen über die Wiedergeburt im unmittelbar vorausgehenden Kontext. EvPhil 67b und c erörtern jeweils das Verhältnis zwischen der himmlischen Wirklichkeit und ihren irdischen, sakramentalen Abbildern. So besitzt die himmlische Wiedergeburt ein irdisches Abbild, durch das man wiedergeboren wird (67b). Ebenso hat die „wirkliche“ Auferstehung ein Abbild, durch das man aufersteht (67c). Das Verbum ⲧⲱⲟⲩⲛ wird hier mit Bezug auf den Sakramentsempfang gebraucht, im Sinne von „auferstehen durch das Abbild, durch das Sakrament“. Im Sakrament kann also eine spezifische Qualität erworben werden, die das Philippusevangelium mit ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ identifiziert. In EvPhil 68 (p. 67,27–30) scheint das Wirken Jesu im Kosmos dementsprechend so beschrieben zu werden, dass es auf die Einsetzung und innere Anreicherung der Sakramente mit ihrer erlösenden Kraft gerichtet war: ⲁⲡϫⲟⲉⲓ̣[ⲥ ⲣ̅] ϩⲱⲃ ⲛⲓⲙ ϩⲛ̅ⲛⲟⲩⲙⲩⲥⲧⲏⲣⲓⲟⲛ ⲟⲩⲃⲁ[ⲡ]ⲧⲓⲥⲙⲁ ⲙⲛ̅ ⲟⲩⲭⲣⲓⲥⲙⲁ ⲙⲛ̅ⲛⲟⲩⲉⲩⲭⲁⲣ[ⲓⲥⲧ]ⲓ̣ⲁ̣ ⲙⲛ̣̅ⲛⲟⲩⲥⲱⲧⲉ ⲙⲛ̅ⲛⲟⲩⲛⲩⲙⲫⲱⲛ Der Herr [machte] alles in verborgener Weise: Taufe, Salbung, Eucharistie, Erlösung und Brautgemach.58

Dem Empfangen der besonderen Auferstehungsqualität auf Seiten der Glaubenden entspricht auf Seiten Jesu das Machen oder Zubereiten (ⲉⲓⲣⲉ) der Sakramente.59 Jesu irdische Wirksamkeit bestand darin, die Auferstehung als Gabe in die Sakramente zu legen (vgl. 76b, p. 69,25–29), wo die Glaubenden sie seither entgegennehmen können. 57 Übers.

Schenke (NHD). Schenke (NHD). 59 Vgl. auch Pagels, Rituals, 288f. 58 Übers.

174

5. Philippusevangelium

Insgesamt zeigt der Gebrauch von ⲧⲱⲟⲩⲛ und ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ im Philippusevangelium die klare semantische Tendenz, Auferstehung vor allem als sakramental vermitteltes Merkmal und Charakteristikum der gegenwärtigen Glaubensexistenz zu interpretieren, nicht dagegen als einen Vorgang oder eine Handlung. Das unterscheidet das Philippusevangelium natürlich von biblischer Überlieferung, einschließlich der Weiterentwicklungen paulinischer Theologie im Kolosser- und Epheserbrief. Gegenüber einem Verständnis von ἀνάστασις, ἀνίστημι und ἐγείρω etwa bei Paulus, in der Paulustradition und im Johannesevangelium60 als für das Philippusevangelium normativen Autoritäten, die sich mit Auferstehung auseinandersetzen, wird ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ im Philippusevangelium als Vorbereitung auf die künftige Herrlichkeitsexistenz und den Eingang in den Ort der Ruhe verstanden, wie unter anderem EvPhil 63c (p. 66,16–20) verrät. Dieses (postmortale, nach dem Ablegen des Fleisches vorgestellte) Eingehen in den Ort der Ruhe ist von der (gegenwärtig zu empfangenden) Auferstehung demnach noch einmal zu unterscheiden. Darin weicht die Verwendung von Auferstehungsterminologie im Philippusevangelium aber auch von anderen koptisch-gnostischen Texten ab, die Auferstehen als eine Form von Seelenaufstieg schildern.61 Ein solcher vertikaler Aspekt des Auferstehens ist im Philippusevangelium kaum ausgeprägt. Nach EvPhil 23b scheint es vielmehr so zu sein, dass sich die spezielle Kombination von ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ mit ϫⲓ bzw. ⲟⲩⲛ̅ⲧⲁ⸗ an den Syntagmen von ⲟⲩⲛ̅ⲧⲁ⸗ mit den Objekten ⲧⲣⲟⲫⲏ, ⲥⲱ und (ϩ)ⲃ̅ⲥⲱ orientiert, also an der Formulierung „Nahrung, Trank und Kleidung empfangen“. Nahrung, Trank und Kleidung sind Grundbedingungen des menschlichen Lebens und befriedigen die leiblichen Bedürfnisse des Menschen. Werden also Nahrung, Trank und Kleidung hier symbolisch für die Auferstehung selbst verwendet, ist die Auferstehung also im Sinne einer Grundausstattung verstanden, die für das höhere Leben in Vollkommenheit unabdingbar ist? Oder stellt die Auferstehung die Dimension der Sakramente dar, die hinter der etwa als Speise sichtbaren Gabe der Sakramente verborgen liegt und zugleich mit ihr „gegeben“ wird? Die Frage, was die Verwendung dieser besonderen Sprachform mit Blick auf die Auferstehung bedeutet, muss im Folgenden noch genauer untersucht werden. Mit dem Empfang und Besitz der Auferstehung geht jedenfalls eine innere, noch verborgene Daseinssteigerung einher. So wird Auferstehung zu einer schon in der Gegenwart den Glaubenden zugeeigneten Qualität und zu einer schon jetzt verborgen präsenten Eigenschaft. Der Statuswechsel und die Transformation werden mit den entsprechenden Verben als ein „Besitzen“ der neuen Realität interpretiert, weshalb sich das besondere Auferstehungsverständnis des Philippusevangeliums auch sprachlich in der Weise niederschlägt, dass in der Regel vom „Erwerben und Haben der Auferstehung“ anstelle von „auferstehen“ (mit dem Aktionsverb ⲧⲱⲟⲩⲛ) die Rede ist. 60 Die Aussage Jesu in Joh 11,25, ἐγώ εἰμι ἡ ἀνάστασις, kommt dem Sprachgebrauch im Philippusevangelium dabei noch am nächsten. 61 Vgl. Cook, „Resurrection of a Soul“.

5.3 Sprachliche Besonderheiten der Rede von „Auferstehung“

175

Obwohl der Verfasser sprachlich die Auferstehung wie ein (Heils-)Gut oder eine Gabe behandelt, die gleichsam physisch und schon in der Gegenwart angeeignet werden kann, und damit eine sehr realistische, dingliche Vorstellung von Auferstehung vermittelt, lässt sich einer anderen für die Semantik von ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ wichtigen Stelle, EvPhil 11a und b, paradoxerweise auch entnehmen, dass der Begriff „Auferstehung“ zugleich in seinem „Wirklichkeitsgehalt“ abgeschwächt wird. EvPhil 11a (p. 53,23–35): Die Namen, die den Weltmenschen mitgeteilt werden, verursachen eine große Irreführung. Denn sie wenden ihren Sinn weg von dem Feststehenden (und) hin zu dem Nichtfeststehenden. So erfaßt, wer (den Namen) „Gott“ hört, nicht das Feststehende, sondern er erfaßt das Nichtfeststehende. Ebenso verhält es sich auch mit (den Namen) „Vater“, „Sohn“, „Heiliger Geist“, „Leben“, „Licht“, „Auferstehung“, „Kirche“ [und] allen anderen (Namen). Man erfaßt nicht das Feststehende, sondern man erfaßt das [Nicht]feststehende. [Jedoch] hinweisen können sie auf das Feststehende.62

Vor allem die Fortsetzung in EvPhil 11b ist aufschlussreich für die grundsätzliche Bedeutung des Begriffs „Auferstehung“ im Philippusevangelium: EvPhil 11b (p. 53,35–54,5): Die Namen, [die sie] hören, gehören zu d(ies)er Welt. [Möge niemand sich täuschen! Würden sie] zu dem (anderen) Äon gehören, so würden sie in d(ies)er Welt niemals genannt werden, noch wären sie unter die Dinge d(ies)er Welt geraten. Sie haben ein Ende in dem (anderen) Äon.63

Bei den zitierten Texten handelt es sich um hermeneutische Reflexionen zur verwendeten Sprache, die höchst aufschlussreich sind. Das Philippusevangelium relativiert theologisch aufgeladene Begriffe, die „Namen“ in der Welt (vgl. neben 11ab auch 12c, p. 54,13–18).64 Dabei macht der Verfasser deutlich, dass solche Grundbegriffe wie Gott, Vater, Sohn und Heiliger Geist, Kirche, Leben und eben auch Auferstehung zwar verwendet werden müssen, zugleich aber nicht unmittelbar das Wahre, Feststehende vermitteln können. Mit dem ersten Überblick über die Verwendung von ⲧⲱⲟⲩⲛ und ⲁⲛⲁⲥⲧⲁⲥⲓⲥ ist man also offenbar noch nicht zum eigentlichen Verständnis dessen vorgedrungen, was Auferstehung dem Philippusevangelium zufolge „in Wahrheit“ ist.

62 Übers.

Schenke (NHD). Schenke (NHD). 64 EvPhil 12c (p. 54,13–18): „Aber die Wahrheit ließ Namen in der Welt entstehen um unseretwillen, die wir sie nicht erkennen können ohne Namen. Eine einzige ist die Wahrheit. Und doch ist sie vielgestaltig – und zwar unseretwegen, um (uns) diesen einen, so weit wie möglich, erkennen zu lassen durch vieles“ (Schenke, NHD). 63 Übers.

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5. Philippusevangelium

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c Die ausführlichste Auseinandersetzung um das „richtige“ Verständnis von Auferstehung bietet die Spruchreihe EvPhil 23a–c (p. 56,26–57,19), weshalb sie hier im Zentrum stehen soll: EpPhil 23a (p. 56,26–32): ⲟⲩⲛ̅ ϩⲟⲉⲓⲛⲉ ⲣ̅ ϩⲟⲧⲉ ϫⲉ ⲙⲏⲡⲱⲥ ⲛ̅ⲥⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ⲉⲩⲕⲁⲕⲁϩⲏⲩ ⲉⲧⲃⲉ ⲡ[ⲁ]ⲉⲓ ⲥⲉⲟⲩⲱϣ ⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ϩⲛ̅ ⲧⲥⲁⲣⲝ ⲁⲩⲱ̣ [ⲥ]ⲉ̣ⲥⲟⲟⲩⲛ ⲁⲛ ϫⲉ ⲛⲉⲧⲣⲫⲟⲣⲉⲓ ⲛ̅ⲧⲥ[ⲁⲣⲝ ⲛ̅ⲧⲟ]ⲟ̣ⲩ ⲡⲉ ⲉⲧⲕⲏⲕ ⲁϩⲏⲩ ⲛⲁⲉⲓ ⲉⲧⲉ[. . . . . .] ⲙ̅ⲙⲟⲟⲩ ⲉⲕⲁⲕⲟⲩ ⲉϩⲏ[ⲩ] ⲛ̣̅[ⲧⲟⲟⲩ ⲉⲧⲕ]ⲁⲕ ⲁϩⲏⲩ ⲁⲛ Es gibt einige, die fürchten sich, dass sie auferstehen, indem sie nackt / entblößt sind. Deswegen wollen sie auferstehen im Fleisch. Und sie wissen nicht, dass die, die das Fleisch tragen, es sind, die entblößt sind. Diese, die […] sich entblößen, sie sind es, die nicht entblößt sind. EvPhil 23b (p. 56,32–57,8): ⲙⲛ̅ ⲥⲁⲣⲝ [ϩⲓ ⲥⲛⲟϥ ⲛⲁ]ⲣ̣̅ⲕⲗⲏⲣⲟⲛⲟⲙⲉⲓ ⲛ̅ⲧⲙⲛ̅ⲧⲉ[ⲣⲟ ⲙ̅ⲡⲛⲟ]ⲩ̣ⲧⲉ ⲛⲓⲙ ⲧⲉ ⲧⲁⲉⲓ ⲉⲧⲛⲁⲕⲗⲏⲣⲟⲛⲟⲙⲉⲓ ⲁⲛ ⲧⲁⲉⲓ ⲉⲧϩⲓⲱⲱⲛ ⲛⲓⲙ ⲇⲉ ⲧⲉ̣ ⲧⲁⲉⲓ ϩⲱⲱⲥ ⲉⲧⲛⲁⲕⲗⲏⲣⲟⲛⲟⲙⲉⲓ ⲧⲁ ⲓ̅ⲥ̅ ⲧⲉ ⲙⲛ̅ ⲡⲉϥⲥⲛⲟϥ ⲇⲓⲁ ⲧⲟⲩⲧⲟ ⲡⲉϫⲁϥ ϫⲉ ⲡⲉⲧⲁⲟⲩⲱⲙ ⲁⲛ ⲛ̅ⲧⲁⲥⲁⲣⲝ ⲁⲩⲱ ⲛ̅ϥⲥⲱ ⲙ̅ⲡⲁⲥⲛⲟϥ ⲙⲛ̅ⲧⲁϥ ⲱⲛϩ ϩⲣⲁⲓ̈ ⲛ̅ϩⲏⲧϥ̅ ⲁϣ ⲧⲉ ⲧⲉϥⲥⲁⲣⲝ ⲡⲉ ⲡⲗⲟⲅⲟⲥ ⲁⲩⲱ ⲡⲉϥⲥⲛⲟϥ ⲡⲉ ⲡⲡ̅ⲛ̅ⲁ̅ ⲉⲧⲟⲩⲁⲁⲃ ⲡⲉⲛⲧⲁϩϫⲓ ⲛⲁⲉⲓ ⲟⲩ(ⲛ) ⲧⲉϥ ⲧⲣⲟⲫⲏ ⲁⲩⲱ ⲟⲩⲛ̅ⲧⲁϥ ⲥⲱ ϩⲓⲃ̅ⲥⲱ Nicht Fleisch und Blut werden das Reich Gottes erben. Was ist dieses, das nicht erben wird? Dieses (Fleisch), das an uns ist. Was aber ist dieses selbst, das erben wird? Dasjenige Jesu ist es und sein Blut. Deshalb sagt er: „Der, der nicht essen wird mein Fleisch und nicht trinkt mein Blut, in ihm gibt es kein Leben.“ Was ist das? Sein Fleisch ist der Logos und sein Blut ist der Heilige Geist. Der, welcher diese empfangen hat, hat Nahrung und hat Trank und Kleidung. EvPhil 23c (p. 57,9–19): ⲁⲛⲟⲕ ϯϭⲛ̅ ⲁⲣⲓⲕⲉ ⲁⲛⲕⲟⲟⲩⲉ ⲉⲧϫⲱ ⲙ̅ⲙⲟⲥ ϫⲉ ⲥⲛⲁⲧⲱⲟⲩⲛ ⲁⲛ ⲉⲓⲧⲉ ⲛ̅ⲧⲟⲟⲩ ⲙ̅ⲡⲉⲥⲛⲁⲩ ⲥⲉϣⲟⲟⲡ ϩⲛ̅ ⲟⲩϣⲧⲁ ⲕϫⲱ ⲙ̅ⲙⲟⲥ ϫⲉ ⲧⲥⲁⲣⲝ ⲛⲁⲧⲱⲟⲩⲛ ⲁⲛ ⲁⲗⲗⲁ ϫⲟⲟⲥ ⲉⲣⲟⲉⲓ ϫⲉ ⲁϣ ⲡⲉⲧⲛⲁⲧⲱⲟⲩⲛ ϣⲓⲛⲁ ⲉⲛⲁⲧⲁⲉⲓⲟⲕ ⲕϫⲱ ⲙ̅ⲙⲟⲥ ϫⲉ ⲡⲡⲛ̅ⲁ̅ ϩⲛ̅ ⲧⲥⲁⲣⲝ ⲁⲩⲱ ⲡⲉⲉⲓⲕⲉⲟⲩⲟⲉⲓⲛ ⲡⲉ ϩⲛ̅ ⲧⲥⲁⲣⲝ ⲟⲩⲗⲟⲅⲟⲥ ⲡⲉ ⲡⲉⲉⲓⲕⲉ ⲉϥϩⲛ̅ ⲧⲥⲁⲣⲝ ϫⲉ ⲡⲉⲧⲕⲛⲁϫⲟⲟⲥ ⲉⲕϫⲉ ⲗⲁⲁⲩ ⲁⲛ ⲙ̅ⲡⲃⲟⲗ ⲛ̅ⲧⲥⲁⲣⲝ ϩⲁⲡⲥ̅ ⲡⲉ ⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ϩⲛ̅ ⲧⲉⲉⲓⲥⲁⲣⲝ ⲉϩⲱⲃ ⲛⲓⲙ ϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ϩⲏⲧⲥ̅ Ich tadele die anderen, die sagen: „Sie wird nicht auferstehen.“ Also die beiden / die zwei sind in einem Irrtum. Du sagst dies: „Das Fleisch wird nicht auferstehen.“ Aber sage es zu mir: Was wird auferstehen, damit wir dich ehren? Du sagst: „der Geist im Fleisch.“ 65 Und dieses andere, Licht ist es im Fleisch. Ein Logos ist dieser andere im Fleisch. Was du (auch) sagst, du sagst nichts außerhalb des Fleisches. Es ist nötig, aufzuerstehen in diesem Fleisch, weil jede Sache in ihm ist.

Die für das Philippusevangelium ungewöhnlich zusammenhängende Spruchreihe besteht aus vier Argumentationsgängen: (1) Zunächst wird die Position solcher Christen referiert, die im (eigenen) Fleisch auferstehen wollen. (2) Darauf steht sodann eine Aussage über zwei verschiedene Arten von Fleisch im Mittelpunkt. (3) In einem dritten Schritt wird die Position von Christen wiedergegeben, die gegen die Auferstehung des Fleisches sind, und (4) wird diese Position unter Rückgriff auf den zweiten Schritt 66 widerlegt. 65 Schenke, Philippus-Evangelium, 236f., nimmt hier eine Textverderbnis an. Dies ist aber nicht notwendig. Unklar ist, ob hier an den Geist gedacht ist, der gegenwärtig im Fleisch ist, oder ob gemeint ist, dass der Geist „fleischlich“ auferstehen wird.

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

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5.4.1 EvPhil 23a Es gibt einige, die fürchten sich, dass sie auferstehen, indem sie nackt / entblößt sind. Deswegen wollen sie auferstehen im Fleisch. Und sie wissen nicht, dass die, die das Fleisch tragen, es sind, die entblößt sind. Diese, die […] sich entblößen, sie sind es, die nicht entblößt sind.

Der erste Teil der Spruchgruppe in EvPhil 23a (p. 56,26–32) argumentiert, dass diejenigen im (klassisch eschatologischen Sinne) „nackt“ sind,67 also unvorbereitet dem Ende gegenüberstehen, die keine Einsicht in die Notwendigkeit haben, dass das irdische Fleisch abzulegen ist. Zur Unterstützung seines Arguments zieht der Verfasser 1 Kor 15,50 heran, ohne Paulus zu erwähnen: „Fleisch und Blut werden nicht das Reich Gottes erben.“ Der zitierte Text differenziert zwischen der „Nacktheit“ im übertragenen Sinne, als Symbol für mangelnde eschatologische Bereitschaft, und dem zunächst neutralen Zustand der Nacktheit nach dem Ablegen der körperlichen Hülle. Er verändert diese traditionellen Vorgaben nun aber so, dass das Festhalten am irdischen Fleisch zur (mit breiter biblischer und außerbiblischer Tradition negativ bewerteten) Nacktheit im erstgenannten, ethisch-eschatologischen Sinne führt, wohingegen das Ablegen des Fleisches erst die nötigen Voraussetzungen für die Erlösung schafft. Es deutet sich an, dass nach dem Philippus­ evangelium das irdische Fleisch für das Wesen des Menschen entbehrlich und für die Erlösung sogar hinderlich ist. Dass das Philippusevangelium keine Erzählung über den Ursprung der Leiblichkeit des Menschen bietet, wurde schon in Zusammenhang mit den Deutungen der Herkunft des Todes in dieser Schrift festgestellt. Dennoch setzt der Text eine dualistische Anthropologie voraus, bei der die Sarx bzw. der Leib der Seele oder einem inneren Wesenskern des Menschen gegenübersteht. Einen Leib-Seele-Dualismus, nach dem die Seele im Kosmos in einem wertlosen Leib „verborgen“ wurde, bezeugt zum Beispiel EvPhil 22 (p. 56,20–26): Niemand wird eine bedeutende und wertvolle Sache in einem bedeutenden Gegenstand verbergen. Aber oft hat jemand unzählige Zehntausende in einen Gegenstand vom Werte eines Hellers gelegt. Entsprechend verhält es sich mit der Seele. Sie ist eine wertvolle Sache und geriet in einen geringwertigen Leib.68

Der Leib wird hier mit einer Hülle oder einem Behälter verglichen. Obwohl er also nur Behältnis der Seele ist, wird er gleichwohl nicht verurteilt und negativ gezeichnet, wie es in anderen Nag-Hammadi-Texten teilweise zu beobachten ist. Als Beispiele einer Abwertung des Leibes des Menschen aus der koptischgnostischen Literatur lassen sich etwa Passagen aus der „Erzählung über die Seele“, der „Ursprünglichen Lehre“ (Authentikos Logos) und aus dem „Dialog des Erlösers“ anführen. Die Erzählung über die Seele berichtet in mythi66 Ich interpretiere „dieses Fleisch“ in EvPhil 23c als Rückbezug auf das Fleisch Jesu, von dem in EvPhil 23b die Rede war, siehe dazu unten. 67 Vgl. das symbolische „Gürten der Lenden“ in Lk 12,35. 68 Übers. Schenke (NHD).

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5. Philippusevangelium

scher Form von der ursprünglich himmlischen Existenz der mannweiblichen, jungfräulichen Seele, die erst durch ihren Fall nach unten, in einen Körper, geschlechtlich differenziert und zu einer Frau wird und aufgrund dessen in Gefahr gerät (ExAn NHC II,6 p. 127): Solange sie [sc. die Seele] allein beim Vater war, war sie eine Jungfrau und ein mannweibliches (Wesen) von Gestalt. Als sie aber in (den) Körper herabgefallen und in dieses Leben gekommen war, da fiel sie in die Hände vieler Räuber […].69

Die Leiden der Seele werden maßgeblich durch ihr Sein im Körper hervorgerufen, denn das „Fleischliche und sinnlich Wahrnehmbare und die Dinge der Erde“ (p. 130) beflecken sie. Erst ihre Taufe kann die Seele reinigen und sie wieder in ihren ursprünglichen Zustand zurückversetzen (p. 131f.). Mit ähnlichen negativen Folgen beschreibt auch der Authentikos Logos aus dem 2. oder 3. Jahrhundert, der vermutlich ähnliche Traditionen wie die Erzählung über die Seele verarbeitet, das Schicksal der geistigen Seele, die in einen Leib „hinabgeworfen wurde“ (AuthLog NHC VI,3 p. 23). Wie in der Erzählung über die Seele ist es auch hier das Ziel der Seele, „die Materie“ hinter sich zu lassen (p. 22). Die Seele wird als „krank“ bezeichnet, und sie „wohnt in einem armseligen Gehäuse“, „die Materie schlägt ihre Augen mit dem Wunsch, sie blind zu machen“ (p. 27). Der Leib ist das Machwerk böser Mächte und ein Instrument, mit dem die Seele unterworfen werden soll. Indem die Seele schließlich diesen Leib zurückgibt und einen „geistigen, unsichtbaren Leib“ trägt (p. 32), kann sie gerettet werden. Die leider nur sehr lückenhaft erhaltene fünfte Schrift aus NHC III, ein ebenfalls schwer zu datierender christlich-gnostischer Text,70 der Fragen der Jünger und kurze Antworten Jesu überliefert und sich im Titel selbst „Dialog des Erlösers“ nennt (p. 120,1), kennt ebenso eine Abwertung des irdischen Fleisches, die hier in das Bild einer vergänglichen Kleidung gefasst wird. In Dial 84 und 85 (NHC III,5 p. 143) heißt es entsprechend: (84) Judas sagte zu Matthäus: „Wir wollen wissen, welche Art Kleidung es ist, mit der wir bekleidet werden, wenn wir aus der Zerstörung des […]71 herausgehen.“ (85) Der Herr sagte: „Die Archonten [und] die Verwalter haben vergängliche Kleidung, die sie geben, die nicht bleibt. Ihr [aber] als Kinder der Wahrheit bekleidet euch nicht mit vergänglicher Kleidung! Vielmehr sage ich euch: Ihr werdet selig sein, wenn ihr euch auszieht.“72

Das Fleisch als „vergängliche Kleidung“ ist demzufolge eine defizitäre Gabe der Mächte oder Archonten, deren „Fehler“ darin besteht, dass sie nichts Blei69 Übers.

Franke.

70 Petersen / Bethge,

NHD 1, 382, votieren für einen Zeitraum zwischen dem (späteren) 2. Jahrhundert und der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts. 71 Petersen / Bethge, NHD 1, 395, ergänzen hier „Fleisches“. 72 Übers. Petersen / Bethge. Das erinnert außerdem an Dial 37 (NHC III,5 p. 135f.) vom Ausziehen der Kleider als Voraussetzung für das Sehen, also das Erkennen des Sohnes des Lebendigen im Thomasevangelium.

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

179

bendes ist. Daher ist sie auch untauglich für die ewige, unveränderliche Auferstehungsexistenz der Glaubenden und muss rechtzeitig abgelegt und ausgezogen werden, wie im Bild der Kleidung beschrieben. Vergängliches Fleisch kann nicht Anteil haben an dem ewigen Sein im Pleroma. Im Gegensatz zu diesen Texten wird in EvPhil 22 gerade die Wertlosigkeit des leiblichen „Behälters“ positiv hervorgehoben. Unter irdischen Bedingungen wirkt sie nämlich wie ein Schutz vor dem Zugriff böser Mächte auf die Seele, insofern sie über den kostbaren Inhalt des Behälters hinwegtäuscht. Ganz auf dieser Linie heißt es in EvPhil 62 (p. 66,4–6), dass das Fleisch weder gefürchtet noch geliebt werden soll.73 Das lässt auf eine neutrale Haltung zum Fleisch schließen. Das Fleisch ist weder ein Gefängnis noch eine Fessel der Seele, sondern einfach das Mittel, durch das die Seele im Kosmos neben allen anderen materiell manifestierten Dingen existieren kann.74 Dem entspricht aber auch, dass das Fleisch ebenso wie alles Kosmische zugrunde gehen wird, sobald der Mensch diese Welt verlässt. Das erscheint im Philippusevangelium fast wie ein selbstverständlicher Sachverhalt, und es gilt einerseits grundsätzlich für alle Materie, aber auch für das Fleisch jedes einzelnen Menschen. Der individuelle Leib des Menschen muss, wenn dieser stirbt und den Kosmos verlässt, zurückgelassen werden. Er kann nicht durch das Einwirken eines geistigen Elements aufgewertet und für das Sein in der Unvergänglichkeit ausgestattet werden. In diesem Sinne interpretiert das Philippusevangelium unter anderem die Genesisüberlieferung der Beschneidung Abrahams (vgl. Gen 17). Sie sei Symbol dafür, dass das Fleisch abzulegen ist (EvPhil 123a, p. 82,26–29): Als Abraham [aber erlangt] hatte zu sehen, was er sehen wollte,75 beschnitt [er] das Fleisch der Vorhaut, wodurch er uns zeigt, dass es nötig ist, das Fleisch zu vernichten.76

In EvPhil 63c (p. 66,16–20) schließlich wird mit dem „Entkleiden vom Fleisch“ auf den physischen Tod angespielt. Das Ausziehen des Fleisches repräsentiert hier, ebenso wie in den schon zitierten anderen Belegen, den Übergang von der irdischen Welt zu einem anderen Ort. Gleichwohl ist das Ablegen des Fleisches nicht wie eine Bedingung für das Eingehen in den Ort der Ruhe beschrieben. Für den Verfasser des Philippusevangeliums kommt es offenbar entscheidend 73 Dem entspricht auch EvPhil 61c (p. 65,35–66,4): „Wer in der Lage ist, der Welt zu entkommen, und nicht länger festgehalten werden kann auf Grund dessen, daß er in der Welt war, der ist offensichtlich erhaben über die Begierde […]“ (Übers. Schenke, NHD). Wo an anderer Stelle die fleischliche Erscheinung als Grund dafür angeführt wird, dass der Mensch bei seinem Aufstieg festgehalten und behindert werden kann, ist sie hier einfach sein „Sein in der Welt“. Das spricht noch einmal für eine enge Verschränkung von fleischlichem Sein und In-der-Welt-Sein im Philippusevangelium. 74 Vgl. dazu auch EvPhil 23c (p. 57,16f.): „Was du (auch) sagst, du sagst nichts, was au­ ßerhalb des Fleisches […].“ 75 Vgl. Joh 8,56; Röm 4,11. 76 Übers. Schenke (NHD).

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5. Philippusevangelium

darauf an, sich auf dieses Ablegen der „Fleischeskleider“ angemessen vorzubereiten: Solange wir uns in dieser Welt befinden, geziemt es sich für uns, uns die Auferstehung zu erwerben, damit wir, wenn wir uns vom Fleisch entkleiden, in (dem Ort) der Ruhe erfunden werden und nicht in der Mitte umherschweifen.77

In der Formulierung „vom Fleisch entkleiden“ (ⲉⲛϣⲁⲕⲁⲁⲕⲛ ⲁϩⲏⲩ ⲛ̅ⲧⲥⲁⲣⲝ) klingt bereits Bekleidungsmetaphorik an: Das Fleisch wird als eine Art „Kleid“ betrachtet, mithin als eine nur äußere, mit dem eigentlichen „Wesen“ des Menschen nicht identische Hülle. In EvPhil 23a, dem ersten Teil der hier zentralen Spruchgruppe, widerlegt der Autor also folgerichtig den Glauben an die Auferweckung des irdischen Fleisches, den er vermutlich in seinem christlichen Umfeld vorfand. 5.4.2 EvPhil 23b Nicht Fleisch und Blut werden das Reich Gottes erben (1 Kor 15,50). Was ist dieses, das nicht erben wird? Dieses (Fleisch), das an uns ist. Was aber ist dieses selbst, das erben wird? Dasjenige Jesu ist es und sein Blut.

Fazit des ersten und zugleich Ausgangspunkt des zweiten Teils der Spruchgruppe bildet das Pauluszitat aus 1 Kor 15,50 über die prinzipielle Vergänglichkeit und Unfähigkeit des Fleisches, in das Reich Gottes einzugehen bzw. es zu empfangen. Der Verfasser schränkt die Bedeutungsreichweite des Zitats unmittelbar im Anschluss ein, indem er es allein als eine Aussage über die menschliche ⲥⲁⲣⲝ interpretiert („das Fleisch, das wir an uns tragen“). Diese kontrastiert er mit der ⲥⲁⲣⲝ Jesu. Das ist eine für alles Folgende wesentliche Differenzierung, denn damit steht dem einen Fleisch, das der Mensch bei seinem Tod ablegen muss und von dem in EvPhil 23a die Rede ist, nun ein anderes Fleisch gegenüber, das „erben“, also die Unvergänglichkeit annehmen kann. Der zweite Teil der Passage in EvPhil 23b bietet eine Sequenz über den Empfang von ⲥⲁⲣⲝ („Fleisch“) und ⲥⲛⲟϥ („Blut“) Jesu: Deshalb sagt er: „Der, der nicht essen wird mein Fleisch und nicht trinkt mein Blut, in ihm gibt es kein Leben“ (Joh 6,53f.). Was bedeutet das? Sein Fleisch ist der Logos und sein Blut ist der Heilige Geist. Wer dies empfangen hat, hat Nahrung und hat Trank und Kleidung.

Die indirekte Qualifizierung des Fleisches Jesu als Nahrung und seines Blutes als Trank lassen sich prinzipiell eucharistisch deuten, ohne dass im Kontext ausdrücklich auf die Eucharistie(feier) Bezug genommen würde. Angesichts der Dominanz der Sakramente im ganzen Philippusevangelium, zu der auch explizite Aussagen über die Eucharistie gehören (vgl. 53, p. 63,21–24; 68, p. 67,27–­30; 100, p. 75,14–21), ist allerdings ein eucharistischer Zusammenhang auch im Hintergrund von EvPhil 23b wahrscheinlich. 77 Übers.

Schenke (NHD).

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

181

Im zweiten Teil von EvPhil 23b stellt der Autor außerdem dem Pauluszitat eine Paraphrase aus Joh 6,53–54 78 an die Seite, die er als Herrenwort wiedergibt. Diese Zitatkombination und ihre Deutungen fungieren als Klammer zwischen den zwei Rahmenargumentationen (23a und c). Mit der Zitatkombination stehen die ⲥⲁⲣⲝ des Menschen, ihr menschliches Gewand in dieser Welt, und die ⲥⲁⲣⲝ Jesu als himmlische Speise, wie sie in Joh 6,51–58 aus der Brotrede entwickelt wird, einander gegenüber. Wie bereits das vorausgehende Pauluszitat legt der Verfasser nun auch das Herrenwort aus und macht auf diese Weise deutlich, worauf es ihm hier ankommt: Er will die Besonderheit des Fleisches Jesu weiter entfalten. Sie besteht offensichtlich nicht allein darin, dass es „erben“, also in die Herrlichkeitsexistenz eingehen kann, sondern auch darin, dass es – vermutlich in Anknüpfung an Joh 1,14a – als „Logos“ bezeichnet wird.79 Während allerdings in Joh 1,14a eine Aussage über den Logos getroffen wird (nämlich dass er Fleisch wurde), trifft EvPhil 23b eine Aussage über das Fleisch Jesu: Es ist „der Logos“ (ⲧⲉϥⲥⲁⲣⲝ ⲡⲉ ⲡⲗⲟⲅⲟⲥ). Demnach ist nicht die ganze Person Jesu mit dem Logos gleichzusetzen, sondern nur ein Teil, in diesem Fall sein Fleisch. Der Logos wird auch an anderen Stellen des Philippusevangeliums thematisiert. Zwar wird er nur in EvPhil 23b mit dem Fleisch Jesu in Zusammenhang gebracht, aber auch aus EvPhil 26a (p. 57,28–58,10) geht hervor, dass der Logos nur ein Aspekt Jesu ist, der unter wechselnden irdischen Bedingungen hinter verschiedenen Gestalten, die Christus annehmen kann, verborgen bleibt: Jesus hat unbemerkt alle (Gestalten) angenommen. Denn er zeigte sich nicht so, wie er war; sondern so, wie [sie] ihn [würden] sehen können, zeigte er sich. [Diesen] allen [aber] zeigte er sich: Er [zeigte] sich den Großen als Großer. Er zeigte [sich den] Kleinen als Kleiner. Er [zeigte sich] [den] Engeln als Engel und den Menschen als Mensch. Deswegen blieb sein Logos jedem verborgen (ⲉⲧⲃⲉ ⲡⲁⲉⲓ ⲁⲡⲉϥⲗⲟⲅⲟⲥ ⲁϥϩⲟⲡϥ ⲉⲟⲩⲟⲛ ⲛⲓⲙ). Die einen sahen ihn und dachten dabei, daß sie sich selbst gesehen hätten; ⟨…⟩. Jedoch, als er seinen Jüngern in Herrlichkeit auf dem Berge erschien, war er nicht klein. Er wurde groß; aber groß machte er auch die Jünger, damit sie ihn in seiner Größe sehen könnten.80

Der Logos ist eine Funktion oder Eigenschaft des irdisch wirkenden Christus, der zu seiner Herrlichkeitsexistenz gehört und der sich vor denjenigen Menschen, die ihm nicht gleichen, verbirgt. Dass nicht nur das Erkennen des Logos Jesu, sondern auch die Anteilhabe an ihm und die Gemeinschaft mit ihm

78 Vgl. Joh 6,53f.: εἶπεν οὖν αὐτοῖς ὁ Ἰησοῦς· ἀμὴν ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ἐὰν μὴ φάγητε τὴν σάρκα τοῦ υἱοῦ τοῦ ἀνθρώπου καὶ πίητε αὐτοῦ τὸ αἷμα, οὐκ ἔχετε ζωὴν ἐν ἑαυτοῖς. ὁ τρώγων μου τὴν σάρκα καὶ πίνων μου τὸ αἷμα ἔχει ζωὴν αἰώνιον, κἀγὼ ἀναστήσω αὐτὸν τῇ ἐσχάτῃ ἡμέρᾳ. 79 Zur Identifikation des Fleisches Jesu mit dem Wort und des Blutes mit dem Heiligen Geist vgl. die Gleichsetzung von Glauben mit dem Fleisch und der Liebe mit dem Blut Jesu in IgnTrall 8 und IgnRom 7,3 (dort wird das Brot Gottes mit Jesu Fleisch identifiziert). 80 Übers. Schenke (NHD).

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5. Philippusevangelium

voraussetzt, dass man ihm gleicht, bringt in anderer Weise auch EvPhil 113 (p. 78,25–79,13) zum Ausdruck: Der Mensch gesellt sich zum Menschen. Das Pferd gesellt sich zum Pferde. Der Esel gesellt sich zum Esel. Die Arten sind es, die sich [zu] ihren Artgenossen gesellen. Ebenso gesellt sich der Geist zum Geiste, und vereinigt sich das Wort mit dem Worte (ⲡⲗⲟ[ⲅⲟⲥ] ϣⲁϥⲣ̅ⲕ̣[ⲟ]ⲓ̣ⲛⲱ̣[ⲛ]ⲉⲓ ⲙⲛ̅ ⲡⲗⲟⲅⲟⲥ), [und] vereinigt sich [das Licht mit dem Lichte]. Wenn [du] zum Menschen wirst, ist es [der Mensch], der dich lieben [wird]. Wenn du [zum Geiste] wirst, ist es der Geist, der sich mit dir verbinden wird. [Wenn] du zum Worte wirst, ist es das Wort, das sich zu dir gesellen wird (ⲉⲕ[ϣⲁⲛϣ]ⲱⲡⲉ ⲛ̅ⲗⲟⲅⲟⲥ ⲡⲗⲟⲅⲟⲥ ⲡⲉⲧⲛⲁⲧⲱϩ ⲛⲙ̅ⲙⲁⲕ). Wenn [du] zum Lichte wirst, ist es das Licht, das sich mit dir vereinigen wird. Wenn du zu (einem von) den Oberen wirst, werden die Oberen auf dir ruhen. Wenn du zum Pferde wirst oder zum Esel oder zum Rind oder zum Hund oder zum Schaf oder zu einem anderen von den Tieren, die außen sind, und (von) denen, die unten sind, kann dich weder der Mensch noch der Geist, weder das Wort noch das Licht lieben (ϥⲛⲁϣⲙⲉⲣⲓⲧⲕ ⲁⲛ […] ⲟⲩⲧⲉ ⲡⲗⲟⲅⲟⲥ ⲟⲩⲧⲉ ⲡⲟⲩⲟⲉⲓⲛ), können weder die Oberen noch die Inneren in dir ruhen und hast du keinen Anteil an ihnen.81

Es ist hier vorausgesetzt, dass der Adressat bzw. die Adressatin des Textes selbst zum Logos werden kann und dann mit dem Logos Gemeinschaft haben wird. Auch die entgegengesetzte Existenzform ist in EvPhil 113 beschrieben, sie wird als „tierische Lebensweise“ gekennzeichnet. Wird der Mensch „zum Tier“, wird der Logos ihn nicht „lieben“ und er keinen Anteil an ihm haben. Der Logos ist demnach nicht allein ein Aspekt Jesu, sondern kann auch zur Identität des Glaubenden selbst werden, so dass der Logos zugleich als Medium und Kommunikationsmittel zwischen Christus und den Glaubenden aufgefasst zu sein scheint. Er besitzt im Philippusevangelium die Funktion eines Bindeglieds zwischen den Glaubenden und dem „himmlischen Bereich“, wie es auch für „Geist“ und „Licht“ gilt.82 Ausgehend vom zitierten Jesuswort aus Joh 6,53f. wird in EvPhil 23b das „erbende“ Fleisch Jesu, das von den Glaubenden gegessen wird, mit diesem Logos identifiziert. Dem Spruch zufolge kann der Logos also wie eine Speise empfangen und aufgenommen werden: Die Eucharistieempfänger eignen sich den Logos Jesu an, indem sie sein Fleisch „essen“. Schon in 1 Kor 3,1–3 werden Milch und „feste Nahrung“ als Bilder für die Verkündigung des Paulus verwendet, die der geistlichen Reife der Korinther angepasst ist. Milch symbolisiert den leicht verdaulichen Beginn der Unterweisung, die den noch fleischlich gesinnten Adressaten gemäß ist. In der Wirkungsgeschichte dieses und weiterer Texte (vgl. auch Hebr 5,12–­14; 1 Petr 2,2) konnte die „feste Speise“ dann bei Clemens von Alexandrien etwa als die Nahrung der Vollkommenen bezeichnet und auf die gnostische Schau Gottes bezogen werden (Strom. 5,10,66,2f.): 81 Übers.

Schenke (NHD). Franzmann, Jesus, 35f.: „In this way the Logos appears more as a wide-ranging element of heavenly influence which Jesus, and the perfect through him, possess rather than as a character equivalent to Jesus. That the Logos is an element capable of relating is clear from 78.34–79.1 (if one becomes the Logos, then the Logos will mix with this person), and 79.5–10 (the person who becomes an animal cannot be loved by the Logos).“ 82 Vgl.

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

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(2) Wenn demnach von dem Apostel die Milch Nahrung der Unmündigen, die feste Speise aber Nahrung der Gereiften genannt ist, so wird man unter Milch den Anfangsunterricht gleichsam als die erste Nahrung der Seele verstehen müssen, unter fester Speise aber das höchste unmittelbare Schauen. Denn das ist Fleisch und Blut des Logos,83 das heißt Erfassen der göttlichen Macht und des göttlichen Wesens. (3) „Schmecket und sehet, daß der Herr gütig ist!“ heißt es. Denn so teilt er sich denen mit, die mehr in geistlicher Weise an einer solchen Speise Anteil nehmen, dann eben, wenn die Seele „bereits sich selbst nährt“ nach dem Wort des wahrheitsliebenden Platon; denn die göttliche Lehre als Speise und Trank zu nehmen, das bedeutet, das Wesen Gottes erkennen.84 Bei Clemens von Alexandrien wird „Speise“ zur tragenden Metapher für die „göttliche Lehre“, die zur Erkenntnis führt. Texte aus Nag Hammadi können von einer Art „Logosspeise“ sprechen: Nach dem Au­ thentikos Logos (NHC VI,3) befreit die Speise, die mit Christus in die Welt kommt, die Seele aus ihrem verwahrlosten Zustand, nährt und heilt sie und bringt sie zu ihrem eigentlichen Sein und zum wahren Leben zurück. Der Logos setzt die Seele über ihr wahres Wesen und ihren Ursprung in Kenntnis und befreit sie auf diese Weise aus den kosmischen Verstrickungen. Diese „besondere Speise“ lässt sie von den schlechten Speisen der Welt Abstand nehmen. Die Seele wird auf diese Weise geläutert:85 (p. 22) Insgeheim hat ihr [sc. der Seele] Bräutigam ihn [sc. den Logos] gebracht und ihn ihr in den Mund gelegt, damit sie ihn esse wie eine Speise. Und er hat ihr den Logos auf die Augen gelegt wie ein Heilmittel, auf daß sie mit ihrem Verstand sehen möge, ihre Verwandten erkenne und wissen über ihre Wurzel erlange; damit sie sich (wieder) mit ihrem Zweig verbinden möge aus dem sie früher hervorgegangen ist; damit sie das Ihrige empfange, die [Materie] hinter sich lasse. […] (p. 31) Diejenige Seele aber, die diese (Speisen) gekostet hatte, erkannte, daß süße Leidenschaften vergänglich sind. Sie gewann Erkenntnis über das Schlechte und löste sich von ihnen. Sie gelangte zu einem neuen Verhalten. Von nun an verachtet sie dieses Leben, weil es vergänglich ist, und sucht nach jenen Speisen, die sie ins (wahre) Leben hineinführen werden, (p. 32) wendet sich von den trügerischen Speisen ab und gewinnt Erkenntnis über ihr Licht, in dem sie wandelt, entkleidet von dieser Welt, und das wahre Gewand umhüllt sie – in ihrem Innern; und mit ihrem Brautkleid angetan – in Herzensschönheit, nicht in Fleischeshochmut […]. (p. 34) […] Die verständige Seele aber, (p. 35) die sich abmühte und suchte, sie gewann Erkenntnis über Gott. Sie mühte sich ab und forschte, sie litt im Leib […] und gewann Erkenntnis über den Unerforschlichen. Sie fand ihren Aufstieg. Sie kam zur Ruhe in dem Ruhenden. Sie legte sich in das Brautgemach und aß von dem Mahl, nach welchem sie gehungert hatte. Sie empfing von der unsterblichen Speise. Sie fand das, wonach sie gesucht hatte. Sie empfing Ruhe wegen ihrer Mühen, während das Licht, das über ihr scheint, nicht sinkt.86

83 Vgl.

Joh 6,51–58. Stählin. 85 Das Philippusevangelium stellt im Zusammenhang mit dem Motiv der „schlechten Speise“ gegenüber dem Authentikos Logos den Aspekt der Selbstverschuldung des Menschen ganz in den Hintergrund, während das Gesetz als Hauptursache für die Mangelsituation des Menschen gilt. Nicht die Gebotsübertretung, sondern das Gebot selbst ist Grund des Übels. Umgekehrt erscheint der Wandel des Menschen im Philippusevangelium nicht als Umkehr, sondern wie eine Weiterentwicklung des Menschen zu seinem höheren Ideal. 86 Übers. Heyden / Kulawik. 84 Übers.

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5. Philippusevangelium

Auch in TractTrip (NHC I,5) p. 91,33f. wird der Erlöser als Speise für die bezeichnet, die der Logos hervorgebracht hat: Der also, der sich offenbart hat,87 war eine Erscheinungsweise des Vaters und der Übereinstimmung. Es war ein Gewand, (gewebt) von jeder Gnade, und eine Speise, bestimmt für die, die der Logos hervorgebracht hatte […].88

Der Authentikos Logos und der Tractatus Tripartitus lassen mit den verwendeten Bildern einer „Logosspeise“ und eines „Logosgewandes“ die eigentlich kognitiven Vorgänge des Lernens und des Erkenntnisgewinns als ein geradezu leibliches, das gesamte Dasein bestimmendes Ereignis erscheinen, das eine grundlegende Verwandlung des Genährten und Bekleideten bewirkt. Die Bildsprache erinnert deutlich an EvPhil 23 und ist generell offen für eine eucharistische Interpretation des personifizierten Logos als eine besondere Speise, die der Glaubende in Brot und Kelch empfängt. Eine mit EvPhil 23b vergleichbare Eucharistiedeutung scheint auch in EvPhil 100 (p. 75,14–21) zugrunde zu liegen, wo ebenfalls die „Aneignung“ Jesu, der hier als der „vollkommene Mensch“ bezeichnet wird, im Sakrament der Eucharistie angesiedelt ist: Der Kelch des Gebets ⟨, über dem gedankt wird,⟩89 enthält sowohl Wein als auch Wasser. Er ist als Zeichen des Blutes {…} eingesetzt und füllt sich mit Heiligem Geist. Und zwar ist es das (Blut) des ganz vollkommenen Menschen. Wenn wir dies trinken, werden wir uns den vollkommenen Menschen aneignen.90

Hier wird der Heilige Geist mit dem Blut des vollkommenen Menschen identifiziert, wobei das Trinken dieses Blutes, in Anklang an EvPhil 23b, die Aufnahme und Aneignung Jesu bewirkt.91 Die Eucharistieempfänger werden in dieser Hinsicht mit Christus gleich.

87 Es ist nicht ganz klar, um wen es sich handelt. Vgl. Attridge / Pagels, Tripartite Tractate (Notes), 361, die hier den Erlöser gemeint sehen. 88 Übers. Schenke. Vgl. außerdem TractTrip (NHC I,5) p. 65: „Der Reichtum von […] liegt darin, daß sie begreifen, daß er existiert, und folglich danach suchen, was es ist, das existierte. Dieser aber wurde ihnen gegeben zum Genuß, zur Nahrung, zum Jubel und zur Vermehrung der Erleuchtung, das ist sein Mitgefühl, seine Erkenntnis und seine Verbindung mit ihnen, das ist der, der ‚der Sohn‘ genannt wird und es auch ist, der das All ist“ (Übers. Schenke). 89 Vgl. 1 Kor 10,16. 90 Übers. Schenke (NHD). 91 Vgl. auch EvMar (BG 1) p. 18: „Levi antwortete und sprach zu Petrus: ‚Petrus, schon immer bist du jähzornig. Jetzt sehe ich dich, wie du gegen die Frau streitest wie die Feinde. Wenn der Erlöser sie aber würdig gemacht hat, wer bist dann du, sie zu verwerfen? Sicherlich kennt der Erlöser sie ganz genau, deshalb hat er sie mehr als uns geliebt. Vielmehr laßt uns uns schämen und den vollkommenen Menschen anziehen, ihn uns hervorbringen, wie er uns aufgetragen hat, und das Evangelium predigen, ohne eine andere Regel oder ein anderes Gesetz zu erlassen als das, was der Erlöser gesagt hat‘“ (Übers. Hartenstein).

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

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5.4.3 EvPhil 23c Ich tadele die anderen, die sagen: „Es wird nicht auferstehen.“ Also die beiden / die zwei sind in einem Irrtum. Du sagst dies: „Das Fleisch wird nicht auferstehen.“ Aber sage es zu mir: Was wird auferstehen, damit wir dich ehren? Du sagst: „der Geist im Fleisch. Und dieses andere, Licht ist es im Fleisch.“ 92 Ein Logos ist dieser andere im Fleisch (ⲟⲩⲗⲟⲅⲟⲥ ⲡⲉ ⲡⲉⲉⲓⲕⲉ ⲉϥϩⲛ̅ ⲧⲥⲁⲣⲝ).93 Was du (auch) sagst, du sagst nichts außerhalb des Fleisches. Es ist nötig, aufzuerstehen in diesem Fleisch, weil jede Sache in ihm ist.

a) Probleme und Alternativen der Interpretation Der Schluss der Spruchgruppe gibt schließlich die größten Rätsel auf. Bereits auf der Textoberfläche ist unsicher, wo die wiedergegebene Meinung des fiktiven Gesprächspartners endet und die Auffassung des Autors einsetzt. Auch ist unklar, was der bzw. ein „Logos“ in EvPhil 23c (p. 57,13f.) bedeutet. Ich gehe davon aus, dass „Logos“ hier ebenso wie im vorausgehenden Kontext in determiniertem Sinn zu verstehen ist (also nicht unspezifisch von einem „Wort“ oder einer „Sache“ die Rede ist).94 In Verbindung mit der Aussage über das notwendige Ablegen des Fleisches in EvPhil 23a erscheint die Passage in EvPhil 23c außerdem widersprüchlich: Der Auftakt der Spruchgruppe richtete sich ja gegen eine fleischliche Auferstehung, während nun am Ende doch für eine Auferstehung im Fleisch argumentiert wird. Dazu grenzt sich der Verfasser zunächst von denen ab, die meinen, das Fleisch werde nicht auferstehen. Sie vertreten offenbar eine spiritualistische Auferstehungsvorstellung. Der Eindruck der Widersprüchlichkeit ergibt sich durch diese zwei gegensätzlichen Auffassungen über die fleischliche Auferstehung, die der Verfasser gleichermaßen ablehnt. Das Problem der Inkohärenz kann immerhin noch relativ leicht gelöst werden: Für ein widerspruchsfreies Verständnis des ganzen Zusammenhangs ist die Differenzierung zwischen zwei verschiedenen Arten von Fleisch im Mittelteil EvPhil 23b wesentlich. Diese Unterscheidung liegt auch dem Argumentationsgang in EvPhil 23c (p. 57,16–19) zugrunde, man kann also davon ausgehen, dass hier verschiedene Formen von Fleisch gemeint sind, wobei das eine „erbt“ (d. h. aufersteht bzw. in die Unvergänglichkeit eingeht), das andere nicht. In EvPhil 23c bringt der Verfasser aber für seine Auferstehungskonzeption nicht nur diese Unterscheidung zwischen verschiedenen Fleischesarten zur Geltung, sondern er scheint darüber hinaus mit den abschließenden Sätzen 92 An

dieser Stelle ist unklar, wie weit das Zitat reicht. Übersetzer lassen hier den Kommentar des Philippusevangelisten einsetzen, während die Phrase davor noch zum Referat des Gesprächspartners gerechnet wird (vgl. Schmid, Eucharistie ist Jesus, 187f.). Mit dem nachfolgenden Satz ϫⲉ ⲡⲉⲧⲕⲛⲁϫⲟⲟⲥ ⲉⲕϫⲉ ⲗⲁⲁⲩ ⲁⲛ […] („Was du auch sagst, du sagst nichts […]“) endet das Zitat spätestens, da ϫⲉ in eine zusammenfassende Schlussfolgerung überleitet (vgl. ebd., 187; Till, Koptische Dialektgrammatik, 194 [§ 358]). 94 Schenke, Philippus-Evangelium, 25, übersetzt gar mit „Vernunft“. 93 Viele

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5. Philippusevangelium

(„Was du [auch] sagst, du sagst nichts außerhalb des Fleisches. Es ist nötig, aufzuerstehen in diesem Fleisch, weil jede Sache in ihm ist“) auch eine grundsätzlichere Aussage über die Existenz aller Dinge im Kosmos zu machen. Was immer der Dialogpartner im Gespräch vorbringt, von dem er meint, es könne auferstehen – Geist, Licht, eventuell auch der Logos –, all das, so lautet das Argument, existiert „im Fleisch“ (ϩⲁⲡⲥ̅ ⲡⲉ ⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ϩⲛ̅ ⲧⲉⲉⲓⲥⲁⲣⲝ ⲉϩⲱⲃ ⲛⲓⲙ ϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ϩⲏⲧⲥ̅, p. 57,18f.). „Im Fleisch existieren“ ist damit eine elementare Daseinsbeschreibung aller Entitäten, die in dieser Welt sind, auch der zum außerkosmischen, himmlischen Bereich gehörenden, als immateriell oder feinstofflich geltenden Größen wie Geist und Licht. Mit dieser Auffassung fügt sich EvPhil 23c gut in den Makrokontext des Philippusevangeliums ein: An anderer Stelle heißt es, selbst die Wahrheit (ⲧⲁⲗⲏⲑⲉⲓⲁ) kam nicht nackt in die Welt, sondern in Symbolen und Bildern (EvPhil 67a). Wie bereits gesehen, resultiert auch aus dieser Ansicht die neutrale Haltung des Verfassers zum Fleisch und zur Existenz des Menschen im Fleisch in dieser Welt. Aus der Beobachtung, dass alles im Kosmos im (irdischen, vergänglichen) Fleisch ist, schließt der Verfasser aber darüber hinaus, dass der Mensch auch in diesem Fleisch auferstehen muss. Entweder rechnet er also mit einer streng präsentischen, innerkosmischen Auferstehung, die dann natürlich auch „im (irdischen) Fleisch“ erfolgen muss. Die Auferstehung würde in dieser Per­ spektive eine erste Stufe innerhalb eines komplexeren Erlösungsprozesses darstellen, auf die nach dem Ausziehen des fleischlichen Gewandes das Verlassen der Welt und das Eingehen in die Ruhe im Zustand der Nacktheit folgen. Oder der Verfasser nimmt an, dass der Mensch auch in der ewigen Herrlichkeit ein Fleisch trägt, es also zwischen der Ordnung des Kosmos und derjenigen des himmlischen Ortes der Ruhe einen urbildlichen Zusammenhang gibt, wonach der Kosmos das Sein an jenem Ort auf eine vorläufige Weise abbildet. Und da alles im Kosmos fleischlich existiert, müsste auch alles, was in diesen anderen Äon eingeht und aufersteht, „im Fleisch“ auferstehen – wenngleich in einem andersartigen Fleisch. Wie der Mensch also schon jetzt einen Leib hat, so würde er auch in der erlösten Existenz nicht nackt sein, sondern ein „Leibeskleid“ tragen,95 das mit dem Fleisch Jesu („dieses Fleisch“ in p. 57,18) identisch wäre. Da EvPhil 23c noch Teil der gesamten Argumentation zur Auferstehung ist, spielt vermutlich die zuvor erfolgte semantische Differenzierung des ⲥⲁⲣⲝBegriffs für das Verständnis dieses letzten Teiles eine wichtige Rolle. Ähnliches arbeitet auch Herbert Schmid in seiner Monographie über das Sakramentsverständnis des Philippusevangeliums heraus, wenn er insgesamt drei verschiedene Bedeutungen von „Fleisch“ in EvPhil 23a–c identifiziert: zunächst das 95 Gut vorstellbar ist, dass das Philippusevangelium damit in bewusste Abgrenzung zu einer im frühen Christentum ebenfalls vertretenen Ansicht von der Nutzlosigkeit der Eucharistie tritt, wie sie eventuell von den Naassenern vertreten wurde. Vgl. dazu Zelyck, John among the Gospels, 106.

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

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menschliche Fleisch (23a), dann das Fleisch Jesu (23b) und schließlich die materiellen Bedingungen in dieser Welt (23c). Schmid zufolge meint die EvPhil 23c abschließende Wendung „in diesem Fleisch“ zum einen die Eucharistieelemente als Materie, die das Verborgene umhüllen, zum anderen aber auch das Auferstehen „in dieser Welt“ analog zu EvPhil 21 und 63c: „Es ist nötig, in dieser Welt die Auferstehung zu erlangen.“ 96 „Auch wenn ,dieses Fleisch‘ als Fleisch Jesu verstanden wird, ist es Chiffre für eine sichtbare Erscheinung der geistigen Wirklichkeit ,Wort‘ und ,Heiliger Geist‘ in der Eucharistie aus Brot und Wein.“ 97 Ähnlich argumentiert Ismo Dunderberg: „[T]he author promotes a spiritualized interpretation of the flesh and blood of Christ […]. The author’s middle position is that resurrection in the flesh takes place in this life, that is, when a person experiences the divine spirit’s presence. This experience can only take place in the body of flesh since it is in this human body that the spirit, or ,another light‘, now resides.“ 98 Mit Schmid und Dunderberg ist anzunehmen, dass nach dem Philippus­ evangelium alle immaterielle Heilswirklichkeit in der Welt nur unter materiell-fleischlichen Bedingungen manifest werden kann. Dass allerdings die Wendung „in diesem Fleisch auferstehen“ letztlich auf die Sakramente als Medium für die Heilsvermittlung 99 und auf das durch sie bewirkte innerweltliche, im Leib vollzogene Auferstehen zu beziehen sei, wie beide meinen, halte ich für weniger wahrscheinlich. Die Pointe der Spruchreihe in EvPhil 23 lässt sich besser verstehen, wenn man auch in EvPhil 23c mit der Formulierung „in 96 Denn die Begründung „weil jede Sache sich in ihm befindet“ kann sich nicht nur auf den Heiligen Geist und den Logos im Eucharistiesakrament erstrecken, so Schmid, Eucharistie ist Jesus, 200. 97 Schmid, Eucharistie ist Jesus, 200. 98 Dunderberg, Eucharist, 496f. Lundhaug, Prayer, 179 Anm. 82, rechnet damit, dass das Philippusevangelium für die Transformation der Glaubenden bei der Eucharistie und bei ihrer Auferstehung ein „spiritual flesh“ einführt, allerdings sei dies damit begründet, dass der Text sich innerhalb der Grenzen aufkommender Orthodoxie verorten wolle. 99 Dass die Sakramentselemente, die den Logos, den Heiligen Geist und den „lebendigen Menschen“ (EvPhil 101) spenden (also Eucharistie, Taufe und Salbung), in dieser Welt notwendig materiell sind, die geistigen Potenzen und eben auch die Auferstehung also „im Fleisch“ übermitteln, ist zweifellos richtig. Die Kontroverse in EvPhil 23a–c ist allerdings nicht primär auf die Vermittlung der Auferstehung gerichtet, sondern auf die Frage, was am Menschen aufersteht. „In diesem Fleisch auferstehen“ meint also nicht in erster Linie das Medium der Auferstehung, sondern die Leiblichkeit der Auferstehung. Das ist auch gegen die These von Zelyck, John among the Gospels, 106, einzuwenden. Zelyck zufolge dient die Paraphrase von Joh 6,53f. dazu, im Eucharistiekontext von EvPhil 23 die Auffassung zu entkräften, dass die Eucharistie (nämlich „Fleisch und Blut“) nichts nutze für die Auferstehung nutze, sondern nur ein inneres Element auferstehe. Es gehe demnach in EvPhil 23 nicht nur um die Gegenüberstellung zweier „klassischer Positionen“ (leibliche oder rein spirituelle Auferstehung), vielmehr richte sich das Philippusevangelium gegen Positionen wie die der von Hippolyt referierten Naassener, die dezidiert die Eucharistie als Möglichkeit, in das Königreich einzutreten, ablehnen (Hippolyt, Haer. 5,8,11).

188

5. Philippusevangelium

diesem Fleisch“ das Fleisch Jesu aus EvPhil 23ab gemeint sieht, das „erben“ kann. Dieses muss „erworben“ werden, und mit ihm „besitzt“ man zugleich die Auferstehung. Eine solche Interpretation ist nicht nur mit der spezifischen Ausdrucksweise des Philippusevangeliums für den Vorgang der Auferstehung konsistent, sondern zudem im Ganzen des Philippusevangeliums stimmiger. Denn an unterschiedlichen Stellen geht aus dem Text hervor, dass das „Nacktsein“ nach dem Ablegen des irdischen Fleisches, also nach dem Tod und beim Verlassen dieser Welt, keineswegs als erstrebenswerter Zustand aufgefasst ist, mit dem man in die Herrlichkeitsexistenz eingehen kann. Exkurs: Die Diskussion um die Phrase ϩⲁⲡⲥ̅ ⲡⲉ ⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ϩⲛ̅ ⲧⲉⲉⲓⲥⲁⲣⲝ in EvPhil 23c (p. 57,18) und ihre zeitliche Einordnung Nach Lundhaug weist die spezifische Redeweise von der „Auferstehung dieses Fleisches“ (ϩⲁⲡⲥ̅ ⲡⲉ ⲉⲧⲱⲟⲩⲛ ϩⲛ̅ ⲧⲉⲉⲓⲥⲁⲣⲝ ⲧⲉⲉⲓⲥⲁⲣⲝ) in EvPhil 23c (p. 57,18) auf die origenistische Kontroverse um die Auferstehungsfähigkeit des natürlichen Fleisches. Es sei auffällig, dass der Verfasser die Wendung „in diesem Fleisch“ gebrauche, anstatt einfach von der notwendigen Auferstehung „in Jesu Fleisch“ zu sprechen. So fragt Lundhaug: „Why does the Gospel of Philip use the language of resurrection ,in this flesh‘ at all? Why not simply affirm in clear language the necessity of acquiring and arising in the flesh of Christ?“100 Warum das Philippusevangelium keine nach spätneuzeitlich exegetischen Kriterien „klare Sprache“ verwendet, könnte man nicht nur hier, sondern an zahlreichen Stellen dieses Textes fragen, an denen er (wenigstens teilweise) rätselhaft ist. Woran liegt das und hat Lundhaug mit seiner Begründung recht, dass das Philippus­ evangelium an unserer Stelle auf eine Kontroverse anspielt, die im Umfeld der Herstellung und Verwendung von Codex II geführt worden war? Zwischen Hieronymus und Rufin ist gegen Ende des 4. Jahrhunderts eine Auseinandersetzung bezeugt, in der es um die Frage ging, welches Fleisch denn auferstehe, das natürliche oder ein pneumatisches. Die nicht bekenntniskonformen Deutungen einiger Theologen, nach denen nicht das natürliche, sondern ein ande­ res Fleisch auferstehe, haben es nötig gemacht, immer präzisere Definitionen des Fleisches hinzuzufügen und in aller Klarheit und in realistischer Weise von der Auferstehung dieses (natürlichen) Fleisches zu sprechen. Der Ausdruck „in diesem Fleisch“ in EvPhil 23c (p. 57,18) ist nach Lundhaug eben dadurch motiviert worden. Der Wortlaut des Textes sei der Versuch des Verfassers, äußerlich im Rahmen der entstehenden Orthodoxie zu bleiben. Die Passage in EvPhil 23a–c greife also eine in der zeitgenössischen Diskussion etablierte Diktion auf, deute sie aber semantisch um. Dass die Formulierung in EvPhil 23c tatsächlich so weit über den Textzusammenhang hinausreicht und als Anspielung auf eine textexterne Debatte zu verstehen ist, in der die Wendung „in diesem Fleisch“ nun semantisch 100 Vgl.

Lundhaug, Post-Nicene Soteriology, 257.

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

189

neu gefüllt werden sollte, strapaziert den Text allerdings sehr. Zunächst ist der Demonstrativartikel ⲧⲉⲉⲓ- durch den unmittelbaren Kontext der Stelle veranlasst, in dem bereits mehrfach, nämlich beginnend schon mit EvPhil 23a, von ⲥⲁⲣⲝ die Rede war.101 Gegenüber denen, die an die Auferstehung ihres eigenen Fleisches glauben, wird zunächst mit 1 Kor 15,50 argumentiert. Die Paraphrase von Joh 6,53–54 soll anschließend ein andersartiges Fleisch einführen, mit dem dann die Bedeutung der Eucharistie und der eucharistischen Elemente begründet werden kann. Denn hier, im Ritual der Eucharistie, wird ein neues, unvergängliches Fleisch erworben. Folglich wird hier also ein weiteres Fleisch eingeführt, das Fleisch Jesu. Nicht nur auf grammatisch-syntaktischer, sondern auch auf textsemantischer Ebene legt sich daher nahe, dass mit „diesem Fleisch“ in EvPhil 23c (p. 57,18) das Fleisch Jesu mit Hilfe des Demonstrativartikels von dem anderen Fleisch, das in EvPhil 23a (p. 56,26–32) thematisiert ist, unterschieden werden soll. Ob die Einführung eines andersartigen Fleisches, das Unvergänglichkeit besitzt, ein für nachnizänische Soteriologien spezifischer Zug ist, der vom mehrheitskirchlichen Bekenntnis der Auferstehung dieses Fleisches veranlasst wurde, und die Eucharistiedeutung mit ihrem Auferstehungsbezug in EvPhil 23a–c daher auf die spätere Entstehungszeit des Textes hinweist, müsste in einem zweiten Schritt geprüft werden. Ein Beispiel dafür, dass die so sensible Formulierung „dieses Fleisch“ schon früh verwendet werden kann, bietet 2 Clem 9,1: Καὶ μὴ λεγέτω τις ὑμῶν ὅτι αὕτη ἡ σὰρξ οὐ κρίνεται οὐδὲ ἀνίσταται. An zwei der in dieser Untersuchung behandelten Texte lässt sich außerdem ablesen, dass bereits im 2. und 3. Jahrhundert kontrovers über die Auffassung diskutiert wurde, Jesus habe ein andersartiges, vielleicht pneumatisches und jedenfalls vom irdischen Fleisch verschiedenes Fleisch angenommen und analog dazu würden auch die Glaubenden ein andersartiges Fleisch bei ihrer Auferstehung empfangen: Zum einen kann Irenäus am Ende des 2. Jahrhunderts in Haer. 5,14,3 vor den Gefahren dieser Vorstellung warnen. Zum anderen rechnet der Verfasser des vermutlich valentinianischen Rheginusbriefes mit der Gabe eines besonderen, vermutlich pneumatischen Fleisches bei der Auferstehung der Glaubenden (vgl. Rheg NHC I,4 p. 47,1–8). Weitere, hier nicht näher behandelte Texte lassen sich anführen. In seiner Schrift De carne Christi führt Tertullian mit unterschiedlichen Argumenten aus, dass das Fleisch Christi nicht psychisch oder himmlisch war, sondern ein Fleisch von derselben Beschaffenheit unseres Fleisches. Schon zu Beginn stellt er programmatisch den Zusammenhang des Glaubens an die Auferstehung und der Beschaffenheit des Fleisches Christi heraus, den er auch hinter der Argumentation der „Häretiker“ erkennt (Carn. Chr. 1,1–2). Gegen Apelles als einen Repräsentanten der Auffassung, Christus habe ein anderes Fleisch besessen, richtet sich Tertullian sodann in Carn. Chr. 6,3. In Adversus omnes haereses (4,5), einem Anhang zu Tertullians Schrift De praescriptione haereticorum aus 101 So

auch Weiss, Frühes Christentum und Gnosis, 357.

190

5. Philippusevangelium

der Feder eines unbekannten Autors, ist ferner von Valentin überliefert, dass er nicht an die Auferstehung dieses Fleisches geglaubt habe, sondern an die eines anderen Fleisches (resurrectionem huius carnis negat, sed alterius). Demnach gebe es keine Kontinuität zwischen dem irdischen und dem auferstehenden Körper. Es zeigt sich also, dass nicht nur die Frage nach der Auferstehung des eigentlich vergänglichen menschlichen Fleisches, sondern auch die Existenz eines anderen, unvergänglichen Fleisches bereits vor dem 4. Jahrhundert diskutiert wurde. Offenkundig konnte man nicht nur verschiedene Menschentypen einführen, sondern auch verschiedene Arten von „Fleisch“ mit je unterschiedlicher Auferstehungsfähigkeit postulieren. b) Herrlichkeitsgewand und „Anziehen“ des vollkommenen Menschen Der Spruch in EvPhil 27b (p. 58,15–17), der an Mt 22,11–14 erinnert, lässt mit bildlicher Sprache anklingen, dass sich Nacktheit und das Eingehen in die Herrlichkeitsexistenz nicht miteinander vertragen: Niemand wird beim König eintreten, wenn er nackt ist.102

Der Herrlichkeitsexistenz scheint demnach nicht nur das Tragen vergänglicher, irdischer Leiblichkeit unangemessen zu sein, sondern auch „Nacktsein“. Dem korrespondiert auf der anderen Seite die mehrfach im Philippusevangelium formulierte Erwartung, dass die Glaubenden bei ihrem Übergang in einen neuen Zustand, ihrem Statuswechsel, etwas Neues „anziehen“ – ein neues „Kleid“ oder Licht(gewand). Es ist zu prüfen, ob sich der Verfasser hier nur einer etablierten Metaphorik vom Kleiderwechsel oder von einer himmlischen Gewandung bedient, um die tiefgreifende Wesensverwandlung beim Verlassen der Welt auszudrücken, oder ob die Bilder vom „Anziehen“ und vom „Kleid“ insbesondere etwas über die Leiblichkeit in der Auferstehung aussagen wollen.103 Zunächst sind hier EvPhil 77 und 106 zu betrachten: EvPhil 77 (p. 70,5–9): Wer das vollkommene Licht angezogen hat, den können die Mächte nicht sehen und sind (also) nicht in der Lage, ihn zurückzuhalten. Man wird sich dies Licht aber anziehen in dem Mysterium der Vereinigung.104 EvPhil 106 (p. 76,22–31): Der vollkommene Mensch kann nicht nur nicht festgehalten, sondern auch nicht gesehen werden. Denn wenn er gesehen wird, wird er festgehalten werden. Niemand kann sich diese Gnade anders erwerben, als [daß] er das vollkommene Licht anzieht ([ⲙⲏ ⲛ̅]ϥϯ ϩ[ⲓ]ⲱⲱϥ ⲙ̅ⲡⲧⲉⲗⲉⲓⲟⲛ ⲛ̅ⲟⲩⲟⲉⲓⲛ) [und] selbst zu vollkommenem Licht wird. Wer [es an]gezogen hat, wird [in (den Ort der) Ruhe ein]gehen. Dies ist das vollkommene [...].105

An den beiden zitierten Stellen wird das Herrlichkeitsgewand nicht als ein besonderes Fleisch, sondern als „Licht“ bezeichnet, das – in einem sakramen102 Übers.

Schenke (NHD). Bekleidungsmetaphorik vgl. Ménard, La notion de „résurrection“, 118–124. 104 Übers. Schenke (NHD). 105 Übers. Schenke (NHD).

103 Zur

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

191

talen Ritual („Mysterium der Vereinigung“) angezogen – dazu dient, dieser Welt zu entkommen (ⲥⲉⲛⲁϣⲉⲙⲁϩⲧⲉ ⲁⲛ ⲙ̅ⲙⲟϥ, p. 76,21f.) und in den künftigen „Ort der Ruhe“ einzugehen. Im Vordergrund der Bekleidungsbilder steht damit zwar nicht das Sein in der künftigen Herrlichkeit, sondern der Übergang von der Welt in den anderen Äon. Aber für diesen Übergang scheint die Ausstattung mit einem „Kleid“ unverzichtbar zu sein: Den in ein Lichtkleid gewandeten Aufsteigenden können die „Mächte“ nicht sehen, da Gleiches nur von Gleichem erkannt werden kann (vgl. 44a, p. 61,20–32), die Mächte aber von anderer Natur als das Licht sind. Der Glaubende hingegen wird selbst zu dem Licht, mit dem er sich bekleidet hat, wie aus EvPhil 106 (p. 76,28f.: „… [und] er selbst zu vollkommenem Licht wird“) hervorgeht. Das Bekleiden des Glaubenden mit dem Lichtkleid ist also mehr als nur eine äußere Umkleidung.106 Es geht vielmehr um eine Anverwandlung des Menschen an das Gewand und die Übertragung von dessen Eigenschaften auf den Träger. Vom „Anziehen“ oder „Bekleiden“ als einem Aspekt der Erneuerung des Menschen in der Taufe ist außerdem in EvPhil 101 (p. 75,21–25) die Rede: Das lebendige Wasser ist ein Leib. Es ist nötig, daß wir den lebendigen Menschen anziehen (ⲉⲧⲣⲛ̅ϯ ϩⲓⲱⲱⲛ). Zu dem Zweck entkleidet sich (ϣⲁϥⲕⲁⲕϥ ⲁϩⲏⲩ), wer zum Wasser herabsteigt, daß er jenen anziehe.107

Mit dem „Anziehen“ und „Entkleiden“ wird auch in diesem Spruch Gewandmetaphorik aufgegriffen. Hier ist es der „lebendige Mensch“, der angezogen werden soll. Das erinnert an die Rede vom „Anziehen“ Christi bzw. des „neuen Menschen“ in Röm 13,14;108 Kol 3,9f.109 und Eph 4,22–24,110 wo das „Anziehen Christi“ das Sein der Glaubenden „in Christus“ und ihren christusgemäßen Lebenswandel versinnbildlicht, der mit dem Ablegen des alten Lebens und der Laster einhergeht (vgl. dazu die Ausführungen zur Gewandmetaphorik oben in 3.4.1). Paulus weiß von dieser gegenwärtigen außerdem eine eschatologische, zukünftige Erneuerung und Verwandlung zu unterscheiden, die ebenfalls mit Gewandmetaphern versprachlicht werden kann.

106 Vergleichbar ist hier die Vereinigung des Königssohns mit seiner kostbaren Robe am Schluss des Perlenliedes der Thomasakten (ActThom 112,76–113,98). 107 Übers. Schenke (NHD). 108 Röm 13,13f.: ὡς ἐν ἡμέρᾳ εὐσχημόνως περιπατήσωμεν, μὴ κώμοις καὶ μέθαις, μὴ κοίταις καὶ ἀσελγείαις, μὴ ἔριδι καὶ ζήλῳ, ἀλλ’ ἐνδύσασθε τὸν κύριον Ἰησοῦν Χριστὸν καὶ τῆς σαρκὸς πρόνοιαν μὴ ποιεῖσθε εἰς ἐπιθυμίας. 109 Kol 3,9f: μὴ ψεύδεσθε εἰς ἀλλήλους, ἀπεκδυσάμενοι τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον σὺν ταῖς πράξεσιν αὐτοῦ καὶ ἐνδυσάμενοι τὸν νέον τὸν ἀνακαινούμενον εἰς ἐπίγνωσιν κατ’ εἰκόνα τοῦ κτίσαντος αὐτόν. 110 Eph 4,22–24: ἀποθέσθαι ὑμᾶς κατὰ τὴν προτέραν ἀναστροφὴν τὸν παλαιὸν ἄνθρωπον τὸν φθειρόμενον κατὰ τὰς ἐπιθυμίας τῆς ἀπάτης, ἀνανεοῦσθαι δὲ τῷ πνεύματι τοῦ νοὸς ὑμῶν καὶ ἐνδύσασθαι τὸν καινὸν ἄνθρωπον τὸν κατὰ θεὸν κτισθέντα ἐν δικαιοσύνῃ καὶ ὁσιότητι τῆς ἀληθείας.

192

5. Philippusevangelium

So verwenden 1 Kor 15,53111 und 2 Kor 5,3112 Bekleidungsmetaphorik nicht in einem ethischen Rahmen, sondern im Kontext der Auferstehung. In synoptischer Tradition stellt zudem das Gleichnis von der königlichen Hochzeit (Mt 22,2–14) einen Zusammenhang zwischen der richtigen Bekleidung und dem eschatologischen Eingehen ins Königreich her. Ferner kann Offb 6,11 genannt werden, wo davon die Rede ist, dass die Märtyrer ein weißes Gewand erhalten werden. In apokrypher Überlieferung sind für die Bekleidungsmetaphorik die Thomasakten relevant, die im sogenannten Perlenlied (ActThom 108–113) das kostbare Gewand eines Königssohns ins Zentrum stellen,113 das dieser bei seiner Reise nach Ägypten zurücklässt und zusammen mit seiner Herkunft und seinem Auftrag, eine Perle aus Ägypten zu bringen, vergisst. Nachdem er durch einen adlergestaltigen Brief an seinen Auftrag erinnert wird, entledigt er sich seines schmutzigen Kleides, lässt es zurück und kehrt nach Erfüllung des Auftrags heim, wo ihm sein königliches Gewand wie ein Spiegelbild entgegentritt und er sich mit ihm wie zu einer Gestalt vereinigt. Das Gewand ist hier weit mehr als die äußere Hülle des Menschen bzw. seiner Seele, es repräsentiert vielmehr seine himmlische, präexistente Existenzform.114 Es wird nicht nur einfach „angezogen“, sondern der Königssohn vereinigt sich mit ihm, geht also eine enge, wesensmäßige Bindung mit ihm ein. Nach dem Tractatus Tripartitus schließlich, aus dem schon mehrfach zitiert wurde, empfängt der Glaubende die Taufe als ein Kleid, das nicht mehr ausgezogen wird. Die Taufe wird hier also selbst als „Kleid“ bezeichnet. Der Tractatus Tripartitus macht aber auch deutlich, dass „Kleid“ nur eine behelfsmäßige Benennung für die Taufe, nur einer ihrer vielfältigen Namen ist. Die verschiedenen Namen sind der Taufe beigelegt, um sie jeweils aus verschiedenen Blickwinkeln zu beleuchten (TractTrip NHC I,5 p. 128f.): Die Taufe […] wird „Kleid“ genannt, ⟨das⟩, was diejenigen nicht ausziehen, die es anziehen werden, und das diejenigen, die die Erlösung empfangen haben, tragen. Und sie wird „die Befestigung der Wahrheit“ genannt, die, bei der es kein Fallen gibt in (ihrer) Unbeugsamkeit und Unerschütterlichkeit, wobei sie jene ergreift und jene sie ergreifen, jene, die die Wiederherstellung (Apokatastasis) empfangen haben […]. Sie wird auch „Brautgemach“ genannt wegen der Übereinstimmung und der Ungeteiltheit derer, [die] erkannt [haben], daß sie ihn erkannt haben. Und sie wird (p. 129) auch „das nicht untergehende und unfeurige Licht“ [genannt], nicht insofern als sie Licht spendet, sondern insofern als die, die sie auf sich genommen haben, zu Licht gemacht werden […]. Und sie wird auch „das ewige Leben“ genannt, das heißt, das unsterbliche.115

Wie im Philippusevangelium wird auch im Tractatus Tripartitus die Taufe mit einer neuen, unvergänglichen Bekleidung assoziiert, die diejenigen tragen, die erlöst sind. Das Kleid ist demnach Kennzeichen der Erlösung und steht für den Empfang der Taufe.116 111 1 Kor

15,53: Δεῖ γὰρ τὸ φθαρτὸν τοῦτο ἐνδύσασθαι ἀφθαρσίαν καὶ τὸ θνητὸν τοῦτο ἐνδύσασθαι ἀθανασίαν. 112 2 Kor 5,3: εἴ γε καὶ ἐκδυσάμενοι οὐ γυμνοὶ εὑρεθησόμεθα. 113 Tatsächlich kann das Gewand als eigentliches „main theme“ bezeichnet werden, dem gegenüber die Perle weniger bedeutsam ist (vgl. Klijn, Acts of Thomas, 191). 114 Vgl. Klijn, Acts of Thomas, 195. Die Robe „becomes a mirror in which the prince recognizes himself. This means that man’s real likeness is in heaven only and that the soul has found its destination.“ Im Anschluss an Klijn auch Schmid, Eucharistie ist Jesus, 207. 115 Übers. Schenke. 116 Die Taufe wird darüber hinaus aber auch mit der Apokatastasis, dem Brautgemach,

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

193

In vergleichbarer Weise ist in EvPhil 101, vielleicht auch in EvPhil 77 und 106, an die Ausstattung des Täuflings für seinen Übergang in den anderen Äon gedacht. In EvPhil 101 ist in spezifischer Weise vom „Anziehen“ des „lebendigen Menschen“ gesprochen. Liest man diese Texte in einem Zusammenhang, legt sich nahe, dass Qualitäten des „lebendigen Menschen“ auf den Täufling übergehen, die ihn für die Mächte unsichtbar werden lassen, ihn den Mächten entziehen und für das Kosmische unangreifbar machen.117 In dem schon zitierten Spruch in EvPhil 100 (p. 75,14–21) wird außerdem die Wirkung der Eucharistie in gleicher Weise, nämlich als Aneignung des „vollkommenen Menschen“ beschrieben.118 Das Herrlichkeitskleid selbst macht schließlich EvPhil 24 (p. 57,19–22) zum Thema, eine Passage, die sich unmittelbar an EvPhil 23a–c anschließt und der Umwandlung der Täuflinge in Licht und mit dem ewigen, unsterblichen Leben in Verbindung gebracht. Die Taufe als Kleidungsgabe ist nach TractTrip (NHC I,5) p. 128f. also lediglich eine unter vielen Möglichkeiten, den in ihr vollzogenen grundlegenden Statuswechsel zu veranschaulichen. Der Text äußert einen gewissen Vorbehalt gegenüber all diesen Beschreibungen der Taufwirkung, die nur dazu dienen, eine Aussagbarkeit herzustellen, obwohl die Taufe eigentlich „erhabener als jedes Wort“ ist (p. 129). Das Ablegen des Fleisches und Anlegen einer neuen, der Herrlichkeit angemessenen Kleidung ist auch in anderen Literaturbereichen belegt und beispielsweise ein wichtiges Motiv in der „Himmelfahrt des Jesaja“, einer apokalyptischen Schrift, in der Jesaja bei seinem Aufstieg in den siebenten Himmel die Gerechten „entkleidet des fleischlichen Gewandes“ und mit „höheren Gewändern“ bekleidet erkennt und außerdem bereits die herrlichen Kleider bereitliegen sieht, die einst die Gläubigen empfangen werden. Vgl. AscIs 9,1–9: „Und er trug mich in den Luftkreis des siebenten Himmels […]. Und als ich zitterte, siehe, da kam eine andere Stimme von da gesandt und sprach: ,Es sei dem Heiligen Jesaja erlaubt, bis hierher aufzusteigen, denn hier ist sein Kleid […]. Und er ließ mich aufsteigen bis in den siebenten Himmel, und daselbst sah ich ein wunderbares Licht und Engel ohne Zahl […]. Und daselbst sah ich Henoch und alle, die mit ihm waren, entkleidet des fleischlichen Gewandes, und ich sah sie in ihren höheren Gewändern, und sie waren wie die Engel, die daselbst in großer Herrlichkeit stehen“ (Übers. Müller). Nach Clemens von Alexandrien, Exc. 61,8; 63,1 erhalten die pneumatischen Elemente ihre Seelen als „Hochzeitsgewänder“. Auch in diesen Belegen ist demnach nicht von einer besonderen „Fleischlichkeit“ der höheren Gewänder die Rede, die den irdischen Fleischesleib ersetzen. 117 Am nächsten steht dieser Vorstellung bestenfalls noch das „In-Christus-Getauftsein“ in Gal 3,27 (ὅσοι γὰρ εἰς Χριστὸν ἐβαπτίσθητε, Χριστὸν ἐνεδύσασθε), das ebenfalls einen grundlegenden Existenzwechsel, eine neue Zugehörigkeit und Identifizierung der Glaubenden mit Christus durch die Taufe umschreibt. 118 Im Philippusevangelium sind die Sakramente gewissermaßen die gemeinsamen Berührungspunkte zwischen dem Erleben und Wirken des Erlösers und den Glaubensvollzügen der Christen. Sie werden dabei nicht nach ihren jeweiligen Wirkungen unterschieden, sondern zusammengefasst zu einem einzigen Initiations- und Erlösungsprozess. Das zeigt sich in der Abfolge von EvPhil 100 und 101 (p. 75,14–75,25), in der die angespielten Sakramente Eucharistie und Taufe auf dieselbe Wirkung hinauslaufen. Nach Williams, Realized Eschatology, 13, verwendet der Text „sacramental imagery with a great deal of freedom, as though […] viewing the initiation process as a continuous whole, rather than insisting upon analytically isolating the precise contribution of each sacrament.“

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5. Philippusevangelium

noch in einem Sinnzusammenhang mit der Spruchgruppe zur Auferstehung zu lesen ist: In dieser Welt sind die, die die Kleider anziehen, besser als die Kleider. Im Himmelreich sind die Kleider besser als die, die sie angezogen haben.119

Der Spruch hebt den besonderen Wert der Kleidung im Auferstehungszustand gegenüber den kosmischen Kleidern hervor, und es wird betont, dass die Qualität der himmlischen Kleider höher ist als die ihrer Träger. Die hier angeführten Beispiele für den Gebrauch von Gewandmetaphorik spiegeln zum Teil die Überzeugung wider, dass beim Eingehen in die Herrlichkeit ein besonderes Gewand bereitgestellt wird. Das Anlegen des hochwertigen Gewandes kann, wie im Falle des Perlenliedes der Thomasakten, die Rückkehr des Menschen zu seinem ursprünglichen, vollkommenen Zustand symbolisieren. Damit geht dieses Herrlichkeitsgewand weit über eine bloße äußere „Hülle“ für den „Wesenskern“ des Menschen hinaus, es verbindet sich mit ihm vielmehr zu einem untrennbaren Ganzen, es macht nun sein Wesen aus. Manche der Belege können aber auch die Kleidgabe auf die Taufe beziehen und als Vorbereitung verstehen, die der Mensch bereits jetzt für sein späteres Eingehen in die Herrlichkeit trifft und die eine umfassende Erneuerung seines Wesens ins Bild fasst. Biblische Vorbilder für diese Vorstellung sind in der Paulustradition zu finden. In EvPhil 100 und 101 wird der „vollkommene“ bzw. „lebendige“ Mensch, Christus, in den Sakramenten der Taufe und Eucharistie „angezogen“, was im Licht der behandelten Parallelen die Anverwandlung an Christus, die Deifikation der glaubenden Sakramentsempfänger beschreibt. Wenn schließlich auch in EvPhil 23b das Fleisch Jesu als der „Logos“ bestimmt wird, dem sich nach EvPhil 113 die Glaubenden anverwandeln müssen, so ist im Kontext der Spruchgruppe über die Auferstehung ebenfalls an eine Verwandlung der Eucharistieempfänger in oder ihre Teilhabe an Jesu Logos gedacht. In EvPhil 23a–c wäre dann mit dem Gleichwerden mit Christus bzw. mit seinem Logos die Wirkung der Eucharistie beschrieben. Aber was bedeutet dies für die in EvPhil 23 kontrovers diskutierte Frage nach der fleischlichen Auferstehung der Glaubenden? Die Spruchgruppe stellt ja offenbar den Gedanken einer sich im Sakrament vollziehenden Verwandlung und des Empfangs eines Herrlichkeitsgewandes, auf die die Signalbegriffe ⲕⲏⲕ ⲁϩⲏⲩ (als Stativ von ⲕⲱⲕ ⲁϩⲏⲩ, „nackt sein“) und ϩⲃⲱ / ϩⲃ̅ⲥⲱ („Kleidung“) in EvPhil 23ab hinweisen, in den Kontext der Diskussion um die fleischliche Auferstehung. Der Schlüsselbegriff, mit dem beide Themenkreise sich verbinden lassen, ist das Fleisch Jesu, das nach EvPhil 23b nicht nur der Logos ist, sondern nach traditioneller Terminologie auch ein Merkmal menschlicher Existenz in der Welt. Beim Verlassen dieser Welt und im anderen Äon kann deshalb Jesu Fleisch das Fleisch der Menschen ersetzen. Die Eucharistieempfänger erhalten 119 Übers.

Schenke (NHD).

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

195

mit ihm ein neues Kleid, in dem sie auferstehen. Es ist ein besonderes und andersartiges Gewand, das in seiner Qualität dem „Lichtkleid“ von EvPhil 77 und 106 entspricht und vom Menschen angeeignet wird, der sich ihm anverwandelt und dessen Qualität er annimmt. c) Das Fleisch Jesu Aufschluss über die Eigenart des Fleisches Jesu, das in EvPhil 23 eine so tragende Rolle spielt, könnte der leider nur fragmentarisch erhaltene Spruch in EvPhil 72c (p. 68,31–37) geben. Er liefert einen weiteren Beleg für die Differenzierung zwischen Jesu Fleisch und dem Fleisch der Glaubenden im Philippusevangelium: Der […] ist von den Toten […]ar, sondern […] wa[…] vollkommen […] Fleisch. Aber dieses […] ist wahres [F]leisch. […ab]er ist kein wahres Fleisch, son[dern …] abbildliches […] des wahren.120

Nach Hans-Martin Schenke ist der Text trotz zahlreicher Lücken lang genug, um Ergänzungen mit großer Sicherheit zuzulassen.121 Er rekonstruiert den Text folgendermaßen: Der [Herr] ist von den Toten [auferstanden. Er kam nicht, wie er w]ar, sondern [sein Leib] wa[r ganz] vollkommen [geworden. Er besteht aus] Fleisch. Aber dieses [Fleisch] ist wahres [F]leisch. [Unser Fleisch ab]er ist kein wahres Fleisch, son[dern ein] abbildliches [Fleisch] des wahren.122

Grundsätzlich geht aus dem Zitierten hervor, dass das Fleisch des Auferstandenen anders ist als das irdische Fleisch der Menschen.123 Im erhaltenen Text werden die Eigenschaften „vollkommen“ (ⲧⲉⲗⲉⲓⲟⲛ) und „wahr“ (ⲁⲗⲏⲑⲉⲓⲛⲏ) genannt. Demnach rechnet die Schrift mit einem vollkommenen Fleisch, das der Erlöser offenbar in seiner Auferstehungsexistenz angenommen hat. Mit dem abbildlichen Fleisch ist dagegen vermutlich das Fleisch der Glaubenden selbst bezeichnet, das demzufolge eine abgeschwächte, geminderte Form des Fleisches des auferstandenen Christus darstellt. Im Paradigma von Urbild und Abbild interpretiert, besitzt das Fleisch des Auferstandenen einen höheren „Seinsgrad“ als das irdische, bloß abgeleitete Fleisch der Glaubenden, wie auch sonst alle irdischen Dinge in der kosmischen Welt nur Bildcharakter haben und von der ewigen, himmlischen Realität lediglich abgeleitet sind (vgl. EvPhil 26b; 120 Übers.

Schenke (NHD). Schenke, Philippus-Evangelium, 395. 122 Schenke, NHD 1, 202. 123 Vgl. auch SJC (NHC III,4) p. 91: „(da) erschien der Erlöser, nicht in seiner früheren Gestalt, sondern in unsichtbarem Geist. Sein Aussehen aber war wie ein großer Lichtengel. Seine Art aber werde ich nicht beschreiben können. Kein sterbliches Fleisch wird sie empfangen können, sondern nur ein reines, vollkommenes Fleisch, wie er sich uns zeigte auf dem Berg, der ‚Ölberg‘ genannt wird, in Galiläa“ (Übers. Hartenstein; vgl. auch die Parallele in BG 3 p. 78f.). 121 Vgl.

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5. Philippusevangelium

67bc; 76c124). Insofern ist es nicht Christus, der etwa nur „zum Schein“ leiblich erschien, sondern es sind die Menschen in der Gegenwart, denen eine vorläufige bzw. abgeleitete Existenzweise zugeordnet wird,125 so dass geradezu von einem „inverted Docetism“ gesprochen werden könnte.126 Eine andere Entstehungsgeschichte des besonderen Fleisches bzw. Leibes Jesu wird in EvPhil 81a–82a (p. 70,34–71,8) erzählt. Das Hervorgehen des soteriologisch „wirksamen“ Leibes Jesu, der von seinem gewöhnlichen, durch Geburt entstandenen Leib zu unterscheiden ist, wird hier auf seine Taufe im Jordan datiert, die als Vereinigung des „Vaters des Alls“ mit der „Jungfrau“ und also im Sinne einer himmlischen Zeugung dargestellt ist: (81a) Jesus offenbarte [im] Jordan die Erfüllung des Himmel[reiches]. (81b) Der, der vor dem All [geboren worden war], wurde wieder geboren. Der, [der] zuvor gesalbt [worden war], wurde wieder gesalbt. Der, [der] erlöst worden war, wurde wieder erlöst. (82a) Fürwahr, es ist nötig, ein Geheimnis auszusprechen! Der Vater des Alls vereinigte sich mit der Jungfrau, die herabgesunken war. Und ein Feuer leuchtete für ihn an jenem Tag und enthüllte das große Brautgemach. Deswegen (gilt): An jenem Tag entstand sein Leib.127 In diesem Text wird Geburtsmetaphorik verwendet, die Taufe wird also mit Hilfe einer Geburtserzählung gedeutet. In der „herabgesunkenen Jungfrau“ ist der Geist zu vermuten, der sich mit dem „Vater des Alls“, möglicherweise eine valentinianische Bezeichnung für Christus,128 verbindet. Dieser zeugt gemeinsam mit dem Geist einen neuen Leib Jesu, wie aus der abschließenden Formulierung hervorgeht: „Deswegen (gilt): An jenem Tage entstand sein Leib.“129 Auch in einer anderen Passage im Philippusevangelium ist von inkarnatorischen Aspekten die Rede, nämlich in EvPhil 91 (p. 73,8–16): 124 EvPhil 26b (p. 58,10–14): „Er sagte an jenem Tage in der Danksagung: Der du den vollkommenen Erleuchter mit dem Heiligen Geist vereinigt hast, vereinige die Engel auch mit uns als den Abbildern!“ EvPhil 67b (p. 67,12–14): „Es gibt eine Wiedergeburt und ein Abbild der Wiedergeburt. Es ist nötig, wahrhaftig wiedergeboren zu werden durch das Abbild“ (Übers. Schenke, NHD). EvPhil 67c (p. 67,14–18): „Von welcher Art ist die Auferstehung und das Abbild? Durch das Abbild muß sie auferstehen! Das Brautgemach und das Abbild? Durch das Abbild müssen sie eingehen in die Wahrheit, welches die Wiederherstellung ist!“ (Übers. Schenke, NHD). EvPhil 76c (p. 69,29–70,1) „[Diejenigen, die …], sind die, die [in Geist und Wahrheit] anbeten. [Sie beten nicht in] Jerusalem [an. Es gibt Leute in] Jerusalem, die [zwar in] Jerusalem [anbeten], die [aber] warten [auf die Mysterien], die genannt [werden: „das] Heilige der Heiligen“, [das, dessen] Vorhang zerriß. [Nichts] anderes [ist unser] Brautgemach als das Abbild [des Brautgemachs, das] oben ist“ (Übers. Schenke, NHD). Diese Vorstellung entspricht der grundsätzlichen Gegenüberstellung einer „wahren Welt“ (dem anderen Äon) und der bloß abbildlichen, mit irreführenden Namen versehenen (kosmischen) Welt, die sowohl im Philippusevangelium als auch im Rheginusbrief (NHC I,4) begegnet. 125 Vgl. EvPhil 10f.; 63; 99. 126 Der Ausdruck stammt von Wilson, Gospel of Philip, 13. Vgl. ebd.: „the flesh we mortals possess is not true flesh […], but only a likeness of the true, which is that of Jesus.“ 127 Übers. Schenke (NHD). 128 Vgl. Irenäus, Haer. 1,2,6, wonach der Soter das All sei. 129 Der Verbindung des Geistes mit Jesus in der Taufe könnte andererseits das Verlassenwerden durch den Geist am Kreuz entsprechen. So überliefert das Philippusevangelium auch das Zitat von Ps 22 am Kreuz und lässt darauf eine äußerst knappe Interpretation folgen, vgl.

5.4 Die Spruchgruppe EvPhil 23a–c

197

Der Apostel Philippus sagte: Joseph der Zimmermann pflanzte einen Garten, weil er Holz für sein Handwerk brauchte. Er ist es, der das Kreuz hergestellt hat von den Bäumen, die er gepflanzt hatte. Und: Es hing sein Same an dem, was er gepflanzt hatte. Sein Same war Jesus; die Pflanzung aber war das Kreuz.130 In beiden Erzählungen klingen Aspekte der Zeugung und Leibwerdung Jesu an, wobei sie jeweils eng an Stationen seines Wirkens und Geschicks geknüpft sind, nämlich an Taufe und Kreuzigung. Zu diskutieren wäre, ob hier zwei Inkarnationen unterschieden werden: Eine an Gen 2; Mt 1 und Lk 2 angelehnte Herleitung eines natürlichen oder psychischen Leibes, worauf die Zeichnung Josefs als Demiurg verweisen könnte, und die im Taufgeschehen verortete Entstehung eines pneumatischen Leibes Jesu. Der Jesus des Philippusevangeliums muss, folgt man dieser These, zwei Leiber besitzen, einen seit seiner vorzeitlich-mythischen Geburt und einen durch das Wirken des Heiligen Geistes entstandenen Leib seit der Taufe.131 Indirekt geht aus beiden Texten, und das ist im vorliegenden Zusammenhang wichtig, eine besondere Heilsbedeutung des Leibes Jesu hervor, nämlich aus der Verbindung mit den Sakramenten, die jeweils im Umfeld genannt werden: Die Inkarnationen werden mit der Taufe assoziiert bzw. mit dem Kreuz, in dessen Kontext auch die Salbung genannt wird. Die Leibwerdung Jesu wird hier für die Glaubenden relevant, weil sie sich zugleich an heilsEvPhil 72a (p. 68,26–29): „‚[M]ein Gott, mein Gott, warum { } [hast] du mich verlassen?‘ ⟨Der Herr⟩ sprach diese (Worte) am Kreuz. Denn an je[n]er Stelle trennte er sich“ (Übers. Schenke, NHD). Ob damit ausgedrückt werden soll, dass sich hier die göttliche Natur von der menschlichen Natur Jesu trennte, ist nicht mit Sicherheit zu sagen. 130 Übers. Schenke (NHD). 131 Schenke, NHD 1, 204 Anm. 26, vermutete, die „Sachhälfte“ dieses Bildes vom zweiten Leib sei die präexistente Kirche, die in der Taufe Jesu entstehe. Tatsächlich heißt es in EvPhil 74 (p. 69,4–8), „wir“ würden durch Christus in der Taufe „gezeugt“. Wie noch gezeigt werden soll, lässt sich diese Äußerung allerdings auch ohne eine solche (wohl vor allem durch neutestamentliche Parallelen eingetragene) Dechiffrierung verstehen. Auch der Presbyter Hippolyt erwähnt in der ersten Hälfte des 3. Jahrhunderts, dass Doketen an eine doppelte Leibwerdung des Erlösers glaubten (Haer. 8,10): „Er sollte nun auch, sagen die Doketen, mit der äußeren Finsternis – dem Fleische – bekleidet werden; ein Engel, der ihn herabgeleitete, verkündete also Maria die frohe Botschaft, wie es geschrieben steht. Und so geschah die Erzeugung gemäß der Schrift. Er selbst nahm das Erzeugte an, vom Himmel kommend, und es ging alles so vor sich, wie es in den Evangelien geschrieben steht, er wusch sich im Jordan, durch diese Waschung nahm er im Wasser das Bild und den Abdruck des aus der Jungfrau geborenen Leibes an, auf daß, wann der Archon sein eigenes Gebilde dem Tod, dem Kreuze überantworte, die Seele, die in dem Körper gewohnt, nach Aufgabe des Leibes, nach Anheftung an das Kreuz und nach dem hiedurch errungenen Triumph über die Herrschaften und Gewalten nicht nackt erfunden werde, sondern sich mit dem Körper bekleide, der, als er getauft wurde, im Wasser zum Ersatze jenes Fleisches gebildet wurde“ (Übers. Preysing). Vgl. dazu Markschies, Gottes Körper, 389f.: „Die Vorstellung, dass erst bei der Taufe die besondere Kombination göttlicher und menschlicher Anteile in Jesus Christus konstituiert wird, muss nicht verwundern […], sie ist auch anderwärts belegt. Besonders ist freilich im Vergleich zu anderen Passagen über die Taufe Jesu an dieser Stelle die Betonung der körper­ lichen Dimension, sonst geht es in diesen Interpretationen der Erzählung von der Taufe Jesu eher um die Begabung des Getauften mit dem Geist oder um seine Einsetzung zum Sohn Gottes […]. Leider erfahren wir bei Hippolyt im zitierten Abschnitt nicht, welche besonderen Eigenschaften den aus dem Jordan angenommenen Schatten-Körper auszeichneten und wie es sich mit ihm im Alltag lebte.“

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5. Philippusevangelium

vermittelnde Rituale knüpft. Das entspricht der „Sakramentstheorie“ des Philippusevangeliums insgesamt, wonach zentrale Ereignisse im Leben des (im umfassenderen Sinn) irdisch wirkenden Erlösers, d. h. seine Taufe, Salbung und Kreuzigung, Auferstehung, Aufstieg und Vereinigung / Leibwerdung, zugleich die heilsvermittelnden Rituale der christlichen Gemeinden begründen. Die Glaubenden werden durch die Rituale erlöst, indem sie in ihnen als den „Abbildern“ das Erleben des Erlösers nachvollziehen.

5.5 Zusammenfassung Die Vorstellung einer heilsrelevanten Angleichung an Christus, die im Philippusevangelium, wie gezeigt, an verschiedenen Stellen präsent ist, wird in der Spruchgruppe über die fleischliche Auferstehung in EvPhil 23a–c auf innovative Weise aufgegriffen und transformiert. Der Text deutet das „Gleichwerden mit Jesus“ in der Tradition vom eschatologischen Gewandwechsel und lokalisiert es in einer verborgenen Dimension der Eucharistie. In EvPhil 23 wird das Herrlichkeitskleid auf das (eucharistische) Fleisch Jesu bezogen, mit dem sich die Eucharistieempfänger bekleiden und sich so den Logos aneignen. Das neue Kleid ist mehr als nur eine äußere Hülle, es ist ein Gewand, in das sich der Träger hineinverwandelt. Das (platonische) Ideal des Gleichwerdens mit dem Göttlichen ist auch die Perspektive, unter der der Verfasser von EvPhil 23 Abschnitte sowohl aus dem Johannesevangelium als auch aus 1 Kor 15 interpretiert. Im Mittelpunkt seines Erlösungsverständnisses stehen Gleichwerden und Verschmelzen mit Christus. Hier kann das apokryphe Evangelium an die johanneische Vorstellung der reziproken Immanenz anknüpfen, die mit dem Bild vom Kauen des Fleisches Jesu, das Leben gibt, eine außerordentlich innige Verbindung zwischen dem Glaubenden und Christus nahelegt. Diesen Aspekt deutet EvPhil 23 in einer sub­ stanzhaften Weise aus, indem der Text sein Ideal des „Zum-Christus-Werden“ gerade im Sinne einer Substanzangleichung und Übernahme der besonders qualifizierten leiblichen Beschaffenheit Jesu durch die Glaubenden ausarbeitet. Welcher Art Jesu Fleisch ist, wird nicht näher bestimmt. Die Paraphrase von Joh 6,53f. in EvPhil 23b illustriert jedenfalls, wie die christologischen Bilder bei Johannes schließlich zu einer leiblichen, substanzhaften Erlösungsvorstellung beitragen konnten. Das Philippusevangelium erschließt im Zuge dessen ein neues Eucharistieverständnis, indem es die auch sonst bekannte Auslegung der Eucharistie als besonderer Speise für den Menschen um das Bild der Kleidung erweitert. Nicht neu ist zwar, dass die Eucharistie unter dem Gesichtspunkt der (leiblichen) Auferstehung interpretiert wird (vgl. dazu Kap. 2 und 6 zu Ignatius und Irenäus). Das Philippusevangelium versteht die eucharistische Gabe aber nicht als ein Genährtwerden und als Aufbau des eigenen, irdischen Fleisches oder als ein Arzneimittel gegen den Tod verstanden, das im Körper des Kommunikanten wirkt, sondern interpretiert sie als Bekleidung, die das eigene irdische Fleisch

5.5 Zusammenfassung

199

ersetzt.132 Auch das traditionelle Motiv der Kleidgabe im Sakrament erfährt damit zugleich eine Neuinterpretation, indem es – im Kontext der Kontroverse über die Auferstehung des Fleisches – über eine bildhafte Ausdrucksform für einen eigentlich nicht zu beschreibenden Statuswechsel und die umfassende Erneuerung des Menschen noch hinausgeht. Das Philippusevangelium bewegt sich hier im Umfeld von Vorstellungen einer besonderen „Logosspeise“ und eines „Logosgewandes“, die auch in den Nag-Hammadi-Schriften Tractatus Tripartitus und Authentikos Logos belegt sind und nach denen die so genährte und bekleidete Seele oder ein pneumatischer Kern des Menschen über seine Herkunft aufgeklärt wird und sich aus der Welt befreit. Im gesamten Text des Philippusevangeliums zielt die Rede von „Auferstehung“ letztlich auf das Eingehen in den „Ort der Wahrheit“ bzw. „Ort der Ruhe“. Dass und wie der Mensch sich darauf selbständig und bereits während seines irdischen Lebens vorbereiten muss, ist Gegenstand der verschiedenen Erörterungen des Textes. Das Philippusevangelium setzt vermutlich die Kenntnis des 1. Korintherbriefes, eventuell noch weiterer Paulusbriefe voraus, aber der Text beschreibt die Verbindung zwischen Christus als dem Urbild der neuen Menschheit und den Christusglaubenden nicht in Anknüpfung an 1 Kor 15 heilsgeschichtlich und schöpfungstheologisch. Das „Zum-Christus-Werden“ einschließlich leiblicher, ja fleischlicher Neugestaltung ist im Philippusevangelium vielmehr ein Geschehen, das sich im Empfang der Sakramente ereignet. Der Verfasser (oder die Verfasser) des Philippusevangeliums legen damit nahe, dass der Aufstieg und Eingang in den Ort der Ruhe schon zu Lebzeiten durch einen Initiationsakt und durch Eucharistieempfang vorzubereiten sind, die einen Übergang von einer Lebensstufe in eine andere, höhere markieren. In den Sakramenten kann die Auferstehung noch unter kosmischen und prämortalen Bedingungen „erworben“ werden, sie zu „besitzen“ ist nämlich notwendig, um auf den künftigen Eingang bzw. Aufstieg vorbereitet zu sein. Für die Erlösung macht sich bereit, wer – in den Bildern des Textes gesprochen – die „tierische Nahrung“ der „tierischen Seinsweise“ durch eine angemessene himmlische Speise ersetzt, die defizitäre Abspaltung im eigenen Wesen durch die Vereinigung im „Brautgemach“ überwindet und schließlich das irdische Fleisch durch ein neues „Kleid“ eintauscht. Diese Vorstellungen umschreiben einen Ur-Mangel des Menschen sowie die entsprechende grundlegende Auf-

132 Nach Schenke, Philippus-Evangelium, 240, ist „die gemeinte Auferstehung […] nichts anderes als das Anziehen der Kleider des Himmelreiches“. Der Autor habe mit dem Bildwort aufzeigen wollen, „wie man sich denn die Auferstehung durch den Empfang des Fleisches Jesu vorzustellen habe, besonders unter der Frage, was mit dem eigenen Fleisch dabei wird: Das Fleisch Jesu als das Kleid des Himmelreiches wird mit dem Fleisch des Menschen / dem Träger des Kleides, indem es dasselbe / denselben in seine eigene Unvergänglichkeit hineinnimmt, identisch“.

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5. Philippusevangelium

wertung seines leiblichen und geistigen Zustands und seine qualitative Verwandlung, bei der er durch Empfang der Sakramente für die obere Welt, den „Ort der Wahrheit“, ausgestattet wird.

Kapitel 6

Vollkommenes Leben durch besondere Nahrung: Irenäus, Haer. 5 6.1 Einführung In seiner Aufzählung der Aufgaben christlicher Theologie und Unterweisung in Haer. 1,10,3 rechnet der gallische Bischof Irenäus die Erlösung des Fleisches zu den zentralen, weltweit übereinstimmenden Verkündigungsinhalten der Kirche. Im fünften Buch seines groß angelegten Werkes Adversus haereses geht er diesem Thema auch selbst ausführlich nach (5,1–14) und bettet es in seinen heilsökonomischen Entwurf ein, der den Bogen von Gottes Handeln bei der Erschaffung der Welt bis zu ihrer vollständigen Wiederbringung und Errettung am Ende der Zeit spannt und der ein Bollwerk in der Auseinandersetzung mit konkurrierenden frühchristlich-gnostischen Systemen bieten soll. Die Erlösung des menschlichen Fleisches gehört für Irenäus also zu einer umfassenderen Argumentation für den Wert der erschaffenen, materiellen Welt. Seine Ausführungen über die Rolle der Eucharistie bei der Rettung des Fleisches in Haer. 5,2,3,1 ein Text, der im Folgenden im Zentrum steht, dienen Irenäus folglich als einer von mehreren argumentativen Bausteinen, mit denen er gegen solche Lehren streitet, die aus seiner Sicht die Schöpfung abwerten und die menschliche σάρξ von der endzeitlichen Rettung ausschließen.2 Gleichwohl teilt Irenäus einige prinzipielle Überzeugungen und Denkvoraussetzungen mit seinen Kontrahenten.3 Mit ihnen verbindet ihn das Nachdenken über das Fleisch Jesu und des Menschen im Rahmen eines Weltbildes, dem zufolge die σάρξ oder ὕλη des Menschen grundsätzlich Teil des geschaffenen, veränderlichen, materiellen und vergänglichen Kosmos ist. Anthropologische Fragen in einem kosmologischen, prinzipientheoretischen Rahmen zu erörtern, 1 Neben

diesem Text ist auch Haer. 4,18,5 zu erwähnen, wo Irenäus die Eucharistie ebenfalls als Ritual beschreibt, in dem das Fleisch der Empfangenden Anteil am „Leben“ und an einem „himmlischen Element“ erhält. Vgl. de Andia, Homo vivens, 237–255; Rousseau / Doutreleau, SC 152, 212f. 2 Allerdings wird man dem umfassenden heilsgeschichtlichen Entwurf des Irenäus nicht gerecht, wenn man ihn auf eine bloße Auseinandersetzung mit der Gnosis und auf einen entsprechenden antihäretischen Gegenentwurf reduziert. 3 Vgl. dazu u. a. Olson, Irenaeus, 7: „Sometimes the bitterest of foes share common perspectives which they do not even question, of which they themselves are not even aware.“ Vgl. auch Pagels, Gnostic Paul; Thomassen, Valentin und der Valentinianismus, 873.

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6. Irenäus

ist ein Interesse, das er mit gnostischen Denkern, etwa valentinianischen Theologen, gemeinsam hat, und nur vor diesem Hintergrund kann er überhaupt mit ihnen in einen Diskurs eintreten.4 Als ein der kirchlichen Frömmigkeit verbundener Gemeindetheologe stellt Irenäus, wie im Folgenden erkennbar wird, seine Auffassung vom Schicksal des Fleisches und von der fleischlichen Auferstehung auf ein entschieden schöpfungstheologisches Fundament. Das bedeutet, dass er seine Argumentationen durchgehend an ein spezifisches Bild von Gott als dem Schöpfer der Welt und des Menschen zurückbindet. Vor dem Hintergrund eines biblisch orientierten Bildes vom Menschen, der von Gott als Einheit aus Leib und Seele geschaffen und belebt wurde, liegt sein zentrales Anliegen in dem Nachweis, dass der Mensch einschließlich seines Leibes bzw. Fleisches am unvergänglichen, ewigen Leben und göttlichen Sein partizipieren und also seine Bestimmung zur Vergänglichkeit auch mit Blick auf seinen Leib überwinden kann. Er will zeigen, dass das Fleisch unvergängliches Leben annehmen kann. Irenäus argumentiert für die salus carnis dabei auf einer erkenntnistheoretischen, einer ethischen und einer ontologischen Ebene.5 Im Folgenden soll es nur um die letztgenannte Dimension, die ontologische, substanzhafte Rettung des Fleisches gehen. Irenäus folgt der Tradition in der Überzeugung, dass zwischen der gegenwärtigen, vergänglichen Existenz und der zukünftigen Herrlichkeitsexistenz die Eucharistie vermittelt: Durch diese wird dem Menschen das vollkommene Leben geschenkt. Er konkretisiert die überlieferte Vorstellung der Lebensgabe in der Eucharistie aber dahingehend, dass die eucharistischen Elemente dem Fleisch des Eucharistieempfängers das ewige Leben als eine grundlegend neue Qualität zuführen. Deshalb misst er ihr für die Vorbereitung auf die Unvergänglichkeit unter irdischen Bedingungen essentielle Bedeutung bei. Diese Art der Teilhabe am Heil interpretiert Irenäus als fortschreitendes Wachstum des 4 Gleichwohl kennt Irenäus neben dieser Art der Argumentation auch eine spezifisch heilsgeschichtliche Deutung des Menschen und seines Gottesverhältnisses, die in Haer. 5,2,3 (dem Text, um den es im Folgenden geht) allerdings ganz in den Hintergrund tritt. 5 Entsprechend seiner zweifachen Deutung der Heilsökonomie, die eine schöpfungstheologische und eine auf die Sünde Adams und Adams Rekapitulation in Christus bezogene Seite kennt, bietet Irenäus auch mehrere Ansätze der Heilsvermittlung. Der epistemologische und der ethische Ansatz können hier nur kurz skizziert werden: Mit der Fleischwerdung Jesu wird dem Menschen Gotteserkenntnis möglich, der Mensch kann sich Gott zuwenden und mit ihm versöhnt werden. Wenn er also den Geist Gottes empfängt, wird er zu guten Werken fähig und in dieser Hinsicht zum pneumatischen Menschen, auch wenn sich die Substanz seines Fleisches nicht ändert. Er ist nun nicht mehr nur „Fleisch und Blut, sondern pneumatischer Mensch“ (Haer. 5,10,2). Derjenige dagegen, der den Geist nicht annimmt, bleibt Fleisch und Blut und kann daher das Reich Gottes nicht erben (1 Kor 15,50). Die Passage in 1 Kor 15,53 interpretiert Irenäus in diesem Zusammenhang nicht mit Bezug auf die Substanz des Fleisches, sondern mit Bezug auf die Begierden des Fleisches und als Hinweis auf die zur Überwindung dieser Begierden notwendige Geistbegabung.

6.2 Der Text: Haer. 5,2,3

203

Glaubenden bis hin zu dessen Vervollkommnung und als fortgesetztes göttliches Schöpferhandeln. Insgesamt erweist sich die Theologie des Irenäus geprägt durch eine spezifische Art der Auslegung und argumentativen Verwendung der Schrift in einem bestimmten hermeneutischen Rahmen.6 Der Abschnitt in Haer. 5,1–14 befasst sich mit dem Verhältnis zwischen dem menschlichen Fleisch als geformter und belebter Erde und der übrigen aus Erde geschaffenen Welt. In diesen Zusammenhang ist der hier besonders interessierende Abschnitt Haer. 5,2,3 gestellt.

6.2 Der Text: Haer. 5,2,3 (1) Quando ergo et mixtus calix et factus panis percipit verbum Dei et fit Eucharistia san­ guinis et corporis Christi, ex quibus augetur et consistit carnis nostrae substantia, quomodo carnem negant capacem esse donationis Dei quae est vita aeterna, quae sanguine et corpore Christi nutritur et membrum ejus ⟨est⟩? Wenn nun sowohl der gemischte Kelch als auch das zubereitete Brot das Wort Gottes aufnehmen und Eucharistie des Blutes und Leibes Christi werden, aus denen die Substanz unseres Fleisches vermehrt wird und besteht, wie können sie bestreiten, dass das Fleisch aufnahmefähig ist für das Geschenk Gottes, das das ewige Leben ist? Es wird ernährt durch das Blut und den Leib Christi und ist sein Glied.

Die Argumentation in Haer. 5,2,3 wird zunächst aus einer Abgrenzung gegen jene entwickelt, die die Fähigkeit des Fleisches bestreiten, das ewige Leben anzunehmen (vgl. Haer. 5,1). Demgegenüber bietet der Text zwei Ansätze einer Antwort auf die Frage, wie das vergängliche Fleisch Unvergänglichkeit erlangen kann. Die erste Antwort wird in dem zitierten ersten Abschnitt gegeben, der gegen die zu widerlegende Auffassung den Transformationsvorgang in der Eucharistiefeier ins Feld führt, bei dem die eucharistischen Elemente des gemischten Kelches und zubereiteten Brotes durch Anrufung das Wort Gottes empfangen und so zum Leib Christi werden. Das Argument des Irenäus läuft auf ein fortdauerndes Wirken des Wortes Gottes hinaus: Die Substanz, aus der das Fleisch des Menschen besteht, wird nämlich in das Eucharistiegeschehen einbezogen. Indem der Mensch die eucharistische Speise zu sich nimmt, wird wie bei einer gewöhnlichen Nahrungsaufnahme sein Fleisch genährt und zusammengesetzt, so dass es „wächst“. Das zuvor auf Brot und Kelch übergegangene Wort Gottes vermittelt sich nun über die Nahrung weiter an das Fleisch des Eucharistieempfängers. Die Substanz des Fleisches wird nicht transformiert oder verwandelt, nimmt aber die himmlischen Eigenschaften der Gaben an. Es wird aufnahmefähig gemacht für das Leben, das Gott gibt. Dies ist der 6 Vgl. Blackwell, Paul and Irenaeus, 197: „Since unity in God’s work in creation and salvation is the center of Irenaeus’ work, he expected God’s revelation through the scriptures to speak with one voice. Therefore, methodologically Irenaeus argues that the part should be read in light of the whole.“

204

6. Irenäus

erste Teil der Antwort des Irenäus auf den Einwand seiner Gegner, und sie bezieht sich auf die gegenwärtige Vorbereitung des Menschen auf seine unvergängliche Auferstehungsexistenz. (2) Quemadmodum et beatus Apostolus ait in epistola quae est ad Ephesios: Quoniam mem­ bra sumus corporis ejus, de carne ejus et de ossibus ejus, non de spiritali aliquo et invisibili homine dicens haec – spiritus enim neque ossa neque carnes habet – sed de ea dispositione quae est secundum verum hominem, quae ex carnibus et nervis et ossibus consistit, quae de calice qui est sanguis ejus nutritur, et de pane quod est corpus ejus augetur. Wie der selige Apostel sagt in dem Brief an die Epheser: „Wir sind Glieder seines Leibes, aus seinem Fleisch und aus seinen Knochen.“ Nicht über irgendeinen pneumatischen und unsichtbaren Menschen sagt er dieses, denn ein Geist hat weder Knochen noch Fleisch, sondern über die Ausstattung des wahren (wirklichen) Menschen, die aus Fleisch und Nerven und Knochen zusammengesetzt ist, die auch aus dem Kelch, der sein Blut ist, genährt wird und aus dem Brot, das sein Leib ist, aufgebaut wird.

Der Argumentationsgang wird in diesem zweiten Teil durch einen Einschub unterbrochen, der klären soll, um welche Art Substanz es hier genau geht. Offenbar musste Irenäus mit Umdeutungen der Begriffe σάρξ (caro) und σῶμα (corpus) unter seinen Gegnern rechnen. Um dem vorzubeugen, bietet er eine Art Schriftbeweis für die Substanz des Fleisches. Er kombiniert dazu ein (schon in der ihm vorliegenden Tradition) um Anklänge an Gen 2,23 erweitertes Zitat aus Eph 5,30 7 und eine Anspielung auf Lk 24,39.8 Die Kombination dieser Schriftstellen zielt zum einen auf den Nachweis, dass das Fleisch des menschgewordenen Jesus identisch ist mit dem menschlichen Fleisch, der Leib Jesu also nicht aus einer anderen Substanz ist. Damit untermauert Irenäus seine vorausgehende Eucharistiedeutung, denn nur deswegen, weil unsere Leiber „Glieder“ des Leibes des menschgewordenen Wortes Gottes sind, kann unser Fleisch durch die Eucharistieelemente genährt und aufgebaut werden.9 Zum anderen hält dieser Abschnitt mit der Näherbestimmung des Fleisches durch „Nerven und Knochen“ fest, dass es hier nicht um einen unsichtbaren, pneumatischen Leib geht, sondern um den aus Erde geschaffenen. Der Einschub an dieser Stelle ist ein Vorgriff auf die ausführlichere Argumentation zum Fleisch Jesu in Haer. 5,14,1f., wo Irenäus auf den möglichen Einwand eingeht, das Fleisch Jesu sei von anderer Substanz als das der Menschen gewesen. Ziel der Argumentation ist es auch dort, die Rettung des menschlichen Fleisches plau7 Eph

5,30: ὅτι μέλη ἐσμὲν τοῦ σώματος αὐτοῦ. Vgl. Gen 2,23 LXX: καὶ εἶπεν Αδαμ Τοῦ­ το νῦν ὀστοῦν ἐκ τῶν ὀστέων μου καὶ σὰρξ ἐκ τῆς σαρκός μου· αὕτη κληθήσεται γυνή, ὅτι ἐκ τοῦ ἀνδρὸς αὐτῆς ἐλήμφθη αὕτη (Vg: dixitque Adam hoc nunc os ex ossibus meis et caro de carne mea haec vocabitur virago quoniam de viro sumpta est). 8 In Haer. 5 zieht Irenäus auch sonst ausführlich die Schrift heran, um zu erweisen, dass das Fleisch nicht gleichgültig ist. In Haer. 5,6,1f. etwa argumentiert er, dass sich 1 Kor 3,16f.; 6,15 und Joh 2,19 auf den Leib des Menschen als „Tempel Gottes“ bzw. „Glieder Christi“ beziehen würden. Also sei unser Fleisch nicht irrelevant und werde nicht vernichtet, sondern auferweckt. 9 Vgl. Perler, Logos und Eucharistie, 489.

6.2 Der Text: Haer. 5,2,3

205

sibel zu machen. In Haer. 5,14,1f. verfolgt Irenäus allerdings einen anderen Begründungsweg; es geht ihm dort um die Rekapitulation des Fleisches im menschgewordenen Logos und nicht um das fortgesetzte Wirken des Schöpfergottes am Fleisch des Menschen. Im dritten und längsten Abschnitt in Haer. 5,2,3 kommt er erst einmal wieder auf dieses Schöpferhandeln und die Eucharistie zurück: (3) Et quemadmodum lignum vitis depositum in terram suo fructificat tempore, et granum tritici decidens in terram et dissolutum multiplex surgit per Spiritum Dei qui continet omnia, quae deinde per sapientiam in usum hominis veniunt, et percipientia verbum Dei Eucharistia fiunt, quod est corpus et sanguis Christi, sic et nostra corpora ex ea nutrita et reposita in terram et resoluta in ea resurgent in suo tempore, Verbo Dei resurrectionem eis donante in gloriam Dei Patris: qui huic mortali immortalitatem circumdat et corruptibili incorrup­ telam gratuito donat, quoniam virtus Dei in infirmitate perficitur, ut non quasi ex nobisipsis habentes vitam inflemur aliquando et extollamur adversus Deum ingratam mentem accipien­ tes, experimento autem discentes quoniam ex illius magnitudine, sed non ex nostra natura, habemus in aeternum perseverantiam, neque ab ea quae est circa Deum gloria sicuti est frustremur aliquando, neque nostram naturam ignoremus, sed ut sciamus et quid Deus potest et quid homo beneficii accipit, et non erremus aliquando a vera comprehensione eorum quae sunt [et] quemadmodum sunt, hoc est Dei et hominis. Et numquid forte, quemadmodum prae­ diximus, propter hoc passus est Deus fieri in nobis resolutionem, ut per omnia eruditi in omnibus simus diligentes, neque Deum neque nosmetipsos ignorantes? In der Art und Weise, in der das Holz des Weinstocks, nachdem es in die Erde gelegt ist, zu seiner Zeit Frucht bringt und der Same des Weizens in die Erde fällt und, nachdem er aufgelöst wurde, „vervielfacht“ auferweckt wird durch den Geist Gottes, der alles zusammenhält, und diese Dinge dann auch durch die Weisheit in den Gebrauch der Menschen kommen und, nachdem sie das Wort Gottes aufgenommen haben, zur Eucharistie werden, die Leib und Blut Christi ist, so werden auch unsere Leiber, die von ihr genährt und in die Erde gelegt und in ihr aufgelöst worden sind, auferstehen zu ihrer Zeit, wenn das Wort Gottes ihnen die Auferweckung schenkt zur Ehre Gottes des Vaters, der das Sterbliche mit Unsterblichkeit umgibt und dem Vergänglichen Unvergänglichkeit umsonst schenkt. Denn die Kraft Gottes vollendet sich in der Schwachheit, damit wir uns nicht aufblähen, als hätten wir das Leben aus uns selbst, und uns erheben gegen Gott, indem wir einen undankbaren Sinn angenommen haben. Durch Versuch aber lernend, dass wir aus der Erhabenheit jenes und nicht aus unserer Natur die Dauer zum Ewigen haben. Wir dürfen niemals die rechte Meinung über Gott, wie er ist, verfehlen und nicht unsere Natur verkennen, sondern sollten wissen, was Gott kann und was der Mensch Gutes empfängt. So sollten wir nie die rechte Ansicht über die Dinge, so wie sie sind, das heißt über Gott und die Menschen, verlieren. Und hat Gott nicht etwa, wie wir gesagt haben, deshalb unsere Auflösung in der Erde zugelassen, damit wir allseitig unterwiesen werden und in Zukunft bei allem achtgeben, indem wir weder Gott noch uns selbst verkennen?10

Nachdem also im zweiten Abschnitt geklärt wurde, von welcher Art caro hier die Rede ist, kehrt Irenäus im dritten Abschnitt wieder zurück zu seiner eigentlichen Antwort auf die Frage, auf welche Weise unser Fleisch Unvergänglichkeit annehmen kann. In diesem abschließenden Teil geht Irenäus nun auch auf die 10 Übers.

nach Brox.

206

6. Irenäus

endzeitliche Auferstehung ein. Dazu dehnt er seine Perspektive weit über die eigentliche Eucharistiefeier hinaus aus, bleibt aber zugleich auf sie bezogen. Es geht ihm darum zu zeigen, dass der Geist Gottes nicht erst in der Eucharistie wirkt, sondern erstens bereits zuvor durch die ordnende Schöpfermacht Gottes, die aus dem unbelebten, in die Erde gesenkten Holz des Weinstocks und dem Samen Früchte erschafft, und zweitens auch nach der Eucharistie, wenn diese lebensspendende Macht auf die Leiber der Toten übergegangen ist und sie auferweckt. Das Eucharistiegeschehen wird so als ein punktuelles Ereignis, in dem sich das Wirken des Geistes verdichtet und der Geist auf die σάρξ des Menschen übergeht, in den Rahmen eines umfassenden Schöpfungsprozesses gestellt. Abschließend zieht Irenäus aus dem Dargelegten ethische Konsequenzen für den Menschen und deutet das Geschehen im Sinne einer pädagogischen Intention Gottes. Die hier herausgearbeiteten Aspekte, nämlich (1) das transformierende und lebensspendende Geistwirken in der Eucharistie, (2) die Eigenart des Fleisches Jesu und der Menschen, (3) das Wirken des Geistes in der Natur und am Menschen als ein fortgesetztes Wirken des Schöpfergottes und schließlich (4) die Mahnung an den Menschen, die rechte Haltung dazu zu finden, sollen nun weiter interpretiert und dazu auch im Kontext der gesamten Schrift betrachtet werden. Da es sich empfiehlt, die Vorgänge in der Eucharistie und in der geschaffenen Natur in einem Zusammenhang zu behandeln, beginne ich zunächst mit dem zweiten Punkt, der Eigenart des Fleisches Jesu und der Menschen.

6.3 Die Eigenart des Fleisches der Menschen und Jesu Fleisch 6.3.1 Die Bedeutung des Fleisches für die Anthropologie des Irenäus Irenäus entwickelt seine Anthropologie im Gegenüber zu einer aus seiner Sicht häretischen Auffassung vom Menschen, die verschiedene, unterschiedlich erlösungsfähige Anteile des Menschen auf unterschiedliche Schöpfergottheiten zurückführt. Dem einen, ganzen Menschen entspricht seine vollständige Erschaffung durch den einen Gott.11 Unterhalb dieser Ebene unterscheidet er Fleisch und Seele des Menschen, zu denen der Geist als belebendes Drittes hinzutritt. Aufschlussreich ist nun die große Bedeutung, die Irenäus in dieser trichotomischen Bestimmung des Menschen dem Fleisch zukommen lässt. Über die Natur des geistbegabten Menschen trifft er in Haer. 5,9,2 eine anthropologische Grundaussage: „Lebendig ist er durch die Teilhabe am Geist, Mensch wegen der Substanz des Fleisches (homo autem propter substantiam carnis)“. Für das Wesen des Menschen, auch des geretteten, ist nach Irenäus seine Fleischessubstanz ausschlaggebend. Ein pneumatischer Mensch ist nicht 11 Vgl.

Wanke, Kreuz Christi, 100.

6.3 Die Eigenart des Fleisches der Menschen und Jesu Fleisch

207

der, der sich des Fleisches entledigt, sondern der, der mit seinem Fleisch am Geist teilhat (Haer. 5,6,1).12 Nicht der Nous oder Ähnliches macht den Menschen zum wirklichen Menschen, sondern die fleischliche Substanz, das aus Lehm von Gott gemachte, fleischliche Gebilde.13 Dazu führt er Gen 2,7 als Beleg an, dass der Mensch ein vollständig von Gott aus Erde geschaffenes und belebtes Wesen ist (vgl. Haer. 5,3,2; 14,2). Der ganze Mensch stammt vom Lehm von der Erde, so dass auch für die Gesamtheit des Menschen synekdochisch der Begriff „Fleisch“ verwendet werden kann. Der Vorgang der Erschaffung des Menschen besitzt Irenäus zufolge nicht zuletzt Konsequenzen für das Gottesbild. Die Schöpfermacht Gottes offenbart sich gerade darin, dass er aus dem Lehm etwas Lebendiges formen kann. Das Geformte besaß ursprünglich Gottesebenbildlichkeit.14 Irenäus kann sogar sagen, dass „wir von Natur aus dem allmächtigen Gott zugehörten“ (natura esse­ mus Dei omnipotentis, Haer. 5,1,1). Nicht nur die unsichtbare Seele des Menschen, sondern auch seine sichtbaren Teile sind Bild des unsichtbaren Gottes; dabei sei der Leib „das Bild“ Gottes,15 die Seele „das Gleichnis“ Gottes, wie aus Irenäus’ Darlegung der apostolischen Verkündigung hervorgeht (Epid. 11): Den Menschen aber hat er [sc. Gott] mit seinen Händen gebildet, indem er das Reinste und Feinste und Weichste von der Erde genommen und seine Kraft in bestimmtem Maß mit der Erde zusammengemischt hat; denn er hat dem Geschöpf seine eigenen Formen gegeben, damit auch das Sichtbare in ihm gottförmig sei. Denn als „Bild Gottes“ wurde der geschaffene Mensch auf die Erde gesetzt.16

Nicht nur im Rückgriff auf die Erschaffung des Menschen nach Gen 2,7, sondern ebenso mit Blick auf das Ende der Heilsgeschichte, die Menschwerdung des Wortes Gottes, kann Irenäus die besondere Würde des menschlichen Flei12 Vgl. auch Haer. 5,8,1, wo Irenäus ausführt, dass wir den Geist schon jetzt als Unterpfand haben und aus diesem Grund schon jetzt zu pneumatischen Menschen werden, die nicht nach den Begierden des Fleisches leben. Das zeige, dass es für das pneumatische Sein nicht notwendig (und auch nicht möglich) sei, das Fleisch abzulegen. 13 In Haer. 5,7,1–2 bemüht sich Irenäus um den Nachweis, dass es kein unsterbliches Element im Menschen gibt, sondern sich die Rede vom Auferwecken der Toten (vgl. 1 Kor 15,36.42f.; Röm 8,11) nur auf das Fleisch beziehen kann, das stirbt und in die Erde kommt. 14 Vgl. Haer. 5,6,1: „Denn durch die Hände des Vaters, das heißt durch den Sohn und den Geist, entsteht der Mensch, nach Gottes Ebenbild (vgl. Gen 1,26), aber nicht nur ein Teil des Menschen. Seele und Geist können zwar ein Teil des Menschen sein, aber niemals ein (sc. ganzer) Mensch. Der vollständige Mensch ist die Vermischung und Vereinigung der Seele, die den Geist des Vaters aufnimmt und mit dem Fleisch vermischt ist, das nach Gottes Bild geschaffen ist“ (Übers. Brox). 15 Zur Frage der Körperlichkeit Gottes, die sich daraus natürlich ergibt, vgl. Markschies, Gottes Körper, 261–267. Markschies kommt bei seiner Durchsicht der Texte zu dem Ergebnis, dass Irenäus (bei aller Unklarheit in seinen Äußerungen) Gott keinen materiellen Körper, sondern einen Körper in „Form von geistigen Strukturen einer materiellen Körperlichkeit“ zuschrieb (ebd., 263). 16 Übers. Ter-Mĕkĕrttschian / Ter-Minassiantz.

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6. Irenäus

sches begründen: Auch die Inkarnation Jesu zeige nämlich, dass das Fleisch des Menschen von Gott stammt und der Körper des Menschen von Gott gebildet wurde, nach seinem Ebenbild. Die Ebenbildlichkeit verlor der Mensch allerdings durch die Apostasie, den Sündenfall.17 Dieser Verlust ist der Ausgangspunkt der Entwicklung der Heilsökonomie und des Rekapitulationsgeschehens. Die Vorstellung von der Erlösungsfähigkeit des Fleisches wird in diesem Argumentationsstrang von Irenäus auf seine Rekapitulation durch die Inkarnation des Wortes Gottes zurückgeführt. Nach Irenäus ist Christus ins Fleisch gekommen (vgl. Joh 1,14a), weil das Fleisch der Menschen gerettet werden sollte.18 Die Fleischwerdung des Logos dient der Rekapitulation Adams, des Gebildes Gottes, in Christus und versöhnt das menschliche Fleisch wieder mit Gott.19 Sie macht den Menschen wieder gottebenbildlich. Mit der Versöhnung des Fleisches und der Wiederherstellung der durch den Fall verlorenen Ebenbildlichkeit wird erkennbar auf eine andere Begründungsebene gewechselt, in deren Zentrum die Sünde Adams steht. Die Vergänglichkeit und der Tod erscheinen hier nicht als Eigenschaften der Materie, sondern als Folge der Gottferne des Menschen, die vom fleischgewordenen Logos überwunden wird. Irenäus entwickelt dabei ein reziprokes Verständnis der Fleischwerdung: Der Herr wird wie wir, damit wir zu ihm vervollkommnet werden („[…] indem er Gott durch den Geist zu den Menschen herabkommen und durch seine Fleischwerdung den Menschen seinerseits zu Gott hinaufsteigen ließ“, Haer. 5,1,1). Auffällig ist, dass hier nicht der Geist dazu dient, den Menschen zu Gott kommen zu lassen, und nicht die Fleischwerdung Gott zu den Menschen bringt, sondern dass umgekehrt die Geistgabe Gott zu den Menschen bringt, während die Fleischwerdung den Menschen zu Gott aufsteigen lässt. Diese Deutung von Geistgabe und Fleischwerdung zeigt die soteriologische Verschränkung des Menschen mit Christus und das Exemplarische im Christusgeschehen.20

Wie erkennbar wird, kann Irenäus den Begriff „Fleisch“ für den ganzen Menschen verwenden, so dessen Geschöpflichkeit betonen und damit auch an biblischen Sprachgebrauch anknüpfen (vgl. Gen 6,17; 9,11; Lev 13,3; Jes 40,5f.; 49,26 u. ö.; vgl. auch 1 Petr 1,24). Die fleischliche Substanz des Menschen differenziert er darüber hinaus noch feiner in Venen und Arterien (den Leitungen für Blut und Pneuma), Nerven, Knochen, Auge, Ohr, Hand, Sehnen, verschiedene Eingeweide und Blut, das die Verbindung von Seele und Leib ist. Das alles ist durch Gottes Kunst und Weisheit gebildet und hat daher auch Anteil an Gottes Kraft; gerade darin zeigt sich Gottes Schöpfermacht (Haer. 5,3,2): 17 Vgl. Haer. 5,1,1: Et quoniam iniuste dominabatur nobis apostasia et, cum natura esse­ mus Dei omnipotentis, alienavit nos contra naturam, suos proprios faciens discipulos […]. 18 Uhrig, Theologie der Fleischwerdung, 124, weist darauf hin, dass bereits die Geschich­ te Israels und die prophetische Verheißung Christi von Irenäus mit einer deutlichen Schwerpunktsetzung auf der Fleischwerdung des Logos angeführt und interpretiert werden. 19 Vgl. hier noch einmal die zentrale Stelle Haer. 5,14,1: si enim non haberet caro salvari, nequaquam Verbum Dei caro factum esset („Wenn nämlich das Fleisch nicht hätte gerettet werden sollen, wäre das Wort Gottes keineswegs Fleisch geworden“, Übers. Brox). 20 Das Erlösungsgeschehen vollzieht sich exemplarisch an Christus, in seiner Fleischwerdung ereignet sich die Annahme und Erlösung des menschlichen Fleisches schlechthin. Das Muster einer exemplarischen Geltung des Christusereignisses findet sich auch im Philippus­ evangelium, wenn dort Jesu Taufe am Jordan so erzählt wird, dass sie als Paradigma für das Taufritual und als Präfiguration der christlichen Taufe erscheint.

6.3 Die Eigenart des Fleisches der Menschen und Jesu Fleisch

209

[…] weil Gott Lehm von der Erde nahm und den Menschen formte (vgl. Gen 2,7). Dabei war es doch viel komplizierter und unglaublicher, aus Knochen und Sehnen, die es noch gar nicht gab, und dem übrigen Organismus, wie der Mensch ihn hat, zu bewirken, daß er existiert, und ein beseeltes und vernunftbegabtes, belebtes Wesen aus ihm zu machen […].21

Für Irenäus nimmt die σάρξ also einen zentralen Platz bei der Bestimmung des Menschen ein und wird von ihm als eine entschieden physische, substanzhafte Größe verstanden. Das wirkt sich auch auf sein Verständnis des physischen Todes aus. In Haer. 5,1–14 interessiert Irenäus der Tod nicht als Folge der Sünde und der gestörten Gottesbeziehung des Menschen, sondern als eine essentielle Eigenschaft der irdischen Substanz. Diese substanzontologische Einbettung der Frage nach der Rettung des Fleisches wird bei Irenäus unter anderem auch daran erkennbar, dass er vom Leib und Fleisch des Menschen nicht nur in einer ethischen, den Lebenswandel betreffenden Dimension spricht und im Anschluss an Paulus „Fleisch“ als Chiffre für einen fleischlichen, auf Irdisches gerichteten Wandel verwendet oder das Fleisch lediglich als anthropologische Komponente versteht, die neben die Seele tritt und den Menschen in seiner Geschöpflichkeit kennzeichnet. Das Fleisch des Menschen bestimmt Irenäus in Haer. 5,1–14 vielmehr und darüber hinaus als einen Teil der gesamten vergänglichen, von der Erde stammenden Materie, an der der Schöpfergott gehandelt hat. Dies ist für seine Gedankenführung zentral. Über die Nahrung etwa steht das Fleisch in einem direkten Zusammenhang mit Gaben der Schöpfung wie der Frucht des Weinstocks und dem Weizen. Mit allen aus der Erde erschaffenen Werken Gottes teilt es aber auch das Merkmal des Gewordenseins und der Veränderung und Vergänglichkeit. Auch wenn Irenäus auf das Menschsein Christi und auf dessen heilvolles Wirken zu sprechen kommt, gelten eben dieselben Charakteristika. 6.3.2 Jesu Fleisch ist wie unseres Das „Fleisch“ kann Irenäus auch bei der Darstellung des Heilsgeschehens sowohl als unmittelbares Subjekt als auch als Objekt der Ereignisse einführen und so in Haer. 5,14,2 im Anschluss an ein Zitat von Kol 1,21f. formulieren: Im Leib seines Fleisches ausgesöhnt, sagt er [sc. Paulus], weil das gerechte Fleisch das in der Sünde festgehaltene Fleisch versöhnt und zur Freundschaft mit Gott führt.22

Die heilvolle Versöhnung des gottfernen Menschen mit Gott bezeichnet Irenäus an dieser Stelle also geradezu als eine Tat des Fleisches selbst; als Akteur dieses Geschehens tritt das „Fleisch“ auf. Ganz analog kann er in Haer. 5,1,1 die Heilsbedeutung des Todes Jesu umschreiben:

21 Übers. 22 Übers.

Brox. Brox.

210

6. Irenäus

Weil der Herr uns also durch sein Blut erlöste (vgl. Kol 1,14), seine Seele für unsere Seele gab und sein Fleisch für unser Fleisch […].23

Der heilvolle Tod Jesu wird in die einzelnen Komponenten seiner menschlichen Existenz aufgespalten („sein Fleisch für unser Fleisch“), um hervorzuheben, dass dieser Tod dezidiert auch die physiologischen Bestandteile des Menschen in die Erlösung einschließt. Voraussetzung für das so beschriebene Erlösungsgeschehen ist, dass die irenäische Definition für caro als eine Substanz, die vom aus Lehm gemachten Gebilde abstammt (Caro enim vere primae plasmationis e limo factae suc­ cessio, Haer. 5,14,2), auch für Jesu Fleisch gilt. Eine zentrale Aussage im Argumentationsgang des fünften Buches von Adversus haereses ist es denn auch, dass sich Jesu Fleisch seiner Substanz nach nicht von unserem Fleisch unterscheidet. Vom Fleisch Jesu spricht Irenäus daher nicht nur im Kontext der Inkarnation und des versöhnenden Heilstodes, sondern auch ausdrücklich im Kontext allgemeiner körperlicher, physischer Zusammenhänge. Flankierend zum Fleisch Jesu erwähnt er dessen Blut, Adern, Nerven und Knochen und spitzt dies in Haer. 5,2,2 zu: „zu dieser Substanz ist Gottes Wort wahrhaftig geworden“.24 Hier steht Joh 1,14a im Hintergrund, allerdings in einer deutlich konkretisierten Verarbeitung. Das Wort Gottes ist sozusagen zur Schöpfung selbst geworden, zu dem Lehm, aus dem Ohr, Augen, Nerven, Knochen etc. stammen. In Christus verbindet sich damit die passive Materie, die Leben empfängt, mit dem lebensgebenden Geist – insofern nimmt er die Herrlichkeitsexistenz des Menschen vorweg. Es gibt also nur ein wirkliches Fleisch. Wäre das Fleisch Jesu von anderer Substanz gewesen, eine Auffassung, die unter anderem im Philippusevangelium vertreten wird (vgl. EvPhil 72c, NHC II,3 p. 68,31–37), so hätte es Irenäus zufolge das menschliche Fleisch nicht versöhnen können.25 Besonders Haer. 5,14,2 führt diesen Zusammenhang aus: Aber wenn der Herr nach einer anderen Heilsordnung Fleisch geworden ist und aus einer anderen Substanz Fleisch angenommen hat, hat er folglich den Menschen nicht in sich rekapituliert (zusammengefaßt): Ja, er kann noch nicht einmal als Fleisch bezeichnet werden. Fleisch ist in Wahrheit nämlich nur, was von dem ursprünglichen Gebilde, das aus Lehm gemacht worden war, abstammt. Wenn er seinen Stoff aber aus einer anderen Substanz hätte haben sollen, dann hätte der Vater bewirkt, daß die formbare Masse (sc. für sein Gebilde) von Anfang an aus einer anderen Substanz entstand. Jetzt ist es aber so, daß das heilbringende 23 Haer. 5,1,1: Suo igitur sanguine redimente nos Domino, et dante animam suam pro nos­tra anima et carnem suam pro nostris carnibus […] (Übers. Brox). 24 Vgl. Haer. 5,2,2: Sanguis enim non est nisi a venis et carnibus et a reliqua quae est se­cundum hominem substantia, quae vere factum Verbum Dei („Es handelt sich nämlich nur dann um Blut, wenn es von Adern stammt und von Fleisch und allem übrigen, was zur menschlichen Substanz gehört. Zu dieser Substanz ist Gottes Wort wahrhaftig geworden“, Übers. Brox). 25 Vgl. auch de Andia, Homo vivens, 248f.: „L’eucharistie repose sur la consubstantialité charnelle du corps et du sang du Christ avec notre corps et notre sang.“

6.3 Die Eigenart des Fleisches der Menschen und Jesu Fleisch

211

Wort das geworden ist, was der verlorene Mensch war, indem es von sich aus die Gemeinschaft mit ihm und die Auffindung seines Heils herbeiführte. Das, was verloren war, hatte Fleisch und Blut. Gott hat nämlich Lehm von der Erde genommen und den Menschen geformt (vgl. Gen 2,7), und seinetwegen spielte sich die gesamte Heilsordnung der Ankunft des Herrn ab. Auch er hatte also selber Fleisch und Blut und rekapitulierte in sich nicht irgend etwas anderes, sondern jenes ursprüngliche Gebilde des Vaters, um zu suchen, was verloren war (vgl. Lk 19,10).26

Dennoch besitzt das Fleisch Jesu im Gegenüber zu unserem eine besondere ethische Qualität: Es ist gerecht und versöhnt deshalb das in der Sünde festgehaltene Fleisch mit Gott. Diesen Zusammenhang verdeutlicht auch die bereits angeführte Auslegung des Kolosserzitats in Haer. 5,14,3. Dass das Fleisch Jesu gerecht ist und nicht unter der Herrschaft der Sünde steht, zeigt sich auch an der Zeugung und Geburt Jesu: Sie unterschied sich nach Haer. 5,1,3 von jeder natürlichen Geburt, da (nach Lk 1,35) „der Heilige Geist über Maria kam und die Kraft des Höchsten sie überschattete, weshalb, was sie gebar, heilig ist und der Sohn des Höchsten Gottes“.27 So bewirkte Gott selbst die Fleischwerdung und „führte eine neue Zeugung vor Augen“ (Haer. 5,1,3).28 Auffällig für die irenäische Verwendungsweise von σάρξ ist schließlich ein letzter Aspekt. Obwohl mit Joh 6,51–58, den Ignatiusbriefen und Justins Apologie der Ausdruck „σάρξ Jesu“ für das eucharistische Brot zur Entstehungszeit von Adversus haereses schon etabliert ist, identifiziert Irenäus, soweit ich sehe, das Brot nirgends mit der σάρξ (caro) Jesu, sondern immer mit dessen σῶμα (corpus). Das ist insofern bemerkenswert, als Irenäus sonst nicht zwischen corpus und caro (zuweilen verwendet er auch plasma) unterscheidet, sondern diese Begriffe mit Bezug auf die Menschen synonym benutzt. Für die eucharistischen Elemente gebraucht Irenäus demgegenüber auch in Haer. 4,18,5 und 5,2,3 die ebenfalls in den synoptischen Einsetzungsworten begegnenden Begriffe „Leib und Blut Jesu“ (corpus et sanguis Christi). Um allerdings das Menschsein Jesu zu umschreiben (z. B. Haer. 5,1,2), ist die Wendung caro et sanguis eine von Irenäus bevorzugte Zusammenstellung, und in dieser Weise ist vom „Fleisch Jesu“ auch im hier interessierenden Zusammenhang die Rede. In Haer. 5,2,3 wird in der von mir als zweiter Abschnitt und Einschub bestimmten Passage, in der es allgemein um die Substanz des Fleisches Jesu

26 Übers.

Brox. Brox. 28 Irenäus spricht in diesem Zusammenhang von zwei Arten von Zeugung, einer natürlichen, von der die Menschen den Tod erben, und einer neuen Zeugung, durch die die Menschen das Leben bekommen (Haer. 5,1,3). Dies erinnert an die Zeugungsvorstellung des Philippusevangeliums – dort aber wird diese besondere Zeugung bzw. Geburt des neuen Leibes des Erlösers individuell von den Glaubenden im Ritual nachvollzogen und dadurch das Leben erworben, die Christen werden selbst neu gezeugt. Irenäus hält dagegen fest, dass es derselbe Gott ist, der Adam formte und den lebendigen Menschen, es ist sogar dieselbe „Hand Gottes“ (Patris manus). 27 Übers.

212

6. Irenäus

und um die Beschaffenheit jedes Menschen geht, auch von der caro Jesu gesprochen (vgl. z. B. auch Haer. 5,10,2).

6.4 Das transformierende und lebensspendende Wirken des Geistes in der Natur, bei der Eucharistie und bei der Auferstehung 6.4.1 Einführung Die Substanzhaftigkeit des Fleisches wird nicht nur über das semantische Feld physiologischer Bestandteile („Nerven und Knochen“) hervorgehoben, in dem es bei Irenäus erscheint, sondern auch darin, dass er es mit biologischen Vorgängen wie der Nahrungsaufnahme in Verbindung bringt. So treten Wachstum, Aufbau und Genährtwerden des Fleisches durch Speise und Trank in den Blick. Diesen Aspekt kann Irenäus zugleich für seine Deutung der Eucharistie nutzen, die er zunächst in biologisch-naturwissenschaftlicher Herangehensweise als Nahrungsaufnahme bestimmt. In der Eucharistie wird das Fleisch durch die Gaben der Schöpfung aufgebaut und ernährt (Haer. 5,2,3), etwa durch die Frucht des Weinstocks und den Weizen. Das Fleisch wird auf diese Weise Teil eines großen, von Gott insgesamt gesetzten und belebten Zusammenhangs zwischen dem Lehm der Erde, der Fruchtbarkeit der Erde und ihren Gaben (Weinstock, Weizen), die dann zur Nahrung des Menschen werden. Irenäus stellt so einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Erschaffung des Menschen aus Erde, seiner leiblichen Beschaffenheit und seiner fortdauernden Subsistenz durch die Schöpfung her. All diese Vorgänge und Zustände haben an der Erde teil und entstehen aus ihr. Zugleich bedürfen sie alle eines belebenden Prinzips von außen, das im Folgenden genauer betrachtet werden soll. 6.4.2 Der Lebensbegriff bei Irenäus Im zitierten Text von Haer. 5,2,3 wird gleich zu Beginn das „ewige Leben“ erwähnt. Es wird als „Geschenk Gottes“ bezeichnet, das in der Eucharistie den Kommunizierenden gegeben wird: Wie können sie bestreiten, dass das Fleisch aufnahmefähig ist für das Geschenk Gottes, das das ewige Leben ist?

Mit der Auffassung, der Empfang der eucharistischen Mahlelemente vermittle Leben an die Eucharistieempfänger, knüpft Irenäus an ein überliefertes Eucharistieverständnis an, wie es auch in der Didache und den Ignatiusbriefen vertreten wird.29 Was die σάρξ Jesu betrifft, so lässt sich in Texten, die die 29 Siehe

dazu oben Kap. 2. Vgl. außerdem Koch, Eucharistievollzug und Eucharistieverständnis; Wehr, Eucharistie; ders., Arznei der Unsterblichkeit, 351–356.

6.4 Das transformierende und lebensspendende Wirken des Geistes

213

Eucharistie mit dem Lebensbegriff in Verbindung bringen (Joh 6,51–58; Did 9,3; 10,2f.; IgnEph 20,2; auch IgnSm 7,1), zwar ein Interesse an ihrer Wirkung, aber im Unterschied zu Irenäus keine besondere Aufmerksamkeit im Blick auf die Beschaffenheit der σάρξ als Substanz erkennen. In der Didache werden die Mahlelemente in einen Bezug zu gewöhnlicher Nahrung gestellt und spenden nicht nur vorübergehendes, sondern ewiges Leben. Beide Formen von Nahrung sind aber, und dies erinnert an Haer. 5,2,3, Gaben des einen Schöpfergottes. Eine medizinische Metapher für die lebensspendende Wirkung der richtig gefeierten Eucharistie bietet vor Irenäus bereits Ignatius in seinem Brief an die Epheser (IgnEph 20,2), in dem er die Eucharistie als φάρμακον ἀθανασίας bezeichnet. Den genannten Texten ist gemeinsam, dass sie die Gabe des ewigen Lebens (in zum Teil unspezifischer Weise) mit den eucharistischen Elementen in Verbindung bringen, die als Nahrung oder „Medizin“ eine entsprechende Wirkung entfalten, und dass die endgültige Auferstehung zugleich noch zukünftig erwartet wird. Auch nach Irenäus ist das ewige Leben nicht etwa eine feste, naturgegebene Eigenschaft der Substanz bzw. des Wesens eines Menschen (etwa eines Pneumatikers),30 sondern etwas, das dem Menschen von außen, im Abendmahl, gegeben wird. Insofern steht Irenäus in der eben beschriebenen Tradition, die das ewige Leben als ein in der Eucharistie vermitteltes Heilsgut betrachtet. Allerdings begreift er die Lebensgabe in Haer. 5,2,3 nicht wie Joh 6,51–58 im Sinne einer durch den Glauben konstituierten Beziehung zwischen dem Glaubenden und Christus, versteht sie nicht räumlich als Bleiben in Christus oder im „Heilsraum“ Christi. Eher noch knüpft er an die auch in der Didache bezeugte Nahrungsvorstellung an, nach der Brot und Wein besondere, geistliche Speisen sind, die nicht zeitliches, sondern ewiges Leben ermöglichen. Für ihn üben die Mahlelemente eine unmittelbare Wirkung auf das Fleisch des Glaubenden aus,31 bis dahin, dass das Leben über die Mahlelemente dem Fleisch der Empfänger zugutekommt und zu dessen besonderer Qualität wird. Der Fokus richtet sich auch hier wieder auf das Fleisch, das eigentlich als die Kontinuität zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Leben schaffende Komponente in den Blick tritt. Das Fleisch wird als eine passive Größe vorgestellt, die aber Eigenschaften des aktiv wirkenden Geistes annehmen kann, wofür Irenäus das Bild einer brennenden Fackel und eines nassen Schwammes verwendet.32 Das Fleisch 30 Vgl.

aber die Auslegung von Joh 6,53 bei den Naassenern (Hippolyt, Haer. 5,8,11). hier die Korrespondenz zwischen dem Fleisch und Blut Jesu und unserem Fleisch und Blut, die auch Justin (1 Apol. 66) beschreibt (siehe dazu unten den Exkurs zu 1 Apol. 66 in 6.4.3). Justin interpretiert die Elemente Brot und Wein ebenfalls als Nahrung, gleichwohl eben nicht als gewöhnliche Speise, sondern als σάρξ καὶ αἷμα des fleischgewordenen Jesus, die nach einer Umwandlung unser Fleisch und Blut nähren. Bei Justin fehlt außerdem ein Bezug zum ewigen Leben. 32 In diesem Sinn kann das Fleisch auch „zum Erbe genommen“ werden (Haer. 5,9,4). 31 Vgl.

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6. Irenäus

kann prinzipiell Leben aufnehmen,33 es lebt ja auch gegenwärtig, d. h. es hat schon jetzt erkennbar Anteil am zeitlichen Leben. Daraus leitet Irenäus ab, dass es umso fähiger ist, auch am künftigen, ewigen Leben Anteil zu haben. Er versteht das Fleisch als den einen Träger sowohl des gegenwärtigen als auch des zukünftigen Lebens, und indem das Fleisch jederzeit von Gott belebt werden kann, wird es zum verbindenden Glied zwischen den beiden Existenzformen: In seiner Stofflichkeit und verbunden über die Nahrung, etwa durch Brot und Wein, ist das Fleisch einerseits Teil der gesamten vergänglichen Schöpfung, durch den Empfang der Gabe des ewigen Lebens partizipiert es andererseits an der Unvergänglichkeit Gottes. Offenbar vermeidet Irenäus eine mögliche Auffassung vom ewigen Leben und einer unvergänglichen Leiblichkeit in der Herrlichkeitsexistenz, bei der diese ganz von der irdischen, in der Schöpfung existierenden Leiblichkeit abgelöst erscheinen. Ihm geht es vielmehr darum, auch das zukünftige Leben an das aus der Schöpfung stammende Fleisch zu binden und immer noch als Teil des göttlichen Schöpferhandelns zu verstehen. Auch wenn das Fleisch nicht selbst Erbe des Reiches Gottes ist, auch wenn es passiv ist, zeigt es doch zugleich in seiner besonderen Ausdifferenzierung im menschlichen Körper mit allen Organen und ihren spezifischen Funktionen die Kunstfertigkeit und Weisheit Gottes, wie sie in der gesamten Schöpfung erkennbar ist und wie sie sich ebenso in der himmlischen Herrlichkeit wieder zeigen wird. Im eucharistischen Abschnitt in Haer. 5,2,3 ist von caro dann aber vor allem mit Bezug auf den Eucharistieempfänger die Rede: Dessen caro ist sozusagen der eigentliche Adressat im Eucharistiegeschehen. Irenäus beschreibt das ewige Leben als an die eucharistischen Gaben gebunden, von denen aus es an den Eucharistieempfänger weitergegeben wird, um sein Fleisch aufzubauen und dessen Qualität zu verändern. So wird das Dynamische und Relationale der Lebensgabe bei Johannes, die Eröffnung einer intensiven Beziehung und wechselseitigen Immanenz durch den Glauben an Jesus und an seinen Heilstod, für die das „Kauen des Fleisches Jesu“ metaphorisch steht, in Haer. 5,2,3 geradezu „materialisiert“ und im Sinne eines biologischen Vorgangs des Genährtwerdens interpretiert. Die Lebensgabe setzt beim Fleisch an, wirkt auf das Fleisch des Eucharistieempfängers und verändert es. Das ermöglicht letztendlich der fleischlichen Substanz, Unvergänglichkeit anzunehmen. Auf diese Weise stellt Irenäus eine direkte, an der Substanz haftende Verbindung zwischen dem Eucharistieempfang und der zukünftigen Totenauferstehung her, vor allem aber

33 Vgl. Behr, Asceticism and Anthropology, 96 (mit Bezug auf Haer. 2,34 und 5,3,3): „[T]his passage emphasizes that man lives as long as God wants, or as long as God confers life on his flesh. It is important to note that although it is God who provides life, it is man who lives. Participating in this life provided by God, man does not lose his identity; nor does the gift exist apart from him or superadded to him; but, rather, the gift is ,personalized‘ by each human being: the gift is life, yet it is the human being who lives this life in their flesh.“

6.4 Das transformierende und lebensspendende Wirken des Geistes

215

richtet er seine Eucharistieauslegung so aus, dass sie zum Argument für seine zentrale These zur Rettung des menschlichen Fleisches wird. 6.4.3 Wie wird Unvergänglichkeit an das Fleisch vermittelt? Haer. 5,2,3 im Rahmen antiker Ernährungstheorien Um die endzeitliche Auferstehung des Fleisches gegenüber Kritikern zu begründen, muss Irenäus die Frage beantworten, wie der immaterielle Geist auf das menschliche Fleisch wirken kann. Ausgangspunkt ist die Ansicht, dass Fleisch bzw. Materie und Geist einander gegenüberstehen und getrennte Bereiche sind. Da Irenäus an der materiellen, stofflichen Fleischlichkeit des Menschen auch bei der Auferstehung festhält und die Vorstellung eines verwandelten, „pneumatischen“ Leibes vermeidet, muss er die Art, wie Unvergänglichkeit vermittelt werden kann, entsprechend materiell und stofflich konzipieren.34 Irenäus ist dabei bemüht, zeitgenössischen wissenschaftlichen Theorien über Natur und Entwicklung der menschlichen Physis zu genügen. Er steht hier in der Tradition frühchristlicher Apologeten.35 34 Eine der Voraussetzungen stammt aus der jüdischen bzw. frühchristlichen Tradition vom Wort Gottes als „Brot“ für den Menschen; vgl. auch das Bild von der „Milch“ für Lehre und Person bzw. Heilswerk Jesu, die von den Menschen im Glauben angenommen und ver­innerlicht wird (vgl. Joh 6; 1 Kor 3) – diese Metaphorik versinnbildlicht eigentlich den Glau­ben. 35 Vgl. etwa den Traktat über die Auferstehung des Athenagoras (De resurrectione). Darin setzt sich Athenagoras einerseits mit Auffassungen auseinander, die die leibliche Auferstehung bestreiten, andererseits bringt er positive Argumente für die leibliche Auferstehung. Er entwirft zunächst ein Bild vom Leib, nach dem dieser aus einzelnen Teilen zusammengesetzt ist. Seele und Leib zusammen machen den lebendigen Menschen aus (dem entspricht der Gedanke, dass sich leibliche Kontinuität des Menschen nach seiner Auferstehung nicht an stofflicher Übereinstimmung festmache, sondern an der erneuten Zusammensetzung der körpereigenen Teile [ἐκ τῶν οἰκείων μερῶν]). In Res. 18 ist denn auch von der Doppelnatur des Menschen die Rede: Die Seele ist für sich genommen begierdefrei, der Leib dagegen erkennt weder Gesetz noch Recht. Der Tod ist dementsprechend die Trennung von Seele und Leib und der Zerfall des zusammengesetzten Leibes (Res. 16). Die Auferstehung des Leibes versteht Athenagoras folglich nicht als Wiederbelebung der Körpersubstanz, sondern als Wiederzusammensetzung der im Tod zerfallenen Teile des Körpers. Das erste Argument für die leibliche Auferstehung besteht nun für Athenagoras in der Schöpfermacht Gottes. So beschreibt er den Auferweckungsvorgang (mit platonischen Vorstellungen durchsetzt) in Analogie zur Schöpfung. Sein zweites Argument ist naturwissenschaftlicher Art und gegen den von außen kommenden Einwand gerichtet, ein Körper, der der Nahrung und damit dem Aufbau eines anderen Körpers dient, könne nicht auferstehen. Bei einer Verdauungstheorie, die davon ausgeht, dass die Nahrung den Körper aufbaut, ist der gefressene Mensch teilweise dem Tierkörper anverwandelt worden (und noch komplexer: wenn die Tiere wiederum von Menschen gegessen werden und so dem Aufbau ihrer Körper dienen, stellt sich die Frage, wem dann die Teile bei der Auferstehung gehören). Mit diesem „Kettennahrungsargument“ setzt sich Athenagoras in Res. 3–9 auseinander. Nicht nur ist es Gott möglich, zerstreute Teile wieder zusammenzubringen. Auch aus naturwissenschaftlicher Sicht lässt sich das Kettennahrungsargument entkräften: Manche Nahrung ist unangemessen und dient nicht dem Auf-

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6. Irenäus

Die Argumentation beginnt bei den eucharistischen Elementen Brot und Kelch bzw. Weizen und Weinstock und setzt hier voraus, dass das menschliche – und dann auch Jesu – Fleisch ebenso wie Brot und Kelch von der Erde stammen. Zwischen dem menschlichen Körper und den Gaben der Erde wirkt, als eine Einrichtung der göttlichen Schöpfungsordnung, ein Nahrungskreislauf. Unter dieser Maßgabe kann Irenäus anschließend für seine Erklärung der Rettung des Fleisches antike Ernährungstheorien über das Wachstum des menschlichen Fleisches heranziehen und vor deren Hintergrund seine Auffassung über die spezifische Wirkung der Eucharistie entwerfen. Auskunft über antike Vorstellungen zur Wirkweise der Nahrung im menschlichen Organismus gibt unter anderem die zum Corpus Hippocraticum zählende Schrift mit dem Titel „Über die Nahrung“ (De alimento), die auf den Beginn des 1. Jahrhunderts n. Chr. datiert wird.36 Dort ist zu lesen (Alim. 2f.): (2) αὔξει δὲ καὶ ῥώννυσι καὶ σαρκοῖ καὶ ὁμοιοῖ καὶ ἀνομοιοῖ τὰ ἐν ἑκάστοις κατὰ φύσιν τὴν (3) ἑκάστου καὶ τὴν ἐξ ἀρχῆς δύναμιν. (2) Sie [sc. die Nahrung] stärkt und baut auf, bekleidet mit Fleisch und macht ähnlich bzw. unähnlich das in jedem Einzelnen (Enthaltene), gemäß der Natur (3) jedes Teils und der ursprünglich (vorhandenen) Kraft.37

Die Wirkung der Nahrung besteht also in der Förderung des Wachstums, der Kräftigung und Fleischbildung, und sie tut dies in Form von Assimilation und Dissimilation (ὁμοιοῖ καὶ ἀνομοιοῖ, „ähnlich und unähnlich“). Diese Wirkweise ist einerseits von den Organen abhängig, auf die die Nahrung wirkt, und andererseits von der Art der Nahrung, wobei in antiken Traktaten über die genauen Vorgänge zur Nahrungswirkung Uneinigkeit herrscht. So scheint es, dass die Organe die Fähigkeit haben, verwandte Stoffe zu assimilieren, aber auch die Fähigkeit, Nahrung auszuscheiden. In der zitierten Stelle ist nicht ganz eindeutig formuliert, was assimiliert wird und sich angleicht – die Organe der Nahrung oder die Nahrung den Organen. Etwas klarer ist die Darstellung der Nahrungsaufnahme bei Galen, von dem unter dem Titel De naturalibus facultatibus ebenfalls eine Untersuchung über die Vorgänge bei der Ernährung überliefert ist. Diesem Text zufolge wirken bau der Leibessubstanz, bei ihr werden Teile nicht verdaut und dem zu ernährenden Körper assimiliert (Res. 5). Auch die Natur des Menschen würde (wie die natürliche Entwicklung aller Lebewesen) zeigen, dass sie gravierende körperliche Veränderungen durchlaufe, eine Entwicklung vom Samen über den jugendlichen und reifen hin zu einem alten Menschen (Res. 17). Diese beobachtbaren Veränderungen lassen darauf schließen, dass der Mensch sich auch nach seinem physischen Tod noch einmal grundlegend leiblich wandeln kann. Vgl. zu Athenagoras insgesamt Kiel, „De Resurrectione“. 36 So Deichgräber, Über die Nahrung, 12. 37 Übers. Deichgräber; vgl. auch die Übersetzung von Jones (LCL): „It increases, strengthens, clothes with flesh, makes like, makes unlike, what is in the several parts, according to the nature of each part and its original power.“

6.4 Das transformierende und lebensspendende Wirken des Geistes

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Kräfte der Assimilation und Dissimilation zwischen der Nahrung und dem jeweiligen Organ (De naturalibus facultatibus 3,4, 155,15–156,1 Kühn): ὡς γὰρ κἀκεῖνα δέδεικται ποιοτήτων μεταβολῇ γιγνόμενα, κατὰ τὸν αὐτὸν τρόπον καὶ ἡ ἐν τῇ γαστρὶ πέψις τῶν σιτίων εἰς τὴν οἰκείαν ἐστὶ τῷ τρεφομένῳ ποιότητα μεταβολή. Denn wie anhand jener Dinge [sc. Blutentstehung und Ernährung] gezeigt wurde, die durch eine Veränderung der Qualitäten / Eigenschaften zustande kommen, so ist auch auf dieselbe Weise die Verdauung der Nahrung im Magen eine Verwandlung hin zur passenden Beschaffenheit für das, was genährt wird.

Den Vorgang der Ernährung interpretiert Galen als Zuführung des Gleichen zu Gleichem und Entgegengesetztem zu Entgegengesetztem.38 Nach seiner Auffassung ist die Ernährung eine Angleichung des Nährenden an das, was ernährt wird, also eine Verwandlung der Nahrung in die Substanz bzw. in die Eigenschaften des ernährten Organs. Ernährung kann als eine dynamische Beziehung zwischen dem Organismus und der Nahrungssubstanz verstanden werden, wobei zwischen den Nahrungssubstanzen und dem Körper Kräfte der Anziehung, Abstoßung und Anverwandlung wirken: Brot wird durch das Medium der Kraft in Körpersubstanz umgewandelt, wohingegen solche Nahrung, die dem jeweiligen Organ nicht angeglichen werden kann, ausgeschieden wird. Auf diese Weise wird Passendes zu Passendem gezogen und anverwandelt, während Unpassendes abgestoßen wird. Dies ist nicht nur aufgrund der wirksamen Kräfte möglich, sondern auch deswegen, weil Nahrungssubstanzen den Körpersubstanzen ähnlich sind und sich daher den Organen durch Transformation anverwandeln können. Und ebenso sind die Organe umgekehrt verwandt mit der Nahrung.39 Die medizinischen Traktate werfen Licht auf die Darstellung der Wirkung eucharistischer Nahrung auf den Menschen, die Irenäus in Haer. 5,2,3 entwirft. Potential für die Eucharistiedeutung besitzt vor allem die in den medizinischen Schriften entfaltete Vorstellung, dass das Fleisch Nahrung absorbieren und ihre Kräfte aufnehmen kann. Demnach ist das Fleisch offenbar grundsätzlich in der Lage, Stoffe von außen zu assimilieren, sie sich anzuverwandeln und dadurch seine Substanz aufzubauen. Irenäus beschreibt die besondere Wirkweise der eucharistischen Speise auf die Empfänger als eine Angleichung, d. h. als Assimilation des menschlichen Fleisches an die Eigenschaften dieser besonderen Speise. Zugleich unterstreicht er, wenn er in Haer. 5,2,3 mit dem abgewandelten Epheserzitat die Gleichheit unserer Körper mit dem Leib Jesu festhält, den physiologischen Grundsatz der Wirkung von Gleichem auf Gleiches. Nicht nur Weizen und Wein, von der Erde und dem Weinstock kommend, sind Bestandteile der einen Schöpfung Gottes und stammen wie der Mensch selbst von der Erde, sondern auch das Fleisch Jesu als solches ist dem menschlichen gleich und kann nur deshalb in 38 Vgl. 39 Vgl.

Deichgräber, Über die Nahrung, 18. hierzu Hoffstadt u. a., Fremdkörper.

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6. Irenäus

ein Wirkungsverhältnis zu den menschlichen Leibern treten, bei dem dann die Lebensgabe übertragen wird. Die Kräfte schließlich, die nach Galen zwischen der Nahrung und der Körpersubstanz wirken, lassen sich in Analogie zu der Kraft des Wortes Gottes bei der Eucharistie verstehen. Exkurs: Vorläufer und Nachwirkungen der irenäischen Eucharistiedeutung – Justin, 1 Apol. 66,2 und Gregor von Nyssa, Oratio catechetica magna 37 Dass die Eucharistie nicht nur eine besondere Speise ist, wie Did 9,3; 10,2f. und der Brief des Ignatius an die Römer (vgl. IgnRom 7,3, wo das „Brot Gottes“ der vergänglichen Speise gegenübersteht) schon für das frühe Christentum belegen, sondern auch die Art ihrer Wirkung eine besondere Form des gewöhnlichen Ernährungsvorgangs darstellt, könnte bereits in Justins 1. Apologie vorausgesetzt sein. Der Text der 1. Apologie richtet sich an Kaiser Antoninus Pius, seinen Adoptivsohn Mark Aurel und Lucius Verus (sowie den römischen Senat und das ganze römische Volk, wie eine mutmaßliche Glosse hinzufügt 40) und versteht sich als Bittschrift und Ansprache für die „zu Unrecht“ gehassten und verleumdeten Leute aus „jedem Volksstamm“ (1 Apol. 1). Zu den Elementen der Gattung gehören neben der Adressierung der Klage die Schilderung des rechtlichen Problems (2,1–4), die Bitte um administratives Eingreifen (3,1–5) und die Wiedergabe eines „juristischen Dokuments zur Feststellung der Rechtslage“.41 Justin erweitert dieses Schema um eine ausgedehnte Widerlegung der Vorwürfe gegen die Christen, sie wären Gottesleugner, Atheisten, Sittenverächter und Feinde des Staates, indem er das Christentum als vernünftige und ehrbare Philosophie zeichnet (13–60) und die Kultpraxis der Christen erläutert (61–67). Die Christen würde den einen, wahren Gott mit Vernunft und in Wahrheit verehren (6). Justin stellt immer wieder einerseits die Ähnlichkeit der christlichen Lehre mit der Philosophie und Mythologie der Griechen und Römer heraus, postuliert aber andererseits ein umgekehrtes Abhängigkeitsverhältnis, wonach insbesondere Platon bei Mose „nachgelesen“ habe (vgl. 59f.).42 Die Schrift fordert von den Adressaten, die Christen unvoreingenommen und mit Vernunft zu beurteilen. Wer so vorgeht, wird die Wahrheit des Christentums erkennen. Justin gibt auch zu bedenken, dass die Christen in den Verhören ihren Glauben verleugnen könnten, dies aber nicht tun, weil sie ein endzeitliches Gericht erwarten und auf ewiges Sein bei Gott hoffen (8). Die für unseren Zusammenhang wichtige Passage, in der Justin auf die Eucharistie zu sprechen kommt, findet sich in 1 Apol. 66. Nur unterbrochen von einem Exkurs über das „Nachäffen“ christlicher Lehre und Praxis durch die „Dämonen“ und über die richtige Auslegung des Mose und der Propheten 40 Vgl.

Minns / Parvis, Justin, 35. Justin, 792. 42 Vgl. auch 1 Apol. 22. 41 Wyrwa,

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(62–64), behandelt Justin in 1 Apol. 61–67 die christliche Ritualpraxis und den Ablauf des Gottesdienstes. Nach seiner Erläuterung der Taufe, die er mit einem Zitat aus Joh 3,3 als ein Bad zur Wiedergeburt und Erleuchtung beschreibt (1 Apol. 61), gibt Justin den Ablauf der an die Taufe anschließenden Eucharistiefeier wieder: Nach der Taufe versammeln sich alle zum Gebet und zum Friedenskuss,43 woraufhin dem Vorsteher Brot und ein Becher mit Wasser und Wein gereicht werden, über denen er den Dank spricht und die anschließend von den Diakonen unter allen verteilt werden (65; ähnlich in 1 Apol. 67, dort als Teil des christlichen Sonntagsgottesdienstes). Die Exklusivität der Eucharistiefeier, zu der nur Getaufte zugelassen sind, begründet Justin in 1 Apol. 66,1f. mit einer Beschreibung des Wesens der dargereichten Elemente Brot und Wein bzw. Trank. Er formuliert dabei einen Parallelismus, der Aspekte der Eucharistie zur heilsgeschichtlichen Inkarnation Jesu ins Verhältnis setzt: οὐ γὰρ ὡς κοινὸν ἄρτον οὐδὲ κοινὸν πόμα ταῦτα λαμβάνομεν, ἀλλʼ ὃν τρόπον διὰ λόγου θεοῦ σαρκοποιηθεὶς Ἰησοῦς Χριστὸς ὁ σωτὴρ ἡμῶν καὶ σάρκα καὶ αἷμα ὑπὲρ σωτηρίας ἡμῶν ἔσχεν οὕτως καὶ τὴν διʼ εὐχῆς λόγου τοῦ παρʼ αὐτοῦ εὐχαριστηθεῖσαν τροφὴν ἐξ ἧς αἷμα καὶ σάρκες κατὰ μεταβολὴν τρέφονται ἡμῶν ἐκείνου τοῦ σαρκοποιηθέντος Ἰησοῦ καὶ σάρκα καὶ αἷμα ἐδιδάχθημεν εἶναι. Denn nicht als gewöhnliches Brot und gewöhnlichen Trank nehmen wir diese zu uns. Sondern in der Weise wie durch Gottes Wort Jesus Christus Fleisch wurde, unser Erlöser, und Fleisch und Blut für unsere Rettung hatte, so wurden wir belehrt, dass auch die durch ein Wort des Gebets 44 von ihm mit Dank versehene Nahrung, aus der unser Blut und Fleisch gemäß einer Umwandlung genährt werden, jenes fleischgewordenen Jesus Fleisch und Blut sei.

Der parallele Aufbau zeigt bereits, dass Justin zweierlei Analogien einführt: Die eine Analogie besteht zwischen dem Wirken des Wortes bei der Fleischwerdung Jesu und dem Wirken des Gebetswortes bei der Eucharistie, die andere zwischen Jesu Christi Annahme von σάρξ und αἷμα bei der Fleischwerdung (σαρκοποιηθεὶς Ἰησοῦς Χριστὸς […] καὶ σάρκα καὶ αἷμα […] ἔσχεν) 43 Vgl.

Tertullian, Or. 18. Wendung διʼ εὐχῆς λόγου τοῦ παρʼ αὐτοῦ kann verschieden interpretiert werden: Wenn λόγος abhängig von εὐχή ist, wäre zu übersetzen mit „durch ein Gebet des Wortes“ (d. h. des Logos, Genitivus subjectivus) oder „durch Gebet eines Wortes“ (der Einsetzungsworte, die Christus sprach) bzw. „durch ein Gebet um das Wort“ (Logos, Genitivus objectivus). Wenn dagegen εὐχή abhängig von λόγος ist, müsste man wiedergeben mit „durch ein Wort des Gebets“ (d. h. durch ein Gebetswort, Genitivus explicativus). Vgl. dazu Perler, Logos und Eucharistie, 475. 44 Die

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und der Tatsache, dass nach christlicher Lehre die eucharistische Nahrung das Fleisch und Blut Jesu „ist“ (εὐχαριστηθεῖσαν τροφὴν […] ἐκείνου τοῦ σαρκοποιηθέντος Ἰησοῦ καὶ σάρκα καὶ αἷμα […] ἐδιδάχθημεν εἶναι). An der zweiten Analogie ist auffällig, dass von einer Wandlung der Mahlelemente in das Fleisch und Blut Jesu nicht die Rede ist und Justin auch nicht näher erläutert, wie Brot und Trank zu Fleisch und Blut Jesu werden.45 Othmar Perler nimmt zwar an, dass εὐχαριστέω hier bereits als ein Terminus technicus verwendet wird, der mit „Eucharistie werden“ zu übersetzen ist und nicht nur mit „unter Danksagung segnen“.46 Damit würde an dieser Stelle, in dem Teilsatz καὶ τὴν διʼ εὐχῆς λόγου τοῦ παρʼ αὐτοῦ εὐχαριστηθεῖσαν τρoφήν, von der „Eucharistiewerdung“ der Elemente Brot und Trank gesprochen und diese mit dem Wirken des Wortes in Verbindung gebracht. Dass εὐχαριστέω aber bereits hier diese Bedeutung besitzt, ist durch nichts nahegelegt. Für Justin ist lediglich entscheidend, dass es sich nicht um gewöhnliche (κοινός) Speise handelt und dass der gesamte Vorgang seine Entsprechung in der Fleischwerdung Jesu Christi zu unserem Heil hat. Von dieser Entsprechung her könnte man zwar ableiten, dass das Wirken des Wortes eine Rolle spielt, aber näher ausgeführt wird das nicht.47 Εὐχαριστηθεῖσα τροφή ist hier also zunächst einfach mit „Nahrung, über die eine Danksagung gesprochen wurde“48 zu übersetzen. Dennoch ist im Text von einer Umwandlung die Rede, und zwar mit dem Begriff μεταβολή in dem Relativsatz, der sich auf das Genährtwerden des Blutes und Fleisches der Menschen bezieht. Unter der Voraussetzung, dass es in der Satzkonstruktion vor allem um die Wandlung der Speise in Eucharistie geht und εὐχαριστέω mit „zur Eucharistie werden“ zu übersetzen ist, nahm Johannes Betz daher an, dass Justin für den Vorgang der Wandlung der Speise mit dem Relativsatz ἐξ ἧς αἷμα καὶ σάρκες κατὰ μεταβολὴν τρέφονται ἡμῶν ein gleichsam naturwissenschaftliches Argument der allgemeinen Nahrungsumwandlung und Assimilation der Nahrung in Körpersubstanz anführt, um die Wandlung der Eucharistiespeise zu erklären. „Aus der natürlichen Wandlungsfähigkeit der Speise, aus der im lebendigen Organismus Fleisch und Blut werden“, leite Justin die Eignung ab, „daß auch in der Eucharistie Nahrung zu Fleisch und Blut Jesu werden kann“.49 Betz übersetzt daher: „Nicht wie gewöhnliches Brot und gewöhnlichen Trank nehmen wir sie. Vielmehr: Auf die gleiche Weise, wie der durch den Logos Gottes fleischgewordene Jesus Christus, unser Erlöser, Fleisch und Blut hatte, ist nach unserer Lehre auch die Speise, die durch ein Gebet um den von ihm (Gott) stammenden Logos Eucharistie 45 Vgl.

auch Lindemann, Mahlfeier, 930. Perler, Logos und Eucharistie, 479. 47 Vgl. auch Schröter, Abendmahl, 83f.: „Wie in der Didache besteht also auch bei Justin ein enger Zusammenhang zwischen den Dankgebeten und der Besonderheit der Speise der Eucharistie.“ 48 So Markschies, Abendmahl, 16. 49 Betz, Aktualpräsenz, 272. 46 Vgl.

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geworden ist, eben jenes fleischgewordenen Jesus Fleisch und Blut, wie denn (auch sonst) bei uns Fleisch und Blut aus Speise gebildet werden auf Grund der Nahrungsumwandlung.“50 Betz hat meines Erachtens recht darin, dass im Hintergrund des Textes antike Vorstellungen von der Nahrungsumwandlung in Körpersubstanz stehen, wie sie beispielsweise auch in der zitierten Galen-Passage begegnen. Dafür spricht nicht zuletzt, dass Galen für diesen Prozess ebenfalls den Terminus με­ ταβολή verwendet. Aber soll die μεταβολή bei der Nahrungsaufnahme in dem Relativsatz in 1 Apol. 66,2 letztlich eine Wandlung der Eucharistieelemente begründen? Gegen die Übersetzung und Deutung durch Betz spricht der Anschluss von ἐξ ἧς an εὐχαριστηθεῖσαν τροφήν. Das Relativpronomen bezieht sich zweifellos auf die zuvor genannte eucharistische Nahrung, die (unser?) 51 Fleisch und Blut „gemäß einer / unserer Umwandlung“ nährt. Nur von dieser ist hier die Rede, nicht von sonstiger, gewöhnlicher Nahrung. Insofern ist die Übersetzung von Betz, die den Relativsatz als eine allgemeine Aussage über die physiologische Umwandlung von Nahrung in Fleisch und Blut versteht, nicht überzeugend. Wenn dieses Verständnis aber ausgeschlossen ist, warum spricht Justin dann überhaupt von den menschlichen αἷμα καὶ σάρκες an dieser Stelle? In 1 Apol. 66,2 werden ja Jesu σάρξ und αἷμα und unsere αἷμα καὶ σάρ­κες auffällig ins Verhältnis gesetzt (und um das Fleisch und Blut Jesu von dem der Menschen zu unterscheiden, ändert Justin, wenn er vom menschlichen Fleisch und Blut spricht, die Reihenfolge des Wortpaares und benutzt den Plural σάρκες). Eine Möglichkeit besteht darin, dass sich die „Verwandlung“ schlicht auf die Wandlung der Nahrung in Körpersubstanz bezieht, als Vorgang, bei dem wir eben genährt werden (vgl. Ps.-Hippokrates, De alimento und Galen, De na­ turalibus facultatibus). Justin könnte hier also einfach akzentuieren, dass auch die Eucharistie eine Nahrungsaufnahme darstellt, bei der das Fleisch aufgebaut wird. Dagegen lässt sich jedoch (neben der Tatsache, dass diese Information eigentlich überflüssig ist und für die besondere Bedeutung der Eucharistie, um die es Justin hier ja gerade geht, nichts austrägt) ins Feld führen, dass die gesamte Satzkonstruktion parallel aufgebaut ist, und dass es neben den zwei schon erwähnten Parallelen, dem Wortwirken und der heilsgeschichtlichen und eucharistischen „Inkarnation“, auch noch eine mögliche dritte Parallele gibt, die die Heilswirkung betrifft. Im ersten Teil formuliert Justin, dass die Fleischwerdung für unsere σωτηρία geschah. Ihre Entsprechung könnte diese Heilsaussage in der Bemerkung über die heilvolle Umwandlung unseres Fleisches und Blutes haben, die durch die eucharistische Nahrung bewirkt wird: ἐξ ἧς αἷμα καὶ σάρκες κατὰ μεταβολὴν τρέφονται ἡμῶν. 50 Betz,

Aktualpräsenz, 268. Bezug von ἡμῶν ist nicht eindeutig und wird unterschiedlich ausgelegt. Vgl. Per­ ler, Logos und Eucharistie, 482, der ἡμῶν zu μεταβολή rechnet, und anders Schröter, Abend­mahl, 84 Anm. 109, der ἡμῶν auf αἷμα καὶ σάρκες bezieht. 51 Der

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6. Irenäus

Wenn das richtig ist, bleibt Justin nicht dabei stehen, unser Genährtwerden durch die eucharistische Speise als gewöhnlichen Prozess der Umwandlung von Nahrung in Körpersubstanz zu beschreiben. Wie die Inkarnation im ersten Teil reichert er vielmehr auch die eucharistische Fleischwerdung mit einer soteriologischen Bedeutung an: Nicht nur die geschichtliche, sondern auch die eucharistische Fleischwerdung ist für unser Heil da, indem Jesu Fleisch und Blut durch eine Umwandlung unser Fleisch und Blut nähren und für die Auferstehung und ewige Herrlichkeitsexistenz präparieren.52 Blickt man aus der Perspektive der späteren Eucharistiedeutung bei Irenäus auf diese Stelle, kann das Ergebnis der μεταβολή nur die Befähigung des menschlichen Fleisches und Blutes zur Unvergänglichkeit sein. Die Bedeutung der Eucharistie als geistliche Nahrung und als Ritual, das das vollkommene Leben vermittelt, ist bereits in der Didache und den Ignatiusbriefen belegt, wäre also auch im Kontext der 1. Apologie nichts Ungewöhnliches. Allerdings wäre Justin der erste uns überlieferte Zeuge, der die Wirkung der Eucharistie spezifisch in der σάρξ und dem αἷμα der Glaubenden lokalisiert und diesen Effekt als einen physiologischen Vorgang beschreibt.53 Problematisch an einem solchen Verständnis der Stelle ist, dass Justin über den kurzen Relativsatz und das parallel konstruierte Satzgefüge hinaus inhaltlich keine weiteren Argumente anführt, die diese Deutung unterstützen würden. Allerdings geht es im Kontext auch um die Beschreibung und Verteidigung der gottesdienstlichen Versammlungen der Christen nach außen, nicht dagegen um den christlichen Glauben an die Auferstehung des Fleisches. Das ist dann bei Irenäus anders, der sich ausführlich und vor dem Hintergrund ganz anderer Frontstellungen mit der Rettung des Fleisches befasst und daher auch eingehend die eucharistische Wirkung auf das menschliche Fleisch behandelt. Justin dagegen bekennt sich an anderer Stelle zur Auferstehung des Fleisches, nämlich in Dial. 80,5 im Zusammenhang einer Auseinandersetzung mit verschiedenen Richtungen innerhalb des Christentums: Ἐγὼ δέ, καὶ εἴ τινές εἰσιν ὀρ­θογνώμονες κατὰ πάντα Χριστιανοί, καὶ σαρκὸς ἀνάστασιν γενήσεσθαι ἐπιστάμεθα […]. Er rechnet also durchaus mit der fleischlichen Auferstehung und verteidigt den Auferstehungsglauben hier gegen die von anderen Christen vertretene Ansicht, es gebe keine Auferstehung der Toten, sondern die Seelen würden beim Tod unmittelbar in den Himmel aufgenommen werden. Justin führt darüber hinaus auch weitere, konventionelle Argumente für die leibliche Auferstehung der Toten an, so in 1 Apol. 18f. die Allmacht Gottes und die bereits in der irdischen Entwicklung des Menschen vom Samen zum ausgewachsenen Mann erkennbar werdende Veränderungskraft in der Schöp52 Eine ähnliche Deutung der Stelle vertreten auch Perler, Logos und Eucharistie, 473, und Schröter, Abendmahl, 84. 53 Vgl. auch Markschies, Abendmahl, 16: „Durch die Umwandlung dieser Nahrung im Körper bei der Verdauung […] wird der Mensch körperlich wie geistlich genährt.“

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fung.54 Nach 1 Apol. 19 zeigt sich nämlich die Allmacht des Schöpfergottes in der Tatsache, dass er Menschen mit allen verschiedenen körperlichen Bestandteilen (Knochen, Sehnen, Fleisch) aus dem kleinen Samen schaffen kann. Ebenso kann Gott am Ende der Zeit „die aufgelösten und nach Art der Samen in die Erde hineingelegten menschlichen Leiber auferstehen“ und Unverweslichkeit anziehen lassen. In 1 Apol. 18 will Justin mit der Ansicht der Christen, dass nicht nur die Seele nach dem Tod weiterleben, sondern Gott sogar die toten und in die Erde gelegten Leiber wieder auferwecken kann, zeigen, dass die Christen nicht nur in der Tradition der Philosophen stehen (Empedokles und Pythagoras, Platon und Sokrates), sondern sich darüber hinaus besonders 54 Vgl. 1 Apol. 18f.: „Schaut nur hin auf das Ende eines jeden der früheren Herrscher, sie starben den allen gemeinsamen Tod. Führte nun dieser zu einem Zustande der Bewußtlosigkeit, so wäre er für alle Ungerechten ein Glück; da aber allen, die einmal gelebt haben, Empfindung verbleibt und ewige Strafe ihnen bevorsteht, so versäumt es nicht, euch überzeugen zu lassen und zu glauben, daß diese Dinge wahr sind. Denn Totenbefragungen und die Beschauung der Eingeweide unschuldiger Kinder, die Heraufbeschwörung menschlicher Geister, was die Zauberer Traumsender und Beistände nennen, und alles, was von denen, die sich darauf verstehen, vollführt wird, soll euch überzeugen, daß die Seelen auch nach dem Tode bei Bewußtsein sind, desgleichen auch […] die Aussprüche der Schriftsteller […] und solcher, die dasselbe wie sie behaupten. Soviel wie diese könnt ihr auch uns gelten lassen, die wir nicht weniger als sie an Gott glauben, sondern mehr, die wir sogar hoffen, daß wir unsere toten und in die Erde gelegten Leiber wiedererlangen werden, indem wir behaupten, daß bei Gott nichts unmöglich ist. Und gesetzt, wir lebten nicht im Leibe, was könnte da bei genauer Betrachtung wohl unglaublicher erscheinen, als wenn man uns sagte, aus einem kleinen Tropfen menschlichen Samens könnten Knochen, Sehnen und Fleisch entstehen, so ausgebildet, wie wir sie wirklich sehen? Nehmen wir für jetzt einmal den Fall an, ihr wäret von anderer Bildung und von anderer Herkunft und es würde euch jemand, indem er euch menschlichen Samen und das gemalte Bild eines Menschen zeigt, sagen und versichern, aus jenem könne dieses entstehen, würdet ihr es wohl glauben, ehe ihr es vor euren Augen entstehen sähet? Niemand wird mir darin wohl zu widersprechen wagen. Ganz auf dieselbe Weise glaubt ihr nicht, weil ihr noch niemals einen Toten habt auferstehen sehen. Aber gerade wie ihr von vornherein nicht geglaubt hättet, daß aus einem kleinen Tropfen solche hätten entstehen können, und wie ihr seht, daß sie doch geworden sind, so haltet es auch nicht für unmöglich, daß die aufgelösten und nach Art der Samen in die Erde hineingelegten menschlichen Leiber zu ihrer Zeit auf Gottes Geheiß auferstehen und Unverweslichkeit anziehen (vgl. 1 Kor 15,53) werden. Denn wie von einer Gottes würdigen Macht jene reden können, die sagen, alles kehre dahin zurück, woher es gekommen ist, und darüber hinaus vermöge nicht einmal die Gottheit etwas weiteres, wüßten wir nicht zu sagen. Aber das wissen wir, daß sie es nie für möglich gehalten hätten, daß einmal solche Wesen und auf solche Weise entstehen, wie und woraus sie selbst und die ganze Welt entstanden sind. Es ist aber, wie wir gelernt haben, besser, auch an das zu glauben, was unserer eignen Natur und überhaupt Menschen unmöglich ist, als wie die anderen ungläubig zu sein, zumal wir auch wissen, daß unser Lehrer Jesus Christus gesagt hat: „Was bei den Menschen unmöglich ist, das ist möglich bei Gott“ und: „Fürchtet nicht die, die euch töten und euch darnach nichts tun können, fürchtet vielmehr den, der nach dem Tode Leib und Seele in die Hölle stürzen kann“. Die Hölle aber ist ein Ort, wo diejenigen gezüchtigt werden sollen, die unrecht gelebt haben und nicht an die Erfüllung dessen glauben, was Gott durch Christus gelehrt hat“ (Übers. Rauschen).

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6. Irenäus

durch ihre Frömmigkeit auszeichnen. Er kritisiert dabei die Vorstellung, dass Gott zur Auferweckung der Toten nicht in der Lage ist und vielmehr alles dahin zurückkehrt, woher es stammt. Zu diesem mittelplatonischen Gedankengut gehört auch die Vorstellung der Unsterblichkeit der Seele, mit der sich Justin vor allem in Dial. 4–6 auseinandersetzt. Es zeigt sich also, dass Justin an anderen Stellen seiner Werke sowohl gegen die Auffassung argumentieren muss, die Seele sei unsterblich, als auch gegen die Auffassung von der Machtlosigkeit Gottes angesichts der grundsätzlichen Vergänglichkeit des menschlichen Körpers. Denn nach mittelplatonischer Vorstellung, von der auch Justin selbst in seiner vorchristlichen Zeit wesentlich geprägt worden war, ist zwar die Materie ewig, aber nicht der menschliche Leib. Das argumentative Ziel des stadtrömischen Apologeten besteht in beiden Zusammenhängen darin, die Macht des Schöpfergottes über die geschöpflichen Bedingungen des Menschen zu stellen. Man kann die Eucharistiedeutung, die 1 Apol. 66,2 zu erkennen gibt, in diesen größeren Zusammenhang einbetten und im Kontext aller erhaltenen Schriften Justins verstehen. Justin war daran gelegen, an der leiblichen, ja fleischlichen Auferstehung der Toten aus Gründen des christlichen Gottesbildes festzuhalten. Die Eucharistieinterpretation in 1 Apol. 66,2 könnte bereits den Versuch zeigen, die Verwandlung der Körpersubstanz bei der Auferstehung gleichsam wissenschaftlich zu erklären. Sie könnte die Vorstellung implizieren, dass Brot und Wein als Fleisch und Blut Jesu Christi in besonderer Weise, zugleich aber analog zu gewöhnlicher Nahrung, auf Fleisch und Blut der Menschen wirken und diese zur unvergänglichen Herrlichkeitsexistenz befähigen. Voll ausgebildet ist dieser Argumentationstypus im 4. Jahrhundert bei Gregor von Nyssa in dessen Oratio catechetica magna, in der die Eucharistie als ein Vorgang beschrieben wird, bei dem der Mensch den unsterblichen Leib Christi aufnimmt und dessen gesamte Natur in seine eigene Natur verwandelt.55 Das Grundmuster dieser Eucharistiekonzeption lautet: Vereinigung mit dem Leben bewirkt auch Teilnahme am Leben. Aus der Doppelnatur des Menschen, der aus Leib und Seele besteht, folgt nach Gregor auch, dass sich beide Bestandteile mit dem „Urheber des Lebens“ je eigens verbinden müssen.56 Interessanterweise ordnet er der Seele und dem Leib je verschiedene Wege zu, sich mit Christus als dem Lebensträger zu verbinden. Denn der Leib kann sich nicht wie die Seele durch Glauben mit dem Leben vereinigen. Die Verbindung des Leibes mit dem Leben muss über ein stoffliches Medium erfolgen, das in die Eingeweide vordringt. Wie Ignatius (IgnEph 20,2) denkt Gregor dabei an 55 Vgl. Markschies, Abendmahl, 18: „Gregor bietet den wohl ausführlichsten antiken Versuch, den Modus dieser Verwandlung zu begreifen […].“ 56 Vgl. Gregor von Nyssa, Oratio catechetica magna 37,1: „Allein da der Mensch ein Doppelwesen ist, indem er aus Leib und Seele besteht, so müssen alle, welche gerettet werden wollen, den beiden Bestandteilen nach mit dem Urheber des Lebens verbunden werden“ (Übers. Weiß).

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ein Gegengift, das nach typologischem Muster das von Adam aufgenommene, todbringende Gift aufhebt. Nicht die Gebotsübertretung durch Adam brachte demnach den Tod, sondern die schlechte paradiesische Nahrung. Dieser steht eine neue Nahrung gegenüber, der unvergängliche Leib Christi, der, wenn er in der Eucharistie aufgenommen wird, die Leiber der Glaubenden zu sich selbst hin umwandelt. Die dazu notwendige belebende Dynamis, die aus der Nahrung Körpersubstanz macht, wird durch die Nahrung mit aufgenommen. Ganz explizit wendet sich Gregor, um seinen Adressaten den ihm vorschwebenden Ablauf in der Eucharistiewirkung wirklich deutlich zu machen, den physiologischen Prozessen bei der Nahrungsaufnahme zu: „Damit unser Glaube, der auf die Forderungen der Vernunft achtet, auch hinsichtlich der vorliegenden Frage keinen Zweifel aufkommen lasse, müssen wir einen kurzen Seitenblick auf die Physiologie des Leibes werfen. Wer weiß nämlich nicht, daß unser Leib seiner ganzen Natur nach nicht durch und aus sich selbst zu leben vermag, sondern durch eine Kraft, die ihm von außen zufließt und die ihn sowohl in seiner Existenz wie in seinem Bestand dadurch erhält, daß in ununterbrochener Tätigkeit, was mangelt, aufgenommen, und, was überflüssig ist, ausgeschieden wird?“57 Die Nahrung ist diejenige Kraft, die den Körper überhaupt lebendig hält. Sie enthält der Potenz nach bereits den vollständigen Körper, den sie aufbauen wird: „Wer demnach diese Dinge [sc. Brot und Trank als gewöhnliche Nahrung des Menschen] sieht, sieht unseren ganzen Körper, weil derselbe in ihnen der Potenz (Möglichkeit) nach enthalten ist; denn wenn ich dieselbe in mich aufgenommen habe, so wird daraus Blut und Leib, indem der Körper durch eine verändernde (assimilierende) Kraft sie entsprechend in seine Wesenheit (Sub­ stanz) überführt.“58 Auch der Leib Jesu, in dem zugleich Gottes Wort wohnte, ernährte sich von Brot und baute daraus seinen Körper auf. Dieser Vorgang wiederholt sich nun gewissermaßen in der Eucharistie, wenn auch da das Brot gereicht wird, das die Leiber der Glaubenden nährt und sie, weil es durch Segnung in den Leib Christi umgewandelt ist, der Unsterblichkeit teilhaft werden lässt (vgl. Oratio catechetica magna 37,4).59 Auf dem Weg zu einer ausführlich mit zeitgenössischen Ernährungstheorien operierenden Eucharistiedeutung, wie sie dann bei Gregor von Nyssa vorliegt, ist Irenäus’ Schrift Adversus haereses ein wichtiger Meilenstein. Die entsprechenden medizinischen Erkenntnisse seiner Zeit stehen für den Bischof natürlich nicht außerhalb seines christlichen Wirklichkeitsverständnisses, sondern werden von ihm dadurch plausibel gemacht, dass sie in eine größere Konzeption von der Belebung und dem Erhalt der Materie durch die Weisheit des Schöpfergottes integriert werden. 57 Gregor

von Nyssa, Oratio catechetica magna 37,2 (Übers. Weiß). von Nyssa, Oratio catechetica magna 37,2 (Übers. Weiß). 59 Vgl. Markschies, Abendmahl, 18. 58 Gregor

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6. Irenäus

Auf dieser Grundlage gelangt Irenäus zu dem entscheidenden Punkt seiner Argumentation: Da ja die von der Erde stammenden Elemente Wein und Brot in der Eucharistie das Wort Gottes (verbum Dei) in sich aufnehmen und also – so führt er in Haer. 4,18,5 aus – ein himmlisches Element (res caelestis) annehmen können, realisiere sich die angestrebte Einheit von Materie und Geist bereits in den eucharistischen Gaben: Wir bringen ihm, was ihm gehört, wobei wir übereinstimmend die Gemeinschaft und Einheit von Fleisch und Geist predigen.60

Ebenso wie diese Gaben folglich geistliche Qualität annehmen können, so kann auch das menschliche Fleisch, das ebenfalls von der Erde stammt, bei der Nahrungsaufnahme diese Eigenschaft übernehmen. Die besondere Qualität der Unvergänglichkeit ist nach Irenäus im eucharistischen Brot und Wein in derselben Weise anwesend, wie die stärkenden, fleischaufbauenden Kräfte in gewöhnlicher Nahrung. Von dort überträgt sie sich auf das Fleisch des Empfängers, welches sich dieser Eigenschaft anpasst. Wie kann dann jemand behaupten, wir könnten nicht die Gaben Gottes aufnehmen (vgl. Haer. 5,2,3)? Ihre Wirkung steht insgesamt im heilsgeschichtlichen und schöpfungstheologischen Rahmen, insofern Gott den Menschen innerhalb der zeitlichen, vergänglichen Welt auf die Unvergänglichkeit als Ziel seiner Erschaffung vorbereitet und dazu auch die Materie und das aus Erde Entstandene zu Hilfe nimmt. Irenäus geht es also um den Zusammenhang des Handelns Gottes in der Schöpfung und der endzeitlichen Vervollkommnung, um die Einheit von Schöpfergott und Vater Jesu Christi und um die Rettung des Geschaffenen.61 Das zeigt sich auch in der Behandlung der Jesusüberlieferung bei Irenäus. Diese weist ebenfalls einen schöpfungstheologischen Schwerpunkt auf: In Haer. 3,11,5 deutet Irenäus die Verwandlung von Wasser zu Wein bei der Hochzeit in Kana (Joh 2,1–11) und die Segnung des Brotes bei der Speisung der Fünftausend (Joh 6,1–15) als Hinweise darauf, dass derselbe Gott, der in Jesus wirkt, auch Schöpfer der Erde ist, da Christus, das Wort Gottes, nicht etwas aus dem Nichts schafft, sondern an der vorhandenen, geschaffenen natürlichen Materie handelt.62 Zugleich klingt auch hier das Abendmahl an, da 60 Übers. Brox. Vgl. zu den verschiedenen Kontexten der Stellen in Haer. 4,18,5 und 5,2,3 de Andia, Homo vivens, 238: „Mais le contexte est différent au livre IV et au livre V: dans le premier texte, Irénée insiste sur l’identité du Dieu Créateur et Sauveur pour montrer que l’eucharistie ne peut être l’oblation des prémices de la création que si c’est le même Verbe de Dieu qui a créé le pain et le vin ‚coupe de la création‘, et les a offerts en s’offrant lui-même au Père. Dans le second texte, il souligne l’identité de la chair du Christ et de notre ,substance‘ charnelle […], la réalité de l’incarnation du Verbe fait chair prouvant la réalité de notre espérance de la résurrection de la chair.“ 61 Vgl. Mutschler, Irenäus als johanneischer Theologe, 221f.: „Dabei sieht Irenäus mit Johannes im sicht- und fassbaren Sohn den unfassbaren, unsichtbaren Vater am Werk.“ 62 Vgl. auch Mutschler, Irenäus als johanneischer Theologe, 221: „Dem Weinwunder stellt Irenäus die johanneische Speisung der Fünftausend an die Seite. Bei beiden habe Chris-

6.5 Die Auferstehung als Prozess

227

Irenäus mit der Verbindung von Wein- und Speisungserzählung auf die Gabe von Speise und Trank durch Christus zu sprechen kommt (vgl. das Begriffspaar in Joh 6,55).

6.5 Die Auferstehung als Prozess Wie wirkt sich dies nun auf die Vorstellung der Auferstehung der Menschen bei Irenäus aus? Auffällig ist hier zunächst, dass Irenäus zwar (entsprechend seinem gesamtbiblisch orientierten Denken) nicht mit einer präsentischen Auferstehung rechnet. Der in der Eucharistie empfangene Geist ist zunächst einmal ein Pfand der künftigen Auferstehung zur Unvergänglichkeit.63 Dennoch wird die Auferstehung – als von Gott kommende, der Schöpfung zugedachte Lebensgabe – als Endpunkt eines umfassenderen Prozesses verstanden, der von der Erschaffung des Menschen bis zur Vollendung der Heilsgeschichte reicht. Auferstehung als Höhepunkt des sich entfaltenden, vollkommenen Lebens im Menschen ist also bei Irenäus eingebettet in eine ganze Abfolge ähnlicher lebensgebender Handlungen des Schöpfergottes, die folgendermaßen zusammengefasst werden können: (1) Schon bei der ersten Schöpfung hat Gott die Erde bzw. den Lehm geformt und belebt durch seinen Geist. (2) In der die Schöpfung fortan in Gang haltenden Ordnung wird sodann sein Geist wirksam, wenn die in der Erde liegenden Wurzeln des Weinstocks Frucht bringen und aus dem Korn der Weizen wächst. Die Sprache, die Irenäus für diese Vorgänge in Haer. 5,2,3 benutzt, besitzt entsprechende eschatologische Obertöne (vgl. die Wendungen depositum in terram, in terram et dissolutum, sur­git per Spiritum Dei), die natürlich bereits mit Blick auf die Auferstehung der Menschen gesetzt sind, von der anschließend die Rede ist. Als Beispiele aus der Natur sollen Weinstock und Weizen die Auferstehung ganz auf der Linie apologetischer Argumentationen plausibel machen. Dennoch geht Irenäus hier über die bloße Formulierung einer Analogie hinaus und deutet bereits das natürliche Wachstum der Pflanzen selbst als ein Wirken des Geistes und ein Belebtwerden durch Gott. Das „vielfältige Auferstehen“ (multiplex surgit) wiederum schlägt den Bogen zurück an den Anfang der Schöpfung und zum Auftrag Gottes an seine Schöpfung, fruchtbar zu sein und sich zu vermehren.64 (3) In gewisser, indirekter Weise wirkt sich der lebensgebende Geist auch in der Ernährung des Menschen durch die Schöpfungsgaben aus und in der Weisheit des Menschen, die Schöpfungsgaben zu Brot (und Wein) zuzubereiten – das alles ist von der Kunst und der Weisheit Gottes so in Gang gesetzt. tus mit Brot bzw. Wasser einen Ausgangsstoff aus der Schöpfung in den Dienst genommen, obwohl er das nicht nötig gehabt hätte.“ 63 Vgl. Behr, Asceticism and Anthropology, 74. 64 Vgl. Gen 1,22.28; vgl. de Andia, Homo vivens, 245.

228

6. Irenäus

(4) Ein weiteres Mal wird der Geist wirksam in der Eucharistie, wenn aus dem von der Erde stammenden (Haer. 4,18,5), zubereiteten Brot und dem Kelch Leib und Blut des Herrn werden.65 (5) Diese Eigenschaften übertragen sich auf den Empfänger der Gaben beim Essen und Trinken. In derselben Weise, wie bei gewöhnlicher Nahrungsaufnahme durch die Assimilationskräfte der Organe das Fleisch des Menschen anwächst, wirkt auch in der Eucharistie die Besonderheit der Nahrung, das in ihnen produktive himmlische Element, das Wort Gottes, auf das Fleisch des Menschen. Das Fleisch wird so auf die Unvergänglichkeit vorbereitet. Dabei ändert sich nicht seine Substanz. Diese bleibt auch beim „pneumatischen“, also geistbegabten und ethisch handelnden Menschen unverändert. Gleichwohl kann das Fleisch die Eigenschaften des Geistes annehmen und mit dem Wort Gottes gleichförmig werden. Das drückt Irenäus in Haer. 5,9,3 folgendermaßen aus: ibi […] caro a spiritu possessa, oblita quidem sui, qualitatem autem Spi­ritus assumens, conforma facta Verbo Dei.66 (6) Schließlich wirkt das Wort Gottes bzw. der Geist in der endzeitlichen Auf­erstehung.67 Diese letzte, endzeitliche Auferstehung steht somit nicht für sich, als singuläres Ereignis, sondern ist der Endpunkt in einer Folge von verschiedenen lebensgebenden Wirkungen des Geistes und eines Prozesses, der auf die endzeitliche Auferstehung zustrebt. Irenäus versteht die endzeitliche Auferstehung des Fleisches als Teil des gesamten Schöpfungshandelns Gottes, das bereits unter zeitlichen, irdischen Bedingungen wirksam ist. Durchgehender Akteur dieser Geschehnisse ist Gott, während die Materie, die Erde, aus der der menschliche Leib, das, was ihn ernährt, und die eucharistischen Elemente stammen, das Objekt seines Wirkens bilden. Zwar lässt Irenäus Anklänge an die schöpfungstheologische Begründung der Auferstehung bei den Apologeten Theophilus von Antiochien,68 Athenagoras und Justin69 erkennen, geht aber zugleich einen Schritt über sie hinaus. 65 Im Kontext dieser Stelle führt Irenäus aus, dass die „Häretiker“ dem nicht zustimmen können, wenn sie Christus nicht für den Sohn des Schöpfers halten; sie werten die Schöpfung ab, indem sie einem anderen als dem Schöpfer opfern oder behaupten, die Schöpfung sei als Fehltritt oder aus Unwissenheit entstanden. Da aber die eucharistischen Gaben aus der Schöpfung stammen, zeige ihre Identifikation mit Leib und Blut Christi auch Christi Nähe zur Schöpfung. 66 Haer. 5,9,3: „da ist […] das Fleisch vom Geist zum Erbe genommen, so daß es seiner selbst vergißt; es nimmt die Beschaffenheit des Geistes an und ist dem Wort Gottes gleichförmig geworden“ (Übers. Brox). 67 Vgl. auch die vier Transformationen, die de Andia, Homo vivens, 245–247, in Haer. 5,2,3 identifiziert: eine natürliche (in der Schöpfung stattfindende) und eine eucharistische Transformation, die Verwandlung der sterblichen Körper in unsterbliche Körper und die Verwandlung von Wasser zu Wein beim Kana-Wunder. 68 Vgl. Theophilus, Autol. 1,13. 69 Vgl. Justin, 1 Apol. 19.

6.6 Der erzieherische Ansatz und die Mitwirkung des Menschen

229

Die endzeitliche Auferstehung des Fleisches ist nicht nur in den Vorgängen der Natur vorgebildet, sondern setzt sie unmittelbar voraus: Nach Haer. 4,18,5 empfangen nämlich die Naturgaben nach Anrufung Gottes ein himmlisches Element (ex duabus rebus constans, terrena et caelesti), dessen Eigenschaft sich sodann auf die Leiber derer (corpora nostra) überträgt, die die Eucharistie empfangen. Dieses Geistwirken beginnt bereits jetzt, den Menschen umzuwandeln und auf die eschatologische Auferstehung und Unvergänglichkeit vorzubereiten. Die Eucharistie ist nach Irenäus die Brücke, die das Schöpfungshandeln Gottes mit der finalen Auferstehung verbindet.

6.6 Der erzieherische Ansatz und die Mitwirkung des Menschen an seinem Wachstum zur Unvergänglichkeit (Haer. 4,38,1–3) In einem anderen Paradigma, nämlich im Zusammenhang der Erkenntnisfähigkeit des Menschen und dessen Entwicklung bis hin zu vollkommener Erkenntnis, kann Irenäus auch in metaphorischer Form vom „Brot“, „Fleisch“ bzw. von der „Milch“ für das Wirken des Geistes und für Lehre, Person und Heilswerk Jesu sprechen, die von den Menschen im Glauben angenommen und verinnerlicht werden und durch die sie in ihrer Vollkommenheit wachsen. Er knüpft damit an frühchristliche Tradition an. In israelitisch-jüdischer Tradition ist die Rede vom Gotteswort als „Nahrung“ bekannt,70 so kann zum Beispiel das Manna in Dtn 8,3 entsprechend gedeutet werden: „Er machte dich demütig und liess dich hungern und speiste dich dann mit Manna, das du und deine Vorfahren nicht gekannt hatten, um dir zu zeigen, dass der Mensch nicht allein vom Brot lebt. Sondern von allem, was auf Befehl des HERRN entstanden ist, lebt der Mensch.“71 Zum Wort Gottes als „Speise“ kann auch Jer 15,16 verglichen werden: „Empfing ich deine Worte, so habe ich sie verschlungen, und deine Worte wurden meine Wonne, die Freude meines Herzens, denn dein Name ist ausgerufen über mir, HERR, Gott der Heerscharen.“72 In 1 Kor 3,2 und 1 Petr 2,2 wird der Gedanke einer fortschreitenden Entwicklung und des Wachsens in der Erkenntnis mit der Speisemetaphorik verbunden.73 In Hebr 5,12–14 werden mit „Milch“ die στοχεῖα τῆς ἀρχῆς τῶν λογίων τοῦ θεοῦ bezeichnet, die Anfangsgründe der Reden Gottes. Auch die johanneische Brotrede und insbesondere Joh 6,35 knüpfen an die Rolle der Weisheit als Nahrung oder Nahrungsgeberin an (vgl. Sir 24,21 und Spr 9,1–6). Der johanneische Jesus identifiziert sich selbst mit dem vom Himmel stammenden Brot. Den Prätext der Brotrede bildet das Mannawunder, aufgerufen durch das Zitat aus Ps 78,24: „Brot vom Himmel gab er ihnen zu essen“. Die Brotrede in Joh 6 zitiert daraus und entwickelt sich in Form einer 70 Vgl.

Sandelin, Wisdom as Nourisher. Zürcher Bibel. 72 Übers. Zürcher Bibel. 73 Zur Rezeption von 1 Kor 3,2f. bei Irenäus vgl. Noormann, Irenäus als Paulusinterpret, 470. Zur Soteriologie des Irenäus und seiner Rezeption paulinischer Theologie vgl. auch Blackwell, Christosis, bes. 69f. 71 Übers.

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6. Irenäus

Auslegung dieses Zitats (in Joh 6,45 wird auch noch Jes 54,13 zitiert), bei der homilieartig Worte aus dem Zitat paraphrasiert werden.

Bei Irenäus begegnet der Begriff „Brot“ metaphorisch für die „nährende“ Funktion des Geistes, die dessen wachstumsfördernde, erzieherische und zur Vollkommenheit des Menschen beitragende Wirkung illustriert.74 Der Wachstumsprozess des Menschen und die Rolle des Geistes als „Nahrung“ für den Menschen werden in Haer. 4,38,3 zusammengefasst.75 Hier kommt der erzieherische Ansatz in der οἰκονομία des Irenäus zum Ausdruck: Die Menschen können den Logos zunächst noch nicht so erfassen, wie er in seiner wirklichen Herrlichkeit ist, sondern nur in abgeschwächter Form. Im Anschluss an Johannes entwickelt Irenäus daraus eine Deutung der Inkarnation. Die Fleischwerdung des himmlischen, vollkommenen „Brotes“76 ist eine Form der Zuwendung zu den Menschen, die ihnen entspricht und ihrem Erkenntnisvermögen entgegenkommt. Mit ihr setzt zugleich ein Erkenntnisund Erziehungsprozess des Menschen ein. Diese zwei Seiten der Inkarnation, einerseits die den Menschen angepasste Erscheinung des Logos, andererseits aber auch die einsetzende stärkende und wachstumsfördernde, pädagogische Wirkung dieser Erscheinung auf die Menschen, führt Irenäus zum Bild von der Gabe von „Milch für Kleinkinder“.77 Im Bild gesprochen, bereitet die Milch74 Nach de Andia, Homo vivens, 214, wird der Geist in seiner ernährenden, lebensspendenden Funktion bei Irenäus als „Brot“ bezeichnet: „Cependant, que l’Esprit soit nommé ‚eau‘ ou ‚pain‘, ce qui est désigné à chaque fois c’est cette fonction nutritive ou fécondante de l’‚Esprit de vie‘ qui ‚nourrit et accroît‘, tout en unifiant ce qu’il multiplie.“ 75 Haer. 4,38,3: „Durch diese Ordnung, derartige Harmonie und solche Leitung wird der geschaffene und geformte Mensch Bild und Gleichnis des ungeschaffenen Gottes, wobei der Vater gutheißt und befiehlt (vgl. Gen 1,26), der Sohn aber wirkt und gestaltet (vgl. Gen 2,7), der Geist ernährt und vermehrt (vgl. Gen 1,28), der Mensch allmählich vorankommt und zur Vollkommenheit aufsteigt, das heißt in die Nähe des Unerschaffenen gelangt. Vollkommen ist nämlich nur ein Unerschaffener, das aber ist Gott. Der Mensch mußte zuerst einmal entstehen, dann wachsen (vgl. Gen 1,28), dann kräftig werden, dann sich vermehren (vgl. Gen 1,28), dann stark werden, dann verherrlicht werden und dann seinen Gott schauen“ (Übers. Brox). 76 Vgl. Joh 6,51. Diese Deutung der Inkarnation liegt auch der Brotrede in Joh 6 zugrunde, wo das vom Himmel stammende Brot in Joh 6,51 schließlich mit dem Fleisch Jesu identifiziert wird und so dem johanneischen Motiv der κατάβασις entsprochen wird. 77 Vgl. Haer. 4,38,1: „Wenn an dieser Stelle einer fragen sollte: Wie ist das nun? Konnte Gott den Menschen denn nicht von vornherein vollkommen machen?, so muss er wissen, daß für Gott, der unveränderlich ist und kein Geschöpf, an sich alles möglich ist; insofern aber alles, was er erschaffen hat, erst später zu sein begonnen hat, war es seinem Schöpfer notwendigerweise unterlegen. Denn was kürzlich erst entstanden ist, kann nicht ungeschaffen sein. Und weil es nicht ungeschaffen ist, darum fehlt ihm die Vollkommenheit. Weil es erst so spät entstanden ist, deshalb ist es auch wie ein kleines Kind, und weil es wie ein kleines Kind ist, darum ist es auch ohne Gewöhnung und Übung für den Weg zur Vollkommenheit. Denn wie eine Mutter ihrem Kind Nahrung für Erwachsene anbieten kann, das Kind die kräftige Nahrung aber noch nicht verträgt, so hätte auch Gott dem Menschen von Anfang an Vollkommenheit anbieten können, der Mensch hätte sie aber noch nicht vertragen […].

6.7 Zusammenfassung

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nahrung darauf vor, das Wort Gottes „zu essen und zu trinken“. Das „Essen des Wortes Gottes“ kann eine Metapher für das Studieren der Schrift, das Hören auf Gott und den Heilsempfang sein, wie auch Haer. 5,20,2 erkennen lässt: Zur Kirche muß man aber seine Zuflucht nehmen und in ihrem Schoß sich erziehen lassen sowie von den Schriften des Herrn sich ernähren […]. „Von jedem Baum im Paradies dürft ihr essen“ (Gen 2,16), spricht der Geist Gottes, das heißt: Eßt von jeder Schrift des Herrn, doch von stolzer Gesinnung sollt ihr nicht essen, noch sollt ihr an die ganze häretische Widersprüchlichkeit rühren.78

In der Verbindung mit „Essen und Trinken“, die die Metaphorik in Haer. 4,38,1 herstellt, kann dann aber auch die Eucharistiepraxis anklingen. Das „Brot der Unsterblichkeit“ kann sich demnach auf das Wort bzw. die Rede Gottes beziehen (es wird ja auch mit dem Geist identifiziert, vgl. auch Haer. 4,38,2), es kann jedoch ebenso das eucharistische Brot bezeichnen. Beides hat nach Irenäus dieselbe Wirkung: Der Mensch nimmt den Geist in sich auf und bewahrt ihn, so dass er selbst mitwirkt an seiner Erziehung und fortgesetzten Erschaffung bis hin zu seiner vollkommenen Ebenbildlichkeit und Unsterblichkeit.79 In Haer. 4,38,1–3 sind wie in Joh 6,51–58 die Anklänge an die Eucharistie nur angedeutet und nicht vollständig entfaltet. „Leib und Blut Jesu“ werden nicht erwähnt, das „Fleisch“ steht auch nicht in Zusammenhang mit der Eucharistie, sondern mit der Inkarnation, und es ist nirgends von einer Mahlhandlung die Rede. Es steht hier nicht das Ritual im Vordergrund, sondern die Wirkung der Eucharistie, die mit dem Wachsen im Glauben an Jesus vergleichbar ist.

6.7 Zusammenfassung: Die Rezeptionen von Joh 6,51–58 und 1 Kor 15,35–54 bei Irenäus und im Diskurskontext Es zeigte sich bei der Untersuchung der Eucharistiedeutung in Haer. 5,2,3, dass Irenäus seine Konzeption der Erlösungsfähigkeit des Fleisches in der Nähe zu prinzipientheoretischem Denken der Popularphilosophie seiner Zeit und zu den von ihm bekämpften gnostischen Lehren entwickelt, obwohl er Und darum bot er, der das vollkommene Brot des Vaters war, sich uns selbst als Milch dar wie Kindern, was seine Ankunft als Mensch bedeutet, damit wir, wie von der Brust seines Fleisches ernährt und durch solche Milchspeise daran gewöhnt, das Wort Gottes zu essen und zu trinken, das Brot der Unsterblichkeit in uns zu haben vermögen, das der Geist des Vaters ist“ (Übers. Brox). 78 Übers. Brox. 79 Die Substanz des geistbegabten Menschen ändert sich nicht, sondern bleibt dieselbe. Anhand einer Auslegung des paulinischen Ölbaumgleichnisses demonstriert Irenäus in Haer. 5,10,2 jedoch, dass sich die Geistbegabung an den Werken des Menschen zeigt: Er bringt eine andere Frucht.

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6. Irenäus

weder als spekulativer Denker gelten kann noch sich intensiver mit zeitgenössischer Philosophie auseinandersetzt. Die Eigenart, in der er seine Auferstehungsvorstellungen entfaltet, ist auch im fünften Buch von Adversus haereses geprägt von seiner Auseinandersetzung mit gnostischem Denken. In der Forschung wurden schon mehrfach die thematischen Gemeinsamkeiten zwischen der Spruchgruppe über Auferstehung und Fleisch Jesu in EvPhil 23b (NHC II,3 p. 56,32–57,8) und dem eucharistischen Abschnitt in Haer. 5,2,3 beobachtet.80 Das Philippusevangelium stimmt mit den Ausführungen des Irenäus in Haer. 5,2,3 darin überein, dass es im Eucharistiegeschehen eine Verwandlung des Menschen vollzogen sieht, die unter Aufnahme von Joh 6,53f. mit dem Fleisch Jesu in Verbindung gebracht wird und für die fleischliche Auferstehung der Menschen unverzichtbar ist. Das antihäretische Werk des Irenäus und das Philippusevangelium zeugen davon, dass das neue Problembewusstsein für die Erlösungsfähigkeit des Fleisches ein neues Eucharistieverständnis hervorbrachte, das unabhängig von einer proto-orthodoxen bzw. „gnostischen“ Grundtendenz der jeweiligen Schrift die in der Eucharistie zu empfangende Lebensgabe und ihre Wirksamkeit für die fleischliche Auferstehung betonte. Auch hinsichtlich der Rezeption von Schriften, die später zum Neuen Testament gehören, ist ein Vergleich beider Texte interessant. Mit Joh 6,51–58 und Eph 5,30 bzw. 1 Kor 15,35–54 beziehen sich beide hier besprochenen Texte auf zwei Zeugen der normativen Ursprungszeit, Johannes und Paulus. Sie greifen auf die Texte bereits vor dem Hintergrund einer laufenden Diskussion zurück und kennen demnach weitere Deutungen.81 Während EvPhil 23b erkennbar eine Paraphrase von Joh 6,53f. als Wort Jesu wiedergibt und mit 1 Kor 15,50 zusammenstellt, sind die Bezugnahmen auf Joh 6 und 1 Kor 15 in Haer. 5,2,3 etwas komplexer. Zunächst erinnert die Rede vom „vollkommenen Brot des Vaters“ und vom „Brot der Unsterblichkeit“ im Kontext der Stelle (Haer. 4,38,1) an die Christologie der johanneischen Brotrede (vgl. Joh 6,51: ὁ ἄρτος ὁ ζῶν). Auf Joh 6,51–58 lässt sich sodann vor allem die Gabe des ewigen Lebens zurückführen, die Irenäus in Haer. 5,2,3 im Essen des eucharistischen Brotes und Trinken des Mischkelchs verortet, welche durch Anrufung zu Leib und Blut Jesu werden. Hier klingt das lebensspendende „Kauen“ des Fleisches Jesu aus Joh 6,51.53f.57f. an. Auch Rezeptionen von Stellen aus dem Corpus Paulinum sind in Haer. 5,2,3 erkennbar. Neben dem direkten Zitat aus Eph 5,30 findet sich eine Anspielung auf 1 Kor 15,53: […] qui huic mortali immortalitatem circumdat et cor­ruptibili incorruptelam gratuito donat.82 Außerdem transformiert Irenäus die paulinische Analogie zwischen dem Säen und Fruchtbringen des Weizens 80 Vgl. Noormann, Irenäus als Paulusinterpret, 503f.; Schröter, Eucharistie, 108–110; Leh­tipuu, Debates, 198; vgl. auch Schmid, Eucharistie ist Jesus, 329.332–338. 81 Im Hintergrund von Haer. 3,19,1.10 (antidotum vitae) scheint etwa IgnEph 20,2 (ἀντί­ δοτος τοῦ μὴ ἀποθανεῖν) zu stehen. 82 Vgl. 1 Kor 15,53: Δεῖ γὰρ τὸ φθαρτὸν τοῦτο ἐνδύσασθαι ἀφθαρσίαν καὶ τὸ θνητὸν τοῦ­

6.7 Zusammenfassung

233

und der leiblichen Auferstehung (1 Kor 15,37f.42–44) in Haer. 5,2,3 in eine unmittelbare Wirkungskette, die das Geistwirken am Weizen, am eucharistischen Brot und schließlich bei der fleischlichen Auferweckung miteinander verbindet. Das gesamte Argument des abschließenden Teils von Haer. 5,2,3 ist letztlich vom paulinischen Bild des Säens und Fruchtbringens beeinflusst. Es zeigt sich also, dass Inhalte und einzelne Passagen von 1 Kor 15 und Joh 6,(26–51b.)51c–58 für den im 2. Jahrhundert intensiv geführten Auferstehungsdiskurs wichtig wurden.83 Vor allem Themen und Motive aus 1 Kor 15 wie die Bilder des Säens, der Verwandlung, des „Verschlingens“ des Sterbli­ chen durch das Unsterbliche und das Motiv des „Erbens des Reiches Gottes“ sind breit bezeugt in Texten, die sich mit der Auferstehung befassen.84 Die Wirkungsgeschichte dieser Texte beschränkt sich demnach nicht auf das nach Irenäus von den Häretikern für ihre Lehren besonders vereinnahmte paulinische Schlagwort σὰρξ καὶ αἷμα βασιλείαν θεοῦ κληρονομῆσαι οὐ δύναται (1 Kor 15,50), das in der Forschung schon viel Aufmerksamkeit erhielt,85 sondern geht weit darüber hinaus. το ἐνδύσασθαι ἀθανασίαν. Vgl. auch Haer. 5,13,3, wo neben 1 Kor 15,53f. auch Phil 3,20f. und 2 Kor 5,4 zitiert werden. 83 IgnRom 7,3 könnte eine Kenntnis der johanneischen Lebensbrotrede bzw. von Joh 6,27.33.51–56 reflektieren: „Ich habe keine Freude an vergänglicher Speise noch auch an den Vergnügungen dieses Lebens. Gottes Brot will ich, das ist das Fleisch Jesu Christi, der aus dem Samen Davids (stammt), und als Trank will ich sein Blut, das unvergängliche Liebe ist.“ Vgl. auch IgnEph 5,2: „Niemand lasse sich irreführen; befindet sich jemand nicht innerhalb des Altarraumes, so geht er des Brotes Gottes verlustig. Wenn nämlich das Gebet eines Menschen und eines zweiten solche Macht besitzt, wieviel mehr dann das des Bischofs und der ganzen Kirche!“ (Übers. Fischer). Zu weiteren Rezeptionen von 1 Kor 15(,50) vgl. Tertullian, Res. 48, den 3. Korintherbrief und Theophilus, Autol. 1,13: „Denn betrachte gefälligst, wie die Jahreszeiten, die Tage, die Nächte ebenfalls endigen und wieder erstehen. Findet nicht auch bei den Samen und Früchten eine Wiederauferstehung statt, und zwar zum Nutzen der Menschen? Zum Beispiel das Getreidekorn oder das Korn anderer Samen wird in den Boden gelegt, erstirbt zuerst und zerfällt, dann aber wird es wieder auferweckt und wird zur Ähre“ (Übers. Leitl). Zur Diskussion um die fleischliche Auferstehung allgemein vgl. auch Justin, Dial. 80; Polyk 7,1–2; Athenagoras, De resurrectione und Minucius Felix, Oct. 34,11: „Schau ferner, wie zu unserem Trost die ganze Natur auf die künftige Auferstehung anspielt. Die Sonne geht unter und wieder auf; die Sterne schwinden und kommen wieder, die Blumen sterben ab und leben wieder auf, die Gesträucher bekommen wieder junges Laub, nachdem sie entblättert waren, und nur aus verwestem Samen keimt neues Leben. So ist’s mit dem Körper in der Zeitlichkeit wie mit den Blumen im Winter: sie verbergen frische Lebenskraft hinter scheinbarer Erstarrung“ (Übers. Müller). 84 Ein weiterer Zeuge für die Aufnahme und Verarbeitung von 1 Kor 15,35ff. ist zum Beispiel der Brief an Rheginus, der die von Paulus verwendeten Bilder des Verschlingens des Sterblichen durch das Unsterbliche noch einmal eigenständig verarbeitet, siehe dazu oben Kap. 3. 85 Vgl. Lehtipuu, Debates; Strawbridge, Pauline Effect. Das Schlagwort findet sich in Haer. 5,9,1: „Das ist ein Gedanke, den der Apostel auch in anderen Zusammenhängen äu­ßert: ‚Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben‘ (1 Kor 15,50). Diese Stelle

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6. Irenäus

Paulus scheint mit dem Problem der Leiblichkeit bei der Auferstehung und des Schicksals der menschlichen σάρξ in 1 Kor 15,35–54 das Thema der späteren Auseinandersetzung bereits vorwegzunehmen. Seine Redeweise in 1 Kor 15 bleibt dabei erst einmal bildhaft und unscharf, und das beförderte ihre Inanspruchnahme für allgemeine ontologische Spekulationen über die Materie und den Kosmos schlechthin und konnte sogar – sofern man Irenäus hier glauben kann – mit christologischen Schlussfolgerungen über die Natur des Leibes Jesu und seine unkörperliche Auferstehung in Verbindung gebracht werden, wie in Haer. 1,30,13 berichtet wird.86 Das paulinische Argumentieren mit Naturvorgängen war außerdem anschlussfähig für Versuche, die naturwissenschaftliche Evidenz der Auferstehung aufzuzeigen. Die Passage in Joh 6,51–58 wurde andererseits relevant, weil hier zum ersten Mal eine Verbindung zwischen dem Fleisch Jesu und dem gegenwärtigen Empfang ewigen Lebens hergestellt wird. Auf dieser Grundlage konnte das Fleisch Jesu als besonders wirkmächtig beschrieben werden. Die spätere Rezeption dieser zwei Texte bei Irenäus, aber auch im Philippus­ evangelium, lässt erkennen, dass die Stellen zusammengelesen und zum Teil miteinander bzw. mit anderen Passagen aus den Schriften kombiniert werden konnten, als würden sie sich gegenseitig ergänzen. Das gelang durch ihre Integration in den beschriebenen größeren Rahmen substanzontologischer, prinzipientheoretischer Erwägungen. wird von allen Häretikern in ihrer Verrücktheit angeführt, weil sie daraus zeigen wollen, daß Gottes Gebilde (sc. der Körper) nicht gerettet werden kann“ (Übers. Brox). Vgl. außerdem Haer. 5,13,2f.: „Töricht und tief unglücklich ist, wer so offenkundige und klare Sachverhalte einfach nicht sehen will, sondern vor dem Licht der Wahrheit flieht. Wie Ödipus in der Tragödie nehmen sie sich selbst das Augenlicht. […] so machen es auch die Häretiker mit der Aussage des Paulus: ‚Fleisch und Blut können das Reich Gottes nicht erben‘ (1 Kor 15,50). Zwei Wörter (sc. ‚Fleisch‘ und ‚Blut‘) greifen sie bei Paulus heraus, haben aber weder den Apostel dem Sinn nach begriffen noch den Bedeutungsgehalt der Wörter erforscht. Sie halten sich aber bloß an diese Wörter und sterben noch an ihnen, wenn sie die gesamte Heilsplanung Gottes umstürzen, gesetzt den Fall, sie könnten das. Wenn sie das im eigentlichen Sinn vom Fleisch gesagt sein lassen und nicht von den fleischlichen Werken, wie ich erklärt habe, dann lassen sie den Apostel sich selbst widersprechen“ (Übers. Brox). 86 Haer. 1,30,13: „Viele von seinen Jüngern […] haben nicht begriffen, daß Christos auf ihn herabgestiegen ist. Aber erst als Christos herabstieg auf Jesus, begann er damit, Wunder zu wirken, zu heilen und den unbekannten Vater zu verkündigen; sich selbst bekannte er offen als den Sohn des Ersten Anthropos […]. Jesus aber wurde gekreuzigt. Christos hat ihn, der zu ihm gehörte, aber nicht vergessen, sondern hat von oben her eine bestimmte Kraft in ihn geschickt, die ihn auferstehen ließ in einem Leib. Diesen Leib nennen sie einen psychischen und pneumatischen Leib […]. Obwohl die Jünger ihn (sc. Jesus Christus) nach seiner Auferstehung sahen, erkannten sie ihn nicht; ja, (sie erkannten) nicht einmal, durch wessen Gunst Jesus seinerseits von den Toten auferstanden ist. Und sie (sc. die Gnostiker) erklären, daß das der größte Irrtum seitens seiner Jünger war, daß sie meinten er sei in einem weltlichen Leib auferstanden, weil sie eben nicht wußten, daß ‚Fleisch und Blut das Reich Gottes nicht besitzen werden‘ (1 Kor 15,50)“ (Übers. Brox).

6.7 Zusammenfassung

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Auch Irenäus und EvPhil 23 interpretieren 1 Kor 15 und Joh 6,51–58 vor dem Hintergrund der Frage nach dem Schicksal der Materie als solcher und der gesamten geschaffenen, substanzhaften Welt. Aus dieser Perspektive greifen sie auf die paulinische Themenstellung in 1 Kor 15 zurück und lassen diesen Text zusammen mit Teilen aus Joh 6,51–58 auf die Frage antworten, wie vergängliche Materie Unvergänglichkeit annehmen kann. Auffällig ist dabei, dass Irenäus und der Verfasser der Passage im Philippusevangelium Joh 6,51–58 auf die grundlegendere paulinische Frage nach dem Schicksal der σάρξ und der leiblichen Auferstehung hin auslegen. Sie beziehen sich auf Joh 6, um zu diskutieren, auf welche Weise die menschliche, leibliche Substanz dereinst am himmlischen Bereich Anteil gewinnen kann. Auferstehung, d. h. Überwindung des physischen Todes, kann es demzufolge nur geben, wenn die vergängliche Substanz des Menschen eine neue Qualität bzw. der Mensch selbst eine unvergängliche Substanz empfängt und so fähig wird, in den himmlischen Bereich einzugehen. In 1 Kor 15 hatte Paulus mit seiner Vorstellung einer endzeitlichen Verwandlung der Leiber von sarkischen zu pneumatischen σώματα Fragen nach deren Kontinuität offengelassen und den Verwandlungsprozess nur mittels Analogien umschrieben. Die Inkarnation Jesu und die Eucharistie als Ereignisse, bei denen sich bereits in der Gegenwart der himmlische mit dem irdischen Bereich verbindet, konnten die hier empfundene Lücke füllen. Für Irenäus und den Verfasser von EvPhil  23 findet eine Verwandlung der Leiber im Essen des eucharistischen Brotes und Trinken des Mischkelches statt, wenn die eucharistischen Elemente als Leib und Blut Jesu ihre konkrete Wirkung auf die Leiblichkeit der Glaubenden ausüben. Beide Rezeptionen knüpfen an den johanneischen Realismus des Essens als eines materiell-leiblichen Geschehens an und führen dies in Richtung einer substanzhaften Wirkung auf die Glaubenden weiter. Die irenäische Johannesrezeption wirkt sich in Haer. 5,2,3 dort aus, wo Irenäus wie Joh 6,51–58 die Lebensgabe an die Glaubenden (donatio Dei) mit dem Essen des Leibes Jesu verbindet und daran auch die künftige leibliche Auferstehung knüpft. Im Vordergrund von Haer. 5,2,3 stehen aber nicht Essen und Trinken als sinnbildliche Vorgänge für die glaubende Annahme Jesu, sondern für Irenäus handelt es sich bei der Eucharistie um ein Geschehen mit geradezu biologisch nachweisbarer Wirkung. Er deutet die Wirkweise der Eucharistie im Rahmen ernährungsphysiologischer Kategorien, also in einem naturwissenschaftlichen Paradigma, das es ihm ermöglicht, das Physische und Körperliche des Vorgangs zu betonen. Dies hängt zusammen mit seiner Abwehr von Lesarten des johanneischen Textes, die etwa mit der Vorstellung einer andersartigen, pneumatischen, lebensspendenden Fleischessubstanz Jesu arbeiten. Etwaige Potentiale einer Auslegung von Joh 6,51–58 in dieser Richtung möchte Irenäus entschärfen. Außerdem hegt er die Vorstellung einer pneumatischen Fleischessubstanz in der Auferstehung mittels einer entschieden schöpfungstheologischen Rahmung

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6. Irenäus

der Eucharistie ein, für die er auf Paulus zurückgreift. Wie 1 Kor 15,35–54 und einige Apologeten, die die Auferweckung sterblicher Körper allgemein durch schöpfungstheologische Analogien aus Naturvorgängen des Säens und Pflanzenwachstums und der dabei stattfindenden Verwandlungen plausibel machen, führt auch Irenäus die Belebung und den Übergang von sterblicher zu unvergänglicher Körperlichkeit nicht auf einen selbstwirksamen Auferstehungsleib Jesu, sondern letztendlich auf Gottes Schöpfertätigkeit zurück.87 Über Paulus hinausgehend betont er daher, dass der Auferstehungsleib Jesu, von dem sich die Glaubenden in der Eucharistie ernähren, auf die Seite des Geschaffenen gehört. An Jesu Leib wurde allerdings derselbe Geist Gottes wirksam, der dann auch über die Eucharistie an die Menschen vermittelt wird. Die Interpretation von 1 Kor 15 ist bei Irenäus ebenfalls dadurch beeinflusst, dass er von konkurrierenden Deutungen dieses Textes in der prinzipientheoretischen Diskussion um die Stellung der Materie und die Erlösung des Kosmos Kenntnis hat. Aussagen, die bei Paulus eher für sich stehen, werden von Irenäus daher systematisiert und in seine Gesamtargumentation überführt, die immer auch seine „Gegner“ im Blick hat. Im Zuge dessen ist auffällig, dass sich Irenäus in der Debatte mit einer entschiedenen Unterordnung aller Kräfte, Gestalten und Wirkungen unter sein Bild von Gott als Schöpfer positioniert. Der Schöpfergott wird zum Fluchtpunkt seiner Ausführungen. Ihm ordnet er die Rolle Jesu und die Funktion seines Auferstehungsleibes im Heilsgeschehen, aber auch die „Schwäche des Fleisches“ der Menschen unter. Was die Rolle Jesu betrifft, so bindet Irenäus den Logos und den Geist immer an Gottes schöpferisches Handeln zurück: Das Wort Gottes und der Geist sind die beiden „Hände“, mit denen der Schöpfergott insgesamt und auf unterschiedliche Weise in der Welt wirkt.88 Eben unter dieses Vorzeichen stellt Irenäus dann auch die Pflanzenmetaphorik von 1 Kor 15: Es ist der Geist Gottes, der bei der Belebung der Samen und beim Fruchtbringen der natürlichen, aus Erde stammenden Gaben auf die Schöpfung wirkt. Den von Paulus beschriebenen Naturvorgang dehnt er auf die Eucharistie aus. Das Brot aus der Erde wird bei der Eucharistie immer dann zum Leib Christi, wenn es die Anrufung Gottes erfährt (Haer. 4,18,3) und das Wort Gottes aufnimmt (5,2,3). Wie der Logos und der Geist Wirkweisen Gottes sind, ist nach Irenäus auch die Vergänglichkeit der Materie der Gottesvorstellung unterzuordnen. An seinen Gegnern kritisiert er, dass sie die Vergänglichkeit der Materie zu einem Prinzip erheben, hinter das sie ihr Gottesbild zurückstellen. Sie rücken die „Schwäche des Fleisches“ ins Zentrum ihrer Argumentation. In Haer. 5,2,3 87 Der Wiedergewinn der Gottebenbildlichkeit, die von Christus bereits vollkommen verkörpert wird, ist damit verbunden. 88 Vgl. Haer. 4 praef.: „Der Mensch ist aber eine Mischung von Seele und Fleisch, ist nach dem Gleichnis Gottes gestaltet und durch seine Hände gebildet, das heißt durch den Sohn und den Geist, zu denen er gesagt hat: ‚Lasset uns den Menschen machen‘ (Gen 1,26)“ (Übers. Brox). Vgl. auch Haer. 4,20,1; 5,5,1.

6.7 Zusammenfassung

237

fasst Irenäus demgegenüber in Anknüpfung an 2 Kor 12,9 die Schwäche des Fleisches als den Aspekt auf, an dem sich die Schöpfermacht Gottes überhaupt erst vollständig offenbaren kann. Gott ist dem Prinzip der todverfallenen Materie nicht ausgeliefert. Im Gegenteil: Er hat sowohl die zeitlichen, vergänglichen und sichtbaren Dinge geschaffen als auch die intelligiblen, unsichtbaren, ewigen – beide sind von ihm abhängig, und Gott selbst ist verantwortlich für das Werden und Vergehen der Welt.89 Darin übersteigt der Gesamtentwurf der irenäischen Heilsgeschichte schließlich auch die Grenzen der rein stofflich, prinzipientheoretisch orientierten Frage, ob die Fleischessubstanz vergehen muss oder unvergänglich werden kann. Denn Irenäus versteht Vergänglichkeit und Endlichkeit als intentional von Gott geschaffene Rahmenbedingungen des menschlichen Lebens, aus denen heraus sich die Menschen hin zum Göttlichen entwickeln und Unvergänglichkeit erwerben können. Hier kommen für die Rettung des Fleisches auch Aspekte des freien Willens des Menschen und seiner Fähigkeit zu einem ethischen Lebenswandel ins Spiel.90 Die Eucharistiefeier wird von Irenäus in diesem Rahmen als eine den Menschen gegebene und von ihnen auch zu ergreifende Möglichkeit interpretiert, das Schöpferhandeln Gottes weiter an sich wirken zu lassen.91 Die Eucharistie ist Gottes Einwirken in der Welt unter zeitlichen Bedingungen und wird von Irenäus als fortgesetzte Schöpfung gedeutet. Nicht nur in der Naturordnung und Eucharistie wirkt der Schöpfergott, auch in die Geschichte kann er frei eingreifen, wie die von Irenäus angeführten Beispiele aus der Schrift beweisen: die drei Männer im Feuerofen, die nicht verbrannten, Jona im Walfisch, das hohe Alter der Patriarchen, die Entrückungen 89 Vgl. Haer. 1,10,3: „es wird auch erklärt, warum ein und derselbe Gott Zeitliches und Ewiges, Himmlisches und Irdisches gemacht hat“ (Übers. Brox). 90 Vgl. Haer. 5,13,3. 91 Hier kommt der ethische Aspekt des heilsgeschichtlichen Entwurfs des Irenäus ins Spiel: Anders als die anderen geschaffenen Dinge und Kreaturen wurde der Mensch von Anbeginn von Gott mit dem Ziel erschaffen, letztendlich an der Unvergänglichkeit Gottes teilzuhaben (vgl. Haer. 4,5,1). Dafür wurde er mit einem freien Willen ausgestattet (vgl. Haer. 4,31,1–5). Er kann selbst auf seine Vollendung hinwirken oder aber auch ganz der Vergänglichkeit anheimfallen, indem er sich der Schöpfermacht Gottes entweder unterwirft und sich dem Handeln seines Schöpfers fügt, Gottes Schöpferhandeln also weiter an sich wirken lässt, oder sich ihm entzieht. Ein zentraler Satz, der die Hintergründe der irenäischen Argumentation offenlegt, ist in Haer. 5,3,2 gegen die „Häretiker“ gerichtet: „Sie weisen also Gottes Kraft zurück und bedenken nicht, was wahr ist; sie schauen bloß auf die Schwäche des Fleisches, aber die Kraft dessen, der es (sc. das Fleisch) von den Toten erweckt (vgl. Hebr 11,19), die beachten sie nicht“ (Übers. Brox). Insgesamt sind die Vollendung des Menschen und seine Auferstehung verstanden als Erfüllung der eigentlichen Schöpfungsintention Gottes. Der Mensch kann gegenwärtig schon daran mitwirken, dazu besitzt er einen freien Willen. Die Vergänglichkeit seiner fleischlichen Substanz ist nicht Folge der Sünde, sondern von Gott mit erzieherischer Intention so gestaltet. Der Aspekt von Entwicklung und Wachstum im Glauben bis hin zur Vollendung des Menschen spiegelt sich in der das Fleisch aufbauenden, das Wachstum fördernden, ernährenden Eucharistie wider.

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6. Irenäus

Henochs und Elias (Haer. 5,5,1–2). Die Beispiele demonstrieren Irenäus zufolge, dass auch das zeitliche Leben je nach Gottes Wunsch ausgedehnt und bewahrt werden kann, entscheidend ist dabei allein Gottes Wille. Das Leben ist nach Irenäus durchgehend und in jeder Form, sei es zeitlich, sei es ewig, eine Gabe dieses Schöpfergottes. Er hält fest, dass es allein das Wirken des Wortes Gottes an der Materie ist – am Weizenkorn, am Brot und gleichermaßen am Fleisch der Glaubenden –, das Leben in verschiedener Qualität geben kann. Für ihn ist das ewige Leben nicht kategorial vom zeitlichen Leben verschieden, sondern im zeitlichen Leben vollzieht sich das weitere Schöpfungshandeln Gottes am Menschen hin zum ewigen Leben, so dass zwischen diesen letztlich nur ein gradueller Übergang besteht. Die Diskontinuität, die Paulus in 1 Kor 15 zwischen dem sarkischen und dem pneumatischen Leib konstatiert, wird in dieser schöpfungstheologischen Gesamtperspektive eingeebnet. Vor diesem Hintergrund kann nun auch die Antwort des Philippusevangeliums auf die Frage nach der leiblichen Auferstehung des Glaubenden weiter profiliert werden: Der Text aus Nag Hammadi schließt eine Wirksamkeit des Schöpfergottes am Fleisch der Menschen aus. Über die Schöpfermacht stellt das Philippusevangelium das Prinzip der Vergänglichkeit irdischer Materie und ihre Unfähigkeit zum Eingehen in die himmlische Sphäre, wofür der Autor 1 Kor 15,50 als Beleg zitiert (EvPhil 23a, NHC II,3 p. 56,32–34). Die Passage aus Joh 6,51–58 dient dann dazu, angesichts der Schwäche des menschlichen Fleisches die Besonderheit und lebensspendende Wirkung des Fleisches Jesu festzuhalten: „Wer nicht mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, hat kein Leben in sich“ (EvPhil 23b, NHC II,3 p. 57,4f.). Das apokryphe Evangelium bezieht die Worte des johanneischen Jesus und des Apostels Paulus komplementär aufeinander, um eine fundamentale Dif­ ferenz zwischen Jesu Auferstehungsfleisch und dem menschlichen Fleisch zu begründen, die auch in EvPhil 72c (NHC II,3 p. 68,31–37) thematisiert ist. Während 1 Kor 15,50 untermauern soll, dass eben das menschliche Fleisch die Unvergänglichkeit nicht annehmen kann, stellt die Paraphrase aus Joh 6,53f. die Andersartigkeit des Fleisches Jesu sicher. Die besondere Substanz des Leibes Jesu, der aus einer geistigen Zeugung im Pleroma hervorging, macht die Wirkung der Eucharistie aus. In ihr ziehen die Glaubenden dieses besondere, nicht geschaffene, nicht von der Erde stammende Fleisch Jesu an und erzeugen damit eine Realität im Pleroma, die aber irdisch verborgen bleibt und auch für irdische Zusammenhänge irrelevant ist. Das Fleisch Jesu wird erst beim postmortalen Aufstieg der Glaubenden ins Pleroma zu deren neuem Herrlichkeitsgewand anstelle ihres eigenen, beim Tod abgelegten Fleisches. Die Lösung des Problems einer fleischlichen Auferstehung, die das menschliche Fleisch abwertet und dem Fleisch Jesu eine andere, „himmlische“ Substanz zuschreibt, war Irenäus bekannt, so dass zu vermuten ist, dass sie nicht nur für den Wirkkreis des Philippusevangeliums attraktiv war.92 92 Wie

bereits in Kap. 5 gezeigt, ist sie auch bei Ps.-Tertullian als eine Auffassung Valen-

6.7 Zusammenfassung

239

Noch in einem weiteren Aspekt unterscheiden sich die zwei Ausarbeitungen der eucharistischen Vorbereitung auf die Auferstehung. Irenäus versteht Logos und Geist Gottes als Größen, die in der Eucharistie zwar am Leib der Eucharistieempfänger wirken, aber letztlich nicht mit den Mahlelementen selbst identifiziert werden können, sondern immer wieder neu von Gott ausgehen. Charakteristisch für die Rezeption von 1 Kor 15 und Joh 6 in EvPhil 23b (NHC II,3 p. 57,6) ist demgegenüber, dass Jesu Fleisch in einer eigenständigen Rezeption von Joh 1,14a unmittelbar mit dem Logos selbst gleichgesetzt und der Geist mit seinem Blut identifiziert wird. So nimmt der Glaubende Logos und Geist unmittelbar in sich auf, und sie erscheinen als verfügbare Größen, denen sich der Glaubende selbst anverwandelt.

tins überliefert (Adversus omnes haereses 4,5: Valentin habe nicht an die Auferstehung dieses Fleisches geglaubt, sondern an die eines anderen Fleisches).

Kapitel 7

Versiegelt mit dem Blut Jesu: „Das Buch der Auferstehung Jesu Christi, unseres Herrn“ (Liber Bartholomaei) 7.1 Einführung Dieses letzte thematische Kapitel der Untersuchung versteht sich als Ausblick auf eine spätantike (5. / 6. Jh.) 1 oder sogar frühmittelalterliche Schrift (8. / 9. Jh.).2 Mit dieser Datierung ist der Liber Bartholomaei eigentlich nicht mehr Teil des Rezeptionszeitraums, der in dieser Studie beleuchtet wird. Die ausgeprägte Leib- und Wundenfrömmigkeit, die der Text außerdem mit seiner Eucharistieauffassung kombiniert, ist allerdings ein interessantes Beispiel für eine späte Ausprägung der Vorstellung einer durch den Leib Jesu ermöglichten leiblichen Auferstehung der Glaubenden. Der Liber Bartholomaei vertritt die leibliche Auferstehung Jesu und aller Glaubenden und findet für das Problem der Verwesung des toten Körpers in der Erde eine eigene Lösung, die weder in einer Neuschöpfung am Ende der Zeit noch in der Verwandlung des Leibes besteht, sondern in der Versiegelung des Körpers nach dem Tod durch Jesu Leib und Blut, so dass der Körper vor dem Verfall geschützt ist. Der in verschiedenen, zusammengehörigen Fragmenten überlieferte koptische Text des Liber Bartholomaei gehört zusammen mit den in griechischen, lateinischen und kirchenslawischen Versionen erhaltenen Quaestiones Bar­tho­ lomaei (Fragen des heiligen Apostels Bartholomäus) zu den Bartholomäus­ überlieferungen,3 die dem Jesusjünger Bartholomäus eine hervorgehobene 1 Vgl. Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy, 172: „Il reflète plutôt la piété et la li­ tur­gie ordinaires des chrétiens de langue copte dans l’Égypte du Ve ou du VIe siècle.“ 2 Vgl. Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 227. Die späte Datierung wird bei Wes­ ter­hoff unter anderem mit der Kombination neutestamentlicher mit apokryphen Traditionen und verschiedener Textgattungen begründet: „Die entwickelte altchristliche sowie die koptische Literatur in ihren verschiedenen Gattungen ist in ihm [sc. dem Liber Bartholomaei] vorausgesetzt, wird in Abbreviatur zitiert und souverän in den Rahmen einer neuen Synthese gefügt. Diese Fähigkeit, aus dem Vorrat der Tradition Literatur zu machen, kennzeichnet den LibBarth als literarischen Spätling“ (ebd., 198). Auch Markschies, Bartholomäustraditionen, 699, stellt im Zusammenhang der „späte[n] und recht spärliche[n] Bezeugung“ der Bartholomäustradition die Vermutung an, dass die Schriften unter dem Namen des Bartholomäus spät entstanden sind. 3 Zur Bartholomäustradition insgesamt, zur Gestalt des Bartholomäus als Offenbarungs-

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7. Liber Bartholomaei

Rol­le zuschreiben. Zwar nennt sich der Liber Bartholomaei selbst gegen Ende (Ms. C p. 56 [24,10f.] und im Kolophon, 4f.) „Das Buch der Auferstehung Jesu Christi unseres Herrn“, und Bartholomäus, der sich als Gärtner und Gemüsehändler vorstellt (Ms. C p. 37 [17,3]), erscheint nicht als Autor des Textes. Er tritt aber als Augenzeuge der erzählten Ereignisse und vor allem als Visionär himmlischer Geschehnisse hervor. Beim Liber Bartholomaei handelt es sich um einen Traditionen rezipierenden, gewachsenen und bearbeiteten Text, in dem die Reihenfolge der erzählten Ereignisse und auch die Abgrenzung der in den Handlungsrahmen eingefügten Visionen nicht immer eindeutig sind. Der Liber Bartholomaei ist in drei Handschriften erhalten, die drei verschiedene Rezensionen darstellen: Ms. A (9. / 10. Jh.), Ms. B (9. / 10. Jh.) und Ms. C (10. / 11. Jh.). Nach der Edition Matthias Westerhoffs (1999) ist der längste erhaltene (allerdings teilweise stark beschädigte) Text, Ms. C, zugleich diejenige Version, die der Ursprungsfassung am nächsten steht.4 Dieser Sicht folgt auch Hans-Martin Schenke,5 während JeanDaniel Kaestli und Pierre Cherix ihrer Edition (1993) Ms. A zugrunde legen.6 Bei Ms. B handelt es sich um eine verkürzte Fassung des Liber Bartholomaei. Den Rahmen der erzählten Ereignisse bildet eine Nacherzählung des letzten Mahles Jesu mit seinen Jüngern, des Kreuzestodes und der Auferstehung, außerdem der Begebenheiten am Morgen der Auferstehung und der Erscheinung Jesu vor den Jüngern. Dieser Erzählaufbau, der aus den kanonischen Evangelien übernommen ist und eventuell auf die Kombination einer in Ägypten bekannten, evangelienharmonisch verfassten Passionsnarratio mit Joh 20,11–28 zurückgeht,7 ist darüber hinaus erheblich erweitert worden. Eingeschoben sind unter anderem eine Märtyrerlegende um den frommen Ananias am Kreuz Jesu, die der Darstellung der Kreuzigung Jesu beigefügt ist, eine Begegnung des Leichnams Jesu mit dem personifizierten Tod und dessen Söhnen, Jesu Höllenfahrt und die Befreiung der Seelen aus der Unterwelt, die Segnung Marias, der Mutter Jesu, durch die Trinität, die Vision des Bartholomäus von Jesu Erträger in der mehrheitskirchlichen und apokryphen Tradition und zur antiken christlichen Erwähnung eines (Hieronymus) bzw. mehrerer (Decretum Gelasianum) Evangelien unter dem Namen des Bartholomäus vgl. Markschies, Bartholomäustraditionen, 696–701. Zur Bar­tholomäusüberlieferung wurde der Liber Bartholomaei bereits in der Erstedition gerechnet, Dulaurier, Saint Barthélemy, 36–43. Eine direkte literarische Beziehung zwischen den Quaes­tiones Bartholomaei und dem Liber Bartholomaei lässt sich nicht nachweisen, gleichwohl ist denkbar, dass der Liber Bartholomaei Kenntnis des Stoffes der Quaestiones Bar­ tholomaei besaß (vgl. Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 215f.). Prinzipiell vorstellbar, wenn auch nicht mehr zu belegen, wäre auch die Abhängigkeit beider Texte von einer älteren Überlieferung, die dann mit dem nicht erhaltenen Evangelium nach Bartholomäus identifiziert werden könnte (vgl. Markschies, Bartholomäustraditionen, 699f.). 4 Vgl. Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 13. 5 Vgl. Schenke, AcA, 854. Anders Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy, 149. 6 Vgl. Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy. 7 Vgl. dazu Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 200.

7.2 Christologische Aspekte

243

höhung zur Rechten Gottes und der feierlichen Wiedereinsetzung Adams zum versöhnten Sohn Gottes und schließlich die an die Gattung der Apostelakten erinnernde Missionstätigkeit des Apostels Thomas mit einer beigefügten Jenseitsreise seines Sohnes Siophanes. Die Ausschmückungen dienen der Unterhaltung der Leserinnen und Leser, weshalb der Text auch zur Unterhaltungsliteratur gerechnet werden kann.8 Sie lassen aber darüber hinaus erkennen, wie der Liber Bartholomaei die überlieferten Rahmenteile der Kreuzigung, Auferstehung und Erscheinung Jesu vor den Jüngern verstanden wissen will. Die Ausgestaltungen setzen neue Schwerpunkte in der Deutung dieser heilsgeschichtlichen Urdaten. Tod und Auferstehung Jesu werden zu Anlässen, um die universale Erlösung der adamitischen Menschheit durch die Befreiung der Seelen aus der Unterwelt zu erzählen. Die triumphale, liturgisch ausgestaltete Himmelfahrt Jesu hebt die kosmische Bedeutung der Auferstehung als Überwindung des Todes (alle Seelen werden bereits mit Christus in den Himmel geführt) und die Erhöhung und Inthronisation Jesu zur Rechten Gottes hervor. Die Nähe zu koptischen Homilien und die zahlreichen hymnischen und liturgischen Elemente lassen vermuten, dass der Text für den liturgischen Gebrauch bestimmt war.9

7.2 Christologische Aspekte Die christologischen Grundzüge des Liber Bartholomaei sind spannungsreich, denn einerseits wird Jesus Christus in der Präexistenz und nach seiner Auferstehung als eine übernatürliche, verherrlichte, divine Gestalt beschrieben, andererseits wird sein menschlicher, leidensfähiger Körper insbesondere durch eine genaue Schilderung der Leidensspuren und Wunden hervorgehoben. Jesus kam aus „dem Himmel der Himmel“ auf die Erde herab, aber die Erde hätte seine Herrlichkeit nicht ertragen können, deshalb wurde er Mensch (Ms. A p. 30). Ein Engel brachte ihn aus dem Himmel heraus und in den Leib der Maria hinein (vgl. Ms. C p. 26 [11,2]).10 Der Kreuzesverehrer und Märtyrer Ananias bekennt sich zu Jesus als seinem Gott (Ms. A p. 35 [3,2]), was an das Thomasbekenntnis in Joh 20,28 erinnert: „Denn mein Herr ist Jesus, 8 So

Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 2. Schneemelcher, NTApo 1, 425, beschei­ nigt der koptischen Bartholomäusliteratur einen „volkstümlichen Charakter“. 9 Vgl. Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy, 171. Dem schließt sich Schenke, AcA, 856, an. 10 Ms. C p. 26 (11,2): „[Petrus], der große Bischof, [antwortete und sagte: ‚Gegrüßt seist du], o Maria. Denn du [bist] auch die erste, [die der Herr erwählt hat, als] der Engel ihn herausbrachte (aus dem Himmel, und hinein) in deinen [leuchtenden Leib], bis du ihn auf der Erde gebarst und er auch uns erwählte und wir ihm zu Jüngern wurden. Du auch bist die erste, der er sich zeigte, als er im Begriff war, zum Vater zu gehen. O wohl ⟨deinem⟩ Leib, der ⟨ihn⟩ trug, bis du uns den König der Ehre gebarst‘“ (Übers. Schenke).

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7. Liber Bartholomaei

und mein Gott ist Christus.“ Das Thomasbekenntnis selbst wird am Schluss des Liber Bartholomaei ebenfalls aufgegriffen, geht hier aber noch wesentlich weiter als die johanneische Vorlage und bezeichnet Christus trinitarisch zugleich als Gottvater und Heiligen Geist (Ms. C p. 54 [24,4]). Nach seiner Himmelfahrt und dem Setzen zur Rechten Gottes ist Jesus fortan im Himmel leiblich präsent11 und weist auch die Kreuzigungsmale auf, worauf noch näher einzugehen ist. Es begegnen eine Vielzahl weiterer traditioneller Würdebezeichnungen für Christus, so wird er als Erlöser, Herr und König tituliert, aber auch als (geliebter) Sohn und Bräutigam, als Hirt der Schafe, Licht des Lebens und Lamm Gottes. Daneben lassen sich zudem ungewöhnlichere Ausdrücke wie „Gewand der Armen“ und „Brot der Hungrigen“ finden (Ms. C p. 31 [13,9]). Jesu Heilswerk besteht in der Befreiung der ganzen Welt von ihren Sünden, er versöhnt „das Abbild“ – den Menschen, dessen exemplarische Gestalt Adam ist – mit Gott. Am Ende seines irdischen Wirkens und nach seiner Auferstehung steigt er in den siebten Himmel auf, wo er vom Vater gekrönt wird (Ms. C p. 27 [12,1f.]) und sich zu seiner Rechten setzt. Jesu leibliche Erscheinung, sein Leib überhaupt, spielt im Liber Bartholo­ maei eine besondere Rolle, wie im Folgenden entfaltet werden soll. Es kann vorweggenommen werden, dass Jesu Körperlichkeit sowohl sein Leiden als auch seine Göttlichkeit ausdrücken soll. Sie weist die Spuren der Verspottung, Passion und Kreuzigung auf, welche in ihrer Detailliertheit besonders realistisch und drastisch erscheinen: Zu ihnen gehören der Speichel in Jesu Gesicht, die Spuren der Backenstreiche an seinen Augen und die Stacheln des Dornenkranzes auf seinem Haupt. Andererseits wird in Ms. C p. 24 (10,4) der Auferstandene, den der Seher Bartholomäus bei seiner triumphalen Himmelfahrt auf dem Thronwagen schaut, in verklärter Leiblichkeit beschrieben. Bei der Segnung des Leibes der Maria vom Himmel her wird dem Leser und der Leserin ein genauerer Blick auf den Körper des Auferstandenen ermöglicht: Sein Körper leuchtet, und wegen seines Glanzes können die Menschen ihn nicht ansehen. Die segnende Hand ist feurig und hat zugleich die Farbe des Schnees. Sie gehört nicht allein dem Sohn, sondern der gesamten Trinität. In ähnlich überirdischer Herrlichkeit und mit Licht- und Paradiesmotiven wird der Leib des Auferstandenen auch im Zusammenhang mit Jesu Ankündigung seiner Erscheinung vor den Jüngern beschrieben. Er besitzt eine „leuchtende rechte Hand“, deren Ausstrecken bewirkt, dass die Sonne aufgeht, und das Schütteln seines „geistigen Gewandes“ lässt Paradies-Tau auf die Erde regnen.12 11 Vgl.

Schenke, AcA, 859. C p. 23 (9,4): „Denn ich komme zu euch, morgen in der Stunde des Lichtes, die auch die Stunde ist, in der ich meine leuchtende rechte Hand ausstrecke, so daß die Sonne über der Erde aufgeht; in der Stunde auch, in der ich mein geistiges Gewand schüttele, während ich zur Rechten meines Vaters sitze, so daß der Paradies-Tau des siebten Himmels auf die ganze Erde herabkommt, sie sich (daran) berauscht und Lebensfrüchte gibt“ (Übers. Schenke). 12 Ms.

7.3 Das zugrundeliegende Menschenbild

245

7.3 Das zugrundeliegende Menschenbild 7.3.1 Der Tod Das Menschenbild des Liber Bartholomaei integriert verschiedene, ursprünglich getrennte Vorstellungsgehalte. Im Kontext der feierlichen Restitution Adams vor Gott, die Bartholomäus in seiner himmlischen Schau miterlebt, wird der Mensch als von Gott zu seinem Gleichnis und Abbild geschaffenes Wesen beschrieben (Ms. C p. 34 [16,3]). Demgegenüber lassen die beiden Erzählungen über Jesu Hadesfahrt mit der Befreiung der Seelen und über den Tod des Siophanes, des Sohnes des Apostels Thomas (Ms. C p. 15f. und p. 44–48), ein populär-platonisches Menschenbild erkennen, nach dem der Mensch aus Leib und Seele besteht, die Seele den Leib bewohnt13 und sich beide im Tod voneinander trennen. Während die (unerlöste) Seele in die Unterwelt absteigt, zerfällt der Körper in der Erde. Besonders interessant für die Vorstellung des Liber Bartholomaei von der Seele und ihrem Schicksal ist die Erzählung über den Tod und die Auferweckung des Siophanes, die in der Schilderung der Erscheinung des auferstandenen Jesus vor Thomas (vgl. Joh 20,24–29) untergebracht ist. Es heißt dort, dass Thomas während des erstmaligen Erscheinens Jesu vor den Jüngern in seiner Heimatstadt weilte, nachdem ihm die Nachricht vom Tod seines Sohnes zugetragen worden war. An dessen Grab fordert er seinen Sohn auf, „im Namen Jesu Christi, des Sohnes des lebendigen Gottes“, aufzustehen, was sogleich geschieht (Ms. C p. 44 [21,2]). Siophanes berichtet anschließend von der Himmelsreise seiner Seele.14 Die Auferweckung gibt dem Verfasser Gelegenheit zu schildern, was Siophanes im Moment des Sterbens und während der sieben Tage, in denen er für tot galt, geschah (Ms. C p. 45 [21,3f.]): (3) […] Siehe, ich sage dir, o mein Vater, zu der Stunde, in der sie mich aufsuchten, um meine Seele von meinem Leibe zu trennen, kam ein gewaltiger, starker Engel mit einem Tuch von feinem Leinen […]. (4) Und Michael versiegelte meinen Mund im Namen des Vaters und des Sohnes und ⟨des⟩ Heiligen Geistes. Und sogleich sprang meine Seele aus meinem Leibe heraus. Sie ließ sich auf der Hand Michaels nieder. Er wickelte sie in das Leinentuch. Sie stiegen mit ihr auf in den Himmel, während sie [ihr] lobsangen.15

Die Beschreibung, wie die Seele des Siophanes beim Tod vom Leib getrennt wird, sich auf der Hand des Erzengels Michael niederlässt und sogar (in Analogie zum Umgang mit Leichnamen) in ein Leinentuch gewickelt werden kann, spricht für eine klare Vorstellung von der Körperlichkeit der Seele.16 13 Vgl.

zu dieser Vorstellung Markschies, Gottes Körper, 155 (und allgemein 145–177). folgen der Lobpreis der anwesenden Menge, ihre Taufe durch Thomas, und die Einsetzung des Siophanes zum ersten Bischof der so entstandenen Kirche. 15 Übers. Schenke. 16 Vgl. Markschies, Gottes Körper, 155f.: „Räumliche Gestalt impliziert aber Quantität, Quantität aber Körper.“ 14 Es

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7. Liber Bartholomaei

Dass sich die Seele im Tod vom Leib trennt und in die Unterwelt hinabsteigt, ist auch in der detailreich ausgestalteten Episode der Höllenfahrt Jesu vorausgesetzt, die sich im Zeitraum zwischen Jesu Sterben und seiner Auferstehung ereignet. Jesus kann bei seinem Descensus unerkannt die Pforten der Unterwelt öffnen und die dort gefangenen Seelen heraufholen. Unterdessen wundert sich der personifizierte Tod über den Verbleib der Seele Jesu (Ms. C p. 11 [4,2]): Der Tod aber kam aus der Unterwelt herauf und sagte: „Wo ist nun diese Seele, die kürzlich aus dem Leibe gekommen ist? Sie wurde nicht zu mir in die Unterwelt gebracht. Denn seit zwei Tagen suche ich nach ihr, ohne sie gefunden zu haben.“17

Am Grab tritt Jesus „in Gestalt eines Leichnams“ dem Tod entgegen – hier ist vielleicht an den Leib Jesu gedacht, der bei der Höllenfahrt nicht dabei ist. Der Leichnam Jesu verlacht und täuscht den Tod über seine wahre Identität (Ms. C p. 12 [4,5]). 7.3.2 Auferweckung Auferweckung wird verstanden als Rückkehr der Seele in den Körper, der dadurch wieder zum Leben kommt. So kehrt die vom Erzengel Michael geführte Seele des Siophanes, nachdem sie in den Himmel aufgestiegen und die Throne der zwölf Apostel gesehen hat, im Augenblick der Auferweckung wieder in seinen Leib zurück (Ms. C p. 47f. [21,12]): [In der] Stunde, [in der] (p. 48) du zu dem Gott Jesus Christus betetest, nahm Michael meine Seele und führte sie [noch einmal] in meinen Leib hinein. Ich stand lebendig auf und habe [jetzt] mit dir geredet.18

Eine Vereinigung von Jesu Seele und seinem Leib bei seiner Auferstehung am dritten Tag wird zwar nicht eigens erzählt, sie ist aber vorausgesetzt, wenn es in Ms. C p. 19 (7,1) schließlich heißt: Er [sc. der Tod] sah den Leichnam Jesu, des Sohnes Gottes, ⟨mit dem er⟩ geredet hatte, nicht (mehr).19

7.3.3 Die Bedeutung der Unversehrtheit des Leibes im Tod Wenn Auferstehung als Rückkehr der Seele in den erstorbenen Leib verstanden wird, ist eines ganz besonders wichtig: dessen Unversehrtheit. Die generelle Bedeutung der Bewahrung des Leibes vor Verwesung wird im Liber Bartholo­ maei an verschiedenen Stellen betont: So verheißt Jesus seiner Mutter Maria, sie werde nach ihrem Tod in den Himmel aufgenommen, ihr Leib aber solle von Engeln bis zum Tag der Wiederkunft Jesu bewacht werden (Ms. C p. 24f.).

17 Übers.

Schenke. Schenke. 19 Übers. Schenke. 18 Übers.

7.3 Das zugrundeliegende Menschenbild

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Die Mutter Jesu ist im Gesamttext sehr präsent, und ihre besondere Bedeutung liegt vor allem darin, dass sie „den Leib des Sohnes Gottes und sein [wahres] Blut trug, das die Sünde [der] Welt wegnahm“ (Ms. C p. 23 [9,5]). Deshalb wird ihr Leib gepriesen als „heilige Arche“ und „Arche der Kinder Adams“, als „heiliges Gewand“, mit dem sich Jesus bekleidet habe, als Jesu „Perlenschatz“ und als „Gefäß voll heiligen Wassers“ (Ms. C p. 22 [9,2]; p. 23 [9,5]). Es verwundert daher nicht, dass der Segen des Auferstandenen, den dieser Maria bei der Himmelfahrt vom Thronwagen aus spendet, speziell dem Leib seiner Mutter gilt. Der Seher Bartholomäus schildert dies folgendermaßen (Ms. C p. 24 [10,4f.]): (4) Da streckte unser Erlöser seine rechte Hand aus, die mit Segen gefüllt war, und segnete den Leib seiner Mutter Maria. Ich sah, wie sich die Himmel nacheinander öffneten. Die sieben Firmamente öffneten sich. Ich sah einen leuchtenden Menschen, der wie eine Perle glänzte und den kein Mensch anzusehen vermag, und auch eine feurige Hand von der Farbe [des] Schnees. Sie ließ sich nieder auf den Leib der Maria und ihre Brust. Und zwar war es die Hand des Vaters und die Rechte des Sohnes und die Rechte des Heiligen Geistes. (5) Es segnete sie [der … und sprach]: Du wirst [gesegnet sein].20

Der Vorgang des Segnens besteht aus einer Berührung und einem Segenswort. Wie dem Märtyrer Ananias verheißt Jesus auch der Maria, dass sie bei ihrem Tod, wenn sie ihren Leib verlässt, nicht nur ins Reich aufgenommen, sondern auch ihr Leib von den Cherubim und zwölfhundert Engeln bis zum Tag der Wiederkunft Jesu bewacht werden wird.21 Eine weitere Passage, die die Unversehrtheit des Leibes im Tod thematisiert, ist die Episode um den gestorbenen und wieder auferweckten Siophanes, den Sohn des Apostels Thomas. Sein Leichnam wird für die sieben Tage zwischen seinem Sterben und seiner Auferweckung, in denen seine Seele im Himmel weilte, vom Erzengel Michael „versiegelt“, so dass sein Leib in dieser Zeit nicht in der Erde zerfiel (Ms. C p. 49 [22,5f.]): (5) […] [Ich] brachte sieben Tage unter den paradiesischen Bäumen des oberen Jerusalem zu und fand Schatten unter ihren Zweigen. (6) Was aber meinen Leib betrifft, so versiegelte Michael, der Erzengel, ihn mit seinem Finger in dem Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Er verfiel nicht, er begann auch nicht zu stinken, noch löste er sich auf in diesen sieben Tagen. Und er war ganz und gar fröhlich, da er rot war wie Rosen.22

Die für den Liber Bartholomaei charakteristische Betonung der Unversehrtheit des Körpers im Tod berührt ein Thema, das grundsätzlich Parallelen im pagan-­ ägyptischen Totenkult besitzt, die in der koptischen Tradition nachgewirkt ha20 Übers.

Schenke. p. 25 (10,6): „Und wenn du den Leib verläßt, werde ich kommen mit meinem Vater und Michael und allen Engel⟨n⟩, und du wirst bei uns sein in meinem Reich. Und was deinen Leib betrifft, so werde ich veranlassen, daß die Cherubim [mit] dem flammenden Schwert ihn bewachen, während zudem zwölfhundert Engel ihn bewachen [bis zum] Tag meiner Wiederkunft und meines Reiches“ (Übers. Schenke). 22 Übers. Schenke. 21 Ms. C

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7. Liber Bartholomaei

ben könnten. Die Frage, wie weit die Konzeptionen von Tod und Auferstehung im Liber Bartholomaei auf altägyptisches Gedankengut zurückgehen, gehört zur Diskussion um die sogenannten pagan-ägyptischen „survivals“, die im letzten Jahrhundert ausführlich und seit der Edition koptischer Apokryphen durch E. A. Wallis Budge (1913) 23 gerade auch anhand des Liber Bartholomaei geführt worden ist. Budge behandelt vorwiegend altägyptische mythologische Motive, für die er Analogien in den Unterweltsvorstellungen koptischer Texte (z. B. den Feuerfluss bei der Jenseitsreise des Siophanes im Liber Bartholoma­ ei) ausmacht. Die Diskussion hat jedoch gezeigt, dass die Herleitung dieser Motive aus der biblischen, der zwischentestamentlichen bzw. kaiserzeitlichen koptischen Literatur plausibler ist.24 Vorstellbar ist allerdings, dass jenseits mythologischer Einzelmotive und bestimmter Begriffe die allgemeine Sicht auf den Menschen und sein Schicksal im Tod in den koptischen Texten nachklingt. Die Integrität des Leibes, seine Vollständigkeit und Vollkommenheit im Tod, galten in den Todes- und Jenseitsvorstellungen Ägyptens als etwas besonders Wichtiges und Schützenswertes, und in der ägyptischen Praxis der Mumifizierung des Leichnams sollte der Leib konserviert werden, um ihm neben der Seele Dauerhaftigkeit zu geben. Die Vereinigung des „Ba“ mit dem konservierten Körper des Toten sollte die Einheit der Person wiederherstellen. Nach Siegfried Morenz, der generell mit einem stärkeren Einfluss hellenistisch vermittelter altägyptischer Tradition auf das christliche Ägypten rechnet,25 hat sich das Verfahren der Mumifizierung bis ins 6. Jahrhundert gehalten.26 Morenz spricht ferner von Zeugnissen noch aus der römischen Kaiserzeit, die den Mumienzustand „ins Ideale“, d. h. in einen Zustand der Jugendlichkeit, übersteigern.27 Auch Westerhoff, der mögliche pagan-ägyptische Bezüge im Liber Bartholomaei gegenüber Motiven aus biblischen Texten und jüdisch-christlichen Apokryphen ansonsten zurückstellt, wertet die Betonung auf der Wiederherstellung und Bewahrung des Leibes im Tod als Rest pagan-ägyptischen Denkens.28 So könnte das Ideal des unversehrten, bewahrten toten Körpers in christlichkoptischen Texten wie etwa der Josefslegende (4. Jh.–Anfang 7. Jh.) wiederbegegnen. Hier spricht Jesus einen Segen über dem Leichnam seines Vaters Josef und sichert so dessen Leib vor dem Zerfall (26,1): Und ich legte meine Hände auf seinen Körper und sprach: „Todesgestank soll nicht über dich herrschen, noch sollen deine Ohren faulen, noch soll der Eiter aus deinem Körper fließen in 23 Vgl.

Budge, Coptic Apocrypha, lxi–lxxii. Markschies, Bartholomäustraditionen, 701; zur Kritik an Budge schon Burmeister, Egyptian Mythology. 25 Vgl. Morenz, Fortwirken altägyptischer Elemente. 26 Vgl. Morenz, Jenseitsglaube, 591. 27 Vgl. Morenz, Jenseitsglaube, 592. 28 Vgl. Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 300. Vgl. auch Schenke, AcA, 859, für den die Bewahrung des Leibes ein „typisch ägyptisches Ideal“ ist. 24 Vgl.

7.3 Das zugrundeliegende Menschenbild

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Ewigkeit, noch soll dein Leichnam in der Erde verwesen, noch dein Fleisch, mit dem ich dich bekleidet habe. Vielmehr bleibe es an deinem Körper bis zum Tag des Gastmahls der 1000 Jahre. Das Haar deines Hauptes, das ich viele Male mit meinen Händen berührt habe, soll nicht vergehen, o mein geliebter Vater Joseph, und das Gute möge dir geschehen.“29

Die fälschlich Athanasius zugeschriebene, wohl redaktionell bearbeitete koptische Homilie „Über die Seele und den Körper und über das Leiden des Herrn“ (De anima et corpore deque passione domini), die im Papyruscodex Oriental 5001 (British Museum) erhalten ist, bezeugt noch eindrücklicher, wie Jesus durch seine Auferstehung an dem Menschen schlechthin handelt, die Glieder des gestorbenen Körpers zusammenbindet und wieder mit der Seele vereint: (16,1) Das, was der Tod zerstreut hatte, nachdem er den Menschen gespalten hatte, hat Christus gesammelt, indem Er den Menschen noch einmal zu einem ⟨Menschen⟩ mit Seele und Leib machte. (2) Denn der Tod hat die Seele in der Hölle gebunden, während er das Fleisch in der Erde aufgelöst hat. (3) Er hat den Menschen in zwei ⟨Teile⟩ gespalten. (4) Der Erlöser Jesus hat nun die Seele von ihren Fesseln gelöst, das Fleisch aber hat Er an die Gelenke gebunden. (5) Er brachte sie ineinander. (6) Er machte sie zu einem einzigen: Die Seele und den Leib. (7) Er fügte sie zusammen. (8) Er gab den Leib der Seele und die Seele dem Leib. (9) Er gab das Instrument dem Sprechenden. (10) Er gab ihm die durchgeformten Glieder.30

Denkbar ist, dass hier die „urägyptische Angst vor dem Zerfall des Körpers nach dem Tod“31 bzw. das nachwirkende klassisch-ägyptische Vorbild des ewig weiterexistierenden, unversehrten Körpers zum Ausdruck kommt, zu dessen letzter Vervollkommnung auch die Wiedervereinigung mit der Seele gehört. Der Liber Bartholomaei ordnet sich mit seinen Überzeugungen vom Menschen und von den Bedingungen seiner Weiterexistenz nach dem Tod gut in das christlich-koptische Milieu ein, das auch die zitierten Texte umreißen.32

29 Übers.

Kaiser. Bumazhnov, Mensch als Bild Gottes, 117. Vgl. auch ders., Erschaffung des Menschen. Nach Bumazhnov handelt es sich bei dem Text um die Fortschreibung einer ursprünglich griechischen Homilie, die „in ihrem Kern“ auf Melito von Sardes zurückgehe. Text und englische Übersetzung auch in Budge, Coptic Homilies, xlv–xlix.258–274. Zum Text vgl. auch Markschies, Gottes Körper, 251f. Hübner, Einheit des Leibes, 300 Anm. 88, vermutet hinter dem beschriebenen Vorgang in der zitierten Passage die Vorstellung der Zerstreuung und Sammlung der „geistigen Spermen“ durch den Erlöser im gnostischen Mythos, der in eine Aussage über die postmortale Auferstehung uminterpretiert worden sei. 31 Wurst, Homilie, 141. 32 Vgl. die hinsichtlich der Datierung strittige, ansonsten sicher richtige Einschätzung bei Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy, 172: „Le Livre de la Résurrection a certes conservé la trace de certaines traditions singulières et assez archaïques, tels le privilèges de Barthélemy comme dépositaire des mystères divins ou le rôle des anges dans la conception virginale du Christ. Mais il n’est pas ,apocryphe‘, au sens où il exprimerait les vues d’un cercle marginal. Il reflète plutôt la piété et la liturgie ordinaires des chrétiens de langue copte dans l’Égypte du Ve ou du VIe siècle.“ 30 Übers.

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7. Liber Bartholomaei

7.4 Die Bedeutung des Leibes und Blutes Jesu 7.4.1 Einführung Diese Ausgangsbeobachtungen helfen, die Rolle der Kreuzigung Jesu, seiner Wunden und der Eucharistie, die im Zentrum der Soteriologie des Liber Bar­ tholomaei stehen, genauer zu verstehen. Die neutestamentlichen Erscheinungsgeschichten, vor allem bei Johannes, auf den sich der Liber Bartholomaei primär bezieht, beschreiben einen auferstandenen Jesus, dessen Leib in Kontrast zu dem beschriebenen ägyptischen Maßstab vollkommener, zu ihrer ursprünglichen Einheit zusammengefügter, idealisierter Körper im Tod, die sich mit der Seele wiedervereinigen können, noch die Wundmale besitzt. Der Überlieferung nach ist Jesu Auferstehungsleib also nicht unversehrt, sondern wird gerade auch anhand seiner noch vorhandenen Wundmale erkannt: Sie spielen eine entscheidende Rolle bei der Identifikation des Auferstandenen durch die Jünger und für die Realität der Auferstehung (Lk 24; Joh 20). Der Liber Bartholomaei bringt die verschiedenen Voraussetzungen klassisch-ägyptischen Jenseitsglaubens und christlicher Überlieferung in einer Synthese zusammen, indem er der Substanz des Blutes bzw. den Wunden Jesu die Bedeutung heilswirksamer Medien zuschreibt, die die Leiber der Glaubenden vor dem Zerfall retten.33 Blut als Medium, das die Vielzahl der Glieder zu einem lebendigen Körper und einer „beseelten Einheit“ zusammenbindet, spielte schon im altägyptischen Körperbild eine wichtige Rolle.34 In der erwähnten pseudoathanasianischen Homilie heißt es, das Blut Jesu rette die Erde und bewahre „die in der Erde“, während Jesu Leib die Toten auferweckt und sein Geist die Seelen in der Unterwelt befreit und sie wieder ihren aus der Erde erweckten Körpern zuführt.35 Im Liber Bartholomaei wird die Bedeutung des Blutes Jesu an verschiedener Stelle hervorgehoben:36 Während seines letzten Mahles mit den Jüngern prophezeit Jesus, sein Blut werde zum Heil für die Völker werden (Ms. A p. 30 [1,3]), und in der Episode über die Mission des Apostels Thomas in seinem Heimatort reinigt dieser die durch ihre Sünden Befleckten mit dem Blut Christi (Ms. C p. 50 [22,12]).37 Im Zentrum der Blutdeutung des Liber Bartholomaei steht aber das Blut aus der Seitenwunde Jesu. 33 Eine andere Variante bietet, wie gesehen, die Josefslegende, wo die bewahrende Wirkung auf den Körper Josefs durch ein Segenswort Jesu erzielt wird (26,1). 34 Vgl. Assmann, Tod und Jenseits, 34. 35 De anima et corpore deque passione domini 27,4–6: „Sein Blut ergoss Er zwar auf die Erde. Es hat die Erde in Schutz genommen samt denen, die in ihr waren. Sein Leib aber blieb auf dem Holz hängen wegen der Elemente, und Sein Geist ging hinunter in die Hölle, rettete die, die dort waren, und plünderte die Hölle“ (Übers. Bumazhnov, Mensch als Bild Gottes, 121, der seinerseits Wurst, Homilie, 52.54, folgt). 36 Vgl. Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy, 163f. 37 Ms. C p. 50 (22,12): „Es wurden viele gefunden, die in der Sünde verfault waren. Ich ließ sie weiß werden mit dem Blut Christi Jesu“ (Übers. Schenke).

7.4 Die Bedeutung des Leibes und Blutes Jesu

251

Es wird zum Garanten für das unvergängliche Leben der Glaubenden, und die Seitenwunde wird zur Quelle dieses in der Eucharistie verteilten Lebensblutes. Dem Blut Jesu wird eine herausragende Funktion bei der Versiegelung der Leiber der Glaubenden zugeschrieben, die ihnen ewige Dauer und Schutz vor dem Zerfall verleiht.38 Diese Heilsbedeutung des Leibes und Blutes Jesu wird im Liber Bartholo­ maei narrativ entfaltet, vor allem in der Märtyrerlegende des Ananias in der Rahmenepisode der Kreuzigung Jesu und in der Rezeption der Erscheinungen Jesu vor den Jüngern und vor Thomas aus Joh 20,19–23.24–28. 7.4.2 Das Ananiasmartyrium In der die Kreuzigungsszene ausschmückenden Märtyrerlegende über Ananias, einen Zeugen der Kreuzigung, begegnet die Zusicherung, sein Leib werde im Tod nicht verwesen, gleich zweimal. Die Bewahrung des Leibes wird so zu einem die Episode durchziehenden Motiv. Der Leib Jesu tritt als Ort einer leiblichen Heilsvermittlung und als Spender für körperliche Unvergänglichkeit in den Fokus. Ananias wird als ein Mann aus Bethlehem, der Stadt Davids (Ms. A p. 35 [3,1]), und als Greis (Ms. A p. 36 [3,4]) vorgestellt, der am Fuß des Kreuzes engste Berührung mit dem am Kreuz hängenden Leib Jesu sucht (Ms. A p. 35 [3,1]): Der sprang auf das Kreuz Jesu zu und umarmte es. Er legte seine Hände auf die Hände des Sohnes Gottes. Er preßte seinen Leib an den Leib des Sohnes Gottes. [Er preßte seine Füße an die Füße des Sohnes Gottes. Er] küßte die Füße Jesu. Er küßte die Hände Jesu. Er küßte den Mund Jesu. Er küßte die Seite Jesu, die um unser aller Heil willen durchbohrt worden war.39 Er küßte die Glieder des Sohnes Gottes.40

So wie diese Verehrung des Körpers Jesu am Kreuz geschildert ist, unterstreicht sie die Bedeutung der Wunden Jesu (Ananias küsst Hände, Füße und Seite Jesu) und die leibliche Identifikation, das geradezu leibliche Verschmelzen des Frommen mit dem Gekreuzigten. Zwar werden auch die Martyriumsbereitschaft des Ananias und sein Bekenntnis zu Christus als seinem Gott hervorgehoben. Doch vor allem seine Handlung, seine intensiv geschilderte Berührung des Leibes und der Wunden des Gekreuzigten, hebt die Episode von anderen Märtyrerlegenden ab. Es folgt die Verheißung des (schon gestorbenen) 38 Vgl.

zu diesem zentralen Thema des Liber Bartholomaei auch Kaestli / Cherix, L’évan­ gile de Barthélemy, 163–164, hier 163: „D’un bout à l’autre, le Livre de la Résurrection exalte la puissance salutaire du corps et du sang de Jesus. En s’unissant à ce corps et à ce sang divins, les hommes échappent à la corruption de la mort et accédent à la condition di­vine.“ 39 Vgl. Joh 19,34. Westerhoff verweist auf eine syrische und im koptischen Triadon aufgenommene Typologie, die die Lanze aus Joh 19,34 mit dem Flammenschwert des Cherubs in Gen 3,24 in Beziehung setzt: Die Lanze verwehre den Eingang in das Paradies, der durch Jesu Durchbohren freigegeben wird (Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 264). Ob diese Typologie auch hier vorausgesetzt ist, muss allerdings offenbleiben. 40 Übers. Schenke.

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7. Liber Bartholomaei

Erlösers, dass die Seele des Ananias nicht in die Unterwelt gehen und sein Leichnam nicht verwesen werde (Ms. A p. 35f. [3,3]). Nach dem körperlichen Kontakt mit Jesu Leib und dem Bekenntnis zu Jesus vervollkommnet Ananias schließlich sein Glaubenswerk durch sein eigenes Martyrium, bei dem sich herausstellt, dass weder Steinigung noch Feuer seinem Leib, der nach seinen eigenen Worten vom „Licht des Sohnes Gottes“ erleuchtet wurde (Ms. A p. 36 [3,4]), etwas anhaben können.41 Bereits hier realisiert sich die gegebene Verheißung.42 Erst das Durchbohren mit einer Lanze, eine Reminiszenz an den Lanzenstoß, der Jesus die Seitenwunde zufügte, führt seinen Tod herbei. Ananias wird auf diese Weise zum „Verwandten des Sohnes Gottes“, und Jesus sichert dem Greis nach seinem Martyrium ein weiteres Mal zu, dass sein Leib nicht verwesen wird (Ms. B [3,8]): [ⲛ]ⲁⲓ̈ⲁⲧⲕ̇ ⲛⲧ[ⲟ]ⲕ̣ ⲱ ⲁ̅ⲛⲁⲛⲓ̈ⲁⲥ· ϫⲉ ⲁⲕⲡⲓ̈ⲥⲧⲉⲩⲉ̇ ⲉⲡϣⲏⲣⲉ ⲙⲡ̅|ⲛⲟⲩⲧⲉ ⲙ̅ⲡ̅ⲟⲩⲟ|ⲉⲓ̈ϣ ⲉⲕϩⲙ̅ⲡ̇ⲕ[ⲟ]ⲥ̣||ⲙⲟⲥ· ⲟⲩ ⲙⲟⲛⲟⲛ ϫⲉ ⲁⲕ̣ⲡⲓⲥⲧⲉⲩⲉ· ⲁⲗⲗⲁ ⲁⲕⲉⲗ ⲥⲩⲅⲅⲉⲛⲏⲥ ⲉⲡϣⲏ|ⲣ[ⲉ] ⲙ̅ⲡ̇ⲛⲟⲩⲧⲉ· ⲉ[ⲧⲃ]ⲉ ⲡⲁ̣[ⲓ] ⲡⲉⲕⲥⲱⲙⲁ ⲛⲧⲁⲕⲧⲁϭϥ̄ ⲉ̇ⲡⲁⲥⲱⲙⲁ· ⲛ̅ⲛⲉϥⲕⲛⲟⲥ· ⲛ̅ⲛⲉⲡⲕⲁϩ ⲃⲟⲗϥ ⲉ̇ⲃⲟⲗ Wohl dir, o Ananias. Denn Du bist zum Glauben an den Sohn Gottes gekommen zu der Zeit, als Du in der Welt warst. Nicht nur, daß du zum Glauben gekommen bist, sondern du bist auch zu einem Verwandten des Sohnes Gottes geworden. Deshalb wird dein Leib, den du an meinen Leib gepreßt hast, nicht zu stinken anfangen. Die Erde wird ihn nicht zerstören.43

Die neu gewonnene „Verwandtschaft mit dem Sohn Gottes“ ist der abschließende Höhepunkt der Erzählung und wird als Resultat aus Ananias’ körperlicher Nähe zu Jesu Leib, seinem Glaubensbekenntnis zur Gottheit Christi und seinem Martyrium präsentiert. Ananias hat sich dem Sohn auf diese Weise anverwandelt, und das bringt seinem Leib Unverweslichkeit, so wie auch Jesu Leib nicht verwest. Der Leib des Ananias wird als derjenige Leib qualifiziert, den er an den Leib Jesu presste: Dieser Leib wird nicht zu stinken anfangen. Der Zusammenhang legt nahe, dass der Kontakt zum Leib Jesu und zu seinen Wunden nicht folgenlos ist, sondern eine unmittelbare, heilvolle Wirkung auf den Körper des glaubenden Ananias ausübt. 7.4.3 Ereignisse nach Jesu Himmelfahrt und Ausgestaltung der Thomasepisode Westerhoff machte darauf aufmerksam, dass das Descensusthema mit der Befreiung der Seelen im Liber Bartholomaei dem aufkommenden Bedürfnis nach individueller Erlösung und unmittelbarer, „existentieller Partizipation“ nicht gerecht wurde. Auf den Wunsch nach individueller Heilsvergewisserung seien daher besondere „Erscheinungen, Segnungen und Verheißungen“ zurückzufüh41 Vgl.

Dan 3,23–94. dazu auch ägyptische Märtyrerakten, etwa das Martyrium des Lakaron, dessen gefolterter Leib vom Erzengel Michael wiederhergestellt wird. Zu dem Motiv der restitutio lae­si corporis vgl. Morenz, Jenseitsglaube, 595. 43 Übers. Schenke. 42 Vgl.

7.4 Die Bedeutung des Leibes und Blutes Jesu

253

ren.44 Die individuelle Heilsaneignung drücke sich zum einen im Fortbestehen des „Namens“ des Gerechtfertigten aus, der im Himmel nicht ausgetilgt werde, zum anderen in der Bewahrung seines Leibes. Dieses Thema wird, wie gesehen, in der Schilderung des Martyriums des Ananias ausgeführt, aber auch am Schluss des Liber Bartholomaei. Der Text endet mit einer durch verschiedene Zusätze, Abänderungen und Ausschmückungen angereicherten Neuerzählung der drei Erscheinungen des Auferstandenen vor Maria, dem Jüngerkreis und Thomas, von denen in Joh 20 die Rede ist.45 Die Rezeption setzt neue Schwerpunkte: Zunächst ist deutlich, dass der Auferstandene bereits im Himmel weilt und von dort herabkommt. Alle Erscheinungen Jesu werden so als Epiphanien des himmlischen Erlösers charakterisiert.46 Nicht die Wirklichkeit seiner Auferstehung und die Identität der Erscheinung mit dem Gekreuzigten oder das Verhältnis von Sehen und Glauben (Joh 20,29 wird weggelassen) stehen im Zentrum der Neuerzählung, sondern es rücken andere Fragen und Problemkreise in den Mittelpunkt, auf die im Folgenden eingegangen werden soll. Der Rahmen des gesamten letzten Abschnitts des Liber Bartholomaei ist durch zwei Eucharistiefeiern der Jünger vor und nach Jesu Erscheinen gesetzt. Der Bericht über die Ereignisse am Ostermorgen beginnt damit, dass Maria und Bartholomäus die Jünger bei der Darbringung eines „Opfer[s] des Leibes und des Blutes Christi“ antreffen (Ms. C p. 26 [11,1]) und ihnen die Osterbotschaft ausrichten. Bei einer weiteren Opferdarbringung, bei der die Jünger Leib und Blut Christi empfangen, erzeugt der Rauch des Opfers „einen angenehmen Duft“, der zum Vater aufsteigt und ihn dazu bewegt, seinen Sohn zu den Jüngern herabzusenden, um sie zu trösten und zu stärken. Jesus erscheint daraufhin den Jüngern in Galiläa, richtet ihnen den Friedensgruß aus, haucht ihnen den Geist ein und bevollmächtigt sie zur Sündenvergebung. Der Text folgt hier also eng der johanneischen Vorlage (vgl. Joh 20,21–23), ändert aber die Reihenfolge der Ereignisse dergestalt, dass der Auferstandene erst im Anschluss an Friedensgruß, Geistgabe und Vollmacht zur Sündenvergebung den Jüngern seine Wundmale zeigt. Diese umfassen außerdem nicht nur die Nägelmale und die Seitenwunde, sondern auch den Speichel in Jesu Gesicht, die Spuren der Backenstreiche an seinen Augen und die Stacheln des Dornenkranzes auf seinem Haupt (Ms. C p. 42 [20,5]).47 Das die Szene der Selbstoffenbarung Jesu abschließende Präsentieren der Male, auf das nur noch ein Segen folgt, wird zum anvisierten Höhepunkt. Es geht 44 Westerhoff,

Auferstehung und Jenseits, 272. Johannesevangelium hat auch sprachlich auf den Liber Bartholomaei Einfluss ausgeübt, wie die Selbstprädikation Jesu als „Guter Hirte“ (Ms. C p. 30 [13,4]; vgl. Joh 10,11.14) zeigt. Vgl. dazu Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 201 Anm. 13. 46 Vgl. Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 202. 47 Ms. C p. 42 (20,5): „Und er zeigte ihnen die [Nägel]male, die an seinen Händen waren, und die Lanzenwunde, die an [seiner Seite] war, und den Speichel, der in seinem Gesicht war, und die Spuren der Backenstreiche, die an seinen Augen waren, und die Spuren von den Stacheln des Dornenkranzes, die auf seinem Haupt waren“ (Übers. Schenke). 45 Das

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7. Liber Bartholomaei

beim Zeigen der Wundmale nicht darum, dass die Jünger die Erscheinung vor ihnen mit dem Gekreuzigten identifizieren und an die leibliche Auferstehung glauben, sondern es soll auf den Schluss der Erscheinungsszene vorbereiten, an dem Jesus die Jünger mit der Fortsetzung seiner Sendung beauftragt. Um sie dazu zu befähigen und auszustatten, werden die Jünger nämlich anschließend mit dem frischen, aus Jesu Seite fließenden „Lebensblut“ „versiegelt“. Dieser Vorgang veranschaulicht die Wirkung der Wunden und des Blutes (Ms. C p. 43 [20,12]): ⲧⲉⲣⲉϥϫⲟⲟⲩ ⲛ̅ϭⲓ ⲡⲥⲏ̅ⲣ̅ ⲁⲩⲧⲱⲩⲛ̇ [ⲛ̅]ϭⲓ ⲛ̅ⲁ[ⲡ]ⲟ̣ⲥⲧⲟⲗⲟⲥ ⲁⲩⲁⲥⲡⲁⲍⲉ ⲙ̅ⲡⲉⲥⲡⲓⲣ ⲛ̅ⲓⲥ̣̅[· ⲁϥϫⲓ ⲉ]ⲃ̣ⲟⲗ ⲙ̣ⲡⲉϥⲥ̣ⲛⲟϥ ⲛ̅ⲱⲛ̅ϩ̅ ⲉⲧϩⲁⲁⲧⲉ ⲉⲃⲟⲗ̣ [ϩⲙ̅ ⲡⲉϥⲥⲡⲓⲣ] [ⲁϥⲓ]ⲫ̣ⲣⲁⲧⲓⲍⲉ ⲙ̅ⲙⲟⲟⲩ ⲛ̅ϩⲏⲧ̅ϥ· Als der Erlöser das gesagt hatte, standen die Apostel auf. Sie küßten die Seite Jesu. Er [nahm] von seinem Lebensblut, das aus [seiner Seite] floß, und versiegelte sie damit.48

Nach der Präsentation der Wunden und der Versiegelung der Jünger mit dem Blut Jesu steigt der Auferstandene erneut in den Himmel auf. Für den Leser und die Leserin des Textes liegt damit nahe, dass der Auferstandene und Verherrlichte die Spuren der Verspottung und Kreuzigung auch im Himmel aufweist, aus dem Christus vorübergehend zu den Jüngern herabgestiegen ist. Nach Ms. C p. 28 (12,8), wo möglicherweise eine apokryphe, bei Justin, Dial. 73 belegte Fassung von Ps 95 LXX verarbeitet ist, soll der Auferstandene im Himmel „vom Holz des Kreuzes“ aus herrschen.49 Dort haben die Wunden eine bleibende Funktion. Wie im Johannesevangelium wird auch im Liber Bartholomaei erst nach dem Fortgang des Auferstandenen erwähnt, dass Thomas, der Didymus genannt wird, nicht zugegen war. Der Liber Bartholomaei füllt die Leerstelle, die Johannes hinsichtlich des Grundes der Abwesenheit lässt, mit dem längeren Einschub über die Missionsaktivitäten des Thomas. Anschließend greift der Li­ ber Bartholomaei den Faden der johanneischen Thomasepisode wieder auf. Im Erzählgefälle des Liber Bartholomaei bedeutet die Abwesenheit des Thomas, dass ihm die präparierende, für den Aposteldienst entscheidende Versiegelung durch Jesu Blut nicht zuteilwurde. Obwohl die Ausgangssituation damit bereits gegenüber Joh 20,24 anders akzentuiert ist, orientiert sich der Text zunächst eng an Joh 20,24–29 und nimmt aus Joh 20,25 auch die Bedingung auf, unter die der johanneische Thomas seinen vollkommenen Osterglauben stellt (Ms. C p. 52 [23,5]): ϫⲉ ⲉⲓⲧ̅ⲙⲛⲉϫ ⲡⲁⲧⲏⲏⲃⲉ ⲉϫ̅ⲛ ⲛⲉϣⲥ̣ⲛ̣ⲉ̣ⲓ̣ϥ̅ⲧ· ⲁⲩⲱ ⲧⲁϭⲓϫ ⲧⲁⲟⲩⲁϩⲥ̅ ⲉϫ̅ⲛⲧⲉϣⲥⲛ̅ⲗⲡⲅⲭⲏ ⲛ̇ϯⲛⲁⲡⲓⲥⲧⲉⲩⲉ ⲁⲛ ϫⲉ ⲁϥⲧⲱⲟⲩⲛ ⲉⲃⲟⲗ ϩⲛ̅ ⲛⲉⲧⲙⲟⲟⲩⲧ

48 Übers.

Schenke. Ps 95,10a LXX und Justin, Dial. 73: „Aus Davids fünfundneunzigstem Psalme haben sie die kurze Bemerkung ‚von dem Holze‘ entfernt. Denn von den Worten: ‚Saget es unter den Heiden: der Herr ist König geworden vom Holze her‘ haben sie noch übriggelassen: ‚Saget es unter den Heiden: der Herr ist König geworden‘“ (Übers. Haeuser). 49 Vgl.

7.4 Die Bedeutung des Leibes und Blutes Jesu

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Wenn ich meinen Finger nicht in die Nägelmale stecke und meine Hand nicht auf die Lanzenwunde lege, werde ich nicht glauben, daß er von den Toten auferstanden ist.50

Im Kontext des Liber Bartholomaei, vor allem nachdem Thomas bereits – durch die Ostereignisse dazu befähigt und im Namen Jesu Christi – den Siophanes auferweckt und eine Gemeinde gegründet hat, erscheint diese Bedingung sperrig. Auch wirkt die Darstellung der Auferstehung Jesu gegenüber seiner Befreiung der Seelen aus dem Machtbereich des Todes, den Himmelsvisionen der verherrlichten Gestalt Jesu und seiner glanzvollen Himmelfahrt in Begleitung der himmlischen Heerscharen eher unspektakulär. Im Entstehungszeitraum des Liber Bartholomaei ist Jesu Auferstehung offenkundig kein Glaubensgehalt mehr, der noch besonders begründet werden müsste. Der Verfasser muss sich dieser Problematik bewusst gewesen sein und lässt Thomas daher gegenüber den Jüngern erklärend hinzufügen (Ms. C p. 52 [23,5–7]): ⲛ̅ϯⲡⲓⲥⲧⲉⲩⲉ ⲅⲁⲣ ⲁⲛ ϫⲉ ϥⲛⲁⲧⲱⲟⲩⲛ ⲙ̅ⲡⲉϥⲟⲩⲟⲛϩϥ̅ ⲉⲣⲟⲓ̈· ⲁⲩⲱ ϥⲛ{ϥ}ⲁ*51 ⲗⲩⲡⲉⲓ ⲙ̅ⲙⲟⲓ̈ ⲁⲛ· ⲁϥϫⲟⲟⲥ ⲅⲁⲣ ⲛⲁⲛ· ϫⲉ ⲛ̇ϯⲛⲁⲡⲉⲣ̅ϫ ⲧⲉⲩⲧⲛ̅ {ⲛ}ⲁⲛ ⲉⲃⲟⲗ ⲛ̅ⲛⲉⲧⲛ̅ⲣⲏⲩ· ⲁⲗⲗⲁ ⲡⲉⲓⲕⲗⲏⲣⲟⲥ ⲛ̅ⲟⲩⲱⲧ ⲡⲉⲧⲛⲁϣⲱⲡⲉ ⲛⲏⲧⲛ̅ ϩ̅ⲛⲧⲁⲙⲛ̅ⲧⲣⲟ· […] ϯⲡⲓⲥ̣[ⲧⲉ]ⲩⲉ ϫⲉ ⲁϥⲧⲱ̣[ⲟⲩⲛ] ⲉⲃⲟⲗ*· ⲁⲩⲱ ⲟⲩⲁⲧⲙⲟ̣ⲩ̣ ⲡ̣ⲉ· ⲛ̅ⲧⲁϥϫⲓ ϯⲡ̣[ⲉ] ⲅⲁⲣ ⲙ̅ⲡⲙⲟⲩ ⲉⲧⲃⲉ [ⲡⲉⲛⲟⲩ]ϫ̣ⲁⲓ̈ ⲧⲏⲣ̅ⲛ̣ ⲁⲩⲱ ϩⲓ⟨ⲧ̅ⲛ⟩* ⲧⲛⲟϭ ⲛ̅ⲗⲩ[ⲡⲏ ⲛ̅ⲧ]ⲁ̣ⲓⲇⲓⲥⲧⲁⲍ̣[ⲉ] ϫⲉ ⲙ̅[ⲡⲉⲓ]ⲛ̣ⲁ̣ⲩ̣ ⲉⲣⲟϥ Denn ich glaube nicht, daß er auferstehen würde, ohne sich mir gezeigt zu haben. Und er würde mich nicht betrüben. Denn er sagte zu uns: „Ich werde euch nicht voneinander trennen. Sondern dasselbe Los ist es, das euch zuteilwerden wird in meinem Reich. […] Ich glaube, daß er auferstanden ist ⟨…⟩ und unsterblich ist. Denn um [unser] aller Erlösung willen hat er den Tod geschmeckt, und aufgrund der großen Traurigkeit darüber, daß [ich] ihn nicht gesehen habe, habe ich gezweifelt.52

Nach einer vermittelnden, den Glauben stärkenden Intervention des Bartholomäus erscheint der Erlöser allen Jüngern und Thomas und fordert Letzteren zu einem ausführlichen Betasten der Nägelmale und zum Betrachten aller Spuren seiner Verspottung, Geißelung und Kreuzigung auf (Ms. C p. 54 [24,3]): Führe deinen Finger hierher und leg’ ihn auf meine Hand und sieh die Nägelmale, und sieh auch die Spuren der Backenstreiche, die mir ins Gesicht gegeben wurden, und den Speichel, der mir ins Gesicht und in die Augen gespieen wurde, und die Spuren von den Stacheln, die in dem Dornenkranz waren, der ⟨mir⟩ auf das Haupt gesetzt wurde, und die Wunden von den Stöcken, mit denen ich auf das Haupt geschlagen wurde. [Komm] und sieh den Essig und die Lanze und die Galle, womit ich getränkt wurde anstelle von einem klein wenig Wasser, um das ich sie gebeten hatte: „Bringt es, daß ich trinke“, und sei nicht ungläubig, sondern gläubig, und glaube so, wie es recht ist!53

Nicht nur Jesu Forderung, dass Thomas ihn betasten solle (vgl. Joh 20,27), sondern auch das anschließende Bekenntnis des Thomas wird gegenüber der Vor50 Übers.

Schenke. die Bewertung der im koptischen Text durch Asterisk (*) gekennzeichneten Textprobleme verweise ich auf die Edition von Westerhoff. 52 Übers. Schenke. 53 Übers. Schenke. 51 Für

256

7. Liber Bartholomaei

lage (Joh 20,28) erheblich ausgeweitet. Thomas bekennt sich in modalistischer Weise zu Christus als dem Vater, dem Sohn und dem Heiligen Geist, der von den Toten auferstanden ist und jeden bei seiner Auferweckung mitauferweckt habe (vgl. Ms. C p. 54 [24,4]). Die anschließende, oft als latenter Tadel der Glaubensforderung des Thomas gedeutete Reaktion Jesu, die in Joh 20,29 das Verhältnis von Sehen und Glauben reflektiert und den Glauben ohne Sehen bei den Nachgeborenen legitimiert, wird in der Rezeption des Liber Bartholomaei durch die Zusage des Mitseins Jesu mit Thomas ersetzt. Bei Johannes kommt die Erzählung an dieser Stelle zu einem feierlichen, nach außen an die späteren Generationen gerichteten Abschluss, an den sich (vor dem Nachtragskapitel) nur noch ein Erzählerkommentar anfügt. Im Li­ ber Bartholomaei wird der Dialog demgegenüber noch um eine weitere, entscheidende Handlung mit anschließendem Deutewort ergänzt. Durch die finale Stellung bildet dieser letzte, über Joh 20 hinausschießende Teil den eigentlichen Höhepunkt der Erscheinung Jesu vor Thomas. Er knüpft noch einmal an die erste Erscheinung Jesu vor allen Jüngern an, indem er das Motiv der Versiegelung aufgreift. Jetzt erst kommt es zu der „Fingerprobe“, nachdem bereits die Glaubenszweifel des Thomas vollständig ausgeräumt wurden. Auf diese Weise erhält sie im vorliegenden Kontext eine ganz neue Sinnrichtung. Thomas, der bei der Versiegelung durch Jesu Blut nicht anwesend war, nimmt nun selbständig mit seinem Finger Blut von der Seitenwunde Jesu und versiegelt sich damit. Bemerkenswert ist, dass Thomas selbst die Initiative ergreift, die Seitenwunde berührt und von dem wirkmächtigen Blut nimmt (Ms. C p. 55 [24,6]). Der Auferstandene ist hier schon nicht mehr der souverän Handelnde, sondern erscheint als der passive Spender einer heilswirksamen, letztlich von der Kirche verwalteten und sakramental weitervermittelten Materie. Gleichwohl ist es Jesus, der die deutenden Worte dazu an alle Apostel richtet (Ms. C p. 55 [24,6]): ⲉⲓⲥ ⲡⲁⲥⲛⲟϥ ⲛ̅ⲛⲟⲩⲧⲉ ⲁϥⲧⲱϭⲉ ⲉⲡⲉⲧ̅ⲛⲥⲱⲙⲁ· ⲁ\ⲧⲉ/ⲧ̅ⲛⲣ̅ⲛⲟⲩⲧⲉ ⲛ̅ⲧⲱⲧⲛ̅ ϩⲱⲧⲧⲏⲩⲧ̅ⲛ ⲛ̅ⲧⲁϩⲉ· ⲉⲓⲥⲏⲏ̇ⲧⲉ ϯϣⲟⲟⲡ ⲛ̅ⲙⲙ\ⲏ/ⲧ̅ⲛ ϣⲁϩⲣⲁⲓ̈ ⲉⲧⲥⲩⲛⲧⲉⲗⲉⲓⲁ ⲙ̅ⲡⲁⲓⲱⲛ Siehe, mein göttliches Blut hat sich mit eurem Leib verbunden. Auch ihr selbst seid göttlich geworden wie ich. Siehe, ich bin bei euch bis zum Ende des Äons.54

Die Verbindung der Leiber der Apostel mit Jesu Blut bewirkt also ihre Vergöttlichung, ihr „Göttlichwerden“ wie Jesus. Bemerkenswert ist der ausgeprägt körperliche, materielle Akzent dieser „Vergöttlichung“. An das Göttlichwerden knüpft sich zugleich aber auch der Auftrag an die Apostel, Jesu Wirken fortzusetzen, so dass die Versiegelung in gewisser Hinsicht der Geistgabe in Joh 20,22 und Apg 2,4 entspricht. Die Apostel sollen die Lebensgabe, die sie empfingen, in Gestalt der Eucharistie weitergeben. Das ist der Inhalt der einzelne Elemente aus Joh 21,15–17 aufgreifenden Abschlussmahnung Jesu (Ms. C p. 55f. [24,7]): 54 Übers.

Schenke.

7.4 Die Bedeutung des Leibes und Blutes Jesu

257

ⲙ̅ⲡ̅ⲣⲁⲙⲉⲗⲉⲓ ⲡⲉⲧⲣⲟⲥ ⲛ̅ⲧⲟⲕ ⲙ̅ⲛⲛⲉⲕⲥⲛⲏⲩ [. . . .] . ϭ̣ . .̇ .̄ [. .] ⲛ̣ⲁ̣ⲉ̣ⲥ̣ⲟ̣ⲟ̣ⲩ̣* ⲙ̣ⲟⲟⲛⲉ ⲙ̅ⲙⲟⲟⲩ̣ [   ] . . . . ⲛ̣ . (p. 56) ϣⲁⲛⲧⲉⲧⲉⲛ̅ⲥⲱⲟⲩϩ ⲙ̅ⲡⲕⲟⲥⲙⲟⲥ ⲧⲏⲣϥ ⲉ̣ϩ̣[ⲟⲩⲛ] ⲉⲧⲁⲉⲕⲕⲗⲏⲥⲓⲁ ⲉⲧⲧⲁⲏⲩ· ⲛ̅ⲥⲉⲱⲛ̅ϩ ϩ̅ⲛⲟⲩ̣ⲱ̣ⲛ̅ϩ ⲛ̇ⲁⲧⲧⲁⲕⲟ ⲛ̇ⲥⲉϫⲓ ⲙ̅ⲡⲥⲱⲙⲁ ⲛ̅ⲛⲟⲩⲧ[ⲉ]ⲓ ⲙ̅ⲛⲡⲁⲥⲛⲟϥ ⲉⲧⲧⲁⲏⲩ ⲛ̅ⲥⲉⲱⲛ̅ϩ ϩⲛⲟⲩⲉⲓⲣⲏ[ⲛⲏ] ϩⲁⲙⲏⲛ Vernachlässigt nicht, du Petrus und deine Brüder, […] meine Schafe! Weidet sie! […] (p. 56) bis ihr die ganze Welt in meiner ehrenwerten Kirche zusammengebracht habt, sie in unvergänglichem Leben leben und den göttlichen Leib und mein kostbares Blut empfangen und (dadurch) zum Leben kommen. In Frieden. Amen.55

Dies sind die letzten Worte Jesu im Liber Bartholomaei, bevor er wieder in den Himmel aufsteigt. Sie beinhalten eine nochmalige Sendung aller zwölf Apostel zur weltweiten Mission und Sammlung aller Glaubenden in die universale Kirche. Im Zentrum der Kirche soll der Empfang des „göttlichen Leibes und kostbaren Blutes“ Jesu stehen, mit denen die Gabe des unvergänglichen Lebens einhergeht. Die Substanz des Blutes Jesu, mit der die Versiegelungen der Apostel vorgenommen wurde, wird nun also noch einmal in einen eucharistischen Zusammenhang gestellt. Damit leitet der Text, in Analogie zu der letzten Erscheinung Jesu vor Thomas in Joh 20,24–29, aus der Osterzeit über in die Zeit der leiblichen Abwesenheit Jesu und der Gegenwart seiner Leserinnen und Leser. Er verweist sie auf die Eucharistie als den Ort, an dem Jesu Leib und Blut gegenwärtig empfangen werden. Im Liber Bartholomaei übernimmt also die Eucharistie die nötige Brückenfunktion zwischen der Zeit des Wirkens Jesu und der Gegenwart. Sie garantiert die lebensspendende, leibliche Präsenz Jesu in seiner Kirche und kann deshalb als „Schatz des Lebens“ bezeichnet werden (Ms. C p. 57 [25,6]). 7.4.4 Die abschließende Eucharistiefeier der Apostel Konsequenterweise mündet die Passage in eine beispielgebende, modellhafte Eucharistiefeier der Apostel. Der Liber Bartholomaei nutzt sie als Gelegenheit, seine Eucharistieauffassung an hervorgehobener, finaler Stelle unterzubringen. In der letzten Szene versammeln sich die Apostel, gestärkt durch Jesu wunderbare Himmelfahrt und auf Initiative des Petrus, zur Feier des Abendmahls mit dem „erlesenen Brot“, einem Kelch unvermischten Weines und mit Weihrauch. Der Text ist hier leider lückenhaft überliefert, aber ein wesentlicher Aspekt in der Eucharistiebeschreibung, das Bluten der Seitenwunde Jesu in den Abendmahlskelch, ist erhalten (Ms. C p. 56f. [25,3]): ⲁⲩϭⲱϣ̅[ⲧ] ⲛ̅ϭⲓ ⲛ̅ⲁ̣ⲡ̣[ⲟⲥⲧⲟⲗⲟⲥ   ] (p. 57) [ ]ⲟⲩⲣ̣ [ ~5 ] ̣ⲙⲉ ⲛ̅[ ]ⲛ̣ ⲁⲩⲱ̣ [ ~6 ]ⲉⲃⲟⲗ· [ ~6 ⲛ̅ⲧⲉⲣⲟⲩⲡ] ⲱϣ ⲙⲙⲟ̣ϥ [ϩⲓϫ]ⲛⲧⲉⲧⲣⲁ|[ⲡⲉⲍⲁ· ⲁⲛⲉⲩⲃⲁⲗ ⲟ]ⲩⲱⲛ* ⲁⲡⲉⲩϩⲏⲧ ⲟⲩⲛⲟϥ· [ⲁⲩⲟⲩ]ⲱ̣ϣⲧ ⲧ̣[ⲏⲣⲟⲩ] ⲉⲡϣⲏⲣⲉ ⲙ̅ⲡⲛⲟⲩⲧⲉ [ⲉ]ϥϩⲙⲟⲟⲥ ⲛ̅ⲥ̣ⲁ̣[ⲟⲩⲛⲁ]ⲙ̣ ⲙ̅ⲡⲉϥⲉⲓⲱⲧ· ⲉⲣⲉ ⲡⲉϥⲥ̣ⲱ̣ⲙⲁ ϩⲓϫ̅ⲛ ⲧⲉ̣ⲧ̣ⲣⲁ̣ⲡⲉⲍⲁ ⲉⲩⲥⲟⲟⲩϩ ⲉⲣⲟϥ· ⲉⲩⲡⲱϣ ⲙ̅ⲙⲟϥ· ⲁⲩⲛⲁⲩ ⲉⲡⲉⲥⲛⲟϥ* ⲛ̅ⲓⲥ̅ ⲉϥϣⲟⲩⲉ ⲥⲛⲟϥ ⲛ̇ⲱⲛ̅ϩ ⲉⲡⲉⲥⲏⲧ ⲉⲡⲡⲟⲧⲏⲣⲓⲟⲛ· Die [Apostel] blickten auf […] (p. 57) […] und […] heraus [… als sie] ihn [auf ] dem Tisch teilten, [wurden ihre Augen] geöffnet. Ihr Herz begann zu jubeln. [Sie] huldigten [alle] dem Sohn Gottes, sitzend zur [Rechten] seines Vaters, während sein Leib (gleichzeitig) auf dem 55 Übers.

Schenke.

258

7. Liber Bartholomaei

Tisch war und sie an ihm versammelt waren, um ihn zu teilen. Sie sahen, wie die ⟨Seite⟩ Jesu Lebensblut in den Kelch hinabfließen ließ.56

Der kollektiven Vision nach befindet sich Jesus während der Eucharistiefeier im Himmel zur Rechten Gottes und ist gleichzeitig leiblich bei der Mahlfeier präsent, so dass sein Leib von den Jüngern geteilt und der Inhalt des Kelches direkt aus der Seitenwunde entnommen werden kann. Die Eucharistiefeier überbrückt auf diese Weise die Trennung zwischen der himmlischen und der irdischen Sphäre.57 Die hier der Darstellung zugrundeliegende Interpretation der Eucharistie gilt für alle künftig zelebrierten Mahlfeiern der Kirche. Fortan, so kann man schlussfolgern, ist Jesus leiblich bei der Eucharistie gegenwärtig, so dass alle Teilnehmenden Anteil an ihm und an seinem „Lebensblut“ erhalten. Die Wirkung der österlichen Jüngerversiegelung (Ms. C p. 43 [20,12]) und der Versiegelung des Thomas (Ms. C p. 55 [24,6]) mit dem frischen Blut aus der Seitenwunde 58 wird eucharistisch transformiert und für alle Glaubenden zugänglich gemacht. Der Glaubende verbindet sich leiblich mit dem Blut Jesu, die Eucharistie hat also dieselbe Wirkung wie der Kontakt der Jünger mit dem Blut der Seitenwunde. Mit ihrer Position am Ende des Textes wird die Abendmahlsfeier zum Zielpunkt der Passions-, Kreuzigungs- und Erscheinungserzählungen des Liber Bartholomaei, d. h. die Heilsereignisse der Kreuzigung und Auferstehung Jesu münden in die Eucharistie und kommen so den Glaubenden zugute. Petrus preist Christus abschließend als den, der ihnen „die Herrlichkeit seines Leibes und des göttlichen Blutes“ enthüllte. Die große Bedeutung der Eucharistie im Liber Bartholomaei fügt sich insgesamt gut in das Bild eines Textes ein, der, wie seine zahlreichen liturgischen und hymnischen Passagen nahelegen, zur Erbauung in gottesdienstlichem Kontext gedacht war.59 56 Übers.

Schenke. Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy, 163: „L’association du ciel et de la terre dans la liturgie s’exprime ailleurs dans le fait que les anges eux-mêmes chantent ‚l’hymne de la bénédiction‘ sur le corps et le sang du Christ (7,6).“ 58 Schenke, AcA, 859, schließt aus der Wundenverehrung des Ananias, die in Ms. A p. 35 (3,1) geschildert wird, und dem anschließenden Erzählerkommentar („er küßte die Seite, die um unser aller Heil willen durchbohrt worden war“) auf eine fortdauernde Funktion der Seitenwunde für die Eucharistiefeier: Vielleicht setze der Text voraus, dass die Wunde immer neu zu bluten anfängt, sobald auf der Erde die Eucharistie gefeiert wird. Auf diese Weise fließt das frische Blut Jesu aus der Seitenwunde in den Kelch. Schenke hält es außerdem für möglich, dass dahinter „eine Anspielung auf eine ekklesiologische Auffassung von der Bedeutung der Seitenwunde Jesu“ stehe, „wie sie sich einerseits in der Nag Hammadi-Schrift ‚Die Interpretation der Gnosis‘ (NHC XI,1, p. 10,34–36), andererseits im Triadon (487) fin­ det. Danach bedeutet die durchbohrte Seite Jesu das geöffnete Tor der Rückkehr zum Ur­ sprung, das wiederaufgetane Tor zum Paradies“ (ebd.). Allerdings ist die erstgenannte Deutung angesichts der abschließenden Eucharistiedarstellung im Liber Bartholomaei sicher die plausibelste. 57 Vgl.

7.5 Zusammenfassung

259

7.5 Zusammenfassung Wie59 eingangs festgestellt, vertritt der Liber Bartholomaei ein dichotomisches Menschenbild: der Mensch ist eine Einheit aus Leib und Seele. Überblickt man den gesamten Text, zeigt sich, dass die überlieferten Vorstellungen einer Auferstehung und Unvergänglichkeit der Glaubenden für den Verfasser des Liber Bartholomaei vor allem hinsichtlich des menschlichen Körpers begründungsbedürftig sind. Für den Gedanken einer (wenn auch in der Unterwelt geminderten) Weiterexistenz der Seele bedarf es dagegen offenbar keiner ausführlichen Argumentation. Um aber den Fortbestand des Körpers plausibel erscheinen zu lassen und zugleich vom Heilswirken Jesu abhängig zu machen, zieht der Text ebenso wie einige andere in dieser Untersuchung diskutierte Zeugnisse die Eucharistie heran und entwickelt eine Eucharistiedeutung, nach der die Eucharistieempfänger mit der versiegelnden Substanz des Blutes Jesu versorgt werden und ihr Leib auf diese Weise unvergänglich wird. Vorausgesetzt ist Jesu leibliche Präsenz zur Rechten Gottes mit allen Wunden und Spuren seines Leidens, obwohl er zugleich einen verherrlichten Leib von besonderem Glanz besitzt, wie die Vision des Bartholomäus von Jesu Himmelfahrt bezeugt. Es ist der verherrlichte Gekreuzigte, dessen Wunden zum Heil der Menschen verewigt sind. Auch in anderer Hinsicht ist der Leib Jesu besonders: Während ein „zerteilter“, verwesender Leib in der Anthropologie des Liber Bartholomaei etwas Verabscheuungswürdiges ist und der Vergänglichkeit anheimfällt, bedeutet das Teilen des Leibes Jesu dagegen Heil und Unvergänglichkeit für die Glaubenden. Was die Eucharistie betrifft, so ist ihr Empfang zwar noch nicht mit der Auferstehung selbst gleichzusetzen, jedoch vermittelt die Eucharistiefeier das Blut Jesu, auf dessen Funktion für das Heil und für die Unvergänglichkeit des Körpers die Leserinnen und Leser bereits durch das Ananiasmartyrium und die Erscheinungen des Auferstandenen vor den Jüngern aufmerksam gemacht wurden. In der Episode über Ananias ist die Funktion der eucharistischen Elemente schon am Beispiel eines Einzelschicksals vorweggenommen, weil hier auf Ananias’ Berührung der Wunden des Gekreuzigten60 die Verheißung seiner leiblichen Bewahrung folgt. Und die Vergöttlichung, die den Jüngern wegen ihres Kontakts mit dem Blut Jesu zugesagt ist, ihre Versiegelung, geht der abschließenden Eucharistie unmittelbar voraus.61 Auch die Bezeichnung des in der Eucharistie dargereichten Blutes als ⲥⲛⲟϥ ⲛ̅ⲱⲛϩ, „Lebensblut“ (Ms. C p. 57 59 Vgl. Kaestli / Cherix, L’évangile de Barthélemy, 172: „Enfin, l’accent mis sur les éléments de l’eucharistie, et spécialement sur le pouvoir salutaire et divinisant du sang de Jésus, s’accorde bien avec l’hypothèse d’un écrit destine à édifier les fidèles dans le cadre du culte.“ 60 Bemerkenswert ist, dass es sich hier, in der Ananiasepisode, noch nicht um den Gekreuzigten handelt, dessen Körper heilswirksam ist. 61 Ähnliche Beobachtungen bei Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 302 Anm. 70, und Schenke, AcA, 858f.

260

7. Liber Bartholomaei

[25,3]), qualifiziert die Eucharistie als das Ritual, bei dem die Glaubenden ihre Körper für die Wiedervereinigung mit ihren Seelen präparieren. Indem das Blut aus Jesu weiterhin offener Seitenwunde mit den Glaubenden leiblich in Kontakt kommt, ist sichergestellt, dass ihre Körper bis zur Restitution der leiblich-seelischen Ganzheit in der Auferstehung keine Zeichen des Todes zeigen. Die Vergöttlichung der Jünger durch das Blut der Seitenwunde, ihr „Göttlichwerden“ wie Jesus selbst, kann man als eine besondere Ausprägung des Ideals der Gleichgestaltung mit Christus verstehen, das in den hier behandelten Texten in unterschiedlicher Weise verarbeitet wird, besonders oft aber in Verbindung zur Eucharistie steht. Im Liber Bartholomaei begegnet es in verschiedenen Zusammenhängen. Die Besonderheit dieses späten, christlich-koptischen Textes liegt darin, dass die anzustrebende Gleichgestaltung mit Christus als eine dezidiert leibliche erscheint. Sie wird durch den Leib Jesu, des Gekreuzigten und Verherrlichten, vermittelt. Im narrativen Rahmen der Neuerzählungen von Kreuzigung und Erscheinungen Jesu können sich die Protagonisten durch einen direkten Kontakt zu Jesu Leib ihm angleichen: (1) So macht sich der Kreuzigungszeuge Ananias Christus „gleich“ – zunächst leiblich, indem er Jesu Leib berührt, in engen Kontakt mit ihm tritt und seine Wundmale verehrt, dann in Form der Nachfolge durch sein eigenes Martyrium. Das vorbildliche Handeln des Ananias wird belohnt, und seine Angleichung an Christus vollendet sich in der Aufnahme seiner Seele in den Himmel und der Bewahrung seines Leibes. (2) Das Motiv der Gleichförmigkeit mit Jesus ist außerdem in den hymnischen, visionären Abschnitten des Liber Bartholomaei präsent. Dort wird es in allgemeiner heilsgeschichtlicher Perspektive mit der Erlösung der adamitischen Menschheit in Zusammenhang gebracht und mit Rekurs auf Adam thematisiert, der die adamitische Menschheit repräsentiert. Adam kehrt als „verlorener Sohn“ zu seinem Ursprung zurück (vgl. Ms. C p. 16 [6,3]) und wird feierlich als Sohn Gottes nach dem Vorbild Jesu restituiert. Mit der Vergebung seiner Sünden wird er zu dem Sohn, den Jesus als Ideal repräsentiert. An Adam realisiert sich damit exemplarisch die Angleichung des Menschen an das wahre Ebenbild und Abbild Gottes, so dass Gott in diesem Zusammenhang selbst sagt: „Denn [ich habe] mich mit meinem Abbild wieder versöhnt“ (Ms. C p. 32 [15,1]). (3) Das Ideal der Gleichgestaltung mit Christus steht nicht zuletzt hinter der Eucharistieauffassung und der Vorstellung der Versiegelung der Körper der Eucharistieempfänger durch die eucharistischen Elemente. Durch Substanzübertragung garantiert die Eucharistie unversehrte Körperlichkeit auch nach dem Tod und schafft damit die Voraussetzung für die Auferstehung, bei der die Seele in den intakten Körper zurückkehrt. Insgesamt drückt sich hier eine gegenüber den anderen behandelten Texten originäre Auffassung von der leiblichen Auferstehung aus. Weder erhält der Mensch ein neues, unvergängliches Fleisch noch wird sein Körper gleichsam innerlich durch die eucharistische, geistige Nahrung genährt und für die

7.5 Zusammenfassung

261

Unvergänglichkeit aufgebaut. Nicht das verinnerlichende Essen bewirkt eine Umwandlung des Leibes, sondern eine äußere Wirkung der eucharistischen Elemente konserviert den Leib. Versteht man Auferstehung des Fleisches als Neubelebung des Fleisches, als Reversion seiner Verfallsspuren, so kann man Westerhoff darin recht geben, dass das „Konzept“ der Bewahrung des Leibes im Liber Bartholomaei als einem Repräsentanten des koptischen Christentums, das unter klassisch-ägyptischen Einflüssen stand, der mehrheitskirchlichen Vorstellung einer Auferstehung des Fleisches gegenübersteht und diese ersetzt.62 Im Grunde wird im Liber Bartholomaei nicht mit einem eschatologischen Moment der Wiederherstellung des menschlichen Leibes nach dem Tod gerechnet, sondern mit dessen Konservierung schon zu Lebzeiten. Ein Gedanke der Umwandlung oder Transformation liegt dem nicht zugrunde. Zur Vorstellung der leiblichen Auferstehung gehört im Liber Bartholomaei aber auch die Rückkehr der Seele in den Körper, und erst die daraus resultierende Einheit macht den auferstandenen Menschen aus. Erst dann ist die Auferstehung vollendet und der Mensch in seiner leiblich-seelischen Einheit wiederhergestellt, wie in der Episode über die Auferweckung des Thomassohnes Siophanes exemplarisch vorweggenommen ist. Ganz von einer inneren Transformation und geistigen Neuorientierung trennen lässt sich die Rede von der Versiegelung durch (Leib und) Blut Jesu aber nicht. Auch wenn die Bewahrung des Körpers sicher im Zentrum steht, geht es bei diesem Vorgang wohl nicht ausschließlich darum. Sonst läge eine wichtige Wirkung der Jüngerversiegelung und Vergöttlichung durch das Blut Jesu nicht in der Befähigung, Jesu Werk in der weltweiten Sammlung der Kirche fortzusetzen. Darin zeigt sich ein schon gegenwärtiger, nicht auf die Körperlichkeit beschränkter Effekt der Versiegelung. Auch der Lebensbegriff, der mit Leib und Blut Jesu in Verbindung gebracht ist, umfasst mehr als den Schutz des Körpers vor Zerfall. In seiner Grundsätzlichkeit geht er über die Bewahrung des Körpers hinaus und nimmt die leiblich-seelische Einheit des Menschen insgesamt in den Blick, welche allein die Qualität des vollkommenen Lebens für sich beanspruchen kann. So wird im Liber Bartholomaei zwar schwerpunktmäßig die körperliche, materielle Seite der Unvergänglichkeit thematisiert, letztendlich geschieht dies aber vor dem Hintergrund der Hoffnung auf eine Auferstehung in leiblich-seelischer Ganzheit.

62 Vgl. Westerhoff, Auferstehung und Jenseits, 300: „Der Zähigkeit, mit der sich paganägyptisches Denken durchgehalten hat, ist zuzuschreiben, daß die in der alten Kirche seit den Apologeten gegen Gnosis und Hellenismus verteidigte Lehre von der Auferstehung des Fleisches sich im LibBarth durch die Vorstellung von der Bewahrung des Leibes ersetzt findet.“

Kapitel 8

Abschließende Beobachtungen 8.1 Zusammenfassung der Einzelergebnisse 8.1.1 Vorbemerkungen Die hier untersuchten Zeugnisse stammen aus unterschiedlichen Phasen des sich entwickelnden Christentums und aus verschiedenen Regionen seiner Verbreitung. Sie zeigen je sehr individuelle Ausprägungen eines Auferstehungsglaubens, die sich im Rahmen eines Fazits keineswegs alle systematisieren und zu einem geschlossenen Bild zusammenfügen lassen. Die Vielfalt der Ansätze soll stattdessen als solche wahrgenommen werden, um daraus abschließend nur einige wenige Punkte herauszugreifen, die für die Texte insgesamt relevant scheinen. Die verschiedenen hier untersuchten Texte belegen die Vorstellung, dass der Leib Jesu für die Todesüberwindung, die Auferstehung und das vollkommene Leben aller Glaubenden wirkmächtig ist – teilweise in seiner ganz konkreten Erscheinung und mit seiner fleischlichen Substanz, teilweise als Raum bzw. ⲁⲓⲱⲛ transzendiert, in den die Glaubenden nach ihrem Tod aufsteigen. Um das zu entfalten, greifen sie auch auf neutestamentliche Texte zurück. Unter dem Einfluss platonisierender Schriftauslegung und einer intertextuellen, verschiedene Schriften aufeinander beziehenden Bibellektüre konnten überlieferte Bilder und Vorstellungen, beispielsweise vom Fleisch Jesu als lebendigem Brot (vgl. Joh 6,51) und von der Gemeinschaft der Glaubenden als Glieder seines Leibes (Eph 5,30), ein reiches Spektrum an Deutungsmöglichkeiten freisetzen. Der Kontext der Diskussion um die Auferstehung ist von der philosophischen Grundüberzeugung eines fundamentalen Kontrasts bestimmt, der zwischen der permanent veränderlichen und vergänglichen Verfasstheit des Menschen einerseits und dem ewigen, unveränderlichen Sein des Göttlichen andererseits besteht. Wie ihre Zeitgenossen sahen auch antike Christen den fleischlichen Leib des Menschen wie alle Materie den Bedingungen von Veränderlichkeit und Instabilität unterworfen.1 Das prägte ihr Nachdenken über Kontinuität und Identität über den Tod hinaus und wurde ebenso bei der Lektüre und Auslegung der Evangelien und Paulusbriefe relevant. Die Frage, wie angesichts des fundamentalen Gegensatzes zwischen der beobachteten Veränderlichkeit des Körpers und dem ewigen göttlichen Sein an der Überzeugung festzuhalten ist, 1 Vgl.

King, Images of Aging and Immortality, 60.

264

8. Abschließende Beobachtungen

dass der Mensch leiblich auferstehen und am ewigen göttlichen Sein teilhaben kann (vgl. die Formulierung in 2 Petr 1,4: γένησθε θείας κοινωνοὶ φύσεως), beeinflusste den Umgang mit neutestamentlichen Texten und Motiven. Zugleich gab es auch im Umfeld des antiken Christentums unterschiedlichste Vorstellungen über die Durchbrechung der Grenze zwischen verschiedenen Existenzweisen, von Übergängen und Metamorphosen von einer Seinsweise in die andere. Hier boten Erzählungen über Verwandlungen von Menschen und von Entrückungen in die göttliche Sphäre,2 pagane philosophische Diskurse über das Verhältnis zwischen Veränderung und Dauer,3 hellenistisch-jüdische Literatur mit platonisch-stoischem Hintergrund,4 aber auch medizinische Traktate, die sich unter anderem mit der Frage nach anhaltender Identität des menschlichen Körpers bei gleichzeitigem Wandel auseinandersetzten,5 ein Repertoire potentieller Deutungsmöglichkeiten für den Auferstehungsprozess, die Verwandlung in einen unvergänglichen Leib und die Angleichung an Christus.6 Das frühe Christentum konnte sich hier an einer Vielfalt vorhandener Deutungsstrukturen orientieren oder sich von ihr abgrenzen. 8.1.2 Die Rezeptionen der Erscheinungsüberlieferung (Lk 24,36–43 und Joh 20,19–28) im Brief des Ignatius an die Smyrnäer, im Evangelium Veritatis und im Liber Bartholomaei Die Überlieferung vom Erscheinen des auferstandenen Jesus am Ostermorgen in einem Leib musste bei dieser Deutungsarbeit besonders interessieren, weil dieser Leib selbst die Spannung zwischen beiden Seinsweisen zu halten schien und sich so den Osterzeugen offenbarte. Drei der hier behandelten Texte lassen dieses Interesse deutlich erkennen und ziehen daraus Schlussfolgerungen für die Überwindung des Todes und die Auferstehung der Glaubenden: Der Brief des Ignatius an die Smyrnäer, das Evangelium Veritatis und das „Buch der Auferstehung Jesu Christi“ (Liber Bartholomaei) beziehen sich 2 Vgl. die Metamorphoses des Ovid und des Apuleius; die Entrückungen von Heroen nach Diodorus Siculus, Bibliotheca historica 4,38,5; Dionysius von Halicarnassus, Ant. rom. 1,64,4; Livius 1,16,1–8; Philostratus, Vit. Apoll. 8,30f.; vgl. auch die Vorstellungen von Apotheosen von Herrschern im römischen Kaiserkult. 3 Veränderung und Dauer bzw. Identität wurden schon in der Vorsokratik und griechischen Klassik diskutiert, vgl. Heraklit, Parmenides, Platons Parmenides und Symposium, Aristoteles’ De generatione et corruptione. 4 Vgl. z. B. Philo, Mos. 2,288 über die Aufnahme des Mose in den Himmel, bei der seine Doppelnatur aus σῶμα und ψυχή von Gott zu einer Einheit, dem νοῦς, transformiert wird. Weitere Auferstehungspassagen in den zusätzlichen Schriften der Septuagintaüberlieferung und dem jüdischen Schrifttum aus hellenistisch-römischer Zeit sowie in der paganen griechisch-römischen Literatur werden ausführlich bei Cook, Empty Tomb, behandelt. 5 Vgl. Galen, De temperamentis über die veränderlichen Eigenschaften des Menschen und ihre substantiellen Grundlagen während unterschiedlicher Lebensphasen. 6 Vgl. Seim / Økland, Metamorphoses, 1–5, und vor allem Songe-Møller, Metamor­ pho­sis.

8.1 Zusammenfassung der Einzelergebnisse

265

jeweils auf Motive aus den Erscheinungserzählungen vom Auferstandenen. Während im Hintergrund von IgnSm 3,1–3 eventuell Lk 24,36–43 oder eine mit der lukanischen Erscheinungserzählung zusammenhängende Überlieferung steht, lassen die beiden anderen Schriften Kenntnisse von Joh 20,19–28 und im Falle des Evangelium Veritatis möglicherweise auch von 1 Joh 1,1–3 vermuten. Sie stellen alle das Betasten des Sohnes durch die Erscheinungszeugen ins Zentrum ihrer Neuverarbeitungen, verlagern also den Schwerpunkt auf die sinnliche Wahrnehmung des Auferstandenen durch die Jünger. Das erstaunt zunächst insofern, als die lukanischen und johanneischen „Prätexte“ nirgends davon berichten, dass die Jünger der Aufforderung, den Auferstandenen zu berühren, tatsächlich nachkamen und etwa die präsentierten Wundmale betasteten. Sie haben hier eine narrative „Leerstelle“, die sich in späterer Auslegung als äußerst produktiv erwiesen hat.7 Im Evangelium Veritatis und im Liber Bartholomaei läuft die sinnenhafte, unmittelbar physische Kontaktaufnahme mit dem Sohn auf eine Transforma­ tion der Augenzeugen hinaus, die sie zum ewigen, vollkommenen Leben befähigt.8 Auch Ignatius, der mit seiner Neuverarbeitung der Erscheinungserzählungen im Smyrnäerbrief in erster Linie Jesu reales Menschsein unterstreichen will, das sein Leiden und seine Auferstehung im Fleisch einschließt, formuliert 7 Zahlreiche spätere Neuverarbeitungen und Interpretationen der Erscheinungserzählungen setzen an dieser Stelle der berichteten Ereignisse an und nehmen die Gelegenheit wahr, etwas über den Körper Jesu zu sagen. Sie gestalten das Berührungsmotiv vor allem unter dem Gesichtspunkt potentieller doketischer und antidoketischer Deutungen weiter aus. Vgl. Most, Den Finger in der Wunde; Atkins, Doubt of the Apostles; mit Blick auf Joh 20,24–28 auch Frey, Der zweifelnde Thomas, 19: „Die Thomasepisode wird also von Anfang an – und später fast ausschließlich – als ‚Beweis‘ der tatsächlichen, leiblichen Auferweckung Jesu gewertet.“ Tertullian etwa zitiert Lk 24,39 (Carn. Chr. 5,9), um die physische Auferweckung zu beweisen. Er belegt mit der Thomasepisode auch, dass die Sinneswahrnehmung der Zeugen zuverlässig war (Prax. 25,2). Und während der mittelplatonische Christentumskritiker Kelsos meinte, Jesus habe nur ein „Bild“ seiner Wunden an die Jünger ausgesandt, obwohl er in Wahrheit ohne die Wunden existierte, ist von Origenes eine komplexere Position zum Auferstandenen und seiner Leiblichkeit belegt: Die Kontinuität seines Leibes sei nicht durch die Materialität, sondern durch eine körperartige Form gewährleistet gewesen. Später wurde „die Auffassung, dass Jesus tatsächlich die Wunden Jesu berührt habe, […] zum festen Bestand der christlichen Orthodoxie der Spätantike und des Mittelalters“ (Frey, Der zweifelnde Thomas, 20). 8 Das „Betasten“ (ψηλαφάω in Lk 24,39 und 1 Joh 1,1) kann in der Tradition nicht nur haptische, materielle Berührung, sondern auch das Erfassen und Erkennen geistiger Inhalte beschreiben (vgl. Platon, Phaed. 99b; Plutarch, Gen. Socr. 20 [598b]; Philo, Mut. 126; auch Apg 17,27). Diese Bedeutungsbreite machen sich spätere Rezipienten der Erscheinungserzählungen zunutze. Unterstreicht der Berührungsbefehl bei Lukas und Johannes die Realität des bestastbaren, ganz und gar menschlichen, leidensfähigen Körpers des Auferstandenen, so zeichnet diese Art der späteren Rezeption eher das Bild eines besonderen Leibes. Die Texte qualifizieren den Leib des Auferstandenen als besonders wirkmächtig und formulieren zugleich eine Lösung für das Problem, wie der Mensch trotz seiner fleischlichen, vergänglichen Verfasstheit mit dem Göttlichen Kontakt aufnehmen und an ihm Anteil bekommen kann.

266

8. Abschließende Beobachtungen

diese christologische Einsicht nicht um ihrer selbst willen, sondern mit Blick auf die Heilsbedeutung des Leibes, ja Fleisches Jesu für die Glaubenden. Von der Überzeugung, dass Jesus wirklich im Fleisch gelitten hat und so auferstanden ist, hängt für Ignatius nämlich nicht weniger als ihre Rettung und leibliche Auferweckung ab. Deshalb beschreibt er das Fleisch des Auferstandenen nicht nur als berührbare, reale Materie, sondern gerade darin auch als eine für die Unvergänglichkeit der Jünger und aller Glaubenden wirksame Größe. In den hier behandelten Texten werden demnach die Erscheinungsüberlieferungen wegen ihres Potentials als Gründungserzählungen über eine Verwandlung der Glaubenden im leiblichen Kontakt zu Christus aufgegriffen. Alle drei untersuchten Texte weisen einen weiteren wichtigen Grundzug in ihrer Rezeption der Erscheinungserzählungen auf: Sie verarbeiten die Überlieferungen nicht aus einem spekulativ-christologischen oder etwa historischen Interesse, sondern um sie für ihre Adressatenkreise transparent zu machen und aus ihnen Gewinn für ihre Leserschaft zu ziehen. Was die Jünger erleben, sollen die nachfolgenden Generationen auf andere Weise vergegenwärtigen, und umgekehrt soll die gemeindliche Praxis sich im normativen Ursprungsgeschehen verankert wissen. Dazu öffnen die hier untersuchten Schriften ihre Erzählungen von der leiblichen, die Sinne beteiligenden Begegnung der Jünger und Augenzeugen mit Jesu Leib für eine nachösterliche, rituelle oder meditative Erfahrung der Glaubenden. Sie schreiben die Überlieferung mit Blick auf die individuellen und kirchlichen Glaubensvollzüge ihrer Adressaten fort.9 9 Diese Verbindung zwischen der Vergangenheit und der jeweiligen Gegenwart entfalten die Texte auf unterschiedlichen Ebenen: Bei Ignatius und im Liber Bartholomaei wird der erzählte, vergangene lebensspendende Kontakt zu Jesu Leib in der Eucharistie aktualisiert. Die σάρξ Jesu bzw. sein Blut fungiert als Bindeglied zwischen der vergangenen, einmaligen Erscheinung des Auferstandenen und der gegenwärtigen eucharistischen Praxis. Nach Ignatius ist die σάρξ, die gelitten hat, auferstanden ist, von den Jüngern berührt wurde und mit der sie regelrecht verschmolzen sind (κραθέντες τῇ σαρκὶ αὐτοῦ, IgnSm 3,2), keine andere als die, die nun auch in der Eucharistie verteilt wird (vgl. IgnSm 7,1). Der Liber Bartholomaei wiederum verknüpft die Ostererfahrung der Jünger mit dem Auferstandenen und seinen heilbringenden Wunden mit einer direkt daran anschließenden, für künftige Eucharistiefeiern exemplarischen Mahlgemeinschaft der Apostel. Die Neuinszenierung der Thomasepisode aus Joh 20 in der Erbauungsschrift legt den Akzent auf die unmittelbare Berührung des Leibes Jesu durch Thomas, der sich selbst mit Jesu Blut versiegelt, wodurch er – ebenso wie alle anderen Jünger nach ihrem Kontakt mit Jesu „Lebensblut“ – göttlich wird. Die anschließend erzählte Eucharistiefeier vollzieht das Geschehen nach, so dass die Narration eine Eucharistiedeutung entfaltet, nach der die Glaubenden am versiegelnden und rettenden Blut Jesu Anteil haben. Bei Ignatius und im Liber Bartholomaei wird die Heilswirkung des Leibes Jesu zunächst an den Jüngern demonstriert und nachfolgend für alle Eucharistieteilnehmer garantiert. Das Evangelium Veritatis braucht zur Vergegenwärtigung der Ereignisse bei Jesu Erscheinen kein Ritual, weil an dessen Stelle die Lektüreerfahrung der Evangelienmeditation selbst tritt. Die sinnlich-körperliche Begegnung der Jünger mit dem (Leib des) Sohn(es) Gottes vollziehen die Leserinnen und Leser des Evangelium Veritatis nach, indem sie in die Erzählwelt eintreten bzw. sich diese Erzählwelt selbst nach außen öffnet. Das geschieht

8.1 Zusammenfassung der Einzelergebnisse

267

8.1.3 Die Rezeptionen von Motiven aus Joh 6 und 1 Kor 15 bei Irenäus und im Philippusevangelium Zum Ausgangspunkt der Argumentation für die fleischliche Auferstehung der Glaubenden machen auch Irenäus (Haer. 5,2,3) und das Philippusevangelium (EvPhil 23, NHC II,3 p. 56f.) Jesu Leib bzw. sein Fleisch. Dazu reinterpretieren sie jedoch nicht die Erscheinungsüberlieferungen, sondern verwenden Motive aus Joh 6,51–58 und 1 Kor 15,35–54, die sie mit gemeindlicher Eucharistiepraxis in Verbindung bringen. Irenäus greift auf antike Ernährungstheorien zurück, die es ihm erlauben, an der erschaffenen und seit Geburt dem Menschen eigenen Fleischessub­stanz auch bei der Auferstehung festzuhalten und zugleich die innere Umwandlung des Menschen gleichsam wissenschaftlich zu erklären. Das menschliche Fleisch wird unmittelbar von Jesu Leib und Blut ernährt und aufgebaut und so zu seinem „Glied“. Endzeitlich kann der entsprechend umgewandelte Mensch im Fleisch auferstehen und das Fleisch seine ursprüngliche Gottebenbildlichkeit zurückgewinnen. Die Ausführungen stehen bei Irenäus unter der Perspektive einer Kontinuität des Schöpfungs- mit dem endzeitlichen Heilshandeln Gottes. Er will das Schöpfungswerk in die finale Errettung einbezogen wissen: Die geschaffene Erde, das, was sie an Gaben hervorbringt, die Leiber der Menschen und vor allem auch der Leib Jesu selbst sind Teil eines ganzen, vom Geist Gottes belebten und fortlaufend erhaltenen Zusammenhangs. Hält man die Passage zur fleischlichen Auferstehung des Menschen in EvPhil 23 (NHC II,3 p. 56,26–57,19) daneben, fällt der entscheidende Unterschied im ansonsten erstaunlich ähnlichen Lösungsversuch des gnostischen Textes ins Auge: Mit denselben neutestamentlichen Referenztexten konstruiert das Philippusevangelium einen grundlegenden Gegensatz zwischen der irdischen und der Auferstehungsexistenz des Glaubenden. Dem entspricht, dass das Fleisch Jesu nicht Teil der geschöpflichen Welt ist, sondern im Gegenteil das Mittel, um ihr zu entkommen. Sich mit ihm zu bekleiden, sich also dem Logos selbst anzuverwandeln (vgl. EvPhil 113, NHC II,3 p. 78f.), bedeutet, schon jetzt die Auferstehung zu „besitzen“. Einen Gegensatz zwischen Kosmos und göttlichem Bereich legt auch der Verfasser des Rheginusbriefs seiner Konzeption zugrunde; auch dort kann der Mensch entweder von den Mächten des Kosmos oder von Christus ergriffen und umfasst sein. Das ist gleichwohl ein Zustand, der vom natürlichen Tod unim Prozess einer meditativen Bibellektüre und durch Übernehmen derjenigen Deutung des Geschehens, die das Evangelium selbst anbietet. Dabei werden die Rollen neu besetzt: Die Lesenden treten an die Stelle der Jünger, der Sohn erscheint als die manifestierte, körpergewordene, erlösende Erkenntnis des Vaters. Indem die Rezipienten durch die Lektüre der Neuverarbeitung von Motiven aus Joh 20,19–28 gewissermaßen selbst zu Augenzeugen werden und den Sohn mit allen Sinnen begegnen, eignen sie sich die Unvergänglichkeit bringende Erkenntnis an und werden „Erweckte“.

268

8. Abschließende Beobachtungen

abhängig ist und bereits die Gegenwart des Menschen in der einen oder anderen Weise bestimmt. Der Rheginusbrief und das Philippusevangelium rechnen nicht mit einem einmaligen Auferstehungsereignis nach dem Tod, sondern mit einer andauernden Auferstehungsexistenz schon im irdischen Leben. Was dieses Sein ausmacht, wo seine heilsgeschichtlichen oder mythischen Ursprünge liegen, wie es sich bereits im Kommen und Wirken des Erlösers abbildet und welche Konsequenzen sich daraus für die Gegenwart der Glaubenden ergeben, erweisen sich als wichtige damit verbundene Themen.

8.2 Die Vorstellung der Christusteilhabe und ihre neutestamentlichen Voraussetzungen Die verschiedenen hier skizzierten Auferstehungskonzeptionen lassen erkennen, dass in den Auseinandersetzungen um leibliche Auferstehung letztendlich der Stellenwert der Schöpfung und die Frage nach einer grundsätzlichen Kontinuität zur geschaffenen Welt zur Diskussion standen – wird die Welt überwunden und vergehen oder wird sie überformt, erneuert und vollendet? Die Haltung zu diesen Fragen wirkte sich dann auch auf die Standpunkte in der Debatte um eine Kontinuität in der Heilsgeschichte und um den Zusammenhang zwischen Gesetz und Propheten mit den Evangelien und Apostelbriefen und schließlich auf das Bild vom Menschen und seiner Erlösung aus. In der Auseinandersetzung um die leibliche Auferstehung kamen diese Themen in konzentrierter Form zusammen, so dass die Auferstehung im frühen Christentum zum „center of the storm“10 und das Bekenntnis zu ihr zu einem wichtigen Teil der Glaubensregel wurde.11 Die Untersuchung zeigte aber auch, dass trotz der beschriebenen Gegensätze an der Vorstellung einer Leiblichkeit in der Auferstehung von durchaus konträren Positionen her festgehalten wurde. Dass die Glaubenden bei ihrer Auferstehung einen Leib haben werden, liegt in der Logik eines Erlösungsgeschehens, das vom Leib Jesu ausgehend beschrieben wird. Dieser Leib stellt in allen hier behandelten Texten eine Form von Kontinuität zwischen dem gegenwärtigen, irdischen Dasein der Menschen und ihrer Auferstehungsexis10 So Van Unnik, „Epistle to Rheginos“, 154, der auch von einem „,articulus stantis aut ca­dentis ecclesiae‘ in the second century“ sprechen kann (ebd., 143). 11 Vgl. Irenäus, Haer. 1,10,1: „Obwohl die Kirche über die ganze bewohnte Welt bis an die Grenzen der Erde verbreitet ist – sie hat von den Aposteln und ihren Schülern den Glauben angenommen an den einen Gott, den allmächtigen Vater, ‚der Himmel, Erde, Meer und alles darin gemacht hat‘ […]; und an den einen Christus Jesus, den Sohn Gottes, Fleisch geworden (vgl. Joh 1,14) zu unserem Heil; und an den Heiligen Geist, der durch die Propheten die Heilsvorgänge verkündet hat und das Kommen des geliebten (vgl. Eph 1,6) Christus Jesus, unseres Herrn […], und seine Ankunft vom Himmel in der Herrlichkeit des Vaters (Mk 8,38 par.), um ,alles zusammenzufassen‘ (Eph 1,10) und um alles Fleisch der ganzen Menschheit zu erwecken […]“ (Übers. Brox). Vgl. auch Tertullian, Praescr. 36.

8.2 Die Vorstellung der Christusteilhabe

269

tenz sicher und fungiert in den Texten als vermittelndes Element, als Medium zwischen der Welt und dem göttlichen Bereich. An diesem Leib teilzuhaben, zu partizipieren, wird in den untersuchten Texten als Möglichkeit beschrieben, den Tod zu überwinden und zum Leben „in Fülle“ zu gelangen. Die Lebensgabe und Lebensgemeinschaft mit Christus wird in materiell-physischen Kategorien dargestellt, sie verwandelt die Leiber derer, die daran teilhaben, schon jetzt und schafft damit eine neue Form von Kontinuität.12 Teilhabe am Leib Jesu verbürgt nicht nur die zukünftige leibliche Auferstehung, sondern übermittelt sie bereits selbst (vgl. EvPhil) oder zumindest ihre physischen Voraussetzungen (vgl. Irenäus). So kann auch die Verwandlung der Jünger aufgrund der Ostererscheinungen, die sie zum vollkommenen Osterglauben befähigen und mit dem Geist begaben, in späteren Rezeptionen, die vom tatsächlichen Betasten des Auferstandenen berichten, als ein eben auch physisches Geschehen aufgefasst werden, das das gesamte Sein der Jünger grundlegend verändert. Die Denkfigur einer engen Verbindung mit Christus, die den Gläubigen jetzt schon, noch unter den Bedingungen seiner irdischen Existenz, in eine Lebensgemeinschaft aufnimmt und ihm Anteil an Jesu vollkommenem Leben gibt, hat ihre Voraussetzungen bei Paulus und im Johannesevangelium.13 Nach Paulus und Johannes ist das gegenwärtige Leben des Glaubenden bereits jetzt von seiner rettenden Existenz in Christus gekennzeichnet. Paulus findet für diese Seinsform unter anderem den Präpositionalausdruck ἐν Χριρτῷ (vgl. 2 Kor 5,17; Röm 6,11.23). Johannes illustriert sie unter anderem mit dem wechselseitigen „Bleiben in Christus“, formuliert mit εἰμί oder μένω ἐν und personalem Subjekt oder Objekt: ἐν ἐμοὶ μένει κἀγὼ ἐν αὐτῷ (Joh 6,56b).14 Die Glaubenden werden in den Lebensraum Christi integriert.15 12 Die Kontinuität, die Paulus und Johannes durch die Christusteilhabe zwischen dem gegenwärtigen und dem zukünftigen Leben herstellen, wird sowohl von „großkirchlicher“ als auch „gnostischer“ Seite aufgegriffen, aber stofflich interpretiert: entweder durch das vom Geist aufgewertete, in seiner Qualität veränderte Fleisch (Irenäus) oder in Gestalt einer neuen Fleischesgabe und „innerer Glieder“, die schon jetzt dem Menschen eigen sind (EvPhil, Rheg). Kontinuität kann also innerhalb der Schöpfung (Irenäus) oder außerhalb (EvPhil, Rheg) angesiedelt werden. 13 Vgl. Weder, Menschwerdung Gottes, 389. Nach Weder öffnet sich die Relation zwischen Gottvater und Christus durch das Heilsgeschehen – die Inkarnation, Proexistenz und den Heilstod Jesu – für alle Menschen, die in diese Beziehung nun eintreten können. Deshalb begründet die enge Verbindung zu Christus gleichzeitig das Gottesverhältnis des Glaubenden. 14 Ganz ähnlich ist das Verhältnis von Vater und Sohn unter anderem in Joh 10,38 ausgedrückt. Vgl. für Paulus auch Gal 2,20a: ζῶ δὲ οὐκέτι ἐγώ, ζῇ δὲ ἐν ἐμοὶ Χριστός. 15 Vgl. Ueberschaer, Theologie des Lebens, 338. Ueberschaer arbeitet durch den Vergleich einige Grundzüge des Zusammenhangs zwischen Glauben und ewigem Leben bei Paulus und Johannes heraus (vgl. vor allem die Ergebnisse S. 329–341), die für die hier vorgenommene Untersuchung hilfreich sind, denn solche Zusammenhänge, die sie zwischen Paulus und Johannes beschreibt, erkannten und nutzten auch frühchristliche Ausleger. Vor allem aber wird an ihrer Arbeit deutlich, dass die Denkfigur einer Verbindung zwischen Jesu Tod und Auferstehung einerseits und dem vollkommenen Leben und der Auferstehung der

270

8. Abschließende Beobachtungen

Nach Johannes hat der Glaubende das ewige Leben schon jetzt (Joh 6,54) und ist vom Tod zum Leben hindurchgedrungen (Joh 5,24). Paulus kann in ähnlicher Weise vom „Wandeln in der Neuheit des Lebens“ (Röm 6,4), von einem „neuen Sein in Christus“, einer „neuen Schöpfung“ (2 Kor 5,17; Gal 6,15) und einer Erneuerung des „inneren Menschen“16 im Gegenüber zum „äußeren Menschen“ (2 Kor 4,16) sprechen.17 Gleichwohl verstehen Paulus und Johannes die leibliche Umwandlung, sofern sie dazu überhaupt Aussagen treffen, als etwas Zukünftiges. Zwar ist das „Leben im Fleisch“ (das immer noch den physischen Tod erwarten muss) schon jetzt geprägt vom neuen Leben „im Glauben“ (Gal 2,20), aber das Fleisch der Glaubenden selbst ist nicht davon berührt.

Sowohl Paulus als auch Johannes begreifen die Teilhabe am vollkommenen Leben als ein Sein und Bleiben im Lebens- und Heilsraum Christi. Sie entwerfen damit ein für spätere Anknüpfungen äußerst produktives Motiv. Nach Paulus können die zu Christus Gehörenden auch ihre künftige, leibliche Umgestaltung nach dem Bild Christi und nach seinem σῶμα τῆς δόξης erwarten (vgl. Phil 3,21; vgl. auch 2 Kor 3,18; 4,10f.; Röm 8,29).18 Gleichwohl bleibt dies der zukünftigen Vollendung vorbehalten. Der Ort, an dem Paulus und Johannes die neue Qualität des Seins gegenwärtig lokalisieren, ist gerade nicht das Fleisch der Menschen oder ihre sichtbare Leiblichkeit. Die hier untersuchten Texte beziehen demgegenüber die Leiblichkeit der Glaubenden in den Erlösungsprozess ein und bringen auf diese Weise Vorgänge zusammen, die bei Paulus und im Johannesevangelium voneinander getrennt bleiben.19 Die späteren Zeugnisse gestalten die nahe, lebensermöglichende Glaubenden andererseits, die in den hier untersuchten außerkanonischen Zeugnissen so zentral wird, sowohl bei Paulus als auch bei Johannes grundgelegt ist. 16 Bei Paulus scheinen mit der Kontrastfigur vom „inneren“ und „äußeren Menschen“ weniger zwei stabile Bestandteile der Person beschrieben zu sein als vielmehr zwei verschiedene Bereiche, in denen der Glaubende einerseits mit Christus in Verbindung tritt und wo sich das vollkommene Leben in ihm schon jetzt auswirkt bzw. in denen er andererseits mit der Welt in Kontakt tritt. Der „innere Mensch“ repräsentiert das Unvergängliche, Unsichtbare, der „äußere Mensch“ die Vergänglichkeit und das Sichtbare. Siehe dazu die mögliche Verarbeitung im Rheginusbrief (vgl. oben 3.5). 17 Vgl. auch die Rede vom „alten Menschen“, der mit Christus gekreuzigt wurde, damit der Leib der Sünde vernichtet werde (Röm 6,6), und die Rede von der neuen Geburt „von oben“ (Joh 3,3.5). 18 Phil 3,21: ὃς μετασχηματίσει τὸ σῶμα τῆς ταπεινώσεως ἡμῶν σύμμορφον τῷ σώματι τῆς δόξης αὐτοῦ κατὰ τὴν ἐνέργειαν τοῦ δύνασθαι αὐτὸν καὶ ὑποτάξαι αὐτῷ τὰ πάντα. 2 Kor 3,18: ἡμεῖς δὲ πάντες ἀνακεκαλυμμένῳ προσώπῳ τὴν δόξαν κυρίου κατοπτριζόμενοι τὴν αὐ­τὴν εἰκόνα μεταμορφούμεθα ἀπὸ δόξης εἰς δόξαν καθάπερ ἀπὸ κυρίου πνεύματος. 2 Kor 4,10f.: πάντοτε τὴν νέκρωσιν τοῦ Ἰησοῦ ἐν τῷ σώματι περιφέροντες, ἵνα καὶ ἡ ζωὴ τοῦ Ἰη­ σοῦ ἐν τῷ σώματι ἡμῶν φανερωθῇ. ἀεὶ γὰρ ἡμεῖς οἱ ζῶντες εἰς θάνατον παραδιδόμεθα διὰ Ἰησοῦν, ἵνα καὶ ἡ ζωὴ τοῦ Ἰησοῦ φανερωθῇ ἐν τῇ θνητῇ σαρκὶ ἡμῶν. Röm 8,29: ὅτι οὓς προ­έγνω, καὶ προώρισεν συμμόρφους τῆς εἰκόνος τοῦ υἱοῦ αὐτοῦ, εἰς τὸ εἶναι αὐτὸν πρω­ τότοκον ἐν πολλοῖς ἀδελφοῖς. 19 Die Rezeption paulinischer Auferstehungs- und Lebensterminologie (vor allem in 2 Kor 3–4) bei Ignatius und Valentin (Frg. 4 apud Clemens von Alexandrien, Strom. 4,89,2f.) bzw. im Rheginusbrief hat Tappenden, Coming Back to Life, verglichen. Seine Ergebnisse stim-

8.2 Die Vorstellung der Christusteilhabe

271

Christusbeziehung paulinischer und johanneischer Prägung als eine leiblichräumliche Christusteilhabe aus. Sie fassen diese Partizipation an Christus als eine sinnenhaft erfahrbare und somatisierte Realität auf und denken bei der präsentischen, soteriologischen Gabe des Lebens an eine sinnenhafte, leibliche Vermittlung, die bereits jetzt eine Form von leiblicher Verwandlung der Glaubenden initiiert. Als besonders anknüpfungsfähig erweist sich hier Joh 6,51–58, weil dieser Text dem Gedanken einer leiblichen Lebensvermittlung am nächsten zu kommen scheint.20 Mit einer so veränderten Perspektive auf die Christusbeziehung musste sich auch der Stellenwert des Glaubens ändern, der nach Paulus und dem Verfasser des Johannesevangeliums auf Seiten der Glaubenden konstitutiv für den Empfang des Lebens „in Fülle“ ist.21 Der Glaube als Ort, an dem die Christusverbindung konstituiert wird und sich schon jetzt vollkommenes Leben realisiert, ist zwar in den hier untersuchten Rezeptionen keineswegs unwichtig und vor allem in den Ignatiusbriefen, aber auch im Rheginusbrief zentral für die Rettung des Menschen. Aber in der weiteren Entwicklung treten andere Plausibilisierungszusammenhänge für die Lebensgabe und die Auferstehung noch hinzu, die sich erkennbar auf eine frühchristliche Auseinandersetzung mit dem Problem der vergänglichen Materie und dem leiblich verfassten Menschen zurückführen lassen. Das spiegelt sich unter anderem in der zunehmenden Bedeutung der Sakramente und in einer größeren Vielfalt ausformulierter Sakramentsdeutungen wider. Die physische Wirksamkeit der Sakramente etwa als besondere „Nahrung“ spielt nun neben dem Glauben ebenfalls eine Rolle im Erlösungsprozess.22 Unter diesem neuen Blickwinkel veränderte sich auch der Charakter der Beziehung zwischen dem Glaubenden und Christus gemäß den men zum Teil mit den hier gemachten Beobachtungen überein: Die Spannung zwischen der präsentischen Lebensgabe an die Glaubenden und deren zukünftiger Auferstehung, die Paulus halten kann, wird in späteren Rezeptionen auf je unterschiedliche Weise aufgelöst. Sowohl Ignatius als auch Valentin können sich so in der Paulusnachfolge verorten, obwohl sie zugleich je unterschiedliche Aspekte des paulinischen Gedankenguts ausschließen oder herunterspielen. Im Einzelnen knüpft Ignatius stärker an die zeitliche Abfolge und das Nacheinander von Tod und neuem Leben an, während Valentin das Gleichzeitige betont – „contain­ ment and somatic replacement“, wie Tappenden es formuliert (209). 20 Im vierten Evangelium ist es gleichwohl nicht der Leib Jesu an und für sich, der das Leben gibt. Es ist Jesu Tod für den Kosmos, der Heil schafft und der auf der Seite der Glaubenden im Glauben angeeignet wird, nicht dagegen durch eine körperliche Handlung, bei der ihre Leiber verwandelt würden. Auch das Essen und Trinken des Fleisches und Blutes Jesu nach Joh 6,53f.56, das aus meiner Sicht eucharistische Anklänge hat, ist dem aneignenden Glauben untergeordnet. 21 Taufe (und Abendmahl) sind die sichtbaren, erfahrbaren Zeichen des Zum-GlaubenKommens, die nachträglich „als sinnlich erfahrbare Wahrnehmung und Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden“ hinzukommen (Ueberschaer, Theologie des Lebens, 339). 22 Die späteren Kontroversen um die Bedeutung der Schöpfung und der Materie, die bei der Auferstehung des Menschen eine Rolle spielen, wirken sich auch auf Geltung und Funktion der Sakramente, insbesondere der Eucharistie, aus.

272

8. Abschließende Beobachtungen

hier untersuchten Zeugnissen: Die personalen und geschichtlichen Züge treten gegenüber sakramentalen und räumlichen Aspekten zurück.

8.3 Ertrag für eine Rezeptionsgeschichte neutestamentlicher Texte und Motive im frühen Christentum 8.3.1 Die Einbeziehung der Sinne und des Körpers in die Rezeption In drei Osterhomilien, In sanctum Pascha, De tridui spatio und In sanctum et salutare Pascha (entstanden in der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts) arbeitet Gregor von Nyssa die Überlieferung der Osterereignisse und die Erzählungen über Jesu Erscheinen auf eine Weise in seine theologischen Ausführungen ein, dass sie argumentativ für die Auferstehung der Glaubenden fruchtbar werden. Die Erscheinungserzählungen werden dazu nicht noch einmal nacherzählt, sondern rekomponiert. So umschreibt Gregor Jesu Auferstehung in seiner Predigt In sanctum Pascha mit Phrasen aus 1 Kor 15,42f. und 2 Kor 3,18, um auf diese Weise das Ereignis auf die Glaubenden zu übertragen und in seiner Be­ deutung für deren Auferstehung zu entfalten. Matthieu Cassin hat dies als „pur­ poseful rewriting of New Testament materials“ bezeichnet.23 Vorausgesetzt ist dabei, dass die Hörerinnen und Hörer die zugrundeliegenden Ostergeschichten kennen. Im Epilog von De tridui spatio (GNO 9,304,5–306,10), der die Ostergeschichten der Evangelien zusammen mit einigen wenigen paulinischen Anklängen paraphrasiert, werden die Adressaten der Osterhomilie schließlich in die Erzählungen zu den Ereignissen am Ostermorgen einbezogen und zu Augenzeugen.24 Die „wohlriechenden Öle“, die die Frauen nach Lk 24 mit ans Grab bringen, werden bei Gregor mit πίστις und ἀγαθὴ συνείδησις identifiziert und lassen als „Wohlgeruch Christi“ (αὕτη γὰρ τοῦ Χριστοῦ ἐστιν ἡ εὐωδία, 304,13–14) 2 Kor 2,15 widerhallen. Es sind auf diese Weise verschiedene Sinne in die Vergegenwärtigung der Osterereignisse involviert. Am Schluss kombiniert Gregor Elemente aus Joh 21 (das Mahl des Auferstandenen mit den Jüngern, das aus Brot und Fisch besteht) mit einer Überlieferungsvariante von Lk 24,42, bei der neben gebratenem Fisch auch Honig gereicht wird. Nach Cassin könnte hinter dieser aktualisierenden, zwei Erzählungen kombinierenden Neuerzählung die liturgische Praxis der Gemeinde stehen, in der Gregor predigte. Dieser liturgischen Praxis zufolge wurden den Täuflingen während ihrer ersten Eucharistiefeier nicht nur Brot und Wein, sondern auch Milch und Honig gereicht.25 In Gregors Homilie wird der Fischfang aus Joh 21 zum Bild für die Auslegung der Schrift, und wie auf den Fischfang das Mahl mit dem 23 Cassin,

Liturgical Celebration, 156. Cassin, Liturgical Celebration, 161f. 25 Vgl. Cassin, Liturgical Celebration, 162f. 24 Vgl.

8.3 Ertrag für eine Rezeptionsgeschichte

273

Auferstandenen folgt, so folgt auf die Auslegung die Eucharistiefeier der Gemeinde, in der diese dem Auferstandenen begegnet. Die Rezeption der Ostergeschichten erfolgt hier also in einem liturgischen und eucharistischen Gesamtrahmen: „The homily is, so to say, a transition from Bible reading to the Eucharist proper.“26 Aspekte des Umgangs mit neutestamentlichen Texten und Traditionen in den Osterhomilien Gregors von Nyssa begegnen auch in einigen der hier untersuchten Texte wieder. Dass unterschiedliche neutestamentliche Texte miteinander kombiniert und daraus neue Deutungen entwickelt wurden, ist bekannt und zeigt sich auch hier. Interessant ist jedoch, dass und wie die überkommenen Überlieferungen auch mit Formen sinnlicher Aneignung verknüpft werden konnten. Sie wurden mit meditativer (EV) oder liturgischer Praxis (Ignatius, Irenäus, EvPhil, LibBarth) in Beziehung gesetzt. Vertraute liturgische Vorgänge konnten im Licht der autoritativen Zeugnisse als Rituale verstanden werden, bei denen sich das vergangene, tradierte Geschehen in der Gegenwart auf andere Weise wiederholt. Sakramentale und meditative Praktiken konnten zu weiteren Medien ihrer Rezeption werden. Bei dieser Form der Überlieferungsaneignung wurden die Sinne der Adressatinnen und Adressaten beteiligt, das überlieferte Geschehen sollte für sie auch körperlich nachzuerleben sein.27 Dies wirkte auf die Lektüre und Deutung der Texte zurück, die dadurch neu erschlossen werden konnten: Bei Ignatius und im Liber Bartholomaei, wo jeweils von einer Erscheinung Jesu am Ostermorgen berichtet ist, werden in die Erzählung vom Erscheinen des Auferstandenen eucharistische Aspekte eingetragen und auf diese Weise der Zusammenhang mit der Eucharistie bereits auf Ebene der Narration selbst hergestellt. Im Beispiel des hier behandelten, vielleicht auf eine christlich-gnostische Sakramentskatechese zurückgehenden Philippusevangeliums bildet das eucharistische Geschehen dagegen den Rahmen, innerhalb dessen auf die Jesusüberlieferung zurückgegriffen wird. Diverse Einzelzüge der Jesustradition werden hier für die Neudeutung der Sakramente aktualisiert, weshalb dieser Text dann auch als „Evangelium“ weiterüberliefert werden konnte. Die verschiedenen Sinneswahrnehmungen, Riechen, Kosten und Berühren, werden schließlich auch im Evangelium Veritatis zum bestimmenden Modus der Überlieferungsaneignung: Eine gesteigerte, qualitativ verwandelte Sinneserfahrung erfasst die hinter den vorfindlichen, schattenhaften Bildern offenbarte transzendente Wirklichkeit und verinnerlicht sie in einem Vorgang, in den der ganze Körper einbezogen ist. So verschieden die Formen der Überlieferungsaneignungen im Einzelnen waren, lassen sie jeweils das Bild eines geschlossenen und wohlkomponierten 26 Cassin,

Liturgical Celebration, 164. bildliche und andere nichtliterarische Formen der Jesusrezeption sind in Kulturen mit verbreiteter Illiteralität von besonders großer Bedeutung und prägten dort das Bild Jesu in hohem Maße. Vgl. dazu Bond / Keith / Jacobi / Schröter, Reception of Jesus, Bd. 3. 27 Liturgische,

274

8. Abschließende Beobachtungen

Ereigniszusammenhanges entstehen, in dem sich die normative Ursprungszeit und die Gegenwart der Glaubenden untrennbar miteinander verbinden. Für die beschriebene Umgangsweise mit der Tradition ist zentral, dass auf die Überlieferung unter einer neuen Gesamtfragestellung zugegriffen werden konnte. Das beförderte ihre Aneignung auf unterschiedlichen Ebenen und die Wahrnehmung innerer Zusammenhänge. In den hier vorgestellten Beispielen lautet die zentrale Frage, wie es möglich ist, dass die (vergängliche) Materie durch Kontakt zum Göttlichen an der Auferstehung und am ewigen Leben teilhaben kann. In der Auseinandersetzung um dieses Problem und in den damit zusammenhängenden Streitigkeiten um die richtige Christologie, die wahre Auferstehung und das rechte Eucharistieverständnis konnten dieselben neutestamentlichen Texte von verschiedenen Gruppen und vor ganz unterschiedlichen Hintergründen in Anspruch genommen werden. Auch die Eucharistie wird in den Texten nirgends als solche infrage gestellt.28 Die tatsächlichen Differenzen, die in der vorliegenden Untersuchung zwischen den verschiedenen Ausprägungen des Auferstehungsglaubens erkennbar wurden, betreffen also keineswegs die Auswahl der zitierten Texte (1 Kor 15; Joh 6,51–58; die Erscheinungserzählungen) oder die Geltung der Sakramente als solche, sondern ihre jeweilige Interpretation.29 8.3.2 Die Auswahl der zitierten oder paraphrasierten neutestamentlichen Texte Outi Lehtipuu hat in ihrer Studie „Debates over the Resurrection of the Dead“30 hervorgehoben, dass in der Auferstehungsdiskussion immer wieder bestimmte, offenkundig in ihrer Deutung umstrittene Texte zitiert wurden, so 1 Kor 15,50 hinsichtlich der Frage nach der fleischlichen Auferweckung. Das kann aus der Sicht der vorliegenden Untersuchung bestätigt werden. Der Brief des Ignatius an die Smyrnäer, die Spruchgruppe in EvPhil 23 (NHC II,3 p. 56f.) und Irenäus, Haer. 5,2 setzen sich ausdrücklich mit gegnerischen Auffassungen auseinander und beziehen sich dazu auf Paulus bzw. auf die Evangelienüberlieferung. Auch der Rheginusbrief lässt eine Frontstellung erkennen, in der die fleischliche Auferstehung umstritten war. 28 Das Evangelium Veritatis mag hier eine Ausnahme sein, es äußert sich nicht zur Bedeutung der Eucharistie. Die mögliche Ablehnung der Eucharistie durch einige Gegner, die in den Ignatianen vorausgesetzt sind, wäre ein anderes Thema. Veranlasst durch Konflikte in den Gemeinden um die Bedeutung der Eucharistiefeier und die Teilnahme an ihr konnte das Heilsgeschehen stärker mit der Eucharistie verbunden werden, wie bei Ignatius erkennbar wird. Um die Bedeutung der Eucharistie zu festigen, konnte schließlich die individuelle Erlösung regelrecht in den eucharistischen Elementen angesiedelt werden, wie im Philippus­ evangelium zu sehen ist. 29 Vgl. mit Blick auf die gnostische Paulusexegese klassischerweise Pagels, Gnostic Paul; dies., Mystery of Resurrection. 30 Näheres oben in der Einleitung (Kap. 1).

8.3 Ertrag für eine Rezeptionsgeschichte

275

Bei einem Überblick über die jeweils verwendeten neutestamentlichen Zitate und Paraphrasen, die diese Texte zur Entfaltung und Legitimation ihrer Argumentation nutzen, fällt auf, dass darunter Passagen wie 1 Kor 15,49; 2 Kor 3,18 und Phil 3,21 fehlen. Textabschnitte, die vom (leiblichen) Gleichgestaltetwerden mit dem Bild des Sohnes und von einer Verwandlung in den Leib seiner Herrlichkeit sprechen, werden nicht zitiert und genauso wenig wird auf sie angespielt.31 Auch solche Passagen bei Paulus oder Johannes, die die innige Christusgemeinschaft thematisieren, das Sein „in Christus“ oder das Wohnen des Geistes bzw. Christi in den Glaubenden, das schon gegenwärtig Leben „in Fülle“ vermittelt, werden nirgends explizit herangezogen. Das ist vor allem für das Philippusevangelium überraschend, zu dessen zentralen Themen die Deifikation und das Zum-Christus-Werden des Glaubenden gehört.32 Es entsteht der Eindruck, dass die genannten paulinischen und johanneischen Motive insgesamt einen produktiven Hintergrund bilden und daher nicht eigens zitiert werden. Gerade dies könnte auf ihren herausragenden Einfluss und zugleich auf eine stark transformierende Aneignung in den unterschiedlichen Rezeptionen schließen lassen. Mit Blick auf eine allgemeine Rezeptionsgeschichte neutestamentlicher Texte könnte man daher als Ergebnis festhalten, dass vor allem solche Stellen, an die sich kontroverse Positionen in frühchristlichen Auseinandersetzungen knüpften, wörtlich zitiert und im Rahmen neuer Zusammenhänge explizit ausgelegt und diskutiert wurden.33 Andere Stellen dagegen formierten sich zu komplexen und schöpferischen Vorstellungsgehalten, wurden neuen Fragestellungen adaptiert und wirkten auf diese Weise indirekt und im Hintergrund weiter.

31 Dass

die Menschen nach dem Bild Christi von Gott auferweckt werden, wird in IgnTrall 9,2 erwähnt, für die leibliche Auferstehung und die Vermittlung des Lebens aber nicht weiter ausgewertet. Irenäus zitiert Phil 3,21 in Haer. 5,13,3, nutzt die Stelle aber nicht für die Erläuterung der Rettung des Fleisches und seiner Befähigung zur Unsterblichkeit. Er legt den Schwerpunkt seiner Deutung der Paulusstelle nicht auf die Umgestaltung des Leibes selbst, sondern darauf, dass Paulus hier den fleischlichen Leib meine, der durch die Kraft Gottes umgestaltet werde. Die mögliche Rekurrenz auf 1 Kor 15,49 in Rheg (NHC I,4) p. 45,29–31 wird oben in Kap.  3 thematisiert. 32 Zur Bedeutung des „Christuswerdens“ und Erkennens Christi im Philippusevangelium vor dem Hintergrund neutestamentlicher Texte vgl. Lundhaug, Images of Rebirth, bes. 172 mit Bezug auf EvPhil 26a (NHC II,3 p. 57,30–58,10): „This also recalls 1 John 3:2, which, like Gos. Phil., makes the causal connection between becoming like Christ and seeing him as he is: ,when he appears we shall become like him, for we shall see him as he is‘ […]. Another passage that may be recalled in this context is Phil 3:21 where Jesus is described as ,this one who shall change the body of our humility into the likeness of the body of his glory‘.“ 33 Direkt zitierte oder paraphrasierte Passagen werden Teil eines Verstehensrahmens, der durch andere neutestamentliche Motive und außerchristliche, philosophische Denkfiguren gebildet ist. Von dort erhalten sie neue Sinndimensionen.

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8. Abschließende Beobachtungen

8.3.3 Neue Vielfalt von Gattungen Schließlich ist die Vielfalt von Gattungen auffällig, in denen die Vorstellung einer leiblichen Vermittlung der Auferstehung und soteriologischen Wirkung des Leibes Jesu begegnet. Sie gewinnt Gestalt in argumentativen, diskursiven und lehrhaften Erörterungen (Rheg, Irenäus), in assoziativ verknüpften, mit unbedingtem Wahrheitsanspruch einhergehenden Reflexionen über die Sakramente und über Christus (EvPhil), aber auch in einer suggestiven, inspirierten Offenbarungssprache (EV). Der Liber Bartholomaei und die Ignatiusbriefe entfalten ihre Auferstehungskonzeptionen im Kontext der Gestaltung und des Aufbaus des gemeindlichen Lebens, der Regelung kirchenleitender und gottesdienstlicher Fragen. Im Falle des Liber Bartholomaei, einem sukzessive gewachsenen Zeugnis spätantiker Volksfrömmigkeit, dient die Rekomposition der Ostergeschichte neben der Entfaltung eines bestimmten Eucharistieverständnisses vermutlich auch der Unterhaltung und zur Ausgestaltung legendarischer Überlieferung, die sich um die Gestalt des Apostels Bartholomäus gebildet hatte. Neutestamentliche Motive und Texte konnten demnach in höchst unterschiedlichen Gattungen wiederbegegnen, was noch einmal darauf hindeutet, dass sich auch die sozialen Kontexte, in denen sie relevant wurden, in viele Richtungen verzweigt hatten. Die hier genannten Texte repräsentieren ganz verschiedene Textsorten und Ausprägungen christlicher Frömmigkeit. Deren Autoren waren gleichwohl alle daran interessiert, ihren Adressatinnen und Adressaten ein vertieftes Verständnis der Auferstehung und Erlösung der Glaubenden zu vermitteln, das sie mit Motiven der Jesusgeschichte und mit ihren je eigenen gemeindlichen, liturgischen Praktiken verbinden konnten. Damit sollten einerseits Vorstellungen von unvergänglichem Leben und der Auferstehung vor dem Hintergrund veränderter religiös-kultureller Rahmenbedingungen plausibilisiert werden. Und andererseits ging es auch darum, die individuelle Frömmigkeitspraxis und die theologischen Überzeugungen jener Trägerkreise literarisch zu stützen, aus denen die Texte hervorgingen.34

8.4 Schlussbetrachtung Die Texte, die hier behandelt wurden, sehen im innigen Kontakt und in der sinnenhaften Verbindung zu Christus den Weg zu Auferstehung und Unvergänglichkeit. Das Konzept einer Nachfolge und Nachahmung Christi, bei dem sich der Glaubende durch seinen Lebenswandel an das exemplum Christi angleicht und in dem sein eigenes Handeln und sein freier Wille eine wesentliche Rolle 34 Kontinuierlich begleitet wird die Vorstellung einer leiblichen und leiblich vermittelten Auferstehung von christologischen Weiterentwicklungen und einem intensivierten Nachdenken über die Bedeutung der Inkarnation und der Heilsgeschichte. Eine Einbettung in diesen größeren Zusammenhang übersteigt jedoch den Rahmen dieser Studie.

8.4 Schlussbetrachtung

277

spielen (wie es beispielsweise in der ignatianischen Martyriumssehnsucht erkennbar ist),35 wird ergänzt oder ersetzt durch die Vorstellung einer leiblichen Transformation im Kontakt zu Jesu Leib. Sich Christus anzugleichen, bedeutet dann, wie er unvergänglich zu werden, die Eigenschaft der Unvergänglichkeit und Todesüberwindung von ihm zu empfangen. Der Leib Jesu wird zu einem entscheidenden Medium dieser Transformation und kann dabei in verschiedenen Dimensionen beschrieben werden, die seine heilswirksame Funktion in Kontinuität zu biblischen Formulierungen zum Ausdruck bringen: als Heilsraum, als „Frucht“, die gekostet werden kann,36 oder als eucharistisches Brot und himmlische Nahrung. Auch gegenwärtig werden die Erscheinungsgeschichten in einzelnen Fällen so ausgelegt, dass die Berührung des Leibes Jesu den Jüngern Heil vermittelt. In einem Aufsatz des katholischen Theologen Jacob Kremer von 1995 über Joh 20,24–29, der sich bewusst für ein synchrones Verständnis des Textes entscheidet, kann man lesen, dass das Betasten, ja Legen der Hand in die Seite Jesu symbolisch für die innige Gemeinschaft mit Christus stehe.37 Noch weiter geht die US-amerikanische Theologin Sandra M. Schneiders: Nach ihrer 2008 vorgelegten Deutung soll in Joh 20 eine neuartige, nichtphysische, sondern leiblich-sakramentale Präsenz des auferstandenen Jesus in der Gemeinde begründet werden.38 Gerade die Berührung der Seite, aus der nach Joh 19,34 Wasser und Blut traten, symbolisiere den Empfang des Geistes in den Sakramenten. Hier wird dem Leib des irdischen und des auferstandenen Jesus eine eigene soteriologische Funktion zugeschrieben, die eng an die Sakramente gebunden ist. Diese Interpretationen verstehen die Sprachform in Joh 20 primär symbolisch und beziehen andere Stellen des Johannesevangeliums wie die johanneische Brotrede in ihre Deutung der Erscheinungen des Auferstandenen ein. Solche Auslegungen, die dem Leib Jesu in beschriebener Weise besondere Aufmerksamkeit widmen, sind heute allerdings Randerscheinungen.39 Das 35 An dieser Stelle ist natürlich auch die Gestaltung des eigenen Körpers durch asketische Praktiken und dergleichen zu erwähnen, die selbständiges Handeln des Menschen mit körperlicher Veränderung und Verwandlung zusammenbringt. Vgl. dazu Markschies, Gottes Körper, 414: „Die besondere Bedeutung des menschlichen Körpers Jesu brachte es mit sich, dass das allgemeine Modell einer ‚Nachfolge‘, in die Jesus von Nazareth nach dem Zeugnis der kanonisch gewordenen Evangelien rief, zum Modell einer mimetischen Konformität, zum Modell der ‚Nachahmung Christi‘ (imitatio Christi) konkretisiert und damit zugleich radikalisiert wurde. Eine solche radikale Angleichung des christlichen Körpers an den Körper Jesu Christi bildete mindestens in einzelnen Gruppen und für einzelne Texte das Kernmotiv christlichen Lebens – und demonstriert noch einmal die starke Bedeutung der verschiedenen Vorstellungen vom Körper des Gottmenschen Jesus Christus für das antike Christentum.“ 36 Vgl. EV (NHC I,3) p. 18,24–26. 37 Vgl. Kremer, Überlegungen. 38 Vgl. Schneiders, Touching the Risen Jesus; vgl. auch dies., Encountering Jesus. 39 Daneben gibt es Deutungen, die in den neutestamentlichen Texten aus anderem Grund die leibliche, betastbare Erscheinung Jesu betont sehen. Sie verstehen die Erscheinungserzählungen als unmittelbare Reaktionen auf die Entstehung doketischer Christologien. Was

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8. Abschließende Beobachtungen

Zentrum der Thomasepisode, um bei diesem Beispiel zu bleiben, wird in der gegenwärtigen Johannesforschung nicht in der Präsentation der Leiblichkeit Jesu gesehen, sondern mit einem anderen prominenten johanneischen Thema, dem „Glauben und Sehen“, identifiziert, und die auf die Aufforderung zum Berühren erkennbare erzählerische Leerstelle wird nicht gefüllt, sondern als solche gedeutet.40 Den narrativen Gestaltungen der neutestamentlichen Erzählungen und dem argumentativen Aufbau der Paulusbriefe mit ihrer eigenen „inneren Logik“ wird mehr Gewicht in der Interpretation beigemessen als intraund intertextuellen Sinnbezügen.41 Das antike Christentum setzte hier andere Akzente. Es konnte die Vorstellung, dass Jesu Leib ein Bindeglied und Kommunikationsmittel zwischen göttlicher und innerweltlicher Sphäre ist, mit einer synchronen Schriftlektüre und der aktualisierenden Einbeziehung sozialer und liturgischer Kontexte begründen. Eine solche Form der Überlieferungsaneignung war bestimmt von dem Gedanken, dass nicht nur die Heilsgeschichte insgesamt, sondern auch ihre Einzelheiten „erst in der Applikation durch die Gläubigen zum Ziel kommen“42 und sich Details der Jesusgeschichte in der Gegenwart der Glaubenden erschließen und vollenden. Die Texte wirkten auf eine Horizontverschmelzung hin, die die Träger- und Adressatenkreise der rezipierenden Schriften in das erzählte Geschehen hineinnehmen sollte.43 Die Leserinnen und Leser sollten nicht nur auf einer kognitiven Ebene in Resonanz mit der Überlieferung treten, sondern – genauso wie die Augenzeugen und Autoritäten der Ursprungszeit – den sich leiblich offenbarenden Sohn mit ihren Sinnesorganen und ihrem Leib wahrnehmen, um so leiblich aufzuerstehen und das vollkommene Leben zu empfangen.

die Auslegung des Johannesevangeliums betrifft, sind sie mit redaktionsgeschichtlichen Fragestellungen verbunden. Vgl. hier Schnelle, Johannes, 306–309, der (ohne Annahme einer späteren Redaktion) in Joh 20,24–29 auch die „Abwehr einer doketischen Leugnung der Identität des Gekreuzigten mit dem Auferstandenen“ ausgedrückt sieht. Dagegen Frey, Die johanneische Theologie. 40 Vgl. u. a. Zumstein, Johannesevangelium, 761–767; Barrett, Johannes, 549f.; Frey, Leiblichkeit und Auferstehung, 318–322; Theobald, Corpus Iohanneum, 443–471. 41 Die Bedeutung der körperlich-sinnlichen Dimension gerade im Johannesevangelium wird davon unbenommen als wichtiger Grundzug des vierten Evangeliums verstanden und außerdem die Thomasepisode auch im Kontext des gesamten Evangeliums, insbesondere mit seinen Bezügen zu Joh 1, interpretiert, ohne dabei aber Einzelzüge „allegorisch“ zu deuten. Zur Bedeutung sinnlicher Wahrnehmung vgl. u. a. Hirsch-Luipold, Gott wahrnehmen. 42 Meiser, Neuzeitliche Mythosdiskussion, 146. 43 Sie verstärkten damit eine in den neutestamentlichen Texten selbst bereits angelegte Tendenz. Auch die Evangelien (und hier insbesondere wiederum das Johannesevangelium) sind transparent für die nachösterliche Zeit und spiegeln in unterschiedlichem Ausmaß die Situation ihrer Gemeinden wider.

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